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Die Geburt der Libelle Außerhalb des Dorfes, in der Mulde seitwärts der Straße, steht in jedem Frühjahr das Sumpfland dunkel vom quirlenden Stauwasser. Wimmelndes Leben, von der Sonne geweckt, erfüllt die kleinen Tümpel, in denen Frosch und Kröte daheim sind, Salamanderlarve und Molch sich tummeln, der Schlammbeitzker suhlt und die Taumelkäfer ihre putzigen Kreise ziehen. Kräftig schießt der Schilfwald empor, Wasserschwertlilien breiten ihre hellgelben Blütenblätter aus und mächtig erheben sich mitten aus dem Wasserspiegel die sperrigen Froschlöffelquirle. Ein kleines, graugrünes, borstenbewehrtes, heuschreckenähnliches Geschöpf, das elf Monate lang im Schlamme ein grausiges und dunkles Räuberdasein führte, kraucht am Stengel einer Wasserpflanze empor und schiebt sich nach kurzem Zögern über den Wasserspiegel hinaus. Die Sonnenstrahlen trocknen schnell den feuchten Leib. In wenigen Minuten ist das rätselhafte Geschöpf zu einer bräunlichen Puppe zusammengeschnurrt und in eine totenähnliche Starre gefallen. Welcher rätselhafte Trieb mag dieses Tier der feuchten, dunklen Tiefe veranlaßt haben, sich plötzlich den sengenden Strahlen der Sonne auszusetzen? Neugierig beugen wir uns über den erstarrten Körper und —• werden Zeuge eines wunderbaren Geschehens! Unmittelbar hinter dem plumpen und glotzaugigen Kopf, genau in der Mitte des Rückens, platzt dem Tierchen plötzlich die Haut. Ein grasgrüner, neuer, ganz andersartiger Kopf und eine breite Brust kommen unter den Hautfetzen zum Vorschein, quellen heraus und sinken wie ohnmächtig hintenüber. Unter dem Gewicht des herabhängenden Körpers werden jetzt auch die Vorderbeine aus der Hülle gezogen. An feinen weißen Fäden hängend folgt bald der ganze Leib. Nur die Hinterleibsspitze scheint noch fest in der geplatzten Hülle verklammert zu sein. Still und bewegungslos, wie ein großer grüner Tropfen, hängt das neugeborene Geschöpf kopfunter am Pflanzenstengel. Wahrscheinlich war der Geburtsakt eine große An2
strengung. Zärtlich streicheln die Sonnenstrahlen den noch feuchten Körper. Und da geschieht es! Mit einem einzigen Ruck und Schwung schnellt sich der herabhängende Leib empor und stellt sich auf die langen Beine. Die Schwanzspitze hat sich losgerissen. Über die vertrocknete Hülle des vergangenen Larvenlebens kriecht das Insekt hinweg, steigt am Pflanzenstengel empor und verharrt abermals. Ganz langsam und kaum merklich bewegt jetzt der Rhythmus des Atmens den Leib. Wir können die großen Atemkanäle, die Tracheen, im noch völlig durchsichtigen Körper arbeiten sehen. Wir sehen auch, wie in der Brust die Lebersäcke schwellen und das große Herz schlägt. Und da beginnen die Flügelstummel zu zittern. Bebend dehnen sich die noch gefalteten Flügelränder, ihre Flächen werden breit. Der angesammelte Harn wird ausgestoßen. Der Leib verdünnt sich zu einer bunten Nadel, die in der Sonne zu irisieren beginnt. Riesige Augen schimmern auf. Vier gläserne Flügel funkeln. Vor uns sitzt in vollendeter Schönheit eine Libelle! Wie sich in den alten Märchen der Frosch in einen Königssohn verwandelt, so ist aus der plumpen und häßlichen Larve, die da vor wenigen Minuten aus dem Tümpel hervortrat, ein herrlicher Flieger erstanden und vertauschte das Leben im Schlamme mit dem Leben im freien Luftmeer. Wie ein Märchenwunder mutet uns das ganze Geschehen an. Denn im Gegensatz zu allen anderen Wandlungen, die wir in der Natur beobachten und die den Entwicklungsweg jedes einzelnen Lebewesens kennzeichnen, könnte auch die kühnste Phantasie in der Gestalt der düsterfarbigen Larve, die da auf dem Wassergrund räuberte, nicht das Abbild der Libelle erahnen, die jetzt ihre Flügel entfaltet. Hier entwickelte sich scheinbar ein neues Geschöpf. Beide Wesen, die /Larve und das ausgewachsene Insekt, haben in unsern Augen gar nichts gemeinsam. Sie leben und bewegen sich in grundverschiedenen Welten. Sie fristen ihr Dasein mit völlig andersgearteten Organen und Sinnen. Sie erscheinen uns nicht als zusammengehörig, sondern als zwei vollkommen artfremde Geschöpfe und sind doch in Wirklichkeit ein und dasselbe Tier. Die Jugendform der Libelle stellt* einen Mummenschanz dar, der das Entwicklungsziel meisterhaft verschleiert und fast völlig verhüllt. 3
Vom Wesen der echten Verwandlungskünstler Diese Tatsache wollen wir uns merken, denn sie ist d a s ! erste und wichtigste Kennzeichen des echten Gestaltwandels, I den die Wissenschaft als „Metamorphose" bezeichnet (griech. I meta = nach und morphe = Gestalt). Und eben diese Nach- " gestalt, die auf die Larvengestalt folgt, ist bei den echten Ver- ] Wandlungskünstlern aus der Larve selbst nicht zu erahnen. Diese Nachgestalt kennen wir nur aus der Beobachtung und Erfahrung; sie lebt in unserer Vorstellung. Und deswegen wird die aus der Jugendform entwickelte Reifeform, also die Gestalt des vollentfalteten Insekts, in der wissenschaftlichen Welt auch als „Imago" (lat. = Bild, Vorstellung) bezeichnet. In diesem Wort soll zum Ausdruck kommen, daß im Zustand der Larve das spätere Insekt nicht schon erkannt, sondern nur vorgedacht werden kann. Bei der Zuordnung mancher Larvenformen zu diesen oder jenen ausgewachsenen Tieren sind wir oft ganz auf die Beobachtungen und Behauptungen der Wissenschaft angewiesen. Wenn jeder dem Zusammenhang von Larve und Imago selber auf die Spur kommen müßte, dann kämen wohl nicht viele Menschen auf den Gedanken, daß Raupe und Schmetterling, Made und Fliege, Engerling und Käfer so eng zusammengehören. Bei allen anderen Lebewesen, die keine Metamorphose kennen, ist die Jugendform dagegen ein mehr oder weniger getreues und verkleinertes Ebenbild des endgültigen Reifebildes. So ist der junge Vogel, wenn er auch noch nackt und sehr häßlich ist, doch sofort als Vogel zu erkennen. Auch ein junges Pferd wird selbst der naturfremdeste Mensch nicht für eine Ziege halten. Und sogar eine eben aus dem Ei geschlüpfte Heuschrecke und ein soeben geborener Ohrwurm T werden von dem gut beobachtenden Auge als eine Heuschrecke und als ein Ohrwurm erkannt. Wie sehr aber verändern die Tiere mit Metamorphose heranwachsend oft ihr Aussehen! Auf verstümmelten Brustbeinen und kümmerlichen Afterfüßen schiebt sich die Jugendform des Schmetterlings als 1 Raupe langsam und schwerfällig über die Blattweide und ist, auch wenn sie sich mit Haarbüscheln und Dornen und auffälligen Farben geschmückt hat, doch nichts anderes als ein plumper Fleischsack, dessen ganzer Lebensinhalt in der unauf- I hörlichen Nahrungsaufnahme besteht. Den Jugendformen, die 4
Jugendtormen (Larv.en) verschiedener Insekten und Käfer: 1 Larve der Eintagsfliege, 2 des Schwimmkäfers, 3 Made einer Fliege, 4 Stechmückenlarve, 5 Raupe einer Blatlwespe.
den Käfern vorangehen, fehlen sogar die nachschiebenden Bauchfüße. Und die Maden der Fliegen, der Bienen und Wespen haben nicht einmal Kopf und Beine; mit Hilfe von Kriechwülsten schieben sie sich vorwärts, wenn sie nicht vollkommen hilflos sind und gefüttert werden müssen. Nackt, blind und farblos leben sie in einer Welt der Dunkelheit, des Moders und des Ekels, in einer Welt, die den krassesten Gegensatz zu der oft so freundlichen Welt ihrer Eltern und zu der Umwelt darstellt, in der sie später selber einmal leben werden. Im Leben der Verwandlungskünster geht es also wie auf einem Maskenball zu, wo sich jeder durch das Vorbinden einer Larve und sonstige phantastische Vermummungen unkenntlich macht und keiner ahnt, mit wem er umgeht. Die Larvenmasken, die wir bei diesen zwiegesiehtigen Wesen antreffen, sind so vortrefflich, daß wir Menschen oft genug diese tierischen Vorformen für besondere Tierarten gehalten haben. Genau so stark, wicf die Gestalt der Larve von der Gestalt des vollentwickelten Tieres abweicht, genau so verschiedenartig sind nun meist auch die Lebensweisen der Larve und des Imagos. Die schlanke, getigerte, von Blütenhonig sich nährende Wespe frißt, solange sie Larve ist, das 5
Fleisch lebender und gelähmter Opfertiere, die sie un-J barmherzig aushöhlt; oder sie wird mit Fliegenfleisch-' pasteten gefüttert. Der in der duftenden Rosenblüte schwelgende Rosenkäfer wühlt als Larve in der DunkeJheit modernder Laubhaufen herum und quartiert sich wintersüber in den unterirdischen Burgen der Waldameisen ein. Die schillernde Schmeißfliege, die das Honigbrot der Schirmblüten verzehrt, schlemmt sich als Larve voll der eklen Leichenbrühe verwesender Tiere. Der in den Baumwipfeln lebende Laubfrosch, dieser geschickte Insektenfänger, schwimmt als Larve im Tümpel und findet in dem Gewirr der Algen eine üppige Weide. Selbstverständlich besitzen diese Jugendformen für ihr so ganz andersgeartetes Larvendasein auch die diesem Leben angepaßten Organe. Die kleine Kaulquappe, die Vorläuferin des Froschs, atmet wie jeder Fisch mit Kiemen und schabt die Algenstengel mit einem eigens für diese Er-
Die Larve des Haasbocks sitzt im nähr halten Holz von Zäunen, Dachbalken, Möbeln. Ihre Anwesenheit verrät sie durch die leinen runden Bohrlöcher und die herausbeiörderten Bohrmehlhäulchen. Rechts die Larve, links der Kater, der sich im Holz entwickelt und sich dann nach außen nagt. (Zeichenerklärung, auch tür die folgenden Bilder: 6 = männliches Tier; 9 = weibliches Tier; die Striche bezeichnen die natürliche Größe.) 6
nährungsweise geschaffenen kleinen Hornsdinabel. Die Raupe, die einmal Schmetterling werden will, raspelt die Blätter mit einem vortrefflich arbeitenden Raspelkiefer herunter. Die Fliegenmade verfügt über Chemikalien, mit denen sie die toten Nährstoffe zu zersetzen und in eine leicht aufzuschlappende Brühe zu verwandelt versteht. Die Libellenlarve entwickelt aus ihrer Unterlippe einen Fangapparat, der wie eine Teufelszange weit vorgeschleudert werden kann.*) Diese Ausrüstung der Jugendformen mit ganz besonderen Organen für die Dauer ihres Larvendaseins ist ein weiteres Kennzeichen für den echten Verwandlungskünstler. Wir fassen zusammen: Das Leben der echten Verwandlungskünstler unter den Tieren ist in zwei große Abschnitte gegliedert. Den ersten Abschnitt bezeichnen wir als das vorgeschaltete Larvendasein. Die Gestalt dieser Larve weicht so stark vom Artbild des vollentwickelten Tieres ab, daß dieses Artbild in ihr ohne weiteres nicht zu erahnen ist. In der Larvengestalt ist also das Artbild verschleiert und vermummt. Das Larvendasein der echten Verwandlungskünstler spielt sich meist in einer wesentlich anderen Umwelt und unter völlig andersgearteten Lebenbedingungen ab als die der ausgereiften Tiere. Die Larve ist für die Dauer dieses Lebens mit besonderen Organen und Gliedern, Sinnen und Fähigkeiten ausgerüstet, die das vollentwickelte Tier nicht mehr besitzt. Die Gründe des Mummenschanzes Im Kreuzdornbusch, an der Unterseite eines frischentfalteten Blattes, schlüpft an einem Frühlingstag aus dem fläschchenförmigen, gelblichgrünen, mohnkorngroßen Ei die winzige Raupe des Zitronenfalters. Behaglich streckt sie sich aus und beginnt, kleine runde Löcher in die grüne Blattspreite zu nagen. Die saftige Kost mundet dem Räupchen vorzüglich; wenn es eine Ahnung von seinen Eltern hätte, würde es gewiß dankbar der Mutter gedenken, die das Ei vorsorglich und „bewußt" an diese so bekömmliche Futterpflanze geheftet hat. So aber kann es seiner Dankbarkeit lediglich dadurch *) Vgl. Lux Lesebogen: „Insekten-Rätsel", Seite 17.
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Ausdruck geben, daß es triebhaft frißt, fast pausenlos frißt; 1 in einem Schlemmerdasein ohnegleichen wächst es zu einer 1 stattlichen Raupe von fünf Zentimeter Länge heran. Fressen und Wachsen, das sind die einzigen Triebe, die 1 die Zitronenfalterraupe beleben. Wenn sich dann die Chitin- m haut allzu prall um den fetteren Leib spannt, wenn gar nichts 1 mehr hineingeht, dann schafft sich die Raupe selber Platz. Die I beengende Haut wird abgestreift und durch eine neue Haut 1 mit feinen weißen Seitenlinien ersetzt. Diese Häutungen gehen ' leicht und mühelos vor sich und wiederholen sich viele Male. Aber dann wird mit verdoppeltem Eifer weitergefressen, immer nur gefressen, Blatt um Blatt, Woche um Woche, bis in den Juni hinein. Das Gewicht von ungefähr einem Milligramm, das die Raupe nach dem Verlassen des Eies hatte, ist in den wenigen Wochen vertausendfacht. Ein Mensch, der mit sechs Pfund Lebendgewicht zur Welt kommt, müßte, um mit dem Wachstum der Raupe Schritt zu halten, in seinem zehnten Lebensjahr mindestens sechshundert Zentner wiegen. Dieser Vergleich beschreibt uns besser als viele Worte, wie hemmungslos die Raupe sich durch ihr Leben frißt. Im Juni wiegt die Raupe des Zitronenfalters ungefähr zweibis dreitausendmal soviel wie bei ihrer Geburt und ist nun ein mit kostbaren Nährstoffen und besten Fetten vollgestopfter Schlauch. Ohne eine andere Empfindung als den ewigen Hunger und ohne einen anderen Trieb als die Futtersuche hat sie den Kreuzdornbusch durchwandert und sich weder um Sonne noch, um Regen oder sonstwas gekümmert. Nun aber, da auch die zuletzt übergezogene Haut nicht mehr ausreicht und das Maß sozusagen voll ist, wird die Falterraupe von einer unerklärlichen Unruhe befallen, kraucht scheinbar ziellos hin und her und auf und ab, fertigt endlich mit den Spinndrüsen im Maul ein kleines weißes Polster, klebt es an einen Zweig, hakt die Hinterfüße hinein, wirft sich ein Halteseil um die Mitte des Leibes und krümmt sich zusammen. Wilde Schauer wehen über die straffgespannte Haut. Die ganze Raupe wird wie von einem Fieber geschüttelt. Und plötzlich platzt die letzte g Raupenhaut auf, schrumpft schnell zusammen, und hervor quillt wie eine grüne Frucht die seltsame Puppenschote. Das Raupenleben ist zu Ende. Fressen und Wachsen, das waren die Aufgaben der Raupe. Fressen und Wachsen sind die Aufgaben jeder Larve, ganz 8
gleich, ob sie als Raupe; als Libellen- oder Käferlarve, als Fliegen- oder Bienenmade, als Engerling oder Holzwurm, als Köcherfliege oder Kaulquappe ihr Leben fristet. Deshalb wird das Larvenleben der Verwandlungskünstler oft auch als Freßstadium bezeichnet. Und deshalb, um eben ungestört und unaufhörlich, mühelos und sorgenfrei diesen Lebensaufgaben nachkommen zu können, wird die Larve so oft in eine andere Umwelt versetzt als das fertige Tier in eine Welt, in der sie keine Nahrungsnöte kennt. Diese andere Umwelt ist für die Larve nichts anderes als eine unerschöpfliche Weide, ein immer gedeckter Tisch, ein Schlaraffenland, in dem sie ihre Gier befriedigen kann. Und immer ist die Larve just in der richtigen Speisekammer zum Leben erwacht. Das mütterliche Tier wird sich niemals in der Speisekarte ihres Nachwuchses vergreifen. So legt der Schmetterling seine Eier an die Blätter oder Früchte der Futterpflanze, legt die Fliege ihre Eier an allerlei verwesende
Die Larven leiden keine Not. Das Muttertierdien legt seine Eier immer in die am besten geeignete Speisekammer. Die Mehlmotte bietet ihrem Nachwuchs Mehl als erste Nahrung an. Die satlgetressenen Larven (oben 1.) spinnen sich nach 8 bis 10 Wochen ein (ganz r.j und verwandeln sich in einem Kokon zur Puppe (unten Mitte; aufgeschnittener Kokon), aus der nach drei Wochen der Falter schlüpft (unten 1). 9
Stoffe, die Sandwespe auf die gelähmten Opfertiere, die Schlupfwespe in lebende Tierkörper, der Borkenkäfer unter die Rinde der Stämme, der Maikäfer in die Erde, die Libelle und die Köcherfliege ins Wasser, die Bienen und Hummeln in die mit Honig gefüllten Zellen, die Gallwespen und Gallmucken in die Blätter und Triebe und der Mistkäfer in den Dung. Andere Insektenmütter aber, wie die Ameisen und die Erd- und Holzwespen, verlassen sich nicht auf diese Selbstbeköstigung ihres Nachwuchses, sondern übernehmen selber das Füttern und stopfen die Larven, wie wir das mit unseren bedauernswerten Mastgänsen tun, voll mit nahrhaftesten Stoffen. Die Natur verfolgt mit diesem Vorschalten eines gefräßigen Lebensstadiums ein ganz bestimmtes Ziel. Vom ersten Tage ihres jungen Lebens an soll die junge Larve nicht unter Nahrungsmangel leiden, und in sicherer Geborgenheit wird sie den Gefahren des Lebens weitgehend entrückt. Und weil die Larve ihre Nahrung gleich in Überfülle vorfindet und wirklich nichts anderes zu tun hat, als zu fressen, wird ihr Wachstum in dieser Jugendzeit so gefördert und beschleunigt, daß später nach der Verwandlung in dieser Hinsicht nicht mehr viel zu tun übrig bleibt. Die vollentfaltete Fliege und der Schmetterling, die Libelle und der Käfer, die Wespe und die Ameise, die Biene und die Hummel, die der Puppe entschlüpfen, sind fix und fertig für das ganze spätere Leben. Sie wachsen nicht mehr; was sie noch an Nahrung brauchen, ist wenig: eben so viel, wie ihnen zur Erhaltung der Lebenskräfte notwendig ist. Ein erstaunlicher Kniff der Natur: wie viel schwerer und unsicherer wäre das Leben der Verwandlungstiere, wenn sie wie andere Tiere als winzige Ebenbilder ihrer Eltern zur Welt kämen und als unvorstellbar zarte Flieger aus den Eiern hervorschlüpften. Die kleinen Wesen hätten dann nicht nur gleich die ganze Bürde des Lebens, des Fliegenlernens und der Sicherung gegen Nachstellungen zu tragen, sondern müßten auch noch alle Mühe aufwenden, um zu Kräften zu kommen und heranzuwachsen. Hunger, Nahrungssorgen und Kämpfe um das tägliche Brot würden ihr Leben restlos ausfüllen. In Massen müßten sie den Witterungsunbilden und den Nachstellungen ihrer Feinde erliegen, Ihr Wachstum würde dem der kleinen Heuschrecken und Spinnen gleichen, die ein Freßstadium nicht kennen und sich als wahre Hungerkünstler und Stiefkinder der Natur durch viele harte Monate quälen müssen, ehe sie 10
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Auch der Larve der Kleidermotte ist durch die mütterliche Vorsorge vom ersten Tag an die Nahrung gesichert — sehr zum Leidwesen des Menschen. Die wolleiressenden Larven (r.) verspinnen sich nach einiger Zeit (unten 1.). Die geschlüpften Falter selber fressen nicht mehr. Sie sind schädlich nur noch durch ihre Eiablage.
voll ausgewachsen sind, und von denen die meisten zugrunde gehen, ehe sie ihr Ziel erreicht haben. So aber schlemmen die Larven in der nahrungsreichen Wasserflut, in der Überfülle leichtverdaulicher Verwesungsstoffe, in der Sicherheit hinter Baumrinden, Fruchtschalen und Gallenwänden, im Schutz gedrehter und zusammengewickelter Blätter, in der Geborgenheit von Zellen und unterirdischen Höhlen, in den wandelnden Fleischtöpfen der angestochenen Opfertiere und im Dunkel der Erde oder werden wie die Säuglinge von ihren Eltern geatzt und behütet. 11
Ganz behäbig und gemächlich können sie im Innern ihrer prallgefüllten Leiber aber auch schon die Vorbereitungen für ihr zukünftiges Leben treffen, können die Stoffe ansammeln, die sie für den bevorstehenden Wechsel der Körperform brauchen und so auch noch die Dauer dieses Wechsels selbst abkürzen. Denn so, wie in der Pflanzenknospe schon die Blütenblätter, die Stempel und die Staubgefäße zusammengefaltet liegen, so liegen in den Larven auch schon die Keimknospen für die Flügel, die Beine, den Rüssel und die Fortpflanzungsorgane des späteren Lebens. Diese Vorbereitung vollzieht sich ungestört und heimlich schon während des Larvenlebens; hier werden alle Voraussetzungen zu einer leichten, schnellen und glückhaften Auferstehung geschaffen. Das vorgeschaltete Larvenleben der Verwandlungskünstler beschleunigt also das Wachstum, sichert das Leben des jungen Tieres und gibt ihm einen guten Vorsprung im Ablauf seines Lebens. Die Tatsache, daß alle Tiere, die zu den Verwandlungskünstlern gehören, einen unaufhaltsamen Siegeszug über unsere Erde angetreten haben, kann uns nun nicht mehr überraschen.
Die klassischen Verwandlungskünstler Es wird nun Zeit, daß wir einmal das Heer der echten Verwandlungskünstler vor uns aufmarschieren lassen. Es ist ein Maskenzug wunderlichster Gestalten. Aus den Revieren der Fische und Lurchen, aus dem Großreich der Insekten und aus der Welt der niederen oder wirbellosen Tiere kommen ihre Vertreter. Die Raupen- und Madenform ist dabei nur eine unter vielen Jugendformen. Den Frosch, dem wir auf den vorigen Seiten schon einmal begegnet sind und den wir im nächsten Abschnitt noch näher kennen lernen, brauchen wir als Verwandlungskünstler nicht erst vorzustellen; denn jeder von uns hat als Junge Kaulquappen aus einem Teich gefischt und ihr allmähliches Hinüberwechseln zur Froschgestalt erlebt. Es wird uns auch nichts Neues sein, daß wie die Frösche auch die Kröten und Unken ihre Jugend im Wasser verbringen, ganz gleich, ob sie dem Wasser auch späterhin treu bleiben oder zu Land-, Höhlenund Wipfelbewohnern werden. Auch die uns aus unserer Jugendzeit so sehr vertrauten Molche und Salamander sind 12
echte Verwandlungskünstler, tummeln sich auf ihrer Frühstufe als fabelhafte Schwimmkünstler im Wasser herum und machen hier die Umgestaltung von der kaulquappenähnlichen und kiemenatmenden Larve bis zum vierbeinigen und lungenatmenden Landtier durch. Aber die Molche gehören nicht zu den Musterbeispielen der Verwandlung. So behalten sie zeitlebens den Ruderschwanz ihrer ersten Lebenzeit bei; die Fortentwicklung bringt ihnen lediglich die vier Gangbeine, die sie für ihr Landleben brauchen, und ersetzt die Kiemen der Molchlarve durch die Lungen des Luftatmers. Ein großer Maskenkünstler ist dagegen der Aal, der unter den Fischen eine merkwürdige Ausnahmestellung einnimmt. Denn unter den Fischen sind die Verwandlungskünstler sehr selten; vielleicht aber sind wir auch im Reich der Fische noch nicht so bewandert, daß wir ihre Lebensweise mit genügender Sicherheit erkennen. Dem Aal zur Seite stehen die Plattfische, also die Flundern, Schollen und Butten, mit deren Entwicklung vom normalen Jungfisch zu schiefschnäuzigen und einseitig entwickelten Sonderlingen wir uns noch beschäftigen wollen. Doch so wunderbar und oft verwunderlich auch die Verwandlungen der Fische und Lurchen sein mögen, sie alle werden übertroffen von den Verwandlungskünstlern in der Insekrenwelt. Auf sie allein treffen auch alle jene Kennzeichen der echten Metamorphose zu, die wir im ersten Kapitel genannt haben. Unter den Insekten kennen eine echte Verwandlung besonders die Ameisen, die Bienen und Hummeln, die* Wespen, die Käfer, die Mücken und Fliegen, die Schmetterlinge, die Köcherfliegen und Schnabelhaften, die Netzflügler, die Libellen und Uferbolde, die Eintagsfliegen und die Flöhe. Auch verschiedene Familien aus der großen Gruppe der Nagekerfe, also der Schild- und Blattläuse, der Zikaden und der Blattwanzen kennen eine Verwandlung, die oft sogar außerordentlich verwickelt ist. Es sind also weitaus die meisten Insekten, die den Mummenschanz der Metamorphose mitmachen; vor allem sind es die hochentwickelten und flugfähigen Insekten. Dagegen sind die schlechten Flieger, wie die Springschrecken, die Grillen, die Laubschrecken, die Gespenstschrecken, die Fangschrecken, die Schaben und die Ohrwürmer sowie die Läuse und die Termiten, und alle Urinsekten, also die Doppcl13
schwänze, Zottenschwänze, Springschwänze und Silberfischchen, von der Metamorphose ausgeschlossen. Bei diesen Insekten schlüpft wie bei den Spinnen das Jungtier als ein winziges Gegenstück der Eltern aus dem Ei und durchläuft eine einfache Wachstumsentwicklung. Das heißt: das Jungtier vervollkommnet sich im Laufe des Wachstums und wird den Eltern, denen es von Geburt an schon ähnelt, immer gleicher. Es gibt also wohl eine junge Heuschrecke und einen jungen Ohrwurm, aber keine junge Fliege und keinen jungen Schmetterling. Das ist eine sehr wichtige Unterscheidung. Denn die Fliege und der Schmetterling, die ihre Puppe verlassen, haben ihre Jugend als Made und als Raupe verbracht und verändern ihre Größe und ihre Gestalt nun nicht mehr. Das Wachsen war die Aufgabe ihres Larvenlebens. Aber eine Laus, eine Grille oder eine Schabe wachsen und färben und entwickeln sich von dem.Tage an, da sie das Ei verlassen haben, bis zu der Stunde, da ihre Entwicklung vollendet ist. Unter den niederen Tieren, den sogenannten Wirbellosen, sind es vor allem die Krebse, von denen einige zu den Verwandlungskünstlern gehören. Dann kommen die Muscheln und die Quallen, die ganz ungewöhnliche und schwierige Verwandlungswege beschreiten. Ihnen folgen die Bandwürmer, die Ringelwürmer, die Schnurwürmer, die Sternwürmer und die Stachelhäuter. Wir begegnen unter diesen Mehrgestaltigen einer Reihe von Tieren, die die meisten kaum dem Namen nach kennen, die uns deshalb, da wir sie wahrscheinlich doch nie zu Gesicht bekommen werden, auch nicht besonders interessieren. Immerhin beweisen uns gerade diese niedersten aller Tiere, daß die Vorschaltung des Larvenlebens eine uralte „Erfindung" der Natur ist, und daß der tierische Gestaltwandel auf eine stolze und lange Ahnenreihe zurückgeht. Diese Ahnenreihe umfaßt sogar die einzelligen Tiere. Solche Einzeller sind zum Beispiel die Malaria-Erreger, die durch den Stich einer Fiebermücke in unseren Körper gelangen, dort eine neue Gestalt annehmen, dann in unsere roten Blutkörperchen eindringen, hier heranwachsen und sich vermehren, in andere Blutkörperchen eindringen, sich wieder verwandeln, in den Darm der nächsten stechenden Mücke schlüpfen, dort wieder eine andere Gestalt annehmen und sich vermehren, um endlich wieder in der Speicheldrüse der Mücke zu landen. Die Umwege dieses klein14
sten aller Verwandlungskünstler sind außerordentlich verwickelt. Wir wollen uns nun den verschiedenen Verwandlungswegen selbst zuwenden.
Die verschiedenen Wege der Verwandlung Bei den Fischen und Lurchen führt dieser Weg vom Ei zur Larve oder der Jugendform und dann gleich zum vollentwickelten Tier. Die Eier werden mit wenigen Ausnahmen dem Wasser anvertraut und entweder in gallertartigen Häufchen oder langen Schnüren in stillen Buchten abgesetzt. Nur die Geburtshelferkröte und die Molche und Salamander tanzen aus der Reihe. Das Männchen der Geburtshelferkröte schiebt sich nämlich die Eierschnüre auf den Rücken (daher ihr eigenartiger Name) und trägt sie so lange spazieren, bis die Kaulquappen schlüpfen wollen. Dann erst sucht der Kröterich das Wasser wieder auf und übergibt seine Kinder dem feuchten Element. Der Alpenmolch und der Feuersalamander aber gebären lebende Junge: sie entlassen also keine Eier, sondern fertige kaulquappenähnliche Larven ins Wasser, Ihre Jugendzeit und zum größten Teil auch ihr ganzes übriges Leben aber verbringen alle Fische und Lurche als kiemenatmende Wassertiere; für dieses Wasserleben sind sie mit besonderen Organen und Sinnen bedacht. Die Kaulquappe der Frösche, der Kröten und Unken ist ein dickbäuchiges und dickköpfiges Fischlein mit einem langen Flossenschwanz, besitzt nur ganz winzige und dazu noch von einer Hautschicht überzogene Augen, atmet mit Hilfe büscheliger Kiemen und hat noch keine Beine. Sie erinnert in nichts an die Froschgestalt und ist also eine echte Larve. In den ersten Lebenstagen besitzt die Kaulquappe dazu noch eine kleine Kittdrüse am Hals, mit der sie sich an der Eigallerte, ihrer ersten Nahrung, festkleben kann. Diese Drü$e entwickelt sich bald zurück und auch die hirschgeweihartigen büscheligen Kiemen verwandeln sich in äußerlich nicht mehr sichtbare Kiemen. Kurz darauf bilden sich auch schon die Lungen, die vorläufig noch die Rolle einer Schwimmblase spielen. Zum Abweiden der Algen erhält die Kaulquappe einen von scharfen Lippenzähnen umgebenen Mund, eine Art Hornsdinabel. Die Kaulquappe ist also ein Vegetarier und hat auch einen viel längeren Darm als der Frosch. Auch ihr Blutkreislauf ähnelt 15
noch stark dem der Fische. Die Blutgefäße müssen später, w e n n die Lungenatmung einsetzt, w e i t g e h e n d u m g e b a u t werden. Selbst das Herz wird dann neu gestaltet. Um die Zeit, da die Hinterbeine rechts und links der Schwanzwurzel durchbrechen, wird der Ruderschwanz langsam a b gebaut, wird der Hornschnabel abgeworfen, bildet sich die lange
Der Verwandlungsweg des Frosches: Aus dem in eine Gallertschicht eingehüllten Ei (1) schlüplt die Larve (2), die ihre Kiemen außerhalb des Körpers trägt. Nach einigen Tagen bilden sich innere Kiemen (3), die äußeren verschwinden. Nun bilden sich die hinteren (4, 5) Beine, dann diev orderen (6). Zum Schluß verliert der Jungirosch Schwanz und Kiemen, verläßt das Wasser und atmet durch die neugebildete Lunge. Noch erstaunlicher als die äußeren sind die inneren Verwandlungen des Froschkörpers. Froschzunge, dehnt sich das Froschmaul, wachsen die Zähne, w e r d e n die Mund- und die Darmdrüsen, die H a r n b l a s e und die Fortpflanzungsorgane aufgebaut. Noch viel stärker als die ä u ß e r e ist beim Frosch also die innere Verwandlung. Denn äußerlich fallen eigentlich nur die Entwicklung der Beine, das Abstoßen des Schwanzes, des Hornschnabels und die Bildung des Froschmaules auf. Knospen dann endlich a u s den Kiemenhöhlen die Vorderbeinchen hervor, dann befreit sich auch das A u g e v o n der Deckhaut, bekommt ein Unterlid und eine Nickhaut, bildet sich vor allem auch das Ohr h e r a u s . Zugleich verschwinden jetzt die feinen Sinnesapparate an den Seitenlinien, die bisher die Wasserdrucksempfindung aufgenommen haben. 16
Der Frosch ist endlich fertig! Als lungenatmendes Landtier verläßt er das Wasser und hüpft wie selbstverständlich in die neue und fremde Umwelt hinein. Sein Gehirn ist urplötzlich imstande, die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten und den hohen Anforderungen, die das neue Räuberleben stellt, vollkommen zu genügen. Und quaken kann er auch. Alle beschriebenen inneren und äußeren Verwandlungen vollzogen sich ohne Aufenthalt und ohne Ruhepause in einer geraden und ununterbrochenen Wachstumslinie. Und ähnlich vollziehen sich auch die Verwandlungen aller anderen Lurche und Fische. Erleidet aber diese gerade Linie durch äußere Einflüsse eine Unterbrechung, können also zum Beispiel die vollentwickelten Molche aus irgendeinem Grunde das Wasser nicht verlassen, dann bringen es diese Teufelskerle fertig, einfach das Larvenleben weiterzuführen und sich sogar als Larven fortzupflanzen. Dieses Kunststück der Anpassung ist so toll und so unglaublich, daß sich dadurch selbst aufmerksame Forscher täuschen ließen. Die fortpflanzungsfähige Larve des Axolotis z. B., dieses mexikanischen Molches, den viele Aquarienfreunde kennen, wurde lange Zeit in die Reihe der Fischmolche gruppiert. Erst vor hundert Jahren entdeckte man, daß man es hier mit einem echten Landmolch zu tun hatte, der einfach eine Larve bleibt, wenn er das Wasser nicht verlassen kann. Die Axolitis-Larven behalten dann ihre Kiemenatmung bei. Herrscht jedoch ein Mangel an Wasser vor, wie das die Alpensalamander oft erleben, dann geschieht es, daß die lebend geborenen Larven sofort Lungenatmer sind. Es gibt also keine Lage, in der sich diese Molche und Salamander nicht zu helfen wüßten. Sie sind, so plump sie auch wirken, wahrhafte Tausendsassa, die sich durch nichts beirren lassen. Noch phantastischer aber ist die Metamorphose des Aales und es ist auffällig, über welch lange Zeit sich, seine Gestaltveränderungen hinziehen. Schon die durchsichtigen Glasaale, die im Mai an den Flußmündungen der Nordseeküste erscheinen, haben einen jahrelangen Weg und eine jahrelange Entwicklung hinter sich gebracht. Im ersten Jahr bleiben die jungen Aale in der Nähe ihrer Kinderstube, in den Breiten des Sargossa17
Der „Schmalkopl" hat seine größte Dicke erreicht, nun wird er dünn wie ein Streichholz. Jugendlormen des Aals. Als „Schmalkopf" wächst der Jungal im Helen Sargassomeer zu einem kräftigen Schwimmer heran. Gegenüber dem rundlichen Leib tritt der kleine Kopi last ganz zurück. Die Leibeslülle wird aut der Wanderung nach Europa aber ganz aulgezehrt, da der Schmalkopl unterwegs keine Nahrung mehr zu sich nimmt. In die Flüsse tritt die Aallarve dünn wie ein Streichholz und durchsichtig wie Glas ein (Glasaal). Noch jahrelang gilt der Aal als Larve, bis er sich erneut verwandelt, hochseetüchtig wird und ins Meer zurückkehrt .
meeres nahe der mittelamerikanischen Küste. Im zweiten Jahre wandern sie bis ungefähr in die Mitte des Ozeans. Im dritten Jahre wandern sie vor die Nordseeküste. Sie färben sich nun langsam dunkler und dringen als sogenannte Steigaale in die Flußläufe ein. Jedem Hindernis trotzen sie, selbst den Rheinfall von Schaffhausen wissen sie zu überwinden. Sie wandern zur Not sogar über trockenes Land, steigen selbst in die Hochgebirgsbäche empor, bis sie endlich an einem stillen und geschützten Winkel zur Ruhe kommen. Nun aber wird sechs bis acht, manchmal auch zehn Jahre lang nichts anderes getan, als geräubert und gefressen; denn noch immer befindet sich der Aal sozusagen im Larvenzustand, noch immer ist er eine Jugendform und nicht zur geschlechtlichen Reife gekommen Eines Tages aber ist es so weit: Der Flußaal verfärbt seinen Rücken, die Bauchseite wird heller und der ganze Kerl beginnt metallisch zu glänzen und zu schimmern. Er ist zum Blank- oder Silberaal geworden. Der Kopf spitzt sich zu, die Augen vergrößern sich und die Haut wird fester. Der Aal hat sein Hochzeitskleid angelegt, ist hochseetüchtig geworden, steht aber 18
noch immer nicht am Ziel. Denn jetzt beginnt die große und geheimnisvolle, die phantastische und ungeheure Reise wieder stromabwärts in die Nordsee, durch den Kanal, und immer weiter, zurück in die Meeresgründe der Sargossasee, in dem er geboren wurde. Und dort erst paaren sich nun die Geschlechter und laichen in tiefen Abgründen. Und noch auf der großen Fahrt wuchsen sie weiter, wurden immer stattlicher und größer, und entwickelten die bisher verkümmerten Geschlechtsorgane. Noch nie aber ist ein Altaal aus jenen fernen Meereszonen zu uns zurückgekehrt. Durchschnittlich zehn Jahre braucht der Aal bis zu seiner vollen Entwicklung und 12 000 km mußte er zurücklegen, bis er sein Dasein erfüllte. Nicht minder merkwürdig ist die Metamorphose, die bei einem unserer beliebtesten Brat- und Kochfische, der Scholle oder Flunder, vor sich geht. Auch sie führt ein Doppelleben. Nichts unterscheidet die Jungscholle von anderen Fischen. Munter und mit ordentlich gebautem Körper tummelt sich das junge Tier durch das Wasser. Aber eines Tages geht etwas quer im Leben dieses Fischchens; die Natur beginnt mit der Scholle einen der tollsten Scherze, die wir bis heute kennen und wir wissen nicht einmal, warum das geschieht. In einer ganz verzwickten Umwandlung wird aus dem beweglichen Schwimmer ein seßhaftes Lauertier, ein Grundfisch, der auf dem Boden des Meeres lebt. Das fängt damit an, daß das etwa Vit cm lange Fischchen eines Tages in die Höhe zu wachsen beginnt; ganz schmalbrüstig wird der Fischleib, drinnen im Körper verkümmert indes die Schwimmblase, die dem kleinen Wesen das Schwimmen und Schweben im Wasser ermöglichte. Aber das Seltsamste erleben wir außen. Das linke Auge beginnt zu wandern, den Scheitel hinauf. Der Augapfel „begibt sich" über die obere Fläche des Stirnbeins hinweg auf die andere Kopfseite hinüber in die Nähe des anderen Auges. Und anschließend wächst die Rückenflosse hervor, die vorher dem wandernden Augapfel im Wege gewesen wäre. In einer Viertelkehrtwanderung kentert nun die Scholle in eine ganz andersartige Lebensweise um; die Lebensart des Larvenstadiums ist ganz und gar vergessen. Platt liegt der Fischleib in den Sand gebuddelt; wenn die verschmitzt und unrastig hervorstehenden Augen nicht wären, würden wir den lauernden Räuber gar nicht einmal erkennen. Denn das ist das zweite 19
Verwunderliche an diesem Grundfisch, daß seine nach oben gekehrte Breitseite jeweils die Farbe des umgebenden Sandes annimmt. So liegt er, ein rechter Buschklepper, erstaunlich getarnt, bewegungslos auf dem Grunde. Wenn aber Beute in seine Nähe kommt, dann ist blitzschnell die Sanddecke abgeschüttelt, ein paar kräftige Schwimmstöße, und schon haben die schneidenden Zähne den Happen gefaßt. Wahrlich, ein verdrehter Geselle, dieser Plattfisch, ein Naturspiel, eine Tierkarikatur, ein Rätsel. Die Insekten Diesen gradlinigen Wachstumsverwandlungen der Fische und Lurche kommen in der Insektenwelt die Libellen und die Eintagsfliegen am nächsten. Auch die Libellen vertrauen ihre Eier dem bergenden Element des Wassers an oder legen sie in die unterirdischen Teile der Wasserpflanzen. Die dem Ei entschlüpfende Libellenlarve ist ein stachelbewehrtes und glotzäugiges Scheusal, das elf Monate lang im Schlammgrund der Teiche und Tümpel wohnt. Durch kiemenartige Organe, die sich in ihrem Enddarm befinden, atmet die Larve. Ihre Beute, kleine Wasserbewohner, fängt sie mit einer Zange, die sie aus ihrer Unterlippe entwickelt hat und wie ein Lasso weit vorschleudern kann. Während ihres unterirdischen Räuberlebens häutet sich die Libellenlarve zu mehreren Malen. Schon zeigen sich auch die Ansätze zu ihren zukünftigen Flügeln. Sind die elf Monate verbüßt, so verläßt die Larve die Unterwelt und kraucht an einem Pflanzenstengel zur Sonnenwelt hinauf. Ihre Verwandlung zum flugfähigen und lungenatmenden Insekt erfolgt nun innerhalb ganz kurzer Zeit. Wir haben dieses Wunderspiel der Natur zu Anfang am Dorftümpel mit ansehen können. Zwischen den einzelnen Lebensabschnitten liegt keine Pause. Ganz ähnlich verläuft die Verwandlung der Eintagsfliegen; ihre Larven leben oft jahrelang im Wasser und im Schlamm, als ob durch dieses lange Larvenleben etwas Besonderes vorbereitet werden müsse. Und wirklich: die Eintagsfliege nimmt unter allen Insekten eine Sonderstellung ein; denn der Larvenhaut entschlüpft ein voll entwickelter Flieger; aber dieser Flieger ist gar nicht das von der Natur erstrebte Ziel. Wenige Minuten nur währt sein Dasein; da platzt dieses geflügelte 20
Wesen auseinander und hervor strebt ein zweiter Flieger, der sich in dem ersten mit seiner vollen Ausrüstung verborgen hielt. Mit dieser letzten Häutung ist nun der endgültige Zustand erreicht. Zu einem ach so kurzen Liebesflug startet das Insekt ins Leben. Die Köcherfliegen, die sich als Larven köcherartige Schutzröhren aus Halmen, Sand und Rindenstückchen bauen, schalten zwischen das Larvenleben und das Leben als Vollinsekt bereits eine Ruhepause ein. Bevor die Verwandlungsstunde beginnt, verkriechen sie sich im Wasser in Ritzen und Spalten oder bohren sich tief in den Schlamm und in morsches Holz. Ihre Röhren verschließen sie mit feinen Sieben. In den verschlossenen Röhren verwandeln sie sich in sogenannte „freie" oder „gemeißelte" Puppen; Beine, Flügel und Fühler sind schon zu sehen und ragen deutlich an den Seiten heraus. Die Puppe der Köcherfliege ist etwas Besonderes; im Gegensatz zu den Puppen anderer Insekten ist sie sehr beschäftigt. Nicht nur daß sie atmet; sie gibt sich auch viele Mühe, die feinen Siebe mit ihren Stäbchen zu putzen und vor Verstopfung zu schützen; durch diese Siebe sichert sie sich nämlich den Eintritt frischen, lufthaltigen Wassers. Die Köcherfliege verläßt die
Köcherlliegen legen ihre Eier in Form llacher, vielgestaltiger Gelege und binden sie durch eine gallertartige Masse. Die Larve (rechts) lebt im Wasser und verbirgt ihren Hinterleib in einer köcherartigen Schutzröhre, die sie mit den Klammerhaken am Leibende testhält. Die Köcheriliegenlarve macht, bevor sie zum üiegenden Insekt wird, eine Art Puppenruhe durch. 21
Puppe auch nicht als fertiges Insekt, sondern steigt in der Puppengestalt zum Wasserspiegel empor, um erst dort dia letzte Häutung vorzunehmen. Immerhin aber hat sie während der Zurückgezogenheit in der Puppe keine Nahrung mehr zu sich genommen und bereitete in ihrer Puppenklause die letzten großen Formveränderungen vor.
Die Einsiedler in der Puppe In eine v o l l k o m m e n e Abgeschiedenheit aber ziehen sich alle Raupen, Maden und Larven der Schmetterlinge, der Fliegen, der Bienen und Hummeln, der Wespen, der Käfer, der Ameisen und Flöhe zurück. Als ob das Leben bei ihnen zum Stillstand käme — so ist diese Ruhe, die Puppenruhe! Kein Wachstum mehr, keine Nahrungsaufnahme, keinerlei sichtbare ' Veränderung. Die selbstgefertigte oder aus der letzten Larvenhaut entstandene kleine hornige Einsiedelei, die wir Puppe nennen, hat kein Guckfenster mehr zur Welt. Sie ist ein dichter Bauzaun ohne jede Lücke. Mit der Verpuppung wird ein deutlicher Punkt hinter das Larvenleben gesetzt; das Puppendasein ist wie der Scheintod, eine Art von Lebenspause; und doch wieder ist es ein Lebensvorgang, denn in ihm vollzieht sich das Wunder einer Neuschöpfung. Wie wir den Zustand des Tieres in der luftdicht abgeschlossenen Puppe bezeichnen sollen, das ist gar nicht so leicht gesagt. Es ist kein Leben, kein Tod und kein Schlaf. Die Larve frißt und atmet nicht mehr und scheint völlig erstarrt. Und doch lebt sie. Wir brauchen nur einmal eine Puppe leicht zwischen den Fingern zu drücken, um erstaunt zu sehen, wie lebhaft sie sich windet. Wir werden im letzten Kapitel ausführlich von den unerklärlichen Vorgängen in der Puppe plaudern. In der äußeren Gestalt der Puppe sind die Formen des fertigen Insektes oftmals angedeutet. Da-stehen schon die Glieder in feiner Meißelung frei hervor. Meist bilden Käfer solche „freien" oder „gemeißelten" Puppen. Bei den „Mumienpuppen", die wir am häufigsten bei den Schmetterlingen antreffen, sind die künftigen Glieder nur in groben Andeutungen zu erkennen. Die Puppen sind oft kopfabwärts aufgehängt (Stürzpuppen). Oft hängen sie auch an einem Halteseil, das ihnen um die Brust gewunden ist (Gürtelpuppen). Sind die 22
Unsere Stubenfliege durchläuft in ihrer Entwicklung alle Stuten der Metamorphose. Aus den Eiern (Mitte r.j entwickeln sich die köpf- und fußlosen Larven (Maden) [oben], die sich von Küchenabfällen u. a. nähren. Nach etwa 10 Tagen verwandeln die Larven sich in tönnchenlörmige Puppen (unten r.j, aus denen nach weiteren 10 Tagen das Vollinsekt (unten 1.) schlüpft. Es gibt also keine „kleinen", jungen Stubenfliegen.
„gemeißelten Puppen" noch in einer gehärteten Larvenhaut versteckt und geborgen, wie bei den Flöhen und Fliegen, so tragen sie den lustigen Namen „Tönnchenpuppe". Diese Tönnchen spinnen die Larven auch wohl aus eigenen Spinndrüsen. Wir kennen solche Gespinste von den Kokons der Seidenraupen, deren hauchzarte Fäden zu dem wundersamen Gewebe der Seide versponnen werden. 23
Auch die Ameise macht eine vollkommene Verwandlung durch. Aus den Eiern (links unter der Larve) schlüplt die weißliche Made (1. oben), die sich in einem selbstgesponnenen Kokon verpuppt (die sog. Ameiseneier) [Mitte oben]. Die Puppen werden dann rechtzeitig von AmeisenHebammen aulgeschnitten. Die Königinnen (unten I.) verlieren ihre Flügel nach dem Hochzeitsflug. (Oben rechts ungeilügelte Arbeiterin.) Welche Gestalt die Puppe auch annimmt: immer h a t sie sich in einem vollständigen Gestaltwechsel aus einer eigeschlüpften Larve herausgebildet, immer auch führt sie unmittelbar weiter zum fertigen InSekt. Es sind verschlungene und seltsame W e g e , lange nicht recht erkannt, auch h e u t e noch voller Rätsel; u n d bei manchem Insekt auch voller Besonderheiten. Welche Kapriolen da die N a t u r erfunden, wird uns in dem erstaunlichen W e r d e g a n g der so u n a n g e n e h m bekannten, gemeinen Stechmücke anschaulich gemacht. W i e ein Floß schwimmt 24
das Eigelege oben auf dem Wasser, bis nach etwa 20 Stunden die 200—300 Eiplanken in Bewegung und zum Leben kommen-, borstige Larven schlüpfen heraus und schon hängen sie kopfab unten am Wasserspiegel, strecken die schmale Atemröhre des Hinterleibes nach oben und saugen die Luft in die Atemkanäle des Körpers. Die kräftigen Kiefer strudeln das Wasser auf und schwappen sich die organischen Nährstoffe zu. Wir kennen dieses unrastig bewegte Larvenvolk aus unseren Regentonnen, gern machen wir uns einen Spaß daraus, durch ein schnelles
Die seltsame Metamorphose der Stechmücke Die Eier schwimmen, zu einem Kahn vereinigt, aut der Wasseroberiläche. Aus den Eiern entwickeln sich die lebhatten Larven, die mit einem Atemrohr am hinteren Körperende atmen, ohne das Wasser zu verlassen. Die Puppe (rechts) atmet durch zwei Atemhörner am Kopiende, durch die sie mit der Außenlutl in Verbindung steht.
Aufwühlen des Wassers das Gewimmel in die Tiefe verschwinden zu lassen. Schon der Schatten der Hand schreckt sie hinab. Acht Tage währt dieses hängende Dasein. Dann hat sich der wohlgenährte Leib zur Puppe geschlossen. Und auch die Puppe hängt unten am Wasserspiegel; aber nun sitzen zwei Atemröhren wie zwei Ohren am anderen Ende des Tierchens, am Kopfende, und atmen die Außenluft. Rudernd bewegt sich der baumelnde Hinterleib im Wasser. Flugs und nicht minder geschwind wie die Larve ist die Puppe in die Wassertiefe 25
gehuscht, wenn sie beunruhigt wird. Die Stechmückenpuppe ist wohl die beweglichste Puppe, die es in der Insektenwelt gibt.
Seitensprünge der Metamorphose Bei den niederen Tieren geht die erfindungsreiche Natur wieder andere Wege und oft sind sie so verwickelt, daß wir sie noch immer nicht in ihrem ganzen Verlauf aufhellen können. Den einfachsten Weg gehen die Krebse. Aber merkwürdig: In der überwältigenden Zahl der Krebsarten treffen wir nun auf einige Sonderlinge, die nach dem Ausschlupf aus dem Ei gleich den Eltern ähnlich sehen und keinerlei Verwandlungen mehr durchmachen. Unser heimischer Fluß- und Edelkrebs ist solch ein Außenseiter in der Krebsfamilie. Bei den anderen höheren Krabben und Krebsen aber tritt eine äußerst seltsam geformte Larve auf, die wie mit Balancierstangen ausgerüstet ist. Sie ist völlig durchsichtig und häutet sich viele Male. Die sechs bis acht Zentimeter großen' Hummerlarven z. B. müssen sich schon in den ersten vierzehn Tagen durch vier Häutungen quälen und werden dann aus Freischwimmern zu Bodentieren. Sie ähneln jetzt ihren Eltern, tragen ihren Panzer, müssen aber im ersten Lebensjahr noch durch fünf weitere Häutungen hindurch. Im zweiten und dritten Lebensjahr sind dann je vier, im vierten bis sechsten Lebensjahr je zwei Häutungen durchzustehen, und erst dann hat der Hummer sein Entwicklungsziel erreicht und häutet sich jährlich nur noch einmal. Bei unserer Malermuschel gleicht die Larve im großen und ganzen fast dem Artbild. Sie ist ein winziges Schalentierchen, das einen klebrigen Faden spielen läßt, sich damit an vorüberschwimmendea Fischen festleimt und die Hakenschalen fest in die Haut des Fisches schlägt. An der Anheftungsstelle bildet sich eine starke Hautwucherung, die die Muschellarve wie eine Rinde überwächst. Wochenlang lebt so der kleine Schmarotzer von den Säften seines unfreiwilligen Wirtes, bohrt sich dann, wenn er herausgefüttert ist, wieder einen Weg ins Freie und ist nun eine fertige Muschel, die nur noch zu wachsen braucht. Andere Muschellarven werden von den Fischen verschluckt," kleben sich in den Kiemen fest und zehren dort von den Säften desjenigen, der sie eigentlich seinem Magen einverleiben 26
wollte, aber von seiner Beute schmählich hintergangen und übertölpelt wurde. Solch ein listiges Schmarotzertum, für das sich oftmals mehrere Wirtstiere hergeben müssen, spielt auch im Verwandlungsweg der Würmer eine Rolle. So schlüpft aus dem Ei des Fischbandwurmes, der in unseren Därmen schmarotzt, die Larve in der Gestalt eines flimmernden Kügelchens hervor, setzt sich dann als Hakenlarve in einem kleinen Krebs fest, gelangt mit dem Krebs in den Darm eines Fisches, verwandelt sich hier zu einer Finne und kommt mit dem Fischfleisch endlich in den Darm des Menschen. In unserem Darm entwickelt sich die Finne dann zum zehrenden Bandwurm. Beim Großen Leberegel des Schafes führt der Weg der Wimperlarve zu einer kleinen lungenatmenden Schnecke. In der Schnecke verwandelt sich die Larve in einen sogenannten Keimschlauch. In diesem Keimschlauch entsteht eine neue Larvenform, die wiederum aus sich heraus kleine Schwanzlarven gebiert. Diese vierte Larvenform schlüpft jetzt ins Wasser, wirft ihren Ruderschwanz ab und kapselt sich ein. Mit den Uberschwemmungswassern gelangt die eingekapselte Larve auf die Wiesen und wird hier von den weidenden Schafen aufgenommen und verschluckt. In der Leber des Schafes entwickelt sie sich nun zum Leberegel und begibt sich in die Gallengänge seines bedauernswerten Wirtes (s. das Bild auf Seite 32). Wundersam sind auch die Verwandlungen bei den Nesseltieren, jenen typischen Bewohnern der Zone zwischen Ebbe und Flut. Wer möchte vermuten, daß die schemenhaften Schirmquallen, die den Badegästen an den Nord- und Ostseeküsten oft so unangenehm im Wege sind, vielleicht die seltsamste Metamorphose durchleben, die das Wunderreich der Natur verzeichnet. Glashell schweben diese atmenden märchenhaften Geschöpfe oft zu Tausenden durch die klare Flut. Glastiere, Blumentiere hat man sie genannt. Aus der Eizelle der gebrechlichen Wesen, die oft zu 90°/o aus Wasser und aus wenigen Prozent lebender Körpersubstanz bestehen, formt sich zunächst ein ganz anderes Gebilde, das gar nicht mehr an das Muttertier erinnert: eine kleine bewimperte Larve, die lustig im flutenden Element einhertummelt. Bis der kleine Schwimmer eines Tages das Herumstrolchen satt hat. In einem geschützten Winkelchen hat er sich festgesetzt, und aus seinem Leib wachsen nach allen Seiten zarte Fangarme. Unsere Larve ist 27
zu einem kleinen Polyp geworden. Und n u n schnürt sich der langgezogene Leib in vielen Absätzen ein und bald sieht der Polypenkörper aus wie ein h o h e r Turm ineinandergestürzter Tassen. In Wirklichkeit h a t er sich in viele kleine Scheibenquallen gegliedert, die sich jetzt nach u n d nach loslösen und
Eine Qualle entsteht. Aus dem Ei der Qualle entsteht eine winzige bewimperte Larve a, die am Meeresboden iestsitzt und zum Polypen wird (b, c), der zuletzt Fangarme entwickelt (d). Der Polyp schnürt sich vielmals ein, so daß das ganze Gebilde wie ein Turm ineinandergesetzter Tassen aussieht (e). Die oberste Tasse, Scheibe löst sich ab und schwimmt davon (i), die anderen tolgen. Jede Scheibe wird nun in einem weiteren komplizierten Entwicklungsgang zu einer Schirmqualle (g), aus deren Eiern dann näue Larven entstehen. Das Spiel beginnt von neuem. davonschwimmen. Diese Scheibchen sind aber noch lange keine fertig entwickelten Tiere, s o n d e r n machen n u n noch eine langwierige W a c h s t u m s v e r w a n d l u n g durch, bis j e d e s v o n ihnen zur vollentwickelten „Meduse", zur Qualle, g e w o r d e n ist. W i r s e h e n : viele W e g e g e h e n die V e r w a n d l u n g s k ü n s t l e r und sehr vielseitig ist auch d e r Begriff d e r Larve. Und w e n n wir hier noch mehr Platz zur Verfügung hätten, dann k ö n n t e n wir v o n diesen niederen Tieren noch manches W u n d e r s a m e erfahren. V o r g ä n g e in der Puppe Doch wir wollten uns noch in die V o r g ä n g e v e r s e n k e n , die w ä h r e n d d e r V e r w a n d l u n g in e i n e r geschlossenen Puppe v o r 28
sich gehen. Denn erst dadurch wird uns klar, daß hier tatsächlich etwas geschieht, das zum Erstaunlichsten im Naturgeschehen zählt. Wir haben das Leben der Raupe bis zu dem Zeitpunkt verfolgt, da sie sich, zum vollgepfropften Fettsack geworden, in einem geschützten Winkel verpuppte. Von der Welt, die für sie aus Blättern und Gräsern bestand, zog sie sich zurück und schlug die Tür fest hinter sich zu. Wir sagten, sie hat sieb zur Puppenruhe begeben. Wie sieht diese Puppenruhe nun in Wirklichkeit aus? Was geschieht in dieser seltsamen Lebenspause? Wie geht es in der kleinen hornigen Klause zu? Wir wissen aus der Erfahrung, daß aus der Puppe nach geraumer Zeit ein Schmetterling schlüpfen wird. Die Umrisse der Puppe lassen ihn oft sogar schon erahnen. Also schauen wir doch einmal nach, was wir im Innern des kleinen Gehäuses entdecken mögen. Da liegt eine Puppe geöffnet vor uns, aber wie sind wir enttäuscht! Nichts Besonderes ist zu beachten, was uns irgend einen Anhalt bieten könnte. Im Innern vom Falter auch nicht die leiseste Andeutung. Kein einziges Glied! Keine vorgebildeten Flügel, keine Vorformen, die Fühler oder Beine vermuten lassen. Die Raupe, die sich da verkapselte, ist zerronnen. Nichts ist von ihr geblieben als ein durchsichtiger Brei. So einfach, wie wir uns das dachten, läßt sich die Natur ihre Schöpfungsgeheimnisse nicht ablauschen. Vollkommen unnütz war es, eine Puppe aufzuschneiden. Denn die Puppe ist ein Bauzaun, der auch dann nichts von dem preisgibt, was hinter ihm geschieht, wenn wir ihn niederreißen. Und es ist ein großer Irrtum, wenn wir uns angesichts des geöffneten Tieres trösten und sagen: Ach, die Raupe war sowieso tot! Sie ist nicht tot! Im Gegenteil, nirgendwo in der Welt pulst das Leben heftiger als in dieser Puppe und in diesem Lebensbrei! Ganz ungeheure Dinge geschehen hier. In dem so leblos erscheinenden Gebilde sind nämlich winzige Freßzellen mit einer wahren Berserkerwut dabei, den alten Leib der Raupe restlos aufzuzehren. Sie fressen so eifrig, wie tausend Raupen zugleich. Was sie fressen, das fließt den Keimen zu, die schon in der Raupe verborgen lagen. Und diese Keime quellen nun auf, entfalten sich und bauen eifrig an der Gestalt des zukünftigen Schmetterlings. 20
Der Naturforscher France bat in seinem herrlichen Buch „Lebenswunder der Tierwelt" diesen seltsamsten aller Lebensvorgänge einmal ins Menschliche übertragen und schreibt: „Wir bleiben an einem bestimmten Tag unseres Lebens sitzen und erstarren. Außen ändert sich nichts, nur steif ist der Körper. Die Augen sind offen, aber sie sehen nichts mehr. Die Gliedmaßen sind unbeweglich. In uns aber stürzt alles zusammen. Unser Blut zerfrißt uns. Das Herz ist zu einem Brei geworden, aber man stirbt nicht daran, denn man war ja schon tot in dieser unheimlichsten aller Märchenwirklichkeiten. Die Lunge zerfällt, der Magen rollt auseinander, wird Stückchen für Stückchen von den weißen Blutkörperchen verzehrt. Muskeln, Organe, Hirn, Zähne, Skelett, alles zerfließt zu Zellen, Zu Zellen, die sich wieder anders aufbauen, zu einem völlig anderen Geschöpf, das sich neu erschafft, indem es seine erste Lebensform kannibalisch selbst verzehrt, das aber doch wieder kein völlig Neues ist, weil es schon als „Anlage" im alten Adam drinsteckte." In diesem Zustand also befindet sich die Raupe innerhalb der Puppe. Der alte Raupenleib wird vollständig verzehrt, wird in seine einzelnen Bausteine, wird in Zellen zerlegt. Der neue Schmetterlingsleib aber wird aus diesem abgebauten Material von ganz bestimmten Punkten aus aufgebaut. Der Bauplan dazu lag in den Keimschichten. Dieser Plan braucht jetzt nur noch entfaltet zu werden, braucht sich nur noch zu entwickeln. Nur noch? Denken wir einmal darüber nach, w a s hier entwickelt, w a s hier aufgebaut wird! Kauende Kiefer verwandeln sich in einen saugenden Rüssel mit allerfeinsten Fühlborsten, armselige Stummelbeine in sechs lange und schlanke Beine, die geschickt und behend wie Hände sind. Aus zwölf winzigen Punktaugen werden zwei große Facettaugen. Aus kümmerlichen Fühlern werden Fühler mit zarten Sinneshaaaren und unzähligen Geruchsgruben und riechenden Zapfenkegeln. Aus einfachen Hautfalten wachsen die Flügel mit den vielen sinnnvollen Verstrebungen, mit einer kräftigen Muskulatur, mit dachziegelartig übereinander gelegten Farbschüppchen, die das Licht in allen Farben widerspiegeln und zwischen die sich feine Duftschuppen einlagern. Aus dem großen plumpen Raupenleib wird ein schlanker Flugzeugrumpf. Aus einem schwerfälligen Kriechtier ein Beherrscher 30
der Lüfte, eine w e h e n d e Blüte, ein W u n d e r an Schönheit. Und am dieses W u n d e r zu ermöglichen, müssen ein n e u e r Blutkreislauf, ein n e u e s V e r d a u u n g s s y s t e m , ein n e u e s Gehirn, e i n n e u e r Eortpflanzungsapparat geschaffen werden. Es ist k a u m glaublich, daß dieser gewaltige A b b a u und Umbau u n d N e u b a u wirklich in der k u r z e n Zeit der P u p p e n r u h e bewältigt wird. Und es ist noch einmal ein kleines W u n d e r für sich, daß die Bausteine auch immer ausreichen, daß nichts fehlt, daß die Raupe wahrhaftig an alles „gedacht" h a t u n d nicht e h e r zu fressen aufhörte, e h e nicht alles Baumaterial für den Imago b e i s a m m e n w a r . Nein, die P u p p e n r u h e w a r gar keine Ruhe! Die Pause in der Puppenklause ist eine Zeit, in der mit einfach unvorstellb a r e r Eifrigkeit gearbeitet, eingerissen und neu aufgebaut wird. W e n n sich die R a u p e in die Puppe zurückzieht, so ist das nichts anderes, als w e n n ein Mensch sich in die Einsamkeit zurückzieht, u m e i n g r o ß e s W e r k vorzubereiten, u n d fernab allem Trubel still an die Arbeit geht. Und so, wie d a n n die Mitmenschen s t a u n e n d vor dem in aller Stille gewachsenen W e r k des Meisters stehen, so stehen wir b e w u n d e r n d v o r dem Geschöpf, das die Puppenhülle verläßt, seine Schwingen ausbreitet u n d selig in die Sonnenwelt hineingaukelt.
».
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Manni
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