Geisterfänger � ger Nr. 1 � 1
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Das lautlose � Grauen � Dunkle Schatten suchen neue Opfer…
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Geisterfänger � ger Nr. 1 � 1
John Blood �
Das lautlose � Grauen � Dunkle Schatten suchen neue Opfer…
2 �
Dorothy Plymers hatte Angst. Das zwanzigjährige junge Mädchen beschleunigte seine Schritte, die dumpf auf dem Kopfsteinpflaster widerhallten. Wallende Nebelschwaden hüllten Dorothy ein. Die Lichter der Straßenlaternen kämpften einen aussichtslosen Kampf gegen den Nebel, der sich schon seit Tagen wie ein Leichentuch über London gelegt hatte. Irgendwo jaulte ein Hund. Dorothy stockte mitten im Schritt und holte tief Luft. Vergebens versuchte sie ihren schnell gehenden Atem unter Kontrolle zu bekommen. Sie stellte den Mantelkragen hoch. In ihrem ovalen Gesicht, mit den blauen Augen und den vollen Lippen, zuckte es nervös. Die Straße vor ihr war menschenleer. Kein Geräusch drang an die Ohren des jungen Mädchens, durch dessen Körper jetzt ein Ruck ging. Unsicher setzte es seinen Weg fort. »Warum habe ich kein Taxi genommen?«, murmelte Dorothy. Doch daran war nun nichts mehr zu ändern. Sie hoffte, die fünfhundert Meter bis zu ihrem kleinen Haus wohlbehalten zurücklegen zu können. Bald würden die ersten Siedlungshäuser aus der grauen Nebelflut auftauchen. Sie dachte an Clayde Hanson, ihren Verlobten, der sie bereits erwartete und bestimmt schimpfen würde, dass sie den Rest ihres Weges zu Fuß zurückgelegt hatte. Der Nebel schien jetzt noch dichter zu werden. Dorothy konnte kaum zwei Meter weit sehen, musste sehr darauf achten, ihren Weg nicht zu verfehlen. Plötzlich vernahm das junge Mädchen tappende Schritte hinter sich. Für einen Augenblick lang erstarrte Dorothy, dann rannte sie mit jagenden Pulsen los. Sie kam vom Gehweg ab, stolperte über den Bordstein und 3 �
schlug schwer am Boden auf. Ein gellender Schrei brach von ihren zuckenden Lippen. Stöhnend taumelte sie wieder auf die Beine. Wie ein gehetztes Tier sah sie sich nach allen Seiten um. Wieder vernahm sie die tappenden Schritte, die jetzt ganz nahe erklangen. Dorothy Plymers konnte niemanden sehen. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Schwankend setzte sie sich wieder in Bewegung. Ihr Knie schmerzte, die Strumpfhose war zerrissen, das Kleid schmutzig und unansehnlich geworden. Noch fünfhundert Meter, dachte sie. Mein Gott, was ist nur los mit mir? Sonst ängstige ich mich doch auch nicht wegen einem bisschen Nebel. Doch die Angst hatte sich tief in die junge Frau hineingefressen. Instinktiv spürte sie, dass irgend etwas nicht stimmte. Die Schritte erklangen jetzt genau vor ihr auf. Dorothy Plymers blieb wie angewurzelt stehen. Ihre Hand fuhr zu ihrem weit aufgerissenen Mund, versuchte den Schrei zu stoppen. Ein dunkler Schatten tauchte vor ihr aus dem nebligen Gebräu auf. Dorothy wich zurück. Sie zitterte und bebte am ganzen Körper. Ihr Gesicht wurde zu einer angsterfüllten Grimasse. Der dunkle Schatten wurde größer. Dorothy wagte es nicht, sich zu bewegen. Vielleicht sieht er mich nicht, hoffte sie inbrünstig. Der Schatten blieb jetzt stehen, wurde zu einem alten Mann, der sie aus glühenden Augen anstarrte. Ein zufriedenes Lächeln lag um die welken Lippen des Greises, dessen Gesicht voller Falten war. Nur die Augen hatten einen feurigen, jugendhaften Glanz, der etwas Suggestives in sich barg. 4 �
Kein Wort fiel. Die unheimliche Stille hielt an. Dorothy Plymers hatte das Gefühl zu träumen. Sie fühlte sich wie in Watte eingepackt. Langsam glättete sich ihr Gesicht. Ein alter Mann, dachte sie. Vielleicht braucht er Hilfe. Bestimmt hat er sich in diesem Nebel verlaufen. Der Greis stand leicht gebückt da. Sie sah seine runzligen und spindeldürren Hände, die weiß leuchteten und Dorothy an ein Skelett erinnerten. Ein Geruch von Moder und Verderbnis lag plötzlich in der Luft. Dorothy schluckte schwer. Langsam trat sie einen Schritt zur Seite, versuchte dann, an dem alten Mann vorbeizugehen, doch ehe sie sich versah, befand er sich wieder vor ihr. Seine Augen glühten stärker. »Was – was – wollen – Sie?«, stammelte das junge Mädchen. »Kann – ich – Ihnen irgendwie – helfen?« Der alte Mann nickte. Dorothy atmete erleichtert auf. Die Szene, die sie unwillkürlich an einen Alptraum erinnerte, schien sich in Wohlgefallen aufzulösen. »Sicher, schöne Lady«, krächzte der Alte. »Ich habe die Orientierung verloren. Außerdem bin ich sehr gehbehindert. Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.« Der alte Mann senkte den Kopf. Sein dunkler Mantel, der bis auf den Boden reichte, machte ein schabendes Geräusch. Wie hilfesuchend streckte er Dorothy Plymers seine knochige Hand entgegen. Mitleid überkam das junge Mädchen. Trotzdem griff es nur widerwillig nach der Hand des Alten, die sich eiskalt anfühlte, als wäre überhaupt kein Leben mehr in ihr. »Dort vorn muss irgendwo eine Telefonzelle sein«, sagte Doro5 �
thy mit zitternder Stimme. Sie hielt den Greis noch immer an der Hand, der bei jedem Schritt leicht wegknickte und sich nur humpelnd vorwärts bewegte. »Ich danke Ihnen«, murmelte der alte Mann. Dorothy glaubte plötzlich, dass seine Hand sich leicht erwärmt hatte. Neues Leben schien durch die Adern des Mannes zu pulsieren. Müdigkeit breitete sich in dem jungen Mädchen aus. Es fühlte sich ausgebrannt und irgendwie zerschlagen. Der trübe Lichtschein der Telefonzelle tauchte aus den Nebelschleiern auf. Der alte Mann blieb stehen. Seine brennenden Augen ruhten auf Dorothy, der wieder heiße Angst durch den Körper schoss. Sie löste ihre Hand aus der des Alten, der jetzt lächelte. Doch es war kein freundliches Lächeln. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Dorothy bemerkte es mit Grauen. Sie konnte sich in diesem Moment nicht länger beherrschen und rannte davon, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Schon nach wenigen Schritten fühlte sie eine dumpfe Müdigkeit, die ihre Bewegungen lahmte. Mit keuchendem Atem ging sie langsam weiter, warf noch einen Blick zurück, doch der Nebel hatte den alten Mann verschluckt. Bald tauchten die ersten Häuser vor Dorothy auf. Sie schwankte die letzten Meter, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Ein tiefer Seufzer brach von ihren Lippen, als sie ihre Wohnungstür erreicht hatte. Sie machte sich nicht die Mühe, das Schlüsselbund aus ihrer Tasche zu holen, sondern klingelte Sturm. Die Müdigkeit drohte sie zu überwältigen. Sie konnte kaum noch die Augen offen halten. Die Tür öffnete sich. Ein etwa dreißigjähriger Mann in Hemdsärmeln erschien. 6 �
Sein Gesicht wurde abweisend, als er auf Dorothy sah. Doch dann brach ein gellender Schrei des Entsetzens von den Lippen des jungen Mannes. * Der silbergraue Bentley hielt auf dem Parkplatz von Scotland Yard. Zwei Männer schoben sich aus dem Wagen, dehnten und reckten sich. »Gut, dass wir wieder mit heilen Knochen angekommen sind«, sagte Percy Collins, Inspektor des Yard und warf seinem Assistenten Jeff Winter einen kurzen Blick zu. Jeff schloss die Wagentür sorgfältig ab und trat neben seinen Vorgesetzten. Gemeinsam schlenderten sie zu dem großen Gebäude hinüber. Einige Minuten später saßen sie in Collins' Büro. Percy Collins strich sich über sein welliges Haar. Der Detektiv war fünfunddreißig Jahre alt, hatte eine sportliche Figur und rauchgraue Augen. Jeff Winter war fünfundzwanzig Jahre alt, hatte leicht rötliches Haar. Er lächelte jungenhaft und zündete sich eine Zigarette an. »Fehlanzeige, was?«, knurrte er. Percy Collins nickte sorgenschwer. »Wenn ich nur wüsste, was wir jetzt machen sollen. Drei Mädchen sind bisher spurlos verschwunden. Alle Nachforschungen waren vergeblich. Hubbard wird uns den Kopf abreißen.« Wie aufs Stichwort öffnete sich in diesem Moment die Tür zu Inspektor Collins' Büro. Chiefinspektor Glenn Hubbard schob sich herein. Er rückte seine schwarze Hornbrille zurecht und erinnerte wieder einmal an eine Uhr. Der Chiefinspektor verschränkte beide Hände vor seinem stattlichen Bauch. 7 �
Wie immer hatte er seine Pfeife im Mundwinkel stecken, die unentwegt eine Rauchwolke ausspie. »Tag, meine Herren«, sagte er freundlich zu Percy und Jeff. Sein forschender Blick traf seine beiden besten Leute, auf die er große Stücke hielt, es sich aber meistens nicht anmerken ließ. »Erfolg gehabt?« Percy Collins schüttelte den Kopf. »No, Sir«, antwortete er missmutig. »Nichts zu machen. Wir haben mit den Eltern der verschwundenen jungen Damen gesprochen, mit Bekannten, Freunden und Freundinnen. Niemand hatte eine Ahnung, wo die drei Mädchen abgeblieben sein könnten. Es gibt keinerlei Zusammenhänge zwischen den drei Personen. Nichts, einfach nichts.« Percy zuckte mit den Achseln. Jeff Winter nickte bestätigend mit dem Kopf. Glenn Hubbard zog sich einen Stuhl bei und nahm keuchend Platz. Er schob seine Pfeife von einem Mundwinkel in den anderen. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine steile Falte gebildet. »Mist!« Es klang ein wenig burschikos. »Verdammter Mist. Es muss doch wenigstens einen Hinweis geben, eine Spur und wenn sie noch so winzig ist.« »Tut uns leid, Chef. Nichts zu machen. Unsere Nachforschungen sind im Sande verlaufen.« Glenn Hubbard lächelte grimmig. »Es sind zwei weitere Frauen verschwunden«, bemerkte er plötzlich wie aus heiterem Himmel. Percy Collins zuckte zusammen. Nervös trommelten die Finger seiner rechten Hand auf seiner Schreibtischunterlage. Er blickte zu Jeff Winter hinüber, dessen Gesichtsfarbe um einige Nuancen bleicher geworden war. »Zwei weitere Frauen«, wiederholte der Chiefinspektor. »Sie 8 �
kamen gestern von der Arbeit nicht nach Hause. Die verstörten Ehemänner haben heute Vermisstenanzeige erstattet.« »Will nichts besagen, Chef«, warf Jeff Winter ein. »Täglich verschwinden Dutzende von Frauen hier in London, die einfach die Nase voll von ihrer Ehe haben. Nach ein paar Tagen kehren sie wieder reumütig an den heimischen Herd zurück.« Glenn Hubbard nickte. »Manche hauen auch mit ihrem Liebhaber ab, Chef«, kommentierte Percy Collins grinsend. »Hört mit den blöden Sprüchen auf, Leute!«, fuhr Hubbard verärgert auf. »Daran glaubt ihr wohl selbst nicht. Die beiden verschwundenen Frauen sind erst seit ein paar Monaten verheiratet. Die Ehemänner schwören, dass es keinerlei Gründe für das Verschwinden gebe. Ich wette jeden Betrag, dass dieser Fall mit den drei anderen Fällen zusammenhängt.« Collins warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Genügt doch wohl, wenn wir uns morgen damit beschäftigen, Chef? Es ist bereits nach zweiundzwanzig Uhr. Wir haben einen anstrengenden Tag hinter uns und sind hundemüde.« Glenn Hubbard lächelte väterlich. »Sicher, Jungs. Ihr habt euch euren Schlaf redlich verdient. Ich habe Mason und Humphry bereits losgejagt. Doch ihr müsst euch morgen sofort darum kümmern.« Collins und Winter nickten. Gähnend erhoben sie sich und wollten zur Tür, als das Telefon klingelte. Percy fluchte leise. Der Chiefinspektor nahm den Hörer ab, meldete sich und lauschte dann in die Hörmuschel. »Okay«, murmelte er. »Gut, ich schicke Ihnen sofort zwei Leute vorbei.« Percy Collins' Gesicht verdüsterte sich zusehends. Auch Jeff blickte nicht gerade begeistert drein. Die beiden Detektive von 9 �
Scotland Yard ahnten, dass ein weiterer Fall auf sie zukommen würde. Sie hatten sich nicht getäuscht. »Sorry«, bemerkte Hubbard. »Ihr müsst raus nach Bayswater. Dort scheint etwas Schreckliches passiert zu sein. Der Anrufer war noch ganz verstört. Seht es euch selbst an. Ein Arzt wurde bereits verständigt. Ruft mich dann zu Hause an. Ich will wissen, was da wieder geschehen ist.« Die beiden Detektive nickten ergeben, nahmen den Zettel, auf dem sich Hubbard die Adresse notiert hatte und verließen das Office. Gleich darauf verlor sich der silbergraue Bentley in den wallenden Nebelmassen, die noch immer auf London lagerten. * Dorothy Plymers taumelte zur Wohnungstür hinein. Noch immer gellte ihr der Entsetzensschrei ihres Verlobten in den Ohren. Beinahe wäre Dorothy gestürzt. Sie erreichte gerade noch einen Stuhl und ließ sich mit letzter Kraft darauf sinken. Sie hob den Blick. Clayde Hanson stand vor ihr. Sein Gesicht war verzerrt. Seine Augen funkelten vor Grauen. Wie abwehrend streckte er seiner Verlobten beide Hände entgegen. »Was ist?«, fragte Dorothy. Ihre Stimme klang müde, heiser und verbraucht. »Du – du – bist – wirk… wirklich – Dorothy?« Dorothy spürte in diesem Moment, dass irgend etwas mit ihr nicht stimmen konnte. Sie zitterte am ganzen Körper. Atemnot ließ ihren Körper erbeben. 10 �
Dann sah sie ihre Hände. Dorothy stöhnte auf. Für Sekunden lang drehte sich alles vor ihren Augen. Wieder quälte sie diese schreckliche Atemnot. Sie riss die Augen weit auf und blickte erneut auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen. Es gab keine Zweifel. Es waren die Hände einer uralten Frau, knochig und von Gicht gekrümmt. Wie Pergament lag die gelbliche Haut über den weißen Knochen. Die spindeldürren Finger bewegten sich jetzt, als wären sie zu selbständigen Lebewesen geworden. Dorothy wollte vom Stuhl hochfahren, doch kraftlos sank sie wieder zurück. Wie in Zeitlupe hob sie eine Hand und tastete damit über ihr faltiges und verrunzeltes Gesicht. Ein leises Wimmern kam von ihren zuckenden Lippen, ging in ein Schreien über. Dorothy Plymers konnte sich nicht mehr beruhigen. Clayde Hanson stand ratlos vor ihr. Er hatte begriffen, dass diese alte Frau dort auf dem Stuhl wirklich seine Verlobte war und er wusste, dass Dorothy sich in einem tiefen Schock befand. Clayde kniete vor Dorothy nieder. »Was ist geschehen?«, fragte er. Der zahnlose Mund öffnete sich. Tränen rannen über Dorothy Plymers eingefallene Wangen. Sie zuckte mit den Achseln. Ihre Schreie waren in ein klagendes Wimmern übergegangen. Clayde Hanson, ein kleiner untersetzter Mann mit leichtem Bauchansatz, erhob sich und eilte zum Telefon. Er wählte den Hausarzt an, der aus dem Gestammel des jungen Mannes nicht klug wurde, jedoch versprach, sofort zu kommen. Clayde eilte zu Dorothy zurück, die jetzt ruhig und völlig teilnahmslos auf dem Stuhl saß. Sie hatte die müden Augen geschlossen. Kaum merkbar hob und senkte sich der erschlaffte 11 �
Busen. »Dorothy.« Clayde rüttelte an der Schulter der uralten Frau, die noch immer alterte. Der Alterungsprozess, der sonst Jahrzehnte dauerte, ging hier innerhalb weniger Minuten vonstatten. Dorothy atmete immer schwerer. Es schien jetzt nur noch ein Dahindämmern zu sein. Clayde Hanson versuchte die so schnell gealterte Frau aus ihrer Lethargie zu reißen. Dorothy Plymers schlug in diesem Moment die Augen nochmals auf. Die Angst in ihr hatte sich gelegt. Sie wusste, dass sie auf der Schwelle vom Leben zum Tode stand. »Alter Mann«, flüsterte sie plötzlich. »Uralter Mann im Nebel. Meine Lebenskraft ist – auf – ihn übergegangen…« Clayde schluckte. Ein dicker Kloß saß in seiner Kehle. Er konnte dies alles nicht verstehen, glaubte, in einen grauenhaften Alptraum geraten zu sein. »Dorothy«, flüsterte er. »Liebe Dorothy. Der Arzt kommt sofort. Was ist nur mit dir geschehen?« Die alte Frau versuchte zu lächeln. Ihre welken Lippen verzogen sich dabei. »Ein alter Mann – im Nebel«, stöhnte sie. »Meine Lebenskraft – er – hat – sie – mir – geraubt. Ich…« Dorothy Plymers' Kopf fiel vornüber. Aus blicklosen Augen starrte die Tote zu Boden. Clayde Hanson kniete vor ihr, unfähig sich zu bewegen oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen. »Ein Alptraum«, murmelte er immer wieder. »Ein Alptraum. Ich muss nur aufwachen. Aufwachen. Dorothy wird dort gleich wohlbehalten zur Tür hereinkommen. Das gibt es doch alles gar nicht. Vielleicht bin ich auch verrückt geworden.« Clayde Hanson kam taumelnd auf die Beine. Sein Oberkörper 12 �
schwankte hin und her. Seine hervorquellenden Augen waren noch immer auf die Tote gerichtet, die zusammengesunken im Sessel ruhte. Es klingelte. Clayde Hanson stieß einen Schrei aus und zuckte zusammen. Er wusste nun mit grausamer Gewissheit, dass er nicht träumte. Dorothy Plymers war tot. Daran gab es nichts zu rütteln. Dr. Donald Huggins trat ein. Er stellte seine schwarze Aktentasche auf den Boden, taxierte den verstörten Clayde und wandte sich dann Dorothy zu. Der Arzt wollte seinen Augen nicht trauen, als er die siebzigoder achtzigjährige tote Frau untersuchte. Doch schnell stellte er fest, dass es sich wirklich um Dorothy Plymers handelte, die schon seit ihrer Kindheit bei ihm in Behandlung war. Dr. Huggins, ein hagerer Mann mit einer großen Hakennase, schob seine Nickelbrille zurecht. Er war verwirrt. Kopfschüttelnd ging er zu Clayde Hanson, der verstört in einem Sessel saß und den Kopf in beide Hände gestützt hatte. »Was ist geschehen, Clayde?«, fragte der Arzt. Hanson reagierte nicht. Dr. Huggins packte ihn fest an der rechten Schulter und schüttelte den wie ein Schlafwandler wirkenden jungen Mann. Clayde hob den Blick. Er schien am Ende seiner Nervenkraft angekommen zu sein, murmelte verständnislose Worte und blickte Dr. Huggins mit irrem Blick an. Der Arzt gab Clayde eine Beruhigungsspritze. Nach kurzer Zeit wiederholte er seine Frage. Clayde Hanson berichtete stammelnd, was er gesehen und erlebt hatte. Der Arzt blickte immer wieder kopfschüttelnd zu der toten 13 �
Dorothy hinüber. Er fühlte ein unbeschreibliches Entsetzen in sich aufsteigen. Er spürte die Aura des Grauens, die sich hier in diesem Zimmer ausgebreitet hatte. Dr. Donald Huggins erhob sich, trat zum Telefon und rief Scotland Yard an. Dann verständigte er Professor Charles Goodwill, der in Chelsea eine Privatklinik hatte. Huggins wusste, dass sich sein Freund für ein derartiges Phänomen interessieren würde. * »Wie alt soll die Tote sein?«, fragte Jeff Winter schon zum zweiten Mal, was ihm einen fast wütenden Blick des Arztes einbrachte. »Zwanzig Jahre, Sir«, antwortete Dr. Huggins. »Sie stand in der Blüte ihrer Jugend. Zwanzig Jahre und ein paar Wochen. Doch was Sie hier sehen, ist eine alte, verbrauchte Frau von siebzig bis achtzig Jahren, die ein erfülltes Leben hinter sich hatte.« Percy Collins war ganz nahe an die Tote herangetreten. Er zuckte leicht zusammen, als sich sein Äonen-Ring zu erwärmen begann. Seit dieser Sekunde wusste er, dass es nicht mit normalen Dingen zugegangen war. Hier hatten die Horden der Finsternis, die Mächte der Dunkelheit, ihre Hände wieder mit im Spiel. Dorothy war von dunklen und dämonischen Kräften ermordet worden. Sein Äonen-Ring erwärmte sich noch mehr. Das kostbare Kleinod befand sich unsichtbar an Percys linker Hand. Warnende Impulse zogen durch seinen Körper. Percy Collins dachte in diesem Moment daran, dass er den Äonen-Ring auf dem Sterbebett seines väterlichen Freundes Professor Calwin Sherwood von diesem vererbt bekommen hatte. Das kostbare Kleinod war sein wirkungsvoller Kampfgefährte 14 �
gegen die Mächte der Finsternis geworden, hatte ihm schon sehr oft gegen Dämonen, Geister, Gespenster und ähnliche teuflische Geschöpfe in höchster Not beigestanden. Jeff Winter warf seinem Vorgesetzten einen fragenden Blick zu. Percy nickte leicht und deutete auf seine Hand, an der sich der unsichtbare Äonen-Ring befand. »Was halten Sie von der Sache?«, fragte der Yard-Inspektor den Arzt. »Mysteriös«, antwortete Dr. Huggins mit ernstem Gesicht. »Mit unseren Schulweisheiten nicht zu erklären. Ich habe Professor Charles Goodwill verständigt. Er ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Altersforschung. Er wird bald hier sein. Vielleicht kann er uns weiterhelfen. Für mich ist diese Sache zu groß.« Er lächelte schwach. Percy Collins nickte und trat zu Clayde Hanson, der mit versteinertem Gesicht auf dem Sofa saß. Blicklos starrte er an dem Inspektor vorbei. »Mr. Hanson, gestatten Sie mir ein paar Fragen«, bat Percy Collins. »Ich bin davon überzeugt, dass Ihre Verlobte einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Ich möchte diese Sache aufklären und Sie können mir dabei helfen.« Clayde Hanson hob den Blick. In seinen Augenwinkeln schimmerten Tränen. Mit einer mechanischen Geste wischte er sich übers Gesicht. »Okay, Sir. Stellen Sie Ihre Fragen. Ich will Ihnen, so gut es eben geht, helfen.« Percy Collins lächelte gewinnend. »Versuchen Sie sich jetzt genau daran zu erinnern, was Ihre Verlobte gesprochen hat. Jedes Wort ist wichtig.« Einige Augenblicke herrschte Stille. Alle Augen richteten sich auf den jungen Mann. »Es war nicht viel«, begann er und räusperte sich mehrmals. 15 �
»Sie sprach von einem alten Mann. Bestimmt ist sie ihm draußen im Nebel begegnet.« »Weiter, Mr. Hanson!« Der untersetzte Mann blickte den Inspektor bitter an. Er wollte schon mit den Achseln zucken, als ihm wieder etwas einfiel. »Sie sprach von ihrer Lebenskraft. Ja, so hat sie sich wirklich ausgedrückt. Von ihrer Lebenskraft, die auf den alten Mann übergegangen sei.« In Percy Collins' Kopf begann es zu arbeiten: Diese junge Frau war also einem alten Mann begegnet, auf den ihre Jugend und ihre ganze Lebenskraft übergegangen sein soll. Nicht schlecht, damit ließe sich vielleicht Dorothy Plymers rascher Alterungsprozess erklären. »Unsinn«, sagte Dr. Huggins ziemlich unwirsch. »Das gibt es doch überhaupt nicht. Wie kann ein alter Mann jemandem die Lebenskraft rauben?« Percy Collins gab keine Antwort. Er wusste, dass es viele Dinge gab, die nicht mit den Schulweisheiten zu erklären waren. Er selbst hatte gegen Magier und Dämonen schwere Kämpfe auszufechten gehabt. Er wusste, dass die Dämonen aus dem Reich der Finsternis ihre Krallen schon lange nach den Menschen ausgestreckt hatten, um ihr dämonisches Reich hier auf dieser Welt zu festigen. Der Inspektor blickte zu Dorothy Plymers hinüber, die wie eine Mumie im Sessel saß. Er ahnte, dass dort die bösen Mächte zugeschlagen hatten. Ein neuer Fall wartete auf ihn. Ein neuer Fall, der ihn erneut mit den höllischen Kräften des Bösen konfrontieren würde. »Wir werden sehen«, sagte er leise zu dem Arzt. »Vielleicht kann ihr Freund, dieser Professor, etwas Licht in die Dunkelheit bringen.« In diesem Moment schlug die Klingel an. Jeff Winter ging öff16 �
nen und kehrte mit einem hageren Mann zurück, der dem Bild eines typischen Professors entsprach. Schmales Gesicht, hohe Denkerstirn, dunkle Hornbrille und an den Schläfen angegrautes Haar. »Professor Goodwill«, stellte er sich mit angenehmer Stimme vor. Er trat zu Dr. Huggins und reichte ihm die Hand. Die beiden Männer unterhielten sich einige Minuten angeregt. Professor Goodwills Blick wanderte ein paar mal durch das Zimmer und blieb an Dorothy Plymers hängen. Dann trat er zu der Toten. Kopfschüttelnd untersuchte er die Frau. »Unglaublich«, murmelte er. »Kann ich die Leiche mit in meine Klinik nehmen?«, fragte Goodwill Inspektor Collins. »Erst dort kann ich ein klares Bild gewinnen. Haben Sie etwas dagegen, Inspektor?« »An mir soll es nicht liegen«, antwortete Percy Collins. »Mr. Hanson wird einverstanden sein. Ich werde von Seiten der Polizei alles regeln.« Professor Charles Goodwill nickte zufrieden. »Ein unheimliches Phänomen«, bemerkte er dann. »Hier scheinen…« Er schwieg plötzlich. Percy Collins' Augen verengten sich leicht. »Dämonische Kräfte?«, fragte er. Der Professor hob überrascht den Blick. »Ich kenne mich in derartigen Dingen aus«, sagte Percy fest. »Vielleicht sollten wir uns einmal unter vier Augen unterhalten. Ich werde Sie morgen in Ihrer Klinik aufsuchen.« Professor Goodwill nickte zustimmend. »Sicher, Inspektor. Hier müssen wirklich übernatürliche Kräfte mitgewirkt haben. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Eine normale Todesursache scheidet aus. Morgen weiß ich mehr.« Der Professor telefonierte mit seiner Klinik und beorderte 17 �
einen Krankenwagen herbei. Clayde Hanson bekam von Dr. Huggins nochmals eine Beruhigungsspritze und gab dem untersetzten Mann den Rat, sich hinzulegen. Später fuhren Percy Collins und Jeff Winter zum Yard zurück. Jeff steuerte den silbergrauen Bentley. Der Nebel wogte immer noch und lag wie ein gigantisches Leichentuch über der Stadt. »Ich habe eine Idee, Jeff«, sagte Inspektor Collins plötzlich. »Bisher sind fünf Frauen verschwunden. Spurlos verschwunden. Wir haben alles abgeklappert, Krankenhäuser und sogar die Leichenschauhäuser. Stell dir aber einmal vor, diese fünf Frauen sind ebenfalls mit diesem unbekannten alten Mann zusammengeraten.« Jeff Winter pfiff durch die Zähne. Ein nachdenkliches Lächeln legte sich um seine Mundwinkel. »Du meinst, dass wir bisher in der falschen Richtung nachgeforscht haben. Wir suchten fünf junge Frauen. Vielleicht hätten wir nach uralten Greisinnen suchen müssen.« Percy Collins bejahte. »Vielleicht können wir jetzt Licht in dieses mysteriöse Dunkel bringen. Trotzdem wissen wir dann noch immer nicht, wer dieser unheimliche alte Mann ist, der junge Frauen überfällt und deren Lebenskraft raubt.« Schweigend fuhren sie weiter, hingen den wenig erfreulichen Gedanken nach, die ihnen durch die Köpfe gingen. * »Und?«, fragte Inspektor Collins und musterte Jeff Winter prüfend, der sich müde auf einen Stuhl fallen ließ. »Du hattest recht gehabt, alter Junge«, klang Jeff Winters Stimme auf. »Bisher habe ich drei uralte Frauenleichen entdecken können. Sie wurden bisher nicht identifiziert. Ich habe alles 18 �
in die Wege geleitet. Vielleicht bekommen wir noch heute die Bestätigung, dass sich deine Theorie bewahrheitet.« Percy Collins warf einen Blick zum Fenster hinaus. Der Nebel wurde von den durch die Wolken dringenden Sonnenstrahlen aufgesaugt. Es versprach ein schöner Frühlingstag zu werden. »Wir fahren raus nach Chelsea zu diesem Professor Goodwill. Vielleicht kann er uns weiterhelfen. Komm schon, Jeff!« Sie wollten sich erheben, doch in diesem Moment trat Chiefinspektor Glenn Hubbard ein. »Hallo, Jungs«, tönte seine Stimme. »Seid ihr endlich auf der richtigen Fährte? Ich habe bisher von der Sache mit dieser Dorothy Plymers nichts an die Presse verlauten lassen. Ich will jede Unruhe in der Bevölkerung vermeiden. Doch wir haben unsere nächtliche Streife vervierfacht. Wir werden uns jeden alten Mann vorknüpfen, der nachts unterwegs ist.« Percy nickte. »Doch die Jungs sollen sich vorsehen«, mahnte er. »Bestimmt genügt die Berührung mit diesem Ungeheuer, um den Alterungsprozess einzuleiten.« »Vielleicht steht der alte Knabe aber nur auf Frauen«, warf Jeff ein. »Wir fahren nach Chelsea zu diesem Professor. Sollte sich etwas ereignen, Sir, dann verständigen Sie uns bitte sofort über Funk.« »Sicher«, nickte Hubbard. Seine Pfeife spie schon wieder dicke Rauchwolken aus. Er legte den Kopf leicht schräg und erinnerte somit noch mehr an eine alte Eule. »Viel Glück! Ruft mich dann sofort an! Ich will wissen, was dieser Goodwill herausbekommen hat.« Die beiden Polizei-Detektive machten sich auf den Weg. Eine halbe Stunde später lag die Privatklinik vor ihnen. Ein Portier meldete sie an. »Geradeaus, Gentlemen«, sagte der ältere Mann und lächelte 19 �
freundlich. »Der Professor erwartet sie bereits.« Dann saßen sie Charles Goodwill gegenüber. Das Gesicht des Professors sah müde aus. Sicher war er schon seit vielen Stunden auf den Beinen. Er nahm seine Brille ab und massierte leicht seine Augenlider. »Es gibt nicht viel zu melden, meine Herren«, begann er. »Diese Dorothy Plymers starb – wenn man es so nehmen will – eines normalen Todes. Sie starb an Altersschwäche und Herzversagen.« Er schwieg. Geduldig warteten die beiden Detektive. Professor Charles Goodwill hob den Blick. Ernst sah er Collins und Winter an. »Diese Frau wurde das Opfer von übernatürlichen Mächten«, fuhr er dann tonlos fort. »Dieses Wesen sog der jungen Frau ihre ganze Lebenskraft aus dem Körper und dadurch kam es zu diesem schnellen Alterungsprozess.« »Eine Art Vampir?«, fragte Jeff Winter. Er zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief. Charles Goodwill nickte. »Im gewissen Sinne ja, nur, dass es richtige Vampire auf das Blut ihrer Opfer abgesehen haben. Doch dieser alte Mann, wenn wir einmal dabei bleiben wollen, raubte seinem Opfer die Jugend, das Leben. Können Sie mir folgen, meine Herren?« Percy Collins nickte. Dann berichtete Percy mit wenigen Worten von seinen Auseinandersetzungen, die er und sein Assistent mit den Mächten der Finsternis hinter sich hatten. Professor Goodwill staunte. Interessiert musterte er die beiden Detektive. Collins' Äonen-Ring interessierte ihn besonders stark. Auch hier gab der Inspektor einige Erklärungen dazu. Jeff Winter berichtete anschließend von den fünf verschwundenen Frauen und dem Verdacht, dass auch diese Frauen das 20 �
Opfer dieses unheimlichen Phänomens geworden wären. »Unglaublich«, sagte Professor Goodwill. »Wenn Sie nichts dagegen haben, Inspektor, dann veranlasse ich, dass diese Leichen nach hier gebracht werden. Ich möchte sie ebenfalls untersuchen. Vielleicht finde ich irgendwelche Hinweise und Spuren, die ihnen beiden helfen können.« Percy nickte Jeff zu, der zu einem Telefon ging und einige Gespräche führte. »Wir schauen morgen wieder bei Ihnen vorbei, Professor«, sagte Collins abschließend. »Sollte sich jedoch vorher etwas Interessantes ergeben, dann rufen Sie mich bitte an.« Professor Charles Goodwill nickte. * Wieder wogten graue Nebelmassen durch Londons Straßen. Die Sicht betrug höchstens zwei bis drei Meter. Der Straßenverkehr war zum Erliegen gekommen. Dumpf klangen die Kirchturmglocken durch den dicken Dunst. Ein dunkler Schatten schob sich zwischen dem Brodem hervor. Die leicht zusammen gekrümmte Gestalt eines sehr alten Mannes bewegte sich taumelnd vorwärts. Fast schwerfällig stampften die Schritte über die feuchten Pflastersteine. Jetzt verhielt der alte Mann, schien in sich hineinzulauschen. Dann kerbte ein teuflisches Lächeln seine welken Lippen. Der alte Mann schob sich hinter einen Baum, dessen dicker Stamm sich in den Nebelschleiern verlor. Der Mann wartete. Minuten vergingen. Dann näherten sich langsam Schritte. Bald schob sich die Gestalt eines jungen Mädchens aus den 21 �
Nebelschleiern hervor. Es mochte höchstens sechzehn Jahre alt sein. Das Girl trug Blue Jeans und einen grünen Parka. Ein langer Pferdeschwanz wippte fröhlich im Nacken. Pfeifend tänzelte das Mädchen näher. Es schien keinerlei Angst zu verspüren, ahnte nicht, dass das Grauen bereits auf sie wartete. Das junge Mädchen war jetzt heran. Der Alte schob sich hinter dem Baumstamm hervor. Sein dunkler Schatten fiel auf das Mädchen, das mitten im Schritt stockte. Ihr Pfeifen endete mit einem schrillen Misston. Der alte Mann kicherte. Langsam schlurfte er auf das Mädchen zu, das den sich nähernden Mann aus großen Augen anstarrte. »Was ist los mit dir, Opa?«, klang ihre helle Stimme auf. »Hey, stimmt etwas nicht mit dir? Bist du vielleicht betrunken? Kann ich dir helfen?« Der Alte lächelte finster. Seine tief in den Höhlen liegenden Augen funkelten in einem verzehrenden Feuer. Er hob jetzt seine Arme und reckte sie dem jungen Mädchen entgegen. Mabel Wilson wich zurück. Mabel Wilson hatte plötzlich Angst. Sie starrte in das zerknitterte Gesicht des Alten, sah die teuflisch funkelnden Augen, den zahnlosen Mund. Jetzt berührten sie die eiskalten Hände des alten Mannes. Das schöne Mädchen zuckte zusammen. Plötzlich erschlaffte der zierliche Körper. Wie eine Puppe hing er in den Händen des alten Mannes, der sich auf eine schreckliche Art zu verändern begann… Der Mann verschwand im brodelnden Nebel, der sich hinter ihm schloss. * 22 �
»Wir müssen die Bevölkerung über Radio und Fernsehen warnen«, sagte Chiefinspektor Glenn Hubbard. Seine Miene war ernst. Nervös klopfte er seine Pfeife im Aschenbecher aus. »Ein weiteres Opfer wurde heute morgen gefunden«, fuhr Hubbard fort. »Sie sollten sich das Mädchen ansehen, Collins.« Der Inspektor nickte. In seinem hageren Gesicht arbeitete es. Seine Finger der rechten Hand trommelten auf der Schreibtischplatte. Dann nickte er Jeff Winter zu. »Wir fahren hin, Chef.« »Ich habe sie gleich zu Professor Goodwills Klinik bringen lassen. Vielleicht sprechen sie auch nochmals mit Goodwill wegen der drei anderen Opfer. Haben Sie etwas von den zwei anderen Mädchen, die ebenfalls vermisst werden, erfahren?« Jeff Winter nickte. »Ja, Sir. Hat sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Die beiden Girls sind mit einer Pop-Gruppe verschwunden und jetzt wieder aufgetaucht.« Hubbard nickte wütend. »Müssten meine Töchter sein, dann würde ich ihnen den Allerwertesten versohlen.« Percy Collins und Jeff Winter machten sich auf den Weg. Bald standen sie Charles Goodwill gegenüber. »Kommen Sie beide gleich mit! Ich muss Ihnen etwas sehr Interessantes zeigen.« Percy und Jeff folgten dem Gelehrten durch einige weißgekachelte Gänge. Typischer Krankenhausgeruch wehte ihnen entgegen. Jeff zog die Nase hoch. Dann standen sie vor einer Bahre, auf dem ein menschlicher Körper unter einem weißen Laken lag. Professor Goodwill nickte einem Mann im weißen Kittel zu, der das Tuch von der Leiche zog. Percy Collins zuckte zusammen. Ein dicker Kloß befand sich 23 �
plötzlich in seinem Hals. Auch Jeff Winter schluckte mühsam. »Kein erfreulicher Anblick«, dozierte der Professor. »Doch bestimmt ist Ihnen aufgefallen, Gentlemen, dass der Körper dieses Mädchens zu dem Körper einer uralten Frau geworden ist. So, wie auch bei den anderen Fällen. Doch sehen Sie sich bitte den Hals, den Kopf und vor allem das Gesicht an.« »Das Gesicht ist das eines jungen Mädchens«, stellte der YardDetektiv fest. »Keine Veränderungen. Worauf ist dies zurückzuführen, Professor?« »Es gibt nur eine Erklärung«, antwortete Goodwill. Er deutete auf das kleine silberne Kreuz, das an einem silbernen Kettchen um den Hals der Toten hing. »Dieses geweihte Kruzifix verhinderte den Alterungsprozess im Gesicht des Mädchens.« Percy Collins nickte. »Ich stimme Ihnen zu, Professor. Trotzdem wirkten starke dämonische Mächte auf das junge Girl. Mein Äonen-Ring spricht an. Ein sicheres Zeichen, dass wieder übernatürliche Kräfte am Werk waren.« »Wer ist sie?«, fragte Jeff Winter. »Mabel Wilson. Es war nicht schwer, dies herauszufinden, da ihr Gesicht nicht gealtert war.« Der Professor setzte sich in Richtung Ausgang in Bewegung. Die beiden Detektive von Scotland Yard folgten ihm. In seinem Arbeitszimmer angekommen, bot Goodwill seinen beiden Besuchern Sitzplätze an. »Einen Drink?«, fragte er. »Whisky?« Percy und Jeff nickten. Die drei Männer prosteten sich stumm zu, dann ergriff Professor Charles Goodwill wieder das Wort. »Noch etwas ist eingetreten, meine Herren, das – um es gelinde auszudrücken – sehr sonderbar ist. Ich habe diese Dorothy Plymers obduziert. Als ich heute die geöffnete Leiche nochmals anschauen wollte, stellte ich zu meinem Erstaunen fest, dass sich 24 �
alle Schnittstellen und Öffnungen an der Toten geschlossen hatten. Die Leiche war unversehrt.« Die beiden Yard-Detektive staunten. »Und noch etwas, meine Herren. Bei Dorothy Plymers' Leiche und auch bei den Leichen der drei anderen Krauen sind weder Leichenstarre, noch Verwesungserscheinungen eingetreten.« Percy Collins' Blick wurde starr. Kopfschüttelnd wandte er sich dann an den Professor. »Äußerst interessant. Was vermuten Sie?« »Ich kann dazu noch nichts sagen, Inspektor. Ich würde vorschlagen, dass die Leichen vorläufig nicht beerdigt werden. Ich werde mich weiter mit diesem Problem beschäftigen. Sind Sie, meine Herren, einen Schritt weitergekommen?« »Keinerlei Spuren oder Hinweise«, antwortete Jeff Winter. »Wir sind in einer Sackgasse. London ist eine Millionenstadt. Es gibt bestimmt Hunderttausende von alten Männern. Finden Sie da einmal den Richtigen heraus!« Professor Goodwill lächelte. »Ihr Problem, meine Herren. Ich werde mich weiterhin meinen Untersuchungen widmen. Sollte sich etwas ergeben, dann melde ich mich umgehend. Vielen Dank, Gentlemen, dass Sie so rasch zu mir hierher gekommen sind.« Sie verabschiedeten sich und verließen die Privatklinik. Es war später Nachmittag, als sie sich dem Yard näherten. Der Himmel war klar. »Scheint heute Nacht keinen Nebel zu geben«, stellte Jeff Winter fest. »Vielleicht eine Chance für uns, wenn wir noch mehr Streifenpolizisten losschicken?« Percy nickte. Er war mit seinen Gedanken bei den fünf unglücklichen Opfern und ahnte, dass sie nicht die einzigen bleiben würden. Glenn Hubbard erwartete sie bereits in seinem Office. Der 25 �
Chiefinspektor war nicht bester Laune. Percy berichtete kurz von den Dingen, die sie in der Klinik erfahren hatten. »Die ersten Warnungen an die Bevölkerung gingen bereits über Punk und Fernsehen. Auch die Abendausgaben der Zeitungen werden sich dieses Thema annehmen.« Jeff Winter zog an seiner Zigarette, die ihm auf einmal nicht mehr schmecken wollte. »Hoffentlich bricht keine Panik aus«, sagte er sorgenschwer. Sein jungenhaftes Gesicht wirkte verschlossen. »Lassen Sie die Streifen verstärken?« Glenn Hubbard nickte. »Sicher, wir haben Militär angefordert. Vielleicht erwischen wir den Seelenfresser.« »Wen?«, fragte Collins. »Ich habe den unheimliches alten Mann Seelenfresser getauft«, sagte der Chiefinspektor ernst. »Wenn Ihnen der Name nicht gefällt, Collins, dann vergessen Sie ihn.« Percy winkte ab. »Namen sind Schall und Rauch, Chef. Doch so unrecht haben Sie eigentlich nicht. Dieser Dämon raubt seinen Opfern nicht nur Lebenskraft und Jugend, sondern auch ihre Seelen, denn sonst würden ihre leblosen Körper vergehen.« Percy Collins blickte sinnend hoch. »Ich habe nun doch schon einige Fälle hinter mir, in denen ich gegen die Mächte der Finsternis kämpfte. Doch dieses Mal scheinen wir es mit einem Dämon zu tun zu haben, der vor nichts zurückschreckt.« Die Männer schwiegen. »Jetzt können wir nur abwarten, ob uns dieser verdammte Kerl ins Netz geht«, murmelte Glenn Hubbard. »Wir haben unser Möglichstes getan. Sie, meine Herren, halten sich bitte in Alarmbereitschaft! Vielleicht geht es heute Nacht noch rund.« 26 �
*
Die Dunkelheit senkte sich über London. Die bleiche Scheibe des Mondes warf silbernes Licht. Der Himmel war sternenübersät. Ein leichter Wind strich durch die Straßen und ließ die Blätter in den Bäumen rauschen. Der alte Mann verließ das kleine Haus, das sich wie verschämt gegen einen Hügel duckte. Die gebeugte Gestalt bewegte sich stadteinwärts. »Hunger«, murmelte der alte Mann. »Hunger.« Der schützende Nebel war heute nicht da. Der Greis wusste, dass dies nicht gut für ihn war, trotzdem trieb ihn das nagende Hungergefühl vorwärts. Die Straße lag einsam vor ihm. Keine Menschenseele war zu sehen. Die Straßenlaternen spendeten freundliches Licht. Bizarr hob sich der Schatten des alten Mannes von den grauen Hausmauern ab. Sein silbergraues Haar hing in wirren Strähnen bis in den Nacken. Jetzt stockte der Alte. Schritte klangen aus einer Nebengasse, die nur zehn Meter entfernt in die Straße mündete. In den trüben Augen des Mannes glomm ein unheimliches Feuer auf. Seine bucklige Gestalt schien sich zu strecken. Seine Hände ballten sich voller Gier. Der Alte schob sich hinter einen Baumstamm. Seine Gestalt verschmolz mit dem Schatten. Die Schritte kamen näher. Zwei Männer traten aus der Gasse hervor. Die metallenen Knöpfe an den Uniformen glänzten im Lichtkegel einer Straßenlaterne. Der alte Mann zuckte zusammen. 27 �
Gefahr, signalisierte sein Gehirn. Aus zusammengekniffenen Augen starrte er zu den beiden Polizisten hinüber, die sich unschlüssig umblickten und dann langsam auf ihn zukamen. Der alte Mann duckte sich. Fest presste er seinen schmächtigen und verbrauchten Körper gegen den dicken Baumstamm. Seine Hände begannen zu beben. Ein keuchendes Stöhnen entrang sich seiner Brust. Die beiden Polizisten ahnten nichts von der drohenden Gefahr, die im dunklen Schatten auf sie lauerte. Gemächlich schlenderten sie vorbei, sahen nicht den Schatten, der hinter ihnen aufwuchs. Der Seelenfresser hatte die beiden Polizisten fast erreicht, als er auf einen dürren Zweig trat. Es knackte, als wäre ein Schuss abgefeuert worden. Die beiden Uniformierten fuhren herum. Fassungslos starrten sie auf den alten, buckligen Mann, sahen die glühenden Augen, die voller Gier waren, erkannten die gekrümmten Hände, die nach ihnen griffen und wichen zurück. Doch der Seelenfresser nützte die Schrecksekunde der beiden Polizisten gnadenlos aus. Sein schmächtiger Körper schnellte wie eine Feder nach vorn. Seine Hände krallten sich in die Arme seiner Opfer, die jetzt wie wild um sich schlugen und den alten Mann von sich abschütteln wollten. Doch für die beiden Londoner Bobbys war es bereits zu spät. Sie fühlten, wie ihre Kräfte innerhalb weniger Sekunden nachließen, wie das schleichende Gift des Alterns durch ihren Körper rann und diesen lahmte. Der Seelenfresser taumelte jetzt zurück. Ein triumphierender Schrei brach von seinen Lippen. Seine Gestalt veränderte sich. Die beiden Polizisten waren zu uralten Greisen geworden, die kaum noch Kraft hatten, auf den Beinen zu stehen. 28 �
Der Seelenfresser sah sich nach allen Seiten um. Nichts Verdächtiges war zu sehen. Zufrieden setzte er seinen Weg durch Londons nächtliche Straßen fort. * »Zwei Polizisten sind dem Unhold zum Opfer gefallen«, sagte Chiefinspektor Glenn Hubbard anklagend. »Die Bevölkerung hat sich einigermaßen an die Anweisungen gehalten und die Wohnungen nicht verlassen. Über hundert alte Männer wurden vorläufig festgenommen und dann wieder laufengelassen. Wir haben uns nichts wie Ärger eingehandelt.« Percy Collins nagte an seiner Unterlippe. Er sah übernächtigt aus, sein Assistent Jeff Winter ebenfalls. Sie waren fast die ganze Nacht hindurch unterwegs gewesen. Doch immer war es falscher Alarm gewesen. »Was jetzt, Chef?«, fragte Jeff Winter. Er drückte seine Zigarettenkippe im überquellenden Aschenbecher aus und konnte nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken. »Keine Ahnung«, antwortete Hubbard mutlos. »Haben Sie eine Idee, Inspektor?« Percy Collins lächelte schwach. »Keine Idee«, erwiderte er kurz. »Ich habe mir schon seit Stunden den Kopf über dieses Problem zerbrochen, bin jedoch zu keiner Lösung gekommen.« In diesem Moment läutete das Telefon. Jeff Winter nahm ab, gab den Hörer dann an Percy weiter. »Hallo, Professor«, sagte der Yard-Inspektor freundlich. »Gewiss, was…?« Percy Collins hatte es offensichtlich die Sprache verschlagen. »Was?«, keuchte er dann. »Wiederholen Sie das noch einmal, Professor und bitte ganz langsam!« 29 �
Percy Collins' Gesicht rötete sich leicht. »Okay«, murmelte er. »Wir kommen sofort. Vielen Dank für den Anruf, Professor Goodwill.« Der Inspektor legte den Hörer auf. Glenn Hubbard und Jeff Winter sahen Collins fragend an. »Nun spucken Sie es schon aus, Collins?«, knurrte der Chiefinspektor. »Unglaublich«, rief Percy. »Stellen Sie sich vor, Chef, eine von den Opfern ist verschwunden. Spurlos verschwunden.« »Unsinn«, entgegnete Hubbard unwillig. »Wenn Sie jetzt versuchen, mich auf den Arm zu nehmen, dann geraten wir beide sehr böse aneinander, Inspektor.« Percy Collins lächelte sanft. »Eine der zu Greisinnen gewordenen Frauenleichen ist verschwunden. Stellen Sie sich vor, Sir, der Professor behauptet, dass die Tote wieder lebendig geworden sei.« »Auch Menschen, die von Vampiren angefallen worden sind, erwachen nachts wieder und treiben ihr teuflisches Unwesen, werden also ebenfalls zu Vampiren.« Chiefinspektor Hubbard schluckte schwer. Seine Augen funkelten hinter den dicken Brillengläsern. »Sie meinen, dass diese gealterten Menschen wieder zu einem dämonischen Leben erwachen? Nicht auszudenken, was für eine Kettenreaktion das geben würde!« Inspektor Collins nickte sorgenschwer. »Grauenhaft«, flüsterte er. »Trotzdem vielleicht für uns eine Chance, an diesen unheimlichen alten Mann heranzukommen.« Glenn Hubbards Kopf ruckte hoch. »Los, Collins, lassen Sie sich doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen! Es ist ja nicht auszuhalten mit Ihnen.« Ein nachdenkliches Lächeln legte sich um Percy Collins' Mundwinkel. Er erhob sich. 30 �
»Ich werde die anderen noch verbliebenen drei weiblichen und zwei männlichen Leichen nicht aus den Augen lassen. Bestimmt werden auch sie wieder zu einem gespenstischen Leben erwachen. Vielleicht haben wir Glück und eine oder einer der Untoten bringt uns zu dem alten Mann, der der Ausgangspunkt für all dieses Grauen ist.« Glenn Hubbard pfiff durch die Zähne. »Okay, Collins, bleiben Sie am Ball! Doch halten Sie mich bitte auf dem laufenden!« Jeff Winter war neben Percy getreten. Sein leicht rötliches Haar funkelte wie Kupfer in den durch das Fenster hereinfallenden Sonnenstrahlen. »Ziehen wir Leine«, sagte der junge Mann. »Ich bin sicher, dass wir jetzt eine reelle Chance haben, diesen dämonischen Seelenfresser einzufangen.« »Viel Glück, Jungs«, rief Chiefinspektor Hubbard und verließ das Büro. Auch die beiden Polizei-Detektive machten sich auf den Weg. Professor Charles Goodwill erwartete sie bereits. Sein Gesicht war blass, die Nasenflügel bebten leicht, ein Zeichen seiner hochgradigen Nervosität. »Kommen Sie mit, meine Herren.« »Hier lag die Tote, Inspektor. Die Türen hier sind selbstverständlich nicht abgeschlossen.« Er lächelte gequält. »Wir konnten ja nicht annehmen, dass sich eine Leiche davonmachen würde.« Percy blickte auf die leere Bahre. Sein geübter Blick versuchte irgendwelche verräterischen Spuren zu entdecken, doch er konnte keinerlei Hinweise sehen. »Wo befinden sich die drei anderen Frauen?«, fragte Collins. »Die beiden Polizistenleichen sind doch auch schon bei Ihnen eingetroffen, Professor?« 31 �
Goodwill nickte. »Sicher, Inspektor. Die drei anderen Frauen liegen nebenan, die beiden Polizisten einen Raum daneben.« »Wie erklären Sie sich das Verschwinden der Toten, Sir?«, fragte Inspektor Collins. »Das weiß ich nicht. Ich habe nur einen Verdacht, Mr. Collins. Mein Personal ist sehr vertrauenswürdig. Ich würde für jeden meiner Mitarbeiter die Hand ins Feuer legen. Außerdem berichtete mein Portier, dass eine weißgekleidete Frau kurz nach Mitternacht das Portal passierte. Er hielt sie wohl für eine unserer Krankenschwestern. Doch keine hat um diese Zeit die Klinik verlassen.« »Hören Sie zu, Professor, glauben Sie, dass auch die anderen Toten wieder zu einem unheimlichen Leben erwachen werden?« »Ich nehme es an«, antwortete Professor Goodwill und war sich der Ungeheuerlichkeit voll bewusst, die er so gelassen aussprach. »Worauf wollen Sie hinaus?« »Wir werden die Toten nicht mehr aus den Augen lassen, Professor.« Professor Charles Goodwill nickte zustimmend. »Diesen Vorschlag wollte ich Ihnen ohnehin machen, Inspektor. Bitte kommen Sie doch mit in den anliegenden Raum, wo sich die Leichen der drei anderen Frauen befinden.« Die beiden Detektive von Scotland Yard folgten dem Chef der Privatklinik. Professor Goodwill deutete in eine Ecke des Raumes. »Wir haben dort eine Fernsehkamera installiert, die den ganzen Raum erfasst. In einem der Nebenzimmer können sie alles auf einem Monitor mitverfolgen.« »Prächtig, Professor«, stieß Jeff Winter hervor. »Kann eigentlich nichts mehr schief gehen.« Percy Collins war zu einer Bahre getreten. Er hob den Zipfel 32 �
des Lakens und blickte in das verrunzelte Gesicht der toten Dorothy Plymers. Sein Äonen-Ring begann sich in diesem Moment zu erwärmen. Warnende Impulse durchzuckten den Polizei-Detektiv. Percy machte Winter und den Professor darauf aufmerksam. »Ganz eindeutig«, bemerkte Percy. »Diese unglücklichen Opfer sind nicht ganz tot, denn sonst würde der Äonen-Ring nicht reagieren. Etwas Schreckliches geht hier vor.« Percy Collins trat zu den anderen beiden Bahren, auf dem zwei weitere Opfer lagen. Doch hier reagierte der Äonen-Ring nicht. »Dorothy Plymers wird wohl heute Nacht auf Wanderschaft gehen«, murmelte er. »Wir werden auf der Hut sein und alle Vorbereitungen treffen. Es darf einfach keine Panne geben. Ich werde sofort Hubbard benachrichtigen.« Jeff Winter gab Percy einen leichten Klaps auf die Schulter. »Wird schon schief gehen, alter Junge«, sagte er mit einem jungenhaften Grinsen. * Die Schatten der dunklen Nacht färbten sich zu einem leichten Grauton. Im Osten begann es schnell hell zu werden. Die Nacht neigte sich ihrem Ende zu. Mit schnellen Schritten näherte sich ein Mann dem kleinen Haus, das sich wie schutzsuchend gegen den kleinen Hügel schmiegte. Der Seelenfresser sah sich nochmals schnell nach allen Seiten um, ehe er die knarrende Tür öffnete und im Innern des Hauses verschwand. Die Wohnung war ungepflegt. Das spärliche Mobiliar wirkte uralt. Der Seelenfresser, dessen Körper noch immer der eines ungefähr vierzigjährigen Mannes war, ließ sich auf einen wackligen Stuhl fallen. 33 �
Er starrte auf seine Hände, die leicht zu zittern begannen. Das triumphierende Leuchten in seinen Augen erlosch. Er taumelte hoch. Es war wieder soweit. Gleich würde er wieder zu einem uralten Greis werden. Die jugendliche Lebenskraft würde seinen Körper verlassen und auf geheimnisvolle Art und Weise verschwinden. Der Mann verfiel langsam, wurde zu einem Greis, der sich kaum auf den Beinen halten konnte. Und dann kam der Hunger wieder. Doch der alte Mann wusste, dass es am Tag tödlich für ihn sein konnte, das Haus zu verlassen. Er musste warten, bis die Nacht wieder hereinbrach. Der Greis schluckte schwer. Plötzlich vernahm er ein Geräusch, das aus dem Nebenzimmer herüber klang. Der Seelenfresser zuckte zusammen. Er taumelte von dem wackligen Stuhl hoch und richtete sein Augenmerk zur Tür, wo plötzlich eine Gestalt auftauchte. Es war eine alte Frau, die sich ebenso wie er kaum auf den Beinen halten konnte. In ihren tief liegenden Augen glühte ein dämonisches Feuer. Sie lehnte gegen die Türfassung. Der Seelenfresser erkannte eines seiner Opfer, das nun wieder zu einem gespenstischen Leben erwacht war. Er hatte Verstärkung bekommen. Und er würde immer mehr Verbündete bekommen, denn die benötigte Lebenskraft für seinen Auftraggeber in den anderen Dimensionen war grenzenlos. Doch der Seelenfresser wusste auch, dass er eines Tages von seinem geheimnisvollen Auftraggeber, den er noch niemals persönlich gesehen hatte, belohnt werden würde. Die alte Frau näherte sich ihm. Ihr Gesicht war verzerrt. Etwas wie Angst lag jetzt in ihren funkelnden Augen. Sie setzte sich neben dem Seelenfresser auf 34 �
einen Stuhl. Die beiden unheimlichen Wesen sahen sich an. Eine Aura des Grauens umgab sie. »Wo bin ich?«, fragte sie. Ihre Stimme erinnerte an das Gekrächze eines Raben. Der Seelenfresser versuchte zu lächeln, doch dies machte sein Gesicht nur noch verzerrter. »Du bist hier in guten Händen«, antwortete er. »Es werden noch mehr zu uns stoßen. Immer mehr. Bald werden wir eine Armee des Grauens bilden. Wir werden uns so schnell vermehren, weil auch unsere Opfer bald zu uns gehören werden und sich selbst wieder Opfer suchen werden. Unser Herr und Meister braucht viele Seelen und auch die Lebenskraft von Tausenden dieser irdischen Menschen, um seinen Plan ausführen zu können.« Die Untote blickte hoch. »Welchen Plan?«, fragte sie. Der Seelenfresser zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Unser Herr und Meister hat mit mir nicht darüber gesprochen. Doch in wenigen Minuten wird er bei uns sein. Nicht körperlich, doch wir werden mit ihm reden können.« Die alte Frau kauerte auf dem Stuhl. Jegliches Leben schien aus ihrem verbrauchten Körper entwichen zu sein. Draußen vor dem Haus war es inzwischen heller Tag geworden. Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die verschmutzten Fensterscheiben. Spinnweben hingen in den Winkeln, die von ausgedörrten Fliegen gesprenkelt waren. Irgendwo ächzten ein paar Dielen. Regungslos saßen die beiden alten Leute auf ihren Stühlen. Plötzlich ging ein Raunen und Wispern durch den Raum. Modergeruch wehte durch das Zimmer. Der Seelenfresser erhob sich seufzend. Der Herr und Meister war erschienen. 35 �
Dann klang auch schon eine monotone Stimme auf, die aus unendlichen Dimensionen, die einem Menschen wohl immer versperrt sein würden, zu kommen schien. Auch die untote Frau hob den Kopf. Ihre Augen begannen zu funkeln, die welken Lippen bebten. Sie erhob sieh und trat neben den alten Mann. Wie auf ein geheimes Kommando hin neigten beide die Köpfe. Das Raunen und Wispern verstärkte sich, wurde bald zu einem lauten Gemurmel, dann zu einem Rauschen, das an einen Wasserfall erinnerte. Jetzt hatte sich die Stimme so artikuliert, dass sie von den beiden Untoten verstanden werden konnte. »Ich grüße euch, meine Freunde«, rief die monotone Stimme. »Ihr habt gute Arbeit geleistet. Doch noch mehr Arbeit und auch Vergnügen erwarten euch. Ich brauche noch mehr Seelen und Lebenskräfte, damit ich aus den Dimensionen des Grauens zu euch gelangen kann. Noch bin ich zu schwach dafür, doch dank eurer Mithilfe werde ich es bald geschafft haben. Mein Lohn wird euch gewiss sein.« Die monotone Stimme, die aus unermesslichen Entfernungen gesprochen hatte, verstummte. Auch der Modergeruch verzog sich langsam. Die beiden Untoten fielen auf ihre Stühle zurück. Sie würden bald nicht mehr allein sein. Sie würden immer mehr werden. Immer mehr. Wie eine Flut würde es sich ausweiten, die alles überschwemmen würde. Auch dieser Tag wurde vergehen. Die Nacht war seine Stunde. * Es war bereits dunkel geworden. Percy Collins und Jeff Winter hatten zusammen mit Professor 36 �
Goodwill ein reichliches und vor allem gut schmeckendes Abendessen eingenommen und saßen jetzt im Arbeitszimmer des Professors. »Ich darf doch rauchen?«, fragte Jeff Winter. Goodwill nickte. Immer wieder wanderten die Blicke der drei Männer zu dem eingeschalteten Fernseher, auf dem das Bild des Raumes zu sehen war, in dem sich die drei toten Frauen befanden. Eine andere Kamera, die man mit einer Fernbedienung zuschalten konnte, war auf die Bahre gerichtet, auf der Dorothy Plymers' Leichnam lag. »Vor Mitternacht wird wohl kaum etwas geschehen«, nahm Percy Collins an. Professor Goodwill lächelte nur. »Ich verstehe einfach nicht, warum es immer die mitternächtliche Stunde sein muss«, sagte er dann. »Ich nehme stark an, dass allein die Dunkelheit der auslösende Faktor sein wird, Inspektor.« Percy zuckte nur mit den Achseln. »Wann es passiert, ist mir völlig egal«, entgegnete er. »Ich hoffe nur, dass es bald geschehen wird.« Die Zeit verging. Die drei Männer unterhielten sich über verschiedene Dinge. Es wurde ihnen nicht langweilig. Ab und zu tranken sie einen Schluck von dem goldgelben Whisky, den der Professor eingeschenkt hatte. Dabei ließen sie den Bildschirm des Fernsehapparates nicht aus den Augen. Percy Collins zuckte plötzlich zusammen. Sein Blick wurde starr, während er auf den Monitor blickte. Auch Jeff Winter und Professor Goodwill schauten angespannt auf. »Was ist, Inspektor?«, wollte der Professor wissen. 37 �
»Ich hatte den Eindruck, dass sich das Laken, unter dem Dorothy Plymers liegt, leicht bewegt hat«, murmelte Percy Collins. »Vielleicht haben mir aber auch meine Nerven einen Streich gespielt. Bestimmt habe ich mich getäuscht.« Die drei Männer schwiegen und ihre Blicke saugten sich förmlich an dem Bildschirm fest. »Da, sehen Sie, Professor?«, stieß Inspektor Collins plötzlich hervor. Sie sahen es alle drei. Das Laken verrutschte, als würde sich der Leichnam der Frau darunter bewegen. Die drei Männer hielten den Atem an. Jetzt schob sich eine bleiche, verrunzelte Hand unter dem weißen Bettlaken hervor. Das Gesicht von Professor Goodwill verzog sich, wurde zu einer Grimasse des Abscheus. Jetzt ruckte der Oberkörper der Untoten hoch. Das Laken rutschte zur Seite. Der an einen Totenschädel erinnernde Kopf der alten Frau tauchte auf. Jeff Winter biss sich auf die Unterlippe. Sein Gesicht war grau wie Holzasche. Die Untote öffnete die Augen. Sie schien in diesem Moment genau in die Fernsehkamera zu blicken. Sogar Percy Collins jagten kalte Schauer den Rücken hinunter. Er war zwar einiges gewöhnt, doch dieser grauenhafte Anblick konnte auch einen abgebrühten Mann aus der Fassung bringen. Die alte Frau, die einmal Dorothy Plymers gewesen war, blieb regungslos sitzen. Nur ihre funkelnden Augen schienen zu leben. Minuten vergingen. Plötzlich veränderte sich ihr Gesicht. Die Verwandlung ging so rasch von sich, dass die drei Beobachter kaum in der Lage waren, dem Vorgang im einzelnen zu fol38 �
gen. Aus der Greisin wurde die schöne und junge Dorothy Plymers, die sich jetzt von der Bahre erhob. Für einige Sekunden stand sie nackt vor dem Auge der Kamera. Dann schlang sich Dorothy Plymers das Laken um den nackten Körper und setzte sich in Bewegung. Sie verließ den Raum. »Es geht los, Professor«, knurrte Percy Collins. »Wir nehmen die Verfolgung auf. Nochmals vielen Dank für ihre Hilfe und Mitarbeit. Bitte sorgen Sie dafür, dass die beiden anderen Frauen und die beiden toten Polizisten die Klinik auf keinen Fall verlassen können. Handeln Sie bitte so, wie wir es abgesprochen haben!« »Komm schon, Percy«, rief Jeff Winter, der sprungbereit neben der Tür stand. »Wir müssen vor den Untoten die Frau erreichen und genaue Anweisungen an die übrigen Leute geben. Die erwarten alle eine alte Frau.« Die beiden Männer von Scotland Yard machten sich auf den Weg, gelangten zu ihrem Wagen. Während Jeff Winter die notwendigen Anweisungen gab, beobachtete Percy Collins das Portal, aus dem die wieder zum Leben erwachte Dorothy Plymers auftauchen musste. Mit einem Handfunkgerät stand er mit Professor Goodwill in Verbindung, der den Weg der Untoten von einem Fenster aus genau verfolgen konnte. »Sie geht jetzt den Parkweg entlang«, klang es aus dem Funkgerät. »Sie muss gleich das Portal… Nein, Inspektor, die Frau verschwindet jetzt zwischen den Büschen. Ich kann sie nicht mehr sehen. Vielleicht will sie über die Mauer klettern. Sie müssen jetzt gut aufpassen.« »Okay, Sir«, antwortete Percy Collins, öffnete die Wagentür und stieg aus. Jeff, der das Gespräch mitverfolgt hatte, folgte seinem Vorge39 �
setzten. Auf der Straße war kein Mensch zu sehen. Bäume säumten den Gehweg. Auch einige Büsche schmiegten sich an die Außenmauer der Privatklinik. Die beiden Yard-Detektive hielten sich im Schatten der Sträucher. Schritte klangen auf. Sie verstummten, dann entstanden Geräusche, als würde sich jemand an der Mauer hochziehen. Inspektor Collins spähte zum Mauersims empor. Dann sah er ein paar bleiche Finger, die sich über die Mauerkuppe schoben. Ein fahl schimmerndes Gesicht folgte, dann wurde der Oberkörper der Untoten sichtbar. Die Entfernung betrug ungefähr zehn Meter. Die beiden Polizei-Detektive zogen sich noch tiefer in den Schatten zurück. Dorothy Plymers sprang jetzt herüber und landete auf allen vieren. Doch wie eine Katze kam sie wieder auf die Beine. Ohne sich umzudrehen, lief sie weiter, dicht an Collins und Winter vorbei, ohne die Yard-Männer zu entdecken. Eine unbändige Energie schien in der Untoten zu stecken, denn sie machte Riesenschritte. Die beiden Detektive eilten zu ihrem Wagen. Langsam folgten sie Dorothy Plymers, die in dem weißen Bettlaken wie einem alten griechischen Standbild entsprungen zu sein schien. Jetzt verhielt die Untote mitten im Schritt, steuerte dann auf einen alten Ford zu, der am Straßenrand geparkt war. Sie öffnete die Tür, kletterte ins Innere und startete den Wagen. Jeff Winter grinste. »Die klaut doch glatt ein Auto«, stellte er fest. »Möchte nur wissen, ob das Fahrzeug dort zufällig steht, oder von jemandem dort abgestellt wurde, damit sie sich bedienen konnte?« Percy zuckte mit den Achseln und gab Gas, denn der alte Ford hatte Fahrt aufgenommen und erreichte jetzt die King's Road. Jeff gab die Position durch. 40 �
Es herrschte kaum Verkehr, keine Menschenseele war zu sehen. Die Einwohner der Millionenstadt hielten sich offensichtlich an die Warnungen, die stündlich über Funk und Fernseher verbreitet worden waren. Jetzt bog der alte Ford mit pfeifenden Pneus in die Sloane Street ein, bog dann schon nach wenigen hundert Metern in die Pimlico Road ab. Der silbergraue Bentley der beiden Polizei-Detektive von Scotland Yard blieb im sicheren Abstand hinter dem Ford. Die Fahrt ging weiter. Quer durch Londons Innenstadt folgten sie dem Fahrzeug, in dem die Untote saß. Dann ging es über die Westminster Bridge zur Kennington Road und von dort aus zu dem Londoner Stadtteil Kennington. In dem dortigen Straßengewirr hatte Percy Collins große Mühe, den alten Ford nicht aus den Augen zu verlieren. In der Nähe des Kennington Park stoppte das Auto. Die Lichter erloschen. Inspektor Collins parkte sein Fahrzeug hundert Meter entfernt. Einige andere Polizeifahrzeuge befanden sich bereits in der Nähe, sollten jedoch nur auf ausdrückliche Aufforderung eingreifen. Die beiden Polizei-Detektive kletterten ins Freie. Percy warf einen Blick zum Himmel, der sich zu bewölken begann. Ein paar dunkle Wolken schoben sich vor die bleiche Scheibe des Mondes. Ein kalter Wind kam auf. Jeff stellte den Kragen seines Regenmantels hoch. Er lächelte, als er zu dem alten Ford hinüberblickte, der von Dorothy Plymers noch nicht verlassen worden war. Vom nahen Park kam das Rauschen der Bäume herüber. Irgendwo schrie ein Vogel. Ein Hund jaulte. Es wurde dunkler, als das Mondlicht verblasste. Die Straßenlaternen warfen nur 41 �
trübes Licht, das die Umgebung kaum erhellte. »Gehen wir näher heran«, schlug Percy vor und setzte sich langsam in Bewegung. Sein hagerer Körper verschmolz mit den Schatten der kleinen Häuser, die sich in seinem Rücken befanden. »Die lässt sich aber Zeit«, murmelte Jeff Winter. Er hatte beide Hände in den Taschen vergraben. Der Wind wurde stärker, wirbelte Staub, Blätter und kleine Zweige vor sich hier. Die beiden Detektive von Scotland Yard hatten sich dem geparkten Wagen bis auf zwanzig Meter genähert. Dort regte sich immer noch nichts. Inspektor Collins wurde nervös. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass irgend etwas nicht stimmte. »Wir sehen nach, Jeff«, sagte er. »Ich habe den Eindruck, dass man uns mächtig hereingelegt hat.« Sie näherten sich vorsichtig dem alten Ford. Percys Verdacht bestätigte sich. Das Auto war leer. Dorothy Plymers, die Untote, war verschwunden. Passungslos blickten sich die beiden Polizei-Detektive an. Percy zerquetschte einen Fluch zwischen den Lippen. »Das gibt es doch gar nicht«, murmelte Jeff Winter und kletterte in den alten Ford hinein. Dorothy blieb verschwunden. Percy Collins blickte die düstere Straße hinab. Die Straßenlampen schaukelten im wehenden Wind. Plötzlich vernahmen sie einen gellenden Aufschrei, der die nächtliche Stille zerriss. * Die beiden Polizei-Detektive stürmten los. Der angsterfüllte Aufschrei war nur höchstens dreißig Meter 42 �
entfernt gefallen. Zwischen zwei kleinen Häusern befand sich dort ein Garten. Die beiden Männer sprangen über den kniehohen Gartenzaun, stolperten über Gartenbeete und bemerkten dann einen taumelnden Schatten, der in diesem Moment schwer zu Boden fiel. Percy sah in diesem Augenblick etwas Helles aufleuchten. Er kümmerte sich nicht mehr um Jeff, der sich gerade über einen Mann beugte, der zusehends verfiel und diesem unheimlichen Alterungsprozess unterworfen wurde, sondern eilte der huschenden Gestalt hinterher. Jetzt konnte Percy deutlich das weiße Laken erkennen. Die Gestalt vor ihm musste Dorothy Plymers sein, besser gesagt, das, was aus ihr nach dem Tode geworden war. Percy Collins hetzte mit keuchendem Atem hinter der Untoten her, die jetzt die Straße erreichte und geradewegs auf den alten Ford zuhielt. Sie schlüpfte hinein, startete den Motor und fuhr los. Inspektor Collins fluchte. Jeff Winter tauchte neben ihm auf. Gemeinsam erreichten sie den Bentley. Jeff hatte sich hinter das Steuer geschwungen. Mit aufheulenden Pneus jagte er hinter dem alten Ford her, der bereits um eine Straßenecke gebogen war. Percy Collins meldete per Funk Glenn Hubbard kurz, was vorgefallen war und bat, dass man sich um das Opfer der Untoten kümmern sollte. Chiefinspektor Hubbard versprach, alles in die Wege zu leiten und wünschte seinem besten Mann viel Erfolg. »Kann ich gebrauchen«, murmelte Collins. Angestrengt spähte er zur Frontscheibe hinaus. Jeff Winter jagte den Bentley in diesem Moment in halsbrecherischer Fahrt durch eine Kurve. Percy fluchte leise. 43 �
»Sie ist fort«, knurrte Winter. »Fort, spurlos verschwunden. Wir haben diese Untote unterschätzt, Percy. Die hat nur mit uns gespielt. So kommen wir niemals an den alten Mann heran.« Jeff Winter drehte noch ein paar Runden, von dem alten Ford war jedoch nichts zu sehen. Auch die anderen Streifenposten, die von Inspektor Collins informiert worden waren, konnten nur negative Mitteilungen machen. »Zur Klinik zurück«, knurrte Collins. Nur mühsam konnte er seine Enttäuschung unter Kontrolle bringen. »Verdammt noch mal, wenn ich nur wüsste, was wir falsch gemacht haben?« Jeff Winter zuckte mit den Achseln. »Jeden normalen Gangster hätten wir so zum Ort seiner Beute verfolgen können, alter Junge«, sagte er nach einer Pause. »Doch wir hatten es mit einem dämonischen Wesen zu tun, einer Untoten, die wir unterschätzt haben. Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen. Und möglichst schnell.« Eine halbe Stunde später erreichten sie Professor Goodwills Klinik. Der Arzt erwartete sie bereits. »Der Erfolg ist uns ausgeblieben«, berichtete Collins. Der Professor winkte ab. »Ich verstehe Ihre Enttäuschung, Inspektor, doch wir haben immer noch einige dieser unheimlichen Wesen hier in der Klinik. Auch sie werden auszubrechen versuchen. Wir bekommen spätestens in der nächsten Nacht eine weitere Chance. Wir werden sie nutzen und uns etwas Neues einfallen lassen.« Percy Collins' Gesicht hellte sich auf. »Sicher«, nickte er. »Sicher, wir geben noch lange nicht auf. Wäre ja gelacht. Doch jetzt könnte ich einen guten Schluck Whisky vertragen, Professor. Und Ihr Whisky schmeckte vorzüglich.« Lachend traten die Männer ins Haus. * 44 �
Der Seelenfresser starrte auf die junge Frau, die durch die Haustür schlüpfte. Sie trug ein um Körper und Schulter geschlungenes Bettlaken. Dorothy Plymers blieb mitten im Zimmer stehen. Jetzt blickte sie auf den alten Mann. Sie erkannte ihn wieder. Er war es doch gewesen, der ihr die Unsterblichkeit gegeben hatte. Sie verneigte sich vor dem Seelenfresser, der leicht die Hand hob. Die Untote setzte sich auf den Stuhl, den ihr der Alte anbot. Doch plötzlich fühlte Dorothy Plymers, wie sich ein unsichtbares Netz über ihren Körper legte. Sie schrie auf. Der Seelenfresser lächelte verständnisvoll, als die Untote hochfuhr, einige Schritte machte und dann wie erstarrt stehen blieb. Dorothy Plymers frisches Gesicht zerfiel von einem Augenblick zum anderen. Bald stand eine alte Frau im Zimmer, die verzweifelt die skelettartigen Hände vor das verrunzelte Gesicht schlug. Alle Lebensenergie war aus dem Körper der Untoten verschwunden, hatte die Reise zu einer unbekannten Dimension gemacht, wo der Herr und Meister über die Untoten diese Energien bereits erwartete. Der Seelenfresser war neben die alte Frau getreten. »Unser Herr und Meister wird es dir danken, dass du ihm neue Kräfte zugefügt hast«, krächzte seine Stimme. »Doch er ist noch lange nicht am Ziel, um persönlich auf diese Welt zu gelangen. Er benötigt noch mehr Lebensenergien von den Bewohnern dieses Planeten. Wir müssen sehr fleißig sein. Doch unsere Macht wird schnell wachsen, unsere Fähigkeiten auch.« Die Untote wankte zu einem Stuhl und ließ sich wie ein Stein darauf fallen. Die Tür des alten Hauses öffnete sich. Mehrere Männer und 45 �
Frauen drangen herein. Untote, die zu einem schrecklichen Leben neu erwacht waren. Der Seelenfresser blickte die Schar seiner Getreuen an. Er wusste, dass es immer mehr werden würden. Das kleine Haus würde bald nicht mehr ausreichen. Sie benötigten eine andere Bleibe. Dorothy Plymers erhob sich und näherte sich der Tür. Der Seelenfresser blickte ihr staunend hinterher. Doch ehe er einschreiten konnte, war die alte Frau zur Tür hinaus. Der Seelenfresser wollte ihr folgen, doch er fühlte sich zu kraftlos. Dorothy Plymers wankte den schmalen Weg entlang und erreichte die Straße, die dunkel vor ihr lag. Ein heftiger Wind rüttelte und zerrte an dem weißen Laken, das den ausgemergelten Körper der Greisin umhüllte. Wie weiße Schleier wogte es vor ihren Augen, deren Sehkraft merklich nachgelassen hatte. »Leben«, murmelte Dorothy. Sie taumelte die Straße entlang, musste im Schatten eines Baumes eine Pause machen, denn sie konnte nicht mehr weiter. Plötzlich näherten sich ihr Schritte. Der zusammen gekrümmte Körper der alten Frau richtete sich auf. Undeutlich, wie im dichten Nebel, sah sie zwei Gestalten langsam herankommen. Sie wartete geduldig. Jetzt waren die beiden Gestalten dem Baum bis auf nur wenige Meter näher gekommen. Dorothy Plymers wollte sich auf die beiden Männer stürzen, die jedoch sofort reagierten. Blitzschnell sprangen sie aus der Reichweite der gierig zupackenden Klauen der alten Frau, die einen fauchenden Laut ausstieß und verzweifelt nachsetzte. Doch gegen die beiden jungen und durchtrainierten Polizisten, 46 �
die mit den ganzen Geschehnissen vertraut waren, kam Dorothy Plymers nicht an. Trillerpfeifen tönten durch die Nacht. Irgendwo heulte der Motor eines Fahrzeuges auf. Andere Polizisten kamen angestürmt. Die Untote wusste plötzlich, dass sie in eine Falle geraten war. Sie floh, rannte an den Polizisten vorbei, die ihr geschickt auswichen, denn den Männern war eingeschärft worden, sich unter keinen Umständen berühren zu lassen. Bald tauchte das kleine Haus aus der Dunkelheit auf. Dorothy Plymers drehte sich keuchend um und lauschte. Die Schritte ihrer Verfolger waren verstummt. Aufatmend betrat sie das Haus, blickte auf die anderen Untoten, die sie aus hohlen Augen anstarrten. * »Sie ist dort drüben in dem kleinen Haus verschwunden«, meldete der Sergeant Percy Collins. »Bisher hat niemand das Haus verlassen, Inspektor.« Percy Collins nickte zufrieden. Man hatte ihn und Jeff Winter sofort alarmiert. Die Frau war unauffällig verfolgt worden. Die Polizisten hatten die Umgebung abgeriegelt und das kleine Haus umstellt. So war es vorher geplant gewesen. »Gehen wir«, sagte Percy zu Jeff Winter, der entschlossen nickte und seine Zigarettenkippe austrat. Noch immer wehte ein heftiger Wind. Dunkle regenschwere Wolken jagten über den Himmel. Geheimnisvoll lag das kleine Haus in der Dunkelheit. Kein Licht brannte. Es machte einen unbewohnten und verlassenen Eindruck. Die beiden Polizei-Detektive näherten sich vorsichtig dem Haus. Sie wussten, welch großes Risiko sie eingingen. 47 �
Plötzlich verhielten die beiden Männer von Scotland Yard im Schritt. Das unheimliche Haus schien plötzlich von innen heraus zu glühen. Ein gespenstischer Schein breitete sich aus, ließ die Umgebung in einem grünen Licht aufleuchten. Der Äonen-Ring an Percy Collins' Finger strahlte in einem rötlichen Feuer. Warnende Impulse jagten durch seinen Körper. Percy Collins presste die Lippen hart aufeinander. Sein Gesicht verdüsterte sich. Jeff nickte bitter. »Da geht etwas vor, Percy«, murmelte Winter. »Wenn mich nicht alles täuscht, dann setzen sich diese unheimlichen Wesen ab. Wir werden nur noch ein leeres Nest vorfinden.« Percys Gedanken gingen in ähnlicher Richtung. Der grüne Lichtschein wurde jetzt noch intensiver, erlosch dann von einer Sekunde zur anderen. Im gleichen Moment wurden die warnenden Impulse des Äonen-Ringes schwächer. Jeff Winter lächelte schwach, folgte dann seinem Vorgesetzten, der entschlossen auf das Haus zuschritt. Der Äonen-Ring erwärmte sich stärker, je näher sie dem Haus kamen. Percy Collins öffnete die Tür. Jeff Winter ließ eine starke Taschenlampe aufblitzen, die über das spärliche Mobiliar geisterte. Niemand war zu sehen. Vorsichtig drangen die beiden Detektive ein. Erneut huschte der starke Lichtkegel über den schmutzigen Raum, warf bizarre Schatten. Mehr als einmal zuckten die Detektive zusammen, doch alles stellte sich als harmlos heraus. »Nichts«, knurrte Percy Collins. »Die sind verschwunden. Wer weiß wohin? Wir wissen jetzt aber wenigstens, von wo aus dieses Grauen seinen Anfang genommen hat.« 48 �
Sie durchsuchten das kleine Haus. Immer mehr spürte Inspektor Collins die dämonische Ausstrahlung, die auf diesem Gebäude lag. Die warnenden Impulse des kostbaren Kleinods wollten nicht verstummen. »Nichts mehr zu machen«, sagte Jeff Winter enttäuscht. »Diese Seelenfresser sind verschwunden, wurden bestimmt von einer dämonischen Macht hier herausgeholt. Ich bin sicher, dass sie woanders ihr teuflisches Treiben fortsetzen werden.« Inspektor Collins nickte. Stumm starrte er auf seinen Äonen-Ring, der jetzt sanft leuchtete. Verzweifelt suchte er nach einer Möglichkeit, um doch noch an den unbekannten Gegner heranzukommen. Im Gebälk des alten Hauses begann es verdächtig zu knistern. Der Boden bebte. »Raus«, knurrte der Inspektor und setzte sich mit langen Schritten in Bewegung. Jeff Winter folgte ihm. Doch die Ausgangstür ließ sich nicht öffnen. Wie fest geschweißt klebte sie an der Türumrahmung. »Das Fenster!«, schrie Jeff Winter. Sie eilten zum Fenster. Auch dieses ließ sich nicht öffnen. Winter schlug mit der Taschenlampe gegen das Glas, doch die Lampe berührte die Scheibe überhaupt nicht. Jeff Winter hatte das Gefühl, gegen eine schaumige, leicht nachgebende Schicht zu schlagen. Das Knistern im Gebälk wurde stärker. Der Boden bebte immer heftiger unter ihren Füßen. Jetzt war der Erdstoß so stark, dass er die beiden Männer von Scotland Yard von den Füßen warf. Die Taschenlampe entfiel Jeffs Hand. Dunkelheit hüllte die beiden Männer ein. Jeff fluchte leise, denn er hatte sich den Knöchel seines linken Fußes an einem umgefallenen Stuhl aufgeschlagen. Plötzlich hüllte ein grünlicher Schein die beiden Männer ein. 49 �
Angst griff nach Percy und Jeff. Hart hämmerten ihre Herzen gegen die Rippen. Keuchend standen sie inmitten des verwahrlosten Raumes, stützten sich gegenseitig. Der grünliche Schein wurde intensiver, breitete sich immer weiter aus. Percy Collins' Wangenknochen stachen hervor. Er wusste, dass sie den dämonischen Gewalten hilflos ausgesetzt waren. Sie saßen in der Falle. Das Haus ächzte, erinnerte an ein unheimliches Lebewesen, das seine letzten Schnaufer tat. Geisterhafte Gestalten lösten sich jetzt aus den Wänden, die irgendwie zu glühen schienen. Sie umringten die beiden Männer, umtanzten sie in einem lautlosen Reigen. Jeff Winters Gesicht verzerrte sich vor Grauen. Wie abwehrend hob er beide Hände. Die geisterhaften Wesen, die Ausgeburten der Hölle glichen, schwebten näher heran. Waren die beiden Detektive verloren? * Chiefinspektor Glenn Hubbard riss die Wagentür auf und sprang aus dem Fahrzeug. Mit kurzen trippelnden Schritten eilte er zu dem alten Haus hinüber, das von einem geisterhaften grünen Leuchten überzogen war. »Wo ist Collins?«, schnarrte seine Stimme. Sergeant Rawling deutete auf das Haus. »Dort drinnen, Sir«, antwortete er. Seine Stimme zitterte. »Winter ebenfalls.« Glenn Hubbard holte tief Luft. »Wir kommen nicht näher ran«, meldete der Sergeant, der 50 �
wohl Hubbards nächste Frage ahnte. »Etwas wie eine unsichtbare Mauer hält uns zurück. Wir haben bereits zwei unserer Leute verloren, die mit dem unheimlichen Ding in Berührung gekommen sind.« Glenn Hubbard schloss die Augen. Er öffnete sie, als ihm jemand leicht auf die Schulter tippte. Der Chiefinspektor fuhr herum und starrte in das ernste Gesicht von Professor Goodwill. Die beiden Männer kannten sich flüchtig. »Collins und Winter sind da drinnen«, sagte der Professor mit heiserer Stimme. »Wir kommen nicht ran, können nichts anderes tun, als abwarten.« »Schöne Aussichten«, knurrte Hubbard, der seine Sprache wieder gefunden hatte. Plötzlich zog der Chiefinspektor seine Pistole. Sergeant Rawling machte einen Satz zur Seite. Ungerührt feuerte Hubbard. Silberne und geweihte Kugeln fuhren aus dem Lauf der Pistole, trafen auf das unsichtbare Hindernis, das grell aufleuchtete, flackerte und dann Sprünge bekam, die sich wie ein Spinnennetz viele Meter weit zogen. Glenn Hubbard nickte zufrieden. Nochmals feuerte er auf die jetzt zum Teil sichtbar gewordene dämonische Barriere. Wieder trat die gleiche Wirkung ein. Die Sprünge vergrößerten sich. »Los, schießen Sie«, fuhr Hubbard den Sergeanten an, der vor Verblüffung wie erstarrt neben ihm gestanden hatte. Dann zeigte der Polizist aber eine schnelle Reaktion. Kugel auf Kugel jagte er auf das sichtbar gewordene Hindernis. Es waren normale Geschosse, weder aus Silber, noch geweiht, doch ihre Wirkung war nicht weniger erfolgreich. Das sichtbar gewordene dämonische Hindernis zerbarst in diesem Moment in Tausende von zersplitterten Einzelteilen, die 51 �
sich mit einem gellenden Ton auflösten. »Vorwärts«, knurrte Hubbard. Er spurtete, erreichte die Stelle, an der sich die dämonische Barriere befunden hatte und konnte die Grenze ungehindert passieren. Andere Polizisten folgten dem Chiefinspektor, der auf das grünlich schimmernde Haus zu rannte. Noch ehe er das Geisterhaus erreicht hatte, schien sich dieses aufzulösen. Innerhalb eines Sekundenbruchteils war es verschwunden. Ein eisiger Wind blies Hubbard und den anderen Polizisten ins Gesicht. Ein Fauchen und Stöhnen tönte in ihren Ohren. Der Wind wurde zum Orkan, schleuderte die Männer wie welke Blätter zu Boden. Ein greller Blitz blendete sie, dann zerriss ein lauter Knall beinahe ihre Trommelfelle. Chiefinspektor Hubbard kam benommen auf die Füße. Mit mechanischen Gesten klopfte er sich Schmutz von seinem Anzug, während er auf den gähnenden Krater starrte, in dem noch vor Sekunden das alte Haus gestanden hatte. Er wischte sich große Schweißperlen von der Stirn. Resignierend wandte er sich um. Seine Leute traten zögernd zu ihm. Professor Goodwill näherte sich ihm. Sein Gesicht war bleich. Ungläubig blickten seine geweiteten Augen. »Aus, vorbei«, stöhnte Glenn Hubbard. »Wir haben eine empfindliche Niederlage einstecken müssen. Percy Collins und Jeff Winter sind bestimmt in diesem dämonischen Inferno ums Leben gekommen. Meine besten Leute mussten sterben.« Die Lippen des Chiefinspektors pressten sich hart aufeinander. Er steckte die Pistole weg und ging langsam zu seinem Auto. Professor Goodwill blieb an seiner Seite. Hubbard gab eine genaue Meldung an die Zentrale vom Yard 52 �
durch und forderte Verstärkung an. »Sie glauben wirklich, dass ihre beiden Leute tot sind?«, flüsterte Professor Goodwill erschüttert. Hubbard sah den Gelehrten mit schräg gelegten Kopf an. »Was glauben Sie denn?«, fragte er grimmig. Professor Goodwill zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung, Sir«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Doch Collins geriet doch bereits des öfteren in irgendwelche Dämonenfallen, wie er mir erzählte. Vielleicht fand er auch hier im letzten Moment irgendeine Lösung.« Chiefinspektor Hubbard lächelte bissig. »Dann drücken Sie Inspektor Collins sämtliche Daumen, Professor. Ich hoffe nur, dass Sie in irgendeiner Weise recht haben.« * Geisterhafte Wesen schwebten heran. Die beiden Detektive standen Rücken gegen Rücken. Der Boden bebte noch immer, der grünliche Schein geisterte durch das Haus. Ein Sirren lag in der Luft, das die Trommelfelle der beiden Männer schmerzhaft peinigte. Aus dem Äonen-Ring fächerten in diesem Moment blutrote Strahlen, die die Geisterwesen aus der Nähe der beiden Detektive vertrieben. Jetzt umhüllten die blutroten Strahlen die beiden Männer wie mit einem Schutzschirm. Die grünlichen Strahlen wurden zurückgeschleudert. Die beiden Eingeschlossenen hatten das Gefühl, als würde sich das alte Haus jetzt vom Boden abheben, so stark bebte es. Kalk rieselte von den Wänden. Gegenstände stürzten krachend zu Boden. Ein teuflisches Inferno begann, das in einem unübersehbaren 53 �
Chaos endete. Das Haus mit allen Gegenständen begann sich immer schneller vor den Augen von Percy Collins und Jeff Winter zu drehen. Schwindelgefühle überfielen sie. Sie kamen sich unsagbar hilflos vor. Der blutrote Schutzschirm des Äonen-Rings umgab Collins und Winter wie eine zweite Haut. Farbige Lichtkaskaden stürmten auf die Männer ein. Atonale Musik brauste wie eine lärmende Flut über die Männer. Alles wirkte verzerrt und bis ins Unendliche vergrößert. Die panische Angst hatte sich längst in Percy Collins gelegt. Er wusste, dass er gegen diese auftretenden dämonischen Gewalten hilflos war. Er konnte nur seinem Äonen-Ring vertrauen, der ihn schon mehrmals in derartigen Situationen aus der Gefahr gerettet hatte. Jeff Winter zitterte am ganzen Körper, konnte jedoch dagegen nichts tun, obwohl er bemüht war, sich besser unter Kontrolle zu bekommen. Die bunten Farbkaskaden verschwammen jetzt, machten einem schmutzigen Grau Platz, das von überall her zu kommen schien. Die Umrisse des Hauses hatten sich in Nichts aufgelöst. Der Sturz durch unbekannte Dimensionen hielt an, wurde zu einer Ewigkeit für die beiden Detektive von Scotland Yard, die noch immer Rücken an Rücken standen und nicht in dieses grauenhafte Geschehen einzugreifen vermochten. Der Äonen-Ring produzierte noch immer diese unfassbare Energie, die sich um die Körper der beiden Männer gelegt hatte und Schaden von ihrem Leib und von ihrer Seele abhielt. Percy hatte jedoch plötzlich das Gefühl, dass der blutrote Schein ein wenig an Intensität verloren hatte. Um Percy Collins und Jeff Winter herum war nichts anderes als 54 �
dieses schmutzige Grau, ohne jegliche Formen und Umrisse. Der Inspektor, der schon manchen Sturz durch die Dimensionen erlebte, fragte sich, wo diese übernatürliche Reise dieses Mal enden würde. Der Äonen-Ring wurde tatsächlich zusehends schwächer. Percy spürte eine gnadenlose Kälte, die durch seinen Körper kroch und diesen zu lahmen drohte. Jeff Winter erging es nicht anders. Auch er hatte das Gefühl zu erstarren. Percy blickte beschwörend auf das kostbare Kleinod, das wie eine verbrauchte Taschenlampe immer schwächer wurde. Doch der Geisterjäger hatte keine Möglichkeiten, diesen raschen Energieverlust zu stoppen. Weiter währte der Sturz durch unbekannte Dimensionen und unerforschte Zeiträume. Endlich wandelte sich das schmutzige Grau in eine samtene Schwärze, die nicht den geringsten Lichtschimmer durchließ. Dunkelheit hüllte Percy Collins und Jeff Winter ein. Sogar der blutrote Schutzschirm des Äonen-Ringes drang nicht mehr an die Sehnerven der beiden Detektive. Die grausame Schwärze ging langsam in ein düsteres Dämmerlicht über. Percy Collins spürte plötzlich Boden unter den Füßen, der jedoch nicht fest war, sondern weich und nachgiebig. Dann ertönte ein Rauschen über ihren Köpfen. Ein großer Gegenstand stürzte mit donnerndem Getöse hernieder. Die beiden Detektive duckten sich unwillkürlich. Percys Augen wurden groß. Es war das alte Haus, das in diesem Moment wie ein Komet heransauste. Percy Collins und Jeff Winter hielten den Atem an. Und auf einmal waren sie von den Mauern des alten Hauses umgeben, das seinen grünlichen und gespenstisch wirkenden 55 �
Schein längst verloren hatte. Eine unheimliche Stille herrschte. Die beiden Männer von Scotland Yard blickten sich an. Percy Collins' Stimme klang seltsam dumpf, als er, zu seinen Assistenten gewandt, sagte: »Unser dämonischer Gegenspieler hat blitzschnell gehandelt und gnadenlos zugeschlagen. Mit seiner überirdischen Kraft schleuderte er uns in unbekannte Dimensionen. Möchte nur wissen, wie wir jemals wieder in unser irdisches Dasein zurückgelangen sollen.« Jeff Winter schluckte schwer. In seinem jungenhaften Gesicht zuckte es. »Ohne deinen Äonen-Ring wären wir bestimmt längst verloren«, erwiderte er leise. Auch seine Stimme klang seltsam verzerrt. Ein spöttisches Gelächter brauste auf. Ein Lachen, dass den beiden Detektiven von Scotland Yard durch Mark und Bein ging und sie in Panik versetzte. Wieder duckten sich die beiden Männer instinktiv. Der ÄonenRing flackerte stärker. Es schien, als mobilisierte er nochmals starke Abwehrkräfte gegen diesen unheimlichen Gegner, der sie in diese unbekannte Dimension verschlagen hatte. Das schreiende Lachen verklang. »Was wird nun auf uns zukommen?«, fragte Jeff Winter. Es würde nichts Erfreuliches sein. Dies ahnten beide Detektive. Doch sie wussten auch, dass sie ihre Haut so teuer wie nur möglich verkaufen würden. * »Diese Seelenfresser haben wieder gnadenlos zugeschlagen«, � berichtete Chiefinspektor Glenn Hubbard. Er war ungewöhnlich � ernst. »Es breitet sich wie eine Epidemie aus. Ich rechne sogar � 56 �
mit noch mehr Opfern, die wir bisher nicht gefunden haben.« Charles Goodwill nickte. »Außerdem ist es uns nicht möglich, diese Opfer, die einige Tage später wieder zu ihrem teuflischen Leben erwachen, festzuhalten. Sie verlassen die Räume, gehen einfach durch Wände und entkommen uns immer wieder. Ein Chaos bahnt sich an. Auch aus Frankreich und Deutschland treffen die ersten Hiobsbotschaften ein. Die Lage wird immer verzweifelter.« Chiefinspektor Glenn Hubbard wusste es. Er kam gerade aus einer Krisensitzung, die von der britischen Regierung einberufen worden war. »Weltweites Chaos droht«, stöhnte er. »Die Regierung verlangt Erfolgsmeldungen. Ich kann sie wirklich nicht aus einem schwarzen Zylinder zaubern. Die Herren da oben stellen es sich sehr leicht vor.« »Die Sorge in der Bevölkerung wächst ständig. Ein paar Prediger sind aufgetaucht, die das Ende der Welt verkünden und die Panik noch vergrößern«, fügte Professor Goodwill hinzu. »Von Percy Collins und Jeff Winter haben Sie auch nichts mehr gehört, Chiefinspektor?« Glenn Hubbard schüttelte den Kopf. »Ich glaube auch nicht, dass wir jemals wieder etwas von ihnen hören werden.« Glenn Hubbard lächelte traurig. Er hatte es noch nicht überwunden, dass seine beiden besten Leute dem dämonischen Treiben des Seelenfressers zum Opfer gefallen waren. Das Telefon meldete sich in diesem Moment. Chiefinspektor Hubbard griff nach dem Hörer. »Was…?«, stöhnte er. Sein Gesicht wurde kreidebleich. Fassungslos legte er den Hörer auf. Seine Hände zitterten, als er nach seiner Pfeife griff. »Drei dieser Untoten sind in die Polizeiunterkunft eingedrun57 �
gen«, sagte er. »Wir haben über zwanzig Leute verloren. Außerdem wurde Sir Reginald Millestone, ein Mitglied des Unterhauses, ebenfalls von einem der Untoten in seine Gewalt gebracht.« Die Lage wurde immer aussichtsloser. Wie schleichendes Gift breiteten sich die Untoten aus. Ihre Opfer wurden gleichzeitig zu ihren Verbündeten, die aus jedem Raum entwichen und nicht aufzuhalten waren und dann erneut zuschlugen. »Wissen Sie nicht einen Rat?«, fragte Hubbard verzweifelt den Professor, der den Kopf schüttelte. »Sorry, Sir, ich habe mir zwar seit Tagen den Kopf zerbrochen, bin jedoch zu keiner brauchbaren Lösung gekommen.« »Die Bevölkerung hält uns für unfähig. Keiner glaubt an die Geschichte mit einem Dämonen«, murmelte düster Hubbard. Der Professor nickte sorgenschwer. »Wir müssen die Dinge jetzt auf uns zukommen lassen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.« * Die beiden Detektive hatten das alte Haus verlassen. Die graue Ebene, die so weit war, wie ihr Auge reichte, nahm sie auf. Am Himmel, wenn man ihn so nennen mochte, herrschte ein tristes Grau. Mutlos hielten Percy Collins und Jeff Winter nach einigen Schritten inne. Sie sahen sich um. Das kleine alte Haus lag wie ein Delikt aus längst vergangener Zeit vor ihnen. »Wo mögen wir uns befinden, Percy?«, fragte Jeff Winter. »Keine Ahnung«, murmelte Collins. »Ich habe fast den Eindruck, dass diese Welt hier nur aus reiner Illusion besteht.« »Was meinst du damit?«, wollte Jeff wissen. »Ich kann es dir nicht genau erklären«, erwiderte Percy Collins. »Es ist nur so ein Gefühl in mir. Ich glaube, dass dies überhaupt 58 �
keine andere Welt ist, glaube, dass wir uns nach wie vor auf unserer guten alten Erde aufhalten. Diese graue und unheimliche Welt wird uns nur vorgegaukelt.« Jeff Winter blickte seinen Freund und Vorgesetzten neugierig an. »Du meinst also, dass uns dieser Dämon in eine Scheinwelt, in eine Welt der Illusionen versetzt hat, aus der wir kaum eine Rückkehr finden?« Der Yard-Inspektor nickte. »Dieser Seelenfresser scheint zu bluffen. Bestimmt verfügt er nicht über so viel Macht, um uns in eine andere Dimension zu versetzen. Ich glaube sogar, dass dieser Dämon irgendwo in einer anderen Dimension lauert und noch keinen Weg zu uns Menschen gefunden hat. Noch benötigt er die Lebenskräfte der Menschen, die ihm seine Schergen erbarmungslos zutreiben.« Percy Collins und Jeff Winter hatten in diesem Moment den Eindruck, als wäre es ein wenig heller geworden. Das triste Grau verblasste leicht. »Ich wünsche, Percy, dass du recht behältst«, murmelte Jeff Winter undeutlich. »Vielleicht kann uns der Äonen-Ring weiterhelfen. Er wird unsere letzte Chance sein, wie schon so oft.« Percy blickte auf das kostbare Kleinod, das zwar laufend Impulse durch seinen Körper schickte, dessen Funktionstätigkeit jedoch stark nachgelassen hatte. Der Äonen-Ring musste unfassbare Energie verloren haben, als er die beiden Detektive mit seinem schützenden Schirm umgeben hatte. »Vielleicht lädt er sich wieder auf«, sagte der Geisterjäger leise. »Wenn ich nur wüsste, woher dieser geheimnisvolle Ring, der Hunderte von Jahren einem weisen Magier gehörte, seine dämonenvernichtenden Kräfte bezieht.« Die beiden Männer umrundeten das Haus, versuchten in 59 �
Bewegung zu bleiben, denn eine erbarmungslose Kälte breitete sich immer mehr aus. »Ich möchte nochmals auf deine Idee zurückkommen, dass dies hier nur alles Illusion ist, Percy«, fing Jeff Winter nach einigen Minuten zu sprechen an. »Mit unserer Willenskraft und den noch verbleibenden Energien des Äonen-Ringes müsste es uns doch gelingen, dieses Truggebilde zu entlarven.« Jeffs Stimme klang entschlossen. Er schaute seinen Freund und alten Kampfgefährten mit blitzenden Augen an. Schon bei den letzten Worten war es wieder ein wenig heller geworden. »Es wird heller«, murmelte Percy Collins. »Scheint geradeso, als würde der Dämon auf deine Worte reagieren. Du scheinst mit deiner Theorie richtig zu liegen. In dem Moment, wo wir die Illusion des Seelenfressers durchschaut haben, wird er dieses Spiel auch aufgeben.« Plötzlich glaubten die beiden Detektive, schattenhafte Umrisse von Häusern, Bäumen und anderen Gegenständen zu sehen. Hoffungsvoll sahen sich die beiden Männer an. »Wir müssen ganz fest daran glauben, dass dies hier uns alles nur täuschen soll«, sagte Collins. »Wir halten uns jetzt an den Händen und konzentrieren uns voll darauf, dass wir den Plan des Dämonen durchschaut haben.« Das taten die beiden Detektive dann auch. Sekunden vergingen, ohne dass etwas geschah. Trotzdem gaben die beiden Kämpfer für das Gute nicht auf. Nochmals strahlten ihre Gedanken voller Konzentration ab. Auch der Äonen-Ring schien seinen Teil dazu beizutragen, denn die Impulse in Percy Collins' Körper verstärkten sich. Dann ging alles sehr schnell. Das schmutzige Grau verblasste. Sonnenschein blendete die 60 �
beiden Detektive von Scotland Yard. Blauer Himmel wölbte sich über ihnen. Ein Vogel jubilierte in den Bäumen. »Es hat geklappt«, schrie Jeff Winter und machte einen Freudensprung. Tief zog er die frische Luft in seine Lungen. »Menschenskind, Percy, den Dämon haben wir hereingelegt!« Percy Collins lächelte. Er freute sich ebenso wie sein Assistent, der sich kaum beruhigen konnte. Wenige Schritte von ihnen entfernt stand der Bentley. Dreißig Meter weiter stand das alte Haus, das nach wie vor einen düsteren Eindruck machte. Irgendwie passte es überhaupt nicht in die freundliche Umgebung. Die beiden Polizei-Detektive steuerten darauf zu und traten zögernd ins Innere. Nichts hatte sich verändert. Die Impulse des Äonen-Ringes waren gleich bleibend. »Fahren wir zum Yard«, schlug Collins vor. Dann stutzte er und blickte auf die dicke Staubschicht, die er erst jetzt entdeckte. Er deutete darauf. »Scheinbar ist in der anderen Dimension doch viel mehr Zeit vergangen, als wir angenommen haben. Schau dir nur diese Unmengen von Staub an! Bin gespannt, welche Augen unser hoch verehrter Chef machen wird.« Sie fuhren los. Eine halbe Stunde später erreichten sie das Yard-Gebäude. Dann standen sie vor Glenn Hubbards Büro. Inspektor Collins klopfte. Sie traten ein, erkannten Glenn Hubbard, der hinter seinem Schreibtisch thronte und wie ein Uhu blinzelte, als er seine beiden Leute sah. Der Chiefinspektor sprang hoch. Er starrte seine beiden Leute an, als wären diese Geistererscheinungen. »Wir sind es wirklich, Chef«, lächelte Percy Collins und reichte seinem Vorgesetzten die Hand. Auch Jeff trat näher. Glenn Hubbard war noch immer sprachlos. 61 �
Die Pfeife in seinem Mundwinkel wackelte bedenklich. Endlich fand er die Sprache wieder. »Gott sei Dank«, murmelte er. »Euch hatte ich schon längst abgeschrieben. Seit drei Monaten seid ihr verschwunden.« Der Chiefinspektor atmete tief durch, dann eilte er zu dem kleinen Wandschrank und kam mit drei Gläsern und einer Whiskyflasche zurück. Er schenkte ein und die drei Männer prosteten sich zu. »Auf eure glückliche Heimkehr«, sagte Hubbard und strahlte über sein rundliches Gesicht. »Setzt euch hin und berichtet mir, wie es euch ergangen ist.« Percy berichtete mit kurzen Worten, was ihnen in der anderen Dimension widerfahren war. Gespannt lauschte der Chiefinspektor, stellte nur hin und wieder ein paar Zwischenfragen. »Das wäre es gewesen, Chef«, endete Percy Collins und trank einen Schluck von dem goldgelben Whisky. »Doch wie sieht es hier aus? Konntet ihr gegen den Seelenfresser ankommen?« Glenn Hubbard nickte. »Alles geklärt, Inspektor«, nickte Hubbard. »Der Spuk verschwand von einem Tag zum anderen, obwohl wir ernste Befürchtungen hatten, nicht mehr Herr der Lage zu werden.« Die beiden Polizei-Detektive blickten ihren Chef strahlend an. Die Freude leuchtete in ihren Augen. »Gott sei Dank«, murmelte Jeff Winter. Er strich sich eine Strähne seines langen Haares aus der Stirn. »Darauf können Sie aber noch eine Runde ausgeben, Chef«, lachte er dann. Die drei Männer leerten noch einige Gläser. Percy Collins und Jeff Winters Laune hatte sich schlagartig gebessert. Sie wussten nun, dass der dämonische Seelenfresser in die Schranken zurückgewiesen worden war. »Ihr macht jetzt erst einmal ein paar Tage Urlaub«, sagte Glenn Hubbard anschließend. »Habt ihr verdient, Jungs. Schlaft euch 62 �
aus. In acht Tagen lasst ihr euch wieder sehen. Es erwarten euch ein paar andere Fälle, die nicht mit Geistern, Gespenstern und Dämonen zu tun haben.« Chiefinspektor Hubbard erhob sich. Freundlich lächelnd reichte er seinen beiden besten Männern die Hand. s»Bis später, Jungs. Kommt mir nur ausgeruht und guter Dinge wieder zurück!« Die beiden Yard-Leute verließen Hubbards Büro. »So kenne ich unseren Chef überhaupt nicht«, bemerkte Jeff Winter grinsend. »Acht Tage Sonderurlaub. Sonst ist er doch so knauserig.« »Der ist verdammt froh, dass wir wieder aufgetaucht sind«, erwiderte Inspektor Collins. »Und wenn ich ganz ehrlich bin, ich bin es auch.« * Percy Collins fuhr geradewegs nach Hause, nahm ein heißes Bad, einen kleinen Imbiss und legte sich ins Bett. Es dauerte nicht lange, dann war Inspektor Collins eingeschlafen. Doch schon bald wurde sein Schlaf unruhig. Er wälzte sich im Bett hin und her. Sein Gesicht wirkte auf einmal bleich und eingefallen. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Ein heiseres Stöhnen entrang sich seiner Brust. Plötzlich schreckte Collins hoch. Für einige Augenblicke wusste er nicht, wo er sich befand. Sein Blick irrte durch das Zimmer. Der Yard-Inspektor blinzelte. Fahrig wischte er sich über das schweißbedeckte Gesicht. Nur mühsam unterdrückte er ein Stöhnen, Die milchigen Schleier vor seinen Augen schwanden, er sah klarer. 63 �
Percy Collins taumelte aus dem Bett, schenkte sich einen Whisky ein, doch der Drink wollte ihm nicht schmecken. Angeekelt stellte er das Glas auf den Tisch zurück. Immer noch reichlich verstört sah sich der Geisterjäger um. Wieder schien seine Umgebung zu verschwimmen, durchsichtig zu werden und nicht mit der Realität überein zu stimmen. Percy griff sich an die Stirn. Sein Kopf fühlte sich eiskalt an. Die Hände zitterten, Übelkeit kam in ihm hoch. »Was ist nur mit mir los?«, murmelte Collins. »Ich habe schlecht geträumt. Passiert mir doch sonst nicht. Komisch, verdammt komisch!« Percy Collins ging mit nervösen Schritten in seinem Wohnzimmer auf und ab. Er hatte höchstens eine Stunde geschlafen. Der Blick auf seine Armbanduhr bestätigte es ihm. Collins ging ins Bad. Prüfend betrachtete er sein Gesicht im Spiegel, ging noch näher heran. Er entdeckte plötzlich ein paar Falten, die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Auch seine Hände schienen gealtert. Furcht breitete sich in dem Inspektor aus. Steckte der Keim dieses furchtbaren Alterungsprozesses vielleicht in ihm? Jetzt entdeckte er sogar ein paar graue Haare in seiner schwarzen Lockenpracht. Collins hatte plötzlich wieder das Gefühl, dass sich alles um ihn herum zu drehen begann. Er stützte sich gegen das Waschbecken, glaubte hindurch zu greifen, spürte jedoch dann die Kühle des Marmorsteines. Er war gealtert. Es gab keinen Zweifel. Zwar mochten es nur zehn Jahre sein, doch Collins fühlte, dass etwas Grauenhaftes in ihm vorging. Wieder wogte eine panische Angst durch seinen Körper. Ein 64 �
bitterer Ausdruck prägte sein Gesicht. Mit schnellen Schritten eilte er zum Telefon und wählte Jeff Winters Nummer. Es läutete nur kurz, dann war Collins' Assistent am anderen Ende der Leitung. Percy berichtete kurz. Jeff Winter unterbrach ihn aber schon nach wenigen Worten. »Mir geht es genauso«, keuchte der junge Mann. »Ich wollte dich gerade anrufen.« Für einige Augenblicke herrschte Schweigen. Für Percy waren diese Worte wie ein Schock. »Komm her zu mir, Jeff«, bat Collins. »Wir fahren dann gemeinsam zum Yard. Irgend etwas stimmt da nicht. Entweder wir sind ebenfalls diesem Alterungsprozess unterworfen, der zwar nur langsam voranschreitet, oder wir machen uns nur unnütze Sorgen.« »Ich komme sofort«, antwortete Jeff Winter. »Reagiert dein Äonen-Ring darauf, Percy?« Inspektor Collins blickte auf das kostbare Kleinod, das in einem sanften Rot erstrahlte. Das war außergewöhnlich. Normalerweise musste der Äonen-Ring unsichtbar sein. »Was ist, Percy?« Jeff Winters Stimme klang ängstlich. »Der Ring spricht an, Jeff«, murmelte Collins. »Komisch. Hier in meiner Wohnung hat er sich noch nicht bemerkbar gemacht. Ich verstehe es nicht. Komm, alter Junge! Ich glaube, dass wir ganz dick in der Klemme sitzen.« Percy Collins legte auf. Nachdenklich blickte er auf seine Hände, die einen sonderbaren fahlen Ton hatten. Dicke blaue Adern traten hervor. Die Haut wirkte verbraucht und rissig. Der Inspektor musterte sich noch einmal im Spiegel genau. Auch die Haut am Oberkörper wies diesen fahlen Ton auf. 65 �
Der Geisterjäger stellte sich auf die Waage. Sein Erschrecken war groß. Er hatte über fünf Kilo abgenommen, trotzdem spürte er keinerlei Hungergefühle. Er lief zum Telefon und rief Chiefinspektor Glenn Hubbard an, den er über dieses seltsame Phänomen kurz informierte. Hubbard war entsetzt. Irgend etwas muss in dieser anderen Dimension mit mir und Jeff vorgegangen sein, dachte Inspektor Collins. Erneut blickte er auf seinen Äonen-Ring, der zu strahlen begann. Das kostbare Kleinod schien gegen dämonische Einflüsse anzukämpfen, die Collins nicht kannte, nur erahnen konnte und die ihm Angst einflößten. Die Müdigkeit nahm zu. Er ertappte sich dabei, dass ihm die Augenlider immer schwerer wurden. Hoffentlich kommt Jeff bald, dachte Inspektor Collins und setzte sich schwer atmend auf einen Stuhl. * Drenus schwebte in einer kosmischen Falle, wohin er vor vielen Jahrhunderten verbannt worden war. Um ihn herum war nichts außer einer gigantischen Leere. Wie eine große schwarze, sehr bedrohlich wirkende Wolke von ungeheurem Ausmaß schwebte Drenus in dieser Energieblase. Nur seine Gedanken, die mit gierigen Krallen nach den Lebewesen auf der Erde griffen, zeugten von der Existenz dieses dämonischen Wesens. Wie in ein Spinnennetz hatte er die Sterblichen eingehüllt. Ihre Lebenskraft, die durch die Dimensionen von Raum und Zeit zu ihm gelangte, ließ den Dämonen immer mächtiger werden. Die schwarze Wolke wurde immer größer. Alles Böse der Welt 66 �
hatte sich in ihr vereint. Ungeheure Lebenskräfte drangen von der fernen Erde zu Drenus, der auf den Tag hoffte, wo er sein unfreiwilliges Exil endlich verlassen konnte. Und dieser Tag war nicht mehr weit. Das Grauen ging auf der Erde um. Tausende von Menschen hatten ihm ihre Lebenskraft, ihre Jugend und ihre Seele gegeben. Sie waren zu seinen dämonischen Verbündeten geworden, gehorchten jedem seiner Befehle und stärkten von Tag zu Tag mehr seine Macht, die ins Unermessliche wuchs. Die schwarze Wolke ballte sich drohend, zog sich wie eine riesige Qualle zusammen und dehnte sich wieder aus. Bald würde sie die Äosmische Blase sprengen können. Und dann würde der Weg frei zur Erde sein. Dort würde es keine Schwierigkeiten geben. Alles lief zu seinen Gunsten. Seine Zeit würde bald kommen. Der Fluch würde gebannt sein. Nichts würde Drenus von seinem Plan, das Reich der Finsternis auf der Erde zu errichten, abhalten können. * Percy Collins erschrak, als er Jeff Winter ansah. Alle Jugendlichkeit war von seinem Assistenten abgefallen. Falten durchzogen das einst so frische Gesicht, sogar ein paar graue Haarsträhnen zogen sich durch die leicht rötlichen Haare. Die beiden Männer blickten sich lange Sekunden an. Collins konnte ein Beben in seiner Stimme nur sehr schwer unterdrücken, als er fragte: »Was machen wir nur, Jeff?« Jeff Winters Augen blickten müde. Er deutete auf den ÄonenRing, der noch immer in einem rötlichen Feuer an Percys linker Hand strahlte. »Er verhinderte, dass wir in Sekundenschnelle gealtert sind«, 67 �
flüsterte Winter. »Doch wenn ich uns so ansehe, dann sind wir beide jetzt wohl gleich alt. Die drei Stunden, in denen ich nicht in deiner Nähe und damit auch nicht in der Nähe des ÄonenRinges gewesen bin, haben mich schneller altern lassen.« Percy nickte. Plötzlich verschwamm alles vor seinen Augen. Ein weißlicher Milchfilm überstrahlte alles. Jeff Winter schien sich wie in Zeitlupe zu bewegen. Percy Collins zuckte zusammen. Das Gesicht seines Freundes hatte in diesem Moment die alte Frische wieder gehabt. Die Nebelschleier vor seinen Augen schwanden. Percy räusperte sich gequält. Er fühlte sein Herz hart gegen seine Rippen hämmern. Die panische Angst wogte stärker durch seinen immer schwächer werdenden Körper. Jeff Winter nagte an seiner Oberlippe. Er zündete sich jetzt eine Zigarette an, die er jedoch sofort wieder ausdrückte, da sie ihm nicht schmeckte. Sein Gesicht war eingefallen. Die Augen lagen tief in den Höhlen, die von schwarzen Schatten umrandet waren. Jeff schluckte mehrmals. Auch in seinen Augen brannte eine heiße Angst. »Ich habe eine Idee«, sagte Percy Collins plötzlich. Wie liebkosend fuhr er über seinen Äonen-Ring. Er versuchte zu lächeln, als Jeff gespannt aufschaute. Hoffnung lag für den Bruchteil einer Sekunde in seinen müden Augen. »Dieser Dämon gaukelte uns schon einmal etwas vor. Ich habe den Verdacht, dass die Welt in der wir uns befinden, auch nicht realer Natur ist.« Jeff Winter blickte seinen Vorgesetzten ungläubig an. In seinem Gesicht begann es zu arbeiten. »Du meinst, dass dies hier um uns wieder nur ein Traumge68 �
bilde ist, in das uns dieser Dämon versetzt hat?« Percy Collins nickte voller Überzeugung. »Mir kam vieles sonderbar vor. Diese Epidemie konnte nicht in so kurzer Zeit vorübergegangen sein. Außerdem haben wir nichts von den Nachwirkungen gesehen oder erfahren. Ich glaube auch nicht, dass dieses Ungeheuer plötzlich mit seiner Schreckensherrschaft von einem Tag zum anderen aufhörte.« Jeff schaute versonnen vor sich hin. »Hubbard hätte uns auch niemals acht Tage Urlaub bewilligt«, sagte er. »Hubbard ist ein Knauserer, doch das konnte dieser Dämon nicht wissen. Dieses Wesen gaukelte uns eine perfekte, heile Welt vor, die es jedoch in diesem Ausmaße überhaupt nicht gibt. Mir wurde es öfters schwindlig und ich sah wie durch eine Nebelwelt ganz andere Dinge, die mich umgaben, als sie in Wirklichkeit vor mir waren. Verstehst du, was ich meine, Percy?« Collins nickte. »Darum spricht der Äonen-Ring auch fortdauernd an. Wir befinden uns in einer Traumwelt, die nichts mit der Realität auf Erden gemeinsames hat. Ich bin sicher, dass Hubbard immer noch einen verzweifelten Kampf gegen den Dämonen führt.« »Was können wir tun?«, sprach Jeff Winter das aus, was sie beide dachten. »Wir versuchen es nochmals, das zu tun, was wir in dieser grauenweit getan haben. Ich bin sicher, dass uns der ÄonenRing unterstützen wird. Vielleicht können wir auf diese Weise diesem Alterungsprozess entgehen, der hier in dieser Traumwelt, die trotzdem so voller Realitäten ist, unweigerlich zum Tode führen wird.« Percy und Jeff fassten sich an den Händen. Wieder konzentrierten sie sich darauf, dass dies hier alles nur Lüge und Trug war, hofften, dass sie es schaffen würden, die Realität zu erreichen. 69 �
Lange Zeit geschah überhaupt nichts. Regungslos standen sich die beiden Männer gegenüber. Der Äonen-Ring flackerte leicht. Doch dann wurde sein Leuchten intensiver. Percy Collins und Jeff Winter schlossen die Augen. Sie fühlten einen vibrierenden Strom aus einer ihnen unbekannten Energie, der immer stärker durch ihre Körper pulsierte. Auslösender Faktor schien der Äonen-Ring zu sein, der jetzt in einem blutroten Feuer strahlte, das sich langsam in ein fahles Gelb veränderte. Als Percy Collins seine Augen öffnete, starrte er auf eine wogende Nebelwand, die ihn und seinen Assistenten umgab. Die Nebelschleier brodelten, als kochte unter ihnen ein wahres Höllenfeuer. Unheimliche Geräusche, die an einen tosenden Sturmwind erinnerten, schallte in ihren Ohren wider. Percy Collins glaubte jetzt fest daran, dass er und Jeff sich auf dem richtigen Weg befanden. Sie hatten den listigen Plan des Seelenfressers durchschaut. Die wallenden Nebelfetzen verdichteten sich und begannen zu rotieren. Sie änderten die Farben fortlaufend. Percy Collins fühlte sich plötzlich ganz leicht, schwerelos. Der Äonen-Ring schien sich mit seinen gelben Strahlen jetzt in das wattige Gebräu hineinzufressen. Langsam lösten sich die Nebelfetzen auf. Ein Wimmern, Wispern und Raunen erfüllte das Zimmer. Eisige Kälte ließ die beiden Kämpfer gegen das Böse erschauern. Dann verschwanden die Nebelschleier von einer Sekunde zur anderen. Die unheimlichen Geräusche verstummten ebenfalls. Die beiden Detektive schauten sich um. Ihr schrecklicher Verdacht hatte sich bewahrheitet. Sie hatten sich vorher in einer Trugwelt befunden, die ihnen suggeriert worden war. Die beiden Polizei-Detektive fanden sich in dem alten Haus 70 �
wieder, von wo aus ihre schrecklichen Reisen in die fremden Dimensionen begonnen hatten. Sie sahen sieben alte Menschen, die nur wenige Schritte vor ihnen kauerten und sie aus gierigen Augen anstarrten. Die Horde der irdischen Seelenfresser getraute sich jedoch nicht näher. Der Äonen-Ring, der jetzt wieder in einem blutroten Glanz erstrahlte, hielt sie davon ab. Percy Collins ahnte, dass er und Jeff diesen Raum niemals verlassen hatten. Sie befanden sich seit vielen Stunden hier, waren umgeben von diesen zu dämonischen Wesen gewordenen Menschen, die darauf lauerten, auch sie zu ihresgleichen zu machen. Fast wäre es ihnen gelungen, denn die Kräfte des Äonen-Ringes hatten sich erschöpft. Percy und Jeff standen noch immer dicht beieinander. Fassungslos starrten sie auf die alten Menschen, die jetzt langsam zurückwichen. Die dämonenvernichtende Strahlung des Ringes wirkte sich aus, trieb die Untoten zurück. Dann waren sie innerhalb von wenigen Augenblicken verschwunden. Auch das alte Haus löste sich auf, verschwand mit einem zischenden Laut. Die beiden Detektive standen im Freien. Blauer Himmel wölbte sich über ihnen. Ein leichter Wind fegte durch die in der Nähe stehenden Bäume. »Ich hoffe nur, dass es dieses Mal stimmt«, murmelte Inspektor Collins. »Hoffentlich gaukelt uns dieser Dämon nicht schon wieder ein Scheinbild vor.« Jeff Winter wandte sich Percy zu und lächelte. »Wir haben es geschafft«, sagte er mit klarer Stimme. »Ich fühle es ganz deutlich da drinnen.« Er deutete auf seine Herzgegend. Voller Erleichterung hatten die Yard-Männer festgestellt, dass der Alterungsprozess rückläufig verlief. Schon nach wenigen 71 �
Minuten sahen die beiden Detektive wieder ihrem richtigen Alter entsprechend aus. Langsam liefen sie den kleinen Hügel hinunter. »Wir müssen ein Taxi nehmen«, bemerkte Jeff Winter. »Der Bentley ist verschwunden.« »Hubbard hat das Fahrzeug hier nicht stehen lassen«, sagte er. »Wieder ein Beweis, dass jetzt alles mit rechten Dingen zugeht. Beeilen wir uns, Jeff? Bin gespannt, was in der Zwischenzeit hier alles geschehen ist.« Die beiden Detektive von Scotland Yard eilten mit schnellen Schritten davon. * Drenus hatte eine empfindliche Niederlage einstecken müssen. Ohne etwas daran ändern zu können, musste er hinnehmen, dass die beiden Männer aus seiner Dimensionsfalle entkommen konnten. Doch Drenus gab nicht auf. Tausende von Menschen befanden sich in seiner Gewalt. Diese würden abermals viele Tausende zu willenlosen Sklaven machen, die ihm die gewünschte Lebenskraft durch die Dimensionen von Zeit und Raum schickten. Die schwarze Wolke breitete sich immer mehr aus, drohte die zu eng gewordene Energieblase zu sprengen. Drenus konnte es kaum erwarten, dieses unfreiwillige Gefängnis zu verlassen. Er würde seine Macht auf der Erde in kürzester Zeit ausbreiten und zu einem Imperium des Schreckens ausweiten. Nichts würde sich ihm mehr in den Weg stellen können. Auch dieser Mann mit dem Ring nicht, der zwar über eine große Macht verfügte, jedoch nicht in der Lage war, diese richtig anzu72 �
wenden. Die Gedanken des Dämons waren triumphierend. Wie ein schwarzes, unheimliches, kugelförmiges Gebilde schwebte die Dimensionsblase in der grenzenlosen Weite des Universums. Der Tag war nicht mehr fern, an dem sie dem Dämonen Drenus die Freiheit geben würde… * »Die Lage ist fast aussichtslos«, sagte Glenn Hubbard. Sein Gesicht sah müde und gealtert aus. »Unsere ganze Ordnung ist fast schon zusammengebrochen. Niemand getraut sich auf die Straße. Die Polizeikräfte bemühen sich zwar verzweifelt, Recht und Ordnung zu erhalten, doch sie kämpfen auf verlorenem Posten. Die irdischen Seelenfresser sind zum Teil schon unter ihnen und schlagen erbarmungslos zu.« Glenn Hubbard schwieg. Mit zittern den Fingern zündete er sich seine Pfeife an. Percy Collins und Jeff Winter schauten sich bitter an. Chiefinspektor Hubbards Bericht übertraf ihre schlimmsten Erwartungen. So schlimm hatten sie sich das herrschende Chaos nicht vorgestellt. Glenn Hubbard lächelte müde. Dunkle Ränder befanden sich unter seinen Augen. Er schien schon tagelang nicht ins Bett gekommen zu sein. »Bisher fand ich keine Möglichkeit um an den Dämon heranzukommen«, murmelte Collins. »Ich bin sicher, dass sich dieses teuflische Wesen nicht auf unserer Welt aufhält, sondern irgendwo in den Dimensionen lauert, deren Zutritt einem Menschen wohl für immer verwehrt sein dürfte.« »Also aussichtslos, Collins«, fasste Hubbard zusammen. 73 �
»Haben Sie wenigstens einen Vorschlag, wie wir einer weiteren Ausbreitung dieser Epidemie Einhalt gebieten können, Inspektor?« Percy Collins schüttelte den Kopf. »Wir können nicht sämtliche Menschen einsperren. Diese Verwandelten werden immer wieder Mittel und Wege finden, um an andere Menschen heranzukommen.« »Aussichtslos«, murmelte Hubbard. Die Männer schwiegen. Eine Fliege summte durch das Zimmer, setzte sich auf Hubbards Nase und fing an sich zu putzen. »Was ist mit deinem Ring, Percy?«, fragte Jeff Winter. Der Aschenbecher vor ihm quoll vor Zigarettenkippen beinahe über. Inspektor Collins blickte auf das kostbare Kleinod, das jetzt unsichtbar am Ringfinger seiner linken Hand steckte. Die warnenden Impulse waren längst erloschen. »Vielleicht solltest du dich mit Professor Sherwood in Verbindung setzen«, schlug Jeff vor. »Auch in unserem letzten Fall hat uns dein toter Freund geholfen.« Percy Collins schloss die Augen, dachte an Professor Calwin Sherwood, der vor zwei Jahren gestorben war und ihm damals den Äonen-Ring auf dem Sterbebett vermacht hatte. Schon öfters war es Collins gelungen, mit der Seele des Verstorbenen in Verbindung zu treten. Doch das wurde immer schwerer. Professor Sherwoods Seele schien sich immer mehr zu entfernen, hielt sich in unbekannten Dimensionen auf, von wo aus eine Verständigung kaum noch möglich war. Hubbard scheuchte die Fliege von seiner Nase. Er wirkte plötzlich hellwach. »Sie müssen wenigstens einen Versuch machen, Collins«, sagte er rau. »Wenn es irgendwie möglich ist, dann wird uns Dir toter Freund helfen, wie schon so oft. Ich weiß, was ich von Ihnen ver74 �
lange, Inspektor, weiß auch, dass es für Sie nicht ohne Risiko ist, mit Sherwood Verbindung aufzunehmen, doch wir sollten in unserer verzweifelten Situation jede sich nur bietende Chance nützen. Wir müssen uns an jeden Strohhalm klammern.« Seine beschwörenden Worte klangen in Percys Ohren nach. »Sicher«, nickte er. »Wir dürfen nichts unversucht lassen. Aber schon vor einigen Monaten konnte ich kaum Kontakt mit Sherwood aufnehmen. Es wird…« »Versuch es, Percy!«, stieß Jeff Winter hervor. »Es wird unsere letzte Chance sein. Vielleicht kann uns Sherwood einen Tipp geben, wie wir an diesen Dämonen herankommen können. Deinem Äonen-Ring wird es schon irgendwie gelingen, die Verbindung herzustellen.« »Unternehmen wir sofort den Versuch«, gab Percy schließlich nach. »Vielleicht gelingt es uns.« Percy Collins kauerte sich noch mehr in seinem Sessel zusammen. Dann schloss er die Augen. Mit der rechten Hand tastete er über den Äonen-Ring, der sich sonderbar kalt anfühlte und an ein Eiskristall erinnerte. Sekunden vergingen, während Inspektor Collins an seinen toten Freund dachte. Er stellte ihn sich vor seinem geistigen Auge vor, doch es kam keinerlei Reaktion von Seiten des Toten, dessen Seele irgendwo in der Unendlichkeit schwebte. Percy Collins hatte das Gefühl, dass sein gedanklicher Ruf von einer dämonischen Macht unterdrückt wurde. Er dachte an den Seelenfresser und ahnte, dass er von diesem teuflischen Ungeheuer bereits beobachtet und beeinflusst wurde. Doch in diesem Moment erwärmte sich der Äonen-Ring, flackerte auf, stabilisierte sich dann. Ein roter Schein legte sich um den Körper des Geisterjägers. Der Äonen-Ring griff in den unsichtbaren Kampf ein. Neue Kräfte pulsierten durch die Gestalt des Polizei-Detektivs. Sein 75 �
verkrampft wirkender Körper lockerte sich. Die Umwelt verblasste, wurde zu einem gegenstandslosen Nichts, das Percys Konzentration nicht mehr beeinflussen konnte. Eine unendlich erscheinende Schwärze umgab Percys Geist, der jedoch keine Angst vor diesem unendlichen Meer der Zeit hatte. Plötzlich tauchte ein heller Lichtpunkt auf, der wie ein glühender Komet angerast kam. Percy Collins' Gedanken konzentrierten sich auf den hellen Lichtpunkt. Freundliche Gedanken drangen auf Percy ein. Professor Calwin Sherwoods Ich war aus den Tiefen des Universums zurückgekehrt, um Kontakt mit dem verzweifelten Freund aufzunehmen. »Du bist in großer Sorge, mein Freund«, verspürte Percy die Stimme des verstorbenen Professors in seinen Gedanken. »Ich weiß bereits, worum es geht. Drenus, das ist der Name des Dämons, den ihr Seelenfresser nennt, hat bald sein Ziel erreicht. Es kann sich nur noch um wenige Stunden handeln, bis er den Bannfluch abstreifen und die Dämonenfalle, in die er vor Hunderten von Jahren verbannt wurde, verlassen wird. Höchste Eile ist also geboten. Doch das brauche ich dir nicht zu sagen.« Professor Sherwoods Stimme verstummte. Fasziniert blickte Percy Collins auf den hellen Lichtpunkt, der von einem gelblichen Nebelkranz umgeben war. »Können Sie mir helfen?«, bat der Geisterjäger. »Mir und den vielen Menschen, die unter dem Fluch des Dämonen leiden.« »Ich habe schon Überlegungen angestellt und mich mit einigen guten Freunden beraten«, antwortete Professor Sherwood. Collins hätte zu gern gewusst, wer diese Freunde waren, doch das Ich des verstorbenen Professors reagierte nicht auf die telepathisch gestellte Frage. 76 �
»Es gibt nur eine Möglichkeit, Percy«, kam es dann von dem Lichtwesen. »Es muss dir gelingen, die Energie, die Drenus so stark und mächtig macht, anzuzapfen.« »Sie meinen, dass ich mich an die in die Dimensionen entschwindenden Lebenskräfte der Opfer des Dämons halten soll?«, fragte Collins gedanklich. »Sicher, Percy, es ist eine letzte und wohl auch einmalige Chance. Mit etwas Glück wird es dir gelingen. Die Lebenskräfte der Opfer sammeln sich an einem bestimmten Punkt auf der Erde. Wenn es dir gelingt, diesen Ort zu erreichen, ohne von Drenus vernichtet zu werden, dann kannst du dieses höllische Duell auch gewinnen.« Percy Collins fühlte Angst in sich aufsteigen. »Es wird sehr gefährlich für dich werden, Percy, doch du solltest keine Furcht haben. Auch dein Weg ist vorgeschrieben, so wie der Weg eines jeden Menschen. Du bist nun einmal ausersehen, für die Menschheit gegen das Böse zu kämpfen.« »Wo finde ich diesen Ort?«, fragte Percy. »Der Ort ist dieses alte Haus, das du bereits kennst, doch es befindet sich nicht mehr auf der Erde, sondern schwebt im Zwischenschattenreich.« »Im Zwischenschattenreich, Professor?« »Ja, Percy, es ist die Welt zwischen der realen Welt und der Welt der Verstorbenen. Es ist der Nistplatz vieler Dämonen, Geister und Gespenster. Es wird nicht einfach werden. Jetzt willst du sicher wissen, wie du dieses Zwischenschattenreich erreichen kannst?« Inspektor Collins bejahte. Für einige Augenblicke herrschte Schweigen. Der helle Lichtpunkt, der vor Collins schwebte, schien sich leicht zu verändern. Er pulsierte wie eine kleine Sonne. »Dein Geist wird wieder in deinen Körper zurückversetzt wer77 �
den, Percy. Dann wird der Äonen-Ring dich ins Zwischenschattenreich bringen. Du musst nun vertrauen. Das kostbare Kleinod wird versuchen, die dort angesammelten Lebenskräfte zu eigen zu machen. Sollte dies gelingen, dann wird es dir möglich sein, an Drenus heranzukommen. Alles Weitere wird sich erweisen. Ich kann dir nur noch viel Glück für dein gefährliches Abenteuer wünschen. Gehe in Frieden, Percy! Die guten Kräfte dieser und eurer Welt werden dir zur Seite stehen.« »Danke«, erwiderte Percy Collins. »Vielen Dank, Professor. Sie haben mir und der Menschheit einen großen Dienst erwiesen.« »Das wird sich erst noch erweisen«, klangen die Gedanken des Verstorbenen in Percy Collins' Kopf auf. »Lebe wohl, Percy! Meine guten Wünsche begleiten dich.« Der Lichtpunkt glitt mit atemberaubender Geschwindigkeit davon, war innerhalb von Sekunden in der samtenen Schwärze verschwunden. Percy Collins fühlte sich plötzlich einsam und verlassen. Die Schwärze beunruhigte seinen Geist. Doch dann ging alles sehr rasch. Die Schwärze schien sich in Millionen von einzelnen Fragmenten aufzulösen. Grelle Farben loderten, aufblitzenden Fackeln gleich. Er hörte eine sanfte Musik, die ihm alle Angst nahm. Dann öffnete Percy die Augen. Für einige Sekunden fühlte er sich benommen. Als er aufsah, blickte er in die fragenden Gesichter von Chiefinspektor Glenn Hubbard und Jeff Winter. Percy Collins holte tief Atem. »Hat es geklappt?«, fragte Jeff Winter mit schnell gehendem Atem. Seine Augen funkelten vor Erregung. Das müde Gesicht des Chiefinspektors war gerötet. Er lächelte Percy freundlich zu. Der Inspektor nickte. »Ja, ich habe Verbindung mit dem Ich 78 �
von Professor Calwin Sherwood aufgenommen.« Percy berichtete, was er in den wenigen Augenblicken erlebt hatte. Schweigend sahen ihn seine beiden Gefährten an. Glenn Hubbard räusperte sich nach einigen Sekunden. »Werden Sie es wagen, Collins?« »Ich habe wohl keine andere Wahl«, lächelte Percy schwach. »Natürlich werde ich dieses Wagnis eingehen. Ich bin wohl der einzige Mensch auf diesem Planeten, der das drohende Unheil abwenden kann. Dieser Drenus muss in seiner Dimension vernichtet werden, denn sollte er erst die Dämonenfalle verlassen, wird es kein Gegenmittel mehr geben gegen seine dämonischen Kräfte.« Jeff Winter zündete sich eine Zigarette an, obwohl ein erst halbgerauchter Glimmstängel im Ascher noch rauchte. Inspektor Collins blickte auf den Äonen-Ring, der in einem silbernen Licht strahlte. Diese Farbe hatte der Geisterjäger noch niemals an dem kostbaren Kleinod gesehen. Wie ein eherner Reif lag er um seinen Ringfinger. Wie geschmolzenes Silber sah der Äonen-Ring aus. Percy fühlte plötzlich, dass sich etwas in seinem Körper zu verändern begann. Jeff Winter und Glenn Hubbard hatten sich erhoben. »Ich fühle mich plötzlich so sonderbar«, stammelte Percy Collins. »Ich kann es euch nicht erklären, doch etwas in mir verändert sich.« Ein gequältes Lächeln huschte über sein hageres Gesicht. Alles begann vor Percy Collins' Blicken zu verschwimmen. Ein dichter Nebel, der aus den Wänden zu dringen schien, begrub alles unter sich. Dann, war der Geisterjäger plötzlich verschwunden. * 79 �
Percy Collins hatte das Gefühl, dass sich sein Körper aufgelöst hatte und zu einer Art Nebelschleier geworden war. Er schwebte in einem unbekannten Etwas. Er fühlte sich leicht und schwerelos. Trotzdem verspürte er eine gewaltige Kraft, die durch seinen Körper zog. Percy Collins erhob sich jetzt vom Boden, der glatt und fugenlos war. Sein Körper hatte sich wieder gefestigt, die Nebelschleier waren verschwunden. Er sah sich nach allen Seiten um. Er befand sich in einem kreisrunden Raum, der vollkommen verglast war. Percy trat zu einem der riesengroßen Fenster und spähte ins Freie. Er konnte nur ein tristes Grau erkennen, das diesen Raum von allen Seiten umgab. War dies bereits das Zwischenschattenreich, von dem Professor Sherwood berichtet hatte? Plötzlich durchzuckte ihn ein eisiger Schreck. Der Äonen-Ring war verschwunden! Er hatte ihn nicht mehr am Ringfinger. Es vergingen lange Minuten, ehe er diesen Schrecken überwunden hatte. Ruhelos wandelte er in dem nicht sehr großen Raum auf und ab. Der Boden war wie mit dicken Teppichen belegt, dämpfte jeden Schritt. Percy trat wieder an eine Fensterscheibe heran und spähte hindurch. Draußen in der grauen Unendlichkeit hatte sich noch nichts geändert. Es kam ihm vor, als treibe die Behausung durch eine graue Ewigkeit. Es musste sich um das Zwischenschattenreich handeln, die Welt zwischen der realen Welt und der Welt der Verstorbenen. So hatte es der verstorbene Professor Sherwood erklärt. Inspektor Collins tastete immer wieder über die Stelle, an der 80 �
sich sonst der Äonen-Ring befunden hatte. Doch es nützte alles nichts. Das kostbare Kleinod blieb verschwunden. Percy wusste, dass seine Chancen zum Überleben nun auf ein Minimum geschmolzen waren. Ohne das kostbare Kleinod hatte er nicht den Hauch einer Hoffnung, Drenus zu besiegen. Als er so hinausschaute, glaubte er, auf ein Trugbild zu starren. Die Scheiben reflektierten stark und verzerrten die Sicht. Auf einmal sah er einen hellen Schwärm, der aus über einem Dutzend Lichtpunkten bestand. Wie Kometen zogen sie ihre Bahn. Genauso plötzlich wie sie aufgetaucht wären, waren die Lichtpunkte auch wieder verschwunden und Percy starrte wieder in das triste Grau. Unvermittelt wurde ein grünlich schimmernder Fleck sichtbar, der sich rasch näherte. Bald füllte er die ganze Fläche aus. Die Behausung, in der sich Collins befand, schien von dem grünen Fleck regelrecht aufgesaugt zu werden. Die grüne Masse wogte wie das aufgewühlte Meer vor der Behausung, die durch das Zwischenschattenreich schwebte. Übergangslos lösten sich von dem Gebilde, in dem sich Percy Collins befand, rötliche Strahlen, die auf die grünliche Masse trafen und sie auflösten. In Percy Collins kam ein Verdacht auf, der ihm jedoch zuerst vollkommen unsinnig erschien. Doch es konnte gar nicht anders sein: Er, Percy Collins, befand sich im Innern des Äonen-Ringes, war selbst zu einem Bestandteil dieses kostbaren Kleinods geworden. Der Äonen-Ring umschloss ihn, trug ihn durch das Zwischenschattenreich. Percy Collins fühlte sich unsagbar erleichtert. Nun rechnete er sich für seinen schwierigen Auftrag wieder größere Chancen aus. Ein Gedanke durchzuckte den Inspektor. Wäre es ihm möglich, 81 �
den Ring nach seinen Wünschen zu dirigieren? Er beschloss, sofort einen Versuch zu unternehmen. Als er wieder einige der grellen und kometenhaften Lichtpunkte in weiter Ferne aufblitzen sah, wünschte er sich in die Nähe dieser Erscheinungen. Das geschah augenblicklich. Der Ring, der hier im Zwischenschattenreich schon mehr einem Raumschiff glich, hatte seinen gedanklichen Befehlt unverzüglich ausgeführt. Inspektor Collins starrte auf die huschenden Lichtpunkte, die wie Energieimpulse durch die graue Unendlichkeit des Zwischenschattenreichs jagten. Percy nahm an, dass es sich bei diesen Lichtpunkten um die Lebenskräfte handelte, die von den irdischen Seelenfressern den Menschen entzogen wurden und nun dem geheimnisvollen Sammelpunkt zustrebten, von wo aus sie dann ihre Reise durch die Dimensionen zu Drenus unternehmen würden. Doch dann griffen dämonische Wesen den Äonen-Ring an. Der Äonen-Ring begann plötzlich wie ein störrisches Pferd zu rucken und zu zucken. Percy Collins wurde zu Boden geschleudert. Es wurde schlagartig dunkel um ihn. Dumpfe Angst kroch in ihm hoch, ließ seinen Herzschlag beschleunigen. Eine Weile blieb es still. Inspektor Collins wollte aufatmen, als bereits ein neuer Angriff erfolgte… * Professor Charles Goodwill blickte auf, als es dumpf gegen die Tür seines Arbeitszimmers pochte. Goodwill warf einen Blick zur Uhr und runzelte die Stirn. Wer wollte ihn zu dieser späten Stunde noch stören? 82 �
Die Tür wurde jetzt geöffnet, der Kopf einer jungen Frau schob sich herein. Professor Goodwills Besicht glättete sich, doch dann nahm es die Farbe von frisch gefallenem Schnee an. Er kannte die junge Frau, die jetzt das Zimmer betreten hatte. Es war Dorothy Plymers. Eine der vielen Untoten, die zu einer Plage der Menschheit geworden waren. Charles Goodwill ruckte hoch. Sein Stuhl krachte zu Boden. Dorothy Plymers hatte sich langsam genähert. Wenige Schritte vor dem Schreibtisch blieb sie stehen. Ihr jugendlicher Körper vibrierte. Die Hände waren gekrümmt, wie die Krallen eines Raubvogels, der bereit war, seine Fänge in sein wehrloses Opfer zu schlagen. Professor Goodwill wich zurück. Sein Blick fiel zur angelehnten Tür. Es musste ihm gelingen, die Tür zu erreichen! Sonst war er rettungslos verloren. Schon die geringste Berührung mit Dorothy Plymers würde genügen, diesen schrecklichen Alterungsprozess bei ihm einzuleiten. Und dann würde auch er zu dieser Horde willenloser Wesen gehören, die von einem Dämonen grausam unterjocht wurden. Dorothy Plymers glitt näher. Professor Goodwill täuschte jetzt einen Ausfall nach links an, wollte dann rechts an der Untaten vorbei. Doch es schien, als habe das von einem Dämonen verwandelte Wesen die Gedanken des Professors gelesen. Im letzten Moment warf sich Goodwill zurück. Nur haarscharf verfehlten ihn Dorothy Plymers' zupackende Hände. Nur der wuchtige Schreibtisch befand sich noch zwischen ihm und der Untoten. Goodwills Hände tasteten hinter sich. Auf dem Fensterbrett stand ein Blumenstock. Der Professor handelte augenblicklich. Er schleuderte Dorothy Plymers den Blumenstock entgegen, der die überraschte Brau traf. 83 �
Die Untote taumelte zurück, stieß einen fauchenden Laut aus, stolperte über einen der Besuchersessel und stürzte zu Boden. Professor Charles Goodwill lief los. Er erreichte die Tür, doch als er diese zuschlagen wollte, war die von einem Dämon besessene Dorothy Plymers schon heran. Goodwill lief den langen Gang entlang. Niemand war zu sehen. Zu dieser mitternächtlichen Stunde hielten sich nur wenige Angestellte, Ärzte und Pfleger in der Klinik auf. Hinter sich vernahm der Professor die schnellen Schritte von Dorothy Plymers. Die junge Frau entwickelte ungeahnte Kräfte. Jetzt hatte Goodwill den Aufzug erreicht. Die Kabine war jedoch nicht da. Unmöglich darauf zu warten, er musste also die Treppe nehmen. Die Untote war nur noch drei Meter hinter Professor Goodwill, als der wie ein Hase die Treppe hinunterjagte. Dann passierte es auch schon. Auf der vorletzten Stufe rutschte Goodwill aus, taumelte noch einen Schritt und stürzte. Schnell wollte er wieder hoch. Doch dann spürte er den heißen Atem des von einem Dämonen besessenen Wesens. Zuckende Hände griffen nach Charles Goodwill. Er fühlte eine eisige Kälte durch seinen Körper kriechen. Eine grenzenlose Angst breitete sich in ihm aus. Dorothy Plymers, die noch immer die Hände des Professors hielt, wich jetzt zurück. Ein triumphierendes Leuchten lag in ihren Augen. Sie hatte ihren Auftrag ausgeführt. Ihr Herr und Meister würde zufrieden mit ihr sein. Sie blickte auf den alten Mann, der vor ihr am Boden lag. Sein Atem ging unregelmäßig. Dorothy dachte an ihren Auftrag und berührte die Stirn des Professors, der jetzt die Augen aufschlug. Die Angst schwand langsam aus seinem Gesicht. Er war zu einem der Wesen geworden, die Drenus jetzt willenlos gehor84 �
chen würden. »Kommen Sie, Professor«, forderte Dorothy Plymers ihn mit monotoner Stimme auf. »Sie werden jetzt einen Besuch abstatten. Und zwar direkt bei Scotland Yard. Dort gibt es drei Personen, die wir unbedingt in unsere Gewalt bringen wollen.« Charles Goodwill nickte. Willig folgte er der Untoten, die mit schnellen Schritten dem Ausgang zustrebte. * Aus dem düsteren Grau des Zwischenschattenreiches schob sich ein riesiger Körper heran. Er schien aus immer wieder zerfließenden Nebelfetzen zu bestehen, aus der sich langsam der Körper einer menschenähnlichen Gestalt formte. Ein großes, blutrot leuchtendes Auge saß auf der Stirn des unheimlichen Wesens, das sich lautlos näherte. Der Äonen-Ring, in dem sich Percy Collins befand, schien zu vibrieren. Das kostbare Kleinod musste ungeheure Energien freimachen, um dem Angriff des Geisterwesens zu begegnen, aus dessen blutrotem Auge jetzt ein Feuerstrahl brach, der den Äonen-Ring einhüllte, diesen aufglühen ließ und Inspektor Collins blendete. Der Äonen-Ring wurde aus seiner Bahn gerissen. Sein Flug ging in taumelnde Bewegungen über. Doch dann ging das kostbare Kleinod selbst zum Angriff über. Es versetzte sich in rotierende Bewegungen. Percy stürzte schon nach wenigen Augenblicken zu Boden. Auf seinen menschlichen Begleiter konnte der Ring jetzt keine Rücksicht nehmen. Es ging hier um die Entscheidung. Immer schneller drehte sich der Äonen-Ring, wurde nun selbst zu einem glühenden Etwas, das eine pfeilschnelle Flugbahn zog, 85 �
den Nebelriesen umflog, als wolle er fliehen, doch dann kehrtmachte und genau auf das rote Auge des Dämonen zielte. Das Geisterwesen zuckte zurück. Der Äonen-Ring steigerte seine Geschwindigkeit und jagte genau auf das blutrote Auge zu, wich geschickt einem aufzischenden Feuerstrahl aus und traf dann das Auge des Dämonen. Eine neue Sonne schien in dem grauen Zwischenschattenreich aufzugehen. Elementare Gewalten tobten, die aber innerhalb weniger Augenblicke erloschen. Der Geisterriese war vernichtet. Außer einigen verwehenden Nebelfetzen war nichts mehr zu sehen. Das trübe Grau hatte alles geschluckt. Percy Collins kam taumelnd auf die Beine. Sein Kopf schmerzte. Er fuhr sich mit einer mechanischen Geste über die Augen. Dann blickte er hinaus. Plötzlich blitzten wieder über ein Dutzend Lichtpunkte auf, die wie Kometen ihre Bahn zogen. Der Äonen-Ring handelte augenblicklich. Er beschleunigte gedankenschnell, folgte den Lichtpunkten, die zu einem geheimnisvollen Ort in dieser Geisterwelt zogen, um von dort aus zu der Dämonenfalle von Drenus abgestrahlt zu werden. Immer mehr Lichtpunkte blitzten auf. Percy Collins wusste dies gut z deuten. Die irdischen Seelenfresser mussten reichliche Ernte halten. Die Erdenmenschen standen am Rande einer Katastrophe. Dann sah er einen winzigen Leuchtpunkt in der grauen Masse, der immer heller wurde und bald wie eine Sonne glühte. Es musste der Sammelpunkt der Lebenskräfte sein, die Drenus so sehr benötigte, um seine Dämonenfalle für immer verlassen zu können. Der Äonen-Ring verlangsamte seinen Flug. Vorsichtig näherte er sich der Sammelstelle der verlorenen Seelen. 86 �
Percy Collins kam sich hilflos, ja, sogar überflüssig vor. Der Äonen-Ring handelte mit einer logischen Präzision, die ihm Bewunderung abnötigte. * Dorothy Plymers parkte den Mini-Cooper in der Nähe des Scotland-Yard-Gebäudes. Sie nickte dem verwandelten Professor kurz zu. »Führe deinen Auftrag aus«, kam es monoton von ihren bleichen Lippen. »Hubbard, Collins und Winter müssen vernichtet werden. Nur sie allein können unserem Herrn und Meister noch gefährlich werden. Es ist alles vorbereitet. Du bist bei Hubbard angemeldet. Er wird dich empfangen.« Professor Charles Goodwill verließ das kleine Fahrzeug. Ohne sich nochmals umzudrehen, stakste er davon, überquerte die Straße und näherte sich Scotland Yard. »Zu Chiefinspektor Glenn Hubbard«, sagte Goodwill zum Portier und zeigte seinen Ausweis. »Ich bin angemeldet.« Der Portier in dem großen Glaskäfig nickte und beschrieb Professor Goodwill den Weg. Charles Goodwill ging durch einige Gänge, erreichte einen Fahrstuhl und fuhr zum dritten Stockwerk hoch. Niemand begegnete ihm. Es schien, als wären alle Bediensteten des Yards ausgeflogen. Dann stand Professor Goodwill vor der Tür, die zu Chiefinspektor Glenn Hubbards Büro führte. Der gierige Ausdruck in den Augen des Professors verschwand, die schmalen Hände zitterten. Ein krampfhaftes Zucken lag um die Mundwinkel des Professors. Dann öffnete er die Tür. Glenn Hubbard erhob sich hinter seinem Schreibtisch und lächelte freundlich. Jeff Winter saß einige Schritte daneben auf 87 �
einem Stuhl. »Hallo, Professor«, rief Hubbard. »Schön, Sie zu sehen. Ich hoffe nur, dass Sie uns gute Nachrichten bringen.« Charles Goodwill trat ein. Er versuchte zu lächeln, doch es wurde nur eine verzerrte Grimasse. »Ich habe einen großen Erfolg zu verzeichnen«, murmelte er undeutlich. Der Professor trat bis zu Hubbards Schreibtisch und wollte gerade dem rundlichen Mann die Hand reichen, als Jeff Winter einen gellenden Schrei ausstieß. »Zurück, Chef!«, schrie Winter. Glenn Hubbards bereits ausgestreckte Hand zuckte zurück. Sein Gesicht wurde unnatürlich bleich. »Nicht anfassen!«, schrie Winter nochmals. Er hatte plötzlich seine Pistole in der Hand und zielte damit auf den hoch gewachsenen Professor. Professor Goodwill drehte sich langsam in Jeff Winters Richtung. »Lassen Sie den Unsinn«, krächzte Goodwill. »Sie haben zuviel Phantasie, junger Mann.« Jeff Winter ließ sich nicht beirren. Der Lauf der Pistole senkte sich um keinen Millimeter. »Die Hände weisen noch immer die typischen Altersflecken auf«, rief Jeff. »Außerdem sind die Haare des Professors eisgrau geworden. Der Rückwandlungsprozess hat nicht ganz funktioniert. Anscheinend bekam er zuwenig von seiner Lebensenergie zurück.« »Sie haben recht, Winter«, sagte Glenn Hubbard rau. »Professor, wenn Sie auch nur eine falsche Bewegung machen, dann drückt mein Kollege ab. Und seine Pistole ist mit silbernen und geweihten Kugeln geladen. Sie wissen, was das für Sie bedeuten würde.« Professor Charles Goodwills Körper duckte sich leicht. Wie ein 88 �
sprungbereites Raubtier stand er zwischen den beiden Männern von Scotland Yard. Glenn Hubbard schob sich langsam hinter seinem Schreibtisch hervor. Keinen Augenblick ließ er die sprungbereite Gestalt des Verwandelten aus den Augen. Der Professor wartete immer noch auf einen Befehl seines Herrn und Meisters. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Dann kam der Befehl. Professor Goodwill handelte. Er schnellte nach vorn, versuchte sich auf Chiefinspektor Hubbard zu stürzen. Doch der hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Trotz seines beachtlichen Leibesumfangs huschte er blitzschnell zur Seite und entging den zupackenden Armen des Verwandelten, der gegen den wuchtigen Schreibtisch fiel, jedoch wie eine Katze herumwirbelte. Hubbard war neben Jeff Winter getreten, der jetzt ruhig auf Goodwill zielte. Doch in dem gleichen Moment, als Jeff Winter abdrückte, wurde der Verwandelte von einem gleißenden Energieschirm umhüllt, der Jeff Winters Geschoß mühelos abwehrte. Die beiden Yard-Männer standen wie gelähmt da. »Raus«, knurrte Hubbard. Sie stürmten zur Tür. Keine Sekunde zu früh, denn der Verwandelte folgte ihnen mit großer Geschwindigkeit. Im Laufen drehte sich Jeff Winter nochmals um und feuerte, doch auch dieses Mal konnte das silberne und geweihte Geschoß dem unseligen Leben des Verwandelten kein Ende bereiten. Hubbard keuchte bereits. Sein Gesicht war schon nach wenigen Metern schweißüberströmt. Seine körperliche Konstitution war nicht gerade die beste. Die Schritte von Professor Charles Goodwill stampften hinter ihnen her. Er näherte sich den beiden Flüchtenden, die eigentlich 89 �
keine Chance mehr hatten… * Eine wispernde Stimme drang in Percy Collins' Gedanken, ließ ihn zusammenfahren. »Ich rufe dich, Percy. Ich bin es – Calwin Sherwood. Der Äonen-Ring nahm Verbindung mit mir auf. Du darfst keine Angst mehr haben, denn sonst würdest du alles gefährden. Der Äonen-Ring schirmt dich zwar gut ab, doch deine Ängste dringen in das Zwischenschattenreich und könnten von Drenus aufgefangen werden. Beruhige dich, Percy! Die guten Kräfte werden dir behilflich sein, denn diese Auseinandersetzung mit dem Bösen rüttelt an den Strukturen aller Welten und Dimensionen. Sollte es Drenus gelingen, diesen Kampf zu gewinnen, dann würde die Herrschaft des Bösen über die ganze Welt ausgebreitet werden!« Percy versuchte, seine Ängste zu unterdrücken. Die Worte seines verstorbenen, väterlichen Freundes hatten ihm neuen Mut und neue Kraft gegeben. Der Äonen-Ring schwebte noch immer wie ein Lichtpunkt unter den anderen Lichtpunkten, die nichts anderes als die zu Energie gewordenen Lebenskräfte der irdischen Opfer der Seelenfresser waren und hier am Sammelort im Zwischenschattenreich auf den Abtransport zur Dämonenfalle von Drenus warteten. Immer mehr dieser Lichtpunkte trafen ein. Hunderte, Tausende vereinigten sich mit der glühenden Wolke. Inspektor Collins ahnte, dass diese Lebenskräfte reichen würden, um die Dämonenfalle von Drenus zu sprengen und dem teuflischen Wesen die Freiheit zu geben. Der Äonen-Ring vibrierte. 90 �
Fast körperlich spürte Collins die unfassbaren Energien, die durch das kostbare Kleinod zogen. Percy Collins war jetzt ganz ruhig geworden. Er wusste, dass sich die Entscheidung anbahnte. Der Flug oder der Sprung in die Dimension, in der Drenus weilte, musste kurz bevorstehen. Dann war es soweit. Das graue Zwischenschattenreich zerfloss, wurde zu einem durchsichtigen Etwas, das sich auflöste. Helligkeit blendete Collins, die jedoch gleich darauf erlosch. Eine tiefe Schwärze breitete sich aus. Percy hatte das Gefühl, in einen nicht enden wollenden Abgrund zu stürzen. Der Fall hielt lange an. Der Äonen-Ring rumpelte und zuckte wie eine alte Kutsche auf einer ausgefahrenen Landstraße. Percy Collins konnte sich kaum auf den Beinen halten. Dann verlangsamte sich der Sturz, ging schließlich in ein sanftes Schweben über. Sie befanden sich in einem hellblau strahlenden Universum, das sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Der Äonen-Ring befand sich noch immer in dem Pulk der Tausenden von Lichtpunkten, die im geschlossenen Schwarm durch diese Dimension zogen. Percy Collins beschlich ein andächtiges Gefühl, als er in diese Ewigkeit blickte. Dann sah Inspektor Collins den kleinen schwarzen Punkt in der Unendlichkeit, dem der Äonen-Ring und die anderen Lichtpunkte sich näherten. In dieser seidigen Bläue strählte dieser dunkle Fleck eine drohende Gefahr aus. Ein Kribbeln machte sich in Percy Collins breit. Er spürte die bösartige Ausstrahlung des dunklen Fleckes, der immer größer wurde und bald die Form einer großen schwarzen Wolke annahm, die sich in einem blasenähnlichen Gebilde befand. 91 �
Das musste die Dämonenfalle sein, in der Drenus schon seit Jahrtausenden gefangen gehalten wurde. Bald ragte die Wolke wie eine schwarze Wand vor dem ÄonenRing auf, verdrängte die seidige Bläue des fremden Universums. Wieder vibrierten ungeheure Energien durch das kostbare Kleinod. Percy hätte zu gern gewusst, woher der Ring diese Kräfte nahm. Er konnte nur annehmen, dass der Äonen-Ring von unbekannten Energien aus der Ewigkeit gespeist wurde. Jetzt wurde der Äonen-Ring von der schwarzen Masse eingenommen. Percy Collins näherte sich dem Grauen. * Chiefinspektor Glenn Hubbards Gesicht war schweißüberströmt. Er japste nach Luft. Jeff Winter befand sich dicht neben seinem Vorgesetzten, dem langsam aber sicher die Puste ausging. Der verwandelte Professor Goodwill befand sich jetzt höchstens noch zwei Meter hinter den beiden Detektiven. Unbändige Energien mussten ihn vorwärts treiben. In seinem bleichen Gesicht zuckte kein Muskel. Jeff fiel jetzt ein wenig zurück, versuchte den Untoten auf sich zu lenken. Vor den beiden Flüchtenden zweigte ein Gang ab. »Los, nach rechts, Chef«, brüllte Jeff Winter. Chiefinspektor Hubbard reagierte gerade noch rechtzeitig. Er schlug einen Haken und bog scharf ab. Jeff Winter rannte weiter. Er sah sich um und stellte erleichtert fest, dass Professor Goodwill ihm folgte. Jeff Winter spornte seinen sportlich gestählten Körper noch mehr an. Die Treppe! 92 �
Jeff hastete hinunter. Er blickte sich erneut um, sah den verwandelten Goodwill mit übernatürlicher Ausdauer hinter sich herhetzen. Jeff hatte das nächstliegende Stockwerk erreicht. Seine Gedanken überschlugen sich, suchten nach einer Möglichkeit, um seinen Verfolger abzuschütteln. Wieder hetzte der Polizei-Detektiv von Scotland Yard einen langen Gang entlang. Niemand begegnete ihm. Professor Goodwill stampfte wie ein willenloser Roboter hinter ihm her. Jeff Winter eilte um eine Biegung und sah dann den Eimer und den Besen einer Putzfrau stehen, die ihre Utensilien scheinbar vergessen hatte. Jeff stoppte ab, griff nach dem Besen und hielt ihn einige Zoll über den Boden. In diesem Moment stürmte der verwandelte Professor auch schon um die Ecke. Charles Goodwill stolperte über den hingehaltenen Besenstiel und stürzte schwer zu Boden. Jeff rannte weiter. Er gewann einen Vorsprung von über zehn Meter, ehe der Gestürzte wieder auf die Beine kam. Wieder bog Winter um eine Ecke. Vor sich sah er einen weiteren Fahrstuhl. Dieses Mal war die Kabine da. Jeff Winters Gedanken überschlugen sich. Irgendwie musste es ihm gelingen, den verwandelten Professor in den Aufzug zu bekommen. Viel Zeit war nicht zu verlieren. Die Schritte von Professor Goodwill kamen humpelnd näher. Der Verwandelte musste sich verletzt haben. Jeff Winter wartete noch, drückte im Innern einen Knopf und trat heraus. Dann gab er der Aufzugstür einen kleinen Schubs, die langsam zu schwang. Er selbst verbarg sich in einer Nische, die sich neben dem Fahrstuhl befand. Jeff hatte richtig vermutet. 93 �
Der Professor, der in diesem Moment um die Ecke bog, sah die sich langsam schließende Tür. Mit einem Sprung hatte er sie erreicht, riss sie auf und glitt halb in den Fahrstuhl hinein. Natürlich sah er jetzt, dass er von dem Flüchtenden getäuscht worden war. Jeff Winter warf sich mit voller Körperkraft gegen die Tür, die den Verwandelten ins Innere des Fahrstuhles katapultierte. Der Fahrstuhl ruckte einige Sekunden später an. Jeff Winter riss seine Pistole aus der Schulterhalfter und jagte einige Kugeln auf den Rufknopf des Fahrstuhles, der außerhalb angebracht war. Es fauchte und rauchte, dann stand der Fahrstuhl still. Irgendein durch die Geschosse verursachter Kurzschluss hatte ihn außer Betrieb gesetzt. Jeff Winter wischte sich den Schweiß von der Stirn, dann holte er tief Luft. Der verwandelte Professor Goodwill saß im Aufzug zwischen zwei Stockwerken fest. Jeff Winter hoffte, dass er den von einem Dämonen besessenen Mann ausgeschaltet hatte. Der Polizei-Detektiv trat in eines der vielen Büros und rief den Portier an, beschwor ihn, niemanden mehr ins Gebäude zu lassen. Über die Rundsprechanlage rief er nach Chiefinspektor Glenn Hubbard und bat ihn, zum Büro zurückzukommen. Hubbard erwartete ihn bereits, als er um die Ecke bog. Der Chiefinspektor hatte sich beruhigt, doch noch immer lag ein tiefes Entsetzen in seinen Augen. Jeff berichtete ihm kurz, was er mit dem Professor gemacht hatte. Anerkennend klopfte Hubbard seinem jungen Kollegen auf die Schulter. »Ich muss wohl etwas mehr Sport treiben und dem guten Essen ein wenig entsagen«, bemerkte er dann. »Sie brauchen 94 �
jetzt nicht unbedingt derart zustimmend nicken, Winter.« »Wenigstens sind wir ihm vorläufig entkommen«, grinste Winter. »Die haben es wirklich auf uns abgesehen. Bestimmt sollte Goodwill auch Percy unschädlich machen.« Die beiden Männer schwiegen, dachten in diesem Moment an Percy Collins und fragten sich, wie er sich wohl in diesem Augenblick verhalten würde. In diesem Moment klangen Schritte auf, die sich leise tapsend näherten. Die beiden Yard-Detektive fuhren herum. Ihre Augen weiteten sich, als sie den verwandelten Professor Goodwill erblickten, der den Gang entlang hinkte. »Jetzt geht es schon wieder los, Chef«, murmelte Jeff Winter. »Nun zeigen Sie mal, wie sportlich Sie sind.« Die Hetzjagd ging weiter. Die beiden Detektive von Scotland Yard waren aber diesmal im Vorteil denn die Fußverletzung des Verwandelten hinderte diesen sehr. Er holte kaum Luft. Chiefinspektor Hubbard lief mit rotem Kopf neben Jeff Winter, dem der stramme Lauf überhaupt nichts auszumachen schien. »Was machen wir jetzt?«, ächzte Hubbard und warf einen ängstlichen Blick zurück. »Wir verlassen das Gebäude«, keuchte Winter. »Wir können doch nicht stundenlang Wettlauf spielen.« Jeff Winter stieß in diesem Moment einen Schrei aus. Er stockte mitten im Schritt und riss Hubbard zurück. Vor ihnen waren zwei weitere Männer aufgetaucht. Alt und krumm füllten sie den Gang aus, doch in ihren Augen leuchtete die Gier… *
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Der Schwärm aus leuchtenden Punkten hatte sich jetzt fast ganz der schwarzen Wolke genähert. Percy Collins konnte die Energieblase sehen, die pulsierte und die schwarze Wolke zusammenhielt. Sein Magen krampfte sich zusammen. Nur mit großer Mühe gelang es ihm, die stärker werdende Angst zu unterdrücken. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Jetzt entstand in der Energieblase ein Vakuum, das die Wolke der Lichtpunkte wie magisch anzog. Sie wurde von einem starken Sog gepackt und durch eine Art Schleuse gerissen, die sich jedoch sofort wieder schloss. Dunkelheit umhüllte den Geisterjäger. Die Lichtpunkte wurden von der drohenden Wolke regelrecht aufgesaugt. Sie verschwanden innerhalb von wenigen Sekunden, verloren sich und wurden zu einem Bestandteil des entstofflichten Drenus. Percy hatte jetzt jedoch den Eindruck, als würde die dunkle Wolke plötzlich heller schimmern. Der Äonen-Ring bewegte sich kaum von der Stelle, schien abzuwarten und auf etwas zu lauern, was bald eintreten musste. Wieder verfluchte Collins die Tatsache, dass er völlig hilflos war und nicht eingreifen konnte. Die folgenden Minuten des Wartens kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. Er wurde immer nervöser und hoffte nur, dass der Äonen-Ring richtig handeln würde. Die immer heller werdenden Wolkenfetzen verdichteten sich noch immer, formten sich langsam zu einem riesigen Gebilde, das im entferntesten Sinn menschenähnliche Formen annahm. Drenus entstand. Bald würde er diese Dimension verlassen, um auf Erden seine Schreckensherrschaft anzutreten. Percy Collins fragte sich wohl zum hundertsten Male, warum 96 �
der Äonen-Ring nicht eingriff, sondern den Dämonen gewähren ließ? Das kostbare Kleinod war nur ein winziges Gebilde inmitten der wogenden Wolkenmassen. Auf irgendeine Weise schirmte sich der Äonen-Ring vollkommen ab, schien von Drenus noch nicht entdeckt worden zu sein. Wieder verging eine lange Zeit. Was hinderte den Äonen-Ring, zum Angriff überzugehen? Vielleicht die Dimensionsblase aus reiner Urenergie, in der der Dämon gefangen war, noch gefangen war; denn dies schien sich in diesen Minuten zu ändern. Die Struktur der Energieblase begann sich in diesen Sekunden umzugestalten. Es hatte den Anschein, als würde sie rissig, bekäme sie große Sprünge, die sich wie ein Spinnennetz um den unförmigen Körper des Dämonen legten. Inspektor Collins hielt den Atem an. Der Äonen-Ring bebte stark. Nur mit Mühe gelang es dem Ring, die Lage zu stabilisieren. Dann erfolgte ein so harter Stoß, dass der Geisterjäger zu Boden geschleudert wurde. Keuchend kam Percy wieder auf die Beine. Sein Blick saugte sich am Bildschirm fest. Drenus hatte es geschafft. Es war ihm gelungen, die Energieblase zu sprengen, die wie eine Eierschale von ihm abbröckelte und dann in der seidigen Bläue des fremden Universums verglühte. Der gigantische Körper des Dämonen, der seit Jahrtausenden sein Gefängnis nicht verlassen hatte, dehnte und streckte sich. Drohend hob er sich gegen das hellere Universum ab. Eine Ausgeburt der Hölle machte sich auf den Weg, um auf Erden die Herrschaft anzutreten. Percy Collins stand kalter Schweiß auf der Stirn. Seine Augen brannten. 97 �
Er starrte auf das unheimliche Wesen, das zum Sprung durch die Dimensionen von Zeit und Raum ansetzte. Wie viel Zeit blieb noch, um das Grauen zu verhindern? Er wusste es nicht, hoffte nur, dass der Äonen-Ring den entscheidenden Augenblick nicht bereits versäumt hatte. * »Mein Gott«, murmelte Jeff Winter, doch dann handelte er sofort. denn die beiden alten Männer, die unzweifelhaft zu irdischen Seelenfressern geworden waren, griffen an. Jeff Winter feuerte auf die Beine der beiden Verwandelten und traf auch. Die beiden Angreifer wurden zu Boden geschleudert, wo sie regungslos liegen blieben. Sie waren nicht von dem gleißenden Schutzschirm umhüllt gewesen, wie ihn Professor Goodwill trug. Der Professor hatte in den letzten Sekunden aufgeholt. Fauchend kam er näher. Er musste unbedingt seine beiden Opfer einholen. So lautete sein Auftrag. Doch die beiden Detektive von Scotland Yard dachten nicht daran, sich zu ergeben. Sie setzten ihre Flucht fort, erreichten eine Treppe, die nach unten führte. Jeff Winter und Glenn Hubbard stürmten hinab. Das Gesicht des Chiefinspektors hatte die Farbe einer überreifen Tomate bekommen. Jeff Winter war sich sicher, dass sein Chef bald schlappmachen würde. Sie hatten fast das Ende der Treppe erreicht, als eine Frau vor ihnen auftauchte. Dorothy Plymers! Ihr jugendlicher geschmeidiger Körper bewegte sich wie eine Katze auf die beiden Männer zu. Die beiden Männer von Scotland Yard stoppten abrupt. Hinter 98 �
ihnen dröhnten die Schritte von Professor Goodwill auf. Sie saßen in der Klemme. Dorothy Plymers' Augen leuchteten teuflisch. Leichtfüßig sprang sie zwei Treppenstufen hoch. Ihre Hände waren vom Körper weggestreckt und die Finger glichen Krallen. »Rutschen Sie das Treppengeländer hinunter«, murmelte Jeff Winter. »Ich lenke die Untote ab.« Im ersten Moment begriff Chiefinspektor Hubbard nicht ganz, doch dann schwang er sich auf das Treppengeländer und rutschte wie ein betagter, ein wenig zu rund geratener Lausejunge hinunter. Jeff hatte sich inzwischen Dorothy Plymers genähert und versuchte an ihr vorbeizuschlüpfen. Sie stürzte sich auf den jungen Mann, der ihr jedoch geschickt auswich. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, dass Glenn Hubbard das Ende der Treppe wohlbehalten erreicht hatte. Doch Jeff Winter blieb keine Zeit mehr, um sich um seinen Chef zu sorgen, denn die Untote hatte ihn fast erreicht. Ihr übel riechender Atem schlug dem Yard-Detektiv entgegen. Jeff machte einen Satz zurück, wollte sich ebenfalls auf das Treppengeländer schwingen, doch der Trick war längst durchschaut. So kam er niemals an der von einem Dämonen besessenen Frau vorbei. Jeff wandte sich um. Charles Goodwill hatte in diesem Moment die obersten Treppenstufen erreicht. Jetzt wurde es verdammt kritisch für den jungen Detektiv, der kaum noch eine Chance sah, seinem sicheren Ende zu entgehen. Doch in diesem Moment griff Glenn Hubbard ein, der Jeff Winter nicht im Stich ließ. Er schleppte schwer an dem Feuerlöscher, dann öffnete er das Ventil. Eine weiße Schaummasse schoss auf Dorothy Plymers zu. 99 �
Die überraschte Frau war innerhalb von wenigen Sekunden zu einem Schneemann aus weißem Schaum geworden. Die Sicht war ihr genommen. Sie fauchte und schrie. Professor Goodwill warf ein wütendes Echo zurück und kam die Treppe heruntergehumpelt. Doch Jeff Winter hatte bereits gehandelt. Ohne von Dorothy Plymers berührt zu werden, schlüpfte er an ihr vorbei, bekam auch eine gehörige Portion Schaum ab, denn Hubbard hatte in der Zwischenzeit die Kontrolle über den Feuerlöscher verloren, der unentwegt Löschschaum ausspie. »Klasse, Chef!«, rief Jeff, als er neben Hubbard ankam. Er wischte sich einige Schaumbatzen aus dem Gesicht und aus den Haaren und richtete sein Augenmerk auf die beiden Verwandelten, die sich jetzt inmitten der Treppe befunden hatten. Doch dann passierte es auch schon, als die beiden Untoten sich an die weitere Verfolgung machen wollten. Sie kamen auf der Schaummasse ins Rutschen und stürzten schwer die Treppe hinunter. Aufschreiend blieben Dorothy Plymers und Professor Charles Goodwill liegen. »Jetzt aber fort«, schrie Hubbard. Er wollte dem Yard-Ausgang zu rennen, doch Jeff hielt seinen Vorgesetzten am Arm zurück. »Und was ist, wenn Percy zurückkehrt? Angenommen, es gelang ihm nicht, diesen Drenus zu besiegen und er kommt zurück. Dann erwarten ihn bereits Dorothy und Goodwill.« Chiefinspektor Glenn Hubbard seufzte tief. Dann wischte er sich über sein gerötetes Gesicht. »Okay, okay, Jeff«, murmelte er. »Sie haben ja recht, mein Junge. Doch glauben Sie nur nicht, dass diese beiden Verrückten da aufgeben werden. Die sind ganz schnell wieder in Ordnung und machen uns dann wieder die Hölle heiß.« Jeff Winter nickte. »Sicher, Chef. Setzen wir uns noch eine Frist 100 �
von einer Stunde. Bis dahin müsste Percy Collins zurückgekehrt sein.« Glenn Hubbard nickte ergeben. »Okay, spielen wir noch ein wenig Nachlauf. Doch ich bin jetzt schon sicher, dass mir bald die Puste ausgehen wird!« Trotz der ernsten Situation konnte sich Jeff Winter ein Lächeln nicht verkneifen. * Percy Collins hatte das Gefühl, dass der Äonen-Ring jeden Augenblick explodieren würde. Die Erschütterungen hatten ein derartiges Ausmaß angenommen, dass sich der Geisterjäger kaum noch auf den Beinen halten konnte. Außerdem vibrierte das kostbare Kleinod stark. Drenus, das aus der Dämonenfalle entwichene Geisterwesen, jagte durch das unbekannte Universum, setzte zum Sprung an, um irdische Dimensionen zu erreichen. Worauf wartete der Äonen-Ring noch?, fragte sich Percy Collins immer wieder verzweifelt. Oder hatte der geheimnisvolle Ring überhaupt keine Chance mehr, doch eingreifen zu können? In diesem Moment drangen freundliche Gedanken in Percy Collins' Gehirn. Es war die Stimme seines toten Freundes Professor Sherwood, die aus der Ewigkeit ertönte. »Verzweifle nicht, mein Freund! Die Stunde der Entscheidung ist längst angebrochen. Es kann sich nur noch um wenige Sekunden handeln, dann wird der Äonen-Ring zum Angriff übergehen. Er musste aus verschiedenen Gründen so lange warten, denn die Lebenskräfte und die Seelen von Tausenden von Menschen sollen nicht verloren gehen, sondern zur Erde wohlbehalten zurückkehren. Dann könnte viel Schreckliches wieder gut 101 �
gemacht werden.« Die Stimme verwehte. Percy Collins wurde ruhig. Die Entscheidung würde in den nächsten Minuten fallen. So oder so, egal wie sie auch ausgehen würde, er hatte seine ganze Kraft diesem tollkühnen Unternehmen gegeben. Der Dämon wurde jetzt zu einem immer durchsichtiger werdenden Wesen, das die Raum-Zeit-Struktur dieses Universums zu durchbrechen versuchte, um in das irdische Universum zu gelangen. In diesem Moment, kurz bevor Drenus sein Vorhaben gelang, handelte der Äonen-Ring. Er wirkte in diesem Moment wie ein Verstärker, der dem Dämonen wieder die Lebenskräfte in Form von den kleinen Lichtpunkten entzog. Und dies ging so rasch vor sich, dass Drenus Vollkommen überrascht wurde. Ehe er sich versah, war seine Größe bereits um die Hälfte geschrumpft. Die Geschwindigkeit, mit der er durch dieses Universum eilte, verlangsamte sich rapide. Tausende von kleinen Lichtpunkten zogen durch das Universum und fanden den Weg zurück ins irdische Universum. Vergebens versuchte Drenus die entweichenden Lebenskräfte zurückzuhalten, doch die Kraft des Äonen-Ringes war stärker. Gnadenlos entzog er dem Dämon die aufgespeicherten Kräfte. Erst jetzt Schien der Dämon erkannt zu haben, wem er das vorläufige Scheitern seines Planes zu verdanken hatte. Sein wogender Körper, der an eine graue Nebelmasse erinnerte, verdichtete sich jetzt wieder, obwohl Drenus nur noch ein Bruchteil seiner ehemaligen Größe hatte. Er setzte sich in Richtung des Äonen-Ringes in Bewegung. Percy Collins schluckte mehrmals. Seine Kehle fühlte sich plötzlich wie ausgetrocknet an. Er fühlte hasserfüllte Gedanken in sich aufkommen. 102 �
Drenus, der aus der Falle entwichene Dämon, ging zum Gegenangriff über. Der Äonen-Ring schien darauf vorbereitet zu sein. Immer schneller wurde sein Flug. Drenus konnte dem kostbaren Kleinod kaum folgen. Rötliche Strahlen schossen von dem Dämonen herüber und umhüllten den Äonen-Ring. Ein Beben ging durch das kostbare Kleinod. Doch es konnte den dämonischen Gewalten Widerstand entgegensetzen. Die rötlichen Strahlen wurden intensiver. Es wurde plötzlich heiß im Innern des kostbaren Kleinods. Percy Collins liefen große Schweißperlen über Stirn und Wangen. Der Äonen-Ring kreischte jetzt wie ein Sägeblatt, das sich durch Stahl hindurch fressen musste. Die Entfernung zwischen den beiden unerbittlichen Gegnern war nicht mehr groß. In diesem Moment beschleunigte der Äonen-Ring und entzog sich so den rötlichen Strahlen, die sich jedoch fächerten und dem kostbaren Kleinod in atemberaubender Geschwindigkeit folgten. Inspektor Collins glaubte, ein triumphierendes Gelächter in seinen Gedanken zu vernehmen. Drenus schien sich seiner Sache jetzt ganz sicher zu sein, nahm an, dass sein Sieg nur noch eine reine Formsache war. Doch wie schon so oft wurde der Äonen-Ring unterschätzt. Das kostbare Kleinod ging erst jetzt zum eigentlichen Angriff über. Aus ihm lösten sich grellgelbe Strahlen, die Drenus einhüllten. Das spöttische Gelächter verstummte. Percy Collins glaubte Angst zu verspüren. Eine panische Angst, die von dem Dämon ausging und alle anderen Ausstrahlungen überlagerte. Doch der Dämon gab nicht auf, wehrte sich verzweifelt, ver103 �
stärkte nochmals seinen Strahlenangriff, der jedoch den ÄonenRing nicht gefährden konnte. Das kostbare Kleinod schien die Energiestrahlen des Dämons in sich aufzusaugen. Jetzt ergriff Drenus die Flucht, versuchte sich von dem ÄonenRing abzusetzen, der jedoch sofort die Verfolgung aufnahm und nicht lockerließ. Wieder glitten gebündelte Strahlen zu dem Dämonen hinüber, der in dieser gelben Flut unterging. Ein greller Blitz, der an Helligkeit die Sonne übertraf, kündete die endgültige Vernichtung von Drenus an. Als sich das fremde Universum wieder normalisierte und in seidiger Bläue erstrahlte, war von Drenus nichts mehr zu sehen. Er war vernichtet. Vernichtet für alle Zeiten. Niemals wieder würde er seine gierigen Klauen nach den Erdenmenschen ausstrecken, um unter ihnen Tod, Chaos und Vernichtung zu säen. Kaum merklich schwebte der Äonen-Ring durch die grenzenlose Weite dieser Dimension jenseits von Raum und Zeit. »Es ist gelungen«, vernahm der Geisterjäger die Stimme seines verstorbenen Freundes Professor Calwin Sherwood in seinen Gedanken. »Das Gute hat gesiegt. Du kannst beruhigt in deine Welt zurückkehren, Percy. Die Gefahr ist beseitigt. Die meisten der Menschen, denen man ihre Lebenskraft und Jugend raubte, haben beides wieder zurückerhalten. Bald wird man auf Erden nur noch von einem schlimmen Alptraum reden und alles vergessen.« »Ich danke Ihnen, Professor«, flüsterte Percy Collins. »Ohne Ihre Hilfe wäre es nicht möglich gewesen, diesen Drenus zu besiegen. Ich danke Ihnen im Namen aller Menschen von ganzem Herzen.« Für einige Sekunden herrschte Schweigen, doch dann fühlte Percy erneut die Gedanken des Verstorbenen, die sich sanft in 104 �
sein Gehirn tasteten. »Es war eine Teamarbeit, Percy, denn allein konntest du es dieses mal nicht schaffen. Erst durch das Zusammenwirken von dir, dem Äonen-Ring und mir gelang es, diese gigantische Gefahr zu beseitigen. Kehre zurück! Diese Gefahr ist beseitigt. Wisse nur eins: Die Mächte der Finsternis geben sich nicht geschlagen, obwohl sie wieder eine große Niederlage einstecken mussten. Doch achte gut auf dich, mein Freund! Du hast dich nun einmal dafür entschieden, gegen das Böse und gegen die Mächte der Hölle zu kämpfen. Der Äonen-Ring wird dir zur Seite stehen. Er ist dir treu ergeben, denn er hat längst erkannt, dass du seiner würdig bist. Irgendwann wirst du dieses geheimnisvolle Kleinod noch besser verstehen und auch lenken können. Alles braucht seine Zeit. Lebe wohl, Percy! Solltest du meine Hilfe wieder nötig haben, dann rufe nach mir!« Die Gedanken von Professor Sherwood verwehten. »Lebe wohl, Professor!«, murmelte Percy Collins wehmütig. Zurück nach Hause, dachte Inspektor Collins dann. Der ÄonenRing schien den Geisterjäger zu verstehen, denn er setzte sich sofort in Bewegung. Die seidige Bläue dieses Universums, in der Drenus einst in einer Energieblase gefangen gehalten worden war, verblasste. Ein dunkler Abgrund tat sich vor dem Inspektor von Scotland Yard auf, der ihn in nicht enden wollende Tiefen stürzen ließ. * »Ich kann nicht mehr«, stöhnte Chiefinspektor Glenn Hubbard und japste nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er wollte sich zu Boden sinken lassen, doch Jeff Winters kräftige Hand hielt ihn eisern fest. »Verdammt noch mal, Chef«, fluchte der Yard-Detektiv. »Sie 105 �
werden doch jetzt nicht schlappmachen, wo Sie sich in der letzten Stunde so hervorragend geschlagen haben.« Glenn Hubbards Augen funkelten böse. »Ich kann nicht mehr und damit basta. Bin doch kein Langstreckenläufer! Seit über einer Stunde werden wir jetzt von diesen Verwandelten hier durch das Yard-Gebäude gehetzt.« Er lächelte gereizt. »Kann mich ja gleich bei den nächsten Olympischen Spielen bewerben. Ich werde…« Chiefinspektor Hubbards Augen wurden starr. »Da kommen sie schon wieder. Die Pausen werden immer kürzer. Ich kriege kaum noch einen Fuß vor den anderen.« Jeff Winter blickte zu Professor Goodwill und Dorothy Plymers hinüber, die in diesem Moment um eine Biegung des Ganges kamen. Als sie die beiden Yard-Polizisten sahen, steuerten sie sofort auf sie los. In diesem Moment kamen vom anderen Ende des Ganges zwei weitere Verwandelte auf die Yard-Männer zu. »Dort rein ins Büro!«, schnaufte Jeff Winter. Sie stürzten in das Office. Jeff schlug die Tür zu und drehte den Schlüssel im Schloss. Gleich darauf pochten kräftige Hände gegen die Türfüllung. Und dann stellte Jeff Winter zu seinem Entsetzen fest, dass dieser Büroraum keinen zweiten Ausgang hatte. Es führte auch keine Tür zu einem der anliegenden Büros. »Schöner Mist«, keuchte der junge Mann. »Jetzt brauchen wir wirklich nicht mehr weiter Versteck spielen. Jetzt haben sie uns. Innerhalb von einigen Minuten brechen die die Tür auf und dann werden wir Jagd auf andere Menschen machen.« Hubbard saß in sich zusammengesunken auf einem Stuhl. Nur langsam beruhigte sich sein Atem. Sein Gesicht hatte immer noch die Farbe einer überreifen Tomate. 106 �
Er zuckte mit den Achseln. Ihm schien plötzlich alles gleichgültig zu sein. Die Tür bebte unter den lauten Schlägen der Verfolger. Dann sprang sie auf. Professor Goodwill trat ein. Dorothy Plymers folgte. Dahinter drängten sich noch ein paar Männer. In allen Augen brannte die Gier. Vorbei, dachte Jeff Winter. Aus, wir haben dieses Spiel verloren, nichts wird uns mehr retten. Professor Charles Goodwill glitt langsam näher, doch dann stockte er mitten im Schritt. Für lange Sekunden bewegte er – wie auch seine Begleiter – sich nicht. Jeff warf seinem Chef einen fragenden Blick zu. Auch Hubbard schaute verständnislos auf das merkwürdige Schauspiel. Er war zutiefst erschöpft. Sogar sein stattlicher Bauch schien abgenommen zu haben. Professor Charles Goodwill fuhr sich in diesem Moment über die Augen. Er schüttelte den Kopf und blickte sich ratlos um. Jeff Winter hatte die Veränderung im Gesicht des Professors gesehen. Auch Dorothy Plymers und die anderen Männer handelten so ähnlich. Der Blick des Professors blieb an Winter und Hubbard hängen. Dann lächelte Goodwill freundlich. »Einen schönen guten Tag, Gentlemen. Ich weiß zwar nicht, wie ich hierher gekommen bin, doch…« Er stutzte und wollte Chiefinspektor Glenn Hubbard die Hand geben, doch der wich zurück, als hätte er einen Aussätzigen vor sich. Ratlosigkeit stand in seinem Gesicht. Er kratzte sich am Hinterkopf. Dann nickte er Jeff Winter zu. »Haben Sie vielleicht eine Erklärung, was geschehen ist? Mir fehlt die Erinnerung an die letzten Stunden.« Er wandte sich Dorothy Plymers zu und in diesem Moment 107 �
schien ihm einiges zu dämmern. Seine Augen wurden groß. Die Mundwinkel begannen zu beben. Ehe er zu sprechen begann, ergriff Jeff Winter das Wort: »Percy Collins scheint es geschafft zu haben. Dieser Drenus muss vernichtet worden sein, Professor. Sie und alle diese Leute waren Verwandelte. Sie jagten uns schon seit fast zwei Stunden hier durch das Haus. Verzeihen Sie dem Chiefinspektor, dass er so unhöflich war, doch Mr. Hubbard ist müde.« In diesem Moment klangen Schritte auf. Percy Collins bog um die Ecke. In seinem Gesicht blitzte es erfreut auf, als er seine Gefährten wohlbehalten sah. Jeff eilte auf seinen Freund und Vorgesetzten zu. Die beiden Männer fielen sich in die Arme. Chiefinspektor Hubbard trat hinzu. »Alles klar, Inspektor?«, fragte er und betrachtete seine wunden Füße mit einem mitleidigen Lächeln. Percy Collins nickte. »Ich werde anschließend alles erzählen, doch jetzt brauche ich einen Whisky.« »Nicht nur Sie, Collins«, lächelte der Chiefinspektor. »Ich glaube, einen Drink haben wir uns alle verdient.« Ende
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