John Grey John Grey
Das große Sterben Ronco Band Nr. 140/09
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Ja...
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John Grey John Grey
Das große Sterben Ronco Band Nr. 140/09
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Reitet an der Seite Little Friends und erhält einen Auftrag, der eine Entscheidung verlangt. Little Friend – Blutsbruder Roncos. Er weiß, daß Krieg Haß bringt, aber keinen Frieden. Mangas Coloradas – Apachenhäuptling von uneingeschränkter Autorität. Black Hawk – Häuptling der Chiricahuas, vertraut Ronco und hat einen Plan, um die Pferdesoldaten zu schlagen. Will McCloud – Büffeljäger, der sich mit Ronco eine Laus in den Pelz setzt.
Das große Sterben 27. November 1878 Texas. Sechzig Meilen westlich vom Golf von Mexiko, vierzig Meilen südlich der Sierra Loma Bianca, über uns der wolkenlose Himmel und um uns nichts als die menschenleere Weite. In der Nacht hat es ein wenig geschneit. Eine Seltenheit so nahe der Golfküste. Bei Sonnenaufgang verwandelten sich die weißen Flecken, die hier und da das Land bedeckten, rasch in Eiswasserpfützen, die bis zum Mittag verdunstet waren. Das Land ist gut. Hier könnte ich leben. Es ist das richtige Land, um eine Farm aufzubauen, Maisfelder anzulegen und Rinder zu züchten. Das Klima ist mild. Die Maisstauden würden hier sechs Fuß hoch werden, und mehr. Der Boden ist fett und schwer, das Gras hoch und saftig. Ein Paradies für Rinder. Ich könnte ein Haus bauen, aus sauber geschälten Palo-VerdeStämmen, einen Stall, eine Scheune, Korrals. Ich könnte einen Brunnen ausheben und … Träume! Lobo ist bei mir. Es ist gut. nicht allein zu sein. Wir rasten neben einem Wasserloch. Es ist mir schon schlechter gegangen. Ich muß zufrieden sein. Meine letzte Schußwunde im Bein ist verheilt. Manchmal juckt die vernarbte Wunde noch ein bißchen. Das wird sich bald geben. Mit der Zeit gibt sich alles. Auch die Träume. Davor habe ich Angst. Ohne Träume gibt es keine Hoffnung. Und ohne Hoffnung ist das Leben sinnlos. Ich weiß es, muß es wissen. Aber noch kann ich hoffen. Ich werde keine Farm bauen, keine Maisfelder anlegen, keine Rinder züchten und keinen Brunnen ausheben. Ich werde weiterreiten, weiterhoffen, daß die ewige Flucht, auf der ich mich seit Jahren befinde, irgendwann zu Ende ist, daß die Verfolger auf meiner Fährte irgendwann müde werden. Sie sind schon wieder unterwegs, während ich hier schreibe. Ich
fühle es. Ich habe einen Instinkt dafür. Doch im Moment habe ich Ruhe. Darum kann ich weiter an meiner Geschichte schreiben. Je mehr ich kämpfen muß, um so sicherer bin ich, daß es wichtig ist, alles aufzuschreiben, was hinter mir liegt und zu meinem heutigen Leben geführt hat. Sollte mich irgendwann eine Kugel treffen, bevor ich mich rehabilitieren konnte, sollen wenigstens diese Aufzeichnungen bleiben. Wenn das passiert, wird Lobo diese Hefte nehmen und dafür sorgen, daß sie in die richtigen Hände kommen. Auf ihn kann ich mich verlassen. Bedingungslos. Ich hoffe nur, daß mir genug Zeit bleibt, alles aufzuzeichnen.
1. Sommer 1858. Die Büffelherde zog von Osten nach Westen. Eine Staubwolke verdeckte den Himmel. Wir ritten eine Hügelkette hinauf. Auf einem der hohen, grasbedeckten Erdbuckel hielten wir an. Ich beugte mich im Sattel vor. Neben mir zügelte Little Friend sein geschecktes Pony. Warmer Wind umspielte unsere nackten Oberkörper. Little Friend hielt eine sieben Fuß lange Lanze in der rechten Faust. Der Schaft war mit Rohhaut und roten Stoffetzen umwickelt. Die Spitze bestand aus einer Messerklinge. Darunter hingen ein buntes Federbüschel und eine Schnur mit Glasperlen. Er zeigte mit der Lanze in Richtung der Herde. Sie rückte näher. Die Luft um uns war plötzlich voller Staub, der uns einhüllte und in die Poren drang. Die Prärie zwischen den Hügeln verschwand unter braunen, massigen Leibern, die sich schwerfällig heranschoben und auf der Ebene ausbreiteten wie ein zähflüssiger, wogender, brodelnder Brei. Sie walzten das kniehohe Gras nieder. Der Horizont verdunkelte sich. So weit das Auge reichte, waren nur noch die graubraunen Rücken mit dem verfilzten, moosbesetzten Fell zu sehen, und die riesigen, kantigen Schädel mit dem zottigen Pelz, in dem Dornengestrüpp hing, und die kurzen gebogenen Hornpaare. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Als Little Friend mir ein
Zeichen gab, trieb ich meinen Braunen an. Wir ritten von der Hügelkuppe auf die Flanke der Herde zu. Ein intensiver, strenger Geruch waberte uns entgegen. Der Staub in der Luft wurde dichter. Unter den Hufen unserer Pferde vibrierte der Boden. Wir spürten es bis in die Sättel. Little Friends stämmiges Pony wußte Bescheid. Es ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Mein hagerer, hochbeiniger Brauner scheute etwas. Er warf den knochigen Kopf hoch und schnaubte nervös. Ich beugte mich vor und sprach beruhigend auf ihn ein. Ich strich ihm durch die Mähne. Er schien einen Moment zu zögern. Dann faßte er wieder Tritt und gehorchte meinem Schenkeldruck. Ich folgte Little Friend. Er war mein Blutsbruder, ein reinblütiger Chiricahua-Apache. Ich war ein Indianer wie er. Aber mein Haar war blond, meine Haut hell. Dreizehn Jahre war ich alt, doch ich fühlte mich wie zwanzig und älter. Die Jahre, die hinter mir lagen, zählten doppelt. Ich war Vollwaise, einziger Überlebender eines Trecks, den Indianer vernichtet hatten. Missionspadres hatten mich aufgezogen. Ein verräterischer Armeescout hatte mich entführt und an die Apachen verkauft. Das war lange her. Inzwischen war ich selbst zum Apachen geworden, war alt genug, um an ihrer Seite zu kämpfen, und hatte meinen Medizinbeutel auf der Brust hängen, den ich unter großen Schwierigkeiten erworben hatte. Trotz meiner weißen Haut gab es keinen Zweifel, wohin ich gehörte. Wir erreichten die Herde. Die Bisons beachteten uns nicht. Sie zogen mit tief gesenkten Schädeln in gleichförmigem Trott weiter, keine fünf Yard entfernt von uns. Mir wurde fast schwindlig, als ich meinen Blick über das braune Leibermeer gleiten ließ. Zwanzigtausend Tiere, dreißigtausend, vielleicht sogar mehr. Wir ritten seitlich der Hügelkette entlang. Vor uns wurden plötzlich zwei junge Büffelkälber aus der Masse abgedrängt. Sie waren aus dem Tritt gekommen und verloren den Anschluß. Sie versuchten, wieder in die Herde einzudringen. Es gelang ihnen nicht. Unruhig blökten sie und trotteten schwerfällig in eine Bodenfalte. Hier blieben sie stehen.
Little Friend drehte sich im Sattel um. »Die beiden dort?« sagte er. Ich nickte. Wir ritten in die Bodenfalte. Ich nahm den Spencer-Karabiner hoch, der an meinem Sattel hing. Die Kälber sahen uns. Sie wirkten nervös. Sie hatten die Schädel gesenkt und stampften unruhig mit den Hufen auf den Boden. Wir gingen sie gemeinsam an. Little Friend hielt jetzt einen Bogen in den Fäusten und legte einen Pfeil auf die Sehne. Er schoß als erster. Bei dem Kalb, das getroffen wurde, handelte es sich um einen etwa zweijährigen Stier. Der Pfeil bohrte sich tief in die linke Schulter seines Vorderlaufs. Er warf den Schädel hoch und schrie. Little Friend schoß noch einmal. Der zweite Pfeil grub sich schräg von vorn in die Brust des Tieres. Blut spritzte. Dann feuerte ich. Die Kugel aus dem Spencer zerriß die Brust des Kalbes. Es kippte auf die Seite und starb. Das andere Kalb stieß ängstliche Schreie aus. Es rührte sich nicht vom Fleck. Wir ritten darauf zu. In diesem Moment ertönte ein dumpfes Brüllen hinter uns. Wir wandten uns um. Am Rande der Bodenfalte stand ein riesiger Bisonbulle. Er hatte seinen kantigen, massigen Schädel gehoben und stieß einen schrillen Kampfschrei aus. Seine Nüstern waren gebläht. Die kleinen Augen, die von zottigem Pelz umgeben waren, glühten rotunterlaufen. Mit den Vorderhufen wühlte er den Boden auf. Langsam stampfte er auf uns zu. Wir zogen unsere Pferde herum. Mein Brauner tänzelte nervös. Er widersetzte sich dem Druck des Zügels und wich zurück. Auch Little Friends Pony wurde unruhig. Little Friend zog einen Pfeil aus dem Köcher, während er den Bullen nicht aus den Augen ließ. Nur wenige Yards vor uns entfernt verhielt er und funkelte uns an. Ich hatte noch nie ein so riesiges Tier gesehen. Es maß bis zum Widerrist gewiß sechs Fuß Höhe. Der braune Pelz, der Schädel und Nacken bedeckte, war dicht und lang wie eine Löwenmähne. Verfilzt von Gestrüpp, Lehm und Grasflechten hing er um den gewaltigen
Schädel, um das geöffnete Maul, aus dem urweltliche, dumpfe Laute drangen. Little Friend schoß einen Pfeil ab. Der Bulle warf den Schädel hoch. Der Pfeil traf seine Stirn und glitt ab. Unwillig schüttelte sich das Tier. Dann griff es an. Little Friends Pony tänzelte zur Seite. Ich saß wie gelähmt im Sattel und konnte nichts tun. Little Friend verlor fast das Gleichgewicht auf dem Rücken seines Ponys, das angsterfüllt wieherte. Er ließ den Bogen fallen, riß die Lanze hoch und zerrte sein Pony herum. Der Bulle verfehlte es mit seinem Rammstoß, hielt jedoch sofort im vollen Lauf an und drehte mit ungeahnter Behendigkeit um. Little Friend senkte die Lanzenspitze und empfing den Bullen bei seinem zweiten Angriff. Die Spitze grub sich in den fleischigen Rücken, stieß auf einen Knochen und schien den Bullen überhaupt nicht ernstlich zu verletzen. Little Friend wurde aus dem Sattel gehoben. Er hielt noch immer den Lanzenschaft fest. Der Bulle brüllte, meine Hände zitterten. Und dann brach die Lanze in der Mitte durch. Little Friend stürzte hart zu Boden. Im selben Moment rissen die Hörner des Bisons dem Pony den Leib auf. Das Tier wurde in die Luft geworfen, als sei es federleicht. Es rollte über den wuchtigen Nacken des Büffels ab und fiel mit zuckenden Läufen zu Boden. Blut bedeckte den Kopf des Bisons, das Fell, den Rücken, aus dem noch immer das Ende der abgebrochenen Lanze ragte, was ihm jedoch nicht sonderlich zu behindern schien. Er schnaubte wild und senkte den Schädel. Dann stampfte er auf Little Friend los, der gerade versuchte, sich vom Boden zu erheben. Die Lähmung fiel von mir ab. Ich krampfte meine Fäuste um den Schaft des Gewehres, preßte den Kolben fest an die rechte Schulter und drückte ab. Das Geschoß drang dem Bullen von der rechten Seite in den Hals. Augenblicklich blieb er stehen, kaum zwei Yards von Little Friend entfernt. Schwerfällig drehte er sich um. Aus seinem Maul troff
blutiger Schaum. Er schnaufte geräuschvoll und schien mich sekundenlang zu mustern. Für seine Massigkeit war er verdammt beweglich. Aus dem Stand stürmte er los. Mein Brauner spielte fast verrückt, als das Ungetüm auf ihn zuraste und den Schädel mit den rotgefärbten Hörnern senkte. Er bäumte sich auf und warf mich beinahe ab. Ich klammerte mich in der Mähne fest. Der Braune sprang mit einem gewaltigen Satz zur Seite und ließ den Büffel ins Leere stoßen, Dann hatte ich ihn unter Kontrolle. Ich riß die Zügel hart zurück, so daß er vor Schmerzen grell aufschrie. Einen Sekundenbruchteil später sah ich den Bison. Er donnerte heran wie eine Dampflokomotive. Seine ganze Schnauze war blutig. Blut rann nun auch aus den Nüstern. Bevor der Braune erneut scheuen konnte, feuerte ich mit dem Spencer-Karabiner. Ich repetierte durch, drückte ab, repetierte, schoß abermals und dann noch einmal. Ich hielt den Karabiner schräg nach unten. Die leeren Patronenhülsen flogen nach hinten aus dem Lauf und trafen mich ins Gesicht. Sie waren heiß und sengten meine Haut. Ich spürte es nicht. Der riesige Büffel schien gegen eine Mauer zu rennen. Er blieb abrupt stehen. Ein klagender, dröhnender Laut entrang sich seiner mächtigen Brust. Niemals zuvor hatte ich einen solchen Schrei gehört. Dann ging er langsam mit den Vorderläufen in die Knie. Sein Schädel sackte herab. Er kippte auf die Seite und streckte die Läufe. Ich senkte den Spencer-Karabiner und stieß einen Fluch aus. Im Apachendialekt natürlich. * Das Ende der Büffelherde kam in Sicht. Die Staubwolke im Osten lichtete sich. Die Tiere bewegten sich am Schluß der Herde nicht mehr dicht an dicht wie die vorausziehende Masse. Das zweite Büffelkalb floh aus der Bodensenke. Es fand am Schluß des Zuges wieder Anschluß. Wir ließen es laufen. Die Herde verschwand hinter einigen Erhebungen im Westen. Das Gras in der Ebene war niedergetrampelt, der Boden aufgewühlt und
schwarz, bedeckt von stinkenden Fladen. Wir häuteten die toten Tiere ab. Von dem alten Bullen nahmen wir nur Haut, Gehörn und Hufe. Das Fleisch ließen wir liegen. Es war zäh und hart, ungenießbar. In einem nahen Gehölz schnitten wir zwei schlanke, junge Fichten, entästeten sie und fertigten aus ihnen einen Schleppschlitten. Darauf packten wir das Fleisch des jungen Kalbes, das wir sorgfältig zerlegt hatten. Als wir die Bodenfalte verließen, wurde es Abend. Die Sonne stand weit im Westen. Sie glühte wie eine Fackel. »Ich werde laufen müssen«, sagte Little Friend. »Du wirst hinter mir aufsteigen«, sagte ich. »Dein Pferd muß den Travois ziehen«, erwiderte er. »Das ist schwer genug. Und es muß dich tragen.« »Wir werden langsam reiten«, sagte ich. »Müssen wir das Fleisch unbedingt mitnehmen?« »Ja.« Er warf sich den Bogen über die Schulter. »Wir brauchen das Fleisch. Wenn wir es eingraben, scharren es die Kojoten aus. Das ist ein schlechter Platz. Entweder, wir nehmen es gleich mit, oder es ist verloren. Es später zu holen, das geht nicht.« »Steig auf«, sagte ich. »Ich komme durch.« Er lächelte jetzt. »Bring das Fleisch zu den anderen.« Ich schaute ihn an und begriff, daß es sinnlos war, weiterzureden. Ich nickte ihm zu und trieb den Braunen an. Langsam, zögernd zunächst, lenkte ich den Braunen über die Ebene, die von den Büffeln zerstampft worden war. Einmal drehte ich mich um. Da sah ich Little Friend über die Hügel laufen. Er lief mit weit ausgreifenden Schritten und schien mich nicht zu sehen. Da trieb ich den Braunen zu rascherem Tempo an. Er mußte sich erst an die Last des Travois gewöhnen, fand sich jedoch ziemlich schnell damit zurecht. Ich ritt ins Hügelland. Die oberen Enden der Travois-Stangen stießen immer wieder an meine Oberschenkel, so weit ich auch auf den Rücken des Braunen nach vorn rutschte. Nach und nach gewöhnte ich mich auch daran.
Es wurde rasch dunkler. Lange Schatten bedeckten das Land. Noch immer hingen der Staub und der strenge Geruch der riesigen Büffelherde in der Luft. Ein schwacher Wind wehte von Westen und trieb ihn vor sich her. Er war erfüllt von Wildheit und Kraft. Er paßte zu dem Land. Ich ritt viele Meilen. Als ich müde wurde, hielt ich den Braunen an und stieg ab. Ich schnallte den Schleppschlitten ab und lockerte den Sattelgurt, bevor ich neben einem Weidengesträuch zu Boden sank und sofort einschlief.
2. Ich schlug die Augen auf. Es mußte lange nach Mitternacht sein. Ich hatte kaum drei Stunden geschlafen. Dennoch war ich sofort hellwach. Wind strich durch das hohe Gras und raschelte in den Zweigen des Weidengesträuchs. Der Braune stand abseits. Er hatte den Kopf gesenkt und schien nicht wahrzunehmen, daß ich den Oberkörper aufrichtete. Ich lauschte in die Dunkelheit. Der Mond stand als schmale Sichel am Himmel. Ein milchiges Licht lag auf den Hügelrücken südlich von mir. Es war ganz still in diesem Moment. Aber irgend etwas hatte mich geweckt. Es konnte nichts Gutes gewesen sein. Ich richtete mich auf. Mein Oberkörper war nackt, und ich fror ein wenig. Ich trug nur meine Mokassins, eine einfache Leinenhose und einen Lendenschurz. Für einen Augenblick schwoll der Wind plötzlich an. Da hörte ich Schüsse. Ich versuchte festzustellen, aus welcher Richtung die Detonationen kamen. Sie waren leise und klangen hell. Gewehre. Ich dachte an Little Friend. In diesem Moment verfluchte ich mich, daß ich nachgegeben hatte und ohne Little Friend weitergeritten war. Ich bückte mich und hob den Patronengurt für mein Gewehr auf. Ich streifte ihn quer über den Oberkörper, nahm den Spencer-Karabiner und lief zu dem Braunen hinüber. Ich zog die Sattelgurte an und stieg auf.
»Lauf«, sagte ich. »Lauf, so schnell du kannst.« Ich schlug ihm die Absätze in die Weichen und beugte mich weit nach vorn. Da sprengte er schon dahin. Immer wieder krachten Schüsse weit vor mir in der Finsternis. Sie übertönten den hämmernden Hufschlag des Braunen. Mein Herz schlug wie rasend. Unwillkürlich umkrampfte ich mit der Rechten fester den Schaft des Spencer. Mit der Linken klammerte ich mich an der Mähne des Braunen fest. Ich achtete nicht auf das Land um mich her, wußte nicht, wie lange ich unterwegs war, lauschte nur auf die Schüsse. Solange ich sie hörte, bestand noch Hoffnung. Wenn nicht mehr geschossen wurde, war es sinnlos, weiterzureiten. Dann war alles vorbei und Little Friend … Ich dachte nicht weiter. Ich trieb den Braunen. Dabei gab er schon sein Bestes. Er griff weit aus. Er flog geradezu durch die Nacht. Irgendwann tauchten schwarze Hügelrücken vor mir auf. Ich trieb den Braunen eine Anhöhe hinauf und hielt neben einem Palo-VerdeBaum an. In einiger Entfernung bewegten sich Schatten durch die Finsternis. Orangefarbene Blitze zuckten auf einen Punkt irgendwo im Hügelland zu. Mehr konnte ich nicht erkennen. Aber das war schon genug. Irgendwie hatte ich während der ganzen Nacht gehofft, daß die Schüsse nichts mit Little Friend zu tun haben würden. Dabei war mir klar gewesen, daß sie nichts anderes bedeuten konnten, als daß der Blutsbruder in Schwierigkeiten geraten war. Ein Indianer zu Fuß und allein in diesen Tagen im südlichen Texas, wo das ganze Land in Aufruhr war, weil wir, die Apachen, einen Krieg führten, ein solcher Indianer war so gut wie ein Raubtier, das jeder abknallen durfte. Ich versuchte, zu erkennen, wo Little Friend sich genau befand. Aber das war nicht einfach. Unmöglich geradezu war es, festzustellen, wie viele Gegner sich um ihn geschart hatten. Ihre Standorte waren leicht zu orten. Ab und zu schossen sie. Anscheinend nur, um zu zeigen, daß sie da waren und Zeit hatten. Die Mündungsfeuer verrieten ihre Verstecke. Sie bildeten einen Halbkreis. Es konnten nicht viele sein, genug
aber, um einen einzelnen Mann zu erledigen. Ich repetierte meinen Spencer-Karabiner durch und trieb den Braunen wieder an. Sein Atem ging geräuschvoll. Seine Flanken zitterten etwas von dem wilden Ritt. Aber er war noch lange nicht erschöpft. Im Schritt ritt ich am Fuße der Hügel entlang. Ich schlug einen Bogen, um in den Rücken der Männer zu gelangen, die Little Friend irgendwo in einer Deckung festnagelten und ihn offenbar zermürben wollten, um ihn bei Tagesanbruch endgültig erledigen zu können. Ich wollte ihnen dieses Spiel versalzen, und zwar gründlich. Ich nahm mir Zeit. Little Friend war offenbar noch recht munter und in der Lage, sich seiner Haut zu wehren. Sonst wären seine Belagerer gewiß längst bis zu seiner Deckung vorgedrungen. Irgendwann befand ich mich hinter einem kleinen Camp, von dem aus am meisten geschossen wurde. Hier schienen mehrere Männer zu liegen. Ich glitt aus dem Sattel und ließ den Braunen mit hängenden Zügeln stehen. In diesem Augenblick verschwand die Mondsichel hinter einer schwarzen Wolke. Es wurde stockfinster. Ich sah kaum noch die Hand vor Augen, wußte aber, wohin ich zu gehen hatte. Ich mußte nicht viel sehen. Wichtig war, daß ich selbst nicht gesehen wurde. Fast geräuschlos glitt ich durch das kniehohe Gras. Es war jetzt schwül, und mir rannen schmale Schweißbäche über Gesicht und Oberkörper. Einen Moment lang war ich selbst überrascht über die Kaltblütigkeit, mit der ich vorging. Bei den Apachen galt ich als Krieger. Genaugenommen aber war ich noch ein Kind. Andere in meinem Alter drückten die Schulbank oder arbeiteten auf den Feldern ihres Vaters. Wenn sie eine Waffe auch nur angefaßt hätten, wäre ihnen der Hosenboden versohlt worden. Für mich dagegen war der Umgang mit Waffen zur Selbstverständlichkeit geworden. Ich hatte getötet und war oft genug in Todesgefahr gewesen. Mich konnte so leicht nichts mehr aus der Ruhe bringen. Jetzt stand mir wieder ein Kampf bevor. Wahrscheinlich würde ich
töten müssen. In diesem Moment bereitete mir das keine Kopfschmerzen. Ich dachte nicht lange darüber nach. Es war keine Zeit dazu. Geduckt bewegte ich mich vorwärts. Plötzlich krachten unweit von mir wieder zwei Schüsse. Ich ging unwillkürlich in die Knie und wartete. Wind strich mir entgegen und trug den scharfen Pulvergeruch zu mir herüber. Im Mündungsschein der Schüsse hatte ich das unrasierte, rauhe Gesicht eines Mannes erkannt. Er trug eine flache McClellan-Mütze mit einem schmalen Schild. Ich hatte es also mit Soldaten zu tun – keine erhebenden Aussichten. Vorsichtig kroch ich weiter, bis ich Stimmen hörte. Es waren zwei, die sich vor mir befanden, soweit ich in der Finsternis schlau daraus wurde. Sie fühlten sich verdammt sicher und sprachen über Little Friend wie über einen Frühstücksbraten, den sie sich schießen wollten. Mir gefiel das nicht sonderlich. Ich freute mich schon darauf, ihnen eine mächtige Überraschung zu bereiten. »Morgen früh holen wir uns die Rothaut«, sagte der eine. »Morgen früh ist der Kerl fertig. Die ganze Nacht keinen Schlaf, das hält der nicht durch.« »Die sind zäh«, sagte eine zweite Stimme. »Der wird uns noch ganz schön zu schaffen machen.« »Wir holen ihn uns«, wiederholte der erste. »Es wird ganz einfach werden.« Ihr werdet euch verdammt wundern, dachte ich bei mir. Dann kroch ich weiter durch das hohe Gras, robbte auf allen vieren voran, den Karabiner quer vor der Brust in den Armbeugen haltend. Hinter einem Mesquitestrauch blieb ich liegen. Vor mir schossen sie wieder. Fast gleichzeitig fielen Schüsse von zwei anderen Stellen. Ich mußte mich sehr in acht nehmen, um nicht zwischen mehrere Feuer zu geraten. Ich dachte wieder kurz an Little Friend und versuchte mir vorzustellen, in welcher Verfassung er sich befand. In diesem Moment trat der Mond wieder hinter der dunklen Wolke hervor. Ich durfte keine Sekunde mehr zögern. Ich sah die beiden Sqldaten vor mir in einer flachen Erdfalte liegen. Als ich den Karabiner an die
Schulter hob, war ich innerlich ganz ruhig. * Mein Schuß riß einen blonden Corporal hoch, dem das strohfarbene Haar unter der Schildmütze hervorragte und die Ohren bedeckte. Die Kugel schlug schräg von hinten in seine rechte Schulter. Der mächtige Aufschlag wirbelte ihn herum. Er sagte kein Wort, als er hochtaumelte. Im blassen Mondlicht sah ich, daß seine Augen entsetzt geweitet waren und sich Schmerz und nackte Furcht darin spiegelten. Ich schoß zum zweitenmal und traf den Sharps-Karabiner, den er in den Fäusten hielt. Die Kugel zerriß den Kolben des Gewehrs. Ein fingerlanger, dicker Splitter wurde aus dem Holz gefetzt und bohrte sich tief in das Gelenk der rechten Hand. Blut spritzte aus der Wunde. Der Corporal schrie auf und ließ das Gewehr fallen. Der zweite Soldat neben ihm feuerte mit seinem Sharps-Karabiner in die umstehenden Sträucher. Es gelang ihm sogar, ein paar Zweige und Blätter abzuschießen. Mich traf er nicht, denn ich lag längst nicht mehr am selben Platz. Ich war weitergerutscht und feuerte abermals. Der Corporal sackte nach vorn. Meine Kugel war in seinen linken Unterschenkel geschlagen. Er schrie jetzt gellend und unaufhörlich. Der zweite Soldat sprang auf, zerrte den Corporal hoch und versuchte, mit ihm in die Dunkelheit zu entkommen. Vermutlich glaubten die beiden, von einer ganzen Apachenstreitmacht umzingelt zu sein. Mir war das nur recht. Genau das hatte ich beabsichtigt. Ich schickte den beiden noch einen Schuß nach. Der zweite Soldat wurde in den linken Arm getroffen und nach vorn gestoßen. Er taumelte. Ich aber richtete mich auf und suchte das Weite. Genau im richtigen Augenblick. Die anderen Soldaten, die verstreut in der Ebene lagen, schienen endlich zu merken, daß jemand in ihrem Spiel mitmischte, der nicht dazugehörte. Ein Kugelhagel ging auf die Stelle nieder, wo ich gelegen hatte. Da hatte ich längst die beiden Pferde erreicht, die der Corporal und der zweite
Soldat zurückgelassen hatten. Ich schwang mich in den Sattel des einen und preschte davon. Die Dunkelheit schützte mich. Sekunden später erreichte ich meinen Braunen. Ich sprang aus dem Sattel, nahm die Pferde beide am Zügel und führte sie durch die Nacht zu einer Erhebung östlich der langgestreckten Hügelkette. Die Soldaten waren völlig durcheinander. Sie feuerten wild in der Finsternis herum. Ich sah die Mündungsblitze zucken und hoffte insgeheim, sie würden sich in ihrer Nervosität gegenseitig erschießen. Aber diesen Gefallen taten sie mir nicht. Plötzlich brach das Schießen ab. Ich hatte nun einen guten Überblick über das Schußfeld. Ich konnte auch Little Friends Deckung erkennen. Er mußte auf einem Hügel, keine dreihundert Yards westlich von meinem Standort, liegen. Dort hatte irgendwann einmal ein Blitz zwei oder drei Pecan-Bäume gefällt. Die riesigen Stämme waren fast entwurzelt worden und bildeten nun natürliche Schutzwälle, hinter denen man sich so sicher fühlen konnte wie in Abrahams Schoß. Ich sah plötzlich Gestalten durch die Ebene huschen. Die Soldaten schienen ihre Pferde zusammenzusuchen. Es konnten nicht viele sein. Fünf, schätzte ich, oder sechs. Es war kein Risiko, ihnen ordentlich einzuheizen. Ich feuerte ohne zu zögern. Einmal traf ich. Ich sah, daß ein Mann einen Sprung nach vorn machte, wie ein Sack zu Boden fiel und sich nicht mehr rührte. Er war tot. Ich wußte es, obwohl ich in der Dunkelheit nur wenig hatte erkennen können. Ich hatte schon viele Männer tödlich getroffen fallen sehen und kannte mich aus. Ein dumpfes Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus, wie immer, wenn ich gezwungen worden war, zu töten. Doch das verging bald, denn ich hatte eine Menge damit zu tun, meine Haut zu retten. Die Soldaten hatten jetzt meinen Standort entdeckt und sparten nicht mit Blei. Sie schienen auch gemerkt zu haben, daß sie es nicht mir einer Übermacht von Apachen zu tun hatten. Trotzdem war ich in der besseren Lage. Ich jagte mit den Pferden um die flache Seite seitlich der Hügelkette herum. Dann riß ich die Zügel des Braunen zur Seite und
sprengte mit ihm und dem Armeepferd am Zügel geradewegs auf die Deckung von Little Priend zu. Karabinerschüsse peitschten durch die Nacht. Die Kugeln verfehlten mich alle, bis auf eine, die mich am Rücken streifte und einen höllisch brennenden Striemen hinterließ, aus dem dünne Blutfäden zu meinem Gürtel hinunterrannen. Da galoppierte ich bereits die Anhöhe hinauf, auf der die vom Blitz gefällten Bäume lagen, und stieß den grellen Kriegsschrei der Apachen aus, um nicht aus Versehen von Little Friend erschossen zu werden. Wenig spater stand ich vor ihm. Die Schüsse hinter mir waren verstummt. Er lag flach am Boden, hatte den Kopf gegen die rissige Rinde des einen umgestürzten Stammes gelehnt und kämpfte mit der Müdigkeit. Am linken Arm hatte er eine klaffende Wunde, die ihn aber nicht sonderlich zu behindern schien. Griffbereit neben ihm lagen der Bogen und die Pfeile. Viele waren es nicht mehr. Ich sagte kein Wort, bückte mich und verband ihm die Wunde. Er sprach lange Zeit nicht, Als ich fertig war und über den dicken Baumstamm, an dem sein Kopf lehnte, in die Nacht spähte, sagte er: »Die Weißaugen waren auf einmal da. Es ist eine kleine Patrouille. Nur sieben Mann.« »Sechs«, sagte ich. Ich öffnete die Magazinklappe des SpencerKarabiners am Kolbenboden und schob neue Patronen hinein. »Sechs?« »Einer ist tot«, sagte ich. »Und einer ist ziemlich schwer verletzt.« »Zwei«, sagte er. Jetzt lächelte er schwach. »Einen habe ich getroffen.« »Ich hätte nicht ohne dich reiten sollen«, sagte ich. »Reiner Zufall.« Er winkte ab. »Wenn ich besser aufgepaßt hätte, hätte ich der Patrouille ausweichen können.« Er hob den Kopf und blickte mich durchdringend an. »Was hast, du mit dem Fleisch gemacht?« »Dem Fleisch?« Ich schüttelte den Kopf. »Sag bloß, du hast es verloren?« »Ich habe es den Wölfen gegeben«, sagte ich. »Und den Geiern.«
Da grinste er. Ich auch. Daß er in einer solchen Situation an einen Zentner Büffelfleisch denken konnte … * Die Sonne ging auf. Nebelfetzen trieben durch die flache Senke. Es war kühl, die Luft klamm und das Gras naß vom Tau. Ich stützte mich auf den morschen Stamm eines Pecan-Baumes, den der Blitz in der Mitte gespalten hatte. Holzspäne lagen davor im Gras, Kugeln hatten seine Rinde zerfetzt. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch. Im Moment war es noch trüb und die Sicht schlecht. Ich konnte nicht sehen, ob die Soldaten noch unter uns in der Senke lagen. Während der Nacht hatten sie nicht mehr geschossen. Doch deshalb zu glauben, daß sie sich zurückgezogen hätten, wäre Leichtsinn gewesen. Ich nahm den Spencer-Karabiner hoch und stieg auf den Baumstamm. Im Osten lugte die Sonne über die Berge. Sie schimmerte wie eine in Eis getauchte Orangenscheibe. Little Friend schlief noch. Er hatte Blut verloren, und obwohl seine Wunde nicht gefährlich war, hatte sie ihn geschwächt. Die beiden Pferde standen in der nördlichen Ecke unserer kleinen natürlichen Festung. Sie hatten die Köpfe gesenkt und zupften an den Spitzen der Gräser. Ich ging zu Little Friend hinüber. Er schlug die Augen auf. Sein kantiges, für einen Apachen untypisch geschnittenes Gesicht wirkte etwas eingefallen und grau und wurde von einigen scharfen Falten durchkerbt. »Schmerzen?« »Nein.« Er richtete sich schwerfällig auf. Seine Bewegungen wirkten eckig und steif. Er hatte Schmerzen. Aber er würde es nie zugeben. »Was ist mit den Blauröcken?« »Abwarten«, sagte ich. »Man sieht noch nicht viel.« Da krachte ein Schuß. Die Kugel schlug direkt vor mir in den Baumstamm und schleuderte mir eine Handvoll Späne gegen den rechten Oberschenkel. Einen Atemzug später lag ich am Boden und
spähte vorsichtig über den Stamm. Langsam schob ich den Lauf meines Spencer-Karabiners darüber. Die Nebelfetzen trieben aus der Senke davon. Die Sicht war plötzlich klar. Die Sonne stand im Osten hoch über den Bergen. Unter uns lagen die Soldaten hinter einer dichten Buschinsel. Sie hatten in der Nacht ihre auseinandergezogenen Stellungen aufgegeben, um nicht noch einmal Gefahr zu laufen, einzeln von hinten angegriffen zu werden. Jetzt feuerte sie, um zu zeigen, daß sie noch da waren und auch nicht aufgeben würden. Unsere Chancen waren nicht schlecht, solange die Soldaten keine Verstärkung erhielten. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß Little Friend neben mir seinen Bogen aufnahm und einen Pfeil auf die Sehne legte. Da sah ich zwischen den dichten Sträuchern unter uns einen Arm in einer blauen Uniformjacke auftauchen. Ich feuerte sofort, ohne zu treffen. Aber der Soldat schien durch den Schuß erschreckt worden zu sein. Er verlor den Halt, als er zur Seite springen wollte, und fiel aus seiner Deckung. Im selben Moment schwirrte ein Pfeil von Little Friends Bogen. Aus der rechten Schulter des Soldaten ragte plötzlich ein buntgefiederter Schaft. Dann wurde er zurück in die Deckung gezerrt, und wir hörten nur noch sein lautes Gebrüll. Wenig später zwang uns ein Kugelhagel in Deckung. Sekunden darauf vibrierte der Boden unter hämmernden Hufen. Jetzt wurde es ernst, denn sie gingen aufs Ganze. Sie griffen uns direkt an, während vermutlich ein Schütze Feuerschutz gab. Ich kroch zum anderen Ende des Baumstammes, hinter dem wir lagen, und repetierte meinen Karabiner durch. Als ich die Schatten von Reitern auftauchen sah, richtete ich mich auf und begann zu feuern.
3. Sie preschten bereits den Hügel herauf. Es waren drei, und alle drei verwundet. Der Corporal, den ich in der Nacht erwischt hatte, war nicht dabei. Vielleicht war er gestorben. Ihre Wunden schienen nicht
sehr schwer zu sein. Sie feuerten aus allen Rohren. Als ich auftauchte, riß einer der drei entsetzt sein Pferd zurück. Er blickte direkt in die Mündung meines Karabiners. Als ich feuerte, bäumte sich sein Pferd steil auf. Die Kugel traf das Tier schräg von unten in den Kopf. Es fiel wie vom Blitz getroffen nieder. Der Soldat zog blitzschnell die Stiefel aus den Steigbügeln, rollte über die Schulter ab, als er zu Boden stürzte, und rannte davon. Ein weiterer floh zu Pferde. In diesem Moment setzte ein bärtiger Sergeant über den umgestürzten, vom Blitz gespaltenen Baumstamm. Er hatte sein Gewehr leergeschossen, hielt es am Lauf gefaßt und schwang es wie eine Keule. Ich lief ihm entgegen und riß meinen Spencer hoch zum Schuß. Da sauste der Kolben der Sharps herunter. Ich konnte nicht mehr ausweichen. Der Schlag traf meine linke Schulter. Ich schrie. Der Schmerz trieb mir das Wasser in die Augen. Kraftlos kippte ich zur Seite. Ich konnte mich nicht rühren und auch nicht aufspringen. Hilflos mußte ich mitansehen, wie der Sergeant auf Little Friend losritt. Little Friend stand vor ihm, zusammengeduckt wie eine Raubkatze im Sprung. Als der Soldat zuschlug, stieß Little Friend den Schrei des Pumas aus. Das Pferd des Sergeants stieg augenblicklich vorn hoch und warf sich herum. Der Soldat verlor fast den Halt. Er ließ sein Gewehr fallen und griff rasch nach den Zügeln, um das Pferd wieder unter Kontrolle zu bringen. Da hing Little Friend bereits an seinem rechten Bein und versuchte, ihn aus dem Sattel zu zerren. Doch ihm fehlte die Kraft. Die Verwundung hatte ihn doch zu sehr geschwächt. So riß sich der Soldat los und trat mit seinem Stiefel zu. Der Absatz knallte Little Friend vor die Brust. Er kippte auf den Rücken und kämpfte sich schwerfällig hoch. Sein Gesicht war verzerrt vom Schmerz. Ich konnte den linken Arm langsam wieder bewegen, obwohl ich wahnsinnige Schmerzen dabei hatte. Stöhnend richtete ich mich auf und sah, wie unten in der Senke die anderen Soldaten aus ihrer Deckung liefen, um ihre Pferde zu besteigen und heraufzureiten. Sie
wollten uns den Rest geben. Ich hob mit der rechten Hand mein Gewehr, preßte es fest an die Hüfte und feuerte. Ich traf nicht. Natürlich nicht. Aber ich konnte die Soldaten in der Senke zurückhalten. Dann drehte ich mich um. Der Sergeant hatte seinen Säbel gezogen. Die lange, leicht gekrümmte Klinge blinkte wie pures Silber im Sonnenlicht. Er drängte sein Pferd wieder auf Little Friend zu und holte mit dem Säbel aus. Ich schoß einhändig. Die Kugel traf den Sergeant seitlich in die linke Hüfte. Er schrie und stürzte aus dem Sattel. Little Friend warf sich über ihn und zog sein Messer. Ich konnte mich wieder der Senke zuwenden, wo die übrigen Soldaten mit sich zu Rate gingen, ob sie angreifen sollten. Noch immer schmerzte meine linke Schulter. Aber ich konnte den Arm jetzt wieder bewegen, wenn auch nur schwach. Ich legte den Lauf des Karabiners auf den Baumstamm und repetierte durch. Als ich zu schießen begann und die Senke systematisch mit meinen Kugeln bestrich, zogen sich die Soldaten wieder hinter die Buschinsel zurück. Sie erwiderten mein Feuer nicht. Ich ließ das Gewehr sinken und drehte mich um. Schwer lehnte ich mich mit dem Rücken gegen den Baumstamm. Die Lähmung in meinem linken Arm wich mehr und mehr. Aber der Schmerz pochte noch heftig. Für ein paar kurze Momente befürchtete ich, daß der Schlag des Soldaten etwas gebrochen hätte. Aber das schien nicht der Fall zu sein. Ich war müde. Je höher die Sonne stieg, je wärmer es wurde, je stärker stieg die bleierne Schwere in mir auf. Der Mangel an Schlaf setzte mir jetzt zu. Fast unbeteiligt schaute ich zu Little Friend hinüber, der sich aufrichtete. Der Soldat, mit dem er gerungen hatte, lag reglos am Boden. Er würde sich nicht mehr erheben. Die Klinge von Little Friends Messer war blutig. Er bückte sich und wischte sie an der Uniformbluse des Toten ab, bevor er das Messer in den Gürtel zurückschob. »Wir müssen weg«, sagte er. »Jetzt können wir es schaffen. Die Blauröcke sind fast alle verletzt.« »Du auch«, sagte ich.
»Ein Kratzer.« Er winkte ab. Er blickte mich an. »Komm mit, mein Bruder.« Es war das erstemal, daß er mich so nannte. Ich kroch auf allen vieren zu den Pferden hinüber und zog die Sattelgurte des Braunen an. Little Friend machte sich mit dem Armeepferd vertraut, das ich in der Nacht erbeutet hatte. Wir hoben die Waffen des toten Sergeants auf. »Wir dürfen nicht länger warten.« Little Friends Stimme klang so ruhig und beherrscht wie immer. »Wenn die Sonne erst über uns steht, sind wir verloren. Der Durst und die Hitze sind schlimmere Feinde als die Soldaten.« Ich nickte. Daran hatte ich nicht gedacht. Unsere Deckung war gut, aber sie konnte auch zur tödlichen Falle werden. Little Friend hatte recht. Die Gelegenheit für einen Fluchtversuch war günstig. Die Soldaten waren fast alle verletzt. Und jetzt, in diesem Moment, nach einer erfolglosen Attacke von ihnen, würden sie unseren Ausbruch bestimmt nicht erwarten. Wir würden sie überrumpeln. Das war unsere Chance. Little Friend war mit seinem Pferd fertig. Ich hoffte, daß es ihm keine Schwierigkeiten bereiten würde. Es kannte ihn nicht, und wenn es bockte und sich sträubte, hatten wir das Spiel schon verloren. Er gab mir ein Zeichen. Dann schwang er sich in den Sattel des Armeepferdes. Ich bestieg den Braunen und hatte noch immer Schmerzen in der linken Schulter. Doch ich war sicher, durchhalten zu können. Little Friend war verwundet, er war schlimmer dran als ich. Wir trieben die Pferde an. Unten in der Senke merkten die Soldaten erst, was los war, als wir über die umgestürzten Baumstämme sprengten und den Hügel hinabjagten. Wir ritten direkt auf sie zu. Little Friend hatte keine Schwierigkeiten mit seinem Pferd. Wir erreichten die Buschinsel. Da erst fingen die Soldaten an, zu schießen. Im donnernden Galopp brachen wir durch das Buschwerk. Zweige peitschten uns ins Gesicht, klatschten auf unsere Oberkörper. Vor uns tauchten Soldaten auf, die nicht mehr dazu kamen, ihre
einschüssigen Sharps-Gewehre neu zu laden. Sie wollten sich zur Seite werfen. Einige schafften es. Die anderen wurden von unseren Pferden gerammt. Wir gingen über sie hinweg. Im Vorüberjagen sah ich zwei tote Leiber im Gras liegen. Einer war sicher der Mann, den ich in der Nacht erwischt hatte, der zweite trug Corporals-Winkel am Arm. Dann waren wir durch. Wir warfen uns flach auf die Hälse unserer Tiere und schauten uns nicht mehr um. Nachdem wir eine gute Meile geritten waren, ließen wir die Pferde langsamer laufen. Wir wurden nicht verfolgt. Wir hatten es geschafft.
4. Seit dem Mittag waren zwei oder drei Stunden vergangen. Die Sonne stand westlich vom Zenit. Wir erreichten meinen nächtlichen Lagerplatz. Der Schleppschlitten mit dem Büffelfleisch war unberührt – Glück gehabt. Wir zogen weiter, bis wir einen kleinen Fluß erreichten. Hier rasteten wir. Little Friend wechselte seinen Verband. Die Wunde war beim Kampf mit dem Sergeant wieder aufgebrochen. Am nächsten Morgen sahen wir das Apachenlager vor uns. Die Spitzen der Kinney-Berge reckten sich wie mächtige Türme in den graublauen Himmel. Aus einem der Täler am Fuße der Sierra stiegen dünne Rauchsäulen, die, bevor sie einige tiefhängende Wolken erreichten, von einem schwachen Windhauch zerfetzt wurden. Auf den Felsrücken sahen wir hier und da Wachtposten stehen. Sie waren mit bloßem Auge kaum zu erkennen und schienen mit dem Berg verwachsen zu sein. Als wir auf das versteckte Tal zuritten, aus dem der Rauch stieg, bemerkten wir ein paar grelle Lichtreflexe im Fels. Die Wachen hatten uns gesichtet und signalisierten unser Kommen mit blanken Metallscheiben, in denen sich die Sonne spiegelte, ins Tal. Wenig später erreichten wir das Lager. Ein paar Wickiups waren entstanden. Sonst wirkte das ganze
Lager noch immer provisorisch. Es war ein Kriegslager und konnte von einer Stunde zur anderen abgebrochen werden. Auffallend war lediglich, daß keine Squaws zu sehen waren. Das hatte seinen Grund – keinen schönen Grund. Während die Krieger das grenznahe Fort Clark angegriffen hatten, waren Soldaten über das Apachenlager hergefallen, in dem sich außer ein paar Krieger lediglich Squaws befunden hatten. Ich war davongekommen und hatte alles miterlebt. Es war reiner Zufall gewesen, daß ich mich ein Stück außerhalb des Camps befunden hatte, als der Angriff erfolgte. Die Squaws hatten diese Chance nicht gehabt. Sie waren gnadenlos niedergemetzelt worden. Auch Little Friends Squaw Sandblume. Er sprach nicht mehr davon, obwohl das alles noch keine Woche her war. Ich wußte, daß er noch daran dachte. Natürlich. So schnell vergaß man nicht. Ich dachte auch daran und würde es nie vergessen. Zudem war der Angriff auf Fort Clark gescheitert. Viele Krieger waren gefallen, und über dem Lager hing noch immer der zähe Geruch nach Blut und Eiter, der von den schwerverletzten Kriegern ausging. Wir passierten einen Wachtposten und hielten neben einem der Kochfeuer an. Die Stimmung im Camp war niedergedrückt. Auch als wir den Schleppschlitten losschnallten und die rohe Büffelhaut aufschlugen, in der wir das Fleisch verpackt hatten, hellte sich kaum eine Miene auf. Die Häuptlinge hatten sich mit Nochalo, dem Medizinmann, in die Berge zurückgezogen und berieten. Dabei war jetzt schon klar, daß der Krieg weitergehen würde. Wir waren nicht einmal schlecht dafür ausgerüstet, seit wir gegen gefangene weiße Frauen und Kinder gute Gewehre und Munition eingetauscht hatten. Trotzdem war mir bei dem Gedanken daran nicht wohl zumute. Little Friend und ich ritten zur Westecke des Camps, wo noch ein Plätzchen frei war, und schlugen unser Lager auf. Unweit von uns hatte Schnelltöter seinen Platz. Er war bei dem Angriff auf Fort Clark verletzt worden. Er konnte schon wieder herumlaufen,
humpelte jedoch schwerfällig, zog das rechte Bein nach und trug um den Oberschenkel eine breite, feste Ledermanschette. Als er uns sah, erhob er sich mühsam von seinem Deckenlager und kam herüber. Sein Gesicht wirkte eingefallen, grau und alt. Die Augen lagen in tiefen Höhlen. Die gezackte Narbe auf seiner Wange sah aus wie ein häßliches Brandmal. Sie ließ sein Gesicht noch hagerer erscheinen. »Ihr seid lange fortgewesen.« Er blieb unweit unserer Pferde stehen und schaute uns zu, wie wir unsere Decken ausbreiteten. »Zur Jagd braucht man Geduld.« Ich richtete mich auf und blickte ihn an. »Wie geht es dir?« »Wenn alle anderen leiden, kann ich nicht froh sein.« »Und deine Wunde?« »Es ist nichts.« Er ließ seinen Blick über das Lager gleiten. Es lag unsagbarer Schmerz darin. Ich verstand ihn. Little Friend und ich waren einige Tage fort gewesen. Wir hatten die unmittelbare Nähe der qualvollen Hoffnungslosigkeit, die im Camp herrschte, nicht erleben müssen. »Wir haben Fleisch mitgebracht«, sagte ich. Schnelltöter nickte. Er schien gar nicht gehört zu haben, was ich gesagt hatte. »Vielleicht brechen wir bald schon wieder auf«, sagte er. »Langmesser sind noch überall in der Nähe«, sagte Little Friend. »Wir haben sie gesehen.« Er erzählte kein Wort von unserem Kampf, erklärte mit keinem Wort seine Verletzung. »Es wäre nicht gut, jetzt schon wieder zu kämpfen. Wir sind noch nicht stark genug.« »Unser Lager ist schlecht«, erwiderte Schnelltöter. »Die Langmesser können es leicht entdecken.« Er blickte zu den Bergen hoch. »Sie sind dort oben und beten um den Rat des Großen Geistes. Mangas Coloradas, Cochise, Black Hawk, Nochalo und die anderen.« »Schon lange?« »Seit zwei Tagen. Sie werden ein großes Feuer entzünden, wenn sie sich entschieden haben.« »Und dann?« Little Friend sattelte den Armeehengst ab, der nun ihm gehörte.
»Du hältst nichts vom Krieg«, sagte Schnelltöter. »Nein«, sagte Little Friend. »Krieg ist keine Lösung.« »Vielleicht.« Schnelltöter nickte nachdenklich. Früher hatte er anders geredet. Die letzten Tage hatten viele verändert. »Aber wenn wir nicht kämpfen – sollen wir uns den Weißaugen unterwerfen?« »Ich weiß, der Krieg wird weitergehen. Aber wir können nicht ewig kämpfen«, sagte Little Friend. »Irgendwann müssen wir Frieden haben, zwischen uns und den Weißaugen.« »Sie haben unsere Squaws geschlachtet«, stieß Schnelltöter hervor. Sein Gesicht verzerrte sich für wenige Augenblicke erbittert. Dann wurde es wieder starr. Er hatte es wieder unter Kontrolle. »Die Langmesser waren es«, sagte Little Friend. »Nicht alle Weißaugen sind Langmesser und Mörder. Es gibt viele, die mit uns Frieden wünschen. Frieden ist immer besser als Krieg.« »Vielleicht. Aber du kämpfst auch.« »Ich bin ein Apache.« Little Friend richtete sich stolz auf. »Ich verrate mein Volk nicht. Ich kämpfe, solange die anderen kämpfen. Aber Krieg erzeugt immer nur neuen Krieg. Deshalb muß irgendwann Schluß sein. Es ist gut, wenn man das weiß und sich immer wieder vor Augen hält.« »Das ändert nichts.« »Vielleicht doch. Alles braucht seine Zeit.« Schnelltöter schwieg. Ich sah ihn an, daß er nicht in der Stimmung war, lange darüber nachzudenken. Das Massaker unter den Frauen, wobei auch seine beiden Squaws ums Leben gekommen waren, bewegte ihn mehr, und in ihm fraß Haß wie in den meisten Kriegern. Ich kannte die Mentalität der Indianer. Ich war lange genug bei ihnen. Little Friend war in vielfacher Hinsicht anders. Er konnte sachlich denken, eine Fähigkeit, die den meisten Indianern fremd war. Abgrundtiefer Haß lag ihm nicht. Er ließ sich selten von seinen Gefühlen leiten wie seine Stammesbrüder. Manchmal verstand auch ich ihn nicht. Doch bei allem, was er sagte, hatte ich immer das Gefühl, daß es wohlüberlegt und bedacht war. »Komm mit zum Feuer«, sagte Little Friend.
Schnelltöter nickte. Nachdenklich hinkte er neben uns her. An dem Feuer, an dem wir den Schleppschlitten zurückgelassen hatten, war inzwischen das Büffelfleisch zerlegt worden. Einiges wurde bereits gekocht. Ein paar Stücke lagen zum Braten bereit. Wir schnitten uns etwas herunter, steckten die Fleischstücke auf spitze Stöcke und brieten sie über dem Feuer. Ab und zu rieben wir das Fleisch mit Asche ab. Ein anderes Gewürz hatten wir nicht. Nach und nach scharten sich immer mehr Krieger um die Feuer, um zu essen. Die Wachen auf den Felsen wechselten, die Verwundeten wurden versorgt. Am Südrand des Lagers starb ein Krieger an seinen Wunden. Nach dem Essen schlenderte ich zu meinem Pferd zurück und ließ mich müde auf meiner Decke nieder. Little Friend folgte bald und ließ sich neben mir nieder. Ich bemerkte, daß er sich mit seinen Waffen beschäftigte und mit dem Sharps-Karabiner, den er von dem Sergeant erbeutet hatte. Dann war ich plötzlich eingeschlafen, obwohl es noch lange nicht Abend war. * Als ich erwachte, war es Nacht. Ein kühler Wind strich durch das Lager. Der Himmel war tintenschwarz. Der Mond verbarg sich hinter einer Wolke. Die Luft schmeckte noch immer nach Regen. Ich richtete mich auf. Little Friend stand unweit von mir. Ich sah auch Schnelltöter und all die anderen Krieger. Es gab keinen, der schlief. Sie standen alle zusammen und blickten die Felshänge hinauf. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen. Dann sah auch ich das Feuer. Es loderte weithin sichtbar auf einem kleinen, vorgelagerten Plateau. Der Wind ließ die Flammen tanzen wie brennende Teufel. Schweigend blickten wir hinauf, bis es niederbrannte. Es dauerte eine Stunde vielleicht, kaum mehr. Schweigend ließen wir uns wieder nieder und warteten. Die Häuptlinge hatten das Zeichen gegeben. Sie hatten eine Entscheidung gefällt. Sie würden die Berge verlassen. Einmal sahen wir weit oberhalb des Lagers einen knapp faustgroßen Glutpunkt,
eine Fackel. Er bewegte sich stetig abwärts und verschwand immer wieder hinter Geröllhalden und Felstürmen. Ich wollte auch gern wach bleiben. Aber mir fielen immer wieder die Augen zu. Schließlich schlief ich doch wieder ein. Little Friend rüttelte mich wach. Ich schlug die Augen auf und brauchte ein paar Sekunden, bis ich klar war. Schlaftrunken erhob ich mich. Meine Glieder waren schwer wie Blei. Die Sonne ging gerade auf. Nebelschleier schwebten durch das Tal. »Die Häuptlinge sind da«, sagte Little Friend. »Ja?« Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen. »Und?« »Sie erwarten dich.« »Mich?« Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Dich.« »Warum?« »Sie werden es dir sagen.« »Aber …« »Sie warten.« In seiner Stimme schwang ein mahnender Unterton mit. Zweifelnd schaute ich ihn an. Die Nebelschwaden über dem Tal rissen jetzt auf. Aber es wurde nicht richtig hell. Von Osten schoben sich große, graue Wolken heran. Die Sonne hatte keine Kraft. Ich fror plötzlich und zog die Schultern hoch. Ich drehte mich um. »Chichasey«, sagte er leise hinter mir. »Mein Bruder.« Ich wandte den Kopf. »Ja?« »Der große Geist möge dir beistehen und die Kraft geben.« Ich verstand kein Wort. Aber ich hatte schon begriffen, daß ich an diesem Morgen anscheinend ein Brett vor dem Kopf hatte. Ich nickte und ging. Die Häuptlinge befanden sich in einem großen Wickiup in der Mitte des Lagers. Als ich ihn erreichte, trat die Wache davor ohne ein Wort zur Seite. Ich bückte mich und kroch hinein. Mein Herz schlug jetzt doch etwas heftiger. Ich zermarterte mein Gehirn, was sie wohl von mir wollten, fand aber keine Antwort.
Dann befand ich mich in der Laubhütte und saß ihnen gegenüber. Es waren sechs. Ihre Gesichter sah ich erst nur als verschwommene Flecke, denn es herrschte Zwielicht in der Hütte. »Es ist gut, daß du gekommen bist.« Ich erkannte die Stimme Black Hawks und schaute in die Richtung, aus der sie erklungen war. Meine Augen gewöhnten sich nach und nach an das Halbdunkel. Ich erkannte Hawks Gesicht. Seine Anwesenheit beruhigte mich. Er beugte sich vor und reichte mir die Pfeife, die unter den Häuptlingen von Hand zu Hand ging. Ich zögerte, dann setzte ich sie an die Lippen und sog den Rauch in mich hinein. Er war scharf und bitter. Ich mußte einen Hustenreiz unterdrücken und reichte die Pfeife rasch weiter. »Weißt du, warum du hier bist?« »Nein.« »Du kannst uns allen, deinen Brüdern, einen großen Dienst erweisen.« Black Hawk blickte mich ernst an. Ich schwieg und wartete ab. Die anderen Häuptlinge schwiegen auch. Sie ließen Black Hawk sprechen, den ich kannte, dem ich vertraute, zu dessen Stammesgruppe ich gehörte. »Wir führen Krieg gegen die Schlächter unseres Volkes«, sagte Black Hawk. »Wir kämpfen um unser Land, um unser Recht und um unsere Existenz. Du bist alt genug, um das zu verstehen.« Ich nickte, schwieg jedoch immer noch. »Die Bleichgesichter sind zahlreich wie die Regentropfen. Unser Kampf wird immer schwerer. Wir müssen zu Listen greifen, um zu siegen.« Ich schwieg auch weiterhin. Irgendwie fühlte ich, daß etwas auf mich zukam, was mich in erhebliche Schwierigkeiten bringen würde. »Du kannst uns helfen – wenn du willst.« »Wie?« Meine Stimme klang hohl. »Du bist ein Weißer«, sagte Black Hawk. Ich warf den Kopf hoch. Mein langes blondes Haar fiel über meine Schultern. Ein trotziger Zug kerbte sich um meinen Mund. »Nein, ich bin ein Apache«, stieß ich hervor. Auch Black Hawk
durfte mich nicht beleidigen. Und es war eine Beleidigung für mich, nicht als Apache akzeptiert zu werden. Ich hatte viel dafür getan, um zu den Indianern zu gehören. Ich berührte meinen Medizinbeutel. »Wer sagt, daß ich kein Apache bin?« Black Hawk hob beschwichtigend die Rechte. »Niemand sagt das.« »Du hast es gesagt.« »Deine Haut ist heller als unsere.« »Deswegen bin ich kein schlechterer Apache.« »Nein.« Jetzt lächelte er. »Das bist du nicht. Setz dich wieder.« Mir wurde erst jetzt bewußt, daß ich mich in der Erregung halb aufgerichtet hatte. Langsam ließ ich mich wieder zu Boden gleiten. »Hättest du nicht gezeigt, daß du ein tapferer und guter Krieger bist, wäre es egal, daß deine Haut heller ist.« »Und so ist es nicht egal?« »Nein.« »Was soll ich tun?« »Du wirst zu den Weißen gehen.« Ich fuhr wieder hoch. »Das werde ich nicht.« »Doch, du wirst.« Seine Stimme verschärfte sich plötzlich, wurde jedoch gleich darauf wieder weich. »Wenn du willst. Ich werde dir erklären, um was es geht, dann sollst du entscheiden.« Ich schwieg verbissen, als ich mich wieder setzte. »Es waren Langmesser aus Fort Clark, die unsere Schwachen getötet haben«, sagte Black Hawk. »Die Trauer in unseren Herzen ist groß und auch der Haß. Die Langmesser in Fort Clark verdienen Strafe. Sie sollen sterben, so wie unsere Squaws.« Ich dachte an das, was ich miterlebt hatte, an die grausame Metzelei, die die Soldaten unter den Squaws angerichtet hatten. Ich sah für einen Moment alles wieder vor mir, sah, wie die Squaws starben, wie sie unter Säbelhieben zusammenbrachen, wie sie von Geschossen zersiebt wurden. Ich sah sie fliehen, sah, wie die Soldaten sie verfolgten. Ich hörte sie schreien, und ich sah, wie die Toten skalpiert und verstümmelt wurden. In mir stieg wieder der Haß auf, den ich in jenen Augenblicken empfunden hatte.
»Sie sollen sterben!« sagte ich zornig. »Du wirst zu ihnen gehen und sie zu uns führen.. Wir werden sie erwarten und ihnen die gerechte Strafe geben.« Ich verstand. Ich sollte die Soldaten in eine Falle führen. Ich war sofort dazu bereit. Die Männer in den blauen Uniformen, die Frauen töteten wie wilde Tiere, hatten keine Gnade verdient. Ich hatte kein Mitleid mit ihnen. Sie waren eiskalte Mörder für mich. Aber sie waren stärker als wir. Deshalb war es erlaubt, sie mit List zu bekämpfen. Es war nicht nur erlaubt, es war notwendig, wenn wir überleben wollten. »Ausgerechnet ich soll dazu in der Lage sein?« Ich blickte Black Hawk an und ließ meine Blicke dann über die unbeweglichen Gesichter der anderen Häuptlinge gleiten. »Wenn du es nicht wärst, wenn ich befürchtete, daß du meinem Stamm Schande bereiten würdest, hätte ich dich nicht vorgeschlagen.« »Aber was soll ich tun?« Ich hatte das Gefühl, daß ein ganzes Gebirge über mir zusammenstürzte. Ich war einverstanden mit dem, was die Häuptlinge vorhatten, und ich wollte auch gern mithelfen, aber die Aufgabe erschien mir in diesem Moment fast unlösbar, jedenfalls für mich. »Wir werden dich in die Wildnis bringen. Du wirst ohne dein Pferd, ohne deine Waffen zu den Langmessern nach Fort Clark gehen. Du wirst ihnen sagen, daß du von uns geflohen bist.« Black Hawks Stimme klang ruhig und überzeugend. Ich sog die Worte fast in mich auf. »Sie werden dir glauben, weil deine Haut hell ist. Sie werden dich fragen, wo das Lager ist, aus dem du geflohen bist. Du wirst sie hierherführen.« »Hierher?« »Auf den Felshängen werden die Krieger der Apachen liegen und warten, bis die Langmesser im Tal sind.« Ich verstand. »Und ich?« fragte ich. »Was wird aus mir?« »Du mußt versuchen, vorher zu fliehen.« Black Hawk blickte mich fest an. »Du begibst dich in große Gefahr. Triff selbst deine Entscheidung und denk daran, was es für uns alle bedeutet, wenn du gehst.«
Ich schwieg und senkte den Kopf. Noch einmal ließ ich die gräßlichen Bilder des Massakers an meinen Augen vorbeiziehen. Ich war völlig einverstanden mit dem Plan. Aber das ich der Köder für die Soldaten sein sollte, ging mir nicht so glatt in den Kopf. Andererseits konnte ich wieder einmal beweisen, daß ich ein vollwertiger Apache war. Die Tatsache, daß die Häuptlinge mir, einem dreizehnjährigen weißen Indianer vertrauten, daß ich nicht den Soldaten den ganzen Plan verriet, macht mich stolz. Ich hatte mich entschieden. Ich hob den Kopf. »Ja«, sagte ich. Meine Stimme klang fest. »Ich werde gehen.« »Enju.« Black Hawk schien nichts anderes erwartet zu haben. Die Spannung auf den Gesichtern der anderen löste sich. Mir war lange nicht so wohl, aber das zeigte ich nicht. Nochalo, der Medizinmann, erhob sich. »Komm mit mir«, sagte er. Ich folgte ihm schweigend. Er führte mich in seinen Wickiup, wo er um die Gnade des Großen Geistes für mich bat. Letzte Bedenken, die ich noch hatte, verflogen.
5. Es begann zu regnen. Ich blickte mich um. Ich. sah nichts, das mir Schutz bieten konnte. Um mich herum war nichts als die weite Ebene und grenzenlose Einsamkeit. Die ersten Tropfen fielen schwer und kalt. Sie trafen meinen nackten Oberkörper. Ich zog fröstelnd die Schultern hoch und begann zu laufen. Das hohe Gras strich um meine Beine. Ein kühler Windhauch fegte über die Ebene. Sekunden später fielen die Tropfen fadendicht. Der Regen prasselte auf das Land. Es dauerte nicht lange, da war ich naß zum Auswinden. Ich hielt nicht an. Mit eingezogenem Kopf lief ich weiter. Der Wind schwoll an und beutelte mich von allen Seiten. Er schleuderte mir den Regen ins Gesicht und schien mit tausend Armen nach mir zu greifen, um mich festzuhalten.
Es regnete sich ein. Wie ich das Wetter kannte, würde es Stunden, vielleicht sogar Tage dauern. Es wurde dunkel. Massige Wolken schoben sich über den Himmel. Nach und nach weichte der Boden auf. Staub verwandelte sich in Schlamm, lehmiger Boden in grundlosen Morast; Mit jedem Schritt sank ich im Boden ein. Riesige Pfützen bildeten sich. Ich lief hindurch. Dreckspritzer besudelten mich von oben bis unten. Das Haar klebte mir strähnig am Kopf, und ich verfluchte mich, daß ich dem Plan der Häuptlinge zugestimmt hatte. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Seit einer Stunde war ich unterwegs. Zwei Krieger hatten mich in die Ebene gebracht und hier abgesetzt. Sie hatten mir gesagt, daß ich nur nach Norden laufen müßte, dann würde ich auf Fort Clark stoßen. Sie waren davongeritten und hatten meinen Braunen sowie meine Waffen mitgenommen. Nur mein Messer hatten sie mir gelassen. Das würde mir etwas helfen. Gegen den Regen schützte es mich nicht. Nach einiger Zeit hielt ich an. Ich rang nach Atem. Es war völlig sinnlos, weiterzurennen. Ich mußte mir meine Kräfte einteilen, wenn ich es überhaupt schaffen wollte. Wenn ich weiter versuchte, gegen den Sturm anzurennen, machte ich mich nur selbst fertig. Ich wartete, bis mein Atem sich wieder beruhigt hatte. Ich ließ den Regen auf mich herunterprasseln, ließ ihn in mein Gesicht, gegen meinen ungeschützten Oberkörper klatschen. Dann setzte ich mich wieder in Bewegung. Langsam, ohne mich anzustrengen, trabte ich weiter. Irgendwann tauchte vor mir im tosenden Wetter eine kleine Buschinsel auf. Ich kroch erschöpft hinein. Jedesmal, wenn ich einen blattreichen Ast berührte, ergoß sich ein Sturzbach auf mich. Aber ich war schon so naß, daß ich das kaum noch wahrnahm. Auch unter den Sträuchern gab es keinen trockenen Fleck. Aber der Regen prasselte nicht mehr so unmittelbar auf mich herunter. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen den Stamm eines PaloVerde-Baumes und zog die Beine fest an den Leib. Ich legte den Kopf auf die Knie und zitterte vor Kälte. Mein Mut sank. Das war verständlich. Meine Situation war im
Moment ziemlich beschissen. Ich hatte mir gar nicht so richtig vor Augen gehalten, bevor das Unternehmen gestartet worden war, auf was ich mich da einließ. Jetzt ging mir noch einmal alles durch den Kopf. In diesem Augenblick hielt ich es für Wahnsinn, daß ich mich für diese Sache entschlossen hatte. Die Aufgabe, der ich gegenüberstand erschien mir nahezu unlösbar. Black Hawk hatte mich überschätzt, und ich hatte nicht sorgfältig genug überlegt, bevor ich zugestimmt hatte. Ich hatte mich geschmeichelt gefühlt, daß mir soviel zugetraut wurde. Davon hatte ich jetzt einen Scheißdreck. Ich sehnte mich nach einem Wickiup, der den Regen abhielt, ich sehnte mich in die Gemeinschaft der Krieger zurück. Am liebsten hätte ich geheult. Doch das hatte ich längst verlernt. Ich war kein Kind mehr. Ich war ein Mann, erst dreizehn Jahre alt, aber in der Wildnis zählte nicht das Alter, da zählten die Erfahrungen. Und an Erfahrungen war ich ein Greis. Ich fühlte mich jämmerlich. Es gab nichts, woran ich mich hätte aufrichten können. Nicht einmal meinen Medizinbeutel hatte ich mehr. Er lag im Wickiup Nochalos. Wenn ich ihn mitgenommen hätte, wäre ich ein unnötiges Risiko eingegangen. Jeder Soldat, der im Indianerland diente, kannte die Bedeutung eines Medizinbeutels. Er wußte, daß nur jemand einen Medizinbeutel besaß, der sich voll und ganz mit den Indianern identifiziert hatte, der in ihren Mythen und Gebräuchen lebte und auch von ihnen akzeptiert worden war. Trotz der Kälte, trotz des unaufhörlich prasselnden Regens stieg Müdigkeit in mir auf. Obwohl ich mich dagegen wehrte, fielen mir schließlich die Augen zu, und ich schlief unter den Sträuchern ein, ein Häufchen Elend, mehr war ich nicht in diesen Stunden. * Die Schüsse fielen in regelmäßigen Abständen. Die Detonationen klangen dumpf. Schweres Kaliber. Ich kroch aus dem Gebüsch, immer noch frierend. Die Sonnenstrahlen, die meinen dreckverschmierten Oberkörper trafen, taten mir gut. Es hatte aufgehört zu regnen. Überall standen große Pfützen. Der Himmel war klar und ohne Wolken.
In der Luft hing eine Staubwolke. Dumpfes Blöken und Brüllen war zu hören. Der Boden vibrierte leicht. Und immer wieder krachten Schüsse. Ich hatte meine Niedergeschlagenheit vom vergangenen Abend überwunden. Ich fühlte mich stark genug, meine Aufgabe zu bewältigen. Der Wind trug einen strengen Geruch mit sich. Ich lief einen Hügel hinauf und blieb oben stehen. In kaum hundert Yards Entfernung sah ich die Büffel. Es war sicher dieselbe Herde, der vor ein paar Tagen Little Friend und ich begegnet waren. Träge wälzte sich die Flut der massigen Leiber über die Ebene. Seitlich von der Herde zogen ein paar Reiter mit. Sie hielten Gewehre in den Fäusten. Ab und zu hob einer seine Waffe und feuerte. Dann stürzte jedesmal eines der schweren, großen Tiere nieder. Dort, wo das geschah, entstand für wenige Sekunden etwas Unruhe. Dann schlossen die anderen Tiere auf, und die Herde zog weiter, als sei nichts geschehen. Den Reitern folgten zwei Wagen, einer mit, einer ohne Plane. Sie hielten neben den getöteten Büffeln. Männer stiegen ab und enthäuteten binnen weniger Minuten die Tiere. Es waren Büffeljäger. Sie feuerten in Abständen, um die Tiere nicht durch ein pausenloses Trommelfeuer in eine Stampede zu versetzen. Büffel waren schwerfällig. Sie ließen sich nicht leicht aus der Ruhe bringen. Erfahrene Jäger wußten das. Einzelne Schüsse berührten die träge dahinziehenden Tiere kaum. Ein Jäger brauchte deshalb Zeit und Geduld, wenn er erfolgreich sein wollte. Ich verließ den Hügel und hockte mich dahinter ins Gras. Ich mußte dem Jägertrupp ausweichen. Doch das würde nicht einfach sein. Die Büffelherde versperrte mir auf mindestens eine Meile den Weg. Ich richtete mich auf, als das Blöken und Brüllen der Kälber und die Schußdetonationen näherrückten. Irgend etwas mußte ich tun. Ich lief zu der Buschinsel zurück, in deren Schutz ich die Nacht verbracht hatte. Die Pfützen ringsum dampften. Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Hitze war fast unerträglich. Die letzte Feuchtigkeit des
großen Regens verdunstete. * Die Büffel waren plötzlich ganz nah. Es war schneller gegangen, als ich geglaubt hatte. Staub drang durch das Unterholz. Langsam schob sich die Herde vorbei. Die Büffeljäger folgten ihr. Ich kroch noch tiefer in das Gesträuch. Hart preßte ich mich auf den Boden und hielt den Atem an. Die Erde schien zu erbeben unter den Hufen der vielen tausend Büffel. Ich fühlte unter meinem Leib, wie der Boden zitterte. Ich spürte ein wenig Furcht in mir. Gegen diese Masse, die unweit von mir vorbeitrottete, war ich nicht viel mehr als ein kleiner jämmerlicher Wurm, der unter den Hufen der Bisonherde zu Pulver zerstampft werden konnte. Ich war ein Nichts. Die Büffel da draußen beherrschten die Prärie, die Steppe, das ganze Land. Plötzlich knackte es seitlich von mir im Gesträuch. Ich achtete erst kaum darauf. Das dumpfe Stampfen der Hufe, das wie ein endlos rollender Donner klang, übertönte fast alles. Dann bemerkte ich einen Schatten. Ich riß den Kopf hoch. Aus weitaufgerissenen Augen starrte ich den Mann an, der auf einem struppigen Pony saß und sich keine zehn Yards entfernt von mir befand. Er wirkte drahtig und untersetzt. Sein kurzbeiniges, narbiges Pferd trug einen ledernen Brustpanzer. Er selbst trug schwere, breite Batwing-Chaps an den Beinen, die ihn vor spitzen Dornen, aber auch vor Büffelhörnern schützen sollten. In den Fäusten hielt er ein langläufiges Sharps-Gewehr mit kantigem Lauf. Ein schwarzer Vollbart reichte ihm bis auf die Brust. Er starrte mich genauso überrascht an wie ich ihn. Dann sprang ich auf und brach blindlings durch das Gebüsch. Ich wollte weg, wollte fliehen. Ich handelte überstürzt, rein instinktiv. Meinen Auftrag hatte ich in diesem Moment vergessen. Der Mann war für mich ein Feind, etwas anderes kam mir im Moment nicht in den Sinn. Ich hörte ihn hinter mir rufen. Aber ich dachte gar nicht daran,
stehenzubleiben. Zweige und Büsche und Bäume zerkratzten meinen Oberkörper. Ich stürmte durch das Unterholz und hinaus auf die Ebene. Da waren die Büffel. Das waren die Büffeljäger. Ich kümmerte mich nicht darum, sondern rannte durch das hohe Gras. Vor mir lag ein toter Bison. Ich wich ihm aus. Da trat ich in eine Bodenvertiefung, stolperte und schlug hin. Als ich mich wieder hochstemmte und aufspringen wollte, waren zwei Pferde neben mir. Ich versuchte es dennoch: Ich erhob mich und lief weiter. Längst hatte ich begriffen, daß ich falsch handelte, aber ich wußte in diesem Augenblick nicht, was ich anderes hätte tun sollen. Ein Schatten schwebte über mir. Ich zog den Kopf ein. Da legte sich bereits eine Schlinge aus rauhem Hanf um meinen Oberkörper, zog sich zusammen, preßte mir die Arme an den Leib und riß mich zu Boden. Ich hörte rauhes Lachen und kämpfte mich auf die Knie hoch. Als das Seil zurückgerissen wurde, an dem ich hing, stürzte ich wieder auf den Rücken. Es war sinnlos, daß ich mich wehrte. Ich blieb einfach liegen. Neben meinem Kopf tauchten zwei wuchtige Stiefel auf. Breite Flap-Chaps wippten bei jedem Schritt hin und her. Ein Mann bückte sich, zog mich hoch und befreite mich von der Schlinge. Ich warf mich herum. Da krallte sich eine schwielige Faust um meine rechte Schulter. »Bleib hier, Kleiner.« Die Stimme klang rauh. Ich wandte den Kopf. »Entweder bist du ein verdammter Apache mit blonden Haaren, oder du bist ein Weißer und siehst aus wie eine Rothaut. In jedem Fall hast du uns einiges zu sagen.« Ich beruhigte mich langsam wieder. Mein Auftrag fiel mir ein. Damit war es zunächst wohl mal Essig. Ich war nicht in Fort Clark, sondern in den Händen weißer Büffeljäger gelandet. Ob ich je nach Fort Clark gelangen würde, stand in den Sternen. Ich mußte versuchen, das Beste aus der Situation herauszuholen. Der Mann, der mich gepackt hielt, schüttelte mich ungeduldig hin und her. Ich
leistete keinen Widerstand mehr. »Kannst du nicht reden?« Er beugte sich vor. Sein bärtiges Gesicht war dicht vor meinem. »Verstehst du mich nicht? Hast du deine Muttersprache verlernt?« Er sprach ein paar Worte im Apachendialekt. Ich verstand ihn kaum, denn er konnte die Sprache nur schlecht. »Ich verstehe Sie«, sagte ich auf Englisch. »Ich verstehe Sie gut.« »Na, endlich.« Der Mann wandte sich um und rief den anderen zu: »Beenden wir die Jagd für heute! Wir haben ohnehin genug.« Die Männer nickten und stiegen von den Pferden. Auch die Wagen hielten an. Die Büffel zogen vorbei und verschwanden schließlich aus unseren Blicken. Nur eine Staub- und Dunstwolke blieb zurück. »Wer bist du, und wo kommst du her, Junge?« fragte der Mann. »Ich heiße Ronco«, sagte ich. »Ich bin in einer Mission aufgewachsen, im Pease-River-Tal.« »Pease River?« Der Mann ließ meine Schulter los. Er musterte mich scharf. »Das ist aber verdammt weit oben im Norden, von hier aus.« »Es ist auch schon ein paar Wochen her«, sagte ich. »Vor ein paar Tagen konnte ich fliehen.« »Warst du bei den Apachen gefangen?« »Bei den Chiricahuas.« Ich schaffte es sogar, ein paar Tränen herauszuquetschen, die mir über die Wangen rannen. Der Büffeljäger strich mir mit der Hand über den Kopf. »Schon gut, Junge. Hier bist du in Sicherheit. Verdammte Rothäute. Du hast Glück gehabt daß du entwischt bist.« »Ich wollte nach Fort Clark«, sagte ich. »Es soll hier in der Nähe sein.« »Fünf Meilen entfernt«, sagte der Mann. »Ein weiter Weg, wenn man zu Fuß ist. Wir bringen dich hin. Mach dir keine Sorgen mehr.« Ich nickte. Doch ich machte mir eine Menge Sorgen. * Die Büffeljäger schlugen neben der Buschinsel, in der ich mich
versteckt hatte, ein Lager auf. Sie stellten die beiden Wagen, die mit Häuten beladen waren, neben den Bäumen, ab, zündeten ein Feuer an und brieten eine Büffellende. Der Mann, der mich eingefangen hatte, hieß Will McCloss. Er war der Anführer der Büffeljäger. Sie folgten der Herde schon seit etwa zwei Wochen. Es mußte ein reiner Zufall gewesen sein, daß Little Friend und ich sie vor ein paar Tagen nicht gesehen hatten. Ich empfand keine besondere Sympathie für sie. Sie töteten die Bisons nur der Häute wegen und ließen die Kadaver in der Prärie verfaulen. Für einen Indianer war das ein Verbrechen. Ein Indianer lebte vom Büffel. Das Fleisch war seine Nahrung, Büffelfett brauchte er zum Schutz gegen die Sonne, zur Wundbehandlung und ebenfalls zur Ernährung. Die Haut wurde zur Fertigung von Kleidung und Decken benutzt. Aus den Knochen entstanden Nadeln, Schaber, Pfeilspitzen und Werkzeuge. Die Sehnen dienten zum Nähen und zur Herstellung von Bogen. Solange es Büffel gab, würden die Indianer leben können. Häutejäger kümmerten sich nicht darum. Ich ließ mir nicht anmerken, was ich von ihnen hielt. Ich aß das gebratene Fleisch, das sie mir überließen. Sie glaubten mir aufs Wort. Ich konnte entweder gut lügen, oder ich sah so jämmerlich aus, daß keiner an meiner Geschichte zweifelte. »Glaubst du, daß du verfolgt wirst?« fragte McCloss, nachdem wir gegessen hatten. Ich schnitt ein zweifelndes Gesicht. »Ich weiß nicht.« »Du siehst zäh aus«, sagte McCloos, »und ziemlich stark. Weiße Jungen wie dich behalten sie gern, um sie zu Kriegern zu erziehen.« Ich schwieg. »Es kommt darauf an, ob sie Zeit haben, dir zu folgen.« »Ich glaube nicht«, sagte ich. »Sie haben vor ein paar Tagen Fort Clark angegriffen und hatten Pech dabei.« »So?« McCloss nickte. »Dann sind wir ziemlich sicher. Trotzdem.« Er blickte seine Begleiter an. »Wir werden die Augen offenhalten müssen.« Ich musterte sie scheu. Es waren schweigsame, harte Männer, die nicht aussahen, als seien sie leicht einzuschüchtern.
»Der Apachenkrieg wird schnell vorbei sein«, sagte McCloss. »Die Rothäute haben keine Chance. Du bist 'raus aus der Sache, Ronco. Bald hast du alles vergessen, und die ganze Geschichte wird für dich nur noch ein böser Traum sein. Die Armee wird dafür sorgen, daß du zurück zu deinen Leuten am Pease River gebracht wirst, in die Mission.« Ich nickte schweigend. Gegen Mittag brachen wir auf. Wir fuhren nordwärts und ließen die breite Fährte der Büffelherde hinter uns. Ich saß auf einem der Häutewagen neben dem Driver. Es war gar nicht so schlecht, daß ich auf die Büffeljäger gestoßen war. Während wir dahinrollten, hatte ich Zeit, noch einmal alles zu überdenken. Meine Geschichte würde im Fort wesentlich glaubwürdiger erscheinen, wenn die Büffeljäger berichteten, wie sie mich aufgegriffen hatten: schmutzig, hungrig, durstig, verängstigt. Eigentlich hatte mir gar nichts Besseres passieren können. Zufrieden lehnte ich mich auf dem Bock zurück. Ich schloß schläfrig die Augen. Auf einmal erschien mir alles gar nicht mehr so schwer. Ich würde meine Aufgabe lösen. Black Hawk sollte stolz auf mich sein. Ich würde meinem Stamm keine Schande bereiten.
6. An dieser Stelle muß ich meine eigenen Erlebnisse unterbrechen. Es lief nämlich alles ganz anders, als wir, die Häuptlinge, die Krieger und ich, es uns damals vorgestellt hatten. Was zur selben Zeit, da ich mit den Büffeljägern auf Fort Clark zufuhr, im Lager der Apachen geschah, gehört zu dieser Geschichte. Ich darf es nicht verschweigen, denn es ist wichtig und spielte eine erhebliche Rolle für mich. Little Friend hat mir später alles erzählt. Ich erinnere mich gut daran. Daher will ich nun versuchen, zu schildern, was einen Tag, nachdem ich das Lager verlassen hatte, passierte. Der große Regen war vorüber. Der schroffe Fels der KinneyMountains glänzte vor Nässe. In den Spalten und Vertiefungen stand noch das Wasser. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ein frischer Wind strich von den Hängen, trieb die Regenwolken davon und mit ihnen die grauen Dunstschwaden des Morgennebels.
Little Friend richtete sich auf. Er zog fröstelnd die buntgemusterte Decke, die er bei sich trug, fester um die Schultern. Schweigend blickte er über die Ebene am Fuße der Berge. Die Müdigkeit hatte tiefe Falten in sein Gesicht geschnitten. Die Wunde am Arm bereitete ihm kaum noch Schmerzen. Er hatte die Morgenwache. Unter ihm im Tal schliefen die Krieger. Sie lagen im Gras, in Decken gerollt, dicht gedrängt um die kalten Feuerstellen. Eine glimmte noch ein wenig. Ein dünner Rauchfaden stieg von ihr auf und verschmolz mit dem Frühnebel. Die grauen Schleier lichteten sich im Osten. Die Sonne ging auf. Little Friend strich sich die Strähnen seines nassen Haares zurück. Er fror. Er war naß bis auf die Haut. Bis vor einer Stunde hatte es noch geregnet. Die Luft erwärmte sich rasch. Little Friend warf die feuchte Decke ab. Sein Oberkörper war nackt. Unter der Haut zeichneten sich deutlich die Muskeln ab. Seine kräftige Gestalt wirkte im grellen Frühlicht wie eine Statue aus gebranntem Ton. Im Westen flimmerte Staub in der Luft. Little Friend sah es. Seine Augen verengten sich. Lange und geduldig beobachtete er, wie sich der sandfarbene Schleier verdichtete, bis eine Staubwolke daraus geworden war, die stetig näherrückte. Little Friend wandte sich um. Keine hundert Yards entfernt stand auf einem Plateau ein zweiter Wachposten. Er beobachtete die Ebene im Osten und hatte noch nichts bemerkt. Little Friend stieß den Schrei des Adlers aus. Der Krieger winkte mit seiner Lanze. Little Friend deutete nach Westen. Dann verließ er seinen Platz. Behende stieg er den schmalen Wildpfad hinunter ins Tal. Hier regten sich die ersten Krieger und erhoben sich von ihren Lagern. Little Friend ging an ihnen vorbei zum Wickiup von Mangas Coloradas. Er schlug ohne zu zögern die Decke vor dem Eingang zur Seite und kroch hinein. Mangas Coloradas erwachte sofort. Er richtete seinen mächtigen Oberkörper vom Lager auf. Mit der Rechten langte er instinktiv nach dem Messer, dann erkannte er Little Friend. Wenn er erstaunt war, so zeigte er es nicht.
»Reiter nähern sich von Westen«, sagte Little Friend. »Viele Reiter.« Mangas Coloradas schloß für einen Moment die Augen. »Weck das Lager.« Little Friend verließ das Zelt. Er gab dem zweiten Wachtposten auf dem Plateau ein Zeichen. Der Krieger bückte sich und hob eine Felltrommel auf. Mit der bloßen rechten Hand schlug er auf das Fell. Dumpfe, hämmernde Laute hallten über das Tal. Sekunden später waren alle wach. * Soldaten – zwei Kompanien. Sie rückten rasch näher. Anfangs hatten die Apachen das Lager räumen und sich in die Berge zurückziehen wollen. Aber das hätte nur Sinn gehabt, wenn sie alle Spuren hätten beseitigen können. Dazu war keine Zeit mehr. Sie konnten den Langmessern nicht ausweichen. Die Soldaten schienen gut Bescheid zu wissen. Sie ritten heran, ohne zu zögern. Als sie noch etwa zwei Meilen von dem Tal entfernt waren, schwärmten sie aus. Es war so, wie Schnelltöter gesagt hatte. Das Tal war ein schlechtes Versteck. Es konnte leicht entdeckt werden, und es konnte zur Falle werden, wenn man es nicht schnell genug verlassen konnte. Mangas Coloradas trat aus seinem Wickiup. Hoch aufgerichtet stand er vor der Laubhütte. Weit über sechs Fuß groß, breit und kräftig wie ein Baum. Glatt fiel ihm das lange, graue Haar bis auf die Schultern. »Holt die Wagen!« rief er und deutete auf die Conestogaschoner, die im Schatten eines Berghangs standen. Sie enthielten die Gewehre und die Munition, die wir für die Freigabe von gefangenen weißen Frauen und Kindern von einem Indianerhändler erhalten hatten. Mehrere Krieger beeilten sich, den Befehl auszuführen. Währenddessen scharten sich die Häuptlinge um Mangas Coloradas. »Wir werden nicht vor den Langmessern davonlaufen«, sagte er. Seine mächtige Stimme hallte über das Lager und brach sich an den Felshängen. Das Echo warf sie, vielfach verstärkt, zurück.
»Meine Brüder, der Große Geist stellt uns vor harte Prüfungen. Das tapfere Volk der Apachen wird sie bestehen. Die Pinda-lick-o-yi haben uns unser Land genommen. Sie haben uns die Heimat geraubt und vernichten unsere Jagdgründe. Sie wollen auch uns vernichten, die wir Kinder dieses Landes sind. Der Fluch des Großen Geistes wird jeden treffen, der nicht aufsteht und kämpft. Von Westen kommen sie gezogen, meine Brüder, die Weißaugen in den blauen Röcken, mit den langen Messern. Sie wollen Kampf, und sie sollen ihn haben. Denkt an unsere Schwachen und Hilflosen, denkt an unsere Squaws, die sie geschlachtet haben wie Tiere. Denkt an sie, wenn ihr kämpft. Und eure Herzen werden stark sein.« Sie standen da und lauschten seinen Worten. Und dann drängten sie sich um die beiden Wagen, als Cochise sie aufforderte, sich die Gewehre zu nehmen. Als die Wagen leer waren, eilten sie zu ihren Pferden. Little Friend führte eine Gruppe Chiricahua-Apachen an, mit denen er hinter Cochise und Black Hawk als erster aus dem Talkessel ritt. Da klang bereits das blecherne Geräusch einer Signaltrompete über die Ebene. Die Sonne stand jetzt hoch über den Bergen. Die Pfützen dampften, und die Schlammkruste platzte an vielen Stellen auf, je mehr der Boden austrocknete. Kompaniefähnchen flatterten im Wind. Noch immer ertönte das schrille Signal, das die Soldaten zur Attacke trieb. Sie schienen überrascht zu sein, daß sich die Krieger dem Kampf stellten. Sie wußten nicht, daß jeder ein Sharps-Hinterladergewehr besaß und die Papierpatronen dazu. Sie hatten damit gerechnet, daß den Kriegern noch die Niederlage in den Knochen steckte, die sie bei dem Angriff auf Fort Clark erlitten hatten. Jedenfalls schienen sie geglaubt zu haben, leichtes Spiel zu haben. Irgendwie hatten sie das Versteck entdeckt. Schwer konnte es ja nicht gewesen sein. Vielleicht war es einer der Scouts gewesen, vielleicht hatte der Indianerhändler, der die Gewehre gebracht hatte, geredet, vielleicht hatte aber auch einer der weißen Gefangenen, die mit den Gewehren freigekauft worden waren, die Lage des Tals beschrieben. Das war in diesem Moment gleichgültig.
Im Galopp stürmte die Kavallerie über die Steppe. Die Soldaten hatten ihre Säbel gezogen. Die gekrümmten Klingen blinkten wie schieres Silber in der Sonne. Sie hatten sich weit in den Sätteln vorgebeugt und bildeten eine geschlossene Linie, als sie herangaloppierten. Little Friend gab seinen Kriegern ein Zeichen mit seinem nagelneuen Gewehr. Sie schwärmten aus, genau wie die anderen Kriegergruppen. Immer mehr Apachen quollen aus dem Talkessel, bis sie sich alle in der Ebene befanden, um dem Angriff zu begegnen. Schüsse krachten. Pulverdampf stieg grau, stinkend und ätzend auf. Ein paar Apachen stürzten aus den Sätteln. Ein paar Pferde überschlugen sich im vollen Galopp und blieben reglos liegen. Ihre Reiter rappelten sich betäubt vom Boden auf. Dann prallten sie zusammen: Soldaten und Apachen. Die geschlossenen Reihen der Reiter lösten sich auf. Männer stürzten aus den Sätteln, ineinanderverkrallt, kämpfend, verbissen ringend – und der Tod ging um. Schreie übertönten den Kampfeslärm, Schreie voll Verzweiflung, Angst und Schmerz, Schreie von Verletzten und Sterbenden. Blut spritzte und netzte den grünen Rasen. Pulks bildeten sich. Little Friend stieß mit seinen Kriegern in einen hinein. Schrille, kollernde Schreie ausstoßend, feuerten sie ihre Gewehre ab und rissen ihre Tomahawks und Schädelbrecher aus den Gürteln. Ein hünenhafter Corporal ritt auf Little Friend zu. Er schwang seinen Säbel. Sein Gesicht war verzerrt, seine Augen glitzerten irre. Seine Uniform war zerrissen und blutbefleckt, genau wie die Klinge seines Säbels. Er schlug zu. Little Friend wehrte den Hieb mit seinem Tomahawk ab. Es klirrte häßlich, als die Klinge den stählernen Kopf des Beils traf. Dann schlug Little Friend zu. Er fintete geschickt, beugte sich im Sattel vor, ritt, ohne die Zügel zu halten. Der Corporal verlor seinen Säbel und zerrte brüllend seinen Dragoon-Colt aus der Halfter, die neben dem Sattel hing. Da spaltete Little Friend ihm die rechte Schulter. Der Corporal
stürzte seitwärts aus dem Sattel, während ein Schwall Blut aus der häßlichen Wunde schoß. Er verschwand unter den Hufen der Pferde. Sein Geschrei verstummte. * Wie auf ein unhörbares Kommando lösten sich die Kämpfer plötzlich voneinander und fluteten zurück, um sich neu zu formieren. Reglose Körper blieben auf dem Schlachtfeld zurück. Der Rasen war zerwühlt von den Hufen der Pferde und den Kämpfenden. Reiterlose Tiere irrten mit hängenden Steigbügeln herum. Die Stimme Mangas Coloradas' rief die Apachen zusammen. Kehlig und dumpf klang sie durch die Pulverdampfschwaden, die über der Ebene hingen. Dann krachten schon wieder Schüsse, und erneut klangen Trompetensignale auf. Aber sie hörten sich ziemlich unbeholfen an. Anscheinend war der Trompeter gefallen, und irgendein anderer Soldat, der vom Trompeten soviel verstand wie vom Jungehundekriegen, versuchte, das Attackensignal einigermaßen verständlich zu blasen. Es mißlang ihm gründlich. Aber die Soldaten schienen ohnehin zu wissen, was sie tun sollten. Sie ritten durch den Pulverdunst. Die Apachen erwarteten sie. Diesmal wollten sie sich nicht auf einen Nahkampf einlassen. Sie hatten erkannt, daß sie den Soldaten überlegen waren, wenn sie ihre Kräfte richtig einsetzten. Sie ließen die Kavallerie ins Leere stoßen. Die Reihen der Krieger lösten sich blitzschnell auf, als die Soldaten heranstürmten. Sie stoben in alle Himmelsrichtungen davon. Noch bevor die Soldaten recht wußten, was geschah, waren sie eingekreist. Ein Hagel von Kugeln und Pfeilen ging auf sie nieder. Mit wildem Geheul umkreisten die Krieger die Soldaten. Sie hingen seitlich an der Flanke ihrer Tiere, wurden von den Pferdeleibern geschützt und konnten ihrerseits ohne Schwierigkeiten schießen. Die Soldaten zogen sich auf die Berge zurück. Sie versuchten, auszubrechen, scheiterten jedoch. Im hügeligen Land am Fuße der
Kinney-Berge verließen die Soldaten ihre Pferde und suchten sich Deckungen. Sie waren in die Enge getrieben und erwarteten den Angriff der Apachen. Doch der Angriff blieb aus. Statt dessen bildeten die Krieger einen Ring um die Deckung der Kavallerie. Die Armee saß in der Falle. Feuer loderten auf. Trommeln begannen zu dröhnen. Die Belagerung begann. Ein Nervenkrieg, in dem die Apachen allemal die besseren Chancen hatten. Die Waffen schwiegen. Ein Pesthauch von Pulver, Blut und Tod trieb über die Ebene. Stinkend waberte die Luft im Hügelland. Die Sonne stand hoch. Die Hitze war groß. Der seit dem Morgen beständig wehende Wind nahm ab. Bald regte sich kein Lüftchen mehr. Es wurde stickig und drückend. Zäh verstrich die Zeit. Die Sonne sank nach Westen. Die Schatten wurden länger. Und noch immer dröhnten triumphierend die Trommeln, warteten die Soldaten im Hügelland darauf, daß irgend etwas passierte. Aber es geschah nichts. Die Ungewißheit zermürbte sie, schlimmer noch als die Hitze. * Vor Einbruch der Dunkelheit kamen sie aus den Hügeln. Sie führten die Pferde am Zügel hinter sich her. Sie glaubten, es besonders klug anzufangen. Dabei war der Ausbruch gescheitert, noch bevor er recht begonnen hatte. Mangas Coloradas hatte Krieger in den Hängen der Kinney-Berge postiert, die in die Deckung der Soldaten hineinschauen konnten. Little Friend war dabei. Er konnte sehen, wie sich die Männer in den blauen Uniformen ängstlich zusammenscharten. Sie hockten geduckt im Gras, stundenlang, die kurzläufigen Springfield- und SharpsKarabiner in den Fäusten, und hielten Ausschau nach einem Feind, der nicht erschien. Die Offiziere saßen bei den Mannschaften. In diesen Augenblicken gab es keine Rangunterschiede. Die Nähe des Todes machte alle gleich. Sie waren nicht darauf gefaßt gewesen, von den Apachen
empfangen zu werden. Sie hatten gehofft, die Indianer in dem Talkessel überraschen zu können. Es wäre ein leichter Kampf für sie geworden, kaum mehr als ein Abschlachten. Nun war alles anders. Sie hatten nicht mit der schnellen Reaktion der Apachen gerechnet. Sie hatten geglaubt, daß der Schock der Niederlage vor Fort Clark den Kriegern noch in den Knochen steckte. Sie hatten nicht an den Haß gedacht, der in den Herzen der Apachen glühte, der stärker war als alle Gefühle der Schwäche. Als sie sich plötzlich erhoben, die Gewehre in die Scabbards steckten, ihre schweren Revolver zogen und mit der Linken die Zügel ihrer Tiere ergriffen, hatte Little Friend die blanke Metallscheibe gehoben, die jeder der Wachtposten auf den Hängen bei sich trug. Noch schien die Sonne kräftig genug. Die grellen Strahlen brachen sich auf dem blitzenden Metall. Lichtsignale zuckten hinunter in die Ebene. Dort erhoben sich die Apachen. Und dann waren auf einmal die Soldaten da. Blau schimmerten ihre Uniformen im grünen Hügelland. Sie sprangen hoch, warfen sich in die Sättel ihrer Pferde, begannen, mit den Dragoon-Revolvern zu schießen. Schüsse peitschten ihnen entgegen. Pfeile schwirrten durch die Luft. Erneut wogte Pulverrauch auf, legte sich wie ein dicker, zäher schleimiger Nebel über die Kämpfenden, hüllte sie ein, ließ sie zu häßlichen Schattenrissen werden, die mit eckigen Bewegungen durch das hohe Gras huschten, die Waffen luden, anlegten, schossen, starben. Mit grellem Wiehern stürzten Pferde und warfen ihre Reiter ab. Männer wälzten sich in ihrem Blut. Der Ring der Apachen um die Soldaten hielt. Keiner entkam. Eine Wand aus Pulver und Blei richtete sich vor ihnen auf, und dann fluteten sie zurück ins Hügelland. Die Schüsse verstummten. Es wurde still – bis auf die verzweifelten Rufe einiger Männer, die verletzt im hohen Gras zurückgelassen worden waren. Little Friend sah sie zurückfluten. Schreiend und zitternd vor
Todesangst warfen sie sich zwischen den Hügeln zu Boden. Noch immer waren es viele, aber sie waren weniger geworden. Keine zweihundert Mann mehr. Viel weniger als die Apachen und nicht besser ausgerüstet. Little Friend beobachtete im rötlichen Licht der Abendsonne, wie die Offiziere versuchten, Ordnung zu schaffen. Er dachte an die Leichen von fast fünfzig Squaws, die auf das Konto der Armee gingen. Er dachte an die von Kugeln und Säbelhieben zerfetzten Leiber, an die skalpierten Schädel. Es war ein Abend wie dieser gewesen, als die Krieger von dem gescheiterten Angriff auf Fort Clack zurückgekehrt waren in das Kriegslager am Fuße der »Finger Mayochinas«. Da hatten sie die Toten gefunden. Verstreut im Umkreis von fast einer Meile hatten sie dagelegen. Krähenschwärme waren schreiend über dem Schlachtplatz gekreist. Nach langem Suchen hatte Little Friend Sandblume unter den Toten gefunden, seine Squaw. Noch immer erfüllte ihn die Erbitterung. Doch über den Haß des Augenblicks war er längst hinweg. Es war Krieg. Ein schmutziger Krieg, in dem es auch für Frauen und Kinder kein Pardon gab. Little Friend fragte sich, wie viele von den Soldaten, die unter ihm im Hügelland lagen, an dem Massaker beteiligt gewesen sein mochten. Er empfand keinen Haß gegen sie, er hatte auch kein Mitleid mit ihnen. Sie waren ihm egal. Sie trugen die Uniform und töteten auf Befehl. Das war ihr Job. Das Risiko, dabei selbst getötet zu werden, nahmen sie auf sich. Darin unterschieden sie sich nicht von den Apachen. Sie hatten den Krieg in das Land der Indianer getragen. Little Friend verachtete den Krieg, auch wenn er sich ihm nicht entzog. Es war Krieg, und der Krieg kannte keine Menschen, er kannte nur Sieger und Besiegte. * Sie sprengten durch die Nacht. Die Mondsichel tauchte plötzlich hinter einer Wolke auf. Milchiges Licht floß auf das Land. Da stoben sie heran, schwarze Gestalten, fast konturenlos, wie Geister aus dem Schattenreich, Schußdetonationen zerrissen die Nacht.
Orangefarbene Blitze zuckten wie Lichtfinger durch die Finsternis. Der monotone Trommelsang verstummte. Die Apachen sprangen von ihren Lagern hoch. Sie rissen ihre Gewehre an sich, die Bogen und Pfeile. Mondlicht spiegelte sich auf Säbelklingen. Da galoppierten die Soldaten bereits aus dem Hügelland in die Ebene. Diesmal hatten sie es klüger angefangen. Im Schutze der Dunkelheit hatten sie sich an den Ring der Apachen, der sie einschloß, herangeschlichen. Nun brachen sie durch. Auf manchem Pferd saßen zwei Männer. Sie schrien schossen und kämpften um ihr Leben. Die Apachen hatten nicht mit einem Ausbruch gerechnet. Sie hatten am nächsten Morgen in das Hügelland eindringen wollen, um die Soldaten zu vernichten. Jetzt wurden sie überrascht. Von Kugeln und Säbelhieben getroffen stürzten viele nieder und gerieten unter die donnernden Hufe der Armeepferde. Bevor die ersten Krieger ihre Ponys bestiegen hatten, waren die Soldaten durch. Sie jagten auf die Ebene hinaus. Ein Haufen von Männern, denen die Todesangst im Nacken saß. Sie ritten nicht in Formation, sie stoben davon wie aufgescheuchte Hühner. Im donnernden Galopp verschwanden sie nach Norden. Eine Gruppe Apachen nahm die Verfolgung auf. Weit kamen sie nicht. Cochise rief sie zurück. Steil aufgerichtet stand die große Gestalt des ChiricahuaHäuptlings am Fuße eines Hügels. Eine Fackel brannte plötzlich. Dann eine zweite. Immer mehr Krieger scharten sich um Cochise. Leise hörten sie die Stimme Nochalos, der sang. Der Schamane kniete am Boden. Sein magerer Körper zitterte, als friere er. Strähnig fiel ihm das Haar ins Gesicht und über die Schultern. Vor ihm lag Mangas Coloradas. Reglos. Sein Wildlederhemd war aufgerissen. Aus einer klaffenden Wunde in seinem mächtigen Brustkorb pulsierte das Blut und bedeckte seinen Oberkörper. Das Gesicht des großen Häuptlings verfiel zusehends. Alle Spannkraft wich aus seinen Zügen. Scharfe Falten traten hervor, und die Haut wirkte plötzlich blaß und durchscheinend wie dünnes Pergament.
Sein Atem ging flach. Cochise blickte ihn an, stumm, sorgenvoll. Sein Gesicht war wie versteinert. »Vielleicht ist der Große Geist gnädig …« Nochalos Stimme klang brüchig. »Vielleicht ist er nicht gnädig.« Cochise verschränkte die Arme vor der Brust. »Mangas Coloradas wird leben«, sagte er. Er sagte es mit Bestimmtheit. Die fordernden Blicke, die er dabei dem Schamenen zuwarf, sagten mehr als seine Worte. Nochalo schwieg und winkte seine Helfer heran. Sie hoben den Häuptling auf und trugen ihn fort aus der Menge der Krieger. Die Fackelträger folgten. Wenig später klangen rituelle Gesänge auf, ertönte das monotone Dröhnen der Felltrommel, während Nochalo neben Mangas Coloradas kniete und sich bemühte, die Blutung zu stillen und das Leben des alten Häuptlings zu retten. Cochise wandte sich zu den Kriegern um. »Ihr habt gut gekämpft, meine Brüder. Ihr habt die Langmesser geschlagen. Aber dort liegt Mangas Coloradas, der große Häuptling, der Tapferste unter den Tapferen. Wir dürfen jetzt nicht verzagen, meine Brüder, wir müssen weiterkämpfen.« Die Krieger hoben ihre Waffen, schwenkten sie und stießen zustimmende Rufe aus. »Der Weg liegt vor uns!« rief Cochise. »Die Langmesser fliehen. Jagen wir sie und treiben wir sie aus unserem Land. Und wenn Mangas Coloradas stirbt …« Seine Stimme klirrte jetzt vor Kälte. »Dann werden die Weißaugen zu spüren kriegen, das Feuer vom Himmel stürzt. Dann wird sich das Land zwischen den großen Strömen mit Blut vollsaugen, und die Berge werden sich rot färben.« Er drehte sich um und ging zu Nochalo hinüber. Noch sangen die Gehilfen des Schamanen, noch schlugen sie die Schädeltrommeln. Nochalo murmelte seine Beschwörungen, während er mit Pulvern und getrockneten Kräutern die Blutung der Wunde gestillt hatte. Als Cochise neben ihm stand, hob er den Kopf. »Er lebt noch«, sagte er. »Er hat ein starkes Herz:« »Sein Herz schlägt für ein ganzes Volk.« Cochise blickte in die Finsternis. »Bleib mit ihm hier. Er muß leben. Tu alles, was du
kannst. Wir kehren zurück.« »Wann?« »Nach dem Kampf.« »Der Kampf kann lange dauern.« »Ja.« Cochise schaute in das bleiche, eingefallene Gesicht des alten Häuptlings. Mangas Coloradas hatte die Augen geschlossen. Seine Lippen waren farblos. Er sah im Fackelschein aus, als sei er schon tot. Cochise hob die linke Hand und machte das Zeichen des Friedens. Dann ging er. Die Krieger saßen bereits in den Sätteln. Matt blinkten die dunkel brünierten Gewehrläufe im Mondlicht. Die nackten, muskulösen Oberkörper glänzten vor Schweiß. Es war schwül. Dunkel funkelte der Haß in den Augen der Männer. Cochise schwang sich auf sein Tier. Und dann ritten sie davon. Sie sprengten nach Norden, folgten den Soldaten in die Nacht. Der dumpfe Hufschlag der Pferde verhallte. Es wurde still. Nur das Singen und monotone Trommeln verstummte nicht. Es klang noch immer über das Land, bis der Morgen graute.
7. Ich schlug die Augen auf. Ich hatte versucht, mich wachzuhalten, doch das sanfte, gleichförmige Schwanken des Wagens, das eintönige Geräusch der Räder und Hufe wirkten einschläfernd. Ich war eingenickt. Der Knall der Peitsche des Drivers weckte mich jetzt. Ich sah Fort Clark. Es lag kaum eine halbe Meile vor uns. Es lag auf einem Hügel. Das graue Band der Overlandstraße schlängelte sich daran vorbei. Zuerst sah ich nur die gut fünfundzwanzig Fuß hohen Palisaden. Sie bestanden aus ungeschälten Baumstämmen, die in der Höhe nicht alle gleich waren. Es gab vier Wachtürme, an jeder Ecke des Forts einen. Über dem Tor befand sich noch ein überdachter Ausguck, der mit zwei Soldaten besetzt war. Das Gelände um die Festung herum war ziemlich öde und trostlos. Es mußte einmal Busch- und Baumbestand hier gegeben haben. Aber
das war auf Kosten der Sicht verschwunden. Angreifer hätten leicht Deckung gefunden und sich unbemerkt dem Fort nähern können. Darum war alles gerodet worden. Jetzt gab es hier nichts als honigfarbenen Staub und graubraune Steine. Außerhalb der Palisaden, westlich vom Fort, standen noch ein paar Hütten. Sie waren in Hufeisenform angelegt worden. Der Hof war von einer halbhohen Mauer aus Steinen und Adobelehm umgeben. Die Hütten besaßen keine Fenster, nur schießschartenähnliche Schlitze. Es war ein Handelsposten, der ziemlich mitgenommen aussah. Er schien von dem Angriff der Apachen am meisten betroffen worden zu sein. Überall steckten abgebrochene Pfeilschäfte in den Hüttenwänden. Gewehrkugeln hatten tiefe Löcher in den Adobelehm der Außenmauer gerissen. Dem Fort war nicht anzusehen, daß es noch vor einer Woche Ziel eines heftigen Indianerangriffs gewesen war. Trutzig und massig erhob es sich aus dem Land, in dem es sonst weit und breit keine menschliche Niederlassung zu geben schien. Schräg stand die Abendsonne über uns, als wir auf die Grenzbastion zufuhren. Die Pferde mußten sich jetzt stärker ins Geschirr stemmen. Die holprige Wagenstraße machte eine Biegung und stieg etwas an. Beim Anblick des Forts kamen mir wieder Zweifel. Ich schob sie rasch beiseite. Ich hatte mir die ganze Suppe eingebrockt, jetzt würde ich sie auch auslöffeln. Und ganz so schlecht sah es ja wirklich nicht für mich aus. Will McCloss und die anderen Reiter erreichten die Palisade vor den Wagen. Einer der beiden Soldaten über dem Tor beugte sich weit über die Brüstung. Er spähte neugierig zu mir herüber. Er war noch jung, vielleicht achtzehn Jahre. Er hatte brandrotes Haar, das auf seinem Hinterkopf millimeterkurz geschnitten war, ihm vorn aber widerspenstig in die Stirn fiel. McCloss schob sich den breitrandigen Hut in den Nacken, als er am Tor hochblickte. »McCloss ist mein Name«, hörte ich ihn sagen. »Die Männer
gehören zu meiner Jagdgesellschaft.« »Büffeljäger?« »Ja.« »Wir haben die Herde vor ein paar Tagen in der Nähe gesehen«, sagte der junge Soldat. »Eine große Herde.« »Sie sind alle groß. Heute vormittag ist sie fünf Meilen südlich von hier vorbeigezogen.« »Ihr wollt 'rein?« McCloss grinste. Ich auch. Eine selten dämliche Frage. Der junge Soldat äugte wieder zu mir herüber. »Was schleppt ihr denn da für einen mit? Sieht wie eine gottverfluchte Rothaut aus.« »Bis vor zwei Tagen hat er noch Menschen gefressen«, sagte McCloss mit todernster Miene. Der Junge sperrte die Augen weit auf. Auch der zweite Wachtposten beugte sich jetzt vor. »Im Ernst?« »Geröstete Säuferleber ist seine Lieblingsspeise«, sagte McCloss. »Aber auch kleingehackte Nieren sollen nicht schlecht sein, am besten sind die von einem neugierigen Kavalleristen.« »Eine Rothaut dürfen wir nicht ins Fort lassen«, sagte der Rothaarige. McCloss verlor die Geduld. »Verdammt noch mal, öffnet endlich das Tor, oder sollen wir hier anwachsen.« »Wir haben unsere Vorschriften«, sagte der Rothaarige. »Da könnte ja jeder aufkreuzen und uns Indianer ins Fort schleppen!« »Der Kommandant läßt euch drei Tage lang Kartoffel schälen, wenn ihr jetzt nicht das Tor öffnet, das schwöre ich euch.« Der Rothaarige blickte den zweiten Posten an. Die beiden schienen zu zögern. Dann rief der eine ins Fort hinunter: »Öffnet das Tor.« Wir hörten einen Haltebalken fallen. Knarrend öffneten sich die mächtigen Torflügel. Der Driver neben mir knallte wieder mit der Peitsche. Die beiden Pferde im Gespann setzten sich in Bewegung. Hinter den Reitern sollten die Wagen durch das Tor. Mein Herz schlug etwas schneller. Ich war nun da, wo ich hin
sollte. Hier begann mein Auftrag. Ich hoffte inständigst, daß alles so ablaufen würde, wie Black Hawk es gesagt hatte. Logisch war es schon. Was lag näher, als einen Weißen, der aus einem Indianerlager geflohen war, aufzufordern, die Armee zu dem versteckten Camp zu führen? Vor uns erstreckte sich ein weitläufiger Exerzierplatz, der von flachen Holzgebäuden umgeben war. An einem hohen Mast hing das Sternenbanner. Vor einem Magazingebäude hielten wir an. McCloss und die anderen Reiter glitten aus den Sätteln. Ich blieb auf dem Bock sitzen und wartete auf die Dinge, die da kommen sollten. Der rothaarige Soldat war vom Turm geklettert und neben uns hergelaufen. Jetzt blieb auch er stehen und glotzte am Wagen hoch. Sein sommersprossiges Gesicht mit der Himmelfahrtsnase regte mich auf. Ich beherrschte mich, sagte kein Wort und versuchte, seine Blicke zu ignorieren. McCloss trat zum Wagen. Er lächelte mich breit an. »Mach dir keine Sorgen, Ronco. Jetzt bist du in Sicherheit. Ich spreche gleich mit dem Kommandanten.« Etwas beklommen nickte ich. Der Driver neben mir stieg schwerfällig vom Bock. Er folgte den anderen Jägern, die zu einer Gruppe Soldaten hinübergingen, die vor der Mannschaftsmesse standen und sprachen. Nur der rothaarige Soldat blieb neben dem Wagen und den Pferden der Büffeljäger stehen und blickte mich unverwandt an. Ich richtete mich kurz entschlossen auf und kletterte vom Wagen. McCloss war jetzt verschwunden. Er hatte den Exerzierplatz überquert und war zur Kommandantur gegangen. Ich blieb neben dem Wagen stehen. Der junge Soldat stand keine fünf Schritte entfernt von mir. Er war älter als ich, aber nicht größer und auch nicht breiter. Ich schätzte ihn vorsichtig ab. Ich war sicher, ihn im Kampf schlagen zu können. Er näherte sich mir plötzlich. Herausfordernd schob er den Kopf vor. Ich wich seinem Blick nicht aus und sah, daß er sich nicht sehr sicher fühlte. »Was bist du für einer, he?« Seine Stimme kratzte. Sie sollte fest
klingen, aber sie zitterte leicht. Ich schwieg. »Kannst du nicht reden? Du siehst wie ein Apache aus.« Ich besann mich auf meine Rolle, die ich hier zu spielen hatte. Noch gestern hätte ich mir lieber die Zunge abgebissen, bevor ich gesagt hätte, was ich nun aussprach: »Ich bin ein Weißer.« »Dein Haar ist blond«, sagte er. »Stimmt schon, deine Haut ist hell. Trotzdem siehst du wie ein gottverdammter Indianer aus.« Er maß mich von oben bis unten. »Wenn du ein gottverdammter Indianer wärst«, sagte er, »dann könntest du jetzt was erleben.« Plötzlich juckte es mir in den Fäusten. »Was denn?« sagte ich. Ich blickte ihn sanft an. Er schien zu glauben, daß er mich eingeschüchtert hätte. »Wir würden dir die Haut abziehen und sie an die Palisade nageln. Und dich würden wir zerhacken und in den Ofen schieben.« »Du hast das wohl schon oft getan, wie?« Er lachte selbstgefällig. »Und ob«, sagte er. »Ich kann die Rotfelle schon gar nicht mehr zählen, die ich abgeschossen habe. Und du, was bist du denn nun für einer?« Ekel stieg in mir auf. Ich mußte mich beherrschen um dem Rotschopf nicht ins Gesicht zu spucken. »Ich heiße Ronco«, sagte ich. »Ronco?« Er grinste. »Komischer Name.« Er bückte sich und blickte an meinen Wildlederhosen hinunter. »Echte Indianerleggins?« fragte er. Jetzt hatte ich genug. »Verschwinde«, sagte ich. »Wie?« Verblüfft schaute er mich an. »Hau ab«, sagte ich. Ich mußte mich zusammennehmen, um nicht zu schreien. Ich dachte wieder an das Massaker, sah die blauen Uniformen, sah die Soldaten, die die wehrlosen Squaws ermordeten. Soldaten, wie dieser rothaarige Bursche einer war. In meinem Kopf begann sich alles zu drehen. »Spinnst du?« Er wirkte irritiert. »Ich könnte dich abknallen«, sagte er. »Auf der Stelle. Man würde mir dafür einen Orden umhängen.« »Dann tu es doch«, sagte ich. »Na los, auf was wartest du?« Er blickte mich unsicher an. »Ich – ich warne dich.«
»Du scheißt dir doch gleich in die Hosen«, sagte ich. Er war ganz blaß, als er mit der Rechten zu der schwarzen Lederhalfter tastete, in der ein Revolver steckte. Ich ließ ihm Zeit. Als er die Halfterklappe geöffnet hatte, schlug ich unvermittelt zu. Es tat mir gut. Ich fühlte mich herrlich dabei, diesem aufgeblasenen Burschen eins überbraten zu können. Er nahm den Hieb voll. Ich traf ihn auf den Mund. Sein Kopf wurde zurückgeschleudert. Er stöhnte und ging in die Knie. Verwirrt glotzte er mich an, während er zu seinen Lippen tastete, die aufgeplatzt waren und anschwollen. »Du – du hast mich geschlagen«, sagte er. »Klar«, sagte ich. »Hat's gut getan? Soll ich dir noch eine wischen?« »Du – du Miststück«, preßte er heiser hervor. Ich sah ein paar Tränen in seinen Augen. Er schluckte. Sein sommersprossiges, dummes Gesicht verzerrte sich vor Wut. Dann ging er auf mich los. Darauf hatte ich gewartet. Er war älter als ich, aber ich war stärker als er. Das Leben in der Wildnis, unter Indianern, hatte mich zu einem Kämpfer gemacht. Der Junge wußte nicht, auf was er sich einließ. Ich traf ihn rechts und links mit den Fäusten. Mein rechter Fuß flog hoch. Der Tritt erwischte ihn wuchtig im Leib. Er klappte zusammen wir ein Taschenmesser und stürzte vornüber zu Boden. Schmerzverkrümmt richtete er sich wieder auf. Schweiß perlte auf seiner Stirn. »Du – Hund …« sagte er. Ich schlug ihm recht und links ins Gesicht. Ich vergaß, wo ich war. Ich vergaß alles. Ich sah nur diese scheußliche, blaue Uniform, bei deren Anblick ich immer wieder an das entsetzlich Massaker denken mußte. Verbissen hämmerte ich dem jungen Soldaten meine Fäuste ins Gesicht. Er versuchte, sich zu decken. Aber er war nicht sehr geübt im Nahkampf. Wenn er seine Arme hochnahm, um sein Gesicht zu decken, drosch ich ihm die Fäuste in den Leib. Nahm er die Deckung hinunter, traf ich sein Gesicht und seinen Oberkörper. Irgendwie bekam ich seine Uniformbluse zu packen. Mit der Linken hielt ich ihn fest, mit der Rechten schlug ich ihn immer
wieder ins Gesicht. Er wehrte sich längst nicht mehr. Er wimmerte nur noch und versuchte sich loszureißen. Plötzlich fiel er um. Er kippte heulend in den Staub und lag winselnd vor meinen Füßen, die Arme schützend über dem Kopf verschränkt. Er blutete aus Mund und Nase. Die Beine hatte er an den Leib gezogen. Ich bückte mich mitleidslos, um ihn hochzuzerren. Da traf mich ein wuchtiger Schlag. Ich wurde nach hinten geschleudert und fiel mit dem Rücken hart gegen das rechte Vorderrad des Wagens. Der Schmerz trieb mir das Wasser in die Augen. Verschwommen sah ich einen anderen jungen Soldaten vor mir, kaum älter als der Rothaarige. Er hielt sein Gewehr in den Fäusten und starrte mich haßerfüllt an, genauso wie die anderen Soldaten, die sich in größerem Abstand um mich geschart hatten. Ich sah sie erst jetzt. Aber mir blieb keine Zeit, auf sie zu achten. Gerade hob der junge Bursche vor mir sein Gewehr abermals zum Schlag. Ich wartete und wich im letzten Moment aus. Der Gewehrkolben mit der eisernen Bodenplatte raste dicht an mir vorbei und prallte gegen den Wagen. Da stand ich bereits dicht vor dem Soldaten und stieß ihm mein rechtes Knie mit aller Kraft in den Unterleib. Seine Augen quollen plötzlich hervor. Sein Mund öffnete sich zum Schrei. Ich hämmerte meine Fäuste gegen seinen Hals. Aus dem Schmerzensgebrüll wurde nur ein dünnes Quieken. Dann lief er blau an, röchelte und rang nach Atem. Als meine Rechte ihn mit aller Kraft aufs linke Ohr traf, stürzte er zu Boden und blieb stöhnend liegen. Schritte ertönten seitlich von mir. Ich fuhr herum. Da erkannte ich Will McCloss. Er stand plötzlich vor mir, war groß wie ein Turm, packte mich mit seinen schwieligen Fäusten an den Schultern und schüttelte mich hin und her. Sein Gesicht war düster und starr wie eine Maske. »Was hast du getan, zum Teufel, was hast du bloß getan?« Er ließ mich los, und atmete schwer. Ich blickte ihm gerade in die
Augen. »Der Rothaarige hat mich beleidigt«, sagte ich. »und er hat mir gedroht. Er wollte seinen Revolver ziehen. Der andere hat sich eingemischt.« McCloss schwieg einen Moment. Er warf einen Blick auf die umstehenden Soldaten. Sie hätten sich am liebsten sofort auf mich gestürzt. »Drehen Sie ihm den Hals um, Mister!« rief einer. »Das ist kein Weißer mehr, sondern ein Wilder. Der hätte die beiden Jungen umgebracht.« McCloss spie aus. »Die beiden Jungen, Mann, hätten ihn in Ruhe lassen sollen. Ronco ist so harmlos wie Sie und ich. Er hat eine Menge hinter sich und muß sich nicht das dämliche Geschwätz von ein paar grünen Bengels in Uniform anhören.« Er schaute mich wieder an. »Komm jetzt«, sagte er. Ich warf einen Seitenblick auf die beiden jungen Soldaten, die ich geschlagen hatte. Der Rothaarige kniete am Boden und übergab sich. Der andere richtete sich gerade wieder auf. Ich ging mit McCloss über den Exerzierplatz. Rötlich schimmerte der Himmel. Im Westen ging die Sonne gerade unter. Aus den Ställen des Forts klangen das Schnauben und Stampfen von Pferden. Stalleimer klirrten. Rauhe Stimmen hallten durch den Abend. Wachablösung am Tor und auf den Wachtürmen. Das Tor wurde geöffnet. Eine kleine Patrouille, bestehend aus drei oder vier Soldaten ritt ins Fort. Ich registrierte das alles nur am Rande. Ein wenig schmerzten mir noch die Fäuste und die Muskeln von dem Kampf. Leichter fühlte ich mich danach nicht, wie ich gehofft hatte. Der angestaute Haß in mir blieb. Ich hoffte nur, daß ich ihn im Zaum halten konnte. Es kam jetzt darauf an, so glaubwürdig wie möglich zu wirken. Der Kommandant würde mich verhören. Ich mußte gute Antworten geben, um ihn zu überzeugen. Noch einmal durfte ich mich nicht zu unbesonnenen Handlungen hinreißen lassen wie bei den beiden jungen Soldaten. Sie erhoben sich in diesen Augenblicken gerade. Voller Haß schauten sie mir nach, bevor sie wie geprügelte Hunde
davonschlichen. Da führte McCloss mich bereits die Stufen zum Vorbau des Kommandanturgebäudes hinauf. Ein Offiziersbursche stand neben der Tür und zündete eine blankgeputzte Petroleumlampe an. * »Das ist Colonel Reynolds.« McCloss blieb hinter mir stehen und schloß die Tür des Raumes. Ich schaute mich um. Das Office war spartanisch eingerichtet. Ein riesiger Schreibtisch, ein paar Stühle. Hinter dem Schreibtisch hing das Sternenbanner an der Wand, eingerahmt von Kompanie- und Regimentsfähnchen. Schräg davon befand sich ein Kartenständer, an dem eine große Landkarte hing, die das Gebiet beiderseits der Grenze zeigte, in dem auch das Fort lag. Am Schreibtisch stand ein großer, hagerer Mann, weißhaarig, mit dichten Koteletten, starken Augenbrauen und einem sauber gestutzten Kinnbart. Er blickte mich ernst an, die Hände auf dem Rücken gefaltet. Ich erinnerte mich an die Zeit, als ich unter Weißen aufgewachsen war und kramte die Kenntnisse zusammen, die ich noch hatte. »Guten Tag, Sir«, sagte ich. Der Colonel nickte. »Setz dich.« Er deutete auf einen Stuhl. Ich setzte mich. McCloss blieb stehen, der Colonel auch. »Du bist Ronco?« »Ja, Sir.« »Wie lange warst du bei den Apachen?« Ich überlegte blitzschnell. Ich mußte vorsichtig sein. Wenn ich ihnen sagte, daß ich seit über anderthalb Jahren bei den Indianern gewesen war, würde man mir die Flucht womöglich nicht mehr abkaufen. »Ein paar Wochen, Sir«, sagte ich. »Ich weiß es nicht genau.« »Als ich gerade aus dem Fenster schaute und dich kämpfen sah, dachte ich, du seiest ein geborener Apache.« Der Kommandant wandte mir den Rücken zu, umrundete den Schreibtisch und ließ sich nieder. »Setzen Sie sich auch, McCloss. Es macht mich nervös, wenn
Sie so herumstehen.« »Die beiden haben mich beleidigt und angegriffen, Sir«, sagte ich. »Ich habe mich verteidigt. Wer Gefangenschaft bei den Apachen erlebt hat, wehrt sich, wenn er angegriffen wird, Sir.« »Das verstehe ich.« Der Colorel nickte. »Bald wird dich niemand mehr beleidigen und angreifen. Nicht lange, und du wirst vergessen haben, was dir angetan worden ist. Dann wird dir die Gefangenschaft bei den Apachen nur noch wie ein böser Traum erscheinen.« »Ich denke auch, Sir«, sagte ich. »Wann bist du geflohen, Ronco?« »Vor zwei Tagen, Sir«, sagte ich. »Ich habe zwei Nächte unter Büschen und Bäumen geschlafen.« »Das stimmt, Sir«, schaltete McCloss sich ein. »Der Junge muß auch während des Unwetters unterwegs gewesen sein. Er war völlig verdreckt, als wir ihn fanden. Seine Hosen waren noch naß. Er war abgehetzt und hat das Fleisch, das wir gebraten haben, fast roh in sich 'reingeschlungen. Der hatte mindestens zwei Tage nichts Richtiges mehr gegessen.« Colonel Reynolds nickte. Er spielte mit einem Bleistiftstummel. »Ich würde es vorziehen, daß er selbst antwortet, Mr. McCloss.« McCloss wirkte verschnupft. »Entschuldigen Sie, Sir. Immerhin haben meine Leute und ich den Jungen aufgegriffen und hergebracht. Wenn er Ihnen ein paar wichtige Fragen beantworten kann, und ich nehme doch an, daß Sie in diesem Indianerkrieg auf Informationen angewiesen sind, dann ist das ein wenig auch das Verdienst von mir und meinen Männern. Im übrigen handelt es sich ja noch um ein Kind, Colonel. Etwas frühreif vielleicht, aber noch lange nicht erwachsen.« »Es ist gut, McCloss.« Reynolds Schläfenadern schwollen an. Er atmete tief durch. Seine Stimme klang beherrscht und ruhig. »Ihr Kind, wie Sie es zu nennen belieben, hat gerade zwei voll ausgebildete Kavalleristen zusammengeschlagen. In seinem Alter gilt er bei den Apachen bereits als vollwertiger Krieger. Und so, wie er sich vorhin auf dem Exerzierplatz verhalten hat, hat er mich wenig an einen Weißen erinnert. Verstehen Sie, was ich meine?« McCloss schwieg. Er warf mir einen etwas merkwürdigen
Seitenblick zu. Ich las Zweifel darin und auch einen Funken Mißtrauen. McCloss war freundlich zu mir gewesen. Aber er war ein Indianerhasser wie die meisten im Indianerland. Im Moment noch hatte ich für ihn blondes Haar und eine weiße Haut. Sowie er feststellen würde, daß ich nicht die Wahrheit gesagt hatte, war ich für ihn nur noch ein schmutziger Apache. Er würde nicht zögern, mir auf der Stelle eine Kugel in den Schädel zu jagen. Ich war von Feinden umgeben. Daran mußte ich immer denken. »Woher bist du gekommen?« Colonel Reynolds' Stimme riß mich aus den Gedanken. »Aus einem Lager bei den Kinney-Bergen.« »Viele Krieger?« »Das Hauptlager, Sir. Mangas Coloradas war da, Cochise und andere.« »Mangas?« Der Colonel erhob sich. Er konnte seine Erregung nur schwer unterdrücken. Er lief zur Landkarte und tippte mit dem Zeigefinger der Rechten auf einen Punkt. »Sehen Sie her, McCloss.« Der Büffeljäger trat neben den Offizier. »Wo etwa haben Sie den Jungen aufgegriffen?« »Hier, Sir.« McCloss tippte auf einen anderen Punkt. Er befand sich nur ein kurzes Stück nördlich von der Stelle, wo der Colonel seinen Zeigefinger hatte. Reynolds lächelte jetzt. Triumphierend blickte er mich an. »Es ist alles in Ordnung, Ronco«, sagte er. »Ich hatte einen schlimmen Verdacht. Aber wenn du ein Kundschafter der Apachen wärst, hättest du kaum die Lage des Lagers und die Namen der Häuptlinge verraten, die sich dort aufhalten.« Er wandte sich wieder McCloss zu. »Es sind Tiere«, sagte er voller Abscheu. »Auch die weißen Krieger unter ihnen, die als Kinder geraubt und zu Apachen erzogen worden sind. Sie haben nichts Menschliches mehr an sich. Bevor sie freiwillig eine Frage beantworten, lassen sie sich lieber bei lebendigem Leib rösten. Dabei sagen sie kein Wort. Haben Sie mal gesehen, wie ein Apache gemartert worden ist, McCloss?« »Nein.«
»Die geben keinen Ton von sich, McCloss. Die fühlen überhaupt keinen Schmerz. Die denken nur an ihre Geister und Götter. Es sind keine Menschen, McCloss. Ich weiß es. Ich habe es oft genug erlebt.« Er drehte mir den Rücken zu. Er konnte nicht sehen, daß Schweiß auf meiner Stirn perlte. Ich glaubte für einige Sekunden, es nicht mehr aushalten zu können. Auf dem Tisch des Colonels lag ein schwerer, handgeschmiedeter stählerner Brieföffner. Für einen Moment war ich fast soweit, danach zu greifen und ihn dem Colonel in den Rücken zu stoßen. Ich blieb sitzen, denn ich dachte daran, was geschehen würde. Es ging nicht nur um mein Leben. Der ganze Plan der Häuptlinge würde durch meine Schuld scheitern, durch meine Unbeherrschtheit. Ich fragte mich, ob der Colonel jemals gesehen hatte, was seine Soldaten in Apachendörfern angerichtet hatten. Vermutlich hatte er es gesehen, vermutlich hatte er schon selbst solche Aktionen geleitet. Er lächelte noch immer, zufrieden und gutgelaunt. Jetzt klopfte er McCloss auf die Schulter. »Vor ein paar Tagen hat einer unserer Scouts nahe der Berge Rauch gesehen, genau an dieser Stelle.« Reynolds stach seinen Zeigefinger immer wieder auf den einen Punkt, das ich befürchtete, er würde ein Loch in die Landkarte stoßen. »Das muß das Lager sein, von dem der Junge spricht.« Ich folgte den Worten des Colonels mit wachsendem Entsetzen. Mir schwante Schreckliches. »Stellen Sie sich vor, McCloss«, Reynolds kehrte zu seinem Schreibtisch zurück, »Mangas Coloradas, Cochise, womöglich auch Black Hawk. Die ganze Bande von Räuberhäuptlingen ist dort versammelt. Vor zwei Tagen habe ich zwei Kompanien losgeschickt, damit das Lager ausgehoben wird.« Reynolds hämmerte mit der Faust auf den Tisch. »Diesmal erwischen wir sie alle. Diesmal wird Schluß gemacht.« »Meinen Glückwunsch, Sir.« McCloss wandte sich von der Landkarte ab. »Das nennt man Glück. Dann kann man sich in diesem Land wohl endlich gefahrlos bewegen.« »Da bin ich fast sicher, McCloss.« Reynolds wandte sich mir zu. »Du hast mir eine gute Nachricht gebracht, Ronco. Sind noch mehr
weiße Gefangene in dem Lager?« »Nein.« »Sehr gut. Es wäre schade, wenn einer von ihnen umkäme.« Er lächelte mich breit an. »Du bist jetzt frei. Du kannst diese indianischen Fetzen ausziehen. Ich werde dafür sorgen, daß du anständige Kleidung erhältst. Was weiter mit dir geschieht, werde ich mir noch überlegen. Du stammst vom Pease River?« Ich nickte, unfähig, ein Wort zu sagen. »Ein weiter Weg. Aber irgendwie bringen wir dich nach Hause. Nur keine Sorge. Zunächst mal bleibst du bei Mr. McCloss. Morgen sehen wir weiter.« Ich nickte wieder. McCloss schob mich vor sich her. Wie wir aus dem Office hinauskamen, wußte ich nicht. Mir klangen nur immer wieder die Worte von Colonel Reynolds in den Ohren. Das Lager war entdeckt worden. Zwei Kompanien Kavallerie waren dahin unterwegs, waren vermutlich längst darüber hergefallen. Alles war aus. Alles war umsonst gewesen. Ich wurde gar nicht als Führer gebraucht. Der Plan der Häuptlinge war gut gewesen. Aber er war gescheitert. Auf der ganzen Linie. Und ich, was wurde aus mir? In meinem Kopf drehte sich alles. Ich hörte nicht, was Will McCloss zu mir sagte. Wie in Trance hob ich den Kopf. Nur nach und nach überwand ich den Schock, der tief in mir steckte. Es war dunkel geworden. Überall im Fort brannten Laternen. Hinter einigen Fenstern war es noch hell. Aus der Mannschaftsmesse klangen Stimmengewirr und das Klirren von Gläsern. Von dem Brettergang auf den Palisaden ertönten die harten Schritte der Wachtposten. Ich nahm das alles nur am Rande wahr. Ich dachte nur an das Lager am Fuße der Kinney-Mountains. Ich dachte an Little Friend, meinen Blutsbruder, und an die anderen. Vielleicht waren sie bereits tot. Vielleicht hatten sich die Krähen an ihnen schon die Bäuche vollgeschlagen. Ich fröstelte, obwohl es gar nicht kalt war. Ich mußte weg. Ich mußte 'raus hier. Verzweiflung stieg in mir auf. Steif, wie eine Holzpuppe an Fäden, stolperte ich hinter McCloss
her, der mit großen Schritten über den dunklen Exerzierplatz ging. Am Ostrand des Platzes, unweit des Schießstandes der Infantrie, standen die beiden Wagen der Büffeljäger. McCloss' Männer hatte sich längst dort eingefunden und auf dem nackten Boden ihr Lager bereitet. Eine trübe Stallaterne brannte. In ihrem Schein hockten die Männer zusammen und pokerten. Als wir kamen, schauten sie auf. Ein Hüne namens Obermann, der während des ganzen Weges zum Fort nur von deutschem Bier geredet hatte, blickte mich an. »Der rothaarige Soldat mußte ins Lazarett, um sich versorgen zu lassen.« Ich sagte nichts. Leid tat mir der Bursche nicht. Und jetzt war sowieso schon alles egal. »Das Bürschchen ist ganz schön abgebrüht«, sagte ein anderer Büffeljäger. »Der Junge hat viel erlebt. Wochenlang unter diesen Rothäuten …« Mc Closs schaute sich um. »Haben wir noch eine Decke für ihn?« »Nein.« Die Jäger wandten sich wieder ihren Karten zu. McCloss überlegte einen Moment. »Komm«, sagte er. Ich folgte ihm widerspruchslos. Wir gingen zur Magazinverwaltung des Forts hinüber. Dort brannte noch Licht. »Mal sehen, ob ich dir da noch ein paar Decken besorgen kann«, sagte McCloss. »Sonst mußt du auf den Büffelhäuten auf unseren Wagen schlafen. Für eine Nacht müßte das schon gehen.« Wir erreichten das Gebäude. McCloss stieg die Treppe zur Tür hinauf. »Warte hier«, sagte er über die Schulter. »Wenn die Soldaten da drinnen dich sehen, geben sie uns womöglich keine Decken.« Ich verstand. Ich blieb stehen. Es war mir ohnehin egal, ob ich in dieser Nacht auf einer Decke schlief oder nicht. Ich wollte von diesen Mördern meiner Brüder weg, nur weg. Ich fühlte mich leer und ausgebrannt. Das ganze Leben erschien mir in diesem Augenblick sinnlos. McCloss verschwand in der Magazinverwaltung. Ich setzte mich
auf den Vorbau. Mir war klar, daß ich nicht viel länger den entflohenen Gefangenen der Indianer spielen konnte, den glücklich Geretteten, der sich womöglich auch noch freute, daß die Apachen ausgerottet wurden. Das alles ging über meine Kraft. Ich war nicht dazu geschaffen, anderen etwas vorzuspielen. Lieber wollte ich mich totschlagen lassen, was ohnehin die beste Lösung zu sein schien, nachdem Little Friend und die anderen bestimmt auch schon tot waren. Ich war in Gedanken versunken, so hörte ich die Schritte nicht. Erst als ein Schatten auf mich fiel, hob ich den Kopf. »Ich habe gewartet.« Der rothaarige Soldat stand vor mir. Er war kaum wiederzuerkennen. Sein Gesicht war schwer gezeichnet von meinen Schlägen. Das rechte Auge war fast zugeschwollen. Über dem Linken klebte ein Pflaster, an seinem linken Mundwinkel auch. »Ich habe gewartet, bis du die Kommandantur verlassen hast«, sagte er. »Ich habe schon geglaubt, daß ich dich überhaupt nicht mehr allein zu fassen kriege, so umhätschelt wirst du.« Ich schaute ihm mitten ins Gesicht.. »Wir sind allein«, sagte ich. Noch immer fühlte ich mich leer, müde und kraftlos. Mir war alles gleichgültig. »Ja«, sagte er. »Wir sind allein.« Befriedigung schwang in seiner Stimme mit. »Du kannst allen vorerzählen, daß du von den Apachen geflohen bist. Aber für mich bist du ein Wilder.« Ich schwieg. »Du hast mich geschlagen«, sagte er. »Ich lasse mich doch nicht von einem dreckigen Apachen schlagen, auch nicht, wenn er blondes Haar hat.« Ich schwieg noch immer. Ich sah, daß er die rechte Hand in den Falten des langen Armeemantels verborgen hielt, den er sich übergezogen hatte. Da er seine Schildmütze trug, die den oberen Teil seines Gesichts etwas beschattete, konnte ich das plötzliche Aufblitzen in seinen Augen nicht sehen. Aber ich ahnte rein instinktiv, daß er etwas vorhatte. Da zuckte seine Rechte unter dem Mantel hervor. Im trüben Schein der Vorbaulaterne blinkte eine Messerklinge. Der junge Soldat führte den Stich schnell und präzise. Ich hätte
keine Chance gehabt, wäre ich nicht bei den Apachen zum Kämpfen erzogen worden, so daß mir die ständige Todesgefahr längst in Fleisch und Blut übergegangen wäre. Ich federte von dem Vorbau der Magazinverwaltung hoch und konnte mich gerade noch zur Seite werfen. Der Stich ging fehl. Der rothaarige Soldat wirbelte herum. Er sagte kein Wort. Aber ich wußte, daß er wild entschlossen war, mich zu töten. Wir befanden uns jetzt außerhalb des Lichtkreises der Petroleumlampe. Kein Mensch konnte uns sehen, und selbst wenn jemand in unserer Nähe gewesen wäre, er hätte kaum auf uns geachtet. Wir kämpften schweigend und verbissen, ohne Aufsehen zu erregen. Wieder stach er zu. Ich wich aus und riß mein rechtes Bein hoch. Der Tritt traf den Soldaten in den Leib. Er krümmte sich zusammen. Sofort war ich heran und schlug mit beiden Fäusten auf seinen Kopf. Er verlor seine Mütze und fiel stöhnend zu Boden. Das Messer hielt er jedoch weiter krampfhaft fest. Ich ließ ihn nicht mehr hochkommen. Als er versuchte, sich aufzurichten, warf ich mich auf ihn. Er kämpfte nicht einmal schlecht. Er hatte gegen mich keine Chance, aber er verteidigte sich geschickt, und er war kräftig. Ich schlug ihm rechts und links ins Gesicht. Blut rann aus seinen Mundwinkeln und aus seiner Nase. Er versuchte weiter, mich mit dem Messer zu erwischen. Ich konnte seine Rechte abfangen. Ich umspannte mit aller Kraft sein Handgelenk und versuchte, es zur Seite zu drücken. Aber er ließ nicht locker. Sein Gesicht war verzerrt vor Anstrengung. Ich faßte mit beiden Händen zu. Dadurch wurde seine Linke frei, mit der er versuchte, mir die Luft abzudrücken. Es gelang ihm tatsächlich. Ich rang nach Atem. Mir war klar, daß ich den Kampf schnell beenden mußte. Der alte Haß flammte wieder in mir hoch. Die Resignation über die vermeintliche Vernichtung des Apachenlagers, über den Tod Little Friends, fiel jäh von mir ab. Wilder Zorn packte mich. Mit aller Kraft warf ich mich auf die messerbewehrte Hand des Soldaten. Sie knickte nach unten. Ein röchelnder Schrei löste sich von
seinen Lippen. Dann wurde sein Körper unter mir schlaff. Der Kopf sackte zur Seite, die Augen waren weit aufgerissen. Das Messer steckte in der Brust des rothaarigen Burschen. Seine Rechte hielt noch immer den Griff umklammert. Ich richtete mich auf. Das hatte ich nicht gewollt, aber ich bereute nichts. Der Bursche war das Risiko selbst eingegangen. Gleichzeitig sagte ich mir, daß ich jetzt keine Minute länger mehr hierbleiben durfte. Ich schaute mich um. Noch hatte niemand bemerkt, was geschehen war. Tintenschwarz lag die Nacht auf dem Exerzierplatz. Hinter den Fenster der Quartiere und Baracken ging jetzt das Licht aus. Am Tor blies der Trompeter den Zapfenstreich. Die Tür der Magazinverwaltung öffnete sich. Da handelte ich. Ich bückte mich und zerrte den Mantel des rothaarigen Soldaten auseinander. Ich riß den schweren Revolver aus der Halfter, drehte mich um und hastete davon. Mit großen Schritten lief ich auf die Palisade zu. Eine Leiter tauchte vor mir auf, die auf den Umlauf hinaufführte, auf dem die Wachtposten patrouillierten. Ich überlegte nicht lange, sondern nahm gleich zwei Sprossen auf einmal. Der Nachtwind traf kühl mein Gesicht, als ich oben auf der Palisade stand und über die angespitzten Baumstämme, die jetzt aus der Nähe viel umfangreicher und stabiler wirkten, als ich es mir vorgestellt hatte, in die Finsternis spähte. Unter mir gähnte bedrohlich ein Abgrund, der bis in die Hölle zu reichen schien. Beklommen schaute ich hinunter. Da ertönte hinter mir im Fort ein Schrei. Ich wußte, der Tote war entdeckt worden. Jetzt blieb mir keine Wahl mehr. Lieber wollte ich mir den Hals brechen, als mich schnappen lassen. Ich schwang mich über die Palisade. Mit beiden Fäusten hielt ich mich an der Oberkante fest und ließ mich langsam hinuntergleiten, bis ich mit ausgestreckten Armen an der Außenseite der Palisade hing. Ich schloß die Augen, holte tief Luft und ließ los. Ich spannte alle Muskeln. Einen Sekundenbruchteil später prallte ich am Boden auf. Ich ging sofort in die Knie und ließ mich nach hinten fallen. Die Wucht des Aufpralls warf mich hart mit dem Rücken auf die Erde. Ich fühlte ein scharfes Stechen in den
Fußgelenken. Als ich mich aufrichtete, verstärkte es sich noch. Ich befürchtete im ersten Moment, mir etwas gebrochen zu haben. Doch offenbar war das nicht der Fall. Ich hatte Glück gehabt. Vermutlich hatte ich mir nur eine leichte Prellung zugezogen. Ich schaute an der Palisade hoch und sah einen Wachtposten mit einer Laterne herumrennen. Es wurde Zeit, daß ich mich verdrückte. Ich drehte mich um und rannte in die Dunkelheit. Jeder Schritt tat mir weh. Aber ich hielt nicht an. Hinter mir krachte ein Schuß und dann noch einer. Die Kugeln kamen nicht mal in meine Nähe. Die Finsternis war fast vollkommen. Das war meine Chance. Ich lief über die sorgfältig gerodete Ebene vor der Festung. Der Weg schien unendlich lang zu sein. Noch immer schmerzten meine Fußgelenke. Ich glaubte, es nicht zu schaffen. Dann endlich tauchte Grasland vor mir auf. Hügel buckelten sich, Buschinseln erhoben sich wie massige schwarze Tiere in der Nacht. Hinter mir hörte ich Hufschlag. Ich vergaß meine schmerzenden Fußgelenke. Ich stürmte durch das hohe Gras und warf mich blindlings in die ersten Sträucher, die vor mir auftauchten. Zweige peitschten mir ins Gesicht. Dornen schrammten über meinen Oberkörper. Ich kroch auf allen vieren tiefer in das Buschwerk. Mit dem Kopf rammte ich gegen den Stamm eines Baumes, den ich in der Finsternis nicht gesehen hatte. Es tat verflucht weh. Fast hätte ich geschrien. Dann lag ich still. Ich streckte mich lang am Boden aus. Auf dem Bauch liegend wartete ich ab. Ich preßte mein rechtes Ohr an den Boden und lauschte. Hufschlag näherte sich. Das dumpfe, hämmernde Geräusch pflanzte sich im Boden fort. Ich schätzte, daß es vier oder fünf Reiter waren, die ich hörte. Mehr sicher nicht. Lange lag ich reglos da, sehr lange. Mir wurde heiß. Der Schweiß rann mir in dichten Bahnen über das Gesicht. Ich rührte mich nicht, nicht einmal, um den Schweiß abzuwischen. Wind kam auf Sachte raschelte es in den Zweigen. Ganz nahe bei mir hielten die Reiter plötzlich an. Ich hörte ihre Stimmen. »Wir finden ihn doch nicht«, hörte ich einen sagen. »Es ist viel zu dunkel. Da können wir auch eine Nadel in einem Heuhaufen
suchen.« »Dieser gottverdammte Bastard«, sagte eine andere Stimme. »Ich sag's ja immer: Alles, was nach Apachen aussieht, sofort abknallen. Und dann erst Fragen stellen. Das ist das gesündeste.« »Ein wahres Wort.« »Wer einmal bei den Apachen war, ist verdorben«, sagte die erste Stimme wieder. »Wenn ein weißer Junge von Indianern entführt wird, kann man ihn abschreiben. Nach ein paar Wochen ist er ein Wilder und bringt seine eigenen Eltern um. Ich hab's erlebt.« »Reiten wir noch ein Stück weiter«, sagte ein anderer Mann, »dann kehren wir um und melden, daß wir nichts gefunden haben. Wir können bei Tage ja noch mal versuchen, die Spur aufzunehmen. Er ist zu Fuß. Er kommt nicht weit. Wenn wir gleich bei Sonnenaufgang aufbrechen, kriegen wir ihn. Jetzt ist die ganze Sache ja doch sinnlos.« Die Stimmen entfernten sich. Ich atmete auf und ließ mein Gesicht auf den Boden sinken. Der würzige Geruch der fetten, schwarzen Erde stieg in meine Nase. Er war erfüllt von Wildheit, Leben und Kraft. Der Boden war angenehm kühl. Ich drückte die Stirn ganz fest gegen die Erde. Schließlich setzte ich mich auf. Lehmklümpchen bröckelten aus den verfilzten Strähnen meines Haares. Eine Zeitlang hockte ich nur so da, blickte ins Leere und dachte darüber nach, was ich jetzt tun sollte. Wohin sollte ich mich eigentlich wenden? Nach allem, was Colonel Reynolds gesagt hatte, gab es für mich kaum noch eine Hoffnung, daß ich meine Stammesbrüder wiedersehen würde. Immer wieder mußte ich an Little Friend denken, immer wieder stand mir sein Bild vor Augen. Und dann dachte ich an den Braunen, meinen Hengst. Vermutlich hatten die Soldaten ihn genauso erbeutet wie die anderen Pferde der Apachen. Einmal, für ein paar Sekunden, stellte ich mir vor, daß die Apachen den Angriff der Armee überstanden, daß sie in dem Kampf gesiegt hatten. Dann schob ich diese Gedanken als leere Illusion beiseite. Nach allem, was in den letzten Wochen geschehen war, glaubte ich nicht mehr an einen Sieg der Apachen. Ich erhob mich. Um mich herum war nur noch die Nacht, die
undurchdringliche Dunkelheit, die mächtige Stille. Ich hatte mich entschieden. Egal, was passiert war, ich würde nach Süden gehen. Ich würde zurückkehren zu den Kinney-Mountains und das Tal suchen, in dem das Lager der Apachen gewesen war. Ich gehörte zu ihnen. Wenn sie tot waren, würde ich mich weiter durchschlagen bis nach Mexiko, um wieder Anschluß an einen Stamm zu finden. Ich verließ mein Versteck und machte mich auf den Weg. In meinem Gürtel hatte ich schräg vor dem Leib den schweren Dragoon-Revolver des rothaarigen Soldaten stecken. Das war meine einzige Waffe. Südwärts wanderte ich durch die Nacht. Ich erwartete das Schlimmste. Ich verfluchte mein Schicksal, mein ganzes Leben, sogar die Tatsache meiner Geburt. Ich hatte das Gefühl, zur Heimatlosigkeit verdammt zu sein. * Die Sonne ging auf. Ich war todmüde. Der Tag versprach heiß zu werden. Als eine Baumgruppe vor mir auftauchte, hielt ich an und ließ mich erschöpft zu Boden sinken. Im Osten stand die Sonne wie ein feuerspeiender, weißglühender Stahlkern. Ein paar Frühnebelfelder lösten sich auf und schwebten wie ein eisiger Hauch über den brennenden Horizont. Ich hatte das Bedürfnis, zu schlafen, lange zu schlafen. Aber ich durfte nicht. Ich war noch lange nicht in Sicherheit. Die Augen fielen mir immer wieder zu. Bald hatte ich keine Kraft mehr, sie offenzuhalten. Ich schlief ein. Als ich erwachte, mußten Stunden vergangen sein. Die Sonne stand hoch. Es war mörderisch heiß, wie ich es erwartet hatte. Meine Kehle war trocken. Meine Mundhöhle schien sich entzündet zu haben. In meinen Eingeweiden wühlte der Hunger. Noch etwas benommen taumelte ich auf die Beine. Wo ich Wasser finden sollte, wo etwas Eßbares, war mir schleierhaft. Außerdem rechnete ich damit, daß bereits Verfolger auf meiner Spur ritten. Obwohl meine Muskeln und Sehnen schmerzten wie nach einem Tausend-Meilen-Marsch, kletterte ich auf den Baum, unter dem ich
geschlafen hatte. Ein Ast brach unter meinen Füßen. Ich rutschte ab. Mein Oberkörper schrammte an der rauhen Rinde entlang. Die Haut platzte auf. Es brannte ein bißchen, und etwas Blut quoll aus den Kratzern. Einen Moment hing ich hilflos zwischen Himmel und Erde an einem Ast, der mir plötzlich auch nicht mehr sehr zuverlässig erschien. Ich sammelte alle Kräfte und machte einen Klimmzug. Meine Füße fanden wieder Halt. Ich kletterte weiter und hockte mich schließlich erschöpft auf einen schenkelstarken Ast, vielleicht fünfzehn Fuß über dem Boden. Ich spähte über das Land. Die Sonne brannte mir ins Gesicht. Ich legte die flache Rechte über die Augen und suchte die Ebene ab. Das Land war leer und einsam. Das hohe Steppengras wiegte sich leicht im sanften Wind. Über einem Waldgürtel weit im Osten kreiste ein Prärieadler. Kein Mensch war zu sehen, keine Verfolger. Ich wartete noch einen Moment und stieg dann wieder hinunter. Ohne lange zu überlegen, begann ich wieder zu laufen, immer nach Süden. Ich lief nach Art der Wölfe, in gleichmäßigem Tempo, abwechselnd das Gewicht auf das linke und das rechte Bein verlagernd. Der Durst wurde immer brennender, der Hunger immer wütender. Ich hoffte, irgendwann auf eine Wasserstelle zu stoßen und im Laufe des Tages noch etwas Eßbares zu finden. Aber meine Hoffnung schmolz von Schritt zu Schritt wie Schnee in der Sonne. Es wurde Mittag. Meine Beine waren schwer wie Blei. Ich kriegte die Füße kaum noch hoch. Meine Zunge schien dick zu sein wie ein Ballon. In meinen Schläfen hämmerte das Blut. Ich bekam kaum Luft. Wie im Fieber torkelte ich dahin. Vor meinen Augen drehte sich alles. Ich taumelte eine Erhebung hoch, stürzte, als ich oben war, und rollte kraftlos einen Hang hinunter, der steinig war, hart und zerwühlt. Ich blieb liegen, während die Sonne gnadenlos auf meinen ungeschützten Kopf brannte. Aber so erschöpft, daß meine Sinne völlig ausgeschaltet gewesen wären, war ich doch nicht. Ein schwacher Geruch stieg mir in die Nase, frisch und feucht. Ich hob den Kopf. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Ich atmete tief durch und stemmte den Oberkörper mit beiden
Fäusten hoch. Es war kaum zu glauben: Ich lag nur wenige Schritte von einem Wasserloch entfernt. Die Wasserfläche glitzerte hell im Sonnenlicht. Ich glaubte, eine Luftspiegelung zu sehen. Aber der Geruch war echt. Manche meinen, Wasser riecht nicht. Die haben noch nie Durst gehabt. Richtigen Durst meine ich. Wenn man halb verdurstet ist, riecht Wasser so stark und so gut wie Rosenblütenparfüm. Ich kroch auf dem Bauch zum Rand des Tümpels. Als ich ihn erreicht hatte, verließ mich meine Kraft. Mein Oberkörper plumpste einfach nach vorn. Mit dem Gesicht fiel ich ins Wasser. Es spritzte hoch auf und netzte meinen Oberkörper. Ich trank und wälzte mich auf die Seite, um nicht zu ersaufen. Es war angenehm, das Wasser auf der Haut zu spüren. Mit geschlossenen Augen blieb ich liegen, den Hinterkopf im Wasser. Langsam ließ ich die ersten Schlucke durch meine wunde, geschwollene Kehle rinnen. Es war ein unvergleichlicher Genuß. Schließlich drehte ich mich um und trank. Obwohl die Gier in mir groß war, beherrschte ich mich und trank nur mit kleinen Schlucken, bis der größte Durst gestillt war. Dann kroch ich ein Stück vom Wasser weg und streckte mich lang aus. Ich glaubte, mich noch nie im Leben so wohl gefühlt zu haben. Ich dachte nicht an Verfolger. Ich lag nur da, entspannte meine schweren Glieder und trank ab und zu, bis ich überzeugt war, nicht einen Tropfen Flüssigkeit mehr in mich hineinzukriegen. Ich ging die von Tierspuren gezeichnete Böschung hinauf, die ich vorhin hinuntergerollt war. Oben schaute ich mich um. Aber noch immer dehnte sich das Land leer und einsam zu den Horizonten. Ich war froh darüber, verstand es jedoch nicht ganz. Immerhin hatte ich einen Soldaten getötet, wenn auch in Notwehr. Aber das galt nicht bei einem Indianer, und ich war ein Indianer. Doch wäre ich verfolgt worden, hätte ich die Reiter längst sehen müssen. So schwer war meine Fährte nicht zu verfolgen, und ich war zu Fuß unterwegs und gelangte nicht schnell voran. Die Sonne stand jetzt bereits weit westlich vom Zenit. Ich machte mich auf, um weiterzugehen. Die Kinney-Berge sah ich vor mir, fast zum Greifen nahe, und doch so weit entfernt. Über ihren Gipfeln
flimmerte die Hitze, so daß sie verschwammen und zu konturenlosen Flecken vor dem blauen Himmel wurden. Dort irgendwo, am Fuße der Berge, mußte sich – das war meine feste Überzeugung – eine Tragödie abgespielt haben. Bald würde ich es wissen. Ich kämpfte ein Ekelgefühl nieder, während ich durch das Grasland lief.
8. Die Antilope hatte Pech. Sie konnte nicht so schnell laufen wie ihre Gefährten. Daher traf meine Kugel. Ich hatte das kleine Rudel am Rande eines Wäldchens entdeckt. Die Antilopen standen günstig. Ich hatte den Wind gegen mich, so daß sie mich nicht wittern konnten. Ich konnte mich anschleichen. Und dann hörten sie mich doch. Ich trat auf einen trockenen Ast, der knirschend zersprang. Fast gleichzeitig hetzten die Antilopen davon. Ich feuerte mit dem Dragoon-Revolver und traf eins der Tiere. Es fiel sofort um. Ich ließ den Revolver fallen. Mit der Linken rieb ich mein rechtes Handgelenk, das vom Rückschlag der schweren Waffe schmerzte. Ich hob den Colt schließlich wieder auf und ging zu der Antilope hinüber. Das mächtige Geschoß hatte sie auf der Stelle getötet. Der Hunger in mir war groß. Aber als ich neben dem Tier auf die Knie fiel, als ich zu meinem Gürtel griff, wurde mir erst bewußt, daß ich mein Messer nicht mehr hatte. Fast hätte ich aufgeschrien vor Verzweiflung. Dann aber warf ich mich über die große Schußwunde und trank das warme Blut, das herausströmte. Der Hunger überwand meinen Ekel. Ich stillte ihn mit dem Blut. Gestärkt richtete ich mich auf. Die Sonne stand wie eine verglühende Fackel am Himmel, der sich wie eine gewaltige Kuppel aus handgeschmiedetem Kupfer über dem Land wölbte. Mir war klar, daß ich an diesem Tag nicht mehr weit kommen würde. Der Waldrand war nicht schlecht zum Rasten. Er bot Deckung, war windgeschützt, und der Boden war mit weichem Moos bedeckt.
Solange das Tageslicht noch etwas Kraft hatte, baute ich mir ein Lager aus Laub und Tannenzweigen unter einem dichten PinyonStrauch. Als es Nacht wurde, hatte ich mich längst ausgestreckt. Ich versank rasch in einen tiefen, traumlosen Schlaf. * Hufschlag weckte mich. Ich schlug die Augen auf und blieb still liegen. Ich war hellwach. Meine Sinne waren gespannt. Die Nacht war sternenklar. Es herrschte fast völlige Windstille. Jedes Geräusch war meilenweit zu hören. Ich wartete ab. Der Hufschlag wurde lauter. Einen Moment überlegte ich mir, ob ich aufstehen und in den Wald verschwinden sollte. Dann aber blieb ich liegen. Mein Versteck war gut, und eine übereilte Flucht konnte möglicherweise gefährlicher für mich werden, als wenn ich mich einfach nur still verhielt und die Ruhe bewahrte. Ich dachte an die Antilope, die ich geschossen hatte. Ich hätte sie wegräumen sollen, hätte sie unter Zweigen und Steinen verstecken sollen. Jetzt war es zu spät dazu. Ich verfluchte mich innerlich dafür. Der Hufschlag entfernte sich für einen Moment, ertönte dann aber wieder etwas lauter. Plötzlich tauchten Schatten aus der Nacht auf. Drei Männer. Sie lenkten ihre Pferde auf den Wald zu. Langsam schälten sich ihre Konturen aus der Finsternis. Sie trugen flache Schildmützen und Gewehrriemen quer über die Brust. An den Sätteln baumelten schwere Revolverhalfter. Es waren Soldaten. Sie schienen nach irgend etwas zu suchen. Ich konnte in diesem Moment nur annehmen, daß sie hinter mir her waren. Aber sie kamen von Südwesten. Das irritierte mich etwas. Wenn sie mich im Laufe des Tages überholt hatten, weil sie meine Fährte verloren hatten, hätte ich sie sehen müssen. Noch immer lag ich reglos. Die Dunkelheit und das dichte Unterholz verbargen mich völlig. Ich konnte jede Bewegung der Soldaten beobachten. Als sie sich näherten, sah ich, daß einer einen breiten Verband um den rechten Oberarm trug. Einem anderen war die Uniformbluse
aufgerissen. Das wunderte mich. Die Männer sahen aus, als hätten sie einen harten Kampf hinter sich. Sie konnten nicht aus dem Fort kommen. Mit fielen plötzlich die Kompanien ein, die ausgeritten waren, um das Apachenlager am Fuße der Kinney Mountains auszuheben. Vielleicht gehörten die Soldaten zu diesen Einheiten. Ich tastete nach dem Dragoon-Revolver, der in meinem Gürtel steckte. »Hier in der Nähe muß der Schuß gefallen sein«, hörte ich eine Stimme auf einmal sagen. Es lief mir kalt den Rücken hinunter. Die Soldaten suchten wirklich nach mir, auch wenn sie anscheinend nicht wußten, wen genau sie vor sich hatten. Sie hatten meinen Schuß gehört, mit dem ich am Abend die Antilope getötet hatte. Und jetzt suchten sie den, der den Schuß abgefeuert hatte. Sie würden die Antilope finden. Sie würden wissen, daß der Schütze nicht weit sein konnte. Ich hatte wieder einen Fehler begangen. Ich hätte doch mein Versteck verlassen und mich tiefer in den Wald zurückziehen sollen. Da wäre ich jetzt sicher gewesen. Aber ich war nun einmal nicht abgehauen, und jetzt konnte ich es schlecht tun. Ich brauchte gar nicht weiter zu denken. Sie fanden die Antilope. Sie fanden sie, noch bevor ich zu Ende gedacht hatte. »Seht euch das an«, hörte ich einen von ihnen sagen. Dann sprangen sie auch schon aus den Sätteln und standen um die tote Antilope herum, als sähen sie in diesem Moment so etwas zum erstenmal. Meine rechte Faust krampfte sich jetzt fest um den Griff des Dragoon-Colts. Ich zog ihn langsam aus dem Gürtel. Ich mußte vorsichtig sein mit meinen Bewegungen. Es regte sich kein Lüftchen. So konnte das Rascheln eines Zweiges bereits die Soldaten auf mich hinweisen. »Die ist noch gar nicht richtig kalt«, sagte eine knarrende Stimme. »Das war der Schuß, den wir gehört haben, das kommt mit der Zeit genau hin.« »Die Spuren sind noch ziemlich frisch.« Ein anderer kniete im
Gras und betastete die niedergetretenen Halme. »Wer hier auch gewesen ist, er muß noch in der Nähe sein.« »Ich verstehe nicht, wie man eine Antilope abknallen und sie dann einfach liegenlassen kann«, sagte der mit der knarrenden Stimme wieder. »Trotzdem, mir sieht das alles hier nach Rothäuten aus.« »Sie können uns nicht überholt haben«, sagte der dritte jetzt. »Wir haben einen Vorsprung.« »Woher weißt du das?« sagte der mit der knarrenden Stimme wieder. »Bei diesen verdammten Apachen ist alles möglich.« »Die Fährte ist ja noch ganz frisch«, sagte der zweite. »Am besten, wir folgen ihr, soweit das in der Nacht möglich ist.« Er zog seinen Revolver. Jetzt wurde es Zeit für mich, etwas zu tun. Ich hatte lange genug ganz still unter dem Pinyon-Busch gelegen. Ich spannte alle Muskeln und legte den Daumen meiner Rechten auf den Hammer des Revolvers. Wenn die Soldaten der Spur im Gras folgten, würden sie unweigerlich auf mich stoßen. Ich beobachtete den Mann genau, der tief gebückt durch das Gras ging. Er tastete manchmal sogar mit den Fingerspitzen den Boden ab. Ich hielt den Atem an. Noch zwei Schritte, dachte ich, wenn er noch zwei Schritte weitergeht, muß ich weg. Ich hob den Colt. Sollte ich den Mann niederschießen? Ich ließ die Waffe wieder sinken. Das wäre kaltblütiger Mord gewesen. Ich hatte zwar keinerlei Grund, irgendwelche Rücksichten walten zu lassen: Ich hatte gesehen, wie Soldaten Indianer abschlachteten. Aber mir widerstrebte es, einen Menschen hinterrücks abzuknallen. Ich hatte schon oft getötet, mehr, als für einen Dreizehnjährigen gut war. Aber jedesmal hatte ich im Kampf getötet. Das hier war etwas anderes. Noch einen Schritt … Ich sprang urplötzlich auf und warf mich herum. Mit wenigen Schritten war ich in der Dunkelheit des Waldes verschwunden. Krachend barst trockenes Holz unter meinen Mokassins. Ich wich tiefhängenden Ästen aus und hatte das unwahrscheinliche Glück, einem Baum, der unvermittelt aus der Finsternis vor mir auftauchte,
noch ausweichen zu können. Hinter mir hörte ich das Fluchen der Soldaten. Sie hatten sich erheblich erschrocken, und sofort, als ich aufgesprungen war, hatten sie sich ins Gras fallen lassen. Jetzt ballerten sie blindlings in den Wald. Die Kugeln gefährdeten mich nicht. Darüber machte ich mir keine Sorgen. Viel mehr beschäftigte mich die Tatsache, daß die Soldaten mich jagen würden. Sie waren offenbar nicht sicher, ob weitere Apachenbanden in der Nähe waren. Sie mußten wissen, ob ich allein war oder mich mit anderen Kriegern hier aufhielt. Mir erschien das alles etwas seltsam. Das ganze Benehmen der Soldaten, ihre Unterhaltung, schon, als sie die Antilope gefunden hatten, hatte mich irritiert. So sprachen keine Sieger, so sprachen nicht Männer, die gerade ein großes Apachenlager vernichtet hatten, wobei die mächtigsten Apachenführer das Zeitliche gesegnet hatten. Irgend etwas stimmte da nicht. Ob der Angriff fehlgeschlagen war? Ich wagte gar nicht, daran zu denken, denn ich hielt das für eine leere Hoffnung. Die Stimmen der Soldaten waren hinter mir verstummt. Ich blieb stehen, um Atem zu schöpfen. Was sollte nun werden? Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich gerade befand. Ich wußte nicht, wie ich jemals wieder aus dem Wald herausfinden sollte. Irgendwie fühlte ich mich zwischen den dicht stehenden Bäumen gefangen. Ich lehnte mich gegen einen Stamm und überlegte, was ich tun sollte. Ich hätte mich einfach niederlassen und auf dem Waldboden den Rest der Nacht verbringen können. Aber die Soldaten suchten mich. Zwar war die Gefahr, daß sie mich finden würden, nicht sehr groß. Aber ich wollte es nicht auf einen verrückten Zufall ankommen lassen. So lief ich weiter. Ich irrte zwischen den Bäumen herum. Ziellos. Ich fühlte mich ziemlich beschissen. Noch immer hielt ich den schweren DragoonRevolver in der Rechten. Irgendwann schob ich ihn zurück hinter den Gürtel. Ich verlor jeden Sinn für Zeit und Entfernung. Je länger ich unterwegs war, je müder wurde ich. Das Weiterlaufen fiel mir immer
schwerer. Die Stille um mich herum zermürbte mich. Als sich das Unterholz vor mir lichtete und ich erschöpft auf eine kleine Lichtung hinaustaumelte, verließ mich meine Kraft. Ich sackte neben einem umgestürzten, halbvermoderten Baumstamm ins Gras. Ein Vogel flatterte erschreckt aus einem nahen Gesträuch auf. Dann wurde es wieder still. Mir fielen fast die Augen zu. Aber ich kämpfte gegen den Schlaf an und lauschte in die Finsternis, bereit, sofort aufzuspringen und weiterzufliehen, wenn es nötig sein sollte. Es erwies sich als nicht nötig. Ich schlief doch noch ein und sank in das würzig duftende Gras der Lichtung. * Als die Sonne aufging, aß ich von den wilden Beeren, die überall auf der Lichtung wucherten. Ich stillte damit meinen ersten Hunger und auch meinen Durst. Die Morgennebel lösten sich auf. Ich war bereits wieder unterwegs. Es war ein klarer, heller Tag. Immer, wenn sich über mir das Laubdach der Bäume lichtete, konnte ich den Himmel sehen und mich am Stand der Sonne orientieren. So konnte ich wenigstens eine Richtung einhalten, auch wenn ich nicht wußte, ob ich auf diese Weise in ein paar Stunden oder überhaupt nicht den Waldrand erreichen würde. Alles war offen. Mein Schicksal, meine Zukunft waren mehr als ungewiß. Dann plötzlich hatte ich es geschafft. Es war kaum zwei oder drei Stunden nach Sonnenaufgang. Das Unterholz vor mir löste sich nach und nach auf. Durch Büsche und Bäume hindurch schaute ich auf die Ebene hinaus. Erleichtert stolperte ich aus dem Wald. Das hätte ich nicht tun sollen. Die Soldaten, vor denen ich die ganze Nacht davongelaufen war, befanden sich am Waldrand. Sie schienen den ganzen Baumgürtel umritten und den Rand abgesucht zu haben. Eine Methode, die sich als erfolgreich erwiesen hatte. Sie sahen mich auch sofort. Ich war in meiner Freude, aus dem
Dickicht den Weg in die Freiheit gefunden zu haben, zu leichtsinnig gewesen. So nutzte es gar nichts, daß ich versuchte, sofort den Weg zurück in den Wald anzutreten, während die drei Männer triumphierend aufschrien und ihre Pferde los jagten. Sie waren schneller. Diesmal rettete mich nicht die Dunkelheit. Sie waren zu dritt, ich war allein. Das sagte alles. Es gelang mir, einige Yards weit ins Unterholz einzudringen. Dann hatten sie mich. Sie waren aus den Sätteln gesprungen und liefen mir nach. Sie holten mich ein. Ein Corporal mit einem Gesicht wie ein zerklopftes Steak packte mich von hinten an der linken Schulter. Ich riß mich los und zerrte meinen Dragoon-Colt aus dem Gürtel. Zum Schuß kam ich nicht mehr. Ein zweiter Soldat schlug auf meinen rechten Unterarm. Ich hatte plötzlich kein Gefühl mehr in den Fingern und ließ den Revolver fallen. Wenig später war ich gefesselt. »Ein kleiner Apache.« Ich erkannte die knarrende Stimme aus der Nacht sofort wieder. Sie gehörte dem Corporal. Sie paßte zu ihm. »Zur Abwechslung mal einer mit blondem Haar«, sagte ein anderer. Ich schwieg. Meine Blicke wanderten zwischen ihnen hin und her. Sie kannten mich offenbar nicht. Sie kamen nicht aus Fort Clark und wußten nicht, was dort vorgefallen war. Ich schöpfte wieder etwas Hoffnung. Vielleicht hatte ich doch noch eine Chance. »Wie heißt du? Woher kommst du?« Der Corporal hatte sich gebückt. Sein Gesicht war dicht vor meinem. Ich sah, daß ihm die oberen Schneidezähne fehlten. Vermutlich hatte ihn mal ein Pferd getreten. Sein deformiertes Gesicht sprach auch dafür. Ich konnte das Pferd verstehen. »Mach schon dein Maul auf, Kleiner. Wir fackeln nicht lange, wenn wir einen Apachen sehen, auch wenn er eine helle Haut hat.« »Ronco«, sagte ich. »Ich heiße Ronco.« Ich schätzte meine Chancen ab. Sie waren klein, aber nicht völlig aussichtslos. Ich dachte an die Geschichte, die ich den Büffeljägern und den Soldaten im Fort erzählt hatte. Sie war mir geglaubt worden. Warum sollte es hier nicht noch ein mal klappen?
»Ich bin von den Apachen weggelaufen«, sagte ich. Sie blickten mich groß an. »Wann?« »Vor ein paar Tagen«, sagte ich. »Aus einem Lager am Fuße der Kinney-Berge.« Sie tauschten Blicke untereinander. Dann schätzten sie mich ab. Ich war etwas abgemagert in den letzten Tagen und sah reichlich verwildert aus. Es gab keinen Grund, meine Geschichte nicht für glaubwürdig zu halten. »Wo hast du den Revolver her?« Der dritte Soldat, ein schnauzbärtiger Bursche, kaum älter als zwanzig, hob den Dragoon-Colt auf. »Er trägt Armeestempel.« Er musterte mich scharf. »Rede, Junge.« »Es war die einzige Waffe, die ich mitnehmen konnte, als ich geflohen bin«, sagte ich. »Ich habe sie einem Krieger geklaut.« »Warum bist du vor uns weggelaufen?« Der Corporal legte mir die Rechte schwer auf die Schulter. »Du hast gesehen, daß wir Uniformen tragen. Vor uns hättest du nicht fliehen müssen.« »Entschuldigen Sie, Sir.« Es gelang mir sogar, meine Stimme etwas zittern zu lassen, »In der Nacht habe ich nicht erkennen können, daß Sie Soldaten sind. Es war zu dunkel. Und jetzt …« Ich schluckte und senkte den Kopf. Er strich mir über das Haar. »Schon gut.« Er blickte seine Begleiter an. »Der Junge ist völlig durcheinander. Kein Wunder, daß er auch vor uns weggerannt ist. Das muß man sich nur vorstellen, ein weißer Junge unter diesen Wilden.« »Nehmen wir ihn mit ins Fort?« fragte der Schnauzbart. »Wohin sonst?« Der Corporal wandte sich mir wieder zu. »Uns folgen zwei Kompanien Kavallerie. Wir werden auf sie warten und mit ihnen nach Fort Clark reiten. Dort wirst du versorgt.« Ich nickte stumm. Ich wußte nun genau, daß die Soldaten zu jenen gehörten, die auf das Lager von Mangas Coloradas angesetzt gewesen waren. Ich wagte nicht, Fragen zu stellen. Aber alles sprach dafür, daß die Ausrottungsaktion gescheitert war. Doch ich war skeptisch. Bei meinen Erfahrungen war das kein Wunder. Aber selbst, wenn die Soldaten geschlagen worden waren, was bedeutete das schon für mich? Little Friend konnte trotzdem etwas passiert
sein. So wie die Soldaten aussahen, hatte es einen verdammt harten Kampf gegeben. Sicher waren viele Krieger gefallen. Aber auch das bedeutete für mich selbst noch nicht viel. Davon bekam ich meine Freiheit nicht wieder. Wenn die Soldaten mich mit nach Fort Clark nahmen, konnte ich damit rechnen, am Galgen zu landen. Keine rosigen Aussichten. Ich folgte den Soldaten aus dem Wald. Die Sonne stand hoch über uns. Geblendet schloß ich die Augen, als wir aus dem Unterholz traten. Die Soldaten befreiten mich von den Fesseln. Den Revolver erhielt ich nicht zurück. Dann bestiegen sie die Sättel. Ich mußte vor dem Corporal aufsitzen. Sie ritten mit mir nach Südwesten. Ich hatte den Eindruck, daß sie nervös waren. Sie redeten nicht viel während des Ritts, aber sie blieben bei jeder Gelegenheit auf allen möglichen Hügeln stehen und schauten sich um. Aus den kärglichen Sätzen, die sie ab und zu fallen ließen, hörte ich heraus, daß die Armee offenbar völlig geschlagen worden war und von den Apachen verfolgt wurde. Meine Stimmung stieg etwas. Es wurde Mittag. Da schwenkten wir plötzlich nach Norden um. Der Corporal sagte: »Es ist sinnlos, wieder zurückzureiten. Wir könnten genausogut bis zum Abend nach Norden reiten und dann rasten. Die anderen holen uns dann ganz automatisch ein.« Die beiden anderen Soldaten stimmten sofort zu. Offenbar waren sie froh über den Entschluß des Corporals. Die Apachen mußten ihnen mächtig den Schneid abgekauft haben. Aber ihre ständige Wachsamkeit erschwerte es mir, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Ich hatte noch eine Menge Probleme vor mir.
9. Die beiden Wagen standen neben einer Gruppe von Pecan-Bäumen, einer mit Plane, einer ohne. Beide hochbeladen mit Büffelhäuten. Ein Feuer brannte. An einem einfachen, aus starken Ästen zusammengestellten Dreibein, hing ein großer, rußiger Kessel über den Flammen. Die Männer, die sich um das Feuer geschart hatten, kannte ich. Ich hatte kein Glück in diesen Tagen.
Will McCloss richtete sich auf, als die Soldaten neben den Wagen die Pferde zügelten. Ein anderer Büffeljäger erhob sich ebenfalls. Er stützte sich auf seine langläufige Sharps-Rifle und spie auf den Boden, als er mich sah. »Hallo!« Der Corporal tippte an die Schildmütze. »Tag.« McCloss warf mir einen scheelen Blick zu. »Wo habt ihr ihn aufgegriffen?« Das zerschlagene Gesicht des Corporals nahm einen ziemlich dämlichen Ausdruck an. »Hallo, Ronco.« McCloss musterte mich aus kalt glitzernden Augen. »Sie kennen den Jungen, Mister?« »McCloss ist mein Name, Will McCloss.« McCloss wies zu den Büffeljägern hin. »Meine Partner. Ja, Corporal, ich kenne den Jungen. Ziemlich gut sogar, nicht wahr, Ronco?« Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen. Der Corporal glitt aus dem Sattel und blickte zu mir hoch. Seine Augen hatten sich verengt. »Ich denke, du hast uns eine Menge zu sagen.« Ich dachte gar nicht daran und blieb stumm. Ziemlich unsanft holte er mich vom Pferderücken. »Binden Sie ihn nur gut fest, Corporal«, rief einer der Büffeljäger. »Der kann durch Wände gehen.« »Er hat uns gesagt, er sei von den Apachen geflohen«, erklärte der Corporal. »Das hat er uns auch gesagt«, erwiderte McCloss. »Als wir ihn vor zwei Tagen fanden und mit nach Fort Clark nahmen.« »Er hat uns verschwiegen, daß er bereits in Fort Clark gewesen ist«, sagte der Corporal. »Dazu hat er allen Grund.« McCloss trat auf mich zu. »Er hat einen Soldaten erstochen und ist aus dem Fort geflüchtet.« »Er hat …« Der Corporal schaute zu mir herunter. »Vermutlich Notwehr«, sagte McCloss. »Er hatte sich vorher mit dem Burschen geprügelt. Es war ein Rotschopf, anscheinend ein Hitzkopf, der ihm die Prügel heimzahlen wollte. Aber trotzdem, er ist tot.«
McCloss' Rechte umspannte plötzlich mein Kinn wie ein Schraubstock. Er zog meinen Kopf hoch, um mir in die Augen schauen zu können. »Du bist doch gar nicht von den Apachen weggelaufen, wie?« Seine Stimme klang gefährlich sanft. »Das war alles nur ein Trick. Du bist von ihnen als Kundschafter geschickt worden, oder?« Ich schwieg beharrlich. »Das wird sich schon herausstellen«, sagte McCloss. Er wandte sich dem Corporal zu. »Sie nehmen ihn mit?« »Klar. Und wenn er uns belogen hat, kann er was erleben.« Der Corporal wandte sich den beiden anderen Soldaten zu. »Bindet ihm vorsichtshalber wieder die Hände zusammen. Die Füße auch, damit er nicht weglaufen kann. Laufen kann er nämlich gut«, sagte er, jetzt wieder an McCloss gewandt. »Das kann er.« McCloss nickte. »Er kann noch mehr. Er ist von der Palisade gesprungen. Sie wissen ja selbst am besten, wie hoch die ist.« »Der Junge ist ein Apache«, sagte der Büffeljäger, der sich bei unserer Ankunft außer McCloss noch erhoben hatte. »Er kann erzählen, was er will. Apachen rauben selten Jungen, in dem Alter. Sie ziehen jüngere Kinder vor. Die sind anpassungsfähiger. Ich wette, der Junge ist schon ein paar Jahre bei den Rothäuten.« »Vielleicht«, sagte McCloss. »Aber bevor wir keinen Beweis haben, werde ich nur auf Verdacht keinen weißen Jungen abknallen. Wenn sich herausstellt, daß er ein Wilder mit weißer Haut ist, schieße ich ihm selbst eine Kugel durch den Kopf.« Er drehte sich um und beachtete mich nicht weiter. »Kaffee, Corporal?« »Kann nicht schaden, Mr. McCloss.« »Gehören Sie zu den beiden Kompanien, die das Apachenlager ausheben sollten?« »So ist es, Mr. McCloss. Haben Sie es in Fort Clark erfahren?« »Colonel Reynolds sprach darüber. Wie ist es ausgegangen?« Der Corporal senkte müde den Kopf. »Schlecht. Es war zu schlecht vorbereitet. Der Scout, der das Lager entdeckt hatte, wußte nicht, wie viele Krieger sich dort aufhielten. Er hat den Rauch der
Feuer nur von weitem gesehen und sich nicht näher 'rangetraut. Wir waren viel zu wenig Männer. Die Apachen waren uns haushoch überlegen. Außerdem waren sie gut bewaffnet. Sie hatten SharpsHinterlader-Gewehre und dazu die Munition. Wir haben verdammt schlecht ausgesehen.« »Die Schweine, die den Roten die Waffen liefern, sollten lebendig geröstet werden«, sagte McCloss. Der Corporal nickte. Er setzte sich ans Feuer und hielt einen Blechbecher, der mit dampfendem Kaffee gefüllt war. Ich wurde von den beiden anderen Soldaten zu einem der Bäume gezerrt und mußte mich hier ins Gras setzen. Meine Hände und Füße wurden gefesselt. Dann überließ man mich mir selbst. Ich hatte Zeit genug, über meine miese Lage nachzudenken. Ausgerechnet McCloss und die Jäger mußten wir treffen. Das Land war so groß, so gewaltig und weit. Hunderte von Jagdgesellschaften, die scharf auf Büffelhäute waren, zogen durch die Prärie. Aber gerade auf McCloss mußten wir stoßen. Ich gab mich keinen Illusionen hin. Viel hatte ich nicht mehr zu erwarten. Meine Tage auf dieser Erde waren gezählt. * Die Sonne stand tief im Westen. Da tauchte die Kavallerie auf. Ein jämmerlicher Haufen. Es waren keine Kompaniefähnchen und auch sonst keine Flaggen zu sehen. Die Männer ritten nicht in Formation. Wenigstens die Hälfte der Truppe war verletzt. Einige wenige schwer, die meisten leicht. Der Gestank nach Pulverdampf, Eiter, Blut und Tod zog ihnen voraus. Sie waren unausgeschlafen, erschöpft, die Pferde abgehetzt und abgetrieben. Das Feuer lockte sie an. Sie zogen über die Ebene und hielten neben den Wagen der Büffeljäger an. Ein Captain stieg als erster aus dem Sattel. Er war untersetzt, breitschultrig und hatte einen silbergrauen Kinnbart. Seine Uniform war mit Pulverflecken und Blut bedeckt. Mit schwerfälligen Schritten trat er auf McCloss zu, der ihn begrüßte.
»Captain Tanner, Sir«, sagte er. »Wir haben den Rauch Ihres Feuers gesehen.« »Es war richtig, daß Sie gekommen sind, Captain. Drei Ihrer Leute haben sich schon vor ein paar Stunden hier eingefunden.« Der Corporal trat vor und salutierte flüchtig. »Corporal Steward und zwei Privates, Sir. Vor uns sind keine Indianer. Das Land ist frei. Wir haben einen Jungen aufgegriffen, weiß, aber gekleidet wie ein Apache. Er nennt sich Ronco und hat behauptet, vor den Apachen auf der Flucht zu sein. Offenbar lügt er, Sir.« Der Captain schaute zu mir herüber. »Er lügt? Nun, wir werden uns später mit ihm befassen. In Ordnung, Corporal.« Er wandte sich wieder an McCloss. »Ich bitte Sie, Sir, mit meinen Leuten einige Stunden hier rasten zu dürfen. Wir wollen noch in der Nacht weiterreiten. Die Apachen sind dicht hinter uns. Wir sind nicht in der Verfassung, uns erfolgreich mit ihnen auseinanderzusetzen, wie Sie sehen.« »Sie sind unsere Gäste, Captain.« McCloss schüttelte dem Offizier die Hand. »Wir haben genügend Büffelfleisch, um auch Sie zu versorgen.« »Das ist sehr liebenswürdig, Mr. McCloss.« Der Captain trat ans Feuer. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Gentlemen, dann brechen auch Sie noch in der Nacht das Lager ab. Die Apachen werden mit Sicherheit bald hier sein. Sie werden niemanden schonen, der eine weiße Haut hat. Sie sind in einem wahren Blutrausch. Vierzig meiner Männer sind gefallen.« »Vielleicht ist das das beste«, sagte McCloss. »Die Regierung sollte eingreifen und etwas tun, damit man sich endlich sicher fühlen kann in diesem Land.« »Die Armee tut, was sie kann, Mr. McCloss.« Der Captain schnitt ein unglückliches Gesicht. Er wandte sich ab und rief einem Sergesant einen Befehl zu. Der Mann brüllte mit Stentorstimme: »Absitzen!« »Ich sage nichts gegen die Armee, Captain.« McCloss setzte sich wieder ans Feuer. Die Büffeljäger rückten zusammen, um den Offizieren, die von der Truppe herüberkamen, Platz zu machen. »Die
Armee tut ihr bestes, da bin ich sicher. Aber sie wird allein gelassen von der Regierung. Wäre es anders, könnte das ganze Indianerproblem schon gelöst sein. Das ist meine Meinung.« »Das ist sicher nicht falsch, Mr. McCloss.« Der Captain griff dankbar nach dem Kaffeebecher, der ihm gereicht wurde. »Wenn es uns gelänge, den illegalen Indianerhandel zu unterbinden, wäre auch schon viel gewonnen. Aber diese Halunken, die den Apachen die neuen Waffen verkaufen, verstehen es immer wieder, unterzutauchen.« Ich hörte, was sie redeten, aber ich achtete schon bald nicht mehr darauf. Es war immer die gleiche Leier. Es ging um die wilden, blutrünstigen Indianer. Von ihren eigenen Untaten sprachen sie nicht. Mit gesenktem Kopf hockte ich unter einem Pecan-Baum. Viel Bitterkeit und grenzenlose Hoffnungslosigkeit waren in mir. Soldaten gingen ab und zu vorbei. Sie blieben stehen und starrten mich an. Manchmal riefen sie mir etwas zu. Meistens waren es Flüche und Verwünschungen. Sie sattelten ihre Pferde nicht ab. Sie lockerten nur die Sattelgurte, um schnell wieder aufbrechen zu können, wenn es nötig war. Dann ließen sie sich auf der Ebene rings um die Baumgruppe nieder. Manche ließen sich einfach mit ihren Decken fallen und schliefen sofort ein. Andere versorgten gegenseitig ihre Wunden. Ich kümmerte mich schon bald nicht mehr darum. Die Sonne sank. Es wurde dunkel. Ich hatte auf einmal das dumpfe Gefühl, beobachtet zu werden. Ich hob den Kopf. Da stand, keine zehn Schritte entfernt von mir, ein junger Soldat. Er trug einen Verband um den linken Oberschenkel und um das rechte Handgelenk. Schweigend blickte er mich an. Sein blasses, glattes Gesicht sagte mir nichts. Ich senkte wieder den Kopf. Er jedoch fuhr fort, mich anzustarren. Dann plötzlich ging er zum Feuer hinüber, wo noch immer die Offiziere mit den Büffeljägern saßen. Die Jäger hatten Brandy hervorgeholt, den sie unter den Kaffee mischten. Die Stimmung besserte sich von Becher zu Becher, und in seinen eigenen Erzählungen wuchs Captain Tanner zu einem wahren Giganten heran, zu einem Helden der Pionierzeit, der immer verkannt worden war und daher noch immer nicht den Rang hatte,
der ihm eigentlich gebührte, den eines Generals. Aber, so versicherte er, dahin werde es schon noch kommen. Der junge Soldat, der mich so intensiv angestarrt hatte, bückte sich zu ihm und redete auf ihn ein. Auf einmal wurde es still am Feuer. Ich schaute wieder auf. Da blickten alle zu mir herüber. Die Jäger und die Soldaten. Ihre Augen schimmerten kalt, den Ausdruck in ihren Gesichtern konnte ich nicht deuten. Der Captain erhob sich plötzlich, auch McCloss. Ihm folgte Fred Obermann, der deutschstämmige Büffeljäger. Ein junger Lieutenant schloß sich an. Die anderen blieben am Feuer zurück und schauten nur herüber. Der Captain stand vor mir. Er hatte die Hände auf dem Rücken übereinandergelegt. »Du bist von den Apachen geflohen, sagst du?« Ich hatte keine Wahl. Ich mußte auf der Geschichte bestehen. So nickte ich. »Jawohl, Sir.« »Du hast dich nicht gerade so benommen, als seist du wirklich geflohen.« »Es ist aber so, Captain, Sir.« Der Captain deutete auf den jungen Soldaten, der mich vorhin solange fixiert hatte. »Irren Sie sich bestimmt nicht, Moore?« »Ich werd mich doch nicht irren, Sir.« Der Mann trat ein Stück vor. »Ich hab im Dreck gelegen und geglaubt, mein letztes Stündchen habe geschlagen. Niedergeritten hat mich der kleine Bastard beinahe, und geschossen hat er wie ein Wilder. Der hat besser gekämpft als der erwachsene Krieger, mit dem er zusammen war.« Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Natürlich hatte ich dieses Milchgesicht schon einmal gesehen. Es hatte nur wenige Sekunden gedauert, aber die Züge hatten sich mir doch eingeprägt. Ich wunderte mich, daß es mir nicht früher eingefallen war. Der junge Bursche war unter den Soldaten gewesen, die Little Friend und mich belagert hatten, als wir von der Büffeljagd gekommen waren. Ich hatte ihn bei unserer Flucht wirklich fast niedergeritten. Er hatte sich im letzten Moment zur Seite geworfen, als ich mit dem Braunen durch das Unterholz geprescht war, in dem die Soldaten gelegen
hatten. Jetzt hatte es keinen Sinn mehr, weiter den armen, mißbrauchten Jungen zu spielen. »Willst du immer noch behaupten, du seist von den Apachen geflohen?« hörte ich die Stimme des Captains sagen. »Nachdem du ein paar Tage vorher wie der Teufel an der Seite eines Kriegers gegen eine Patrouille gekämpft hast?« Ich zog es vor, lieber den Mund zu halten. Jetzt war doch alles aus, endgültig. Als ich den Kopf senkte, traf mich unvermittelt eine schallende Ohrfeige. Die Wucht des Schlages warf mich auf die Seite. Mühsam nur konnte ich den Oberkörper wieder aufrichten. »Du kleines Drecksstück!« Die Stimme von McCloss zitterte vor Wut. »'reingelegt hast du uns, nach Strich und Faden!« Er schlug wieder zu. Ich schmeckte Blut auf meiner Zunge und blieb noch immer stumm. »Du wolltest ihn abknallen, Boß«, hörte ich wie durch eine dicke Mauer die Stimme Obermanns sagen. »Vorhin hast du gesagt, daß du ihm eine Kugel durch den Schädel jagst, wenn sich herausstellt, daß das Bürschchen ein weißer Wilder ist. Jetzt hast du den Beweis.« »Sie können keine Privatrache üben, Mr. McCloss«, sagte der Captain. Seine Stimme hatte auf einmal einen amtlichen Klang. »Dieser Junge ist Gefangener der Armee. Er wird einem Militärgericht zugeführt werden, das ihn aburteilt.« »Das ist viel zu umständlich.« McCloss war dunkel angelaufen. »Was würden Sie tun, wenn hier ein reinblütiger Apache säße, Captain? Sie würden ihn auf der Stelle niederschießen lassen. Bei diesem Jungen wollen Sie erst ein Militärgericht bemühen? Wieso denn? Warum denn? Soll er etwa davonkommen, mit Rücksicht auf seine Jugend, oder wie Sie das nennen? Dieser Bengel hat gemordet wie seine roten Kumpanen. Er ist nicht besser. Er ist eher schlimmer. Wer weiß, was er vorhatte. Ohne Grund hat er sich nicht in unsere Hände begeben und uns von vorn bin hinten belogen.« McCloss griff nach dem Sharps-Gewehr, das Obermann ihm reichte. »Ein Schuß genügt«, sagte er. »Die Kugel reißt ihm den Kopf ab.«
»Lassen Sie das bleiben, Mr. McCloss«, sagte der Captain. In diesem Moment ertönte grell und fast hysterisch ein Warnsignal. Der Hornist blies, als spiele er den Zapfenstreich über seinem eigenen Grab. Und dann klang ein verzweifelter Schrei auf, der sich unter den Soldaten fortpflanzte. »Indianer!« Der Captain drehte sich um, auch McCloss und die anderen, die vor mir standen. Ich sah es auch, das schönste Bild, das ich mir in diesem Moment vorstellen konnte. Sie ritten durch die Nacht. Mehrere hundert Apachen. Sie bildeten eine weit auseinandergezogene Kette. Sie schienen die ganze Prärie einzunehmen. Langsam rückten sie an, während bei den Soldaten alles durcheinanderrannte. Der Captain verließ das Lager der Büffeljäger, um mit seinen Offizieren die Truppe kampfbereit zu machen. McCloss ließ sofort die beiden mit Häuten beladenen Wagen aus dem Baumschatten holen und als Barrikaden aufstellen, hinter denen die Jäger in Deckung gingen. Da waren die Apachen fast schon auf Schußweite heran. Die Flügel schwenkten vor. Ich ahnte, was das zu bedeuten hatte. Die Apachen würden die Jäger und die Soldaten einschließen. Sie würden einen fast hermetischen Ring um sie legen und sie aushungern. Auf mich achtete in diesen Minuten keiner mehr. Ich ließ mir keine Zeit. Die Hände hatte man mir vor dem Bauch gefesselt. So konnte ich mich vorbeugen und mit den gefesselten Händen die Stricke an meinen Füßen lösen. Damit war mir schon mächtig geholfen. Solange sich kein übereifriger Soldat dazu aufraffte, mich zu bewachen, hatte ich plötzlich wieder eine gewisse Chance. Doch es war nicht damit zu rechnen, daß es einem der Blauröcke einfiel, mein kostbares Leben zu schützen. Sie mußten sich um ihre eigenes Leben kümmern, und das würde schwer genug werden. Schrilles Geheul durchbrach die Nacht. Die Apachen griffen an. Ich legte mich flach auf den Boden, um nicht durch eine fehlgehende Kugel aus Versehen getroffen zu werden. Das Kriegsgeheul steigerte sich. Und sie preschten heran. Unter den unbeschlagenen Hufen ihrer Ponys vibrierte der Boden.
Vereinzelt krachten Schüsse. Die Soldaten feuerten ihre VorderladerSpringfield-Gewehre ab und ihre Sharps-Hinterlader. Sie trafen fast keinen Krieger. Es war zu dunkel für gezielte Schüsse, und die Krieger hingen seitlich an den Flanken ihrer Pferde. Sie waren für die Soldaten, die verzweifelt nach Deckungsmöglichkeiten suchten und vor Nervosität kaum ihre Waffen laden konnten, so gut wie unsichtbar. Die Büffeljäger handelten kaltblütiger. Sie hockten hinter ihren Wagen und feuerten gut gezielt. Doch sie waren zu wenige. Sie hatten keine Chance. Ich schaute mich um. Kein Mensch achtete auf mich. Jetzt mußte ich handeln. Das war meine Stunde. Ich sprang auf und hetzte davon. Ich lief zwischen den Bäumen hindurch. Kugeln schlugen rechts und links von mir im Boden und in den Baumstämmen ein. Sie stammten nicht von den Soldaten. Es waren Geschosse der angreifenden Apachen. Dicht an meinem Kopf schwirrte ein Pfeil vorbei. Er bohrte sich mit einem häßlichen, klatschenden Laut in den Stamm eines PecanBaumes. Ich ließ mich fast instinktiv fallen. Als ich den Kopf wandte, sah ich die Apachen auf breiter Front angreifen. Die Büffeljäger mit ihren großen Hüten und den schweren Lederchaps standen breitbeinig hinter ihren Häutewagen. McCloss hatte sein Gewehr ins Gras geworfen und feuerte mit seinem Revolver, einem schweren Walker-Colt, den er beidhändig hielt. Pulverdampf wogte über dem Rastplatz. Ein Regen von Pfeilen ging auf die beiden Wagen nieder, und auf die Soldaten, die in flachen Bodenmulden lagen und nun auch unaufhörlich feuerten. Immer wieder schwirrten verirrte Kugeln durch die Baumgruppe, in der ich mich befand. Ich konnte nicht weiterlaufen. Die Gefahr war zu groß. Aber mir war klar, daß ich weg sein mußte, wenn der erste Angriff abgeschlagen war. Spätestens dann würde man sich auch wieder um mich kümmern, und dann hatte ich keine Sekunde mehr zu leben. Die Soldaten würden mich in Stücke reißen. Ich versuchte, meine Fesseln an den Handgelenken mit den Zähnen zu lösen. Es klappte nicht. So kroch ich, mich mühselig mit
den Ellenbogen abstützend, auf allen vieren durch das Gras. Über mir zersplitterte immer wieder die Baumrinde unter Kugeleinschlägen. * Irgendwie schaffte ich es, die Baumgruppe zu verlassen, ohne daß mir ein Härchen gekrümmt wurde. Gerade da hörte das Schießen auf. Nur noch hämmernder Hufschlag war zu hören. Jetzt blieb mir keine Zeit mehr. Ich erhob mich und stürmte in die Finsternis. Ein paarmal stolperte ich und stürzte hart zu Boden, da ich mit meinen gefesselten Händen den Fall nicht abfangen konnte. Aber das war egal. Ich lebte, das war das Wichtigste. Ich lief durch das Grasland, bis ich sicher war, außer Schußweite der Baumgruppe zu sein. Außer Atem blieb ich stehen und wandte mich um. Ich konnte die Baumgruppe nur noch als schemenhaften Umriß in der Nacht erkennen. Das Feuer war gelöscht worden. Das Lager der Büffeljäger und Soldaten lag finster und still da. Sie hatten kaum noch eine Chance. Ich hatte kein Mitleid mit ihnen. Sie hätten mich kaltblütig abgeschlachtet, jeder von ihnen. Ich hatte Glück gehabt. Als ich loslief, um meine Stammesbrüder zu suchen, fühlte ich mich leicht und überhaupt nicht mehr erschöpft oder ausgelaugt wie noch in den Stunden vorher. Ich lief lange, denn ich schlug einen großen Bogen um das Camp der Jäger und Soldaten. Dann plötzlich, als ich einen Hügelkamm überquerte, sah ich ein paar kleine Feuer. Ich sah schattenhafte Gestalten herumhuschen, sah Pferde, und plötzlich stand ein Krieger vor mir und zielte mit einem Sharps-Karabiner auf mich. Es knackte häßlich, als er den Hammer spannte. Er wollte schießen, ohne Fragen zu stellen. Ich rief ihm schnell ein paar Worte im Apachendialekt zu. Da ließ er das Gewehr zögernd sinken. Dann erkannte er mich, und ein erfreutes Lächeln zog sich über sein von einer gezackten Narbe entstelltes Gesicht. Es war Schnelltöter. Ich blieb stehen, erschöpft, nach Atem ringend. Er trat auf mich zu
und legte mir die Rechte auf die Schulter. Er stellte keine Fragen. Er durchschnitt meine Fesseln. Ich ging stumm neben ihm her, als er mich ins Lager führte, wo Little Friend mir entgegenlief. Dann stand ich vor Cochise und berichtete, was mir widerfahren war. Black Hawk war dabei. Mit keinem Wort unterbrachen sie mich, während ich sprach. Cochise sagte nur: »Enju, es ist gut.« Aber ich sah in Black Hawks Augen, daß er stolz auf mich war. Ich hatte mich richtig verhalten. Ich hatte aus der Situation, in die ich so unerwartet geraten war, das beste herausgeholt. In Cochises Blick glaubte ich sogar Hochachtung zu entdecken. Dann ging ich mit Little Friend. Und kurz darauf stand ich vor meinem Braunen, an dessen Sattel mein Spencer-Karabiner hing. Er schnaubte erfreut und drängte sich an mich, so daß ich fast auf den Rücken fiel. Little Friend stand schon hinter mir. »Komm.« Er führte mich zu einem Feuer, wo ich gekochtes Büffelfleisch erhielt und Saft von Wacholderbeeren. Dann stand ich auf einem Hügel und schaute hinüber zum Lager der Büffeljäger. Dort rührte sich nichts. Ich wandte mich rasch wieder ab. Die Nachricht, daß Mangas Coloradas schwer verletzt war, hatte meine Stimmung nicht gerade gehoben. Ich ging mit Little Friend zu den Pferden und schlug mein Lager auf. Bei Sonnenaufgang würden die Krieger die Soldaten angreifen. Ich würde bereits wieder mit ihnen reiten.
10. Die Büffel kamen durch die Nacht. Ein Wachtposten sichtete die Herde. Der Mond stand am Himmel, und im milchigen Licht sah man die massigen Tiere heranziehen. Es war offenbar eine andere Herde als die, der ich nun schon zweimal begegnet war. Sie war nicht ganz so groß, schien aber auch – soweit das in dem blassen Licht abzuschätzen war – mindestens zehntausend Tiere zu umfassen. Der Wind strich von der Herde herüber. Er trug den eigentümlichen scharfen Geruch, der von den Tieren ausging, mit
sich. Wir waren alle wach, und vermutlich war das drüben bei den Jägern und Soldaten nicht anders. Cochise stand auf einem Hügel und schaute versonnen zur Herde hinüber. Sie schien in fast einer Meile Entfernung an uns vorbeizuziehen. Cochise war plötzlich verschwunden. Wenig später stand Little Friend hinter mir und zog mich herum. »Komm mit«, sagte er. »Was ist los?« »Wir haben etwas zu tun.« »Was?« »Wir reiten zur Herde hinüber.« Er drehte sich um und ging. Ich folgte ihm hastig, unausgeschlafen, aber bereit zu allem. »Was soll das?« »Wir zünden die Prärie an.« Little Friend sagte es, ohne sich nach mir umzuschauen. »Der Wind steht richtig.« »Aber …« Ich verstummte, denn ich verstand plötzlich. Der Wind strich genau auf das Lager der Soldaten und der Büffeljäger zu. Und wenn die Prärie brannte … »Hat Cochise sich das ausgedacht?« »Ja.« Little Friend ging zu den Pferden. Hier befanden sich bereits zehn andere Krieger, die an dem Unternehmen beteiligt waren. Little Friend führte uns an. Ich bestieg meinen Braunen. Es war ein gutes Gefühl, ihn wieder unter mir zu haben. Wenig später ritten wir durch die Nacht. * Die Flammen zuckten seitlich der Herde hoch. Sie fraßen sich durch das hohe Gras. Beißender Rauch stieg auf. Ich riß meinen Braunen herum und sprengte davon. Überall in der Nacht, auf einer Strecke von etwa einer Meile, leuchteten glühende Punkte auf. Sie breiteten sich rasch aus, vereinigten sich, bildeten eine Feuerlinie, die rot in der Finsternis glühte. Prasselnd stoben die Flammen auf, als der
Wind anschwoll. Ich ritt längst wieder auf das Lager der Apachen zu. Ich hatte meine Aufgabe erfüllt. Hinter mir sprengten die anderen Krieger heran, auch Little Friend. Die Flammen wurden vom Wind über das Land gejagt, auf die Büffelherde zu. Lautes Brüllen und Blöken erklang von der Herde. In der Finsternis sah es einen Moment aus, als breche die Erde auf, als entlade sich ein Vulkan. Die schwarze, mächtige Masse der dichtgedrängten Leiber schien zu brodeln. Sie schienen zu versuchen, nach allen Seiten zu fliehen und sich dabei gegenseitig zu behindern. Dann plötzlich schien sich der Leitbulle durchgesetzt zu haben. Das Feuer gab die Richtung an. Der Boden erbebte. Die schwarze Masse, die die Herde in der Finsternis darstellte, schien zu explodieren. Erst langsam, dann immer schneller, stürmten die Büffel davon. Das Feuer war nah, schien sie einzuholen, jagte sie vor sich her. Die Flammen schlugen immer höher. Immer weiter breitete sich der Brand aus. Das Feuer fraß gierig das trockene, von der Sonne ausgelaugte Gras, hielt sich an Buschinseln und Bäumen fest. Wir schauten zu dem Lager der Soldaten und Jäger hinüber. Die schienen zu begreifen, was auf sie zuflutete. Ihnen blieb kaum noch Zeit. Durch die Dunkelheit huschten Gestalten, wimmelten durcheinander wie ein aufgescheuchtes Ameisenvolk. Dann sprengten die ersten auf ihren Pferden davon. Verzweifelt gehetzt, schreiend. Das Angstgebrüll der Männer ging im Donnern der Büffelherde und dem Prasseln des Feuers unter. Die Wagen der Büffeljäger setzten sich in Bewegung. Sie rollten dahin, so langsam, so unendlich langsam, während die Masse der Büffel heranrollte wie eine alles verschlingende Flut. Es lief mir beim Anblick dieser entfesselten Urgewalt kalt den Rücken hinunter. Die Büffel donnerten dahin und erreichten das Lager der Soldaten, die sich längst auf der Flucht befanden. Die Welle der Vernichtung schwappte über sie hinweg. Wir konnten nicht mehr viel sehen. Die Herde verdeckte alles. Aber wir
beobachteten, wie die Soldaten, deren Pferde vor Angst bockten oder dem Zügel nicht mehr gehorchten, von den Büffeln erfaßt wurden und unter ihren Hufen verschwanden. Einer der Wagen der Büffeljäger kippte um. Er befand sich auf einem Hügel, aber er war zu schwer beladen, so stürzte er den Hang hinunter. Sekunden später waren die Büffel heran. Der zu Fuß flüchtende Driver gelangte nicht weit. Er wurde in den Boden gestampft, wie alles, was der Herde in den Weg geriet. Alles dauerte nur wenige Minuten, Minuten, in denen die Welt unterzugehen schien. Dann war die Büffelherde in der Nacht verschwunden. Zurück blieb ein niedergetrampelter Lagerplatz. Einige reglose Körper waren in der Dunkelheit zu erkennen. Zehn, zwanzig, vielleicht mehr. Es ließ sich schlecht schätzen. Ich wandte mich rasch ab und ritt davon. Die Krieger folgten mir langsam. Das Feuer fraß sich über den Lagerplatz rings um die Baumgruppe und zerstörte das, was die Büffel übriggelassen hatten, auch noch. Die Flammen selbst hinterließen nur schwarzes, verkohltes Land, auf dem Asche wie eine dicke Staubschicht lag. Als wir ins Apachenlager zurückkehrten, hatte Cochise die Krieger aufsitzen lassen. Wider Erwarten nahmen wir nicht die Verfolgung auf. Wie ließen die Soldaten, die den Hufen der Büffel entgangen waren, laufen. Cochise trat mit uns den Rückweg zu den Kinney-Bergen an. * Die Stimme Nochalos klang dumpf durch das Tal. Die Trommeln dröhnten, ein Feuer brannte. Wir ritten in den Talkessel. Nochalos Gesang brach ab. Er trat aus dem Wickiup, den er am Fuße der Berge gebaut hatte. Cochise stieg vom Pferd und ging auf ihn zu. Seine hünenhafte Gestalt überragte den mageren Schamanen um Haupteslänge. »Lebt er?« »Mangas Coloradas lebt.« Nochalo schaute ins Leere. »Aber die Kugel sitzt tief in seiner Brust.«
»Du wirst sie herausholen.« »Ich kann sie nicht herausholen.« Nochalos schüttelte den Kopf. »Wird er sterben?« »Solange die Kugel in seinem Leib steckt, kann er nicht weiterleben. In ein paar Stunden, in ein paar Tagen kann er sterben.« »Er wird nicht sterben.« Cochise rief ein paar Krieger herbei und hieß sie, eine Schleppbahre zu bauen. »Wir reiten nach Mexiko«, sagte er. »In den Städten gibt es Ärzte, die Kugeln aus den Körpern von Menschen operieren können.« »Glaubst du, daß einer von den weißen Ärzten einem Apachen das Leben rettet?« »Ja. Mangas Coloradas wird leben«, sagte Cochise, »oder viele Weiße werden sterben.« »Und der Krieg?« »Es ist immer Krieg. Jetzt reiten wir nach Mexiko. Wir werden zurückkehren, mit Mangas Coloradas.« Wortlos ließ er Nochalo stehen. Der Medizinmann senkte den Kopf und ging zurück in den Wickiup. Das Dröhnen der Trommeln verstummte. Noch am selben Tag brachen wir auf. Zwei Tage später erreichten wir die Grenze. Vor uns lag der Rio Bravo. Ich ritt voraus mit Little Friend und ein paar anderen. Hinter uns folgte die Masse der Krieger. Am Schluß folgte die Schleppbahre mit Mangas Coloradas. Noch lebte er. Sein starkes Herz schlug noch immer. Die Stimmung unter den Kriegern aber war gedrückt. Niemand glaubte, daß wir es schaffen würden, Mangas Coloradas rechtzeitig zu einem Arzt zu bringen. Wir glaubten nicht, daß wir einen Arzt finden würden, der ihn retten konnte. Nur Cochise wirkte optimistisch, ruhig und zuverlässig. Als ich mit Little Friend den Rio Bravo durchfurtete und am anderen Ufer anhielt, schaute ich mich um. Ich blickte über den Fluß nach Texas hinein. Endlos dehnte sich das Land unter der Sonne. Der Indianerkrieg, war vorüber. Aber wir würden wiederkehren, irgendwann, vielleicht schon im nächsten Jahr. Wir würden weiterkämpfen für unser Recht, für unser Land. Der Krieg war für
den Moment vorbei, nicht aber die Feindschaft und der Haß. Deshalb würden auf beiden Seiten noch viele sterben. Das Land verschlang das Leben vieler, es war vom Blut noch lange nicht gesättigt. Ich sah, wie die Apachen in den Fluß ritten. Als Little Friend mich rief, wandte ich mich um und ritt hinter ihm her, nach Mexiko hinein. Ich wußte, wir würden den Fluß noch oft kreuzen, wir würden wieder nach Texas reiten, um zu kämpfen. Ich würde dabei sein …
ENDE
Vorschau Lobo betrat den Hof, in dem der kleine Hilton-Mann verschwunden war. Er blickte sich suchend um, aber der Mann war wie vom Erdboden verschluckt. Eine unnatürliche Stille lag über dem Hof. Sie zerriß, als an einem der Frachtwagen ein Hahn loskollerte und sich über irgend etwas erboste. Lobo schlich leise auf den Frachtwagen zu. Der Hahn hielt den Kopf schief und beäugte etwas, das Lobo nicht sehen konnte. Lobo bückte sich und schaute unter dem Wagen hindurch. Aha – ein Stiefelpaar! Er umschlich den Wagen, um dem Kerl in den Rücken zu gelangen. Dann sprang er vor und stoppte verblüfft. Ja, zwei Stiefel standen da, nur ohne Mann. Lobo starrte und staunte. Unter der Wagenplane neben ihm erschien ein Arm, und der hielt einen Colt. Damit schlug der Arm zu – und Lobo ging stehend k.o. … Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 141 dieser großen deutschen WesternSerie:
Kriech zu Kreuze