OSHO Das Buch der Geheimnisse
3. Auflage Titel der Originalausgabe The Bock of Secrets, Vol. I
Übersetzung: Swami Prem Nirvano, Ma Deva Shanta, Swami Satyananda Umschlaggestaltung: Ma Deva Bunda Druck: Wiener Verlag, Himberg, Österreich Printed in Austria Copyright 1992 by Osho International Foundation Copyright 1998, auch der Übersetzung und Fotos, Osho Verlag GmbH All rights reserved. Published by arrangement with Osho International Foundation, Bahnhofstraße 52, CH-8001 Zürch, Switzerland Osho Photo an Cover: With permission of Osho International Foundation ISBN 3-925205-91-8
Inhalt Einleitung
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1 Die Welt des Tantra
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2 Der Weg des Yoga und der Weg des Tantra
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3 Atem — der Nabel des Lebens
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4 Die Täuschungsmanöver des Kopfes
83
5 Meister über Traum und Tod
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6 Der Mensch ist Schlaf, seine Welt ist Traum
139
7 Liebe löst
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8 Akzeptiere das Tier in dir — und werde zum Gott
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9 Die Welt ist dein Zuhause
219
10 Man muß kein Genie sein, um Buddha zu werden
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11 Die Reise nach innen
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12 Jenseits vom Geist ist die Quelle
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13 Auf das innere Zentrum stoßen
321
14 Und dann ...
347
15 Werde nicht wütend auf das Boot
375
16 Ein Irrer ist nur ein bißchen mehr verrückt als du
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Über Osho
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Einleitung Vigyan Bhairav Tantra ist eine alte tantrische Schrift, die der indischen Mythologie zufolge von Gott Shiva der Welt überbracht wurde. Sie enthält nicht weniger als 112 Meditationstechniken. Sie bilden die Grundlage aller Meditationstechniken überhaupt — so sagt uns Osho. Jeder wird unter diesen Techniken mindestens eine finden, die ihm angemessen ist. Wie ein Archäologe wertvolle Funde aus den Tiefen der Geschichte zutage fördert und ihre Bedeutung in einer neuzeitlichen Weise deutlich macht, so hat Osho die uralten Texte des Vigyyan Bhairav Tantra mit der Einsicht des Weisen durchdrungen und sie uns in einer klaren modernen Sprache erläutert. Wer seine Diskurse gelesen hat, wird gewiß dazu angeregt, mit seinen Meditationstechniken zu experi mentieren. Das Buch der Geheimnisse gibt viele wertvolle praktische Hinweise für jeden, der sich durch die Wissenschaft der Meditation verwandeln möchte. Tantra heißt Technik, so erklärt Osho. Es bedeutet „die Technik, die Methode, der Weg” und Vigyan Bhairav Tantra heißt „die Technik, über das gewöhnliche Bewußtsein hinauszugelangen”. Vigyan heißt Bewußtsein, und Bhairav ist der Zustand jenseits des gewöhnlichen Bewußtseins. Man kennt Shiva auch als „Bhairav”, und Devi, seine Gemahlin, als „Bhairavi” — als diejenigen, die alle Dualität hinter sich gelassen haben. Shiva übermittelt Devi diese 112 Methoden; beide stehen in einer tiefen Liebesbeziehung zueinander. „Nicht eine einzige Methode kann diesen 112 Methoden Shivas hinzugefügt werden”, sagt Osho, „und dies Vigyan Bhairav Tantra ist fünftausend Jahre alt.”
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Die Welt des Tantra
[Sutra]
Devi fragt:
Oh Shiva, was ist deine Wirklichkeit? Was ist dies von Wundern erfüllte Universum? Was ist der Same? Wer hält das Rad des Alls im Gleichgewicht? Was ist dies Leben jenseits von Form, das alle Form durchdringt? Wie können wir vollends hineingelangen? Hinaus über Raum und Zeit, Namen und Bezeichnungen? Schaffe meinem Zweifel Klarheit!
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Das Buch der Geheimnisse
Ein paar Dinge zur Einführung. Erstens: Die Welt des „Vigyana Bhairava Tantra” ist nicht intellektuell. Sie ist nicht philosophisch. Ideologie ist für sie bedeutungslos. In ihr geht es um Methoden und Techniken, ganz und gar nicht um Prinzipien. Das Wort „Tantra” heißt Technik, Methode, Weg. Es ist also keine Philosophie — vergeßt das nicht. Es hat nichts mit intellektuellen Problemen und Fragestellungen zu tun. Es hat nichts mit dem „Warum” der Dinge zu tun. Es hat etwas mit dem „Wie” zu tun — nicht damit, was Wahrheit ist, sondern wie man zur Wahrheit gelangt. „Tantra” heißt Technik. Diese Abhandlung ist also eine wissenschaftliche. Der Wissenschaft geht es nicht um das Warum, der Wissenschaft geht es ums Wie. Das ist der grundlegende Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft. Die Philosophie fragt: „Warum ist diese Existenz?” Die Wissenschaft fragt: „Wie ist diese Existenz?” Sobald man „Wie?” fragt, werden Methode und Technik wichtig. Theorien werden bedeutungslos. Erfahrung wird zum Mittelpunkt. Tantra ist Wissenschaft. Tantra ist nicht Philosophie. Philosophie zu verstehen ist nicht schwer, weil ihr dabei nur euren Intellekt gebraucht. Wer Sprache versteht, wer Begrifflichkeit versteht, der kann Philosophie verstehen. Man braucht sich nicht zu ändern, man braucht keine Transformation zu erfahren. Du kannst, so wie du bist, Philosophie verstehen. Aber nicht Tantra. Du wirst dich ändern müssen. Ja, was du brauchst, ist eine Mutation! Solange du nicht anders bist, kann Tantra nicht verstanden werden; denn Tantra ist kein intellektuelles Konzept, es ist eine Erfahrung. Solange du für diese Erfahrung nicht empfänglich, bereit, verwundbar bist, kann sie dich nicht erreichen. Philosophie ist Verstandessache. Der Kopf genügt, du brauchst deine Gesamtheit nicht dazu. Tantra fordert dich in deiner Gesamtheit. Es ist eine tiefere Herausforderung. Du mußt dich mit Haut und Haaren darauf einlassen. Es ist nicht fragmentarisch. Ein anderes Verständnis, eine andere Einstellung, ein anderer Geist sind erforderlich, um es zu empfangen. Weil das so ist, sind Devis Fragen nur scheinbar philosophisch. Tantra nimmt mit Devis Fragen seinen Anfang. All diese Fragen können philosophisch aufgefaßt werden.
Kapitel 1
Tatsächlich kann jede Frage zweifach aufgefaßt werden: philosophisch oder total; intellektuell oder existentiell. Wenn zum Beispiel jemand fragt: „Was ist Liebe?”, kann man das intellektuell angehen: man kann diskutieren, Theorien entwickeln, man kann eine bestimmte Hypothese verteidigen. Man kann ein System, eine Lehre entwickeln, ohne die Liebe überhaupt erfahren zu haben. Eine Lehrmeinung zu entwickeln, dazu gehört keine Erfahrung. Ganz im Gegenteil: Je weniger du weißt, desto besser, denn um so unbedenklicher kannst du ein System aufstellen. Nur ein Blinder kann ohne weiteres definieren, was Licht ist. Wer keine Ahnung hat, ist kühn. Unwissenheit ist immer kühn. Wissen zögert. Und je mehr du weißt, desto mehr verlierst du den Boden unter den Füßen. Je mehr du weißt, desto mehr merkst du, wie unwissend du bist. Und wer wirklich weise ist, der wird unwissend. Er wird so einfach wie ein Kind. Oder so einfach wie ein Idiot. Je weniger du weißt, desto besser. Philosophisch zu sein, dogmatisch zu sein, doktrinär zu sein, ist leicht. Ein Problem intellektuell zu bewältigen, ist sehr einfach. Aber ein Problem existentiell zu bewältigen, nicht nur darüber nachzudenken, sondern es zu durchleben, hindurchzugehen, zuzulassen, so daß es dich verwandelt, das ist schwer. Das heißt: Um die Liebe zu kennen, mußt du in der Liebe sein. Das ist gefährlich: denn du wirst nicht bleiben, wer du bist. Die Erfahrung wird dich verwandeln. In dem Moment, wo du in die Liebe hineingehst, gehst du in einen anderen Menschen hinein. Und wenn du herauskommst, kannst du dein altes Gesicht nicht wiedererkennen. Es wird nicht mehr deins sein. Ein Bruch ist geschehen: jetzt klafft eine Lücke. Der alte Mensch ist tot, und der neue Mensch ist da. Das ist es, was Neugeburt heißt: zum zweitenmal geboren zu werden. Tantra ist nicht-philosophisch und existentiell. So stellt Devi zwar Fragen, die philosophisch scheinen, aber Shiva wird sie nicht so beantworten. Es ist also besser, dies gleich von Anfang an zu verstehen, weil ihr euch sonst verwundert fragen werdet, wieso Shiva keine einzige Frage beantwortet. All die Fragen, die Devi stellt - Shiva beantwortet nicht eine einzige! Und dennoch antwortet er. Und wirklich: Nur er und kein anderer hat sie beantwortet, allerdings auf einer anderen Ebene. Devi
Das Buch der Geheimnisse
fragt: „Was ist deine Wirklichkeit, Herr?” Er wird es nicht beantworten. Statt dessen gibt er ihr eine Technik. Und wenn Devi durch diese Technik geht, wird sie es wissen. Die Antwort ist also indirekt, sie ist nicht direkt. Er wird nicht antworten: „Der oder das bin ich.” Er gibt ihr eine Technik: Mach es, und du wirst es wissen! Für Tantra ist Tun Wissen, und ein anderes Wissen gibt es nicht. Solange du nicht etwas tust, solange du dich nicht veränderst, solange du nicht aus einem anderen Blickwinkel, mit anderen Augen siehst, nicht in eine völlig andere Dimension als die des Intellekts hineingehst, gibt es keine Antwort. Es können zwar Antworten geliefert werden — alles Lügen. Alle Philosophien sind Lügen. Du stellst eine Frage, und die Philosophie gibt dir eine Antwort. Sie mag dich befriedigen oder nicht. Wenn sie dich befriedigt, wirst du ein Anhänger dieser Philosophie, bleibst aber wie du bist. Befriedigt sie dich nicht, suchst du weiter, nach einer andern Philosophie, der du dich anschließen kannst. Aber du bleibst der gleiche: sie berührt dich nicht im geringsten; sie verändert dich nicht im geringsten. Ob du nun also Hindu oder Moslem oder Christ oder Jaina bist, es macht keinen Unterschied. Der wirkliche Mensch hinter der Fassade des Hindus oder Moslems oder Christen ist der gleiche. Nur die Worte sind verschieden, oder die Kleider. Der Mensch, der da zur Kirche geht — oder zum Tempel oder zur Moschee — ist der gleiche Mensch. Nur die Gesichter sind verschieden, und es sind falsche Gesichter. Es sind Masken. Hinter den Masken findet ihr den gleichen Menschen, die gleiche Wut, die gleiche Aggression, die gleiche Gewalt, die gleiche Gier, die gleiche Geilheit ... alles genau gleich. Ist mohammedanische Sexualität anders als hinduistische Sexualität? Ist christliche Gewalt anders als hinduistische Gewalt? Es ist die gleiche! Die Wirklichkeit bleibt gleich. Nur die Kleider sind verschieden. Im Tantra geht es nicht um deine Kleider. Im Tantra geht es um dich. Wenn du eine Frage stellst, zeigt Tantra dir, wo du bist. Es zeigt dir auch, daß du nicht sehen kannst, wo immer du dich befindest ... darum fragst du ja. Ein Blinder fragt: „Was ist Licht?” Und die Philosophie geht daran, zu beantworten, was Licht ist. 10
Kapitel 1
Tantra weiß nur so viel: daß einer, der fragt, was Licht ist, beweist, daß er blind ist. Tantra geht daran, den Betreffenden zu openeren, den Betreffenden zu verändern, so daß er sehen kann. Tantra wird dir nicht sagen, was Licht ist. Tantra wird dir sagen, wie du zur Einsicht gelangst, wie du das Augenlicht, wie du Sehkraft gewinnst. Ist die Sicht da, so ist auch die Antwort da. Tantra gibt dir nicht die Antwort, Tantra gibt dir die Technik, wie du zur Antwort gelangst. Nun wird es keine intellektuelle Antwort mehr sein. Wenn du einem Blinden etwas vom Licht erzählst, so ist das intellektuell. Wenn der Blinde selbst sehen lernt, so ist es existentiell. Das meine ich, wenn ich Tantra existentiell nenne. Shiva wird also Devis Fragen nicht beantworten. Und dennoch wird er antworten. Das ist das erste. Das zweite: Dies hier ist eine andere Sprache. Ihr müßt darüber etwas wissen, bevor wir da hineingehen. Alle Tantra-Texte sind Dialoge zwischen Shiva und Devi. Devi fragt, und Shiva antwortet. Alle Tantra-Texte fangen so an. Warum? Warum dieses Grundmuster? Es ist sehr bedeutsam. Es ist kein Dialog zwischen einem Lehrer und seinem Jünger. Es ist ein Dialog zwischen zwei Liebenden. Und damit weist Tantra auf etwas sehr Bedeutsames hin: daß die tieferen Lehren nur dann gegeben werden können, wenn zwischen beiden, zwischen dem Lehrenden und dem Lernenden, Liebe da ist. Lernender und Lehrer müssen zutiefst zu Liebenden werden. Nur dann kann das Höhere, das Jenseitige zum Ausdruck kommen. Es ist also eine Sprache der Liebe: Die Haltung des Lernenden muß die der Liebe sein. Aber nicht nur das: denn auch Freunde können Liebende sein. Im Tantra muß der Lernende zu reiner Empfänglichkeit werden. Der Lernende muß von einer weiblichen Empfänglichkeit sein, nur so kann etwas geschehen. Man braucht keine Frau zu sein, aber man muß in einer weiblich-empfänglichen Haltung sein. Devi fragt. Das heißt: die weibliche Haltung fragt. Warum wird soviel Wert auf eine weibliche Haltung gelegt? Mann und Frau sind nicht nur körperlich verschieden; sie sind es auch psychologisch. Das Geschlecht macht nicht nur einen 11
Das Buch der Geheimnisse
körperlichen Unterschied, sondern auch einen seelischen. Die weibliche Haltung bedeutet Empfänglichkeit - totale Empfänglichkeit, Hingabe, Liebe. Ein Jünger braucht eine weibliche Einstellung; andernfalls kann er nicht lernen. Du kannst fragen, aber wenn du nicht offen bist, kannst du keine Antwort bekommen. Du kannst eine Frage stellen und trotzdem verschlossen bleiben. Dann kann die Antwort nicht in dich eindringen. Deine Türen sind verschlossen: du bist tot. Du bist nicht offen. Die weibliche Einstellung bedeutet eine schoßartige Empfänglichkeit in der innersten Tiefe: so daß du aufnehmen kannst. Und nicht nur das: es spielt noch viel mehr mit. Eine Frau empfängt nicht nur etwas. Im Augenblick, da sie es empfängt, wird es Teil ihres Körpers. Ein Kind wird gezeugt. Die Frau trägt eine Frucht aus. Noch im Augenblick der Empfängnis ist das Kind Teil des weiblichen Körpers geworden. Es ist nichts Fremdes, kein Fremdkörper mehr. Es ist absorbiert worden. Von nun an lebt das Kind nicht als etwas, das der Mutter hinzugefügt worden ist, sondern einfach als Teil von ihr, einfach als Mutter. Und das Kind wird nicht nur empfangen: Der weibliche Körper wird kreativ, das Kind beginnt zu wachsen. Ein Jünger muß empfänglich sein, wie ein Schoß. Was auch immer empfangen wird, es darf nicht als totes Wissen aufgelesen werden. Es muß in dir wachsen, es muß dir zu Fleisch und Knochen werden. Es muß jetzt Teil von dir werden. Es muß wachsen! Dies Wachstum wird dich verändern, wird dich transformieren - dich, den Empfänger. Deshalb benutzt Tantra dieses Mittel: Jeder Text beginnt damit, daß Devi eine Frage stellt und Shiva darauf eingeht. Devi ist Shivas Gemahlin, sein weiblicher Teil. Und noch eins: die moderne Psychologie sagt heute, vor allem die Tiefenpsychologie, daß der Mensch sowohl Mann als auch Frau ist. Niemand ist nur männlich, und niemand ist nur weiblich. Jeder ist bisexuell. Beide Geschlechter sind vorhanden. Dies ist im Westen eine sehr neue Erkenntnis, aber für Tantra war das eines der grundlegendsten Dinge, über Tausende von Jahren hinweg. Ihr habt vielleicht schon einmal Darstellungen von Shiva als Ardhanarishwar gesehen - halb Mann, halb Frau. Ein Konzept 12
Kapitel 1
wie dieses ist einmalig in der Geschichte der Menschheit: Shiva, halb Mann, halb Frau. Devi ist also nicht nur seine Gemahlin. Sie ist Shivas andere Hälfte. Und solange der Lernende nicht zur anderen Hälfte des Lehrers geworden ist, ist es unmöglich, die höheren Lehren, die esoterischen Methoden zu vermitteln. Wenn du eins mit ihm wirst, dann gibt es keine Zweifel mehr. Wenn du eins wirst mit dem Lehrer, so total eins, so tief eins, dann gibt es weder Argument, noch Logik, noch Verstand. Du nimmst nur auf du wirst zum Schoß. Und dann beginnt die Lehre in dir zu wachsen und dich zu verändern. Das ist der Grund, warum Tantra in der Sprache der Liebe geschrieben ist. Über die Sprache der Liebe muß man etwas wissen: Es gibt zwei Arten von Sprache, die Sprache der Logik und die Sprache der Liebe. Die beiden unterscheiden sich grundlegend. Die Sprache der Logik ist aggressiv, streitsüchtig, gewaltsam. Wenn ich die Sprache der Logik verwende, übe ich Gewalt über deinen Geist aus. Ich versuche dich zu überzeugen, zu bekehren, eine Marionette aus dir zu machen. Ich habe „recht” mit meinem Argument, und du hast „unrecht”. Logische Sprache ist egozentrisch. „Ich habe recht, und du hast unrecht, also muß ich beweisen, daß ich recht habe und du nicht recht hast.” Du bist mir egal. Mir ist allein mein Ego wichtig. Mein Ego hat immer recht. Die Sprache der Liebe ist völlig anders. Es geht mir nicht um mein Ego, es geht mir um dich. Es geht mir nicht darum, etwas zu beweisen, mein Ego zu stärken. Es geht mir darum, dir zu helfen. Es ist Hilfe aus Mitgefühl, so daß du wachsen kannst, so daß du dich verwandeln kannst, so daß du neu geboren werden kannst. Zweitens wird Logik immer intellektuell sein. Begriffe und Grundsätze sind wichtig. Argumente sind wichtig. In der Sprache der Liebe ist es nicht so wichtig, was gesagt wird, sondern eher die Art, wie es gesagt wird. Das Gefäß, das Wort, ist nicht so wichtig. Der Inhalt, die Botschaft, ist wichtiger. Es ist eine Zwiesprache von Herz zu Herz, nicht eine Diskussion von Kopf zu Kopf. Es ist keine Debatte. Es ist Kommunion. Es ist eine unverwechselbare Situation: Parvati, auf dem Schoß von Shiva sitzend, und Shiva antwortet. Es ist ein Zwiegespräch 13
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von Liebenden — ohne Konflikt, so als spräche Shiva mit sich selbst. Warum wird soviel Wert auf Liebe gelegt, auf die Sprache der Liebe? Weil sich die ganze Gestalt ändert, wenn du Liebe für deinen Lehrer empfindest: alles wird anders. Dann hörst du nicht auf seine Worte. Dann trinkst du ihn. Dann werden Worte unwichtig. Und wirklich, die Stille zwischen den Worten wird mächtiger als die Worte. Was er sagt, mag bedeutsam sein oder nicht: was zählt, sind seine Augen, seine Gesten, ist sein Verständnis, seine Liebe. Deshalb also hat Tantra ein festes Muster, eine Struktur. Jeder Text beginnt damit, daß Devi fragt und Shiva antwortet. Es wird kein Streitgespräch sein; keine überflüssigen Worte. Es sind ganz einfache, festgestellte Tatsachen, telegraphische Mitteilungen, die nicht allgemein überzeugen wollen, die allein auf den andern bezogen sind. Wenn du Shiva eine Frage stellst, aber verschlossen bist, dann antwortet er dir nicht. Erst muß deine Verschlossenheit aufgebrochen werden. Er muß aggressiv sein. Deine Vorurteile, deine festen Meinungen müssen zerstört werden. Solange du nicht endgültig mit deiner Vergangenheit aufgeräumt hast, kann dir nichts gegeben werden. Aber auf seine Gemahlin Devi trifft dies nicht zu: Für Devi gibt es keine Vergangenheit. Vergiß nicht: wenn du tief liebst, hört dein Geist auf zu sein. Es gibt keine Vergangenheit: der gegenwärtige Augenblick ist alles. Wenn du liebst, ist die Gegenwart die einzige Zeit. Das Jetzt ist alles — ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. Devi ist einfach nur offen. Ohne Abwehr — nichts muß erst ausgeräumt werden, nichts muß zerstört werden. Der Boden ist bereitet. Es braucht nur ein Samenkorn auf ihn geworfen zu werden. Der Boden ist nicht nur bereitet, sondern er ist erwartungsvoll, offen, er bittet darum, befruchtet zu werden. All diese Sätze, über die wir sprechen werden, sind also telegraphisch. Es sind nur Sutras. Aber jedes Sutra, jede telegraphische Botschaft, durch die Shiva sich mitteilt, ist so viel wert wie die Veden, wie die Bibel, wie der Koran. Jeder einzelne Satz kann das Fundament einer großen Schrift werden. Schriften gehen logisch vor: sie müssen 14
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Lehrsätze aufstellen, müssen verteidigen, argumentieren. Hier gibt es keine Argumente, einfach nur Worte der Liebe. Drittens: Die Worte Vigyana Bhairava Tantra bedeuten genau dies: Die Technik, über das Bewußtsein hinauszugehen. Vigyana bedeutet Bewußtsein, Bhairava bedeutet den Zustand jenseits des Bewußtseins, und Tantra bedeutet Technik: die Technik, über das Bewußtsein hinauszugelangen. Dies ist die oberste aller Lehren — eine Lehre ohne jede Lehre. Wir sind unbewußt. Daher geht es bei allen religiösen Lehren darum, den Menschen aus der Unbewußtheit herauszubringen und ihn bewußt zu machen. Bei Krishnamurti zum Beispiel, oder im Zen, geht es darum, wie sich die Bewußtheit steigern läßt: denn wir sind unbewußt. Wie also bewußter, wie wacher sein? Wie aus der Unbewußtheit zur Bewußtheit gelangen? Aber Tantra sagt,_ daß dies Dualität ist — Unbewußtheit und Bewußtheit. Wenn man von der Unbewußtheit zur Bewußtheit übergeht, geht man vom einen Pol der Dualität zum andern. Geht über beide hinaus! Solange ihr nicht über beide hinausgeht, könnt ihr niemals das endgültig Höchste erreichen. Seid also weder das Unbewußte, noch das Bewußte. Geht einfach darüber hinaus. Seid einfach. Seid weder das Bewußte, noch das Unbewußte: seid einfach. Das heißt, über Yoga hinauszugehen, über Zen hinauszugehen, über jede Lehre hinauszugehen. Vigyana heißt Bewußtsein und Bhairava ist ein spezifischer Ausdruck, ein tantrischer Ausdruck, der denjenigen bezeichnet, der transzendiert hat. Darum wird Shiva auch Bhairava genannt, und Devi Bhairavi — die, die die Dualität hinter sich gelassen haben. Innerhalb unserer Erfahrung kann uns nur die Liebe einen Ahnungsschimmer davon geben. Darum wird die Liebe zur eigentlichen Grundtechnik für die Übertragung tantrischer Weisheit. Innerhalb unserer Erfahrung können wir sagen, daß die Liebe das einzige ist, was über Dualität hinausführt. Wenn zwei Menschen einander lieben, dann hören sie in dem Maße auf, zwei zu sein, wie sie tiefer in die Liebe hineingehen — sie werden immer mehr eins. Und es kommt der Punkt, und es kommt ein Gipfel, wo sie nur noch scheinbar zwei sind: innerlich sind sie eins. Die Dualität ist überwunden. 15
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Nur so verstanden gewinnt der Ausdruck von Jesus Bedeutung, daß Gott die Liebe ist: sonst nicht. Innerhalb unserer Erfahrung kommt die Liebe Gott am nächsten. Damit ist nicht gemeint, daß Gott, wie die Christen es immer deuten, liebevoll ist, daß Gott ein liebender Vater ist. Unsinn! „Gott ist Liebe” ist eine tantrische Aussage, und bedeutet, daß die Liebe innerhalb unserer Erfahrung diejenige Wirklichkeit ist, die Gott, die dem Göttlichen am nächsten kommt. Warum? Weil in der Liebe Einheit empfunden wird. Die Körper bleiben getrennt, aber etwas jenseits der Körper verschmilzt und wird eins. Deshalb sehnt sich jeder nach dem Sex. Die wirkliche Sehnsucht gilt der Einheit, aber diese Einheit ist nicht sexuell. Im Sex haben zwei Menschen nur das täuschende Gefühl, eins zu werden, aber sie sind es nicht. Sie sind nur zusammengefügt. Aber für einen einzigen Augenblick vergessen sich zwei Menschen ineinander, und eine gewisse körperliche Einheit wird empfunden. Diese Sehnsucht ist okay, aber dabei stehenzubleiben, ist gefährlich. Diese Sehnsucht zeigt einen tieferen Drang, Einheit zu erfahren. In der Liebe geht das Innere auf einer höheren Ebene in den anderen über und vereinigt sich mit ihm; ein Gefühl der Einheit entsteht. Die Dualität löst sich auf. Nur in dieser nichtdualen Liebe können wir einen Ahnungsschimmer davon bekommen, was der Zustand eines Bhairava ist. Wir können sagen, daß der Zustand eines Bhairava absolute Liebe ohne Rückkehr ist. Vom Gipfel der Liebe gibt es kein Zurückfallen mehr. Es ist ein Verweilen auf dem Gipfel. Wir haben Shivas Wohnstätte auf dem Kailash-Berg errichtet. Das ist nur symbolisch: Der höchste Gipfel ist der heiligste Gipfel. Wir haben daraus Shivas Wohnstätte gemacht. Wir können dort hinaufgehen, aber wir müssen wieder herunterkommen. Wir können uns dort nicht häuslich einrichten. Wir können nur eine Pilgerreise machen. Es ist eine Teerthyatra — eine Pilgerfahrt, eine Reise. Wir können für kurze Augenblicke an den höchsten Gipfel rühren; danach müssen wir wieder zurückkommen. In der Liebe geschieht diese heilige Pilgerreise; aber nicht für alle, denn fast niemand geht über den Sex hinaus. So leben wir im 16
Kapite1 1
Tal weiter, im dunklen Tal. Manchmal steigt jemand auf den Gipfel der Liebe, fällt dann aber zurück, weil ihm so schwindlig wird. So hoch, und du so niedrig; und wie schwer ist es, dort zu leben! Wer geliebt hat, der weiß, wie schwer es ist, ständig in der Liebe zu bleiben. Man muß immer wieder zurückkommen. Es ist Shivas Wohnstätte. Er lebt dort. Es ist seine Heimat. Ein Bhairava lebt in der Liebe: das ist seine Heimat. Wenn ich sage, daß das seine Heimat ist, meine ich damit, daß er sich nicht einmal der Liebe gewahr wird — denn wenn du auf dem Kailash lebst, weißt du nicht, daß dies der Kailash ist, daß dies der Gipfel ist. Der Gipfel wird zur Ebene. Shiva nimmt die Liebe nicht wahr. Wir nehmen die Liebe wahr, weil wir in der Nicht-Liebe leben. Und aufgrund des Kontrastes spüren wir die Liebe. Shiva ist Liebe. Ein Bhairava zu sein bedeutet, daß man zu Liebe geworden ist, nicht, daß man liebt. Nun ist man Liebe, man lebt auf dem Gipfel. Der Gipfel ist nun die Wohnstätte. Wie aber wird dieser Gipfel möglich, der Gipfel jenseits von Dualität, jenseits von Unbewußtheit, jenseits von Bewußtheit, jenseits von Körper und jenseits von Seele, jenseits von Welt und jenseits von sogenannter Moksha, Befreiung? Wie diesen Gipfel erreichen? Die Technik ist Tantra. Aber Tantra ist reine Technik. Es ist also nicht leicht zu verstehen. Laßt uns erst die Fragen verstehen — was sagt Devi?
„Oh Shiva, was ist deine Wirklichkeit?” Warum diese Frage? Ihr könnt die gleiche Frage stellen, aber es würde nicht das gleiche bedeuten. Versucht also zu verstehen, warum Devi fragt: „Was ist deine Wirklichkeit?” Devis Liebe ist tief. In tiefer Liebe begegnest du zum erstenmal der inneren Wirklichkeit. Jetzt ist Shiva nicht mehr Formjetzt ist Shiva nicht mehr Körper. Wenn du liebst, löst sich der Körper des Geliebten auf, er verschwindet. Die Form ist nicht mehr, und das Formlose offenbart sich. Du stehst vor einem Abgrund. Darum haben wir solche Angst vor der Liebe. Vor einem Körper haben wir keine Angst, vor einem Gesicht haben wir keine Angst, vor einer Form haben wir keine Angst. Aber vor einem Abgrund haben wir Angst. Wenn du jemanden liebst, und wirklich liebst, verschwindet sein Körper unweigerlich. In einigen wenigen Augenblicken des 17
Das Buch der Geheimnisse
Höhepunkts, des Gipfels, wird die Form sich auflösen, und durch den Geliebten wirst du in das Formlose eingehen. Das ist der Grund, warum wir Angst haben: Es ist der Fall ins Bodenlose. Diese Frage kommt also nicht nur aus Neugierde: „Oh Shiva, was ist deine Wirklichkeit?” Devi muß sich in die Form verliebt haben. So fangt es immer an. Sie muß diesen Mann als Mann geliebt haben, und nun, da die Liebe gereift ist, da die Liebe zur Blüte gelangt ist, ist dieser Mann verschwunden. Er ist formlos geworden. Jetzt ist er unauffindbar: „Oh Shiva, was ist deine Wirklichkeit?” Es ist eine Frage, die in einem sehr intensiven Augenblick der Liebe gestellt wird. Und wenn Fragen gestellt werden, kommt es ganz darauf an, aus welcher Haltung heraus sie gestellt werden. Versetzt euch also in die Situation, in die Atmosphäre der Frage. Parvati muß ratlos sein. Devi muß ratlos sein. Shiva ist verschwunden. Wenn die Liebe ihren Höhepunkt erreicht, verschwindet der Liebende. Warum geschieht das? Das geschieht, weil in Wirklichkeit jeder formlos ist. Du bist kein Körper. Du bewegst dich als Körper, du lebst als Körper, aber du bist kein Körper. Solange wir jemanden nur von außen sehen, ist er ein Körper. Die Liebe dringt ins Innere ein, und wir sehen den andern nicht mehr von außen. Liebe kann den andern so sehen, wie der andere sich selbst von innen her sieht. Dann verschwindet die Form. Ein Zen-Mönch, Rinzai, erlangte die Erleuchtung. Das erste, was er aussprach war: „Wo ist mein Körper? Was ist aus meinem Körper geworden?” Und er fing an, ihn zu suchen. Er rief seine Schüler und sagte: „Geht und findet heraus, wo mein Körper geblieben ist. Ich habe meinen Körper verloren.” Er war ins Formlose eingegangen. Du bist ebenfalls eine formlose Existenz, aber du kennst dich nicht unmittelbar, sondern nur durch die Augen anderer. Du kennst dich durch den Spiegel. Schließ einmal, während du in den Spiegel blickst, die Augen und überlege, und meditiere dann: Wenn es keinen Spiegel gäbe, woher würdest du dann dein Gesicht kennen? Ohne Spiegel gäbe es kein Gesicht. Du hast kein Gesicht. Spiegel geben dir Gesichter. Stell dir eine Welt ohne Spiegel vor! Du bist allein, kein Spiegel ist da, nicht einmal die Augen anderer können dir noch ein 18
Kapitel 1
Spiegel sein. Du bist allein auf einer einsamen Insel: nirgends kannst du dich spiegeln. Hast du dann überhaupt ein Gesicht? Oder einen Körper? Du kannst keinen haben. Und hast auch keinen. Wir kennen uns selbst nur durch andere, und die anderen können nur die äußere Form kennen. Deshalb identifizieren wir uns damit. Ein anderer Zen-Mystiker, Hui-Hai, pflegte zu seinen Schülern zu sagen: „Wenn ihr beim Meditieren völlig euren Kopf verloren habt, kommt sofort zu mir. Wenn ihr den Kopf verliert, kommt augenblicklich zu mir. Wenn ihr das Gefühl bekommt, daß kein Kopf mehr da ist, dann habt keine Angst; kommt augenblicklich zu mir. Das ist der richtige Augenblick. Jetzt könnt ihr etwas lernen.” Mit dem Kopf ist kein Lernen möglich. Der Kopf stellt sich immer in den Weg. Parvati. — Devi — fragt Shiva: „Oh Shiva, was ist deine Wirklichkeit? Wer bist du?” Die Form ist verschwunden; daher die Frage. In der Liebe gehst du in den andern ein — als dieser. Nicht du bist es, der antwortet. Ihr werdet eins, und zum erstenmal erfahrt ihr den Abgrund — eine formlose Präsenz. Darum haben wir über Jahrhunderte hinweg, viele viele Jahrhunderte lang, keine Statue, kein Bild von Shiva gemacht. Wir haben nur Shivalingam, das Symbol, abgebildet. Der Shivalingam ist nur eine formlose Form. Wenn du jemanden liebst, wenn du in den andern hineingehst, ist er nur noch eine leuchtende Gegenwart. Der Shivalingam ist nur eine leuchtende Gegenwart, nur eine Aura von Licht. Darum fragt Devi: Was ist deine Wirklichkeit? Was ist dies von
Wundern erfüllte Universum?" Wir kennen das Universum, aber wir kennen es nicht als von Wundern erfüllt. Kinder kennen es, Liebende kennen es. Manchmal kennen es Poeten und Irre. Wir wissen nicht, daß die Welt voller Wunder ist. Alles ist nur Wiederholung — ohne Wunder, ohne Poesie —, einfach nur platte Prosa. Die Welt erzeugt in euch keinen Gesang, erzeugt in euch keinen Tanz•, sie läßt die Poesie des Innern ungeboren. Das ganze Universum erscheint mechanisch. Kinder betrachten es mit wunder-vollen Augen. Wenn die Augen wunder-voll sind, ist das Universum wunder-voll. Wenn du liebst, wirst du wieder wie die Kinder. Jesus sagt: 19
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„Nur wenn ihr werdet wie die Kinder, werdet ihr das Himmelreich Gottes betreten.” Warum? Weil man nicht religiös sein kann, solange das Universum nicht zum Wunder wird. Das Universum läßt sich erklären; euer Ansatz ist dann wissenschaftlich. Das Universum ist bekannt oder unbekannt, aber was unbekannt ist, kann jederzeit bekannt werden. Es ist nicht untrennbar. Das Universum wird erst dann unkennbar, erst dann zum Geheimnis, wenn eure Augen mit Wundern erfüllt sind. Devi fragt: „Was ist dies von Wundern erfüllte Universum?” Plötzlich also ein Spring von einer persönlichen Frage zu einer sehr unpersönlichen. Sie hatte gefragt: ,Was ist deine Wirklichkeit?", und nun plötzlich: „Was ist dies von Wundern erfüllte Universum?” Wenn die Form verschwindet, wird der Mensch, den du liebst, zum Universum, zum Formlosen, zum Unendlichen. Plötzlich wird Devi gewahr, daß sie gar nicht Shivas wegen fragt; ihre Frage gilt dem ganzen Universum. Jetzt ist Shiva zum All geworden. Jetzt kreisen alle Sterne in ihm und das gesamte Firmament, der ganze Weltraum wird von ihm umhüllt. Jetzt ist er der allumfassende Faktor, das „Große Allumfassende”. Karl Jaspers hat Gott als das „Große Allumfassende” definiert. Wenn du in die Liebe hineingehst, in die zuriefst intime Welt der Liebe, dann verschwindet der Mensch, verschwindet die Form, und der Geliebte ist nunmehr eine Tür zum Universum. Deine Neugier ist vielleicht nur eine wissenschaftliche. Dann mußt du deinen Weg durch die Logik nehmen, dann darfst du nicht ans Formlose denken. Dann hüte dich vor dem Formlosen. Dann gib dich mit der Form zufrieden. Daher gibt sich die Wissenschaft immer nur mit der Form ab. Wann immer der wissenschaftliche Geist mit etwas Formlosem konfrontiert wird, muß er es zu Form zurechtschneiden. Solange es keine Form hat, ist es bedeutungslos. Man verleihe ihm zuerst eine Form - eine definitive Form; erst dann kann das Forschen losgehen. Solange es in der Liebe noch Form gibt, ist sie noch nicht am Ende. Löst die Form auf! Wenn die Dinge formlos werden, verschwommen, ohne Grenzen - alles dringt in alles ein, das ganze Universum wird zum All, zum Einen - dann, nur dann ist es ein von Wundern erfülltes Universum. 20
Kapitel 1
„Was ist der Same?” fährt Devi fort; vom Universum kommt sie auf die Frage: „Was ist der Same?” Dies formlose, von Wundern erfüllte Universum — woher kommt es? Wo hat es seinen Ursprung? Oder hat es gar keinen Ursprung? Was ist sein Same? „ Wer hält das Rad des Alls im Gleichgewicht?” so fragt Devi. Das Rad dreht sich und dreht sich — all diese enormen Wandlungen, dies ständige Fließen! Aber wer hält es im Gleichgewicht? Wo ist die Achse, der Mittelpunkt, der ruhende Pol? Sie läßt ihm keine Zeit zu antworten ... Sie fragt immer weiter, als frage sie gar niemanden, als spräche sie zu sich selbst.
„ Was ist dies Leben jenseits von Form, das alle Form durchdrintgt? Wie können wir vollends hineingelangen? Hinaus über Raum und Zeit, Namen und Bezeichnungen? Schaffe meinem Zweifel Klarheit!” Die Betonung liegt nicht so sehr auf dem Fragen, sondern auf dem Zweifeln. „Schaffe meinem Zweifel Klarheit!” Dies ist sehr bedeutsam. Wenn du eine intellektuelle Frage stellst, fragst du nach einer definitiven Antwort, so daß dein Problem gelöst wird. Aber Devi sagt: „Schaffe meinem Zweifel Klarheit!” Sie fragt nicht wirklich um Antwort. Sie bittet um geistige Transformation; denn ein zweifelnder Sinn wird ein zweifelnder Sinn bleiben, wie auch immer die Antworten ausfallen mögen. Merkt es euch gut: ein zweifelnder Sinn bleibt ein zweifelnder Sinn. Antworten sind gleichgültig. Bekommst du eine Antwort, und du hast einen zweifelnden Geist, so wirst du sie anzweifeln. Gebe ich dir eine weitere Antwort, wirst du sie ebenfalls anzweifeln. Du hast einen zweiflerischen Geist. Ein zweiflerischer Geist — das bedeutet, daß du hinter alles ein Fragezeichen setzt. Antworten nutzen also nichts. Du fragst mich: „Wer erschuf die Welt"?, und ich sage dir: „A erschuf die Welt.” Daraufhin fragst du unweigerlich, wer A erschuf. Das wirkliche Problem lautet also nicht: Wie soll man Fragen beantworten? Das wirkliche Problem lautet: Wie soll man den zweiflerischen Geist verändern? Wie einen Geist hervorbringen, der nicht zweifelt — oder der vertrauen kann? So sagt Devi: „Schaffe meinem Zweifel Klarheit.” Noch zwei oder drei Dinge. Wer eine Frage stellt, mag aus vielerlei Gründen fragen. Einer davon mag einfach nur sein, daß 21
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du eine Bestätigung willst. Du weißt schon die Antwort; du besitzt sie bereits. Du möchtest nur bestätigt haben, daß deine Antwort richtig ist. Dann ist deine Frage falsch, unecht. Es ist keine Frage. Man kann eine Frage stellen, nicht weil man bereit ist, sich zu verändern, sondern lediglich aus Neugierde. Der Geist fragt immerzu weiter. Dem Geist kommen die Fragen so, wie dem Baum die Blätter. Das ist die eigentliche Natur des Geistes — zu fragen. Also fragt er immer weiter. Egal, was du fragst. Wirf dem Geist irgendeinen Brocken hin, er macht eine Frage daraus. Er ist eine Zerkleinerungsmaschine, die Fragen produziert. Gib ihm irgendwas: Er wird es zerstückeln und lauter Fragen produzieren. Sobald eine Frage beantwortet ist, wird er aus der Antwort viele neue Fragen herstellen. Die gesamte Geschichte der Philosophie ist nichts anderes. Bertrand Russell erinnert sich, als Kind geglaubt zu haben, daß eines Tages, wenn er reif genug wäre, die gesamte Philosophie zu verstehen, alle Fragen ausgeräumt wären. Später dann, als Achtzigjähriger, sagte er: „Jetzt kann ich sagen, daß meine Fragen bestehen blieben, so wie sie für mich als Kind bestanden.” Und viele weitere Fragen sind aufgrund dieser philosophischen Theorien entstanden. Und er sagte: „Als ichjung war, sagte ich immer, daß Philosophie ein Forschen nach endgültigen Antworten sei. Heute kann ich das nicht mehr behaupten. Es ist ein Forschen nach endlosen Fragen.” Eine Frage erzeugt eine Antwort plus viele Fragen. Der zweifelnde Geist ist das Problem. Parvati sagt: „Achte nicht auf meine Fragen. Ich habe so viele Dinge gefragt: ,Was ist deine Wirklichkeit? Was ist dies von Wundern erfüllte Universum? Was ist der Same? Wer hält das Rad des Alls im Gleichgewicht? Was ist dies Leben jenseits von Form? Wie können wir vollends hineingelangen? Hinaus über Zeit und Raum? ' - Aber achte nicht auf meine Fragen. Räume lieber meine Zweifel aus. Ich stelle die Fragen nur, weil sie in meinem Kopf sind, ich stelle sie nur, um dir zu zeigen, was in meinem Kopf vor sich geht, aber achte nicht zu sehr auf sie. Wirklich, Antworten können mich nicht befriedigen. Wonach ich verlange, ist, daß meine Zweifel sich klären.” Aber wie können die Zweifel erhellt werden? Kann irgendeine 22
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Kapitel 1
Antwort genügen? Gibt es irgendeine Antwort, die deine Zweifel klären wird? Geist ist Zweifel. Es ist nicht so, daß der Geist zweifelt. Geist ist Zweifel. Bevor sich der Geist nicht auflöst, können die Zweifel nicht ausgeräumt werden. Shiva wird antworten. Seine Antworten sind Techniken — die ältesten, die urältesten Techniken überhaupt. Aber ihr könnt sie auch die allermodernsten nennen, weil ihnen nichts mehr hinzuzufügen ist. Sie sind komplett — 112 Techniken. Mit ihnen sind alle Möglichkeiten erschöpft, alle Methoden, den Geist auszuräumen, den Geist zu überwinden. Nicht eine einzige Technik könnte Shivas 112 Techniken hinzugefügt werden! Und dieses Buch, das Vigyana Bhairava Tantra, ist fünftausend Jahre alt. Nichts ist ihm hinzuzufügen. Es besteht keine Möglichkeit, ihm noch etwas hinzuzufügen. Es ist erschöpfend, ihm fehlt nichts. Es ist das Allerälteste und doch das Modernste, Neueste. Alt wie ein Gebirge, scheinen diese Methoden ewig gültig. Und sie sind so neu wie der Tautropfen vor Sonnenaufgang — so frisch. Diese 112 Methoden der Meditation umfassen die gesamte Wissenschaft von der Transformation des Geistes. Wir werden in sie eindringen, eine nach der andern. Wir wollen zunächst versuchen, sie intellektuell zu begreifen. Aber ihr dürft euren Intellekt nur als Instrument benutzen; laßt ihn nicht den Meister sein. Benutzt ihn als Instrument, etwas zu verstehen, aber erzeugt nicht noch mehr Schranken durch ihn. Wenn wir über diese Techniken sprechen werden, dann laßt nur alles vergangene Wissen, alle Bescheidwisserei beiseite, ganz gleich, was für Informationen ihr angehäuft habt. Laßt sie beiseite. Sie sind nichts als Reisestaub in euren Kleidern. Tretet diesen Methoden mit einem frischen Geist entgegen — mit Wachheit, natürlich, aber ohne Kritik. Und kommt nicht zu dem falschen Schluß, daß ein kritischer Geist ein wacher Geist sei. Er ist es nicht. Denn sobald du ins Argumentieren kommst, hast du deine Wachheit verloren, hast du deine Bewußtheit verloren. Dann bist du nicht hier. Diese Methoden gehören keiner Religion an. Vergeßt nicht — sie sind nicht hinduistisch: genausowenig wie die Relativitätstheorie jüdisch ist, weil Einstein sie aufstellte. Und Radio und Fernsehen sind nicht christlich. Niemand sagt: „Wie, du benutzt 23
Das Buch der Geheimnisse
Elektrizität? Das machen doch nur die Christen, denn der christliche Geist hat sie entdeckt!" Die Wissenschaft gehört nicht den Rassen und Religionen an. Und Tantra ist eine Wissenschaft. Merkt euch also: Dies hier hat absolut nichts mit Hinduismus zu tun. Diese Techniken wurden von Hindus entwickelt, aber deshalb sind diese Techniken nicht hinduistisch. Deshalb werden in diesen Techniken keine religiösen Rituale erwähnt. Es ist kein Tempel für sie nötig. Du selbst bist Tempel genug. Du bist das Labor. Das ganze Experiment besteht darin, in dich hineinzugehen. Glaube ist nicht nötig. Dies ist nicht Religion. Dies ist Wissenschaft. Glaube ist nicht nötig. Es ist nicht nötig, an den Koran oder an die Veden oder an Buddha oder an Mahavir zu glauben. Nein, Glaube ist nicht nötig. Nötig ist nur eine Abenteuerlust aufs Experimentieren, ein gewisser Mut zum Experiment. Das ist das Schöne. Ein Moslem kann diese Techniken praktizieren und wird zu den tieferen Bedeutungen des Korans gelangen. Ein Hindu kann sie praktizieren und wird zum erstenmal wissen, was die Veden eigentlich sind. Und ein Jaina kann sie praktizieren, und ein Buddhist kann sie praktizieren. Sie brauchen darum ihre Religion nicht aufzugeben. Tantra wird sie erfüllen, wo immer sie sind. Tantra wird auf jedem Pfad, für den man sich entscheiden kann, hilfreich sein. Merkt es euch also gut: Tantra ist reine Wissenschaft. Du magst ein Hindu sein oder Mohammedaner oder Parse — oder was immer. Tantra rührt überhaupt nicht an deine Religion. Tantra sagt, daß Religion eine gesellschaftliche Angelegenheit ist. Gehöre also irgendeiner Religion an, gleichgültig welcher. Aber du kannst dich verwandeln, und diese Verwandlung erfordert eine wissenschaftliche Methodologie. Wenn du krank bist, wenn du krank geworden bist und Tuberkulose oder sonst etwas hast, dann macht es keinen Unterschied, ob du Hindu oder Moslem bist. Der Tuberkulose ist dein Hinduismus, ist dein mohammedanischer oder sonstiger Glaube, egal — ob politisch, gesellschaftlich oder religiös. Tuberkulose muß wissenschaftlich behandelt werden. Es gibt keine hinduistische Tuberkulose, keine islamische Tuberkulose. Du bist unwissend, du bist zerrissen, du schläfst: das ist Krankheit, eine spirituelle Krankheit. Diese Krankheit muß mit Tantra 24
Kapitel 1
behandelt werden. Wer du bist, ist gleichgültig, deine Anschauungen sind gleichgültig. Du bist nur aus Zufall irgendwo geboren worden, und ein anderer irgendwo anders. Das ist bloßer Zufall. Deine Religion ist Zufall. Klammere dich also nicht daran. Benutze ein paar wissenschaftliche Methoden, um dich zu transformieren. Tantra ist nicht sehr bekannt. Und selbst wenn es bekannt ist, wird es mißverstanden. Dafür gibt es Gründe. Je höher und reiner eine Wissenschaft, desto geringer die Möglichkeit, daß die Massen davon erfahren. Wir wissen nur vom Hörensagen, was Relativität ist, Relativitätstheorie. Es hat einmal geheißen, daß nur zwölf Menschen sie zu Einsteins Lebzeiten verstanden haben. Auf der ganzen Welt konnte nur ein Dutzend Geister sie verstehen. Sogar für Albert Einstein war es schwer, sie jemandem anders verständlich zu machen, weil sie so hoch greift. Sie geht euch über den Horizont. Aber sie ist verstehbar. Technisches, mathematisches Wissen ist nötig, Schulung ist nötig, und sie kann verstanden werden. Aber Tantra ist schwerer, weil keine Schulung helfen kann. Nur Transformation hilft. Aus diesem Grund konnte Tantra nie von den Massen verstanden werden. Und immer, wenn etwas unverständlich ist, wird es mißverstanden, denn das gibt das Gefühl: „Okay, ich verstehe.” Man kann nicht einfach im Vakuum bleiben. Und dann verachtet man auch, was man nicht versteht, denn die Unfähigkeit, etwas zu verstehen, wird als Beleidigung empfunden. Du kannst es nicht verstehen! Du?! Du kannst es nicht verstehen? Das ist unmöglich. Etwas muß an der Sache faul sein. Man fängt an, sie in den Schmutz zu ziehen. Man fängt an, dummes Zeug zu reden und hat dann das Gefühl: „Nun ist alles okay.” Tantra ist also nicht verstanden worden, Tantra ist mißverstanden worden. Es ist so tief und so hoch, daß das unvermeidlich war. Und zweitens ist der tantrische Standpunkt überhaupt amoralisch, weil Tantra über alle Dualität hinausgeht. Versteht bitte dieses Wort: moralisch, unmoralisch — amoralisch. Wir können Moral verstehen, wir können Unmoral verstehen. Aber es wird schwierig, wenn etwas amoralisch ist -jenseits von beidem. Tantra ist amoralisch. Seht es einmal so: eine Medizin ist 25
Das Buch der Geheimnisse
amoralisch, weder moralisch noch unmoralisch. Gib sie einem Dieb, und sie hilft, gib sie einem Heiligen, und sie wird helfen. Sie wird keinen Unterschied machen zwischen dem Dieb und dem Heiligen. Die Medizin kann nicht sagen: „Dieser ist ein Dieb, also werde ich ihn töten; und dieser ist ein Heiliger, also werde ich ihn heilen.” Eine Medizin ist etwas Wissenschaftliches. Ob du Dieb bist oder Heiliger, ist unwichtig. Tantra ist amoralisch. Tantra sagt, daß keine Moral nötig ist — keine bestimmte Moral. Im Gegenteil — du bist unmoralisch, weil du einen sehr gestörten Geist hast. Tantra macht es also nicht zur Voraussetzung, daß du erst moralisch werden mußt, bevor du es praktizieren kannst. Für Tantra ist das absurd. Jemand ist krank, er fiebert, und der Arzt kommt und sagt: „Werde erst dein Fieber los, werde erst ganz gesund. Nur dann kann ich dir die Medizin geben.” Aber genau das geschieht. Ein Dieb kommt zu einem Heiligen und sagt: „Ich bin ein Dieb. Sag mir wie ich meditieren kann.” Der Heilige sagt: „Gibt erst deinen Beruf auf. Wie kannst du meditieren, wenn du ein Dieb bleibst?” Ein Alkoholiker kommt und sagt: „Ich bin Alkoholiker. Wie kann ich meditieren?” Der Heilige sagt: „Die erste Bedingung ist: Gib das Trinken auf, und dann kannst du meditieren.” Die Bedingungen sind selbstmörderisch. Der Mensch ist deshalb Alkoholiker oder ein Dieb oder sonst unmoralisch, weil er einen gestörten Geist hat, einen kranken Geist, denn das sind die Auswirkungen, die Konsequenzen eines kranken Geistes. Und er bekommt zu hören: „Werde erst gesund, und dann kannst du meditieren.” Aber wer braucht dann noch Meditation? Meditation ist Arznei, Meditation ist Medizin. Tantra ist amoralisch. Es fragt dich nicht, wer du bist. Allein daß du Mensch bist, genügt. Wo immer du bist, was immer du bist, du wirst akzeptiert. Wähle eine Technik, die zu dir paßt, übe sie mit deiner ganzen Energie aus, und du wirst nicht mehr derselbe Mensch sein. Wirkliche, authentische Techniken sind immer so. Wenn ich Bedingungen stelle, beweist das, daß ich eine Pseudo-Technik habe. Ich sage: „Erst tu dies und dann tu das, und dann ...” Und es sind unmögliche Bedingungen; denn ein Dieb kann zwar die Objekte 26
Kapite11
ändern, aber er kann nicht mit dem Stehlen aufhören. Ein gieriger Mensch kann die Objekte seiner Gier wechseln, aber er kann nicht un-gierig werden. Man kann ihn zwingen, oder er kann sich selbst zur Nicht-Gier zwingen, aber das auch nur aus einer gewissen Gier heraus. Wenn ihm der Himmel versprochen wird, versucht er vielleicht, nicht-gierig zu sein. Aber das ist Gier par excellence. Das Paradies, Moksha — Befreiung, Satchitananda — Sein, Bewußtsein, Seligkeit — das sind die neuen Objekte seiner Gier. Tantra sagt, man kann den Menschen nicht verändern, es sei denn, man gibt ihm authentische Methoden, sich zu andern. Nur durch predigen ändert sich nichts. Das läßt sich in der ganzen Welt beobachten: Was immer Tantra sagt, steht überall geschrieben. Überall wird es gepredigt, überall wird moralisiert; Priester, Prediger, überall — die ganze Welt ist voll von ihnen. Und trotzdem ist alles so häßlich und so unmoralisch. Warum ist das so? Das gleiche wäre der Fall mit euren Krankenhäusern, wenn ihr sie den Priestern überlassen würdet. Sie würden hingehen und zu predigen anfangen. Und sie würden jedem kranken Menschen das Gefühl geben: „Du bist dran schuld! Du hast diese Krankheit erzeugt; jetzt sieh zu, daß sich das ändert!” Wenn den Predigern die Krankenhäuser überlassen würden, was wäre dann die Situation in den Krankenhäusern? Genau die gleiche Situation wie in der ganzen Welt. Prediger predigen immer nur. Sie sagen den Leuten dauernd: „Seid nicht wütend!” — ohne ihnen zu sagen, wie! Und wir haben diese Belehrungen schon so oft gehört, daß wir nicht einmal darauf kommen zu fragen: „Was sagst du da? Ich bin wütend, und du sagst einfach: Sei nicht wütend!` Wie denn? Wenn ich wütend bin, heißt das, daß ich Wut bin, und du sagst einfach so: Sei nicht wütend!` Auf diese Art kann ich mich nur unterdrücken.” Aber das erzeugt nur noch mehr Wut. Das erzeugt Schuldgefühle. Denn wenn du versuchst, dich zu ändern, und es gelingt dir nicht, bekommst du Minderwertigkeitskomplexe. Du bekommst Schuldgefühle, weil es dir nicht gelingt. Du kannst deine Wut nicht besiegen; niemand kann das! Man braucht gewisse Waffen, man braucht gewisse Techniken, denn deine Wut ist nur 27
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ein Symptom für einen gestörten Geist. Verändere den gestörten Geist, und das Symptom wird sich ändern. Die Wut zeigt nur an, was innen ist. Ändere das Innere, und das Äußere wird sich ändern. Tantra hat also nichts mit eurer sogenannten Moral zu tun. Wirklich, es ist hinterhältig und degradierend, Moral zu fordern. Es ist unmenschlich. Wenn mich jemand aufsucht, und ich sage: „Gib erst die Wut auf, gib erst den Sex auf, gib erst dies und das auf”, dann bin ich unmenschlich. Es ist unmöglich, das zu tun. Und diese Unmöglichkeit läßt in dem Betreffenden Selbstverachtung entstehen. Er fängt an, sich unterlegen zu fühlen. Er degradiert sich innerlich selbst. Und wenn er das Unmögliche versucht, wird er zu einem Versager. Und wenn er versagt, ist er überzeugt, ein Sünder zu sein. Die Prediger haben der ganzen Welt eingeredet, daß „ihr allesamt Sünder seid”. Das ist gut für sie, denn wenn ihr nicht davon überzeugt seid, kann ihr Geschäft nicht weitergehen. Ihr müßt Sünder sein, nur dann können die Kirchen, Tempel und Moscheen weiterflorieren. Eure Sündhaftigkeit ist für sie „Hochsaison”. Eure Schuldgefühle sind das Fundament der allerhöchsten Kirchen. Je schuldiger ihr seid, desto höher schießen die Kirchen in den Himmel. Sie sind auf eure Schuld gebaut, auf eure Sünden, auf eure Minderwertigkeitskomplexe. Und so haben sie eine minderwertige Menschheit geschaffen. I m Tantra geht es nicht um eure sogenannte Moralität, um Gesellschaftsformen und dergleichen. Was nicht bedeutet, daß Tantra sagt: Seid unmoralisch — absolut nicht! Tantra kümmert sich so wenig um Moral, daß es euch nicht einmal sagen könnte: Seid unmoralisch! Tantra gibt euch wissenschaftliche Techniken, wie man den Geist verändert. Und ist der Geist erst einmal anders, wird auch dein Charakter anders sein. Ändert sich erst einmal die Basis deines Bauplans, ändert sich damit dein ganzes Gebäude. Aufgrund dieser amoralischen Auffassung konnten eure Scheinheiligen Tantra nicht ertragen. Sie alle richten sich gegen Tantra, denn sollte es sich durchsetzen, dann hat der ganze Unfug, der im Namen von Religion getrieben wird, doch ein Ende. Seht es ganz klar: Das Christentum hat sich gegen den wissen28
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schaftlichen Fortschritt ausgesprochen gewehrt. Warum? Allein deswegen, weil bei einem wissenschaftlichen Fortschritt in der materiellen Welt die Zeit nicht mehr fern ist, wo die Wissenschaft auch in den psychologischen und spirituellen Bereich eindringen wird. Also kämpfte das Christentum gegen den wissenschaftlichen Fortschritt an; denn wenn bekannt wird, daß man die Materie durch Technik verändern kann, ist die Zeit nicht mehr fern, wo bekannt wird, wie auch der Geist durch Technik verändert werden kann — denn Geist ist nichts anderes als subtile Materie. Das ist der Ausgangspunkt von Tantra: daß der Geist nichts anderes ist als feiner Stoff. Er ist veränderbar. Und hat sich erst einmal der Geist verändert, dann hat sich die ganze Welt verändert. Denn du siehst durch den Geist. Die Welt, die du siehst, siehst du aufgrund einer bestimmten geistigen Form. Verändere den Geist und schau hin: Die Welt hat sich verändert. Und wenn gar kein Geist mehr da ist, so ist das für Tantra das Höchste: einen Zustand herbeizuführen, wo es keinen Geist mehr gibt. Dann schaust du auf die Welt ohne Vermittler. Wenn der Vermittler nicht mehr da ist, begegnest du dem Wirklichen, weil nun niemand mehr zwischen dir und dem Wi rklichen ist. Nun kann nichts mehr verzerrt werden. Tantra nennt also den Zustand, wo kein Geist mehr da ist, den Zustand eines Bhairava, den Zustand des Nicht-Geistes. Zum erstenmal siehst du auf die Welt, auf das, was ist. Solange du einen Geist hast, hörst du nicht auf, eine Welt zu erschaffen, hörst du nicht auf, zu vergewaltigen, zu projizieren. Ändere also zuerst den Geist und geh dann vom Geist zum Nicht-Geist über. Und diese 112 Methoden können jedem und allen helfen. Diese oder jene Methode mag nichts für dich sein. Darum führt Shiva so viele Methoden vor. Suche dir eine bestimmte Methode aus, die zu dir paßt. Es ist nicht schwer, herauszufinden, welche zu dir paßt. Wir wollen versuchen, jede Methode zu verstehen, und wie ihr diejenige Methode auswählen könnt, die euch und euren Geist verändern kann. Dies Verständnis, dies intellektuelle Verständnis, wird eine Grundvoraussetzung sein, aber es ist nicht das Ziel. probiert alles aus, worüber ich hier sprechen werde. Wirklich, wenn man die richtige Methode ausprobiert, rastet 29
Das Buch der Geheimnisse
sie augenblicklich ein. Ich werde also hier jeden Tag über Methoden sprechen. Probiert sie aus. Spielt einfach mit ihnen: Geht nach Hause und probiert sie aus. Die richtige Methode wird, sobald man auf sie stößt, einfach einrasten. Etwas in dir explodiert, und du weißt: Das ist für mich die richtige Methode. Aber es gehört Anstrengung dazu, und eines Tages magst du überrascht feststellen, daß dich plötzlich eine bestimmte Methode erfaßt hat. Während ich also hier sprechen werde, spielt ihr parallel dazu mit diesen Methoden. Ich sage „spielt”, denn ihr dürft nicht allzu ernst dabei sein. Spielt einfach! Etwas paßt vielleicht zu dir. Wenn es zu dir paßt, dann nimm es ernst, dann geh tief hinein, intensiv, ehrlich, mit deiner ganzen Energie, mit deiner ganzen Geisteskraft. Aber vorher spielt einfach nur. Ich habe beobachtet, daß euer Geist offener ist, wenn ihr spielt. Wenn ihr ernst seid, ist euer Geist weniger offen. Er ist verschlossen. Spielt also nur. Seid nicht zu ernst: spielt nur. Und diese Methoden sind einfach. Ihr könnt mit ihnen spielen. Nehmt eine Methode und spielt damit wenigstens drei Tage lang. Wenn sie in euch Anklang findet, entsteht in euch ein gewisses Wohlgefühl. Wenn sie euch das Gefühl gibt, daß dies das Richtige für euch ist, dann nehmt es ernst. Dann vergeßt all die andern; spielt nicht mehr mit anderen Methoden. Bleibt bei dieser — zumindest drei Monate lang. Es können Wunder geschehen. Es kommt einzig und allein darauf an, daß die Technik zu dir paßt. Wenn die Technik nichts für dich ist, dann passiert nichts. Dann kannst du über viele Leben hin damit weitermachen, ohne daß etwas passiert. Wenn die Methode zu dir paßt, sind sogar drei Minuten schon genug. Diese 112 Methoden können also eine wunderbare Erfahrung für euch werden; es kann aber auch beim bloßen Zuhören bleiben. Das kommt auf euch an. Ich werde alle Methoden unter allen möglichen Gesichtspunkten beschreiben, eine nach der andern. Wenn ihr eine bestimmte Verwandtschaft mit einer von ihnen spürt, dann spielt drei Tage lang mit ihr: danach laßt es sein. Habt ihr das Gefühl, daß sie paßt, daß etwas in euch einrastet, dann macht damit drei Monate lang weiter. Das Leben ist ein Wunder. Wenn ihr sein Mysterium noch nicht erfahren habt, 30
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dann zeigt das nur, daß ihr die Technik noch nicht kennt, wie ihr ihm näherkommen könnt. Shiva stellt 112 Methoden vor. Das sind alle Methoden, die es gibt. Wenn keine einrastet, und keine dir das Gefühl gibt, das Richtige für dich zu sein, dann bleibt nichts mehr übrig. Vergeßt das nicht. Dann kannst du die Spiritualität vergessen und so glücklich sein. Dann ist sie nichts für dich. Aber diese 112 Methoden gelten für die gesamte Menschheit; für alle Zeitalter, die vergangen sind, und für alle Zeitalter, die noch kommen werden. Zu keiner Zeit hat es auch nur einen Menschen gegeben, und es wird auch nie einen geben, der sagen könnte: „Diese 112 Methoden sind allesamt nichts für mich.” Unmöglich! Das ist unmöglich. Jeder Typus ist berücksichtigt worden. Jedem nur denkbaren Typus wird in Tantra eine Technik gegeben. Es gibt viele Methoden, für die es noch gar keinen Menschen gibt: sie sind für die Zukunft. Es gibt viele Methoden, für die es heute keinen Menschen mehr gibt: Sie galten für die Vergangenheit. Aber habt keine Angst. Es gibt viele Methoden, die für euch da sind. Morgen beginnen wir also mit dieser Reise.
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Der Weg des. Yoga und der Weg des Tantra
[Fragen]
Es sind viele Fragen gestellt worden. Die erste: Was ist der Unterschied zwischen traditionellem Yoga und Tantra? Ist es das gleiche?
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Tantra und Yoga unterscheiden sich grundsätzlich. Beide führen zum gleichen Ziel, aber ihre Wege sind nicht nur verschieden, sondern entgegengesetzt. Das muß also ganz klar verstanden werden. Auch Yoga ist eine Methodologie, eine Technik, und keine Philosophie. Wie Tantra beruht auch Yoga auf Handeln, Methode, Technik. Auch im Yoga führt das Tun zum Sein, nur ist der Prozeß hier anders. Im Yoga muß man kämpfen; Yoga ist der Weg des Kriegers. Auf dem Weg des Tantra kommt Kämpfen überhaupt nicht in Frage. Im Gegenteil, hier muß man alles zulassen — mit Bewußtheit. Yoga ist Unterdrückung mit Bewußtheit: Tantra ist Zulassen mit Bewußtheit. Tantra sagt: Was du bist, das Höchste ist nicht gegen dich. Alles ist Wachstum: Du kannst zum Höchsten heranwachsen. Zwischen dir und der Wirklichkeit besteht kein Gegensatz. Du gehörst zu dir. Es ist also kein Kampf nötig, kein Konflikt, keine Auseinandersetzung mit der Natur. Du mußt die Natur nutzen; du mußt alles nutzen, was du bist, um es zu transzendieren. I m Yoga mußt du gegen dich ankämpfen, um über dich hinauszuwachsen. Im Yoga sind Welt und Moksha — das, was du bist, und das, was du sein kannst — zwei entgegengesetzte Dinge. Unterdrücke, bekämpfe, vernichte das, was du bist, auf daß du wirst, was du sein kannst. Transzendieren bedeutet im Yoga Tod: Du mußt sterben, damit dein wahres Wesen geboren werden kann. In den Augen von Tantra ist Yoga ein endgültiger Selbstmord. Du mußt dein natürliches Selbst töten — deinen Körper, deine Instinkte, deine Wünsche, alles. Tantra sagt: Akzeptiere dich so, wie du bist. Es ist ein tiefes Ja-Sagen. Schaffe keine Kluft zwischen dir und dem Wirklichen, zwischen Welt und Nirvana. Schaffe keine Kluft. Für Tantra ist keine Kluft da. Kein Tod ist nötig. Zur Neugeburt ist kein Tod nötig, sondern Transzendenz. Und um transzendieren zu können, mußt du von dir selbst Gebrauch machen. Zum Beispiel vom Sex, der elementaren Energie, durch die du geboren wurdest, mit der du geboren wirst. Die Zellen, aus denen du bestehst, sind im Grunde sexuell: daher kreisen die Gedanken des Menschen immer um den Sex. Im Yoga mußt du gegen diese 34
Kapitel 2
Energie ankämpfen, und durch diesen Kampf entsteht ein anderes Zentrum in dir. Je mehr du kämpfst, desto mehr kristallisiert sich in dir ein neues Zentrum heraus. Der Sex ist nun nicht mehr dein Zentrum; dein Kampf gegen den Sex — freilich bewußt — erzeugt in dir ein neues Daseinszentrum, eine Gewichtsverschiebung, einen neuen Kristallisationspunkt. Dann ist deine Energie nicht mehr sexuell, sondern du transformierst sie zu Kampf gegen den Sex. Eine andere Energie entsteht, und damit ein anderes Daseinszentrum. Für Tantra mußt du deine Sexenergie nutzen. Bekämpfe sie nicht, verfeinere sie. Denke nicht in Begriffen von Feindschaft, freunde dich mit ihr an. Es ist deine Energie. Sie ist nicht böse, sie ist nicht schlecht. Jede Energie ist einfach natürlich. Sie kann für und sie kann gegen dich genutzt werden. Du kannst einen Block daraus machen, eine Schranke, oder du kannst eine Stufe daraus machen. Sie kann genutzt werden. Richtig genutzt, wird sie dein Freund: falsch genutzt, wird sie dein Feind. Aber in Wirklichkeit ist sie weder-noch. Energie ist einfach natürlich. Aber so, wie der gewöhnliche Mensch mit dem Sex umgeht, macht er sich ihn zum Feind, der ihn zerstört. Man reibt sich einfach damit auf. Yoga hat den Gegenstandpunkt eingenommen. Gewöhnlich zerstört man sich durch seine Triebe — also sagt Yoga: Hör mit dem Begehren auf. Sei begierdelos. Bekämpfe die Begierde und integriere dich, bis du wunschlos bist. Tantra sagt: Mach dir deine Begierde bewußt, ohne sie zu bekämpfen. Geh voll bewußt in die Begierde hinein, dann gehst du über sie hinaus. Du bist in ihr und doch nicht in ihr. Du gehst hindurch, bleibst aber außerhalb. Yoga zieht deshalb so an, weil es der üblichen Einstellung genau widerspricht: und gerade darum kann der gewöhnliche Verstand die Sprache von Yoga verstehen. Du weißt, wie der Sex dich seit jeher zerstört, wie sich alles um ihn dreht, als wärest du sein Sklave, seine Marionette. Du weißt das aus eigener Erfahrung. Wenn Yoga also sagt: „Kämpfe dagegen an! ”, verstehst du diese Sprache sofort. Das ist der Reiz, der vordergründige Reiz des Yoga. Tantra ist nicht so attraktiv. Tantra scheint problematisch: Wie 35
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kann man den Trieb zulassen, ohne von ihm überwältigt zu werden? Wie kann man im Sexakt bewußt sein, ganz und gar wach? Das macht Angst. Das scheint gefährlich. Nicht, daß es gefährlich ist, aber nach allem, was du vom Sex weißt, kommt dir das gefährlich vor. Du kennst dich, du weißt, wie du dich täuschen kannst. Du weißt sehr genau, wie listig du bist. Du kannst dich auf ein Verlangen einlassen — auf Sex, auf alles mögliche — und dir dabei selber vormachen, daß du es mit voller Bewußtheit tust. Darum scheint es gefährlich. Die Gefahr liegt nicht im Tantra, die Gefahr liegt in dir. Und der Reiz des Yoga kommt auch aus dir, aus deiner gewöhnlichen Einstellung, deiner sex-verdrängten, sex-ausgehungerten, sexüberfluteten Einstellung. Yoga reizt, weil die übliche Einstellung zum Sex ungesund ist. Wäre die Menschheit besser dran und wäre sie sexuell gesund, ganz natürlich, ganz normal, dann läge der Fall anders. Wir sind nicht natürlich, wir sind nicht normal. Wir sind absolut anormal, ungesund, ja geradezu geisteskrank. Aber weil alle andern auch so sind, merken wir es nicht. Unsere Geisteskrankheit ist so normal, daß es eher anormal ist, wenn eir mal nicht geisteskrank ist. Ein Buddha ist für uns anormal, ein Jesus ist für uns anormal. Solche Leute gehören nicht zu uns. Unsere „Normalität” ist eine Krankheit, und gerade sie macht Yoga so anziehend. Sobald ihr den Sex natürlich nehmen könnt, ohne ihn mit Philosophie zu verbrämen, ohne Ideologie für oder wider, sobald ihr den Sex so nehmen könnt wie eure Hände, eure Augen, genauso selbstverständlich, dann wird Tantra interessant. Und nur dann kann Tantra vielen helfen. Aber Tantra ist irn Kommen. Früher oder später wird Tantra in den Massen explodieren, denn zum erstenmal ist die Zeit reif — reif dafür, den Sex ganz natürlich zu nehmen. Vermutlich wird diese Explosion aus dem Westen kommen, denn Freud, Jung und Reich haben ihr den Boden bereitet. Sie wußten nichts von Tantra, aber sie haben den richtigen Boden bestellt, auf dem Tantra gedeihen kann. Die westliche Psychologie ist zu dem Schluß gekommen, daß die grundsätzliche Krankheit des Menschen irgendwie mit dem Sex zu tun hat, daß die grundsätzliche Gestörtheit des Menschen seine Sexfixiertheit ist. 36
Kapitel 2
Erst also wenn sich diese Sexorientiertheit aufgelöst hat, kann der Mensch natürlich und normal sein. Der Mensch ist nur wegen seiner Einstellung zum Sex durcheinander geraten. Du brauchst aber überhaupt keine Einstellung zu haben – erst dann bist du natürlich. Hast du eine Einstellung zu deinen Augen? Sind sie böse oder göttlich? Bist du für oder gegen die Augen? Da hast du keine Einstellung! Und genau darum sind deine Augen normal. Nehmt einmal an, die Augen seien böse. Dann wird das Sehen problematisch. Dann gewinnt das Sehen die gleiche Problematik wie bisher der Sex. Dann würdet ihr plötzlich sehen wollen, würdet euch danach sehnen und euch, wenn ihr es tätet, schuldig fühlen! Jedesmal bekämt ihr Schuldgefühle, denn ihr hättet etwas Schlimmes getan, eine Sünde begangen. Am liebsten würdet ihr euch eure Seh-Instrumente ausreißen, eure Augen ausstechen. Und je mehr ihr gegen sie wüten würdet, desto mehr würden sie ins Zentrum rücken. Und so begänne ein ganz absurder Teufelskreis: ihr würdet immer mehr sehen wollen und euch gleichzeitig immer schuldiger fühlen. Das ist es, was mit dem Sex passiert ist. Tantra sagt: Akzeptiere dich, egal was du bist. Dies ist die Grundnote: totales Akzeptieren. Und nur durch totales Akzeptieren kannst du wachsen. Nutze also jede deiner Energien. Wie kannst du das? Erst akzeptiere sie; dann finde heraus, was diese Energien sind, was Sex ist, was es mit diesem Phänomen auf sich hat. Wir sind nicht damit vertraut. Wir wissen über den Sex, was uns andere erzählt haben; wir mögen zwar den Sexakt kennen, aber wir tun es meist mit Schuldgefühlen, verklemmt, in aller Eile. Etwas, das man schleunigst hinter sich bringt. Der Sexakt ist für euch kein Akt der Liebe. Er macht euch nicht glücklich, aber sein lassen könnt ihr ' s auch nicht. Je mehr ihr ihm ausweichen wollt, desto attraktiver wird Sex. Je mehr ihr ihn ablehnt, desto mehr zieht er euch an. Ihr könnt den Sex nicht aus der Welt schaffen .; aber mit dieser feindseligen Haltung, dieser Vernichtungswut, zerstört ihr genau die Geistigkeit, die Bewußtheit, die Empfindsamkeit, die allein zu einem Verständnis führen könnte. So macht ihr ohne jede Sensibilität weiter, ohne jedes Verständnis. Nur eine tiefe Sensibilität 37
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kann verstehen, nur eine tiefe Einfühlung, nur ein tiefes Mitgehen kann überhaupt verstehen. Du kannst den Sex nur verstehen, wenn du in ihn hineingehst, so wie ein Dichter einen Blumengarten betritt — nur so. Wenn dir die Blumen Schuldgefühle machen, dann gehst du zwar durch den Garten, aber tust es mit geschlossenen Augen und wie von einer tiefen, wahnsinnigen Hast getrieben. Nur raus aus dem Garten! Wie kann man da bewußt bleiben? Tantra sagt also, akzeptiere dich, egal was du bist. Du bist ein vielschichtiges Mysterium: Akzeptiere alles und gehe mit jeder Energie mit, in tiefer Sensibilität, Bewußtheit, Liebe, Einsicht. Folge ihr! Dann wird jedes Verlangen zum Vehikel, das über sich selbst hinausführt. Dann wird dir jede Energie zur Hilfe. Und dann ist genau diese Welt das Nirvana, dann ist genau dieser Körper der Tempel — ein Heiligtum, eine heilige Stätte. Yoga ist Verneinung; Tantra ist Bejahung. Yoga denkt dualistisch: daher das Wort „Yoga”, welches bedeutet: „zwei Dinge werden zusammengefügt”, „zwei Dinge unter einem Joch”. Diese Zweiheit, diese Dualität bleibt immer bestehen. Für Tantra gibt es überhaupt keine Dualität. Wenn Dualität existiert, können die zwei Seiten nie zusammenkommen; was man auch anstellt, sie werden zweierlei bleiben, und so geht der Zwist weiter, der Dualismus bleibt bestehen. Wenn Welt und Gott zweierlei sind, können sie nie zusammen kommen. Nur wenn sie in Wirklichkeit nicht zwei sind, sondern nur so erscheinen, können sie auch vereint werden. Wenn Körper und Seele zwei sind, können sie nicht zusammenkommen. Wenn du und Gott zweierlei seid, könnt ihr nie vereint sein, sondern müßt entzweit bleiben. Für Tantra gibt es Dualität nicht — oder allenfalls als Schein. Warum also den Schein verstärken? Tantra fragt: Warum diesen Schein der Dualität noch fördern? Löst ihn jetzt gleich auf! Seid eins! Im Akzeptieren wirst du eins, nicht durch Kampf. Akzeptiere die Welt, akzeptiere den Körper, akzeptiere alles, was in ihm wohnt. Stelle kein anderes Zentrum in dir her, denn für Tantra ist dies andere Zentrum nichts weiter als das Ego. Für Tantra, vergeßt das nicht, ist es nichts als das Ego. Bau kein Ego auf. Sei dir ledig 38
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lich bewußt, was du bist. Wenn du kämpfst, kommt Ego auf. Daher gibt es kaum einen Yogi, der kein Egoist wäre. Kaum möglich! Die Yogis mögen noch so viel von Egolosigkeit reden, aber sie können nicht egolos sein. Ihre Methode selbst produziert Ego. Kampf ist ihre Methode. Wer kämpft, schafft zwangsläufig Ego. Und je mehr man kämpft, desto stärker wird das Ego. Und gewinnt man den Kampf gar, dann bekommt man das größte Ego überhaupt. Tantra sagt: Kämpfe nicht! So hat das Ego keine Chance. Wenn wir Tantra verstehen wollen, tauchen viele Probleme auf: denn für uns bedeutet Kampflosigkeit soviel wie Gehenlassen. Kein Kampf, das heißt für uns Zügellosigkeit. Das macht uns Angst. Leben für Leben haben wir lässig dahingelebt, und es hat uns nichts eingebracht. Aber das tantrische Gehenlassen ist nicht unser Gehenlassen. Tantra sagt: Laß dich gehen, aber bewußt. Du bist zum Beispiel wütend. Tantra sagt nun nicht, daß du nicht wütend sein darfst. Tantra sagt, sei aus vollem Herzen wütend, aber sei bewußt dabei. Tantra ist nicht gegen Wut. Tantra ist nur gegen spirituelle Verschlafenheit, spirituelle Unbewußtheit. Sei bewußt und sei wütend. Und dies ist das Geheimnis seiner Methode: daß die Wut durch deine Bewußtheit transformiert wird — sie wird zu Mitgefühl. Tantra sagt also, daß die Wut nicht dein Feind ist. Sie ist Mitgefühl im Keim. Die gleiche Wut, die gleiche Energie, wird zu Mitgefühl. Wenn du gegen sie ankämpfst, hat das Mitgefühl keine Chance. Wenn du sie also mit Erfolg bekämpfst und unterdrückst, bist du ein toter Mann. Es ist zwar keine Wut mehr da — denn du hast sie unterdrückt —, aber es ist auch kein Mitgefühl möglich, weil Mitgefühl nur aus der Wut entstehen kann. Wenn du dich erfolgreich unterdrückst — was unmöglich ist! —, dann ist kein Sex mehr da, aber auch keine Liebe, denn wo der Sex tot ist, ist keine Energie da, die zu Liebe werden könnte. Du wirst also sexlos sein, aber auch ohne Liebe. Und dann ist alles sinnlos, denn ohne Liebe gibt es keine Göttlichkeit, ohne Liebe gibt es keine Erlösung, und ohne Liebe gibt es auch keine Freiheit. Tantra sagt, daß man gerade diese Energien verwandeln muß. Man kann es auch so sagen: Wenn du gegen die Welt bist, dann 39
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gibt es kein Nirvana, weil genau diese Welt zu Nirvana umgewandelt wird. Dann bist du gegen die elementaren Energien, die die Quelle sind. Die tantrische Alchemie sagt also: Kämpfe nicht. Befreunde dich mit allen Energien, die dir geschenkt wurden. Heiße sie willkommen. Sei der Wut, dem Sex, der Gier dankbar. Sei dankbar dafür, denn dies sind deine versteckten Quellen. Sie könnten transformiert, sie können erschlossen werden. Und wird der Sex transformiert, wird Liebe daraus. Das Gift darin, das Häßliche ist fort. Die Saatform ist häßlich, aber wenn sie sich regt, keimt und aufblüht, entsteht Schönheit. Wirf nicht die Samenkörner fort, denn damit wirfst du auch die Blumen fort, die in ihnen stecken. Sie sind zwar noch nicht da, haben sich noch nicht gezeigt; sie sind noch nicht sichtbar, noch nicht manifest, aber da sind sie. Nutze den Samen, damit du in den Genuß der Blumen kommst. Fang also mit dem Akzeptieren an, mit Einfühlsamkeit, Verständnis und Wachheit. Dann kannst du dich gehenlassen. Noch etwas — etwas wirklich sehr Merkwürdiges, aber dies ist eine der tiefsten Einsichten im Tantra — daß nämlich alles, was du für deinen Feind hältst, Gier, Wut, Sex oder was immer, nur durch deine feindliche Einstellung zum Feind wird. Nimm sie als göttliche Gaben und geh sie mit einem sehr dankbaren Herzen an. Zum Beispiel hat Tantra viele Techniken für die Transformation der Sexenergie entwickelt. Geh in den Sexakt hinein, als beträtest du den Tempel Gottes. Nimm den Sexakt als Gebet, als Meditation. Empfinde seine Heiligkeit. Das ist der Grund, warum in Khajuraho, warum in Puri, in Konark jeder Tempel Maithun-Skulpturen hat. Die Darstellung des Sexaktes an den Wänden von Tempeln? — das wirkt obszön, vor allem für Christen, Mohammedaner und Jainas. Nicht zu glauben, absurd! Was hat ein Tempel mit Maithun-Darstellungen zu tun? An den Außenwänden der Khajuraho Tempel ist jede erdenkliche Spielart des Sexaktes in Stein dargestellt. Warum? Die Christen könnten sich keine Kirchenwand mit Khajuraho-Skulpturen vorstellen. Nicht auszudenken! Die Hindus haben heute auch Schuldgefühle, denn die Vor40
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stellungswelt der modernen Hindus ist von den Christen geprägt worden. Sie sind „Hindu-Christen”, und das ist schlimm; Christ zu sein, das geht noch an, aber ein Hindu-Christ zu sein ist einfach krank. Sie haben Schuldgefühle! Ein führender Hindu, Purshottamdas Tandon, hat sogar angeregt, diese Tempel zu zerstören, da sie nicht „zu uns” gehörten. Und wirklich, sie scheinen nicht zu uns zu gehören, denn Tantra ist schon lange, schon seit Jahrhunderten, aus unserem Herzen verbannt. Tantra war nicht die Hauptströmung. Yoga war die Hauptströmung, und für Yoga ist Khajuraho unvorstellbar: es muß zerstört werden. Tantra sagt: Gehe in den Sexakt hinein wie in einen heiligen Tempel — und also haben sie den Sexakt auch in ihren heiligen Tempeln dargestellt. Mit andern Worten: Wenn du in den Sexakt hineingehst wie in einen heiligen Tempel, muß auch der Sex zugegen sein, wenn du einen heiligen Tempel betrittst: so wird beides miteinander verbunden, assoziiert. Nur so kannst du ahnen, daß die Welt und das Göttliche nicht zwei widerstreitende Elemente sind, sondern eins. Sie schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sind polare Gegensätze, die einander ergänzen und nur aus dieser Polarität heraus existieren können. Geht die Polarität verloren, geht die ganze Welt verloren. Seht die tiefe Einheit, die alles erfaßt, seht nicht nur die Einzelpole. Seht den Strom, der innen fließt und sie zu Einem macht. Im Tantra ist alles heilig. Denkt daran: Im Tantra ist alles heilig; nichts ist ihm unheilig. Man kann es auch so sagen: dem unreligiösen Menschen ist nichts heilig; dem sogenannten religiösen Menschen ist das eine heilig und das andere nicht: und im Tantra ist alles heili g. Vor ein paar Tagen war ein christlicher Missionar bei mir; er sagte: „Gott hat die Welt erschaffen.” Ich fragte: „Wer erschuf die Sünde?” Er sagte: „Der Teufel.” Ich fragte: „Wer schuf den Teufel?” Da wußte er nicht weiter. Er sagte: „Natürlich Gott; Gott erschuf den Teufel!” Der Teufel erschafft die Sünde, und Gott erschafft den Teufel: Wer ist also der Schuldige? Der Teufel oder Gott? Aber das dualistische Konzept führt immer zu solchen Absurditäten. Für Tantra sind Gott und Teufel nicht zwei. Wirklich, für Tantra gibt es 41
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nichts, das „Teufel” genannt werden könnte: alles ist göttlich, alles ist heilig. Und das scheint der richtige Standpunkt zu sein, der tiefgehendste. Denn sollte irgend etwas auf dieser Welt unheilig sein, woher kommt es dann und wie kann es überhaupt existieren? Es gibt also zwei Alternativen. Erstens die des Atheisten, der sagt: Alles ist unheilig. Das ist okay; er ist ein Nicht-Dualist, er sieht nichts Heiliges in der Welt. Und es gibt die Alternative des Tantrikers, der sagt: Alles ist heilig. Auch er ist ein Nicht-Dualist. Aber die sogenannten religiösen Leute dazwischen sind nicht wirklich religiös. Sie sind weder religiös noch areligiös, weil sie i mmer im Zwiespalt leben. Und ihre ganze Theologie dient nur dazu, die Widersprüche zu vereinen – aber diese Widersprüche lassen sich nicht vereinen. Ist auch nur eine einzige Zelle, ein einziges Atom in diesem Universum ungöttlich, dann wird die ganze Welt damit ungöttlich: denn wie kann dies ungöttliche Atom in einer göttlichen Welt existieren? Wie kann es überhaupt da sein? Alles trägt es; um da sein zu können, muß es von allem getragen werden. Und wenn dies ungöttliche Element auf all die göttlichen Elemente angewiesen ist, wo liegt dann der Unterschied zwischen ihm und ihnen? Entweder ist die Welt also restlos göttlich – ohne Ausnahme –, oder sie ist ungöttlich. Es gibt keinen Mittelweg. Tantra sagt, daß alles heilig ist; darum ist Tantra uns so fremd. Tantra ist der tiefste nicht-dualistische Standpunkt, den es gibt – sofern man es noch einen Standpunkt nennen kann. Es ist keiner, denn jeder Standpunkt ist zwangsläufig dualistisch. Tantra ist gegen nichts gerichtet, ist also auch kein Standpunkt mehr. Tantra ist gefühlte Einheit, gelebte Einheit. Dies sind also die beiden Wege -- Yoga und Tantra. Tantra zieht deshalb weniger an, weil wir so verkrüppelt sind. Aber sobald der Mensch innerlich gesund wird und nicht mehr chaotisch ist, gewinnt Tantra seine Schönheit zurück. Nur so ein Mensch kann verstehen, was Tantra ist. Die Attraktion von Yoga liegt an unserer verworrenen Einstellung. Vergeßt nie: Es ist letztlich immer der Kopf, der etwas attraktiv und unattraktiv macht. Du selbst bist der entscheidende Faktor. Die Ansätze unterscheiden sich. Ich sage nicht, daß man durch .42
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Yoga nicht auch ankommen kann. Man kann auch durch Yoga ankommen, aber nicht durch das modische Yoga. Das heute übliche Yoga ist in Wirklichkeit kein Yoga, sondern das, was kranke Gemüter daraus gemacht haben. Yoga kann als authentischer Weg zum Allerhöchsten führen, aber auch nur dann, wenn deine Einstellung gesund ist, wenn du keine krankhafte und verkrüppelte Einstellung hast. Dann wird Yoga zu etwas ganz anderem. Mahavir zum Beispiel ging den Weg des Yoga, aber er unterdrückte den Sex nicht. Er hatte ihn kennengelernt, er hatte ihn durchlebt, er war tief mit ihm vertraut. Aber Sex wurde sinnlos, also ließ er ihn sein. Buddha ging den Weg des Yoga, aber er hat gelebt, er war tief mit der Welt vertraut. Er kämpfte nicht gegen sie an. Was du erfahren hast, davon bist du frei. Es fällt ab wie welkes Laub. Das ist nicht Entsagung; mit Kampf hat das nichts zu tun. Seht Buddhas Gesicht: Es ist nicht das Gesicht eines Kämpfers. Er hat keinen Kampf hinter sich. Er ist so entspannt! Sein Gesicht ist geradezu der Inbegriff der Entspannung: konfliktlos. Seht euch eure Yogis an: Kampf ist ihnen ins Gesicht geschrieben. In ihnen herrscht Aufruhr. Sie sitzen auf Vulkanen. Seht ihnen in die Augen, ins Gesicht, und ihr werdet es spüren. Sie haben all ihre Krankheiten rief unterdrückt, nicht transzendiert. In einer gesunden Welt in der jeder authentisch lebt, individuell und ohne andere nachzuahmen, jeder auf eigene Weise, sind beide Wege möglich. Dann könnt ihr jene tiefe Sensibilität erfahren, die über jedes Verlangen hinausgeht: ihr kommt an den Punkt, wo alles Verlangen unsinnig wird und abfällt. Auch Yoga kann ein Weg dahin sein, aber das nur in einer Welt, in der auch Tantra möglich ist — vergeßt das nicht. Wir brauchen eine gesunde Einstellung, einen natürlichen Menschen. Für so eine Welt, für so einen Menschen, können sowohl Tantra wie Yoga zur Transzendenz der Wünsche führen. Für unsere sogenannte kranke Gesellschaft sind weder Yoga noch Tantra ein Weg, denn wenn wir Yoga wählen, dann nicht, weil wir über unsere Begierden hinaus sind ... nein! Sie sind sehr wohl noch da: sie gehen nicht von selbst weg. Wir verdrängen sie einfach. 43
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Yoga wird so zu einer Technik der Unterdrückung. Und wählen wir Tantra, dann aus Berechnung, aus dem Wahn heraus, uns nun austoben zu können. Weder Yoga noch Tantra bringen also etwas, solange wir geisteskrank sind. Beides führt zu Illusionen. Eine gesunde Einstellung, vor allem zur Sexualität, ist die Voraussetzung. Danach ist es nicht weiter schwierig, sich seinen Weg zu wählen. Yoga oder Tantra — beides ist recht. Es gibt zwei Typen von Menschen — grundsätzlich den männlichen und den weiblichen Typ; ich meine das nicht biologisch, sondern psychologisch. Für die, deren Psychologie im wesentlichen männlich ist — aggressiv, gewaltsam, extrovertiert -, ist Yoga der Weg. Für diejenigen, die im wesentlichen feminin sind — empfänglich, passiv, nicht-gewalttätig —, ist Tantra der Weg. Merkt es euch so: für Tantra ist die Urmutter, sind Kali, Tara und all die Devis, Bhairavis (weibliche Gottheiten) zentral wichtig. Im Yoga stößt man nirgends auf den Namen einer weiblichen Gottheit. Tantra hat weibliche Gottheiten, Yoga hat männliche Götter. Yoga ist nach außen gerichtete Energie. Tantra ist nach innen gerichtete Energie. Die moderne Psychologie würde sagen, daß Yoga extrovertiert ist und Tantra introvertiert. Es kommt auf die Persönlichkeit an. Bist du introvertiert, dann ist Kampf nichts für dich. Bist du extrovertiert, ist Kampf dein Weg. Aber wir sind ganz einfach chaotisch: wir sind in einem heillosen Durcheinander. Darum hilft uns auch nichts. Im Gegenteil, alles verwirrt uns nur noch mehr. Yoga verwirrt euch, Tantra verwirrt euch. Jede Arznei bringt eine neue Krankheit, weil ein Kranker sie wählt. Was immer er entscheidet, ist krank und ungesund. Ich meine also nicht, daß man durch Yoga nicht zur Erleuchtung kommen könnte; ich hebe Tantra hier lediglich deshalb hervor, weil wir verstehen wollen, was Tantra überhaupt ist. Eine weitere Frage:
Wie kann einer, der den Weg der Hingabe geht, unter 112 Methoden die richtige für sich herausfinden? Für den Weg des Willens gibt es Techniken — eben diese 112. 44
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Für den Weg der Hingabe ist Hingabe selbst die Methode, und es gibt keine andere. Methode heißt Nicht-Hingabe, denn Methode bedeutet, auf sich selbst gestellt zu sein. Du tust etwas: die Technik ist vorgegeben, nun kannst du sie anwenden. Auf dem Weg der Hingabe bist du nicht mehr da, kannst also gar nichts tun. Du hast das Höchste getan, das Letzte: du hast dich ganz ausgeliefert. Auf dem Weg der Hingabe ist Hingabe der einzige Weg. All diese 112 Methoden erfordern einen gewissen Willen: etwas muß von dir aus getan werden. Du manipulierst deine Energie, du balancierst deine Energie aus, du schaffst ein Zentrum in deinem Chaos. Du tust etwas. Daß du dir Mühe gibst, ist wesentlich, fundamental, unerläßlich. Auf dem Weg der Hingabe ist nur eines nötig: dich aufzugeben. Wir wollen tief in diese 112 Methoden eindringen, und so lohnt es sich, etwas über die Hingabe zu sagen; denn Hingabe kennt keine Methode. In diesen 112 Methoden wird nichts über Hingabe gesagt. Warum hat Shiva nichts über sie gesagt? Weil es nichts zu sagen gibt. Bhairavi selbst, Devi selbst, ist nicht durch eine Methode zu Shiva gelangt. Sie hat sich ihm einfach nur hingegeben. Das ist wichtig hervorzuheben: Sie stellt diese Fragen etwa nicht um ihrer selbst willen. Sie stellt diese Fragen für die gesamte Menschheit. Sie ist bei Shiva angekommen, ist schon in seinem Schoß, liegt schon in seiner Umarmung. Sie ist langst eins mit ihm. Und doch fragt sie. Bedenkt also: sie fragt Shiva nicht um ihrer selbst willen; das braucht sie nicht. Sie fragt für die gesamte Menschheit. Aber warum muß sie erst Shiva fragen, wo sie doch selbst erleuchtet ist? Kann sie nicht selbst zur Menschheit sprechen? Nun, sie ist auf dem Weg der Hingabe angekommen, also weiß sie nichts von Methoden. Sie selbst ist dem Weg der Liebe gefolgt. Liebe an sich genügt! Liebe braucht weiter nichts. Devi ist durch die Liebe angekommen, also weiß sie nichts von irgendwelchen Methoden, Techniken. Darum fragt sie. Shiva spricht also von 112 Methoden. Auch er sagt nichts von Hingabe, weil Hingabe nicht wirklich eine Methode ist. Ihr liefert euch erst aus, wenn jede Methode fehlschlägt, wenn ihr durch keine Methode weiterkommt: Du hast dein Bestes versucht, hast umsonst an jede Tür geklopft: du hast es auf allen Wegen 45
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versucht, und kein Weg führt weiter; du hast überhaupt alles getan, was du nur tun konntest, und nun bist du hilflos. In dieser totalen Hilflosigkeit lieferst du dich aus. Auf dem Weg der Hingabe gibt es also keine Methode. Aber was ist dann Hingabe, und wie funktioniert sie? Und wenn Hingabe funktioniert, wozu dann 112 Methoden? „Wozu die Mühe?” fragt sich der Kopf. „Dann okay! Wenn es mit Hingabe geht, ist es doch besser, sich auszuliefern. Warum sich mit Methoden abstrampeln? Und wer weiß, welche Methode nun ausgerechnet für mich gut ist? Es mag viele Leben dauern, bis ich das herausfinde. Besser also, ich gebe mich hin.” Aber das ist nicht so leicht. Gut, aber schwer, das Allerschwerste von der Welt. Methoden sind nicht schwierig. Sie sind leicht. Man kann trainieren. Aber Hingabe kann man nicht trainieren. Kein Training! Du kannst nicht fragen: „ Wie kann ich üben, mich hinzugeben?” — die Frage wäre absurd. Wie kannst du fragen, wie man das macht? Kannst du fragen, wie man liebt? Entweder ist die Liebe da oder nicht, aber du kannst nicht fragen, wie man liebt. Und wenn es dir einer beibringen will, wirst du — vergiß das nicht — niemals lieben können. Hast du erst eine Technik für die Liebe, dann klammerst du dich daran. Darum können Schauspieler nicht lieben. Sie kennen so viele Techniken, so viele Methoden ... und wir alle sind Schauspieler! Beherrschst du den Trick, wie man liebt, kann keine Liebe mehr aufblühen, denn jetzt kannst du eine Fassade errichten, kannst etwas vorspielen, und damit hältst du dich raus. Du bist nicht mehr innerlich beteiligt. Du hast dich in Sicherheit gebracht ... Liebe heißt, total offen, verwundbar zu sein. Das ist gefährlich. Das macht unsicher. Man kann nicht fragen, wie man liebt. Man kann nicht fragen, wie man sich hingibt. Es geschieht! Liebe geschieht, Hingabe geschieht. Liebe und Hingabe sind im Kern eins. Aber was sind sie? Da wir nicht wissen, wie man sich ausliefert, können wir zumindest nachschauen, wie wir uns davor schützen, wie wir uns dagegen sperren, uns auszuliefern. So viel läßt sich erkennen, und das führt schon etwas weiter. Wie kommt es, daß du dich noch nie ausgeliefert hast? Was ist deine „Technik”, dich nicht auszuliefern? Wenn du dich noch nie der Liebe ausgeliefert hast, 46
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dann ist die wirkliche Frage nicht, wie man das macht, sondern wie du es bisher geschafft hast, die Liebe zu umgehen. Was ist dein Trick, deine Technik, deine Strategie – deine Verteidigungsstrategie, mit der du ohne Liebe gelebt hast? Das kann erkannt und verstanden werden. Das erste: Wir leben mit dem Ego, im Ego, wir sind im Ego zentriert. Ich bin, ohne zu wissen, wer „ich” bin. Ich höre nicht auf zu erklären, daß „ich bin”. Dieses „ich bin” ist eine Lüge, weil ich gar nicht weiß, wer ich bin. Und solange ich nicht weiß, wer ich bin, wie kann ich da „ich” sagen? Dies „ich” ist ein Pseudo-Ich. Dies falsche Ich ist das Ego; es ist ein Abwehrmechanismus. Es schützt dich davor, dich auszuliefern. Du kannst dich niemandem und nichts hingeben, aber dir diesen Schutzmechanismus klarmachen, das kannst du. Wenn du ihn dir klargemacht hast, löst er sich auf. Nach und nach entziehst du ihm immer mehr deine Unterstützung, und eines Tages fühlst du plötzlich: „Ich bin nicht.” Noch im gleichen Augenblick geschieht die Selbst-Auslieferung. Versuche also herauszufinden, ob du bist. Wirklich – gibt es in dir irgendein Zentrum, das du „mein Ich” nennen kannst? Geh rief in dich hinein, hör nicht auf nachzuforschen, wo dies „Ich” ist, wo dieses Ego ist. Rinzai ging zu seinem Lehrer, seinem Guru, und sagte: „Gib mir Freiheit!” Der Lehrer sagte: „Bring dich selbst her. Wenn du bist, werde ich dich frei machen. Bist du jedoch nicht, wie kann ich dich dann befreien? Dann bist du schon frei. Und Freiheit ”, fuhr der Guru fort, „ist nicht deine Freiheit. Freiheit ist in Wirklichkeit Freiheit von dir. Geh also und finde heraus, wo dies „Ich” ist, wo du bist; dann komm zu mir. Das ist deine Meditation. Geh und meditiere.” Der Schüler Rinzai geht also und meditiert – Wochen, Monate – und kommt dann wieder. Er sagt: „Ich bin nicht der Körper. Das ist alles, was ich herausgefunden habe.” Also sagte der Guru: „Um so viel bist du freier geworden. Geh zurück. Suche weiter.” Er versucht es erneut, meditiert und findet heraus: „Ich bin nicht mein Geist, denn ich kann meine Gedanken beobachten. Also ist der Beobachter und das, was er beobachtet, nicht dasselbe. Ich bin nicht mein Geist.” Da sagt sein Guru: „Jetzt bist du zu dreiviertel 47
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frei. Jetzt geh noch einmal und finde heraus, wer du nun eigentlich bist." Da dachte er sich: „Ich bin nicht mein Körper. Ich bin nicht mein Geist.” Er hatte viel gelesen, studiert, er war gut informiert, also dachte er: „Wenn ich nicht mein Körper und nicht mein Geist bin, muß ich meine Seele sein, mein Atman.” Er meditierte, und er fand heraus, daß es kein Atman gab, keine Seele: denn dies Atman, diese Seele, war nichts weiter als eine gespeicherte Information — nur Ideologie, Worte, Philosophie. Da kam er eines Tages angerannt und rief „Jetzt bin ich nicht mehr da!” Da sagte sein Guru:.,Soll ich dich nun die Methoden der Freiheit lehren?" Rinzai sagte: „Ich bin frei, weil ich nicht mehr bin. Da ist niemand mehr, der unfrei ist, ich bin nur eine weite Leere, ein Nichts. ” Nur ein Nichts kann frei sein. Wenn du ein Etwas bist, bist du unfrei. So lange du bist bist du Sklave. Nur ein Vakuum, ein leerer Raum, kann frei sein, läßt sich nicht binden. Rinzai kam angerannt und sagte: „Ich bin nicht mehr. Ich kann mich nirgends finden.” Das ist Freiheit. Und zum erstenmal berührte er die Füße seines Gurus ... zum allererstenmal! Nicht tatsächlich — er hatte es schon oft getan —, aber der Guru sagte: „Zum erstenmal hast du meine Füße berührt.” Rinzai fragte: „Warum sagst du zum erstenmal`? Ich habe deine Füße schon so oft berührt!” Der Guru sagte: „Aber da warst du noch da — wie kannst du meine Füße berühren, wenn du vorhanden bist? Wie kannst du meine Füße berühren, solange du da bist?” Das Ich kann keinem die Füße berühren, auch wenn es so tut; es berührt — auf Umwegen — nur immer seine eigenen Füße. „Du hast zum erstenmal mir die Füße berührt”, sagte der Lehrer, „weil du jetzt nicht mehr bist. Und es ist auch das letztemal”, sagte der Lehrer. „Das erste- und das letztemal.” Ausgeliefert hast du dich erst, wenn du nicht mehr bist: Du kannst dich also nicht hingeben. Darum ist Hingabe keine Technik. Du kannst dich nicht hingeben — du selbst bist das Hindernis. Wenn du nicht bist, ist Hingabe da. Du und Hingabe, das geht nicht zusammen, es gibt keine Koexistenz zwischen dir und der Hingabe. Entweder du oder Hingabe. Finde also heraus, wo du 48
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bist, wer du bist. Diese Suche führt zu vielen, vielen überraschenden Entdeckungen. Raman Maharshi pflegte zu sagen: „Frag dich – ,Wer bin ich?" Er wurde mißverstanden. Selbst seine engsten Jünger haben die Bedeutung nicht erfaßt. Sie glaubten, daß dies Nachfragen tatsächlich dazu führt, herauszufinden, ,wer ich bin'. Ganz und gar nicht! Wenn du immer weiterfragst „Wer bin ich?", mußt du zwangsläufig zu dem Schluß kommen, daß du nicht bist. Du entdeckst nicht, wer du bist, sondern daß du dich auflöst. Ich habe schon vielen Leuten diese Technik gegeben und dann kommen sie nach ein bis zwei Monaten wieder und sagen: „Ich weiß immer noch nicht, wer ich bin. Die Frage ist immer noch dieselbe. Es gibt keine Antwort." Dann sage ich immer: „Mach weiter. Eines Tages wird die Antwort kommen ... Und sie hoffen, daß sie kommt. Es kommt keine. Eine Antwort in dem Sinne, daß du „das und das bist", wird nicht kommen. Nur die Frage löst sich auf, und damit auch der, der fragen kann: „Wer bin ich?" und dann weißt du's. Wenn das „Ich" nicht mehr ist, öffnet sich das wirkliche Ich. Wenn das Ego fort ist, begegnest du zum erstenmal deinem Wesen. Dies Wesen ist leer. Dann kannst du dich hingeben; dann hast du dich hingegeben. Jetzt bist du Hingabe. Es gibt also keine Techniken – oder nur negative Techniken wie diese: nachzuforschen „wer ich bin". Wie funktioniert Hingabe? Wenn du dich hingibst, was passiert? Wir werden bald sehen, wie Methoden funktionieren, werden tief in sie eindringen und verstehen lernen, wie sie arbeiten. Sie funktionieren wissenschaftlich. Wie aber funktioniert Hingabe? Wenn du dich hingibst, wirst du zum Tal. Als ein Ego bist du ein Gipfel. Ego bedeutet, daß du über allen andern stehst: du bist jemand. Ob die andern dich anerkennen oder nicht – das steht auf einem anderen Blatt. Du jedenfalls weißt, daß du über allen andern stehst. Du ragst wie ein Gipfel: nichts reicht an dich heran. Wenn man sich hingibt, wird man wie ein Tal. Man wird zur Tiefe, nicht Höhe. In einen solchen Menschen beginnt die ganze Schöpfung sich zu ergießen, von allen Seiten her. Die ganze Schöpfung! Er ist reines Vakuum, nur ein Abgrund, eine Schlucht, bodenlos. Die ganze Schöpfung strömt von überallher in ihn. Man 49
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kann sagen, Gott dränge von allen Seiten zu ihm hin, dringe in ihn ein, durch jede Pore, erfülle ihn ganz. Diese Hingabe, dies Zum-Tal-Werden„ zum Abgrund, dies Sich-Ausliefern, kann auf manche Weise erfahren werden. Es kann in kleinem Umfang geschehen, es kann in großem Umfang geschehen. Selbst bei einer geringeren Form der Hingabe kann man es fühlen. Sich einem Guru hinzugeben, ist eine geringere Form der Hingabe, aber du beginnst es auch hier zu fühlen, weil der Guru augenblicklich in dich einzuströmen beginnt. Wenn du dich ihm hingibst, spürst du seine Energie sofort in dich einströmen. Wenn du keine Energie in dich einströmen fühlst, dann sei dir bewußt, daß du dich ihm noch nicht einmal in dieser geringen Form hingegeben hast. Du hast dich überhaupt nicht ausgeliefert. Es gibt da viele Geschichten, die schwierig zu verstehen sind, weil wir nicht wissen, was sich abspielt. Mahakashyap kam zu Buddha, und Buddha brauchte nur seinen Kopf zu berühren, und es passierte, und Mahakashyap begann zu tanzen. Ananda fragte Buddha: „Was ist mit ihm passiert? Und ich bin seit vierzig Jahren bei dir! Ist er verrückt? Oder hält er uns nur zum Narren? Was ist los mit ihm? Und ich habe deine Füße tausend — und abertausendmal berührt!” Natürlich, einem Ananda mußte er verrückt oder unecht erscheinen. Ananda war seit vierzig Jahren bei Buddha: aber da gab es ein Problem. Er war sein älterer Bruder — Buddhas Stiefbruder: Das war das Problem. Als Ananda zu Buddha kam, war dies das erste, was er zu Buddha sagte: „Ich bin dein älterer Bruder, und wenn du mich einweihen willst, werde ich dein Jünger. Doch gewähre mir drei Dinge, ehe ich dein Jünger werde, denn danach kann ich nicht mehr fordern. Erstens: Ich will immer bei dir sein. Versprich mir dies. Du kannst nicht zu mir sagen: Geh woanders hin`. Ich werde dir überallhin folgen. Zweitens: Ich will im gleichen Zimmer mit dir schlafen. Du kannst nicht zu mir sagen: ,Geh hinaus!` Ich werde dir folgen wie dein Schatten. Und drittens: Ich kann bringen, wen ich will, und wann immer ich will, sogar uni Mitternacht, und du wirst ihm antworten müssen. Du kannst nicht sagen: Nichtjetzt. ' Und diese drei Versprechen mußt du mir geben, so lange ich noch dein älterer Bruder bin, denn bin 50
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ich erst einmal dein Jünger, muß ich dir folgen. Du bist immer noch der Jüngere von uns beiden, also mußt du mir dies versprechen." Also versprach es Buddha - und dann wurde genau das zum Problem. Das war das Problem! Vierzigjahre lang war Ananda mit Buddha, aber er konnte sich ihm nie ausliefern, denn das ist nicht der Geist der Hingabe. Ananda fragte viele, viele Male: „Wann werde ich ankommen?” Buddha sagte: „Nicht bevor ich tot bin.” Und Ananda gelangte tatsächlich erst zur Erleuchtung, als Buddha gestorben war. Was passierte plötzlich mit diesem Mahakashyap? Ist Buddha ungerecht? Zieht er Mahakashyap vor? Nein! Er strömt, strömt unentwegt. Aber du mußt ein Teil sein, ein Schoß, um ihn zu empfangen. Wenn du über ihm stehst, wie kannst du ihn empfangen? Diese strömende Energie kann dich so nicht erreichen. Sie geht an dir vorbei. Verbeuge dich also. Selbst bei einer geringen Hingabe an einen Guru beginnt die Energie zu fließen. Plötzlich, augenblicklich wirst du zum Gefäß einer großen Kraft. Es gibt da Tausende von Geschichten: einfach nur durch eine Berührung, durch einen Blick, wurde jemand erleuchtet. Das kommt uns irrational vor. Wie ist das möglich? Es ist möglich! Ein bloßer Blick in deine Augen kann dein ganzes Wesen verwandeln, aber die Verwandlung kann nur geschehen, wenn deine Augen leer sind wie ein Tal. Wenn du den Blick des Lehrers augenblicklich aufnehmen kannst, wirst du ein anderer. Dies also sind geringere Formen der Hingabe, die der totalen Hingabe vorausgehen und dich darauf vorbereiten. Sobald du einmal erfahren hast, daß du durch Hingabe etwas Unbekanntes erfährst, etwas Unglaubliches, Unerwartetes, nie Erträumtes, dann bist du bereit für eine größere Hingabe. Und das ist die Arbeit eines Guru - dir zu kleinen Formen der Hingabe zu verhelfen, damit du Mut sammeln kannst, zu einer größeren Hingabe, zur totalen Hingabe. Die letzte Frage: Was sind die genauen Anzeichen, an denen man erkennt, welche bestimmte Technik zum Allerhöchsten führt? 51
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Es gibt Anzeichen. Das erste ist: du nimmst plötzlich eine neue Identität in dir wahr. Du bist nicht mehr der gleiche. Wenn die Technik zu dir paßt, bist du augenblicklich ein anderer Mensch. Du bist nicht mehr der alte Ehemann, die alte Ehefrau, der alte Ladenbesitzer. Egal, was du bist, wenn die Methode zu dir paßt, bist du ein anderer Mensch. Das ist das erste Anzeichen. Wenn du dir also komisch vorkommst, dann wisse, daß etwas mit dir vor sich geht. Wenn du der gleiche bleibst und du keine Fremdheit verspürst, dann schlägt die Methode nicht an. Das ist der erste Hinweis: Wenn sie paßt, wirst du augenblicklich zu einem andern Menschen. Plötzlich passiert es: Du siehst die Welt mit anderen Augen. Die Augen sind die gleichen, aber der Sehende dahinter ist anders. Zweitens: Alles, was Spannungen und Konflikte verursacht, beginnt fortzufallen. Nicht, daß nach jahrelanger Übung der Technik deine Konflikte, Ängste, Spannungen wegfallen — nein! Wenn die Methode zu dir paßt, fangen sie augenblicklich an, wegzufallen. Du fühlst eine neue Lebendigkeit; du fühlst dich erleichtert! Du fühlst, daß sich die Schwerkraft umgekehrt hat, wenn die Technik zu dir paßt. Jetzt zieht dich die Erde nicht mehr nach unten, sondern der Himmel zieht dich nach oben. W ie fühlt man sich, wenn ein Flugzeug abhebt? Alles wird durcheinandergebracht. Plötzlich gibt es einen Ruck, und die Schwerkraft wird aufgehoben. Jetzt zieht die Erde dich nicht mehr. Du entfernst dich von der Schwerkraft. Der gleiche Ruck passiert, wenn eine Meditations Technik zu dir paßt. Plötzlich hebst du ab. Plötzlich hast du das Gefühl, daß die Erde keine Macht mehr hat. Es gibt keine Schwerkraft mehr. Sie zieht dich nicht hinunter. Du wirst hochgezogen. In der religiösen Terminologie heißt dies „Gnade”. Es gibt zwei Kräfte: „Gravitation” und „Gnade”. „Gnade” heißt, daß du nach oben gezogen wirst. „Gravitation” heißt, daß du nach unten gezogen wirst. Darum haben viele Leute beim Meditieren plötzlich das Gefühl, schwerelos zu werden, das Gefiihl einer inneren „Levitation”. Viele haben mir davon berichtet: „Merkwürdig — wir schließen die Augen und haben das Gefühl, ein wenig über der Erde zu 52
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schweben, dreißig Zentimeter, einen halben Meter, sogar einen Meter über der Erde. Und wenn wir die Augen aufmachen, sind wir am Boden; schließen wir sie, steigen wir auf. Was ist das? Bei offenen Augen sind wir auf ebener Erde und sind überhaupt nicht aufgestiegen." Der Körper bleibt am Boden — trotzdem hebst du ab. Es ist in Wirklichkeit ein Ziehen von oben. Wenn die Technik zu dir paßt, bist du hochgezogen worden, weil der Zweck jeder Technik ist, dir den Sog nach oben zu eröffnen. Das bedeutet „Technik” hier: dich der Kraft verfügbar zu machen, die dich hochziehen kann. Wenn sie also paßt, weißt du: Du bist schwerelos geworden. Drittens: Was immer du nun tust, gleich was es ist, wie trivial es auch sein mag — es wird anders sein. Du wirst anders gehen, du wirst anders sitzen, du wirst anders essen. Alles wird anders sein. Diesen Unterschied wirst du überall spüren. Manchmal führt das zu Angst. Man möchte wieder zurück und derselbe sein, denn auf das Alte war man so gut eingespielt. Es war eine Routinewelt, langweilig zwar, aber du hast gut funktioniert. Nun fühlst du überall einen Abstand. Du hast das Gefühl, deine Leistungsfähigkeit verloren zu haben. Du hast das Gefühl, an Brauchbarkeit eingebüßt zu haben. Du hast das Gefühl, überall ein Außenseiter zu sein. Durch diese Phase muß man hindurch. Du wirst deinen Rhythmus wiederfinden. Du hast dich verändert: die Welt dagegen nicht, also paßt du nicht mehr hinein. Merk dir also das dritte: Wenn die Technik zu dir paßt, paßt du nicht mehr in die Welt. Du wirst „unpassend”. Überall klappert es, fehlt eine Schraube. Überall hast du das Gefühl, als hätte ein Erdbeben stattgefunden; doch alles ist gleichgebheben, und nur du, du bist ein anderer geworden. Aber du wirst dich auch wieder einstimmen, auf einer anderen Ebene, einer höheren Ebene. Die Störung macht sich ebenso bemerkbar wie bei der sexuellen Reifwerdung des Kindes. Um vierzehn oder fünfzehn herum fühlt sich jeder junge Mensch seltsam. Eine neue Kraft ist aufgetreten — der Sex. Sie war vorher nicht da — oder sie war es doch, nur verborgen. Nun ist das Kind zum erstenmal offen geworden für eine neue Art von Kraft. Darum werden Kinder sehr linkisch, wenn sie sexuell reif werden. Sie sind im Nirgendwo. Sie sind 53
Das Buch der Geheimnisse
nicht mehr Kinder und noch keine Erwachsenen, sondern dazwischen, im Niemandsland. Wenn sie mit kleineren Kindern spielen, fühlen sie sich unwohl: Sie sind erwachsen geworden. Wenn sie sich mit Erwachsenen anfreunden, fühlen sie sich auch unwohl: Sie sind immer noch Kinder. Sie passen zu niemandem. Das gleiche passiert, wenn du deine Technik gefunden hast: Eine neue Energiequelle wird erschlossen, die größer ist als der Sex. Du bist wieder in einer Übergangsphase. Jetzt paßt du nicht mehr in diese Welt weltlicher Menschen hinein. Du bist kein Kind mehr, und doch paßt du noch nicht in die Welt der Weisen. Du bist „noch kein Mann” — und so dazwischen fühlst du dich unwohl. Wenn also eine Technik zu dir paßt, werden sich diese drei Dinge zeigen. Aber du hast sicher nicht damit gerechnet, daß ich solche Sachen sagen würde. Du hast erwartet, ich würde sagen, daß du stiller und ruhiger würdest, und nun sage ich genau das Gegenteil: daß du verstörter wirst. Wenn die Technik paßt, wirst du unangepaßter, nicht stiller. Die Stille kommt später. Und wenn du still wirst, statt aufgewühlt zu werden, dann mach dir klar, daß das nicht die Wirkung dieser Technik ist: du hast sie nur in deine Routine integriert. Darum ziehen die Menschen es vor, zu beten statt zu meditieren, weil Beten Trost spendet; dein Gebet paßt sich dir an; es paßt dich deiner Umwelt an. Das Beten hat früher praktisch genau das getan, was heute die Psychoanalytiker tun. Wenn du gestört bist, mildern sie die Störung ab, passen dich dem Schema besser an, der Gesellschaft, der Familie. Nach ein, zwei, drei Jahren Psychoanalyse bist du nicht gesund, sondern besser angepaßt. Gebete tun das gleiche, die Priester tun das gleiche: Sie machen dich angepaßter. Dein Kind ist gestorben, und du bist erschüttert und gehst zu einem Priester. Er sagt: „Sei getrost! Wen Gott liebt, den ruft er früh zu sich.” Du gibst dich zufrieden: dein Kind ist „heimgerufen” worden. Gott liebt es besonders. Oder der Priester sagt: „Sei ruhigen Herzens. Die Seele stirbt nie. Dein Kind ist im Himmel.” Erst vor ein paar Tagen kam eine Frau zu mir; ihr Mann war erst vor einem Monat gestorben. Sie war fassungslos. Sie kam zu mir und sagte: „Gib mir bitte nur die Garantie, daß er an einem schönen Ort wiedergeboren worden ist, daß alles okay ist. Versi54
Kapitel 2
chere mir nur, daß er nicht zur Hölle gefahren oder zum Tier geworden ist, sondern daß er im Himmel ist, ein Gott oder sowas. Wenn du mir nur so viel versichern kannst, dann ist alles okay. Dann kann ich es aushalten. Sonst bin ich todunglücklich." Da würde ein Priester sagen: „Klar, dein Mann ist als Gott im siebten Himmel wiedergeboren worden, und er ist sehr glücklich. Und er erwartet dich schon.” Gebete sind Mittel der Anpassung, sie erleichtern. Meditation ist Wissenschaft. Sie verhilft dir nicht zur Anpassung. Sie verhilft dir zur Transformation. Darum nenne ich diese drei Anzeichen, die als Hinweise für ihre Wirkung auftreten. Zur Stille wird es auch kommen, aber das wird nicht Anpassung sein. Die Stille kommt als ein inneres Aufblühen. Solche Stille ist keine Anpassung an die Gesellschaft, an die Familie, an die Welt, an das Geschäft ... nein! Diese Stille ist wahr, sie ist im Einklang mit dem All, und nicht mit der Gesellschaft, der Familie usw. Dann blüht zwischen dir und der Totalität eine tiefe Harmonie auf. Dann wird Stille sein. Aber das kommt später. Erst wirst du aufgestört, erst wirst du verrückt: denn du bist verrückt — auch wenn es dir nicht bewußt ist. Wenn eine Technik paßt, macht sie dir alles bewußt, was du bist. Deine Anarchie, dein Denken, deinen Wahnsinn, alles kommt ans Licht. Du bist nur ein dunkler Wirrwarr. Paßt die Technik, wird alles plötzlich Licht, und das ganze Durcheinander wird deutlich. Zum erstenmal wirst du dir begegnen, so wie du bist. Du möchtest lieber das Licht ausschalten und dich wieder ins Bett legen. Es ist zum Fürchten! Das ist der Punkt, wo der Guru gebraucht wird. Er sagt: „Hab keine Angst. Das ist nur am Anfang so. Und lauf nicht weg! Anfangs zeigt dir dies Licht, was du bist, und wenn du immer weitergehen kannst, verwandelt es dich langsam zu dem, was du sein kannst.
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Atem —der Nabel des Lebens
Sutras]
Shiva antwortet:
1. Strahlende, diese Erfahrung mag dir zwischen zwei Atemzügen dämmern. Nachdem der Atem hereingekommen ist (unten ist, und kurz bevor er wieder nach oben steigt (nach außen geht) — die Wohltat. 2. Wenn sich der Atem von unten nach oben kehrt und dann wiederum, wenn er sich von oben nach unten kehrt — durch diese beiden Wendungen, erkenne! 3. Oder, wann immer der einströmende Atem mit dem ausströmenden Atem zusammenfließt, in diesem Augenblick berühre das energielose, energieerfüllte Zentrum. 4. Oder, wenn der Atem ganz draußen ist, oder ganz drinnen, und von allein stillsteht — in solch einer universalen Pause verschwindet das eigene kleine Selbst. Dies ist schwierig nur für den Unreinen.
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Das Buch der Geheimnisse
Die Wahrheit ist immer hier. Sie ist schon da. Sie ist nicht ein Ziel in der Zukunft. Die Wahrheit — das bist du, ganz genau hier und jetzt. Sie ist nicht etwas, das erschaffen oder ausgedacht oder gesucht werden muß. Versteht dies ganz klar; dann sind diese Techniken leicht zu verstehen und auch auszuführen. Dein Geist ist ein Wunsch-Mechanismus. Dein Geist befindet sich immer im Wunschzustand — immer sucht er etwas, immer verlangt er etwas. Sein Ziel ist immer in der Zukunft: um die Gegenwart kümmert sich der Geist überhaupt nicht. In diesen Moment kann der Geist nicht hineingehen, da hat er keinen Raum. Der Geist braucht die Zukunft, um sich zu bewegen. Er kann entweder in die Vergangenheit oder in die Zukunft gehen. In der Gegenwart kann er sich nicht bewegen, da ist kein Raum. Die Wahrheit ist in der Gegenwart, und der Geist ist immer in der Zukunft oder in der Vergangenheit. So kommen Geist und Wahrheit nie zusammen. Wenn du weltliche Ziele hast, ist es nicht so schwierig. Da ist das Problem nicht absurd, da kann es gelöst werden. Aber wenn du nach der Wahrheit suchst, wird dieses Suchen selbst unsinnig — weil die Wahrheit hier und jetzt ist, dein Geist aber immer dann und dort. Da gibt es kein Zusammentreffen. Versteht also das erste: Ihr könnt die Wahrheit nicht suchen. Ihr könnt sie finden, aber suchen könnt ihr sie nicht. Das Suchen selbst ist das Hindernis. I m gleichen Moment, wo du zu suchen anfängst, hast du dich von der Gegenwart entfernt, auch von dir selbst, weil du immer in der Gegenwart bist. Der Sucher ist immer in der Gegenwart und das Suchen immer in der Zukunft. Du wirst, was auch immer du suchst, nicht finden. Laotse sagt: „Suche nicht, sonst verfehlst du es. Du darfst nicht suchen, dann findest du.” All diese Techniken Shivas holen euren Geist einfach nur aus Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart zurück. Das, was ihr sucht, ist bereits da. Es ist bereits der Fall. Der Geist muß vom Suchen auf das NichtSuchen umgelenkt werden. Das ist schwierig. Wenn man darüber intellektuell nachdenkt, ist es sehr schwierig — Wie soll man das Denken vom Suchen zum Nicht-Suchen umlenken? — denn dann macht der Kopf sogar aus dem Nicht-Suchen ein Ziel! Dann 58
Kapitel 3
sagt er: „Jetzt will ich nicht mehr suchen, jetzt wünsche ich mir die Wunschlosigkeit.” Das Suchen ist wieder dabei. Das Verlangen hat sich durch die Hintertür wieder eingeschlichen. Die einen haben weltliche Ziele, die andern glauben, nicht-weltliche Ziele zu haben, aber alle Ziele sind weltlich, weil Suchen gleich Welt ist. Man kann also nicht etwas Nicht-Weltliches suchen. Im Augenblick wo ihr sucht, wird es weltlich. Wenn ihr nach Gott sucht, wird Gott zu einem Teil der Welt. Wenn ihr nach Moksha sucht, Nirvana, dann wird eure Befreiung Teil der Welt. Eure Befreiung ist dann nicht etwas, das über die Welt hinausgeht, weil Suchen gleich Welt ist, weil Verlangen gleich Welt ist. Ihr könnt also nicht nach Nirvana verlangen; ihr könnt nicht die Begierdelosigkeit begehren. Wenn ihr das intellektuell zu verstehen sucht, wird es zum Rätsel. Shiva sagt nichts darüber. Er geht gleich dazu über, euch Techniken zu geben. Sie sind nicht intellektuell. Er sagt nicht etwa zu Devi: „Die Wahrheit ist hier. Suche sie nicht, und du wirst sie finden.” Er gibt sofort Techniken. Diese Techniken sind nicht intellektuell. Mach sie, und dein Geist wird sich umkehren. Die Wendung ist nur eine Folge, nur ein Nebenprodukt — nicht ein Ziel. Die Umkehr ist nur ein Nebenprodukt. Wenn du eine Technik befolgst, kehrt dein Geist auf seiner Reise in die Zukunft oder Vergangenheit um. Plötzlich findest du dich in der Gegenwart wieder. Darum haben Buddha, Lao Tse, Krishna euch Techniken gegeben. Aber sie führen ihre Techniken immer mit intellektuellen Konzepten ein. Nur Shiva macht es anders. Er gibt sofort Techniken, ohne intellektuelle Einführung, denn er weiß: Der Intellekt ist trickreich, ist das Gerissenste überhaupt. Er kann aus allem ein Problem machen. Jetzt wird das Nicht-Suchen zum Problem. Es gibt Leute, die mich fragen, wie man nicht begehrt. Sie begehren die Begierdelosigkeit. Sie haben irgendwelches spirituelles Geschwätz gehört oder gelesen, daß man die Seligkeit erlangt, wenn man ohne Begierden ist. „Wenn du nichts begehrst, bist du frei, wenn du nichts begehrst, hört alles Leid auf.” Jetzt begehren sie diesen leidlosen Zustand — und fragen, wie man nicht begehrt! 59
Das Buch der Geheimnisse
Ihr Kopf führt sie an der Nase herum. Sie begehren immer noch, nur hat sich jetzt das Ziel verändert. Früher wollten sie Geld, Ruhm, Ansehen, Macht. Jetzt wollen sie das Nicht-Wollen. Nur das Objekt hat sich verändert, sie selbst aber bleiben gleich, und ihr Wollen auch, nur ist es jetzt versteckter. Aus diesem Grund beginnt Shiva ohne jede Einführung sofort. Er spricht sofort von Techniken. Befolgt man diese Techniken, lenken sie das Denken um: es wird auf die Gegenwart gerichtet. Und wenn das Denken zur Gegenwart kommt, bleibt es stehen. Es ist nicht mehr. Du kannst in der Gegenwart kein Denker sein. Das ist unmöglich. Wie könntest du im Hier und Jetzt denken? Die Gedanken stehen still, weil sie sich nicht bewegen können. Die Gegenwart hat keinen Spielraum; du kannst nicht denken. Wie kannst du dich im jetzigen Augenblick bewegen? Der Geist bleibt stehen; du bist im Nicht-Geist. Vor allem ist also wichtig, wie man ins Hier und Jetzt gelangt. Du kannst es versuchen, aber die Mühe wird umsonst sein – denn wenn du mit Absicht in der Gegenwart sein willst, dann hat dich diese Absicht schon in die Zukunft gebracht. Wenn du fragst, wie du in der Gegenwart sein kannst, fragst du wieder nach der Zukunft. Während du fragst: „ Wie kann ich gegenwärtig sein? Wie hier und jetzt sein?”, geht dieser Augenblick verloren, und die Gedanken plappern schon und träumen von der Zukunft: eines Tages bist du soweit, daß es keine Bewegung, kein Motiv, kein Suchen mehr gibt, sondern nur noch Seligkeit. Darum also: „Wie komme ich in die Gegenwart?” Shiva sagt darüber nichts. Er gibt dir einfach eine Technik. Mach sie, und plötzlich findest du dich hier und jetzt wieder. Und dein Hier-und-Jetzt-Sei ist die Wahrheit, ist die Freiheit, ist dein Nirvana. Die ersten neun Techniken beschäftigen sich mit dem Atmen. Laßt uns also erst ein wenig über das Atmen lernen; danach gehen wir auf die Techniken ein. Wir atmen ständig, vom Augenblick der Geburt bis zum Augenblick des Todes. Alles andere zwischen diesen beiden Punkten ändert sich. Alles ändert sich, nichts bleibt gleich: das einzig Beständige zwischen Geburt und Tod ist das Atmen. Aus dem Kind wird ein Jugendlicher; der Jugendliche wird alt, krank, sein 60
Kapitel 3
Körper verfällt: alles verändert sich. Mal glücklich, mal elend und leidend: Ständig ändert sich alles. Aber was auch immer zwischen diesen beiden Punkten geschieht — man muß atmen. Ob glücklich oder unglücklich, jung oder alt, erfolgreich oder erfolglos — gleich, was du bist, eines ist gewiß: Zwischen Geburt und Tod atmest du. Das Atmen ist ein ständiger Fluß: keine Lücke ist möglich. Wenn du auch nur für einen Augenblick zu atmen vergißt, bist du nicht mehr. Darum hängt das Atmen auch nicht von dir ab, denn sonst würde es problematisch. Jemand könnte für einen Moment das Atmen vergessen, und was dann? In Wirklichkeit also atmest nicht du, weil du dazu nicht gebraucht wirst. Schläfst du tief, geht das Atmen weiter. Bist du unbewußt — das Atmen geht weiter; liegst du im Koma — das Atmen geht weiter. Du wirst nicht gebraucht: Das Atmen geht auch ohne dich weiter. Das Atmen ist eine Konstante deines Daseins — das ist also das erste. Und das Atmen ist wesentlich und fundamental — das ist das zweite. Du kannst nicht ohne Atem leben. So sind Atem und Leben gleichbedeutend. Das Atmen ist der Mechanismus des Lebens, und das Leben ist tief mit dem Atmen verbunden. Darum nennen wir beides in Indien Prana. Wir haben ein Wort für beides. Prana bedeutet Vitalität, Lebenskraft: Dein Leben ist dein Atem. Drittens: Dein Atem ist eine Brücke zwischen dir und deinem Körper, er verbindet dich, verknüpft dich mit deinem Körper. Er ist auch eine Brücke zwischen dir und dem Universum. Dein Körper ist nichts anderes als das zu dir gekommene Universum, das, was dir am nächsten ist. Dein Körper ist Teil des Universums. Alles im Körper ist Teil des Universums -jedes Teilchen, jede Zelle. Er ist das, was dich dem Universum am nächsten bringt. Dein Körper ist dir der allernächste Zugang zum Universum. Der Atem ist die Brücke. Wenn die Brücke unterbrochen ist, bist du nicht mehr im Körper. Wenn die Brücke unterbrochen ist, bist du nicht mehr im Universum. Dann gehst du in eine unbekannte Dimension; dann befindest du dich nicht mehr im Raum und in der Zeit. Drittens also ist der Atem die Brücke zwischen dir, dem Raum und der Zeit. Der Atem ist daher von höchster Bedeutung — das Wichtigste 61
Das Buch der Geheimnisse
überhaupt. Daher haben die ersten neun Techniken mit dem Atmen zu tun. Durch sie kommst du plötzlich in die Gegenwart, triffst du plötzlich auf die Quelle des Lebens, kannst du Zeit und Raum hinter dir lassen. Durch bestimmte Atemtechniken wirst du in der Welt sein und zugleich jenseits von ihr. Der Atem hat zwei Pole — der eine ist dort, wo er den Körper und das Universum berührt, und der andere dort, wo er dich berührt, und damit das, was über das Universum hinausgeht. Wir kennen nur den einen Teil des Atems. Wir kennen ihn nur dort, wo er ins Universum, in den Körper geht. Aber er geht jedesmal vom Körper zum Nicht-Körper, vom Nicht-Körper zum Körper. Den anderen Punkt kennen wir nicht. Wenn man sich den anderen Punkt bewußt macht, das andere Ende der Brücke, den anderen Brückenkopf, wird man plötzlich verwandelt, in eine andere Dimension versetzt. Aber bedenkt: Shiva spricht nicht von Yoga, sondern von Tantra. Yoga arbeitet ebenfalls mit dem Atem, aber die Techniken von Yoga und Tantra unterscheiden sich grundsätzlich. Yoga will das Atmen systematisieren. Wenn du dein Atmen systematisierst, macht dich das gesünder. Wenn du dein Atmen systematisierst und die Geheimnisse des Atmens kennst, verlängert sich dein Leben: du wirst gesünder und lebst länger. Du wirst stärker, energiegeladener, vitaler — lebendig, jung, frisch. Aber darum geht es beim Tantra nicht. Im Tantra geht es nicht um irgendeine Systematisierung des Atmens, sondern allein darum, den Atem als Technik dafür zu nutzen, sich nach innen zu wenden. Man muß keinen bestimmten Atemstil üben, weder ein bestimmtes Atemsystem, noch einen bestimmten Atemrhythmus — nein! Man nimmt das Atmen so, wie es ist. Man muß sich dabei nur gewisse Punkte bewußt machen. Es gibt da gewisse Punkte, aber wir sind uns ihrer nicht bewußt. Wir atmen seit eh und je, wir werden atmend geboren und wir sterben atmend, aber wir sind uns dieser Punkte nicht bewußt. Und das ist seltsam. Der Mensch forscht, dringt rief in den Weltraum vor, fährt zum Mond. Der Mensch will immer weiter von der Erde ins All dringen und kennt nicht das, was ihm im Leben am nächsten ist. Es gibt beim Atmen bestimmte Punkte, die ihr 62
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euch noch nie bewußt gemacht habt, und diese Punkte sind Türen - die allernächsten Türen, die euch in eine andere Welt hineinführen können, in ein anderes Dasein, ein anderes Bewußtsein. Aber sie sind sehr versteckt. Einen Mond zu beobachten ist nicht sehr schwer. Selbst den Mond zu erreichen ist nicht sehr schwer: Das ist nur eine Reise im Groben. Man braucht dazu die Technologie des Maschinenzeitalters, man braucht spezialisiertes Wissen, und dann geht's. Atmen ist euch das allernächste, und je näher ein Objekt, desto schwerer ist es zu erkennen. Je näher, desto schwieriger; je offensichtlicher, desto schwieriger. Es ist euch so nah, daß es schon keinen Raum mehr zwischen euch und eurem Atmen gibt. Oder, der Abstand ist so gering, daß eine äußerst scharfsichtige Beobachtung dazu gehört, bevor man bestimmter Punkte gewahr wird. Um diese Punkte geht es bei diesen Techniken. Jetzt also jede Technik im einzelnen: Shiva antwortet:
Strahlende, diese Erfahrung mag dir zwischen zwei Atemzügen dämmern. Nachdem der Atem hereingekommen ist (unten ist, und kurz bevor er wieder nach oben steigt (nach außen geht die Wohltat. Das ist die Technik: „Strahlende, diese Erfahrung mag dir zwischen zwei Atemzügen dämmern.” Nachdem der Atem hereingekommen, das heißt unten ist, und kurz bevor er nach außen geht, das heißt aufsteigt - „die Wohltat”. Richte deine Bewußtheit auf das, was zwischen diesen zwei Punkten ist - und dann das Ereignis ... Wenn dein Atem hereinkommt, schau zu. Wenn dein Atem hereinkommt, beobachte! Für einen einzigen Moment, oder den tausendsten Teil eines Moments, ist kein Atem da: ehe er sich aufwärts wendet, ehe er nach außen geht. Der Atem kommt herein - dann kommt ein gewisser Punkt, und das Atmen steht still. Danach geht der Atem hinaus. Wenn der Atem hinausgeht, bleibt das Atmen wiederum für einen einzigen Moment - oder den Bruchteil eines Moments - stehen. Dann wieder das Einatmen. 63
Das Buch der Geheimnisse
Ehe der Atem sich wendet, nach innen oder außen, kommt ein Moment, wo du nicht atmest. In diesem Moment ist das Ereignis möglich, denn wenn du nicht atmest, bist du nicht in der Welt. Macht euch das klar: Wenn du nicht atmest, bist du tot: du bist zwar noch, aber tot. Aber der Augenblick ist von so kurzer Dauer, daß du es nie bemerkst. Für Tantra ist jeder Atem, der nach außen geht, ein Tod, und jeder neue Atemzug ist eine Neugeburt. Einströmender Atem ist Wiedergeburt, ausströmender Atem ist Tod. Der ausströmende Atem ist gleichbedeutend mit Tod: der einströmende Atem ist gleichbedeutend mit Leben. Mit jedem Atemzug stirbst du also und wirst wiedergeboren. Die Lücke dazwischen ist von sehr kurzer Dauer, aber eine scharfe, unbestechlich wache Beobachtung kann dir die Lücke bewußt machen. Wenn du die Lücke spüren kannst, so sagte Shiva — „die Wohltat”. Dann ist nichts anderes nötig. Du bist gesegnet. Du hast erkannt: die Sache ist passiert. Du brauchst das Atmen nicht zu üben. Lasse es, wie es ist. Wie kann eine Technik so einfach sein?! Es sieht einfach aus, nicht wahr? Eine so einfache Technik soll zur Wahrheit führen? Die Wahrheit zu erkennen heißt: das zu erkennen, was weder geboren wird noch stirbt, jenes ewige Element, das immer ist. Den EinAtem, den Aus-Atem kannst du erkennen, aber die Lücke dazwischen erkennst du nie. Versuche es. Plötzlich wird dir der Punkt bewußt. Und du kannst ihn finden: er ist bereits da. Nichts braucht dir oder deiner Struktur hinzugefügt zu werden: Alles ist schon da. Alles ist schon da, außer der Bewußtheit. Wo also anfangen? Werde dir zunächst des einströmenden Atems bewußt: beobachte ihn, vergiß alles andere und beobachte den Ein-Atem — einfach nur das Strömen. Wenn der Atem deine Nasenlöcher berührt, spüre ihn dort. Dann laß den Atem einströmen. Gehe voll bewußt mit dem Atem mit. Wenn du mit dem Atem tief nach innen gehst, bleibe am Ball. Eile ihm nicht voraus; folge ihm nicht nach, begleite ihn nur. Denk daran: Laufe nicht vor und folge nicht wie ein Schatten, sondern gehe mit ihm mit. Atem und Bewußtheit müssen quasi eins werden. Der Atem kommt herein: Du gehst mit. Nur so ist es möglich, den Punkt 64
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zwischen zwei Atemzügen zu erhaschen. Es wird nicht leicht sein. Gehe mit dem Atem hinein, hinaus: ein - aus, ein - aus. Buddha vor allem hat damit gearbeitet, und so ist diese Methode heute eine buddhistische, die als „Anapanasati Yoga” bekannt ist. Und Buddhas Erleuchtung beruhte auf dieser Technik - allein auf ihr. Alle Seher der Welt sind durch irgendeine Technik zur Erleuchtung gelangt, und jede ist in diesen 112 enthalten. Diese erste ist eine buddhistische Technik. Buddha hat gesagt: „Mach dir deinen Atem bewußt, wie er hereinkommt, wie er hinausgeht: ein - aus, ein - aus.” Er erwähnte nie die Lücke, denn das ist nicht nötig. Buddha wollte nicht, daß eure Aufmerksamkeit durch den Gedanken an die Lücke gestört wird. Also sagte er einfach: „Seid bewußt - wenn der Atem hereinkommt, geht mit ihm, und wenn er hinausgeht, geht mit ihm. Einfach nur dies: Geht mit dem Atem hinein, hinaus.” Er verlor kein Wort über den anderen Aspekt dieser Technik. Der Grund ist, daß Buddha zu sehr einfachen Menschen sprach. Und selbst seine wenigen Worte genügten, um das Verlangen nach dem Intervall zu erzeugen. Dieser Wunsch, in das Intervall zu kommen, schränkt die Aufmerksamkeit ein, denn dann wirst du vorauseilen. Der Atem kommt herein, aber du bist ihm schon voraus, weil du an der Lücke interessiert bist, die gleich kommen muß! Buddha erwähnt sie also nie, Buddhas Technik beschränkt sich auf die eine Hälfte. Aber die andere Hälfte kommt automatisch. Wenn deine Atembewußtheit ständig weiterwächst, stößt du eines Tages unverhofft auf das Intervall. Die Aufmerksamkeit wird scharf, tief und intensiv, deine Bewußtheit schließt die ganze Welt aus, bis auf den Atem, der ein - und ausströmt; dein Atem wird zu deiner Welt, zur gesamten Arena deines Bewußtseins - und so stößt du zwangsläufig auf die Lücke, in der kein Atem da ist. Wenn du ganz beim Atem bist, wie könnte dir entgehen, wann kein Atem da ist? Dir wird plötzlich bewußt, daß kein Atem da ist. Das ist der Augenblick, da du spürst, daß der Atem weder hinausgeht noch hereinkommt, sondern völlig still steht. In diesem Stillstand - „die Wohltat”. Diese eine Technik war für Millionen genug. Ganz Asien hat 65
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über Jahrhunderte mit dieser Technik experimentiert und gelebt. Tibet, China, Japan, Burma, Thailand, Ceylon, ganz Asien, außer Indien, hat sich an diese Technik gehalten — an eine einzige Technik —, und Tausende und aber Tausende haben so zur Erleuchtung gefunden. Und dabei ist sie erst die allererste Technik! Aber unglücklicherweise haben die Hindus sie vermieden, weil sie mit Buddhas Namen verknüpft ist. Je bekannter sie als eine buddhistische Methode wurde, desto mehr verdrängten die Hindus sie. Und nicht nur deshalb: es gibt noch einen anderen Grund. Weil Shiva diese Technik als erste nennt, haben viele Buddhisten behauptet, dieses Buch, „Vigyana Bhairava Tantra”, sei buddhistisch, nicht hinduistisch. Es ist weder hinduistisch noch buddhistisch, und eine Technik ist nur eine Technik. Buddha hat sie benutzt: aber sie stand jedem offen. Buddha wurde zwar zum Buddha durch diese Technik, aber die Technik selbst war schon vor Buddha da. Probiert sie aus. Sie gehört zu den einfachsten überhaupt — das heißt: einfach im Vergleich zu anderen Techniken, nicht einfach für euch. Andere Techniken werden schwieriger sein, darum wird sie als erste erwähnt. Die zweite Technik: (all diese neun Techniken sind Atemtechniken) Wenn sich der Atem von unten nach oben kehrt, und dann wiederum, wenn er sich von oben nach unten kehrt — durch diese beide Wendungen, erkenne! Das ist das gleiche, aber mit einem feinen Unterschied. Die Betonung liegt jetzt nicht auf der Lücke, sondern auf dem Wendepunkt. Ein — und ausströmender Atem bilden einen Kreis. Ihr dürft nicht vergessen, daß es sich nicht um zwei parallele Linien handelt. Wir stellen uns hier immer zwei parallele Linien vor — einströmender Atem und ausströmender Atem. Das stimmt nicht. Der einströmende Atem ist die eine Hälfte des Kreises; der ausströmende Atem ist die andere. Das müßt ihr verstehen. Erstens: Ein — und Ausatmen bilden 66
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einen Kreis, nicht parallele Linien; denn parallele Linien treffen sich nirgends. Zweitens: Ein — und ausströmender Atem sind nicht zwei Atemzüge, sondern einer. Der Atem, der einströmt, strömt auch aus; es muß also innen einen Wendepunkt geben. Irgendwo muß er sich wenden. Es muß einen Punkt geben, wo der hereinkommende Atem auszuströmen beginnt. Warum legt er soviel Wert auf den Wendepunkt? Denn, so sagt Shiva: „Wenn sich der Atem von unten nach oben kehrt, und dann wiederum, wenn er sich von oben nach unten kehrt — durch diese beiden Wendungen, erkenne!” Sehr einfach: aber er sagt viel: Erkenne die Wendung, und du erkennst das Selbst ... Warum ist das Selbst in der „Wendung” zu erkennen? Wer Autofahren kann, weiß was eine Gangschaltung ist. Immer wenn du in einen anderen Gang schaltest, mußt du durch den Leerlauf gehen, der überhaupt kein Gang ist. Vom ersten Gang schaltest du in den zweiten und vom zweiten in den dritten, aber du mußt immer durch den Leerlauf. Dieser Leerlauf ist ein Wendepunkt. In diesem Wendepunkt wird der erste zum zweiten Gang und der zweite zum dritten. Wenn dein Atem hereinkommt und dann hinausgeht, muß er erst durch den Leerlauf: anders geht es nicht. Er durchquert neutrales Territorium. In diesem neutralen Territorium bist du weder Körper noch Seele, weder körperlich noch geistig, weil das Körperliche ebenso ein Gang deines Daseins ist wie das Geistige. Du gehst von Gang zu Gang, aber du mußt auch einen Leerlauf haben, wo du weder Körper noch Geist bist. In diesem neutralen Gang bist du einfach: Du bist reines Dasein, unberührt, einfach, unverkörpert, ohne eine geistige Form. Darum die Betonung des Wendepunktes. Der Mensch ist eine Maschine, eine große, sehr komplizierte Maschine. Du hast viele Gänge im Körper, viele Gänge im Hirn. Du bist dir nicht bewußt, was für ein großartiger Mechanismus du bist, aber du bist eine großartige Maschine. Und es ist gut, daß dir das nicht bewußt ist, sonst würdest du verrückt. Der Körper ist eine so große Maschine, daß die Wissenschaftler sagen: Wenn wir eine Fabrik nach dem Modell des menschlichen Körpers bauen wollten, würden dazu sechs Quadratkilometer Land benötigt. Und der Lärm wäre 67
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so groß, daß ein Umkreis von hundertfünfzig Quadratkilometern davon belästigt würde. Der Körper ist eine große mechanische Einrichtung, die größte überhaupt. Ihr habt Millionen und aber Millionen von Zellen, und jede Zelle lebt. Ihr seid eine Riesenstadt von siebzig Millionen Zellen: Es leben siebzig Millionen Einwohner in euch, und die ganze Stadt funktioniert sehr still und glatt. Jeden Moment ist der Mechanismus in Gang. Er ist sehr kompliziert. Diese Techniken werden sich in vielen Punkten auf euren Körpermechanismus und euren geistigen Mechanismus beziehen. Aber die Betonung wird immer auf solchen Punkten liegen, wo ihr plötzlich nicht mehr Teil des Mechanismus seid. Vergeßt das nicht. Plötzlich bist du nicht mehr Teil des Mechanismus! Es gibt Augenblicke, wo du die Gänge wechselst. Zum Beispiel wechselst du beim Einschlafen die Gänge, denn tagsüber brauchst du für dein Wachbewußtsein einen anderen Mechanismus. Ein anderer Teil des Hirns funktioniert. Wenn du einschläfst, tritt dieser Teil außer Kraft. Ein anderer Teil des Hirns schaltet sich ein, und dazwischen ist eine Lücke, eine Pause, ein Wendepunkt — Gangschaltung! Morgens, wenn du wieder aufwachst — Gangschaltung! Oder, du sitzt ganz ruhig da, und plötzlich sagt einer etwas und du wirst wütend — Gangschaltung! Alles ändert sich plötzlich. Wenn du wütend wirst, ändert sich plötzlich dein Atem, er wird gereizt, chaotisch. Ein Zittern kommt hinein; dir ist, als würdest du ersticken. Der ganze Körper will etwas tun, etwas kaputtmachen, damit das Erstickungsgefühl verschwindet. Dein Atem wechselt, dein Puls wechselt den Rhythmus. Bestimmte Chemikalien schießen ins Blut. Das ganze Drüsensystem ändert sich. Wenn du wütend wirst, bist du ein anderer Mensch. Ein Wagen steht still: Du startest ihn. Lege keinen Gang ein, laß ihn un Leerlauf. Er kann schnurren und vibrieren, aber sich nicht bewegen: er wird heiß. Genauso wirst du auch heiß, wenn du wütend bist und nichts tun kannst. Der Lauf-Mechanismus, der Tu-Mechanismus ist eingeschaltet — aber du tust nichts: Du läufst heiß. Du bist ein Mechanismus, aber natürlich nicht nur ein Mechanismus. Du bist mehr, aber dies Mehr muß gefunden werden. Wenn 68
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du einen Gang einlegst, ändert sich innen alles. Wechselst du den Gang, gibt es einen Wendepunkt. Shiva sagt: „Wenn sich der Atem von unten nach oben kehrt, und dann wiederum, wenn er sich von oben nach unten kehrt durch diese beiden Wendungen, erkenne!” Achte auf den Wendepunkt. Aber es ist ein sehr kurzer; es gehört eine sehr scharfe Beobachtung dazu. Und wir können überhaupt nicht beobachten; wir merken nichts. Wenn ich dir sage: „Betrachte diese Blume, die ich dir gebe”, dann kannst du das nicht. Einen Augenblick lang siehst du sie, und dann denkst du schon an etwas anderes, vielleicht etwas über die Blume, aber es wird nicht die Blume sein. Du magst über die Blume nachdenken, darüber, wie schön sie ist - und bist schon weitergewandert. Nun ist die Blume nicht mehr in deinem Betrachtungsfeld: es hat sich verändert. Du magst sagen, daß sie rot, blau, weiß ist, aber damit bist du schon weiter. Betrachten heißt: ohne ein Wort dabei bleiben, ohne innere Verbalisierung, ohne inneres Plappern. Nur eins: dabeibleiben. Wenn du drei Minuten lang bei einer Blume verharren kannst, ganz und gar, ohne Geistesregung, wird es passieren - „die Wohltat”. Du erkennst. Aber wir sind überhaupt keine Betrachter. Wir sind nicht bewußt, wir sind nicht wach: wir können auf nichts achten. Wir springen immer nur herum. Dies ist Teil unseres Erbes - unseres Affenerbes. Unser Hirn ist lediglich der Nachwuchs des Affengehirns. Den Affen in uns gibt es immer noch. Er springt ständig von einem Ast zum andern; der Affe kann nicht stillsitzen. Darum bestand Buddha so sehr darauf, daß man einfach nur dasitzen soll, ohne jede Bewegung, denn dann kann der Affe in uns nicht mehr herumtoben. In Japan kennen sie eine besondere Form der Meditation, „ZaZen” genannt. Das heißt: nur dasitzen, nichts tun. Keine Bewegung. Man sitzt da wie eine Statue - tot, reglos. Aber es ist gar nicht nötig, jahrelang wie eine Statue dazusitzen. Wenn du auf die Wendepunkte deiner Atemzüge aufmerksam geworden bist, ohne daß sich der Geist regt, geht die Tür auf. Du gelangst in dein eigenes Inneres, in das innere Jenseits. Warum sind diese Wendepunkte so wichtig? Sie sind deshalb 69
Das Buch der Geheimnisse
wichtig, weil der Atem dir am Wendepunkt gestattet, eine andere Richtung einzuschlagen. Er war mit dir, als er hereinkam; er wird mit dir sein, wenn er wieder hinausgeht. Aber am Wendepunkt ist er nicht mit dir, und du bist nicht mit ihm. In diesem Moment ist der Atem losgelöst von dir und du von ihm. Wenn Atem Leben ist, dann bist du jetzt tot. Wenn Atem dein Körper ist, dann bist du jetzt Nicht-Körper. Wenn Atem dein Geist ist, dann bist du Nicht-Geist — in diesem Moment. Habt ihr schon einmal festgestellt, daß das Denken plötzlich stehenbleibt, wenn ihr den Atem anhaltet? Wenn du in diesem Moment zu atmen aufhörst, stehen die Gedanken still. Dein Gesicht kann jetzt nicht funktionieren. Ein plötzlicher Stop im Atmen, und der Geist steht still. Warum? Weil er ausgekuppelt wird. Nur solange der Atem strömt, ist er mit dem Geist, mit dem Körper verknüpft: bei nichtströmendem Atem wird der Geist ausgekuppelt. Jetzt bist du im Leerlauf. Der Wagen läuft: der Motor läuft. Der Wagen macht Geräusche, er ist startbereit. Aber es ist kein Gang drin. Der Körper des Wagens ist nicht mit der Mechanik des Wagens verkuppelt. Der Wagen ist in zwei Teile geteilt. Er ist fahrbereit, aber der Fahrmechanismus ist nicht mit ihm verkuppelt. Das gleiche geschieht, wenn der Atem sich wendet: du bist nicht mehr mit ihm verkuppelt. In diesem Augenblick kann dir leicht bewußt werden, wer du bist. Was ist dies „Seiende”? Was ist dies „Dasein”? Wer wohnt in diesem Gehäuse des Körpers? Wer ist der Herr? Bin ich nur das Haus, oder gibt es da auch einen Hausherrn? Bin ich nur der Mechanismus, oder ist dieser Mechanismus auch von etwas anderem durchdrungen? In dieser Lücke des Wendepunktes — so sagt Shiva — „erkenne!” Er sagt, werde dir einfach der Wendung bewußt, und du erkennst das, was dich wirklich beseelt, wirst zur verwirklichten Seele. Die dritte Technik:
Oder, wann immer der einströmende Atem mit dem ausströmenden Atem zusammenfließt, in diesem Augenblick berühre das energielose, energieerfiillte Zentrum. 70
Kapitel 3
Wir sind aufgeteilt in Mittelpunkt und Umkreis, in Zentrum und Peripherie. Der Körper ist die Peripherie. Wir kennen den Körper, wir kennen die Peripherie. Wir kennen die Außenseite, aber wissen nicht, wo der Mittelpunkt ist. Wenn das Ausatmen mit dem Einatmen verschmilzt, wenn sie eins werden, wenn du nicht mehr unterscheiden kannst, was Ein - und Ausatmen ist, wenn es schwierig wird, abzugrenzen und zu bestimmen, ob der Atem nach außen oder nach innen strömt, wenn der Atem ganz innen ist und anfängt, nach außen zu gehen, gibt es einen Augenblick der Verschmelzung. Er geht weder nach außen noch nach innen. Der Atem ist statisch. Wenn er hinausgeht, ist er dynamisch: wenn er hereinkommt, ist er dynamisch. Wenn er keines von beiden ist, wenn er stillsteht, unbeweglich, dann bist du dem Zentrum nahe. Der Verschmelzungspunkt des ein- und ausströmenden Atems ist dein Zentrum. Seht es einmal so: Wenn der Atem hereinkommt, wo geht er hin? Er geht in dein Zentrum. Er berührt dein Zentrum. Wenn er hinausgeht, von wo her tut er das? Er geht von deinem Zentrum aus. Dein Zentrum muß berührt werden. Darum sagen die taoistischen Mystiker und die Zen-Mystiker, daß nicht der Kopf euer Zentrum ist, sondern der Nabel. Der Atem geht in den Nabel und von da wieder hinaus. Er geht zum Zentrum. Wie ich schon sagte, ist der Atem eine Brücke zwischen dir und deinem Körper. Du kennst den Körper, weißt aber nicht, wo dein Zentrum ist. Der Atem geht ständig ins Zentrum und wieder hinaus. Aber wir holen nicht tief genug Atem, und so geht er normalerweise nicht wirklich zum Zentrum. Wenigstens bisher nicht. Darum fühlt sich jeder „dezentralisiert”; keiner hat eine Mitte. In der gesamten Moderne haben alle, die sich überhaupt Gedanken machen, das Gefühl, daß die Mitte fehlt. Seht euch ein schlafendes Kind an. Betrachtet seinen Atem. Der Atem geht hinein; der Unterleib hebt sich. Die Brust bleibt unberührt. Darum haben Kinder keine Brust, sondern nur einen Bauch - einen sehr dynamischen Bauch. Der Atem kommt herein, und der Unterleib hebt sich: der Atem geht hinaus, und der Unterleib senkt sich. Der Unterleib bewegt sich. Kinder sind in ihrem Zentrum, am Mittelpunkt. Darum sind sie so glücklich, so 71
Das Buch der Geheimnisse
selig, so voller Energie, niemals müde, überschäumend, und immer im gegenwärtigen Augenblick, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. Ein Kind kann wütend sein: Wenn es wütend ist, ist es total wütend: es wird zur Wut. So ist sogar seine Wut etwas Schönes. Wenn man total wütend wird, hat Wut ihre eigene Schönheit, denn etwas Totales ist immer schön. Ihr dagegen könnt nicht wütend und schön zugleich sein. Euch macht es häßlich, so wie alles Fragmentarische häßlich macht. Und das ist nicht nur mit der Wut so: Auch eure Liebe macht euch häßlich, denn auch da seid ihr nicht total. Sieh einmal im Liebesakt in den Spiegel, sieh dir ins Gesicht: es wird häßlich, tierhaft aussehen. Selbst Liebe verzerrt dein Gesicht. Warum? Sogar Liebe ist Konflikt. Du hältst etwas zurück, du gibst nur sehr geizig. Selbst in deiner Liebe bist du nicht total. Du schenkst nicht rückhaltlos, nicht von ganzem Herzen. Ein Kind ist selbst in seiner Wut und Aggression total. Sein Gesicht wird strahlend schön. Es ist hier und jetzt. Seine Wut hat nichts mit der Vergangenheit oder mit der Zukunft zu tun; das Kind kalkuliert nicht, es ist einfach wütend. Das Kind ist in seinem Zentrum. Wer im Zentrum ist, ist immer total: Was du tust, das tust du total. Ob gut oder schlecht, es ist total. Wenn du bruchstückhaft bist, wenn du deine Mitte verloren hast, ist alles, was du tust, zwangsläufig nur ein Fragment von dir. In nichts total, bist du in allem nur teilweise. Und das Fragment ist gegen das Ganze: Das macht dich häßlich. Wir alle waren einmal Kinder. Warum wird unser Atem flacher, je älter wir werden? Warum geht er nie in den Unterleib, berührt er niemals den Nabel? Je weiter er nach unten geht, desto weniger flach ist er. Aber er geht nur bis in die Brust und dann wieder hinaus, nie bis ins Zentrum. Ihr habt Angst vor dem Zentrum, denn wer in sein Zentrum geht, wird total. Für alle, die gern nur teilweise da sein möchten, ist dies die richtige Technik, eine fragmentarische Existenz zu führen. Du liebst: wenn du vom Zentrum her atmest, wirst du dabei total mitfließen. Davor hast du Angst, so verletzbar zu sein, so offen für einen anderen, ganz gleich wer. Du magst ihn deinen Lieb72
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haber nennen, du magst sie deine Geliebte nennen, aber du hast Angst: Der andere ist da! Wenn du total verletzbar bist, offen, dann weißt du nicht, was geschehen wird. Dann bist du da — voll da, ganz anders als bisher. Du hast Angst, jemandem so völlig ausgeliefert zu sein. Du kannst nicht atmen; du kannst nicht tief Atem holen. Du kannst dein Atmen nicht entspannen, so daß es bis zum Zentrum geht — denn je mehr sich dein Atem dem Zentrum nähert, desto totaler wird dein Handeln. Da du Angst davor hast, total zu sein, atmest du flach. Du atmest nur minimal, nicht maximal. Darum erscheint dir das Leben so leblos. Wenn du minimal atmest, wird das Leben leblos. Du lebst am Minimum, nicht am Maximum. Du kannst auch mit dem Maximum leben; dann fließt das Leben über. Aber das bringt Schwierigkeiten. Nun kannst du kein Ehemann, keine Ehefrau mehr sein; wenn das Leben überfließt, wird 's schwierig. Wenn das Leben überfließt, fließt die Liebe über. Dann kannst du dich nicht an einen Menschen binden, dann wirst du dich überallhin verströmen; du dringst in alle Dimensionen ein. Diese Gefahr wittert der Verstand und hält es daher für besser, gar nicht zu leben: je lebloser, desto sicherer. Und je lebloser, desto mehr ist alles unter Kontrolle: so bleibst du Herr der Dinge. Du hast das Gefühl, am Steuer zu sein, weil du dich kontrollieren kannst. Du kannst deine Wut kontrollieren, du kannst deine Liebe kontrollieren, du kannst alles kontrollieren. Aber diese Kontrolle ist nur so lange möglich, wie du deine Energie aufs Minimum drosselst. Jeder muß irgendwann einmal Momente erfahren haben, wo die Energie plötzlich vom Minimum zum Maximum hochschießt. Du fährst ins Gebirge. Plötzlich bist du raus aus der Stadt und ihrem Gefängnis und fühlst dich frei. Der Himmel ist unendlich, die Wälder sind grün und die Höhen berühren die Wolken. Plötzlich holst du tief Luft. Es wird dir vielleicht nicht einmal bewußt. Wenn du das nächstemal in die Berge fährst, achte darauf: Es sind nicht die Berge, es ist dein Atem! Du holst tief Luft. Du sagst: Ahhh! Du berührst dein Zentrum, du wirst für einen Augenblick total, und alles ist Seligkeit. Diese Seligkeit kommt nicht von den Bergen her. Diese Seligkeit kommt aus deiner eigenen Mitte. Du hast sie plötzlich berührt. 73
Das Buch der Geheimnisse
In der Stadt warst du ängstlich. Überall waren die anderen, und du hattest dich in der Kontrolle. Du konntest nicht weinen, du kenntest nicht lachen. Was für ein Unglück! Du konntest nicht auf der Straße singen und tanzen. Du hattest Angst. Irgendwo war ein Polizist in der Nahe, oder der Priester oder der Richter, oder der Politiker oder die Respektsperson. Irgend jemand war gleich um die Ecke, und so konntest du nicht einfach nur auf der Straße tanzen. Bertrand Russell sagt irgendwo: „Ich liebe die Zivilisation, aber wir haben sehr teuer dafür bezahlt.” Man kann nicht auf der Straße tanzen, aber man kann in die Berge fahren, und dort kann man plötzlich tanzen. Du bist allein mit dem Himmel, und der Himmel ist kein Gefängnis. Er tut sich immer weiter auf, öffnet und öffnet sich — riesig, unendlich. Plötzlich holst du tief Luft: die Luft berührt deine Mitte — und Seligkeit! Aber das hält nicht lange an. In ein oder zwei Stunden sind die Berge wieder verschwunden. Du magst noch da sein, aber die Berge sind weg. Deine Sorgen sind wieder da. Du denkst daran, zu Hause anzurufen, einen Brief an deine Frau zu schreiben, oder Vorbereitungen für deine Abreise in drei Tagen zu treffen. Du bist kaum angekommen und bereitest schon die Abreise vor. Da bist du wieder. Dies Luftholen kam nicht wirklich von dir. Es ist einfach passiert. Aufgrund der veränderten Situation passierte die Gangschaltung. Du warst in einer neuen Situation. Du konntest nicht mehr wie sonst atmen, und so kam für einen Augenblick ein neuer Atem herein. Er berührte deine Mitte; darum hast du dich selig gefühlt. Shiva sagt, daß du in jedem Augenblick das Zentrum berührst, oder es jedenfalls berühren kannst. Mache tiefe, langsame Atemzüge. Berühre das Zentrum; atme nicht aus der Brust. Es ist ein Trick, Zivilisation, Erziehung, Moral — sie haben das flache Atmen erfunden. Es ist gut, rief bis ins Zentrum zu gehen, denn sonst bleibt der Atem flach. Der Mensch kann erst dann wirklich rief atmen, wenn er aufhört, den Sex zu verdrängen. Wenn der Atem tief in den Unterleib geht, gibt er dem Sex-Zentrum Energie. Er berührt das SexZentrum; er massiert das Sex-Zentrum von innen. Das Sex-Zentrum wird aktiver, lebendiger. Die Zivilisation hat Angst vor dem 74
Kapitel 3
Sex. Wir erlauben unseren Kindern nicht, mit ihrem Sex-Zentrum in Berührung zu kommen — mit ihren Sexualorganen. Wir sagen: „Hände weg! Nicht anfassen!” Beobachte ein Kind, wenn es seine Sexualorgane berührt, und sag dann: „Halt!” und beobachte seinen Atem. Wenn du sagst: „Halt! Nicht anfassen!” wird sein Atem augenblicklich flach: denn es ist nicht nur die Hand, die das Sex-Zentrum berührt: Tief drinnen tut es auch der Atem. Und wenn der Atem es immerzu berührt, ist es schwierig, die Hand davon abzuhalten. Wenn die Hand damit aufhören soll, dann muß notwendig auch der Atem damit aufhören, dann darf er nicht tief gehen. Er muß flach bleiben. Wir haben Angst vor dem Sex. Der untere Teil des Körpers ist nicht nur körperlich tiefer, er ist auch wertmäßig tiefer. Er wird als „niedrig” verdammt: Geh ja nicht tief, bleib flach! Unglücklicherweise können wir nur nach unten atmen! Ginge es nach den Moralpredigern, würden sie den ganzen Atemapparat ändern. Sie würden euch nur nach oben in den Kopf atmen lassen. Dann würdet ihr den Sex gar nicht erst bemerken. Wenn wir eine sexlose Menschheit wollen, dann müssen wir das Atemsystem verändern: Der Atem muß in den Kopf gehen, zum Sahasra, zum siebten Zentrum im Kopf, und dann wieder zurück in den Mund. Das sollte der Weg sein: vom Mund zum Sahasra. Es darf nicht tief nach unten gehen, denn unten droht Gefahr. Je tiefer du gehst, desto näher kommst du an die tieferen Schichten der Biologie heran. Du kommst zu deinem Zentrum, und dies Zentrum ist gleich nach dem Sex-Zentrum — in engster Nachbarschaft. Das muß so sein, denn Sex ist Leben. Seht es einmal so: Atem ist Leben von oben nach unten; Sex ist Leben genau von der anderen Ecke her — von unten nach oben. Es strömt eine Sexenergie und es strömt eine Atemenergie in dir. Der Atemweg ist im Oberkörper, und der Sexweg ist im Unterkörper. Wenn sie zusammentreffen, erzeugen sie Leben; wenn sie zusammentreffen, erzeugen sie Biologie, Bio-Energie. Wenn du also Angst vor dem Sex hast, mußt du die beiden auseinander halten. Verhindere, daß sie zusammenkommen. Der zivilisierte Mensch ist in Wirklichkeit ein kastrierter Mensch. Darum wissen wir 75
Das Buch der Geheimnisse
nichts vom Atmen, und darum wird es euch schwerfallen, dies Sutra zu verstehen. Shiva sagt: „Oder, wann immer der einströmende Atem mit dem ausströmenden Atem zusammenfließt, in diesen Augenblick berühre das energielose, energieerfüllte Zentrum.” Er benutzt sehr widersprüchliche Begriffe: „Energielos, energieerfüllt.” Energielos — weil weder dein Körper noch dein Geist deinem Zentrum Energie geben können. Deine Körperenergie befindet sich nicht dort, deine geistige Energie befindet sich nicht dort, und so verstanden ist es „energielos” in bezug auf deine Identität, wie du dich kennst. Aber es ist energieerfüllt, weil ihm die kosmische Energiequelle zur Verfügung steht und gar nicht auf deine Körperenergie angewiesen ist. Deine Körperenergie ist nur Brennstoffenergie. Sie ist nur Benzin. Du ißt etwas, du trinkst etwas: Das erzeugt Energie. Damit gibst du lediglich dem Körper Brennstoff. Hör auf zu essen und zu trinken, und dein Körper fällt tot um; nicht gleich jetzt — es wird mindestens drei Monate dauern, denn du hast Benzinreserven. Du hast viel Energie akkumuliert; der Körper kann mindestens drei Monate weiterlaufen ohne zu tanken. Er läuft und läuft: er hat einen Reservetank. Im Notfall, irgendeinem Notfall — könntest du ihn brauchen. Das ist Brennstoffenergie. Dein Zentrum bekommt keine Brennstoffenergie. Darum nennt Shiva es „energielos”. Es ist nicht von deinem Essen und Trinken abhängig. Es ist mit der kosmischen Quelle verbunden; es ist kosmische Energie, daher spricht er von dem „energielosen, energieerfüllten Zentrum”. In dem Moment, da du das Zentrum fühlen kannst, genau den Punkt, von wo aus der Atem ein — und ausströmt, wo er verschmilzt, wo die Atemzüge verschmelzen — wenn dir dieses Zentrum bewußt wird, dann ... die Erleuchtung. Die vierte Technik:
Oder, wenn der Atem ganz draußen ist oder ganz drinnen, und von allein stillsteht — in solch einer universalen Pause verschwindet das eigene kleine Selbst. Dies ist schwierig nur für den Unreinen. 76
Kapitel 3
Aber dann ist es für jeden schwierig, denn er sagt: „Dies ist schwierig nur für den Unreinen. ” Wer ist aber schon rein? Es ist schwierig für euch. Ihr könnt diese Technik nicht praktizieren. Aber manchmal stößt man plötzlich darauf. Du fährst Auto und plötzlich merkst du, daß gleich ein Unfall passiert. Der Atem stockt. Hast du grade ausgeatmet, bleibt der Atem draußen. Hast du grade eingeatmet, bleibt er drinnen. In einer solchen Situation kannst du nicht atmen. Das kannst du dir nicht leisten. Alles steht still, fällt ab von dir. „Oder, wenn der Atem ganz draußen ist, oder ganz drinnen, und von allein stillsteht - in solch einer universalen Pause verschwindet das eigene kleine Selbst. ” Dein „kleines Selbst” ist nur ein täglicher Gebrauchsgegenstand. In Krisensituationen kannst du dich nicht daran erinnern: Wer du bist - dein Name, dein Konto, dein Prestige -, all das löst sich einfach in Dunst auf. Dein Wagen fährt genau auf einen anderen Wagen zu; noch einen Moment, und der Tod ist da. In diesem Moment entsteht eine Pause. Selbst für den „Unreinen” wird es eine Pause geben. Plötzlich steht der Atem still. Wenn du in diesem Moment bewußt bleibst, kannst du das Ziel erreichen. Die Zen-Mönche in Japan haben sehr viel mit dieser Methode experimentiert. Darum kommen uns ihre Methoden so ausgefallen, so absurd, so merkwürdig vor. Sie machen die überraschendsten Dinge: ein Lehrer wirft zum Beispiel jemanden aus dem Haus. Oder der Lehrer schlägt plötzlich auf den Schüler ein, ohne jeden Sinn und Zweck, ohne Grund. Du hast eben noch neben deinem Lehrer gesessen, und alles war okay. Ihr habt nur so geplaudert, und plötzlich gibt er dir einen Schlag - um die Pause zu erzeugen. Gäbe es irgendeinen Grund, könnte die Pause nicht entstehen. Hättest du deinen Lehrer beschimpft und er hätte dich daraufhin geschlagen, dann gäbe es eine Kausalität. Dein Kopf versteht: „Ich habe ihn beleidigt, nun schlägt er mich.” Das war zu erwarten gewesen, es entsteht also keine Lücke. Aber vergiß nicht: Ein Zen-Lehrer wird dich, wenn du ihn beleidigst, nicht schlagen; er wird lachen, weil dann sein Gelächter die Lücke erzeugt. Du hast ihn beschimpft und ihm lauter unverschämte Dinge gesagt und hast mit seiner Wut 77
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gerechnet: Aber er fängt zu lachen oder zu tanzen an. Das ist unverhofft: das erzeugt eine Pause. Du kannst es nicht verstehen. Was er nicht verstehen kann, davor stutzt der Geist. Und wenn der Geist stillsteht, steht der Atem still. Es gilt für beide Richtungen: steht der Atem still, steht der Geist still: steht der Geist still, steht der Atem still. Du hast den Lehrer bewundert, hast dich wohl gefühlt und gedacht, jetzt muß er aber mit mir zufrieden sein`. Und dann nimmt er seinen Stock und schlägt dich, und zwar gnadenlos, denn Zen-Meister sind gnadenlos. Er schlägt dich, und du weißt nicht, was los ist. Dein Denken steht still, es gibt eine Pause. Wenn du sie zu nutzen weißt, kannst du zu deinem Selbst vordringen. Es gibt viele Geschichten, wie jemand zur Buddhaschaft gelangte, weil ihm der Lehrer plötzlich einen Hieb versetzte. Ihr findet das unbegreiflich: „Was für ein Unsinn? Wie soll man zur Buddhaschaft gelangen, wenn man von jemandem verprügelt oder aus dem Fenster geworfen wird? Selbst wenn mich jemand töten würde, könnte ich dadurch keine Buddhaschaft erlangen.” Aber wenn ihr diese Technik versteht, werdet ihr es leicht begreifen können. Vor allem im Westen wird Zen in den letzten dreißig oder vierzig Jahren immer beliebter, zur Mode. Aber bevor sie im Westen diese Technik nicht verstehen, können sie auch Zen nicht verstehen. Sie können zwar nachahmen, aber Nachahmung bringt nichts. Im Gegenteil, sie ist gefährlich. Dies sind keine Dinge, die man nachahmen kann. Die gesamte Zen-Methodik beruht auf der vierten Technik Shivas. Aber unglücklicherweise müssen wir heute den Zen aus Japan i mportieren, weil wir in Indien die ganze Tradition verloren haben; wir kennen sie nicht mehr. Shiva war der Experte par excellence in dieser Methode. Als er kam, um Devi zu heiraten, mit seinem ganzen Gefolge, seinem Barat, da muß es der ganzen Stadt den Atem verschlagen haben, die ganze Stadt stand still! Devis Vater war nicht gewillt, seine Tochter an diesen Hippie zu verheiraten. Shiva war der Ur-Hippie. Devis Vater war total gegen ihn, und kein Vater der Welt hätte diese Ehe zugelassen, keiner! Wir dürfen es Devis Vater nicht übelnehmen; kein Vater 78
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würde die Ehe mit Shiva billigen. Aber dann bestand Devi darauf, und er mußte einwilligen — widerstrebend, unglücklich, aber er willigte ein. Dann kam die ganze Hochzeitprozession. Es heißt, daß alle rannten, um Shiva und seine Prozession zu sehen. Das gesamte Barat mußte LSD genommen haben, Marihuana. Alle waren angetörnt. Und wirklich, LSD und Marihuana sind kleine Fische: Shiva mit seinen Freunden und Schülern waren im absoluten Psychedelikum: Soma rasa. Aldous Huxley hat den Inbegriff aller Drogen nur Shiva zu Ehren „Soma” genannt. Alle waren angetörnt, tanzten und schrien und lachten. Die ganze Stadt rannte davon. Sie muß diese Pause, den Stillstand gespürt haben. Alles Plötzliche, Unerwartete, Unglaubliche kann für den Unreinen die Pause erzeugen. Aber für den Reinen sind solche Dinge nicht nötig. Für den Reinen ist die Pause immer da. Die Pause währt immer! Viele Male bleibt dem reinen Geist der Atem stehen, viele Male! Wenn dein Geist rein ist — und „rein” heißt, daß du nichts verlangst, begehrst, herbeisehnst, daß du schweigend rein, unschuldig rein bist — dann kannst du einfach nur dasitzen, und plötzlich bleibt dein Atem einfach stehen. Vergeßt nicht: Damit sich der Geist bewegen kann, braucht er die Atembewegungen. Ein schneller Gedankenablauf braucht eine schnelle Atembewegung. Darum geht der Atem so schnell, wenn du wütend bist. Im Sexakt wird das Atmen schneller. Darum steht in der Ayurveda, daß Sex lebensverkürzend wirkt: dein Leben wird laut Ayurveda durch zuviel beschnitten, denn die Ayurveda mißt das Leben nach Atemzügen. Wenn dein Atem zu schnell geht, wird dein Leben verkürzt. Die modernen Mediziner sagen, daß Sex für den Kreislauf gut ist, daß er zur Entspannung verhilft, und daß derjenige, der den Sex verdrängt, Schwierigkeiten bekommt, vor allem Herzbeschwerden. Und sie haben recht. Und die Ayurveda hat auch recht. Das scheint widersprüchlich, aber die Ayurveda wurde vor fünftausend Jahren geschrieben, wo jedermann hart arbeitete. Das Leben bestand aus Schwerarbeit, man brauchte also keine Entspannungsübungen, man brauchte den Blutkreislauf nicht künstlich anzuregen. 79
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Aber heute ist für die Menschen, die keine körperliche Schwerarbeit tun, der Sex die einzige Schwerarbeit. Darum hat auch die moderne Medizin recht, die den modernen Menschen betrifft. Er strengt sich körperlich nicht so an, und da bietet der Sex die nötige Anstrengung: das Herz schlägt schneller, der Kreislauf wird angeregt, der Atem geht tief, bis zum Zentrum. Darum fühlt man sich nach dem Geschlechtsverkehr entspannt und kann leicht einschlafen. Freud nennt den Sex das beste Beruhigungsmittel: und das ist er auch, wenigstens für den modernen Menschen. Im Sex geht der Atem also schneller, in der Wut auch. Im Sex ist der Geist voller Verlangen, Wollust — „Unreinheit”. Wenn der Geist rein ist und kein Verlangen, kein Suchen, keine Motivation in ihm ist — du willst nirgendwo hin, sondern bleibst nur im Hier und Jetzt, ein Teich von Unschuld, den nicht die leiseste Welle kräuselt — dann hört das Atmen automatisch au£ Es ist nicht mehr nötig. Auf diesem Weg verschwindet das kleine Selbst, und du gelangst zum höheren Selbst, zum Allerhöchsten Selbst.
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Die Täuschungsmanöver des Kopfes
[Fragen]
Wie ist es möglich, zur Erleuchtung zu gelangen, nur indem man sich einen bestimmten Punkt im Atemprozeß bewußt macht? Wie ist es möglich, vom Unbewußten befreit zu werden, einfach indem man auf eine so winzige, kurze Lücke im , Atem achtet?
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Das Buch der Geheimnisse
Diese Frage ist wichtig, und sie ist sicher schon in vielen Köpfen aufgetaucht. Hier gibt es also vieles zu verstehen. Erstens: daß die Spiritualität für eine schwierige Errungenschaft gehalten wird. Sie ist weder-noch, das heißt, sie ist weder schwierig, noch eine Errungenschaft. Was immer du bist, du bist schon spirituell: deinem Wesen braucht nichts Neues hinzugefügt zu werden. Und nichts von deinem Wesen braucht verworfen zu werden. Du bist so perfekt wie nur möglich. Nicht, daß du irgendwann in der Zukunft einmal perfekt sein wirst, nicht, daß du dich furchtbar anstrengen mußt, um du selbst zu sein! Es ist keine Reise irgendwohin; es geht nirgends hin. Du bist schon angekommen. Das, was es zu erreichen gibt, ist schon erreicht. Laß diese Vorstellung tief einsinken, nur dann kannst du verstehen, warum so einfache Techniken helfen können. Wenn Spiritualität eine Errungenschaft ist, dann wird es natürlich schwierig — nicht nur schwierig, sondern unmöglich. Wenn du nicht schon spirituell bist, kannst du es nie sein. Du kannst es nie sein, denn wie soll einer, der nicht schon spirituell ist, spirituell werden? Wenn du nicht schon göttlich bist, dann führt kein Weg dorthin. Und du kannst anstellen, was du willst — niemand, der nicht bereits göttlich ist, kann Göttlichkeit erzeugen. Unmöglich! Aber es ist alles ganz anders: du bist schon das, was du erreichen willst. Hier und jetzt, in diesem Augenblick, bist du das, was man „das Göttliche” nennt. Das Letzte und Höchste ist hier, es findet bereits statt. Aus diesem Grund können einfache Techniken helfen. Es ist keine Errungenschaft, sondern eine Entdeckung. Es ist versteckt, und zwar in ganz, ganz kleinen Dingen. Die Persona ist wie Kleider. So wie dein Körper da ist und in Kleidern steckt, genauso ist deine Spiritualität da und steckt gewissermaßen in Kleidern. Diese Kleider sind deine Persönlichkeit. Du kannst hier und jetzt ganz nackt sein, und genauso kannst du auch in deiner Spiritualität ganz nackt sein. Aber du weißt nicht, was diese Kleider sind. Du weißt nicht, inwiefern du in ihnen versteckt bist; du weißt nicht, wie du nackt sein kannst. Du lebst schon so lange in deinen Kleidern — viele, viele Leben lang hast du schon mit Kleidern gelebt und dich mit den Kleidern identifi84
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ziert -, daß du sie jetzt nicht mehr für Kleider hältst. Du glaubst, diese Kleidung, das wärst du. Das ist das einzige Hindernis. Zum Beispiel besitzt du einen Schatz, hast es aber vergessen oder noch nicht erkannt und gehst auf die Straße betteln. Du bist ein Bettler. Wenn jemand sagt: „Geh nach Hause und schau dich dort um, du brauchst kein Bettler zu sein, du kannst gleich jetzt ein Kaiser sein”, dann antwortet der Bettler natürlich: „Was redest du da für Unsinn? Wie kann ich in diesem Augenblick ein Kaiser sein? Ich bettle seit Jahren und bin immer noch ein Bettler, und selbst wenn ich das ganze Leben lang weiter bettle, werde ich trotzdem kein Kaiser sein. Wie absurd und unlogisch, daß ich jetzt in diesem Augenblick ein Kaiser sein könnte!” Ausgeschlossen - der Bettler kann es nicht glauben. Warum? Weil die Bettel-Haltung eine lange Gewohnheit ist. Aber wenn der Schatz wirklich im Haus versteckt ist, dann kann er gehoben werden, einfach indem man ein bißchen gräbt, ein bißchen Erde wegräumt. Und augenblicklich ist man kein Bettler mehr, man ist ein Kaiser. Genauso ist es mit der Spiritualität. Sie ist ein verborgener Schatz. Nichts braucht irgendwo in der Zukunft erreicht zu werden. Du weißt es noch nicht, aber sie ist vorhanden, ist schon in dir. Du bist der Schatz, aber du gehst weiter betteln. Einfache Techniken können also helfen. Ein wenig zu graben, ein bißchen Erde beiseite zu räumen, das ist keine große Anstrengung; du kannst augenblicklich zum Kaiser werden. Du brauchst nur ein bißchen zu graben und Erde wegzuräumen. Und wenn ich sage, „Erde wegräumen”, dann meine ich das nicht nur symbolisch. Dein Körper gehört buchstäblich der Erde an, und du hast dich mit dem Körper identifiziert. Räume diese Erde etwas zur Seite, grabe ein Loch hinein, und du wirst den Schatz erkennen. Darum wird sich diese Frage vielen, ja, jedem stellen: „Eine so belanglose Technik wie diese - nur auf den Atem zu achten, auf das Ein - und Ausatmen und die Pause dazwischen -, ist das genug?” So etwas Einfaches! Reicht das zur Erleuchtung? Soll das der einzige Unterschied zwischen dir und Buddha sein, daß du die Lücke zwischen zwei Atemzügen noch nicht wahrgenommen hast, Buddha aber schon? Das soll alles sein? Das scheint absurd. 85
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Die Entfernung zwischen einem Buddha und dir ist unendlich. Der Abstand ist grenzenlos. Der Abstand zwischen einem Bettler und einem Kaiser ist unendlich, aber aus dem Bettler kann im Handumdrehen ein Kaiser werden, wenn der Schatz schon heimlich da ist. Buddha war ein Bettler wie ihr. Er war nicht schon immer ein Buddha. Zu einem bestimmten Zeitpunkt starb der Bettler und wurde zum Herrn. Das ist in Wirklichkeit kein allmählicher Prozeß. Nicht, daß Buddha so lange gespart hat, bis er eines Tages kein Bettler mehr, sondern ein Kaiser war. Nein, ein Bettler kann nie zum Kaiser werden, wenn es eine Frage des Sparens ist; dann bleibt er Bettler. Er mag ein reicher Bettler werden, aber er wird Bettler bleiben. Und ein reicher Bettler ist ein größerer Bettler als ein armer. Plötzlich, eines Tages, entdeckt Buddha den inneren Schatz. Nun ist er kein Bettler mehr und wird Herr. Der Abstand zwischen Gautam Siddhartha und Gautam Buddha ist unendlich. Es ist die gleiche Entfernung wie zwischen euch und einem Buddha. Aber der Schatz ist in euch verborgen, so gut wie er in Buddha verborgen war. Eine kleine, eine sehr kleine Technik kann helfen. Oder nehmt ein anderes Beispiel: jemand wird mit blinden, kranken Augen geboren. Für einen Blinden ist die Welt etwas anderes. Eine kleine Operation kann die Sache andern, nur die Augen müssen geheilt werden. Sobald die Augen geheilt sind, ist der Sehende hinter ihnen verborgen und kann anfangen, durch die Augen zu sehen. Der Sehende ist bereits da: Es fehlen nur Fenster. Du bist in einem Haus ohne Fenster. Du kannst ein Loch in die Wand brechen und plötzlich nach draußen sehen. Wir sind schon das, was wir sein werden, was wir sein sollen, was wir zu sein bestimmt sind. Die Zukunft ist bereits in der Gegenwart verborgen, deine ganze Möglichkeit ist in Saatform hier. Es muß nur ein Fenster aufgebrochen werden. Nur ein kleiner chirurgischer Eingriff ist nötig. Wenn du dies verstehen kannst, daß die Spiritualität bereits da ist, daß sie schon der Fall ist, dann stellt sich die Frage gar nicht, wie eine so kleine Anstrengung helfen kann. 86
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Wirklich, es gehört keine große Mühe dazu. Nur ganz geringe Anstrengungen sind nötig, und je geringer, desto besser. Und wenn du mühelos arbeitest, noch besser. Darum passiert es oft, sehr oft, daß es in dem Maße schwieriger wird, wie du dich anstrengst. Gerade deine Anstrengung, deine Anspannung, dein Beschäftigtsein, deine Sehnsucht, deine Erwartung wird zur Schranke. Aber mit einer ganz beiläufigen Anstrengung geht es, mit jener „mühelosen Mühe”, wie es im Zen heißt — so handeln, als täte man nichts. Je besessener du bist, desto geringer die Chance, denn wo eine Nadel nötig ist, gebrauchst du ein Schwert. Das Schwert wird nichts ausrichten. Es mag zwar größer sein, aber wo eine Nadel nötig ist, nützt ein Schwert nichts. Geht zu einem Schlachter — er hat sehr große Werkzeuge; und geht dann zu einem Gehirnchirurgen — dort findet ihr nicht so große Instrumente. Und solltet ihr sie doch finden, dann rennt so schnell wie möglich davon! Ein Hirnchirurg ist kein Schlachter. Er braucht sehr kleine Instrumente -je kleiner, desto besser. Spirituelle Techniken sind noch subtiler. Sie sind nicht grob. Sie dürfen es nicht sein, weil diese Chirurgie noch subtiler ist. Im Hirn hat der Chirurg immer noch mit der groben Materie zu tun, aber wenn man auf spirituellen Ebenen arbeitet, dann wird die Chirurgie immer ästhetischer. Da gibt es keine grobe Materie. Sie wird feinstofflich: das ist das eine. Zum zweiten fragst du, wie etwas so Kleines einen so riesigen Schritt ermöglichen soll? Diese Frage ist irrational, unwissenschaftlich. Heute weiß die Wissenschaft, daß je kleiner das Partikel, je atomarer, desto explosiver wird es, mit anderen Worten: desto größer. Je kleiner es ist, desto größer die Wirkung. Hätte man sich vor 1945 vorstellen können, hätte sich ein einfallsreicher Dichter oder Träumer träumen lassen, daß zwei Atomexplosionen zwei große Städte in Japan vollständig ausradieren würden, Hiroshima und Nagasaki? Zweihunderttausend Menschen wurden binnen Sekunden einfach ausgelöscht. Und was war die explosive Kraft dahinter? Ein Atom! Der allerkleinste Teil sprengte zwei große Städte in die Luft. Ein Atom kann man nicht sehen. Nicht nur mit den Augen kann man es nicht sehen — es gibt gar kein Mittel, es zu sehen; das Atom läßt sich mit keinem Instrument sehen. Wir können nur die Auswirkungen sehen. 87
Das Buch der Geheimnisse
Glaubt also nicht, der Himalaja wäre größer, weil er ein so großes Volumen hat. Der Himalaja ist, gemessen an einer atomaren Explosion, einfach machtlos. Ein einziges kleines Atom kann den Himalaja wegwischen. Ein großes Volumen an grobem Stoff ist nicht unbedingt Kraft. Im Gegenteil, je kleiner die Einheit, desto durchschlagskräftiger. Je kleiner die Einheit, desto mehr Kraft steckt darin. Diese „kleinen” Techniken sind atomar. Wer es mit „größeren” versucht, weiß nichts von Atomwissenschaft. Ist jemand, der mit Atomen arbeitet, deshalb unbedeutender, weil er sich mit kleinen Dingen abgibt, und jemand, der mit dem Himalaja zu tun hat, darum sehr bedeutend? Hitler hat mit großen Massen gearbeitet. Mao arbeitete mit großen Massen. Und ein Einstein und Planck arbeiteten in ihren Labors mit kleinen Materie-Einheiten — Energiepartikeln. Aber letzten Endes waren die Politiker vor Einsteins Entdeckung impotent. Sie arbeiteten in großem Rahmen, aber sie kannten noch nicht das Geheimnis der kleinen Einheit. Moralisten wirken immer in großem Rahmen, aber das sind grobe Dimensionen. Die Sache sieht sehr groß aus. Sie verbringen ihr ganzes Leben mit Moralisieren, praktizieren dies und jenes, sie üben sich in Sanyam, Kontrolle: sie kontrollieren immer nur. Das ganze Bauwerk sieht sehr groß aus. Tantra hat damit nichts zu schaffen. Tantra hat mit den atomaren Geheimnissen des menschlichen Wesens zu tun, des menschlichen Geistes, des menschlichen Bewußtseins. Und Tantra weiß von den Geheimnissen des Atoms. Seine Methoden sind atomar. Wer sie beherrscht — ihr Ergebnis ist explosiv, kosmisch. Noch etwas ist wichtig. Wenn du sagst: „Wie kommt es, daß man durch eine so kleine, einfache Übung erleuchtet werden kann?”, dann verrät das, daß du sie nicht probiert hast, denn hättest du es, würdest du die Übung nicht klein nennen, nicht einfach. Es scheint nur so, weil die ganze Übung mit zwei oder drei Sätzen gesagt werden kann. Kennt ihr die Atomformel? Zwei oder drei Worte, und die ganze Formel ist ausgedrückt. Und wer diese zwei oder drei Worte verstehen kann, wer mit ihnen umgehen kann, kann die ganze Erde zerstören. Aber die Formel ist winzig. 88
Kapitel 4
Auch dies sind Formeln; wenn man also nur die Formel sieht, erscheint sie ganz klein und einfach. Das ist sie nicht! Probiere sie aus! Wenn du es tust, dann weißt du, daß es nicht so einfach ist. Es sieht einfach aus, gehört aber zum Allertiefsten. Laßt uns den Vorgang analysieren, dann werdet ihr verstehen. Wenn ihr einatmet, fühlt ihr nie den Atem. Ihr habt nie den Atem gefühlt! Das werdet ihr sofort bestreiten und sagen: „Das stimmt nicht. Wir mögen nicht ständig drauf achten, aber fühlen tun wir ihn.” Nein, ihr fühlt den Atem nicht: Ihr fühlt nur sein Strömen. Das meint Shiva nicht, wenn er sagt: „Nehmt ihn wahr.” Seht euch das Meer an: Wellen sind da, ihr seht die Wellen. Aber diese Wellen werden von der Luft erzeugt, dem Wind. Aber den Wind seht ihr nicht. Ihr seht nur die Auswirkung auf dem Wasser. Wenn ihr Atem holt, berührt er die Nasenflügel. Ihr fühlt die Nasenflügel, aber nie den Atem. Er geht hinunter: Ihr fühlt ihn strömen. Er kommt zurück: Wieder fühlt ihr ihn strömen. Den Atem fühlt ihr nie. Ihr fühlt nur seine Berührung, wenn er durchkommt. Anfangs müßt ihr sein Vorbeikommen wahrnehmen. Und wenn ihr das vollkommen könnt — erst dann — werdet ihr nach und nach den Atem selbst wahrnehmen. Und wenn ihr den Atem wahrnehmt, könnt ihr auch die Lücke, das Intervall bewußt wahrnehmen. Es ist nicht so leicht, wie es aussieht. Es ist nicht so leicht! Für Tantra, für die ganze indische Spiritualität, gibt es Bewußtseinsschichten. Wenn ich dich umarme, nimmst du zuerst meine Berühumg auf deinem Körper wahr — nicht meine Liebe. Meine Liebe ist weniger grob. Und gewöhnlich nehmen wir Liebe überhaupt nicht wahr. Wir nehmen nur Körperbewegungen wahr. Wir kennen liebevolle Gesten, wir kennen lieblose Gesten — aber Liebe selbst erkennen wir nie. Wenn ich dich küsse, nimmst du die Berührung wahr, nicht meine Liebe, diese Liebe ist etwas sehr Feines. Und solange du nicht meine Liebe wahrnimmst, ist der Kuß einfach tot, er bedeutet nichts. Nur wenn du meine Liebe wahrnehmen kannst, nur dann kannst du auch mich wahrnehmen, denn das ist wieder eine tiefere Schicht. Der Atem kommt herein: du fühlst seine Berührung, nicht den 89
Das Buch der Geheimnisse
Atem selbst. Aber du bist dir nicht einmal dieser Berührung bewußt. Nur wenn etwas nicht stimmt, wenn du Probleme mit dem Atem hast, dann spürst du ihn; sonst aber nimmst du ihn nicht wahr. Der erste Schritt ist also, sich das passieren des Atems bewußt zu machen, seine Berührung zu spüren. Dadurch wächst deine Empfindsamkeit. Es wird Jahre dauern, so empfindsam zu werden, daß man nicht nur die Berührung, sondern die Atembewegung selbst erkennt. Dann, so sagt Tantra, hat man das Prana kennengelernt — die Lebens-Energie. Und nur dann erscheint auch die Lücke, wo der Atem anhält, wo der Atem sich nicht bewegt — oder das Zentrum, an das der Atem rührt, oder der Fusionspunkt, oder der Wendepunkt, wo der einströmende Atem sich wieder nach außen wendet. Es wird schwer sein; es ist nicht so leicht. Nur wenn du es ausprobierst, wenn du wirklich in das Zentrum gehst, wirst du wissen, wie schwierig es ist. Buddha brauchte sechs Jahre dazu, um zu diesem Zentrum jenseits des Atems zu kommen. Um zu diesem Wendepunkt zu gelangen, benötigte er eine lange, entbehrungsreiche Reise von sechs Jahren. Dann geschah es. Mahavir arbeitete zwölf Jahre daran, ehe es geschah. Aber die Formel ist einfach, und theoretisch kann es jetzt gleich geschehen — theoretisch, vergiß das nicht. Theoretisch gibt es da keine Hindernisse, warum also nicht gleich jetzt? Du bist das Hindernis. Es liegt nur an dir, daß es nicht in diesem Augenblick passiert. Der Schatz ist da; die Methode ist dir bekannt: Du kannst graben. Aber du willst gar nicht graben. Selbst diese Frage ist ein Trick, um nicht graben zu müssen, denn dein Kopf sagt: „So etwas Einfaches? Sei kein Dummkopf. Wie kannst du durch so etwas Einfaches zum Buddha werden? Das kann doch nicht sein!” Also tust du gar nichts, denn wie kann das angehen? Der Kopf ist voller Tricks. Sage ich, daß es sehr schwer ist, sagt er, daß es so schwer ist, daß du es nicht schaffen kannst. Sage ich, es ist sehr leicht, sagt der Kopf: „Das ist zu leicht! Da können nur Narren drauf reinfallen.” Der Kopf rationalisiert immer nur und rennt vor dem Tun davon. Der Kopf schafft Hindernisse. Du blockierst dich, wenn du glaubst, es sei zu einfach oder zu schwer — denn was dann? Wenn du nichts Leichtes und nichts Schweres tun kannst, was tust 90
Kapitel 4
du dann überhaupt? Sag es mir! Wenn du gerne etwas Schwieriges machen willst — ich mache es schwierig für dich. Wenn du gerne etwas Leichtes machen willst — ich mache es einfach. Es ist beides zugleich. Es kommt auf die Auslegung an. Aber eines ist wichtig: daß du es auch wirklich tust. Und wenn du es nicht tust, wird dein Kopf immer Erklärungen dafür finden. Theoretisch ist es hier und jetzt möglich. Tatsächlich kann dich nichts hindern. Trotzdem gibt es Schranken, auch wenn sie nicht tatsächlich da sein mögen. Sie mögen einfach nur psychologisch sein. Sie mögen einfach nur deine Illusionen sein. Aber sind sie da. Wenn ich dir sage: „Hab keine Angst — geh zu! Das Ding, was du für eine Schlange hältst, ist keine Schlange, sondern ein Strick”, so ist trotzdem die Angst da. Für dich sieht es wie eine Schlange aus. Egal, was ich sage, es wird nicht helfen: du zitterst, du möchtest davonlaufen und fliehen. Ich sage, es ist nur ein Strick, aber dein Kopf wird sagen: „Dieser Mann steckt sicher mit der Schlange unter einer Decke, da kann etwas nicht stimmen. Dieser Mann treibt mich zur Schlange hin. Vielleicht will er, daß ich sterbe, oder was weiß ich!” Daß ich dich so hartnäckig überzeugen will, es sei nur ein Strick, beweist dir nur, daß ich ein Interesse daran habe, dich der Schlange zuzutreiben. Wenn ich dir sage, daß es theoretisch möglich ist, den Strickjetzt gleich als Strick zu erkennen, produziert der Kopf lauter Probleme. In Wirklichkeit gibt es kein Dilemma, in Wirklichkeit gibt es kein Problem. Es hat nie eins gegeben und wird nie eins geben. Probleme gibt es nur im Kopf: aber ihr seht die Wirklichkeit nur mit dem Kopf an. Und so wird die Wirklichkeit zum Problem. Euer Geist arbeitet wie ein Prisma. Er spaltet und macht Probleme. Und nicht nur das: er findet Lösungen, die nur noch zu tieferen Problemen führen, denn in Wirklichkeit gibt es gar keine Probleme, die gelöst werden müßten. Die Wirklichkeit ist absolut unproblematisch. Es gibt kein Problem. Aber ihr könnt nichts ohne Problem sehen. Wo ihr auch hinblickt, erzeugt ihr Probleme: euer Blick enthält schon das Problem. Ich habe euch diese Atemtechnik erklärt: jetzt sagt der Kopf „Das ist zu einfach.” Warum? Warum nennt der Kopf es zu einfach? Als die Dampfmaschine erfunden wurde, wollte niemand es 91
Das Buch der Geheimnisse
glauben. Es sah zu einfach aus — nicht zu glauben. Der gleiche Dampf, den ihr aus der Küche kanntet, vom Wasserkessel her, der gleiche Dampf sollte eine Lokomotive antreiben und viele Hunderte von Passagieren dazu — ein solches Gewicht? Der gleiche Dampf, den man so gut kannte? Nicht zu glauben! Wißt ihr, was in England passierte? Als der erste Zug losfuhr, wollte niemand einsteigen — kein Mensch! Es waren viele Leute überredet und bestochen worden, sie hatten Geld bekommen, damit sie sich in den Zug setzten. Und im letzten Augenblick rannten sie davon. Sie sagten: „Erstens kann Dampf keine solchen Wunder tun. Etwas so Einfaches wie Dampf kann nicht solche Wunder tun. Und wenn die Lokomotive doch fährt, heißt das, daß irgendwo der Teufel am Werk ist. Der Teufel treibt das ganze an, nicht der Dampf. Und wer garantiert uns, daß das Ding auch wieder stehenbleibt, wenn es erst einmal fährt?” Es konnte keine Garantie gegeben werden, denn es war der allererste Zug. Nie zuvor hatte einer gehalten. Es war nur eine Wahrscheinlichkeit. Es gab keine Erfahrung, keine Wissenschaft, die sagen konnte: Ja, er wird halten. Theoretisch würde er anhalten, aber die Leute waren nicht an Theorien interessiert: sie wollten wissen, ob es irgendeine konkrete Erfahrung gab, derzufolge ein Zug anhielt: „Wenn er nie wieder anhält, was wird dann aus uns, die darin sitzen?” Also wurden zwölf Verbrecher als Passagiere aus dem Gefängnis geholt. Die mußten sowieso sterben, die waren ja sowieso zum Tode verurteilt, da gab es also kein Problem, falls der Zug nicht anhielt. So würden nur der verrückte Lokomotivführer, der ans Anhalten glaubte, plus der Wissenschaftler, der das Ding erfunden hatte, plus diese zwölf Passagiere, die ja sowieso sterben mußten, dabei draufgehen. „Etwas so Einfaches wie Dampf!” sagte man damals. Aber heute sagt es niemand mehr, denn heute funktioniert es, und alle wissen es. Alles ist einfach: die Wirklichkeit ist einfach. Sie sieht nur kompliziert aus, wenn man es nicht weiß: ansonsten ist alles einfach. Sobald du das weißt, wird es einfach. Aber es zu erkennen, muß schwierig sein — nicht der Wirklichkeit wegen, deswegen nicht, sondern eures Kopfes wegen. Diese Technik ist einfach, 92
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aber nicht für euch. Euer Kopf wird Schwierigkeiten machen. Probiert es nur! Jemand anderes fragt:
Wenn ich dieser Methode folge, auf meinen Atem zu achten, wenn ich also nur auf mein Atmen achtgebe, dann kann ich nichts anderes tun. Meine ganze Aufmerksamkeit ist daraufgerichtet. Und wenn ich etwas anderes tue, dann kann ich nicht auf mein Atmen achten. Das stimmt, und darum mußt du anfangs eine bestimmte Zeit wählen, morgens oder abends, oder wann immer du willst. Mache eine Stunde lang nur diese Übung und sonst nichts. Hast du dich einmal an sie gewöhnt, dann wird es keine Probleme mehr geben, dann kannst du auf der Straße gehen und trotzdem auf deinen Atem achten. Es gibt einen Unterschied zwischen Bewußtheit und Aufmerksamkeit. Wenn du auf eine Sache aufmerksam bist, dann ist das exklusiv; du mußt deine Aufmerksamkeit allem anderen entziehen. Es ist also in Wirklichkeit eine Anspannung. Aufmerksamkeit heißt daher Anspannung. Du achtest auf ein Ding auf Kosten von allen anderen Dingen. Wenn du auf dein Atmen achtest, kannst du nicht auf das Gehen oder Autofahren achten. Versuche es also nicht, während du Auto fährst, denn du kannst nicht auf beides zugleich achten. Aufmerksamkeit gilt ausschließlich einer Sache. Bewußtheit ist etwas ganz anderes. Sie ist nicht exklusiv. Nicht Aufmerksamkeit, sondern Wahrnehmung einfach nur bewußt sein. Bewußt bist du, wenn du alles in deine Bewußtheit einschließt. Dein Atmen findet in deiner Bewußtheit statt; du bist unterwegs, und jemand kommt vorbei, und auch dafür bist du bewußt. Jemand macht Lärm auf der Straße, irgendwo fährt ein Zug vorbei, ein Flugzeug: alles ist mit eingeschlossen. Bewußtheit schließt ein, Aufmerksamkeit schließt aus. Aber anfangs muß es Aufmerksamkeit sein. Versuche es also erst zu ganz bestimmten Zeiten. Achte eine Stunde lang nur auf deinen Atem. Nach und nach wird deine Aufmerksamkeit zu Bewußtheit. Danach mache einfache Übungen - zum Beispiel gehe spazieren: mit voller Bewußtheit, sowohl für 93
Das Buch der Geheimnisse
dein Gehen wie für dein Atmen. Schaffe keinen Konflikt zwischen dem Gehen und dem Atmen. Beobachte beides; es ist nicht schwierig. Schaut, ich kann zum Beispiel meine ganze Aufmerksamkeit auf ein Gesicht hier richten. Wenn ich nur ein Gesicht ansehe, existieren alle anderen Gesichter hier nicht für mich. Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf ein Gesicht richte, sind alle anderen ausgeklammert. Wenn ich meine Aufmerksamkeit nur auf die Nase in diesem Gesicht richte, dann wird das übrige Gesicht ausgeklammert. Ich kann meine Aufmerksamkeit auf einen einzigen Punkt verengen. Das Umgekehrte ist auch möglich. Ich nehme das ganze Gesicht wahr, und dann sind auch Augen und Nase und alles übrige da. Dann verschiebe ich meinen Brennpunkt: ich sehe euch nicht als Individuen, sondern als Gruppe. Dann ist meine Aufmerksamkeit auf die ganze Gruppe gerichtet. Wenn ich zwischen euch und dem Lärm auf der Straße einen Unterschied mache, dann klammere ich die Straße aus. Ich kann aber euch und die Straße als ein Ganzes betrachten, dann kann ich euch und auch die Straße bewußt wahrnehmen. Ich kann den ganzen Kosmos bewußt wahrnehmen. Es kommt auf den Blickwinkel an, darauf, daß er immer größer und weiter wird. Fangt aber erst mit Aufmerksamkeit an und vergeßt nicht, daß ihr in die Bewußtheit hineinwachsen müßt. Legt also eine bestimmte kurze Zeit fest: der Morgen ist gut, weil man dann frisch ist, die Energien sind unverbraucht, alles erwacht. Am Morgen bist du lebendiger. Die Physiologen sagen, daß du morgens nicht nur lebendiger bist, sondern sogar etwas größer als am Abend. Wenn du einen Meter achtzig groß bist, dann bist du am Morgen einen Meter einundachtzig. Und abends bist du wieder einen Meter achtzig. Ein Zentimeter ist verlorengegangen, denn dein Rückgrat schrumpft, wenn es müde ist. Morgens bist du also frischjung, sprühend vor Energie. Am besten setzt du die Meditation nicht an die letzte Stelle in deinem Tagesplan, sondern an die erste. Wenn es dann keine Anstrengung mehr ist, eine ganze Stunde völlig ins Atmen versunken dazusitzen, bewußt, aufmerksam, wenn du dir gewiß bist, daß du ohne Mühe aufs Atmen achten kannst und es auch ent94
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spannt und ohne Zwang genießt, dann hast du den Bogen raus. Füge dann etwas anderes hinzu — zum Beispiel Spazierengehen. Achte auf beides, und mach allmählich immer mehr. Nach einer gewissen Zeit wirst du ständig auf deinen Atem achten können, sogar wenn du schläfst. Und solange du ihn nicht auch im Schlaf beobachten kannst, lernst du nicht seine Tiefen kennen. Aber es wird geschehen: mit der Zeit wirst du es können. Man muß geduldig sein und die Sache auf richtige Art und Weise beginnen. Das mußt du, denn dein gerissener Verstand wird dir immer einflüstern wollen, falsch anzufangen, damit du nach zwei, drei Tagen aufhören und sagen kannst: Hoffnungsloser Fall. Der Verstand will dir einen falschen Start geben. Achte darauf, daß du es richtig anfängst, denn damit ist es schon halb getan. Aber wir fangen falsch an. Du weißt genau, wie schwierig es ist, aufmerksam zu bleiben, denn du weißt, wie fest du schläfst. Wenn du also gleich auf dein Atmen achten willst, während du etwas anderes tust, dann geht es nicht. Und dann hörst du nicht etwa mit dieser anderen Beschäftigung auf, sondern achtest nicht mehr auf den Atem. Mach dir also keine unnötigen Probleme. Irgendwo in vierundzwanzig Stunden läßt sich eine kleine Ecke finden. Vierzig Minuten genügen, da kannst du diese Technik ausprobieren. Aber der Verstand findet viele Ausreden. Der Verstand sagt: „Woher die Zeit nehmen? Es gibt so schon Arbeit genug zu tun. Wo ist die Zeit dazu?” Oder: „Es ist jetzt nicht möglich, verschiebe es auf später. Irgendwann in Zukunft, wenn es mir besser paßt, werde ich es tun.” Hüte dich vor dem, was dir dein Verstand sagt. Vertraue dem Verstand nicht allzu sehr. Und wir bezweifeln den Verstand nie. Wir können alles anzweifeln, nur nicht unseren eigenen Verstand. Selbst die Leute, die immerzu von Skepsis, Zweifel und Vernunft reden — selbst sie bezweifeln nie ihren eigenen Verstand. Und euer Verstand hat euch dahin gebracht, wo ihr jetzt seid. Wenn ihr in der Hölle lebt, hat euch euer Verstand dahin gebracht, und ihr zweifelt nie an diesem Führer! Ihr könnt jeden Lehrer, jeden Meister bezweifeln, aber ihr bezweifelt nie euren Verstand. Ohne geringstes Zögern macht ihr ihn zum Guru. Und der Verstand hat euch in das Chaos, in das Elend gebracht, das ihr seid. Wenn ihr 95
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irgend etwas anzweifeln wollt, zweifelt zunächst an eurem eigenen Verstand. Und wann immer euch euer Verstand etwas sagt, überlegt erst. Ist es wahr, daß du keine Zeit hast? Wirklich? Du hast keine Zeit zu meditieren, keine Stunde für die Meditation übrig? Überlege noch mal. Stelle dir immer wieder die Frage: „Ist es wahr, daß ich keine Zeit habe?” Ich kann das nicht sehen. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der nicht Zeit genug hätte, mehr als genug! Ich sehe Menschen, die Karten spielen und sagen: „Wir schlagen die Zeit tot.” Sie gehen ins Kino und sagen: „Was sollen wir sonst tun?” Sie schlagen sich die Zeit um die Ohren, klatschen, lesen die gleiche Zeitung immer wieder, reden das gleiche Zeug, das sie schon ihr ganzes Leben lang geredet haben, und sagen: „Wir haben keine Zeit.” Für unnötige Dinge haben sie Zeit genug. Warum? Bei überflüssigen Dingen ist der Denkapparat außer Gefahr. Sobald du aber an Meditation denkst, wird der Verstand mißtrauisch. Jetzt begibst du dich auf gefährliches Gebiet, denn Meditation bedeutet den Tod des Verstandes. Wenn du dich in Meditation begibst, muß sich dein Geist früher oder später auflösen, völlig zur Ruhe begeben. Also wird der Verstand hellhörig und fängt an, dir viele Dinge zu erzählen: „Wo ist die Zeit dafür? Und selbst wenn Zeit dafür da ist, gibt es wichtigere Dinge zu tun. Verschiebe es erst einmal auf später, meditieren kannst du dann immer noch, Geld ist wichtiger. Spare erst Geld, dann kannst du soviel meditieren, wie du willst. Wie kannst du ohne Geld meditieren? Erst sorge für Geld, später kannst du dann meditieren.” Du glaubst, daß Meditation leicht aufgeschoben werden kann, denn sie hat nichts mit deinem unmittelbaren Überleben zu tun. Brot kann nicht aufgeschoben werden, sonst stirbst du. Geld läßt sich nicht aufschieben, du brauchst es für deine Grundbedürfnisse. Meditation läßt sich aufschieben. Sie hat nichts mit deinem Überleben zu tun. Du kannst ohne sie überleben. Wirklich, du kannst leicht ohne sie überleben. I m selben Augenblick, wo du in tiefe Meditation gehst, wirst du nicht überleben -jedenfalls nicht hier auf dieser Erde. Du wirst verschwinden. Vom Kreislauf dieses Lebens, dieses Rades wirst du 96
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verschwinden. Meditation ist wie Tod, und davor fürchtet sich dein Kopf. Meditation ist wie Liebe, daher fürchtet sich dein Kopf. „Schieb es auf”, sagt er. Und du kannst es bis in alle Ewigkeit aufschieben. Dein Verstand sagt laufend solche Dinge. Und glaube nicht, ich rede hier von anderen Leuten. Ich rede ganz speziell von dir. Mir sind schon viele intelligente Leute begegnet, die immer nur sehr unintelligent über Meditation reden. Zum Beispiel der Mann aus Delhi, der ein wichtiger Regierungsbeamter ist und der allein zu dem Zweck herkam, das Meditieren zu lernen. Er war von Delhi gekommen und blieb sieben Tage. Ich sagte ihm, er solle zum Morgenmeditationskurs gehen, am Chowpatty Beach hier in Bombay, aber er sagte: „Das wird schwierig, so früh kann ich nicht aufstehen.” Und er wird nie darüber nachdenken, was ihm sein Verstand sagt. Ist das so schwer? Ihr werdet zugeben, die Übung kann sehr einfach sein, aber euer Verstand ist nicht so einfach. Der Verstand sagt: „Wie kann ich morgens um sechs aufstehen?” Ich war in einer sehr großen Stadt, und der Finanzminister dieser Stadt suchte mich um elf Uhr nachts auf. Ich ging gerade zu Bett, und er kam und sagte: „Nein, es ist dringend. Ich bin sehr verstört. Es ist eine Frage von Leben und Tod. Bitte gib mir wenigstens eine halbe Stunde. Bring mir das Meditieren bei, sonst begehe ich noch Selbstmord. Ich bin sehr durcheinander. Und ich bin so frustriert, daß mit meinem Innenleben irgend etwas passieren muß. Meine Welt geht unter!” Ich sagte zu ihm: „Komm morgen um fünf Uhr wieder.” Er sagte: „Das ist unmöglich.” Es ist eine Frage von Leben und Tod, aber um fünf Uhr aufstehen kann er nicht. Er sagte: „So früh stehe ich ja nie auf.” „Okay”, sagte ich, „dann eben um zehn.” Er sagte: „Das ist auch schwierig, denn um halb elf muß ich im Büro sein.” Er kann sich nicht einen Tag frei nehmen — und es geht um Leben und Tod. Also fragte ich ihn: „Ist es eine Frage von Leben oder Tod für dich oder für mich? Um wen geht es hier?” Und er war kein unintelligenter Mensch. Er war ziemlich intelligent. Solche Tricks sind sehr intelligent. Glaub also nicht, daß dein Kopf nicht die gleichen Tricks spielt. 97
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Er ist sehr intelligent. Aber weil du glaubst, es sei dein Kopf, hast du nie Zweifel an ihm. Es ist aber nicht dein Kopf: er ist nur ein gesellschaftliches Produkt. Er ist nicht deiner. Er ist dir mitgegeben worden; er ist dir aufgezwungen worden. Du bist auf eine bestimmte Weise erzogen und konditioniert worden. Von frühester Kindheit an ist dein Kopf von anderen geprägt worden — von Eltern, Gesellschaft, Lehrern. Die Vergangenheit prägt deinen Kopf, beeinflußt deinen Kopf. Die tote Vergangenheit zwängt sich ständig den Lebenden auf. Lehrer sind nur die Agenten, die Agenten der Toten gegen die Lebenden. Sie zwingen euch ständig etwas auf. Aber dein Geist ist dir so eng vertraut, der Abstand ist so gering, daß du dich mit ihm identifizierst. Du sagst: „Ich bin ein Hindu.” Überleg es dir, denk noch einmal nach. Du bist kein Hindu! Du bist zum Hindu gestempelt worden. Du bist nur als ein einfaches, unschuldiges Wesen geboren worden, nicht als Hindu, nicht als Mohammedaner. Aber dir wurde ein mohammedanischer Stempel aufgedrückt, ein hinduistischer Stempel. Du bist in eine besondere Form gezwängt, gebunden, eingekerkert worden, und dann fügt das Leben dieser Einstellung immer mehr hinzu, und dein Kopf wird schwer, er belastet dich schwer. Du kannst nichts tun; dein Denken fängt an, dir sein Gesetz aufzuerlegen. Es verleibt sich deine Erfahrungen ein. Ständig beeinflußt deine Vergangenheit jeden deiner gegenwärtigen Augenblicke. Wenn ich dir etwas sage, dann wirst du darüber nicht auf eine frische Weise nachdenken, auf eine offene Weise. Dein alter Geist, deine Vergangenheit wird sich dazwischenschieben, wird anfangen, dafür oder dagegen zu reden, zu plappern. Vergeßt nicht, euer Geist gehört nicht euch. Euer Körper gehört nicht euch. Er kommt von euren Eltern. Euer Verstand gehört ebensowenig euch. Auch er kommt von den Eltern. Wer bist du? Entweder ist man mit dem Körper oder mit dem Geist identifiziert. Du hältst dich für jung, du hältst dich für alt: du hältst dich für einen Hindu, du hältst dich für einen Jaina, für einen Parsen. Das bist du nicht! Du wurdest als reines Bewußtsein geboren. Dies alles sind Gefängnisse. Diese Techniken, die euch so einfach erscheinen, sind nur deshalb nicht so einfach, weil der Verstand 98
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dauernd Komplikationen und schwierige Probleme erzeugt. Erst vor wenigen Tagen kam ein Mann zu mir und sagte: „Ich mache deine Meditationstechnik, aber sage mir, aus welcher unserer heiligen Schriften sie kommt. Wenn du mich überzeugen kannst, daß sie nicht gegen unsere Heilige Schrift verstößt, würde es mir sehr viel leichter fallen.” Aber warum fällt es dir leichter, wenn es irgendwo geschrieben steht? Weil dann dein Kopf keine Probleme macht und sagen kann: „Okay, das ist unsere Tradition, also mach 's.” Steht es aber nirgendwo geschrieben, sagt der Kopf: „Was tust du?” und lehnt es ab. Ich fragte den Mann: „Du hast diese Methode nun drei Monate gemacht — wie fühlst du dich?” Er sagte: „Wunderbar, ausgezeichnet. Aber sag mir, gib mir die Autorisierung der Heiligen Schrift.” Sein eigenes Gefühl genügt nicht. Er sagt: „Ich fühle mich großartig, ich bin stiller geworden, friedlicher, liebevoller. Ich fühle mich wunderbar.” Aber sein eigenes Gefühl hat keine Autorität. Der Verstand fordert eine Autorität aus der Vergangenheit. Ich sagte ihm: „Es steht nirgendwo geschrieben. Vielmehr wird in den Schriften so manches dagegen gesagt.” Da wurde sein Gesicht traurig, und er sagte: „Dann wird es schwierig für mich, damit weiterzumachen.” Warum hat seine eigene Erfahrung keinen Wert? Die Vergangenheit, die Konditionierung, das herrschende Denken kontrollieren euch ständig und zerstören eure Gegenwart. Vergeßt das nicht und paßt auf. Seid skeptisch und bezweifelt euren eigenen Verstand. Traut ihm nicht. Und nur wenn ihr so reif sein könnt, eurem Verstand nicht zu trauen, werden diese Techniken einfach, werden sie helfen und wirken; sie werden Wunder wirken; sie können Wunder wirken. Diese Techniken, diese Methoden lassen sich intellektuell überhaupt nicht verstehen. Ich versuche hier das Unmögliche. Aber warum versuche ich es? Wenn sie sich doch nicht intellektuell verstehen lassen, warum rede ich dann überhaupt zu euch? Sie können zwar intellektuell nicht verstanden werden, aber es gibt keinen anderen Weg, euch auf gewisse Techniken aufmerksam zu machen, die euer Leben total verändern können. Ihr könnt nur den Intellekt verstehen, und das ist das Problem. Ihr könnt nichts 99
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anderes verstehen; ihr könnt nur den Intellekt verstehen. Und diese Techniken lassen sich intellektuell nicht verstehen. Wie also kommunizieren? Entweder müßt ihr verstehen lernen, ohne daß sich der Intellekt einmischt, oder es muß ein Weg gefunden werden, diese Techniken intellektuell verständlich zu machen. Letzteres ist nicht möglich, aber ersteres ist möglich. Du mußt mit dem Intellekt beginnen, aber darfst nicht an ihm festhalten. Wenn ich sage: „Tu es!” — dann versuche es zu tun. Sobald dann etwas in dir losgeht, kannst du deinen Intellekt beiseite lassen und mich direkt, ohne den Intellekt, erreichen. Ohne Meditation, ohne Meditierenden. Aber du mußt anfangen, etwas zu tun. Reden können wir bis in alle Ewigkeit. Dein Kopf kann mit vielem Zeug vollgestopft werden, aber das bringt nichts, sondern schadet, denn du wirst zu viel wissen. Und wenn du zu viel weißt, verwirrt dich das. Es ist nicht gut, soviel zu wissen. Es ist besser, weniger zu wissen, es dafür aber auszuführen. Eine einzige Technik kann genügen: Es hilft immer, etwas zu tun. Warum ist das so schwierig? Tief unten hast du Angst. Tust du es, meldet sich die Angst, daß etwas aufhören könnte, was bisher war. Es mag paradox erscheinen: aber ich bin vielen begegnet, sehr vielen Menschen, die glauben, sich andern zu wollen. Sie sagen, daß sie Meditationen brauchen. Sie bitten um eine riefe Transformation. Aber tief drinnen haben sie auch Angst. Sie denken gespalten, doppelt. Sie haben einen gespaltenen Geist. Sie fragen immer, was sie tun sollen, ohne es je zu tun. Warum aber fragen sie dann immer wieder? Nur um sich vorzumachen, daß sie tatsächlich an ihrer Veränderung interessiert sind. Das verleiht eine Fassade, es gibt den Anschein, wirklich ehrlich an der eigenen Veränderung interessiert zu sein. Darum stellen sie Fragen, darum gehen sie von einem Guru zum anderen, suchen und probieren, ohne je etwas zu tun. Tief innen haben sie Angst. Erich Fromm hat ein Buch geschrieben, „Die Furcht vor der Freiheit”. Der Titel scheint widersprüchlich. Alle glauben, die Freiheit zu wollen; jeder glaubt, daß es ihm um Freiheit geht, in dieser wie 100
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auch in jener Welt. Wir wollen Moksha, die Befreiung, wir wollen von aller Beschränkung, von aller Knechtschaft frei werden. Wir wollen total frei sein. Sagen wir. Aber Erich Fromm sagt, daß der Mensch Angst vor der Freiheit hat. Wir wollen sie; jedenfalls sagen wir immer, daß wir sie wollen, überzeugen uns immer, daß wir sie wollen, aber in Wirklichkeit haben wir Angst vor der Freiheit. Wir wollen sie nicht! Warum? Woher diese Spaltung? Freiheit bringt Angst, und Meditation ist die tiefste Freiheit, die es gibt. Da wirst du nicht nur von äußeren Beschränkungen frei, du wirst aus der inneren Knechtschaft befreit, vom Geist selbst, auf dem alle Knechtschaft beruht. Du wirst von der gesamten Vergangenheit befreit. Im Augenblick, wo du keinen Geist mehr hast, ist die Vergangenheit verschwunden. Du hast die Geschichte transzendiert. Jetzt gibt es keine Gesellschaft mehr, keine Religion, keine Schrift, keine Tradition, denn sie alle haben ihr Obdach im Geist. Jetzt gibt es keine Vergangenheit mehr, keine Zukunft, denn Vergangenheit und Zukunft sind Teil des Geistes, des Gedächtnisses, der Vorstellungswelt. Dann bist du hier und jetzt in der Gegenwart. Jetzt gibt es keine Zukunft mehr. Jetzt gibt es nur noch jetzt und jetzt und jetzt — ewiges Jetzt. Nun bist du völlig befreit; du hast alle Tradition transzendiert, alle Geschichte, den Körper, den Geist, alles. Man wird frei von allem Furchterregenden. So viel Freiheit?! Wo wirst du dann sein? Kannst du in solcher Freiheit existieren? Kannst du dein kleines Ich, dein Ego behalten in einer solchen Freiheit, einer solchen unermeßlichen Weite? Wirst du dann noch sagen können: „Ich bin”? Du kannst sagen: „Ich bin eingesperrt”, weil du deine Grenzen erkennst. Ohne Gefängnis aber gibt es keine Grenzen mehr. Du wirst einfach zum Zustand: einfache Nichtheit, Leere. Das macht dir Angst; und darum redet man immer nur vom Meditieren — wie man es macht — und bleibt dabei, es nicht zu tun. Alle Fragen kommen aus dieser Angst. Fühlt diese Angst, denn wenn ihr sie erkennt, wird sie verschwinden. Solange ihr sie nicht erkennt, wird sie weitergehen. Bist du bereit zu sterben, im spirituellen Sinn? Bist du bereit, nicht zu sein? Wann immer jemand zu Buddha kam, sagte er: „Dies ist die 10 1
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Grundwahrheit: daß du nicht bist. Und weil du nicht bist, kannst du nicht sterben, kannst du nicht geboren werden. Und weil du nicht bist, kannst du nicht im Leid, nicht in der Knechtschaft gefangen sein. Bist du bereit, dies zu akzeptieren?" Jedesmal fragte Buddha dies: „Bist du bereit, das zu akzeptieren? Wenn du nicht dazu bereit bist, dann fange jetzt noch nicht zu meditieren an; versuche erst herauszufinden, ob du in Wirklichkeit bist oder ob du nicht bist. Meditiere zunächst darüber. Gibt es ein Selbst? Gibt es innen irgendeine Substanz, oder bist du nur ein zusammengesetztes Phänomen?” Wenn du nachforschst, wirst du finden, daß dein Körper etwas Zusammengesetztes ist. Ein wenig kommt von deiner Mutter, ein wenig von deinem Vater und alles übrige vom Essen. Das ist dein Körper?! Dieser Körper bist du nicht: da ist kein Selbst. Versenke dich in das, was dein Geist ist: Ein bißchen kommt von hier, ein bißchen von dort ... in deinem Kopf ist nichts, was originell wäre. Ein reines Sammelsurium. Finde heraus, ob es in deinem Kopf irgendein Selbst gibt. Wenn du tief gehst, findest du heraus, daß deine Identität genau einer Zwiebel gleicht. Du schälst die eine Haut ab, und es zeigt sich die nächste; du schälst die nächste Schicht ab, und es kommt wieder eine andere. Schicht um Schicht schälst du sie, und schließlich kommst du zu einem Nichts. Wenn alle Schalen fallen, ist nichts im Innern. Körper und Geist sind wie Zwiebeln. Hast du sowohl Körper wie Geist geschält, dann wirst du einem Nichts begegnen, einem Abgrund einer bodenlosen Leere. Buddha nannte sie Shu-nya. Auf diese Shunya zu treffen, auf diese Leere zu stoßen, macht Angst. Diese Angst ist also da, und darum meditieren wir nie. Wir reden davon, aber wir tun nie etwas. Diese Angst ist da. Was du auch tust, diese Angst bleibt — es sei denn, du stellst dich ihr. Das ist die einzige Möglichkeit. Hast du dich deiner Nichtheit erst einmal gestellt, hast du erst einmal erfahren, daß du im Innern nur reiner Raum bist, Shunya, dann wird es keine An g st mehr geben! Dann kann es keine Angst mehr geben, weil diese Shunya, diese Leere, nicht zerstört werden kann. Diese Leere wird nicht sterben. Alles, was sterben muß, existiert nicht: es ist nichts als Zwie102
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belschalen. Das ist der Grund, warum dich, wenn du in tiefer Meditation dieser Nichtheit näherkommst, die Angst überfällt und du zu zittern beginnst. Man hat das Gefühl, gleich zu sterben. Man möchte davonlaufen, vor dieser Nichtheit, zurück in die Welt. Und viele gehen zurück: und dann wenden sie sich nie wieder nach innen. Und soviel ich sehen kann, hat jeder von euch in irgendeinem Leben es schon einmal mit einer meditativen Technik probiert. Ihr seid schon einmal der Nichtheit nahegewesen, und dann hat euch die Angst gepackt und ihr seid davongerannt. Und ganz rief in euren Erinnerungen steckt dieser Denkzettel. Und das ist jetzt der Block. Jedesmal, wenn du jetzt wieder ans Meditieren denkst, funkt tief in deinem Unterbewußten jene vergangene Erinnerung und sagt: „Mach weiter mit dem Denken, handle nicht. Du hast es schon einmal gemacht.” Es ist schwer, einen Menschen zu finden — und ich habe schon in viele hineingeschaut —, der es nicht schon ein — oder zweimal in irgendeinem Leben mit dem Meditieren versucht hätte. Die Erinnerung ist da, aber sie ist dir nicht bewußt. Dir ist nicht klar, wo diese Erinnerung steckt. Sie ist da. Jedesmal, wenn du etwas zu tun beginnst, wird sie zur Schranke, und dann hält dich dies und jenes davon ab, alles mögliche. Wenn du also wirklich am Meditieren interessiert bist, spüre zuerst deine eigene Angst. Sei ehrlich: Hast du Angst? Wenn du Angst hast, dann muß zunächst etwas mit dieser Angst passieren, nicht mit der Meditation. Buddha kannte da viele Hilfsmittel. Zum Beispiel sagte jemand: „Ich habe Angst vor dem Meditieren.” (Und dies ist ein Muß: Du mußt dem Lehrer sagen, daß du Angst hast; du kannst den Lehrer nicht täuschen, und das ist auch nicht nötig. Sonst täuschst du dich nur selbst.) Wenn ihm also jemand sagte, daß er vorm Meditieren Angst hätte, sagte Buddha jedesmal: „Du erfüllst jetzt die erste Voraussetzung. Wenn du selbst zugibst, Angst vor dem Meditieren zu haben, dann ist etwas möglich: denn du hast etwas sehr Tiefes entdeckt. Was ist also die Angst? Meditiere über sie. Gehe und grabe aus, woher sie kommt, was ihr Ursprung ist.” Alle Angst ist im Grunde Angst vor dem Tod — alle Angst! Egal in welcher Form und Spielart, egal in welcher Gestalt, unter 103
Das Buch der Geheimnisse
welchem Namen — alle Angst ist Todesangst. Wenn du in die Tiefe gehst, wirst du finden, daß du Angst vor dem Tod hast. Wenn man dann zu Buddha kam und sagte: „Ich habe Angst vor dem Tod, so viel habe ich herausgefunden”, dann sagte Buddha: „Nun gehe zum Ghat, zur Verbrennungsstätte, und meditiere vor einem Scheiterhaufen. Es sterben täglich Leute: Sie werden verbrannt. Halte dich einfach dort am Marghat auf und meditiere vor dem brennenden Scheiterhaufen. Wenn die Familienmitglieder fort sind, bleibe du da. Schau einfach ins Feuer, auf die brennende Leiche. Wenn alles in Rauch aufgeht, dann sieh tief hinein. Denke nicht nach: Meditiere lediglich drei Monate lang, oder sechs, oder neun. Und nur, wenn es dir zur Gewißheit geworden ist, daß kein Weg am Tod vorbeigeht, wenn absolut feststeht, daß der Tod einfach zum Leben gehört, daß Leben Tod bedeutet, daß der Tod kommen wird und daß es da keinen Ausweg gibt und du schon in ihm bist, nur dann komme wieder zu mir.” Wenn du über den Tod meditiert hast, wenn du jeden Tag, Tag und Nacht, gesehen hast, wie Leichen verbrannt werden, sich in Asche auflösen, wie nur Rauch zurückbleibt und verfliegt; wenn du darüber monatelang meditiert hast, wird sich eine Gewißheit einstellen — die Gewißheit, daß der Tod sicher ist. Es ist in Wahrheit die einzige Gewißheit. Das einzig Gewisse im Leben ist der Tod. Alles andere mag ungewiß sein, mag sein oder nicht sein, aber über den Tod läßt sich nicht sagen: vielleicht, vielleicht auch nicht. Er geschieht. Er wird geschehen. Er ist bereits geschehen. I m gleichen Augenblick, da du ins Leben getreten bist, hast du den Tod betreten. Jetzt läßt sich daran nichts mehr ändern. Wenn der Tod gewiß ist, gibt es keine Angst mehr. Angst hat man immer nur vor Dingen, die sich ändern lassen. Wenn der Tod sein muß, verschwindet die Angst. Solange du am Tod etwas ändern kannst, solange bleibt die Angst. Wenn sich nichts ändern läßt, wenn du schon in ihre bist, dann ist es absolut gewiß, daß die Angst verschwindet. Und sobald die Angst vor dem Tod verschwunden war, erlaubte Buddha dir, zu meditieren. Er sagte dann: „Jetzt kannst du meditieren.” Geht also auch tief in euch hinein. Und sich diese Techniken anzuhören hat nur dann einen Sinn, wenn deine inneren Schranken durchbrochen sind, wenn 104
Kapitel4
die inneren Ängste verschwinden und du dir sicher bist, daß der Tod eine Wirklichkeit ist. Wenn du also in Meditation stirbst, gibt es keine Angst: Der Tod steht fest. Selbst wenn sich beim Meditieren der Tod einstellt, hast du keine Angst. Erst dann kannst du in die Meditation hineingehen, und dann kannst du mit Raketengeschwindigkeit vorwärtskommen, weil die Schranken nicht mehr da sind. Zeit ist erforderlich, nicht der Entfernung, sondern dieser Schranken wegen. Du kannst in diesem Augenblick hinkommen, wenn keine Schranke mehr da ist. Du bist schon da, wäre die Schranke nicht. Es ist ein Hindernisrennen, und du baust dir immer mehr Hindernisse auf. Du fühlst dich gut, wenn du ein Hindernis überwindest. Dann hast du das gute Gefühl, jetzt eine Hürde genommen zu haben. Und das Idiotische daran ist, daß die Hürde überhaupt erst von dir aufgestellt wurde. Es hat sie nie gegeben. Du baust immer neue Hürden auf, springst hinüber, fühlst dich dann gut, baust wieder neue auf und springst wieder. Du drehst dich im Kreis und kommst so nie und nimmer zur Mitte. Der Kopf baut Hürden auf, weil er Angst hat. Er wird mit vielen Erklärungen aufwarten, warum du nicht meditierst; glaube ihnen nicht. Geh tief nach innen; finde den eigentlichen Grund heraus. Warum redet jemand ständig vom Essen, ohne je einen Bissen zu sich zu nehmen? Warum macht er das? Ist der Mann verrückt? Ein anderer spricht ewig von der Liebe und liebt niemals. Und wieder ein anderer redet von wieder etwas anderem, und nie tut er etwas. Das Darüber-Reden wird zur Manie. Es wird zwanghaft. Man macht immer weiter, man verwechselt das Reden mit dem Tun. Indem du redest, hast du das Gefühl, etwas zu tun, und das erleichtert dich. Also tust du etwas — wenigstens reden, wenigstens lesen, wenigstens zuhören. Das ist nicht mit Tun gemeint. Das ist Vorspiegelung falscher Tatsachen. Fallt nicht darauf herein. Ich will über diese 112 Methoden hier nicht deshalb reden, um euren Geist zu füttern, nicht um eurer Allgemeinbildung willen, nicht um euch besser zu informieren. Ich will keine Gelehrten aus euch machen. Ich rede hier, um euch eine bestimmte Technik zu vermitteln, die euer Leben ändern kann. Welche Methode 105
Das Buch der Geheimnisse
dich auch ansprechen mag — rede nicht darüber, mach sie! Sei still, mach sie! Dein Kopf wird mit vielen Fragen kommen. Forsche zunächst gründlich nach, bevor du mich etwas fragst. Forsche immer erst in die Tiefe, ob diese Fragen wirklich wichtig sind, oder ob der Kopf nur seine Spiegelfechtereien treibt. Erst probiere, und dann frage. Dann wird deine Frage praktisch. Und ich weiß, welche Frage aus dem Tun heraus gestellt wurde und welche nur aus Neugier, nur aus dem Intellekt. Mit der Zeit werde ich also eure intellektuellen Fragen überhaupt nicht mehr beantworten. Tut was. Dann werden eure Fragen sinnvoll sein. Fragen wie diese: „Was, so eine einfache Übung ... ?” sind nicht aus dem Tun heraus gestellt worden. Es ist nicht so einfach. Und doch muß ich es jetzt am Ende wieder sagen: Du bist bereits die Wahrheit! Du mußt nur aufwachen! Du brauchst nirgendwo anders hinzugehen. Und in dich hineingehen kannst du jetzt sofort. Wenn du deinen Geist beiseite lassen kannst, betrittst du das Hier und Jetzt. Diese Techniken sind dafür gedacht, den Geist auszuschalten. Diese Techniken sind nicht wirklich Meditationstechniken: sie sind dazu da, den Geist auszuschalten. Ist der Geist erst einmal nicht mehr da, bist du da.
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Meister über Traum und Tod [Sutras]
5. Die Aufmerksamkeit zwischen den Augenbrauen: Laß das Denken vor dein geistiges Auge treten. Laß deine Form sich füllen mit Atemessenz bis zum Scheitel des Kopfes — und von dort niederregnen als Licht. 6. Wenn in weltlicher Aktivität lenke die Aufmerksamkeit zwischen zwei Atemzüge, und dies übend wirst du in wenigen Tagen neu geboren. 7. Mit unspürbarem Atem in der Mitte der Stirn: Sobald er das Herz erreicht im Augenblick des Schlafes, hast du Gewalt über die Träume und selbst über den Tod. 8. Mit äußerster Hingabe zentriere dich auf die beiden Verknüpfungspunkte des Atems und erkenne den Erkennenden. 9. Lege dich hin wie tot. Wutentbrannt, verharre so. Oder. Starre, ohne mit der Wimper zu zucken. Oder. Sauge etwas und werde zum Saugen. 10 9
Das Buch der Geheimnisse
Als Pythagoras, einer der großen Philosophen Griechenlands, nach Ägypten kam, um sich dort einer Schule anzuschließen — einer geheimen esoterischen Mysterienschule —, wurde er abgewiesen. Und Pythagoras war einer der größten Geister, die es je gab. Er begriff nicht. Er bewarb sich wieder und wieder, aber ihm wurde gesagt, daß er nicht eher zugelassen würde, als bis er sich einer bestimmten Schulung von Fasten- und Atemübungen unterzogen hätte. Pythagoras soll gesagt haben: „Ich bin um des Wissens willen hier, keiner Disziplin wegen.” Aber die Schulautoritäten sagten: „Wir können dir kein Wissen geben, bevor du dich nicht verändert hast. Und im übrigen sind wir gar nicht an Wissen interessiert. Wir sind an konkreter Erfahrung interessiert. Und kein Wissen ist Wissen, bevor es nicht erlebt und erfahren wurde. Du mußt vierzig Tage lang fasten und dabei ständig auf eine ganz bestimmte Weise atmen; und eine ganz bestimmte Aufinerksamkeit muß auf ganz bestimmte Punkte gerichtet sein. Es gab keinen anderen Weg; Pythagoras mußte sich diesen Übungen unterziehen. Nachdem er vierzig Tage gefastet und geatmet hatte, bewußt, aufmerksam, wurde er aufgenommen. Pythagoras soll gesagt haben: „Der, den ihr einlaßt ist nicht mehr Pythagoras. Ich bin ein anderer Mensch. Ich bin neugeboren. Und ihr wart im Recht und ich im Unrecht, denn mein ganzer Standpunkt war intellektuell. Durch diese Reinigungsübung hat sich meine Daseinsmitte verschoben. Sie hat sich vom Intellekt zum Herzen hinunter bewegt. Jetzt kann ich die Dinge fühlen. Vor diesem Training konnte ich nur mit dem Intellekt verstehen, nur durch den Kopf. Jetzt kann ich fühlen. Jetzt ist die Wahrheit für mich kein Begriff mehr, sondern Leben. Sie ist für mich nun keine Philosophie mehr, sondern eine Erfahrung — existenziell.” Was war dies für eine Schulung, die er durchmachte? Es war diese fünfte Technik, die Pythagoras aufgetragen wurde. Man gab sie ihm in Ägypten, aber die Technik ist indisch. Die fünfte Technik:
Die Aufmerksamkeit zwischen den Augenbrauen: Laß das Denken 11 0
Kapitel 5
vor dein geistiges Auge treten. Laß deine Form sich füllen mit Atemessenz bis zum Scheitel des Kopfes — und von dort niederregnen als Licht. Dies also war die Technik, die man Pythagoras gab. Pythagoras brachte diese Technik nach Griechenland. Und tatsächlich wurde er zum Ursprung, zur Quelle aller Mystik des Abendlandes. Er ist der Vater aller Mystik des Westens. Diese Technik gehört zu den ganz tiefen Methoden. Versucht, sie zu verstehen: „Die Aufmerksamkeit zwischen den Augenbrauen ...” Die moderne Physiologie, die wissenschaftliche Forschung sagt, daß sich zwischen den Augenbrauen eine Drüse befindet, die der mysteriöseste Teil des Körpers ist. Diese Drüse, genannt Zirbeldrüse, ist das „Dritte Auge” der Tibetaner — Shivaneta: „Das Auge Shivas”, das tantrische Auge. Zwischen unseren zwei Augen existiert ein drittes, aber es ist nicht in Funktion. Es ist da und kann jederzeit in Funktion treten. Nur funktioniert es nicht von Natur aus. Man muß etwas tun, damit es sich öffnet. Es ist nicht blind. Es ist nur geschlossen. Diese Technik soll das dritte Auge öffnen. „Die Aufmerksamkeit zwischen den Augenbrauen_ ” Schließe die Augen und lenke beide Augen auf die Mitte zwischen den Augenbrauen; blicke mit geschlossenen Augen genau auf die Mitte, so als würdest du mit offenen Augen hinsehen. Richte deine Aufmerksamkeit total darauf. Dies ist eine der einfachsten Methoden, aufmerksam zu sein. Auf keinen anderen Teil des Körpers läßt sich die Aufmerksamkeit so leicht richten. Diese Drüse nimmt Bewußtheit in sich auf, wie sonst nichts anderes. Wenn du die Aufmerksamkeit darauf richtest, werden deine beiden Augen vom dritten Auge hypnotisiert. Sie werden starr, können sich nicht bewegen. Dich auf irgendeinen anderen Teil des Körpers zu konzentrieren, fällt schwerer. Dies dritte Auge zieht Aufmerksamkeit auf sich, ja erzwingt sie. Es ist wie ein Magnet. Alle Methodenlehren der Welt haben davon Gebrauch gemacht. Es ist die einfachste Methode, die Aufmerksamkeit zu schulen; denn nicht nur du bemühst dich um Aufmerksamkeit, die Drüse selbst hilft dir 11 1
Das Buch der Geheimnisse
dabei. Sie ist ein Magnet. Sie zieht Aufmerksamkeit zwingend an und absorbiert sie. In alten tantrischen Schriften heißt es, daß für das dritte Auge Wachheit die Nahrung ist. Es hat Hunger: Seit vielen, vielen Leben schon ist es hungrig. Wenn du ihm Aufmerksamkeit schenkst, wird es lebendig. Es lebt auf. Es bekommt Nahrung. Und sobald du weißt, daß Aufmerksamkeit Nahrung für es ist, daß deine Aufmerksamkeit von der Drüse selbst magnetisch angezogen, angesaugt, geschluckt wird, dann ist Aufmerksamkeit nicht mehr schwierig. Man muß nur den richtigen Punkt kennen. Schließe also die Augen, laß deine Augen zur Mitte wandern, und fühle den Punkt. Wenn du dem Punkt nahekommst, werden plötzlich deine Augen starr. Wenn es schwierig wird, sie zu bewegen, weißt du, daß du den richtigen Punkt getroffen hast. „Die Aufmerksamkeit zwischen den Augenbrauen: Laß das Denken vor dein geistiges Auge treten ...” Wenn dieser Grad der Aufmerksamkeit erreicht ist, wirst du zum erstenmal ein seltsames Phänomen erfahren. Zum erstenmal wirst du deine Gedanken vor dir ablaufen sehen; du wirst zum Zuschauer. Genau wie auf einer Filmleinwand: Gedanken spulen ab, und du bist Zuschauer. Sobald deine Aufmerksamkeit auf das Zentrum des dritten Auges eingestellt ist, wirst du augenblicklich zum Zeugen deiner Gedanken. Normalerweise bist du nicht Zeuge, sondern mit dem Denken identifiziert. Wenn Wut da ist, wirst du zur Wut. Wenn ein Gedanke kommt, bist du nicht Zuschauer, du wirst eins mit dem Gedanken, identifizierst dich und gehst mit. Du wirst zu dem Gedanken, du nimmst seine Form an. Regt sich der Sex, wirst du zum Sex, ist es Wut, wirst du Wut, ist es Gier, wirst du Gier. Gleich welcher Gedanke kommt, du wirst es. Du kennst keinen Abstand zwischen dir und dem, was du denkst. Aber auf das dritte Auge konzentriert, wirst du plötzlich zum Zeugen. Durch das dritte Auge kannst du die Gedanken wie Wolken am Himmel sehen oder wie Passanten auf der Straße. Du sitzt am Fenster und schaust in den Himmel oder siehst den Leuten auf der Straße zu: du bist nicht identifiziert. Du hast Abstand, bist ein Beobachter auf dem Berg — unbeteiligt. Wenn jetzt die Wut kommt, kannst du 11 2
sie wie einen Gegenstand betrachten. Jetzt hast du nicht das Gefühl, daß du die Wut bist, du hast das Gefühl, von der Wut umgeben zu sein — eine Wolke von Wut hat sich um dich gelegt. Aber du bist nicht die Wut — und wenn du nicht die Wut bist, wird die Wut machtlos. Sie kann dich nicht berühren; du bleibst unberührt. Die Wut wird kommen und gehen, und du ruhst in deiner Mitte. Diese fünfte Technik ist eine Technik, den Zeugen zu entdecken. „Die Aufmerksamkeit zwischen den Augenbrauen: Laß das Denken vor dein geistiges Auge treten.” Nun besieh dir deine Gedanken, nun begegne deinen Gedanken. „Laß deine Form sich füllen mit Atemessenz bis zum Scheitel des Kopfes — und von dort als Licht niederregnen.” Wenn sich die Aufmerksamkeit auf das dritte Auge konzentriert, zwischen den Augenbrauen, dann geschieht zweierlei. Erstens wirst du plötzlich zum Zeugen. Und du wirst im dritten Auge zentriert sein. Versuche, Zeuge zu sein. Gleich was geschieht, versuche ein Zeuge zu sein. Du bist krank, der Körper schmerzt und tut weh, du leidest und fühlst dich elend, egal, was es ist: sei ein Zeuge. Was immer geschieht, identifiziere dich nicht damit. Sei Zeuge — sei Beobachter. Wenn dann das Zeugesein möglich wird, hast du deine Energie im dritten Auge konzentriert. Und zweitens ist es auch umgekehrt möglich: daß du, wenn du deine Energie im dritten Auge konzentrierst, zum Zeugen wirst. Diese beiden Dinge gehören zusammen. Das erste ist also: indem du im dritten Auge zentriert bist, stellt sich das betrachtende Selbst ein. Jetzt kannst du deinen Gedanken begegnen. Dies ist das erste. Und das zweite ist, daß du nun die feinen, unmerklichen Schwingungen des Atmens spüren kannst. Jetzt kannst du die Form des Atmens, die eigentliche Essenz des Atems spüren. Versucht zunächst zu verstehen, was mit „Form” gemeint ist und was mit „Atemessenz”. Wenn du atmest, atmest du nicht nur Luft. Die Wissenschaft sagt, daß du nur Luft atmest — nur Sauerstoff, Wasserstoff und all die anderen Gase in ihrer Verbindung als „Luft”. Sie sagt, daß du „Luft” atmest. Tantra dagegen sagt, daß die Luft nur der Träger ist, nicht das Eigentliche. Ihr atmet Prana — Lebenskraft. Die Luft ist nur das Medium, Prana ist ihr Inhalt. Du 11 3
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atmest Prana, nicht nur Luft. Die moderne Wissenschaft ist immer noch nicht in der Lage zu beantworten, ob es so etwas wie Prana gibt. Aber es gibt Forscher, die auf etwas Mysteriöses gestoßen sind. Atem ist nicht einfach Luft: das haben viele moderne Wissenschaftler auch schon entdeckt. Vor allem ein Name muß hier genannt werden — Wilhelm Reich, ein deutscher Psychologe, der es „Orgon-Energie” nannte. Das ist dasselbe wie Prana. Er sagt, daß beim Atmen die Luft nur der Behälter ist, in dem ein mysteriöser Inhalt steckt, der Orgon oder Prana oder elan vital genannt werden kann. Aber das ist sehr feinstofflich. Es ist in Wirklichkeit nicht stofflich. Die Luft ist das Stoffliche; der Behälter ist stofflich. Aber etwas Feines, Nichtstoffliches durchströmt ihn. Man kann es an seinen Auswirkungen spüren. Wenn du mit einem sehr lebendigen Menschen zusammen bist, fühlst du eine bestimmte Vitalität in dir aufsteigen. Wenn du mit einem sehr kranken Menschen zusammen bist, fühlst du dich leergesogen, als wäre dir etwas weggenommen worden. Warum fühlst du dich so müde, wenn du ins Krankenhaus gehst? Du wirst von allen Seiten ausgesaugt. Die ganze Atmosphäre dort ist krank, und jeder braucht elan vita4 braucht Prana. Im Krankenhaus also fließt plötzlich dein Prana ab. Warum fühlst du dich manchmal dem Ersticken nahe, wenn du in einer Menschenmenge bist? Weil dir dein Prana abgesaugt wird. Wenn du allein bist unter dem Himmel am Morgen, unter den Bäumen, fühlst du dich plötzlich voller Lebenskraft — Prana. Jeder braucht einen gewissen Raum für sich. Wenn du diesen Raum nicht bekommst, wird dir Prana abgesaugt. Wilhelm Reich hat viel damit experimentiert, aber er wurde für verrückt erklärt. Die Wissenschaft hat ihren eigenen Aberglauben, sie ist sehr orthodox. Die Wissenschaft kann noch nicht glauben, daß es noch etwas mehr gibt als nur Luft, aber in Indien hat man damit seit Jahrhunderten experimentiert. Ihr habt vielleicht schon davon gehört oder gelesen, daß jemand ins Samadhi eingehen konnte, ins kosmische Bewußtsein, und zwar unter der Erde, tagelang, ohne jede Luftzufuhr. I m Jahre 1880 ist jemand in Ägypten in ein solches unterirdisches Samadhi gegangen — und blieb vierzig Jahre darin! Die, die ihn begraben hatten, starben einer nach dem anderen — er sollte 11 4
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1920 wieder aus seinem Samadhi auftauchen, vierzig Jahre später. 1920 glaubte kein Mensch, ihn noch am Leben zu finden, aber man grub ihn lebendig aus. Er lebte noch zehn Jahre weiter. Er war etwas blaß geworden, aber er lebte. Er wurde von Ärzten und anderen gefragt, was sein Geheimnis sei. Er sagte: „Das wissen wir nicht, wir wissen nur, daß das Prana überall fließen und hinkommen kann.” Wo Luft nicht eindringen kann, kann Prana hingelangen. Sobald man in der Lage ist, Prana direkt aufzunehmen, ohne den Träger, kann man sogar für Jahrhunderte ins Samadhi gehen. Auf das dritte Auge zentriert, kann man plötzlich die eigentliche Essenz des Atems wahrnehmen, nicht den Atem, sondern seine eigentliche Essenz, das Prana. Und wenn man die Essenz des Atems, das Prana, wahrnehmen kann, ist man an dem Punkt angelangt, von dem aus der Sprung, der Durchbruch geschieht. Das Sutra sagt: „Laß deine Form sich füllen mit Atemessenz bis zum Scheitel des Kopfes ...” Und wenn du gelernt hast, die Essenz des Atems, das Prana, wahrzunehmen, dann stell dir vor, wie dein Kopf damit gefüllt ist. Stell es dir einfach vor. Du brauchst dir keinerlei Mühe zu geben. Ich will euch erklären, wie die Einbildung funktioniert: Wenn du im Zentrum des dritten Auges konzentriert bist, bilde dir etwas ein — und es geschieht. Augenblicklich. Wie es jetzt steht, ist eure Einbildungskraft einfach impotent. Ihr stellt euch Dinge vor und nichts geschieht. Aber manchmal passieren auch im täglichen Leben unbewußt gewisse Dinge: du denkst gerade an deinen Freund, und plötzlich klopft es! Du nennst es Zufall, daß der Freund gekommen ist; manchmal wirkt es wie Zufall. Aber versuche von jetzt an, darauf zu achten, und analysiere das Ganze. Jedesmal, wenn deine Imagination Wirklichkeit wird, geh nach innen und beobachte. Irgendwie muß sich deine Aufmerksamkeit in der Nähe des dritten Auges befunden haben; denn ein solcher Zufall ist kein Zufall. Es sieht nur so aus, weil du von diesen verborgenen Vorgängen nichts weißt. Dein Denken muß sich unbewußt dem dritten Auge genähert haben. Wenn dein Bewußtsein im dritten Auge ist, genügt die bloße Vorstellung, irgendein Phänomen herbeizuführen. 11 5
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Dies Sutra sagt, wenn du zwischen den Augenbrauen zentriert bist und du die Essenz des Atems spürst, dann kannst du „deine Form sich mit Atemessenz füllen lassen”. Stell dir jetzt vor, daß diese Essenz deinen ganzen Kopf anfüllt, vor allem die höchste Stelle des Kopfes, des Sahasra, das höchste psychische Zentrum. Und im selben Augenblick, wo du es dir vorstellst, ist es so. „ ... laß von dort niederregnen als Licht.” Diese Prana-Essenz regnet als Licht vom Scheitel deines Kopfes herab. Und unter diesem Regen von Licht wirst du erfrischt, neugeboren, vollkommen neu. Genau das ist mit „innerer Neugeburt ” gemeint. Zwei Dinge also: Erstens: zentriert im dritten Auge wird deine Einbildungskraft stark, machtvoll. Darum wird dabei so viel Wert auf „Reinheit” gelegt: sei rein, ehe du mit solchen Übungen beginnst. Nun ist aber „Reinheit” für Tantra kein moralisches Konzept. „Reinheit” ist wichtig, weil deine Einbildungskraft gefährlich werden kann, wenn du im dritten Auge zentriert und nicht rein bist — gefährlich für dich und gefährlich für andere. Wenn du daran denkst, einen anderen umzubringen, wenn du solche Vorstellungen im Kopf hast, genügt die bloße Vorstellung, um den Mann zu töten. Darum wird so viel Wert darauf gelegt, zuerst rein zu sein. Pythagoras mußte erst fasten und bestimmte Atemübungen machen — genau diese Atemübungen, denn hier befindet man sich auf sehr gefährlichem Terrain. Denn Macht bringt Gefahr. Und wenn dein Denken unrein ist, werden deine unreinen Gedanken die Macht an sich reißen, sobald du sie erhältst. Du hast dir schon oft vorgestellt, wie du jemanden tötest. Aber zum Glück wirkt sich diese Einbildung nicht aus. Täte sie es und würde augenblicklich in die Tat umgesetzt, dann wäre es gefährlich — nicht nur für andere, sondern auch für dich: denn wie oft hast du schon an Selbstmord gedacht! Wenn sich der Geist im dritten Auge zentriert, genügt der Gedanke an Selbstmord, daß Selbstmord geschieht. Du hast keine Zeit, etwas daran zu ändern. Es passiert augenblicklich. Ihr habt vielleicht schon einmal gesehen, wie jemand hypnotisiert wird: Was der Hypnotiseur sagt, befolgt der Hypnotisierte sofort. Wie absurd der Befehl auch sein mag, wie irrational oder sogar unmöglich — der Hypnotisierte befolgt ihn. Was passiert? 11 6
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Diese fünfte Technik ist die Grundlage aller Hypnose. Wenn jemand hypnotisiert wird, bekommt er gesagt, daß er seine Augen auf einen bestimmten Punkt richten soll, auf ein Licht, einen Fleck an der Wand oder auf die Augen des Hypnotiseurs. Wenn du deine Augen auf einen bestimmten Punkt richtest, strömt dein Bewußtsein nach drei Minuten dem dritten Auge zu. Und sobald deine innere Aufmerksamkeit zum dritten Auge geht, verändert sich dein Gesicht. Der Hypnotiseur erkennt, wann sich dein Gesicht verändert: Plötzlich verschwindet alle Vitalität daraus. Es erlischt, wie im Tiefschlaf. Der Hypnotiseur erkennt sofort, wann dein Gesicht seinen Ausdruck, seine Lebendigkeit verliert. Und das bedeutet, daß jetzt die Bewußtheit vom dritten Auge aufgesogen wird. Dein Gesicht ist abgestorben; die ganze Energie strömt dem Zentrum des dritten Auges zu. Damit weiß der Hypnotiseur, daß alles, was er sagt, auch geschehen wird. Er sagt zum Beispiel: „Jetzt fällst du in einen tiefen Schlaf ...” - und augenblicklich tust du es. Er sagt: „Jetzt wirst du bewußtlos” - augenblicklich wirst du bewußtlos. Jetzt kann alles geschehen. Wenn er sagt: „Jetzt bist du zu Napoleon oder Hitler geworden”, dann wirst du es. Du wirst dich wie ein Napoleon benehmen, du wirst wie ein Napoleon reden. Deine Gesten werden anders. Dein Unbewußtes nimmt den Befehl an und stellt die entsprechende Wirklichkeit her. Wenn du an etwas leidest, kann dir jetzt befohlen werden, daß dein Leiden verschwindet, und es wird verschwinden. Oder, es kann auch ein neues Leiden erzeugt werden. Der Hypnotiseur kann dir einen einfachen Kiesel auf die Hand tun und sagen: „Es ist Feuer auf deiner Hand” - und du wirst eine ungeheure Hitze empfinden; deine Hand wird verbrannt, nicht nur im Kopf, sondern wirklich. Deine Haut wird tatsächlich verbrannt. Du wirst ein Gefühl von Brennen haben. Was passiert? Es ist kein Feuer da, nur ein einfacher Stein - kalt. Wie, wie kommt es zur Verbrennung? Du bist in deinem dritten Auge zentriert; deine Vorstellungskraft empfängt Befehle vom Hypnotiseur, und sie werden aktualisiert. Wenn der Hyptnotiseur sagt: „Jetzt bist du tot”, wirst du augenblicklich sterben. Dein Herz bleibt stehen. Es wird stehenbleiben! Es geschieht durch das dritte Auge. Im dritten Auge sind 11 7
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Vorstellung und Verwirklichung nicht zweierlei. Vorstellung ist Tatsache: Stelle dir etwas vor, und es ist so. Es gibt keine Lücke zwischen Traum und Wirklichkeit! Träume etwas, und es wird Wirklichkeit werden. Darum hat Shankara gesagt, daß die ganze Welt nichts weiter ist als der Traum Gottes — ein Traum der Gottheit! Denn das Göttliche ist im dritten Auge konzentriert — immer, ewig. Was immer also das Göttliche träumt, es wird wirklich. Wenn du dich im dritten Auge zentriert hast, wird alles, was du träumst, wirklich. Sariputta kam zu Buddha. Er meditierte tief, und es kamen ihm viele Dinge, viele Visionen, so wie es jedem ergeht, der in tiefer Meditation ist. Er sah plötzlich unzählige Himmel, Höllen, Engel ; Götter und Dämonen. Und sie waren wirklich, so wirklich, daß er zu Buddha lief und ihm berichtete, was für Visionen er da gerade gehabt hätte. Aber Buddha sagte: „Es ist nichts — nichts als Träume, lauter Träume!” Aber Sariputta sagte: „Sie sind so wirklich, wie kann ich sie da Träume nennen? Wenn ich eine Blume in meiner Vision sehe, ist sie wirklicher als jede Blume der Welt. Der Duft ist da, ich kann sie berühren. Du”, sagte er zu Buddha, „bist lange nicht so wirklich. So eine Blume ist wirklicher als du, obwohl du direkt vor mir bist: wie soll ich also unterscheiden, was wirklich ist und was Traum?” Buddha sagte: „Jetzt, wo du im dritten Auge zentriert bist, sind Traum und Wirklichkeit eins. Was i mmer du träumst, wird wirklich sein und umgekehrt auch.” Für jemanden, der im dritten Auge zentriert ist, werden Träume wirklich, und die ganze Wirklichkeit wird zum bloßen Traum; denn wenn dein Traum wirklich werden kann, dann weißt du, daß es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit gibt. Wenn also Shankara sagt, daß diese ganze Welt nur Maja ist, ein Traum Gottes, dann ist das keine theoretische Behauptung, keine philosophische Theorie. Es ist vielmehr die innere Erfahrung von einem, der im dritten Auge zentriert ist. Wenn du also im dritten Auge zentriert bist, dann stelle dir vor, daß die Essenz des Prana von der höchsten Stelle deines Kopfes aus auf dich niederregnet, so als säßest du unter einem Baum und es würden Blüten niederregnen, oder unterm Himmel, und plötz11 8
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lich regnet es aus einer Wolke; oder du sitzt in der Morgendämmerung, und die Sonne geht auf und ihre Strahlen regnen auf dich. Stelle es dir vor und augenblicklich regnet es auf dich herab, ein Schauer von Licht fällt vom Scheitel deines Kopfes. Dieser Regen erfrischt dich, schenkt dir eine Neugeburt. Du bist neu geboren. Die sechste Technik:
Wenn in weltlicher Aktivität, lenke die Aufmerksamkeit zwischen zwei Atemzüge, und dies übend wirst du in wenigen Tagen neu geboren. „Wenn in weltlicher Aktivität, lenke die Aufmerksamkeit zwischen zwei Atemzüge ...” Achte nicht auf die Atemzüge, lenke die Aufmerksamkeit zwischen sie. Ein Atemzug ist hereingekommen; ehe er zurückkehrt, ehe er ausgeatmet wird, entsteht die Lücke — das Intervall. Ein Atemzug ist hinausgegangen und ehe ein neuer hereinkommt: die Lücke. „Wenn in weltlicher Aktivität, lenke die Aufmerksamkeit zwischen zwei Atemzüge, und dies übend wirst du in wenigen Tagen neu geboren.” Aber dies muß pausenlos geschehen! Diese sechste Technik muß ununterbrochen getan werden. Darum wird extra erwähnt: „Wenn in weltlicher Aktivität ..." Was immer du tust, richte deine Aufmerksamkeit auf die Lücke zwischen zwei Atemzügen, aber es muß getan werden, während du anderweitig beschäftigt bist. Wir haben schon eine Technik besprochen, die sehr ähnlich ist. Jetzt gibt es nur diesen einen Unterschied: daß es geschehen muß, während du etwas anderes tust, etwas in der Außenwelt. Du darfst es nicht in Isolation üben. Diese Übung muß getan werden, während du etwas anderes tust. Du ißt gerade; iß weiter, aber achte auf die Lücke. Du gehst schlafen: Leg dich hin und laß den Schlaf kommen, aber vergiß nicht, auf die Lücke zu achten. Warum „in Aktivität”? Weil Aktivität dich ablenkt. Aktivität erfordert deine ständige Aufmerksamkeit. Laß dich aber trotzdem nicht ablenken. Bleib auf die Lücke fixiert, aber ohne mit dem, was du sonst machst, aufzuhören: Laß es weitergehen. Du wirst auf zwei 11 9
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Ebenen leben — Tun und Sein. Wir haben zwei Daseinsebenen: die Welt des Tuns und die Welt des Seins, Peripherie und Zentrum. Mache an der Peripherie weiter, an der Außenseite, und bleibe dabei. Aber arbeite auch im Mittelpunkt aufmerksam weiter. Was wird geschehen? Deine Aktivität wird zum Theater, als würdest du eine Rolle spielen. Du spielst eine Rolle, etwa auf der Bühne. Du stellst den Gott Ram dar, oder Christus. Du handelst, als wärest du Christus oder Ram, bleibst aber trotzdem du selbst. Innen weißt du, wer du bist. An der Außenseite stellst du Ram, Christus oder sonstwen dar. Du weißt, daß du nicht Ram bist, du spielst ihn nur. Du weißt, wer du bist. Dein Bewußtsein ist in dir zentriert, während deine Aktivität an der Außenseite weitergeht. Wenn diese Methode praktiziert wird, wird dein Leben zu einem ständigen Theater. Du wirst zum Schauspieler, der seine Rollen spielt, bleibst aber immer in der Lücke zentriert. Wenn du die Lücke vergißt, dann spielst du deine Rollen nicht mehr, dann bist du deine Rolle. Dann ist es kein Theater mehr: Du hast es mit dem Leben verwechselt. Und genau das haben wir getan. Jeder glaubt, das Leben zu leben. Es ist kein Leben; es ist nur eine Rolle, eine Bühnenrolle, die dir von der Gesellschaft gegeben wurde, von den Umständen, von der Kultur, der Tradition, von Land und Lage. Dir wurde eine Rolle gegeben. Du spielst sie; aber du hast dich mit ihr identifiziert. Und um diese Identifikation zu brechen — die Technik! Krishna hat viele Namen. Krishna ist einer der größten Schauspieler. Er ist ständig in sich selbst zentriert und spielt dabei — spielt viele Spiele, viele Rollen, aber völlig unernst. Ernst kommt aus der Identifikation. Wenn du wirklich auf der Bühne zum Ram wirst, dann muß es Probleme geben. Diese Probleme kommen vom Ernstnehmen. Wenn dir Sita entführt wird, kannst du einen Herzschlag bekommen, und das ganze Stück muß abgebrochen werden. Wenn du wirklich zu Ram wirst, ist dir ein Herzinfarkt gewiß, das Herz wird sogar stehenbleiben. Aber du bist nur ein Schauspieler. Sita wird entführt, aber dir wird niemand entführt. Du gehst nach Hause und legst dich friedlich ins Bett. Nicht einmal im Traum kommt dir das Gefühl, dir 12 0
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sei Sita entführt worden. Als Sita wirklich entführt wurde, da weinte und schrie sogar ein Ram und fragte die Bäume: „Wo ist Sita, meine Geliebte? Wer hat sie mir geraubt?” Aber genau das ist der Punkt, den man verstehen muß: Wenn Ram wirklich weint und die Bäume fragt, hat er sich identifiziert. Dann ist er nicht mehr Ram, ist nicht mehr ein Gott. Genau das muß man sich klarmachen: daß für Ram sein wirkliches Leben auch nur eine Rolle war. Ihr habt Schauspieler gesehen, die Ram gespielt haben, aber Ram selbst war auch nur ein Schauspieler — auf einer größeren Bühne, natürlich. Indien hat hierzu eine wunderschöne Geschichte. Ich finde diese Geschichte einmalig. So etwas gibt es nicht noch einmal auf der ganzen Welt. Es heißt, daß Valmiki das Ramayana schrieb, noch ehe Ram geboren wurde, und daß Ram ihm dann folgen mußte. Das erste, was Ram tat, war also in Wirklichkeit auch nur ein Theaterstück. Die Geschichte wurde geschrieben, ehe Ram geboren wurde, und Ram mußte sie befolgen, es blieb ihm nichts anderes übrig! Wenn ein Mann wie Valmiki die Story schreibt, muß ein Ram folgen. Alles stand also sozusagen schon vorher fest. Sita mußte entführt werden, und der Krieg mußte stattfinden. Wenn ihr dies verstehen könnt, dann könnt ihr auch die Theorie der Bestimmung verstehen — Bhagya, Schicksal. Sie hat einen sehr tiefen Sinn. ,Und der Sinn ist der, daß du dein Leben als Theater erlebst, wenn du alles im Leben als vorherbestimmt nimmst. Wenn du die Rolle Rams spielst, kannst du sie nicht ändern. Alles ist festgelegt, sogar der Dialog. Wenn du etwas zu Sita sagst, sprichst du nur bereits Festgelegtes nach. Du kannst nichts ändern, wenn dir das Leben als festgelegt erscheint: Zum Beispiel: Du mußt an einem bestimmten Tag sterben. Er ist festgelegt. Und wenn du stirbst, wirst du weinen, aber auch das ist festgelegt. Und so und so viele Menschen werden bei dir sein: Auch das steht fest. Wenn alles festgelegt ist, wird alles zum Theater. Wenn alles festgelegt ist, heißt das, daß du es nur in Szene zu setzen brauchst. Diese Technik, die sechste Technik, soll ein Psychodrama aus dir machen — ein bloßes Spiel. Du bist auf die Lücke zwischen den Atemzügen zentriert, und das Leben geht weiter — an der 12 1
Das Buch der Geheimnisse
Peripherie. Wenn deine Bewußtheit im Zentrum ist, dann ist sie nicht wirklich an der Peripherie; das ist dann nur eine Zweit — Bewußtheit. Alles passiert nur irgendwo am Rand deiner Aufmerksamkeit. Du fühlst und weißt es, aber es ist nicht wichtig. Es ist, als würde es nicht dir geschehen. Ich will es wiederholen: wenn du diese sechste Technik praktizierst, wird sich dein ganzes Leben so abspielen, als passierte es nicht dir, sondern einem andern. Die siebte Technik:
Mit unspürbarem Atem in der Mitte der Stirn. Sobald er das Herz erreicht, im Augenblick des Schlafes, hast du Gewalt über die Träume und selbst über den Tod. Du gerätst in immer tiefere Schichten. „Mit unspürbarem Atem in der Mitte der Stirn ...” — wenn du das dritte Auge kennst, dann kennst du den unspürbaren Atem, den unsichtbaren Atem in der Mitte der Stirn, und kennst auch das Niederregnen — daß die Energie als Licht niederregnet: „... Sobald er das Herz erer, der Regen nämlich — „im Augenblick des Schlafes, reicht,” hast du Gewalt über die Träume und selbst über den Tod.” Versteh diese Technik in drei Schritten. Erstens mußt du in der Lage sein, im Atem das Prana wahrzunehmen, seinen unspürbaren Teil, seinen unsichtbaren Teil, seinen nichtstofflichen Teil. Das geschieht, wenn du deine Aufmerksamkeit zwischen deine Augenbrauen lenkst. Dann ist es leicht. Auch wenn du auf die Lücke achtest, geschieht es, aber dann ist es weniger leicht. Wenn du dir das Nabelzentrum bewußt machst, wo der Atem hinströmt und das er berührt, bevor er wieder ausströmt, dann ist es auch möglich, aber es ist nicht so einfach. Der leichteste Punkt, das unsichtbare Element im Atem wahrzunehmen, ist die Zentrierung im dritten Auge. Aber egal, wo du zentriert bist, du wirst es wahrnehmen. Du beginnst zu spüren, wie das Prana in dich fließt. Wenn du das Prana in dich einströmen fühlst, kannst du sogar erkennen, wann du sterben wirst. Wenn du den unsichtbaren Teil deines Atems fühlen kannst, wirst du sechs Monate vor deinem Todestag wissen, wann du stirbst. Warum sagen so viele Weisen 122
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ihren Todestag voraus? Es ist leicht, denn wenn du den Inhalt des Atems sehen kannst, das Prana, das in dich strömt, dann spürst du den Augenblick, wo sich der Prozeß umkehrt. Ehe du stirbst, sechs Monate zuvor, kehrt sich der Prozeß um. Das Prana beginnt aus dir herauszuströmen. Dann bringt es der Atem nicht mehr mit herein. Im Gegenteil, der Atem nimmt es mit hinaus — der gleiche Atem! Ihr spürt es nicht, weil ihr das unsichtbare Element nicht erkennt. Ihr kennt nur das Sichtbare, nur das Vehikel, und das bleibt gleich. Normalerweise bringt der Atem das Prana herein und läßt es dort zurück. Dann kehrt das Vehikel leer um, füllt sich mit Prana und geht wieder hinein. Der einströmende und der ausströmende Atem sind also nicht dasselbe, vergeßt das nicht. Ein — und ausströmender Atem sind als Vehikel gleich, aber der einströmende Atem ist mit Prana gefüllt, und der ausströmende Atem ist leer. Ist das Prana absorbiert, wird der Atem leer. Das Umgekehrte geschieht, wenn du dich deinem Tod näherst. Der einströmende Atem wird „pranalos”, leer. Weil dein Körper kein Prana mehr aus dem Kosmos absorbieren kann, stirbst du. Du brauchst es nicht mehr. Der ganze, Prozeß hat sich umgekehrt. Und wenn der Atem ausströmt, nimmt er dein Prana mit. Jemand, der gelernt hat, das Unsichtbare zu sehen, kann augenblicklich seinen Todestag erkennen. Sechs Monate zuvor kehrt sich der Prozeß um. Dies Sutra ist sehr, sehr bedeutsam: „Mit unspürbarem Atem in der Mitte der Stirn: Sobald er das Herz erreicht, im Augenblick des Schlafes, hast du Gewalt über die Träume und selbst über den Tod.” Diese Technik muß geübt werden, während du einschläfst: nur dann, zu keiner andern Zeit. Das ist der richtige Augenblick für diese Technik. Du schläfst langsam ein, langsam, ganz langsam übermannt dich der Schlaf. In wenigen Augenblicken löst sich dein Bewußtsein auf, hörst du auf wahrzunehmen. Bevor dieser Augenblick eintrat, achte auf den Atem und seine unsichtbare Essenz, das Prana, und fühle, wie es ins Herz geht. Bleibe bei dem Gefühl, wie es zum Herzen geht, immer näher zum Herzen. Das Prana verbreitet sich vom Herzen aus über den ganzen Körper. Fühle, fühle immerzu, wie das Prana ins Herz 12 3
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geht, und laß den Schlaf kommen, während du es weiter fühlst. Du bleibst bei dem Gefühl, läßt den Schlaf kommen und ertrinkst darin. Wenn dies geschieht — daß du den unsichtbaren Atem ins Herz kommen spürst, während dich der Schlaf überkommt, dann wirst du in deinen Träumen bewußt bleiben. Du wirst wissen, daß du träumst. Gewöhnlich wissen wir nicht, daß wir träumen. Während du träumst, hältst du es für Wirklichkeit. Auch das liegt am dritten Auge. Habt ihr schon einmal beobachtet, wie jemand schläft? Die Augen sind nach oben gerollt und auf das dritte Auge gerichtet. Wenn ihr es noch nie gesehen habt, schaut es euch einmal an. Dein Kind schläft: Zieh eines seiner Augenlider hoch und schau nach, wo die Augen sind. Seine Pupillen sind nach oben gerichtet, aufs dritte Auge. Ich sage: Seht es euch bei Kindern an, nicht bei Erwachsenen, denn denen kann man nicht trauen, ihr Schlaf ist nicht tief. Sie glauben nur, daß sie schlafen. Seht euch Kinder an: Ihre Augen drehen sich nach oben. Sie richten sich auf das dritte Auge. Aufgrund dieser Zentrierung im dritten Auge haltet ihr eure Träume für wirklich. Ihr könnt sie nicht als Träume erfahren. Sie sind wirklich. Erst am Morgen, wenn ihr aufwacht, wißt ihr Bescheid, dann wißt ihr: „Ich habe geträumt.” Aber das ist eine späte Wahrnehmung. Ihr könnt beim Träumen nicht wahrnehmen, daß ihr träumt. Wenn ihr es wahrnehmt, entstehen zwei Schichten: der Traum ist zugleich mit dem Wachbewußtsein da, du bist bewußt dabei. Für jemanden, der in seinen Träumen bewußt ist, eignet sich dies Sutra ausgezeichnet. Es sagt:„ ... du hast Gewalt über die Träume und selbst über den Tod." Wer beim Träumen bewußt werden kann, der kann zweierlei tun. Er kann erstens Träume erzeugen. Das geht normalerweise nicht. Wie machtlos der Mensch ist — ihr könnt nicht einmal Träume erzeugen! Ihr könnt es nicht, könnt nicht träumen, was ihr wollt. Da seid ihr ohnmächtig, seid nur Opfer der Träume, nicht ihre Schöpfer. Ein Traum geschieht. Da kann man nichts machen, kann ihn weder anhalten noch erschaffen. Aber wer sich beim Einschlafen erinnert, wie sein Herz mit 12 4
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Prana gefüllt wird, mit jedem Atemzug vom Prana berührt wird, ständig, der wird zum Meister seiner Träume. Und dies ist eine ganz seltene Meisterschaft! So einer kann träumen, was immer er will, er nimmt sich nur beim Einschlafen vor, was er träumen will, und genau das kommt. Oder er sagt sich: „Diesen Traum will ich nicht haben”, und er träumt ihn nicht. Aber wozu zum Meister seiner Träume werden? Ist das nicht nutzlos? Nein, es ist nicht nutzlos. Bist du nämlich erst einmal Herr deiner Träume, dann wirst du gar nicht mehr träumen. Dann ist es absurd. Wenn du Herr deiner Träume bist, hört das Träumen auf. Es ist nicht mehr nötig. Und wenn es kein Träumen mehr gibt, hat dein Schlaf eine völlig andere Qualität, nämlich die Qualität des Todes. Der Tod ist ein tiefer Schlaf. Wenn dein Schlaf so tief werden kann wie der Tod, dann bedeutet dies, daß es kein Träumen mehr gibt. Träumen macht den Schlaf oberflächlich. Der Träume wegen bleibst du an der Oberfläche. Weil du an den Träumen hängenbleibst, bewegst du dich nur an der Oberfläche. Wenn es keine Träume mehr gibt, versinkst du einfach im Meer, dringst du in seine Tiefen vor. I m Tod ist es ebenso. Darum hat es in Indien immer geheißen, daß der Schlaf ein kurzer Tod, und der Tod ein langer Schlaf ist. Der Qualität nach sind beide gleich. Schlaf ist ein Tod von Tag zu Tag. Der Tod ist ein Phänomen von Leben zu Leben, ein Schlaf von Leben zu Leben. Jeden Tag wirst du müde, fällst du in Schlaf und gewinnst am Morgen deine Vitalität zurück, deine Lebendigkeit. Du wirst wiedergeboren. Nach einem Leben von 70 oder 80 Jahren bist du völlig erschöpft. Jetzt reichen solche kurzfristigen Tode nicht mehr aus. Du brauchst einen langen Tod. Nach diesem großen Tod — oder großen Schlaf — wirst du dann mit einem vollkommen neuen Körper wiedergeboren. Wenn du einmal den traumlosen Schlaf kennst und ihn bewußt erfährst, gibt es keine Todesangst mehr. Niemand ist je gestorben, und niemand kann sterben: Das ist die einzige Unmöglichkeit. Erst gestern sagte ich euch, daß der Tod die einzige Gewißheit ist, und jetzt sage ich euch, daß der Tod unmöglich ist. Niemand ist je gestorben, und niemand kann sterben: Das ist die einzige 12 5
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Unmöglichkeit. Warum sage ich das? Weil das Universum Leben ist. Du wirst wieder und wieder geboren, aber der Schlaf geht jedesmal so tief, daß du deine alte Identität vergißt. Dein Geist wird von Erinnerungen reingewaschen. Denkt es euch einmal so: Du gehst heute schlafen. Und nun gibt es eine Art Mechanismus — und bald werden wir tatsächlich so etwas haben! —, der löschen kann, genau wie beim Tonbandgerät, der also das Band löschen kann, so daß alles Aufgenommene nicht mehr existiert. Das gleiche ist mit dem Gedächtnis möglich, denn das Gedächtnis ist tatsächlich nur eine tiefere Tonbandaufnahme. Früher oder später werden wir ein Gerät erfinden, das man sich auf den Kopf setzen kann und das unser Gehirn völlig säubert. Am nächsten Morgen bist du nicht mehr der gleiche Mensch, weil du dich nicht mehr erinnern wirst, euer gestern schlafen ging. Dann kommt dein Schlaf einem Tod gleich. Es klafft eine Lücke. Du kannst dich nicht mehr entsinnen, wer schlafen ging. Das geschieht ganz natürlich. Wenn du stirbst und dann wiedergeboren wirst, kannst du dich nicht entsinnen, wer starb. Du fängst von vorne an. Mit dieser Technik wirst du also erstens Meister deiner Träume — mit andern Worten: Das Träumen hört auf. Oder wenn du träumen willst, kannst du auch das, aber es wird ein willentliches Träumen sein. Es wird nicht unfreiwillig sein, es wird dir nicht aufgezwungen sein. Du bist nicht sein Opfer. Dann wird dein Schlaf wie Tod sein. Dann wirst du wissen, daß Tod Schlaf ist. Darum sagt dies Sutra: „ ... hast du Gewalt über die Träume und selbst über den Tod.” Jetzt weißt du, daß der Tod nur ein langer Schlaf ist — der hilft und schön ist, weil er dir ein neues Leben gibt. Er gibt dir alles frisch zurück. Der Tod hört nun für dich auf. Wenn es mit dem Träumen vorbei ist, ist es mit dem Tod vorbei. Es bedeutet aber noch etwas anderes, Macht über den Tod, Herrschaft über den Tod zu gewinnen. Wenn du erfährst, daß der Tod nur ein Schlaf ist, wirst du ihn lenken können. Wenn du deine Träume lenken kannst, kannst du auch deinen Tod lenken. Du kannst wählen, wo du wiedergeboren wirst — wem, wann, in welcher Form. So wirst du auch zum Meister über deine Geburt. Buddha starb. Ich spreche nicht von seinem letzten, sondern von 12 6
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seinem vorletzten Leben - vor seinem Leben als Buddha. Ehe er starb, sagte er: „Ich werde die und die Eltern haben. Dies wird meine Mutter sein, dies mein Vater, aber meine Mutter wird sofort sterben, wenn ich geboren werde. Vor meiner Geburt wird meine Mutter folgende Träume haben ...” Nicht nur gewinnst du Macht über deine Träume, du gewinnst auch Macht über die Träume anderer! Buddha konnte also zum Beispiel sagen: „Die und die Träume werden kommen. Wenn ich im Mutterleib bin, wird meine Mutter folgendes träumen. Wenn also von nun an irgendwo eine Mutter folgenden Traum haben wird, kann sie daran erkennen, daß ich ihr geboren werde.” Und so geschah es. Buddhas Mutter träumte genau die gleiche Folge von Träumen. Die Sequenz war in ganz Indien bekannt, denn das war keine alltägliche Behauptung. Alle wußten davon, vor allem diejenigen, die an Religion interessiert waren, an den letzten Lebensdingen, an den esoterischen Dimensionen des Lebens. Es war bekannt; und auch damals wurden schon Träume gedeutet. Freud war nicht der erste Traum-Interpret und ganz gewiß nicht der tiefste. Er war nur im Westen der erste. Buddhas Vater berief also sofort Traumdeuter, all die Freuds und Jungs dieser Tage, und fragte sie: „Was bedeutet diese Traumfolge? Ich fürchte mich. Solche Träume sind ungewöhnlich, und sie wiederholen sich, in der gleichen Reihenfolge. Es gibt eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Träume, die sich ständig wiederholen. Die gleichen Träume, als liefe ständig der gleiche Film. Was ist los?” Da sagten sie ihm: „Du wirst Vater einer großen Seele werden - von einem, der ein Buddha sein wird. Aber deine Gemahlin ist in Gefahr, denn wenn dieser Buddha geboren wird, kann die Mutter kaum überleben.” Der Vater fragte: „Warum”? Der Traumdeuter sagte: „Wir können nicht sagen warum, aber diese Seele, deren Geburt bevorsteht, hat prophezeit, daß, wenn sie geboren wird, die Mutter augenblicklich stirbt.” Später wurde Buddha gefragt: „Warum starb deine Mutter sofort?” Er sagte: „Einen Buddha zur Welt zu bringen ist ein so großes Ereignis, daß alles andere danach schal wird. Daher kann die Mutter nicht überleben. Sie muß wiedergeboren werden, um von vorn anzufangen. Es ist ein solcher Höhepunkt, einem 12 7
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Buddha das Leben zu schenken, es ist ein solcher Gipfel, daß die Mutter danach nicht mehr leben kann." Also starb die Mutter. Und Buddha hatte in seinem vorigen Leben gesagt, daß er geboren werde, während seine Mutter unter einer Palme stehen würde. Und so geschah es auch. Die Mutter stand unter einer Palme — und Buddha wurde geboren. Und er hatte weiter gesagt: „Ich werde geboren, während meine Mutter unter einer Palme steht, und ich werde sieben Schritte tun. Ich werde augenblicklich laufen. Dieses sind die Zeichen, die ich euch gebe, damit ihr erkennt, daß ein Buddha geboren wurde.” Und so führte er die ganze Regie. Und das ist nicht nur bei Buddha so. Es ist das gleiche mit Jesus, mit Mahavir, mit vielen anderen. Jeder Teerthankera der Jainas kündigte in seinem vorletzten Leben an, wie er geboren würde. Sie gaben bestimmte Traum-Sequenzen an, bestimmte Zeichen, und sagten genau voraus, wie es geschehen würde. Du kannst Regie führen. Kannst du einmal deine Träume dirigieren, kannst du alles dirigieren, denn Träume sind genau der Stoff, aus dem die Welt gemacht ist. Diese Welt besteht aus dem gleichen Stoff wie die Träume. Kannst du erst einmal deine Träume lenken, kannst du über alles Regie führen. Dies Sutra sagt: „ ... selbst über den Tod.” Dann kann man sich eine bestimmte Geburt, ein bestimmtes Leben geben. Wir sind bloße Opfer. Wir wissen nicht, warum wir geboren werden, warum wir sterben. Wer führt Regie über uns? Und warum? Es scheint keine Gründe zu geben. Es scheint alles Chaos zu sein, reiner Zufall. Es liegt daran, daß wir nicht die Herren sind. Sind wir erst einmal die Meister, wird es anders sein. Die achte Technik: Mit äuß erster Hingabe zentriere dich auf die beiden Verknüpfungspunkte des Atems und erkenne den Erkennenden.
Die Techniken unterscheiden sich nur leicht: es gibt leichte Abwandlungen, die, was die Technik betrifft, nur fein sein mögen, die aber für euch einen großen Unterschied ausmachen. Ein ein128
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ziges Wort macht einen großen Unterschied. „Mit äußerster Hingabe zentriere dich auf die beiden Verknüpfungspunkte des Atems ...” Der einströmende Atem hat seinen Verknüpfungspunkt dort, wo er sich umkehrt, der ausströmende Atem auch. Was die beiden Wendepunkte betrifft (und wir haben über diese Wendepunkte schon gesprochen), wird nun ein kleiner Unterschied gemacht - das heißt, klein in der Technik, nicht für euch. Nur eine Bedingung wird hinzugefügt: „Mit äußerster Hingabe. ” Und damit ändert sich die ganze Technik. In ihrer ersten Form war keine Rede von Hingabe, es war lediglich eine wissenschaftliche Methode. Du wendest sie an, und sie funktioniert. Aber es gibt Menschen, die solche trockenen, wissenschaftlichen Methoden nicht mögen, die herzorientiert sind, die der Welt der Hingabe angehören, und für sie ist diese leichte Abwandlung gedacht: „Mit äußerster Hingabe zentriere dich auf die beiden Verknüpfungspunkte des Atems und erkenne den Erkennenden.” Wenn du nicht vom Schlag des Wissenschaftlers bist, wenn du kein wissenschaftlicher Kopf bist, dann versuche es mit dieser „äußersten Hingabe” - mit Inbrunst, Liebe, Vertrauen -, „zentriere dich auf die beiden Verknüpfungspunkte des Atems und erkenne den Erkennenden”. Aber wie? Du kannst dich einer bestimmten Person hingeben: einem Krishna, einem Christus. Aber Hingabe an dich selbst, an diese Verknüpfungspunkte des Atems? Das scheint ein absolut ungeeignetes Objekt für Hingabe zu sein. Aber es kommt darauf an. Tantra sagt, daß der Körper der Tempel ist. Dein Körper ist der Tempel des Göttlichen, die Wohnung des Göttlichen; behandle deinen Körper also nicht wie ein Objekt. Er ist heilig, er ist geweiht. Und wenn du Atem holst, bist nicht nur du es, der einatmet - es ist der Gott in dir. Du ißt, du bewegst dich, du gehst. Sieh es einmal so: Nicht du bist es, es ist Gott, der sich in dir bewegt. So wird es ganz und gar zu einer Sache der Hingabe! Es heißt von vielen Weisen, daß sie ihren Körper liebten. Sie gingen mit ihren Körpern um, als gehörte er ihren Geliebten. Du kannst du deinen Körper entweder lieben oder wie einen Mechanismus behandeln, je nachdem. Du kannst ihn mit Schuld - und Sündegefühlen behandeln, als etwas Schmutziges. Du kannst ihn aber auch als etwas 12 9
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Wunderbares behandeln, als ein Wunder, als Wohnstätte des Göttlichen. Es kommt auf dich an. Wenn du deinen Körper als Tempel sehen kannst, ist diese Technik für dich geeignet — „mit äußerster Hingabe ...” Versuch es. Während du ißt, versuche es. Denke nicht, du ißt, sondern daß das Göttliche in dir ißt. Und sieh dir den Unterschied an. Du ißt das gleiche, du bist der gleiche. Aber augenblicklich wird alles anders: Du gibst Gott zu essen. Oder du badest — eine ganz gewöhnliche, triviale Sache. Aber ändere deine Einstellung, fühle, daß du dem Göttlichen in dir ein Bad gibst! Dann wird diese Technik leicht: „Mit äußerster Hingabe zentriere dich auf die beiden Verknüpfungspunkte des Atems und erkenne den Erkennenden.” Die neunte Technik: Lege dich hin wie tot. Wutentbrannt, verharre so. Oder. Starre, ohne mit der Wimper zu zucken. Oder. Sauge etwas und werde zum Saugen. „Lege dich hin wie tot ...” Versuche es: Plötzlich bist du tot. Verlasse den Körper! Bewege ihn nicht: denn du bist tot. Stell dir einfach vor, daß du tot bist. Du kannst den Körper nicht rühren, du kannst die Augen nicht bewegen, du kannst nicht weinen, du kannst nicht schreien, du kannst gar nichts tun. Du bist einfach tot. Und dann sieh, wie sich das anfühlt. Aber du darfst dich nicht betrügen. Das ist möglich — du kannst mogeln, aber das darfst du nicht. Wenn eine Mücke kommt, dann mußt du den Körper wie tot behandeln. Dies ist eine der allergebräuchlichsten Techniken, eine der meistgebrauchten überhaupt. Raman Maharshi gelangte durch diese Technik zu seiner Erleuchtung. Aber für ihn war es gar keine Technik, ihm passierte es spontan, mitten im Alltag, plötzlich. Aber er mußte es in einem früheren Leben lange geübt haben, denn nichts passiert spontan. Alles hat eine Kausalkette, eine Kausalität. Plötzlich fühlte Raman eines nachts — er war noch ganz jung, gerade vierzehn oder fünfzehn —, daß er sterben würde. Und das war ihm eine solche 13 0
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Gewißheit, daß der Tod schon eingetreten war. Er konnte seinen Körper nicht bewegen, er hatte das Gefühl, gelähmt zu sein. Dann hatte er plötzlich ein Erstickungsgefühl, und er wußte, daß nun das Herz aussetzen würde. Er konnte nicht einmal rufen und andere wissen lassen: „Ich sterbe!” Das kommt manchmal in Alpträumen vor: Du kannst nicht rufen, kannst dich nicht rühren. Selbst wenn du dann aufwachst, kannst du ein paar Augenblicke lang nichts tun. Genau das passierte: er besaß absolute Macht über sein Bewußtsein, aber keinerlei Macht über seinen Körper. Er wußte, daß er da war — daß er gegenwärtig war, bewußt, wach, aber er wußte auch, daß er starb. Und die Gewißheit war so gewiß, daß es einfach keine andere Möglichkeit gab, also gab er einfach auf. Er schloß die Augen und verharrte so, um einfach nur zu sterben. Er wartete nur darauf zu sterben. Nach und nach wurde der Körper steif. Der Körper starb, aber nun geschah ein Rätsel. Er wußte, der Körper war gestorben, aber er war da, und er wußte es. Er wußte, daß er lebte und daß der Körper gestorben war. Allmählich kam er zurück. Am Morgen war der Körper wieder wie zuvor, aber es war nicht mehr der gleiche Mensch, der zurückkam, denn er hatte den Tod erfahren. Er hatte ein anderes Reich kennengelernt, eine andere Bewußtseinsdimension. Er lief von zu Hause weg. Dieses Todeserlebnis hatte ihn völlig verändert. Er wurde einer der ganz wenigen Erleuchteten dieses Zeitalters. Dies ist die Technik. Raman geschah es spontan. Aber euch wird es nicht spontan passieren. Aber versucht es. In irgendeinem Leben mag es spontan werden. Vielleicht geschieht es ja, wenn du es versuchst. Und wenn nicht, die Mühe ist nicht umsonst. Es ist in dir, es bleibt in dir als Saat. Irgendwann, wenn die Zeit reif ist und der Regen fällt, wird sie aufgehen. Mit allem Spontanen ist es so: irgendwann wurde die Saat gesät, aber die Zeit war nicht reif, der Regen blieb aus. In einem andern Leben ist die Zeit gekommen, bist du reifer, erfahrener, enttäuschter von der Welt. Dann plötzlich, in einer bestimmten Situation, fällt der Regen, und die Saat explodiert. „Lege dich hin wie tot. Wutentbrannt, verharre so.” Natürlich, wenn du stirbst, wird das kein glücklicher Augenblick sein. Es 13 1
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wird kein seliges Gefühl sein, tot dazuliegen. Angst wird dich übermannen, Wut oder Frustration wird sich melden, Trauer, Kummer, Qual, was immer. Es wird von Individuum zu Individuum verschieden sein. Das Sutra sagt: „Wutentbrannt, verharre so.” Wenn du dich wütend fühlst, bleibe so. Wenn du traurig bist, bleibe so. Wenn du Angst hast, Furcht, bleibe so. Du bist tot und kannst nichts tun, verharre also darin. Gleich, was für Gedanken kommen, der Körper ist tot, und du kannst einfach nichts tun - also bleibe so. Diese Worte sind wunderschön. Wenn du ein paar Minuten so verharren kannst, wirst du plötzlich fühlen, daß sich alles verändert hat. Aber wir fangen an, uns zu bewegen. Wenn sich in uns eine Emotion rührt, regt sich der Körper sofort. Darum heißt es „Emotion” : Sie erzeugt „motio” - Bewegung - im Körper. Wenn du wütend bist, fängt dein Körper plötzlich an, sich zu bewegen. Bist du traurig, bewegt sich der Körper. Darum heißt es „Emotion” - weil sie im Körper Bewegung hervorruft. Fühl dich tot und erlaube keiner Emotion, den Körper zu bewegen. Laß sie da sein, aber du „verharre so” - unbeweglich, tot. Was immer da ist - keine Bewegung. Bleibe so! Keine Bewegung! „Oder: Starre, ohne mit der Wimper zu zucken.” Dies ohne mit der Wimper zu zucken, war die Methode von Meher Baba. Jahrelang starrte er nur seine Zimmerdecke an, jahrelang, wie tot, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne die Augen zu bewegen. Lange lag er so. Die Augen starren zu lassen ist gut, weil man so wieder im dritten Auge zentriert wird. Und wenn du erst einmal im dritten Auge fixiert bist, kannst du mit keiner Wimper zucken, selbst wenn du wolltest. Die Lider werden starr. Meher Baba gelangte so zur Erleuchtung - und ihr wundert euch, wie es mit so unbedeutenden Techniken möglich ist! Aber er starrte drei Jahre lang die Zimmerdecke an, ohne sonst etwas zu tun. Drei Jahre ist eine lange Zeit. Macht es einmal drei Minuten lang, und es wird sein wie drei Jahre. Die drei Minuten werden euch sehr, sehr lang werden. Es ist, als ginge die Zeit nicht weiter, als stünde die Uhr still. Meher Baba starrte und starrte und starrte. Nach und nach blieben die Gedanken stehen, blieb alle Bewegung stehen, und er 13 2
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wurde zu reinem Bewußtsein. Er wurde reines Starren. Danach blieb er sein ganzes Leben lang still. Er wurde durch dieses Starren innerlich so still, daß es ihm unmöglich wurde, wieder Worte zu formulieren. Meher Baba kam nach Amerika. Es gab dort einen Mann, der lesen konnte, was andere dachten. Und er war einer der einmaligsten Gedankenleser. Er konnte sich vor dich hinsetzen, die Augen schließen und sich nach wenigen Minuten so auf dich einstellen, daß er aufschreiben konnte, was du gerade dachtest. Er wurde unzählige Male auf die Probe gestellt, und er hatte immer recht, es stimmte immer. Also brachte man ihn zu Meher Baba. Er saß dort — und dies war die einzige Schlappe in seinem Leben, das einzige Mal, wo er versagte. Man kann aber auch nicht sagen, daß es ein Versagen war. Er starrte und starrte und strengte sich an und kam ins Schwitzen. Aber er konnte nicht ein einziges Wort auffangen. Mit dem Stift in der Hand saß er da und sagte: „Was ist das für ein Mensch? Ich kann nichts lesen, weil es da nichts zu lesen gibt: dieser Mann ist absolut leer. Ich vergesse sogar, daß da jemand vor mir sitzt. Wenn ich die Augen schließe, muß ich sie wieder aufmachen, um nachzusehen, ob der Mann noch da ist oder ob er sich aus dem Staub gemacht hat — und finde den Mann vor mir sitzen. Er denkt überhaupt nicht!” Dies Starren, dies ständige Starren, hatte seinen Geist völlig zum Stillstand gebracht. „Oder: Starre, ohne mit der Wimper zu zucken. Oder: Sauge etwas und werde zum Saugen.” Dies sind Variationen. Alles ist geeignet. Sei tot — das genügt. „Wutentbrannt”, und dann: „verharre so.” Selbst dieser Aspekt schon kann zur Technik gemacht werden. Du bist in Wut: lege dich hin, bleibe in der Wut. Weiche ihr nicht aus, tu nichts, bleib einfach unbeweglich. Davon redet Krishnamurti immer; seine ganze Technik beruht auf diesem einen: „Wutentbrannt, verharre so.” Wenn du wütend bist, dann sei wütend und bleib dabei, lauf nicht davor weg. Wenn du das kannst, geht die Wut weg, und danach bist du ein anderer Mensch. Wenn du Angst hast, tu nichts, bleib dabei, verharre so. Die Angst geht weg, und du bist danach ein anderer. Und wenn 133
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du erst einmal der Angst ins Auge gesehen hast, ohne von ihr bewegt zu werden, wirst du ihr Herr. „Oder: Starre, ohne mit der Wimper zu zucken. Oder: Sauge etwas, und werde zum Saugen.” Letzteres ist rein körperlich und ganz leicht zu machen, denn Saugen ist das erste, was ein Kind tun muß. Saugen ist die erste Handlung im Leben. Wenn das Kind geboren wird, fängt es zu weinen an. Ihr mögt noch nicht weiter darüber nachgedacht haben, warum das Kind weint. In Wirklichkeit weint es nicht: das klingt nur so. Es saugt Luft ein. Und wenn das Kind nicht weinen kann, ist es nach wenigen Minuten tot, denn das Weinen ist sein erster Versuch, Luft einzusaugen. Im Mutterleib hat das Kind nicht geatmet. Es hat gelebt, ohne zu atmen. Es hat das gleiche getan, was Yogis unter der Erde tun: Es bekam Prana, ohne zu atmen — reines Prana von der Mutter. Daher ist die Liebe zwischen Kind und Mutter etwas ganz anderes als jede andere Form von Liebe, weil die reinste Energie — Prana — beide verbindet. Und nun ist das vorbei! Eine subtile pranische Beziehung hatte beide verbunden, die Mutter hatte ihr Prana dem Kind gegeben, und das Kind brauchte so nicht zu atmen. Bei der Geburt wird es aus der Mutter in eine unbekannte Welt gestoßen. Von nun an kann das Prana — die Energie — es nicht mehr so leicht erreichen. Es muß selbst atmen. Der erste Schrei ist die Anstrengung zu saugen, und danach saugt es Milch aus der Mutterbrust. Dies sind eure ersten Handlungen. Alles andere kommt erst später. Dies sind die ersten Lebensakte. Ihr könnt eine Technik aus ihnen machen: Dies Sutra sagt: „Oder: Sauge etwas und werde zum Saugen.” Sauge etwas: Sauge einfach die Luft ein, aber vergiß die Luft und werde zum Saugen. Was bedeutet das? Wenn du normalerweise etwas saugst, bist du der Saugende, nicht das Saugen. Du stehst hinter dem Saugen und tust es. Dies Sutra sagt, daß du nicht dahinter stehen darfst, daß du im Saugen aufgehen und es werden sollst. Das kannst du mit allem versuchen: Wenn du rennst, werde das Rennen, sei nicht der Rennende. Werde zum Rennen, und vergiß den Rennenden. Fühle, daß es keinen Rennenden gibt, sondern nur den Vorgang des 13 4
Kapitel 5
Rennens. Du bist der Vorgang, ein flußähnlicher Vorgang des Rennens, und niemand ist innen. Innen ist es still, und es gibt nur den Vorgang. Saugen ist gut, aber nicht leicht, weil wir völlig vergessen haben, was Saugen heißt, auch wenn wir ständig nach Ersatz dafür suchen. Die Mutterbrust wird von der Zigarette ersetzt; so könnt ihr weitersaugen. Sie ist nichts als der Nippel, die Mutterbrust mit dem Nippel. Und wenn der warme Rauch einströmt, ist das genau wie warme Milch. Diejenigen, die nicht nach Herzenslust an der Mutterbrust saugen durften, werden später zu Rauchern. Das ist Ersatz; aber der Ersatz tut`s auch. Während du eine Zigarette rauchst, werde das Saugen. Vergiß die Zigarette, vergiß den Raucher. Werde das Rauchen. Es gibt das Objekt, an dem du saugst, es gibt das Subjekt, das saugt, und dazwischen den Vorgang des Saugens. Werde zum Saugen. Werde zu dem Vorgang. Versuche es. Du mußt vieles ausprobieren, um herauszufinden, was für dich paßt. Du trinkst Wasser. Das kalte Wasser kommt herein — werde zum Trinken. Trinke nicht das Wasser. Vergiß das Wasser; vergiß dich selbst und deinen Durst. Werde ganz einfach Trinken, zum Vorgang selbst. Werde die Kühle, die Berührung, das Einströmen, das Saugen, das zum Vorgang gehört. Warum nicht? Was kann passieren? Wenn du zum Saugen wirst, was passiert dann? Wenn es dir gelingt, wirst du augenblicklich zum neugeborenen Kind, unschuldig wie am ersten Tag; denn Saugen kam zu allererst. Du wirst in gewisser Weise regredieren; aber diese Sehnsucht ist sowieso da. Der Mensch sehnt sich nach dem Saugen zurück. Er unternimmt alles mögliche, aber nichts fruchtet, weil der eigentliche Punkt nicht verstanden wird. Solange du nicht zum Saugen wirst, kann nichts helfen. Versuch es also. Ich habe diese Methode einmal einem Mann gegeben. Er hatte schon viele Methoden versucht. Dann kam er zu mir; ich fragte ihn: „Wenn ich dir nur eine einzige Sache freistellen würde, was wäre das?” Und ich ließ ihn die Augen schließen, er sollte antworten ohne nachzudenken. Er bekam Angst, zögerte, und so 13 5
Das Buch der Geheimnisse
machte ich ihm Mut: „Hab keine Angst, zögere nicht. Sei offen und sag's mir.” Er sagte: „Es ist absurd, aber vor mir taucht eine Brust auf.” Und da hatte er Schuldgefühle. Also sagte ich: „Fühle dich nicht schuldig, eine Brust ist nichts Verkehrtes, es gibt kaum etwas Schöneres — warum sich schuldig fühlen?” Aber er sagte: „Das war schon immer eine fixe Idee von mir.” Und er fragte: „Sag mir bitte erst — du kannst mir dann gleich deine Technik und Methode geben — sag mir erst, warum ich so an der Frauenbrust interessiert bin? Immer wenn ich eine Frau sehe, sehe ich als erstes ihre Brust. Der ganze übrige Körper ist zweitrangig.” Und das geht nicht nur ihm so. So ist es mit jedem — mit praktisch jedem. Und es ist auch natürlich, weil die Brust der Mutter die erste Berührung mit dem Universum war. Sie ist elementar. Der erste Kontakt mit dem Universum war die Brust der Mutter. Das ist der Grund, warum Brüste so attraktiv sind. Sie sehen schön aus, sie ziehen an, sie haben eine magnetische Kraft. Diese Magnetkraft kommt aus dem Unbewußten. Es war dein erster Kontakt auf der Welt, und zwar ein überaus angenehmer. Es fühlte sich so schön an. Die Brust gab dir Nahrung, augenblickliche Vitalität, Liebe, alles. Der Kontakt war sanft, empfangend, einladend. Und das ist dir tief in Erinnerung geblieben. Also sagte ich zu dem Mann: „Jetzt will ich dir die Methode geben.” Und genau das war die Methode, die ich ihm gab: „Sauge etwas, und werde zum Saugen.” Ich sagte zu ihm: „Schließe einfach die Augen. Stelle dir die Brust deiner Mutter vor oder von einer anderen Frau, die du magst. Stelle sie dir vor und fange an zu saugen, als ob eine wirkliche Brust da wäre.” Er fing zu saugen an. Binnen drei Tagen saugte er so schnell, so wahnsinnig, er war so hingerissen davon, daß er mir sagte: „Es ist zum Problem geworden. Ich möchte am liebsten den ganzen Tag lang saugen. Und es ist so schön, und es entsteht eine so tiefe Ruhe dadurch!” Innerhalb von drei Monaten wurde das Saugen zu einer sehr, sehr stillen Gebärde. Die Lippen bewegten sich nicht mehr. Man hätte niemals erraten können, daß er da etwas tat. Es hatte ein inneres Saugen eingesetzt. Er saugte den ganzen Tag lang. Es wurde ein Mantra, ein Japa, eine ständige Wiederholung. Nach drei 13 6
Kapitel s
Monaten kam er zu mir und sagte: „Etwas Seltsames geschieht mit mir. Etwas Süßes tropft mir ständig aus dem Kopf herunter auf meine Zunge — so unglaublich süß und energiebringend, daß ich nicht mehr zu essen brauche. Ich habe keinen Hunger mehr. Ich esse nur noch aus Höflichkeit, aus Rücksicht auf meine Familie. Aber ich bekomme ständig etwas zugeführt — etwas so Süßes, so Lebenspendendes!” Ich sagte ihm, er solle weitermachen. Noch drei Monate, und er kam eines Tages ganz außer sich und tanzend zu mir und sagte: „Das Saugen hat aufgehört, aber ich bin ein anderer Mensch. Ich bin nicht mehr derselbe Mensch, der zu dir kam. In mir ist irgendeine Tür aufgegangen. Etwas ist zerbrochen, und es ist kein Verlangen mehr da. Jetzt will ich gar nichts mehr — nicht einmal Gott, nicht einmal Moksha, Befreiung. Ich will überhaupt nichts mehr. Jetzt ist alles okay, so wie es ist. Ich akzeptiere es und bin selig.” Versucht es: Saugen und zum Saugen werden. Es kann vielen helfen, denn es ist so elementar.
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Der Mensch ist Schlaf, seine Welt ist Traum
[Fragen]
Jemand hat die Frage gestellt:
Kannst du uns bitte erklären, was es noch für andere Möglichkeiten gibt, sich das Träumen bewußt zu machen? 13 9
Das Buch der Geheimnisse
Diese Frage ist wichtig für alle, die an Meditation interessiert sind, weil Meditation in Wirklichkeit ein Transzendieren des Traumprozesses ist. Ihr träumt fortwährend, nicht nur nachts, nicht nur im Schlaf, ihr träumt den ganzen Tag lang. Das ist das erste, was ihr verstehen müßt: Während ihr wach seid, träumt ihr trotzdem weiter. Du brauchst nur irgendwann am Tage einmal die Augen zu schließen. m Entspanne den Körper, und du wirst das Träumen im Innern erkennen. Es verschwindet nie. Es wird lediglich durch unsere täglichen Beschäftigungen verdrängt. Es ist wie mit den Sternen am Tage. Nachts sind die Sterne zu sehen, tagsüber nicht: aber sie sind immer da, sie werden nur vom Sonnenlicht bestrahlt. Steigt man in einen tiefen Brunnen, so kann man die Sterne am Himmel sogar am Tag sehen. Eine bestimmte Dunkelheit ist nötig, um die Sterne sehen zu können. Steige also in einen tiefen Brunnen, und schaue vom Boden nach oben, und du wirst die Sterne auch am Tage sehen können. Die Sterne sind immer da. Das gleiche gilt für's Träumen. Nicht, daß du nur im Schlaf träumst. Du kannst die Träume im Schlaf nur leichter bemerken, weil die Tagesaktivität aufgehört hat. So wird diese innere Tätigkeit sichtbar und fühlbar. Aber wenn du morgens aufstehst, geht das Träumen innen weiter, während du nach außen hin aktiv wirst. Diese dauernde Aktivität, die Tagesaktivität, unterdrückt das Träumen nur. Das Träumen ist da. Schließe die Augen, entspanne dich in einem Lehnstuhl, und plötzlich kannst du fühlen: Die Sterne sind da, sie sind nirgendwohin verschwunden. Die Träume sind immer da, du träumst unentwegt. Der zweite Punkt: Wenn das Träumen nie aufhört, kannst du nicht wirklich „wach” genannt werden. Nachts schläfst du mehr, am Tage weniger ... der Unterschied ist relativ. Denn wenn das Träumen bleibt, kannst du nicht wirklich wach genannt werden. Das Träumen legt einen Schleier über dein Bewußtsein. Dieser Schleier ist wie Rauch, er hüllt dich ein. Wenn du träumst, kannst du nicht wirklich wach sein, sei es nachts oder tagsüber. Das zweite ist also: Du kannst überhaupt nur wach genannt werden, wenn es überhaupt kein Träumen mehr gibt. 14 0
Kapitel 6
Wir nennen Buddha den Erwachten. Was ist dies „Erwachen”? Dies Erwachen ist in Wirklichkeit das Aufhören des inneren Träumens. Es ist kein Traum mehr im Inneren da. Du gehst nach innen, aber es ist kein Traum mehr da. So, als gäbe es am Himmel keine Sterne mehr, als wäre er zu reinem Raum geworden. Wenn es kein Träumen mehr gibt, wirst du zu reinem Raum. Diese Reinheit, diese Unschuld, diese nicht-träumende Bewußtheit ist es, was als „Erleuchtung” bekannt ist — als „Erwachen”. Seit Urzeiten und überall auf der Welt, ob in Ost oder West, sagt die spirituelle Erfahrung, daß der Mensch schläft. Jesus sagt dies, Buddha sagt es, die Upanischaden reden davon: Der Mensch schläft. Während du also nachts schläfst, ist dein Schlaf nur ein relativ tieferes Schlafen, und am Tage ein relativ flacheres. Spirituell gesehen schläft der Mensch immer. Das muß verstanden werden. Was ist damit gemeint? In diesem Jahrhundert war es vor allem Gurdjieff, der diese Tatsache — daß der Mensch schläft — betont hat. „Der Mensch”, sagt er, „ist eher eine Art Schlaf. Jeder ist im Tiefschlaf.” Wie kommt er zu dieser Behauptung? Du weißt nicht, kannst dich nicht erinnern, wer du bist. Weißt du, wer du bist? Wenn du auf der Straße einen Menschen triffst und ihn fragst, wer er ist und er es dir nicht beantworten kann, was wirst du denken? Du wirst denken, daß er entweder verrückt ist oder betrunken oder daß er einfach schläft. Wenn er nicht beantworten kann, wer er ist, was wirst du dann von ihm halten? Aber auf der spirituellen Ebene ist das bei jedem so. Du kannst nicht sagen, wer du bist. Dies ist zunächst damit gemeint, wenn Gurdjieff oder Jesus oder sonstjemand sagt, daß der Mensch schläft. Du bist dir nicht deiner selbst bewußt. Du kennst dich selber nicht: du bist dir nie begegnet. Du kennst viele Dinge in der objektiven Welt, aber du kennst das Subjekt nicht. Dein Geisteszustand ist so, als würdest du dir einen Film ansehen. Der Film läuft auf der Leinwand, und du bist so darin versunken, daß nur noch der Film für dich existiert — die Story, alles, was sich auf der Leinwand abspielt. Wenn dich dann jemand fragt, wer du bist, kannst du nichts sagen. Das Träumen ist einfach ein Film — reiner Film! Geist, der die 14 1
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Welt widerspiegelt. Im Spiegel des Geistes wird die Welt reflektiert: Genau das ist Träumen. Und ihr seid so darin verwickelt, so damit identifiziert, daß ihr völlig vergessen habt, wer ihr seid. Das ist mit „schlafend” gemeint: der Träumer ist in dem Traum verloren, du siehst alles, nur nicht dich selbst, fühlst alles, nur nicht dich selbst, du weißt alles, nur nichts von dir selbst. Dieses Nichtvon-sich-selbst-Wissen ist der Schlaf. Nur wenn das Träumen völlig aufhört, kannst du zu dir selbst erwachen. Du hast es sicher schon manchmal gefühlt, wenn du dir z.B. drei Stunden lang einen Film angesehen hast und der Film dann plötzlich aufhört und du plötzlich wieder zu dir kommst und dich erinnerst, daß drei Stunden vorbei sind und daß es nur ein Film war. Du bemerkst deine Tränen ... du hast geweint, weil der Film so tragisch für dich war, oder weil du so gelacht hast, oder was immer - und nun mußt du über dich selbst lachen. Was für ein Unsinn! Es war doch nur ein Film, eine Geschichte! Da war etwas auf der Leinwand nur ein Spiel von Licht und Schatten, nur ein Spiel der Elektrizität. Jetzt lachst du, jetzt bist du wieder zu dir gekommen. Aber wo warst du während dieser drei Stunden? Du warst nicht in deinem Zentrum. Du warst weit abgewandert zur Peripherie: Dort, wo sich der Film abspielte, dorthin warst du gegangen. Du warst nicht in deinem Zentrum, du warst nicht bei dir selbst. Du warst woanders. Das passiert auch bei Träumen; das ganze Leben ist so. Das Filmgeschehen dauert nur drei Stunden, aber dies Träumen währt Leben über Leben. Selbst wenn plötzlich das Träumen anhielte, würdest du nicht erkennen können, wer du bist. Plötzlich würde dir ganz mulmig, ja, du hättest Angst. Du würdest gern schnell wieder in den Traum schlüpfen, weil du den kennst. Da ist dir alles vertraut, da bist du gut angepaßt. Aber wenn dies passiert, gibt es einen Weg - im Zen als „der schnelle Weg” bekannt - der zu plötzlicher Erleuchtung führt. Es gibt unter diesen 112 Methoden Techniken, viele Techniken, die zu einer plötzlichen Erleuchtung verhelfen können. Aber das könnte zu viel auf einmal werden. Ihr mögt nicht in der Lage sein, es auszuhalten. Ihr könntet einfach nur explodieren, sogar sterben, denn ihr habt so lange im Traum gelebt, daß ihr keine En * n142
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nerung mehr daran habt, wer ihr seid, wenn das Träumen fortfällt. Wenn diese ganze Welt plötzlich verschwinden sollte und du allein übrig bliebest, wäre das ein solcher Schock für dich, daß du sterben würdest. Das gleiche wäre der Fall, wenn plötzlich alles Träumen aus dem Bewußtsein verschwinden würde. Deine Welt würde verschwinden, denn deine Welt war dein Traum. Wir sind nicht wirklich in der Welt. Oder besser, „die Welt” besteht für uns nicht aus äußeren Dingen, sondern aus unseren Träumen. Jeder lebt also in seiner eigenen Traumwelt. Vergeßt nicht: Es ist nicht ein und dieselbe Welt, von der wir alle reden. Geographisch ist sie es, aber psychologisch gibt es so viele Welten, wie es Köpfe gibt. Jeder Kopf ist eine Welt für sich. Und wenn dein Träumen verschwindet, verschwindet deine Welt. Ohne Träume kannst du praktisch nicht leben. Darum werden plötzliche Methoden im allgemeinen nicht benutzt. Nur allmähliche Methoden werden benutzt. Es ist aber gut, dies festzuhalten: allmähliche Methoden werden nicht deshalb benutzt, weil ein allmähliches Fortschreiten nötig wäre. Nein, du kannst sofort in diesem Augenblick in die Erkenntnis springen. Nichts kann dich hindern. Es hat nie ein Hindernis gegeben. Du bist schon die Erkenntnis, du kannst in diesem Augenblick hineinspringen. Aber das kann sich als gefährlich erweisen, ja tödlich. Du magst nicht fähig sein, es auszuhalten. Es wird einfach zu viel für dich sein. Du bist nur auf falsche Träume eingestellt. Der Wirklichkeit kannst du nicht ins Gesicht sehen, du kannst ihr nicht begegnen. Du bist eine Treibhauspflanze. Du kannst nur in deinen Träumen leben. Sie helfen dir auf so manche Weise. Es sind nicht einfach nur Träume: Für dich ist es Wirklichkeit. Allmähliche Methoden werden also nicht deshalb benützt, weil zur Erkenntnis etwa die Zeit benötigt würde — zur Erkenntnis ist keine Zeit nötig! Zur Erkenntnis ist überhaupt keine Zeit nötig. Erkenntnis ist nicht etwas, das irgendwann in der Zukunft erreicht werden muß: aber mit langsamen Methoden wirst du sie in der Zukunft erreichen. Was bewirken also die langsamen Methoden? Sie helfen dir nicht wirklich, die Erkenntnis zu realisieren — sie 14 3
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helfen dir, sie zu ertragen! Sie machen dich fähig, stark, so daß du es, wenn sich das Ereignis ereignet, ertragen kannst. Es gibt sieben Methoden, durch die du dir sofortigen Zugang zur Erleuchtung erzwingen kannst. Aber du wirst sie nicht ertragen können. Du kannst blind werden ... zu viel des Lichts! Oder du magst plötzlich sterben ... zu viel der Seligkeit! Dieser Traum, dieser tiefe Schlaf, in dem wir uns befinden — wie können wir über ihn hinausgelangen? Wenn man das will, ist diese Frage wichtig. „Kannst du uns bitte erklären, was es noch für andere Möglichkeiten gibt, sich das Träumen bewußt zu machen?” Ich will noch zwei weitere Methoden besprechen. Eine besprachen wir gestern. Heute noch zwei weitere, die sogar noch einfacher sind. Die eine war, mit dem Schauspielern anzufangen, sich so zu verhalten, als wäre die Welt einfach nur ein Traum. Was du auch tust, vergiß nicht: Dies ist ein Traum. Während du ißt, vergiß nicht — dies ist ein Traum. Während du gehst, vergiß nicht — dies ist ein Traum. Behalte es ständig im Gedächtnis, während du wach bist: alles ist Traum. Das ist der Grund, warum die Welt Maja genannt worden ist — eine Illusion, Traum. Das ist keine philosophische Behauptung. Unglücklicherweise hat man Shankara, als er ins Englische, Deutsche und Französische übersetzt wurde, in die westlichen Sprachen, für einen Philosophen gehalten. Das hat zu vielen Irrtümern geführt. Im Westen gibt es solche Philosophen, zum Beispiel Berkeley, die sagen, daß die Welt nur ein Traum ist, eine Projektion des Geistes. Aber das ist eine philosophische Theorie. Berkeley stellt das als eine Hypothese auf. Wenn dagegen Shankara davon spricht, daß die Welt ein Traum ist, dann ist das nicht Philosophie — keine Theorie. Shankara bietet es als Hilfe an, als Unterstützung einer bestimmten Meditation, und zwar folgender: Wenn du dich im Traum daran erinnern willst, daß dies ein Traum ist, dann mußt du das im Wachzustand üben. So, wie es jetzt ist, kannst du dich beim Träumen nicht daran erinnern, daß du träumst. Für dich ist es Wirklichkeit. 14 4
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Warum hältst du es für Wirklichkeit? Weil du tagsüber alles für Wirklichkeit hältst. Das ist zur Überzeugung geworden, zur festen Überzeugung. Du hast ein Bad genommen, als du wach warst — das war wirklich. Du hast gegessen, als du wach warst — das war wirklich. Du hast mit einem Freund gesprochen, als du wach warst — das war wirklich. Den ganzen Tag lang, dein ganzes Leben lang ist dies deine Einstellung in allem, was du denkst: daß „dies wirklich ist”. Es steht fest, und das wird zur fixen Idee in deiner Vorstellungswelt. Wenn du also nachts träumst, läuft diese feste Einstellung weiter, daß „dies wirklich ist”. Laßt uns also zunächst analysieren. Es muß eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Traum und Wirklichkeit geben, sonst wäre diese Einstellung kaum möglich. Ich sehe euch. Dann schließe ich die Augen und stelle mir einen Traum vor, in dem ich euch sehe. Diese beiden Arten von Sehen unterscheiden sich nicht. Wenn ich euch tatsächlich sehe — was tue ich? Euer Bild wird in meinen Augen gespiegelt. Ich sehe nicht euch. Erst wird euer Bild in meinen Augen gespiegelt, und dann wird dies Bild durch geheimnisvolle Vorgänge transformiert — und die Wissenschaft ist bis heute noch nicht fähig zu sagen, wie. Dies Bild wird chemisch transformiert und irgendwohin ins Hirn befördert, aber die Wissenschaft weiß noch nicht wohin, wo genau das geschieht. Es geschieht nicht in den Augen; die Augen sind nur Fenster. Ich sehe euch nicht mit den Augen, ich sehe euch durch die Augen. In den Augen werdet ihr widergespiegelt. Ihr mögt ein Bild sein, ihr mögt eine Wirklichkeit sein, ihr mögt ein Traum sein. Vergeßt nicht: Träume sind dreidimensional. Ich erkenne ein Bild als Bild, weil es zweidimensional ist. Träume sind dreidimensional, sie sehen also genauso aus wie ihr. Und die Augen können nicht sagen, ob das, was sie sehen, nun wirklich oder unwirklich ist. Es gibt keine Möglichkeit, das zu beurteilen. Die Augen sind nicht die Schiedsrichter. Danach wird das Bild in chemische Wellen umgesetzt. Diese chemischen Wellen sind auch elektrische Wellen. Sie gehen irgendwohin ins Hirn. Der Punkt, wo genau die Augen mit der Oberfläche des Gesehenen in Kontakt kommen, ist immer noch unbekannt. Mich erreichen nur Wellen, die dann dekodiert 14 5
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werden. Dann wiederum dekodiere ich sie, und auf diese Weise weiß ich, was passiert. Ich bin immer innen, und ihr seid immer außen, und es gibt kein Zusammentreffen. Ob ihr also wirklich seid oder nur ein Traum, ist ein Problem. Selbstjetzt, in diesem Augenblick, besteht keine Möglichkeit zu beurteilen, ob ich träume oder ob ihr wirklich vorhanden seid. Wie könnt ihr, während ihr mir zuhört, sagen, daß ihr mir wirklich zuhört? Daß ihr nicht etwa träumt? Es gibt keine Möglichkeit. So kommt es, daß die Einstellung, an der ihr den ganzen Tag über festhaltet, auch in die Nacht mit hineingenommen wird. Und während ihr träumt, haltet ihr es für wirklich. Versucht es einmal umgekehrt; genau das meint Shankara. Er sagt, die ganze Welt ist eine Illusion; er sagt, die ganze Welt ist ein einziges Träumen. Aber wir sind Dummköpfe. Wenn Shankara sagt: „Es ist alles Traum”, dann sagen wir: „Wozu dann noch etwas tun?” Wenn es doch nur ein Traum ist, dann brauchen wir nicht zu essen. Warum dann immer weiteressen, wenn wir es doch träumen? Also eßt nicht. Aber dann vergeßt nicht, daß es auch ein Traum ist, wenn ihr hungrig seid. Oder eßt und wenn es zuviel war, erinnert euch: Es ist ja nur ein Traum. Shankara sagt nicht, daß ihr etwas an dem Traum verändern sollt, vergeßt das nicht: denn wenn man sich die Mühe macht, den Traum zu verändern, dann basiert das wieder auf der falschen Annahme, daß er Wirklichkeit ist. Wozu sonst etwas daran ändern? Shankara sagt nur, daß alles so, wie es ist, Traum ist. Vergeßt also nicht: Tut nichts, um es zu ändern. Erinnert euch nur immer daran; versucht, drei Wochen lang ständig im Gedächtnis zu behalten, daß alles, was ihr tut, nur ein Traum ist. Am Anfang ist das sehr schwer. Ihr werdet wieder und wieder in das alte Denkmuster verfallen und denken, daß dies Wirklichkeit ist. Ihr werdet euch ständig aufwecken müssen, um euch daran zu erinnern, daß dies ein Traum ist. Wenn ihr diese Einstellung drei Wochen lang ständig durchhalten könnt, dann werdet ihr euch in der vierten oder fünften Woche plötzlich, irgendwann eines Nachts, während des Träumens daran erinnern, daß „dies ein Traum ist”. 14 6
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Dies ist die eine Möglichkeit, mit Bewußtsein, mit Wachheit ins Träumen einzudringen. Wenn du dich nachts beim Träumen daran erinnerst, daß du träumst, dann brauchst du dir tagsüber nicht mehr die Mühe zu machen, dich zu erinnern, daß auch dies ein Traum ist. Dann weißt du es. Anfangs wird die Übung nur en. „so-tun-als-ob” sein. Anfangs vertraust du einfach nur darauf, daß alles ein Traum ist. Aber wenn du dich im Traum daran erinnern kannst, daß alles Traum ist, wird es zur Tatsache. Dann hast du morgens beim Aufstehen nicht mehr das Gefühl, vom Schlaf aufzuwachen, sondern aus einem Traumzustand in den andern zu gehen. Dann wird es zu einer Wirklichkeit. Und wenn rund um die Uhr alles zu Traum wird, und du es fühlst und es nicht vergißt, dann ruhst du in deinem Zentrum. Nun ist dein Bewußtsein ein Pfeil in beide Richtungen. Du nimmst die Träume wahr, und wenn du sie als Träume wahrnimmst, beginnst du auch, den Träumer wahrzunehmen, das Subjekt. Solange die Träume für dich Wirklichkeit sind, kannst du das Subjekt nicht wahrnehmen. Wenn der Film wirklich geworden ist, vergißt du dich selbst. Erst wenn der Film anhält und du erkennst, daß er unwirklich war, bricht deine Wirklichkeit hervor, bricht sie aus. Jetzt kannst du dich selbst wahrnehmen. Das ist die eine Möglichkeit. Noch mal: Dies ist eine der ältesten indischen Methoden. Darum haben wir hier in Indien betont, daß die Welt unwirklich sei. Wir meinen das nicht philosophisch: wir sagen damit nicht, daß dies Haus hier unwirklich sei, daß du also durch die Wand gehen könntest. Das meinen wir damit nicht! Wenn wir sagen, daß dies Haus unwirklich ist, dann nur als Mittel zum Zweck der Bewußtmachung, nicht, um die Existenz des Hauses zu widerlegen. Berkeley hat also auch behauptet, die ganze Welt sei nur ein Traum. Eines Tages, eines Morgens, ging er mit Dr. Johnson spazieren. Dr. Johnson war ein unerbittlicher Realist, und als Berkeley sagte: „Haben Sie von meiner Theorie gehört? Ich arbeite sie gerade aus: Mein Gefühl ist, daß die ganze Welt unwirklich ist und daß ihre Wirklichkeit unbeweisbar ist. Und die Beweisschuld liegt bei denen, die behaupten, sie sei wirklich. Ich sage, sie ist unwirklich — wie die Träume.” 14 7
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Johnson war kein Philosoph, aber er verfügte über eine sehr scharfe Logik. Sie gingen auf der Straße, sie machten gerade einen Morgenspaziergang auf einer einsamen Landstraße. Plötzlich ergreift Johnson einen Stein und wirft ihn Berkeley auf den Fuß. Blut fließt, und Berkeley schreit auf. Johnson sagt: „Warum schreien Sie so, wo doch der Stein nur ein Traum ist? Sie können sagen, was Sie wollen, Sie glauben doch an die Wirklichkeit des Steines. Was Sie sagen, das ist die eine Sache, aber Ihr Verhalten ist etwas anderes — das Gegenteil. Wenn Ihr Haus nur ein Traum ist, wohin kehren Sie dann zurück? Wohin kehren Sie nach Ihrem Morgenspaziergang zurück? Wenn Ihre Frau nur ein Traum ist, werden Sie ihr nicht wiederbegegnen.” Realisten haben immer so argumentiert. Aber einem Shankara können sie nicht mit solchen Argumenten kommen, denn er spricht von keiner philosophischen Theorie. Er sagt nicht etwas über die äußere Wirklichkeit aus, er sagt nichts über das Universum. Es ist vielmehr ein Mittel, deine Einstellung zu verändern, deine eingefahrene Grundhaltung, damit du die Welt auf eine andere, eine ganz und gar andere Weise wahrnimmst. Das ist ein Problem — und zwar ist es immer das gleiche Problem mit der indischen Denkweise. Denn für das indische Denken ist alles nur eine Hilfestellung zur Meditation. Wir kümmern uns nicht um „wahr oder unwahr”. Uns interessiert, ob etwas als Mittel taugt, den Menschen umzuformen. Darin liegt ein ausdrücklicher Unterschied zur westlichen Denkweise. Wenn dort eine Theorie aufgestellt wird, geht es darum, ob sie wahr oder unwahr ist, ob es sich logisch beweisen läßt oder nicht. Wenn wir dagegen eine Behauptung aufstellen, interessiert uns nicht ihre Wahrheit — uns interessiert ihre Brauchbarkeit, ihre Fähigkeit, den menschlichen Geist umzuformen. Wahr oder unwahr — in Wirklichkeit ist sie keins von beiden: Sie ist lediglich ein Mittel. Ich habe draußen Blumen gesehen. Am Morgen geht die Sonne auf, und alles ist einfach unbeschreiblich schön. Aber du bist nie draußen gewesen und hast noch nie Blumen gesehen und noch nie die Morgensonne. Du hast nie den offenen Himmel gesehen, du weißt nicht, was Schönheit ist. Du hast bisher in einem 14 8
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geschlossenen Gefängnis gelebt. Ich will dich hinausführen unter den offenen Himmel und mit diesen Blumen bekanntmachen. Wie soll ich es anstellen? Du weißt nicht, was Blumen sind. Ich rede von Blumen. Du denkst: „Er spinnt. Es gibt keine Blumen.” Ich rede von der Morgensonne. Du denkst: „Er ist ein Visionär. Er hat Visionen und Träume. Er ist ein Poet.” Ich rede vom offenen Himmel: du lachst nur. Lachst mich aus und sagst: „Wo soll denn dieser offene Himmel sein? Es gibt nur Wände und Wände und wieder Wände.” Was soll ich also tun? Ich muß mir einen Trick einfallen lassen, den du verstehen kannst und der dir hilft, nach draußen zu gehen. Also rufe ich: „Feuer!” und renne los. Das reißt dich mit, du rennst hinterher und kommst so nach draußen. Hinterher wirst du wissen, daß meine Aussage weder wahr noch falsch war. Es war einfach ein Mittel. Dann wirst du wissen, was Blumen. sind und wirst mir verzeihen. Buddha hat es so gehalten, Mahavir hat es so gehalten, Shiva hat es so gehalten und Shankara auch. Wir können ihnen hinterher verzeihen. Wir haben ihnen noch jedesmal verziehen, denn wenn wir erst einmal draußen sind, wissen wir, was sie für uns getan haben. Und dann werden wir verstehen, daß es sinnlos war, erst mit ihnen zu streiten, denn es handelte sich um kein theoretisches Streitproblem. Es gab nirgendwo ein Feuer, aber wir konnten nur diese Sprache verstehen. Die Blumen gab es, aber wir konnten die Sprache der Blumen nicht verstehen. Diese Symbolik war für uns bedeutungslos. Dies ist also die eine Möglichkeit. Dann gibt es noch eine andere, am entgegengesetzten Pol. Die erste Methode bildet den einen Pol, die andere ist der entsprechende Gegenpol. Die eine ist, in sich ein Gefühl zu entwickeln, sich daran zu erinnern, daß alles ein Traum ist. Die andere ist, überhaupt nicht an die Welt zu denken, sondern sich ständig zu erinnern, daß du bist. Gurdjieff benutzte diese zweite Technik. Sie kommt aus der Sufi Tradition, aus dem Islam. Dort wurde sie bis in große Tiefen entwickelt. Sag dir ständig: „Ich bin” — in allem, was du tust. Du trinkst Wasser, du ißt dein Essen: erinnere dich — „Ich bin”. Iß 14 9
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weiter und erinnere dich weiter: „Ich bin, ich bin.” Vergiß es nicht! Es ist schwierig, weil du bereits zu wissen glaubst, daß du bist. Wozu es sich also ständig ins Gedächtnis rufen? Du erinnerst dich nie daran, aber es ist eine sehr, sehr starke Technik. Wenn du spazierengehst, erinnere dich: „Ich bin.” Laß das Gehen da sein, geh weiter. Aber bleibe ununterbrochen auf diese Selbsterinnerung fixiert, auf dies „Ich bin, ich bin, ich bin”. Vergiß es nicht. Du hörst mir zu, mache es gleich hier! Du hörst mir zu: sei nicht so völlig eingetaucht, beteiligt, identifiziert. Was immer ich sage, erinnere dich daran, hör nicht auf, dich zu erinnern. Das Zuhören ist da, Wörter sind da, jemand, der redet — und du ... „Ich bin, ich bin, ich bin” ... laß dies „Ich bin” zum ständigen Teil deines Bewußtseins werden. Das ist sehr schwer. Du kannst dich nicht einmal eine Minute lang daran erinnern. Versuche es. Sieh auf deine Armbanduhr, und schau auf die Zeiger, die sich bewegen. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden — hör nicht auf hinzusehen. Tu zweierlei: Schau auf den Sekundenzeiger und erinnere dich ständig an dies „Ich bin, ich bin”. Erinnere dich jede Sekunde daran: „Ich bin.” Nach fünf oder sechs Sekunden wirst du feststellen, daß du es vergessen hast. Plötzlich stellst du fest, daß viele Sekunden verstrichen sind, ohne daß du dich an dies „Ich bin” erinnert hast. Sich auch nur eine einzige volle Minute zu erinnern, kommt einem Wunder gleich. Und wenn du dich eine Minute lang erinnern kannst, ist das die richtige Methode für dich. Dann mach sie. Durch sie wirst du fähig, über das Träumen hinauszugehen und zu erkennen, daß Träume Träume sind. Wie funktioniert es? Wenn du dich den ganzen Tag über an das „Ich bin” erinnern kannst, dann dringt es auch bis in deinen Schlaf. Und dann wirst du dich auch im Traum ständig erinnern: „Ich bin.” Wenn du dich an dies „Ich bin” im Traum erinnern kannst, wird der Traum plötzlich zum Traum. Dann kann der Traum dich nicht mehr täuschen. Dann kann der Traum nicht mehr als Wirklichkeit erfahren werden. Und so sieht der Mechanismus aus: Der Traum wird nur deshalb als Wirklichkeit erfahren, weil du es versäumst, dich an dich selbst zu erinnern. Du verfehlst das „Ich bin”. Wenn keine Selbst-Erinnerung da ist, dann ist Traum 15 0
Kapitel 6
für dich Wirklichkeit. Wenn die Erinnerung an dich selbst da ist, dann wird die Wirklichkeit — die sogenannte Wirklichkeit — zu einem bloßen Traum. Dies ist der ganze Unterschied zwischen Träumen und Wirklichkeit. Für die meditative Einstellung, oder für die Wissenschaft der Meditation, ist dies der einzige Unterschied. Wenn du bist, dann ist deine ganze bisherige Wirklichkeit nur ein Traum. Wenn du nicht bist, dann wird dein Träumen zur Wirklichkeit. Nagarjuna sagt: „Jetzt bin ich, jetzt ist die Welt nicht mehr. Während ich nicht war, war die Welt. Nur eines kann existieren.” Was nicht etwa heißt, daß die Welt verschwunden ist. Nagarjuna redet nicht von dieser Welt. Er redet von der Welt des Träumens. Entweder kannst du da sein — oder das Träumen. Beides zugleich geht nicht. Der erste Schritt wird also sein, dich ständig daran zu erinnern, daß „Ich bin”. Einfach nur „Ich bin”. Sag nicht „Ram”, sag nicht „Shyam”. Benutze keinen Namen, denn du bist das alles nicht. Sage nur: „Ich bin.” Probiere es in jeder beliebigen Tätigkeit aus, und fühle es auch. Je mehr du innen wirklich wirst, desto unwirklicher wird die Welt rings um dich. Die Wirklichkeit wird das „Ich” und die Welt wird unwirklich. Entweder ist die Welt wirklich, oder das Ich ist wirklich, beides zusammen geht nicht. Im Augenblick fühlst du, daß du nur ein Traum bist, und dann ist die Welt wirklich. Verlagere das Gewicht. Werde du wirklich — und die Welt wird unwirklich werden. Gurdjieff arbeitete ständig mit dieser Methode. Sein Meisterschüler, P. D. Ouspenski, berichtet, daß Gurdjieff ihn drei Monate lang mit dieser Methode bearbeitet hatte, und nachdem er sich ununterbrochen an dies „Ich bin, ich bin, ich bin” erinnert hatte, stand plötzlich alles still. Gedanken, Träume, alles blieb stehen. Nur eine einzige Melodie war in ihm, wie eine ewige Musik: „Ich bin, ich bin, ich bin.” Aber nun war es keine Anstrengung mehr. Es war eine unentwegte spontane Tätigkeit... „Ich bin”. Da forderte Gurdjieff ihn auf, mit ihm aus dem Haus zu gehen, denn drei Monate lang hatte er nicht aus dem Haus gedurft — er war eingesperrt gewesen. Nun sagte Gurdjieff: „Komm mit.” Sie wohnten in einer 15 1
Das Buch der Geheimnisse
russischen Stadt — Tiflis. Gurdjieff rief ihn heraus, und sie gingen auf die Straße. Ouspensky schreibt in seinem Tagebuch: „Zum erstenmal begriff ich, was Jesus meint, wenn er sagt, daß der Mensch schläft. Die ganze Stadt kam mir vor, als schliefe sie. Die Leute liefen im Schlaf herum, die Krämer verkauften ihre Waren im Schlaf, die Kunden kauften im Schlaf. Die ganze Stadt schlief. Ich sah Gurdjieff an: Er allein war wach. Die ganze Stadt schlief. Sie waren wütend, sie stritten sich, sie liebten sich, sie kauften und verkauften, sie taten und machten alles mögliche.” Ouspensky sagt weiter: „Jetzt konnte ich plötzlich ihre Gesichter sehen, ihre Augen: Sie schliefen! Sie waren nicht da, das innere Zentrum fehlte. Es war einfach nicht da.” Ouspensky sagte zu Gurdjieff: „Ich will hier nie wieder herkommen — was ist mit der Stadt passiert? Alle scheinen zu schlafen oder unter Drogen zu stehen.” Gurdjieff sagte: „Mit der Stadt ist nichts passiert. Etwas ist mit dir passiert. Du bist nicht mehr betäubt. Die Stadt ist wie immer, sie ist der gleiche Ort, wo du vor drei Monaten herumgelaufen bist. Aber du konntest nicht sehen, daß die andern Leute schliefen, weil du selber schliefst. Jetzt kannst du es sehen, weil eine gewisse Bewußtheit in dich gekommen ist. Dadurch, daß du drei Monate lang ständig dies „Ich bin” geübt hast, bist du zu einem ganz geringen Grade bewußt geworden. Du bist bewußter geworden. Ein Teil deines Bewußtseins ist über das Träumen hinausgegangen. Darum kannst du sehen, daß jeder schläft und wie tot, wie betäubt herumläuft, wie hypnotisiert.” Ouspensky sagt: „Ich konnte das gar nicht aushalten — dies Phänomen, daß alle schlafen! Was immer sie tun, sie sind nicht verantwortlich.” Wirklich nicht! Wie können sie verantwortlich sein? Nach Hause zurückgekehrt, fragte er Gurdjieff: „Was ist los? Spielt hier irgendein Betrug mit? Hast du etwas mit mir angestellt, daß mir die ganze Stadt wie schlafend erscheint? Ich kann meinen eigenen Augen nicht trauen.” Aber das wird jedem so ergehen. Wenn du dich an dich selbst erinnern kannst, dann wirst du erkennen, daß niemand sonst sich an sich selbst erinnert, und daß sich alle so bewegen. Die ganze Welt schläft. Aber fang damit an, während du wach bist. Wann i mmer du dich erinnern kannst, fang an: „Ich bin ...” Ich meine 152
Kapite16
es nicht so, daß ihr anfangen sollt, die Worte „Ich bin” zu wiederholen, sondern es geht um das entsprechende Gefühl. Nimmst du ein Bad, dann fühle „Ich bin”. Laß die Berührung der kalten Dusche da sein und bleibe dahinter, fühle es und erinnere dich „Ich bin”. Noch einmal: Du brauchst es nicht wörtlich zu wiederholen. Das kannst du zwar, aber diese Wiederholung wird dir keine Bewußtheit bringen. Wiederholung kann dich sogar noch tiefer in den Schlaf wiegen. Es gibt viele Leute, die ständig irgend etwas wiederholen. Sie wiederholen „Ram-Ram-Ram”, und wenn sie es ohne Bewußtheit tun, dann wird aus diesem „RamRam-Ram” einfach nur ein Schlafmittel. Sie können dann besser schlafen. Aus diesem Grund hat Mahesh Yogi eine solche Anziehungskraft im Westen, denn er gibt Mantras zu wiederholen auf. Und i m Westen ist das Einschlafen zu einem der größten Probleme überhaupt geworden. Der Schlaf ist völlig gestört. Der natürliche Schlaf ist verschwunden. Man kann nur noch mit Beruhigungsmitteln und Schlaftabletten einschlafen, andernfalls ist Schlaf unmöglich geworden. Das ist der Grund für die Anziehungskraft von Mahesh Yogi: Denn wenn man ständig etwas wiederholt, verhilft das zu einem tiefen Schlaf. Das ist alles. Die sogenannte Transzendentale Meditation ist also nichts weiter als eine psychologische Schlaftablette. Sie ist lediglich ein Beruhigungsmittel. Sie hilft, aber sie verhilft nur zum Schlaf, nicht zur Meditation. Man kann gut schlafen. Es kommt ein ruhigerer Schlaf dabei heraus. Das ist gut, hat aber mit Meditation nicht das geringste zu tun. Wenn man ständig ein Wort wiederholt, erzeugt das eine gewisse Langeweile. Und Langeweile ist gut fürs Einschlafen. Alles, was monoton ist, was sich wiederholt, ist zum Einschlafen gut. Das Kind im Mutterleib schläft neun Monate lang ununterbrochen; ihr wißt vielleicht nicht, warum das so ist: der Grund ist nur das „Tick Tack, Tick-Tack” vom Herzen der Mutter. Ständig derselbe Rhythmus, der Herzschlag — es gibt nichts Monotoneres. Der gleiche Rhythmus, ständig wiederholt, betäubt das Kind. Es schläft ununterbrochen. Darum legt die Mutter, sobald ihr Kind schreit, seinen Kopf an 15 3
Das Buch der Geheimnisse
ihr Herz. Da fühlt es sich plötzlich wohl und versinkt in Schlaf. Auch das liegt wieder am Herzschlag. Das Kind wird wieder Teil des Mutterleibes. Darum schlummerst du auch später noch ein, wenn deine Frau oder deine Geliebte sich deinen Kopf ans Herz legt: der monotone Herzschlag .. . Die Psychologen empfehlen, sich auf die Uhr zu konzentrieren, wenn man nicht einschlafen kann. Konzentriere dich auf das „Tick-Tack, Tick Tack” der Uhr: sie ahmt den Herzschlag nach, und du wirst einschlafen können. Alles, was sich wiederholt, schläfert ein. Dies „Ich bin”, dies ständig erinnerte „Ich bin”, ist also kein verbales Mantra. Es soll nicht verbal wiederholt werden. Du mußt es fühlen! Sensibilisiere dich für dein Da-sein. Wenn du jemandem die Hand berührst, berühre nicht nur seine Hand: fühle auch deine Berührung, fühle auch dich selbst: daß du hier in dieser Berührung bist, völlig gegenwärtig. Während du ißt, iß nicht einfach nur, fühle auch, wie du ißt. Dies Gefühl, diese Sensibilität, muß tiefer und tiefer in dich eindringen. Plötzlich eines Tages bist du wach in deinem Zentrum, dein Zentrum funktioniert zum erstenmal. Und dann wird die ganze Welt zum Traum. Und gleichzeitig kannst du erkennen, daß die Träume Träume sind. Und wenn du weißt, daß Träume Träume sind, hört alles Träumen auf. Es kann nur so lange weitergehen, wie es für wirklich gehalten wird. Es hört auf, sobald es als unwirklich erkannt wird. Und wenn einmal das Träumen in dir aufhört, bist du ein anderer Mensch. Der alte Mensch ist tot, der schlafende Mensch ist tot. Das menschliche Wesen, daß du bisher warst, das bist du nicht mehr. Du wirst zum erstenmal bewußt. Zum erstenmal bist allein du auf der ganzen schlafenden Welt wach. Du wirst zum Buddha, zum Erwachten. In dieser Wachheit gibt es kein Unglück mehr. Nach diesem Erwachen gibt es keinen Tod mehr. Durch dies Erwachen gibt es keine Angst mehr. Du wirst zum erstenmal frei von allem. Frei zu sein von Schlaf, frei zu sein vom Träumen, heißt frei sein von allem. Du erreichst die Freiheit. Haß, Wut, Gier verschwinden. Du wirst zu reiner Liebe. Nicht liebevoll, du wirst Liebe. 154
Kapitel 6
Noch eine weitere Frage — und es ist fast die gleiche:
Wenn wir nur Schauspieler in einem Stück sind, das schon geschrieben wurde, wie kann uns Meditation dann transformieren, ohne daß das Stück selbst schon einen Akt enthält, der unsere Transformation zu einem bestimmten Zeitpunkt vorsieht? Und wenn es einen solchen Akt bereits gibt, der nur darauf wartet, sich zu seiner vorbestimmten Zeit zu entfalten, warum dann meditieren? Warum sich dann überhaupt die Mühe machen? Es ist die gleiche Frage; sie enthält den gleichen Trugschluß. Ich sage ja nicht, daß alles vorherbestimmt ist. Ich stelle das nicht als Theorie auf, um das Universum zu erklären. Es ist nur ein Hilfsmittel. In Indien hat man schon seit jeher mit diesem Trick gearbeitet. Damit ist aber nicht gemeint, daß alles tatsächlich vorherbestimmt ist. Keinesfalls. Mein einziger Grund, das so zu behaupten, ist der, daß euch alles zum Traum wird, wenn ihr alles für vorherbesti mmt haltet. Wenn ihr die Dinge einmal so seht, wenn ihr einmal annehmt, daß alles vorherbestimmt ist — zum Beispiel auch, daß ihr an einem bestimmten Tag sterben werdet — dann wird alles zum Traum. Es ist nicht vorherbestimmt. Es steht nicht fest. Niemand hat ein solches Interesse an dir, und das Universum hat nicht die geringste Ahnung von dir und wann du sterben wirst. Es kann nichts damit anfangen — dein Tod ist für das Universum völlig irrelevant. Halte dich nicht für so wichtig, daß das ganze Universum den Tag deines Todes vorherbestimmt — die Zeit, die Minute, die Sekunde — nein! Du bist nicht der Nabel der Welt. Es macht für das Universum keinen Unterschied, ob du da bist oder nicht. Aber dieser Trugschluß sitzt sehr rief in euch drin. Er entsteht in der Kindheit und wird später unbewußt. Ein Kind wird geboren. Es hat der Welt nichts zu geben, muß aber vieles nehmen. Es kann nicht zurückzahlen, es kann nichts zurückgeben. Es ist so machtlos — einfach hilflos. Es braucht Nahrung, es braucht Liebe, es braucht Geborgenheit, es braucht Wärme. Alles das muß bereitgestellt werden. 155
Das Buch der Geheimnisse
Ein Kind wird absolut hilflos geboren — vor allem das Kind des Menschen. Kein Tier ist so hilflos. Darum könnte kein Tier eine Familie gründen. Es ist auch nicht nötig. Aber das Kind des Menschen ist so hilflos, so ganz und gar hilflos, daß es nicht ohne eine Mutter existieren könnte, die es schützt, ohne einen Vater, eine Gesellschaft. Es kann nicht allein existieren. Es würde sofort sterben. Es ist so abhängig! Es braucht Liebe, es braucht Nahrung, es braucht alles, und es fordert alles. Und die Mutter versorgt es damit, der Vater versorgt es damit, die Familie versorgt es. Das Kind fängt an zu glauben, daß es der Mittelpunkt der Welt sei. Alles muß ihm geliefert werden, es muß nur fordern. Zu fordern ist die einzige Mühe, die es sich machen muß. So fängt das Kind an, sich für den Mittelpunkt zu halten, und alles passiert seinetwegen. Die ganze Existenz scheint seinetwegen da zu sein. Die ganze Existenz hat nur darauf gewartet, daß es komme und fordere, und alles wird erfüllt ... Es ist notwendig, daß seine Forderungen erfüllt werden, sonst stirbt es. Aber diese Notwendigkeit wird ihm sehr gefährlich. Es wächst auf mit dieser Einstellung, daß „ich der Mittelpunkt” bin. Nach und nach verlangt es immer mehr. Die Bedürfnisse eines Kindes sind sehr einfach: sie können erfüllt werden. Aber mit zunehmendem Alter werden seine Forderungen komplexer. Manchmal wird es nicht möglich sein, sie zu erfüllen, ihnen nachzukommen — absolut unmöglich. Es mag nach dem Mond fragen oder dergleichen. Je älter es wird, desto komplexer seine Forderungen — unerfüllbar. Dann setzt die Frustration ein, und das Kind fängt an zu glauben, daß es betrogen wird. Es war bisher doch selbstverständlich, daß es der Nabel der Welt war! Jetzt kommen Probleme auf, und nach und nach wird es vom Thron gestoßen. Es wird entthront. Sobald es erwachsen ist, wird es endgültig entthront. Dann weiß es, daß es nicht der Mittelpunkt ist. Aber tief unten i m Unbewußten setzt sich die Vorstellung fort, daß es der Mittelpunkt ist. Die Leute kommen her und fragen mich, ob ihr Schicksal festgelegt sei. Was sie in Wirklichkeit fragen ist: sind sie so wichtig, so bedeutsam für das Universum, daß ihr Geschick von vorn15 6
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herein festgelegt werden muß: „Was ist der Sinn meines Daseins?” fragen sie mich. „Wozu wurde ich erschaffen?” Dieser kindliche Unfug, daß du das Zentrum der Welt bist, führt zu Fragen wie: „Zu welchem Zweck wurde ich erschaffen?” Du bist zu keinem Zweck erschaffen worden. Und es ist gut so, daß du nicht zu einem Zweck erschaffen wurdest; sonst wärst du nämlich eine Maschine. Eine Maschine wird zu einem Zweck erschaffen. Der Mensch wird zu keinem Zweck erschaffen, zu nichts — nein! Der Mensch ist nichts als ein Luxus, ein Überfluß der Schöpfung. Alles ist einfach da. Die Blumen sind da und die Sterne sind da und du bist da. Alles ist einfach nur ein Überfließen, eine Freude, ein Jubel der Schöpfung — ohne jeden Zweck. Aber diese Schicksalstheorie, diese Bestimmung, führt zu Problemen, denn wir nehmen es nicht als Theorie. Wir glauben, alles sei tatsächlich vorherbestimmt; aber nichts ist vorherbestimmt. Diese Methode allerdings benutzt es als Mittel. Wenn es darin heißt, daß alles vorherbestimmt sei, wird euch das nicht als eine Theorie gesagt. Die Absicht dabei ist: wenn du das Leben als Theater nimmst, als vorherbestimmt, dann wird es zum Traum. Wenn ich zum Beispiel wüßte, daß ich an dem und dem Tage, an dem und dem Abend zu euch sprechen würde und daß die Worte, die ich dann zu euch sagen würde, vorherbestimmt wären, und das stünde so fest, daß sich nichts daran ändern ließe, daß ich nicht ein einziges neues Wort würde sagen können, dann habe ich plötzlich mit diesem ganzen Vorgang nichts mehr zu tun, denn dann bin ich nicht mehr die Quelle des Handelns. Wenn alles vorherbestimmt ist, und wenn jedes Wort vom Universum selbst gesagt wird, oder vom Göttlichen, oder wie immer ihr es nennen wollt, dann bin ich nicht mehr der Ursprung davon. Dann kann ich zum Zuschauer werden — zum einfachen Zuschauer. Wenn du das Leben als vorherbestimmt verstehst, dann kannst du es beobachten. Dann bist du nicht hineinverwickelt. Bist du ein Versager, so war es vorherbestimmt; hast du Erfolg, so war es vorherbestimmt. Wenn beides vorherbestimmt ist, bekommt es den gleichen Wert, dann wird es synonym. Dann ist der eine Ram, der andere Ravan, und alles ist vorherbestimmt. Ravan braucht sich nicht schuldig zu fühlen, Ram braucht sich nicht 15 7
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überlegen zu fühlen. Alles ist vorherbestimmt, also seid ihr nur Schauspieler. Ihr seid nur auf der Bühne und spielt eine Rolle. Nur um dir das Gefühl zu geben, daß du eine Rolle spielst, um dir das Gefühl zu geben, daß alles nur ein vorher festgelegtes Schema ist, das erfüllt werden muß, nur um dir dies Gefühl zu geben, auf daß du dich davon freimachen kannst - nur dazu dient dies Hilfsmittel. Es fällt sehr schwer, weil wir so sehr daran gewöhnt sind, an das Schicksal als Theorie zu glauben, und zwar nicht nur als Theorie, sondern als Gesetzmäßigkeit. Wir können eine Einstellung, die diese Theorien und Gesetze nur als Hilfsmittel ansieht, nicht begreifen. Ich will euch dies erklären. Ein Beispiel wird euch dabei helfen. Ich befand mich einmal in einer Stadt, und es kam ein Mann zu mir, ein Moslem. Aber ich wußte das nicht, ich hatte es nicht bemerkt, daß er ein Moslem war. Er war wie ein Hindu gekleidet. Er sah nicht nur wie ein Hindu aus, er sprach auch ganz wie ein Hindu. Er war kein typischer Mohammedaner. Er stellte mir eine Frage. Er sagte: „Die Mohammedaner und Christen sagen, es gäbe nur ein Leben. Die Hindus, Buddhisten und Jainas sagen, es gäbe viele Leben - eine lange Folge von Leben, und daß man immer wieder von neuem geboren würde, bis man erlöst wird. Was sagst du dazu? Wenn Jesus ein erleuchteter Mann war, muß er es doch gewußt haben. Oder Mohammed, oder Moses - sie müssen es auch gewußt haben, wenn sie wirklich Erleuchtete waren. Und wenn du sagst, daß sie recht hatten, was ist dann mit Mahavir, Krishna, Buddha und Shankara? Eins steht fest - daß sie nicht allesamt erleuchtet gewesen sein können. Wenn die Christen recht haben, dann hat Buddha unrecht, Krishna unrecht, Mahavir unrecht. Und wenn Mahavir, Buddha und Krishna recht haben, dann haben Mohammed, Jesus und Moses unrecht. Sag also. Ich bin sehr verwirrt, völlig durcheinander, ich tappe im Dunkeln. Entweder es gibt viele Leben, oder es gibt nur eins. Wie können beide Seiten recht haben?” Er war ein sehr intelligenter Mann, der viel studiert hatte, also sagte er: „Du kommst mir nicht einfach damit davon, daß du sagst, beide hätten recht. Beide können nicht recht haben. Das wäre unlogisch. Beides kann nicht stimmen.” 158
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Aber ich sagte: „Das braucht es auch nicht. Dein Ansatz stimmt absolut nicht. Beides sind Mittel: keins von beiden stimmt, keins von beiden ist falsch. Beides sind Hilfsmittel.” Er hatte keine Ahnung, was ich mit „Hilfsmittel” meinte. Mohammed, Jesus und Moses sprachen zu einem ganz besti mmten Menschentyp: Buddha, Mahavir und Krishna dagegen sprachen zu einem völlig anderen Zeitgeist. Es gibt in Wirklichkeit nur zwei Grundreligionen: die hinduistische und die jüdische. Alle Religionen, die aus Indien stammen, alle Religionen, die aus dem Hinduismus stammen, glauben an die Wiedergeburt, an viele Geburten; und alle Religionen, die aus dem jüdischen Denken geboren wurden — der Islam, das Christentum — glauben an nur ein einziges Leben. Es handelt sich hier um zwei verschiedene Methoden, Hilfestellungen. Versucht, dies zu verstehen. Weil unsere Vorstellungen so eingefahren sind, sehen wir diese Dinge als selbstverständliche Wahrheiten an, nicht als methodische Mittel. Und so kommen laufend Leute zu mir und sagen: „An einem Tag sagst du, dies sei richtig, und am nächsten sagst du, das sei richtig, und beides kann nicht richtig sein.” Natürlich, beides kann nicht richtig sein, aber niemand behauptet, beides sei richtig. Ich kümmere mich überhaupt nicht darum, was richtig und was falsch ist. Mich kümmert allein, welches Mittel wirkt. In Indien wirkte dies Mittel der vielen Leben. Warum? Da gibt es vieles zu erwähnen. Alle Religionen, die im Westen geboren wurden, vor allem aus dem jüdischen Denken, waren Arme-Leute-Religionen. Ihre Propheten waren ungebildet. Jesus war ungebildet, Mohammed war ungebildet, Moses war ungebildet. Sie alle waren ungebildet, unkultiviert, einfach, und sie redeten zu Massen, die nicht die geringste Bildung besaßen, die arm waren. Sie waren nicht reich. Für einen armen Menschen ist aber ein Leben mehr als genug ... mehr als genug! Er nagt am Hungertuch, er stirbt. Wenn du ihm erzählst, daß er noch viele Leben vor sich hat, daß er noch viele Male wiedergeboren werden wird, daß er sich in einem Rad von tausend und einem Leben befindet, wird der arme Mann sich nur frustriert abwenden. „Was sagst du da?” wird der arme Marin 15 9
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fragen. „Ein Leben ist mir schon zu viel, erzähl mir also nichts von Tausenden von Leben, von Millionen von Leben. Bitte sag nicht so etwas! Gib uns den Himmel gleich nach diesem Leben!” Gott wird für ihn nur real, wenn er ihn gleich nach diesem Leben erreichen kann — sofort! Buddha, Mahavir, Krishna sprachen zu einer sehr reichen Gesellschaft. Das ist heute sehr schwer zu verstehen, weil sich das Rad völlig gewendet hat. Heute ist der Westen reich und der Osten arm. Damals war der Westen arm und der Osten reich. Alle Avatare der Hindus, alle T'eerthankeras, die Weltlehrer der Jainas, alle Buddhas waren Prinzen. Sie gehörten königlichen Familien an. Sie. waren kultiviert, gebildet, vornehm, auf jede erdenkliche Weise verfeinert. Man konnte einen Buddha nicht noch mehr verfeinern. Er war absolut vornehm, kultiviert, gebildet. Es gab da nichts hinzuzufügen, selbst vom heutigen Standpunkt aus. Sie sprachen also zu einer Gesellschaft, die reich war, und eine reiche Gesellschaft hat andere Probleme. Für eine reiche Gesellschaft ist „Genuß” unbedeutend, ist ein „Himmel” uninteressant. Für eine arme Gesellschaft ist der Himmel äußerst wichtig. Wenn die Gesellschaft schon im Himmel lebt, wird der Himmel uninteressant. Man darf ihnen also nicht mit so etwas kommen. Man kann auf diese Weise keinen Drang wecken, etwas für das Paradies zu tun. Sie sind schon drin — und langweilen sich! Buddha, Mahavir, Krishna reden also nicht vom Himmel. Sie reden von der Freiheit. Sie reden nicht von einer angenehmen Welt im Jenseits. Sie reden von einer transzendentalen Welt, wo es weder Schmerz noch Genuß gibt. Der Himmel von Jesus hätte sie nicht gereizt. Sie waren schon darin. Und zweitens ist für einen Reichen das wirkliche Problem die Langeweile. Einem Armen muß man für die Zukunft Genuß versprechen. Für einen Armen ist Leiden das Problem. Dem Reichen ist das Leiden kein Problem, dem Reichen ist Langeweile das Problem. Er findet alle Genüsse langweilig. Mahavir, Buddha und Krishna haben alle drei diese Langeweile genutzt und gesagt: „Wenn ihr nichts unternehmt, werdet ihr wieder und wieder geboren. Dies Rad dreht sich weiter. Vergeßt nicht: Das gleiche Leben wird sich wiederholen. Der gleiche Sex, 16 0
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der gleiche Reichtum, das gleiche Essen, die gleichen Paläste, wieder und wieder. Tausendundeinmal wirst du dich mit dem Rad drehen." Für einen reichen Menschen, der alle Genüsse kennengelernt hat, ist das keine angenehme Aussicht, diese Wiederholung. Wiederholung ist sein Problem. Das ist sein Leiden. Er will etwas Neues, und Mahavir und Buddha sagen: „Es gibt nichts Neues. Diese Welt ist alt. Nichts ist neu unter dem Himmel. Alles ist uralt. Und du hast von alledem schon früher gekostet und wirst immer wieder davon kosten. Du bist in einem Rad und drehst dich. Steig aus, wage den Absprung von diesem Rad!” Wenn man für den Reichen einen Trick finden kann, der sein Gefühl der Langeweile verstärkt, dann ist das der einzige Weg, ihn zur Meditation zu bewegen. Wenn man zu einem armen Menschen zu Langeweile spricht, redet man sinnloses Zeug. Ein armer Mensch hat nie Langeweile! Nie und nimmer. Nur ein Reicher ist gelangweilt. Ein Armer ist nie gelangweilt: Er denkt immer an die Zukunft. Etwas wird geschehen, und dann wird alles in Ordnung sein. Der arme Mensch braucht ein Versprechen, aber wenn die Verheißung noch sehr lange auf sich warten läßt, wird sie bedeutungslos. Sie muß unmittelbar bevorstehen. Jesus soll gesagt haben: „Noch zu meinen Lebzeiten, noch zu euren Lebzeiten werdet ihr das Himmelreich Gottes erblicken!” Diese Aussage verfolgt die Christenheit seit zweitausend Jahren wie ein Gespenst, diese Worte von Jesus: „Noch in eurem Leben, sehr bald, werdet ihr das Himmelreich Gottes erblicken!” Und bis heute ist das Himmelreich Gottes noch nicht eingetreten; was also hat er gemeint? Und er hatte gesagt: „Die Welt wird bald enden, verliert also keine Zeit! Die Zeit ist knapp.” Jesus hatte gesagt: „Die Zeit ist sehr knapp. Es ist töricht, sie zu verschwenden. Der Untergang der Welt steht unmittelbar bevor, und ihr werdet euch verantworten müssen — bekehrt euch also!” Jesus schuf eine Atmosphäre der Dringlichkeit mit Hilfe der Vorstellung von einem Leben. Er wußte Bescheid, genauso gut wie Buddha und Mahavir. Was genau sie wußten, wird nirgends gesagt. Bekannt ist nur, was für Tricks sie sich ausdachten. Dies war ein Trick, um Unmittelbarkeit herzustellen, Dringlichkeit, damit die Leute anfingen, etwas zu tun. 16 1
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Indien dagegen war ein altes Land — und reich. Zukunftsverheißungen hätten keine Dringlichkeit erzeugt. Es gab nur einen einzigen Weg, ein Gefühl der Dringlichkeit herzustellen, und das war, noch mehr Langeweile zu erzeugen. Wenn ein Mensch das Gefühl hat, daß er wieder und wieder geboren wird, wieder und wieder, ad infinitum, ewig, kommt er sofort angelaufen und fragt: „Wie — wie kann ich nur von diesem Rad erlöst werden? Das ist einfach zu viel! Ich kann da nicht mehr weiter mitmachen, denn alles, was es kennenzulernen gibt, habe ich satt. Wenn sich das wiederholen soll, ist es ein Alptraum. Ich will das nicht noch mal wiederholen. Ich will etwas Neues.” Buddha und Mahavir sagen also: „Es gibt nichts Neues unter diesem Himmel. Alles ist alt und wiederholt sich. Und ihr habt euch seit vielen, vielen Leben wiederholt, und ihr werdet euch noch viele, viele weitere Leben wiederholen. Hütet euch vor der Wiederholung. Hütet euch vor eurer Langeweile und wagt den Sprung. ” Der Trick ist ein anderer, aber der Zweck ist der gleiche: wage den Sprung! Setze dich in Bewegung! Verwandle dich! Was immer du bist, werde ein anderer als du bist. Wenn wir religiöse Aussagen als Hilfsmittel, als Tricks verstehen, dann gibt es keinen Widerspruch mehr. — Dann meinen Jesus und Krishna, Mohammed und Mahavir, alle das gleiche. Sie entwickeln andere Routen für andere Menschen, andere Methoden für andere Geister, andere Reize für andere Erwartungen. Aber es sind keine Prinzipien, über die sich streiten und argumentieren ließe; es sind Hilfsmittel, die genutzt, überwunden und fortgeworfen werden müssen.
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Liebe löst (Sutras]
10. Während des Liebesspiels, süße Prinzessin, geh in der Umarmung auf wie im immer währenden Leben. 11.Schließe die Türen deiner Sinne, wenn du das Krabbeln einer Ameise spürst. Dann. 12 Sitzend auf einem Bett oder Kissen, laß dich schwerelos werden, jenseits des Geistes
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Der Mensch hat eine Mitte, aber er lebt nicht darin — er lebt nicht im Zentrum. Das erzeugt eine innere Spannung, ständiges Chaos, ständige Qual. Du bist nicht, wo du sein solltest; du bist nicht richtig im Gleichgewicht. Du bist aus dem Gleichgewicht, und dies Aus-dem-Gleichgewicht-Sein, dieses Ohne-Mitte-Sein, ist die Basis aller geistigen Verspannungen. Wenn es zuviel wird, wird man verrückt. Ein Verrückter ist einer, der völlig aus sich selbst herausgerückt ist. Der erleuchtete Mensch ist genau das Gegenteil von einem Verrückten. Er ruht in seiner Mitte. Ihr seid dazwischen. Ihr seid nicht ganz aus euch gerückt, ver-rückt, und ihr seid auch nicht in eurer Mitte. Ihr bewegt euch im Zwischenfeld. Manchmal rückt ihr weit, weit weg, so daß ihr für Momente verrückt seid. In der Wut, im Sex, in allem was euch zu weit von euch selber wegführt, seid ihr für Momente verrückt. Dann ist kein Unterschied zwischen euch und einem Verrückten. Der Unterschied ist nur, daß er ständig dort ist und ihr nur zeitweilig. Ihr kommt wieder zurück. Wenn du wütend bist, ist das Verrücktheit, nur keine permanente. Qualitativ gibt es da keinen Unterschied, nur quantitativ. Die Qualität ist gleich. Manchmal kommt ihr also an den Wahnsinn heran, und manchmal, wenn ihr ganz entspannt seid, total entspannt, berührt ihr auch euer Zentrum. Das sind die seligen Augenblicke. Es gibt sie. Darin seid ihr genau wie ein Buddha oder Krishna, aber nur zeitweilig, momentan. Ihr bleibt nicht dort. Ja, i m gleichen Moment, wo ihr wahrnehmt, daß ihr selig seid, seid ihr schon wieder weiter. Es währt so kurz, daß die Seligkeit schon vorbei ist, wenn ihr sie erkennt. ' Wir schwanken ständig zwischen diesen beiden Polen, aber dies Schwanken ist gefährlich. Dies Schwanken ist gefährlich, weil du so kein Selbstbild von dir herstellen kannst, kein festes Selbstbild. Du weißt nicht, wer du bist. Wenn du in dir ständig zwischen Wahnsinn und Zentriertheit hin- und herschwankst, wenn dies Schwanken nie aufhört, weißt du nicht, wer du bist — schwer zu sagen. Darum bekommst du sogar Angst, wenn dir ein seliger Augenblick bevorsteht, und du möchtest dich irgendwo dazwischen verankern. Genau das meinen wir mit dem „Durchschnittsmenschen”: er 16 6
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reicht in seiner Wut nie an den Wahnsinn heran, und rührt auch nie an jene totale Freiheit, jene höchste Ekstase. Er weicht nie von seinem festen Image ab. Der Durchschnittsmensch ist in Wirklichkeit ein toter Mensch, zwischen diesen zwei Punkten. Darum sind alle außergewöhnlichen Menschen - große Künstler, Maler, Dichter - nicht normal. Sie sind sehr fließend. Manchmal rühren sie an die Mitte, manchmal werden sie verrückt. Blitzschnell wechseln sie von einem zum andern. Natürlich ist ihre Qual ungeheuer, ihre Spannung enorm. Sie müssen zwischen zwei Wel. ten leben, sie verändern sich ständig. Darum haben sie das Gefühl, keine Identität zu haben. Sie fühlen sich, wie Colin Wilson es ausdrückt, als „Außenseiter”. In unserer Welt der Normalität sind sie Außenseiter. Es wird uns helfen, diese vier Typen zu definieren: zunächst den Normalmenschen, der eine gefestigte, solide Identität hat, der weiß, wer er ist - er ist Arzt, Ingenieur, Professor, ein frommer Mensch usw. -, er weiß, wer er ist, und entfernt sich nie davon. Er klebt ständig an seinem Selbstbild, an seinem Image. Dann kommen die Menschen mit dem fließenden Selbstbild, die Dichter, Künstler, Maler, Sänger. Sie wissen nicht, wer sie sind. Manchmal sind sie ganz normal, manchmal werden sie verrückt, manchmal rühren sie an die Ekstase eines Buddha. Drittens gibt es die, die permanent wahnsinnig sind. Sie sind außer sich geraten und kommen nie mehr nach Hause zurück. Sie wissen nicht einmal mehr, daß sie ein Zuhause haben. Und viertens die, die zu Hause angelangt sind ... Buddha, Christus, Krishna. Diese vierte Kategorie - die „Angekommenen” - sind die völlig entspannten Menschen. In ihrem Bewußtsein gibt es keine Spannung mehr, keine Anstrengung, kein Verlangen. Kurz gesagt, es gibt kein „Werden” mehr. Sie wollen nichts mehr werden. Sie sind, sie waren ... aber sie werden nicht! Und sie sind mit ihrem Dasein glücklich. Was immer sie sind, sie sind es zufrieden. Sie wollen nichts daran ändern, wollen nirgendwo hin. Sie haben keine Zukunft. Dieser jetzige Augenblick ist für sie Ewigkeit. Ohne Sehnsucht, ohne Wunsch. Das heißt nun nicht, daß ein Buddha nicht ißt oder ein Buddha nicht schläft. Er ißt, er schläft - aber das sind keine Wünsche. Ein Buddha projiziert diese Wünsche nicht: 16 7
Das Buch der Geheimnisse
Er ißt nicht morgen, er ißt heute. Vergeßt dies nicht: Ihr eßt immer erst morgen, in der Zukunft, in der Vergangenheit, gestern. Ganz selten nur eßt ihr heute ... Während ihr eßt, wandern die Gedanken woanders hin. Während ihr einzuschlafen versucht, denkt ihr ans morgige Essen oder erinnert euch an Vergangenes. Ein Buddha ißt heute. Diesen Moment lebt er. Er projiziert nicht sein Leben in die Zukunft: Es gibt für ihn keine; denn die Zukunft kommt als Gegenwart, immer heute, immer jetzt. Buddha ißt auch, aber nie im Geiste, macht euch das klar. Es gibt für ihn kein zerebrales Essen. Ihr eßt ständig im Hirn. Das ist absurd, denn das Hirn ist nicht fürs Essen gedacht. All eure Zentren sind durcheinander. Euer gesamtes Körper-Geist-Arrangement ist chaotisch, ist verrückt. Ein Buddha ißt, aber er denkt nie ans Essen. Und das gilt für alles. Ein Buddha ist so gewöhnlich wie ihr, während er ißt. Glaubt nicht, daß ein Buddha nicht ißt, oder in der heißen Sonne nicht schwitzt, oder im kalten Wind nicht friert. Er fühlt es, aber fühlt es immer nur gegenwärtig, niemals zukünftig. Es gibt kein Werden. Wo kein Werden ist, ist keine Spannung. Das müßt ihr ganz klar verstehen. Wenn es kein Werden gibt, wie kann es da irgendeine Spannung geben? Spannung heißt, daß du etwas anderes sein möchtest als du bist. Du bist A und möchtest B sein. Du bist arm und möchtest reich sein; du bist häßlich und möchtest schön sein, oder du bist dumm und möchtest weise sein. Was immer du dir wünschst, was immer dein Verlangen ist, die Form bleibt gleich: A will zu B werden. Was immer du bist, du bist damit nicht zufrieden. Um zufrieden zu sein, ist etwas anderes nötig: dies ist das feste Muster der Wunschhaltung. Wenn du es bekommst, sagt der Verstand sofort, daß es nicht genügt, daß etwas anderes nötig ist. Das Denken eilt immer weiter. Was immer du bekommst, wird wertlos; im Augenblick, wo du es bekommst, ist es wertlos. Das ist Verlangen. Buddha hat es Trishna genannt, „Werden”. Ihr eilt von einem Leben zum andern weiter, von einer Welt zur andern, und das hört nie auf. Es kann so weitergehen, ad infinitum. Da gibt es kein Ende. Das Verlangen, das Wünschen kennt kein Ende. Aber wenn es kein Werden mehr gibt, wenn du dich total so akzeptierst, wie 168
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du bist — häßlich oder schön, weise oder dumm, reich oder arm, ganz gleich wie du bist — wenn du es in seiner Totalität akzeptierst, hört das Werden auf. Dann fällt alle Spannung ab. Dann kann Spannung nicht mehr existieren. Dann gibt es keine Qual mehr, du fühlst dich wohl, du hast keine Sorgen mehr. Dieser nicht werdende Geist ist Geist, der sich im Selbst gesammelt hat. Genau am entgegengesetzten Pol befindet sich der Wahnsinnige. Er hat kein Sein, er ist nur noch ein Werden. Er hat vergessen, wer er ist. Das A ist völlig vergessen, und er versucht, B zu sein. Er weiß nicht mehr, wer er ist, er kennt nur noch das gewünschte Ziel. Er lebt nicht hier und jetzt: er lebt woanders. Darum kommt er uns verrückt vor, wahnsinnig, denn wir leben in dieser Welt, und er lebt in seiner Traumwelt. Er gehört nicht eurer Welt an, er lebt woanders. Er hat seine Wirklichkeit, hier und jetzt, vollkommen vergessen. Und indem er sich selbst vergessen hat, hat er die Welt um sich herum vergessen, die wirklich ist. Er lebt in einer unwirklichen Welt. Für ihn ist das die einzige Wirklichkeit. Ein Buddha lebt ständig jetzt im Sein und der Wahnsinnige genau umgekehrt; er lebt nie im Hier und Jetzt, im Sein, sondern immer im Werden — irgendwo am Horizont. Dies sind die beiden polaren Gegensätze. Bedenkt also, daß der Wahnsinnige nicht euer Gegenteil ist — er ist das Gegenteil eines Buddha. Und bedenkt auch, daß der Buddha nicht euer Gegensatz ist, sondern der des Wahnsinnigen. Ihr seid dazwischen. Ihr seid beides, vermischt. Ihr habt Wahnsinn, und ihr habt Augenblicke der Erleuchtung, aber beides vermengt. Manchmal passiert es, daß ihr von selbst einen Blick in das Zentrum erhascht, und zwar wenn ihr entspannt seid. Es gibt Momente, wo ihr euch entspannt. Du liebst einen Menschen: Für einige Augenblicke, für einen einzigen Augenblick ist der geliebte Mensch bei dir. Es war ein langer Wunsch, eine lange Mühe, und schließlich ist der geliebte Mensch mit dir. Einen Augenblick lang tritt der Geist ab. Du hast dich lange darum bemüht, mit dem Geliebten zusammenzusein. Deine Gedanken haben sich gesehnt und gesehnt und gesehnt, du hast ständig und ständig an den Geliebten gedacht. Jetzt ist der geliebte Mensch da, und plötzlich 169
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kann der Kopf nicht mehr denken. Der alte Vorgang kann nicht mehr weitergehen. Du hast dich nach dem Geliebten gesehnt, nun ist er da, und jetzt bleibt der Geist einfach stehen. In dem Moment, wo der Geliebte da ist, hört das Sehnen auf. Du bist entspannt. Plötzlich bist du auf dich zurückgeworfen. Und solange der geliebte Mensch dich nicht auf dich selbst zurückwirft, ist es keine Liebe. Solange du in der Gegenwart des Geliebten nicht du selbst wirst, ist es nicht Liebe. Solange dein Geist in der Gegenwart des Geliebten nicht völlig zu arbeiten aufhört, ist es nicht Liebe. Manchmal geschieht es, daß der Geist stillsteht und alles Wüng schen für einen Au enblick fort ist. Liebe ist wunschlos. Versucht, das zu verstehen: Ihr mögt nach Liebe verlangen, aber Liebe selbst ist ohne Verlangen. Wenn die Liebe kommt, ist kein Verlangen da. Der Geist ist still, ruhig, entspannt, kein Werden mehr, kein Ziel. Aber dies geschieht nur für wenige Augenblicke, wenn überhaupt. Wenn du wirklich je geliebt hast, dann war es ein paar Augenblicke lang so. Es kommt als Schock. Der Geist funktioniert nicht mehr, weil seine ganze Funktion nutzlos und absurd wird. Derjenige, nach dem du dich gesehnt hast, ist da, und nun weißt du nicht mehr, was du tun sollst. Ein paar Augenblicke steht der ganze Mechanismus still. Du bist völlig in dir entspannt. Du hast dein Sein, deine Mitte berührt, und fühlst dich an der Quelle allen Wohlbefindens. Glückseligkeit erfüllt dich: Ein Duft hüllt dich ein. Plötzlich bist du nicht mehr der Mensch, der du warst. Darum verändert die Liebe so sehr. Wenn du hebst, kannst du es nicht verbergen. Das ist unmöglich. Wenn du liebst, sieht man dir das an. Deine Augen, dein Gesicht, dein Gang, die Art wie du sitzt, alles verrät es, weil du nicht mehr der gleiche bist. Kein Wünschen mehr. Für ein paar Augenblicke bist du ein Buddha. Das kann nicht lange währen, weil es nur ein Schock ist. Der Geist findet augenblicklich Schliche und Vorwände, um wieder denken zu können. Zum Beispiel mag der Geist zu denken anfangen, daß du nun dein Ziel erreicht hast, deine Liebe erreicht hast ... was nun, was sollst du jetzt machen? Dann fängt das Spekulieren über 170
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die Zukunft an, das Argumentieren geht los. Du denkst: „Heute habe ich den geliebten Menschen gefunden, aber wird er auch morgen noch da sein?” Der Geist hat seine Arbeit wieder aufgenommen. Und sobald der Geist wieder zu arbeiten anfängt, bist du wieder ins Werden geraten. Manchmal hört man auch ohne Liebe, einfach aus Müdigkeit und Erschöpfung, zu wünschen auf und wird auf sich selbst zurückgeworfen. Wenn du nicht von dir selbst entfernt bist, bist du notgedrungen bei deinem Selbst, ganz gleich aus welchem Grund. Wenn man total müde und erschöpft ist, wenn man nicht einmal mehr denken oder wünschen mag, wenn man ohne jede Hoffnung frustriert ist, dann fühlt man sich plötzlich zu Hause. Jetzt geht es nirgends mehr hin. Alle Tore sind verschlossen, die Hoffnung ist fort und mit ihr das Wünschen, mit ihr das Werden. Es wird nicht lange dauern, weil dein Geist seine Mechanik hat. Er kann sich für einige Augenblicke abschalten, aber dann wird er plötzlich wieder lebendig, weil du ohne Hoffnung nicht existieren kannst: Irgendeine Hoffnung mußt du finden. Du kannst nicht ohne Wunsch leben. Und weil du nicht weißt, wie du ohne Wunsch existieren kannst, mußt du dir einen erfinden. In jeder beliebigen Situation, bei der dein Geist plötzlich aussetzt, bist du in deinem Zentrum. Du machst Urlaub im Wald oder in den Bergen oder am Meer: Plötzlich funktioniert die Denkmaschine nicht mehr. Das Büro, die Ehefrau, der Ehemann - alles weg. Plötzlich ist eine völlig neue Situation da, und der Geist braucht Zeit, um sich neu zu orientieren, um sich anzupassen. Er ist aus dem Trott gekommen. Die Situation ist so neu, daß du dich losläßt, und plötzlich bist du in deinem Zentrum. In solchen Momenten wirst du zum Buddha: aber es sind nur Momente. Sie werden dich hinterher verfolgen, und du möchtest sie gerne wieder herstellen, immer von neuem. Aber vergiß nicht: Es geschah spontan, du kannst es also nicht wiederholen. Und je mehr du es versuchst, desto unmöglicher wird es. Das ergeht jedem so. Du warst verliebt, und bei der ersten Begegnung setzte dein Geist plötzlich aus. Dann habt ihr geheiratet. Warum? Um diese wunderbaren Augenblicke immer wieder zu erleben. Aber als sie geschahen, da wart ihr nicht verheiratet, und in der Ehe 171
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können sie nicht passieren, weil die ganze Situation jetzt anders ist. Wenn zwei Menschen sich zum erstenmal begegnen, ist die ganze Situation neu. Der Kopf findet sich nicht zurecht, so sehr sind sie überwältigt, so sehr von der neuen Erfahrung erfüllt, von dem neuen Leben, dem unerwarteten Blühen! Aber gleich danach fängt der Kopf zu arbeiten an, und beide denken: „Was für ein herrlicher Augenblick! Den möchte ich jeden Tag wiederholen, also sollte ich heiraten.” Der Kopf zerstört alles. Ehe heißt Kopf. Liebe ist spontan: Ehe ist Kalkül. Heiraten ist etwas Mathematisches. Jetzt wartet ihr auf diese Augenblicke, aber sie kommen nie wieder. Darum ist jeder verheiratete Mann, jede verheiratete Frau frustriert, denn sie warten auf Dinge, die früher tatsächlich geschehen sind. Warum geschehen sie nicht mehr? Sie können es nicht, weil die ganze Situation dafür fehlt. Jetzt seid ihr euch nicht mehr neu; jetzt ist keine Spontaneität mehr da, jetzt ist die Liebe Routine. Jetzt ist alles Erwartung und Forderung. Jetzt ist Liebe Pflicht, kein Spaß mehr. Anfangs war sie Spaß. Jetzt ist sie Pflicht. Und Pflicht kann euch nicht das gleiche Glücksgefühl geben wie Spaß. Unmöglich! Und das ganze Ding hat der Kopf ausgeheckt. Jetzt erwartet ihr immer etwas, und je mehr ihr erwartet, desto geringer die Chance, daß es passiert. Das passiert überall, nicht nur in der Ehe. Du gehst zu einem Guru, und die Erfahrung ist neu für dich. Seine Präsenz, seine Worte, seine Art zu leben ist neu. Plötzlich steht dein Denken still. Und dann denkst du: „Das ist der Mann für mich, da muß ich jeden Tag hin.” Dann bist du mit ihm verheiratet. Nach und nach setzt die Frustration ein, weil du eine Pflicht, eine Routine daraus gemacht hast. Jetzt kommen diese Erfahrungen nicht mehr, und du glaubst, daß dieser Mann dich betrogen hat oder daß du irgendwie zum Narren gehalten worden bist. Nun denkst du: „Die erste Erfahrung war Halluzination, ich muß hypnotisiert gewesen sein oder so was ähnliches. Es war nicht echt.” Es war echt. Dein routiniertes Denken macht es unecht. Und nun willst du es herbeizwingen; aber als es das erstemal geschah, hattest du keine Erwartungen. Du warst ohne alle Erwartungen gekommen. Du warst einfach offen für alles. 172
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Jetzt kommst du jeden Tag mit Erwartungen, mit festen Vorstellungen her. So kann es nicht passieren. Es passiert nur bei einer offenen Einstellung: Es passiert immer nur in einer neuen Situation. Was nicht heißt, daß du deine Situation täglich andern mußt; es heißt nur, daß du deinem Kopf nicht erlauben darfst, ein Muster zu schaffen. Dann ist deine Frau jeden Tag neu, dein Mann jeden Tag neu. Aber erlaube deinem Geist nicht, ein Muster aus Erwartungen zu weben; erlaube deinem Geist nicht, in die Zukunft zu wandern. Dann ist dein Guru jeden Tag neu, dein Freund jeden Tag neu. Und auf der Welt ist immer alles neu, außer dem Kopf. Der Kopf ist das einzig Alte. Er ist immer alt. Die Sonne geht jeden Tag neu auf. Es ist nicht die alte Sonne. Der Mond ist neu; der Tag, die Nacht, die Blumen, die Bäume, alles ist neu, nur nicht euer Kopf. Euer Kopf ist immer alt — denkt daran: immer — weil der Kopf die Vergangenheit braucht, die akkumulierte Erfahrung, die projizierte Erfahrung. Der Kopf braucht Vergangenheit und das Leben Gegenwart. Das Leben ist immer selig, der Kopf nie. Wann immer du deinen Kopf zuläßt, geht das Elend los. Solche spontanen Momente wiederholen sich nicht. Was also tun? Wie sich ständig entspannen? Diese drei Sutras geben Antwort: drei Techniken, die sich mit dem Wohlbefinden, die sich mit der Entspannung der Nerven beschäftigen. Wie im Sein bleiben? Wie nicht ins Werden abwandern? Schwer, mühsam, aber diese Techniken können helfen. Diese Techniken werden dich auf dich selbst zurückwerfen. Die erste Technik:
Während des Liebesspiels, süße Prinzessin, geh in der Umarmung auf wie im immerwährenden Leben. Während du geliebt wirst, süße Prinzessin, geh in das Lieben ein wie in immerwährendes Leben ... Shiva fängt mit der Liebe an. Diese erste Entspannungs-Technik hat mit Liebe zu tun, weil die Liebe euch in eurer Erfahrung das nächste ist; da entspannt ihr euch am ehesten. Wenn ihr nicht lieben könnt, könnt ihr auch 173
Das Buch der Geheimnisse
nicht entspannen. Wenn ihr euch entspannen könnt, wird euer Leben von Liebe erfüllt sein. Warum kann ein verkrampfter Mensch nicht lieben? Weil er i mmer irgendwelche Absichten hat. Er kann zwar Geld verdienen, aber nicht lieben, weil Liebe keinen Zweck erfüllt. Liebe ist keine Ware. Man kann sie nicht horten, nicht auf sein Konto legen, man kann damit nicht sein Ego aufbauen. Liebe ist wirklich die absurdeste Beschäftigung überhaupt. Sie ist absolut absichtslos, will nichts außer sich selbst. Sie existiert um ihretwillen, und für nichts sonst. Ihr verdient Geldfür etwas; es ist ein Mittel zum Zweck. Ihr baut ein Haus fürjemanden, der einmal darin wohnen soll — es ist ein Mittel. Liebe ist kein Mittel. Wofür liebt ihr? Zu welchem Zweck? Liebe ist ein Selbstzweck. Ein Mensch, der kalkuliert, der logisch denkt, der nur Absichten kennt, kann daher nicht lieben; und er ist immer angespannt, weil sich jede Absicht immer erst in Zukunft erfüllen kann, niemals hier und jetzt. Du baust ein Haus: Du kannst nicht jetzt gleich darin wohnen. Erst mußt du es bauen. Wohnen kannst du darin erst in der Zukunft, nicht jetzt. Du verdienst Geld: Ein Vermögen hast du erst in der Zukunft, nicht jetzt. Mittel mußt du jetzt benutzen, Ziele liegen in der Zukunft. Liebe ist immer hier. Da gibt es keine Zukunft. Darum sind sich Liebe und Meditation so nahe. Und darum sind sich auch Tod und Meditation so nahe. Denn auch der Tod ist immer hier und jetzt. Er kann nie in der Zukunft eintreten. Kannst du in der Zukunft sterben? Sterben kannst du nur jetzt. Niemand ist je in der Zukunft gestorben. Wie kann man in der Zukunft sterben? Oder in der Vergangenheit? Die Vergangenheit ist vorbei. Sie ist nicht mehr, also kannst du auch in ihr nicht sterben. Die Zukunft ist noch nicht, wie also könnte man in ihr sterben? Der Tod geschieht immer nur in der Gegenwart. Tod, Liebe, Meditation — sie alle geschehen in der Gegenwart. Wenn du also Angst vor dem Tod hast, kannst du nicht lieben. Wenn du Angst vor der Liebe hast, kannst du nicht meditieren; und wenn du Angst vor dem Meditieren hast, wird dein Leben nutzlos sein — nutzlos nicht im Sinne von Absichten, sondern nutzlos in dem 174
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Sinne, daß du niemals sein wahres Glück erfahren wirst. Du wirst umsonst gelebt haben. Ihr mögt es seltsam finden, daß diese drei zusammenhängen: Liebe, Meditation und Tod. Es ist nicht seltsam. Es sind sehr verwandte Erfahrungen. Wenn du also in eine davon hineingehen kannst, kannst du auch in die beiden anderen hineingehen. Shiva beginnt mit Liebe. Er sagt: „Während des Liebesspiels, süße Prinzessin, geh in der Umarmung auf wie im immerwährenden Leben.” Was ist gemeint? Vieles. Zunächst: Während ihr euch liebt, hat die Vergangenheit aufgehört, und die Zukunft ist noch nicht. Ihr bewegt euch in der Dimension der Gegenwart. Ihr seid im Jetzt. Habt ihr je einen Menschen geliebt? Wenn ja, dann wißt ihr auch, daß dann der Kopf nicht anwesend ist. Darum sagen die sogenannten klugen Leute, daß Liebe blind macht, kopflos, verrückt. Sie haben im Grunde recht. Liebende sind blind, denn sie haben keine Augen für die Zukunft, und sie können nicht berechnen, was sie tun. Sie sind blind: Sie können nicht die Vergangenheit sehen. Was passiert, wenn Menschen lieben? Sie leben ganz im Hier und Jetzt, ohne an Vergangenheit oder Zukunft zu denken, ohne an die Konsequenzen zu denken. Darum sagt man, sie seien blind, und sie sind es auch! Sie sind blind für alle, die kalkulieren — und Seher für alle, die nicht kalkulieren. Wer nicht kalkuliert, kann die Liebe als das wirkliche Auge erkennen, als die wahre Sehweise. Das erste also: Im Augenblick der Liebe hören Vergangenheit und Zukunft auf. Und zweitens gibt es hier eine sehr delikate Sache zu verstehen: Kann man, wenn es weder Vergangenheit noch Zukunft gibt, diesen Augenblick noch „Gegenwart” nennen? Gegenwart gibt es nur zwischen den beiden, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sie ist relativ. Wenn es weder Vergangenheit noch Zukunft gibt, was für einen Sinn hat es dann, von Gegenwart zu sprechen? Es wird sinnlos. Darum spricht Shiva nicht von „Gegenwart”, er sagt: „Immerwährendes Leben.” Er meint Ewigkeit — daß du in die Ewigkeit eingehen sollst. Wir teilen die Zeit in drei Abschnitte auf — Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Diese Einteilung ist verkehrt, absolut verkehrt. Zeit besteht in Wirklichkeit nur aus Vergangenheit und Zukunft. 175
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Die Gegenwart ist nicht Teil der Zeit. Die Gegenwart ist Teil der Ewigkeit. Alles Vergangene ist Zeit und alles, was kommen wird, ist Zelt. Das, was ist, ist nicht Zelt; denn es geht nie vorbei. Es ist immer da. Das Jetzt ist immer hier. Es ist immer hier! Dieses Jetzt ist ewig. Wenn du von der Vergangenheit her kommst, gelangst du nie in die Gegenwart. Aus der Vergangenheit geht der Weg immer nur in die "Zukunft. Es kommt nie ein Augenblick, der gegenwärtig ist. Aus der Vergangenheit gehst du immer nur in die Zukunft. Aus der Gegenwart kannst du niemals in die Zukunft gehen. Aus der Gegenwart gehst du tiefer und tiefer, mehr und mehr in Gegenwart hinein. Das ist mit„ immerwährendes Leben" gemeint. Wir können es auch so sagen: Aus der Vergangenheit zur Zukunft — das ist Zeit. Zeit heißt, daß ihr euch auf einer Ebene bewegt, auf einer geraden Linie; wir können auch sagen: horizontal. Sobald man in der Gegenwart ist, verändert sich die Dimension: man bewegt sich vertikal — aufwärts oder abwärts, entweder in die Höhe oder in die Tiefe, aber nie horizontal. Ein Buddha, ein Shiva lebt in der Ewigkeit, nicht in der Zeit. Jesus wurde gefragt: „Was wird in deinem Reich Gottes passieren?” Der Mann, der diese Frage stellte, wollte nichts über die Zeit wissen. Er wollte wissen, was aus seinen Wünschen würde, ob sie wohl erfüllt würden. Er wollte wissen, ob es da ein ewiges Leben oder einen Tod geben würde, ob es dort auch Elend oder Vorgesetzte und Untergebene geben würde ... kurz er wollte Dinge wissen, die von dieser Welt waren. Und Jesus antwortete – seine Antwort erinnert eher an einen Zen-Mönch -:„Es wird dort keine Zeit mehr geben." Der Mann, der diese Antwort bekam, wird sie kaum begriffen haben. „Es wird dort keine Zeit mehr geben” — das ist alles, was Jesus dazu sagte. Es wird dort keine Zeit mehr geben, weil die Zeit horizontal ist, und das Reich Gottes ist vertikal: es ist ewig. Es ist immer hier! Du brauchst dich nur aus der Zeit fortzubegeben, um es zu betreten. Liebe ist also die erste Tür. Durch sie kannst du die Zeit verlassen. Und darum willjeder geliebt werden, will jeder lieben. Und kein Mensch weiß, warum die Liebe so wichtig ist, warum die 17 6
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Sehnsucht nach Liebe so tief ist. Und solange du dies nicht richtig verstehst, kannst du weder lieben noch geliebt werden, denn die Liebe ist eines der tiefsten Dinge auf dieser Erde. Wir glauben immer, jeder wäre fähig zu lieben — so wie er ist. Das ist nicht der Fall: Es ist nicht so. Deswegen seid ihr so frustriert. Liebe ist eine ganz andere Dimension. Wenn ihr einen Menschen in der Dimension der Zeit lieben wollt, ist es vergebliche Liebesmüh. In der Zeit ist Liebe nicht möglich. Mir fällt eine Anekdote ein. Meera war voller Liebe für Krishna. Sie war eine verheiratete Frau, die Gemahlin eines Fürsten. Der Fürst wurde eifersüchtig auf Krishna. Krishna gab es nicht mehr. Krishna war gar nicht mehr gegenwärtig, war kein physischer Körper. Zwischen der physischen Existenz von Krishna und der physischen Existenz von Meera lagen fünftausend Jahre! Wie konnte Meera also wirkliche Liebe für Krishna empfinden? Der Zeitabstand war etwas groß ... Eines Tages fragte der Fürst seine Meera, fragte ihr Mann sie: „Du redest immer von deiner Liebe, du tanzt und singst immer um Krishna herum, aber wo ist er? In wen bist du denn so verliebt? Mit wem redest du die ganze Zeit?” Meera redete nämlich mit Krishna, sang und lachte, stritt sich sogar mit ihm. Sie erschien wie eine Verrückte. In unseren Augen war sie es. Der Fürst sagte: „Bist du verrückt geworden? Wo ist dein Krishna? Wen liebst du? Mit wem unterhältst du dich? Und ich bin hieb und mich hast du ganz vergessen.” Meera sagte: „Krishna ist hier du nicht: denn Krishna ist ewig, du nicht. Er wird immer hier sein, er war immer hier, er ist hier. Du wirst nicht hier sein, du warst nie hier, nicht einen einzigen Tag warst du hier. Du wirst nicht einen Tag hier sein. Wie kann ich also glauben, daß es dich zwischen diesen Nicht-Existenzen geben soll? Wie ist eine Existenz zwischen zwei Nicht-Existenzen möglich?” Der Fürst ist in der Zeit, aber Krishna ist in der Ewigkeit. Man kann also dem Fürsten physisch nahe sein, aber die Entfernung ist trotzdem unüberwindbar. Du wirst weit von ihm entfernt sein. Du magst zeitlich sehr, sehr weit von Krishna entfernt sein, aber du kannst ihm nahe sein — nur in einer ganz anderen Dimension natürlich. 17 7
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Ich sehe geradeaus und sehe vor mir eine Wand: ich bewege meine Augen weiter, und da ist ein Himmel. Wenn ihr in der Dimension der Zeit seht, ist immer eine Wand da. Wenn ihr über die Zeit hinaus seht, ist da ein offener Himmel — unendlich. Liebe öffnet die Unendlichkeit, das Immerwährende der Existenz. Wer also je geliebt hat, für den kann Liebe zur Meditationstechnik werden. Und genau dies ist die Technik: „Während du geliebt wirst, süße Prinzessin, gehe in der Umarmung auf wie im immerwährenden Leben.” Bleibe bei der Liebe nicht abseits — draußen. Werde zum Lieben, und gehe in die Ewigkeit ein. Wenn du jemanden liebst, bist du dann noch als der Liebende da? Wenn ja, dann bist du in der Zeit, und die Liebe ist unecht, nur pseudo. Wenn du immer noch da bist und sagen kannst, „Ich bin”, dann mögt ihr euch zwar körperlich nahe sein, aber spirituell seid ihr meilenweit voneinander entfernt. Wenn du liebst, darfst du nicht sein, sondern es darf nur Liebe da sein, nur das Lieben selbst. Werdet zum Lieben. Wenn du den Geliebten oder die Geliebte umarmst, werde zur Umarmung. Wenn du küßt, sei weder Küssender noch Geküßter. Werde zum Kuß. Vergiß das Ego vollkommen: Löse es im Liebesakt auf. Geh so tief in den Akt hinein, daß der Agierende nicht mehr ist. Und wer nicht im Lieben aufgehen kann, der kann noch weniger im Essen oder Laufen aufgehen — weil die Liebe der einfachste Weg ist, das Ego aufzulösen. Darum können Egoisten nicht lieben. Sie mögen davon reden; sie mögen davon singen; sie mögen darüber schreiben; aber sie können nicht leben. Das Ego kann nicht heben! Shiva sagt: „Werde zum Lieben. Werde in der Umarmung zur Umarmung, werde zum Kuß. Vergiß dich so total, daß du sagen kannst:,Ich bin nicht mehr, nur noch die Liebe ist. ` Dann schlägt nicht mehr dein Herz, sondern die Liebe. Dann kreist nicht mehr das Blut in den Adern: Liebe kreist in deinen Adern. Und nicht mehr die Augen sehen: Die Liebe sieht. Dann strecken sich nicht mehr die Hände zur Berührung aus: Die Liebe sucht die Berührung. Werde zur Liebe und geh ein in das immerwährende Leben. 178
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Die Liebe verändert plötzlich deine Dimension. Du wirst aus der Zeit hinausgeworfen und siehst dich der Ewigkeit gegenüber. Liebe kann zu einer riefen Meditation werden — zur tiefsten überhaupt. Liebende können manchmal erfahren, was Heilige nie erfahren haben. Und Liebende haben jenes Zentrum berührt, das viele Yogis umsonst gesucht haben. Aber es wird nur ein schnelles Aufleuchten sein, es sei denn, du transformierst diese Liebe zu Meditation. Tantra bedeutet dies: die Transformation der Liebe zu Meditation. Und jetzt könnt ihr verstehen, warum Tantra so viel von Liebe spricht. Warum? Weil Liebe die einfachste, die natürliche Tür ist, durch die man diese Welt transzendieren kann, die horizontale Dimension. Seht euch Shiva mit seiner Gemahlin Devi an. Seht sie euch an! Sie scheinen nicht zwei zu sein, sie sind eins. Ihre Vereinigung ist so tief, daß sie sogar in Symbolen ausgedrückt wurde. Wir alle kennen das Shivalinga. Es ist ein phallisches Symbol — Shivas Geschlechtsorgan. Aber es steht nicht für sich. Es steht auf Devis Vagina. Die Hindus der alten Zeit waren sehr kühn. Wer heute ein Shivahnga sieht, denkt nicht mehr daran, daß es ein phallisches Symbol ist. Wir haben es vergessen. Wir haben es völlig zu verdrängen versucht. C. G. Jung erinnert sich in seiner Autobiographie, in seinen Memoiren, an einen sehr schönen und witzigen Vorfall. Auf seiner Indienreise kam er auch nach Konark, und im Tempel von Konark gab es viele, viele Shivalingas, lauter phallische Symbole. Der Pundit, der ihn herumführte, erklärte ihm alles — nur nicht das Shivahnga. Und es gab davon so viele, daß es schwierig war, sie zu übersehen. Jung wußte genau Bescheid, aber nur um den Pundit zu necken, fragte er immer wieder: „Und was ist das?” Bis ihm schließlich der Pundit ins Ohr flüsterte: „Bitte fragen Sie mich nicht hier vor allen Leuten, ich will Ihnen das später erklären. Es ist etwas Privates. ” Jung muß innerlich gelacht haben: das sind die Hindus von heute! Als sie dann draußen waren, näherte sich ihm der Pundit und sagte: „Es war nicht gut von Ihnen, vor den anderen zu fragen. Aber ich will es Ihnen verraten. Es ist ein Geheimnis.” Und 17 9
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dann flüsterte er Jung ins Ohr: „Das sind unsere privaten Teile.” Als Jung zurückkam, traf er einen großen Gelehrten, einen großen Kenner der östlichen Weltanschauung, der Mythologie und Philosophie des Orients - Heinrich Zimmer. Er erzählte Zimmer diese Anekdote. Zimmer gehört zu den begabtesten Geistern, die je versuchten, in das indische Denken einzudringen. Er war ein Liebhaber Indiens und der indischen Denkungsart, der asiatischen, nicht-logischen, mystischen Weltanschauung. Als er dies von Jung hörte, lachte er und sagte: „Das ist endlich mal etwas anderes. Ich habe immer nur von großen Indern gehört - Buddha, Krishna, Mahavir. Was Sie mir erzählen, handelt zur Abwechslung mal nicht von, den großen Indern, sondern einfach von Indern.” Liebe ist für Shiva das große Tor. Und für ihn ist Sex nichts Verdammungswürdiges. Für ihn ist Sex der Same und Liebe die Blüte. Wer den Samen verdammt, verdammt auch die Blüte. Sex kann zu Liebe werden. Wenn er nicht zu Liebe wird, ist er verkrüppelt. Verdammt seine Verkrüppelung, aber nicht den Sex selbst. Er muß zur Liebe aufblühen. Sex muß zu Liebe werden. Wenn es nicht geschieht, dann liegt es nicht am Sex, dann hegt es an euch. Sex darf nicht Sex bleiben; das ist die Lehre von Tantra. Er muß zu Liebe verwandelt werden. Und Liebe darf auch nicht Liebe bleiben. Sie muß zu Licht verwandelt werden, zu meditativer Erfahrung, zum letzten, höchsten, mystischen Gipfel. Wie kann man die Liebe verwandeln? Sei der Akt, und vergiß den Agierenden. Wenn du liebst, sei die Liebe - einfach Liebe. Dann ist es nicht deine Liebe oder meine Liebe oder die Liebe von sonst jemandem. Es ist einfach Liebe. Wenn du nicht da bist, wenn du der ursprünglichen Quelle oder Strömung ausgeliefert bist und dann liebst, dann bist nicht du es, der hebt. Wenn die Liebe dich verschlungen hat, bist du verschwunden. Du bist zu reiner, strömender Energie geworden. D. fl. Lawrence, einer der schöpferischsten Menschen dieses Zeitalters, war - ob er es wußte oder nicht - ein Adept des Tantra. Er wurde im Westen völlig verurteilt. Seine Bücher wurden verboten. Es gab viele Gerichtsverfahren, nur weil er gesagt hatte: 180
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„Sexenergie ist die einzige Energie. Und wenn man sie verdammt und verdrängt, wendet man sich gegen das Universum, und dann wird man nie die höhere Blüte dieser Energie kennenlernen können. Und wenn sie unterdrückt wird, wird sie häßlich, und dies ist der Teufelskreis.” Priester, Moralisten, sogenannte religiöse Menschen, Päpste, Shankaracharyas und dergleichen, verdammen immerzu den Sex. Sie nennen ihn etwas Häßliches. Ja, wenn ihr ihn unterdrückt, wird er häßlich! Und dann sagen sie: „Seht! Was wir gesagt haben, stimmt. Ihr beweist es ja. Seht doch nur, was ihr da treibt: es ist häßlich, und ihr wißt genau, daß es häßlich ist.” Aber es ist nicht der Sex, der häßlich ist. Es sind diese Priester, die ihn häßlich gemacht haben. Und haben sie ihn erst einmal abstoßend gemacht, dann haben sie recht. Und da sie recht haben, wird er immer noch abstoßender ... Sex ist eine unschuldige Energie -- es ist das Leben, das in euch fließt, die Schöpfung, die in euch lebt. Verkrüppelt sie nicht. Erlaubt ihr, sich zu voller Höhe zu entwickeln. Und das heißt: Sex muß zu Liebe werden. Was ist der Unterschied? Wenn ihr nur Sex im Kopf habt, beutet ihr den andern aus. Der andere wird zum Instrument, das benutzt und fortgeworfen wird. Wenn Sex zu Liebe wird, dann ist der andere kein Instrument, dann dient er nicht zur Ausbeutung, dann ist der andere in Wirklichkeit gar nicht „der andere”. Wenn du liebst, dann nicht der Selbstsucht zuliebe, sondern weil dir der andere wichtig, unersetzlich ist. Nicht, daß du ihn etwa ausbeutest, nein! Im Gegenteil, ihr seid beide in einer tiefen gemeinsamen Erfahrung verbunden. Ihr seid Partner in einer tiefen Erfahrung, seid weder Ausbeuter noch Ausgebeutete. Ihr helft einander, in eine andere Welt der Liebe hineinzugehen. Sex ist Ausbeutung. Liebe heißt: gemeinsam eine andere Welt betreten. Wenn dies nicht nur momentan geschieht, sondern meditativ wird - und das heißt: Wenn ihr euch völlig selbst vergessen könnt, so daß der Liebende und der Geliebte verschwinden und nur noch die Liebe fließt -, dann, so sagt Shiva, ist euch immerwährendes Leben gewiß.
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Das Buch der Geheimnisse
Die zweite Technik:
Schließe die Türen deiner Sinne, wenn du das Krabbeln einer Ameise spürst. Dann. Das sieht sehr einfach aus, ist es aber nicht. Ich will es noch einmal lesen: „Schließe die Türen deiner Sinne, wenn du das Krabbeln einer Ameise spürst. Dann. ” Dies ist nur ein Beispiel: Alles andere tut es auch. Verschließe die Tore der Sinne, wenn du eine Ameise krabbeln fühlst, und dann — dann — wird die Sache passieren. Was will Shiva damit sagen? Du hast einen Dorn im Fuß. Es ist schmerzhaft, es tut weh. Oder, eine Ameise läuft dir übers Bein. Du spürst es und willst sie abschütteln. Nimm, was du willst. Du hast eine Wunde: es ist schmerzhaft! Du hast Kopfschmerzen oder irgendwelche anderen Schmerzen — es kommt nicht darauf an, was es ist. Sie ist nur ein Beispiel, diese krabbelnde Ameise. Shiva sagt: „Schließe die Türen deiner Sinne, wenn du das Krabbeln einer Ameise spürst.” Was immer du gerade spürst — verschließe alle Tore deiner Sinne. Was mußt du tun? Mach die Augen zu, und bilde dir ein, daß du blind bist und nicht sehen kannst. Verschließe die Ohren und stell dir vor, daß du nicht hören kannst. Verschließe einfach alle fünf Sinne. Wie aber kannst du sie verschließen? Es ist leicht. Höre einen Moment lang zu atmen auf, und alle Sinne werden verschlossen sein! Wenn du zu atmen aufhörst und alle Sinne verschlossen sind, wo ist dann dies Krabbeln? Wo ist die Ameise? Plötzlich bist du außerhalb — weit entfernt. Ein Freund von mir, ein alter Freund — er war sehr alt —, fiel einmal die Treppe hinunter. Die Ärzte sagten, daß er für drei Monate nicht mehr würde aufstehen können, daß er drei Monate lang still liegen müsse. Und er war ein sehr unruhiger Mensch: es war nicht leicht für ihn. Ich ging ihn besuchen, und er sagte: „Bete für mich, und segne mich, damit ich sterben kann, denn diese drei Monate sind schlimmer als der Tod. Ich kann nicht wie ein Stein hier liegen.” Und die andern sagten: „Rühr dich nicht.” Ich sagte zu ihm: „Das ist eine wunderbare Gelegenheit. Mach einfach die 182
Kapitel 7
Augen zu und denke, du bist ein Stein. Du kannst dich nicht bewegen. Wie denn? Du bist ein Stein, einfach ein Stein, eine Statue! Schließe die Augen. Fühl dich jetzt gleich wie ein Stein, eine Statue." Er wollte wissen, was passieren würde. Ich sagte: „Versuch`s nur. Ich sitze ja hier. Und es ist sowieso nichts zu ändern, absolut nichts! Du mußt ja doch drei Monate hier liegen. Also versuch`s.” Er hätte es nie und nimmer versucht, aber die Situation war so ausweglos, daß er sagte: „Okay, ich will es versuchen, vielleicht kommt ja etwas dabei heraus. Aber ich glaub` es nicht”, sagte er. „Ich kann nicht glauben, daß es irgend etwas bringen soll, nur weil ich mir denke, daß ich wie ein Stein bin, tot wie eine Statue. Aber ich will es versuchen.” Und so versuchte er es. Ich glaubte so wenig wie er, daß irgend etwas passieren würde, denn so war er nun mal. Aber manchmal, wenn man in einer unmöglichen Situation ist, hoffnungslos, passieren gewisse Dinge. Er schloß die Augen. Ich wartete, weil ich damit rechnete, daß er sie in zwei oder drei Minuten wieder aufmachen und sagen würde: „Es ist nichts passiert.” Aber er machte die Augen nicht auf, und es vergingen dreißig Minuten. Und ich konnte fühlen und sehen, daß er zu einer Statue geworden war. Alle Spannungen auf seiner Stirn verschwanden. Sein Gesicht war verändert. Ich mußte gehen, aber er machte die Augen nicht auf. Er war so still, als wäre er tot. Sein Atem wurde ruhig und da ich gehen mußte, sagte ich: „Ich will jetzt gehen, mache also bitte die Augen auf und sage mir, was passiert ist.” Als er sie aufschlug, war er ein anderer Mensch. Und er sagte: „Das ist ein Wunder! Was hast du mit mir gemacht?” Ich sagte zu ihm: „Ich habe überhaupt nichts gemacht.” Er sagte: „Du mußt etwas gemacht haben, denn dies ist ein Wunder. Als ich anfing, mich wie ein Stein, wie eine Statue zu fühlen, bekam ich plötzlich das Gefühl, daß ich meine Hände nicht mehr bewegen konnte, selbst wenn ich es wollte. Ich wollte meine Augen so oft aufschlagen, aber sie waren wie Stein, also konnte ich es nicht. Ich machte mir sogar schon Sorgen, was du wohl denken würdest, weil es so lange dauerte, aber was konnte ich tun? Ich habe mich in dieser halben Stunde nicht rühren können. Und als jede Bewegung aufhörte, verschwand plötzlich die Welt, und ich war allein, tief unten in mir selbst. Da verschwand der Schmerz.” 183
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Er hatte starke Schmerzen, konnte nachts ohne Tabletten nicht schlafen. Aber der Schmerz verschwand. Ich fragte ihn, wie es sich anfühlte, als der Schmerz verschwand. Er sagte: „Zuerst bemerkte ich, daß er sich entfernte. Der Schmerz war noch da, aber sehr weit weg, als passierte er einem anderen. Und dann, ganz, ganz allmählich, verschwand er, als ob sich jemand entfernen würde, bis man ihn nicht mehr sieht. Der Schmerz verschwand! Mindestens zehn Minuten lang war kein Schmerz mehr da. Wie kann ein Steinkörper Schmerzen haben?” Dies Sutra sagt: „Schließe die Türen deiner Sinne”: Werde wie Stein, der Welt verschlossen. Wenn du der Welt verschlossen bist, dann bist du tatsächlich auch deinem eigenen Körper verschlossen, denn dein Körper ist nicht Teil von dir; er ist Teil der Welt. Wenn du der Welt völlig verschlossen bist, bist du auch deinem ” Körper verschlossen. „Dann , so sagt Shiva, „dann passiert es.” Probiere es also an deinem Körper aus. Jeder Anlaß ist recht. Es braucht keine Ameise auf dir zu krabbeln: sonst denkst du: Wenn eine Ameise kommt, will ich meditieren." Und so hilfsbereite Ameisen sind schwer zu finden. Es ist also alles recht. Du liegst auf dem Betr, du fühlst die kühlen Bettlaken; werde wie tot. Plötzlich verschwinden die Laken, weit, weiter, immer weiter, bis sie ganz verschwinden. Dein Bett verschwindet, dein Zimmer verschwindet, die ganze Welt verschwindet. Du bist verschlossen, tot, ein Stein, bist wie eine Leibnitz'sche Monade ohne Fensterloch — kein Fenster! Du kannst dich nicht rühren! Und dann, wenn du dich nicht mehr bewegen kannst, wirst du auf dich selbst zurückgeworfen, bist du in dir selbst zentriert. Jetzt kannst du zum erstenmal von deinem Zentrum her sehen. Und sobald du nur einmal von deinem Zentrum her gesehen hast, kannst du nie wieder derselbe sein. Die dritte Technik: Sitzend auf einem Bett oder Kissen, laß dich schwerelos werden, jenseits des Geistes. Ihr sitzt hier: Fühlt einfach, daß ihr schwerelos geworden seid. 184
Kapitel 7
Es ist kein Gewicht mehr da. Ihr werdet spüren, daß es irgendwo noch Gewicht gibt, aber fühlt euch weiter in diese Gewichtslosigkeit hinein. Es kommt. Es kommt ein Augenblick, wo man sich gewichtslos fühlt. Wenn es kein Gewicht mehr gibt, ist man kein Körper mehr weil das Gewicht zum Körper gehört, nicht zu dir. Du bist schwerelos. Damit hat man schon viele Experimente gemacht: Wissenschaftler auf der ganzen Welt haben versucht, einen Sterbenden zu wiegen. Wenn es einen Unterschied gäbe, wenn das Gewicht des Lebenden größer und das Gewicht des Toten geringer wäre, dann könnte die Wissenschaft sagen, daß sich etwas aus dem Körper entfernt hat, daß die Seele oder das Selbst oder das Etwas, das vorher vorhanden war, nicht mehr da ist; denn für die Wissenschaft kann nichts Gewichtsloses existieren — nichts! Gewicht ist eine Grundeigenschaft aller Materie. Sogar Sonnenstrahlen haben Gewicht, ein sehr, sehr leichtes, ganz geringes, kaum zu wiegen, aber die Wissenschaftler haben sie gewogen. Wenn man die Sonnenstrahlen wiegt, die ein Feld von fünf Quadratmeilen bedecken, kommt ihr Gewicht dem eines Haares gleich. Sonnenstrahlen haben also tatsächlich Gewicht: man hat sie gewogen. Für die Wissenschaft kann es nichts Gewichtsloses geben. Und wenn es etwas Gewichtsloses gibt, dann ist es nicht stofflich, es kann nicht Materie sein. Und die Wissenschaft der letzten zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre hat geglaubt, daß es nichts gibt außer Materie. Wenn also ein Mensch stirbt und etwas entweicht, dann muß das Gewicht sich ändern. Aber es ändert sich nie. Das Gewicht bleibt gleich. Manchmal nimmt es sogar zu; das ist das Problem. Der lebende Mensch wiegt weniger, und der Tote gewinnt an Gewicht. Das hat zu neuen Problemen geführt, denn was man wirklich herausfinden wollte, war, ob Gewicht verloren ging. Dann könnte man sagen, daß etwas entwichen ist. Aber es schien im Gegenteil, daß etwas hereingekommen war. Was passiert? Gewicht ist stofflich, aber du bist kein Gewicht. Du bist nicht stofflich. Um diese Technik der Gewichtslosigkeit auszuprobieren, mußt du dir nur einbilden, gewichtslos zu sein, und nicht nur einbilden, 185
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sondern auch fühlen, daß dein Körper gewichtslos geworden ist. Wenn du es immer weiter fühlst, kommt ein Augenblick, wo du plötzlich erkennst, daß du gewichtslos bist. Du bist es tatsächlich, also kannst du es auch jederzeit erkennen. Du brauchst dir bloß eine Situation herzustellen, in der du wieder fühlen kannst, daß du gewichtslos bist. Du mußt dich enthypnotisieren. Deine Hypnose besteht in dem Glauben, daß „ich ein Körper bin und daß ich darum Gewicht habe”. Wenn du dich enthypnotisieren kannst, bis hin zu der Erkenntnis, daß du kein Körper bist, dann spürst du kein Gewicht mehr. Und wenn du kein Gewicht mehr spürst, bist du über den Geist hinausgegangen. Shiva sagt: „Sitzend auf einem Bett oder Kissen, laß dich schwerelos werden, jenseits des Geistes.” Dann kann es passieren. Das Gehirn hat auch ein Gewicht: Es ist bei jedem verschieden. Es gab eine Zeit, wo behauptet wurde: Je gewichtiger das Gehirn, desto intelligenter der Mensch. Und im allgemeinen stimmt das; es gilt aber nicht absolut, denn manchmal hat es sehr große Menschen mit sehr kleinen Gehirnen gegeben, und manchmal hat das Gehirn irgendwelcher dummen Idioten sehr viel gewogen. Aber im allgemeinen stimmt es, denn wenn du einen größeren geistigen Mechanismus hast, wiegst du mehr. Das Gehirn hat also auch sein Gewicht, aber dein Bewußtsein ist gewichtslos. Um dies Bewußtsein zu fühlen, mußt du dich gewichtslos fühlen. Versuche es also: du kannst es im Gehen, im Sitzen, im Schlafen ausprobieren. Ein paar Beobachtungen: Warum gewinnt ein toter Körper manchmal an Gewicht? Weil in dem Augenblick, wo das Bewußtsein den Körper verläßt, der Körper schutzlos wird. Viele Dinge können plötzlich in ihn eindringen, die nicht eindringen konnten, weil du da warst. Viele Schwingungen können in einen toten Körper eintreten, die nicht in dich eindringen können. Du warst da, der Körper lebte, leistete vielen Dingen Widerstand. So kommt es vor, daß, wenn du krank wirst, eine lange Kette daraus entstehen kann — eine Krankheit führt zur anderen. Denn sobald du krank bist, wirst du ungeschützt, verwundbar, widerstandslos. Dann kann alles mögliche eindringen. Deine Anwesenheit hilft 186
Kapitel 7
dem Körper. So also kann ein toter Körper manchmal an Gewicht gewinnen. Im Moment, wo du ihn verläßt, kann alles mögliche in den Körper eindringen. Zweitens: Wenn du glücklich bist, fühlst du dich jedesmal leichter, wenn du traurig bist, fühlst du dich schwerer, so als würde dich etwas herunterziehen. Die Gravitation wird viel stärker. Wenn du traurig bist, hast du mehr Gewicht. Wenn du glücklich bist, wirst du leicht. Du fühlst es. Warum? Weil du deinen Körper vollkommen vergißt, immer wenn du glücklich bist, immer wenn du einen seligen Moment erlebst. Wenn du traurig bist und leidest, kannst du den Körper nicht vergessen. Du fühlst sein Gewicht. Er zieht dich herunter — hinunter zur Erde, als würdest du Wurzeln schlagen. Du kannst dich nicht mehr bewegen: Du hast Wurzeln in der Erde. Im Glück bist du gewichtslos. In Kummer, Traurigkeit, wirst du schwer. Wenn du in tiefer Meditation deinen Körper völlig vergißt, kannst du gewichtslos aufsteigen. Sogar der Körper kann sich mit dir heben. Es ist schon oft vorgekommen. Die Wissenschaftler haben in Bolivien eine Frau beobachtet. Sie steigt beim Meditieren über einen Meter hoch — und das kann man heute wissenschaftlich bestätigen! Es sind viele Filme, viele Fotos davon gemacht worden. Vor Tausenden und aber Tausenden von Zuschauern steigt diese Frau plötzlich auf, und die Schwerkraft wird gleich Null, wird aufgehoben. Und bis heute gibt es keine Erklärung dafür. Aber die gleiche Frau kann nicht aufsteigen, wenn sie nicht in Meditation ist. Und wenn ihre Meditation gestört wird, fällt sie plötzlich herunter. Was passiert? In tiefer Meditation vergißt du deinen Körper ganz und gar, und die Identifikation wird gebrochen. Der Körper ist etwas sehr Kleines: du dagegen bist sehr groß. Du hast unendliche Macht. Der Körper ist nichts, verglichen mit dir. Es ist so, wie wenn ein Kaiser sich mit seinem Sklaven identifiziert hat, so daß der Sklave betteln geht und der Kaiser betteln geht. Der Sklave weint, und auch der Kaiser weint. Wenn der Sklave sagt: „Ich bin niemand”, sagt der Kaiser: „Ich bin niemand.” Hat der Kaiser einmal sein wirkliches Wesen erkannt, hat er erkannt, daß er ein Kaiser ist, und dieser Mann nur ein Sklave, dann ändert sich 18 7
Das Buch der Geheimnisse
plötzlich das Bild. Du bist eine unendliche Macht, die sich mit einem sehr endlichen Körper identifiziert hat. Sobald du dein Selbst erkennst, wird die Gewichtslosigkeit größer und das Gewicht des Körpers geringer. Dann hebst du ab: der Körper kann aufsteigen. Es gibt viele Geschichten, die noch nicht wissenschaftlich bewiesen werden können, die aber eines Tages bewiesen sein werden; und wenn eine Frau mehr als einen Meter hoch steigen kann, dann gibt es keine Schranke. Dann kann ein anderer dreihundert Meter aufsteigen, und wieder ein anderer völlig im Kosmos aufgehen. Theoretisch gibt es da kein Problem: Ein Meter oder hundert Meter oder tausend Meter machen keinen Unterschied. Es gibt Geschichten über Ram und über viele andere, die völlig, mitsamt dem Körper verschwunden sind. Ihre Körper wurden nie tot aufgefunden. Mohammed verschwand völlig — nicht nur mit seinem Körper: es heißt sogar, mit seinem Pferd! Diese Geschichten erscheinen unglaublich, sie erscheinen mythologisch — aber sie müssen nicht unbedingt mythologisch sein. Sobald du die Kraft der Schwerelosigkeit kennst, bist du zum Meister über die Gravitation geworden. Du kannst sie gebrauchen, sie ist dir zu Diensten. Du kannst völlig mit deinem Körper verschwinden. Aber die Schwerelosigkeit fällt uns nicht so leicht. Die Technik des Siddhasan, die Sitzposition Buddhas, ist am besten dazu geeignet, schwerelos zu sein. Du setzt dich auf die Erde, nicht auf einen Stuhl oder sonst ein Sitzmöbel, sondern einfach auf den Fußboden. Und es ist gut, wenn der Boden nicht aus Zement oder irgendeinem künstlichen Material besteht. Sitze einfach auf der Erde, so daß du der Natur so nah wie möglich bist. Es ist gut, wenn du nackt dasitzen kannst. Setze dich nackt auf die Erde, in der Buddha-Position, Siddhasan, weil Siddhasan die beste Position dafür ist, sich gewichtslos zu machen. Warum? Weil du mehr Gewicht spürst, wenn sich dein Körper vor — oder zurücklehnt. Dann wird eine größere Fläche des Körpers von der Schwerkraft betroffen. Wenn ich auf diesem Sessel sitze, dann wird eine größere Fläche meines Körpers von der Gravitation erfaßt. I m Stehen wird am wenigsten Fläche berührt, aber man kann nicht sehr lange stehen. Mahavir meditierte immer stehend — im188
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mer, denn so wird der Gravitation die geringste Fläche dargeboten: Nur deine Füße berühren den Boden. Wenn du aufrecht auf den Füßen stehst, beeinflußt dich die Gravitation am wenigsten — und Gravitation heißt Gewicht. Wenn du fest verschränkt in der Buddhaposition sitzt — mit verschränkten Beinen, mit verschränkten Armen — so hilft auch das, denn dann entsteht ein Kreislauf deiner inneren Elektrizität. Richte dein Rückgrat dabei auf. Jetzt werdet ihr verstehen, warum immer soviel Wert auf ein aufrechtes Rückgrat gelegt wird, denn mit aufrechtem Rückgrat wird eine geringere Fläche von der Schwerkraft betroffen, die Gravitation zieht dich weniger herunter. Bringe dich mit geschlossenen Augen völlig ins Gleichgewicht, sammle dich. Lehne dich nach rechts, fühle die Schwerkraft: Lehne dich nach links, und fühle die Schwerkraft: Lehne dich nach vorn, und fühle die Schwerkraft: lehne dich zurück, und fühle die Schwerkraft. Finde dann die Mitte, wo du den Zug der Schwerkraft am wenigsten fühlst, wo du das geringste Gewicht fühlst, und bleibe dann dort. Nun vergiß den Körper und fühle, daß du kein Gewicht hast. Du bist gewichtslos. Bleib dann bei diesem Gefühl der Gewichtslosigkeit. Plötzlich wirst du schwerelos. Plötzlich bist du nicht mehr der Körper, plötzlich bist du in einer anderen Welt der Körperlosigkeit. Gewichtslosigkeit ist Körperlosigkeit. Dann gelangst du auch über den Geist hinaus. Der Geist ist ebenfalls Teil des Körpers, Teil der Materie. Materie hat Gewicht: du dagegen hast kein Gewicht. Und darauf beruht diese Technik. Versucht es mit einer von diesen dreien, aber bleibt ein paar Tage lang dabei, damit ihr herausfinden könnt, ob es funktioniert oder nicht.
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Akzeptiere das Tier in dir — und werde zum Gott
[Fragen]
Unter anderem wurde folgende Frage gestellt: Was meint Tantra mit der „Reinigung des Geistes«; „Reinheit des Geistes`; als Grundvoraussetzung für alles weitere Vorankommen?
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Alles, was im allgemeinen unter „Reinheit” verstanden wird, hat nichts mit dem zu tun, was es für Tantra bedeutet. Gewöhnlich teilen wir alles in Gut und Böse auf. Diese Unterscheidung mag aus allen möglichen Gründen gemacht werden — hygienischen, moralischen oder sonstwelchen — aber wir trennen das Leben immer in zwei Hälften: gut und schlecht. Gewöhnlich meinen wir mit „Reinheit” das „Gute”. Die „schlechten” Eigenschaften sind nicht erlaubt, und die „guten” Eigenschaften sind erwünscht. Aber für Tantra ist diese Unterscheidung in „Gut” und „Böse” bedeutungslos. Tantra betrachtet das Leben ohne jede Dichotomie, ohne jede Dualität, ohne jede Teilung. Was meint Tantra also dann mit „Reinheit”? — eine sehr wichtige Frage. Fragt ihr einen Heiligen, so sagt der, daß alle Wut, aller Sex, alle Gier schlecht ist. Fragt ihr Gurdjieff, so sagt er, daß Negativität schlecht ist, daß jede Emotion, die negativ ist, schlecht ist, und daß es gut ist, positiv zu sein. Wenn ihr die Jainas, Buddhisten, Christen, Hindus oder Moslems fragt, werden sie alle Gut und Böse jeweils anders definieren. Aber Definitionen haben sie. Sie nennen gewisse Dinge gut und gewisse Dinge schlecht. Es fiele ihnen also nicht schwer zu definieren, was Reinheit ist. Was immer sie für gut halten ist rein, was immer sie für schlecht halten ist unrein. Aber im Tantra wird es zu einem tiefen Problem. Tantra macht keine oberflächliche Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Was ist dann also Reinheit? Tantra sagt, daß es unrein ist, wenn man aufteilt, und daß es rein ist, wenn man in Ungeteiltheit lebt. I m Tantra bedeutet Reinheit also Unschuld — Unschuld, die keine Unterscheidungen macht. Seht euch ein Kind an: Ihr nennt es rein. Es wird wütend, es ist gierig — warum nennt ihr es also rein? Was ist an der Kindheit rein? Unschuld! Und im Geist eines Kindes gibt es keine Trennlinien. Denn das Kind ist sich keiner Trennung zwischen gut und schlecht bewußt. Dies Nicht-Wissen ist Unschuld. Selbst wenn es wütend wird, weiß es nichts von seiner Wut. Es ist ein reiner, einfacher Akt. Er passiert, und wenn die Wut geht, geht sie ganz. Nichts bleibt zurück. Das Kind ist wieder wie zuvor, so, als hätte es die Wut nie gegeben. Seine Reinheit bleibt davon unberührt. Seine Reinheit bleibt die gleiche. Ein Kind ist also rein, weil es nicht denkt. 19 2
Kapitel 8
Je mehr das Denken zunimmt, desto mehr verliert das Kind seine Reinheit. Dann wird die Wut Absicht, sie ist nicht mehr spontan. Jetzt unterdrückt das Kind manchmal seine Wut, wenn die Situation es nicht erlaubt. Und wenn die Wut unterdrückt wird, dann wird sie manchmal auch auf eine andere Situation übertragen. Nun wird man wütend, wenn es dafür gar keinen Grund gibt, weil die unterdrückte Wut irgendein Ventil braucht. Und damit wird alles unrein, weil sich nun das Denken eingeschlichen hat. Ein Kind kann in unseren Augen ein Dieb sein, aber vor sich selbst ist ein Kind niemals ein Dieb, weil die bloße Vorstellung, daß die Dinge einzelnen Menschen gehören, noch nicht in ihm existiert. Wenn es deine Uhr nimmt, dein Geld oder sonst etwas, ist das für das Kind kein Diebstahl, weil die bloße Vorstellung von Eigentum für es nicht existiert. Sein Diebstahl ist rein, wohingegen sogar euer Nicht-Diebstahl unrein ist; denn der Kopf ist da. Tantra sagt, daß man rein ist, wenn man wieder zu einem Kind wird. Natürlich ist man kein Kind, sondern lediglich wie ein Kind. Da gibt es sowohl einen Unterschied als auch eine Ähnlichkeit. Die Ähnlichkeit ist die wiedergewonnene Unschuld. Man ist wieder wie ein Kind. Ein Kind geht nackt: Kein Mensch empfindet es als Nacktheit, weil ein Kind sich seines Körpers noch nicht bewußt ist. Seine Nacktheit unterscheidet sich wesentlich von eurer Nacktheit. Ihr seid euch eures Körpers bewußt. Der Weise muß diese Unschuld wiedergewinnen. Mahavir steht wieder nackt da. Seine Nacktheit hat wieder die gleiche Unschuldsqualität. Er hat seinen Körper vergessen; er ist nicht mehr der Körper. Aber es gibt auch einen Unterschied, und zwar einen sehr großen. Das Kind weiß einfach überhaupt nichts; das macht seine Unschuld aus. Aber der Weise ist weise: Das macht seine Unschuld aus. Das Kind wird sich eines Tages seines Körpers bewußt und empfindet dann seine Nacktheit. Es wird sie zu verstecken suchen, wird sich schuldig fühlen, sich schämen. Es wird bewußt. Seine Unschuld ist also eine Unschuld des Nichtwissens. Wissen wird sie zerstören. 193
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Das ist die Bedeutung der biblischen Geschichte der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Sie waren nackt wie die Kinder. Sie waren sich ihres Körpers nicht bewußt, sie wußten nichts von Wut, Gier, Wollust, Sex, von überhaupt nichts. Sie waren unbewußt. Sie waren wie Kinder — unschuldig. Aber Gott hatte ihnen verboten, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Der Baum der Erkenntnis war verboten, aber sie aßen trotzdem davon — denn alles Verbotene wird reizvoll. Alles Verbotene wird verlockend! Sie lebten in einem großen Garten mit unzähligen Bäumen, aber der Baum der Erkenntnis wurde wichtiger als alle anderen, und zwar deshalb, weil er verboten war. Tatsächlich machte allein dieses Verbot seine Attraktion aus, seinen Reiz. Sie waren wie magnetisiert, hypnotisiert von dem Baum. Sie konnten ihm nicht ausweichen. Sie mußten davon essen. Aber diese Geschichte ist deshalb schön, weil der Baum „Baum der Erkenntnis” heißt. Kaum hatten sie von der Frucht des Baumes gegessen, wurden sie nicht-unschuldig. Sie wurden bewußt: es wurde ihnen bewußt, daß sie nackt waren. Sofort versuchte Eva, ihren Körper zu verstecken. Und als sie sich des Körpers bewußt wurden, nahmen sie alles andere auch wahr -Wut, Wollust, Gier, alles ... Sie waren nun erwachsen, und so wurden sie aus dem Garten verstoßen. In der Bibel ist Wissen also gleich Sünde. Sie wurden wegen ihres Wissens aus dem Garten verstoßen, bestraft. Nur wenn sie wieder wie Kinder würden, unschuldig, unwissend, könnten sie wieder in den Garten hinein. Sie können das Reich Gottes erst dann wieder betreten, wenn diese Bedingung erfüllt ist: wieder unschuldig werden! Die ganze Sache ist nichts weniger als die Geschichte der Menschheit. Jedes Kind wird aus dem Garten Eden verstoßen, nicht nur Adam und Eva. Jedes Kind lebt seine Kindheit in Unschuld, ohne das geringste zu wissen. Es ist rein, aber es ist die Reinheit der Unwissenheit. Sie kann nicht immer währen. Solange sie nicht zur Reinheit des Wissens wird, ist sie wertlos. Sie muß verschwinden. Früher oder später muß man in den Apfel des Wissens beißen. Jedes Kind wird von der Frucht des Wissens essen müssen; im 19 4
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Garten Eden ging das noch leicht, da gab es einfach einen Baum. Zum Ersatz für den Baum haben wir heute Schulen und Universitäten. Jedes Kind muß da durch, muß nicht-unschuldig werden, muß seine Unschuld verlieren. Um überhaupt in der Welt zu existieren, braucht man Wissen. Zum bloßen Überleben braucht man Wissen, wir können nicht ohne Wissen existieren. Und mit dem Wissen kommt auch die Spaltung. Ihr fangt an, zwischen Gut und Schlecht zu unterscheiden. Für Tantra ist das Unreine also die Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Vorher bist du rein, nachher bist du rein, dazwischen bist du unrein. Aber Wissen ist ein notwendiges Übel. Ihr könnt es nicht umgehen. Man muß da durch, das gehört zum Leben. Aber: Man muß nicht immer darin bleiben. Man kann darüber hinausgehen. Transzendenz macht dich wieder rein und unschuldig. Wenn alle Unterscheidungen ihre Bedeutung verlieren, wenn das W issen, welches zwischen Gut und Böse unterscheidet, nicht mehr ist, könntest du wieder mit unschuldigen Augen auf die Welt blicken. Jesus sagt: „Nur wenn ihr wieder wie die Kinder werdet, könnt ihr in mein Himmelreich eingehen.” „Nur wenn ihr wieder wie die Kinder werdet... ”" — das ist die Reinheit des Tantra. Lao Tse sagt: „Nur ein Daumenbreit an Unterscheidung, und es gibt Himmel und Hölle.” Un-Geteiltheit ist der Geist des Weisen — nicht die geringste Teilung. Ein Weiser weiß nicht, was gut oder was schlecht ist. Er ist wie ein Kind — aber auch wieder nicht, denn er hat die Spaltung kennengelernt. Er ist durch diese Spaltung gegangen und hat sie transzendiert. Er ist darüber hinausgegangen. Er hat die Dunkelheit und das Licht gesehen, aber jetzt ist er darüber hinaus — jetzt sieht er Dunkelheit als Teil des Lichts und Licht als Teil der Dunkelheit. Jetzt gibt es keine Teilung mehr. Licht und Dunkel sind beides eins geworden — Abstufungen ein und desselben Phänomens. Jetzt sieht er alles als Nuancen eines gemeinsamen Ganzen. Wie entgegengesetzt sie auch sind, sie sind nicht zwei. Leben und Tod, Liebe und Haß, Gut und Böse, alles ist nur Teil eines einzigen Phänomens, einer einzigen Energie. Der Unterschied ist nur gradweise, und ein Trennstrich kann nirgends 195
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gezogen werden. Man kann keine Linie ziehen, daß „von hier an” unterschieden wird. Es gibt kein Unterscheiden. Was ist gut? Was ist schlecht? Von wo aus kann man es definieren und als getrennt markieren? Es gehört immer zusammen. Es sind nur verschiedene Grade ein und derselben Erscheinung. Sobald dies bewußt empfunden wird, wird der Geist wieder rein. Das ist die Reinheit, die Tantra meint. Ich will tantrische Reinheit also als Unschuld definieren, nicht als Gut-sein. Unschuld kann unwissend sein. Dann ist sie wertlos, und man muß sie verlieren; man muß daraus verstoßen werden, sonst kann man nicht reifen. Die Unschuld aufgeben und das Wissen transzendieren, beides gehört zum Reifungsprozeß dazu, zum wirklichen Erwachsen werden. Geht also da hindurch, bleibt dabei nicht stehen, geht weiter! Geht immer weiter. Es kommt der Tag, wo ihr beides hinter euch gelassen habt. Darum ist tantrische Reinheit so schwer zu verstehen; sie kann leicht mißverstanden werden. Sie ist etwas sehr Delikates. Einen tantrischen Weisen zu erkennen, ist praktisch unmöglich. Gewöhnliche Heilige und Weise sind zu erkennen, denn sie folgen euch — euren Maßstäben, euren Definitionen, eurer Moral. Ein tantrischer Weiser ist überhaupt nicht zu erkennen, weil er alle Unterscheidungen hinter sich gelassen hat. So überliefert uns die gesamte Geschichte des menschlichen Wachstums praktisch gar nichts über tantrische Weise. Nichts wird über sie gesagt oder aufgeschrieben; denn es ist sehr schwer, sie überhaupt zu erkennen. Konfuzius kam zu Lao Tse. Der Geist von Lao Tse ist der Geist eines Erwachten, eines Weisen im tantrischen Sinne. Er hat das Wort Tantra nie gekannt, das Wort selbst würde ihm nichts sagen. Er hat nichts von Tantra gewußt, aber was er gesagt hat, ist reines Tantra. Konfuzius repräsentiert unsere Geisteshaltung. Er ist unser Erzrepräsentant. Er denkt ununterbrochen in Begriffen: von Gut und Böse, was man tun sollte und was nicht. Er ist ein Legalist — der größte Legalist aller Zeiten. Er suchte Lao Tse auf und fragte ihn: „Was ist gut? Was sollte man tun? Was ist schlecht? Definiere bitte klar.” Lao Tse sagte, daß Definitionen alles durcheinanderbringen, weil definieren unterscheiden bedeutet: dies ist dies, und das ist 196
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das. Du grenzt ab und sagst: A ist A und B ist B. Damit hast du es entzwei geschnitten. Du sagst, A kann nicht B sein und hast damit eine Trennung, eine Spaltung erzeugt — und die Schöpfung ist eins! A wird ständig zu B, A geht ständig zu B über. Leben wird immer zu Tod, Leben geht immer in den Tod über, wie also kann man da definieren? Kindheit geht in Jugend über und Jugend in Alter, Gesundheit geht in Krankheit über und Krankheit in Gesundheit. Wo will man da den Trennstrich ziehen? Leben ist eine einzige Bewegung. Und sobald ihr definiert, bringt ihr alles durcheinander, weil Definitionen tot sind, und das Leben eine lebendige Bewegung ist. Definitionen stimmen also nie. Lao Tse sagt, daß das Definieren Unwahrheit schafft: „Definiere also nicht. Sage nicht, was gut und was schlecht ist.” Da fragte Konfuzius: „Was sagst du da? Wie soll man dann die Menschen führen und lenken? Wie kann man sie dann lehren? Wie kann man sie moralisch und gut machen?” Lao Tse antwortete: „Wenn jemand einen anderen gut machen will, dann ist das in meinen Augen eine Sünde. Wer bist du, andere zu führen? Wer bist du zu lenken? Und je mehr Führer, desto mehr Verwirrung. Überlasse jedem sich selbst. Wer bist du?” So eine Haltung scheint gefährlich. Sie ist es auch! Keine Gesellschaft darf auf solche Haltungen gegründet werden. Konfuzius ließ nicht locker, aber Lao Tse antwortete nur kurz und bündig: „Die Natur genügt, Moral ist nicht nötig. Die Natur ist spontan, die Natur genügt. Es werden keine aufgesetzten Regeln und Gesetze gebraucht. Unschuld ist genug. Wissen ist nicht nötig.” Konfuzius ging sehr verstört von dannen. Er konnte nächtelang nicht schlafen, und seine Schüler fragten ihn: „Erzähle uns von der Begegnung. Was ist geschehen?” Konfuzius antwortete: „Er ist kein Mensch, er ist ein Monster., ein Drachen. Er ist kein Mensch. Meidet die Gegend, wo er sich aufhält. Wo immer ihr hört, daß Lao Tse in der Nähe ist, dann flieht von dem Ort. Er wird euch völlig um den Verstand bringen.” Und das stimmt. Denn für Tantra geht es einzig darum, wie man über den Verstand hinausgelangt. Tantra muß unweigerlich den Verstand zerstören. Der Verstand lebt aus Definitionen, Gesetzen, Regeln. Alles Denken ist Ordnen. Aber vergeßt nicht — 19 7
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Tantra ist darum nicht Unordnung. Und das ist ein sehr feiner Punkt, den man verstehen muß. Konfuzius konnte Lao Tse nicht verstehen. Als er gegangen wag lachte Lao Tse aus vollem Halse, so daß ihn seine Jünger fragten: „Was lachst du so, was ist denn passiert?” Lao Tse soll gesagt haben: „Der Verstand ist ein solches Brett vorm Kopf! Selbst der Verstand eines Konfuzius ist ein Brett vorm Kopf. Er hat mich überhaupt nicht verstanden, und was immer er über mich sagen mag, wird ein Mißverständnis sein. Er glaubt, daß er Ordnung in die Welt bringt. Man kann die Welt nicht in Ordnung bringen. Sie hat schon eine innewohnende Ordnung, und die ist immer da. Wer künstlich eine Ordnung herstellen will, stiftet nur Unordnung.” Lao Tse sagte: „Er denkt jetzt, daß ich Unordnung schaffe; und dabei ist er es, der die Unordnung schafft. Ich bin gegen jede aufgezwungene Ordnung, weil ich an eine spontane Disziplin glaube, die automatisch kommt und wächst. Sie braucht nicht auferlegt zu werden.” Genauso sieht Tantra die Dinge. Für Tantra ist Unschuld gleich Spontaneität, Sahajata — du bist du selbst, ohne jeden Zwang. Sei einfach du selbst, und wachse wie ein Baum; nicht wie der Baum eurer Gärten, sondern wie der Baum eurer Wälder, wildwachsend, ohne geführt zu werden; denn geführt werden heißt verführt werden — für Tantra ist jede Führung Verführung —, nicht geführt also, nicht behütet, nicht gelenkt, nicht motiviert, sondern einfach nur wachsend. Das innere Gesetz genügt. Ein anderes Gesetz ist nicht nötig. Und wenn du ein anderes Gesetz brauchst, so zeigt das nur, daß du das innere Gesetz noch nicht kennst. Du hast den Kontakt mit ihm verloren. Das Wahre ist also nicht etwas Aufgezwungenes. Das Wahre ist es, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, wieder zum Zentrum zurückzukehren, wieder nach Hause zurückzukehren, und so das wirkliche, das innere Gesetz zu finden. Aber nach Auffassung der öffentlichen Moral, der Religionen, der sogenannten Religionen, muß die Ordnung erzwungen werden, muß „das Gute” von oben erzwungen werden, von außen. Alle Religionen, Moralprediger, Priester und Päpste halten euch für böse von Geburt an, das dürft ihr nicht vergessen. Sie glauben 198
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nicht an das Gute im Menschen. Sie glauben nicht an irgendein gutes Inneres. Sie halten euch für verdorben — so daß ihr gar nicht gut sein könnt, es sei denn, daß ihr dazu erzogen werdet, es sei denn, daß ihr von außen zum Guten gezwungen werdet. Daß es von innen kommen könnte, ist ausgeschlossen. Für die Priester, die frommen Leute, die Moralisten seid ihr von Natur aus schlecht. Das Gute ist eine Disziplin, die von außen erzwungen wird. So, wie ihr seid, seid ihr ein einziges Chaos. Sie sind es, die da Ordnung hineinbringen müssen! Sie stiften Ordnung — und gerade sie sind es, die die ganze Welt durcheinandergebracht haben, die ein Chaos, ein Irrenhaus aus ihr gemacht haben, nur weil sie jahrhundertelang nichts anderes taten, als für Ordnung und Disziplin zu sorgen. Sie haben euch so sehr belehrt, daß ihr, die Belehrten, verrückt geworden seid. Tantra glaubt daran, daß ihr von innen her gut seid. Merkt euch diesen Unterschied. Tantra sagt, daß jeder gut geboren wird, daß das Gute eure Natur ist. Das ist tatsächlich so! Ihr seid bereits gut. Was ihr braucht, ist natürliches Wachstum. Ihr braucht keinerlei Zwang. Darum gilt nichts für schlecht. Wenn Wut da ist, wenn Sex da ist, wenn Gier da ist, dann sind, so sagt Tantra, auch diese Dinge gut. Alles was fehlt, ist dies: daß ihr nicht in euch selbst zentriert seid: darum wißt ihr diese Dinge nicht zu nutzen. Nur deshalb! Wut ist nichts Schlechtes. Das wahre Problem ist, daß ihr dann nicht bei euch seid: nur darum richtet Wut Unheil an. Wenn ihr dabei in euch anwesend sei, wird Wut zu einer gesunden Energie, wird Wut etwas Gesundes. Wut, zu Energie transformiert, wird gut. Alles, was es gibt, ist gut. Tantra glaubt an das innewohnende Gute von allem. Alles ist heilig. Nichts ist unheilig, und nichts ist böse. Für Tantra gibt es keinen Teufel, sondern nur göttliche Existenz. Die Religionen können ohne den Teufel nicht auskommen. Sie brauchen einen Gott, und sie brauchen auch einen Teufel. Laßt euch nicht täuschen, wenn in ihren Tempeln nur ein Gott zu finden ist. Gleich hinter dem Gott versteckt ist der Teufel, und keine Religion kann ohne Teufel auskommen. Irgend etwas muß verdammt werden, etwas muß bekämpft werden, etwas muß zerstört werden. Das Ganze wird nie 199
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akzeptiert, sondern immer nur ein Teil. Das ist grundsätzlich so. Keine Religion akzeptiert euch total, sondern immer nur teilweise. Es heißt: „Wir akzeptieren eure Liebe, aber nicht euren Haß. Rottet den Haß aus.” Und das ist ein sehr tiefes Problem, denn wenn ihr den Haß völlig zerstört, wird dabei auch die Liebe zerstört, weil es nicht zwei verschiedene Dinge sind. Es heißt: „Wir akzeptieren eure Friedlichkeit, aber wir akzeptieren nicht eure Wut.” Zerstört die Wut, und alle Lebendigkeit wird mit zerstört. Dann wird man ein stiller, aber kein lebendiger Mensch — eine bloße Leiche. Eine solche Stille ist nicht Leben. Sie ist Friedhofsstille. Alle Religionen spalten euch in zwei Teile: das Böse und das Göttliche. Sie sind für das Göttliche und gegen das Böse. Das Böse muß ausgerottet werden! Wer ihnen also bis zur letzten Konsequenz folgt, der macht am Ende die Entdeckung, daß er, wenn er schließlich den Teufel zerstört hat, damit auch Gott zerstört hat. Aber niemand befolgt die Religionen wirklich. Das kann auch niemand, weil diese Lehre von vornherein absurd ist. Was macht man also? Alle tun nur so, als ob. Darum so viel Heuchelei. Heuchelei ist das Werk der Religionen. Ihr könnt das, was sie euch lehren, gar nicht tun, also werdet ihr zu Heuchlern. Würdet ihr ihnen folgen, würde es euch umbringen; folgt ihr ihnen aber nicht, fühlt ihr euch schuldig, denn ihr seid „unreligiös”. Was also tun? Der schlaue Kopf macht einen Kompromiß. Er macht Lippenbekenntnisse und sagt: „Ich folge euch ja” und macht weiter, was er will. Man hält an der Wut fest, am Sex, am Geiz, aber verdammt den Geiz, die Wut, den Sex als schlecht, nennt ihn Sünde. Das ist Heuchelei. Die ganze Welt ist heuchlerisch geworden. Kein Mensch ist ehrlich. Ehe nicht diese Religionen verschwinden, die euch schizophren machen, kann niemand ehrlich sein. Das scheint paradox, weil doch alle Religionen die Ehrlichkeit predigen. Dabei sind sie die Ursache aller Unehrlichkeit. Sie machen euch unehrlich: denn sie fordern unmögliche Dinge von euch, die ihr gar nicht tun könnt, und machen euch so zu Heuchlern. Tantra akzeptiert euch in eurer Totalität, in eurer Ganzheit, denn Tantra sagt: Entweder du akzeptierst etwas ganz oder lehnst es ganz ab. Es gibt kein Zwischending. Ein Mensch ist etwas 200
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Ganzes, ein organisches Ganzes. Man kann ihn nicht aufspalten. Man kann nicht sagen: „Diese Seite an ihm akzeptieren wir nicht”, weil das, was man dabei ablehnt, organisch mit dem zusammenhängt, was man akzeptiert. Das wäre so, als zeigte jemand auf meinen Körper und sagte: „Den Blutkreislauf akzeptieren wir, aber das Geräusch, das das Herz dabei macht, nicht. Dieses ewige Pochen können wir nicht ertragen. Daß sein Blut kreist, das akzeptieren wir, das ist okay; das macht keinen Lärm.” Aber mein Blutkreislauf geht durch mein Herz, und mein Herzschlag hängt untrennbar mit meinem Blutkreislauf zusammen. Das eine bringt das andere mit sich. Was soll ich also tun? Mein Herz und mein Blutkreislauf sind eine organische Einheit. Sie sind nicht zwei, sie sind ein Ganzes. Akzeptiert mich entweder ganz, oder verwerft mich ganz. Aber versucht nicht, mich zu teilen, weil ihr dann nur Unwahrheit erzeugt, eine tiefe Unwahrheit. Wenn ihr meinen Herzschlag ständig verdammt, dann fange ich auch an, ihn zu verdammen. Aber ohne ihn kann mein Blut nicht zirkulieren, ohne ihn kann ich nicht leben. Was also tun? Laß alles beim alten, behaupte aber gleichzeitig etwas zu sein, das du nicht bist, das du nicht sein kannst. Es ist leicht zu erkennen, wie Herz und Blutkreislauf zusammenhängen. Aber es ist schwer zu erkennen, wie Liebe und Haß zusammenhängen. Sie sind eins. Wenn du jemanden liebst, was machst du? Es ist Teil eines organischen Vorgangs, wie das Ausatmen. Wenn du jemanden liebst, was tust du? Du gehst hinaus, ihm entgegen. Es ist wie Ausatmen. Wenn du jemanden haßt, ist es wie Einatmen. Wenn du hebst, wirst du von jemandem angezogen. Wenn du haßt, wirst du abgestoßen. Anziehung und Abstoßung sind zwei Wellen ein und derselben Bewegung. Anziehung und Abstoßung sind nicht zweierlei, sie sind nicht zu trennen. Man kann nicht sagen: „Einatmen darfst du, aber ausatmen nicht” — oder umgekehrt. „Hier ist nur eines erlaubt. Entweder atme aus oder ein, beides darfst du nicht.” Aber wie sollst du einatmen, wenn du nicht ausatmen darfst? Und wenn du nicht hassen darfst, kannst du auch nicht lieben. 201
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Tantra sagt, daß wir den ganzen Menschen akzeptieren sollen, weil der Mensch eine organische Einheit ist. Der Mensch ist eine tiefe Ganzheit: Nichts an ihm darf gebrochen werden. Und es muß so sein — denn wenn der Mensch keine organische Einheit ist, dann kann nichts in diesem Universum eine organische Einheit sein. Der Mensch ist die Krone aller organischen Ganzheit. Der Stein auf der Straße ist ein Ganzes. Der Baum ist ein Ganzes. Die Blume und der Vogel sind Ganzheiten. Alles ist eine Einheit. Warum also nicht der Mensch? Und der Mensch ist der Höhepunkt, die großartigste Einheit überhaupt, ein sehr komplexes, organisches Ganzes. Wirklich, man darf nichts an ihm ablehnen! Tantra sagt: Wir akzeptieren dich so, wie du bist. Was aber nicht heißt, daß du dich nicht zu ändern brauchst. Was nicht heißt, daß du jetzt aufhören sollst zu wachsen. Ganz im Gegenteil heißt das, daß wir den Wurzelboden von allem Wachstum akzeptieren. Jetzt darfst du wachsen, aber dieses Wachsen wird nichts mit deiner Entscheidung zu tun haben. Dies Wachsen wird ein Wachsen ohne eigene Wahl sein. Seht! Wenn zum Beispiel ein Buddha erleuchtet wird, können wir fragen: „Was ist aus seiner Wut geworden? Er war wütend, er war sexuell, wohin ist sein Sex also verschwunden? Wohin ist seine Wut verschwunden? Wo ist seine Gier?” Wir können jetzt keine Wut mehr in ihm erkennen — in einem Erleuchteten bleibt keine Spur von Wut zurück. Könnt ihr den Schlamm in der Lotus-Blüte erkennen? Der Lotus kommt aus dem Schlamm! Wenn du noch nie gesehen hast, wie ein Lotus aus dem Schlamm emporwächst, und man bringt dir eine Lotusblüte, kannst du dir dann vorstellen, daß diese schöne Lotusblüte auf dem ganz gewöhnlichen Schlamm eines Teiches gewachsen ist? Dieser wunderschöne Lotus soll aus dem häßlichen Schlamm kommen? Ist in ihr noch irgendwo eine Spur von Schlamm zu erkennen? Er ist da — aber transformiert. Ihr Duft kommt aus eben diesem häßlichen Schlamm. Das rosige Weiß der Blütenblätter kommt aus eben diesem häßlichen Schlamm. Wenn du diese Lotusblüte wieder im Schlamm vergräbst, wird sie in wenigen Tagen wieder von ihrer Mutter verschlungen sein. Dann wirst du wieder nicht erkennen können, was aus diesem Lotus ge202
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worden ist. Wo - wo ist der Duft? Wo sind diese schönen Blütenblätter? Ihr könnt euch in einem Buddha nicht wiedererkennen, aber der Mensch in ihm ist da. Natürlich auf einer bedeutenderen und höheren Ebene - transformiert. Der Sex ist da, die Wut ist da, der Haß ist da. Alles, was zum Menschen gehört, ist da ... ein Mensch wie du - aber zu seiner höchsten Höhe herangewachsen. Er ist zu einer Lotusblüte geworden: Der Schlamm ist nicht mehr zu erkennen. Aber das heißt nicht, daß der Schlamm nicht da wäre. Er ist da, aber nicht als Schlamm. Es ist etwas Höheres daraus geworden. Darum kann man bei einem Buddha weder Haß noch Liebe spüren. Dies zu verstehen wird noch schwieriger, weil ein Buddha so voller Liebe scheint - er haßt nie, er ist immer still, niemals wütend. Aber seine Stille ist anders als eure Stille. Es kann nicht das gleiche sein. Was ist eure Stille? Einstein sagt irgendwo, daß unser Friede nichts anderes ist als Vorbereitung zum Kriege. Zwischen zwei Kriegen ist eine Lücke des Friedens, aber dieser Friede ist kein wirklicher Friede. Er ist nur eine Pause zwischen zwei Kriegen und wird so zum kalten Krieg. Somit haben wir nur zwei Arten von Krieg - den heißen und den kalten. Nach dem zweiten Weltkrieg begannen Rußland und Amerika einen kalten Krieg. Es war kein Friede, sondern die Vorbereitung eines neuen Krieges. Sie rüsteten auf. Jeder Krieg verwüstet, zerstört. Ihr müßt wieder Kräfte sammeln, also braucht ihr eine Pause, ein Intervall. Aber wenn wirklich der Krieg aus der Welt verschwindet, dann wird auch dieser Frieden verschwinden, der doch nur ein kalter Krieg ist; denn er währt nur für die Zeit zwischen zwei Kriegen. Wenn aller Krieg völlig verschwindet, kann es den kalten Krieg, den wir Frieden nennen, nicht mehr geben. Was ist eure Stille? Nur eine Vorbereitung zwischen zwei Wutausbrüchen. Wenn ihr entspannt zu sein scheint, was ist es wirklich? Seid ihr wirklich entspannt, wirklich gelöst, oder sammelt ihr nur neue Kräfte für eine neue Explosion, einen neuen Ausbruch? Wut ist Energieverschwendung, also braucht ihr hinterher wieder Zeit. Wenn ihr wütend werdet, könnt ihr nicht sofort danach wieder wütend werden. Wenn ihr in den Sexakt geht, könnt 203
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ihr ihn nicht sofort wiederholen. Ihr braucht Zeit, ihr braucht eine Periode von Brahmacharya, Enthaltsamkeit, mindestens zwei bis drei Tage. Es kommt auf das Alter an. Diese Enthaltsamkeit ist keine wirkliche Enthaltsamkeit: Ihr sammelt nur neue Kräfte. Zwischen zwei sexuellen Akten kann es kein Brahmacharya geben. Ihr nennt die Zeit zwischen zwei Mahlzeiten „Fasten”. Darum sagt man im Englischen für Frühstück „breakfast”, „Fastenbrechen”. Aber was ist das für ein Fasten? Ihr habt nur einen neuen Anlauf genommen. Ihr könnt nicht unentwegt Essen in euch hineinstopfen. Ihr braucht eine Pause, aber diese Pause ist kein Fasten. Sie ist in Wirklichkeit die Vorbereitung auf eine neue Mahlzeit, kein Fasten. Wenn wir also still sind, dann nur zwischen zwei Wutanfällen. Wenn wir gelöst sind, dann nur zwischen zwei Gipfeln der Anspannung. Wenn wir enthaltsam sind, dann nur zwischen zwei Sexakten. Wenn wir lieben, dann nur zwischen zwei Haßausbrüchen. Vergeßt das nicht. Wenn Buddha also still ist, dann dürft ihr das nicht mit eurer Stille verwechseln. Denn wenn die Wut verschwunden ist, dann ist auch die Stille verschwunden. Sie gehören zusammen, sie können nicht getrennt werden. Wenn also ein Buddha ein Brahmachari ist, ein enthaltsamer Mensch, dann dürft ihr das nicht mit eurer Enthaltsamkeit verwechseln. Ist der Sex verschwunden, dann ist auch die Enthaltsamkeit fort. Beides gehört zusammen, also ist beides gemeinsam verschwunden. Mit einem Buddha tritt ein völlig neues Wesen auf, wie ihr es euch überhaupt nicht vorstellen könnt. Ihr könnt euch nur die Zwiegespaltenheit vorstellen, die ihr von euch selbst kennt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für eine Art von Mensch das ist, was mit ihm geschehen ist. Die ganze Energie ist auf eine andere Ebene gehoben worden, eine andere Seinsebene. Der Schlamm ist zum Lotus geworden, aber er ist nach wie vor vorhanden. Der Schlamm ist nicht aus dem Lotus entfernt worden, er wurde transformiert. Alle eure inneren Energien werden also von Tantra akzeptiert. Tantra will absolut nichts verworfen wissen; Tantra will nur eines: Transformation. Und Tantra sagt, daß der erste Schritt ist, alles zu 204
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akzeptieren. Dieser erste Schritt ist sehr schwierig - alles zu akzeptieren. Vielleicht wirst du jeden Tag mehrere Male wütend, und es fällt dir sehr schwer, deine Wut zu akzeptieren. Wütend zu werden, ist sehr leicht: deine Wut zu akzeptieren, ist sehr schwer. Warum? Mit dem Wütendwerden hast du keine solche Schwierigkeiten, warum hast du dann soviel Schwierigkeiten, es zu akzeptieren? Wütend zu werden, ist für dich weniger schlimm, als es zu akzeptieren. Jeder hält sich für einen guten Menschen, und Wut ist nur etwas Momentanes. Sie kommt und geht. Sie zerstört dein Selbstbild nicht, für dich bleibst du weiterhin gut. Du sagst, daß es eben passiert ist. Das zerstört aber dein Ego nicht. Die verschlagenen Leute bereuen also sofort. Erst werden sie wütend, und hinterher bereuen sie. Sie bitten um Verzeihung. Das sind die Schlauen. Warum nenne ich sie schlau? Weil ihre Wut ihr Selbstbild ins Schwanken bringt. Es ist ihnen unbehaglich zumute. Plötzlich denken sie: „Ich - und wütend? Bin ich so schlecht, daß ich wütend werde?” Das Image des „guten Menschen” kommt ins Wanken. Jetzt muß er es wieder herstellen. Augenblicklich sagt er: „Dies war schlecht von mir. Ich will's nicht wieder tun, verzeih` mir.” Indem er um Vergebung bittet, wird sein Selbstbild repariert. Er ist wieder okay, wieder da, wo er vor der Wut war. Er hat seine Wut weggewischt, indem er um Verzeihung bat. Er hat sich nur deshalb schlecht genannt, um gut bleiben zu können. Darum könnt ihr es euch leisten, ganze Leben lang wütend zu sein, sexuell zu sein, besitzergreifend zu sein, dies und das zu sein - ohne es je zu akzeptieren. Das ist der Trick des Verstandes. Was immer ihr tut - es spielt sich ja nur an der Peripherie ab! Im Mittelpunkt bleibst du gut. Wenn du aber akzeptierst, daß „Ich voll Wut stecke”, dann bist du damit böse bis in den Kern. Dann ist das nicht mehr nur ein Wütendwerden, dann ist es nicht nur momentan. Vielmehr erkennst du die Wut dann als einen Teil deiner Verfassung. Dann ist es nicht mehr der andere, der dich zur Wut reizt, dann ist die Wut auch da, wenn du allein bist. Auch wenn du nicht wütend bist, ist Wut da, die Wut ist deine Energie - ein Teil von dir. Es ist nicht so, daß sie manchmal aufkommt und dann wieder 205
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verpufft — nein! Sie kann nicht aufflammen, wenn sie nicht sowieso da ist. Ihr könnt dies Licht hier anschalten, ihr könnt es ausschalten, aber der Strom muß dauernd da sein. Ist kein Strom da, könnt ihr es weder an — noch ausschalten. Der Strom, der Wutstrom, ist immer da, der Sexstrom ist immer da, der Gierstrom ist immer da. Ihr könnt ihn anschalten, ihr könnt ihn ausschalten. Ihr ändert euch, je nach Situation, aber innerlich bleibt ihr gleich. Akzeptieren heißt nun, daß deine Wut kein momentaner Akt mehr ist, sondern daß du diese Wut bist. Sex ist nicht nur ein Akt, du bist Sex. Gier ist nicht nur ein Akt: du bist Gier. Dies zu akzeptieren heißt, dein Selbstbild über den Haufen zu werfen. Und wir alle haben uns wunderschöne Selbstbilder gebastelt. Jeder hat sich ein wunderschönes Selbstbild aufgebaut — ausgesprochen schön. Und nichts, was du tust, kann es antasten. Du beschützt es immerzu. Dein Image ist geschützt, also kannst du dich wohlfühlen. Darum kannst du wütend werden, kannst du sexuell werden, ohne daß es dich weiter stört. Aber wenn du akzeptierst und sagst: „Ich bin Sex, ich bin Wut, ich bin Gier”, dann bricht dein Selbstbild augenblicklich zusammen. Tantra sagt, daß dies der erste Schritt ist, und der schwierigste — nämlich dich zu akzeptieren, ganz gleich, was du bist. Manchmal versuchen wir zwar, uns zu akzeptieren, aber wenn, dann geschieht es doch nur wieder aus Kalkül. Unsere Schlauheit sitzt rief und ist subtil, unser Verstand kennt feine Schliche des Betrugs. Manchmal akzeptierst du und sagst: „Ja, ich bin wütend.” Aber daß du es akzeptierst, liegt nur daran, daß du schon daran denkst, die Wut zu überwinden. Dann akzeptierst du und sagst: „Okay, ich bin wütend. Und nun sag mir, wie ich es überwinden kann.” Du akzeptierst den Sex, um nicht mehr sexuell sein zu müssen. Sobald du vorhast, dich zu verändern, kannst du dich akzeptieren — weil auch jetzt wieder dein Selbstbild aufrechterhalten bleibt, nämlich durch die Zukunft. Du bist gewalttätig und möchtest gerne gewaltlos werden. Also akzeptierst du es und sagst: „Okay, ich bin gewalttätig. Heute bin ich noch gewalttätig, aber morgen bin ich gewaltlos, komme was da wolle.” Wie willst du da gewaltlos werden? Du vertagst dein Selbstbild auf die Zukunft. Du stellst dich dir nicht so vor, wie du 206
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jetzt bist, du stellst dich dir im Licht deines Ideals vor — gewaltlos, voller Liebe und Mitgefühl. Damit bist du in der Zukunft. Diese Gegenwart ist nur dazu da, zur Vergangenheit zu werden. Dein wahres Selbst ist in der Zukunft, also identifizierst du dich immer nur mit Idealen. Diese Ideale sind auch nur wieder Schliche, der Wirklichkeit auszuweichen. Du bist gewalttätig: Das ist jetzt so. Und die Gegenwart ist das einzige, was existentiell ist: die Zukunft ist nicht. Deine Ideale sind nur Träume. Sie sind Tricks, dich zu vertrösten, deine Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Du bist gewalttätig. Das ist eine Tatsache, akzeptiere sie also. Und versuche nun nicht, nicht gewaltsam zu sein. Ein gewaltsamer Mensch kann nicht nicht-gewaltsam werden. Wie denn? Schau tief hinein — du bist gewaltsam, wie kannst du also gewaltlos sein? Alles, was du tust, wird von diesem gewalttätigen Menschen getan — aber auch alles! Selbst in deiner Bemühung, gewaltlos zu sein, stammt die Bemühung von einem, der gewalttätig ist. Du bist gewaltsam, also wirst du auch bei deinem Versuch, gewaltlos zu sein, gewaltsam sein. Noch in dem Bemühen, gewaltlos zu sein, wirst du jede Form von Gewalt anwenden. Darum schließt du dich diesen Leuten an, die nach Gewaltlosigkeit streben: Sie mögen nicht gewaltlos mit anderen sein, aber sie sind es mit sich selbst, sie ermorden sich selbst. Und je mehr sie gegen sich selbst wüten, desto gefeierter sind sie. Wenn sie total verrückt und selbstmörderisch geworden sind, sagt die Gesellschaft: „Dies sind die wahren Weisen!” Aber sie haben nur den Gegenstand ihrer Gewalt verschoben, sonst nichts. Sie waren früher mit anderen gewaltsam, jetzt sind sie es mit sich selbst. Aber die Gewalt ist da. Und wenn du gegen einen anderen Gewalt anwendest, kann das Gesetz einschreiten, können die Gerichte helfen, wird dich die Gesellschaft verdammen. Aber wenn du die Gewalt gegen dich selbst richtest, gibt es keine Gesetze. Kein Gesetz kann dich vor dir selbst schützen. Wenn der Mensch gegen sich selbst ist, gibt es keinen Schutz. Da ist nichts zu machen. Und es kümmert auch niemanden, denn es ist deine Sache. Niemand anders ist betroffen, es ist deine Sache. Sogenannte Mönche, sogenannte Heilige, haben seit je Gewalt gegen sich selbst verübt. Das 20 7
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interessiert niemanden. „Macht meinetwegen weiter”, sagen die Leute, „es ist eure Sache.” Wenn dein Geist von Habgier bestimmt wird, wie kannst du dann nicht-gierig sein? Der Gierige bleibt gierig. Was immer von ihm getan wird, um die Gier zu überwinden, wird nicht helfen. Natürlich können wir neue Formen der Gier entwickeln. Einen Geizhals kann man fragen: „Wozu willst du immer nur Geld anhäufen? Du wirst sterben und kannst dein Geld nicht mitnehmen.” So argumentieren nämlich die frommen Moralapostel — daß du dein Geld nicht mitnehmen kannst. Könnte man es nun aber doch, dann bräche diese ganze Logik zusammen. Natürlich spürt der Geizhals das Zwingende dieser Logik und sagt: „Klar, ich kann meinen Reichtum nicht mitnehmen!” Aber in Wirklichkeit möchte er es. Und so gewinnt der Priester Einfluß. Er beweist ihm, daß es Unsinn ist, Dinge anzuhäufen, die nicht über den Tod hinaus mitgenommen werden können. Er sagt: „Ich werde dir zeigen, wie du Dinge anhäufst, die du mitnehmen kannst. Tugend kannst du mitnehmen, Punya, gute Taten, kannst du mitnehmen, milde Gaben kannst du mitnehmen, aber deinen Reichtum nicht. Spende also dein Geld.” Aber das ist ein Appell an seine Gier. Das heißt mit anderen Worten: Jetzt geben wir dir bessere Dinge, die du über den Tod hinaus mitnehmen kannst. Der Appell tut seine Wirkung. Der Habgierige denkt: „Du hast recht. Der Tod ist gewiß, und daran ist nichts zu ändern; ich muß also etwas tun, was ich mitnehmen kann. Ich muß mir auch in der Welt drüben ein Konto anlegen. Diese Welt, dies Konto, das ich hier habe, kann ich nicht ewig behalten.” So ähnlich redet er ständig. Geht die heiligen Schriften durch — sie appellieren an eure Habgier. Sie sagen: „Was vergeudet ihr eure Zeit mit den Genüssen des Augenblicks?” Die Betonung liegt auf „Augenblick”. Findet also irgendwelche ewigen Genüsse, dann ist alles okay. Sie sind also nicht gegen Genüsse überhaupt. Sie sind nur dagegen, daß sie momentan sind. Seht ihr die Gier? Manchmal läßt sich vielleicht ein ungieriger Mensch finden, der sich an momentanen Genüssen freut, aber unter euren Heiligen werdet ihr nicht einen einzigen finden, der nicht nach ewigen Genüssen verlangt und strebt. 208
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Ihre Gier ist weit größer. Unter gewöhnlichen Menschen mag ein ungieriger Mensch zu finden sein, aber unter euren sogenannten Heiligen könnt ihr keinen ungierigen Menschen finden. Sie wollen auch Genüsse, aber sie sind gieriger als ihr. Ihr gebt euch mit momentanen Genüssen zufrieden, sie nicht. Ihre Gier ist größer. Ihre Gier ist nur durch ewige Genüsse zu befriedigen. Grenzenlose Gier will grenzenlose Genüsse, denkt daran. Begrenzte Gier wird durch begrenzten Genuß befriedigt. Sie werden euch fragen: „Was gebt ihr euch mit einer Frau ab? Sie ist nichts als Knochen und Blut. Schaut tiefer in die Frau, die ihr liebt - woraus besteht sie?” Sie haben nichts gegen die Frau, sie haben etwas gegen die Knochen, das Blut, gegen den Körper. Aber wenn die Frau aus Gold ist, dann ist es okay. Sie wollen eine Frau aus Gold! Solche Frauen sind aber in dieser Welt nicht zu finden, also erfinden die Gierigen eine andere Welt. Sie sagen: „Im Himmel, da gibt es goldene Jungfrauen, Apsaras, die schön sind und nie altern.” Im Himmel der Hindus bleiben die himmlischen Mädchen, die Apsaras, i mmer sechzehn Jahre alt. Sie werden nie älter. Sie sind immer sechzehn. Nicht weniger, nicht mehr. Was verschwendet ihr also eure Zeit mit diesen gewöhnlichen Frauen? denkt an den Himmel! Sie sind also nicht gegen den Genuß. In Wirklichkeit sind sie gegen den vergänglichen Genuß. Wenn Gott aus irgendeiner Laune heraus dieser Welt ewige Genüsse schenken würde, würde der ganze Bau eurer Religion zusammenbrechen; der ganze Reiz wäre weg. Wenn es einen Weg gäbe, Bankkonten ins Jenseits mitzunehmen, dann wäre kein Mensch mehr daran interessiert, Bankkonten irn Jenseits anzulegen. Der Tod ist also ein guter Geschäftsfreund der Priester. Ein gieriger Mensch rennt von einer Gier zur anderen. Wenn du ihm erzählst und ihm plausibel machst, daß es seine Habgier ist, was ihn unglücklich macht und daß er sich die Seligkeit damit erhandeln kann, daß er die Habgier aufgibt, dann versucht er es vielleicht damit, denn das geht nicht wirklich gegen seine Habgier. Du lockst seine Gier mit neuen Genüssen. Seine Gier kann zu neuen Weidegründen weiterziehen. Tantra sagt also, daß ein gieriger Sinn nicht nicht-gierig werden kann, daß ein gewalttätiger 20 9
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Sinn nicht nicht-gewaltsam werden kann. Aber das macht sehr hoffnungslos. Wenn es so ist, ist nichts zu machen. Wofür steht Tantra dann? Wenn ein gieriger Sinn nicht ungierig werden kann, und ein gewaltsamer Sinn nicht gewaltlos, und ein sexbesessener Sinn nicht vom Sex loskommt, wenn da nichts zu machen ist, wofür steht Tantra dann? Tantra sagt nicht, daß nicht etwas getan werden könnte. Aber das passiert auf einer völlig anderen Ebene. Ein gieriger Mensch muß zunächst einsehen, daß er gierig ist und das auch akzeptieren, und nicht versuchen, nicht-gierig zu sein. Der gierige Mensch muß tief in sich hineinschauen, um die Tiefe seiner Gier auszuloten; und er darf nicht vor ihr davonlaufen, sondern muß mit ihr leben, darf sich nicht in Ideale flüchten, zum idealen Gegenteil, zum Gegensatz-Ideal. Er muß bei der Gegenwart bleiben, ganz in die Gier eintauchen, die Gier erforschen, die Gier verstehen, und auf keine Weise versuchen, vor ihr davonzulaufen. Wenn du bei deiner Gier bleiben kannst, werden viele Dinge geschehen. Wenn du bei deiner Gier bleiben kannst, bei deinem Sex, bei deiner Wut, wird sich dein Ego auflösen. Das wird das erste sein — und was für ein großes Wunder das ist! Viele kommen zu mir und wollen wissen, wie man egolos wird. Ihr könnt nicht egolos sein, weil ihr euch die Wurzeln eures Egos anschauen müßt, bevor ihr es sehen könnt. Ihr seid gierig, glaubt aber, es nicht zu sein: Das ist das Ego. Wenn du gierig bist und auch weißt und total akzeptierst, daß du gierig bist, wieviel Boden gibst du dann noch deinem Ego? Wenn du wütend bist und sagst, daß du wütend bist — es nicht etwa andern sagst, sondern tief in dir selbst fühlst und deine Hilflosigkeit dazu — wieviel Boden hat dann die Wut noch? Wenn du sexuell bist, akzeptiere es. Was immer da ist, akzeptiere es. Die Natur nicht zu akzeptieren — das bringt das Ego hervor; dein Sosein, dein Tathata nicht zu akzeptieren — das, was du bist. Wenn du es akzeptierst, wird das Ego nicht mehr da sein. Wenn du es nicht akzeptierst, wenn du es verwirfst, wenn du Ideale dagegensetzt, dann kommt das Ego. Ideale sind der Stoff, aus dem das Ego gemacht ist. Akzeptiere dich selbst. Aber dann kommst du dir ja vor wie ein Tier! Du wirst dir nicht wie ein Mensch vorkommen, denn dein 21 0
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Konzept vom Menschen beruht auf deinen Idealen. Darum können wir es nicht lassen, andere zu ermahnen, nicht wie die Tiere zu sein — dabei ist jeder ein Tier! Was kann man tun? Du bist ein Tier. Akzeptiere deine Animalität. Und im gleichen Augenblick, wo du deine Animalität akzeptierst, hast du den ersten Schritt getan, über das Tier in dir hinauszugehen. Denn kein Tier weiß, daß es ein Tier ist. Nur der Mensch kann es wissen. Und damit transzendiert er es. Ihr könnt es nicht transzendieren, indem ihr es ableugnet. Akzeptiert es. Wenn es akzeptiert worden ist, werdet ihr plötzlich merken, daß ihr es transzendiert habt. Wer akzeptiert denn? Wer ist es, der das ganze akzeptiert? Die Instanz, die akzeptiert, ist dieselbe, die auch transzendiert. Was ihr leugnet, mit dem bleibt ihr auf gleicher Stufe. Was ihr akzeptiert, das laßt ihr hinter euch. Akzeptieren heißt Transzendieren. Und wer sich selbst total akzeptiert, wird plötzlich in sein Zentrum gestoßen. Dann geht es nirgends mehr hin, dann könnt ihr euch nicht mehr von eurem Sosein entfernen, von eurer Natur, und damit seid ihr bei eurer Mitte angelangt. Alle diese tantrischen Techniken, die wir diskutieren und zu verstehen suchen, sind verschiedene Methoden, euch auf euer Zentrum zurückzuwerfen, euch von der Peripherie herunterzustoßen. Und ihr versucht alles mögliche, um eurem Zentrum auszuweichen. Ideale sind gute Ausreden. Idealisten sind die subtilsten Egoisten, die es überhaupt gibt. Vieles passiert da. Du bist aggressiv und legst dir ein Ideal der Aggressionslosigkeit zu. Nun brauchst du nicht mehr in dich hineinzuschauen, in deine Gewalttätigkeit. Wozu auch? Nun brauchst du ja nur noch eines zu tun — immerzu über Gewaltlosigkeit nachzudenken, nachzulesen und sie so gut es geht zu praktizieren. Du sagst dir: „Finger weg von der Gewalt.” In Wirklichkeit aber bist du gewaltsam. Auf diese Weise gehst du dir selbst aus dem Weg. Du kannst dich an der Peripherie verstecken, aber so kommst du nie in dein Zentrum. Das ist das eine. Zweitens darfst du, wenn du dir das Ideal der Gewaltlosigkeit aufstellst, andere verdammen. Jetzt geht das ganz leicht. Du besitzt das Ideal, mit dem du andere messen kannst. Und du kannst zu jedem sagen: „Du bist gewaltsam.” Indien hat viele solcher Ideale aufgestellt. Darum blickt Indien immer auf die ganze 21 1
Das Buch der Geheimnisse
übrige Welt herab. Ganz Indien verdammt und verurteilt. Es verdammt die ganze Welt ständig. Alle andern sind so aggressiv! Nur Indien ist gewaltlos. Kein Mensch hier scheint mir gewaltlos zu sein, aber das Ideal ist ausgezeichnet geeignet, andere zu verdammen. Es verändert einen nie selbst, aber man kann gut andere verdammen, weil man das Ideal besitzt, den Maßstab. Und sollte man selbst aggressiv werden, so kann man es immer rationalisieren. Die eigene Aggressivität, das ist etwas ganz anderes! In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren ist Indien oft genug mit Gewalt vorgegangen, aber wir haben unsere eigene Gewalt nie verdammt. Wir haben sie stets mit den schönsten Begriffen zu bemänteln und zu rationalisieren gewußt. Wenn wir in Bengalen Gewalt anwenden, in Bangladesh, dann sagen wir, daß es uns nur um die Freiheit der Leute dort geht. Wenn wir in Kaschmir Gewalt anwenden, dann nur, um den Kaschmiris zu helfen. Aber alle Kriegsanstifter reden die gleiche Sprache. Wenn Amerika Gewalt in Vietnam anwendet, dann geschieht es, „diesen armen Menschen” zu helfen. Niemand tut es im eigenen Interesse. Niemand ist es je gewesen. Wir sind immer nur aggressiv, um andern zu helfen. Selbst wenn ich dich töte, dann nur zu deinem Besten. Um dir zu helfen. Und selbst wenn du dabei draufgehst, selbst wenn ich dich töte, dann vergiß bitte nicht, daß es mein Erbarmen mit dir ist. Sogar zu deinem eigenen Besten kann ich dich töten. Verurteilt also die ganze Welt ruhig weiter ... Als Indien Goa überfiel, als Indien Krieg gegen China führte, kritisierte Bertrand Russell unseren Nehru und sagte: „Wo ist jetzt eure Gewaltlosigkeit? Ihr seid doch das Gandhi Volk! Wo ist jetzt eure Gewaltlosigkeit?” Nehru antwortete darauf, indem er Bertrand Russells Buch in Indien verbot. Das Buch, das Russell schrieb, wurde verboten. Das ist unser Geist der Gewaltlosigkeit. Das war eine gute Diskussion. Das Buch hätte umsonst verteilt werden sollen — denn Russell argumentierte sehr schön. Er sagte: „Ihr seid ein gewaltsames Volk. Eure Gewaltlosigkeit war nur politisch. Euer Gandhi war kein Weiser. Er war nur ein diplomatischer Kopf. Und ihr alle redet von Gewaltlosigkeit, aber sobald der richtige Augenblick kommt, werdet ihr gewaltsam. Wenn andere 21 2
Kapitel 8
Krieg führen, setzt ihr euch aufs hohe Roß und verdammt die ganze Welt als aggressiv." Das gilt für Individuen, für Gesellschaften, für Kulturen, für Nationen. Wenn man Ideale hat, braucht man sich nicht zu ändern. Man kann immer hoffen, in Zukunft von den Idealen selbst verändert zu werden. Und darüber hinaus darf man die andern ständig verdammen. Tantra sagt: Bleibe bei dir. Was immer du bist, akzeptiere es. Verdamme nicht dich, verdamme nicht andere. Verdammung ist zwecklos. Energien lassen sich so nicht verändern. Der erste Schritt ist Akzeptieren. Bleibe beim Tatsächlichen. Das ist sehr wissenschaftlich. Bleibe bei dem Faktum der Wut, der Gier, des Sex. Und lerne das Tatsächliche in seiner ganzen Tatsächlichkeit kennen. Streife sie nicht nur so obenhin, sondern erkenne die Tatsache in ihrer Totalität, in ihrer totalen Tatsächlichkeit. Geh bis in die Wurzeln hinein. Und vergiß nicht, daß du alles transzendierst, was du bis in die Wurzeln erkannt hast. Wenn du deinen Sex bis in die Wurzeln kennst, wirst du ihn meistern. Wenn du deine Wut bis in die Wurzeln erkannt hast, wirst du ihr Meister. Dann wird Wut zum bloßen Werkzeug — du kannst sie nutzen. Mir fällt hier Gurdjieff ein. Gurdjieff lehrte seine Schüler „auf die rechte Art” wütend zu sein. Von Buddha kennen wir das Wort von der „rechten Meditation”, vom „rechten Denken”, von der „rechten Kontemplation”. Von Mahavir stammt die Lehre von „der rechten Sicht und dem rechten Wissen. ” Gurdjieff lehrte die „rechte Wut und die rechte Gier”, und diese Lehre war von der alten Tantra-Tradition beeinflußt. Gurdjieff wurde im Westen sehr verdammt, weil er für den Westen ein lebendiges Tantra-Symbol war. Er lehrte die „rechte Wut”. Er lehrte, wie man total wütend sein konnte. Wenn jemand wütend wurde, sagte er: „Weiter! Halte nicht zurück, laß es in seiner Totalität heraus. Geh rein. Werde zu Wut. Bremse dich nicht, bleib nicht draußen stehen. Spring tief hinein. Laß deinen ganzen Körper zur Flamme, zu Feuer werden.” Ihr seid noch nie so tief gegangen, und ihr habt es nie bei jemandem beobachtet, weil sich jeder mehr oder weniger gut 21 3
Das Buch der Geheimnisse
benimmt, zivilisiert. Niemand ist ursprünglich. Jeder ahmt mehr oder weniger nach. Kein Mensch ist ursprünglich! Wenn ihr ganz in der Wut aufgehen könntet, würdet ihr einfach zu Feuer, zu einem einzigen Brennen. Das Feuer wäre so tief, die Flammen wären so tief, daß Vergangenheit und Zukunft augenblicklich aufhören würden zu existieren. Ihr würdet zu einer Flamme von Gegenwart. Und wenn jede Zelle in dir entflammt ist und jeder Teil deines Körpers zu Feuer geworden ist, wenn du Wut bist (nicht nur wütend), dann, so sagt Gurdjieff „Sei bewußt. Unterdrücke es nicht, sei jetzt bewußt. Sei dir jetzt plötzlich bewußt, was aus dir geworden ist, was Wut tatsächlich ist.” In diesem Moment totaler Gegenwärtigkeit kann man plötzlich bewußt werden und über die Absurdität der ganzen Sache lachen, über die Narrheit, die Dummheit der ganzen Sache. Aber das ist nicht mehr Verdrängung, das ist Lachen. Du kannst über dich selbst lachen, weil du dich transzendiert hast. Nie wieder wird die Wut dich überwältigen können ... Du hast die Wut in ihrer Ganzheit kennengelernt und konntest trotzdem lachen und konntest trotzdem über sie hinausgehen. Du konntest deine Wut von jenseits deiner Wut her sehen. Hast du nur einmal ihre Totalität gesehen, weißt du, was Wut ist. Und jetzt weißt du auch, daß du selbst dann noch, wenn deine ganze Energie zu Wut verwandelt wird, ein Beobachter, ein Zeuge bleiben kannst. Darum hast du nun keine Angst mehr. Vergeßt nicht: Nur was man nicht kennt, erweckt Angst. Das Dunkle weckt immer Angst. Ihr habt Angst vor eurer eigenen Wut. Darum sagen die Leute immer, wir sollen die Wut unterdrücken: Es könnte anderen schaden. Aber das ist nicht der wahre Grund. Der wahre Grund ist, daß sie Angst vor ihrer Wut haben: Was könnte passieren, wenn sie wirklich wütend werden? — sie wissen es nicht! Sie haben Angst vor sich selber. Sie haben die Wut nie kennengelernt. Es lauert etwas fürchterliches im Innern, wovor sie Angst haben. Darum passen sie sich lammfromm der Gesellschaft an, ihrer Kultur, ihrer Erziehung und sagen: „Wir dürfen nicht wütend werden, Wut ist böse, sie tut anderen weh.” Ihr habt Angst vor eurer Wut, ihr habt Angst vor eurem Sex. Ihr seid nie ganz in den Sex hineingegangen. Ihr seid nie so total 214
Kapitel 8
in den Sex hineingegangen, daß ihr euch ganz vergessen habt. Ihr wart immer da, die Gedanken waren immer dabei. Und wenn die Gedanken im Sex noch dabei sind, dann ist der Sexakt nur pseudo, Mache. Das Denken muß sich auflösen; man muß ganz Körper werden. Es darf kein Denken mehr da sein. Wenn das Denken noch da ist, ist man geteilt. Dann heißt Sex nichts weiter, als einen Überschuß Energie loszuwerden. Ein Dampfablassen, nichts weiter. Aber ihr habt Angst, total im Sex zu sein: Darum paßt ihr euch an, zieht ihr mit der Gesellschaft am selben Strang und sagt, daß der Sex schlecht sei. Ihr habt Angst! Warum habt ihr Angst? Ihr begebt euch nicht ganz in den Sex hinein und wißt deshalb nicht, was ihr dann vielleicht anstellen könntet, was passieren, was für eine animalische Kraft in euch hochkommen könnte; ihr wißt nicht, in was für Abgründe euch euer Unbewußtes werfen könnte. Ihr wißt es nicht! Ihr seid nicht mehr Herr der Sache; ihr habt euch nicht mehr unter Kontrolle. Euer Selbstbild könnte kaputtgehen. Darum kontrolliert ihr den Sexakt. Und die beste Methode, ihn zu kontrollieren, ist es, im Kopf zu bleiben. Den Sexakt zwar zuzulassen, aber nur lokal. Versucht den Unterschied zwischen lokal und total zu verstehen. Tantra sagt, daß ein Sexakt dann lokal ist, wenn nur das Sexzentrum betroffen ist. Er ist lokal, eine lokale Entladung. Das Sexzentrum speichert immerzu Energie. Wenn sie überfließt, mußt du sie freisetzen. Sonst entstehen Spannungen, entsteht eine Last. Du gibst sie frei, aber das ist eine lokale Entspannung. Dein ganzer Körper, dein ganzes Selbst ist nicht davon betroffen. Ein nicht-lokales, ein totales Bei-der-Sache-Sein bedeutet, daß jede Faser deines Körper, jede Zelle deines Körpers, daß alles, was du bist, mit hineinkommt. Dein ganzes Wesen ist sexuell geworden, nicht nur dein Sexzentrum. Aber das macht Angst, denn nun ist alles möglich. Und du weißt nicht, was passieren kann, weil du deine Totalität nie kennengelernt hast. Du könntest Dinge tun, die du dir jetzt gar nicht vorstellen kannst. Dein Unbewußtes wird explodieren. Du wirst nicht nur zu einem Tier, sondern zu vielen Tieren, denn du hast viele Leben hinter dir, du bist durch viele Tierkörper gegangen. Du könntest 215
Das Buch der Geheimnisse
heulen wie ein Wolf: du könntest kreischen; du könntest brüllen wie ein Löwe. Du weißt nicht, was noch alles ... Alles ist möglich — und daher die Angst. Du mußt in Kontrolle bleiben, und darum verlierst du dich nie in etwas, darum lernst du nie etwas kennen. Und was du nicht kennengelernt hast, kannst du nicht hinter dir lassen. Akzeptiere; gehe tief, tief bis zu den Wurzeln hinunter. Das ist Tantra. Tantra steht für tiefe Erfahrungen. Alles Erfahrene kann transzendiert werden; alles Verdrängte kann nie und nimmer transzendiert werden.
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Die Welt ist dein Zuhause Sutras]
13. Oder stelle dir die fünffarbigen Augen auf dem Rade des Pfaus als deine fünf Sinne im unendlichen Raum vor. Laß nun ihre Schönheit in dir verschmelzen. Oder aber mit jedem beliebigen Punkt im Raum, oder auf einer Wand, bis sich der Punkt auflöst. Dann erfüllt sich dein Wunsch nach einem anderen. 14. Lenke deine ganze Aufmerksamkeit auf den Nerv, der mitten durch dein Rückgratgeht fein wie der Blütenfaden des Lotus. Und werde so transformiert. 21 9
Das Buch der Geheimnisse
Der Mensch wird mit einer Mitte geboren, aber er hat sie vollkommen vergessen. Der Mensch kann leben, ohne seine Mitte zu kennen, aber der Mensch kann nicht leben, ohne eine Mitte zu haben. Die Mitte ist die Brücke zwischen Mensch und Schöpfung. Sie ist die Wurzel. Du magst sie nicht kennen; ob sie gekannt wird oder nicht, ist für das Dasein der Mitte unerheblich. Aber wenn du sie nicht kennst, wirst du ein wurzelloses Leben führen - entwurzelt. Du fühlst keinen Boden unter dir; du fühlst nicht die Erde: du fühlst dich nicht zu Hause im Universum. Du bist heimatlos. Natürlich, die Mitte ist da, aber da du sie nicht kennst, wird dein Leben nur ein Dahintreiben sein - sinnlos, leer, ziellos. Du wirst das Gefühl haben, ohne Leben zu leben, schleppend, nur auf den Tod wartend. Du kannst es von Moment zu Moment aufschieben, aber du weißt sehr genau, daß dies Aufschieben nirgendwohin führt. Du läßt nur die Zeit verstreichen, und dies Gefühl tiefer Frustration wird dich wie ein Schatten verfolgen. Der Mensch wird mit einer Mitte geboren, aber nicht mit dem Wissen um seine Mitte. Dieses Wissen muß erworben werden. Du hast dies Zentrum. Das Zentrum ist da - du kannst ohne es nicht existieren. Wie könntest du ohne es sein? Wie könntest du ohne eine Brücke zwischen dir und der Existenz sein? - oder dir und „Gott"?, wenn dir das Wort lieber ist. Ohne eine tiefe Verbindung kannst du nicht existieren. Du hast Wurzeln im Göttlichen. Jeden Augenblick lebst du durch diese Wurzeln, aber diese Wurzeln sind unter der Erde. Wie bei jedem Baum sind die Wurzeln unter der Erde. Der Baum weiß nichts von seinen Wurzeln. Auch du hast Wurzeln. Diese Verwurzelung - das ist deine Mitte. Wenn ich sage, daß der Mensch damit geboren wurde, meine ich, daß du die Möglichkeit hast, dir deiner Wurzeln bewußt zu werden. Wenn sie dir bewußt werden, wird dein Leben wirklich: andernfalls bleibt dein Leben wie ein tiefer Schlaf - ein Traum. Das, was Abraham Maslow „Selbstaktualisierung” genannt hat, ist in Wirklichkeit nichts anderes, als sich seines inneren Zentrums bewußt zu werden, der Tatsache, daß man mit dem ganzen Universum verknüpft ist, daß man Wurzeln hat und nicht allein ist. Kein Atom, sondern Teil dieses kosmischen Ganzen, daß diese 22 0
Kapitel 9
Welt kein Exil ist. Du bist kein Fremder: dies Universum ist deine Heimat. Aber solange du nicht deine Wurzeln findest, dein Zentrum, bleibt dies Universum dir fremd und unvertraut. Sartre sagt, daß der Mensch lebt, als wäre er in diese Welt geworfen worden. Natürlich, wenn du dein Zentrum nicht kennst, wirst du eine „Geworfenheit” erleben, so als wärest du tatsächlich in die Welt hineingeworfen worden. Du bist ein Außenseiter: du gehörst nicht in diese Welt, und diese Welt gehört nicht zu dir. Dann muß Angst, Unruhe und Seelennot die unausbleibliche Folge sein. Der Mensch als Außenseiter im Universum muß notgedrungen eine tiefe Angst, Furcht, Qual und Bedrängnis empfinden. Sein ganzes Leben wird zum Kampf, zum Krieg, und zwar zu einem Krieg, der ohnehin fehlschlagen muß. Der Mensch kann ihn nicht gewinnen, denn das Teil kann nie gegen das Ganze gewinnen. Du hast gegen die Existenz keine Chance. Du hast nur mit ihr eine Chance, niemals gegen sie. Und das ist der Unterschied zwischen einem religiösen und einem nicht-religiösen Menschen. Ein nicht-religiöser Mensch ist gegen das Universum, ein religiöser Mensch ist mit dem Universum. Ein religiöser Mensch fühlt sich zu Hause. Er fühlt sich nicht in die Welt hineingeworfen, er fühlt sich als Gewächs der Welt. Merkt euch den Unterschied zwischen Geworfenheit und Gewachsenheit. Wenn Sartre sagt, daß der Mensch in die Welt geworfen wurde, so zeigt schon das Wort, schon der ganze Ausdruck, daß du nicht hierher gehörst. Und das Wort, die Wortwahl „geworfen” bedeutet, daß du ohne deine Einwilligung gezwungen wurdest. So erscheint diese Welt als feindlich, und Angst ist die Folge. Das kann nur anders sein, wenn du nicht in die Welt geworfen wurdest, sondern als ein Teil, d. h. organisch aus ihr gewachsen bist. Wirklich, man kann den Menschen einen Auswuchs` des Universums nennen — gewachsen in eine bestimmte Dimension hinein, die wir menschlich` nennen. Das Universum wächst in vielen Formen: in Bäumen, Bergen, Sternen, in Planeten, in vielen Dimensionen. Der Mensch ist ebenfalls eine Dimension seines Wachstums. Das Universum manifestiert sich in vielen, vielen Dimensionen. Der Mensch ist eine seiner Dimensionen, so gut wie der Berg und der Gipfel. Kein 22 1
Das Buch der Geheimnisse
Baum wird sich seiner Wurzeln bewußt; kein Tier wird sich seiner Wurzeln bewußt, darum kennen sie keine Angst. Wenn du dir deiner Wurzeln nicht bewußt bist, deines Zentrums, kannst du auch nicht todes-bewußt sein. Der Tod existiert nur für den Menschen, und zwar, weil der Mensch sich seiner Wurzeln bewußt werden kann, seines Zentrums, seiner Totalität und seiner Verwurzelung im Universum. Wenn du ohne ein Zentrum lebst, wenn du dich als Außenseiter fühlst, dann ist Angst die Folge. Wenn du dich aber wie zu Hause fühlst, als ein Wachstumsprodukt, eine Verwirklichung des Potentials der Existenz selbst, so als wäre die Existenz durch dich zur Bewußtheit gelangt, als hätte sie in dir Bewußtsein gewonnen; wenn du so empfindest, wenn du das wirklich erkennst, dann wirst du selig sein. Seligkeit ist die Folge einer organischen Einheit mit dem Universum, und Angst ist die Folge von Feindseligkeit. Aber solange du das Zentrum nicht kennst, mußt du notwendig eine „Geworfenheit” empfinden, als wäre dir das Leben aufgezwungen worden. Dieses vorhandene Zentrum - auch wenn der Mensch sich dessen nicht bewußt ist - ist der Gegenstand dieser Sutras, über die wir sprechen wollen. Aber erst noch zwei oder drei Dinge, bevor wir uns wieder der Vigyana Bhairava Tantra zuwenden, und den Techniken, die das Zentrum betreffen. Das eine: Wenn der Mensch geboren wird, ist er an einem bestimmten Punkt verwurzelt, in einem bestimmten Chakra oder Zentrum, und zwar im Nabel. Die Japaner nennen es Hara, daher der Ausdruck Harakiri. Harakiri heißt Selbstmord. Wörtlich bedeutet das Wort: das Hara töten, die Achse, das Zentrum. Hara ist das Zentrum. Harakiri bedeutet, das Zentrum zerstören. Aber in gewisser Weise haben wir alle Harakiri begangen. Wir haben zwar das Zentrum nicht zerstört, aber wir haben es vergessen oder uns nie daran erinnert. Es ist da und wartet, und wir sind immer weiter davon abgetrieben. Wem ein Kind geboren wird, ist es im Hara, im Nabel verwurzelt. Es lebt durch das Hara. Seht euch ein atmendes Kind an: sein Nabel hebt und senkt sich. Es atmet mit dem Bauch, es lebt aus dem Bauch - nicht aus dem Kopf, nicht aus dem Herzen. 22 2
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Kapite19
Aber nach und nach wird es sich davon entfernen müssen. Zunächst wird ein anderes Zentrum entwickelt, nämlich das Herz, das Zentrum der Gefühle. Das Kind lernt die Liebe kennen, es wird geliebt, und daraus entwickelt sich ein anderes Zentrum. Dies Zentrum ist nicht das wirkliche Zentrum, dies Zentrum ist ein Nebenprodukt. Darum sagen die Psychologen, daß ein Kind, das nicht geliebt wird, niemals wird lieben können. Wenn ein Kind in einer lieblosen Situation groß wird, in einer Atmosphäre der Gefühlskälte, ohne einen Menschen, der es liebt und ihm Wärme spendet, dann wird es selbst niemanden in seinem Leben lieben können, weil sich das entsprechende Zentrum nicht entfaltet hat. Mutterliebe, Vaterliebe, Familie und Gesellschaft helfen mit, dies Zentrum zu entwickeln. Dies Zentrum kommt später, man wird nicht damit geboren. Wenn dir nicht geholfen wird, es zu entfalten, wird es niemals wachsen. Vielen, vielen Menschen fehlt dies Liebeszentrum. Sie reden zwar von Liebe und glauben auch zu lieben, aber ihnen fehlt das Zentrum dazu. Wie also können sie lieben? Eine liebesfähige Mutter ist nicht leicht zu haben, ganz und gar nicht, und es ist selten, einen liebenden Vater zu finden. Jeder Vater, jede Mutter glaubt, daß er oder sie liebt. Es ist nicht so leicht. Liebe wächst nicht so leicht, wirklich nicht. Aber wenn die Liebe nicht von Anfang an für das Kind da ist, wird es niemals selbst lieben können. Darum lebt die ganze Menschheit ohne Liebe. Ihr produziert laufend Kinder, aber wißt nicht, wie ihr ihnen ein Liebeszentrum geben könnt. Statt dessen erzwingt die Gesellschaft, je zivilisierter sie ist, ein drittes Zentrum, nämlich den Intellekt. Das ursprüngliche Zentrum ist der Nabel. Damit wird ein Kind geboren; dies Zentrum ist also keine Folgeerscheinung. Kein Leben ist ohne es möglich, also wird es mitgegeben. Das zweite Zentrum ist eine spätere Erscheinung. Wenn das Kind Liebe bekommt, erwidert es die Liebe. In dieser Erwiderung wächst das Zentrum heran. Das ist das Herzzentrum. Das dritte Zentrum ist Verstand, Intellekt, Kopf. Erziehung, Logik und Disziplin schaffen dieses Zentrum, das ebenfalls ein Nebenprodukt ist. Aber wir leben in diesem dritten Zentrum. Das zweite fehlt uns fast völlig — oder es funktioniert nicht, selbst wenn es da ist. Selbst 223
Das Buch der Geheimnisse
wenn es manchmal funktioniert, funktioniert es unregelmäßig. Aber das dritte Zentrum, der Kopf, wird zum eigentlichen Motor im Leben, weil das ganze Leben darauf aufbaut. Es ist zweckorientiert. Ihr braucht es für das Denken, für die Logik, für den Verstand. Somit wird früher oder später jeder kopforientiert: Du fängst an, im Kopf zu leben. Kopf, Herz, Nabel — das sind die drei Zentren. Das Nabelzentrum ist mitgegeben, ist ursprünglich. Das Herz kann sich entwickeln; und es ist gut, wenn das geschieht, aus vielen Gründen. Auch der Verstand muß entwickelt werden, aber das darf nicht auf Kosten des Herzens geschehen, denn sonst fehlt euch das Bindeglied, und ihr könnt nicht wieder zum Nabel zurückkommen. Die Entwicklung geht vom Verstand über die Existenz zum Sein. Versucht es einmal so zu verstehen: Das Nabelzentrum ist im Sein, das Herzzentrum im Gefühl: das Kopfzentrum im Wissen. Das Wissen ist am weitesten vom Sein entfernt, das Fühlen ist ihm näher. Wenn dir das Gefühlszentrum fehlt, dann ist es schwierig, eine Brücke zwischen Verstand und Sein herzustellen, wirklich sehr schwierig. Darum kann ein Mensch, der liebt, leichter erkennen, daß er in der Welt zu Hause ist, als ein Mensch, der durch den Intellekt lebt. Die westliche Kultur hat im wesentlichen das Kopfzentrum betont. Darum ist man im Westen so rief um den Menschen besorgt. Und diese tiefe Besorgnis gilt seiner Heimatlosigkeit, seiner Leere, seiner Wurzellosigkeit. Simone Weil hat ein Buch geschrieben: „Der Mensch braucht Wurzeln”. Der westliche Mensch fühlt sich entwurzelt. Der Grund dafür ist, daß der Kopf zum Mittelpunkt geworden ist. Das Herz wurde nicht entwickelt. Es fehlt. Das Herz, das in dir schlägt, ist nicht dein Herz: es dient nur einer physiologischen Funktion. Wenn du also den Herzschlag spürst, darfst du nicht glauben, daß du deshalb schon ein Herz hast. Herz ist etwas anderes. „Herz” bedeutet die Fähigkeit zu fühlen. „Kopf” bedeutet die Fähigkeit zu wissen; und „Sein” bedeutet die Fähigkeit, eins zu sein — mit etwas eins zu sein. Religion hat mit dem Sein zu tun; Dichtung mit dem Herzen; Philosophie und Wissenschaft haben mit dem Kopf zu tun. Diese 224
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beiden Zentren, Herz und Kopf, sind periphere Zentr en, keine wirklichen, sondern unechte Zentren. Das wirkliche Zentrum ist Nabel - das Hara. Wie aber wieder dahin gelangen? Oder: wie es verwirklichen? Es kommt manchmal vor - selten, zufällig kommt es vor -, daß ihr dem Hara nahekommt. Ein solcher Moment ist sehr tief und selig. Zum Beispiel kommst du im Sex manchmal in die Nähe des Hara, weil deine geistige Energie, dein Bewußtsein im Sex, wieder nach unten geht. Du mußt deinen Kopf hinter dir lassen - und du fällst nach unten. In einem tiefen sexuellen Orgasmus geschieht es manchmal, daß du deinem Hara nahekommst. Darum ist der Sex so faszinierend. Es ist nicht wirklich- der Sex, was dir die Erfahrung von Seligkeit verschafft. Es ist in Wirklichkeit das Hara. Wenn du zum Sexzentrum herunterfällst, kommst du durch das Hara, berührst du es. Aber für den modernen Menschen ist selbst Sex unmöglich geworden, denn für den modernen Menschen ist sogar der Sex eine Hirnfunktion, eine mentale Sache. Sogar der Sex ist in den Kopf gestiegen; der Mensch denkt über ihn nach. Daher so viele Filme, so viele Romane, so viel Literatur, so viel Pornographie und dergleichen. Der Mensch denkt über Sex nach, aber das ist absurd. Sex ist eine Erfahrung; man kann nicht darüber nachdenken. Und wenn man darüber nachzudenken beginnt, wird es immer schwerer, ihn zu leben, denn er hat nichts mit dem Kopf zu tun. Den Kopf braucht man dazu nicht. Und je weniger der moderne Mensch tief in den Sex hineingehen kann, desto mehr denkt er darüber nach. Es wird zum Teufelskreis. Und je mehr er darüber nachdenkt, desto mehr wird Sex zur zerebalen Angelegenheit. Dann wird sogar Sex absurd. Er ist im Westen absurd geworden, zur langweiligen Routine. Nichts kommt dabei heraus, man frönt nur einer alten Gewohnheit und fühlt sich am Ende frustriert, betrogen. Warum? In Wirklichkeit darum, weil das Bewußtsein nicht mehr nach unten, zurück zum Zentrum, fließt. Nur wenn das Hara berührt wird, empfindest du Seligkeit. Gleich aus welchem Grund das Hara berührt wird, du fühlst Seligkeit. Ein Krieger im Kampf berührt manchmal das Hara: 22 5
Das Buch der Geheimnisse
freilich nicht moderne Soldaten, weil sie überhaupt keine Krieger sind. Jemand, der eine Bombe über einer Stadt abwirft, schläft. Er ist kein Krieger, er ist kein Kämpfer. Er ist kein Kshatriya, kein Arjuna im Kampf. Manchmal, am Rande des Todes, wird man auf das Hara zurückgeworfen. Für einen Krieger, der mit dem Schwert kämpft, ist jeden Augenblick der Tod möglich. Wer weiß, ob er im nächsten Augenblick noch lebt. Und wer mit dem Schwert kämpft, kann nicht denken. Wenn du denkst, wird es dich nicht mehr geben. Du mußt handeln, ohne zu denken, weil zum Denken Zeit nötig ist. Wenn du mit dem Schwert kämpfst, kannst du nicht denken. Wenn du denkst, gewinnt der andere, und du bist nicht mehr. Es ist keine Zeit zum Denken, und der Kopf braucht Zeit; und weil keine Zeit zum Denken ist, und Denken Tod bedeutet, fällt das Bewußtsein vom Kopf hinunter zum Hara. Der Krieger erfährt das als Glückseligkeit. Darum übt der Krieg eine solche Faszination aus. Sex und Krieg sind seit je die Hauptattraktionen, und der Grund ist: Ihr berührt dabei das Hara. Bei jeder Gefahr berührt man das Hara. Nietzsche sagt: „Lebe gefährlich!” Warum? Weil du bei Gefahr auf das Hara zurückgeworfen wirst. Du kannst nicht denken. Du kannst die Dinge nicht im Kopf ausarbeiten. Du mußt augenblicklich handeln. Eine Schlange kriecht vorbei. Plötzlich siehst du die Schlange, und ein Sprung geschieht. Da gibt es kein Überlegen, „daß da eine Schlange ist”. Da gibt es keinen Syllogismus. Du überlegst nicht erst im Kopf: „Hier ist eine Schlange — und Schlangen sind gefährlich. Also muß ich springen.” Es gibt kein logisches Denken dieser Art. Würdest du so denken, dann würdest du nicht überleben. Du kannst nicht überlegen. Du mußt sofort und spontan handeln. Erst kommt das Handeln, dann die Überlegung. Bist du gesprungen, kannst du überlegen. I m gewöhnlichen Leben, wenn keine Gefahr herrscht, überlegt ihr erst und handelt dann. Bei Gefahr dreht sich der ganze Vorgang um: erst handeln, dann denken. Dies Handeln vor allem Denken wirft euch auf euer ursprüngliches Zentrum zurück — das Hara. Daher die Faszination der Gefahr. 226
Kapitel 9
Du fährst Auto, wirst schneller und immer schneller, bis plötzlich jeder Augenblick gefährlich wird. Jeden Moment kann es vorbei sein. In diesem Moment der Hochspannung, wo Leben und Tod so nah wie möglich zusammengerückt sind — zwei ganz nahe Punkte und du in der Mitte — bleibt das Denken stehen. Du bist auf das Hara zurückgeworfen. Das ist die Faszination der Autos, der Rennfahrerei. Oder du bist Spieler und hast alles auf eine Karte gesetzt der Verstand setzt aus — höchste Gefahr. Der nächste Augenblick kann dich zum Bettler machen. Das Hirn setzt aus. Du wirst auf das Hara zurückgeworfen. Gefahren ziehen an, weil euer Alltags-Bewußtsein bei Gefahr nicht funktionieren kann. Gefahr geht tief. Denken ist nicht nötig. Du wirst zum Nicht-Denken. Du bist! Du bist bewußt, aber ohne jedes Denken. Das ist der Augenblick der Meditation. Was Spieler wirklich im Spiel suchen, ist ein meditativer Bewußtseinszustand. In Gefahr, im Kampf, in Duellen, in Kriegen, hat der Mensch seit je nur Gefahren gesucht — meditative Zustande. Ein plötzliches Glücksgefühl bricht aus, explodiert in dir und rieselt in dir nieder. Aber das alles sind plötzliche Zufallsereignisse. Eines steht fest: Wann immer du selig bist, bist du dem Hara nahe. Das ist gewiß, egal aus welchem Anlaß. Der Auslöser ist unwichtig. Wann immer du in die Nähe des ursprünglichen Zentrums kommst, erfüllt dich Glückseligkeit. Bei diesen Sutras geht es darum, die Verwurzelung im Hara, im Zentrum, wissenschaftlich, methodisch herbeizuführen — nicht zufällig, nicht momentan, sondern als Dauerzustand. Du kannst ständig im Hara sein. Das kann dein Wurzelgrund werden. Wie du das herbeiführst und wie du das schaffst, darum geht es in diesen Sutras. Nehmen wir uns nun das erste Sutra vor — eine weitere Methode, die diesen Punkt oder dies Zentrum betrifft. Zunächst:
Oder stelle dir die fünffarbigen Augen auf dem Rade des Pfaus als deine fünf Sinne im unendlichen Raum vor. Laß nun ihre Schönheit in dir verschmelzen. Oder aber mit jedem beliebigen Punkt im Raum, oder auf einer Wand, bis sich der Punkt auflöst. Dann erfüllt sich dein Wunsch nach einem anderen. 22 7
Das Buch der Geheimnisse
Alle diese Sutras haben damit zu tun, wie man das innere Zentrum erreicht. Dabei ist der Grundmechanismus, die Grundtechnik diese: Wenn du außerhalb, egal wo — im Kopf, im Herzen oder selbst an einer Wand draußen — ein Zentrum herstellen und dich total darauf konzentrieren kannst, so daß die ganze Welt ausgeklammert und vergessen wird und nur noch ein Punkt in deinem Bewußtsein zurückbleibt, dann wirst du plötzlich auf dein inneres Zentrum zurückgeworfen. Wie funktioniert das? Das müßt ihr zunächst verstehen. Euer Denken ist nichts als ein Vagabundieren, ein Herumwandern. Es bleibt nie bei einem Punkt. Es ist immer in Gang, in Bewegung, unterwegs, aber nie an einem Punkt. Es geht von einem Gedanken zum andern weiter, von A nach B. Aber es ist nie bei A, nie bei B, sondern immer unterwegs. Vergeßt es nicht: Das Denken ist i mmer unterwegs, in der Hoffnung, irgendwo anzukommen, ohne es je zu tun. Es kann nicht ankommen! Die Struktur des Denkens selbst ist Bewegung. Es kann nur vorwärts gehen. Das ist die dem Geist innewohnende Natur. Der geistige Prozeß an sich ist Bewegung. Von A nach B und B nach C geht es immer weiter, ohne anzuhalten. Wenn du bei A oder B oder sonstwo anhältst, wird sich der Geist wehren. Er wird verlangen, daß du weitergehst, denn bleibst du stehen, stirbt er augenblicklich. Er kann nur in der Bewegung überleben. Geist heißt Prozeß. Wenn du anhältst und nicht weitergehst, fällt der Geist tot um. Er ist nicht mehr da. Nur noch Bewußtsein bleibt übrig. Bewußtsein ist deine Natur, Geist ist deine Beschäftigung. So wie das Gehen. Das ist schwer zu verstehen, weil wir glauben, daß der Geist etwas Substantielles ist; wir halten den Geist für eine Substanz. Er ist keine. Geist ist nur eine Tätigkeit. Es wäre also besser, ihn statt Geist „Geisten ” zu nennen. Er ist ein Vorgang, wie das Gehen. Gehen ist ein Vorgang. Bleibst du stehen, gibt es kein Gehen. Du kannst nicht sagen, daß jetzt das Gehen sitzt. Es gibt kein Gehen mehr. Wenn du anhältst, ist kein Gehen mehr da, das Gehen hat nun aufgehört. Du hast zwar noch Beine, aber kein Gehen mehr. Beine können gehen. Aber wenn du anhältst, gibt es nur noch Beine, aber kein Gehen mehr. 22 8
Kapitel9
Das Bewußtsein ist wie Beine — es ist deine Natur. Geist ist wie Gehen — nur ein Vorgang. Wenn sich Bewußtsein von einem Ort zum anderen bewegt, dann ist dieser Vorgang „Geist”. Wenn sich Bewußtsein von A nach B und von B nach C bewegt, ist diese Bewegung „Geist”. Wenn du die Bewegung anhältst, ist kein Geist mehr da. Du bist bewußt, aber es ist kein Geist da. Du hast Beine, aber kein Gehen. Das Gehen ist eine Funktion, eine Tätigkeit. Geist ist ebenfalls eine Funktion, eine Tätigkeit. Wenn du ihn irgendwo anhältst, fängt der Geist an zu kämpfen. Der Geist wird sagen: „Mach weiter!” Der Geist wird auf jede erdenkliche Weise versuchen, dich vorwärts oder rückwärts zu treiben, oder sonstwohin, nur weiter! Ganz gleich wohin, nur bleib nirgendwo an einem Punkt stehen. Wenn du aber hartnäckig bleibst und nicht auf den Geist hörst, wird es schwierig, denn bisher hast du immer gehorcht. Du hast dem Geist nie Befehle gegeben. Du warst nie Herr im Haus. Das kannst du auch nicht, weil du dich in Wirklichkeit nie vom Geist losgelöst hast. Du denkst, daß du dein Geist bist. Dieser Trugschluß, daß du der Geist seist, gibt dem Geist totale Freiheit, denn dann ist niemand da, der ihn beherrscht, kontrolliert. Es ist niemand da! Der Geist selbst wird zum Herrn. Er mag sich als Meister aufführen, aber diese Meisterschaft ist nur eine scheinbare. Versuche es nur einmal, und du kannst diese Meisterschaft brechen. Sie ist unecht. Der Geist ist nur ein Sklave, der vorgibt, Meister zu sein, und zwar schon seit langem, seit vielen Leben, so daß sogar der wirkliche Herr den Sklaven für den Herren hält. Das ist nur ein Glaube. Probiere das Gegenteil aus, und du wirst erkennen, daß dieser Glaube völlig unbegründet war. Dies erste Sutra sagt: „Stelle dir die fünffarbigen Augen auf dem Rade des Pfaus als deine fünf Sinne im unendlichen Raum vor. Laß nun ihre Schönheit in dir verschmelzen.” Stelle dir deine fünf Sinne als fünf Farben vor, und diese fünf Farben füllen den ganzen Raum — wunderschöne Farben, lebendig, über den unendlichen Raum gebreitet. Dann gehe in diese Farben hinein. Gehe nach innen; fühle einen Mittelpunkt heraus, wo sich alle diese fünf Farben in dir treffen. Das ist zwar nur eine Vorstellung, aber sie hilft. 22 9
Das Buch der Geheimnisse
Stelle dir diese fünf Farben vor, wie sie in dich eindringen und in dir an einem Punkt verschmelzen. Die ganze Welt wird sich auflösen. In deiner Einbildung gibt es nur fünf Farben, aufgefächert wie ein Pfauenrad, so groß, daß es den ganzen Raum füllt. Und sie dringen tief in dich ein und treffen sich an einem Punkt. Jeder Punkt ist geeignet, aber das Hara ist am besten. Stelle dir vor, daß sie sich an deinem Nabel treffen, daß die ganze Welt zu Farben geworden ist und daß diese Farben in deinem Nabel als Punkt zusammenkommen. Sieh diesen Punkt, konzentriere dich auf ihn so lange, bis er sich auflöst. Er löst sich auf! Wenn du dich auf den Punkt konzentrierst, löst er sich auf, weil er nur Einbildung ist. Und dann wirst du auf dein Zentrum geworfen. Die Welt hat sich aufgelöst. Es gibt keine Welt mehr für dich. In dieser Meditation gibt es nur Farbe. Du hast die ganze Welt vergessen; du hast alle Gegenstände vergessen, dir fünf Farben ausgesucht — fünf beliebige Farben. Diese Technik ist vor allem für Leute geeignet, die ein sehr waches Auge haben, einen sehr tiefen Farbsinn. Diese Meditation ist nicht für jeden. Nur wenn du das Auge eines Malers hast, Farbenbewußtsein, nur wenn du dir Farben vorstellen kannst, fällt sie dir leicht. Ist euch jemals aufgefallen, daß eure Träume farblos sind? Nur ein Mensch unter hundert ist fähig, farbig zu träumen. Ihr träumt nur schwarz-weiß. Warum? Die ganze Welt ist farbig, und eure Träume sind farblos! Wenn einer von euch farbig träumt, dann ist dies die richtige Meditation für ihn. Wenn du dich daran erinnern kannst, auch nur manchmal in Farben geträumt zu haben, dann ist diese Meditation für dich da, sie ist für dich gedacht! Wenn man einen Menschen, der unempfindlich für Farben ist, auffordert: „Stell dir das Weltall von Farben erfüllt vor”, wird er es nicht können, selbst wenn er es versucht. Wenn er denkt: „Rot!”, dann sieht er nur das Wort „Rot”, aber die Farbe sieht er nicht. Er sagt: „Grün!”, und es ist nur das Wort „Grün” da, aber nichts Grünes. Wenn du also farbempfindlich bist, dann versuche es mit dieser Methode. In dir sind fünf Farben. Die ganze Welt besteht nur aus ihnen, und sie treffen sich in dir. Irgendwo tief in dir treffen diese fünf Farben zusammen. Auf diesen Punkt kon23 0
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r zentriere dich, und mache immer weiter damit, lasse nicht locke bleibe dabei. Laß keine Gedanken zu; versuch nicht, dir Grün, Rot, Gelb oder andere Farben zu denken. Denke nicht. Sieh sie einfach in dir zusammenkommen. Denke nicht an sie! Wenn du denkst, - hat sich der Geist weiterbewegt. Sei einfach von Farben erfüllt, die in dir zusammenkommen, und konzentriere dich dann auf den Punkt, wo sie sich treffen. Denke nicht! Konzentration ist nicht Denken. Es ist auch nicht Kontemplation. Wenn du wirklich von Farben erfüllt bist und ganz zum Regenbogen, zum Pfau geworden bist, und das All ist von Farben erfüllt, dann hast du ein tiefes Gefühl von Schönheit. Aber denke nicht darüber nach. Nenne es nicht schön. Laß dich nicht aufs Denken ein. Konzentriere dich auf den Punkt, wo all diese Farben sich treffen und bleibe dabei. Er wird verschwinden, wird sich auflösen, weil er nur Einbildung ist. Denn wenn du dich zu Konzentration zwingst, kann keine Einbildung andauern. Sie wird sich auflösen. Die Welt hatte sich bereits aufgelöst: Es waren nur noch Farben da. Diese Farben waren deine Einbildung. Diese eingebildeten Farben waren an einem Punkt zusammengekommen. Dieser Punkt war ebenfalls eingebildet, und nun, in tiefer Konzentration, wird auch er sich auflösen. Wo bist du jetzt? Wo wirst du sein? Du wirst auf dein Zentrum zurückgeworfen. Erst haben sich die Gegenstände mit Hilfe von Einbildung aufgelöst. Jetzt löst sich die Einbildung durch Konzentration auf. Du allein bleibst zurück, als Subjektivität. Die objektive Welt hat sich aufgelöst, die mentale Welt hat sich aufgelöst. Du bist da - allein, als reines Bewußtsein. Darum sagt dies Sutra: „ ... mit jedem beliebigen Punkt im Raum, oder auf einer Wand...” Das geht auch. Wenn du dir keine Farben vorstellen kannst, dann hilft irgendein Punkt an der Wand. Nimm dir irgend etwas zu deiner Konzentration vor. Wenn es etwas Inneres ist, dann um so besser. Aber auch hier gibt es wieder zwei Persönlichkeitstypen. Für die Introvertierten wird es leichter sein, sich die Farben vorzustellen, wie sie innen zusammenkommen. Aber es gibt auch die Extrovertierten, die sich innen nichts vorstellen können. Sie können sich nur Äußeres vorstellen. Ihr Geist bewegt sich immer nur in der Außenwelt, sie 23 1
Das Buch der Geheimnisse
können nicht nach innen gehen. Für sie gibt es so etwas wie Innerlichkeit nicht. Der englische Philosoph David Hume hat gesagt: „Wann immer ich nach innen schaue, kann ich kein Selbst finden. Alles, was ich sehe, sind Reflektionen der Außenwelt — ein Gedanke, irgendein Gefühl, eine Emotion. Ich treffe nie auf die Innerlichkeit: nichts als Außenwelt, die innen widergespiegelt wird.” Da spricht der extrovertierte Geist par excellence, und David Hume gehört zu den erz-extrovertierten Geistern. Wer also innen nichts fühlen kann, und wer sich fragt, was denn dies Innerliche sein soll, wie man nach innen gehen kann, der versuche es statt dessen mit irgendeinem Punkt an der Wand. Es gibt Leute, die zu mir kommen und fragen, wie man nach innen geht. Es ist ein Problem, denn wer nur Außengerichtetheit kennt, wer nur nach außen gehende Bewegungen kennt, kann sich schwer vorstellen, wie man nach innen geht. Wenn du ein extrovertierter Mensch bist, dann versuche es nicht mit diesem inneren Punkt. Versuche es mit dem Draußen. Das Ergebnis ist dasselbe. Mach einen Punkt auf die Wand. Konzentriere dich darauf. Du mußt es mit offenen Augen tun. Wenn du ein Zentrum im Innern schaffst, einen inneren Punkt, mußt du dich mit geschlossenen Augen konzentrieren. Male einen Punkt auf die Wand, und konzentriere dich darauf. Das Eigentliche passiert aufgrund von Konzentration, es hat nichts mit dem Punkt zu tun. Ob er sich draußen oder drinnen befindet, ist unerheblich. Es kommt auf dich an. Wenn du auf die Wand blickst, dich auf sie konzentrierst', dann konzentriere dich so lange, bis sich der Punkt auflöst. Das mußt du dir merken: bis der Punkt sich auflöst! Kein Lidschlag ist erlaubt, sonst gibst du dem Geist wieder Spielraum, worin er sich bewegen kann. Starre nur, sonst fangt der Geist wieder zu denken an. Ein einziger Lidschlag gibt ihm Spielraum. Mit dem Lidschlag geht die Konzentration verloren. Also nicht zwinkern! Ihr habt vielleicht schon von Bodhidharma gehört, einem der größten Meister der Meditation in der ganzen Geschichte der Menschheit. Von ihm wird eine wunderschöne Geschichte erzählt. Er konzentrierte sich auf etwas außerhalb: seine Augen 232
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wollten nicht stillhalten, die Konzentration ging verloren, und so riß er sich die Augenlider aus! Dies ist eine wunderschöne Geschichte: Er riß sich die Augenlider aus, warf sie fort und konzentrierte sich. Nach ein paar Wochen sah er ein paar Pflanzen an der Stelle wachsen, wo er seine Augenlider hingeworfen hatte. Dies geschah auf einem Berg in China, und der Berg hieß „Tah” oder „Ta” . Daher das Wort „Tee ” . Diese Pflanzen, die dort wuchsen, wurden zu Tee — und darum hält Tee euch wach! Wenn euch die Augen zufallen und ihr einschlafen möchtet, trinkt eine Tasse Tee! Es sind die Augenlider Bodhidharmas. Das Teetrinken ist deshalb für Zen-Mönche eine heilige Sache. Tee ist nichts Gewöhnliches, er ist heilig ... Bodhidharmas Augenlider! In Japan haben sie Tee-Zeremonien, und jedes Haus hat einen Teeraum, und der Tee wird mit religiöser Zeremonie serviert, er ist heilig. Tee muß in einer sehr meditativen Stimmung getrunken werden. Die Japaner haben wunderschöne Zeremonien um das Teetrinken gewoben. Sie betreten den 'Teeraum wie einen Tempel. Dann wird der Tee angerichtet, und jeder sitzt still da und lauscht, wie der Samovar sprudelt. Das Dampfen, das Brodeln ... und alle hören nur zu. Es ist nichts Gewöhnliches — es sind die Augenlider Bodhidharmas! Und weil Bodhidharma mit offenen Augen wach bleiben wollte, hilft der Tee nach. Und weil die ganze Geschichte auf dem Berge Tah passierte, heißt der Tee Tee. Ob wahr oder nicht, die Anekdote ist schön. Um dich außen zu konzentrieren, brauchst du einen starren Blick, so als hättest du keine Augenlider mehr. Das bedeutet „sich die Augenlider ausreißen”: Augen ohne Augenlider zu haben, so daß du sie nicht schließen kannst. Konzentriere dich, bis der Punkt sich auflöst: Und er löst sich auf! Wenn du durchhältst, wenn du hartnäckig bleibst und dem Geist nicht erlaubst, sich zu rühren, löst sich dieser Punkt auf. Und wenn sich der Punkt auflöst — du hast dich so sehr auf ihn konzentriert, daß nur noch dieser Punkt existiert, daß sich die ganze Welt aufgelöst hat und nur noch dieser Punkt bleibt, und nun löst der sich auch noch auf — dann kann das Bewußtsein nirgendwohin. Es gibt keinen Gegenstand, zu dem es gehen kann. Alle Dimensionen sind verschlossen. Der 233
Das Buch der Geheimnisse
Geist wird auf sich selbst zurückgeworfen, das Bewußtsein wird auf sich selbst zurückgeworfen — und du bist im Zentrum. Ob also nach innen oder außen, in dir oder außerhalb — konzentriere dich, bis der Punkt sich auflöst. Er löst sich auf: aus zwei Gründen. Ist er innen, ist er eingebildet und löst sich deshalb auf. Ist er aber außen, dann ist er nicht eingebildet, dann ist er wirklich: Du hast einen Punkt auf die Wand gemalt und dich darauf konzentriert. Warum löst sich nun dieser Punkt auf? Daß er sich innen auflöst, kann ich verstehen: er war ja gar nicht da: du hast ihn dir nur vorgestellt. Aber auf der Wand ist er da: warum also löst er sich auf? Dafür gibt es einen Grund. Wenn du dich auf einen Punkt konzentrierst, löst er sich natürlich nicht wirklich auf: was sich auflöst, ist der Geist. Fest auf einen äußeren Punkt gerichtet, kann der Geist sich nicht bewegen. Ohne Bewegung kann er nicht leben. Er stirbt, er steht still. Und wenn der Geist anhält, kann er sich auf nichts Äußeres beziehen. Plötzlich sind alle Brücken abgebrochen, weil der Geist die Brücke ist. Wenn du dich auf einen Punkt an der Wand konzentrierst, springt dein Geist ständig von dem Punkt zu dir, von dir zu dem Punkt, und wieder zurück: es ist ein ständiges Hin — und Herspringen, ein Prozeß. Wenn sich der Geist auflöst, kannst du den Punkt nicht mehr sehen. Denn in Wirklichkeit siehst du ihn nicht durch die Augen, du siehst ihn durch Geist plus Augen. Ist der Geist fort, können die Augen nicht funktionieren. Du magst die Wand weiter anstarren, aber der Punkt wird unsichtbar. Der Geist ist nicht da, die Brücke ist abgebrochen. Der Punkt ist wirklich, er ist da. Wenn der Geist zurückkommt, wirst du ihn wieder sehen; er ist da. Aber jetzt kannst du ihn nicht sehen, und wenn du ihn nicht sehen kannst, kannst du nicht nach außen gehen. Plötzlich bist du in deinem Zentrum. Diese Zentrierung wird dir deine existentiellen Wurzeln bewußt machen. Du wirst wissen, von wo aus du mit der Existenz verbunden bist. In dir gibt es einen Punkt, der mit der ganzen Existenz verbunden ist, der eins mit ihr ist. Sobald du dieses Zentrum kennst, weißt du, daß du zu Hause bist. Die Welt ist nicht fremd, du bist kein Außenseiter. Du gehörst zu ihr. Du bist Teil der Welt, 23 4
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du brauchst nicht zu kämpfen, es gibt keinen Zwist. Es gibt keine feindliche Beziehung zwischen dir und der Existenz. Die Existenz wird zu deiner Mutter. Es ist die Existenz, die in dich gekommen ist und dir bewußt geworden ist. Es ist die Existenz, die in dir aufgeblüht ist. Dies Gefühl, diese Erkenntnis, dieses Ereignis ... Und von nun an kann es keine Lebensangst mehr geben. Nun ist die Seligkeit keine vorübergehende Erscheinung mehr, kein Phänomen, das kommt und geht. Nun ist Seligkeit deine wahre Natur. Wenn man in seinem Zentrum verwurzelt ist, wird Seligkeit zur Natur. Du bist eben selig, und nach und nach vergißt du sogar das, weil Kontrast dazu gehört, es bewußt wahrzunehmen. Nur wenn du unglücklich sein kannst, merkst du es auch, wenn du selig bist. Wenn kein Unglück mehr da ist, vergißt du das Unglück nach und nach völlig ... und damit auch deine Seligkeit. Und nur wenn du sogar deine Seligkeit vergessen kannst, bist du wahrhaft selig. Dann ist sie natürlich. So wie die Sterne scheinen, so wie die Flüsse fließen, so bist du selig. Dein ganzes Wesen ist selig. Es ist nicht etwas, das dir geschieht. Jetzt bist du es. Beim zweiten Sutra ist der Mechanismus der gleiche, die wissenschaftliche Grundlage die gleiche, die Funktionsweise die gleiche:
Lenke deine ganze Aufmerksamkeit auf den Nerv, der mitten durch dein Rückgrat geht fein wie der Blütenfaden des Lotus Und werde so transformiert „Lenke deine ganze Aufmerksamkeit auf den Nerv, der mitten durch dein Rückgrat geht, fein wie der Blütenfaden des Lotus.” Bei diesem Sutra, dieser Meditationstechnik, muß man seine Augen schließen und sich sein Rückgrat vorstellen. Es lohnt sich, in einem Physiologie-Lehrbuch die Körperstruktur zu studieren, oder sich in einer medizinischen Fakultät oder Klinik mit der Anatomie vertraut zu machen. Dann schließe deine Augen, und stell dir deine Wirbelsäule vor. Sie muß gerade und aufrecht sein. Visualisiere sie, sieh sie vor dir, visualisiere genau in ihrer Mitte 23 5
Das Buch der Geheimnisse
einen Nerv, so fein wie der Blütenfaden eines Lotus, der durch die Achse deines Rückgrats läuft. „ ... und werde so transformiert.” Wenn du kannst, konzentriere dich auf das Rückgrat, und dann auf den Faden in seiner Mitte — einen sehr feinen Faden, fein wie ein Blütenfaden, der es durchläuft. Konzentriere dich darauf, und die bloße Konzentration wirft dich in dein Zentrum. Warum? Die Wirbelsäule ist die Basis deiner ganzen Körperstruktur. Alles ist mit ihr verbunden. Dein Hirn ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein Pol deiner Wirbelsäule. Die Physiologen sagen, daß es nichts als ein Auswuchs der Wirbelsäule ist. Dein Hirn ist tatsächlich ein Auswuchs deiner Wirbelsäule. Dein Rückgrat ist mit deinem ganzen Körper verbunden. Alles ist mit ihm verbunden. Darum wird es Rückgrat genannt — die Grundstruktur. In diesem Rückgrat gibt es wirklich so etwas wie einen Faden. Aber darüber sagt die Physiologie nichts, denn er ist nicht stofflich. In diesem Rückgrat gibt es genau in der Mitte eine silberne Ader, einen sehr delikaten Nerv. Es ist nicht wirklich ein Nerv im physiologischen Sinn. Man kann ihn durch keine Operation finden. Er ist dort nirgends zu entdecken. Aber in tiefer Meditation kann man ihn sehen. Er ist da. Nur nicht stofflich. Er ist Energie, nicht Stoff. Und tatsächlich, diese Energieader in deinem Rückgrat ist dein Leben. Durch sie bist du sowohl mit der unsichtbaren Existenz als auch mit dem Sichtbaren verbunden. Sie ist die Brücke zwischen dem Unsichtbaren und dem Sichtbaren. Durch diesen Faden bist du mit dem Körper verknüpft, und durch diesen Faden bist du auch mit deiner Seele verbunden. Stelle dir zunächst das Rückgrat vor. Du wirst dich sehr merkwürdig fühlen. Wenn du dir das Rückgrat vorzustellen versuchst, kannst du es sehen. Und wenn du weitermachst, dann ist es nicht mehr nur deine Vorstellung. Du wirst es tatsächlich sehen können. Ich habe einmal mit einem Sucher durch diese Technik gearbeitet. Ich gab ihm eine Abbildung der Körperstruktur, auf die er sich konzentrieren sollte, bis er einen Begriff davon hatte, wie man sich das Rückgrat von innen vorstellt. Dann fing er an. Nach einer Woche kam er und sagte: „Dies ist sehr merkwürdig. Ich habe 23 6
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das Bild zu sehen versucht, das du mir gegeben hast, aber das Bild verschwand dauernd, und ich sah ein anderes vor mir, nicht genau wie das, das du mir gezeigt hast." Also sagte ich ihm: „Jetzt bist du auf dem richtigen Weg. Vergiß das Bild, und sehe in das Rückgrat hinein, das du sehen kannst.” Man kann seine eigene Körperstruktur von innen sehen. Wir versuchen es nie, weil das sehr, sehr angsterregend und ekelhaft ist, denn wenn du deine eigenen Knochen und Adern und dein eigenes Blut siehst, macht dir das Angst. Darum haben wir dieses innere Sehen völlig tabuisiert. Wir sehen den Körper nur von außen, so als sähe ihn jemand anders, so als würde man aus diesem Zimmer hinausgehen und es sich von außen ansehen. Dann kennst du die Außenwände. Komm herein und sieh dir das Haus an, dann siehst du auch die Innenwände. Du siehst deinen Körper von außen, als ob du jemand anders wärst, der deinen Körper sieht. Du hast dich noch nie von innen gesehen. Wir können es, aber weil wir Angst haben, ist es uns fremd geworden. Indische Yogabücher erwähnen viele Körperphänomene, die heute von der wissenschaftlichen Forschung als genau richtig bestätigt werden. Die Wissenschaft kann sich das nicht erklären: Woher wußten sie das? Die Chirurgie und das Wissen vom Inneren des menschlichen Körpers sind eine moderne Entwicklung. Wie konnten sie damals von all den Nerven, von all den Zentren, von all den inneren Strukturen wissen? Sie wußten sogar von den neuesten Entdeckungen. Sie haben davon gesprochen, sie haben damit gearbeitet. Yoga weiß seit je über alle wesentlichen Dinge im Körper Bescheid. Aber sie forschten nicht am Körper, sie sezierten ihn nicht: woher also wußten sie es? Weil es tatsächlich eine andere Möglichkeit gibt, sich den eigenen Körper anzusehen — von innen her. Wenn du dich nach innen konzentrieren kannst, fängst du plötzlich an, deinen Körper zu sehen — die innere Füllung des Körpers. Das ist für diejenigen geeignet, die sehr körperorientiert sind. Wenn du dich als einen Materialisten erfährst, wenn du das Gefühl hast, nichts als Körper zu sein, wird dir diese Technik sehr helfen. Wenn du dich für nichts als einen Körper hältst, wenn du einem Charvak oder einem Marx folgst und glaubst, daß der Mensch nichts als ein Körper ist, dann kann dir diese Technik 23 7
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ausgesprochen helfen. Dann gehe hin und schaue dir den Knochenbau des Menschen an. In alten Tantra — und Yogaschulen spielten Knochen eine große Rolle. Selbst heute findet man bei einem Tantriker immer ein paar Knochen, einen Schädel. Und das hilft tatsächlich bei der Konzentration von innen. Erst konzentriert man sich auf den Schädel, dann schließt man die Augen und versucht, seinen eigenen Schädel von innen zu sehen, und nach und nach bekommt man ein Gefühl davon. Das Bewußtsein stellt sich darauf ein. Jener äußere Schädel, die Konzentration auf ihn, die Vorstellung, das sind nur Hilfen. Ist der Blick erst auf das Innere eingestellt, kannst du von den Zehen bis zum Kopf gehen. Du kannst in dir spazierengehen ... und es ist ein großes Universum. Dein kleiner Körper ist ein großes Universum. Dies Sutra benutzt das Rückgrat, weil sich im Rückgrat der Lebensfaden befindet. Darum so viel Wert auf ein aufrechtes Rückgrat: denn wenn das Rückgrat nicht gerade ist, kannst du den inneren Faden nicht sehen. Er ist sehr fein, sehr subtil. Er ist minuziös. Er ist ein Energiestrom. Wenn also das Rückgrat gerade ist, absolut aufrecht, kannst du einen Schimmer von diesem Faden erhaschen — nur dann. Aber unser Rückgrat ist nie gerade. Die Hindus achten von Kindheit an auf ein aufrechtes Rückgrat. Wie sie sitzen, schlafen, gehen, all das beruht im Grunde auf einer geraden Wirbelsäule. Wenn das Rückgrat nicht gerade ist, ist es sehr schwer, sein inneres Mark zu sehen. Es ist sehr fein und eigentlich nicht stofflich. Es ist unstofflich, nur ein Kraftstrom. Wenn das Rückgrat absolut gerade ist, läßt sich diese Kraftader leicht erkennen. „Und werde so transformiert.” Und sobald du diese Ader fühlen, herausspülen und erkennen kannst, wirst du von einem neuen Licht erfüllt. Das Licht wird aus deiner Wirbelsäule kommen und sich über deinen ganzen Körper ausbreiten, es mag sogar über deinen Körper hinausgehen. Wenn es nach außen tritt, wird eine Aura sichtbar. Jeder hat eine Aura, aber normalerweise ist deine Aura nur ein Schatten ohne Licht — einfach dunkle Schatten um dich. Und diese Auras spiegeln jede deiner Stimmungen wider. Wenn du wü23 8
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tend bist, wird deine Aura wie bluterfüllt: sie füllt sich mit einem roten, wütenden Ausdruck. Wenn du traurig, trübe, niedergeschlagen bist, füllt sich deine Aura mit einem dunklen Geflecht, als wärest du dem Tod nahe — alles tot und schwer. Wenn ihr diese Ader in der Wirbelsäule erkennt, wird eure Aura erleuchtet. Ein Buddha, ein Mahavir, ein Krishna, ein Christus wird daher nicht nur zur Zierde mit einer Aura gemalt. Diese Aura gibt es. Das Rückgrat fängt an Licht auszustrahlen. Man wird von innen her erleuchtet, der ganze Körper wird zu einem Lichtkörper. Dann durchdringt er das Äußere. Ein Buddha, einer der erleuchtet ist, braucht daher niemanden zu fragen, wer er ist. Die Aura zeigt alles. Und wenn jemand erleuchtet wird, so weiß es der Lehrer, weil die Aura alles verrät. Ich will euch eine Geschichte erzählen: Hui Neng, ein chinesischer Meister, arbeitete unter seinem Guru. Aber als Hui Neng zu seinem Guru gekommen war, hatte dieser gesagt: „Wozu bist du hergekommen? Du brauchst nicht zu mir zu kommen.” Hui Neng konnte es nicht verstehen; Hui Neng glaubte, er sei noch nicht soweit, akzeptiert zu werden, aber der Lehrer sah etwas ganz anderes, er sah, daß seine Aura wuchs. Was er damit sagte, war: „Selbst wenn du nicht zu mir kommst, muß es früher oder später irgendwo passieren. Du bist schon dort, wo du hinwillst, du brauchst also gar nicht erst zu mir zu kommen.” Aber Hui Neng sagte: „Weise mich bitte nicht ab.” Also nahm der Guru ihn an und sagte ihm, er solle nur nach hinten, in die Küche des Klosters, gehen. Es war ein großes Kloster mit fünfhundert Mönchen. Der Guru sagte zu Hui Neng: „Gehe einfach nur hinten in das Kloster und hilf in der Küche. Und komme nicht wieder zu mir. Wann immer es nötig sein wird, werde ich zu dir kommen.” Hui Neng bekam keine Meditation, keine Schriften zu lesen, nichts zu studieren oder zu meditieren. Er wurde nicht unterrichtet. Er wurde einfach in die Küche geschickt. Das ganze Kloster war emsig. Es gab Pundits, Gelehrte, es gab Meditierer und Yogis, und das ganze Kloster summte vor Emsigkeit. Jeder war am arbeiten, und dieser Hui Neng putzte nur
Reis und machte
Küchenarbeit. 23 9
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Zwölfjahre vergingen. Hui Neng ging nie wieder zum Guru hin, denn er war ja nicht zugelassen. Er wartete und wartete und wartete. Er wartete einfach. Alle betrachteten ihn nur als Bediensteten. Es kamen Gelehrte, es kamen große Meditierer, aber kein Mensch beachtete ihn. Und es gab große Gelehrte im Kloster. Und dann erklärte der Lehrer, daß sein Tod nahe sei und daß er jetzt jemanden dazu ernennen wolle, seine Nachfolge zu übernehmen. Und so sagte er: „Wer sich für erleuchtet hält, soll ein kleines Gedicht in vier Zeilen schreiben. Und diese vier Zeilen müssen alles enthalten, was ihr erreicht habt. Und wenn ich irgendein Gedicht billige und bestätige, daß diese Zeilen von Erleuchtung zeugen, so will ich meinen Nachfolger bestimmen.” Es gab im Kloster einen großen Gelehrten; daher versuchte es niemand erst, denn jeder wußte, daß er gewinnen würde. Er kannte sich in allen Schriften aus. Er komponierte vier Zeilen. Die vier Zeilen lauteten etwa so, ihr Sinn war etwa der: „Der Geist ist wie ein Spiegel, auf dem sich Staub sammelt. Entferne den Staub, und du bist erleuchtet.” Aber selbst dieser große Gelehrte hatte Angst, weil der Lehrer doch Bescheid wußte. Er wußte längst, wer erleuchtet war und wer nicht, auch wenn sein Gedicht noch so schön war. Ja, es war die Essenz aller Schriften: „Der Geist ist wie ein Spiegel, auf dem sich Staub sammelt. Entferne den Staub, und du bist erleuchtet.” Das war der Kern aller Veden. Doch er wußte: es war auch nicht mehr als das. Selbst er hatte nichts erkannt; also hatte er Angst. Er ging damit nicht direkt zum Lehrer, sondern schlich sich nachts in seine Hütte, in die Hütte des Lehrers, und schrieb die vier Zeilen an die Wand, ohne Unterschrift. Auf diese Weise würde der Guru — falls er sie billigte — sagen: „Okay, getroffen.” Und dann könnte er sagen: „Das habe ich geschrieben!” Sagte der Guru aber: „Nein. Wer hat diese Worte geschrieben?” Dann würde er den Mund halten; so dachte er bei sich. Aber der Lehrer billigte sie. Am Morgen sagte der Lehrer: „Okay! ” Er lachte und sagte: „Okay! Der Mann, der dies geschrieben hat, ist ein Erleuchteter.” Nun fing das ganze Kloster an, darüber zu reden. Jeder wußte, wer es geschrieben hatte. Alle diskutierten und lobten diese Zeilen, denn sie waren schön, wirklich 24 0
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schön. Schließlich kamen ein paar Mönche in die Küche. Sie tranken Tee und unterhielten sich, und Hui Neng bediente sie. So hörte er, was geschehen war. Als er diese vier Zeilen hörte, lachte er. Da fragte ihn jemand: „Was gibt es da zu lachen, du Narr! Was weißt denn du? Zwölfjahre lang hast du hier in der Küche gedient; was hast du zu lachen?” Niemand hatte ihn bisher auch nur einmal lachen hören. Er galt als ein Idiot, der nicht einmal reden konnte. Jetzt sagte er: „Ich kann nicht schreiben, und ich bin auch nicht erleuchtet, aber diese Zeilen stimmen nicht. Wenn jemand mit mir kommt, will ich vier Zeilen schreiben. Aber es muß jemand mitkommen, der sie an die Wand schreibt. Ich selbst kann nicht schreiben.” Also kam jemand mit, nur zum Spaß. Eine Menge versammelte sich und Hui Neng sagte: „Schreib: Es gibt keinen Geist, und es gibt keinen Spiegel, wo soll sich also der Staub sammeln? Wer das weiß, ist erleuchtet.' Aber da kam schon der Lehrer heraus und sagte zu Hui Neng: „Das ist falsch.” Hui Neng berührte ihm die Füße und ging wieder in seine Küche zurück. In der Nacht, als alle schliefen, kam der Lehrer zu Hui Neng und sagte: „Du hast recht, aber ich konnte das nicht vor all diesen Idioten sagen — und es sind gelehrte Idioten! Und wenn ich gesagt hätte, daß du als mein Nachfolger bestimmt bist, würden sie dich umbringen. Fliehe also! Du bist mein Nachfolger, aber sag es keinem. Und ich wußte es schon am Tag, als du kamst. Deine Aura wuchs bereits. Darum brauchte ich dir gar keine Meditation zu geben. Es war nicht nötig. Du warst schon in Meditation. Und diese zwölf Jahre Schweigen — wo du nichts getan hast, nicht einmal meditiert — haben dich endgültig von deinem Geist gereinigt, und deine Aura hat sich endgültig entfaltet. Du bist zum Vollmond geworden. Aber fliehe von hier! Sonst töten sie dich. Du bist seit zwölf Jahren hier, und das Licht ist ständig von dir ausgegangen. Aber niemand hat es bemerkt, sie mochten noch so oft zur Küche kommen. Jeder ist zwei-, dreimal am Tag in der Küche gewesen, jeder kommt da durch. Genau deswegen habe ich dich nämlich in die Küche gesteckt. Aber kein Mensch hat deine Aura erkannt, also mach, daß du von hier fortkommst.” 64
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Wenn du die innere Ader der Wirbelsäule berührst, siehst, erkennst, beginnt sich um dich herum eine Aura auszubreiten. „Und werde so transformiert.” Laß dich von diesem Licht erfüllen und werde so transformiert. Auch dies ist ein Zentrieren — ein Zentrieren in der Wirbelsäule. Wenn du körperorientiert bist, wird dir diese Technik helfen. Wenn nicht, ist es schwer. Dann ist es schwer, dir dein Interesse sichtbar zu machen. Dann ist es schwer für dich, deinen Körper von innen zu sehen. Dies Sutra wird Frauen eher helfen als Männern. Sie sind mehr körperorientiert. Sie leben mehr im Körper; sie fühlen mehr. Sie können sich ihren Körper besser vorstellen. Frauen sind körperlicher als Männer, aber für jeden, der den Körper fühlen kann, der den Körper spürt, der ihn sich vorstellen kann, der seine Augen schließen und seinen Körper von innen fühlen kann, wird diese Technik äußerst hilfreich sein. Dann stell dir deine Wirbelsäule vor, und dann eine silberne Ader, die durch ihre Mitte geht, die sich hindurch zieht. Anfangs mag es wie Einbildung erscheinen, aber nach und nach erkennst du, wie die Einbildung weicht, und daß du dich auf dein Rückgrat eingestellt hast, und dann wirst du es selbst sehen. Und sobald du seinen inneren Kern erkennst, spürst du plötzlich eine Explosion von Licht in dir. Manchmal kann das auch ganz mühelos geschehen. Das kommt vor, und zwar auch wieder im tiefen Sexakt. Tantra weiß: In einem tiefen Sexakt konzentriert sich deine ganze Energie im Rückgrat. In einem tiefen Sexakt fängt das Rückgrat an, Elektrizität freizusetzen. Und wenn man dann zufällig das Rückgrat berührt, bekommt man einen Schock. Und wenn der Akt sehr tief und sehr liebevoll und lang ist, wenn die beiden Liebenden wirklich in einer ganz tiefen Umarmung sind, still, unbewegt, ganz voneinander erfüllt, einfach in ganz tiefer Umarmung verharrend, dann geschieht es. Es ist oft vorgekommen, daß ein dunkler Raum sich plötzlich mit Licht erfüllt, und beide Körper sich in eine Aura blauen Lichtes hüllen. Es gibt viele, viele solcher Fälle. Selbst in eurer Erfahrung mag es schon passiert sein, ohne daß ihr es bemerkt habt, daß sich in tiefer Liebe plötzlich ein Licht um beide Körper legt und daß das 242
Kapite19
Licht den ganzen Raum erfüllt. Oft ist es schon vorgekommen, daß plötzlich Dinge vom Tisch fallen, ohne sichtbaren Grund. Und heute sagen die Psychologen, daß in einem tiefen Sexakt Elektrizität freigesetzt wird. Diese Elektrizität kann viele Wirkungen und Auslösereffekte haben. Es können plötzlich Dinge fallen, verrücken oder brechen, und es gibt sogar Fotos, auf denen dies Licht sichtbar ist. Aber das Licht ist immer um das Rückgrat her konzentriert. Manchmal kann man also auch in einem tiefen Sexakt das gleiche beobachten — und Tantra weiß das sehr wohl und hat damit gearbeitet: du blickst nach innen und siehst den Faden, der die Mitte deines Rückgrats durchzieht. Und Tantra hat den Sexakt für diese Erkenntnis genutzt, aber das muß dann ein ganz anderer Sexakt sein, von ganz anderer Qualität. Nicht etwas, das man schnell hinter sich bringt, nicht etwas zum Druck ablassen, nicht etwas, was man eilig zu Ende bringt. Es ist dann kein körperlicher Akt mehr. Es ist dann eine tiefe spirituelle Kommunion. Es ist tatsächlich nur ein tiefes Zusammenkommen zweier Innerlichkeiten, mit Hilfe zweier Körper und zweier Subjektivitäten, die sich gegenseitig durchdringen. Ich schlage euch also vor, diese Technik auszuprobieren, wenn ihr in einem tiefen Sexakt seid. Dann wird es leichter sein. Vergeßt den Sex einfach. Wenn ihr tief umschlungen seid, ruht im Inneren. Vergeßt auch den anderen. Geht einfach nach innen und visualisiert eure Wirbelsäule. Dann ist es leichter, weil dann mehr Energie die Wirbelsäule entlangfließt. Und der Faden ist sichtbarer, weil ihr dann stiller seid, weil der Körper dann ruht. Liebe ist die tiefste Entspannung, aber wir haben daraus eine große Anspannung gemacht. Wir haben daraus eine Aufregung, eine Bürde gemacht. In der Wärme der Liebe — ganz erfüllt, entspannt — schließe die Augen. Aber Männer schließen normalerweise nicht die Augen, sondern nur Frauen. Darum sage ich auch, daß Frauen mehr körperorientiert sind und Männer weniger. In der tiefen Umarmung des sexuellen Aktes schließen Frauen die Augen. Wirklich, sie können mit offenen Augen nicht lieben. Bei geschlossenen Augen fühlen sie den Körper mehr von innen. Schließe die Augen 243
Das Buch der Geheimnisse
und fühle deinen Körper. Entspanne dich, konzentriere dich auf die Wirbelsäule. Und dies Sutra sagt sehr einfach: „Und werde so transformiert.” Und so wirst du transformiert.
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Man muß kein Genie sein, um Buddha zu werden
[Fragen]
Viele Fragen heute. Die erste:
Ist Selbstverwirklichung ein Grundbedürfnis des Menschen? 24 7
Das Buch der Geheimnisse
Versucht zunächst zu verstehen, was mit „Selbstverwirklichung” gemeint ist. A. H. Maslow spricht von „Selbstaktualisierung”. Der Mensch wird als Potential geboren. Er hat sich in Wirklichkeit noch nicht aktualisiert, sondern ist nur potentiell da. Der Mensch wird als Möglichkeit, nicht als Aktualität geboren. Er kann etwas werden. Er kann die Verwirklichung seines Potentials erreichen — oder auch nicht. Er mag die Gelegenheit wahrnehmen oder auch nicht — die Natur zwingt niemanden, sich zu verwirklichen. Du bist frei. Du kannst dich entscheiden, wirklich zu werden; du kannst dich aber auch entscheiden, nichts dafür zu tun. Der Mensch wird als Same geboren. Kein Mensch wird erfüllt geboren, sondern nur mit der Möglichkeit zur Erfüllung. Wenn das der Fall ist — und das ist der Fall — wird Selbstverwirklichung dein Grundbedürfnis. Denn solange du dich nicht erfüllt hast, solange du noch nicht bist, was du sein kannst oder sein sollst, solange sich deine Bestimmung noch nicht erfüllt hat, solange du noch nicht tatsächlich da bist, solange dein Same noch nicht zu einem ausgereiften Baum geworden ist, wirst du das Gefühl haben, daß dir etwas fehlt. Und jeder, jeder fühlt, daß ihm etwas fehlt. Dies Gefühl, daß euch etwas fehlt, kommt nur daher, daß ihr noch nicht verwirklicht seid. Es kommt nicht daher, daß es an Reichtümern fehlt oder an Stellung oder Ruhm oder Macht. Selbst wenn ihr bekommt, was ihr euch wünscht: Geld, Macht, Ansehen, was auch immer — es bleibt dies ständige Gefühl, daß innen etwas fehlt. Dieses fehlende Etwas hat nichts mit dem Äußeren zu tun, es betrifft dein inneres Wachstum. Ehe du dich nicht erfüllt hast, ehe du nicht zur Verwirklichung gediehen bist, zur Blüte, ehe du nicht zu einer inneren Befriedigung gelangt bist, in der du fühlen kannst: „Das ist es, was ich zu sein bestimmt war” wird dieses Gefühl des Mangels nicht weichen. Und du kannst dieses Gefühl des Mangels durch nichts anderes beheben. Selbstverwirklichung bedeutet also, daß ein Mensch das geworden ist, zu dem er bestimmt war. Er wurde als Same geboren, und nun ist er aufgeblüht. Er hat die Fülle seines Wachstums, seines inneren Wachstums erreicht, ist ans innere Ziel gelangt. Im gleichen Augenblick, da du fühlst, daß sich dein gesamtes Poten24 8
Kapitel 10
hal verwirklicht hat, erlebst du den Gipfel des Lebens, der Liebe, der Existenz. Abraham Maslow, der diesen Begriff „Selbstaktualisierung” benutzt hat, hat auch einen anderen Ausdruck geprägt: „Gipfelerlebnis.” Wenn man zu sich selbst gelangt, erreicht man einen Gipfel - einen Gipfel der Glückseligkeit. Nun gibt es keine Sehnsucht mehr - nach nichts. Man ist endgültig mit sich zufrieden. Nun fehlt nichts mehr: Kein Wunsch, kein Verlangen, kein Aus-sichHerausgehen. Was immer man ist, man ist völlig mit sich zufrieden. Die Selbstverwirklichung wird zum Gipfelerlebnis, und nur ein selbstverwirklichter Mensch kann zu Gipfelerlebnissen gelangen. Dann wird alles zum Gipfelerlebnis; was er tut, was er nicht tut, was er berührt, ja sein bloßes Dasein wird zum Gipfelerlebnis. Einfach nur dazusein ist Seligkeit. Dann hat Seligkeit nichts mehr mit irgend etwas Äußerem zu tun, sondern ist nur eine Folge inneren Wachstums. Ein Buddha ist ein Mensch, der sich verwirklicht hat. Darum stellen wir Buddha, Mahavir und andere in Skulpturen, Bildern und Abbildungen auf einem voll erblühten Lotus sitzend dar. Dieser voll erblühte Lotus ist der Inbegriff des inneren Aufblühens. Sie sind innerlich aufgeblüht, haben sich zur vollen Blüte geöff net. Dies innere Blühen gibt ihnen Glanz, eine nicht endende Seligkeit geht von ihnen aus. Alle, die auch nur ihren Schatten betreten, die ihnen nahekommen, fühlen eine Aura der Stille, die sie umgibt. Es gibt einen interessanten Bericht über Mahavir. Ein Mythos, aber Mythen sind schön, und sie sagen vieles, was sich anders nicht sagen läßt. Es heißt, daß überall, wo Mahavir hinging, alles zu blühen anfing, im Umkreis von vierundzwanzig Meilen. Selbst wenn es nicht Blütezeit war, öffneten sich alle Knospen. Das ist poetisch ausgedrückt: aber wer selbst nicht verwirklicht war und mit Mahavir in Kontakt kam, wurde von seinem Blühen angesteckt und spürte auch in sich ein inneres Erblühen. Auch wenn für ihn selbst die Blütezeit noch nicht gekommen war, auch wenn er noch nicht soweit war, spürte er den Widerhall, das Echo. Wem sich Mahavir näherte, der konnte in sich ein Echo fühlen und einen Schimmer von dem erfahren, was er selbst fähig war zu sein. 24 9
Das Buch der Geheimnisse
Selbstverwirklichung ist das Grundbedürfnis. Und wenn ich Grundbedürfnis sagte, dann meine ich, daß du dich immer noch unerfüllt fühlen wirst, wenn alle anderen Bedürfnisse außer diesem erfüllt sind. Oder umgekehrt: Wenn du dich selbst verwirklichst und dir sonst nichts erfüllt wird, fühlst du dennoch eine tiefe, totale Erfüllung. Darum ist Buddha ein Bettler und dennoch ein Kaiser. Buddha kam nach Kashi, als er erleuchtet wurde. Der König von Kashi suchte ihn auf und fragte: „Ich sehe, du besitzt nichts. Du bist nur ein Bettler, und dennoch, im Vergleich zu dir, fühle ich mich wie ein Bettler. Du hast nichts, aber so wie du gehst, wie du aussiehst, wie du lachst, scheint es, daß die ganze Welt dein Königreich ist, und doch hast du nichts Sichtbares — nichts! Was ist also das Geheimnis deiner Macht? Du siehst aus wie ein Kaiser. Wirklich, so wie du hat kein Kaiser je ausgesehen — als würde dir die ganze Welt gehören. Du bist König, aber wo ist deine Macht, wo liegt die Quelle?” Da sagte Buddha: „Sie ist in mir. Meine Macht, die Quelle von meiner Macht und allem, was du um mich her fühlst, ist in Wirklichkeit in mir. Ich habe nichts außer mir selbst; aber das ist genug. Ich bin erfüllt: ich wünsche mir nichts mehr. Ich bin wunschlos geworden.” Wirklich, ein selbstverwirklichter Mensch wird wunschlos. Normalerweise heißt es: Sei wunschlos, und du wirst dich selbst erkennen. Umgekehrt stimmt es: Erkenne dich selbst, und du wirst wunschlos. Und für Tantra liegt die Betonung nicht auf Wunschlosigkeit, sondern auf Selbstverwirklichung. Die Wunschlosigkeit ergibt sich daraus. Wünschen heißt, innerlich unerfüllt zu sein. Dir fehlt etwas, du lechzt danach. Wir rennen von einem Wunsch zum anderen, auf der Suche nach Erfüllung. Diese Suche endet nie, weil ein Wunsch zum nächsten führt. Wirklich, ein Wunsch erzeugt zehn. Wenn du dich voller Wünsche auf die Suche nach einem Zustand der wunschlosen Seligkeit machst, kommst du nie an. Aber wenn du es anders versuchst, und zwar mit Methoden der Selbsterkenntnis, mit Methoden, die dir helfen, dein inneres Potential zu erkennen und es auch zu verwirklichen, dann kommst du der Wirklichkeit näher; und es 250
Kapitel 10
kommen weniger und weniger Wünsche auf, denn sie kommen nur deswegen, weil du nicht erfüllt bist. Wenn du erfüllt bist, hört das Wünschen auf. Wie macht man das nun — Selbstverwirklichung? Zwei Dinge müssen verstanden werden. Das eine: Selbstverwirklichung bedeutet nicht, daß du dich dann verwirklicht hast, wenn du zu einem großen Maler, Musiker oder Dichter geworden bist. Natürlich wird sich dann ein Teil von dir verwirklicht haben, und auch das macht schon zufrieden. Wenn du das Talent eines guten Musikers hast und es erfüllst, wird ein Teil von dir erfüllt sein, aber nicht das Ganze. Der übrige Mensch in dir wird unerfüllt bleiben. Du hast Schlagseite. Ein Teil hat sich entwickelt, und der Rest hängt dir wie ein Stein um den Hals. Seht euch einen Dichter an: in den Augenblicken seiner poetischen Inspiration erscheint er wie ein Buddha: er vergißt sich selbst völlig. Der gewöhnliche Mensch in ihm scheint nicht mehr da zu sein. Ein Dichter in seinen schöpferischen Momenten erlebt einen Gipfel — mit einem Teil seines Wesens. Und manchmal haben Dichter Lichtblicke, die nur erleuchteten, buddhagleichen Geistern möglich sind. Ein Dichter kann wie ein Buddha sprechen. Khalil Gibran zum Beispiel spricht wie ein Buddha, ohne einer zu sein. Er ist ein großer Dichter. Wenn ihr also Khalil Gibran als Dichter seht, erscheint er wie ein Buddha, Christus oder Krishna. Aber wenn ihr hingeht und dem Menschen Khalil Gibran begegnet, ist er ganz gewöhnlich. Er spricht so schön über die Liebe, wie es vielleicht selbst ein Buddha nicht könnte. Aber Buddha kennt die Liebe mit seinem ganzen Sein. Khalil Gibran kennt die Liebe in seinem poetischen Höhenflug. In seinem Dichterflug hatte er Lichtblicke von Liebe, wunderbare Lichtblicke. Er drückt sie mit unvergleichlicher Einsicht aus. Aber wenn ihr hingeht und den wirklichen Khalil Gibran seht, den Menschen, dann spürt ihr den Unterschied. Dichter und Mensch sind weit voneinander entfernt. Der Dichter scheint etwas zu sein, was diesen Menschen manchmal überkommt, aber dieser Mensch ist nicht der Dichter. Darum haben Dichter das Gefühl, daß ein anderer dichte, und nicht sie, wenn sie kreativ sind. Sie haben das Gefühl, Instrument 25 1
Das Buch der Geheimnisse
einer anderen Energie geworden zu sein, einer anderen Kraft. Sie sind nicht mehr da. Dieses Gefühl kommt in Wirklichkeit daher, daß sie sich nicht in ihrer Ganzheit verwirklichen, sondern nur zum Teil. Nicht du hast den Himmel berührt, sondern nur ein Finger von dir; du selbst bleibst in der Erde verwurzelt. Manchmal springst du und bist für einen Moment nicht mehr auf der Erde. Du hast die Schwerkraft überlistet, aber im nächsten Augenblick kommst du wieder herunter. Wenn sich ein Dichter erfüllt, wenn sich ein Musiker erfüllt, erfährt ein Teil seines Wesens Lichtblicke. Es heißt von Beethoven, daß er ein völlig anderer Mensch war, wenn er auf dem Podium stand, am Dirigentenpult. Goethe hat gesagt, daß Beethoven wie ein Gott aussah, wenn er sein Orchester dirigierte. Man konnte ihn dann keinen gewöhnlichen Menschen mehr nennen. Er war überhaupt kein Mensch mehr, er war übermenschlich. Die Art, wie er blickte, die Art, wie er die Hand hob, alles war übermenschlich. Aber wenn er von der Bühne herabstieg, war er ein ganz gewöhnlicher Mensch. Der Mann auf dem Podium schien von einer anderen Kraft besessen, Beethoven war nicht mehr da, und etwas anderes hatte Besitz von ihm ergriffen. Von der Bühne zurück, war er wieder Beethoven, der ganz normale Mensch. Aus diesem Grund sind Dichter, Musiker, große Künstler, sind alle kreativen Menschen unter Anspannung. Denn sie leben auf zwei Daseinsebenen. Gewöhnliche Menschen sind nicht so angespannt, weil sie immer nur in einer leben — auf der Erde. Aber Dichter, Musiker, große Künstler ... sie springen. Sie überwinden die Schwerkraft. In bestimmten Augenblicken sind sie nicht auf dieser Erde, sind sie nicht Teil der Menschheit. Sie werden Teil der Buddha-Welt — des Buddha-Landes. Und dann kehren sie wieder zurück. Sie existieren an zwei Orten; ihre Persönlichkeit ist gespalten. Und so ist jeder kreative Künstler, jeder große Künstler, gewissermaßen geisteskrank. Die Spannung ist zu groß. Der Riß, die Lücke zwischen diesen beiden Daseinsebenen ist zu groß, unüberbrückbar! Manchmal ist er nur ein gewöhnlicher Mensch, manchmal wird er wie ein Buddha. Zwischen diesen beiden Po252
Kapitel 10
len wird er hin- und hergerissen. Aber er hat Lichtblicke. Wenn ich also von Selbstverwirklichung spreche, meine ich damit nicht, daß du zu einem großen Dichter oder Musiker sondern zu einem vollständigen Menschen werden sollst. Ich sage nicht: zu einem großen Menschen, denn ein großer Mensch ist immer fragmentarisch. Größe ist immer fragmentarisch — auf welchem Gebiet auch immer. Man bewegt sich nur in eine Richtung weiter, und in allen anderen Dimensionen bleibt man der gleiche — man hat „Schlagseite”. Wenn ich sage: „Werdet zu einem ganzen Menschen”, meine ich damit nicht, zu einem großen Menschen. Ich meine damit, daß du ein Gleichgewicht herstellen sollst: sei ausgewogen und erfüllt als Mensch — nicht als Musiker, nicht als Dichter, nicht als Künstler, sondern erfüllt als Mensch. Was heißt das: erfüllt als Mensch? Ein großer Dichter ist ein großer Dichter aufgrund großer Dichtung. Ein großer Musiker ist groß aufgrund großer Musik, und ein großer Mensch ist groß aufgrund bestimmter Dinge, die er getan hat — zum Beispiel mag er ein großer Held sein. Ein großer Mensch ist immer irgendwie fragmentarisch. Größe ist fragmentarisch, ist Stückwerk. Darum müssen große Menschen mit mehr Qualen fertigwerden als gewöhnliche. Was ist dagegen ein ganzer Mensch? Was ist mit „ganzer Mensch” gemeint — „vollständiger Mensch”? Es bedeutet erstens: Sei zentriert, sei „zentralisiert”. Lebe nicht ohne ein Zentrum. In diesem Augenblick bist du dies, im nächsten etwas anderes ... Wenn Leute zu mir kommen, frage ich sie immer: „Wo, meinst du, ist dein Zentrum? Im Herzen? Im Kopf? Im Nabel? Wo? Im Sexzentrum? Wo, wo fühlst du dein Zentrum?” Normalerweise sagen sie: „Manchmal fühle ich es im Kopf, manchmal im Herzen, manchmal überhaupt nicht.” Also sage ich ihnen, sie sollen ihre Augen schließen, und es jetzt im Augenblick fühlen. Und meistens — ich spreche von der Mehrheit — geschieht folgendes: Sie sagen: „Jetzt im Augenblick habe ich das Gefühl, im Kopf zu sein.” Und im nächsten Augenblick sind sie dort nicht mehr, sie sagen: „Und jetzt im Herzen.” Und im nächsten Augenblick sind sie wieder weitergerutscht. Sie sind wieder anderswo. Im Sexzentrum oder sonstwo. 253
Das Buch der Geheimnisse
Ihr seid in Wirklichkeit nicht zentriert. Ihr seid nur für Augenblicke zentriert. Jeder Augenblick hat sein eigenes Zentrum, und so geht ihr von einem zum anderen. Wenn der Kopf funktioniert, fühlt ihr den Kopf als Zentrum. Wenn ihr liebt, fühlt ihr, daß es das Herz ist. Wenn ihr nichts Bestimmtes tut, dann wißt ihr es nicht. Ihr könnt dann nicht herausfinden, wo es ist. Denn ihr könnt es nur spüren, wenn ihr etwas Bestimmtes tut, wenn ihr etwas Bestimmtes arbeitet. Dann wird ein bestimmter Teil des Körpers zum Zentrum. Aber du bist nicht zentriert. Wenn du nicht etwas Bestimmtes tust, kannst du nicht sagen, wo dein Daseinszentrum ist. Ein vollständiger Mensch ist zentriert. Was immer er tut, er bleibt in seiner Mitte. Wenn sein Geist funktioniert, denkt er. Das Denken spielt sich im Kopf ab, aber er bleibt im Nabel zentriert. Das Zentrum geht nie verloren. Er benutzt den Kopf, aber geht nie in den Kopf. Er benutzt das Herz, aber geht nicht ins Herz. All diese Dinge werden zu Instrumenten, er aber bleibt zentriert. Zweitens: Er ist ausgewogen. Natürlich, wenn man zentriert ist, ist man ausgewogen. Das Leben ist ein tiefes Gleichgewicht. Man ist nie einseitig; man ist nie in einem Extrem. Man bleibt in der Mitte. Buddha nennt das den „mittleren Pfad”. Er bleibt immer in der Mitte. Ein Mensch, der nicht zentriert ist, geht immer ins Extrem. Wenn er ißt, dann ißt er zuviel, er überißt sich. Oder er fastet vielleicht, aber die richtige Menge zu essen, ist ihm unmöglich. Er kann leicht fasten und sich leicht überessen. Er kann in der Welt sein, völlig in sie verwickelt, oder er kann der Welt entsagen, aber er wird niemals ausgeglichen sein. Er kann nie in der Mitte bleiben, denn wenn man nicht zentriert ist, weiß man nicht, was „Mitte” heißt. Ein Mensch, der zentriert ist, ist immer in der Mitte; er geht nie ins Extrem, egal, was er tut. Buddha nennt ein solches Essen „rechtes Essen”, weder Völlerei noch Fasten. Seine Arbeit nennt er „rechte Arbeit”: weder zuviel noch zuwenig. Was immer geschieht, er ist ausgeglichen. Das erste ist also: Ein selbstverwirklichter Mensch ist zentriert. Das zweite: ausgewogen. Das dritte: Wenn diese beiden Dinge 254
Kapitel10
geschehen — Zentrierung und Ausgewogenheit, ergibt sich vieles daraus. Drittens, er wird sich immer wohlfühlen. Was auch immer geschieht, sein Wohlgefühl geht nie verloren. Ich sage: Was immer geschieht, bedingungslos; das Wohlgefühl wird nicht verschwinden. Denn einer, der in seinem Zentrum ist, ist immer entspannt. Selbst wenn der Tod kommt, fühlt er sich wohl. Er wird den Tod so empfangen, wie jeden anderen Gast. Wenn Unglück kommt, empfängt er es. Was immer geschieht, es kann ihn nicht aus seinem Zentrum herausholen. Er fühlt sich wohl, weil er in seiner Mitte ist. Für so einen Menschen ist nichts zu trivial und nichts zu grob. Alles wird heilig, schön, heil — alles! Was immer er tut — was es auch sei — ist von höchster Bedeutung, als wäre es von höchster Bedeutung; nichts ist ihm trivial. Er nennt nicht das eine trivial und das andere groß. Denn wirklich, die Dinge sind weder groß, noch sind sie klein und trivial. Von einem solchen Menschen beriihrt zu werden, ist bedeutungsvoll. Ein selbstverwirklichter Mensch, ein ausgewogener, zentrierter Mensch, verwandelt alles. Seine bloße Berührung macht die Dinge bedeutsam. Wenn ihr einem Buddha zuschaut, werdet ihr sehen, daß er beim Gehen das Gehen liebt. Wenn man nach Bodh Gaya geht, wo Buddha die Erleuchtung erlangte, zum Ufer des Niranjana-Flusses, dorthin, wo er unter dem Bodhi-Baum saß, wird man sehen, daß seine Fußspuren markiert worden sind. Er meditierte immer eine Stunde und ging dann spazieren. In der buddhistischen Terminologie heißt das Chakraman. Er saß unter dem Bodhi-Baum und ging dann ein wenig herum. Er ging in einer heiteren Haltung, in Meditation. Jemand fragte Buddha: „Warum tust du dies? Erst sitzt du mit geschlossenen Augen und meditierst, dann gehst du herum.” Buddha sagte: „Dazusitzen und still zu sein ist leicht, also gehe ich. Aber ich nehme die Stille in mir mit. Ich sitze, aber innen bin ich der gleiche — still. Ich gehe, aber innen bin ich der gleiche — still.” Die innere Qualität ist die gleiche. Er trifft einen Kaiser, er trifft einen Bettler, aber Buddha ist der gleiche: Er hat die gleiche innere Qualität. Einem Bettler begegnet er nicht anders als einem Kaiser. Er bleibt der gleiche. Der Bettler ist ihm kein Niemand, 255
Das Buch der Geheimnisse
und der Kaiser kein Jemand. Und wirklich, wenn Kaiser Buddha entgegentraten, haben sie sich wie Bettler gefühlt, und Bettler wie Kaiser. Das Flair, der Mensch, die Qualität bleibt gleich. Solange er lebte, fragte er seine Jünger jeden Morgen: „Wenn ihr etwas zu fragen habt, so fragt.” Am Tag als er starb, an jenem Morgen, war es auch so. Er rief seine Jünger und sagte: „Wenn ihr jetzt etwas zu fragen habt, dann könnt ihr fragen, und bedenkt, daß dies der letzte Morgen ist. Ehe dieser Tag zu Ende geht, werde ich nicht mehr sein.” Er war der gleiche. Das war der letzte Tag, aber er war der gleiche. Genau wie an jedem anderen Tag fragte er: „Okay, wenn ihr etwas zu fragen habt, dann fragt — aber das ist heute der letzte Tag.” Sein Tonfall war unverändert, aber die Jünger fingen zu weinen an. Sie vergaßen das Fragen ganz. Buddha fragte: „Warum weint ihr? Hättet ihr an einem anderen Tag geweint, wäre es okay gewesen, aber heute ist der letzte Tag, ich werde am Abend nicht mehr sein, verschwendet also keine Zeit mit Weinen. An einem anderen Tage wäre es okay gewesen. Da hättet ihr Zeit verschwenden können. Verschwendet eure Zeit nicht mit Weinen. Warum weint ihr? Fragt, wenn ihr etwas zu fragen habt.” Er war der gleiche, im Leben wie im Tod. Drittens also ist so ein Mensch ganz entspannt: Ihm sind Leben und Tod, Seligkeit und Unglück gleich. Nichts stört, nichts holt ihn aus seinem Zuhause, aus seiner Ausgewogenheit heraus. Einem solchen Menschen könnt ihr nichts mehr hinzufügen. Ihr könnt ihm nichts nehmen, ihr könnt ihm nichts hinzufügen. Er ist erfüllt. Jeder seiner Atemzüge ist ein erfüllter Atemzug — still, selig. Er ist angekommen. Er ist bei der Existenz, beim Dasein angekommen. Er ist zum ganzen Menschen erblüht. Dies ist kein teilweises Erblühen, Buddha ist nicht etwa ein großer Dichter. Natürlich, alles, was er sagt, ist Dichtung. Er ist ganz und gar kein Dichter, aber schon sein Gehen, jede seiner Bewegungen ist Poesie. Er ist kein Maler, aber wenn er spricht, wird alles, was er sagt, zum Gemälde. Er ist kein Musiker, aber sein ganzes Wesen ist Musik par excellence. Dieser Mensch ist in seiner Ganzheit angekommen. Was er auch tut oder nicht tut, selbst wenn er schweigend dasitzt und gar nichts tut, so wirkt und erschafft seine Gegenwart selbst noch im Schweigen. Es ist krea256
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tiv. Tantra befaßt sich nicht mit dem Wachstum, das nur einen Teil von dir betrifft. Es befaßt sich mit dir als ganzem Wesen. Drei Dinge sind also grundlegend: du mußt zentriert, verwurzelt, ausgewogen sein; das heißt, daß du immer in der Mitte bist, ohne jede Mühe, natürlich: wenn es anstrengend ist, bist du nicht ausgewogen. Du mußt entspannt sein — entspannt im Universum, zu Hause in der Schöpfung, und dann ergibt sich vieles. Dies ist ein Grundbedürfnis, denn wirklich, bevor nicht dieses Bedürfnis erfüllt ist, wirst du nur dem Namen nach ein Mensch sein, bist du Mensch nur als Möglichkeit. Du bist nicht wirklich Mensch. Du kannst es aber sein, du hast die Anlage dazu. Aber die Anlage muß verwirklicht werden. Die zweite Frage: Bitte erkläre Kontemplation, Konzentration und Meditation. Kontemplation ist Denken — zielgerichtetes Denken. Wir alle denken, aber das ist nicht Kontemplation. Das ist ein ungeordnetes Denken, vage, ohne Ziel. Wirklich, unser Denken ist nicht Kontemplation, sondern das, was die Freudianer Assoziation nennen. Ein Gedanke führt zum nächsten, ohne daß du Einfluß darauf hättest. Ein Gedanke führt von sich aus zu einem anderen, mit Hilfe von Assoziationen. Du siehst einen Hund über die Straße laufen, und du fängst an, über Hunde nachzudenken. Der Hund war der Auslöser einer Assoziationskette in deinem Denken. Als Kind hattest du vor einem ganz bestimmten Hund Angst. Dieser Hund kommt dir in den Sinn und dann auch deine Kindheit. Jetzt vergißt du den Hund. Jetzt fängst du an, einfach durch Assoziationen, von deiner Kindheit zu träumen. Dann wird die Kindheit wieder mit anderen Dingen verknüpft, und du drehst dich im Kreis. Wenn du dich einmal entspannst, versuche, deinen Gedankengang dorthin zurückzuverfolgen, wo er angefangen hat. Gehe zurück: verfolge die Spur. Dann wirst du sehen, daß davor ein anderer Gedanke war, der zu diesem geführt hat. Und sie sind nicht logisch verbunden, denn was hat ein Hund auf der Straße mit 25 7
Das Buch der Geheimnisse
deiner Kindheit zu tun? Da gibt es keine logische Verbindung — nur Assoziationen in deinem Kopf. Wäre ich über die Straße gegangen, hätte mich der gleiche Hund nicht an meine Kindheit erinnert, er hätte mich irgendwo anders hingeführt. Bei einem dritten hätte er wieder zu etwas anderem geführt. Jeder hat Assoziationsketten im Kopf. Jede beliebige Kette kann durch irgendein Geschehen, irgendeinen Zufall ausgelöst werden. Dann funktioniert das Hirn wie ein Computer. Eins führt zum anderen, und das zu wieder etwas anderem, und das geht den ganzen Tag so. Schreibt mal auf ein Blatt Papier, was immer euch in den Kopf kommt, ganz ehrlich: ihr werdet baß erstaunt sein. Was ist in eurem Kopf los? Da gibt es keine Beziehung zwischen zwei Gedanken, und diese Art von Denken betreibt ihr immerzu! Das nennt ihr denken? Das ist nichts als ein Assoziieren des einen Gedankens mit dem anderen, und sie führen sich selbst. Du wirst geführt. Denken wird dann zur Kontemplation, wenn es sich nicht durch Assoziationen bewegt, sondern gelenkt wird. Du arbeitest an einem bestimmten Problem: du richtest deinen Geist darauf. Er wird versuchen, durch jedes Schlupfloch auf eine Nebenbahn zu entkommen, zu einer Assoziation. Du schneidest alle Nebenwege ab. Du hältst deinen Geist auf nur einer Straße, du lenkst deinen Geist. Ein Wissenschaftler, der an einem Problem arbeitet, ist in Kontemplation. Ein Logiker, der an einem Problem arbeitet, ein Mathematiker, der an einem Problem arbeitet, ist in Kontemplation. Ein Dichter versenkt sich in eine Blume: Dann ist die ganze Welt ausgeklammert bis auf diese Blume und den Dichter, und er geht mit der Blume mit. Vieles wird ihn auf andere Bahnen locken, aber er erlaubt seinem Geist nicht, woanders hinzugehen. Der Geist bewegt sich auf einer Linie — gelenkt. Das ist Kontemplation. Wissenschaft gründet sich auf Kontemplation. Alles logische Denken ist Kontemplation: Der Gedanke wird gelenkt, das Denken geführt. Denken, das gewöhnliche Denken, ist absurd. Kontemplation ist logisch, rational. Dann gibt es Konzentration: Konzentration ist ein Verharren an einem Punkt. Das ist nicht dasselbe wie Kontemplation, ist kein 258
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Denken. Konzentration heißt, wirklich an einem Punkt verweilen, dem Geist nicht zu erlauben weiterzugehen. Im Denken führt sich der Geist wie ein Wahnsinniger auf - irn gewöhnlichen Denken. In der Kontemplation wird der Wahnsinnige gelenkt, geleitet: Er kann keine Seitensprünge machen. In der Konzentration wird dem Geist nicht einmal erlaubt, sich zu bewegen. Im gewöhnlichen Denken darf er überall hin; in Kontemplation darf er nur in eine bestimmte Richtung, in Konzentration darf er sich überhaupt nicht bewegen. Er darf nur an einem Punkt verharren. Die gesamte Energie, die ganze Bewegung hält inne, bleibt an einem Punkt. Yoga hat mit Konzentration zu tun, der gewöhnliche Mensch mit ungelenktem Denken, der wissenschaftliche Kopf mit gelenktem Denken. Der yogische Geist hat sein Denken auf einen Punkt gerichtet. Keine Bewegung ist erlaubt. Und schließlich die Meditation. Im gewöhnlichen Denken darf der Geist hin, wo er will: in Kontemplation darf er nur in eine bestimmte Richtung: Alle anderen Richtungen sind ihm abgeschnitten. In Konzentration darf er sich nicht einmal in eine Richtung bewegen, er darf sich nur auf einen Punkt konzentrieren. Und in Meditation wird überhaupt kein Geist zugelassen. Meditation ist Nicht-Geist. Dies sind die vier Stufen - gewöhnliches Denken, Kontemplation, Konzentration, Meditation. Meditation heißt Nicht-Geist: Nicht einmal Konzentration ist erlaubt. Der Geist selbst darf nicht da sein! Darum kann Meditation vom Geist her nicht begriffen werden. Bis hin zur Konzentration geht der Bereich des Geistes, bis dahin dehnt er sich aus. Der Geist kann Konzentration verstehen. Aber der Geist kann Meditation nicht verstehen. Tatsächlich ist der Geist überhaupt nicht mehr zugelassen. In Konzentration darf der Geist an einem Punkt bleiben, in Meditation wird ihm selbst dieser Punkt weggenommen. Im gewöhnlichen Denken stehen ihm alle Richtungen offen. In Kontemplation ist ihm nur eine Richtung offen. Und in Konzentration nur noch ein Punkt - keine Richtung mehr. In Meditation ist selbst dieser Punkt nicht da: Dem Geist wird nicht erlaubt, dazusein. Das gewöhnliche Denken ist der gewöhnliche Zustand des 25 9
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Geistes, Meditation ist die höchste Möglichkeit. Der niedrigste Zustand ist gewöhnliches Denken — Assoziation; und der höchste Zustand, der Gipfel, ist Meditation — Nicht-Geist. Und in der nächsten Frage wird das gleiche gefragt:
Kontemplation und Konzentration sind mentale Prozesse. Wie können mentale Prozesse dabei helfen einen Zustand des Nicht-Geistes herbeizuführen? Die Frage ist wichtig. Der Geist selbst fragt, wie der Geist über den Geist hinausgelangen kann! Wie kann irgendein mentaler Prozeß dabei helfen, etwas herzustellen, was nicht zum Geist gehört? Es erscheint widersprüchlich. Wie kann dein Geist versuchen, einen Zustand herzustellen, der nicht Geist ist? Versucht, das wirklich zu verstehen. Solange der Geist da ist, was ist dann da? Ein Denkvorgang! Geht es aber um den Nicht-Geist, was ist dann da? Kein Denkvorgang! Wenn deine Denkvorgänge immer weniger werden, wenn du dein Denken immer mehr auflöst, kommst du nach und nach, langsam aber sicher zum Nicht-Geist. Geist heißt Denken; Nicht-Geist heißt Nicht-Denken. Und der Geist kann dabei helfen! Der Geist kann bei seinem Selbstmord mithelfen. Jeder kann Selbstmord begehen, aber es wird nie gefragt, wie denn ein lebender Mensch sich selbst dazu verhelfen kann, tot zu sein?! Du kannst dir helfen, tot zu sein. Jeder macht es. Ihr könnt eurem Sterben nachhelfen und lebt trotzdem. Genauso kann der Geist dabei helfen, zu Nicht-Geist zu werden. Wie kann er das? Wird der Denkprozeß immer dichter, dann gehst du vom Geist zu Mehr-Geist. Wenn der Denkvorgang sich lichtet, abnimmt, sich verlangsamt, hilfst du dir selbst, dich in Richtung Nicht-Geist zu bewegen. Es kommt auf dich an. Und der Geist kann helfen, weil „Geist” nämlich in Wirklichkeit das ist, was du im Augenblick aus deinem Bewußtsein machst. Wenn du dein Bewußtsein in Ruhe läßt, ohne irgend etwas damit zu tun, wird es zu Meditation. Es gibt also zwei Möglichkeiten: entweder du verringerst lang260
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sam und allmählich deinen Geist. Wenn du ihn um ein Prozent verringerst, dann hast du neunundneunzig Prozent Geist und ein Prozent Nicht-Geist in dir. Es ist, als würdest du Möbel aus deinem Zimmer räumen, als hättest du ein Möbelstück entfernt. Es ist dann mehr Platz im Zimmer. Und wenn du noch mehr Möbel herausnimmst, entsteht noch mehr Raum. Wenn du dann alle Möbel entfernt hast, wird das ganze Zimmer zu Raum. Der Raum wird in Wirklichkeit nicht dadurch geschaffen, daß du die Möbel entfernst: Der Raum war schon da. Er war lediglich voller Möbel. Wenn du die Möbel entfernst, kommt etwa kein Raum von außen — der Raum war da, nur voller Möbel. Du hast die Möbel entfernt und so den Raum wiedergewonnen, zurückerlangt. Im Grunde ist Geist ein voller Raum, von Gedanken erfüllt. Wenn du einige Gedanken entfernst, wird Raum geschaffen oder wiederentdeckt oder wiedergewonnen. Je mehr Gedanken du entfernst, desto mehr gewinnst du nach und nach deinen Raum zurück. Dieser „Raum” ist Meditation. Das kann langsam geschehen, aber auch plötzlich. Man braucht nicht viele Leben lang Möbel auszuräumen, denn das bringt wieder Probleme. Wenn du die Möbel entfernst, dann entsteht ein Prozent Raum und neunundneunzig Prozent Raum bleiben besetzt. Dieser fast volle Raum fühlt sich nicht wohl, was den leeren Raum anbelangt; er will ihn wieder füllen. So verringert man einerseits langsam die Gedanken und fängt gleichzeitig an, wieder neue zu erzeugen. Morgens setzt du dich ein bißchen hin, um zu meditieren. Du verlangsamst deinen Gedankenprozeß. Dann stürzt du dich ins Marktgewühl, und es gibt eine Flut von Gedanken: der Raum ist wieder voll. Am nächsten Tag tust du das gleiche und tust es immer wieder — wirfst hinaus und lädst wieder ein. Du kannst auch alle Möbel auf einmal hinauswerfen. Du hast die Wahl. Es ist schwer, weil du dich so an die Möbel gewöhnt hast; du könntest dich ohne Möbel unbehaglich fühlen, du wirst sicher nicht wissen, was du mit diesem Raum anfangen sollst. Du kannst sogar Angst davor bekommen, in diesen Raum hineinzugehen. Du hast dich nie in einer solchen Freiheit bewegt. Geist ist Konditionierung. Wir haben uns an Gedanken 26 1
Das Buch der Geheimnisse
gewöhnt. Habt ihr je beobachtet — und wenn ihr es nicht getan habt, dann tut es —, daß ihr jeden Tag die gleichen Gedanken denkt? Ihr seid wie eine Schallplatte, und nicht mal eine neue, sondern eine alte. Ihr wiederholt immer und immerzu die gleichen Dinge. Warum? Was hat das für einen Sinn? Nur einen — eingefahrene Gewohnheit; und du glaubst, etwas Sinnvolles zu tun! Du liegst auf deinem Bett und wartest nur auf den Schlaf: Warum tust du das jeden Tag? Die gleichen Dinge wiederholen sich. Aber das hilft in gewisser Weise. Alte Gewohnheiten helfen — als Konditionierung. Ein Kind braucht ein Spielzeug. Wenn es das Spielzeug bekommt, schläft es ein; hinterher kannst du ihm das Spielzeug wieder wegnehmen. Aber ohne das Spielzeug kann das Kind nicht einschlafen. Es ist eine Konditionierung. Wenn es das Spielzeug bekommt, löst das etwas in ihm aus. Jetzt kann es einschlafen. Das gleiche passiert mit euch. Die Spielzeuge mögen verschieden sein. Der eine kann nicht einschlafen, wenn er nicht Ram, Ram, Ram wiederholt. Anders kann er nicht einschlafen! Dies ist ein Spielzeug. Wenn er Rain, Ram, Ram vor sich hersingt, hat er sein Spielzeug bekommen, er kann einschlafen. In einem neuen Zimmer fällt es dir schwer, einzuschlafen. Wenn du immer in bestimmten Kleidungsstücken schläfst, dann brauchst du sie jeden Tag. Die Psychologen sagen, daß man nur sehr schwer einschlafen kann, wenn man normalerweise ein Nachthemd trägt und es auf einmal nicht mehr bekommt. Warum? Wenn du nie nackt geschlafen hast, fühlst du dich nicht wohl. Warum? Nacktheit und Schlaf haben nichts miteinander zu tun. Außer für dich — deine alte Gewohnheit. Bei alten Gewohnheiten fühlt man sich wohl, sie sind bequem. Denkmuster sind ebenfalls nur Gewohnheiten. Du fühlst dich wohl — der gleiche Gedanke jeden Tag, die gleiche Routine. Du hast das Gefühl, daß alles okay ist. Du hast viel in deine Gedanken investiert: Das ist das Problem. Deine Möbel sind nicht einfach Gerümpel zum Wegwerfen, du hast viel, viel in sie investiert. Alle Möbel könnten augenblicklich hinausgeworfen werden: Das ist möglich! Es gibt plötzliche Me26 2
Kapitel 10
thoden, von denen wir noch sprechen werden. Augenblicklich, jetzt gleich, kannst du von deinem ganzen mentalen Mobiliar befreit werden. Aber dann bist du plötzlich unbesetzt, leer, und weißt nicht mehr wer du bist. Da weißt du nicht mehr, was du tun sollst, weil zum erstenmal deine alten Muster nicht mehr da sind. Der Schock kann zu plötzlich sein. Du kannst sogar sterben oder verrückt werden. Darum werden plötzliche Methoden nie benutzt, außer für den, der bereit ist. Man kann plötzlich verrückt werden, wenn alle Ankerketten reißen. Die Vergangenheit bricht augenblicklich zusammen - und wenn die Vergangenheit mit einem Schlag fällt, kannst du dir die Zukunft nicht mehr vorstellen, weil du dir die Zukunft immer nach dem Muster der Vergangenheit vorgestellt hast. Nur die Gegenwart bleibt, und du bist nie in der Gegenwart gewesen. Entweder warst du in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Wenn du also nur in der Gegenwart bist, zum allererstenmal, dann läufst du Amok, wirst du verrückt. Darum werden plötzliche Methoden nie benutzt, außer du arbeitest in einer Mysterienschule, außer du arbeitest unter einem Lehrer, einer Gruppe, außer du hast dich total ausgeliefert und dein ganzes Leben der Meditation gewidmet. Allmähliche Methoden sind daher gut. Sie nehmen viel Zeit in Anspruch, aber so kannst du dich nach und nach an den leeren Raum gewöhnen. Du fängst an, den leeren Raum zu fühlen - seine Schönheit, seine Seligkeit - und so wird dir nach und nach dein Mobiliar genommen. Es ist also gut, vom gewöhnlichen Denken zunächst zur Kontemplation weiterzugehen: Das ist die allmähliche Methode. Und aus der Kontemplation heraus ist es gut, sich zu konzentrieren. Das ist die allmähliche Methode. Und aus der Konzentration heraus ist es gut, den Sprung in die Meditation zu tun. Dann gehst du langsam vor, fühlst bei jedem Schritt Boden unter den Füßen - und erst wenn du wirklich mit jedem Schritt Fuß gefaßt hast, tust du den nächsten. Es ist kein Sprung: Es ist ein allmähliches Wachstum. Das sind also die vier Schritte - gewöhnliches Denken, Kontemplation, Konzentration, Meditation. 263
Das Buch der Geheimnisse
Die dritte Frage:
die Entwicklung des Nabelzentrums völlig frei und unabhängig vom Wachstum des Herz- und Kopfzentrums, oder entwickelt sich das Nabelzentrum gleichzeitig mit ihnen? Und erkläre bitte auch inwiefern sich die Techniken für die Ent- faltung des Nabelzentrums von den Techniken für die Entwicklung von Kopf und Herz unterscheiden. Ist
Eines muß man grundsätzlich verstehen: Herz- und Kopfzentrum müssen entwickelt werden, das Nabelzentrum dagegen nicht. Das Nabelzentrum braucht nur entdeckt zu werden: man muß es nicht entwickeln. Das Nabelzentrum ist bereits da. Ihr müßt es aufdecken, entdecken. Es ist da, voll entwickelt. Ihr braucht es nicht zu entfalten. Das Herz- und das Kopfzentrum sind Entwicklungen, sie brauchen nicht entdeckt zu werden. Gesellschaft, Kultur, Erziehung und Prägung helfen, sie zu entwickeln. Aber das Nabelzentrum ist dir angeboren. Ohne das Nabelzentrum kannst du nicht leben. Du kannst ohne Herzzentrum sein, du kannst ohne Kopfzentrum sein. Sie sind hilfreich: es ist gut, sie zu haben, aber du kannst auch ohne sie leben. Das wird zwar sehr unangenehm sein, aber leben kannst du ohne sie. Ohne das Nabelzentrum jedoch könntest du gar nicht da sein. Es ist nicht etwas, daß du gebrauchen kannst, es ist dein Leben selbst. Es gibt also Techniken dafür, wie man das Herzzentrum entwickelt, wie Liebe, Empfindsamkeit, Empfänglichkeit heranwachsen können. Es gibt Methoden und Techniken, um rationaler, logischer zu werden. Verstand läßt sich entwickeln: Gefühl läßt sich entwickeln. Aber Sein läßt sich nicht entwickeln. Es ist sicher schon da, es muß nur noch entdeckt werden. Daraus ergibt sich vieles. Das eine: du bist vielleicht nicht fähig, zu denken wie Einstein, logisch zu schließen wie ein Einstein. Das magst du nicht können; aber trotzdem kannst du ein Buddha werden. Ein Einstein hat ein Kopfzentrum, das in höchster Perfektion funktioniert. Ein anderer dagegen, ein Liebender, ein Majnu, hat ein Herzzentrum, das in höchster Vollkommenheit funktioniert. 26 4
Kapitel 10
Du kannst vielleicht kein Majnu werden, wohl aber ein Buddha, weil die Buddhaschaft in dir nicht entwickelt werden muß: Sie ist bereits da. Sie hat mit dem wichtigsten Zentrum zu tun, dem ursprünglichen Zentrum — dem Nabel. Du bist bereits ein Buddha, nur unbewußt. Du bist nicht schon ein Einstein. Da müßtest du dich sehr anstrengen, und auch dann ist es nicht sicher, ob du einer wirst. Es gibt keine Garantie, ja, es scheint unmöglich. Warum unmöglich? Weil ein Kopf wie Einstein die gleiche Wachstumssituation, das gleiche Milieu, dieselbe Ausbildung braucht. Das läßt sich nicht wiederholen, es ist unwiederholbar. Erst mußt du die gleichen Eltern finden, denn die Entwicklung fängt im Mutterleib an. Es ist schwierig, die gleichen Eltern zu finden — unmöglich. Wie kannst du dieselben Eltern finden, das gleiche Geburtsdatum, das gleiche Zuhause, die gleichen Bezugspersonen, die gleichen Freunde? Du mußt das Leben Einsteins genau wiederholen —„siehe oben". Wenn auch nur ein Punkt fehlt, wirst du ein anderer Mensch sein. Das ist also unmöglich. Ein Individuum wird nur einmal in diese Welt geboren, weil sich seine Situation nicht wiederholen läßt. Es würde ungeheuer viel dazu gehören, sie wiederherzustellen! Es bedeutet, daß wieder die gleiche Welt im gleichen Augenblick da sein müßte. Das ist nicht möglich: es ist unmöglich. Du bist bereits da, und in allem, was du tust, ist deine Vergangenheit enthalten. Du kannst kein Einstein werden. Individualität kann man nicht wiederholen. Buddha ist kein Individuum: Buddha ist ein Phänomen. Individuelle Faktoren sind unwichtig. Dein Dasein allein genügt, um Buddha zu sein. Das Zentrum ist bereits da, und es funktioniert. Du mußt es nur entdecken. Die Techniken für das Herzzentrum sind Techniken, um etwas zu entwickeln, und die Techniken für das Nabelzentrum haben mit entdecken zu tun. Du mußt es aufdecken. Du bist schon ein Buddha, du brauchst diese Tatsache nur zu erkennen. Es gibt also nur zwei Menschentypen: Buddhas, die wissen, daß sie Buddhas sind, und Buddhas, die nicht wissen, daß sie Buddhas sind. Aber jeder ist ein Buddha. Was die Existenz betrifft, ist jeder 26 5
Das Buch der Geheimnisse
gleich. Nur in der Existenz gibt es Kommunismus: überall sonst ist Kommunismus absurd. Niemand ist gleich: überall sonst ist Ungleichheit die Grundlage. Es mag also paradox klingen, wenn ich sage, daß nur Religion zum Kommunismus führt; aber ich meine diesen Kommunismus: die tiefe Gleichheit der Existenz, des Daseins. Hier seid ihr einem Buddha, einem Christus, einem Krishna gleich, aber sonst gibt es keine zwei gleichen Individuen. Das äußere Leben beruht auf Ungleichheit; das innere Leben beruht auf Gleichheit. Diese hundertzwölf Methoden sind also nicht dazu da, das Nabelzentrum zu entwickeln. Sie sind dazu da, es zu entdecken. Darum wird manch einer plötzlich zum Buddha: Weil man nicht erst etwas herstellen muß. Wenn du dich selbst anschauen, wenn du tief in dich selbst hineingehen kannst, ist alles, was du brauchst, schon da: Es ist bereits der. Fall. Es kommt nur darauf an, wie du auf den Punkt geworfen werden kannst, wo du bereits Buddha bist. Meditation hilft dir nicht dabei, ein Buddha zu werden. Sie hilft dir nur dabei, zu erkennen, daß du ein Buddha bist. Noch eine Frage: Sind alle Erleuchteten im Nabel zentriert? Ist Krishnamurti zum Beispiel im Kopfoder im Nabel zentriert? War Ramakrishna im Herzen oder im Nabel zentriert? Jeder Erleuchtete ist im Nabel zentriert, aber der Ausdruck eines jeden Erleuchteten mag durch andere Zentren fließen. Macht euch diesen Unterschied ganz klar. Jeder Erleuchtete ist im Nabel zentriert; es geht nicht anders. Aber wie er sich ausdrückt, ist eine andere Sache. Ramakrishna drückt sich durch das Herz aus. Er benutzt sein Herz als das Medium seiner Botschaft. Was immer er im Nabel gefunden hat, er drückt es durch sein Herz aus. Er singt, er tanzt — das ist seine Art, Seligkeit zum Ausdruck zu bringen. Die Seligkeit wird im Nabel gefunden, nirgendwo sonst. Er ist im Nabel zentriert. Aber wie kann er es den anderen mitteilen? Um es auszudrücken, benutzt er sein Herz. 266
Kapitel 10
Krishnamurti benutzt seinen Kopf dazu. Darum sind die Ausdrucksweisen beider so verschieden. Wer an Ramakrishna glaubt, kann nicht an Krishnamurti glauben. Wer an Krishnamurti glaubt, kann nicht an Ramakrishna glauben, weil sich der Glaube immer an den Ausdruck hält, nicht an die Erfahrung selbst. Ramakrishna erscheint einem Menschen, der mit dem Verstand denkt, wie ein Kind. Was für ein Unsinn — zu tanzen, zu singen? Was macht er da? Buddha hat nie getanzt, und Ramakrishna tanzt? Es sieht kindisch aus. Für den Verstand ist das Herz immer kindisch. Und dem Herzen erscheint der Verstand unnütz, oberflächlich. Krishnamurti meint das gleiche wie Ramakrishna: Die Erfahrung ist dieselbe, sei es für Ramkrishna, Chaitanya oder Meera. Aber wenn der Betreffende im Kopf zentriert ist, ist seine Erklärung, sein Ausdruck rational. Wenn Ramakrishna Krishnamurti trifft, sagt er: „Los, komm, laß uns tanzen. Was verschwendest du deine Zeit? Mit Tanzen kann man es einfacher sagen, und es geht auch tiefer.” Und Krishnamurti würde sagen: „Tanzen? Tanzen hypnotisiert euch, ihr dürft nicht tanzen. Analysiert! Geht mit Vernunft vor! Durchleuchtet es mit dem Verstand, analysiert es, seid bewußt!” Es handelt sich um verschiedene Zentren, die jeweils zum Ausdruck benutzt werden, aber die Erfahrung ist die gleiche. Sie läßt sich auch malen. Die Zen-Meister haben sie gemalt. Wenn sie erleuchtet wurden, malten sie das. Sie sagten kein Wort: sie malten es einfach nur. Die Rishis — die Weisen der Upanischaden — haben herrliche Dichtungen geschrieben. Als sie erleuchtet wurden, dichteten sie. Chaitanya tanzte nur; Ramakrishna sang, Buddha gebrauchte den Kopf, Mahavir gebrauchte den Kopf, den Verstand, um zu erklären, um zu sagen, was er erfahren hatte. Sie bauten großartige Gedankensysteme, um ihre Erfahrung auszudrücken. Aber die Erfahrung selbst ist weder rational noch emotional. Sie ist jenseits von beidem. Es hat nur wenige gegeben, ganz, ganz wenige, die sich durch beide Zentren ausdrücken konnten. Ihr könnt viele Krishnamurtis finden, ihr könnt viele Ramakrishnas finden. Es kommt nur selten vor, daß jemand sich durch beide Zentren ausdrücken kann. So einer stiftet Verwirrung. Dann wißt 26 7
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ihr nie, woran ihr mit einem solchen Menschen seid, weil ihr euch zwischen diesen beiden Zentren keine Beziehung vorstellen könnt: Sie erscheinen gegensätzlich. Wenn ich etwas sage, dann muß ich es mit Hilfe des Verstandes sagen. Also ziehe ich viele Leute an, die rational, die kopforientiert sind. Und dann sehen sie eines Tages, daß ich Singen und Tanzen erlaube. Dann wird ihnen unwohl: was ist los? Wo ist denn da die Beziehung?! Aber für mich gibt es da keinen Gegensatz. Tanzen ist auch eine Art zu sprechen und manchmal sogar eine tiefere. Der Verstand ist auch eine Art zu sprechen, und manchmal sogar eine sehr klare. Beide sind also Arten des Ausdrucks. Würdet ihr einen Buddha tanzen sehen, gerietet ihr in Verwirrung. Wenn ihr einen Mahavir in seiner Nacktheit dastehen und Flöte spielen seht, raubt euch das den Schlaf. Was ist mit Mahavir los? Ist er verrückt geworden? Bei Krishna ist die Flöte okay, aber bei Mahavir ist sie absolut unglaublich. Eine Flöte in der Hand von Mahavir? — Undenkbar! Man kann es sich nicht einmal vorstellen. Aber der Grund ist nicht, daß es zwischen Mahavir und Krishna, zwischen Buddha und Chaitanya einen Widerspruch gäbe: Es ist nichts als ein Unterschied im Ausdruck. Buddha zieht einen bestimmten geistigen Typ an, den kopforientierten Menschen, und Chaitanya und Ramakrishna ziehen genau das Gegenteil an, den herzorientierten Menschen. Aber solche Schwierigkeiten können auftreten: Ein Mensch wie ich macht Kopfzerbrechen. Ich ziehe nämlich beide an — und dabei fühlt sich niemand ganz wohl: denn solange ich rede, fühlt sich der kopforientierte Mensch wohl, aber sobald ich den anderen Ausdruck zulasse, wird es dem kopforientierten Menschen ungemütlich. Und umgekehrt genauso. Wenn eine emotionale Methode benutzt wird, fühlt sich der herzorientierte Mensch wohl. Aber wenn ich diskutiere, wenn ich ein Argument bis zu Ende ausführe, dann tritt er ab, dann ist er nicht mehr hier. Er sagt: „Das ist nichts für mich.” Gerade gestern kam eine Dame zu mir und sagte: „Ich war mit in Mount Abu, und da wurde es schwierig. Am ersten Tag, als ich dir zuhörte, war es wunderbar. Ich fühlte mich angezogen: Ich 268
Kapitel 10
war ganz aufgeregt. Aber dann sah ich Kirtan, Tanzen und Singen, und entschloß mich, sofort abzureisen; das war nichts für mich. Ich ging zum Omnibusbahnhof: aber dann wußte ich nicht weiter. Ich wollte dich sprechen hören, also kam ich zurück. Ich wollte mir nicht entgehen lassen, was du sagtest." Es muß ihr sehr schwer gefallen sein. Sie sagte zu mir: „Es war ein solcher Gegensatz!” Das scheint so, weil diese Zentren widersprüchlich sind, und weil dieser Widerspruch in euch ist. Euer Kopf verträgt sich nicht mit eurem Herzen. Sie sind in Konflikt. Und aufgrund eures inneren Konflikts, scheinen Ramakrishna und Krishnamurti in Konflikt zu sein. Stellt eine Brücke zwischen eurem Kopf und eurem Herzen her, dann werdet ihr erkennen, daß es nur Medien sind. Ramakrishna war vollkommen ungebildet: keinerlei Entwicklung des Verstandes. Er war reines Herz. Nur ein Zentrum war entwickelt – das Herz. Krishnamurti ist reiner Verstand. Er befand sich in den Händen rigoroser Rationalisten — von Anni Besant, Leadbeater und anderen Theosophen. Das waren die größten Systememacher dieses Jahrhunderts. Wirklich, die Theosophie gehört zu den größten Systemen, die je geschaffen wurden — absolut durchrationalisiert. Er wurde von Rationalisten erzogen. Er ist reiner Verstand. Selbst wenn er von Herz und Liebe spricht, ist seine ganze Ausdrucksweise rational. Ramakrishna ist anders. Selbst wenn er vom Verstand spricht, ist er absurd. Totapuri kam zu ihm und begann, ihn Vedanta zu lehren. Also sagte Totapuri zu ihm: „Laß diesen ganzen Anbetungskram. Laß diese Mutter Kali endgültig fallen. Wenn du diesen ganzen Unsinn nicht läßt, werde ich dich nicht lehren, denn Vedanta hat nichts mit Anbetung zu tun. Es ist Erkenntnis.” Ramakrishna sagte: „Okay, aber gestatte mir einen Augenblick, damit ich die Große Mutter fragen kann, ob ich diesen ganzen Unsinn lassen darf. Gib mir einen Augenblick Zeit, um die Mutter zu fragen.” Das ist der herzorientierte Mensch! Selbst um die Mutter zu verlassen, muß er sie um Erlaubnis bitten. Und er sagte: „Sie ist so voller Liebe, sie wird es mir erlauben, mach dir also keine Gedanken.” Totapuri konnte nicht begreifen, was er da sagte. 269
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Ramakrishna sagte: „Sie ist so liebevoll, sie hat mir noch nie etwas abgeschlagen. Wenn ich zu ihr gehe und ihr sage: Mutter, ich muß dich verlassen, denn ich lerne jetzt Vedanta und darf diesen ganzen Anbetungskram nicht mehr machen, laß mich gehen`, dann wird sie es mir erlauben. Sie wird mir totale Freiheit lassen.” Baut eine Brücke zwischen Herz und Kopf, und dann sagen alle, die je erleuchtet wurden, das gleiche — mögen sich ihre Sprachen auch unterscheiden.
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Die Reise nach innen
Sutras]
15. Wenn du alle sieben Öffnungen des Kopfes mit deinen Händen verschließt wird der Raum zwischen den Augen allumfassend. 16. Gesegnete! Wenn alle Sinne im Herzen aufgenommen sind, gehe in die Mitte des Lotus 17. Ohne auf den Geist zu achten, bleib in der Mitte — bis ...
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Der Mensch gleicht einem Kreis ohne Mitte. Sein Leben ist oberflächlich: sein Leben spielt sich nur am Rand ab. Ihr lebt an der Außenseite: Ihr lebt niemals innen. Und bevor ihr keine Mitte findet, könnt ihr es auch nicht. Ich habe entdeckt, daß ihr nicht innen leben könnt. Ja, ohne Mitte habt ihr gar kein „Innen”, sondern nur ein „Außen”. Darum reden wir immer nur über das Innere, darüber, wie man nach innen geht, wie man sich selbst erkennt, wie man ins Innere eindringt, aber diese Worte sind ohne wirkliche Bedeutung. Ihr wißt den Sinn der Worte, aber ihr könnt nicht fühlen, was sie bedeuten, weil ihr niemals innen seid. Ihr seid niemals nach innen gegangen! Selbst wenn du allein bist, ist in deinem Kopf ein Gedränge. Wenn außen niemand da ist, bist du darum noch lange nicht innen. Du denkst ständig an andere; du gehst weiterhin nach außen. Selbst wenn du schläfst, träumst du von den anderen. Du bist nicht innen. Nur in einem sehr tiefen Schlaf, wenn keine Träume da sind, bist du innen, aber dann bist du unbewußt. So ist es: Wenn du bewußt bist, bist du nicht in dir, und wenn du in dir bist, im Tiefschlaf zum Beispiel, bist du unbewußt. Also ist dein ganzes Bewußtsein auf das Außen gerichtet. Und immer, wenn wir davon reden, nach innen zu gehen, sind zwar unsere Worte verständlich, aber nicht ihr Sinn, weil die Worte den Sinn nicht enthalten können: Ihr Sinn kommt durch Erfahrung. Wörter sind ohne Sinn. Wenn ich sage „innen”, versteht ihr das Wort, aber nur das Wort, nicht den Sinn. Ihr wißt nicht, was „innen” ist, denn ihr wart nie bewußt innen. Euer Geist geht ständig nach außen. Ihr habt kein Gefühl dafür, was„das Innere" bedeutet. Das meine ich, wenn ich sage: „Ihr seid wie ein Kreis ohne Mitte” — nur eine Peripherie; die Mitte ist zwar da, aber ihr berührt sie nur, wenn ihr nicht bewußt seid. Wenn ihr bewußt seid, geht ihr nach außen, und darum ist euer Leben nie intensiv; das kann es auch nicht sein. Es ist nur lauwarm. Ihr lebt, als wärt ihr tot: ihr seid beides zugleich. Ihr seid tot-lebendig, lebt ein todgleiches Leben. Ihr existiert am Minimum. Nicht am maximalen Gipfel, sondern am Minimum. Ihr könnt sagen: „Ich bin” — das ist aber auch alles. Wenn ihr sagt, daß ihr lebt, heißt das nur, daß ihr nicht tot seid. 2 74
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Aber das Leben läßt sich nie von der Peripherie her erkennen. Das Leben kann nur vom Zentrum aus erkannt werden. An der Peripherie ist nur lauwarmes Leben möglich. Ihr lebt also in Wirklichkeit ein ganz unechtes Leben, und so wird sogar der Tod unecht — denn jemand, der nicht wirklich gelebt hat, kann auch nicht wirklich sterben. Nur ein echtes Leben kann zu einem echten Tod führen. Dann ist der Tod schön: Alles Echte ist schön. Dagegen ist ein Leben, das unecht ist, häßlich. Und euer Leben ist häßlich — verrottet. Nichts passiert. Ihr wartet immer nur und hofft, daß irgendwas irgendwann irgendwo passiert. Jetzt im Augenblick ist nur Leere da, und so war es schon immer — einfach nur leer. Ihr wartet auf die Zukunft, hofft, daß etwas passiert, irgendwann — ihr seid immer am Hoffen. So geht jeder Augenblick verloren. Es ist in der Vergangenheit nichts passiert, es wird auch in Zukunft nichts passieren. Nur jetzt, in diesem Augenblick kann etwas passieren. Aber dazu gehört Intensität, durchdringende Intensität. Ihr müßt im Zentrum Wurzeln haben, die Peripherie ist nicht genug. Ihr müßt den Augenblick für euch entdecken. Wir denken tatsächlich nie darüber nach, was wir sind: und was i mmer wir zu sein glauben ist nur Hokuspokus. Ich wohnte einmal mit einem Professor auf einem Universitätsgelände zusammen. Eines Tages kam er ganz aufgeregt an, und ich fragte ihn: „Was ist los?” Er sagte: „Ich habe Fieber.” Ich las gerade und riet ihm: „Leg dich schlafen. Nimm diese Bettdecke und ruhe dich aus.” Er ging ins Bett, aber nach ein paar Minuten sagte er: „Nein, ich habe kein Fieber, in Wirklichkeit bin ich wütend. Jemand hat mich beleidigt, und ich habe eine Stinkwut auf ihn.” Da fragte ich: „Warum hast du zuerst gesagt, daß du Fieber hättest?” Er sagte: „Ich konnte nicht zugeben, daß ich wütend war, aber in Wirklichkeit bin ich es. Ich habe kein Fieber.” Er warf die Bettdecke weg, und ich sagte: „Okay, wenn du wütend bist, dann nimm dieses Kopfkissen. Schlage drauf und tobe dich daran aus. Laß deinen Aggressionen freien Lauf. Und wenn dir das Kissen nicht reicht, dann bin ich auch noch da. Du kannst mich schlagen. Laß diese ganze Wut raus.” Er lachte, aber sein Lachen war falsch, nur aufgesetzt. Es huschte über sein Gesicht und verschwand sofort wieder. Es ging gar 275
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nicht in ihn hinein. Es kam nicht von innen. Es war nur ein aufgesetztes Lachen, aber das Lachen, auch wenn es falsch war, schuf eine Lücke. Er sagte: „Nein, ich bin eigentlich nicht wirklich wütend: jemand hat etwas über mich vor anderen gesagt, und das hat mich sehr verlegen gemacht. Das ist es in Wirklichkeit.” Nun sagte ich zu ihm: „Du hast deine Aussage über deine Gefühle in einer halben Stunde dreimal geändert. Erst sagst du, du hast Fieber, dann bist du wütend, und jetzt bist du nicht wütend, sondern verlegen. Was stimmt?” Er sagte: „In Wirklichkeit bin ich verlegen.” Ich sagte: „Was bist du wirklich? Als du sagtest, daß du Fieber hättest, warst du auch sicher, daß es stimmt. Als du sagtest, daß du wütend bist, warst du dir auch sicher. Und jetzt bist du auch wieder sicher. Bist du ein Mensch oder viele? Wie lange wird diese Gewißheit anhalten?” Da sagte der Mann: „Wirklich, ich weiß nicht, was ich eigentlich fühle. Ich weiß nicht, was es ist. Ich bin einfach verwirrt. Ob du es nun Wut, Verlegenheit oder sonst etwas nennst, ich weiß es nicht. Dies ist nicht der Augenblick, darüber zu diskutieren.” Er sagte: „Laß mich in Ruhe, du hast meine Situation philosophisch gemacht. Du diskutierst darüber, was wirklich ist, was authentisch ist, und ich bin ganz verstört!” Diese Geschichte handelt nicht von irgend jemandem, von X, Y oder Z, sondern von dir. Du bist dir nie sicher, weil Gewißheit nur kommt, wenn du irn Zentrum bist. Du bist dir nicht einmal deiner selbst gewiß. Es ist unmöglich, Gewißheit über andere zu haben, wenn du nie Gewißheit über dich selbst hast. Da ist nichts als Ungewißheit, Nebelhaftigkeit. Nichts ist gewiß. Erst vor ein paar Tagen war jemand bei mir und fragte mich: „Ich liebe eine Frau und will sie heiraten.” Ich sah ihm ein paar Minuten tief in die Augen, ohne etwas zu sagen. Er wurde unruhig und sagte: „Warum siehst du mich so an? Ich werde ganz verlegen.” Ich sah ihn unverwandt an. Er sagte: „Glaubst du, daß meine Liebe verlogen ist?” Ich sagte nichts, sah ihn nur weiterhin an. Er sagte: „Warum glaubst du, daß diese Heirat nicht gut sein wird?” Er sagte das von sich aus. „Ich hab ' s mir eigentlich noch gar nicht richtig überlegt, darum bin ich ja zu dir gekommen. In Wirklichkeit weiß ich nämlich nicht, ob ich sie liebe oder nicht.” 276
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Ich hatte kein einziges Wort gesagt. Ich sah ihm einfach nur in die Augen. Aber er wurde unruhig, und Dinge, die in ihm waren, kamen hoch, sprudelten hoch. Ihr seid nicht sicher. Ihr könnt nicht sicher sein, über gar nichts. Weder über eure Liebe, noch über euren Haß, noch über eure Freundschaften. Es gibt nichts, worüber ihr Gewißheit habt, denn ihr habt kein Zentrum. Ohne Zentrum gibt es keine Gewißheit. Alle eure Gefühle von Gewißheit sind falsch und momentan. In einem Moment glaubt ihr, euch sicher zu sein, aber irn nächsten ist die Gewißheit schon weg, weil ihr jeden Augenblick ein anderes Zentrum habt. Ihr habt kein permanentes Zentrum, kein kristallisiertes Zentrum. Jeder Augenblick ist ein Atom für sich, und so hat jeder Augenblick sein eigenes Selbst. Georg Gurdjieff sagte immer, daß der Mensch eine Menschenmenge ist. Deine Persönlichkeit ist nur ein Trugbild, denn du bist keine Person. Du bist viele Personen. Wenn also eine Person aus dir spricht, ist sie für einen Augenblick dein Zentrum. Im nächsten Augenblick ist ein anderes Zentrum da. In Jedem Augenblick, in jeder noch so kleinen Situation bist du dir über etwas sicher, und bemerkst nie, daß du ein Fluß bist, mit vielen Wellen, ohne irgendein Zentrum. Am Ende hast du dann das Gefühl, dein Leben verschwendet zu haben. Das kann nicht ausbleiben. Es ist nichts als Vergeudung, ein Umherirren — sinnlos, bedeutungslos. Bei Tantra, Yoga, Religion geht es vor allem darum, wie man das Zentrum entdeckt — wie man erst einmal ein Individuum wird. Es geht darum, wie man das Zentrum finden kann, das in allen Situationen gleich bleibt. Dann bleibt das Zentrum im Inneren erhalten, während das Leben außen weitergeht, während der Strom des Lebens weiter und weiterfließt, während Wellen kommen und gehen. Dann bleibst du einheitlich — verwurzelt, zentriert. Diese Sutras sind Techniken, die helfen, das Zentrum zu finden. Das Zentrum ist bereits da, denn einen Kreis ohne Mittelpunkt gibt es nicht. Der Kreis kann nur da sein, wenn ein Zentrum da ist. Also ist das Zentrum nur vergessen. Es ist da, aber wir sind uns dessen nicht bewußt. Es ist da, aber wir wissen nicht, wie wir es ins Auge fassen können. Wir wissen nicht, wie wir unser Bewußtsein darauf lenken können. 277
Das Buch der Geheimnisse
Die dritte Technik, um ins Zentrum zu gelangen:
Wenn du alle sieben Öffnungen des Kopfes mit deinen Händen verschließt wird der Raum zwischen den Augen allumfassend. Das ist eine der ältesten Techniken, eine, die am meisten verwendet wird, und dazu eine der einfachsten: Verschließe alle Öffnungen des Kopfes – Augen, Ohren, Nase, Mund –, alle Öffnungen des Kopfes. Wenn alle Öffnungen des Kopfes verschlossen sind, wird das Bewußtsein, das ständig nach außen fließt, plötzlich gestoppt: es kann nicht mehr nach außen gehen. Ihr mögt es noch nie bemerkt haben – aber wenn ihr den Atem auch nur für einen Moment anhaltet, steht der Verstand still, denn er kann sich nur mit dem Atmen bewegen. Das ist die Konditionierung des geistigen Prozesses. Ihr müßt verstehen, was Konditionierung heißt, dann wird dieses Sutra leicht verständlich. Pavlow, einer der berühmtesten russischen Psychologen, hat aus diesem Ausdruck „Konditionierung” oder „bedingter Reflex” ein Alltagswort gemacht, das die ganze Welt kennt. Jeder, der auch nur ein bißchen von Psychologie weiß, kennt dieses Wort. Zwei Gedankengänge – beliebige Gedankengänge – können so assoziiert werden, daß mit dem einen auch der andere automatisch ausgelöst wird. Pavlow experimentierte mit einem Hund. Er fand heraus, daß sich im Maul des Hundes Speichel bildet, wenn man ihm Futter vorsetzt. Die Zunge des Hundes hängt heraus, und er wartet auf sein Fressen. Das ist natürlich. Wenn er die Nahrung sieht, oder sie sich auch nur vorstellt, fließt der Speichel. Aber Pavlow verband diesen Vorgang mit noch einem andern. Wann immer das Futter da war und der Speichel floß, machte er noch etwas anderes. Zum Beispiel schlug er eine Glocke an. Fünfzehn Tage lang läutete es jedesmal, wenn die Nahrung kam. Am sechzehnten Tag wurde dem Hund kein Futter vorgesetzt, sondern nur die Glocke angeschlagen, und der Speichel floß, die Zunge kam heraus, als ob es Futter gäbe. Es war aber keins da – nur die Glocke läutete. Es gibt keine natürliche Verbindung zwischen einer läutenden Glocke und 2 78
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Spucke, sondern nur zwischen Futter und Spucke. Aber inzwischen war das regelmäßige Läuten der Glocke mit dem Futter assoziiert worden, und das bloße Läuten löste den Vorgang der Speichelbildung aus. Nach Pavlow - und er hat recht - ist unser ganzes Leben ein konditionierter Reflex. Unser ganzes Denken und Fühlen ist konditioniert. Wenn du also irgend etwas in dem konditionierten Programm unterbrichst, wird alles damit Assoziierte auch unterbrochen. Zum Beispiel: Ihr habt nie gedacht, ohne zu atmen. Denken und Atmen gehen immer zusammen. Ihr seid euch nicht bewußt, daß ihr atmet, aber das Atmen ist ständig da, Tag und Nacht. Jeder Gedanke, jeder Denkprozeß ist mit Atmen assoziiert. Wenn du plötzlich deinen Atem anhältst, hört auch jeder Gedanke auf. Und wenn alle sieben Löcher, die sieben Öffnungen des Kopfes, verschlossen sind, kann dein Bewußtsein plötzlich nicht mehr nach außen gehen. Es bleibt innen, und dieses „Drinnenbleiben” erzeugt zwischen deinen Augen einen Raum. Dieser Raum wird „drittes Auge” genannt. Wenn alle Öffnungen des Kopfes geschlossen sind, kannst du nicht nach außen gehen, weil du immer durch diese Öffnungen nach außen gegangen bist. Du bleibst innen, und mit diesem Verharren wird dein Bewußtsein auf die Stelle zwischen beiden Augen gerichtet, zwischen deinen beiden gewöhnlichen Augen. Dein Bewußtsein verharrt dazwischen. Diese Stelle wird drittes Auge genannt. Dieser Raum wird allumfassend. Das Sutra sagt, daß in diesem Raum alles eingeschlossen ist. Die ganze Existenz ist eingeschlossen. Wenn du diesen Raum fühlen kannst, hast du alles gefühlt. Sobald du diesen Raum zwischen den beiden Augen fühlen kannst, hast du die Existenz erkannt - in ihrer Totalität -, denn dieser innere Raum ist allumfassend. Nichts wird ausgeklammert. Die Upanischaden sagen: Erkennst du dies eine, dann erkennst du alles. Unsere beiden Augen können nur das Begrenzte sehen, das dritte Auge sieht das Unbegrenzte. Unsere beiden Augen können nur das Stoffliche sehen, das dritte Auge sieht das Unstoffliche - das Spirituelle. Mit Hilfe dieser beiden Augen kannst du nie die 279
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Energie erkennen, kannst du sie nie sehen: Du kannst nur Materie erkennen. Aber mit dem dritten Auge wird Energie als solche sichtbar. Dies Schließen der Öffnungen ist eine Methode des Zentrierens, denn sobald der Bewußtseinsstrom nicht nach außen fließen kann, bleibt er an seiner Quelle. Diese Quelle des Bewußtseins ist das dritte Auge. Wenn du im dritten Auge zentriert bist, geschehen viele Dinge. Als erstes entdeckst du, daß die ganze Welt in dir ist. Swami Ram sagte immer: „Die Sonne bewegt sich in mir, die Sterne bewegen sich in mir, der Mond geht in mir auf. Das ganze Universum ist in mir.” Als er das zum erstenmal sagte, dachten seine Jünger, er sei verrückt geworden. Wie können Sterne in Ramteerth sein? Er sprach vom dritten Auge, vom inneren Raum. Wenn sich zum erstenmal jener innere Raum erhellt, entsteht dies Gefühl. Wenn du siehst, daß sich alles in dir befindet, wirst du zum Universum. Das dritte Auge ist nicht Teil deines physischen Körpers. Es gehört nicht deinem stofflichen Körper an! Der Raum zwischen deinen beiden Augen ist kein Raum, der durch deinen Körper begrenzt ist. Es ist der unendliche Raum, der in dich eingedrungen ist. Sobald du diesen Raum erkannt hast, wirst du nie wieder der gleiche Mensch sein. Im Augenblick, wo du diesen inneren Raum kennst, kennst du das Todlose. Dann gibt es keinen Tod mehr. Wenn du diesen Raum zum erstenmal erlebst, wird dein Leben plötzlich wahr, intensiv, zum erstenmal wirklich lebendig. Jetzt ist keine Sicherheit mehr nötig. Jetzt ist keine Angst mehr möglich. Jetzt kannst du nicht getötet werden. Jetzt kann dir nichts genommen werden. Jetzt gehört dir das ganze Universum: Du bist das Universum. Alle, die diesen inneren Raum erkannt haben, haben in Ekstase ausgerufen: „Aham Brahmasmi!” – „Ich bin das All, ich bin die Schöpfung!” Der Sufi-Mystiker Mansoor wurde nur deshalb umgebracht, weil er das dritte Auge erfahren hatte. Als er sich zum erstenmal dieses inneren Raumes bewußt wurde, rief er aus: „Ich bin Gott.” In Indien wäre er angebetet worden, weil Indien viele, viele Men280
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schen gekannt hat, die zu diesem inneren Raum des dritten Auges vorgedrungen sind. Aber in einem islamischen Land war es schwierig. Und Mansoors Aussage -„Ich bin Gott", „Anal Haq”, „Aham Brahmasmi” — wurde als Lästerung empfunden, weil der Islam es nicht für möglich hält, daß Mensch und Gott eins werden können. Der Mensch ist Mensch, das Geschaffene, und Gott ist der Schöpfer. Wie kann also das Geschöpf zum Schöpfer werden? Also wurde diese Behauptung von Mansoor, „Ich bin Gott”, nicht verstanden. Darum hat man ihn umgebracht. Aber als er umgebracht, getötet wurde, lachte er. Da fragte jemand: „Warum lachst du, Mansoor?” Mansoor soll geantwortet haben: „Ich lache, weil ihr mich nicht töten könnt. Ihr laßt euch von diesem Körper täuschen. Aber ich bin nicht dieser Körper. Ich bin der Schöpfer dieses Universums, und es war mein Finger, der dies ganze Universum in Gang gesetzt hat.” In Indien wäre er ohne weiteres verstanden worden. Diese Sprache ist hier seit Jahrhunderten und aber Jahrhunderten bekannt. Wir wissen längst, daß ein Augenblick kommt, wo dieser innere Raum erkannt wird. Dann wird man einfach verrückt. Und diese Erkenntnis ist so gewiß, daß selbst, wenn ihr einen Mansoor tötet, er seine Behauptung niemals ändern wird — denn wirklich, ihr könnt ihn gar nicht töten. Er ist zum Ganzen geworden. Es gibt keine Möglichkeit, ihn zu zerstören. Nach Mansoor merkten sich die Sufis gut, daß es besser ist, den Mund zu halten. Und so ist in der Sufi Tradition nach Mansoor diese Lehre beständig weitergereicht worden: „Wann immer du auf das dritte Auge stößt, sei still und sage nichts. Wann immer dies geschieht, bleib still. Sage nichts, oder sage nur Dinge, die die Leute glauben können.” Und so hat der Islam heute zwei Traditionen: eine ist nur äußerlich, exoterisch, die andere — der wirkliche Islam — ist der Sufismus, die esoterische Tradition. Aber die Sufis bleiben seit Mansoor still, weil sie gelernt haben, daß es dich unnötig in Schwierigkeiten bringt, wenn du die Sprache sprichst, die dich überkommt, wenn sich das dritte Auge öffnet — und weil niemandem damit geholfen ist. Dies Sutra sagt: „Wenn du alle sieben 281
Das Buch der Geheimnisse
Öffnungen des Kopfes mit deinen Händen verschließt, wird der Raum zwischen den Augen allumfassend." Dein innerer Raum wird zum All. Die vierte Technik: Gesegnete! Wenn alle Sinne im Herzen aufgenommen sind, gehe in die Mitte des Lotus Jede Technik eignet sich für einen bestimmten Menschentyp. Die Technik, die wir besprochen haben, die dritte, das Verschließen aller Kopföffnungen, kann von vielen benutzt werden. Sie ist sehr einfach, nicht gefährlich. Du kannst das sehr leicht tun, und du brauchst die Öffnungen auch nicht mit deinen Händen zu verschließen. Verschließen mußt du sie, aber du kannst OhrStöpsel und eine Augenbinde benutzen. Worauf es ankommt ist, daß du die Öffnungen deines Kopfes völlig für ein paar Augenblicke verschließt: für ein paar Augenblicke oder Sekunden. Versuche es. Übe es nicht. Nur wenn es plötzlich geschieht, ist es hilfreich. Es hilft nur, wenn es unvermittelt geschieht. Wenn du auf dem Bett liegst, dann schließe plötzlich alle Öffnungen ein paar Sekunden lang, und schau nach innen, was passiert. Wenn du dich ersticken fühlst, mach weiter, es sei denn, es wird wirklich unerträglich, denn das Atmen wird dabei abgeschnitten. Mach weiter, bis es absolut unerträglich wird. Und wenn es absolut unerträglich geworden ist, kannst du die Öffnungen gar nicht mehr schließen, also brauchst du dir gar keine Gedanken mehr zu machen. Die innere Kraft wird sie alle aufsprengen. Was dich betrifft — du machst weiter. Wenn das Erstickungsgefühl kommt, ist das der richtige Moment, weil die Erstickung die alten Assoziationen durchbricht. Wenn du nun noch ein paar Momente weitermachen kannst, wäre es gut. Es wird schwer sein und dir das Letzte abfordern, und du wirst glauben, daß du jetzt stirbst, aber habe keine Angst, denn du kannst nicht sterben. Du kannst nicht nur davon sterben, daß du deine Kopföffnungen verschließt. Aber wenn du das Gefühl hast, daß du jetzt gleich sterben wirst, dann ist das der richtige Moment. Wenn du in diesem Augenblick 282
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durchhalten kannst, wird plötzlich alles hell. Du wirst den inneren Raum fühlen, wie er sich immer weiter ausbreitet und ins Ganze einfließt. Dann öffne deine Öffnungen; und so machst du es dann jedesmal. Wann immer du Zeit hast, versuche es. Aber mache keine Übung daraus. Du kannst es üben, den Atem ein paar Momente lang anzuhalten. Das kannst du üben, aber eine solche Übung hilft nichts. Ein plötzlicher Ruck ist nötig. Und durch diesen Ruck bleibt der Fluß in seinen alten Bewußtseinskanälen stehen, und etwas Neues wird möglich. Viele praktizieren es noch heute, viele Menschen in ganz Indien. Aber sie praktizieren es; dabei ist es als eine plötzliche Methode gedacht. Wenn du sie praktizierst, dann wird nichts passieren, absolut nichts. Wenn ich dich plötzlich aus dem Zimmer werfe, bleiben deine Gedanken stehen. Aber wenn wir es täglich üben, wird nichts passieren. Es wird eine mechanische Gewohnheit. Mache es also nicht zur Übung. Versuche es, wann immer du kannst. Dann wirst du dir nach und nach eines inneren Raumes bewußt. Dieser innere Raum kommt nur in dein Bewußtsein, wenn du am Rand des Todes bist. Wenn du das Gefühl hast: „Jetzt kann ich nicht einen Augenblick lang weitermachen, jetzt kommt der Tod.” Das ist der richtige Augenblick. Halte durch! Hab keine Angst. Der Tod kommt nicht so leicht, jedenfalls ist bis heute noch keiner an dieser Methode gestorben. Es gibt eingebaute Sicherungen; darum kannst du nicht so schnell sterben. Bevor der Tod eintritt, wird man unbewußt. Solange du bewußt bist und das Gefühl hast, daß du sterben wirst, brauchst du keine Angst zu haben. Du bist immer noch bewußt, also kannst du nicht sterben. Und wenn du bewußtlos wirst, fängt dein Atem von allein an. Das kannst du gar nicht verhindern. Ihr könnt also Ohrstöpsel benutzen und dergleichen, die Hände sind nicht dazu nötig. Die Hände werden nur deshalb benutzt, weil sie sich lösen, wenn du unbewußt wirst, so daß der Lebensprozeß wieder von allein nach außen strömen kann. Ihr könnt Stöpsel für die Ohren und eine Binde für die Augen benutzen, aber nicht für Nase und Mund. Denn dann kann es lebensgefährlich sein. Wenigstens die Nase muß offen bleiben, halte 283
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sie mit den Händen zu. Dann, wenn du wirklich unbewußt werden solltest, werden sich die Hände lockern, und der Atem wird hereinkommen. Es gibt also eine eingebaute Sicherung. Diese Methode kann von vielen benutzt werden. Die vierte Methode ist für diejenigen, die ein sehr entwickeltes Herz haben, für liebende, fühlende, emotionale Menschen: „Gesegnete! Wenn alle Sinne im Herzen aufgenommen sind, gehe in die Mitte des Lotus.” Diese Methode kann nur von herzorientierten Menschen benutzt werden. Darum müßt ihr zunächst verstehen, was das ist: ein herzorientierter Mensch. Danach wird die Methode verständlich. Bei einem, der herzorientiert ist, führt alles zum Herzen hin — alles! Wenn du ihn hebst, wird sein Herz deine Liebe fühlen, nicht sein Kopf. Ein kopforientierter Mensch fühlt deine Liebe zerebral, i m Kopf. Er denkt darüber nach: er macht Pläne. Selbst seine Liebe ist eine bewußte Anstrengung des Verstandes. Ein fühlender Mensch lebt ohne Vernünfteln. Natürlich hat das Herz seine eigene Vernunft, aber es lebt ohne Vernünfteln. Wenn jemand dich fragt: „Warum liebst du?” und du kannst ihm die Frage beantworten, dann bist du ein kopforientierter Mensch. Und wenn du sagst: „Ich weiß nicht, ich liebe einfach”, bist du ein herzorientierter Mensch. Selbst wenn du sagst, daß du ihn liebst, weil er schön ist, ist es ein Grund. Für den herzorientierten Menschen ist jemand schön, weil ich ihn hebe. Der kopforientierte Mensch liebt jemanden, weil er schön ist. Erst kommt der Grund, dann die Liebe. Für den Herzorientierten kommt die Liebe zuerst, alles andere danach. Der fühlende Typ ist im Herzen zentriert, also berührt alles, was geschieht, sein Herz. Beobachte dich nur selbst. In deinem Leben geschehen ständig viele Dinge. Wo berühren sie dich? Du gehst auf der Straße, und ein Bettler geht vorbei. Wo berührt dich der Bettler? Fängst du an, über ökonomische Bedingungen nachzudenken? Denkst du darüber nach, daß das Betteln gesetzlich verboten werden sollte oder daß man eine soziale Gesellschaft schaffen sollte, in der niemand betteln muß? Dann bist du ein kopforientierter Mensch. Dieser Bettler ist für dich nur ein Vorwand, nachzudenken. Dein Herz bleibt unberührt, nur dein Kopf wird berührt. Du wirst für 284
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den Bettler hier und jetzt nichts tun — nein! Der Kopforientierte wird etwas für den Kommunismus tun, er wird etwas für die Zukunft tun, für irgendein Utopia. Er mag ihr sogar sein ganzes Leben widmen, aber im Moment kann er nichts tun. Der Kopf tut immer erst in der Zukunft etwas, das Herz ist immer hier und ietzt. Ein herzorientierter Mensch wird jetzt irgendetwas für diesen Bettler tun. Dieser Bettler ist ein Individuum, kein Computerdatum. Aber für einen kopforientierten Menschen ist dieser Bettler nur eine mathematische Ziffer. Sein Problem ist, wie das Betteln abgeschafft werden soll, nicht, wie diesem Bettler zu helfen ist: das ist unerheblich. Beobachte dich also. Beobachte dich in vielen Situationen, wie du handelst. Hast du mit dem Herzen oder hast du mit dem Kopf zu tun? Wenn du das Gefühl hast, daß du ein herzorientierter Mensch bist, dann wird dir diese Methode sehr helfen. Aber du mußt wissen, daß jeder sich gerne für einen Herzmenschen hält. Jeder möchte gerne, daß er ein sehr liebender Mensch, ein sehr gefühlvoller Mensch ist, denn die Liebe ist ein solches Grundbedürfnis, daß sich niemand mit der Erkenntnis wohlfühlen kann, daß er keine Liebe hat, kein liebendes Herz. Jeder denkt und glaubt es immerzu, aber Glauben bringt nichts. Beobachte dich sehr unparteiisch, als würdest du einen anderen beobachten, und entscheide dann; denn du brauchst dich nicht selbst zu täuschen, und es wird dir auch nicht helfen. Selbst wenn du dich selbst täuschst, diese Technik kannst du nicht täuschen. Wenn du dann nämlich diese Technik machst, hast du das Gefühl, daß nichts passiert. Es kommen Leute zu mir, und ich frage sie, zu welchem Typ sie gehören. Sie wissen es nicht so richtig. Sie haben nie darüber nachgedacht. Sie haben nur vage Vorstellungen von sich, und diese Vorstellungen sind weiter nichts als reine Einbildung. Sie haben gewisse Ideale und ein Image von sich selbst, und sie glauben — oder vielmehr wünschen, daß sie ihrem Image entsprechen. Sie tun es nicht, und oft kommt es vor, daß sie sich genau als das Gegenteil entpuppen. Dafür gibt es einen Grund. Ein Mensch, der darauf besteht, daß er herzorientiert ist, mag es deshalb tun, weil er fühlt, daß er nicht 285
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im Herzen ist und Angst hat. Er kann sich nicht bewußt machen, daß er kein Herz hat. Seht euch die Welt an! Wenn jeder recht hätte, was sein Herz betrifft, dann könnte diese Welt nicht so herzlos sein. Diese Welt ist so wie wir sind, also muß irgendwo irgendein Fehler stecken. Es ist kein Herz da. Und es ist auch nie dazu erzogen worden, dazusein. Der Kopf wird ausgebildet, also ist er da. Es gibt Schulen, Colleges, Universitäten, die den Kopf trainieren. Aber es gibt nirgends einen Ort, wo das Herz erzogen wird. Und die Erziehung des Kopfes macht sich bezahlt, aber die Erziehung des Herzens ist gefährlich, denn wenn dein Herz entfaltet wird, wirst du absolut untauglich für diese Welt — weil die ganze Welt vom Verstand kontrolliert wird. Wenn dein Herz erzogen wird, fällst du einfach aus dem ganzen Muster als absurd heraus. Wenn die ganze Welt sich nach rechts bewegt, wirst du dich nach links bewegen. Überall wirst du auf Schwierigkeiten stoßen. Tatsächlich wird der Mensch um so herzloser, je mehr er sich zivilisiert. Wir haben wirklich ganz vergessen, daß es existiert oder daß es überhaupt ausgebildet werden muß. Aus diesem Grunde funktionieren Methoden wie diese nie, obwohl sie ganz leicht funktionieren könnten. Die meisten Religionen gründen sich auf herzorientierte Techniken — Christentum, Islam, Hinduismus und viele andere auch. Sie gründen sich auf die herzorientierten Menschen. Je älter eine Religion, desto mehr wurde sie auf den herzorientierten Menschen errichtet. Wirklich, als die Veden geschrieben wurden und der Hinduismus sich entwickelte, gab es herzorientierte Menschen. Und damals war es schwierig, einen kopforientierten Menschen zu finden. Aber heute ist das Umgekehrte das Problem. Ihr könnt nicht beten, weil Beten eine herzorientierte Technik ist. Darum ist sogar im Westen, wo das Christentum, eine Religion des Betens, vorherrscht, das Beten schwierig geworden. Vor allem die katholische Kirche ist gebetsorientiert. Für das Christentum gibt es so etwas wie Meditation überhaupt nicht. Aber heute werden die Menschen sogar im Westen völlig verrückt nach Meditation. Niemand geht in die Kirche, und selbst wenn es jemand tut, dann nur formal, nur sonntags. Denn das 286
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herzorientierte Gebet hat überhaupt nichts mehr mit dem westlichen Menschen zu tun. Meditation ist mehr kopforientiert. Beten ist mehr herzorientiert. Wir können auch sagen: Beten ist eine Meditationstechnik für herzorientierte Menschen. Diese Technik ist ebenfalls für herzorientierte Menschen: „Gesegnete! Wenn alle Sinne im Herzen aufgenommen sind, gehe in die Mitte des Lotus.” Was muß also bei dieser Meditation geschehen? „Wenn alle Sinne im Herzen absorbiert sind ...” Versuchs! Es gibt viele Möglichkeiten. Du berührst jemanden: Wenn du ein herzorientierter Mensch bist, geht die Berührung augenblicklich in sein Herz, und er kann ihre Qualität fühlen. Wenn du die Hand eines Menschen nimmst, der völlig kopforientiert ist, wird seine Hand kalt, nicht nur physisch kalt, sondern auch in ihrer ganzen Ausdrucksweise kalt sein. Eine Abgestorbenheit, etwas Totes wird in der Hand sein. Wenn der Betreffende herzorientiert ist, wird eine gewisse Wärme da sein. Dann wird seine Hand wirklich mit deiner verschmelzen. Du wirst etwas Gewisses aus seiner Hand zu dir hinströmen fühlen, und ihr trefft euch, es kommt zu einem Austausch von Wärme. Diese Wärme kommt aus dem Herzen. Sie kann nie vom Kopf kommen, weil der Kopf immer kühl, kalt, berechnend ist. Das Herz ist warm, es kalkuliert nicht. Der Kopf denkt ständig darüber nach, wie er mehr bekommen kann. Das Herz fühlt ständig, wie es mehr geben kann. Diese Wärme ist ein Geben, ein Geben von Energie, ein Geben von inneren Schwingungswellen, ein Geben von Lebendigkeit. Und darum spürst du eine andere Qualität. Wenn dieser Mensch dich wirklich umarmt, wirst du ein tiefes Verschmelzen mit ihm spüren. Berühre! Schließe die Augen; berühre, was du willst. Berühre deine Geliebte oder deinen Geliebten, dein Kind oder deine Mutter oder deinen Freund oder einen Baum oder eine Blume, oder berühre einfach die Erde. Schließe die Augen, und fühle eine Kommunikation von deinem Herzen zur Erde oder zu deinem Geliebten. Fühle einfach, daß deine Hand nichts weiter ist als dein ausgestrecktes Herz, das die Erde berühren möchte. Laß das Gefühl der Berührung mit dem Herzen verbunden sein. Du hörst Musik: Höre sie nicht vom Kopf her. Vergiß deinen 28 7
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Kopf, und fühle dich kopflos. Es ist kein Kopf da. Es ist gut, wenn du in deinem Schlafzimmer ein Bild von dir hast, auf dem du ohne Kopf zu sehen bist. Konzentriere dich darauf: du bist ohne Kopf; laß den Kopf nicht herein. Wenn du Musik hörst, höre sie vom Herzen her. Fühle die Musik in dein Herz kommen; laß dein Herz mit ihr schwingen. Laß deine Sinne mit dem Herzen verbunden sein, nicht mit dem Kopf. Versuche dies mit allen Sinnen, und fühle mehr und mehr, daß alle Sinne ins Herz gehen und sich dort auflösen. „Gesegnete! Wenn alle Sinne im Herzen aufgenommen sind, gehe in die Mitte des Lotus” — das Herz ist der Lotus. Jeder Sinn öffnet nur den Lotus mehr, ist ein Blütenblatt des Lotus. Versuche zunächst, deine Sinne auf das Herz zu ziehen. Stell dir zweitens jedesmal vor, daß jeder Sinn bis rief ins Herz eindringt und von ihm absorbiert wird. Wenn diese beiden Dinge zur Gewohnheit geworden sind, dann werden dir deine Sinne anfangen zu helfen, dann werden sie dich von sich aus dem Herzen zuführen ... und dein Herz wird zum Lotus. Dieser Lotus des Herzens wird dich zentrieren. Kennst du erst einmal das Zentrum des Herzens, wird es sehr leicht, sich ins Nabelzentrum fallenzulassen. Sehr leicht! Ja, dies Sutra erwähnt es nicht einmal, so einfach ist es. Wenn du wirklich total im Herzen aufgehst, und der Verstand nicht mehr arbeitet, dann fällst du: vom Herzen ins Nabelzentrum. Nur aus dem Kopf ist es schwierig, zum Nabel hinunterzusinken. Oder, wenn du zwischen beiden bist, zwischen dem Herzen und dem Kopf, ist es auch schwierig, zum Nabel zu kommen. Bist du erst einmal im Nabel absorbiert, dann bist du jenseits vom Herzen. Du bist nun zum Nabelzentrum gefallen, welches die Basis von allem ist, das Ursprüngliche. Darum hilft Beten. Darum konnte Jesus sagen: „Liebe ist Gott.” Es stimmt nicht genau, aber Liebe ist die Tür. Wenn du tief liebst, gleich wen — es kommt nicht darauf an, wen, es kommt auf die Liebe an, nicht auf die Person —, wenn du jemanden tief liebst, so sehr liebst, daß es keine Kopfbeziehung mehr ist, wenn nur noch das Herz funktioniert, dann wird diese Liebe zur Andacht, und deine Geliebte oder dein Geliebter werden göttlich. 28 8
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Wirklich, das Auge des Herzens kann es nicht anders sehen, und darum passiert das schon bei der gewöhnlichen Liebe. Wenn du dich in jemanden verliebst, wird dieser Jemand göttlich für dich. Es mag nicht sehr lange dauern, und es mag sich nicht als eine sehr tiefe Geschichte erweisen, aber für den Augenblick wird der geliebte Mensch zum Gott. Der Kopf wird früher oder später alles wieder kaputtmachen, weil der Kopf sich einmischen wird und versuchen wird, alles zu manipulieren. Sogar die Liebe muß manipuliert werden. Und sobald der Kopf die Führung übernimmt, wird alles zerstört. Wenn du lieben kannst, ohne daß sich der Kopf mit seinem Management einschaltet, dann muß deine Liebe unweigerlich zum Gebet werden, und der geliebte Mensch wird zur Tür. Deine Liebe wird sich im Herzen zentrieren. Und sobald du im Herzen zentriert bist, fällst du automatisch tief hinunter zum Nabelzentrum. Die fünfte Technik: Ohne auf den Geist zu achten, bleib in der Mitte – bis ... „Ohne auf den Geist zu achten, bleib in der Mitte — bis ... ": So kurz ist dies Sutra. Genau wie jede wissenschaftliche Formel ist sie kurz, aber selbst diese wenigen Worte können dein Leben total verändern. „Ohne auf den Geist zu achten, bleib in der Mitte — bis ...” Bleib in der Mitte ... Buddha entwickelte seine ganze Methodik der Meditation aus diesem Sutra. Sein Weg ist als Ma_jhim nikaya bekannt — als der Mittelweg. Buddha sagt: „Bleib immer in der Mitte — in allem.” Eines Tages ließ sich ein gewisser Prinz Schraun einweihen: Buddha gab ihm Sannyas. Dieser Prinz war ein einmaliger Mann, und als er Sannyas nahm, als er initiiert wurde, staunte sein ganzes Königreich. Sein Volk konnte nicht glauben, daß Prinz Schraun ein Sannyasin werden konnte. Niemand hatte es je für möglich gehalten, denn er war ein Mann von Welt — der sich alles gestattete, jede Ausschweifung, bis ins Extrem. Wein und Frauen waren sein ganzer Lebenszweck. 28 9
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Dann kam plötzlich Buddha in seine Stadt, und der Fürst suchte ihn auf, bat um einen Darshan. Er fiel Buddha zu Füßen und sagte: „Weihe mich ein, ich werde diese Welt verlassen.” Seine Begleiter hatten keine Ahnung. Es kam aus heiterem Himmel. Alle fragten sie Buddha: „Was ist los? Es ist ein Wunder. Schraun ist doch gar nicht der Typ, und er lebte immer sehr luxuriös. Bis jetzt konnte gar kein Gedanke daran sein, daß er Sannyas nehmen könnte. Was ist also passiert? Du hast etwas mit ihm gemacht.” Buddha sagte: „Ich habe nichts getan. Der Geist kann leicht von einem Extrem zum andern gehen. Das ist die Natur des Geistes – von einem Extrem ins andere zu gehen. Schraun macht also nichts Neues. Es war zu erwarten. Nur weil ihr nicht die Gesetze des Geistes kennt, seid ihr überrascht.” Der Geist geht von einem Extrem zum anderen. Das ist die Natur des Geistes. Und so kommt es jeden Tag vor, daß ein Mensch, der wie verrückt hinter dem Geld her war, alles aufgibt und zum nackten Fakir wird. Wir denken: „Was für ein Wunder!” Aber es ist nichts — nur eine gewöhnliche Gesetzmäßigkeit. Von einem Menschen, der nicht wie verrückt hinter dem Geld her war, kann man nicht erwarten, daß er ihm entsagt, denn man geht nur von dem einen Extrem zum anderen, genau wie ein Pendel — von einem Extrem zum andern. Ein Mensch also, der wie verrückt hinter Geld her war, wird wie verrückt dagegen sein, aber die Verrücktheit wird bleiben: Das ist der Geist. Ein Mensch, der nur den Sex kannte, mag enthaltsam werden, mag in Isolation gehen, aber sein Wahnsinn wird bleiben. Erst hat er nur für den Sex gelebt, jetzt lebt er nur noch gegen den Sex — aber die Haltung, die Einstellung bleibt die gleiche. So ist ein Brahmachari, ein zölibatärer Mensch, nicht wirklich über den Sex hinausgelangt: Sein ganzes Denken ist sexorientiert. Er ist dagegen, aber nicht über ihn hinaus. Der Weg darüber hinaus geht immer durch die Mitte. Er führt nie ins Extrem. Daher sagte Buddha: „Das war zu erwarten. Es ist kein Wunder geschehen. So funktioniert der Geist.” Schraun wurde ein Bettler, ein Sannyasin, ein Bhikkhu, ein Mönch. Und bald stellten die anderen Jünger Buddhas fest, daß er zum anderen Extrem ging. Buddha verlangte von niemandem, 290
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nackt herumzulaufen, aber Schraun ging nackt. Buddha war nicht für Nacktheit. Er sagte: „Dies ist nur ein anderes Extrem.” Es gibt Leute, die für die Kleidung leben, als wäre es ihr Leben, und es gibt Leute, die nackt herumlaufen, aber beide glauben sie an das gleiche. Buddha lehrte nie die Nacktheit, aber Schraun zog sich nackt aus. Er war Buddhas einziger Schüler, der nackt ging. Er trieb die Selbstfolter bis zum Extrem. Buddha gestattete seinen Sannyasins eine Mahlzeit pro Tag. Aber Schraun nahm nur jeden zweiten Tag ein Mahl ein. Er wurde dünn und mager. Während andere Jünger unter Bäumen meditierten, im Schatten, saß er nie unter einem Baum, sondern blieb immer in der heißen Sonne. Er war ein schöner Mann gewesen, hatte einen sehr schönen Körper gehabt, aber binnen sechs Monaten konnte kein Mensch mehr erkennen, daß das noch der gleiche Mann war. Er wurde häßlich, faltig, ausgetrocknet. Buddha ging eines Abends zu Schraun und fragte ihn: „Schraun, ich habe gehört, daß du vor deiner Einweihung, als du noch Prinz warst, auf einer Vina gespielt hast und ein großer Musiker warst. Ich bin also gekommen, um dir eine Frage zu stellen. Wenn die Saiten auf der Vina schlaff werden, was passiert?” Schraun sagte: „Wenn die Saiten zu locker sind, dann ist keine Musik möglich.” Und dann sagte Buddha: „Und wenn die Saiten sehr gespannt sind, zu straff gespannt, was passiert dann?” Schraun sagte: „Dann kann auch keine Musik zustande kommen. Die Saiten müssen in der Mitte sein — weder locker noch zu straff, sondern genau dazwischen.” Schraun sagte: „Es ist leicht, die Vina zu spielen, aber nur ein Meister kann ihre Saiten genau richtig stimmen.” Also sagte Buddha: „So viel habe ich dir zu sagen, nachdem ich dich sechs Monate lang beobachtet habe — daß auch im Leben die Musik nur dann zustande kommt, wenn die Saiten weder zu locker noch zu straff gespannt sind, sondern genau dazwischen. Zu entsagen ist also leicht, aber nur ein Meister weiß, wie er in der Mitte bleibt. So sei also ein Meister, Schraun, und laß die Lebenssaiten genau in der Mitte sein — in allem. Geh nicht in das eine und nicht in das andere Extrem, und alles hat zwei Extreme. Bleibe immer in der Mitte.” Aber der Geist ist sehr rücksichtslos. Darum sagt das Sutra, 291
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„Ohne auf den Geist zu achten ...” Ihr werdet dies hören, ihr werdet es verstehen, aber der Geist wird nicht darauf hören. Der Geist wählt immer nur die Extreme. Das Extrem hat eine Faszination für den Geist Warum? Weil er in der Mitte stirbt. Seht euch ein Pendel an: Wenn ihr irgendeine alte Standuhr habt, seht euch das Pendel an. Das Pendel kann den ganzen Tag weitergehen, wenn es sich zu den Extremen bewegt. Wenn es nach links geht, sammelt es Schwungkraft, um nach rechts zu gehen. Wenn es nach rechts geht, dann dürft ihr nicht denken, daß es wirklich nach rechts geht, es sammelt nur Schwungkraft, um nach links zu gehen. Die Extreme sind also rechts, links, rechts, links. Halte seine Schwungkraft in der Mitte an. Laß das Pendel in der Mitte still stehen. Die ganze Schwungkraft wird verlorengehen; nun hat das Pendel keine Energie, denn seine Energie kommt von einem der Extreme. Dann wirft dies Extrem es zum anderen und das andere wieder zurück, und es ist ein Kreis: Das Pendel bewegt sich immer weiter. Halte es in der Mitte, und die Bewegung wird aufhören. Der Geist ist genau wie ein Pendel, und wenn du ihn jeden Tag beobachtest, wirst du das erkennen. Du entscheidest eine Sache an dem einen Extrem und gehst dann zum anderen über. Du bist wütend, dann bereust du. Du entschließt dich: „Nein, jetzt reicht es. Jetzt will ich nie wieder wütend werden.” Aber du siehst nicht das Extreme daran. „Niemals”, ist ein Extrem. Wie kannst du so sicher sein, daß du nie wieder wütend wirst? Was sagst du da? Denk noch einmal nach. Nie? Dann geh in die Vergangenheit, erinnere dich, wie oft du dich entschlossen hast, nie wieder wütend zu werden. Wenn du sagst, daß du nie wieder wütend werden willst, dann vergißt du, daß du, als du wütend wurdest, nur die Schwungkraft gesammelt hast, um zum anderen Extrem zu gehen. Jetzt fühlst du Reue, jetzt fühlst du dich schlecht. Dein Image ist gestört, erschüttert. Jetzt kannst du dich nicht mehr einen guten Menschen nennen, jetzt bist du kein religiöser Mensch mehr. Du bist wütend gewesen, und wie kann ein frommer Mann wie ich wütend sein, wie kann ein guter Mensch wütend sein? Also bereust du, um deine Anständigkeit wiederzugewinnen. Wenigstens in deinen eigenen Augen kannst du dich besser fühlen, wenn du be292
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reust und dich entschlossen hast, nie wieder wütend zu werden. Das erschütterte Selbstbild ist wieder beim Status Quo angekommen. Jetzt kannst du dich entspannen; du bist zum anderen Extrem gegangen. Aber der Kopf, der sagt, jetzt will ich nie wieder wütend sein, wird wieder wütend werden. Und wenn du dann wieder wütend bist, wirst du völlig deinen Entschluß vergessen, alles. Nach dem Wutanfall kommt wieder der Entschluß und die Reue, und du erkennst nie das Trügerische daran. So ist es immer gewesen. Der Kopf geht von der Wut zur Reue, von der Reue zur Wut. Bleib in der Mitte. Sei nicht wütend, und bereue nicht. Wenn du wütend gewesen bist, dann tu bitte wenigstens dies eine: bereue nicht. Gehe nicht zum anderen Extrem. Bleib in der Mitte. Sage: „Ich bin wütend gewesen, und ich bin ein schlechter Mensch, ein gewaltsamer Mensch. Ich bin wütend gewesen. So bin ich eben.” Aber bereue nicht. Gehe nicht zum anderen Extrem. Bleib in der Mitte. Wenn du das kannst, sammelst du keine Schwerkraft, keine Energie, um wieder wütend zu werden. Daher sagt dies Sutra: „Ohne auf den Geist zu achten, bleib in der Mitte, bis ...” Und was ist mit diesem „bis” gemeint? Bis du explodierst! Bleib in der Mitte, bis der Geist stirbt. Bleib in der Mitte, bis es keinen Geist mehr gibt. Ohne also auf den Geist Rücksicht zu nehmen, bleibe so lange in der Mitte, bis es keinen Geist mehr gibt. Wenn Geist die Extreme bedeutet, dann bedeutet Mitte „Nicht-Geist”. Aber das ist das Allerschwerste von der Welt. Es sieht leicht, es sieht einfach aus. Es scheint, als könntest du das fertig bringen. Und du wirst dich wohlfühlen bei dem Gedanken, daß du nicht zu bereuen brauchst. Versuche es, und du wirst erkennen: wenn du wütend wirst, besteht dein Kopf auf Reue. Freud sagt, daß Eheleute ewig streiten, und daß es schon seit Jahrhunderten gute Ratgeber gibt, große Menschen, die uns gelehrt haben, wie man leben und lieben soll: Aber alle streiten weiter. Freud war der erste, der darauf aufmerksam wurde, daß Liebe im üblichen Sinne zugleich auch Haß bedeutet. Am Morgen ist es Liebe, am Abend ist es Haß, und so geht das Pendel weiter. Jeder Ehemann, jede Ehefrau weiß dies, aber Freud hat hier eine 293
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sehr unheimliche Einsicht. Freud sagt: „Wenn ein Paar zu streiten aufhört, dann müßt ihr wissen, daß die Liebe gestorben ist. Jene Liebe, die mit Haß und Kampf zusammenging, kann nicht bleiben. Wenn ihr also ein Paar seht, das sich nicht streitet, dann glaubt nicht, daß das das ideale Paar ist. Es bedeutet, daß es gar kein Paar ist. Sie leben nebeneinander her, nicht miteinander, wie parallele Linien, die sich nie begegnen, nicht einmal im Streit. Sie sind beide zusammen, aber allein - parallel.” Der Geist muß zum anderen Extrem, daher gibt die Psychologie heute besseren Rat. Der Rat ist tiefer, hat besseren Einblick. Er besagt: Wenn du wirklich lieben willst, dann habe keine Angst vor Streit. Ja, du mußt authentisch kämpfen, damit du an das andere Extrem authentischer Liebe gehen kannst. Wenn du dich also mit deiner Frau streitest, weiche nicht aus: sonst weichst du auch der Liebe aus. Weiche nicht aus! Wenn die Zeit für den Streit da ist, streite bis zum bitteren Ende. So wirst du am Abend wieder lieben können. Der Geist hat wieder Schwungkraft gewonnen. Die gewöhnliche Liebe kann nicht ohne Streit bestehen, weil sie eine Bewegung des Geistes ist. Nur eine Liebe, die nicht aus dem Geist kommt, kann ohne Streit bestehen, aber das ist eine ganz andere Sache. Ein Buddha, der liebt, das ist eine ganz andere Sache. Aber wenn ein Buddha kommt, um euch zu lieben, dann fühlt ihr euch nicht sehr wohl dabei, weil seine Liebe makellos ist. Seine Liebe wird einfach süß und süß und süß sein - und langweilig weil der Makel im Streit liegt. Ein Buddha kann nicht wütend sein: Er kann nur lieben. Ihr könnt seine Liebe nicht empfinden, weil ihr nur Gegensätze empfinden könnt. Ihr braucht den Kontrast. Als Buddha nach zwölf Jahren wieder in seine Heimatstadt kam, wollte seine Frau ihn nicht empfangen. Die ganze Stadt hatte sich zu seinem Empfang versammelt, nur seine Frau kam nicht. Buddha lachte und sagte zu seinem Jünger Ananda: „Yashodhara ist nicht gekommen. Ich kenne sie gut. Es scheint, sie liebt mich immer noch. Sie ist stolz und fühlt sich verletzt. Ich dachte, daß zwölf Jahre eine lange Zeit sind und daß sie mich jetzt vielleicht nicht mehr liebt. Aber es scheint, sie liebt mich immer noch - immer noch böse mit mir! Sie ist nicht gekommen, 294
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um mich zu empfangen. Da muß ich wohl zu ihr ins Haus gehen." Also ging Buddha zu ihr. Ananda war bei ihm. Das war für Ananda eine Grundregel. Als Ananda initiiert wurde, stellte er eine Bedingung, der Buddha auch zustimmte: daß er ihn überall hin begleiten würde. Er war sein älterer Stiefbruder, also mußte ihm Buddha das gewähren. Ananda folgte ihm ins Haus, in den Palast, bis Buddha sagte: „Wenigstens diesmal bleibst du draußen und kommst nicht mit mir. Denn sonst ist die Hölle los. Ich komme nach zwölf Jahren zurück, und ich bin einfach weggerannt, ohne es ihr zu sagen. Sie ist immer noch wütend auf mich — also komm nicht mit mir, sonst denkt sie, ich will sie am Reden hindern. Laß sie wütend sein.” Buddha ging hinein. Natürlich, Yashodhara war ein regelrechter Vulkan. Sie brach aus, sie explodierte. Sie fing an zu heulen und zu schreien und schlimme Dinge zu sagen. Buddha blieb da, wartete, und nach und nach kühlte sie sich ab und stellte fest, daß Buddha noch kein einziges Wort gesagt hatte. Sie wischte sich die Augen, sah Buddha an, und Buddha sagte: „Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß ich etwas gewonnen habe, daß ich etwas erkannt habe. Ich habe etwas verwirklicht. Wenn du dich beruhigst, kann ich dir die Botschaft geben — die Wahrheit, die ich erkannt habe. Ich habe nichts gesagt, damit du dich erst austoben kannst. Zwölfjahre sind eine lange Zeit. Du mußt sehr verletzt sein, und dein Zorn ist verständlich. Ich habe ihn erwartet. Das beweist, daß du mich noch immer liebst. Aber es gibt eine Liebe jenseits dieser Liebe, und nur um dieser Liebe willen bin ich zurückgekommen, um dir etwas darüber zu sagen.” Aber Yashodhara konnte diese Liebe nicht fühlen. Es ist schwer, sie zu fühlen, denn sie ist so still. Sie ist so still, als wäre sie gar nicht da. Wenn der Geist stillsteht, dann geschieht eine andere Liebe. Aber diese Liebe kennt kein Gegenteil. Wenn der Geist stehenbleibt, dann gibt es für das, was dann geschieht, tatsächlich keinen Gegensatz mehr. Solange der Geist da ist, gibt es immer den polaren Gegensatz, und der Geist bewegt sich wie ein Pendel. Dies Sutra ist herrlich und kann Wunder bewirken. „Ohne auf den Geist zu achten, bleib in der Mitte — bis ...” Also versuch 295
Das Buch der Geheimnisse
es. Das ist ein Sutra fürs ganze Leben. Du kannst es nicht nur manchmal praktizieren. Du mußt dir dessen ständig bewußt sein. I m Tun, irn Gehen, im Essen, in Beziehungen, überall — bleib in der Mitte. Versuche es wengistens, und du wirst spüren, wie sich in dir eine gewisse Stille entwickelt, dich Ruhe überkommt, wie in dir ein ruhiges Zentrum wächst. Selbst wenn es dir nicht gelingt, genau in der Mitte zu sein, versuche trotzdem, in der Mitte zu sein. Nach und nach bekommst du ein Gefühl dafür, was „Mitte” bedeutet. Was immer anliegt, Haß oder Liebe, Wut oder Reue, denke immer an die polaren Gegensätze und bleibe dazwischen. Früher oder später wirst du auf den genauen Mittelpunkt stoßen. Hast du ihn einmal erkannt, wirst du ihn nie wieder vergessen, denn dieser mittlere Punkt ist jenseits vom Geist. Dieser Punkt in der Mitte ist genau das, was „Spiritualität” bedeutet.
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Jenseits vom Geist ist die Quelle
[Fragen]
Es sind viele Fragen gestellt worden. Die erste Frage:
Osho, gestern abend hast du gesagt, daß beim Heraufdämmern der Erleuchtung der Punkt zwischen den beiden Augenbrauen, das dritte Auge, allumfassend wird. Am Tag davor hast du gesagt daß alle Erleuchteten im Nabel zentriert sind, und wieder ein anderes Mal hast du von der silbernen Schnur gesprochen, die mitten durch das Rückgrat geht. Damit wissen wir von drei wesentlichen Punkten, in denen der Mensch verwurzelt ist. Bitte erkläre, wie die drei Dinge miteinander zusammenhängen und funktionieren: das Nabelzentrum, das dritte Auge und das Rückgrat.
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Das Buch der Geheimnisse
Das Grundsätzliche an diesen drei Zentren ist dies: Wann immer du im Inneren zentriert bist, dann fällst du, gleich aus welchem Zentrum, augenblicklich zum Nabel hinunter. Wenn du im Herzen zentriert bist, ist das Herz irrelevant: Es kommt allein auf das Zentrieren an. Oder wenn du im dritten Auge zentriert bist, ist nicht das dritte Auge wesentlich: Es kommt darauf an, daß dein Bewußtsein zentriert ist. Ganz gleich also, an welchem Punkt du dich zentrierst, wann immer, wo immer du dich zentrierst, wirst du zur Mitte fallen, zum Nabel. Das grundlegende existentielle Zentrum ist der Nabel, aber das Zentrum, durch das du funktionierst, kann überall sein. Von diesem Zentrum fällst du automatisch zum Nabel. Da gibt es kein Nachdenken. Und das gilt nicht nur für das Herzzentrum oder das dritte Auge, sondern du kannst auch im Verstand zentriert sein, im Kopf, und auch von dort zum Nabel fallen. Zentrieren ist alles; aber es ist sehr schwierig, im Verstand, im Kopf zentriert zu sein. Da gibt es Probleme. Das Herzzentrum ist auf Liebe, Zuversicht, Hingabe gegründet. Der Kopf auf Zweifel und Verneinung. Völlig negativ zu sein, ist aber eigentlich unmöglich. Total zu zweifeln, ist unmöglich. Aber manchmal ist es geschehen, weil eben auch Unmögliches geschieht. Manchmal, wenn dein Zweifel solche Intensität erreicht, daß du an nichts mehr glauben kannst, nicht einmal an deinen zweifelnden Geist, wenn der Zweifel sich gegen sich selbst wendet und alles zum Zweifel wird, dann wirst du augenblicklich ins Nabelzentrum fallen. Aber das geschieht ganz selten. Vertrauen ist leichter. Es ist leichter, total zu vertrauen, als total zu zweifeln. Du kannst leichter total Ja sagen als Nein. Selbst wenn du also im Kopf zentriert bist, ist das Zentrieren das Wichtige: Du wirst hinunter zu deinen existentiellen Wurzeln fallen. Du kannst also zentriert sein, wo du willst. Das Rückgrat genügt, das Herz genügt, der Kopf genügt. Oder du kannst dir auch andere Zentren im Körper aussuchen. Die Buddhisten sprechen von neun Chakras, von neun dynamischen Zentren im Körper; die Hindus von sieben. Die Tibetaner sprechen von dreizehn Zentren im Körper. Du kannst auch 30 0
Kapitel 12
deine eigenen finden, du brauchst diese Systeme nicht dazu. Jeder Punkt im Körper kann zum Gegenstand des Zentrierens gemacht werden. Tantra benutzt zum Beispiel das Sexzentrum. Tantra arbeitet damit. daß du deine Bewußtheit völlig darauf einstellst. Das Sexzentrum genügt. Die Taoisten haben den großen Zeh als Zentrum benutzt. Richte deine Bewußtheit auf den großen Zeh, bleibe dort, und vergiß den ganzen Körper. Laß dein ganzes Bewußtsein zu diesem Zeh gehen. Das genügt, denn in Wirklichkeit ist es unwichtig, worauf du dich zentrierst. Du zentrierst dich — das ist es, was zählt, und die Sache passiert: aufgrund des Zentrierens, nicht des Zentrums wegen. Bedenkt das. Das Zentrum ist unwichtig. Wichtig ist das Zentrieren. Laßt euch nicht verwirren, denn bei so vielen Methoden, bei 112 Methoden, werden viele Zentren benutzt. Laßt euch also nicht dadurch verwirren, welches Zentrum nun wichtiger ist oder welches das wahre Zentrum ist; jedes Zentrum tut es. Man kann es sich aussuchen. Wenn du sehr sexuell bist, ist es gut, das Sexzentrum zu benutzen, weil dann dein Bewußtsein ganz natürlich dorthin fließt. Dann benutzt man am besten dieses. Aber es ist schwierig geworden mit dem Sexzentrum. Es ist eines der natürlichsten Zentren: Das Bewußtsein wird biologisch darauf gelenkt. Warum also diese biologische Kraft nicht für die innere Transformation nutzen? Mach es zum Punkt deiner Zentrierung. Aber die gesellschaftliche Konditionierung, sex-repressive Lehren, Moralisieren haben großen Schaden angerichtet. Ihr seid von eurem Sexzentrum abgeschnitten. Tatsächlich ist in unserem wahren Selbstbild das Sexzentrum wegretuschiert. Stell dir deinen Körper vor: du wirst deine Geschlechtsteile weglassen. Darum haben viele Menschen das Gefühl, als wären ihre Sexualorgane etwas Losgelöstes, als gehörten sie nicht zu ihnen. Darum so viel Versteckspiel, so viel Verdrängung. Käme jemand aus dem All, von einem anderen Planeten, und würde euch sehen, er würde keine Ahnung haben, daß ihr ein Sexzentrum habt. Wenn er eurem Reden zuhört, kommt er nicht auf den Gedanken, daß es so etwas wie Sex gibt. Wenn er sich in 30 1
Das Buch der Geheimnisse
Gesellschaft bewegt, in der Welt der Umgangsformen, erfährt er nicht, daß so etwas wie Sex passiert. Wir haben einen Trennstrich gezogen. Es gibt eine Schranke, und wir haben das Sexzentrum von uns abgeschnitten. Wirklich, nur aufgrund der Sexualität haben wir den Körper zweigeteilt. Der Oberkörper ist für uns das Höhere und der Unterkörper das Niedere — er wird verdammt. „Unten” ist damit nicht nur eine Information darüber, wo sich die untere Hälfte befindet, es ist auch eine Wertung. Du glaubst, der Unterkörper, das wärest du nicht. Wenn dich jemand fragt: „Wo bist du in deinem Körper?”, wirst du auf deinen Kopf zeigen, weil das das Höchste ist. Darum sagen die Brahmanen in Indien: „ Wi r sind der Kopf, und die Sudras, die Unberührbaren, sind die Füße.” Die Füße sind niedriger als der Kopf. Wirklich, du bist der Kopf, und die Füße und die andern Teile gehören nur zu dir: Das bist du nicht. Um diese Trennung zu machen, haben wir zwei Sorten von Kleidern. Die eine für den Oberkörper, und die andere für den Unterkörper. Und das nur, um den Körper entzweizuteilen. Es gibt da eine feine Trennlinie. Der Unterkörper ist nicht Teil von dir. Er hängt an dir; das ist etwas anderes. Und darum ist es schwierig, das Sexzentrum für das Zentrieren zu benutzen. Aber wenn du es kannst, ist das das beste, denn biologisch gesehen fließt deine Energie diesem Zentrum zu. Konzentriere dich darauf. Wann immer du einen sexuellen Trieb spürst, schließe die Augen und fühle, wie deine Energie dem Sexzentrum zufließt. Mach es zur Meditation: Fühle dich im Sexzentrum zentriert. Dann merkst du plötzlich eine Qualitätsveränderung in der Energie. Das Sexuelle wird verschwinden, und das Sexzentrum wird lichterfüllt, voller Energie, dynamisch. Du wirst das Leben auf seiner Höhe empfinden, wenn du an diesem Zentrum bist. Und wenn du zentriert bist, ist in dem Augenblick schon der Sex völlig vergessen, und du wirst von diesem Zentrum aus die Energie über deinen ganzen Körper strömen fühlen, ja sogar über diesen Körper hinaus in den Kosmos hinein. Bist du völlig im Sexzentrum zentriert, wirst du plötzlich zu deiner eigentlichen Wurzel am Nabel geworfen. 302
Kapitel 12
Tantra hat das Sexzentrum benutzt, und ich glaube, daß Tantra der wissenschaftlichste Ansatz zur menschlichen Transformation überhaupt ist; denn den Sex zu nutzen, das ist sehr wissenschaftlich. Wenn das Bewußtsein ohnehin schon dorthin fließt, warum den natürlichen Strom nicht als Vehikel nutzen? Das ist der grundsätzliche Unterschied zwischen Tantra und sogenannten Morallehren. Morallehrer können niemals das Sexzentrum zur Transformation nutzen: Sie haben Angst. Und wer Angst vor der Sexenergie hat, wird es tatsächlich sehr, sehr schwer finden, sich zu transformieren, weil er gegen den Strom kämpft, unnötig gegen den Fluß anschwimmt. Es ist leicht, mit dem Fluß zu schwimmen. Laß dich treiben! Und wenn du ohne jeden Konflikt dorthin treiben kannst, kannst du dieses Zentrum zur Zentrierung nutzen. Aber jedes andere Zentrum tut es auch. Du kannst dir deine eigenen Zentren schaffen: nicht nötig, traditionell zu sein. Alle Zentren sind Hilfsmittel — Hilfsmittel beim Zentrieren. Wenn du zentriert bist, wirst du automatisch hinunter zum Nabelzentrum kommen. Ein zentriertes Bewußtsein geht zur ursprünglichen Quelle zurück. Die zweite Frage:
Buddha inspirierte einegroße Zahl von Menschen dazu, Sannyasins zu werden, Sannyasins, die um ihr Essen bettelten und fern von der Gesellschaft lebten, fern von der Politik. Buddha selbst lebte das Leben eines Asketen. Dieses klösterliche Leben scheint wie das Gegenextrem zum weltlichen Leben und nicht der „Mittlere Weg” zu sein. Kannst du das erklären? Das wird schwer zu verstehen sein, weil du nicht weißt, was das entgegengesetzte Extrem zum weltlichen Leben ist. Das andere Ende des Lebens ist immer der Tod. Es hat Lehrer gegeben, die gesagt haben, Selbstmord ist der einzige Weg. Und nicht nur in der Vergangenheit, auch heute in der Gegenwart gibt es Denker, die sagen, daß das Leben absurd ist. Wenn das Leben als solches bedeutungslos ist, wird der Tod bedeutungsvoll. Leben und Tod 303
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sind die polaren Gegensätze, und so ist das Gegenteil von Leben der Tod. Versuche das zu verstehen. Und das wird dir dabei helfen, den „Mittleren Weg” für dich selbst herauszufinden. Wenn der Tod der polare Gegensatz des Lebens ist, dann kann sich das Bewußtsein sehr leicht zum Tod hinbewegen; und das kommt vor. Wenn jemand Selbstmord begeht ... habt ihr je bemerkt, daß ein Mensch, der Selbstmord begeht, zu sehr am Leben hängt? Nur diejenigen, die zu sehr am Leben hängen, können Selbstmord begehen. Zum Beispiel: Du hängst zu sehr an deinem Mann oder an deiner Frau und glaubst, nicht ohne sie oder ihn leben zu können. Nun stirbt der Mann oder die Frau, und du begehst Selbstmord. Du bist zum anderen Extrem gegangen, weil du zu sehr am Leben gehangen hattest. Wenn dich das Leben frustriert, kannst du zum anderen Extrem gehen. Es gibt zwei Arten von Selbstmord: Entweder du bringst dich gleich um, oder du begehst Selbstmord auf Raten. Man kann Selbstmord auf Raten begehen: Indem man sich allmählich dem Leben entzieht, sich davon abschneidet und ganz allmählich stirbt. Es gab in Buddhas Zeiten Schulen, die den Selbstmord lehrten. Das waren die wirklichen Gegner des Lebens, des wirklichen Lebens. Es gab Schulen, die lehrten, daß der Selbstmord der einzige Ausweg aus dem Unsinn war, der Leben heißt, der einzige Ausweg aus diesem Leiden. Lebendigsein heißt Leiden, sagten sie, und es gibt keine Möglichkeit, über das Leiden hinwegzukommen, solange man lebt. Also begehe Selbstmord, vernichte dich. Das wird euch als eine sehr extremistische Meinung erscheinen, aber versucht, sie einmal tief zu verstehen. Es steckt einige Bedeutung darin. Sigmund Freud kam nach vierzig Jahren ständiger Arbeit an der menschlichen Psyche, nach einem der längsten Forschungsunternehmen, die ein einzelner Mensch bewältigen kann, zu dem Schluß, daß der Mensch, so wie er ist, nicht glücklich sein kann. Die ganze Art, wie der Geist funktioniert, führt zu Leiden, und so kann es höchstens die Alternative von weniger oder mehr Leid geben. Die Wahl, gar nicht zu leiden, stellt sich überhaupt nicht. Wenn du deinen Geist anzupassen verstehst, wirst 304
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du weniger leiden, das ist alles. Sieht sehr hoffnungslos aus! Die Existentialisten — Sartre, Camus und andere — sagen, daß das Leben unmöglich glückselig sein kann. Die Natur des Lebens selbst ist Schrecken, Angst und Leid, und das einzige, was einem bleibt, ist also, sich ihm tapfer zu stellen, ohne Hoffnung. Du kannst dich ihm nur mutig stellen, ohne Hoffnung. Du kannst dich ihm nur mutig stellen, das ist alles. Ohne jede Hoffnung. Die Situation als solche ist hoffnungslos. Camus fragt: „Nun, wenn das die Situation ist, warum dann nicht Selbstmord begehen? Wenn es keine Möglichkeit im Leben gibt, es zu transzendieren, warum dann dies Leben nicht verlassen?” Einer von den Charakteren in einem der größten Romane der Welt, Dostojewskis „Die Brüder Karamasow”, sagt: „Ich will herausfinden, wo Euer Gott steckt, nur damit ich ihm die Eintrittskarte zurückgeben kann, die Eintrittskarte zum Leben. Ich will nicht hier sein. Und wenn es irgendeinen Gott gibt, muß er sehr gewalttätig und grausam sein. Denn”, so sagt dieser Mensch, „er hat mich ins Leben geworfen, ohne mich zu fragen. Es war nie meine eigene Wahl. Warum lebe ich, ohne es selbst zu wollen?” Es gab viele solcher Lehrmeinungen in Buddhas Zeit. Buddhas Zeit gehörtintellektuell gesehen zu den dynamischsten Zeiten der menschlichen Geschichte überhaupt. Zum Beispiel gab es damals Ajit Kesh Kambal. Ihr mögt den Namen nie gehört haben, denn es ist schwierig, eine Gefolgschaft für einen zu finden, der den Selbstmord predigt. Es gibt also keine Sekte um Ajit Kesh Kambal, aber fünfzig Jahre lang predigte er nichts anderes, als daß Selbstmord der einzige Weg sei. Es heißt, Ajit sei von jemandem gefragt worden: „Warum hast du denn noch nicht Selbstmord begangen?” Er antwortete: „Um ihn zu lehren, muß ich das Leben ertragen. Ich habe der Welt eine Botschaft zu geben, und wenn ich Selbstmord begehe, wer wird dann diese Botschaft verbreiten? Ich bin allein deshalb hier um diese Botschaft zu verkünden. Im übrigen ist das Leben nicht lebenswert.” Das ist das wahre Gegenteil des Lebens — dieses sogenannten Lebens, das wir leben. Buddhas Weg war der mittlere Weg. Buddha sagte, weder Leben noch Tod, und genau das bedeutet Sannyas: weder Bindung 30 5
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ans Leben noch Ablehnung, sondern einfach nur in der Mitte sein. Buddha sagt also: Sannyas bedeutet einfach nur, in der Mitte zu leben. Sannyas ist nicht die Negation des Lebens. Vielmehr ist Sannyas die Negation sowohl des Lebens als auch des Todes. Wenn du dich weder um Leben noch um Tod bekümmerst, bist du zu einem Sannyasin geworden. Wenn du die polaren Gegensätze von Leben und Tod erkennst, dann siehst du, daß Buddhas Einweihung in Sannyas nur eine Einweihung in den mittleren Weg ist. Also ist ein Sannyasin nicht wirklich gegen das Leben. Wenn er es ist, dann ist er kein Sannyasin. Dann ist er in W irklichkeit ein Neurotiker. Er ist zum anderen Extrem gegangen. Ein Sannyasin hat ein sehr ausgewogenes Bewußtsein – genau in der Mitte. Wenn das Leben Leiden ist, so sagt der Verstand, dann geh ans andere Extrem. Aber für den Buddhisten ist das Leben genau deshalb Leiden, weil ihr extrem seid. Das ist die buddhistische Sicht: Das Leben ist Leid, weil es das eine Extrem ist, und der Tod ist Leid, weil er das andere Extrem ist. Seligkeit ist genau in der Mitte. Seligkeit ist Gleichgewicht. Ein Sannyasin ist ein ausgewogenes Wesen, weder nach rechts noch nach links neigend, weder ein „Linker” noch ein „Rechter”, einfach in der Mitte — still, unbewegt, weder dies noch das vorziehend, ohne Wahl in der Mitte lebend. Wähle also nicht den Tod: Wählen heißt Leiden. Wenn du den Tod wählst, hast du das Leid gewählt, und wenn du das Leben wählst, hast du das Leid gewählt: Weil Leben und Tod zwei Extreme sind, und zwar, vergeßt das nicht, die Extrempunkte ein und derselben Sache. Es ist nicht wirklich zweierlei, sondern nur ein Phänomen mit zwei Polen: Leben-und-Tod. Wählst du den einen, mußt du dich gegen den andern wenden. Das erzeugt Unglück, weil der Tod im Leben enthalten ist. Du kannst nicht das Leben wählen, ohne den Tod mitzuwählen. Wie denn? Im Augenblick, wo du das Leben wählst, hast du den Tod gewählt. Das erzeugt Unglück, weil sich als Folge deiner Entscheidung für das Leben der Tod einstellt. Du hast das Glück gewählt: gleichzeitig, ohne es zu wissen, hast du das Unglück gewählt, weil es dazu gehört. Wenn du die Liebe gewählt hast, hast du den Haß ge306
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wählt. Der Gegensatz ist hineinverwoben, er ist darin versteckt. Und einer, der die Liebe wählt, wird leiden, weil er auch hassen wird: und wenn er beim Hassen angelangt ist, wird er leiden. Wähle nicht: sei in der Mitte. In der Mitte ist die Wahrheit. Am einen Ende ist Tod, am anderen Ende ist Leben. Aber diese Energie, die sich zwischen beiden hin — und herbewegt, das ist „die Wahrheit”. Wähle nicht, denn wählen bedeutet, daß du das eine gegen das andere setzt. In der Mitte sein heißt: wahllos sein. Und wenn du nicht gewählt hast, kann nichts dich unglücklich machen. Der Mensch macht sich unglücklich durch Wahl. Wähle nicht. Sei nur! Das ist ungeheuer schwer, es scheint unmöglich — aber versuche es. Wann immer du zwei Gegensätze hast, versuche, in der Mitte zu bleiben. Nach und nach lernst du den Kniff, das Gefühl dafür. Und wenn du erst einmal das Gefühl dafür hast, wie du in der Mitte bleiben kannst ... und es ist eine sehr delikate Angelegenheit, sehr delikat, das Delikateste überhaupt — wenn du erst einmal das Gefühl hast, kann nichts dich mehr stören, kann nichts dich mehr leiden machen. Dann existierst du, ohne zu leiden. Das ist es, was ein Sannyasin ist: Er lebt, ohne zu leiden. Aber um leben zu können, ohne zu leiden, mußt du ohne Wahl leben: also sei in der Mitte. Und Buddha war der erste, der ganz bewußt versucht hat, den mittleren Weg zu lehren. Die dritte Frage:
Gib uns bitte ein paarpraktische Hinweise, wie man das Herzzentrum öffnen und entwickeln kann. Der erste Punkt: Versuche, kopflos zu sein. Visualisiere dich als kopflos. Lauf ohne Kopf herum. Es klingt absurd, ist aber eine der wirkungsvollsten Übungen. Versuche es, und dann wirst du es erfahren. Gehe und fühle, daß du keinen Kopf hast. Am Anfang wird es nur „als ob” sein. Es wird sehr merkwürdig sein; wenn dir das Gefühl kommt, keinen Kopf zu haben, wird es sehr merkwürdig und fremd sein, aber nach und nach wirst du weiter unten im Herzen Wurzeln schlagen. 30 7
Das Buch der Geheimnisse
Es gibt hier ein Gesetz: Ihr mögt beobachtet haben, daß ein Blinder schärfere Ohren hat, ein musikalischeres Gehör. Blinde sind musikalischer: Ihr Gefühl für Musik ist tiefer. Warum? Die Energie, die gewöhnlich durch die Augen geht, kann jetzt nicht mehr durch sie hindurchfließen, und so sucht sie sich einen anderen Weg: Sie geht durch die Ohren. Blinde haben einen ausgeprägteren Tastsinn. Wenn dich ein Blinder berührt, wirst du den Unterschied spüren, denn gewöhnlich tasten wir auch viel mit den Augen: Wir betasten uns gegenseitig mit den Augen. Ein Blinder kann nicht durch die Augen tasten, also geht die Energie durch seine Hände. Ein Blinder ist empfindlicher als jemand, der Augen hat. Es mag Ausnahmen geben, aber im allgemeinen ist es so. Die Energie fängt an, von einem anderen Zentrum her zu strömen, wenn das erste nicht da ist. Versuche es also mit dieser Übung, von der ich spreche, die Übung der Kopflosigkeit, und plötzlich wirst du etwas Merkwürdiges feststellen: Es wird sein, als wärest du zum erstenmal im Herzen. Sei ohne Kopf: setz dich hin zum Meditieren, schließe die Augen, und fühle einfach, daß du keinen Kopf hast. Fühle: „Mein Kopf ist verschwunden.” Am Anfang wird es nur ein „als ob” sein, aber nach und nach hast du das Gefühl, daß dein Kopf tatsächlich verschwunden ist, und wenn du das fühlst, wird dein Zentrum zum Herzen hinunterfallen — augenblicklich. Du wirst die Welt durch das Herz betrachten und nicht durch den Kopf... Als zum erstenmal Menschen aus dem Westen nach Japan kamen, konnten sie es nicht fassen, daß die Japaner einer jahrhundertealten traditionellen Vorstellung anhängen und glauben, daß man mit dem Bauch denkt! Wenn man ein japanisches Kind, das nicht westlich erzogen wurde, fragt, wo es denkt, wird es auf seinen Bauch zeigen. Seit Jahrhunderten lebt Japan ohne den Kopf. Der Kopf ist nur eine Vorstellung. Wenn man dich fragt: , Wo denkst du?", wirst du auf den Kopf zeigen, aber ein Japaner auf den Bauch, und dies ist einer der Gründe dafür, warum der japanische Geist stiller, ruhiger und gesammelter ist. Das ist jetzt in Verwirrung geraten, weil der Westen sich über30 8
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allhin verbreitet hat. Heute gibt es keinen Osten mehr. Nur in einigen Individuen, die hier und dort wie Inseln existieren, überlebt der Osten noch. Aber geographisch ist der spirituelle Osten verschwunden. Heute ist die ganze Welt westlich. Versuche es mit der Kopflosigkeit. Meditiere vor deinem Spiegel im Badezimmer. Schau dir tief in die Augen und fühle, daß du vom Herzen her schaust. Und nach und nach wird dein Herzzentrum zu funktionieren anfangen. Und wenn das Herz funktioniert, verändert sich deine ganze Persönlichkeit, die ganze Struktur, das ganze Muster, weil das Herz seine eigene Lebensweise hat. Das erste also: Versuche es mit der Kopflosigkeit. Zweitens: Sei liebevoller, weil Liebe nicht durch den Kopf funktionieren kann. Sei liebevoller! Darum verliert jemand, der sich verliebt, den Kopf. Die Leute sagen, er sei verrückt geworden. Wirst du nicht verrückt, wenn du verliebt bist, dann bist du nicht wirklich verliebt. Du mußt den Kopf verlieren. Wenn der Kopf unberührt bleibt, weiterfunktioniert wie üblich, dann ist Liebe nicht möglich, denn um zu lieben, muß dein Herz funktionieren, nicht der Kopf. Liebe ist eine Funktion des Herzens. Es kommt vor, daß ein sehr rationaler Mensch dumm wird, wenn er sich verliebt. Er selbst hat das Gefühl, eine Dummheit zu begehen, eine Albernheit. Was macht er nur! Dann trennt er sein Leben in zwei Teile, stellt eine Spaltung her. Das Herz wird eine stille innerliche Angelegenheit, und wenn er aus dem Hause geht, läßt er sein Herz zurück. Er lebt in der Welt mit dem Kopf und kommt nur zum Herzen hinunter, wenn er liebt. Aber das ist sehr schwer. Sehr, sehr schwer und passiert normalerweise überhaupt nicht. Ich wohnte in Kalkutta bei einem Freund, und dieser Freund war Richter am Obersten Gerichtshof. Seine Frau sagte zu mir: „Ich muß dir ein Problem verraten; kannst du mir helfen?” Also sagte ich: „Was ist das Problem?” Sie sagte: „Mein Mann ist dein Freund. Er liebt dich und respektiert dich, wenn du ihm also etwas sagst, kann es helfen.” Also sagte ich: „Was hast du auf dem Herzen? Sag es mir.” Sie sagte: „Er bleibt sogar im Bett noch der Richter vom Obersten Gerichtshof. Ich habe an ihm nie einen Liebhaber, Freund oder Ehemann gehabt. Er ist vierundzwanzig Stunden lang am Tag Richter vom Obersten Gerichtshof.” 309
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Es ist schwierig; es ist schwer, vom hohen Roß herunterzusteigen. Es wird eine feste Haltung. Wenn du ein Geschäftsmann bist, bleibst du auch im Bett ein Geschäftsmann. Es ist schwierig, zwei Menschen im Inneren unterzubringen, und es ist nicht leicht, dein Muster völlig zu andern, auf Anhieb, jederzeit. Es ist schwer, aber wenn du verliebt bist, mußt du von deinem Kopf herunterkommen. Bei dieser Meditation versuche also mehr und mehr zu lieben. Und wenn ich sage, sei liebevoller, meine ich damit, daß du die Qualität deiner Beziehung ändern sollst: Laß sie auf Liebe beruhen. Nicht nur mit deiner Frau, deinem Kind oder deinem Freund — gehe mit dem ganzen Leben liebevoller um. Das ist der Grund, warum Mahavir und Buddha von Gewaltlosigkeit gesprochen haben: einzig, um eine liebevollere Einstellung zum Leben zu schaffen. Wenn Mahavir unterwegs ist, zu Fuß geht, achtet er darauf, nicht einmal eine Ameise zu töten. Warum? Es geht nicht in Wirklichkeit um die Ameise. Er kommt vom Kopf zum Herzen herunter. Er erzeugt in sich dem Leben gegenüber eine grundsätzlich liebende Einstellung. Je mehr deine Beziehungen auf Liebe gegründet sind, alle Beziehungen, desto mehr funktioniert dein Herzzentrum. Es wird anfangen zu arbeiten; du wirst mit anderen Augen auf die Welt schauen: Denn das Herz hat seine eigene Art, die Welt zu sehen. Der Kopf kann nie und nimmer auf gleiche Weise sehen; das ist unmöglich. Er kann nur analysieren. Das Herz synthetisiert; der Verstand kann nur sezieren, trennen, er ist ein Spalter. Nur das Herz gibt Einheit. Wenn du durchs Herz blickst, erscheint das ganze Universum wie eine Einheit. Blickst du durch den Kopf, zerfällt die ganze Welt in Atome. Es gibt keine Einheit: nur Atome, Atome und wieder Atome. Das Herz gibt eine einheitliche Erfahrung. Es fügt zusammen, und die höchste Synthese ist Gott. Wenn du durchs Herz blicken kannst, sieht das ganze Universum wie ein Ganzes aus. Diese All-Einheit ist Gott. Darum kann die Wissenschaft niemals Gott finden — das ist unmöglich —, weil die von ihr angewandte Methode niemals zu einer letzten Einheit gelangen kann. Die ganze Methode der Wis31 0
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senschaft ist Verstand, Analyse, Teilung. Daher gelangt die Wissenschaft zu den Molekülen, Atomen, Elektronen, und wird nie aufhören zu teilen. Sie kann niemals zur organischen Einheit des Ganzen gelangen. Das Ganze kann unmöglich durch den Kopf gesehen werden. Sei also liebender. Denk daran, daß bei allem, was du tust, die Qualität der Liebe nicht fehlen darf. Das muß dir ständig in Erinnerung bleiben. Du gehst auf dem Gras: Fühle, wie das Gras lebt. Jeder Halm ist so lebendig wie du. Mahatma Gandhi war bei Rabindranath Tagore in Shanti Niketan zu Besuch — und seht euch ihre verschiedenen Haltungen an: Gandhis Gewaltlosigkeit kam aus dem Kopf. Er vernünftelte immer an ihr herum, ging rational vor. Er dachte darüber nach, kämpfte dafür, grübelte, versenkte sich in sie und kam zu einem Schluß. Er experimentierte und zog dann daraus Schlüsse. Wer seine Autobiographie gelesen hat, wird sich erinnern, daß er das Buch „Experimente mit der Wahrheit” genannt hat. Das bloße Wort „Experiment” ist wissenschaftlich, gehört zur Verstandeswelt, zur Welt des Labors. Er war bei Rabindranath, dem Dichter, zu Besuch, und sie machten zusammen einen Spaziergang durch den Garten. Alles war grün, lebendig, und so forderte Gandhi Rabindranath auf: „Laß uns auf den Rasen gehen.” Rabindranath sagte: „Das geht nicht. Ich kann nicht über den Rasen laufen, jeder Halm ist so lebendig wie ich. Es ist mir unmöglich, auf so etwas Lebendiges zu treten.” Dabei war Rabindranath durchaus kein Lehrer der Gewaltlosigkeit, absolut nicht. Er sprach nie von Gewaltlosigkeit, aber er sah die Welt durchs Herz. Erfühlte das Gras. Gandhi dachte über das nach, was Rabindranath gesagt hatte und antwortete: „Du hast recht.” Das kommt aus dem Kopf. Er sieht die Welt . durch den Kopf Sei liebevoll. Gehe selbst mit Dingen liebevoll um. Wenn du auf einem Stuhl sitzt, tue es liebevoll, fühle den Stuhl: empfinde Dankbarkeit. Der Stuhl schenkt dir Bequemlichkeit. Spüre seine Berührung, hebe ihn, spüre Zuneigung. Der Stuhl selbst ist nicht wichtig. Wenn du ißt, dann iß liebevoll. Die Inder sagen, daß Nahrung göttlich ist. Sie meinen damit, 31 1
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daß dir die Nahrung Lebensenergie, Vitalität schenkt. Sei dankbar: Geh liebevoll mit ihr um. Gewöhnlich essen wir sehr aggressiv, so als würden wir etwas töten. Nicht, als nähmen wir etwas auf, sondern als töteten wir. Oder ihr werft eure Nahrung völlig gleichgültig in euch hinein, ohne irgend etwas dabei zu empfinden. Berührt eure Nahrung voller Liebe und Dankbarkeit: Sie ist euer Leben. Nehmt sie in den Mund, schmeckt sie, genießt sie. Seid weder gleichgültig noch gewaltsam. Unsere Zähne sind sehr aggressiv, aufgrund unserer Tiervergangenheit. Tiere haben keine anderen Waffen: Nägel und Zähne sind ihre einzigen Gewaltmittel. Eure Zähne sind im Grunde Waffen, und so fahren die Menschen fort, mit den Zähnen zu töten. Sie bringen ihr Essen um. Darum müßt ihr um so mehr essen, je aggressiver ihr seid. Aber Essen hat seine Grenze, und so macht man mit Rauchen oder Kaugummi weiter. Das ist Gewalt. Ihr genießt es, weil ihr etwas mit euren Zähnen tötet, etwas mit den Zähnen zermalmt, und so wird Kaugummi gekaut — alles Gewalt. Was auch immer du tust, tu es mit Liebe, sei nicht gleichgültig. Dann wird dein Herzzentrum zu funktionieren beginnen, und du wirst tief zum Herzen hinunter steigen. Versuche es zunächst mit der Kopflosigkeit und zweitens mit einer liebenden Haltung. Und drittens: Werde immer ästhetischer, empfänglicher für das Schöne, für Musik, für alles was das Herz berührt. Wenn diese Welt mehr zur Musik und weniger zur Mathematik erzogen würde, hätten wir eine bessere Menschheit. Wenn wir den Geist mehr für Dichtung und weniger für Philosophie schulen würden, hätten wir eine bessere Menschheit. Denn während du Musik hörst oder spielst, wird der Kopf nicht gebraucht — du fällst von der Kopfebene herunter. Sei ästhetischer, poetischer, empfindlicher. Du magst kein großer Musiker sein oder Dichter oder Maler, aber du kannst genießen. Und du kannst etwas aus dir selbst heraus erschaffen: Nicht nötig, ein Picasso zu sein. Du kannst dein Haus selber malen. Du kannst Bilder malen. Nicht nötig, ein Maestro zu sein, kein Alauddin Khan, kein großer Musiker, und doch kannst du in deinem Haus irgend et31 2
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was spielen. Du kannst auch Flöte spielen, wie immer amateurhaft. Aber tu etwas, singe, tanze, tu etwas, das mit dem Herzen zu tun hat. Sei empfänglicher für die Welt des Herzens, und es gehört nicht viel dazu, sensibel zu sein. Selbst ein armer Mensch kann sensibel sein. Reichtum ist nicht nötig. Du brauchst keinen Palast, um sensibel zu sein. Es genügt einfach, am Strand zu liegen, um sensibel zu sein. Du kannst den Sand fühlen, die Sonne, die Wellen, den Wind, die Bäume, den Himmel. Die ganze Welt steht dir offen — fühle sie! Sei sensibler, lebendiger, und zwar aktiv sensibel — denn die Menschheit ist zu passiv geworden. Ihr geht ins Kino: Andere tun etwas, und ihr sitzt nur da und guckt zu. Ein anderer liebt auf der Leinwand, und ihr schaut zu. Einfach wie Voyeure, passiv und tot, ohne etwas zu tun. Ihr habt keinen Anteil. Nur wenn man mitmacht, wird das Herzzentrum funktionieren. Es ist also besser, manchmal zu tanzen. Du wirst kein großer Tänzer sein. Ist auch nicht nötig. Wie linkisch auch immer, tanze einfach. Das wird dir das Gefühl des Herzens geben. Während du tanzt, wird dein Herz zum Zentrum, der Kopf kann es nicht sein. Spring herum, spiel wie ein Kind. Vergiß manchmal völlig deinen Namen, deinen Rang, deinen Ruf. Vergiß das alles völlig, sei wie ein Kind. Sei nicht ernsthaft, nimm das Leben manchmal als Spiel, und das Herz wird sich entwickeln, wird Energie ansammeln. Und wenn du ein Herz hast, das lebt, dann wird sich auch die Qualität deines Kopfes verändern. Dann kannst du auch in den Kopf gehen und kannst durch den Kopf funktionieren. Aber nun ist der Kopf nur noch ein Instrument: Du kannst ihn benutzen. Dann bist du nicht besessen von ihm, und du kannst jederzeit aus ihm herausgehen, wann du willst. Dann bist du der Herr. Das Herz wird dir das Gefühl geben, der Herr zu sein. Und noch etwas: Du wirst schließlich erkennen, daß du weder Kopf noch Herz bist, weil du vom Herzen zum Kopf und vom Kopf zum Herzen gehen kannst. Damit weißt du, daß du etwas anderes bist -„X ". Wenn du immer nur im Kopf bleibst und dich nie hinauswagst, bleibst du mit dem Kopf identifiziert und weißt nicht, daß du etwas anderes bist. Diese Bewegung vom Herzen 31 3
Das Buch der Geheimnisse
zum Kopf und vom Kopf zum Herzen wird dir das Gefühl geben, etwas total anderes zu sein. Manchmal bist du im Herzen und manchmal im Kopf, aber du bist weder Herz noch Kopf. Dieser dritte Punkt der bloßen Bewußtheit wird dich zum dritten Zentrum führen — zum Nabel. Und der Nabel ist nicht wirklich ein Zentrum. Dort bist du. Darum gibt es da nichts zu entwickeln, sondern nur zu entdecken. Die dritte Frage:
Du sagst, daß die westlichen Psychologen heute raten, in einer Liebesbeziehung besser nicht Streit zu vermeiden, und daß es die Liebe intensiviert wenn man sich ihm stellt. Danach sprachst du vom mittleren Weg Buddhas, der beide Extreme aufhebt, Welchen Weg empfiehlst du für Liebende, die noch nicht zu jener Liebe transzendiert sind, die jenseits der beiden Pole liegt? Ein paar grundsätzliche Punkte: gewöhnliche Liebe muß notwendig eine Bewegung zwischen zwei polaren Gegensätzen, zwischen Haß und Liebe sein. Solange der Geist da ist, muß Dualität da sein. Wenn du also liebst, und der Geist ist noch da, dann kannst du dem anderen Pol nicht entrinnen. Du kannst ihn verstecken, du kannst ihn unterdrücken, du kannst ihn vergessen, und das ist genau das, was der sogenannte kultivierte Mensch immer tut. Aber das macht ihn stumpf und tot. Wenn du nicht mit deinem Liebhaber kämpfen kannst, wenn du nicht wütend sein kannst, dann ist die Authentizität der Liebe fort. Wenn du deine Wut unterdrückst, dann wird diese unterdrückte Wut ein Teil von dir, und diese unterdrückte Wut wird dir beim Lieben ein totales Loslassen nicht gestatten. Sie ist immer da. Du hältst sie zurück, du hast sie unterdrückt. Wenn ich wütend bin und das unterdrückt habe, dann ist die verdrängte Wut auch da, wenn ich liebe, und das tötet meine Liebe. Wenn ich nicht authentisch in meiner Wut war, kann ich nicht authentisch in meiner Liebe sein. Wenn du authentisch bist, dann bist du in beidem authentisch. Wenn du in dem einen nicht authentisch bist, kannst du in dem anderen nicht authentisch sein. Die 31 4
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sogenannte Moral, auf der ganzen Welt, alle Zivilisationen und Kulturen haben die Liebe völlig abgetötet - und das im Namen der Liebe. Sie sagen, daß du nicht wütend werden darfst, wenn du jemanden liebst, daß deine Liebe unecht ist, wenn du wütend wirst. Wenn du liebst, streite nicht, wenn du liebst, hasse nicht! Natürlich sieht das logisch aus. Wo du doch liebst, wie könntest du da hassen? Also schneiden wir die Haßseite weg. Aber ist der Haß amputiert, wird die Liebe impotent. Es ist, als hättest du einem Menschen ein Bein abgeschnitten und sagst dann: „So, nun marschiere los. Jetzt kannst du losrennen, es steht dir frei.” Aber ihr habt ihm ein Bein abgeschnitten, also kann er keinen Schritt gehen. Haß und Liebe sind zwei Pole des gleichen Phänomens. Schneidest du den Haß weg, ist die Liebe tot und impotent. Darum ist jede Familie impotent geworden, und ihr alle habt Angst vor dem Loslassen. Wenn ihr liebt, könnt ihr euch nicht völlig loslassen, weil ihr Angst habt. Wenn ihr euch völlig gehen laßt, könnte die Wut, die Gewalt, der Haß, der verborgen und verdrängt ist, hochkommen. Also müßt ihr ihn ständig unterdrücken. Unten drunter müßt ihr ständig kämpfen. Und wenn ihr kämpft, könnt ihr nicht natürlich und spontan sein. Dann ist eure Liebe eine Pose. Ihr täuscht etwas vor; und jeder weiß genau, deine eigene Frau weiß genau, daß du ihr etwas vormachst. Und du weißt, daß dir deine Frau etwas vormacht. Alle machen sich etwas vor. Und so wird das ganze Leben verlogen. Zwei Dinge müssen geschehen, um über den gewöhnlichen Geist hinauszugelangen: Geh in die Meditation, und berühre dann die Ebene des Nicht-Geistes, die in dir ist. Danach wirst du eine Liebe haben, die keinen Gegenpol mehr hat. Aber dann wird es in dieser Liebe keine Aufregung mehr geben, keine Leidenschaft. Diese Liebe wird still sein - ein tiefer Frieden, den nicht die kleinste Welle kräuselt. Ein Buddha, ein Jesus - auch sie lieben. Aber in ihrer Liebe gibt es keine Aufregung, kein Fieber mehr. Das Fieber kommt aus dem polaren Gegensatz, die Aufregung kommt aus dem polaren Gegensatz. Polare Gegensätze erzeugen Spannung. Ihre Liebe dagegen ist ein stilles Phänomen, und so können nur diejenigen eine 31 5
Das Buch der Geheimnisse
solche Liebe verstehen, die zum Bereich des Nicht-Geistes vorgedrungen sind. Jesus ging vorbei ... es war ein heißer Mittag. Er war erschöpft, also ruhte er sich unter einem Baum aus. Er wußte nicht, zu wessen Garten dieser Baum gehörte. Er gehörte Maria Magdalena. Maria war eine Prostituierte. Sie sah aus dem Fenster und sah diesen ungeheuer schönen Mann — einen der schönsten, die je geboren wurden. Sie fühlte sich angezogen, nicht nur angezogen, leidenschaftlich entflammt. Sie kam heraus und bat Jesus: „Komm in mein Haus, warum ruhst du hier? Sei willkommen.” Jesus sah Leidenschaft in ihren Augen, Liebe — sogenannte Liebe. Jesus sagte: „Das nächstemal, wenn ich hier vorbeikomme und wieder müde sein sollte, komme ich in dein Haus. Aber im Augenblick brauche ich es nicht mehr, ich bin schon wieder frisch und bereit, weiterzuziehen. Ich danke dir.” Maria fühlte sich beleidigt. Sowas war noch nie dagewesen. Ja, sie hatte bisher noch nie einen Mann eingeladen. Die Männer kamen von weit her, um auch nur einen Blick von ihr zu erhaschen. Selbst Könige suchten sie auf, und dieser Bettler lehnte dankend ab! Jesus war nur ein Bettler, ein Vagabund, einfach ein Hippie, und er lehnte sie ab. Da sagte Maria zu Jesus: „Kannst du etwa meine Liebe nicht fühlen? Ich lade dich zur Liebe ein. Komm also! Weise mich nicht ab. Hast du denn keine Liebe im Herzen?” Jesus sagte zu ihr: „Ich liebe dich auch. Und wirklich: Alle, die vorgeben, dich zu lieben, lieben dich nicht.” Er sagte: „Nur ich kann dich lieben.” Und er hatte recht. Aber diese Liebe hat eine andere Qualität. In dieser Liebe steckt keine polare Gegenseite, kein Kontrast. Damit fehlt ihr die Spannung: Die Aufregung fehlt. Die Liebe erregt ihn nicht, macht ihn nicht heiß. Und Liebe ist für ihn keine Beziehung, sie ist ein Seinszustand. Geh über den Geist hinaus; erreiche eine Schicht des NichtGeistes. Dann blüht die Liebe auf, aber diese Liebe hat kein Gegenteil mehr. Jenseits von Geist gibt es für nichts mehr ein Gegenteil. Jenseits des Geistes ist alles eins. Innerhalb des Geistes ist alles in zwei Seiten gespalten. Aber solange du dich innerhalb des Geistes bewegst, ist es besser, authentisch zu sein als verlogen. ;E
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Kapitel 12
Sei also authentisch, wenn du auf deinen Geliebten oder deine Geliebte wütend bist, sei authentisch, während du wütend bist, und wenn dann, ohne daß du etwas verdrängt hast, der Augenblick der Liebe kommt, wenn der Geist zum anderen Extrem geht, wird dein Energiestrom ungehindert sein. Solange also Geist da ist, akzeptiere den Konflikt als dazugehörig. Die ganze Dynamik des Geistes besteht darin, in polaren Gegensätzen zu arbeiten. Sei also authentisch in der Wut, sei authentisch in deinem Kampf. Wenn du das kannst, bist du auch in der Liebe authentisch. Den Liebenden also empfehle ich: Seid authentisch! Und wenn ihr wirklich authentisch seid, wird sich ein einmaliges Phänomen einstellen. Irgendwann habt ihr dieses unsinnige Hin und Her zwischen den polaren Gegensätzen satt. Aber seid authentisch: Sonst habt ihr es niemals satt! Ein unterdrückter Mensch wird sich niemals bewußt, daß er sich in der Zange polarer Gegensätze befindet. Er ist niemals wirklich wütend, er liebt niemals wirklich. Und so erfährt er niemals, was der Geist eigentlich ist. Darum empfehle ich euch: Seid authentisch. Seid nicht falsch. Seid wirklich. Und das Authentische hat seine eigene Schönheit. Dein Geliebter, deine Geliebte wird verstehen, wenn du wirklich wütend bist, authentisch wütend. Nur eine falsche Wut oder eine falsche Nicht-Wut ist unverzeihlich. Nur ein falsches Gesicht ist unverzeihlich. Sei authentisch, und dann wirst du auch in der Liebe authentisch sein. Diese authentische Liebe wird alles wettmachen, und durch dieses authentische Leben wirst du allmählich müde. Du wirst dich zu fragen beginnen, was du eigentlich machst — warum du dich immer nur wie ein Pendel von einem Pol zum anderen bewegst. Du wirst gelangweilt sein, und nur dann kannst du dich entschließen, über den Geist hinauszugehen und damit über die Polarität. Sei ein authentischer Mann oder eine authentische Frau. Laß keine Verlogenheit zu: täusche nichts vor. Sei wirklich, und erdulde die Wirklichkeit. Leiden ist gut, Leiden ist wirklich ein Training, eine Schulung. Erleide es! Erleide die Wut, und erleide die Liebe, und erleide den Haß. Vergiß nur eines nicht: Sei niemals falsch. Wenn du keine Liebe fühlst, dann sage, daß du keine Liebe fühlst. Versuche nicht, vorzutäuschen, daß du liebst. Wenn du 31 7
Das Buch der Geheimnisse
wütend bist, dann sage, daß du wütend bist — und sei es auch. Es wird viel Leid geben, aber erleide es. Durch dieses Leiden wird ein neues Bewußtsein geboren. Dir wird bewußt, was für ein Unsinn dieser Haß und diese Liebe ist. Du haßt den gleichen Menschen, den du auch liebst, und du drehst dich immer im Kreise. Dieser Kreis wird dir kristallklar werden, und kristallklar wird er nur, wenn du leidest. Weiche dem Leiden nicht aus. Was du brauchst, ist ein wirkliches Leiden. Es ist wie ein Feuer, es wird dich verbrennen. Und alles was falsch ist, wird verbrennen, und alles was echt ist, wird bleiben. Das ist es, was die Existentialisten „Authentizität” nennen. Sei authentisch, und dann kannst du nicht mehr länger im Geist bleiben. Sei nicht authentisch, und du wirst viele Leben lang ein Gefangener des Geistes bleiben. Du bekommst die Dualität allmählich satt. Aber wie kann man der Dualität überdrüssig werden, wenn man heuchelt, anstatt tatsächlich in der Dualität zu leben? Erst dann wirst du erkennen, daß die sogenannte Liebe eine Krankheit ist. Habt ihr beobachtet, daß ein verliebter Mensch nicht schlafen kam? Er ist nicht entspannt, er hat Fieber. Wenn man ihn untersucht, wird er die Symptome von vielen Krankheiten aufweisen. Diese Liebe, die sogenannte Liebe von Geist und Körper, ist in Wirklichkeit eine Krankheit, aber sie hält dich auf Trab. Das ist ihre Funktion. Denn sonst hättest du nichts zu tun, es gäbe überhaupt nichts auf der Welt zu tun. Dein ganzes Leben würde dir leer erscheinen, und so taugt die Liebe gut dazu, es auszufüllen. Der Geist selbst ist die Krankheit, und damit ist alles, was zum Geist gehört, eine Krankheit. Nur jenseits des Geistes, wo du nicht in Dualität gespalten bist, wo du eins bist, nur dort wird eine andere Liebe aufblühen. Jesus nennt es Liebe, Buddha nennt es Mitgefühl. Das sind nur verschiedene Bezeichnungen. Es ist egal, wie man es nennt. Es gibt eine Liebe, die kein Gegenteil kennt, aber jene Liebe kann nur dann kommen, wenn du über diese Liebe hinausgehst. Und um über sie hinauszugehen, empfehle ich euch, authentisch zu sein, empfehle ich Authentizität, echt zu sein. Seid authentisch im Haß, in der Liebe, in der Wut, in allem. Seid wirklich und macht 31 8
Kapite112 euch nichts vor, denn nur eine Wirklichkeit kann transzendiert werden. Unwirkliche Dinge könnt ihr nicht transzendieren.
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Auf das innere Zentrum stoßen
(Sutras]
18. Blicke liebevoll auf irgendeinen Gegenstand. Schweife nicht zu einem anderen Gegenstand ab. Hier, mitten im Gegenstand — die Segnung 19. Ohne Unterstützung für Hände oder Füße sitze nur auf dem Gesäß. Plötzlich — das Zentrum. 20. Wiege dich rhythmisch, während du in einem Fahrzeug fährst — und erfahre! Oder in einem stillstehenden Gefährt, indem du dich kreisen läßt in langsamer werdendem unsichtbaren Kreisen. 21. Steche mit einer Nadel in irgendeinen Teil deiner nektargefüllten Form, geh dann vorsichtig in dieses Stechen hinein und erreiche die innere Reinheit. 32 1
Das Buch der Geheimnisse
Der menschliche Körper ist ein mysteriöser Mechanismus. Er funktioniert zweidimensional. Nach außen hin geht dein Bewußtsein durch die Sinne, um der Welt zu begegnen, um der Materie zu begegnen. Aber das ist nur die eine Dimension, in der dein Körper funktioniert. Dein Körper hat auch noch eine andere Dimension: eine, die dich nach innen führt. Geht das Bewußtsein nach außen, ist alles, was du erkennst, Materie. Geht das Bewußtsein nach innen, ist alles, was du erkennst, Nicht-Materie. In Wirklichkeit gibt es da keine Trennung: Materie und Nicht Materie sind eins. Aber diese Realität, dieses X, erscheint als Materie, wenn sie durch die Sinne betrachtet wird, durch die Augen. Wird die gleiche Realität, das gleiche X, von innen her betrachtet — also nicht durch die Sinne, sondern durch Zentrierung — dann erscheint sie als Nicht-Materie. Die Realität ist eins, aber du kannst auf zweierlei Weise auf sie blicken. Die eine geht durch die Sinne, die andere nicht durch die Sinne. Alle diese Techniken des Zentrierens sind in Wirklichkeit dazu da, dich zu einem inneren Punkt hinzuführen, wo die Sinne nicht mehr funktionieren, wo du über die Sinne hinausgehst. Drei Dinge müssen zunächst verstanden werden, ehe wir in diese Techniken einsteigen. Erstens: Wenn ihr durch die Augen seht, sind es nicht die Augen, die sehen: Das sind nur Sehschlitze. Der Sehende befindet sich hinter den Augen. Das, was durch die Augen blickt, sind nicht die Augen. Darum kann man die Augen schließen und trotzdem noch Träume, Visionen, Bilder sehen. Der Sehende ist hinter den Sinnen: Durch die Sinne geht er in die Welt. Aber wenn du deine Sinne verschließt, bleibt der Seher innen. Wenn der Seher, dieses Bewußtsein, zentriert ist, wird er sich plötzlich seiner selbst bewußt. Und wenn du dir deiner selbst bewußt bist, bist du dir der ganzen Schöpfung bewußt, weil du und die Schöpfung nicht zweierlei sind. Aber um sich seiner selbst bewußt zu werden, braucht man Zentrierung, und mit „Zentrierung” meine ich, daß dein Bewußtsein nicht in viele Richtungen aufgefächert wird, daß es nirgendwohin geht, daß es in sich selbst bleibt, unbewegt, verwurzelt, ohne Richtung. Einfach dort bleibt, wo es ist: innen. Es scheint schwierig, innen zu bleiben; denn unser Denken 322
Kapitel 13
macht schon aus diesem Gedanken: „Wie bleibe ich innen?”, ein Hinausgehen. Wir fangen zu denken an; das Wie fängt zu denken an. Über Innen, das Innere nachzudenken, ist für uns auch nur ein Gedanke, und jeder Gedanke als solcher gehört der Außenwelt, niemals der Innenwelt an, weil du im innersten Zentrum reine Bewußtheit bist. Gedanken sind wie Wolken. Sie kommen zu dir, aber gehören nicht zu dir. Jeder Gedanke kommt von außen. Du kannst nicht einen einzigen Gedanken innen erzeugen. Jeder Gedanke kommt von außen. Es gibt keine Möglichkeit, einen Gedanken im Inneren zu erzeugen. Gedanken sind wie Wolken, die zu dir kommen. Wann immer du also denkst, bist du nicht innen — nicht vergessen! Denken heißt, außerhalb sein. Selbst also wenn du über das Innere, die Seele, das Selbst nachdenkst, bist du nicht innen. All diese Gedanken über das Selbst, über das Innere, über das Innen stammen von außen: Sie gehören nicht zu dir. Zu dir gehört nichts als einfaches Bewußtsein, wie der Himmel ohne Wolken. Was also tun? Wie zu diesem einfachen Bewußtsein im Inneren gelangen? Es sind Hilfsmittel nötig, weil du nicht direkt etwas tun kannst. Hilfsmittel sind nötig, durch die du nach innen geworfen wirst, darauf gestoßen wirst. Dies Zentrum kann immer nur indirekt angegangen werden, es gibt keinen direkten Zugang. Versteh dies ganz klar, denn das ist sehr grundlegend. Du spielst, und hinterher sagst du, wie schön es war, „wie gut ich mich gefühlt habe, wie selig ich war”! Es bleibt ein unmerkliches Glücksgefühl zurück. Jemand hört dich: er ist auch darauf aus, glücklich zu sein -jeder ist es. Er sagt: Dann muß ich auch spielen, denn wenn man durch Spielen glücklich wird, dann muß ich es auch werden. Er spielt also auch: aber ihm geht es direkt ums Glück, um Seligkeit, um Freude. Glück ist aber nur eine Nebenerscheinung. Wenn du total bei deinem Spiel bist, völlig versenkt, ist Glück die Folge. Aber wenn du dabei ständig nach dem Glück schielst, passiert nichts. Das Spielen ist der Auslöser. Du hörst Musik. Jemand sagt: „Musikhören macht mich ganz selig”, aber wenn du dauernd ans Glück denkst, kannst du die Musik nicht einmal hören. Diese Sorge, diese Gier nach Glück 323
Das Buch der Geheimnisse
wird zur Schranke. Das Glücksgefühl ist ein Nebenprodukt. Du kannst nicht direkt danach greifen. Es ist so zart, daß du es nur indirekt angehen kannst. Tu etwas anderes — und es geschieht. Du kannst es nicht direkt „machen”. Alles Schöne, alles Ewige ist so zart, daß du es zerstörst, wenn du direkt danach greifst. Darum sind Techniken und Hilfsmittel wichtig. Diese Techniken schreiben dir immer etwas vor. Das, was du tust, ist nicht wichtig: wichtig ist, was dabei herauskommt. Aber deine Gedanken müssen mit dem Tun beschäftigt sein, mit der Technik, nicht mit dem Ergebnis. Das Ergebnis passiert: Es muß kommen. Aber es kommt immer nur indirekt. Beschäftige dich also nicht mit dem Ergebnis, beschäftige dich mit der Technik. Mach sie so total wie möglich, und vergiß das Ergebnis. Es kommt; aber du kannst dich ihm auch in den Weg stellen. Wenn du dich nur mit dem Ergebnis beschäftigst, dann tritt es nie ein. Und dann weißt du nicht mehr, was los ist. Es kommen Leute zu mir und sagen: „Du hast gesagt, wenn wir diese Meditation machen, dann passiert dies und das. Aber wir tun es, und dies und das passiert nicht.” Und sie haben recht. Nur haben sie die Bedingung vergessen: Man muß das Ergebnis vergessen, nur dann tritt es ein. Du mußt total in deinem Tun sein. Je mehr du dann aufgehst, desto eher tritt das Ergebnis ein. Aber es kommt i mmer indirekt. Du kannst da nicht aggressiv sein, kannst nicht gewaltsam vorgehen. Es ist ein so zartes Phänomen, daß es sich nicht „in Angriff nehmen” läßt. Es kommt nur zu dir, während du irgendwo anders so total engagiert bist, daß dein innerer Raum leer ist. Diese Techniken sind alle indirekt. Es gibt für das spirituelle Ereignis keine direkte Technik. Und nun die Technik, die sechste Technik zur Zentrierung:
Blicke liebevoll auf irgendeinen Gegenstand. Schweife nicht zu einem anderen Gegenstand ab. Hier, mitten im Gegenstand — die Segnung Ich wiederhole es am besten noch einmal: „Blicke liebevoll auf irgendeinen Gegenstand. Schweife nicht zu einem anderen ab.” 324
Kapitel 13
Wandere zu keinem anderen Gegenstand. „Hier, mitten im Gegenstand — die Segnung!” „Blicke liebevoll auf irgendeinen Gegenstand— ” „Liebevoll” — das ist der Schlüssel. Hast du jemals liebevoll auf irgendeinen Gegenstand geblickt? Du magst vielleicht ja sagen, weil du nicht weißt, was es bedeutet, voller Liebe auf einen Gegenstand zu blicken. Du magst voller Lust auf einen Gegenstand geblickt haben — das ist etwas anderes. Das ist total anders, diametral entgegengesetzt. Erst also der Unterschied: Versucht, den Unterschied herauszufühlen. Ein schönes Gesicht, ein schöner Körper ... du blickst darauf, und du meinst, voller Liebe darauf zu blicken. Aber warum blickst du darauf? Versprichst du dir irgendeinen Gewinn daraus? Dann ist es Lust, nicht Liebe. Möchtest du es ausnutzen? Dann ist es Lust, nicht Liebe. Dann denkst du in W irklichkeit daran, wie du diesen Körper nutzen kannst, wie du ihn besitzen kannst, wie du diesen Körper zu einem Instrument deines Glücks machen kannst. Lust heißt, etwas zum Zwecke deines Glücks gebrauchen. Liebe heißt, daß es überhaupt nicht um dein Glück geht. Im Gegenteil: Lust bedeutet, etwas zu bekommen, und Liebe bedeutet, etwas zu geben. Sie sind genau entgegengesetzt. Wenn du ein schönes Gesicht siehst und Liebe empfindest, wird deine erste Bewußtseinsregung sein, was du tun kannst, um dieses Gesicht glücklich zu machen. Was du tun kannst, um diesen Mann oder diese Frau glücklich zu machen. Du bist nicht um dich selbst besorgt, deine Sorge gilt dem andern. In der Liebe ist der andere wichtig: In der Lust bist du wichtig. Die Lust denkt darüber nach, wie man den andern zu seinem Instrument machen kann. Liebe denkt darüber nach, wie man selbst zum Instrument werden kann. In der Lust opfert man den andern; in der Liebe opfert man sich selbst-. Liebe heißt Geben; Lust heißt Bekommen. Liebe ist Selbstaufgabe, Lust ist Aggression. Was du sagst, ist unwichtig. Selbst in der Lust redet ihr die Sprache der Liebe. Was ihr sprecht, hat wenig Bedeutung. Laßt euch also nicht täuschen. Schaut nach innen, und ihr werdet feststellen, daß ihr im Leben noch nie auf jemanden oder etwas voller Liebe geblickt habt. 32 5
Das Buch der Geheimnisse
Und die zweite Unterscheidung, dies Sutra sagt: „Blicke liebevoll auf irgendeinen Gegenstand.” Wenn du wirklich voller Liebe auf etwas Stoffliches, Fühlloses blickst, wird dieser Gegenstand zu einem Lebewesen. Wenn du liebevoll darauf blickst, wird deine Liebe ein Schlüssel, der alles menschlich macht. Wenn du voller Liebe auf einen Baum blickst, wird der Baum zum Menschen. Erst gestern sprach ich mit Vivek darüber, daß wir in dem neuen Ashram jedem Baum einen Namen geben werden. Denn jeder Baum ist ein Mensch. Habt ihr je davon gehört, daß Bäume Namen bekommen? Niemand benennt einen Baum, weil niemand Liebe für ihn empfindet. Wäre es anders, würde der Baum zum Menschen. Dann ist er nicht nur einer unter vielen — er wird unverwechselbar. Ihr gebt Katzen und Hunden Namen. Wenn ihr einen Hund tauft, nennt ihr ihn Tiger oder sonst was, und macht eine Person aus ihm. Nun ist er kein Hund unter anderen Hunden mehr, er hat eine Persönlichkeit. Ihr habt eine Person geschaffen. Wann immer ihr voll Liebe auf etwas blickt, wird eine Person daraus. Und das Umgekehrte ist auch der Fall: Wenn ihr mit Augen voller Lust auf eine Person blickt, wird ein Gegenstand daraus, ein Ding. Wenn du deine Frau mit Augen voller Lust anblickst oder irgendeine andere Frau, irgendeinen Mann, fühlt sich der andere verletzt. Was machst du wirklich? Du machst aus einem Menschen, einem lebenden Menschen ein totes Werkzeug. Du denkst daran, wie du ihn benutzen kannst, und damit bringst du ihn um. Darum sind lustvolle Augen abstoßend und häßlich. Wenn du jemanden mit Liebe anblickst, erhöhst du den anderen. Er wird einmalig. Plötzlich wird er zum Menschen. Ein Mensch ist unverwechselbar; ein Ding ist auswechselbar. Ein „Ding” heißt: etwas, das auswechselbar ist. Ein „Mensch” heißt: das, was nicht auswechselbar ist. Es gibt keine Möglichkeit, ihn oder sie zu ersetzen. Ein Mensch ist einmalig, ein Ding ist nicht einmalig. Und Liebe macht alles einmalig. Darum fühlt man sich ohne Liebe auch nie wie ein Mensch. Außer wenn dich jemand tief liebt, hast du nie das Gefühl, irgendwie einmalig zu sein. Du bist 326
"T Kapite113
nur einer aus der Masse; eine Nummer, ein Computer-Datum. Du bist ersetzbar. Wenn du zum Beispiel ein Angestellter im Büro bist oder ein Lehrer in der Schule oder ein Professor an der Universität, dann ist dein Lehrstuhl auswechselbar. Ein anderer Professor kann drauf sitzen: Er kann dich jederzeit ersetzen, weil du nur als Professor gebraucht wirst. Du hast nur einen funktionalen Wert und Zweck. Wenn du ein Angestellter bist, kann leicht ein anderer deine Arbeit tun. Die Arbeit ist nicht auf dich angewiesen. Wenn du in diesem Augenblick stirbst, wird ein anderer dich ersetzen, und der Mechanismus geht weiter. Du warst nur eine Nummer: eine andere Nummer tut`s auch. Du warst nur ein Gebrauchsgegenstand. Und dann verliebt sich jemand in diesen Angestellten oder in diesen Professor. Jetzt ist der Angestellte kein Angestellter mehr, sondern ein unverwechselbarer Mensch. Wenn er stirbt, kann ihn der Mensch, der ihn liebt, nicht ersetzen. Dann kann die ganze Welt weitergehen wie zuvor aber der eine Mensch, der ihn liebte, kann nicht der gleiche bleiben. Diese Einmaligkeit, dies EinMensch-Sein, geschieht durch Liebe. Dies Sutra sagt: „Blicke liebevoll auf irgendeinen Gegenstand.” Es ist egal, ob Gegenstand oder Mensch. Das ist deshalb egal, weil alles zum Menschen wird, worauf du voller Liebe blickst. Der Blick selber verändert, transformiert. Ihr habt vielleicht noch nicht beobachtet, was passiert, wenn man einen bestimmten Wagen fährt, sagen wir einen Fiat. Es gibt Tausende und aber Tausende von Fiats, einer wie der andere, aber dein Wagen, wenn du in ihn verliebt bist, wird einmalig — zur Person, unersetzlich. Eine Beziehung entsteht. Für dein Gefühl ist dieser Wagen jetzt ein Mensch. Wenn etwas nicht ganz stimmt — du hörst schon das kleinste Geräusch! Und Autos sind sehr launisch. Du kennst die Laune deines Autos — wann er sich wohlfühlt und wann nicht. Das Auto wird nach und nach zur Person. Warum? Weil durch eine Liebesbeziehung alles zur Person wird. Und in einer Lustbeziehung wird der Mensch zum Ding. Und das gehört zum Unmenschlichsten, das ein Mensch tun kann: jemanden zum Ding machen. „Blicke liebevoll auf irgendeinen Gegenstand ...” Was muß 32 7
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man also tun? Was mußt du tun, um voller Liebe zu blicken? Das erste: dich vergessen. Vergiß dich völlig. Blick auf eine Blume und vergiß dich völlig. Laß die Blume da sein. Du wirst völlig abwesend. Fühle die Blume, und eine tiefe Liebe wird dieser Blume aus deinem Bewußtsein entgegenströmen. Und laß dein Bewußtsein von einem einzigen Gedanken erfüllt sein — wie du dieser Blume dabei helfen kannst, noch mehr zu blühen, noch schöner zu werden, noch seliger zu werden. Was kannst du für sie tun? Es kommt nicht darauf an, ob du wirklich etwas tun kannst; darum geht es nicht. Worauf es ankommt„ ist dies Gefühl, etwas tun zu wollen — dieser Schmerz, dieses tiefe Weh, etwas tun zu wollen, das diese Blume schöner, lebendiger; blühender macht. Laß diesen Gedanken in deinem ganzen Wesen widerhallen. Fühle es mit jeder Faser deines Körpers und deines Geistes. Du wirst dich in Ekstase wiederfinden, und die Blume ist zum Menschen geworden. „Schweife nicht zu einem anderen Gegenstand ab " Du kannst gar nicht. Wenn du in einer Liebesbeziehung bist, kannst du das gar nicht. Wenn du einen Menschen in dieser Zuhörerschaft liebst, dann vergißt du die ganze Menge; nur ein Gesicht bleibt. Wirklich, du siehst niemanden sonst, du siehst nur ein Gesicht. All die anderen sind auch da, aber unterschwellig, nur ganz am Rande deines Bewußtseins. Sie sind nicht, sind Schatten. Nur ein Gesicht bleibt. Wenn du jemanden liebst, bleibt einfach nur dieses eine Gesicht. Also kannst du gar nicht abschweifen. Wandere zu keinem anderen Gegenstand ab: bleibe bei einem. Bleibe bei der Rosenblüte oder bei dem Gesicht der Geliebten. Bleibe dort, voller Liebe, fließend mit ungeteiltem Herzen, mit dem Gefühl: „Was kann ich tun, um diese Geliebte glücklicher, seliger zu machen?” ” „ ... Hier, mitten im Gegenstand — die Segnung. Und wenn dies eintritt, dann bist du abwesend, überhaupt nicht mehr mit dir beschäftigt, ohne jeden Gedanken an dein Vergnügen, an deine Befriedigung. Du hast dich völlig selbst vergessen und denkst nur noch an den anderen. „Der andere” ist zum Mittelpunkt deiner Liebe geworden: Dein Bewußtsein fließt dem andern zu. Du denkst an es mit einem tiefen Gefühl, mit einer tiefen Liebe. ,Wie 328
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kann ich diese Geliebte seliger machen?" In diesem Zustand, plötzlich -„hier, mitten im Gegenstand — die Segnung". Plötzlich, als Seiteneffekt, überkommt dich die Segnung. Plötzlich bist du zentriert. Das erscheint paradox, weil dies Sutra sagt, daß du dich ganz vergessen sollst — also nicht auf dich selbst zentriert bist, sondern ganz auf das andere verlagert. Buddha soll gesagt haben, wenn du betest, sollst du für andere beten, niemals für dich selbst. Sonst ist Beten einfach sinnlos. Es kam ein Mann zu Buddha und sagte: „Ich akzeptiere deine Lehre, nur eines finde ich sehr schwer zu akzeptieren. Du sagst, daß wir beim Beten nie an uns selbst denken dürfen, nie etwas für uns selbst erbitten dürfen. Wir müssen sagen: was immer das Ergebnis meines Gebets, laß es allen zuteil werden. Wenn die Segnung kommt, laß sie allen zukommen.”` Der Mann sagte: „Das ist ja okay; aber darf ich wenigstens eine Ausnahme machen? Ich will nicht, daß mein Nachbar etwas bekommt, der ist mein Feind. Mag der Segen an alle verteilt werden, nur nicht an meinen Nachbarn.” Der Kopf ist selbstsüchtig; Buddha sagte: „Solches Beten ist zwecklos. Es wird kein Segen dabei herauskommen, solange du nicht bereit bist, ihn an alle zu geben, alles auszuteilen. Nur so wird er dein sein.” In der Liebe mußt du dich selbst vergessen. Das erscheint paradox: Wie und wann soll dann das Zentrieren geschehen? Wenn du total beim andern bist, vertieft in das Glück des andern, und du hast dich selbst vergessen und nur noch der andere ist da — plötzlich wirst du vom Glück erfüllt — „die Segnung”. Warum? Weil du, wenn du nicht mit dir beschäftigt bist, völlig leer und frei wirst. Der innere Raum ist nun da. Wenn dein Geist völlig mit dem andern beschäftigt ist, kannst du innen ohne Geist sein. Dann gibt es in dir keinen Gedanken mehr. Und nun kann sich auch dieser Gedanke —,Wie kann ich helfen? Wie kann ich die Seligkeit des andern vermehren? Wie kann ich den anderen glücklicher machen?` — nicht mehr halten, weil es nämlich in Wirklichkeit gar nichts gibt, was du tun könntest. Dieser Gedanke führt zum Stillstand. Du kannst nichts tun! Was denn? Wenn 329
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du glaubst, etwas tun zu können, dann denkst du immer noch Gedanken der Selbstsucht — Ego! Vor dem Gegenstand seiner Liebe wird man völlig hilflos; vergeßt das nicht. Jedesmal, wenn du jemanden liebst, fühlst du dich absolut hilflos. Das ist die Agonie der Liebe: Man weiß nicht, was man tun soll. Man möchte alles tun, das ganze Universum dem Geliebten zu Füßen legen, aber was kann man schon tun? Solange du glaubst, noch dies oder jenes tun zu können, ist es keine wirkliche Liebe, Liebe ist sehr hilflos, absolut hilflos, und gerade diese Hilflosigkeit ist das Schöne an ihr, denn in dieser Hilflosigkeit bist du ausgeliefert. Liebe jemanden, und du wirst dich hilflos fühlen; hasse jemanden, und du wirst etwas tun. Liebe jemanden, und du bist absolut hilflos — denn was kannst du tun? Was immer du tun kannst, erscheint unbedeutend, sinnlos. Es ist nie genug. Es kann nichts getan werden. Wenn man alles tun möchte und fühlt, daß nichts getan werden kann, steht der Geist still. In solch einer Hilflosigkeit geschieht die Selbstaufgabe. Du bist leer. So wird Liebe zu tiefer Meditation. Wirklich, wenn du jemanden liebst, ist keine andere Meditation nötig. Nur weil kein Mensch liebt, sind 112 Methoden nötig, und selbst das mag nichts bringen. Erst vor ein paar Tagen kam jemand her und sagte: „Das gibt mir große Hoffnung! Ich hörte das zum erstenmal von dir, daß es 112 Methoden gibt. Das gibt mir Hoffnung, obwohl sich da irgendwo auch eine böse Ahnung mit einschleicht. Nur 112 Methoden? Und wenn nun diese 112 bei mir nicht anschlagen, gibt es keine hundertdreizehnte?” Und er hat recht, absolut recht! Wenn diese 112 Methoden nicht anschlagen, dann ist Schluß. Und so schleicht, wie er ganz richtig sagt, hinter der Hoffnung eine gewisse Niedergeschlagenheit her. Aber in Wirklichkeit sind Methoden nur nötig, weil die eigentliche Methode fehlt. Wer liebt, braucht keine Methode. Liebe an sich ist die größte Methode; aber Liebe ist schwer — geradezu unmöglich. Liebe bedeutet, daß du dich selbst aus deinem Bewußtsein entfernst und an die Stelle, wo dein Ego existierte, einen anderen setzt. Dich selbst durch einen anderen zu 330
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ersetzen, das bedeutet Liebe: so, als wärest du jetzt nicht mehr, und nur der andere ist. Jean-Paul Sartre sagt: „Der andere ist die Hölle.” Und er hat recht. Er hat recht: denn der andere macht dir nur das Leben zur Hölle. Aber er hat auch wieder nicht recht, insofern der andere, gerade weil er die Hölle sein kann, auch der Himmel sein kann. Wenn du nur der Lust wegen lebst, wird der andere zur Hölle, denn dann versuchst du den anderen zu töten. Dann willst du aus ihm ein Ding machen. Und der andere wird natürlich reagieren und seinerseits versuchen, ein Ding aus dir zu machen — und so geht die Hölle los. Und so machen sich alle Eheleute die Hölle heiß, weil jeder den andern besitzen will. Aber du kannst nur Dinge besitzen — niemals Menschen. Du kannst nur von einem Menschen besessen sein, aber nie einen Menschen besitzen. Ein Ding kann Besitz sein, aber ihr versucht Menschen zu besitzen! Dabei werden die Menschen zu Dingen. Wenn ich ein Ding aus dir mache, wirst du reagieren. Dann bin ich dein Feind. Und dann wirst du ein Ding aus mir machen wollen. Was dabei herauskommt, ist die Hölle. Du sitzt allein in deinem Zimmer, und plötzlich merkst du, wie jemand durchs Schlüsselloch guckt. Beobachte nun genau, was passiert. Fühlst du eine Veränderung? Und warum ärgert dich dieser Schlüssellochgucker so? Er tut dir nichts — er guckt nur. Warum bist du wütend? Er hat aus dir ein Ding gemacht! Er beobachtet: Er hat dich zum Objekt gemacht, zu einem Gegenstand. Das ist dir unbehaglich. Und ihm geht es genauso, wenn du nun ans Schlüsselloch gehst und ihn beäugst. Er wird erschüttert, schockiert sein. Eben noch war er ein Subjekt: Er war der Beobachter, und du warst der Beobachtete. Jetzt plötzlich ist er ertappt worden; nun wird er beobachtet, während er dich beobachtet, und nun ist er zum Ding geworden. Plötzlich fühlst du deine Freiheit beschnitten, zerstört; du wirst beobachtet. Deshalb kannst du nur dann jemanden lange anschauen, wenn du ihn liebst. Ohne Liebe ist Anstarren häßlich und gewaltsam. Wenn du liebst, dann ist etwas sehr Schönes daran, denn dein langer Blick macht aus dem anderen kein Ding. 331
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Dann kannst du ihm direkt in die Augen schauen; dann kannst du tief in die Augen des anderen hineingehen. Du machst den anderen nicht zum Ding, sondern umgekehrt macht ihn dein Blick voller Liebe zu einem Menschen. Darum ist ein langer Blick nur bei Liebenden schön. Alles andere Starren ist häßlich. Die Psychologen sagen, daß es da eine Zeitgrenze gibt, die ihr alle kennt: beobachtet es einmal, und ihr werdet feststellen, wo genau die Zeitgrenze liegt, wie lange man in die Augen eines Fremden starren kann. Es gibt eine Zeitgrenze. Noch ein Bruchteil einer Sekunde länger, und der andere wird ärgerlich. Ein streifender Blick kann in der Öffentlichkeit verziehen werden, denn das kann als bloßes Sehen, nicht als Blick gewertet werden. Ein Blick ist etwas Tiefes. Wenn ich dich beim Vorübergehen nur ansehe, wird keine Beziehung hergestellt. Oder wenn ich vorbeigehe, und du siehst mich an, einfach so im Vorbeigehen, dann wolltest du mir nicht zu nahe treten, also ist es okay. Aber wenn du plötzlich stehen bleibst und mich anblickst, wirst du ein Beobachter. Dann wird mich dein Blick stören, und ich fühle mich beleidigt. Was fällt dir ein? Ich bin ein Mensch, kein Ding. So darf man doch nicht blicken! Hieran liegt es, daß Kleider so wichtig geworden sind. Nur mit jemandem, den du liebst, kannst du ungezwungen nackt sein, weil dein ganzer Körper zum Gegenstand wird, sobald du nackt bist. Der ganze Körper wird zum Gegenstand. Jemand kann sich deinen ganzen Körper ansehen, und wenn er dich dabei nicht hebt, dann machen seine Augen dich, deinen ganzen Körper, dein ganzes Wesen zum Objekt. Der ganze Körper wird zum Ding. Aber wenn du jemanden liebst, kannst du in seiner Gegenwart nackt sein, ohne dir nackt vorzukommen. Ja, du bist sogar viel lieber nackt, weil du jetzt möchtest, daß diese transformierende Liebe dich mit deinem ganzen Körper zum Menschen macht. Wann i mmer du einen Menschen zum Ding machst, ist der Akt unmoralisch. Wenn du aber von Liebe erfüllt bist — egal, worauf sie sich richtet — dann wird in diesem von Liebe erfüllten Augenblick dieses Phänomen, dieser Segen möglich. Es geschieht einfach. „ ... mitten im Gegenstand, die Spannung.” Plötzlich hast du dich ganz vergessen; nur noch das andere ist da. Dann, wenn der 332
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richtige Augenblick da ist, wenn du nicht mehr anwesend bist, absolut abwesend bist, dann verschwindet auch das andere. Und zwischen diesen beiden Abwesenheiten geschieht die Segnung. Das ist es, was Liebende erfahren. Diese Segnung kommt aus einer unbekannten, ungewollten Meditation. Wo es zwei Liebende gibt, da werden beide nach und nach abwesend. Es bleibt ein reines Dasein zurück, ohne jedes Ego, ohne jeden Konflikt — eine reine Kommunion. In dieser Kommunion fühlt man sich selig. Wir machen den Trugschluß, daß uns diese Seligkeit vom anderen gegeben wird. Diese Seligkeit stellt sich deshalb ein, weil ihr unabsichtlich in eine tiefe Meditationstechnik geratet. Man kann sie auch ganz bewußt machen — und wenn man es bewußt tut, geht es tiefer, denn dann ist man nicht vom Objekt besessen. Das geschieht jeden Tag. Wenn du jemanden liebst, fühlst du dich selig, nicht deinet- oder ihretwegen, sondern der Liebe wegen. Und warum der Liebe wegen? Weil dies Phänomen passiert — das, was dies Sutra sagt. Aber ihr werdet besessen dabei und denkt, daß es an A liegt, daß wegen Ns Nähe, wegen As Liebe der Segen geschieht. Und dann denkst du: „Ich muß A besitzen, denn wenn A nicht da ist, kann ich diesen Segen nicht wiederempfinden.” Du wirst eifersüchtig. Wenn ein anderer A besitzt, dann ist er selig und dir ist elend. Und so willst du jede Möglichkeit ausschalten, daß A von einem anderen Menschen besessen wird. A darf nur dir gehören, denn durch A hast du eine andere Welt erahnen können. Und so zerstörst du im gleichen Augenblick, wo du A zu besitzen versuchst, die ganze Schönheit und das ganze Phänomen. Sobald der geliebte Mensch zu Besitz wird, ist die Liebe fort. Nun ist der Geliebte nur noch ein Ding. Du kannst ihn ausnutzen, aber der Segen wird nie wiederkommen, weil der Segen nur kam, als der andere Mensch war. Da wurde der andere erschaffen, zum Menschen gemacht: Du erschufst den Menschen im andern, und der andere erschuf den Menschen in dir. Keiner von euch war Ding. Es waren zwei Subjektivitäten, die zusammentrafen, zwei Menschen — nicht ein Mensch und ein Ding. Aber im Augenblick, wo du besitzt, wird es unmöglich. Und 333
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der Verstand will zugreifen, weil sein Denken vom Habenwollen bestimmt ist. „Mir ist eines Tages die Seligkeit widerfahren, jetzt will ich sie jeden Tag haben. Also greif zu!” Aber die Seligkeit kommt nur, weil es keinen Besitz gibt. Und die Seligkeit liegt nicht am anderen, sondern kommt in Wirklichkeit aus dir. Vergeßt nicht: Das Glücksgefühl liegt an einem selbst. Es tritt ein, weil du dich so in den andern verloren hast. Es kann mit einer Rose geschehen, es kann mit einem Stein geschehen, es kann mit Bäumen geschehen, es kann mit allem geschehen. Kennst du erst einmal die Situation, in der es geschieht, kann es überall geschehen. Wenn du weißt, daß du nicht mehr bist, und daß sich dein Bewußtsein mit einer tiefen Liebe zum „anderen” hinbegeben hat — hin zu den Bäumen, zum Himmel, zu den Sternen, zu was es auch sei, wenn sich deine gesamte Bewußtheit auf etwas anderes richtet und dich so verläßt und sich von dir entfernt, dann, in dieser Abwesenheit des Selbst —die Segnung. Die siebente Technik:
Ohne Unterstützung für Hände oder Füße sitze nur auf dem Gesäß. Plötzlich – das Zentrum. Diese Technik ist bei den Taoisten in China seit Jahrhunderten in Gebrauch. Und es ist eine wunderbare Technik, eine der einfachsten überhaupt. Versucht es: „Ohne Unterstützung für Hände oder Füße sitze nur auf dem Gesäß. Plötzlich — das Zentrum.” Was muß getan werden? Zweierlei ist nötig — erstens ein sehr empfindlicher Körper, den ihr aber nicht habt. Euer Körper ist tot. Er ist nur eine Last zum Mitschleppen, unsensibel. Erst müßt ihr euren Körper empfindsam machen; und vor allen Dingen das Gesäß, denn normalerweise ist das Gesäß der unempfindlichste Teil des Körpers. Das kann nicht ausbleiben, weil ihr den ganzen Tag auf dem Hintern sitzt. Wäre er zu empfindlich, wäre das schwer. So ist euer Hinterteil also unempfindlich: Es muß es sein. Es ist so unempfindlich wie eure Fußsohlen. Ständig sitzt ihr darauf und fühlt es dennoch nie. Habt ihr es je schon gefühlt? Jetzt im Au334
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genblick mögt ihr fühlen können, wie ihr auf eurem Hintern sitzt, aber ihr habt es nie zuvor gefühlt. Euer ganzes Leben lang habt ihr auf eurem Hinterteil gesessen, ohne es je gemerkt zu haben. Seine Funktion selbst bringt es mit sich, daß es nicht so empfindlich ist. Zunächst also müßt ihr ihn empfindlich machen. Versucht eine sehr einfache Methode, und diese Methode kann auch auf jeden anderen Körperteil angewendet werden. Dadurch wird der Körper empfindlich. Sitze entspannt auf einem Stuhl und schließe die Augen. Fühle die linke oder rechte Hand, egal welche ... fühle die linke Hand. Vergiß den ganzen Körper und fühle einfach die linke Hand. Je mehr du sie fühlst, desto schwerer wird sie. Fühle sie immer weiter, vergiß den ganzen Körper. Fühle sie immer weiter, als wärest du selbst die linke Hand. Die Hand wird dadurch i mmer schwerer. Während sie immer schwerer wird, wirst du selbst immer schwerer. Dann versuch herauszufühlen, was in der Hand passiert. Gleich welche Empfindung, achte darauf. Jede Empfindung, jeder Ruck, jede noch so leichte Bewegung - spüre, daß dies jetzt geschieht. Und das machst du drei Wochen lang so. Irgendwann am Tag, zehn Minuten, fünfzehn Minuten lang. Fühle nur die linke Hand, und vergiß den ganzen Körper. Nach drei Wochen wirst du eine neue linke Hand an dir fühlen - oder eine rechte, je nachdem. So empfindlich, so feinfühlig! Und du wirst die feinsten und empfindlichsten Regungen in der Hand wahrnehmen. Wenn es dir mit der Hand gelungen ist, dann versuche es mit dem Gesäß. Mach das gleiche: Schließe die Augen und fühle, daß nur zwei Hinterbacken existieren. Du bist nicht mehr. Laß deine ganze Bewußtheit ins Gesäß gehen. Es ist nicht schwer. Wenn du es versuchst, ist es ein wunderbares Gefühl: das Gefühl der Lebendigkeit, das so in deinen Körper kommt, ist an sich schon beseligend. Wenn du deinen Hintern fühlen kannst und er sehr empfindlich geworden ist, wenn du alles darin spüren kannst, wenn du die leiseste Bewegung, den leisesten Schmerz oder was immer wahrnehmen und erkennen kannst, dann ist dein Bewußtsein mit dem Gesäß verbunden. Versuche es zunächst mit einer Hand: die Hand ist sehr 33 5
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empfindlich, so ist es leichter. Sobald du die Gewißheit gewonnen hast, daß du deine Hand sensibilisieren kannst, wird dir dieses Vertrauen helfen, dein Gesäß zu sensibilisieren. Danach erst mach diese Technik. Du brauchst also mindestens sechs Wochen, bevor du mit dieser Technik beginnen kannst, drei Wochen mit der Hand und drei Wochen mit dem Gesäß - einfach nur sensibilisieren. Du liegst auf dem Bett und vergißt den ganzen Körper. Du weißt nur noch, daß zwei Hinterbacken übrig sind. Fühle ihre Berührung mit dem Bettlaken, dessen Kühle oder langsam wachsende Wärme: Fühle es. Wenn du in der Badewanne liegst, vergiß den Körper. Erinnere dich nur an das Gesäß - fühle. Stehe gegen eine Wand gelehnt, wobei dein Gesäß die Wand berührt: Fühle die Kälte der Wand. Stehe mit deinem Geliebten, mit deiner Frau oder deinem Mann, Gesäß gegen Gesäß: Fühle den andern durch das Gesäß. Dies dient nur dazu, dein Gesäß „zu erschaffen”; bring Gefühl in deinen Hintern. Und dann mach diese Technik: „Ohne Unterstützung für Hände oder Füße ...” Setz dich auf den Boden. Sitze ohne Unterstützung der Hände oder Füße einfach auf dem Gesäß. Die Buddhastellung genügt: Padmasana genügt. Oder auch Siddhasana oder irgendein gewöhnliches Asana, aber es ist gut, nicht deine Hände zu gebrauchen. Bleibe einfach auf dem Gesäß: sitze nur auf dem Hinterteil. Und was dann? Schließe die Augen, fühle, wie der Hintern den Boden berührt. Sobald er empfindlich geworden ist, wirst du spüren, wie die eine Backe den Boden mehr berührt als die andere. Du stützt dich auf die eine Hälfte, und die andere berührt den Boden weniger. Verlagere das Schwergewicht dann auf die andere. Und dann wieder sofort zurück zur ersten. Und so hin und her, und schließlich allmählich - das Gleichgewicht. Ausbalancieren heißt hier, daß beide Gesäßbacken das gleiche Gewicht haben. Das Gewicht auf beiden ist genau das gleiche. Und wenn dein Gesäß empfindlich ist, wird das nicht schwer sein: Du wirst es fühlen. Sobald beide Gesäßbacken ausgewogen sind, ist plötzlich die Zentrierung da. In diesem Gleichgewicht wirst du plötzlich auf das Nabelzentrum geworfen, wirst du dein inneres Zentrum finden. Du wirst den Hintern vergessen, du wirst den Körper vergessen. Du wirst aufs innere Zentrum gestoßen. 33 6
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Darum sage ich, daß nicht der Konzentrationspunkt wichtig ist, sondern das Zentrieren. Ob es nun im Herzen, im Kopf oder im Hintern oder sonstwo geschieht. Ihr habt gesehen, wie Buddhas sitzen. Ihr kommt vielleicht nicht auf den Gedanken, daß sie ihre Hinternhälften im Gleichgewicht halten. Geht in einen Tempel, und seht euch einen sitzenden Mahavir, einen sitzenden Buddha an: Ihr wärt wohl nie auf den Gedanken gekommen, daß dies Sitzen nur ein Ausbalancieren der Hinternhälften ist. Es ist aber so; und wenn das Gleichgewicht absolut ist, gibt euch das plötzlich die Zentrierung. Die achte Technik:
Wiege dich rhythmisch, während du in einem Fahrzeug fährst — und erfahre! Oder in einem stillstehenden Gefährt indem du dich kreisen läßt in langsamer werdenden, unsichtbaren Kreisen. Das ist dasselbe in Grün:„, ... während du in einem Fahrzeug fährst ..." Du fährst mit dem Zug oder mit dem Ochsenkarren — als diese Technik entwickelt wurde, gab es nur den Ochsenkarren! Du fährst also mit einem Ochsenkarren auf einer indischen Straße, die auch heute noch genauso ist. Aber wenn du damit fährst, bewegt sich dein ganzer Körper. Dann geht es nicht. „Wiege dich rhythmisch, wenn du in einem Fahrzeug fährst...” „Wiege dich rhythmisch ...” Versucht zu verstehen: Es geht um eine ganz subtile Sache. Wenn man in einem Ochsenkarren oder sonst einem Gefährt sitzt, steuert man gegen: Schwankt der Ochsenkarren nach links, bremst man ab und lehnt sich nach rechts zum Ausgleich: sonst würde man hinfallen. So leistet man ständig Widerstand. Auf einem Ochsenkarren sitzend, fängt man sein Rütteln und Schütteln ab. Geht er hierhin, gehst du dorthin. Darum ermüdet das Zugfahren. Man tut doch gar nichts! Warum also wird man so müde davon? Unbewußt tut man trotzdem viel. Man ist ständig gegen den Zug angegangen, hat Widerstand geleistet. Leiste also keinen Widerstand: Das ist das erste. Wenn du diese Technik machen willst, leiste keinen Widerstand, sondern gehe mit den Fahrbewegungen mit, wiege dich mit. Werde 33 7
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Teil des Ochsenkarrens: Gehe nicht dagegen an. Was immer der Ochsenkarren auf der Straße macht, werde eins mit ihm. Das ist der Grund, warum Kinder nie auf Reisen müde werden. Poonam ist gerade aus London angekommen, mit ihren beiden Kindern. Und sie hatte Angst, daß die Kinder müde oder krank werden könnten auf einer so langen Reise. Sie kam müde an; die Kinder lachten. Als sie mein Zimmer betrat, war sie zu Tode erschöpft, und die beiden Kinder fingen sofort zu spielen an. Eine achtzehnstündige Reise von London nach Bombay, und sie waren kein bißchen müde! Warum? Weil sie noch nicht gelernt haben, Widerstand zu leisten. So kann ein Betrunkener die ganze Nacht auf einem Ochsenkarren sitzen und sich am Morgen so frisch fühlen wie nie; aber nicht ihr. Es liegt daran, daß ein Betrunkener sich nicht wehren kann. Er geht mit dem Gefährt mit. Es gibt keinen Kampf. Das Kämpfen fehlt. Er ist eins mit dem Wagen. ,W.ege dich rhythmisch, wenn du in einem Fahrzeug fährst... "" Also erstens: Leistet keinen Widerstand. Und als zweites: Stellt einen Rhythmus her: Macht die Bewegungen rhythmisch, macht eine wunderschöne Harmonie aus ihnen. Vergeßt die Straße: Flucht nicht auf die Straße und die Regierung, vergeßt sie. Verflucht nicht den Ochsen und den Ochsenkarren und den Fahrer, vergeßt ihn. Schließt die Augen: Leistet keinen Widerstand. Geht rhythmisch mit, und macht aus der Bewegung eine Musik, als wäre es ein Tanz. „Wiege dich rhythmisch, wenn du in einem Fahrzeug fährst — und erfahre!” Das Sutra sagt, daß die Erfahrung dann zu dir kommt. „Oder in einem stillstehenden Gefährt ...” Frag dich also nun nicht: „Wie kann ich an einen Ochsenkarren herankommen?” Führe dich nicht an der Nase herum, denn das Sutra sagt: „ ... oder in einem stillstehenden Gefährt , indem du dich kreisen läßt, in langsamer werdenden, unsichtbaren Kreisen.” Indem du einfach dasitzt, laß dich im Kreise schwingen. Schwinge im Kreise! Mache erst einen großen Kreis, und verlangsame ihn dann, laß ihn langsamer und langsamer werden, kleiner und kleiner und kleiner, bis dein Körper sich nicht mehr sichtbar bewegt, sondern du nur noch innen eine feine unmerkliche Bewegung fühlst. 338
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Fange mit einem größeren Kreis an, bei geschlossenen Augen. Denn wenn der Körper stillhält, kommst du nicht in Gang. Mach mit geschlossenen Augen große Kreise; sitze nur und kreise. Schwinge immer weiter und laß die Kreise kleiner und kleiner werden. Von außen gesehen wirst du anhalten, niemand wird entdecken können, daß du dich immer noch bewegst, aber innen wirst du eine feine Kreisbewegung fühlen. Jetzt bewegt sich der Körper nicht mehr, nur noch der Geist. Mache es langsamer und langsamer — und erfahre: Es wird zum Zentrieren. Eine widerstandslose, rhythmische Bewegung in einem Gefährt, in einem fahrenden Gefährt, führt zu einem inneren Zentrieren. Gurdjieff erfand viele Tänze für solche Techniken. Er arbeitete mit dieser Technik. Alle Tanze, die er in seiner Schule benutzte, waren schwingende Kreisbewegungen. Alle Tanze waren in Kreisen: einfach kreiseln, aber innen wach bleiben und dabei die Kreise langsam kleiner und kleiner werden lassen. Es kommt der Zeitpunkt, wo der Körper aufhört, aber der Kopf sich immer weiter dreht, kreist und kreist und kreist. Nach einer zwanzigstündigen Zugfahrt wirst du, zu Hause angekommen und nach Verlassen des Zuges, bei geschlossenen Augen immer noch das Gefühl haben zu fahren. Du fährst immer noch. Der Körper hat aufgehört, aber der Geist spürt immer noch das Fahrzeug. Versucht also diese Technik. Gurdjieff schuf phänomenale Tänze, sehr schöne! In unserem Jahrhundert vollbrachte er Wunder — keine Wunder ä la Satya Sai Baba, die überhaupt keine Wunder sind ... Taschenspielertricks. Aber Gurdjieff wirkte wirkliche Wunder. Er bereitete eine Gruppe von hundert Menschen auf meditatives Tanzen vor, und diesen Tanz zeigte er zum erstenmal vor einem Publikum in New York. Hundert Tänzer kreiselten auf der Bühne. Selbst den Zuschauern drehte sich der Kopf. Hundert Tänzer in weißen Kitteln, die einfach nur kreiselten! Wenn er ihnen mit der Hand das Zeichen gab, fingen sie zu kreiseln an, und wenn er „Stop” rief, herrschte Totenstille. Das war ein Schock für das Publikum, nicht für die Tänzer — weil der Körper zwar augenblicklich anhalten kann, der Geist aber die Bewegung verinnerlicht hat: sie geht weiter und weiter. Der bloße 33 9
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Anblick war atemberaubend: Hundert Menschen wurden plötzlich zu Statuen. Das versetzte dem Publikum einen plötzlichen Schock, denn hundert Bewegungen — schöne Bewegungen, rhythmische Bewegungen — hielten plötzlich an. Man schaute der Bewegung zu, sah die Tänzer kreiseln und tanzen, und plötzlich blieben sie stehen. Da blieb auch das Denken stehen. Viele spürten damals in New York, daß es ein merkwürdiges Phänomen war: Ihre Gedanken blieben plötzlich stehen! Aber für die Tänzer ging der Tanz im Inneren weiter, und die inneren Wirbelkreise wurden kleiner und kleiner, bis sie sich zentriert hatten. Eines Tages geschah es, daß sie bis an den Rand der Bühne tanzten. Alle rechneten damit, alle erwarteten, daß Gurdjieff „Stop!” rufen würde, bevor sie ins Publikum hinuntertanzten. Hundert Tänzer, genau am Rand der Bühne! Noch ein Schritt, und sie würden ins Parkett fallen. Die ganze Halle wartete auf das plötzliche Stop von Gurdjieff, aber er drehte sich um und steckte sich eine Zigarre an. Er kehrte den Tänzern den Rücken zu, um sich eine Zigarre anzustecken, und die ganze Gruppe von hundert Tänzern stürzte von der Bühne auf den Boden — einen nackten Steinboden! Das ganze Publikum sprang auf. Alle schrien durcheinander und glaubten, daß viele Tänzer sich die Knochen gebrochen haben müßten, es war ein solches Krachen zu hören gewesen! Aber nicht ein einziger hatte sich verletzt. Nicht einmal eine einzige Beule gab es. Man fragte Gurdjieff, was passiert sei. Niemand war verletzt worden, und der Sturz war so stark gewesen, daß es unmöglich schien. Der Grund war einfach dieser: Sie waren in diesem Augenblick nicht wirklich in ihren Körpern. Sie waren gerade dabei, ihr inneres Kreisen zu verlangsamen, und als Gurdjieff sah, daß sie jetzt völlig ihre Körper vergessen hatten, ließ er zu, daß sie abstürzten. Wenn du deinen Körper völlig vergessen hast, gibt es keinen Widerstand mehr, und Knochen brechen nur bei Widerstand. Wenn du stürzt, wehrst du ab: Du gehst gegen den Zug der Schwerkraft an. Dies Dagegenangehen, dieser Widerstand ist das Problem — nicht die Schwerkraft. Wenn du dich mit der Schwer340
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kraft fallenlassen kannst, wenn du mit ihr mitgehen kannst, dann ist es ausgeschlossen, daß du dich verletzt. Dies Sutra also —„Wiege dich rhythmisch, während du in einem Fahrzeug fährst — und erfahre! Oder in einem stillstehenden Gefährt, indem du dich kreisen läßt, in langsamer werdenden, unsichtbaren Kreisen" — kannst du auch ohne Fahrzeug tun. Dreh dich einfach wie ein Kind irn Kreise. Fühlst du dich schwindelig und merkst du, daß du gleich fällst, dann halte nicht an: mach weiter! Selbst wenn du hinfällst, laß es geschehen. Schließe die Augen und kreisele. Dein Kopf wird sich im Kreis drehen und du wirst stürzen. Wenn dein Körper hingefallen ist, fühle dein Inneres! Das Drehen geht weiter und wird zu enger und enger werdenden Kreisen, bis du plötzlich zentriert bist. Kindern macht das ausgesprochenen Spaß. Sie finden das ganz toll. Eltern erlauben ihren Kindern nie zu wirbeln. Das ist nicht recht: Man sollte sie lassen, ja sie sogar dazu ermutigen. Und man kann sie auch auf das innere Kreisen aufmerksam machen, man kann ihnen mit Hilfe ihres Wirbelns das Meditieren beibringen. Sie genießen es, weil das ein körperloses Gefühl verleiht. Wenn sie wirbeln, merken die Kinder plötzlich, daß nur der Körper sich dreht, aber nicht sie. Innen fühlen sie eine Zentrierung, die uns Älteren nicht so leicht fällt, weil bei Kindern Körper und Seele noch immer ein wenig Abstand voneinander haben. Es ist eine Distanz da. Mit Eintritt in den Mutterleib kannst du nicht von vornherein total im Körper sein. Dazu gehört Zeit. Nach der Geburt ist das Kind auch noch nicht völlig im Körper. Seine Seele ist noch nicht völlig an seinen Körper gebunden: Es gibt Zwischenräume. Darum gibt es vieles, was ein Kind noch nicht beherrscht. Der Körper ist bereit, aber das Kind beherrscht ihn noch nicht. Zum Beispiel sehen neugeborene Kinder nicht mit zwei Augen, sondern nur mit einem. Wenn ihr genau beobachtet, werdet ihr sehen, daß das eine Auge größer wird und die andere Pupille klein bleibt. Die Augen sind noch nicht fixiert, das Bewußtsein eines Neugeborenen ist noch nicht fixiert, es schwimmt. Nach und nach wird es fixiert, und dann kann es mit beiden Augen sehen. Sie können auch noch nicht ihren eigenen Körper von dem 341
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Körper anderer abgrenzen. Das ist für sie schwer. Sie liegen noch nicht fest, aber es kommt nach und nach. Meditation ist der Versuch, diesen Abstand wiederherzustellen. Inzwischen seid ihr fixiert, fest im Körper verankert. Darum habt ihr das Gefühl: „Ich bin der Körper.” Wenn ein Abstand hergestellt werden kann, könnt ihr erfahren, daß ihr nicht der Körper seid, sondern etwas jenseits vom Körper. Wiegen und Wirbeln helfen dabei: Sie stellen den Abstand her. Die neunte Technik:
Steche mit einer Nadel in irgendeinen Teil deiner nektargefüllten Form, geh dann vorsichtig in dieses Stechen hinein und erreiche die innere Reinheit. Dies Sutra sagt: „Steche mit einer Nadel in irgendeinen Teil deiner nektargefüllten Form ...” Dein Körper ist nicht nur ein Körper: Er ist angefüllt mit dir, und dieses du ist der Nektar. Steche in deinen Körper. Wenn du in deinen Körper stichst, wirst nicht du gestochen, sondern nur der Körper. Aber ihr glaubt, selbst gestochen worden zu sein: Das ist der Grund, warum ihr Schmerz fühlt. Wenn du dir bewußt machen kannst, daß nur der Körper gestochen wird, nicht aber du, wirst du Seligkeit fühlen statt Schmerzen. Man braucht es nicht mit einer Nadel zu tun; jeden Tag passieren genug Dinge, und man kann diese Situationen zur Meditation nutzen. Man kann die Situation aber auch herstellen. Irgendwo im Körper ist ein Schmerz da. Jetzt tu eines: Vergiß den ganzen Körper. Konzentriere dich nur auf den Teil, der schmerzt. Und dann das Merkwürdige: Der Körperteil, der schmerzt, fängt an zu schrumpfen. Erst war es das ganze Bein, dann nur noch das Knie ... und schließlich ist es nur noch nadelspitzengroß. Wenn es nur noch eine Nadelspitze ist, starre weiter auf sie, und plötzlich wird auch sie verschwinden, und du wirst ein Glücksgefühl empfinden. Statt mit Schmerz bist du nun mit Glück erfüllt. Wie passiert das? Du und dein Körper, ihr seid zwei, ihr seid nicht eins. Der, der sich konzentriert, das bist du. Die Konzentra342
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tion gilt dem Körper: Das ist dein Objekt. Je mehr du dich konzentrierst, desto weiter wird der Abstand, und die Identifikation wird gebrochen. Um dich zu konzentrieren, gehst du nach innen, entfernst dich vom Körper. Um den Punkt des Schmerzes in die Perspektive zu bekommen, mußt du Abstand nehmen. Dieses Abstandnehmen schafft die Kluft. Und indem du dich auf den Schmerz konzentrierst, vergißt du die Identifikation, vergißt du, daß du den Schmerz fühlst. Jetzt bist du der Beobachter, und der Schmerz ist woanders. Du beobachtest den Schmerz und fühlst ihn nicht. Dieser Wechsel vom Fühlen zum Beobachten schafft die Kluft. Und je größer der Abstand, desto mehr vergißt du den Körper; du bist dir nur noch des Bewußtseins bewußt. Aber du kannst auch diese spezifische Technik versuchen: „Steche mit einer Nadel in irgendeinen Teil deiner nektargefüllten Form, und geh dann vorsichtig in dieses Stechen hinein ...” Wenn du sowieso Schmerzen hast, dann mußt du dich zunächst auf ihre ganze Ausdehnung konzentrieren; erst nach und nach schrumpft der Schmerz dann zu einer Nadelspitze. Mit der Nadel braucht man also nicht erst zu warten: Du kannst selbst eine Nadel benutzen. Setze die Nadel an irgendeiner Stelle an, die empfindlich ist; der Körper hat viele taube Stellen, die bringen nichts. Vielleicht habt ihr von diesen tauben Stellen am Körper noch nichts gehört? Dann macht folgendes: Gebt die Nadel einem andern, einem Freund, und bittet ihn, damit verschiedene Punkte auf deinem Rücken anzustechen. An vielen Punkten wirst du keinen Schmerz fühlen. Du wirst sagen: „Nein, da hast du noch nicht reingestochen. Ich spüre nichts.” Das sind die tauben Stellen. Mitten auf beiden Backen habt ihr je eine taube Stelle, die ihr ausprobieren könnt. In indischen Dörfern gibt es Leute, die bei religiösen Festen beide Backen mit einem Pfeil durchbohren. Es sieht wie ein Wunder aus, ist aber keins. Auf jeder Backe ist ein tauber Fleck. Durchbohrt man diesen, kommt kein Blut und auch kein Schmerz. Auf dem Rücken habt ihr Tausende von toten Punkten. Euer Körper hat also zwei Sorten von Punkten: empfindliche, lebendige - und tote. Suche dir also einen empfindlichen Punkt, den du schon mit 343
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einer leichten Berührung fühlst. Dann steche die Nadel hinein, und gehe mit dem Stechen mit: Darauf kommt es an. Das ist die Meditation: „Und geh dann vorsichtig in dieses Stechen hinein.” Während die Nadel in deine Haut hineingeht und du den Schmerz fühlst, gehst du hinein. Habe nicht das Gefühl, daß der Schmerz in dich kommt: Fühle nicht den Schmerz•, sei nicht mit ihm identifiziert. Geh mit der Nadel hinein, steche mit der Nadel. Schließe deine Augen, beobachte den Schmerz. Während der Schmerz dich sticht, bist du es selbst, der sticht. Und während die Nadel in dich sticht, kann sich dein Geist mit Leichtigkeit konzentrieren. Nutze diesen Punkt des Schmerzes, des intensiven Schmerzes, und beobachte ihn: Das ist mit „Vorsichtig-in-diesesStechen-Hineingehen” gemeint. „ ... und erreiche die innere Reinheit.” Wenn du beobachtend mitgehen kannst, unidentifiziert, abseits, ohne das Gefühl zu haben, daß der Schmerz dich sticht, sondern daß die Nadel den Körper sticht, wobei du nur Beobachter bist, dann wirst du die innere Reinheit erreichen; deine innere Unschuld wird dir offenbart werden. Zum erstenmal wird dir bewußt, daß du nicht der Körper bist. Und weißt du erst einmal, daß du nicht der Körper bist, dann ist dein Leben von Grund auf verändert, weil dein ganzes Leben sich um den Körper dreht. Weißt du erst einmal, daß du nicht der Körper bist, dann kannst du nicht mehr so weiterleben ... Das Zentrum würde dir fehlen! Wenn du nicht der Körper bist, dann mußt du ein anderes Leben anfangen: das Leben als Sannyasin. Dies neue Leben hat eine andere Mitte. Jetzt lebst du als eine Seele, als ein Atman in der Welt, nicht als ein Körper. Solange du als ein Körper existierst, schaffst du eine separate Welt — eine Welt des materiellen Gewinns, der Habgier, der Befriedigung von Wollust und Sex. Du hattest eine ganze Welt für sich geschaffen: das ist die körperorientierte Welt. Weißt du erst einmal, daß du nicht der Körper bist, so verschwindet die ganze Welt. Du kannst sie nicht mehr aufrechterhalten. Eine andere Welt steigt auf, die sich um die Seele orientiert, eine Welt des Mitgefühls, der Liebe, der Schönheit, der 344
Kapitel 13
Wahrheit, der Güte, der Unschuld. Das Zentrum hat sich verlagert und ist jetzt nicht mehr im Körper. Es ist im Bewußtsein.
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Und dann ...
[Fragen]
Die erste Frage:
Wenn Erleuchtung und Samadhi totales Bewußtsein bedeuten, kosmisches Bewußtsein, alles-durchdringendes Bewußtsein, dann wirkt es sehr seltsam, wenn dieser Zustand von kosmischem Bewußtsein auch „Zentrieren"genannt wird, denn das Wort Zentrieren bedeutet doch, auf einen Punktgerichtet zu sein. Warum also wird das kosmische Bewußtsein Zentrieren genannt?
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Das Buch der Geheimnisse
Zentrieren ist der Weg, nicht das Ziel. Zentrierung ist die Methode, nicht das Ergebnis. Samadhi wird nicht Zentrieren genannt. Zentrieren ist der Weg zum Samadhi. Natürlich erscheint es paradox, denn wenn die Erleuchtung kommt, die Erkenntnis, ist kein Zentrum mehr da. Jakob Böhme hat gesagt, daß sich die Erfahrung des Göttlichen auf zweierlei Weise beschreiben läßt. Entweder ist die Mitte jetzt irgendwo oder überall. Beides kommt auf das gleiche hinaus. So erscheint das Wort „Zentrieren” widersprüchlich, aber der Weg ist nicht das Ziel, und die Methode ist nicht das Ergebnis. Und Methoden können widersprüchlich sein. Das müssen wir also verstehen, denn diese 112 Methoden sind Zentrierungsmethoden. Bist du aber erst einmal zentriert, wirst du explodieren. Das Zentrieren dient nur dazu, dich total an einem Punkt zu sammeln. Hast du dich erst einmal an einem Punkt gesammelt, bist du an einem Punkt kristallisiert, dann explodiert dieser Punkt automatisch. Danach gibt es kein Zentrum mehr — oder: Nun ist das Zentrum überall. Zentrieren ist also eine Methode, die zur Explosion führt. Warum ist Zentrieren die Methode? Bist du nicht zentriert, fehlt deiner Energie der Brennpunkt. Sie kann nicht explodieren. Sie ist zerstreut; sie kann nicht explodieren. Zu einer Explosion gehört enorme Energie. Explosion heißt, daß du jetzt nicht mehr zerstreut bist: Du bist auf einem Punkt. Du wirst zum Atom. Du wirst tatsächlich zu einem spirituellen Atom. Und nur wenn du genügend zentriert bist, kannst du explodieren. Dann gibt es eine Atomexplosion. Von dieser Explosion wird nicht gesprochen, denn da gibt es nichts zu sagen, also wird nur die Methode angegeben. Über das Ergebnis wird nichts gesagt. Wenn du die Methode machst, folgt das Ergebnis, aber sagen läßt sich darüber nichts. Ihr dürft nicht vergessen: Im Grunde spricht Religion niemals über die Erfahrung selbst. Es ist immer nur von der Methode die Rede. Das Wie wird aufgezeigt, nicht das Was. Das Was bleibt dir überlassen. Wenn du das Wie machst, kommt das Was zu dir. Und es gibt keine Möglichkeit, es zu vermitteln. Man kann es erfahren, aber nicht mitteilen. Es ist eine so unendliche Erfahrung, 34 8
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Kapitel 14
daß Sprache zwecklos ist. Sie ist so riesig, daß kein Wort sie zum Ausdruck bringen kann. So also wird nur die Methode angegeben. Buddha soll vierzig Jahre lang immer wieder gesagt haben: „Fragt nicht nach der Wahrheit, nach dem Göttlichen, nach Nirvana, nach Befreiung. Fragt nichts über solche Dinge. Fragt mich nur, wie ihr dahinkommen könnt. Ich kann euch den Weg zeigen, aber ich kann euch nicht die Erfahrung schenken, nicht einmal in Worten.” Die Erfahrung ist persönlich, die Methode unpersönlich. Die Methode ist wissenschaftlich, unpersönlich, die Erfahrung ist immer persönlich und poetisch. Das meine ich mit dieser Unterscheidung: Methode ist wissenschaftlich. Wenn du sie nutzen kannst, dann ist Zentrierung das Ergebnis. Wenn die Methode befolgt wird, muß es so kommen. Wenn sich das Zentrieren nicht einstellt, dann zeigt dir das, daß du irgendwo etwas mißverstanden hast. Du hast die Methode nicht befolgt. Sie ist wissenschaftlich, die Zentrierung ist wissenschaftlich, aber die Explosion ist poetisch. Mit „poetisch” meine ich, daß es jeder von euch anders erfahren wird. Da gibt es keinen gemeinsamen Boden mehr. Und jeder wird es auf andere Art ausdrücken. Buddha sagt es so, Mahavir so, Krishna wieder anders, und Jesus, Mohammed, Moses und Lao Tse, sie alle unterscheiden sich — nicht in den Methoden, sondern in der Art, wie sie ihre Erfahrung zum Ausdruck bringen. Nur in dem einen sind sie sich alle einig, daß alles, was sie sagen, nicht das zum Ausdruck bringt, was sie erfahren haben. Nur in diesem einen Punkt stimmen sie alle überein. Trotzdem versuchen sie es. Trotzdem versuchen sie, irgendwie Andeutungen zu machen. Es scheint unmöglich, aber einem Herzen voller Sympathie könnte vielleicht doch ein bißchen vermittelt werden. Aber dazu brauchst du tiefe Sympathie, Liebe und Ehrfurcht. Wenn also wirklich einmal etwas zu dir hinüberkommt, dann liegt das nicht am Übermittler, sondern an dir. Wenn du es in tiefer Liebe und Ehrfurcht entgegennehmen kannst, dann kann dich etwas erreichen. Aber wenn du kritisch dabei bleibst, kommt nichts an. Es ist schon schwierig genug, es auszudrücken, aber selbst wenn es ausgedrückt wird, seid ihr 34 9
Das Buch der Geheimnisse
kritisch. So geht die Botschaft verloren. Es findet keine Kommunikation statt. Die Kommunikation ist sehr delikat Darum ist sie bei all diesen 112 Methoden völlig ausgelassen worden, allenfalls angedeutet. Shiva sagt immer wieder: „Mach dies, und dann — die Erfahrung!” und danach sagt er nichts mehr. „Tu dies — und der Segen.” Und dann nichts mehr. „Der Segen, die Erfahrung, die Explosion”: jenseits davon kommt die persönliche Erfahrung. Gegenüber dem, was sich nicht ausdrücken läßt, verhält man sich besser schweigend — denn wenn man auszudrücken versucht, was nicht ausgedrückt werden kann, wird es mißverstanden. Also sagt Shiva nichts. Er spricht lediglich von Methoden, Techniken, davon, wie man es macht. Aber das Zentrieren ist nicht das Ziel: es ist nur der Weg. Und warum wächst das Zentrieren, warum wächst es zur Explosion heran? Weil große Energie, die sich auf einen Punkt konzentriert, diesen Punkt sprengt. Der Punkt ist so klein und die Energie so groß, daß der Punkt sie nicht enthalten kann; daher die Explosion. Diese Glühbirne hier kann eine bestimmte Menge Strom vertragen. Wenn mehr Strom hineingeht, explodiert sie. Genauso ist es mit dem Zentrieren: Je mehr du zentriert bist, desto mehr Energie sammelt sich in deinem Zentrum. In dem Augenblick, wo zuviel Energie da ist, kann das Zentrum sie nicht mehr fassen. Es wird explodieren. Es ist also wissenschaftlich: es ist einfach ein wissenschaftliches Gesetz. Und wenn das Zentrum nicht explodiert, so bedeutet das nur, daß du immer noch nicht zentriert bist. Bist du zentriert, folgt augenblicklich die Explosion. Da gibt es keine Zeitlücke. Wenn du also merkst, daß sich die Explosion nicht einstellt, heißt das, daß du dich noch nicht im Brennpunkt gesammelt hast, daß du immer noch nicht zu einem Zentrum geworden bist, sondern immer noch viele hast, daß du immer noch gespalten bist, daß deine Energie immer noch verstreut ist, daß deine Energie immer noch nach außen abfließt. Solange die Energie nach außen geht, fließt sie nur ab, verpufft sie nur. Am Ende wirst du davon impotent. Dann bist du, wenn der Tod kommt, tatsächlich schon tot, einfach nur eine tote Zelle. 35 0
Kapite114 Du hast deine Energie ständig nach außen geworfen, und so bist du nach einer gewissen Zeit einfach leer, ganz gleich, wie groß die Energiemenge war. Ausfließende Energie bedeutet Tod. Du stirbst jeden Augenblick: Deine Energie entleert sich: du wirfst deine Energie weg, läßt sie verpuffen. Es heißt, daß sogar die Sonne, die schon seit Millionen und aber Millionen von Jahren da ist, daß dies Riesenreservoir an Energie ständig verliert und daß sie in vier Milliarden Jahren sterben wird. Die Sonne wird einfach sterben, weil keine Strahlungsenergie mehr da sein wird. Mit jedem Tag stirbt sie, weil ihre Strahlen ihre Energie bis an die Grenzen des Universums tragen, falls es solche Grenzen gibt. Die Energie geht nach außen. Nur der Mensch ist fähig, Energie zu transformieren und ihre Richtung zu ändern. Sonst aber ist Tod das Natürliche: alles stirbt. Nur der Mensch ist fähig, das Unsterbliche, das Todlose kennenzulernen. Ihr könnt also die ganze Sache auf ein Gesetz reduzieren. Wenn die Energie nach außen geht, ist Tod die Folge, und ihr werdet nie erfahren, was Leben bedeutet. Ihr kennt nur ein langsames Sterben. Ihr könnt nie erfahren, was es bedeutet, in aller Intensität zu leben. Wenn Energie nach außen geht, dann ist Tod die automatische Folge — in allem, was es auch sei. Wenn ihr die Richtung der Energie ändern könnt — die Energie geht nicht nach außen, sondern nach innen — dann entsteht eine Mutation, eine Transformation. Dann wird diese nach innen gehende Energie auf einen Punkt in euch zentriert. Dieser Punkt befindet sich in der Nähe des Nabels; denn ihr werdet tatsächlich als Nabel geboren: ihr seid mit der Mutter am Nabel verbunden. Die Lebensenergie der Mutter wird durch den Nabel in euch gegossen. Und sobald der Nabel abgeschnitten ist, von der Mutter getrennt ist, wird man zu einem Individuum. Vorher ist man kein Individuum, sondern nur Teil der Mutter. Die wirkliche Geburt findet also statt, wenn die Nabelschnur durchschnitten wird. Dann nimmt das Kind sein eigenes Leben auf, bekommt sein eigenes Zentrum. Dieses Zentrum muß notwendig am Nabel sein, denn durch den Nabel kommt die 35 1
Das Buch der Geheimnisse
Lebensenergie zum Kind. Er war die Verbindungsbrücke. Und nach wie vor, ob es euch bewußt wird oder nicht, bleibt der Nabel das Zentrum. Wenn Energie nach innen strömt, wenn du die Richtung der Energie veränderst, so daß sie nach innen strömt, trifft sie auf den Nabel. Sie wird ständig weiter nach innen gehen und sich am Nabel zentrieren. Wenn sie so stark wird, daß der Nabel sie nicht mehr enthalten kann, daß das Zentrum sie nicht mehr aushalten kann, dann explodiert das Zentrum. Und in dieser Explosion bist du wieder kein Individuum mehr. Du warst kein Individuum, als du noch mit der Mutter verbunden warst, und nun bist du wieder kein Individuum. Eine neue Geburt hat stattgefunden. Du bist eins geworden mit dem Kosmos. Jetzt hast du gar kein Zentrum; du kannst nicht mehr „Ich” sagen. Jetzt gibt es kein Ego. Ein Buddha, ein Krishna, gebraucht weiter das Wort„Ich", aber das ist rein formal. Sie haben kein Ego. Sie sind nicht. Buddha lag im Sterben. An dem Tag als er sterben sollte, versammelten sich viele, viele Menschen -jünger, Sannyasins, und sie waren traurig. Sie weinten und schluchzten. Also fragte Buddha: „Warum weint ihr?” Jemand sagte: „Weil du bald nicht mehr sein wirst.” Da lachte Buddha und sagte: „Aber ich bin schon seit vierzig Jahren nicht mehr. Ich starb am Tag, als ich erleuchtet wurde. Mein Zentrum ist seit vierzig Jahren verschwunden. Vtreint also nicht: seid nicht traurig. Jetzt stirbt niemand mehr. Ich bin nicht mehr! Trotzdem muß ich das Wort Ich` benutzen, wenn auch nur dazu, um zu umschreiben, daß ich nicht mehr bin.” Energie, die sich nach innen wendet — das ist das ganze Geheimnis aller Religionen, das ist alles, was unter „religiöser Suche” verstanden wird. Wie kann man die Energie dazu bewegen, sich radikal umzukehren? Diese Methoden helfen: erinnert euch also: Zentrieren ist nicht gleich Samadhi: Zentrieren ist nicht die eigentliche Erfahrung. Zentrieren ist das Tor zu dieser Erfahrung. Und sobald die Erfahrung da ist, gibt es kein Zentrieren mehr. Zentrieren ist also nur ein Durchgang. Ihr seid jetzt nicht zentriert: Ihr habt in Wirklichkeit viele Zentren. Darum nenne ich euch nicht zentriert. Erst wenn ihr zentriert seid, gibt es nur noch eines. 352
Kapitel 14
Dann hat sich die Energie, die zu lauter verschiedenen Zentren gegangen ist, zurückgewendet: es ist ein Nachhausekommen. Nun seid ihr am Zentrum — und dann: die Explosion. Wieder ist jetzt kein Zentrum mehr da, aber nun seid ihr nicht mehr in viele Zentren zersplittert. Jetzt gibt es überhaupt kein Zentrum mehr. Du bist eins mit dem Kosmos geworden. Dann sind Schöpfung und du ein und dasselbe. Ein Beispiel: Ein Eisberg treibt irn Meer. Der Eisberg hat sein eigenes Zentrum. Er hat eine separate Individualität, er ist getrennt vom Meer. Tief drinnen ist er es nicht, den er ist nichts als Wasser in einem bestimmten Temperaturzustand. Der Unterschied zwischen dem Meerwasser und dem Eisberg ist kein Unterschied des Wesens: Dem Wesen nach sind sie gleich. Der Unterschied ist lediglich einer der Temperatur. Und nun geht die Sonne auf, und die Atmosphäre erhitzt sich und der Eisberg fängt an zu schmelzen. Dann gibt es keinen Eisberg mehr, alles ist geschmolzen. Jetzt ist er nirgendwo mehr zu finden, weil es keine Individualität mehr in ihm gibt, kein Zentrum. Er ist eins geworden mit dem Meer. Zwischen euch und Buddha, zwischen denen, die Jesus kreuzigten und Jesus, zwischen Krishna und Arjuna, gibt es keinen Unterschied des Wesens. Arjuna ist wie ein Eisberg und Krishna wie das Meer. Es gibt keinen Unterschied in ihrer Natur. Sie sind beide ein und dasselbe, aber Arjuna hat eine Form, einen Namen, eine individuelle, isolierte Existenz. Er fühlt: „Ich bin”. Durch diese Methoden zur Zentrierung verändert sich die Temperatur, schmilzt der Eisberg zusammen, und dann gibt es keinen Unterschied mehr. Das ozeanische Gefühl ist Samadhi; ein Eisberg zu sein, ist individueller Geist. Und sich ozeanisch zu fühlen heißt Nicht-Geist. Zentrierung ist nur das Tor, ist der Transformationspunkt, von wo aus der Eisberg aufhört zu sein. Vorher gab es für ihn keinen Ozean, nur den Eisberg. Danach gibt es keinen Eisberg mehr, nur noch Ozean. Das ozeanische Gefühl ist Samadhi: Das Gefühl, eins zu sein mit dem Ganzen. Aber ich sage nicht, daß man sich eins mit dem Ganzen denken soll. Das kann man zwar, aber Denken kommt vor dem Zentrieren. Mit Erkenntnis hat Denken nichts zu tun. Du weißt es nicht, 353
Das Buch der Geheimnisse
du hast nur davon gehört. Du wünschst, daß dir das auch eines Tages passiert, aber dir fehlt die Erkenntnis. Ehe du dich zentrierst, kannst du lange denken, aber dieses Denken wird nichts nützen. Nachdem du dich zentriert hast, ist kein Denkender mehr da. Dann weißt du! Es ist passiert! Du bist nicht mehr — nur noch der Ozean ist. Zentrierung ist die Methode, Samadhi das Ziel. Es wird nichts darüber gesagt, was im Samadhi passiert, weil darüber nichts gesagt werden kann. Und Shiva ist sehr wissenschaftlich. Er hat kein Interesse daran, etwas darüber zu sagen. Er faßt sich kurz. Er will kein einziges Wort zu viel sagen. Also deutet er nur an: „die Erfahrung”, „der Segen”, „das Ereignis”. Nicht einmal soviel: Manchmal sagt er nur:„ ... und dann!" Er sagt zum Beispiel: „Zentriere dich zwischen zwei Atemzügen — und dann.” Und dann hört er auf. Oder manchmal sagt er auch: „Sei in der Mitte, einfach in der Mitte, zwischen zwei Extremen, und das!” Das sind Fingerzeige: „Das, dann, die Erfahrung, der Segen, das Ereignis, die Explosion.” Aber dann hält er den Mund. Warum? Wir würden zu gern mehr darüber hören! Zwei Gründe. Erstens: „Das” kann nicht erklärt werden. Warum nicht? Schließlich gibt es Denker zum Beispiel die modernen Positivisten, die Sprachanalytiker und andere in Europa, die sagen, daß alles Erfahrbare auch erklärt werden kann. Und das hat etwas für sich. Sie sagen: „Warum kann man über das, was man erfährt, nicht auch etwas sagen? Was ist denn eine Erfahrung anderes als etwas, das du verstanden hast — warum also kann man es nicht auch anderen verständlich machen?” Also behaupten sie, daß jede Erfahrung auch ausgedrückt werden kann. Wenn nicht, so zeigt das nur, daß gar keine Erfahrung da ist. Dann bist du nur ein Spinner, verworren, verschwommen. Und wenn du dich nicht einmal ausdrücken kannst, dann hast du keine Chance, etwas zu erfahren. Von diesem Standpunkt aus nennen sie alle Religionen Hokuspokus: „Wieso könnt ihr nicht ausdrücken, was ihr eure ,Erfahrung` nennt?” Diese Logik leuchtet vielen ein. Aber ihr Argument ist unbegründet. Ganz abgesehen von „religiösen” Erfahrungen gibt es ganz alltägliche Erfahrungen, die ebenfalls nicht erklärt und ausgedrückt werden können. 35 4
Kapitel14
Ich habe Schmerzen im Kopf, und wenn du noch nie Kopfschmerzen gehabt hast, kann ich dir nicht erklären, was Kopfschmerzen sind. Darum bin ich aber noch lange kein Spinner. Das heißt ja nicht, daß ich es mir nur einbilde und nicht etwa wirklich erfahre. Die Kopfschmerzen sind da. Aber wer noch nie Kopfschmerzen gehabt hat, dem kann man das nicht erklären. Wenn der andere Kopfschmerzen kennt, gibt es natürlich kein Problem. Buddhas Schwierigkeit ist diese: daß er zu Nicht-Buddhas sprechen muß — nicht zu Nicht-Buddhisten, denn auch Nicht-Buddhisten können Buddhas sein! Jesus ist ein Nicht-Buddhist, aber er ist ein Buddha. Weil Buddha mit Leuten kommunizieren muß, die es nicht erfahren haben, stellt sich die Schwierigkeit. Ihr wißt nicht, was Kopfschmerzen sind: es gibt viele, die Kopfschmerzen nicht kennen, die nur das Wort gehört haben, ohne daß es ihnen etwas bedeutet. Du kannst mit einem Blinden über Licht reden, aber dabei wird nichts übermittelt. Er hört das Wort „Licht”, er hört die Erklärung. Er kann die gesamte Theorie des Lichts verstehen, und trotzdem sagt ihm das Wort „Licht” überhaupt nichts. Ehe er es nicht erfahren kann, ist keine Kommunikation möglich. Merkt euch also: Kommunikation ist nur möglich zwischen zwei Menschen, die die gleiche Erfahrung haben. Wir können im gewöhnlichen Leben kommunizieren, weil unsere Erfahrungen ähnlich sind. Aber selbst dann gibt es Schwierigkeiten, wenn es um die Feinheiten geht. Ich sage: Der Himmel ist blau, und du sagst ebenfalls, daß der Himmel blau ist, aber wie wollen wir wissen, daß meine Erfahrung von Blau die gleiche wie deine ist. Da gibt es keine Möglichkeit. Ich mag eine andere Nuance von Blau vor Augen haben als du. Aber das, was ich von innen sehe, was ich erfahre, kann ich dir nicht übermitteln. Ich kann nur sagen „blau”. Du sagst ebenfalls „blau”, aber Blau hat tausend Nuancen. Und nicht nur Nuancen, Blau enthält tausend Bedeutungen. In meinem Denkschema mag Blau etwas ganz anderes bedeuten als in deinem, denn das Wort „blau” enthält nicht die Bedeutung. Die Bedeutung wird immer von der eigenen Vorstellungswelt geliefert. So ist es also selbst bei gewöhnlichen Erfahrungen schwierig zu kommunizieren. Und 355
Das Buch der Geheimnisse
jenseits von ihnen gibt es Erfahrungen, die transzendental sind. Zum Beispiel verliebt sich jemand. Er macht eine Erfahrung. Es geht ihm um sein Leben, aber er kann nicht erklären, was ihm passiert ist, was mit ihm los ist. Er kann weinen, kann springen, kann tanzen. Das sind die Anzeichen, daß mit ihm etwas passiert ist. Aber wie sieht es innen aus? Was passiert wirklich, wenn einem die Liebe zustößt? Und Liebe ist nichts Ungewöhnliches! Sie widerfährt mehr oder weniger jedem. Trotzdem sind wir bis heute noch nicht in der Lage, auszudrücken, was innen passiert. Es gibt Menschen, die die Liebe als ein Fieber erfahren, eine Art Krankheit. Rousseau hat gesagt, daß man die Jugend nicht den Höhepunkt des menschlichen Lebens nennen kann, weil die Jugend für die Krankheit anfällig ist, die man Liebe nennt. Erst in dem Alter, da Liebe nicht mehr wichtig genommen wird, verliert der Geist seine Verwirrung und Verschwommenheit. Weisheit ist also erst in einem sehr, sehr fortgeschrittenen Alter möglich, denn Liebe läßt keine Weisheit zu. So sieht er es. Es gibt andere, die das ganz anders sehen. Alle wahrhaft Weisen schweigen sich aus, was die Liebe angeht. Sie sagen überhaupt nichts. Weil dies Gefühl so unendlich ist, so tief, daß Sprache unweigerlich ein Verrat an ihr wäre. Und drückt man sie dennoch aus, so fühlt man sich schuldig, weil man nie dem Gefühl des Unendlichen gerecht werden kann. Also hält man besser den Mund. Je tiefer die Erfahrung, desto geringer die Möglichkeit, sie auszudrücken. Buddha schwieg sich nicht deshalb über Gott aus, weil es keinen Gott gibt. Und alle, die zuviel Worte über Gott machen, zeigen damit nur, daß sie keine Erfahrung haben. Buddha blieb still. Wo immer er hinkam, ließ er verkünden: „Bitte stellt keine Fragen über Gott. Ihr könnt alles fragen, nur nichts über Gott.” Gelehrte und Pundits, die selber keine Ahnung hatten, sondern nur Wissen, fingen an, über Buddha zu reden und Gerüchte zu verbreiten: „Er sagt nichts, weil er nichts weiß! Wenn er es wüßte, warum sagt er es dann nicht?” Und Buddha lachte nur. Und dieses Lachen konnten nur sehr wenige verstehen. Wenn schon Liebe nicht ausgedrückt werden kann, um wieviel weniger dann Gott? Darum würde jeder Ausdruck nur schaden. Das ist also das 356
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eine. Das ist der Grund, warum Shiva nichts über diese Erfahrung sagt. Er geht nur bis zu dem Punkt, wo ein Fingerzeig als Wegweiser helfen kann: „Dann, das, die Erfahrung” ... und wird dann still. Zweitens: Könnte man es vielleicht bis zu einem gewissen Grad ausdrücken, also nicht vollständig, sondern nur teilweise? ... das ist möglich! Auch wenn es sich nicht voll ausdrücken läßt, könnte man doch trotzdem gewisse Parallelen ziehen, die helfen könnten. Aber selbst davon macht Shiva keinen Gebrauch, und zwar aus folgendem Grund: Weil nämlich unsere Gedanken so gierig sind, daß sie sich an alles klammern, was über diese Erfahrung überhaupt gesagt wird. Und dann vergißt man die ganze Methode und denkt nur an die Erfahrung, weil die Methode Anstrengung erfordert, eine lange Anstrengung, die manchmal ermüdend ist, manchmal gefährlich. Eine lange, dauerhafte Anstrengung ist nötig. Dann vergessen wir ganz die Methode. Wir denken an das Ergebnis und wünschen uns das Ergebnis herbei, fantasieren darüber. Und man kann sich sehr leicht betrügen. Man kann sich vorstellen, daß das Ergebnis erreicht sei. Vor wenigen Tagen kam ein Mann zu mir, ein traditioneller Sannyasin, ein alter, ein sehr alter Mann. Vor dreißig Jahren hatte er Sannyas genommen; jetzt ist er fast siebzig. Er kam zu mir und sagte: „Ich bin gekommen, um ein paar Fragen zu stellen.” Also fragte ich ihn: „Was willst du wissen?” Plötzlich änderte er den Ton und sagte: „Nein, eigentlich nicht, um etwas zu wissen, sondern nur um dich kennenzulernen. Denn ich weiß schon alles, was man überhaupt wissen kann.” Dreißigjahre lang hatte er sich etwas vorgemacht, hat sich die Seligkeit gewünscht, göttliche Erfahrungen, und nun in seinen alten Tagen ist er schwach geworden, und der Tod steht vor der Tür. Jetzt halluzinierte er, daß er angekommen sei. Also sagte ich ihm: „Wenn du das Höchste erfahren hast, dann schweige. Bleib eine kleine Weile hier bei mir, denn Worte sind ja nicht nötig.” Da wurde er unruhig und sagte: „Okay, nehmen wir also an, ich hätte es noch nie erfahren. Sag mir also etwas.” Da sagte ich ihm, 35 7
Das Buch der Geheimnisse
daß es bloße Annahmen bei mir nicht gibt: „Entweder du hast es erfahren oder nicht. Sei also klar: Wenn du erfahren hast, dann sei still, bleib ein paar Augenblicke und geh. Wenn du nichts erfahren hast, dann sage es klar. Dann sag es mir.” Da wußte er nicht weiter. Er war gekommen, um nach ein paar Methoden zu fragen und sagte: „Eigentlich habe ich noch nichts erfahren, aber ich habe so viel an Aham Bramasmi gedacht, an das ,Ich bin das Brahma`, daß ich oft vergesse, daß ich es nur denke. Ich habe es mir dreißig Jahre lang Tag und Nacht so oft wiederholt, daß ich manchmal vergesse, daß ich es gar nicht erfahren habe. Es sind nur geborgte Worte.” Es ist schwer, sich darüber bewußt zu sein, was Wissen ist und was Erfahrung. Alles geht durcheinander, die Grenzen vermischen und verwischen sich. Und man kann sehr leicht das Gefühl haben, daß das Wissen zu Erfahrung geworden ist. Der menschliche Verstand ist so trügerisch, so gerissen, daß das möglich ist. Das ist ein weiterer Grund, warum Shiva über die Erfahrung selbst nichts sagt. Er will darüber nichts sagen. Er redet nur immer über Methoden und schweigt sich über das Ergebnis völlig aus. Du kannst dich auf ihn nicht berufen. Das ist auch einer der Gründe, warum dies Buch, eines der wichtigsten überhaupt, vollkommen unbekannt geblieben ist. Das Vigyan Bhairav Tantra gehört zu den wichtigsten Büchern der Welt. Keine Bibel, keine Veden, keine Gita ist so bedeutsam und doch ist es völlig unbekannt geblieben. Der Grund? Es enthält nur einfache Methoden, so daß sich eure Gier an kein Ergebnis klammern kann. Der Kopf möchte sich an das Ergebnis halten. Der Kopf ist nicht an der Methode interessiert, er interessiert sich für das Endergebnis. Und könnte man die Methode umgehen und ihr Ergebnis so erreichen, wäre der Kopf äußerst froh. Jemand hat mich gefragt: „Warum so viele Methoden? Kabir hat doch gesagt: Sahaj Samadhi Bhali — sei spontan! Nur spontane Ekstase ist gut, Methoden sind also nicht nötig.” Ich hab` ihm gesagt: „Wenn du das Sahaj Samadhi erreicht hast, die spontane Ekstase, dann brauchst du freilich keine Methode, dann ist keine nötig. Aber warum bist du dann hergekommen?” Er sagte: „Ich 35 8
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bin noch nicht angekommen, aber ich habe das Gefühl, daß Sahaj ,das Spontane`, besser ist." „Aber warum hast du das Gefühl, daß das Spontane besser ist?” fragte ich. „Wenn man dir erzählt, daß keine Methode nötig sei, fühlt sich der Kopf erleichtert, weil du nun nichts mehr tun mußt und alles bekommst, ohne etwas zu tun.” Genau deshalb ist Zen im Westen so zur Mode geworden; denn Zen sagt: Strengt euch nicht an. Zen hat recht: es ist keine Anstrengung nötig. Aber ihr dürft nicht vergessen, daß eine langwierige Anstrengung nötig ist, diesen Punkt der Mühelosigkeit zu erreichen. Aber der oberflächliche Schluß, im Zen sei keine Mühe nötig, ist für den Westen sehr attraktiv geworden. Wenn keine Mühe nötig ist, sagt der Kopf „Das ist genau das Richtige für mich, denn nun kann ich die Hände in den Schoß legen.” Aber das kann keiner. Suzuki, der den Zen im Westen bekannt gemacht hat, hat so viel Gutes getan, wie er Schaden angerichtet hat. Und auf Dauer wird sich der Schaden langer auswirken. Er war ein sehr authentischer Mann, einer der authentischsten Menschen des Jahrhunderts überhaupt, und sein Lebenswerk war, dem Westen die Botschaft des Zen zu bringen. Und allein seine Arbeit hat den Zen i m Westen bekannt gemacht. Inzwischen ist Zen große Mode. Überall im Westen gibt es Freunde des Zen. Nichts zieht so an wie Zen. Aber am Wesentlichen gehen sie vorbei! Das Attraktive ist, daß Zen sagt, es sei keine Methode nötig, es sei keine Mühe nötig, man braucht nichts zu tun: „Es” blühe spontan auf. Das stimmt — aber ihr seid nicht spontan, und so blüht „Es” auch nie in euch auf. „Spontan werden” — das scheint absurd und widersprüchlich: aber ihr habt viele reinigende Methoden nötig, ehe ihr spontan sein könnt; Methoden, die euch unschuldig machen, so daß ihr überhaupt spontan sein könnt. So wie ihr seid, könnt ihr in nichts spontan sein. Dies Vigyan Bhairav Tantra wurde von Paul Rebs ins Englische übersetzt. Er hat auch ein schönes Buch geschrieben: „Zenfleisch, Zenknochen”, in dessen Anhang er dieses Buch, Vigyan Bhairav Tantra, mit aufgenommen hat. Sein Buch beschäftigt sich mit Zen, 359
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aber im Anhang erwähnt er auch dieses Buch, die 112 Methoden Shivas und nennt es einen Vorläufer des Zen. Vielen Zen-Anhängern hat das mißfallen, weil sie behaupten, daß es für Zen keine Methoden gebe, wohingegen dieses Buch es nur mit bewußter Anstrengung zu tun habe, nur mit Methoden, und für Zen sei keine Methode, keine Mühe nötig. Es sei also Anti-Zen, nicht VorZen. Oberflächlich haben sie recht, aber bei näherem Hinsehen nicht, denn man muß einen langen Weg hinter sich bringen, um spontan zu werden. Einer von Gurdjieffs Schülern, Ouspensky, sagte allen Suchern, die zu ihm kamen: „Über den eigentlichen Weg wissen wir nichts. Wir lehren nur ein paar Fußpfade, die zum Weg hinführen. Der Weg ist uns nicht bekannt.” Glaubt nicht, daß ihr schon auf dem Weg seid! Selbst der Weg ist noch weit weg. Von dort aus, wo ihr steht, ist der Weg noch weit entfernt. Ihr müßt also überhaupt erst einmal den Weg erreichen. Ouspensky war ein sehr bescheidener Mensch, und es ist sehr schwer, religiös und dennoch bescheiden zu sein — sehr, sehr schwierig, denn sobald man das Gefühl hat, Bescheid zu wissen, dreht der Kopf durch. Ouspensky sagt euch immer nur: ,Wir wissen nichts vom Weg, er ist sehr weit weg, darüber braucht man jetzt noch nicht zu reden." Von da, wo du bist, mußt du erst eine Brücke, eine Verbindung herstellen, einen Fußpfad, der dich zum Weg führt. Spontaneität, Sahaj-Yoga — ist weit weg von euch. Dort, wo ihr seid, seid ihr noch völlig künstlich, kultiviert, zivilisiert. Nichts ist spontan — nichts, sage ich, ist spontan. Wenn in eurem Leben nichts spontan ist, wie kann da die Religion spontan sein? Wenn nichts spontan ist, ist noch nicht einmal die Liebe spontan. Selbst die Liebe ist ein Kuhhandel, selbst die Liebe ist Kalkül, selbst die Liebe ist Mache. Also kann nichts sonst spontan sein. Und somit ist es unmöglich, spontan in den Kosmos zu explodieren. Von da aus, wo ihr seid, ist es nicht möglich. Erst müßt ihr eure ganze Künstlichkeit über Bord werfen, eure falschen Einstellungen, eure Anstandsformen, eure Vorurteile. Nur dann wird ein spontanes Geschehen möglich. Diese Methoden helfen euch, an einen Punkt zu kommen, wo nichts mehr getan werden muß, wo 36 0
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euer bloßes Sein genug ist. Aber der Kopf kann euch belügen, und zwar ganz leicht, denn damit kann er euch vertrösten. Shiva spricht nie von irgendwelchen Ergebnissen, sondern immer nur von Methoden. Dort liegt der Schwerpunkt, vergeßt das nicht. Tu etwas, damit ein Augenblick möglich wird, wo nichts mehr zu tun ist, wo sich dein inneres Wesen einfach in den Kosmos auflösen kann. Aber das muß man sich verdienen. Zen ist heute aus den falschen Gründen Mode, und das gleiche gilt für Krishnamurti, der sagt, daß kein Yoga, keine Methode nötig ist. Ja, er sagt sogar, daß es überhaupt keine Meditationsmethode gibt. Und er hat recht. Er hat recht, aber Shiva, der sagt, daß es diese 112 Meditationsmethoden gibt, hat ebenfalls recht. Aber was euch betrifft, hat Shiva mehr recht, und wenn ihr zwischen Krishnamurti und Shiva zu wählen habt, dann wählt Shiva. Krishnamurti ist euch keine Hilfe. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, daß Krishnamurti absolut unrecht hat — nur um euch zu helfen. Vergeßt nicht, daß ich sage: Um euch zu helfen. Denn er kann Schaden anrichten. Und auch das sage ich nur, um euch zu helfen, denn wenn ihr in sein System geratet, kommt ihr nicht etwa zum Samadhi, sondern einzig zu dem Schluß, daß keine Methode nötig ist. Und das ist gefährlich. Für euch sind Methoden nötig! Es kommt ein Augenblick, wo keine Methode mehr nötig ist. Aber dieser Augenblick ist für euch noch nicht gekommen. Und ehe es soweit ist, wäre es gefährlich, an etwas zu denken, was noch vor euch liegt. Darum schweigt sich Shiva aus. Er sagt nichts über die Zukunft, nichts über das, was geschehen wird. Er bleibt bei euch, bei dem, was ihr seid und was mit euch geschehen muß. Krishnamurti redet eine Sprache, die ihr noch nicht verstehen könnt. Seine Logik ist nachvollziehbar. Seine Logik ist richtig, sie ist schön. Und es lohnt, sich die Logik von Krishnamurti zu merken. Er sagt: Wenn man einer Methode folgt, wer ist es darin, der sie ausführt? Der Verstand. Und wie kann eine Methode, die vom Verstand geübt wird, den Verstand auslöschen? Sie wird ihn im Gegenteil nur noch mehr stärken. Dein Verstand wird so nur noch stärker. Es wird zur Konditionierung, und das ist ein 36 1
Das Buch der Geheimnisse
Holzweg. Meditation ist spontan; man kann für sie nichts tun. Und was kann man für die Liebe tun? Gibt es eine Methode, wie man lieben soll? Wer so einer Methode folgt, dessen Liebe wird falsch sein. Liebe geschieht: sie kann nicht praktiziert werden. Wenn nicht einmal Liebe praktiziert werden kann, wie kann dann das Beten praktiziert werden? Wie kann dann Meditation praktiziert werden? Diese Logik stimmt genau, sie ist absolut richtig — aber nicht für euch, denn wenn ihr euch diese Logik ständig anhört, dann werdet ihr von dieser Logik konditioniert werden. Und diejenigen, die Krishnamurti seit vierzig Jahren zugehört haben, sind die konditioniertesten Menschen, die mir je begegnet sind. Sie sagen, es gibt keine Methode, und trotzdem hat sie das nirgendwo hingeführt. Ich frage sie:„ Ihr habt verstanden, daß es keine Methode gibt, also praktiziert ihr auch keine, aber ist die Spontaneität in euch aufgeblüht?" Sie sagen nein. Und wenn ich dann sage: „Versucht es mit einer Methode”, dann schaltet sich augenblicklich ihre Konditionierung ein. Sie sagen: „Es gibt keine Methode.” Sie haben keine Methode praktiziert, und kein Samadhi ist in Sicht. Und wenn man ihnen sagt, versucht es mit einer Methode, sagen sie, daß es keine gibt. So stecken sie in der Klemme. Sie sind keinen Zentimeter weiter, und der Grund ist, daß ihnen etwas gesagt wurde, was nichts für sie ist. Es ist, als ob man einem Kind etwas über den Sex erzählt. Das ist vorläufig für das Kind sinnlos, sogar gefährlich, weil man sein Denken konditioniert. Und es entspricht nicht seinem Bedürfnis, es hat kein Interesse daran. Es weiß noch nicht, was Sex bedeutet, denn seine Drüsen funktionieren noch nicht. Sein Körper ist noch nicht sexuell. Seine Energie ist biologisch noch nicht zum Sexzentrum gegangen, und ihr erzählt ihm etwas davon. Glaubt ihr, daß ihr ihm etwas darüber beibringen könnt, nur weil es Ohren hat? Glaubt ihr, ihr könnt ihm davon erzählen, nur weil es mit dem Kopf nicken kann? Ihr könnt es tun, aber eure Sexerziehung kann gefährlich und schädlich sein, Sex ist für das Kind keine existentielle Frage. Das ist noch nicht sein Problem, es hat noch nicht den Reifegrad erreicht, wo Sex wichtig wird. Wartet ab! Wenn es anfängt, Fragen zu stel362
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len, wenn es reifer wird und Fragen stellt, dann klärt es auf. Und sagt ihm nie mehr, als es verstehen kann, denn dieses Mehr wird nur seinen Kopf belasten. Und das gleiche gilt für das Phänomen der Meditation. Man kann euch nur Methoden beibringen, aber nichts über Ergebnisse sagen. Das hieße, den Dingen vorauseilen. Und solange man noch nicht festen Fuß in der Methode gefaßt hat, bleibt es reine Hirnsache, wenn man Dinge vorwegnimmt. Und so kann keine Methode helfen. Es ist, wie wenn ein kleines Kind Rechenaufgaben macht. Es kann immer hinten im Buch die Lösung finden, dort stehen die Lösungen. Und wenn das Kind die Antwort schon kennt, ist es sehr schwer, ihm die Methode beizubringen; sie scheint ihm dann überflüssig. Wenn es schon die Antwort kennt, braucht es die Methode nicht. So wird das Pferd von hinten aufgezäumt, und jede Pseudomethode kann zum gleichen Ergebnis führen. Da es ja die richtige Lösung schon kennt, kann es so tun, als ob es zur Lösung kommt, die Methode mag noch so falsch sein. Und auf dem Gebiet der Religion geschieht das so oft, daß jedermann es so zu halten scheint wie die Kinder. Die Antwort zu wissen, ist nicht gut für euch. Die Frage ist da, die Methode ist da, aber die Antwort müßt ihr selber finden. Niemand darf sie euch geben. Die wahren Lehrer verhelfen euch nicht eher zur Antwort, als bis der methodische Vorgang abgeschlossen ist. Sie helfen euch nur dabei, den Prozeß abzuschließen. Und solltet ihr sogar schon irgendwie die Antwort wissen, solltet ihr sie euch schon von irgendwoher ermogelt haben, dann werden sie sie falsch nennen, selbst wenn sie es nicht ist. Sie werden sagen: „Das stimmt nicht. Wirf es weg, das brauchst du nicht.” Sie werden euch daran hindern, die Antwort zu kennen, bevor ihr sie wirklich erkannt habt. Darum wird keine Antwort gegeben. Shivas Geliebte Devi hat ihm Fragen gestellt. Er gibt einfache Methoden zur Antwort. Die Frage ist da, und die Methode ist da, aber die Antwort bleibt offen. Man muß sie selbst ausarbeiten, selbst ausleben. Vergeßt also nicht: Das Zentrieren ist die Methode, nicht das Ergebnis. Das Ergebnis ist eine kosmische, ozeanische Erfahrung, und darin gibt es kein Zentrum mehr. 36 3
Das Buch der Geheimnisse
Die zweite Frage:
Du hast gesagt, wenn man wirklich lieben könne, dann genüge Liebe allein und die 112 Meditationsmethoden seien unnötig. So, wie du wirkliche Liebe erklärt hast, glaube ich, wirklich zu lieben. Aber die Erfahrung der Seligkeit, die ich beim Meditieren habe, scheint ganz anders zu sein, als die tiefe Befriedigung die ich von der Liebe her kenne, und ich kann mir nicht vorstellen, wie ich auch ohne Meditation auskommen könnte Erkläre also bitte näher, wie Liebe allein, ohne Meditation, genug sein kann? Vieles gilt es hier zu verstehen. Erstens: Wenn du wirklich liebst, stellst du überhaupt nicht die Frage nach Meditation. Denn Liebe ist eine totale Erfüllung, und das Gefühl, daß etwas fehlt, daß eine Lücke auszufüllen ist, daß noch etwas mehr gebraucht wird, kann gar nicht aufkommen. Erst wenn du das Gefühl hast, daß etwas mehr nötig ist, klafft die Lücke. Wenn du das Gefühl hast, daß etwas mehr getan werden muß, erfahren werden kann, dann ist deine Liebe nur ein Gefühl und keine Wirklichkeit. Ich bezweifle nicht deinen Glauben; du magst glauben, daß du liebst. Dein Glaube ist authentisch: Du betrügst niemanden. Du hast das Gefühl, daß du liebst, aber die Symptome zeigen, daß du es nicht tust. Was sind die Symptome dafür, daß man liebt? Dreierlei. Erstens: absolute Zufriedenheit. Du brauchst nichts weiter, nicht einmal Gott. Zweitens: keine Zukunft. Dieser jetzige Augenblick der Liebe ist Ewigkeit. Kein nächster Moment, keine Zukunft, kein Morgen. Liebe geschieht in der Gegenwart. Und drittens: du hörst auf, du bist nicht mehr. Wenn du immer noch bist, dann hast du noch nicht den Tempel der Liebe betreten. Wenn diese drei Dinge geschehen — wenn du nicht bist, wer soll dann noch meditieren? Wenn es keine Zukunft gibt, werden alle Methoden sinnlos, weil Methoden in die Zukunft führen, zu Ergebnissen. Und wenn du in diesem jetzigen Augenblick zufrieden bist, absolut zufrieden, wo ist dann noch die Motivation etwas zu tun? Es gibt eine psychologische Schule — sie gehört zu den wichtigsten Strömungen im modernen Denken — die mit 36 4
Kapite114
Wilhelm Reich begonnen hat. Reich hat gesagt, daß jede Gemütsstörung aus Mangel an Liebe entsteht. Weil der Mensch keine tiefe Liebe fühlen kann, weil er nicht total in ihr aufgehen kann, sehnt sich sein unerfülltes Wesen nach Erfüllung, und zwar auf vielen Ebenen. Wenn ich sage, daß nichts mehr nötig ist, wenn du lieben kannst, meine ich damit nicht, daß die Liebe allein genügt. Ich meine damit, daß die Liebe, genau wie jede beliebige Meditation, zur Tür wird. Was soll denn bei der Meditation herauskommen? Diese drei Dinge: Sie wird dir Zufriedenheit geben, sie wird dir helfen in der Gegenwart zu bleiben, und sie wird dein Ego zerstören. Diese drei Dinge wird die Meditation tun, gleich mit welcher Methode. Man kann es auch so sagen: Liebe ist die natürliche Methode. Wenn die natürliche Methode verfehlt worden ist, dann sind andere, künstliche Methoden nötig. Aber du kannst dir auch nur vormachen zu lieben; dann können dir diese drei Dinge als Kriterien dienen, als Prüfstein, als Maßstab, und du kannst nachprüfen, ob diese drei Dinge passieren. Wenn sie nicht passieren, dann kann die Liebe alles mögliche sein, nur nicht Liebe. Und „Liebe” ist ein weites Phänomen: sie kann vieles sein. Sie kann Lust sein, sie kann einfach Sex sein, sie kann nur eine besitzergreifende Tendenz sein, sie kann einfach nur Beschäftigung sein, weil man es allein nicht aushält und man jemanden braucht, weil man Angst hat, und sich nicht sicher fühlt. Die Gegenwart des anderen hilft einem, sich sicher zu fühlen. Energie braucht Ventile. Die Energie speichert sich ständig, bis sie zur Last wird. Dann muß man sie abstoßen und freisetzen. Deine Liebe mag also nur eine Entladung sein. Liebe kann viele Dinge sein, und Liebe ist vieles. Und gewöhnlich ist Liebe alles mögliche außer Liebe. Für mich ist Liebe Meditation. Versuche also folgendes: Sei mit deinem Geliebten in Meditation. Wann immer dein Geliebter oder deine Geliebte bei dir ist, gehe in Meditation. Macht aus dem Zusammensein einen meditativen Zustand. Gewöhnlich tun wir genau das Gegenteil. Wo Liebende zusammenkommen, streiten sie. Sobald sie sich trennen, fangen sie 36 5
Das Buch der Geheimnisse
an, aneinander zu denken, und kaum sind sie zusammen, fangen sie zu streiten an. Wenn sie sich wieder getrennt haben, dann sehnen sie sich wieder nacheinander. Steckt man sie wieder zusammen, geht der Streit wieder los. Das ist nicht Liebe! Ich schlage also folgendes vor: Macht die Präsenz des oder der Geliebten zu einem meditativen Zustand. Seid still. Seid euch nah, aber seid still. Nutzt die Gegenwart des anderen, um aus dem Denken auszusteigen: Denkt nicht. Wenn du denkst, während der geliebte Mensch bei dir ist, dann bist du nicht bei dem Geliebten. Wie könntest du? Ihr seid zwar beide da, aber meilenweit voneinander entfernt. Jeder denkt seine Gedanken. Ihr seid euch nur äußerlich nah, aber in Wirklichkeit nicht, denn wo zwei Köpfe denken, liegen Welten zwischen ihnen. Wirkliche Liebe bedeutet, daß alles Denken aufhört. Hört in der Gegenwart des Geliebten oder der Geliebten völlig zu denken auf. Nur dann seid ihr euch nah. Dann seid ihr plötzlich eins. Dann können euch die Körper nicht trennen. Dann hat tief im Körper etwas die Schranke eingerissen — das Schweigen. Das ist das eine. Mache aus deiner Beziehung eine heilige Sache. Wenn du wirklich liebst, wird der Gegenstand deiner Liebe göttlich. Wir d er es nicht, dann mußt du wissen, daß es keine Liebesbeziehung ist. Das ist unmöglich. Eine Liebesbeziehung ist keine profane Beziehung. Aber hast du je Ehrfurcht für den geliebten Menschen empfunden? Du magst vieles andere gefühlt haben, aber niemals Ehrfurcht. Es erscheint heute unvorstellbar, aber Indien hat viele, viele Möglichkeiten ausprobiert. So hat Indien betont, daß die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau ein geheiligtes Phänomen sein muß, keine weltliche Beziehung. Der Liebende, die Geliebte, beide werden göttlich. Man kann es nicht anders empfinden. Ich frage euch: Habt ihr je Ehrfurcht für eure Frau empfunden? Die bloße Vorstellung erscheint irrelevant — Ehrfurcht vor deiner Frau? Kommt gar nicht in Frage. Wohl Verurteilung, wohl alles mögliche, aber niemals Ehrfurcht. Die Beziehung ist rein weltlich. Ihr benutzt euch gegenseitig. Die Frau mag sagen, daß sie ihren Mann achtet, aber ich habe noch keine einzige Frau gesehen, die ihren Mann wirklich achtet. Die Frau mag zwar, weil die Tradition es verlangt, weil die Sitte es will, daß sie den Mann achtet, 36 6
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ständig Lippenbekenntnisse ablegen und sagen, daß sie ihn achtet, und, wie in Indien üblich, nicht einmal seinen Namen auszusprechen wagen. Nicht etwa aus Respekt, denn sie könnte so manches sagen ... Aber seinen Namen spricht sie nicht aus, einfach weil die Tradition es so will. Ehrfurcht ist also das zweite. Empfinde Ehrfurcht vor dem geliebten Menschen. Wenn du das Göttliche in dem geliebten Menschen nicht erkennen kannst, kannst du es nirgendwo sehen. Wie kannst du es in einem Baum sehen, wo es mit ihm noch nicht einmal eine Beziehung gibt? Wenn es an tiefer Intimität mangelt, wie kannst du das Göttliche in einem Felsen oder Baum erkennen? Dir fehlt jede Beziehung. Wenn du es nicht in dem Menschen erkennst, den du liebst, wenn Gott dort nicht spürbar wird, dann ist er nirgendwo sonst zu spüren. Und wenn du ihn dort spüren kannst, wirst du ihn früher oder später überall spüren; denn ist das Tor erst einmal aufgerissen und du hast im anderen auch nur einen Schimmer des Göttlichen erhascht, dann kannst du diesen Schimmer nicht vergessen. Danach wird alles zum Tor. Darum sage ich, daß die Liebe selbst eine Meditation ist. Denke also nicht in Gegensätzen — ob du nun lieben oder meditieren sollst. So hatte ich es nicht gemeint. Versuche nicht zu wählen, ob du lieben oder meditieren sollst; liebe meditativ. Oder meditiere liebevoll. Zieh keinen Trennstrich. Liebe ist ein sehr natürliches Phänomen und kann als Vehikel benutzt werden. Und Tantra hat sie als Vehikel benutzt — nicht nur die Liebe, sogar den Sex. Tantra hat ihn als Vehikel benutzt. Tantra sagt, daß du in einem tiefen Sexakt so leicht meditieren kannst, wie es kaum in einem anderen Zustand möglich ist, weil dies eine natürliche, biologische Ekstase ist. Aber alles, was heute unter einem „Sexakt” verstanden wird, ist eine sehr pervertierte Form. Wenn also von diesen Dingen die Rede ist, fühlt ihr euch unbehaglich, denn alles, was ihr im Namen von „Sex” erfahren habt, ist kein Sex, sondern nur ein Schatten davon, denn die Gesellschaft hat eine feindliche Einstellung zum Sex gezüchtet. Jeder Mensch ist ein unterdrückter Mensch: natürlicher Sex ist daher unmöglich. Und jedesmal, wenn ihr euch auf den Sex einlaßt, habt ihr Schuldgefühle. Das Schuldgefühl wird zur Schranke, und 36 7
Das Buch der Geheimnisse
so geht euch eine der größten Chancen verloren. Ihr hättet sie nutzen können, um tief in euch hineinzugehen. Tantra sagt, sei i m Sexakt meditativ. Empfinde das ganze Phänomen als heilig, empfinde keine Schuld. Fühle dich vielmehr gesegnet, daß dir die Natur eine Quelle geschenkt hat, durch die du unmittelbar in eine tiefe Ekstase gelangen kannst. Und dann sei darin total frei. Verdränge nichts, wehre nichts ab! Laß die sexuelle Kommunion sich deiner bemächtigen. Vergiß dich, wirf alle Hemmungen ab. Sei absolut natürlich, und dann wirst du eine tiefe Musik im Körper wahrnehmen. Wenn beide Körper zu einer Harmonie werden, dann wirst du völlig vergessen, was du bist — und dennoch wirst du sein. Nur mußt du das Ich vergessen, es wird kein Ich mehr da sein, nur noch Existenz, die mit Existenz spielt, ein Wesen mit dem andern. Und beide werden eins. Es wird kein Denken da sein, die Zukunft wird aufhören, und in diesem Augenblick bist du in der Gegenwart, ohne jede Schuld, ohne jede Hemmung. Mach eine Meditation daraus, und der Sex wird transformiert. Nun wird der Sex selbst zur Tür. Und wenn Sex zu einer Tür wird, dann hört der Sex nach und nach auf, Sex zu sein. Und es kommt ein Augenblick, wo der Sex verschwunden ist: Nur der Duft ist geblieben. Dieser Duft ist Liebe. Und später noch verschwindet selbst dieser Duft, und was dann bleibt, ist Samadhi. Tantra sagt: Betrachte nichts als feindlich: jede Energie ist freundlich. Man muß nur wissen, wie man sie nutzen kann. Triff also keine Wahl. Transformiere deine Liebe zu Meditation und deine Meditation zu Liebe. Dann wirst du bald das Wort vergessen und die wahre Sache kennenlernen, die nicht das Wort ist. Das Wort Liebe ist nicht Liebe, und das Wort Meditation ist nicht Meditation, und das Wort Gott ist nicht Gott. Das sind alles nur Worte. Und wenn du so weit vordringen kannst, dann werden Gott, Meditation, Liebe — dann werden sie alle eins. Noch eine Frage mehr:
Was sind die Gründe für die Unempfindlichkeit des Menschen, und was kann man gegen sie tun? 36 8
Kapitel 14
Das Kind kommt zur Welt. Das Kind ist hilflos. Vor allem das Kind des Menschen ist völlig hilflos. Es ist auf andere angewiesen, um am Leben zu bleiben. Diese Abhängigkeit ist ein Kuhhandel. Das Kind muß bei diesem Kuhhandel draufzahlen, und der Preis ist Sensibilität. Das Kind ist empfindsam; sein ganzer Körper ist empfindsam. Aber es ist hilflos: Es kann nicht unabhängig sein. Es ist auf seine Eltern, auf die Familie, auf die Gesellschaft angewiesen. Es muß in der Abhängigkeit leben, und aufgrund dieser Abhängigkeit und Hilflosigkeit zwingen Eltern und Gesellschaft das Kind ständig zu Dingen, denen es sich fügen muß. Anders kann es nicht überleben und muß sterben. Es muß also viel bei diesem Kuhhandel draufzahlen. Die erste sehr tiefe und bedeutsame Sache ist seine Empfindsamkeit. Es muß sie aufgeben. Warum? Je empfindsamer ein Kind ist, desto mehr ist es in Schwierigkeiten, desto mehr ist es verletzbar. Die leiseste Empfindung, und das Kind fängt zu weinen an. Das stört so sehr, daß die Eltern sein Weinen unterbinden müssen. Je sensibler das Kind, desto mehr Ärger erregt es. Und Kinder erregen in der Tat Ärger, also müssen Eltern seine Empfindsamkeit beschneiden. Das Kind muß lernen, Widerstand zu leisten, es muß Kontrolle lernen. Und nach und nach muß das Kind sich spalten. Also unterdrückt es viele Empfindungen, weil sie nicht „gut” sind. Es wird dafür bestraft. Der ganze Körper des Kindes ist erotisch. Es kann seine. Finger genießen, es kann seinen Körper genießen, er ist für das Kind ein großartiges Phänomen. Aber bei seiner Entdeckungsreise kommt der Augenblick, wo das Kind seine Genitalien entdeckt. Nun ist das Problem da, denn der Vater und die Mutter sind beide unterdrückt. Sobald das Kind, ob Junge oder Mädchen, seine Genitalien berührt, wird es den Eltern unbehaglich. Hier muß man tief hineinschauen. Ihr Benehmen ändert sich plötzlich, und das Kind nimmt das wahr. Etwas Falsches ist passiert. Sie rufen plötzlich: „Nicht anfassen.” Nun beginnt das Kind zu fühlen, daß etwas mit den Genitalien nicht stimmt. Es muß sich unterdrücken. Und die Genitalien sind der empfindlichste Teil des Körpers, der empfindsamste, der lebendigste Teil, der 36 9
Das Buch der Geheimnisse
zarteste. Wenn die Genitalien nicht berührt und genossen werden dürfen, habt ihr die eigentliche Quelle der Empfindsamkeit zerstört. Von nun an wird das Kind langsam unempfindlich. Je älter es wird, desto unempfindlicher wird es. Am Anfang steht also euer Kuhhandel — übel, aber notwendig. Und von dem Augenblick an, wo man dies zu verstehen beginnt, muß der Kuhhandel über den Haufen geworfen werden, und man muß seine Empfindsamkeit zurückgewinnen. Der zweite Grund für diesen Kuhhandel ist Sicherheit. Ich war viele Jahre lang mit einem Freund zusammen; ich lebte in seinem Bungalow. Vom allerersten Tage an bemerkte ich, daß er nie seine Diener ansah, nicht einmal seine Kinder. Er ging i mmer nur im Eilschritt an ihnen vorbei. Schließlich fragte ich ihn: „Was ist los?” Er sagte: „Wenn man seine Diener ansieht, werden sie zutraulich, und dann wollen sie mehr Geld und dies und jenes. Wenn du mit deinen Kindern sprichst, dann bist du nicht der Herr im Haus, dann kannst du sie nicht kontrollieren.” Also errichtete er eine Fassade der Unempfindlichkeit um sich herum. Der Diener könnte womöglich krank sein und sein Mitleid erregen, und dann müßte er ihm Geld geben oder irgendwie anders helfen. Jeder lernt früher oder später, daß Empfindlichkeit verletzbar macht. Und so zieht man sich nach innen zurück, man baut eine Schranke um sich herum, zur Deckung, als Sicherheitsmaßnahme. Dann kann man ruhig durch die Straßen gehen, wo Bettler lungern und überall häßliche schmutzige Slums zu sehen sind, ohne etwas fühlen zu müssen, ja ohne überhaupt etwas zu fühlen. In dieser häßlichen Gesellschaft muß man sich mit einem Schutzwall umgeben, einer Wand — einer feinen durchsichtigen Wand, hinter der man sich verstecken kann. Sonst wird man zu verletzlich, und es wäre schwer, zu überleben. Darum macht sich Unempfindlichkeit breit. Sie hilft einem, in dieser häßlichen Welt zu überleben, ohne verstört zu werden; aber das hat seinen Preis, und der Preis ist sehr hoch. Man kann zwar in dieser Welt ungestört leben, aber dafür kann man nicht ins Göttliche vordringen, ins Gesamte, ins Ganze. Man kann nicht die andere Welt betreten. Wenn gegenüber dieser Welt 3 70
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Unempfindlichkeit gut ist und für jene Welt Empfindsamkeit gut ist, dann ergibt sich daraus ein Problem. Wenn du wirklich daran interessiert bist, in jene Welt zu gelangen, mußt du deine Empfindsamkeit wiederherstellen. Du mußt all diese Wände, diese Sicherheiten aufgeben. Natürlich wirst du dabei verletzbar. Du wirst viel leiden müssen, aber dies Leiden ist nichts im Vergleich zu der Seligkeit, die du durch Empfindsamkeit gewinnen kannst. Je empfindsamer du wirst, desto mehr Mitgefühl gewinnst du. Aber du wirst leiden, weil du von einer Hölle umgeben bist. Du bist verschlossen, darum fühlst du sie nicht. Öffnest du dich erst einmal, dann wirst du für beides offen: für die Hölle dieser Welt und für den Himmel jener Welt. Du wirst für beide offen. Und es ist nicht möglich, auf der einen Seite verschlossen und auf der anderen offen zu sein, denn in Wirklichkeit bist du entweder ganz verschlossen oder ganz offen. Bist du verschlossen, dann bist du für beides verschlossen. Öffnest du dich, dann wirst du für beides offen sein. Denke also daran: Ein Buddha ist von Seligkeit erfüllt, aber auch von Leiden. Sein Leiden ist aber nicht sein eigenes. Er leidet um anderer Menschen willen. Er ist in tiefer Seligkeit, aber er leidet für andere. Und die Buddhisten des Mahayana sagen, daß Buddha, als er zur Tür des Nirvana kam, und ihm der Torhüter das Tor öffnete, — dies ist ein Mythos, aber ein sehr schöner — daß Buddha also, als der Türhüter ihm die Tür öffnete, sich weigerte, einzutreten. Der Türhüter sagte: „Warum kommst du nicht herein? Seit Jahrtausenden erwarten wir dich. Jeden Tag kommt eine Nachricht ,Buddha kommt, Buddha kommt`! Der ganze Himmel erwartet dich. Trete ein, du bist willkommen!” Buddha aber sagte: „Ich kann nicht eintreten, bevor nicht alle anderen Menschen vor mir eingetreten sind. Ich werde warten. Bevor nicht jedes einzelne menschliche Wesen hereingekommen ist, gibt es für mich keinen Himmel.” Buddha leidet für andere. Was ihn selbst betrifft, lebt er in tiefer Seligkeit. Seht ihr die Parallele? Ihr leidet tief und habt immer das Gefühl, daß jeder andere das Leben genießt. Genau das Gegenteil geschieht einem Buddha. Er ist jetzt in tiefer Seligkeit, und er weiß, daß jeder andere leidet. 371
Das Buch der Geheimnisse
Diese Methoden sind dazu da, die Unempfindlichkeit aufzuheben. Wir werden mehr darüber sprechen, wie dies geschieht.
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Werde nicht wütend auf das Boot
Sutras]
22. Lenke die Aufmerksamkeit dorthin wo du irgendein vergangenes Ereignis siehst. Dabei verliert sogar deine Form ihre gegenwärtigen Eigenschaften und wird verwandelt. 23. Fühle vor dir einen Gegenstand. Fühle die Abwesenheit aller anderen Gegenstände außer diesem. Dann laß das Gegenstandsgefühl und das Abwesenheitsgefühl beiseite — und erkenne. 24. Wenn in dir eine Stimmung gegen oder für jemanden aufsteigt, dann projiziere sie nicht auf die betreffende Person, sondern bleibe zentriert.
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Das Buch der Geheimnisse
Einer der großen Tantriker dieses Zeitalters, Georg Gurdjieff, hält Identifikation für die einzige Sünde. Und das nächste Sutra, das zehnte über Zentrierung, welches wir heute abend besprechen wollen, hat mit Identifikation zu tun. Macht euch also zunächst absolut klar, was Identifikation ist. Einst warst du Kind: jetzt bist du es nicht mehr. Du wirst ein Jugendlicher, schließlich ein alter Mensch, und die Kindheit ist bald Sache der Vergangenheit: aber immer noch identifizierst du dich mit deiner Kindheit. Du siehst sie nicht so, als wäre sie jemandem anders geschehen. Du stehst nicht als Zeuge außerhalb. Wenn du deine Kindheit vor dir siehst, hast du keinen Abstand, sondern bist eins mit ihr. Wer sich an seine Jugend erinnert, ist eins mit ihr. In Wirklichkeit ist sie jetzt nur ein Traum. Und wer seine Kindheit als Traum sehen kann, wie einen Film, der vor einem abrollt, ohne daß man sich damit identifiziert, der ist bloßer Zeuge und gewinnt eine sehr subtile Einsicht in sich. Wer seine Vergangenheit wie einen Film, einen Traum sieht, in dem man selbst nicht mitspielt, aus dem man sich ganz heraushält — was ja der Wirklichkeit entspricht —, dann werden viele Dinge geschehen. Wenn du über deine Kindheit nachdenkst, bist du nicht in ihr: das geht nicht. Die Kindheit ist nur eine Erinnerung — nur Vergangenheit. Du hast Abstand und schaust sie dir an. Du bist das nicht: du bist nur Zeuge. Wenn du dieses „Zeugesein” erfährst und deiner Kindheit wie einem Film auf der Leinwand zusehen kannst, werden viele Dinge geschehen. Das erste: Wenn die Kindheit zu einem bloßen Traum geworden ist, den du dir ansehen kannst, dann ist das, was du im Augenblick bist, morgen auch schon ein Traum. Bist du jung, dann ist deine Jugend bald auch ein Traum. Bist du alt, dann ist auch dein Alter bald Traum. Einst warst du Kind: jetzt ist das nur noch ein Traum, den du dir ansehen kannst. Es ist gut, mit der Vergangenheit anzufangen. Sieh dir die Vergangenheit an, und identifiziere dich nicht mehr mit ihr: werde Zeuge. Sieh dann auf die Zukunft — wie immer du dir die Zukunft vorstellst — und bleibe auch hier Zeuge. Danach wird es ganz leicht, dir deine Gegenwart anzusehen, denn dann weißt du, daß alles, was jetzt Gegenwart ist, gestern Zukunft war und morgen 376
Kapitel 15
Vergangenheit sein wird. Nur der Zeuge in dir ist niemals vergangen, niemals zukünftig. Dein zuschauendes Bewußtsein ist ewig; es gehört nicht der Zeit an. Darum wird alles, was in der Zeit geschieht, zum Traum. Und denkt auch daran, daß ihr euch auch mit dem identifiziert, was ihr nachts träumt, und daß ihr euch beim Träumen nie bewußt seid, daß es ein Traum ist. Erst morgens, wenn ihr aus dem Traum erwacht seid, könnt ihr euch erinnern, daß es ein Traum war und nicht Wirklichkeit. Warum? Weil ihr dann Abstand habt, nicht in ihm seid. Jetzt ist ein Abstand da, ein Zwischenraum, und so könnt ihr sehen, daß es sich um einen Raum handelt. Was ist deine ganze Vergangenheit? Abstand ist da, Spielraum ist da: Jetzt kannst du versuchen, sie als einen Traum zu sehen. Jetzt ist sie ein Traum, nicht mehr als ein Traum; und genauso wie ein Traum zur Erinnerung wird, wird auch die Vergangenheit zur Erinnerung. Du kannst tatsächlich nicht beweisen, daß das, was du für deine Kindheit hältst, wirklich war, kein Traum. Schwer zu beweisen! Vielleicht war es nur Traum, vielleicht war es Wirklichkeit. Das Gedächtnis kann nicht zwischen Wirklichkeit und Traum unterscheiden. Die Psychologen sagen, daß alte Menschen manchmal durcheinanderwerfen, was sie geträumt haben und was sie wirklich erlebt haben. Kinder verwechseln das ständig. Beim Aufwachen können kleine Kinder nicht unterscheiden, daß alles, was sie im Traum gesehen haben, nicht wirklich war, und so mögen sie einem Spielzeug nachweinen, das im Traum kaputtging. Aber auch ihr werdet noch eine Zeitlang nach dem Aufwachen von dem berührt, was ihr geträumt habt. Wenn dich im Traum gerade jemand umbringen wollte, dann schlägt dein Herz immer noch schnell, auch wenn du nicht mehr schläfst und jetzt völlig wach bist: dein Blut rast noch in den Adern, du schwitzt, und eine ungreifbare Angst hat dich immer noch im Griff. Du bist jetzt wach, der Traum ist vorbei, aber es dauert ein paar Minuten, bis du begreifst, daß es nur ein Traum war und sonst nichts. Wenn du begriffen hast, daß es nur ein Traum war, bist du draußen, und die Angst ist weg. Wenn du das fühlen kannst, daß die Vergangenheit nur ein Traum war — aber du darfst es nicht projizieren, darfst dir nicht die Idee 377
Das Buch der Geheimnisse
aufzwingen, daß die Vergangenheit nur ein Traum war —, wenn es einfach augenscheinlich ist und du sie beobachten und bewußt vor Augen haben kannst, ohne dich zu verlieren und mit ihr zu identifizieren, wenn du einfach abseits stehen und sie betrachten kannst, dann wird sie zum Traum. Alles, was du als Zeuge betrachten kannst, ist ein Traum. Darum konnten Shankara und Nagarjuna sagen, daß diese Welt nur ein Traum ist. Nicht, daß sie etwa ein Traum wäre. Sie sind keine Narren, keine Einfaltspinsel, die behaupten, daß die Welt tatsächlich ein Traum sei. Sie meinten damit, daß sie zum Zeugen geworden waren. Selbst dieser Welt gegenüber, die so wirklich ist, sind sie zu Zeugen geworden. Und wenn du erst einmal bei allem Zeuge bleibst, wird alles zum Traum. Darum nennen sie die Welt Maya — Illusion. Nicht, daß sie unwirklich wäre, aber man kann ihr gegenüber Zeuge bleiben. Und wenn du erst einmal Zeuge bist, bewußt, vollbewußt, dann fällt die ganze Sache wie ein Traum zusammen, ein Traumfür dich, weil der Abstand da ist und du nicht identifiziert bist. Aber wir identifizieren uns ständig. Erst vor wenigen Tagen las ich die Bekenntnisse von Jean Jacques Rousseau, ein einmaliges Buch, das erste Buch in der Weltliteratur überhaupt, in dem sich jemand rückhaltlos entblößt. Alle Sünden, die er begangen hat, jede Art von Unsittlichkeit — er offenbart sich bis zur völligen Nacktheit. Aber wenn man Rousseaus Bekenntnisse liest, hat man das deutliche Gefühl, daß er es genießt: er hat ein ganz erhabenes Gefühl. Es begeistert ihn, über seine Sünden, über seine Unmoral zu sprechen. Offenbar kostet er es tief aus. Am Anfang, in der Einführung, sagt Rousseau: „Wenn der Tag des Jüngsten Gerichts kommt, werde ich zu Gott sagen: ,Du brauchst dich nicht mit mir abzugeben. Lies mein Buch — und du wirst alles wissen. ` Niemals vor ihm hat jemand ein so ehrliches Bekenntnis abgelegt. Und am Ende des Buches sagt er: „Allmächtiger Gott, ewiger Gott, erfülle mir mein einziges Verlangen. Ich habe jetzt alles bekannt. Möge sich nun eine große Menge versammeln, die sich meine Bekenntnisse anhört.” Und so steht er mit Recht im Verdacht, auch Sünden bekannt zu haben, die er gar nicht begangen hat. Er ist so begeistert, er ge378
nießt das Ganze so, daß er sich damit identifiziert hat. Und es gibt nur eine Sünde, die er nicht gebeichtet hat — die Sünde der Identifikation. Mit jeder Sünde, die er begangen oder nicht begangen hat, ist er identifiziert — und das ist die einzige Sünde für alle, die sich wirklich in der Funktionsweise des menschlichen Geistes auskennen. Als er seine Bekenntnisse zum erstenmal einer kleinen Runde von Intellektuellen vorlas, glaubte er, ein Erdbeben müsse geschehen, weil er, wie er sagte, der erste Mensch war, der sich so ehrlich bekannte. Die Intellektuellen hörten ihm zu und versanken mehr und mehr in Langeweile. Rousseau wurde es sehr unbehaglich zumute, weil er glaubte, jetzt würde ein Wunder geschehen. Als er fertig war, atmeten alle auf, aber keiner sagte ein Wort. Es herrschte eine Zeitlang absolute Stille. Rousseau war bis ins Herz erschüttert. Er hatte geglaubt, eine ungeheuer revolutionäre Sache getan zu haben, etwas Erderschütterndes, eine historische Tat, und nun war da nur betretenes Schweigen. Jeder dachte nur daran, wie er möglichst schnell entkommen könne. Wer ist an deinen Sünden interessiert, außer du selbst? Niemand ist an deinen Tugenden interessiert, niemand ist an deinen Sünden interessiert. So ist der Mensch: Seine guten Seiten begeistern und beflügeln sein Ego genauso stark wie seine Sünden. Nach der Niederschrift seiner Bekenntnisse begann Rousseau, sich für einen Heiligen zu halten, weil er gebeichtet hatte. Aber die Ursünde blieb: Die Ursünde, mit dem Zeitlichen identifiziert zu sein. Alles, was in der Zeit geschieht, ist traumgleich, und solange man sich nicht davon loslöst, seine Identifikation damit aufgibt, wird man nie erfahren, was Seligkeit ist. Identifikation ist Unglück, Nicht-Identifikation ist Seligkeit. Diese zehnte Technik hat mit Identifikation zu tun. Das zehnte Sutra:
Lenke die Aufmerksamkeit dorthin, wo du irgendein vergangenes Ereignis siehst. Dabei verliert sogar deine Form ihre gegenwärtigen Eigenschaften und wird verwandelt.
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Du erinnerst dich an deine Vergangenheit - an irgendein Ereignis deiner Kindheit, an deine Liebesgeschichten, den Tod deines Vaters oder deiner Mutter - egal was. Schau es dir an, aber halte dich heraus. Erinnere dich so, als ob es das Leben eines anderen wäre. Und während dies Ereignis wieder wie ein Film abläuft, wieder auf der Leinwand zu sehen ist, betrachte es aufmerksam, als bewußter Zuschauer, mit Abstand. Deine vergangene Form wird dort in dem Film, in der Geschichte zu sehen sein. Wenn du dich an deine Liebe erinnerst, deine erste Liebe, wirst du dort bei deiner Geliebten zu sehen sein, und zwar in deiner damaligen Gestalt. Anders kannst du dich nicht erinnern. Löse dich auch von deiner vergangenen Form. Betrachte das ganze Phänomen, als würde ein anderer einen anderen lieben, als gehörte die ganze Sache nicht zu dir. Du bist nur ein Zeuge, ein Betrachter. Dies ist eine ganz, ganz elementare Technik. Sie ist viel benutzt worden, vor allem von Buddha. Es gibt viele Spielarten dieser Technik, und du kannst deine eigenü herausfinden. Zum Beispiel kannst du beim Einschlafen, unmittelbar bevor du einschläfst, die Ereignisse des ganzen Tages in der Erinnerung zurückverfolgen rückwärts. Fange nicht beim Morgen an. Fang genau da an, wo du jetzt bist, jetzt im Bett, in der letzten Phase, und geh dann rückwärts. Geh dann Schritt für Schritt zurück, ganz allmählich, bis zur allerersten Erfahrung am Morgen, als du aufgewacht bist. Geh zurück und erinnere dich ständig daran, dich nicht hineinziehen zu lassen. Zum Beispiel hat dich am Nachmittag jemand beleidigt. Sieh dich selbst, deine eigene form, wie du von jemandem beleidigt wurdest - aber du bleibst Zuschauer. Laß dich nicht verwickeln, werde nicht wieder wütend. Wenn du wieder wütend wirst, dann bist du identifiziert. Dann hast du die eigentliche Meditation verpaßt. Werde nicht wütend. Der andere beleidigt nicht dich, er beleidigt die Gestalt, die am Nachmittag da war. Diese Gestalt ist jetzt nicht mehr da. Du bist nur wie ein strömender Fluß: Die Formen fließen. In der Kindheit hattest du eine Form, die du jetzt nicht mehr hast. Diese Form ist fort. Flußgleich änderst du dich ständig. Wenn du 380
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also in der Nacht die Ereignisse des Tages meditierend zurückverfolgst, bleibe bewußt nur ein Zeuge: Werde nicht wütend. jemand hat dich gelobt: Fühle dich nicht geschmeichelt. Sieh die ganze Sache so, als würdest du ganz unbeteiligt einen Film sehen. Und vor allem hilft es, wenn man es rückwärts tut, besonders wenn man Mühe beim Einschlafen hat. Wer unter Schlaflosigkeit leidet, wird dies als eine große Hilfe empfinden. Warum? Weil dies den Geist entspannt. Wenn du zurückgehst, läuft das aufgezogene Uhrwerk des Geistes ab. Am Morgen fängst du an, es aufzuziehen, der Geist verwickelt sich in viele Dinge, in viele Orte. Unvollständig und unabgeschlossen bleiben viele Dinge in ihm haften, denn es war nicht genug Zeit, sie gleich zu verarbeiten. Geh abends also zurück. Es ist ein Entspannungsprozeß. Und wenn du wieder am Morgen angelangt bist, als du noch im Bett lagst, wieder ganz am Anfang bist, dann ist dein Kopf wieder so frisch, wie er am Morgen war, und du kannst einschlafen wie ein kleines Kind. Du kannst diese Technik des Zurückspulens auch auf dein ganzes Leben anwenden. Mahavir hat diese Technik des Zurückverfolgens sehr viel benutzt. Und heute gibt es in Amerika eine Bewegung, die sich „Dianetik” nennt und genau diese Methode benutzt, und sie seht sehr hilfreich findet. Diese Dianetik-Bewegung sagt, daß alles, woran du leidest, nur ein Katzenjammer der Vergangenheit ist. Und da haben sie recht. Wenn du zurückgehst und dein ganzes Leben zurückverfolgst, dann verschwinden dabei viele Leiden völlig. Das ist in vielen erfolgreichen Fällen bewiesen worden. Es gibt heute viele erfolgreiche Fälle. Sehr viele Menschen leiden an einer bestimmten Krankheit. Keine ärztliche Behandlung, nichts Medizinisches schlägt an; die Krankheit geht weiter. Die Krankheit ist offenbar psychologisch. Was kann man tun? Es hilft nicht, jemandem zu erzählen, daß es sich um eine psychologische Krankheit handelt. Im Gegenteil kann es schädlich sein; denn es lähmt. Was soll er denn machen? Er fühlt sich hilflos. Dies Zurückspulen ist eine Wundermethode. Wenn du langsam zurückgehst, bis zu dem Zeitpunkt, als du von dieser Krankheit befallen wurdest, wenn dir das gelingt, dann 381
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wirst du erkennen, das diese Krankheit im Grunde ein Komplex von verschiedenen Faktoren, bestimmten psychologischen Faktoren ist. Bei der Rückblende sprudeln diese Dinge hoch. Du erkennst plötzlich, welche psychologischen Faktoren dabei eine Rolle spielten. Und du brauchst gar nichts zu tun: Du mußt nur diese psychologischen Faktoren bewußt wahrnehmen und weiter zurückgehen. Viele Krankheiten verschwinden einfach, weil der Komplex aufgesprengt wird. Wenn dir der Komplex bewußt geworden ist, dann brauchst du ihn nicht mehr. Du hast dich von ihm gereinigt, befreit. Es ist eine tiefe Katharsis. Und wenn du es täglich tun kannst, wirst du eine neue Gesundheit spüren; eine neue Frische erfüllt dich. Und wenn wir diese tägliche Übung schon den Kindern beibringen können, werden sie nie von ihrer Vergangenheit belastet sein und nie in die Vergangenheit zurückzukehren brauchen. Sie werden immer hier und jetzt sein. Sie bleiben nirgends hängen, keine Schatten der Vergangenheit folgen nach. Man kann es täglich tun. Wenn du den ganzen Tag zurückspulst, gibt dir das eine neue Einsicht. . Der Kopf möchte nun aber gern mit dem Morgen beginnen, paßt auf — aber das ist kein Zurückspulen. Dadurch bekommt alles nur noch mehr Nachdruck. Wenn du mit dem Morgen beginnst, machst du es völlig verkehrt. Es gibt in Indien viele sogenannte Lehrer, die genau das empfehlen, den ganzen Tag noch einmal zu überdenken, und zwar, so sagen sie, angefangen beim Morgen. Das ist falsch und schädlich, weil man dann allem nur Nachdruck verleiht und somit die Fallgrube nur noch vertieft. Geh nie vom Morgen aus zum Abend, geh immer rückwärts. Nur dann kannst du reinen Tisch machen, alles aufräumen. Der Kopf möchte mit dem Morgen anfangen, weil das leichter ist. Das kann er, da gibt es kein Problem. Wenn du aber rückwärts anfängst, wirst du feststellen, wie du plötzlich zum Morgen springst und wieder vorwärts gehst. Tu das nicht. Paß auf, geh rückwärts. Du kannst dich dazu trainieren, rückwärts zu gehen, auch mit anderen Methoden. Zähle zum Beispiel von hundert rückwärts: 99, 98, 97: geh zurück. Zähle von 100 bis 1. Du wirst Schwierig382
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keiten haben, weil der Kopf gewohnt ist, von 1 bis 100 vorwärts zu gehen, aber nicht zurück von 100 zu 1. Genauso mußt du bei dieser Technik zurückgehen. Warum? Indem du zurückgehst, den Geist zurückspulst, wirst du zum Zeugen. Du siehst Dinge, die dir geschehen sind, aber nun geschehen sie nicht dir. Jetzt bist du nur ihr Zuschauer, und sie passieren auf dem Bildschirm des Geistes. Wenn du dies täglich tust, wirst du eines Tages plötzlich merken, während du tagsüber arbeitest, im Geschäft, im Büro oder sonstwo, daß du zum Zeugen von Ereignissen wirst, die gerade jetzt geschehen. Wenn du im Nachhinein Zeuge sein und auf jemanden zurückblicken kannst, der dich beleidigt hat, ohne dabei wütend zu werden, warum dann nicht jetzt gleich, dem gegenüber, was jetzt im Augenblick passiert? Jemand beleidigt dich: Wo steckt die Schwierigkeit? Du kannst dich jetzt gleich entziehen und zuschauen, wie dich jemand beleidigt, und trotzdem Abstand halten von dir, deinem Körper, deinem Denken, von dem, was dich beleidigt hat. Du kannst Zeuge bleiben. Wenn du hier jetzt Zeuge bleiben kannst, wirst du nicht wütend. Das ist unmöglich. Wut ist nur möglich, solange du dich identifizierst. Bist du nicht identifiziert, dann ist Wut ausgeschlossen. Wut heißt Identifikation. Dieser Technik zufolge sollst du dir irgendein vergangenes Ereignis anschauen: Deine damalige Gestalt wird auftauchen. Das Sutra sagt: „Deine Form” — nicht du. Du warst nie da. Es ist immer nur deine Form beteiligt, niemals du selbst. Wenn du mich beleidigst, beleidigst du niemals mich. Du kannst mich nicht beleidigen. Du kannst nur die Form beleidigen. Die Form, die ich bin, ist nur hier und jetzt für euch da. Diese Form kann man beleidigen, und ich kann mich von dieser Form loslösen. Darum haben die Hindus immer darauf bestanden, sich von Name und Form zu lösen. Du bist weder dein Name noch deine Form. Du bist das Bewußtsein, das die Form und den Namen kennt; und dies Bewußtsein ist etwas anderes, etwas total anderes. Aber es ist schwer. Fange also mit etwas Vergangenem an, dann ist es leichter, weil dir jetzt die Vergangenheit nicht mehr so wichtig ist. Jemand hat dich vor zwanzig Jahren beleidigt, also ist dir 383
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das nicht so hautnah. Der Mann mag gestorben sein, und alles ist vorbei. Es ist einfach eine tote Sache, ein totes Stück Vergangenheit. Es ist leicht, sich dessen bewußt zu sein, aber wenn es dir erst einmal bewußt ist, dann ist es nicht mehr schwierig, das gleiche mit dem zu tun, was gerade jetzt und hier passiert. Aber beim Hier und Jetzt anzufangen ist schwierig. Das Problem brennt dir so auf den Nägeln, es ist dir so nah, daß du keinen Bewegungsspielraum hast. Es ist schwer, Raum zu schaffen, um sich von dem Vorfall zu entfernen. Aus diesem Grund sagt das Sutra: „Beginne mit der Vergangenheit. ” Betrachte deine eigene Form mit Abstand, aus der Entfernung, gleichgültig, und laß dich dadurch transformieren. Du wirst deshalb transformiert, weil es ein tiefer Reinigungsprozeß ist, ein Ablösungsprozeß. Dann kannst du erkennen, daß dein Körper, dein Geist, deine Existenz in der Zeit nicht deine eigentliche Wirklichkeit ist. Deine substantielle Wirklichkeit ist etwas anderes. Die Dinge tauchen auf und ziehen an ihr vorbei, ohne dich im geringsten zu berühren. Du bleibst unschuldig, unberührt. Du bleibst jungfräulich. Alles zieht vorbei, dein ganzes Leben zieht vorbei - Gutes und Schlimmes. Erfolg und Niederlage, Lob und Tadel - alles zieht vorbei. Krankheit und Gesundheit, Jugend und Alter, Geburt und Tot - alles zieht vorbei. Du aber bleibst unberührt. Aber wie kann man diese unberührte Wirklichkeit in sich erkennen? Das ist der Zweck dieser Technik. Beginne mit der Vergangenheit. Du hast Abstand, wenn du dir deine Vergangenheit anschaust. Du siehst alles in Perspektive. Oder schau dir die Zukunft an. Aber sich die Zukunft anzusehen, ist nicht ganz so leicht. Nur wenige Leute haben keine Schwierigkeit, sich die Zukunft anzusehen - die Poeten, die Menschen mit Einbildungskraft, die in die Zukunft blicken können, als wäre sie Wirklichkeit. Aber normalerweise eignet sich die Vergangenheit am besten. Jeder kann in die Vergangenheit blicken. Für junge Leute ist es vielleicht besser, in die Zukunft zu blicken, es ist für sie leichter, in die Zukunft zu sehen, weil die Jugend zukunftsorientiert ist. Für alte Menschen gibt es keine Zukunft außer dem Tod. Sie können nicht in die Zukunft blicken; sie haben Angst. Darum fan384
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gen alte Menschen immer an, über die Vergangenheit nachzudenken. Ewig wühlen sie in ihren Erinnerungen herum, aber sie begehen den gleichen Fehler. Sie fangen weit zurück an und gehen bis zu ihrem jetzigen Zustand. Das ist verkehrt; sie sollten rückwärts gehen, dann würden sie immer deutlicher spüren, wie ihre ganze Vergangenheit weggespült wird. Und danach kann man sterben, ohne daß die Vergangenheit einem noch anhängt. Wer sterben kann, ohne daß die Vergangenheit an ihm klebt, der stirbt bewußt: der stirbt in voller Wachheit. Für ihn ist dann der Tod kein Tod mehr, sondern die Begegnung mit dem Todlosen. Wasche dein Bewußtsein bis in die Wurzeln von der Vergangenheit rein, und dein ganzes Wesen wird dadurch verwandelt. Versuche es. Diese Methode ist nicht sehr schwer. Es gehört nur eine hartnäckige Ausdauer dazu; die Methode an sich ist nicht schwierig. Sie ist einfach, und man kann mit dem heurigen Tag beginnen. Gleich heute abend kannst du es tun, und du wirst dich wunderbar fühlen, richtig selig, und danach wird der ganze Tag abgeschlossen sein. Aber überstürze nichts. Geh alles langsam durch, so daß nichts ausgelassen wird. Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl, weil vieles vor deinen Augen auftauchen wird, was dir tagsüber im Drang der Geschäfte entgangen war. Aber deine Wahrnehmung hat es gespeichert, wenn auch unbewußt. Du bist zum Beispiel eine Straße entlanggegangen. Jemand sang gerade, aber du hast nicht weiter darauf geachtet. Dir ist vielleicht nicht einmal bewußt geworden, es gehört zu haben, während du die Straße entlang gingst. Aber dein Gehirn hat es wahrgenommen und gespeichert. Jetzt hängt es nach: jetzt wird es unnötig zu einer Last für dich. Geh also zurück, aber sehr langsam, sehr langsam, als würde dir ein Film in Zeitlupe gezeigt. Geh und schau dir die Details an, und danach wird dir dieser eine Tag unendlich lang vorkommen. Er ist es tatsächlich, denn für dein Gehirn hat es ungeheuer viel Informationen gegeben, und es hat alles aufgezeichnet. Geh jetzt zurück ... Nach und nach wirst du lernen, alles zu erkennen, was aufgezeichnet wurde. Und wenn du es zurückspulen lassen kannst, verhält es sich wie mit einem Tonbandgerät: das Band wird gelöscht. Und wenn du dann beim Morgen angelangt bist, wirst du 385
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einschlafen, und dein Schlaf wird ein ganz anderer sein, er wird meditativ sein. Und dann, wenn du am nächsten Morgen aufwachst und weißt, daß du jetzt wach bist, dann mach nicht sofort die Augen auf Geh zurück, zurück in die Nacht. Es wird anfangs nicht leicht sein. Du wirst vielleicht nicht weit kommen. Irgendein Stück, irgendein Traumfragment, daß du gerade träumtest, als du aufwachtest, fällt dir vielleicht ein. Aber nach und nach, mit allmählicher Steigerung, wirst du immer weiter vordringen können, und nach drei Monaten kannst du bis an den Punkt zurückgehen, wo du eingeschlafen bist. Und wenn du deinen Schlaf bis in die Tiefen zurückverfolgen kannst, wird sich dein Schlaf und dein Wachsein qualitativ völlig ändern, weil du jetzt nämlich gar nicht mehr träumen kannst: Das Träumen ist zwecklos geworden. Wenn du den Tag und die Nacht zurückverfolgen kannst, ist Träumen nicht mehr nötig. Tatsächlich sagen die Psychologen heute, daß die Träume ein Aufarbeiten sind: wenn du das selbst erledigst, dann brauchst du das Träumen nicht mehr. Alles, was im Kopf hängengeblieben ist, alles Unerfüllte, Unvollständige, versucht sich durch Träume zu vollenden. Du hast im Vorbeigehen etwas gesehen - ein schönes Haus und in dir hat sich ein heimlicher Wunsch gemeldet, es zu besitzen. Aber du warst auf dem Weg zum Büro, und es war nicht die Zeit zum Tagträumen, also bist du einfach vorbeigegangen. Dir ist nicht einmal bewußt geworden, daß sich in dir ein Verlangen geregt hat, dieses Haus zu besitzen. Aber jetzt bleibt dies Verlangen in dir hängen, und wenn es nicht bereinigt wird, fällt es dir schwer, einzuschlafen. Schlafstörungen bedeuten im Grunde nur eins: daß dein Tag noch über dir hängt und du dich von ihm nicht freimachen kannst. Du klammerst dich an ihn. Dann hast du einen Traum, daß du zum Besitzer dieses Hauses geworden bist: Jetzt lebst du in diesem Haus. Im Augenblick, wo dir dieser Traum kommt, hat sich dein Unbewußtes erleichtert. Gewöhnlich hält man Träume für Schlafstörungen. Das ist absolut verkehrt. Träume sind keine - chlafstörungen. Sie stören nicht euren Schlaf, sie helfen ihm vielmehr. Ohne sie könntet ihr 386
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überhaupt nicht schlafen. So wie ihr seid, könntet ihr nicht ohne Träume schlafen, weil die Träume helfen, Dinge zu vollenden, die unvollständig geblieben sind. Und es gibt Dinge, die gar nicht zu Ende gebracht werden können. Ihr habt die absurdesten Wünsche, die in Wirklichkeit gar nicht erfüllt werden können; was also ihin? Solche unerfüllten Wünsche leben in euch weiter, und sie lassen euch hoffen und grübeln. Was also tun? Du hast eine schöne Frau gesehen, hast dich zu ihr hingezogen gefühlt. Jetzt ist der Wunsch da, sie zu besitzen. Es mag nicht möglich sein, die Frau hat dich vielleicht nicht einmal angesehen. Was also tun? Ein Traum hilft. Im Traum kannst du die Frau besitzen, und dann hat sich dein Kopf erleichtert. Was den Kopf anbelangt, gibt es keinen Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit. Wo liegt der Unterschied? Eine Frau in Wirklichkeit zu lieben, oder eine Frau im Traum zu lieben — wo liegt da der Unterschied? Da gibt es keinen Unterschied — oder allenfalls diesen: daß das Traumphänomen schöner ist, weil dann die Frau nicht im Wege ist. Es ist dein Traum, und du kannst tun, was du willst, die Frau wird dir nicht in die Quere kommen. Der andere ist völlig abwesend. Du bist allein. Es ist keine Schranke da, also kannst du tun, was dir beliebt. Es gibt für den Kopf keinen Unterschied: der Kopf kann keinen Unterschied zwischen dem machen, was Traum ist und was Wirklichkeit. Zum Beispiel könntest du ein ganzes Jahr lang in ein Koma versetzt werden. Und du träumst und träumst und merkst ein ganzes Jahr lang nicht, daß du träumst. Du siehst es als Wirklichkeit, und dabei träumst du nur — ein ganzes Jahr lang! Die Psychologen sagen, daß ein Mensch, der hundertJahre lang un Koma liegt und träumt, in keinem Augenblick gewahr wird, daß er träumt. Und sollte er sterben, wird er niemals erfahren, daß sein Leben ein Traum war, daß es niemals wirklich war. Für deine Wahrnehmung gibt es keinen Unterschied. Wirklichkeit und Traum sind beide gleich. Der geistige Apparat kann also durch einen Traum Erfüllung finden. Wenn du diese Technik anwendest, wirst du keine Träume brauchen. Die Qualität deines Schlafs wird sich total ändern, denn 387
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ohne Träume wirst du zum tiefsten Grund deines Wesens fallen, und ohne Träume wirst du im Schlaf bewußt. Genau das sagt Krishna in der Gita: Daß allein der Yogi nicht schläft, während alle andern schlafen; der Yogi ist wach. Das bedeutet nicht etwa, daß der Yogi nicht schläft: auch er schläft, aber die Qualität seines Schlafs ist anders. Euer Schlaf gleicht nur einer betäubten Unbewußtheit. Der Schlaf eines Yogi ist eine tiefe Entspannung ohne alle Unbewußtheit. Sein ganzer Körper ist entspannt-,jede Faser und Zelle seines Körpers ist entspannt, ohne die geringste Verkrampfung. Aber er ist sich des ganzen Phänomens völlig bewußt. Versuche es mit dieser Technik. Fang heute abend an, versuch`s und mache es dann auch am Morgen. Und wenn du das Gefühl hast, dich auf die Technik eingestellt zu haben, sie zu beherrschen, dann kannst du es nach einer Woche mit deiner ganzen Vergangenheit probieren. Nimm dir einfach einen Tag frei, und geh an einen einsamen Ort. Es ist gut zu fasten und still zu bleiben. Lege dich an einen einsamen Strand oder unter einen Baum, und gehe dann von diesem Punkt aus in deine Vergangenheit. Du liegst am Strand und fühlst den Sand und die Sonne. Und jetzt gehst du zurück. Geh forschend weiter, taste dich forschend zurück und finde heraus, wie weit du dich zurückerinnern kannst. Du wirst überrascht sein. Normalerweise kannst du dich nicht an sehr viel erinnern und kommst nicht über die Schranke des vierten oder fünften Lebensjahres hinaus. Einige wenige, die ein sehr gutes Gedächtnis haben, können vielleicht bis zur Altersschranke von drei Jahren zurückgehen, aber dann kommt plötzlich ein Block, und alles wird dunkel. Aber wenn du es mit dieser Technik versuchst, brichst du nach und nach die Sperre, und es wird sehr leicht, den allerersten Tag deiner Geburt zurückrufen. Und das wird eine Offenbarung sein! Und dann wieder zurück zu deiner Sonne und deinem Strand - du wirst ein anderer Mensch sein. Wenn du dir noch mehr Mühe gibst, kannst du bis in den Mutterleib vordringen - und ihr habt Erinnerungen an den Mutterleib! - neun Monate Erinnerungen mit der Mutter. Auch diese neunmonatige Periode ist im Gedächtnis aufgezeichnet. Wenn deine Mutter deprimiert war, 388
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hast du es verzeichnet, weil du dich dann deprimiert gefühlt hast. Du warst so mit der Mutter verbunden, so verknüpft, so eins, daß alles, was mit deiner Mutter geschah, auch dir geschehen ist. Wenn sie wütend war, warst du wütend. Wenn sie glücklich war, warst du glücklich. Wenn sie gelobt wurde, hast du dich wohl gefühlt. Wenn sie krank war, hast du den Schmerz, das Leid gefühlt - alles. Wenn du bis in den Mutterleib vordringen kannst, bist du auf der richtigen Spur und kannst nach und nach immer weiter vordringen, bis hin zu dem Augenblick, wo du in den Mutterleib eingetreten bist. Nur aufgrund einer solchen Erinnerung konnten Mahavir und Buddha sagen, daß es vergangene Leben gibt - Wiedergeburt. Wiedergeburt ist in Wirklichkeit kein Theorem, sondern lediglich eine riefe psychologische Erfahrung. Und wenn du dich an den ersten Augenblick erinnern kannst, als du in den Schoß deiner Mutter eingetreten bist, dann kannst du tiefer und tiefer dringen, bis hin zum Tod deines letzten Lebens. Und wenn du an diesen Punkt heranreichst, dann hast du die Methode in deinen Händen: Dann kannst du mit Leichtigkeit in alle deine vergangenen Leben eindringen. Und es ist eine Erfahrung, und das Ergebnis ist phänomenal, denn nun weißt du, daß du durch viele, viele Leben hindurch den gleichen Unsinn getrieben hast, den du jetzt treibst. Du hast diesen ganzen gleichen Unsinn immer wieder von neuem gemacht. Das Muster ist das gleiche, das Format ist das gleiche, nur die Details unterscheiden sich. Du hast irgendeine andere Frau geliebt: jetzt liebst du diese. Du hast Geld angehäuft: Die Münzen waren anderer Art, jetzt sind sie wieder anders. Aber das ganze Muster ist das gleiche - es wiederholt sich. Sobald du sehen kannst, daß du über viele, viele Leben hin den gleichen Unsinn gelebt hast, und wie dumm dieser ganze Teufelskreis ist, dann bist du plötzlich aufgewacht, und das Ganze wird zum Traum. Es schleudert dich heraus, und nun willst du das gleiche in Zukunft nicht noch einmal wiederholen. Das Wünschen hört auf, weil Wünschen nichts anderes ist, als Vergangenes in die Zukunft zu projizieren. Wünschen ist nichts anderes als deine vergangene Erfahrung, die sich noch einmal zu 389
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wiederholen versucht: Begierde ist nur eine alte Erfahrung, die du noch einmal wiederholen möchtest, weiter nichts. Und du kannst das Wünschen nicht sein lassen, ehe du dies ganze Phänomen nicht bewußt wahrnimmst. VVie denn? Die Vergangenheit ist da, ein riesiger Berg, ein gewaltiger Felsen. Du trägst ihn mit dir herum. Er schiebt dich der Zukunft entgegen. Wünsche werden von der Vergangenheit erzeugt und in die Zukunft projiziert. Wenn du die Vergangenheit als Traum erkennst, werden alle Wünsche i mpotent. Sie fallen ab, sie welken einfach. Und die Zukunft verschwindet. In diesem Verschwinden von Vergangenheit und Zukunft wirst du transformiert. Die elfte Technik:
Fühle vor dir einen Gegenstand. Fühle die Abwesenheit aller anderen Gegenstände außer diesem. Dann laß das Gegenstandsgefühl und das Abwesenheitsgefühl beiseite — und erkenne, Fühle vor dir einen Gegenstand — irgendeinen, zum Beispiel eine Rosenblüte. Egal was. „Fühle vor dir einen Gegenstand ...” — zunächst: „Fühle ihn.” Sehen ist nicht genug: Fühle ihn. Du siehst eine Rosenblüte, aber dein Herz ist nicht erfüllt. Du fühlst sie nicht. Sonst würdest du zu weinen anfangen, sonst würdest du zu lachen und zu tanzen anfangen. Du fühlst sie nicht: Du siehst sie nur. Und selbst dieses Sehen wird kaum vollständig sein. Denn ihr seht nie vollständig. Die Vergangenheit, das Gedächtnis sagt, daß dies eine Rose ist — und du gehst weiter. Du hast sie nicht wirklich gesehen. Der Kopf sagt, es ist eine Rose. Du „weißt” alles über sie, schließlich kennst du Rosen, na und? Also gehst du weiter. Ein einziger Blick genügt, um deine Erinnerung an vergangene Rosenerfahrungen wachzurufen, und du gehst weiter. Selbst euer Sehen ist nicht vollständig. Bleibe bei der Rose. Sieh sie, dann fühle sie. Was tust du, um sie zu fühlen? Rieche sie, berühre sie, laß es zu einer tiefen körperlichen Erfahrung werden. Schließe erst deine Augen, und laß die Rose dein ganzes Gesicht berühren. Fühle sie. Lege sie dir auf die Augen. Laß die Augen sie berühren, rieche sie. Lege sie dir ans 390
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Herz. Schweige mit ihr, schenk ihr ein Gefühl. Vergiß alles; vergiß die ganze Welt. „Fühle einen Gegenstand vor dir, und fühle die Abwesenheit von allen anderen Gegenständen.” Denn wenn deine Gedanken noch mit anderen Dingen beschäftigt sind, kann dies Gefühl nicht sehr tief gehen. Vergiß alle anderen Rosen, vergiß alle anderen Personen, vergiß alles. Laß nur diese Rose da sein, nur die Rose, die Rose, die Rose! Vergiß alles andere; laß diese Rose dich vollkommen einhüllen. Du bist in der Rose ertrunken. Es wird nicht leicht sein, denn so sensibel sind wir nicht. Frauen fällt es leichter. Sie können besser fühlen. Für Männer mag es etwas schwerer sein, es sei denn, sie haben einen sehr entwickelten ästhetischen Sinn, wie etwa Dichter, Maler oder Musiker. Sie können Dinge fühlen. Aber versucht es. Kinder können es sehr leicht. Ich habe diese Methode einmal dem Sohn einer meiner Freunde gegeben. Bei ihm ging es ganz leicht. Als ich ihm eine Rose gab und ihm alles so erklärte, wie ich es euch erklärt habe, tat er es und genoß es zutiefst. Und dann fragte ich ihn: „Wie fühlst du dich?” Er sagte: „Ich bin zu einer Rose geworden. So fühle ich mich, ich bin zu einer Rose geworden.” Kinder können es sehr leicht, aber wir erziehen sie nie dazu. Sonst wären sie die besten Meditierer. Vergiß völlig alle anderen Objekte. „Fühle die Abwesenheit aller anderen Gegenstände außer diesem.” Das ist es, was in der Liebe geschieht. Wenn du jemanden liebst, vergißt du die ganze Welt. Wenn du dich noch an die Welt erinnern kannst, dann sei dir bewußt, daß es nicht Liebe ist. Du hast die ganze Welt vergessen; nur der Geliebte oder die Geliebte bleibt. Darum sage ich, daß Liebe Meditation ist. Ihr könnt diese Technik auch als eine Liebestechnik benutzen: alles andere vergessen. Erst vor ein paar Tagen kam ein Freund zu mir mit seiner Frau. Seine Frau beschwerte sich über etwas Bestimmtes. Darum war sie gekommen. Der Freund sagte: „Ich habe seit einem Jahr meditiert und bin jetzt tief hineingekommen. Und während ich meditiere, empfinde ich es als eine Hilfe, als Höhepunkt meiner Meditation, plötzlich auszurufen: Rajneesh! Rajneesh! Rajneesh! ` Das hilft mir; aber nun ist etwas Merkwürdiges passiert. Wenn ich mit 391
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meiner Frau schlafe und zum Orgasmus komme, fange ich plötzlich an zu schreien: Rajneesh! Rajneesh! Rajneesh!` Meine Frau ist deswegen ganz verstört. Und sie sagt: „,Liebst-du nun eigentlich mich oder meditierst du, oder was? Und was hät dieser Rajneesh damit zu tun?” Der Mann sagte: „Jetzt ist es ein Problem für mich, denn wenn ich nicht,Rajneesh! Rajneesh!` schreie, komme ich nicht zum Orgasmus. Und wenn ich schreie, ist meine Frau sehr verstört, sie fangt an zu weinen und macht mir eine Szene. Was soll ich also tun? Ich habe meine Frau gleich mitgebracht.” Natürlich hat seine Frau recht, sich zu beschweren, denn sie möchte nicht, daß sich ein anderer einmischt. Darum gehört zur Liebe die Privatsphäre, die absolute Intimität. Sie ist wichtig, um alles andere vergessen zu können. In Europa und Amerika probieren sie jetzt den Gruppensex aus. Das ist Unsinn — viele Paare, die sich in einem Zimmer lieben! Das ist absoluter Unsinn, denn so kann die Liebe niemals tief gehen. Es wird einfach eine Sexorgie daraus. Die Gegenwart von anderen wird zur Schranke. So kann es nicht meditativ werden. Wenn du vor irgendeinem Objekt die ganze Welt vergessen kannst, dann bist du in tiefer Liebe — mit einer Rose, einem Stein oder was es auch sei. Aber die Bedingung ist, die Gegenwart dieses Objektes zu fühlen — und die Abwesenheit von allem anderen. Laß dieses Objekt das einzig existierende Ding in deinem Bewußtsein sein. Es wird leichter sein, wenn du es mit einem Gegenstand versuchst, den du von Natur aus liebst. Einen Stein, einen Felsbrocken vor dich hinzusetzen und darüber die ganze Welt zu vergessen, wird dir schwerer fallen. Das fällt schwer, aber Zen-Meister haben es getan. Sie kennen Steingärten für die Meditation: keine Blumen, keine Bäume, nichts als Steine und Sand. Und sie meditieren über einen Stein, weil dir, wie sie sagen, kein Mensch mehr verschlossen bleiben kann, wenn du es fertig bringst, eine tiefe Liebesbeziehung mit einem Stein zu haben. Und Menschen sind wie Steine. Wenn du einen Stein lieben kannst, kannst du auch einen Menschen lieben. Dann gibt es kein Problem: Sie sind wie Stein — sogar noch härter. Es ist schwer, sie aufzubrechen und in sie einzudringen. Du kannst dir aber einen 3 92
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Gegenstand wählen, den du von Natur aus liebst: und dann vergiß die ganze Welt. Genieße seine Gegenwart, koste ihn aus, hebe ihn, geh tief hinein und laß ihn tief in dich hinein. „Dann laß das Gegenstandsgefühl ... beiseite.” Jetzt kommt die schwierigste Sache bei dieser Technik. Du hast alle andern Gegenstände fortgelassen, und nur ein Gegenstand ist geblieben. Du hast alles vergessen: Nur eines ist geblieben. Und nun laß das Gegenstandsgefühl beiseite, laß jetzt das Gefühl beiseite, daß du diesen Gegenstand vor dir hast. „Dann laß das Gegenstandsgefühl und das Abwesenheitsgefühl” — der anderen Objekte -„beiseite. " Nun gibt es nur noch diese beiden Gefühle: Außer dem Gegenstand ist alles abwesend. Nun wirfst du aber auch diese Abwesenheit beiseite. Wenn nur noch diese Rose, dieses Gesicht, diese Frau, dieser Mann, dieser Fels anwesend ist, läßt du auch dies beiseite — und auch das Gefühl davon. Plötzlich fällst du in ein absolutes Vakuum, und nichts bleibt zurück. „Und so” sagt Shiva, „„erkenne! ` Erkenne dies Vakuum, diese Nichtheit. Dies ist deine Natur, dies ist reines Sein. Es wäre zu schwer, dieses Nichts direkt anzugehen; das ist sehr schwer und anspruchsvoll. Es ist leichter, ein Objekt als Vehikel zu benutzen. fülle deinen Geist erst mit einem Gegenstand, und fühle ihn so total, daß du dich an nichts anderes mehr erinnern kannst. Dein ganzes Bewußtsein ist von diesem einen Objekt erfüllt. Dann laß auch dies zurück, vergiß auch dieses. Du fällst in einen Abgrund. Jetzt bleibt nichts zurück, kein Objekt. Nur noch deine Passivität ist da, rein, unberührt, unbenützt. Dies reine Sein, dies reine Bewußtsein ist deine Natur. Aber gehe stufenweise vor, versuche nicht die ganze Technik auf einmal. Erzeuge erst ein Objektgeftihl. Übe ein paar Tage lang nur die erste Phase. Sei vom Objekt erfüllt — und benutze jedesmal das gleiche. Wechsele nicht, denn mit jedem Objekt mußt du dir wieder die gleiche Mühe machen. Wenn du eine Rose gewählt hast, dann gebrauche jeden Tag eine Rose. Sei von ihr erfüllt, so daß du eines Tages sagen kannst, jetzt bin ich diese Blume. Und damit ist der erste Teil erfüllt. Wenn nur noch die Blume da ist, und alles andere vergessen ist, dann genieße diese Vorstellung ein paar Tage lang. Sie ist schön für dich, sehr, sehr schön, lebensspendend, kraftvoll. 3 93
Das Buch der Geheimnisse
Fühle sie ein paar Tage lang nur, und wenn du dich auf sie eingestellt hast und es leicht geworden ist, brauchst du dich nicht mehr anzustrengen. Dann ist die Blume plötzlich da und die ganze Welt ist vergessen, und nur sie allein bleibt. Dann versuch die zweite Hälfte. Schließe die Augen, und vergiß auch die Blume. Wenn du das erste geschafft hast, wird das zweite nicht schwierig sein. Wenn du die ganze Technik in einem Zug anwenden willst, wird das zweite unmöglich. Denn erst, wenn du die erste Hälfte beherrschst und du die ganze Welt um einer Blume willen vergessen kannst, kannst du auch die Blume um des Nichts willen vergessen. Die zweite Hälfte kommt also von allein, aber erst mußt du dich anstrengen. Aber der Verstand ist sehr trickreich und wird dir einflüstern, alles auf einmal zu versuchen — und dann geht es nicht. Hinterher kann der Kopf sagen: „Diese Technik bringt's nicht, jedenfalls nicht für mich.” Geh also schrittweise vor, wenn du damit Erfolg haben willst. Bri ng die erste Hälfte zu Ende, und fang dann die zweite an. Dann ist das Objekt nicht mehr da; was bleibt, ist dein reines Bewußtsein, wie ein Licht, eine einsame Flamme. Du hast eine Lampe, und das Licht der Lampe fällt auf viele Objekte. Stelle dir vor: dein Zünmer ist voller Objekte, und wenn du in das Dunkel deines Zimmers eine Lampe bringst, werden all diese Objekte beleuchtet. Die Lampe scheint auf jedes Objekt, so daß du alles sehen kannst. Jetzt bleibst du nur bei einem Objekt. Laß nur noch eines da sein. Es ist dieselbe Lampe, aber nun ist nur ein Objekt in ihrem Licht. Und nun nimmst du auch noch dies Objekt weg: Jetzt ist nur noch Licht da, kein einziges Objekt mehr. Das gleiche geschieht mit deinem Bewußtsein. Du bist eine Flamme, ein Licht. Die ganze Welt ist dein Objekt. Du läßt die ganze Welt beiseite und wählst nur ein Objekt für deine Konzentration. Deine Flamme bleibt die gleiche, aber jetzt sind nicht viele Objekte von ihr bestrahlt, sondern nur eins. Und nun läßt du auch dieses fallen. Plötzlich ist nur noch Licht da — Bewußtsein. Es fällt auf nichts. Buddha hat es Nirvana genannt. Mahavir hat es Kaivalya genannt — die totale All-einheit. Die Upanischaden nennen es die Erfahrung des Brahman oder Atman. Shiva sagt: Wer nur diese Technik macht, der erkennt das Höchste. 394
Kapitel 15
Die zwölfte Technik:
Wenn in dir eine Stimmung gegen oder für jemanden aufsteigt, dann projiziere sie nicht auf die betreffende Person, sondern bleibe zentriert. Wenn Haß gegen jemanden aufkommt, oder Liebe, was tun wir dann? Wir projizieren das auf die betreffende Person. Wenn du Haß für mich empfindest, vergißt du dich völlig in deinem Haß: ich allein bin dann dein Objekt. Wenn du Liebe für mich empfindest, vergißt du dich völlig; allein ich bin dann dein Objekt. Du projizierst deine Liebe oder deinen Haß oder was es auch sei auf mich. Du vergißt völlig das innere Zentrum deines Seins, und der andere wird zum Zentrum. Dies Sutra sagt: Wenn Haß oder Liebe oder sonst eine Stimmung für oder gegen jemanden aufkommt, dann darfst du das Gefühl nicht auf den betreffenden Menschen projizieren. Denk daran: Du selbst bist die Quelle dieses Gefühls. Ich liebe dich. Gewöhnlich denken wir, daß die Quelle für mein Gefühl du bist; das ist in Wirklichkeit nicht so. Ich selbst bin die Quelle. Du bist nur ein Bildschirm, auf den ich meine Liebe projiziere, du bist nur eine Leinwand: ich projiziere meine Liebe auf dich und sage, daß du die Quelle meiner Liebe bist. Das ist keine Tatsache, es ist Einbildung. Ich hole meine Liebesenergie hoch und projiziere sie auf dich. In dieser Liebesenergie, die auf dich projiziert wird, wirst du „liebenswert”. Für einen anderen magst du es nicht sein, für einen anderen magst du absolut abstoßend sein. Und warum? Wenn du die Quelle meiner Liebe wärst, dann müßte jeder dich lieben, aber du bist es nicht. Ich projiziere die Liebe, und dadurch wirst du attraktiv. Ein anderer projiziert Haß, und dadurch wirst du abstoßend. Und wieder ein anderer projiziert gar nichts; er ist gleichgültig. Er hat dich nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Was geht vor? Wir projizieren unsere eigenen Stimmungen auf andere. Darum erscheint euch der Mond in den Flitterwochen so schön, so wundervoll, so märchenhaft. Die ganze Welt scheint anders. Und zur gleichen Zeit existiert diese märchenhafte Nacht für deinen Nachbarn überhaupt nicht. Sein Kind ist gestorben, 395
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und der gleiche Mond erscheint ihm sehr traurig, ja unerträglich. Aber für dich ist er bezaubernd, betörend bis zum Wahnsinn. Warum? Ist der Mond die Quelle? Oder ist der Mond nur ein Bildschirm, auf den du dich selbst projizierst? Dies Sutra sagt: „Wenn eine Stimmung gegen jemanden oder für jemanden in dir aufsteigt, dann projiziere es nicht auf die betreffende Person” - oder das betreffende Objekt - „sondern bleibe zentriert.” Erinnere dich, daß du seine Quelle bist: wende dich also nicht dem andern zu, sondern der Quelle. Spürst du Haß, dann wende dich nicht dem Objekt zu. Geh dahin, wo der Haß herkommt. Geh nicht zu dem Menschen, auf den sich dein Haß richtet, sondern zu dem inneren Punkt, von woher der Haß kommt. Geh zum Zentrum, nach innen. Nutze deinen Haß oder deine Liebe oder deine Wut oder was es auch sei für die Reise zum inneren Zentrum, zur Quelle. Geh zur Quelle und bleibe dort zentriert. Versuche es! Dies ist eine ganz, ganz wissenschaftliche, psychologische Methode. Jemand hat dich beleidigt; plötzlich wallt die Wut hoch, du fieberst. Deine Wut strömt dem Menschen entgegen, der dich beleidigt hat. Jetzt wirst du diese ganze Wut auf ihn projizieren. Er hat nichts getan. Wenn er dich beleidigt hat, was hat er getan? Er hat dich nur angestochen, er hat deiner Wut dazu verholfen, aufzusteigen. Aber die Wut ist deine. Ginge er zu Buddha, um ihn zu beleidigen, könnte er in ihm keine Wut hervorrufen. Oder ginge er zu Jesus, würde der ihm die andere Backe hinhalten. Oder ginge er zu Bodhidharma, würde der brüllen vor Lachen. Es kommt also darauf an. Der andere ist nicht die Quelle. Die Quelle ist immer in dir. Der andere sticht die Quelle an, aber wenn in dir keine Wut ist, kann keine herauskommen. Wenn du einen Buddha schlägst, kommt nur Mitgefühl heraus, weil nur Mitgefühl da ist. Wut kommt nicht heraus, weil keine da ist. Wirf einen Eimer in einen trockenen Brunnen - es kommt kein Wasser heraus. Wirf ihn in einen vollen Brunnen, kommt Wasser heraus - aber das Wasser kommt aus dem Brunnen. Der Eimer hilft nur, es hochzuholen. Wer dich beleidigt, wirft also nur einen Eimer in dich hinein, und dann kommt der Eimer hoch, voll mit Wut, mit Haß, oder mit 396
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dem Feuer, das in dir war. Du bist die Quelle — erinnere dich! Erinnere dich bei dieser Technik, daß du die Quelle von allem bist, was du auf andere projizierst: erinnere dich immerzu. Und jedesmal, wenn eine Stimmung aufkommt, „gegen oder für”, gehe augenblicklich nach innen, und schau auf die Quelle, wo dieser Haß herkommt. Bleibe dort zentriert. Wandere nicht zum Objekt ab. Jemand hat dir die Chance gegeben, dir deine eigene Wut bewußt zu machen: Danke ihm sofort und vergiß ihn. Schließe die Augen, geh nach innen, und schau jetzt auf die Quelle, aus der diese Liebe oder Wut kommt. Woher? Geh nach innen; reise nach innen. Du wirst die Quelle dort finden, denn die Wut kommt aus deiner Quelle. Haß, Liebe, alles kommt aus deiner Quelle. Und es ist leicht, in dem Augenblick, da du Wut oder Liebe oder Haß spürst, zur Quelle zu gehen, denn dann bist du heiß. Jetzt ist es leicht, nach innen zu gehen. Der Draht ist heiß, und du kannst ihn nach innen verfolgen. Du kannst an dieser Hitze entlang nach innen gehen, und wenn du an einen kühlen Punkt kommst, wirst du plötzlich eine andere Dimension erkennen: Eine andere Welt tut sich vor dir auf. Nutze die Wut, nutze den Haß, nutze die Liebe, um nach innen zu gehen. Wir benutzen alles immer nur, um uns auf den anderen zu richten und fühlen uns ganz frustriert, wenn niemand da ist, auf den wir projizieren können. Dann projizieren wir sogar auf unbelebte Gegenstände. Ich habe Leute gesehen, die auf ihre Schuhe wütend werden, die ihre Schuhe vor Wut an die Wand schmeißen. Was tun sie? Ich habe wütende Leute mit dem Fuß gegen eine Tür stoßen sehen, sie ließen ihre Wut an einer Tür aus, beschimpften die Tür, überschütteten sie mit Schimpfworten! Was tun sie? Ich will mit einer Zen-Erkenntnis abschließen. Einer der größten Zen-Meister, Lin-Chi, erzählte oft: „Als junger Mensch war ich ein leidenschaftlicher Bootfahrer. Ich hatte ein kleines Boot und fuhr damit immer allein auf den See hinaus. Stundenlang konnte ich da bleiben. Einmal geschah es, daß ich mit geschlossenen Augen im Boot saß, ganz in die herrliche Nacht versunken. Ein leeres Boot trieb mit der Strömung auf mich zu und stieß 397
Das Buch der Geheimnisse
mein Boot an. Ich hatte die Augen geschlossen und dachte: jemand hat mich mit seinem Boot angerempelt!" Wut kam auf. Ich öffnete die Augen und wollte gerade mit dem Mann im andern Boot böse werden, als ich wahrnahm, daß das andere Boot leer war. Nun wußte ich nicht, wohin mit der Wut. An wem sollte ich sie auslassen? Das Boot war leer! Ich trieb einfach stromabwärts, und das andere Boot war gekommen und hatte meines angestoßen." Da ließ sich nichts machen. Es war unmöglich, die Wut an einem leeren Boot auszulassen. „Da”, so sagt Lin-Chi, „schloß ich die Augen. Die Wut war da – aber da sie keinen Auslaß fand, schloß ich einfach die Augen und ließ mich auf der Wut nach innen treiben. Und dies leere Boot wurde zu meiner Erkenntnis. Ich kam in dieser stillen Nacht zu einem Mittelpunkt, der in mir war. Jenes leere Boot war mein Guru. Und wenn heute jemand mit seinem Boot ankommt und ' mich anrempelt, lache ich und sage: „Auch dieses Boot ist leer. Ich schließe die Augen und gehe nach innen.” Versucht diese Methode. Sie kann Wunder wirken für euch.
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Ein Irrer ist nur ein bißchen mehr verrückt als du
[Fragen]
Die erste Frage:
Bei der letzten Technik über die du gestern gesprochen hast heißt es: Wenn man eine Stimmung für oder gegen jemanden hat, soll man sie nicht auf die betreffende Person projizieren, sondern zentriert bleiben. Aber wenn wir mit dieser Technik experimentieren, mit unserem Haß, unserer Wut usw., haben wir das Gefühl, unsere Emotionen zu unterdrücken, so daß daraus ein Komplex entsteht, Erkläre also bitte, wie man diese Technik praktizieren kann ohne zu verdrängen. 40 1
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Ausdrücken und Unterdrücken sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Es sind gegensätzliche Wege, aber im Grunde gleich. Beim Ausdrücken wie beim Unterdrücken ist der andere das Zentrum. Ich bin wütend und unterdrücke die Wut. Ich wollte gerade meine Wut an dir auslassen; jetzt unterdrücke ich meine Wut. Trotzdem bleibt die Wut auf dich projiziert, ob ich sie nun zum Ausdruck bringe oder unterdrücke. Diese Technik ist nicht dazu da, daß ihr euch unterdrückt. Diese Technik verändert die Basis selbst, auf der man sich unterdrückt oder zum Ausdruck bringt. Die Technik sagt: Projiziere es nicht auf den andern, denn du bist die Quelle. 4b du es ausdrückst oder unterdrückst - du bist die Quelle. Der Ton liegt weder auf Ausdrücken noch auf Unterdrücken. Der Ton liegt darauf, daß du erkennen sollst, woher diese Wut kommt. Du mußt an den Punkt gehen, an den Ursprung, von woher Wut, Haß, Liebe aufsteigen. Durch Unterdrückung gelangst du nicht dorthin, sondern kämpfst nur dagegen an, es zum Ausdruck zu bringen. Wut kommt in mir auf. Gewöhnlich kann ich zweierlei tun sie anjemandem auslassen oder sie unterdrücken. Aber in beiden Fällen bin ich am anderen orientiert und nicht an der Wut-Energie, die nach oben gekommen ist - ich sehe nicht die Quelle. Diese Technik soll dir helfen, das andere völlig zu vergessen. Sieh dir einzig und allein die Wut-Energie an, die aufsteigt, und geh tief hinunter, um ihre Quelle in dir zu entdecken - woher kommt sie? Und dann, wenn du die Quelle findest, bleibe in ihr zentriert. Fang nichts mit der Wut an - vergiß das nicht! Wenn du sie rausläßt, machst du etwas mit ihr; wenn du sie verdrängst, ebenfalls. Mach nichts mit der Wut! Rühr sie nicht an. Nutze sie nur als Wegweiser. Geh an ihr entlang in die Tiefe, um herauszufinden, woher sie aufgestiegen ist. Und in dem Moment, wo du die Quelle findest, ist es sehr leicht, sich dort zu zentrieren. Die Wut muß in Wirklichkeit als eine Chance genutzt werden, um die Quelle zu finden. Und jede andere Emotion auch. Wenn du verdrängst, kannst du nicht die Quelle finden. Du bekämpfst die Energie nur, die aufgestiegen ist und raus will. Du kannst sie unterdrücken, aber früher oder später wird sie doch 402
Kapitel 16
zum Vorschein kommen, denn die Energie, die da hochkommt, läßt sich nicht bekämpfen. Sie muß zum Ausdruck kommen. Du magst sie also nicht an A auslassen, aber dann tust du es eben an B oder C. Sobald du jemanden gefunden hast, der schwächer ist als du, wirst du die Energie rauslassen. Und die ganze Zeit über, die du es noch nicht getan hast, fühlst du dich bedrückt, verspannt, schwer und unbehaglich. Sie kommt also auf jeden Fall zum Vorschein. Du kannst sie nicht ständig zurückdrängen. Von irgendwoher wird sie durchsickern, denn solange sie es nicht darf, gibt sie dir keine Ruhe. Unterdrücken ist also nichts weiter als ein verzögertes Ausdrücken. Du schiebst es lediglich auf. Du bist auf deinen Chef wütend. Du kannst es nicht zeigen, es zahlt sich nicht aus. Du mußt es schlucken, also wartest du, bis du es an deiner Frau auslassen kannst oder an deinem Kind oder an wem immer ... an deinem Diener. Kaum bist du zu Hause, explodierst du. Du wirst natürlich Gründe finden, denn der Mensch ist ein Tier, das rationalisieren kann. Er rationalisiert immerzu, er findet immer einen Vorwand, irgendeine Winzigkeit, die nun plötzlich sehr wichtig wird - weil etwas aus dir heraus will. Verdrängung ist nichts als Aufschub. Du kannst monatelang, jahrelang aufschieben. Und die, die sich auskennen, sagen sogar, daß man selbst ganze Leben lang aufschieben kann ... aber zum Ausdruck kommen muß es. Diese Technik hat also überhaupt nichts mit Verdrängen oder Ausdrucken zu tun - keineswegs! Diese Technik nutzt lediglich deine Emotion, deine Energie als einen Weg, der dich tief nach innen führen kann. Gurdjieff stellte regelmäßig Situationen her, in denen er dich zur Wut provozierte oder zu Haß oder sonst einem Gefühl - und es war eine künstliche Situation. Aber das ist dir nicht klar. Gurdjieff sitzt zum Beispiel mit seinen Schülern zusammen, und du kommst herein. Du weißt nicht, was gespielt wird, aber sie warten nur darauf, dich zu reizen. Sie verhalten sich entsprechend. Eine beiläufige Bemerkung, und schon fängt die ganze Gruppe an, dich so zu beleidigen, daß du rot siehst vor Wut. Nun ist die Wut da: Du stehst in Flammen! Und wenn Gurdjieff sah, daß jetzt der Punkt gekommen war, wo du entweder tief nach innen oder 403
Das Buch der Geheimnisse
nach außen gehen kannst — du bist auf dem Höhepunkt angelangt bist kurz vor der Explosion — sagte er plötzlich: „Schließe die Augen, mach dir deine Wut bewußt und verfolge sie zurück.” Erst jetzt erkennst du, daß die Situation künstlich war, daß keiner ein Interesse daran hatte, dich zu beleidigen, daß es nur Theater war, ein „Psychodrama”. Aber nun ist die Wut da. Selbst wenn du erkennst, daß es nur Theater war, kann die Energie sich nicht so plötzlich legen; sie braucht Zeit. Jetzt kannst du mit der fallenden Energie zurückgehen bis zur Quelle. Die Energie kann dir einfach helfen, nach unten zu gehen, dorthin, wo sie hergekommen ist. Du kannst mit der eigentlichen Quelle in Kontakt kommen. Und dies ist eine der erfolgreichsten Meditationstechniken überhaupt. Stelle irgendeine Emotion her — aber das ist gar nicht nötig; der ganze Tag ist voller Stimmungen. Jede Stimmung kann zur Meditation benutzt werden. Und dann hast du den andern völlig vergessen und verdrängst auch nicht. Du folgst nur irgendeiner Energie, die nach oben gekommen ist, wieder nach unten. Jede Energie kommt aus der Quelle, und somit ist jetzt im Augenblick die Fährte heiß, und du kannst diesen Weg nutzen, um hinzugelangen. Sobald du zur ursprünglichen Quelle gelangt bist, sinkt die Energie in die ursprüngliche Quelle zurück. Das ist keine Unterdrückung: Die Energie ist zur ursprünglichen Quelle zurückgekehrt. Und wenn du deine Energie mit der ursprünglichen Quelle wieder vereinigen kannst, bist du zum Meister über deinen Körper geworden, über deinen Geist, über deine Energie. Du bist jetzt Herr im Hause! Jetzt wirst du deine Energie nicht mehr vergeuden. Weißt du erst einmal, wie du mit deiner Energie zu deiner Mitte zurückgehen kannst, brauchst du nichts mehr zu unterdrücken und auch nichts mehr auszudrücken. Eben warst du noch nicht wütend; ich sage etwas: Schon bist du wütend. Woher diese Energie? Eben noch warst du nicht wütend, aber diese Energie war in dir vorhanden. Wenn diese Energie wieder zur Quelle zurücksinkt, wirst du wieder so sein wie eben. Vergeßt nicht: Energie ist weder Wut noch Liebe noch Haß. 404
Kapitel 16
Energie ist einfach Energie - neutral. Es ist die gleiche Energie, die zu Wut, zu Sex, zu Liebe, zu Haß wird. Dies alles sind Formen der gleichen Energie. Du verleihst ihr die Form, deine geistige Verfassung gibt die Form vor, und die Energie geht hinein. Bedenke also: Wenn du tief liebst, wirst du nicht viel Energie für Wut übrig haben. Wenn du überhaupt nicht liebst, dann hast du viel Energie, um wütend zu sein und wirst auch viele Vorwände dafür finden. Wenn deine Energie nicht durch Sex zum Ausdruck kommt, wirst du um so aggressiver sein. Darum erlaubt kein Militär seinen Soldaten sexuelle Betätigung. Würde das erlaubt, wäre das Heer absolut impotent für den Kampf. Darum kann keine Zivilisation kämpfen, die auf ihrem Höhepunkt ist. So werden die höher entwickelten und mehr zivilisierten Kulturen jedesmal überrannt und besiegt von weniger entwickelten Zivilisationen - immer; denn eine höher entwickelte Gesellschaft kümmert sich um alle Bedürfnisse ihrer Mitglieder, und das schließt auch den Sex ein. Wenn sich eine Gesellschaft also wirklich gefestigt hat und reich ist, dann wird das Bedürfnis nach Sex befriedigt. Aber wenn das geschieht, kann man nicht mehr kämpfen. Kämpfen fällt sehr leicht, solange das sexuelle Bedürfnis nicht befriedigt wird. Wenn ihr also eine friedliche Welt wollt, dann muß eine größere sexuelle Freiheit herrschen. Wenn ihr eine Welt voller Kriege wollt, voller Konflikte, dann lehnt den Sex ab, dann unterdrückt ihn. Erzeugt anti-sexuelle Einstellungen. Das ist etwas sehr Paradoxes. Die sogenannten achtbaren Bürger, die frommen und klugen Leute, reden immer vom Frieden, aber gleichzeitig sind sie gegen den Sex. Sie verbreiten ständig ein anti-sexuelles Klima und sagen im gleichen Atemzug, die Welt brauche Frieden, nicht Krieg. Das ist absurd. Die Hippies haben da mehr recht. Ihr Slogan stimmt: „Make love, not war!” Genau. Wenn ihr mehr Liebe macht, könnt ihr nämlich überhaupt keinen Krieg machen. Darum werden die sogenannten (traditionellen) Sannyasins, die den Sex unterdrückt haben, immer aggressiv und wütend bleiben - wütend auf nichts, einfach nur wütend, brodelnd wie ein Vulkan. Ihre ganze Energie bleibt ohne Ventil. Bevor die Energie nicht bis zur Quelle zurücksinkt, ist kein Brahmacharya, kein 405
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wahres Zölibat möglich. Man kann den Sex unterdrücken, aber dann wird Gewalt daraus! Wenn die Sexenergie zum Zentrum hinunter geht, wirst du wie ein Kind. Das Kind hat Sexenergie — mehr als ihr, aber sie ist noch in der Quelle. Sie ist noch nicht in den Körper gedrungen. Sie wird erst zu Sex. Wenn der Körper reif ist und die Drüsen bereit sind, geht die Energie in ihn hinein. Warum sieht ein Kind so unschuldig aus? Die Energie ist noch in der Quelle, sie hat sich noch nicht nach außen bewegt. Das gleiche passiert wieder, wenn jemand erleuchtet wird. Die gesamte Energie geht zur Quelle zurück, und der Mensch wird kind-gleich. Das meint Jesus damit, wenn er sagt: „Nur wenn ihr wie die Kinder werdet, könnt ihr in das Reich meines Gottes eintreten.” Was sagt er damit? Wissenschaftlich heißt das, daß alle Energie zur Quelle zurückgeflossen ist. Indem man ihr Ausdruck gibt, fließt sie nach außen. Und damit gibt man der Energie das Gewohnheitsmuster, nach außen zu gehen, nach außen abzufließen. Wenn du dich unterdrückst, dann ist die Energie weder zur Quelle noch nach außen gegangen; sie stagniert. Und stagnierende Energie ist eine Bürde. Darum fühlt man sich so erleichtert, wenn die Wut wirklich ausbricht. Wenn man durch den Sex geht, fühlt man sich erleichtert. Wenn du etwas kaputtschlägst, hat sich dein Haß entladen, und du bist erleichtert. Warum fühlt man sich erleichtert? Weil stagnierende Energie schwer belastet. Dein Geist wird von ihr getrübt. Du mußt sie hinauswerfen — oder ihr erlauben, zur ursprünglichen Quelle zurückzufließen — das sind die einzigen beiden Möglichkeiten. Wenn sie zur Quelle zurückfließt, wird sie formlos. In der Quelle ist die Energie formlos. Diese Elektrizität hier zum Beispiel ist formlos. Wenn sie in einen Ventilator geht, nimmt sie die eine Form an; geht sie in eine Glühbirne, dann eine andere. Man kann sie auf tausenderlei Weise verwenden, aber die Energie bleibt die gleiche. Ihre Form bekommt sie durch den Mechanismus, durch den sie fließt. Wut ist ein Mechanismus. Sex ist ein Mechanismus. Liebe ist ein Mechanismus. Haß ist ein Mechanismus. Geht die Energie in 406
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den Haß-Kanal, wird sie zu Haß. Geht sie in die Liebe, wird die gleiche Energie zu Liebe. Und wenn sie zur Quelle geht, wird sie formlos — zu reiner Energie. Dort ist sie weder Haß noch Liebe, noch Wut, noch Sex — einfach nur Energie. Jetzt ist sie unschuldig, denn Formlosigkeit ist absolute Unschuld. Darum sieht ein Buddha so unschuldig aus — kindgleich. Seine Energie ist zur Quelle zurückgekehrt. Gib ihr keinen Ausdruck, denn du verschwendest sie nur und stiftest auch den andern an, seine zu vergeuden. Unterdrücke nichts, denn sonst erzeugst du etwas, das in der Luft hängt und sich irgendwann entladen muß. Was also tun? Diese Technik besagt, daß nichts mit dem Gefühl selbst geschehen darf. Geh nur zur Quelle zurück, aus der es kommt. Und während das Gefühl heiß ist, leuchtet seine innere Spur auf, ist sie klar sichtbar. Du kannst dieser Spur folgen. Nutze deine Gefühle für die Meditation. Das Ergebnis kommt einem Wunder gleich — unglaublich. Und hast du erst einmal den Schlüssel gefunden, wie du deine Energie zurück zur Quelle leiten kannst, verändert sich deine Persönlichkeit qualitativ. Dann vergeudest du dich nicht mehr. Das erscheint dir dann dumm. Buddha hat gesagt: Wann immer du wütend wirst, bestrafst du dich selbst für die Untat des anderen. Der andere hat dich beleidigt: Das ist seine Tat. Und nun bestrafst du dich dadurch, daß du wütend bist. Du verschleuderst deine Energie. Das ist dumm. Aber dann hören wir, was uns ein Buddha und ein Mahavir, ein Jesus sagt ... und fangen an zu unterdrücken. Wir unterdrücken unsere Energie, weil wir nun denken, es sei nicht gut, es sei dumm, wütend zu werden. Was also tun? Die Wut unterdrücken! „Du sollst nicht wütend werden. Reiß dich zusammen — verschließe dich. Gehe gegen die Wut an, dränge sie zurück”. Aber dann sitzt du auf einer Zeitbombe. Du sitzt auf einem Vesuv -jeden Moment kann er explodieren. Und so staut es sich an: Die Wut des ganzen Tages sammelt sich an, die Wut des ganzen Monats, des ganzen Jahres, eines ganzen Lebens, ja die Wut vieler Leben ... Alles noch da! Es kann jeden Moment explodieren. Dann hast du Angst, überhaupt nur zu leben, denn 407
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jederzeit kann etwas eindringen, das dich zur Explosion bringt. Du bekommst Angst. Jeder Moment ist ein innerer Kampf. Die Psychologie sagt, daß es besser ist, sich auszudrücken, statt zu unterdrücken. Aber die Religion kann das nicht sagen. Die Religion sagt, daß beides dumm ist. Drückst du es aus, schadest du dem andern und dir selbst auch; unterdrückst du es, schadest du dir selbst und irgendwann auch einem anderen. Geh zur Quelle, und laß die Energie in die Quelle zurücksinken, formlos werden. Dann wirst du eine große Kraft spüren, ohne wütend zu sein. Dann fühlst du dich als reine Energie, vitale Energie — du wirst lebendig sein! Du wirst ein intensives Leben haben — ohne Formen. Jeder wird allein von deiner Gegenwart überwältigt. Aber du brauchst über keinen Menschen Herrschaft auszuüben: Deine Präsenz genügt, und alle spüren, daß eine Quelle an Kraft zugegen ist. Nähert euch einem Buddha oder Krishna, und augenblicklich spürt ihr eine Klimaveränderung, die aus einer ganz ungeheuren Kraftquelle kommt. Ihr nähert euch ihm und seid wie magnetisiert. Niemand magnetisiert euch: niemand will etwas von euch. Es ist allein die Präsenz. Man mag subjektiv fühlen, daß dich jemand hypnotisiert hat, aber niemand tut es. Die Präsenz eines Buddha, dessen Energie formlos geworden ist, dessen Energie zur Quelle zurückgekehrt ist, der an seiner Quelle zentriert ist, diese Präsenz selbst hypnotisiert. Sie ist charismatisch. Buddha wurde erleuchtet. Vor seiner Erleuchtung hatte er fünf Jünger — vorher. Es waren Asketen; und als Buddha selbst noch Asket war, der seinen Körper auf alle möglichen Weisen quälte und immer neue, immer sadistischere Techniken erfand, um sich zu quälen, da waren sie seine glühenden Anhänger. Endlich wurde ihm klar, daß dies total, absolut absurd war. Nur dadurch, daß man sich quält, kann man nicht zur Selbsterkenntnis kommen. Als er das sah, hörte er mit der Askese auf. Da verließen ihn diese fünf Anhänger augenblicklich. Sie sagten: „Du bist gefallen. Du bist kein Asket mehr.” Sie verließen ihn. Als Buddha erleuchtet wurde, da galt sein erster Gedanke diesen fünf Anhängern. Sie waren seine Anhänger gewesen, also mußte er zu ihnen gehen, das war seine Pflicht. Er mußte sie aufsuchen und ihnen mitteilen, was 408
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er gefunden hatte. Also machte er sich auf die Suche nach ihnen und reiste in Bihar herum, von Bodh Gaya bis Benares. Sie waren in Sarnath. Buddha kehrte nie wieder nach Benares, nie nach Sarnath zurück, denn er war nur dieser Jünger wegen gekommen. Er kam in Sarnath an. Es war Abend, und die Sonne ging unter, und diese fünf Asketen saßen auf einem Hügel. Sie sahen Buddha kommen und sagten: „Da kommt dieser gefallene Gautam Buddha, dieser Gautam Siddhartha, der vom Weg abgekommen ist. Wir wollen ihm keinen Respekt erweisen, nicht einmal den üblichen Gruß.” Sie schlossen die Augen. Während Buddha näher und näher kam, spürten diese fünf Asketen eine Veränderung — eine innere Veränderung. Es war unheimlich. Als Buddha fast schon bei ihnen war, öffneten sie plötzlich alle auf einmal die Augen und fielen ihm zu Füßen. Buddha sagte: „Aber warum tut ihr das? Ihr wolltet mir doch noch nicht einmal einen Gruß erbieten — warum also dies?” Sie sagten: „Wir können nichts dafür. Du hast etwas entdeckt! Was ist es? Du bist zu einer magnetischen Kraft geworden. Wir werden einfach zu dir hingezogen! Was machst du nur mit uns? Hast du uns hypnotisiert?” Buddha sagte: „Nein. Ich habe euch nichts getan, aber in mir ist etwas geschehen. Alle meine Energien haben zur Quelle zurückgefunden. Wohin ich auch gehe, wird nun eine magnetische Kraft von mir ausgehen.” Aus diesem Grunde konnten die Gegner Buddhas oder Mahavirs sie noch nach Jahrhunderten verleumden, sie hätten die Menschen hypnotisiert. Ihr werdet zwar hypnotisiert — aber das ist etwas anderes. Wenn die Energie zur ursprünglichen Quelle zurückgeht, wird man zu einem Zentrum von magnetischer Kraft. Diese Technik hilft, dieses Magnetzentrum in dir zu erzeugen. Die zweite Frage:
Gestern sagtest du, daß die Meditationstechnik, hei der man seine Bewußtseinsprozesse zurückverfolgt, sehr bedeutsam sei. Aber im Westen praktizieren Hunderte von Psychoanalytikern und Psychiatern diese Methode — Freud ianer wie Jungianer — ohne Erfolg was 409
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die Transformation des Westens betrifft Was sind die Gründe und Mängel, die zu ihrem Mißerfolg führen? Da spielen viele Dinge eine Rolle. Erstens: Die westliche Psychologie glaubt noch nicht an das „Wesen” des Menschen; sie weiß nur von seiner geistig-seelischen Existenz. Darüber hinaus existiert bisher noch nichts für die westliche Psychologie. Wenn es über den Geist-Seele-Komplex hinaus nichts gibt, dann kann man tun, was man will, aber dem Menschen wird nicht wirklich geholfen. Man kann ihm allenfalls zur Normalität verhelfen. Allerhöchstens! Und was ist normal? Was ist Normalität? Nichts als das „Durchschnittliche”. Wenn aber der Durchschnittsmensch nicht normal sein sollte, dann bedeutet es überhaupt nichts, normal zu sein. Dann heißt „normal” nur: angepaßt sein an die Masse. Die westliche Psychologie tut also eines: Sie paßt mit ihren Methoden den, der nicht an die Masse angepaßt ist, wieder der Masse an. Die Masse wird überhaupt nicht in Frage gestellt. Ob die Masse selber richtig liegt, interessiert gar nicht. Für die östliche Psychologie ist die Masse nicht das Kriterium. Merkt euch diesen Unterschied gut: Für die östliche Psychologie ist nicht die Masse, nicht die Gesellschaft das Kriterium; die Gesellschaft selbst ist krank. Was ist dann aber das Kriterium? Für uns ist ein Buddha der Maßstab. Solange du nicht buddhagleich wirst, bist du krank. Es ist also nicht die Gesellschaft. Sie ist es für den Westen, weil ein Buddha nicht das Kriterium sein kann. Man glaubt dort nicht, daß es so etwas wie das innere Wesen gibt. Wenn es so etwas wie ein inneres Sein nicht gibt, dann kann es keine Erleuchtung geben. Nur wenn das innere Sein illuminiert wird, gibt es Erleuchtung. Also ist die westliche Psychologie im Grunde nur therapeutisch, nur ein Zweig der Medizin. Sie will dir helfen, dich wieder anzupassen. Es geht nicht um das Transzendieren. Die östliche Bemühung zielt auf Transzendierung des psychisch-geistigen Apparats — denn für uns gibt es, bedenkt das, keine Geisteskrankheiten. Für den Osten gibt es so etwas nicht. Nein, vielmehr ist der geistige Apparat als solcher die Krankheit. Für die westliche 410
Kapitel 16
Psychologie ist dieser Apparat keine Krankheit. Dein geistig-psychischer Apparat, das bist du; er ist nicht die Krankheit. Er kann gesund sein, er kann krank sein. Für uns ist dieser Apparat als solcher die Krankheit. Er kann niemals gesund sein. Nur wenn du über ihn hinausgehst, kannst du je gesund sein. Du kannst krank und angepaßt sein, oder du kannst krank und unangepaßt sein, aber du kannst nie gesund sein. Der Normalmensch ist also nie wirklich gesund: er hält sich nur in den Grenzen, ist krank innerhalb der Grenzen. Der anomale Mensch ist jemand, der die Grenzen überschritten hat, und der Unterschied zwischen beiden ist nur ein gradueller — quantitativ, nicht qualitativ. Zwischen einem Wahnsinnigen im Irrenhaus und dir gibt es keinen qualitativen Unterschied, sondern nur einen Gradunterschied. Er ist ein bißchen mehr verrückt als du; du bist innerhalb der Grenzen. Du kannst nn Funktionsganzen mithalten. Er nicht mehr, er ist weiter gegangen als du. Er ist ein fortgeschrittener Fall, nichts weiter. Du bist nur auf dem Weg dahin, und er ist angekommen. Die westliche Psychologie möchte ihn gern zur Herde zurückbringen, zur Masse, zur Horde. Sie macht ihn „normal”. Das ist auch in Ordnung; so weit, so gut. Aber für den Osten ist ein Mensch so lange verrückt, bis er über seinen geistig-psychischen Apparat hinausgelangt ist, denn für den Osten ist genau dieser der Wahnsinn. Daher versucht der Osten, Bewußtseinsabläufe zurückzuverfolgen, um herauszufinden, was jenseits von ihnen liegt. Rückspul-Methoden werden zwar auch im Westen eingesetzt, aber nur, um dich wieder anzupassen — da geht es um kein Transzendieren. Und merkt euch: Solange du nicht über dich selbst hinausgehst, passiert nichts Nennenswertes. Solange es jenseits von dir nichts gibt, wohin du gelangen kannst, ist das Leben sinnlos. Aber da gibt es auch noch andere Dinge: für Freud und die Freudianer ist der Mensch im Grunde ein Wesen, das zu keinem Glück fähig ist. Seine Natur selbst ist nach ihrer Vorstellung so beschaffen, daß der Mensch nicht glücklich sein kann. Nicht unglücklich zu sein, ist das einzig Mögliche. Begnügt euch damit, 411
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nicht unglücklich zu sein. Man kann nicht glücklich sein. Warum? Die Freudianer sagen, daß alles Glück auf einem instinktiven Dasein beruhe, darauf, wie ein Tier zu leben. Und das kann aber der Mensch nicht: seine Ratio funkt ständig dazwischen. Man kann den Verstand verlieren und wieder zum Tier werden — und somit glücklich. Aber dann bist du dir deines Glücks nicht bewußt. Das ist für sie das Grundparadox. Wenn du abrutschst und zum Tier wirst, bist du zwar glücklich, aber nicht mehr bewußt. Solange du bewußt zu sein versuchst, kannst du nicht glücklich sein, denn dann kannst du nicht wie ein Tier leben. Und der Verstand schaltet sich ständig in alles ein. Der Mensch kann nicht ohne den Verstand sein, und mit ihm kann er wiederum nicht glücklich leben. Das ist das Problem. Also kannst du Freud zufolge nicht glücklich sein. Höchstens kannst du, wenn du weise bist, dein Leben so arrangieren, daß du nicht unglücklich bist. Eine sehr pessimistische Sicht. Für die östliche Psychologie oder Metaphysik oder Religion existiert ein sehr positives Ziel. Du kannst glücklich sein! Du kannst es. Nicht nur glücklich — glückselig kannst du sein. Und die östliche Psychologie sagt auch: Die Tatsache, daß du unglücklich sein kannst, beweist dein Potential, auch glücklich sein zu können. Sonst könntest du dies Gefühl von Unglück gar nicht haben. Ein Mensch, der Dunkelheit sehen kann, hat Augen, und wenn er Dunkelheit sehen kann, kann er auch Licht sehen. Blinde, bedenkt das, können keine Dunkelheit sehen. Ihr glaubt immer, die Blinden würden irn Dunkeln leben. Das könnt ihr völlig vergessen. Sie können Dunkelheit nicht sehen, weil selbst dazu Augen nötig sind. Wenn du Unglück fühlen kannst, beweist das, daß du „Augen” hast und folglich auch Glück erfahren kannst. Wirklich: Wer kein Glück empfinden kann, der kann unmöglich Unglück empfinden. Es sind komplementäre Gegensätze. Ihr seid fähig, total glücklich zu sein, aber dafür ist eure geistigpsychische Struktur unbrauchbar. Seht es einmal so: Wenn man fällt und zum bloßen Körper wird, ist man glücklich. Das ist auch Freuds Meinung: Wer zum Tier abfällt und seine Vernunftbegabtheit völlig vergißt, zum Körper wird, der wird glücklich, weiß aber nichts davon. Bist du geistig da, könnte das Glück theoretisch 412
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erfahrbar sein, praktisch aber kannst du nicht glücklich sein, weil der Geist selbst es verhindert. Der Körper kann glücklich sein, aber der Denkapparat stört ständig. Es gibt eine andere Möglichkeit, und der Osten hat sie erarbeitet: transzendieren. Freud sagt: Fällst du zum Tier ab, bist du glücklich, weißt es aber nicht. Bist du geistig da, könntest du es wissen, kannst aber nicht glücklich sein. Die östliche Forschung sagt: Gehst du über den Geist hinaus, bist du glücklich und gleichzeitig bewußt. Das ist die dritte Stufe: das Jenseits. Dies sind also die drei Stufen. Der Mensch ist in der Mitte. Unter ihm ist die Tierexistenz. Geht in den Wald und seht euch die Tiere an: Sie mögen nicht wissen, daß sie glücklich sind, aber ihr werdet fühlen, daß sie es sind. Geht an den Strand frühmorgens, oder in den Garten, und hört euch den Gesang der Vögel an. Sie mögen es nicht wissen, aber ihr werdet spüren, wie glücklich sie sind. Ihr habt nie so gesungen. Schaut ihnen tief in die Augen: so völlig klar und unschuldig. Sie sind glücklich — ihr seid es nicht. Entweder laß dich fallen und werde zu einem bloßen Körper: So wirst du glücklich. Oder — geh weiter und werde zu reinem Geist, zu reinem Sein, und du wirst glücklich. Aber solange du dazwischen bist, wirst du immer angespannt sein, weil der gewöhnliche Geist nicht die Endstation ist. Er ist nur ein Seil, das zwischen zwei Wirklichkeiten gespannt ist — Körper und Seele, reinem Geist. Und so seid ihr nur auf dem Seil wie ein Nata — ein Seiltänzer. Ein Seiltänzer kann nicht entspannt sein. Entweder muß er vorwärts oder rückwärts gehen, aber er kann nicht bleiben, wo er ist. Er muß wieder heruntersteigen, entweder rückwärts oder vorwärts — und darüber hinaus. Der Geist ist ein Seil, und mit dem Geist zu leben, ist ein Seiltanz. Da gibt es nur mangelndes Gleichgewicht und Spannung. Jeder Augenblick ist Qual und Angst. Das Leben des Geistes ist Spannung. Darum kann euch die westliche Psychologie zwar etwas stabilisieren, aber zur Selbstverwirklichung verhilft sie euch nicht. Aber es gibt auch neue Trends, und man beginnt sich zu fragen ... Der Osten dringt jetzt immer tiefer in den Westen ein. Tatsächlich ist das die östliche Art, zu erobern. Der Westen hat 413
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den Osten erobert; auf sehr grobe Weise. Der Osten hat seine eigene Art zu erobern — eine sehr subtile, sehr stille Art. Heute dringt das östliche Verständnis tief in das westliche ein. Ohne jede Gewalt, ohne jeden sichtbaren Konflikt, dringt jetzt der Osten ganz tief in den Westen ein. Und früher oder später muß die westliche Psychologie Vorstellungen von Transzendenz entwickeln — wie man über den Verstand hinausgelangt. Das langsame Zurückverfolgen der Gedanken kann auf beiden Wegen nützlich sein. Wem es nur darum geht, Normalität herzustellen, dem kann es helfen. Aber dann ist nicht Transzendenz das Ziel. Wenn Transzendenz das Ziel ist, kann das langsame Zurückverfolgen des geistigen Prozesses ebenfalls helfen. All diese Techniken können ebensogut zur gewöhnlichen Geistesberuhigung führen, wie zur wahren Stille, die jenseits des Geistes ist. Es gibt zwei Arten von Stille — eine innerhalb des Geistes, bei der der Geist sich beruhigt, und eine andere Stille, wenn es den Geist nicht mehr gibt. Diese Stille — wo der Geist nicht mehr ist — hat mit einem geistigen Frieden nichts zu tun, bei dem der Geist noch da ist, nur nicht mehr ganz so verrückt: Der Wahnsinn hat nachgelassen — das ist alles. Die westliche Psychologie muß zu einer Metaphysik werden, nur dann kann der Mensch transzendieren. Sie muß auch zu Philosophie werden und schließlich zu Religion. Nur so kann dem Menschen zur Transzendenz verholfen werden. Die dritte Frage:
Du hast uns viele Meditationstechniken erklärt Ist es aber nicht so, daß keine Methode viel ausrichten kann wenn man nicht in sie initiiert wird? Eine Methode wird qualitativ anders, wenn du in sie eingeweiht wirst. Ich rede hier nur von den Methoden: Ihr könnt sie benutzen. Sobald ihr den wissenschaftlichen Hintergrund kennt und das „Gewußt-wie”, könnt ihr sie benutzen. Aber Initialion macht etwas qualitativ anderes daraus. Wenn ich dich in eine spezifische Technik einweihe, ist das eine andere Sache, denn bei der Einweihung spielen viele Dinge mit. 414
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Wenn ich über eine Methode spreche und sie euch erkläre, könnt ihr sie für euch selbst benutzen. Die Methode wird dir erklärt, aber ob sie zu dir paßt oder nicht, wie sie auf dich wirken wird, was für ein Typus du bist, wird nicht besprochen. Das ist nicht möglich. Bei der Initiation bist du wichtiger als die Technik. Wenn der Meister dich in sie einführt, beobachtet er dich, findet deinen Typus heraus und wieviel du in deinen vergangenen Leben aufgearbeitet hast, wo du jetzt im Augenblick stehst, an welchem Zentrum du jetzt gerade funktionierst, und dann erst entscheidet er über die Methode: Er wählt sie aus. Sie ist individuell verschieden. Die Methode ist nicht wichtig, was wichtig ist, bist du. Du wirst studiert und beobachtet und analysiert. Deine vergangenen Leben, dein Bewußtseinsgrad, dein Geist, dein Körper werden seziert. Du wirst tief „ausgelotet” in bezug auf das, wo du bist, weil die Reise von dort losgeht, von dem Punkt, wo du gerade jetzt bist. Nicht jede beliebige Methode tut ` s. Dann wählt der Meister eine bestimmte Methode für dich aus, und wenn er das Gefühl hat, daß diese bestimmte Methode für dich abgeändert werden muß, daß winzige Veränderungen oder irgendwelche Zusätze nötig sind, dann fügt er etwas hinzu, nimmt etwas weg und schneidert dir die Methode auf den Leib zu. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, daß du nicht darüber redest, wenn du in eine Methode eingeführt wirst. Sie muß geheim bleiben, weil sie individuell ist. Wenn du zu einem anderen darüber redest, hilft das kaum oder kann sogar schaden. Es muß geheim bleiben, bis du angekommen bist und der Meister dir sagt, daß du nun andere initiieren kannst. Es darf kein Wort darüber verloren werden, es muß unausgesprochen bleiben, selbst vor der Frau, dem Mann, dem Freund. Weil es sehr heikel ist, muß es absolut geheim bleiben. Die Methode ist sehr stark. Sie ist für dich ausgewählt und gemacht worden. Sie wird nur für dich funktionieren, und ist für niemanden sonst auf der Welt gedacht. Tatsächlich, jedes Individuum ist so einmalig, daß es eine eigene Methode braucht: und mit einer leichten Abänderung kann eine Methode auf dich zugeschnitten werden. 41 5
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Worüber ich spreche, diese 112 Methoden, das sind verallgemeinernde Methoden, 112 allgemeine Methoden - und zwar alle, die je benutzt worden sind. Sie sind in genereller Form, zum Kennenlernen, zum Ausprobieren; wenn etwas zu dir paßt, kannst du weitermachen. Aber Initialion in eine Methode ist das nicht. Initialion ist eine persönliche, individuelle Angelegenheit zwischen dem Meister und dem Jünger. Es ist eine geheime Übertragung. Und mehr als das - vieles spielt mit. Da wählt der Meister zum Beispiel auch einen bestimmten Augenblick, wann er dir die Methode gibt, damit er tief in dein Unbewußtes eindringen kann. Während ich rede, hört mir euer Oberflächen-Bewußtsein zu ... ihr vergeßt wieder. Wenn ich mit diesen 112 Methoden fertig bin, werdet ihr euch nicht einmal mehr an ihre Namen erinnern -112! Viele werden völlig vergessen sein. Ihr werdet euch ein paar merken und die auch noch durcheinander bringen und vermischen. Ihr wißt nicht mehr, was was ist. Der Meister muß den richtigen Moment wählen. Dann, wenn dein Unbewußtes offen ist, gibt er dir die Methode. So geht sie tief ins Unbewußte. Oft geschieht die Initiaton im Schlaf, nicht im bewußten Zustand. Manchmal wird einem die Methode in einer tiefen hypnotischen Trance gegeben, wenn die bewußte Schicht völlig schläft und die unbewußte Schicht offen ist. Darum ist für die Initialion Selbstauslieferung unerläßlich. Ohne Selbstaufgabe kann keine Initialion gegeben werden, denn solange du dich nicht auslieferst, bleibt deine bewußte Schicht wach und auf der Hut. Wenn du dich aber auslieferst, kann dein bewußter Teil von seiner Aufgabe befreit werden, und dein unbewußter Teil kann in unmittelbaren Kontakt mit dem Meister treten. Es muß der richtige Moment gewählt werden, und außerdem mußt du für die Initialion vorbereitet sein. Es mag Monate dauern: Es gehört das richtige Essen dazu, der richtige Schlaf, und alles muß auf einen stillen Punkt zusteuern. Nur dann kannst du initiiert werden - Initialion ist also ein langer Prozeß, ein individueller Prozeß. Erst, wenn einer bereit ist, sich total auszuliefern, ist Initialion möglich. 41 6
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Ich initiiere euch also nicht in diese Methoden. Ich mache euch nur mit ihnen bekannt. Wenn jemand das Gefühl hat, von einer Methode tief betroffen zu sein und daß er in diese Methode eingeführt werden sollte, so kann ich das tun. Aber das ist dann ein langer Prozeß. Dann muß mir deine Individualität vollkommen bekannt sein. Du mußt dich völlig bloßlegen, und es darf nichts verborgen bleiben. Und dann -ja„ dann erst werden die Dinge ganz einfach. Denn wenn die richtige Methode dem richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt gegeben wird, dann wirkt sie sofort. Manchmal geschieht es, daß einjünger während der Initiation erleuchtet wird. Die Initiation selbst wird zur Erleuchtung! Dann wird die Methode lebendig: Wenn sie vom Meister privat, individuell gegeben wird. Das, was ich jetzt mache, ist nicht Initiation — vergeßt das nicht. Mein Ansatz ist rein wissenschaftlich: Ich möchte diese 112 Methoden wieder ins Leben rufen, sie bekannt machen. Wenn jemand interessiert ist, kann er sich initiieren lassen. Und wenn du wirklich interessiert bist, wirst du die Initiation suchen, denn allein mit einer Methode zu arbeiten, ist eine langwierige Sache. Es mag ganze Leben dauern, es mag Jahre dauern, und deine Ausdauer mag nicht groß genug sein. Durch Initiation wird es ganz leicht, und dann wird die Methode zu einer Übertragung. Dann fängt der Lehrer an, mit Hilfe der Methode an dir zu arbeiten. Initiation ist eine lebendige Beziehung mit dem Meister, und eine lebendige Beziehung geht natürlich tief. Sie transformiert dich. Die nächste Frage:
Du zitierst Georg Gurdjieff, der sagt Identifikation sei die einzige Sünde. Aber viele Methoden gebrauchen Identifikation. Zum Beispiel heißt es: „Werde eins mit der Geliebten”, „Werde eins mit der Rose`; oder„ Werde eins mit dem Guru Ist das denn nicht Identifikation? Ist sie nicht ein wichtiges Element der Meditation und Spiritualität? Ist Gurdjief Ausspruch also nur teilweise wahr, nur für bestimmte Techniken? 41 7
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Nein! Gurdjieff hat nicht teilweise recht, er hat vollkommen recht. Aber das müßt ihr erst verstehen lernen. Identifikation geschieht unbewußt. Wenn du sie aber als meditative Technik gebrauchst, geschieht das bewußt. Dein Name ist zum Beispiel Ram. Jemand beleidigt „Ram”: Augenblicklich fühlst du dich beleidigt, weil du dich mit dem Namen „Ram” identifizierst. Aber das ist dir nicht bewußt, es läuft unbewußt ab. Dein Kopf funktioniert ja nun nicht etwa so: „Ich werde Ram genannt. Natürlich bin ich nicht Ram. Das ist nur mein Name, und alle Menschen werden namenlos geboren. Dieser Name kommt von außen, er ist zufällig. Dieser Mensch versucht nun, diesen zufälligen Namen zu beleidigen — soll ich also wütend werden oder nicht?” So würdest du es nie in dir ausdiskutieren. Tätest du es, würdest du kein bißchen wütend. Aber jemand beleidigt plötzlich Ram, und du bist beleidigt, obwohl es nur ein zufälliger Name ist. Diese Identifikation ist unbewußt, nicht bewußt. Wenn du dich mit einer Rose identifizierst, ist das eine bewußte Anstrengung. Du bist nicht mit der Rose identifiziert — du versuchst, dich mit der Rose zu identifizieren und dich selbst dabei zu vergessen. Du willst mit der Rose eins werden, und bist tief bewußt dabei — nimmst den ganzen Vorgang wahr. Du tust es. Selbst Identifikation, bewußt angewendet, wird zu Meditation. Und wenn du eine Meditationstechnik unbewußt anwendest, dann ist es keine Meditation mehr — vergiß das nicht! Ihr betet zum Beispiel jeden Morgen oder jeden Abend — eine reine Routinesache, unbewußt. Ihr seid euch dabei überhaupt nicht bewußt, was ihr tut. Ihr macht euch gar nicht bewußt, was für Worte ihr beim Beten in den Mund nehmt. Ihr sagt sie her wie ein Papagei. Das ist nicht Meditation. Wenn du bewußt in der Badewanne liegst, ist das Meditation. Merkt euch also: Alles, was man bewußt tut, voll da, hellwach, wird zur Meditation. Selbst wenn du jemanden bewußt umbringst, bei vollem Bewußtsein, ist es meditativ. Genau das ist es, was Krishna zu Arjuna sagt: „Hab keine Angst. Fürchte dich nicht! Töte, morde mit dem vollen Bewußtsein, dem klaren Wissen, daß niemand gemordet und niemand getötet 41 8
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wird." Arjuna könnte seine Feinde ohne weiteres unbewußt töten. Er kann vor Wut außer sich geraten und dann töten: Das ist leicht. Aber was Krishna sagt, ist: „Sei wach. Sei voll bewußt. Werde einfach zum Instrument der göttlichen Hand, und wisse, daß niemand stirbt, daß niemand sterben kann. Das innere Wesen ist ewig, unsterblich. Du zerstörst also nur Formen, nicht das, was hinter den Formen ist. Zerstöre also die Formen.” Wenn Arjuna also meditativ bewußt sein kann, dann hat es nichts mehr mit Gewalt zu tun. Niemand wird „getötet” - es wird keine Sünde begangen. Ich will euch eine Anekdote über Nagarjuna erzählen. Nagarjuna war einer der großen Meister Indiens - vom Kaliber eines Buddha, Mahavir und Krishna. Und Nagarjuna war ein unglaubliches Genie. Auf intellektueller Ebene gibt es tatsächlich in der ganzen Welt keinen Vergleich mit ihm. Ein Intellekt von solcher Schärfe und Tiefe kommt nicht wieder vor. Er kam einmal durch eine Stadt, eine Hauptstadt. Er ging immer nackt. Die Königin jenes Reiches war seine Anhängerin, seine Jüngerin — und sie liebte Nagarjuna, sie betete ihn an. Und so ging Nagarjuna zum Palast, um für sein Essen zu betteln. Er hatte eine hölzerne Bettelschale. Die Königin sagte: „Gib mir diese Bettelschale. Ich will sie als ein Geschenk ehren, und ich laß dir eine andere machen. Die kannst du dann behalten."Nagarjuna sagte: „Okay.” Die neue Schale war aus Gold, besetzt mit vielen Edelsteinen. Sie war sehr kostbar. Nagarjuna sagte nichts. Ein gewöhnlicher Sannyasin hätte sie nicht angenommen, er hätte gesagt: „Ich rühre kein Gold an.” Aber Nagarjuna nahm sie. Wenn Gold wirklich nichts als Staub ist, warum dann einen Unterschied machen? Er nahm sie an. Selbst der Königin war nicht ganz wohl dabei. Sie dachte: „Warum?” Er hätte ablehnen sollen! Ein so großer Heiliger - wieso nimmt er etwas so Wertvolles an, wo er doch nackt herumläuft, ohne Kleider, ohne jede Habe? Wieso lehnt er nicht ab?” Hätte Nagarjuna abgelehnt, hätte die Königin darauf bestanden, hätte sie ihn gedrängt - und sie hätte sich wohler gefühlt. Nagarjuna aber nahm sie einfach und ging seiner Wege. Ein Dieb sah ihn, als er die Stadt verließ, und dachte bei sich: „Der Mann kann 41 9
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diese Schale unmöglich behalten. Irgend jemand wird sie ihm stehlen oder wegnehmen. Bei seiner Nacktheit — wie kann er sie da hüten?" Also ging er ihm nach. Er schlich Nagarjuna nach. Nagarjuna wohnte außerhalb der Stadt in einem alten Kloster, ganz allein. Das Kloster war eine Ruine. Er ging hinein; er hörte die Schritte hinter sich, sah sich aber nicht um, weil er dachte: „Er muß der Schale wegen gekommen sein, nicht meinetwegen, denn wer kommt schon hierher? Niemand kommt mich in diesen Ruinen besuchen.” Er ging hinein. Der Dieb stand hinter einer Wand und wartete. Als Nagarjuna merkte, daß der Dieb draußen wartete, warf er die Schale zur Tür hinaus. Der Dieb konnte es nicht fassen. Was war das für ein h4ann, der so ein wertvolles Ding wegwarf, wo er nicht mal Kleider hatte? Da fragte er Nagarjuna: „Darf ich hereinkommen, Sir? Ich möchte eine Frage stellen.” Nagarjuna sagte: „Ich habe die Schale nur hinausgeworfen, damit du eintreten kannst — um dir zu helfen, hereinzukommen, denn ich möchte jetzt mein Nachmittagsschläfchen halten. Du hättest der Schale wegen hereinkommen können, aber dann wärest du nicht mir begegnet. Komm also rein.” Der Dieb trat ein. Er sagte: „So ein kostbares Ding — und das wirfst du weg? Ich bin ein Dieb, und du bist ein so weiser Mann, daß ich dich nicht belügen kann. Ich bin ein Dieb.” Nagarjuna sagte: „Mach dir keine Sorgen. Jeder ist ein Dieb. Mach ruhig weiter. Verschwende keine Zeit mit so unnötigen Gewissensbissen.” Der Dieb sagte: „Manchmal, wenn ich Menschen wie dich sehe, denke ich mir: So wie der möchte ich auch sein.` Ich bin ein Dieb, für mich scheint es unerreichbar. Aber ich hoffe und bete, daß ich es eines Tages auch fertigbringe, so ein kostbares Ding einfach wegzuwerfen. Kannst du mir dabei helfen? Ich bin schon zu vielen Weisen gegangen, ich bin nämlich ein sehr bekannter Dieb, jeder kennt mich. Aber alle sagen sie: gib erst dein Geschäft auf, dein Handwerk, eher kannst du den Weg der Meditation nicht betreten.” Nagarjuna antwortete: „Wer verlangt, daß du erst das Stehlen aufgeben sollst, bevor du meditieren kannst, der weiß überhaupt 420
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nichts von Meditation. Denn was hat Meditation mit Stehlen zu tun? Da gibt 's keine Beziehung. Also mach ruhig weiter. Ich will dir eine Methode geben, die kannst du üben." Der Dieb sagte: „Aha, jetzt kommen wir uns schon näher. Ich darf also mit meinem Handwerk weitermachen? Was ist deine Technik? Schnell, sag's mir.” Nagarjuna sagte: „Du mußt bewußt bleiben. Wenn du dabei bist, etwas zu stehlen, bleib einfach voll bewußt und wach. Wenn du in ein Haus einbrichst, sei voll bewußt. Wenn du in eine Schatzkammer einbrichst, sei voll bewußt. Wenn du etwas aus dem Schatz wegnimmst, tu es bei vollem Bewußtsein. Mach es bewußt. Was du irn einzelnen tust, geht mich nichts an. Und nach fünfzehn Tagen kommst du zu mir; aber nur, wenn du das wirklich praktiziert hast. Übe es zwei Wochen lang; mach weiter, aber tu es völlig bewußt.” Am dritten Tag kam der Dieb angelaufen und sagte: „Fünfzehn Tage sind zu lang, und du bist ein ganz schöner Fuchs. Du hast mir da eine Technik gegeben, bei der ich nicht mehr arbeiten kann, wenn ich voll bewußt bleiben soll. Die letzten drei Nächte war ich im Palast, bin jedesmal bis in die Schatzkammer vorgedrungen und habe sie geöffnet. Kostbare Dinge lagen vor mir, aber dann wurde ich voll bewußt. Und sobald ich voll bewußt wurde, erstarrte ich zu einer Buddhastatue. Ich konnte keinen Schritt vorwärts machen, meine Hand wollte sich nicht bewegen. Und der ganze Schatz erschien mir wertlos; also bin ich Nacht für Nacht wieder hingegangen. Was soll ich nur machen? Und du hast gesagt, daß ich meinen Beruf nicht aufzugeben brauche! Aber bei deiner Methode ist diese Bedingung irgendwie mit eingebaut.” Nagarjuna sagte: „Komm nicht mehr zu mir. Jetzt hast du die Wahl. Wenn du weiter stehlen willst, vergiß das Meditieren. Wenn du meditieren willst, vergiß das Stehlen. Du kannst es dir aussuchen.” Der Dieb sagte: „Du steckst mich in die Zwickmühle. In den letzten drei Tagen habe ich erfahren, daß ich lebendig bin, und wenn ich ohne Beute aus dem Palast zurückgekehrt bin, fühlte ich mich jedesmal wie ein Kaiser, nicht wie ein Dieb. Diese drei Tage waren so selig, daß ich das Meditieren nun nicht mehr 421
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lassen kann. Du hast mich reingelegt. Weihe mich jetzt ein und mache mich zu deinem Jünger. Stehlen hat keinen Zweck mehr. Das sehe ich jetzt ein. Drei Tage haben gereicht." Was dein Objekt auch sein mag — was du bewußt tust, wird zu Meditation. Versuche, dich bewußt zu identifizieren: Es wird zu Meditation. Unbewußt ist es eine große Sünde! Ihr seid alle mit irgendwelchen Dingen identifiziert. „Das ist mein, dies ist mein ...” Ihr seid identifiziert. „Das ist mein Land, das ist meine Nation, das ist meine Flagge.” Wenn jemand eure Flagge beleidigt, werdet ihr wütend. Was fällt ihm ein! Dabei habt ihr gar keine Nation, und alle Flaggen sind Mythen. Es macht Spaß, wie ein Kind damit zu spielen; sie sind Spielzeuge. Aber ihr könnt auch dafür morden und ermordet werden, und Länder werden geschaffen und zerstört, nur weil eine Flagge beleidigt wurde. Und es ist nur ein Fetzen Stoff! Was passiert? Ihr seid damit identifiziert. Diese Identifikation ist unbewußt. Unbewußtheit ist Sünde.
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Über Osho
In der Regel leben wir alle in der Welt der Zeit — Vergangenes zurückrufend, Zukünftiges vorausnehmend; nur in seltenen Augenblicken rühren wir an die zeitlose Dimension der Gegenwart: in Momenten von großer Schönheit oder plötzlicher Gefahr, in Begegnungen mit geliebten Menschen oder wenn das Unverhoffte an unsere Tür klopft. Nur sehr wenige Menschen treten aus der Zeit und dem Reich unserer Vorstellungen heraus und beginnen ein Leben in der Welt des Zeitlosen. Und von diesen wenigen haben nur die wenigsten versucht, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen: Menschen wie Laotse, Buddha, Bodhidharma — oder in unserem Jahrhundert Gurdjieff, Ramana Maharshi und J. Krishnamurti. Regelmäßig werden sie von ihren Zeitgenossen für verrückt erklärt, als Ekzentriker oder arme Irre verschrieen. Nach ihrem Tode avancieren sie dann zu „Philosophen”, werden zur Legende, blutlos abstrakten Wesen, allenfalls tauglich als Archetypen für unsere kollektive Sehnsucht, über all das Kleinlich-Platte und Sinnlose unseres Alltags hinauszuwachsen. Osho wurde am 11. Dezember 1931 im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh geboren. Von frühester Kindheit an bewies er einen rebellischen, unabhängigen Geist und erforschte seine eigene Wahrheit, statt sich von dem Wissen und Glauben anderer Leute beeinflussen zu lassen. Nach seiner Erleuchtung im Alter von einundzwanzig Jahren schloß Osho sein Universitätsstudium ab und lehrte danach mehrere Jahre lang Philosophie an der Universität von Jabalpur. Zwischendurch bereiste er ganz Indien, sprach zu riesigen Menschenmengen, traf sich mit Vertretern der gebildeten Schichten und forderte das gesamte religiöse und polirische Establishment seines 424
Landes in öffentlichen Debatten heraus, wobei er mit brillanter Rhetorik die heiligsten Glaubenswerte der indischen Kultur angri ff. Er las unersättlich alles, was ihm Aufschluß über Ursprung und Zusammenhänge der heute geltenden Glaubenssysteme und Ideologien gab, kurz, er studierte die kollektive Psychologie des modernen Menschen. Ende der sechziger Jahre entwickelte Osho seine einzigartigen dynamischen Meditationstechniken. Der heutige Mensch, sagt er, ist so befrachtet mit längst überholten Weltbildern und Traditionen und so belastet durch die Ängste des modernen Lebens, daß er einen riefen Reinigungsprozeß durchmachen muß, ehe er in den Zustand der völlig entspannten, von allen Gedanken befreiten Meditation gelangen kann. In den frühen siebziger Jahren wurden erstmals westliche Therapeuten, Künstler und Intellektuelle auf Osho aufmerksam. Ab 1974 wuchs in Pune eine Kommune um ihn heran, und der Besucherstrom wurde zur Flut. Osho sprach zweimal täglich, Tag für Tag. Mit den Jahren hat er praktisch jeden einzelnen Aspekt der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Bewußtseins durchleuchtet. In einer brillanten, humorvollen, ebenso lockeren wie universal informierten modernen Sprache hat er speziell für uns Heutige herausgeschält, worauf es bei der spirituellen Suche ankommt — nicht aus der Warte des spekulierenden Intellektuellen, sondern aus ureigener Anschauung und Erfahrung. Er gehört keiner Tradition an. „Ich bin der Anfang eines vollkommen neuen religiösen Bewußtseins”, sagt er. „Bitte bringt mich nicht mit der Vergangenheit in Verbindung — sie ist es nicht einmal wert, erinnert zu werden.” Seine „Talks” zu Schülern und Suchern aus aller Welt füllen über sechshundert Bücher, in über dreißig Sprachen übersetzt. Er sagt über sein Gesamtwerk: „Meine Botschaft ist eine Wissenschaft der Transformation. Nur wer bereit ist, sich als das aufzulösen, was er ist, um in etwas Neues hineingeboren zu werden — so neu, daß es vorläufig nicht einmal vorstellbar ist ... nur diese wenigen Mutigen werden bereit sein, mir zuzuhören; denn schon das Zuhören wird riskant sein. Indem ihr zuhört, habt ihr schon den ersten Schritt getan, um neugeboren zu werden. Es ist 42 5
also keine Philosophie, aus der ihr euch einfach ein Mäntelchen machen könnt, mit dem ihr herumstolziert. Es ist keine Doktrin, in der ihr Trost für quälende Fragen finden könnt. Nein, meine Botschaft ist nicht irgendeine verbale Mitteilung. Sie ist weitaus riskanter. Sie ist nichts Geringeres als Tod und Wiedergeburt." Osho verließ am 19. Januar 1990 seinen Körper, als Folge einer Vergiftung, die ihm durch US-Regierungsvertreter beigebracht wurde, nachdem man ihn 1985 unter dem Vorwand formaler Einwanderungsverstöße inhaftiert und mehrere Tage lang inkognito versteckt gehalten hatte. Seine Kommune in Pune ist heute Treffpunkt und spirituelle Heimat von Hunderttausenden aus fast jedem Land der Erde. Inspiriert von der Vision Oshos, ist dieser Ort eine Art Labor oder Experimentierfeld, um den neuen Menschen entstehen zu lassen, einen Menschen, der mit sich und seiner Umgebung in Harmonie lebt, frei von all den Ideologien und Glaubenssystemen, die heute die Menschheit zerreißen.
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Die Osho Commune International
Die Osho Commune International in Pune ist nach wie vor das größte spirituelle Wachstums-Zentrum der Welt. Internationale Besucher strömen zu Tausenden herbei, um sich dort inmitten von üppigem Grün und gepflegten Anlagen zu entspannen, an Meditationen, Therapien, körperlichen Regenerationsprozessen und kreativen Progammen teilzunehmen — oder einfach den Geschmack eines „Buddhafeldes” kennenzulernen. Die Osho Multiversity der Kommune bietet Hunderte von Workshops, Gruppen und Trainings an. All diese so verschiedenartigen Programme sind dazu da, jedem auf seine Art die Chance zu bieten, das Aha-Erlebnis der Meditation zu erfahren -jenen Kniff, einfach nur unbeteiligter Zeuge der eigenen Gedanken, Emotionen und Handlungen zu sein, ohne zu urteilen oder sich zu identifizieren. Anders als in alten östlichen Traditionen ist Meditation in Oshos Kommune keine isolierte Disziplin, sondern untrennbar mit dem Alltag verbunden — Teil der Arbeit, des Umgangs mit anderen, der Lebensprozesse schlechthin. Die Folge davon ist, daß die Menschen sich nicht von der Welt abkehren, sondern vielmehr ihren Geist der Wachheit und des Feierns in sie hinaustragen, in tiefer Achtung vor dem Leben.
Osho Commune International 17 Koregaon Park, Pune 411001 MS, Indien Tel. 0091 •212 . 628 562 Fax 0091 •212 . 624 181 e-mail:
[email protected] World Wide Web: http://www.osho.org 42 7
Weitere Titel von Osho
Meditation
Meditation – Die erste und letzte Freiheit DM 39980 • SFr 36,00 . ÖS 2952Das Buch der Geheimnisse DM 34980 • SFr 33,50 . ÖS 254,Das Orangene Buch DM 14980 • SFr 14,80 . ÖS 1109Meditation – Die Kunst der Ekstase DM 24,80 • SFr 23,00 . ÖS 1849MorgenMeditationen 365 Einstimmungen in den Tag DM 34,80 • SFr 32,50 . ÖS 2589-
Jesus
Ich aber sage euch DM 39,80 • SFr 36,00 . ÖS 2959Komm und folge... zu dir DM 24,80 • SFr 23,00 . ÖS 1841,Verbotene Wahrheit DM 19,80 • SFr 19,00 OS 147,-
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Tantra
Vom Sex zum kosmischen Bewußtsein DM 34,80 • SFr 32,50 . ÖS 2589Tantra – die höchste Einsicht DM 14,80 • SFr 14,80 . ÖS 110,Die Tantrische Vision DM 24,80 • SFr 23,00 . ÖS 1849Tantrische Transformation DM 24,80 • SFr 23,00 . ÖS 184,-
Westliche Mystik
Die Mysterienschule Osho spricht über Pythagoras DM 39980 • SFr 36,00 . ÖS 2952Zarathustra – Ein Gott der tanzen kann DM 29980 • SFr 28,50 . ÖS 2189Die verborgene Harmonie Über die Fragmente des Heraklit DM 19,80 • SFr 19,00 . ÖS 147,-
Buddha
Das Herz Sutra DM 36,00 • SFr 33,50 . ÖS 2679Der Weg des Buddha DM 29,80 • SFr 27,50 . ÖS 2189 -
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Zen
Auf der Suche
Sufis
Sprich uns von der Liebe... Osho spricht über Khalil Gibrans »Der Prophet« DM 49,80 • SFr 46,00 . ÖS 3649Nicht bevor du stirbst DM 24280 • SFr 23,00 • ÖS 1849-
Lebensfreude
Intelligenz des Herzens DM 19,80 • SFr 19,00 . ÖS 1459Leben, Lieben, Lachen DM 19,80 • SFr 19,00 . ÖS 1451,-
DM 34980 • SFr 32,50 . ÖS 2582Kein Wasser, kein Mond DM 34,80 • SFr 32,50 . ÖS 2589-
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