Abb. I : Griechisches Theater von Epidauros
C.H.BECK �WISSEN in der Beck'schen Reihe
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Abb. I : Griechisches Theater von Epidauros
C.H.BECK �WISSEN in der Beck'schen Reihe
Dieser reich bebilderte Band bietet einen informativen und an regenden Ü berblick über das antike Theater. Er informiert über die Produktions- und Rezeptionsbedingungen des klassischen griechischen Theaters und des römischen Theaters während der Republik und in der Kaiserzeit: Organisation und Finanzierung, Theaterbauten und Zuschauer, Schauspieler, Kostüme und Re quisiten, Musik und Tanz. Es entsteht ein lebendiges Bild eines zentralen Elements der antiken Kultur, dessen Rezeption bis in die Gegenwart andauert. Bernd Seidensticker lehrte bis zu seiner Emeritierung als Profes sor für Klassische Philologie an der Freien Universität Berlin. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wis senschaften. Antikes Drama und Rezeption der Antike in der deutschen Literatur bilden Schwerpunkte seiner Forschung. Im Verlag C.H.Beck hat er die Ü bersetzung der Orestie des Aischy los von Peter Stein herausgegeben ('2007 ) .
Bernd Seidensticker
DAS ANTIKE THEATER
Verlag C.H.Beck
Mit 3 9 Abbildungen
Powared by LATINSCAN
Originalausgabe ©Verlag C.H.Beck oHG, München 2.010 Satz: Fotosatz Amann, Aichstetten Druck und Bindung: Druckerei C.H.Beck, Nördlingen Umschlagabbildung: Theatermaske, römisches Fußbodenmosaik aus Thysdrus, EI Djem (Tunesien); Archäologisches Museum.
© akg-images/Gilles Mermet Umschlagentwurf: Uwe Göbel, München Printed in Germany
ISBN
97 8 3 4 0 6 5 S79 6 2. www.beck.de
INHALT
Einleitung: Das antike Theater Das griechische Theater I. Entstehung und Entwicklung des Theaters 2. Der Theaterbetrieb
3·
II
16
a) Die Dionysosfeste und ihre Theaterwettbewerbe
16
b) Organisation und Finanzierung des Theaters
20
Das Dionysostheater des 5 . jahrhunderts
22
a) Theatron
24
b) Orch�stra
26
c) Sken�
4· Die Zuschauer 5 . Die Akteure
28 32 37
a) Autoren
37
b) Schauspieler
38 42
c) Chor
6. Die Inszenierung
II
7
45
a) Kostüme und Masken
46
b) Requisiten
61
c) Theatermaschinen
63
d) Schauspielkunst
69
e) Choreographie
73
f) Musik
77
Das römische Theater Republik I. Entstehung und Entwicklung des römischen Theaters 2. Der Theaterbetrieb
82 85
a) Die Feste und ihr Theaterprogramm
8s
b) Die Organisation und Finanzierung
89
3 . Theaterbauten 4· Die Zuschauer 5 . Die Akteure a) Autoren
90 93 95 95
b) Produzenten
96
c) Schauspieler
96
d) Tibiaspieler
98
e) Weitere Akteure
98
6. Die Inszenierung
99
a) Kostüme und Masken
99
b) Requisiten und Maschinen
103
c) Musik
104
Die Kaiserzeit
r . Theaterbau, Organisation und Finanzierung 2. Die Aufführungen
ro6
113
a) Tragödien
113
b) Pantomime
II5
c) Tragoedia cantata und Kitharadie
117 n8
d) Komödie e) Mimus
n8
3 · Das Ende des antiken Theaters
121
Bibliographie Nachweis der Bildzitate
1 23 128
.
EINLEITUNG:
DAS ANTIKE THEATER
Das abendländische Theater ist in Griechenland entstanden und hat von dort aus schnell die gesamte antike Welt erobert. Noch heute bewundern Touristen Lage, Architektur und Akustik an tiker Theater bauten, und die im 5. Jh . in Athen aufgeführten Stücke werden auf allen fünf Kontinenten gespielt. Eine Einführung in das antike Theater ist aber nicht nur in teressant für alle diejenigen, die bei der Betrachtung eines mehr oder minder gut erhaltenen griechischen oder römischen Thea ters darüber nachdenken, was denn da wohl aufgeführt worden ist - und wie, oder für Regisseure und Dramaturgen, die sich fragen, wie der Text des Sophokleischen König Ö dipus oder der Medea des Euripides, den sie für ein modernes Publikum insze nieren möchten, wohl von ihren antiken Kollegen präsentiert worden ist. Jeder Leser und jeder Interpret eines antiken Stücks, der sich die Szenen, die er liest, vorzustellen versucht, möchte gerne wissen, wie die antike Aufführungspraxis ausgesehen hat. Der folgende Ü berblick über die Organisation und über die Pro duktions- und Aufführungsbedingungen des antiken Theaters wird nicht alle diese Wünsche erfüllen können, da die Material basis, wie ein Blick auf die zur Verfügung stehenden Quellen zeigt, zur Beantwortung vieler Fragen nicht ausreicht. So sind zwar Hunderte von griechischen und römischen Thea tern ausgegraben und mehr oder minder gut publiziert worden, aber gerade für das klassische griechische Theater und für das Theater der römischen Republik, d. h. für die Blütezeiten des antiken Dramas, ist die Situation ganz unzureichend: Die tem porären Theater, in denen Plautus und Terenz oder die großen römischen Tragiker Ennius, Pacuvius und Accius aufgeführt worden sind, haben kaum archäologische Spuren hinterlassen; und das Theater, für das fast alle erhaltenen griechischen Tragö-
8
Einleitung
Abb. 2: Blick von der Akropolis in das D i o nysostheater
dien und Komödien geschrieben worden sind, ist so oft umge baut worden, daß dem ursprünglichen Bau heute nur noch we nige Steine zugewiesen werden können. Was der Besucher, der heute das Dionysostheater am Südwest abhang der Akropolis besichtigt, sieht, sind die Reste des Stein theaters aus der zweiten Hälfte des 4· Jh. sowie seiner mehr fachen Umbauten in hellenistischer und römischer Zeit. Für das Theater des 5. Jh. bleiben so zentrale Punkte wie die Größe des Auditoriums, die Form der Orch estra oder des Bühnenhauses und die Existenz einer erhöhten Bühne offen. Auch die anderen archäologischen Zeugnisse -wie Vasenbilder und Reliefs, Mas ken aus den verschiedensten Materialien und Terrakotta-Sta tuetten, Wandmalereien und Mosaike - stammen zum großen Teil aus nachklassischer Zeit und können für die Rekonstruk tion der bedeutendsten Phase des antiken Theaters wenn über haupt nur mit großer Vorsicht herangezogen werden; und für die republikanische Phase des römischen Theaters stehen sogar so gut wie gar keine archäologischen Zeugnisse zur Ver fügung.
Das antike Theater
9
Dasselbe gilt auch für die literarischen Quellen. Von der rei chen Fachliteratur der Antike besitzen wir lediglich die Ü ber legungen des römischen Architekten Vitruv ( 2 . Hälfte des r . Jh. v. Chr. ) , der im 5· Buch seiner Abhandlung de architectura ne ben dem römischen auch das griechische Theater behandelt, und das Onomastikon des Julius Pollux ( 2 . jh. n. Chr. ) , der im 4 · Buch seines thematisch geordneten enzyklopädischen Lexi kons Bühnenaltertümer zusammengestellt und erläutert hat. Die für das 5. Jh. bezeugte Literatur zum antiken Theater und Drama, wie Agatharchs (Mitte 5 . ]h . ) Schrift über die Bühnen malerei oder Sophokles' (496-40 6 ) Studie Über den Chor, ist vollständig verloren, und von der umfangreichen Sammetarbeit des Aristoteles ( 3 84-3 2 2 ) und seiner Schüler sind a uch nur küm merliche Reste erhalten. Immerhin bieten Platons (429-3 4 7 ) Staatsentwürfe Politeia und Nomoi, Aristoteles' Poetik , Rheto rik und Politik sowie die attischen Redner interessante Einblicke in das antike Theaterleben, und auch die spätantiken Kommen tatoren und Grammatiker, Lexikographen und Enzyklopädisten haben manches Detail bewahrt, das auf die Forschungen des Aristoteles und seiner Schüler oder der alexandrinischen Philo logen zurückgehen mag. Für das römische Theater sind es ne ben der Horazischen Ars Poetica vor allem Historiker, wie Li vius oder Tacitus, und die Polemik der Kirchenväter gegen das Theater, die kostbare Informationen liefern. Von besonderer Bedeutung sind die zwischen den archäologi schen und den literarischen Quellen stehenden epigraphischen Zeugnisse. Ausgrabungen haben große Mengen von Inschriften zutage gefördert, die ganz verschiedene Aspekte des Theaters erhellen. In erster Linie informieren sie uns über Form und Fi nanzierung der Theaterfeste und liefern kostbare Daten zur Chronologie und Wirkungsgeschichte von Stücken und Auto ren und zur Organisation des Theaterwesens. So besitzen wir beispielsweise umfangreiche Bruch stücke einer auf Studien des Aristoteles basierenden großen Inschrift aus dem 3 . Jh. v. Chr. , a u f der die Sieger b e i d e n dramatischen Wettbewerben i n Athen zusammengestellt sind, und es sind in erster Linie Inschriften, die uns die räumlichen und zeitlichen D imensionen des antiken
IO
Einleitung
Theaterbetriebs und seine gesellschaftliche Bedeutung erahnen lassen. Schließlich sind da natürlich die erhaltenen Stücke, die uns eine Fülle wichtiger Informationen über Masken und Kostüme, Requisiten und Bühnenmaschinen liefern und deren Texte im mer wieder Schlüsse auf ihre szenische Umsetzung erlauben. Al lerdings zwingt die Tatsache, daß wir nur einen verschwindend kleinen Teil der tatsächlichen antiken Produktion besitzen, zu größter Vorsicht bei Verallgemeinerungen; und das Fehlen von Regiebemerkungen verleiht jedem Versuch, die intendierte In szenierung einer Szene zu rekonstruieren, hypothetischen Cha rakter. Angesichts der Bruchstückhaftigkeit und Zufälligkeit des Materials kann es nicht verwundern, daß viele wichtige Fragen umstritten sind und, wenn sich die Quellenlage nicht wesentlich verbessert, auch umstritten bleiben werden. Eine detaillierte Diskussion kontroverser Positionen ist im folgenden nur in Aus nahmefällen möglich. Der knappe Raum, der im Rahmen der Reihe zur Verfügung steht, zwingt zur Konzentration auf das Wesentliche. Auch die Abbildungen mußten nach Zahl und Größe reduziert werden; sie haben ausschließlich erklärende Funktion. Daß dem griechischen Theater mehr Raum eingeräumt wird als dem römischen, trägt seiner größeren Aktualität für das mo derne Theater Rechnung. Die erhaltenen lateinischen Komödien und Tragödien sind weitgehend aus dem professionellen Thea ter verschwunden. Das gilt zwar - außerhalb Griechenlands auch für die griechische Komödie; um so zahlreicher und erfolg reicher sind dafür j edoch die Aufführungen griechischer Tragö dien. Die Gliederung der beiden Teile des Bandes ist nicht ganz identisch. Während im ersten Teil das · klassische griechische Theater irri Zentrum steht, mußte im zweiten Teil dem größeren zeitlichen Rahmen Rechnung getragen und historisch stärker differenziert werden.
DAS GRIECHISCHE THEATER
I. E ntstehung und Entwicklung des The aters
Die Anfänge eines organisierten Theaterbetriebs sind mit dem Namen des Tyrannen Peisistratos verbunden. Als es diesem nach langen Auseinandersetzungen mit aristokratischen Kon kurrenten um die Mitte des 6;Jh. v. Chr. gelungen war, die Al leinherrschaft über Attika an sich zu reißen, versuchte er, seine Position nicht nur durch eine Reform des Rechtssystems, durch ein großes Bauprogramm und durch Landverteilungen zu si chern, sondern auch durch eine gezielte Kulturpolitik, zu der die Neuordnung und großartigere Ausgestaltung alter Feste ge hörte. Unter anderem ließ er ein ehrwürdiges hölzernes Kultbild des Dionysos aus Eleutherai, einem kleinen Ort a n der attisch böotischen Grenze, nach Athen bringen und richtete dem Gott am Südwestabhang der Akropolis einen heiligen Bezirk ein. Die für diesen Kontext bezeugte erste Aufführung einer Tragödie durch Thespis im Jahre 5 34 ( oder wenig später) kann als Grün dungsakt des europäischen Theaters gelten. Natürlich gab es, lange bevor Peisistratos dramatische Auf führungen in das Fest des Dionysos Eleuthereus integrierte, be reits vielfältige Formen prädramatischer . Es sind vor allem Vasenbilder, die ein buntes Bild ritueller Tänze ver mitteln, die offenbar nicht auf den Dionysoskult beschränkt waren. Es handelt sich um den in vielen Kulturen für die Ent wicklung von Musik, Tanz und dramatischem Spiel bedeutungs vollen Kontext ländlicher Fruchtbarkeitsfeste mit ihren Opfer ritualen und mit magisch-mimetischen Tänzen und Gesängen, mit denen Familie, Clan und Dorfgemeinschaft versuchten, sich vor bösen Geistern zu schützen bzw. deren Hilfe herbeizuzwin gen, den Jagderfolg zu sichern oder die Fruchtbarkeit ihrer Her den und Felder zu fördern. Mit Maske und Kostüm, Gesang
12
I D a s griechische Theater
und Tanz finden sich in diesem Kontext zentrale Elemente des Theaters. Es ist aufschlußreich, daß sowohl die sogenannten Dickbauchtänzer, die seit ca. 6 3 0 auf Hunderten von Vasen zu nächst aus Korinth, dann auch aus vielen anderen Gegenden Griechenlands abgebildet sind, als auch die seit ca. 6oo immer populärer werdenden Satyrn und Silene immer wieder auch in Kontexten erscheinen, die auf nachahmende Darstellung von Alltagssituationen oder mythologischen Geschichten deuten. Daß sich in diesen Bildern maskierter und kostümierter Tän zer die Frühgeschichte des Theaters und seiner verschiedenen dramatischen Formen spiegelt, wird durch die wenigen literari schen Zeugnisse bestätigt. So erklärt Aristoteles im 4· Kapitel der Poetik, daß Tragödie und Komödie aus dem Dithyrambos, dem Kultlied für Dionysos, bzw. den Phallosliedern entstanden seien. Allerdings hatte bereits Aristoteles offenbar keine detail lierten Informationen mehr über den Verlauf der Entwicklung, und auch der modernen Forschung ist es, trotz aller Versuche von Klassischen Philologen und Theaterwissenschaftlern, Reli gionswissenschaftlern und Ethnologen, bisher nicht gelungen, den dunklen Weg von den frühen Chortänzen zum voll entwik kelten Theaterbetrieb des 5. Jh. zu rekonstruieren. Einig sind sich die verschiedenen Theorien immerhin in einem Punkt: Alle suchen die Ursprünge des Theaters im Bereich des Dionysos kults oder rechnen doch, wenn sie von nicht-dionysischen Bräu chen und Ritualen ausgehen, mit deren früher Integration in den Kult des Theatergotts . Zum reinen Weingott haben erst die Römer - und große Ma ler der Renaissance wie Tizian und Rubens - Dionysos gemacht. Gewiß war dieser a uch für die Griechen der Gott des Weins; er war für sie aber weit mehr als das. Viele Kultnamen zeigen, daß der Wein nur einer der Säfte ist, in denen Dionysos erfahren wird. Plutarch (um 4 5 -nach 1 20 n. Chr. ) bezeichnet ihn als des ersten Schauspielers, diesem dazu diente, sich in die verschiedenen Personen, die er zu spielen hatte, zu verwan deln. Spätestens seit der Aischyleischen Orestie (4 5 8 ) muß die Skene ein so stabiles Gebäude gewesen sein, daß auch auf dem Dach gespielt werden konnte. Das Dach wurde vor allem für Auftritte von Göttern genutzt und hieß deswegen theologeion (der Ort, wo die Götter sprechen); es konnten aber auch mensch liche dramatis personae auf dem Dach auftreten, wie der Wäch ter im Prolog des Agamemnon oder Orest, Elektra und Pylades mit ihrer Geisel Hermione am Ende des Euripideischen Orestes. Erreicht werden konnte das Dach sowohl mit Hilfe einer Lei ter im Ionern des Hauses und einer Ausstiegsluke als auch von außen auf einer Leiter hinter dem Bühnengebäude. (Abb. 8 )
Das Dionysostheater des 5. Jahrhunderts
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Abb. 9: B ü h n e n haus im Dionysostheater des S . J h . (Modell Theatermuseum M ü nchen)
Für das Steintheater des 4.]h. sind Länge und Breite des ein stöckigen Bühnenhauses durch die erhaltenen Fundamente ge sichert. Wie groß die in j edem Jahr neu errichtete hölzerne Sken e des 5 . Jh. gewesen ist, muß dagegen offenbleiben. Für die Auf führung der meisten erhaltenen Dramen war eine Tür in der Sken e ausreichend. In einer Reihe von Fällen spricht der Text allerdings eher dafür, daß es neben dem großen doppelflügeligen Zentraltor noch eine oder - vor allem in der Komödie - zwei weitere Türen gegeben hat: So stürzt in den Choephoren des Aischylos nach der Ermordung Aigisths ein Sklave auf die Bühne und ruft nach Klytaimestra, die gleich darauf aus dem Frauengemach erscheint ( 875-8 8 5 ) ; und einzelne Komödien des· Aristophanes, wie z . B. der Frieden oder auch die Ekkle siazusen, lassen sich zweifellos leichter mit den drei Türen, die später - zur Zeit Menanders - Standard waren, auffüh e n als mit nur einer Tür. Die Antwort auf die Frage nach der Zahl der Türen hängt sicher nicht zuletzt davon ab, wie realistisch man sich die Inszenierungen des 5 . Jh. vorstellt. Denn natürlich ist es denkbar, daß der Zugang zu verschiedenen hinterszenischen Räumen oder verschiedenen Häusern durch ein und dieselbe
I Das griechische Theater
Tür erfolgt. Im übrigen gibt es keinen Grund zu der Annahme, daß die temporären hölzernen Bühnengebäude nicht den j ewei ligen Erfordernissen angepaßt werden konnten. Das gilt auch für Fenster, die gelegentlich benötigt werden: In den Aristo phaneischen Wespen wird der prozeßsüchtige Philokleon von seinem Sohn eingesperrt und versucht daraufhin, unter anderem auch durch ein Fenster zu entfliehen ( 3 6 5 ff. ) . Ob und wie der Ortswechsel zwischen den einzelnen Stücken einer tragischen Tetralogie bzw. zwischen mehreren Komödien durch Bühnenmalerei verdeutlicht worden ist, können wir nicht mit Sicherheit sagen. Der römische Architekt Vitruv berichtet, daß der Maler Agatharch für ein � Inszenierung des Aischylos zum ersten Mal ein ( skenographfa) geschaffen habe. Da Vitruv erklärt, daß Agatharch in diesem Zusammen hang die Zentralperspektive entdeckt habe, gehen die meisten Spezialisten davon aus, daß es sich noch nicht um naturalistische Kulissenmalerei gehandelt hat, sondern um perspektivische Architekturmalerei. Das Problem des Ortswechsels ist damit natürlich nur dann gelöst, wenn man annimmt, daß die ver schiedenen Orte auf große Holztafeln oder Stoffbahnen gemalt wurden, die man vor die Fassade des Gebäudes hängen konnte. Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob es bereits im 5. Jh. vor dem Bühnenhaus eine erhöhte Bühne gegeben hat. Weder die Perseusvase (Abb. ro), die immerhin zeigt, daß es am Ende des 5 . Jh. erhöhte hölzerne Bühnen gab, noch die Text stellen, die auf verschieden hohe Spielniveaus zu deuten schei nen, können eine endgültige Antwort geben. Angesichts der rasch wachsenden Bedeutung der Schauspieler und ihrer Künste erscheint es aber plausibel, daß sie, vielleicht nach der Einfüh rung der Schauspielerwettbewerbe in der Mitte des Jahrhun derts, auf einer Bühne agierten, die von der Orch istra auf einer oder mehreren Treppen erreichbar war. Allerdings war die Bühne, wenn sie denn schon existiert hat, sicher nur wenige Stufen hoch und bildete keine schwer zu über windende Grenze zwischen Schauspielern und Chor. Die Texte lassen keinen Zweifel daran, daß Schauspieler und Chor jeder zeit auch zusammen agieren konnten. Auf j eden Fall bleibt fest-
Das Dionysostheater des 5. Jahrhunderts·
Abb. 10: Erhöhte B ü h ne. Szen e e i n e r Kom ö d i e oder Posse: Schauspieler in der Rol l e des Perseus und Publikum Sam m l u ng Vl astos, Athen (Ze i c h n u ng E. R. Malyon)
zuhalten, daß die Schauspieler, auch solange es noch keine er höhte Bühne gegeben hat, ihren Platz. in· der Regel in größerer Nähe zum Bühnenhaus hatten als der Chor. Erst für das Ende des 4 .jh. sind dann Theater mit einer ho hen Bühne gesichert, wie sie in der Folgezeit für das griechische Theater kanonisch wird. Warum das D ionysostheater erst in späthellenistischer Zeit eine solche Hochbühne erhielt, ist nicht klar. Für die regelmäßigen Wiederaufführungen der klassischen Stücke war die konservative Form auf jeden Fall besser geeig net. Vor das Bühnenhaus wurde nun ein von Pfeilern getragener, schmaler Vorbau vorgeblendet, das sogenannte Proskinion (Abb. 11 ) . Die Schauspieler spielten jetzt auf dem Dach dieses drei bis vier Meter hohen Vorbaus, zu dem von beiden Seiten Rampen hinaufführen konnten. Aber auch die Verwendung von beweglichen, hölzernen Trep pen ist bezeugt. Bei Aufführungen von Stücken, in denen der Chor eine bedeutende Rolle spielte, d. h. vor allem bei Wieder aufführungen von Tragödien des 5. Jh., wurde wahrscheinlich weiter vor dem Proskenion in der Orch estra gespielt oder viel leicht der Chor - wie in modernen Inszenierungen - stark redu-
I Das griechische Theater
Abb. I I : Theater in Ep idauros mit h e l l e n i stisc her Hochbühne Modell H i n ri ku s , Royal O ntario M u s e u m , To ro nto
ziert. Die neue Komödie benötigte die Orch estra nicht mehr, da sie den Chor nicht mehr verwendete. Zwischen den Pfeilern, die die Bühne trugen, und in der von drei bis fünf großen Ö ffnungen ( thyromata ) durch b rochenen Front des Bühnenhauses, vor der die Schauspieler agierten, konnten auswechselbare bemalte Holztafeln (pinakes ) ange bracht werden. Diese Bilder waren nicht individuelle Bühnen bilder für einzelne Stücke, sondern Standardkulissen für die drei Gattungen Tragödie, Komödie und Satyrspiel.
4 . Die Zu sch a u e r
Das Publikum war zahlreich und bunt. Offizielle Regelungen, die bestimmte Gruppen vom Besuch der Aufführungen ausschlos sen, sind nicht bezeugt. Neben den männlichen Bürgern, ihren Söhnen und Sklaven waren auch die in der Stadt lebenden Frem den (Metöken ) anwesend. Dazu kamen Delegationen der ver bündeten Städte, und mit der wachsenden Bedeutung der G roßen Dionysien reisten auch immer mehr Gäste aus allen Teilen Griechenlands zu dem Fest an. Keine Einigkeit besteht darüber, ob auch Frauen zugelassen waren oder ob sie durch
Die Zuschauer
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Gesetz oder Brauch a usgeschlossen blieben. Unsere literarischen Zeugnisse erlauben keine sichere Entscheidung. Späte Anekdo ten, die z. B. berichten, daß die Erscheinung der Erinyen in Ais chylos' Eumeniden so gräßlich gewesen sei, daß schwangere Frauen bei ihrem Anblick Fehlgeburten erlitten hätten, bewei sen nicht mehr ( a ber auch nicht wenigt;r), als daß man zu der Zeit, als sie entstanden, der Auffassung war, daß Frauen Teil des Publikums waren; und die zahlreichen Stellen der Aristophanei schen Komödien, die beide Seiten für ihre Position angeführt haben, sind alles andere als eindeutig. Immerhin gehen sowohl Platon als a uch Aristoteles wie selbstverständlich davon aus, daß a uch Frauen die Aufführungen verfolgten, und man fragt sich, was denn zu einer Ä nderung der Regelung im 4· Jh. geführt haben sollte. Das stärkste Argument für die Anwesenheit von Frauen im Theater ist aber die Tatsache, daß die Aufführungen Teil des wichtigsten Festes gerade des Gottes waren, in dessen Kult Frauen eine besondere Rolle spielten. Das Bild, das unsere fragmentarischen Quellen von der Stellung der athenischen Frau und ihrem Leben bieten, wird zwar bestimmt von ihrem nahezu vollständigen Ausschluß von allen politischen Rechten und Pflichten sowie einer räumlichen und ideellen Beschrän kung auf den privaten Bereich und die Funktionen von Haus fra u und Mutter. Es gab j edoch eine wichtige Ausnahme: und das war der Kult. Es gibt keinen Hinweis darauf und kein Argu ment dafür, daß Frauen, die in vielen Kulten und Ritualen eine wichtige Rolle spielten, von irgendeinem kultischen Ereignis ausgeschlossen waren. Der Versuch, diesem Argument mit dem Vorschlag zu begegnen, die Frauen hätten natürlich an der großen Prozession und an den Opfern teilgenommen und viel leicht auch den Dithyrambenwettbewerb verfolgen dürfen, nicht aber die Aufführungen der Tragödien und Komödien, überzeugt nicht. Wie Prozession, Opfer und Dithyramben sind a uch die Dramen Teil der Ehrung des Gottes. Daß Frauen teil nehmen durften, bedeutet allerdings nicht, daß sie von diesem Recht auch zahlreich Gebrauch gemacht haben, und die, die es taten, waren neben Hetären und Sklavinnen wohl vor allem äl tere Frauen. Heranwachsende Mädchen und j unge Ehefrauen
34
I Das griechische Theater
wurden streng vor j edem Kontakt mit der männlichen Welt ge schützt. Es war also sicher ein vorwiegend männliches Publi kum, für das die Dramatiker ihre Stücke produzierten. Anders als heute bestimmte nicht der Eintrittspreis die Qua lität des Sitzplatzes. Man konnte allerdings auch nicht völlig frei wählen, wo man saß. Die ersten Reihen waren schon im 5 . Jh. architektonisch deutlich gegen den Rest des Theatron a bgesetzt. Ob auf den marmornen Sitzplatten zusätzlich Stühle oder Sessel gestanden haben, wie sie später allgemein üblich waren, muß offenbleiben. Hier saßen neben dem Priester des Dionysos, der als Stellvertreter des Gottes den Ehrenplatz in der Mitte der er sten Reihe innehatte, auch die Priester anderer Götter und die höheren Beamten der Polis: die neun Archonten und die zehn Strategen sowie die Mitglieder weiterer politischer Kollegien. Die Prohedrie, das Recht-des-vorne-Sitzens, konnte auch an Metöken und Fremde verliehen werden, die sich um die Stadt verdient gemacht hatten. Ebenfalls in den vorderen Reihen saßen die 5 00 Mitglieder des Rats, die Bouleuten, und die Eph eben, die j u ngen Männer zwischen r 8 und 2 1 , die ihren Wehrdienst ableisteten. Dann folgten die Bürger, vielleicht schon im 5 . Jh. nach Phylen, den zehn Verwaltungseinheiten, in die Kleisthenes Attika am Ende des 6.Jh. eingeteilt hatte, geordnet. Ob diese für das Steintheater des 4· Jh. gesicherte Regelung schon früh galt, können wir nicht mehr sagen. Dann folgten die Metöken, Fremden und Sklaven. Daß Frauen, die ihre Männer begleite ten, ebenfalls hinten saßen, ist keineswegs so sicher, wie es oft behauptet wird. Die Ehrengäste erhielten natürlich - wie heute - freien Ein tritt. Alle anderen mußten wahrscheinlich schon im 5 . Jh. be zahlen. Der wiederholt bezeugte Preis von zwei Ob6len - wohl für jeden Tag der dramatischen Aufführungen - war recht hoch. I m 5. Jh. verdiente ein Arbeiter beim Bau des Parthenon eine Drachme, das sind sechs Ob6len pro Tag. Der Besuch des drei tägigen tragischen Wettbewerbs kostete ihn nach dieser Rech nung einen Tageslohn, d. h., wenn man de n Verdienstausfall hinzurechnet, sogar zwei Tageslöhne . Plutarch ( Perikles 9 , 2 ) und andere späte Quellen berichten, daß bereits Perikles einen
Die Zuschauer
35
Theaterfonds geschaffen habe, aus dem j edem Bürger, der da von Gebrauch machen wollte, ein Theatergeld ( theörik6n) ge zahlt werden konnte. Die frühe Einführung des für das 4 . ]h. si cher bezeugten Theatergelds ist j edoch nicht unstrittig. Für den Auf- und Abbau des hölzernen Bühnenhauses und der Zuschauerbänke bzw. Tribünen, für den Verkauf und die Kontrolle der Eintrittsmarken sowie für die Ordnung im Thea ter war eine große Organisation erforderlich. Nur für das Thea ter im Piräus ist durch eine Inschrift aus dem 4 . ]h . bezeugt, daß diese Arbeiten an den Meistbietenden verpachtet werden konn ten. Ob dieses Verfahren auch für den Theaterbetrieb im Diany sostheater des 5. Jh. angewendet worden ist, muß offen bleiben. Da wir über Aufführungsstil und Tempo nichts wissen, kön nen wir die Dauer der Aufführungen an den Großen Dionysien nur schätzen. Die griechischen Tragödien und Komödien sind relativ kurz. Die drei Stücke der Aischyleischen Orestie haben zusammen weniger Verse als Shakespeares Harnlet oder Goe thes Faust I, und die erhaltenen Tragödien der beiden anderen Tragiker sind nicht wesentlich länger. Satyrspiele waren offen bar deutlich kürzer als Tragödien. Ca. fünf bis sechs Stunden dürften für die Aufführung einer Tetralogie ausgereicht haben. Die fünf Komödien werden dagegen den ganzen Tag gefüllt ha ben. Auch darüber, wann morgens begonnen wurde oder ob zwischen den vier Stücken einer Tetralogie bzw. zwischen den fünf Komödien Pausen lagen, gibt es keinerlei Informationen. Klar · ist a ber auf j eden Fall, daß die stundenlangen Auffüh rungen erhebliche physische und geistige Anforderungen an das Publikum stellten, jedenfalls an den Teil des Publikums, der alle Aufführungen oder doch alle Aufführungen eines Tages ansah. Sicher haben die Zuschauer sich, wie es bei modernen Freilicht aufführungen üblich ist, zu essen und zu trinken mitgebracht oder sich bei Händlern im Theater eingedeckt; und in den Ari stophaneischen Komödien finden sich Hinweise darauf, daß die Schauspieler getrocknete Früchte und Süßigkeiten ins Publikum warfen. Wenn wir Demosthenes ( de corona 2 6 2 ) glauben wol len, konnte es vorkommen, daß die Zuschauer Schauspieler, die ihnen nicht gefielen, damit bewarfen.
I Das griechische Theater
Ü berhaupt haben wir - j edenfalls für das 4 . Jh. - zahlreiche Zeugnisse dafür, daß das athenische Publikum temperamentvoll mitging. Bezeugt sind Rufen, Pfeifen, Zischen und Schnalzen, a ber auch lautes Schlagen an die Holzbänke. Auch vor und nach den Aufführungen ging es oft so lebhaft zu, daß Ordner eingrei fen mußten . Die Reaktionen des Publikums waren sicher nicht ohne Einfluß auf die Jury. Der gezielte Einsatz von Claqueuren, wie später in Rom, ist allerdings nicht bezeugt. Das athenische Publikum des 5. Jh. war aber nicht nur laut und lebhaft; es war auch a ußergewöhnlich kompetent. In - den Fröschen des Aristophanes versichert der Chor den beiden Tra gikern Aischylos und Euripides, die darüber streiten, wer der größte Tragiker ist, daß sie ein kundiges Publikum ( rro9-rri 8) vor sich haben . Viel wichtiger als die Lektüre von Stücken, die der Aristophaneische Chor zum Beweis anführt, ist die reiche Theatererfahrung, die ein großer Teil des Publikums mitbrachte. Da ist zunächst einmal die Tatsache, daß allein an den beiden großen Theaterfesten in Athen (d. h. gar nicht zu sprechen von den zahlreichen Aufführungen an den lokalen Dionysosfesten in j edem Frühjahr) nicht weniger als I 3 neue Tragödien mit drei Satyrspielen und zehn neue Komödien a ufgeführt wurden und daß wir annehmen dürfen, daß ein erheblicher Prozentsatz der athenischen Bürger diese Stücke auch tatsächlich sah. Ein Mann in mittleren Jahren dürfte also ca. 500 Stücke gesehen haben. Der Sachverstand des Publikums der klassischen Tragödie be ruhte aber nicht nur auf dem regelmäßigen Besuch der Auffüh rungen und einem guten visuellen und verbalen Gedächtnis, sondern auch darauf, daß ein nicht unerheblicher Teil der Zu schauer in irgendeiner Funktion selbst an zahlreichen Auffüh rungen beteiligt gewesen war: Allein für die Städtischen Diony sien wurden in j edem Jahr, wenn man die großen Dithyramben Wettbewerbe mitrechnet, ca. I 200 Choreuten benötigt, und wenn man alle Feste Attikas hinzunimmt, dürfte die Zahl bei 5000 gelegen haben. Dazu kamen die vielen Helfer für die An fertigung der Kostüme, Masken und Requisiten sowie für die im 5 . Jh. in j edem Jahr neu aufzubauende und zu bemalende Bühne und schließlich die zahlreichen Statisten und Helfer, die für die
Die Akteure
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Aufführungen erforderlich waren. Bei einer Bevölkerung von 30 ooo männlichen Bürgern dürfte der größte Teil des Publi kums mehrmals mitgewirkt haben. Kein Wunder also, daß Ari stophanes die Zuschauer als « Veteranen >> ( I I I 3 ) bezeichnet. Ohne ein solches außergewöhnlich kompetentes Publikum ist die außergewöhnliche Qualität der Dramatik des 5 . Jh. mit ihren reichen Anspielungen auf andere Texte und Aufführungen nicht zu erklären. 5 . Die A kte u re
a) Autoren Für das Programm der beiden städtischen Dionysosfeste wurden in j edem Jahr nicht weniger als 1 5 Autoren ( mit insgesamt 2 6 Stücken) benötigt (S. 1 7-2 0 ) . Wenn man hinzunimmt, daß die Dichter, die an einem dramatischen Wettbewerb teilnehmen wollten, sich bei dem zuständigen Beamten bewerben mußten, dieser also offenbar eine Auswahl zu treffen hatte, wird deutlich, daß es neben den vier großen D ramatikern des 5. Jh., von denen Stücke erhalten sind, noch wesentlich mehr Autoren gegeben ha ben muß als die, die uns wenigstens namentlich oder durch eine mehr oder minder große Zahl von Fragmenten bekannt sind. Die enorme Konkurrenz ist gewiß einer der Faktoren für die a ußergewöhnliche Blüte des Dramas und des Theaters im 5 - Jh . Im 5 . J h . stammten d i e Autoren - von wenigen Ausnahmen abgesehen - alle aus Athen bzw. Attika. Erst mit der Erweite rung und Internationalisierung des Theaterbetriebs waren es dann im 4· und 3 . Jh. immer mehr Autoren auch aus anderen Teilen der griechischen Welt, die ihre Stücke im Dionysosthea ter uraufführten. Die Auswahl der Autoren erfolgte am Anfang des athenischen Jahres im Juli. Da die Aufführungen im Winter (Län dliche Dio nysien und Lenäen) bzw. im Frühling (Städtische Dionysien ) stattfanden, standen für d i e Proben, d i e bald nach der Entschei dung begonnen haben dürften, sechs bis neun Monate zur Ver fügung.
I Das griechische Theater
Zunächst lagen alle Aufgaben der Inszenierung in der Hand der Autoren, die nicht nur den Text schrieben, die Musik kom ponierten und die Choreographie entwarfen und einstudierten, sondern auch selber Regie führten und als Schauspieler auftra ten . Erst allmählich entwickelte sich eine immer stärkere Diffe renzierung und Spezialisierung der einzelnen Teilbereiche des Theaterbetriebs. Eine besondere Form der Spezialisierung be stand allerdings von Anfang an: die exklusive Spezialisierung der Autoren auf eine der beiden großen dramatischen Gattun gen . Sokrates versucht zwar am Ende des Platonischen Sympo sion, seine beiden Gesprächspartner, den Tragiker Agathon und den Komödienschreiber Aristophanes, davon zu überzeugen, daß derselbe Autor sehr wohl im�tande sein müsse, Tragödien und Komödien zu schreiben ( 2 2 3 d ) . Es ist aber, soweit wir sehen können - anders als später in Rom -, kein Autor bezeugt, der diese Forderung erfüllt hätte. Ungewöhnlich ist auch die Kreativität der griechischen Dra matiker. Für die drei Tragiker läßt sich aus der bezeugten Zahl ihrer Stücke berechnen, daß sie etwa alle zwei Jahre am Wett bewerb teilgenommen haben; das bedeutet, daß sie in j edem Jahr durchschnittlich zwei Stücke geschrieben haben müssen. Auch Aristophanes hat jährlich mindestens ein Stück produ ziert; und für eine Reihe von Dramatikern des 4· Jh. ·s ind sogar noch weit höhere Zahlen bezeugt.
b) Schauspieler Der entscheidende Schritt in der Entwicklung des literarischen Dramas aus Chortänzen ist der Moment, in dem der Chorfüh rer, der als Vorsänger ( exdrchön) agiert, sich ganz vom Chor löst und diesem als selbständiger Schauspieler gegenübertritt. D ieser Schritt ist für die griechische Tragödie mit dem Namen des Thespis verbunden. Erst die diesem zugeschriebene <Erfin dung> des Prologs (zur Einführung in die dargestellte Geschichte) und der monologischen Rede ( für Botenbericht und individuelle Reaktion auf die Ereignisse ) macht die prädramatische chori sche zum Drama . Das Wort für Schauspieler ist
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verschieden erklärt worden. Hypokrites kann sowohl « Antwor ter, Bescheid-Geber>> als auch « Ausleger, Erklärer » heißen. Eine Entscheidung ist nicht möglich, da beide B edeutungen gut zur Funktion des ersten Schauspielers passen. Aristoteles bezeugt, daß Aischylos den zweiten und Sophokles schließlich den drit ten Schauspieler hinzugefügt habe (Poetik 1 4 4 9 a 1 6-1 9 ) . Für die Tragödie jedenfalls ist e s immer bei der Dreizahl ge blieben. Dazu konnten allerdings jederzeit Statisten (für stumme oder ganz kleine Sprechrollen) hinzutreten, die dann aber nicht vom Staat finanziert wurden, sondern von dem Choregen be zahlt werden mußten . Für die Komödie scheint die Dreischau spielerreget im 5. Jh. nicht so strikt gegolten zu haben. Eine Reihe der Aristophaneischen Komödien kann nur mit einem oder zwei weiteren Schauspielern aufgeführt werden, die aller dings keine großen Rollen zu ü bernehmen haben. Die Frage, warum sich Tragödie und alte Komödie in diesem wichtigen Punkt unterschieden, ist nicht geklärt. Spätestens für die neue Komödie Menanders hat die strenge Regelung der Tragödie aber auch gegolten. Die Begrenzung der den Autoren zur Verfügung stehenden Schauspieler hat eine Reihe gewichtiger Folgen: Da die Zahl der Rollen immer deutlich größer war als drei, mußten mindestens zwei der drei Schauspieler mehr als eine Rolle übernehmen. Die Analyse der Auf- und Abtritte, mit deren Hilfe wir ermitteln können, wer welche Rollen in einem Stück gespielt hat, zeigt, daß gelegentlich eine Rolle auch auf zwei Schauspieler aufgeteilt werden mußte. Die Rolle des Theseus im Oidipus auf Kolanos des Sophokles mußten sich offenbar sogar alle drei Schauspieler teilen. Das sogenannte Dreischauspielergesetz bede.utet ferner, daß anders als bei Shakespeare oder Tschechow und Ibsen nie mehr als drei Personen gleichzeitig agieren können, und das hat zwangsläufig weitreichende Konsequenzen für die dramatische Technik. Die Regulierung der Zahl der Schauspieler ergibt sich zwei fellos daraus, daß die Aufführungen als Wettbewerbe organi siert waren. Die Regeln sollten für alle gleich sein. Nur spekulie ren können wir allerdings darüber, warum die Zahl so klein
I Das griechische Theater
war. Antike Erklärungen dafür sind nicht erhalten. Am wahr scheinlichsten ist, daß der Zuschauer im Maskentheater nur schwer unterscheiden kann, wer gerade spricht, und daß diese Schwierigkeit durch die Größe des antiken Theaters noch ver stärkt wird. Es fällt auf, daß sich wirkliche Dreigespräche nur in Ansätzen finden. Die Regel sind auch bei Anwesenheit dreier Personen sukzessive Dialoge. Auch die Entwicklung der stren gen Stichomythie bzw. Distichomythie dürfte nicht zuletzt darin begründet sein, daß der Zuschauer leichter solchen Dialogen folgen konnte, in denen die maskierten Sprecher in regelmäßi gem Wechsel j eweils einen bzw. zwei Verse sprachen. Neben der Festlegung der Zahl der Schauspieler, die einge setzt werden durften, gibt es zwei weitere Besonderheiten, die das griechische Theater vom modernen abendländischen Thea ter unterscheiden: Erstens waren alle Schauspieler Männer. Wir müssen uns also die großen Frauengestalten des antiken Dra mas, von Klytaimestra über Antigone und Medea bis zu Lysi strata, immer von Männern gespielt denken. Im 4 . jh. gab es sogar Spezialisten für Frauenrollen. Zweitens spielten die Schau spieler lange Zeit nur entweder in Tragödien oder in Komödien. Erst für das hellenistische Theater sind vereinzelt Schauspieler bezeugt, die in Stücken beider Gattungen gespielt haben. Für die Choreuten galt diese strikte Trennung, jedenfalls im 4· Jh., offenbar nicht (Aristoteles, Politik 1 � 7 6 b 4-6) . Am Anfang traten die Dichter auch selber als Schauspieler auf. Für Sophokles ist bezeugt, daß er die Schauspielerei auf gegeben habe, weil seine Stimme zu schwach war; und die sich in dieser Nachricht andeutende allmähliche Trennung der Funktionen von Autor und Schauspieler setzte sich in der Folge - mit der wachsenden Professionalisierung der Schauspielerei und der Einführung der Schauspielerwettbewerbe - durch. Es bildeten sich kleine Schauspieltruppen, die von einem Prin zipal geleitet wurden und in zunehmendem Maße auch außer halb Athens bei den lokalen Dionysosfesten auftraten. Diese Gruppen waren hierarchisch gegliedert. Der Leiter und Star der Gruppe war bzw. >
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(Deuteragonist und Tritagonist) durchnumeriert. Es war der Protagonist, der sich um die Teilnahme am Wettbewerb be warb, das Preisgeld erhielt und in den urkundlichen Aufzeich nungen der Ergebnisse der Schauspielwettbewerbe als einziger genannt wurde. Zu den Schauspieltruppen gehörten neben den drei Schauspielern sicher auch Familienangehörige und Lehr linge, die bei den Aufführungen halfen und kleine Rollen über nehmen konnten. Zunächst beschäftigten die Autoren Schauspieler ihrer Wahl. Die ersten Schauspieler, die wir namentlich kennen, sind Schau spieler, die über längere Zeit mit Aischylos und Sophokles zu sammengearbeitet haben sollen. Als die Bedeutung der Schau spieler für den Erfolg der Autoren und umgekehrt die Bedeu tung der Autoren für den Erfolg der Schauspieler wuchs, wur den die Schauspieler den einzelnen Autoren zugelost; und für das 4 · Jh. ist sogar eine Regelung bezeugt, nach der jeder der drei Protagonisten im Tragödienwettbewerb in je einer der drei Tragödien der drei Tragiker spielte. Das sollte offenbar unbe dingte Chancengleichheit der Autoren garantieren, könnte aber auch als Erleichterung für die Starschauspieler gedacht gewesen sein, die nun nicht mehr wie im 5 . Jh. an einem einzigen Tag hin tereinander vier Hauptrollen spielen mußten. Die Einführung von Schauspielerwettbewerben in der Mitte des 5 . Jh. ist ein erstes klares Zeichen für die wachsende Popu larität der Schauspieler, die im 4· Jh. mit der Ausweitung und Professionalisierung des Theaterbetriebs einen ersten Höhe punkt erreichte. Aristoteles konstatiert in der Rhetorik, daß die Schauspieler j etzt ( um 3 3 0 ) größere Bedeutung hätten als die Dichter ( 1 40 3 b 3 1-3 5 ) . Die Stars der Zeit, von denen uns eine ganze Reihe aus Ehren- oder Grabinschriften bekannt ist, er hielten riesige Gagen und wurden mit der Verleihung des Bür gerrechts belohnt. Da sie als Diener des Dionysos vom Kriegs dienst befreit waren und Immunität genossen, konnten sie sich auch in Spannungs- und Kriegszeiten ungehindert bewegen und wurden von mächtigen Patronen gern als Boten oder gar Bot schafter eingesetzt. Besonders gut informiert sind wir darüber, daß und wie Philipp von Makedonien im Streit mit Athen be-
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rühmte Schauspieler als Botschafter einsetzte, die seine Position in Athen erläutern sollten. Natürlich gab es neben den gefeierten Stars mit ihrem Ge folge auch viele Schauspieltruppen, die sich mehr schlecht als recht durchschlagen mußten. Als sich mit den Feldzügen Alex anders des Großen und der Politik seiner Erben die Zahl grie chischer Städte enorm vergrößerte und die Zahl der Theater und Aufführungen weiter stark anwuchs, schlossen sich - zu nächst in Athen, bald darauf aber in verschiedenen Teilen der griechischen Welt - die an den verschiedenen Festen und Wett bewerben beteiligten Künstler zu einer Art von Gilden zusam men, um ihre Interessen gemeinsam besser vert reten zu können. Die Mitglieder dieser gewerkschaftsähnlich organisierten Ver einigungen (synodoi) nannten sich > (Dionysou technitai) . In ihrer jahrhundertelangen Geschichte, die erst im 3. Jh. n. Chr. allmählich zu Ende ging, sicherten die Gilden ihren Mitgliedern wichtige Privilegien, wie Steuerfreiheit oder Immunität, garantierten dafür aber auch die Kontinuität und Qualität des Theaterbetriebs.
c) Chor Die dramatischen Chöre waren nicht gleich groß. In der Tragö die und im Satyrspiel bestanden sie zunächst aus r 2 und dann aus r 5 Choreuten. Eine Erklärung, was Sophokles, dem die Er weiterung zugeschrieben wird, dazu veranlaßt haben mag, ist nicht überliefert. Die Bedeutung des Chores ist in seinen Stük ken insgesamt geringer als bei Aischylos, und im Unterschied zu diesem und anderen frühen Tragikern galt Sophokles der Antike auch nicht als besonders innovativer Choreograph. Vielleicht hat die allmähliche Erweiterung des Theatron eine Rolle ge spielt? Der Komödienchor war mit 24 Choreuten immer noch deutlich größer. Auch für die Differenz zwischen Tragödie und Komödie gibt es keine antike Erklärung und kein überzeugen des modernes Argument. Gelegentlich gab es einen zweiten Chor, der kleiner gewesen sein dürfte als der Hauptchor. So wird z. B. Hippolytos bei sei-
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nem ersten Auftritt im Prolog von Freunden b'egleitet, die er dazu auffordert, Artemis mit einem Lied zu ehren ( 5 8-7 1 ) , und auch der berühmte Chor der Frösche, die in Aristophanes' gleichnamiger Komödie die Fahrt des Dionysos ü ber den Ache ron mit ihrem brekekekex begleiten ( 209-269 ) , ist ein Neben chor. Finanziert wurden die Chöre - und gegebenenfalls auch die Nebenchöre - von dem Choregen (S. 21 f. ) . D ieser war auch für die Rekrutierung der Sänger und Tänzer verantwortlich. Dabei konnte er Bürger sogar zur Teilnahme zwingen. Der Tanz im Chor war - wie die jury duty im angloamerikanischen Recht eine nicht immer geliebte Bürgerpflicht, aber auch exklusives Bürgerrecht. Zugelassen waren, j edenfalls an den Großen Dio nysien, nur Athener mit einem athenischen Vater und einer athe nischen Mutter, und diese Regelung galt - trotz der wachsenden Professionalisierung des Theaters - bis weit ins 4 . ]h . hinein. Ein Chorege konnte den Chor eines Kontrahenten überprüfen las sen und noch am Tage des Wettkampfs den Ausschluß eines Choreuten beantragen, der die geforderte Voraussetzung nicht erfüllte. Die wenigen Darstellungen von Choreuten auf Vasen zeigen durchweg j unge, bartlose Männer. Hieraus kann zwar ebenso wenig wie aus den für diese These angeführten literarischen Quellen geschlossen werden, daß die Chöre aus Eph iben, den 1 8 - bis 2 1 jährigen Athenern im Militärdienst, gebildet wurden, wohl aber, daß die Choreuten in der Regel j ung waren. Platon konstatiert in den Nomoi, daß ältere Männer für den Tanz nicht mehr geeignet seien ( 6 5 7 d ); und auch wenn wir über die Cho reographie im einzelnen wenig wissen, kann es in der Tat keinen Zweifel geben, daß die Anforderungen an die physische Lei stungskraft und die Konzentrations- und Gedächtnisleistung vor allem für die tragischen Choreuten, die hintereinander in vier Stücken singen und tanzen mußten, erheblich gewesen sind. Zunächst waren es die Autoren selber, die die Chöre einstu dierten. Phrynichos ( um 64o-nach 5 7 6 ) und Aischylos sollen besonders innovative Choreographen gewesen sein. Später übernahmen offenbar spezielle Chortrainer die Arbeit. Darüber,
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ob bzw. wie lange Chor und Schauspieler gemeinsam geprobt haben, gibt es keine Zeugnisse. Das Training der Chöre war zweifellos lang und hart. Die I 5 bzw. 24 Choreuten sangen und rezitierten unisono. Es war si cher niCht einfach, die sprachlich und gedanklich hoch komple xen Chorlieder so vorzutragen ( und dazu auch noch zu tanzen) , d a ß die Zuschauer d e n Text verstehen konnten. Mit der wachsenden Zahl und Bedeutung der Schauspieler verringerte sich zwangsläufig die Rolle des Chors. Quantitativ sinkt sein Anteil an der Gesamtzahl der Verse von 40 bis s o % i n den Tragödien des Aischylos kontinuierlich bis auf etwa r o % i m Orestes des Euripides oder i n Sophokles' Philoktet. Ausnah men wie die Euripideischen Bakeben (ca. 27 % ) oder der Oidi pus auf Kalonos des Sophokles (ca. 22 % ) ändern nichts an dem generellen Trend, der sich auch für die Komödie bestätigt. Wäh rend in den Stücken des Aristophanes, die im 5 . Jh. entstanden sind, der Anteil des Chores bei 20 bis 2 5 % liegt, beträgt er in seinen beiden letzten Stücken, die schon in das 4 .]h. gehören, deutlich unter r o % . Diese Entwicklung bedeutet nicht, daß mit der Reduzierung der Rolle des Chors der Anteil der gesungenen Partien sinkt. Die Schauspieler, die zunächst nur im Wechsel gesang mit dem Chor auch einmal gesungen hatten, erhielten in der zweiten Hälfte des s . Jh. immer häufiger auch große Arien und Duette (S. 69-7 1 ) , und in einzelnen Fällen werden sie beim Vortrag ihrer Lieder auch getanzt haben. Mit dem Umfang der Rolle sank auch die Bedeutung des Chors als Teil der dramatischen Handlung. Konnte der Chor bei Aischylos noch Hauptfigur sein oder doch als unmittelbar von den Ereignissen Betroffener erscheinen und aktiv in die Handlung eingreifen, so wurde er zunehmend zum Betrachter und Kommentator der Ereignisse. Innerhalb dieser Entwicklung gab es zwar signifikante Unterschiede. So konstatiert Aristoteles in der Poetik , daß der Chor von Sophokles noch wie ein Schau spieler behandelt werde, während dies bei Euripides nicht mehr der Fall sei ( 1 4 5 6 a 2 5-27 ) . Insgesamt h at sich die Entwicklung, die bei Euripides beginnt, a ber offenbar fortgesetzt. Aristoteles erklärt im selben Zusammenhang, daß die Chorlieder der späte-
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ren Autoren genausogut i n jeder anderen Tragödie stehen könn ten, da es sich nur noch um <Einlagen> (emb6lima ) handele . Mit dieser Technik habe kein Geringerer als Agathon begonnen ( 1 4 5 6 a 29 f. ) . Es gibt zwar vereinzelte Hinweise darauf, daß noch lange nach dem 5. Jh. Stücke mit Chor geschrieben und aufgeführt worden sind. Umfang und Bedeutung der Chorrolle lassen sich aber, da Texte oder größere Fragmente nicht erhalten sind, nicht mehr bestimmen. Groß dürften sie kaum gewesen sem. Es liegt nahe, diese Entwicklung mit der Erweiterung des Theaterbetriebs zu verbinden. Die Autoren trugen wahrschein lich der Tatsache Rechnung, daß die Schauspieltruppen, die mit den Stücken auf Tournee gingen, weder große Chöre mitneh men konnten noch am jeweiligen Spielort genug Zeit hatten, komplexe Texte und Choreographien einzustudieren. Kurze, wiederverwendbare Lieder boten sich als Lösung ebenso an wie der in der Komödie üblich werdende Einsatz von Zwischenakt musik, und für Klassikeraufführungen hat man sich vielleicht, wie bei modernen Inszenierungen, mit Kürzungen der Chorlie der und kleineren Chören beholfen.
6. Inszenierung
Lange Zeit haben Interpreten des antiken Dramas sich, wenn überhaupt, nur am Rande mit der szenischen Realisierung der Stücke beschäftigt. Ein wesentlicher Grund dafür, die überlie ferten Texte primär als literarische Meisterwerke zu studieren und nicht als für die Aufführung, als die sie ur sprünglich entstanden sind, dürfte die geringe Bedeutung sein, die die Aristotelische Poetik der Inszenierung ( 6psis) beimißt. Erst in den letzten 30 Jahren haben sich die Interpreten des anti ken Dramas intensiv mit allen Fragen der szenischen Umsetzung der überlieferten Texte beschäftigt. Einfach ist das nicht: Abge sehen von einer Reihe von Anekdoten, gibt es keine literarischen Zeugnisse, in denen eine Aufführung oder deren Wirkung be schrieben wird, und zentrale Aspekte der antiken Inszenierung
I Das griechische Theater
wie Musik und Tanz, Bühnenmalerei und Schauspielkunst sind uns weitgehend verschlossen. Immerhin bieten Vasenbilder und andere archäologische Zeugnisse Informationen über Masken, Kostüme und Requisiten, und die Texte enthalten zwar keine Regiebemerkungen, in denen die Autoren ihre Figuren und das, was sie tun, beschreiben; es läßt sich aber zeigen, daß alle wich tigen Bühnenhandlungen so in den Text integriert sind, daß sich durch eine aufmerksame Lektüre wichtige Elemente der Insze nierung, wie sie sich der Autor vorgestellt hat, erschließen las sen. Das gilt für Auf- und Abtritte durch die seitlichen Zugänge oder aus dem bzw. in das Haus ebenso wie für bedeutungsvolle Handlungen und für den Einsatz von Requisiten.
a) Kostüme und Masken Originalkostüme und -masken sind nicht erhalten. Für das 5 . Jh. bieten Vasenbilder einige Hinweise; später kommen Terrakot ten und Reliefs, Gemälde und Mosaiken hinzu. Abgesehen vom Mirnos ( S . u 8-I 2 I ), der auf die Maske ver zichtete, wurden in allen dramatischen Gattungen Kostüme und Masken verwendet. Ihr Gebrauch, der weit in die Anfänge kul tischer Vermummung und Verwandlung zurückreicht, bot auch dem entwickelten Theater große praktische Vorteile. Sie halfen dem Schauspieler nicht nur dabei, ein anderer zu werden, son dern ermöglichten es ihm, wenn erforderlich, auch in sehr kur zer Zeit von einer Rolle in die andere zu schlüpfen; sie erleich terten ferner die Darstellung von Frauenrollen durch Männer und erlaubten die zeichenartige Visualisierung des Wesentlichen in einem Theater, in dem große Teile des Publikums weit von der Bühne entfernt saßen. Zunächst wurden die erforderlichen Masken und Kostüme für jede Aufführung individuell angefertigt. Mit der wachsen den Zahl von Aufführungen, spätestens mit der wachsenden Ty pisierung der Rollen seit dem Ende des 5 . Jh., wurden sie aber si cher auch aufbewahrt und wiederverwendet. Auch wenn wir keine literarischen Zeugnisse dafür haben, können wir wohl da von ausgehen, daß die Schauspieltruppen (S. 14 f. ) und die auf die
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Abb. 1 2 : Ko m ö d i e n kostü m Kleiner K rug (Au sschn itt) , um 400, St. Petersburg, Sam m l u ng Tam a n , Erem itage 1 8 69 (Ze i c h n u ng G. Seidensticker)
Herstellung von Masken und Kostümen sowie vo n Requisiten spezialisierten Handwerker, die sogenannten Skeuopoioi (Aus stattungsmacher), Sammlungen bzw. Vorräte angelegt haben. Unter den eigentlichen Kleidungsstücken des Kostüms wurde in allen drei dramatischen Gattungen ein Trikot getragen, das den ganzen Körper bedeckte und als fungierte (Abb. 1 2 und 2 1 ) . Für Frauenrollen war dieses Trikot hell, für Männerrollen dunkler. Die Masken waren Kopfmasken (Abb. 12 und 1 3 ) , d. h. sie bedeckten nicht nur das Gesicht, sondern auch Ohren und große Teile des Kopfes. Haare und Bart gehörten zur Maske; Teile von Nacken und Hals konnten frei bleiben. Unter der Maske konnte, um den Druck zu lindern und einen festen Sitz zu sichern, eine Filzkappe getragen werden (Abb. 1 2 ) . Be festigt wurden die Masken mit Bändern, an denen sie auch ge tragen werden konnten (Abb. 14 und 1 5 ) . Literarische Zeugnisse für die Entwicklung der Maske besit zen wir nur für die Tragödie. Thespis, dem ihre Einführung zu geschrieben wird, soll zunächst Bleiweiß, dann eine aus Portu lak gewonnene Substanz und schließlich Leinen verwendet ha ben. Neben Leinen, das mit Kleister gesteift wurde, sind wohl auch Kork und Holz benutzt worden. Die Nachricht, daß Phry-
I Das griechische Theater
Abb. 1 3 : Kopfmaske Zwei Choreuten beim Ankleiden. Attischer K rug, u m 450, Boston, Museum of Fine Arts
nichos Frauenmasken eingeführt habe, dürfte bedeuten, daß der ältere Zeitgenosse des Aischylos als erster Frauenrollen mit wei ßen Masken ausgestattet hat. Aischylos soll dann den nächsten Schritt gemacht und die Masken bemalt haben.
Tragödie Die Heldinnen und Helden der Tragödie trugen in der Regel ein bis auf die Füße herabfallendes, gürtelloses Gewand mit engen langen Ä rmeln, das figürlich und geometrisch reich verziert war (Abb. 1 4a und b ) . D i e Herkunft dieses Kostüms, d a s a u f den athenischen Zu schauer leicht orientalisch gewirkt haben mag, ist ebenso um stritten wie der Zeitpunkt seiner Einführung. Die Vorteile für die Theaterpraxis liegen dagegen auf der Hand : Das Gewand hebt den Träger aus dem Alltag heraus und bezeichnet ihn unmißver ständlich als mythischen Heroen. Die Tatsache, daß das lange, überall eng geschlossene Gewand keine Haut sehen läßt, erleich tert die Darstellung von Frauen durch Männer, und da Frauen und Männer das grundsätzlich gleiche Gewand trugen, mußte bei den immer wieder erforderlichen schnellen Rollenwechseln nur die Maske, nicht aber das Kostüm gewechselt werden. Die Vasenbilder, die dieses Gewand zeigen, sind um 4 0 0 ent standen, und die literarischen Zeugnisse, die die Erfindung die-
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ses speziellen Theatergewands schon Aischylus zuschreiben, sind sämtlich recht spät ( das früheste ist Horaz, A rs Poetica 278 f. ) . Wir können also nicht sicher sein, daß das Gewand schon vor dem Ende des 5. Jh. in Gebrauch war. Immerhin werden die spä ten Nachrichten indirekt dadurch bestätigt, daß Aristophanes seinen Aischylos in den Fröschen erklären läßt, daß er seine großen Heroen in würdevolleren und prächtigeren Gewändern habe auftreten lassen als Euripides mit seinen Lumpenkönigen ( r o s 8- 6 r ) . Neben den Prachtgewändern der Hauptfiguren gab e s die dem Alltag entlehnte Kleidung der einfachen Leute, wie Diener und Ammen, Boten und Soldaten (Abb. 1 4 c ) , aber auch beim Kostüm der Protagonisten konnte offenbar nicht nur zwischen Griechen und Barbaren, sondern auch zwischen Ä gyptern, Phrygern und Thrakern bzw. zwischen Athenern und Sparta nern unterschieden werden. Ferner wurde das Kostüm durch unterschiedliche Farben (genannt sind immer wieder Weiß und Schwarz, Gelb und Purpurn) und vor allem durch zusätzliche
Abb. 1 4 : a) H erakles und b) barbarischer Kön ig (Au sschn itte aus A b b i l d u ng 20) ; c) Bote (Aussc h n itt aus einem apul ischen Krater, um 340, Lo n d o n , British M us e u m F 279)
I Das griechische Theater
Kleidungsstücke wie Mäntel, Hüte oder Schleier und durch Ac cessoires wie Sieges- und Brautkränze oder Schmuck modifi ziert. Besondere Effekte wurden zudem dadurch erzielt, daß die Kleidung während einer Szene (etwa bei exzessivem Klagen) oder zwischen zwei Szenen (durch die Spuren blutiger Taten ) verändert oder der radikale Umschlag der Situation mit Hilfe eines anderen Kostüms visualisiert wurde. So trat in Aischylos' Persern die persische Königin Atossa, die bei ihrem ersten Auf tritt in königlichen Gewändern - und auf einem Wagen - er schienen war, nach der Meldung der Katastrophe von Salamis, wie ihre Worte beim zweiten Auftritt zeigen, in einfacher Trau erkleidung - und zu Fuß - auf ( 607-9 ); und in den Bakchen wird der völlige Sieg des Dionysos über seinen Widersacher Pentheus in der grausig-komischen Verkleidungsszene (9 1 2-70) dadurch offenbart, daß der j unge König, der sich zunächst über die weibische Kleidung seines Gegners lustig gemacht hat, nun selber in Frauenkleidern erscheint. Auch sonst dienten Kostüme immer wieder dazu, die besondere Lage von Personen zum Aus druck zu bringen, wie im Falle des Sophokleischen Philoktet, der seit zehn Jahren einsam und krank auf Lernnos dahinvege tiert, oder der Euripideischen Elektra, die auf einem armseligen Bauernhof leben muß und wie eine Sklavin gekleidet ist. Ge legentlich wird das Kostüm offensichtlich auch dazu eingesetzt, den Charakter einer Figur zu visualisieren. Das gilt beispiels weise für Hermione, in Euripides' Andromache, die schon beim ersten Auftritt ihre Eitelkeit durch den Hinweis auf ihre reichen Gewänder und den goldenen Glanz des Diadems, das sie trägt, zu erkennen gibt ( 1 4 7-5 3 ) , oder, in vergleichbarer Weise, für die Helena der Troerinnen des Euripides, die am Ende des Stücks ein prachtvolles Gewand anlegt, um Menelaos zu bezau bern ( 1 023 f. ); und auch die radikale Verschiedenheit der Sopho kleischen Schwestern Antigone und Ismene (in der Antigone) sowie Elektra und Chrysothemis ( in der Elektra) wurde wahr scheinlich dadurch angezeigt, daß sie schwarze (Antigone und Elektra) bzw. helle ( Ismene und Chrysothemis ) Kleidung trugen. Die tragischen Masken des 5. Jh. waren offenbar . Vasenbilder zeigen Masken mit natürlichen Gesichtszügen,
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ohne Ausdruck von tragischen Emotionen wie Schrecken oder Schmerz. Andererseits wirken sie nicht maskenhaft starr. Der frühen Darstellung einer Frauenmaske (Abb. r 5 ) ver leihen schon kleine Asymmetrien Lebendigkeit. Ob das auch bei den Theatermasken so war oder der Maler ausdrücken wollte, daß die Masken im Spiel gleichsam lebendig werden, muß offen bleiben. Auf j eden Fall wirken auch die Masken des barba rischen Königs und des Herakles auf dem Pronomoskrat e r (Abb. 1 4 ) lebendiger als die Gesichter der Schauspieler, die diese Rollen verkörpern. Wer j e Aufführungen mit Masken gesehen hat - wie etwa Jür gen Goschs faszinierende Inszenierung des Sophokleischen Ö di pus mit Ulrich Wildgruber ( 1 9 8 4 ) oder Peter Halls berühmte Oresteia ( 1 9 8 1 ) - wird bestätigen, daß die Sprache (und das Körperspiel des Schauspielers ) der starren, ausdruckslosen Maske Leben verleihen kann, weil der Betrachter die Leere mit seiner Imagination ausfüllt. Zudem haben die griechischen Tra giker immer wieder im Text Hinweise auf das, was der Zu schauer sehen <soll> , gegeben. So fordert z. B. im Hippolytos des Euripides Phaidra, die sich der Liebe zu ihrem Stiefsohn schämt, ihre Amme auf: « Verhülle mir wieder das Haupt! . . . Aus den Augen rinnen mir Tränen, und schamvoll hat sich mein Gesicht verfärbt ( 24 3 - 6 ) . »
Abb. 1 5 : Trag ische Maske Frag ment einer attischen Kanne, um 470, Athen, Agoramuseum P 1 1 8 1 0
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Abb. 1 6 : H e l l e n istische M asken l i n ks : Frauenmaske aus To n , 2 J h . v. C h r. , Wü rzbu rg, Martin -von -Wagner- Museum K 1939; rechts : M ä n n e rm aske aus Bronze, 3 20-300, Archäologisches M u s e u m Piräus 4649 .
Im Laufe der Zeit wurden vor allem Haare und Mund, aber auch Augen und Augenbrauen immer expressiver gestaltet, und seit der Mitte des 4· Jh. finden sich die ersten Darstellungen des Maskentyps, der in den folgenden Jahrhunderten zur Stan dardmaske wird (Abb. r 6) : mit pathetischem Gesichtsausdruck und über der Mitte der Stirn mit Hilfe eines in das Haar inte grierten Gestells hoch aufgetürmten Haaren, dem sogenannten Onkos. Tausende von Masken dieser Art, als Einzelmasken aus Stein, Ton oder Bronze, aber auch auf Reliefs, Wandgemälden und Mosaiken sowie als Gebäudeschmuck, nicht nur an Theatern, sind erhalten und haben das moderne Bild der antiken Tragö dienmaske nachhaltig geprägt. Es ist deswegen wichtig, sich klarzumachen, daß die Masken, mit denen die erhaltenen klas sischen Tragödien des 5. Jh. aufgeführt worden sind, ganz an ders aussahen. Im 5 . Jh. sind die Masken zunächst wohl individuell, d. h. für j edes Stück neu angefertigt worden. Die sich allmählich entwik kelnde Typisierung dürfte bei sich ständig wiederholenden Ne benfiguren, wie Boten oder Ammen, eingesetzt haben, hat spä ter dann aber, wie Pollux' Liste zeigt, auch die Masken der Hauptfiguren erfaßt. Der Redner und Gelehrte des 2. Jh. n. Chr.
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nennt 6 Masken für alte Männer und 8 für junge sowie r r Frauen- und 3 Sklavenmasken. Natürlich gab es für beson dere Gestalten auch immer besondere Masken: für den hundert äugigen Argos beispielsweise (Sophokles, Inachos ) oder die in eine Kuh verwandelte Io (Aischylos ( ? ) , Prometheus ) , aber auch für die Blinden wie Teiresias (etwa in der Sophokleischen Anti gone) und für die Geblendeten wie Ö dipus ( S ophokles, Oidipus Tyrannos ) oder Polymestor (Euripides, Hekabe ) . Und schließlich trugen die Schauspieler d e s s . Jh. auch noch nicht den Kothurn (Abb. r 7c) mit der bis zu 20 cm hohen Holz sohle, der wie die expressive Onkosmaske erst allmählich im
Abb. 1 7: Schuhe der tragischen Schauspieler a) S . J h . : Au sschn itt aus G locken krater, 460/50, Ferrara - b) Ausschnitt aus Abb. 20 - c) nachklassisc her Plateauschuh ( Kot h u rn ) ; Elfe n b e i nstatuette, 3 J h n. C h r. ( 1 ) , Pari s , Petit Palais A DUT 1 92 .
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Abb. 1 8 : Tragischer Chor Attischer Kol o netten krater, 490/80, Basel BS 4 1 5
Zusammenhang mit der hellenistischen Hochbühne ( S . 3 I f. ) entstand. Auch er ist wie die pathetische Maske fester Bestand teil der populären Vorstellung vom griechischen klassischen Theater. Die Korrektur dieser Vorstellung ist wichtig, weil der stelzen artige Schuh, der zum Sinnbild steifer Erhabenheit geworden ist, nicht nur die Erscheinung der Schauspieler artifizialisiert, sondern auch ein natürliches Agieren unmöglich macht. Im 5. Jh. trugen die Schauspieler einen weichen, aus einem Stück geschnittenen geschnürten Lederschuh oder -stiefel ohne Sohle, manchmal mit hochgebogener Spitze, der ihnen für ihr Spiel jede Bewegungsfreiheit ließ (Abb. I 3 ; Abb. I ?a und b). Der Chor tanzte barfuß (Abb. I 8 ) . Die I 2 bzw. I 5 Choreuten trugen wahrscheinlich, wie die Choreuten auf der einzigen Darstellung eines tragischen Chors aus dem 5. Jh. (Abb. I 8 ), alle das gleiche Kostüm und die gleiche Maske. Lediglich die besondere Rolle des Chorführers, der den Chor im Gespräch mit den dramatis personae repräsentierte, war vielleicht durch ein besonderes Kostüm herausgehoben.
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Satyrspiel Ü ber Kostüme und Masken des Satyrspiels sind wir in erster Linie durch etwa 20 spätarchaische und klassische Vasenbilder informiert. Danach waren die Satyrn bis auf einen Schurz ge wöhnlich nackt, d. h. nur mit dem enganliegenden Trikot be kleidet (Abb. 19 links) . Der Schurz diente vor allem der Befesti gung eines kräftigen, recht langen Pferdeschwanzes und eines meistens erigierten Phallus. Der Vater der Satyrn, der ( Papp o ) Sih � n (Abb. 19 rechts ) , der ebenso wie der Satyrchor obligatorisch für die Gattung war, trug dagegen ein enganliegendes weißbraunes Fellgewand, den sogenannten mallot6s chiton. Die Masken des Satyrchors (Abb. 1 9 links) hatten eine stumpfe, leicht aufgeworfene Nase, spitze Ohren - wie Pferde oder Maulesel - sowie, je nach Alter, entweder volles Haar oder eine mehr oder minder weit zurückreichende Stirnglatze. Auf den erhaltenen D arstellungen von Theatersatyrn haben diese einen langen, struppigen Bart; Pollux kennt daneben aber auch
Abb. 1 9 : Satyr und Pappesi l e n links: Aussc h n itt aus A b b . 20 - rechts : G l ocke n krater mit Dionysos u n d S i l � n . 350-25 , Syd n ey, Nieholsan M u s e u m 47.04
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Abb. 2 0 : Kompl ettes Ensemble eines u n bekannten Satyrspiels Atti scher Vo lute n k rate r des Pronomosmalers, u m 400, Neapel, Archäo l ogisches Museum 8 1 673
den Typus des bartlosen Satyrn. Der Sil � n war grauhaarig, mit grauem Bart. Alle anderen Figuren des Satyrspiels trugen die Kostüme und Masken der Tragödie (Abb. 20 ) . Der Kontrast zwischen den nackten Satyrn mit erigiertem Phallus und ihrem komischen Va ter auf der einen und den in den reichverzierten Gewändern der Tragödie auftretenden Göttern und Heroen auf der anderen Seite bildete, wie die Vasenbilder ahnen lassen, auch ästhetisch einen der Hauptreize des Satyrspiels.
Komö die Das Standardkostüm der Komödie des 5 . und 4 · Jh. ist uns von zahlreichen Vasenbildern und Terrakottastatuetten aus Athen und Unteritalien gut bekannt. Das den ganzen Körper bedeckende Trikot (Abb. 1 2 und 2 1 ) war am Bauch und am Gesäß in grotesker Weise ausgestopft; ein großer Lederphallus hing entweder schlaff herab oder war schneckenartig aufgerollt (Abb. 1 2 ) ; wenn die Situation es na helegte, wie z. B. in der Lysistrata, konnte er wahrscheinlich auch erigiert werden. Die Frauenfiguren hatten natürlich keinen
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Phallus, waren aber wie die Männer an Bauch und Gesäß - und dazu an der Brust - ausgestopft. Vasenbilder erlauben den Schluß, daß die S chauspieler in männlichen Rollen nackt, d . h. nur mit dem Trikot bekleidet, auftreten konnten . Für nackte Frauen gibt es keine Darstellung; es spricht aber einiges dafür, daß die schönen jungen Mädchen, mit denen die Aristophaneischen Helden in einer Reihe von Stücken am Ende belohnt werden, nackt erscheinen sollten. In diesen Fällen dürfte auf den Trikots der männlichen Statisten, die diese Rollen übernahmen, die weibliche Scham aufgemalt oder auf andere Weise angebracht worden sein. In der Regel trugen die Schauspieler aber über der ein oder mehrere Kleidungsstücke, und zwar, wie die ar chäologischen Zeugnisse zeigen und die Texte bestätigen, alles, was auch die Zuschauer trugen. Bei den Männern war die Thea terkleidung allerdings in der Regel so kurz, daß das Gesäß nicht völlig bedeckt war und der Phallus, auch aufgerollt, gut sicht bar blieb (Abb. 2 I ) ; Frauen trugen dagegen in der Regel, wie im Alltag, bis auf die Füße fallende Gewänder. Götter und my-
Abb. 2 1 : Sze n e aus Kom ö d i e oder Posse mit e i n e r tragi schen Figur (Ä gisth) Apulischer G locken krater, 400-380, N ew Yo rk, Fleischmann Collection F 93
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thische Heroen, wie sie vor allem in den zahlreichen Mythentra vestien auftraten, sahen genauso aus und wurden lediglich durch signifikante Attribute oder Requisiten gekennzeichnet. So zeigt ein Vasenbild aus der Mitte des 4 . ]h. z. B. Zeus, im Begriff bei Alkmene zu fensterln, mit einer kleinen Krone, und seinen Diener und Helfer Hermes mit Heroldsstab und Petasos, dem breitkrempigen Reisehut ( Abb. 2 2 ) . Tragische Figuren, die in der Komödie auftraten, trugen da gegen ebenso wie die tragischen Dichter, die nicht nur Aristo phanes immer wieder auf die Bühne brachte, das prächtige Theatergewand der Tragödie (Abb. 2 1 ) . Ü berhaupt gab e s neben dem Standardkostüm zahlreiche Sonderkostüme für Barbaren, wie z. B. für den Perser Pseudar tabas und sein Gefolge und für die thrakischen Odomanten, die zu Beginn der Acharner auftreten ( 9 8 ff. , r 5 6 ff. ), oder für alle gorische Figuren, wie Krieg und Tumult im Frieden ( 2 3 6 ff. ) , aber auch für Tiere wie den Wiedehopf u n d seinen Diener in den Vögeln ( 9 2 ff. , 6o ff. ) oder die als Schweinchen verkleideten
Abb. 22: Zeus und H ermes vor Alkmenes Fenster G l ockenkrate r des Asteas malers, 3 50-325, Rom Vatikanische M u seen 1 7 1 06
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Abb. 2 3 : Reite rchor mit Au losspieler ( Vo rl äufer v o n Aristophanes' R ittern) Attische A m p h o ra, 550/40, Berlin, Staatliche Museen
Töchter des megarischen Händlers in den Acharnern ( 7 29 ff. ) . Besonders phantastisch waren häufig die Kostüme der Chöre. Drei der elf erhaltenen Komödien des Aristophanes ( Ritter, Wespen, Frösche) haben Tierchöre, wie sie schon für die Früh geschichte der Komödie bezeugt sind; und der Chor der R itter ist wahrscheinlich auf als Pferde verkleideten Komparsen einge ritten (Abb. 2 3 ) . Andere Aristophaneische Chöre dürften i n Variationen des Standardkostüms a ufgetreten sein, wie der Chor der Köhler in den Acharnern, der zusätzlich den Tribön, einen kurzen, groben Wollmantel, trug. In der Regel hatten die 24 komischen Cho reuten wie die I 5 Mitglieder der tragischen Chöre und des Sa tyrchors alle das gleiche Kostüm; Ausnahmen sind aber denk bar. So könnten sich die nacheinander hereinflatternden Cho reuten in den Vögeln des Aristophanes, die im Text als ganz verschiedene Vögel bezeichnet werden, auch in ihren Kostümen unterschieden haben ( 2 60 ff. ) . Genauso vielfältig wie die Kostüme waren auch die Masken der Komödie des 5. Jh. Nicht nur Chöre konnten Tiermasken tragen; Herakles trug zweifellos die für ihn typische Löwen-
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kopfmaske ( Vögel I s 66 ff. ) , und Pseudartabas hatte sicher eine Maske, die mit einem riesigen Auge seiner Vorstellung (Achar ner 9 2 ) als gewesen sei, während die der anderen Schauspieler « fremd >> klängen, d . h. nicht zur Rolle paßten ( R hetorik 1 4 04 b ) . Da die Mimik dem Schauspieler des Maskentheaters als Aus drucksmittel nicht zur Verfügung steht, kommt neben der Stimme der Körpersprache besondere Bedeutung zu. Von ein zelnen Aufführungen oder allgemein vom Theater inspirierte Vasenbilder sind keine Szenenphotos. Immerhin erlauben sie, wie auch die zu Tausenden erhaltenen Terrakotten von typi schen Komödienfiguren, gewisse Schlüsse auf typische Gesten, Haltungen und Bewegungen. Unsere beste Quelle sind j edoch die Texte selber, die eine Fülle von Beschreibungen und indirek ten Hinweisen auf Bewegungen der dramatis personae enthal ten. So erlauben die ersten Worte des Wächters in der Sopho kleischen Antigone, der dem König die unangenehme Nachricht überbringen muß, daß das Bestattungsverbot trotz der Bewa chung der Leiche übertreten worden ist, den Schluß, daß ·der Mann sich, während des Gesprächs zwischen Kreon und dem Chor, zögernd und mit allen Zeichen großer Furcht genähert hat: «Ü Herr, ich werde nicht behaupten, daß ich in Eile, atemlos, gelaufen komme und daß der Fuß mir leicht sich hob. >> ( 22 3 f. ) Aber auch die Bewegungsabläufe ganzer Szenen und die räumliche Choreographie der beteiligten Personen lassen sich häufig aus dem Text erschließen: wie Klytaimestra die blutro ten Gewänder vor dem Palasttor ausbreiten läßt zum Beispiel und wie Agamemnon sich von einem Diener die Stiefel auszie hen läßt und dann, immer wieder zögernd, Fuß vor Fuß set zend, über die kostbaren Stoffe in den Palast geht (90 8-74 ) , oder wie Kassandra sich später immer wieder der Tür, hinter der sie, wie sie weiß, der Tod erwartet, nähert und immer wie-
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der davor zurückschreckt, das <Schlachthaus> der Atriden zu betreten ( I 2 5 8-I 3 3 0) . Für Komödie und Satyrspiel gilt analog das gleiche. Allerdings sind von den Dichtern, die ja selber Regie führten, gewiß nicht alle Bewegungen auch sprachlich im Text worden, und vor allem können wir die individuelle Umsetzung der impliziten Regiebemerkungen durch die Schauspieler natür lich nicht bestimmen. So bleibt uns der Schauspielstil der Zeit oder gar einzelner Schauspieler ganz verschlossen. Viel mehr, als daß die Größe des Theaters eine klare, mehr oder minder stili sierte und konventionalisierte Körper- und Gebärdensprache verlangt hat und daß die komischen Schauspieler lebhafter und weniger würdevoll agiert haben dürften als die tragischen, läßt sich kaum sagen. Immerhin spricht einiges dafür, daß die Schau spielkunst im Verlaufe des 5 . ]h. nicht nur, wie die Einrichtung von Schauspielerwettbewerben zeigt, artistischer, sondern auch realistischer geworden ist. Aristoteles verweist zum Beweis da für, daß die Schauspielerei (in der Tragödie) immer <mimeti scher> geworden sei, auf die Anekdote, daß Mynniskos, ein Schauspieler der alten Schule, der schon für Aischylos gespielt haben soll, seinen j üngeren Kollegen Kallippides einen