Der Bronco des Teufels
Roman von Dodge Messer
Mitternacht Stunde der Rache. Altes Gemäuer, Nebeldünste, glucksendes...
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Der Bronco des Teufels
Roman von Dodge Messer
Mitternacht Stunde der Rache. Altes Gemäuer, Nebeldünste, glucksendes Wasser, der Schrei der Eule. Hufschlag! Trommelndes Stakkato auf ausgedörrtes, vom Mond in diffuses Licht ge tauchtes Land. Blaues Land. Und dann der Schimmelhengst! Mit wirbelnden Hufen rast er dahin. Seine Mähne fliegt im Wind. Sein Schweif weht wie eine Fahne. Der Bronco des Teufels schwenkt auf das kleine Licht ein, das aus dem alten Haus fällt. Der Boden bebt unter dem Getrommel der Hufe. Eine Tür geht auf, Licht schein fällt weit in den Hof, ein Mann kommt heraus, hält die Hand schirmend über die Augen, als werde er geblendet. Aber da bäumt sich vor ihm der Schimmel auf, ein schrilles Wiehern, die Vorderhufe wirbeln wie Schlagstöcke, ein Schrei! Der Mann bricht zusammen, wälzt sich am Boden, und der Schimmel fegt herum, rast zurück. Der Bronco des Teufels hat wieder zugeschlagen! Sie preßte sich an seinen Körper und umschlang seine Hüften. Als sie zu ihm aufsah, fiel der Mondschein auf ihr schmales Ge sicht mit dem dunklen Mund und den glänzenden Augen. Er spür te die Wärme ihrer Brüste und ihrer Arme auf seiner Haut. »Ich habe Angst, Gil«, flüsterte sie. »Es ist so spät.« Er streichelte ihr blondes Haar, das jetzt bei dieser Beleuchtung grünlich schimmerte. »Warum hast du Angst? Soll ich mit deinen Eltern reden? Mein Gott, du wirst bald achtzehn…« »Und wenn ich dreißig wäre, Gil, sie würden nie erlauben, daß ich dich heirate. Vater wird mich wieder schlagen. So spät war es noch nie.« Sie sah Gilbert Turnot an. Er war groß, schlank und hatte langes dunkles Haar. Das Gesicht wirkte kantig, die Augen waren erfüllt von südländischem Feuer. »Eines Tages«, sagte er grimmig, »muß ich mit deinem Vater reden. Ich fürchte mich davor, nicht, weil ich vor ihm Angst habe, sondern weil ich ihn verprügeln könnte. Wie kann er dich nur schlagen?« »Er ist grausam hart, aber meine Mutter auch. Gil, du hast kei ne Ahnung, wie sie sind. - Ich muß jetzt gehen!« Sie löste sich von ihm, und während er sich sein Hemd zuknöpf te und an den Stamm des alten Nußbaumes lehnte, unter dem sie
sich geliebt hatten, versuchte sie, ihr zerzaustes Haar zu ordnen, Sie knotete es neu, aber den großen Grasfleck an ihrem Rock übersah sie. Auch Gilbert bemerkte ihn nicht. »Ich bringe dich bis zum Haus«, sagte er. »O nein, tu es nicht. Vater könnte auf sein und dich sehen. Weißt du, was er heute morgen noch gesagt hat? ,Elna', hat er gesagt, ,sollte ich dich noch einmal mit diesem Spieler und Revol vermann sehen, werde ich dich so verprügeln, daß er dich nicht mehr ansieht, weil du dann das häßlichste Mädchen hier in die sem Ort sein wirst. Wehe dir!' - Das hat er gesagt, Gil, und des halb habe ich solche Angst. Aber ich liebe dich doch, Gil! Ich wer de dich lieben bis an mein Ende!« Er umschlang sie, küßte sie, und für Sekunden vergaß sie alles. Doch dann machte, sie sich los, wandte sich hastig um und lief auf bloßen Füßen durch die Nacht. Als sie mitten auf der Wiese am Bach war, drehte sie sich noch einmal um, sah ihn als hellen Fleck vor dem nachtschwarzen Baum stehen, winkte und sah, daß sich dort etwas bewegte. Dann rannte sie weiter. Sie kam auf den Weg, huschte am verfallenen Schuppen des früheren Sägewerkes vorbei, war zwischen den ersten Häusern und wollte durch die schmale Gasse zwischen Art Camerons Stall und seinem Wohnhaus hindurch, als sie erschrocken zusammen fuhr und abrupt stehenblieb. Da stand jemand! Sie sah nur seine Umrisse vor dem helleren Hintergrund der Straße. Ein Mann! Und dann hörte sie ihn. Er sang leise. Ja, er sang. Oder was machte er? fragte sie sich. Wer ist das nur? Die Stimme kenne ich doch. Meine Güte, wie komme ich an ihm vorbei? Ich muß doch da entlang. Wenn ich jetzt umkehre und hinten über den Sumpf laufe, werde ich noch dreckiger, und Vater wird mich halbtot schlagen! Sie stand wie erstarrt. Der Mann dort vorn summte eine Melo die, dann hockte er sich zu Boden. Sie wußte jetzt, wer das war: Pat McGuire! Vor Pat hatte sie immer schon Angst gehabt, grundlos sicher, wie sie sich eingestand. Er tat offenbar keiner Menschenseele etwas. Aber sein Gesicht! Sie kannte seine Geschichte. Pat McGuire hatte sich zusammen mit seinem Rancher und drei anderen in einem Haus gegen mexi
kanische Banditen verteidigt, drei Tage lang. Und zuletzt hatten die Mexikaner das Haus gestürmt. Der Rancher und Pat, die ein zigen noch Überlebenden, wurden beide schwer verletzt. Elna Blakely konnte sich noch erinnern, als man sie damals brachte. Sie selbst war gerade acht Jahre gewesen und hatte an der Straße gestanden. Der Rancher und Pat lagen auf Bahren; der Rancher mit verbundener Brust, Pat mit einem Kopf verband, so daß man kaum sah, daß er Pat McGuire war. Nach langer Zeit kam dieser Verband herunter. Und da sahen alle sein verunstaltetes Gesicht. Zunächst wurde das in der Stadt zum seltenen Anblick, denn Pat arbeitete draußen auf, der Ranch. Aber vor einem Jahr war der Mann gestorben, mit dem er Seite an Seite gekämpft hatte. Und nun wollte niemand mehr den häß lichen Menschen einstellen. So häßlich, daß sich Frauen und Kin der bei seinem Anblick fürchteten. Elna faßte sich ein Herz und rannte los, um einfach an ihm vor beizulaufen. Sie sah ihn da sitzen, die Beine ausgestreckt, den Rücken an der Stallwand. Wie eine Mutter ihr Baby, so preßte er eine Flasche an seine Brust und summte; dazu irgendeine Melo die, die Elna nicht kannte. Ich komme vorbei, und er merkt es nicht! dachte sie. Er ist stockbetrunken! Aber gerade, als sie bei ihm ankam und an ihm vorbei wollte, sah er auf, hob den Arm und rief: »Hoppla! Wer ist das?« Der Mondschein fiel genau auf sein verwüstetes Gesicht. Sie sah besonders jene Hälfte, wo die Macheta des Mexikaners voll zuge schlagen hatte. Pat McGuire hatte auf dieser Seite seines Gesichtes kein Auge und keine Wange mehr. Was von seinem Gesicht da übriggeblie ben war, bestand aus einer entsetzlichen, feuerroten Narbe, auf der auch keine Haare wuchsen. Da von seinem Ohr nur mehr ein kleiner Rest vorhanden war, bot er mit dieser Seite seines Kopfes einen Anblick, bei dem selbst ein hartgesottener Mann schlucken mußte. Als Elna dieses Gesicht sah, und als sie es bei dieser diffusen Beleuchtung sah, wie sie es noch nie so entsetzlich gesehen hat te, da konnte sie nicht anders, da schrie sie gellend. Ihr Schrei wiederum erschreckte Pat. Er hatte dergleichen wohl schon öfter erfahren, womöglich ahnte er Kommendes im voraus und wollte dem entgehen. Jedenfalls sprang er auf und rannte
weg. Seine Flasche fiel zu Boden und zerschlug klirrend. Elna hielt mit ihrem Schrei inne, sah den beklagenswerten Pat davonlaufen, und da kam ihr die - wie sie meinte - rettende Idee, was ihr eigenes Nachhausekommen anging. Und sie schrie erneut, gellend, mit überschnappender Stimme. Nun nicht mehr aus Angst, jetzt in eiskalter Berechnung. Sie kreischte um Hilfe und rannte aufs' elterliche Haus zu, das der ehrbare Lloyd Blakely mit seiner Frau Margaret und der Tochter Elna, dem einzigen Kind, bewohnte. Blakely, der Notar, hatte drei Kinder, zwei Söhne sind ihm schon als kleine Kinder an Lungen entzündung gestorben. So ist ihm, dem fanatischen Puritaner, nur die Tochter verblieben, für ihn so etwas wie eine Gottesstrafe, denn er setzte allemal einen Sohn über eine Tochter. Das schrille Gekreische Elnas trieb nicht nur den Notar aus dem Bett. Gleich ihm stürzten auch andere Nachbarn an die Fenster. Und was sie sahen, ließ sie die Luft anhalten. Da taumelte eine völlig in Panik versetzte Elna auf die Haustür des elterlichen Hau ses zu, die Bluse aufgerissen, das Haar zerzaust, den Rock be schmutzt, ein Anblick der Bestürzung. »Elna! Elna, was ist?« donnerte Lloyd Blakely mit Stentorstim me vom Fenster her. Das Geschrei Elnas brach jäh ab. Und dann keuchte sie, als sei sie völlig außer Atem: »Papa… er hat mich mit Gewalt… mit Ge walt nehmen wollen. Dort hinten… dort rennt er davon!« Und sie deutete in die Richtung, in die sie vorhin Pat McGuire hatte weg laufen sehen. »Wer? Wer, Kind, wer?« donnerte Blakely mit bebender Stim me. Und ringsum hielten alle, die jetzt hinter den geöffneten Fens tern und Läden standen, die Luft an. Wer war der Unhold? Wer? Es kam stockend über ihre Lippen, als sie erwiderte: »Es war Pat… Pat McGuire… o Papa, ich habe entsetzliche Angst…« * »Der Zorn Gottes wird ihn vernichten!« brüllte Lloyd Blakely grollend über die Köpfe der herbeigeeilten Menschen, als sei er selbst dieser Gott. »Er ist dort entlang! Dort, zum Flusse hin!« An die hundert Menschen waren zusammengekommen. Manche
noch in der Nachtkleidung, nur unvollständig mit einem Mäntel oder einem Umhang umhüllt. Aber sie schrien jetzt durcheinan der. Bis endlich Sheriff Crown erschien. Er war ein stattlicher Mann um die fünfzig Jahre, kahlköpfig, breites Gesicht, ausgeprägte Leibesfülle. »Ruhe!« schrie er. »Ru he da vorn!« Er stand ganz hinten, und nun wandten jene vor ihm die Köpfe. »Wer, zum Teufel, sagt, daß es Pat gewesen ist?« rief er. »Meine Tochter Elna sagt es!« donnerte der Notar und blickte strafend auf den Sheriff, der es gewagt hatte, dazu überhaupt eine Frage zu stellen. »Und sie muß es ja schließlich wissen.« »Pat McGuire soll sie vergewaltigt haben? Wo ist Elna jetzt?« Blakely, ein Hüne von Mann, hob beschwörend die Hände und rief mit sonorem Pathos: »Zwei Fragen auf einmal! Sie ist nicht vergewaltigt worden. Er hat es versucht. Aber das ist schlimm, sehr, sehr schlimm! Er ist von seinem Schicksal gestraft, er ist in seinem Geist davon nun auch verändert worden. Gott sei seiner Seele gnädig! Doch was sein muß, das muß sein.« Nein, dachte er, da soll keiner auf die Idee kommen, der Kerl hätte Elna wirk lich vergewaltigt. Nachher heiratet sie kein Mann mehr. O nein, und er hat es ja offenbar auch nicht getan. Aber er muß bestraft werden. So ein Scheusal! Sich an meiner Elna zu vergreifen! »Jeder hier«, fuhr der Notar fort, »weiß, daß Pat McGuire ein armes Geschöpf ist. Aber wie es nun mal so ist im Leben, so ist auch sein Charakter durch die äußerliche Verunstaltung verdor ben worden. Wer ein Kind hat, sei es Sohn oder Tochter, und wer eine Frau hat, der wird sich in Zukunft hüten müssen, wenn wir ihn nicht fassen können. Wir müssen ihn in Sicherheit bringen, auch vor sich selbst. Wir müssen ihn…« Da schrie es vom Fenster her: »Hängt diesen Sittenstrolch! Hängt ihn, teert und federt ihn, schützt uns Frauen vor dem ge meinen Kerl! Er hat meine Elna auf die unsittlichste Weise be rührt!« O Himmel, steh mir bei! dachte der Sheriff, als er Missis Marga am Fenster oben sah: Margaret Blakely war dürr, hatte eine lange, krumme Nase, und aus ihren Augen sprühte das Feuer einer religiösen Eiferin. Gegen sie war ihr Mann beinahe ein Ungläubiger - ein Ignorant. Denn sie fühlte sich berufen, ihren Glauben auf eine Weise zu verbreiten, wie nur sie allein ihn deutete. Deshalb gab es in Hightower auch
keinen Prediger, keinen Geistlichen, nicht einmal ein Wanderpre diger der Baptisten hielt an irgendeinem Sonntag Einzug in die kleine Kirche. Wo Mrs. Blakely - die alle Missis Marga nannten lebte, wo sie redete, wo sie von früh bis spät maßregelte und ta delte, da konnte sich kein Pfarrer, kein Prediger, kein anderer Gottesmann halten. Denn Missis Marga fand auch an denen je desmal eine Fülle von Sündentum. Diese Missis Marga hatte beschlossen, daß sie es sein würde, die den Ruf und die Ehre ihrer Tochter Elna wiederherstellen wür de. Und mehr noch. Es war die Gelegenheit, mit all jenen endgül tig abzurechnen, die ihr schon lange durch gotteslästerliches Tun - wie sie es nannte - ein Dorn im Auge waren. Missis Marga fuhr mit schriller, klirrender Stimme fort: »Mein Mann irrt sich, wenn er sagt, dieser McGuire hätte Elna nicht ver gewaltigt. Ich, Elnas Mutter, weiß es besser. Er hat sie vergewal tigt. Das ist die Wahrheit! Das ist die fürchterliche, entsetzliche Wahrheit. Und ich werde nicht ruhen, bis dieses Scheusal, dieser von Gott gezeichnete Teufel in Menschengestalt tot sein wird. Ich komme jetzt und werde euch führen. Und ich weiß, daß eine un sichtbare Hand des Himmels mir zur Seite stehen wird. Ich kom me, Brüder und Schwestern, ich komme!« Jetzt ahnte auch Notar Blakely, wohin die Reise zu gehen droh te. Und doch tat er nichts, weil auch er viel zu fest davon über zeugt war, daß seine Tochter die Wahrheit sprach. Und als der Sheriff sich durch die Menge am Blakelys Seite ge drängt hatte und erneut danach fragte, wo denn Elna jetzt sei, antwortete der Notar keuchend: »Oben, im Bett, sie ist fertig, fix und fertig, mein Freund. Ich fürchte, meine Frau hat recht. Ich fürchte, er hat sie wirklich…« »Es ist unvorstellbar! Er ist ein friedlicher Bursche, Mr. Blakely. Pat hat noch nie eine Frau belästigt. Sie haben alle Angst vor ihm wegen seinem Gesicht, aber er ist doch immer friedlich gewe sen!« meinte der Sheriff beschwörend. »Nein, niemand kann wissen, was in einem Menschen vorgeht. Man sieht einem immer nur bis auf die Haut, nie tiefer.« Missis Marga kam aus dem Haus. »Wohin ist er?« rief sie über die Köpfe der Menge hinweg zu ihrem Manne hin. »Wo ist dieser gezeichnete Teufel hin?« Aber viele Zuschauer streckten den Arm zum Fluß hin aus. »Da hin ist er! Dahin!«
Bevor der Sheriff etwas sagen konnte, bevor er die Menge dar an hindern konnte, auf Missis Marga zu hören, schrie die mit ü berschnappender, hysterischer Stimme: »Also denn, so folgt mir, ihr Brüder und Schwestern! Damit wir hingehen und ihn strafen und von dieser Erde bannen, diesen gezeichneten Teufel!« * Sheriff Crown wußte, was die Stunde geschlagen hatte. Und ausgerechnet heute war sein Marshal Stan Warren auswärts. Ihn hätte Crown besser brauchen können als irgendwen anderen. Doch ihm fielen zwei Männer ein, von denen er wußte, daß sie früher einmal mit Pat McGuire in einer Mannschaft geritten waren und ihn sehr schätzten. Diese beiden befanden sich vorüberge hend in der Stadt. Gestern waren sie mit zwei Schlachtbullen ge kommen und würden morgen vormittag wieder zurück zu ihrer Ranch reiten. Jetzt mußten beide im Schlafhaus von Carl Doberman sein, das der Storebesitzer für jene unterhielt, die nicht das Geld fürs teure Hotel aufbringen wollten. Crown rannte los. Obgleich die Nacht kühl war, kam er ins Schwitzen und schwor sich zum vielleicht tausendsten Male in seinem Leben, weniger zu essen. Wenig später hatte er die beiden herausgetrommelt, erklärte ihnen hastig, um was es ging und sagte: »Wir müssen ihn schnel ler finden als die anderen. Dieses übergeschnappte Weib hat alle schon verrückt gemacht. Sie sind inzwischen alle um sie herum. Also los, Männer, packen wir's!« Joe Reynolds und Thorbe Jensen waren Cowboys, harte Bur schen, beide noch keine dreißig Jahre alt, beide einfache, aber aufrichtige Männer. Sie kannten Pat McGuire und wußten, daß er ein feiner Kerl war, einer, der nie in seinem Leben jemals ein Mädchen mit Gewalt zu nehmen versucht hätte. Ganz im Gegen teil. Sie wußten von manchem Treiben her, wenn sie in eine Stadt gekommen waren, daß sogar mit allen Wassern gewaschene Pro filiebchen ihre Not hatten, die Hemmungen von Pat zu überwin den. Aber die beiden ahnten nicht, was ihnen bevorstand. Sonst wä ren sie nie im Leben aus ihrem Bett gekommen, um dem Sheriff
zu helfen. Reynolds war ein dunkelhaariger, schlaksiger Typ, etwas poma dig, aber treu wie Gold. Thorbe Jensen sprach noch immer mit skandinavischem Akzent, war ein untersetzter, drahtiger Blonder, muskulös und schnell. Er hatte ein ausgesprochenes Lausbubengesicht, war der Liebling vieler Mädchen in dieser Stadt und anderswo, und eigentlich mochten ihn so gut wie alle. Er gehörte zu der Sorte Männer, die für einen Freund durchs Feuer gehen. Und Thorbe Jensen mußte durch mehr als ein Feuer gehen, jetzt, wo er bereit war, sich für seinen alten Kameraden Pat McGuire einzusetzen. Thorbe Jensen würde die Hölle sehen. Aber das ahnte er nicht einmal. Sie liefen hinter dem massigen Sheriff her, der viel flinker war, als ihm das mancher zugetraut hätte, durch Gassen und vorbei an Gärten, Schutthaufen, über Strohhaufen und schließlich sogar durch Morast wieselte und schließlich keuchend auf einer Wiese innehielt und auf einen einzelnen Baum zeigte, der wie eine Geis terhand aus dem Dunst ragte, der über der Wiese lag. Am Himmel war der Mond ein gutes Stück weitergewandert und befand sich nun ziemlich hoch. Die Nebelschleier auf der Wiese wogten wie ein See. »Ich glaube, daß er dort ist. Da ist er immer«, sagte Crown ü ber die Schulter. »Jedenfalls, wenn er getrunken hat. Und ich habe ihn heute abend schon mit einer vollen Flasche gesehen. Sicher ist die jetzt leer.« Sie liefen weiter. Der Nebel reichte ihnen bis an die Hüften. In der Ferne heulten Coyoten. Glucksende Geräusche kamen aus dem wogenden Dunst. Und vor ihnen war diese riesige Hand aus Ästen und Zweigen. Weit hinter ihnen aber erklang auf einmal Gesang aus vielen Kehlen. Es hörte sich an wie ein Choral. Eine schrille, alles über tönende Stimme war deutlich herauszuhören. »O Himmel, jetzt kommen sie schon!« stöhnte Crown. »Und dieses Weib vom Notar führt sie an. Wenn der doch mal ein Bis sen im Halse steckenbliebe!« Die beiden Cowboys schwiegen. Joe Reynolds, der etwas aber gläubisch war, sah sich scheu um, blickte dann mit gemischten Gefühlen hinüber zu dem Baum, aus dessen Krone jetzt eine Eule aufflog und schreiend abstrich. Und irgendwie kamen nun die Ah nungen. Joe Reynolds sah schreckliche Bilder vor seinem geisti
gen Auge. Er versuchte, seine jähe Angst zu unterdrücken und folgte Crown und Jensen, die beide auf den Baum zumarschier ten. Und unter dem Baum, an seinen Stamm gelehnt, hockte Pat McGuire und schlief. Er wachte erst auf, als ihn Crown mit dem Fuß anstieß und sagte: »Wie einer, der Frauen vergewaltigt, sieht er ja nun wirklich nicht aus. - Eh, Pat, wach auf! Pat!« Da sah er sie an, und wieder fiel Mondlicht auf sein zum Teil verwüstetes Gesicht. »Was… was wollt ihr denn?« lallte er verwirrt. »Pat, was war mit Elna Blakely? Was hast du mit ihr gemacht?« Er begriff nichts. Aus seinem einen Auge schaute er auf Crown, wandte sich dann den beiden Cowboys zu, erkannte sie und frag te mit schwerer Zunge: »Was tut ihr beiden hier? Hallo, Thorbe! Hallo, Joe!« »Hallo«, sagten die beiden. Und Thorbe meinte: »Sheriff, wenn wir noch lange hier palavern, sind diese Irren hier.« »Ich muß erst wissen, was war. Pat, was ist mit Elna passiert?« fragte Crown erneut. »Elna?« McGuire wurde allmählich klarer. »Mit Elna? Nichts. Ja, ich entsinne mich jetzt. Ich hockte bei Cameron an der Stallwand, als sie kam. Und sie hat mich angesehen, hat dann geschrien und ist weggelaufen, schreiend. Das war alles.« »Du hast sie nicht angefaßt?« »Nein, Sheriff, nein!« »Komm, steh auf! Sie wollen dich lynchen. Wir bringen dich in Sicherheit. Komm rasch!« * Missis Marga ging voran mit rudernden Armen, den Kopf erho ben und mit lautem, schrillem Gesang. Wie eine zweite Jungfrau von Orleans kam sie sich vor, aber nur sie allein glaubte daran. Die anderen folgten ihr in wilder Empörung, im Zorn auf den Kerl, der ein anständiges Mädchen geschändet hatte. Denn keine Fra ge, er war es für sie, er war schuldig. Sie trugen Knüppel, Ketten, und ein paar hatten lange Messer. Blakely, der Notar, und noch einige Männer waren mit Gewehren bewaffnet. Viele von den Frauen, die mitgezogen waren, fuchtel
ten mit Schlachtmessern in der Luft herum, kreischten, die Ge sänge mit überschlagenden Stimmen mit und waren ganz und gar im Banne von Missis Marga. Aber die angebliche Tat sprach für sich. Das heizte die Gemüter ausgiebig an. Eine tobende, kreischende Menge folgte der Frau, die immer wieder Haßtiraden auf »den gezeichneten Teufel« los ließ. Dann, als sie am Rande der sumpfigen Wiese zum Fluß hin an langten, wurden sie etwas stiller. Nur das durchdringende Organ von Missis Marga war zu hören und klang geisterhaft über den Sumpf hinweg. Die Frösche hörten auf zu quaken. Die Eulen schwiegen. Nur das Glucksen blieb. Dieser Sumpf endete am Fluß. Doch weiter im Norden erstreck te er sich beiderseits vom Fluß und ging in Moor über, das mei lenweit bis zu den Bergen reichte. Vom Moor her leuchtete es phosphoreszierend herüber. Es sah aus, als glühe der Boden. Rechts stand auf dem erhöhten und trockenen Teil der Wiese jener einzelne Baum, unter dem sich Elna Blakely dem Manne hingegeben hatte, den sie liebte: Gilbert Turnot. Und unter eben diesem Nußbaum hatte nachher auch Pat McGuire gelegen, bevor die beiden Cowboys und der Sheriff ihn fanden. Dort waren die vier nicht mehr. Crown mußte wohl versucht ha ben, am Fluß entlang zur Stadt zu kommen. Aber er war ganz einfach zu selten hier in dieser Gegend. Sonst hätte er wissen müssen, daß der Steg über den sumpfigen Seitenarm des Flusses seit Wochen eingestürzt war - und weil auch die beiden Cowboys das nicht wußten, Pat aber ganz einfach noch zu betrunken war, lief Crown zunächst in die falsche Richtung. Als er begriff, daß sie nicht weiterkamen, kehrten alle vier um, und so wurden sie im hellen Mondlicht gesehen. Missis Marga sah sie zuerst. Mit ihren scharfen Vogelaugen hat te sie die Gestalten entdeckt, die da wie Schwimmer mit ihren Oberkörpern über dem Bodennebel auftauchten. »Was ist das?« kreischte Missis Marga und deutete nach vorn. »Das sieht aus wie Spinnen, wie riesige Spinnen!« Ein paar Frauen schrien entsetzt auf. Einer wurde schlecht. Dann aber faßten sie sich, und Missis Marga war auch von den Männern an ihrer Seite aufgeklärt worden, um was es sich dort handelte.
»Vier Menschen? Dann sind es Sheriff Crowns Leute! Er war auf einmal verschwunden!« rief sie und marschierte wieder los. »Wir werden Gerechtigkeit üben! Wir werden die Schande bekämpfen! Auge um Auge! Zahn um Zahn!« Wildes Geschrei hinter ihr bewies, daß man ganz in Missis Mar gas Bann war. Jetzt aber übernahmen Männer das Kommando, und Missis Marga war das recht, obgleich es nicht ihr Mann war, der jetzt rief: »Es ist Crown! Schwärmt nach links und rechts aus, zehn Mann nach links, daß sie nicht in den Sumpf entkommen! Und zehn Männer nach rechts! Alle anderen bleiben bei mir in der Mitte!« Das war Art Cameron, Besitzer eines Fuhrunternehmens, eines Stores, ehemaliger Captain im Bürgerkrieg, jetzt fast sechzig, aber immer noch ein ganzer Mann. Missis Marga bemängelte an ihm nur die Tatsache, daß sie ihn seit dem Weggang des letzten Reverends nicht mehr in der Kirche gesehen hatte, wo Missis Marga öfters aus der Bibel vorlas. Cameron hatte schlohweißes Haar. Er schien nicht dazu ge kommen zu sein, den Hut aufzusetzen, jetzt jedenfalls sah er im Mondschein einfach grandios aus, wie er sich an die Spitze des Mitteltrupps setzte, seine Kommandos erteilte, die wie die Befehle eines Schlachtführers über die mit Bodennebel bedeckte Sumpf wiese schallten. Der Sheriff und seine Begleiter hatten keine Chance, wie es schien. Cameron sah, daß zwei der vier Männer zum Fluß liefen. Sheriff Crown schrie: »Keinen Schritt näher, oder ich schieße!« Und Cameron antwortete mit Donnerstimme: »Geben Sie den Schänder heraus! Dann sind wir friedlich! Crown, beteiligen Sie sich nicht an der Hilfe für einen Verbrecher! Gehen Sie aus dem Weg, Crown, der Bursche flieht!« Crown und Joe Reynolds standen nebeneinander, beide mit ih ren Revolvern in den Händen. Thorbe Jensen und Pat McGuire waren schon gut fünfzig Schritt weiter hinten direkt am Fluß, und es sah aus, als wollten sie hi neinspringen, um mit der Strömung rasch wegzuschwimmen. Da weder Crown noch Reynolds schwimmen konnten, hatte sich die se Art des Entkommens für sie von selbst erledigt. Und Crown wollte gar nicht fliehen. Er war Sheriff. Doch so ganz wohl war ihm nicht in seiner Haut, als er diese
Menschen da auf sich zukommen sah. Ihm kamen düstere Ah nungen, doch sein Stolz verbot es ihm, dieser inneren Furcht nachzugeben. Zunächst schien es nichts als ein paar erregte Worte zu geben. Cameron kam ihm mit dem Gewehr an der Hüfte entgegen und rief: »Sheriff, Sie begünstigen seine Flucht!« »Bleiben Sie stehen, Cameron! Bleiben Sie stehen, oder Sie verstoßen gegen die Gesetze!« brüllte Crown lauter, als nötig gewesen wäre. »Er will uns aufhalten! Er will, daß er entkommt!« schrie Missis Marga. Das war wie ein Signal. Mit einem Male schrien sie alle durch einander, und zugleich fiel ein Schuß. Er traf keinen, aber das warteten sie gar nicht ab. Sie meinten alle, Cameron habe ge schossen, weil der sich nach ihnen umsah. Und darauf schienen sie gewartet zu haben. Mit schrillem Geschrei stürzten sie los, rannten auf Crown zu, der mit dem Revolver herumfuchtelte und dann einen Schuß in die Luft abgab. Auch dieser Schuß traf kei nen, aber alle fühlten sich davon bedroht. Der Schuß leitete dann ein Inferno ein. Ein weiterer Schuß krachte, doch der war nicht in die Luft ge richtet, sondern kam von rechts. Crown tauchte plötzlich vor der heranstürmenden Menge weg. Reynolds sprang zu ihm, wollte ihn packen, versuchte, dem ge troffenen Sheriff aufzuhelfen, aber da war die Menge schon bei ihm. Eine Frauenhand mit einem Messer ragte für zwei Sekunden über die Köpfe heraus, dann zuckte die Hand mit dem Messer nach unten. Und fast unmittelbar danach verschwand auch Rey nolds Kopf. Reynolds und der Sheriff lagen übereinander, als die Menge mit hysterischem Geschrei weiterraste, um die beiden anderen zu fassen, die ihnen noch fehlten. Und ihnen allen weit voran, noch vor Cameron, rannte mit wehendem Rock und rudernden Armen Missis Marga, wilde, übergeschnappte Schreie ausstoßend. Schüsse fielen, immer mehr der Verfolger, die bewaffnet waren, Schossen auf die beiden fliehenden Männer am Fluß, bis die bei den ins Wasser sprangen und zunächst verschwanden. Cameron begriff, daß die beiden entkommen würden, und er wußte auch, daß er zur Rechtfertigung der Schüsse auf den She riff und dessen Begleiter wenigstens den Schuldigen haben muß
te: also Pat McGuire. »Pferde brauchen wir!« brüllte Cameron. »Wir müssen Pferde besorgen!« »Ja, lauft zurück, holt Pferde!« schrie Missis Marga. »Wir müs sen diesen Schänder töten. Wir müssen ihn töten! Und jeden, der ihm hilft!« Ein paar der Männer waren zur Besinnung gekommen, als sie Crown tot am Boden liegen sahen, ihn und auch Reynolds. Beide lebten nicht mehr. Reynolds war von einem Messer getötet wor den, Crown von einer Kugel. Sie lagen seltsam verdreht übereinander, beide hatten noch die Augen offen und starrten in eine imaginäre Ferne. Aus Reynolds' Mund rann Blut. Eine der Frauen, die mitgekommen waren, blieb hinter den Toten stehen, drückte ihnen die Lider über die glasigen Augen und sah dann auf die Menge, die unschlüssig herumstand. Bevor Cameron seine Forderung, daß Pferde geholt werden mußten, wiederholen konnte, sagte diese alte, weißhaarige Frau: »Das hätten wir nicht tun dürfen. Wer hat sie getötet? Diese bei den waren unschuldig. Wer von euch hat sie umgebracht?« Aber keiner meldete sich. Sie standen etwas betreten da, bis Missis Marga schrie: »Es war kein Mord, wie du gesagt hast, Ann! Es war die blutige und heilige Rache!« »Rache?« fragte die alte Frau. »Rache wofür? Diese beiden ha ben doch deine Tochter nicht geschändet, Missis Marga. - Aber ich weiß, was kommen wird. Unglück wird kommen. Unglück kommt immer, wenn man Unschuldige für Schuldige tötet. Unglück wird dich treffen, Missis Marga! Dich und deine Sippe.« »Hört nicht auf sie! Wir brauchen Pferde! Wir müssen den Schänder, diesen gezeichneten Teufel, den müssen wir fassen!« schrie Missis Marga. Und die meisten dachten wie sie, aufgehetzt und wild, wie sie alle waren. Und Furcht hatten sie auch. Furcht, weil zwei von ih nen Mörder waren. Der eine mit dem Revolver, der andere mit dem Messer. Aber wer hatte es getan? Wer wußte von seinem Nachbarn, daß der ein Mörder war? *
Sie waren nicht weit gekommen. Am Wasserfall mußten sie aus dem Fluß heraus, wenn sie nicht mitgespült und irgendwo unten in der Schlucht erschlagen werden wollten. Triefend vor Nässe schleppten sie sich über den Felsen. Im Os ten wurde es allmählich hell. Thorbe Jensen hockte sich hin, stützte erschöpft den Kopf in die Hände und sagte grollend: »Sie haben, glaube ich, beide umge bracht. Wie Tiere sind sie gewesen, wie wilde, reißende Tiere.« Pat McGuire nickte. »Glaub mir, Thorbe, ich habe dieses Mäd chen nicht einmal angerührt. Sie lügt.« »Ich glaube dir. Wenn dir doch die anderen auch glauben wür den, dann wäre diese Hexe allein. Dieses verfluchte Miststück. Weißt du, was Reverend Paulson gesagt hat, bevor er seinen Kram packte und die Stadt verließ? Er sagte: Es gibt Christen, es gibt solche, die mehr tun, als zu tun ist, und dann gibt es noch solche, die schlimmer sind als der schlimmste Heide: diese Über christen, in Wahrheit Ungläubige, Tyrannen, Wortspalter, Sie wol len sich nur wichtig machen. Missis, Marga gehört dazu. - Das hat der Reverend gesagt, dann ist er weg. Wegen ihr, dieser Schlan ge!« »Wir sind verloren, wenn sie nicht zur Vernunft kommen.« Pat McGuire blickte den Freund an. »Du solltest weggehen, Thorbe. Joe ist schon für mich umgekommen. Dir wird es so ergehen wie ihm, wenn du bei mir bleibst. Geh weg! Es ist meine Sache, Thor be.« »Du irrst dich, Pat«, widersprach Thorbe. »Ich will dir ein paar Dinge sagen: Einmal ist es jedermanns Sache, dir zu helfen. Je der, der ein anständiger Mensch bleiben will, muß es tun. Dann noch etwas: Wir werden zu Elverdings Hütte fliehen. Die finden sie nicht. Du weißt, daß es wenige gibt, die sich hinwagen. Du warst damals dabei, als wir uns dort verkrochen haben kurz vor dem Unwetter. Erinnerst du dich? Die Leute sagen, daß es dort spukt, weil sich Elverding erhängt hat. Sollen sie es denken. Viel leicht spukt es wirklich, aber dort kommt diese verdammte Missis Marga nicht hin. Also, gehn wir?« Pat McGuire nickte. »Hoffentlich holen sie sich keine Pferde. Sie würden dann schnell genug sein, um uns den Weg abzuschnei den. Mann, mir ist vielleicht kalt. Der Schnaps ist jedenfalls raus aus meinem Balg. Aber der Durst! Hab' ich einen Durst.« »Ich glaube, wenn sie wirklich Pferde holen, wirst du bald nicht
mehr an deinen Durst denken, Pat«, prophezeite der blonde Thorbe. Aber auch ihn würde bald das nackte Grausen packen. Sehr bald schon. Er ahnte es sogar ein bißchen, denn ihm. war ganz flau im Bauch. Doch er schob das auf die Nässe, die Morgenkühle und seinen Hunger. Das Land lag vor ihnen wie ein Tisch. Ein Tisch mit vielen Fur chen allerdings. Die Hochebene war von Schluchten, Canyons, durchzogen wie ein altes Brett von Rissen. Unten in diesen Cany ons flossen jene Bäche und Flüsse, die diese Kerben im Verlauf der Jahrtausende in den Fels geschnitten hatten. Die Sonne stand noch tief über dem Horizont im Osten. Doch schon jetzt brannte sie grell, und der Himmel darüber war wol kenlos blau. Es würde ein glühend heißer Tag werden. Wegen der vielen Seitencanyons, die alle zum größeren Canyon führten, in dem der Fluß tief unten strömte, mußten Pat und Thorbe Umwege machen. Zu Fuß waren sie nicht schnell, und dazu fiel ihnen das Gehen doppelt schwer, weil sie es als Reiter, kaum gewöhnt waren. Nicht über solche Strecken. Doch sie wuß ten, daß sie hier oben kaum Versteckmöglichkeiten hatten und von weit her gesehen werden konnten. Diese kahle, fast ebene Mesalandschaft bot nur eine Chance: man kam rasch vorwärts, aber noch rascher würde sie ein Reiter überqueren können. Vor ausgesetzt, man konnte die vielen kleinen Seitencanyons über springen. Oft waren sie nicht breit. Manche aber kamen schon in ansehnlicher Breite von den Terrassen im Süden her, die diese Mesa in jener Richtung abriegelten. Vor so einem Canyon waren Pat und Thorbe angelangt, als Thorbe sich umdrehte und vor dem dunklen Hintergrund der Terrassen die Reiter sah. Sechs waren es. »Dort! Da sind sie schon!« keuchte er erregt. »Und sie sind nä her, als ich gedacht habe. Sie kommen von der Terrasse her.« Pat blickte mit seinem einen Auge hin, suchte nachher links das Land ab und entdeckte auch die anderen, die schräg hinter ihnen kamen. »Da sind wieder sechs!« sagte er, als habe er damit fast ge rechnet. »Die wollen eine Hasenjagd mit uns anstellen.« Thorbe schaute in die Runde, und rasch hatte er eine dritte Gruppe entdeckt, diesmal eine, die aus zehn oder elf Reitern be stand und noch so weit weg war, daß er so genau nicht zählen
konnte. »Camerons Arbeit«, meinte Thorbe. »Ja, eine Hasenjagd. Wir kommen nicht weiter. Und vor uns, dieser Canyon hier, der ist zu breit. Wir hätten nach rechts gemußt, wo die Kerle von der Ter rasse her näher kommen. Es ist aus, Pat. Schade, mit Klettern wird nichts sein, was?« Er spähte über den Rand der Schlucht in die Tiefe, wo unten ein Wildbach sprudelnd und schäumend dahinschoß, donnernd zwi schen den engen Felswänden. Diese Wände waren glatt, fielen zum Wasser hin fast senkrecht ab und waren teilweise von nächt lichem Nässebeschlag glitschig. »Aussichtslos«, meinte Thorbe. »Den Revolver habe ich im Fluß verloren. Wir stehen fein da, alter Junge!« »Und wenn wir hinunterspringen?« meinte Pat. »Ich würde es tun. Besser, als von ihnen in Stücke geschossen zu werden. Du brauchst es nicht zu tun, dir können sie ja nichts anhaben, aber ich…« Thorbe lachte. »Du wirst erleben, was sie machen. Die haben den Sheriff und Joe umgebracht. Die wollen uns auch umbringen, alle beide. Weißt du, das mit dem Sheriff, das haben sie inzwi schen nämlich kapiert. Das möchten sie am liebsten nicht gewe sen sein. Aber wir sind Zeugen. Verstehst du, eine ganze Stadt will zwei Zeugen weghaben. Und jetzt sind auch die Weiber nicht mehr dabei. Nun sind die Männer allein. Die werden es auf ihre Weise erledigen. Am Ende, Pat, sind wir diejenigen, die Crown und Joe getötet haben. Darauf wette ich. Die schwören jeden Meineid, aus Angst, daß ein paar von ihnen selbst an den Galgen kommen könnten. Nein, Pat, hinunterspringen können wir immer noch. Warten wir doch einfach ab. Ich möchte hören, was sie zu sagen haben. Ich möchte wissen, wie sie es machen - denn um bringen müssen sie uns. Die wollen uns nicht mitnehmen. Die erledigen das hier und jetzt.« * Es stimmte, Cameron führte sie an. Außer ihm waren noch ein paar Männer gekommen, die vorher nicht dabei gewesen waren. Die Frauen fehlten, mit einer Ausnähme. Thorbe hatte sie nicht gleich entdeckt. Missis Marga war auch jetzt mit von der Partie.
Sie ritt schräg hinter Cameron, und sie konnte gut reiten. Im Damensitz saß sie im Sattel, in ihrer Haltung eine Majestät, die Majestät der blutigen Rache. Aber sonst waren wirklich nur Männer da, die jetzt von drei Sei ten heranritten, in respektvoller Entfernung zunächst anhielten, dann aber, als sie sahen, daß keine Gefahr drohte, näher und näher kamen. Schließlich bildeten sie einen Halbkreis, der am Canyon begann und weiter oben nachher wieder endete. Pat McGuire und Thorbe Jensen waren eingeschlossen, hinter sich den Canyon mit der dreißig Meter tiefen Schlucht und vor sich diese Schar von Men schen, die zu allem entschlossen war, nur nicht zu einer fairen Untersuchung. Cameron thronte wie ein Pascha im Sattel. Überlegen blickte er auf die gestellten Opfer wie auf einen Raubwolf, der in der Falle sitzt. »Ihr habt Blut an den Händen, ihr zwei Mörder!« rief er. Und ringsum nickten die Männer, als sei diese Lüge ein Evangelium. Thorbe lächelte kalt. »Ich habe es ja gewußt«, meinte er, daß nur Pat es hörte. »Sie hängen uns Dinge an, die sie selbst getan haben.« Und laut fragte er: »Gibt es noch ein paar unaufgeklärte Schweinereien von euch, die ihr uns noch anhängen könntet?« Die Männer rissen ihre Revolver heraus, manche nahmen die Gewehre. Bewaffnet waren sie jetzt alle, sogar Missis Marga. »Wagt ihr noch, die Mäuler aufzureißen? - McGuire, du Schwein, du bist zu dreckig, als daß wir dich anrühren möchten. Spring in den Canyon, du Hundesohn, spring! Los, spring!« schrie Came ron. »Das möchtest du wohl gerne, du lausiger Hundsfott, was?« brüllte Thorbe. »Schießt sie zusammen, Männer! Bringt sie um!« keifte Missis Marga. »Dieser Schänder, dieser gezeichnete Teufel! Straft ihn! Beseitigt diesen tollwütigen Mädchenschänder!« »Stop!« brüllte Cameron. »Missis Marga, wir haben gesagt, daß Sie schweigen! Und ich will nicht, daß geschossen wird. Sie wer den springen! - Wir sind unter uns, Männer! Wir wollen es so zu Ende bringen, wie wir es beschlossen haben.« Er sah jetzt auf Pat und Thorbe, die wehrlos am Rande der Schlucht standen. »Ihr beiden habt natürlich recht«, meinte Cameron fast väter lich. »Ihr habt den Sheriff nicht umgebracht, auch nicht Joe Rey
nolds. Das ist welchen von uns passiert, in der Aufregung dar über, daß es einen Schweinehund gibt, der anständige Mädchen schändet. Eine verständliche Aufregung. Aber ein Lumpenkerl könnte das natürlich vor einem Gericht umdrehen, gegen uns verwenden. Dazu lassen wir es nicht kommen. Ihr seid uns da vongelaufen und müßt irgendwie in diese Schlucht gefallen sein. Deshalb werdet ihr springen. Damit es euch leichter fällt, wollen wir nur auf euere Füße zielen. Es sei denn, ihr laßt uns keine Wahl, auch auf den Bauch zu schießen. Also?« »Warum wollt ihr Thorbe töten? Er ist doch völlig unschuldig. Ich bin es auch, aber der Teufel weiß, wer euch diese Lüge einge redet hat, daß ich Elna Blakely angerührt hätte. Sie lügt, wenn sie das sagt. Aber ihr wollt ein Opfer. Gut, ich bin bereit. Aber Thorbe ist unschuldig, völlig…« »Schänder, halt dein Maul!« schrie Missis Marga. »Männer, macht dem Gezeter dieses schäbigen Lumpen ein Ende! Männer, tötet diesen gezeichneten Teufel! Seht ihn euch an! Seht doch, so wird kein anständiger Mensch zugerichtet! Das läßt der Himmel bei einem anständigen Menschen gar nicht zu. Nur solche Teufel wie er werden gezeichnet, damit jeder anständige Mensch sieht, daß er ihnen ausweichen muß! Schießt, ihr Männer, schießt die sen räudigen Teufel nieder! Seht ihr seine Hörner nicht? Seht ihr denn nicht, daß er der Teufel selbst ist?« Und dann schossen sie. Sie feuerten erst dicht vor Thorbes und Pats Füße. So dicht, daß die beiden die Steinsplitter wie Nadelsti che spürten, die ihnen gegen die Knie flogen. Immer dichter schossen die Männer, und Thorbe und Pat mußten zur Schlucht hin ausweichen, wenn sie nicht getroffen werden wollten. »Euch wird wirklich der Teufel holen! Euch wird er holen, euch alle hier!« schrie Thorbe, und da schossen ihm gleich zwei in den rechten Fuß. Thorbe schrie auf, stürzte, und sie brüllten: »Aufstehen, sonst schießen wir in deinen verdammten Bauch, du Hundesohn!« Pat half ihm auf, stützte Thorbe, aus dessen Stiefel das Blut quoll, und sagte so scharf, daß sie es alle hören mußten: »Ihr habt gesagt, ich wäre der Teufel. Gut, ab jetzt bin ich es. Und ich werde wiederkommen. Ich werde mich und Thorbe und Joe und den Sheriff rächen. Fürchterlich rächen werde ich uns. Du wirst noch um Gnade winseln, Missis Marga! Du wirst vor mir kriechen, du Miststück, du miserables! - Nun, so schießt doch, ihr Hunde,
schießt doch!« Da riß Cameron eine Bullpeitsche vom Sattelhorn. Er, der Fuhr unternehmer, konnte mit Peitschen umgehen wie kein zweiter. Und er holte aus, traf Pat über die Brust, daß der fast das Gleich gewicht verlor und in die Schlucht zu stürzen drohte. Und noch ein Schlag, den Thorbe abbekam, vor Schmerzen aufschrie, als es sein Gesicht traf und die Haut dort aufgefetzt wurde. Blut quoll über Thorbes Gesicht. Er sah nichts, hielt die Hände schützend vor die Augen, während er auf einem Bein stand, von Pat gehal ten. Und da kam der dritte Schlag mit der Peitsche, den Pat vergeb lich abzufangen suchte. Der Schlag traf Thorbes gesundes Bein und riß es vom Boden. Um Thorbe zu halten, der das Gleichge wicht verlor, kam auch Pat zu weit an den Rand der Schlucht. Dann schoß einer der Männer in Thorbes linkes Knie. Thorbe schrie noch, aber da rutschte Pat schon über den Schluchtrand, fest umschlungen von Thorbe, der sich an ihn klammerte. Mit einem gellenden Schrei stürzten sie in die Tiefe. Oben herrschte plötzlich atemlose Stille. Dann saß Cameron ab, beugte sich über den Schluchtrand und schaute in die Tiefe. Als er sich aufrichtete und Missis Marga ansah, sagte er: »Ich glaube, wir sollten ein Gebet sprechen. Ein Entkommen aus die ser Hölle dort unten gibt es nicht. Danken wir Gott!« Einer der Männer erwiderte: »O nein, Art, das hat mit Gott nichts zu tun. Wir sind Mörder, wir alle hier wissen das. Und ich begreife, dass wir keine andere Wahl gehabt haben. Jedenfalls ist sie uns nicht eingefallen. Aber dem Himmel dafür danken? Nein, Art! - Ich glaube, wir werden alle diesen Augenblick nie mehr vergessen. Und ich habe Angst. Was uns McGuire angedroht hat, könnte womöglich Wirklichkeit werden. Was denn, wenn er die Wahrheit gesagt hat? Was denn, wenn Elna gelogen hat? Hat sie je einer von uns danach gefragt?« »Mr. Brass, was fällt Ihnen ein, an der Ehrbarkeit meiner Toch ter zu zweifeln? Das ist ungeheuerlich!« rief Missis Marga empört, und ihr Mann nickte beflissen. »Dieser Pat McGuire ist ein Teufel! Sein Vater ist auch ein Teufel. Alle, die von seiner Brut sind, ge hören zu den Teufeln!« *
Der alte Mac McGuire war gelähmt. Er hatte zudem Not mit dem Schlaf. Mitunter konnte er erst gegen Morgen einschlafen. So wie in dieser Nacht. Und so hockte er in seinem Bett, hatte die Hände um den Knotenstrick gekrampft, der von der Decke herabhing, damit sich der Alte daran hochziehen konnte. Denn in den Armen hatte Mac McGuire noch Kraft wie manch junger Mann. Nur die Beine wollten nicht mehr, seit er den letzten Schlaganfall gehabt hatte. Er hockte im Bett und starrte durch die trüben Scheiben hinaus auf die nächtliche Straße. Von hier aus konnte er nicht allzuviel davon sehen. Drüben, die abgebröckelte Wand vom Mietstall, die sah er, auch das Plakat von der Wahl. Die war auch lange vorbei. Und er sah auch die große Tränke vor dem Mietstall. Das war es dann schon. Vor allem aber störte ihn die Lampe über der Tränke. Sie brannte die ganze Nacht. Gordon, der Mietstallbesitzer, war kein kleinlicher Mann. Er ließ sich das Öl für die Lampe was kos ten, damit jedermann immer Licht hatte, wenn er nachts sein Pferd bei Gordon tränken wollte. Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn diese Lampe nicht gebrannt hätte. Und obgleich der alte Mac sie haßte, weil sie ihm ins Gesicht schien, mochte er im Grunde auch nicht ohne sie sein. Es war ganz einfach etwas, das er in Wahrheit schätzte, a ber auf das er eben mit aller Leidenschaft seiner schottischen Vorfahren schimpfte. Jetzt sah er plötzlich im Lichtkreis der Lampe etwas Merkwürdi ges, etwas Ungeheuerliches. Wie hingezaubert stand neben dem Tränketrog eine Gestalt. Der Tod! fuhr es dem Alten durch den Kopf. Der Tod kommt, um mich zu holen! Was er dort sah, war ein Skelett. Der Totenkopf, das Gerippe, Schlapphut und über dem Knochengerüst der Schultern hing ein Umhang. In der Rechten hielt der Tod mit knochigen Fingern eine Sense. Ich bin dran! dachte der Alte. Er holt mich. Aber dann passierte etwas Verblüffendes. Die dem Tod so ähnli che Knochengestalt hob den linken Arm, als wolle sie jemandem winken oder Zeichen geben. Und dann tauchte auf einmal ein Pferd auf. Ein Schimmel. Ein wunderbares Tier, einfach herrlich! dachte der Alte, und von Pferden verstand er etwas.
Er kommt zu mir und holt mich mit diesem herrlichen Hengst ab, sagte sich der Alte. Irgendwie war er froh, daß es nun zu En de sein sollte. Er war müde vom Leben, die Lähmung setzte ihm zu, und seit das mit seinem Sohn Pat passiert war, machte ihm nichts mehr Freude. Er konnte es trotzdem nicht glauben, daß Pat diese Blakelytochter Elna vergewaltigt haben sollte. Nein, das war bestimmt gelogen, zumal er doch oft genug gesehen hatte, daß sie sich heimlich mit Gilbert Turnot traf. Die beiden drückten sich meist hinter seinem Haus entlang, und wenn er gerade in der Küche war, konnte er sie sehen, wenn sie im Schilf verschwan den. Und daß sein Pat auf den Sheriff und auf den alten Freund Joe geschossen haben sollte, das mochte er eigentlich noch weniger glauben. Aber Pat war tot, ebenso wie Thorbe Jensen, der doch wirklich auch ein feiner Junge gewesen war. In einen Canyon ge stürzt, hieß es, und da es diese Bande erzählt hatte, die in jener Nacht mit Cameron und der hysterischen Missis Marga hinter Pat hergeritten war, mochte der Alte denen das gar nicht glauben. Aber nachher war auch Mac McGuires alter Freund Stonewall ge kommen, ein Schäfer, der im unwirtlichen Gebiet mit seiner Her de lebte. Der Halbindianer hatte Pat und Thorbe im Wasser vor beitreiben sehen, eng umschlungen, die beiden. Tot natürlich, wie ohne Zweifel anzunehmen war. Nein, dachte der Alte, komm ruhig zu mir, Tod! Komm mit dei nem Schimmel. Wenigstens hast du daran gedacht, daß ich Pfer de so liebe. Komm zu mir und nimm mich mit. Ich bin sogar froh, ja froh bin ich. Aber dieses Gerippe dort drüben kam nicht, und auch der Schimmelhengst kam nicht. Statt dessen war das Gerippe plötz lich im Handumdrehen, von einer Sekunde zur anderen, ver schwunden. Einfach weg. Es war, als hätte sich das Gerippe auf gelöst. Und nur der Schimmel stand da. Ganz allein. Da kratzte etwas an der Tür! Der Alte zuckte zusammen. Kommt er doch noch? fragte er sich, und er krächzte heiser: »Eh, ich bin hier drinnen. Komm herein, die Tür ist offen… wie immer. Mich stiehlt keiner. Hol mich, Bruder Tod!« Dann war ihm, als würde die Tür geöffnet, leise, behutsam, so daß man es nicht hören sollte, aber er hörte es doch. Q ja, die Ohren waren noch gut.
Etwas klirrte, dann ertönte ein verhaltenes Seufzen. »Warum so leise, Tod? Ich höre dich doch!« krächzte der Alte mit schwerer Zunge. Das Sprechen fiel ihm nicht mehr so leicht. So ohne Zähne klang es auch eigenartig zischend. Keine Antwort. Wieder knarrte die Tür, und der Alte glaubte schon, jetzt end lich, müßte es soweit sein. Aber danach herrschte Grabesstille. Irritiert blickte der Alte wieder auf die Straße… und erstarrte. Da stand der Tod! Mitten auf der Straße stand er drei Schritt vor die sem wunderbaren Schimmel, der immer noch am Tränketrog ver harrte. Der Tod stand nicht allein dort. Er hatte jemanden auf den Ar men. Er trug jemanden… eine Frau, ja, eine Frau trug er. Und nun legte er sie vor der Wand zum Mietstall ab, Sie schien besin nungslos zu sein. Der Alte erkannte nur ihr Kleid, ein schwarzes Kleid. Aber er sah das Gesicht der Frau nicht, auch nicht ihr Haar. Noch nicht. Doch jetzt hob der Tod diese Gestalt auf, lehnte sie gegen die Wand… und da erkannte der alte Mac das Gesicht dieser Frau. Ein Gesicht wie ein Raubvogel, die Hakennase, dieses spitze Kinn, unverwechselbar. Mac McGuire hatte diese Frau noch nie leiden können. Bigotte Menschen waren ihm schon immer zuwider ge wesen. Ja, es war diese scheinheilige Missis Marga. Sie war es, und der Tod hatte ihr eine Hanfschlinge um den Hals gelegt, Stri cke um ihre Handgelenke gebunden, an denen er Missis Marga nun an der Wand festband. Da waren nämlich Eisenringe für Pfer de. Und die befanden sich eigentlich viel zu hoch. Gordon hatte sie damals anbringen lassen, als das Haus neu gewesen war. Später ließ er die Aufschüttung vor dem Giebel abtragen, und nun hatten diese viel zu hoch angebrachten Ringe im Grunde ihren Sinn verloren. Niemand benutzte sie… nur der Tod, der hatte da für doch noch Verwendung gefunden. Denn nun hing Missis Marga an diesen Ringen wie eine Gekreuzigte. Da sie bewußtlos war, pendelte ihr Kopf nach vorn. Der Tod band ihr jetzt mit einem «Kälberstrick die Beine zu sammen. Mit einem roten Kälberstrick. Und diesen Strick kannte der Alte. Potzblitz, hatte der Tod sich dorthin diesen Strick bei ihm geholt. Der rote Kälberstrick, der hing doch sonst gleich ne ben der Tür. Donnerlittchen, woher weiß er das nur? fragte sich Mac McGuire und sah verwundert zu, wie dieses Knochengestell
dort drüben ein Schild entfaltet, das er der noch immer reglosen Missis Marga um den Hals hängte. Und darauf stand: »Ich bin eine Mörderin und Lügnerin. Alle, die gelogen haben wie ich, werden bestraft. - Der weiße Tod.« Und wieder schien sich der Tod in Luft aufzulösen, war auf ein mal weg, dann sprang das herrliche Pferd aus dem Stand in Ga lopp und preschte die Straße hinab. »Heiliges Kanonenrohr, was hat das zu bedeuten?« knurrte der Alte. Und auf einmal war ihm wohler. Nein, da schien sich etwas in diesem Nest zu tun. Da mußte es doch noch eine echte Ge rechtigkeit geben, wenn der Tod diese scheinheilige, dreckschleu dernde Missis Marga an den Mietstall gehängt hatte. Er hat sie als Mörderin bezeichnet, als Lügnerin. Und er droht mit Strafe! dachte der Alte. Donnerlittchen, jetzt möchte ich aber, verdammt noch eins, nicht sterben. Bestimmt nicht jetzt. Denn das ist doch noch nicht zu Ende. Ich will wissen, was mit Marga, diesem Miststück, geschieht. O Himmel, das will ich aber noch erleben. Hei, ich fühle mich so wohl wie lange nicht. - Wo habe ich nur den Brandy von vorigem Jahr? Ich muß darauf einen trin ken. O ja, das muß ich! Und er arbeitete sich aus dem Bett, angelte sich seine Krücken und wären die lahmen Beine nicht gewesen, er wäre sich wie achtzehn vorgekommen. * Als sie erwachte, schrie sie gotterbärmlich. Sie schrie, daß die Hunde zusammenliefen und sie ankläfften. Wer jetzt noch schlief, war entweder taub, besinnungslos oder tot. Folglich kam, was Beine hatte - außer dem alten Mac. Der hatte ja einen Logenplatz an seinem Fenster. Es begann schon zu dämmern. Der krummbeinige Storekeeper und Schlafhausbesitzer Doberman fand Missis Marga als erste. Er wohnte auch gleich nebenan. Und Gordon, dem der Mietstall ge hörte, kam als nächster. Danach tauchte der Marshal auf. Seit Crown tot war, leitete er auch bis zur Ersatzwahl das Sheriffamt Stan Warren war ein er probter Mann, blond, hager, durchtrainiert und galt als sehr si cherer und schneller Schütze. Außerdem konnte er noch ein paar
Dinge, die ihm so leicht hier keiner nachmachte. Viele waren da für, daß er Sheriff sein sollte, doch er wollte nicht. Als Marshal war er angestellt, als Sheriff konnte er immer wieder abgewählt werden. Er stieß Gordon zur Seite. »Eh, sie hatte einen Strick um den Hals, einfach so zur Zierde. Lies das Schild, Stan! Und hör nur, was sie schreit!« »Warum bindest du sie denn nicht los, du Idiot?« fuhr ihn der Marshal an. Dann zog Warren sein Bowiemesser und kappte die Stricke. Missis Marga fiel ihm direkt in die Arme und begann wie der zu kreischen, als sei der Teufel hinter ihr her. Noch mehr Menschen kamen und dann sah der Alte nichts mehr von Missis Marga, denn Warren hatte sie auf den Boden gelegt, wo die Zuschauer wie eine Mauer um sie herumstanden. Während nun auch der Doktor kam und ihm eine Gasse bis zu der am Boden liegenden Missis Marga gebildet wurde, zwängte sich Warren aus dem Kreis der Leute und ging, ohne daß es be achtet wurde, über die Straße auf Old Macs Haus zu. Mac McGuire sah ihn kommen. Warren blickte zum Fenster, nickte ihm kaum merklich zu, und wenig später kam er ins Haus. Als er den Alten im Lehnstuhl am Fenster sitzen sah, sagte er lächelnd: »Dachte ich es mir doch. Hallo, Mac!« »Zum Teufel mit dir, Stan, was willst du?« erwiderte der Alte, aber er grinste Warren dabei schief an. Warren setzte sich rittlings auf einen Stuhl, legte die Arme über die Lehne und sagte: »Du hast das doch gesehen. Wer war das?« »Der Tod, Stan, der leibhaftige Tod! - Ja, ich habe es gesehen. Ich dachte, er kommt zu mir.« Und dann berichtete er. Nur das mit dem Kälberstrick, das ließ er aus. Er wußte selbst nicht, warum. Aber vielleicht wollte er nicht, daß sie ihn beschuldigten, weil der Kälberstrick von ihm stammte. Warren hörte ihm zu. Er war kein ganz so junger Mann mehr, wenn er auch noch sehr jung wirkte. Aber Mitte Dreißig war er bestimmt. Als Old Mac fertig war, sagte Warren: »Und das hast du alles gesehen?« Old Mac nickte. »Habe ich, Jungchen, habe ich! Ich freue mich darüber, Jungchen! Ich freue mich, daß es eine Gerechtigkeit gibt.«
»Na ja, da hat einer nachgeholfen, ist ja klar. - Also gut, Mac, das reicht. Paß weiter gut auf. Vielleicht passiert bald wieder et was.« »Glaubst du?« fragte der Alte begeistert. »Mann, das Leben macht endlich wieder Spaß!« »Laß das nur keinen hören. Missis Marga bringt die ganze Stadt gegen dich auf die Beine!« Und Stan Warren ging. Wenig später kam Claire Woolworth zu Old Mac. Claire war ein klatschsüchtiges, dickes Frauenzimmer, früher einmal ein Taxigirl in Goldgräberstädten gewesen, nun, da sie alt und weniger an sehnlich geworden war, ging sie putzen oder machte alle mögli chen Hilfsarbeiten. Jetzt kam sie direkt von Clarences Speisere staurant, wo sie Gemüse geputzt und Kartoffeln geschält hatte. Eine Stunde lang räumte sie dem Alten das Haus auf, dann ging sie wieder. Doch heute platzte sie bald vor Neuigkeiten. Doch der Alte wußte in Wirklichkeit mehr als sie. Er erzählte ihr noch einmal seine Geschichte, und zum Schluß ließ er sie wissen, wie froh ihn das mit Missis Marga gestimmt habe. Diese Tatsache wußte nach einer weiteren Stunde die ganze Stadt. Claire erzählte es allen, die es hören wollten - und auch denen, die das gar nicht interessierte. Missis Marga erfuhr es auch. Sie lag zu Hause im Bett, auch ihr Mann lag im Bett, beide wurden von Elna betreut, die inständig hoffte, die beiden würden noch ein paar Tage lang bettlägerig sein, damit sie sich öfter mit Gilbert Turnot treffen konnte. Schuldgefühle hatte Elna nicht. Nach außen spielte sie das gequälte, mißhandelte Mädchen, das ein wenig verstört ist, aber innerlich bewegte sie die ganze Ge schichte kaum. Und sie sah auch keinen Zusammenhang in ihrer Lüge und der »Marterung« ihrer Mutter. Ihr Vater war dabei übri gens ebenfalls mit einem Mittel betäubt worden, von dem der Doc behauptete, es sei nur den Indianern bekannt. Missis Marga erfuhr von Old Macs Schadenfreude, als sie gerade ihren Tee bekam, den ihr die Wirtschafterin des Doktors zusam mengemischt hatte. Elna hielt ihr die Tasse an den Mund, als hät te Missis Marga keine eigenen Hände. Und dabei erzählte sie, was ihr Minuten zuvor Claire Woolworth durchs Küchenfenster berich tet hatte. Einen Augenblick hörte Missis Marga auf zu schlucken, so daß
der Tee auf die Bettdecke floß. Dann aber, als Elna endlich die Tasse wegnahm, fauchte Missis Marga: »Dacht' ich es mir doch! Dieser heuchlerische alte Mann! Dieser Hexenmeister! Er hat einen bezahlt! Das war kein Tod! Das war ein verkleideter Mensch!« Sie sah zu ihrem Mann hin, der blaß in den Kissen lag: Er hatte von dem Betäubungsstaub mehr einge atmet als seine Frau. Jetzt fühlte er sich hundsmiserabel. »Du sagst ja gar nichts, Lloyd!« Er reagierte kaum. »Man muß alles allein machen, alles alleine!« stöhnte Missis Marga. »Aber ich werde es ihnen heimzahlen. Da hat bestimmt der Schmied mitgespielt, sein vom Teufel besessener Schwieger sohn! Ja, so ist es gewesen. Bill Hanson, der Schmied! He, be zahlt er nicht diese Claire Woolworth?« »Ja, Mama, er bezahlt sie, damit sie bei seinem Schwiegerväter, dem alten Mac, putzt und ihm aufräumt. Das Essen bekommt er von seiner Tochter, von Eileen Hanson…« »Da hast du es! Der Schmied! Dieser Bursche ist schlau. Und er ist auch stark. Der muß mich getragen haben. Natürlich! - Oh, daß ich es nicht gleich erraten habe! Ich werde es ihm heimzah len! Und ob ich es ihm heimzahle. - Elna, meine Kleider!« »Aber, Mama, der Doc hat gesagt…« »Der Doc ist ein Mann, und Männer sind dumm. Meine Kleider, Elna!« * Sie waren fast fünfzig Frauen und Männer, vor allem aber Frauen, die sich mit Mistgabeln, Knüppeln, Eimern voller Jauche oder anderen stinkenden Unrats vor dem Haus des Schmieds versam melt hatten. Sie schrien wie irr im Chor, und es war immer wieder dieselbe Wortfolge: »Hanson raus! Teufelsknecht!« Es war schon dämmrig, bald würde es dunkel sein. Einige der Frauen hatten Fackeln mitgebracht, deren Flammen geisterhaft loderten. Missis Marga schrie: »Wenn ihr nicht rauskommt, ihr verderbtes Gesindel, stecken wir euch das Haus an!« Da tauchte der Kopf von Eileen Hanson im Fenster auf. Der rot haarige Schopf schien im Fackelschein wie Feuer zu brennen. Auf
einige schien das wie die Bestätigung zu wirken, daß die Hansons Teufelssippe seien. So hatte es jedenfalls Missis Marga gesagt. »Was wollt ihr? Mein Mann ist nicht hier! Was wollt ihr? Ihr schreit die Kinder wach. Sie sind im ersten Schlaf!« Aber sie bekam nicht die Antwort, mit der sie hätte rechnen können. Eine der Frauen holte mit dem Klo-Eimer aus und goß die stinkende Brühe zum Haus hin. Eileen Hanson konnte gerade noch ausweichen, aber viel von dem, was im Eimer war, kam ins Zimmer geflogen. Das übrige klatschte gegen die Hauswand. Und sofort taten es die anderen, die auch solche Eimer mitgebracht hatten, ebenso. Gerade konnte Eileen noch das Fenster zuschla gen. Doch da flogen Steine, zertrümmerten die Scheibe, und nun ergoß sich wieder ein Schwall nach dem anderen ins Zimmer. Plötzlich aber ertönte ein schriller Pfiff. Die Köpfe der Menschen vor dem Haus flogen herum. Und die Menschen waren mit einem Male totenstill und starrten wie ge bannt auf ein großes schneeweißes Pferd, das sich aufbäumte, direkt vor ihnen, und das dann mit den Vorderhufen wie mit Trommelstöcken wirbelte, einen Sprung nach vorn auf die jäh aufkreischende Menge machte, mit dem rechten Vorderhuf zu schlug, so von oben herab, wie es Vorhand-Schläger tun. Ein Mann wurde getroffen, ging zu Boden, ein Biß mit den großen Zähnen erwischte einen anderen, dann wurde eine Frau von ei nem Biß der kräftigen Pferdekiefer gepackt, schrie gellend, flog ein paar Schritte weit durch die Luft, und dann konnte der Schimmelhengst noch einmal zuschlagen, bevor die Menge krei schend und in panischer Flucht davonlief. Als nur der vom Huf niedergeschlagene Mann dalag und alle an deren weg waren, bäumte sich der Hengst auf, wieherte schrill und jagte dann die Straße entlang zu den Sumpfwiesen hin. Schon wähnten ihn die Leute sonstwo, als das Hufgeklapper wieder ertönte, lauter und lauter wurde, und ganz plötzlich tauch te der Hengst wieder auf. Er kam aus der Gasse zwischen den Cameron-Häusern, genau jener Gasse, in der Elna Blakely von Pat McGuire vergewaltigt worden sein sollte. Der Hengst raste reiterlos mitten in den Ort hinein, und wie von einer Geisterhand pariert, verhielt er plötzlich genau vor dem Haus der Blakelys. Jetzt aber geschah etwas Sagenhaftes. Missis Marga schwebte, ja, sie schwebte wie von Geisterhänden getragen, auf den Hengst zu. Es war, als sei sie tot. Eine Fackel
lag noch auf der Straße und brannte. So sahen die Menschen, die sich angstvoll an die Hausmauern drängten, wie Missis Marga leblos in den Armen eines Unsichtbaren hing. So sah es aus. Und sie wurden Zeuge, wie dieser Unsichtbare Missis Marga auf den Schimmel hob, der da wie eine Statue stand. Dann lag sie quer über des Schimmels Rücken. Wieder gellte ein Pfiff durch die Stadt. Der Hengst senkte den Kopf, wieherte schrill, peitschte mit dem Schwanz, als wollte er sich selbst damit antreiben. Und schon fegte er los. Missis Marga aber schien dicht über dem Rücken des Hengstes zu schweben. Bevor die Leute in laute Ahs und Ohs ausbrechen konnten, ge schah wieder etwas Atemberaubendes. Plötzlich tauchte im zu ckenden Fackellicht ein weißer Pinsel auf. Und er schwebte auf die Wand von Blakelys Haus zu, stupste dagegen und strich nach unten. Malte, als sei wieder ein Unsichtbarer am Werke, der ihn führte, Buchstaben. Einen nach dem anderen. Schließlich stand ein Wort an der Wand: Tod! Und nun zeichnete der Pinsel von ganz allein, ohne daß jemand mehr als diesen Pinsel erkennen konnte, einen Totenkopf. Der stand direkt über dem Wort. Eine Frau fiel ohnmächtig um. Eine andere sank in panischer Angst auf die Knie und begann zu beten. Die anderen aber sahen, wie der Pinsel plötzlich in rasendem Bogen durch die Luft flog und auf dem Dach vom Tischler landete, wo er offenbar liegenblieb. Alle, die noch auf der Straße waren und an den Hauswänden lehnten oder von den Fenstern aus zugesehen hatten, harrten auf ein weiteres Wunder. Doch nichts geschah. Zunächst nicht. Dazu mußten erst zehn Minuten vergehen, bis Elna plötzlich am Fenster auftauchte und schrie: »Ein Zettel! Der Tod war hier! Der Tod! Er hat einen Zettel hinterlassen! Einen Zettel, auf dem steht, daß er meine Mama über der Schlucht aufhängen wird. Meine Mama!« * Sie kamen mit Pferden, auf Karren und Wagen. Marshal Warren war weit vor ihnen an jener Stelle der Schlucht, in die Pat McGui re und Thorbe Jensen gestürzt waren, angeblich ohne Zutun von anderen. Mit Warren war auch der Halbindianer Stonewall da, der Warren
diese Stelle gezeigt hatte. Nun standen sie beide dort oben wie versteinert und starrten auf etwas Sonderbares. Über der Schlucht lag ein langer, aber nicht sehr dicker Baum stamm, eine Art Stange. In der Mitte war daran ein Seil befestigt. Und an ihm hing an den Füßen, den Kopf nach unten und splitter fasernackt: Missis Marga. Sie war bekleidet keine Schönheit, aber nackt war sie ein fast unmenschlicher Anblick. Sie hing dort und pendelte an dem Seil. Die Pendelwirkung wurde von einem zweiten Seil verursacht, das um Missis Margas Hals gehängt war und bis zum Grund der Schlucht herabhing, wo der Bach dahinschoß. Am unteren Seilen de war ein Stück Holz angebunden, das die Strömung des Baches mitriß. Aber das Seil hielt es wiederum fest, und so tanzte und ruckte es auf dem Wasser herum… und riß damit am Hals von Missis Marga. »Um Himmels willen, wir müssen sie heraufholen!« sagte War ren entschlossen. Der Mond stand als Dreiviertelscheibe am Himmel und tauchte die Szene in gespenstisches Licht. Unten donnerte das Wasser die enge Schlucht entlang. Dann die fast röchelnden Schreie der Frau, die nur schwach in diesem Höllenlärm zu hören waren. Warren gab Stonewall die Zügel seines Pferdes, nahm sein Las so vom Sattelhorn und schlang es sich um den Leib, befestigte das andere Ende am Sattelhorn und sagte: »Halte den Schecken fest. Für den Fall, daß ich abrutsche oder die Stange bricht, paß auf, daß er nicht herumtanzt.« Stonewall, der Schäfer, war ein besonnener Mann, der nur, weil er Schäfer war und danach roch, wenig Freunde in der Stadt be saß. Missis Marga hatte erst heute noch den Verdacht geäußert, das Betäubungsmittel, mit dem sie und ihr Mann bewußtlos ge macht worden waren, stammte von Stonewall. Warren ging auf die Stange zu, kniete sich, kroch ein Stück die Stange entlang und sah, wie sie sich bog. Nein, dachte er, die bricht, bevor ich noch in der Mitte bin. Und außerdem müßte ich hangeln. Nein, so geht es nicht. Wie, zum Teufel, ist die Frau nur daran aufgehängt worden? Und nackt. Ich glaube, die läßt sich nie mehr öffentlich sehen. Sie muß doch zerplatzen vor Scham, daß ich sie hier hängen sehe. Er stand auf, sah Stonewall an. »Es geht so nicht. Ich muß se hen, daß wir auch eine Stange finden, an der wir so etwas wie
einen Haken binden können. Mit dem Haken erwischen wir das Seil, an dem sie hängt, und so ziehen wir sie herüber. Ich glaube, die Stange dort hält nicht mehr lange. Sie knackt schon und biegt sich immer mehr durch.« Stonewall ging an den Rand der Schlucht und sah es sich an. Dann nickte er. »Warte, Stan, ich mache es ohne Stange. Gib mir das Lasso!« Der Sohn eines weißen Waldläufers und einer Cheyennesquaw nahm das Lasso, schnallte sich seinen linken Sporn vom Stiefel und band ihn am Lassoende fest, dann schleuderte er das Ende geschickt vor, ruckte etwas, und das Ende mit dem Sporn wickel te sich rasend schnell um jenes Seil, an dem die bedauernswerte Missis Marga hing und zeterte. Der Sporn hielt die Umwicklung fest, und so konnte der Halbin dianer mit Warrens Hilfe das Seil so weit herüberziehen, daß es Warren mit ausgestrecktem Arm fassen und dann zusammen mit Stonewall aufziehen konnte, Hand über Hand. Indessen baumelte das Stück Holz an Missis Margas Hals. Sie bekam kaum Luft, japste und röchelte, doch dann hatten die beiden, sie oben. War ren warf ihr seine Schlafdecke über, die er rasch aufrollte, und so würde gnädig bedeckt, was Missis Marga schamhaft bisher der Umwelt verborgen hatte. Warren allerdings war froh, nicht mehr sehen zu müssen, was mit Schönheit nichts zu tun hatte. Stonewall, in dieser Richtung wenig verwöhnt, betrachtete die unter der Decke herausragenden nackten Beine der Frau mit an deren Gefühlen. Doch nun kamen die anderen aus der Stadt. Zu spät, um Zeu gen eines makabren Schauspiels geworden zu sein. Früh genug, um von Missis Marga zu hören: »Der Tod… der leibhaftige Tod hat mich zu sich holen wollen«, krächzte sie. »Aber ich habe ihn mit Gebeten vertrieben!« Immerhin, dachte Warren, hast du das uns zu verdanken. Die Stange hätte nicht mehr lange gehalten. Allerdings war Missis Marga deutlich kleinlauter geworden. Doch lange sollte das nicht vorhalten. Noch war sie vom Schock ge zeichnet, und so richtig kam das erst noch auf dem Heimweg. Sie schrie, schlug um sich und hatte plötzlich Fieber. Es hieß, sie ha be das Nervenfieber bekommen, aber Warren glaubte eher an eine Lungenentzündung. Denn so warm war es in der Schlucht nicht gewesen Der Marshal und Stonewall begleiteten die Wagen
noch ein Stück, dann kehrten sie um. Ein dritter Mann, nämlich Gilbert Turnot, schloß sich ihnen an. Als Warren ihn ansah und fragte, was er denn bei ihnen wollte, sagte der Spieler: »Ich weiß nicht, aber irgendwie interessiert es mich.« Warren hatte schon lange einen bestimmten Verdacht, schwieg aber und zuckte nur die Schulfern. Dann ritten sie zu dritt zur Schlucht zurück. Jetzt war dort wieder alles wie immer. Nur die Stange am Rande erinnerte an das, was gewesen war. Das Seil hatten Männer aus der Stadt mitgenommen. »Was willst du feststellen Stan?« fragte Stonewall. Warren saß ab, hockte sich dicht an den Rand der Schlucht und spähte hinab. Unten donnerte der Bach wild und ungebrochen. Oben stand der Dreiviertelmond. Und sonst schien nur Nacht zu sein. Aber dann, als Warren einmal auf die andere Seite der Schlucht sah, hinüber über die Ebene der Hochfläche, da entdeck te er das Pferd. Diesmal war es rot. Feuerrot. Angestrahlt von zwei Flammen, die unweit vor ihm züngelten. Und es stand dort, ohne Zaum, ohne Sattel. Schneeweiß, nicht einmal die Fesseln waren dunkel. Auch Gilbert Turnot und Stonewall hatten den Hengst entdeckt. »Wie weit ist das von hier?« fragte Warren. »Mehr als zweihun dert Schritt?« »Fünfzig mehr, denke ich«, meinte Stonewall. »Ein wunderbares Pferd.« »Ein Schimmel kommt grauschwarz auf die Welt«, sagte Gilbert. »Und je älter er wird, um so heller und reiner weiß ist er. Der dort muß alt sein.« »Es gibt in Europa Pferde«, sagte Warren, »die sind schon jung so schneeweiß wie der dort.« »Aber der dort ist kein Lipizzaner. Ich habe das auch schon ge lesen, Marshal. Der dort ist ein Bronco. Er hat einen Hauch von Kaltblut in seinen Adern. Das sieht man am Kopf. Nein, Marshal, von Pferden macht mir keiner was vor. Er muß alt sein. Mindes tens fünfzehn Jahre.« »Ich hatte einen Hengst, der war achtzehn«, sagte Stonewall. »Der war besser als der Krampen, den ich jetzt reite, und der ist sechs. Also gut, ein Schimmel, der fünfzehn Jahre ist. Aber hat einer von euch hier in der Gegend einen gesehen, der so aussieht wie der dort? Er ist allein. Er steht vor zwei Flammen, und er
rührt sich kaum. Ich sehe keinen Menschen dabei, keine Leine, keinen Zügel, keinen Zaum.« »Ich glaube, wir sehen ihn uns aus der Nähe an.« Warren erhob sich, suchte nach einer Möglichkeit, den Canyon zu umgehen, um auf die andere Seite zu kommen. Dabei blickte er auch einmal in die Tiefe. In diesem Augenblick hallte eine Stimme durch die Schlucht und übertönte das Donnern des Wassers. »Die Uhr hat zwölf geschlagen! Die Stunde des Todes ist gekommen! Die Stunde des Todes! Uuuaaah! Tod… Tod… Tod… Ich bin der Tod… Tod… uuuaaah!« Warren fuhr es eisig durch die Glieder. Als er erschrocken nach Stonewall sah, stand der wie gelähmt, beide Hände vor die Brust gepreßt und kalkweiß im Gesicht. Er sieht nur wegen des Mondscheins so aus! versuchte sich Warren einzureden. Und diese Geisterstimme, das ist in Wirklich keit ein Mensch, der uns narren will. Ein Streich, weiter nichts! Er suchte Gilbert Turnots Blick. Dieser Spieler, dachte er, ist nicht so einfältig wie Stonewall. Der wird lachen. Aber Gilbert Turnot stand ähnlich wie Stonewall, nur leicht vor gebeugt. Und auch er hielt beide Hände an der Brust, doch zwi schen seinen Fingern quoll Blut hervor. Und er hielt den Kopf ge senkt und starrte auf dieses Blut, das nun über sein Hemd floß und zu Boden tropfte. Erst jetzt aber entdeckte Warren das Messer. Den Griff eines Messers. Er ragte zwischen den Händen Gilbert Turnots aus des sen Brust. Und dann krächzte der Spieler: »Warren… helfen Sie mir… ich sterbe… ich bin…« Weiter kam er nicht. Plötzlich kippte er stock steif um und fiel genau in Warrens Richtung. * Es wurde Tag, und sie suchten nach Spuren, vergeblich. Warren und der Halbindianer konnten einfach nicht fassen, daß dies alles letzte Nacht ein Traum oder ein Spuk gewesen sein sollte. Nach dem Gilbert Turnot durch den Messerwurf getötet worden war, hatte sich auch er Schimmel verflüchtigt. Auch von den beiden Flammen, die ihn angestrahlt hatten, war nichts mehr zu sehen
gewesen. Und jetzt standen die beiden an der Stelle, wo das Pferd gewe sen sein mußte. Wo auch die beiden Flammen gebrannt hatten. Nichts. Nur kahler Felsen. Keine schwarzen Flecken, wo das Feuer doch sicher auch Ruß verursacht hatte, keine Kratzer im Felsen von den Hufeisen des Hengstes. »Vielleicht war er nicht beschlagen«, sagte Stonewall und kratz te sich im wolligen Haarpelz auf dem Kopf. »Wir alle haben das Tier gehört, als es in der Stadt herumgelau fen ist. Das Pferd hat Eisen.« »Sagenhaft. Stan, hör mir mal zu!« Stonewall sah Warren aus seinen schmalen, dunklen Augen an, und sein zerknittertes Ge sicht wirkte noch lederner als sonst. Als sich Warren ihm zuwand te, sagte Stonewall: »Ich glaube, da ist doch mehr dahinter, als ein Mensch begreifen kann. Stan, wenn er in die Schlucht ge stürzt ist, dann kann er nicht mehr leben. Weißt du, wie die Indi aner diesen Canyon nennen?« »Nein.« »Wenn man es sinngemäß auf die Denkweise der Weißen über trägt, heißt es soviel wie: Paradies des Teufels.« »Paßt gut. Hör mir auch mal zu, Stonewall: Du hast selbst ge sagt, daß ein Mann nicht mehr leben kann, der hier hereingefallen ist. Gut soweit. Und du hast mir erzählt, daß du gesehen hast in jener Nacht, wie McGuire und Jensen engumschlungen im Fluß dahingetrieben sind. Hast du?« »Habe ich.« »Nun paß auf, du Schlaumeier! McGuire und Jensen sind tot. Wer aber könnte außer den beiden ein Interesse daran haben, sich bei Missis Marga und ihrem Mann, aber auch bei Elna und deren wirklichem Liebhaber zu revanchieren?« Der Halbindianer zuckte die Schultern. »Ich blicke da nicht durch.« »Dann hör mir zu, damit du es begreifst! Es hat damit begon nen, daß die kleine Blakely zu spät nach Hause gekommen ist. Ich habe dafür keinen Beweis, noch nicht, aber ich glaube, es war so: Sie ist mit Turnot zusammen auf der Wiese gewesen. Davon der Grasfleck, von dem Missis Marga mir wie von einem Beweis für die Vergewaltigung gesprochen hat. Gras aber gibt es dort, wo es passiert sein soll, nicht. Nämlich zwischen Camerons Häusern. Da kriegt sie höchstens einen dreckigen Hintern, aber keinen
Grasfleck. Es war auf der Wiese. Sie hatte Angst vor ihrer Mutter und ihrem Vater. Da stolpert sie auf dem Heimweg über den an getrunkenen Pat McGuire. Der hat sie vielleicht auch noch ange pflaumt. Punktum, er bringt sie auf eine Idee, und womöglich ist sie auch erschrocken, als sie ihn sieht, und sie schreit wie am Spieß. So hat es angefangen.« »Glaubst du?« »Ja, nur beweisen kann ich es nicht so richtig. Und dann ist Mis sis Marga mit ihrem Mann herumgezogen und hat Wind gemacht. Es kam zu der Geschichte mit dem Aufgebot. Weißt du, so ganz dicht halten die ja nicht. Ich weiß inzwischen, daß die beiden, McGuire und Jensen, eigentlich in den Tod getrieben worden sind. Hat mir gestern noch Camerons Stallmann gebeichtet. Der war auch im Aufgebot. Die haben alle nur Schiß davor, wegen des Schusses auf Crown und den tödlichen Messerstich auf Reynolds belangt zu werden. Stonewall, aber nach dem Sturz von Pat und Thorbe in den Canyon, den du Paradies des Teufels nennst, muß te doch Schluß sein!« »Aber da hat es erst richtig angefangen. Und weißt du, was ich glaube, Stan: Ich glaube, es wird noch viel toller.« Warren nickte. »Ja, Stonewall, das glaube ich auch. Aber wer steckt hinter dem Schimmelreiter? Was ist das für ein Pferd? Es ist so gut dressiert, so gut kann kein Mensch ein Pferd in so kur zer Zeit abrichten. Und das Pferd ist stark und schnell. - Stone wall, ob nicht doch der Schmied…« Stonewall schüttelte den Kopf. »Stan, du kennst Bill Hanson so gut wie ich. Er ist groß, breit und er hinkt. Ich habe zufällig da mals miterlebt, wie seinem Gesellen der Stiel vom Vorschlag hammer gebrochen ist, und der Hammer Hanson auf den Fuß krachte. Seitdem ist der Fuß verkrüppelt. Nein, Hanson kann es doch nicht sein.« Warren nickte. »Du hast recht, Stonewall.« Stonewall rieb sich über die faltige Wange. »Aber weißt du, Stan, ich denke, du suchst, wo es nichts zu suchen gibt. Sieh mal, als Pat und Thorbe abgestürzt sind, vielleicht haben sie vor her einen Fluch ausgesprochen…« »Ja, das hat mir Camerons Stallmann auch berichtet.« »Also«, meinte Stonewall und nickte in erwartetem Selbstver ständnis. »Sie haben einen Fluch ausgestoßen und…« »Pat McGuire soll es getan haben. Doch das ist Aberglaube,
Stonewall!« Stonewall grinste. »Aberglaube? Wenn jemand einen Fluch aus stößt, Stan, wenn du von einem verdammt wirst, hier im Teufels paradies, dazu nachts, dann trifft es ein, Stan. Darauf kannst du einen Eid ablegen!« Warren lächelte ungläubig. »Schon gut, Stonewall, du bist eben ein halber Indianer, und ihr glaubt so ein Zeug. Ich bin aufge klärt, Stonewall. Ich falle doch nicht auf solchen Hintertreppen zauber herein. Ich nicht.« »Und wie erklärst du es dir, daß wir keine Spuren finden? Wo ist der Schimmel hin? Wer hat im Canyon gerufen? Wer könnte dort unten im Wasser stehen? Wer hat Missis Marga aufgehängt? Hast du nur einen einzigen frischen Kratzer gesehen? Den kleinsten Hinweis, wie diese Stange hergekommen ist? Sie stammt von keiner Douglasfichte, Stan. Sie stammt von einer Lärche. Und weißt du, wo es hier in der Nähe nur eine einzige Lärche gibt?« Warren kratzte sich am Kopf. »Du hast gut aufgepaßt, Stone wall. Und wo gibt es Lärchen?« Der Schäfer lachte. »Das ist mehr als zwei Tage zu reiten. Und die ich dort gesehen habe, sind groß und dick. Ich weiß nicht, ob die dünne Stange überhaupt von dort sein kann. - Stan, es ist kein Aberglaube. Die Sache hier, das ist wirklich Teufelswerk. Diese Elna Blakely hat vielleicht wirklich gelogen. Und ihre Mutter, die hat schon immer den Teufel verdammt und beschimpft. Ich glaube, als die Pat McGuire hier in den Tod getrieben haben, da hat er sich dem Teufel verschrieben, um sich zu rächen.« »Kindermärchen, Stonewall.« Der Halbindianer schüttelte den Kopf. »Nein, Stan, es ist bitter wahr.« »Und warum wurde Turnot umgebracht, vor unseren Augen so gar? Mit einem Wurfmesser. Warum, Stonewall? Er hat doch Pat McGuire nicht in den Tod, getrieben. Er doch nicht. Er wollte so gar, glaube ich, die Wahrheit an den Tag bringen. Warum also mußte er sterben?« Stonewall zog eine Stange Kautabak aus der Tasche, biß ein Stück ab, kaute ein paarmal darauf und schob es zwischen Zähne und Wange. Erst dann antwortete er: »Er war schuldig, Stan, schuldig wie Elna. Er hat doch gewußt, daß sie lügt. Er muß. es spätestens am nächsten Morgen erfahren haben. Warum ist er nicht gekommen und hat gesagt, daß er mit Elna zusammen ge
wesen ist? Oder vorher, in der Nacht, als sie Pat und Thorbe hier heraufgejagt haben. Da hat doch auch Gilbert von dem ganzen Trara etwas gemerkt. Wie sie die Pferde geholt haben und so. Ein ganzes Aufgebot. So viele Menschen. Gilbert Turnot hat das ge merkt, aber er hat nichts gesagt. Ja, er war schuldig, und so ist er gestorben. Auch Missis Marga wird sterben, früher oder später. Vielleicht hat sie eine Chance, wenn sie schweigt und damit auf hört, alle zu verleumden, die mit Pat McGuire verwandt sind.« »Stonewall, glaubst du das wirklich?« fragte Warren. »Ich werde immer sicherer, je mehr ich darüber nachdenke. Auch der Notar wird sterben, glaube ich. Und dann alle diejeni gen, die dabei waren, als Pat starb. Wenn einer hier in höchster Todesnot seine Seele dem Teufel abtritt, Stan, dann will der Teu fel zeigen, was er kann. Verstehst du, Stan, wie bei Doberman, wenn du zu dem kommst und hast früher immer bei Cameron gekauft. Doberman schenkt dir ein neues Halstuch, du kriegst von ihm Rabatt. Nur, damit du das anderen erzählst und damit die auch kommen und nicht mehr bei Cameron kaufen. So ist das hier mit dem Teufel. Der hat sich gesagt: Ho, da ist der Pat McGuire! Der ist doch früher immer so fromm gewesen, dieser schottische Kuhtreiber. Und jetzt ist er in Not und gibt mir seine Seele. Damit ich ihn räche. Gemacht, ich werde ihn rächen, und viele werden das sehen. Die werden dann begreifen, daß ich, der Teufel, mein Wort halte und überhaupt ein sehr tüchtiger Bursche bin. - Tja, Stan, so ist das gewesen. Ich sage dir, wir stehen erst am Anfang. Es wird ein Blutbad geben, wie du das dir gar nicht vorstellen kannst. Er wird sich erst die beiden Blakelys holen, dann die Tochter, und dann geht es mit Cameron weiter. Denn der hat das Aufgebot geführt. Stan, es wird eine Hölle!« * Es war kurz nach, Mitternacht. Lloyd Blakely saß noch über sei nen Akten, doch nun wollte er endlich ins Bett gehen. Er stand auf, nahm das Gewehr von der Tischkante, das er jetzt immer griffbereit hielt, seit das mit seiner Frau passiert war. Dann dreh te er den Docht der Lampe herunter, bis die Flamme erlosch. Von draußen schien das Licht des Halbmondes ins Zimmer. Kahl, kalt, gespenstisch und drohend.
Blakely ging zur Tür, trat auf den Wohnflur und wollte nun noch einmal auf das Klo im Hof, bevor er sich zur Ruhe begeben wür de. Er hatte das Gewehr in der Hand, doch er mußte es wegstel len, als er die Haustür von außen wieder schließen wollte. Die Tür klemmte, und er brauchte beide Hände, um sie ins Schloß zu zwingen. Als er fertig war und wieder nach seinem Gewehr grei fen wollte, hörte er ein Käuzchen schrill schreien. Ganz nahe. Si cher auf dem Dach der Wagenremise. Er zuckte erschrocken zusammen, wandte den Kopf und erstarr te. Dort, wo er das Käuzchen vermutete, hob sich der Umriß einer menschlichen Gestalt vom Nachthimmel ab. Da stand jemand breitbeinig, und mit einem Umhang angetan, auf dem Dach. Blakely brauchte eine Sekunde, bis er den Schreck überwunden hatte. Dann zuckte seine Rechte entschlossen zum Gewehr hin, das er aufnehmen und in Anschlag auf diese Spukgestalt bringen wollte. Aber da schnaubte etwas ganz dicht hinter ihm. Blakely wirbelte herum, riß schützend die Arme hoch, aber zu spät. Er sah den Pferdekopf, sah noch, wie das im Mondschein wie Silber wirkende Tier den linken Vorderhuf hochriß, dann traf ihn schon der Schlag des Hufes, traf ihn wie ein Hammerschlag am Bauch. Blakely wollte schreien, aber er bekam keine Luft, gurgelte nur und taumelte rückwärts gegen die Tür, bekam einen zweiten, noch härteren Schlag gegen den Kopf und sank zu Boden. Und dann empfand er einige Zeit nichts mehr. Doch nach einer Weile meinte er zu schweben. Ihm war, als lä ge er in einer mit Daunen gefütterten Schaukel, die sanft hinund herschwebte. Und er sah über sich einen blutigroten Himmel, in dem glühende Feuerbälle tanzten, zischten und brennende La va um sich spuckten. Dabei donnerte und rauschte es wie an ei nem Wasserfall. Etwas zerrte an seinen Beinen. Er wollte immer nachsehen, was es ist, aber irgendwie fühlte er sich so müde, so faul, nur hinzu sehen. Ihm war alles so gleichgültig, und dennoch empfand er dieses Schweben als wunderschön. Doch der Zug an den Beinen nahm zu. Und zugleich wurde das Donnern und Rauschen immer lauter, störender. Eine hallende Stimme drang in sein Ohr. Die Stimme eines Mannes. Pat McGuires Stimme! Ja, er erkannte sie. Das war Pat McGuire. Und er rief: »Notar, du bist ein Lump! Ein Mörder. Du
hast mich ermordet, Notar Lloyd Blakely. Deine Frau ist eine He xe. Sie wollte meinen Tod. Aber ihr habt auch den Sheriff getötet, und ihr habt Joe Reynolds ermordet… und ihr habt Thorbe Jensen ermordet. Ebenso wie mich. Lloyd Blakely, mach die Augen auf! Sieh mich an. Damit du einmal den Tod gesehen hast, bevor du sterben mußt. Doch noch hast du Zeit, Lloyd Blakely. Viel Zeit. Du sollst etwas von all dem haben, was wir für dich vorbereitet haben. Du sollst auch einmal spüren, wie es ist, wenn man über einer Schlucht hängt. - Mach die Augen auf, Lloyd Blakely, Vater einer lügenden Tochter und Ehemann einer Hexe!« Blakely wollte die Augen öffnen, aber es ging nicht. Ich habe sie doch schon offen! dachte er und blickte hinauf in den Himmel, der auf einmal schmutzig braun war und immer dunkler wurde. Ko misch, der Himmel ist dunkel, sagte er sich, aber es ist um mich herum doch hell. Warum ist das so? Und was zieht denn so an meinen Beinen? Es tut mir weh. Auch mein Bauch tut weh. Was war denn mit dem Pferd? Da war doch ein Pferd, das mich ge schlagen hat. In der Nacht. Wo ist denn dieses Pferd? Wo bin ich jetzt? Warum ist der Himmel so eigenartig? Er sieht ja fast aus wie ein reißender Fluß. Schwarz mit weißem Schaum… aber… a ber das ist ja ein Fluß! Ein Bach eher. Ein Wildbach in einer Schlucht. Was sehe ich denn? Ich hänge an einem Strick mit dem Kopf nach unten über einem kochenden Wasserfall! Er blickte an seinem Körper entlang nach oben. Und da war ein mit Sternen übersäter Nachthimmel. Einen Streifen sah er davon. Den Streifen, den die Felsen oben freiließen. Und die Stange sah er, an der das Seil hing, das ihm um die Fußgelenke geschlungen war. Eine dünne Stange, eine sehr, sehr dünne Stange, die sich sehr stark durchbog. Und in seine Betrachtung hinein erscholl plötzlich eine Stimme die ihm unbekannt vorkam. Sie sagte, das Brausen des Wassers übertönend: »Du wirst leiden, Lloyd Blakely. Du wirst zittern vor Angst um dein Leben. Du sollst sehen, daß der Tod gnädig ist. Aber noch mußt du auf den Tod warten… lange warten!« Da sah er oben am Rand des Felsens, genau dort, woher die Stimme gekommen war, das Pferd. Er wußte nicht, ob es weiß oder schwarz war, ein Schimmel oder ein Rappe. Er sah es gegen den Nachthimmel, und da war es dunkel. Es stand da, und er ü berlegte, ob dieses Pferd womöglich zu ihm gesprochen hatte. Ein
Pferd, das sprechen kann? Den größten Schreck bekam er aber kurz darauf, als er erkann te, warum dieses Pferd dort stand und was es tat. Er gewahrte eine dünne Leine, von einer Seite zur anderen über die Schlucht gespannt. Das eine Ende aber schien das Pferd dort oben zwi schen den Zähnen zu halten. In der Mitte der Leine, genau über Blakely, hing ein Krug oder etwas Derartiges. Die Stimme rief jetzt: »Das Pferd, das du siehst, Blakely, ist der Bronco des Teufels. Er hält in seinem Maul ein Leinenende. Läßt er es los, wird sich der Inhalt des Kruges über dich ergießen, Bla kely. Es ist Salzsäure darin. Sie wird dir gut schmecken. Hahaha! Bald wird er die Leine loslassen. Bald schon, Blakely!« * Es war Elna, die wie wild an die Tür des Marshalbüros klopfte. Als Warren ihr, nur mit der Hose bekleidet, öffnete, wedelte sie ihm mit einem Stück Papier vor der Nase herum und schrie mit überkippender Stimme: »Der Teufel bringt ihn um! Er hat ihn weggeschleppt! Lesen Sie doch! O Himmel, wann hört dieser Wahnsinn auf?« Warren war noch halb verschlafen, nahm den Zettel, aber hier draußen war es viel zu dunkel, um lesen zu können, was darauf stand. Er tappte in den Raum, fand die Lampe und zündete den Docht an. Dann wandte er sich kurz Elna zu. »Schließen Sie die Tür!« brummte er mürrisch und las dann, was in ungelenken Zü gen auf dem Papier stand. Es war mit Tinte geschrieben. »Ich habe mir auch Blakely geholt. Er muß sehen, wie der Tod aussieht. Jetzt hängt er über dem Teufelsparadies und sieht den Tod. Er sieht mich. Der Tod.« Warren legte den Zettel weg, sah Elna an. »Wo war der Zettel?« »An der Haustür. Und Vater ist weg. Er ist spurlos verschwun den.« Sie begann zu schluchzen und schlug die Hände vors Ge sicht. »Gil ist tot und jetzt…« »Elna, Sie haben uns alle belogen, und nun kriegen wir dafür die Quittung. Sie und Ihre Mutter und Cameron, ihr habt Crown, Reynolds, McGuire und Jensen auf dem Gewissen. Und Ihr Vater, Elna, der hat auch mitgeholfen, wo er konnte. Aber er und Ihre Mutter haben Ihnen geglaubt. Ich habe Ihnen nie geglaubt, keine
Silbe, Elna. Sie sind ein verlogenes Luder, nur aus Angst, von Ihrem Vater geschlagen zu werden, nicht wahr? Da haben Sie Pat McGuire beschuldigt, einen harmlosen, vom Schicksal ohnehin hart gezeichneten Menschen. - Ja, ich werde mich um Ihren Vater kümmern. Aber glauben Sie nur nicht, daß er sich das nicht selbst mit eingebrockt hat. Und Sie haben es ihm eingebrockt, ja, Elna, da nützt das Geheule auch nichts mehr.« Er ließ sie stehen und ging, zog sich das Hemd über, stieg in die Stiefel, und als Elna da immer noch herumstand, schnauzte er sie an: »Nun scher dich wieder in dein Bett! Schlaf. Oder kümmere dich um deine Mutter! Man sollte dich gar nicht so respektieren, Elna Blakely.« Sie sah ihn erschrocken an, weil er sie plötzlich duzte. Er lachte hart. »Man soll Mädchen wie dich hart anfassen. Du bist verwöhnt worden - auch wenn er dich geschlagen hat. Deine Mutter hat dich verwöhnt. Geh jetzt!« Sie lief wie von Furien gehetzt davon. Warren fluchte vor sich hin, zog die Jacke über und trat hinaus in die Nacht. Bis ich zum Canyon komme, ist es Morgen, dachte er. Wieder eine Nacht um die Ohren schlagen, und alles wegen dieses Mäd chens, wegen ihrer Lüge. Er überlegte und beschloß, nicht allein zu reiten. Er war zudem darauf aus, die Gelegenheit zu nutzen, um die Sache einmal für immer aufzuklären. Ich hole den Schäfer, Stonewall. Er kann wunderbar Spuren le sen, er versteht etwas von der Wildnis, und er redet nicht zuviel. Ja, ich nehme Stonewall mit, wenn ich bei ihm vorbeikomme. Seine Frau und sein Junge hüten die Schafe auch allein. Ihm fiel ein, daß Stonewalls Frau eine Mexikanerin war. Eine tolle Mischung ist der Junge, dachte Warren noch, dann ver schwand er im Stall. Er mußte erst die Laterne anzünden, aber es herrschte ein der artiger Durchzug, daß ihm immer wieder das Zündholz erlosch. Wieso zieht es hier so? fragte er sich. Dann gelang es ihm end lich, die Lampe anzuzünden, und er leuchtete damit in die Stall gasse. Sein Pferd war verschwunden, auch das Tier von Sheriff Crown, das Gordon gestern abend noch hier in den Stall des She riffs- und Marshal-Office gebracht hatte. »Wo, zum Kuckuck, sind die Gäule?« brummte Warren ver
ständnislos. Er leuchtete mit der flackernden Sturmlaterne weiter nach hinten und sah, daß dort die Bretterrückwand des Stalles aufgerissen war. Er wollte hingehen und nachsehen, aber da blickte er zufällig in dem Stand seines Pferdes. Da lag jemand! Direkt vor dem Barren lag ein Mensch! Warren ging sofort darauf zu, leuchtete hin und sah eine ver krümmt vor dem Barren liegende Gestalt. Ein Mann, wie es schien. Er konnte das Gesicht nicht sehen, weil es der Wand zu gewendet war. Aber er sah eine bestickte Weste, Hosen mit wei ßen Nadelstreifen aus gutem Stoff, weichlederne Stiefeletten. Und graue Haare sah er. Ihm schwante bei diesem Anblick schon etwas. Als er dann von oben auf den leblos Liegenden her abblicken konnte, erkannte er das Gesicht. Es war Art Cameron, der hier lag. Sein Anblick war schrecklich, das entdeckte Warren erst, als er sich über ihn beugte und näher ansah. Das Gesicht war kreidig weiß, wie gepudert. Aber es war kein Puder. Als Warren genauer hinsah, fand er heraus, daß Cameron mit etwas besprüht oder übergossen worden war, das seine Haut derart verändert hatte. Sie war fein runzelig, wie das bei jemandem der Fall ist, der lange im Wasser gelegen hat. Säure! dachte Warren. Er ist mit Säure beschüttet worden. Er untersuchte Cameron, aber da kam jede Hilfe zu spät. Came ron war tot. Und er war auch nicht an jener Säure gestorben, sondern an ebenso einem Wurfmesser wie Turnot. Als Warren ihn auf den Rücken drehte, sah er es aus der Brust ragen, bisher vom Arm Camerons verdeckt. Auf dem Griff des Wurfmessers stand: Tod den Verfluchten! * Die Nebel der Nacht hingen wie Schleier über dem Boden. Aus der Tiefe des Canyons drang kein Laut mehr. Warren begriff nicht, warum alles so anders war, bis er endlich darauf kam. Der Bach dröhnte und donnerte nicht in seinem Bett. Daher die unnatürliche Stille. Im Osten stand ein silberner Strei fen über der Ebene des Tafelberges. Aber es war noch immer dunkel, viel zu dunkel, um in die Schlucht hinabsehen und dort
was erkennen zu können. Doch den Grund dafür, wieso der Bach nicht mehr durch den Canyon sprudelte, hatte Stonewall trotzdem erraten. Er tippte Warren an den Arm und sagte: »Umgeleitet, ganz droben, da ist eine Stelle, wo das geht. Wir haben das mal in einem dürren Sommer gemacht, um Wasser für die Schafe zu haben. Da muß der Bach einen Wasserfall hinunter. Vielleicht finden wir Blakely dort…« Sie ritten auf den Kamm der Berge zu, die diese Tafelbergebene abschlossen. Und von dort kam auch das Wasser, das den Felsen so vielfältig zersägt hatte. Es war still, gespenstisch still. Die Eisen der Pferde tappten na hezu geräuschlos im Sand, der von der Prärie hier heraufgeweht war. Sand ohne jede Spuren. Der ständige Wind blies sie zu. Aber jetzt, im Augenblick jedenfalls, wehte kein Lüftchen. Und deshalb standen diese Nebelschwaden dicht über dem Boden. Es sah ein malig aus, als die Pferde, bis zu den Bäuchen im Nebel, dahin schritten. Stonewall, der hier jeden Fußbreit Boden zu kennen schien, ritt voraus. Die Gefahr, daß sie in eine Kluft oder einen Canyon stürz ten, war groß. Manchmal war sich auch Stonewall nicht sicher, saß ab und verfluchte den Nebel. Um den festen Boden zu spü ren, hatte er sich einen langen Stock geschnitzt, mit dem er fühl te, ob nicht plötzlich eine Schlucht oder eine Kluft vor ihnen lag. Doch sie kamen gut voran. Und nun hörten sie deutlicher und deutlicher das Rauschen eines Wasserfalls. Indessen begann es zu tagen. Der Himmel färbte sich hellgrau, und der Nebel begann zu steigen. Als die Sonne über die Kimm kroch, tauchte sie das Land in einen verheißungsvollen goldenen Schein und löste die Nebel in nichts auf. Kurz darauf erreichten die beiden Reiter jene Stelle, wo der Bach umgeleitet worden war. Aber auch hier trotz Sand keine Spuren. Riesige Felsen waren vor dem Abfluß zum alten Bachbett aufgetürmt, und so stürzte das Wasser mangels eines anderen Weges in einen Felsenkessel, der beim Erdbeben vor siebenund zwanzig Jahren entstanden war. Von hier aus schoß das Wasser wie eine Springflut über Geröll bis ins Tal im Westen, das wie eine Zunge in den Tafelberg vom Tiefland her einmündete. Doch das interessierte jetzt weder Warren noch Stonewall. Sie sahen etwas anderes.
Über den Wasserfall war eine Stange gelegt, genau wie weiter unten im Canyon die Nacht zuvor bei Missis Marga. Nun aber hing wieder jemand kopfüber an der Stange. Leblos. Mit zerfetzter Kleidung. »Blakely!« sagte Stonewall. »Ich glaube, er ist bewußtlos. Er sieht so komisch aus…« Warren stieg vom Pferd, ging bis dicht an den Rand des Ab grundes und kniete sich neben dem Stangenende. »Wieder eine Lärche«, sagte er. In diesem Augenblick knackte und splitterte das Holz. Es ge schah rasend schnell, was nun kam. Viel zu schnell, um eingreifen zu können. Mit einem Male sackte der Körper durch, der an der Stange hing. Die Stange knickte nach unten weg, splitterte auf, es gab einen Knall wie bei einem Schuß, dann schoß der Körper Blakelys kopfüber in die Tiefe, die Stangenenden wie ein riesiges V nachziehend. Blitzartig tauchte der Mann im schäumenden Wasser unter, die Stangen tanzten aufrecht für einige Augenbli cke und entfernten sich rasch talwärts. Blakely aber tauchte nicht wieder auf. »Zu spät gekommen. Das ist jetzt der dritte glatte Mord!« meinte Warren. »Ich fürchte, Stan, es werden vier Morde werden. Einer für Crown, einer für Reynolds, einer für McGuire und einer für Jen sen.« »Wer, glaubst du, kommt noch dran? Elna?« Stonewall zuckte die Schultern. »Elna? Hm, ich denke, er wird Missis Marga erwischen.« »Es muß Spuren geben. Es gibt immer Spuren, und auch der Teufel würde welche hinterlassen. - Stonewall, ich gehe nicht e her von hier weg, bis ich Spuren habe.« »Und wenn inzwischen etwas in der Stadt passiert? Die Leute in Hightower werden durchdrehen, Stan.« »Man muß irgendwo einmal anpacken. Du kannst nicht hier und dort und da und überall herumtanzen. Ich sage dir, wenn wir et was erreichen wollen, müssen wir einmal an einer Stelle ganz gründlich vorgehen. Haben wir einen Zipfel, kriegen wir auch den Rest. Das Risiko, daß inzwischen wieder in der Stadt was passiert, ist so und auch so. Also?« »Gut, ich bleibe, aber ich habe so ein Gefühl, als passierte in Hightower inzwischen allerlei.«
»Du und deine Gefühle«, meinte Warren, sah den ledergesichti gen Halbindianer grinsend an. Aber so sicher, wie Warren tat, war er gar nicht. * Das Gezeter, das Missis Marga in der Stadt machte, war überall zu hören. Und sie wußte nicht einmal, was mit ihrem Manne wirk lich passiert war. Sie hatte nur erfahren, daß der Marshal nach ihm suchte. Das genügte ihr nicht. Doch zuvor wollte sie wieder einmal ein Exempel statuieren, wie sie es nannte. Ein Gefolge von ähnlich hysterischen Weibern hinter sich, wie sie selbst eins war, zog sie durch die Straßen, und im Augenblick steuerte sie das Haus von Old Mac McGuire an, dem Vater von Pat. Er, so verkündete sie lautstark, sei der Hexenmeister, er wolle seinen Sohn rächen und hätte eine Schar von üblen Burschen beauftragt, die den Teufel spielten. Denn alles andere, behaupte te sie, sei Aberglaube. Es war am frühen Morgen, die Sonne schien auf die Stadt, und das Leben war nun überall und in jedem Haus voll in Gang. Bill Hanson, der Schmied, war ein Hüne von Mann, er besaß ein bärtiges, aber gutmütig Wirkendes Gesicht. Jetzt allerdings War Bill Hanson wütend, furchtbar wütend sogar, als er Missis Marga und deren Gefolge zum Haus des Schwiegervaters ziehen sah. »Jetzt reicht's aber!« donnerte er, warf den Hammer beiseite und marschierte los. Seine beiden Gesellen blickten ihm erst nach, dann nahmen sie jeder eine lange Schmiedestange und folgten ihrem Meister. Der hatte indessen das Haus des Schwie gervaters erreicht und stand breitbeinig davor, als die Frauen mit Geschrei und Sprechchören genau auf ihn zumarschierten. Missis Marga blieb stehen, deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Schmied und keifte: »Auch der ist ein Teufel! Auch den müs sen wir aus dieser Stadt vertreiben!« Die Frauen schrien durcheinander, und da kamen auch hoch ein paar Männer hinzu, die all das glaubten, was ihnen Missis Marga erzählte. Und sie schrien mit. Einer, der Tischler, brüllte: »Am Ende hat Hanson den Mord an Cameron begangen! Eh, Hanson, du stellst dich neuerdings immer gegen uns. Vielleicht, weil du
etwas zu vertuschen hast, was?« Hanson brauchte nicht mehr zu antworten. Denn auf einmal kam das Pferd. Den Hufschlag hörten sie nicht gleich, doch als er näher kam, drehten die ersten ihre Köpfe um. Und plötzlich ertönte von ir gendwoher ein schriller Pfiff. »Der Teufelsbronco!« schrie jemand. »Er kommt hierher!« brüllte ein anderer. Eine Frau kreischte: »Rette sich, wer kann!« Eine andere rannte weg, riß dabei ihre Nachbarin um, und beide stürzten. Missis Marga schrie: »Betet, ihr Leute, betet!« Und sie begann einen Choral zu singen, doch um sie herum rannte und hetzte alles nach Gassen und Winkeln davon. Nur der Schmied stand mit seinen beiden Gesellen furchtlos. Der Schimmelhengst aber galoppierte die Straße herauf, jagte auf die schrill kreischenden Frauen zu, die mit gerafften Röcken zu entkommen suchten. Und dann ertönte wieder ein Pfiff. Hanson riß den Kopf herum. Das kam ja vom Dach des Hauses hier, seines Schwiegervaters Haus. Aber der Alte stand am Fens ter und blickte hinaus. Der war es sicher nicht gewesen. Der Hengst schien wie von einer Geisterhand pariert zu werden, stemmte alle viere in den Boden, und eine Staubwolke wehte hoch. Dann bäumte sich der Hengst auf, stand auf der Hinter hand, und seine Vorderhufe kreiselten wie Quirle. Wehe, wer ih nen zu nahe kommen würde. Wieder ein Pfiff, und nun war Missis Marga allein, hatte diesen sich aufbäumenden Hengst vor sich. Und der bewegte sich auf den Hinterbeinen vorwärts, einen Schritt, noch einen. Missis Marga wich zur Hauswand zurück, schrie wieder in höchs ter Todesangst. Da ließ sich der Hengst auf die Vorderhand herab, und schon schoß sein Kopf nach vorn. Seine Augen waren weit aufgerissen, die Ohren angelegt. Man sah das Rote um die Augäpfel. Die Nüs tern blähten sich. Und seine riesigen Zähne waren gebleckt wie bei einem scharfen Hund. Hanson wollte dazwischentreten, - wollte verhindern, daß der Hengst beißen würde. Obgleich er hundert Gründe gehabt hätte, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Doch er meinte, zuerst aus menschlichen Motiven heraus etwas tun zu müssen. Ein Mensch,
sagte er sich, kann nicht zulassen, daß ein anderer Mensch von einem Tier angegriffen und womöglich getötet wird. Doch da schrie eine Stimme vom Dach herab: »Snow!« Und der Hengst biß zu. Er biß so rasch, daß der Schmied gar keine Chance hatte, etwas dagegen zu tun. Und sein Biß fuhr in Missis Margas Schulter. Jetzt erst hatte Hanson den halben Weg bis zu Missis Marga und dem Hengst geschafft, der nun herumwirbelte und davonjagte. Einer der Männer hatte ein Gewehr. Er schoß, aber der Schuß verfehlte den Hengst. Dafür krachte vom Dach des McGuireHauses ein Schuß, und der Schütze von eben verlor sein Gewehr aus der Hand, schrie auf und preßte die gesunde Rechte über die blutenden Finger seiner Linken. »Da oben! Da ist einer!« schrie jemand. Sie alle starrten jetzt hinauf zum Dach des McGuire-Hauses. Und da sahen sie eine Gestalt… ein Skelett, wie es schien, ange tan mit einem schwarzen Umhang und einem Schlapphut. Das Skelett hielt ein Gewehr in der Hand, eine mit Silber beschlagene Winchester, wie sie in dieser Art noch niemand hier gesehen hat te. »Hinweg mit euch! Hinweg!« rief diese seltsame Gestalt dort oben. »Sonst hole ich euch! Ich bin der Tod!« Ein paar Frauen waren noch auf der Straße. Sie schrien auf, wieder sanken zwei ihn Ohnmacht. Und Missis Marga starrte wie gebannt hinauf zum Dach, spürte wohl im Augenblick nicht einmal die Schmerzen in der Schulter, wo sie der Schimmel gebissen hatte. Und wie meist bei Pferdebissen war es mehr eine Quet schung als eine offene Wunde. Hanson spürte keine Furcht. Er trat auf die Straße, blickte nach oben und rief: »Wer du auch bist, du tust dem Andenken an Pat und seine Freunde keinen Gefallen. Jetzt ist das, was du tust, schlimmer als das, was Pat, Crown, Thorbe und Joe angetan wur de.« »Der Tod hat eine eigene Rechnung!« klang es mit eigenartig dumpfer Stimme von dort oben. »Schert euch hinweg! Und ich werde wiederkommen, immer wieder, solange diese Teufelin dort unten mit ihrer Tochter in eurer Stadt wohnt. Jagt ihr die beiden davon, Werdet ihr Frieden haben. Doch sie ist mitten unter euch, sie und ihre lügende Tochter. Und so werdet ihr alle in Angst und Schrecken leben, noch weiter… bis die beiden weg sind. Denkt
darüber nach!« Es gab dort oben einen leisen Knall, eine weiße Rauchwolke umhüllte die Gestalt, und auf einmal war sie wie weggezaubert. Und während der Wind den Rauch auflöste, standen die Menschen - auch Hanson - unten wie erstarrt und blickten gebannt zu dem verwehenden Rauch hinauf, als würde die Gestalt gleich wieder an derselben Stelle auftauchen. Dann aber hörte Hanson Hufschlag, der erst näherkam, sich nach einer Weile jedoch wieder entfernte. Schließlich tat er, was so viele andere in Hightower taten: er wandte sich Missis Marga zu, die zitternd an der Wand lehnte, die rechte Hand auf die linke Schulter gepreßt, wo sie der Hengst gebissen hatte. Dort war von außen nichts zu sehen, nicht einmal das Kleid war aufgerissen. »Gehen Sie nach Hause, Missis Marga, und bedrohen Sie nie wieder meinen Schwiegervater!« sagte der Schmied ruhig, wand te sich dann wieder um und blickte zum Fenster hin, das sein Schwiegervater geöffnet hatte und sich dort herausbeugte. »Du mußt dieser Hexe nicht noch helfen. Sie soll aus der Stadt verschwinden! Ja, das soll sie!« rief Old Mac McGuire. Ein paar Frauen und Männer kamen wieder aus ihren Winkeln und Löchern. Eine ältere Frau, die vorhin noch eifernd hinter Mis sis Marga hergelaufen war und mit gegen Old Mac gehetzt hatte, rief jetzt und deutete mit dem Finger auf Missis Marga: »Geh aus der Stadt! Geh mit deiner Tochter, damit wir nicht alle für etwas bezahlen müssen, was uns nichts angeht.« »Ja, sie soll wirklich verschwinden, raus aus der Stadt mit ihr!« schrie eine Frau aus einem Fenster. Und ein Mann, der auch vorhin hinter Missis Marga im Gefolge war, sagte lautstark: »Wir haben unsere eigenen Sorgen. Wenn sie und ihre Tochter was angezettelt haben, sollen sie es auch ausbaden. - Verschwinde!« Es wurden immer mehr, die jetzt Missis Margas und Elnas Ver schwinden forderten, viele von denen waren vorhin noch eifernde Mitstreiter dieser Frau gewesen. Hanson lehnte sich neben das Fenster, aus dem sein Schwie gervater blickte. »Da siehst du es, was Ratten sind. Eben haben sie uns noch beschmissen mit ihrem Dreck, und nun schlägt es auf die zurück, die es ausgelöst haben. Pöbel!« Old Mac schüttelte den Kopf. »Nein, es ist die Angst. Sie haben
immer nur ihre Angst. Sie sind wie diese kleinen Köter, die rudel weise durch die Stadt streunen. Sie kläffen, sie jaulen, und wenn du wirklich mal einen Stein nimmst und einen von ihnen triffst, dann jagen sie Hals über Kopf davon. Es ist die Angst, Bill.« »Es sind Ratten, räudige Ratten, weiter nichts«, brummte Han son. »Da, jetzt ziehen sie vor Blakelys Haus. Vorhin waren sie bei dir, jetzt ziehen sie zu ihm. Dabei ist er weggeschleppt worden. Keiner weiß, wer dieses Phantom ist, das hier mit seinem Pferd auftaucht. Keiner weiß es. Weißt du es?« Old Mac verzog das Gesicht, wie er es immer tat, wenn er ei gentlich lächeln wollte. Aber infolge der halbseitigen Lähmung wurde ein schiefes Grinsen daraus. »Wer es ist, Junge, er ist in Ordnung. Er ist für uns, Bill.« »Er ist für uns! So hat es anfangs ausgesehen. Aber er ermor det Menschen.« »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« »Schwiegervater! Er vergilt Gleiches mit Gleichem, und das ist ebenso schlimm wie das, was zuvor geschehen ist. Nein, ich bin gegen diese Methode. Da, sieh hin, was dort drüben geschieht! Sieh nur hin. Sie sind dabei, Blakelys Haus zu zerschlagen. Und nun kommt kein Schimmel und jagt sie auseinander. Da ist kei ner, der Carl Doberman eine Lektion erteilt. Denn er führt diese Meute jetzt an. Er hat seine Chance genutzt. Cameron ist tot, und nun will er nicht nur dessen Kunden, nun will er auch den Captain spielen. Und Gordon, der mischt auch mit. - Sieh hin, alter Mann, sieh nur, wie Gordon die Scheiben einwirft!« Der Alte nickte zufrieden und grinste triumphierend. »Es ge schieht ihnen recht. Es ist wunderbar. Daß ich das noch erlebe!« Hanson sah ihn an, wie er mit leuchtenden Augen hinübersah. Für den Alten war das Klirren des Glases, das Splittern der Türen und Schränke wie eine Sinfonie. Und was er sah, das stimmte ihn glücklich. Sein Haß mußte in diesen Tagen ins Unermeßliche ge wachsen sein. »Es braucht diesen Teufelsbronco nicht mehr und auch nicht den, der sagt, er wäre der Tod. Der Pöbel macht es jetzt gründli cher. - Sieh hin, wie sie Missis Marga und Elna zwingen, ihre Bün del auf einen Pritschenwagen zu schmeißen. Sieh es dir an! Hast du gedacht, daß es so ausgehen wird?« Der Alte ließ keinen Blick von der Szene, die sich dort bot. Es war für ihn ein Augenschmaus, zuzusehen, wie Missis Marga auf
einen Pritschenwagen klettern mußte, gestützt von Elna. Beide Frauen heulten, aber die Leute um sie herum, gestern und heute morgen noch fanatische Anhänger von Missis Marga, beschimpf ten die Frau als Hexe und nannten die Tochter ein verkommenes Hurenstück. Der Schmied schüttelte den Kopf. »Ich mag es nicht mehr mit ansehen.« »Weißt du, daß es wirklich der Tod ist? Es ist der Tod Glaub ei nem alten Mann. Und er wird sie beide stellen. Sie kommen nicht weit, Bill. Nein, nicht weit. Er wird es nicht zulassen, daß sie weit kommen. Er wird auch diese beiden holen. Er hat sicher auch Blakely geholt, diesen Mistkerl. Alles Lumpenhunde. Jetzt holt sie der Teufel. Hihi!« Er lachte meckernd, und Hanson sah ihn an, als zweifle er am Verstand des Alten. Aber, zum Kuckuck, der Alte war immer schon ein Kauz gewe sen, und er hatte auch stets seine fünf Sinne beieinander gehabt. Nein, verrückt ist er nicht. Aber sein Haß, sein unendlicher Haß. »Wenn es nicht sicher wäre, daß Pat tot ist, Schwiegervater, dann würde ich meinen, er ist dieser Tod und Teufel. Denn er kann auch so hassen wie du. Und wenn einer solche Stücke voll bringt, dann muß er verdammt gut hassen können. Mach es gut, alter Mann!« Aber Old Mac antwortete gar nicht mehr. Er hatte sich wieder in seinen Lehnstuhl gesetzt, und von da aus sah er zu, wie Missis Marga und Elna mit dem klapprigen Pritschenwagen und drei Pa cken Kleidern und Betten darauf aus der Stadt rumpelten. Das Pferd, das den Wagen zog, war der mieseste Gaul, der in Blakelys Stall stand. Aber Doberman und Gordon waren sich vorhin einig gewesen und sorgten nun dafür, daß die Habe der Blakelys still schweigend den Besitzer wechselten. Niemand hinderte die bei den Geschäftsleute daran. Und Bill Hanson, der das sehr wohl durchschaute, war es gleichgültig. Er mochte mit der Geschichte so oder so nie mehr etwas zu tun haben. Im Grunde gönnte er den Blakelys ihr Unglück ebenso, denn die Spuren der Aborteimer an seiner Hauswand waren immer noch zu erkennen. * »Ich muß da hinunter!« sagte Stan Warren und beugte sich ü
ber den Rand des Canyons, blickte in die Tiefe, wo der Bach schäumte und donnerte. Stonewall schüttelte den Kopf. »Du bist verrückt, Stan. Das Wasser hat viel Kraft. Es reißt dich mit und schleudert dich gegen die Felswände. Das überlebst du nicht. Der andere Creek ist nicht so, aber wir haben ja wieder umgeleitet.« »In Ordnung, probieren wir etwas aus. Deine rote Decke. Das ist es. Ich brauche deine schöne rote Decke!« Er sah auf die zu sammengerollte Schlafdecke des Schäfers. Stonewall hatte sie hinter seinem Fellsattel. »Was willst du mit der Decke?« »Es ist jetzt Vormittag. Bis heute abend hast du sie wieder. Gib sie mir!« Stonewall schnallte sie ab. »Aber wozu?« »Du siehst es ja. Also gib schon her!« Er nahm die Decke, rollte sie auf, legte sie auf den Boden und bepackte sie mit Reisig, rollte sie mit dem Reisig zusammen, so daß ein unförmiges Bündel entstand, fast in den Umrissen wie ein dicker Mann. Er wickelte seinen Rohlederriemen um dieses Bün del, verknotete die Riemen und richtete dieses puppenartige Et was auf. »Verstehst du?« fragte er den Halbindianer. Stonewall kratzte sich am Kinn. »Ich weiß nicht. Soll das ein Mann sein?« »Also verstehst du. Man wird ihn gut sehen, unseren Jonathan. Rot, das leuchtet. Also übergeben wir ihn dem Wasser.« »Ich begreife jetzt, Stan Aber du machst einen Fehler. Er ist zu leicht. Er hat zwar die Form von einem Mann, aber er ist zu leicht. Du mußt ihn schwerer machen.« Warren überlegte, blickte in das Ledergesicht von Stonewall und erwiderte grinsend; »Kannst recht haben. Ich werde ein paar Steine mit einpacken.« Und so begann er mit allem nochmals von vorn. Stonewall, der nun begriffen hatte, um was es Warren ging, half, und so waren sie rasch fertig. Warren trat an den Rand der Schlucht und ließ seinen »Jonathan« in die Tiefe sausen. Die Puppe schlug auf, verschwand im brodelnden Gischt, kam wenig später noch einmal kurz zum Vorschein, um dann im wei ßen Schaum des kochenden Baches unterzutauchen. »Also dann, reiten wir!« sagte Warren und saß auf.
Sie folgten dem Canyon, kürzten sogar ab, denn er machte eine Biegung, und weiter unten war die Stelle, wo sich der Bach einen Tunnel in den Felsen gewühlt hatte. Er schoß unterirdisch davon und kam schließlich am Fluß wieder zutage, wo er sprudelnd ein mündete. Warren und Stonewall hatten den Bach wieder ins ursprüngliche Bett geleitet und die Barrikade beseitigt. Danach war auch Blake ly von ihnen aufgefunden worden, grausam verstümmelt von den Felsen, gegen die er geschlagen war. Dennoch war Warren sicher gewesen, daß Blakely mit Säure übergossen worden war. In sei nem Rücken aber hatte ein Messer gesteckt. Genau so ein Wurf messer, wie sie es nun schon kannten. Aber am Griff hatte sich in den Fugen jener gelbe Lehm befunden, wie es ihn nur weiter tal wärts am Fluß gab. Und das hatte dann Stan Warrens Plan ausge löst. Sie hielten beide an der Stelle an, wo der Canyon wieder gera deaus verlief und in den Tunnel einmündete. Es war ein grandio ser Anblick, wie die Wassermassen sich vor dem Tunnel aufstau ten, um quirlend wie Badewasser in der Wanne durch das Spund loch abzufließen. Und hier sahen sie die rote Puppe wieder. Sie kreiselte über den Sog, und nach menschlichem Ermessen mußte sie ja gleich in der Tiefe verschwinden und durch den Tunnelabfluß schießen. Aber das tat sie nicht. Denn in regelmäßigen Abständen drückte die Strömung zurück, dicke Luftblasen sprudelten nach oben und drückten alles beisei te, was an Treibgut über dem Tunnelloch kreiste. Auch die Puppe wurde weggeschoben, als wäre unten am anderen Tunnelende ein Riese, der in die Öffnung blies und damit das Wasser zurückdrü cken konnte. »Begreifst du das?« wunderte sich Warren. Stonewall zuckte die Schultern. »Es ist Luft. Bald wie bei einem, der das Aufstoßen hat.« Warren antwortete nicht. Er beobachtete die rote Puppe. Sie war beiseite geschubst worden und bewegte sich nun zum Rande des etwa fünfzigmal fünfzig Meter großen Staukessels zu. Dieser Staukessel entsprach einem Trichter über der Tunnelöffnung. A ber am Rand war dieser Trichter sehr flach. Und dort blieb die Puppe im seichten Wasser an Steinbrocken hängen. »So also«, brummte Warren und löste das Lasso vom Sattel horn. »Jetzt muß ich doch hinunter.«
»Laß mich nachsehen!« meinte Stonewall, aber Warren winkte ab. Kurz darauf ließ sich Warren am Lasso in den Felsenkessel hin ab, stand dann bis zu den Knöcheln im seichten Randwasser, beugte sich vor und blickte dann wieder nach oben. »Hier ist Sand angeschwemmt. Ganz schön tief das Zeug.« Er ging ein Stück und sank im Schwemmsand ein. Dann winkte er nach oben und rief: »Wirf mir einen Stock oder so etwas her ab!« Um einen Stock zu finden, mußte Stonewall erst danach suchen, doch er fand schließlich etwas abseits einen größeren Strauch, kappte einen dicken Ast und schnitzte ihn zu einem mannshohen Stock zurecht. Den warf er Warren hinab. Warren watete im Randwasser entlang, stapfte durch den wei chen Schwemmsand, in den er manchmal bis über die Knie ein sank. Und er stocherte mit dem Stock im Sand herum. »Was suchst du bloß?« fragte Stonewall oben. Warren antwortete nicht. Er war jetzt ungefähr dort, wo das ro te Deckenbündel lag. »Stan, nun nimm meine Decke heraus, bevor sie ganz zum Teu fel geht!« »Warte noch!« erwiderte Warren, und er stocherte jetzt auf der Stelle, als wollte er etwas abtasten, was im Sand verborgen war. Dann schleuderte er den Stock zur Seite, beugte sich vor und begann, bis über die Ellenbogen im Wasser, mit den Händen im Sand zu wühlen. Stonewall beugte sich interessiert vor und sah plötzlich, daß Warren eine Hand, ja einen ganzen Arm zutage brachten Warren zog, und nun wurde auch mehr sichtbar. Ein verwaschenes, blau es Hemd, das eine Schulter bedeckte, dann der Kopf… »Stan, das ist ja…« Warren schaute kurz nach oben. »Ja, es ist Thorbe. Er sieht furchtbar aus. Vielleicht liegt er schon die ganze Zeit hier. Und du hast ihn unten im Fluß mit Pat vorbeitreiben sehen.« »Ja, Stan, das habe ich! Darauf lege ich einen Eid ab!« beteuer te Stonewall. »Kann ja sein. Ist sicher auch so. Aber nun liegt Thorbe hier, wie konserviert in diesem Sand. Da bei habe ich mit ihm überhaupt nicht gerechnet.« »Und was hast du gesucht?«
»Einen anderen.« »McGuire?« »Nein, keinen von den beiden, denn die, dachte ich, wären den Fluß hinuntergeschwommen. Ich suche den, dem das Pferd ge hört hat.« »Das Pferd? Ich begreife wieder mal gar nichts!« »Später. - Ich binde Thorbe ans Lasso. Zieh ihn hinauf, wir wol len ihn oben begraben.« Der Tote war aufgedunsen, andererseits hatte er sich verblüf fend gut gehalten. Als er am Lasso hing und Stonewall ihn auf zog, gab er rülpsende Töne von sich, als würde er leben. Stone wall war so erschrocken, daß er losließ und der Tote wieder ins Wasser klatschte, wobei Warren völlig durchnäßt wurde. »Nun paß doch auf. verdammt!« fluchte Warren. Der zweite Versuch gelang. Als der Tote oben lag, ließ Stonewall das Lasso wieder herunter und Warren kletterte mit der nassen Decke von Stonewall wieder hinauf. Oben nahm er sein Gewehr und hängte es sich um. Oben wollten sie beide den Toten gerade wegtragen, als Stone wall plötzlich wie erstarrt in vorgebeugter Haltung verhielt und aufgeregt zischte: »Dort vorn! Der Tod!« Warren folgte Stonewalls Blickrichtung. Und obgleich er eher wütend war über Stonewalls naive Feststellung, ließ es ihn doch nicht gleichgültig, was er sah. Dort stand ein Gerippe. Ein Skelett mit einem schwarzen Um hang, der im lauen Wind aufgebläht wurde. Ein schwarzer Schlapphut hing über die knochige Stirn bis zum Rand der leeren Augenhöhlen. Die fleischlosen Fingerknöchel hielten ein Gewehr. Diese Erscheinung befand sich etwa hundert Schritt weit von Stonewall und Warren entfernt. Und dann tauchte noch der Hengst auf. Er kam halbrechts her an reiterlos wie so oft, den Kopf erhoben, den Schweif nervös peitschend, so näherte er sich dem Skelett. »Schießen, Stan! Du bist halb verdeckt! Nimm die Knarre und schieß!« flüsterte Stonewall. Warren reagierte wie ein Blitz. Er warf sich auf den Rücken und riß sich zugleich das Gewehr von der Schulter, stemmte es in die Hüfte und schoß. Liegend schoß er, feuerte, hebelte durch, feuer te… Es ging rasend schnell, doch der andere dort vorn war auch
nicht langsam. Das Skelett tauchte weg, feuerte ebenfalls, und dann stieg auf einmal vor ihm eine dicke Qualmwolke auf, breite te sich aus und verdeckte alles vor und um das Skelett. Aus dem Rauch heraus krachten Schüsse, doch sie lagen zu hoch. »Der sieht auch nichts mehr«, knurrte Warren und feuerte, was das Zeug hielt, in den Rauchpilz hinein, ohne das Ziel selbst er kennen zu können. »Los, der macht sich sonst dünne! Stürmen wir ihn!« zischte Warren, sprang auf und lief auf den Rauchpilz zu. Er war auf halbem Wege, als er Hufschlag hörte. Und um mehr davon zu sehen, lief Warren nach links, um am Rauch vorbei et was erkennen zu können. Doch er sah nichts, überall war jetzt Rauch. Er rannte direkt in diese Schwaden hinein. Ihm war auf einmal, als würde er schweben. Er blickte noch nach links, sah neben sich Stonewall, der sein Gesicht so eigenar tig verzog. Bunte Kreise tanzten plötzlich vor Warrens Augen. Alles schien sich zu drehen, und er spürte noch, wie ihm die Knie weich zu werden schienen. Er meinte lauter bunte Federn wie Schnee tan zen zu sehen, dann fühlte er sich so müde, daß er sich wünschte, in weiche Daunen zu fallen. Er sah sie überall zu Hauf liegen und ließ sich hineinsinken, immer tiefer und tiefer sank er, bis sie ü ber ihm zusammenschlugen wie Wasser über einem Ertrinkenden. Er sank in eine dunkle, gähnende Tiefe, immer tiefer und tiefer, und es wurde immer dunkler, immer schwärzer um ihn herum. * Dann schien er in eine riesige Grotte zu gleiten, überall um ihn herum grünes Licht, seltsame, bizarre Skulpturen an den Wän den, Köpfe von Sauriern, von zähnefletschenden Reptilien, zün gelnden Schlangen, glitschigen Muränen. Warren meinte, auf einer Wolke zu schweben, die ihn immer weiter in diesen von gräßlichen Untieren gesäumten Raum hinein trug. Es wurde ihm warm, immer wärmer. Und die Köpfe dieser Rep tilien kamen näher - hier ein Krokodil, das ihm in die Hand zu schnappen versuchte. Links plötzlich eine dieser Muränen, die durch die Luft schlängelten, als sei das alles Wasser.
Jäh tauchte vor ihm eine kupferrote Natter auf. Und während sie vorschoß, um ihre Giftzähne in sein Bein zu schlagen, fühlte er sich von dem Krokodil im Nacken gepackt und hörte, wie seine Halswirbel zwischen den Zähnen des Reptils knackten und knirschten. Ein jäher Schmerz durchfuhr ihn, zugleich die Todesfurcht, und er wollte nach all diesen Unholden schlagen, wollte sie wegscheu chen, aber da spürte er wieder einen jähen Schmerz und sah wie durch einen roten Vorhang eine Gestalt auf sich zukommen: das Skelett. Es hielt einen riesigen Hammer in der Hand, und eine hallende Stimme rief ihm zu: »Du wirst tot sein, gleich wirst du tot sein, tot… tot… tot…« Und dann holte das Skelett mit dem riesigen Hammer aus. Warren wollte den Schlag abwehren, wollte die Arme schützend über den Kopf legen, doch er kam sich wie gelähmt vor. Der Schlag traf ihn voll, und sofort wurde alles stockdunkel um ihn. * Sie hatten die Stadt hinter sich und das weite Land vor ihren Augen. Und sie glaubten, alles werde besser werden. Das, was man ihnen angetan hätte, würde nun zu Ende sein. Missis Marga saß zusammengesunken wie eine Greisin auf dem Wagenbock. Elna hielt die Zügel des struppigen Pferdes. Eine alte Stute, die ihr Vater seinerzeit hatte verkaufen wollen. Aber Elnas wegen, die an diesem alten Tier so hing, behielt er das Tier fürs Gnadenbrot. Der zerzaust wirkende Braune, mit den grauen Haaren an Nüs tern und Ganaschen tappte Schritt für Schritt weiter, fast müh sam jede, seiner Bewegungen. Sie wußten nicht, was mit Lloyd Blakely passiert war, aber sie ahnten das Schlimmste. Missis Marga, noch vor Stunden noch einmal zu fanatischer Auflehnung bereit, hatte nun keine Kraft mehr zu irgendeiner Aktion. Sie stand vor den Trümmern ihres Weltbildes, aber auch sie meinte, mit dem Verlassen der Stadt, in der man sie - wie sie es sah - so undankbar behandelt hatte, müßte sich alles wieder irgendwie einrenken. Doch sie irrten beide. Von allem, was sie sehr bald schon erle
ben würden, war das Drama in der Stadt ein harmloses Spiel. Sie wußten nicht, was sich bereits in den nächsten Minuten er eignen sollte. Sie fuhren auf dem alten Postweg nach Westen auf die fernen Berge zu, um nach etwa neun Meilen auf die Wagen straße nach Denver zu stoßen, und nach Denver wollten sie. In Denver lebte eine Schwester von Missis Marga. Und dort befand sich auch ein alter Onkel, der seinerzeit viel Gold gefunden hatte und als reich galt. Der Gedanke an diesen Reichtum versöhnte Missis Marga mit manchem. Und sie hoffte nur, daß irgendwie auch ihr Mann nachkommen würde. Andererseits glaubte sie nicht daran. Elna hatte sich gewandelt. Als man ihr von Gilbert Turnots Tod berichtet hatte, war ihr voll klargeworden, daß alles mit ihrer ei genen Verleumdung begonnen hatte. Aber wer war dieser Ge heimnisvolle? Wirklich der Tod? Es muß ja der Tod sein, dachte sie. Der Tod und sein merkwürdiger Teufelsbronco. Hat Ma denn recht gehabt, als sie gesagt hatte, die McGuires wären Hexen meister und… Nein, ich glaube, das ist es eben, was falsch war, dachte sie. Der Wagen rumpelte dahin. Die Frau schwieg, saß zusammen gesunken, den Blick auf die Fußspitzen gerichtet. Das Pferd trottete mit schleppenden Hufen, und es schlug müde mit dem Schwanz nach den Fliegen, die an seinen Flanken zu Dutzenden kreisten. Elna war in Gedanken versunken, hin- und hergerissen zwischen Trauer und Angst einerseits und der Hoffnung auf eine neue Zu kunft andererseits. Irgendwie wollte sie vergessen, was hinter ihr lag. Und so kreisten ihre Gedanken mehr und mehr um ein rosi ges Morgen in Denver. Der Weg war ausgefahren, vom Frühjahr her von tiefen Spuren zerschnitten, über die der Wagen laut rumpelte und ratterte. Denn jetzt war der Lehmboden knochenhart von der Trockenheit. Die lauten Geräusche mochten schuld sein, daß Elna den Huf schlag nicht gehört hatte. Aber das Pferd mußte den Reiter schon beizeiten gesehen haben. Es blieb stehen. Und da sah ihn auch Elna. Zuerst blickte sie wie gelähmt auf das Bild, das sich ihren Augen darbot. Das Bild von einem weißen Pferd. Und auf ihm saß eine Gestalt, ganz in Schwarz, eine schwarze Maske vor dem Gesicht, daß nur Öffnungen für Augen und Mund zu sehen waren, ein
schwarzer Umhang, schwarzer Schlapphut. »Steigt vom Wagen!« sagte eine gedämpft klingende Männer stimme. Erst in diesem Augenblick sah Missis Marga auf. Mit seltsamem Blick betrachtete sie den Reiter. Und dann lachte sie. Es war kein irdisches Lachen mehr. Es klang, als käme dieses Gelächter von weiter Ferne, wie von einem überirdischen Wesen, nicht von einem Menschen. Sie lachte, aber ganz plötzlich brach sie ab. Und dann zuckten ihre Hände unter den Falten des Kleides hervor, in denen sie bis her gesteckt hatten. Die rechte Hand hielt einen schweren Revol ver. Der Lauf war angerostet, das übrige Metall der Oberfläche wirkte stumpf und oxydiert. Aber der Hammer war zurückgezo gen, Missis Marga hielt ihn mit ihrem dürren Daumen fest. Und ihr ebenso spindeldürrer Zeigefinger lag am Abzug. »Nimm das!« schrie sie mit schriller, unwirklich klingender Stimme und drückte ab. Ein Donnerknall, eine Pulverwolke, aber die Gestalt dort vorn saß weiter auf dem Schimmel, und dann lachte sie. Es war ein kurzes, triumphierendes Lachen. Dann aber blitzte es an der Hüfte des Schwarzgekleideten auf. Elna saß wie versteinert, als ihre Mutter gegen sie kippte. Erst jetzt hörte Elna den Knall; noch immer wehte ihr Pulverdampf in die Augen, beißend und die Schleimhäute reizend. »Steig ab, Elna Blakely! Sie ist tot! Ich schieß' nie daneben«, sagte die Gestalt. Elna begriff erst jetzt. Sie sah auf ihre Mutter, die an ihr lehnte. Und dann erkannte sie den Einschuß genau auf der Mitte von Mis sis Margas Stirn. Die Frau mußte tot sein. Entsetzt schrie Elna auf. Dann umschlang sie die Schultern der leblosen Frau und schrie: »Mama! Mama, sag doch etwas! Sag doch was!« Mama würde nie mehr etwas sagen, und als das Elna fassen konnte, begann sie hemmungslos zu schluchzen. Dann sah sie einen Schatten über sich fallen, blickte auf und bemerkte etwas Furchtbares. Der Schwarzgekleidete hatte die Maske abgesetzt. Er stand di rekt über sie gebeugt. Ein Totenkopf schaute aus leeren Augen höhlen auf sie. Und wie aus weiter Ferne sagte eine dumpf klingende Stimme: »Jetzt hole ich dich, du schöne Teufelin! Du Lügnerin! Jetzt
kommt die Rache!« Elna spürte, wie es heiß in ihr hochkam, und zugleich empfand sie ein Zittern panischer Angst in allen Gliedern. Nein, dachte sie, nein! Ich will nicht, ich will es nicht! Und dann schrie sie gellend und so laut sie konnte. Es klang schon nicht mehr menschlich. Unvermittelt preßte sich etwas Weiches vor ihr Gesicht, dämpfte ihre Schreie, und ein süßlicher Duft drang ihr in die Nase. Süßlich und angenehm. Mit einem Male brach sie ihr Schreien ab. Ihre Glieder wurden ihr seltsam schwer und müde. Und von einem Augenblick in den anderen sank sie in tiefe Bewußtlosigkeit. Sie spürte nicht, wie sie aufgehoben und weggetragen wurde. Sie merkte auch nichts von dem schnellen Ritt auf dem weißen Hengst. Und ihr entging das Dröhnen der Hufe auf felsigem Grund, als sie in den Berg hineinritten. Sie hörte das Schallen der Huftritte nicht; sie kam erst wieder zu sich, als sie längst an der Felswand lehnte, in die Eisen geschlossen war, die tief im, Fels verankert waren. Ihre Arm- und Beinfesseln waren aus groben Eisen und hingen an Ketten, die nicht weiter reichten als einen Schritt weit von der Felswand weg. Als sie erwachte, erschrak sie so, daß sie wünschte, alles nur zu träumen. Aber nichts davon war ein Traum. Es war gräßliche Wirklichkeit… * Zuerst empfand Warren nur Kopfschmerzen. Dann war ihm, als müßte er sich übergeben. Er schlug die Augen auf und schloß sie gleich wieder, geblendet von der grellen Sonne. Als er den Kopf wandte, um nicht mehr geblendet zu sein, öffnete er erneut die Augen um einen Spalt. Er sah ein Stück entfernt Stonewall sitzen und sich die Augen reiben, als habe er geschlafen. Warren dachte: Was ist denn bloß passiert? Wir haben doch… ja, diesen Burschen, dieses Skelett haben wir gesehen und den Schimmel. Richtig. Und ich habe auf ihn geschossen. Ja, habe ich. Aber was war denn danach? Eine Wolke ist aufgestiegen, ja, eine Wolke. Der Kerl hat sich regelrecht eingenebelt. Und ich bin hin mit Stonewall, um ihn einfach zu überrennen… »Stonewall?«, krächzte Warren.
Stonewall hob nur die Hand, sah aber nicht auf. »Wenn ich den Kopf bewege, explodiert was da drinnen. Was, zum Teufel, ist passiert?« Ja, dachte Warren, Kopfschmerzen habe ich auch. Es ist so hell. Es muß schon Mittag vorbei sein. Zum Kuckuck, das würde ja heißen, daß wir hier ein paar Stunden in der prallen Sonne gele gen haben. Deshalb bin ich naßgeschwitzt, deshalb habe ich Kopfschmerzen. Aber der Magen rebelliert auch. Was war das nur? Irgendein Gas? Die Indios in Mexiko machen solche Sachen mit getrocknetem Meskalin und derlei Zeug. Wenn ich nur wüßte, was es gewesen ist. »Stonewall, wir müssen aus der Sonne. Hast du deine Flasche?« »Habe ich schon versucht. Leer. Deine auch.« »Wie lange bist du schon wach?« »Weiß nicht, aber länger als du. Mir ist zum Kotzen.« »Mir auch. - Dort ist Schatten! Wo sind die Pferde?« »Keine Ahnung«, erwiderte Stonewall. »Ich rühre mich nicht. Sobald ich mich bewege, platzt mein Kopf.« »Das ist die Sonne. Weg hier, Stonewall!« Warren kroch zum Felsenspalt, den er vor sich sah und hockte sich in den Schatten. Da fiel ihm auf, daß dies hier doch nie die Stelle war, wo sie mit dem Schimmelreiter gekämpft hatten. Das war doch auf der Mesa gewesen. Hier aber… wo waren sie über haupt? »Eh, wo sind wir, Stonewall?« fragte er den Halbindianer, der auf allen vieren auf Warren zukam. Stonewall hielt im Kriechen inne, sah sich nach allen Seiten um und meinte dann: »Ganz schön tief in den Bergen drin sind wir.« Warren blickte an der Felswand hinauf, vor der sie sich befan den. Dann sah er nach links und betrachtete die Büsche und den Schotterhang unterhalb der auslaufenden Felswand, dahinter ein zerklüfteter Felsberg und weiter nach vorn zu ein weites Tal mit ein paar vertrockneten Büschen, Geröll, einzelne Felsbrocken, ein vertrocknetes Wasserloch und rechts hinüber dann wieder ein Felsengürtel. Graubrauner Sandstein, verwittert, zerklüftet und morsch. »Wie sind wir nur hergekommen? Ohne Pferde, nicht mal was zu trinken.« Stonewall zuckte die Schultern. Er sah sich scheu um. »Stan, ich habe eine verdammte Scheißangst! Der Tod… weißt du noch,
wie er das gesagt hat? Ich glaube, es ist wirklich der Tod.« »Stonewall, sei nicht kindisch!« ermahnte ihn Warren. »Wir le ben doch nicht mehr im Mittelalter!« Stonewall machte ängstliche Augen. Seine indianischen Vorfah ren kamen in ihm mit all ihren Ängsten vor dem Übermächtigen durch. »Überlege doch! Wir sind betäubt worden. Und dann fin den wir uns hier wieder.« Warren grinste. »Das mit der Betäubung, das ist zu erklären. Solche Mätzchen haben die mexikanischen Indios auch auf Lager, vor allem die Yaquis. Und daß wir hier sind, dafür gibt es sicher auch eine Erklärung. Vermutlich hat uns dieser Spaßvogel herge bracht.« »Spaßvogel, sagst du? Stan, der Tod ist es. Und der Tod, Stan, ist alles andere als ein Spaßvogel.« »Schon gut, Stonewall, reg dich nicht auf!« Warren erhob sich, lehnte sich an die Felswand und blickte in die Runde. Und dann entdeckte er die frisch abgebrochenen Zweige an einem dieser halbvertrockneten Büsche, die nur nach einem Regenguß für kur ze Zeit ergrünen, danach aber wieder in ihren Dornröschenschlaf fallen. Aber dort, wo die Zweige abgebrochen waren, zeigte sich ein Anflug von Grün in der Bruchstelle. Warren ging hin, sah es sich aus der Nähe an und meinte: »Ich habe immer gesagt, wir werden irgendwann und irgendwo eine Spur finden, und genau das ist der Fall. Stonewall, jetzt setzen wir den Hebel an. Jetzt und hier!« »Ein Schluck Wasser wäre mir lieber. Meine Kehle ist wie aus gedörrt.« Warren ging gar nicht darauf ein. Jetzt, dachte er, ist der Au genblick gekommen. Endlich habe ich eine Spur. Da sind doch nicht nur die Zweige abgebrochen. Hier ist sogar etwas Stoff, ein paar Fäden nur. Ja, ein dunkler Faden… ein paar dunkle Flusen. Und was ist noch? Hier unten, der Eindruck eines Schuhs… eines Schuhs, keines Cowboystiefels. Direkt unter dem Busch. Irgendwie ist unser Mann diesmal nicht in der Lage gewesen, so sorg sam wie sonst seine Spuren zu beseitigen. Etwas muß ihn gestört haben. Oder er hatte es zu eilig. Aber weiter fand Warren zunächst nichts. Er ging weiter hinab ins Talbecken, dorthin, wo diese Mulde von ausgetrockneter Was serstelle lag und ringsherum ein paar Sträucher darauf zu warten schienen, daß sich diese Kiesschüssel wieder füllen würde.
Warren kniete sich auf die mittelste Stelle der Mulde, wo der Kies dunkler war. Er wühlte mit den Händen im Kies und spürte dessen Feuchtigkeit. Der Kies war relativ locker und ließ sich gut herausschaufeln. Und je tiefer Warren kam, um so nasser wurde der Kies. Stonewall kam nun auch herunter. »Kein Pferd, keine Waffe, kein Wasser«, maulte er. »Du reißt die Hände in Fetzen, ehe du was findest. Wir müssen ein paar Meilen laufen und haben, was wir brauchen.« »Rede nicht, hilf mir lieber, und wir werden auch Wasser haben. Da, hier sind die Steine schon naß!« »Das heißt nichts. Es müssen schon ein paar Fuß tief gegraben werden. Und jetzt ist der Boden schon fester, merkst du's?« Warren hörte nicht darauf, sondern grub mit bloßen Händen weiter. Als der Boden tatsächlich fester wurde, nahm er sein Bo wiemesser zu Hilfe, das ihm im Gegensatz zu Colt und Gewehr verblieben war. Und dann hatte Warren einen Trichter gegraben, in dem sich wirklich ganz allmählich Wasser sammelte. Als es vielleicht soviel war wie ein Becher voll, tauchte er sein Halstuch hinein, ließ es sich vollsaugen, zog es heraus und drückte es sich über dem Mund aus. Ihm waren diese Tropfen mehr als jedes andere Getränk. Dann wiederholte er die Prozedur und ließ Stonewall die Ausbeute zu kommen. Das machten sie dann so lange, bis nur noch Erde am Halstuch klebte, aber sich kaum mehr Flüssigkeit auspressen ließ. Das Trinken belebte sie. Ihr Unternehmungsgeist wuchs, und bei Stonewall schien auch seine abergläubische Angst zu weichen. »Ich habe Spuren gefunden, Stonewall. Und jetzt bist du dran. Er hat es eilig gehabt und konnte ein paar Spuren nicht beseiti gen. Wir werden mehr finden. Komm mit!« Stonewall nickte nur und folgte Warren, der wieder zu jenem Busch ging. Der Fußtritt wies in Richtung auf den Schotterhang. Und tatsächlich fand Stonewall noch vor Warren die nächste Spur, dann wieder eine und schließlich kamen sie an einer Stelle an, wo der Betreffende, von dem die Spuren stammten, nur sehr ober flächlich die Spuren verwischen wollte. Es war ihm zum Teil miß lungen. Er mußte wirklich in großer Eile gewesen sein. Schließlich fanden sie an einem Felsen weiße Pferdehaare. »Hier hat es gestanden, längere Zeit, glaube ich. Es hat sich am
Felsen gescheuert, um Fliegen loszuwerden«, sagte Stonewall, in dem das Jagdfieber jetzt erwacht war. Bald darauf fanden sie Pferdespuren, Hufeindrücke, die obenauf etwas mit Kies zugescharrt worden waren. Stonewall hatte zwei Tritte, kannte den Abstand und begann daraufhin immer mehr Hufeindrücke freizulegen. Schließlich erreichten sie Gestrüpp. Anfangs waren auch hier die Hufspuren beseitigt, doch weiter im Dickicht hatte sich der Schimmelreiter keine Mühe mehr gegeben. Hier lagen die Spuren im relativ weichen Boden vor den Augen der Betrachter, wie sie die noch nie zuvor gesehen hatten. Ganz deutlich, und schon bald hatte Stonewall Einzelheiten herausge funden. »Es sind Eisen, die man in Hightower bei Hanson nicht verwen det. Diese Eisen, die keinen richtigen Griff und keine durch Um schlagen des Eisens gebildete Stollen haben, verwendet man in Texas. Es sind Flacheisen, eigentlich für die Prärie gemacht. Te xanische Cowboys haben solche Eisen. Hier bei uns im Gebirge sind sie nicht so geeignet. Bei uns wird vom heißen Eisen vorn ein Griff herausgeschmiedet und hinten an jedem Ende je ein Stollen, aber das weißt du ja. - Ja, und das Pferd ist lange nicht beschla gen worden. Die Eisen sind schon ziemlich abgelaufen, außerdem ist der Strahl des Hufes stark nachgewachsen und müßte be schnitten werden.« Warren nickte zufrieden. »Da sieh mal her, was ich hier habe!« Er hielt ein weißes Fädchen hoch. »Sieh genau hin, roter Bruder! Du wirst etwas entdecken, das an diesem Fädchen hängt.« »Woher ist der Faden?« »Hing an der Rinde dieses Astes hier. Den Ast mußte er hoch heben, denn sonst wäre er mit dem Kopf dagegengeprallt. Sieh ihn genau ah!« »Weißes Leinen… und da ist was dran… Blut. Vertrocknetes Blut!« Warren nickte. »Wir beide können uns sehen lassen! Ich habe doch gesagt: Wenn wir erst einmal eine einzige Spur haben, wer den wir immer wieder eine finden. Der Anfang mußte gemacht werden. Stonewall, wir haben diesen Anfang! Du wirst sehen, wir erwischen den Bronco des Teufels samt seinem Besitzer.« »Du hast nach diesem Besitzer gesucht… im Wasser. Was sollte das bedeuten?« »Ich habe mich erinnert, Stonewall, daß vor ein paar Wochen in
Denver ein Mann mit einem Zirkus gekommen war, ein Mann, der ein schneeweißes Pferd geritten haben soll, das die wundersams ten Dinge beherrschte. Und ich dachte, daß der Schimmel dieses Pferd ist, man aber so ein Pferd nicht einfach wegnehmen kann. Da muß man auch den Besitzer beiseite schaffen, sonst kriegt man das Pferd nicht. Denn der Mann hatte ja sein Auskommen mit dem Pferd. Er würde es nicht so einfach verkaufen. - Ich hat te so die Idee, wir würden diesen Mann finden, ermordet. Aber ich kann mich irren. - Wir werden noch mehr finden. Komm!« Und sie fanden schon sehr bald mehr. Mitten im dicksten Di ckicht sackte Warren mit dem Fuß in weichen Boden. Hier wim melte es von Spuren. Der Reiter war abgesessen. Nun zeigte sich sein Schuhabdruck wie gemalt, so genau. Stonewall kniete nieder und sah es sich genau an. »Füße so groß wie deine, Stan«, sagte er. »Der Mann ist leichter als du. Sieh an, wie tief du einsinkst!« »Mach weiter, Stonewall. Er hat hier was vergraben, und ich möchte es freilegen.« »Wieder ohne Spaten«, brummte Stonewall mißvergnügt. Warren stocherte mit dem Messer im weichen Boden, paddelte und stieß plötzlich auf etwas Hartes, das metallisch klirrte. Er grub schneller und legte seinen eigenen Revolver frei. Bald darauf hatte er den von Stonewall und schließlich ihre Gewehre freige legt. Sie putzten die Waffen sorgsam ab und wollten schon wei ter, als Stonewall eine Patrone in jenes Loch fiel, das nach dem Ausgraben entstanden war. Er wollte sie aufheben, und dabei rutschte etwas Erde herab, so daß er die Patrone erst freilegen mußte. Und dabei stieß er auf Stoff. »Eh, da ist noch was!« rief er und begann zu wühlen, zerrte ein Stück blauen Stoff heraus, immer mehr davon, bis man sah, daß es sich um eine Jacke handelte. Warren erkannte sie sofort: »Eine Uniformjacke… wie sie der Bursche vom Zirkus getragen hat. Ich habe mir die Vorstellung in Denver angesehen. Es ist genau die gleiche Jacke. Wie nennen die in Europa doch gleich diese Uniform? Ach, mir fällt es nicht ein.« »Dragoner?« »Nein, anders. Irgendwas mit den Ungarn oder Russen. Ja, jetzt weiß ich es! Husaren. Und diese Jacken heißen Dolman. Sie wer den umgehängt…«
»Da ist eine Mütze!« sagte Stonewall und zog eine ehedem herrliche Pelzmütze - einen Husarenkalpak - heraus, putzte sie ab, um sie Warren zu reichen. »Ich hatte recht. Das ist der Mann, dem der Schimmel gehört hat, der im Zirkus aufgetreten ist. Das Tier war sagenhaft dres siert, Stonewall. so haben weder Dakotas noch Cheyennes ein Pferd bisher abrichten können.« Warren strich über den beutelförmigen weißen Behang auf der Mütze und putzte ihn so halbwegs sauber. Dieser Behang, der eigentliche Kalpak, war von kostbarem Hermelinfell. »Ist noch was drinnen?« »Gib mir dein Messer!« sagte Stonewall und begann wieder zu graben. Und abermals stieß er auf etwas, doch das ließ sich nicht so leicht freilegen. Warren half ihm. Schon bald hatten sie her aus, daß sie auf weißen Unterhemdenstoff gestoßen waren. Doch sie konnten dieses Hemd nicht herausziehen. Stonewall geriet mit dem Messer daran, blieb hängen und schlitzte den Stoff auf. Und da sahen sie darunter Haut. Menschenhaut. Sie war gelblich, wei ße und braune Flecke zeichneten sich ab. Es war die Haut einer Leiche… * Elna sah nach ihrem Erwachen zuerst eine grünschillernde Wand, angestrahlt von zuckenden Fackeln. Die Wand einer Höhle. Oben im Fels hingen Fledermäuse zu Hunderten. Ihr gegenüber aber, auf einer Art Sims, standen Kerzen, deren Flammen im säu selnden Wind flackerten. Zwischen ihnen aber standen Schilder mit Namen. Lloyd Blakely war genannt, Missis Marga, Art Came ron, dann die Namen von Männern jenes Aufgebots, das in der dramatischen Nacht Pat McGuire und Thorbe Jensen in den Tod getrieben hatte. Und Elnas eigener Name stand ebenfalls auf ei nem der Schilder. Ihr fiel auf, daß hinter den Namen all derer, die inzwischen tot waren, ein Kreuz aufgemalt war… auch hinter dem Namen ihrer Mutter. Nur hinter ihrem eigenen Namen befand sich noch kein Kreuz. Doch neben dem Schild stand, von einer Kerze beleuchtet, ein Totenkopf. Auf der anderen Seite der Höhle war es dunkel, und als Elna
nach links sah, blickte sie in den schwarzen Schlund, von dem sie nicht erkennen konnte, wie weit er reichte. Rechts erkannte sie den silbrigen Schimmer von fernem Licht, das bis weit in den Höhlengang zu fallen schien. Und von dort kam auch dieser säuselnde Wind, der die Kerzen und die Fackeln flackern ließ. Aus dieser Richtung kamen die dröhnenden Schritte. Sie näher ten sich langsam, fast zögernd. Doch zugleich kam gerade dieser langsame Rhythmus Elna besonders drohend und gefährlich vor. Tapp…tapp…tapp… Immer deutlicher, immer lauter, immer drohender hörte Elna dieses Tappen. Und je näher die Schritte kamen, um so klarer war zugleich ein metallisches Klirren herauszuhören. Dieses Klir ren, meinte sie, komme von den Sporen. Aber sie irrte, und als diese Schritte noch näher gekommen waren, da wußte sie, daß es keine Sporen sein konnten. Sie sah zudem jetzt die Umrisse der Gestalt. Ein Mann, der etwas hinkte, in der Rechten einen kurzen dicken Stock, einer Knute ähnlich. Und an ihm hing eine armlange Kette, die der Mann am Boden schleifen ließ. Daher rührte das Klirren. Die Gestalt war schwarz gekleidet. Auch das Gesicht war ver deckt bis auf drei Schlitze für Augen und Mund. Gegenüber von Elna blieb der Mann stehen, nahm mit der Linken eine der Fackeln und senkte die Flamme über eine Art Grube im Felsboden. Sofort loderte dort Feuer auf. Elna sagte sich, daß es Öl sein mußte, was da nun brannte. Es qualmte stark und zog nicht so rasch ab wie der Rauch der Fa ckeln. Nach einer Weile aber brannte auch etwas Festes in diesem Feuer und schließlich würden die Flammen niedriger, brannten mit weniger Rauch. Da fand Elna heraus, daß jetzt Holzkohle dort in dieser Steingrube brannte. Als die Holzkohle nur noch hell glühte, legte der Vermummte ein Drittel der Kette hinein und starrte in die Flammen, die sich um die Glieder gelb und blau bildeten. Elna versuchte etwas vom Gesicht der Geistalt zu erkennen, a ber mehr als das Weiße der Augen, was manchmal hinter den Schlitzen aufblitzte, sah sie nicht, und schon gar nicht sah sie die Farbe dieser Augen. Sie rätselte, wer dieser Vermummte wohl sein mochte. Merk würdigerweise war ihre panische Angst einer gewissen Neugier
gewichen. Sie fror, obgleich keine fünf Schritt von ihr die Flammen züngel ten. Der Rauch ließ ihre Augen tränen, doch nun war es mehr der Rauch der Fackeln. Der Wind, der bislang von rechts her geblasen hatte, ließ nach, und prompt staute sich der Rauch. Elna hörte den Unbekannten dort drüben husten. Sie fragte sich auch, warum er die Kette wohl ins Feuer hielt. Jetzt hob er sie an der Knute heraus. Die Glieder glühten. Aber ihm schien die Rotglut nicht zu genügen, stippte die Kette wieder in die knackenden Holzkohlen hinein. Elna konnte sich den Sinn dessen, das dieser Mann dort tat, nicht denken. Sie hatte Durst und Hunger, fror jämmerlich und hätte am liebsten geschlafen. Und mit der Müdigkeit war auch ihre Angst wieder spürbar geworden. Sie ahnte das schlimmste, ohne zu wissen, was kommen würde. Diese Höhle, die Fleder mäuse an der Decke, das Gehabe dieses Maskierten und seine ganze Erscheinung waren ihr unheimlich. Die Angst wuchs allein bei dem Gedanken über ihre Lage. Sie war gefesselt, und sie glaubte, daß alles extra für sie vorbereitet worden sein mußte. Der Mann dort drüben richtete sich auf, zog wiederum die Kette aus der Glut, und Elna sah, daß sie jetzt fast weißglühend leuch tete. Ohne sie wieder auf dem Boden schleifen zu lassen, kam der Maskierte mit der Kette auf Elna zu, schwenkte sie ein wenig, daß sie zu pendeln begann. Elna spürte die Welle der Wärme, die von der Kette ausging. Sie starrte auf die flimmernde Glut, gepeinigt von dem Gedanken, der Maskierte könnte diese Kette noch näher an sie heranbringen oder sie gar damit berühren. Er kam näher damit an sie heran, ließ die Kette über ihrem Kopf pendeln, senkte sie, und Elna saß wie gelähmt, als die Glieder, rotglühend und Hitze ausstrahlend, vor ihrer Stirn, vor ihrer Nase, keine zwei Finger breit entfernt, auftauchten, sich zitternd beweg ten, während die Glutwellen ihre Stirnlocke so erhitzte, daß sie sich kräuselte. Und Elna roch das versengte Haar. Der Maskierte ließ die Kette noch näher an Elnas Gesicht heran. Elna war bereits bis zur Felswand zurückgewichen, konnte nicht weiter zurück, bog den Kopf nun zur Seite, wollte der Glut ent kommen, aber der Mann ließ die Kette ihrem Gesicht folgen, und da!
Als sie sich zur Seite beugte, spürte sie einen jähen, alles durchdringenden Schmerz auf ihrem Nacken. Sie schrie gellend auf, zuckte wie unter einem Messerstich zusammen und hörte unmittelbar nach ihrem Schrei das schallende Lachen des Man nes. Und da erkannte sie ihn. Aber der wahnsinnige Schmerz auf der Stelle, wo sie das unterste Glied auf der nackten Haut ihres Nackens berührt und ihr ein ovales Brandzeichen eingebrannt hatte, schob alle anderen Gedanken beiseite. Elna schrie, und sie spürte, wie ihr Herzschlag auszusetzen drohte. Ihre Angst lähmte ihre Entschlußkraft. Das Schreien hallte von den Felswänden in der Höhle wider und wurde zum schrillen Getöse. Der Maskierte stand vor ihr, hatte die glühende Kette beiseite geworfen, beugte sich vor, packte Elna hart im Haar und riß ihren Kopf hoch. »Hör auf!« brüllte er sie an, doch sie schrie wie eine Irre weiter, verdrehte die Augen, kreischte in wahnsinniger Hys terie. Da schlug er zu, prügelte ihr brutal eine Hand rechts, die andere links ins Gesicht, schlug wieder, bis das Schreien jäh abbrach und Elnas Kopf haltlos herabsank. Elna war bewußtlos. * Sie hatten die Leiche freigelegt. Eine Leiche ohne Kopf. Stone wall bekreuzigte sich, weil ihm das einmal ein Missionar beige bracht hatte. Warren starrte auf den geköpften Körper eines Menschen, auf gedunsen, viele Tage schon in diesem. Zustand. Der bestialische Geruch, der von der Leiche ausging, nahm ihnen beiden fast die Luft. »Der Zirkusreiter?« fragte Stonewall. »Bist du sicher?« »Ich kenne seinen Kopf, nicht seinen Körper«, erwiderte War ren. »Wir graben ihn ein; was sollen wir sonst damit tun? Wieso ist nur der Kopf ab?« Stonewall zuckte die Schultern. »Er sieht furchtbar aus. Das ist ja skalpiert noch besser.« »Hör auf, Stonewall! Hilf mir, ihn zuzuscharren!« Als sie damit fertig waren, gingen sie ein Stück abseits, um fri
sche Luft zu atmen. Und Warren überlegte laut: »Ich denke mir, es hängt mit dem Pferd zusammen. Das Pferd war der Grund. Der Mann, dem es gehörte, der war nur im Wege. Also wurde er be seitigt.« »Dazu mußte ihm doch nicht der Kopf abgetrennt werden«, meinte Stonewall. »Es sei denn, der hat den Kopf zu etwas haben wollen.« »Ja, Stonewall, du hast recht. Er hat ihn zu etwas gebraucht! Und ich weiß, wozu.« Stonewall sah ihn an wie ein Durstender, dem der Schluck aus der Flasche verweigert wird. »Aber ich weiß es nicht, Stan! Sag es mir!« »Du wirst es sehen, Stonewall, wir sind der Geschichte ein gan zes Stück näher auf den Pelz gerückt.« »Wir? Du vielleicht, ich nicht. Verdammt, Stan, erklär mir doch…« »Wir müssen weiter, Stonewall! Die Spuren sind erst Stunden alt. Unser Freund hat nicht sehr viel Vorsprung. Und außerdem geht es um unsere Pferde, um unsere Waffen und unseren Provi ant, Stonewall. Ich glaube auch, daß wir in die Richtung gehen, wo wir eigentlich benebelt wurden. Er hat uns dann irgendwie von dort weggebracht. Komm schon, Stonewall!« »Ich weiß jetzt genau, wo wir sind, Stan«, sagte Stonewall. »Dort, da hinten ist Sumpf. Wir sind an der Nordseite des Sump fes. Durch den gibt es nur einen Weg. Aber auf dem sind wir nicht. - Stan, wir müssen aufpassen. Es wimmelt hier von Schlangen. Wir müssen uns links halten.« »Wo er durchgekommen ist, werden wir auch durchkommen«, entgegnete Warren. Stonewall blieb stehen. Sein ledernes Gesicht verzog sich, und er sah Warren aus seinen schmalen Augen an. »Du bist im Irr tum, Stan. Vielleicht hat er Fähigkeiten, die wir nicht haben. Wenn wir ein Lasso hätten, wäre mir wohler. Wir könnten uns aneinanderbinden. Wenn einer einsinkt…« »Hör doch auf, alles zu glauben, was du irgendwann gehört hast. Dein verfluchter Aberglaube. Komm, der Pfad ist einwand frei!« Der Pfad wand sich durch Gestrüpp, und wirklich war jetzt mehr und mehr Schilf zu sehen. Der Boden wurde weich, war dunkel. Die Tritte des Pferdes waren tief im Morast eingesunken. Stellen
weise schimmerte Wasser zwischen den Schilfballen. Die ersten Frösche quakten. Schließlich entdeckte Warren eine Wassermo kassinschlange. »Aufpassen!« zischte er Stonewall zu, der sofort stehenblieb. Sie beide beobachteten die etwa anderthalb Meter lange Schlan ge, sie lag in einem Sumpfgrasbatzen zusammengerollt, als sei sie ein Stück davon. Doch plötzlich richtete sie sich steil auf. Der dreieckige Kopf schwebte über einer jungen Bisamratte, die War ren erst jetzt im Morast entdeckte. Die Bisamratte stand wie ver zückt, wie paralysiert, und das Tier starrte in den innen schnee weißen Rachen der Schlange. Die Mokassinschlange hielt ihr Maul weit auf, sekundenlang schwebte der Kopf mit dem aufgerissenen Rachen über dem Nager, der diese weiße Öffnung für eine große Blume halten mußte. Und während das Nagetier wie gebannt auf dieses Weiß im Innern des Maules starrte, schoß der dreieckige Schlangenkopf jäh auf die Bisamratte zu, die gefährlichen Biß zähne schlugen in den Leib der Ratte und spritzten eines der ge fährlichsten Schlangengifte in ihn hinein, die es gibt. Noch ein paar Zuckungen, dann war das Nagetier erledigt. Stonewall bewegte sich. Und erst jetzt hatte die Schlange er kannt, daß sie Zuschauer hatte. Vielleicht war sie zuvor durch ihre Beute abgelenkt worden. Nun aber zischte sie, richtete sich erneut auf, und ihr außen hell- und dunkelgrüner Leib mit den gelb-grünen Karos schoß auf einmal nach vorn, genau auf beide Männer zu. Stonewall hatte vorhin einen massiven Knüppel zurechtge schnitzt. Er schob sich damit an Warren vorbei, und genau in dem Augenblick, als sich die Mokassinschlange vor ihm aufrichtete, als sie wieder ihr Maul aufriß und er das baumwollartige Weiß ihres Rachens sah, schlug Stonewall von der Seite her zu, als wolle er einen Busch mit der Machete abschlagen. Die Schlange flog einige Meter weit durch die Luft und blieb da nach mit zerschmettertem Kopf liegen, zuckte und wand sich, dann wurden ihre Bewegungen schlaffer und hörten schließlich ganz auf. »Du lebst nach dem Biß noch fünf Minuten, Stan«, sagte Sto newall. »Sie ist zehnmal gefährlicher als die Klapperschlange. Und es gibt hier Tausende davon.« »Es gibt doch hier auch Diamantklapperschlangen, Stonewall. Die sind noch giftiger.«
Stonewall nickte. »Ja, gibt es, und sie sind, auch giftiger. Keine andere Schlange im Westen ist so giftig, aber sie sind hier nicht so häufig, Stan.« Plötzlich durchdrang ein schriller Schrei das Dickicht. Danach folgten ein paar heisere Quiektöne. Warren erschrak, aber Stonewall, der den Sumpf kannte, lächel te nur. »Ein Ibisvogel. Er schreit jedesmal, wenn er eine Stelle gefunden hat, wo Kugelschnecken im Sumpf stecken. Er pickt sie sich heraus, und weil es sehr viele sind, schreit er, daß auch seine Artgenossen davon erfahren. Da! Hörst du, jetzt schreien auch die Freunde von ihm!« Tatsächlich drang mit einem Male ein unmelodisches Geschrei aus der Ferne herüber. Etwas patschte dicht neben Warren. Er zuckte erschrocken her um, aber da sah er die Ursache. Eine harmlose Schmückschild kröte war von einem Grasballen ins Wasser einer Lache geglitten. Immer weiter drangen sie in den Sumpf ein. Stellenweise waren die Huftritte des Pferdes, dem sie folgten, kaum noch zu erken nen, weil der weiche Boden sich bereits wieder über den Spuren schloß. Wieder raschelte etwas dicht vor Warren und Stonewall im Sumpf. Stonewall riß seinen Knüppel zum Schlage hoch. Beide sahen sie etwas fuchsbraunes durch die Halme von Schilf und die Zweige der Mastipistazien schimmern. Plötzlich tauchte es auf, sah kurz zu ihnen hin, huschte weiter. Ein Waschbär. Stonewall lachte und ging weiter. »Ich wünschte, der ginge vor uns her, Stan«, sagte er. »Der Waschbär?« »Ja, einen besseren Schlangenentdecker können wir uns nicht wünschen. Die Diamantklapperschlange fürchtet den Waschbä ren.« Warren stellte sich vor, daß irgendwo hinter diesen Sumpfgras büscheln plötzlich wieder eine Mokassinschlange auftauchen könnte, oder eben die Diamantklapperschlange. Doch sie sahen zunächst keine. Frösche quakten in allen Tonlagen. Ein Braunsichler schrie miß tönig. Ein Blaureiher stieß seinen Flugruf aus. Das eigenartige, ratterähnliche Gackern eines Wasserhuhns ertönte. Alles Laute, die zwar unheimlich klangen hier im Sumpf, die Warren aber zu
deuten wußte und die Stonewall völlig vertraut waren. Dann aber ertönte ein Laut, der sie beide zusammenfahren ließ. Ein Schrei, der Schrei eines Menschen. Furchtbar, durchdrin gend, alle anderen Sumpflaute übertönend. Es konnte nur ein Mensch sein, der da schrie. Eine Frau, ein Mädchen. Und es mußte ein Todesschrei sein. Als ob alle Tiere im Sumpf das Tödliche in diesem Schrei spür ten, schwiegen sie, und wie es Warren vorkam, schwiegen sie voller Andacht. Es war mit einem Male für Sekunden ganz still. Nur Wasser gluckerte, Morast gluckste. Und dann wieder so ein Schrei, noch lauter, noch durchdringen der… »Dort drüben! Das ist dort drüben!« flüsterte Stonewall. »Los, versuchen wir, hinzukommen!« keuchte Warren erregt. Stonewall packte ihn am Ärmel. »Nein! Hierbleiben! Es wäre un ser Tod. Da kommt keiner von uns durch. Wir müssen auf dem Pfad bleiben. Hier!« In diesem Augenblick kam wieder ein Schrei, nicht mehr so lang, auch schwächer. Er brach dann jäh ab. »Wir müssen hin!« flüsterte Warren. »Stonewall, da ist ein Mensch in Not!« »Stan, du glaubst ja nur an das, was du siehst, aber ich, Stan, ich bin ein halber Indianer und lebe mit einer Indianerin zusam men. Stan, wir können dort nicht hin, wir…« Stan Warren, der Marshal, riß sich los und sprang von Grasbü schel zu Grasbüschel, die wie Inseln im wie Öl schimmernden Sumpfwasser standen. Er spürte, wie diese Büschel unter ihm schwankten, wie sie nachgaben, aber er sank nicht ein. Einmal drehte er sich um, blickte triumphierend zu Stonewall zurück. Und das genau hätte er besser nicht tun sollen. Als er wieder nach vorn sah, als er weiter in der Richtung laufen wollte, aus der jener Schrei gekommen war, da sah er sie plötzlich. Er sah sie und hörte ihr gefährliches Rasseln. Fast drei Meter war sie lang, dick, muskulös, voll geballter Kraft. Warren wußte eine Menge über sie. Er wußte zum Beispiel, daß sie sich nicht wie andere Schlangen erst zusammenzurollen brauchte und sich auf richten mußte, bevor sie zuschlug, sondern auch so, wie sie jetzt vor ihm lag, blitzschnell nach vorn schießen und zubeißen konnte. Und da kam sie schon. Wie ein Pfeil schoß sie nach vorn, direkt auf Warren zu. Ihr Rachen war dabei weit geöffnet, die gefährli
chen Giftzähne glitzerten wie Perlmutt. Die gespaltene Zunge stand wie der Fühler eines Schmetterlings heraus. Warren stand, und für den Bruchteil einer Sekunde schien ihn der Blick dieser Schlange gelähmt zu haben. Doch dann begriff er, daß er verloren war, falls er nicht etwas tat. Du bist verloren! hämmerte es in seinem Hirn, und die Lähmung wich. Tu etwas! sagte ihm sein Selbsterhaltungstrieb. Der schillernde Leib jagte ihm entgegen. * Als Elna erwachte, spürte sie Schmerzen überall am Körper, vor allem am Kopf. Sie öffnete die Augen und sah, daß sie unter frei em Himmel lag. Blätter eines Baumes waren zwischen ihr und der Sonne, die gleißend durch die Zweige schien, ein vielfältiges Licht grell strahlender Sterne, wie es ihr vorkam. Sie lauschte und hörte glucksende Geräusche, leises Zirpen von Insekten, dann einen Vogelruf. Der Fluß! dachte sie. Ich liege irgendwo in der Nähe vom Fluß. Aber was ist mit mir geschehen? Ich war doch in einer Höhle. Der Totenkopf… die Kerzen… die Fackeln. Handschellen haben mich an einer Felswand festgehalten. Die glühende Kette… Sie versuchte, mit der Hand in den Nacken zu fassen. Es ging. Die Hand war frei. Und als sie die schmerzende Stelle betastete, spürte sie Grind, den Grind einer Wunde, die immer noch weh tat. Nun richtete sie sich auf, setzte sich hin und besah sich. Ihre nackten, zerschürften Beine, die schmutzigen Knie, den zerrisse nen Rock. Blut war an einer Stelle. Blut hatte sie auch an ihrer linken Hand, ohne daß sie eine Wunde entdecken konnte. Ihre Bluse war aufgefetzt. Sie zog sie vorn zusammen und ver suchte sie zu verknoten, wo sie aufgerissen war. Dann blickte sie sich um. Vorn lag wirklich der Fluß. Grün rann er talwärts. Ein Wasserhühnerpärchen schwamm am Ufer entlang. Über dem Schilf flatterte ein kleiner Vogel, und weiter links sah sie, das Pferd. Der Bronco des Teufels! Ohne Zaum, ohne Sattel, wie eine Statue stand er dort, als sei diese Erhöhung, auf der er sich befand, extra für ihn angehäuft worden.
Der Hengst schaute zu Elna hin, ließ die Ohren spielen, wedelte mit dem Schweif majestätisch ein paar Fliegen weg. Aber er blieb ruhig stehen. Seine großen schwarzen Augen sahen Elna an, und ihre Angst wuchs. Hinter dem Hengst war Gestrüpp, etwas links von ihm sah Elna die Ausläufer des Sumpfgebietes mit seinen Weiden, den Pista zien und dem endlosen Schilfgebiet, unterbrochen von Gestrüpp zonen, die undurchdringlich wirkten. Elna spürte ein Kribbeln in der Nase, griff hin und spürte eine Wunde dort. Als sie danach ihre Hand anblickte, war sie blutig. Sie starrte noch auf das Blut, als plötzlich ein Wiehern ertönte. Erschrocken blickte Elna auf den Hengst. Und da sah sie den Mann. Er trug den Umhang, trug die schwarze Kleidung, aber jetzt war kein Totenkopf oder eine Maske zu sehen. Jetzt sah sie sein wirkliches Gesicht. Das Gesicht, das zur Hälfte fürchterlich gezeichnet war, ge zeichnet infolge eines Macheta-Hiebes. In dem ein Auge fehlte. Das nur noch eine halbe Nase besaß, als sei die andere Hälfte einfach abgeschnitten worden. In dem der Mund aussah wie ein querliegender Tropfen, verquollen, unförmig. Das Gesicht von Pat McGuire. Elna konnte nicht anders. Sie mußte schreien, schrill, so laut' sie konnte, wie ein Mensch in höchster Todesnot. Und da kam er auf sie zu. Er ist tot! Er ist es nicht! tobte es in Elna. Er kann es nicht sein. Ich träume das alles! Er kam langsam näher, und jeder seiner Schritte wirkte wie ein Schlag. Elna kniete da, wie das Opfer einer Schlange brachte sie keine einzige Bewegung zustande, außer, daß sie abermals schrie. Und er stand plötzlich vor ihr. Die Hände ausgestreckt, krallen artig die Finger, als wollte er ihren Hals packen und sie würgen. In seinem einen Auge lag der Ausdruck eines gnadenlosen Has ses, einer Gier, die Elna schon mit diesem Blick entkleidete. »Steh auf!« kam es spröde über seine Lippen, aber unge dämpft. Nicht mehr so, als hätte er etwas vor dem Mund, eine Maske zum Beispiel. Und nun war es für sie auch einwandfrei McGuires Stimme. Das gibt es nicht, dachte sie, ich träume das. Kein Toter kann plötzlich wieder herumlaufen.
Aber das ist wirklich Pat McGuire! Nein, dachte sie, er kann es nicht sein. Er ist doch tot. Sein Geist ist das, ja, sein Geist. »Du hast gelogen! Du hast sie alle belogen, du Miststück!« sag te er mit heiserer, etwas dumpf klingender Stimme. Sie schrie wieder, und da war er direkt vor ihr, griff zu, um klammerte ihren Hals. Ihr Schrei brach jäh ab. Sie bekam keine Luft. Einer seiner Fin ger drückte auf die Wunde von der glühenden Kette. Aber sie hatte keine Luft, um zu schreien. »Ich kriege dich! Ich will dich! Und dann mußt du büßen, du Verleumderin!« Sie spürte, wie seine eine Hand losließ. Sofort bekam sie wieder Luft. Dann merkte sie, daß diese Hand, die losgelassen hatte, sie vorn an der Bluse über der Brust packte. Ein Ruck, und der Stoff wurde zerfetzt. Dann griff er zum Rockbund. Noch einmal versuchte Elna sich zu widersetzen. Sie kratzte, stieß mit dem Knie, biß ihm in die Hand, doch dann bekam sie einen Schlag ins Gesicht, der sie halb besinnungslos machte. Sie fiel hin, aber er riß sie wieder hoch. »Du willst nicht? Ich habe es gerne, wenn sie sich wehren. Der einzige Vorzug, seit ich verletzt wurde. Sie wehren sich, weil sie mich nicht mögen. Früher, da haben sie sich nicht gewehrt. Und du wehrst dich auch. Ich kriege dich. Ja, es macht mir Spaß, daß du dich wehrst. Treib es nur nicht zu toll, hörst du? Treib es ja nicht zu toll!« Sie wehrte sich verzweifelt, aber er hatte viel mehr Kraft als sie. Er hielt ihre Arme fest, schleuderte sie daran zu Boden und warf sich auf sie. Er fetzte ihr die Kleidung vom Leibe, und sie hatte nicht mehr die Kraft, ihn abzuschütteln. Sein heißer Atem schlug ihr ins Gesicht. Seine Fäuste fetzten den Rest ihrer Kleidung beiseite, und sie spürte seinen Körper auf dem ihren. Seine Hände krallten sich in ihre Schultern wie die Fänge eines Adlers. »Laß… laß mich… bitte… laß mich!« flehte sie heiser. Ihr war, als sei ihr Hals zugeschwollen. Sie bekam kaum Luft. »Du hast gesagt, ich hätte dich vergewaltigt. Jetzt hole ich das nach. Jetzt, und sie haben mich dafür schon getötet. Zweimal können sie mich nicht umbringen. Verstehst du das?« Sie zitterte. Entsetzen erfaßte sie, als sie fühlte, daß sie sich
ihm nicht mehr widersetzen konnte. Noch einmal versuchte sie, ihn abzuschütteln, stieß mit den Beinen, schlug mit den Händen, aber er faßte sie plötzlich am Hals und drückte ihn zusammen. Sie bekam keine Luft, hatte einen wahnsinnigen Schmerz an der Stelle, wo sie verbrannt worden war, und glaubte, in Ohnmacht zu sinken. »Jetzt wirst du mir gehören, jetzt gleich!« keuchte er. * Warren sah die Schlange auf sich zufliegen wie einen Pfeil. Er warf sich zur Seite, schlug blitzschnell mit dem linken Arm wie mit einem Schwert nach der Schlange, traf sie unmittelbar hinter dem Kopf und warf sie so aus der Bahn. Sie landete mit dem vor gezuckten Vorderleib unmittelbar neben einem Grasballen im Schlickwasser. Es klatschte, als sie hineinpatschte. Aber schon war sie wieder hoch wie eine Peitschenschnur, die zurückgerissen wird. Mit einem Satz war Warren zurück. Die Diamantklapperschlange zuckte etwas nach hinten, als wolle sie Anlauf nehmen. Und schon kam sie wieder. In diesem Augenblick flog ihr etwas entgegen. Es wirbelte in sa genhafter Geschwindigkeit auf die pfeilschnell vorzuckende Schlange zu, traf sie wie ein Dreschflegel am Kopf und riß sie auf die Erde. Sie ringelte sich, zuckte, wälzte sich wie in Todeskämpfen, aber Warren blieb vorsichtig. Hinter ihm sagte Stonewall: »Ein guter Wurf, was? Aber sie ist nicht tot. Jetzt hat sie nur Angst und spielt die Sterbende. Das machen alle Klapperschlangen, wenn sie es mit einem überlege neren Gegner zu tun haben. Dann soll man sich in Sicherheit wie gen. Und schwupp! Paß auf, ich werde dir zeigen, wie lebendig sie ist. Heb ja nicht meinen Knüppel auf!« Stonewall hatte sie mit dem Knüppel, den er nach ihr geworfen hatte wie einen Bumerang, niedergeschlagen. Aber sie lebte noch. Der Halbindianer war erfahren. Warren mußte sich selbst ge genüber zugeben, daß er fast hingegangen und Stonewalls Stock
aufgehoben hätte, der unweit vom Kopf der zuckenden und sich wie in Krämpfen windenden Schlange lag. Stonewall hatte Papier aus der Tasche geholt, zündete es jetzt mit dem Feuerzeug an und warf es zum Kopf der Schlange. Als es dicht vor ihrem Maul niederfiel, nutzte er die Gelegenheit und hob rasch seinen Stock auf. Die Schlange lag noch eine Sekunde wie unter Krämpfen. Dann brach sie diese Bewegungen jäh ab, zuckte mit dem Kopf vor der heißen Flamme zurück, um sieh dann rasend schnell zusammen zuringeln und das vordere Drittel ihres Körpers zu heben. Und da schlug Stonewall blitzschnell zu. Er fegte ihr den Stock über den Kopf, daß es einen patschenden Schlag gab, als er traf. Danach waren die Todeskämpfe echt. »Komm wieder zurück, Stan, hier ist kein Durchkommen. Den Pfad weiter.« Stonewall benetzte zwei Finger und hob sie prüfend hoch. »Es weht etwas mehr Wind hier. Und Wind heißt, daß offe nes Land in der Nähe ist. Ich glaube, Stan, wir sind nicht weit vom Fluß. Es wird hier auch immer nasser. - Folge mir, und wir haben halbwegs eine Chance. Wenn die Frau, die geschrien hat, nicht schon tot ist, kommen wir auch auf meinem Weg zu ihr.« Warren nickte nur und folgte ihm schweigend. Sie kamen auf den Pfad zurück, folgten ihm aufmerksam, um nicht letztlich doch noch von einer Schlange gebissen zu werden. Tatsächlich wurde das Buschwerk lichter, mehr und mehr domi nierte das Schilf, bis sie schließlich nur noch einzelne Weiden im Schilf sahen, aber einen strahlend blauen Himmel über sie hatten. Der Untergrund wurde wieder etwas fester, war schließlich sogar hart, und hier konnte man auch die Hufspuren nicht mehr sehen. Der Pfad lag wie auf einem Damm gut einen Meter über dem Sumpf. »Er hat sie wieder beseitigt. Aber viel Auswahl haben wir ohne hin nicht mit dem Weg.« Stonewall blickte den ausgetretenen Pfad entlang, während Warren nach links ins Schilf blickte, wo er etwas Merkwürdiges entdeckt hatte. Da blubberte etwas im Sumpf. Blasen stiegen an einer morasti gen Stelle auf, zerplatzten, wenn sie oben ankamen. »Das ist kein Sumpfgas«, meinte Warren. »Stonewall, sieh hin!« Der Halbindianer folgte Warrens Blickrichtung und meinte: »Na türlich ist es Sumpfgas!«
»Nein!« »Wieso nicht? Etwas ist unten im Schlamm verfault, und nun steigen die Gase auf. Es…« »Siehst du nicht, daß es sich bewegt? Einmal ist es hier, wo die Blasen aufsteigen, einmal dort. Da, jetzt ist es weiter rechts. Di cke Blasen. Und nun da drüben!« Stonewall schnupperte. »Stan, weißt du, wie es riecht? Es scheint wirklich kein Sumpfgas zu sein. Das hier riecht wie Rauch… wie Rauch von Pech.« »Ja, es riecht wie Fackelpech: Als würden Fackeln brennen. Das ist es. Ich habe auch gerätselt. Aber wieso riecht es so?« »Hilf mir! Schnall deinen Gürtel an meinen und halte mich vom festen Boden aus. Ich sehe nach.« »Mokassinschlangen liegen auch unter Wasser und im Schlick und lauern auf Beute, Stonewall! Denk dran!« mahnte Warren. »Wem sagst du das?« Sie kletterten den Hang des Dammpfades hinab. Warren löste seinen Gürtel und schlang ihn um den Bund von Stonewall. Dann stemmte er sich ein, während der Halbindianer in den Morast stieg. Die Stelle, wo es immerzu blubberte, war keine zwei Schritt weit. »Da ist etwas, wo dieses Gas herausströmt«, meinte War ren. »Es wandert nicht, wie ich erst dachte. Es muß eine Art Kas ten sein oder was Ähnliches…« Er streckte die Arme bis an die Schultern in den Schlamm. Dann schien er etwas zu haben. Er zog, wurde krebsrot vor Anstren gung, doch schien das, was er gefunden hatte, nicht bewegen zu können. »Eine Kiste, Stan. Aber ich kriege sie beim besten Willen nicht weg. Sie ist wie angeleimt in diesem Dreck.« »Kannst du stehen?« »Ja, der Untergrund ist nicht schlecht. Wollen wir es zu zweit versuchen?« Warren war schon unten, stieg in den Schlamm, der ihm gluck send Platz machte. Dann bückten sie sich beide, während ihnen das Schlammwasser in die Hemdenausschnitte rann und wie Teig über die Brust floß. Es mußte eine Kiste sein, Warren spürte die Holzkante. »Zugleich!« sagte er, auf dieses Kommando hoben sie an, er wie derholte es, und sie konnten die Kiste tatsächlich ein Stück anhe
ben. »Los, sie kommt! Noch mal!« sagte Warren. »Zugleich!« Es gelang, aber sie gerieten auch etwas tiefer in den Sumpf. Jetzt standen sie fast bis an die Brust im Schlamm. »Mann, aufpassen, sonst sitzen wir selbst drin!« mahnte Stone wall. »Noch mal!« Endlich gelang es ihnen, das Ende, das sie hielten, über die Sumpfoberfläche zu heben. Eine Kiste, das war richtig. Warren befestigte sofort seinen Gür tel an dem Traggriff, der sich oben befand und half Stonewall aufs Trockene. »Nun zieh, Stonewall!« Der zog, und Warren schob nach. Immer weiter wanderte die Kiste ins Freie. Dann hatten sie das Monstrum auf dem Trocknen. Warren kratzte den Schlick ab und sagte: »Eine Postkiste. Darin befördern sie Päckchen und solche Dinge.« »Riecht verbrannt«, meinte Stonewall und wischte sich die Schlammfladen vom Leib. Warren versuchte den Deckel zu öffnen. Es gelang sofort. Er klappte ihn auf und erstarrte, Stonewall war noch ganz mit sich beschäftigt, sah nicht hin und meinte: »Ich sehe aus wie ein Hund, der in die Jauchegrube gefallen ist. Ich werde…« Da sah er auf und entdeckte den Inhalt der Kiste. »Mein Gott, was ist das denn?« In der Kiste lag wie ein Fragezeichen ein Mensch, aber man er kannte das nur an seinen Konturen. Dieser Mensch war mit hei ßem Pech begossen und sollte wohl verbrannt werden. Doch das schien mißlungen zu sein. Stonewall erkannte den Menschen zuerst, als sie ihn aus der Kiste kippten. »Missis Marga!« stöhnte er, als sei er geschlagen worden. »Was haben die denn mit dieser Frau gemacht?« Warren hörte plötzlich ein Wiehern. Es konnte nicht weit von hier sein. Irgendwo dort drüben war es, dort, wo noch einzelne Bäume und Büsche zu sehen waren. »Stonewall, das war nahe! Los, weiter!« Stonewall nahm seinen Knüppel. Die beiden Männer schlichen wie Indianer auf dem Kriegspfad lautlos den Pfad entlang, späh ten nach allen Seiten und gelangten bis an eine Stelle, wo im Schilf eine Gasse bestand, wo ein Seitenbach floß. Und von hier
aus konnten sie den Fluß sehen, in den dieser Bach mündete. Und sie sahen noch mehr. Halbrechts ragte der Kopf des Schimmels über die Halme des Schilfes, Der Kopf vom Bronco des Teufels! * Sie rannten los, jagten den Pfad weiter, bis sie auf eine freie Fläche kamen, wo nur vereinzelte Büsche standen. Links entdeck ten sie eine Erhöhung, und auf ihr stand der Hengst, der jetzt den Kopf wandte und sie ansah, die Nüstern blähte und schnaubte. Etwas weiter rechts sah Warfen einen Mahn, der etwas unter sich hatte, das er offenbar zu bezwingen suchte. Zuerst dachte Warren, es wäre irgendein Tier, aber da sah er ein Bein, das an dere auch… ein Mädchen. Der Mann dort war so mit dem Mädchen beschäftigt, das sich offenbar wehrte, daß er nicht auf die Ankömmlinge achtete und wohl auch das warnende Schnauben des Pferdes überhört hatte. Neben dem Pferd lag ein Sattel mit einem Gewehr, und einem Totenkopf. »Das Gewehr!« zischte Warren und wollte los. Da drehte sich der Mann drüben um, stützte sich auf, ließ von dem Mädchen ab, aber Warren rannte schon, erreichte den Sat tel. Der Hengst kam herum, bäumte sich auf. Warren hatte das Gewehr, riß es an sich, hebelte durch, sprang vom Sattel weg. Drüben der Mann wandte sich ihm jetzt voll zu. Und da erkann te Warren das Gesicht. Das gibt es nicht! dachte er erschrocken. Der kann nicht leben. Verdammt, es ist ein Spuk! Er hörte, wie Stonewall schrie: »Sein Geist! McGuires Geist!« »Dummes Zeug«, murmelte Warren vor sich hin. Die Gewehr mündung zeigte auf den Mann, der aussah wie McGuire. Aber der hatte das Mädchen hochgerissen, hielt ihm ein spitzes Messer direkt an die Kehle. »Elna Blakely«, sagte Warren. »Aber es hilft nichts. - McGuire, laß sie los und heb die Hände!« »Schieß doch, du Narr! Schieß! Snow! Snow, töte ihn! Snow, los!« Der Schimmel! fuhr es Warren durch den Kopf. Er hetzt den
Schimmel auf mich, und das Vieh ist hinter mir! Stonewall schrie: »Kümmere dich nicht um dieses gelbgezähnte Mistvieh! Ich schaffe es dir vom Halse, ich…« Warren sah es nicht und wußte es trotzdem. Der Schimmel griff Stonewall an. So fuhr Warren herum, weil er meinte, McGuire wäre die kleinere Gefahr. Er sah, wie der Hengst aufgebäumt nur auf den Hinterbeinen stand, während seine Vorderhufe rotierten. So näherte er sich Stonewall, der direkt vor ihm stand und mit dem Knüppel ausgeholt hatte. Stonewall beugte sich zurück, aber der Hengst konnte auf der Hinterhand ein oder zwei Schritte ma chen. Und dann würde einer seiner Vorderhufe Stonewalls Kopf zerschmettern. Warren schoß. Er sah, wie das Geschoß den Kopf des Hengstes ein Stück zur Seite schlug, sah dann die Einschußstelle unterhalb vom Ohr, gut zwei Finger über dem Auge. »Weg!« schrie Warren. Stonewall reagierte sofort. Er hechtete zur Seite und kam gera de noch um Haaresbreite aus der Bahn, als der Hengst vornüber kippte und völlig haltlos hinschlug, daß der Boden dröhnte. Warren wirbelte sofort wieder herum, aber McGuire hatte seine Chance genutzt und hatte Elna mitgerissen, um mit ihr als Geisel zu flüchten. Er verschwand mit dem schreienden Mädchen im Ge strüpp. Warren rannte ihm nach. Stonewall, der sich inzwischen mit ei nem Colt bewaffnet hatte, den er beim Sattel gefunden zu haben schien, lief Warren nach. Jetzt versuchte McGuire nicht mehr, die Spuren zu verwischen. Aber er hatte Vorsprung, und selbst wenn Warren ihn sah, konnte er Elnas wegen nicht schießen. Nach einiger Zeit endete das Sumpf gebiet, und sie gelangten auf felsigen Boden. McGuire schien hier jeden Fußbreit Boden zu kennen. Er vergrößerte den Vorsprung, gelangte auf eine Felsen terrasse und stand auf einmal am Rande einer Schlucht. Er konn te nicht mehr weiter. Aber das hatte er vorher gewußt. Warren kam bis auf dreißig Schritt heran. »Gib auf, es ist sinn los!« rief er. McGuire stand dort ein Stück weiter oben, die Kante des Ab grundes vor sich. »Ich werde sie hinunterstoßen, wenn du nicht verschwindest!« drohte McGuire. »Aber es ist mir gleich. Ihr bekommt mich nicht.
Ich werde erst sie. und dann mich in die Tiefe stürzen.« »McGuire, wieso lebst du?« fragte Warren, um Zeit zu gewin nen. »Es ist Thorbe, dessen Körper mich gerettet hat. Ich bin auf ihn gefallen. Ihn hat das getötet, aber ich lebte. Und ich wußte, wa rum ich lebte. Ich hatte eine Pflicht: Rache zu nehmen. Ich habe die Pflicht erfüllt. Nur sie war noch übrig. Sie wird jetzt sterben, wenn ihr nicht verschwindet!« »Und wenn wir verschwinden?« fragte Warren und dachte: Wenn Stonewall etwas nach links geht, wird er auch auf ihn ach ten müssen. Und wenn Elna für fünf Gents noch Nerven hat, braucht sie nur einen einzigen Schritt nach rechts zu tun. »Wenn ihr verschwindet, wird sie leben. Ich werde dafür sor gen, daß sie ein Kind bekommt. Ein Kind von dem Manne, von dem sie gesagt hat, er hätte sie vergewaltigt. Und wenn ich si cher bin, daß sie es bekommt, lasse ich sie gehen. Das ist, wenn du verschwindest.« »McGuire, du warst ein ordentlicher Kerl. Warum bist du zum Verbrecher geworden? Das hat auch Thorbe nicht gewollt, und Joe auch nicht.« »Ihr alle habt mich behandelt wie Dreck! Ich hätte euch alle tö ten müssen!« Er hat immer noch das Messer an ihrem Hals, dachte Warren. Ich will ihn auch nicht töten. Er ist ein armer Kerl, obgleich sie ihn für das, was er getan hat, aufhängen werden. »McGuire, der Mann, dem das Pferd gehörte, hat dir doch nichts getan. Du hast ihn sogar geköpft!« »Nein, das ist nicht wahr. Sein Pferd Snow ist mir in die Hände geraten, weil es herrenlos herumlief. Es hat mich zu ihm geführt. Er war tot. Von einer Schlange gebissen. Ich weiß nicht, wieso er in den Sumpf geraten ist. Aber sein Pferd war gut. Du hast es erschossen, Marshal. Es gibt so ein Pferd nie wieder.« »Hast du es zum Morden abgerichtet?« »Ich habe zufällig vor kurzem dieses Pferd in Denver arbeiten sehen und erinnerte mich an die Kommandos. Es hatte nicht ge lernt, einen Menschen zu erschlagen, aber es konnte tanzenden Puppen die Köpfe abschlagen. Nachher habe ich ihm gezeigt, daß dies auch bei Menschen geht.« McGuire lachte böse. Stonewall ging nach links. Damit Warren das auch merken soll te, rief er McGuire zu: »Ich habe dich und Thorbe im Fluß treiben
sehen, fest umschlungen. Ich dachte, ihr beiden seid tot.« »Thorbe war tot«, erklärte McGuire oben. »Ich wußte es nicht. Ich war lange wie vor den Kopf geschlagen, halb bewußtlos. Dann bin ich weit von der Schlucht des Teufelsparadieses entfernt aus dem Wasser gekrochen.« Stonewall, dachte Warren, steht wunderbar. Und er redet jetzt mit ihm. Lenkt ihn ab. Das tat Stonewall. Er fragte dies, wollte jenes wissen. Bereitwil lig gab ihm McGuire Antwort, offenbar stolz auf seine Taten und geschmeichelt, als Stonewall, der alte Fuchs, ihm anerkennend sagte, daß er noch nie so schwer einer Spur folgen konnte. Aber Elna stand noch immer dicht neben McGuire. Ich kann nicht ewig warten. Chancen wachsen nicht wie Nüsse auf Bäumen. Ich muß es tun. Jetzt. Er riß das Gewehr an die Schulter, zielte, Druckpunkt, ausat men, Feuer! Er sah, wie McGuire das gerade noch gesehen zu haben schien. McGuire wollte sich herumwerfen, wollte aus dem Schußfeld, aber da erwischte es ihn über dem Ohr. Ein Streifschuß. Warren dach te: Alles verpatzt! Verdammt! McGuire stand mit angehobenen Armen, in der Rechten das Messer. Elna, als sei sie dort festgenagelt, blieb immer noch ne ben ihm. Warren hebelte durch, wollte wieder schießen, da drehte sich McGuire ganz langsam um, als würde er Elna zu packen versu chen. Jetzt erst begriff Elna, wich zurück, und McGuire tat einen Schritt auf sie zu, schwankte, fuchtelte mit den Händen in der Luft, als könnte er sich irgendwo festhalten, dann kippte er zur Seite… in die Schlucht hinein. Sofort lief Warren los, auf Elna zu, und Stonewall kam ebenfalls. Als sie oben ankamen, geschah das gerade noch rechtzeitig. Elna drehte sich, blaß wie der Tod, im Kreise und wäre ebenfalls in die Schlucht gefallen, wenn Warren sie nicht gerade noch aufgefan gen hätte. »Bewußtlos«, sagte er, als Stonewall bei ihm ankam. Sie brachten Elna ein Stück tiefer, und Stonewall sagte, als er sie betrachtete, die sie kaum bekleidet war: »Im Grunde ist sie schlimmer dran als McGuire. Sie muß mit dieser Erinnerung le ben…« »Und mit der Schuld. Die hat sie sich nämlich aufgeladen.«
Warren ging wieder zum Rand der Schlucht, blickte hinab und kam mit den Worten zurück: »Er ist tot. Diesmal ist er es wirk lich.« Später erfuhren sie auch von Elna, woher der Totenkopf stamm te, mit dem McGuire so viele Menschen zu Tode erschreckt hatte. Es war der Kopf des Zirkusreiters. McGuire hatte seine Rache per fekt ausführen wollen, keine Möglichkeit auslassend, seine Opfer in Angst und Schrecken zu versetzen. Deshalb hatte er auch Elna alles erzählt, bis in die Einzelheiten, was ihre Angst noch mehr angeheizt hatte. Elna Blakely wurde kurz danach sehr schwer krank. Wochenlang kämpfte sie mit dem Tode. Das Nervenfieber, das sie schüttelte, wollte und wollte nicht weichen. Sie schrie oft in Todesangst, daß die Menschen in Hightower es bald nicht mehr aushielten. In der vierten Woche war sie auf einmal still. Als die Besorgerin nach ihr sehen wollte und die Tür öffnete, entdeckte sie ein leeres Bett. Links aber, vor dem Schrank, baumelten ein Paar Beine. Die Besorgerin schrie gellend um Hilfe. Vor ihr hing Elna Blakely über einem umgekippten Stuhl. Aufgehängt an einem Stück zer rissenem Laken. Im Tode wirkte ihr Gesicht friedlich und gelöst.
ENDE Der nächste Band von GRUSEL-Western kommt in vierzehn Ta gen! Es erscheint:
Invasion der Skorpione Lesen Sie daraus einen kurzen Abschnitt: Es war ein vielfaches Krabbeln. Tausende von kleinen Füßen schienen über die Felsen zu eilen. Darüber lag ein Klappern, als würden Scheren geöffnet und wieder blitzschnell geschlossen. Und dann erklang ein Zirpen, das ihm ebenfalls vollkommen fremd war. Es war nicht das Zirpen von Grillen, sondern ein gifti ges, bösartiges Singen, das den Tod verkündete. Clive Hitman rieselte es kalt über den Rücken. Er bekam es mit der Angst zu tun. Er schaute sich nach allen Seiten um, horchte, wollte feststellen, woher diese Geräusche kamen, doch ließ sich dies nicht feststellen. Es war überall, schien ihn bereits einge
kreist zu haben. Die beiden Maultiere spielten verrückt. Verzweifelt rissen sie an den Leinen und ließen sich auch durch Zurufe nicht mehr beruhigen. Sie keilten aus, schrien wie Men schen, rissen sich los und jagten dann an Clive vorüber, ver schwanden in der Nacht. Clive machte erst gar nicht den Versuch, die Tiere aufhalten zu wollen. Seine Ausrüstung lag in der Nähe des Feuers, viel konnte ihm also nicht passieren. Er kannte seine beiden »Kinder«. Bei Tageslicht würde er nach ihnen suchen und sie wahrscheinlich irgendwo in der Nähe auch finden. Das fremde, unheimliche Geräusch ebbte ab, das bösartige Zir pen war nicht mehr zu hören. Clive Hitman blieb unentschlossen vor dem kleinen Feuer stehen, überlegte. Er besaß einfach nicht die Nerven, sich wieder hinzusetzen. Da war immer noch die Angst in ihm, das Grauen vor Dingen, die er nicht kannte. Der windgeschützte, kleine Talkessel kam ihm nicht mehr sicher vor. Er erinnerte ihn nun sogar an eine böse Falle, aus der es un ter Umständen kein Entrinnen mehr gab. Es war wohl besser, diesen Platz möglichst schnell zu räumen. Er brauchte jetzt eine Stelle, die sich besser verteidigen ließ. Der alte Prospektor ließ sich von seiner Erfahrung leiten und zergrübelte sich nicht unnötig den Kopf. Er hatte in der Vergan genheit immer instinktiv und spontan gehandelt und war dabei gut gefahren. Er raffte ein paar Vorräte zusammen und stieg aus dem kleinen Talkessel. Als er auf dem steil ansteigenden Hang war, hörte er plötzlich wieder das bösartige und giftige Zirpen, das Scharren und Krabbeln von Tausenden von kleinen Füßen, das hornige Klappern von Scheren. Und er hörte den Todesschrei seiner beiden Maultiere. Er blieb stehen, beugte sich vor, um noch besser sehen zu kön nen, nahm das Hufgetrappel eines seiner Maultiere wahr und sah dann das Tier, das in panischer Flucht zurück in den kleinen Tal kessel preschte. Er war über und über bedeckt mit Wesen, die Clive Hitman nicht identifizieren konnte, weil die Sicht einfach zu schlecht war. Das Maultier glitt aus, fiel auf die Seite, überschlug sich, keilte mit den Beinen aus und verschwand unter dem Ge wimmel und Gezappel jener Wesen, die von einem anderen Stern stammen mußten. Sie hießen Jeff Olby, Haie Putnam und Joe Stomper.
Sie hatten zusammen mit Carlos Cruce die Bank in San Lorenzo ausgeraubt und gute Beute gemacht. In den Satteltaschen ihrer Pferde befanden sich dicke Banknotenbündel und auch Silber. Sie hätten triumphieren können, denn jetzt waren sie reich und hat ten ausgesorgt. Aber das Gegenteil war der Fall, die Angst saß ihnen im Nacken. Sie hatten Carlos Cruce verloren. Ihr Partner lag irgendwo in den Bergen, gestorben an einem Schlangenbiß. Das wenigstens redeten sie sich ein, obwohl sie alle insgeheim wußten, daß es keine Schlange gewesen sein konnte. Der ster bende Carlos, der zuletzt vor Schmerzen geschrien und gebrüllt hatte, war nicht mehr in der Lage gewesen, ihnen etwas zu sa gen. Er hatte schrecklich gelitten, und sie hatten ihm nicht helfen können. Die drei Banditen wußten, daß sie verfolgt wurden, doch darüber machten sie sich keine Sorgen. Hier im Gewirr der fast unwegsamen Black Mountains konnten sie jeden Verfolger leicht abschütteln oder sogar in eine Falle locken und erledigen. Es war ihre Absicht, hier in den Bergen erst einmal unterzutauchen, um dann in einem weiten Bogen zurück nach Süden zu reiten und dann nach Mexiko überzuwechseln. Dort wollten sie dann in aller Ruhe ihre Beute je nach Geschmack umsetzen und genießen. Mehr erfahren Sie in GRUSEL-WESTERN 17 - In vierzehn Tagen bei Ihrem Zeitschriftenhändler!