Conny und das Geheimnis der Moorhofranch von Peter Mennigen Fischer Verlag
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Conny und das Geheimnis der Moorhofranch von Peter Mennigen Fischer Verlag
FISCHER VERLAG GMBH Remseck bei Stuttgart, 1994 © BASTEI-Verlag, Bergisch Gladbach Lizenz durch: EL Euro-Lizenzen, München ISBN 3 439 90027 4
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Version 1.0 Viel Spaß beim Lesen ☺
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Inhalt Das Turnier ..................................................................................... 5 Im Stechen ...................................................................................... 9 Auf dem Alderhof......................................................................... 17 Die Moorhofranch ........................................................................ 24 Nächtliche Entdeckung ................................................................. 30 Spurlos verschwunden .................................................................. 36 Franks Revanche........................................................................... 38 Ein Ausflug mit Folgen ................................................................ 46 Feuer! ............................................................................................ 50 Ein furchtbarer Verdacht .............................................................. 56 Verfolgt......................................................................................... 62 Die Suche beginnt......................................................................... 64 Die Entdeckung ............................................................................ 71 Gefunden?..................................................................................... 76 Im letzten Augenblick................................................................... 81 Die Mutprobe................................................................................ 86
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1. Kapitel Das Turnier Conny von Alderhof fragte sich ernsthaft, ob es noch schlimmer kommen konnte. Zweifellos war das heute ein ganz schwarzer Tag in ihrem Leben. Dabei hatte das Turnier so gut angefangen: Es war ideales Turnierwetter. Keine Wolke trübte den klarblauen Himmel. Der Turnierplatz prangte im Flaggenschmuck. Bis vor einer Stunde waren die Zuschauer in Scharen herbeigeströmt und hatten sich auf Tribünen- und Stehplätzen verteilt. Nun warteten alle gespannt auf den Beginn des Wettkampfes. Auf dem Abreiteplatz herrschte schon großes Gedränge. Hier bereiteten sich die Reiter auf ihre Turnierteilnahme vor. Als Conny Kobalt zum Abreiteplatz führte, erntete die hübsche Sechzehnjährige bewundernde Blicke der Jungs. Unter ihrer Reitkappe quollen üppige, blonde Locken hervor. Connys blaue Augen funkelten intelligent. Wenn sie lächelte, bildeten sich zwei Grübchen. Zum Leidwesen der Jungen achtete Conny nicht auf ihre schmachtenden Blicke. Denn Connys große Liebe gehörte dem Reiten im allgemeinen und ihrem Pferd Kobalt im besonderen. Bei diesem Nachwuchsturnier in Kirchbrunn ging Conny als Favoritin an den Start. Ihr einziger ernsthafter Mitkonkurrent war Frank Gerling. Frank war groß, schlank und blond. Er war der absolute Traumboy aller Mädchen. Ein Junge, der ihre Herzen höher schlagen ließ. Trotz seiner gerade siebzehn Jahre hatte Frank bereits unverschämt viele Turniererfolge eingeheimst. Einige Leute meinten allerdings, diese Erfolge seien dem Jungen zu Kopf gestiegen. Frank war nämlich nicht der schüchterne, zurückhaltende Typ. Er verkörperte eher genau das Gegenteil: Frank war manchmal aufdringlich, oft großspurig und meistens ätzend. Conny entdeckte Frank inmitten eines Pulks gleichaltriger Jungen. Conny fragte sich, ob sie hingehen und Frank begrüßen sollte. Sie hatte diesen Gedanken noch nicht einmal zu Ende gedacht, da erfaßten sie Franks Augen wie ein feindliches Radarsystem. Er 5
musterte Conny mit einem herablassenden, verächtlichen Blick. Dann wandte er sich wieder den Jungs zu, und Conny spürte, daß er über sie sprach. Einige Meter weiter ritten sich Connys Freundinnen Steffi und Gertie warm. Auch für sie waren Pferde Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens. Pferde boten ihnen nicht nur die Möglichkeit, sich bei Turnieren auszuzeichnen. Vor allem aber machten sie ihnen den ganz normalen Alltag viel, viel schöner. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man im Sattel saß. Als ob der Körper schwebte und nichts sonst mehr auf der Welt existierte. Vor dem Abreiteplatz stand Barbara neben ihrem Pferd und betastete dessen Hinterlauf. »Ist Pinki verletzt?« fragte Conny teilnahmsvoll. »Er hat einen Bluterguß am Bein.« Barbara runzelte besorgt die Stirn. »Nichts Schlimmes, aber ich ziehe vorsichtshalber meine Teilnahme zurück.« Die Gesundheit ihrer Pferde ging den Mädchen wirklich über alles. Conny stieg in den Sattel und ritt ein paar Runden auf Kobalt. Über einen Weg erreichte man vom Abreiteplatz den eigentlichen Turnierplatz. Als der erste Reiter in den Parcours ritt, empfing ihn freundliches Händeklatschen. Dann setzte erwartungsvolle Stille ein. Es dauerte fast zwanzig Minuten, ehe Conny und Kobalt aufgerufen wurden. Jetzt hieß es für Conny volle Konzentration. Alle Bewegungen und Reaktionen Kobalts mußte sie vorausahnen. Conny korrigierte ein letztes Mal ihre Haltung, dann ritt sie auf den Platz. Erwartungsvoller Beifall brauste auf. Einige Zuschauer hatten Hunde dabei. Jedesmal, wenn ein Pferd auftauchte, bellten sie wütend. Das verbesserte die Konzentration von Pferd und Reiter nicht gerade. Kobalt trabte an und meisterte den ersten Oxer mühelos. Danach folgte ein Steilsprung. Conny nahm das Tempo aus Kobalts Antritt und konzentrierte sich auf den Absprungpunkt - geschafft. Die anschließende Wendung zur 6
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Zweierkombination aus Oxer und Steilsprung ritt sie ziemlich eng. Sie wollte keine Zeitfehler riskieren. Kobalt sprang weich und rund. Nach dem gelungenen Doppelsprung folgte eine Wendung in die Diagonale. Beim Anreiten auf die nun folgende Triplebarre passierte es. Während Kobalt verhalten auf den Hochweitsprung zugaloppierte, blinzelte Conny verwundert. War da nicht eine Bewegung auf dem Parcours neben ihr? Conny tat den Gedanken als Einbildung ab. Doch dann hörte sie etwas, was sie sich mit Sicherheit nicht einbildete. Direkt hinter Kobalt fegte ein Hund her, der sich losgerissen hatte. Angestrengt drehte Conny den Kopf nach hinten und erschrak. Wütend kläffend, stürmte der Hund dicht hinter Kobalt her. Es war ein großer Schäferhund. Er rannte schnell. Sein muskulöser Körper hastete heran. Conny erkannte sofort ihre unangenehme Lage. Wütend schnappte der Hund nach Kobalts Flanke. Knapp vorbei. Doch der Hund gab nicht auf. Er griff wieder an. Wieselflink umkreiste er Kobalt halb, wobei er vor- und zurücksprang. Kobalt gehorchte Connys Zügel- und Schenkelhilfen nicht mehr. Sein ganzer Körper versteifte. Es war zu spät, um Kobalt noch vor dem Hindernis zu zügeln. Während Conny zurückschaute, bremste Kobalt aus vollem Galopp. Seine Hufe rissen Erdklumpen aus dem Boden. Er fand keinen Halt. Unaufhaltsam schlitterte der Hengst auf die Hindernisstangen zu und prallte gegen sie. Mit dumpfem, hohlem Krachen rissen die Stangen aus der Verankerung. Ein Zierkübel flog durch die Luft. Es regnete Blumen. Augenblicklich schrillten sämtliche Alarmsirenen in Conny. Sie war einer Panik nahe. Conny hatte Angst, daß eine der umherfliegenden Stangen Kobalt verletzen könnte. Conny verlor das Gleichgewicht. Ihr Körper schwankte in halsbrecherischer Manier auf dem Sattel hin und her. Wild ruderte Conny mit einem Arm, um sich wieder zu fangen. Kobalt strauchelte, stürzte aber nicht. Conny rutschte aus dem 8
Sattel und knallte hart zu Boden. Der Zügel hatte sich um ihr Handgelenk gewickelt. In Panik galoppierte Kobalt weiter. Dabei riß er Conny mit. Es sah ziemlich schlimm aus. Den Zuschauern stockte der Atem. Nach ein paar Metern löste sich endlich der Zügel und gab Conny frei. Regungslos blieb Conny auf dem Boden liegen. Einige Ordner kamen herbeigelaufen und beugten sich über die gestürzte Reiterin. Stöhnend rührte sich Conny und richtete sich auf. »Alles in Ordnung«, flüsterte sie. »Fangt bitte Kobalt ein, sonst verletzt er sich noch.« »Keine Sorge, ist schon erledigt«, beruhigte sie einer der Ordner. Conny stand auf und humpelte zu Kobalt. Ein Ordner hielt ihn am Zügel fest. »Es war meine Schuld, Kobalt.« Conny streichelte ihr Pferd. Der Hengst legte die Ohren zurück. »Ist ja nichts passiert.« Zwei Minuten später führte Conny Kobalt vom Parcours zum Abreiteplatz. Sie war immer noch ziemlich schockiert von dem entsetzlichen Zwischenfall. »Mir ist vor Schreck das Herz stehengeblieben«, gestand Steffi ihr auf dem Abreiteplatz. »Ach was.« Conny hatte sich schon so weit erholt, daß sie wieder lächeln konnte. »Das war nicht mein erster Sturz aus dem Sattel, und es wird auch nicht mein letzter gewesen sein. Schade nur, daß das Turnier damit für mich gelaufen ist.« »Bei einem Wettkampf auszuscheiden, ist doch kein Weltuntergang«, sagte Barbara tröstend und legte ihrer Freundin die Hand auf die Schulter. »Vielleicht«, antwortete Conny geknickt. »Aber weh tut's trotzdem.«
2. Kapitel Im Stechen Bisher hatten sich Gerties Turniererfolge stark in Grenzen gehalten. Im Gegensatz zu Barbara, Steffi oder gar Conny konnte sie 9
bis zum heutigen Tag keinerlei Trophäen einheimsen. Unter den Junioren galt Gertie immer als mittelmäßige Reiterin. Sie selbst stufte sich als hoffnungslos untalentiert ein. Bis vor einem halben Jahr war sie selbst bei niedrigsten Hindernissen regelmäßig aus dem Sattel gesegelt. Bei ihrem allerersten Sprungversuch hatte sie nicht nur den Balken, sondern gleich das ganze Hindernis mit umgerissen. Dank ihres gemeinsamen Trainings mit Conny hatte Gertie ihre Sprungtechnik enorm verbessert. Dennoch hielt sie ihre Reitkünste bisher nicht nur für unzureichend, sondern geradezu für ärmlich. Weil Gertie in den letzten Monaten enorme Fortschritte gemacht hatte, hatten sie ihre Freundinnen zur Ersatzreiterin bei Mannschaftswettbewerben nominiert. Trotzdem sahen sie die Zuschauer bei offiziellen Nachwuchsturnieren höchst selten im Parcours. Eigentlich sahen sie Gertie überhaupt nicht. Da es bei ihren sportlich talentierten Freundinnen bisher Gott sei Dank keinerlei Unfälle gegeben hatte, verbrachte Gertie ihre meiste Zeit auf der Tribüne. Dabei hatte Gertie vor zwei Wochen ihre Freundinnen damit verblüfft, daß sie sie beim Training geschlagen hatte. Daraufhin hatte Conny nichts Eiligeres zu tun, als sie bei diesem Turnier für den Einzel Wettbewerb nach-zumelden. Nachdem Gertie hier ihren Ritt beendet hatte, mußte sie dreimal auf die Anzeigetafel schauen, um das Ergebnis zu glauben. Ihr erster Freudentaumel über den fehlerfreien Ritt legte sich rasch, da sie so ein Traumergebnis für unwiederholbär hielt. Conny war da anderer Ansicht. Sie wußte, daß Gertie zu ganz großen Leistungen fähig war. Man mußte sie dafür nur ein bißchen unter Druck setzen. »Du bist wirklich sehr, sehr gut, Gertie«, munterte sie Steffi auf. »Vielleicht«, erwiderte Gertie ein wenig unsicher. »Aber im Stechen sind es die anderen auch. Was ist, wenn ich jetzt versage? Was ist, wenn ich mich blamiere? O Mann, warum lade ich mir nur diese Verantwortung auf? Wieso lege ich einen Nullfehler-Ritt hin?« Kein Zweifel, Gertie war ein Nervenbündel. Conny kannte die 10
Symptome. Sie waren typisch für jeden Reiter, der zum ersten Mal ein Stechen erreicht hatte. »Versprich mir, daß du es wenigstens versuchst, bevor du aufgibst«, forderte Conny. »Wenn ich nicht vorher vor Aufregung einen Herzinfarkt erleide«, murmelte Gertie. »Darauf würd' ich mich nicht verlassen«, flachste Steffi aufmunternd. »Komm, reiß dich zusammen, Gertie«, befahl Conny. »Du stehst kurz davor, deinen Traum vom ersten Turniersieg zu verwirklichen. Dafür garantiere ich!« Gertie sagte nichts. Dafür antwortete Frank, der zum Abreiteplatz ritt. »Gib's auf, Conny«, spottete er. »Deine Freundin hat keinen Mumm. Sie ist ein typischer Schwächling. Ein Verlierertyp, der einmal Glück gehabt hat. Das Stechen kannst du jetzt schon abschreiben, Gertie.« »Ist dieser Frank wirklich so ein arroganter Idiot, oder bilde ich mir das ein?« Steffi schickte Frank eine Serie vernichtender Blicke hinterher. »Ach was.« Conny zuckte gleichgültig mit den Schultern. »In Wahrheit ist er gar nicht so schlimm, wie er tut. Im Grunde seines Herzens ist er ein netter Kerl. Er kriegt's bloß nicht hin, es zu zeigen.« »Mag schon sein«, knurrte Barbara. »Sein Benehmen heute ist jedenfalls ein Riesenschritt in Richtung aufgeblasener Angeber.« »Ich glaube, er will Gertie nur einschüchtern, weil er in Wahrheit Angst vor ihr hat.« Conny blieb an der Umzäunung des Abreiteplatzes stehen. »Tja, das gelingt ihm aber ziemlich gut«, meinte Barbara mit Blick auf die bleich gewordene Gertie. Unter normalen Umständen wäre Gertie direkt beim ersten Versuch in die Steigbügel und anschließend in den Sattel gekommen. Doch der Turnierdurchgang eben hatte sie ziemlich geschlaucht. Mühselig und wenig elegant stieg sie auf ihr Pferd Bluebell und trabte über den Abreiteplatz. Hier bereiteten sich die vier Reiter, die 11
ins Stechen gekommen waren, auf den entscheidenden Durchgang vor. Dabei umkreisten sie sich wie Löwen auf dem Beutezug. Gertie kam als letzte im Stechen an die Reihe. Erwartungsgemäß lag Frank mit nur einem Abwurf in Führung. Die Warterei auf dem Aufwärmplatz hatte Gertie als fast noch schlimmer empfunden als die Aufregung im Parcours. Gertie war total nervös. Der Begriff »Lampenfieber« wurde der Beschreibung ihres Zustandes nicht annähernd gerecht. Mindestens drei Dutzend Schmetterlinge flatterten äußerst lebhaft in ihrem Bauch. Vom Zaun aus gab ihr Conny noch ein paar Tips mit auf den Weg. Gertie war viel zu nervös, als daß auch nur ein Wort davon bei ihr haften geblieben war. Immer näher rückte der so sehnsüchtig herbeigeträumte und jetzt so gefürchtete Augenblick. Endlich wurde Gertie aufgerufen. »Los, Gertie!« rief ihr Conny hinterher. »Zeig's diesem Frank! Beweis ihm, daß er in Zukunft besser dran tut, wenn er kleinere Brötchen backt.« »Ja!« Barbara klatschte aufmunternd in ihre Hände. »Zeig' ihm, daß wir Mädchen dreimal besser als Jungs sein können, wenn wir nur wollen.« »Richtig!« Steffi reckte kämpferisch ihre Faust. »Beweis diesem aufgeblasenen Kerl, daß du ihm Paroli bieten kannst.« Mit verkniffenem Lächeln ritt Gertie an ihren Freundinnen vorbei auf den Parcours. Noch ein paar Augenblicke, dann hatte sie es hinter sich gebracht - so oder so. Ein Schlagbaum tat sich vor Gertie auf. Langsam ritt sie in den Parcours ein und spürte sogleich zahllose Blicke auf sich gerichtet. Ruhig und kontrolliert brachte Gertie ihr Pferd in Position. »Falls wir es nicht schaffen, ist es meine Schuld«, flüsterte Gertie Bluebell zu. Dabei beugte sie sich dicht an sein Ohr. Mit der Hand streichelte sie seinen Hals. Ein Glockenton zerstörte den wunderbaren Moment. Gertie setzte sich aufrecht in den Sattel, schluckte zweimal und gab die Zügel frei. Falls sie bei diesem Ritt versagte, war sie wohl für alle Zeiten als Verliererin gebrandmarkt. Gertie warf einen letzten Blick auf die vollbesetzte 12
Zuschauertribüne. In der ersten Reihe entdeckte sie ihre Freundinnen. Leidenschaftlich drückten die ihr die Daumen. Hier und da wurden sogar Aufmunterungsrufe laut. Das gab Gertie neuen Mut. Obwohl es gewiß kein leichtes Unterfangen war, würde sie ihr Bestes geben. Gertie taxierte das erste Hindernis. Je näher sie ihm kam, desto höher und breiter kam es ihr vor. Während des Sprungs schien sich das Hindernis unter ihr zu dehnen und immer länger zu werden. Im letzte Moment winkelte Bluebell die Hinterbeine an und touchierte die Stange nur ganz leicht. Geschafft! Mit den Galoppsprüngen zwischen den Hindernissen kam Gertie besser zurecht, als sie anfangs befürchtet hatte. Bluebell nahm hervorragend ihre Schenkelhilfe an und ließ sich korrekt und zügig an den nächsten Sprung heranführen. Aus ihren früheren Fehlern hatte Gertie viel gelernt. Man durfte die Hindernisse nicht schräg oder zu schnell anreiten. Das verängstigte das Pferd nur und führte unweigerlich zu einer Verweigerung. Heute zeigte Gertie nicht mehr die Unentschlossenheit, die sie früher vor jedem Sprung gespürt hatte. Ihre Nervosität hatte sich auf das Pferd übertragen, und schon war der Sprung vermurkst. Der Fehler ging eindeutig zu Gerties Lasten. Statt ihre Augen auf irgendeinen weit entfernten Punkt zu richten, hatte sie immer wie hypnotisiert auf das Hindernis gestarrt. Mittlerweile hatte sie sich den Schrittrhythmus ihres Pferdes zwischen den Hindernissen eingeprägt. Ein Trabschritt bestand aus zwei Takten. Auf diese Weise konnte sie nun selbst herausfinden, ob der Abstand zwischen den Stangen zu klein oder zu groß war. Wichtig war, daß das Pferd Vertrauen zum Reiter hatte. Heute gab es zwischen Gertie und Bluebell keinerlei Probleme mehr. Gertie gab ihr Bestes. Sie nahm die Sprünge mit einer Gewandtheit und einer Präzision, wie sie an diesem Tag kein anderer Reiter gezeigt hatte. Selbst ihren Angstsprung - die Triplebarre meisterte sie ohne Schwierigkeiten. Nur vor dem Galoppsprung bekam sie echte Schwierigkeiten. Eine winzige Unkonzentriertheit, und schon geriet sie vor Bluebells Bewegung. Für das Pferd war das zwar weniger schlimm, doch für die Reiterin dafür um so 13
gefährlicher. Beim Absprung war Gerties Schenkellage denkbar schlecht. Es
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lag zu wenig Gewicht auf ihren Absätzen. Im letzten Moment konnte sie gerade noch genügend treibende Hilfe einsetzen, damit Bluebell nicht verweigerte. Ohne die stützende Kraft der Schenkel fiel sie bei der Landung nach vorne auf den Widerrist. Um ein Haar wäre sie über Bluebells Kopf gestürzt. Nach der überstandenen Landung korrigierte sie den Fehler sofort wieder. Nach jedem gelungenen Sprung spürte Gertie eine Welle der Begeisterung, die ihr von Seiten der Zuschauer entgegenschlug. Bluebell sprang nicht, er flog über die Hindernisse. Wie im Taumel sah und hörte Gertie nichts mehr von dem, was um sie herum geschah. Die Welt versank in Bedeutungslosigkeit. Das einzige, was noch zählte, waren die Hindernisbalken, die nach jedem geglückten Sprung neu vor ihr auftauchten. Daß sie die Ziellinie bereits überschritten hatte, bemerkte Gertie erst, als die Zuschauer aufsprangen, applaudierten und ihr zujubelten. Mit überschwenglichen Bravo-Rufen stürmten Conny, Barbara und Steffi auf den Parcours. Knallend versetzte Barbara Gertie einen Schlag auf den Rücken, daß diese glaubte, ihr Rückgrat breche entzwei. Gleichzeitig zerrte sie Steffi mit einer gorillaartigen Umarmung halb vom Pferd. Die Krönung war ein dicker Schmatz, den ihr Conny auf die Nase drückte. Von diesem Augenblick an war Gertie ihr Ersatzbank-Image los. Und zwar gründlich und endgültig. Als Gertie zur Siegerehrung ritt, hörte sie Frank mit seinem Schicksal hadern. »Ich kann nicht glauben, daß das wirklich passiert ist«, schimpfte er leise vor sich hin. »Ich bin von einem Mädchen geschlagen worden. Noch dazu von einer Anfängerin.« Nach der Siegerehrung ritt Gertie zum Abreiteplatz. Hier herrschte großes Durcheinander. Die meisten Reiter waren bereits abgestiegen, drängten sich um Gertie und feierten ihren fehlerlosen Ritt. Selbst Frank blieb nichts anderes übrig, als Gerties Sieg zu akzeptieren. Mit einem für Außenstehende höchst ungewöhnlichen Ritual ehrten die begeisterten Jugendlichen Gertie. Sie ließen sie laut hochleben, warfen sie dabei in die Luft und fingen sie wieder auf. 16
Als Nachwirkung dieses Glückstaumels geriet Gertie in eine kaum für möglich gehaltene Hochstimmung. Im Gegensatz zu Frank prahlte sie aber nicht mit ihrem Sieg. Als sie dieses ekstatische Glücksgefühl auch noch am anderen Morgen empfand, fürchtete Gertie schon, daß dieser Zustand womöglich zu Folgeschäden führen könnte. Wegen ihres Dauergrinsens würden sie die anderen für vollkommen übergeschnappt halten.
3. Kapitel Auf dem Alderhof Am nächsten Tag ging es auf dem Alderhof ruhig zu. Gemächlich gingen die Bewohner ihrer gewohnten Arbeit nach. Der Alderhof bestand aus einem schönen alten Gutsgebäude und großen Stallungen. Im Hof gackerten zahlreiche Enten und Hühner. Ansonsten gab es hier nichts als Pferde und nochmals Pferde. Seit einiger Zeit lebte Conny bei ihren Großeltern Graf und Gräfin Alderhof. Conny liebte sie heiß und innig. Diese Liebe wurde voll und ganz erwidert. Ihre Mutter hatte Conny nie gekannt. Ihr Vater arbeitete als leitender Ingenieur in Brasilien. Deshalb hatten die Großeltern Conny in ihre Obhut genommen. Seit dem frühen Morgen schon war Conny mit der Fütterung der Pferde beschäftigt. Sie war so zeitig unterwegs, weil sie mit ihren Freundinnen nachmittags einen Geländeritt unternehmen wollte. Bis dahin gab es viel Arbeit zu erledigen. Wenn man auf einem Reiterhof wohnte, bestand das Leben nicht nur aus Spaß. Man hatte auch eine Reihe Pflichten. Doch die übernahm Conny gerne. Schließlich dienten sie alle dem Wohl der Pferde. Eine Gruppe Reitanfänger hatte es sich auf Bänken neben dem Wohnhaus bequem gemacht. Köchin Else überschlug sich geradezu, die Kinder mit einem anständigen Frühstück zu verwöhnen. Die Begeisterung ihrer Gäste hielt sich jedoch in Grenzen. Seit zwei Wochen hatte Else nämlich einen Eiertick. Es gab Rührei, 17
Spiegeleier, Soleier, Eierkuchen, Eier mit Soße, Eier ohne Soße, Eierstich, überbackene Eier, russische Eier und was nicht noch alles mit und um Eier. Zum einen lag das daran, daß es - dank der Hühner auf dem Alderhof - Eier im Überfluß gab. Zum anderen hielt Else Eier für gesund. Während Eises Eier-Phase langweilten sich die leckersten Wurst- und Käsesorten im Kühlschrank. Wie hypnotisiert starrten die Kids nun auf den Eiersalat, den ihnen Else vorsetzte. Allein der Blick auf die Eierscheibchen genügte, um dem hartgesottensten Al-lesesser den Rest zu geben. Einige Jungs und Mädchen schluckten, als bekämen sie keine Luft mehr. Auch Conny schauderte bei dem Anblick. Inzwischen reichte schon die Erwähnung des Wortes »Ei«, um Conny Alpträume zu bescheren. Der harmlose Ausspruch »Ei der Daus« beispielsweise hatte für Conny eine völlig neue, grausige Bedeutung errungen. Genau wie: »Ei, guck einmal.« Ein paar Meter weiter polierte indes Eises Mann Ewald seinen funkelnden Traktor. Ewald war das Faktotum des Alderhofes. Nicht nur seine Aussprache - geschickt flocht er immer wieder »ähs« in seine Worte ein - stellte seine Zuhörer auf eine harte Geduldsprobe. Einigen Leuten erschien er ein wenig suspekt. Natürlich liebte Ewald seine Frau Else mehr als alles andere auf der Welt. Und doch liebte er seinen Traktor vielleicht noch eine Idee mehr. Else war ein Kapitel, der Traktor ein ganz anderes. Den größten Teil seines Lebens verbrachte Ewald damit, seinen Traktor auf Hochglanz zu polieren. »Das ist ja nicht zum Aushalten«, schimpfte Ewald mindestens sechsmal am Tag. »Kann sich de-äh-r Schm-äh-utz nicht einen anderen Rast-äh-platz aussuchen, als meinen Trak-äh-tor?« »Hopp, mach Männchen!« befahl Hugo währenddessen. Als Haus- und Stallmeister war Hugo unverzichtbar auf dem Alderhof. Früher einmal war er zur See gefahren. Für einige Zeit hatte er auch in einem Zirkus gearbeitet. Hugo hatte ein Händchen für Tiere. Sie spürten immer, was Hugo von ihnen wollte. Hugos Stimme schreckte Waldi, den Dackel des Grafen Alderhof, 18
aus tiefem Schlummer. Waldi war unter der alten Eiche eingeschlafen und träumte wahrscheinlich gerade davon, daß er sich in einem vollen Futternapf von wahrhaft olympischen Ausmaßen suhlte. Erschrocken riß Waldi die Augen auf und blickte verwundert um sich. »Mach Männchen!« wiederholte Hugo. Wie am Schnürchen gezogen, stellte sich Waldi auf die Hinterbeine und glotzte Hugo fragend an. »Das beweist, daß Waldi durchaus lernfähig ist, Herr Graf.« Ein breites Grinsen stahl sich in Hugos Gesicht. Graf Alderhof blickte ungläubig auf seinen Hund und nickte nur stumm. Seit fast fünf Jahren versuchte er seinem Hund einen Trick - irgendeinen Trick beizubringen. Genausogut hätte er einem Goldfisch Sprachunterricht geben können. Vor langer Zeit hatte der Graf den Reiterhof praktisch aus dem Nichts aufgebaut. Er wußte wie kein anderer, wie man mit Pferden umging. Aber was Waldis Erziehung anging, da war der Graf immer auf Granit gestoßen. »Gut so, Waldi«, winkte Hugo ab. »Lauf, lauf.« Sichtlich erleichtert trottete Waldi davon. Insgeheim schwor sich der Hund aber, irgendwann würde er die beiden Zweibeiner für all ihr Drangsalieren auf allen vieren laufen lassen. »Erstaunlich, Hugo«, sagte der Graf. »Wirklich ganz erstaunlich. Ich bin tief beeindruckt.« »Ich wäre noch viel beeindruckter, wenn Hugo mir den Wäschekorb tragen würde«, schallte es laut vom Gutshaus herüber. Mit einem vollen Wäschekorb schnaufte Hugos Frau Gerlinde zu dem kleinen Gärtchen neben dem Haus. Dort waren die Wäscheleinen an Stangen befestigt. Gerlindes Domäne war für gewöhnlich die Küche. Aber auch vor anderer Hausarbeit schreckte sie nicht zurück. Trotz ihres robusten Auftretens brachte sie es fertig, alles stehen und liegen zu lassen und einen wilden Cha-Cha-Cha zur Musik aus dem voll aufgedrehten Radio zu tanzen. Gerlinde war eine stämmige Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben stand. Nichts konnte sie so leicht erschüttern. Das lag vor 19
allem daran, daß sie morgens als erstes ihr Horoskop in der Zeitung las. Obwohl die Prognosen in der Vergangenheit oftmals nicht hielten, was sie versprachen, vertraute Gerlinde doch täglich fest darauf. Während Gerlinde die Wäsche zum Trocknen aufhing, saß Gräfin Alderhof vor ihrer Staffelei. Mit Ölfarben hielt sie weidende Pferde auf der Leinwand fest. Früher einmal war die Gräfin eine gefeierte Ballerina gewesen. Doch nach einem tragischen Reitunfall lebte sie zurückgezogen auf dem Hof ihres Mannes. Die meiste Zeit widmete sie der Hobbymalerei. Ein Galerist wollte einmal ihre Bilder ausstellen. Doch die Gräfin hatte dankend abgelehnt. Sie malte nur für sich allein. Nur ab und zu verschenkte sie ein Bild Gegen zehn Uhr tauchte Gertie auf. Immer noch schwelgte sie im grenzenlosen Glücksgefühl über ihren errungenen Turniersieg. Es hatte sich also doch gelohnt, einige Nerven dafür zu opfern. Kurz nach Mittag trafen auch Barbara und Steffi auf dem Reiterhof ein. Die Mädchen sattelten ihre Pferde und warteten dann nur noch auf Alexander Schlöder-blohm. Alex war allgemein als das wandelnde Chaos verschrien. Wo er auftauchte, passierte garantiert irgendwas Unvorhergesehenes. Im Laufe der Jahre hatte Alexander Schlöderblohm das Auslösen von Katastrophen zur Kunstform perfektioniert. Mit einer satten Stunde Verspätung brauste Alex endlich auf seinem Mofa an. »Alex, das wurde ja auch langsam Zeit«, begrüßte Barbara den abgekämpft aussehenden Schlöderblohm. Alex stieg vom Mofa und erzählte eine wahrhaft grauenvolle Geschichte: »Beim Aufstehen rutschte ich auf dem Bettvorleger aus und stauchte mir den Zeh. Beim Frühstück glitt mir das Glas Orangensaft aus der Hand und ergoß sich über meine beste Hose. Im Briefkasten fand ich eine längst vergessene Rechnung über einen CD-Player, den ich vor einem halben Jahr gekauft hatte. In Anbetracht der totalen Ebbe in meiner Geldbörse eine überaus heikle Situation.« Alex Schlöderblohm warf Conny einen sehnsüchtigen Blick zu. Doch diese Sehnsucht blieb ungestillt, da Conny ihn gar nicht zur 20
Kenntnis nahm. Alex war für sie lediglich ein guter Freund, mehr nicht. Bei Alex lag die Sache anders. Für ihn war Conny die Erfüllung seiner Träume. Ein wenig neidisch schaute er immer zu, wenn Conny Kobalt lobte und streichelte. Überhaupt liebkosten alle Mädchen ihre Pferde. Nur er, Alex, blieb unliebkost. Gefühlsmäßig ließen ihn die Mädels am ausgestreckten Arm verhungern. Langsam reifte in Alex der Entschluß, das nächste Mal als Pferd zur Welt zu kommen. In dieser Gestalt würde er mit Sicherheit größeren Erfolg bei der Damenwelt verzeichnen als in seiner jetzigen. Alex würde für Conny alles tun. Ein Blick von ihr genügte, und aus dem stählernen Schlöderblohm wurde ein mürber Hefeteig. Rasch sattelte Alex seinen vierbeinigen Freund Hel-muth und führte ihn aus dem Stall. Schwerfällig schwang er sich in den Sattel und drückte Helmuth regelrecht die Hacken gegen den Bauch. Jedes wohldressierte Pferd hätte auf dieses Manöver mit Antraben reagiert. Doch Helmuth war erstens nicht dressiert und zweitens war er noch nicht mal ein Pferd. Helmuth war eine Marke für sich. Als Esel gehorchte er ganz anderen Naturgesetzen, nämlich nur seinen eigenen. Ungeduldig hampelte Alex im Sattel, pfiff, schnalzte mit der Zunge, zischte, ruckte an den Zügeln und brüllte: »HÜÜHOTT!« Mit majestätischem Gleichmut ignorierte Helmuth die Aufforderungen seines Herrchens. Zur völligen Bewegungslosigkeit erstarrt, stand er wie festgeklebt da. »Mach schon, Alex«, drängte Steffi. »Bis Weihnachten hab' ich noch was anderes vor.« »Hol mir mal einen Stock«, bat Alex Gertie. Gertie trabte sofort los und lieh sich von Hugo einen Besenstiel. »Du willst das arme Tier doch wohl hoffentlich nicht schlagen?« fragte Conny besorgt. »Ich hab' etwas viel besseres vor!« Alex schwang sich aus dem Sattel und ging weg. »Ich werde diesem Esel zeigen, wer von uns beiden der Esel ist.« »Na, das kann ja was geben«, stöhnte Steffi. Wenig später schnorrte Alex von Else eine Mohrrübe und einen 21
Bindfaden. Damit band er die Mohre vorn an das Stockende und schwang sich erneut in den Sattel. Den Stock mit der Mohre hielt Alex wie eine Angelrute. Die schmackhafte Mohre permanent vor Augen, trabte Helmuth schließlich an. Dank dieser wirkungsvollen Motivationshilfe kamen die Freunde doch noch recht forsch voran. Irgendwie paßten Alex und Helmuth wie die Faust aufs Auge. Jeder für sich genommen war schon eine Katastrophe, aber gemeinsam bildeten sie ein unschlagbares Chaos-Team. Im Chor seufzten die vier Mädchen sichtlich befreit auf, als es endlich losging. Es herrschte herrliches Frühlingswetter. Die Luft war warm und klar. Über einen Feldweg gelangten die Reiter in den Wald. Geheimnisvolles Halbdunkel und eine frische Kühle hüllten sie im Forst ein. Während die Baumwipfel in flutendem Licht schwelgten, drangen die meisten Sonnenstrahlen nicht bis zum Waldboden vor. Ab und an durchbrach das Tocktocktock eines Spechtes die tiefe Stille, die im Wald herrschte. Gleichmäßig rauschte der Wind in den Zweigen. Eichhörnchen saßen keck aufgerichtet neben dem Pfad und knabberten geschäftig an Eicheln und Tannenzapfen herum. Plötzlich stellten die kleinen Gesellen ihre rostbraunen Schweife hoch und äugten auf die näherkommenden Reiter. Doch davon ließen sie sich nicht weiter stören und knabberten weiter. »Och, sind die aber putzig.« Gertie beugte sich so weit zur Seite, wie es der Sattel erlaubte. Offensichtlich behagte das Kompliment den Eichhörnchen gar nicht. Sie blinzelten verwundert zu Gertie hoch. Alex fiel nichts Besseres als die Bemerkung ein, daß man aus Eichhörnchenhaaren wundervolle Pinsel machte. Das war den pelzigen Burschen dann doch nicht mehr geheuer. Plötzlich hüpften sie davon. Wieselflink verschwanden sie im Wurzelgewirr einer knorrigen Eiche. Alex glotzte verwundert. Conny gluckste und konnte sich ihr Lachen einfach nicht länger verkneifen. »Unsere Pferde haben sie nicht sonderlich beeindruckt, aber dein Gesicht war wohl für die Burschen der Schock ihres Lebens, Alex.« 22
Conny verschluckte sich fast an ihren Worten, so prustete sie jetzt los. Zu Alex Verärgerung stimmten die übrigen Mädchen lauthals mit in das Gekicher ein. Alex fand das überhaupt nicht witzig. Der Reitweg führte weiter am malerischen Waldsee vorbei. Im Uferschilf brüteten Wildenten. Außerdem wimmelte es vor Eidechsen und Fröschen. Unterdessen war Helmuth das Spiel mit der baumelnden Mohre vor seiner Nase leid geworden. Am Seeufer blieb der Esel plötzlich stehen. Er drehte den Kopf zu Alex und schaute ihn böse an. »Alex, wo bleibst du denn?« stöhnte Conny, die bereits weitergeritten war. »Dieser Esel ist zum Reiten völlig ungeeignet.« Alex haderte mit seinem Schicksal. »Als ausgestopfter Garderobenständer würde er mir bestimmt viel nützlichere Dienste leisten.« Plötzlich machte Helmuth einen originellen Ausfallschritt und trabte in den See. »Nicht dahin, du Esel!« schimpfte Alex. Es war ein gespenstischer Anblick, wie Esel und Reiter im hohen Schilf verschwanden. Alex warf noch einen verzweifelten, hilfesuchenden Blick zu den Mädchen zurück, dann war er fort. Was sich dann in dem Schilf abspielte, blieb für Conny und ihre Freundinnen für immer ein Geheimnis. Fest stand nur, daß Helmuth nach zwei Minuten wieder auftauchte - und zwar allein. Seelenruhig trottete er ans Ufer und begann dort zu grasen. »Alex!« rief Conny. Unbeantwortet hallte ihr Echo durch den Wald. »Ihm wird doch hoffentlich nichts passiert sein.« Steffi spähte besorgt ins Schilf. »Ach was«, lachte Barbara. »Unkraut vergeht nicht. Der ist bestimmt bloß aus dem Sattel gefallen.« »Was beweisen würde, daß Alex als Reiter genauso ungeeignet ist wie Helmuth als Reittier«, schloß Gerde folgerichtig aus der Vermutung. Es war genauso, wie Barbara vermutet hatte. Unversehrt, aber von 23
Kopf bis Fuß triefend naß und mit Schlamm und Schilf bedeckt, wankte Alex aus dem See heraus. »Weiß einer von euch, welche Strafe darauf steht, wenn man seinen Esel mit bloßen Händen ganz spontan erwürgt?« fragte Alex mit jeder Menge Wut und Seewasser im Bauch.
4. Kapitel Die Moorhofranch Eine Viertelstunde war seit Alex' unfreiwilligem Bad vergangen, da zogen Wolken auf. »Wir sollten umkehren.« Conny warf einen besorgten Blick zum Firmament. »Es sieht ganz nach einem fürchterlichen Unwetter aus.« Rasch verschwand der Himmel hinter schwarzen Wolken. Fernes Donnergrollen kam rasch näher. So schnell es der unebene Waldboden zuließ, ritten die Freunde durch den Forst. Die Wolken öffneten ihre Schleusen. Es schüttete wie aus Kübeln. Innerhalb weniger Sekunden waren sie alle naß bis auf die Haut. Alex hatte als einziger von Connys Freunden eine Regenjacke dabei. »Bin ich froh, daß ich mir gestern den Wetterbericht im Fernsehen angeguckt hab'«, meinte Alex, während er sich die Kapuze überzog. »Wieso?« staunte Barbara. »Die hatten doch für heute schönes Wetter vorausgesagt.« »Eben drum«, grinste Alex. »Ich begreife nicht, wieso die Leute glauben, was die Wetterfrösche sagen. Meistens tritt doch das Gegenteil ein. Außerdem hat mein Hühnerauge gezirpt. Ein unfehlbares Zeichen für Regen.« »Tja, an Alex' Hühnerauge kann sich die moderne Meteorologie ein Beispiel nehmen«, meinte Barbara und nieste zweimal kräftig. Ein greller Blitz zerriß den Himmel. Gleichzeitig erzitterte ein gewaltiger Donnerschlag die Luft. »Das Gewitter ist genau über uns.« Alex schrie, um das Krachen des Donners zu übertönen. »Wir sollten uns schleunigst etwas zum Unterstellen suchen«, 24
schlug Gertie vor. »Ich hab' keine Lust, bei Gewitter unter Bäumen herzureiten.« »Uns wird nichts anderes übrig bleiben«, antwortete Barbara seufzend. »Wo willst du mitten im Wald einen Stall hernehmen?« »Wir reiten zur Moorhofranch«, entschied Conny. »Was?« Steffi glaubte nicht richtig gehört zu haben. »Was für eine Ranch?« »Der Moorhof steht schon lange leer«, erwiderte Conny. »Er ist keine fünf Minuten von hier.« Bis zum Moorhof war es noch knapp einen Kilometer. Der stärker werdende Wind fegte den Regen von oben schräg herab. Der Regenvorhang wurde so dicht, daß die Reiter kaum zehn Meter weit sehen konnten. Das war kein kleiner Frühling´s schauer, sondern ein ausgewachsener Wolkenbruch. Donner, Blitz und heftige Sturmböen machten den Reitern jetzt wirklich zu schaffen. Wenige Minuten später erreichten die Reiter endlich den Moorhof. Auf den ersten Blick war ihnen das Gehöft unheimlich. Rings um den leerstehenden Hof wuchsen knorrige, uralte Bäume. Dazwischen zeugten Baumstümpfe davon, daß hier einmal Land gerodet worden war. Ein alter Zaun markierte die Grenze der Ranch. Dahinter stand ein altes, teilweise mit Brettern vernageltes Haus. Der Haupttrakt bestand aus moosüberzogenen Steinen. Wind und Wetter hatten ihre ursprüngliche Farbe grau und unansehnlich werden lassen. Dahinter kam wieder Wald. Die Fenster des Hauses waren klein. Das Dach mit den ausgeblichenen Ziegeln war teilweise abgedeckt. Dadurch wirkte das Gehöft alles andere als anheimelnd. »Es ist unheimlich hier«, stellte Alex fest. »Hübsch-häßlich«, verbesserte Barbara. »Ich hab' mal einen Horrorfilm über ein Haus gesehen, das sah genauso aus«, flüsterte Alex in unheilschwangerem Tonfall. Ein ohrenbetäubender Donnerknall unterstützte dramaturgisch die Wirkung von Alex' Aussage. »Also wenn da drin Gespenster hausen, geh ich lieber nicht rein.« 25
Steffis Augen wurden vor Besorgnis groß wie Wagenräder. Genervt versicherte Conny ihrer Freundin, daß es keine Gespenster gab. Natürlich wußte Steffi das auch. Jeder wußte das. Doch es gab Momente, an denen man doch wieder an Spukgeschichten glaubte. Beim Anblick des verfallenen Moorhofes beispielsweise. »Besser ein schlechtes Dach über dem Kopf, als gar keines.« Conny stieg von Kobalt und führte ihn am Halfter zum Wohnhaus. »Ich bin mal gespannt, wie's drinnen aussieht«, meinte Barbara. Doch die halb verrottete Haustür war verschlossen. »Fein, das Schicksal möchte uns anscheinend mit einer kräftigen Grippe bedenken«, stöhnte Gertie. Conny ging ein paar Meter weiter zum angrenzenden Stall. Das Tor war ebenfalls geschlossen. Conny rüttelte dran, aber es bewegte sich keinen Zentimeter. »Laß mich mal.« Alex drängelte sich zwischen Conny und das Tor. Dann stemmte er sich mit aller Kraft dagegen. Mit einem Quietschen, wie es die Mädchen aus Gruselfilmen kannten, glitt das Tor endlich auf. Klamme, modrig-muffige Luft strömte aus dem Inneren des Stalls heraus. Zögernd betrat Conny als erste das Gebäude. Dichtauf folgte Steffi. Dabei fiel ihr das Gespensterco-mic ein, in dem ein paar Jugendliche als Mutprobe in ein verfluchtes Spukhaus gegangen waren. Niemand hatte sie je wiedergesehen. BA-TUMM machte es vor dem Stall. Steffi zuckte zusammen und dachte, sie sterbe vor Angst. »Das klang ganz nach Alexander«, meinte Conny, ohne sich umzuschauen. Tatsächlich war Alex gerade über einen Eimer gestolpert und beinahe hingefallen. »Blöder Eimer!« schimpfte Alex. »Mensch Alex, stell dein verdammtes Gehirn an«, schimpfte Barbara. »Kein Problem«, versprach Alex. »IIIIIIIIEEEEE!« kreischte Steffi in einer solchen Lautstärke, daß Alex vor Schreck beinahe das Herz stehenblieb. »Was ist?« Besorgt fuhr Conny herum. 26
»D-D-Da war eine R-R-Ratte!« Steffis Gesicht wurde kreidebleich. »Das ist keine Ratte«, entgegnete Conny. »Das ist ein Molch.« »Was immer es ist, es bewegt sich«, flüsterte Steffi ängstlich. »Was immer es ist, es wird dir nichts tun«, sagte Conny trocken und ging weiter. Zuerst konnte sie überhaupt nichts erkennen. Aber dann gewöhnten sich ihre Augen allmählich an das Dunkel. In den leeren Boxen lag Gerumpel aller Art. Verrostete landwirtschaftliche Werkzeuge, ein alter Sattel und jede Menge anderes Gerumpel. Natürlich alles dick mit Staub und Spinnweben überzogen. Ab und an erhellte ein greller Blitz den Raum mit blendendem Licht. In der nächsten Sekunde versank das Innere des Stalls wieder im Halbdunkel. Monoton prasselte der Regen auf die alten Schindeln. An einigen undichten Stellen sickerte Wasser herein. An den Wänden zeichneten sich Wasserspuren ab. Von der Decke tropfte es. Rasch bildeten sich kleine Pfützen auf dem Boden. Helmuth und die Pferde standen am Eingang im Trocknen. Conny und ihre Freunde machten es sich auf einigen Kisten bequem. »Ich glaube, meine Uhr ist hinüber«, klagte Alex, der seine Armbanduhr abgenommen hatte und nun einer genaueren Überprüfung unterzog. »Ja«, bestätigte Conny. »Sie ist voller Wasser.« »Tatsächlich«, staunte Alex. »Und dabei steht in der Gebrauchsanweisung, sie sei wasserdicht.« »Ist sie doch auch«, spöttelte Barbara. »Aus ihrem Gehäuse kommt doch kein Tropfen raus.« »Ha - Ha - Ha«, machte Alex und warf Barbara einen vernichtenden Blick zu. »Vergiß die Uhr, Alex.« Conny erkannte einen hoffnungslosen Fall, wenn sie einen sah. Doch Alex hielt eisern an seinem Lieblings-Chrono-meter fest. »Aber sie ist doch ein funkelnagelneues Geburtstagsgeschenk.« »Dann bring sie zu einem Uhrmacher und frag ihn, ob der noch was retten kann«, riet Gertie. »Gute Idee.« Alex grinste erleichtert und legte die Uhr zum Trocknen auf die Kiste. 27
»Habt ihr auch gerade das Geräusch gehört?« fragte Steffi mit schreckgeweiteten Augen. Conny lauschte angestrengt. Doch nur das Heulen des Sturms drang an ihr Ohr. »Nee«, bestätigte auch Barbara. »Es klang wie das Quietschen einer Tür«, fuhr Steffi fort. »Unsinn.« Conny schüttelte ihren Kopf. »Das war nur der Sturm.« Der Gedanke, daß sich noch jemand außer ihnen in dem Gebäude aufhalten könnte, war alles andere als angenehm. Obwohl sie so taten, als sei das Thema erledigt, war den Freunden doch ein wenig unheimlich zumute. Immer wieder ertappte sich der eine oder andere dabei, daß er nach Geräuschen lauschte. Schließlich schlug Alex vor, der Ungewißheit ein Ende zu bereiten, indem sie einfach nachsahen. Doch dazu verspürten die Mädchen wenig Lust. Nur wenn dieses Quietschen noch einmal zu hören war - dann vielleicht. »Warum schaust du nicht nach, Alex?« fragte Barbara. »Du tust doch immer so mutig.« »Oh, eigentlich fühl' ich mich im Augenblick aber gar nicht so mutig«, gab Alex zu. »Wenn sich jemand in diesem verfallenen Haus versteckt, führt er bestimmt nichts Gutes im Schilde«, vermutete Steffi. »Willst du damit behaupten, wir hecken hier etwas Böses aus?« fragte Conny. »Äh... uns hab' ich damit nicht gemeint«, stotterte Steffi verlegen. »Ich glaube langsam selbst, daß das Quietschen bloß Einbildung war.« Im gleichen Moment hörte Steffi erneut das Quietschen. Diesmal war es so laut, daß es die anderen auch vernahmen. Gleichzeitig verspürten sie alle kalte Schauer über den Rücken rieseln. »Da ist doch jemand«, flüsterte Conny. »Das war ganz eindeutiges Türquietschen.« »Vielleicht hat der Sturm die Haustür aufgerissen.« Alex klammerte sich an diese Vermutung wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. »Mag sein«, antwortete Conny. »Ich schau jedenfalls mal in dem 28
Wohnhaus nach, ob da jemand ist.« »Bist du verrückt, Conny?« zischte Gertie. »Was, wenn sich dort ein Mörder versteckt hält?« »Wenn, dann ist es wohl eher ein Landstreicher oder ein Waldarbeiter«, meinte Conny. »Vermutlich erschrickt der sich mehr über uns als wir über ihn.« Conny wollte sich gerade langsam erheben, da flog die Stalltür auf. Das Herz schlug den Jugendlichen bis zum Hals. Stocksteif saßen sie da. Ein großer, breitschultriger Mann betrat den Stall. Er trug eine speckige Lederjacke und eine braune Kappe. Sein mürrisches Gesicht wirkte alles andere als vertrauenerweckend. Und seine Schaufelbaggerhände sahen aus, als könnte er damit locker ein massives Hufeisen verbiegen. »Was macht ihr hier?« knurrte der Mann. »W-Wir haben uns nur vor dem Regen untergestellt«, antwortete Conny. Genausogut hätte sie den Mann fragen können, was er hier mache. Aber die Frage verkniff sie sich lieber. Der Mann sah nicht aus, als ob er ihnen besonders freundlich gesinnt wäre. »Was soll das heißen, ihr habt euch nur untergestellt?« fauchte der Mann. »Ich mag es nicht, wenn hier spioniert wird.« »Wer spioniert denn hier?« empörte sich Alex. »Maul halten, Burschen, oder bist du scharf auf einen Satz warmer Ohren?« blaffte der Mann. »N-Nein!« Auf Ohrfeigen konnte Alex dankend verzichten. »Ist außer euch sonst noch jemand hier?« Mißtrauisch äugte der Mann in die Ecken. »N-Nein«, versicherte Steffi. »Verschwindet jetzt!« befahl der Grobian böse. »Und wenn ich euch hier noch einmal beim Rumschnüffeln erwische, kommt ihr nicht so glimpflich davon.« Conny hatte das Gefühl, daß es jetzt wirklich Zeit war, sich abzusetzen. Die Freunde führten ihre Tiere hinaus, schwangen sich in die Sättel und ritten im scharfen Galopp davon. Selbst Helmuth erkannte den Ernst der Lage. Willig verzichtete er auf seine sonst üblichen 29
Zicken. Die schwarzen Regenwolken hatten sich schon ziemlich verzogen. Der Himmel klarte rasch auf. Dennoch ritten Conny und ihre Freunde in bedrückter Stimmung zum Alderhof zurück. Selbst Alex war bemerkenswert still. Sonst nervte er die Mädchen meistens mit irgendwelchen abenteuerlich klingenden Erlebnissen. Heute schien er am liebsten gar nichts mehr sagen zu wollen. Obwohl es niemand aussprach, quälte sie alle dieselbe Frage: Wer war der fremde Mann auf der Moorhofranch? Noch ahnte Conny nicht, daß sie eine Antwort darauf schneller erhalten sollte, als ihr lieb sein würde.
5. Kapitel Nächtliche Entdeckung Es war schon nach Mitternacht, als jemand Steinchen gegen Connys Fenster warf. Schlaftrunken kletterte Conny aus dem Bett, ging langsam zum Fenster und öffnete. »Conny«, zischte Alex unten im Hof. »Schläfst du schon?« »Klar, siehst du das etwa nicht?« ärgerte sich Conny über diese blödsinnige Frage. »Es ist wichtig«, fuhr Alex unbeirrt fort. »Was willst du?« gähnte Conny. »Den Stallschlüssel«, antwortete Alex. »Den Stallschlüssel?« wiederholte Conny ungläubig. Sie war ja schon einiges von Alex gewohnt, aber das hier schlug dem Faß den Boden aus. »Findest du es nicht ein wenig spät zum Ausreiten?« »Es ist keine Sache des Wollens sondern des Müs-sens«, drückte es Alex ziemlich ungenau aus. »Und wieso?« hakte Conny nach. »Weil ich zum Moorhof reiten muß.« Nervös trippelte Alex von einem Bein aufs andere. »Bist du verrückt?« Conny glaubte jetzt wirklich, daß Alex nicht ganz richtig im Kopf war. »Wenn der Kerl dich plötzlich erwischt, möchte ich nicht in deiner Haut stecken.« 30
»Es ist keine Fragen des Wollens, sondern des Müs-sens«, wiederholte Alex erneut. Dabei unterstrich er seine Verzweiflung mit einer hilflosen Geste. »Warum wartest du damit nicht bis morgen früh?« Conny hoffte immer noch, daß sie den Ruhestörer irgendwie abwimmeln konnte. »Weil mich der Kerl tagsüber mit Sicherheit erwischen würde«, argumentierte Alex nicht ganz unlogisch. »Um diese Uhrzeit schläft er wahrscheinlich.« »Ein beneidenswerter Mensch«, gähnte Conny erneut. »Aber du hast mir immer noch nicht verraten, was du auf dem Moorhof willst.« »Ich hab' meine Uhr im Stall vergessen«, erklärte Alex. »Du meinst das kaputte Ding?« Conny glaubte, nicht richtig zu hören. »Bitte, Conny«, bettelte Alex in herzzerreißendem Ton, »ich hänge halt dran.« »Alex, du spinnst!« Mit dieser Erkenntnis schloß Conny das Fenster wieder. Rasch schlüpfte sie in ihre Kleider und schlich auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. »Ich wußte, du läßt mich nicht im Stich!« Alex atmete auf, als Conny aus der Haustür trat. »Dein kaputter Handwecker ist es nicht wert, daß man überhaupt dafür aufsteht.« Conny schritt mit Alex im Schlepptau zum Stall. »Aber es ändert wohl nichts an deinem Entschluß, wenn ich dir das sage?« »Er hat mir wochenlang treu gedient, Conny«, erklärte Alex. »Da kann ich sie doch jetzt nicht schmäh-lich im Stich lassen.« Conny schloß kopfschüttelnd die Stalltür auf und trat ein. »Was in deinem Hirn vorgeht, wirst du mir nie klarmachen können.« Einige Pferde in den Boxen stampften, andere prusteten im Schlaf. Conny begleitete Alex in die Sattelkammer. »Was denn?« staunte Alex, als Conny Kobalts Sattel ergriff. »Kommst du etwa mit?« »Es wäre unverantwortlich, dich alleine in die Nacht reiten zu lassen«, seufzte sie. »Du würdest dich hoffnungslos verirren.« 31
»Sie macht mit«, flüsterte Alex leise zu sich selbst und grinste dabei wie ein glückliches Honigkuchenpferd. »Das Ganze ist Wahnsinn«, knurrte Conny, während sie Kobalt aus der Box lotste. »Ich muß verrückt sein.« Leise verließen Conny und Alex den Stall. Auf dem Feldweg stiegen sie auf Kobalt und Helmuth. Zügig ritten sie in die Nacht hinein. Im Wald war es stockdunkel. Glücklicherweise hatte Alex eine Taschenlampe mitgenommen. Nach etwa zehn Minuten kroch der Mond hinter Wolken hervor und beleuchtete leidlich den Waldweg. Für den Weg zum Moorhof brauchten sie fast doppelt so lange wie am Tag. Unterwegs wurde Alex von allen möglichen Schreckensvisionen geplagt. Conny hingegen ließen die Dunkelheit und die unheimlichen Käuzchenrufe kalt. Plötzlich zügelte Conny Kobalt. »Auf dem Moorhof brennt noch Licht«, flüsterte sie. Tatsächlich. Der Stall war hell erleuchtet. »Merkwürdig«, staunte Alex. Während Conny überlegte, was der Mann um diese Zeit noch im Stall suchte, hörte sie ein Wiehern. »Halt die Gäule fest, Lutz!« drang es aus dem Stall. Conny erkannte die Stimme des unwirschen Kerls, der sie nachmittags verjagt hatte. »Ich versuch's ja, Kurt«, keuchte Lutz. Danach hörte Conny hastige, gepreßte Atemzüge und nervöses Hufgetrappel. »Verflixt«, schimpfte Lutz. »Ich kann das Biest nicht mehr festhalten.« »Gib mir mal die Peitsche rüber«, befahl Kurt. »Ich werde den Gäulen schon Manieren beibringen.« Conny und Alex stiegen von Kobalt und Helmuth. Lautlos krochen sie zu einem Gebüsch. Von hier aus konnten sie den Stalleingang bestens einsehen. Im nächsten Moment erstarrte Conny vor Schreck und Staunen. Zwei Pferde galoppierten aus dem Stall heraus. Kurt rannte ihnen peitscheschwingend hinterher. Ganz tief duckten sich Conny und 32
Alex in das Laub. Entsetzt beobachtete Conny, daß dieser Kurt mit der Peitsche nach den Pferden schlug. Die beiden Pferde wollten in den Wald rennen, doch sie kamen nicht weit. Der Zaun vor dem Stall hielt sie auf. Erschrocken bäumten sie sich wiehernd auf. Kurt hob die Peitsche, um die Tiere in den Stall zurückzutreiben. Lutz kam ihm zu Hilfe. Lutz war schmächtiger und jünger als Kurt. Er trug eine Latzhose und eine zerschlissene Jacke. »Nicht schlagen!« schrie Conny. Ehe Alex sie zurückhalten konnte, war sie auch schon aus ihrem Versteck gesprungen. Im ersten Moment starrten Kurt und Lutz Conny ungläubig wie eine Fata Morgana an. Conny war für sie ein unerwarteter und auch unwillkommener Besuch. »Schlagen Sie die Pferde nicht!« wiederholte Conny. »Sie sind nur verängstigt.« Bevor Conny noch etwas sagen konnte, packte Kurt sie auch schon. »Aua!« schrie Conny und versuchte sich dem Griff zu entwinden. »Antworte!« fauchte Kurt. »Was machst du hier?« »Lassen Sie Conny los, sonst bekommen Sie es mit mir zu tun!« Grimmig trat Alex aus dem Gebüsch. »Dich kenn' ich doch auch«, herrschte Kurt den Jungen an. »Was schnüffelt ihr hier rum?« »Wir schnüffeln doch gar nicht«, beteuerte Alex. »Ich hab' meine Uhr im Stall vergessen und...« »Hab' ich mich heute nachmittag nicht klar genug ausgedrückt, Mädchen?« knurrte Kurt und drehte Conny den Arm noch fester auf den Rücken. »Lassen Sie mich los!« Conny verzerrte ihr Gesicht vor Schmerz. »Sie tun mir weh.« »Das war eine große Dummheit von euch, daß ihr trotzdem zurückgekommen seid«, fuhr Kurt ungerührt fort. »Lutz, schnapp dir den Grünschnabel!« »Grünschnabel?« wiederholte Alex entgeistert. »Meint der etwa mich?« 33
Statt einer Antwort versetzte Kurt Alex einen Stoß, daß dieser hinfiel und sich zweimal auf dem Boden überschlug. Verächtlich blickte Kurt auf den jungen Schlöderblohm hinab. Dann packte Lutz Alex am Arm und riß ihn hoch. »Loslassen!« protestierte Alex. Noch vor wenigen Augenblicken hatte sich Alex wie in einem Abenteuerfilm gefühlt, in dem der Held der in Not geratenen Schönheit zur Hilfe eilte. Alex hatte allerdings den großen Fehler begangen und jemanden herausgefordert, der ihm körperlich weit überlegen war. Das war einer jener Fehler, die sich nur schwer wieder korrigieren ließen. »Ach ja?« Kurt warf Alex einen geringschätzenden Blick zu, bei dem sich dieser äußerst unbehaglich fühlte. »Und wer ist deine Freundin hier?« »Conny von Alderhof«, stieß Alex aus. Sein Auftritt verlor an Heldenhaftigkeit und gewann dafür rasant an Dürftigkeit. »Ihrem Großvater gehört der größte Reiterhof weit und breit.« »Der Alderhof?« staunte Kurt beeindruckt. »Wirklich ein schönes, großes Gut. Und das gehört tatsächlich deinem Großvater?« »Ja!« antwortete Conny gepreßt. Ihr wäre lieber gewesen, Alex hätte das nicht erwähnt. »So, so, du behauptest also, du bist nur wegen deiner Armbanduhr hier?« Kurts Stimme klang um einige Grade versöhnlicher. »Das läßt sich sofort klären. Lutz, schau mal nach, ob du im Stall eine Armbanduhr findest. Und wehe euch, du hast geschwindelt.« Lutz verschwand für fünf Minuten im Stall. Kurt wurde schon ungeduldig, da kehrte sein Kumpan mit Alex' Armbanduhr zurück. »Ich hab' eine Uhr gefunden, Kurt«, grinste Lutz höhnisch. »Scheint 'ne Wasseruhr zu sein.« »Also gut, ihr hab nicht gelogen«, stellte Kurt fest und ließ Conny los. »Deshalb lasse ich euch unter einer Bedingung wieder laufen.« »Und die wäre?« Conny rieb sich den Arm. »Ihr sagt niemanden, was ihr hier auf dem Moorhof gesehen habt, ist das klar?« forderte Kurt. »Weder euren Eltern und schon gar nicht der Polizei.« »Wir mögen nämlich keine Polizei«, ergänzte Lutz. 34
»Nein, wir werden keinem ein Wörtchen erzählen«, versprach Alex hastig. Von seinem anfänglichen Heldenmut war nichts mehr übrriggeblieben. »Im Schweigen bin ich große Klasse. Ich bin der größte Schweiger, den es je gegeben hat. Ein Schweigokrat sozusagen...« »Schon gut!« stoppte Kurt den Schlöderblohmschen Redeschwall. »Das ist sehr klug von euch. Falls ihr doch jemandem ein Sterbenswörtchen verratet, werdet ihr es bitter bereuen. Du möchtest doch bestimmt nicht, daß auf dem Gut deines Großvaters etwas passiert, Mädchen? Ich meine, so ein Stall fängt leichter Feuer, als man denkt.« »Soll das eine Drohung sein?« erschrak Conny. »Drohung?« Kurt grinste süffisant. »Ich würde es eher als guten Ratschlag bezeichnen.« »Und Sie hören auf, die armen Pferde zu schlagen«, forderte Conny scharf. »Natürlich«, lenkte Kurt ein. »Ihr verratet uns nicht, und wir schlagen dafür keine Pferde. Eine Hand wäscht die andere.« Einige Minuten später ritten Conny und Alex wieder davon. Kurt starrte ihnen noch lange düster hinterher. »Warum hast du die beiden laufen lassen, Kurt?« wunderte sich Lutz. »Sie haben zuviel gesehen. Wäre es nicht klüger gewesen, sie einzusperren?« »Wenn die beiden vermißt werden, wimmelt der Wald bald vor Polizei«, antwortete Kurt. »Die leiten doch sofort eine Großfahndung ein, und dann sind wir mit dran.« »Stimmt, daran hab' ich nicht gedacht«, gab Lutz zu. »Aber meinst du, die beiden halten dicht?« »Ich glaube schon«, meinte Kurt. »Und wenn nicht, werden sie es bitter bereuen.« »Trotzdem sollten wir einige Vorsichtsmaßnahmen treffen«, schlug Lutz vor. »Ich glaube, da hast du recht«, stimmte ihm Kurt zu. »Ein bißchen Vorsicht hat noch keinem geschadet.«
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6. Kapitel Spurlos verschwunden Kurz nach Morgengrauen erreichten Conny und Alex den Alderhof. Conny sauste gleich ins Haus und prallte im Flur beinahe mit Else zusammen. »Potzblitz«, erschrak Else. »Conny, wo kommst du denn her?« Daß Else (wegen der Eier) mit den Hühnern aufstand, war bekannt. Conny jedoch gehörte nicht unbedingt zu den eifrigsten Frühaufstehern. »Ist mein Großvater schon wach?« keuchte Conny. »Ich glaube, er rasiert sich gerade«, antwortete Else verwundert. »Was ist denn los, Kind. Du bist ja ganz außer Atem.« Aber da war Conny schon die Treppe hoch. Rasch trommelte sie Graf Alderhof und Cornelia, die Verwalterin, zusammen. Seit vielen Jahren leitete Cornelia nun schon die Geschicke des Alderhofes. Sie war für die organisatorische Seite des Reiterhofes verantwortlich und machte ihre Arbeit sehr gut. Früher, als Conny noch nicht geboren war, hatte Cornelia andere Pläne gehabt. Turnierreiterin wollte sie werden. Früher gab es auch mal einen Mann, den sie heiraten wollte. Diese Geschichte war ein wunder Punkt der attraktiven Verwalterin. Wenn sie an die Zeit dachte, traten ihr noch heute Tränen in die Augen. Innerhalb von fünf Minuten spulte Conny ihre Erlebnisse von der Moorhofranch herunter. Ausführlich schilderte sie die beiden Kerle, die sich so verdächtig benommen hatten. Conny war natürlich längst der Verdacht gekommen, daß es sich bei Kurt und Lutz um Pferdediebe handeln könnte. »Nun mal langsam mit den jungen Pferden«, beruhigte der Graf seine Enkelin. »Voreilige Beschuldigungen können eine Menge Ärger nach sich ziehen. Bisher sind das doch alles nur Vermutungen.« »Ihr seid nachts zum Moorhof geritten?« Verständnislos schüttelte Cornelia ihren Kopf. »Das war sehr leichtsinnig von euch.« Trotz seiner Bedenken informierte der Graf die nächste 36
Polizeidienststelle. Zunächst einmal stellte die Polizei Nachforschungen nach den Eigentümern des Moorhofes an. Es stellte sich heraus, daß die Ranch nicht verkauft worden war. Kurt und Lutz gehörte sie also nicht. Per Computer wurde festgestellt, daß letzte Woche tatsächlich zwei Pferde - Ginger und Cartier - von einem Gestüt in Holstein gestohlen worden waren. Etwa drei Stunden nach Graf Alderhofs Anruf traf ein Streifenwagen mit zwei Beamten auf dem Alderhof ein. Conny und Alex mußten ihnen ausführlich berichten, was sie gesehen hatten. Dann zeigten ihnen die Polizisten Fotos von Ginger und Cartier. Conny identifizierte die beiden Pferde gleich als diejenigen, die sie auf dem Moorhof gesehen hatte. Damit war der Fall klar: Connys Verdacht bestätigte sich. Zwei Pferdediebe hielten sich auf dem verlassenen Hof versteckt. Über Funk riefen die Polizisten Verstärkung. Ein halbes Dutzend Streifenwagen umstellte schon wenig später den Moorhof. Zu gerne wären Conny und Alex bei der Verhaftung der beiden Ganoven dabeigewesen. Aber sie durften nicht mitfahren. Wohl oder Übel mußten sie auf dem Alderhof bleiben und warten. Es dauerte bis Mittag, ehe ein Streifenwagen wieder zum Alderhof. »Leider sind uns die Kerle entwischt«, berichtete der Polizist. »Als wir zum Moorhof kamen, waren die Vögel schon ausgeflogen.« »Und die Pferde?« fragte Conny erschrocken. »Auch fort«, bedauerte der Polizist. »Vermutlich sind sie noch letzte Nacht mit einem Pferdetransporter in ein anderes Versteck gebracht worden.« »Können die Verbrecher die Pferde denn überhaupt verkaufen?« wollte Alex wissen. »Ich meine, gestohlene Tiere fallen doch bestimmt auf.« »Mit gefälschten Papieren kann man leider alles«, erklärte der Polizist. »Dank eurer Hilfe haben wir die Kerle jedenfalls aufgescheucht. Vielleicht machen sie dadurch einen entscheidenden Fehler.« »Mir wäre es lieber gewesen, die beiden Pferde wären in 37
Sicherheit«, seufzte Conny. »Dann könnte ich ruhiger schlafen.« Conny und Alex verließen das Gutshaus und gingen hinaus an die frische Luft. »Ich könnte mich ohrfeigen, daß ich Großvater nicht schon nachmittags vom Moorhof erzählt habe«, ärgerte sich Conny. »Was wolltest du ihm denn sagen, Conny?« beruhigte sie Alex. »Daß uns ein ungehobelter Kerl vom Moorhof vertrieben hat? Da wußten wir doch no'ch gar nichts von den Pferden.« »Richtig«, gab Conny zu. »Das verdanken wir eigentlich nur deiner kaputten Uhr.« »Das gute Stück«, seufzte Alex und betrachtete die wassergefüllte Uhr an seinem Handgelenk. »Meinst du, die Kerle machen ihre Drohung wahr?« Schlagartig verdüsterte sich Alex' Gesicht. »Ich meine, daß sie den Alderhof anzünden.« »Nein, ich glaube nicht, daß sie so dreist sind«, antwortete Conny. Trotzdem schwang in ihrer Stimme Angst mit.
7. Kapitel Franks Revanche Der wundervolle Anblick, den der Alderhof am nächsten Morgen bot, erfreute selbst Menschen, die sich nicht für Pferde erwärmen konnten. Ins erste goldene Morgenlicht getaucht, galoppierten Stuten und Hengste mit wehenden Mähnen über die Weiden. »Kobalt!« Der Stolz auf ihr Pferd schwang in Connys Stimme mit. Sie besaß das herrlichste Pferd der Welt. Jeden Morgen galt Connys erster Besuch dem Stall. Um diese Zeit war der Alderhof noch menschenleer. Da hatte Conny Zeit, mit Kobalt zu schmusen. Sie führte ihn hinaus auf die Weide und freute sich schon auf den Ausritt am Nachmittag. Auf dem Weg von der Weide trübten die Gedanken an den Moorhof Connys gute Stimmung. »Gefunden und doch wieder verloren«, so konnte man ihre Erlebnisse gestern bezeichnen. Für kurze Augenblicke durchlebte sie wieder die nächtlichen Schrecksekunden, als sie in der Gewalt der Ganoven war. 38
>Das Leben könnte so schön sein, wenn es nicht Menschen wie Kurt und Lutz gäbeDie Pferde werden sterben !< ging es Conny durch den Kopf. >Entweder werden sie verbrennen oder von herunterfallenden Trümmern erschlagene In Windeseile rannte Conny durch die Boxengasse. Hektisch riß 50
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sie die Boxentüren auf und trieb die Pferde hinaus. Immer wieder kämpfte Conny die eigene Panik nieder. Teile der Wände und des Dachstuhls standen bereits in lodernden Flammen. Immer schneller breitete sich das Feuer aus. Die Hitze wurde schier unerträglich. Jeder Atemzug war eine Qual. Beißender Rauch stieg Conny in die Lunge und löste einen Hustenanfall nach dem anderen aus. Connys Augen tränten. Sie konnte durch die Schleier kaum noch etwas erkennen. Wieder krachte ein brennender Balken herunter. Alles zermalmend stürzte er in die Box, aus der Conny wenige Augenblicke zuvor ein Pferd befreit hatte. Erschöpft hielt Conny inne. Die Hitze wurde schier unerträglich. Benommen klammerte sie sich an eine Boxentür. Bisher hatte sie erst die Hälfte der Tiere befreit. Konnte sie es schaffen, auch noch die Tiere im hinteren Teil des Stalles zu retten? Conny taumelte weiter. Mit schier übermenschlicher Kraft öffnete sie die nächsten Boxen. Dabei mußte sie darauf achten, daß sie nicht von den blindlings auskeilenden Pferden verletzt wurde. Mit jeder verstreichenden Sekunde wuchs auch die Gefahr, daß herunterfallendes Gebälk sie erschlug. Conny riß die nächste Tür auf. Im gleichen Augenblick trat die Stute darin aus. Conny sprang beiseite. Sie hatte unheimliches Glück, daß sie nur einen Streifschlag abbekam. Hätte sie der Huf voll getroffen, wäre jetzt wahrscheinlich ihr Schenkelknochen gebrochen. »AAAH!« schrie Conny und krampfte ihre Hand um den tierisch schmerzenden Oberschenkel. In der Box vor ihr wirbelte die Stute donnernd herum. Sie machte eine Hundertachtzig-Grad-Drehung und galoppierte blind vor Angst auf Conny zu. Funken regneten von der brennenden Decke und erhöhten die Hysterie des Pferdes. Der Gestank von verbranntem Haar drang Conny in die Nase. Connys Augen weiteten sich, als die Stute auf sie zusprang. Sie hatte gerade noch Zeit zu registrieren, daß sie dem Pferd im Weg stand. Im gleichen Moment, in dem die Stute sie fast berührte, warf sich Conny auf den Boden. 52
Conny versuchte, den Fall mit dem Knie abzubremsen. Doch das schmerzende Bein knickte weg. Sie fiel der Länge nach hin und schlug mit dem Kopf heftig auf den Boden. Sekundenlang tanzten schwarze Schleier vor Connys Augen. Ein Teil ihres Verstandes warnte sie: Wenn du jetzt ohnmächtig wirst, bist du tot. Mit einem Sprung setzte die Stute über das lebende Hindernis hinweg. Kaum noch bei Bewußtsein stemmte sich Conny hoch. Alles, was sie wollte, war raus aus diesem Chaos. Da drang ängstliches Wiehern an ihr Ohr. Noch ein Pferd war eingeschlossen. Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte Conny zur letzten Box. Sie griff nach dem Eisenriegel und zuckte im gleichen Moment zurück, als hätte sie ein Stromschlag getroffen. Der Riegel war glühend heiß. Mit schmerzverzerrtem Gesicht taumelte Conny rückwärts und schrie laut. Glas klirrte. Die Fensterscheiben explodierten. Wie Geschosse sirrten Glassplitter durch die Luft. Unterdessen wurde das Wiehern des eingeschlossenen Pferdes immer verzweifelter. Über Conny standen sämtliche Dachsparren in hellen Flammen. Doch noch hielten die Balken. Conny wirbelte herum. Wie eine Karatekämpferin hob sie das verletzte Bein und ließ es vorschnellen. Ihr Fuß knallte gegen den Riegel. Gleichzeitig zog ein stechender Schmerz von ihrem verletzten Oberschenkel das ganze Bein hinab. Es wurde völlig taub. Polternd flog die Boxentür auf. In wilder Panik galoppierte das Pferd in die Boxengasse hinaus. Kurz darauf hatten die Rauchschwaden das Tier verschluckt. Halb betäubt humpelte Conny durch die Boxengasse zurück. Irgendwo vor ihr mußte das Stalltor sein. In dem dichten Qualm sah Conny nicht mehr die Hand vor den Augen. Wenn sie ihre Orientierung trog, dann ging sie jetzt geradewegs in eine Sackgasse. Berstend senkte sich ein Teil der Decke herab. Der hintere Teil des Stalles brach ein. Bretter und Balken barsten mit Donnergetöse. Plötzlich spürte Conny einen Hauch kühler Nachtluft. Es hätte nicht viel gefehlt, und Conny wäre umgedreht und in eine andere 53
Richtung gegangen. Einige Meter weiter ließ Conny das Inferno hinter sich. Hustend torkelte sie aus dem Stalltor ins Freie. Draußen im Hof trieben Hugo, Ewald und der Graf die hysterisch umherlaufenden Pferde auf eine Koppel. »Wo kommst du denn her, Conny?« Cornelia, die aufgeregt aus dem Wohnhaus gelaufen kam, erschrak. Noch immer schwer atmend, deutete Conny auf den brennenden Stall. »Aus dem Stall?« Entsetzt starrte Cornelia Conny an. »O nein.« »Die Pferde...« keuchte Conny. »Sie würden sonst nicht mehr leben.« Bevor Cornelia etwas darauf erwidern konnte, drang aus dem Inneren des Stalles ein ohrenbetäubendes Getöse. Auf seiner ganzen Länge knickte das Dach ein, stürzte in den Stall und riß die Seitenwände mit um. Übrig blieb nur noch ein brennender Trümmerhaufen, der keinerlei Ähnlichkeit mehr mit einem Gebäude besaß. »Sind die Pferde gerettet?« fragte der Graf. »Ja«, antwortete Hugo. »Es fehlt keines.« Außer Reichweite des Feuers ließ sich Conny ins Gras fallen und betastete ihr schmerzendes Bein. Morgen würde sie mit Sicherheit einen blauen Flecken von olympischen Ausmaßen haben. Miniröcke waren in nächster Zeit passe. Doch damit konnte Conny leben. Erst allmählich dämmerte ihr, was für ein Glück sie gehabt hatte. Wäre sie ein paar Sekunden länger im Stall geblieben, dann läge sie jetzt unter den brennenden Trümmern. Bei dem Gedanken erschauderte sie. >Die Pferde sind in Sicherheit< dachte Conny bei sich. Das war die Hauptsache. Erleichterung darüber mischte sich mit der Sorge, daß die Feuersbrunst noch nicht vorüber war. Der Stall war nicht mehr zu retten. Nun suchte das Feuer neue Nahrung und griff zu dem Schuppen über. »Mein Trak-äh-tor!« schrie Ewald, als er die Gefahr für sein geliebtes Fahrzeug bemerkte. Entsetzt raste Ewald zum Schuppen und riß das Tor auf. Sogleich wirbelten ihm dichte Rauchschwaden entgegen. Die hölzernen 54
Schuppenwände schwelten schon. Es war nur noch eine Frage von Minuten, ehe auch hier das Feuer voll ausbrach. »Hu-äh-go, lauf zu Else und hol die Zünd-äh-schlüs-sel für meinen Tra-äh-äh-ktor!« rief Ewald am Rande einer abgrundtiefen Panik. Hugo rannte los. »Mein lie-äh-ber Traktor.« Ewald streichelte sanft über die verchromte Motorhaube. »Hab' keine Angst, ich hole dich hier äh... raus!« »Ewald!« Hugo keuchte zurück. »Else sagte, sie hat keinen Zündschlüssel. Du hättest ihn.« »Natü-äh-rlich!« Ewald schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Den hab' ich doch im-äh-mer bei mir.« Hektisch durchwühlte Ewald seine Taschen. Endlich fingerte er den Zündschlüssel heraus und schwang sich auf den Fahrersitz. Gleichzeitig hörte Ewald über seinem Kopf ein verdächtiges Knistern. Als er nach oben blickte, sah er, daß sich die Flammen bereits über mehrere Meter durch die Decke fraßen. Mit einem erneuten Anflug von Panik startete Ewald den Traktor. Vor Nervosität ließ er die Kupplung zu schnell kommen. Tuckernd soff der Motor ab. Ewald drehte erneut den Zündschlüssel - nichts. In diesem Augenblick fühlte sich Ewald in einen seiner schlimmsten Alpträume versetzt. Er wußte nicht mehr ein noch aus. »Raus da, Ewald!« befahl Graf Alderhof. »Du kommst noch in dem Schuppen um!« »Nicht be-äh-vor ich meinen Tra-äh-ktor in Sich-äh-erheit gebracht hab-äh-e!« brüllte Ewald zurück. Jetzt schlugen die Flammen bereits wild an den Seitenwänden empor. Einige leckten schon an den Reifen des Gefährts. Es stank nach verbranntem Gummi. Conny hatte sich wieder halbwegs erholt. Leicht benommen humpelte sie Richtung Schuppen, der nun auch in Flammen stand. >Was wird noch alles dem Feuer zum Opfer fallen?< dachte sie bei sich. Das eigentliche Gutshaus stand im sicheren Abstand zum 55
Brandherd. Oder nicht? Conny blickte besorgt auf die Funkenwolken, die der auffrischende Wind hoch und weit durch die Luft wirbelte. Gleichzeitig fachte der Wind die Flammen immer wieder neu an. Unterdessen war Ewald ein rettender Einfall gekommen. Er machte das, was er sofort hätte tun sollen: Mehrmals trat er das Gaspedal pumpend mit dem Fuß durch. Dann drehte er erneut den Zündschlüssel. VROOOUUUUMMMM - der Traktor sprang an. Mit Vollgas setzte Ewald zurück. Kaum war er draußen, fiel der Schuppen in sich zusammen. Er löste sich förmlich in seine Bestandteile auf. Auf dem Hof brauchte Ewald einige Zeit, bis er wieder zu Atem kam. Wenig später traf die Feuerwehr ein, die Cornelia alarmiert hatte. Nach einer Stunde hatten die Feuerwehrmänner den Brand unter Kontrolle. Conny kam es wie ein Wunder vor, daß das Unglück für alle Beteiligten so glimpflich ausgegangen war. Plötzlich spürte sie eine bleierne Müdigkeit. Aufregung und Erschöpfung forderten ihren Tribut. Traurig trat der Graf neben sie und blickte auf die schwelenden Trümmer. »Wie konnte das nur passieren?« fragte er sich. Conny kannte die Antwort: Die Pferdediebe vom Moorhof hatten ihre Drohung wahrgemacht. Doch das hielt sie lieber für sich.
10. Kapitel Ein furchtbarer Verdacht Am nächsten Morgen roch die Luft über dem Alder-hof immer noch verbrannt. Die Reithalle war zu einem improvisierten Stall umgebaut worden. Die nächtliche Feuersbrunst hatte das beschauliche Leben auf dem Reiterhof ganz schön durcheinandergewirbelt. Sämtliche Reitstunden fielen für den Rest der Woche aus. 56
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Hugo und Ewald machten sich schon daran, die Überreste des Stalles abzutransportieren. Während Conny durch die verkohlte Stallruine spazierte, beschlich sie ein beklemmendes Gefühl. Gestern hatte an dieser Stelle noch unbeschwertes Leben in den Boxen geherrscht. Jetzt lag über allem brütende Totenstille. Ein Mann von der Versicherung war schon vor Ort gewesen und hatte den Schaden begutachtet. Alles deutete auf einen technischen Defekt hin. Der Mann vermutete einen Kurzschluß in einem alten Kabel. Conny wußte es besser. Unwillkürlich lief ihr beim Gedanken an den Moorhof ein ekliger Schauder über den Rücken. Immer wieder mußte sie an die Drohung der beiden Pferdediebe denken. Und noch etwas anderes fiel ihr ein. Wenn die Ganoven hinter der Brandstiftung steckten, bedeutete das eines: Die Kerle befanden sich noch irgendwo in der Nähe. Conny erinnerte sich an einen Kriminalfilm, den sie vor ein paar Jahren gesehen hatte. Darin versteckten sich gesuchte Banditen an einem Ort, den die Polizei kurz zuvor ergebnislos durchsucht hatte. Deshalb vermutete sie dort niemand. Einen idealeren Unterschlupf gab es nicht. Waren die Pferdediebe etwa wieder zum Moorhof zurückgekehrt? Um das herauszufinden, brauchte sie einfach nur hinzureiten. Und dann? Conny hatte die erste Warnung der Ganoven mißachtet. Was würden sie als nächstes tun? Das Gutshaus des Alderhofes anzünden? Die Pferdediebe waren gefährlich. Aber trotzdem - oder gerade deshalb -wollte Conny, daß sie festgenommen würden. Conny blieb stehen. Im Aschehaufen vor ihr lagen die Überreste verbrannter Sättel und einige Hufkratzer. Conny beschloß, daß sie etwas unternehmen mußte. Nach dem Frühstück hatte Conny Gertie über ihren Verdacht informiert. Nun ritt Gertie neben ihr. Im Wald war es seltsam still. Nur der Wind wehte heftig in den Baumwipfeln. Wasserplätschern erfüllte die Luft. Conny und Gertie ritten am Bach entlang bis zum Waldsee. Dort kürzten sie durch ein 58
dunkles Waldstück ab. Welke Blätter knisterten unter den Pferdehufen und verbreiteten einen säuerlichen Duft. Mit laut pochenden Herzen zügelten Conny und Gertie ihre Pferde in Sichtweite des Moorhofs. Im ersten Moment trauten sie ihren Augen nicht. Vor Schreck wie gelähmt, starrten sie auf eine Gestalt, die in den Stall schlurfte. Es war Lutz. Er trug einen Blecheimer in der Hand. Connys Verdacht hatte sich bestätigt: Dreist waren die Pferdediebe in ihr altes Versteck zurückgekehrt. Mehr wollte sie gar nicht wissen. Lautlos kehrten Conny und Gertie dem Moorhof den Rücken und ritten zurück. Nach einer Weile spitzte Kobalt plötzlich seine Ohren. Conny hörte das Geräusch auch. Irgendwo in der Ferne vernahm sie Motorenbrummen. Wegen des Echos war es unmöglich zu sagen, aus welcher Richtung es kam. Doch je mehr sich Conny und Gertie dem Waldrand näherten, desto lauter wurde das Brummen. Als die beiden Mädchen aus dem Wald ritten, fuhr wenige Meter entfernt ein Transporter vorbei. Am Steuer saß Kurt. Es war nicht nur der Schock, Kurt zu sehen. Fast noch mehr erschreckten Conny und Gertie die beiden großen Hunde, die auf der Ladefläche des Transporters hockten. Schlagartig trat Kurt auf die Bremse. Ungläubig stierte er die Mädchen an. Tiefe Röte überzog das feiste Gesicht des Pferdediebs. Conny und Gertie rissen ihre Pferde herum. »Bleibt stehen«, brüllte Kurt. »Dadurch macht ihr es nur schlimmer für euch.« Conny und Gertie achteten nicht auf seine Drohung. Sie wußten, daß sie vielleicht um ihr Leben ritten. Wenn sie Kurt in die Hände fielen, würde der sie mit Sicherheit nicht mehr laufen lassen. »Los, faßt die Luder!« befahl Kurt den beiden Hunden und deutete auf die Mädchen. Wütend bellend, sprangen die Hunde von der Ladefläche und rannten hinter den Reiterinnen her. Im dichten Wald waren die Hunde wendiger und schneller als die Pferde. Auch kamen sie viel besser mit dem tiefen Boden zurecht. Kobalt und Bluebell überquerten eine Holzbrücke. Hohl 59
rumpelten die schweren Holzbohlen unter ihren Hufen. Hinter der Brücke trennten sich Conny und Gertie, um die Hunde in die Irre zu führen. Kobalt schwenkte in den nächstbesten Seitenweg. Connys Hoffnung, die Hunde dadurch abzuhängen, erfüllte sich aber nicht. Hohe Brombeerbüsche säumten die schmale Gasse. Dazwischen wucherte dichtes Unkraut. Dornen zerrissen Connys Kleidung und hinterließen Schrammen im Gesicht und auf den Händen. Nach etwa zwanzig Metern entpuppte sich der Weg als Sackgasse. Er endete vor einem Gebüsch. Jetzt konnte Conny nur noch umkehren oder einen Sprung ins Ungewisse wagen. Conny entschied sich für die zweite Möglichkeit. Sie trieb Kobalt auf das Gebüsch zu. Doch kurz davor scheute er. Conny spürte, wie sie den Halt in den Bügeln verlor und ins Rutschen kam. Obwohl sie verzweifelt nach den Zügeln griff, verlor sie das Gleichgewicht und flog aus dem Sattel. Hart und schmerzhaft landete Conny auf dem Rücken. Ihr Körper knallte in das Gebüsch. Unter ihrem Gewicht brachen Zweige. Blätter zerkratzten Connys Gesicht. Sie prallte so heftig auf den Boden, daß ihr die Luft wegblieb. Ihre Füße traten ins Leere. Ein Abgrund klaffte direkt hinter dem Gebüsch. Connys Atemstöße kamen abgehackt. An einem Ast hangelte sie sich von dem Abgrund weg. Hastig krabbelte Conny durch das Buschwerk zurück. Ihre Hände glitten über dem Waldboden und klebten bald vor Harz. Kobalt war verschwunden. Er war seitlich durch das hohe Unkraut weggelaufen. Schon hörte Conny das Japsen der näherkommenden Hunde. Mit gesenktem Kopf stürmte der erste Hund auf Conny zu. Blitzschnell ergriff sie einen Ast und schleuderte ihn nach dem Tier. Der Stock flog knapp vorbei. »Weg!« schrie Conny. »Hau ab!« Erschrocken sprang der Hund zurück. Conny kam wieder auf die Beine und rannte los. Sie folgte der Bresche, die Kobalt in das Gestrüpp gewalzt hatte. Irgendwo in der Nähe mußte er noch sein. Atemlos rannte Conny durch hohes Farn einen Hang hinab. Alles war still. Nur das 60
Platschen ihrer Füße und das Rascheln des Farnkrauts drang an ihr Ohr. Hinter sich hörte Conny einen Ast knacken. Rasch warf sie einen Blick über die Schulter zurück. Zwischen den Tannen stürmten die beiden Hunde heran. Ihre messerscharfen Zähne blitzten drohend. Die Hunde stießen beängstigendes Knurren aus. Conny rannte quer durch den Wald, ohne sich umzusehen. Sie stolperte über Wurzeln, stürzte auf ihre Knie und sprang wieder auf. Die Hunde kamen immer näher. In Connys Knöchel explodierte ein stechender Schmerz. Umgeknickt. Sie unterdrückte einen Aufschrei, biß die Zähne zusammen und lief weiter. Sie durfte auf keinen Fall stehenbleiben! Mit wild pochendem Herzen raste Conny weiter. Sie schwenkte nach links. Hinter sich vernahm sie das Knurren der Hunde. Die Schmerzen in Connys verstauchtem Knöchel wurden schlimmer. Sie achtete nicht darauf. Vor ihr endete der Wald. Auf der Lichtung dahinter rannte Kobalt. Er galoppierte ihr entgegen. Conny wähnte sich fast in Sicherheit, da spürte sie einen mächtigen Stoß zwischen den Schulterblättern. Wie loderndes Feuer breitete sich Schmerz über ihren ganzen Rücken aus. Sie schlug hin. Der angreifende Hund sprang von ihr herunter und rollte sich im Gras ab. Gleichzeitig schoß der zweite Hund heran. Um ein Haar hätten seine Zähne Connys Arm erwischt. Mit äußerster Willenskraft sprang Conny auf. Sie rannte zu Kobalt, obwohl sie wußte, daß die Hunde sie vorher erreichen würden. Schon schnappte einer nach ihrem Bein, erwischte ein Stück der Hose und riß Conny zu Boden. Conny rollte auf den Rücken und trat nach dem Hund. Sie stieß ihn weg. Erneut griff der Hund an. Im nächsten Moment traf ihn ein Huftritt von der ungeheuren Wucht eines Schmiedehammers. Im hohen Bogen flog der Hund durch die Luft. Zitternd kam Conny auf ihre Beine. Sie sah, wie der zweite Hund Kobalt angriff. Einem instinktiven Impuls folgend, wollte Kobalt 61
fliehen. Aber der Hund sprang schon mit gefletschten Zähnen auf ihn zu. Blitzschnell kreiselte Kobalt herum und keilte nach hinten aus. Im nächsten Moment prallte der Hund gegen Kobalts Hufe wie gegen eine Betonmauer. Das reichte. Nach den schmerzhaften Erfahrungen mieden die Hunden diesen unangenehmen, vierbeinigen Gegner. Winselnd stoben sie davon. Conny zitterte vor Anstrengung und atmete schwer. Sie umarmte Kobalt und lehnte ihren Kopf gegen seinen Hals. Kaum daß die Hunde außer Sichtweite waren, breitete sich eine bedrückende Stille über der Lichtung aus. Eine Stille, die Conny große Angst machte. Sie be-schlich das seltsame Gefühl, als sei sie in einen Alptraum versetzt. Mit eisigen Fingern klammerte sich eine unerklärliche Furcht um ihr Herz.
11. Kapitel Verfolgt Zur Freude über die Flucht der Hunde blieb Conny keine Zeit. Mit Vollgas brauste Kurt heran. Sein Wagen pflügte durch die hohen Büsche am Rand der Lichtung. Kurt traute seinen Augen nicht. Das Mädchen war tatsächlich seinen Hunden entkommen. Wütend trat der Pferdedieb das Gaspedal voll durch. Conny schwang sich in den Sattel und trieb Kobalt an. Doch so schnell Kobalt auch lief, der Wagen hinter ihm verringerte seinen Abstand zusehends. Conny hatte noch nicht einmal die Hälfte der Lichtung überquert, da raste Kurt schon dicht hinter ihr. Bedrohlich näherte sich die chromblitzende Stoßstange des Wagens Kobalts Beinen. Im letzten Augenblick riß Conny Kobalt herum und drehte ab. Kurt war zu schnell. Sein Wagen schoß geradeaus, an Kobalt vorbei. Kurt trat auf die Bremse und schleuderte um hun-dertachtzig Grad herum. Die Hinterräder rutschten auf dem feuchten Untergrund weg. 62
Mit dem rechten Kotflügel prallte der Wagen gegen einen Baumstamm, der eine tiefe Delle im Blech hinterließ. Innerhalb weniger Sekunden nahm der Transporter wieder die Verfolgung auf. Ehe sich Conny versah, saß ihr Kurt erneut im Genick und ließ sich nicht abschütteln. Der Wagenmotor brüllte auf. Kobalt sprang instinktiv zur Seite. Der Reflex rettete ihm das Leben. Wieder stieß der Transporter ins Leere. Für Conny gab es nur eine Rettung: Sie mußte den Wald erreichen. Zwischen den Bäumen war Kobalt gegenüber dem schnelleren Wagen im Vorteil. Kurt bremste, setzte zurück, legte den ersten Gang ein und schoß vorwärts. Über die Lichtung dröhnte entsetzliches Motorgekreisch. Kurz darauf sah Conny den Wagen erneut hinter sich. Vor Schreck verlor sie das Gleichgewicht und wäre fast aus dem Sattel gestürzt. Kurt warf Conny einen eisigen Blick zu. Mit einem grausamen Lächeln auf den Lippen schob er seinen Wagen immer dichter an Kobalt heran. Jetzt fuhr er so nah hinter dem Pferd, daß dieses keinen Platz mehr hatte, um Haken zu schlagen. Verzweifelt blickte sich Conny nach einem rettenden Fluchtweg um. Da entdeckte sie direkt vor sich einen Baumstumpf, der fast einen halben Meter hoch aus dem Boden herausragte. Rings herum wucherte hohes Unkraut, das den Stumpf fast völlig verdeckte. Ohne eine Sekunde abzubremsen, schnellte Kobalt vor und übersprang den Baumstumpf. Beinahe hätte ihn dabei noch die Stoßstange des Wagens am Hinterlauf erwischt. Als Kurt das unerwartete Hindernis vor sich erblickte, vergaß er vor Verblüffung das Bremsen. Mit lautem Knall rammte der Wagen den Baumstumpf. Kurts Wagen stieg senkrecht hoch, prallte auf und überschlug sich am Boden. Die Wucht des Zusammenstoßes entwurzelte den Baumstumpf halb. Kurt flog durch die berstende Windschutzscheibe. Regungslos blieb er neben dem Wagen im Gras liegen. Knisternd schössen Flammen aus dem Motorraum. Wenn das Feuer den Benzintank 63
erreichte, würde das Autowrack explodieren. Und mit ihm alles im Umkreis von mindestens zehn Metern. Conny erkannte die Gefahr. Ohne lange darüber nachzudenken, sprang sie aus dem Sattel und rannte auf Kurt zu. Der brennende Wagen verbreitete eine sengende Backofenhitze. Conny packte Kurt unter den Armen und zog ihn von dem Feuer weg. Der Pferdedieb war verflixt schwer. Nur ruckweise bekam ihn Conny von der Stelle. Haarsträhnen klebten Conny auf der verschwitzten Stirn. Ihre Armmuskeln schmerzten. Mit ohrenbetäubendem Knall zerbarst der Fahrzeugtank. Ein glühender Feuerball umhüllte das Auto. Blitzschnell warf sich Conny flach auf den Boden. Orangene Flammenzungen schössen über sie hinweg. Wirkungslos verpufften sie im Nichts. Taumelnd kam Conny auf die Beine. Als erstes untersuchte sie den Pferdedieb. Außer Schrammen und Blutergüssen entdeckte sie aber keinerlei Verletzungen an ihm. Wahrscheinlich würde es einige Zeit dauern, bevor er aus seiner Bewußtlosigkeit aufwachte. Conny nutzte diese Zeit. Sie ritt zum Alderhof zurück und alarmierte von dort die Polizei. Dann brachte sie Kobalt in den behelfsmäßigen Stall und versorgte ihn. »Ach, Kobalt.« Conny strich ihm sanft durch die Mähne. »Ich hatte ja solche Angst um dich. Ich wollte dir helfen, aber dann bist du es gewesen, der mich gerettet hat.« Gut eine Stunde später erwachte Kurt. Er hatte einen mächtigen Brummschädel. Außerdem hatte er Probleme mit seinen Bewegungen. Mit schmucken Handschellen gefesselt lag er in einem Krankenwagen. Dieser brachte ihn schnurstracks in das nächste Gefängnishospital.
12. Kapitel Die Suche beginnt Eine halbe Stunde nach Kurts Festnahme wurde auch Lutz von 64
der Polizei verhaftet. Die Beamten fanden jedoch auf dem Moorhof nirgendwo ein Lebenszeichen der beiden gestohlenen Pferde. »Das gibt's doch nicht!« meinte Alex. »Pferde können sich doch nicht in Luft auflösen.« »Nein, aber man kann sie vorher verkaufen«, erwiderte Frank. Hinter dem Gutshaus des Alderhofs saß Conny mit ihren Freunden in einem kleinen Garten. Conny und Gerties Abenteuer im Wald, ihre Flucht vor den Hunden und wie Conny Kurt schachmatt gesetzt hatte, waren natürlich Thema Nummer eins. Mit Lutz' Festnahme hätte alles wieder in Ordnung sein können. Doch die verschwundenen Pferde waren ein bitterer Wermutstropfen. »Haben die Pferdediebe denn wenigstens ihre Tat gestanden?« fragte Steffi. »Natürlich nicht«, seufzte Conny. »Dazu sind die Kerle viel zu gerissen. Wenn man ihnen den Diebstahl nicht nachweisen kann, werden sie über kurz oder lang auf freien Fuß gesetzt.« »Das darf doch wohl nicht wahr sein«, stöhnte Ger-tie. »Du und Alex' habt die Pferde doch gesehen, Conny.« »Ja, aber das genügt leider nicht«, bedauerte Conny. »Die Polizei braucht handfeste Beweise. Und die haben wir nicht.« »Weiß jemand von euch, wo die Polizei Lutz geschnappt hat?« Frank kam plötzlich eine Idee. »Wieso?« wunderte sich Barbara. »Auf dem Moorhof nehme ich an.« »Wo genau dort?« hakte Frank nach. »Im Moorhof oder irgendwo im Wald. Es ist wichtig.« »Du meinst, ob Lutz Wind bekommten hatte, daß die Polizei anrückt?« Alex begriff, worauf Frank hinaus wollte. »Genau«, bestätigte er. »Möglicherweise blieb Lutz noch genügend Zeit, die Pferde wegzujagen.« »Das könnte sein«, nickte Conny. »Ich glaube, erst ein Ritt zum Moorhof gibt uns die Antwort auf diese Fragen.« Eine Stunde später zügelten die Freunde ihre Reittiere vor dem Moorhof. Einsam und verlassen lag das alte Gebäude vor ihnen. Im Stall bestätigte sich Franks Verdacht. Sie fanden dort einen 65
Trog mit frischem Wasser und einen anderen halbvoll mit Kraftfutter. »Vor kurzem waren die Pferde noch hier«, erkannte Conny. »Ich schlage vor, wir durchkämmen in Zweiergruppen den Wald und suchen sie.« Conny ritt mit Frank zusammen los. Natürlich wäre Frank lieber mit Gertie geritten, aber das Schicksal hatte es wohl leider anders bestimmt. Gertie und Alex bildeten die zweite Gruppe. Barbara und Steffi brachen als letzte auf. Stundenlang ritten Conny und Frank durch Schonungen und über Lichtungen. Nirgends entdeckten sie auch nur die geringste Spur der gesuchten Pferde. Frank schien nicht ganz so unternehmungslustig zu sein wie Conny. »Meinst du nicht, wir hätten besser deinem Großvater von unserer Entdeckung auf dem Moorhof erzählen sollen?« fragte Frank. »Das hätte uns auch nicht viel genutzt«, meinte Conny. »Mein Großvater hat im Augenblick genügend Sorgen wegen des abgebrannten Stalls. Der kann uns nicht beim Suchen helfen.« »Ich meine trotzdem, es wäre vernünftiger, wenn sich mehr Leute daran beteiligen würden«, beharrte Frank. »Ich komme mir vor, als suchte ich eine Nadel in einem Heuhaufen.« »Vielleicht haben wir ja Glück«, hoffte Conny. »DA!« Frank deutete vor sich. Zwischen den Zweigen von Büschen und Tannen schimmerte ein weißer Pferderücken hindurch. »Das ist Cartier!« Conny erkannte den Schimmel von dem Suchfoto der Polizei wieder. »Wieso ist er gesattelt?« Franks Blick heftete sich auf den Sattel, den Cartier trug. »Wahrscheinlich versuchte Lutz mit dem Schimmel zu fliehen«, spekulierte Conny. »Doch dann blieb ihm nur noch Zeit, die Pferde wegzuscheuchen.« »Damit die Polizei kein belastendes Beweismaterial bei ihm fand«, schloß Frank daraus. »Genauso ist es«, antwortete Conny. »Solange die Polizei kein 66
Pferd fand, solange konnte Lutz nicht wegen Pferdediebstahls angeklagt werden.« »Dann laß uns Cartier fangen, damit die Rechnung der Strolche nicht aufgeht«, schlug Frank vor. Vorsichtig ritten Conny und Frank auf den Schimmel zu. Sie umkreisten das Buschwerk und... Der Schimmel war verschwunden. Nirgendwo war mehr ein Pferd zu sehen. »Pegasus...«, murmelte Conny. »Pegasus?« wiederholte Frank verwundert. »Was meinst du damit. Bisher dachte ich, der Schimmel heißt Cartier?« »Ich mußte gerade an Pegasus, das geflügelte Pferd aus der griechischen Sage, denken«, erklärte Conny. »Das konnte genauso spurlos verschwinden.« »Bestimmt sehen wir von dort oben mehr.« Frank deutete auf einen hohen Felsenhügel, der sich steil vor ihnen auftürmte. Der Boden war steinig und stieg steil bergan. Langsam bahnten sich Kobalt und Franks Pferd ihren Weg über unebenes Geröll. Immer wieder rollten Steine unter ihren Hufen weg, und die Pferde gerieten ins Rutschen. Obwohl Conny und Frank neben ihren Pferden gingen, war der Aufstieg für die Tiere mühevoll. Ein Gewirr von Büschen und niedrigen Bäumen unterhalb des Plateaus erwies sich als größtes Hindernis. Vom Hügel aus hatten Conny und Frank einen atemberaubenden Ausblick. In einiger Entfernung entdeckten sie tatsächlich Cartier. Er stand ruhig da, als würde er keinerlei Verfolger fürchten. »Der Bursche hat uns ganz schön sauber ausgetrickst«, stöhnte Frank. »Ja«, seufzte Conny. Was folgte, war ein noch mühseligerer Abstieg. Kobalt wieherte protestierend. Schließlich war er ein Pferd und kein Geißbock. Den Felsenhügel zu ersteigen war leichter als der Abstieg. Conny und Frank konnten sich an Felskanten oder Wurzeln festhalten. Pferde hatten da größere Probleme. Endlich erreichten sie den Fuß des Hügels. Hier konnten sie wieder in den Sattel steigen und weiterreiten. Als Conny und Frank 67
die Stelle erreichten, wo sie Cartier gesehen hatten, war dieser verschwunden. »Es ist zum Haareraufen«, schimpfte Frank. »Der Bursche spielt Katz und Maus mit uns.« »Bestimmt hat er nur Angst«, vermutete Conny. »Wer weiß, was die Pferdediebe mit ihm angestellt haben. Ich hab' selbst gesehen, wie dieser Kurt ihn schlagen wollte.« Unversehens trieb Frank sein Pferd auf ein Dickicht zu. »Da ist er!« Doch aus dem Gebüsch trat kein Pferd, sondern ein ausgewachsener Hirsch. Drohend senkte er sein Geweih. Zwar war noch keine Brunftzeit, doch dieser merkwürdige Reiter, der da auf ihn zupreschte, kam dem Hirsch doch verdächtig vor. Frank zog die Zügel an und machte auf der Stelle kehrt. Der Hirsch glotzte ihm mißtrauisch hinterher. Dann drehte er um und verschwand. Es war schon spät. Die letzten Strahlen der Abendsonne vergoldeten die Tannenspitzen. Conny und Frank spielten bereits mit dem Gedanken, umzukehren. Als Conny plötzlich den Schimmel sah, krampfte sich ihr das Herz zusammen. Gerade verschwand Car-tier hinter einer großen Schonung. »Diesmal gehen wir auf Nummer Sicher«, schlug Frank vor. »Wir nehmen ihn in die Zange. Du reitest von rechts, ich von links.« Conny und Frank umkreisten die Schonung in zwei Richtungen. Conny überlegte, ob sie Kobalt zum scharfen Galopp anspornen sollte. Doch es erschien ihr ratsamer, es mit Anschleichen zu versuchen. Blinder Eifer schadet bekanntlich nur. Frank erreichte den Schimmel als erster. Cartier ging einen Schritt vor, tänzelte nervös zurück und versuchte von neuem einen Schritt. Frank beobachtete das seltsame Verhalten des Tieres mit wachsender Verwunderung. Es sah fast so aus, als könnte der weiße Hengst nicht mehr gehen. Vorsichtig ritt Frank weiter. Er war überzeugt, daß Cartier fliehen würde, sobald er ihn sah. Doch da täuschte er sich. Abrupt blieb der Schimmel stehen und schaute Frank an. 68
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»Ruhig«, sagte Frank leise. »Keine Angst, ich tu dir nichts.« Behutsam stieg Frank ab und ging auf Cartier zu. Keinen Laut ließ dieser hören. Kein Schnauben, kein Wiehern. Er stand regungslos da, spitzte seine Ohren. Starr blickte er Frank an. Nur noch zwei Meter trennten ihn von dem Schimmel, da raffte der sich auf und lief los. Er machte einen Schritt vorwärts, knickte ein und fiel. Als Conny die Lichtung erreichte, lag Cartier unter einem Baum. Frank saß neben ihm und hatte den Kopf des Schimmels auf seine Knie gebettet. Die großen, dunklen Augen des Hengstes waren weit geöffnet und blickten ins Leere. Besorgt stieg Conny ab. »Was ist mit ihm?« fragte sie. »Keine Ahnung«, antwortete Frank schulterzuckend. »Er ist ein paar Schritte gelahmt und dann einfach zusammengeknickt.« Vorsichtig untersuchte Conny den Schimmel. Behutsam tastete sie seine Beine ab. Nirgends stellte sie eine Verletzung fest. Trotzdem konnte der Schimmel nicht aufstehen. Conny ritt zum Alderhof. Während Cornelia den Tierarzt anrief, fuhr Conny mit Hugo in den Wald zurück. Mit dem Pferdetransporter brachten sie den Schimmel auf den Alderhof. Dr. Münster untersuchte das kranke Tier noch am gleichen Abend. »Strahlbeinlahmheit«, lautete die Diagnose. »Oder auch Hufrollenentzündung genannt.« »Sind Sie ganz sicher, Dr. Münster?« fragte Graf Alderhof. »Ich fürchte ja«, bestätigte Dr. Münster. »Das Pferd weist alle Symptome auf. Mit den Vorderbeinen macht es kurze, vorsichtige Schritte, wobei es eine Belastung der Ballen vermeidet. Vermutlich ist die Krankheit eine Folge mangelnder Hufpflege. Oder es wurde einige Zeit nicht bewegt und stand auf hartem Untergrund.« »Ich glaube nicht, daß die Pferdediebe darauf Rücksicht genommen haben«, meinte Conny. »Ist die Krankheit heilbar?« »Kommt drauf an, in welchem Stadium sie sich befindet.« Dr. Münster runzelte besorgt die Stirn. »Dazu muß ich erst Röntgenaufnahmen sehen. Je früher die Hufrollenentzündung entdeckt wird, desto größer sind auch die Heilungschancen.« 70
»Auf jeden Fall sollten wir einen Spezial-Hufbe-schlag anbringen«, schlug der Graf vor. »Ja.« Dr. Münster nahm eine Spritze aus seinem Arztkoffer. »Ich spritze ihm ein Mittel gegen Blutgerinnung. In ein paar Tagen wissen wir mehr.« Frank und Conny verließen gedankenversunken den behelfsmäßigen Stall. »Morgen suchen wir nach Ginger, dem anderen Pferd«, entschied Conny. »Das finden wir bestimmt auch im Wald.« Frank strotzte nur so vor Optimismus. »Kleinigkeit.« Doch Conny war sich da nicht so sicher.
13. Kapitel Die Entdeckung Die nächsten beiden Wochen suchten Connys Freunde vergeblich nach dem verschollenen Pferd. Sie fanden nicht das geringste Anzeichen dafür, daß sich Ginger in dem Forst befand. Nach und nach lichteten sich die Reihen der Suchenden. Barbara fuhr mit ihren Eltern für eine Woche in Ferien. Frank lag krank im Bett. Steffi mußte wieder mehr auf ihre Geschwister aufpassen, und Gertie bereitete sich auf ein wichtiges Turnier in NeuAhlsenburg vor. Blieben nur noch Conny und Alex übrig. Gemeinsam durchstreiften sie weiterhin die Wälder. Doch irgendwann platzte Helmuth der Kragen. Mitten im Wald blieb er einfach stehen. Wütend sprang Alex aus dem Sattel, baute sich vor Helmuth auf und zerrte aus Leibeskräften am Zügel. Alex Überraschungsmanöver kam für Helmuth gar nicht so überraschend. Der Untergrund war weich genug, daß Helmuth seine Hufe gut darin stemmen konnte. Dadurch war die erzielte Wirkung bedauerlicherweise nicht so, wie von Alex gewünscht. Sie tendierte Richtung Null. 71
Alex verlor die Geduld. Er wandte sich Helmuths Kehrseite zu und ließ seine Hand kräftig auf das struppige Fell klatschen. Jetzt wurde Helmuth aber sauer. Conny fürchtete schon, daß etwas Ähnliches passieren würde. Wie ein tollwütiger Mastochse senkte Helmuth seinen Kopf und galoppierte drohend auf Alex zu. Hilferufend rannte Alex im Zickzackkurs durch den Wald. Hartnäckig blieb ihm Helmuth auf den Fersen. »Alex, komm zurück!« rief ihm Conny hinterher. »Wir haben keine Zeit für deine Spielchen.« Das Spielchen war für Alex eine todernste Sache. Deshalb kam er auch nicht zurück. Conny blieb nichts anderes übrig, als hinterherzureiten. In rekordverdächtigem Tempo joggte Alex durch den Forst. Dabei sah er sich schon als Schlagzeilenfüller diverser Zeitungen: »ESEL MACHT BRILLENTRÄGER PLATT WIE EIN PFANNKUCHEN.« Doch Alex hatte das sprichwörtliche Glück im Unglück. Schnurstracks flitzte er auf den nahen Moorhof zu. Der Eingang stand halb offen. Wieselflink huschte Alex ins Wohngebäude. Hinter sich schmetterte er die Haustür ins Schloß. Was folgte, war eine Serie Huftritte gegen die Tür. Helmuth schien nicht zu wollen, daß sein Herrchen dachte, er käme da so leicht raus. Es rummste und knallte markerschütternd. Dann herrschte plötzlich Ruhe. Im Schrittempo ritt Conny auf den Moorhof zu. Alles wirkte verlassen. Trotzdem hatte Conny das trügerische Gefühl, daß jemand sie beobachtete. Helmuth ließ gerade von der Tür ab und wich vor dem Gebäude zurück. Die Haare des Esels sträubten sich, als habe er vor etwas Angst. Einige Meter von der Haustür entfernt stieg Conny vom Pferd. »Alles unter Kontrolle, Alex!« rief sie. »Mach die Tür auf, Alex.« Vorsichtig öffnete Alex die Tür einen Spalt weit. >Hoffentlich macht Helmuth jetzt keine Schwierigkeiten