Seewölfe 737 1
Jan J.Moreno
Das Schwert des Samurai
Das Schwert in deiner Hand ist Leben, ist Leib und Seele zugleich...
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Seewölfe 737 1
Jan J.Moreno
Das Schwert des Samurai
Das Schwert in deiner Hand ist Leben, ist Leib und Seele zugleich - hüte es wie deinen Augapfel und verbanne, während du es führst, jeden Gedanken an den Tod. Nur dann kann die Klinge des Gegners dein Denken nicht lähmen, und du entgehst ihrem tödlichen Hieb. Nur wenn deine Gedanken wie die Wogen des Ozeans sind, stürmisch und unaufhaltsam, wird dein Schwert offenbaren, was es vermag, wird es dir den Sieg bringen... (Aus der Lehre der Vervollkommnung) Die Hauptpersonen des Romans: Kekko — die Samuraikriegerin erhält nach dem Prüfungsritual bald Gelegenheit, ihre Geschicklichkeit mit dem Schwert unter Beweis zu stellen. Jan van der Hout — der Kapitän der „Holland“ gerät vom Regen in die Traufe. Ruyter — sein Bootsmann will nie wieder für andere den Kopf hinhalten, aber als er für sich selbst handelt, beißt er ins Gras. Stenmark — der blonde Schwede wird für einen Köder gehalten und weiß, daß er kaum eine Chance hat. Philip Hasard Killigrew — gelangt zu der Ansicht, daß die Arwenacks von Hafen zu Hafen vorn Pech verfolgt werden.
1. Die Bewegung war so schnell, daß ihr kaum eines Menschen Auge zu folgen vermochte: ein Ausfall, ein Wechseln der blitzenden Klinge von der rechten in die linke Hand, gleichzeitig ein Hieb, der es weder an Geschmeidigkeit noch Härte fehlen ließ. Shimo-tatewari – der Spalthieb von unten. Selbst ein gerüsteter Krieger konnte ihm wenig entgegensetzen, wenn er von seinem Gegner überrascht wurde. Die junge Frau, der dieser tödliche Streich galt, parierte mit letzter Kraft, konnte aber nicht verhindern, daß ihr das Schwert aus der Hand geprellt wurde. Sich mehrfach überschlagend, wirbelte die Klinge zur Decke des kuppelförmig gewölbten Raumes hoch und fiel dann nach unten. Zitternd bohrte sie sich in den Holzboden. „Ich hätte dich töten können, Kekko!“ „Ja, Ch'ang, Meister, ich erkenne meinen Fehler.“ „Dann nimm dein Schwert und kämpfe wie ein Samurai.“
Die Frau mußte mit beiden Händen zupacken, um die Klinge aus dem Holz zu ziehen, so tief war der Stahl eingedrungen. Andächtig führte sie das kalte Metall an ihre Stirn und verharrte eine Weile. „Bist du bereit?“ Ch'angs Gesichtsmaske ließ keine Regung erkennen. Nur hinter den schmalen Augenschlitzen zeichnete sich ein jähes Aufleuchten ab. Im selben Moment griff er an. Geschmeidig wie eine Wildkatze duckte sich Kekko und fuhr herum. Ihr Schwert beschrieb dicht über dem Boden einen Halbkreis, aber Ch'ang, der Mann, der sich nie ohne Maske zeigte, entging dem tabigata mit einem blitzschnellen Sprung. Kekko preßte die Lippen aufeinander, bis sie nur noch einen blutleeren Strich bildeten. Ihr Gesicht, war bleich und glänzte vom Schweiß. Das schwarze Haar hing ihr in wirren Strähnen in die Stirn, weil sich der im Nacken zusammengesteckte Knoten gelöst hatte. Sie trug keine Rüstung. Deshalb zögerte sie. Schon eine flüchtige Berührung von
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Ch'angs Schwert konnte sie schwer verwunden. Nicht, daß sie den Schmerz oder den Tod gescheut hätte. Allein der Gedanke, daß eine Verletzung sie von der Reise nach Süden abhalten würde, war bedrückend. Der Samurai umkreiste sie lauernd. Kekko – vor wenigen Tagen hatte sie ihren zweiundzwanzigsten Geburtstag gefeiert – schnellte vor. Ihre schwungvoll geführte Klinge schnitt singend durch die Luft, aber Ch'ang stand längst nicht mehr da, wo er eben noch gewesen war. Hinter der schwarz lackierten Eisenmaske erklang spöttisches Gelächter. Mit beiden Händen hielt Kekko ihr Schwert, schwang es nach rechts und links und ließ es kreisen, wobei sie den Schwung ihres Körpers für jeden Hieb nutzte. Mehrmals war der Samurai gezwungen, zu parieren. „Du gibst deinen Gefühlen nach!“ rief er. Seine Stimme war bar jeder erkennbaren Spur von Erschöpfung. Die Kunst der Schwertführung liegt einzig und allein darin, daß du dich niemals ablenken läßt. Nur dann wirst du einem Feind zu jeder Stunde überlegen sein. Gib dich völlig hin, verschmelze mit deiner Waffe zu einer Einheit, die jenseits von Tod und Leben steht. Ahne die Hiebe deines Gegners, ehe er selbst weiß, welche er ausführen wird.“ Eine Welle der Schwäche durchflutete Kekko. Zugleich stieg Verzweiflung in ihr auf. Seit Tagen hatte sie gefastet und sich auf die Stunden des Kampfes vorbereitet, die darüber entschieden, ob sie ihren Bruder Kiyomuri und seine Samurais begleiten durfte. In einem ungestümen Aufbäumen schwang sie ihr Schwert, beschrieb mit der dünnen Klinge die verwobene Art zu fechten und wehrte zwischendurch Ch'angs Hiebe ab. Ohne daß sie sich dessen bewußt wurde, ging sie zum Angriff über. Ihre Klinge hinterließ Kerben in den eisernen Rockklappen und den Schenkelpanzern des Mannes. Für eine Weile übertönte ihr Keuchen sogar das Klingen der aufeiannderprallenden Waffen.
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Aber allmählich erlahmten ihre Bewegungen. Sie mußte es geschehen lassen, daß Ch'ang sie in die Enge trieb. „Gib dich geschlagen, Mädchen!“ „Niemals!“ Ein Aufgeben wäre gleichbedeutend gewesen mit dem Ende ihrer Träume und Sehnsüchte. Wofür drei Jahre voll Entbehrungen und manchmal schier unmenschlicher Anstrengungen, wenn nicht für das Ziel, eines Tages zu Kiyomuris Samurais zu gehören? Ch'angs Klinge zerschlitzte das einfache Hemd, das sie trug. Abermals klirrten die Waffen heftig aufeinander. Kekko parierte den von oben geführten Schlag, was ihren Lehrmeister zu überraschen schien. Noch zweimal traf sie den Brustpanzer des Mannes, dann wurde ihr erneut das Schwert aus der Hand gewirbelt, und sie verspürte einen glühenden Schmerz am linken Oberarm. Ch'ang deutete eine Verbeugung an, bevor er seine Klinge in die Scheide zurückstieß. „Bereite dich auf die Schwertlanze vor, Kekko“, sagte er. „Nutze die Zeit, die dir verbleibt. Sobald der Sand einmal durch das Glas geronnen ist, werden Zakuro und Kabuki gegen dich antreten.“ Die beiden besten Kämpfer meines Jahres, durchzuckte es das Mädchen. Laut fragte sie: „Habe ich die Prüfung bestanden?“ „Wappne dich in Geduld“, erwiderte Ch'ang, bevor er eilenden Schrittes den Raum verließ. Erst jetzt spürte Kekko, daß es warm aus ihrer Wunde sickerte. Sie empfand keine Schmerzen, dennoch waren ihre Finger rot vom Blut, als sie mit der Hand über den Arm wischte. Befürchtete sie eben noch, versagt zu haben, so pochte plötzlich ein Gefühl wilden Stolzes in ihrer Brust. * Sie wartete. Die Fähigkeit, dem eigenen Körper zu trotzen und Hunger, Durst und Ungeduld zu verdrängen, war das erste gewesen, was man ihr und den anderen beigebracht hatte.
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Kekko schreckte aus ihren Gedanken auf, als sie irgendwann spürte, daß sie nicht mehr allein war. Übergangslos fand sie in die Wirklichkeit zurück. Sie sprang auf, noch bevor die erste Lanze dort auf den Boden schmetterte, wo sie eben gesessen hatte. Fünf Schritte trennten sie von ihrer eigenen Waffe – eine unüberwindliche Entfernung, falls Zakuro und Kabuki mit einem Kreuzhieb angriffen. Kekko war nicht darauf vorbereitet gewesen, derart unerwartet überfallen zu werden. Dieses Vorgehen mußte von Ch'ang befohlen worden sein, denn der Meister pflegte seinen Schülern jede nur erdenkbare Härte angedeihen zu lassen. Die Frau konnte nicht erkennen, wer den ersten Schlag geführt hatte und wer ihr nun die Lanze zwischen die Füße stieß. Sie stürzte, streckte im Fallen die Arme aus und packte zu, während sie sich abrollte. Tatsächlich schaffte sie es, den hölzernen Schaft zu fassen. Der Angreifer war zu überrascht und setzte ihr keinen großen Widerstand entgegen. Noch in der Hocke wirbelte sie herum. Ein heftiger Ruck, gefolgt von einem unterdrückten Aufschrei – Kabuki ließ die Lanze fahren. Kekko gelangte in den Stand, warf die Waffe hoch, die sie unmittelbar unterhalb der Klinge gepackt hatte, und fing sie mit einer Hand wieder auf. Zakuros stürmisch vorgetragenen Hieb wehrte sie mit dem Schaftende ab. Zwei blitzschnelle Sätze brachten indessen Kabuki näher an die Wand, wo Kekkos Schwertlanze hing. Gleichzeitig griff Zakuro wieder an. Er schwang seine Waffe wie der Schnitter die Sense. Zweifellos hätte die blitzende Schneide Kekko schweren Schaden zugefügt, wäre die Frau der Klinge nicht mit einem verzweifelten Sprung ausgewichen. Einen Augenblick später hastete sie, den eigenen Schwung ausnutzend, Kabuki hinterher. Wie ein Spieß schleuderte sie die Lanze und nagelte den Ärmel ihres Gegners an die Wand – nur eine
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Handbreite höher, und der Mann hätte nie wieder eine Waffe tragen können. Noch vor einem Tag hatten sie Seite an Seite Ch'angs Belehrungen gelauscht – ehrfürchtig und ergriffen, als hinge ihr weiteres Leben davon ab. In gewisser Weise war dem auch so. Nur wer seinen Körper wirklich beherrschte, war würdig, sich Samurai zu nennen. Dazu gehörte mehr als nur die Kraft, ein Schwert zu schwingen. Erst der absolute Einklang zwischen Geist und Fleisch brachte den Sieg. Kekko riß die Lanze aus der Wand und schmetterte Kabuki den Schaft an den Schädel. Mit einem röchelnden Laut sank der junge Mann auf die Knie. Breitbeinig stand die Frau da, Zakuro erneuten Angriff erwartend. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Züge bis fast zur Unkenntlichkeit verzerrt. Sie sah nur die Waffe des Gegners. Alles andere versank in Bedeutungslosigkeit. Als Zakuro zustieß, ließ sie ihre Lanze wie das Rad eines Wagens kreise. Obwohl sie den Schaft der schweren Waffe nur mit einer Hand bewegte, vermochte der Mann die fließende Bewegung nicht zu durchbrechen. Kekko schnellte vor. Ihr Kampfschrei hallte von den Wänden wider, als sie die gebogene Klinge kraftvoll niedersausen ließ. Mit gräßlich knirschendem Geräusch splitterte Zakuros abwehrend hochgerissene Schwertlanze. Die junge Frau wollte nachsetzen und abermals zustoßen, aber ein Geräusch ließ sie herumfahren. Noch in der Drehung wurde sie schwer getroffen. Das mit einer Eisenkappe versehene untere Ende ihrer eigenen Waffe, von Kabuki kraftvoll geführt, bohrte sich ihr in den Leib. Der Hieb trieb ihr die Luft aus den Lungen. Tobende Schmerzen stellten sich ein. Kekko sah den Angreifer unmittelbar vor sich, wie er mit einer scheinbar unendlich langsamen Bewegung die Lanze hob. Voller Verzweiflung warf sie sich auf ihn und riß ihn mit sich zu Boden. Dann versank die Welt ringsum in einem Chaos der verschiedenartigsten Empfindungen.
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Tosende Schwärze umfing sie. Kekko stürzte in einen endlos scheinenden Abgrund. * Das Erwachen war mit quälenden Schmerzen verbunden. In Kekkos Schädel schien eine Heerschar von Dämonen zu toben. Schwer atmend blieb sie liegen und lauschte dem Pochen des Blutes in den Schläfen und den wenigen Geräuschen, die von außen auf sie eindrangen. Eine seltsame, bedrückend wirkende Stille herrschte, die nur hin und wieder von leisem Rascheln durchbrochen wurde. Das morsche Gemäuer ihrer bis eben empfundenen Zuversicht begann abzubröckeln. Waren es erst einzelne Stücke, die von den Zinnen stürzten, so begann bald das ganze Bauwerk aus Hoffnung und Wunschdenken zu schwanken. Von irgendwoher vernahm sie Ch'angs Stimme, der wie sooft aus der Lehre der Vervollkommnung zitierte: „Geduld ist Wachsen zur Reife der Erkenntnis. Der Baum, bis er groß ist und vielfach Frucht trägt, braucht lange Jahre, dennoch klagt er nicht, wenn ihn der Sturm beugt. – Ungeduld gebiert Leiden, entwurzelt den Stamm des Lebens und trägt ihn fort auf dem reißenden Strom des Verderbens, ewigem Hader entgegen ...“ Etwas angenehm Kühles, Feuchtes legte sich auf ihre Stirn. Sanfte Hände hoben ihren Kopf an und -hielten ihr eine Teeschale an die Lippen. „Trink!“ wurde sie aufgefordert. „Das vertreibt deine Schmerzen.“ Als sie endlich die Augen aufschlug, sah sie Ch'angs schwarze Eisenmaske vor sich. Gehorsam leerte sie die Schale und fühlte sich danach tatsächlich wohler. Zu fragen, welche Entscheidung gefallen sei, wagte sie noch nicht. Von draußen erklangen Hufgetrappel und das Stampfen marschierender Krieger. Stimmen riefen nach Kiyomuri.
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Nur noch mühsam beherrschte Kekko ihre Ungeduld. Lehrmeister Ch'ang deutete eine knappe Verbeugung an. „Geh, meine Tochter!“ sagte er. „Dein Platz ist künftig an der Seite deines Bruders.“ Die junge Frau erwiderte nichts. Gemessenen Schrittes verließ sie das Gebäude. Sie hörte, daß ihr Ch'ang in einigem Abstand folgte, wandte sich aber nicht um. Draußen herrschte gleißende Helligkeit. Die Sonne stand im Zenit des nahezu wolkenlosen Himmels. Der Innenhof hatte sich inzwischen gefüllt. Mindestens vierzig Reiter und die doppelte Anzahl gerüsteter Krieger zu Fuß waren erschienen. Kekko kannte die Feldzeichen, die nicht nur von den ersten Kriegern getragen wurden, sondern ebenso hinter den Reitern im Wind flatterten. Der Halbmond war das Symbol des Shoguns. Tokugawa Ieyasu war aber nicht selbst erschienen, sondern hatte einen seiner Vertrauten entsandt. Dies war ein ehrenvoller Tag für Kiyomuri und seine Samurais. Kekkos Bruder trug einen weißen, knielangen Umhang mit goldfarbenen Stickereien. Seine kantigen Gesichtszüge und das kurz geschnittene, ergraute Haar harmonierten gut zu dem Kimono. In der Linken hielt er das Schwert Tayasan, das seit Generationen innerhalb der Familie vererbt wurde. Den Knauf zierte ein großer Diamant, dem besondere Kräfte zugeschrieben wurden. Die Scheide aus hellem Leder war mit Rubinen und anderen Edelsteinen reich verziert. Schon viele hatten ihre Hände nach dieser Waffe ausgestreckt und den Frevel mit dem Leben bezahlt. Yoritomo, der Gesandte von Ieyasu, entstieg seiner Sänfte und schritt auf Kiyomuri zu. Sie begrüßten sich wie langjährige Vertraute. Beide hatten viele Jahre ihrer Kindheit miteinander verbracht, bis Yoritomo seine Heimatstadt verlassen hatte und in die Dienste Hideyoshis, des
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damaligen Herrschers über Japan eingetreten war. Kekko wartete geduldig, bis sie gerufen wurde. Sie wußte, daß ihr Bruder nicht auf ihre Anwesenheit verzichten würde. Und Yoritomo hatte sie schon früher begehrenswert gefunden. Jetzt, da sie eine Samurai war, würde er ihr sicher noch größeres Interesse entgegenbringen. Mit einer flüchtigen Handbewegung streifte sie sich einige widerspenstige Haare aus der Stirn. Die Last des Schwertes, das sie in der Scheide über der Schulter trug, war ungewohnt, entbehrte aber nicht eines prickelnden Reizes. Bald würde sie das Schwert Tayasan ihr eigen nennen. Ihr Bruder war nicht nur dreißig Sommer älter und würde lange vor ihr zu den Ahnen versammelt werden – es hieß, daß eines Tages wieder eine Frau die edle Klinge führen sollte. Eine Frau wie Agemaki, für die vor zweihundert Jahren diese Waffe geschmiedet worden war. Kiyomuri rief nach ihr. Kekko beeilte sich, seinem Wunsch Folge zu leisten, aber ihre Begrüßung des Gesandten fiel kühler aus, als sie es selbst erwartet hatte. Yoritomo respektierte ihr Verhalten. Kekko folgte den Männern ins Haus. Doch sie beteiligte sich kaum an ihrem Gespräch und hörte nur mit halbem Ohr zu. Das Bild Agemakis, einem begnadeten Künstler gemalt, zog sie mehr denn je in ihren Sie hatte die gleichen grünen Augen, die vollen, geschwungenen Lippen und eine pfirsichfarbene Haut. Auch Agemaki hatte in ihrer Jugend das lange schwarze Haar im Nacken zu einem Knoten gewunden. Je länger Kekko das Bild betrachtete, desto mehr gewann die Vergangenheit vor ihrem inneren Auge Gestalt... 2. Das Feuer in des Esse loderte hell und blendete, als Agemaki die im Halbdunkel liegende Schmiede betrat. Schon von weitem hatte sie das schnelle Hämmern gehört, mit dem Ikyu, der Schmied, auf ein glühendes Stück Eisen einschlug. Nur mit einem ledernen Schurz um die Lenden
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bekleidet, stand der Mann vor dem Amboß. Sein Körper glänzte vom Schweiß. Eine schier unerträgliche Hitze schlug Agemaki entgegen, als sie näher trat. Obwohl sie davon überzeugt war, daß das Geräusch ihrer Schritte im Dröhnen des Hammers unterging, wandte sich Ikyu plötzlich um. Der Schmied warf das bearbeitete Stück rotglühenden Eisens in einen Bottich voll klarem Quellwasser, das zischend aufwallte. Er war im Begriff, eine sanft gebogene Klinge zu formen. „Ich brauche ein Schwert!“ sagte Agemaki. Erstaunen zeichnete sich in Ikyus Augen ab, doch er erwiderte nichts. Er wußte, welches tragische Schicksal Agemakis Familie ereilt hatte, und daß nur sie selbst durch einen Zufall verschont geblieben war. „Du haßt Yoshimitsu?“ fragte er lauernd. „Wie könnte ich wagen, die Anordnungen des Shoguns anzuzweifeln?“ erwiderte die Frau. „Aber ich werde den Tod meiner Eltern und Geschwister an den Piraten rächen.“ Sie hielt Ikyu die zur Faust geballte Rechte hin. Als sie die Hand öffnete, lagen zwei große Diamanten darin. „Das ist alles, was von unserem Reichtum blieb. Einer dieser Steine wird dir gehören, wenn du mir eine Klinge schmiedest, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Den anderen sollst du in den Knauf des Schwertes einarbeiten – als ewige Mahnung, den Tod zu respektieren.“ „Du verlangst viel, Agemaki.“ „Nicht zuviel für das, was du erhältst.“ Ikyu holte das inzwischen abgekühlte Eisen aus dem Wasser und stieß es ins Feuer zurück, daß die Funken stoben. „Du weißt, was sich die Leute erzählen“, sagte er. „Daß Yoshimitsu den Chinesen als Gegenleistung für einen lukrativen Handel die Vernichtung aller Piraten zugesagt hat, die ihre Küsten heimsuchen. Seine Streitkräfte haben die Schlupfwinkel auf den Inseln Iki und Tsushima in der Korea-Straße angegriffen und Gefangene nach China gesandt. Die Beamten des
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chinesischen kaiserlichen Hofes wollten sich aber mit der Bestrafung nicht befassen und gaben sie dem Shogun zurück. Er ließ sie bei lebendigen Leibe kochen. Der große Kupferkessel wurde als Warnung für alle Piraten öffentlich ausgestellt. Deshalb fallen nun die Gesetzlosen plündernd und mordend in unsere Provinzen ein ...“ „Hör auf, Ikyu“, sagte Agemaki mit eisiger Kälte in der Stimme. „Die Kraft des Schwertes soll frei bleiben von meinen düsteren Gedanken.“ Nachdenklich kaute der Schmied auf seiner Unterlippe. Er sah, daß die Frau ihre Hände zu Fäusten ballte und die Nägel tief in die Handballen grub. Endlich, nach einer Eile gegenseitigen Schweigens, faßte er einen Entschluß. „Ich werde dir eine Klinge fertigen, wie du sie nie gesehen hast“, sagte er. „Aber ein Schwert, dessen Schneide scharf sein soll und doch zugleich so weich, daß es nicht bricht, braucht Zeit, um gut zu werden.“ Agemaki dankte mit einer flüchtigen Verbeugung. Während der nächsten Tage erschien sie oft in der Schmiede und verfolgte interessiert den Fortgang der Arbeiten. Die Form nahm Gestalt an. Das Äußere der Klinge bestand aus Metall verschiedener Härte, zu einer Platte verschweißt, die mehr als ein dutzendmal ausgeschmiedet und wieder zusammengefügt wurde, so daß auf diese Weise unzählige hauchdünne Schichten entstanden. Durch immer wieder neues Erhitzen und plötzliches Abkühlen in eisigem Quellwasser erreichte Ikyu eine zusätzliche Härtung. Der Vorgang zog sich über Tage hin. Um dem Schwert die nötige Ruhe zu geben, die es später in der Schlacht nicht mehr haben würde, mußte er mehrmals unterbrochen werden. Manchmal strich Agemaki mit der flachen Hand über die Klinge und redete mit ihr wie zu einem Menschen. In ihr wuchs -ein Gefühl der Unzertrennlichkeit. Die Morgendämmerung des achten Tages brach an, als Ikyu die letzten entscheidenden Handgriffe tat. Er umgab die nahezu fertige Klinge mit einer dicken
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Schicht Lehm, den er während der Nacht gestochen hatte. Nur die Schneide blieb auf eine halbe Fingerbreite frei. Anschließend erhitzte der Schmied das Schwert langsam in der Esse. Der Schein des Feuers war das einzige Licht, das den Raum erhellte. Deshalb ließen sich die Farbschattierungen, die das Metall der Reihe nach annahm, gut erkennen. Endlich hüllten winzige Flammen das Werkstück ein und verliehen ihm einen goldenen Schimmer. Ein Gebet auf den Lippen, riß Ikyu die glühende Klinge aus dem Feuer und stieß sie in den vorbereiteten Bottich. Das Wasser zischte und brodelte, Wolken von Wasserdampf verbreiteten Feuchtigkeit, die sich ringsum niederschlug. „Die Schneide kühlt sofort ab und wird dabei außergewöhnlich hart“, erklärte der Schmied. „Die vom Lehm bedeckten Teile der Klinge geben hingegen die Hitze nur langsam weiter und bleiben deshalb weich und geschmeidig. Das Ergebnis ist ein Schwert, das selbst bei langem Gebrauch nicht abstumpft, das aber nicht brechen kann.“ Die langwierige Arbeit des Schleifens folgte, bei der nicht minder Genauigkeit gefordert wurde. Ikyu zeigte sich schließlich mit seinem Werk zufrieden und konnte darangehen, einen kunstvoll geschnitzten Griff anzupassen. Am Morgen des nächsten Tages übergab er Agemaki das Schwert. Die Frau sprach einige Worte des Dankes, schleuderte die Klinge hoch, fing sie mit der Rechten auf und wirbelte sie mit einer blitzschnellen Bewegung durch die Luft. Dabei entstand ein singendes Geräusch, das die Güte des Schwertes bewies. „Wenn du es wünscht, kannst du die Waffe prüfen“, sagte Ikyu. Er führte Agemaki in einen Nebenraum, in dem etliche prall gefüllte Säcke von den Dachbalken hingen. „Das ist nur Sand“, erklärte er. Fast spielerisch ließ die Frau ihr noch namenloses Schwert von der Rechten in die Linke gleiten und führte im Anschluß an diese Bewegung aus der Hüfte heraus einen Körperschlag, der einem
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menschlichen Gegner in die Brust gedrungen wäre. Ohne spürbaren Widerstand glitt die Klinge mitten durch den Sandsack hindurch. Agemaki holte erneut aus, diesmal zu einem shimo-tatewari, der den nächsten Sack von unten her spaltete. Zweimal bückte sich der Schmied und hob Hölzer von der Stärke eines Unterarms auf. „Sie waren im Sand verborgen“, sagte er. „Sieh, dein Schwert hat sie glatt durchschlagen.“ * „In Surabaja können wir unseren Proviant ergänzen.“ Dan O'Flynn tippte mit dem Zeigefinger auf die Seekarte, die er auf dem Tisch in der Kapitänskammer ausgebreitet hatte. „Mit Sicherheit finden wir in der Stadt reichlich Gelegenheit, Gemüse, Obst und andere Nahrungsmittel zu kaufen.“ Philip Hasard Killigrew kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr. „Ich frage mich, ob wir besser auf Ostkurs bleiben sollten. Unser Trinkwasser ist frisch, und alle anderen Vorräte reichen noch für einige Zeit. Wir sind erst in zwei oder drei Wochen gezwungen zu rationieren.“ Dan O'Flynn zuckte mit den Schultern. „Unser Zwischenziel stand fest, seit wir Batavia verlassen haben“, erwiderte er. „Und frühzeitige Vorsorge hat noch nie geschadet.“ „Was ist mit Siedlungen an der Nordküste von Madura?“ Dan tippte auf eine Eintragung im westlichen Drittel der Insel. „Tangjung Bumi steht da – ohne weitere Erläuterungen. Wahrscheinlich ein kleinerer Ort. Madura hat, soweit ich in Erfahrung bringen konnte, überwiegend unfruchtbare, wasserdurchlässige Böden. Surabaja bietet in jeder Hinsicht mehr.“ „Wir würden mindestens einen Tag verlieren. Der Wind steht so günstig, daß ich zögere, überhaupt noch einen Hafen
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anzulaufen. Die Männer wollen endlich in die Karibik zurück.“ „Wer will das nicht“, sagte Dan O'Flynn. „Zum Teil hat natürlich Dads Blick ‚hinter die Kimm' Neugierde geweckt. Die halbe Crew ist brennend daran interessiert, so bald wie möglich zu erfahren, was sich tatsächlich ereignet hat.“ „Wahrscheinlich erweisen sich Donegals Prophezeiungen als unzutreffend.“ Dan sah nur kurz auf und warf dem Seewolf einen schwer zu deutenden Blick zu. „Glaubst du das wirklich, Sir?“ fragte er, bevor er sich wieder intensiv dem Studium der Karte widmete. Hasard zögerte mit der Antwort. „Ich weiß es nicht“, gestand er schließlich. „Mein Vater hat zwar Launen, doch sogar in seinen absonderlichsten Prophezeiungen war stets ein Körnchen Wahrheit verborgen“, sagte Dan. „Falls der Stützpunkt der Korsaren gefährdet ist, kann das nur bedeuten, daß die Spanier Great Abaco angelaufen haben. Aber dann erscheinen wir allemal zu spät.“ Jetzt war es Hasard, der Dan O'Flynn eindringlich musterte. Dan hielt seinem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. „Du bist wirklich Donegals Sohn“, murmelte der Seewolf, mehr im Selbstgespräch als für Dan bestimmt. Eigentlich bewegte er nur die Lippen. Aber der Navigator der Arwenacks hatte nicht nur die schärfsten Augen an Bord, seine Ohren schienen zugleich die eines Luchses zu sein. „Hast du je daran gezweifelt, Sir?“ fragte Dan. „Du verstehst mich falsch.“ Dan O'Flynn winkte leichthin ab. „Ich verstehe dich durchaus richtig, Schwager.“, Sie sahen sich an und begannen beide zugleich wie auf ein geheimes Kommando hin zu lachen. Dan widmete sich wieder der Karte, während der Seewolf sein Spektiv nahm und die Kammer verließ. Rund zwei Drittel Ostjavas waren schwer zugängliches Bergland. Wer immer die Karten gezeichnet hatte, war zwar im
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Küstenbereich auf Genauigkeit bedacht gewesen - wenngleich Dan inzwischen mehr als genug Verbesserungen angebracht hatte -, im Landesinneren aber wurden die Eintragungen ungenau, teilweise sogar mißverständlich. Die höchsten Berge Javas - die meisten wohl vulkanischen Ursprungs schienen sich in diesem Teil der Insel zu konzentrieren. Zwei Flüsse waren skizziert - beide, wie es den Anschein hatte, jedoch nur mit ihrem Unterlauf. Der eine, Brantas genannt, mündete bei Surabaja in die MaduraStraße, der andere, Bengawan Solo, wand sich ebenfalls durch ausgedehntes, als Reisanbaugebiet gekennzeichnetes Tiefland, das wohl zu den fruchtbarsten Regionen überhaupt gehörte. In Gedanken versunken, hantierte Dan mit dem Zirkel. Er verglich den Kurs entlang der Nordküste Maduras mit dem Umweg durch den schmalen Kanal zwischen Java und der Insel gelangte zu dem Schluß, daß tatsächlich nicht mehr als ein Tag verloren gehen würde, wenn die Schebecke Surabaja anlief. In aller Ruhe verstaute er die Karte wieder im Schapp. Danach ging er ebenfalls an Deck. Die Schebecke segelte dicht unter Land. Madura war noch nicht an der Kimm zu ahnen. Seit der letzten Positionsbestimmung waren gut zwei Stunden vergangen. Da die Schebecke unter vollen Segeln gute Fahrt lief, schätzte Dan die Entfernung bis zu den westlichsten Ausläufern der Insel auf nur noch knapp zwanzig Meilen. Bis auf den Spitzbusen hatten die Arwenacks Vollzeug gesetzt. Mit schäumender Bugwelle und lange sichtbarer Hecksee, über der sich die Möwen tummelten, durchpflügte der Mittelmeer-Dreimaster die ruhige See. Messungen ergaben eine Geschwindigkeit von immerhin rund sieben Knoten. Die Sonne brannte heiß vom wolkenlosen Himmel. Nur im Süden, über dem Land, zog hin und wieder Dunst auf, der sich
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aber nicht verdichtete, sondern jeweils rasch wieder verwehte. Arwenack, der Bordschimpanse, turnte ausgelassen in der Takelage. Öfter als sonst hallte sein Keckern über Deck. Plymmie, die sich im Schatten des Großsegels auf der Kuhl ausgestreckt hatte, ließ dann jeweils ein kurzes Bellen vernehmen. Offenbar hatte sie wenig Verständnis für Arwenacks Ausgelassenheit. Ihr setzte die Hitze zu. Der Dritte im Bunde des Bordviehzeugs, wie sich der Profos gelegentlich auszudrücken pflegte, war Sir John. Der karmesinrote Aracanga-Papagei saß da, wo er hingehörte, nämlich auf dem über das achtere Grätingsdeck hinausragenden Papageienstock. Schläfrig hatte er den Kopf unter einem Flügel vergraben, und nur gelegentlich trippelte er ein paar Schritte weiter binnenbords. An Land blieb alles ruhig. Schäumend brachen sich die sanften Wogen an felsigen Stränden oder zwischen dem dicht verfilzten Wurzelwerk der häufig anzutreffenden Mangroven. Obwohl idyllische Buchten und der Fischreichtum vor der Küste zur Besiedlung einluden, zeigten sich nirgendwo Spuren menschlicher Anwesenheit. Eine Schule junger Delphine tauchte neben der Schebecke auf und begleitete sie eine Zeitlang. Dan O'Flynn ließ sich vorübergehend von dem Spiel der Tiere ablenken, die das Schiff und die Engländer mit ihren heiseren Rufen zu begrüßen schienen. Er zählte mehr als vierzig der zutraulichen Geschöpfe, die zeitweise halb aus dem Wasser hochstiegen und sich etliche Yards weit nur mit Hilfe ihrer Schwanzflossen bewegten, ehe sie wieder abtauchten. Sir John wurde aus seinem Dösen aufgeschreckt, plusterte das Gefieder auf und krächzte, wobei er kröpfende Bewegungen ausführte und unruhig hin und her hüpfte: „Rrrübenschweine! Gebt Rrruhe, ihr Mistviecherrr ...!“ „Gar nicht schlecht“, sagte Edwin Carberry. „Kräht der Gockel auf dem Mist, bleibt das Wetter, wie es ist.“
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Eben noch in Gedanken versunken, zuckte Dan O'Flynn zusammen. Er hatte nicht bemerkt, daß der Profos hinter ihn getreten war. Verärgert wandte er sich um. „Schleichst du dich neuerdings an, Ed? Und was soll der Unsinn mit dem Gockel und dem Mist?“ Carberrys Narbengesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. „Das ist ein sinniger Spruch“, erwiderte er. „An Land stimmt alles.“ „Aber nicht auf See. Wir haben weder Mist an Bord noch einen ...“ „Abwarten!“ sagte der Profos verheißungsvoll. „Morgen um die Zeit schreit Sir John zu jedem Glasen ein herzhaftes Kikeriki.“ „Das tust du uns nicht an, Ed.“ „Warum nicht! Wird schließlich Zeit, daß die Bordkrähe mal was Neues lernt. „Außerdem“, der Profos deutete zur Sonne, die sich allmählich dem Zenit näherte, „nach einer Schlechtwetterfront sieht es wirklich nicht aus.“ Dan verdrehte anklagend die Augen und wandte sich wieder den Delphinen zu. Er sah gerade noch die letzten Tiere dicht unter der Oberfläche nach Südosten davonziehen. „Die hast du jedenfalls verscheucht, Mister“, sagte er und stellte gleichzeitig fest, daß Carberry nicht mehr neben ihm stand. Der Profos hatte sich ebenso lautlos zurückgezogen wie zuvor angeschlichen. Heftig gestikulierend redete er jetzt vor dem Niedergang zur Kuhl auf Old Shane und Matt Davies ein. Wie er dabei zu Sir John deutete und die Arme wie Flügel bewegte, war unmißverständlich. Der frühere Schmied von Arwenack und der Mann mit der Kunsthand lachten. Dan dachte an die Begegnung mit den Holländern der „Wilhelm von Oranien“. Den Seewölfen wäre beinahe das Lachen vergangen. Sie hatten wie die Wilden geschuftet, um die Fleute wieder seetüchtig zu machen, und zum Dank dafür hätten ihnen Mijnher van Aacherens Männer beinahe die Schebecke weggenommen. In erster Linie war es Clinton Wingfields
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Aufmerksamkeit zu verdanken, daß die Heimtücke der Holländer vereitelt worden war. Der Moses, sowohl erst zwölfeinhalb Jahre alt, hatte sich in letzter Zeit zu seinem Vorteil gemausert. Er war auf dem besten Weg, ein vollwertiges Crewmitglied zu werden. Dan setzte sein Spektiv ans Auge und suchte nach den Delphinen. Die Tiere galten im allgemeinen als Glücksbringer, und nur selten behauptete jemand etwas anderes. In Hafenkneipen kursierten erstaunliche Geschichten über Begegnungen mit schiffbrüchigen Seeleuten. Manch einer, der schon die Hoffnung aufgegeben hatte, war von den Tieren vor Haien gerettet worden. Andere erzählten, daß sie den Delphinen verdankten, Land gefunden. zu haben. Anfangs suchte Dan vergeblich die Wasseroberfläche ab. Nirgendwo zeigte sich ein auftauchendes Tier. Erst nach einer Weile, als er schon aufgeben wollte, um sich Wichtigerem zuzuwenden, entdeckte er die Delphine wieder. Sie schwammen in der Nähe einer Landzunge, die den allmählichen Abfall der Küste nach Süden , zur Madura-Straße hin, deutwerden ließ. Klippen waren dem felsigen Strand vorgelagert, auf dem lediglich einige verkümmerte, von Stürmen gebeugte Palmen wuchsen. Mangroven gab es in diesem Bereich nicht, wo Strömungen aufeinander prallten und kabbeliges Wasser herrschte. Allerdings ragte schon wenige hundert Yards vom Strand entfernt ein Wald riesiger Teakholzbäume gleich einer undurchdringlich scheinenden Mauer auf. Etwas am Verhalten der Delphine irritierte Dan. Dabei war es wohl weniger die Tatsache, daß ständig einige von ihnen aus dem Wasser sprangen und sich sogar in der Luft überschlugen, als vielmehr die Hartnäckigkeit, mit der sie in unmittelbarer Nähe der Klippen blieben. Nur mit halbem Ohr hörte er Jung Philips spöttische Bemerkung: „Unser Navigator ist völlig abwesend. Was er wohl an Land sieht?“
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„Eingeborene“, erklärte Carberry und fügte schnell hinzu: „Frauen natürlich - mit weniger an als einem Baströckchen.“ Sam Roskill, dem mittlerweile nichts mehr von dem beinahe tödlichen Fieber-Zauber der Pawang-Magier anzumerken war - er enterte gerade nach einer Freiwache zum Achterdeck auf -, hatte Carberrys Bemerkung mitgehört. „Ein Königreich für ein Spektiv!“ rief er sofort. „He, Dan, leihst du mir für 'nen Moment deinen Kieker?“ „Da gibt es nichts zu sehen“, erwiderte der Navigator, ohne das Fernrohr abzusetzen. Sam Roskill glaubte ihm nicht. „Dein Eifer spricht für sich, Dan.“ Zuversichtlich grinsend nahm er die beiden letzten Stufen des Niedergangs auf einmal. Die Zwillinge feixten. „Man sollte meinen, Sam, du wärst inzwischen vorsichtiger geworden“, sagte Philip. Hasard junior fügte hinzu: „Besonders mit Eingeborenenfrauen. Beim letzten Mal war's nur das Fieber - beim nächstenmal ist es vielleicht ein Dolch, den dir ein eifersüchtiger Liebhaber oder ein wütender Vater zwischen die Schulterblätter stößt. Aber dagegen gibt es kein Heilmittel.“ „Was soll ich tun?“ Der ehemalige Karibik-Pirat, ein dunkelhaariger Draufgänger, der gegen Abenteuer mit schönen Ladys nie etwas einzuwenden hatte, zuckte mit den Schultern. „Daß ich nicht im Lehnstuhl sterbe, ist mir klar. Kann man sich einen schöneren Tod wünschen als in den Armen einer heißblütigen Schönheit? Außerdem gibt es an Bord unserer Schebecke kein weibliches Wesen.“ „Doch“, sagte der Profos im Brustton der Überzeugung. „Plymmie.“ „Da ist was!“ rief Dan O'Flynn in dem Moment. „Zwischen den Klippen!“ „Eine Seejungfrau wird's sein“, bemerkte Carberry anzüglich. „Wahrscheinlich ist sie wegen Sam aufgetaucht.“ Dan ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. „Ich habe nie gehört, daß sich Seejungfrauen in eine kleine Jolle
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verwandeln können“, sagte er. „Oder bist du anderer Ansicht, Mister Profos?“ Carberry rieb sich erwartungsvoll die Hände. Er nahm den Kieker, den ihm Dan hinhielt, und folgte der ausgestreckten Hand. „Klippen und ein paar Fische? Na und?“ „Die Fische sind Delphine.“ „Das spielt doch keine Rolle. Wo das Boot ist, will ich wissen.“ „Wenn du Boot sagst, meinst du doch nur Nixe“, äußerte Sam Roskill grinsend. „Warum drückst du dich nicht klar und deutlich aus, Ed, wie es sonst deine Art ist?“ „Affenarsch!“ grollte der Profos. Im selben Moment huschte ein Aufleuchten über sein Gesicht. Triumphierend schob er das mächtige Rammkinn vor. „Meinst du das Ding, Dan, das zwischen den Felsen festhängt? Sieht aus wie Treibholz oder das Stück eines Schiffswracks.“ Dan O'Flynn schüttelte den Kopf. „Ich gehe jede Wette ein, daß es sich um eine unbeschädigte kleine Jolle handelt.“ „Und wenn schon“, widersprach der Profos heftig. „Von Überraschungen wie mit der Fleute haben wir vorerst die Nase voll. Oder siehst du irgendwo Schiffsbrüchige, die wirklich unserer Hilfe bedürfen?“ „Nein“, sagte Dan, „das nicht. Aber das Verhalten der Delphine gibt mir trotzdem zu denken.“ Mittlerweile war so ziemlich jeder an Deck aufmerksam geworden. Der Seewolf, der unter dem offenen Kombüsenschott mit den beiden Köchen geredet hatte, drehte auf dem Absatz um und lief über die Kuhl nach achtern. „Was gibt es?“ fragte er. „Wenn wir das genau wüßten, wären wir klüger“, antwortete Jung Philip. „Dan hat eine Jolle entdeckt, die zwischen den Klippen festhängt.“ „Ich behaupte sogar, daß wir auf Schiffbrüchige gestoßen sind“, sagte Dan. „Die Delphine gebärden sich wie toll. Außerdem scheint ein Schwarm Möwen über dem Boot zu kreisen.“ Er setzte das Spektiv kurz ab und massierte mit Daumen und Zeigefinger Nasenwurzel und
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Augenwinkel. „Genau kann ich das aber noch nicht erkennen.“ Der Seewolf winkte ab. „Es wäre kein Problem, von dem Boot aus an Land zu schwimmen. Siehst du jemanden, der verzweifelt winkt und an Bord genommen werden will?“ „Nein“, gestand Dan. „Da ist niemand. Trotzdem ...“ Hasard gab Befehl anzuluven. Hart wurde die Schebecke aus dem Kurs genommen. Sie lag inzwischen nahezu gleichauf mit der Landzunge und den im Halbrund aufragenden Klippen, deshalb waren die Arwenacks zu einem Kreuzschlag gezwungen 3. Bis auf knapp drei Kabellängen näherte sich das Schiff den Klippen, dann wurde das Wasser gefährlich. Gischtstreifen ließen unter der Oberfläche liegende Riff e vermuten. Nach wie vor gab es in der Nähe der Jolle die tatsächlich weitgehend intakt war, keine Anzeichen menschlichen Lebens. Die Delphine zogen sich von der Schebecke zurück und verschwanden in der Weite der Java-See. „Sie haben ihre Aufgabe erfüllt“, sagte Dan O'Flynn. Daß ihn der Profos nachdenklich musterte, irritierte ihn zwar, dennoch dachte er nicht daran, von sich aus eine Erklärung abzugeben, die nur mißverstanden werden konnte. Carberry Blick verriet allzu deutlich, daß er ihn mit Old Donegal verglich. Die Männer schlossen eben zwangsläufig von den Fähigkeiten des Vaters auf den Sohn. „Glaubst du das wirklich?“ fragte der Profos nach einer Weile. „Was?“ erwiderte Dan, obwohl er genau wußte, auf was Carberry anspielte. „Das mit den Delphinen“, sagte Carberry. „Daß sie alles darangesetzt haben, uns zu dem Boot zu führen.“ Was sollte er darauf antworten? Zögernd rieb sich Dan die rechte Wange.
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„Plymmie würde nicht anders handeln“, erklärte er. „Plymmie ist schließlich ein Hund“, sagte Carberry. „Das ist etwas ganz anderes.“ Dan verstand zwar nicht, was daran wirklich so anders sein sollte, doch er hatte keine Lust, mit dem Profos eine Diskussion über derartige Betrachtungsweisen zu beginnen. Deshalb erwiderte er lediglich kurzangebunden: „Warte einfach ab, was wir finden.“ Die Zwillinge, Don Juan de Alcazar und Clint hatten mittlerweile mit der Segelwache die kleinere der an Bord mitgeführten Jollen zu Wasser gelassen. Während Dan noch mit dem Profos diskutierte, enterten sie ab und hängten die Riemen in die Rundseln ein. Nur Clintons blonder Haarschopf schob sich noch einmal außenbords hinter dem Schanzkleid hervor. „Dan!“ rief der Junge. „Wir warten auf dich!“ Zeternd turnte Arwenack aus der Takelage auf den Handlauf des Steuerbordschanzkleids hinunter und spähte in die Jolle. Auch Plymmie hatte endlich ihre Müdigkeit überwunden. Hechelnd trottete sie näher, bellte zweimal kurz und blickte den Navigator treuherzig an. Sie wollte die Männer begleiten. „Lieber nicht, Plymmie“, sagte Dan. „Im Boot hättest du noch weniger Schatten.“ Bis er sich außenbords schwang, gähnte die Wolfshündin schon wieder und trabte mit gesenktem Kopf an ihren Platz zurück. Dan kletterte in den Bug der Jolle, Clinton übernahm die Pinne, die anderen pullten. Das Wasser war trübe und von seltsam grünlicher Färbung. Als Dan die Hand eintauchte, verfingen sich dünne, schleimige Algen zwischen seinen Fingern. Obwohl die Sicht kaum tiefer als ein bis zwei Yards reichte, konnten die vielen unter der Oberfläche liegenden Felsen dem Boot nichts anhaben. Bei auffrischendem Wind und stärkerer Brandung wäre der Aufenthalt zwischen den Klippen jedoch gefährlich geworden.
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Der Moses handhabte die Pinne mit der Geschicklichkeit- und Voraussicht eines erfahrenen Bootsführers. Die Seemannschaft lag ihm im Blut, und das war keineswegs verwunderlich. Immerhin betrieb sein Vater im Londoner Hafen ein Geschäft für Schiffsausrüstungen. Zweimal war er an Bord gepreßt worden mit zehn Jahren auf die „Seawind“, eine verrottete Dreimastgaleone, die später von Spaniern versenkt worden war, und schließlich auf die „Respectable“, mit deren hochnäsiger Achterdeckscrew die Arwenacks gehörig aneinander geraten waren. Auf beiden Schiffen hatte er in erster Linie zu überleben gelernt, was zwangsläufig mit einer Fülle praktischer Fähigkeiten einherging. Bis auf rund fünfunddreißig Schritte konnten sie sich dem fremden Boot nähern. Danach bestand die Gefahr, daß sie ebenfalls aufliefen. Eine von Rissen und Schründen durchsetzte Felsplatte wurde zur Zeit nicht höher als eine Elle vom Wasser überspült. Allerdings herrschte Niedrigwasser. „Die Jolle wurde bei Flut angeschwemmt“, sagte Dan. „Anderenfalls wäre sie schon vor den Felszacken hängen geblieben. Wie es -aussieht, wird sie beim nächsten höheren Wasserstand auch wieder abtreiben.“ „Strandgut“, erwiderte Jung Hasard leichthin. „Ich frage mich, ob es die Mühe wert ist, sie zu bergen.“ Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. Er hatte sich mehr erhofft, aber das Boot war offensichtlich leer. Dan schwang sich aufs Dollbord und ließ sich langsam ins Wasser gleiten. Nach einigen Schwimmstößen zog er sich bäuchlings auf die Felsplatte. Sie war glitschig, von Algen und sogar Muscheln bewachsen, und ihre Schräglage erschwerte es, sicheren Halt zu finden. Trotzdem schaffte er es, sich aufzurichten. Das Ende einer Wurfleine klatschte neben ihm ins Wasser. Dan schlang sie sich ums Handgelenk. Er mußte aufpassen, daß er nicht ausglitt und in eine der engen, scharfkantigen
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Spalten rutschte, die den Fels durchzogen wie Sprünge ein Fensterglas. Blutende Schnittwunden wären noch die geringsten Verletzungen gewesen, die er sich dabei zuziehen konnte. Aus einem gerade armdicken Loch starrte ihn eine schlangenähnliche Kreatur an. Ihr Maul war voll nadelspitzer Zähne, und Dan bezweifelte keinen Moment, daß ihm dieses Biest mühelos die Hand abbeißen konnte. Zum Glück zog sich der Schlangenfisch rasch wieder zurück. Auf den letzten paar Yards reichte Dan das Wasser überraschend bis zu den Schultern. Ein Schwarm kleiner, silbern schimmernder Fische stob vor ihm nach allen Richtungen auseinander. Die Felsplatte war an der Stelle durchgebrochen, und das eine Stück überlagerte das andere und drückte es schräg in die Höhe. Unwillkürlich dachte Dan dabei an Eisschollen die sich ähnlich ineinander verkeilten. Die Jolle hing an dem aufragenden Bruchstück fest. Aus der Nähe erkannte Dan, daß ihre Lage keineswegs so stabil war, wie er zunächst angenommen hatte. Sobald die steigende Flut für genügend Auftrieb sorgte, würde sich das Boot freischwimmen. Das bedeutete zudem, dass es bestenfalls seit einigen Stunden zwischen den Klippen hing. Wassertretend konnte er mit den Händen gerade das Dollbord erreichen. Schon sein Gewicht bewirkte, dass sich das Boot zur Seite neigte. Knirschend löste sich das Heck. Dan O'Flynn blieb kaum ein Herzschlag Zeit, tief Luft zu holen. Er ließ sich instinktiv fallen und tauchte. Wie aus weiter Ferne vernahm er den Aufschrei seiner Gefährten, dann krachte auch schon dumpf dröhnend über ihm die Jolle ins Wasser. Der Kiel streifte seine Schulter, und für einen bangen Moment fürchtete er, sich das Schlüsselbein gebrochen zu haben. Dennoch kämpfte er erfolgreich gegen das Gefühl einer beginnenden Ohnmacht an, die ihn in eine endlose lichtleere Tiefe hinabziehen wollte. Die Leine konnte ihm
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nicht helfen, denn sie hatte sich von seinem Handgelenk gelöst. Die Dunkelheit stammte von dem Boot über ihm, das die mittlerweile im Zenit stehende Sonne verdeckte. Dan stieß sich ab und tastete an den Planken entlang. Die Schulter schmerzte, und er hatte Mühe, den Arm zu heben, aber der Schmerz ließ schon nach wenigen Augenblicken nach. Das flaue Gefühl in der Magengegend und im Schädel ebbte ebenfalls ab, als er wieder auftauchte und gierig die salzige Luft einsog. Immer wieder wie aus weiter Ferne hörte er Stimmen. Die Bootsgasten riefen nach ihm. „Ich bin in Ordnung!“ antwortete Dan. Es klang schrecklich heiser und unsicher. „Hast du dich wirklich nicht verletzt?“ Das war Hasard – oder Philip. Mitunter waren die Zwillinge nicht auseinanderzuhalten. Offenbar wateten sie schon über die Felsplatte. Zwischen dem Boot und der Klippe blieben nur wenige Handbreiten Platz. Zu wenig, als daß er nach vorn schwimmen konnte. Obwohl ihn die geprellte Schulter behinderte, fiel es ihm leichter, sich über das Dollbord zu ziehen. Mit den Füßen fand er immerhin ausreichenden Halt. Seine eigenen Vermutungen hatte er inzwischen beiseite geschoben und sich von der Meinung der anderen anstecken lassen, daß die angeschwemmte Jolle den Aufwand nicht wert sei. Umso mehr traf ihn die Tatsache, daß das der sengenden Hitze ausgesetzte Boot keineswegs leer war. Seine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Er schluckte krampfhaft, wollte den Zwillingen, die abrupt stehen geblieben waren, zurufen, was er sah, brachte aber nur ein unverständliches Krächzen über die Lippen. Philip und Hasard starrten ihn an, und er starrte zwischen die Duchten des kleinen Bootes und fragte sich, ob die Pfade des Schicksals stets so verschlungen wären. *
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Seit Tagen hatte der Wind mit gleich bleibender Stärke geweht. Daß er innerhalb von weniger als einer halben Stunde auf drei verschiedene Richtungen umsprang, war kein gutes Zeichen. Die Sonne stach unbarmherzig vom Firmament. Ihr grelles Licht ließ Entfernungen scheinbar zusammenschrumpfen. Selbst die Meilen entfernt an Backbord liegende Küste Javas schien plötzlich zum Greifen nahe. An der Kimm brodelten schwarze Gewitterwolken. Zu einem Zeitpunkt, als niemand mehr damit rechnete, schlief der Wind ein. Auf der „Hollandia“ und der „Gouda“, zwei holländischen Fleuten auf Heimatkurs, hingen die Segel schlaff von den Rahen. Kein noch so schwacher Windhauch blähte mehr das Tuch. Einer der Decksleute sprach aus, was alle befürchteten: es war die Ruhe vor dem Sturm. Furchtsame Blicke galten der Kimm. Einige Männer bekreuzigten sich, aridere bewegten die Lippen in stummem Gebet. Die Gewitterwolken zogen querab vorbei. Nur bei den Schiffen regte sich kein Windhauch. Ein fahles Wetterleuchten vermischte sich mit der drohenden Dunkelheit. Gedämpfter Donner war zu vernehmen. Jäh erschien dann höchstens eine halbe Meile voraus wirbelnde Gischt. Für die Männer auf beiden Fleuten war die Zeit für Vorbereitungen zu kurz gewesen. Sie wurden von der auf begrenztem Raum tobenden Windhose, die Unmengen von Wasser emporwirbelte, völlig) überrascht. Der Anblick des gierig schlürfenden Rüssels, verbunden mit dem schier ohrenbetäubenden Brausen und Fauchen, jagte sogar erfahrenen Seeleuten eisige Schauder über den Rücken. Jan van der Hout, der Kapitän der „Hollandia“ brüllte sich die Seele aus dem Leib. Noch schaffte er es, das Tosen und Donnern zu übertönen und die Männer erbarmungslos in die Wanten zu jagen. Seine Androhung drakonischer Strafen war
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schlimmer als das Entsetzen der Mannschaft. „Refft die Segel, ihr faulen Hunde! Oder soll euch Satan persönlich den Achtersteven aufreißen? Ich lasse jeden kielholen, der nicht anpackt!“ Eine heftige Bö erfaßte die „Gouda“ und drückte sie tief aufs Wasser. Für einen bangen Augenblick sah es aus, als würde das schwer mit Gewürzen beladene Schiff kentern, aber zum Glück ließ der gewaltige Winddruck sofort wieder nach, und die Fleute richtete sich zögernd auf. Trotzdem blieb eine deutliche Krängung, verursacht von verrutschten Kisten, Fässern und Säcken, die nicht ausreichend fest verzurrt gewesen waren. Jan van der Hout wußte, daß auf dem Schwesterschiff jetzt die Hölle los war. Das gleiche Schicksal konnte jeden Moment die „Hollandia“, ereilen. Das Großsegel der „Gouda“ hing zerfetzt von der Rah. Den Versuch, Tuch zu bergen, bezahlten zwei Decksleute mit dem Tod. Sie wurden von dem heftig schlagenden Segel in die Tiefe gerissen und zerschmetterten an Deck. Die Entfernung zwischen beiden Schiffen betrug nicht mehr als dreihundert Schritte. Van Hout sah die Männer stürzen. Überdeutlich erkannte er, was ihnen allen bevorstand, falls der Sturm an Stärke zunahm. Mit ungestümer Gewalt Gischt vor sich her peitschend, fegte die nächste Bö heran. Der Kapitän hatte das Gefühl hochgewirbelt zu werden, während das Schiff unter ihm in einem brodelnden Sog verschwand. Das Manntau, an dem er sich verzweifelt festklammerte, schrammte durch seine Hände und riß die Haut in Fetzen ab. Aber der brennende Schmerz sorgte dafür, daß er nicht die Besinnung verlor. Wenn er jetzt einatmete, mußte er schier ertrinken, soviel Gischt und Wasser waren ringsrum. Endlich flutete die See zurück, ergoß sich schäumend durch die Stückpforten und staute sich vor den Speigatten. Der Kapitän klebte nahezu am Manntau. Selbst wenn er gewollt hätte, wäre es ihm unmöglich gewesen, die verkrampften
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Finger schon zu lösen. Gerade in einem Unwetter wie diesem war sein Platz an Deck. Die Segel standen prall. Lediglich die Fock war eingerissen und killte heftig. Van der Hout entsann sich, vor der nahenden Bö mehr Männer auf den Rahen gesehen zu haben. Er blinzelte, wischte sich mit dem Oberarm das Salzwasser aus den brennenden Augen und starrte wieder in die Höhe. Danach war er sicher, daß die See mindestens acht Decksleute geholt hatte. Für sie gab es keine Rettung mehr. Inmitten der tobenden Elemente konnten sie nicht länger als einige bange Augenblicke überleben. Der Wind drehte in raschem Wechsel, griff aus allen Richtungen an und ließ die Schiffe zu Spielbällen seiner unbegreiflichen Gewalt werden. Mehrfach mannshohe Brecher spülten über Deck und zerschlugen die Verschanzungen. Holzsplitter wurden zu tödlichen Geschossen, die, Speeren gleich, nicht nur Taurollen durchbohrten. In Momenten wie diesen drängten sich alle möglichen Überlegungen auf. Van der Hout dachte daran, daß Fleuten Stürme weitaus besser überstanden als andere Schiffe, wie auch ihre Tragfähigkeit die von Galeonen oder Karavellen deutlich überstieg. Der langgestreckte, schmale, aus stark gerundeten Spanten konstruierte Rumpf verringerte jeden Widerstand. Überhaupt war das Überwasserschiff der großen und hohen Besegelung hervorragend angepaßt. Das Deck hatte einen starken Sprung nach vorn und achtern, und die anderweitig noch üblichen hohen Aufbauten waren nahezu vollständig in den Decksverlauf einbezogen. Die bauchige Form des Schiffes brachte deutliche Vorteile bei der Steifigkeit der Verstrebungen und Beplankung. Dumpf hämmerten die Brecher gegen den Rumpf, der zeitweise bis in seine innersten Verbände erbebte. „Weg mit den Segeln!“ brüllte van der Hout aus Leibeskräften. Der Sturm riß ihm die Worte von den Lippen und wirbelte sie mit sich. Es sah
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nicht so aus, als verstehe nur einer der Männer, was er wollte. Dabei galt es, die Stabilität der „Hollandia“ schnell zu erhöhen, Auf der „Gouda“ krachte die Großrah an Deck und zerschmetterte, was Sturm und Brecher bislang verschont hatten. Der Kapitän konnte es nicht mehr erkennen, aber er vermutete, daß die Männer des Schwesterschiffes in ihrer Verzweiflung die Fallen kappten. Bei den herrschenden Umständen erschien ihm das nicht anders, als, versuchten sie den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Die unkontrolliert stürzenden Rahen konnten sich wie Geschosse in die Planken bohren und sogar den Rumpf leckschlagen. Der Sturm steigerte sich zum Inferno. Den Windhosen folgte ein anhaltender Orkan, der die See haushoch aufpeitschte und wohl auch an Land verheerend wütete und meilenlange Schneisen sogar in dichte Wälder schlug. Der Weltuntergang schien begonnen zu haben. Van der Hout konnte sich nicht entsinnen, jemals ein solches Unwetter erlebt zu haben. Die Sonne hatte sich hinter brodelnden schwarzen Wolkenbänken verborgen und war einer frühen Nacht gewichen. Nur noch grell aufzuckende, das Firmament spaltende Blitze sorgten für genügend Helligkeit. Zeitweise war der Donner ohrenbetäubend und übertönte sogar das Wüten des Orkans. Zu allem Überfluß öffnete der Himmel seine Schleusen zu einer wahren Sintflut. Inmitten der herniederprasselnden Sturzbäche verschwamm die „Gouda“ zu einer Silhouette, die trotz allem noch auf dem gleichen Kurs lag wie die „Hollandia“. Nach einer. Weile waren ihre Umrisse aber nur noch zu ahnen. Mit schier übermenschlicher Anstrengung schafften van der Houts Männer das Wunder, das Großsegel zu reffen und selbst die Fetzen der Fock so festzuzurren, daß sie der Orkan kaum wieder losreißen konnte. Längst waren die Fleuten zum Spielball der entfesselten Elemente geworden, die sich in immer neuen, Schiff und
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Mannschaft zermürbenden Angriffen versuchten. Sogar Männer, die sich auf Tuchfühlung nahe standen, konnten so laut schreien, wie sie wollten, es war ihnen unmöglich, sich gegenseitig zu verstehen. Mitunter reichte die Sicht nicht mal von einer Seite der Schiffe zur anderen. Die Sanduhren wurden nicht mehr gedreht. Keiner der Holländer wußte, wieviel Zeit während ihres verzweifelten Kampfes gegen die See verging. Irgendwann brach der Hauptmast. Entsetzt sah die Mannschaft, wie der mächtige Stamm zu schwingen begann und sich erst nach Steuerbord und schon im nächsten Moment nach Backbord neigte. Jeder fürchtete, die Stenge aus der Höhe herabstürzen und das Schiff bis zum Kiel durchbohren würde, aber dann brachen nahezu gleichzeitig Groß- und Stengestag und peitschten mit verheerender Wucht durch die Luft. Die Unterwanten zerrissen wie dünnes Garn. Für die Dauer eines Lidschlags verharrte der Mast in nahezu lotrechter Stellung, dann wurde er von einer unsichtbaren Faust gepackt und im wahrsten Sinne des Wortes herumgedreht. Rund zwei Mannslängen über Deck zerfaserte das Holz in armdicke Strünke. Selbst Kapitän van der Hout hatte nie zuvor etwas Ähnliches gesehen. Ein gräßliches, durch Mark und Bein gehendes Knirschen war zu vernehmen, als sei das Schiff plötzlich zu Leben erwacht und schreie seine Qual und Pein hinaus. Stärker werdende Erschütterungen durchliefen die Deckplanken. Die Holländer fluchten oder beteten. Einige glaubten, Satan in den glühenden Wolkenbänken zu erkennen, die von den unaufhörlich herniederzuckenden Blitzen erleuchtet wurden. Andere sahen die Zeit gekommen, für alle ihre Sünden Rechenschaft abzulegen. Sie schlugen die Hände vors Gesicht und sanken erschöpft auf die Knie, ergeben auf den Tod wartend, der sie von allen Qualen erlösen würde. Nur der Kapitän starrte wie gebannt auf den Hauptmast, der sich um nahezu neunzig Grad gedreht hatte. Die riesige
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Großrah stand beinahe längsschiffs, und die Marsrah war im Begriff, die Drehung zu einem vollen Kreis auszuführen. Jeden Augenblick mußte sie aus dem Rack brechen und auf dem vorderen Bereich des Achterdecks aufschlagen. Obwohl er wußte, daß ihn die Rah erschlagen würde, war van der Hout unfähig, sich von der Querbalustrade zurückzuziehen. Er fühlte sich wie ein Kaninchen, das, in Furcht erstarrt, zur leichten Beute der Giftschlange wird. Vom Beginn der unnatürlichen Bewegung des Mastes bis zu dem Moment, da die ersten verdrehten Holzfasern rissen, dauerte es nur zwei oder drei erschreckte Herzschläge. Unaufhaltsam neigte sich der Stamm inmitten eines Gewirrs von Tauen und Segeltuchfetzen nach Backbord. Sein Aufprall zerspellte die Reste der Kuhlverschanzung und schleuderte zwei weitere Decksleute in die brodelnde See. Die Männer verschwanden, als hätten sie nie existiert. 4. Bis zur völligen Erschöpfung kämpfte die Crew der „Hollandia“ gegen den Orkan. Als er endlich abflaute und zu einem zwar immer noch heftigen, aber keineswegs ungewöhnlichen Sturm wurde, waren elf von insgesamt achtundvierzig Mannschaftsmitgliedern spurlos verschwunden. Alle anderen, darunter Verletzte, konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Dennoch fanden sie keine Ruhe. Vielleicht war der außenbords hängende Mast daran schuld, vielleicht wirklich nur der Orkan, der Fässer und Kisten von ihren Verzurrungen losgerissen hatte, jedenfalls war eine Rumpfplanke unterhalb der Wasserlinie geborsten, und das in schenkeldickem Strahl eindringende Wasser hatte das Schiff inzwischen schon mehr als eine Mannslänge hoch überflutet. Die Männer gaben ihr Letztes. Ohne Unterbrechung schufteten sie an den Lenzpumpen, die das Wasser ins Meer zurückbeförderten. Die Kraft, zudem noch
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Eimerketten zu bilden, hatten sie nicht mehr. Der Zimmermann und drei Decksleute bahnten sich trotz der aufI schwimmenden und das Schott blockierenden Fässer und Gewürzsäcke einen Weg in den Laderaum, in dem das Leck lag. Verbissen versuchten sie, eine Bleiplatte vorzunageln, um wenigstens den ärgsten Wassereinbruch zu stoppen, aber der Druck von außen war stärker und riß die Befestigungen wieder aus den Bohlen. Erst als die Männer Planken heranschleppten und diese zusätzlich mit Stützen verkeilten, schafften sie es, das Leck leidlich abzudichten. Danach ergoß sich zwar weiterhin Wasser ins Schiff, aber nur noch in zwei breit gefächerten, schäumenden Strahlen, und die Pumpen beförderten mindestens die gleiche Menge wieder nach draußen. Der Tiefgang der „Hollandia“ vergrößerte sich nicht mehr. Mindestens zwei Stunden vergingen, bis erkennbar wurde, daß die provisorische Abdichtung wirklich standhielt. Währenddessen lag der abgesplitterte Hauptmast längsseits und krachte ununterbrochen gegen die Bordwand oder die Schiffsunterseite. Was der Orkan nicht geschafft hatte, drohte der Mast zu vollenden. Über kurz oder lang würde er ein weiteres Loch in den Rumpf schlagen. Kapitän van der Hout wartete nur darauf, daß er Männer von den Pumpen freisetzen konnte. Er befahl, den Mast und alles, was ihn noch am Schiff festhielt, abzuschlagen. Der Sturm tobte weiter. Die Arbeit an Deck wurde zur Qual. Überkommende Brecher taten ein übriges. Sie hinterließen Tang und Algen, die Kuhl, Back und Achterdeck in eine tückisch glatte Fläche verwandelten. Mit Äxten und Entermessern hackten die Männer die erhalten gebliebende Takelage der Luvseite durch. Es war eine mühselige und gefährliche Arbeit. Die unter größter Spannung stehenden Taue konnten einem Menschen Arme oder Beine abreißen, sobald sie zurückschnellten.
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Auch die leeseitigen Taue zu kappen, die den Mast in seiner gefährlichen Position verharren ließen, erwies sich während des Sturms als möglich. Das Stampfen und Schlingern der „Hollandia“ kostete einen weiteren Mann das Leben. Er wurde von einem brechenden Tau über Bord gerissen. Wohl oder übel mußte sich Kapitän van der Hout mit dem Unvermeidlichen abfinden. In der zweiten Nachthälfte legte sich das Unwetter allmählich. Das Heulen des Sturmes begann schwächer werden, und das dumpfe Dröhnen des gegen den Rumpf schlagenden Mastes blieb zeitweise ganz aus. Dennoch hatte niemand auf der Fleute je eine schlimmere Nacht erlebt. Sogar jene Kerle lernten das Beten, die nie an Gott geglaubt hatten. Als endlich die Wolken aufrissen der fahle Schein des Mondes über die aufgewühlte See huschte, verstummten die letzten Flüche und Verwünschungen. Beinahe die halbe Mannschaft fiel sofort in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf, aus dem sie wohl nicht mal heftiges Geschützfeuer hätte wecken können. Wo sie standen, sanken die Männer zu Boden. Die ausgebrachten Treibanker verhinderten nach wie vor ein Querschlagen und somit mögliches Kentern des Schiffes. Van der Hout hätte einigermaßen beruhigt, eine Mütze voll Schlaf gönnen können – er tat es nicht und hielt sich stattdessen mit eiserner Disziplin wach. Zwei dünne Leinen, die er um den Stumpf des Großmastes schlang, dienten ihm als Halt. Beim Morgengrauen konnte er die Augen kaum noch offen halten. Den neuen Tag anbrechen zu sehen, war Balsam für seine gepeinigte Seele. Besonders nachdem er sich insgeheim schon damit abgefunden hatte, nie wieder einen Sonnenaufgang zu erleben. Er stimmte ein Liebeslied aus seiner Heimat an. Aber seine Zunge war schwer, und seine Stimme klang viel zu rauh. Die ersten Männer, die an Deck erschienen, als die Sonne schon zwei Handbreiten über dem Horizont stand, fanden ihren Kapitän in tiefem Schlaf
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ausgestreckt vor dem Mast liegend, die Finger um die Halteleinen verkrampft. Ein eigenartiges Lächeln umspielte van der Houts Mundwinkel. * Die See war wieder ruhig und von scheinbarer Friedfertigkeit. Lediglich eine sanfte, den Strömungsverlauf zeigende Dünung kräuselte das Wasser. Schönwetterwolken zogen in großer Höhe dahin, die Sonne brannte vom Firmament, als wäre es nie anders gewesen.. Die „Hollandia“ war übel zugerichtet, würde aber aus eigener Kraft einen sicheren Hafen erreichen können. Die ersten Männer an Deck vollendete das Allernotwendigste und kappten endlich die Taue, die den Großmast noch außenbords hielten. Es mutete wie ein Wunder an, daß der stete Anprall des Mastes lediglich einige Plankennähte gelockert hatte. Die aufgerissenen Stellen neu mit Werg auszustopfen und zu kalfatern, war kein großes Unterfangen. Auch das Leck im Laderaum konnte am Morgen rasch abgedichtet werden. Danach blieben nur noch zwei Lenzpumpen im Einsatz. Sie beförderten eine stinkende, schlammige Brühe aus der Bilge außenbords. Da der Feldscher zu den Unglücklichen gehörte, die im Orkan über Bord gegangen waren, befahl der Kapitän, den Verletzten großzügige Rumrationen auszuteilen. Das sollte ihre Schmerzen lindern, bis die „Hollandia“ endlich Land anlaufen konnte. Denn zunächst galt es, nach dem Schwesterschiff zu suchen. Die „Gouda“ war entweder abgetrieben worden oder gesunken. Van der Hout weigerte sich jedoch beharrlich, das Unwiderrufliche anzuerkennen. Solange keine Wrackstücke gefunden wurden, bezeichnete er alle Reden über einen Untergang der Fleute als bloße Spekulation. Als Verantwortlicher für beide Schiffe verlangte er Gewißheit. Eine in aller Eile vorgenommene Peilung ergab, daß die „Hollandia“ nicht so weit,
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wie anfangs befürchtet, vom Kurs abgewichen war. Das abzusuchende Seegebiet bemaß sich dennoch auf etliche Quadratmeilen. Die geringe Fahrt der Fleute zugrunde gelegt, würden schlimmstenfalls rund zwei Tage vergehen, bis das Schicksal des Schwesterschiffes endlich feststand. Nur unter Vormarssegel und Besan kreuzte die „Hollandia“ in dem Seegebiet, in dem sich der Orkan ausgetobt hatte. Im Laufe des Vormittags starb einer der verwundeten Decksleute. Ohne besonderes Zeremoniell wurde seine sterbliche Hülle der See übergeben. Während van der Hout ein kurzes Gebet sprach, weilte er in Gedanken bei den Männern der „Gouda“. Der mit Kanonenkugeln beschwerte Leichnam versank in den Fluten. Augenblicke später erklangen aufgeregte Rufe. An Steuerbord voraus, zwei bis drei Kabellängen entfernt, schimmerte die See dunkel, beinahe schwarz. „Ruder ein Strich Steuerbord!“ befahl der Kapitän. Die Lippen aufeinandergepreßt, bis sie einen schmalen, blutleeren Strich in seinem ohnehin totenblassen Gesicht bildeten, starrte er zu dem öligen schwarzbraunen Fleck, der eine Ausdehnung von mehreren hundert Schritten hatte und die Dünung glättete. Niemand vermochte zu sagen, wie lange diese seltsame Masse schon auf dem Wasser trieb. Vergeblich hielten die Holländer Ausschau nach aufschwimmenden Wrackteilen oder Kisten und Fässern der Ladung, die genügend Auftrieb entwickelten, um an die Oberfläche zu steigen. Doch nicht mal eine zersplitterte Planke kündete vom Schicksal der „Gouda“. „Neuer Kurs zwei Strich Steuerbord!“ befahl der Kapitän dem Rudergänger und fügte schulterzuckend hinzu: „Was immer das für ein Zeug ist, vielleicht vom Sturm zusammengetriebene Algen, wir halten uns nicht damit auf.“ Mittlerweile hatte der Bootsmann der „Hollandia“ einen Ledereimer an einem Tau verknotet und warf ihn außenbords.
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Den halb mit braunschwarzem Wasser gefüllten Eimer holte er wieder ein. Was soll der Unsinn? wollte van der Hout sagen. Er schwieg jedoch, da sich die Miene des Bootsmannes überraschend veränderte. Ruyter fächelte sich erst die Luft über dem Eimer zu, schöpfte dann mit der hohlen Hand etwas von der Brühe und leckte daran. Sein Mienenspiel war schwer zu beschreiben – irgendwie erinnerte es den Kapitän an den Ausdruck einer wiederkäuenden Kuh zu Beginn eines Gewitters. Van der Hout mußte das wissen, immerhin war er mit hundert Stück schwarzgeflecktem Vieh aufgewachsen. Auf den mageren Wiesen zwischen den Deichen hatte er Rinder gehütet. „Mijnher“, sagte Ruyter erschüttert. „Wissen Sie, was das ist?“ „Ich hoffe, du wirst es mir erklären.“ „Pfeffer!“ erklärte der Bootsmann. Erneut kostete er, diesmal mehr als zuvor, und spie in hohem Bogen aus. „Pfeffer – und noch dazu verdammt salzig.“ Beide Schiffe, sowohl die „Hollandia“ als auch die „Gouda“, hatten fast ausschließlich Pfeffer der letzten Ernte geladen. Obwohl sein Verstand Ruyters Aussage bestätigte, wollte der Kapitän noch immer nicht wahrhaben, daß die „Gouda“ mit Mann und Maus und vor allem der wertvollen Ladung verloren war. Im ersten impulsiven Aufwallen der Gefühle wollte er auf den Bootsmann zustürmen, besann sich aber rechtzeitig und fiel in die ihm angemessene Würde zurück. Vorsichtig, zaghaft beinahe, tauchte er zwei Finger in den Eimer, roch daran und nickte schwer. „Der Herr sei den Männern der ,Gouda` gnädig“, sagte er nach einer Weile. „Wir werden keinen von ihnen wiedersehen.“ Anschließend bedeutete er Ruyter, den Inhalt des Eimers ins Meer zurückzuschütten. „Wir laufen den nächsten Hafen an, in dem wir Möglichkeiten haben, unser Schiff zu überholen. Den Karten nach ist das Surabaja. Erst wenn wir sicher sind, daß
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die ,Hollandia` die lange Reise wirklich übersteht, segeln wir weiter Kurs Afrika.“ * Am späten Nachmittag sichtete der Ausguck Land an der Kimm – wahrscheinlich eine der kleinen Inseln vor der Nordostküste Javas. „Segel voraus!“ meldete der Mann nur wenig später. Die tiefstehende Sonne verwandelte die Java-See in ein Meer gleißender Helligkeit. Das fremde Schiff, noch Meilen entfernt, stand vor dem grellen Glutball des Tagesgestirns. Eine flirrende Aura verhinderte, mehr als einen vagen hellen Fleck zu erkennen. Nahezu eine halbe Stunde lang schien sich die Entfernung nur unwesentlich zu verändern. Endlich schoben sich Wolken vor Sonne, deren unteres Rund inzwischen die Kimm berührte. Der Himmel färbte sich blutig rot, und die besseren Sichtverhältnisse verrieten, sich eine Prau rasch näherte. Kapitän van der Hout hatte kein gutes Gefühl, als er das hoch am Wind segelnde Schiff beobachtete. „Es hält auf uns zu“, sagte Ruyter. „Glauben Sie, daß wir es mit Piraten zu tun haben, Mijnher?“ Antwort klang gereizt. „Was ich glaube, ist unerheblich. Tatsachen zählen, Ruyter. Lassen Sie die Geschütze klarieren! Ich will einem Gegner nicht unvorbereitet vor die Rohre laufen.“ „Gehen wir auf Ausweichkurs?“ „Nein!“ sagte van der Hout schroff. „Mit unserer geringen Segelfläche hätten wir niemals eine Chance, der Prau davonzulaufen.“ Inzwischen war eindeutig zu erkennen daß es sich um eine Pinisi handelte, eines der größten Schiffe in Indonesien, die wegen ihrer ausgezeichneten Ladefähigkeit meist als Frachtensegler Verwendung fanden. Mit rund dreißig Schritten vom Bug bis zum Heck brachte es dieser Prau-Typ immerhin auf beachtliche zwei Drittel der Länge einer holländischen Fleute. Die
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Breite von sieben bis acht Schritten war ebenfalls nicht zu unterschätzen. Fünfzehn Mannslängen hohe Masten und der weit übersteigende Klüverbaum waren ebenso typisch wie die auf Europäer plump wirkenden altertümlichen Seitenruder. Nur die Hälfte der Bestückung der „Hollandia“ hatte den Orkan überstanden und konnte eingesetzt werden. Vier Geschütze und eine erschöpfte Mannschaft gegen eine Horde blutrünstiger Piraten ins Gefecht zu werfen, war jedoch von vornherein so sinnlos wie der Versuch, ein Wespennest mit wenigen Pistolenschüssen zu zerstören. Obwohl er das wußte, durfte van der Hout Schiff und Ladung nicht kampflos übergeben. Die indonesischen Küstenpiraten waren verrufener als die Freibeuter der Karibik. Vom Hörensagen wußte jeder Seemann, daß sie sich höchst selten mit Gefangenen abgaben. Die Klarmeldungen der Geschützbedienungen erfolgten. „Ausrennen!“ befahl der Kapitän. „Feuer frei auf meinen Befehl!“ Nur noch wenig mehr als eine halbe Meile trennte beide Schiffe voneinander. Die Pinisi würde nahe an Backbord der „Hollandia“ vorbeiziehen. Die Absicht, der Fleute den Wind aus den Segeln zu nehmen, war unverkennbar. Van der Hout mußte zwangsläufig den Befehl zum Abfallen geben. Unter normalen Umständen wäre die Fleute den Verfolgern zumindest ebenbürtig, wenn nicht an Schnelligkeit überlegen gewesen. Doch mit wenig mehr als der halben Segelfläche konnte sie nicht davonlaufen. Verwegene Gestalten starrten von der Pinisi herüber. Ein Blick durchs Spektiv beseitigte endgültig jeden Zweifel: die Kerle bereiteten sich auf einen Enterkampf vor. Bis die ersten Schüsse fielen und dicht hinter dem Heck der Fleute Fontänen aufstiegen, hatten die Holländer alle Feuerwaffen an Deck gemannt. Sie waren entschlossen, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.
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„Wir werden nur ein einziges Mal Gelegenheit haben, die Kanonen abzufeuern“, sagte van der Hout. „Laßt die Kerle deshalb nahe genug heran. Sie sollen an einen leichten Sieg glauben.“ Die nächsten Kugeln waren besser gezielt. Einschläge im Bereich des Achterdecks sowie knapp über der Wasserlinie sorgten für Unruhe unter der Mannschaft. „Warten!“ brüllte van der Hout, als seine Geschützmannschaften die Lunten hoben. „Die Bastarde haben es in erster Linie auf unsere Ladung abgesehen. Sie werden das Schiff nicht versenken, bevor sie alles ausgeräumt haben.“ Wieder brach eine Breitseite wie ein höllisches Donnerwetter über die Holländer herein. Das Arsenal der Piraten umfaßte offenbar nur Beutestücke. Sie verschossen Steinkugeln ebenso wie eiserne Geschosse, und die Kaliber waren vermutlich ebenfalls unterschiedlich. Unter anderen Umständen hätte van der Hout die Kanoniere auf der Pinisi deshalb bedauert. Doch sie waren nichts anderes als elende Halsabschneider, denen man besser heute als morgen mit gleicher Münze heimzahlte. Der Kapitän ließ seinen Blick über die Decks der „Hollandia“ schweifen. Zwanzig Männer, bis an die Zähne bewaffnet, standen in den Niedergängen und Luken bereit, um überraschend zuzuschlagen, sobald die Indonesier enterten. Nur der Rest der ohnehin dezimierten Mannschaft hielt sich für die Angreifer sichtbar an Deck auf. Noch knapp hundertfünfzig Schritte. Die Kerle auf der Pinisi johlten und grölten in Vorfreude der zu erwartenden Beute. Sie wußten, daß die. Holländer nicht nur Gewürze an Bord mitführten, sondern auf den Molukken wahrscheinlich auch Gold und edle Steine eingetauscht hatten, die ihnen in der Heimat einen angemessenen Wohlstand sicherten. Eine Musketensalve peitschte zur Fleute hinüber. Auf Kuhl und Back sackten mehrere Decksleute zusammen. Sogar van der Hout
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glaubte für einen Moment, daß sie getroffen worden waren. Aber dann sah er, daß sich zwei der Männer zuwinkten und ihre Pistolen bereitlegten, und begriff. Sie hatten nur dann eine Chance, den Angriff zu überleben, wenn sie die Piraten täuschen konnten. Noch dreißig Schritte. In wenigen Augenblicken würden die Enterhaken geworfen werden und kurz darauf die Bordwände der Schiffe aneinanderreiben. „Feuer!“ brüllte van der Hout. Die Kanoniere, die hinter den Lafetten ihrer Geschütze Deckung genommen hatten, senkten die Lunten auf die Zündlöcher. Drei Siebzehnpfünder brüllten auf. Der vierte hatte in der Kürze der Zeit nicht mehr ausgerichtet werden können. Nur eine der als Ladung gesetzten Kettenkugeln fand ihr Ziel. Wie die Sense des Schnitters im reifen Getreide, so hinterließ das Eisen eine deutliche Lücke in der Reihe der Angreifer. Der verfrühte Siegestaumel der Piraten verwandelte sich in blanken Haß. Aber die Holländer hatten ohnehin keine Schonung zu erwarten. Als die ersten Enterhaken in die Takelage der „Hollandia“ geschleudert wurden, entdeckte der Kapitän die Segel hinter der Pinisi. Ein drittes Schiff lag auf Kollisionskurs. Es war schon sehr nahe. Niemand, selbst die Piraten nicht, hatte noch Ausschau gehalten. Oder gehörte das Schiff zu ihnen? Gedanke entsetzte van der Hout, denn dann war alles verloren. Mit einer einzigen fließenden Bewegung spannte er den Hahn seiner Steinschloßpistole. Den Unterarm auf der linken Hand abgestützt, zielte er lange und genau, und als er abdrückte und einer der Piraten schreiend aus der Höhe auf das Deck der Pinisi stürzte, war sein Schuß zugleich das Signal für die Verteidiger. 5. »Was ist mit dir, Kekko? Du hörst uns nicht zu.“
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Besorgt und verärgert zugleich, stellte ihr Bruder die Frage. Es war unhöflich, sich in Gegenwart des hochgestellten Gastes derart zurückhaltend zu zeigen, wie die junge Frau dies tat. Aber Yoritomo, der Gesandte unter dem Halbmond des Shoguns, winkte großzügig ab. „Ich kann Kekko verstehen“, sagte er. „Sie ist erschöpft. Im übrigen wollte sie mich bestimmt nicht beleidigen.“ „Gewiß nicht, Herr“, beeilte sich Kekko zu versichern. Yoritomo lachte hell. „Du sagst Herr zu mir, wie es eine Fremde tun würde. Dabei glaube ich, stehen wir uns näher.“ Beschämt schlug die junge Frau die Augen nieder. Eine leichte Röte, die von Yoritomo als Zustimmung ausgelegt wurde, überzog ihre Wangen. Auch ohne dem Gespräch intensiv zu folgen, wußte sie, über was die Männer redeten. Während sie in Gedanken bei Agemaki und dem Schwert Tayasan weilte, hatte sie Bruchstücke aufgeschnappt, die ihr genügten, den Sinn zu verstehen. Der Grund, warum Tokugawa Ieyasu einen Vertrauten gesandt hatte, war ihr ohnehin bekannt. Es ging um Spanien, das sich möglicherweise demnächst anschickte, die pazifische Inselwelt zu erobern. Gerüchte wie dieses, das eines wahren Kerns nicht entbehrte, hatten Flügel. Schon hieß es, spanische Galeonen seien vor den RyukyuInseln gesehen worden. Ein einzelnes Schiff sollte sogar im Norden vor Hokkaido vor Anker gelegen und Missionare an Land gesetzt haben. Begonnen hatte manches damit, daß das Gesetz von 1587, das die Ausweisung aller Jesuiten aus Japan befahl, schon innerhalb kürzester Zeit vergessen war. Die Zahl der zum Christentum bekehrten Japaner wuchs danach rasch, und sie gewannen zunehmend an Einfluß. Lediglich die hartnäckigen Versuche der mit den Jesuiten rivalisierenden Franziskaner-Mönche, von den von Spanien besetzten Philippinen aus in das Inselreich einzudringen, sorgten für
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Unruhe. Allen gegenläufigen Bemühungen der Jesuiten zum Trotz landeten 1593 etliche Franziskaner in Japan. Sie schafften es sogar, von Hideyoshi freundlich empfangen zu werden. Drei Jahre lang konnten sie nahezu ungestört ihrer aggressiven Missionstätigkeit nachgehen. Aber dann strandete eine große spanische Galeone aus Manila vor der Küste der Insel Shikoku. Der Samurai von Shikoku und Hideyoshis lokaler Statthalter beanspruchten gleichermaßen die reiche Ladung des Schiffes, und in dem sich daraus entwickelnden Streit, beging einer der Offiziere den entscheidenden Fehler, dem Shogun zu drohen. Er verlangte die Rückgabe der gesamten Fracht, andernfalls würde der König von Spanien Japan erobern. Unseligerweise verschwieg er in seinem Zorn auch nicht den oft geübten Brauch, den Weg spanischer Eroberer von Missionaren ebnen zu lassen. Hideyoshi reagierte auf die einzige ihm mögliche Weise: er verurteilte die Franziskaner zum Tod am Kreuz. Am 5. Februar 1597 wurden in Nagasaki sechs Mönche und siebzehn ihrer japanischen Schüler gekreuzigt. In der Folgezeit schien es, als beabsichtige Hideyoshi, das Christentum vollends auszurotten. Das er jedoch die Jesuiten brauchte, um den für beide Seiten gewinnbringenden Handel mit portugiesischen Schiffen weiterhin zu fördern, ließ die Verfolgung bald nach. Als er 1598 starb, erhielten die Christen eine weitere Atempause. Der Nachfolger Hideyoshis, wenngleich angeblich nur befristet, wurde Tokugawa Ieyasu, sein früherer Verbündeter und Stellvertreter in den östlichen Provinzen Hondos. Er übernahm den Vorsitz eines Regentschaftsrates, der im Namen von Hideyoshis fünfjährigem Sohn regierte. Dennoch war es nur eine Frage der Zeit, bis Ieyasu den rechtmäßigen Herrscher absetzen und sich, jetzt 58jährig, vom Kaiser zum Shogun ausrufen lassen würde.
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Ieyasu duldete das Christentum, begünstigte es aber nicht. Wie Hideyoshi lag ihm viel an europäischem Wissen und Handel, und eine Verfolgung der Jesuiten hätte sich nachteilig ausgewirkt. Andererseits gaben ihm Berichte über blutige Religionskriege in Europa zu denken, die bis nach Japan drangen. Es hieß, daß seit einigen Jahren die tatkräftigen niederländischen Protestanten die Seemacht der katholischen Länder Portugal und Spanien herausforderten. Den Ausschlag für das geplante Unternehmen, über dessen Bedingungen Yoritomo und Kiyomuri verhandelten, gab die Landung eines niederländischen Schiffes in der Beppu-Bucht auf Kyushu. Die Jesuiten in Nagasaki, entsetzt über die Nähe der holländischen Ketzer – der Rothaarigen, wie sie von den Japanern genannt wurden –, beschworen die Behörden, alle Protestanten als Ketzer zu kreuzigen. Tokugawa Ieyasu verlangte weitere Informationen, die am besten dort beschafft werden sollten, wo Holländer und Portugiesen seit langen Jahren ihre Stützpunkte ausbauten. Die Wahl, an Bord eines Schiffes nach Süden aufzubrechen, war auf den Samurai Kiyomuri und seine Krieger gefallen. „ … ein Erfolg wird dich zu einem der angesehensten Männer in den Diensten des künftigen Shoguns werden lassen“, sagte Yoritomo. „Ich bin sicher, daß niemand besser geeignet ist, mit nur einem Schiff aufzubrechen und zudem mit heiler Haut zurückzukehren.“ Eine Geisha füllte die vor ihnen stehenden Schalen mit Reiswein nach. Während Yoritomo trank, bedachte er Kekko mit unmissverständlichen Blicken. „Wir sind Freunde“, sagte er, nur halb an Kiyomuri gewandt. „Ich würde es begrüßen, könnte eines Tages mehr daraus werden. Euer Schaden soll es nicht sein.“ Der Samurai nickte zögernd. „Kekko wird mich begleiten“, erwiderte er. „Das stand von Anfang an fest. Mitunter vermag eine Frau mehr auszurichten als fünf der bestgerüsteten Krieger.“
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Yoritomo deutete eine sanfte Verbeugung an. „Ich hoffe, dich gesund wiederzusehen, Kekko. Du bist mehr als eine exzellente Kämpferin mit Schwert und Lanze — dein Name verspricht nicht zuviel.“ Er hatte recht, denn Kekko bedeutete soviel wie prächtig. „Ich weiß mich zu verteidigen“, entgegnete die junge Frau ausweichend. “Nur erwarte von mir keine Antwort, wann unser Schiff wieder in den Heimathafen einlaufen wird.“ Yoritomos Blicke verrieten seine Absicht, zu warten. Sein Äußeres entsprach zwar nicht dem Schönheitsideal, doch gab es Eigenschaften, die mehr zählten. Reichtum und Macht konnte er bieten. Ein wenig überstürzt bat Kekko, sich zurückziehen zu dürfen. Ihre Gefühle verwirrten sie. Sie dachte an Agemaki und an das Schwert Tayasan und daran, daß auch sie nun eine Kriegerin war. Es war nicht gut, als Samurai eine feste Beziehung einzugehen, erst recht nicht in unsicheren Zeiten. * Harmonisch fügte sich die Pagode in die Landschaft ein. Ihre fünf geschwungenen Dächer symbolisierten die Elemente des Alls: die Erde, das Wasser, das Feuer, den Wind und den Himmel. Aber Kekko blieb nur kurz vor dem jahrhundertealten Bauwerk stehen. Der sanfte Wind trug ihr den Duft von Räucherstäbchen entgegen. Ihr Ziel war der kleine Ahornwald mit dem Grab Agemakis. Keineswegs hastig überquerte sie die geschwungene hölzerne Brücke, die sie trockenen Fußes über einen Seerosenteich gelangen ließ. Auf der anderen Seite sorgten die mächtigen Ahornbäume mit ihren weitausladenden Kronen für nahezu immerwährenden Schatten. Steinlaternen flankierten das Grab. Die ebenfalls steinerne Buddhastatue bewachte den Schlaf der Toten. Kekko verharrte in stummer Andacht. Sie konnte nicht an
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Bord des Schiffes gehen, ohne zuvor Agemakis Geist um Beistand zu bitten. Doch jetzt fehlten ihr die Worte. Sie griff nur nach dem Schwert, das sie fortan stets über ihrer Schulter tragen würde. Ebenso stumm wandte sie sich nach einer Weile um. Agemakis Name war der einer tapferen Kriegerin – eines Tages würde hoffentlich auch Kekko solche Ehre widerfahren. * Die „Morgenröte“ war kein überwältigend großes, jedoch ein schnelles und leicht zu segelndes Schiff. Als Kekko an Bord ging, dachte sie an die Worte eines adligen Samurais aus dem 12. Jahrhundert, der die Todesverachtung der Kriegerkaste treffend beschrieben hatte: „Ich stellte mich den Gefahren des Windes und der Wellen und dachte nicht daran, daß mein Körper auf den Grund des Meeres versinken und von den Ungeheuern der Tiefe verschlungen werden können. Mein Kopfkissen war meine Rüstung, die Führung der Waffen mein Beruf ...“ Die Mannschaft bestand aus achtzehn erfahrenen Seeleuten, die das Ost- und Südchinesische Meer ebenso gut kannten wie die Buchten von Honshu. Es war an Bord eng geworden. Die doppelte Menge Proviant als sonst üblich lagerte in den unteren Räumen. Hinzu kam die Ausrüstung von fünfzehn Samurais, die außerdem mehr Platz für sich selbst beanspruchten als den Seeleuten zur Verfügung stand. Auf ausdrückliche Anordnung von Tokugawa Ieyasu wurden Kiyomuris Krieger von einem Portugiesen begleitet – einem Jesuitenpater. Niemand verstand, warum das so sein mußte. Die Begründung, seine Vermittlertätigkeit könne sich als nutzbringend erweisen, erschien Kekko weit hergeholt. Kiyomuri sprach zwar nicht darüber, aber sie konnte seiner Miene ansehen, daß er kaum anders dachte. Ieyasus Forderung basierte auf Gründen, die zumindest zur Zeit niemand durchschaute.
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Zwei Wochen brauchte die „Morgenröte“, um das Ostchinesische Meer zu durchqueren und die Philippinen zu erreichen. Während dieser Zeit wurden keine anderen Schiffe gesichtet. Dabei war Macao eine portugiesische Missions- und Handelsniederlassung, von der aus Karavellen nach Osten vorstießen. Kiyomuri hatte sich bewußt entschieden, nicht entlang der chinesischen Küste zu segeln. Spanier und Holländer würde er dort ohnehin kaum vorfinden. Westlich der Philippinen-Insel Mindanao geriet die „Morgenröte“ in eine anhaltende Schlechtwetterfront. Stürme aus rasch wechselnden Richtungen peitschten die Wellen mehrfach mannshoch auf und trieben das Schiff unkontrolliert vor sich her. Nicht mal die Sturmsegel hielten dem Winddruck lange stand und mußten geborgen werden. Kekko glaubte, das Sterben ginge los. Anfangs war sie noch krampfhaft bemüht, jede Übelkeit zu unterdrücken und allen Widernissen zum Trotz das Oberdeck nicht zu verlassen, aber dann konnte sie das drängende Würgen nicht mehr zurückhalten, das scheinbar ihr Innerstes nach außen kehrte. Jeder Samurai lernte, Hunger und Schmerzen zu ignorieren, doch die Erfahrung, die Kekko nun machte, so völlig anders als alles zuvor. Selbst der leere Magen rebellierte noch. Der einzige, dem der Sturm nichts anzuhaben schien, war Kiyomuri. Er bewegte sich an Deck, als wäre er inmitten der tobenden und brüllenden Elemente aufgewachsen. Je mehr die anderen litten, desto mehr wuchs er sich selbst hinaus. Drei Tage lang trieb die „Morgenröte“ von einer Gewitterfront in die nächste. Dann brannte übergangslos wieder die Sonne vom Himmel. Der Sturm hatte das Schiff weit nach Südsüdwesten verschlagen. Die Makasarstraße zwischen den Inseln Kalimantan im Westen und Sulawesi im Osten war nahe. Kiyomuri entschied, den neuen Kurs beizubehalten und die Javasee anzulaufen.
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Erstmals wurden mehrere Schiffe gesichtet, jedoch näherte sich keines der „Morgenröte“ weiter als bis auf eine halbe Meile. Es handelte sich nur um kleinere Praus, die zwischen den Inseln verkehrten. Holländische Fleuten, spanische Galeonen oder portugiesische Karavellen – anhand eigens angefertigter Zeichnungen hatte der Samurai gelernt, die Schiffstypen voneinander zu unterscheiden - waren nicht dabei. Das änderte sich schlagartig, als die „Morgenröte“ wieder in Landnähe geriet.. Der Ausguck meldete zwei Schiffe voraus. „Küstenpiraten“, sagte Leon Soares, der Jesuitenpater, keineswegs sonderlich überrascht. „Und ein Schiff der Holländer. Dem Tiefgang nach zu schließen, hat es schwer geladen. Gewürze, vermute ich.“ Der Kapitän der „Morgenröte“ reichte das Fernglas an Kiyomuri und der dem Pater weiter. „Wer wird das bevorstehende Gefecht gewinnen?“ fragte der Samurai. Leon Soares warf nur einen flüchtigen Blick durch den Kieker, bei dem es sich ohnehin um ein Geschenk portugiesischer Seeleute an die Japaner handelte. „Die Piraten, denke ich“, sagte er schnell. „Sie haben vielleicht nicht die besseren Geschütze, aber auf jeden Fall die kampfstärkere Mannschaft. Und ihr Schiff ist schneller und wendiger als die bis über das Freibord beladene Fleute. Die Holländer waren schon immer überaus profitgierig. Dabei steht geschrieben ...“ Den Samurai interessierte nicht, was Soares noch sagen wollte. Die Bibel der Christen war für ihn ein Buch wie viele andere und bedeutungslos für die Ziele des Shoguns. Einzig und allein das Schiff der Rothaarigen zählte im Moment. Gab es eine bessere Gelegenheit, mit ihnen Kontakt zu knüpfen? „Wir müssen eingreifen“, sagte er. Leon Soares wehrte spontan ab: „Das halte ich für einen schweren Fehler. Wir hätten nicht nur die Piraten, sondern auch die Holländer gegen uns.“
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Auf beiden Schiffen wurde bereits geschossen. Kiyomuri sah, daß die Fleute eine Reihe von Treffern hinnehmen mußte. „Eine günstigere Gelegenheit erhalten wir nicht wieder“, sagte Kekko. Sie hatte recht. Mit einer unwilligen Handbewegung überging ihr Bruder die Einwände des Jesuiten. Mit schäumender Bugwelle blieb die „Morgenröte“ weiter auf Kurs. Die Pinisi der Piraten schob sich indessen von achtern an die Fleute heran und ging längsseits. An Deck des Holländers entbrannte ein erbitterter Kampf Mann gegen Mann. Die Rothaarigen :-waren jedoch nicht so hilflos, wie es anfangs den Anschein gehabt hatte. Von einem Moment zum anderen verdoppelte sich ihre Zahl, und mit Pistolen und Musketen töteten sie viele Piraten. Der Samurai nickte anerkennend. Er hätte den Angreifern ebenfalls eine Falle gestellt und kaum anders gehandelt. Er nahm an, daß die Hälfte der Holländer in den Niedergängen verborgen gewartet hatte. Die „Morgenröte“ schloß auf. Bis- ihre Annäherung bemerkt wurde, war sie schon auf weniger als zehn Schiffslängen heran. Einzelne Musketenschüsse von Bord der Pinisi galten den Samurais, konnten sie aber auf die Distanz nicht gefährden. Kiyomuri und seine Männer warteten in voller Rüstung. Kekko, die ohne sichtbare Regung ihrer ersten Bewährung entgegensah, hatte allerdings auf die Beinschienen ebenso wie auf den Helm mit Schirm und gepanzertem Nackenschutz verzichtet. Für den Kampf wählte sie zunächst eine kurzschäftige Schwertlanze. Das namenlose Schwert trug sie nach wie vor über der Schulter. Zeit, ihre Geschütze abzufeuern, blieb den Piraten nicht. Ohnehin befanden sich an Bord der Pinisi höchstens noch zehn der verwildert wirkenden Kerle. Als Bordwand an Bordwand schrammte, feuerten sie ihre letzten Musketen ab und stellten sich mit Entermessern, Degen und Schwertern zum Kampf.
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Gegen Kiyomuris Samurais hatten sie keine Chance. Kekko wechselte als erster mit einem geschickten Sprung auf die tiefer liegende Pinisi über. Ihre Schwertlanze erwies sich als tödliche Waffe. Kraftvoll geführt, stoppte sie zwei Angreifer, ehe diese richtig begriffen, wie ihnen geschah. Der Ausdruck des Triumphs in ihren Gesichtern wich ungläubigem Erstaunen. Ein spitzbärtiger Kerl stellte sich Kekko entgegen. Dem Aussehen nach war er Chinese. „Ich werde dich töten, Weib!“ stieß er auf japanisch zwischen den Zähnen hervor. Daß er die Kunst des Kämpfens beherrschte, bewies die Art, wie er beidhändig zwei Schwerter führte. „Laßt sie!“ hörte Kekko die Stimme ihres Bruders. Für einen Augenblick, als die Samurais an ihr vorbeistürmten, wurde sie abgelenkt. Der Spitzbärtige drang mit einer geschickten Drehung auf sie ein, und nur ihrer instinktiven Reaktion verdankte sie, daß nicht beide Klingen ihren Oberkörper ritzten. Kekko parierte mit dem Schaft der Lanze und rammte dem Kerl das stumpfe Ende zwischen die Schulterblätter. Er taumelte, trat zwei Schritte weiter nach vorn, als es seine Absicht gewesen war, und brachte sich damit selbst um seine günstige Position. Kekko setzte sofort nach. Hart prallten die Klingen aufeinander. Die Samurai versuchte nun ihrerseits, die - Deckung des Piraten zu durchbrechen, doch er war nicht minder flink und schien jeden ihrer Hiebe im voraus zu ahnen. Geifer tropfte zwischen seinen Zahnlücken hervor und durchnässte den struppigen Spitzbart. Hätte er zudem noch zwei Hörner und einen Bocksfuß gehabt, Kekko wäre der Versuchung erlegen, ihn mit dem Gottseibeiuns zu vergleichen, von die Jesuiten oft in größter Erregung sprachen. So aber war er nur ein hässlicher, widerwärtiger Kerl, der sie in übelster Weise beschimpfte, um sie zu reizen.
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Nach dem ersten Schlagabtausch änderte sie ihre Taktik, umfaßte den Lanzenschaft mit beiden Händen in der Mitte und stieß abwechselnd mit beiden Enden zu. Auf die Weise trieb sie den Kerl vor sich her zur Bordwand, bis er merkte, daß er nicht weiter zurückweichen konnte, und sich mit einem wilden Aufschrei auf sie stürzte. Das Schwert in seiner Rechten verfehlte Kekkos Gesicht nur um Haaresbreite. Doch ehe er die Drehung vollenden und mit der anderen Waffe den geplanten tödlichen Stoß anbringen konnte, fuhr Kekkos Lanze zwischen seine Beine und brachte ihn zu Fall. Sein eigener Schwung ließ ihn den Halt verlieren. Rücklings auf die Planken stürzend, versuchte er, sich über die Schultern abzurollen, doch Kekko reagierte blitzschnell. Dem Piraten blieb nicht mal Zeit für einen Aufschrei, als die Lanze seine Brust durchbohrte und ihn festnagelte. Kekko hastete weiter, ohne noch einen Blick an den Chinesen zu verschwenden. Im Laufen zog sie ihr Schwert. Vor ihr fielen Schüsse. Sie achtete nicht darauf, sondern folgte Kiyomuri und seinen Samurais auf die Fleute. Die Piraten standen inzwischen auf verlorenem Posten. Für sie hatte sich das Blatt gewendet. Nicht nur, daß ihnen die Japaner den Weg zurück auf ihr Schiff versperrten, einige Holländer fanden mittlerweile Gelegenheit, die Pistolen nachzuladen. Kekkos Haarknoten hatte sich gelöst. Das lange Haar umwehte sie wie eine Fahne, behinderte sie aber nicht. Mit blitzschnellen Hieben streckte sie zwei weitere Gegner nieder, deren schwache Gegenwehr deutlich die aufkeimende Panik erkennen ließ. Einige Kerle suchten ihr Heil in der Flucht und sprangen kopfüber außenbords. Sie schafften es jedoch nicht bis an Land, das ohnehin erst als schmale Silhouette am Horizont zu erkennen war. Urplötzlich und keine fünfhundert Schritte von der Fleute entfernt, tauchten zwei
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Dreiecksflossen auf. Vermutlich hatte das Blut Verwundeter die Haie angelockt. Kekko sah, wie einer der Piraten lautlos verschwand. Der Mann ruderte nicht mal mit den Händen, er war einfach von einem Moment zum anderen nicht mehr da. Die übrigen Kerle begannen zu schreien und um sich zu schlagen. Es half ihnen wenig, denn die gierigen Räuber holten einen nach dem anderen. * Achtzehn Holländer hatten das Massaker an Bord der „Hollandia“ überlebt. Die Toten lagen überall an Deck der Fleute. „Wir danken für euer Eingreifen“, sagte Kapitän van der Haut zu den Japanern. Zu mehr war er noch nicht fähig. Einer der japanischen Seeleute, der mehrere Monate an Bord eines portugiesischen Schiffes verbracht hatte, übersetzte seine Worte. Leon Soares, der ebenfalls als Dolmetscher hätte dienen können, war auf der „Morgenröte“ zurückgeblieben, weil er das sinnlose Blutvergießen verabscheute. Gemeinsam mit den Samurais warfen die Holländer die toten Piraten ins Meer. Daß sich nach einiger Zeit Haie vor der Fleute tummelten, interessierte niemanden. Über mangelnde Arbeit konnte sich der Segelmacher in nächster Zeit nicht beklagen. Die Toten aus der eigenen Mannschaft sollten ein ehrenvolles Seebegräbnis erhalten. Gemeinsam mit drei Decksleuten begann er, Segeltuch auf die passende Größe zuzuschneiden und die sterblichen Überreste der Männer einzunähen. Das war keine angenehme Tätigkeit. Inzwischen durchsuchten die anderen die Pinisi. Die Ausbeute war gering. An Bord des Piratenschiffes gab es weder Schätze noch brauchbare Nahrungsmittel. Die knappen Wasservorräte deuteten darauf hin, daß die Kerle ihren Schlupfwinkel in der Nähe hatten. Lediglich Waffen aller Art und Pulver waren vorhanden. Einige Fässer wiesen eingebrannte holländische Namen auf.
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Also war die „Hollandia“ nicht das erste Gewürzschiff, das den Piraten in die Hände fiel. „Hoffentlich schmoren sie in der tiefsten Hölle!“ Bootsmann Ruyter spie wütend aus. Die Japaner wollten die Kanonen und das Pulver ebenso wenig wie die Rothaarigen. Also wurden die Enterhaken und Taue gekappt, die die Pinisi mit der Fleute verbanden, und das Schiff seinem Schicksal überlassen. Wenn es nicht strandete, würde es in einem der nächsten Stürme sinken. Anfangs beschränkten sich die Kontakte zwischen Japanern und Holländern auf den Austausch von Höflichkeitsfloskeln. Auf beiden Seiten wurde zwar spürbar, daß man sich mehr erhoffte, doch vorerst hielt sich jeder zurück. Kiyomuri und seine Samurais, weil sie wußten, wie wichtig den Holländern die Bestattung ihrer Toten war, van der Houts Männer, weil sie ohnehin alle Hände voll zu tun hatten. Knapp zwei Stunden vergingen, bis die Decks der „Hollandia“ aufgeklart und alle Toten in Segeltuch eingenäht und der Kuhl aufgebahrt waren. „Gott wollte, daß diese Männer ihre Heimat nicht wiedersehen“, sagte Kapitän van der Hout, „aber er hat uns auch vor dem gleichen Schicksal bewahrt. Deshalb laßt uns nicht hadern, sondern seinen Namen preisen. Wir wurden von der Verdammnis errettet.“ Er gab den bereitstehenden Decksleuten ein Zeichen, daß sie beginnen sollten, die Toten über Bord zu geben. Als der erste Leichnam in Wellen eintauchte und sofort absackte, fuhr er fort: „Der Friede des Herrn begleite euch.“ „Amen“, murmelte die Mannschaft. Lauernd zogen die Haie enger werdende Kreise um die „Hollandia“. Als alles vorbei war, sagte Ruyter: „Das Eingreifen der Japaner ist mehr wert, als die verlorene Ladung der ‚Gouda’. Sie warten, also wollen sie etwas von uns.“ Er grinste auffordernd. „Und wir wollen einiges von ihnen. Das Schiff ist ein Geschenk des Himmels. Wenn wir es
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geschickt anstellen, können wir vielleicht eine dauerhafte Handelsbeziehung herstellen. Gerüstete Krieger wie diese dienen immer einem hohen, wohlhabenden Herrn.“ „Hast du die Jesuiten gesehen?“ fragte van der Hout. Ruyter nickte zögernd. „Seine Anwesenheit gefällt mir nicht“, sagte der Kapitän. „Erst recht die Art, wie er uns gemustert hat. In seinem Blick liegt Falschheit.“ „Sie Meinen, Mijnher, der Pater hätte uns lieber den Piraten überantwortet?“ „Ich meine, wir sollten ihn nicht aus den Augen lassen. Traue einem Portugiesen nur so weit, wie du ihn auch sehen kannst.“ 6. Zwei Männer und eine Frau lagen zwischen den Duchten der Jolle. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, ob sie tot waren oder nur die Besinnung verloren hatten. Mit Eisenketten waren alle drei an die Ruderbänke gefesselt. Die sengende Hitze hatte ihre Haut verbrannt, die sich, einem Geschwür gleich, großflächig abzulösen begann. Überall, auch auf dem hervortretenden nackten Fleisch, hatte das Seewasser Verkrustungen hinterlassen. Dan O'Flynn fragte sich, wann die drei in dem Boot ausgesetzt worden waren, vor allem, warum. Die Bärte der Männer wirkten verwahrlost, ihre Wangen waren eingefallen, und die Augen lagen tief in den Höhlen. „Was ist los?“ fragte Jung Philip, der nur noch wenige Schritte vor der Jolle stand, aber dennoch nicht erkennen konnte, was Dans Aufmerksamkeit so sehr beanspruchte. „Dan sieht ungefähr so aus wie sein ehrenwerter Dad, wenn er ein paar Knochengerippe entdeckt hat“, spottete Jung Hasard. „Damit spaßt man nicht!“ erwiderte Dan O'Flynn schroff. „Ihr wißt nicht, wovon ihr redet.“
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Die Frau bewegte sich. Für einen. Moment ruhte der Blick ihrer klaren blauen Augen auf ihm. Danach bewegte sie die Lippen. Aber nur ein heiseres Stöhnen war zu vernehmen. „Sie lebt“, sagte Dan überrascht. „Wer, verdammt?“ Auf der glitschigen, vom Wasser überspülten Felsplatte hätte Philip beinahe den Halt verloren. Um das Gleichgewicht zu bewahren, ruderte er mit den Armen, als wären sie Windmühlenflügel. Trotzdem war sein Zwillingsbruder vor ihm bei der Jolle. „Donnerwetter!“ entfuhr es Jung Hasard. Er hatte einen Blick für schöne Frauen – wie wohl die meisten jungen Männer in seinem Alter. Obwohl der Sonnenbrand und die Salzkrusten der Schönheit Abbruch taten, bewunderte er die ebenmäßigen Züge der Frau. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Sie mochte Mitte Zwanzig sein, vielleicht auch schon Anfang Dreißig. Das schulterlange blonde Haar war verdreckt und von der Sonne ausgebleicht, ließ aber dennoch seine frühere samtweiche Fülle erahnen. Die Frau trug einen knöchellangen roten Rock, der allerdings wie ein nasser Sack an ihr klebte. Aber schließlich war der Boden der Jolle gut eine Handbreite hoch mit brackigem Wasser bedeckt. Die Leinenbluse war zerrissen und gab ihre imposante Oberweite frei. Auch an den normalerweise nicht der Sonne ausgesetzten Stellen schälte sich die Haut ab. „Vergaff dich nicht, Bruderherz!“ sagte Philip junior spöttisch. „Bevor du tatenlos herumstehst, solltest du versuchen, die Jolle über den Fels zu ziehen. Anders können wir den dreien vorerst nicht helfen. Oder kannst du die Ketten ohne Werkzeug lösen?“ „Wir kennen sie nicht“, sagte Hasard schwach. „Natürlich nicht.“ Philip äffte seinen Tonfall ziemlich genau nach. „Das ist meistens so. Willst du deshalb deine Hilfe verweigern?“
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„Ich wollte nur sagen, daß wir nicht zu vertrauensselig sein sollten“, rechtfertigte sich Hasard. „Die drei sind wahrscheinlich überglücklich, wenn wir ihnen nichts tun“, bemerkte Dan O'Flynn. Zitternd bewegte die Frau die Lippen. „Wasser!“ hauchte sie. „Habt ihr das gehört?“ Jung Hasard war völlig perplex. „Sie ist am Verdursten“, erwiderte Philip. „Oder hast du etwas anderes erwartet?“ Er packte nun ebenfalls mit an, und als Dan von der anderen Seite her schob, schafften sie es, die Jolle über die nur wenig vom Wasser überspülte Felsplatte zu ziehen. „Sie spricht englisch“, sagte Hasard. „Das tut Don Juan auch.“ „Dem Tod näher als dem Leben, redet niemand in einer fremden Sprache. Also muß sie Engländerin sein.“ „Ehrlich gesagt, ist mir das momentan völlig egal.“ Ruckartig löste sich der Kiel des Bootes und schleifte über den Fels. Philip hätte beinahe den Halt verloren und wäre in eine der tückischen, scharfkantigen Spalten gerutscht. Im letzten Moment konnte er sich herumwerfen und krachte schwer gegen das Dollbord. Vorübergehend rang er nach Luft und hielt sich mit beiden Händen den geprellten Brustkorb. Endlich warf ihnen Clint eine Leine zu, die sie mit mehreren Schlägen an der vorderen Ducht belegten. Don Juan de Alcazar legte sich kräftig in die Riemen ihrer eigenen Jolle, Dan schob am Heck des Bootes, und die Zwillinge zerrten seitlich. Auf diese Weise schafften sie es, das Boot in tieferes Wasser zu bugsieren. Die Frau war inzwischen wieder hellwach. Ihre Blicke folgten den Arwenacks. Von der Schebecke konnte sie aber noch nichts sehen. Hasard deutete zu dem Dreimaster, der in sicherer Entfernung vor den Riffen im Wind lag. „Bin gespannt, was unsere Leute sagen“, murmelte er. „Zu der Frau?“ fragte Philip.
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Diesmal war es Hasard zu dumm, darauf zu antworten. Er schwang sich vor seinem Bruder und Dan wieder in die eigene Jolle und griff, immer noch schweigend, nach den Riemen. A der Kuhl der Schebecke hatte sich mittlerweile fast die gesamte Crew versammelt. „Dan O'Flynn hat sich wieder ein Weib geangelt!“ rief der Profos so laut, daß es die Bootsgasten unmöglich überhören konnten. „Wenn das so weitergeht, müssen wir auf ihn aufpassen!“ Schallendes Gelächter folgte der Bemerkung. Nur einer protestierte. Das war Old Donegal Daniel O'Flynn. Leider verstand Dan nicht, was sein Vater sagte. Das Boot wurde an Deck gehievt. Dann erst begann Big Old Shane, die Ketten zu lösen. Er verwünschte die Strolche, die es fertig brachten, Menschen so auf Gedeih und Verderb an ein Boot zu fesseln. „Egal, was die drei verbrochen haben“, schimpfte er, „ein Strick wäre dreimal besser als diese Quälerei.“ Breite Eisenmanschetten umschlossen die Handgelenke, und jede wurde von zwei dicken Splinten festgehalten. Als Shane mit Hammer und Spitzeisen versuchte, die Stifte durch die Ösen zu treiben, schrie die Frau auf. Längst waren ihre Gelenke wundgerieben und verkrustet, und jeder Schlag schmerzte sie mehr. „Shane, warte!“ esagte der Kutscher. „Es muß sein.“ „Warte trotzdem.“ Der Kutscher, der an Bord die Funktion des ersten Kochs und zugleich Feldsehers ausübte, setzte der Frau eine Öskelle voll Wasser an die Lippen. Sie trank gierig, verschluckte sich und mußte husten, und das meiste Wasser durchnäßte nur ihre Bluse. Der Kutscher steckte ihr anschließend einen zusammengerollten Lederstreifen zwischen die Zähne. „Beiß so fest zusammen, wie du kannst“, sagte er. „Das läßt die Schmerzen erträglicher werden.“ Sie nickte dankbar, Also verstand sie ihn.
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Während Old Shane fortfuhr, die Ketten zu lösen, holten der Kutscher und Mac Pellew die beiden Männer ins Bewußtsein zurück. Sie ebenfalls für Engländer zu halten, fiel schwer. Ihre Äußeres wirkte eher südländisch. 42 Wahrscheinlich waren sie Italiener oder Griechen. * Don Juan und Mac Pellew halfen zunächst der Frau unter Deck und später den beiden Männern, die es zwar aus eigener Kraft versuchten, dabei aber fast kopfüber den Niedergang hinuntergestürzt wären. Der Kutscher kochte indessen eine kräftige Fleischbrühe, die er allerdings nicht so heiß auf den Tisch brächte, wie er es sonst tat. Zufrieden stellte er fest, daß es jedem schmeckte. „Langsam“, sagte er mahnend. „Ich weiß nicht, wie lange ihr nichts mehr gegessen habt.“ „Ich weiß es selbst nicht“, erwiderte die Frau stockend. „Vielleicht vier Tage. Wo sind wir hier?“ „In Sicherheit“, sagte der Seewolf. Sie legte die Stirn in Falten und musterte ihn verwirrt. „Ein englisches Schiff?“ „So ist es.“ „Ich habe nicht gehört, daß Engländer ... Vor Java segeln doch nur Portugiesen und die verdammten Jans.“ „Wer sind Sie?“ fragte Philip Hasard Killigrew. „Ich?“ Für einen Moment verlor sich ihr Blick versonnen in weiter Ferne. „Ireen Williams ist mein Name. Ich stamme aus Clacton on Sea, das ist nördlich von London ...“ „Ich weiß“, sagte der Seewolf. „... aber das ist wohl eine Ewigkeit her.“ „Wer hat Sie auf See ausgesetzt, Ireen? Und vor allem, warum?“ „Wer?“ Sie schnaubte laut. „Diese verfluchten Holländer, die sich einbilden, überall ihre Finger reinstecken zu müssen.“ Das Sprechen fiel ihr zunehmend leichter.
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„Und warum, das werden Sie nicht verstehen. Eist besser, wenn ich Sie damit nicht belästige.“ „Der Meinung bin ich ganz und gar nicht“, widersprach der Seewolf. „Als Kapitän dieses Schiffes habe ich zwangsläufig ein Recht darauf ...“ „Nein!“ sagte die Frau entschieden. „Das haben Sie nicht. Meinetwegen setzen Sie uns wieder aus, aber erwarten Sie nicht, daß einer von uns über die Vergangenheit redet.“ „Lieber sterben Sie?“ fragte Don Juan de Alcazar verblüfft. „Ist es das wert?“ Ireen Williams schwieg. Vor sich hin starrend, löffelte sie die Brühe aus. Die beiden Männer, von denen die Arwenacks noch nicht die Namen kannten, schienen von dem teilweise erregt geführten Disput nichts verstanden zu haben. Jedenfalls gaben. sie sich so unbeteiligt, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, daß sie jemand aus dem Bach fischte und ohne zu fragen an Bord nahm. Das war die Art und Weise, mit der man sich Läuse in den Pelz setzte. „Gut“, sagte der Seewolf. „Ich will nicht unmenschlich sein. Deshalb erhalten Sie genügend zu essen und zu trinken, aber danach werden Sie wieder an Ihre Jolle gekettet und der See übergeben.“ Der Frau war anzumerken, daß sie nicht mit einer solchen Wende gerechnet hatte. Für einen Moment sah es aus, als wolle sie etwas sagen, doch dann gewann ihr Stolz wieder die Oberhand. Trotzig starrte sie in die Runde. „Dad“, Jung Hasard intervenierte kaum weniger überrascht, „das kannst du nicht tun.“ „Wer will es mir verbieten?“ erwiderte sein Vater schroff. „Wir tun lediglich, als hätten wir die drei nie gesehen. Die Strömung wird das Boot ohnehin weiter auf See hinaustreiben.“ Der Kutscher bedeutete dem Seewolf, daß er ihn unter vier Augen sprechen wollte. Nacheinander stiegen sie den Niedergang zur Kuhl hoch.
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Der Kutscher stand schon am Schanzkleid und starrte in die Wellen, als Hasard neben ihn trat. „Die drei waren einige Tage ohne Wasser und schutzlos der sengenden Sonne ausgesetzt“, erklärte er. „Unter diesen Umständen wäre es wenig verwunderlich, wenn sie – nun ja – nicht mehr alle Mucks im Schapp hätten. Ich nehme nicht an, daß es dir mit deiner Drohung ernst war.“ „Und wenn doch?“ Der Kutscher schüttelte den Kopf. „Es widerstrebt mir zu glauben, du könntest dich an Wehrlosen vergreifen.“ „Die drei waren mit Ketten ans Boot gefesselt. So werden Verbrecher oder Meuterer behandelt. Ich will wissen, was sie verbrochen haben, ehe ich sie womöglich für einige Tage an Bord aufnehme.“ Nachdenklich kratzte sich der Seewolf am Kinn. „Sie waren kaum länger als drei oder vier Tage in dem Boot?“ „Ausgeschlossen. Sie wären verdurstet.“ „Unsere Karten verzeichnen die Hauptströmungen entlang der Küste. Die Windrichtung während der genannten Zeit können wir nur schätzen, das aber wohl einigermaßen zutreffend. Ich bin überzeugt, auf die Weise finden wir wenigstens annähernd heraus, was wir wissen wollen.“ * Ein Glasen später tippte Dan O'Flynn wieder mit dem Finger auf die ausgebreitete Seekarte. „Das Boot könnte in der Nähe von Surabaja ausgesetzt worden sein. Bisher stimmt die . Strömungsrichtung mit den Eintragungen überein. Auch die Entfernung stimmt ungefähr. Zweieinhalb Tage bei mäßiger Fahrt. Mehr kann ich leider nicht sagen.“ „Das ist mehr, als ich zu hoffen wagte“, erwiderte der Seewolf. „Alles weitere wird sich zeigen.“ „Willst du die drei wirklich ihrem Schicksal überlassen?“ erkundigte sich Dan zögernd. „Sie sehen nicht aus wie Verbrecher, die eine Bestrafung verdient
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hätten. Außerdem ist die Frau Engländerin.“ „Was das eine mit dem anderen zu tun hat, verstehe ich nicht“, erwiderte der Seewolf. „Im übrigen bist du schon der zweite, der das von mir wissen will. Ich erfahre also endlich, was die Crew von ihrem Kapitän hält.“ „Beileibe nicht die Crew, Sir.“ „Du, der Kutscher und offenbar auch mein Sohn Hasard. Könnte es sein, daß euch der Gedanke in Unruhe versetzt, eine Frau an Bord zu haben?“ Dan O'Flynn wollte spontan abwehren, gelangte jedoch nicht über den Ansatz der entsprechenden Geste hinaus. „Vielleicht“, sagte er und zuckte mit den Schultern. „Beunruhigend ist aber eher die Annahme, sie könnte uns verlassen, ehe sie wieder gesund ist. Sie muß eine Schönheit gewesen sein, bevor die Sonne ihr Gesicht verbrannte.“ Ein verhaltenes Zucken umspielte Hasards Mundwinkel. „Es wird Zeit, daß wir in die Karibik zurückkehren“, sagte er und schickte sich an, die Kammer zu verlassen. „Sonst lauft ihr jungen Burschen bald jedem Weiberrock hinterher, der vom Wind vorbeigeweht wird.“ Dan O'Flynn hätte gern gewußt, wie ernst der Kapitän die Behauptung meinte. Aber da Hasard an Deck eilte, blieb ihm seine Miene verborgen. Er sah nicht, daß in den eisblauen Augen der Schalk blitzte. Der Seewolf winkte den Profos zu sich. „Du weißt, was du zu tun hast?“ „Aye, Sir.“ Edwin Carberry reckte sein mächtiges Rammkinn und verdrehte dabei die Augen, daß es jedem, der ihn nicht kannte, grausen mußte. Big Old Shane stand bereit, der Frau und ihren südländischen Gefährten die Ketten wieder anzulegen. Im Gegensatz zu Dan O'Flynn wußte er, wie weit der Seewolf das Spiel zu treiben gedachte. Er fragte sich allerdings, was Hasard tun würde, wenn sich Ireen Williams wirklich lieber die Zunge abbiß als auszuplaudern, was die Arwenacks wissen wollten.
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Der Profos, Jeff Bowie und Matt Davies stießen die drei Fremden vorwärts und zum Boot. Die Männer wirkten zwar munterer als noch vor einer halben Stunde, erweckten aber nach wie vor den Eindruck, daß sie nur schwer begriffen, was mit ihnen geschah. Ireen Williams hingegen ging hocherhobenen Hauptes über Deck. Ihr Stolz war ungebrochen. Mit einer herrischen Kopfbewegung schüttelte sie ihr Haar nach hinten. Ihr einziges Problem war Carberry, der sie am Oberarm festhielt und mit sich zog. Vergeblich versuchte sie, sich aus seinem Griff zu winden. „Laß mich in Frieden, du Monstrum!“ herrschte sie ihn an. Carberry lachte nur. „Eine Giftschlange ist harmlos gegen ein Weib wie dich“, erwiderte er. „Aber auch dir wird der Giftzahn noch gezogen, Lady.“ Er hievte sie einfach auf die achtere Ducht und hielt sie geduldig fest, bis Old Shane beide Eisenmanschetten wieder um ihre Handgelenke geschlossen hatte und die fingerdicken Bolzen in die Öffnungen einfügte. Jeder Hammerschlag des Schmieds ließ die Frau zusammenzucken. Trotzdem schwieg sie beharrlich. Als sich Carberry bückte, um den Sitz der Eisen in den Planken zu überprüfen, spuckte sie ihm ins Gesicht. „Dumme Gans!“ sagte der Profos erbost. „Ich kann verstehen, daß dich niemand haben will.“ Die Männer waren weniger hart im nehmen als Ireen Williams. Daß sie der Riese wieder ans Boot kettete, erfüllte sie mit Panik. Deshalb sprudelte es nur so aus ihnen heraus. Ben Brighton, der Erste Offizier, begann zu grinsen. „Das ist Italienisch, Sir“, sagte er an Hasard gewandt. „Die Kerle reden so schnell, daß ich nicht alles verstehe, aber mir scheint, sie haben genug. Sie wollen nicht wieder hinaus und unter der sengenden Sonne sterben. Nicht für alles Gold dieses dreimal verfluchten Landes.“
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„Wer sagt das?“ „Beide, Sir.“ „Gold“, murmelte der Seewolf nachdenklich. „Das erklärt manches.“ Bevor Ben Brighton Fragen stellen konnte, herrschte die Frau ihre Begleiter an. Natürlich ebenfalls auf Italienisch. „Ireen sagt, daß sie den Mund halten sollen“, erklärte der Erste. „Sonst kratzt sie ihnen die Augen aus.“ Aber die beiden dachten nicht daran, zu schweigen. Die Chance, daß sie noch einmal aufgefischt wurden, war gering. Angesichts des auf sie wartenden sicheren Todes redeten sie wie ein Wasserfall. Ben hatte Mühe, schnell genug zu übersetzen. Demnach gab es in der Nähe von Surabaja natürliche Goldvorkommen. Wie ein Lauffeuer hatten sich die ersten Funde kleinerer Klumpen des edlen Metalls herumgesprochen. Seitdem erlebte die Stadt einen ungeahnten Zulauf von Abenteurern und verkrachten Existenzen, die möglichst ohne Mühe großen Reichtum scheffeln wollten. „Haltet den Mund, ihr verdammten Narren!“ herrschte Ireen Williams die Männer an. „Merkt ihr denn nicht, daß ihr euch um Kopf und Kragen redet? Diese netten Engländer werden uns umbringen, sobald sie den Fundort kennen. Sie sind nicht anders als die Halunken und Halsabschneider von Surabaja.“ „Madam“, sagte der Profos in seinem freundlichsten Tonfall, „sie irren sich. Wir Arwenacks pfeifen auf Gold.“ Sie glaubte ihm nicht. Das war offensichtlich, zumal einige in der Runde vielsagend zu grinsen begannen. Der Seewolf fühlte sich deshalb Verpflichtet, einzugreifen. „Wir haben genug von dem Zeug“, erklärte er. „Sollten wir mehr brauchen, holen wir es uns – aber nicht von Landsleuten, sondern von den Spaniern.“ „Denen es letztlich auch nicht gehört“, fügte Carberry hinzu. „Sie schaffen Gold, Silber, Perlen und Edelsteine aus der Neuen Welt heran.“ Die Frau runzelte die Stirn.
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„Ich dachte es mir“, sagte sie mit unsicherer Stimme. „Ihr seid also Piraten.“ „Ein etwas unschönes Wort, Madam“, widersprach der Profos. „Nennen Sie uns lieber Korsaren. Ihre Königliche Majestät Elisabeth gab uns persönlich den Kaperbrief.“ „Das Schiff segelt nach England?“ „In der Karibik“, erklärte Jung Hasard, ehe ein anderer etwas erwidern konnte. „Zu dem schönsten Fleckchen Erde, das man sich vorstellen kann.“ Sein Zwillingsbruder stieß ihm den Ellenbogen in die Seite. „Gockel!“ raunte er. Der Ausdruck grimmigen Zorns fiel allmählich wieder von ihr ab. Mit einem betörenden Augenaufschlag wandte sich die Frau an den Seewolf. „Ihnen liegt immer noch daran, uns wieder loszuwerden, Kapitän? Obwohl Sie nun wissen, daß wir keine Verbrecher sind?“ „Natürlich nicht“, murmelte Jung Hasard gerade so laut, daß ihn nur sein Bruder verstehen konnte. „Verliebter Gockel!“ flüsterte Philip junior ebenso leise zurück. „Ireen ist in festen Händen. Willst du wirklich mit den beiden Italienern konkurrieren?“ „Sie können einige Tage an Bord der Schebecke bleiben“, sagte der Seewolf gleichzeitig. „Wir segeln auf Ostkurs. Nennen Sie einen Ort, wo wir Sie an Land setzen sollen.“ „Surabaja!“ sagte die Frau, ohne zu überlegen. Die Arwenacks schauten sich verblüfft an. Ausgerechnet nach Surabaja wollte Ireen Williams zurück, wo sie in Ketten ihrem Schicksal überlassen worden war. Und die Italiener nickten zustimmend. Sie waren zwar des Englischen nicht mächtig, hatten aber den Namen verstanden. „Was ist daran so verwunderlich?“ fragte die Frau. „Würden Sie einiger Halsabschneider wegen auf so viel Gold verzichten, daß Sie Zeit Ihres Lebens ausgesorgt hätten?“ Philip Hasard Killigrew schüttelte den Kopf. Niemand, der noch die Kraft hatte, sich sein Recht zu erkämpfen, würde das
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tun. Ireen und ihre Begleiter hatten außerdem den Vorteil, daß niemand mit ihrer Rückkehr rechnete. Der Seewolf befahl Shane, die Eisenmanschetten wieder zu lösen. „Wir wollten ohnehin Surabaja anlaufen“, sagte Jung Hasard. Zum erstenmal bedachte ihn die Frau daraufhin mit einem verführerischen Lächeln. In der Ferne, Steuerbord voraus, zeichnete sich Land ab. Es war die Küste der Insel Madura. Eine Weile schwieg der Seewolf, ehe er sich zum Rudergänger umwandte. „Kurs sechs Strich Steuerbord, Piet!“ Die Schebecke lief in den Kanal zwischen Java und Madura ein, der sich östlich von Surabaja zur Madura-Straße ausweitete und schließlich in die Bali-See überging. 7. Kiyomuri war keineswegs überrascht, als jemand an die Tür zu seiner Kammer klopfte. Er glaubte sogar zu wissen, wer ihn zu sprechen wünschte. „Komm herein, Soares!“ rief er. „Die Tür ist nicht abgeschlossen wie bei euch Europäern!“ Tatsächlich betrat der Jesuit die enge Kammer, die lediglich eine schmale Pritsche als Liegestatt sowie ein Regal für Kleidungsstücke enthielt. Kiyomuri behielt seine Rüstung deshalb an und schlief auch in ihr. Lediglich alle paar Tage pflegte er sich bis auf den Kimono zu entkleiden und an Deck mit“ Süßwasser zu reinigen. Leon Soares wartete geduldig, bis ihn der Samurai zum Reden aufforderte. „Herr“, begann er dann, „ich bin hier, dich zu warnen. Du darfst den Holländern nicht vertrauen. Diese Ketzer dulden keine Andersgläubigen. Sie werden jedem von uns einen Dolch in den Rücken stoßen, sobald sich ihnen dazu eine Gelegenheit bietet.“ Irgendwie hatte Kiyomuri erwartet, daß Soares das .behaupten würde. Er war nicht im mindesten überrascht.
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„Ich weiß mich zu verteidigen“, sagte er. „Im übrigen schulden uns die Rothaarigen ihr Leben. Sie werden nicht wagen, unsere Gastfreundschaft zu hintergehen.“ Für einen Augenblick verfinsterte sich Soares' Miene. „Ich habe dich gewarnt!“ stieß er heftig hervor. „Die Holländer sind Ketzer, und du tätest gut daran, sie ans Kreuz zu schlagen oder auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Von mir aus werfe sie den Haien zum Fraß vor wie die Römer die ersten Christen den Löwen, aber gib ihnen keine Gelegenheit, deinen guten Willen mit bösen Taten zu vergelten.“ Kiyomuri sah nur flüchtig auf. „Ist das alles?“ fragte er. „Genügt es dir nicht?“ erwiderte der Pater. In seinen Augen glomm ein fanatisches Feuer. „Du kannst gehen“, sagte der Samurai. „Meine Warnung, Herr ...“ „Ich werde sie beherzigen. Sei unbesorgt.“ Leon Soares kannte den Samurai mittlerweile gut genug, um zu wissen, daß ihn jedes weitere Wort nur gegen sich aufgebracht hätte. Deshalb zog er sich mit einer demütigen Verbeugung zurück. In seinen Augen war Kiyomuri nichts anderes als ein verdammter Dickschädel, den man wie die meisten Japaner zu seinem Glück zwingen mußte. Sie orientierten sich zu sehr an ihren heidnischen Werten und ignorierten zumeist die Erfordernisse der modernen Zeit, als wollten sie Japan immer noch von der übrigen Welt absondern. Zum Glück waren nicht alle sö. Er hatte inzwischen herausgefunden, daß Kiyomuris Schwester Kekko, obwohl auch sie dem Kodex der Samurai verpflichtet war, aufgeschlossener dachte. Vielleicht ließ sie sich überzeugen, daß von den Ketzern Gefahr drohte. Mit ihren schnellen Schiffen waren die Holländer imstande, den Handel mit Japan an sich zu reißen und Portugal auszustechen. Das galt es nach Kräften zu verhindern. Leon Soares begann nach Kekko zu suchen. Er fand sie schließlich an Bord der Fleute und wünschte, die beiden Schiffe
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würden nicht mehr nebeneinander liegen. Nachdem die Pinisi der See überlassen worden war, hatte die ,.Morgenröte“ längsseits verholt – eine Geste, die die Holländer geradezu herausforderte. Kekko redete mit dem Bootsmann der „Hollandia“. Soares schnappte einige portugiesischen Wortfetzen auf, doch als er näher trat, verstummte der Ketzer. „Was ist?“ herrschte ihn Soares an. „Laß dich von mir nicht unterbrechen, Jan. Oder ist dir die Nähe eines Gottesmannes unangenehm?“ Der Bootsmann zog die Brauen hoch. „Du bist uns ebenso willkommen wie die Japaner“, erwiderte er. „Im übrigen ist mein Vorname nicht Jan.“ Leon Soares überhörte den versteckten Vorwurf geflissentlich. Er wandte sich an Kekko: „Ich muß mit dir reden!“ „In einer Stunde.“ „Sofort!“ beharrte der Jesuit. „Es ist wichtig.“ Kekko bedachte ihn mit einem überraschten Blick. Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Kiyomuri hat den Kapitän der Rothaarigen und mich zu einer Unterredung gebeten. Ich darf ihn nicht warten lassen.“ Soares hatte Mühe, den zornigen Unterton in seiner Stimme zu verbergen, als er sagte: „Ich werde dich begleiten. Meine Aufgabe ist es ebenso wie die eure, herauszufinden, ob Japan in den nächsten Jahren friedliche Handelsbeziehungen pflegen kann, oder ob eine kriegerische Auseinandersetzung bevorsteht. Meine wenn auch unmaßgebliche Meinung ist, daß die Anwesenheit der Holländer in diesen Gewässern weitere Maßnahmen Spaniens nach sich ziehen wird.“ * Wenig später saßen sie sich in der Kapitänskammer der „Morgenröte“ gegenüber: Joshimasi, der Kapitän; Kiyomuri und Kekko, die beiden Samurais; der Holländer Jan van der Hout und Leon Soares.
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Von Anfang an lag eine knisternde Spannung in der Luft, die auf die abweisende Haltung des Jesuiten-Paters zurückzuführen war. Obwohl sich Soares Mühe gab, den Anschein von Gleichgültigkeit zu wahren, verrieten seine Gesten und die Art, wie er van der Hout musterte, nur Abneigung. Kiyomuri sprach davon, daß er als Gesandter des künftigen Shoguns Tokugawa Ieyasu nicht nur über weit reichende Vollmachten verfügte, was den Aufbau neuer Handelsbeziehungen betraf, sondern vor allen Dingen mehr über die Verhältnisse in Europa erfahren wollte. Bislang in Japan kursierende Gerüchte zeichneten ein wenig schönes Bild. Mit einem Seitenblick zu Soares bestätigte van der Hout, was die Japaner offenbar von ihm hören wollten. Er schweifte weit zurück, begann damit, daß Kardinal Granvella die Niederländer, die sich gegen die gewaltsame Unterdrückung ihres protestantischen Glaubens durch König Philipp II. von Spanien wehrten, als boshaftes Tier bezeichnete, das man Volk nannte. Er sprach davon, daß Dänemark unter Christian III. lutherisch geworden war – ebenso wie Schweden unter Gustav, dem ersten König des Hauses Wasa. Prediger, die aus dem deutschen Reich über die skandinavische Halbinsel oder das Königreich Ungarn nach Polen gelangten, hatten lutherische oder calvinistische Inseln im katholischen Reich der Jagiellonen entstehen lassen, das nicht nur in ständiger Kampfbereitschaft gegen die andrängenden Türken lebte, sondern sich auch gegen die übergriffe des Zaren Iwan IV. wehren mußte. Iwan, in Westeuropa nur der Schreckliche genannt, hatte Rußland durch Unterwerfung verschiedener Mongolenstaaten erweitert und setzte alles daran, an der Ostsee Fuß zu fassen. „Der Holländer wühlt die Vergangenheit auf“, protestierte Leon Soares ungehalten. „Alles das gehört längst der Geschichte an und beweist nur seine Unredlichkeit.“
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Mit einer unmißverständlichen Handbewegung gebot ihm der Samurai zu schweigen. „Die Lebenden müssen aus der Geschichte lernen“, sagte er. „Wer nicht dazu bereit ist, stellt sich selbst in den Schatten.“ „Natürlich, Herr“, versicherte der Jesuit schnell. „Dennoch solltest du bedenken ...“ „Rede, wenn die Reihe an dir ist! Jetzt soll der Rothaarige weitersprechen.“ Van der Hout berichtete vom Aufmarsch eines spanischen Heeres in den Niederlanden und vom Grundsatz Philipp II.: Ich will lieber hunderttausend Leben verlieren als dulden, daß man im geringsten die Religion verändere. Er sprach von den Mönchen der Inquisition und ihren erbarmungslosen Folterknechten, die sich den Soldaten des Herzogs von Alba angeschlossen hatten und Städte und Dörfer entvölkerten. Und er schilderte, wie die Niederländer zu einem letzten verzweifelten Mittel gegen die Überlegenheit der Unterdrücker gegriffen und die jahrhundertealten Dämme durchstochen hatten, die das dem Meer abgetrotzte Land stets vor den Fluten geschützt hatten. „Besser ein verdorbenes Land als ein verlorenes! riefen unsere Menschen, während die Fluten ihre Äcker, aber auch die spanischen Kampfstellungen überschwemmten. Daß aber Tausende starben, bekümmerte Spanien herzlich wenig, denn sein Beichtvater hatte Philipp II. das Recht über das Leben aller Untertanen zugestanden.“ „Was Seine Majestät tat, geschah für den Dienst Gottes“, wandte Leon Soares ein. Er spürte, daß er den Redefluß des Holländers beenden mußte, bevor dieser über die wenig schöne Rolle der Jesuiten auf der Bühne des europäischen Kriegstheaters sprach. Daß die Japaner, obwohl auch ihre Geschichte von blutigen Auseinandersetzungen geprägt war, das Gehörte mißbilligten, war ihren Gesichtern anzusehen. „Hat nicht gerade Gott geboten, du sollst nicht töten?“ fragte van der Hout. „Ein
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Gebot, das die Jesuiten sehr weitherzig auslegen.“ Leon Soares verfärbte sich. Erst stieg ihm die Zornesröte ins Gesicht, danach wurde er aschfahl. „Ketzer!“ schrie er aufgebracht. „Ersticken sollst du an deinen Lügen!“ Van der Houts Rechte zuckte zum Degen. Wahrscheinlich hatte er nicht die Absicht, die Waffe tatsächlich blankzuziehen, doch allein die Drohgebärde genügte, daß der Jesuit plötzlich rotsah, aufsprang und ein an der Wand hängendes Samuraischwert an sich riß. Kekko zog ebenfalls ihre Waffe, doch ein scharfer Befehl ihres Bruders ließ sie innehalten. „Buddha soll entscheiden, wer von beiden im Recht ist!“ Soares wußte, wie mit den leicht gekrümmten, rasiermesserscharfen Klingen der Japaner umzugehen war. Beidhändig umfaßte er das Griffstück und führte einen Hieb, der ihm den Schwerpunkt der Waffe zeigte. Van der Hout riß seinen Degen aus der Scheide. „Du bist kein Mann Gottes“, rief er im Brustton' der Überzeugung, „sondern ein Handlanger Satans!“ Mit einem gellenden Aufschrei warf sich Soares auf ihn. Das Schwert beschrieb einen Halbkreis und zerfetzte die Jacke des Kapitäns. Van der Hout war gerade noch rechtzeitig zurückgewichen, sonst hätte ihn das Schwert durchbohrt. Geschmeidig wechselte er den Degen von der rechten in die linke Hand und zog den Dolch aus seinem Gürtel. Abschätzend wog er die Klinge, ehe er sie mit einer kurzen Bewegung aus dem Gelenk heraus schleuderte. Soares, den seine Kutte behinderte, duckte sich im letzten Moment. Dumpf dröhnend bohrte sich das Messer über ihm in die Wand. „Wenn du kämpfen willst, tu es wie ein Mann!“ schrie der Jesuit. „Aber nicht mit der Hinterlist, die schon deinen Worten zu eigen ist!“
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Mehrmals kreuzten sie die Klingen, doch unerwartet splitterte der Degen des Holländers. Für einen Moment sah es so aus, als erstarre van der Hout vor Schreck. Dann stieß er mit der abgebrochenen, gerade noch drei Handspannen messende Degenklinge schräg von unten herauf zu. Soares, der das Schwert nach wie vor beidhändig führte, konnte den Hieb nicht mehr abwehren. Der Degen bohrte sich zwischen seine Rippen und tötete ihn innerhalb weniger Augenblicke. Van der Hout blieb keine Zeit, seinen Triumph auszukosten. Das Samuraischwert schrammte über seine Schulter und trennte den Kopf halb vom Rumpf. * „Tokugawa Ieyasu ist ein weiser Mann“, sagte Kiyomuri leise. „Nun wissen wir, warum er verlangte, daß uns der Jesuit begleitete.“ „Ein Shogun muß weise sein und vorausschauend denken“, erwiderte Kekko. „Nicht, welchen Handel Spanier und Holländer in den südlichen Gewässern abwickeln, interessiert ihn, sondern die Reaktion der Jesuiten.“ „Die Europäer werden ihre Kriege in unser Land tragen, wenn wir nicht auf der Hut sind.“ Kiyomuri deutete auf den toten Holländer. „Laß ihn an Bord seines Schiffes bringen! Die Rothaarigen sollen bald Segel setzen.“ Kekko holte zwei Seeleute, die den Toten in Decken hüllten und seinen Landsleuten übergaben. Gleich darauf fielen Schüsse. Mit allen Anzeichen des Entsetzens stürmte ein Seemann in die Kapitänskammer. „Die Rothaarigen haben unsere Männer getötet und überfallen das Schiff!“ rief er. „Sie glauben, daß wir ihren Kapitän ermordet haben“, sagte Kekko. Kiyomuri hörte nicht auf seine Schwester. Mit grimmiger Miene stapfte er an ihr vorbei. Das Schwert Tayasan in seiner Hand schien Funken zu versprühen, als er
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aus dem im Halbdunkel liegenden Niedergang in das grelle Sonnenlicht hinaustrat. Die Holländer hatten das Vorschiff der „Morgenröte“ im Handstreich erobert. Bislang waren sie aber nur mit relativ kampfunerfahrenen Seeleuten zusammengestoßen. Den Samurais, die sich jetzt formierten, trotzten sie so leicht keinen Fußbreit Boden ab. Kiyomuri sah zwei seiner Krieger von Kugeln getroffen stürzen. Augenblicke später antworteten die Bogenschützen mit einem Pfeilhagel und zwangen die Holländer in Deckung. Während sich die Samurais formierten, wurden sie auch von Bord der „Hollandia“ aus beschossen. Kiyomuri befahl, Krüge mit brennendem Öl auf die Fleute zu werfen und alle Haltetaue zu kappen. Innerhalb kürzester Zeit züngelten Flammen über die Decks des Schiffes. Holländer, die in ihrer Verzweiflung versuchten, die „Morgenröte“ zu stürmen, wurden von den Bogenschützen niedergestreckt. Die anderen hatten einen schweren Stand. Nur ihren Feuerwaffen verdankten sie, daß sie von den Samurais nicht überrannt wurden. In einer Zangenbewegung schickte Kiyomuri seine Krieger nach vorn, wobei er billigend in Kauf nahm, daß einige von ihnen bei dem Versuch sterben würden, die Rothaarigen aus der Deckung zu jagen. Aber kein Samurai fürchtete den Tod. Ein Rückzug und der Versuch, die Holländer auszuhungern, wären weniger ehrenvoll gewesen. Urplötzlich stand Kekko vor dem Hauptmast. Ihr Schwert hielt sie mit beiden Händen über den Kopf.. „Hört auf, ihr Narren!“ brüllte sie. „Nicht wir haben den Kapitän getötet, sondern der Jesuit. Wenn ihr meinen Worten nicht glaubt, erschießt mich, aber beendet dieses sinnlose Blutvergießen!“ „Wer garantiert uns, daß du die Wahrheit sagst?“ erklang es vom Vorschiff. Kekko stieß ihr Schwert in die Scheide zurück und hängte es sich über die Schulter.
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„Ich, Kekko, Kiyomuris Schwester, gebe euch mein Wort.“ Auffordernd wandte sie sich zu ihrem Bruder um. Ihr eigenmächtiges Handeln ärgerte ihn. Trotzdem blieb ihm keine andere Wahl, als ihr zuzustimmen, wollte er sie nicht vor allen bloßstellen. „Kekko sagte die Wahrheit. Ich schenke euch euer Leben.“ „Wir können nicht auf unser Schiff zurück.“ Die Fleute trieb inzwischen gut fünf Schiffslängen achteraus. Sie brannte bis zu den Toppen lichterloh. „Nennt einen Ort eurer Wahl!“ forderte Kekko. „Dort setzen wir euch an Land.“ Die Holländer wollten nach Surabaja. Die Siedlung im Südosten Javas war ohnehin ihr Ziel gewesen. Außerdem hatten sie gehört, daß dort schiffbrüchige Landsleute lebten. „Ich hätte sie den Fischen vorgeworfen“, sagte Kiyomuri. Auf das „Warum?“ seiner Schwester antwortete er mit eisigem Schweigen. Nur fünf Holländer hatten die Auseinandersetzung überlebt. Die eineinhalb Tage, die die Überfahrt noch in Anspruch nahm, mußten sie in einem Laderaum der „Morgenröte“ verbringen, eingesperrt und verköstigt wie Vieh. Bootsmann Ruyter war einer von ihnen. „Wir brauchen ein Schiff“, sagte er. „In Surabaja werden wir einen Kahn finden“, sagte der Rudergänger van Veen. „Vielleicht“, erwiderte Ruyter zögernd. „Hast du genug Geld für eine Passage?“ Van Veen grinste schräg. „Drei oder vier Kupfermünzen. Der Rest liegt mit der ,Hollandia` auf Grund.“ „Eine neue Heuer kommt nicht in Frage“, sagte Ruyter. „Was ihr unternehmt, ist mir egal, aber ich habe die Schnauze voll. Ich halte nie wieder für andere den Kopf hin.“ „Ist dir das Schwert des Samurai aufgefallen?“ fragte einer der bislang schweigenden Decksleute. „Ich meine die Waffe des Anführers. Allein der Diamant, der im Knauf steckt, ist ein Vermögen wert, von den Steinen auf der Scheide ganz zu schweigen:“
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Erschrocken fuhr sich van Veen mit der Hand über die Kehle. „Ich will meinen Kopf noch eine Zeitlang behalten“, sagte er. „Ich auch“, erwiderte der Decksmann. „In Surabaja gibt es genug Abenteurer, Schnapphähne und anderes Gesindel, die für ein paar Münzen sogar ihre eigene Mutter als Sklavin verkaufen würden. Warum lassen wir sie nicht für uns die Drecksarbeit tun?“ Ruyter wollte erst abwehren, zögerte dann aber doch und sagte schließlich: „So dumm klingt das gar nicht. Mit den Schlitzaugen sind wir ohnehin quitt. Wir schulden ihnen bestimmt nichts mehr.“ Als er die Hand ausstreckte, schlugen die vier anderen ohne zu zögern ein. 8. Während der Morgendämmerung lag die Schebecke der Seewölfe vor einer Nehrung vier Seemeilen westlich von Surabaja. Ireen Williams und die beiden Italiener wurden von den Zwillingen an Land übergesetzt. Zuallerletzt bedankte sich die Frau mit einem flüchtigen freundschaftlichen Kuß bei ihren Rettern. „Mehr kann ich euch nicht geben“, sagte sie. „Davon abgesehen, werden wir uns sicher nie wieder begegnen.“ „Mehr wollen wir auch nicht“, erwiderte Jung Philip grinsend und mit einem unzweideutigen Seitenblick auf seinen Zwillingsbruder, der ihm in dem Moment am liebsten ans Leder gegangen wäre. Sie schauten der Engländerin und den Männern nach, bis sie inmitten der aufgelockerten Buschvegetation verschwanden. „Laß dir deshalb keine grauen Haare wachsen, Bruderherz“, sagte Philip, während sie ihre Jolle wieder ins Wasser schoben. „Frauen sind nun mal so. Natürlich hätte sie uns mehr geben können.“ „Wie meinst du das?“ „Hat sie nun eine Goldader gefunden, oder nicht?“
Das Schwert des Samurai
Hasard ließ seinen Unmut an den Riemen aus, die laut in den Rundseln krachten. Selbst als sie an Bord der Schebecke aufenterten, strafte er Philip noch mit Nichtachtung. Der Dreimaster der Seewölfe näherte sich Surabaja in den frühen Vormittagsstunden. Die Stadt wirkte friedlich und verschlafen. Doch ein solcher Eindruck konnte täuschen. Im Hafen lagen überwiegend kleinere Schiffe – die meisten Auslegerboote mit Mattensegeln, die bestimmt nicht hochseetüchtig waren. Bei den größeren handelte es sich um Prau-Abarten. Ein Schiff, das seine japanische Herkunft kaum verleugnen konnte, lag am anderen Ende des Hafenbeckens an der Pier. Nur Kinder und ein paar zerlumpte, auf Almosen hoffende Gestalten, beobachteten das Anlegemanöver der Schebecke. „Freiwillige antreten zum Wasserfassen!“ rief Mac Pellew. „Außerdem brauchen wir Gemüse und frische Früchte.“ „Nun ja“, sagte der Profos nach einem Rundblick über die versammelte Crew. „Es trifft jedesmal dieselben.“ Mit Ausnahme von Will Thorne, dem Segelmacher, und Sam Roskill, der gute Gründe hatte, nicht schon wieder einen Markt zu besuchen, wollte jeder an Land. „Bei so vielen Meldungen muß ich eben bestimmen, wer zuerst geht“, stellte der Profos fest „Das sind: Carberry“, er grinste breit, „außerdem Ferris, Stenmark, Piet und Mister Shane. Alles klar, Leute?“ Da keiner Einwände vorbrachte, schickte er Ferris Tucker, Stenmark und Piet Straaten in die Proviantlast zum Fässer holen. „Wir kümmern uns um die härteren Sachen“, sagte er zu Shane, was ihm einen durchdringenden Blick des Zweitkochs eintrug. Sinnend schaute ihnen Mac Pellew nach, bis sie zwischen den ersten Lagerschuppen verschwanden. Sein Verdacht, daß der Profos zuallererst die Angebote an Wein und Schnaps zu prüfen gedachte, war keineswegs unbegründet. Wäre er nicht mit der Zubereitung des Mittagessens
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beschäftigt gewesen, hätte er schon rein interessehalber ebenfalls den Weg zum Marktplatz eingeschlagen. So groß wie in Batavia war die Auswahl nicht, die sich den fünf Seewölfen bot. An den ersten Ständen mit Fischen ging Carberry naserümpfend vorbei. Da half auch nicht, daß ihm einige junge Mädchen bewundernde Blicke nachschickten. Die armseligen Fische, die von dicken Fliegenschwärmen bedeckt wurden, hatten bestimmt schon einen Tag in der Hitze auf dem Buckel. Ähnlich umschwirrt wurden die Hälften der frisch geschlachteten Schafe, die an der Vorderfront eines aus Backsteinen errichteten Gebäudes hingen. Aus einer armseligen Kneipe drang das Grölen Betrunkener bis auf die Straße. Zwischendurch erklang das Kreischen von Frauenstimmen. „Ich hab die Hafenladys schon vermißt“, gestand Carberry. „Was wäre ein Kaff wie dieses ohne das zänkische Weibsvolk?“ In den Hauseingängen lungerten zerlumpte Gestalten. Die meisten hatten einen derart gierigen Blick, daß es wenig ratsam erschien, ihnen den Rücken zuzuwenden. Die Arwenacks waren solches zur Genüge gewohnt. Nahezu im Zentrum des Platzes erhob sich ein halb verfallener Ziehbrunnen. Das Quietschen der Winde übertönte den Lärm ringsum. „Das Wasser ist immerhin genießbar“, meinte Stenmark. Geduldig wartete er, bis einige Indonesierinnen vor ihm ihre Tonkrüge gefüllt hatten. Danach spülten Piet und er die Fässer aus und füllten sie eimerweise mit dem kostbaren Naß, das sie aus großer Tiefe heraufholten. Der Profos, Ferris und Shane gingen währenddessen weiter auf Entdeckung. Plötzlich hielt Piet Straaten beim Wasserheraufholen inne. „Sieh dir den an!“ sagte er zu Sten und deutete zu dem Samurai, der soeben zwischen zwei Häusern den Platz betreten hatte und sofort die Aufmerksamkeit auf sich zog.
Das Schwert des Samurai
Der Mann war groß, von stattlicher Figur, und er trug trotz der schon am Vormittag herrschenden Hitze seine volle Rüstung, die aus Beinschienen, abnehmbaren Schenkelpanzern, metallbeschlagenen Ärmeln, einem Leibpanzer aus Eisenlamellen, schwarz lackiertem Kragen und dem Helm mit gepanzertem Nackenschutz bestand. An seiner Hüfte baumelte ein langes Schwert. Ein zweites, kleineres steckte hinter einem Leibgurt. Viel mehr Gelegenheit, den Samurai zu betrachten, erhielten die Arwenacks nicht. Das von den Häusern zurückhallende Echo eines Musketenschusses schreckte sie auf. Im ersten Moment war nicht zu erkennen, wer geschossen hatte und warum. Aber dann sackte der Samurai in sich zusammen, und aus dem Schatten eines Hauseingangs stürzten sich mehrere zerlumpte Gestalten auf ihn. Stenmark und Piet Straaten stürmten gleichzeitig los. Sie hatten etwas gegen Plünderer, die aus dem Hinterhalt ahnungslose Opfer niederschossen und ausraubten. Im Laufen zerrte Sten seine Pistole hinter dem Gurt hervor. Ungefähr dreißig Schritte trennten sie von dem Samurai. Sie hatten ihn und die Schnapphähne beinahe erreicht, die es offenbar auf seine Schwerter abgesehen hatten, als aus der Gasse weitere gerüstete Krieger hervortraten. Die Samurais erfaßten die Situation sofort. Brüllend liefen sie los. Die Plünderer flohen. Stenmark – er hatte sich über den Samurai gebeugt – und Piet Straaten blieb keine andere Wahl, als ihnen zu folgen. Sie hatten das blutige Loch in der Stirn des Toten gesehen, und die Samurais zogen daraus und aus der Pistole in Stens Hand zweifellos die falschen Schlüsse. Ohne hindernde Rüstung waren sie schneller als die Verfolger. Das Blut pochte in ihren Schläfen, als sie nach einem irrwitzigen Lauf durch verwinkelte Gassen endlich innehielten und sich an eine mit Moosen überwucherte Mauer lehnten. Eben noch hatten sie die Plünderer vor sich gesehen, jetzt schienen die
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Halunken plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. „Wo sind sie hin?“ fragte Sten keuchend. Die Antwort war überraschend. Sie bestand aus vier Pistolenmündungen, die unmißverständlich auf ihn und Piet Straaten zielten. Wie Anfänger waren sie in die Falle getappt. „Warum folgt ihr uns?“ fragte ein Kerl mit einer von Messernarben entstellten Visage. „Kannst du dir das nicht denken?“ erwiderte Piet Straaten. „Wir verlangen unseren Anteil an der Beute.“ Ihre Chancen standen schlecht. Trotzdem mußten Sten und er einen Angriff riskieren, bevor ihnen die Schnapphähne ebenfalls Kugeln in den Schädel jagten. Abermals spielte ihnen das Schicksal einen Streich. „Du bist Holländer?“ fragte der Narbengesichtige. „Warum sagst du das nicht gleich? Ich hätte mir denken können, daß uns Ruyter nicht traut. Die Edelsteine auf dem Schwert müssen ein Vermögen wert sein.“ „Sie sind es“, bestätigte Piet Straaten, überzeugt davon, daß er damit jeden Verdacht zerstreute. Er sagte es in seiner Muttersprache. * Philip Hasard Killigrew starrte den Profos an, als wolle er ihm jeden Moment an die Kehle gehen. „Was soll das heißen, Piet und Sten sind spurlos verschwunden? Sie können sich nicht in Luft aufgelöst haben.“ In einer hilflos anmutenden Geste breitete Carberry die Arme aus. „Ich weiß nicht, was geschehen ist“, sagte er, „und Ferris und Shane wissen es auch nicht. Ein Schuß fiel, dann erschienen die Samurais, verwandelten die Hälfte aller Marktstände in Brennholz und nahmen jeden fest, der nicht schnell genug fliehen konnte.“ „Es gab Tote“, erklärte Big Old Shane. „Aber unsere Männer hat es nicht erwischt.“ „Warum sind sie dann noch nicht wieder an Bord?“
Das Schwert des Samurai
Der Seewolf blickte zu dem vor Anker liegenden japanischen Schiff hinüber. Er fragte sich, ob es sinnvoll war, mit der Schebecke die Ausfahrt zu blockieren. Noch hatten die Samurais keine feindlichen Absichten zu erkennen gegeben. „Sir!“ rief Ben Brighton. „Erwartest du Besuch?“ Vorübergehend hatte Hasard den Hafengassen den Rücken zugewandt. Als er sich jetzt umdrehte, sah er elf gerüstete Samurais in Zweierreihe heranrücken. Ihr Anführer war ein hochgewachsener schlanker Mann, der sein Gesicht hinter einer grimmigen Eisenmaske verbarg. „Sieht nicht gut aus“, sagte der Profos. „Verdammt, was wollen die Kerle von uns?“ „Das läßt sich auf einfache Weise herausfinden.“ Hasard rückte seinen Leibgurt zurecht. Er sah, daß die Samurais nicht über Feuerwaffen verfügten. Mit seinem sechsschüssigen Radschloßdrehling hatte er ihnen demnach einiges zu bieten. „Du willst mit den Kriegern reden?“ fragte Don Juan. „Jemand muß es tun.“ Auf der Stelling drehte sich der Seewolf noch einmal um. Aber als er sah, daß Al Conroy und die Zwillinge schon an den Drehbassen hantierten, lächelte er nur. Zwanzig Schritte vor der Schebecke fächerten die Samurais auf. Hasard, der inzwischen den Kai betreten hatte, verschränkte die Arme vor der Brust. Der Anführer der Samurais herrschte ihn ungehalten an. Ein anderer übersetzte in die portugiesische Sprache. „Wir sind hier, um Rache für einen heimtückischen Mord zu nehmen. An einem Mann, der zu den Vertrauten des Shoguns zählte.“ „Ich verstehe nicht.“ „Kiyomuri, mein Bruder, wurde heimtückisch aus dem Hinterhalt erschossen.“ „Wenn du die Mörder suchst, beginne damit an einem anderen Ort. Hier wirst du sie nicht finden.“
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Der Samurai riß sein Schwert aus der Scheide, stieß es dann aber wieder hart zurück. „Deine Männer haben Kiyomuri getötet. Du kannst es nicht leugnen. Wir sahen sie, als sich der eine über ihn beugte, ein hellhaariger Hüne. Er hielt noch die Pistole in der Hand.“ Die Beschreibung paßte auf Stenmark. Aber falls der Schwede wirklich einen der Japaner erschossen hatte, mußte er schwerwiegende Gründe dafür gehabt haben. Hasard dachte an seine vorübergehende Ablehnung, Surabaja anzulaufen. Warum, um alles in der Welt, folgte den Arwenacks neuerdings das Unglück in jeden Hafen? „Gib den Weg frei!“ verlangte der Samurai. Hasard dachte nicht daran. Einen lauten Kampfschrei ausstoßend, stürmte der Krieger auf ihn los, das Schwert in Hüfthöhe in einem flachen Halbkreis führend. Doch Hasard sprang ebenso schnell zur Seite und zog seinen Degen. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Carberry, mit einer Spillspake bewaffnet, die Stelling betrat, und daß plötzlich etliche Musketenläufe über dem Schanzkleid in der Sonne blitzten. Das Schwert seines Gegners beschrieb einen sinnverwirrenden Wirbel, dem er nur durch einen weiteren Rückzug entging. Zweimal prallten ihre Klingen aufeinander, und jedesmal hatte er das Gefühl, als würde sein Arm von einem Schmiedehammer getroffen. Seinerseits einen Ausfall anzubringen, war so gut wie unmöglich. Hasard hatte vollauf damit zu tun, die auf ihn niederprasselnden Hiebe zu parieren. Nie zuvor hatte er einen Gegner so geschickt fechten sehen. Er blinzelte. Der Schweiß rann ihm in Strömen von der Stirn und brannte wie Feuer in. den Augen. Ein winziger Moment der Unachtsamkeit trug ihm eine blutende Fleischwunde am linken Oberarm ein. Zwei Schritte hinter ihm war der Kai zu Ende. Vergeblich versuchte Hasard, die Deckung des Samurai zu unterlaufen.
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Ein zweiter Hieb schlitzte sein Hemd quer über die Brust auf. Doch auch diesmal blieb es bei einer Fleischwunde. Aus der Drehung heraus schaffte es der Seewolf, den Degen in den ungeschützten Unterarm des Gegners zu bohren. Der Samurai schrie auf. Gleichzeitig splitterte die dünne Klinge. Den Rest warf Hasard dem Krieger an die Maske und zog in der kurzen Atempause, die ihm vergönnt war, den Radschloßdrehling. Aber noch bevor er den Hahn spannen konnte, tauchte Carberry hinter dem Samurai auf und schlug mit der Spake zu. Der Hieb des Profosen hätte einen Ochsen fällen können, er streifte jedoch nur den Nackenschutz des Japaners und fegte ihm den Helm vom Kopf. Wallendes dunkles Haar löste sich und fiel über die Schultern des Kriegers. Die Erkenntnis, gegen eine Frau gekämpft zu haben, verblüffte den Seewolf derart, daß er nicht sofort schoß. Und dann lief ihm der Profos vor die Mündung, der einen Schwerthieb mit der Spake parierte und das Gleichgewicht verlor, als das massive Holz plötzlich splitterte. Während Carberry rücklings ins Wasser klatschte, eröffneten die Arwenacks das Feuer. Einige Kugeln platteten sich an den Eisenlamellen der Rockklappen auf, die anderen klatschten vor den Kriegern in den Straßenstaub, doch sie genügten, die Japaner zum Rückzug zu bewegen. Das Dröhnen einer in die Luft abgefeuerten Drehbasse tat ein übriges. 9. „Wer sind die beiden?“ herrschte Ruyter die Kerle an, die ihm das Schwert des Samurai überbrachten. „Sie gehören nicht zu dir?“ fragte einer der Burschen überrascht. „Das haben wir nie behauptet.“ Stenmark richtete die Pistole, die sie ihm in der irrigen Meinung, er sei einer der ihren, gelassen hatten, auf den Bootsmann. „Aber du bist Holländer?“ wandte sich Ruyter an Piet Straaten. „Klar doch.“
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„Dann sitzt du mit uns in einem Boot. Sei nicht dumm, Mann. Allein die Scheide des Samuraischwertes ist ein Vermögen wert. Hast du den Diamanten und die Rubine gesehen?“ Straaten nickte. „Es ist egal, ob wir mit zwei Mann mehr teilen oder nicht“, sagte Ruyter. „Wie schön:“ Stenmark befahl ihm mit einem knappen Wink mit der Waffe, daß er sich zu den anderen stellen sollte. „Vielleicht wollen wir nicht teilen. Hast du daran schon gedacht?“ In Ruyters Augen blitzte es auf. Er schnellte sich nach vorn. Urplötzlich hielt er einen Dolch in Händen, den er bisher in seinem Ärmel verborgen hatte. Stenmark reagierte den Bruchteil eines Augenblicks schneller. Er warf sich zur Seite und drückte ab, während sich der Dolch da in die Wand bohrte, wo er eben noch gestanden hatte. Der Bootsmann hielt mitten in der Bewegung inne. Ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens erschien auf seinem Gesicht, dann sank er vornüber auf die Knie und schlug der Länge nach hin. Stenmark sah sich daraufhin vier verwegenen Kerlen gegenüber, die mit Knüppeln und bloßen Fäusten auf ihn losgingen. Sie ließen ihm keine Chance. Trotzdem schlug er zwei von ihnen zu Boden, ehe sie ihm die Arme auf den Rücken zerrten und ihn mit Schnüren fesselten. Schmerzhaft schnitten die dünnen Stricke ins Fleisch ein. „Wie gefällt dir das?“ spottete einer, den sie van Veen nannten. „Deinen Freund kriegen wir auch. Falls er nicht vor Schreck über alle Berge ist.“ Piet Straaten war tatsächlich die Flucht gelungen. Die Frage stellte sich, was weiter geschehen würde. Bestimmt warteten die Kerle nicht in aller Seelenruhe darauf, daß er möglicherweise besser bewaffnet zurückkehrte. „Wir sollten dich töten“, sagte van Veen. „Aber vielleicht brauchen wir dich ja noch. Die Samurais suchen einen Schuldigen. Was glaubst du, werden sie mit ihm
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anstellen, wenn sie ihn gefunden haben?“ Er lachte schrill. In Stenmark wuchs der Verdacht, daß er derjenige sein sollte, an dem die japanischen Krieger ihre Wut austobten. * Die Gegend ähnelte den finstersten und verrufensten Ecken im Londoner Hafengebiet. Piet Straaten verlangsamte seine Schritte erst, nachdem er festgestellt hatte, daß er nicht verfolgt wurde. Aber auch das nur, um sich zu orientieren. Vom Hafen war nichts zu sehen. Selbst die Masten der Schiffe ragten nicht hoch genug auf. Baufällige, windschiefe Holzhütten versperrten ihm die Sicht. Einzelne aus Stein gemauerte Gebäude ragten zwischen ihnen auf, waren aber ebenfalls nichts anderes als Ruinen, in denen lichtscheues Gesindel hauste. Rechtschaffene Bürger, falls es die in Surabaja überhaupt gab, hatten in einer Gegend wie dieser nichts verloren. Ein Straßenköter kläffte Piet an, eine Promenadenmischung mit gräßlichen Geschwüren überall da, wo sich das Fell lichtete. Der Holländer verpaßte ihm einen Fußtritt, daß er sich jaulend zurückzog. Von irgendwo aus dem Schatten eines Gemäuers keifte eine schrille Frauenstimme. Wenn das Weib genauso aussah, wie es redete, war die übelste Hafendirne eine Lady im Vergleich mit ihr. Als Piet nicht sofort auf ihr Angebot reagierte, bedachte sie ihn mit den übelsten Beschimpfungen. Unvermittelt versperrten ihm zwei aufgeschwemmt wirkende Burschen den Weg. Unmißverständlich hob der eine ein doppelt armlanges Stück Bambus. „Hast du nicht gehört, du Ratte? Mary will dich sehen. Sie hat es nicht gern, wenn sie einer wie du warten läßt.“ „Du hast doch Geld - oder etwa nicht?“ fragte der andere lauernd. „Kein Kupferstück“, erwiderte Piet Straaten. Er durfte sich nicht aufhalten lassen. Sonst waren die Schnapphähne längst über alle
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Berge, bevor er mit den Arwenacks zurückkehrte. Der Bursche mit dem Bambusstück schlug zu. Piet unterlief seinen Arm und hebelte ihn aus. Der andere Kerl prallte gegen seinen Kumpan und ging mit ihm zusammen zu Boden. Bis sie sich wieder aufrafften, war Piet Straaten längst verschwunden. Endlich erkannte er einige Gebäude wieder. Bis zum Hafen war es noch ungefähr eine Viertelmeile. Winkend lief er auf die Schebecke zu, Er sah Hasard und eine Teil der Crew auf dem Kai versammelt. Wie er gleich darauf erfuhr, waren sie im Begriff gewesen, die Suche nach Stenmark und ihm aufzunehmen. Möglichst knapp, aber doch zugleich umfassend, berichtete Piet, was geschehen war. Ein Drehbassenschuß schreckte sie auf. Die Samurais rückten wieder an. Diesmal würden sie sich nicht so leicht vertreiben lassen. „Die haben uns gerade noch gefehlt“, sagte Carberry. „Bis wir mit denen fertig sind, können wir Sten abschreiben.“ „Ich hoffe nicht“, erwiderte der Seewolf. Er löste seinen Gürtel und hielt ihn dem Profos hin. „Halte das für mich“, bat er. Carberry blickte in dem Moment wenig geistvoll drein. „Aber - was ...?“ stammelte er. Hoch erhobenen Hauptes, die Arme seitlich abgespreizt, schritt der Seewolf den Japanern entgegen, die bereit waren, die Schebecke zu stürmen. Aus keinem anderen Grund führten sie diesmal Pfeil und Bogen mit sich. „Tut nichts, was ihr später bereuen könntet!“ rief er. „Bleib stehen!“ herrschte ihn die Frau an. Unter der Eisenmaske klang ihre Stimme dumpf wie die eines Mannes. „Willst du verhandeln? Jammerst du um dein Leben und das deiner Freunde?“ „Wir fürchten euch nicht“, erwiderte Hasard. „Wir haben auch keinen Grund dazu.“
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„Der Mann“, die Samurai-Kriegerin deutete zu Piet Straaten, „war einer der beiden, die Kiyomuri ermordeten.“ „Er ist einer der beiden, die deinem Bruder helfen wollten“, sagte Hasard. „Ich glaube dir nicht.“ „Warum sollte ich lügen?“ „Warum solltest du die Wahrheit sagen? Ich habe gelernt, euch Europäern zu mißtrauen.“ „Womit kann ich dich überzeugen, namenlose Kriegerin?“ „Ich bin Kekko“, erwiderte sie und fügte hinzu: „Mit dem Schwert Tayasan, das meinem Bruder gehörte, und mit der Auslieferung seines Mörders.“ Hasard nickte. „Du sollst beides haben, Kekko. Doch wir dürfen nicht länger zögern.“ * Niemand stellte sich ihnen entgegen, als sie die dreckigsten Viertel von Surabaja durchquerten. Auf den letzten zweihundert Yards ließ Hasard die Arwenacks ausschwärmen. Nur die Samurais drangen geradlinig weiter vor. Die Schüsse, die zwei Krieger trotz ihrer Rüstungen auf der Stelle töteten, fielen überraschend. Die Heckenschützen hatten sich hinter Ruinenmauern verborgen, die ihnen nicht nur ausreichende Deckung boten, sondern auch einen schnellen Fluchtweg sicherten. Allerdings hatten sie nicht damit gerechnet, von zwei Seiten zugleich angegriffen zu werden. Bob Grey verwundete einen mit einem Messerwurf, den anderen tötete Batuti mit einem Pfeilschuß. Wenig später stürmten sie das Versteck der Schnapphähne. Der Widerstand war nicht besonders groß. Die Arwenacks räumten kräftig ab. Hasard folgte einem bärtigen Kerl durch ein labyrinthartiges Gewirr „halb verfallener Gänge, die womöglich irgendwann einmal dem Schutz der Bevölkerung vor Angriffen Eingeborener gedient hatten und inzwischen längst
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zweckentfremdet worden waren. Plötzlich sah er sich einem zweiten Mann gegenüber, der die Spitze seines Degens dem gefesselten Stenmark an die Kehle hielt. Der Schwede wagte kaum noch zu atmen aus Furcht, die Klinge könnte ihn vorzeitig durchbohren. Der Bärtige zog nun ebenfalls seine Waffe. „Wirf die Pistole weg“ herrschte der andere den Seewolf an. „Oder dein Freund stirbt.“ „Ich werde schießen“, sagte Hasard. „Du kannst nur einen von uns töten. Der andere durchbohrt dich und den Gefangenen mit dem Degen.“ „Vielleicht“, sagte Hasard. „Vielleicht aber auch nicht“ Entschlossen krümmte er den Zeigefinger um die Waffe des Radschloßdrehlings. Die erste Kugel traf den Kerl in die Brust, der ihm angedroht hatte, den Gefangenen zu töten. Der Bärtige schnellte sich mit einem Aufschrei auf ihn, aber da zog Hasard schon zum zweitenmal durch. Und gleich darauf schoß er noch einmal. Der Degen des Gegners klirrte auf den nackten Steinboden. Der Seewolf achtete nicht darauf. Mit blitzschnellen Schnitten durchtrennte er Stenmarks Fesseln. * Kurze Zeit später hielt er das gestohlene Schwert in Händen. Die Waffe war in der Tat ein Meisterstück. Die Klinge, so fein, daß sie Pergament schneiden konnte, aber doch so robust, daß sie nicht einen Kratzer aufwies, schimmerte in leicht rötlichem Farbton. Der in den Knauf eingebettete Diamant war ein Stück von besonderer Reinheit, und auch die mit Rubinen und Saphiren besetzte Scheide wäre eines Königs würdig gewesen. Kein Wunder, daß manche Menschen ihr Leben einsetzten, um diese Waffe zu erbeuten. Hasard hielt das Schwert auf beiden Handflächen, als er es Kekko reichte. Zum erstenmal sah er die Kriegerin ohne eiserne Maske. Sie war eine Schönheit,
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ebenmäßig wie eine voll erblühte Lotusblume. Der Blick ihrer grünlichen Augen, fordernd und hingebungsvoll zugleich, ließ ihn erschauern, bevor sie sich der Waffe zuwandte. „Tayasan ist ein besonderes Schwert“, sagte sie. „Ab heute bin ich seine Besitzerin, wie es seit vielen Jahren geschrieben steht. Ich danke dir für deinen Beistand, Fremder.“ Die Worte übersetzte noch ein Dolmetscher. Danach schickte sie ihn mit einem herrischen Wink aus dem Raum. Ihr Blick bohrte sich in Hasards Augen. Zwingend und ungestüm. Sie war noch jung, aber doch schon lange eine reife Frau. Was sie sagte, verstand der Seewolf nicht. Seine Antwort entlockte ihr ein Lächeln. Sie legte das Schwert Tayasan neben sich auf den Boden. Augenblicke später auch die ersten Teile ihrer Rüstung. Als sie nur noch im Kimono vor Hasard stand, gingen ihre Hände auf Wanderschaft. Hasard ließ sie gewähren. Ihn faszinierte diese Frau, die mit dem Schwert umzugehen verstand wie keine zweite, die darüber aber nicht vergaß, daß das Leben mehr zu bieten hatte. Sanft streifte sie ihm das Hemd über die Schultern. Danach öffnete sie seinen Gürtel und ließ ihn zu Boden gleiten. „Ich weiß, daß du mich nicht verstehst“, murmelte der Seewolf. „Aber was ich jetzt tue, muß sein.“ Lächelnd sah sie zu, wie er den Degen aus der Scheide zog und neben sich in die Decke bohrte. Dann sank sie in seine Arme. Unter der dünnen Seide des Kimonos spürte der Seewolf, wie sich Kekkos Brust hob und senkte. Sie atmete hastig. Ein leichtes Zittern durchlief ihren Körper. Im absolut unpassendsten Moment polterten draußen Schritte heran. Die Tür wurde aufgestoßen, und ein Samurai stürmte mit jeden Zauber zerstörender Wildheit herein. Hasard sprang auf und riß den Degen an sich. Doch er brauchte nicht zu kämpfen. Der Samurai brüllte Kekko an, und sie
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schrie nicht minder aufgebracht zurück. Es fehlte nicht viel, und sie wäre mit dem Schwert Tayasan auf den Krieger losgegangen. Bedauern sprach aus ihrem Blick, als sie dem Seewolf bedeutete, daß er gehen möge. Hasard versuchte nicht zu bleiben. Er wußte, wann es Zeit war, den Rückzug anzutreten.
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Die Arwenacks warteten seit geraumer Zeit auf ihn. Aber keiner fragte, was geschehen war. Bis sie die Schebecke erreichten, senkte sich die Sonne blutrot der Kimm entgegen. Kaum eine Stunde später wurden auf dem Schiff der Japaner die Leinen losgeworfen. Auf Nordkurs segelnd, verschwand es in der beginnenden Nacht...
ENDE