Burt Frederick Das Geheimnis der Kogge
1. Eine stete Lärmkulisse erfüllte das westliche Hafengebiet von Belfast. Das D...
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Burt Frederick Das Geheimnis der Kogge
1. Eine stete Lärmkulisse erfüllte das westliche Hafengebiet von Belfast. Das Dröhnen schwerer Hämmer war in fast rhythmischen Abständen aus verschiedenen Richtungen zu hören. Sägen schickten ihr kreischendes Lied in die feuchte Luft dieses Aprilmorgens im Jahre 1580. Die Häuser der Stadt im Norden Irlands schienen sich unter den schweren Wolkenbänken zu ducken. Es war wie eine erdrückende Last, die von einem harten auflandigen Wind über Belfast hinweggetrieben wurde. Regenschauer kündigten sich an. Auf den düsteren Wogen, die in die Hafenmündung rollten, standen weiße Schaumkronen. An einer der Piers im Werftgebiet hatte eine ZweimastKaravelle festgemacht. Die Crew hatte die Lateinersegel aufgegeit, und an Deck war Ruhe eingekehrt. Das ranke Schiff, das auf jeder Seite mit sechs Culverinen und vorn und achtern mit je zwei Drehbassen bestückt war, trug die britische Flagge. Hinter den Fenstern der Schiffsausrüstungsläden und der Schenken am Kai waren die verschwommenen Umrisse von Gesichtern zu erkennen. Blicke, in denen unverhohlene Feindseligkeit lag, hefteten sich auf das Schiff. Auch die Männer, die auf den Werften rings um das Hafenbecken arbeiteten, wandten die Köpfe, um aus schmalen Augen die Karavelle zu betrachten. Das Anlegemanöver des Schiffes war den Iren wie eine höhnische Herausforderung erschienen. Doch die Männer im Hafen wußten ihren aufgestauten Haß gegen alle Engländer zu zügeln. Dieser Segler war hervorragend armiert, und zweifellos verfügten auch die Crewmitglieder über 2
ein ausreichendes Waffenarsenal. Es war auf alle Fälle gesünder, sich mit einer solchen Übermacht nicht anzulegen. Doch wehe jenen Briten, die sich allein oder zu zweit an Land wagten. Es gab genügend dunkle Gassen und Hinterhöfe, in denen man über sie herfallen konnte, wenn sich die Gelegenheit bot. Sir John Killigrew wußte, daß er sich auf ein gefährliches Pflaster begab, als er mit seinem Sohn Simon Llewellyn von Bord ging. Deshalb nahm er vorsorglich einen Begleitschutz von sechs Männern mit, die mit Pistolen und Entermessern bewaffnet waren. Die restliche Crew hatte striktes Verbot, an Land zu gehen. Mit schußbereiten Musketen standen die Männer an Deck bereit, um etwaige Angriffe abzuwehren. Auch die Drehbassen und Culverinen waren feuerbereit. Mit schweren Schritten stapfte Sir John Killigrew über die Pier. Er war ein untersetzter Mann mit leuchtend rotem Haarschopf. In seinen hellblauen Augen lag nicht ein Hauch von Wärme, die Knollennase stand wie ein häßlicher Fremdkörper in seinen groben Gesichtszügen. Simon Llewellyn marschierte mit kurzen, schnellen Schritten neben seinem Vater her. Die Statur des Killigrews-Sprosses war bullig wie die seines Vaters, seine struppigen Haare hatten das gleiche leuchtende Rot. Die Gesichtshaut Simon Llewellyns war ständig leicht gerötet, und die wulstigen, aufgeworfenen Lippen gaben seiner unteren Gesichtspartie zusammen mit der platten Nase - das Aussehen einer Ferkelschnauze. Von den bewaffneten Männern gefolgt, steuerte Sir John und sein Sohn entschlossen auf das nördliche Ende des Kais zu. Dort befand sich die Werft des alten O’Connor mit ihren weiträumigen Hellingen und den ineinander verschachtelten Werkstattschuppen, deren Holzplanken durch den ständigen Wind und das rauhe Klima eine grauschwarze Färbung angenommen hatten. 3
Über der Einfahrt des Werftgeländes dehnte sich ein hölzerner Torbogen, der mit eingebrannten Buchstaben beschriftet war: RORY O’CONNOR - SHIPYARDS. Unmittelbar neben der Einfahrt war eine Barke aufgeslippt. Ein halbes Dutzend Männer war damit beschäftigt, die Beplankung des Schiffsrumpfes zu erneuern. Sir John Killigrew gab seinem Begleitschutz das Zeichen zum Halten. Mit einer herrischen Geste winkte er einen der Werftarbeiter heran. Der Mann folgte widerwillig der Aufforderung. In seiner Miene paarten sich Mißtrauen und Neugier. Die übrigen Arbeiter hatten ihre Werkzeuge sinken lassen und starrten herüber. Sie alle gehörten zu jener Sorte von Iren, die von sich behaupten, einen stinkigen Engländer auf zehn Meilen gegen den Wind zu wittern. »Wo steckt O’Connor?« fragte Sir John barsch. »Sie haben Glück«, antwortete der Arbeiter. »Mister O’Connor ist in seinem Kontor.« Die Betonung legte er auf das Wort »Mister«. Der alte Killigrew überhörte es, ließ den Mann kurzerhand stehen und stapfte weiter. Er brauchte sich nicht zu erkundigen, wo sich das Kontor befand, denn er kannte die Werft, wenn auch geraume Zeit verstrichen war, seit er das letzte Mal hiergewesen war. Das Kontor war in einem flachen Steingebäude untergebracht, das einem der Werkstattschuppen vorgelagert war. Auf einem von Holzstapeln umsäumten Vorplatz stand eine einspännige Kutsche. Das Pferd war an einem von insgesamt vier gußeisernen Ringen angeleint. Sir John grinste boshaft. O’Connor hatte es offenbar nicht mehr nötig, zu Fuß zu gehen. Und ein Blick auf das Werftareal erbrachte zusätzliche Gewißheit, daß die Geschäfte des Iren gut liefen. Ein Umstand, der Sir John Killigrew, dem Generalkapitän von Cornwall, mächtig gut in den Kram paßte. 4
Das, worum seine Gedanken fast ausnahmslos kreisten, war Geld. Und Geld war der Grund, warum er den Hafen von Belfast angelaufen hatte. Die Fensterscheiben des Kontorgebäudes waren beschlagen. Dennoch war der blakende Lichtschein einer Öllampe zu erkennen. Aus dem Kamin stiegen blaugraue Rauchschwaden, die vom Wind rasch zerfasert wurden. Vor dem Eingang drehte sich Sir John zu seinem Begleitschutz um. »Ihr haltet hier draußen die Augen offen. Es könnte sein, daß diese Strolche auf Scherereien scharf sind.« Er deutete mit einer Kopfbewegung zu den Werftarbeitern hinüber. »Aye, aye, Sir«, sagte Jeremy Robb, der Schiffszimmermann der Karavelle, ein breitschultriger Hüne. Er war der Anführer des bewaffneten Begleitkommandos. Sir John nickte herablassend. Dann forderte er seinen Sohn mit einer knappen Handbewegung auf, ihm in das Kontor zu folgen. Wohltuende Wärme schlug ihnen entgegen. Ein eiserner Ofen, in der hinteren Ecke des Raumes, bullerte anheimelnd. Zwei mächtige Stehpulte nahmen das Zentrum des Kontors ein. Über den Pulten hing die Öllampe, die schon von draußen zu sehen gewesen war. Ein mächtiger eichener Aktenschrank nahm die Wand gegenüber dem Fenster ein. Sir John bewegte sich zwei Schritte weit auf den knarrenden Fußbodendielen voran. Dann blieb er breitbeinig stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften. Hinter ihm stieß Simon Llewellyn die Tür mit dem Stiefelabsatz zu. Das dumpfe Krachen ließ die beiden Männer an den Stehpulten hochschrecken. »Schick deinen Schreiberling raus, O’Connor«, sagte Sir John grollend. Rory O’Connor war ein rothaariger Mann, drahtig und von fast zwergenhaftem Wuchs. Sein von Falten übersätes Gesicht, das sonst füchsische List ausdrückte, spiegelte in diesem 5
Moment grenzenlose Verblüffung. Im Gegensatz zu den beiden bulligen Killigrews mit ihren hohen Stulpenstiefeln und den derben Lederwesten wirkte O’Connor in seinem maßgeschneiderten dunklen Stadtanzug wie ein Gnom. »Killigrew«, sagte er leise und ungläubig, als müsse er erst den Narnen aussprechen, um die Wirklichkeit zu verdauen. »Ich denke, ich brauche dich nicht auf meinen Titel hinzuweisen, O’Connor«, fuhr Sir John ihn polternd an. Der Ire verzog das Faltengesicht, legte einen Federkiel beiseite und blickte den Generalkapitän über das Stehpult weg an. »Sir John Killigrew«, sagte er gedehnt. »O ja, ich erinnere mich gut an Sie. Sie haben sich kaum verändert.« »Im Gegensatz zu dir, O’Connor«, antwortete Sir John grinsend. »Du bist verdammt alt geworden.« Der Werftbesitzer schluckte es, ohne mit der Wimper zu zucken. »Darf ich den Grund Ihres Besuchs erfahren, Sir John?« »Ich wiederhole mich nicht gern, O’Connor. Schick deinen Schreiberling raus.« »Schon gut, schon gut.« O’Connor nickte geduldig. »Laß uns allein, Chauncey. Sie draußen nach, wie weit sie mit der Barke sind.« »Jawohl, Sir, selbstverständlich, Sir«, sagte der Kontorgehilfe, ein blaßhäutiger Mensch mit strähnigem rotblondem Haar. Mit einer Serie von Verbeugungen schob er sich an den beiden Killigrews vorbei und schlüpfte hinaus. Simon Llewellyn stieß die Tür zu, und abermals gab es ein dumpfes Krachen. Sir John ging mit harten Schritten auf den Werftbesitzer zu und schob die Unterarme auf das Stehpult, an dem eben noch der Gehilfe gearbeitet hatte. Scheinbar beiläufig warf der alte Killigrew einen anerkennenden Blick auf die Kontobücher mit den langen Zahlenkolonnen. 6
»Scheint so, als ob du dich über deine Geschäfte nicht beklagen kannst, O’Connor.« »Nein, allerdings nicht«, erwiderte der Ire beherrscht. »Was hat das mit Ihrem Besuch zu tun, Sir John?« Der alte Killigrew winkte lachend ab. Sein Lachen war so unecht wie sein freundlicher Gesichtsausdruck. »Oh, nichts, gar nichts, O’Connor. Ich bin hier, um mit dir über alte Zeiten zu reden.« Simon Llewellyn, der bei der Tür wartete, verzog sein Ferkelgesicht zu einem Feixen. »Es sind etliche Jahre vergangen, seit wir uns zuletzt gesehen haben«, sagte O’Connor nachdenklich. »Warten Sie, das war ...« »Fünfzehnhundertsechsundfünfzig«, fiel ihm Sir John ins Wort und beugte sich weiter vor. »Erinnerst du dich an unser kleines Geschäft, das wir damals abgeschlossen haben?« »Aber ja, Sir John. Sie meinen die Hansekogge, die ›Wappen von Wismar‹, Damals war es ein brauchbares Schiff, und ich bedaure unseren Handel nicht. Aber heute ist mit dem alten Kahn nicht mehr viel los. Die Kogge liegt schon seit einem Jahr bei mir in der Werft zum Abwracken. Aber Sie wissen, wie das ist. Arbeiten, die nicht unbedingt an einen Termin gebunden sind, muß man immer wieder wegen dringlicher Dinge verschieben. Auf jeden Fall ist die Kogge nicht mehr zu retten. Im Rumpf sitzt der Bohrwurm. Sobald es unser Arbeitsplan zuläßt, werde ich diesen Schandfleck von der Werft verschwinden lassen.« »Aber unser Geschäft von damals hat sich gelohnt?« fragte Sir John lauernd. O’Connor runzelte mißtrauisch die Stirn. Er kannte den alten Killigrew, und er kannte auch die Geschichten, die über dieses Schlitzohr verbreitet wurden, das sich Generalkapitän von Cornwall nennen durfte. Es war keine große gedankliche Anstrengung notwendig, um zu vermuten, daß Sir John 7
keineswegs mit lauteren Absichten Belfast angelaufen hatte. »Wie meinen Sie das?« konterte der Ire mit einer Gegenfrage. Sir John hob die schaufeiförmigen Hände ein Stück und ließ sie flach auf die Platte des Pults klatschen. »Nun - wie man so gehört hat, hast du die Kogge im Laufe der Jahre an verschiedene Kapitäne verchartert und damit einen anständigen Batzen Geld eingesackt.« O’Connor winkte ab und lachte unsicher. »Die Leute reden viel, und sie übertreiben leicht. Ich habe mit der Kogge mein Auskommen gehabt, aber es war nicht überwältigend.« »Soso«, sagte Sir John mit nachdenklichem Nicken. »Du hast dein Auskommen gehabt. Soll ich dir was sagen? Mir hat dieser verdammte deutsche Waschzuber nichts als Ärger bereitet.«. Der Ire blinzelte verwirrt. »Verzeihung, Sir John, aber das verstehe ich nicht. Ich hatte doch die Kogge und ...« Der alte Killigrew schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Schluß mit der langen Vorrede, O’Connor. Ich habe dir damals die Kogge für achthundert Pfund verkauft. Leider hat es sich gezeigt, daß es für mich ein schlechtes Geschäft war. Ich will sagen, daß du mich absichtlich reingelegt hast. Aber es ist nicht mehr als recht und billig, wenn ich heute Schadenersatz verlange. Achthundert Pfund, O’Connor. Rück das Geld raus, und wir trennen uns als gute Freunde.« Der Ire erbleichte. Er glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. Die offensichtlich wirren Gedankengänge des alten Schlitzohrs aus Cornwall waren ihm mehr als unverständlich. Selbst wenn O’Connor sich angestrengt hätte, wäre es ihm kaum gelungen, diese Gedankengänge zu entschlüsseln. Denn der Ire kannte die Hintergründe nicht, die Sir John bewegt hatten, hier in Belfast seine ›Schadensersatzforderung‹ 8
zu stellen. Der alte Killigrew hatte es noch immer nicht verkraftet, daß Hasard, dieser dreimal verdammte Bastard, vor einem Monat wie ein Ungewitter mit seinen Leuten in der Feste Arwenack eingedrungen war und ihm haargenau jene achthundert Pfund abgenommen hatte, die Sir John seinerzeit für den Verkauf der Hansekogge erhalten hatte. Der überraschende Schachzug des verdammten Bastards hatte Sir John dazu gebracht, sich an O’Connor schadlos zu halten. Dem alten Killigrew erschien dies als absolut folgerichtig und logisch. Denn soviel stand für ihn fest: Der Bastard Hasard, der als Kleinkind auf der ›Wappen von Wismar‹ gefunden worden war, hatte ihm derart viel Ärger bereitet, daß er sich dafür rächen mußte. Und weil die elende Kogge nun einmal die Wurzel allen Übels war, war Sir John zu der Meinung gelangt, daß er damals, im Jahre 1556, zu wenig Geld für die Kogge erhalten hatte. Und genau betrachtet, war die ›Wappen von Wismar‹ seinerzeit wirklich mehr wert gewesen als läppische achthundert Pfund. »Das - das kann nicht Ihr Ernst sein, Sir John«, stammelte Rory O’Connor fassungslos. »Wie können Sie von mir verlangen, daß ich noch einmal zahlen soll, was längst beglichen ist? Die Kogge ist heute nichts mehr wert. Soll ich etwa für einen morschen Holzhaufen achthundert Pfund berappen?« »Allerdings«, sagte der alte Killigrew knurrend. Mit zwei, drei blitzschnellen Schritten umrundete er die Stehpulte und packte O’Connor am Kragen, bevor der Ire ausweichen konnte. O’Connor hatte der Körperkraft Sir Johns nicht das Geringste entgegenzusetzen. Hilflos zappelte er im brutalen Griff des bulligen Mannes. »Loslassen«, keuchte O’Connor und wand sich vergeblich. »Ich warne Sie, Sir John. Meine Männer ...« 9
»... werden keinen Finger rühren«, sagte der alte Killigrew höhnisch und zog den Iren näher zu sich heran. »Ich habe draußen einen Teil meiner Crew aufziehen lassen. Die Jungens werden deine Bastarde mit Blei spicken, wenn sie es wagen sollten, frech zu werden. Also was ist, O’Connor? Zahlst du freiwillig? Ich habe keine Lust, meine Zeit mit stundenlangem Geschwätz zu verplempern.« Rory O’Connor schüttelte entschlossen den Kopf, soweit ihm dies in dem eisenharten Griff des Generalkapitäns überhaupt möglich war. »Niemals. Sie können mich totschlagen, aber auf einen solchen Wahnsinn lasse ich mich nicht ein.« Sir Johns Gesicht verzerrte sich vor Wut. »Ich nehme dich beim Wort, du Drecksack«, sagte er fauchend. Mit einem jähen Ruck schleuderte er den zwergenhaften Mann herum. O’Connor wedelte wie eine hilflose Gliederpuppe über die Fußbodendielen. Sir John versetzte ihm einen zusätzlichen Stoß, und der Ire flog dem ferkelgesichtigen Simon Llewellyn geradewegs in die Arme. Grinsend packte der Killigrew-Sproß den Werftbesitzer an den Schultern und richtete ihn auf. »Willst du es dir vielleicht noch überlegen, stinkender Ire?« Er hatte O’Connor auf dem empfindlichsten Nerv getroffen. »Niemals!« heulte der hagere kleine Mann mit sich überschlagender Stimme. Simon Llewellyn packte fester zu und schüttelte ihn durch. O’Connors Kopf flog vor und zurück. Er stieß gurgelnde Laute aus und versuchte, sich mit rudernden Armen zu befreien. Aber auch gegen Simon Llewellyns Muskelkraft hatte er nicht die geringste Chance. Urplötzlich ließ der Sohn des alten Killigrew den Werftbesitzer los und versetzte ihm einen Fausthieb gegen die schmächtige Brust. 10
Wie von einem Rammstoß wurde O’Connor quer durch den Raum getrieben. Er stieß einen spitzen Schrei aus, der jedoch im nächsten Moment erstickte. Denn Sir John nahm ihn in Empfang, indem er grinsend das rechte Knie hochzog und es dem zwergenhaften Iren ins verlängerte Rückgrat stieß. O’Connor wurde fußhoch angehoben, zappelte einen Atemzug lang mit allen vieren in der Luft und schlug im nächsten Augenblick der Länge nach auf die Dielen. Sir John ließ ihm keine Zeit, zur Besinnung zu gelangen. Er bückte sich, packte den Iren am hinteren Kragen und stieß ihn gegen das Stehpult des Kontorgehilfen. Mit einem Satz war Sir John vor dem Werftbesitzer und versetzte ihm zwei schallende Ohrfeigen, die den schmalen Schädel des Mannes wie einen Glockenklöppel hin und her fliegen ließen. Abermals packte der alte Killigrew zu und zog den Iren zu sich heran. »Na, O’Connor, mein Freund? Hast du jetzt genügend Bedenkzeit gehabt?« Der Werftbesitzer stöhnte vor Schmerzen. Mühevoll rang er nach Atem. Seine Brust hob und senkte sich in heftigem Rhythmus. »Es ist nicht so, daß wir schon aufhören müssen«, erklärte Sir John höhnisch. »Du hast gesagt, daß wir dich totschlagen können. Aber vielleicht hast du es dir nicht richtig überlegt. Jetzt hast du einen kleinen Vorgeschmack davon gekriegt, wie es ist, wenn man totgeschlagen wird. Aber der Anfang ist meistens harmlos, O’Connor. Wenn wir richtig loslegen, kommst du nicht mal mehr zum Nachdenken. Und diese Möglichkeit wollen wir dir natürlich nicht nehmen.« »Dreckschwein!« stieß der Ire ächzend hervor. Sir John nickte lächelnd und mit gespielter Geduld. »Gut, gut, sprich dich ruhig aus. Das erleichtert, mein Freund. Aber vergiß nicht die eigentliche Sache, über die wir 11
verhandeln. Achthundert Pfund.« Der alte Killigrew holte zu einer neuen Ohrfeige aus. »Aufhören!« schrie O’Connor verzweifelt. »Ich wußte es doch«, sagte Sir John väterlich. »Schmerzen sind unangenehm. Und laß es dir gesagt sein, O’Connor: Nur selten haben Menschen die Möglichkeit, sich durch Geld von Schmerzen zu befreien. Ich denke, du weißt jetzt, was weniger weh tut.« Er stieß den Iren beiseite. O’Connor geriet ins Stolpern, schaffte es aber, sein Gleichgewicht einzufangen. Stöhnend wankte er zu dem Aktenschrank und öffnete ein verschließbares Fach. Er mußte alle seelische und körperliche Kraft aufbieten, um die leinenen Geldbeutel mit den klirrenden Münzen herauszuziehen. Simon Llewellyn nahm den Segen in Empfang, und Sir John ließ sich Zeit damit, nachzuzählen. Als sie eine halbe Stunde später das Kontor verließen, blieb ein vor Wut kochender Ire zurück, der allen Engländern und insbesondere dieser teuflischen Killigrew-Sippe die Pest an den Hals wünschte. Unbehelligt lief die Karavelle des alten Killigrew kurze Zeit darauf aus. Niemand im Hafen wagte es, sich mit der schwerbewaffneten Crew anzulegen.
2. Die Irische See zeigte sich von ihrer unangenehmsten Seite. Etwa zehn Seemeilen westlich der Insel Man kreuzte die Schaluppe ›Isabella VI.‹ auf Nordkurs in langen Schlägen gegen den Wind. Der Zweimaster führte an beiden Masten Lateinersegel an langen Rahruten. Das Schiff war rank, außergewöhnlich schnell und ein hervorragender Am-WindSegler. Die Armierung der Schaluppe bestand aus je einer 12
Drehbasse vorn und achtern. Der Kapitän der Schaluppe stand auf dem Achterdeck, und die zeitweise auf kommenden Böen wühlten in seinem schwarzen Haar wie launische unsichtbare Wesen. Die markanten Gesichtszüge des hochgewachsenen Mannes strahlten unerbittliche Härte und Energie aus. Doch in seinen Augen lag etwas, das darauf schließen ließ, daß er in manchen Situationen durchaus fähig war, sich von seinen Gefühlen leiten zu lassen. Über seinen breiten Schultern spannte sich der derbe Stoff einer hellen Segeltuchjacke. Gelassen beobachtete der Seewolf die Bewegungen des Schiffes. Der schlanke Bug hob und senkte sich im Einklang mit den heranrollenden Wellenbergen. Gischtschwaden wehten über das Vordeck. Die Schaluppe wurde mit der ruppigen See auf beinahe spielerische Weise fertig. Während der vergangenen zwei Stunden hatten sich in zunehmendem Maße Nebelbänke gebildet, die tief über den Wogen der Irischen See hingen und die Sicht immer mehr erschwerten. Philip Hasard Killigrew war froh, ein Schiff mit diesen hervorragenden Segeleigenschaften sein eigen zu nennen. Es handelte sich um jene Schaluppe, die Al Conroy erst vor wenigen Monaten auf listige Weise für ein paar Perlen in Plymouth erworben hatte. Die ›Isabella V.‹, eine spanische Dreimast-Galeone, hatte Hasard zur Verfügung der britischen Krone in Sheerness an der Themsemündung zurückgelassen. Zuvor war es ihm und seinen Männern trotz widriger Umstände gelungen, den schon fast legendären Beuteschatz aus der Neuen Welt an die Königin zu übergeben. Die in unzähligen Kämpfen erprobte Crew des Seewolfs hatte sich verkleinert, nachdem sie England hinter sich gelassen hatten. Während der rauhe Wind an seinem schwarzen Haarschopf zerrte, dachte Hasard an die stundenlangen Diskussionen zurück, die er mit seinen Männern geführt hatte. 13
Keiner von ihnen hatte es recht wahrhaben wollen, daß mit der Übergabe des Beuteschatzes an die Krone ein Schlußstrich gezogen worden war. Jeder der Männer hatte seinen Anteil an der Beute erhalten, und jeder einzelne von ihnen war nun steinreich. Ihr Vermögen war groß genug, daß sie sich an Land hätten niederlassen und ein Leben in Sorglosigkeit und Müßiggang führen können. Aber das war ein Gedanke, der keinem der Männer ohne weiteres in den Schädel zu hämmern gewesen war. An der Seite Philip Hasard Killigrews hatte ihr Leben in ständigem Kampf gegen übermächtige Gefahren bestanden. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft geworden, in der jeder auf jeden eingespielt war. Allein die Aussicht, diese Gemeinschaft zu verlassen, wäre schon schwer genug für sie geworden. Doch überdies gab es einen Gesichtspunkt, mit dem sie sich noch viel weniger abfinden konnten: Die Vorstellung, in Zukunft nichts mehr tun zu müssen, nicht mehr für ein gestecktes Ziel unter Einsatz des eigenen Lebens kämpfen zu müssen - diese Vorstellung war der Crew des Seewolfs geradezu unerträglich. Nur sechs der Männer hatte Hasard überzeugen können, daß es für sie sinnvoller war, von Bord zu gehen, um ein neues Glück auf anderen Wegen zu suchen. Nur widerstrebend waren die beiden Dänen, die beiden Holländer, sowie Jean Ribault und Karl von Hutten bereit gewesen, die Crew zu verlassen. Aber die Freude, ihre Heimat wiederzusehen, war bei den sechs Männern groß genug gewesen, um den Verlust der verschworenen Gemeinschaft zu verschmerzen. Bei Dünkirchen waren die sechs Männer von Bord gegangen, nachdem der Seewolf ihnen ihren Anteil an der Beute ausgehändigt hatte. Nun waren es noch insgesamt einundzwanzig Mann, die sich entschlossen hatten, bei Hasard zu bleiben. Der Schimpanse Arwenack turnte keckernd auf der vorderen 14
Rahrute entlang. Der Seewolf lächelte. Natürlich, auch Arwenack war fast so etwas wie ein vollwertiges CrewMitglied. Und es war nicht verwunderlich, daß er sich in der Nähe des Vordecks aufhielt. Denn dort stand Dan O’Flynn, sein besonderer Liebling. Der schlanke junge Mann mit dem stets zerzausten blonden Haarschopf hatte von allen Crewmitgliedern die schärfsten Augen, und so war er für ihn selbstverständlich, daß er unablässig die See voraus beobachtete, ohne dafür eigens einen Befehl von Hasard erhalten zu haben. Neben Donegal Daniel O’Flynn gehörten zu Hasards Mannschaft jetzt noch der Bootsmann Ben Brighton, Ferris Tucker, der bärenstarke Schiffszimmermann, Edwin Carberry, ehemaliger Profos auf Francis Drakes Schiff ›Marygold‹, Big Old Shane, der alte Waffenmeister von Arwenack, der alte O’Flynn, den sie als Schiffbrüchigen in der Karibik an Bord der ›Isabella V.‹ genommen hatten, sowie Smoky, Blacky, der Kutscher, Batuti, Matt Davies, Pete Ballie, Gary Andrews, Stenmark, Al Conroy, Jeff Bowie, Sam Roskill, Bob Grey, Buck Buchanan, Luke Morgan und Will Thorne. Diese einundzwanzig Männer waren nicht davon abzubringen gewesen, bei ihrem Seewolf zu bleiben. Obwohl Hasard mit Engelszungen geredet hatte, war es ihm nicht gelungen, sie davon zu überzeugen, daß ein geruhsames und sorgenfreies Leben an Land für sie das einzig Richtige sei. Und er hatte ihnen vor Augen gehalten, daß es eine rein persönliche Sache sein würde, der er sich von nun an widmete. Philip Hasard Killigrew hatte sich eine Aufgabe gestellt, die für ihn von größter Bedeutung war. Sein Ziel war es, die eigene Vergangenheit zu erforschen. Er wollte endlich wissen, wer er wirklich war. Sein Eindringen in die Feste Arwenack, wo er unter der Obhut Lady Anne Killigrews aufgewachsen war, hatte ihn nur einen kleinen Schritt weitergebracht. Mehr als die endgültige Gewißheit, daß Lady Anne ihn als Findelkind von 15
der Hansekogge ›Wappen von Wismar‹ mitgenommen hatte, war dabei nicht herausgekommen. Aber er wußte nun auch, wo er die Kogge vermutlich finden konnte. Der Hafen von Belfast war sein erstes Ziel auf dem Weg in die eigene Vergangenheit. Es hatte an sein Innerstes gerührt, als die Männer ihm unverhohlen erklärt hatten, daß sie seine Aufgabe auch als die ihre betrachteten. Keiner von ihnen hatte es mit wohlklingenden Worten begründet, aber Hasard sagte sich, daß die Erklärung nur darin liegen konnte, daß sie in den Zeiten der gemeinsam durchgestandenen Gefahren eine unlösbare Beziehung zueinander entwickelt hatten. »Verdammt noch mal, für uns gibt es keinen besseren Kapitän«, hatte Ben Brighton gesagt, als Hasard noch immer nicht aufgehört hatte, ihnen die Sonnenseiten eines neuen Lebens an Land vor Augen zu führen. Und damit hatte Ben Brighton das Stichwort für die anderen gegeben. Sie hatten den Seewolf einfach nicht mehr zu Wort kommen lassen. Trotz ihres neuerworbenen Reichtums war es ihnen völlig einerlei, wohin ihr vertrauter Kapitän segelte. Für sie spielte es keine Rolle, welches Ziel er hatte. Ob er als Freibeuter, Handelsfahrer oder Entdecker fuhr - ihr einziges Bestreben war es, bei ihm zu bleiben. Und sie waren sogar so weit gegangen, daß sie es als Demütigung und Schande bezeichneten, wenn sie nicht mehr unter dem Seewolf fahren durften. Gegen solcherlei Argumente hatte Hasard nichts mehr aufbieten können, und er hatte jedem einzelnen von ihnen wortlos die Hand gedrückt. Es war dabei sehr still geworden auf der ›Isabella‹. Der Seewolf wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen. »Mastspitzen Backbord voraus!« schrie Dan O’Flynn. Die Männer an Deck sprangen auf und starrten in die angegebene Richtung. Vergeblich, wie sie es gewohnt waren. Keiner von ihnen nahm es mit Dans ungewöhnlich scharfen 16
Augen auf. »Der Junge scheint den Nebel durchbohren zu können«, sagte Ben Brighton, der am Ruder stand. »Eines Tages fängt er an und sagt uns auch noch den Namen des Kapitäns, wenn wir von einem anderen Kahn erst die Toppsegel sehen. Aber dann wird mir das Bürschchen langsam unheimlich.« Hasard lachte. »Sag das nur nicht in seiner Gegenwart.« »Was?« »Das Wort Bürschchen. Er wird dir dafür an die Gurgel springen. Außerdem ist er wirklich kein kleiner Junge mehr.« »Teufel, ja«, entgegnete Ben Brighton grinsend. »Alte Gewohnheiten kann man nun mal nicht so leicht abschütteln.« Hasard hob das Spektiv ans Auge. »Ein Zweimaster!« rief Dan O’Flynn, der jetzt ganz vorn, am Bugspriet stand. »Lateinsegel an beiden Masten!« Hasard stellte fest, daß das Spektiv in diesem Fall wertlos war. Durch das Glas wurden die Nebelbänke zu einer undurchdringlichen grauen Wand verdichtet. Es zeigte sich, daß das menschliche Auge unter diesen Umständen leistungsfähiger war als ein konstruierter toter Gegenstand. Der Seewolf ließ das Fernglas sinken. »Kannst du die Entfernung schätzen, Dan?« »Verdammt schwer, bei diesem Nebel«, antwortete der junge O’Flynn. »Warte mal, der läuft haargenau auf uns zu, noch vierhundert Yards, denke ich. Vielleicht auch nur dreihundert. Wahrscheinlich hat er uns noch nicht mal entdeckt. Sieht übrigens nach einer Karavelle aus.« »Jetzt sehe ich ihn auch!« rief einer der Männer, die sich am Backbordschanzkleid versammelt hatten und nach vorn spähten. Hasard hatte im selben Atemzug die verschwommenen Umrisse des Seglers erkannt, der schemenhaft durch die Nebelbänke auf sie zuglitt. Die Karavelle schien zu schweben 17
wie ein Geisterschiff. Der Nebel versperrte die Sicht auf die Bugwelle und den unteren Rumpf. Dennoch war es offenkundig, daß der Zweimaster rauschende Fahrt vor dem Wind lief. Hasard traf eine schnelle Entscheidung. In der Irischen See wimmelte es von Freibeutern, die sich ihre Beute vorzugsweise von Schiffen mit der britischen Flagge holten. »Klar bei Drehbassen! Al, nach vorn! Jeff, nach achtern mit dir!« Al Conroy und Jeff Bowie lösten sich aus dem Pulk der übrigen Crew und hasteten los. Innerhalb kurzer Zeit hatten sie die beiden Drehbassen gefechtsklar. Die restlichen Männer griffen nach Pistolen und Entermessern. »Ben, geh höher an den Wind«, befahl der Seewolf. »Aye, aye, Sir, höher an den Wind gehen«, wiederholte Ben Brighton und legte Ruder. Die Schaluppe luvte an und verlor ihre Schräglage. Inzwischen waren die Umrisse der Karavelle deutlicher zu erkennen. Dan O’Flynn gab seine Beobachtungen mit der gewohnten Präzision weiter. »Bestückung sechs Culverinen an Backbord! Zwei Drehbassen vorn, das Gleiche achtern - Teufel auch, der führt die britische Flagge!« Hasard versuchte es erneut mit dem Spektiv. Die Entfernung zwischen der Schaluppe ›Isabella VI.‹ und der fremden Karavelle war inzwischen auf etwa zweihundert Yards zusammengeschmolzen. Aber noch immer ließen sich durch das Glas keine Einzelheiten an Deck des heranrauschenden Zweimasters erkennen. Mit einem irischen Freibeuter hatten sie es jedenfalls nicht zu tun - es sei denn, die Strolche dort drüben hatten sich getarnt, um ihre Jagdbeute in Sicherheit zu wiegen. Dem widersprach aber, daß die Besatzung der Karavelle offensichtlich noch nicht 18
einmal bemerkt hatte, daß eine Schaluppe ihren Kurs kreuzte. Denn der unbekannte Zweimaster lief weiter haargenau auf die ›Isabella VI.‹ zu. Hasard sah, wie sich Dan O’Flynns Haltung plötzlich anspannte. Sekundenlang starrte Dan wie gebannt in den Nebel hinaus. Ungewöhnlich, denn normalerweise hatte er es nicht nötig, seine Augen anzustrengen. Jäh wirbelte der schlanke junge Mann herum, sprang mit einem Satz von der Back und hastete zum Achterdeck. Arwenack, der Schimpansenjunge, verließ erschrocken seinen Platz auf der vorderen Rahrute, fegte den Mast hinunter, hüpfte über die Decksplanken und hangelte sich im nächsten Moment an der Balustrade des Achterdecks hoch. »Bei Nebel überträgt sich der Schall anders«, sagte Dan O’Flynn leicht außer Atem. »Deshalb brülle ich es nicht durch die Gegend. Sie könnten es drüben auf der Karavelle mitkriegen. Und es sieht ganz danach aus, als ob sie fast blind sind.« »Was, zum Teufel, hast du zu melden, Dan?« entgegnete der Seewolf ungeduldig. Es war nicht die Art des jungen O’Flynn, daß er jemals aus der Fassung geriet. »Laß dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.« Dan warf einen Seitenblick zu Ben Brighton, der interessiert herüberschaute. »Sir John!« stieß Dan hastig hervor. »Es ist der alte Halunke, der die Karavelle führt. Und neben ihm steht dieses Ferkelgesicht Simon Llewellyn auf dem Achterkastell.« Dem Seewolf und Ben Brighton verschlug es die Sprache. Doch Hasard erholte sich schnell von seiner Überraschung. Während die Karavelle bereits auf hundertfünfzig Yards heran war, gab er seine Kommandos in der gewohnten knappen Art. Die Männer an Deck wirbelten durcheinander. Al Conroy und Jeff Bowie stemmten die Kolben der Drehbassen gegen ihre Schultern. Das grimmige Lächeln in ihren Gesichtern zeigte, 19
daß es ihnen höllisch in den Fingern juckte. Denn Dan O’Flynns Beobachtung verbreitete sich in Sekundenschnelle. Und an Bord der ›Isabella VI.‹ gab es niemanden, der nicht eine Stinkwut auf den alten Killigrew hatte. * »Deck!« brüllte der Mann im Großmars der Karavelle. »Schaluppe auf Gegenkurs! Entfernung hundert Yards!« Sir John riß den Kieker hoch. Simon Llewellyn stelzte mit kurzen Schritten zur vorderen Balustrade des Achterdecks,beugte sich vornüber und starrte blinzelnd in den Nebel. Zu spät stellte der alte Killigrew fest, daß er mit dem Spektiv herzlich wenig ausrichten konnte. Als er die schemenhaften Umrisse des schlanken kleinen Zweimasters mit der Optik erfaßt hatte, drehte die Schaluppe unvermittelt nach Backbord ab. Sir John versuchte weiter, mit dem Fernglas Einzelheiten zu erkennen. Ernsthafte Sorgen hatte er nicht. Gegen seine hervorragend bestückte Karavelle war diese Nußschale alles andere als ein ernstzunehmender Gegner. Und sollte es sich um eins von diesem verdammten irischen Freibeuterschiffen handeln, dann würden die Hundesöhne sehr schnell zu spüren kriegen, was es hieß, sich mit dem Generalkapitän von Cornwall anzulegen. Wie, um seine Gedanken zu untermauern, stieß Sir John ein grimmiges Knurren aus. Er kannte die irischen Bastarde zur Genüge, und er wußte, wie man mit ihnen fertigwurde. Undeutlich erkannte er, daß die Schaluppe nun etwa auf gleicher Höhe mit seinem eigenen Schiff war. Und abermals beschrieb der schnelle kleine Zweimaster einen geradezu eleganten Bogen, diesmal nach Steuerbord. Der Bursche, der die Schaluppe kommandierte, verstand sein Fach. 20
Das mußte man ihm lassen. Im nächsten Atemzug erkannte Sir John, daß die Schaluppe mit vollem Zeug auf das Heck der Karavelle zurauschte. Der schlanke Rumpf des Zweimasters zerschnitt die ruppige See mit hoher Fahrt. »Klar zum Gefecht!« brüllte Sir John und ließ das Spektiv sinken. »Bewegt euch, ihr Drecksäcke! Bewegt euch, oder ich mache euch Beine!« Die Männer hasteten zu den Culverinen und Drehbassen. Sir John wollte weitere Kommandos geben, um die Karavelle abfallen zu lassen und dieser unverschämten Nußschale die Breitseite zu zeigen. Doch Simon Llewellyn brachte ihn aus dem Konzept. Der ferkelgesichtige Sproß des alten Killigrews stieß plötzlich einen spitzen Schrei aus. »Ich wird verrückt! Bei allen Teufeln, das ist - das ist - der elende Bastard!« Sir Johns Kopf ruckte herum. Schlagartig wurde ihm klar, daß er mit bloßem Auge weitaus bessere Sicht hatte. Und die Erkenntnis traf ihn wie ein Fausthieb. Diese Schaluppe tanzte ihm nicht zum erstenmal auf der Nase herum. Es war haargenau dasselbe Schiff, das ihnen bereits zwischen Plymouth und Falmouth mächtig zugesetzt hatte, als sie sich die britische Kriegskaravelle ›War Song‹ angeeignet hatten. Und überdeutlich erkannte er jetzt den schwarzhaarigen Bastard, der wie ein grinsender Teufel auf dem Achterdeck des Zweimasters stand. Sir John ballte in ohnmächtiger Wut die Hände. »Elender dreckiger Bastard!« brüllte er mit Donnerstimme. »Diesmal werde ich es dir zeigen! Diesmal wirst du mich nicht hereinlegen!« »Der ist zu schnell!« schrie Simon Llewellyn schrill. »Oh verdammt, er ist zu schnell!« 21
Sir John erwachte aus seinem Zornesrausch und ließ seine Kommandos dröhnend über Deck schallen. * Philip Hasard Killigrew lächelte kalt. Seine Männer waren mit grimmiger Entschlossenheit bereit, es dem alten Schlitzohr zu zeigen. Hasard brauchte keine Befehle mehr zu erteilen. Jeder kannte seine Aufgabe, und wieder einmal zeigte es sich, welchen unschätzbaren Wert eine perfekt aufeinander eingespielte Crew hatte. Die Schaluppe rauschte nun fast in rechtem Winkel auf das Kielwasser der Karavelle zu. Das Gebrüll des alten Killigrews war nicht zu überhören, ebensowenig das geifernde Geschrei seines Sohnes. Die Männer an Deck der Karavelle mühten sich verzweifelt ab, doch sie konnten es nicht mehr schaffen. In Sekundenschnelle erreichte die Schaluppe das Kielwasser des Killigrew-Schiffes, nur etwa dreißig Yards von dessen Heck entfernt. Auf dem Achterkastell der Karavelle hantierten die Männer wie wild an den Drehbassen. Zu spät. Sir Johns Gebrüll steigerte sich, doch er beschleunigte damit nichts. Al Conroy, Stückmeister an Bord der Schiffe des Seewolfs, war ein Meister seines Fachs. Ruhig glich er die Bewegungen der Schaluppe aus. Seine Drehbassen lagen waagerecht in der Gabel, als wäre diese nicht auf den Planken verankert. Präzise im richtigen Sekundenbruchteil feuerte Conroy das Geschütz mit der doppelten Pulverladung und gehacktem Blei und Eisen ab. Das Donnern des Schusses erstickte Sir Johns Wutgebrüll. Eine rotglühende Feuerlanze stach dem Heck der Karavelle entgegen, und eine Wolke von Pulverrauch verwehrte einen Moment lang die Sicht. 22
Ohne auf das Ergebnis seines Schusses zu achten, lud Al Conroy blitzschnell die Drehbasse nach. Während sich die Schaluppe nach Backbord von der Karavelle entfernte, lichtete sich die Pulverwolke. Im selben Augenblick erscholl ein vielstimmiger Triumphschrei an Bord der Schaluppe, und der Kampfruf der Isabella-Crew hallte weit durch die Nebelbänke über der Irischen See. »Ar-we-nack! Ar-we-nack!« Das Ruder der Karavelle bestand nur noch aus zersplitterten Fragmenten. Und wieder ertönte das wütende Gebrüll des alten Killigrew. Kurz nacheinander krachten die beiden Drehbassen auf dem Achterkastell der Karavelle. Weit von der ›Isabella VI.‹ rissen die Bleiladungen weißschäumende Fontänen aus dem Wasser. Für Hasard genügte ein kurzer Blick achteraus. Auf der Kuhl der Karavelle arbeiteten die Männer fieberhaft an den Culverinen. Wertvolle Sekunden würden noch verstreichen, bis sie die Geschütze feuerbereit hatten. Eiskalt gab der Seewolf das Kommando zu einem waghalsigen Manöver. Die Schaluppe beschrieb eine jähe Wende, rauschte bis auf vierzig Yards auf die Backbordseite der Karavelle zu und fiel dann sofort ab. Nur für eine Sekunde liefen die beiden Schiffe auf gleichem Kurs. In dieser Sekunde feuerten Al Conroy und Jeff Bowie die Drehbassen ab. Beide Schüsse vereinigten sich zu einem einzigen ohrenbetäubenden Krachen. Das Bersten und Splittern von Holzplanken mischte sich in den Nachhall der Schüsse. Sofort ließ Hasard wieder abdrehen. Vor raumem Wind rauschte die ›Isabella VI.‹ mit hoher Fahrt davon. Die Distanz zu der Karavelle vergrößerte sich rasend schnell. Mit bloßem Auge stellte der Seewolf fest, daß Al Conroy und Jeff Bowie meisterhaft gezielt hatten. Beide Ladungen hatten klaffende Lecks in die Wasserlinie der Karavelle gerissen. 23
Der Zweimaster des alten Killigrew krängte bedrohlich rasch nach Backbord. Es hatte einen Hauch von Lächerlichkeit, als das Mündungsfeuer der sechs Culverinen Sekunden später aus den Stückpforten zuckte. Nur fünfzig Yards von der Karavelle entfernt fauchten die Kugeln in die hohen Wellenberge, denn der Neigungswinkel des Schiffes war bereits zu groß. Die Männer an Bord der ›Isabella VI.‹ lachten und brüllten triumphierend und schlugen sich vor Freude gegenseitig auf die Schultern. Aus dem Gefahrenbereich waren sie längst heraus, und abermals hatten sie dem Seewolf und sich selbst bewiesen, daß der Gegner, der ihnen das Fürchten beibrachte, erst noch geboren werden mußte. Das Wutgeschrei des alten Killigrews verklang hinter den Nebelbänken. Das havarierte und steuerlose Schiff verschwand außer Sicht. Hasard würdigte die Karavelle ohnehin keines Blickes mehr. »Ein Glück, daß wir ihm begegnet sind«, sagte Ben Brighton grinsend. Hasard sah ihn mit blitzenden Augen an. »Glück?« »Klar doch. Jetzt brauchen wir wenigstens nicht mehr damit zu rechnen, daß er uns in Irland in die Quere gerät.« »Gegen deine Logik ist wie immer kein Kraut gewachsen«, sagte der Seewolf und grinste. Die ›Isabella VI.‹ ging erneut auf Nordkurs.
3. Sir Johns Gesichtsfarbe wechselte zwischen weiß und dunkelrot. Seine Adern an Hals und Schläfen waren angeschwollen, und es hatte den Anschein, als würde sein massiger Schädel jeden 24
Moment platzen. Der Rudergänger, der zaudernd und mit ratlosem Gesichtsausdruck am Kolderstock stand, wurde zum ersten Zielobjekt, das der alte Killigrew zum Ablassen seiner ohnmächtigen Wut auswählte. »Was stehst du herum!« herrschte er den Mann an. »Verdammter Schwachkopf, kapierst du nicht, daß dein verdammtes Ruder nicht mehr da ist? Los, los, es gibt jede Menge Arbeit! Ich will keinen von euch Drecksäcken noch länger rumstehen sehen!« »Aye, aye, Sir«, sagte der Rudergänger kleinlaut und zog den Kopf zwischen die Schultern, als er die zu Fäusten geballten Hände des Generalkapitäns sah. Simon Llewellyn stieß sich von der Balustrade ab und stelzte auf den Mann zu, der sich zögernd zum Niedergang bewegte. »Bist du schwerhörig?« keifte der Ferkelgesichtige. »Wenn dein Kapitän sagt, daß du nicht rumstehen sollst, dann heißt das, daß du gefälligst die Beine in die Hand nimmst! Oder wir müssen ein bißchen nachhelfen!« Ruckartig riß Simon Llewellyn das rechte Knie hoch und rammte es dem Rudergänger brutal ins Gesäß. Der Mann wurde vorüber geschleudert, ruderte verzweifelt mit den Armen und fand im letzten Moment Halt an der Balustrade. Sein Gesicht war bleich, als er mit zusammengepreßten Lippen zum Deck der Kuhl hinunterwankte. Die Männer an Deck verharrten. Zornflammende Blicke hefteten sich auf die beiden Killigrews. Doch Sir John war in seiner Wut nicht mehr zu halten. Mit der Vehemenz eines gereizten spanischen Stiers stürmte er zur Kuhl hinunter. Simon Llewellyn folgte ihm mit grimmiger Miene. Breitbeinig baute sich sein Vater vor der Mannschaft auf, die Fäuste in die Hüften gestemmt. 25
»Wenn ihr nicht augenblicklich anfangt, diesen Kahn wieder flottzumachen«, sagte er gefährlich leise und steigerte im nächsten Moment seine Stimmgewalt zu einem Donnern, »reiße ich euch der Reihe nach den Arsch auf! Vielleicht meint ihr, daß es besser ist, wenn wir mit diesen verdammten Kahn absaufen! Aber ich werde euch sehr schnell von dieser Meinung abbringen, darauf könnt ihr Gift nehmen. Seid ihr eine Crew oder nicht, zum Teufel! Wo sind die Lecktrupps? Wo die Pumpmannschaften? Und hoffentlich fangt ihr bald an, die Segel aufzugeien! Bewegt euch, ihr verdammten Lahmärsche!« Ohne erkennbaren Ansatz stapfte der alte Killigrew wutschnaubend auf die vorderste Reihe der Männer los. Und ohne zu zögern, verteilte er eine Serie von Fausthieben, hinter denen sein ganzer aufgestauter Zorn steckte. Fluchend quirlten die Männer durcheinander. Simon Llewellyn unterstützte seinen Vater, verteilte derbe Fußtritte und bedachte die Männer mit wüsten Beschimpfungen. Doch keiner von ihnen wagte es, sich gegen die unwürdige Behandlung aufzulehnen. Zu sehr steckte ihnen der Respekt vor dem Mann in den Knochen, der immerhin Generalkapitän von Cornwall war. Sie fuhren noch nicht lange genug unter Sir John Killigrew, um zu wissen, daß das alte Schlitzohr seine Untergebenen stets wie Leibeigene zu behandeln und nach allen Regeln der Kunst zu malträtieren pflegte. Die bisherige Crew des alten Killigrews existierte nicht mehr. In dem zermürbenden Kampf gegen den Seewolf und seine Verbündeten war diese Mannschaft aufgerieben worden. Und diejenigen, die beim letzten Schiffbruch des Alten nicht ertrunken waren, hatten ihn und seinen Sprößling fast totgeschlagen, bevor sie ihn voller Empörung verlassen hatten. Doch davon wußten die Männer an Bord der Karavelle nichts. Und ebensowenig ahnten sie, daß die Wut, die der alte Killigrew nun an ihnen ausließ, im Grunde gegen Hasard 26
gerichtet war, den elenden Bastard, den er auf Arwenack großgezogen hatte und den er wie die Pest haßte. Die Karavelle hatte inzwischen beträchtliche Schlagseite nach Backbord. Nur allmählich verrauchte Sir Johns Wut. Jeder Fausthieb und jeder Fußtritt, den er austeilte, verschaffte ihm Erleichterung. Als er die Männer endlich an die Arbeit getrieben hatte, zog er sich schnaufend auf das Deck des Achterkastells zurück. Simon Llewellyn verharrte noch eine Weile auf dem Deck der Kuhl. Er ahmte die Pose seines Vaters nach, stemmte die Fäuste in die fleischigen Hüften und wippte auf den Zehenspitzen. Seine Stimme war unangenehm schrill, wie stets, wenn er in Rage geraten war. »Tempo, Tempo, ihr Hurenböcke! Packt gefälligst zu, oder ihr lernt mich kennen! Ich werde euch zeigen, was es heißt, an Bord eines Killigrew-Schiffes zu fahren!« Die Männer, die mit dem Aufgeien der Segel beschäftigt waren, hörten nicht mehr hin. Es war der Anfang jener typischen Reaktion, die alle bisherigen Crews unter Sir John gezeigt hatten. Von einem bestimmten Zeitpunkt an, stießen das Gebrüll des Alten und das Gezeter des ferkelgesichtigen Sprößlings nur noch auf taube Ohren. Es war jener Zeitpunkt, zu dem sich die Männer zunächst ihrem Schicksal beugten und zähneknirschend die Befehle ausführten, mit denen sie auf so erniedrigende Weise traktiert wurden. Aber sie stauten Haß an. Und Sir John hatte noch immer nicht begriffen, daß er seine Crew damit in ein Pulverfaß verwandelte, an dem gerade die Lunte gezündet wurde. Eine Stunde nachdem die Männer der Lecktrupps und der Pumpmannschaften in die Hände gespuckt hatten, ließ die Krängung der Karavelle allmählich nach. Simon Llewellyn hatte sein Geschrei eingestellt und war zu seinem Vater auf das Deck des Achterkastells gestiegen. Doch Sir John war nicht in der Stimmung, ein Gespräch mit 27
seinem Sproß anzufangen. Sinnierend starrte der alte Killigrew auf die Wellenberge der Irischen See. Der Überfall Hasards war wie ein Schock gewesen, von dem er sich nur sehr langsam erholte. Doch nun wurden seine Gedanken zusehends klarer, und die ursprüngliche Wut über die erlittene neue Demütigung wich jenen Überlegungen, die stets dann in Sir John aufkeimten, wenn seine übermächtige Gier nach Geld und Reichtum alle anderen Gefühlsregungen unterdrückte. Die Fakten lagen für ihn klar auf der Hand: Punkt eins war, daß der Bastard nicht mehr die spanische Galeone mit dem Beuteschatz fuhr. Das bedeutete, daß er es geschafft haben mußte, das Schiff und die Beute nach London zu bringen. Punkt zwei war, daß Hasard mit Sicherheit einen Teil des Schatzes für sich und seine Männer zurückbehalten hatte. Wenn es nach diesem Arschkriecher allein gegangen wäre, dachte Sir John grimmig, hätte er wahrscheinlich der königlichen Lizzy den ganzen Segen in den Hintern geschoben. Aber seine Leute, diese Halunken, hatten garantiert nicht auf ihren Anteil verzichtet. Die waren nicht so edelmütig wie der ehrenwerte Bastard. Sir John stieß ein leises, höhnisches Lachen aus. Es stand für ihn fest: Das, was der Bastard von der Beute reserviert hatte, mußte immer noch so viel sein, daß ein einzelner Mann damit ein Leben in Saus und Braus führen konnte. Und verdammt noch mal, je mehr Sir John darüber nachdachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß niemand anders als er selbst dieser einzelne Mann sein konnte. Abgesehen davon, mußte er sich für die erlittene Niederlage an diesem Hurensohn von einem Killigrew-Bastard rächen. Die Gedankengänge Sir Johns fraßen sich fest. Es gab für ihn keine andere Möglichkeit mehr. Er würde blutige Rache üben und wenigstens einen Teil jener Beute reißen, auf die er es schon lange abgesehen hatte. 28
Diesmal sollte ihm der Bastard nicht mehr entwischen. Diesmal würde er es raffiniert genug anstellen, damit der vermaledeite Dreckskerl, den sie Seewolf nannten, erst dann aufwachte, wenn es für ihn längst zu spät war. Im übrigen waren die Zusammenhänge unschwer zu ahnen. Keine Frage, daß der Bastard mit Kurs auf Belfast segelte. Immerhin wußte er, daß dort die ›Wappen von Wismar‹ lag. Es war der Ansatzpunkt für die Suche nach seiner verfluchten Vergangenheit. Folglich gab es für ihn, Sir John Killigrew, jetzt mehr denn je eine reelle Chance, jenes Vorhaben in die Tat umzusetzen, das er in den vergangenen Wochen schon endgültig abgeschrieben hatte. Hölle und Verdammnis, diese Niederlage war keine wirkliche Niederlage! Nein, man konnte es eher einen glücklichen Zufall nennen, daß der Bastard den Kurs der Karavelle gekreuzt hatte.
4. Zwei Tage waren vergangen. Von dem Kapitän eines auslaufenden Fischkutters hatte der Seewolf erfahren, wo sich der Werftbereich im Hafengebiet von Belfast befand. Und so war es im Grunde kein Zufall, daß die Schaluppe an genau derselben Pier festmachte, an der kurze Zeit zuvor schon die Karavelle des alten Killigrew gelegen hatte. Es gab niemanden in der Isabella-Crew, der murrte, als Hasard verkündete, daß er vorläufig keinen Landgang genehmigen könne. Die Männer wußten, daß sich dieser Hafen sehr schnell in einen Hexenkessel verwandeln konnte. Denn für einen nationalbewußten Iren genügte schon der Anblick eines Engländers, um alle Zurückhaltung zu vergessen. Unbedachte 29
Worte waren bei einem Zechgelage meist unvermeidlich, und in einem solchen Fall konnte der Teufelstanz beginnen, ehe man sich versah. Es war kaum zu bezweifeln, daß die Iren dann sehr schnell eine gewaltige Übermacht zusammentrommeln würden. Keiner der Männer hatte ein Verlangen danach, dem Seewolf unnötige Schwierigkeiten zu bereiten. Deshalb hatte jeder von ihnen volles Verständnis für die Anordnung, die ihr Kapitän getroffen hatte. Philip Hasard Killigrew teilte die Deckwachen ein und schickte sich an, von Bord zu gehen. Es war kein änderer als Donegal Daniel O’Flynn, der ihm am Steuerbordschanzkleid den Weg versperrte. Der schlanke junge Mann baute sich herausfordernd vor ihm auf. Dans schmales Gesicht spiegelte Trotz und Entschlossenheit. »Ich lasse das nicht zu«, sagte er energisch. »Du willst dich mutterseelenallein in diese irische Hölle begeben, und wir sollen Däumchen drehen?« Der Seewolf lächelte und klopfte ihm auf die Schulter. »Sehe ich aus wie einer, der nicht auf sich achtgeben kann?« »Zum Teufel, sie werden dich auseinandernehmen.« »Das glaube ich nicht.« »Ich wette, jeder verdammte Halunke in diesem Hafen weiß längst Bescheid, daß ein englisches Schiff eingelaufen ist.« Die Männer, die die Worte des jungen O’Flynn mithörten, konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Ho!« rief Edwin Carberry von der Back. »Unser lieber kleiner Dan hört mal wieder die Flöhe husten.« Dan O’Flynn wirbelte herum und ballte die Hände. »Noch ein Wort, Profos!« schrie er. »Noch ein Wort, und ich schicke dich zu den Fischen, bevor du weiter dein Maul aufreißen kannst!« Carberry hob in gespielter Angst abwehrend die Hände und wich zurück. 30
»Tu mir das nicht an, Dan O’Flynn. Himmel, du weißt doch, daß ich eine lose Zunge habe. Ich werde den Teufel tun und dich herausfordern. Glaub mir, lieber Dan, es war nicht so gemeint.« Die Männer an Deck hatten Mühe, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Sie wußten, daß Dan O’Flynn sich zu einem hartgesottenen, zähen Kämpfer entwickelt hatte, der es noch immer nicht ganz verdaut hatte, daß man ihn als Halbwüchsigen nie recht ernstgenommen hatte. Dabei hatte er schon zu jener Zeit eine überragende Kämpfernatur an den Tag gelegt. Aber noch heute genügte für ihn der kleinste Anlaß, um es ihnen zu zeigen, diesen grinsenden Strolchen, die offenbar nach wie vor glaubten, daß er ein Muttersöhnchen war, das den Verlust der Schürzenzipfel nicht verschmerzt hatte. Dan O’Flynn zweifelte in seinem Inneren noch immer ein wenig daran, daß die anderen ihn längst als vollwärtiges Crewmitglied akzeptiert hatten. »Reg dich ab, Dan«, sagte der Seewolf ruhig. »Solange wir die Iren nicht herausfordern, werden sie sich nicht mit uns anlegen. Und es wäre eine Herausforderung, wenn wir zu zweit oder zu mehreren an Land gehen. Deshalb gehe ich allein von Bord. Ohne Waffen.« Er deutete auf seinen breiten Ledergurt. Die doppelläufige Reiterpistole befand sich nicht an ihrem gewohnten Platz. Auch auf seinen Degen hatte Hasard verzichtet. Dan O’Flynn verzog unwillig das Gesicht. »Trotzdem paßt es mir nicht, Hasard. Es kann immer noch etwas Unvorhergesehenes passieren.« »Also gut«, sagte Hasard und nickte geduldig. »Wir machen es folgendermaßen: Wenn ich in einer Stunde nicht zurück bin, seht ihr nach dem Rechten. Du, Ferris Tucker, Al Conroy und Ben Brighton. Einverstanden?« »Hm, na ja ...« Hasard sah, daß der Widerstand des jungen O’Flynn 31
dahinschmolz. Er klopfte ihm noch einmal auf die Schulter und ging dann eilends von Bord, bevor Dan mit neuen Gedankengängen aufwarten konnte. Am Kai sah Hasard sich zunächst unschlüssig um. Vor den Häusern der Handelsleute, vor den Läden der Schiffsausrüster und vor den Eingängen der Schenken standen Gruppen von Männern, die ihre Gespräche unterbrachen und den hochgewachsenen schwarzhaarigen Kapitän musterten. Hasard kümmerte sich nicht um die Blicke, in denen zwar keine offene Feindseligkeit lag, die ihn aber dennoch spüren ließen, daß ihm, dem Engländer, hier unverhohlene Abneigung entgegenschlug. Der Seewolf setzte seinen Weg fort und steuerte auf einen der Läden zu. Bevor er diesen erreichte, tauchte aus einer stadteinwärts führenden Seitengasse ein hünenhafter rothaariger Mann auf, der einen abgegriffenen Segeltuchbeutel über der Schulter trug. Hasard nutzte die Gelegenheit, um sich nach der Werft O’Connors zu erkundigen. Er hob grüßend die Hand und sprach den Hünen an. »Verzeihung, Mister«, sagte er höflich. »Ich suche die Werft von Rory O’Connor. Können Sie mir weiterhelfen?« . Der rothaarige Hüne blieb stehen und musterte den Seewolf von Kopf bis Fuß. »Engländer, wie?« »Richtig.« »Keine Bedenken, hier so einfach herumzuspazieren?« »Warum sollte ich?« »Dies ist Belfast, Mister. Belfast ist Irland. Und erst vor ein paar Tagen hatten wir ein paar gottverdammte hirnrissige Briten hier. Lausige Bastarde, sage ich Ihnen. Wenn Sie zu der gleichen Sorte gehören, kehren Sie besser gleich um.« »Tut mir leid, daß Sie mich mit meinen hirnrissigen Landsleuten in einen Topf werfen«, entgegnete Hasard 32
achselzuckend. Ihm war sofort klar, wen der hünenhafte Ire meinte. Denn der Kurs der Karavelle hatte darauf schließen lassen, daß Sir John von der irischen Küste zurückgekehrt war. »Wenn ich ein lausiger Bastard und ein gottverdammter Irenhasser wäre, würde dieser Hafen nicht mal die Mastspitze meines Schiffes zu sehen kriegen.« In der Stimme des Seewolfs lag ein Unterton, der den Rothaarigen aufhorchen ließ. Außerdem war da noch dieser harte, fast metallene Glanz in den seeblauen Augen dieses britischen Kapitäns. Der Ire spürte instinktiv, daß er es mit einem außergewöhnlichen Mann zu tun hatte, ohne daß er für dieses Empfinden eine logische Erklärung hatte. »Was wollen Sie von Rory O’Connor, Mister?« Aus dem Tonfall des Hünen war herauszuhören, daß er einzulenken begann. »Ich brauche zwei zusätzliche Drehbassen«, erwiderte Hasard. »Weshalb ausgerechnet von O’Connor? Wie kommen Sie auf seinen Namen?« Hölle und Teufel, diese Iren waren wirklich Leute, denen das Mißtrauen schon in die Wiege gelegt worden sein mußte. Aber Hasard fand zum Glück eine plausibel klingende Erklärung, die sogar zur Hälfte der Wahrheit entsprach. »Beim Einlaufen in den Hafen habe ich den Kapitän eines Fischkutters gefragt, wer mir hier in Belfast schnell und zuverlässig Drehbassen besorgen und einbauen könnte. Tja, und dieser Fischer spuckte sofort den Namen O’Connor aus. Das ist die ganze Geschichte, Mister.« »Hm ...« Der Ire kratzte sich am Hinterkopf und rückte seine flache schwarze Mütze wieder zurecht. »Dieser Kutterkapitän hat Ihnen die beste Empfehlung gegeben, Mister. Es gibt keinen Besseren als O’Connor. Neben seinem Werftbetrieb liefert der Alte auch Schiffsausrüstungen. Sieht so aus, als ob Sie Glück haben, Mister. Ich denke, wir beide haben denselben 33
Weg.« »Sie arbeiten dann wohl bei O’Connor?« folgerte Hasard gedankenschnell. »Erraten«, sagte der Rothaarige und hielt dem Seewolf eine schwielige Pranke hin. »Sean Gallagher, mein Name. Früher Schiffszimmermann. Heute kriege ich Decksplanken nur noch zu sehen, wenn wir die Kähne aufgeslippt haben. Denken Sie nicht, daß ich kein ganzer Kerl bin. Ich habe eine Alte zu Haus, die mich mächtig unter den Pantoffel gekriegt hat. Entweder du bleibst an Land, oder du kannst dir eine andere suchen. Punktum. Was würden Sie mit so einem Weib tun, Mister? Würden sie sich eine andere suchen?« Hasard schüttelte lächeln den Kopf. »Kaum anzunehmen«, sagte er, und dabei mußte er an seine junge Frau Gwen denken, die er in England zurückgelassen hatte - gut versorgt zwar, aber eben ohne den Mann, den sie liebte. Würde auch sie eines Tages ein ähnliches Ultimatum stellen, wie es dieser aufrechte Ire so humorvoll zum Besten gab? Hasard hatte keine Zeit gehabt, sich eine falsche Identität zurechtzubasteln. »Ich bin Philip Drummond aus Exeter«, erklärte er, als er den fragenden Blick des ehemaligen Schiffszimmermanns spürte. »Westlich von Man hatten wir Ärger mit ein paar von euren gottverdammten hirnrissigen Freibeutern. Deshalb die zusätzlichen Drehbassen. Wenigstens für die Heimreise will ich etwas besser gerüstet sein.« »Habt ihr die Jungens zu den Fischen geschickt?« fragte Gallagher. »Das nicht. Wir haben es mit Mühe und Not geschafft, sie uns vom Hals zu halten. Die sind wie die Teufel, sage ich Ihnen. Aber unsereins ist auch nicht auf den Kopf gefallen.« Der Ire grinste breit. »Gehen wir, Mister Drummond. Der alte O’Connor kann 34
Ihnen selber sagen, warum er auf die gottverdammten Engländer schlechter zu sprechen ist als wir alle zusammen. Wenn Sie es schaffen, daß er Ihnen die Drehbassen einbaut, dürfen Sie es als besondere Ehre betrachten.« Stirnrunzelnd und schweigend marschierte Hasard neben Gallagher her. Eine unbestimmte Ahnung keimte in ihm auf. Er hatte eine vage Vorstellung davon, was der Rothaarige mit seiner Andeutung gemeint haben konnte. Aber wenn das alte Schlitzohr tatsächlich hiergewesen war was zum Teufel hatte er dann im Schilde geführt? Sie erreichten das Werftgelände. Sean Gallagher deutete auf das Kontorgebäude. »Fassen Sie den Alten mit Samthandschuhen an. Vielleicht springt er Ihnen dann nicht sofort an die Gurgel.« Hasard lächelte und bedankte sich mit einer »Handbewegung bei seinem Begleiter. Zielstrebig ging er auf das Kontor zu und trat ein. Die Stehpulte wurden vom Schein einer Öllampe erhellt. Offenbar reichte das Tageslicht, das durch die beiden kleinen Fenster hereinfiel, nicht aus. Nur ein Mann war anwesend. Ein rothaariger Zwerg, dessen füchsisches Gesicht zum Gotterbarmen aussah. Seine Wangen waren verquollen und stellenweise aufgeplatzt, das linke Auge veilchenblau angelaufen. Hasards Ahnung bestärkte sich. »Mister O’Connor?« fragte er. »Rory O’Connor?« »Der bin ich«, antwortete der Zwerg und blinzelte mit dem rechten Auge über die Stehpulte. Sein linkes Auge war fast geschlossen. Kaum anzunehmen, daß er damit sehen konnte. Dennoch war mühelos der offene Haß in seinem Blick zu erkennen. »Mein Name ist Philip Drummond«, sagte der Seewolf. »Aus Exeter. Ich brauche für meine Schaluppe zwei zusätzliche Drehbassen, die ich vorn und achtern einbauen lassen möchte. Wir hatten bei Man einigen Ärger. Deshalb möchte ich für die 35
Rückreise besser gerüstet sein. Ihre Werft wurde mir empfohlen, Mister O’Connor.« »Auf meinen guten Ruf bilde ich mir nichts ein«, entgegnete der Werftbesitzer unwirsch. »Bevor Sie gehen, können Sie mir einen Gefallen tun, Mister Drummond.« O’Connors Ton wurde bissig. »Sagen Sie mir, von wem Sie meinen Namen haben. Ich werde dem Kerl eigenhändig den Hals umdrehen. Der Strolch, der meine Firma einem verdammten Engländer empfiehlt, kann kein guter Ire sein.« Hasard blieb gelassen. »Wenn es um Geschäfte geht, sollte man die Nationalitäten ruhig außer acht lassen, Mister O’Connor.« Der Schädel des gnomenhaften Iren ruckte vor. »So, meinen Sie?« rief er fauchend. »Ich will Ihnen meinen Grundsatz sagen. Mit Engländern schließe ich aus Prinzip keine Geschäfte mehr ab. Selbst wenn Sie der anständigste Mensch auf Gottes Erdboden wären, könnten Sie bei mir nicht landen. Basta. Also verschwinden Sie.« »Ich vermute, daß Sie schlechte Erfahrungen gemacht haben«, sagte Hasard. »Schlechte Erfahrungen?« O’Connor spie die Worte förmlich aus. »Gar kein Ausdruck, das. Ich habe endgültig die Nase voll. Nie wieder kommt mir ein Engländer über die Schwelle. Sie können sich was drauf einbilden, daß Sie der Letzte gewesen sind.« »Wenn es nur ums Bezahlen gehen sollte ...« »Nein, zum Teufel.« »... dann kann ich Sie beruhigen«, fuhr Hasard unbeirrt fort. »Ich zahle mit Perlen. Jeder andere an Ihrer Stelle würde sich sämtliche Finger danach lecken. Und ich denke, Sie sind nicht der einzige Schiffsausrüster in Belfast.« O’Connor zog ruckartig die Braue über seinem unversehrten Auge hoch. »Perlen?« 36
»Das sagte ich.« »Haben Sie ein Kullerchen dabei?« Hasard nickte. Er zog einen ledernen Beutel aus der Tasche und ging auf das vordere Stehpult zu. In der flachen Hand präsentierte er dem Werftbesitzer einige der Kostbarkeiten aus der Neuen Welt. Die Perlen funkelten verführerisch im Lampenlicht. O’Connors heiles Auge wurde rund. Sein Adamsapfel bewegte sich ruckend auf und ab. »Zufrieden?« fragte Hasard und steckte die Perlen wieder ein. »Nun ja ...« Der Ire zögerte. »Ich habe nicht allzu viel Zeit, Mister O’Connor. Wenn Sie sich bitte entscheiden wollen. Zwei Drehbassen. Außerdem brauchen wir natürlich Lebensmittel und Trinkwasser.« O’Connor atmete tief durch und gab sich einen Ruck. »Also gut. Sie haben mich überredet. In Ihrem Fall will ich eine Ausnahme machen, Mister Drummond. Ich glaube, ich kann Ihnen vertrauen, obwohl Sie ein Engländer sind.« Hasard zuckte mit den Schultern. Innerlich grinste er. »Sie müssen an die schlechteste Sorte meiner Landsleute geraten sein.« »Das kann man wohl sagen«, ereiferte sich der Werftbesitzer. »Wenn diese Bastarde noch einmal hier auftauchen sollten, werden wir ihnen einen gebührenden Empfang bereiten. Meine Männer sind vorgewarnt. Aber ich glaube nicht, daß dieser verdammt Killigrew es wagen wird, mir noch einmal unter die Augen zu treten.« »Killigrew?« fragte Hasard. »Etwa Sir John Killigrew, der Generalkapitän von Cornwall?« »Allerdings«, sagte O’Connor, und sein rechtes Auge funkelte zornig. »Daß so ein Hurensohn überhaupt Generalkapitän werden kann, paßt zu der Meinung, die ich von euch Engländern habe.« 37
Hasard legte die Unterarme auf das Stehpult und blickte den Iren mit einem gutgespielten verlegenen Lächeln an. »Ich will wirklich nicht versuchen, Sie von Ihrer Meinung abzubringen. Ich will auch nicht versuchen, mich als etwas Besseres darzustellen. Aber wenn ich ehrlich bin, muß ich sagen, daß Sie bezüglich Sir John Killigrews völlig recht haben. Wenn Sie wüßten, was über ihn erzählt wird, würden Sie sich nicht mehr wundern. In ganz England ist bekannt, daß er ein Erzhalunke ist. Aber wer einmal einen Posten ergattert hat, den kann selbst die königliche Lizzy nur schwer wieder vertrieben. So ist das nun einmal.« »Er hat einen schlechten Ruf?« sagte O’Connor erstaunt »Mehr als das. Wenn es stimmt, was über ihn erzählt wird, dann gibt es keine Menschenseele, die ihm über den Weg traut.« O’Connor wischte mit seiner faltigen Hand durch die Luft. »Trotzdem kein Trost für mich. Wenn ich daran denke, daß dieses Schwein mir achthundert Pfund für nichts abgeknöpft hat, wird mir nachträglich schlecht.« »Achthundert Pfund? Sind Sie etwa überfallen worden?« »So könnte man es nennen. Man sieht es mir an, nicht wahr? Leider waren meine Männer nicht gewarnt. Sonst wäre das nicht passiert, das schwöre ich Ihnen.« Der Betrag von achthundert Pfund lenkte Hasards Vermutung allmählich in die richtigen Bahnen. Es war dem alten Schlitzohr zuzutrauen, daß er sich auf diese Weise sein Geld zurückgeholt hatte, das ihm der Seewolf auf der Feste Arwenack abgenommen hatte. Hasard wußte, daß Sir John stets den Weg des geringsten Widerstands beschritt, wenn er sich zu bereichern gedachte. »Unglaublich«, sagte der Seewolf kopfschüttelnd. »Da spaziert dieser Kerl einfach hier herein und verlangt mir nichts dir nichts achthundert Pfund?« O’Connor nickte grimmig. 38
»Wenn ich Ihnen sage, welche Begründung er hatte, halten Sie mich wahrscheinlich für verrückt.« »Sie sehen nicht so aus.« O’Connor rang sich ein mattes Grinsen ab. »Kein Engländer schmeichelt einem Iren.« Hasard grinste zurück. »Dann bin ich die rühmliche Ausnahme. Wie war das mit der Begründung? Vielleicht können wir dem alten Killigrew drüben in Cornwall ein bißchen Feuer unter dem Hintern anzünden, wenn die Geschichte bekannt wird.« O’Connor verzog das geschwollene Gesicht, als bereite die Erinnerung ihm neue Schmerzen. »Die eigentliche Sache liegt schon viele Jahre zurück, wissen Sie? Fünfzehnhundertsechsundfünfzig. Dieser Hurensohn Killigrew hat mir damals eine Hansekogge verkauft. Für genau achthundert Pfund. ›Wappen von Wismar‹ heißt das Schiff.« Der Seewolf zeigte sich nicht übermäßig beeindruckt. »Hat er jetzt etwa behauptet, er hätte das Geld damals nicht gekriegt?« »Nein, das nicht. Er kam mir damit, daß ihm diese verdammte Kogge nur Ärger bereitet hätte. Wieso, weiß der Teufel. Jedenfalls verlangte er nochmal achthundert Pfund, Als Schadenersatz. Natürlich habe ich mich geweigert. Da hat er es sich mit Gewalt genommen, dieser Bastard. So ein rotgesichtiges Ferkel hat ihm dabei geholfen. Ich nehme an, das war sein Sohn.« »Ungeheuerlich«, sagte Hasard teilnahmsvoll. »Wahrscheinlich haben Sie die Kogge längst abgewrackt, nicht wahr? Um so schlimmer, dann noch Geld dafür zahlen zu müssen.« O’Connor knurrte zustimmend. »Der Kahn liegt noch bei mir auf der Werft. Ist aber nicht mehr zu gebrauchen. Irgendwann werden wir es wohl schaffen, den Schandfleck zu beseitigen.« 39
»Interessant«, sagte Hasard. »Offen gestanden, ich habe noch nie eine Kogge gesehen, obwohl ich ziemlich weit herumgekommen bin. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir das Schiff zu zeigen?« Der Ire zog die schmalen Schultern hoch. »Meinetwegen. Guten Kunden tue ich schon mal einen Gefallen, auch wenn’s Engländer sind.« Hasard erwiderte nichts darauf. Er wußte, daß er keine übermäßige Neugier an den Tag legen durfte. Es war nicht ratsam, daß O’Connor herausfand, weshalb er sich wirklich für die Kogge interessierte. Der Werftbesitzer führte ihn hinaus auf sein Grundstück, das von der ständigen Geräuschkulisse der Hämmer und Sägen erfüllt war. Jenseits der hölzernen Schuppen gab es eine Helling, die offensichtlich nicht mehr in Betrieb war. Der Seewolf zwang sich, gelassen zu bleiben, als er die Kogge erblickte. Unkraut wucherte zu beiden Seiten des Schiffsrumpfes, der zur Hälfte noch im seichten Wasser lag. Die unteren Planken waren vom Algenbewuchs angegriffen, und der Mast fehlte. Auch die Decksaufbauten zeigten deutliche Zeichen des Verfalls. Allem Anschein nach war das Schiff bereits größtenteils ausgeschlachtet. Einen Steinwurf weit von der Kogge entfernt blieben Philip Hasard Killigrew und Rory O’Connor stehen. »Ich hätte mir so ein Hanseschiff größer vorgestellt«, sagte Hasard. O’Connor warf sich in die Brust. Der Fachmann in ihm erwachte. »Der alte Kasten ist natürlich hoffnungslos veraltet, Mister Drummond. Heute sind wir wesentlich weiter. So eine Kogge würde man in unseren Tagen bestenfalls noch für die Küstenfahrt einsetzen.« Der Seewolf rieb sich das Kinn. »Aber es heißt doch, daß zum Beispiel die Galeonen aus der Bauweise der Koggen 40
weiterentwickelt wurden. Und wenn ich mir dieses Achterkastell ansehe, so scheint es durchaus einige Ähnlichkeiten zu geben.« »Das ist richtig«, gab O’Connor zu. »Wesentliche Konstruktionsmerkmale sind von den Schiffsbauern der Hanse übernommen worden. Die Jungens waren damals schon ziemlich gut, das muß man ihnen lassen.« Scheinbar beiläufig lenkte Hasard das Gespräch in andere Bahnen. »Ich frage mich nur, wie der alte Killigrew ausgerechnet an ein solches Schiff geraten ist.« O’Connor versuchte ein breites Grinsen, ließ es aber sofort wieder, denn sein Gesicht schmerzte. »Er hat es nicht selbst aufgetrieben. Seine Frau hat ihm gewissermaßen dieses Ei ins Nest gelegt. Lady Anne Killigrew hat seinerzeit in Falmouth die Kogge abfangen lassen. Das Schiff befand sich auf der Reise von Cadiz nach Lübeck. Nun ja, und Sir John mußte sich den Kahn natürlich auf eine passable Weise vom Hals schaffen. In mir hat er dann schließlich einen Dummen gefunden. O verdammt, am besten denke ich nicht mehr darüber nach. Ich könnte sonst fuchsteufelswild werden.« Zum Glück war der Ire mit seinem eigenen Zorn beschäftigt, so daß er auf Hasards Reaktion nicht achtete. Der Seewolf hatte zum erstenmal das Gefühl, sich selbst nicht mehr unter Kontrolle halten zu können. Die Bemerkung O’Connors versetzte ihn in grenzenloses Staunen. Von Cadiz nach Lübeck ... Lübeck? Bedeutete das, daß er als kleiner Junge damals nach Lübeck gebracht werden sollte? Hasard zwang sich, die Beherrschung zu behalten, er mußte alle Willenskraft aufbieten, um nach außen hin völlig gelassen zu bleiben. Und er unterdrückte auch seine wachsende Neugier. 41
Er wußte, daß der Ire bei weiteren Fragen sicherlich mißtrauisch werden würde. Da war zum Beispiel an erster Stelle die Frage, wer damals der Kapitän des Schiffes gewesen sei. Zweifellos mußte das aus den Schiffspapieren hervorgehen. Wenn O’Connor diese Papiere beim Kauf der Kogge sichergestellt haben sollte ... Hasard verscheuchte die Gedanken aus seinem Bewußtsein. Es mußte noch einen anderen Weg geben, sich die Informationen zu verschaffen. »Vielen Dank, Mister O’Connor«, sagte Hasard höflich. »Man sollte sein Wissen ständig vervollkommnen. Selbst als erwachsener Mann lernt man nicht aus. Habe ich recht?« »Allerdings«, entgegnete der Ire. »Mit diesem Erfahrungsgrundsatz werden Sie es weiter bringen. Weiter als diese Holzköpfe, die da glauben die Weisheit für sich gepachtet zu haben. Zu dieser Sorte gehört der alte Killigrew. Aber eines Tages wird er sich damit ins eigene Fleisch schneiden.« Hasard dachte sich seinen Teil. Ohne Frage schätzte dieser rothaarige Zwerg den Generalkapitän von Cornwall völlig richtig ein. »Wie lange werden Sie für die Arbeiten brauchen?« erkundigte sich der Seewolf. O’Connor überlegte nicht lange. »Die Drehbassen haben wir auf Lager. Für den Einbau brauchen wir im Höchstfall zwei Tage.« »Können Sie mir diese Frist garantieren?« »Sie haben mein Wort, Mister Drummond.« Gemeinsam mit dem Iren ging Hasard zum Hof vor dem Kontorgebäude zurück. Dort verabschiedeten sich die beiden Männer.
5.
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Den Rest des Tages verbrachte die Crew der ›Isabella VI.‹ damit, die von O’Connor gelieferten Lebensmittel- und Trinkwasservorräte auf die Schaluppe zu mannen. Ben Brighton überwachte die Ladearbeiten. Seine knappen Kommandos waren auch in der Kapitänskammer zu hören, wohin der Seewolf sich zurückgezogen hatte. Ferris Tucker war bei ihm. Der riesenhafte Schiffszimmermann hatte flammend rote Haare und ein Kreuz, das so breit war wie ein Rahsegel. Hasard hatte ihm ausführlich berichtet, was er von dem gnomenhaften Werftbesitzer erfahren hatte. »Ich möchte mir die Kogge näher ansehen«, fügte der Seewolf hinzu. »Und ich möchte, daß du dabei bist.« Ferris Tucker nickte. »Wann soll es losgehen?« »Bei Dunkelheit. Irgendwann heute nacht. Den genauen Zeitpunkt werden wir nach Lage der Dinge festsetzen. Wir müssen abwarten, wann hier im Hafen die größte Ruhe eingekehrt ist.« »Es hat seinen besonderen Grund, daß ich dabei sein soll?« »Allerdings«, sagte Hasard lächelnd. »Ich will möglichst viel über die ›Wappen von Wismar‹ in Erfahrung bringen, ohne daß jedoch einer unserer irischen Freunde etwas davon mitkriegt. Wichtig zu wissen ist zum Beispiel, wann und wo und von wem die Kogge gebaut wurde. Wenn es einen gibt, der das herausfinden kann, dann bist du es, Ferris.« Der Schiffszimmermann grinste geschmeichelt. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber versprich dir nicht zuviel davon. Wenn der Kahn morsch und verfault ist, wird man kaum noch etwas ausrichten können.« »Ich schätze, daß die Kogge höchstens ein oder zwei Jahre aufgeslippt ist.« Ferris Tucker zog die Schultern hoch. »Ich muß das Schiff sehen. Vorher kann ich nichts sagen.« 43
»In Ordnung, Ferris. Wir nehmen Al Conroy und Gary Andrews mit.« Ferris Tucker verließ die Kapitänskammer, und Philip Hasard Killigrew blieb mit seinen Gedanken allein. Philip Hasard Killigrew ... Daß dies nicht sein wirklicher Name war, stand inzwischen für ihn fest. Würde es ihm nun gelingen, seine wahre Identität zu erforschen? Er gab sich keinen übermäßigen Illusionen hin. Die Hansekogge war nur ein Anfang. Er konnte nicht erwarten, daß die Lösung des Rätsels wie ein aufgeschlagenes Buch vor ihm lag. * Kurz vor Mitternacht verließen der Seewolf und die drei Männer das Schiff. An der der Pier abgewandten Seite fierten sie das Beiboot ab und steuerten mit mäßiger Fahrt auf die stockfinstere Wasserfläche des Hafenbeckens hinaus. Gary Andrews und Al Conroy tauchten die Riemenblätter behutsam ein und pullten nur mit geringem Kraftaufwand. Auf diese Weise gelang es ihnen, das Beiboot völlig geräuschlos vorangleiten zu lassen. Hasard und Ferris Tucker saßen achtern auf der Ducht. Mit leiser Stimme gab der Seewolf den Männern knappe Kursanweisungen. Am Kai flackerte eine Reihe von Öllampen, die in eisernen Körben auf mannshohen Stangen ruhten. Nur noch aus den Schenken war das heisere Grölen von Männerstimmen zu hören. Doch sonst war dieser Teil des Hafens von Belfast wie ausgestorben. Keine Menschenseele ließ sich zu dieser späten Stunde noch im Freien blicken. Die Männer der ›Isabella VI.‹ umrundeten die Liegeplätze der Barken und Fischkutter in weitem Abstand. Danach pullten sie über die freie Wasserfläche, die sich vor dem Werftgelände 44
Rory O’Connors erstreckte. Sie hielten sich bewußt am westlichen Teil des Hafenbeckens, wo sich die stillgelegte Helling mit der zum Abwracken vorgesehenen Hansekogge befand. Hasard spähte zum östlichen Teil des Werftgeländes hinüber, während das Boot langsam auf jene Stelle zuglitt, wo er die ›Wappen von Wismar‹ wußte. Nirgendwo war ein Lichtschein au erkennen. Die Werft lag in völliger Ruhe da. Dennoch traute Hasard es dem kleinen Iren zu, daß er Wachen postiert hatte. Nach seinem Erlebnis mit Sir John rechnete O’Connor möglicherweise mit einem neuen Zwischenfall. Die Tatsache, daß ein britisches Schiff im Hafen festgemacht hatte, mußte für jeden Iren Grund übersteigerten Mißtrauens sein. Hasard hatte deshalb von Anfang an beschlossen, nicht das geringste Risiko einzugehen. Er dachte nicht daran, unnötige Schwierigkeiten durch allzu leichtfertiges Vorgehen herauf zu beschwören. Wenn irgend möglich, wollte er den Hafen von Belfast unbehelligt wieder verlassen - unbehelligt, doch mit neuen Erkenntnissen über seine ungewisse Vergangenheit. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Unvermittelt sah er die Umrisse der Hansekogge, die sich vor dem Nachthimmel abzeichneten. Es herrschte ablandiger Wind. Nur in größeren Zeitabständen wurde die Wolkendecke über der irischen Küste aufgerissen. Minutenlang schickte die bleiche Sichel des abnehmenden Mondes ihr fahles Licht herab. Hasard und seine Begleiter hielten den Atem an. Falls es Posten gab, die dort auf dem Werftgelände lauerten, würden sich auch deren Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Und zwangsläufig mußten sie jetzt, bei der geringen Helligkeit, das Boot entdecken, das sich der stillgelegten Helling näherte. Doch es blieb ruhig. Kurz nachdem sich eine neue Wolkenbank vor den Mond geschoben hatte, knirschte der Kiel des Bootes über sandigen 45
Ufergrund. Al Conroy und Gary Andrews holten die Riemen ein. Der Stückmeister stieg als erster ins seichte Wasser. Die übrigen Männer folgten ihm. Behutsam setzten sie einen Fuß vor den anderen, während sie das Boot weiter an Land zogen. Sie verbargen es an der Steuerbordseite der Kogge, wo absolute Dunkelheit herrschte. Al Conroy und Gary Andrews kannten ihre Aufgabe. Es war nicht notwendig, Worte zu wechseln. Die beiden Männer zogen sich in die Finsternis beiderseits des aufgeslippten Hanseschiffes zurück, um Wache zu halten. Unverzüglich enterten Hasard und Ferris Tucker das Achterkastell der Kogge. Der Schiffszimmermann schleppte eine noch nicht angezündete Laterne mit, indem er sich deren Eisenbügel zwischen die Zähne klemmte. Hasard zog sich als erster über die morsche Balustrade und ließ sich vorsichtig auf die Decksplanken gleiten, die von der ständigen Luftfeuchtigkeit glitschig waren. Ferris Tucker folgte ihm ebenso geräuschlos. Geduckt schlichen die beiden Männer zum Niedergang, der nach ihrer Vermutung zur Kapitänskammer führen mußte. Vorsichtig tastend stiegen sie die altersschwachen Stufen hinunter, von denen einzelne unter der ungewohnten Last ein bedrohliches Knirschen von sich gaben. Aber der Seewolf und sein Schiffszimmermann schafften es, keinen verräterischen Lärm zu verursachen. Mit prüfenden Fingerspitzen fuhr Hasard über das Schott zur Kapitänskammer. Es schien noch erstaunlich gut intakt zu sein. Behutsam öffnete er es. Modergeruch schlug ihm entgegen. Auf leisen Sohlen tauchte Hasard in die übelriechende Düsternis der Kammer. Zwei Schritte schaffte er. Jäh ließ ihn ein scharrendes Geräusch zurückprallen. Das Geräusch kam aus dem Inneren des Raumes und konnte 46
unmöglich von Ferris Tucker stammen. Reflexartig griff Hasard nach der doppelläufigen Reiterpistole, die unter seinem Ledergurt stak. Doch bevor er die Waffe schußbereit hatte, flackerte plötzlich eine Lampe auf. Eine zurückzuckende faltige Hand war zu erkennen. Dann, als sich der Lichtschein ausbreitete, wurde der Mann sichtbar. In seiner Rechten ruhte eine Steinschloßpistole, deren Lauf von Rostnarben übersät war. Hasard ließ die Doppelläufige, wo sie war. »Was, zum Teufel ...« setzte Ferris Tucker hinter ihm an. Der Schiffszimmermann verstummte sofort wieder, als er über Hasards Schulter starrte. Dieser Kerl mit der rostigen Pistole war ein Anblick, der zum Lachen reizte. Sein schlohweißes Haar fiel über die Schultern, sein langen Ziegenbart war dünn und weißgrau. In einem faltigen alten Gesicht mit vorspringender Hakennase blitzten zwei zornige Augen. Bekleidet war der Alte mit einem sackähnlichen Gewand, das seine dürren Arme und Beine freiließ. »Keinen Schritt weiter!« sagte die komische Figur mit einer Stimme, die wie raschelndes welkes Herbstlaub klang. »Eine falsche Bewegung, und ich durchlöchere euch beide gleichzeitig. Die doppelte Ladung in meinem Lauf reicht dafür aus, das kann ich euch versichern.« Hasard schwieg. Er sah sich um, ohne den Kopf zu bewegen. Die ehemalige Kapitänskoje war mit Stroh ausgefüllt. Auf der anderen Seite der Kammer reihten sich leere Flaschen auf den Bodenplanken aneinander. Zwei Eisentöpfe standen auf dem wackeligen Tisch. Doch etwas anderes, was jetzt im Lichtschein deutlich zu erkennen war, erweckte Hasards Interesse: Die früher zweifellos hochwertige Holztäfelung der Kammer glitzerte vor Feuchtigkeit und war stellenweise mit Schimmel überzogen. Der durchdringende Modergeruch bestärkte die Schlußfolgerung des Seewolfs. 47
»Laß den Unsinn, alter Mann«, sagte er ruhig. »Du gehörst ebensowenig auf dieses Schiff wie wir. Und du wirst deine lächerliche Pistole nicht abdrücken.« Ohne Frage war der Kerl ein Tagedieb, ein Landstreicher, der sich hier völlig unbemerkt ein kostenfreies Logis gesucht hatte. »Ihr werdet euer blaues Wunder erleben«, sagte er heiser. »Fordert mich nicht heraus! Verschwindet! Los, macht schon!« Hasard lächelte kalt. Ruhig ging er auf den Ziegenbärtigen zu. »Jesus, bist du verrückt geworden?« stieß Ferris Tucker hervor. Hasard hörte nicht auf ihn. Die magere Kinnlade des Alten klappte weg. Soviel Frechheit wie von diesem schwarzhaarigen Teufel war ihm in seinem ganzen erbärmlichen Leben noch nicht begegnet. Doch er brauchte nur einen Atemzug, um sich von seiner Überraschung zu erholen. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, gleichzeitig krümmte sich sein knochiger Zeigefinger. Völlig gelassen ging Hasard weiter auf den Tagedieb zu. Es gab ein metallisches Klicken, als der Hahn mit dem Flint auf die Batterie der Pistole schlug. Mehr nicht. Das Zündpulver in der Pfanne war nicht mehr wert als ein Häufchen Sand. Fassungslos stierte der Alte auf die Waffe, von der er Wunderdinge erwartet hatte. Hasard war mit einem letzten schnellen Schritt bei ihm und zog ihm die Pistole aus der mageren Hand. Der Ziegenbärtige stand wie versteinert. Todesangst malte sich in sein Faltengesicht. Hasard warf die Pistole in das Stroh der Kapitänskoje. »Merk dir eins, alter Mann«, sagte er lächelnd. »In einer solchen Luftfeuchtigkeit, wie sie hier herrscht, wird es dir niemals gelingen, Schwarzpulver trocken zu halten. Du solltest wissen, daß feuchtes Pulver nicht einen einzigen blassen 48
Funken von sich gibt.« Zitternd wich der Alte an die feuchtkalte Holztäfelung der Kammer zurück und hob die Hände abwehrend vor das Gesicht. »Gib ihm eins auf die Rübe«, sagte Ferris Tucker knurrend. »Dafür, daß er uns einen solchen Schrecken eingejagt hat.« Hasard schüttelte den Kopf. »Wir lassen ihn in Frieden, Ferris. Er wird hübsch brav den Mund halten und sich nicht blicken lassen.« »Du spinnst!« entfuhr es dem Schiffszimmermann. »Wenn der Kerl losrennt und Alarm schlägt, stecken wir im Handumdrehen mitten in der Hölle.« »Das wird er nicht tun«, widersprach Hasard. »Ebensogut könnten wir zu Rory O’Connor gehen und ihm sagen, was für ein seltener Gast sich in seiner alten Kogge eingenistet hat. O’Connor würde uns dankbar, sein für den Hinweis, und weil wir seine Kunden sind, würde er uns nichts nachtragen.« »Nein, nein, tut das nicht!« wimmerte der Alte plötzlich. »Habt Erbarmen mit einem heimatlosen armen Mann. Wenn ich diese Bleibe verliere, wüßte ich nicht mehr, wohin. Die kalten Nächte sind der Tod für mich. Bis ich eine neue Unterkunft finde, bin ich längst krepiert. Zeigt Mitleid mit mir, ich bitte euch!« »Einverstanden«, sagte Hasard und nickte. »Du wirst dich weiter in dieser gemütlichen Kammer verkriechen und sehr schnell vergessen, daß wir hiergewesen sind.« »Ja, ja, das schwöre ich! Es kommt sowieso nie jemand hierher. Sonst hätte ich längst von hier verschwinden müssen.« »In Ordnung«, sagte der Seewolf. »Du kannst dich beruhigen.« »Ich traue ihm trotzdem nicht«, wandte Ferris Tucker widerwillig ein. Hasard winkte ab. »Wie lange haust du schon hier?« fragte er den Landstreicher. 49
»Oh, ich denke - über ein halbes Jahr, Sir.« »Dann hast du dich sicherlich in dieser Kammer umgesehen.« »Ja, schon. Ein bißchen.« »Irgend etwas gefunden? Papiere? Dokumente?« Der Alte schüttelte spontan den Kopf. »Nichts, Sir, wirklich nichts. Das kann ich beschwören.« »Der ist mit seinem heiligen Eid verdammt schnell bei der Hand«, sagte Ferris Tucker mißtrauisch. »Ihr könnt euch vergewissern«, sagte der Alte. »Wenn es etwas gegeben hätte, dann könnte ich es nur hier aufbewahren, weil es keinen anderen Ort gibt, an dem ich sicher bin.« »Sieh dich um, Ferris«, sagte Hasard kurz. Der Schiffszimmermann stellte die Laterne ab, die er nicht brauchte, und begann mit der Suche. Er legte sich lang auf den Boden und durchstöberte die wurmstichigen Fächer unter der Koje. Naserümpfend richtete er sich wieder auf und nahm sich das Schapp auf der anderen Seite der Kammer vor. Achselzuckend gab er auch dort nach wenigen Minuten die Suche auf. Er sah sich um. Unvermittelt fiel sein Blick auf eine verwitterte Zierblende über dem Kopfende der Koje. »Moment mal«, sagte Ferris Tucker. »Das sieht mir ganz so aus, als ob das nachträglich eingebaut worden sei.« Er ging hinüber, betastete die Blende, packte sie plötzlich am oberen Rand und riß sie mit einem kraftvollen Ruck aus ihrer Verankerung. Das morsche Holz gab sofort nach. Das offene Rechteck eines verborgenen Schapps kam zum Vorschein. Hasard trat näher heran. Sein Atem beschleunigte sich ungewollt, als er einen Packen vergilbter Papiere in dem Schapp entdeckte. Behutsam zog Ferris Tucker die Papiere mit seinen groben Fingern heraus und reichte den Fund an seinen Kapitän weiter. Hastig breitete Hasard die einzelnen knisternden Blätter auf dem Stroh der Koje aus. Doch so sehr er sich auch bemühte, er 50
war nicht imstande, auch nur ein Wort zu entziffern. Der Zahn der Zeit schien beträchtlich an den Papieren genagt zu haben, die Schriftzüge bestanden nur noch aus Fragmenten. Enttäuscht raffte Hasard die Papiere wieder zusammen, rollte sie auf und stopfte sie unter seine Jacke. Zurücklassen wollte er die Papiere auf keinen Fall. Vielleicht konnte man sie doch noch einmal entziffern. Vielleicht stöberte er irgendwo einen Fachmann auf, der die Schrift mit speziellen Tinkturen wieder sichtbar machen konnte. »Sehen wir uns weiter um«, sagte Hasard. »Hier werden wir nichts mehr entdecken.« Er wandte sich an den weißhaarigen Mann. »Vergiß meine Worte nicht, Alter. Du wirst deines Lebens nicht mehr froh, wenn du dich an unsere Vereinbarung nicht hältst.« »Ihr könnt euch auf mich verlassen«, sagte der alte Mann hastig. »Ganz gewiß könnt ihr das. Ich würde mir ja ins eigene Fleisch schneiden, wenn ich euch verraten würde. O nein, ich werde dieses Quartier nicht aufs Spiel setzen und ...« Sein Redeschwall hielt noch an, als Hasard und Ferris Tucker die Kapitänskammer schon verließen. Sie hörten nicht mehr hin. Ferris schloß das Schott. Die Laterne trug er in der Linken. Lautlos stiegen sie auf das Deck der Kuhl hinunter. »Ich muß mir den Frachtraum ansehen«, flüsterte Ferris Tucker. Hasard stimmte zu. Sie halfen sich gegenseitig, als sie durch die offene Luke hinabstiegen. Es war stockfinster. Der Modergeruch war hier unten noch intensiver als in der Kapitänskammer. Ferris Tucker zündete seine Laterne an. Der Lichtschein fiel auf moosbewachsene Planken und herumliegendes Gerumpel, größtenteils zersplitterte Rest von Kistenbrettern. Suchend beugte sich der Schiffszimmermann über das Kielschwein und ging langsam daran entlang. Unvermittelt blieb Ferris Tucker stehen. 51
Er bückte sich tiefer, zog sein Entermesser aus dem Gurt und kratzte das Moos an einer Stelle vom Kielschwein. »Hier!« rief Ferris halblaut. »Ich habe es!« » Hasard trat neben ihn. Er brauchte sich nicht zu bücken, um zu erkennen, was der rothaarige Riese meinte. Trotz des morschen Holzes waren die Buchstaben noch deutlich zu entziffern, denn sie waren sehr tief in das Kielschwein eingebrannt worden. »St. - St. - Wismar« lautete die Inschrift. »Das Werftzeichen«, sagte Ferris Tucker leise. »Es ist so üblich, daß die Schiffsbauer ihr Zeichen in den Kiel einbrennen. Ich hätte mich verdammt gewundert, wenn wir es nicht gefunden hätten.« Hasard nickte wortlos. Er prägte sich das Werftzeichen ein, um es später an Bord der Schaluppe aufzuschreiben. Ferris Tucker löschte die Laterne. Unbehelligt verließen die beiden Männer die Hansekogge. In der Kapitänskammer war es still. Der Alte würde sich an die Abmachung halten. Daran zweifelte Hasard nicht im Geringsten. Gary Andrews und Al Conroy tauchten aus der Dunkelheit auf. Auf einen Wink Hasards brachten sie das Beiboot zu Wasser. Unbemerkt kehrten der Seewolf und seine Männer zur ›Isabella VI.‹ zurück. Philip Hasard Killigrew war sich darüber im klaren, daß die Durchsuchung der Kogge ihn nur einen kleinen Schritt weitergebracht hatte. Doch sicherlich würde sich mit dem, was er herausgefunden hatte, noch etwas anfangen lassen. Daß die Kogge in Wismar beheimatet gewesen sein mußte, war von vornherein anzunehmen gewesen. Wer sich hinter dem Zeichen »St.- St.« verbarg, würde sich eines Tages enträtseln lassen. Er beschloß, sich die Papiere aus dem verborgenen Kapitänsschapp noch einmal gründlich vorzunehmen.
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6.
Die Männer lagen apathisch an Deck der Karavelle. Keiner von ihnen sprach ein Wort, und immer noch perlte der Schweiß über ihre Gesichter. Nach endlosen Stunden kräftezehrender Schufterei hatten sie sich auf die Planken sinken lassen, ohne dafür eine Genehmigung des alten Killigrews abzuwarten. Doch Sir John, der auf dem Deck des Achterkastells auf und ab ging, schien in Gedanken versunken zu sein, die für ihn offenbar wichtiger waren als die derzeitigen Bemühungen, die Karavelle wieder flottzukriegen. Die Männer wußten, was sie geleistet hatten. Ihre müden Knochen waren ein deutliches Maß dafür. Aber dennoch rechneten sie nicht damit, daß ihr Kapitän ihnen eine Sonderration Whisky spendieren würde. So weit hatten sie ihn inzwischen kennengelernt. Die beiden Lecks der Karavelle waren gedichtet worden, und der Einsatz der Pumpmannschaften war nicht mehr erforderlich. Simon Llewellyn Killigrew stolzierte mit kurzen Schritten über das Deck der Kuhl. Die Hände hatte er auf den Rücken gelegt, und sein Blick fiel voller Geringschätzung auf die erschöpften Männer. Doch so sehr er sein Hirn auch anstrengte, ihm fielen keine neuen Schikanen ein, um die Crew wieder auf Trab zu bringen. Jeremy Robb, der breitschultrige Schiffszimmermann, kehrte mit zwei Helfern an Bord zurück. Von einem Beiboot aus hatten sie das zerschossene Ruder demontiert und ein Hilfsruder angebracht. Robb gab den beiden Männern Anweisung, das Werkzeug aus dem Boot zu holen und unter Deck zu verstauen. Der Schiffszimmermann schickte sich an, zum Achterkastell zu gehen, um seine Meldung zu erstatten. Simon Llewellyn Killigrew stellte sich ihm in den Weg, die 53
fleischigen Fäuste in die Hüften gestemmt und herausfordernd auf den Zehenspitzen wippend. »Nun, Mann, hast du es endlich geschafft?« »Aye, aye, Sir. Das Hilfsruder ist klariert. Ich muß dem Kapitän Meldung machen.« Simon Llewellyn blies verächtlich die Luft durch die Nase. » »Du traust dich noch unter seine Augen? Bist wohl noch stolz auf deine Pfuscherei, wie?« Jeremy Robb preßte die Lippen aufeinander. Er bemühte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren. Denn er wußte nur zu gut, daß dieses Ferkelgesicht nichts anderes vorhatte, als ihn in Rage zu bringen, ihn zur Lächerlichkeit zu degradieren. »Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Sir.« »So, das verstehst du nicht.« Simon Llewellyn grinste spöttisch. »Dann will ich es dir erklären, damit es in deinen Holzkopf hineingeht. Wenn du glaubst, daß du auf deine Pfuscharbeit auch noch stolz sein kannst, dann hast du dich mächtig getäuscht. Ich würde an deiner Stelle nicht noch herumprahlen.« Jeremy Robb schluckte. In seinem Inneren begann es zu kochen. »Sir«, sagte er mit mühsam erzwungener Ruhe. »Ich denke, Ihre Worte sind nicht ganz richtig gewählt.« Einige der Männer hobenden Kopf. In ihren Augen lag Anerkennung für den hünenhaften Schiffszimmermann. Simon Llewellyn schnappte nach Luft. Sein ohnehin ständig gerötetes Gesicht färbte sich einen Ton dunkler. »Hast du den Verstand verloren?« schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Du wagst es, mich zu kritisieren? Mit welchem Recht, elender Bastard? Ein anderer an deiner Stelle, und dieses Schiff wäre längst wieder flott! Du bist ein verdammter fauler Hund, denn du hättest sehr viel schneller und besser arbeiten können! Ich habe selbst gesehen, was für einen Murks du uns als Ersatzruder hingehauen hast. Und 54
darauf willst du allen Ernstes noch stolz sein?« Der Ferkelgesichtige holte Luft, um einen weiteren Wortschwall auf den fassungslosen Schiffszimmermann loszulassen. Die Männer an Deck hatten sich halb aufgerichtet und verfolgten das Geschehen mit ungläubigen Augen. »Sir«, sagte Jeremy Robb mit zitternder Stimme. »Ich warne Sie.« Simon Llewellyn blinzelte, als hätte er sich verhört. »Waaas?« schrie er. »Was hast du gesagt, du Drecksack?« Jeremy Robb schaffte es nicht mehr, seine Wut zu unterdrücken. Die Lunte brannte in ihm durch. Blitzartig holte er aus und schlug zu. Präzise traf seine brettharte Faust das Kinn des Ferkelgesichtigen. Durch die Urgewalt des Hiebes wurde Simon Llewellyn von den Füßen gehoben. Sein feister Körper segelte zwei, drei Yards weit durch die Luft. Dann schlug er der Länge nach auf die Decksplanken und schlidderte bis dicht vor das Backbordschanzkleid. Regungslos blieb er liegen. Die Männer an Deck konnten sich ein beifälliges Grinsen nicht verkneifen. Sie bewunderten den Mut des bärenstarken Schiffszimmermanns, und jeder empfand nichts als Verachtung für den ferkelgesichtigen Simon Llewellyn. In ihren Augen war er nichts weiter als ein aufgeblasener Geck, der durch Wichtigtuerei seine eigene Unzulänglichkeit zu verwischen suchte. Doch die Männer wußten auch, daß sie wahrscheinlich eher ihre Wut unterdrückt hätten, als daß sie diesem schnöseligen Killigrew-Sproß den Marsch geblasen hätten. Um so größer war ihre Bewunderung für Jeremy Robb. Unvermittelt ruckten ihre Köpfe herum. Sir John war aus seinen tief schürfenden Gedankengängen erwacht, als er den Bewußtlosen über die Decksplanken rutschen hörte. Mit wütend vorgerecktem Kopf trat der alte Killigrew an die Balustrade des Achterdecks. Ein Blick 55
genügte für ihn, um zu begreifen, was passiert war. Er stürmte den Niedergang hinunter. Jeremy Robb erwartete ihn mit eiserner Ruhe. Gereizt baute sich Sir John vor ihm auf. »Ich erwarte eine Erklärung«, sagte der alte Killigrew leise und drohend. »Und zwar sehr schnell, Robb. Sonst reiße ich dir auf der Stelle den Arsch auf, bevor du auch nur ein Wort ausgespuckt hast.« Robb wußte, daß der Generalkapitän jeden Moment in einen seiner üblichen Tobsuchtsanfälle ausbrechen konnte. Aber Robb dachte nicht daran, deswegen zu kuschen. »Vielleicht haben Sie es nicht gehört, Sir«, entgegnete er energisch. »Aber Ihr Sohn hielt es für richtig, an meiner Arbeit herumzumäkeln. Ohne den geringsten Grund! Ich denke nicht daran, mir so etwas gefallen zu lassen. Ich kenne meine handwerklichen Fähigkeiten, und ich weiß, daß das, was ich tue, in Ordnung ist. Es ist eine Unverschämtheit, daran herumzumeckern. Aber wenn Sie der gleichen Meinung sein sollten wie ihr nichtsnutziger Sproß, dann können Sie Gift darauf nehmen, daß ich im nächstbesten Hafen wieder abmustern werde.« Jeremy Robb hielt inne und holte Luft. Er war jetzt auf den zu erwartenden Wutausbruch des Alten gefaßt. Aber er würde es hinnehmen, denn er hatte sich Erleichterung verschafft. Doch überraschenderweise blieb Sir John Killigrew ruhig. Er preßte lediglich die Lippen aufeinander und starrte den Schiffszimmermann an, als handelte es sich bei ihm um ein Fabeltier aus fremden Welten. Jeremy Robb registrierte diese Tatsache mit Verblüffung. Gleichzeitig versprürte er den Drang, auch noch das zu sagen, was ihm auf der Zunge brannte - das, was ihm und den anderen Männern an Bord der Karavelle allmählich klar geworden war. »Und was Sie selbst betrifft«, sagte Robb knurrend, »so sollten Sie sich einmal vor Augen halten, daß es auch mit an 56
Ihnen liegt, wenn Ihr Sohn sich dermaßen unverschämt aufführt. Wir haben es anfangs nicht wahrhaben wollen, aber inzwischen wissen wir, daß die Geschichten stimmen, die an den Küsten von Cornwall erzählt werden.« »Welche Geschichten?« fragte der alte Killigrew heiser. Obwohl es in ihm kochte, hatte er das vage Gefühl, daß es jetzt sinnvoller für ihn war, sich zurückzuhalten. »Geschichten, wie Sie mit Ihren Mannschaften umgehen«, antwortete Jeremy Robb. »Man erzählt sich, daß Sie Ihre Leute regelrecht verheizen. Aber ich schwöre Ihnen, daß wir das mit uns nicht machen lassen. Solche Dreistigkeiten, wie Sie Ihr Sproß gerade geboten hat, stecken wir nicht ein.« Jeremy Robb blickte den alten Killigrew grimmig und furchtlos an. Sir John spürte immer deutlicher, daß er zurückstecken mußte. Vor allem deshalb, weil er das Endziel vor Augen hatte. Und er war stolz auf sich selbst, denn er war noch immer in der Lage, durch seine bekannt schnellen Gedankengänge das Beste aus einer Situation herauszuholen. Und in diesem Fall lag es für ihn auf der Hand: An erster Stelle stand sein Ziel, den Bastard Hasard zu vernichten. Aber dieses Ziel konnte er nicht erreichen, wenn er Schwierigkeiten mit der Crew kriegte. Er war auf diesen Strolch Robb und die anderen Hurensöhne angewiesen. Diese Mistkerle waren in der Stimmung, eine Meuterei anzuzetteln - und das war das, was sich Sir John am allerwenigsten leisten konnte. Ein nicht wieder gutzumachender Zeitverlust wäre entstanden, und damit ein unschätzbarer Vorsprung für den Bastard mit seiner verdammten Schaluppe. Noch eins war offensichtlich: Ein Kerl vom Schlage dieses Jeremy Robb hatte die Sympathien der Crew auf seiner Seite. Es war immer das Gleiche mit diesen Halunken. Wenn sich jemand fand, der sich gegen die Befehlsgewalt auflehnte, dann gefiel ihnen das mächtig gut. Einen solchen Kerl bewunderten 57
sie wie einen Helden, weil sie selbst niemals den Mut dazu aufbrachten. Sir John zweifelte deshalb nicht daran, daß er die gesamte Mannschaft gegen sich haben würde, wenn er auch nur das Geringste unternahm, um den Schiffszimmermann zurechtzustutzen. Das Gebot der Stunde lautete deshalb, einen Kompromiß einzugehen. Denn jeder Kompromiß war gerechtfertigt, wenn das Ziel, den Bastard Hasard zu vernichten, unangetastet blieb. Daher entschloß sich Sir John Killigrew zu einem zustimmenden Nicken. Jeremy Robbs Kinnlade klappte herunter. Jetzt war er es, der den Alten anstarrte, als sei er ein Fabeltier. Wortlos wandte Sir John sich ab und stapfte mit wütenden Schritten auf seinen Sohn zu. Simon Llewellyn blinzelte und stöhnte. Er war im Begriff, sich mühsam aufzurappeln. Sir John half ihm dabei, indem er ihn am Kragen packte und hochzog. »Dieses Dreckschwein«, sagte Simon Llewellyn keuchend. »Ich werde ihm ...« »Gar nichts wirst du!« brüllte Sir John. Der Ferkelgesichtige zuckte zusammen, als habe ihm jemand mit einem scharfen Messer die Haut aufgeschlitzt. »Aber - aber ...« stammelte er fassungslos. »Du wirst in Zukunft aufhören, dich wie ein gottverdammter hirnrissiger Narr aufzuspielen!« schrie der alte Killigrew aufgebracht, obwohl es keineswegs seiner innersten Einstellung entsprach. Er schaffte es, sich in diese Wut hineinzusteigern, als sei sie seine wahre Empfindung. »Ich dulde es nicht, daß aufrechte Männer auf diesem Schiff wie Miststücke behandelt werden! Hoffentlich kapierst du das, du Ochse! Wenn jemand ehrlich und anständig seine Arbeit leistet, dann hat er es nicht verdient, daß man ihn grundlos herunterputzt!« 58
Simon Llewellyn riß den Mund auf und wollte protestieren. Aber er brachte kein Wort mehr heraus. Ehe er sich versah, holte sein Vater mit der freien Rechten aus. Die flache Hand des alten Killigrew traf Simon Llewellyn mit enormer Wucht. Der Hieb reichte aus, um den Ferkelgesichtigen erneut auf die Planken zu schicken, in eine neue Bewußtlosigkeit. Denn Simon Llewellyn hatte die Nachwirkungen des ersten Schlages von Robb noch nicht vollends überwunden. Sir John nickte dem Schiffszimmermann zu, kehrte dann um und stelzte zum Deck des Achterkastells. Staunende Blicke folgten ihm. Sir John schwor sich indessen, daß diese Geschichte noch ein Nachspiel haben würde. Irgendwann, wenn das Wichtigere geregelt war, würde sich die Gelegenheit bieten, diesem unverschämten Robb die Abreibung zu verpassen, die er verdiente. Als Sir John Minuten später seine Befehle vom Achterkastell brüllte, rannten die Männer eilends los, um die Segel zu setzen. Der alte Killigrew grinste kaum merklich. Jetzt parierten sie, diese Drecksäcke. Manchmal wirkte es anscheinend doch Wunder, wenn man ihnen ein bißchen Honig um den Bart schmierte. Und dabei begriffen sie nicht einmal, daß sie im Grunde hereingelegt wurden. Die Karavelle nahm Kurs auf Belfast.
7. Im Werftgebiet des Hafens von Belfast herrschte der übliche Lärm. Die Mannschaft der ›Isabella VI.‹ hatte sich inzwischen an diese Geräuschkulisse gewöhnt. Sie, die brüllende Orkane und grollende Wogen nicht aus der Ruhe brachten, waren anfangs durch das ständige Hämmern und Sägen leicht irritiert 59
gewesen. Doch mittlerweile schnarchten diejenigen, die Freiwache hatten, so lautstark wie eh und je, daß sich die Decksplanken bogen. Das rauhe Wetter der vergangenen Tage hatte sich ein wenig gelegt. Die Bewölkung war aufgelockert und der ablandige Wind fast sanft. Nicht selten brach die Sonne durch. Das gleißende Licht und der blaue Himmel gaben dann der Hafenszenerie einen Hauch von ungewohnter Freundlichkeit. Auch auf der ›Isabella VI.‹, die an diesem Morgen nach wie vor an der Pier vertäut lag, klangen Hammerschläge. Rory O’Connor, der zwergenhafte irische Werftbesitzer, hatte es sich nicht nehmen lassen, höchstpersönlich mit drei Handwerkern auf dem englischen Schiff zu erscheinen. Kein verfluchter Brite sollte ihm nachsagen können, daß seine Firma schlechte Arbeit geleistet hätte. Deshalb überwachte er die Tätigkeit seiner Männer, die damit beschäftigt waren, auf dem Vorschiff die zusätzlichen Drehbassen einzubauen. O’Connor kümmerte sich nicht um die beiden Männer, die nur wenige Schritte entfernt am Steuerbordschanzkleid lehnten und scheinbar angeregt in ihr Gespräch vertieft waren. Ein Teil der restlichen Crew hielt sich auf dem Achterschiff auf, und die übrigen schnarchten unter Deck. O’Connor war sich im klaren darüber, daß die beiden Kerle mit ihren furchterregenden Hakenprothesen die Aufgabe hatten, ein wachsames Auge auf den irischen Besuch an Bord zu werfen. Dieser Philip Drummond wäre trotz aller Loyalität kein echter Brite gewesen, wenn er die Anwesenheit von Iren ohne eine Sicherheitsmaßnahme erduldet hätte. Die Handwerker der O’Connor-Werft waren dabei, die Gabellafette der neuen Drehbasse in ihrer Vertikalposition zu justieren. Rory O’Connor hörte nur mit halbem Ohr hin, was die beiden Aufpasser am Steuerbordschanzkleid redeten. »Verdammt, ich begreife es ja«, sagte Jeff Bowie. »Wenn wir 60
an Land gehen würden, könnte es im Handumdrehen einen mordsmäßigen Tanz geben.« »Weshalb regst du dich dann auf?« entgegnete Matt Davies grinsend. »Ich reg mich nicht auf«, sagte Bowie knurrend. »Es ist nur ... Hölle und Teufel, wenn man sich vorstellt, endlich mal wieder so einen runden Weiberhintern zwischen die Finger zukriegen!« »Träume sind manchmal auch ganz schön«, sagte Davies lachend. Jeff Bowie nickte resignierend. »Nichts dagegen zu sagen, wenn es auf See ist. Aber hier, wo du die feinen Sachen zum Greifen nahe hast, ist es doch was anderes. Und außerdem ist doch an Land alles ruhig. Wenn die Iren wirklich so stinksauer auf uns wären, hätten sie doch schon längst irgend einen Stunk angefangen.« »Vielleicht sieht es nur so harmlos aus, Mann. Kann sein, daß sie nur darauf warten, daß wir an Land herumspazieren.« »Glaube ich nicht. Wenn das mit den Drehbassen noch länger dauert, sollte man den Vorschlag machen, daß wir wenigstens heute abend den Landgang genehmigt kriegen.« »Täusch dich nicht«, sagte Matt Davies. »Der Seewolf kennt sich aus mit den Iren. Und wenn er einmal eine Entscheidung getroffen hat, dann bleibt er auch dabei.« »Hm, ja ...« Rory O’Connor hörte nicht mehr hin, was die beiden Männer weiter redeten. Er war plötzlich hellwach geworden, und gleichzeitig bemühte er sich, sich sein jäh aufgekeimtes Interesse nicht anmerken zu lassen. Der Seewolf! O’Connors Gedanken überschlugen sich. Es gab nur einen gottverdammten Engländer, den sie den Seewolf nannten. Und dieser legendäre Freibeuterkapitän war auch an Irlands Küsten verdammt gut bekannt. 61
Dieser Seewolf war kein anderer als Philip Hasard Killigrew einer aus dieser elenden Sippe der Killigrews, die O’Connor wie die Pest haßte. In seinem Denken fügten sich Mosaiksteine aneinander. Es war also kein Zufall gewesen, daß kurz nach dem Auftauchen des alten Killigrews unverhofft ein zweites Engländerschiff im Hafen von Belfast festgemacht hatte. Diese Schlußfolgerung führte O’Connor auf einen recht simplen Zusammenhang zurück: Der angebliche Mister Drummond hatte sich für die elende Hansekogge interessiert. Zwar hatte er so getan, als ob es reine Neugier war, aber für O’Connor stand jetzt fest, daß mehr dahinterstecken mußte. Was es war, konnte er sich beim besten Willen nicht zusammenreimen. Aber das war letzten Endes unerheblich. Sowohl der alte Killigrew als auch der Seewolf Killigrew hatten irgend etwas mit der Kogge im Sinn gehabt. Durchaus anzunehmen, daß es da irgendeine Verbindung gab. Egal, was es auch war, für Rory O’Connor schob sich etwas anderes in den Vordergrund, das ihn langsam, aber sicher zum Kochen brachte. Er mußte sich höllisch zusammenreißen, um sich zu beherrschen. Jeder gute Ire dachte mit zusammengebissenen Zähnen daran, was sich vor vier Jahren unten in der Dungarvan Bay abgespielt hatte. Die gottverdammten Engländer hatten dort ein geheimes irisches Waffenlager in die Luft gesprengt. Und der Bursche, der für diese Tat verantwortlich war, war kein anderer als dieser so berühmte Seewolf gewesen. Rory O’Connor mußte alle Willenskraft gegen den Drang aufbieten, in die Kapitänskammer zu stürmen, um dem falschen Drummond eigenhändig den Hals umzudrehen. Einen Rest von Vernunft bewahrte der gnomenhafte Ire trotz aller wild aufwallenden patriotischen Regungen und trotz allen Hasses auf die Engländer im allgemeinen und auf die Killigrews im besonderen. 62
O’Connor kannte alle Geschichten, die darüber erzählt wurden, wie der Seewolf das Waffenlager bei der Dungarvan Bay hochgejagt hatte. Dieser junge Killigrew mußte folglich ein hervorragender Kämpfer und ein erstklassiger Stratege sein. Mit einfachem Drauflosgehen würde man gegen ihn sicherlich nichts ausrichten. Ein Plan mußte entworfen werden. Ein Plan, der es in sich hatte. Rory O’Connor wurde ruhiger, als er zu dieser Schlußfolgerung gelangte. Verdammt, ja, mit genügend Raffinesse würde man diesen Killigrew-Bastard, der sich so scheinheilig in den Hafen von Belfast gemogelt hatte, schon überrumpeln. Dazu, so überlegte O’Connor, mußte man zunächst einmal Zeitgewinnen. Und das ließ sich sehr einfach bewerkstelligen. Er würde kurzerhand den Einbau der achternen Drehbasse verzögern. Eine Begründung dafür fand sich mit Leichtigkeit. O’Connors füchsisches Faltengesicht verzog sich zu einem teuflischen Lächeln, das seine Aufpasser jedoch nicht bemerkten. * Nur im Unterbewußtsein registrierte Philip Hasard Killigrew die Geräusche, die die Handwerker auf dem Vorschiff verursachten. Er wußte, daß er sich auf seine Männer verlassen konnte. Die gesamte Crew befand sich an Bord, und Jeff Bowie und Matt Davies hatten den besonderen Auftrag, sich unauffällig, aber intensiv um die Iren zu kümmern. In Gedanken vertieft saß der Seewolf in der Kapitänskammer der Schaluppe. Vor ihm ausgebreitet lagen die Papiere, die er aus dem verborgenen Schapp in der Kapitänskammer der Hansekogge mitgebracht hatte. 63
Seit Stunden.versuchte er, die ausgebleichten Schriftzüge auf den vergilbten und vermoderten Papieren zu entziffern. Das Ergebnis, das er bislang erzielt hatte, war kaum nennenswert. Er hatte einen frischen Bogen Papier bereitgelegt und ganz oben das Werftzeichen ›St. - St. - WISMAR‹ notiert. Darunter hatte er einen Strich gezogen und das aufgeschrieben, was er bislang entziffert hatte. Fünfzig Fässer spanischen Wein - das stand auf einer Art Frachtbrief, der sich zwischen den uralten Papieren befunden hatte. Dieser Frachtbrief war das Einzige, was einigermaßen brauchbar erschien. Hasard schob alles andere beiseite, schichtete die Papiere zu einem Stapel und nahm sich noch einmal intensiv diesen Frachtbrief vor. Die ›Wappen von Wismar‹ war von Cadiz kommend auf der Reise nach Lübeck gewesen, so hatte O’Connor berichtet. Da der Frachtbrief in spanischer Sprache abgefaßt war, stimmte diese Information sicherlich. Systematisch begann Hasard im oberen linken Teil des Dokuments. Es schien sich um eine Adresse zu handeln, die dort eingetragen war. Er entschied sich für eine Methode, die ihm anfangs zu einfach erschien. Doch schon bald gelangte er zu der Erkenntnis, daß es eine durchaus wirkungsvolle Methode war. Mit dem Federkiel zeichnete er Stück für Stück die Fragmente der Schriftzeichen nach, die auf dem Frachtbrief noch deutlich zu erkennen waren. Mit dünneren Federstrichen vervollständigte er anschließend diese Fragmente so, wie es ihm sinnvoll erschien. Es war eine schwierige Arbeit, die äußerste Sorgfalt und viel Fingerspitzengefühl erforderte. Hasard achtete nicht auf die Zeit, die er dafür aufwendete. Mit jedem Buchstaben, den er vollendete, hatte er das Gefühl, der Lösung seines persönlichen Rätsels ein Stück näher zu 64
gelangen. Nach mehr als einer Stunde hatte er es geschafft. Der Frachtbrief stammte von einem Handelskontor in Cadiz, dessen Inhaber das Dokument als »Romero de Zumarraga«, unterzeichnet hatte. Auch das Datum hatte Hasard entziffern können. Der Frachtbrief war am 15. Oktober 1556 ausgestellt worden. Und im November desselben Jahres hatte die ›Wappen von Wismar‹ in Falmouth Schutz vor einem Sturm gesucht und war dort gewissermaßen vom Regen in die Traufe geraten. Der Seewolf starrte auf die Papiere, und die Buchstaben begannen vor seinen Augen zu verschwimmen. Die Enge der Kapitänskammer bedrückte ihn plötzlich. In ihm entstand ein Drang, der ihn hinaustrieb. Er brauchte den freien Himmel über sich, um nachdenken zu können. Nachdenklich verließ er seine Kapitänskammer und ging von Bord, indem er den Männern an Deck nur kurz zunickte. Er achtete nicht auf die verwunderten Blicke, die sie ihm nachschickten, und auch den zwergenhaften Iren mit seinen Handwerkern bemerkte er nur aus den Augenwinkeln heraus. Hasard konnte der Versuchung nicht widerstehen, noch einmal zu der halb abgewrackten Hansekogge hinüberzugehen. Er durchquerte das Werftgelände des alten O’Connors und blieb dann gedankenversunken vor der modernden ›Wappen von Wismar‹ stehen. In jenem Frachtraum, in dem Ferris Tucker das Werftzeichen entdeckt hatte, war Hasard als kleiner Junge von Lady Anne Killigrew gefunden worden. Lady Anne hatte seinerzeit den Befehl zum Überfall auf die Kogge gegeben - in Abwesenheit von Sir John und nur, um in den Besitz des kostbaren spanischen Weines zu gelangen. Im Grunde hatte Lady Anne Killigrew dem Mann, der heute als Seewolf auf den Meeren gefürchtet war, die Vergangenheit geraubt. Aber sie hatte ihn während all der Jahre auf Arwenack 65
gegenüber dem tyrannischen Sir John und den Brüdern in Schutz genommen und auf ihre herrische Art so manchen Angriff abgeblockt. Für Lady Anne war er kein Bastard, sondern ein bedauernswerter Findling gewesen, der geschützt werden mußte. All dies ging Philip Hasard Killigrew durch den Kopf, während er nachdenklich vor der Kogge stand, die ein bedeutsamer Bestandteil seiner Vergangenheit war. Hasard spürte nicht, daß er von Bord der ›Isabella VI.‹ scharf beobachtet wurde. Ebensowenig ahnte der Seewolf, daß er mit seiner erneuten Besichtigung der Kogge dem zwergenhaften irischen Werftbesitzer endgültige Gewißheit darüber lieferte, daß er ein Killigrew sein mußte. Und wenn Hasard gewußt hätte, daß in diesen Minuten breits ein handfester Plan in O’Connors Kopf reifte, hätte er mit Sicherheit alle Gedanken schlagartig abgeschüttelt.
8. Mit dem Einbruch der Abenddämmerung änderte sich die Szenerie im Hafen. Ruhe kehrte ein. Die Schiffszimmerleute und die sonstigen Handwerker verließen ihre Arbeitsplätze auf den Werften und strömten in Scharen den Schenken entgegen, deren Wirte sich mit ausreichenden Vorräten an Bier und Whisky für den abendlichen Ansturm gerüstet hatten. Nur wenige Männer tauchten in den Seitengassen unter, um den direkten Weg nach Hause zu wählen. Jeff Bowie und Matt Davies beobachteten das Geschehen am Kai. Jeff hatte dabei ein fast sehnsüchtiges Leuchten in den Augen. Die drei Handwerker der O’Connor-Werft hatten die ›Isabella VI.‹ bereits verlassen. 66
Der rothaarige Zwerg überprüfte ein letztes Mal das Ergebnis der Arbeit und stelzte dann von der Back hinunter auf die beiden Männer zu. Er wußte, daß der Mann, der der Seewolf sein mußte, sich wieder in die Kapitänskammer zurückgezogen hatte. Jeff Bowie und Matt Davies wandten sich zu dem Werftbesitzer um. »Gentlemen«, sagte O’Connor mit einer angedeuteten Verbeugung. »Die vordere Drehbasse ist fertig eingebaut. Wenn Sie bitte so freundlich sein würden, Ihren Kapitän zu verständigen.« Jeff Bowie verzog das Gesicht. »Wenn ein Ire einen Engländer ›Gentleman‹ nennt«, sagte er grinsend, »dann ist das so undurchsichtig wie die Nacht. Habe ich recht, Mister O’Connor?« »Was fällt Ihnen ein?« sagte der Gnomenhafte fauchend. »Wollen Sie mich beleidigen?« »Nicht doch, nicht doch«, entgegnete Matt Davies beschwichtigend und tat, als wollte er O’Connor mit der Hakenprothese auf die Schulter klopfen. »Mein Freund sagt immer genau das, was er denkt. Er ist dabei schon manches Mal auf den Bauch gefallen. Aber er hat’s bis heute noch nicht begriffen.« Jeff Bowie grinste noch breiter. Angesichts des furchterregenden Eisenhakens wich O’Connor erschrocken einen Schritt zurück. »Wozu brauchen Sie den Kapitän?« fragte Jeff Bowie. »Es genügt, daß Sie für heute fertig sind. Wir werden es ihm ausrichten.« »Das genügt nicht«, entgegnete O’Connor mit störrischem Kopfschütteln. »Es gehört zu meinen geschäftlichen Usancen, daß ich eine beendete Arbeit vom Auftraggeber abnehmen lasse. Auf diese Weise vermeide ich spätere Mängelrügen. Ich muß also darauf bestehen, den Kapitän zu sprechen.« 67
Matt Davies und Jeff Bowie wechselten einen Blick. »Klingt verdammt gut, was er sagt«, meinte Matt Davies mit gespielter Anerkennung. »Wollen wir ihm den Gefallen tun?« Jeff Bowie überlegte aufreizend lange. Rory O’Connor konnte es sich nicht verkneifen, ungeduldig von einem Fuß auf den anderen zu treten. »Hm, ich denke, ja«, erwiderte Jeff Bowie schließlich. »Wir wollen es uns nicht nachsagen lassen, daß wir hirnrissige Engländer wären, die kein Verständnis haben für geschäftliche U - Usang ...« »Usancen«, sagte O’Connor spitz und herablassend. »Geschäftliche Gepflogenheiten.« »Warum sagen Sie das nicht, wenn Sie es wissen?« konterte Jeff Bowie. Der Ire zog eine Grimasse wie nach dem berühmten Biß in die Zitrone. »Ich hole den Kapitän«, sagte Matt Davies endlich und wandte sich ab. Rory O’Connor atmete erleichtert auf. Jeff Bowie stand ihm gegenüber und konnte das Grinsen nicht lassen. Es gefiel ihm, daß der Ire sich krampfhaft bemühte, ihn nicht anzusehen. Jeff führte die augenscheinliche Nervosität des rothaarigen Zwerges ausschließlich auf seinen unverhohlenen Spott zurück. Immerhin mußte es für einen Iren ein verdammt unangenehmes Gefühl sein, allein auf einem Schiff voller Engländer zu stehen. Matt Bowie kehrte in Begleitung des Seewolfs zurück. O’Connor drehte sich erfreut lächelnd um und empfing ihn mit einer fast devot wirkenden Verneigung. »Ich bin sicher, Mister Drummond, daß unsere Arbeit zu ihrer vollen Zufriedenheit ausgefallen ist. Bitte überzeugen Sie sich selbst.« »Seine geschäftliche Gepflogenheit«, sagte Jeff Bowie und lachte. O’Connor warf dem Mann mit der Hakenprothese einen 68
giftigen Seitenblick zu. »Schon gut, Jeff«, sagte Hasard lächelnd und ging gemeinsam mit dem Werftbesitzer zum Vorschiff. Arwenack, der Schimpansenjunge, tauchte keckernd vom Achterschiff auf, turnte am Steuerbordschanzkleid entlang, vollführte vor den Augen der Männer einen Salto und hangelte auf die neue Drehbasse. Von dort blickte er Hasard und seinem zwergenhaften Begleiter zähnefletschend entgegen. »Ein hübsches Tier«, sagte O’Connor. »Aber für Sie sicher nichts Außergewöhnliches.« »Wie meinen Sie das?« entgegnete Hasard. O’Connor biß sich auf die Lippen. »Nun - an - in Englands Häfen trifft sich doch die große Welt, nicht wahr? Da kann man so einen Affen bestimmt an jeder Straßenecke kaufen.« »Schon möglich.« Hasard verzichtet auf eine präzise Antwort. Irgend etwas im Verhalten des Iren ließ ihn stutzig werden. Diese offenkunde Nervosität, dieses fast unterwürfige Gebaren. »Wenn Sie sich bitte die Drehbassen ansehen wollen«, sagte der Ire hastig und deutete mit einer auffordernden Handbewegung auf das Geschütz. Arwenack der es als Angriff aufzufassen schien, stieß ein empörtes Fauchen aus. O’Connor zuckte erschrocken zusammen. Hasard klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. »Keine Angst, Mister O’Connor. Der ist so harmlos wie ein Schoßhund.« »Ja, äh - ja, natürlich«, stotterte der Ire. Hasard ging auf die Drehbassen zu und überprüfte sie mit wenigen fachmännischen Handgriffen. Arwenack blieb dabei ungerührt auf dem Lauf der Waffe sitzen. Der Seewolf drehte sich um und nickte dem Werftbesitzer anerkennend zu. »Wirklich eine hervorragende Arbeit, Mister O’Connor. Wenn Sie morgen rechtzeitig mit dem Einbau der achteren 69
Drehbasse anfangen, können wir ...« »Oh, das wird leider nicht möglich sein«, fiel O’Connor ihm hastig ins Wort. »Deshalb wollte ich auch mit Ihnen sprechen. Es hat sich leider eine kleine Verzögerung ergeben. Sie können mir glauben, daß ich meinem Vertragslieferanten die Hölle heiß gemacht habe. Aber er hat mir Stein und Bein geschworen, daß er nur diese eine Drehbasse auf Lager hätte und frühestens in zwei Tagen die nächste liefern könne. Es tut mir aufrichtig leid, Mister Drummond. Aber Sie werden verstehen, daß es sich in diesem Fall wirklich urn höhere Gewalt handelt. Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht an die ursprünglich zugesagte Frist halten.« Hasard hatte sich den Redeschwall des zwergenhaften Mannes, der zu ihm aufblicken mußte, ruhig angehört. Diese Unterwürfigkeit, die völlig im Gegensatz zu O’Connors ursprünglichem Verhalten stand, war mehr als merkwürdig. Doch Hasard zeigte sich verständnisvoll. »Sie brauchen sich keineswegs zu entschuldigen, Mister O’Connor«, sagte er milde lächelnd. »Was die höhere Gewalt betrifft, haben Sie völlig recht. Für die Fehler anderer sind Sie nicht verantwortlich.« O’Connor holte tief Luft und setzte ein verkrampftes Lächeln auf. »Es freut mich, daß Sie meine Lage verstehen, Mister Drummond. Wenn ich ...« Er zögerte, und seine kleinen Augen bewegten sich unstet hin und her. »Ja, bitte?« sagte Hasard höflich. »Wenn ich bei dieser Gelegenheit noch eine Bitte äußern dürfte ...« »Tun Sie sich keinen Zwang an«, entgegnete Hasard mit gut gespielter Gönnerhaftigkeit. »Wir Engländer sind keineswegs so hartherzig, wie manche Iren annehmen.« »Das habe ich auch nie behauptet«, stieß O’Connor hastig hervor. »Nun, es handelt sich um die Bezahlung meiner 70
Leistungen. Die Lebensmittel- und Trunkwasservorräte sowie die erste Drehbasse sind geliefert. Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich unter diesen Voraussetzungen eine Anzahlung für angemessen halten würde.« »Aber das ist doch selbstverständlich«, erwiderte Hasard sofort. »Ich hoffe, Sie verübeln es mir nicht, daß ich nicht von selbst darauf gekommen bin.« O’Connor knetete verlegen seine dürren Finger. »Nicht jeder ist so bereitwillig wie Sie«, sagte er. Hasard zog wortlos einen Lederbeutel aus der Tasche, öffnete ihn und fingerte darin herum. Nach übertrieben gründlichem Suchen förderte er eine walnußgroße Perle zutage, auf der durch die versiegenden Sonnenstrahlen ein verführerischer Glanz entstand. Rory O’Connors Augen wurden kreisrund, als der Seewolf ihm die Perle auf die flache Hand legte. »Halten Sie das für angemessen?« fragte Hasard. O’Connors Adamsapfel bewegte sich ruckend auf und ab. Er räusperte sich. Das Flackern der erwachenden Gier war in seinen Augen unverkennbar. »Ja, völlig ausreichend«, sagte er heiser. »Ich werde hinsichtlich der zweiten Drehbasse alle Anstrengungen unternehmen, zu denen ich in der Lage bin. Sie können sich wirklich darauf verlassen, daß ich alles tun werde, um Sie trotz der Verzögerung zufriedenzustellen.« »Davon bin ich überzeugt«, sagte Hasard, verschnürte den Lederbeutel und steckte ihn wieder ein. O’Connor verfolgte seine Handbewegung wie gebannt. Er wußte sehr gut, daß die Perle mehr wert war als zwei Drehbassen und die gelieferten Vorräte zusammen. Und ebenso wußte er, daß der angebliche Mister Drummond viel mehr als nur diese eine Perle besaß. O’Connor ließ die Perle behutsam in seiner Jackentasche verschwinden und verabschiedete sich mit erneuten Verbeugungen von seinem Auftraggeber. Hasard 71
blickte dem rothaarigen Zwerg aus schmalen Augen nach. Rory O’Connor stelzte eilends von der Pier davon. Hasards Mißtrauen war geweckt. Wenn er auch die seltsame Veränderung im Verhalten des kleinen Iren überwiegend auf dessen Gier zurückführte, so reichte dies doch aus, um entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Der Seewolf überlegte noch, als Jeff Bowie auf ihn zutrat. »Eine Frage, Sir.« Hasard hob den Kopf. »Ja?« Jeff zog verlegen die Schultern hoch. »Sir, wir hängen jetzt schon seit gestern an Bord herum, und die lausigen Iren haben sich völlig ruhig verhalten. Wäre es da nicht angebracht, wenn wir wenigstens heute abend an Land gehen könnten?« Ein harter Glanz trat in die Augen des Seewolfs. »Du weißt verdammt genau, daß ich euch das nicht abschlagen würde, wenn ich nicht meine Gründe hätte. Und vor allem heute abend und heute nacht will ich, daß alle Mann an Bord sind.« »Ist was im Busch?« fragte Jeff stirnrunzelnd. »Möglich. Auf alle Fälle werden wir doppelte Wachen aufziehen lassen.« Für Jeff Bowie war diese Erklärung ausreichend, um auf den ersehnten Landgang zu verzichten. Wenn der Seewolf eine böse Ahnung hatte, dann war es nie aus der Luft gegriffen. In dieser Hinsicht genoß Philip Hasard Killigrew grenzenloses Vertrauen sowohl von Jeff Bowie als auch von allen übrigen Mitgliedern der Crew. Und so stellte keiner von ihnen unnötige Fragen, als Hasard sie kurze Zeit später zusammenrief und die nächtlichen Wachen einteilte. Die Männer nickten wortlos, als der Seewolf ihnen für die Stunden der Dunkelheit erhöhte Wachsamkeit einschärfte.
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9.
Ein scharfer ablandiger Wind heulte über dem Hafen von Belfast. Nach Einbruch der Dunkelheit war das Wetter erneut umgeschlagen. Eine dichte Wolkendecke verdüsterte den Himmel und ließ keinen Lichtstrahl von Mond und Sternen durchdringen. Es war bereits Mitternacht. Rory O’Connor stand bewegungslos in einem Hauseingang in einer der schmalen Seitengassen, die zum Kai führten. Von seinem Versteck aus konnte er nahezu den gesamten Hafen überblicken. Insbesondere die englische Schaluppe lag in seinem Gesichtsfeld. Der zwergenhafte Ire wußte, daß er selbst unmöglich gesehen werden konnte. Ein hämisches Grinsen huschte über seine faltenreichen Gesichtszüge. Die Öllampen am Kai waren an diesem Abend nicht angezündet worden. Rory O’Connor hatte seine Beziehungen. Ein kurzes Gespräch mit dem Hafenmeister hatte genügt. Die Tatsache, daß einem Haufen hergelaufener Engländer der Marsch geblasen werden sollte, war für jeden aufrechten Iren in Belfast Grund genug, das Seine zu einem solchen Vorhaben beizutragen. O’Connor registrierte zufrieden, daß an Bord der Schaluppe nur eine Laterne brannte. Seit etwa einer halben Stunde stand er auf seinem Beobachtungsposten. Er war jetzt sicher, daß nur zwei Männer an Deck Wache hielten. Auf die Schärfe seiner Augen konnte er sich noch immer verlassen. Die Voraussetzungen waren also günstig. Sie hatten alle Chancen auf ihrer Seite, diese lächerliche Schaluppe in einem blitzschnellen Handstreich zu nehmen. Und dann Gnade Gott diesen Höllenhunden! Rache für Dungarvan - das war nur einer der Gesichtspunkte, die für Rory O’Connor maßgebend war. Stand dieser Punkt für 73
ihn nur an zweiter Stelle, so war gerade dieser Gedanke jedoch Argument genug gewesen, um eine ausreichende Schar von Mitstreitern zu mobilisieren. Gesichtspunkt Nummer eins war für den rothaarigen Werftbesitzer der unermeßliche Reichtum, den er an Bord der Schaluppe vermutete. Und vor sich selbst gestand er sogar ein, daß in dieser Hinsicht die Perle, die ihm der Seewolf als Anzahlung überreicht hatte, praktisch ein verlockender Köder gewesen war. Im übrigen brauchten sie bei der ganzen Aktion keinesfalls mit unangenehmen Folgen rechnen. Ganz astrein waren diese Engländer gewiß nicht. Denn sonst wären sie garantiert nicht nach Belfast gesegelt, um sich ausgerechnet hier Drehbassen einbauen zu lassen. Freibeuter vermutlich. Die Tatsache, daß der legendäre Seewolf ihr Kapitän war, ließ diese Schlußfolgerung zu. Nein, Gewissensbisse waren nicht im entferntesten am Platze, wenn sie diesen gottverdammten Engländern das Fell versohlten. Und was den Reichtum an Bord betraf, so hatte Rory O’Connor bereits die notwendigen Absprachen mit seinen Vertrauten getroffen, um für sich selbst den Löwenanteil zu sichern. An Bord der Schaluppe blieb die Szenerie unverändert. Nur die Schatten zweier Wachgänger waren zu erkennen. Ungeduld begann in Rory O’Connor aufzukeimen. Er spähte zurück in die Dunkelheit der Gasse, konnte aber nichts erkennen. Erst als Minuten später leise Schritte zu hören waren, atmete er erleichtert auf. Die Schritte näherten sich rasch. Augenblicke darauf waren die schattenhaften Umrisse eines großen breitschultrigen Mannes zu erkennen. »Parole?« flüsterte O’Connor. »Sternenglanz«, gab der Mann ebenso leise zurück. »Mondschein«, antwortete der Werftbesitzer. »Es wurde höchste Zeit, daß du endlich auftauchst, Gallagher.« Der Schiffszimmermann lachte leise. 74
»Wenn Sie den Grund für meine Verspätung hören, werden Sie sich freuen, Sir.« »Rede«, forderte O’Connor ungehalten. »Wir haben mehr Leute auf die Beine gebracht, als wir uns vorstellen konnten. Jeder, der hörte, um was es ging, war sofort wild darauf, mitzumachen.« »Wieviele?« »Außer unseren eigenen Männern weitere fünfzig.« »Donnerwetter«, entfuhr es O’Connor. »Damit haben wir die Schaluppe schon so gut wie in der Tasche.« Sämtliche Mitarbeiter seiner Werft waren sofort bereit gewesen, bei der Vergeltungsaktion gegen die Engländer dabei zu sein. Und dann war Sean Gallagher mit einigen seiner Kollegen nach Feierabend losgezogen. Sie hatten die einschlägigen Schenken aufgesucht, in denen sich bekanntermaßen die patriotischsten aller Iren von Belfast zu treffen pflegten. Die fanatischsten Englandhasser also, die überhaupt in dieser Stadt lebten. Mit der Werftmannschaft verfügte O’Connor über eine Streitmacht von rund siebzig Männern. Es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn die Engländer dagegen auch nur das Geringste ausrichteten. »Die Männer stehen abmarschbereit«, sagte Gallagher. »Gut. Was habt ihr an Waffen aufgetrieben?« »Für jeden Säbel oder Entermesser. Außerdem zehn Pistolen. Eine davon habe ich mir reserviert. Und eine für Sie, Sir.« Gallagher zog eine Steinschloßpistole aus dem Gurt und reichte sie seinem Arbeitgeber. In O’Connors dürrer Hand wirkte die Pistole geradezu überdimensional. Er hatte Mühe, die Waffe unter seinem Hosenbund zu verstauen. »Gehen wir«, sagte O’Connor. Geräuschlos drangen sie stadteinwärts in die finstere Gasse vor. 75
»Verrückt, daß man sich so täuschen kann«, flüsterte Gallagher. »Ich hatte diesen englischen Kapitän für einen ganz brauchbaren Burschen gehalten.« »Ein Wolf im Schafspelz«, raunte O’Connor. »Er wäre nicht der Seewolf, wenn er nicht durchtrieben und hinterhältig wäre. Wie sonst sollte es ihm gelingen, seine Gegner zu überlisten?« »Hm. Wahrscheinlich haben Sie recht. Moment, hier entlang!« Gallagher führte den Werftbesitzer zu einem mannshohen Tor, das in eine mächtige Backsteinmauer eingelassen war. Der Schiffszimmermann klopfte dreimal kurz hintereinander. Das Tor wurde geöffnet und sofort wieder geschlossen, nachdem die beiden Männer eingetreten waren. Sie befanden sich im Hinterhof eines Fuhrunternehmens. Fackeln brannten. Der Lichtschein drang nicht über das Grundstück hinaus. Frühes Triumphgefühl erfüllte Rory O’Connor, als er die fast unüberschaubar wirkende Zahl der Männer sah. Die Klingen von Säbeln und Messer funkelten im Fackelschein. Gedämpftes Stimmengewirr erfüllte den Hinterhof. »Sind die Männer eingeteilt?« fragte O’Connor. Gallagher nickte. »Dreißig Mann für Sie, Sir. Der Rest steht unter meinem Kommando. Wie besprochen.« »In Ordnung«, sagte der Werftbesitzer. Er stieg auf eine umgekippte Kiste, die vor der Front der wild entschlossenen Streitmacht bereitstand. Sofort verstummte das Gemurmel. »Herhören, Männer!« sagte O’Connor halblaut. »Ich hoffe, ihr versteht mich alle?« Ein zustimmendes Brummen war die Antwort. »Gut. Ich will mich nicht mit einer langen Rede aufhalten. Wir werden handeln, das ist wichtiger. Nur noch einmal kurz zu unserem Plan: Wir schnappen uns die Schaluppe, indem wir in, zwei Gruppen vorgehen. Das heißt, wir nehmen sie 76
gewissermaßen in die Zange. Diejenigen unter euch, die unter Sean Gallaghers Kommando stehen, haben dabei eine entscheidende Aufgabe. Wenn ich mit meiner Gruppe den ersten Angriff geführt habe, müßt ihr mit euren Booten bereits auf dem Wasser sein, um den Engländerkahn von der anderen Seite her anzugreifen. Ihr werdet dabei relativ leichtes Spiel haben, denn sie werden ja an der Pierseite mit uns beschäftigt sein. Es kommt nur darauf an, daß ihr die Boote zum richtigen Zeitpunkt zu Wasser laßt. Noch Fragen?« »Werden Gefangene gemacht?« rief jemand mit unterdrückter Stimme. Leises Gelächter erklang. O’Connor antwortete mit einer fast vergnügten Geste. »Ich denke, darauf kann ich mir jedes Wort ersparen«, entgegnete er grinsend. »Sonst noch was?« Niemand hatte noch etwas zu bemerken. »In Ordnung«, sagte O’Connor. »Dann zieh jetzt mit deinen Männern los, Gallagher. Ihr habt eine halbe Stunde Vorsprung. Bei uns auf dem Werftgelände ist alles vorbereitet. Aber rührt euch nicht, bis ihr seht, daß unser Angriff läuft!« »Sie können sich auf uns verlassen, Sir«, sagte der Schiffszimmermann. Er winkte der Schar der Bewaffneten zu. »Los, vorwärts! Aber keinen unnötigen Radau!« Sie verließen den Hinterhof durch ein Tor auf der anderen Seite. Rory O’Connor wartete mit den verbliebenen dreißig Mann, bis die vereinbarte Frist verstrichen war. Dann schlichen sie in die Seitengasse, in der er seinen Beobachtungsposten gehabt hatte. Die Männer waren gut instruiert. Ohne das leiseste Geräusch zu verursachen, pirschten sie sich an den Kai heran. Ihr unbändiger Haß auf alle Engländer verlieh ihnen immense Fähigkeiten, sich völlig lautlos zu bewegen. Dennoch waren sie sich darüber im klaren, daß die entscheidende Etappe noch vor ihnen lag. Sie mußten den Kai überqueren und dann schätzungsweise fünfzig Yards auf der 77
Pier zurücklegen. Eine höllische Distanz, wenn es hart auf hart gehen sollte. Aber ihr Plan bestand darin, sich so weit wie möglich heran zuschleichen und erst dann um endgültigen Angriff zu starten, wenn die Wachgänger Alarm schlugen. »Vorwärts!« zischte Rory O’Connor. Sie verließen den Schutz der finsteren Seitengasse. Der Werftbesitzer dachte gar nicht erst daran, noch mehr Zeit zu verschwenden. In ihm war alles entflammt: Gier, Haß, Rachedurst. Sie wollten es schnell hinter sich bringen. Schnell und unerbittlich. O’Connor wußte, daß die meisten seiner Begleiter sich voll dabei austoben würden, den verhaßten Engländern die Schädel einzuschlagen. Er selbst würde dann hinreichend Gelegenheit haben, die erhoffte Beute für sich, Gallagher und die wenigen anderen Vertrauten sicherzustellen. Während sich die Schar der dreißig Männer geräuschlos über den Kai bewegte, wurde sie noch immer von der Dunkelheit geschützt. * Ein fast menschlicher Schrei zerriß jäh die nächtliche Stille. Ben Brighton und Edwin Carberry erwachten schlagartig aus der Monotonie ihres »offiziellen« Wachgangs. Im Schein der Deckslaterne war Arwenack zu erkennen, der wie ein satanisch hüpfender Schatten in den Mast hinaufenterte und dabei seine wilden Schreie fortsetzte. Als er die Mastspitze erreichte, wechselte sein Geschrei in ein aufgeregtes Keckern. Von dieser Sekunde an überstürzten sich die Geschehnisse. Heiseres Gebrüll war plötzlich vom Kai her zu hören. Ben Brighton und Edwin Carberry hasteten zum Backbordschanzkleid der Schaluppe. Noch im selben Atemzug wuchsen weitere Silhouetten an 78
Deck hoch: Batuti, der riesenhafte Gambia-Neger, Dan O’Flynn, Jeff Bowie und Matt Davies. Auf Anweisung des Seewolfs hatten sie als zusätzliche Wachen im Verborgenen ausgeharrt. Daß Hasard mit diesem Befehl richtig gehandelt hatte, zeigte sich jetzt. Die vier Männer stürmten ebenfalls nach Backbord, zur Pierseite. Polternde, hastige Schritte erklangen. Arwenack hangelte zeternd den Mast hinunter und hüpfte zum Vorschiff, wo er aufgeregt von einer Drehbasse zur anderen turnte. Dan O’Flynn erspähte die Angreifer als erster, »Da!« schrie er. »Sie stürmen über die Pier! Ein gottverdammter Haufen von Iren!« Die Männer starrten in die angegebene Richtung. Schußbereite Pistolen lagen in ihren Fäusten. »Ho, wie - was!« brüllte Edwin Carberry. »Ziehen wir diesen Kerlen die Haut in Streifen von ihren Affenärschen!« Das Gebrüll der Angreifer steigerte sich. Sie schaukelten sich damit gegenseitig in ihrer Wut hoch. Batuti schnappte sich seinen Bogen und zog sich beinahe bedächtig zum Achterschiff zurück. Unter Deck wurde es derweil lebendig. »Feuer!« brüllte Ben Brighton, als die ersten Silhouetten der Angreifer in dreißig Yards Entfernung zu erkennen waren. Die Pistolen der Isabella-Crew krachten. Weit hallte der Donner der Schüsse über das Hafenbecken. Grellrotes Mündungsfeuer durchzuckte die Dunkelheit. Pulverdampf stieg in Schwaden hoch. Wegen der minimalen Sicht war ein genaues Zielen nicht möglich gewesen. Dennoch geriet die Horde der Iren für einen Moment ins Stocken. Ein oder zwei Männer kippten schreiend zur Seite, »Vorwärts!« schrie Rory O’Connor mit sich überschlagender 79
Stimme. »Macht sie fertig, die verdammten englischen Bastarde!« Und mit erneutem Kampfgebrüll stürmten die Iren weiter. Nur noch zwanzig Yards trennten sie von der ›Isabella‹. Die Verwundeten wurden fast totgetrampelt. Ihre Schreie erstickten unter den Stiefeltritten. Die Männer auf der Schaluppe hatten keine Zeit mehr, ihre Pistolen nachzuladen. Sie ließen die Waffen kurzerhand fallen und griffen zu ihren Säbeln und Entermessern. Arwenacks Zetern hielt unentwegt an. Obwohl niemand Zeit hatte, sich um ihn zu kümmern, wußte doch jeder an Bord der Schaluppe, daß sie es ausschließlich dem Schimpansenjungen zu verdanken hatten, nicht im Handstreich von den Iren abgemurkst worden zu sein. Aber trotz des mißlungenen Überraschungsangriffs setzte die Horde unter Rory O’Connor ihren Ansturm mit unverminderter Entschlossenheit fort. Die Wachen an Bord der ›Isabella‹ mußten die Köpfe einziehen, als unvermittelt Mündungsblitze aus der Front der Angreifer aufzuckten. Pistolenkugeln sirrten bedrohlich nahe über das Schanzkleid weg. Erneute Schwaden von Pulverdampf wallten auf. Die Schüsse verschafften den Angreifern einen geringen Zeitvorteil. Doch zum Nachladen blieb auch ihnen keine Gelegenheit mehr. Mit Gebrüll stürmten die ersten auf das Schanzkleid zu. Klingen blitzten im Schein der Deckslaterne. Batuti stand seelenruhig auf dem Achterdeck und feuerte seine ersten Pfeile ab. Mit gurgelnden Lauten brach der erste Ire in der heranstürmenden Horde zusammen. Fassungslos stierte er auf den Schaft des Pfeils, der aus seiner Brust ragte. Gleich darauf kippte neben ihm der zweite Mann um. Batutis präzise Bogenschüsse brachten die Meute abermals ins Stocken. Verwirrung entstand. 80
Wieder war es O’Connor, der sie in seiner grenzenlosen Wut von neuem antrieb. Ben Brighton, Edwin Carberry und die anderen waren gezwungen zurückzuweichen, als die Woge der Angreifer ihnen entgegenbrandete. Mit Triumphgeschrei stürmten die ersten Iren über das Schanzkleid. An Deck entstand ein wirres Durcheinander von polternden Stiefeln, wirbelnden Klingen und zuschlagenden Fäusten. Doch es war nur ein scheinbares Durcheinander. Die Männer der Seewolf-Crew behielten den Überblick - keine besondere Mühe für sie, die sie ihre Kampfkraft in unzähligen Gefechten erprobt hatten. Auf dem Vorschiff griff Arwenack keckernd in das Kampfgetümmel ein. Aus seinem Vorrat hatte er blitzschnell mehrere Kokosnüsse herangeschleppt, die er nun verfeuerte. Und ausgerechnet Rory O’Connor war es, der von einem der schweren Wurfgeschosse an den Hinterkopf getroffen wurde. Eben noch im Begriff, einem der Engländer in den Rücken zu fallen, sank der zwergenhafte Ire nun benommen in sich zusammen. Arwenack führte einen Freudentanz auf. Für seine Freunde gab es indessen noch nichts zu lachen. Jeff Bowie und Matt Davies, die beiden Männer mit den Hakenprothesen ergänzten sich in bewährter Manier. Am Backbordschanzkleid wehrten sie die nachdrängende Horde der zweiten Angriffswelle ab. Die scharf geschliffenen Haken der Prothesen blitzten, und jedesmal wenn Jeff und Matt zuschlugen, entstand ein sirrendes Geräusch, das in einem dumpfen Laut endete. Matt Davies ließ einen rothaarigen Hünen fast gelassen auf sich zurasen. Er sah schon das Weiße in den Augen des Mannes, als er endlich zuschlug. Matt hieb ihm den Prothesenhaken in die Kehle und 81
schleuderte ihn mit der Wucht des Schlages den anderen entgegen. Der Mann brachte keinen Schrei mehr heraus. Statt dessen schrien die anderen auf, als ihnen das Blut aus der furchtbaren Wunde ihres Kumpans entgegenströmte. Matt Davies und Jeff Bowie ließen ein heiseres Lachen hören, das den Angreifern Schauer über die Rücken jagte. Einem drahtigen Burschen, der es dennoch wagte, hieb Jeff Bowie den messerscharfen Haken quer von oben nach unten durch das Gesicht. Der Mann schrie markerschütternd, wankte zurück und schlug die Hände vor das, was einmal sein Gesicht gewesen war. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor. Die übrigen Iren wichen erschauernd beiseite, und der Drahtige kippte rücklings ins Hafenbecken. Und noch immer feuerte Batuti seine Pfeile ab, deren dumpfe Einschläge bei den Iren jedesmal von neuem Entsetzen hervorriefen. Verzweifelt versuchten sie, sich zu einer neuen Angriffsfront zu formieren. Für die Männer an Bord der ›Isabella‹ gab es indessen noch eine Verschnaufpause. Dan O’Flynn wieselte wie ein Derwisch um einen säbelschwingenden bulligen Kerl herum, der mit mächtigen Hieben versuchte, ihm den Kopf abzuschlagen. Dan blieb eiskalt bis ins Mark. Weder durch die handtellerbreite Säbelklinge noch durch die wütenden Knurrlaute des Kerls ließ er sich einschüchtern. Geschickt wich er immer wieder aus, ohne zu einem Gegenangriff anzusetzen. Dem Bulligen mußte sich allmählich das Gefühl aufdrängen, mit einem Phantom zu kämpfen. Nach wenigen Sekunden schaffte Dan es, seinen Gegner in die Nähe des Mastes zu locken, ohne daß der andere sich dessen bewußt wurde. Grinsend kalkulierte Dan den nächsten Säbelhieb ein und duckte sich zum soundsovielten Male blitzschnell. Die Klinge fauchte über ihn hinweg und klatschte in das Holz 82
des Mastes. Bevor der Bullige den Säbel wieder frei hatte, war Dan O’Flynn wie der Blitz zur Stelle. Als er sein Entermesser in den Brustkorb des Mannes rammte, lag Dans gesamtes Körpergewicht dahinter. Der Ire brach zusammen, ohne noch einen Laut von sich zu geben. Dan riß das Entermesser heraus, wirbelte herum und hielt nach weiteren Angreifern Ausschau. Im selben Atemzug erstarrte er. Eine Sekunde lang wurde er abgelenkt, als der Seewolf und die restlichen Männer der Crew an Deck stürmten. Hasard und die anderen erfaßten die Lage sofort. Aber an Deck gab es nicht mehr viel zu tun. Der Seewolf zog seinen Degen und sprang mit einem pantherhaften Satz über das Backbordschanzkleid weg auf die Pier. Mit wirbelnder Klinge warf er sich den erneut vordringenden Angreifern entgegen. Ferris Tucker, Blacky und Luke Morgan folgten dem Seewolf, um ihn zu unterstützen. »Nach Steuerbord!« übertönte Dan O’Flynns gellende Stimme den Kampfeslärm. Selbst in der Dunkelheit waren seine scharfen Augen noch von unschätzbarem Wert. Und er hatte die Boote, die dort mit wilden Riemenschlägen herannahten, schon auf dreißig Yards Entfernung erblickt. Dem Seewolf und seinen Gefährten gelang es, die Angreifer auf der Pier zurückzudrängen. Kurz nacheinander schickte Hasard zwei Iren mit gnadenlosen Degenstichen ins Hafenbecken. Die leblosen Körper tauchten mit klatschendem Aufprall unter. Und da waren Batutis Pfeile, die fortwährend neue Lücken in die Front der Iren rissen. Die demoralisierende Wirkung blieb nicht aus. Aber Hasard hatte Dan O’Flynns Warnruf keineswegs überhört. »Kappt die Leinen!« brüllte der Seewolf. »Setzt Segel!« Ferris Tucker und die anderen reagierten sofort. Unter ihren 83
Säbelklingen zerplatzten die Hanffasern der Leinen. An Deck gerieten die Männer in Aktion. Nur Ben Brighton und Edwin Carberry waren noch anderweitig beschäftigt. Der bärenstarke Profos packte einen letzten Iren, der noch immer wie ein Fremdkörper über die Decksplanken hastete. Obwohl der Mann sein Entermesser längst verloren hatte, riskierte er mit wildem Wutgeschrei einen blindwütigen Angriff auf den Profos. Edwin Carberry schleuderte den Iren mit einem harten Ruck außenbords. Wie eine hilflose Gliederpuppe klatschte der Mann an Steuerbord ins Wasser, nur wenige Yards von der Formation der heran jagenden Boote entfernt. Mit tausendfach geübten Handgriffen setzten die Männer währenddessen Segel. Ben Brighton blickte nach allen Seiten, um sich einen ordentlichen Überblick zu verschaffen. Gerade rechtzeitig sah er den zwergenhaften O’Connor, der sich aufzurappeln versuchte und weiteren Kokosnuß-Geschossen des Schimpansen entging. Grinsend war Ben Brighton zur Stelle und schickte den zwergenhaften Werftbesitzer mit einem einzigen Fausthieb erneut ins Traumland. Die Segel knatterten unter dem ablandigen Wind und standen Sekunden später voll. Rasch trieb die Schaluppe von der Pier ab. Pete Ballie, der Rudergänger, hatte seinen Platz am Kolderstock bereits eingenommen. Ferris Tucker, Blacky und Luke Morgan warfen sich herum und hechteten von der Pier über das Schanzkleid an Bord. Der Seewolf sah mit einem raschen Seitenblick, daß sich die ›Isabella‹ bereits zwei Yards von der Pier entfernt hatte. Mit einem sirrenden Degenhieb hielt er sich einen letzten Angreifer vom Leib und kehrte dann mit einem gewaltigen Satz auf sein Schiff zurück. Diesen irischen Wirrköpfen sollte es zu allem Überfluß nicht noch gelingen, der ›Isabella VI.‹ den Kapitän vorzuenthalten. 84
Hasard brauchte Pete Ballie keine Anweisungen zu geben. Vor ihnen lag das offene Hafenbecken und in etwa hundert Yards Entfernung die Ausfahrt zum Meer. Rasch nahm die Schaluppe Fahrt auf. Von Steuerbord erscholl wüstes Gebrüll. Hasard, der seinen Platz auf dem Achterdeck einnahm, erblickte den Schiffszimmermann Sean Gallagher unter den Angreifern. Es waren insgesamt acht Boote, die sich in breiter Front der ›Isabella‹ näherten. Doch drei der Boote hatten bereits keine Chance mehr, die Schaluppe zu erreichen. Lächelnd sah Hasard, daß Al Conroy die vorderen Drehbassen gefechtsklar hatte - auch jene, die erst am Vortag von Rory O’Connor eingebaut worden war. Gary Andrews hatte diese neue Drehbasse besetzt. Mit einem raschen Blick nach achtern sah der Seewolf, daß der zusammengeschmolzene Haufen der Iren resignierend auf der Pier ausharrte. Nur noch mit schwacher Hoffnung verfolgten sie das Geschehen im Hafenbecken. Von den Booten zuckten die ersten Mündungsblitze auf. Peitschend hallten die Pistolenschüsse über die Wasserfläche. Die Männer an Bord der ›Isabella‹ antworteten mit ihrem wilden Kampfruf. »Ar-we-nack! Ar-we-nack!« Bei nicht wenigen Iren sträubten sich die Nackenhaare angesichts dieser Schar von kämpfenden Teufeln und beim Donnerklang des Kampfrufes. Die Pistolenkugeln lagen zu hoch und zischten wirkungslos in den Nachthimmel. Musketen- und Pistolenschüsse antworteten von Bord der ›Isabella‹. In den Booten gellten Schreie. Die ersten drehten ab, als die Schaluppe bereits fünfzig Yards von der Pier entfernt war. Dennoch blieben es drei Boote, die hartnäckig versuchten, an das Engländerschiff heranzukommen und diese Boote standen unter der Führung des breitschultrigen Schiffszimmermanns 85
Sean Gallagher. Noch fünfzehn Yards Distanz. Das Ganze würde eher auf eine Geschwindigkeitskonkurrenz als auf eine kämpferische Auseinandersetzung hinauslaufen. Davon war der Seewolf überzeugt. Hasard hatte die nicht unbegründete Ahnung, daß sich Gallagher zu einem Werkzeug des zwergenhaften Werftbesitzers degradiert hatte. Dem Seewolf war der rothaarige Hüne keineswegs unsympathisch gewesen. »Al!« rief Hasard schneidend. »Sir?« antwortete der Stückmeister vom Vorschiff. »Knallt ihnen eins vor den Bug!« »Aye, aye, Sir!« antwortete Al Conroy und Gary Andrews beinahe fröhlich. Kaum waren ihre Worte verklungen, wummerten die beiden Drehbassen schon los. Mächtige Mündungslanzen zuckten den hartnäckigen IrenBooten entgegen. Die Bleiladungen rissen haarscharf vor den Booten hohe Fontänen aus dem Wasser. Die weißschäumende Gischt sprühte über die Angreifer weg. Erschrockene Schreie wurden laut. Als sich der Pulverdampf legte, sahen die Männer an Bord der ›Isabella‹, daß die Schüsse der Drehbassen ihre Wirkung nicht verfehlt hatten. Panikartig drehten die letzten Boote ab. Selbst der verwegene Sean Gallagher schien keine Lust mehr zu verspüren, sich weiter mit diesen Teufelskerlen auf der britischen Schaluppe anzulegen. Die Crew des Seewolfs stimmte ein frenetisches Siegesgebrüll an, in das der Schimpanse Arwenack keckend einstimmte. Inzwischen hatte die Schaluppe so große Distanz gewonnen, daß selbst Pistolenschüsse von der Pier nichts mehr ausrichten konnten. Doch die Iren versuchten es nicht mehr. Ein Grund dafür war zweifellos der Umstand, daß ihnen der Anführer fehlte. 86
Im Schein der Deckslaterne sah Hasard den reglosen Körper des Werftbesitzers Rory O’Conhor. Während die Schaluppe mit rauschender Fahrt auf die Hafenausfahrt zulief, entschied der Seewolf, daß nur die toten Iren über Bord geworfen werden sollten. Den bewußtlosen O’Connor mußten sie wohl oder übel mitnehmen. Hasard brachte es nicht fertig, einen Mann hilflos ersaufen zu lassen. Die ›Isabella VI.‹ erreichte das offene Meer, und die Männer an Deck begannen, aufzuklaren. Es hatte keine nennenswerten Verwundungen gegeben, nur wenige Kratzer und Schrammen nichts, was für die eisenharte Seewolf-Crew von Bedeutung gewesen wäre.
10. Nebelfelder hingen in flachen Schwaden tief über dem Wasser. Über der Kimm, die sich in den Dunstschleiern nur ahnen ließ, zog der hellgraue Streifen der beginnenden Morgendämmerung herauf. In der ersten Helligkeit des frühen Tages wechselte die Farbe der dahinjagenden Wolkenbänke in ein lichteres Grau. Die ›Isabella VI.‹ lief mit rauschender Fahrt über Backbordbug vor raumem Wind. Der ranke Schiffsrumpf zerschnitt die Wogen der raunen irischen See. Philip Hasard Killigrew stand neben Pete Ballie auf dem Achterdeck der Schaluppe. Zwei Schritte neben ihm klammerte sich Rory O’Connor mit seinen dürren Fingern an der Decksbalustrade fest. Hasard hatte es dem Werftbesitzer gestattet, sich frei zu bewegen, nachdem dieser nicht mehr den geringsten Kampfeswillen an den Tag legte. Der zwergenhafte Ire hatte eingesehen, daß es auf einem Schiff voller hartgesottener Teufelskerle glatter 87
Selbstmord gewesen wäre, noch einmal aufzumucken. Und so zeigte er sich eher unterwürfig als zerknirscht. Nichts war mehr von seinem lodernden Haß auf alle Engländer vorhanden, und seine Gier nach der erhofften Beute war dumpfer Resignation gewichen. Nur noch die Hoffnung, am Leben zu bleiben, hielt ihn aufrecht. »Nun, Mister O’Connor?« sagte der Seewolf lächelnd. »Haben Sie kein Verlangen, sich zur Ruhe zu begeben?« Der Ire wandte sich halb um und betastete mit gequältem Gesichtsausdruck die schwellenden Beulen auf seinem Hinterkopf. »Zwecklos«, antwortete er gepreßt. »Ich könnte so oder so nicht schlafen. Darf ich mir eine Frage erlauben?« »Bitte.« Der Seewolf nickte. Pete Ballie setzte ein Grinsen auf. »Werden Sie mich an Land bringen?« sagte O’Connor devot. »Sicher«, antwortete Hasard knapp. »Und Sie können mir noch nicht sagen, wann das sein wird?« »Leider nein. Wenn wir einen unbesiedelten Küstenstreifen entdecken, sind Sie frei. Irgendwann. Ich habe kein Verlangen mehr, mich noch einmal durch eine Horde verrückter Iren aufhalten zu lassen.« Rory O’Connor preßte die dünnen Lippen aufeinander und schwieg. Er wußte, daß er von Glück sagen konnte, von der Seewolf-Crew nicht ins Jenseits befördert worden zu sein. Deshalb war er bereit, sich mit seinem Schicksal abzufinden und alles zu erdulden, was ihn erwartete. Schlimmer als die erlittene Niederlage im Hafen von Belfast konnte es nicht mehr werden. »Deck!« schrie Dan O’Flynn unvermittelt vor dem Vorschiff. »Mastspitzen Steuerbord voraus!« Hasard hob das Spektiv ans Auge. Nach kurzem Suchen sah er durch das Glas, was Dan mit seinen scharfen Augen mühelos erspäht hatte. 88
Über den flachen Nebelbänken zeichneten sich deutlich die Masten und die Lateinsegel einer Karavelle ab. Der Zweimaster kreuzte in langen Schlägen am Wind, zweifellos mit Kurs auf Belfast. Hasard glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Aber es war keine Sinnestäuschung. Die Karavelle, die dort in zweihundert Yards Entfernung auf Gegenkurs stand, war keine andere als die des alten Killigrew. Das Schlitzohr hatte also noch immer nicht aufgegeben. »Es ist Sir Johns Schiff!« schrie Dan O’Flynn aufgeregt und bhckte fragend zum Achterdeck. Der Seewolf überlegte nicht lange. Es war Zeit für eine schnelle Entscheidung. Und im Vordergrund seiner Überlegungen stand die nüchterne Tatsache, daß die Karavelle für seine Zwecke wie geschaffen war Der Zweimaster des alten Killigrew war größer und wesentlich besser bewaffnet als die Schaluppe. Zwar hatte das Schiff schon einiges einstecken müssen, aber Ferris Tucker würde das mit Sicherheit in Ordnung bringen, falls es sich überhaupt als notwendig erweisen sollte. In Minutenschnelle reifte in Hasard der Entschluß, daß die Karavelle sein Schiff werden mußte. »Alle Mann an Deck!« rief er mit Donnerstimme. »Klar Schiff zum Gefecht!« Dan O’Flynn stieß freudig erregt die Faust zum Himmel. Der Schimpansenjunge Arwenack turnte aufgeregt keckernd zwischen den vorderen Drehbassen hin und her. Während es an Deck schlagartig lebendig wurde, färbte sich das Faltengesicht O’Connors blaß. »Sie verschwinden ins Mannschaftslogis, Mister O’Connor«, befahl der Seewolf. Der Ire nickte dankbar und hatte nichts Eiligeres zu tun, als der Anordnung Folge zu leisten. Hasard hob den Kieker erneut ans Auge. Ein hartes Lächeln 89
kerbte sich in seine Mundwinkel. Die Mannschaft an Bord der Karavelle schien entweder zu schlafen, oder aber die Kreuzschläge nahmen ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Auf der ›Isabella‹ brüllte inzwischen der Profos seine Befehle, und die Männer zeigten, welche Qualitäten in ihnen steckten. Jeder wußte, was er zu tun hatte, und so war das Gebrüll Edwin Carberrys mehr eine anfeuernde Musik in den Ohren der Crew. Der Seewolf ließ die Schaluppe nach Backbord abfallen. Während ein Drittel der Crew mit Segelmanövern beschäftigt war, besetzten die übrigen Männer die Gefechtsstationen. Al Conroy sorgte mit der gewohnten Umsicht für die Feuerbereitschaft der Drehbassen. Hasard selbst übernahm die achtere Drehbasse. Der Kutscher hatte das Holzkohlefeuer in der Kombüse gelöscht und hastete nun nach bewährter Manier über Deck, um Sand auszustreuen. Blacky und Luke Morgan unterstützten ihn, indem sie Seewasser in Holzkübeln hochholten. Hasard ließ die Karavelle keine Sekunde lang aus den Augen. Als die ›Isabella VI.‹ bereits auf hundert Yards heran war, ertönte auf Sir Johns Zweimaster alarmierendes Geschrei. Die hohe Luftfeuchtigkeit trug die Stimmen so deutlich herüber, als wären sie nur einen Steinwurf weit entfernt. Hasard grinste, als im nächsten Moment auch das Zornesgebrüll des alten Killigrew erscholl, begleitet vom schrillen Keifen Simon Llewellyns. Eine Minute später wich Hasards Grinsen einer überraschten Miene. Sir John schickte sich an, zu wenden. Die Befehle, die er über Deck brüllte, ließen keinen Zweifel daran. Hasard war fassungslos. Zum erstenmal erlebte er es, daß der alte Halunke es vorzog, zu kneifen, aber sicherlich nur, weil er sich bei den augenblicklichen Windverhältnissen keine Chance 90
ausrechnete. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde er dann mit Hinterlist das Versäumte nachzuholen versuchen. Hasard kannte seinen Ziehvater in dieser Beziehung zur Genüge. Aber Sir John sollte es nicht schaffen. Wenn die Karavelle erst einmal mit vollem Zeug vor dem Wind segelte, würde es für die Schaluppe sicherlich schwierig sein, mitzuhalten. Auf Hasards Befehl änderte Pete Ballie deshalb den Kurs. An Bord der Karavelle waren die Männer damit beschäftigt, das gerade begonnene Wendemanöver durchzuführen. Mit rauschender Fahrt jagte die ›Isabella VI.‹ im Direktkurs auf das Heck der Karavelle zu. Die Distanz verringerte sich rasch, und es schien, als würde die Schaluppe von einer rasend rotierenden Ankerwinde und einem unsichtbaren Tau herangezogen. Noch fünfzig Yards. »Bewegt euch, ihr lahmen Bastarde!« brüllte Sir John mit Donnerstimme. »Klar Schiff zum Gefecht! Alle Mann auf Station! Verdammt noch mal, muß ich euch erst die Beine langziehen? Wenn ihr nicht gleich schneller werdet, reiße ich euch eigenhändig den Hintern auf!« Unsichtbar für die Seewolf-Crew keifte Simon Llewellyn irgendwo auf dem Deck der Kuhl herum. »Klar zum Entern!« befahl Hasard ruhig. Seine Männer hatten ihr Handwerkszeug schon bereit Enterhaken, Säbel, Beile und Messer warteten darauf, in Funktion zu treten. Sir Johns Männer schafften es noch, die beiden Drehbassen auf dem Deck des Achterkastelles zu laden. Aber sie kamen nicht mehr zum Schuß. Mit schäumendem Bug unterlief die ›Isabella VI.‹ die tiefste Feuerlinie der Drehbassen und schob sich steuerbords an die Karavelle heran. Der Seewolf ließ die Segel aufgeien. 91
Enterhaken wirbelten hoch und fanden am Schanzkleid der Karavelle Halt. Sir John tobte auf dem Deck des Achterkastells. Sein Wutausbruch steigerte sich zu einem unverständlichen Gebrüll. »Ar-we-nack! Ar-we-nack!« gellte der Schlachtruf der Seewolf-Crew. Die Stückpforten der Karavelle waren geöffnet, doch jede weitere Tätigkeit der Geschützmannschaften erwies sich als sinnlos. Johlend und mit blitzenden Klingen enterten Hasards Männer auf die Karavelle über. Und der Seewolf war mitten unter ihnen, als sie die Decksplanken des Zweimasters unter ihren Stiefeln hatten. Doch schon nach Sekunden brach ihr Kampf gebrüll ab. Es gab keinen Widerstand, der ihnen entgegenschlug. Die Mannschaft der Karavelle war zum Backbordschanzkleid zurückgewichen. Diejenigen, die an den Culverinen waren, standen wie die Ölgötzen. »Kämpft, ihr Drecksäcke!« schrie Sir John vom Deck des Achterkastells. »Macht sie fertig, die Bastarde!« Simon Llewellyn hastete mit krebsrotem Kopf über das Deck der Kuhl in Richtung Achterkastell. Der Degen, den er in der Rechten hielt, wirkte überflüssig, denn der Ferkelgesichtige dachte eher an seine eigene Sicherheit als daran, die Waffe auch einzusetzen. Dennoch vollendete er den Fluchtweg zum Achterkastell nicht. Während die Männer der Seewolf-Crew verwirrt stehenblieben, holte Dan O’Flynn den Killigrew-Sproß mit wenigen schnellen Schritten ein. »Aufpassen, du Held!« schrie Dan, packte Simon Llewellyn an der Schulter und riß ihn herum. Der Ferkelgesichtige kreischte vor Angst. Dan O’Flynn schmetterte ihm mit einem Fußtritt den Degen aus der Hand und trieb ihn dann mit gnadenlosen Fausthieben vor sich her. 92
Bei jedem Hieb lief ein Zittern durch Simon Llewellyns massigen Körper, und jedesmal wankte er heftiger. Dann, nach dem fünften oder sechsten Faustschlag Dan O’Flynns, kippte er hintenüber und schlug der Länge nach auf die Planken. Die Männer der ›Isabella VI.‹ brüllten Beifall. Dan O’FLynn drehte sich grinsend um und wischte sich die Hände an den Hosen ab. Hasard löste sich aus der Schar seiner Kampfgefährten und stürmte mit langen Sätzen auf das Deck des Achterkastells. Sir John hatte sein Gebrüll aufgegeben. Mit wutverzerrtem Gesicht und blankem Degen empfing er den Mann, der für ihn der nichtsnutzigste und verabscheuungswürdigste Bastard der Welt war. »Fahr zur Hölle, elender dreckiger Bastard!« schrie Sir John Killigrew und schnellte ohne erkennbaren Ansatz los. Dennoch gelang es Hasard, reaktionsschnell der flirrenden Degenklinge des Mannes auszuweichen, für den er nur noch Verachtung empfinden konnte. Sir John wirbelte herum, sah Hasards Lachen und wurde weiß vor überschäumender Wut. Die Männer auf dem Deck der Kuhl verfolgten den Zweikampf mit gebannter Aufmerksamkeit. Gleichzeitig behielten sie auch die Crew der Karavelle im Auge, die jedoch nach wie vor keinerlei Anstalten zeigte, sich zur Wehr zu setzen. Dem zweiten Ansturm Sir Johns begegnete der Seewolf mit geschickten Finten. Schweißperlen traten auf die Stirn des Generalkapitäns, als sein Degen immer wieder ins Leere stieß. Hasard lockte ihn weiter zu sich heran. Der alte Mann hatte gegen ihn keine Chance, das wußte er. Der Seewolf ging mehrmals zurück, ließ Sir John dann auflaufen und führte eine hervorragende Parade. Klirrend prallten die Klingen zusammen und drohten sich zu verhaken. Hasard spürte den keuchenden Atem seines Gegners. Der Seewolf vollführte eine blitzschnelle Bewegung, und der 93
Degen Sir Johns wirbelte zur Seite weg. Fassungslos vor Schreck wich der alte Killigrew zurück. Hasard trieb ihn unbarmherzig zum Niedergang. Er brachte es nicht fertig, diesen grausamen Halunken zu töten, obwohl der alte Killigrew einen zehnfachen Tod verdient hatte. Stolpernd wankte Sir John hinunter zum Deck der Kuhl. Mit Mühe schaffte er es, das Gleichgewicht zu bewahren. Sein Kopf ruckte herum, und voller Entsetzen wurde ihm die Szenerie bewußt. Nichts war mehr von seiner Großspurigkeit vorhanden. Ferris Tucker trat mit grimmiger Miene auf ihn zu. Abwehrend riß Sir John die Arme hoch. Aber der bärenstarke Schiffszimmermann zerstörte die klägliche Abwehr des alten Killigrew mit zwei gnadenlosen Faustschlägen. Und mit einem dritten Hieb schmetterte Ferris Tucker den Generalkapitän auf die Decksplanken. Bewußtlos blieb Sir John in der Nähe seines ferkelgesichtigen Sohnes liegen. Hasard schob seinen Degen in die Scheide und stieg auf das Deck der Kuhl hinunter. Bevor er ein Wort von sich geben konnte, trat einer der Männer aus der Crew der Karavelle vor. Der Mann war groß und breitschultrig und trug keine Waffe. »Ich bin Jeremy Robb, Sir, Schiffszimmermann in dieser Crew. Meine gesamte Mannschaft ergibt sich kampflos, und ich bitte Sie, das zu respektieren.« »Einverstanden, Mister Robb«, erwiderte Hasard. Der Schiffszimmermann der Karavelle biß sich auf die Unterlippe. Er hatte Hemmungen, seinen Wunsch zu äußern. Und ebenso wie ihm erging es den anderen Männern, die sich lange genug unter der Fuchtel des alten Killigrews geduckt hatten. Am liebsten hätten sie allesamt sofort abgemustert, um unter dem Seewolf zu fahren. Aber sie sahen, daß dieser bereits 94
über eine komplette Crew verfügte, und deshalb wußten sie, daß ihre Hoffnung überflüssig war. »Wir übernehmen dieses Schiff«, sagte Philip Hasard Killigrew. »Mister Robb, Sie und Ihre gesamte Mannschaft steigen auf die Schaluppe über. Und diese beiden«, er deutete auf die bewußtlosen Killigrews, »nehmen Sie mit.« »Aye, aye, Sir«, sagte Jeremy Robb niedergeschlagen. Dennoch waren er und seine Gefährten froh, daß sie sich nicht noch einmal mit den Teufelskerlen der Seewolf-Crew im Kampf hatten messen müssen. Die erste Begegnung mit der ›Isabella VI.‹ steckte ihnen noch immer in den Knochen, und sie hatten nicht mehr die geringste Neigung verspürt, sich für Sir Johns wahnwitzige Absichten als Kanonenfutter vernaschen zu lassen. So führten die Männer unter Jeremy Robb bereitwillig die Anordnung des Seewolfs aus. Und anschließend halfen sie mit, als die Crew der ›Isabella‹ begann, ihre Schätze sowie Waffen, Munition und Lebensmittelvorräte auf die Karavelle zu mannen. * Sir John Killigrew erwachte, als das letzte Faß Pökelfleisch auf die Karavelle hinübergehievt wurde. Mit einem Satz war er auf den Beinen, schwankte und brauchte mehrere Sekunden, bis er die Benommenheit überwunden hatte. Dann begriff er, wo er sich befand. Neben ihm auf dem Achterdeck der Schaluppe lag Simon Llewellyn, der das Bewußtsein noch immer nicht wiedererlangt hatte. Sir John warf den Kopf in den Nacken und sah die grinsenden Gesichter der Seewolf-Crew über dem Schanzkleid der Karavelle. Neben sich erblickte der alte Killigrew den zwergenhaften Werftbesitzer aus Belfast. Und an Deck der Schaluppe standen 95
die Männer seiner Crew tatenlos herum. Der Generalkapitän von Cornwall verstand die Welt nicht mehr. Er spürte jenes brennende Gefühl in sich aufsteigen, das unweigerlich zu einem neuen Wutausbruch führen mußte. Eine markante Stimme, die vom Achterkastell der Karavelle herüberscholl, riß ihn endgültig wach. »Vielen Dank für dieses Geschenk, ehrenwerter Vater!« rief der Seewolf, wobei er das letzte Wort besonders betonte. »Eine so gut bestückte und schnellsegelnde Karavelle findet man nicht alle Tage. Dieses Schiff ist von jetzt ab die siebente ›Isabella‹!« In Sir John Killigrew riß der Faden. »Ihr lausigen Bastarde!« brüllte er seine Crew an. »Auf was wartet ihr, verdammt noch mal? Klar zum Entern! Nehmt sie auseinander, diese Drecksäcke! Macht sie fertig! Das ist ein Befehl! Hoffentlich bewegt ihr euch bald!« Die Männer drehten sich zu ihm um. Im nächsten Moment glaubte Sir John, den Verstand verlieren zu müssen. Jeremy Robb war der erste, der ein herzhaftes Lachen anstimmte. Sofort fielen die anderen mit ein, und bald wollten sich alle ausschütten vor Heiterkeit. Rory O’Connor trat an den erbleichenden Sir John heran. Mit einer knappen Bewegung deutete der Ire zur Karavelle hinauf. »Begreifen Sie nicht, daß gegen diese Himmelhunde kein Kraut gewachsen ist, Killigrew? Wir können froh sein, daß wir noch am Leben sind.« Wie in Trance drehte sich Sir John um. »Dreckiger Wicht!« schrie er mit schwellenden Schläfenadern. O’Connor wich erschrocken zurück. Mit erhobenen Fäusten wandte sich Sir John wieder der grinsenden Mannschaft zu. »Zum letztenmal!« brüllte er. »Ich befehle euch Bastarden, sofort zu entern! Nehmt den Kampf auf, verflucht! Ich reiße 96
euch den Arsch auf, wenn ihr nicht ...« Er verstummte, als Jeremy Robb plötzlich auf ihn zuging. »Jetzt reicht es, Killigrew«, sagte der Schiffszimmermann gefährlich ruhig. Und ehe Sir John zurückweichen konnte, traf ihn der erste Fausthieb des stämmigen Mannes. Unter der Wucht des Schlages wankte der alte Killigrew zurück. Doch Jeremy Robb ließ nicht nach. Sein aufgestauter Zorn entlud sich mit jedem weiteren Hieb, den er auf den schlitzohrigen Generalkapitän abfeuerte. Die Männer an Bord der Schaluppe brüllten Beifall, während Robb den Alten nach Strich und Faden zusammendrosch. Philip Hasard Killigrew verzichtete darauf, sich das Schauspiel zu Ende anzusehen. Der Seewolf ließ Segel setzen und ging auf Südkurs. Sein Ziel war eine Hafenstadt in Spanien. Cadiz ...
ENDE Vor Topp und Takel von Roy Palmer
Der Sturm glich einem Giganten. Urgewalten wurden da frei und verwandelten die Biskaya in einen tobenden, brodelnden Hexenkessel, in ein Ungeheuer, das über die »Isabella VII.« und ihre Männer herfiel und nicht mehr aus den Klauen ließ. Von Nordosten jagten die brüllenden Windstöße heran und ließen das Wasser fliegen. Die Karavelle stieß in schwärzlichgrüne Wasserschluchten und wurde wieder auf gischtende, sturmumtoste Wogenberge geschleudert. Unaufhaltsam raste die Karavelle auf ihrem 97
Höllenritt südwestwärts - auf die Klippen von Galizien zu. Und dann brach das Ruder ...
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