Geisterfänger Band 17 Club der Dämonen von John Blood Sie sind Diener des Satans.
Blutrote Rauchschwaden wallten wie ...
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Geisterfänger Band 17 Club der Dämonen von John Blood Sie sind Diener des Satans.
Blutrote Rauchschwaden wallten wie dichter Nebel durch eine riesige Höhle. Die glasierten Wände spuckten diffuse Nebelschleier aus, die über den leicht glühenden Boden krochen, sich bald zu wirbelnden Schemen vereinten und durch den großen Raum zu wogen begannen. Ein unheimliches Wispern und Raunen lag in der Luft. Es roch penetrant nach Schwefel, Moder und Verwesung. Brennende Fackeln rußten an den Wänden und warfen bizarre Schatten, die zuckend durch den Raum geisterten. Die immer greller schimmernden Nebelschleier und die blutroten Rauchschwaden verdichteten sich, begannen sich zu einem wattigen Gebräu zu vereinen. Eine Panflöte spielte eine groteske Tonfolge und steigerte sich in schwindelnde Höhen. Das Echo wurde dumpf von den Höhlenwänden zurückgeworfen. Dann schallte ein Kreischen durch den gigantischen Saal. Es erinnerte an eine alte, seit Jahrhunderten nicht mehr geöffnete, eiserne Tür, an deren Angeln der Rost fraß. Jetzt ertönten harte Trommelwirbel, die sich zu einem tosenden Orkan aufschwangen. Rhythmisch steigerten sie sich zu einem hämmernden Stakkato, das den Höhlenboden erbeben ließ. Ein eisiger Luftzug strich durch den Saal, brachte die Flammen der Fackeln zum Aufflackern. Die disharmonische Musik verstummte plötzlich von einer Sekunde zur anderen. Eine übernatürliche Stille breitete sich aus. Aus den sich vereinten Rauchschwaden und Nebelschleiern formten sich grauenhafte Dämonengestalten - Geschöpfe der Finsternis, Bestien der Nacht. Stierköpfige Wesen, bucklige Gnoms, seltsame Frauen mit strammen Brüsten und Wolfsköpfen auf den Schultern, Männer mit gespaltenen Zungen, die an Schlangen erinnerten. Über ein Dutzend dieser Ausgeburten der Hölle gaben sich ein Stelldichein. Sie schwebten durch die riesige Höhle und veränderten fortwährend ihre schrecklichen Formen. Jetzt bildeten sie einen Kreis und begannen in einem wirbelnden Reigen zu tanzen. 4
Der Geruch nach Schwefel und Verwesung verstärkte sich immer mehr. In diesem Moment setzte die schrille Musik erneut ein, wurde von dem monotonen Gesang der Dämonen begleitet, die immer noch voller Ekstase tanzten. Plötzlich wichen sie bis zur Höhlenwand zurück, wurden erschreckt durch eine lähmende Stille. Sekunden verstrichen, verloren sich wie Tropfen im unendlichen Meer der Zeit. Wieder war das grelle Kreischen zu vernehmen, als würde eine seit Jahrhunderten verschlossene Tür geöffnet. Schwere Schritte stampften näher. Der schimmernde Boden begann sich zu wellen, so als würde ein unsichtbarer Riese daher schreiten. Die dämonischen Wesen hatten sich an den Händen, Klauen oder was für Greifarme sie auch immer besaßen, gefasst. Sie begannen einen klagenden, durch Mark und Bein gehenden Gesang auszustoßen, der sich in die Lüfte schwang. Die rotierenden rot glühenden Augenpaare starrten auf eine Stelle des Bodens, der jetzt eine große Vertiefung auswies. Die Dämonen verneigten sich. Es mischten sich dumpfe Trommelschläge mit den schrillen Stimmen, ehe mit einem misstönigen Laut, Musik und Gesang endeten. Aus der Bodenvertiefung wuchs eine schwarze Rauchsäule, die sich verbreitete. Drohend wogten die Rauchmassen, bis sie ungefähr die Höhe von drei Metern erreicht hatten. In dem Rauch begann sich eine schwankende Gestalt abzuzeichnen, deren Konturen immer deutlichere Formen annahmen. Die massige Gestalt eines Mannes schälte sich hervor. Er war ungefähr drei Meter groß und breitschultrig. Ein wuchtiger, haarloser Schädel saß auf einem dünnen Hals. Grüne, fluoreszierende Schuppen bedeckten seinen Körper. Der klaffende Spalt seines riesigen Mundes erinnerte an das Maul eines Fisches. Mitten auf der breiten Stirn saß ein rot glühendes Auge. 5
Spitz auslaufende und überlange Ohren rundeten dieses gräuliche Bild des Dämons ab. Die schwarze Rauchwolke hatte sich vollkommen verflüchtigt. Der Dämonenriese stand schwankend inmitten der Vertiefung. Sein funkelndes Auge richtete sich auf die schweigend verharrenden Geistergestalten. Dann tönte eine tiefe Bassstimme auf: »Ich danke euch, Freunde. Ihr habt mich aus der Verbannung, in der ich seit vielen Jahrhunderten schmachte, befreit. Euren Beschwörungen ist es gelungen, mich von dem Zauberspruch des Magiers zu befreien.« Seine Worte hallten dumpf durch die riesige Höhle, brachen sich an den Wänden und wurden donnernd zurückgeworfen. Der Dämon mit dem einen Auge verneigte sich in Richtung der Geisterwesen. Eine Frau, mit dem Körper einer Göttin und dem Kopf einer wilden Wolfsbestie, trat einen Schritt nach vorn. Sie hob die Hand. Ihre vollen Brüste bebten. »Freu dich nicht zu früh, Gigantus. Noch ist der Fluch nicht von dir gewichen. Wir haben dir nur eine kurze Frist verschafft. Du musst einen Auftrag erfüllen, erst dann wird der Bannspruch von dir genommen.« Gigantus, der dämonische Riese, starrte die schöne Frau herausfordernd an. Wieder dröhnte seine tiefe Stimme auf. »Xertia, sag mir, was ich tun soll. Ich werde den Auftrag erfüllen, so wie ihn die Mächte der Finsternis beschlossen haben. Ich fühle mich stark und mächtig. Die Jahrhunderte der Ruhe haben mich gekräftigt. Sag mir, welchen Auftrag ich für euch ausführen soll!« Die Frau mit dem Wolfsgesicht reckte ihren geschmeidigen Körper. In ihrem Rachen blitzten zwei Reihen dolchartiger Zähne auf. »Du wirst in die Welt der Sterblichen zurückkehren. Wir hungern nach den Seelen der Menschen. Früher haben sie uns immer wieder Opfer dargebracht, doch seit vielen Zeitspannen sind diese Opfer ausgeblieben. Es wird deine Aufgabe sein, uns hundert neue Seelen zu bringen. Dann wird der Bannfluch, der dich beherrscht, von dir ge6
nommen werden. Solltest du jedoch versagen, dann können wir nichts mehr für dich tun. Du wirst für alle Zeiten verbannt bleiben und irgendwann in den Dimensionen der Finsternis elend zugrunde gehen. Du kennst jetzt deinen Auftrag, Gigantus. Wir werden dir mit allen Kräften helfen. Die Mächte des Bösen werden dich begleiten und auf deiner Seite sein.« Die leisere Stimme der Frau verstummte. Gigantus, der Dämonenriese, verneigte sich stumm. Er setzte einen Schritt nach vorn. Wieder begann sich der Boden unter seinem Gewicht zu wellen. »Wir bringen dich jetzt in die Welt der Sterblichen. Dort wirst du dein Aussehen ändern können. Doch achte gut auf dich! Die irdischen Verhältnisse haben sich in den letzten Jahrhunderten grundlegend geändert. Es erwartet dich eine aufgeschlossene und technisierte Welt, die nicht mehr an Geister und Dämonen glaubt. Doch wir brauchen Seelen, die einen Pakt mit uns schließen, die an uns glauben und uns dienen wollen. Denke daran! Solltest du Hilfe benötigen, dann rufe mich.« Die Wolfsfrau, mit dem Bestienkopf auf den makellosen Schultern, trat in die Reihe der anderen Dämonen zurück. Gigantus, der Dämonenriese, verneigte sich. Er hob seine beiden schuppigen Arme und breitete sie weit aus. »Ich werde euch hundert gläubige Seelen schicken. Ihr werdet mit mir zufrieden sein.« Der grauenhafte Gesang der dämonischen Wesen begann in diesem Augenblick wieder aufzubrausen. Die dissonante Musik setzte mit Vehemenz ein. Gigantus stand völlig regungslos, schien plötzlich in einem hellauf lodernden Feuer zu verglühen. Die schwarze Rauchwolke bildete sich erneut, begann zu rotieren, drehte sich immer schneller und schneller und war dann plötzlich mit einem schrillen Pfeifton verschwunden. Der Gesang der Dämonen blieb zurück. * 7
Percy Collins war fünfunddreißig Jahre alt und Inspektor bei Scotland Yard, strich sich über seine dunkelblonden, leicht gewellten Haare und rekelte seinen sportlichen, durchtrainierten Körper im Sessel. Seine rauchgrauen Augen waren auf seinen Assistenten Jeff Winter gerichtet, der gerade zur Tür hereingekommen war und sich müde auf einen Stuhl fallen ließ. Jeff streckte die Beine weit von sich. Sein ovales Gesicht war vor Müdigkeit gezeichnet. Dunkle Ränder lagen unter seinen Augen. Er zog eine zerdrückte Zigarettenpackung aus der Tasche seiner Lederjacke und zündete sich einen Glimmstängel an. »Mach es nur nicht so spannend«, knurrte Collins. »Hast du etwas herausbekommen?« Jeff Winter blies beim Rauchen kunstvolle bläuliche Ringe in die Luft, schüttelte dann den Kopf. »Nicht viel, Percy. Alles ist so furchtbar undurchsichtig. Ich stoße überall auf Widerstand.« Percy Collins' Faust hieb auf die blank polierte Platte seines Schreibtisches. Ein leeres Glas sprang klirrend in die Höhe und wäre um ein Haar zu Boden gefallen. Doch mit einer blitzschnellen Reaktion konnte der Inspektor das Glas gerade noch erwischen. »Verstehe ich nicht, Jeff. Verdammt noch mal, ich kapiere es einfach nicht. Da sind über dreißig Menschen spurlos verschwunden und ihre Angehörigen behaupten einfach, dass sie keine Ahnung hätten, was geschehen sei. Der Chef macht mir die Hölle heiß.« Der Inspektor wuchtete sich aus dem Sessel hoch. Er war ungefähr einsachtzig groß, breit in den Schultern und schmal in den Hüften. Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine markanten Gesichtszüge. »Auch einen Drink?«, fragte er seinen Assistenten, der jedoch abwinkte. »Ich brauche einige Stunden Schlaf, Percy, bin jetzt seit mehr als vierundzwanzig Stunden pausenlos unterwegs gewesen. Mein Gott, über dreißig Leute sind verschwunden! Spurlos verschwunden. Niemand weiß etwas Näheres. Leichen sind auch keine aufgetaucht, noch hatten sich Kidnapper gemeldet.« 8
Jeff Winter zuckte mit den Achseln und fuhr sich durch sein nackenlanges rötliches Haar. Das Telefon auf Percys Schreibtisch begann zu klingeln. Der Inspektor warf dem Apparat einen unwilligen Blick zu, nahm dann, doch den Hörer von der Gabel. »Sicher, Mr. Hubbard«, sagte er. »Nichts... Nein, wir schlafen nicht... Wir sind pausenlos im Einsatz... Gut... Okay, ich komme zu Ihnen. In Ordnung.« Wütend warf der Inspektor den Hörer auf die Gabel zurück. Sein Gesicht hatte sich gerötet. Eine tiefe Falte kerbte seine Stirn. Dann nickte er Jeff zu. »Der Chef will uns sofort sprechen. Los, komm mit. Er scheint außer sich zu sein. Verdammt noch mal, er tut gerade so, als wären wir an dem ganzen Schlamassel schuld.« Einige Augenblicke später erreichten sie Glenn Hubbards Büro. Sie klopften an und traten ein. * Hubbard thronte hinter seinem breiten Schreibtisch und rückte seine dunkle Hornbrille zurecht. Dann fuhr er sich über seinen mächtigen Schnurrbart. Sein rundliches Gesicht war gerötet. »Da sind Sie ja endlich«, knurrte er. »Nehmen Sie Platz, meine Herren. Dann möchte ich einen ausführlichen Bericht von Ihnen hören. Ausführlich, habe ich gesagt.« Er faltete beide Hände über seinen ansehnlichen Bauch, schloss die Augen und lehnte sich zurück. Percy Collins begann zu berichten: »Dreißig Bürger von London und Umgebung sind in den letzten drei Wochen spurlos verschwunden. Zuerst glaubten wir an Entführungen, doch das kann es nicht sein, denn sonst hätten sich die Kidnapper schon gemeldet. Auch irgendwelche Extremisten scheiden aus. Bei den Entführten handelt es sich um Leute, die in geordneten Verhältnissen lebten.« 9
Glenn Hubbard öffnete ein Auge und blinzelte damit den Inspektor wie ein Uhu an. »Weiter, Inspektor, das ist mir alles bekannt.« Collins schluckte und nahm eine Zigarette, die ihn Jeff Winter herüberreichte. »Wir haben die Familien der Verschwundenen aufgesucht. Es gibt einfach keinerlei Hinweise und Spuren. Die verschwundenen Männer und Frauen schrieben weder Abschiedsbriefe, noch haben sie ihren Verwandten oder Freunden mitgeteilt, wohin sie gegangen seien.« Wieder blinzelte Hubbard wie eine Eule über den Brillenrand hinweg. »Aber dreißig Personen können sich doch nicht einfach in Luft auflösen«, knurrte Glenn Hubbard böse. »Es muss doch Zusammenhänge geben. Vielleicht gehören sie alle irgendeinem Club an, haben gemeinsame Interessen, aus denen man gewisse Rückschlüsse ziehen könnte.« Percy Collins schüttelte den Kopf. »Nichts, Chef, einfach nichts. Der Jüngste der Verschwundenen ist achtzehn Jahre alt, der Älteste fünfundsiebzig. So und nun bringen Sie das einmal auf einen Nenner.« Collins Stimme klang gereizt. Hubbard griff zu seinem ansehnlichen Pfeifenständer, wählte kurz und begann eine Pfeife zu stopfen. »Die Tochter von Sir Wellington ist verschwunden, meine Herren, mit ihr weitere neun Personen. Die Vermisstenmeldungen erreichten mich heute Vormittag. Jetzt sind insgesamt vierzig Personen verschwunden. Wie Sie wissen, ist Sir Wellington mit dem Innenminister befreundet. Unser oberster Chef hat mich heute schon gehörig in die Mangel genommen. Er setzte mir eine Frist von achtundvierzig Stunden, um hinter diese mysteriösen Vorfälle zu kommen.« Glenn Hubbard schwieg und zog nervös an seiner qualmenden und übel riechenden Pfeife. Sekundenlang herrschte peinliches Schweigen. Nur der leicht schnaufende Atem der Männer war zu vernehmen. 10
Dann begann Inspektor Collins trocken zu fluchen. Er drückte seine halbgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus und erhob sich schwerfällig. »Geben Sie mir die Liste der verschwundenen Personen. Vielleicht können wir diesmal etwas entdecken, was von Wichtigkeit sein könnte.« Hubbard reichte die Liste dem Inspektor, der sie kurz überflog und dann an Jeff Winter weitergab. »Dorothy Wellington«, überlegte er dann laut. »Ich glaube, schon von dem Girl gehört zu haben. Versuchte sie sich nicht beim Film oder beim Theater?« Glenn Hubbard nickte und sog an seiner stinkenden Pfeife. Percy rang förmlich nach Luft, als ihn die Rauchwolke traf. »Klappte aber nicht. Sie ist zwar bildschön, doch das genügt nicht immer beim Film. Sie bekam zwar einige kleinere Rollen, doch den Durchbruch schaffte sie nie.« »Vielleicht versucht sie sich jetzt dadurch Publicity zu verschaffen?« Collins' Vorgesetzter kaute ärgerlich auf seiner Pfeife herum und legte sie dann auf die Pfeifenständer zurück. »Könnte sein, Collins. Klemmt euch hinter diese Angelegenheit und versucht alles, um diesen Fall zu lösen. Wenn es erst die Presse spitz bekommt, dass wir diesen Fällen hilflos gegenüberstehen, dann werden sie uns fertigmachen.« Collins und Winter gingen zur Tür. »Hals- und Beinbruch, Jungs«, rief Hubbard hinter ihnen her. »Und meldet euch bald wieder.« Jeff Winter konnte die Augen kaum noch offen halten. Er gähnte und riss den Mund dabei so weit auf, als wollte er ein ganzes Dutzend Fliegen verschlucken. »Geh schlafen, Jeff«, murmelte Percy Collins. »Ich mach mich allein auf die Socken. Aber halte dich bereit. Verdammt noch mal, nächste Woche wollte ich in Urlaub gehen. Wird wohl jetzt nichts daraus.« 11
* Als sich die Tür öffnete, ließ Charles Tatcher ein Blatt Papier in seiner Schreibtischschublade verschwinden. Verlegen lächelte er seiner Tochter zu, die näher trat und ihren Vater fragend ansah. »Du könntest auch anklopfen, Mary«, sagte er dann vorwurfsvoll und hielt dem jungen Mädchen seine Wange hin. Mary Tatcher war siebzehn Jahre alt, trug knapp sitzende Jeans und eine rote Bluse, die sich stramm um ihre kleinen Brüste schmiegte. Ihr dunkles Haar fiel bis auf die Schultern und umschmeichelte ihr junges, frisches Gesicht. Sie gab ihrem Vater einen schmatzenden Kuss, trat zurück und zog eine Augenbraue hoch. »Du hast wohl Geheimnisse, was?«, lächelte sie. »Du wirst doch nicht heimlich Pornohefte lesen?« Das Gesicht ihres Vaters rötete sich ärgerlich. »Unsinn«, knurrte er gereizt. »Es gehört sich, anzuklopfen, wenn man ein Zimmer betritt. Was hast du auf dem Herzen?«, wechselte er abrupt das Thema. »Ich wollte dir nur Tschüß sagen«, antwortete Mary. »Ich gehe mit Jill ins Kino. Bis gegen zweiundzwanzig Uhr bin ich wieder zurück. Willst du auch ausgehen?«, fragte sie und musterte ihren Vater genauer. »Du hast wohl eine neue Freundin?« Sie lächelte. »Wird ja auch langsam Zeit, dass du wieder unter Menschen gehst. Seit Mutters Tod vor fünf Jahren bist du kaum noch aus dem Haus gekommen.« Charles Tatcher nickte. »Ich habe noch etwas Geschäftliches zu erledigen. Ein größerer Abschluss und den bespricht man am besten bei einem guten Essen und einem Whisky.« »Dann bis später, Dad«, rief das junge Mädchen und lief mit wehenden Haaren zur Tür. »Lass es dir nicht langweilig werden.« An der Tür hielt sie nochmals inne. »Vielleicht könntest du mich bis zu Jill mit dem Auto mitnehmen. Es regnet und ich bin doch erst gestern beim Friseur gewesen.« 12
Charles erhob sich kopfschüttelnd, griff sich den Mantel vom Haken und folgte seiner Tochter, die ihm vorauseilte. Es goss in Strömen. Die Scheibenwischer des Fords konnten die Wassermassen kaum bewältigen. Schwefelgelbe Blitze zuckten aus dunkel bewölktem Himmel. Berstender Donner rollte heran. »Sauwetter«, schimpfte Tatcher und wich einer großen Pfütze aus. Die Straßenlaternen verbreiteten ein milchiges Licht. Bäume und Sträucher am Wege bogen sich unter dem stürmenden Wind. »Anhalten«, rief Mary in diesem Moment. »Dad, was ist nur los mit dir?« Charles Tatcher fuhr den Wagen rechts heran und nickte seiner Tochter freundlich zu. »Viel Spaß, Mary. Und pass gut auf dich auf!« Das junge Mädchen öffnete die Wagentür, kletterte hinaus und eilte zu einem Hauseingang, in dem sie gleich darauf verschwand. Tatcher gab Gas und fuhr los. Die Scheinwerfer bohrten sich in die niederstürzenden Wasserfluten, während die Scheibenwischer gleichmäßig surrten. Charles fuhr schneller, als es die Witterungsbedingungen erlaubten. Einmal kam er ins Schleudern und konnte nur mit viel Glück einem Baum ausweichen. Tatcher wischte sich über die Stirn, die wie mit Öl eingerieben glänzte. Seine Lippen pressten sich hart aufeinander. In seinen Augen lag ein kaltes Funkeln. Er atmete auf, als endlich der Regen schwächer wurde. Er hatte die letzten Häuser von London längst hinter sich gelassen. Das breite Band der Schnellstraße lag glänzend vor ihm. Er trat das Gaspedal noch tiefer durch. Mit aufheulendem Motor beschleunigte der schwere Wagen. Das Fahrzeug schoss über die regennasse Straße, auf der kaum Verkehr herrschte. Nach einer guten halben Stunde verließ Charles Tatcher die Schnellstraße und bog auf eine Landstraße ein, die er aber auch schon 13
bald wieder verließ und mit gemäßigtem Tempo einen holprigen Feldweg entlangfuhr. Um ihn herum waren Bäume und Büsche. Die fahle Sichel des Mondes schob sich zwischen den jagenden Wolken hervor. Plötzlich tat sich eine Lichtung auf. Licht schimmerte Tatcher entgegen. Es kam aus einem alten Haus, das einen verwahrlosten und zerfallenen Eindruck machte. Vor der eingestürzten Hofmauer hielt er den Wagen an. Charles Tatcher spähte zu dem düsteren Gebäude hinüber, starrte auf das flackernde Licht, das aus dem obersten Stockwerk herüberfunkelte. Charles wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihn quälte ein dumpfer Druck im Magen. Er verspürte Übelkeit. Er verließ den Ford und an der frischen Luft wurde ihm ein wenig besser. Von irgendwoher kam der klagende Ruf eines Käuzchens. Der Wind peitschte die Bäume. Sie ächzten und wimmerten. Tatcher lief es kalt den Rücken hinunter. Er zog ein Taschentuch aus seiner Manteltasche, behielt es eine Zeitlang in der Hand, putzte sich dann gründlich die Nase. Er war nervös. Ein penetranter Geruch lag in der Luft. Es roch nach Moder und Verwesung. Charles Tatcher blieb unschlüssig stehen. Sein Blick wurde immer wieder magisch von dem schimmernden Licht im ersten Stock, das jetzt stärker zu flackern schien, angezogen. Der Mann biss sich auf die Unterlippe und spürte einen süßlichen Geschmack in seinem Mund. Zögernd stieg er über einige große Steine, rutschte ab und begann zu fluchen, als er sich den Knöchel schmerzhaft anstieß. Plötzlich verhielt er mitten im Schritt. Aus geweiteten Augen starrte er zu den düsteren Gemäuern hinüber. Sein Herz hämmerte hart gegen die Rippen. Als er ein Geräusch hinter sich vernahm, wirbelte er blitzschnell herum. Doch es war nur ein Vogel, der aus dem Buschwerk aufgeflattert war und sich mit trägem Flügelschlag in die Lüfte erhob. 14
Fast hatte er den Eindruck, als würde der Vogel auf die silberne Sichel des Mondes zufliegen. Charles Tatcher fröstelte. Er fühlte eine eisige Hand seinen Rücken entlang streichen. Seine Zähne schlugen wie bei starkem Fieber oder Frost klappernd aufeinander. Heftig schüttelte er den Kopf und zog sich Schritt für Schritt zu seinem Wagen zurück, während er unverwandt auf das düstere Haus starrte. Das Licht war noch immer da, es fiel schräge aus dem Fenster in den Vorhof. Nachdem er eine Zeitlang stehen geblieben war, ging er zögernd auf das verfallene Haus zu, dabei ließ er es keine Sekunde lang aus den Augen. Ein Lächeln lag plötzlich auf seinem Gesicht. Alle Angst und Furcht schien von Charles Tatcher abgefallen zu sein. Bald hatte er den Eingang erreicht. Noch wusste er nicht, dass ihn dort das Grauen erwartete. * »Nun beruhigen Sie sich, Sir«, sagte Percy Collins besänftigend. Doch diese Worte schienen Sir Wellington noch gereizter zu machen. Seine dunklen Augen funkelten den Inspektor böse an. »Sie haben gut reden, junger Mann«, knurrte er. »Es ist ja auch nicht Ihre Tochter, die verschwunden ist.« Percy Collins holte tief Luft und wollte sich eine Zigarette anzünden. Doch als er den verweisenden Blick von Sir Wellington sah, steckte er sie wieder in die Packung zurück. »Lassen Sie mich zusammenfassen, Sir«, fuhr der Inspektor fort. »Ihre Tochter war bis gegen zwanzig Uhr zu Hause und wollte dann noch fernsehen. Sie selbst haben sich schlafen gelegt. Am nächsten Tag war Ihre Tochter verschwunden.« Sir Wellington nickte. 15
»Sie haben sich mit allen Freunden und Bekannten von Dorothy in Verbindung gesetzt, doch niemand hatte etwas von ihr gehört. Keinerlei Anrufe von Kidnappern?« »Nein, verdammt noch mal, nein!« Der schon ältere Mann schien jetzt immer gereizter zu werden. Wie ein gefangener Tiger lief er im Zimmer auf und ab. »Nehmen Sie auch einen Drink?«, fragte er und brachte für Collins ein Glas mit. Der Inspektor nippte an dem alten Whisky, während er Sir Wellington nachdenklich musterte. »Es sind in den letzten drei Wochen über vierzig Personen verschwunden. Wir stehen vor einem Rätsel, Sir.« Wellington fiel beinahe das Glas aus der Hand. »Was?«, keuchte er. »Vierzig...« Percy Collins nickte. »Entweder handelt es sich um Menschenhandel größeren Stils, oder...« »Oder, was?« Der Inspektor zuckte resigniert mit den Achseln. »Keine Ahnung, Sir. Es gibt keinerlei Spuren oder Hinweise. Die Menschen sind verschwunden - spurlos verschwunden, so als hätte es sie nie gegeben.« Sir Wellington ließ sich schwer in den Sessel fallen. Sein Gesicht war um einige Nuancen bleicher geworden. »Geben Sie mir eine Liste aller Freunde und Bekannten Ihrer Tochter. Gehörte sie irgendwelchen Clubs oder Vereinigungen an? Wir überprüfen sämtliche verschwundene Personen. Vielleicht gibt es doch irgendwelche Zusammenhänge.« Sir Wellington starrte auf sein leeres Glas. »Ich schicke Ihnen die Liste morgen zum Yard«, murmelte er und erhob sich. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich einen Privat-Detektiv engagiere?« »Von mir aus ein halbes Dutzend, Sir. Doch ich bitte Sie, mich sofort zu verständigen, sollte sich irgend etwas in den nächsten Stunden 16
ergeben, das Licht auf das Verschwinden Ihrer Tochter werfen könnte.« Sir Wellington nickte. Percy Collins saß einige Augenblicke später im silbergrauen Bentley, der seinem Assistenten Jeff Winter gehörte, der ihm aber das Fahrzeug freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Es war inzwischen dunkel geworden. Schwere Regenwolken zogen auf. In der Ferne zuckten Blitze, erhellten die Finsternis. Bald begann es auch schon wie aus Eimern zu gießen. Percy drosselte das Tempo. Er fühlte eine kleinere Müdigkeit, die sich auf seine Glieder legte. Zehn anstrengende und aufreibende Besuche lagen hinter ihm. Er hatte mit den verzweifelten Eltern, verstörten Ehegatten und ratlosen Freunden der Verschwundenen gesprochen und war trotzdem keinen winzigen Schritt vorwärts gekommen. Es war zum aus der Haut fahren. Es gab einfach keinerlei Hinweise. Die Verschwundenen kannten sich auch nicht untereinander, obwohl sie alle in London wohnten. Doch das war bei einer Millionenstadt auch nicht verwunderlich. Der Inspektor hatte die Nase gestrichen voll. Er steuerte den Wagen durch den niederprasselnden Regen und war froh, als er endlich seine Wohnung erreicht hatte. * Charles Tatcher stieß unsanft mit dem Knie gegen einen vorspringenden Stein. Der grelle Schmerz zuckte durch seinen Körper und trieb ihm Tränen in die Augen. Um ihn herum raschelte und knisterte es. Spinnweben hingen zwischen den Türpfosten. Der Mann duckte sich und betrat das Haus. Eine flackernde Kerze erfüllte den verwahrlosten Raum mit trübem Licht. Altes Gerumpel stand in den Ecken, leere Bierflaschen lagen auf dem staubigen Boden. Eine Ratte suchte quietschend das Weite. 17
Charles Tatcher starrte zu der steilen Treppe hinüber, die keinen vertrauenerweckenden Eindruck machte. Er blieb davor stehen und spähte nach oben. Ob ich hier überhaupt richtig bin?, überlegte er und suchte in seiner Tasche nach dem Schreiben. Er stieß einen herzhaften Fluch aus, als ihm einfiel, dass er die Einladung bei Marys Eintreten in das Zimmer schnell in die Schreibtischschublade geschoben hatte. Doch er musste am richtigen Ort sein. Sehr genau hatte er sieh alles eingeprägt, was in der Einladung gestanden hatte. Er vernahm Geräusche aus dem oberen Stockwerk, so als würde jemand ungeduldig auf und ab gehen. Charles Tatcher war kein Feigling, hatte schon immer seinen Mann gestanden. Außerdem wusste er, dass diese Einladung nichts für Angsthasen war. Er stieg langsam die knarrenden Treppenstufen empor. Eine Spinne hing am seidenen Faden von der Decke. Charles Tatcher duckte sich angeekelt. Wieder knarrten die Treppenstufen verräterisch. Von oben drang kein Geräusch mehr herunter, es war verstummt. Es schien, als befände sich Tatcher allein in dem alten und zerfallenen Haus. Jetzt hatte er die letzte Treppenstufe erreicht. Zögernd blieb Charles Tatcher stehen. Wieder begann sein Herz hart gegen die Rippen zu schlagen. Er erblickte eine verschlossene Tür, durch deren Ritzen Lichtschein fiel. Charles Tatcher trat zögernd näher. Er drückte gegen die Tür, die knarrend zurückwich. Der Schein einer flackernden Fackel tauchte sein bleiches Gesicht in grelles Licht. Charles schloss geblendet die Augen. Mit maskenstarrem Gesicht trat er in den erleuchteten Raum und schaute sich dann nach allen Seiten suchend um. * 18
Das Zimmer war leer. Durch die zerbrochenen Fensterscheiben pfiff der Wind herein und jaulte eine schaurige Melodie. Der Mann starrte nachdenklich vor sich hin. Plötzlich vernahm er ein Rascheln hinter sich. Blitzschnell drehte er sich um. Vor ihm stand ein kleiner Mann, der hinter der geöffneten Tür hervorgetreten sein musste. Der Fremde war höchstens einssechzig groß, hatte einen kahlen Schädel und große blitzende Augen, die Charles aus irgendeinem Grunde an einen feuerspeienden Vulkan erinnerten. Der kleine Mann trug einen schwarzen wallenden Mantel, der bis auf den staubigen Boden reichte. »Willkommen«, klang seine heisere Stimme auf. »Willkommen hier bei uns! Lassen Sie sich von der gespenstischen Umgebung nicht beeindrucken, die gehört nun einmal dazu. Bestimmt haben Sie auch nichts anderes erwartet.« Der Kleine kicherte und rieb seine skelettförmigen Finger ineinander. Charles Tatcher nickte befangen, war nicht fähig, einen Ton hervor zu bekommen, seine Kehle war wie zugeschnürt. Er schluckte mehrmals. »Willkommen im Club der Dämonen, Mister. Noch können Sie umkehren und alles vergessen. Sie sind aus freien Stücken unserer Einladung gefolgt, da Sie sich für Schwarze Magie und ähnliche unheimliche Dinge interessieren. Wir haben etwas ganz Besonderes auf diesem Gebiet zu bieten. Dafür verlangen wir aber auch einen horrenden Beitrag, aber das wissen Sie ja bereits.« Der Mann im wallenden Mantel lächelte tückisch. Er zeigte eine Reihe spitzer Zähne dabei. Seine glühenden Augen begannen boshaft zu funkeln. Langsam verließ Charles Tatcher die panische Furcht, die ihn in den letzten Minuten gnadenlos in den Krallen gehalten hatte. Er versuchte zu lächeln, doch es wurde nur eine verzerrte Grimasse daraus. 19
»Ich bin beeindruckt«, flüsterte er. Seine eigene Stimme kam ihm fremd vor. »Ich habe mir viel von dem Club versprochen, bin angenehm überrascht.« Er langte in seine Brusttasche und zog ein Bündel Geldscheine hervor. »Der Beitrag, Sir«, erklärte er. »Würden Sie bitte nachzählen. Es ist der Jahresbeitrag.« Der kleine Mann nickte nur, griff nach den Pfundnoten und ließ sie in einer Tasche seines schwarzen Mantels verschwinden. »Gut«, antwortete er. Der zuckende Lichtschein der Fackel spiegelte sich auf seiner Glatze. »Hier ist nur eine Zwischenstation. Sie werden von mir jetzt persönlich zu unserem Club gebracht. Dort müssen Sie eine Aufnahmeprüfung ablegen.« Charles Tatcher schluckte wieder nervös. »Folgen Sie mir, Sir!« Der Kahlköpfige verließ schlurfend das Zimmer. Der Mantel wirbelte Staub auf, der in Tatchers Nase zu kitzeln begann. Zögernd folgte Charles Tatcher dem Kleinen, der einen langen düsteren Gang entlang lief und dann vor einer gewaltigen Tür anhielt. Seine Faust pochte in einem schnellen Rhythmus gegen das matt funkelnde Porzellan. Geräuschlos wich die Tür zurück. Helligkeit flutete Charles Tatcher entgegen. Er hatte den Eindruck, dass über ein Dutzend große Strahler auf ihn gerichtet waren. Er taumelte in den Raum, versuchte mit zusammengekniffenen Augen etwas zu erkennen, doch es gelang ihm nicht. Zu sehr würde er von den grellen Lichtern geblendet. Der kleine Mann im wallenden Mantel war auf einmal verschwunden. Totenstille legte sich beklemmend auf den vierzigjährigen Mann, dessen Herz wieder bis zum Halse schlug. Seine Hände verkrampften sich ineinander. Ein süßlicher Geruch lag in der Luft, legte sich beklemmend auf Tatchers Lungen. Er kam 20
sich plötzlich wie betrunken vor, schien zu schweben und immer leichter zu werden. Das grelle Licht wurde sanfter. Tatcher konnte jedoch noch immer nichts von seiner Umgebung erkennen. Nur das Gefühl zu schweben blieb. Tatcher genoss es, er fühlte sich wie ein Vogel, der sich am blauen Himmel tummelt. Von einer Sekunde zur anderen verlosch die Helligkeit. Charles war, als stürzte er durch einen dunklen bodenlosen Korridor ins Nichts. Geheimnisvolle Energieströme durchpulsten seinen Körper. Der Sturz beschleunigte sich. Farbige Spiralen kreisten vor seinen Augen, schienen ihn zu umhüllen und ihn immer tiefer in einen Abgrund zu ziehen. Charles Tatcher versuchte zu schreien, doch kein Ton entströmte seinem aufgerissenen Mund. Eine schreckliche Angst raste durch jede Faser seines Körpers. Und immer tiefer schien Tatcher zu stürzen. * »Sie sind Mary Tatcher?«, fragte Inspektor Collins und hängte seinen regennassen Mantel über einen Kleiderbügel. Das junge Mädchen nickte. In ihren Augen spiegelte sich Angst. Sie musterte Percy Collins misstrauisch. »Ich bin Charles Tatchers Tochter«, berichtete sie dann. »Mein Vater ist seit drei Tagen spurlos verschwunden. Gestern erstattete ich Vermisstenanzeige. Sie sind doch von Scotland Yard, Inspektor? Was ist mit meinem Vater?« »Beruhigen Sie sich«, lächelte Collins. »Alle Nachforschungen sind bisher ergebnislos verlaufen. Aus diesem Grund bin ich da und habe einige Fragen an Sie zu richten.« Mary Tatcher biss sich auf die Unterlippe. Ihr sonst so frisches Gesicht wirkte abgespannt und müde. Sie deutete auf einen Stuhl. »Schießen Sie schon los, Inspektor.« 21
Percy nahm Platz, verschränkte die Beine übereinander und musterte Mary forschend. »Aus Ihrer Vermisstenmeldung weiß ich schon einigermaßen über den Sachverhalt Bescheid. Sie gaben an, dass Ihr Vater eine geschäftliche Verabredung hatte. Dies konnte wohl aber doch nicht stimmen. Verfügt Ihr Vater über einen Terminkalender oder so etwas Ähnliches?« Mary nickte. »Ich hole ihn«, sagte sie und trat auf eine Tür zu. Percy Collins folgte ihr in Mr. Tatchers Arbeitszimmer. Interessiert musterte er den Raum, sah die Regale, die bis zur Decke mit Büchern voll gestellt waren. »Ihr Vater scheint ein sehr belesener Mann zu sein«, stellte er fest. Er überflog einige Titel und zuckte plötzlich zusammen. »Interessiert sich Ihr Vater für Schwarze Magie, Hexenkunde, Dämonen oder Ähnlichem?« »Keine Ahnung«, antwortete das junge Mädchen und blickte Percy erstaunt an. »Er hat nie mit mir darüber gesprochen.« Der Inspektor deutete auf die vielen Bücher, die sich mit den Praktiken der Schwarzen Kunst beschäftigten. »Sie meinen diese Bücher«, lächelte Mary. »Die hat Dad vor einem Jahr geerbt. Ich weiß wirklich nicht, ob er sich mit diesem Zeug befasst hat.« »Was ist mit dem Terminkalender?« Mary Tatcher reichte Collins ein dünnes Büchlein. Percy schlug es neugierig auf. Er fand den Tag, an dem Tatcher verschwunden war. C.d.D. stand darin. »Was soll das nur wieder heißen, Miss Tatcher? Haben Sie eine Ahnung?« Mary trat näher. Mit einer unbewussten Geste strich sie sich eine Strähne ihres langen Haares aus der Stirn. Sie schüttelte den Kopf. 22
»Ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat«, murmelte sie. »C.d.D. Nie gehört, Inspektor.« »Darf ich das Buch behalten?«, erkundigte sich Percy und nagte an seiner Unterlippe. »Sicher, Inspektor. Von mir aus. Vielleicht hilft es Ihnen weiter. Ich hoffe es wenigstens.« »Kam Ihnen Ihr Vater vor drei Tagen irgendwie verändert vor? War er anders als sonst? Nervös, gereizt?« Mary überlegte. Sie wollte schon eine ablehnende Antwort geben, als sie zusammenzuckte. »Eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen«, gestand sie nach kurzem Zögern. »Ja, er war irgendwie anders, irgendwie nervös. Ich erinnere mich, dass ich ohne anzuklopfen ins Zimmer stürzte. Ich muss ihn gestört haben, denn er ließ etwas blitzschnell in seiner Schreibtischschublade verschwinden.« Percy Collins hob interessiert den Blick. »Was ist es gewesen?« Mary Tatcher zuckte mit den Achseln. »Ein Blatt Papier oder so etwas Ähnliches. Ich habe mich nicht darum gekümmert, Inspektor.« »Sie sagten, er habe es in der Schublade verschwinden lassen? Darf ich nachschauen?« Mary runzelte die Stirn. »Ist das wirklich nötig?« Sie war verstimmt. »Sie sollen Dad finden und nicht in seiner Schreibtischschublade herumkramen. Er würde es bestimmt nicht wollen. Percy Collins blieb gelassen. »Sie wollen doch, dass ich Ihren Vater finde? Na, also, Miss Tatcher. Und jetzt lassen Sie mich mal nachsehen.« Der Inspektor öffnete die Schublade. Ganz oben lag ein beschriebenes Stück Papier. »Das ist es«, sagte Mary und trat neugierig näher. Percy Collins begann zu lesen:
Sehr geehrter Mr. Tatcher! 23
Wir haben Ihren Aufnahmeantrag vom ›Club der Dämonen‹ erhalten und sind nach sorgfältiger Prüfung zu dem Entschluss gekommen, Sie einer Aufnahmeprüfung zu unterziehen. Alles Weitere ist Ihnen bereits bekannt. Der Treffpunkt ist auf der Rückseite dieses Briefes genau beschrieben. Sie können ihn nicht verfehlen. Bitte prägen Sie sich alles genau ein und vernichten Sie diesen Brief in unserem beiderseitigen Interesse. Den von uns geforderten Betrag von tausend Pfund Sterling, bitten wir unbedingt mitzubringen. Mit vorzüglicher Hochachtung. Die Unterschrift war unleserlich. »C.d.D. - Club der Dämonen«, überlegte Percy Collins und gab dem jungen Mädchen den Brief zurück. »Was soll das nur wieder bedeuten?« Percy spürte ein stechendes Gefühl in seiner Herzgegend. Ihn fröstelte plötzlich. Mary hatte den Brief ebenfalls gelesen und starrte den Detektiv von Scotland Yard aus großen Augen an. »Ein Scherzbrief«, stieß sie hervor. »Sie werden doch nicht an einen solchen Unsinn glauben, Inspektor?« Percy zupfte nervös an seiner Nase und las den Brief ein zweites mal. Vergebens suchte er nach einem Absender oder einer Firmenanschrift auf dem Bogen. Dann drehte er das Blatt herum und prägte sich den angegebenen Treffpunkt ein. Der Mann von Scotland Yard kannte die Gegend, war dort draußen einmal zu einem Picknick gewesen. Doch das lag schon einige Jahre zurück. »Kann ich den Brief mitnehmen?«, bat er und schaute das hübsche Mädchen lächelnd an. Mary Tatcher stieß auf einmal einen gellenden Schrei aus. Percy Collins zuckte zusammen, wirbelte herum, konnte jedoch nichts entdecken. Er fühlte nur plötzlich eine zunehmende Hitze an seinen Fingern und starrte auf den Brief, der plötzlich Feuer gefangen hatte und mit 24
einem lauten Zischen verbrannte. Er konnte den letzten Rest gerade noch fallen lassen. In Marys weit aufgerissenen Augen stand das Entsetzen. Der Inspektor steckte die schmerzenden Finger, die mit der Flamme in Berührung gekommen waren, in den Mund und musste sich zurückhalten, um nicht zu fluchen. »Es - hat von - ganz - allein - Feuer gefangen«, stammelte Mary. »Oder wollten Sie mir - irgendeinen - Zaubertrick vorführen?« Sie bekam sich wieder unter Kontrolle und blickte auf das kleine Aschenhäufchen zu Collins' Füßen. Doch dann wich das junge Mädchen langsam zurück. Die Asche wirbelte plötzlich durcheinander, wie durch eine heftige Windbö getroffen. Die Asche flog durch das Zimmer. »Unheimlich«, flüsterte sie. »Alle Türen und Fenster sind geschlossen.« Schutzsuchend drängte sie sich an Collins. »Beruhigen Sie sich«, klang die sanfte Stimme des Inspektors auf. »Ich habe mit der Sache nichts zu tun und kann Ihnen dieses Phänomen auch nicht erklären. Hier gehen offensichtlich unheimliche Dinge vor. Bitte, liebe Miss Mary, sagen Sie keinem Menschen etwas davon, was hier vorgefallen ist. Ihr Vater schwebt in höchster Lebensgefahr. Doch ich hoffe, dass wir mit dem Auffinden des Briefes einen guten Schritt vorwärts gekommen sind. Ich habe einige Anhaltspunkte, die mir weiterhelfen werden. Mein Besuch hat sich gelohnt.« In Marys blauen Augen schimmerte Angst. »Ich bleibe keine Stunde länger in dieser Wohnung«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. »Ich ziehe zu meiner Freundin Jill. Ich gebe Ihnen die Adresse, Inspektor.« Percy Collins nickte. Er fühlte sich erleichtert, weil sein Besuch bei Mary Tatcher nicht umsonst gewesen war. * 25
Der bodenlose Sturz ging plötzlich in ein sanftes Schweben über. In der tintigen Dunkelheit begannen einige helle Lichter zu glimmen, die wie Glühwürmchen hin und her gaukelten. Charles Tatcher spürte Boden unter seinen Füßen. Er taumelte einige Schritte, ehe er sich unter Kontrolle bekam. Er befand sich in einem großen Raum. Die Helligkeit schien den Wänden zu entströmen. Der Raum war leer. Tatcher konnte nicht einmal Türen entdecken. Charles sah sich verblüfft nach allen Seiten um. Sein fliegender Atem beruhigte sich. Seine anfängliche Furcht schlug in Neugierde um. Plötzlich erschallte eine dumpfe Stimme, die ihm kalte Schauer über den Rücken trieb. »Willkommen im Club der Dämonen. Wir haben dich in den letzten Minuten getestet und für würdig befunden, in unseren Reihen aufgenommen zu werden. Fühle dich bei uns wie zu Hause. Durchquere das Zimmer! Eine Geheimtür wird sich öffnen. Alles Weitere wirst du sehen.« Die Stimme verstummte. Charles Tatcher lächelte. Langsam begann ihm die Angelegenheit zu gefallen. Außerdem durfte er für seine tausend Pfund auch einiges erwarten. Schon seit geraumer Zeit hatte er sich mit Schwarzer Magie und Zauberei beschäftigt, bis er durch Zufall an die Adresse dieses Clubs gekommen war. Hier würden sich seine kühnsten Träume und Erwartungen erfüllen. Er versprach sich eine anregende Abwechslung und hoffte so dem täglichen Trott für einige Zeit zu entgehen. Natürlich war alles ein wenig übertrieben, fand er. Und beinahe wäre es dem Unbekannten gelungen, ihm Furcht und Schrecken einzujagen. Doch dies schien alles zu diesem Spiel zu gehören. So dachte Charles Tatcher. Er hatte keine Ahnung, wie sehr er sich irrte. Aus dem Spiel würde bald tödlicher Ernst werden. Er durchquerte das Zimmer. Als er nur noch wenige Schritte von der Wand entfernt war, öffnete sich plötzlich eine Tür, die in einen düsteren Gang führte. 26
Dumpf hallten Tatchers Schritte auf den großen Steinfliesen. Die felsigen Wände strahlten Kälte aus. Kleine Wasserbäche sickerten zu Boden. Wieder legte sich ein beklemmendes Gefühl auf seine Brust. Doch er gab es sich selbst nicht zu, lief einfach tapfer weiter. Einmal glaubte er ein höhnisches Gelächter zu vernehmen, doch Tatcher war sich nicht ganz sicher. Vielleicht hatten ihm auch seine überreizten Nerven einen Streich gespielt. Der Gang endete vor einem großen steinernen Portal. Zwei große Statuen standen davor. Sie erinnerten ihn an griechische Standbilder, doch statt der Köpfe trugen sie verzerrte Dämonenfratzen, die finster auf ihn nieder starrten. Knarrend wich die Tür zurück. Ein eisiger Luftzug traf Charles Tatcher, ließ ihn fröstelnd zusammenzucken. Verwesungsgeruch schlug ihm entgegen. Er schnappte nach Luft. Doch dann trat er entschlossen durch das Portal. Der Raum war genauso riesengroß wie der vorherige. Den Mittelpunkt bildete ein Springbrunnen, der meterhohe Fontänen aufwarf. Er wurde von einigen unsichtbaren Strahlern angeleuchtet, die in schnellem Rhythmus die Farben wechselten. Charles verhielt den Schritt. Rings um den Brunnen herum standen ungefähr dreißig Statuen, Frauen und Männer, Jünglinge und junge Mädchen. Tatcher trat staunend näher. Er verstand zwar nicht viel von der bildhaften Kunst, doch so viel erkannte er, dass diese Statuen von einem großen Künstler geschaffen worden waren. Sie wirkten wie echt. Jedes noch so geringe Detail an den Körpern und den Gesichtern war hervorragend herausgemeißelt. Es schien fast so, als würden die Standbilder leben. Der große Raum wurde plötzlich von einem unwirklichen Gesang erfüllt, der an Sphärenklänge erinnerte. Die sanfte Musik umschmei27
chelte Tatcher, entspannte seine Gesichtszüge und machte sie weicher. Er trat bis an den Brunnenrand heran, ließ sich von der Farbskala der sprudelnden Fontänen verzaubern. Plötzlich vernahm er Schritte hinter sich. Charles Tatcher drehte sich um, zwei bildschöne Frauen kamen auf ihn zu. Ihre formvollendeten Körper wurden nur durch zarte Schleier verhüllt, die mehr zeigten, als sie verbargen. Ihre langen Haare reichten fast bis auf den Boden. Auf ihren klassisch geformten Gesichtern lag ein freundliches Lächeln. Charles kratzte sich staunend am Haaransatz. Ihm gefiel der Anblick. Lächelnd schaute er den Schönen entgegen. »He, das ist wohl das Empfangskomitee«, murmelte er und fuhr sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. »Ob das wohl mir gelten soll?« Die wie griechische Göttinnen aussehenden Frauen blieben dicht vor Tatcher stehen und verneigten sich anmutig. Seine Blicke saugten sich an den Hügeln ihrer Brüste fest, während er etwas Ähnliches wie eine Verbeugung andeutete. »Willkommen«, klang die klare Stimme einer der beiden Frauen auf. »Willkommen bei uns. Wir werden dich in den nächsten Stunden betreuen und deine Dienerinnen sein. Du hast jeden Wunsch frei. In wenigen Stunden beginnt die Dämonenparty, zu der wir noch andere Gäste erwarten. Wir hoffen, dass dir unsere Gesellschaft zusagen wird.« Wieder verneigten sich die beiden schönen Frauen. Charles Tatcher konnte keinen Blick von ihnen nehmen. Wie gebannt starrte er sie an. Sein Ausflug in den Club der Dämonen begann ihm immer mehr Spaß zu machen. * 28
»Mach nur den Mund wieder zu, Jeff«, grinste Percy Collins. »Ist das ein Erfolg oder nicht?« Jeff Winter nickte erfreut. Der Bericht seines Vorgesetzten war sehr aufschlussreich gewesen. »All right«, antwortete er. »Wollen wir hoffen, dass dieser Tatcher kein Einzelgänger gewesen ist und die anderen Verschwundenen ebenfalls mit diesem Dämonenclub etwas zu tun haben. Eine komische Sache ist es schon. Doch uns kann eigentlich nichts mehr erschüttern. Wenn ich nur an einen unserer letzten Fälle denke, der uns mit diesem Toorgo, dem Magier, zusammenführte.« Percy Collins nickte düster. »Sir Natas, den unheimlichen schottischen Schlossherrn, nicht zu vergessen«, fügte er hinzu. »Sieht bald so aus, als würden wir uns zu Spezialisten auf dem Gebiet der Dämonenbekämpfung entwickeln. Glenn Hubbard wird sich freuen, dass wir wenigstens einen Anhaltspunkt gefunden haben.« Wie auf Stichwort klingelte in diesem Moment das Telefon. Percy griff nach dem Hörer. Es war ihr Chef, Glenn Hubbard. Der Inspektor gab einen ausführlichen Bericht, hörte lobende Worte von Hubbard und bekam den Auftrag, sich mit allen Kräften hinter die Sache zu klemmen. Er legte den Hörer auf die Gabel zurück. »Jetzt müssen wir einen Kriegsplan ausarbeiten, alter Junge«, sagte er zu Jeff. »Du hast doch über zwei Dutzend Fälle untersucht und mit den Angehörigen der Verschwundenen gesprochen. Hat irgend jemand von Schwarzer Magie oder Dämonen etwas verlauten lassen?« »Ich überlege schon eine geraume Zeit«, bekannte Winter. »Doch mir fällt beim besten Willen dazu nichts ein. Sollten auch die übrigen Verschwundenen mit dem Club der Dämonen etwas zu tun haben, dann sprachen sie mit niemandem darüber und trieben ihr gefährliches Spiel in aller Heimlichkeit. Wenn du ehrlich sein willst, dann musst du gestehen, dass dir Glück und Zufall sehr geholfen haben. Die anderen haben diese Schreiben bestimmt sofort vernichtet. Tatcher hätte es 29
auch getan, doch seine Tochter trat damals glücklicherweise ins Zimmer und er hatte keine Gelegenheit mehr dazu.« Percy Collins nickte, dann begann er zu telefonieren. »Hören Sie zu, Tom«, sagte er. »Kommen Sie sofort rüber in mein Büro. Ich habe einen wichtigen Auftrag für Sie. Egal... Nein, es ist sehr wichtig. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Es ist alles mit Hubbard abgesprochen. Okay.« Er legte auf. Jeff Winter sah seinen Vorgesetzten fragend an. »Tom Mason wird alle Angehörigen der Verschwundenen nochmals aufsuchen. Er muss herausfinden, ob sich vielleicht Bücher über Magie oder Dämonen im Besitz der Verschwundenen befinden. Wir müssen erfahren, ob wir mit Tatcher nur eine Eintagsfliege oder eine heiße Spur gefunden haben. Wir müssen die winzigste Chance nutzen.« Tom, ein noch junger Mann, trat ein. Er nickte den beiden Detektiven freundlich zu. Collins berichtete ihm mit wenigen Worten, übergab ihm die Liste mit den Namen der Vermissten und wünschte ihm viel Glück. Gleich darauf waren Percy und Jeff wieder allein. »Schauen wir uns diesen Treffpunkt einmal näher an«, ordnete Collins dann an. »Ich kenne die Gegend. Sie ist sehr einsam, obwohl sie nur wenige Meilen von London entfernt liegt.« »Das wäre auch mein Vorschlag gewesen«, grinste Jeff Winter und strich sich über sein langes rötliches Haar. »Bin gespannt, was uns dort erwartet.« »Ich nicht weniger«, griente Collins und griff seinen Mantel vom Haken. »Wir wollen nur hoffen, dass das Wetter ein wenig besser wird.« Sie machten sich auf den Weg. Bald befanden sie sich in der Nähe des Treffpunktes, der auf dem geheimnisvollen Schreiben des Clubs der Dämonen angegeben war. Sie stiegen aus dem silbergrauen Bentley und schauten sich nach allen Seiten um. 30
Leichter Nebel lag auf den Wiesen und hing wie wattiges Gebräu auf Büschen und Bäumen. Der Himmel war bewölkt. Es sah nach Regen aus. Inspektor Collins und sein Assistent kletterten einen kleinen Hügel empor und verbargen sich zwischen dem dichten Buschwerk. Fünfhundert Yards entfernt konnten sie ein halbzerfallenes Haus erblicken, das düster aus den wogenden Nebelmassen hervorragte. »Das Haus muss der Treffpunkt sein«, knarrte Collins Stimme. »Ich bin ganz sicher.« Percy hielt ein starkes Fernglas vor die Augen. Das verfallene Gebäude lag greifbar nahe vor ihm. Doch so sehr er sich auch anstrengte, es gelang ihm nicht, irgendein Lebenszeichen dort drüben zu entdecken. »Nichts«, bemerkte er enttäuscht und reichte das Fernglas an Winter weiter. Doch er konnte auch nichts entdecken. Verlassen lag die Ruine vor seinen Blicken. »Was machen wir jetzt?«, fragte Jeff und sah seinen Vorgesetzten fragend an. »Wenn wir rüber gehen, könnten wir Verdacht erregen. Dann würde man den Treffpunkt bestimmt verlegen und wir müssten wieder von vorn anfangen.« Percy Collins grinste. In seinen rauchgrauen Augen lag ein spöttisches Funkeln. »Der gute Percy hat da eine Idee. Komm nur mit, mein Junge. Ich habe schon alles vorbereitet.« Sie gingen zum Bentley zurück. Collins öffnete den Kofferraumdeckel und deutete auf einen Haufen alter Kleidungsstücke, die darin verstreut lagen. Auch Jeff begann zu grinsen. »Wir verkleiden uns als Landstreicher, nicht wahr?« »Sicher, so werden wir nicht auffallen. Zwei Tramps, die sich einen Unterschlupf in einem halbzerfallenen Gebäude suchen, können kaum Verdacht erregen.« 31
Die beiden Detektive streiften sich die zerlumpten und zerrissenen Kleidungsstücke über. Sie zerwühlten ihre Haare, stülpten alte vergammelte Hüte darauf und schmierten sich Erde in die Gesichter. »Prächtig siehst du aus, Percy«, lachte Jeff Winter. »Hoffentlich laufen wir keiner Polizeistreife in die Hände, denn sonst sind wir dran, alter Junge.« Collins lächelte verschmitzt und holte eine Zweiliterflasche Rotwein heraus. Er nahm einen Schluck und spuckte das Zeug wieder angeekelt aus. »Schmeckt scheußlich«, knurrte er. »Gar nicht mit einem erstklassigen Scotch zu vergleichen.« Er schüttelte die Hälfte des Rotweines in das Gras, packte die Flasche am Hals und torkelte los. Dabei begann er lautstark ein Lied zu singen. »So müsste dich Hubbard sehen«, rief ihm Jeff noch hinterher, setzte sich dann ebenfalls taumelnd in Bewegung und hakte sich schließlich bei Percy unter. Schwankend umquerten sie den kleinen Hügel und hielten auf das halbzerfallene Haus zu. Jetzt sangen sie alle beide. Der Lärm war nicht zu überhören. Einige Vögel schreckten aus den Büschen hoch und ergriffen piepsend das Weite. Die beiden Detektive spielten ihre Rolle gut. Man hätte sie wirklich für zwei Penner halten können, die betrunken durch diese Einöde stolperten. Auf diese Weise näherten sie sich der Ruine. Der Himmel harte sich stark bewölkt. Regentropfen klatschten den beiden Männern von Scotland Yard in die Gesichter. Collins begann lästerlich zu fluchen, warf einen protestierenden Blick nach oben und deutete dann zu dem verfallenen Haus hinüber. Jeff Winter krähte seine Zustimmung und die beiden Pennbrüder torkelten auf das zerfallene Gebäude zu. Groß und wuchtig wuchs das düstere Gemäuer vor ihnen auf. * 32
Charles Tatchers Laune hatte sich in den letzten Stunden schlagartig gebessert. Er beglückwünschte sich immer wieder zu seinem Entschluss, dem Club der Dämonen beigetreten zu sein. Die beiden schönen Frauen hatten ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Jetzt ruhte der glückliche Mann auf einer großen Liege und starrte auf die tanzenden Fontänen, die immer wieder die Farben wechselten und ein prächtiges Schauspiel boten. Tatcher trug einen wallenden Umhang aus weißer Seide, der bis auf den Boden reichte. Auch er sah einem Griechen aus der Antike ähnlich. Und so ungefähr fühlte sich Charles Tatcher auch. Er nahm noch einen Schluck von dem blutroten Wein, der wie flüssiges Feuer durch seinen Körper rann und den er bereits in jeder Faser seiner Glieder spürte. Charles Tatcher fühlte sich beschwingt, so wie er sich schon seit Jahren nicht mehr gefühlt hatte. Er blinzelte zu den Statuen hinüber, die auf meterhohen Podesten standen und dem großen Raum einen fast majestätischen Anstrich gaben. Aus unerfindlichen Gründen zuckte er zusammen, als die beiden schönen Frauen plötzlich wie aus dem Nichts auftauchten und freundlich lächelnd auf ihn zuschritten. Tatcher erhob sich. Das wallende Gewand umschmiegte seinen Körper. Charles blickte den beiden Schönen erwartungsvoll entgegen. Zwei Meter vor ihm blieben sie stehen und verneigten sich. Die sanfte Musik, die Charles in den letzten Sekunden umschmeichelt hatte, verstummte plötzlich. »Was ist los?« Charles Tatcher blickte die beiden schönen Frauen fragend an. »Folge uns«, bat eine lächelnd. »Wir bringen dich jetzt zu unserem Herrn und Meister. Du sollst in unseren Bund aufgenommen werden und Mitglied im Club der Dämonen werden.« Tatcher nickte zustimmend. 33
»Aus diesem Grund bin ich ja auch da«, antwortete er ruhig. »Ich bin gespannt, was ich noch alles für mein Geld geboten bekomme.« Die Schönen wandten sich um und schritten vor Tatcher her, der ihnen folgte. Sie verließen den großen Saal und gingen einen langen Gang entlang. Es wurde immer düsterer. Dämonenfratzen waren in den Wänden eingelassen. In einer dunklen Nische stand ein menschliches Skelett. Die leeren Augenhöhlen ließen Tatcher ein Schauern den Rücken hinab laufen. Jetzt war es fast vollkommen dunkel geworden. Nur eine einzige flackernde Fackel verbreitete spärliches Licht. Die Schatten der drei Menschen geisterten über die rauen Steinwände. Schließlich hatten sie eine große Tür erreicht, die rechts und links von zwei Statuen flankiert wurde. Die Standbilder stellten Wesen dar, die nicht von dieser Welt sein konnten, sondern im tiefsten Schoß der Hölle ihr Dasein gefristet haben mussten. Tatchers Nackenhaare stellten sich. Auch diese Statuen wirkten lebendig. Das Portal schwang knarrend zurück. Die beiden schönen Frauen wichen zur Seite. Tatcher trat an ihnen vorbei, verharrte einen Augenblick und blickte in einen großen Raum. Auch hier flackerten Fackeln und Kerzen an den Wänden. Ein undefinierbarer Geruch hing in der Luft, der sich irgendwie berauschend auf Charles Tatcher legte. Dissonante Töne in aufpeitschenden Rhythmen schallten ihm entgegen. Inmitten des Raumes stand ein schwarzer altarähnlicher Tisch, von dem ein sanftes Glühen ausging. Dahinter erhob sich eine drei Meter große Statue, die einem geschuppten Ungeheuer glich. Der Mund erinnerte an einen Fisch. Mitten auf der breiten Stirn saß ein riesiges Auge. Charles Tatcher betrat den Raum. Jetzt erst erkannte er, dass er nicht das einzige menschliche Wesen war, das sich hier in diesem Zimmer befand. Neun weitere Men34
schen, vier Frauen und fünf Männer, kauerten rechts und links seitlich vom Altar. Sie hatten die Köpfe gesenkt und starrten auf den schwarzen Fußboden. Hinter Tatcher fiel die Tür ins Schloss. Panische Angst ergriff ihn. Er kam sich plötzlich wie gefangen vor. Doch dann setzte er, wie unter einem suggestiven Zwang, Schritt vor Schritt und kauerte sich neben die anderen Menschen nieder. Die Musik verstummte. Eine knisternde Spannung lag über den Versammelten. Kein Geräusch war zu vernehmen. Charles hob vorsichtig den Kopf und musterte die neben ihm hockende Frau. Sie reagierte nicht. Auch sie war in einen wallenden Umhang gekleidet. Ihre Augen blickten starr zu Boden, so als hätte sie ihre Umgebung völlig vergessen. Tatcher fühlte sich benommen. Es fiel ihm immer schwerer einen klaren Gedanken zu fassen. Er spähte zu dem sanft glühenden Tisch hinüber. Ein aufgeschlagenes, uralt wirkendes Buch lag darauf. Sein Blick wanderte weiter, blieb auf der hinter dem Tisch stehenden Statue hängen. Er zuckte zusammen. Das Auge des Standbildes schien zu leben, leuchtete in einem dunkelroten Feuer. Tatchers Herz hämmerte plötzlich zum Zerspringen. Wieder kroch die Angst in saugenden Wellen durch seinen Körper. Charles wollte aufspringen, doch die Glieder gehorchten nicht mehr seinen Befehlen. Das Grauen verdichtete sich, trieb ihm große Schweißperlen auf die Stirn. Sein aschgraues Gesicht verzerrte sich. Er versuchte zu schreien, doch in seiner Kehle schien ein dicker Kloß zu stecken. Kein Ton kam über seine Lippen. 35
Es ist doch alles nur ein Trick oder billiges Machwerk, versuchte Tatcher sich zu beruhigen. Was habe ich denn anderes erwartet, ja, sogar erhofft? Er fand für einen kurzen Augenblick sein Gleichgewicht wieder und war gespannt, wie es weitergehen würde. Tausend Pfund Sterling habe ich bezahlt, dachte er. Dafür müssen die Leute auch schon etwas
bieten.
Plötzlich strich ein eisiger Luftzug durch den Raum, Die Kerzen und Fackeln flackerten auf. Ein Raunen und Wispern schwängerte die Luft. Stampfende Schritte näherten sich unaufhaltsam, die Erde erbebte. Wie auf ein geheimes Kommando hin hoben alle die Köpfe. Sie sahen einen Mann eintreten von ungefähr zwei Meter Größe, um dessen mächtige Schultern ein blutroter Umhang gelegt war. In dem überdimensionalen Kopf funkelten zwei kleine Augen, mit denen er die versammelte Menge überflog, dann richtete er sie auf den Altartisch, dessen sanftes Glühen sich zu einem feurigen Brennen verstärkt hatte. Der Mann im blutroten Umhang trat zum Opfertisch und verbeugte sich. Seine wulstigen Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln. Das Glühen erlosch. Schwarz und kalt glich der Tisch jetzt einem toten Basaltklotz. Der Dämonenpriester, oder wie immer er sich nennen mochte, richtete sich jetzt zur vollen Größe auf. Weit breitete er beide Arme auseinander. Monotone, nicht verständliche Worte drangen aus seinem Mund. Er blätterte eine Seite weiter in dem alten Buch. Wieder klang seine Stimme auf, die jetzt einen beschwörenden Unterton angenommen hatte. Nach einigen Minuten wandte er sich den zehn Menschen zu, die sich wie unter einem inneren Zwang erhoben hatten. Wieder saß Charles Tatcher die höllische Angst im Nacken. Er zitterte am ganzen Körper. 36
* Percy Collins und Jeff Winter hatten das halbzerfallene Haus erreicht. Sie stolperten über Balken und Steine, scheuchten einige Ratten auf und befanden sich dann kurz vor der zerborstenen Tür, die schief in den Angeln hing. »Komm, Brüderchen«, lallte der Inspektor und setzte die Rotweinflasche an den Mund. Er nahm einen kräftigen Schluck, hatte alle Mühe, sein Gesicht unter Kontrolle zu halten und reichte sie dann Jeff. Der griff aber so ungeschickt hin, dass die Flasche aus seinen Fingern glitt und am Boden zerschellte. Jeff begann zu jammern, während er von Collins' einige üble Bemerkungen einstecken musste. Doch insgeheim war jeder froh, dass er von dem Zeugs nichts mehr trinken musste. Die beiden Männer taumelten durch die Tür und überflogen den leeren Raum, der nur so vor Unrat starrte. »Hier - hier - ist - es - zu - unge... ungemütlich«, lallte Percy. »Ge... gehen wir - nach - oben. Viel... leicht finden - wir - ein Plätzchen, wo - wir uns - aus... ausruhen - können.« Sie schwankten auf die wenig vertrauen erweckende Treppe zu. Staub wirbelte auf. Collins glaubte Fußspuren zu erkennen, die nach oben führten. Sich gegenseitig helfend, gelang es ihnen nach einiger Zeit, die Treppe zu erklimmen. Sie spielten ihre Rolle so gut, dass ein außenstehender Beobachter bestimmt darauf hereingefallen wäre. Doch sie stellten bald fest, dass das Haus leer war, obwohl sie jeden Winkel durchsucht hatten. Jeff Winter wäre beinahe von einem herabstürzenden Balken erschlagen worden. Nach einer guten Stunde verließen sie die Ruine und torkelten zum Auto zurück. Erst als sie außer Sichtweite des Hauses waren, ließen sie ihre Tarnung fallen. »Schöner Mist«, knurrte Jeff Winter. »Ein Reinfall. In dem Haus ist niemand. Vielleicht sollte uns der Brief nur täuschen.« Inspektor Collins schüttelte den Kopf, während er die zerlumpten Kleidungsstücke abstreifte. 37
»Irgend jemand ist im Haus gewesen«, sagte er nachdenklich. »Ich konnte Fußspuren feststellen. Doch sonst ist alles Fehlanzeige gewesen.« Sein Assistent grinste. »Willst du deinen prachtvollen Hut nicht auch abnehmen?«, fragte er. »Außerdem riechst du zehn Meilen gegen den Wind nach billigem Rotwein. Hättest ja auch ein besseres Tröpfchen kaufen können. Dann hätte die Sache noch mehr Spaß gemacht.« Mit einer mechanischen Handbewegung nahm Percy Collins den alten Schlapphut vom Kopf und warf ihn in den Kofferraum zu den übrigen Sachen. »Ich fahre in die Stadt, Jeff«, entschied er dann. »Du bleibst hier auf dem Posten. Könnte ja sein, dass irgendeiner auftaucht, der sich für das verfallene Haus interessiert. In spätestens zwei Stunden bin ich wieder zurück.« »Okay«, antwortete Winter. »Ich verziehe mich dort zwischen die Sträucher. Bleib nur nicht so lange weg, alter Junge! Du weißt doch, dass ich immer jemanden brauche, der mir das Patschhändchen hält.« Collins stieg grinsend in seinen Wagen, wendete und fuhr schnell davon. * »Willkommen, Freunde, hier im Club der Dämonen«, sprach der Dämonenbeschwörer im blutroten Mantel und senkte seine Arme. Seine Blicke bohrten sich in die Augen der Versammelten, die den Mann erwartungsvoll anstarrten. »Ihr seid alle für würdig befunden, in unsere Gemeinschaft eintreten zu dürfen. Aus diesem Grunde haben wir uns hier getroffen. Die Verträge sind vorbereitet. Ihr werdet sie jetzt der Reihe nach mit eurem eigenen Blut unterschreiben.« Die donnernde Stimme verhallte. Charles Tatcher wollte sich dazu äußern, doch kein Ton kam aus seiner Kehle. Seine Zunge schien wie gelähmt. Es gelang ihm nicht einmal, den Blick von dem Mann im wallenden Umhang zu nehmen. 38
»Raymond Dragon!« Ein Mann drängte sich aus der Reihe der Wartenden und trat mit roboterhaften Bewegungen vor zum Opfertisch. Von seitwärts schob sich eine Frau heran. Ihr langes rotes Haar reichte ihr fast bis zu den Hüften. Sie war in ein durchsichtiges Gewand gekleidet. In der Hand hielt sie einen Dolch, der im Licht der vielen Kerzen funkelte und glitzerte. Raymond Dragon streckte seinen linken Arm vor. Die Frau packte ihn und ritzte die Haut mit dem Dolch. Einige Blutstropfen sickerten hervor. Der Mann im blutroten Mantel tauchte eine Feder hinein und gab sie Dragon in die andere Hand. Er deutete auf ein Blatt Papier, das auf dem Altar lag. »Unterschreibe!« Raymond Dragon zögerte keine Sekunde. Er setzte einen Namen auf das Papier. »Dorothy Wellington!« Eine junge Frau kam zögernd nach vorn. Tatcher glaubte, sie schon einmal gesehen zu haben, doch wo, wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen. Die gleiche Prozedur wiederholte sich. Auch Dorothy Wellington unterschrieb mit ihrem eigenen Blut. Nach und nach wurden alle Anwesenden aufgerufen. Tatcher war der letzte von ihnen. Wie in Trance ging er zum Altar vor. Die kleine Schnittwunde, die ihm der Dolch verursacht hatte, spürte er kaum. Er starrte auf das Blatt Papier und versuchte die Buchstaben zu entziffern. Es gelang ihm nicht. Immer wieder verschwanden sie vor seinen Augen, verwandelten sie sich in winzige Skelette, die ihn grinsend ansahen. Charles Tatcher unterschrieb. Ihm war, als würde seine Hand von einem fremden starken Willen gelenkt. 39
Er ließ die Feder sinken. Wieder verschwamm für den Bruchteil einer Sekunde alles vor seinen Augen. Er taumelte einige Schritte zurück. Neben sich spürte er den heißen Atem des gewaltigen Mannes mit dem blutroten Mantel. Ein übler Geruch stieg Tatcher in die Nase. Sein Magen krampfte sich zusammen. Er würgte und glaubte zu ersticken. Verwirrt blickte er hoch und starrte genau in die funkelnden Augen des Dämonenbeschwörers. Er glaubte, direkt in die Hölle zu sehen, keine Sekunde länger vermochte er diesem Blick standzuhalten. Tatcher taumelte zurück mit geschlossenen Augen und stellte sich in eine Reihe mit seinen wartenden Gefährten und Gefährtinnen. Eine erdrückende Stille lag über den versammelten Menschen. Sie spürten das Unheimliche dieser Situation. »Ich bin Gigantus, euer Herr und Meister«, verkündete der Mann im blutroten Mantel. »Ihr habt euch verpflichtet, mir zu dienen. Eure Seelen gehören mir. Vergesst es nicht, denkt immer daran!« Er breitete wieder beide Arme aus, verweilte so einige Augenblicke und trat dann vom Altar zurück. Dann ging er mit gleitenden Schritten davon und war gleich darauf spurlos verschwunden. Nur langsam legte sich die Beklemmung, die über allen lag. Sie sahen sich an, verwirrt und auch beschämt. Dorothy Wellington, die neben Charles Tatcher stand, versuchte zu lächeln, doch es wurde nur eine verzerrte Grimasse daraus. Tatcher erging es nicht viel anders. Er räusperte sich und nickte der hübschen Frau zu. »Die bieten wirklich etwas für unser Geld«, stellte er fest. Seine Stimme kam ihm fremd vor. »Toll, hätte ich überhaupt nicht erwartet.« Ein anderer Mann gesellte sich zu ihnen. Tatcher versuchte sich an seinen Namen zu erinnern, doch es gelang ihm nicht. »Sagenhaft«, lächelte der Mann. »Nun sind wir also Mitglieder im Club der Dämonen. Wir haben es geschafft. Wir gehören zu den weni40
gen Auserkorenen, denen es gelungen ist, in diesem exklusiven Club Mitglied zu werden.« Er strahlte über sein rundliches Gesicht und blickte Charles Tatcher und Dorothy Wellington beifallheischend an. Charles nickte. »Ausgezeichnet. Fürs erste war es wirklich große Klasse. Doch was wird nun aus uns? Bringt man uns wieder zurück? Wann soll die nächste Zusammenkunft sein?« Einige andere Männer und Frauen, die eine kleine Gruppe gebildet hatten, zuckten ratlos mit den Achseln. »Keine Ahnung«, antwortete einer. Er schien besorgt zu sein. »Ich hoffe nur, dass man uns schnell zurückbringt, denn ich habe morgen einen wichtigen Termin, den ich nicht verschieben kann.« Auch andere hatten ähnliche Probleme. Sie sahen sich fragend an. Von ihrer Ungewissheit sollten sie bald erlöst werden. Zehn Frauen in durchscheinenden Schleiergewändern traten aus einer Tür und kamen auf die Versammelten zu. Sie verneigten sich anmutig vor ihnen. Eine der Schönen trat vor. »Sie verbringen den Rest der Nacht bei uns und werden morgen nach London zurückgebracht. Bitte folgen Sie uns. Wir begleiten Sie in Ihre Zimmer. Sollten Sie noch irgendwelche Wünsche haben, dann wenden Sie sich bitte an Ihre jeweilige Begleiterin.« Charles Tatcher wollte protestieren, doch wieder war eine Sperre in ihm. Er bekam einfach keinen Ton heraus, obwohl er sich verzweifelt bemühte. Widerstandslos folgte er einer der Frauen. Seine Glieder wurden schwer von einer lähmenden Müdigkeit. Er strich sich über die Augen, starrte dabei auf die kleine Verletzung an seinem Handgelenk, wo ihn der Dolch geritzt hatte. Einige Blutstropfen hatten sich verkrustet. Er fühlte einen leichten Schmerz durch seinen Körper ziehen. 41
»Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe«, säuselte seine schöne Begleiterin, zärtlich dabei lächelnd und verneigte sich. »Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?« Charles Tatcher schüttelte den Kopf und trat in das erleuchtete Zimmer. Kerzen zuckten an den Wänden. Er sah ein breites Bett und einige andere Einrichtungsgegenstände. Überwältigt von Schläfrigkeit gähnte er. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Tatcher war allein. Beunruhigt stolperte er zur Tür zurück und versuchte sie zu öffnen. Es gelang ihm nicht. Eine Unmutsfalte kerbte seine Stirn. Er begann gegen die Tür zu hämmern, doch niemand erschien, obwohl das Dröhnen seiner Schläge bestimmt nicht zu überhören war. Ihm steckte es wie Blei in den Gliedern. Er strauchelte zum Bett, ließ sich darauf fallen und schloss erschöpft die Augen. Als er sie nach wenigen Augenblicken wieder öffnete, umgab ihn Dunkelheit. Die Kerzen an den Wänden waren verlöscht. Ein süßlicher Duft lag in der Luft. Plötzlich sah er den dämonischen Blick des Gigantus auf sich ruhen. Ein höhnisches Lächeln lag auf seinen wulstigen Lippen. Tatcher schreckte hoch, fiel jedoch gleich darauf wieder in die weichen Kissen zurück. Er fühlte eine Erschlaffung seiner Muskeln, eine Blutleere in seinem Kopf. Er nahm es mit Entsetzen wahr, weil es für ihn kein normaler Vorgang war. Und dann übermannte ihn der Schlaf. Er wusste nicht, dass er den Keim des Grauens bereits in sich trug. * »Was haben Sie erreicht, Tom?«, wollte Inspektor Percy Collins wissen und blickte den jungen Detektiv freundlich an. 42
»Nicht viel, Sir«, antwortete Mason. »Doch immerhin etwas. Bei sieben der Vermissten entdeckte ich Bücher über Magie, Zauberei oder Ähnlichem.« Percy stieß einen leisen Pfiff aus. »Was noch, Tom?«, fragte er ungeduldig. »Einige der anderen Verschwundenen hatten sich früher, aber auch schon vor Jahren, mit diesen Dingen beschäftigt.« »Also doch«, knurrte der Inspektor. »Ich hatte Recht. Tatcher war keine Eintagsfliege. Dieser Club der Dämonen scheint dahinter zu stecken.« Er nickte dem jungen Mann zu. »Okay, Tom. Sie haben ihre Sache gut gemacht. Geben Sie schnellstens ihren schriftlichen Bericht ab, für Mr. Hubbard auch eine Kopie.« Der Detektiv verschwand. Percy Collins verließ den Yard, setzte sich hinter das Steuer des silbergrauen Bentleys und fuhr los. Nach gut eineinhalb Stunden hatte er die Stelle erreicht, an der er Jeff Winter zurückgelassen hatte. Der Inspektor kletterte aus dem Wagen und schaute sich nach allen Seiten um. Von Jeff Winter war nichts zu sehen. »Komm schon raus, alter Junge«, rief Percy. »Du scheinst wirklich ein Meister im Tarnen und Täuschen zu sein. Mit mir brauchst du aber nicht Versteck zu spielen.« Collins zündete sich eine Zigarette an und starrte zu dem Gebüsch hinüber, in dessen Schutz er seinen Assistenten wähnte. Jeff kam nicht zum Vorschein. Ungeduldig lief Collins auf die andere Seite und trat in das Dickicht. Jeff Winter blieb verschwunden. Der Inspektor suchte die ganze Umgebung ab, doch Winter war nirgends zu finden. Percy spähte zu dem verkommenen Haus hinüber. Dort regte sich nichts. Collins begann zu fluchen. Nachdenklich geworden, ging er zum Wagen zurück. 43
Über Sprechfunk rief er die Zentrale vom Yard an, doch diese wussten auch nicht, wo sich Winter aufhielt. Collins ließ sich mit seinem Chef verbinden und berichtete ihm mit kurzen Worten die Sachlage. »Soll ich Ihnen Hilfe schicken, Collins?«, fragte Glenn Hubbard. »Brauchen Sie Leute, um nach Winter zu suchen?« »Das würde zuviel Aufsehen erregen«, gab Percy zu bedenken. »Ich sehe mich allein um. Sollte sich etwas tun, dann melde ich mich wieder.« Er beendete das Gespräch. Die Sonne brach durch die finsteren Wolken und tauchte die hässliche Umgebung in ein freundliches Licht. Erneut begann Percy Collins zu suchen, doch wiederum ohne jeglichen Erfolg. Wo mochte Jeff Winter sein?, fragte er sich immer wieder besorgt. * Jeff Winter kauerte mitten im Gebüsch auf einem Stein und starrte angestrengt zu dem Haus, das eine bessere Ruine war, hinüber. Nichts regte sich. Eintönig verrann die Zeit. Winter gähnte einige Male ausgiebig und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Seine Aufgabe begann ihm langweilig zu werden. Doch plötzlich zuckte der junge Mann zusammen. Er glaubte drüben bei dem alten Haus eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Er strich sich über die Augen. Vielleicht war nur er nur einer Sinnestäuschung erlegen. Minuten verstrichen, ehe er erneut einen dunklen Schatten sah, der sich hinter einem der zerbrochenen Fenster bewegt hatte. Er presste das Fernglas vor die Augen. Es gab keine Zweifel. Dort, in dem halbzerfallenen Haus, stand eine dunkle Gestalt am Fenster und spähte vorsichtig ins Freie. 44
Jagdfieber stieg in dem Yard-Detektiv auf. Er verbarg das Fernrohr zwischen zwei Steinen und begann, jede sich nur bietende Deckung ausnutzend, in Richtung der Ruine zu schleichen. Winter kam schnell vorwärts, denn das Gelände bot wirklich gute Möglichkeiten, sich dem Haus ungesehen zu nähern. Die dunkle Gestalt am Fenster hatte sich zurückgezogen. Sie war aus Winters Sicht verschwunden. Jeff Winter schlich weiter, näherte sich der Rückseite des Gebäudes. Er hoffte dort unbemerkt in die Ruine eindringen zu können. Er stieß auf eine Mauerlücke, durch die er in das Haus glitt. Dunkelheit umhüllte den jungen Detektiv. Er zog seine Pistole aus dem Schulterhalfter und schlich vorsichtig weiter. An einem scharfkantigen Stein stieß er sich sein Schienbein an. Schmerz durchzuckte ihn. Er unterdrückte einen Fluch und schlich weiter. Helligkeit flutete durch ein Fenster herein und blendete Winter, als er um eine Biegung trat. Dann erstarrte Winter. Seine Pistole ruckte hoch, richtete sich auf eine Gestalt, die mit einem wallenden schwarzen Mantel bekleidet war, der bis auf den Boden reichte. Aus funkelnden Augen starrte ihn der Unbekannte an. Er war klein, mochte höchstens einssechzig groß sein und hatte eine Glatze, die an eine polierte Billardkugel erinnerte. »Nehmen Sie die Hände hoch!«, klang Jeff Winters leicht heisere Stimme auf. Seine Pistole zielte auf den schwarz gekleideten Mann. Der Fremde bewegte sich nicht. Unentwegt schaute er auf Jeff Winter, schien die auf ihn gerichtete Pistole einfach zu ignorieren. »Hände hoch«, zischte der Scotland Yard-Detektiv und trat einen Schritt vor. Seine Hand zitterte leicht. Ein eiskalter Luftzug hinter ihm ließ ihn erschrocken zusammenzucken. Noch wollte er in Deckung gehen - doch es war bereits zu spät. 45
Er vernahm ein pfeifendes Geräusch, dann knallte ein harter Gegenstand gegen seinen Schädel. Sterne begannen vor seinen Augen aufzublitzen, ehe ihn eine schwarze Wolke umhüllte und auf die Knie zwang. Jeff Winter sank bewusstlos zur Erde. * Percy Collins stieß einen derben Fluch aus und kehrte zu dem silbergrauen Bentley zurück. Seine Suche nach seinem Assistenten war ergebnislos verlaufen. Er hatte nur sein Fernglas gefunden. Von Jeff Winter fehlte jede Spur. Percy begann sich Sorgen zu machen. Mehrmals war er um das verkommene Haus herumgeschlichen, aber dort hatte sich nichts geregt. Er rief erneut per Funk die Zentrale des Yards an und ließ sich mit Glenn Hubbard verbinden. »Gut, dass Sie anrufen, Collins«, knarrte die Stimme seines Vorgesetzten. »Kommen Sie sofort zurück! Einige der Vermissten sind aufgetaucht.« »Was?«, keuchte Collins und musste schlucken. Überraschter hätte er nicht sein können. »Sie haben schon richtig gehört. Zehn der verschwundenen Personen sind wiederaufgetaucht. Die Angehörigen haben sich bei uns gemeldet und die Vermisstenmeldungen zurückgezogen.« »Und wo waren die Leute?« »Keine Ahnung«, knurrte Hubbard. »Sie müssen mit ihnen sprechen. Angeblich kann sich keiner mehr daran erinnern, wo er gewesen ist. Eine mysteriöse Sache. Doch ich möchte Licht in das Dunkel bringen. Sie werden sich die Leute vorknöpfen und sie aushorchen. Wir müssen wissen, was vorgefallen ist. Doch die Hauptsache ist, dass wenigstens ein Teil der Verschwundenen wieder da ist. Bestimmt werden die anderen auch in den nächsten Stunden oder Tagen sich wieder einstellen.« 46
Percy Collins kratzte sich am Kopf. Irgendwie wollte ihm die ganze Sache nicht schmecken. »Jeff bleibt verschwunden«, klagte er. »Möchte nur wissen, was mit ihm passiert ist. Normalerweise entfernt er sich nicht so ohne weiteres von seinem Posten.« Glenn Hubbard schien nachzudenken, denn es blieb still in der Leitung. »Okay, Collins. Ich schicke Ihnen Tom Mason. Er kann in einer halben Stunde bei Ihnen sein. Er wird auf Winter warten. Sie kümmern sich um die Zurückgekehrten. Einverstanden?« »Okay«, nickte der Inspektor. »Tom soll sich beeilen. Ich brenne darauf, mit diesen wieder aufgetauchten Leuten zu sprechen.« Dann unterbrach er die Verbindung. Eine knappe halbe Stunde später erschien Tom Mason. Sein jungenhaftes Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Percy klärte ihn auf und befahl ihm, auf keinen Fall sich dem Haus zu nähern. Bis Einbruch der Dunkelheit wollte er wieder zurück sein. Der Yard-Inspektor schwang sich hinter das Steuerrad und fuhr davon. Eine Stunde später betrat er Glenn Hubbards Office. Sein Chef erwartete ihn bereits. Er hatte seine ewig qualmende Pfeife zwischen den Lippen stecken und starrte Percy Collins zufrieden entgegen. »Ich habe bereits drei der ehemals Vermissten herkommen lassen. Sie sträubten sich und unsere Leute mussten sich einige Unfreundlichkeiten anhören. Einer hat sogar wegen Freiheitsberaubung mit seinem Anwalt gedroht. Also gehen Sie sanft mit den Leuten um! Wir können keinen Ärger gebrauchen.« Collins nickte. »Charles Tatcher befindet sich im Nebenraum. Vielleicht nehmen Sie sich den Mann zuerst vor.« Glenn Hubbard rückte seine dunkle Hornbrille zurecht und zupfte an seinem Schnurrbart. »Dann bis später, Collins.« Percy öffnete die Tür zum Nebenzimmer und nickte einem Mann im besten Mannesalter zu, der ihm mürrisch entgegenblickte. 47
»Inspektor Collins«, stellte sich der Yard-Detektiv vor. »Dürfte ich einige Fragen an Sie stellen, Mr. Tatcher?« »Das ist Freiheitsberaubung«, fuhr der Mann ihn böse an. »Ich bin ein freier Mann in einem freien Land. Ich kann hingehen, wohin ich will. Außerdem kann ich nichts dafür, dass meine Tochter einen derartigen Wirbel verursacht hat.« »Beruhigen Sie sich, Mr. Tatcher«, lächelte Collins und bot seinem Gegenüber eine Zigarette an. Tatcher lehnte ab. Sein hageres Gesicht zuckte nervös. »Ihre Tochter machte sich große Sorgen um Sie«, begann der Inspektor. »Niemand kann es ihr verübeln. Sie waren außerdem nicht die einzige Person, die verschwunden war. Insgesamt waren es ungefähr vierzig Menschen. Soviel ich weiß, sind noch immer über dreißig spurlos verschwunden. Wollen Sie mir nicht erzählen, wo Sie gewesen sind?« »Das geht Sie überhaupt nichts an«, knurrte Charles Tatcher unhöflich. »Ich bin wieder da und mir ist nichts geschehen, das dürfte doch wohl genügen.« Percy Collins ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er nahm einen Zug aus der Zigarette und nickte. »Sicher genügt es, Mr. Tatcher. Ich freue mich aufrichtig, dass Sie keinem Verbrechen zum Opfer gefallen sind. Doch ich muss einen Bericht machen, reine Routine, Sie verstehen. Wo Sie gewesen sind, bleibt natürlich unter uns. Ich nehme an, dass es Ihre Tochter Mary nicht erfahren soll.« Charles Tatchers Gesicht hellte sich ein wenig auf. »Also gut«, murmelte er und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Jetzt dürfen Sie mir doch eine Zigarette geben.« Collins grinste, bot dem hageren Mann eine Zigarette an und gab ihm Feuer. »Ich bin bei einer Frau gewesen, Inspektor. Mary hat keine Ahnung. Ich wollte die Sache noch geheim halten. Meine Frau starb vor fünf Jahren. Mary hing sehr an ihrer Mutter. Ich wollte meine Tochter nicht kränken.« Percy Collins nickte verstehend. 48
»Na also, dann ist ja alles klar. Doch ich möchte Sie bitten, wenn Sie wieder einen ähnlichen Ausflug machen, Ihrer Tochter vorher reinen Wein einzuschenken. Das war's auch schon gewesen, Mr. Tatcher. Kommen Sie, ich begleite Sie runter zu einem unserer Fahrzeuge und lasse Sie nach Hause bringen.« »Nicht nötig«, winkte Tatcher ab und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. »Ich rufe ein Taxi.« »Ich nehme Sie mit, fahre in die gleiche Richtung«, entschied der Inspektor. »Würden Sie bitte hier noch einige Minuten warten. Ich bin gleich wieder zurück.« Ohne auf die Proteste von Tatcher zu achten, verließ Collins das Zimmer. Glenn Hubbard blickte ihm neugierig entgegen. »Frauengeschichte«, bemerkte Percy lakonisch. »Bei den anderen wieder aufgetauchten Personen wird es wohl so ähnlich liegen, Chef. Ich vertrödele hier nur meine Zeit. Ich muss wieder raus zu diesem Haus, hoffe nur, dass Jeff sich inzwischen eingestellt hat. Lassen Sie die anderen Leute von einigen unserer Detektive ausfragen. Ich mache mich wieder auf die Socken, Chef.« Glenn Hubbard nickte. »Okay, Collins. Dann scheint es mit Ihrem Urlaub nächste Woche doch noch zu klappen.« Collins lächelte erfreut. »Habe ich auch verdammt nötig. War auch ein bisschen viel in den letzten Tagen.« Er verließ das Zimmer und trat zu Charles Tatcher, der auf ihn gewartet hatte. »Können wir gehen?«, fragte er und erhob sich. »Zu Hause wartet meine Tochter und eine gehörige Strafpredigt auf mich. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich überhaupt keine Lust, heimzugehen.« »Wird halb so schlimm werden, Mr. Tatcher. Mary machte sich wirklich große Sorgen. Doch ich habe noch eine Frage: Sagt Ihnen der Name Club der Dämonen etwas?« Percy glaubte, es in den Augen von Charles Tatcher kurz aufblitzen zu sehen. Doch dann zuckte er gleichmütig mit den Achseln. 49
»Habe ich schon gehört. Ich werde seit Monaten mit verrückten Prospekten regelrecht bombardiert, habe auch schon mehrere Einladungen und Anforderungen für ein Treffen bekommen. Doch diese Dinge interessieren mich nicht so sehr. Die Leute wollen tausend Pfund Sterling Jahresbeitrag. Bestimmt nur Geldmacherei und steckt nichts dahinter. Und dafür ist mir mein schwerverdientes Geld einfach zu schade.« Charles Tatcher blickte Percy Collins lächelnd an. »Wie kommen Sie überhaupt auf diesen Club?«, fragte er neugierig. Percy winkte ab. »Ist nur eine Frage gewesen. Können wir jetzt gehen, Mr. Tatcher?« »Selbstverständlich«, erwiderte er und schritt zur Tür. Beide Männer traten auf den Gang hinaus. In diesem Augenblick geschah es... Percy rutschte aus. Anscheinend hatte eine allzu tüchtige Reinmachefrau zuviel von dem Bohnerwachs aufgetragen. Im letzten Moment konnte er sich gerade noch an Charles Tatcher festhalten, erwischte dessen Arm, stürzte trotzdem zu Boden. Collins schlug hart auf und starrte dann auf den Arm, an den er sich geklammert hatte - und den er jetzt in der Hand hielt, so als ob er ihn Charles Tatcher aus der Schulter gerissen hätte. Das Blut gefror ihm in den Adern. Collins blinzelte, schüttelte vollkommen verwirrt den Kopf und ließ mit einem Aufschrei das Gliedmaß fallen. Blitzschnell kam er auf die Beine. In dieser Sekunde machte Tatcher kehrt und rannte los. Collins sah gerade noch, wie er hinter einer Gangbiegung verschwand. Er spurtete hinter ihm her, doch noch ehe er die Biegung erreicht hatte, vernahm er einen jämmerlichen Schrei, dann einen dumpfen Fall und ein Bersten, als würde etwas zerbrechen. Percy raste um die Ecke und sah einen Polizisten, der mit kreidebleichem Gesicht an der Wand lehnte. Mit irren Augen starrte er auf etwas, das am Boden lag. Collins folgte seinem Blick. 50
Kalte Schauer jagten über seinen Rücken. Er presste die Hand vor den Mund, konnte kaum ein Ächzen unterdrücken. Was dort am Boden lag, konnte nicht möglich sein, durfte es nicht geben! Charles Tatcher lag in viele Einzelheiten zerbrochen am Boden, so als wäre eine Puppe mit Wucht auf die Erde geworfen worden. Collins überwand seinen Widerwillen und beugte sich hinab. Charles Tatcher war kein menschliches Wesen, er war eine kunstvolle Puppe, eine ausgezeichnete Imitation aus Wachs oder einem ähnlichen Material. Der Polizist, der von Tatchers Double umgerannt worden war, hatte einen Schock erlitten. Er murmelte unverständliche Worte und schüttelte immer wieder den Kopf. Percy Collins' Gedanken überschlugen sich. Doch gab es nur eine einzige Lösung: Charles Tatcher war noch immer verschwunden. Auch die anderen zurückgekehrten Personen mussten derartige vermenschlichte Wachsdoubles sein, so wie Tatcher da am Boden. Sie waren somit noch keinen Schritt weitergekommen. Die Situation war nur noch komplizierter geworden. Glenn Hubbard tauchte in diesem Moment auf. Er wurde ganz grau im Gesicht, als er den Doppelgänger von Charles Tatcher sah. Sein ungläubiger Blick traf Collins. »Ich muss weg, Chef«, knurrte der Inspektor. »Ich bin draußen bei dem Haus. Dort muss der Schlüssel für die Lösung dieser unheimlichen Ereignisse liegen. Lassen Sie die anderen zurückgekehrten Vermissten untersuchen. Sie sind bestimmt auch solche Wachsfiguren wie Tatcher. Die Leute sollten uns nur täuschen und beruhigen. Etwas Grauenhaftes muss geschehen sein. Ich melde mich bald wieder, Chef.« Percy Collins verließ den Yard und raste bald durch die hereinbrechende Nacht. Sein Ziel war das verlassene Haus. * 51
Eine flüsternde Stimme drang in Charles Tatchers Gedanken. Von ihr ging eine suggestive Wirkung aus. Tatcher schreckte plötzlich hoch. Er musste einige Augenblicke überlegen, wo er sich überhaupt befand, doch dann fiel ihm wieder ein, dass er sich im Club der Dämonen aufhielt. Flackernde Kerzen brannten an den Wänden. Geisterhafte Stimmen riefen seinen Namen und forderten ihn auf, das Zimmer zu verlassen. Tatcher kletterte aus dem breiten Bett, ordnete seinen wallenden Umhang und verließ den Raum. Draußen auf dem Gang brannten Fackeln. Mit Verwunderung nahm er wahr, dass seine Clubmitglieder ebenfalls den Gang entlangliefen. Tatcher beschleunigte seine Schritte und holte die Frauen und Männer ein. Sie achteten nicht auf ihn, schienen sich in einer Art Trance zu befinden. Er versuchte Dorothy Wellington anzusprechen, doch die junge hübsche Frau reagierte überhaupt nicht. Sie starrte geradeaus und folgte den anderen, die wie Schlafwandler Schritt vor Schritt setzten. Obwohl er sich nicht vorstellen konnte, was ihr Ziel war, lief er einfach mit. Sie erreichten jetzt eine weitere Tür und betraten den großen Raum, in dem die kunstvollen Statuen standen. Der Springbrunnen in der Mitte des Zimmers warf noch immer seine farbenprächtigen Fontänen. Sanfte Musik vernebelte die Sinne dieser zehn Menschen. Rötlicher Rauch wallte aus den Wänden und zog wie ein tausendköpfiges Ungeheuer über den Boden hin. Charles Tatcher spürte plötzlich, wie am Tag zuvor, diese bleierne Müdigkeit, die sich auf seine Glieder legte. Jede Bewegung fiel ihm schwer. Er hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Er starrte auf seine Gefährten, die jetzt schweigend verharrten. Ein Raunen und Wispern erfüllte den Raum. Huschende Schatten geisterten durch das Zimmer. 52
Der am Boden sich ausbreitende Rauch wirbelte an den Körpern der einzelnen Menschen hoch, schien Besitz von ihnen zu ergreifen. Ein starkes Schwindelgefühl hielt Tatcher erbarmungslos in den Klauen. Eine große Leere war in seinem Kopf. Sein Körper begann zu zucken, als gehorchten ihm seine Muskeln nicht mehr. Wie verzauberte Feen glitten die von Schleiern umhüllten Frauen durch die wogenden Rauchwolken. Auf Charles Tatcher zu tänzelte eine der wunderschönen Frauen. Sie berührte sanft seinen Arm und führte den willenlosen Mann durch den Saal. Aufreizende Rhythmen peitschten jetzt durch den Raum, schwollen zu einem Orkan an und ließen die Wände vibrieren. Charles konnte kaum noch einen Schritt vor den anderen setzen, so schwer fiel ihm jede Bewegung. Die Augenlider fielen ihm immer wieder zu. Er taumelte jetzt mehr, als dass er lief. Die schöne Frau hatte ihn untergehakt und führte ihn zu einem Podest. Später würde er sich nicht mehr erinnern können, wie er da hinaufgekommen war. Er schaute um sich und sah, dass auch seine Gefährten auf ähnlichen Podesten standen. Sie wirkten alle starr und leblos, nur in ihren Augen spiegelte sich Leben. Ein ungeheurer Verdacht keimte in Charles Tatcher auf. Er wollte protestieren und den Sockel verlassen, doch er konnte seine Beine nicht heben. Wie fest geschweißt ruhten sie auf dem Podest. Jetzt wusste er auch, warum die Statuen auf den anderen Podesten so naturgetreu aussahen. Es waren Menschen. Menschen, die zu steinernen Standbildern geworden waren. So, wie es ihm und seinen Gefährten nun auch ergehen würde. Die schönen Begleiterinnen waren verschwunden, die Musik nahm sanfte Töne an, ging in eine monotone Melodie über, die einschläfernd wirkte. Der tödliche Rauch hatte sich verflüchtet. 53
Charles Tatcher öffnete den Mund, um zu schreien, doch kein Laut verließ seine Kehle. Seine Beine waren bereits gefühllos geworden. Eine eisige Kälte durchströmte seinen Körper. Panische Angst befiel ihn, drohte, ihn an den Rand des Wahnsinns zu bringen. Er war verloren. Das war ihm zur grausamen Gewissheit geworden. Er würde zu einer Statue versteinern und nichts würde diesen schrecklichen Vorgang aufhalten können. Die Gefühllosigkeit hatte jetzt bereits seine Oberschenkel erreicht und breitete sich langsam, doch unaufhaltsam, über den ganzen Körper aus. In diesem Moment betrat der Dämonenmeister Gigantus den großen Saal. In seinen Augen funkelte es zufrieden, als er die erstarrten Menschen musterte. Er breitete beide Arme aus und verneigte sich. Seine beschwörende Stimme klang zu den Männern und Frauen hinüber. Doch was er sagte, verstanden sie nicht. Ein kreischendes Lachen hallte durch den großen Raum, brach sich widerhallend an den Wänden, dröhnte gespenstisch in den Ohren der Menschen, die einem grauenhaften Ende entgegengingen. Die eisige Kälte hatte Tatchers Hüfte erreicht. Er verspürte keinerlei Schmerzen, fühlte nur, dass sein Herz immer langsamer zu schlagen begann. Sein Atem verließ kaum merklich den geöffneten Mund. Die Versteinerung schritt weiter, hatte jetzt den Oberkörper des Mannes erreicht. Tatcher ergab sich in sein schreckliches Schicksal. Er verfluchte den Tag, an dem er auf den Gedanken gekommen war, sich mit den Mächten der Finsternis einzulassen. Er war verloren und verdammt. Verdammt für alle Zeiten. Nichts würde ihn retten können. Nichts? * 54
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Schatten der Dämmerung krochen heran. Percy Collins fuhr durch den abflauenden Verkehr. Sein Ziel war das einsame Haus. Er versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren, doch die unheimlichen Ereignisse mit dem Wachsdouble im Yard wollten ihm nicht aus dem Kopf gehen. Blaulicht zuckte durch die abendliche Dämmerung, Percy bremste seinen Wagen. Ein Unfall, dachte er. Zwei Fahrzeuge hatten sich ineinander verkeilt. Ein Krankenwagen war schon da. Es wimmelte von neugierigen Zuschauern. Drei Polizisten hatten alle Hände voll zu tun, um den Stau wieder in Bewegung zu bringen. Langsam fuhr der Inspektor an der Unfallstelle vorbei. Neben ihm tauchte plötzlich eine Gestalt auf, die an das Seitenfenster klopfte. Es war ein Mann, der einen Hut tief in die Stirn gezogen hatte. Wieder hämmerte seine Hand gegen die Scheibe. Percy hielt an und kurbelte das Fenster einen Spalt hinunter. Er sah den Fremden fragend an. »Würden Sie mich bitte ein Stück mitnehmen?«, bat der Mann. Er schien nervös zu sein. »Ich habe es sehr eilig. Der Bus kommt hier nicht durch.« Percy Collins öffnete den Wagenschlag und der Fremde setzte sich neben ihn. Schon im gleichen Moment wusste der Inspektor, dass er einen Fehler begangen hatte. Er kannte den Mann und es traf Percy Collins wie ein heimtückisch geführter Tief schlag. Der Mann entblößte die Zähne zu einem teuflischen Lächeln, schob mit einer Hand seinen Hut aus der Stirn, während er mit der anderen Hand eine Pistole aus der Manteltasche beförderte. Der Fremde war Charles Tatcher. Oder wieder nur ein Double von ihm? Percy Collins biss sich auf die Unterlippe. 55
»Fahren Sie weiter, Collins!«, bellte die heisere Stimme von Tatcher. »Los, sofort, oder ich mache meinen Zeigefinger krumm. Ich habe nichts zu verlieren.« Aus bestimmten Anzeichen nahm Percy an, dass er wieder eine der Wachsgestalten vor sich hatte. Der Polizist nickte einem Polizisten zu, der sich mit wütendem Gesicht seinem Wagen näherte. Dann gab er Gas und fuhr los. Er warf Tatcher einen schrägen Blick zu. Die auf ihn gerichtete Pistole redete eine deutliche Sprache. Der Verkehr wurde wieder flüssiger. Das Tatcher-Double sprach kein Wort. Seine Augen waren auf Percy gerichtet, der immer unruhiger wurde. »Fahren Sie dort rechts ab«, befahl Tatcher nach einer Weile. »Los, Collins!« Die Pistole bohrte sich unsanft in Percys Seite. »Wollen Sie mich umbringen?«, fragte der Yard-Inspektor und verlangsamte das Tempo. Charles Tatchers Double nickte. »Sicher, Collins. Sie wissen schon zuviel. Sie könnten uns gefährlich werden.« Percy Collins' Hände krampften sich noch fester um das Lenkrad. Seine Gedanken überschlugen sich, suchten verzweifelt eine Möglichkeit, um aus dieser fatalen Situation herauszukommen. »Jetzt abbiegen«, knurrte Tatcher. Collins bog in einen Feldweg ein, der zwischen einigen Bäumen seinen holprigen Verlauf nahm. »Dort vorn können Sie halten, Collins!« Wieder entblößte das Wachsdouble seine Zähne. Der Inspektor wusste, dass ihm nur noch wenige Sekunden blieben, ehe er von dem unheimlichen Gebilde ermordet werden würde. Eine Idee schoss ihm durch den Kopf. Percy Collins' Körper verkrampfte sich für den Bruchteil einer Sekunde, dann führte er den schnell gefassten Plan aus. Er trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der Wagen machte einen protestierenden Satz nach vorn. Tatcher wurde in das Polster 56
zurückgedrückt. Schon wollte er sich verwirrt wieder aufraffen, als der Yard-Inspektor voll auf die Bremse trat. Da er selbst darauf vorbereitet und außerdem auch angeschnallt war, passierte ihm nichts. Das Tatcher-Double dagegen wurde nach vorn geschleudert und krachte mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe. Es gelang dem unheimlichen Wesen zwar noch, die Pistole abzudrücken, doch die Kugel zischte irgendwo ins Gehölz, hatte Percy Collins verfehlt. Doch um das Wachsdouble war es geschehen. Es brach auseinander, so wie eine Porzellanfigur, die zu Boden gestürzt war. Ein penetranter Geruch breitete sich im Auto aus, der dem Inspektor den Atem nahm. Collins öffnete die Tür und zerrte die Einzelstücke der Wachspuppe heraus. Kopfschüttelnd blickte er auf die Teile des Wesens, das ihn noch vor wenigen Augenblicken hatte töten wollen. In diesem Augenblick fing das, was von Tatchers Double übrig geblieben war, an sich aufzulösen. Nichts davon blieb zurück. Percy Collins fuhr sich müde über die Stirn. Er kletterte in das Fahrzeug zurück, startete und fuhr los. Auf einer kleinen Lichtung wendete er das Auto. Er atmete auf, als er endlich die Straße wieder erreicht hatte. Schon wollte er seinen Weg, der ihn zu dem einsamen Haus führen sollte, fortsetzen, als ihm sein väterlicher Freund, Professor Calwin Sherwood, einfiel. Vielleicht kann er mir einen Rat geben, dachte Percy Collins. * Jeff Winter hatte das Gefühl, als würde ihm jemand mit einem Vorschlaghammer alle fünf Sekunden auf den Kopf schlagen. Der junge Mann öffnete mühsam die Augen. Er stöhnte. 57
Seine Hand ertastete eine eigroße Beule an der Stirn. Er spürte verkrustetes Blut unter seinen Fingern. Der Mann von Scotland Yard richtete sich auf. Verwirrt sah er sich um. Er befand sich in einem fensterlosen Raum, der von Kerzen erhellt wurde. Außer der Pritsche, auf der er lag, war das kleine Zimmer leer. Jeff erinnerte sich an die letzten Sekunden, bevor er niedergeschlagen wurde. Ächzend sank er auf die harte Lagerstätte zurück. Verdammt, dachte er. Ich bin den Kerlen wie ein Anfänger in die
Hände gelaufen. Jetzt haben sie mich. Ich sitze fest. Percy wird schön fluchen.
Winter schwang die Beine auf den Boden und erhob sich. Er taumelte einige Schritte, musste sich gegen die Wand stützen, denn ein starkes Schwindelgefühl bereitete ihm Übelkeit. Nur langsam wurde ihm besser. Dann begann Jeff Winter seine Zelle zu untersuchen, konnte jedoch keinen Ausgang entdecken. Er setzte sich wieder auf die Pritsche und starrte nachdenklich zu Boden. Düstere Gedanken gingen dem jungen Mann durch den Kopf. Er saß in der Falle. Außerdem hatte er nicht die geringste Ahnung, wo er sich befand. Er nahm an, dass man ihn von dem verfallenen Haus weggebracht hatte. Auf einmal bildeten sich zarte Nebelschleier, die aus den Wänden zu drängen schienen und langsam den kleinen Raum zu füllen begannen. Winter zuckte hoch. Gas, durchfuhr es ihn. Auf diese Art und Weise wollen mich die Kerle umbringen. Seine Hände tasteten zum Hals. Sein Gesicht wirkte wächsern bleich. Die rötlichen Rauchschleier wogten jetzt stärker, krochen an dem Detektiv empor. Jeff schnappte keuchend nach Luft. Eine lähmende Müdigkeit machte sich in ihm breit. Plötzlich öffnete sich, wie durch Geisterhand, eine Tür in der Wand. Eine schöne Frau kam lächelnd auf Winter zu. Das durchsichtige Schleiergewand umspielte ihren formvollendeten Körper. 58
Jeff Winter vergaß für einige Augenblicke seine Not und starrte mit großen ungläubigen Augen auf die Schöne. »Komm mit, mein Freund«, forderte sie ihn mit zarter Stimme auf. »Du brauchst keine Angst zu haben. Es wird dir nichts geschehen. Sei willkommen im Club der Dämonen.« Jeffs Augen verengten sich. Er überlegte krampfhaft, blickte auf die Öffnung in der Wand und setzte zum Sprung an. Er wollte sich auf die Frau stürzen, sie zur Seite stoßen und dann die Zelle verlassen. Doch es gelang ihm nicht. Seine Bewegungen vermochte er nur zeitlupenhaft auszuführen. Das Lächeln der schönen Frau drückte Nachsicht aus. »Lass das, mein Freund! Ich verstehe, dass du nervös und unruhig bist. Komm mit mir, dir werden alle Ängste und Zweifel genommen! Komm! Gigantus, unser Herr und Meister, erwartet dich. Er wird dir helfen. Also, komm schon und versuche nicht zu fliehen! Es würde dir nichts nützen.« Die schöne Unbekannte wandte sich von Jeff Winter ab und glitt durch die Öffnung, hinter der das Dunkel gähnte. Jeff verharrte noch einige Augenblicke, ehe er ihr folgte. Ein düsterer Gang nahm ihn auf. Jeff hatte das Gefühl zu schweben. Er befand sich irgendwie in Trance. Er bewegte sich unendlich langsam, seine Glieder folgten ihm nur unkontrolliert. Die rötlichen Nebelschleier mussten eine Substanz enthalten haben, die diese Wirkung hervorrief. Jeff Winter blieb dicht hinter der Frau und erreichte mit ihr einen großen Saal, in dessen Mitte ein schwarzer altarähnlicher Tisch stand. Ein zwei Meter großer Mann, mit funkelnden Augen und in einen blutroten Mantel gekleidet, erwartete ihn. Seine Blicke bohrten sich voller suggestiver Wirkung in die Augen des Detektivs. Jeff Winter versuchte sich dagegen zu wehren, doch sein Widerstand war längst gebrochen. Eine einschmeichelnde Stimme drang in seine Gedanken. 59
Sie erzählte ihm von Reichtum und Macht, von Glück und Unsterblichkeit. Sie berichtete von all den wunderbaren Dingen, hinter denen die Menschen ein Leben lang herjagten. Jeff würde alles das bekommen. Gigantus, sein neuer Herr und Meister, benötigte dazu nur eine Unterschrift, die mit Jeffs Blut unterschrieben werden musste. Mehr nicht. Jeff Winter, nicht mehr Herr seiner Sinne, unterschrieb. Auch er würde fortan dem Grauen nicht mehr entgehen können. * »Ich brauche Ihre Hilfe, Professor«, sagte Percy Collins. »Sie haben Erfahrungen mit dem Umgang von Dämonen und Geistern. Schon öfters habe ich mir bei Ihnen Rat und Hilfe geholt. Bitte, helfen Sie mir auch diesmal. Es geht um das Leben von vielen Menschen, die sonst gnadenlos verloren sind!« Der Yard-Inspektor sah flehend auf den alten Mann, der in einem Rollstuhl saß und mit blicklosen Augen an ihm vorbeischaute. Professor Calwin Sherwood war blind und wohl schon über neunzig Jahre alt. Er wohnte in einem abgelegenen, uralten Haus, einige Meilen außerhalb Londons. Das Gebäude war von einem großen Park umgeben. Kaum jemand wusste um die Existenz dieses Professors. Er wurde von einem schon älteren Butler und einer Hausdame versorgt. Er hatte keine Verwandten mehr, seine Freunde waren alle längst tot. Percy Collins war dem ehemaligen Wissenschaftler und Gelehrten in Treue und Dankbarkeit verbunden. Vor Jahren hatte Collins einige Bücher und Abhandlungen von Professor Sherwood gelesen und war so fasziniert davon gewesen, dass er alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um den Verfasser ausfindig zu machen. Mit Hilfe des Yard-Apparates war es ihm gelungen. Percy Collins konnte das Vertrauen des alten Mannes gewinnen. Sie verbrachten viele Abende miteinander, diskutierten und unterhiel60
ten sich ausführlich über viele Themen, auch oft über Schwarze Magie, Zauberei und ähnliche Dinge. Calwin Sherwoods verrunzeltes und lederhäutig wirkendes Gesicht blieb maskenstarr. Es schien, als hätte er die Worte von Collins überhaupt nicht vernommen. »Schön, dass du nochmals gekommen bist, Percy«, klang seine brüchige und zitternde Stimme auf. »Meine Lebensuhr ist abgelaufen. Ich werde bald nicht mehr auf dieser Welt sein. Doch ich scheide leicht, denn ich weiß, dass mich in einer anderen Dimension eine größere Aufgabe erwartet.« Seine leisen Worte verwehten. Percy hielt den Atem an. Er tastete nach Sherwoods Hand, die eiskalt in der seinen lag. »Soll ich einen Arzt rufen, Professor?«, fragte er. »Sie täuschen sich bestimmt. Sie sind doch kerngesund, haben es mir immer wieder bestätigt.« Der Alte schüttelte schwach den Kopf. »Meine Lebensenergie ist verbraucht. Ich bin sehr müde geworden und in den letzten Wochen und Tagen fühlte ich es ganz deutlich, dass mein langes Leben zu Ende geht.« Die Worte taten dem Inspektor weh. Er hing wie ein Sohn an dem alten Mann. Ein tiefer Schmerz durchzuckte ihn. Erneut drückte er die zittrige Hand des alten Professors. »Werden Sie mir helfen?«, bat er erneut. »Es ist zwar jetzt nicht angebracht, Sie zu belästigen, doch ich brauche Ihre Hilfe, Sir. Sie haben mir einmal angedeutet, dass Sie...« Professor Calwin Sherwood unterbrach den Inspektor. »Ich habe keine Zeit mehr, Percy. Ich fühle, dass meine Seele auf eine lange Reise gehen wird. Mir bleiben nur noch wenige Minuten, die ich nutzen will.« Seine Stimme klang immer leiser, war bei den letzten Worten fast unverständlich geworden. »Dort drüben in meinem Schreibtisch findest du das geheimnisvolle Kleinod, das dich im Kampf gegen Dämonen und Geister beschützen wird. Ich erbte es vor vielen Jahrzehnten von meinem Vater und er 61
von seinem Vater, dieser wieder von seinem Vater und so fort. Das Kleinod ist viele Jahrhunderte alt. Du musst nur an seine übernatürlichen Kräfte glauben, dann wird es deinen Befehlen und Wünschen Folge leisten. Doch hüte dich, es für eigennützige Zwecke einzusetzen oder damit gegen Recht und Gesetz zu verstoßen! Es würde dich gnadenlos vernichten und dich in die Abgründe der Hölle stürzen, wo du für alle Zeiten verloren sein würdest.« Der alte Mann lehnte den Kopf gegen die gepolsterte Lehne seines Rollstuhls. Seine blicklosen Augen richteten sich auf den Inspektor. Percy Collins fühlte ein Schaudern über seinen Rücken laufen. Er erhob sich zögernd. »Gehe und hole dir das Kleinod! Bringe es mir, denn ich möchte es dir anstecken.« Professor Calwin Sherwoods Tonfall war im Augenblick kräftiger als zuvor, so, als würde seine Handlung ihm nochmals Stärke zuführen. Der Inspektor trat zu dem alten Schreibtisch, an dem der Zahn der Zeit deutliche Spuren hinterlassen hatte. Er öffnete die oberste Schublade und entdeckte ein Etui, das die Größe einer Zigarettenpackung hatte. Collins zögerte, doch dann griff er nach der kleinen Hülle und brachte sie dem Professor. Sherwoods Hände tasteten darüber. Ein gütiges Lächeln legte sich auf seine zerknitterten Gesichtszüge. Dann öffnete er das Etui. Percy Collins starrte auf den funkelnden Ring, der in einem prachtvollen Feuer glühte. Ein purpurroter Stein blinkte, in die Goldfassung waren geheimnisvolle Zeichen und Runen eingraviert. Der Professor nahm den Ring mit zittrigen Fingern aus der Schachtel, führte ihn an seine Lippen und küsste ihn. »Gib mir deine Hand, Percy. Die linke Hand, damit ich dir den Ring anstecken kann. Achte gut auf dieses Kleinod, denn sollte er in falsche Hände geraten, würde sich der Ring von selbst vernichten.« Percy Collins streckte dem alten Mann seine linke Hand entgegen. Beschwörende Worte drangen aus dem Mund des Professors. Seine welken Lippen bebten. 62
Dann streifte er den funkelnden Ring über Collins' Finger. Der Inspektor fühlte einen pulsierenden Strom durch seinen Körper fließen. Eine unbekannte und unbegreifliche Energie breitete sich in ihm aus. Noch immer sprach der uralte Mann beschwörende Worte in einer fremden und unbekannten Sprache. Der Inspektor konnte sich an dem Ring, dessen Funkeln nun langsam verblasste, so als wäre seine ganze Kraft auf den neuen Träger übergegangen, nicht satt sehen. Noch während Percy Collins wie gebannt auf seine Hand schaute, war der geheimnisvolle Ring verschwunden. »Er ist weg, Professor«, rief der Inspektor verstört. »Einfach weg.« »Er ist unsichtbar geworden, Percy«, berichtigte ihn der alte Mann mit zitternder Stimme. »Niemand braucht zu sehen, dass du der Träger des Äonen-Rings bist.« Professor Calwin Sherwood lehnte sich erschöpft in seinen Rollstuhl zurück. Sein Atem ging keuchend. Der Sterbende presste eine Hand auf die linke Brustseite. »Es ist soweit, Percy«, klang es verwehend von seinen bleichen Lippen. »Ich trete ab.« Percy Collins konnte die letzten Worte kaum verstehen. Ein eherner Reif schien sich um sein Herz zu legen. Hilflos beugte er sich über den greisen Mann. »Ich wünsche dir alles Glück auf dieser Welt...« Der Kopf des Professors fiel schlaff zur Seite. Ein Beben ging durch seinen Körper, dann war es still um ihn. Es war ein friedlicher Tod gewesen. Collins drückte seinem Freund die Augen zu. Stumm stand er vor dem Verblichenen. Seine Mundwinkel zuckten und Tränen rannen ihm über die Wangen. Jemand räusperte sich verhalten hinter ihm. Collins wandte sich um und erkannte James, den Butler. »Ich werde alles Weitere veranlassen, Mr. Collins«, flüsterte der ebenfalls schon betagte Mann. »Gut, dass Sie gekommen sind, Mr. 63
Sherwood hat heute morgen bereits nach Ihnen gefragt. Ich versuchte Sie zwar im Yard zu erreichen, doch Sie waren unterwegs.« Percy Collins nickte und fuhr sich mit einer mechanischen Geste über die Augen. »Ich muss weg. Bitte, teilen Sie mir mit, wann die Beerdigung stattfindet, ja?« James nickte. »Gehen Sie nur, Inspektor. Ich werde mich um alles kümmern. Mrs. Plummers und ich rechneten seit Tagen mit dem Ableben des Professors. Seine Zeit war gekommen. Er wusste es selbst.« Percy warf noch einen scheuen Blick auf die leblose Gestalt seines väterlichen Freundes, nickte James erneut zu und verließ das Haus. Er fühlte den Ring an seiner Hand, der ihm neue Kraft und Zuversicht verlieh. Percy Collins beschloss, das verfallene Haus aufzusuchen. Er hoffte nur, dass Jeff Winter sich in der Zwischenzeit beim Yard zurückgemeldet hatte. Doch darin sollte er sich täuschen. * Charles Tatcher war zu einer steinernen Statue geworden. Es schien ihm, als besitze er keinen Körper mehr, denn er konnte weder etwas fühlen noch spüren. Er atmete nicht einmal mehr. Auch sein Herz hatte aufgehört zu schlagen. Nur sein Gehirn schien noch intakt zu sein, obwohl ihm das Denken immer größere Schwierigkeiten bereitete. Er ahnte, dass es auch damit bald vorbei sein würde. Tatcher konnte den großen Saal mühelos überblicken. Er nahm die sprühenden Fontänen des Springbrunnens wahr, erkannte die vielen anderen Statuen, die wie er versteinerte Menschen waren. Eine Tür öffnete sich. Vor Charles Tatcher lief alles wie ein farbenprächtiger Film an. Er sah und hörte alles, hatte jedoch keine Möglichkeiten, aktiv einzugreifen. 64
Ein noch junger Mann trat über die Türschwelle. Sein bleiches Gesicht wirkte maskenstarr. Rötliches Haar reichte ihm bis zum Nacken. Zwei schöne Begleiterinnen dirigierten ihn auf einen Sockel. Tatcher hätte gern dem Mann geholfen, doch er konnte nicht eingreifen. Er wusste nicht, dass es sich um Jeff Winter handelte, der seinem furchtbaren Schicksal nicht hatte entgehen können. Der Mann von Scotland Yard ahnte zwar, dass etwas Schreckliches mit ihm vorging, doch er hatte weder die Kraft, noch den Willen, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen. Er befand sich unter einer Art Hypnose, die ihm jeden eigenen Willen raubte und ihn zu einer gehorchenden Kreatur machte. Er stand jetzt auf dem Sockel und fühlte die eisige Kälte von den Beinen aus sich über den ganzen Körper ausbreiten. Auch Jeff Winter verwandelte sich langsam zu einem versteinerten Menschen. Die beiden Frauen zogen sich zurück. Grabesstille lag über dem Saal, unterbrochen von dem sanften Plätschern des Springbrunnens. Mit fast wissenschaftlicher Neugierde beobachtete Charles Tatcher, wie die Versteinerung seines jungen Nachbarn fortschritt. Langsam, doch unaufhaltsam, rückte sie voran. Ein neues Meisterwerk der Steinbildkunst war geboren. Ein weiterer Mensch war zu Stein geworden. Gigantus, der Dämonenriese, hatte eine weitere Seele in sein Reich geholt. * Percy Collins kletterte aus dem Bentley und reckte sich. Dann schaute er sich suchend nach allen Seiten um, konnte jedoch von Tom Mason nichts entdecken. Dunkelheit lag über dem Land. Der Himmel war bewölkt. Es sah wieder einmal nach Regen aus. Der junge Inspektor schlug den Kragen seines Regenmantels hoch und kletterte den kleinen Hügel hoch, wo er seinen jungen Kollegen zu finden hoffte. 65
Doch Tom Mason war und blieb verschwunden, obwohl Percy alles genau absuchte. Collins ging zu seinem Wagen zurück und rief im Yard an. Mason war nicht zurückgekehrt. Er war, wie Jeff Winter, spurlos verschwunden. Collins presste die Lippen hart aufeinander, holte sein Fernglas aus dem Handschuhfach und stieg erneut den kleinen Hügel empor. Er nahm das verfallene Haus ins Visier, doch dort regte sich nichts. Dunkel und geheimnisvoll lag es vor ihm. Minuten vergingen. Ein leichter Regen hatte eingesetzt, der dem Inspektor einige Flüche abtrotzte. Er blieb auf seinem Beobachtungsposten, spähte immer wieder zur Ruine hinüber. Doch nichts Verdächtiges geschah. Plötzlich tauchten Lichter eines Autos auf. Wie Geisterfinger glitten die Scheinwerfer über die verwahrloste Gegend. Der Wagen stoppte. Collins hielt es nicht mehr auf seinem Platz aus. Er schlich durch Büsche und hohes Gras zum Fahrzeug. Jetzt erkannte er die Gestalt eines Mannes, der das Auto verlassen hatte und zu dem halbverfallenen Haus hinüberspähte. Minuten vergingen. Collins zuckte zusammen, als aus der Ruine heller Lichtschein durch eines der Fenster fiel. Auch der Mann am Fahrzeug hatte es bemerkt. Er setzte sich zielstrebig in Bewegung und näherte sich dem Haus. Inspektor Collins hatte keine Möglichkeit einzugreifen, ohne Verdacht zu erregen. So beobachtete er den Mann, der jetzt die Ruine erreichte, kurz zögerte, dann in der dunklen Türöffnung verschwand. Percy murmelte einen Fluch und näherte sich dem Auto des Fremden, um sich das Kennzeichen zu notieren. Er spürte plötzlich den Ring an seinem Finger, der warnende Impulse durch seinen Körper jagte. Gefahr! Percy Collins duckte sich unwillkürlich. Nur einen Lidschlag kostete es ihn, das Fahrzeug aus der Sicht zu verlieren. 66
Wie ein ungläubiges Kind fuhr er sich über die Augen, doch der Wagen blieb verschwunden. Collins wirbelte herum, starrte zum Haus hinüber. Deutlich nahm er zwei dunkle Schatten wahr, die sich im Fenster abzeichneten. Er schlich sich näher an das Haus heran. Wieder fühlte er warnende Impulse. Er spürte die Aura des Grauens, die über dem zerfallenen Gebäude lag. Plötzlich verlosch das Licht im oberen Stockwerk. Collins hielt den Atem an. Das Haus war ganz in Dunkelheit gehüllt. Endlos langsam schlichen die folgenden Minuten dahin. Im Gebäude rührte sich nichts. Tot und verlassen lag es da, als ob keine Menschenseele es betreten hätte. Vergebens wartete Percy auf ein erneutes Lebenszeichen, darauf, dass der Mann das Gebäude wieder verlassen würde. Doch nichts geschah. Der Inspektor überlegte kurz, zog sich wieder zurück, nahm einen Beobachtungsplatz zwischen den Büschen ein und musterte den Ring an seinem Finger, der jetzt keinerlei Impulse mehr ausschickte. Collins war sich über den Ring noch immer nicht ganz im Klaren, ahnte jedoch, dass er ein wertvolles Instrument im Kampf gegen die Mächte der Finsternis sein würde. In diesem Moment vernahm Collins aus der Ferne das Aufheulen eines Automotors. Gleich darauf erblickte er wieder Scheinwerfer eines sich langsam nähernden Fahrzeugs. Zwanzig Yards entfernt hielt ein alter VW. Die Scheinwerfer verlöschten. Nach einigen Augenblicken stieg ein Mann aus dem Auto und sah sich suchend um. Collins hatte sich bereits einen Plan zurechtgelegt, den er unter allen Umständen auch auszuführen gedachte. Blitzschnell trat er auf den Volkswagen zu. Der Mann erkannte ihn, als er vor ihm stand und zuckte erschrocken zusammen. »Keine Aufregung, Sir«, sagte Collins freundlich und hielt dem Fremden seinen Ausweis unter die Nase. »Scotland Yard, Inspektor 67
Collins. Hören Sie gut zu, Mister. Sie werden jetzt ganz schnell verschwinden und zwar zu Fuß!« »Aber - ich«, wollte der noch junge Mann protestieren. Sein Gesicht nahm einen verbissenen Ausdruck an. »Es geht um Ihr Leben. Ich werde an Ihrer Stelle den Antrittsbesuch im Club der Dämonen machen. Über vierzig Personen sind in den letzten Wochen verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Alle Spuren führen zu diesem Haus.« Der junge Mann starrte den Inspektor verblüfft an. Dann senkte er ergeben den Kopf. Collins' befehlende Stimme duldete keinen Widerspruch. »Sie gehen zur Straße zurück, versuchen ein Auto anzuhalten und lassen sich zu Scotland Yard fahren. Glenn Hubbard, das ist mein Chef, wird Ihnen alles genau erklären. Ich habe nicht viel Zeit zu verlieren. Sagen Sie mir Ihren Namen, Mister!« »James Murduck«, stammelte der junge Mann, dessen Gesicht sich wie ein bleicher Fleck in der Dunkelheit ausmachte. »Der Club ist doch eine harmlose Sache, für Menschen, die ein wenig Abwechslung wollen, Sir«, muckte er auf. »Sie greifen in meine persönliche Freiheit ein und ich werde mich beschweren.« »Tun Sie das ruhig, junger Mann«, knurrte der Inspektor. »Könnte natürlich auch sein, dass Sie sich irgendwann bei mir bedanken werden. Haben Sie irgendein Schreiben oder eine Legitimation mit, um sich im Club auszuweisen?« James Murduck schüttelte den Kopf. »Ich hatte einen Einladungsbrief, doch den habe ich sofort vernichtet. Sie brauchen aber tausend Pfund Sterling, die Beitrittsgebühr«, fügte er erklärend hinzu. Percy biss sich auf die Unterlippe. Natürlich hatte er nicht so viel Geld bei sich. »Los, geben Sie es schon her! Ich habe keine Zeit, um Ihnen eine Quittung auszustellen, doch Sie bekommen das Geld wieder zurück. Hubbard wird es Ihnen geben.« Der junge Mann wich einen Schritt zurück. 68
»Soll wohl ein Überfall sein?«, fragte er. »Sind Sie auch wirklich ein Inspektor vom Yard?« Collins sah in diesem Moment wieder den längst ersehnten Lichtschein aus dem verfallenen Haus fallen. Er durfte jetzt keine Zeit mehr verlieren, wenn sein Trick erfolgreich sein sollte. »Unsinn. Es geht um Leben und Tod von über vierzig Menschen. Auch einige meiner Leute sind schon spurlos verschwunden. Geben Sie mir das Geld. Als Pfand erhalten Sie meinen Dienstausweis und meine Marke. Sie bringen beides meinem Vorgesetzten. Einverstanden? Los, ich muss rüber!« Der Mann mit dem Namen Murduck zögerte noch immer. Schließlich sah er ein, dass er keine andere Wahl hatte. Der Inspektor war ihm an Körperkräften weit überlegen. Er zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und reichte es Collins, der es in seiner Manteltasche verschwinden ließ. Dann gab er Murduck seinen Ausweis und die Dienstmarke. »Los, ziehen Sie ab, Murduck«, zischte Collins. »Melden Sie sich im Yard. Und sagen Sie meinem Chef, dass ich in Ihre Haut geschlüpft sei. Erklären Sie ihm, dass ich in das Haus eingedrungen sei. Er soll mir vierundzwanzig Stunden Zeit geben.« James Murduck schien endlich davon überzeugt zu sein, dass er wirklich einen Mann von Scotland Yard vor sich hatte. Er nickte plötzlich entschlossen. »In Ordnung, Inspektor. Ich vertraue Ihnen. Wenn ich es mir recht überlege, ist mir die ganze Sache auch ein wenig sonderbar vorgekommen.« Er machte kehrt und verschwand in der Dunkelheit. Percy wartete noch einige Augenblicke, doch Murduck schien wirklich das Gelände verlassen zu haben. Das Licht brannte noch immer in dem alten Haus. Und wieder zeichnete sich ein dunkler Schatten am Fenster ab. Er tat so, als ob er gerade den alten Volkswagen verlassen hätte und ging mit festen Schritten auf das Haus zu. Der Äonen-Ring an seinem Finger begann wieder seine geheimnisvollen Strahlen auszusenden. 69
Der Inspektor wusste, dass in dem alten Haus dort drüben Unheimliches geschah. Er stand jetzt vor einer wackligen Treppe, die nach oben führte. Dicht daneben flackerte eine Kerze. Percy Collins holte tief Luft und stieg nach oben. Vor einer Tür hielt er an, drückte die Klinke und mit einem ächzenden Geräusch wich sie zurück. Helligkeit blendete seine Augen. Ohne Zögern betrat er das Zimmer und fand sich einem kleinen Männchen gegenüber, das einen schwarzen Umhang trug. »Willkommen im Club der Dämonen«, klang es Inspektor Collins entgegen. * James Murduck lief einige Schritte von seinem Auto weg und duckte sich hinter einem umgestürzten Baumstamm. Er starrte zu dem Inspektor hinüber, der jetzt zu dem verfallenen Haus blickte und sich dann zögernd in Bewegung setzte. Der junge Mann war verwirrt und durcheinander. Das überraschende Auftauchen des Detektivs hatte ihm alles verdorben. Er wusste nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte. Doch dann änderte sich seine Meinung sehr rasch. Sein alter Volkswagen wurde plötzlich durchscheinend und löste sich vor seinen Augen in Nichts auf. Murduck schluckte schwer. Er versuchte seinen fliegenden Atem unter Kontrolle zu bekommen, was ihm nur sehr schwer gelingen wollte. Er ging langsam auf die Stelle zu, wo sein Auto gestanden hatte. James Murduck tastete ungläubig den Boden ab, konnte jedoch nichts feststellen. Er warf einen scheuen Blick zu dem alten Haus hinüber, wo in diesem Augenblick das flackernde Licht erlosch. 70
Murduck war nun felsenfest davon überzeugt, dass der Inspektor die Wahrheit gesagt hatte. Das Verschwinden seines Autos hatte seine letzten Zweifel zerstreut. Der junge Mann machte sich auf den Weg und erreichte bald eine Straße. Nach mehreren Versuchen gelang es ihm, ein Fahrzeug anzuhalten. Das Auto wurde von einem älteren Mann gesteuert, der seinen Gast neugierig musterte. Murduck ahnte schon, was kommen würde. Die Fragen des Fahrers prasselten auch nur so auf ihn herein. Er antwortete ausweichend, erklärte, dass er eine Motorpanne habe und einen Freund in der Stadt aufsuchen wolle. Bald erreichten sie die ersten Häuser von London. In der Nähe eines Taxenstandes ließ sich James Murduck absetzen. Eine halbe Stunde später stand er vor Glenn Hubbard, der den jungen Mann forschend anstarrte. Murduck erzählte alles. Hubbard, der die Zusammenhänge kannte, fiel es nicht schwer, sich ein Bild zu machen. Er bekam den Dienstausweis und die Marke des Inspektors und gab dem jungen Mann eine Zahlungsanweisung über tausend Pfund Sterling. »Das Geld können Sie sich aber erst morgen abholen«, sagte Glenn Hubbard. »Die Kasse ist im Moment geschlossen. Ich danke Ihnen, junger Mann. Sie haben uns einen großen Dienst erwiesen.« »Was ist mit meinem Auto?« Hubbard zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Doch trösten Sie sich, Ihr Fahrzeug wäre auch verschwunden, wenn Sie das Haus betreten hätten.« Der Mann wippte auf den Zehenspitzen und kratzte sich am Hinterkopf. »Mal sehen, ob es wieder auftaucht«, nickte Glenn Hubbard. »Lassen Sie auf jeden Fall Ihre Adresse hier.« Einige Minuten später war Hubbard wieder allein. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch, griff sich eine Pfeife vom Ständer und begann, sie gedankenverloren zu stopfen. 71
»Vierundzwanzig Stunden«, murmelte er. »Wenn das nur gut geht, Collins!« * Percy Collins hatte sich nicht sonderlich von der gespenstischen Atmosphäre beeindrucken lassen. Er hatte den Namen des jungen Mannes genannt und die tausend Pfund bezahlt. Der kleine glatzköpfige Mann mit den funkelnden Augen und dem schwarzen Mantel führte ihn nun durch einen langen düsteren Gang und verhielt vor einer Tür. »Treten Sie ein, Sir«, sagte er. »Die Aufnahmeprüfung wartet auf Sie. Ich wünsche Ihnen viel Glück, Mr. Murduck.« Der Kleine lächelte düster, machte kehrt und lief den langen Gang zurück. Die Tür wich zurück. Percy Collins schien von der gleißenden Helligkeit aufgesogen zu werden. Er taumelte einige Schritte in den Raum und hatte plötzlich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das grelle Licht erlosch von einer Sekunde zur anderen. Collins glaubte, durch einen dunklen, nicht enden wollenden Korridor abwärts zu gleiten. Der Fall wurde immer schneller. Collins sah farbige Spiralen, die sich auf ihn stürzten, ihn umhüllten und in die Tiefe zu reißen schienen. Percy Collins versuchte, klaren Kopf zu bewahren. In diesem Moment meldete sich der unsichtbare Ring an seinem Finger. Geheimnisvolle Energieströme pulsierten durch Percy Collins Körper, machten ungeahnte Kräfte frei, die dem Detektiv von Scotland Yard zugute kamen. Die bodenlose Dunkelheit wich, das ziehende Gefühl eines raschen Falls hörte plötzlich auf. Percy Collins stand in einem Kellerraum, der sich kahl seinen Blicken darbot. 72
Er wusste, dass alles, was er in den letzten Minuten zu erleben glaubte, reine Illusion gewesen war. Der Äonen-Ring hatte diese Einbildung zunichte gemacht. Percy Collins ließ sich nicht bluffen, als die Wirkung des unsichtbaren Ringes nachließ und er wieder ins Nichts zu stürzen schien. Erneut griffen farbige Spiralen nach ihm, doch das alles konnte den Inspektor nicht mehr erschrecken. Dann war alles vorbei. Percy spürte festen Boden unter den Füßen und taumelte einige Schritte nach vorn. »Willkommen im Club der Dämonen«, begrüßte ihn eine freundliche Stimme. Collins lächelte schwach. Er war froh, endlich das Ziel erreicht zu haben. * Wirbelnde Nebelschleier huschten durch den Raum, wogten auf und ab, ehe sie sich verdichteten. Xertia, die geheimnisvolle Frau, mit dem Körper einer griechischen Göttin und dem Kopf einer blutgierigen Bestie, bildete sich aus den Rauchmassen. »Du hast mich gerufen, Gigantus«, sprach sie zu dem Dämonenriesen, der sie aus seinem Stirnauge anstarrte. Sein schuppiger Körper verneigte sich leicht. Dann nickte der Dämon. »Fünfzig Seelen sind bereits in meiner Gewalt, Xertia«, grollte seine dunkle Stimme. »Wann soll ich sie den Mächten der Finsternis übergeben?« Xertias Wolfsrachen öffnete sich. Spitze, dolchartige Zähne drohten. Sie reckte ihren geschmeidigen Körper und wand sich wie eine Schlange. »Ich werde die Übernahme in wenigen Stunden veranlassen, Gigantus. Doch du weißt, dass noch fünfzig weitere Seelen von dir benötigt werden, damit der Bann des Magiers genommen wird.« 73
»Das ist mir bekannt. In wenigen Zeiteinheiten werde ich auch den Rest zur Verfügung haben. Die Mächte der Finsternis werden mit mir zufrieden sein.« Gigantus, der Dämonenriese, verneigte sich erneut. »Dir droht Gefahr, Gigantus«, warnte Xertia. »Deine Aufgabe droht zu scheitern.« Der Dämon erstarrte. Sein echsenhaftes Gesicht verzog sich zu einer grauenhaften Grimasse. Die breiten Lippen pressten sich hart aufeinander. Seine Augen begannen noch stärker zu glühen. »Gefahr?«, donnerte seine Stimme. »Von wem, Xertia?« »Ich weiß es nicht, Gigantus. Noch nicht! Doch meine Boten sind schon unterwegs, um den Eindringling, der sich bei dir eingeschlichen hat, zu finden. Sei auch du wachsam, Gigantus. Wir haben auf der Welt der Sterblichen in den letzten Jahrhunderten immer mehr an Einfluss verloren. Deine Aufgabe muss erfüllt werden.« Der Dämonenriese stand noch immer unbeweglich auf dem Fleck. Rauch quoll aus seinem Mund. Es stank nach Schwefel. Xertia aber verwandelte sich wieder in Nebelschleier und verschwand durch die Wand. Sie hatte Gigantus gewarnt. Doch würde er die Warnung ernst nehmen? * Der große Saal mit den wunderschönen Statuen faszinierte Percy Collins. Er, der gern Museen aufsuchte und dort die Werke der Künstler aus aller Welt und aus vielen Jahrhunderten bewunderte, stand sprachlos vor diesen Meisterwerken. Der Springbrunnen plätscherte leise, sanfte Musik umschmeichelte den Mann von Scotland Yard, der jetzt ein weites wallendes Gewand trug und von Statue zu Statue schritt, um sie sich genau anzusehen. 74
Die beiden schönen Frauen hatte er fortgeschickt. Er wollte allein sein. Sein unsichtbarer Ring hatte sich nicht mehr gemeldet, doch Collins blieb auch so auf der Hut, achtete auf alles und fragte sich, wann er endlich einem der Verschwundenen begegnen würde. Das sollte schneller geschehen, als er sich hatte denken können und auf eine viel brutalere Art und Weise, als das seine Vorstellungen dafür ausgereicht hätten. Als er der nächsten Statue ins Gesicht blickte, zuckte Inspektor Collins wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Die Erkenntnis traf ihn so plötzlich, dass Percy, der sonst einiges einstecken konnte, an seinem Verstand zu zweifeln begann. Er starrte in die versteinerten Gesichtszüge seines Assistenten Jeff Winter. Percys Hand tastete vor und berührte die Statue, die sich kalt und leblos anfühlte. Percy Collins atmete auf. Man hatte also eine Statue nach Jeff angefertigt. Bestimmt waren auch die anderen Standbilder genaue Nachbildungen der seit Wochen Verschwundenen. Doch wo befanden sich die Vermissten? Wo hatte man sie gefangen? Der Inspektor konnte natürlich nicht ahnen, dass diese Menschen - alle in versteinerter Form - vor ihm standen. Percy Collins ging weiter. Bei einer anderen Statue kamen ihm die Gesichtszüge ebenfalls bekannt vor. Dann fiel es ihm wieder ein: Es konnte sich nur um Charles Tatchers Abbild handeln. Und eine dritte Statue fand er. Es war Tom Mason, der junge Detektiv von Scotland Yard. Collins' Gedanken überschlugen sich. Bestimmt würde man auch von ihm ein solches Standbild anfertigen. Der Inspektor sah jedoch keinen Sinn darin. Die sanfte Musik verstummte in diesem Moment. Zwei Frauen traten auf ihn zu. 75
»Kommen Sie mit, Sir«, bat eine von ihnen freundlich. »Wir werden Sie jetzt unserem Herrn und Meister vorstellen.« »Ich brenne schon darauf, den Besitzer des Clubs der Dämonen kennen zu lernen«, erwiderte Collins mit schmeichelndem Ton. Sein Blick streifte bewundernd die formvollendeten Schönen, die jetzt vor ihm her schritten. * Bald stand er in dem düsteren Saal, in dem sich der matt glühende Altar befand. Die gespenstische Atmosphäre bedrückte den Mann von Scotland Yard. Doch Collins, der nicht zum ersten mal gegen Geister und Dämonen kämpfte, konnte seine Gefühle unter Kontrolle halten. Forschend sah er sich nach allen Seiten um. Er war allein. Nachdenklich starrte er auf die drei Meter hohe Statue, die hinter dem Altar stand. Der unsichtbare Ring an seinem Finger schickte einen fast schmerzhaften Impuls durch seinen Körper. Percy glaubte Leben in dem einzigen Auge des Dämonenriesens zu entdecken. Es erschreckte ihn, doch es konnte natürlich auch ein technischer Trick sein. Musik klang auf, die seinen Ohren wehtat. Wallende Dämpfe erfüllten den Raum. Der Inspektor von Scotland Yard hatte Mühe zu atmen. Seitlich vom Altartisch trat ein zwei Meter großer Mann ins schimmernde Licht der Fackeln. Collins hatte ihn vorher nicht gesehen. Der Riese hatte ihn also die ganze Zeit über heimlich beobachtet. Der Mann, über dessen mächtige Schultern ein blutroter Mantel hing, winkte Percy Collins zu sich heran. »Sie sind für würdig befunden worden, Sir, Mitglied unseres Clubs, des Clubs der Dämonen, zu werden. Dort liegt der Vertrag. Sie werden ihn mit Ihrem eigenen Blut unterschreiben.« Percy wich erschrocken zurück. 76
Er starrte auf den kleinen Dolch in der Faust des dämonisch aussehenden Mannes, auf dessen schmalen Lippen nun die Andeutung eines Lächelns lag. »Keine Angst, Sir, doch alles muss seine Richtigkeit haben. Sie erwarten von uns etwas Besonderes und das werden wir Ihnen auch bieten.« Der Mann lächelte und packte Percy Collins' linken Arm. Eine Welle des Schmerzes, ausgelöst durch den Äonen-Ring, zuckte durch Collins' Körper. Der Dolch verursachte nur einen kleinen Schnitt. Einige Blutstropfen quollen hervor. Der Mann tauchte eine Feder hinein und reichte sie dem Inspektor. Collins starrte auf den Vertragsbogen, der auf dem jetzt schwarzen Altar lag. »Unterschreibe!« Die Stimme klang suggestiv. Ein fremder, sehr starker Wille drang plötzlich in Collins' Gedanken und führte seine Hand, die eine Unterschrift auf das Blatt setzte. Percy taumelte zurück. Er fühlte sich auf einmal müde und benommen. Vergebens wartete er auf die ihm Energie zuführenden Impulse des unsichtbaren Ringes. Der Detektiv wartete vergebens. Die Müdigkeit wurde immer größer. Schwarze Schatten wirbelten vor seinen Augen, ließen ihn seine Umgebung nur noch verschwommen wahrnehmen. Was ist nur los mit mir?, dachte Collins. Mit einer kraftlosen Handbewegung strich er sich über die Stirn, die sich kalt anfühlte. »Du hast dich verpflichtet, mir für alle Zeiten zu dienen«, vernahm er die dröhnende Stimme von Gigantus. »Du hast mir deine Seele verschrieben. Nichts auf dieser Welt der Sterblichen wird es wieder ändern können.« Inspektor Collins suchte mit seinen Händen nach einem Halt. Die Müdigkeit drohte ihn zu übermannen. Er konnte kaum noch die Augen offen halten. Erneut taumelte er einige Schritte zurück. 77
Er glaubte ein höhnisches Gelächter zu vernehmen, das sich schallend an den Wänden brach. Gigantus tauchte jetzt vor ihm auf. Der richtige Gigantus, der bisher hinter dem Altar wie eine Statue gestanden hatte. Sein einziges Auge glühte. Percy Collins musste den Kopf heben, um an dem Dämonenriesen hochsehen zu können. Das schreckliche Gelächter brach nicht ab. Gigantus stampfte näher. Der Boden wellte sich unter seinen Tritten und seinem Gewicht. »Dein Trick hat dir nichts genützt, Percy Collins«, schrie der Dämon. »Du hast doch nicht im Ernst daran geglaubt, mich überlisten zu können. Auch dich werde ich vernichten. Doch deine Seele wird den Mächten der Finsternis geopfert. Schon in wenigen Stunden wirst du die Schrecken der Hölle kennen lernen.« Percy Collins versuchte zu fliehen, doch seine Beine schleppten sich nur mühsam über den Boden. Alles kam ihm wie in Zeitlupe vor, so als befinde sich sein Körper bereits in einer anderen Dimension, in der sich alles verlangsamt hat. »Du elender Erdenwurm«, tobte der Dämonenriese. »Bald werde ich die Fesseln abstreifen können, die mich durch einen Zauberspruch noch immer binden. Und dann werde ich die Herrschaft über eure Welt antreten.« Collins konnte nicht mehr klar denken. Er hatte nur das schreckliche Gefühl, versagt zu haben. Zwei Frauen traten auf ihn zu und packten Collins. Nichts mehr von ihrer Schönheit war geblieben. Sie glichen schuppenhäutigen Ungeheuern, die aus dem tiefsten Schlund der Hölle zu stammen schienen. Ihre skelettartigen Finger krallten sich in Inspektor Collins' Arme. Der Detektiv leistete keinen Widerstand, denn ihm fehlte jede Kraft dazu. Collins hatte das Gefühl, als sauge ihm ein unbekanntes Wesen seine ganze Kraft aus dem Körper. So ähnlich musste es wohl sein, wenn man hilflos verblutete und mit jedem Herzschlag das Blut weniger wurde. 78
Der Inspektor fühlte sich maßlos erschöpft. Er registrierte im Unterbewusstsein, dass ihn die beiden schuppenhäutigen Bestien in den großen Saal brachten, in denen er die vielen Statuen bewundert hatte. Sie stellten ihn auf einen freien Sockel. Percy fühlte eine eisige Kälte durch seinen Körper kriechen, die ihn die Müdigkeit für einige Sekunden vergessen ließ. Er wusste plötzlich, was mit ihm vorging. Der vage Verdacht, den er noch vor wenigen Minuten hatte, bewahrheitete sich. Auch er würde zu einer der versteinerten Standbilder werden, so wie Jeff Winter, Tom Mason, Charles Tatcher und all die anderen Vermissten. Er hatte versagt. Gigantus, der Dämonenriese, konnte triumphieren. *
Noch vier Stunden, dachte Glenn Hubbard. In vier Stunden ist die Frist abgelaufen, um die Collins gebeten hat. Alles ist vorbereitet, die Leute sind alarmiert und wir können sofort ausrücken. Warum hat sich Collins noch nicht gemeldet? Percys wohlbeleibter Chef wuchtete sich hinter seinem Schreibtisch hoch. Er trat zu einem kleinen Schrank, nahm eine halbvolle Whiskyflasche und ein Glas hervor und schenkte sich einen Drink ein. Doch auch der Whisky konnte ihn nicht beruhigen. Hubbard war nervös und nicht nur erst seit den letzten Minuten und Stunden. Er dachte daran, dass die acht Vermissten, die wieder aufgetaucht waren, alle Wachspuppen gewesen waren, so wie Charles Tatcher, der von Percy Collins entlarvt worden war. Hubbard griff zum Telefonhörer. »Wir fahren los«, knurrte er. »Die Leute sollen nach Plan A vorgehen.« 79
Glenn Hubbard leerte sein Glas und fühlte sich davon ein wenig erleichtert. Noch länger hier im Büro herumsitzen, hätte ihn wahnsinnig gemacht. Er streifte sich seinen Mantel über, überprüfte die Pistole in dem Schulterhalfter und setzte seinen Hut auf. Einige Minuten später saß er im Fond seines Dienstwagens. Drei weitere Detektive vom Yard hatten im Fahrzeug Platz genommen. Über hundert Polizisten würden die Umgebung des alten verfallenen Hauses hermetisch abriegeln. Plan A war angelaufen. Ob er Collins und den anderen Vermissten von Nutzen sein würde, wusste Glenn Hubbard nicht. Er hoffte es nur. * Seine Stunde war gekommen. In wenigen Zeitspannen würde er den Mächten der Finsternis fünfzig Seelen übergeben können. Gigantus war mit sich und seiner Arbeit zufrieden. Bald würde der Fluch des Magiers von ihm genommen werden. Jahrhunderte lang hatte er darunter Höllenqualen gelitten. Auf dem schwarzen Altar lagen fünfzig Beitrittserklärungen zum Club der Dämonen, die von den Antragstellern mit dem eigenen Blut unterschrieben worden waren. Durch ihre Unterschrift hatten sich die Menschen den Mächten des Bösen verschrieben. Der Pakt war besiegelt. Nichts würde ihn lösen können, nur Gigantus' Vernichtung wäre der einzige Ausweg. Wirbelnde Schatten huschten durch den Raum. Ein Klagen und Jammern war zu vernehmen. Der fischähnliche Mund von Gigantus verzog sich zu einem zufriedenen Lächeln. »Klagt und jammert nur, ihr verlorenen Seelen«, fauchte er. »Es wird euch nichts nützen. In wenigen Minuten, nach eurer Zeitrech80
nung, werden die Mächte der Finsternis euch für alle Zeiten bekommen. Ihr habt verspielt.« Das Jammern und Klagen wurde lauter, so als wären Gigantus' Worte verstanden worden. Zehn Frauen betraten nun den großen Saal. Bunte Schleier umspielten die schönen Körper. Sie sahen wie Göttinnen aus, die vom Olymp herabgestiegen waren. Doch dann veränderte sich schnell ihr Aussehen. Sie wurden zu Skeletten, die bunten Schleier verbrannten zu Asche und wurden von einem eisigen Wind davongetragen. Die Gerippe fassten sich jetzt an den Händen und begannen den Altar und Gigantus zu umtanzen. Bleich schimmerten die Knochen. Ein penetranter Geruch nach Verwesung breitete sich aus. Gigantus, der Dämonenriese, murmelte monotone Worte, versuchte die Mächte der Finsternis zu beschwören. Sein Blick konzentrierte sich auf die fünfzig mit Blut unterzeichneten Verträge. Rot leuchteten ihm die Namenszüge entgegen. Der Altar begann leicht zu glühen. Noch immer wirbelten die Skelette um den Altar herum. Ihr dissonanter Gesang erfüllte den großen Saal mit einem donnernden Brausen. Immer schneller drehten sie sich im Tanz. Gigantus aber steigerte seine Stimme. Die Abgesandten aus dem Reich der Finsternis mussten bald erscheinen. Sie würden mit Freude sein Opfer annehmen. * Percy Collins war verzweifelt. Hilflos hatte er erdulden müssen, dass sein Körper sich in eine versteinerte Statue verwandelt hatte. Vergebens hatte er alle Hoffnungen auf seinen unsichtbaren Ring gesetzt, doch der schien versagt zu haben. Collins hatte seit vielen Minuten keinerlei Impulse mehr registriert. 81
Der Äonen-Ring schien der teuflischen Beschwörung des Dämonenriesen unterlegen zu sein. Der Mann von Scotland Yard konnte sich längst nicht mehr rühren. Stumm starrte er über den großen Raum, sah seine Leidensgefährten, denen es so wie ihm gegangen war. Verspielt und verloren, dachte Inspektor Collins immer wieder. Stumm starrte er über den großen Raum, sah seine Leidensgefährten, denen es so wie ihm gegangen war. Verspielt und verloren, dachte Inspektor Collins immer wieder. Er hatte das Gefühl, dass er nun auch nicht mehr lange Herr über seine Gedanken sein würde. Etwas versuchte sein Ich aus dem versteinerten Körper zu lösen. Collins hatte Angst. Grauenhafte Angst, die sein Innerstes durchrüttelte. Plötzlich meldete sich sein unsichtbarer Ring. Der Impuls traf den Inspektor wie ein Donnerschlag. Hoffnung stieg in ihm auf. Ein Schauer durchrieselte seinen Körper, seine Gedanken klärten sich auf, seine Ermattung wich von ihm. Sein versteinerter Körper fing an zu vibrieren. Collins konnte wieder seine linke Hand rühren. Er verspürte den pulsierenden Blutkreislauf, das regelmäßige gesunde Schlagen seines Herzens. Er war kein versteinertes Monster mehr, er war ein Mensch! Inspektor Collins konnte es kaum fassen, doch der Äonen-Ring hatte das Wunder bewirkt. Percy Collins sprang von dem meterhohen Sockel und kam federnd am Boden auf. Er dehnte und reckte seinen Körper. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl ergriff ihn. Der Inspektor hatte seine Freiheit wieder. Sein Assistent Jeff Winter und die vielen anderen thronten nur wenige Meter entfernt auf einem Sockel, kalt und leblos. Einer plötzlichen Eingebung folgend trat er zu dem steinernen Bildnis des Detektivs. 82
Percy Collins presste seine linke Hand, an der sich der unsichtbare Ring befand, gegen das steinerne Denkmal. Zuerst geschah überhaupt nichts, doch dann erkannte er ein sanftes Glühen, das sich innerhalb kürzester Zeit auf Jeff Winters Körper ausbreitete. Es sah so aus, als würde die Oberschicht der steinernen Statue wie Eis schmelzen. Was übrig blieb, war lebendiges Fleisch und Blut. Jeff Winter begann sich zu bewegen. Inspektor Collins eilte weiter. Tom Mason war der nächste, den er berührte, auch hier mit Erfolg. Charles Tatcher wurde ebenfalls der Äonen-Ring gegen die steinerne Brust gedrückt. Percy Collins eilte weiter und immer weiter. Der unsichtbare Ring tat seine gespenstische Arbeit, verwandelte die steinernen Statuen wieder in menschliche Wesen. Die befreiten Männer und Frauen drängten sich dicht zusammen, als suchten sie Schutz und Geborgenheit beieinander. Sie erinnerten Percy Collins an eine Herde verängstigter Schafe, die von einem Rudel Wölfe umrundet wurde. Jeff Winter stellte sich neben den Inspektor. Er wollte etwas sagen, doch Percy winkte nur ab. »Wir müssen weg von hier«, flüsterte er mit eindringlicher Stimme. »Wir dürfen keine Zeit verlieren. Bestimmt wird man ganz schnell feststellen, dass hier einiges nicht mehr stimmt. Dann werden Gigantus und seine dämonischen Helfer hinter uns her sein.« Percy Collins musterte die Befreiten. In den meisten Gesichtern erkannte er eine unsagbare Erleichterung, doch in vielen Augen stand noch immer eine panische Angst. »Ihr werdet wohl längst alle gemerkt haben, dass aus dem Spiel bitterer Ernst geworden ist. Dieser Gigantus ist ein Dämon, der unsere Seelen versklaven will. Wir müssen fort!« Percy Collins lief los. Bald tauchte vor ihm eine große Tür auf. Hinter sich vernahm er das Tappen vieler Füße. Die erlösten Männer und Frauen folgten ihm. Jeff Winter hielt sich an Percy Collins' Seite. 83
Er lächelte seinem Vorgesetzten dankbar zu, doch der hatte jetzt nur noch Blicke für das große Portal, das sich einer weiteren Flucht entgegenstemmte. Der Inspektor versuchte es zu öffnen, doch es gelang ihm nicht. Ratlos schaute er sich um. Die anderen Menschen drängten sich heran. Einige Männer warfen sich mit voller Körperkraft gegen das hölzerne Portal. Die Tür gab keinen Millimeter nach. Die Männer prallten zurück und erinnerten Percy an Fliegen, die gegen eine Fensterscheibe flogen. Stimmenlärm setzte ein. Die hinteren Männer und Frauen drängten nach und drückten die dicht an der Tür Stehenden gegen das feste Holz. »Zurück«, gellte Percy Collins' Stimme. »Zurück, so hat es keinen Zweck.« Collins' Gedanken überschlugen sich. Sein unsichtbarer Ring fiel ihm wieder als letzte Rettung ein. Er presste das kostbare Kleinod gegen das Schloss. Dabei schickte er ein Stoßgebet zum Himmel. Wie von Geisterhand glitten die Türflügel zurück. Wie sie sich ins Freie ergießender Wasserstrom fluteten die Menschen hindurch. Percy befand sich noch immer an der Spitze. Sie trabten einen langen düsteren Gang entlang, der kein Ende nehmen wollte. Plötzlich ertönte hinter ihnen ein unmenschliches Brüllen, das alle erstarren ließ. Sie drehten sich um und erkannten, dass sich die beiden steinernen Dämonenfiguren, die hinter der Tür auf großen Podesten gestanden hatten, heruntergestiegen waren und ihnen folgten. Lange Feuerlanzen zuckten aus den aufgerissenen Mäulern. Dumpf dröhnten die Schritte. Die beiden Bestien kamen schnell näher. »Vorwärts«, schrie Collins. Sie liefen los. Ihre Anstrengung schien zwecklos zu sein. Niemals würden sie den Dämonenbestien entrinnen können. 84
* »Das Gelände ist abgeriegelt. Hier kommt weder eine Maus rein noch raus, Sir«, meldete der uniformierte Polizist und salutierte. Glenn Hubbard nickte zufrieden. Er befand sich ungefähr hundert Meter von dem verfallenen Haus entfernt, das gespenstisch in bleiches Mondlicht getaucht war. Hubbard musterte jeden einzelnen der zehn Männer, die ihn im Halbkreis umstanden. »Wir gehen jetzt los, Leute. Haltet eure Waffen bereit. Wie sieht es mit der Technik aus?« »Alles in Ordnung, Mr. Hubbard. Die Infrarotstrahler und die Echolotungsgeräte stehen bereit.« Hubbard nickte zufrieden. Er hielt ein tragbares Funksprechgerät in der Hand und erteilte die letzten, nötigen Anweisungen. »Infrarotscheinwerfer an«, befahl Hubbard. »Brillen auf«, bellte seine Stimme. Die Männer gehorchten. Die Ruine war plötzlich in grelles Licht getaucht. Die Männer stürmten los, in der Hand die entsicherte Pistole, die mit silbernen und geweihten Kugeln geladen waren. Einige der Polizisten hatten zwar nur kopfschüttelnd dieser Anordnung Folge geleistet, doch Glenn Hubbard wusste genau was er tat, als er das angeordnet hatte. Er war sich im Klaren darüber, dass mit normaler Munition Geistern und Dämonen nicht beizukommen war. Jetzt hatte die erste Abordnung der Männer von Scotland Yard das alte Haus erreicht. Vorsichtig drangen sie ein und durchsuchten Zimmer um Zimmer. Das Ergebnis war gleich Null. Zwei der Detektive hatten damit begonnen, die Kellerräume auszuloten. »Na, was ist?«, knurrte Glenn Hubbard. »Gibt es irgendwelche Gewölbe unter dem Haus?« Einer der Polizisten nickte. 85
»Sieht so aus, Chef. Die Geräte sprechen an. Es scheint eine große Höhle unter dem Haus zu liegen.« Hubbard hatte den Wunsch, sich eine Pfeife anzustecken. Er hatte immer das Gefühl, dass er mit der Pfeife zwischen den Lippen besser denken könnte. Aber die Zeit hatte er jetzt nicht dazu. »Wir müssen einen Eingang finden, Leute!«, bellte seine Stimme. »Los, nur keine Müdigkeit vortäuschen! Wir müssen dort runter. Koste es, was es wolle.« Die Männer machten sich fieberhaft an die Arbeit. Es waren nur wenige Minuten vergangen, als ein noch sehr junger Detektiv einen regelrechten Freudenschrei ausstieß. »Hier befindet sich eine Tür, sie ist in die Mauer eingelassen«, rief er seinen Kollegen zu. »Ich habe nur keine Ahnung, wie sich der Mechanismus in Gang bringen lässt, damit die Tür aufgeht.« »Aufbrechen!« Zwei Polizisten machten sich mit Spitzhacke und Brechstangen an die Arbeit. Nach einigen Augenblicken entstand ein Loch in der Tür aus gemauerten Steinen. Abgestandene Luft wie aus einer seit Jahrhunderten verschlossenen Gruft, wehte den Detektiven entgegen. Glenn Hubbard rümpfte beinahe empört die Nase, griff jedoch dann selbst zu einem Brecheisen und half mit, das Loch zu erweitern. Jetzt war es groß genug, dass ein Mann hindurchschlüpfen konnte. Hubbard zog seine Pistole. »Mir nach«, befahl er. Die große Taschenlampe, die vorn auf seiner Brust baumelte, warf einen hellen Lichtkegel in die Dunkelheit. Hubbard verschwand in der Öffnung. Seine Leute folgten ihm nur zögernd. * Percy Collins drückte sich gegen die kalte und feuchte Gangmauer. Die von ihm befreiten Menschen hasteten an ihm vorbei. Einige Frauen schrieen vor Entsetzen. 86
Collins wandte sich den beiden Dämonenbestien zu, die den Gang entlang gestürzt kamen. Collins liefen kalte Schauer den Rücken entlang, als er den urtümlichen Monstern gegenüberstand. Die beiden Dämonen verlangsamten den Schritt. Feuriger Atem drang aus ihren weit aufgerissenen Rachen. Schwefeldämpfe hüllten den Inspektor ein. Rotglühende Augen saugten sich an ihm fest. Er zeigte Furcht, versuchte damit die Bestien einzuschüchtern, vielleicht auch Zeit zu gewinnen für die Flucht der von ihm Befreiten. Sie reckten Collins ihre Klauen entgegen. Die wolfsähnlichen Fratzen verzerrten sich vor Hass. Dolchartige Zahnreihen blitzten dem Mann von Scotland Yard entgegen. Percy Collins befand sich wie in Trance. Geheimnisvolle Kräfte gingen von dem Äonen-Ring aus, die, als Collins seinen Arm hob, auf die beiden Dämonen abgestrahlt wurden. Ein bläulicher Blitz brach von Collins' Hand und traf die beiden Bestien. Ihr unmenschliches Gebrüll hallte donnernd von den Wänden zurück. Sie wurden von der Strahlung eingehüllt, wurden durchscheinend und lösten sich allmählich auf. Percy Collins schien wie aus einem tiefen Schlaf zu erwachen. Er stand fassungslos im düsteren Gang, starrte auf seine Hand und dann auf die Stelle, von der aus die beiden Dämonen noch vor wenigen Augenblicken ihn bedroht hatten. Ihm selbst war es ein Mysterium, dass es ihm gelungen war, mit den beiden Dämonen fertig zu werden. Doch die Hauptsache war wohl, dass er mit Hilfe des Ringes Erfolg gehabt hatte. Er machte kehrt und folgte den Männern und Frauen, die längst das Ende des Ganges erreicht hatten und erneut vor einer verschlossenen Tür aufgehalten wurden. Die noch immer ängstlichen und verschüchterten Menschen machten ihm bereitwillig Platz, als sie ihn kommen sahen. Percy Collins ver87
suchte die Tür mit seinem unsichtbaren Ring zu öffnen. Doch diesmal versagte seine Kraft. Hilfesuchend blickte er Jeff Winter an, der sich wieder an seiner Seite befand. »Wir müssen weiter«, murmelte Collins. »Gleich wird hier die Hölle los sein. Gigantus ist bestimmt schon gewarnt.« »Drüben an der Wand liegen einige Balken«, stieß sein Assistent hervor. »Wir könnten sie als eine Art Rammbock benutzen.« Ohne viel Worte zu machen, packten einige Männer den Balken und wuchteten ihn gegen die schwere Tür. Beim zweiten Schlag begann das Portal zu erzittern. Hoffnung stieg in Percy Collins auf. Immer wieder rammten die Männer gegen die Tür. Dumpf hallte der Aufschlag in den Ohren der Männer. Dorothy Wellington, die dicht neben Percy stand, hielt sich die Ohren zu. Ihr hübsches Gesicht wirkte angsterfüllt. Tränen rannen ihr über die bleichen Wangen. Ihre Hände zitterten. So wie ihr ging es den meisten Frauen. Der Inspektor war sicher, dass ihnen der Spaß am Club der Dämonen ein für allemal vergangen war. Die Tür sprang schließlich auf und knallte gegen die Wand. Eine Staubwolke wirbelte auf. Ohrenbetäubender Jubel brach los. »Vorwärts«, mahnte Percy. Er wusste, dass sie längst noch nicht in Sicherheit waren. * Die Mächte der Finsternis hatten sich versammelt. Xertia und andere Ausgeburten der Hölle standen im Halbkreis um den leicht glühenden Altar. Gigantus glaubte, dass seine Stunde des Triumphs gekommen wäre. Seine gewaltige Pranke deutete auf die fünfzig unterschriebenen Verträge. 88
»Hiermit übergebe ich euch fünfzig mir verpflichtete Seelen. Ich erbitte die Gnade, sie anzunehmen. Weitere fünfzig Verdammte werde ich euch in den nächsten Zeiteinheiten zuführen.« Er trat zum Altar. Die Dämonenwesen schwiegen. Sie wogten wie eine undefinierbare Masse hin und her. Ein gespenstisches Raunen und Wispern schwängerte die Luft. In diesem Moment geschah es. Die mit Blut beschriebenen Unterschriften der fünfzig Opfer begannen sich zu verflüchtigen. Innerhalb weniger Augenblicke waren sie verschwunden. Gigantus, der Dämonenriese, erstarrte. Ein infernalischer Chor der Bestien der Nacht setzte ein. Ein Brausen und Tosen erfüllte den großen Saal. Das Glühen des Altars erlosch. Gigantus lauschte in sich hinein. Ein furchtbarer Schrei entwich dann seinem aufgerissenen Rachen. Das Auge auf seiner Stirn begann unheilvoll zu glitzern. Sein geschuppter Körper wand sich wie unter schrecklichen Krämpfen. Noch immer schrie der Dämonenriese. Xertia und die übrigen Geisterwesen zogen sich enttäuscht zurück. Stille breitete sich aus. Die Verträge auf dem Altar begannen in diesem Moment aufzulodern und verbrannten zu Asche, die von einem Windhauch davon gewirbelt wurde. Plötzlich stürzte der Dämonenriese sich auf die Tür zum Saal, in dem die versteinerten Menschen gestanden hatten. Der Raum war leer, die kostbare Beute entwichen. Wieder schrie der Dämonenriese seine Enttäuschung aus sich heraus. Seine Säulenbeine stapften den Gang entlang. Längst hatte er erkannt, wem er das alles zu verdanken hatte. Sein Plan war gefasst. Percy Collins würde ihm nicht entkommen. 89
* Glenn Hubbard stieß mit dem Kopf gegen einen hervorstehenden Balken, fluchte und taumelte einige Meter zurück. Dabei rannte er einen seiner Leute beinahe über den Haufen. »Sorry«, murmelte der dickliche Mann und fuhr sich über die schmerzende Stelle an seiner Stirn. Vorsichtiger geworden lief er weiter. Seine zehn Begleiter folgten ihm. Der düstere Gang wollte kein Ende nehmen. Wasser tropfte von den Wänden und hatte den Boden an manchen Stellen aufgeweicht. »Vorsicht, Sir«, zischte plötzlich einer der Detektive und riss die Hand mit dem Revolver hoch. Ein bleich schimmerndes Skelett, das in einer Nische lehnte, grinste den Männern entgegen. Hubbard warf dem Polizisten einen schrägen Blick zu und ging weiter. Seine Schuhe platschten in eine große Wasserpfütze. Glenn Hubbard verlor das Gleichgewicht und konnte sich gerade noch mit den Händen an der Wand abstützen, sonst wäre er in das faulige Wasser gefallen. Er unterdrückte einen Fluch und trat erschrocken zurück, denn die Wand gab unter seinen Händen nach. Eine große Öffnung entstand, hinter der tiefe Dunkelheit herrschte. Hubbard kratzte sich mit dem Lauf seiner Pistole am Hinterkopf. Aus der dunklen Öffnung kam ihm Modergeruch entgegen. »Leuchten Sie da mal hinein«, bat er einen der Männer. »Scheint sich um einen Geheimgang zu handeln.« Der Lichtkegel des Scheinwerfers grub sich in die Dunkelheit. Glenn Hubbard pfiff leise durch die Zähne. »Fußspuren«, murmelte er. »Da ist vor gar nicht langer Zeit jemand gegangen.« Er drehte sich um und deutete dann auf fünf seiner Leute. »Ihr kommt mit mir. Die anderen halten hier die Stellung. Alles klar, Jungs?« 90
Die Männer nickten. Die Zurückgebliebenen postierten sich entlang den Wänden und hielten ihre Waffen schussbereit, die anderen folgten Hubbard, der in den durch Zufall entdeckten Gang verschwand. Hubbard fühlte sich unbehaglich in seiner Haut. Seine Hand umklammerte die Pistole so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Große Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Plötzlich stockte er mitten im Schritt. »Dort vorn bewegt sich etwas«, flüsterte er heiser. »Los, die Scheinwerfer höher.« Die Lichtkegel wanderten weiter und erfassten zwei Statuen, die wie Menschen aussahen, doch gräuliche Dämonenfratzen statt Gesichtern hatten. Die Statuen standen vor einer großen schwarzen Tür am Ende des düsteren Ganges. Glenn Hubbard vernahm den keuchenden Atem seiner Männer im Nacken. Nur langsam ging er auf die beiden Standbilder zu. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. »Scheußliche Kerle«, murmelte einer seiner Leute. »Wie kann man nur solche Dinger bauen.« Glenn Hubbard wollte nicken, doch in diesem Moment begannen sich die beiden steinernen Standbilder zu rühren. Hubbard glaubte seinen Augen nicht zu trauen, doch es gab keine Zweifel. Die beiden gräulichen Gestalten bewegten sich und kletterten von den Sockeln herunter. Ein fauchendes Brüllen klang den Detektiven entgegen. Die Männer wichen zurück. Angst verzerrte ihre bleichen Gesichter. Die beiden Dämonenbestien stapften näher. Der Boden bebte unter ihren Schritten. Rot leuchteten die hasserfüllten Augen. Glenn Hubbard fasste sich zuerst und hob seine Hand mit dem Revolver. Er merkte, dass seine Hand zitterte, doch dann drückte er trotzdem entschlossen ab. Die Geschosse surrten den Gang entlang und trafen eine der beiden Bestien. Daraufhin brach die Hölle los. 91
* Ihre dumpfen Schritte hasteten über den staubigen Boden. Percy Collins bildete den Abschluss, sah sich immer wieder um, ob er und seine flüchtenden Gefährten verfolgt würden. Doch er konnte niemanden entdecken, glaubte aber immer noch nicht daran, dass sie dem Dämonenriesen Gigantus entkommen waren. Er ahnte, dass diese Bestie irgendwann auftauchen würde und dass erst dann der entscheidende Kampf stattfinden würde. Vor ihm drängten sich die fünfzig befreiten Frauen und Männer! Ihr Atem rasselte vor Anstrengung, sie waren am Ende ihrer Kräfte, doch die Angst und das Grauen trieb sie vorwärts. Wieder endete der Gang vor einer verschlossenen Tür. Collins versuchte auch diesmal, mit dem Äonen-Ring das Schloss zu öffnen, doch wieder versagte seine geheimnisvolle Waffe. Der Inspektor und einige Männer warfen sich mit ihrem Körpergewicht gegen die Tür - vergeblich, sie bebte nicht einmal. »Zwecklos«, murmelte einer der Männer. »Aus, unser Traum von der Flucht. Bald werden sie uns wieder haben. Wir haben verloren.« Percy warf dem Mann einen unfreundlichen Blick zu. Seine Gedanken überschlugen sich. Plötzlich fiel sein Blick auf eine brennende Fackel an der Wand. »Zurück«, gellte Collins' Stimme, »Los, Leute, tretet einige Meter zurück.« Der Inspektor von Scotland Yard griff die Fackel und legte sie dicht vor dem Portal auf den Boden. Einige andere Männer erkannten seinen Plan und brachten weitere brennende Fackeln heran. Bald züngelten die ersten Flammen an dem Türholz empor. Schnell fraß sich das Feuer weiter. Weißer Rauch trieb den Flüchtenden Tränen in die Augen, ließ sie keuchend nach Luft schnappen. Die Flammen hatten jetzt die ganze Tür erfasst. Ein immer stärker werdendes Brausen erfüllte den schmalen Gang. Die Hitze wurde un92
erträglich, griff mit feurigen Klauen nach den Menschen, denen nichts anderes übrig blieb, als sich im Gang zurückzuziehen. Die Luft war rauchgeschwängert. Die Gesichter der Gemarterten röteten sich. Bald waren alle in Schweiß gebadet. Mit angstgeweiteten Augen starrten sie auf die tobende Feuersbrunst, die sich durch das dicke Holz des Portals fraß. Die Rauchschwaden hüllten sie alle ein. Sie husteten, ihre Augen tränten, sie konnten kaum atmen. Neben Inspektor Collins brach eine junge Frau zusammen. Jeff Winter und Charles Tatcher bemühten sich um die Bewusstlose und schleppten sie mehrere Meter weiter den Gang entlang, wo der Rauch noch gedrungen war. Percy Collins' Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Mit ohnmächtigem Zorn starrte er in die Flammen, deren Zischen, Fauchen und Prasseln jetzt etwas nachzulassen begann. Dann brach endlich die Tür in sich zusammen. Glühende Holzstücke wirbelten umher. Ein Mann wurde davon getroffen und sein weites Gewand stand sofort in Flammen. Schnell riss er sich das Kleidungsstück vom Leib. Percy Collins wagte sich in die Nähe der Tür. Der Durchgang würde in wenigen Augenblicken frei sein. Auch die anderen Menschen drängten mit tränenden Augen näher. Viele Gesichter waren geschwärzt, die ehemals weißen Umhänge wiesen Brandlöcher auf. »Noch ein paar Sekunden, Leute«, trat mit heiserer Stimme der Inspektor vor. »Wir haben es gleich geschafft.« In diesem Augenblick erklang ein schauriges Brüllen hinter ihnen auf. Percy Collins wirbelte herum. Er erkannte Gigantus, den Dämonenriesen, der am anderen Ende des Ganges aufgetaucht war. Wieder schallte sein furchtbares Tosen herüber, ließ den Männern und Frauen das Blut in den Adern gerinnen. »Los, weiter«, gellte Inspektor Collins' Stimme. »Los, jetzt geht es um Sekunden!« 93
Er hätte sich seine Worte sparen können, denn die Menschen drängten, ungeachtet der noch an einigen Stellen glimmenden und immer wieder aufflackernden Holzteile, durch die kaum noch vorhandenen Reste der Tür hindurch. Collins drückte sich gegen die Wand und ließ die von Panik erfassten Menschen passieren. Gigantus kam immer näher. Der Boden bebte unter seinen mächtigen Säulenbeinen. Meterlange Feuerzungen brachen aus seinem weit aufgerissenen Mund. Sein eines Auge rotierte wie eine Windmühle. »Schneller, Leute, schneller!« Percy Collins' Stimme überschlug sich. Er fühlte, dass sich etwas Unbekanntes mit brutaler Kraft in seine Gedanken schob und seinen Willen zu lahmen begann. Er fing am ganzen Körper zu zittern an. Seine Augenlider zuckten und wurden schwer wie Blei. Er sah gerade den letzten der befreiten Menschen durch die verbrannte Tür gelangen. Der Inspektor von Scotland Yard stieß sich von der Wand ab, wollte den Geflüchteten folgen, doch seine Beine kamen ihm plötzlich zentnerschwer vor. Er konnte kaum einen Fuß heben. Wie in Zeitlupe wendete er sich dem Dämonenriesen zu, der jetzt nur noch ungefähr zwanzig Meter entfernt war. Percy Collins glaubte sich verloren... * Erneut drückte Glenn seine Pistole ab. Die silberne und geweihte Kugel traf die heranstürmende Dämonenbestie mitten in die Brust. Das teuflische Wesen stockte im Schritt, als wäre es gegen eine unsichtbare Barriere gelaufen. Ein brüllender Schrei entwich seinem aufgerissenen Rachen. Hubbard standen die Haare zu Berge. Er starrte auf seine zitternde Hand, die die Pistole hielt. Erneut drückte er ab. 94
Ein neues Geschoß bohrte sich in die Brust des ehemals versteinerten Wesens. Die anderen Detektive schossen ebenfalls, was das Zeug hielt. Nur so konnten sie den Ansturm der beiden Dämonenbestien zum Stocken bringen. Die beiden Monster taumelten rückwärts. Noch immer stießen sie ein furchtbares Brüllen aus, doch sie kamen gegen die geweihten Kugeln nicht an. Glenn Hubbards Schachzug hatte zum Erfolg geführt. »Feuer einstellen«, befahl Hubbard. Er senkte seine Pistole und blickte auf die beiden Angreifer, die jetzt zusammenbrachen, so als hätte man ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie schienen von innen heraus zu verbrennen, wurden rotglühend und schrumpften immer mehr zusammen. Zurück blieb nicht mehr als ein kleines Aschenhäufchen, das durch den düsteren Gang von einem fauchenden Wind getrieben wurde. Die Gesichter der Polizeibeamten waren blass. Furcht und Entsetzen spiegelten sich in ihren Augen. Mit zitternden Fingern luden sie die Magazine der Pistolen neu auf. »Weiter, Leute!«, kommandierte Glenn Hubbard. »Bestimmt werden wir noch auf andere Bestien dieser Art stoßen, doch unsere Waffen sind ihnen überlegen. Also, keine Bange, Jungs. Vorwärts!« Sie liefen den düsteren Gang weiter entlang und erreichten das dunkel schimmernde Portal. Es war verschlossen und widerstand sämtlichen Bemühungen, es zu öffnen. Glenn Hubbard fluchte lästerlich und wandte sich an seine Leute, die ihn aber auch nur ratlos anstarrten. »Hat jemand eine brauchbare Idee?«, knurrte er dann. »Rufen Sie über Funk nach oben«, riet einer der Männer. »Mit einer Dynamitpatrone bekommen wir die Tür bestimmt auf.« Hubbard sah den Mann schief von der Seite an und zuckte dann mit den Achseln. »Wird wohl auch die einzige Möglichkeit sein.« 95
Er hantierte an seinem Funkgerät und gab die entsprechenden Befehle durch. Doch es würde einige Minuten dauern, bis der angeforderte Sprengstoff da sein würde. Die Detektive standen einige Meter von der schwarzen Tür entfernt und lehnten gegen die kalte Wand. Es herrschte eine fast unheimliche Stille. Hubbard starrte auf das dunkle Portal, von dem eine empfindliche Kälte auszuströmen schien. Der dickliche Mann fröstelte und zog den Kopf zwischen die Schulter. In diesem Moment begann sich die schwarze Tür lautlos zu öffnen. Hubbards Augen weiteten sich. Noch immer war kein Geräusch zu vernehmen. Jetzt war das Portal ganz geöffnet. Ein eisiger Wind blies den Männern entgegen. Sie wichen einige Meter zurück. Die Läufe der Pistolen richteten sich auf die gähnende Öffnung. Was würde ihnen von dort entgegenkommen? Hubbard wusste es nicht, doch das unangenehme Gefühl in seiner Magengegend bereitete ihn darauf vor, dass es nichts Erfreuliches sein würde. Die Detektive von Scotland Yard nahmen instinktiv Deckung. * »Ich werde dich vernichten, Percy Collins«, dröhnte Gigantus' Stimme zu dem Inspektor herüber. »Dir ist es zwar gelungen, die Gefangenen zu befreien, doch dich werde ich mit in mein höllisches Reich nehmen. Dort wirst du mir für alle Zeiten dienen müssen. Du bist verloren!« Percy Collins hatte noch immer das Gefühl, sich nur wie in Zeitlupe bewegen zu können. Eine panische Angst fraß sich durch seinen Körper. Er begann zu zittern, versuchte vergeblich seine Muskeln unter Kontrolle zu bekommen. Zentimeter um Zentimeter schob er sich rückwärts. Das gellende Gelächter des Dämonenriesen hallte in seinen Ohren. 96
Gigantus näherte sich ihm drohend. Sein geschuppter, grünlich schimmernder Körper war nach vorn gebeugt. Die gewaltigen Pranken hoben sich, als wollten sie den Inspektor an die Kehle fahren. Collins konnte sich noch immer nicht rühren, doch er merkte, dass das lähmende Gefühl langsam zu schwinden begann. Gigantus war jetzt höchstens noch drei Meter von dem YardDetektiv entfernt. Percy musste den Kopf zurücklegen, um dem Dämonenriesen in die Augen sehen zu können. Collins streckte dem Ungeheuer seine linke Hand entgegen, an der sich der Äonen-Ring befand. Gigantus lachte nur dröhnend. »Dieses Spielzeug hilft dir auch nicht mehr, Collins«, geiferte er. »Damit konntest du am Anfang meine Pläne durchkreuzen und mir schaden, doch die Macht dieses Ringes ist begrenzt, obwohl ich seine Ausstrahlungen deutlich spüre. Du hast verloren und wirst mir jetzt folgen!« Gigantus machte kehrt und wie eine Marionette ging der Mann von Scotland Yard hinter ihm her. Alles in ihm sträubte sich dagegen, doch hilflos setzte er Fuß vor Fuß. Er trottete wie ein willenloses Geschöpf hinter dem Dämonenriesen her, der sich nicht einmal mehr umschaute, so sicher war er seiner Beute. Percy Collins resignierte. Plötzlich erschien vor seinem geistigen Auge das Gesicht von Professor Calwin Sherwood. Seine blinden, blicklosen Augen starrten Percy an. Die welken Lippen des Greises bewegten sich. Doch die Worte, die er sprach, konnte Collins nicht verstehen, sosehr er sich auch anstrengte. Er ahnte, dass der Geist des toten Professors ihm zu Hilfe kommen wollte. Er spürte plötzlich den unsichtbaren Ring an seinem Finger, der sich leicht zu erwärmen begann. Neue Hoffnung pulsierte in ihm auf. 97
Der Äonen-Ring fing an zu glühen, schien endlich den auferlegten Bann des Dämonenriesen sprengen zu können. Neue Kräfte durchzogen Percy Collins. Seine Bewegungen wurden lockerer. Der dumpfe Druck, der auf seinem Gehirn gelegen hatte, begann sich zu lösen. Collins' Gesicht war jedoch noch immer maskenstarr, während er dem Dämonenriesen folgte, der durch den düsteren Gang schritt und sich nicht umsah. Das von dem unsichtbaren Ring ausgehende Feuer erfüllte immer mehr den Inspektor. Percy öffnete die Augen und starrte auf den Ring an seinem Finger, der in diesem Moment sichtbar wurde und in einem grellen Rot zu strahlen begann. Gigantus wirbelte herum. Wahrscheinlich hatte er die Ausstrahlungen des Äonen-Ringes gespürt. Sein breitlippiger Mund öffnete sich zu einem brüllenden Protest. Dann stürzte er sich auf Percy Collins. * Glenn Hubbard und seine Leute lehnten sich gegen die feuchten Wände und hielten den Atem an. Sie vernahmen Schritte. Die Geräusche wurden immer definitiver. Blanke Fußsohlen tappten auf den staubigen Fliesen. Es schienen viele Leute zu sein, die dort aus der Dunkelheit hervorkommen mussten. Die ersten tauchten auf. Männer und Frauen, in langen wallenden Umhängen gehüllt, stürmten heran. Sie keuchten und stöhnten. Einige von ihnen konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Die ersten Menschen stoppten abrupt, als sie Hubbard und seine Begleiter erkannten. 98
Die Detektive senkten die Waffen. Staunend starrten sie auf die abgehetzt wirkenden rußgeschwärzten Gestalten, die offensichtlich am Ende ihrer Kräfte angelangt waren. Einer von ihnen schob sich nach vorn. »Hast du Töne«, entfuhr es Hubbard, als er Jeff Winter erkannte, der ihn stumm wie eine Erscheinung anstarrte. Hubbard wusste nun, dass es sich hier um die Verschwundenen handelte, die seit Tagen und Wochen so fieberhaft gesucht wurden. »Fort, nur fort, Hubbard«, stieß Jeff Winter hervor. »Hinter uns werden gleich diese Teufelsgestalten auftauchen. Lassen Sie die Menschen ins Freie und in Sicherheit bringen.« Hubbard nickte. Seine Befehle kamen klar und präzise. Die Flüchtenden folgten seinen Anweisungen. Sie holten die letzten Reserven heraus. Ihre Flucht - das wussten sie - durfte nicht unterbrochen werden. Es war noch zu früh, in Jubel über die Errettung auszubrechen. Sie liefen weiter. Jeff Winter lehnte keuchend neben Glenn Hubbard. Er holte tief Luft. Der rasselnde Atem beruhigte sich nur langsam. Die letzten der ehemals verschwundenen Menschen waren außer Sichtweite. »Wo ist Collins?«, fragte Hubbard. Angst und Sorge um seinen besten Mann schwang in seinen Worten mit. Jeff Winter lächelte bitter. Dann deutete er auf die dunkel gähnende Öffnung. »Er ist noch da drinnen und versucht Gigantus, den Dämonenriesen, aufzuhalten. Er hat sich für uns alle geopfert.« Jeffs Blick fiel auf die Pistole in Hubbards Hand. Er griff nach der Waffe. »Sie ist mit silbernen und geweihten Kugeln geladen«, flüsterte Hubbard. »Wir konnten zwei dieser gräulichen Spukgestalten damit vernichten.« Winter nickte mechanisch. Durch seinen hageren Körper ging ein Ruck. 99
»Ich gehe nochmals zurück«, sagte er. »Vielleicht ist es um Percy doch noch nicht geschehen. Sie könnten alles zur Sprengung vorbereiten. Dieses Schlupfloch des Satans muss zerstört werden.« Ehe Hubbard sich äußern konnte, lief Jeff Winter davon. Kopfschüttelnd blickte sein Vorgesetzter hinter ihm her. »Diese Story wird mir wohl niemand glauben«, murmelte er. Er nahm das Funkgerät und gab neue Anweisungen. Besorgt blickte er dann in die Dunkelheit, in der Jeff Winter verschwunden war. * Gigantus, der Dämonenriese, hatte ihn erreicht. Seine starken Arme umklammerten Percy Collins und rissen ihn wie eine Puppe vom Boden. Dem Inspektor wurde die Luft aus den Lungen gepresst. Sein Blick trübte sich. Eine gnadenlose Schwärze wälzte sich auf ihn zu, schien ihn erbarmungslos verschlingen zu wollen. Der stahlharte Schuppenpanzer des Dämonenriesen brannte wie Feuer auf seiner Haut. Beißender Gestank trieb Inspektor Collins Tränen in die Augen. Hilflos kam er sich in der brutalen Umarmung von Gigantus vor, dessen dröhnendes Gelächter beinahe sein Trommelfell zerriss. Und dann schleuderte ihn der Dämonenriese auf den harten Boden. Percy glaubte im ersten Moment, dass kein Knochen in ihm heil geblieben war. Taumelnd kam er wieder auf die Beine. Gigantus stand lachend vor ihm. Sein einziges Auge glühte in einem teuflischen Feuer. Percy Collins wich zurück. Der Äonen-Ring brannte jetzt wie Feuer an seinem Finger. Er war noch immer sichtbar und wechselte von dem grellen Blutrot in ein funkelndes Blau über. 100
Gigantus schien für den Bruchteil einer Sekunde zu erstarren. Ein Beben lief durch seine wuchtige Gestalt. Er brüllte und stampfte wütend mit dem Fuß. Percy Collins hielt ihm den Äonen-Ring entgegen, der jetzt seine ganze Hand in ein bläuliches Licht tauchte. Gigantus achtete nicht darauf. Seine Arme griffen nach dem Inspektor von Scotland Yard, der geschickt den Dämonenriesen umwirbelte und in seinen Rücken gelangte. Schwerfällig drehte sich Gigantus um seine eigene Achse. Sein heißer Atem traf den Inspektor, der jetzt selbst zum Angriff überging. Er sprang blitzschnell nach vorn und presste den Äonen-Ring gegen den geschuppten Körper der Dämonenbestie. Doch der erwünschte Erfolg blieb aus, nur das spöttische Gelächter klang schallend auf. Gigantus' Pranke schlug zu und traf Percy Collins hart gegen die Schulter. Schwer angeschlagen ging der Detektiv von Scotland Yard zu Boden. Wieder glaubte er, dass sämtliche Knochen gebrochen wären. Collins zwang sich aber auf die Beine. Sein verzweifelter Blick richtete sich auf seinen übermächtigen Gegner. Gigantus warf sich fauchend herum. Sein suggestiver Blick grub sich in Collins' Augen. Und es gelang ihm, den Inspektor für einen Augenblick außer Gefecht zu setzen. Mit letzter Kraft konnte er jedoch den hypnotischen Bann abstreifen und wich geschickt den zupackenden Pranken des dämonischen Ungeheuers aus. Doch Gigantus schien damit gerechnet zu haben, denn diesmal reagierte er schneller und bekam schließlich Inspektor Collins zu fassen. Wieder wurde Percy die Luft aus den Lungen gepresst. Verzweifelt trommelte er mit beiden Fäusten gegen die wie glühende Lava brennende Brust der Dämonenbestie. 101
Doch damit konnte er den Dämonen nicht besiegen. Wie eine hilflose Puppe hing er in Gigantus' Fängen. Der Dämonenriese aber holte zum entscheidenden Schlag aus. Percy Collins war so gut wie verloren. * Jeff Winter spürte sein Herz hart gegen die Rippen pochen. Sein Atem ging gequält. Er jagte durch den düsteren Gang, hoffte irgendwann auf Percy zu stoßen. Seine hämmernden Schritte hallten dumpf auf dem dunklen Steinboden. Jeff erreichte eine Gangbiegung, verlangsamte seine Schritte und spähte dann vorsichtig um die Ecke. Der Detektiv vom Yard zuckte zusammen. Dreißig Meter entfernt sah er seinen Vorgesetzten, der sich in der tödlichen Umarmung von Gigantus befand. Jeff sprintete los. Schon vernahm er das dröhnende Gelächter des Dämonenriesens, der sich seines Opfers sehr sicher war. Percy Collins schien verloren. Noch war Jeff Winter von der Bestie nicht bemerkt worden. Sie wendete ihm den massigen Rücken zu. Der Detektiv zögerte nicht lange, hob die Pistole und schoss. Fauchend fuhren die silbernen und geweihten Kugeln aus dem Lauf. Pulverdampf hüllte Jeff Winter ein und kitzelte ihn in der Nase. Einen Schritt weiter machte er auf Gigantus zu, der in diesem Augenblick herumgefahren war und Percy Collins wie einen Schutzschild vor sich hielt. Jeff senkte die Pistole. Ein weiterer Schuss wäre sinnlos gewesen. Er hätte seinen Vorgesetzten tödlich treffen können. Doch Percy Collins' Willenskraft war noch nicht erschöpft. Als die ersten Geschosse den Dämonenriesen getroffen hatten und ihn zusammenzucken ließen, handelte er. 102
Nur wenige Zentimeter war er von dem rot glühenden Auge der Dämonenbestie entfernt. Seine Hand zuckte nach vorn und der bläulich schimmernde Äonen-Ring traf das zuckende Auge. Die Wirkung war für Gigantus furchtbar. Als der Äonen-Ring das Auge berührte, fand eine Art Explosion statt. Für einige Augenblicke lang stand der Schädel des Dämonenriesen wie unter Strom und glühte grell auf. Percy Collins wurde einige Meter weit weg geschleudert, knallte mit dem Kopf gegen die Wand und verlor das Bewusstsein. Das Glühen, das sich bisher nur auf Gigantus' Kopf erstreckt hatte, fraß sich weiter, nahm von seinem ganzen Körper Besitz. Er erinnerte an eine große Glühbirne, so grell leuchtete das dämonische Wesen von innen heraus. Jeff Winter verfolgte fassungslos diesen Vorgang. Doch dann erwachte er aus seiner Erstarrung und jagte nochmals einige Kugeln in den leuchtenden Körper der Dämonenbestie. Gigantus taumelte fauchend zurück. Ein ohrenbetäubendes Schreien drang von seinen Lippen. Er wand sich in Konvulsion. Er gab einen grässlichen Anblick. Das glühende Feuer, das ihn jetzt völlig umhüllte, war magischen Ursprungs. Es war kein Feuer, das Hitze ausstrahlte. Jeff war an dem tobenden Gigantus vorbeigeeilt und beugte sich über Percy Collins. Der Inspektor von Scotland Yard schlug in diesem Moment die Augen auf. Sein Blick war verschleiert und es dauerte einige Sekunden, ehe er Jeff erkannte. Winter half seinem Vorgesetzten auf die Beine. Ein müdes Lächeln huschte über Percy Collins' Lippen. Sein Blick fiel auf Gigantus, der immer noch wie eine Fackel brannte. Percy bemerkte, dass der Äonen-Ring an seinem Finger wieder unsichtbar geworden war. Gigantus stürzte mit einem letzten Aufschrei zu Boden. Er schrumpfte immer mehr zusammen. 103
Das magische Feuer, vom Äonen-Ring ausgelöst, hatte es bewirkt. Nach wenigen Sekunden war Gigantus aus der sichtbaren Welt verschwunden, doch noch immer gellte ein kreischendes Heulen durch den düsteren Gang. Dann verstummte auch das. Eine erdrückende Stille legte sich auf die beiden Detektive. »Das wär's wohl gewesen«, schnaufte Percy Collins und fuhr sich über das bleiche Gesicht. Er strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Jeff Winter nickte zustimmend. »Verschwinden wir«, flüsterte er und hob lauschend den Kopf. Auch Percy Collins hörte ein lang anhaltendes Grollen, das durch den Gang hallte. Percy Collins und Jeff Winter liefen los. Sie hetzten den Gang entlang. Hinter ihnen brach der unterirdische Gang zusammen. Wieder begann der Boden unter ihren Füßen zu beben. Plötzlich sahen sie eine Gestalt, die ihnen zuwinkte. Es war Glenn Hubbard, der auf sie gewartet hatte. Sie erreichten ihren Vorgesetzten und liefen gemeinsam weiter. Wieder stürzte ein Teil des Ganges mit einem Donnergrollen hinter ihnen zusammen. Doch sie schafften es irgendwie. * »Jetzt steht Ihrem Urlaub nichts mehr, im Wege, Collins«, sagte Glenn Hubbard und nickte Percy lächelnd zu. »Außerdem haben Sie ihn sich auch redlich verdient. Wo soll es denn hingehen?« Collins schnippte die Asche seiner Zigarette ab und antwortete ohne zu überlegen: »Nach Istanbul, Chef. Ein alter Freund hat mich eingeladen. In vierzehn Tagen stehe ich Ihnen wieder zur Verfügung. Ich hoffe nur, dass mein nächster Fall weniger nervenaufreibend sein wird.« »Ich hoffe es auch, Collins«, sagte Hubbard. 104
Er erhob sich und reichte seinem besten Mann die Hand. »Dann alles Gute, Collins. Schreiben Sie mir eine Ansichtskarte.« Percy Collins versprach es, verabschiedete sich und verließ den Yard. Jeff Winter lief ihm in die Quere. »Na, alter Freund«, grinste er. »Wann geht es los? Ich hoffe nur, dass du in der Türkei nicht irgendwelchen Dämonen, Geistern oder Gespenstern in die Hände fällst. Wäre aber auch nicht schlimm. Ich würde dich dort schon herauspauken, vorausgesetzt, Hubbard würde die Dienstreise genehmigen.« Die beiden Detektive lachten fröhlich. »Jetzt habe ich noch eine traurige Pflicht zu erfüllen«, sagte Percy Collins und wurde ernst dabei. »Ich muss zur Beerdigung von Professor Calwin Sherwood.« Jeff nickte verstehend. »Ich habe den Professor zwar nur einmal gesehen, doch sein Tod tut mir aufrichtig leid.« Eine dreiviertel Stunde später erreichte Percy Collins den kleinen Friedhof. Butler James, Mrs. Plummer und der Geistliche waren die einzigen Trauergäste. Percy nahm Abschied von Professor Calwin Sherwood. Er fühlte den unsichtbaren Äonen-Ring an seinem Finger und wusste, dass er damit das Erbe des Professors angetreten hatte. Ohne die Hilfe des Ringes hätte er das Abenteuer mit Gigantus nicht lebend überstanden, er und auch die fünfzig Gefangenen nicht. Als sich der Sarg in die dunkle Gruft nieder senkte, begann sich der Äonen-Ring zu erwärmen. Plötzlich glaubte Percy Collins eine Stimme in seinen Gedanken zu vernehmen. Es war die Stimme von Calwin Sherwood. »Du hast ein schweres Erbe angetreten, Percy. Es wird dein Leben verändern, denn du wirst in Zukunft im fortwährenden Kampf mit den Mächten der Finsternis stehen. Der Äonen-Ring wird dir helfen und dich nach Kräften unterstützen. Versuche nie, sein Geheimnis zu er105
gründen, denn es würde dir nicht gelingen. Vertraue auf die guten Kräfte dieses kostbaren Kleinods!« Die Stimme aus der anderen Welt verwehte. Percy Collins senkte den Kopf. Er wusste, dass neue Aufgaben auf ihn warten würden. Ende
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