HEYNE SCIENCE FICTION - Fantasy: Das Floß - 0605162 Das Geflecht der Unendlichkeit - 0605240 Die Zeitschiffe - 0605295 (...
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HEYNE SCIENCE FICTION - Fantasy: Das Floß - 0605162 Das Geflecht der Unendlichkeit - 0605240 Die Zeitschiffe - 0605295 (in Vorb.) Anti-Eis - (in Vorb.)
Flux (in Vorb.)
Ring (in Vorb.)
STEPHEN BAXTER
Das Geflecht
der Unendlichkeit
Roman
HEYNE SCIENCE FICTION - FANTASY Band 0605240
Titel der englischen Originalausgabe
TIMELIKE INFINITY
Deutsche Übersetzung von Martin Gilbert
Das Umschlagbild malte Michael Hasted
Redaktion: Wolfgang jeschke
Copyright (D 1992 by Stephen Baxter
Erstausgabe by HarperCollins Publishers, London Copyright (5 1994 der deutschen Ausgabe und der Übe rsetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1994 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Technische Betreuung: Manfred Spinola Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin ISBN 3-453-07958-2
WIE EIN STEIN, der aus einer blauen Schüssel heraus geschleudert wurde, löste sich der Raumgleiter von der besetzten Erde. Glitzernd und taumelnd gewann das kleine zylindrische Raumschiff an Höhe. Der Qax-Gouverneur auf Terra hatte an jasoft Parz die Aufforde rung ergehen lassen, sich in der Erdumlaufbahn zu einem Meeting einzufinden. Parz zermarterte sich das Gehirn, das seit den Jahren sei- nes diplomatischen Dienstes nur noch in starren Mustern dachte, nach den möglichen Gründen dieser Vorladung. Natürlich; es mußte mit dem Erscheinen dieses verdammten Wurn -dochs zu tun haben, das die Qax wie einen Schwarm Hornissen aufgescheucht hatte. Aber warum sollte er sich gerade jetzt melden? Was war geschehen? Proportional zur zunehmenden Entfernung von der Erde wuchs auch Parz' Besorgnis. Parz war allein in dem automatisierten Raumer. Er sah, wie Bahnen von aquamarinfarbenem terrestri- schen Licht durch die kleinen Bullaugen stachen, der Rotation des Bootes folgten und durch die staubige Atmosphäre schnitten. Wie immer nahm ihm die glühende Unschuld des Planeten den Atem. Zwei Jahrhunderte Besatzung durch die Qax hatten nur wenige sichtbare Narben auf der Erde hinterlassen - viel weniger jedenfalls, als die Menschen während ihres langsamen und unbedachten Aufstieges zu einer technischen Zivilisation verursacht hatten. Doch nach wie vor waren die von den Qax betriebenen Plankton- farmen, die sich als grüne Grenzen um jeden Konti- nent legten, ein bedruckender Anblick; genauso wie 5
die landeinwärts verstreuten glasierten Flächen, die vom kurzen und ruhmlosen Kampf der Menschheit gegen die Qax kündeten. Wie oft schon hatte Parz diese spiegelnden Ab schnitte aus dem Weltraum studiert? Hundertmal, tau sendmal? Und jedesmal hatte er angestrengt versucht, sich an die Reaktion zu erinnern, mit der er als ju gendlicher zum erstenmal die zerstörten Städte be trachtet hatte. Dieser befreiende, lodernde Zorn; die Entschlossenheit, keinen Mitläufer abzugeben, wie die anderen es getan hatten. ja, er würde im Rahmen des Systems mitarbeiten - sogar eine Laufbahn im verhaß ten diplomatischen Dienst einschlagen, dieser kollabo rativen Mittlerinstanz zwischen Menschen und Qax. Doch ihm war es dabei nur darum gegangen, einen Weg zu finden, der Menschheit ihren Stolz wiederzu geben. Na, Jasoft, fragte er sich; und was ist aus all den hehren Zielen geworden? Wo sind sie abhanden ge kommen, in all diesen düsteren Jahren? Parz stocherte in seinen abgestumpften alten Emotionen. Manchmal fragte er sich, ob er Oberhaupt noch in der Lage war, echte Gefühle zu entwickeln; sogar die zerstörten Städte wirkten jetzt nicht mehr so deprimierend auf ihn und dienten vielmehr dazu, nostalgische Erinne rungen an seine Jugend hervorzurufen. Natürlich hätte er die Quax im Bedarfsfall sogar für die biologische Tatsache verantwortlich machen kön nen, daß er älter wurde. Hatten diese nämlich nicht wenige Monate nach ihrer Invasion die Grundlagen der menschlichen AntiSenescence-Technologie zer stört? Manchmal fragte sich Parz, wie man sich wohl als AS-konservierter Mensch fühlen würde. Welchen Wert sollte Nostalgie für einen Unsterblichen dann noch haben? Ein leises Klingeln lief durch den Raumer und wies 6 Parz darauf hin, daß seine Begegnung mit der SplineFlotte in weniger als fünf Minuten bevorstehen würde. Parz lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloß die Augen; er seufzte leise, als die semi-adaptiven Pol ster sich der Kontur der Wirbelsäule anpaßten und die schmerzende Rückenmuskulatur massierten, und legte die knochigen, leberfleckigen Hände auf die Brief tasche auf der kle inen Ablage vor sich. Er versuchte, sich auf das baldige Treffen mit dem Gouvemeur ein
zustimmen. Es würde eine schwierige Angelegenheit werden - aber war es jemals einfach gewesen? Parz stand vor der Herausforderung, den Gouverneur ir gendwie milde zu stimmen: ihn dazu zu bewegen, an gesichts des Wurmloch -Zwischenfalls nicht zu drasti schen Maßnahmen zu greifen und das Besatzungs regime nicht weiter zu verschärfen. Als ob dies das Stichwort gewesen wäre, schob sich das mehrere Kilometer durchmessende Spline-Flaggschiff des Gouverneurs in sein Blickfeld und ließ die Erde plötzlich ganz klein erscheinen. Parz konnte sich der Wirkung des Anblicks dieses riesigen Schiffes nicht entziehen. Das Flaggschiff war eine Kugel, frei von den Aufschriften und Markierungen, mit denen vor einigen Jahrhunderten die Raun-tschiffe der Menschheit versehen waren. Die Hülle bestand weder aus Kunststoff noch aus Metall, sondern aus einem runzligen, lederartigen Überzug, der an die Haut eines vernarbten alten Elefanten erinnerte. Diese >Haut< war mit metergroßen Pockennarben übersät, großen Stück pforten, in denen unübersehbar Sensoren und Waffen glitzerten. In einem dieser Löcher rollte ein Auge und fixierte Parz eindringlich; das Auge war ein e drei Meter breite Kugel und wirkte erschreckend mensch lich; ein Zeugnis der Macht konvergenter Evolution. Parz wandte sich ab und fühlte sich fast schuldig des wegen. Wie die übrigen Organe des Spline war das Auge vergütet worden, um die Belastungen eines 7 Raumfluges überstehen zu können - einschließlich der verschärften Bedingungen im Hyperraum - und für die Bedürfnisse der Raumschiffbesatzung modifiziert. Doch Parz wußte, daß der Spline nach wie vor ein eigenes Wahrnehmungsvermögen besaß; und er fragte sich, in welchem Maße die Intensität dieses großen Blicks durch das Bewußtsein des Spline selbst, bezie hungsweise durch die Sekundärbeobachtung der Be satzung hervorgerufen wurde. Parz schob das Gesicht näher an das Bullauge. Ober halb des fleischigen Horizontes des Spline hob sich die Krümmung eines blauen Segmentes der Erde gegen die Dunkelheit ab, und dem alten Mann war es, als ob ein Stahlseil sein Herz zu diesem unerreichbaren Stück seines Heimatplaneten zerren wollte. Und über dem blauen Segment ortete er ein weiteres Spline-Schiff, das perspektivisch auf die Größe seiner Faust redu ziert wurde. Er erkannte, daß es sich bei diesem Raumer um ein Krie gsschiff handelte; seine biologi
sche Hülle starrte vor Geschützständen - die meisten waren drohend auf Parz gerichtet, als ob sie ihn dazu auffordern wollten, es doch mal zu versuchen. Die massive Drohung des kilometergroßen Schlachtschif fes wirkte lächerlich auf Parz; er schüttelte eine kno chige Faust gegen den Spline und streckte ihm die Zunge heraus. Jetzt registrierte er, daß oberhalb des Kriegsschiffes noch ein weiteres Spline-Schiff stand, und zwar in einer solchen Entfernung, daß Parz es trotz der durch Horn- und Netzhautverstärkung optimierten Optik nur als pinkbraunen Punkt ausmachen konnte. Und hinter diesem Raumer rollte noch ein Spline durch das All. Wie fleischgewordene Monde umkreiste die Flotte die Erde mit spielerischer Dominanz. Parz war einer von einer Handvoll Menschen, die seit der Implementierung des Besatzungsstatuts durch die Qax die Erde hatten verlassen dürfen, und einer 8 von noch wenigeren, die sich Oberhaupt einem Ab schnitt der Hauptflotte der Qax genähert hatten. Die Menschheit war vor zweieinhalbtausend Jahren zum erstenmal ins All gestartet, optimistisch, expan dierend und voller Hoffnung ... oder so kam es Jasoft jetzt zumindest vor. Dann war es zur ersten Kontakt aufnahme mit einer extraterrestrischen Spezies gekom men - einem geistigen Kollektivlebewesen mit der Be zeichnung Squeem - und alle Hoffnungen wurden zu Grabe getragen. Die Menschheit wurde unterworfen, und die erste Besetzung der Erde begann. Doch schließlich wurde die Herrschaft der Squeem abgeschüttelt, und die Menschheit bereiste erneut den Weltraum. Dann waren die Qax auf ein terranisches Raumschiff gestoßen. Zunächst war alles eitel Sonnenschein gewesen. mit den Qax wurden Handelsbeziehungen ufgebaut und ein Kulturaustausch vorbereitet. Aber die Freude war nur von kurzer Dauer. Als die Qax gemerkt hatten, wie schwach und naiv die Menschen im Grunde waren, schickten sie die Spline-Kriegsschiffe los.
Dennoch hatte die Menschheit in dieser kurzen Phase der ersten Kontaktaufnahme schon am meisten über die Qax und den Grund ihrer Überlegenheit ge lernt. So hatte man zum Beispiel erfahren, daß die von den Qax eingesetzten Spline-Raumschiffe von riesigen Meereslebewesen mit ausgeprägten Extremitäten ab geleitet waren, die einst die Tiefen eines planetenum spannenden Ozeans durchpflügt hatten. Die Splines hatten die Raumfahrt entwickelt und für Jahrtausende die Sterne bereist. Dann, vor etwa einer Million Jahren, hatten sie eine strategische Entscheidung getroffen. Sie >konstruierten< sich neu. Sie beschichteten ihre Haut, vergüteten ihre inneren 9 Organe - und erhoben sich von der Oberfläche ihres Planeten wie kilometergroße, mit Auswüchsen be setzte Ballons. Sie waren zu lebendigen Raumschiffen geworden, die sich von der kargen Materie im inter stellaren Raum ernährten. Die Spline hatten sich in Trägerschiffe verwandelt, die sich durch ihre eigene Vernüetung an hundert verschiedene Spezies einen Platz im Universum sicherten. Das war keine schlechte Überlebensstrategie, sin nierte Parz. Das Operationsgebiet der Spline mußte sich weit über den Raumsektor hinaus erstrecken, den die Menschheit vor der Invasion der Qax erschlossen hatte - sogar über die größere Einflußsphäre der Qax, in welche das traurige, kleine Reservat der Menschen eingebettet war. Eines Tages würden die Qax wieder verschwinden, wußte Parz. Vielleicht würde die Menschheit das selbst besorgen; vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall würde unter der Herrschaft einer neuen Rasse Handel getrieben, Informationen und Güter zwischen den Sternen ausgetauscht werden. Und es würde neue Kriege geben. Und nach wie vor würde es die Spline geben, die größten Schiffe Oberhaupt - nüt der mögli chen Ausnahme, konzertierte sich Parz selbst, der unvorstellbaren Flotten der Xeelee höchstselbst - die inuner noch zwischen den Sternen kreuzten, uner kannt und unsterblich. Das kleine Sichtfenster glühte kurz rot auf, wobei Laserpunkte auf dem minderwertigen Kunststoff fun kelten. Dann aktivierte sich zischend ein irgendwo in dem Kleinraumschiff integrierter Translator, woraus Parz schloß, daß die Spline eine Laserbrücke geschaltet hatten. Das Bewußtsein, daß sich seine Reise ihrem
Höhepunkt näherte, ließ ihn wieder innerlich erzittern; und als der Qax-Gouverneur von Terra ihn schließ lich mit seiner unmodulierten, unpas send femininen Stimme ansprach, zuckte er zusammen. 10 >"Botschafter Parz. Du hängst im Sessel wie die Pik Sieben. Bist du krank?" Parz schnitt eine Grimasse. Er wußte, daß dies das Maximum an Etikette war, das sich ein Qax abringen konnte; es war eine seltene Ehre, die er nur seiner lan gen Bekanntschaft mit dem Gouverneur verdankte. "Ich habe Kreuzschmerzen, Gouverneur", erläuterte er. ",Entschuldigung. Ich werde mich dadurch aber nicht von unseren Geschäften ablenken lassen." "Glaube ich nicht. Warum läßt du den Schaden nicht beheben?" Parz bemühte sich, eine zivile Antwort zu formulie ren, doch im Vordergrund seines Bewußtseins stand wieder die unabweisbare Erkenntnis des Alterns. Parz war jetzt siebzig Jahre alt. W enn er vor dem Auf tauchen der Qax gelebt hätte, würde er jetzt wohl in einen jungbrunnen steigen, den Körper entschlacken und regenerieren, den Geist wieder auf Vordermann bringen und das Reaktionsvermögen eines Kindes zurückerhalten. Doch die AntiSenescence-Technologie war nicht mehr verfügbar; offensichtlich paßte es den Qax ins Konzept, daß die Menschen im Zeitablauf da hingerafft wurden. Früher, so erinnerte sich Parz, hatte er die Qax vor allem wegen dieser Maßnahme inner lich verflucht: Wegen der willkürlichen Beendigung von Milliarden Menschenleben, wegen der Vernich tung dieses ganzen Potentials. Na schön, jetzt schien er sich indessen nicht mehr allzuviel über irgend etwas aufzuregen ... Doch, so dachte er bitter, von all den Plagen, welche die Qax über die Menschheit gebracht hatten, würde er ihnen niemals seine Rückenschrnerzen verzeihen. >Danke für Ihre Güte, Gouverneur", erwiderte er. "Mein Rücken kann nicht so einfach repariert werden. Er ist ein Parameter, mit dem ich für den Rest meines Lebens arbeiten muß." Das Qax ließ das kurz auf sich wirken und meinte 11 dann: "Ich bin besorgt darüber, daß deine Funktiona lität eingeschränkt ist."
"Die Menschen sind nicht mehr unsterblich, Gou verneur", flüsterte Parz. Und er erkühnte sich hinzu zufügen: "Gott sei Dank."Sieh hin." Mit einem Seufzer machte Parz es sich so bequem wie möglich; der Sensorsessel massierte wohltuend den Rücken und die Beine. Einige Minuten verstrichen; auf dem Monitor hing die Pyranüde reglos am Rande des interstellaren Leer raums. Dann kam von rechts eine verschwommene Störung ins Bild, ein Strahl Bildpunkte, der ins Zentrum der Pyramide stach und dann verschwand. Parz vergaß seinen Rücken, setzte sich aufrecht hin und ließ den Rechner den Vorgang in Einzelbildschal tung wiederholen. Es war unmöglich, irgendwelche Details zu erkennen, aber die Bedeutung dieser Se quenz war trotzdem klar. "Mein Gott", keuchte er. "Das ist ein Schiff, nicht wahr?" "ja", bestätigte der Gouverneur. "Ein terranisches Schiff." 18 Das Qax überspielte weitere Berichte mit kaum er kennbaren Einzelheiten. Das in irgendeinen Deflektorschirm gehüllte Schiff war explosionsartig von der Erde gestartet und inner halb weniger Sekunden im Hyperraum verschwun den, bevor die Spline-Flotte im Orbit reagieren konnte. "Und es ist durch die Pyramide verschwunden?" "Offensichtlich ist eine Gruppe von Menschen in die Vergangenheit entkommen. Ja." Parz schloß die Augen, als er von einer Woge des Triumphes erfaßt wurde, durch die er sich wieder jung fühlte. Also deshalb war er in den Orbit zitiert wor den. Rebellion ... >,Botschafter,Zum Teu fel mit dir. Ich bin hundertsieben Jahre alt. Ich mache, was ich will.,< In einem Anflug trauriger Zuneigung hob Harry eine Augenbraue. "Das hast du doch immer schon ge macht, Sohn. Es sollte auch nur ein Witz sein." 21 Michael wich unwillentlich einen Schritt vor der Projektion zurück; die Adhäsio nssohlen seiner Schuhe sorgten dafür, daß er in der Schwerelosigkeit der Lebenskuppel Bodenhaftung behielt. "Was willst du hier?" "Ich wollte dich mal an die Brust drücken." "Natürlich." Michael träufelte Whisky über die Fin gerspitzen und bespritzte die Projektion mit den
Tröpfchen; goldene Kugeln segelten durch die Abbil dung und verstreuten Wolken kubischer Pixel. >"Wenn das stimmen würde, hättest du persönlich erscheinen können, nicht in Gestalt einer virtuellen Reproduk tion." "Mein Sohn, du bist vier Lichtmonate von zu Hause entfernt. Was willst du, einen Dialog, der sich über den Rest unseres Lebens erstreckt? Außerdem sind diese modernen Virtuelldarstellungen wirklich verdammt gut." jetzt hatte Harry diesen alten defensiven Aus druck in den Augen, der Michael wieder an seine un glückliche Kindheit erinnerte. Wieder eine Rechtferti gung, dachte er. Harry war ein Pseudovater gewesen, immer mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäf tigt - ein sporadischer, mit reichlich Entschuldigungen aufwertender Eindringling in Michaels Leben. Zum endgültigen Bruch war es gekommen, als Michael, dank AS, älter als sein Vater geworden war. >,Virtuellprojektionen wie diese haben alle TuringTests bestanden, denen man sie nur unterziehen kann",Kann man von hier aus die Erde sehen?" Michael zuckte die Achseln. "Von dieser Position aus erscheint das innere Sonnensystem nur als -"er schwommener Lichtfleck. Wie ein weit entfernter Teich. Du brauchst Ortungsgeräte, um die Erde zu sehen." "Du bist weit von zu Hause entfernt." Harry hatte das Haar mittels der AS-Technologie in eine dicke blonde Mähne verwandeln lassen; die
Augen waren kristallblaue Sterne, das Gesicht eckig und klein proportioniert - fast koboldhaft. Michael musterte ihn neugierig und staunte erneut, daß sein Vater sich auf so jugendlich hatte trimmen lassen. Michael selbst war bei den sechzig Jahren geblieben, die sein Körper schon auf dem Buckel hatte, als die AS-Technologie aufkam. jetzt fuhr er sich unwillkü r lich mit der Hand über die hohe Stirn und die rauhe, faltige Haut seiner Wangen. Verdammt, Harry hatte nicht einmal seine Naturfarben beibehalten - das 24 schwarze Haar und die braunen Augen - die er Mi chael vererbt hatte. Harry schaute auf Michaels Drink. "Schöner Gastge ber", registrierte er, ohne indessen kritisch zu klingen. "Warum bietest du mir nichts an? Ich meine das ernst. Man kann jetzt auch virtuelle Bewirtungschips kaufen. Bars und Küchen. Nur vom Feinsten für die virtuellen Gäste.Interfaceschwach exotischer< Vorgang ... Aber die negati ven Energieniveaus, die Poole brauchte, waren hoch und entsprachen in etwa dem Druck im Zentrum eines Neutronensterns. Es war eine Zeit der Herausforderung gewesen. Trotz seiner aktuellen Sorgen merkte Michael, wie
Erinnerungen an jene Tage von seinen Gedanken Be sitz ergriffen, gegenwärtiger als das Bild der leeren Le benskuppel und der unvollkommenen Abbildung sei nes Vaters. Wie konnten einen alte Erinnerungen der art in ihren Bann ziehen? Michael und sein Team einschließlich Miriam, seiner Stellvertreterin - hatten über vierzig Jahre in einer langsamen Umlaufbahn um den jupiter verbracht; der Fortschritt bei der Gewin nung exotischer Materie hatte von der Flußdichte in dem magnetischen Hohlleiter abgehängt, der Jupiter 29
mit seinem Mond Io verband. Das Leben war zwar hart und gefährlich gewesen - aber nie langweilig. Als die Jahre vergingen, hatten sie immer wieder die Son den beobachtet, die in das Gravitationszentrum von jupiter eintauchten und mit einer weiteren Ladung glänzender exotischer Materie zurückkamen, mit der dann die immer größer werdenden Pyramiden be schichtet werden konnten. Es war, als ob man ein Kind aufwachsen sah. Miriam und er hatten eine vollständige Abhängig keit voneinander entwickelt, ganz ohne Frage. Manch mal hatten sie sich gegenseitig die Frage gestellt, ob diese Abhängigkeit den Keim der Liebe in sich tragen würde. Meistens jedoch waren sie zu beschäftigt ge wesen. "Nicht wahr, Michael, das war d amals deine glücklich ste Zeit?" fragte Harry irritierend direkt. Michael unterdrückte eine scharfe, abwehrende Ant wort. "Es war mein Lebenswerk.Entfernung< getrennt waren - eine Distanz, die sich bald auf Hunderte von Lichtjahren belief - verband das Wurmloch noch immer die zwei Por tale. Nach einem Relativjahrhundert würde sowohl für Michael als auch Miriam die Cauchy ihre Rundreise ab geschlossen haben und wieder in einen Orbit um jupi ter einschwenken, womit sie in Michaels Zukunft ver loren war. Und dann wäre es möglich, unter Benutzung des Wurmlochs in wenigen Stunden anderthalb jahrtau sende zu überbrücken. Der Abflug des Schiffes, das Warten auf den Ab schluß der Rundreise, hatten eine Lücke in Michaels Leben und in seinem Herzen hinterlassen. "Irgendwann habe ich mir dann überlegt, daß ich lieber Ingenieur statt Wissenschaftler hätte werden sol len ... Dann wäre meine Aufmerksamkeit auf einen einzigen Werkstoff konzentriert worden, den wir in unseren Hohlleiter-Beschleunigern auf lo hätten her stellen können; der Rest der >exotischen< Physik wäre dann nicht mein Metier gewesen. Deshalb habe ich mich entschieden ... " "Wegzulaufen?,< Wieder packte Michael der Zorn. Sein Vater beugte sich im Stuhl nach vorne und hielt 31 die Hände vor sich gefaltet; das graue Licht von dem unterhalb stehenden Kometen spielte in seinem klaren, gut geschnittenen Gesicht. Michael registrierte, daß das Whiskyglas jetzt verschwunden war; eine abge legte Requisite. ",Verdammt, Michael, du warst ein mächtiger Mann geworden. Es war mehr als nur Wis senschaft oder Ingenieurswesen. Durch die Initiierung und den Abschluß des Projektes >Interface, hast du ge lernt, mit Menschen umzugehen. Politik. Budgets. Mo tivation. Wie man Dinge bewältigt; wie m an führt wie man in der Welt der Menschen etwas erreicht. Du hättest es immer wieder tun können; du hättest alles erreichen können, nachdem du es einmal gelernt hat test." "Und trotzdem hast du alles aufgegeben. Du bist da vongelaufen und hast dich hier draußen verkrochen. Schau, ich weiß, wie verletzt du gewesen sein mußt, als Miriam Berg lieber auf der Cauchy mitfliegen als bei dir bleiben wollte. Aber ... ,Ich verstecke mich nicht, verdammt", fluchte Mi chael und versuchte, einen Wutanfall zu verschleiern.
"Ich habe dir doch schon gesagt, was ich hier draußen mache. Die Quark-Nuggets könnten zu neuen Er kenntnissen über die fundamentale Struktur der Mate rie führen..." "Du bist ein Dilettant", konstatierte Harrv und lie ß sich abschätzig in seinen Sessel zurückfallen. "Mehr ist nicht dahinter. Du hast Oberhaupt keinen Einfluß dar auf, was aus den Tiefen der Raumzeit zu dir herein schneit. Sicher, es ist spannend. Aber es ist keine Wis senschaft. Von den großen Projekten im inneren Sy stem, wie zum Beispiel dem Serenitatis -Beschleuniger, bist du doch schon seit Jahren abgekoppelt." Harry sah ihn mit weit geöffneten Augen und ohne zu blin zeln an. "Sag mir, wenn ich mich irre." Der geladene Michael warf seine Whiskyflasche auf den Boden. Sie knallte auf die helle Fläche, und die 32 gelbe Flüssigkeit sammelte sich, durchsetzt vom Licht des Kometen, klebrig um niederregnende Glassplitter. "Was, zum Teufel, willst du?" "Du hast zugelassen, daß du alt wurdest, Michael", stellte Harry traurig fest. "Stimmt's? Und - was noch schlimmer ist - du hast zugelassen, daß du alt geblie ben bist." "Ich bin ein Mensch geblieben", grollte Michael. "Ich wollte den Inhalt meines Geistes nicht auf einen Chip kopieren lassen." Harry erhob sich von seinem Stuhl und ging auf sei nen Sohn zu. "So ist es nicht", meinte er leise. "Es ist mehr wie eine Bearbeitung deiner Erinnerungen. Klas sifizieren, sortieren, rationalisieren." "Was für eine widerwärtige Terminologie", schnaubte Michael. "Es geht nichts verloren, mußt du wissen. Es ist alles gespeichert - und nicht nur auf Chips, sondern auch in neuronalen Netzen, die man abfragen - oder mit denen man eine Projektion generieren kann, wenn man das will." Harry lächelte. "Man kann sich mit sei nem j . üngeren Ich unterhalten. Das scheint mir auch wirklich die ideale Beschäftigung für dich zu sein." "Schau", meinte Michael und preßte die Finger auf die Nasenwurzel. "Ich habe mir das alles schon durch den Kopf gehen lassen. Ich habe es friiher sogar schon einmal mit dir diskutiert. Oder hast du das auch ver gessen?" "Es gibt im Grunde keine Alternative, weißt du." "Natürlich gibt es eine."
"Nicht, wenn du ein Mensch b leiben willst, wie du es für dich in Anspruch nimmst. Zum Menschsein gehört auch, neue gedankliche Wege einschlagen zu können - sich auf fremde Menschen einzustellen und mit neuen Ereignissen und Situationen klarzukom men. Michael, Tatsache ist, daß das menschliche Ge dächtnis nur über eine begrenzte Kapazität verfügt. Je 33 mehr du es vollstopfst, desto länger werden die Zu griffszeiten. Mit der AS-Technologie jedoch..." "Du wirst auch nicht wieder zu einer Jungfrau, indem du dir ein Jungfernhäutchen implantieren läßt, um Gottes willen." "Da hast du recht." Harry streckte eine Hand nach seinem Sohn aus hielt dann inne und ließ sie wieder sinken. "Drastisch wie immer, aber korrekt. Und ich sage auch gar nicht, daß du durch die Reorganisation deiner Erinnerungen wieder deine Unschuld erlangst. Deine gespannte Erwartung, als du zum erstenmal Beethoven gehört hast. Das Wunder deines ersten Kus ses. Und ich weiß, daß du Angst hast, die Erinnerun gen zu verlieren, die du noch an Miriam hast." "Deine Mutmaßungen gehen ganz schön weit, ver dammt." "Aber, Michael - du hast gar keine andere Wahl. Es sei denn, du würdest lieber zum Fossil werden." Harry lächelte reumütig. "Tut mir leid, mein Sohn. Ich wollte dir nicht vorschreiben, wie du dein Leben zu gestalten hast." "Nein. Das wolltest du nie, richtig? Es war immer nur so eine Angewohnheit ... " Michael ging zu einem Ausgabeschacht und tastete sich mit schnellen Bewe gungen noch einen Whisky. "Sag mir jetzt, was so wichtig war, daß du dich als virtuelle Projektion hast abstrahlen lassen." Harry wandelte elegisch über den klaren Boden; seine lautlosen Schritte, die über dem endlosen Raum hingen, wirkten wuchtig in der Schwerelosigkeit und vermittelten der Szenerie eine unwirkliche Qualität. "Das Interface,