Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 594 Der Planetenwall
Das Tor zum anderen Universum von Falk-Ingo Klee Der Zusammenst...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 594 Der Planetenwall
Das Tor zum anderen Universum von Falk-Ingo Klee Der Zusammenstoß mit den Zyanern In den mehr als 200 Jahren ihres Fluges durch das All haben die Besatzungsmitglieder des Generationenschiffs SOL schon viele gefährliche Abenteuer bestanden. Doch im Vergleich zu den schicksalhaften Auseinandersetzungen, die sich seit dem Tag ereignen, da Atlan, der Arkonide, auf geheimnisvolle Weise an Bord gelangte, verblassen die vorangegangenen Geschehnisse zur Bedeutungslosigkeit. Denn jetzt – inzwischen ist nach einem weiteren Sturz in die Zukunft das Jahr 3807 Bordzeit angebrochen – geht es bei den Solanern um Dinge, die die weitere Existenz aller ernstlich in Frage stellen. Immer noch ist Hidden-X, das versteckte Unbekannte, aktiv, obwohl dieser Gegner der SOL durch Atlan und seine Getreuen schon mehr als eine entscheidende Schlappe erlitten hat. Gegenwärtig stellt sich für die Solaner die Lage so dar: Nach der Befreiung aus dem Zeittal, der Rückkehr Atlans und dem Sturz in die Zukunft überwindet man die fast 40 Millionen Lichtjahre von der ehemaligen Zone-X nach Pers-Mohandot, von wo aus Oggar gerufen hatte. Dort treffen die Solaner auf die Zyaner – und sie entdecken DAS TOR ZUM ANDEREN UNIVERSUM …
Die Hauptpersonen des Romans: Skrempeleck - Ein Verkünder des Positiven. Oggar-Rems - Der Pers-Oggare widmet sich der Zukunft seines Volkes. Atlan - Der Arkonide fängt einen Zyaner ein. Hage Nockemann und Blödel - Atlans Begleiter. Bruce-Zy - Sohn des Oberbefehlshabers der Zyaner.
1. An Bord der SOL herrschte Ruhe. Mitternacht war schon vorüber, die automatische Datumsanzeige hatte auf den 15. September 3807 umgeschaltet. Wer keinen Dienst hatte, hatte sich zur Ruhe begeben, nur vereinzelt sah man noch Solaner durch die im Halbdunkel liegenden Gänge huschen. Es waren vornehmlich Verliebte, die während des Tages keine Zeit füreinander gefunden hatten und nun die Kabine des oder der Angebeteten aufsuchten, um aus der Einsamkeit des Alltags in die beglückende Geborgenheit der Zweisamkeit zu entfliehen. SOL, SZ-2, ein Verteiler auf einer Ebene, in denen die Unterkünfte lagen. Hier waren keine Liebenden unterwegs, dafür hatten sich trotz der späten Stunde fast zweihundert junge Solaner eingefunden, unter ihnen auch Jylene Tapsin und der Buhrlo Trunk B. Deuergal, die als Anführer der Gruppe der Atlantreuen fungierten. Sie hockten mit unterschlagenen Beinen auf dem Boden und lauschten einem Mann, der hochaufgerichtet in ihrer Mitte stand. Der Solaner mußte schon uralt sein. Er war zwei Meter groß und sehr schlank, und der Schädel völlig haarlos. Das Gesicht glich fast einem Totenkopf. Die kaum erkennbaren Lippen waren blutleer und nur als dünner Strich zu erkennen; das einzige, was dem Antlitz Leben gab, waren die wasserblauen Augen – gütige Augen, die Lebensfreude und Zuversicht ausstrahlten. Nur die Augen? Nein,
die ganze hagere Gestalt vermittelte diesen Eindruck, von dem Alten ging ein Fluidum aus, das sich auf seine Zuhörer übertrug. Skrempeleck oder Narod II, wie er sich selbst nannte, trug einen wallenden Umhang aus hellblauem Kunststoff; wie meist, so hatte er auch jetzt die knochigen Finger vor dem Körper gefaltet. Wenn er redete, tat er das mit einer inneren Begeisterung, die andere mitriß und ohne pathetische Gesten auskam. »Meine lieben jungen Freunde, ich weiß von eurem Bemühen, denen die keine Hoffnung mehr hatten, Hilfe angedeihen zu lassen. Ich stehe auf eurer Seite, denn die Liebe zum Mitmenschen ist es, die uns innere Kraft und neuen Mut gibt, die Bereitschaft, sich zum Wohl aller Solaner einzusetzen. Nicht Heldentaten zählen, sondern der stille Dienst am Nächsten.« Aufbrandender Applaus unterbrach den Alten. Der Verkünder des Positiven oder einfach Verkünder, wie sich Narod II alias Skrempeleck auch bezeichnete, stand unbewegt wie eine Statue. Erst als sich keine Hand mehr rührte, sprach er weiter. »Unser größter Feind ist nicht einfach das Böse schlechthin, sondern das Negative in unseren Herzen und Köpfen. Denkt und handelt positiv, dann werdet ihr nicht nur das Negative in euch, sondern auch um euch herum besiegen. Wo Licht ist, hat die Finsternis ihre Macht verloren.« In der Runde war es mucksmäuschenstill. Wie gebannt hingen alle an seinen Lippen, aber das Leuchten in ihren Augen sprach eine beredtere Sprache als tausend Worte. »Als Atlan zu uns kam, begannen die düsteren Schatten zu weichen, die vor vielen Jahren Einzug auf der SOL gehalten hatten. Er brachte das Positive zu uns, doch noch ist die Finsternis, das Negative, nicht völlig besiegt – noch steht uns ein Kampf bevor, den wir aber gewinnen werden, wenn wir schnell und konsequent handeln. Ich sage euch: Das erste wirklich Positive steht unmittelbar bevor – es ist das baldige Ende von Hidden-X. Geht hin, meine Freunde, und verkündet diese Botschaft allen, die sich ängstigen
und zweifeln. Sagt ihnen, daß die Solaner stark genug sind, es zu schaffen.« Wieder kam nicht enden wollender Beifall auf. Narod II ließ seinen Blick noch einmal über die Versammelten schweifen, dann drehte er sich um und wandte sich zum Gehen. Beinahe ehrfurchtsvoll machten ihm die jungen Solaner Platz. Gemessenen Schrittes bewegte sich der Alte durch die entstandene Gasse auf einen Gang zu. Die einundzwanzig jährige Jylene Tapsin war aufgesprungen und lief hinter Skrempeleck her. »Warte, Verkünder, ich möchte dich noch etwas fragen.« »Was gibt es denn, mein Kind?« fragte Narod II freundlich. »Wann werden wir Hidden-X besiegen, Verkünder?« »Bald mein Kind.« »Wann ist ›bald‹? In einer Woche, in einem Monat?« »Aus dir spricht die Ungeduld der Jugend, mein Kind.« Ein nachsichtiges Lächeln erschien auf dem hohlwangigen Gesicht des Alten. »Übe dich in Langmut, aber halte dich bereit, denn der Tag des Triumphs ist nicht mehr fern.« »Wie kannst du dessen so sicher sein, Verkünder?« Narod II legte seine Rechte sanft auf die Schulter der Solanerin. »Ich weiß es eben.« Der Blick seiner blauen Augen verwirrte Jylene Tapsin. »Ich weiß es, und du weißt es auch, denn du hast es durch mich erfahren. Zweifel sind wie Schatten; lasse das Licht der Wahrheit und des Positiven in deine Gedanken, und du wirst erkennen, daß das Ende des Bösen nahe ist. Doch nun lasse mich meines Weges ziehen.« Wie betäubt trat die Atlantreue zur Seite und lehnte sich haltsuchend an die Gangwand. Vor ihren Augen verschwamm alles, sie glaubte, das Pochen ihres eigenen Herzens zu hören. Was war der Verkünder des Positiven wirklich? Ein Mutant, ein Hellseher, ein Prophet? Sie wußte es nicht, aber als sie in sich hineinlauschte, da spürte sie, daß der Greis ehrlich von dem überzeugt war, was er
predigte. »Danke, Verkünder!« rief sie dem dahinschlurfenden Alten nach. Skrempeleck gab keine Antwort; er hatte es nicht gehört, konnte es auch nicht hören, denn er war taub. Die Fragen, die ihm die Solanerin gestellt hatte, hatte er von ihren Lippen abgelesen. Niemand wußte, wer oder was Narod II wirklich war. Vor wenigen Tagen, als die SOL bereits Millionen von Lichtjahren im Linearraum zurückgelegt hatte mit Kurs Pers-Mohandot, war er plötzlich aufgetaucht und verkündete seitdem seine Botschaft überall im Schiff. Wer ihm zuhörte, konnte sich ihm kaum entziehen, denn er war ein großartiger Redner, der es verstand, zu überzeugen und zu begeistern. Was er sagte, hatte stets den gleichen Inhalt, aber er stellte sich auf sein Publikum ein. Anders als bei den Atlantreuen, die ja bereits motiviert waren, versuchte er bei denen, die mißtrauisch, ablehnend und voller Zweifel waren, eine Brücke zu schlagen zwischen den letzten Ereignissen um das Zeittal von Hidden-X, der Befreiung daraus und dem Ende der negativen Wesenheit, das er voraussagte. Er zeigte Prallelen auf, stachelte seine Zuhörer zu neuem Mut und Tatendrang an und stärkte ihr Selbstbewußtsein, wie es ein Psychologe nicht besser vermocht hätte. Viele machten sich seine Ansichten zu eigen, einige standen seinen Thesen skeptisch gegenüber, und wieder andere hielten ihn für einen Spinner, der aber harmlos war.
* Seit vierzehn Tagen raste der mächtige Hantelraumer durch den Linearraum, jenes unfaßbare Medium zwischen den Dimensionen, und hatte mittlerweile nahezu vierzig Millionen Lichtjahre zurückgelegt, die die ehemalige Zone-X von Pers-Mohandot
trennten. Noch war das Ziel nicht erreicht, dennoch hatten sich Atlan, Hayes und alle Stabsspezialisten in der Zentrale eingefunden. Man hatte diesen Flug nicht aus einer zufälligen Laune heraus gewagt, sondern aufgrund eines Hyperfunkspruchs von Oggar. Seit zweieinhalb Jahren hatte er versucht, mit der SOL Kontakt aufzunehmen, während auf dem Generationenschiff scheinbar nur wenige Monate vergangen waren. Was Oggar berichtet hatte, klang verheißungsvoll und gefährlich zugleich, denn es ging um Hidden-X. »Irgendwie habe ich ein gutes Gefühl«, sagte Breckcrown Hayes. »Zwar ist die CHART DECCON vernichtet, aber auf der SOL sind alle Schäden mittlerweile behoben, und die Moral an Bord ist wieder gut. Die meisten haben die jüngsten Ereignisse seelisch bereits verkraftet, so daß ich davon ausgehe, daß alle einsatzfähig sind, wenn es zum Ernstfall kommt.« Gallatan Herts warf zuerst dem Arkoniden, dann dem High Sideryt einen schrägen Blick zu. »Ich bin nicht ganz deiner Meinung. Überall im Schiff spuken die Anhänger von diesem Verkünder herum und behaupten, das Ende von Hidden-X sei nahe. Als wenn das so einfach wäre.« »Immerhin bewirkt der Mann eine positive Entwicklung«, warf Ursula Grown ein. »Erinnere dich nur an die schrecklichen Vorgänge im Zeittal. Wir auf der CHART DECCON waren davon zwar nicht so sehr betroffen, aber nach allem, was ich gehört habe, müssen hier auf der SOL katastrophale Zustände geherrscht haben. Daß jetzt wieder alles seinen geregelten Gang geht, ist dem Alten ebenso zu verdanken wie den idealistischen jungen Leuten, die sich die Atlantreuen nennen.« »Die haben es in der vergangenen Nacht besonders schlimm getrieben.« Der verwachsene Solaner verzog das Gesicht. »Mir liegen zahlreiche Beschwerden vor. Sie sind in fremde Kabinen eingedrungen, haben die Leute aus dem Schlaf gerissen und jedem, der es hören oder nicht hören wollte, erzählt, daß Hidden-X besiegt
wird, wenn alle Solaner schnell und konsequent handeln. In etlichen Stationen, die auch nachts besetzt sind, sind sie ebenfalls aufgetaucht, haben ihr Sprüchlein heruntergespult und versucht, die Männer und Frauen dort zu beeinflussen und mit ihnen über das Ende von Hidden-X zu diskutieren.« »Und du bist sicher, daß es diejenigen waren, die sich nach mir benannt haben?« »Sicher oder nicht, was spielt das für eine Rolle? Tatsache ist, daß es vornehmlich Jugendliche waren«, gab Herts unwirsch zurück. »Jedenfalls können wir nicht tatenlos zusehen, daß hier wieder eine Bewegung entsteht, die sich unserer Kontrolle entzieht.« »Negative Aspekte für die SOL sind nicht zu erkennen, Gallatan«, sagte Ursula Grown sanft. »Oder bist du anderer Meinung?« »Wie auch immer – mein Bedarf an Sektierern, oder ähnlichen Verrückten ist gedeckt.« Curie van Herling lenkte das Gespräch in eine sachlichere Richtung. »Wer ist dieser Verkünder überhaupt?« »Das scheint niemand zu wissen«, antwortete Atlan. »Er heißt Skrempeleck, nennt sich jedoch Narod II oder Verkünder. Zweifellos handelt es sich um einen Solaner, der bereits uralt sein muß, aber sonst ist so gut wie nichts über ihn bekannt, weil er noch nie öffentlich in Erscheinung getreten ist; erst seit ein paar Tagen macht er von sich reden. Bjo hat versucht, etwas über ihn herauszufinden, doch selbst er als Telepath ist aus dem Alten nicht schlau geworden. Ob Prophet oder nicht – ich stufe ihn als harmlos ein.« »Dennoch werde ich ihn unauffällig beobachten lassen«, meinte Hayes. »Ich möchte keine wie auch immer geartete Überraschung erleben.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ich glaube, daß wir das Thema ›Verkünder‹ ausreichend abgehandelt haben und nun zur Tagesordnung übergehen können. In knapp drei Stunden werden wir die Zielkoordinaten erreichen. Ich halte es für
zweckmäßig, wenn wir uns noch einmal über die Informationen unterhalten, die wir von Oggar bekommen haben.« Als niemand widersprach, begann der High Sideryt mit seinen Ausführungen. Schon wenige Minuten später war eine lebhafte Diskussion in Gang, an der sich auch die früheren Mentalpartner Oggars, Sternfeuer und Cpt'Carch, lebhaft beteiligten.
2. Durch den schwach erleuchteten Stollen bewegte sich ein merkwürdiges Wesen. Es sah aus wie der Stumpf eines knorrigen, zwei Meter großen Baumes, der auf etwa sechzig Zentimetern langen Wurzeln lief, die zur Höhe des zylindrischen Körpers noch hinzugerechnet werden mußten. Dort, wo die gleichzeitig der Fortbewegung und der Nahrungsaufnahme dienenden Wurzeln in den Rumpf mündeten, war mit einem Querschnitt von achtzig Zentimetern die breiteste Stelle, nach oben hin verjüngte sich der rauhe, stammartige Leib auf siebzig Zentimeter Durchmesser. An der oberen Kante befanden sich zwei Augen auf kurzen Stielen, die sehr beweglich waren und eine Sicht in zwei Richtungen gleichzeitig ermöglichten. Das Geschöpf mit der grünlich braun wirkenden, borkenartigen Oberfläche verfügte über zweiundzwanzig Arme, die aus dem oberen Teil des Körpers sprossen und jeweils in drei zweigähnlichen, beweglichen Fingern endeten. Bei geschlechtsreifen Exemplaren wuchsen aus unter der Rinde liegenden Knospen Blüten, die je nach Geschlecht männliche oder weibliche Keime abgaben. Kam es zu einer Vereinigung von beiden Komponenten, dann entstand ein Sämling, der im Lauf der Zeit zu einem PersOggaren heranwuchs. Enterer gehörte zu jenen Pers-Oggaren, die auf einer Kolonialwelt gelebt hatten und Oggar nach Vasterstat gefolgt waren, der Wiege
ihres Volkes. Er und weitere Artgenossen hatten mit Hilfe von Mnemofax VII und einigen anderen, wesentlich einfacheren Robotern die subplanetare Station wieder hergerichtet, Waldflächen gerodet und Felder angelegt. Die tiefgekühlten Keime von Auxonia und Wysterein, der jetzt Oggar war, waren aufgetaut und manuell befruchtet worden, dann hatte man die Keimlinge dem vorbehandelten Boden anvertraut. Mittlerweile hatten die ersten bereits das Erdreich durchstoßen und strebten als kleine Setzlinge empor zum Licht der Sonne Auxon. In wenigen Monaten würden sie ihre Wurzeln aus dem Boden ziehen und sich bewegen wie ihre erwachsenen Pfleger. Enterer war ein noch ziemlich junger Mann; erst in etwa zwei Jahren würde er geschlechtsreif werden. Ob es dann schon wieder eine Bestäubungshalle auf Vasterstat geben würde? Einstweilen verschwendete Enterer daran keinen Gedanken. Er hatte es eilig, in die Station zurückzugelangen, denn sein Körper verlangte nach Nahrung. Anders als die heranwachsenden Sämlinge konnten die älteren Pers-Oggaren ihre Nahrung einfach aus diesem Boden ziehen, dazu war der Gehalt an den verschiedensten Stoffen und Mineralien einfach zu gering; sie benötigten konzentrierte Nährlösungen. Drei Tage hintereinander hatte Enterer auf den Feldern an der Planetenoberfläche gearbeitet. Immer wieder mußte der Boden gehackt werden, um die feinen Kapillarröhrchen zu unterbrechen, die sich so zahlreich bildeten; in ihnen sammelte sich Wasser, das nach oben stieg, einfach verdunstete und so den Setzlingen nicht mehr zur Verfügung stand. Eine gewisse Feuchtigkeit im Erdreich war aber unerläßlich für ihr Gedeihen. Nicht minderwichtig war es, jeden Pflanzenwuchs von den Kulturen fernzuhalten. Auch das winzigste grüne Hälmchen entzog der Krume Nähr- und Aufbaustoffe, die der eigene Nachwuchs so dringend brauchte. Damit nicht genug, hatten sich auf Vasterstat auch Spezies
entwickelt, die es früher auf diesem Planeten nicht gegeben hatte. Die rehgroßen, in Rudeln auftretenden Tiere schienen die jungen Pers-Oggaren für eine besondere Bereicherung ihres Speisezettels zu halten; selbst bei hellichtem Tag brachen sie aus Wald und Gebüsch hervor, um an den Setzlingen zu knabbern. Zäune und andere Schutzvorrichtungen halfen da nur wenig; rund um die Uhr mußten Wachen eingesetzt werden, um die Kulturen vor den dreisten Nagern zu bewahren. Die etwa einhundert Pers-Oggaren, die hier auf der Welt ihrer Vorfahren den Grundstein zu einer neuen blühenden Zivilisation legen wollten, waren unermüdlich im Einsatz. Dabei kam ihnen zugute, daß sie anders als die meisten hochstehenden Lebewesen keinen Schlaf benötigten. Sie konnten Tag und Nacht arbeiten, ohne auszuruhen, und das taten sie auch, wenn man von den kurzen Pausen zur Nahrungsaufnahme einmal absah. Oggar und Mnemofax VII hatten sie in der Bedienung des technischen Instrumentariums der Station unterwiesen, zumindest diejenigen, die eine entsprechende Begabung hatten. Das, was Fastrap einst zu seinem und seines Volkes Schutz gebaut hatte, kam nun seinen Nachkommen zugute, und sie handhabten die komplexe Maschinerie virtuos. Die kleine Kolonie von Pers-Oggaren, die jetzt auf Vasterstat lebte, wußte nicht, wie der Planet früher einmal ausgesehen hatte, damals, als von der hiesigen Hauptstadt Aust-Tardan aus noch über tausend Kolonialwelten verwaltet wurden. Die Verwüstungen, die die fremden Zerstörer vor vielen tausend Jahren angerichtet hatten, waren nicht mehr zu sehen. Die üppig wuchernde Vegetation hatte die Narben, Schrunde und Krater dieser Welt ebenso mit einem dichten grünen Teppich bedeckt wie die Trümmer der Städte und Dörfer. Wer konnte schon ahnen, daß dort, wo jetzt Urwald die Station tarnte, einst die Gipfel der Berge der Ewigkeit, bedeckt von ewigem Schnee und Eis, die Wolkendecke durchstoßen hatten? Fastrap, der Meister Wystereins, also Oggars,
hatte dort seine Lieblingsplätze für die Zukunftsmeditation gehabt, doch wer wußte das noch, wer erinnerte sich noch an den großen Seher? * Einst hatte Vasterstat seine Sonne auf anderer Bahn umrundet, zusammen mit drei anderen Planeten, die Leben trugen: Purseldat, Mersondon und Falldot. Sie waren nur noch öde Gesteinsbrocken. Auf seinem Weg nach unten begegnete Enterer zwei anderen PersOggaren, die hinauf an die Oberfläche zu den Feldern wollten. Beide hatten Gestelle umgeschnallt, die allerlei Utensilien enthielten; darunter auch mehrere Tanks mit flüssigem Dünger. Bodenproben hatten ergeben, daß die nährstoffreiche Humusschicht relativ dünn war; nun, wo der dichte Pflanzenwuchs mit seinem Wurzelgeflecht fehlte, kam es bei Niederschlägen zu Auswaschungen. Um diesen Verlust auszugleichen, mußten den Setzlingen Wirkstoffe in Form von Nährlösungen zugeführt werden. Die drei kannten sich natürlich, dennoch wechselten sie nur ein paar Worte. Wirkliche Neuigkeiten gab es kaum, Routine und Arbeit bestimmten den Alltag. Alle, die Oggars Ruf gefolgt waren, verstanden sich wie ihre ausgewanderten Vorfahren als Kolonisten, als Siedler, die hier eine neue Keimzelle ihrer eigenen Kultur schufen, doch die gesteckten Ziele waren idealistischer. Vasterstat war nicht einfach ein Planet, der urbar gemacht werden sollte, nein. Vasterstat sollte wieder das werden, was er einmal gewesen war – das Zentrum eines Imperiums. Allein der Gedanke daran war kühn, aber die zu ihrer Heimatwelt zurückgekehrten Pers-Oggaren vertrauten Oggar – trotz seines ungewöhnlichen Aussehens. Nicht der Körper war maßgebend, sondern der Geist, und in dieser Hinsicht war Oggar all seinen Artgenossen überlegen. Gedankenverloren stelzte Enterer auf die Station zu. Seinen unnatürlich langen Schatten nahm er nur unterbewußt wahr. Um die Ortungsgefahr zu verringern, wurden die spärlich angebrachten Lampen ausschließlich mit Energieblöcken betrieben, die keine
verräterische Streustrahlung abgaben. Endlich stand er vor dem besonders isolierten und gesicherten Schott. Unsichtbare Strahlen in minimaler Dosierung tasteten ihn ab, dann fuhren die beiden massiven Flügel zurück. Schwaches rötliches Licht erfüllte die winzige Kammer. Diesmal erfolgte eine Kontrolle im Infrarotbereich, gleichzeitig nahm das Mnemodukt der Station eine optische Überprüfung vor. Wieder öffnete sich der Durchlaß, doch der Weg war noch nicht frei. Die Schleuse, die er nun betrat, entpuppte sich als würfelförmiger Raum, dessen Kantenlänge die Größe eines ausgewachsenen Pers-Oggaren nur knapp übertraf; düsteres, violettes Licht, gespeist aus unsichtbaren Quellen, erfüllte das quadratische Geviert. Ein unterschwelliges Summen war zu hören, dann bedeckten sich die kunststoffverkleideten Flächen mit Rauhreif und Eis. Binnen einer knappen Minute sank die Temperatur auf minus fünfzig Grad, gleichzeitig reduzierte sich der Sauerstoffgehalt der Luft auf siebzig Prozent. Diesen Teil der Prozedur haßte Enterer besonders, aber er ließ sich nicht umgehen. Fast einhundert Sekunden mußte er in der bitteren Kälte ausharren, in der unsichtbare Sensoren seine Körperfunktionen maßen, dann wurden die ursprünglichen Verhältnisse wiederhergestellt. Das mächtige Schott verschwand im Boden, dann war der Weg in die Station frei. Die beiden bewaffneten, ihren Erbauern nachempfundenen Robots reagierten nicht, als der Pers-Oggare ihre Nischen passierte. Der Gang, durch den sich Enterer nun bewegte, war verkleidet und taghell erleuchtet. Zahlreiche Türen und Gänge zweigten von ihm ab; sie führten zu Unterkünften, Lagern und Labors. Auf seinen Laufwurzeln marschierte Enterer schnurstracks zur Zentrale. Als er den mit technischen Anlagen vollgestopften Raum betrat, wurde zwar sein Gruß erwidert, aber sonst nahm man kaum Notiz von ihm. Geschäftig huschten acht Pers-Oggaren hin und her, machten sich an Pulten und Instrumenten zu schaffen,
kontrollierten hier und riefen dort Daten ab, pegelten Skalen ein und hantierten an Eingabekonsolen. Ob derlei Aktivitäten wirklich notwendig waren, konnte Enterer nicht beurteilen. Eine Weile sah der junge Mann dem aufgeregten Treiben seiner Artgenossen zu, dann ging er hinüber in einen Nebenraum, der Erste-Hilfe-Station und »Speisezimmer« in einem war. Ein Robot kam sogleich eilfertig herbeigerollt und fragte nach seinen Wünschen. »Nahrung«, sagte Enterer. Er ließ sich auf das breite Ende seines Körpers nieder, das Ruhekissen genannt wurde. Der Automat zapfte aus einem Servo eine farblose Flüssigkeit in eine kleine Wanne, fügte zwei bräunliche Preßtabletten hinzu und stellte das Gefäß vor Enterer ab. Die Trockenerde sog sich rasch voll, vergrößerte ihr Volumen und löste sich schließlich auf, so daß ein dicklicher Brei entstand. Genüßlich senkte der Pers-Oggare seine Wurzeln in den Nährlösungsmatsch. Erst jetzt wandte er sich an Daistron, einen Techniker, der gleich ihm die Wurzeln in den warmen Schlamm getaucht hatte; er war außer Enterer der einzige, der sich zur Zeit hier aufhielt. »Was ist eigentlich mit deinen Kollegen in der Zentrale los? Sie sind so nervös, als würden bald auf ihren Armen zum erstenmal die Blüten sprießen.« »Über die äußeren Sensoren haben wir unbekannte Signale empfangen, die auch das Mnemodukt bisher nicht entschlüsseln konnte«, gab Daistron bedächtig zurück. »Und warum wurde kein Alarm ausgelöst?« erkundigte sich Enterer. »Mehr als siebzig von uns befinden sich an der Planetenoberfläche. Sie müssen zurück in die Station.« »Sie sind nicht gefährdet, zumindest im Augenblick noch nicht. Bei einer auftauchenden Gefahr werden sie sofort benachrichtigt.« Der junge Mann richtete eins seiner Stielaugen auf den Älteren und musterte ihn eingehend. »Was sind das für Signale?«
»Das weiß ich auch nicht genau, weil ich dafür nicht zuständig bin. Wenn du Einzelheiten wissen willst, mußt du Asteren fragen. Er ist der Chef, wenn Oggar nicht da ist.« »Wo ist Oggar?« »Hör zu, ich bin hier, um Nahrung aufzunehmen, und nicht, um Fragen zu beantworten. Warum gehst du nicht zu Asteren? Er weiß auf alles eine Antwort.« »Sicher, aber wird er mir auch die Wahrheit sagen?« Bevor der Techniker antworten konnte, war das Schrillen der Alarmsirenen zu hören. Ohne lange zu überlegen, zogen die beiden Pers-Oggaren ihre Wurzeln aus den Nährstofflösungen und begaben sich sogleich nach nebenan in die Zentrale. Im Kommandoraum war der Teufel los. Ein Teil der Spezialisten setzte sämtliche Arme ein, um Schaltungen und Einstellungen vorzunehmen. Eine Frau hatte über eine abhörsichere Kabelleitung Verbindung mit den Pers-Oggaren an der Oberfläche aufgenommen, eine andere bediente das überlichtschnelle Funkgerät und sendete in kurzen Abständen geraffte Richtfunksignale, um Oggar zu alarmieren. Asteren stand wie ein Fels in der Brandung und gab mit lauter Stimme seine Anweisungen. Der Grund für die Aufregung war auf einem Bildschirm zu sehen: Vier fremde Raumschiffe in Form von Halbkugeln waren aufgetaucht. Mit mäßiger Geschwindigkeit bewegten sie sich auf Auxon zu. Noch befanden sie sich in Höhe der äußersten Planetenbahn, aber wenn sie ihren Kurs nicht änderten, würden sie Vasterstat in geringer Entfernung passieren. Das Mnemodukt arbeitete bereits an der Entschlüsselung der in einer unbekannten Sprache geführten Funksprüche. Daistron erschauderte. Wenn die Fremden die Station entdeckten, war ihrer aller Schicksal besiegelt. Die kleine Pers-Oggaren-Kolonie besaß nur ein Raumschiff, und mit dem war Oggar im All unterwegs.
* Die Zielkoordinaten waren erreicht. Mit einer Geschwindigkeit von 63.000 km/sec. fiel die SOL in das Einsteinuniversum zurück und wurde abgebremst. Die Astronomische Sektion und die Ortungsabteilung tasteten sofort den umliegenden Raum ab, sämtliche Geschützstände waren besetzt, und die mächtigen Schirmfelder konnten in Sekundenbruchteilen aktiviert werden. Die Vorsicht war unbegründet. Nichts und niemand lauerte dem Hantelraumer auf. In näherer und weiterer Umgebung gab es Anzeichen für eine Gefahr. Das einzige, was anmeßbar war, war ein Sonnensystem in achtundfünfzig Lichtminuten Entfernung. Es handelte sich um einen der durchaus nicht so seltenen Mehrfachsterne. Eine Sol ähnelnde Sonne und ein lichtschwächerer orangeroter Stern umkreisten einander in einer mittleren gegenseitigen Entfernung von vierundsechzig Millionen Kilometern; in einem etwas größeren Abstand bewegte sich ein extrem lichtschwacher roter Zwergstern um den gemeinsamen Schwerpunkt. Wie ermittelt wurde, betrug die Umlaufdauer der beiden Zentralsonnen umeinander vierzehn Tage, achtzehn Stunden und neun Minuten. Da der »Trio« genannte Mehrfachstern noch nicht katalogisiert worden war, nahmen die Astronomen exakte Messungen vor, so daß das Sonnensystem später anhand der Unterlagen sofort identifiziert werden konnte. Eine grobe Schematisierung erfolgte durch das HertzsprungRussel-Diagramm, das seit rund zwei Jahrtausenden Anwendung fand, allerdings wesentlich verbessert und verfeinert worden war. Sechs Planeten umkreisten auf abenteuerlichen Bahnen den Mehrfachstern; da sie in das Gravitationsgefüge eingebunden waren, wiesen ihre Umlaufebenen extreme geometrische Figuren
auf, führten in einem Fall sogar zwischen den Sonnen hindurch. Die Trabanten waren mond- bis uranusgroß, dazwischen gab es Abstufungen; allen war gemein, daß es aufgrund ihrer exzentrischen Bahnen lebensfeindliche Welten waren. Breckcrown Hayes überflog die Folie mit den ausgedruckten Daten und gab sie stirnrunzelnd an Atlan weiter. »Ich möchte wissen, was sich Oggar dabei gedacht hat. Was sollen wir hier?« »Wahrscheinlich hatte er seine Gründe, diesen Treffpunkt zu wählen. Immerhin scheint es in diesem Sektor nichts zu geben, was uns oder der SOL gefährlich werden könnte.« »Das ist richtig, dennoch wundere ich mich. Wenn ich recht informiert bin, ist Auxon nur wenige Lichtjahre von hier entfernt. Warum unterzieht er sich der Mühe, hierherzukommen, anstatt uns in seinem Heimatsystem zu kontaktieren?« »Ich denke, wir werden es bald wissen.« Atlan stellte eine Verbindung zu Curie van Herling her, die dem Funk- und Ortungspersonal vorstand. »Habt ihr irgend etwas erreicht?« »Nein.« Die Stabsspezialistin schüttelte den Kopf. »Wir strahlen pausenlos Peilimpulse ab, doch bisher hat Oggar sich nicht gemeldet.« Die Frau blickte kurz zur Seite. »Moment, soeben sprechen die Taster an. Ich lege das Bild um.« Auf dem großen Schirm in der Zentrale war der rote Zwerg zu sehen, gleich darauf tauchte aus dem Ortungsschatten ein winziger, diskusförmiger Körper auf und nahm Kurs auf das riesige Generationenschiff. Wenig später ging ein Funkspruch ein, ohne daß der Bildempfänger ansprach. »Ich freue mich, daß ihr gekommen seid, meine Freunde. Nach eurer Zeitrechnung sind fast zweieinhalb Jahre vergangen, daß wir zum letzten Mal zusammengetroffen sind.« »Für uns waren es zwar nur wenige Monate, aber deshalb freuen wir uns nicht weniger«, sagte Hayes. »Doch warum zeigst du dich nicht? Stimmt etwas nicht mit deiner Hyperfunkanlage?«
»Nein, es ist kein technischer Defekt. Ich wollte euch nur ein wenig auf mein verändertes Äußeres vorbereiten, denn ich bin nicht mehr der Oggar, den ihr kennt, ich bin jetzt Oggar-Rems. So nenne ich mich, seit ich mich in den Körper des Druggers versetzt habe. Das Bewußtsein von Rems ist tot, doch ich lebe seitdem quasi für ihn, aber nicht als Drugger, sondern als Pers-Oggare in einer anderen Hülle.« »Mach es nicht so spannend, mein Lieber.« Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen des Arkoniden. »Wir wollen dich endlich in deiner ganzen Schönheit sehen.« Das Bild wechselte. Eine große Kugel von dunkelbrauner Farbe war zu sehen, die mit zahlreichen warzenähnlichen kleinen Ausbuchtungen übersät war. An der Oberfläche befand sich eine Art Beule von tiefblauer Farbe, zahlreiche armähnliche Extremitäten wuchsen aus dem runden Leib heraus. Hayes schluckte ein paarmal, und selbst Atlan, der in seinem langen Leben schon den exotischsten Lebensformen begegnet war, starrte ein wenig ungläubig auf den Schirm. Das sollte Oggar sein oder Oggar-Rems, wie er sich nun nannte? Warum hatte er sich ausgerechnet einen solchen Körper ausgesucht? Du solltest doch am besten wissen, daß Äußerlichkeiten nichtssagend sind, tadelte der Logiksektor. »Ich habe mich sehr verändert, nicht wahr?« »Ja, aber hoffentlich nur äußerlich«, stieß der High Sideryt hervor. »Entschuldige, aber wir alle sind doch ein wenig verwundert. Wir müssen uns an dein neues Aussehen erst gewöhnen, Oggar-Rems.« Der Pers-Oggare gab das Äquivalent eines Lachens von sich. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Selbst gegenüber meinen Artgenossen hatte ich Schwierigkeiten, als der akzeptiert zu werden, der ich bin. Dennoch bin ich mit meinem neuen Körper recht zufrieden, denn er besitzt ein paar sehr praktische Einrichtungen, doch lassen wir das einstweilen. Ihr erwartet zu Recht Informationen von mir und kein Geplauder über mein
verändertes Aussehen. Bei meinem Hyperfunkspruch habe ich mich kurz gefaßt, denn ich habe seit unserer letzten Begegnung fast pausenlos versucht, mit euch Kontakt aufzunehmen, ohne daß es mir gelungen ist; nun, da ihr hier seid, können wir in Details gehen.« »Ich denke, wir unterhalten uns darüber an Bord der SOL«, schlug Breckcrown Hayes vor. »Abgemacht. Ich werde den Antrieb in Kürze abschalten, damit ihr die FASTRAP einschleusen könnt. Bis später!« Die Funkverbindung wurde getrennt, das Bild erlosch. Hayes gab die entsprechenden Anweisungen, dann wandte er sich an Atlan. »Wir sollten Oggars ehemalige Mentalfreunde vielleicht schonend darauf vorbereiten, daß er jetzt völlig anders aussieht, meinst du, nicht auch?« Der Solaner fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich hätte Sternfeuer und Cpt'Carch bei unserer Unterredung nämlich gerne dabei, weil sie lange Zeit einen geistigen Verbund mit Oggar eingegangen sind. Sie kennen ihn und interpretieren manches möglicherweise anders als wir.« Bevor der Arkonide antworten konnte, meldete sich Oggar-Rems erneut. Diesmal klang seine Stimme aufgeregt. »Es hat sich eine neue Situation ergeben. Die kleine Kolonie meines Volkes, die ich auf Vasterstat gegründet habe, hat mich soeben alarmiert. Mehrere Schiffe der Zyaner sind in das AuxonSystem eingedrungen und werden unseren Ursprungsplaneten in geringem Abstand passieren. Wenn sie die Station entdecken und angreifen, war all meine Mühe umsonst. Ich muß zurück und meinen Artgenossen beistehen.« Der Pers-Oggare machte eine kurze Pause, während der Körper unablässig in Bewegung war. Arme und Pseudopodien entstanden und bildeten sich wieder zurück; nichts hätte den Gemütszustand des solanischen Mitstreiters besser ausdrücken können. ( »Sie scheinen so etwas wie Kundschafter zu sein, verfügen aber immerhin über vier Schiffe. Einmal ist es mir gelungen, die Zyaner
abzulenken, aber ob ich es noch einmal schaffe, ist zweifelhaft, deshalb bitte ich euch um Hilfe. Der Einsatz gegen sie ist auch für euch von Vorteil, denn nur über die Zyaner gelangt ihr zu HiddenX.« Dieses Hinweises hätte es nicht bedurft. Hayes und Atlan fühlten sich nicht nur verpflichtet, zu helfen, für sie war es ganz einfach eine Selbstverständlichkeit, einem Freund beizustehen. »Natürlich unterstützen wir dich, Oggar-Rems. Über wie viele Schiffe verfügt ihr?« »Nur über das eine, mit dem ich hierher gekommen bin.« »Das ist wirklich sehr dürftig.« Atlan wandte sich an den High Sideryt. »Ich denke, vier Kreuzer werden genügen. Breckcrown, bist du damit einverstanden?« Hayes nickte stumm. »Wir stellen euch vier große Beiboote zur Verfügung, OggarRems.« »Ich danke euch, meine Freunde«, sagte der Pers-Oggare gerührt. »Nur eine Bitte habe ich noch: Macht so schnell ihr könnt.« »Versprochen!« Für die Solaner war es Ehrensache, ihr Können unter Beweis zu stellen. Binnen weniger Minuten waren die vier Leichten Kreuzer ausgeschleust worden und hielten mit maximaler Beschleunigung auf den vorausfliegenden Diskus zu. Als die Raumer in den Linearraum überwechselten und von den Bildschirmen verschwanden, erkundigte sich Uster Brick: »Sollen wir mit der SOL folgen?« Hayes und Atlan verständigten sich durch einen kurzen Blick miteinander, dann sagte der Kommandant des Hantelraumers bedächtig: »Wir führen ein Kurzmanöver durch, das uns bis auf ein Parsec an Auxon heranbringt. Dort gehen wir dann in Warteposition.« Atlan nickte zustimmend; diese Entscheidung war durchaus in seinem Sinn. Aus der Ferne konnte man beobachten und
Informationen sammeln, ohne die Zyaner durch eine Demonstration der Stärke gleich zu vergraulen. Falls es nötig sein sollte, war man nah genug, um einzugreifen und die eigenen Einheiten und Vasterstat zu schützen. Der dunkelhäutige Pilot nahm die nötigen Eingaben vor. Für ihn wie auch für die anderen an Bord war es ein Routineflug, und der Arkonide bildete in dieser Beziehung keine Ausnahme. Der Pers-Oggare sprach von Kundschaftern, meldete sich der Logiksektor. Wo Späher sind, ist eine größere Streitmacht nicht weit. Hast du das bedacht? Oggar-Rems hat auch erwähnt, daß er die Zyaner bereits einmal genarrt hat, und er verfügt nur über diesen kleinen Diskus, erwiderte der Aktivatorträger lautlos. Das spricht weder für einen starken Verband noch für taktisches und strategisches Geschick. Ich habe dich jedenfalls gewarnt. Wenn eine Verbindung zwischen den Zyanern und Hidden-X besteht, wird die Wesenheit ganz ohne Zweifel wieder massiv eingreifen, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlt. Und es wäre nicht das erste Mal, daß die SOL Ziel dieser Angriffe wird. Rein statistisch gesehen, ist das Soll glücklicher Umstände und unwahrscheinlicher Zufalle ohnehin überstrapaziert – du und die Solaner müßten eigentlich schon tot sein. Du hast eine unnachahmliche Art, einem Mut zu machen, dachte Atlan. Du hast mich wie so oft gründlich mißverstanden. Ich will dich nicht in deinem naiven Optimismus bestärken, sondern das Gegenteil erreichen. Sei wachsam! Atlan gab keine Antwort. Als die solanischen Einheiten und die FASTRAP in das Einsteinuniversum zurückfielen, orteten sie sofort die Schiffe der Zyaner. Die einhundertzwanzig Meter durchmessenden Halbkugeln flogen seitlich versetzt; der führende Raumer war nur noch dreihunderttausend Kilometer von Vasterstat entfernt. Han Setrak, der die ANDORRA befehligte und zugleich
Kommandant des Unternehmens war, nahm Kontakt zu dem Diskus auf. Der Pers-Oggare meldete sich sofort. »Oggar-Rems, ich halte es für besser, wenn du dich zurückhältst. Wir werden versuchen, die Zyaner zu vertreiben, aber wir kennen ihre Mentalität nicht. Wenn sie angreifen, bist du am meisten gefährdet. Die FASTRAP ist zu klein, um gegen einen solchen Gegner anzutreten.« »Gut, ich werde tun, was du sagst. Aber bitte beeilt euch, bevor es für die Station zu spät ist.« »Wir tun, was wir können.« Setrak unterbrach die Normalfunksendung und ließ das Hyperfunkgerät in Betrieb nehmen. Eine auf mathematischpositronischer Basis fußende, sich ständig wiederholende Botschaft verließ die Antennen der ANDORRA, während sie zusammen mit den anderen Kreuzern auf Vasterstat zuraste. Die andere Seite ließ die Sendungen unbeantwortet und zeigte gleich darauf noch deutlicher, daß man an einer Verständigung nicht interessiert war. Der Raumer, der dem Planeten am nächsten war, feuerte eine Salve ab, die eine mehrere Quadratkilometer große Waldfläche verwüstete, zugleich bremsten die anderen Einheiten ab und formierten sich neu. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß sie es auf eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den etwas kleineren Kugelraumern ankommen lassen wollten. Längst hatten sich zyanische und solanische Schiffe in ihre Schirmfelder gehüllt. Die Leichten Kreuzer gaben eine Serie von Warnschüssen ab, die vom Gegner mit gezieltem Feuer beantwortet wurden. Alle vier Beiboote erhielten Treffer, denen die HÜ- und Paratronschirme jedoch standhielten. Eine für die Gegenseite überraschende Kursänderung hatte bewirkt, daß ein Teil der Energien wirkungslos verpuffte. Auf Geheiß von Han Setrak taktierten die Solaner recht vorsichtig. Zum einen wußte man nichts über die Qualität der zyanischen Schiffe und ihrer Bewaffnung, zum anderen hatten sie nicht die
Absicht, die halbkugeligen Flugkörper zu vernichten; man wollte sie lediglich ablenken, sie allenfalls in Bedrängnis bringen und zur Flucht veranlassen. Die ANDORRA stand in permanenter Funkverbindung mit der NIXE, der YEOMAN und der ZEUS. Die Schiffe hatten einen Stoßkeil gebildet, an dessen Spitze Setraks Raumer flog. Gleichzeitig begannen sie zu feuern – diesmal gezielt, aber mit verminderter Abstrahlleistung. Die Schutzschirme der drei zyanischen Einheiten flammten auf, wurden jedoch nicht überlastet. Bevor sie zum Gegenschlag ausholen konnten, fächerten die Kreuzer auseinander und tauchten nach unten weg. Die Salven der Fremden gingen ins Leere, winzige Kunstsonnen entstanden und vergingen wieder, grelle Glutbahnen wetterleuchteten durch das All. Nun griff auch die vierte Halbkugel, die mittlerweile erneut das Feuer auf den ungeschützten Planeten eröffnet hatte, in die Auseinandersetzung ein. Mehr hatten die Solaner nicht erreichen wollen. Noch einmal flogen sie einen Scheinangriff; heftiges Abwehrfeuer schlug ihnen entgegen. Wie verabredet wandten sie sich zur Flucht, und Setrak riskierte es sogar, für Sekundenbruchteile die Schutzschirme zu desaktivieren. Für die Zyaner sollte es so aussehen, daß sie den kleineren Kugelraumer weit überlegen waren. Gleich einer Hühnerschar, in die der Habicht stieß, schwirrten die Leichten Kreuzer nach allen Seiten davon, von Vasterstat weg. Ein paar Sekunden lang sah es so aus, als würden die Fremden sich mit diesem Erfolg zufriedengeben, doch dann nahmen sie wie erhofft die Verfolgung auf. Während sie aus allen Rohren feuerten, gaben die Solaner nur hin und wieder einen Schuß ab, der dazu auch noch – absichtlich natürlich – schlecht placiert war. Plötzlich sprachen die Empfänger der Beiboote auf einer Frequenz an, die von den Solanern so gut wie nie benutzt wurde. Dumpfe, grollende Laute drangen aus den Lautsprechern; das Idiom war so fremdartig, daß es auch von den Positroniken nicht entschlüsselt
werden konnte. Eine Minute später empfing man auch einen Hyperfunkimpuls, der allerdings verschlüsselt und offensichtlich nicht für solanische Ohren und Antennen gedacht war. Han Setrak hatte sich einen abenteuerlichen Plan ausgedacht und sich kurz mit den anderen Kommandanten abgestimmt. Während NIXE, ZEUS und YEOMAN aufeinander zuhielten und mit voller Beschleunigung auf die Grenze des Auxon-Systems zusteuerten, nahm die ANDORRA mit gedrosselten Triebwerken Kurs auf den unwirtlichen Nachbarplaneten Vasterstats. Dabei zeigte sich, daß die Schiffe der Zyaner den Leichten Kreuzern vom Antrieb her unterlegen waren. Als abzusehen war, daß die Kugelraumer nicht mehr einzuholen waren, gaben die Fremden die Verfolgung auf und folgten der Halbkugel, die die ANDORRA jagte. Darauf hatte Setrak gewartet. Das vorher angeschlagen wirkende Beiboot beschleunigte plötzlich mit Maximalwerten und verwandelte sich in ein feuerspeiendes Ungeheuer, das zwischen sich und den Fremden eine Wand aus entfesselten Energien errichtete. Han Setrak rieb sich die Hände, sein marzipanfarbenes Gesicht mit den roten Apfelbäckchen strahlte Zufriedenheit aus. Das war eine Sache ganz nach seinem Geschmack; er rechnete es sich weitaus höher an, einen Gegner zu narren, anstatt ihn zu vernichten. Er versuchte sich vorzustellen, wie die Wesen in dem zyanischen Raumer wohl aussahen und was für ein Gesicht sein Widerpart jetzt machte, als er erkennen mußte, hereingelegt worden zu sein. Ein kurzer Hyperfunkspruch der NIXE ging ein. Er besagte, daß die solanischen Einheiten programmgemäß nach Vasterstat zurückkehrten, diesmal jedoch nicht als Lockvögel oder Köder, sondern zum Schutz der Pers-Oggaren. Auf den Orterschirmen war zu erkennen, daß die drei abgeschlagenen Halbkugeln versuchten, der ANDORRA den Weg abzuschneiden, während der vierte zyanische Raumer hartnäckig nachsetzte. Er feuerte, was das Zeug hielt, obwohl er bei dieser
Distanz kaum noch Aussichten hatte, einen Treffer anzubringen. Und dann geschah etwas, womit niemand rechnen konnte, weil es fast einer Selbstaufgabe gleichkam: Der Verfolger durchbrach die energetische Sperrfeuerfront, und anders als vorher war die Kapazität der Geschütze diesmal nicht gedrosselt worden. Der Schutzschirm des fremden Schiffes wurde von Schlieren durchzogen, dann wurde er milchig und blähte sich auf. Heftige Entladungen in allen Farben des Regenbogens zuckten gleich Blitzen durch die semitransparente Hülle, dann brach sie zusammen. Der Flug des zyanischen Raumers wurde unregelmäßig, er geriet ins Trudeln, lange Flammenzungen schossen aus der glatten Unterseite. Han Setrak saß da wie vom Donner gerührt. »Feuer einstellen!« befahl er mit tonloser Stimme. Der Kommandant der ANDORRA war ein erfahrener Mann. Er hatte nicht nur gegen das Schlafende Heer der Roboter gekämpft, sondern auch andere Einsätze gegen fremdrassige Völker überlebt. Das, was sich hier und jetzt tat, hatte er nicht gewollt; er wußte, daß es für die Zyaner an Bord der Halbkugel nur noch eine Rettung gab: Sie mußten so schnell wie möglich in die Beiboote, denn jeden Augenblick konnte ihr angeschlagenes Schiff explodieren. Setrak gab Befehl, abzustoppen und umzukehren; nur sein Raumer war augenblicklich nahe genug, um den in Not geratenen Zyanern wirksam helfen zu können, wenn sie einfach ausstiegen und durch den Raum trieben. Gleichzeitig war er umsichtig genug, auch die anderen Kreuzer zu informieren über das, was vorging und was er zu tun beabsichtigte. Er schloß seine Durchsage mit den Worten: »An eurem Auftrag ändert sich nichts. Haltet mir den Rücken frei!« Er hatte kaum ausgesprochen, als sich die Ortungsabteilung meldete, gleich darauf sprach auch der Hyperfunkempfänger an. Die Nachricht der SOL bestätigte quasi das, was die Techniker der ANDORRA herausgefunden hatten: Wenige Lichtstunden von
Auxon entfernt war eine Flotte halbkugeliger Schiffe aufgetaucht, deren Durchmesser zwischen einhundertzwanzig und zweihundertvierzig Meter betrug. »Zyaner!« stieß Han Setrak hervor. »Es müssen auch Zyaner sein!« Das von SOL-Würmern verunstaltete Gesicht des High Sideryt wirkte unbewegt, als er den Bericht des Kreuzer-Kommandanten entgegennahm. »Ihr bleibt einstweilen an Ort und Stelle und schützt Vasterstat, während wir uns um das Gros der Fremden kümmern.« »Und was ist mit den Zyanern, die ihr Schiff aufgeben müssen?« »Ich lasse dir in dieser Beziehung freie Hand. Entscheide nach Lage der Dinge.« Die Verbindung wurde getrennt, das Bild wechselte. Das beschädigte Schiff war wieder zu sehen; vier Beiboote, die solanischen Gleitern glichen, bewegten sich mit hoher Geschwindigkeit von ihm weg und nahmen Kurs auf den nahen Planeten, der einst ein Schwesterplanet von Vasterstat gewesen und jetzt nur noch ein öder Brocken mit zerklüfteter Oberfläche war, eine Welt ohne Atmosphäre. Keine Minute zu früh. Die Hülle der Halbkugel verformte sich, beulte sich aus und riß auf. Feiner Nebel entwich, eine giftgrüne Stichflamme schoß empor. Heftige Explosionen erschütterten den Raumer, er zerbrach in zwei Teile. Riesige Flammenzungen schlugen nach draußen, dann entstand ein greller Glutball, der sich rasch aufblähte. Trümmerstücke wurden davongewirbelt, Metallsplitter und Wrackteile wurden in den Raum geschleudert. Dort, wo sich vor wenigen Sekunden noch der Flugkörper befunden hatte, war nur noch eine irisierende Gaswolke zu sehen, die sich schon wieder auflöste. Die Beiboote überstanden den Untergang ihres Mutterschiffs ohne sichtbare Beschädigungen, ihre Schirme hielten. Zwar wurden sie durch die Druckwelle durcheinandergewirbelt, aber sie konnten ihren Flug wieder stabilisieren.
Setrak erkannte, daß die Zyaner vorerst keine Hilfe benötigten, er hätte ihnen ohnehin nicht beistehen können, denn die drei anderen Einheiten der Fremden waren mittlerweile fast auf Feuerdistanz herangekommen und griffen wütend an. Zweifellos machten sie die Solaner an Bord der ANDORRA für das Schicksal des vernichteten Raumers verantwortlich. Da ein Kampf nicht nur unsinnig, sondern auch aussichtslos war, setzte sich Setrak ab und hielt auf den zurückkehrenden Verband der drei Leichten Kreuzer zu, verfolgt von den Zyanern. Die Schiffbrüchigen blieben sich selbst überlassen, während die wilde Jagd aus dem Auxon-System hinausführte, dorthin, wo sich die Flotte der Zyaner und die SOL befanden.
* Die Zyaner hatten den zweiundzwanzig Meter durchmessenden, sechseinhalb Meter hohen Diskus druggerischer Bauart unbeachtet gelassen, denn ein solches Schiffchen konnte ihnen nicht gefährlich werden. Der einzige Passagier des Flugkörpers hatte die Auseinandersetzung und den Angriff auf Vasterstat genau beobachtet und dabei ein Wechselbad der Gefühle durchgemacht; als das Feuer auf seine Heimatwelt eröffnet wurde, hatte OggarRems wahre Höllenqualen ausgestanden. Mehr als einmal war er versucht gewesen, seine besonderen Fähigkeiten einzusetzen und den zyanischen Kommandanten einfach zu übernehmen, hatte es dann aber doch unterlassen. Er war emotionell so stark engagiert, daß er sich nicht völlig unter Kontrolle hatte und das Bewußtsein des Fremden möglicherweise bei der Übernahme getötet wurde. Dann verlagerte sich der Kampf, führte von Vasterstat weg. Voller Ungeduld hatte der Pers-Oggare darauf gewartet. Heimlich steuerte er den Diskus an den Planeten heran und setzte das technische
Instrumentarium des Raumers ein. Unendlich erleichtert stellte er fest, daß die Felder unversehrt geblieben waren, aber nur knapp zwei Kilometer davon entfernt war der Wald in Schutt und Asche verwandelt worden, verkohlte Baumstümpfe ragten anklagend in den Himmel. Da und dort wüteten noch Brände, schwarze Rauchfahnen standen gleich Säulen des Todes über den ihres Blattwerks beraubten Wipfeln der mächtigen Stämme. Unterhalb jener Stelle, wo noch immer eine Feuerbrunst wütete, lag die Station. Energetisch war sie nicht anmeßbar, lediglich die Taster zeigten einen leichten Reflex an, der allerdings für Nichteingeweihte nicht verräterisch war; es konnte sich durchaus um eine natürliche geologische Besonderheit handeln. Die Schiffe der Zyaner waren so weit entfernt, daß Oggar-Rems es riskierte, einen gerichteten Normalfunkspruch abzusetzen. Asteren meldete sich sofort. Besorgt erkundigte sich Oggar-Rems, ob alle wohlauf waren und ob es zu Zerstörungen in der Station gekommen war. Sein Stellvertreter konnte ihn beruhigen. Niemand war verletzt oder gar getötet worden, es gab an der subplanetaren Anlage auch keine ernsthaften Schäden; lediglich der Stollen, der zur Oberfläche führte, war an einer Stelle eingebrochen, aber das ließ sich binnen kürzester Zeit wieder beheben. Bange Sekunden hatten die Pers-Oggaren, die sich alle in der Station aufhielten, zu überstehen gehabt, als die Erde unter dem Feuerschlag der Zyaner zu beben begann und die Planetenkruste bis in große Tiefen erschütterte; wie es an der Oberfläche oder im Raum aussah, wußten sie nicht. Aus Furcht vor verräterischen Streustrahlen und Energiereflexen hatten sie alle Anlagen abgeschaltet, die nicht unbedingt zum Überleben erforderlich waren. »Du hast sehr umsichtig gehandelt, Asteren«, lobte Oggar-Rems. »Ich denke, einstweilen ist die Gefahr beseitigt. Unsere solanischen Freunde haben vier Schiffe abgestellt, die die Zyaner von Vasterstat
fernhalten. Als erstes müssen wir jetzt die Brände unter Kontrolle bringen und löschen, bevor die Kulturen gefährdet werden.« »Ich werde alles veranlassen, Seher.« In der Stimme des PersOggaren schwang Hochachtung mit. »Ich kümmere mich selbst darum, Asteren.« »Dann wirst du also wieder unter uns weilen?« »Ja, aber noch nicht für immer, doch bald, vielleicht schon in ein, zwei Tagen, werde ich mich ausschließlich um den Aufbau unseres Volkes kümmern. Einstweilen bedrohen die Zyaner und Hidden-X noch die Zukunft. Ich muß den Solanern noch berichten, was ich auf meinen Reisen durch die Zeitebenen aufgespürt habe; es ist für sie bei ihrem Kampf gegen Hidden-X von großer Bedeutung – und damit auch für uns.« Asteren schwieg. Er war intelligent und besaß eine rasche Auffassungsgabe, aber ein Seher war er nicht, er verstand nichts von diesen Dingen. »Ich werde gleich landen, aber wartet nicht auf mich.« Oggar-Rems schaltete das Funkgerät ab und steuerte den Diskus nach unten. Als der Abstand zum Boden nur noch wenige hundert Meter betrug, schleuste er die mobilen Löschroboter des Diskus aus und auch die anderen Automaten, die üblicherweise für die Wartung des Fluggeräts verantwortlich waren. Sie verfügten über Antigraveinrichtungen und flogen in geringer Höhe auf die brennenden Pflanzen zu. Während die Löschrobots aus der Luft mit der Bekämpfung der Flammen begannen, landeten die anderen Maschinen. Sie setzten ihre Werkzeugarme ein, schlugen Schneisen und errichteten Gräben und Erdwälle, um zu verhindern, daß das Feuer übersprang. Der Pers-Oggare setzte den Diskus in einem niedergebrannten Waldstück auf. Dunkle Asche und verkohlte Holzstücke bedeckten den Boden, es gab kein grünes Hälmchen mehr, kein Blatt, kein Tier – alles war tot. So war es hier schon einmal gewesen, damals, als
Vasterstat angegriffen wurde. Hier, an dieser Stelle, hatten sich einst die Berge der Ewigkeit befunden, die majestätischen Gipfel, auf denen Fastrap, sein Meister, zu meditieren pflegte. Oggar-Rems öffnete die kleine Personenschleuse und schwebte mittels der Antigravblase des Drugger-Körpers nach draußen, hinauf auf die obere Wölbung des Raumers. Als er aufsetzte, beulte sich die Unterseite der 1,09 Meter durchmessenden Kugel leicht ein, so daß er nicht einfach davonrollte. Ein paar Minuten lang betrachtete der Seher die verwüstete Umgebung, dann fuhren die Pseudopodien in den Körper zurück, die warzenähnlichen Sensoren verloren an Sensibilität, vermittelten schließlich nichts mehr, was um ihn herum vorging. Das Bewußtsein löste sich vom Körper, stieß mit seinen Sinnen in eine Dimension vor, die allen verwehrt blieb, die nicht über die Fähigkeiten eines Sehers verfügten – Oggars Geist war in eine Zeitströmung eingetaucht, die in die Zukunft wies, in die Zukunft der Pers-Oggaren.
3. Wer nicht mit geschlossenen Augen und Ohren durch das Leben lief, wußte an Bord der SOL von Skrempeleck, aber mir war er unbekannt. Nun bin ich weder blind noch taub, aber ein Wissenschaftler von meinem Format hat halt andere Dinge zu tun, als sich das Geschwätz der Leute anzuhören oder sich mit wunderlichen Weltverbessern zu befassen. Ich hatte in den letzten Tagen viel Zeit im Labor zugebracht, weil doch einiges liegengeblieben und aufzuarbeiten war. Blödel hatte mir dabei Gesellschaft geleistet; der Bursche hatte sich in den zurückliegenden Wochen ohnehin kaum um sein Fachgebiet gekümmert, und nach meinem Dafürhalten konnte es auch einer Positronik nicht, schaden, wenn sie wieder mal
auf ihrem Gebiet gefordert wurde. Bei einem gemeinsamen Abendessen mit Atlan und den anderen aus seinem Team war das Thema auf diesen Alten gekommen. Alle hatten von ihm gewußt, nur ich nicht. »Chef, jetzt überraschst du mich aber«, hatte sich Blödel gewundert, »jedes Kind kennt Narod II.« »Du etwa auch?« fragte ich mißtrauisch. »Natürlich, Chef.« »Und warum hast du mir nichts davon erzählt?« »Ich wollte, aber du hast gesagt, ich soll dich mit dem Unsinn in Ruhe lassen.« »So, habe ich das?« Ich runzelte die Stirn und versuchte mich zu erinnern, doch es gelang mir nicht. »Na ja, ist ja auch nicht so wichtig. Tatsache ist, daß du dich ständig irgendwo herumdrückst, seit du laufen kannst, und ständig liegst du mir mit albernen Gerüchten in den Ohren, die du aufgeschnappt hast. Was du tust, ist einer wissenschaftlichen Positronik unwürdig, merke dir das!« Ich beobachtete ihn. An der Art, wie er seinen Bart zwirbelte, erkannte ich, daß meine Vorhaltungen keinen Eindruck auf ihn gemacht hatten. Vielleicht war es besser, wenn er sich an einem Vorbild orientierte, also setzte ich hinzu: »Warum nimmst du dir nicht ein Beispiel an mir? Korrekt, solide, kurz: ein Leben für die Wissenschaft.« »Hast du eben ›solide‹ gesagt, Chef?« Blödel kicherte albern. »Also wenn ich da an neulich denke …« Ich fühlte, daß ich errötete. Ausgerechnet vor versammelter Mannschaft mußte er das zur Sprache bringen, daß ich … nun ja, ich war eben mal ein wenig aus mir herausgegangen. »Du hältst auf der Stelle deinen vorlauten Mund, Blödel!« fuhr ich ihn an. »Jeder weiß, daß ich weder zum Jähzorn noch zur Gewalt neige, aber im Augenblick hätte ich nicht übel Lust, dich mit einem Hammer zu bearbeiten, du Metallflegel! Was geht eigentlich in deinem Blechhirn vor, daß du dich erdreistest, derartige
Unterstellungen von dir zu geben? Du verleumdest auf hinterhältige Weise deinen einzigen und direkten Vorgesetzten!« Sanny legte mir ihre kleine Hand auf den Arm. »Nun beruhige dich doch, Hage. Blödel hat es bestimmt nicht so gemeint – ein kleiner Scherz, nichts weiter.« »Mit Hage Nockemann treibt man keine Scherze – niemand!« Ich warf diesem Monstrum von einem Assistenten einen vernichtenden Blick zu. »Du hast es nur Sanny zu verdanken, daß ich dich nicht demontieren lasse, du positronischer Wechselbalg!« Nun, da ich mein Mütchen gekühlt hätte, fühlte ich mich wohler. Befriedigt blickte ich mich in der Runde um, doch da war nur noch die Molaatin und Atlan. »Wo sind denn die anderen auf einmal?« »Sie mußten plötzlich hinaus.« Das Gesicht des Arkoniden blieb unbewegt. »Ein dringendes Bedürfnis.« »Bei allen?« Vergeblich versuchte ich zu ergründen, was hinter seiner Stirn vorging. »Ein bißchen ungewöhnlich, findest du nicht auch?« Ich musterte die Reste auf meinem Teller. »Oder liegt es vielleicht am Essen?« »Nein, ich denke nicht.« Atlan lächelte und deutete auf Blödel. »Hoffentlich hast du ihn nicht zu hart angefaßt. Ich gebe zu, daß er manchmal ein bißchen vorlaut ist, aber ansonsten ist er doch recht brauchbar.« »Er braucht von Zeit zu Zeit eine Abreibung«, behauptete ich, »sonst wird er zu übermütig. Am besten ist, wenn wir ihn für eine Weile ignorieren.« Ich schob meinen Teller zur Seite und beugte mich vor. »Was weißt du noch über diesen Skrempeleck?« »Eigentlich nicht mehr, als ich dir bereits erzählt habe. Warum interessierst du dich auf einmal so für ihn?« »Könnte er nicht ein persönliches Geheimnis besitzen wie damals die Zehnlinge oder Deccons Ebenbilder?« »Nein, da bin ich mir ziemlich sicher. Er ist ein Solaner.« Die Antwort enttäuschte mich ein bißchen. Nicht, daß ich mich
gerne in den Vordergrund spielte, aber eine solch knifflige Aufgabe wäre wieder einmal so recht nach meinem Geschmack gewesen, andererseits hatte mir dieses Rätsel seinerzeit so viel Kopfzerbrechen bereitet, daß ich schon an meinem Verstand gezweifelt hatte. Und welches Chaos das nach sich gezogen hatte; nein, da war es schon besser, wenn der Alte nur ein verschrobener Sonderling war. Für meine Begriffe gab es ohnehin viel zu viel Verrückte an Bord. Ich stand auf. »Für mich war heute ein langer Tag. Wenn ihr nichts dagegen habt, möchte ich jetzt in meine Kabine.« Atlan erhob sich ebenfalls. »Ich werde dich ein Stück begleiten, Hage. Ein paar Schritte werden mir nach dem Essen guttun.« Erfreut nahm ich das Angebot an. Mit einem Mann von seinem Format konnte man wenigstens auch über Dinge reden, für die andere Menschen keine Antenne hatten oder die ihren Horizont überstiegen. In dieser Beziehung konnte er Blödel durchaus das Wasser reichen, obwohl mein Assistent – ich muß es ehrlichkeitshalber gestehen – von der galakto-genetischen Materie mehr verstand als Atlan. »Blödel!« »Stets zu Diensten, Chef!« Eilfertig wieselte er an meine Seite; wahrscheinlich wußte er, daß er einiges gutzumachen hatte. Als wir draußen auf dem Gang standen, erlebten wir eine Überraschung: Regelrechte Menschenmassen wälzten sich durch den Flur, und bevor wir begriffen, wie uns geschah, waren wir mitten unter den Solanern, Buhrlos und Bordmutanten, wurden gestoßen, geschoben und weitergedrängt im Strom der Leiber. Die andere Richtung zu nehmen, wie wir es eigentlich vorgehabt hatten, war unmöglich. Eigentlich war mir ein bißchen mulmig zumute, aber vor Atlan und schon gar nicht vor Blödel wollte ich mir keine Blöße geben.
Schweigend bewegte sich die Menge vorwärts, kanalisiert durch die Wände des Korridors. Ich versuchte in ihren Gesichtern zu lesen: Strahlende Augen, Erwartung, Hoffnung, Begeisterung, sogar Verzückung glaubte ich zu erkennen. Als Biologe wußte ich, was in ihren Körpern vorging, aber nicht, was sich jetzt in ihren Köpfen abspielte. »Was hat das zu bedeuten?« raunte ich Atlan zu. »Sind wir hier unter Sektierer geraten?« »Fast hat es den Anschein, aber ich bin geneigt zu glauben, daß wir in Kürze Narod II begegnen werden«, flüsterte der Aktivatorträger. Mißbilligende Blicke trafen uns. Daß wir beide bordbekannte Persönlichkeiten waren, schien den Leuten nicht aufzugehen, oder sie ignorierten es bewußt. Groll erfaßte mich. So konnte man mit uns nicht umgehen. »Blödel, schaff Platz!« Mein Assistent reagierte sofort. Mit seinen übermenschlichen Kräften und den langen Armen preßte er die Solaner beiderlei Geschlechts einfach zusammen und hielt die Nachdrängenden auf. Um uns herum war plötzlich Platz, wir konnten die Arme ausstrecken, ohne jemanden zu berühren. »Macht Platz für meinen Chef und Atlan!« tönte Blödel gleich einem mittelalterlichen Herold. »Gebt den Weg frei für Hage Nockemann und seinen Freund!« Ein Trompetenstoß hätte keine größere Wirkung haben können. Unzählige Köpfe ruckten herum, zahllose Augenpaare fixierten uns. Vor Scham wäre ich am liebsten in das tiefer gelegene Deck versunken, doch mein inneres Flehen wurde nicht erhört. Ich spürte den Blutandrang zu meinem Gesicht, die Luft war auf einmal heiß und stickig. Unfähig, etwas zu tun oder zu sagen, stand ich einfach da, versuchte zu lächeln, doch mein Lächeln gefror zu einer Grimasse. Damit der Peinlichkeiten noch nicht genug, trat Blödel zu mir und beäugte mich von allen Seiten.
»Chef, du siehst krank aus. Soll ich einen Medo rufen?« Vor mir verschwamm alles, ich fühlte mich tatsächlich elend, elend und wütend zugleich. Wäre ich nicht so kraftlos gewesen, ich hätte diesen Idioten mit meinen eigenen Händen auseinandergerissen. »Kein Medo«, brachte ich krächzend hervor. »Und schweige endlich, du Narr!« Sehnige Hände und nervige Fäuste griffen nach mir, umklammerten mit hartem Griff meine Arme und den Brustkorb und rissen mich nach hinten, ohne daß Blödel es verhindern konnte, im Gegenteil. Zehn, zwanzig, dreißig Männer stürzten sich auf ihn, packten ihn und warfen ihn zu Boden. »Halt, Freunde, was soll denn der Unsinn?« Atlan stand mit erhobenen Armen da und machte eine beschwichtigende Geste. »Ihr kennt mich und auch Hage Nockemann, der zu meinem Team gehört. Wir wollten euch weder provozieren noch aufhalten – und ihr wißt das, denn wir standen immer auf eurer Seite. Es war lediglich eine Überreaktion des Roboters, aber dafür kann niemand etwas. Gebt sie frei!« Bange Sekunden vergingen, dann rief eine jugendlich klingende weibliche Stimme: »Atlan hat recht! Laßt sie in Ruhe und in Frieden mit uns ziehen, damit wir gemeinsam die Botschaft des Verkünders hören können.« So lief der Hase also. Die Autorität des Arkoniden war ungebrochen, aber man legte neue Wertmaßstäbe an. Nun schien das »in« zu sein, was Narod II von sich gab. Ich kam frei, und auch Blödel erlangte seine Bewegungsfreiheit zurück. Bevor ich an Atlans Seite eilen konnte, packte mich jemand am Arm und hielt mich fest. »Wir glauben an das Gute im Menschen, wie der Verkünder des Positiven. Du solltest die Botschaft hören, obwohl du zu den Freunden Atlans zählst. Mit ihm kam das Positive, aber nur wenige sind wie er, und das wirklich Positive steht noch bevor, denn wir
werden Hidden-X besiegen.« Obwohl ich mir da keineswegs so sicher war, wagte ich keinen Widerspruch. Der zwingende Blick der braunen Augen schien mich zu durchbohren; ich schrumpfe förmlich in mich zusammen. Endlich ließ mich der junge Bursche los. Freundlich nickend und Entschuldigungen murmelnd, bahnte ich mir einen Weg zu Atlan. Blödel, der bereits neben ihm stand, wirkte ein wenig ramponiert, schien jedoch bereits wieder Oberwasser zu haben. Am liebsten hätte ich diesem Dummkopf die Barthaare einzeln ausgerissen. Um nicht vor Wut zu platzen, gab ich ihm einen Tritt vor das rechte Bein und begnügte mich damit, weil es für mich schmerzhaft war. Ein wenig humpelnd setzte ich mich wieder in Bewegung, weil die Menge hinter mir drängte. Ein paar Meter ging es noch durch den Gang, dann wurden wir durch ein geöffnetes Schott in einen Versammlungsraum gepreßt, der wegen Überfüllung eigentlich schon längst hätte geschlossen werden müssen. Von den Nachfolgenden wurde ich unbarmherzig nach vorn geschoben, bis ich fast plattgedrückt war; ich hatte das Gefühl, daß sich Wirbelsäule und Brustbein in mir aneinanderrieben. Zum ersten Mal sah ich diesen Skrempeleck. Er stand auf einem Podest oder einem Tisch – genau konnte ich das in dem Gedränge nicht erkennen – und sprach zu den Leuten. Außer, daß er ziemlich alt sein mußte und einen hellblauen Umhang trug, wirkte er sehr ungewöhnlich auf mich. »Die SOL ist ein Generationenschiff, auf dem jeder seinen Platz finden und ausfüllen kann, ihre Stärke ist die Gemeinschaft und der Zusammenhalt aller. Das war nicht immer so; unsere Ahnen lebten in der Finsternis der Hoffnungslosigkeit, der Unpersönlichkeit und des Hasses. Nicht die Liebe zueinander herrschte, sondern der Egoismus, der Kampf aller gegen jeden, Neid und Mißgunst hatten die Herzen versteinert und die Zuneigung in Ketten gelegt. Seit Atlan zu uns gekommen ist, werden die Kabinen des Schiffes
wieder vom Licht des Guten erfüllt, können die Seelen jubilieren und die Menschen lachen.« Um mich herum herrschte atemlose Stille, und selbst ich vergaß fast, daß ich völlig eingekeilt war und kaum Luft holen konnte. Auf geheimnisvolle Weise verstand es dieser Narod II, die Zuhörer in seinen Bann zu schlagen. »Noch ist das Negative nicht völlig verschwunden, noch lauert die Finsternis in Gängen und Köpfen, aber das Licht wird siegen, das erste Positive, das wirklich Positive, steht unmittelbar bevor, wenn wir schnell und konsequent handeln. Wenn wir das tun, zusammenstehen und alle unser Bestes geben, dann werden wir einen Erfolg erringen, wie er größer kaum sein kann: Wir werden Hidden-X besiegen.« Tosender Applaus brandete auf, und sehr zu meinem Leidwesen klatschten meine Nachbarn heftig in die Hände. Da dafür eigentlich kein Platz war, bekam ich etliche unbeabsichtigte Ohrfeigen mit den verschiedensten Handrücken ab. Ich rächte mich, indem ich auf sämtliche Zehen trat, die ich erreichen konnte, erzielte damit jedoch keinen Erfolg und mußte zusätzlich zu den Maulschellen noch einen Schlag auf den Kopf einstecken. Mit schmerzenden Kiefer- und Wangenpartien und stark durchbluteter Gesichtshaut versuchte ich, mich auf das zu konzentrieren, was Skrempeleck sonst noch zu verkünden hatte. »Hidden-X ist nicht einfach ein Wesen, Hidden-X ist eine Macht, die sich uns entzieht, aber auch zu den Mächtigen führen Wege. Der Weg zu Hidden-X ist vorgezeichnet – er führt nur über die Zyaner …« Jemand zog an meiner Jacke. Schon wollte ich dem dreisten Burschen auf die Finger schlagen, als ich erkannte, daß es Atlan war. Er winkte mir zu und deutete auf den Ausgang. Ich verstand ihn, aber das, was er von mir wollte, war leichter gedacht als getan. Stets darauf gefaßt, das Splittern meiner eigenen Rippen zu hören, schlängelte ich mich gleich einem fußlosen Reptil durch die
andächtig lauschende Menge. Unterschwelliges Murren und böse Blicke prallten von mir ab wie Wassertropfen, schwerer war es allerdings, Tritte auf Finger, Kniestöße und Ellbogenhaken zu ignorieren. Reif für eine Medo-Behandlung und wahrscheinlich in allen Farben des Regenbogens schillernd, stand ich endlich draußen, wo mich Atlan – und natürlich Blödel -bereits erwarteten. »Atlan, es ist nicht die feine Art, mich auf diese Weise aus dem Verkehr ziehen zu wollen«, schnaubte ich. »Suche dir deine Testobjekte für menschliche Knochenmühlen in Zukunft gefälligst nicht aus deinem eigenen Team aus.« Vorsichtig betastete ich mich, zuckte ein paarmal schmerzerfüllt zusammen, aber gebrochen war anscheinend nichts; mein Skelett hatte die Belastungsprobe besser überstanden als die restliche Anatomie. »Hage, hast du gehört, was dieser Verkünder zuletzt gesagt hat?« Der Aktivatorträger wirkte erregt und zog mich ein Stück zur Seite. »Erinnerst du dich noch an die beiden letzten Sätze?« »Natürlich. Er sprach von Mächten, zu denen Wege führen, und daß der Weg zu Hidden-X über Zümaner oder so ähnlich führt …« »Nicht Zümaner – Zyaner, Hage, Zyaner hat er gesagt.« »Nun gut, meinetwegen Zyaner, aber was macht das für einen Unterschied? Zugegeben, der Alte ist ein guter Redner, aber er ist in meinen Augen ein Spinner.« »Vielleicht, aber es gibt diese Zyaner wirklich.« Atlan kreuzte die Arme vor der Brust. »Ein kleiner Kreis, mich eingeschlossen, weiß von diesem Volk; wir erfuhren es von Oggar-Rems. Woher weiß es Skrempeleck?« »Es könnte eine undichte Stelle geben.« Atlan maß mich mit einem seltsamen Blick, dann machte er auf der Stelle kehrt und ging mit langen Schritten davon. Kopfschüttelnd blickte ich ihm nach. »Chef, wie wäre es jetzt mit einem Gläschen …« Wie von der Tarantel gestochen fuhr ich herum.
»… Medizin? Du siehst angeschlagen aus.« Ich entspannte mich wieder. Wenn er das ausgesprochen hätte, was ich gedacht hatte – ich hätte ihn stehenden Fußes verschrotten lassen. »Du hast recht, Blödel, selbst das Gehen fällt mir schwer. Es wird meinen gemarterten Körper zuträglicher sein, wenn er von dir transportiert wird – aber vorsichtig.« Mein Assistent nahm mich auf und formte aus seinen langen Armen eine Art Wiege, dann setzte er sich behutsam in Bewegung. Schon nach wenigen Schritten fühlte ich mich besser. Das sanfte Wippen entspannte und lullte ein; Blödel machte seine Sache so gut, daß ich versöhnlich gestimmt wurde und beschloß, ihm alles zu vergeben. Natürlich begegneten wir unterwegs Solanern. Sie starrten mich an wie einen Geist. Das bestärkte mich in meiner These, daß es an Bord der SOL von Verrückten nur so wimmelte. Ich seufzte. Die Zeit war nicht mehr fern, daß man Männer und Frauen meines Kalibers nach ihrem Ableben einfror oder in einen transparenten Kunststoffblock eingoß, um der Nachwelt zu zeigen, welche Koryphäen einst von den Solanern hervorgebracht worden waren. Wie es schien, mußte man sich mit dieser Entwicklung abfinden.
* Im ersten Augenblick wurden unselige Erinnerungen an die Armada des Schlafenden Heers der Roboter wach, als die Flotte aus halbkugeligen Raumern auftauchte, doch dann stellte sich heraus, daß ihre Zahl zwar gewaltig, aber überschaubar war, nur – es waren keine flugfähigen Riesenkampfmaschinen, sondern wirkliche Raumschiffe von einhundertzwanzig bis zweihundertvierzig Meter Durchmesser. Sie hatten ihre Schutzschirme eingeschaltet, verhielten sich jedoch abwartend.
Angesichts der Bedrohung durch diese fremde, durchaus imposante Streitmacht wurden auch die Defensivsysteme der SOL aktiviert, zugleich wurden sowohl über Normal- als auch über Hyperfunk Sendungen abgestrahlt, die auf eine friedliche Verständigung abzielten. Mangels einer bekannten Sprachgrundlage mußten auch hier wieder Elemente auf mathematisch-positronischer Grundlage herhalten. Natürlich war die Schiffsführung des Hantelraumers nicht so blauäugig, sich einzig und allein auf den Erfolg dieser Maßnahmen zu verlassen; die Geschützstände waren ebenso besetzt wie die ausschleusungsbereiten Beiboote. Aufgrund der schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit wußte man, daß Naivität und Dünkel gleich negativ waren. Nur Verhandlungsbereitschaft, also Friedenswille gepaart mit Vorsicht, trennte in dieser Beziehung Spreu von Weizen, denn anfangs war offen, ob man Freunde fand oder auf Völker traf, die Hidden-X bedingungslos folgten. Breckcrown Hayes veranlaßte, daß die Leichten Kreuzer informiert wurden; der Bericht des Kommandanten der ANDORRA stimmte den High Sideryt nicht sonderlich zuversichtlich, daß sich die Begegnung mit den Zyanern friedlich gestalten würde, und er behielt recht. Er hatte sein Gespräch mit Setrak gerade beendet, als der erste Angriff gegen die SOL vorgetragen wurde. Grelle Energiefinger griffen nach dem Riesen, Strahlenbahnen schossen auf ihn zu, Glutbälle und expandierte Kunstsonnen entstanden in seiner Nähe. Ein wahres Energiegewitter tobte durch die gestaffelten Schirme, Blitze und Entladungen rissen die Schwärze des Alls auf, tauchten sie in feurige Glut. Der Raum um die SOL herum schien zu brennen. HÜ- und Paratronschirme verkrafteten die Belastung, dann schlug der Koloß zurück, setzte seine Waffen aber so ein, daß er den Gegner schonte, ihn kampfunfähig machte, ohne ihn zu vernichten. Es war von solanischer Seite aus eine Demonstration der eigenen Stärke, die zugleich aber auf Verständigung aus war.
Während der Hantelraumer unversehrt geblieben war, hatte die andere Seite etliche Ausfälle zu verzeichnen. Bei einem halben Dutzend der kleineren Halbkugeln waren die Schirmfelder zusammengebrochen, ein Schiff war nur noch ein Wrack und mußte von der Besatzung aufgegeben werden. Es wäre für Breckcrown Hayes und seine Solaner ein leichtes gewesen, die ungeschützten Flugkörper vernichtend zu treffen, doch man tat nichts dergleichen. Auch dieses Zeichen des Friedenswillens wurde von den Zyanern nicht beachtet; wieder wurde das mächtige Schiff unter Feuer genommen. Schweren Herzens gab Hayes den Befehl, eine stattliche Anzahl von Beibooten auszuschleusen, nachdem er deren Mannschaft noch einmal vergattert hatte; nur wenn es unumgänglich und das eigene Leben in Gefahr war, sollten sie ihre Waffen so einsetzen, daß der Angreifer zerstört wurde. Gleich einem Schwarm zorniger Hornissen verließen Leichte Kreuzer, Korvetten, Space- und Lighthing-Jets ihre Hangars und stürzten sich auf den überraschten Gegner. Mehr als zehn zyanische Schiffe wurden auf Anhieb außer Gefecht gesetzt und mußten sich angeschlagen hinter die eigenen Linien zurückziehen. »Es sieht für uns nicht schlecht aus.« Gallatan Herts rieb sich die Hände. »Während die andere Seite alles daransetzt, unsere gute alte SOL in Atome zu zerlegen, können wir es uns sogar leisten, Humanität zu zeigen.« »Ich sehe in der Sache ein wenig anders«, rügte Hayes. »Menschlichkeit ist kein anerzogener Luxus, sondern ein wesentliches Merkmal unserer Rasse.« »Wie einst die Monsterjagd.« »Niemand ist vollkommen, aber es ist grundfalsch, überall nur das Negative zu sehen und ihm gar den Vorzug zu geben. Wo Liebe ist, ist auch Eifersucht, wo Erfolg ist, ist Neid, aber warum sind wir nur beim Bösen so konsequent? Das Gute in uns überwiegt, und wir sollten es stärken.«
»Narod II hätte sicher seine helle Freude an dir.« Der Stabsspezialist musterte den High Sideryt mißtrauisch. »Spukt dieser Kerl etwa auf deine Veranlassung hin im Schiff herum? Oder weißt du mehr, als du uns gegenüber zugeben willst?« »Findest du deine Verdächtigungen nicht selbst haltlos und albern? Welchen Grund sollte ich haben, etwas derart Unsinniges zu tun?« Der verwachsene Solaner zuckte die Schultern. »Es war nur so ein Gedanke. Vergiß es.« Breckcrown Hayes war anzusehen, daß er dieses Thema gern ausdiskutiert hätte, doch Atlan betrat die Zentrale und berichtete, was Skrempeleck über die Zyaner und Hidden-X gesagt hatte. Der Solaner zeigte sich ebenso überrascht wie die anwesenden Stabsspezialisten; zwar wurde der Alte überwacht, aber Hayes hatte noch keine Zeit gefunden, die Aufzeichnungen anzusehen. Han Setrak meldete sich über Funk; Bild und Ton wurden zum High Sideryt umgelegt. »Ja, Han, was gibt es?« »Ich wollte mich nur zurückmelden. Alle Schiffe und ihre Besatzungen sind unversehrt. Vasterstat ist einstweilen außer Gefahr. Bis auf die Schiffbrüchigen, die auf einem öden Brocken notgelandet sind, hält sich kein Zyaner mehr im Auxon-System auf.« »Gut, ihr könnt euch dann einschleusen.« »Einen Moment.« Der Arkonide trat in den Aufnahmebereich der Optiken. »Was ist mit diesen notgelandeten Zyanern?« Der Kommandant der Andorra gab einen kurzen Bericht, unterbrochen von knappen Anweisungen an seine Besatzung; wie die anderen Beiboote der SOL wurde auch der Leichte Kreuzer angegriffen. Mit gekonnten Flugmanövern und gezielten Salven versuchte man, die Fremden auf Distanz zu halten, ohne sie zu töten. »Han, würdest du dir und deinen Leuten einen weiteren Einsatz
zutrauen?« fragte Atlan, nachdem Setrak beendet hatte. »Natürlich.« Hayes hatte den Arkoniden beobachtet. Mittlerweile kannte er ihn so gut, daß er sich nicht von der unbewegten Miene beeindrucken ließ. »Was hast du vor?« »Wir wissen über die Zyaner nichts, deshalb benötigen wir Informationen. Eine bessere Gelegenheit etwas über sie zu erfahren, werden wir so schnell nicht bekommen.« »Verstehe. Und du hast nun vor, diesen Planeten anzufliegen und einige Gefangene zu machen.« »Du hast es erraten. Wie ich sehe, werde ich hier ja nicht gebraucht.« »Ich halte dein Vorhaben für ziemlich gefährlich.« Breckcrown Hayes fuhr sich über das von SOL-Würmern zerfressene Gesicht. »Mit Sicherheit weiß man auf der anderen Seite über das Schicksal der Besatzung des zerstörten Raumers Bescheid, und es ist ziemlich wahrscheinlich, daß sie abgeholt wird, wenn die Beiboote nicht fernflugtauglich sind. Da die Zyaner damit rechnen müssen, daß wir das zur Rettung ausgesandte Schiff außer Gefecht setzen, werden sie gleich mehrere Einheiten losschicken. Wie es den Anschein hat, sind sie uns waffentechnisch unterlegen, aber gegen eine der großen Halbkugeln dürfte selbst ein Kreuzer einen schweren Stand haben.« »Diesen Punkt habe ich bereits bedacht«, gab der Aktivatorträger gelassen zurück. »Da auch nicht auszuschließen ist, daß sie bei dieser Gelegenheit erneut Vasterstat angreifen, möchte ich dich bitten, mir die vier Raumer zu überlassen, die gerade von ihrem Einsatz zurückgekommen sind.« »Wohl ist mir bei der Sache nicht, aber du sollst deinen Willen haben.« »Han, du hast es gehört.« Atlan wandte sich an einen Techniker. »Ist Hangar M 3-7 frei?« Der Solaner gab einige Daten in seinen Datenterminal ein und
nickte dann. »Du kannst dich mit der ANDORRA dort einschleusen. Ich werde in wenigen Minuten mit ein paar meiner Leute zur Stelle sein.« Setrak bestätigte. Der Arkonide bekam das schon nicht mehr mit. Im Geschwindschritt verließ er den Kommandoraum und eilte zu seiner Unterkunft; seine Gedanken beschäftigten sich bereits mit dem, was ihn möglicherweise erwartete. Hals- und Beinbruch, würden die Barbaren auf Terra jetzt sagen. Und was würdest du sagen? erkundigte Atlan sich gedanklich. Ein ironischer Impuls seines Logiksektors erreichte ihn. Du bist ein hoffnungsloser Fall, aber bei dir hat sogar Wahnsinn Methode. Du rätst mir also nicht ab? Wozu? Du hörst ohnehin nicht auf mich und schlägst alle Warnungen in den Wind. Irritiert dich nicht, daß ich trotzdem so alt geworden bin? Nein. Man sagt, daß Kinder und Narren das Glück gepachtet hätten.
* Obwohl ich müde war und mir sämtliche Knochen weh taten, war ich Atlans Bitte nachgekommen, ihn zu begleiten; eine MedoBlitzbehandlung hatte mich binnen weniger Minuten wieder fit gemacht, allerdings roch die Salbe, mit der sie mich eingerieben hatten, ein wenig merkwürdig. Wer immer in meine Nähe kam, schnüffelte, bedachte mich mit einem seltsamen Blick und ging dann demonstrativ auf Distanz. Da ich Atlan so nicht unter die Augen beziehungsweise vor die Nase treten wollte, lieh ich mir von einer Nachbarin ihr Deo und benutzte es ausgiebig. Weiß der Teufel, ob sie mir versehentlich Fußspray oder Intim-Deo gegeben hatte oder ganz einfach nur eine Fetischistin in Sachen abartiger Düfte war, jedenfalls stank ich erbärmlich nach saurer Milch, Rose, Moschus, Minze und Zitronensäure. Für eine ausgiebige Dusche war keine
Zeit mehr, deshalb stahl ich mich auf Umwegen an Bord der ANDORRA; vielleicht ergab sich hier die Gelegenheit, ein Bad zu nehmen. Zusammen mit Blödel traf ich als letzter in der Zentrale des Leichten Kreuzers ein. Eingedenk meines aufdringlichen Geruchs hielt ich mich ein wenig abseits; den vorwurfsvollen Blicken begegnete ich mit der mir eigenen wissenschaftlichen Abgeklärtheit. Wir starteten sofort. Außer der üblichen Besatzung waren noch Atlan, Sanny und Sternfeuer mit von der Partie. Wie mir der Aktivatorträger später sagte, hätte er auch Breiskoll noch gerne dabeigehabt, aber Bjo war nicht aufzufinden gewesen. Kaum, daß wir den Hangar verlassen hatten, wollte man uns an den Kragen. Ich gestehe, daß ich mich sicherer gefühlt hätte, wenn einer der Brick-Brüder als Pilot fungiert hätte, obwohl die Solanerin, die das Schiff steuerte, ihre Sache nicht schlecht machte, aber die beiden waren nun einmal unerreichte Könner. Wir mogelten uns so durch, wobei mir mehr als einmal die Haare fast zu Berge standen. Besonders brenzlig wurde es, als zwei große Halbkugeln versuchten, uns aufzuhalten. Trotz der Filter, die sich vor die Optiken geschoben hatten, wurde das Rund von grellem Leuchten erfüllt, Alarmsirenen wimmerten, die Schiffszelle schwang wie ein Resonanzkörper, unheilvolles Knirschen und Knacken ging von Wänden und Verstrebungen aus. Aus einer Schalteinheit schlug eine Stichflamme hoch, knallend flogen Sicherungen heraus. Eine heftige Erschütterung durchlief das Schiff. Ein paar bange Sekunden lang sah es so aus, als würden die Schirmfelder zusammenbrechen, doch dann stabilisierten sie sich wieder. Drei andere Schiffe von uns waren aufgetaucht, die die Raumer der Fremden gemeinsam angriffen. Mit vereinten Kräften gelang es uns, sie in die Flucht zu schlagen. Innerlich schalt ich mich einen Narren. Auf der SOL hätte ich jetzt ruhig und friedlich in Morpheus Armen gelegen, doch was tat ich? Ich hockte im Sessel eines Beiboots, das im Vergleich zu meiner
Heimat nur eine Wanze war und zitterte mit einem Pulsschlag von einhundertachtzig um mein Leben, roch dazu noch äußerst unappetitlich und mußte es anderen überlassen, ob und wie meine Person außer Gefahr gebracht wurde. Letzteres war auch auf der SOL nicht anders, und sie wurde ebenfalls attackiert, aber sie besaß nicht nur andere Möglichkeiten, sondern auch andere Dimensionen. In meiner Kabine hätte ich nichts oder nur wenig von dem mitbekommen, was draußen im Raum vor sich ging, hier sah und hörte ich alles, und das war es, was an meinen Nerven zerrte und meinen Blutdruck in die Höhe trieb. Wie unbelastet war ich doch früher in dieser Hinsicht gewesen, als ich meine Tage nahezu ausschließlich im Labor verbracht hatte. Ich korrigierte mich gedanklich. Damals hatte ich nur für meinen Beruf gelebt, Routine und schlechte Versorgung hatten meinen Alltag bestimmt. Seit Atlan aufgetaucht war, hatte sich nicht nur alles geändert, sondern war auch besser geworden. Ich war noch immer kein politischer Mensch, strebte nicht nach Macht und kümmerte mich wenig um geistige Strömungen und innere Strukturen, doch der Wandel an Bord der SOL war unverkennbar. Wenn ich es recht bedachte, war ich eigentlich ein wenig stolz darauf, zum Team des Arkoniden zu gehören. Was mir manchmal an die Nieren ging, waren die waghalsigen Einsätze. Ich war nun einmal keine Kämpfernatur, und Waffen mochte ich schon gar nicht. »Was riecht denn hier so merkwürdig?« Han Setrak drehte den Kopf und sog prüfend die Luft ein. Er hielt in der Bewegung inne und fixierte mich. »Hage, ich glaube, du bist es, der so stinkt.« Blödel gab ein albern klingendes, knarrendes Lachen von sich. »Chef, du stinkst ihm!« »Du mir auch«, gab ich ärgerlich zurück und wandte mich an Han Setrak. »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn ich mal kurz duschen könnte. Was dein Riechorgan beleidigt, ist nicht etwa mangelnde Hygiene meinerseits, sondern eine Salbenkomposition der Medos,
mit der sie mich am ganzen Körper eingerieben haben.« Daß das nicht ganz stimmte, brauchte er ja nicht zu wissen. »Ist hier in der Nähe eine Naßzelle?« »Also Wünsche hast du.« Der Kommandant der ANDORRA schüttelte den Kopf. »Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht untergekommen, daß jemand während eines Einsatzes duschen will.« Er brabbelte noch etwas Unverständliches vor sich hin, beschrieb mir dann aber doch den Weg zur nächsten Hygieneeinheit. Ich schnallte mich los und stand auf. »Chef, soll ich mitkommen und dir den Rücken schrubben?« »Untersteh dich«, knurrte ich und warf ihm einen bösen Blick zu. »Hast du denn überhaupt kein Schamgefühl?« »Nein, Chef, denn ich bin als Nudist konstruiert worden.« Ich machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Zentrale. Die Naßzelle fand ich auf Anhieb. Ich verriegelte die Tür sorgfältig hinter mir, entkleidete mich rasch und wusch mich gründlich, hatte es dann aber plötzlich eilig, denn mir war eingefallen, welch eine unmögliche Figur ich abgab, wenn ich mich bei einer unerwarteten Evakuierung hüllenlos in ein Beiboot retten mußte. Kaum, daß die Warmluftanlage mich einigermaßen abgetrocknet hatte, schlüpfte ich in meine Sachen und kehrte in den Kommandoraum zurück. Ganz war der Geruch noch nicht verschwunden, weil er in den Kleidern steckte, aber immerhin war er nicht mehr so penetrant wie vorher. Niemand sah auf, als ich mich wieder in meinen Sessel sinken ließ. Die SOL, unsere Einheiten und die Schiffe der Angreifer waren nur noch als farbige Ortungsreflexe zu erkennen, drei Raumer befanden sich in unmittelbarer Nähe der ANDORRA. An den mir mittlerweile geläufigen Charakteristika erkannte ich, daß es sich um Leichte Kreuzer handeln mußte, wahrscheinlich um die NIXE, YEOMAN und ZEUS. Wir wechselten in den Linearraum über, fielen gleich darauf aber wieder in den Normalraum zurück. Kein zyanisches
Schiff war uns gefolgt oder erwartete uns. Setrak und Atlan machten zufriedene Gesichter. Alles verlief bisher wie geplant. Wir hielten auf einen Planeten zu, der schnell größer wurde. Zahlreiche Daten über ihn wurden eingeblendet, die mich jedoch nicht interessierten und mir auch kaum etwas sagten; meine Fähigkeiten und Kenntnisse lagen auf einem anderen Gebiet. Die Ortungsabteilung machte eine Durchsage. Vier Objekte, die eindeutig als die zyanischen Rettungsboote identifiziert wurden, waren auf dem Himmelskörper ausgemacht worden, den wir ansteuerten. Atlans Kommentar entnahm ich, daß diese kleinen Einheiten entweder nur lichtschnell waren oder den Befehl bekommen hatten, vorerst hier abzuwarten; sofern letzteres zutraf, konnte es mit dem Angriff der Fremden gegen die SOL zusammenhängen. Funksprüche gingen zwischen unseren Schiffen hin und her, dann schaltete sich Atlan ein und gab den Kommandanten der drei anderen Leichten Kreuzer detaillierte Anweisungen. NIXE, YEOMAN und ZEUS sollten die Absicherung übernehmen und einstweilen in einem Orbit bleiben, während die ANDORRA landen sollte. Mit gemischten Gefühlen betrachtete ich den Planeten, der mittlerweile den ganzen Bildschirm ausfüllte. Selbst aus der Ferne wirkte er alles andere als einladend, und dann waren da ja auch noch die Zyaner. Sie betrachteten uns als Feinde und warteten bestimmt nicht darauf, einfach mir nichts, dir nichts von uns gefangengenommen zu werden. Verdammt, warum war ich nicht an Bord der SOL geblieben?
* Atlan hatte vergeblich versucht, den Katzer in seiner Unterkunft zu erreichen, danach verschiedene andere Anschlüsse angewählt, wo
sich Bjo möglicherweise aufhalten konnte, aber stets eine negative Auskunft erhalten. Da er mit Sternfeuer bereits eine Telepathin dabei hatte und sie auch nicht brüskieren wollte, hatte er auf eine Suchmeldung über das Bord-Interkomnetz verzichtet. Nun war der Mutant keineswegs spurlos verschwunden, wie es den Anschein hatte; er hatte lediglich eine Krankenstation aufgesucht, weil er ausgerutscht war und sich dabei den linken Knöchel verstaucht hatte. Auch jemand wie er war gegen solch kleine Widrigkeiten des Alltags nicht gefeit. Der behandelnde Medo hatte das Bein und den Knöchel gründlich untersucht und danach versorgt, dann hatte er Breiskoll ein Mittel gegen die Schmerzen gegeben. Mit der diesen Maschinen eigenen ärztlichen Vorsicht hatte er sogar eine stationäre Einweisung vornehmen wollen, aber dagegen hatte Bjo heftig protestiert. »Du machst dich lächerlich. Ich bin weder ernsthaft krank noch verletzt. Diese Lappalie kann ich mit ein paar Stunden Ruhe in meiner Unterkunft auskurieren.« »In deinem Alter sollte man der Gesundheit einen höheren Stellenwert einräumen und auch scheinbare Kleinigkeiten nicht auf die leichte Schulter nehmen«, schulmeisterte die Maschine. »In meinem Alter?« »Nach meinen Informationen bist du am 15. Juli dieses Jahres zweihundertzweiundvierzig Jahre alt geworden. Ist das korrekt?« »Die Daten stimmen«, schmunzelte der Telepath. »Was mich irritiert, sind deine Körperwerte. Sie entsprechen denen eines gesunden Solaners von etwa sechzig Jahren, doch das widerspricht meinem Programm.« »Willst du die Lösung wissen?« »Wenn sie medizinisch vertretbar ist – ja.« »Das Geheimnis heißt Tiefschlaf; einhundertdreiundachtzig Jahre Tiefschlaf. Unter Berücksichtigung dieser Zeit bin ich ein Solaner von neunundfünfzig Jahren, stehe also im besten Mannesalter.« Breiskoll versuchte, sich zu erheben, doch der Medo drückte ihn
mit sanfter Gewalt auf das Lager zurück. »Bleib liegen, ich hole eine Antigravbahre und bringe dich zu deiner Kabine. Dort wirst du das Bett hüten; das verletzte Glied darf vierundzwanzig Stunden nicht belastet werden, sonst verzögert sich der Gesundungsprozeß. In diesem Fall kann ich es nicht mehr bei einer ambulanten Handlung belassen.« Der Automat entfernte sich. Ergeben blieb der Mutant liegen. Daß der Medo soviel Aufhebens von der Sache machte, behagte ihm ganz und gar nicht, andererseits war ihm daran gelegen, so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu kommen. Für ihn, der sich schneller und geschmeidiger als jeder andere Mensch bewegte, bedeutete Laufen mehr, als nur einfach einen Fuß vor den anderen zu setzen und mobil zu sein. Die Maschine kehrte mit einer gepolsterten Schwebeplattform zurück und hob Breiskoll vorsichtig auf die Liege, dann steuerte sie die Antigravbahre aus der Station und transportierte ihn zu seiner Unterkunft. Der Medo trug ihn zu seinem Bett und verschwand dann, nachdem er ihm nochmals eingeschärft hatte, sich zu schonen. Bjo schloß die Augen, aber es gelang ihm nicht, einzuschlafen. So ließ er seine Gedanken Spazierengehen, lauschte mit seinen telepathischen Sinnen hinaus. Seine geistigen Fühler trafen auf denkende Gehirne, auf andere, fremde Gehirne – Zyaner. Er konzentrierte sich und esperte ganz bewußt. Das Wesen hatte die Position eines Raumschiffskommandanten inne und verstand sich selbst als wichtige Persönlichkeit. In der zyanischen Hierarchie stand es ziemlich weit oben und verlangte von seinen Untergebenen strengsten Gehorsam, so wie es selbst jeden Befehl bedingungslos befolgte. Wann immer der Zyaner an den Befehlshaber der hunderttausend Raumfahrer dachte, waren selbst seine Gedanken voller Respekt vor Zaut-Zy, dem Vizeadmiral. Er hielt sich auf einem der großen Schiffe namens GLORIA auf. Im Augenblick beschäftigte sich Nent-Frycz vornehmlich mit dem
Angriff auf die SOL und ihre Beiboote, aber immer wieder tauchten Erinnerungen auf, die erst wenige Monate zurücklagen und anscheinend noch nicht verarbeitet waren. Die Zyaner hatten sich in einem anderen Raum aufgehalten und dort am Wiederaufbau eines gewaltigen Spiegels gearbeitet. Der Solaner löste die geistige Verbindung; die abenteuerlichsten Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Ein gewaltiger Spiegel – das deutete zweifelsfrei auf das Flekto-Yn hin und damit auf HiddenX. Der andere Raum – was war damit gemeint? Eine fremde Galaxis, eine unbekannte Sternenballung, oder etwa das Sternenuniversum? Ein anderer Raum; das war zu vage, um daraus einen konkreten Verdacht oder gar Hinweis abzuleiten, und wilde Spekulationen führten zu nichts. Die Verbindung Zyaner-Flekto-Yn bewies dagegen eindeutig, daß die Solaner es wieder mit einem Volk zu tun hatten, das Hidden-X in seine Abhängigkeit gebracht hatte, nur – welche Rolle spielten sie, welche Funktion hatten sie inne? Waren es einfach nur Baumeister, die Hidden-X rekrutiert und konditioniert hatte? Nent-Frycz hatte den Befehlshaber der Raumer gedanklich Vizeadmiral genannt. Vize bedeutete Zweiter, Stellvertreter. Es war also anzunehmen, daß noch jemand über ihm stand, nämlich der Admiral selbst, aber wo war er? In der Heimat der Zyaner? Wo war sie? Bjo Breiskoll konzentrierte sich erneut und sondierte gezielt die Gedanken einiger Fremder, erfuhr dabei aber nicht mehr als vorher. Das war auch nicht anders, als er wieder Kontakt zu Nent-Frycz bekam. Was vor dem Spiegelbau lag, war ebensowenig herauszufinden wie die Herkunft der Zyaner. Das war ziemlich ungewöhnlich. Der Mutant beendete seinen geistigen Ausflug. Grübelnd lag er auf seinem Bett. Die Vermutung drängte sich auf, daß Hidden-X diese einhunderttausend Wesen aus ihrer eigentlichen Heimat entführt hatte; warum und wieso, dafür gab es keine Anhaltspunkte.
Der Katzer war unzufrieden mit sich selbst und überlegte, ob er einen weiteren Versuch machen sollte, entschied sich dann aber dagegen; fast ein Dutzend Zyaner, darunter auch einen hohen Offizier hatte er telepathisch belauscht, doch das Ergebnis war immer gleich. Daß er mit seinen Psi-Fähigkeiten überhaupt etwas über die Fremden in Erfahrung bringen konnte, lag zum einen an den Strukturlücken der Schirmfelder der SOL, durch die sich nahezu pausenlos Beiboote ein- und ausschleusten, zum anderen daran, daß etliche Halbkugeln ihrer Schutzschirme beraubt waren. Breiskoll richtete sich auf und aktivierte den Interkomanschluß seiner Unterkunft, dann wählte er eine Gegenstelle an, die sich in der Zentrale direkt am Platz des High Sideryt befand; nur die wenigsten Solaner kannten den Anschlußkode und konnten eine Direktverbindung herstellen. Das war verständlich, denn selbst wenn sich nur ein Promille der SOL-Bevölkerung täglich an Hayes gewandt hätte, hätte er rund hundert Anrufe zu beantworten gehabt. Der Monitor leuchtete auf und zeigte das unverwechselbare Profil von Breckcrown Hayes. »Moment, Bjo!« Der Solaner gab einige Anweisungen, dann wandte er sein Gesicht wieder den Optiken und damit dem Bildschirm zu. »Wo hast du gesteckt? Atlan hat dich gesucht.« »Wann?« »Vor ein paar Stunden. Er wollte dich mitnehmen zum AuxonSystem.« »Was hat er vor?« Hayes sagte es ihm, während der Katzer seinerseits von seinem kleinen Unfall berichtete, dann kam er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. Der High Sideryt hörte interessiert zu. »Also steckt wieder einmal Hidden-X dahinter«, stieß Hayes grimmig hervor, als Breiskoll geendet hatte. »Ich werde sofort Atlan informieren. Ich könnte mir vorstellen, daß das, was in der Nähe
Vasterstats passiert ist, Absicht und Teil eines üblen Plans ist, mit dem Ziel, uns dorthin zu locken.« »Dann wäre der Angriff auf die SOL aber widersinnig«, wandte Bjo ein. »Ein Ablenkungsmanöver, nichts weiter.« »Die Zyaner sind fest entschlossen, uns zu vernichten.« »Hidden-X kennt die Kampfkraft der SOL. Die Schiffe der Angreifer sind nicht so schnell wie unsere Einheiten, und ihre Waffen sind den unsrigen unterlegen.« Die Miene Breckcrowns wirkte besorgt. »Die notgelandeten Zyaner sind nur Lockvögel, und ich befürchte, daß Atlan und die anderen bald bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken werden. Natürlich rechnete Hidden-X damit, daß wir ihnen beistehen und versuchen, sie zu retten, und dann haben wir die Situation von der ich eben sprach. Die ANDORRA und die anderen drei Leichten Kreuzer müssen auf der Stelle umkehren. Auxon ist eine Falle, in der sich die SOL fangen soll.« In diesem Augenblick ging ein Funkspruch der NIXE ein. Er besagte, daß die ANDORRA auf dem Ödplaneten gelandet war, auf den sich die Zyaner gerettet hatten. Hayes biß die Zähne zusammen. »Ich fürchte, eine Warnung kommt zu spät.«
4. Deutlich war die Oberfläche des Planeten zu erkennen. Grau und Brauntöne herrschten vor, Krater und Bodenrillen durchsetzten den felsigen, teilweise mit Geröll bedeckten Boden, kleinere Erhebungen warfen scharfe Schatten. Die vier zyanischen Beiboote standen da wie auf dem Präsentierteller. Zweifellos hatten sie uns entdeckt, aber sie beschossen uns nicht. Es hätte auch jeglicher Logik entbehrt, die ANDORRA zu attackieren, denn schon das Mutterschiff war quasi chanchenlos
gewesen, wie ich von Setrak erfahren hatte. Nicht der Technik, sondern Sternfeuer verdankten wir die wichtigsten Erkenntnisse, nämlich die, daß es zwischen den Zyanern und Hidden-X eine Verbindung gab. So hatte sie auf telepathischem Weg herausgefunden, daß der Spiegel des FlektoYns, den Atlan zerstört hatte, von den Fremden wieder aufgebaut worden war. Die Telepathin hatte es etwas anders formuliert, aber der Aktivatorträger hatte daraus seine Schlußfolgerungen gezogen, die mich nichts Gutes ahnen ließen. Wo das Heimatsystem der Zyaner lag, konnte die Mutantin nicht ermitteln, aber dann wartete sie mit einer Überraschung auf: Die Angreifer wurden von einem Vizeadmiral befehligt, der Zaut-Zy hieß. Das war an und für sich nicht umwerfend, aber dann kam der Knaller: Der Kommandant des zerstörten Raumers hieß Bruce-Zy, befand sich jetzt mit seinen Leuten auf dem trostlosen Brocken unter uns und war ein Sohn des Vizeadmirals. Meiner Meinung nach hätten wir es gar nicht besser treffen können, aber Atlan mahnte zur Vorsicht. »Hidden-X hat uns in der Vergangenheit oft genug übel mitgespielt, und mehr als einmal war unser Schicksal fast besiegelt. Es verfügt über Mittel, von denen wir uns kaum eine Vorstellung machen können. Wir müssen uns auf unseren gesunden Menschenverstand verlassen, auf Intellekt und Intuition und auf die Technik, über die wir verfügen. Zugegebenermaßen sind unsere Möglichkeiten vergleichsweise bescheiden, aber wir leben noch, und das stimmt mich zuversichtlich.« Atlan blickte uns der Reihe nach an. »Wir werden in Kürze von Bord gehen. Legt jetzt die Raumanzüge an.« »Vermutest du einen Hinterhalt oder einen Trick von Hidden-X?« erkundigte ich mich leise. »Nein. Aber auszuschließen ist so etwas nie ganz. Sei also vorsichtig.« Erfüllt von Hoffen und Bangen kletterte ich in die ungeliebte
Montur, die mich vor einer lebendsfeindlichen Umwelt und dem Vakuum schützte. Sie hatte auch noch andere Qualitäten; so konnte man beispielsweise einen körpereigenen Schutzschirm aufbauen, schwerelos werden und fliegen, aber wohl fühlte ich mich dennoch nicht. Als Blödel, der mir beim Anziehen behilflich war, eine Waffe reichte, lehnte ich entrüstet ab. »Es ist ein Kombistrahler, Chef. Im Notfall kannst du deine Gegner damit paralysieren.« Mit spitzen Fingern nahm ich die Waffe, wog sie prüfend in der Hand und untersuchte sie eingehend. Zweifellos handelte es sich um ein Mordinstrument, aber man konnte damit auch betäuben beziehungsweise lähmen; anhand des Symbols erkannte ich, daß der Strahler darauf eingestellt war. Ich konnte ihn also ohne Skrupel benutzen und schob ihn in die vorgesehene Halterung. Sternfeuer, Sanny, Blödel und ich waren bereit zum Aussteigen; außer uns und Atlan waren noch zwei Mann der ANDORRA mit von der Partie – Reno Fulmiak und Serge Nimens. Beide kontrollierten noch einmal ihre Ausrüstung, während der Aktivatorträger sich immer noch bemühte, Funkkontakt mit den Zyanern aufzunehmen. Fulmiak war ein dunkelhäutiger, gemütlich wirkender Solaner, der den Shift steuern sollte, der schlaksige Nimens war für die Geschützkontrollen zuständig. Falls es doch noch zu Feindseligkeiten kommen sollte, war der Flugpanzer so etwas wie eine Lebensversicherung. Atlan trat zu uns. Er hatte eingesehen, daß es vergebliche Liebesmühe war, eine Verständigung zu suchen. Er wirkte gelassen wir immer, als er die Mutantin fragte: »Was denken die Zyaner jetzt?« Das samtbraune Gesicht der jungen Frau blieb unbewegt, nur ihre großen blauen Augen veränderten sich, fixierten einen imaginären Punkt, dann klärte sich ihr Blick wieder. »Sie müssen verrückt sein. Sie wollen uns angreifen!«
Sternfeuer hatte kaum ausgesprochen, als sich die Gleiter in ihre Schirmfelder hüllten und abhoben, eine gewaltige Staubwolke hinter sich herziehend, dann eröffneten sie aus geringer Höhe das Feuer auf die ANDORRA. Die Belastung der Defensivsysteme war so gering, daß der Angriff Setrak nicht einmal ein müdes Lächeln entlockte. Er wandte sich an Atlan. »Was sollen wir jetzt tun? Verpassen wir ihnen Wirkungstreffer und zwingen sie damit zur Landung, oder sollen wir Traktorstrahlen einsetzen?« Wieder blitzte es bei den vier Gleitern auf, grelle Leuchtfinger griffen nach unserem Schiff, verpufften aber nahezu wirkungslos in den Schutzschirmen. Ihre Attacken waren ebenso sinnlos wie der Versuch, einen Roboter mit einem Paralysator ausschalten zu wollen, während die Geschütze eines Leichten Kreuzers sie mit einer einzigen Salve vernichten konnten. Die Zyaner wußten das, mußten es wissen, warum legten sie sich dennoch mit uns an? Haßten sie uns vielleicht so sehr, daß sogar der bei allen Lebewesen vorhandene starke Selbsterhaltungstrieb dadurch überlagert wurde, oder wollten sie uns provozieren? Wurden sie gar von Hidden-X gesteuert und manipuliert? »Wir verfolgen sie und setzen dann die Traktorstrahlen ein.« Die Pilotin hatte mitgehört und handelte sofort. Sie brach den Landeanflug ab, ließ den Raumer in einen Horizontalflug gehen und setzte dann mit vollem Schub den zyanischen Einheiten nach, ungeachtet dessen, daß der Kreuzer pausenlos unter Beschuß genommen wurde. In knapp drei Kilometer Höhe führte die wilde Jagd uns über die trostlose Oberfläche des Planeten. Auf der anderen Seite schien man unsere Absicht erraten zu haben. Die Beiboote vollführten schon tollkühn zu nennende Manöver, um uns abzuschütteln. Als das nicht gelang und wir ihnen ständig näher kamen, rasten sie nach mehreren Seiten davon und sackten nach unten durch. Auf Geheiß Atlans folgte die ANDORRA dem Gleiter, in dem sich
nach Sternfeuers Angaben dieser Bruce-Zy aufhielt. Allmählich empfand ich für Evit O'Hura eine gewisse Hochachtung. Die zierliche Solanerin steuerte den Kreuzer sehr sicher und souverän im Tiefflug hinter dem zyanischen Schiff her, überholte es und ging auf Kollisionskurs. Optisch war das nicht auszumachen, denn die Sicht war miserabel. Hochgeschleuderter Staub und pulverisiertes Gestein machten die Außenkameras so gut wie unbrauchbar, Taster und Orter hatten die Funktion der Optiken übernommen. Mit unverminderter Geschwindigkeit hielt der kleine Flugkörper auf die ANDORRA zu und machte auch keine Anstalten, auszuweichen. Mir stockte fast der Atem. Wenn der zyanische Pilot nicht sofort das Steuer herumriß, mußte es zur Katastrophe kommen … »Evit, durchstarten!« Setraks Stimme überschlug sich fast. »Nach oben wegziehen!« Die Pilotin führte ein Gewaltmanöver durch. Ein heftiger Ruck ging durch das Schiff. Ich wurde zu Boden geschleudert und hatte für einen Augenblick das Gefühl, daß mir Titanfäuste den Brustkorb zerquetschen wollten. Ein Ächzen und Dröhnen ging von der Kugelzelle aus, unheilvolles Schwingen und Heulen erfüllte die Luft, dann legte sich der Raumer schräg. Haltlos rollte ich über den Boden und schlug mit dem rechten Knie gegen eine Sitzverankerung. Stechender Schmerz breitete sich vom Bein bis zur Schulter aus. Häßliches Kreischen von Metall auf Metall war zu hören, dann war es auf einmal unnatürlich still. Nein, es war nicht wirklich still, das strapazierte Gehör hatte es nur so empfunden; ein feines Summen und Wispern war da – das übliche Arbeitsgeräusch von Antrieb und technischen Anlagen. Ein wenig mühsam stemmte ich mich hoch, unterstützt von Blödel. Auch die anderen, die von Bord gehen wollten, waren von den Beinen gerissen worden; Atlan kümmerte sich bereits um Sanny und Sternfeuer. Niemand von uns war ernsthaft verletzt worden.
Wahrscheinlich verdankten wir das der Schutzkleidung, die wir trugen. Ich humpelte zu meinem Sessel und ließ mich in den weichen Sitz fallen. Ein Medo schwebte heran und fragte mich, ob ich seine Hilfe brauchte. Schon wollte ich bejahen, als mir einfiel, daß ich dann möglicherweise mit dieser übel riechenden Salbe behandelt werden würde, also biß ich die Zähne zusammen und schickte ihn weg. »Was ist mit dem Gleiter passiert?« erkundigte sich Atlan, der seinen Platz ebenfalls wieder eingenommen hatte. »Er hat die ANDORRA mit dem Bug gestreift«, antwortete Han Setrak. »Glücklicherweise waren unsere Techniker geistesgegenwärtig genug, die Traktorstrahlen einzusetzen, sonst wäre der Schweber abgestürzt und zerschellt.« »Ausgezeichnet. Informiere die YEOMAN und die ZEUS, sie sollen sich um die drei anderen Schiffe der Zyaner kümmern, wir landen.« Zwischen den Leichten Kreuzern gingen Funksprüche hin und her, während wir dem Planetenboden entgegen sanken. Vorsichtig wurde der Flugkörper abgesetzt, dann setzte die ANDORRA direkt daneben auf. »Den Shift brauchen wir jetzt nicht mehr, wir nehmen die Personenschleuse.« Der Aktivatorträger stand auf und marschierte zum Schott. »Reno, Serge, wollt ihr mitkommen?« Die beiden nickten und setzten sich ebenfalls in Bewegung, gefolgt von Sternfeuer und Sanny. Ich stemmte mich aus meinem Sitz hoch und hinkte, gestützt von Blödel, hinter ihnen her. Draußen auf dem Gang versammelte Atlan uns um sich herum. »Es geht mir vor allem um diesem Bruce-Zy. Ich habe die Absicht, ihn zur SOL zu bringen. Wenn wir ihn für uns gewinnen können, bestehen gute Aussichten, daß wir uns mit den Zyanern verständigen können, sie vielleicht sogar als Verbündete im Kampf gegen Hidden-X auf unsere Seite zu ziehen. Um unsere friedlichen Absichten zu verdeutlichen, werden keine Waffen eingesetzt, und
selbst die Paralysatoren werden nur im Notfall benutzt. Wir haben Sternfeuer dabei, die eine ausgezeichnete Telepathin ist und uns warnen wird.« Er wandte sich an die schlanke Mutantin. »Wie sieht es in dem Gleiter aus?« »Ich kann keine verständlichen Gedanken empfangen. Wahrscheinlich haben sie alle bei dem Zusammenprall das Bewußtsein verloren.« »Gut. Dennoch bitte ich um Vorsicht. Es wäre denkbar, daß sie Roboter dabei haben. Kommt jetzt.« Atlan ging voraus, Blödel und ich bildeten den Abschluß. Diese verdammten Schmerzen im Knie. Am liebsten wäre ich hiergeblieben und hätte mich hingelegt, aber so kurz vor dem Ziel wollte ich nicht einfach aufgeben. Ich war gespannt darauf, was für Wesen diese Zyaner waren, wie sie aussahen, und dann wollte ich Atlan auch nicht schnöde im Stich lassen; es war sehr gut denkbar, daß meine Kenntnisse und Erfahrungen gebraucht wurden. Kurz entschlossen entnahm ich der Pharma-Box zwei Kapseln gegen Schmerzen und schluckte sie unzerkaut, dann ließ ich mich von dem abwärts gepolten Feld des Antigravschachts nach unten tragen.
* Es war ein eigenartiges Gefühl, über die Oberfläche eines atmosphärelosen Planeten zu gehen, sich dazu noch bei verminderter Schwerkraft zu bewegen. Bei jedem Schritt wirbelten kleine Staubfontänen auf, die langsam wieder zu Boden sanken, ich fühlte mich seltsam leicht, aber nicht unbeschwert; es war die bedrückende Umgebung, die keine beschwingte Stimmung aufkommen ließ. Alles war steinig, tot, verwüstet, wirkte kalt, eckig, wie herausgemeißelt, obwohl es durchaus runde Formen gab. Es war das Licht der Sonne Auxon, das diesen Eindruck erweckte. Wo es
hinfiel, war es grell, arbeitete die Formen der Brocken und Zacken heraus wie Schattenrisse, wo ihm etwas im Weg stand, erzeugte es harte Schatten. Vergeblich suchte das Auge die gewohnten Abstufungen zwischen hell und dunkel, den sanften Übergang zur Dämmerung. Wir bewegten uns zu Fuß durch die Geröllwüste; der Gleiter der Zyaner war nur wenig mehr als zwanzig Meter entfernt. Das Mittel, das ich genommen hatte, wirkte bereits; ich war nahezu schmerzfrei. Sanny war auf dem unebenen Untergrund mehrmals ins Stolpern geraten, so daß ich Blödel angewiesen hatte, die Kleine zu tragen. Niemand sprach ein Wort; wahrscheinlich schlug den anderen diese trostlose Einöde genauso aufs Gemüt wie mir. Hintereinander trotteten wir auf den Flugkörper zu. Er war weder geborsten noch sonderlich stark beschädigt, einzig der Bug war eingedrückt; es war also nicht zu befürchten, daß die Atemluft entwichen und die Besatzung erstickt oder durch Dekompression getötet worden war. Atlan fand auf Anhieb den seitlich gelegenen Einstieg. Natürlich war die Luke verschlossen, aber das war kein Problem. Mit einem winzigen Sprengsatz verschafften wir uns Zugang zu der hinter dem Schott liegenden Schleusenkammer. Da lediglich das Schloß zerstört worden war, hatten wir kein Leck abzudichten, um einen Druckabfall zu verhindern. Der Aktivatorträger befahl Blödel, die massive Tür mit seinen übermenschlichen Kräften geschlossen zu halten. »Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt«, ließ sich mein Assistent mit einem Faust-Zitat vernehmen. »Nun stell dich nicht so an«, zischte ich. »Du wirst doch wohl dieses alberne Schott zuhalten können, oder nicht?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, gab Blödel würdevoll zurück. »Ich wollte euch nur dokumentieren, daß ich kein ordinärer Zuhalter bin, sondern der wissenschaftliche Mitarbeiter des herausragendsten Galakto-Genetikers, der je an
Bord der SOL gelebt und gearbeitet hat.« »Nun übertreibst du aber ein wenig, Blödelchen.« Ich lächelte geschmeichelt. »Bitte sei dennoch so gut, Atlans Bitte nachzukommen.« »Natürlich, Chefchen.« Ach, wenn sich doch alle so gut verstehen würden wie wir zwei; es würde keinen Neid mehr geben, keinen Hader und keinen Zwist, keinen Kampf und keinen Krieg, nur noch Einigkeit, Friede und Liebe. Liebe? Komisch, wie kam ich ausgerechnet auf Liebe, noch dazu in einer Situation wie dieser? Ich verdrängte meine tiefschürfenden Gedanken und blickte zu Atlan. Er stand vor einem in Brusthöhe angebrachten Schaltelement, das fremdartig wirkte und mit unbekannten Zeichen beschriftet war. Ein wenig unschlüssig preßte er den Zeigefinger auf eins der farbigen Felder. Nichts geschah. Er probierte weiter, und dann glitt die innere Schleusentür endlich zurück. »Die Luft ist atembar«, sagt er, nachdem er seine Anzuginstrumente abgelesen hatte, »trotzdem bleiben die Helme geschlossen.« Er warf Sternfeuer einen fragenden Blick zu. Die Mutantin schüttelte verneinend den Kopf. Wir hatten also nichts zu befürchten, es sei denn, uns lauerten irgendwo Roboter auf, aber davon war ich nicht überzeugt. Sie hätten uns bestimmt am Eindringen gehindert oder wären spätestens jetzt aufgetaucht, aber nichts und niemand war zu sehen. Erst in diesem Augenblick stellte ich fest, daß Atlan und die beiden Solaner sich keineswegs nur auf ihr Glück verlassen hatten; alle drei hatten ihre Waffen gezogen, um einer möglichen Bedrohung sofort begegnen zu können. Einmal mehr wurde mir klar, daß ich für Kommandounternehmen dieser Art nicht sonderlich geeignet war. Ich besaß in derartigen Sachen nicht viel Erfahrung, verfügte auch nicht über angeborene oder antrainierte Reflexe, hatte keinen siebten Sinn für mögliche Gefahren und eine
deutliche Abneigung gegen Waffen. Es war mir schleierhaft, warum mich Atlan eigentlich in sein Team berufen hatte und auf meine Begleitung Wert legte, andererseits war es natürlich von Vorteil, einen Wissenschaftler wie mich an seiner Seite zu haben. Natürlich, das war es. Er schätzte mich nicht als Kämpfer, sondern als einen Mann mit geistigen Qualitäten, der seinen Verstand zu gebrauchen wußte und zudem noch ein erfahrener, hochbegabter Fachmann war; selbst Blödel hatte das ja bestätigt. Mir wurde immer deutlicher, daß ich zweifellos einer der wertvollsten Mitarbeiter Atlans war, wenn nicht der wichtigste überhaupt. Der Name Hage Nockemann würde in die Annalen der SOL eingehen, davon war ich restlos überzeugt. Gedankenverloren folgte ich Atlan und den anderen in das Innere des Gleiters, als mich ein Ruf Blödels erreichte. Er trug ein kleines Sende- und Empfangsgerät und konnte sich mit uns so über die Helmfunkfrequenz verständigen. »Chef, was ist mit mir? Soll ich ewig hier stehen und die Funktion einer positronischen Verriegelung übernehmen?« Der arme Blödel! An ihn hatte ich gar nicht mehr gedacht, und wohl auch der Arkonide nicht. Er kehrte um und schweißte das Schott eigenhändig mit einem Strahler an der Metallhülle fest, so daß der Einstieg untrennbar mit der Außenhaut des Gleiters verbunden war. Nun war nicht mehr zu befürchten, daß es zu einem Vakuumeinbruch kam. Wäre Blödel ein Solaner gewesen, ich hätte geschworen, daß er einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen hätte, aber so hatte mich wohl nur meine Einbildung genarrt. Er bedankte sich überschwenglich bei Atlan und auch bei mir. »Ich hab' mit Dank ja nie gerechnet«, murmelte der Aktivatorträger und eilte wieder an die Spitze der kleinen Gruppe. Entgeistert sah ich ihm nach. »Das war Shakespeare, Chef«, begeisterte sich mein Assistent. »Ich weiß«, gab ich griesgrämig zurück. »Alles, was ich zu sagen
vorhatte, wird an diesem Ausspruch gemessen, also schweige ich lieber, denn ich bin weder Dichter noch Philosoph. Folge mir, Blödel.« Nebeneinander tappten wir durch den Gang, den anderen nach. In regelmäßige Abständen angebrachte Leuchtplatten erhellten den Flur. Ihr Licht besaß einen starken Rotanteil, der die Farben verfälschte und unterschwellig Gefahr signalisierte, doch die Gefährten schienen es entweder nicht zu bemerken oder blieben davon unbeeindruckt. Sie schritten forsch aus – der gewiefte Atlan ebenso wie die Telepathin. Ich bemühte mich, zu ihnen aufzuschließen, als plötzlich vor mir eine Metallplatte herabfiel und den Korridor in seiner ganzen Breite abriegelte. Mehr noch als das unerwartet aufgetauchte Hindernis überraschte mich die Lautlosigkeit des Vorgangs. Bevor ich um Hilfe rufen oder Blödel einen Befehl geben konnte, fühlte ich mich unsanft gepackt. Jemand riß mit Brachialgewalt meinen Helm nach hinten, so daß mir fast das Genick brach, dann erhielt ich einen harten Schlag auf den Kopf. Vor meinen Augen entstanden bunte Blitze. Blödel werden sie nicht so leicht überwältigen können, war mein letzter Gedanke, dann schwanden mir die Sinne.
* In meinem Schädel klopfte es, hämmerte und bohrte etwas mit derartiger Intensität, daß mir davon fast übel wurde, mein Gehirn war nur noch ein einziges pulsierendes Schmerzbündel; mir war elend wie selten zuvor in meinem Leben. Und dann setzte die Erinnerung wieder ein. Jemand hatte mich hinterrücks niedergeschlagen. Was war mit Blödel? Unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es mir, die bleischweren Lider zu heben und wenigstens zu blinzeln. Das Licht brannte wie Feuer
in meinen Augen; der Körper versuchte durch reichen Tränenfluß, den Sehorganen Linderung zu verschaffen. Die verwaschenen Umrisse verschwanden, mein Blick klärte sich. An der Perspektive erkannte ich, daß ich auf dem Rücken lag, die Umgebung war fremdartig. »Blödel?« brachte ich mühsam krächzend hervor. »Hier bin ich, Chef.« Ganz vorsichtig drehte ich den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Mein Assistent stand nur wenige Schritte von mir entfernt und begaffte mich wie einen entarteten Einzeller. Mit kam die Galle hoch. »Warum hilfst du mir nicht, du einäugiges Scheusal?« Wütend setzte ich mich auf – und hätte vor Schmerzen fast laut aufgeschrien. Zornige Roboter schienen mit ihren Fäusten meine Schädeldecke zu bearbeiten, jeder Nerv der Kopfhaut mußte bloßliegen, um jeden Faustschlag aufzunehmen; es konnte nur noch eine Frage von Sekunden sein, wann mir der Kopf platzte. Vom Magen strahlte würgende Übelkeit aus, vor meinen Augen drehte sich alles in einem immer schnelleren Wirbel. Wollte diese Qual denn kein Ende nehmen? Die Bilder stabilisierten sich wieder, und auch das Pochen im Schädel ließ ein wenig nach. Mit zitternden Fingern tastete ich nach der Pharma-Box. Ich hatte sie kaum in der Hand, als mich dumpfe, grollende Laute zusammenfahren ließen; vor Schreck ließ ich den Behälter fallen und drehte den Kopf. Hinter mir stand ein Wesen, dem ich noch nie begegnet war. Es mochte zwei Meter groß sein und glich einer schwanzlosen Echse. Der Fremde besaß zwei Arme mit fünffingrigen kräftigen Händen, die beiden Beine waren kurz und stämmig, halslos trohnte der Kopf auf dem muskulösen Rumpf. Bekleidet war die Gestalt mit einer lederartigen Kombination. Wo immer der Körper unbedeckt war, sah man grau-grüne Schuppen, während die Gesichtspartie wie eine hellgrüne Haut wirkte.
Beherrschend war der überbreite Mund; wann immer der Fremde einen Ton hervorstieß, wurde ein furchteinflößendes Gebiß enthüllt. Die zwei Nasenlöcher sahen aus, als wären sie einfach in den Schädel hineingebohrt worden, Ohren waren nicht erkennbar. Die Kopfoberseite war mit kreuz und quer stehenden Schuppen bedeckt, die wie dicke, borstige Haare in die Höhe standen. Das Wesen – ich zweifelte nicht daran, daß es ein Zyaner war – war entfernt hominid, wenngleich es seine reptilienartigen Urväter nicht verleugnen konnte; die Proportionen deuteten ebenfalls darauf hin, denn die Extremitäten waren im Vergleich zum Körper zu kurz. Die Stimme des Fremden wurde lauter, fordernder. Behutsam stand ich auf und hob die Hände in der Hoffnung, daß diese Geste verstanden wurde. Wirkte schon die Erscheinung des Zyaners bedrohlich, so sprach der Gegenstand in seiner Rechten eine noch deutlichere Sprache; er erinnerte entfernt an unsere Strahler und war mit Sicherheit eine Waffe. Nun wußte ich auch, warum Blödel nicht eingegriffen hatte. »Hör zu, mein Lieber, ich bin Hage Nockemann, ein harmloser Wissenschaftler. Ich bin mit meinem Assistenten mehr oder weniger zufällig in diesen Gleiter gelangt. Unsere Absichten sind friedlicher Natur, das mußt du uns glauben. Was hast du davon, wenn …« Der Zyaner stieß ein drohendes Knurren aus, gleichzeitig ruckte die Waffe hoch, also schwieg ich. Was mir ein wenig Hoffnung machte, war die Tatsache, daß er die Gelegenheit dazu gehabt und mich trotzdem nicht getötet hatte, allerdings schien ihm auch an einer Verständigung nichts gelegen. Was also hatte er vor, und wo um alles in der Welt blieb Atlan? Die Mutantin mußte doch wissen, in welcher Lage ich mich befand! Sternfeuer! dachte ich intensiv. Sternfeuer, hilf uns! Blödel und ich befinden uns in der Gewalt eines Zyaners. Er bedroht uns! Wenn ich doch nur einen Translator dabei gehabt hätte, um mit ihm sprechen zu können … Ob Blödel vielleicht als Übersetzer einspringen konnte? Ich blickte den Hominiden an, damit es so
aussah, als würde ich mit ihm sprechen. »Sprachanalyse, Blödel. Du mußt dolmetschen.« Wieder gab der Fremde eine Reihe grollender Laute von sich. Ich war davon überzeugt, daß die menschlichen Stimmorgane nicht in der Lage waren, derartige Töne zu erzeugen beziehungsweise verständlich zu artikulieren; hier konnte nur ein positronisches Gerät helfen. »Chef, du weißt, daß ich kein guter Translator bin«, gab mein Mitarbeiter mit seiner männlich klingenden, knarrenden Stimme zur Antwort. Der Zyaner stieß eine Serie hoher Töne aus, ohne erneut mit dem Gegenstand in seiner Rechten herumzufuchteln. Ob ihm Blödels Stimmlage gefiel? Immerhin klang sie tiefer und dumpfer als meine, und mit einem bißchen Phantasie und gutem Willen konnte man eine gewiße Ähnlichkeit zwischen Blödels Stimme und der des Fremden heraushören. »Du mußt reden, Blödel – sprich zu ihm!« »Grrureng schuymen tuusong brrr schtheh woosahmen j pf f f.« Das fremde Wesen lauschte, dann machte es: »Aarchjümuusthyj.« »Fabelhaft, Blödel, das ist der Durchbruch. Was hast du gesagt, und wie lautet die Antwort?« »Ich weiß es nicht, ich habe nur versucht, die Laute nachzuahmen.« Mich traf fast der Schlag. Da waren wir diesem Echsenabkömmling auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, und jede Minute konnte unsere – meine – letzte sein, und diese Karikatur von einem Mitarbeiter versuchte sich als Stimmenimitator. Unbewußt schlug ich mir mit der linken Hand an die Stirn – und zuckte wie elektrisiert zurück. Meine Kopfschmerzen steuerten eine neue Höchstmarke an. Ich glaube, in diesem Augenblick flackerte in meinen Augen blanke Mordlust, ich hätte Blödel auf der Stelle erwürgen können, obwohl es sinnlos gewesen wäre, das überhaupt erst zu versuchen;
Metall war mit bloßen Händen nicht beizukommen. »Du Idiot, du sollst ihn nicht kopieren, sondern verstehen!« Der Zyaner versetzte mir einen Stoß, der mich fast von den Beinen gerissen hätte. Rückwärts taumelnd, mit wirbelnden Armen das Gleichgewicht bewahrend, prallte ich mit dem Rücken gegen eine Wand. Mein Gehirn quittierte die Erschütterung mit einer Schmerzwelle, die durch meinen ganzen Körper raste; für Sekunden wurde mir schwarz vor Augen. Als ich meine Umgebung wieder bewußt wahrnehmen konnte, glaubte ich, zu träumen. Ich sah nicht nur exotische Anlagen und fremdartige Einrichtungsgegenstände, sondern auch Atlan und Sternfeuer. Sie standen im geöffneten Eingang, der Arkonide mit dem Strahler in der Hand. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich den Zyaner. Er war ein wenig zurückgetreten und hielt seine Waffe auf mich gerichtet. Ich fühlte, wie sich mein Nackenhaar sträubte. Eine falsche Bewegung der beiden, und mit mir war es aus. »Nicht schießen!« rief ich angsterfüllt, gleich darauf stieß der Geschuppte einen drohenden Knurrlaut aus. Polternd fiel Atlans Strahler zu Boden. Der Hominide gab einige Töne von sich, die wohl so etwas wie Befriedigung ausdrückten, doch dann geschah etwas, was ihn grenzenlos überraschte. Mein getreuer Blödel nutzte die Gunst des Augenblicks. Er entriß dem Zyaner die Waffe und schleuderte sie weg. Seine langen Arme schossen vor, packten den fremden Raumfahrer und umschlangen seinen Oberkörper wie eine metallene Fessel. Das Wesen versuchte vergeblich, sich zu befreien; mein Assistent hielt ihn eisern fest. Als würde er nach einem unsichtbaren Gegner schnappen, öffnete und schloß der Zyaner den breiten, zähnestarrenden Mund und stieß grollende Laute aus. Ich bedankte mich auch in Blödels Namen bei den Freunden, aber Atlan wollte davon nichts wissen. »Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, Hage, über die man kein
Wort zu verlieren braucht. Vielleicht sind wir es ja, die bald in einer ähnlichen Lage sind und deiner und Blödels Hilfe bedürfen.« »Das wollen wir nicht hoffen.« Unfreundlich musterte ich den Zyaner. Daß er mich gefangengenommen und mir zudem diesen Schlag auf mein wissenschaftliches Haupt gegeben hatte, würde ich ihm so schnell nicht verzeihen. »Was machen wir mit dem da?« »Wir nehmen ihn mit«, entschied der Aktivatorträger. »Es ist Bruce-Zy.« »Donnerwetter, da habe ich ja gleich auf Anhieb den richtigen Mann gefunden.« »Es war umgekehrt, Chef.« »Das ist doch jetzt völlig egal, Blödel, Hauptsache, wir haben unser Ziel erreicht. Habe ich recht, Atlan?« Der Arkonide nickte lächelnd, hob seinen Strahler auf und steckte ihn weg. »Laßt uns gehen.« Zu Blödel gewandt, sagte er: »Du kannst ihn loslassen. Er wird nicht fliehen.« Mein Mitarbeiter gab den Zyaner frei. Tatsächlich versuchte er weder, uns zu entkommen noch jemanden anzugreifen, obwohl keine Waffe auf ihn gerichtet war. Ich konnte mir vorstellen, daß es Blödel mit seinen langen Armen und den Bärenkräften zu verdanken war, daß er nicht auf dumme Gedanken kam. Im Gänsemarsch, Bruce-Zy in der Mitte und gut bewacht von Blödel, marschierten wir nach draußen. Auf dem Gang erwarteten uns Sanny, Reno Fulmiak und Serge Nimens. Der dunkelhäutige Shiftpilot trug ein faltiges Etwas über dem Arm, das sich bei genauerem Hinsehen als ein Raumanzug entpuppte. Wortlos reichte er das Bündel dem Zyaner, der es bereitwillig entgegennahm und überstreifte. Wir nahmen den Weg, den wir gekommen waren. In der Schleuse wurde es ein wenig eng, weil wir uns alle an die hintere Wand preßten, während Atlan das zugeschweißte Schott wieder aufschnitt. Es dauerte für meine Begriffe fast eine Ewigkeit, bis sich
die Luke endlich öffnen ließ und wir ins Freie gelangten. Noch einmal benutzte der Aktivatorträger seinen Strahler, um erneut eine Verbindung zwischen Außenhaut und Durchlaß herzustellen, so daß die Luft im Gleiter nicht entweichen konnte, dann ging es zurück zur ANDORRA. Als die Reihe an Bruce-Zy war, an Bord zu gehen, zögerte er. Er blickte zurück, dorthin, wo sein Schiff lag, schaute dann an der mächtigen Kugelwandung unseres Raumers hoch und sagte etwas in seiner unverständlichen Sprache. »Aarchjümuusthyj«, gab Blödel mit Grabesstimme zurück. Der Zyaner stieß ein trockenes Bellen aus, dann folgte er Atlan. Blödel blieb ihm dicht auf den Fersen, ich ging als letzter. Es war ein schönes Gefühl, wieder in einem solanischen Schiff zu sein.
* Schon vorher war ich fast vor Neugier geplatzt; als wir uns der Schutzanzüge entledigt hatten und in der Zentrale des Leichten Kreuzers in unseren Sesseln saßen, hielt ich es nicht mehr aus. »Nun erzähle mal endlich, was sich aus eurer Sicht in dem zyanischen Beiboot zugetragen hat.« »Aufregend war es eigentlich nicht«, meinte Atlan. »Du hast da wohl nervenaufreibendere Minuten erlebt.« »Und vor allem schmerzlichere.« Der Aktivatorträger schenkte mir einen mitfühlenden Blick, dann begann er mit seinem Bericht. »Sternfeuer hatte geespert, daß zwei, drei Zyaner aus der Bewußtlosigkeit erwacht waren, und sich voll auf sie konzentriert, damit wir keine unangenehme Überraschung erlebten. Sie hielten sich in unserer unmittelbaren Nähe auf. Ihr erster Gedanke war, jeden Feind am Betreten des Beiboots zu hindern, also stürmten sie fast gleichzeitig auf den Gang, der zur Schleuse führte. In
Unkenntnis der Örtlichkeiten fanden wir in der kurzen Zeit, die uns blieb, kein geeignetes Versteck. Plötzlich standen wir uns gegenüber. Sie waren mit Strahlern bewaffnet und wild entschlossen, jeden Eindringling zu vernichten, aber das Überraschungsmoment war auf unserer Seite; uns blieb nichts anderes übrig, als sie zu paralysieren. Und dann stellte Sternfeuer fest, daß es noch einen Zyaner gab, der nicht mehr ohnmächtig war – und du warst in seiner Gewalt.« »Warum hat er mich eigentlich nicht gleich getötet?« »Er wollte dich verhören lassen, gleichzeitig hatte er mit dir als Geisel ein gewisses Faustpfand, aber das war wohl mehr ein nebensächlicher Aspekt. Wir sind den Zyanern genauso fremd wie sie uns. Er wollte aus deinem Wissen für sein Volk Kapital schlagen.« »Ich hätte mich strikt geweigert, für die Zyaner als Wissenschaftler tätig zu werden«, protestierte ich. »Du hast mich mißverstanden, Hage. Es ist für jede Seite ein unschätzbarer Vorteil, etwas über Mentalität und Technik des anderen zu erfahren, seine Stärke und seine Möglichkeiten zu ergründen. Das kann bei einer Auseinandersetzung entscheidend sein.« »Verstehe.« Ich kratzte mich nachdenklich am Kinn. »Und nachdem ich alles ausgeplaudert hätte, wäre ich wahrscheinlich umgebracht worden, nicht wahr?« »Das ist eine rein rethorische Frage. Sternfeuer hält Bruce-Zy für ein recht umgängliches Exemplar seiner Rasse. Er ist gebildet und aufgeschlossen, neigt anders als seine meisten Artgenossen auch nicht zur Gewalttätigkeit, sondern kann sich durchaus eine Verständigung mit anderen Völkern vorstellen.« »Eine derartige Einstellung steht aber in krassem Widerspruch zu dem selbstmörderischen Angriff auf die ANDORRA.« »Stimmt, Hage, du darfst aber auch die Umstände nicht vergessen. Bruce-Zy ist ein Sohn des Vizeadmirals, der die Flotte kommandiert.
Es gibt also eine gewisse Erwartungshaltung, so und nicht anders zu reagieren – und dann ist da ja auch noch Hidden-X. Ich weiß nicht, ob die Zyaner wirklich so aggressiv sind, wie sie sich geben, aber er würde bestimmt nicht dulden, daß sich jemand seinem Einfluß entzieht und eine andere Richtung einschlägt. Ich neige fast zu der Ansicht, daß die Zyaner gar nicht anders können, als uns anzugreifen, denn sie sind manipuliert und haben keine andere Wahl. Die Hominiden sind nur Marionetten, Puppen, deren Fäden Hidden-X zieht. Sie mit allen Mitteln zu bekämpfen, die uns zur Verfügung stehen, hieße, ein großes Unrecht zu begehen, doch zurück zum Thema: Es war für uns klar, daß deine Befreiung Vorrang hatte, gleichzeitig war es ein glücklicher Umstand, daß Bruce-Zy dich überwältigt hatte; so konnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sternfeuer und ich machten uns also auf, während Sanny, Reno und Serge uns den Rücken freihalten sollten.« »Wie habt ihr eigentlich die Metallplatte im Gang beseitigt?« »Das war recht einfach. Sternfeuer konnte den Gedanken des Zyaners entnehmen, daß es sich um ein Sicherungsschott handelte, das auch manuell von beiden Seiten gesteuert werden konnte. Ja, und den Rest kennst du ja.« »Wo ist Sternfeuer jetzt eigentlich?« »Sie kümmert sich um Bruce-Zy.« Als wäre damit ein Stichwort gefallen, tauchte die schlanke Mutantin in der Zentrale auf. Sie steuerte einen freien Sessel neben uns beiden an und ließ sich in das weiche Polster sinken. Forschend blickte Atlan sie an. »Nun?« »Es hat zwar eine Weile gedauert, aber inzwischen ist eine Verständigung mittels eines Translators möglich. Bruce-Zy hat sich sehr kooperativ gezeigt.« »Vielleicht spielt der Umstand, daß keiner seiner Leute zuhören konnte, dabei eine entscheidende Rolle«, meinte der Arkonide.
»Es wäre denkbar. Ich habe ihn auf das aggressive Verhalten seines Volkes angesprochen und ihn über Hidden-X befragt. Das Ergebnis war gleich Null, deshalb habe ich weiter ausgeholt und Hintergrundinformationen geliefert; dabei habe ich ihm auf den Kopf zugesagt, daß wir wissen, daß seine Rasse mit einer negativen Macht in Verbindung steht und von ihr manipuliert wird.« »Und?« »Er hat alles interessiert aufgenommen, ist aber skeptisch.« »Wenn mir ein Fremder eine solch phantastische Geschichte erzählen würde, hätte ich auch Vorbehalte«, meinte ich. »Hinzu kommt, daß er sich in unserer Gewalt befindet, uns also nicht unbedingt positive Gefühle entgegenbringt. Immerhin muß er damit rechnen, daß wir ihn beeinflussen wollen, geistig gewissermaßen umpolen. Zerstörung der Persönlichkeit durch …« Ich suchte nach einem passenden Ausdruck, »Gehirnwäsche.« »Natürlich fällt er uns nicht um den Hals, aber in dieser Beziehung sind seine Gedanken fast wertneutral«, widersprach die Telepathin. »Er fürchtet uns nicht.« »Hast du etwas über seine Herkunft erfahren können?« Sternfeuer schüttelte den Kopf. »Nein, in dieser Hinsicht habe ich auf telepathischem Wege nichts herausfinden können. Ich habe ihn dann direkt danach gefragt.« Atlan beugte sich gespannt vor. »Und was hat er geantwortet?« »Es ist streng verboten, etwas über die Vergangenheit zu sagen, die umgerechnet mehr als zwei Jahre zurückliegt. Selbst der Gedanke daran wird mit dem Tod bestraft.« »Verdammt rauhe Sitten«, warf ich ein. »Bruce-Zy empfindet das nicht so. Die Zyaner leben in einer hierarchischen Ordnung, die diktatorische Züge trägt. Schon von Kindesbeinen an wird ihnen eingebleut, daß absoluter Gehorsam oberstes Gebot ist.« »Das hat er gedacht?« vergewisserte ich mich, weil mir auf einmal
eine Idee gekommen war. »Ja.« »Wenn er sich an seine Kindheit erinnern kann, dann …« »Ich weiß, worauf die hinaus willst, Hage, aber ich muß dich enttäuschen. Seine Gedanken bewegten sich in der Gegenwart, denn auf den Raumschiffen leben auch junge Zyaner, und sie waren gemeint.« Ich schluckte. Wahrscheinlich wäre diese Lösung auch zu einfach gewesen. »Um noch einmal auf diese Art Gedankensperre zurückzukommen«, sagte Atlan. »Hast du sie auch bei den Zyanern feststellen können, die uns in dem Beiboot begegnet sind?« Sternfeuer bejahte. »Es steht also zu vermuten, daß wir es hier mit einer Manipulation von Hidden-X zu tun haben; ähnliches haben wir ja bereits erlebt, es ist also nichts Neues.« Ein Signal ertönte. Die ANDORRA, mittlerweile in den Linearraum übergewechselt, fiel in das Einsteinuniversum zurück. Da wir gleich nach unserem Abflug von dem Ödplaneten Kontakt mit der SOL aufgenommen hatten, überraschten mich die hereinkommenden Daten und Informationen nicht. Nach wie vor tobte in dem vor uns liegenden Sektor ein Energiegewitter besonderer Art; Ursache dafür waren solanische und zyanische Geschütze. Daß ich mich mit Taster-, Orterangaben und ähnlichem technischen Kram in einem Raumschiff inzwischen ein wenig auskannte, verdankte ich nicht nur den in letzter Zeit relativ häufigen Einsätzen, sondern auch einer Art Selbststudium. Ich hatte mir – heimlich natürlich -Unterlagen über die Ausbildung von Piloten und Beibootkommandanten beschafft. Ich gestehe, daß es für einen Naturwissenschaftler wie mich eine regelrechte Horrorlektüre war. Fünfzig Prozent hatte ich übersprungen, von dem verbliebenen Rest hatte ich neun Zehntel nicht begriffen, aber etwas war
hängengeblieben. Nicht einmal Blödel wußte, wie intensiv ich an meiner Vervollkommnung gearbeitet hatte. Apropos Blödel – wo war der Bursche überhaupt? Seit ich die Zentrale betreten hatte, hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Auf meine diesbezügliche Frage antwortete Sternfeuer: »Er hält sich bei Bruce-Zy auf.« »Teufel, warum sagt mir das niemand? Wie ich ihn kenne, versucht er, die kehlkopfzerstörende Sprache der Zyaner zu lernen oder wenigstens nachzuahmen, um mir damit zu imponieren, weil er weiß, daß es für jeden Solaner unmöglich ist, dieses Idiom zu sprechen. Ich muß sofort zu ihm. Dem werde ich die Flausen austreiben.«
5. Die vier Leichten Kreuzer ANDORRA, NIXE, ZEUS undYEOMAN waren von zyanischen Einheiten angegriffen worden, dennoch war es ihnen gelungen, sich unversehrt einzuschleusen. Atlan war mit den Mitgliedern seines Teams und Bruce-Zy sogleich in die Zentrale des Hantelraumers geeilt und hatte Breckcrown Hayes ausführlich Bericht erstattet. Der High Sideryt blickte kurz zu dem Zyaner, dann sagte er: »Du hast einen wertvollen Fang gemacht, Atlan. Wir sollten versuchen, über Bruce-Zy zu einer Verständigung mit den Angreifern zu kommen, denn immerhin ist er einer der Söhne des Vizeadmirals. Wir könnten sein Bild senden oder ihn zu seinen Artgenossen sprechen lassen.« Der Arkonide, der mittlerweile auch wußte, was Breiskoll geespert hatte, wiegte unschlüssig den Kopf. »Ich bin nicht sicher, ob das Eindruck auf sie machen würde; möglicherweise erreichen wir das genaue Gegenteil. Es ist nicht auszuschließen, daß wir ihre Kampfeslust dadurch anstacheln, weil
sie alles daransetzen werden, diese Scharte auszuwetzen und ihn zu befreien. Eine weitere Unbekannte in dieser Rechnung ist der Einfluß von Hidden-X auf die Zyaner. Meiner Meinung nach sollten wir Bruce-Zy einstweilen aus dem Spiel lassen und ihn als Joker in der Hinterhand behalten.« Angesichts dessen, daß die SOL trotz der verhaltenen Abwehr ihre Position bisher behauptet hatte, wurde Hayes die Entscheidung leicht gemacht. »Also gut, ich bin einverstanden. Was hast du mit ihm vor?« »Ich denke, wir sollten uns noch näher damit beschäftigen, um doch noch das eine oder andere über die Zyaner zu erfahren. Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich ihn gerne in Gewahrsam nehmen, da Sternfeuer ihm vertraut ist.« »Das ist mir recht.« Der Arkonide stand auf und ging zu Nockemann und Sternfeuer. Er wechselte ein paar Worte mit ihnen, dann erhoben sich die beiden und traten neben Bruce-Zy und Blödel, der den Hominiden keinen Augenblick lang aus dem Auge gelassen hatte. »Komm, wir bringen dich zu deiner Unterkunft«, sagte die Mutantin. Da sie einen Translator trug, verstand der Zyaner sie. Im Gänsemarsch verließ die kleine Gruppe die Zentrale und steuerte jenen nahegelegenen kleinen Wohnsektor an, der SOL-City genannt wurde. Er war nur fünfzig Meter von der Kommandozentrale entfernt und besaß einen zwanzig Meter langen Korridor. Zu beiden Seiten des Flurs lagen die Kabinen des AtlanTeams, es gab einen Konferenzraum, ein Ausrüstungsmagazin, eine Versorgungsstation und einen Aufenthaltsraum. Hier waren ausschließlich Roboter tätig, die Wartungs- und Reinigungsarbeiten ausführten. Für den Zyaner hatte man eine der üblichen Kabinen bereitgestellt, besondere Umrüstungen waren nicht erforderlich. Die Echsenabkömmlinge waren an eine Atmosphäre gewöhnt, die vornehmlich aus Stickstoff mit einem entsprechenden
Sauerstoffanteil bestand; aufgrund ihrer menschenähnlichen Anatomie benötigten sie auch kein spezielles Mobiliar. »Du siehst müde aus, Sternfeuer«, meinte Nockemann, nachdem sie das Zimmer betreten hatten, das fortan für unbestimmte Zeit das Domizil von Bruce-Zy sein sollte. »Wenn du willst, kannst du gehen und dich ein wenig ausruhen. Ich zeige unserem Freund nur noch, wie die Servoeinrichtungen bedient werden, dann werde ich mich auch für ein Stündchen aufs Ohr legen.« »Ich fühle mich tatsächlich abgespannt, Hage.« Die Telepathin warf dem Solaner einen dankbaren Blick zu. »Es ist nett von dir, daß du das übernehmen willst.« Die junge Frau verabschiedete sich von den dreien, reichte dem Galakto-Genetiker den Translator und verschwand. Der Wissenschaftler lächelte triumphierend und schaltete das positronische Übersetzungsgerät aus. »Blödel, du kennst deine Aufgabe. Während ich ihn ablenke, wirst du tätig – aber unauffällig.« »Du kannst dich auf mich verlassen, Chef.« Hage Nockemann aktivierte den Translator wieder. »Ich werde dich jetzt mal kurz einweisen, wie was zu bedienen ist.« »Das ist sehr freundlich von dir.« Der Wissenschaftler informierte Bruce-Zy über das technische Instrumentarium der Wohn-/Schlafeinheit, dann führte er ihn zu der Naßzelle, über deren Einrichtungen er sich lang und breit ausließ. Der Zyaner hörte geduldig zu, wahrend Blödel die Gelegenheit nutzte. Die ganze Zeit über hatte er sich in der Nähe des Hominiden aufgehalten, nun öffneten sich in dem Robotkörper mehrere Fächer, aus denen zwei Instrumentenarme ausgefahren wurden. Einer von ihnen träufelte ein paar Tropfen einer farblosen Flüssigkeit auf eine unbekleidete Stelle der Schuppenhaut, dann schnellte der andere vor, bohrte sich punktgenau in das Zentrum der benetzten Fläche und drang wenige Millimeter tief in den
massigen Leib ein. Die Manipulationstentakel wurden blitzschnell wieder eingezogen, die Klappen schlossen sich. Bruce-Zy hatte den winzigen Eingriff nicht einmal bemerkt, zumal er dem Roboter den Rücken zuwandte. Nach wie vor lauschte er den Ausführungen des Genetikers. »Chef?« »Ja, Blödel?« »Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.« Dieser Satz war als unverfängliche Mitteilung abgesprochen worden und besagte, daß alles nach Plan verlaufen war. Nockemann hatte es auf einmal eilig, die Kabine zu verlassen. »Weißt du, mein Mitarbeiter ist ein Fan klassischer Zitate. Ich glaube, dir sagt der Spruch nicht viel.« Der Wissenschaftler strich sich über seinen Bart. »Blödel wollte damit ausdrücken, daß es an der Zeit ist, daß wir uns zurückziehen und dir ein wenig Ruhe gönnen. Es muß auch für dich ein ereignisreicher Tag gewesen sein.« Der Zyaner riß seinen zähnestarrenden Mund auf und stieß eine Reihe dumpfer Töne aus, die der Translator nicht zu übersetzen vermochte. Befremdet blickte der Solaner das wesentlich größere Wesen an, dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür. Grußlos verließ er die Unterkunft, während Blödel, der ihm folgte, etwas von sich gab, das wie »Ültchrrüph!« klang. »Ültchrrüph!« gab Bruce-Zy zurück, doch der Durchlaß hatte sich bereits geschlossen, so daß es niemand mehr hörte. »Was für einen Unsinn hast du da wieder von dir gegeben?« herrschte Nockemann die mobile Positronik an, als sie draußen auf dem Gang standen. »Ültchrrüph.« »Das habe ich gehört, doch was bedeutet es?« »Auf Wiedersehen!« »Wiederhole dieses Kauderwelsch.« Der Wissenschaftler nahm den zwischenzeitlich abgeschalteten Translator erneut in Betrieb,
dabei warf er Blödel einen schrägen Blick zu. »Na los, worauf wartest du noch?« Der Roboter kam der Aufforderung nach, und tatsächlich gab das Übersetzungsgerät »Auf Wiedersehen!« von sich. »Nun gut, du hast die Wahrheit gesagt, aber in Zukunft verbitte ich mir derartige Eigenmächtigkeiten. Es gibt keinen Grund für eine solch plumpe Anbiederung ohne meine ausdrückliche Anweisung oder Zustimmung, oder hast du vergessen, daß mir dieser Bursche vor ein paar Stunden fast den Schädel eingeschlagen hat?« »Natürlich nicht, Chef. Du weißt, daß ich …« »Papperlapapp! Ich betrachte es als einen unfreundlichen Akt, wenn du als mein Assistent dich mit jemandem verbrüderst, der so mit mir umgesprungen ist – milde gesagt.« »Immerhin hast du ihn freundlich behandelt.« Nockemann gab keine Antwort. Er war damit beschäftigt, das Schott zu verriegeln und das positronische Schloß so einzustellen, daß ein Kontakt zu den Überwachungsanlagen hergestellt wurde. Es war sowieso unmöglich, die Sperre von innen aufzuheben, und wann immer jemand von außen versuchte, in die Unterkunft einzudringen oder sich an der Tür zu schaffen machte, wurde Alarm ausgelöst; in dieser Beziehung handelte es sich schon um eine besondere Kabine. »Und nun ab ins Labor.« Die Augen des Wissenschaftlers leuchteten. »Ich kann es kaum erwarten, die Zellprobe des Zyaners zu untersuchen.« »Ich habe bereits eine Analyse erstellt, Chef.« »Du warst wieder einmal zu voreilig, Blödel«, tadelte Nockemann. »Ich werde eigenhändig eine Kontrolluntersuchung durchführen.« »Das ist völlig unnötig, Chef. Die Werte sind stinknormal.« »Ah, du hast wirklich eine besondere Art, einem dem Spaß zu verderben«, grollte der Solaner. »Aber du wirst zum selben Ergebnis kommen.« »Sehr wahrscheinlich sogar. Weißt du, wie ich mir vorkomme?
Wie ein Witzeerzähler, dem ein anderer die Pointe weggenommen hat. Verstehst du das?« »Natürlich, Chef, allerdings warst du noch nie ein guter Witzeerzähler.« Diesmal wartete Blödel die Reaktion des Witzeerzählers nicht ab, sondern nahm Reißaus. Mit zornrotem Kopf rannte der Genetiker hinter ihm her.
* Immer deutlicher zeichnete sich ab, daß die zyanische Flotte der SOL und ihren Beibooten trotz deren Defensivtaktik nicht gewachsen war. Weit über hundert der halbkugeligen Raumer konnten nicht mehr aktiv in den Kampf eingreifen, da ihre Schirmfeldprojektoren durch Überlastung beschädigt oder unbrauchbar geworden waren, während auf solanischer Seite kaum Ausfälle zu verzeichnen waren. In mehreren Belangen waren die Angreifer unterlegen und konnten diesen Nachteil auch nicht durch aggressiven Einsatz wettmachen. Da war zum einen die SOL selbst als riesige fliegende Festung – 6,5 Kilometer lang und 2,5 Kilometer hoch; dagegen standen Raumer mit maximal zweihundertvierzig Meter Bodendurchmesser. Die Bewaffnung des Gegners war wesentlich schwächer und auch nicht so effektiv wie bei den solanischen Schiffen. Das gleiche galt für die Triebwerke; die Beschleunigungswerte der Leichten Kreuzer und der Space-Jets wurden nicht annähernd erreicht, von den Lightning-Jets ganz zu schweigen. Hinzu kam, daß die solanischen Einheiten wendiger waren und nicht so träge reagierten wie die Flotte des Vizeadmirals. An einen Sieg der Zyaner war ohnehin nicht mehr zu denken; als abzusehen war, daß sie sogar zu unterliegen drohten, beschränkten sie sich auf Rückzugsgefechte und ergriffen die Flucht. Mit
größtmöglicher Geschwindigkeit rasten sie davon und versuchten, Abstand zwischen sich und die solanischen Einheiten zu bringen. Die SOL und ihre ausgeschleusten Beiboote setzten nach, ohne allerdings zu versuchen, die Halbkugeln in Bedrängnis zu bringen; es war eine Verfolgung, bei der sich die Solaner fast ausschließlich auf die Wirksamkeit ihrer Defensivsysteme verließen. Es war ausgerechnet Atlan, der warnend seine Stimme erhob und zur Vorsicht mahnte; dabei folgte er einem Hinweis seines Logiksektors. »Du verstehst es, sogar alte Freunde zu verblüffen«, wunderte sich Hayes. »Sonst schreckst du vor keinem Einsatz zurück, und hier, wo wir eine Auseinandersetzung zu unseren Gunsten entschieden haben – hier rätst du zur Zurückhaltung. Was sollten wir von den Zyanern zu befürchten haben?« »Es geht mir dabei weniger um meine Person, als um das Schicksal der Solaner und ihrer Heimat. Bei meinen Unternehmungen pflege ich auf Freiwillige zurückzugreifen, vor allem dann, wenn das Risiko groß ist«, stellte der Arkonide richtig. »Hier liegt der Fall anders, denn es geht nicht nur um mich und ein paar Dutzend Menschenleben, sondern um die SOL und ihre gesamte Bevölkerung.« »Wie soll ich das verstehen?« »Zugegebenermaßen sind die Zyaner angeschlagen, aber nicht besiegt, trotzdem ziehen sie sich zurück und fliehen. Warum?« »Das liegt auf der Hand. Sie haben eingesehen, daß sie uns unterlegen sind.« »Breckcrown, du hast außer acht gelassen, daß es zwischen den Hominiden und Hidden-X eine Verbindung gibt. Es hat sich bisher noch nie zimperlich gezeigt und ist auch nicht davor zurückgeschreckt, unzählige Lebewesen in einen aussichtslosen Kampf zu schicken. Welche besondere Qualifikation sollten die Zyaner haben, daß es hier andere Wertmaßstäbe anlegt? Wir wissen, daß sie beeinflußt sind und ihr Leben wahrscheinlich
dementsprechend gering achten, warum also der Rückzug?« »Zwei Möglichkeiten sind denkbar. Entweder braucht Hidden-X die Zyaner noch, beispielsweise im Flekto-Yn, oder sie sind eine Art Köder, der uns in eine Falle oder in einen Hinterhalt locken soll.« Der High Sideryt wirkte auf einmal nachdenklich. »Du vermutest letzteres, nicht wahr?« »Ja, und deshalb schlage ich vor, daß die SOL einstweilen an Ort und Stelle bleibt. Es reicht, wenn ein paar Leichte Kreuzer der Flotte folgen, um zu erkunden, wohin sich die Zyaner zurückziehen.« »Gut, wir warten hier.« An nahezu alle Beiboote erging die Anweisung, zur SOL zurückzukehren, lediglich fünf Kreuzer erhielten die Order, den Zyanern auf den Fersen zu bleiben. Als die letzten Reflexe von den Orterschirmen verschwanden, wechselten auch die solanischen Schiffe in den Linearraum über. Für die Verantwortlichen des Hantelraumers begann nun eine Zeit untätigen Wartens.
* Nahezu gleichzeitig fielen die halbkugeligen Schiffe und ihre Verfolger in den Normalraum zurück. Sofort wurden die Schirmfelder aktiviert, Taster- und Orteranlagen wurden in Betrieb genommen. Man befand sich nahe dem Zentrum von PersMohandot. In der Umgebung wurde nur ein einziger Stern ausgemacht, eine unscheinbare kleine rote Sonne, die von zwei Planeten umkreist wurde, aber da war noch ein seltsamer Trabant, der eindeutig technischer Natur war. Das Gestirn wurde von einem spindelförmigen Gebilde umlaufen, das ständig die Sonnenkorona berührte. Es war ein Verbund aus zwei Kegelstümpfen, von denen der eine nur schemenhaft sichtbar war, und einem zylinderförmigen Mittelstück. Wenn man davon ausging, daß beide trichterartigen Teile identisch waren, dann war
die Konstruktion 3,7 Kilometer lang, die Zentraleinheit maß etwa 1,4 mal 1,7 Kilometer. Der Bodendurchmesser des Kegelstumpfs betrug eintausendsiebenhundert Meter; er besaß eine Öffnung mit einem Querschnitt von neunhundertvierzig Metern. Was das Gebilde war oder welchem Zweck es diente, blieb unklar und ließ sich auch von den Bordpositroniken nicht ermitteln. Man begnügte sich daher einstweilen mit Messungen und Aufzeichnungen. Die zyanischen Einheiten ließen die Leichten Kreuzer unbeachtet und hielten auf die beiden Planeten zu, die als technisierte Welten identifiziert wurden. Der Kommandant eines solanischen Raumers führte sein Schiff vorsichtig an den äußeren Planeten heran; plötzlich wurde es unter Beschuß genommen. Der Kreuzer erwiderte das Feuer der Bodenstationen, mußte sich dann aber schleunigst zurückziehen, weil die Schutzschirme instabil zu werden drohten. Die fünf Einheiten riskierten einen gemeinsamen Anflug, wurden jedoch ebenfalls zurückgeschlagen, obwohl sie alle Geschütze einsetzten. Anders als auf ihren Raumschiffen verfügten die Zyaner auf ihrer Welt über äußerst wirkungsvolle Waffensysteme; der Planet war eine Bastion, die für die solanischen Beiboote praktisch unangreifbar war, und aufgrund der Energiemessungen stand zu vermuten, daß der innere Planet ebenfalls eine waffenstarrende Festung war. Über Hyperfunk nahm der Kommandeur der kleinen Flotte Verbindung mit der SOL auf und informierte den High Sideryt ausführlich. Da nunmehr festzustehen schien, daß Hidden-X die Solaner nicht in eine Falle locken wollte, zögerte Hayes nicht, den Erkundungsschiffen zu folgen. Er wies die Kreuzerkommandanten an, sich bis zum Eintreffen der SOL abwartend zu verhalten.
6.
Der Versuch, zur roten Sonne vorzudringen, um das merkwürdige Gebilde näher zu untersuchen, war fehlgeschlagen. Von beiden Planeten aus hatten die Zyaner den Hantelraumer unter Feuer genommen und den Koloß dabei in schwerste Bedrängnis gebracht. Raumschiffe waren nicht gestartet, denn man wußte auf der anderen Seite, daß die halbkugeligen Einheiten keine Chance gegen den Riesenraumer hatten. Notgedrungen hatte Hayes den Rückzug befohlen; in einer Entfernung von etwa fünfzig Lichtminuten war die SOL in eine Warteposition gegangen, unerreichbar für die zyanischen Bodenforts. Von Vasterstat war die Gefahr nun abgewendet, doch für die Solaner und damit auch für Atlan war eine Pattsituation entstanden, gleichfalls für die Zyaner. Sie konnten ihr Heimatsystem nicht mehr verlassen, und die SOL konnte weder die Sonne noch ihre Trabanten ansteuern. Mitten hinein in eine Besprechung, die Breckcrown Hayes anberaumt hatte, platzte die Nachricht, daß Oggar-Rems sich gemeldet hatte und bereits unterwegs war; wenig später wurde sein Raumschiff geortet und eingeschleust. Atlan, Hayes, das Team des Arkoniden und die Stabsspezialisten hatten sich in einem Versammlungsraum in der Nähe der Hauptzentrale eingefunden und warteten gespannt darauf, was der Pers-Oggare zu berichten hatte. Niemand zweifelte daran, daß Oggar-Rems gekommen war, um ihnen zu helfen und endlich ausführlich über das zu reden, was er bisher quasi nur angedeutet hatte. Auf der leicht eingebeulten Unterseite ruhend, lag OggarRems wie ein dicker brauner Ball auf dem Tisch. »Laßt mich zuerst für eure Hilfe danken. Ihr habt die Keimzelle einer neuen Zivilisation der Pers-Oggaren auf Vasterstat vor dem Untergang bewahrt.« »Wir haben dir und deinen Leuten lediglich einen kleinen Freundschaftsdienst erwiesen, nichts weiter«, wehrte der High Sideryt ab. »Außerdem erfuhren wir bei dieser Gelegenheit von den
Zyanern und ihrer Verbindung zu Hidden-X. Ein Sohn ihres Anführers befindet sich sogar an Bord der SOL.« »Meine Freunde, ihr seid auf dem richtigen Weg. Wie ihr wißt, liegt mir an der Ausschaltung von Hidden-X sehr viel, was uns damit gleichzeitig auch zu Verbündeten macht. Es spricht für euch, daß ihr das System der Zyaner und damit auch die Dimensionsspindel ohne meine Hilfe gefunden habt.« »Die Dimensionsspindel – damit meinst du doch bestimmt dieses sonderbare Objekt nahe der roten Sonne?« erkundigte sich Atlan. »Ja. Die Zyaner nennen den Stern Deignar, die von ihnen beherrschten Welten Stützpunkt I und Stützpunkt II. Beide Planeten sind zu wahren Festungen ausgebaut – selbst mit der SOL haben wir keine Chance, an Stützpunkt I oder Stützpunkt II beziehungsweise an die Dimensionsspindel heranzukommen«, sagte Breckcrown Hayes. »Das läßt nur den Schluß zu, daß Hidden-X die Zyaner damit beauftragt hat, das Gebilde zu bewachen und mit allen Mitteln zu verteidigen. Welche Rolle spielt die Dimensionsspindel?« »Ich habe sie zuerst indirekt aufgespürt, ebenso wie das Flekto-Yn. Als ich mich eines Zyaners bemächtigte, kam ich real an diesen Ort und entdeckte, daß man mittels der Dimensionsspindel in einen anderen Raum gelangt – wohl in das Sternenuniversum. Und dort befindet sich das Flekto-Yn.« Das waren die ganzen Informationen, wie und wo man an HiddenX herankam. Nun, da man wußte, welche Bedeutung die seltsame Konstruktion hatte, wunderte sich niemand mehr über die waffenstarrenden Planeten; die Zyaner waren die Zerberusse von Hidden-X, die das Tor zu seiner Zufluchtsstätte bewachten. Natürlich begnügte man sich nicht mit dem knappen Bericht des Pers-Oggaren. Man wollte Einzelheiten wissen, so daß Oggar-Rems sich genötigt sah, weiter auszuholen. Ausführlich schilderte er, was sich vom ersten Auftauchen der Zyaner bis zu seiner Flucht vor Hidden-X zugetragen hatte, vermied es aber dabei, auf seine Fähigkeiten als Seher einzugehen und gebrauchte Umschreibungen.
An der anschließenden Diskussion beteiligte er sich nicht, beantwortete aber geduldig jede Frage, die an ihn gerichtet wurde. Endlich war der Wissensdurst der Solaner gestillt. »Meine Freunde, unsere Wege trennen sich nun, denn mein Leben hat eine neue Bestimmung bekommen. Ich werde mich in Zukunft ausschließlich um mein Volk kümmern und versuchen, es zu neuer Blüte zu führen, aber auch euer Pfad ist vorgezeichnet. Ihr werdet den Kampf gegen unseren gemeinsamen Feind fortsetzen, und ich bin zuversichtlich, daß ihr den Sieg davontragen werdet. So laßt uns denn in Freundschaft scheiden. Seid versichert, daß die gemeinsamen Erlebnisse letztlich auch für uns Pers-Oggaren unvergessen bleiben werden. Eure Taten werden auch in den späteren Generationen fortleben, und wann immer euch der Weg noch einmal nach Vasterstat führen wird, werdet ihr dort Freunde und Unterstützung finden.« Mittels seiner Antigravblase machte sich der Pers-Oggare im Druggerkörper schwerelos und schwebte vom Tisch. Er erzeugte einen Arm mit einem menschlichen Greiforgan und schüttelte jedem die Hand. Besonders herzlich war der Abschied von Sternfeuer und Cpt'Carch, mit denen er lange Zeit einen geistigen Verbund gebildet hatte. Ein Hauch von Wehmut wehte durch den Raum, als Oggar-Rems zum Schott glitt. Er winkte noch einmal verabschiedend, dann schwebte er hinaus auf den Gang, gefolgt von Allan und Hayes. Die beiden wollten es sich nicht nehmen lassen, den alten Freund und Kampfgefährten zum Hangar zu begleiten. Sie warteten, bis der Diskus fertig zum Ausschleusen war, dann machten sie sich auf den Rückweg. Die Männer schwiegen, setzten gedankenverloren einen Fuß vor den anderen. Dem erfahrenen Arkoniden war aufgefallen, daß Oggar-Rems sich verändert hatte und zugleich neu motiviert war. Nach wie vor war ihm daran gelegen, Hidden-X unschädlich zu machen, er hatte aber vornehmlich das Ziel vor Augen, das Volk der Pers-Oggaren neu
entstehen zu lassen, gleichzeitig wirkte er abgeklärt, gereift, ja weise. »Ich glaube, unser Freund wird das schaffen, was er sich vorgenommen hat«, meinte der Aktivatorträger. »Er ist jetzt das, was man früher bei den Pers-Oggaren einen Seher nannte.« »Woran willst du das erkannt haben?« »Er ist anders als früher, hast du das nicht bemerkt?« »Doch, aber das ist kein Beweis für deine These.« »Oggar-Rems sprach davon, Dimensionsspindel und Flekto-Yn indirekt aufgespürt zu haben.« »Jetzt, wo du es sagst, erinnere ich mich daran – ein merkwürdiger Ausdruck.« Breckcrown Hayes fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Mit ist auch aufgefallen, daß er in seinem Bericht manchmal nebulöse Begriffe und Umschreibungen verwandte, für die ich keine Erklärung hatte. Nun, unter diesem Aspekt, weiß ich es.« Bjo Breiskoll kam ihnen entgegen. Er hatte versucht, die Gedanken des Pers-Oggaren zu erfassen, doch es war ihm nicht gelungen. »Das ist nicht weiter tragisch.« Atlan lächelte aufmunternd. »Immerhin hat er uns einige Hinweise gegeben, die wahrscheinlich entscheidend sind. Hoffen wir also, daß Oggar-Rems und wir gleichermaßen Erfolg haben.« Nun, da man auf der SOL das Geheimnis der Dimensionsspindel kannte, sah man alles in einem ganz anderen Licht; man kannte den Weg zu Hidden-X, nur – er war versperrt. Und selbst wenn man mit den Zyanern zu einer friedlichen Lösung kam oder sie wider Erwarten besiegte, wäre das ohne Belang gewesen, denn die Öffnung des Gebildes war viel zu klein, um den Hantelraumer passieren zu lassen. Guter Rat war teuer, zumal selbst SENECA, von »Bit« Lyta Kunduran mit diesem Problem konfrontiert, keine Antwort darauf wußte. Fast automatisch bot sich für den hypothetischen Fall der Einsatz kleinerer Einheiten an, denn die SOL war viel zu groß für
eine Passage durch die Dimensionsspindel. Es waren ohnehin Sandkastenspiele, bei denen der Wunsch der Vater des Gedanken war, denn es ließ sich nicht wegdiskutieren, daß auch die Bodenstationen der Zyaner für die SOL unüberwindbar waren. »Aber es muß eine Lösung geben«, krähte Gallatan Herts. »Wir können doch so dicht vor dem Ziel nicht einfach aufgeben.« »Daran denkt auch niemand«, sagte Curie van Herling. »Also warten wir, bis wir schwarz werden«, ereiferte sich der verwachsene Stabsspezialist. »Gallatan, Gefühlsausbrüche bringen uns auch nicht weiter.« Der High Sideryt blickte sich in der Runde um. »Wir brauchen Vorschläge, die sich nicht nur in die Tat umsetzen lassen, sondern auch zum Erfolg führen, ohne sinnlose Opfer zu fordern.« »Wir wäre es, wenn wir die SOL dritteln und einen Vorstoß unternehmen?« meinte einer der Bock-Zwillinge. »Uster und ich könnten die SZ-1 und die SZ-2 steuern und dabei das allein operierende Mittelstück abschirmen. In einem geeigneten Augenblick werden dann mehrere Kreuzer vom Zentralteil ausgeschleust, die in die Dimensionsspindel einfliegen.« »Das Risiko ist für die Beiboote zu groß«, wandte Kölsch ein. »Wir könnten Vollrobots einsetzen«, konterte Vorlan. »Auch das gefällt mir nicht.« Hayes war nach wie vor skeptisch. »Bei unserem ersten Versuch, zur Dimensionsspindel vorzudringen, haben wir uns nur mit Mühe und Not vor den Angriffen der Bodenforts retten können. Habt ihr etwa schon vergessen, daß die Schirme der SOL so überlastet wurden, daß sie kurz vor dem Zusammenbruch standen?« »Drei bewegliche Ziele sind nicht nur schwerer zu erfassen, sondern bedingen auch eine Dekonzentration der Waffensysteme«, beharrte der dunkelhäutige Pilot auf seinem Vorschlag. »Das ist nicht von der Hand zu weisen, allerdings bedeutet der Einsatz der einzelnen SOL-Zellen auch eine gewisse Schwächung unserer eigenen Position.« Als Vorlan Brick widersprechen, wollte,
hob Breckcrown Hayes beschwichtigend die Hände. »Damit wir uns recht verstehen: Weder ich noch ein anderer in dieser Runde zweifelt deine Qualifikation oder die deines Bruders an, aber dein Plan baut zu sehr auf Zufall und glücklichen Umständen auf. Ich gestehe, daß eine gewisse Erfolgsaussicht besteht, auf der anderen Seite muß ich berücksichtigen, daß meine Zustimmung den Tod von rund hunderttausend Lebewesen bedeuten kann. Unter diesen Umständen muß eine Antwort einfach negativ ausfallen; niemand von uns kann es verantworten, die SOL und ihre Besatzung zu opfern. Es gibt kein Ziel – ich betone es nochmals – kein Ziel, das einen solchen Preis rechtfertigt. Wir wollen Hidden-X ausschalten, aber das gelingt uns nur, wenn wir leben und unsere Heimat intakt ist.« Betroffenes Schweigen machte sich breit. Der High Sideryt hatte eine düstere Vision heraufbeschworen, zugleich aber deutlich gemacht, daß er nicht gewillt war, die Existenz der SOL und ihrer Bevölkerung aufs Spiel zu setzen, obwohl er nach wie vor bereit war, gegen Hidden-X anzutreten; immerhin hatte das Wesen den Solanern und damit auch Atlan in der Vergangenheit ziemlich übel mitgespielt und sie mehr als einmal an den Rand des Untergangs gebracht. Hayes hatte es nicht vergessen, war aber klug und zugleich auch beherrscht genug, nicht einfach Emotionen nachzugeben, sondern sie dem Verstand unterzuordnen. Natürlich war auch das Gehirn subjektiv orientiert, doch es vermochte abzuwägen, war Argumenten zugänglich und verfügte über einen Logikfilter, dessen Maschen nur die Realität passieren ließen und Gefühle heraussiebten – für den Geist blieb rot stets rot, und Gegner wie etwa die Zyaner wurden nicht gleich zu Unholden; die intellektuelle Palette war abgestufter, farbiger, überzeichnete nicht und rasterte nicht grob Freund-Feind und Schwarz-Weiß, sondern differenzierte. Der Arkonide hatte bisher geschwiegen und nur zugehört, nun ergriff er zum ersten Mal das Wort.
»Ich glaube, es hat wenig Zweck, sich die Köpfe heißzureden, denn selbst SENECA hat im Augenblick keine Lösung parat. Wir haben keine Möglichkeit die Abwehranlagen unbeschadet zu überwinden, auf der anderen Seite haben die Zyaner deutlich gezeigt, daß sie an einer friedlichen Verständigung mit uns nicht interessiert sind. Es bleibt uns vorerst also nichts anderes übrig, als erst einmal abzuwarten und unbeirrt zu versuchen, mit der anderen Seite Kontakt aufzunehmen. Vielleicht bewirkt das etwas, vielleicht kommt uns auch der Zufall zu Hilfe.« Optimistisch warst du ja schon immer, aber daß du sogar den Zufall ins Kalkül ziehst, ist neu, spottete der Extrasinn. Hoffst du etwa auf die Hilfe einer guten Fee? Ich glaube, du wirst allmählich senil, gab Atlan bissig zurück. »Auf die Unterstützung der Zyaner sollten wir uns nicht verlassen«, sagte Curie van Herling. »Hidden-X wird nicht zulassen, daß seine Wächter überlaufen oder abtrünnig werden.« »Was diesen Punkt betrifft, bin ich durchaus nicht deiner Meinung, meine Liebe.« Wie immer unterstrich Ursula Grown ihre Worte gestenreich. »Wir haben in der Vergangenheit doch einige Erfolge erzielt. Willst du Beispiele hören?« Hayes erkannte, daß der Meinungsaustausch auf ein Niveau gegenseitiger Beschuldigungen abzurutschen drohte, wie es früher zwischen den ehemaligen Magniden an der Tagesordnung gewesen war; er hatte nichts gegen Diskussionen und Wortgefechte, aber sie sollten der Sache dienen und nicht in persönlichen Diffamierungen ausarten. »Es bringt uns nicht weiter, wenn wir uns wegen Hypothesen in die Haare geraten, denn das ändert nichts an den bestehenden Tatsachen.« »Wahr gesprochen, Breckcrown.« Nockemann klopfte mit den Fingerknöcheln demonstrativ auf die Tischplatte, wobei er sich mißbilligende Blicke der beiden Stabsspezialistinnen zuzog. »Es wäre nur ein Streit um Blödels Bart, wie man früher zu sagen
pflegte.« »Es heißt richtig ›um des Kaisers Bart‹, Chef.« »Versuche nicht ständig, mich zu bevormunden!« herrschte der Wissenschaftler die mobile Positronik an. »Ob der Kerl nun Kaiser oder Blödel heißt, ist doch vollkommen egal, es geht einzig und allein um den Sinn dieser alten Redensart, und da spielt der Name keine Rolle.« »Jetzt vergehst du dich gegen klassisches Gedankengut und gegen eigene Wertvorstellungen, Chef. Nomen est omen.« »Nomen ist was?« erkundigte sich Wajsto Kölsch entgeistert. »Übersetzt lautet es: Im Namen liegt Bedeutung«, gab Blödel würdevoll zurück. »Nehmen wir zum Beispiel ein zweitausend Jahre altes Bühnenwerk, das ihr wahrscheinlich nicht kennt, mir aber sehr geläufig ist und sich mehrere Jahrhunderte lang großer Beliebtheit erfreute: Goethes ›Faust‹. Nehmen wir einmal an, der Dichter hätte zufällig anders geheißen und sein Stück ,Hand, genannt. Faust und Hand entsprechen sich, aber es wäre nicht mehr Goethes ›Faust‹ gewesen, und man kann bezweifeln, ob es diesen Erfolg gehabt hätte. Oder nehmen wir beispielsweise einen begnadeten Galakto-Genetiker unserer Tage wie meinen Chef. Im Zusammenhang mit den Ebenbildern prägte er mit der ihm eigenen Bescheidenheit den Begriff ›Replik-Faktor‹, dabei hätte er durchaus die Bezeichnung ›Nockemann-Syndrom‹ wählen können, allerdings gestehe ich, daß Syndrom nicht ganz zutreffend wäre. Die Formulierung …« Nockemann hatte mit finsterem Gesicht dagesessen, doch als die Laborpositronik seinen Namen erwähnte und wahre Lobeshymnen auf ihn anstimmte, verklärte sich sein Antlitz. Zu seinem Leidwesen unterbrach der High Sideryt den Redefluß Blödels. »Vielen Dank, Blödel, deine Ausführungen waren sehr aufschlußreich, wenngleich sie nichts mit unserer derzeitigen Situation zu tun hatten.« »Was die Namen betrifft, könnte ich leicht einen aktuellen Bezug
herstellen«, bot der Roboter an. »Vielleicht komme ich später noch einmal darauf zurück«, wehrte Hayes ab. »Ich denke, wir vertagen die Sitzung, oder möchte jemand noch etwas vorbringen?« Hage Nockemann räusperte sich und bat ums Wort. »Bitte!« »Warum versuchen wir nicht, Bruce-Zy für unsere Sache zu gewinnen? Ich meine, wenn wir ihn dazu bringen könnten, als unser Fürsprecher aufzutreten, hätten wir doch gute Aussichten, mit den Zyanern ins Gespräch und damit zu einer Verständigung zu kommen. Immerhin ist er nicht irgendwer, sondern der Sohn des Vizeadmirals.« Der Wissenschaftler zwirbelte seinen Bart. »Es steht nicht zu vermuten, daß die Zyaner auf dumme Gedanken kommen, denn sie wissen inzwischen, daß ihre Flotte der SOL unterlegen ist, und vor ihren Bodenstationen sind wir hier sicher.« »Wenn Bruce-Zy wirklich mit uns zusammenarbeiten würde, könnte man ihn bei seinen Artgenossen auch für einen Verräter halten«, wandte Herts ein. »Ich denke, dieses Risiko können wir getrost eingehen, denn wir haben keine andere Wahl.« Ursula Grown sah sich beifallheischend um. »Oder ist jemand anderer Meinung?« »Über den Einsatz von Bruce-Zy habe ich mir ebenfalls Gedanken gemacht, und mit Sternfeuer gesprochen«, sagte Atlan. »Wie ihr wißt, beschäftigt sie sich am intensivsten mit dem Zyaner und ist inzwischen fast so etwas wie eine Vertrauensperson für ihn. Sternfeuer riet davon ab, ihn als Vermittler einzuschalten, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt.« »Warum?« »Der Kontakt muß vertieft werden, er muß erkennen und begreifen, warum wir uns so engagieren, ihm muß seine Situation und die seines Volkes wirklich bewußt werden. Ihm muß aufgehen, daß er und seine Artgenossen von Hidden-X förmlich versklavt wurden, er muß erfahren, was es mit diesem Wesen wirklich auf
sich hat und es auch akzeptieren, kurz: Wir müssen ihn von der Richtigkeit unserer Sache überzeugen, ohne ihn unter Druck zu setzen. Bruce-Zy ist aufgeschlossen, aber wir müssen berücksichtigen, daß wir sein Weltbild ziemlich auf den Kopf stellen. Wenn ihr euch einmal in seine Lage versetzt, dann ist klar, daß das nicht von heute auf morgen geht.« »Also müssen wir warten, bis wir schwarz werden«, grollte Gallatan Herts. »Du vielleicht, aber Uster und ich könnten gleich loslegen«, kalauerte der dunkelhäutige Vorlan Brick und grinste. Der verwachsene Stabsspezialist bedachte ihn mit einem bösen Blick. »Warum bewirbst du dich nicht bei der Bord-TV? Meines Wissens suchen die noch Komiker deiner Art.« »Keine schlechte Idee, aber allein der Gedanke, daß du wegen mir vorzeitlich das Zeitliche segnen mußt, hält mich davon ab.« »Totlachen werde ich mich über dich bestimmt nicht.« »Das würde auch deiner Mentalität widersprechen. Unterstellt, ich würde einen Gag bringen, bei dem selbst du lachen müßtest – was würde geschehen? Du willst natürlich nicht lachen, beißt dir in die Zunge oder die Unterlippe, und was geschieht? Du fällst tot um, weil dein Gift in den eigenen Körper gelangt ist.« »Nachdem das eigentliche Thema anscheinend ausreichend abgehandelt wurde und nun der Austausch von gegenseitigen Freundlichkeiten in den Mittelpunkt rückt, sollten wir die Zusammenkunft beenden, bevor es zu Rundumschlägen kommt.« Breckcrown Hayes erhob sich demonstrativ. »Wer will, kann sich noch in dieser Art kreativen Denkens üben, ich für meinen Teil ziehe mich zurück.« Mit seinen ironischen Worten nahm der narbengesichtige Solaner auch den Streithähnen den Wind aus den Segeln, zumal die anderen ebenfalls aufstanden und nacheinander den Raum verließen. Noch immer grinsend folgte Vorlan, während Herts griesgrämig hinterher
schlich. Daß es überhaupt zu Reibereien gekommen war, lag an den Umständen. Während die Solaner zu nervenzermürbendem Warten verurteilt waren und die Situation aus eigener Kraft nicht verändern konnten, war Hidden-X in keiner Weise gehandikapt und konnte jeden Augenblick mit einer Teufelei aufwarten, die nicht voraussehbar war; dieses Gefühl der eigenen Ohnmacht bewirkte eine gewisse Gereiztheit. Hinzu kam, daß die inneren Strukturen innerhalb der SOL wieder einmal ins Wanken geraten waren. Es war keine Auflehnung gegen die Schiffsführung, kein Aufstand und auch keine Opposition im eigentlichen Sinn, sondern eine gewaltlose Demonstration, eine Strömung, die Tag für Tag mehr Anhänger gewann und vom High Sideryt und seinen Stabsspezialisten nicht einfach ignoriert werden konnte. Es ging um Skrempeleck, seine Gefolgschaft und die Atlantreuen, die ihm am begeistertsten folgten. Es wäre für Narod II ein leichtes gewesen, sich als Führer an die Spitze dieser Bewegung zu setzen, die infolge ihrer zahlreichen Anhänger inzwischen ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor war, aber der Alte hatte in dieser Beziehung keinerlei Ambitionen. Er zog wie ein Prophet durch das ganze Schiff und verkündete seine Botschaft vom baldigen Ende des Hidden-X. Atlan, Hayes und diejenigen, denen alle Informationen und Daten zur Verfügung standen, hatten da berechtigte Zweifel.
* Bevor Atlan sich in seine Kabine zurückzog, wollte er noch einen kleinen Imbiß zu sich nehmen; Nockemann, der ebenfalls Hunger verspürte, schloß sich ihm an, und das hieß, daß auch Blödel mit von der Partie war. Die beiden Männer wählten ein leichtes Gericht und ein
Erfrischungsgetränk. Als wäre es die natürlichste Sache der Welt, bestellte die mobile Positronik für sich ebenfalls eine Portion, öffnete verschiedene Klappen ihres Körpers und schaufelte den Inhalt des Tellers dort hinein, dann schlossen sich die Öffnungen wieder. Sprachlos vor Staunen hatte der Wissenschaftler zugeschaut. Der Arkonide war ebenfalls sehr verwundert; er wußte ja aus Erfahrung, daß die Maschine ihrem Herrn an Kauzigkeit nicht nachstand, aber diesmal schien es sich um einen ernsthaften Defekt zu handeln, der nur durch einen Techniker zu beheben war. »Ich glaube, ich spinne!« stieß der Genetiker hervor. »Dazu fehlen dir nahezu alle Voraussetzungen, Chef. Spinndrüsen, zusätzliche Beine, körpereigenes Gift, die typische Körpergliederung …« »Versuche nicht, mich abzulenken«, erregte sich Nockemann. »Seit wann benötigst du für deine Existenz ordinäre Nahrungsmittel und organische Substanzen?« »Das gibt null Punkte, Chef.« »Reize mich nicht, Blödel. Du weißt, wie furchtbar ich in meinem Zorn sein kann, also antworte. Warum ißt du – äh, ich meine, was machst du mit den Speisen?« »Ich analysiere sie und untersuche die Lebensmittel auf ihren Schadstoffgehalt, Nährwert, Eiweißund Vitamingehalt, Ausgewogenheit der Substanzen und was der Dinge mehr sind. Willst du Einzelheiten wissen oder das Gesamtergebnis?« »Nichts von alledem, ich will jetzt in Ruhe essen, verstehst du das?« »Natürlich, Chef. Ich kann dir versichern, daß die Mahlzeit genießbar ist.« »Logisch ist sie das, denn die Nahrungsmittelproduktion wird ständig überwacht und kontrolliert. Ist es nicht so, Atlan?« Der Aktivatorträger nickte zustimmend und schob sich einen Bissen in den Mund. »Nun, man sollte trotzdem vielleicht eine Justierung der
Steuerungseinheit vornehmen. Ich habe Spuren von C6H12N4 entdeckt.« »Aha. Und was ist das?« »Hexamethylentetramin.« »Wann begreifst du endlich, daß ich Biologe bin und kein Chemiker?« keifte Nockemann. »Was ist das für eine Verbindung?« »Es ist ein Desinfektionsmittel zur Behandlung von Harnweginfektionen, eignet sich aber auch als Konservierungsstoff für Lebensmittel.« »Blödel, ich hätte nicht übel Lust, dir dein metallenes Fell zu versohlen.« Der Wissenschaftler schob den Teller zurück und stand auf. »Entschuldige, Atlan, aber mir ist der Appetit vergangen.« Ohne seinen synthetischen Assistenten auch nur eines Blickes zu würdigen, steuerte Hage Nockemann auf den Ausgang zu. Blödel folgte ihm, nicht ohne dem Arkoniden ein fröhliches »Mahlzeit!« zuzurufen. Unbeeindruckt aß der Unsterbliche weiter. Wenn er die Solaner mit ihren Vorfahren, den Terranern, verglich, dann gab es doch zum Teil gravierende Unterschiede, andererseits war auch eine gewisse Ähnlichkeit der Charaktere nicht zu verleugnen – Eigenschaften, die der Arkonide nach wie vor hoch einschätzte, und dünnhäutige und sensible Menschen hatte es zu allen Zeiten gegeben. Ja, ja, deine Barbarenfreunde – ihnen hat Chemie in der Nahrung auch nichts ausgemacht, meldete sich der Logiksektor. Du weißt, daß diese Zeiten längst vorbei sind, gab der Arkonide gedanklich zurück. Blödel hat winzige Mengen von Hexamethylentetramin registriert, aber was bedeutet das schon? Schließlich ist es kein Gift. In aller Ruhe beendete der Aktivatorträger seine Mahlzeit, erhob sich und schlenderte zu seiner Unterkunft. Gerade, als er sich in der Hygieneeinheit ein wenig frisch machen wollte, begehrte jemand Einlaß. Atlan betätigte den Öffnungskontakt, die Tür glitt zurück. Er war nicht wenig überrascht, als er den Besucher erkannte: Es war
Skrempeleck. »Komm herein.« Der Arkonide deutete einladend auf einen Sessel. »Bitte nimm Platz.« »Ich habe nicht die Absicht, dich lange aufzuhalten. Wenn du erlaubst, bleibe ich stehen.« »Also gut.« Forschend musterte Atlan den Alten, der wie üblich den wallenden hellblauen Kunststoffumhang trug und die Hände vor dem Körper gefaltet hatte. »Was führt dich zu mir?« »Ihr wißt nicht weiter«, begann Narod II ohne Umschweife. »Bedingt durch die Zyaner, befindet sich die SOL in einer Pattsituation, aber ich sehe einen Weg, der zum Erfolg und damit zu Hidden-X führt. Man muß ihn schnell gehen.« »Du bist erstaunlich gut unterrichtet. Woher hast du diese Informationen?« Der Verkünder überging die Frage einfach. »Laß mich zu Zaut-Zy reisen. Ich will ihn davon überzeugen, wie unsinnig es ist, für eine solch negative und böse Macht zu handeln.« Daß Skrempeleck den Namen des Vizeadmirals kannte, verblüffte den Aktivatorträger ebensosehr wie der Vorschlag, diesen aufzusuchen, um ihn umzustimmen. War der Alte ein Seher, ein Prophet, oder nur einfach ein Spinner? »Ihr müßt mich zu Zaut-Zy lassen«, wiederholte Narod II, diesmal drängender. »Es ist der einzige Weg, und wir dürfen keine Zeit verlieren.« Zufällig fiel Atlans Blick auf den Kalender. Es war der 18. September 3807. Der Tag neigte sich bereits seinem Ende zu.
ENDE
Skrempeleck oder auch Narod II, ein alter Mann, der wohl zu den seltsamsten Besatzungsangehörigen der an merkwürdigen Geschöpfen reichen
SOL gezählt werden kann, macht wieder von sich reden. Auch inmitten von Feinden wirkt er als Verkünder des Positiven und steht ZWISCHEN KRIEG UND FRIEDEN … ZWISCHEN KRIEG UND FRIEDEN – unter diesem Titel erscheint auch der nächste Atlan-Band. Als Autor des Romans zeichnet Hubert Haensel.