Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 668 Die Namenlose Zone
Chaos um die Futurboje von Hans Kneifel
Entdeckung ...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 668 Die Namenlose Zone
Chaos um die Futurboje von Hans Kneifel
Entdeckung auf einem kleinen Planeten
Es geschah im April 3808. Die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Atlan und seinen Helfern auf der einen und Anti‐ES mit seinen Streitkräften auf der anderen Seite ging überraschend aus. Die von den Kosmokraten veranlaßte Verbannung von Anti‐ES wurde gegenstandslos, denn aus Wöbbeking und Anti‐ ES entstand ein neues Superwesen, das hinfort auf der Seite des Positiven agiert. Die neue Sachlage ist äußerst tröstlich, zumal die Chance besteht, daß auch in der künstlichen Doppelgalaxis Bars‐2‐Bars nun endgültig der Friede einkehrt. Für Atlan jedoch ist die Situation alles andere als rosig. Der Besitz der Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst, ohne die er nicht den Auftrag der Kosmokraten erfüllen kann, wird ihm nun durch Chybrain vorenthalten. Ob er es will oder nicht, der Arkonide wird verpflichtet, die Namenlose Zone aufzusuchen. Inzwischen schreibt man den August 3808. Trotz der Vernichtung des Junk‐ Nabels, des letzten Übergangs zwischen Normaluniversum und Namenloser Zone, gibt es eine überraschende Möglichkeit, dennoch in dieses Raumgebiet zu gelangen. Diese Möglichkeit wird durch Atlan genutzt. Zusammen mit drei Vulnurern macht er einen erneuten Vorstoß. Dabei erwartet ihn das CHAOS UM DIE FUTURBOJE …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide wird konsultiert. Than, Oyz und Droos ‐ Die Atiq‐Drillinge des Vulnurerschiffs MORGEN. Tyari ‐ Sie ist Gegenstand einer weiteren Todesvision. Baugh ‐ Oberpriester der Vullkauger. Fronsel ‐ Baughs Gegenspieler – ein Häretiker.
1. Endlich hatten sich die Gerüchte und Legenden bewahrheitet. Atiq‐Than stand vor dem Futur. Er schwieg, skeptisch wartend. Nur die zitternden Fühler verrieten seine Erregung. Seine großen Facettenaugen, in denen sich die wenigen Lichter hundertfach spiegelten, betrachteten die steinerne Skulptur. Das Objekt war in vielerlei Hinsicht ein Geheimnis oder besser: ein geheimnisvoller Fund. In der MORGEN existierten Räume, die nur sehr selten betreten wurden. Es gab eigentlich keinen Grund, diesen abgelegenen Bereich des Schiffes aufzusuchen; die Technik arbeitete zuverlässig und brauchte Inspektionen nur in großen Zeitabständen. Einem vagen Impuls folgend, hatte sich Atiq‐Than vor wenigen Stunden auf die Suche nach nichts Bestimmtem gemacht – und dabei das Futur gefunden. Das Futur war uralt. Niemand wußte, woher es stammte, und wer – aus welchen Gründen und zu welchem Zweck – das Idol aus graugolden gemasertem, hellbraunem Stein gemeißelt hatte. Das Futur war massig und gedrungen, etwa einen Meter hoch, also halb so groß wie der vulnurische Wisssenschaftler. Voller Nachdenklichkeit betrachtete Atiq‐Than seinen Zufallsfund. Er erinnerte sich an alle die seltsamen und abergläubischen Erzählungen, die er über das Futur gehört hatte. Nicht nur er; auch unzählige andere Vulnurer,
die erst winzige Teile ihres Geschichtsbewußtseins entdeckt hatten. Dabei war ihnen von den Solanern im Riesenschiff geholfen worden. Das Futur … es existierten in den Schiffen eine Handvoll Vulnurer, die, ohne es zu kennen, es als Heiligtum verehrten. Natürlich würde er seinen Fund in kurzer Zeit allen bekanntgeben und zugänglich machen. Aber noch nicht jetzt. Er wollte eine Weile mit dem Futur allein sein und versuchen, einen Zipfel des Schleiers aus der Vergangenheit zu heben, der die Steinskulptur umgab. Das Futur trug Merkmale, die auch den Vulnurern eigen waren; Facettenaugen und herausmodellierte Ansätze für Fühler. Auch die Gliedmaßen, die an den Körper angelegt waren, sahen entfernt wie die Gehwerkzeuge der Vulnurer aus. Schmale Gurte mit ringförmigen Schlaufen kreuzten sich über den polierten Teilen, die an abspreizbare Flügel erinnerten und an die gewölbten Chitinpanzer. Der Ausdruck des starren Gesichts war verschlossen und zurückhaltend, von einer tiefen Weisheit erfüllt. Die Plastik aus schwerem Stein stand auf einer metallenen Speicherbank, die sich quer über die Rückwand des vergessenen Raumes spannte. Das Licht von einem Dutzend Tiefstrahler und einigen gerichteten Lampen, die Atiq‐Than instand gesetzt hatte, verlieh der mythologischen Gestalt ein starres, selbstbewußtes Aussehen. Im Augenblick befand sich kein Solaner auf der MORGEN. Sonst würde ihn Atiq‐Than um einen Rat gebeten haben. Was war zu tun? »Nun«, sagte Atiq zu sich selbst, »zuerst werde ich meine Brüder benachrichtigen. Aber auch sie wissen nicht mehr als ich.« Atiq‐Oyz und Atiq‐Droos beschäftigten sich ebenso mit der Forschung, die ihnen allen etwas mehr über die Vergangenheit sagen sollte. Ohne die vergangene Zeit zu kennen, war Planung für die Zukunft nicht möglich. Während Than zur Gegensprechanlage ging, warf er noch einen Blick auf die Statue. Jetzt sah er sie nicht mehr direkt von vorn, sondern von der Seite, also im Profil. Abermals fiel ihm der Ausdruck des Fundstücks auf. Das Futur wirkte, als ob es sich mit
hart angespannten Muskeln und Sehnenknoten von seinem Standplatz schnellen wollte. Die Lichteffekte machten, daß der Stein sich tatsächlich zu bewegen schien. Atiq‐Than drückte mit einer Schere der obersten rechten Endglied‐ Zange auf den konkav geformten Kontaktknopf. Augenblicklich knackte der Lautsprecher. Die Linsen zeigten den Blick in den Arbeitsraum der zwei anderen Brüder. »Oyz! Droos!« rief er aufgeregt. »Kommt sofort her. Ich habe einen aufsehenerregenden Fund gemacht.« »Geburt der Lichtquelle!« schnarrte Atiq‐Droos zurück. Er war der am wenigsten Bedächtige der Drillinge; ein draufgängerischer Vulnurer, dessen Aktionen oftmals seine eigenen Gedanken überholten. »Du störst.« »Zuhören!« schrie Than. »Oyz! Nimm unseren Bruder und schleppe ihn hierher. Seht auf den Bildschirm.« Er machte mit seinen langen Beinen zwei Schritte zur Seite. Er, der Angehörige der dritten Kaste, würde allen fünfundsechzigtausend Insassen der Schiffe ein Begriff sein, ebenso wie das Futur für jeden ein Begriff war. Droos und Oyz standen auf, kamen näher und starrten auf den Schirm. Das abgerundete Rechteck spiegelte sich hundertfach in den Facetten ihrer großen Augen. Sie sahen, zunächst schweigend, dann aufgeregt zirpend, daß ihr Bruder nicht eine seiner üblichen Phantastereien von sich gab. »Tatsächlich!« rief Atiq‐Droos. »Das uralte Ding, von dem niemand etwas weiß.« »Wo bist du? In welchem Raum? Wie kommen wir dorthin?« wollte Oyz wissen. Seine Redeweise war ebenso bedächtig wie die Art seiner Handlungen. Er war nicht sonderlich fleißig; die beharrliche Ruhe seiner Gedanken, so führte er stets aus, förderte überraschende Erkenntnisse zutage, die in jeder Art von Hektik verkümmerten. Sein Bruder beschrieb den Weg mit äußerster Genauigkeit.
Atiq‐Than und seine beiden Brüder waren an Bord aller drei Schiffe in jeder Hinsicht eine Seltenheit. Fast noch niemals in der bekannten Geschichte der »Bekehrer« hatte es drei Eier, drei Larven oder Puppen von einem Elternpaar gegeben. Schon in der kurzen Zeit nach dem Aufbrechen der weißledernen Puppenhüllen hatte sich bewiesen, daß ein Elternpaar Nachkommen von so unterschiedlichem Charakter hervorbringen konnte – bei aller Klugheit, die schon bald hervorgetreten war. »Wir kommen.« »Ihr braucht euch nicht zu beeilen. Das Futur hat lange auf seine Entdeckung gewartet. Jetzt kommt es auf die eine oder andere Stunde nicht mehr an.« »Gleich sind wir bei dir.« Atiq‐Than bewegte seinen Kopf in der Geste der Zustimmung. Trotz aller Begeisterung blieb er zurückhaltend und skeptisch. Die Sehnsucht nach der Lichtquelle durfte seine wissenschaftliche Arbeit nicht überlagern. Aus dem zufälligen Fund durfte gerade er, der Vulnurer mit den kühlen, abwartenden Gedanken, keine voreiligen Schlüsse ziehen, obwohl die Solaner ihm erklärt hatten, was sich wirklich hinter dem Begriff verbarg. Er wandte sich wieder dem Futur zu, blieb eine Körperlänge davor stehen und betrachtete die Figur. Die Umrisse begannen wieder zu verschwimmen. Atiq‐Than war stark irritiert. Er konzentrierte sich auf seinen Fund und erkannte in einer Reihe eigentümlich lähmender Schritte der Einsicht, daß sich die Figur in Wirklichkeit bewegte. Sie wich nicht von der Stelle, aber jedes Teil des Käferkörpers, das nicht einer harten Chitinschicht entsprach, dehnte sich aus und zog sich zusammen. Die Augen drehten sich und richteten den Blick deutlich auf Than. »Das … das ist unmöglich! Schwerer, massiver Stein!« summte er fast im Ultraschallbereich. Seine Erregung verdrängte augenblicklich sein Staunen und seine Zurückhaltung. Aber … die Annahme, daß das Futur aus geädertem Stein
bestünde, stammte von ihm. Gleichzeitig mit dem charakteristischen Geräusch, mit dem das Schott aufglitt, dessen Riegel und mechanische Teile sich so lange nicht mehr bewegt hatten, ertönten scheinbar aus der Luft vor ihm knarrende Laute. »Worte! Das Futur, es spricht!« zirpte Atiq‐Than auf. Hinter ihm bewegten sich die Brüder in den Raum hinein. Erschrocken breitete er beide Armpaare weit aus und hielt sie auf. Sie blieben links und rechts eben ihm stehen und starrten mit weit vorgestreckten Fühlern auf das in seiner Fremdartigkeit drohende Bild. »Von der seltsamen Sprache«, erklärte Atiq‐Oyz schleppend, »hast du uns nichts gesagt.« »Das Futur hat eben erst damit angefangen.« »Und es bewegt Teile seines seltsamen Körpers. Es wirkt auf mich wie ein mutierter Vulnurer«, sagte Droos hastig. »Still. Hört zu!« Atiq‐Droos schaltete ein Aufnahmegerät ein, das er aus dem federnden Schlingenband zog, einem Teil seiner körperfremden Ausrüstung als Altertumsforscher. Mit zitternden Klauenenden schaltete er den Recorder ein und richtete das Mikrophon auf die Figur. Während sich die Tracheenschlitze dehnten und zusammenzogen, während sich die Muskeln des gedrungenen Körpers sprungbereit bewegten und sich das geheimnisvolle Ding dennoch nicht von der Stelle rührte, stieß der offene Mandibel‐Mund des Futurs langsam einzelne Worte aus. Die Drillinge verstanden nichts, aber sie erahnten einiges. Eine spätere Analyse würde ihnen sagen können, ob sie etwas aus dem Text verwenden konnten, zum Wohl ihres kleinen Volkes. »Die Alte Sprache!« meinte Atiq‐Droos. »Die niemand mehr sprechen oder verstehen kann«, zischelte Atiq‐Than.
Unzweifelhaft handelte es sich um ein Idiom der Vulnurer. Nur ein Wesen ihrer Art konnte solche Laute erzeugen. Die Worte und Sätze waren, obwohl scharf betont und in einem dunklen, hallenden Knurren ausgestoßen, unverständlich. Es konnten Informationen sein; Schilderungen aus der fernen Vergangenheit dieses seltsamen Wesens. Aber ebenso war es vorstellbar, daß es sich um Drohungen, Befehle oder Anweisungen handelte. Halb gelähmt vor Erstaunen und Erregung, in die sich mehr und mehr Furcht mischte, sahen und hörten die Drillinge zu. Nach einer kurzen Zeit, in der es unverändert sprach und die Vulnurer mit einem dosierten Schwall bedeutungsvoller Laute überschüttete, änderte das Futur noch einmal sein Verhalten. Die scheinbar festen Formen des bearbeiteten Steins zerflossen ganz langsam. Das Futur, das so schwer und massiv wirkte, pendelte langsam hin und her, vorwärts und zurück. Die Augen sahen alles und jeden innerhalb dieses kleinen Raumes gleichzeitig und unverwandt an. Dann schwieg das Futur nach einem letzten zischenden Pfeifen. »Jetzt haben wir ein großes Problem«, meinte Atiq‐Oyz schließlich. »Oder mehrere gleichzeitig. Sicherlich war die Botschaft von äußerster Wichtigkeit.« »Wir müssen es untersuchen!« schlug Than vor. Aber er wußte instinktiv, daß dieses Vorhaben alles andere als einfach sein würde. Ruhig machte er zwei Schritte nach vorn und streckte behutsam, als wolle er das Futur nicht erschrecken, alle vier Arme vor und krümmte die vibrierenden Endglieder dem wieder erstarrten Fundstück entgegen. »Was hast du vor?« »Wartet!« Noch ein Doppelschritt. Die Brüder blieben zurück und beobachteten den Versuch aus sicherer Entfernung. Als sich die weit geöffneten Mehrfachscheren dem Futur bis auf drei Scherenlängen
genähert hatten, reagierte der lebende Block aus Gestein. Das hatte der Vulnurer nicht erwartet. Aus dem Körper züngelte ihm knisternde Energie entgegen. Fahle Blitze fuhren aus der Haut des Futurs und lähmten augenblicklich die Gelenke seiner Extremitäten. Er schrie mehr vor Schreck als vor Schmerz auf und rettete sich mit einem Sprung zurück. Seine Brüder fingen den Stolpernden auf. Eine Aura aus lähmender stechender Energie umgab das Futur, bildete kurze Zeit lang einen grünen Schimmer und erlosch, nachdem noch ein Schauer von dünnen Blitzen in alle Richtungen gefahren war. Auf der Oberfläche des Metallpults breiteten sich kleine Blasen schmorender Versiegelung aus, und der dicke Staub stank nach verbranntem Abfall. »Nun können wir absolut davon überzeugt sein«, sagte Atiq‐ Droos, nachdem er sich bis zur Rufanlage zurückgezogen hatte, »daß wir einem der größten Geheimnisse unserer Vergangenheit auf die Spur gekommen sind. Dank der Neugierde unseres gemeinsamen Bruders Than.« »Du sagst es«, führte Atiq‐Than aus und massierte seine Gelenke. Nur langsam wich die Betäubung. Tief saßen Schreck und starke Ehrfurcht vor dem Futur in ihm. »Zumindest haben wir Altertumsforscher das Futur gefunden.« »Und nicht etwa Angehörige der Pilotenkaste. Was tun?« »Das Schott schließen und die Nachricht in den Schiffen bekanntgeben. Wir kommen, fürchte ich, mit den Forschungen nicht weiter. Wer soll uns erklären, was das Futur sagte?« Sie zogen sich zurück, ließen aber Linsen und Mikrophone des Kommunikationsgeräts in der Rückwand auf das Futur gerichtet. Dann schloß sich die schwere Platte. Binnen kurzer Zeit war die erstaunliche Nachricht verbreitet. Eine unübersehbare Welle der Erregung erfaßte sämtliche Vulnurer. Aber sie wußten nicht, wie sie den Text entschlüsseln sollten. Schließlich, fast widerstrebend, sagte Atiq‐Oyz mit einem Lachen der Verzweiflung:
»Wir kennen die Möglichkeiten und die Qualität unserer Forschungen. Wir betreiben sie schon lange und in aller Ernsthaftigkeit. Viel konkretes Wissen über unsere Herkunft haben wir nicht erhalten. Das, was wir genau wissen, fanden wir mit der Hilfe der Solaner heraus.« »Du hast recht«, entgegnete Than. »Leider. Ich schlage vor …« »… daß wir Atlan und die Solaner wieder um Hilfe bitten?« meinte Atiq‐Droos. Natürlich wußte er seit geraumer Zeit, daß es innerhalb der Besatzung eine zahlenmäßig nicht relevante Gruppe Vulnurer gab, die, ohne es zu kennen oder mehr als eine vage Ahnung zu haben, das Futur aus wörtlich weitergegebener Tradition als »Heiligtum« verehrten. Auch ihnen mußte Gewißheit zuteil werden. »Ja. Nichts anderes verspricht Erfolg.« Atiq‐Than vollführte die rituelle Geste der Ergebenheit in das Schicksal. »Ich werde also mit den Piloten und Technikern der HEUTE sprechen. Sie sollen Atlan um Hilfe bitten.« »Die einzige richtige Lösung.« Ohne daß sie darüber sprachen, wußten sie, daß nur ein Wesen anderen Wesen helfen konnte, das seine eigene Vergangenheit kannte. Geschichte war unter anderem vergleichende Wissenschaft. Um vergleichen zu können, mußte man einen Maßstab besitzen. Diese Erfahrungen hatten die Vulnurer nicht. Jede Hilfe war wichtig, und ganz besonders jetzt. Atiq‐Than wiederholte: »Die Solaner wissen viel. Sie haben uns schon oft geholfen. Sie werden uns auch jetzt nicht im Stich lassen. Ich werde Atlan bitten, der vierte Altertumsforscher zu sein – mit uns zusammen. Es geht um einen Fund von nicht abschätzbarer Wichtigkeit. Und es eilt.« Nur wenige Zeit verstrich. Dann sprachen die Piloten der MORGEN mit dem Arkoniden. Er versicherte, sofort mit einigen Spezialisten zu kommen.
2. Mit peitschenden Fühlern, halb ausgeklappten Flügeln und schnellen Bewegungen der vielgelenkigen Beine bewege sich Baugh, der schwarzgepunktete Oberpriester, die schräge Rampe hinauf. Sie begann als breiter, trichterförmig zusammenlaufender Weg dicht hinter den Palisaden, dem Erdwall und dem Graben. Die Posten sahen dem alten Vullkauger ehrfurchtsvoll nach. Dies war ein Mann ohne Kompromisse. Was er einmal als Glaubensgrundsatz gefühlt und erdacht, analysiert und verkündet hatte, galt für ihn als unumstößlich. Seine Härte war ebenso bekannt wie seine kalte Verachtung gegenüber Häretikern, dem Versuch des Schismas oder gar den Anhängern der »Neudenker«. »Die Boje«, summte er, als er fühlte, wie sich der Weg auf dem Damm nach oben bog und immer steiler wurde, »sie wird bleiben. Was immer geschieht, die Überlieferung ist wahr. Nichts anderes gilt.« Seine hastig hervorgestoßenen Worte bildeten einen schnellen Rhythmus zu seinen Schritten. Sechs Gliedmaßen bewegten sich schnell, aber der Oberpriester spürte auch heute wieder seine Jahre. Deshalb hatte er seinen Körper abgesenkt und benutzte die Handlungsarme ebenfalls zur Fortbewegung. Die Oberfläche des Dammes endete. Jetzt fing die Hängebrücke an. Noch war es Nacht. Die Sterne mit ihren auffallenden Mustern und dem fernen Balken aus nebelartiger Helligkeitsverdichtung standen noch über der welligen Ebene. Aus der Stadt schimmerten einige Lichter bis hierher. Sie spiegelten sich fast nicht wahrnehmbar in den Flanken des Berges. Deutlicher aber waren die wenigen Feuer der Wachen, die selbstleuchtenden Begrenzungen des Weges, der Rampe und der schrägen Balken, die sich gegen den Zug der phosphoreszierenden
Tragseile spannten. Jedes Seil, aus Xtaftfäden geflochten und gedreht, änderte seine Farbe unter den Sonnenstrahlen in Gold, aber jetzt flimmterten und strahlten die Lichteinschlüsse in den Spinnfarben. Baugh betrat die schwankenden, federnden Bohlen der Hängebrücke. Zunächst ging es wenige Schritte weit leicht abwärts, dann war der tiefste Punkt der durchhängenden Konstruktion erreicht, und die Hafthaken der sechs Gliedmaßen hakten sich um die Ecken der Holzbretter und Balken. Es ging immer steiler aufwärts. »Vor dem Sonnenaufgang werde ich oben sein. Und wehe den Neudenkern!« stieß Baugh hervor. An den Segmenten seines kräftigen Körpers, unter der Rückenschale, klebten die Schleuder, das kurbelgetriebene Ballistrol, die Schleudersteine und die Bolzen. Er würde es ihnen zeigen, jenen Schändern der heiligen Bilder! »Wehe ihnen!« Auch in dieser Nacht erfüllte ihn heiße Wut. Man konnte ihn verletzen, töten oder von der Auslegerbrücke stürzen. Aber seinen Glauben ließ er nicht antasten. Und er war nicht allein. Wenn die Neudenker im Morgengrauen kamen, würden sie sich einer entschlossenen Schar von Novizen, Adepten und Priestern gegenübersehen. Und den Speeren, Schleudern und Multipledolchen der ausgebildeten Wächter. Die Metallteile seiner Waffen und Ausrüstung klirrten, als Baugh den letzten Abschnitt der Hängebrücke in Angriff nahm. Jetzt schwang sich die Lauffläche der Balken in genau dem Winkel aufwärts, den der Hang des Bojenbergs aufwies. Der Oberpriester erreichte die Plattform und schwang sein letztes Beinpaar über die Kante. Dann richtete er sich auf. Noch sah ihn niemand, noch bot er den Neudenkern kein Ziel. Aus der Dunkelheit summte ein Tier herbei, vom Licht der ölgefüllten Lampe angelockt. Ein Käfer war es, ein winziges Abbild der Vullkauger, runder Körper, zwei Flügel aus harter, hornig‐ knöchernder Substanz, vier Laufbeine und zwei Handlungsarme,
einen gedrungenen Kopf mit schwarzen Augen und langen Fühlern, überall dreieckige, runde und viereckige Schutzplatten aus Chitin, von denen Gelenke und das Körperinnere geschützt wurden. Baugh, der schwarzgepunktete Priester, wünschte sich für die kommenden Auseinandersetzungen eine andere Gestalt: Groß, wuchtig, muskelstarrend wie ein Reptil, schnell wie eine Schlange und kräftig wie das graue Tier, das die Vullkauger »Amdrashd« nannten. Weil die Flügeldecken und die Chitinschicht seines Rückenpanzers eine Unzahl unterschiedlich großer schwarzer Punkte trug – die Körperfarbe der erwachsenen Vullkauger war ein helles Braun –, nannte man Baugh auch den »Schwarzgepunkteten«. Sein größter Gegner, der Neudenker Fronsel, war der »Kleinkarierte«. Baugh ging mit langsamen Schritten auf die harte Wand des Bojenbergs zu. Vor sich, auf der Fläche der Bergflanke, sah er undeutlich die Zeichen und Schriften der Gläubigen. Sie stammten aus der fernsten Vergangenheit, den zurückliegenden Jahren und aus der letzten Zeit. Jede Generation von Gläubigen hatte, beginnend am Fuß des kegelförmigen Berges, ihre Zeichen der Bewunderung und Anbetung hinterlassen. Erdfarben, Ruß mit Fett gemischt, Ritzzeichnungen mit Steinkeilen, millimetertiefe Reliefs, eingeritzt in mühevoller Arbeit und mit den Spitzen von Bronzewerkzeugen, Ziffern, Anrufungen und Bilder jeder Stilepoche. Je höher die Zivilisation der Vullkauger gestiegen war, desto weiter hinauf in die Richtung auf die Spitze zogen sich die unregelmäßigen, vielfarbigen Flächen, Flecken und Bänder hin. Mehr als zwei Drittel des Berges, der hundertzwanzigmal so hoch war wie ein Vullkaugerkörper, bedeckte ein Gemenge aus allen denkbaren Farben, Linien und Formen. Baugh lehnte sich an die harte, fast unzerstörbare Oberfläche. Sie ähnelte der Struktur seines Körpers. Nur starke Hitze und eine
bestimmte Säure, aus Früchten gepreßt und eingedickt, konnte Löcher in die Oberfläche brennen. »Sie werden im Morgengrauen angreifen, wie immer! Diese Spalter! Diese Abweichler. Neudenker – pah!« sagte Baugh zu sich selbst. Er mußte sich mit Selbstgesprächen Luft machen, denn hier oben war er allein. Er hatte freiwillig die Wache übernommen. Dies bedeutete nichts anderes, als daß er in kurzer Zeit knapp die Hälfte des kleinen Volkes befehligte, das sich gegen die andere Hälfte wehren mußte. Er schnippte den Käfer von der Flamme weg und löste die Waffen vom Körper. Er breitete Geschosse und Waffen vor sich auf der Plattform aus und spähte immer wieder nach unten und dorthin, wo sich die Sonne über den Horizont schieben würde. Die Sterne der Galaxis verblaßten langsam. Baugh lehnte sich an die Wandung des Bojenbergs. Als er das kühle Material berührte, spürte er wieder Stärke und Kraft, die davon ausgingen, als sei es eine Gottheit, die ihm Mut zusprach. Baugh wußte, daß sich im Berg keine Gottheit verbarg, aber er ahnte mit ebenso großer Sicherheit, daß sich eine Reihe von Generationen von Vullkaugern einfach nicht irren konnten. Obwohl die Sterne und der gelbe Mond dieser Welt ebenso wenig Göttliches besaßen wie der auffällig gleichmäßig geformte Berg, gehörten sie zum System der Natur, in dem alles seine Wichtigkeit hatte. Am östlichen Horizont zeichnete sich ein erster Streifen Helligkeit ab. Baugh, der Schwarzgepunktete, richtete seinen Blick auf den Waldrand. Dort würden wohl Fronsels Anhänger hervorkommen, um zu versuchen, den kegelförmigen Berg zu erobern. Sie würden mit derselben Art von Waffen kämpfen wie die Getreuen, die Baugh gehorchten: mit bronzenen Mehrfachdolchen, kurzen Speeren und allen möglichen Schleuder‐ und Wurfgeschossen. Es ging um den Bojenberg. Wer ihn besaß, hatte recht. Wer recht hatte, bestimmte, was mit dem Berg zu geschehen hatte.
Bis zu diesem Augenblick richteten sich die Konservativen nach dem mündlichen Text und der Bedeutung der Überlieferung. Durch einen lauten Ruf wurde Baugh aus seinen Gedanken gerissen. Noupt hatte das Horn an die Mandibeln gesetzt, stieß einen heulenden Warnton aus und rief dann hinauf: »Baugh! Siehst du etwas? Bald ist Sonnenaufgang.« Von der Plattform, die etwa die Hälfte der Bergflanke erreichte und sich gegen die Wandung abstützte, sah Baugh weit über die Siedlungen, Wege und Felder. Die Vullkauger waren fleißig, und sie lebten nicht schlecht. Daß sie seit einigen Generationen nur wenig Fortschritte in der Anwendung von wichtigen Kenntnissen und Erkenntnissen machten, hing auch mit dem Kampf um den Berg zusammen. Baugh rief zurück: »Ich sehe keinen der verdammten Neudenker. Aber, so sicher wie der Sonnenaufgang, sie werden kommen. Bleibt wachsam!« »Wir bleiben auf dem Posten.« Hinter dem Graben und den Palisaden standen die Bewaffneten. Ihre Zahl war ständig gewachsen. Im gleichen Zeitraum wurden die Verteidigungsanlagen besser und höher, und der gesamte Kampf zwischen Baugh und Fronsel war heute zu einem gewaltigen Problem geworden. »Recht so.« Auch heute würden sie die Pilger abweisen müssen! Wie sollte der Überzeugungskampf weitergehen? Wie sah das Ende aus? »Sie sind zu stark geworden. Ich kann sie nicht zurücktreiben und entwaffnen«, murmelte der Oberpriester. Die ersten Sonnenstrahlen zuckten hinter den Bergen hervor und trafen zuerst die Spitze des Bojenbergs. Baughs Facettenaugen suchten die Umgebung ab. Von hier aus sah er fast das gesamte Gebiet, das die Rebellen durchqueren mußten. Warum taten sie das? Die Bilder und Ritzzeichnungen wurden deutlicher, je höher der weißgelbe Sonnenball kletterte. Nebel bildete sich über dem Wald. Der Rauch der ersten Feuer stieg senkrecht aus den gemauerten
Kaminen der Hütten. Am Anfang der Welt, als die Vullkauger noch nicht das Metall kannten, sprachen die Vorfahren, erinnerte sich Baugh, als habe er es gestern erst gehört, daß jeder Jäger und Krieger aller Stämme den Bojenberg zu hüten habe. Dafür erhielt das Volk von ihnen viele Kenntnisse und Wohltaten. Ackerbau, Viehhaltung und das Finden und Bearbeiten von Metall waren erklärt worden. Das Beschützen des Bojenbergs sei der einzige wirklich wichtige Lebensinhalt der Vullkauger! Pflegt und verehrt sie, die Flanken des hellen Berges. Jeder Vullkauger soll einmal in seinem Leben den Bojenberg besuchen, und wenn er ein Zeichen seines Besuchs hinterläßt, dann wird es die Ahnen erfreuen. »Und dagegen soll ich verstoßen«, trillerte Baugh halb aufgeregt, halb niedergeschlagen, »nur weil sich die Zeiten geändert haben sollen?« Er ging zum anderen Ende der Plattform, hielt sich an der hölzernen Brustwehr fest und klappte unbewußt seine Flügel aus. Hinter dem Dorf, auf dem Hügel, sah er ein schwaches Aufblitzen. Es war wohl eine Gruppe von Pilgern. Auch sie würden heute den Berg nicht betreten können und nur aus der Ferne sehen. Aber jeder Pilger würde daheim erzählen, daß sich der heilige Berg in einen Schauplatz der Streitereien und Kämpfe verwandelt hatte. »Welch eine schreckliche Zeit.« Dann sah Baugh die Krieger. Sie näherten sich hinter den dünnen Nebelschleiern. Diesmal kamen sie durch das Wasser des seichten Flusses. Er nahm sein Horn, blies den Alarmruf und winkte nach unten. »Sie kommen, Noupt. Vom Fluß her!« »Verstanden. Wir werden sie mit blutigen Köpfen nach Hause schicken!« »Bei der Boje! Das werden wir tun.« Die erwachsenen Vulnurer konnten kurze Strecken fliegen. Besonders, wenn sie sich von höhergelegenen Punkten in die Luft
schwangen und die harten Flügel rasend schnell bewegten, konnten sie längere Strecken zurücklegen. Die Angreifer schafften es vielleicht gerade noch, über die zugespitzten Bohlen der Palisaden hinüberzusummen wie dicke Käfer. Baugh wußte, daß ihnen allen ein harter, blutiger Tag bevorstand. »Schickt die Verteidiger zu mir!« ordnete er an und sah zu, wie sich die Verteidiger organisierten. Dreimal hundert Männer, die besten Krieger der Priesterschaft, verteilten sich im weiten Kreis hinter den Palisaden. Die Schleudern wurden gespannt, überall blitzten die bronzenen Spitzen der Wurfspeere auf. »Sie kommen!« Etwa ein Dutzend oder eineinhalb Dutzend Verteidiger fanden auf der Plattform Platz. Eine ebenso große Anzahl machte sich auf den Weg, um ihre Plätze auf der Rampe und der Brücke einzunehmen. Hier, in der Höhe über dem Kampfgeschehen, waren sie den Angreifern auf jeden Fall überlegen. Inzwischen hatte Baugh dreißig Angreifer gezählt. Sie bildeten eine lange Linie. Fronsel, dessen kleine Vierecke auf dem Rücken und den Flügeln aus dieser Entfernung ein dunkles Grau bildeten, ging an ihrer Spitze. Aber die Reihe riß nicht ab; immer mehr Krieger kamen aus dem mittelhohen Beerengestrüpp, Noupt, der Rotweißgestreifte, teilte seine Verteidiger ein. Sie schleppten die schweren Schleudermaschinen dorthin, wo der Hauptteil der Angreifer auftauchen würde, nachdem sie den Fluß durchwatet und die hohen, gelben Schilfgürtel durchquert hatten. Jede Wunde, jede Verletzung, jeder der wenigen Toten schmerzte den alten Priester tief – aber das Heiligtum vertrug die Schändung nicht. Schon hatte der Berg einige Narben, und Baugh fürchtete, daß noch mehr Wunden die Oberfläche verunzieren würden, ehe der Sieg der Priesterschaft gehörte. Die Verteidiger mit ihren Waffenlasten besetzten den Weg zur Plattform. Unterstützt von heftigem Flügelschwirren, kletterten sechs Krieger zu Baugh hinauf. Er begrüßte sie mit rituellen
Verformungen seiner langen Fühler. »Wird ein schwerer Tag werden«, meinte Kharp. »Sind ziemlich viele.« Sein Arm mit den bronzegepanzerten Gelenken deutete auf die nicht abreißende Reihe der Angreifer. Die ersten befanden sich bereits mitten im hohen Schilf. »Wenn wir die Ketzer nicht endgültig zurückschlagen, verlieren wir«, sagte Baugh. »Sie glauben nicht an die Überlieferung. Fronsel gewinnt Anhänger, weil er sagt, daß die Legende Unsinn ist. Immerhin: Nur wenn wir wissen, was sich im Berg verbirgt, wissen wir alles.« »Du hast recht. Wenn die Vorfahren dort etwas versteckt haben, wird es sich offenbaren. Bis zu diesem fernen Tag beschützen wir den Bojenberg.« »An deiner Seite.« »Und wenn mich Fronsel besiegt, werdet ihr zusammen mit meinem Nachfolger kämpfen.« »Für den heiligen Berg der Boje tun wir alles. Das ist bekannt.« Sie waren entschlossen, den Feind zurückzuschlagen. Jeder von ihnen hatte miterlebt, wie sich dieser Streit aus wenigen Worten der Skepsis und des Widerspruchs langsam und nicht aufhaltbar entwickelt hatte. Fronsel und seine Begleitung blieben jetzt stehen. Sie waren weit genug entfernt, die Schleudern konnten sie nicht erreichen. Hinter ihnen setzten andere Krieger Leitern und Kampfmaschinen zusammen, fügten Balken mit Bronzestiften zu eigenartigen, kantigen Gebilden ineinander. Fronsels Stimme war ebenso auffallend wie sein Ketzertum. »Heute werden wir siegen und die Bergflanke stürmen!« schrie er. Sofort gab Baugh zurück: »Kleinkarierter! Du wirst den Bojenberg nicht untersuchen. Du nicht, und deine Krieger auch nicht.« »Wir werden den Berg abtragen, und das schon bald, Schwarzgepunkteter. Heute greifen wir an.«
»Und ihr werdet zurückgeschlagen!« »Denkt daran, daß wir schon ein Loch in den Berg gebrannt und geschlagen haben.« »Es wird kein anderes geben!« »Und dabei«, schrie Fronsel und schlug einen rasenden Wirbel mit den Flügeln, der ihn langsam in die Luft steigen ließ, »haben wir Metall entdeckt. Hartes Metall! Besser als die Bronze, mit der wir kämpfen und Dinge herstellen.« »Dieses Loch haben wir verschlossen, Häretiker! Neudenker! Du schürst den Aufruhr! Du bist schuld am Tod von guten Männern.« Wieder schwebte Fronsel in die Höhe, sah die riesige Menge seiner Krieger und gab ein Signal mit seinen Speeren. Seine Krieger schrien auf und begannen zu stürmen. In vier einzelnen Stoßkeilen drangen sie auf die Palisaden und den Graben ein. Die Verteidiger schossen zuerst ihre schweren Wurfmaschinen ab. Große Holzschalen wirbelten hoch. Eine gewaltige Menge Steinsplitter flog in die Höhe, fast so hoch hinauf wie der Berg hoch war, hielt einen Augenblick lang inne und heulte dann wieder herunter. Ein tödlicher Kreis scharfkantiger Geschosse traf die Helme, die Körper und Gliedmaßen der anstürmenden Neudenker. Schreie ertönten, klirrend schlugen die Steine gegen Metall, und dann brach der erste Angriff ab. Aber nur wenige Augenblicke später schleuderten die Geschütze der Angreifer einen Steinhagel über die Palisaden. Das Ziel der Anhänger Fronsels war eindeutig. Die Krieger des Kleinkarierten mußten den Heiligen Berg erobern, um ihn untersuchen zu können. Falls sie es wirklich schafften, mußten sie sich zudem der Angriffe der Konservativen erwehren. »Schlagt sie zurück!« schrie Baugh und blies ununterbrochen Angriffssignale. Seine Krieger ließen sich Zeit mit dem Zielen. Jeder Aufrührer, der es schaffte, über die Palisaden zu kommen, wurde getroffen. In den Chitinflügeln bildeten sich Löcher, lange Scharten und
ausgezackte Beulen. Körperflüssigkeit sickerte aus den gebrochenen und zerfetzten Gliedmaßen. Schreiend wälzten sich Verwundete im Schilf. Zwei Krieger, die hochgesprungen waren und versuchten, in gestrecktem Flug über die Palisaden zu kommen, fielen mit zerrissenen Flügeln herunter und brachen sich die Beine. Überall färbten sich die verschiedenen Farben der Rückenmusterungen mit dem weißlichen Körpersaft. Auf der Seite, an der das Dorf lag, wurde erbittert gekämpft. Leitern krachten an die Palisaden, und rasend schnell krabbelten die Angreifer hinauf. Ein ständiges Schwirren war zu hören. Die Bolzen und die Steine aus den Schleudern und den Ballistolen heulten hin und her und trafen ihre Ziele. Hundertmal schlugen Geschosse gegen die Bildnisse auf der harten Schale des Bojenbergs. Dieser Kampf, erkannte jeder einzelne Krieger, war der absolute Höhepunkt einer Entwicklung, die weit zurücklag. Die ersten Vullkauger, die dem Mythos um den Berg widersprachen, wurden als Ketzer bezeichnet und ausgestoßen. Einige kamen wieder zurück und rehabilitierten sich. Die meisten verschwanden abseits der Dörfer und gründeten in den Wäldern kleine Nester von Neudenkern. »Zeigt es ihnen. Werft sie zurück in ihre feuchten Wälder«, tobte Baugh und rief seine Truppenführer. Sie leisteten heldenhaften Widerstand. Hinter dem Berg kamen Teile der anderen Verteidiger und mischten sich in den Kampf. Es war schwer zu entscheiden, wer zu den Verteidigern gehörte und wer zu ihren Gegnern. Wütend, als würde er die große Anzahl erst heute kennenlernen, sah der Oberpriester, daß aus den Wäldern noch immer Neudenker‐ Kämpfer strömten. Sie rannten mit ihren Waffen und dem Sturmgerät heran, und viele von ihnen nützten das begrenzte Flugvermögen aus, um Teile der Strecke zu fliegen. Noch war es keinem gelungen, den Fuß der Rampe zu betreten. Dort unten wehrten sich die Priester‐Kämpfer besonders gnadenlos.
»Sie werden es nicht schaffen!« schrie Baugh und blies mit schwächer werdendem Atem neue Kampfsignale. »Heute schlage ich Fronsel zurück.« Neben ihm wurde ein Krieger schwer getroffen, taumelte zum Rand der Brüstung und fiel, kraftlos mit den Flügeln schlagend, hinunter auf den verwüsteten Boden. Er blieb hilflos auf dem Rücken liegen, und seine sechs Gliedmaßen zuckten. * Längst hatte sich Fronsel, der Kleinkarierte, von seinen Kriegern gelöst. »He, Silbergestreifter!« rief er. »Bleib unten. Wenn uns dieser alte Fanatiker sieht …« Er und mehrere Dutzend seiner besten Männer, hervorragend ausgerüstet mit seltsamem Gerät, krochen hintereinander unterhalb der Palisaden, aber außerhalb des Sichtbereichs, rasend schnell entlang. Ihr Ziel war die Rückseite des kreisrunden Berges. Dort stand keine Plattform; dort gab es nur eine Stelle, an der die Pilger in stummer Bewunderung verharrten und ihre Bilder malten oder ritzten. »Ist schon klar!« kam es von hinten zurück. Die brennende Holzkohle in den Feuerschalen stank, wenn die Gefäße das Gras und die Ranken berührten. Über die Panzer und sogar über die Oberflächen der Bronzeschienen zogen sich die tiefen Kratzer der Dornen. Aber Fronsel war nicht aufzuhalten. »Wir schlagen heute einen Brückenkopf!« schrie er. Jenseits der wuchtigen Holzteile ertönte der Lärm des erbitterten Kampfes. Hin und wieder flogen einzelne Geschosse kraftlos gegen die Palisaden und klapperten auf die Flügel der Krieger herunter. Nun kamen sie in den Bereich des Schattens, den der Berg warf. »Es wird immer leiser«, rief fast fröhlich ein junger Krieger.
»Wir müssen ungewöhnlich schnell sein – und leise!« sagte ein anderer; es war der Schwarzspiralige. Thymier, ein listiger Mann, von dem die besten Pläne stammten. Schließlich wagten sie, sich aufzurichten. Eine Leiter klappte hoch. Fronsel stieg als erster hinauf und schob den behelmten Kopf über die nadelscharfen Hölzer. Zwischen ihm und dem niedrigen Bildgerüst, das von zahllosen verwelkten Blumen fast zugeschüttet war, sah er nicht einen einzigen Krieger. Er winkte nach unten. Blitzschnell waren weitere Leitern angelegt, andere schoben sich auf der inneren Seite herunter, denn viele Krieger waren so schwer beladen, daß sie nicht fliegen konnten. Der Rest zog die Leitern hinter sich her, flatterte mit dem tiefen Brummen rasend schnell schwirrender Flügel über die Palisaden und landete zwischen Absperrung und der steilen Bergflanke. Sie wußten alle genau, was sie zu tun hatten. Die Krieger von Fronsels Mannschaft rannten auf das Gerüst zu. Einige blieben stehen, steckten ihre Köpfe zusammen und nahmen aus den Schalen Metallnägel, die fast glühend waren. Mit langen Zangen, ebenfalls aus Metall, packten sie die Teile und drückten sie mit aller Kraft gegen die fast unzerstörbare Schale über dem weicheren Material, das den Kern aus Metall tief innen im Berg umhüllte. Stinkender Rauch ging von den Löchern aus, die von den glühenden Bolzen geschmolzen wurden. Das Material schmolz dort, wo die Glut es berührte. Tief versenkte sich der abkühlende Nagel in die Kruste des Bojenbergs. Die obersten Sprossen der untersten Leiter wurden unlösbar mit Sehnenschnüren befestigt, eine zweite Leiter wurde hinterhergereicht und mit einigen Stangen solange festgehalten, bis Fronsel und Thymier hinaufgeklettert waren und einen zweiten Nagel versenkten. Die beiden ersten von mehr als fünfzehn Leitern waren jetzt fast unlösbar mit dem Berg verbunden.
Mehr und mehr Krieger kletterten hinauf. »Schneller! Nicht abstürzen!« mahnte Fronsel. Dreieckige Konstruktionen wurden in die Leitersprossen eingehakt und gegen die Wand abgestützt. Die Lasten der Krieger wurden immer weniger, je mehr sie abluden, hochreichten, festbanden und in vorher gebohrte Löcher steckten. Mit gespannten Schleudern, die Mehrfachdolche mit den langen Widerhaken griffbereit, sicherten jeweils fünf Krieger rechts und links von der Leiter. Jetzt, als sich bereits fünf Leitern übereinander befanden, waren noch immer keine Verteidiger um den Berg herum aufgetaucht. Sie halfen ihren Kameraden dort, wo Fronsel das Ablenkungsgefecht befohlen hatte. Fronsel und die wildesten, wagemutigsten seiner »Ausgestoßenen« waren sicher, daß Baugh und die Konservativen irrten. Als es noch nicht zum Kampf gekommen war, hatten er und seine Männer ein Loch im Berg geschaffen. Zufällig hatten sie entdeckt, daß die harte Kruste, die jedem Werkzeug standhielt, durch Feuer zu besiegen war. Sie schmorte und schmolz. Je heißer die Glut, desto schneller öffnete sich ein Loch. Fünf Mannslängen tief war der kleine Tunnel gewesen, ehe sie auf das Metall stießen, das sich jedem weiteren Angriff widersetzte. Es war unzerstörbar. Deswegen konnte keiner von ihnen mehr den Legenden, jenem »Auftrag« oder anderen Spekulationen glauben. Im Bojenberg war etwas aus Metall verborgen, und ganz gewiß kein Heiligtum. Etwas aus der Vergangenheit, sicher. Aber nichts, das man wie die verrückten Pilger anbeten mußte. Je höher sich die Befestigungspunkte der Leitern einbrannten, desto leichter war es, hinaufzuklettern. Alle Krieger befanden sich mittlerweile auf der Flanke des Berges, im Nordwesten. Hier war es kühl und dunkel. Von unten drang der Lärm des erbitterten Kampfes herauf. Wieder fraß sich ein beinlanger Nagel in das qualmende, tropfende
Material. Wahrhaftig, ein unbekannter Stoff! Nichts anderes verhielt sich so wie diese Kruste und dieser weiche Kern, wenn glühendes Metall angewendet wurde. An Seilen zogen die Krieger Nahrungsmittel, Wasser, Säcke voller Holzkohle, Waffen und Holzbretter und Bohlen in jeder denkbaren Länge herauf. Gegen Mittag war es Fronsel selbst, der auf der sanft gerundeten Spitze des Berges einen langen heißen Nagel versenkte, ein dickes Tau durch das Bronzeauge zog und einen sicheren Knoten schlang. »Geschafft, Fronsel!« rief ein Krieger. »Noch nicht ganz. Sie erreichen uns noch mit den Geschützen.« Auch von unten drang dünner Rauch bis hier herauf. »Wenn es noch viele Geschütze geben sollte. Sie brennen. Aber das bekümmert uns nicht – macht weiter.« »Ausruhen können wir später!« Am Knotenpunkt der beiden letzten Leitern wurden weitere Nägel verankert. Die dreieckigen Stützen wurden mühsam hochgezogen. Mit dem glühenden Metall schnitten die Krieger eine kreisförmige Öffnung in die harte Schicht, vergrößerten ein erstes Loch und häuften dort brennende Holzkohle an, schütteten schwarze Kohlestücke darauf. Zwei Vullkauger bewegten die Hebel von Blasebälgen. Sofort begannen die Kohlen zu brennen, der weichere Stoff begann zu schmelzen, in Tropfen zu verlaufen und sich aufzulösen. Rauch wölkte auf und wurde immer schwärzer, immer mehr. Holzstücke, die keiner mehr brauchte, flogen in das Loch, das sich vergrößerte und vertiefte. »Es schmilzt sich selbst eine Höhle!« rief Fronsel bewundernd. »So, wie du es ausgedacht hast, Schwarzspiraliger.« »Aber ich war nicht ganz sicher.« Die Hitze, die durch den starken Luftzug der Blasebälge gesteigert wurde, erfaßte die Innenwände einer Höhle, die langsam anwuchs und schräg in die Tiefe hineingeschmolzen wurde. Fronsel kletterte auf dem schwankenden Gerüst so weit nach
außen, daß er nicht mitten im Rauch hockte. Er starrte nach unten und sah dem gewaltigen Rauchschleier nach. Die ersten Verteidiger kamen herbeigelaufen. Sie schrien wild durcheinander und deuteten mit den Waffen nach oben. Hier saßen die Neudenker, hundertzwanzig Mannslängen hoch und unerreichbar für die meisten Geschosse. Fronsel nahm sein Signalhorn vom Rücken, biß auf das Mundstück und schmetterte das verabredete Signal nach unten. Seine Krieger hörten zu kämpfen auf und zogen sich zurück. Der Kampf war vorläufig zu Ende. Aber sie ließen viele Schwerverwundete und eine Handvoll Toter zurück, als sie über die Palisaden flatterten und kletterten. Rund dreißig Neudenker befanden sich auf den Leitern und neben der Höhle, die von Stunde zu Stunde wuchs. Die Vullkauger im Dorf sahen die riesige Rauchwolke, die langsam nach Osten fortgetrieben wurde. Die Pilger wußten: Das war ein Zeichen. Aber … wofür stand dieses Zeichen? »Wir haben gesiegt«, wandte sich Fronsel an seine Leute. »Wir haben erreicht, was wir wollten. Natürlich versuchen sie, uns wieder herunterzuholen. Bis sie einen entscheidenden Angriff wagen, haben wir die Höhle so vergrößert, daß wir dort wohnen und die wahre Natur des Berges untersuchen können. Habt ihr noch Brennbares?« Zwei große Säcke voller Holzkohle kamen am Seil herauf und flogen in das flammende, brodelnde, stinkende und rauchende Feuer unterhalb des Gipfels. Der Heilige Bojenberg war geschändet. Die neue Idee hatte gesiegt. Nur wußten die Sieger keineswegs, was sie entdeckt hatten. 3.
Langsam drehte Breckcrown Hayes sein zerfurchtes Gesicht von Atlan und Tyari weg und blickte auf die leuchtenden Ziffern oberhalb des Pultes. »Zweiundzwanzigster August Nullacht«, sagte er. »Ihr seid unruhig, nicht wahr?« »Nicht wegen des Hilfeersuchens aus der MORGEN«, entgegnete Tyari. »Das verspricht zumindest eine interessante Sache zu werden. Es lenkt ab.« Der High Sideryt schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht«, brummte er. »Ich kenne die Stimmung. Die BRISBEE‐Kinder müssen sich erholen. Es herrscht an Bord eine Ruhe, wie sie selten vorkommt.« »Es ist die Reaktion auf die überstandenen Abenteuer, Breck!« wandte der Arkonide ein. Auf einem Monitor der Hauptzentrale sah er die drei Vulnurer, die ihn mit ausdruckslosen Facettenaugen anblickten. »Und die Solaner wissen, daß das Schiff – ihr Schiff – nicht in die Namenlose Zone verstoßen wird. Das ist eine zusätzliche Beruhigung. Aber das alles brauchen wir nicht mehr zu diskutieren. Es ist uns allen klar.« »Aber deine Koordinaten hast du immer noch nicht«, wandte Hayes ein. »Nein. Und, indem wir das sogenannte Futur untersuchen, werden wir sie wohl auch nicht finden.« Die drei Raumschiffe der einzigen wirklich planetenunabhängigen Wesen, auf die die Solaner je gestoßen waren, trieben antriebslos in der unmittelbaren Nähe der SOL. Zufällig gab es auch in der MORGEN einen aktivierbaren Transmitter. Atlan hatte gebeten, ihn und das Gegengerät zu schalten. In kurzer Zeit würde er mit einigen ausgesuchten Begleitern sein Versprechen einlösen. »Nein«, pflichtete ihm Hayes bei. »Auch dort wirst du nichts über Varnhager‐Ghynnst erfahren.« Jeder an Bord setzte ganz richtig voraus, daß Atlan auch weiterhin mit allem Nachdruck und bereit zu nahezu jedem Risiko versuchen
würde, dieses Wissen zu bekommen. Aber die SOL würde er nicht mehr gefährden. Das große Schiff stieß nicht in die Namenlose Zone vor. »Chybrain?« fragte der High Sideryt. »Nichts. Weiterhin nicht das geringste Lebenszeichen«, erklärte Atlan und Tyari übereinstimmend. »Wie lange werdet ihr brauchen?« wollte Breckcrown wissen. »Das ist schwer zu sagen. Wir nehmen einige Geräte mit, und vielleicht müssen wir auch eine Direktleitung zu SENECA schalten. Ich sehe keinerlei Probleme. Ob ein Ding, das die Vulnurer ›Futur‹ nennen, auch etwas mit futurum, der Zukunft, zu tun hat, ist immerhin fraglich. Man wird es sehen.« An Bord herrschte, zur Zufriedenheit aller Verantwortlichen, entspannte Ruhe. Die MJAILAM war eingeschleust und wurde neu ausgerüstet und teilüberholt. Jeder Solaner begrüßte diesen Zustand, aus verständlichen Gründen. Nur Atlan, den die Gedanken an den visionären Traum peinigten, blieb unruhig. Es war nur ein schwacher Trost, daß sich früher oder später jede Frage beantwortete. Aber die Vision von Tickers Tod beunruhigte ihn. Vielleicht bestehen sogar, bei aller Skepsis, Verbindungen zwischen dieser Zukunft und dem so genannten Futur? meldete sich der Logiksektor zögernd. Atlan hob schweigend die Schultern. Es war eine Geste absoluter Ratlosigkeit. »Gehen wir«, schlug er vor. »Wir bleiben in Verbindung.« Er deutete auf den Monitor, winkte kurz den drei Insektoiden und verließ die Zentrale. Im Transmitterraum, unweit von SOL‐City, warteten die anderen. Insider mit einigen Untersuchungsgeräten, Bjo Breiskoll, Atlan und Tyari begrüßten sich kurz. Sie wußten, worum es ging. Eine größere Gruppe war, wenigstens vorläufig, nicht nötig. »Klatsch‐hurrah«, murmelte Insider und griff nach vier Ausrüstungsgegenständen gleichzeitig. »Endlich einmal wieder ein
handfestes Problem! Schade, daß wir keinen ausgebildeten Archäologen an Bord haben.« »Dafür haben wir einen Allround‐Fachmann. Mit der Erforschung vergangener Vorgänge haben wir auf jeden Fall mehr Erfahrung als die Vulnurer.« Sie betraten mit der schweren Ausrüstung nacheinander den Transmitter und verließen das Gegengerät im Schiff der Vulnurer. Eine Gruppe Vulnurer begrüßte sie. Die Solaner aktivierten die Translatoren. »Ich bin Atiq‐Than. Mir glückte es, das Futur zu finden«, sagte einer aus dem Begrüßungskomitee. »Willkommen, Atlan, und schon jetzt Dank für die rasche Hilfe.« »Zumindest für die Bereitschaft«, antwortete der Arkonide. »Was ist seit eurer ersten Meldung passiert?« »Nichts«, erklärte Atiq‐Oyz und stellte sich vor. Das modulierte Zirpen der fremden Sprache wurde in verständliche Frequenzen transportiert. »Seit dem Augenblick, als Than das Schott schloß, blieb das Futur unbeweglich und stumm. Ihr würdet es als ›Käfer‹ bezeichnen.« »Einverstanden. Sehen wir uns euren Fund an. Während wir dorthin gehen, erzählt uns bitte, was ihr über die erwähnten Legenden und so weiter wißt. Wir haben entsprechende Untersuchungsgeräte dabei.« Roboter schwebten heran und nahmen den Solanern die Lasten ab. Die einzelnen Vulnurer waren so schwer voneinander zu unterschieden. Ihre fingerähnlichen Zangen‐Endglieder klickten offensichtlich nervös. Derjenige Altertumsforscher, der sich Atiq‐ Droos nannte, wandte sich an Atlans Gefährtin. »Tyari«, sagte er und wartete jeweils, bis sein Zirpen und Fisteln übersetzt worden war. »Wenn wir über euch Solaner sprechen, stellt sich immer wieder nach kurzer Zeit heraus, daß wir eure erstaunliche Effizienz bewundern. Ihr geht jedes Problem frontal und voller Schwung an.«
»Ist euch diese Einstellung tatsächlich so fremd?« erkundigte sich Insider in gutmütiger Ironie. »Nicht unbedingt. Aber natürlich hat sich bei uns eine gewaltige Erwartungshaltung aufgebaut. Du, Atlan, und ihr, seine Freunde, ihr steht in unseren Augen unter Erfolgszwang.« Atlan lachte kurz und entgegnete: »Irgend etwas finden wir heraus. Steinerne Käfer, die funkensprühend seltsame Reden halten … übrigens: Ist es euch gelungen, den Text ein wenig zu entschlüsseln?« »Wir, die Drillinge, haben daran gearbeitet. Wir schafften nur ein paar Schlüsselworte.« »Wichtige Erkenntnisse?« »Nein.« Die kleine Gruppe, die sich langsam durch Teile des ungewöhnlich geformten Raumschiffs bewegte, rief kein Aufsehen mehr hervor. Längst nicht mehr. Die Anwesenheit von Solanern in der MORGEN ebenso wie in den beiden anderen Schiffen war ebenso wenig aufregend wie ein Besuch von Vulnurern in der mächtigen SOL. Atiq‐Than berichtete den Solanern, wie er mehr durch Zufall und nicht so sehr als Ergebnis einer planmäßigen Suche das Futur entdeckt hatte. »Der Text dieser Ansprache oder Warnung ist gespeichert?« fragte Insider. »Ja, bis auf die ersten drei oder vier Worte. Ich war nicht schnell genug. Aber vermutlich ist die Eröffnung nicht von entscheidender Wichtigkeit.« Als sie schließlich vor dem verschlossenen Schacht standen, wußten Atlan und seine Freunde alles über die Legenden und Traditionen, die einige Vulnurer dazu gebracht hatten, das ihnen bisher unbekannte Futur als Heiligtum zu verehren. Atlan und Breiskoll verständigten sich schnell. Der Katzer, der bisher geschwiegen und die Schwingungen und Stimmungen seiner
unmittelbaren Umgebung aufgenommen hatte, wartete geduldig, bis die Vulnurer das Schott geöffnet hatten. Licht verschiedener Farben flammte in allen Ecken des Raumes auf. »Dort seht ihr das Futur. Auf den ersten Blick könnt ihr erkennen, daß es uralt ist. Diese Art der Darstellung ist seit undenkbar lang zurückliegender Zeit bei uns unbekannt. Aber zweifellos gehört der Stil in die tiefste Vergangenheit.« Endlich redete Breiskoll. »Wenn es stimmt, daß das Futur aus Stein ist – und das Aussehen spricht dafür –, dann kann es nach der letzten Landung auf einem Planeten hergestellt worden sein. Gemeinhin findet man in Raumschiffen keine Steine. Und bestimmt auch keine Steinmetzen. Einleuchtend, nicht wahr?« »Zutreffend!« sagte Tyari. Der Raum war fast voll, als die Solaner und die Vulnurer eingetreten waren. Atlan wandte sich an Antiq‐ Than und sagte: »Insider und du, bitte übermittelt an die Zentrale, beziehungsweise an SENECA, den gespeicherten Text. Stellt über die Schiffskommunikation der MORGEN eine Verbindung her. Insider, du sagst unserem klugen Rechner, was er tun beziehungsweise versuchen soll. Die Sprache der Freunde hier ist ja vollständig gespeichert.« »Hast du die Aufzeichnungen hier?« fragte Zwo knapp. »Nein. Komm mit. Ich hole sie aus unserem Arbeitsraum.« Der Extra nickte Bjo, Atlan und Tyari zu und folgte Atiq‐Than. Minuten später stand er inmitten des großen Arbeitsraums. Die Wände waren voller Zeichnungen und Bilder aller Farben und Formate. Monitoren arbeiteten. Zeichengerät, Rechner, verschiedenfarbige Kunststoffblätter, leer oder mit Schriftzeichen bedeckt, der Versuch einer Zeitlinie, wohl das wichtigste Anliegen dieses geschichtslosen Völkchens, alle Arten von Aufzeichnungsgeräten und vieles mehr. Hier war seit langer Zeit konzentriert und hingebungsvoll gearbeitet worden.
Atiq‐Thans Greifzangen schlossen sich um einen handgroßen Recorder. »Hier haben wir jedes Wort«, zirpte er. »Dann treibe eure Erstklasse‐Techniker zu einer nachrichtentechnischen Höchstleistung an. Sichtfunkverbindung bis in den Raum des steinernen Käfers.« An einem großen, klar zeichnenden Interkom und den angeschlossenen Abspielgeräten verständigte Atiq‐Than die Techniker, empfing sofort ein Bild aus der SOL‐Zentrale und das Zeichen SENECAS. Insider führte einen kurzen Dialog mit dem Bordrechner und gab genaue Spezifikationen durch. SENECA versicherte, seine Fähigkeiten entsprechend einzusetzen. Gleichzeitig warnte er vor zu großen Erwartungen. »Du wirst es zu der vollsten Zufriedenheit unserer Freunde schaffen!« munterte ihn Insider auf. Er setzte sich und lehnte sich zurück. »Hast duʹs?« Der Vulnurer machte die Geste der Bejahung und deutete auf das Abspielgerät. Spulen rotierten. Kontrollichter flackerten. Auf dem Bildschirm sah Insider, daß SENECA die Sendung aufnahm. Nach einigen Sekunden sagte der Extra, der sich bemühte, mit seinen vier Armen nicht zu viel umherzudeuten: »Stimmst du der Auffassung Breiskolls bei? Wann war die letzte Landung? Ist es denkbar, daß der Stein innerhalb des Schiffes bearbeitet worden ist?« Die großen Augen, die aus ihren zahlreichen Teilen in Insiders Richtung blickten, aber keinerlei Ausdruck zu erkennen ermöglichten, spiegelten die Leuchtkörper des Arbeitsraums wider. »Absolut ausgeschlossen«, lautete die entschiedene Antwort. »Wir haben es prüfen lassen. Es ist älter als die Schiffe. Wie alt die Schiffe sind, weiß niemand.« »Klare Auskunft«, murmelte der Extra und winkte. »Sehen wir nach, was Atlan herausgefunden hat.«
»Der Arkonide als Archäologe … eine Vorstellung, die dich belustigt?« fragte Atiq‐Than. »Sie belustigt mich erheblich«, meinte Zwo. »Schon allein deshalb, weil gute oder positive Neuigkeiten hier im Junk‐System nicht gerade die Norm sind.« Sie verließen den Arbeitsraum, und als sie dort ankamen, wo die Solaner ihre Geräte aufgebaut hatten, wurden sie von Arbeitsstimmung empfangen. * Auf den Schirmen und Anzeigen von vier Geräten zeichneten sich scharfe Linien ab, verschiedene Abbildungen des käferähnlichen Objekts tauchten auf, wechselten die Struktur, und die Buchstabengruppen leuchteten auf und erloschen wieder. Breiskoll murmelte: »Die Charakteristik von Gestein … ist es nicht. Jedenfalls besteht der Käfer aus einem einzigen Material.« Das Futur stand regungslos im hellen Licht. Eine Handvoll Antennen richtete sich darauf. Auch Insider, der sich erst jetzt ernsthaft mit dem Gegenstand beschäftigte, empfand starkes Befremden. Das Standbild, obwohl grundsätzlich ähnlich den insektoiden Vulnurern, schien die Eindringlinge ernst, fast wütend anzustarren. »Welches Material?« fragte Atiq‐Oyz begierig. »Ihr erinnert euch, daß es sich bewegt hat.« »Keine Ahnung.« Scanner, Röntgengeräte, ähnliche Prüfapparaturen, ein Fühler, der die Temperatur maß, ein zweiter, der versuchte, die Dichte festzustellen, verschiedene Strahlen, von denen das Futur bombardiert wurde – das Objekt wurde so intensiv wie möglich getestet. Insider und Breiskoll analysierten die bisher wenig
aussagekräftigen Anzeigen. Aus dem Lautsprecher des Kommunikators kam ein Signalton. Ein Techniker aus der Zentrale der MORGEN begann aufgeregt zu sprechen. Noch ehe die Translatoren den Text wiedergaben, sagte Tyari halblaut: »Möglicherweise wird sich auch Lichtquelle‐Jacta, der amtierende Mono, für die Vorgänge interessieren.« SENECA meldete sich und erklärte volltönend: »Ich kann eine erste Analyse liefern. Durch Analogvergleiche mit unserer Sprache ist es geglückt, mehr Klarheit in die unverständlichen Worte zu bringen.« »Dann liefere uns die Übersetzung!« Atlan stand vor den Linsen und wurde von SENECA gesehen. Diesmal konnten die Solaner und Vulnurer sicher sein, daß der Text auch an Bord aller drei Schiffe der Bewahrer gespeichert wurde. Jeder Insektoide brachte inzwischen das Futur mit der Suche nach der Wiedergeborenen Lichtquelle in Verbindung. Es war eine verständliche Reaktion. »Ich kann nur Stichworte liefern. Auch ihre Bedeutung ist nicht hundertprozentig exakt. Ihr müßt kombinieren. Folgende Wortreihe kann als einigermaßen sicher bezeichnet werden: Aktiviert, zum Leben wiedererwacht … Nähe starker Leuchtobjekte, eventuell meint das Futur die Lichtquelle … Bestrafung durch Auslöschung: dies wurde als starke, unwiderrufliche Drohung unterstrichen.« Bjo fragte überlaut in die hoffnungsvolle Stille hinein: »Also! Die Nähe der Lichtquelle hat das Futur wieder aktiviert. Es erwachte aus der Starre und bedroht die Vulnurer mit dem Tod, wenn nicht … Richtig kombiniert?« »Eine denkbare Ergänzung!« sagte SENECA vorsichtig und zurückhaltend. »Ich mache weiter. Todesdrohung, wenn nicht Fahrt oder Flug zu jener … mehrfach
betont – Leuchtquelle, zum Gebiet des starken hauptsächlich metaphysisch gemeinten Leuchtens.« Diesmal hob Atlan und versuchte, seine Überlegungen offenzulegen. »Alle Vulnurer werden sterben müssen, wenn sie nicht weiterhin nach der Lichtquelle suchen?« »Zutreffend!« sagte der Bordrechner. Eine unbestimmte Aufregung bemächtigte sich der anwesenden Vulnurer, auch der Techniker oder Piloten auf dem Bildschirm. Ihre Kieferzangen knackten, als sie sich in rasendem Trillern und Zirpen unterhielten. »Weiter«, rief Insider. »War das alles?« »Keineswegs. Ich habe mit größerer Sicherheit einige Koordinaten errechnen können.« »Etwa die exakten Koordinaten der Lichtquelle?« rief Tyari gleichzeitig mit den Drillingen. »Definitiv nicht«, erwiderte der Bordrechner. »Es sind die Werte einer nicht auffälligen gelbweißen Sonne, dreier Planeten, davon einer bewohnt. Hier in der Galaxis Bars, nicht weit entfernt. Derjenige Planet, der über einen Mond verfügt, ist von – ich zitiere wörtlich – Wesen aus dem gleichen Ast der gemeinsamen Vergangenheit bewohnt. Dorthin sollen die Vulnurer fliegen. Das Ziel wird als Vullkaug bezeichnet.« »Du hast das Ziel in unserer SOL‐Terminologie ausrechnen können.« »Selbstverständlich. Daten sind abrufbereit.« »Verstanden. Mehr ist nicht herausgekommen?« fragte Atlan ohne Vorwurf. Immerhin hatte SENECA rund fünfzehn Minuten gearbeitet; sicherlich nur mit einem Bruchteil seiner Kapazität. »Nein. Ich werde den Text noch einmal anhand der von euch hinzugefügten Kombinationen und Aspekte überarbeiten. Wahrscheinlich wird sich die Bedeutung nicht stark verändern.« »Tu das!«
Die Drillinge waren aufgeregt. Sie redeten schnell und schlecht verständlich miteinander. Die Meldung war überall in den Schiffen gehört, übersetzt und verstanden worden. »Zufrieden?« »Mehr als das«, gestand Atiq‐Than. »Wir haben nicht damit gerechnet, dem Text auf die Spur zu kommen. Wenn man mangels eigener Geschichte das Verfahren nicht kennt, Sprache bis zu ihrem Ursprungsjahr zurückverfolgen zu können, tappt man blind umher.« Das Futur veränderte sich nicht; es gab weder sichtbare Bewegungen noch den geringsten Laut. Atlan, der das Futur abwechselnd auf den Testgeräten und im Original anblickte, fühlte sich in die Vorgeschichte der terranischen Kultur zurückversetzt. Steinerne Abbildungen dieser Art, voller Rätsel, waren an nahezu jedem wichtigen Platz der Erdoberfläche errichtet worden: Geflügelte Löwen, Sphinxen, Kombinationen zwischen Tier und Mensch und jedes andere denkbare Bildwerk. Hier verhielt es sich allem Anschein nach nicht anders. Der Arkonide näherte sich vorsichtig der Statue. »Das ist riskant!« zirpte Atiq‐Oyz. »Ich habe nicht vor, das Futur mit Hammerschlägen zu zertrümmern«, erklärte Atlan und legte seine Hand auf den Kopfteil des Käferartigen. Nichts Sichtbares geschah. Insider reichte Atlan zwei Sondennadeln und meinte: »Ich mache eine Durchdringungsanalyse. Hältst du bitte die Sonden?« »Ja, natürlich.« Atlan setzte eine der beiden stumpfen, schwer isolierten Nadeln am Kopf des Bildwerks an, die zweite am Kniegelenk der schweren Steinmasse aus gerundeten Formen. »Achtung.« Insider kippte einen Schalter und preßte mehrmals einen Knopf. Schwache Pilotströme liefen durch die Kabel. Die Anzeigen ließen
erkennen, daß innerhalb der Speicher dieses Geräts genau jenes Material, aus dem der Stein bestand, nicht gespeichert war. Insider drückte seine Ratlosigkeit durch ein ärgerliches Grunzen aus und setzte die Energie des Testers drastisch herauf. »Unbekanntes Material!« sagte er. »Du solltest doch den Hammer nehmen, Atlan.« Aus den Nadelspitzen summten winzige Blitze. Die drei Vulnurer drängten sich nach vorn und beugten ihre Kniegelenke. Ihre Köpfe befanden sich in gleicher Höhe mit dem wuchtig kauernden Futur. Erregt zitterten und klapperten die Kieferzangen. »Seid vorsichtig«, zirpte Atiq‐Than. »Unser Heiligtum …« Atlan setzte die Nadeln ab und wandte sich fragend um. Insider und Tyari machten ratlose Gesten. Breiskoll lehnte an der Wand und betrachtete wortlos die mehr oder weniger erregten Wesen zwischen ihm und dem Bildnis. Natürlich versuchte er, irgendwelche Schwingungen zu ertasten, aber sein Gesichtsausdruck ließ unschwer erkennen, daß auch er nichts zur Aufklärung beitragen konnte. »Noch einmal mit einer anderen Pilotenergie«, schlug Tyari vor. Sie schob eine ihrer Locken aus dem Gesicht. Die Sondenkabel wurden in ein anderes Gerät eingesteckt. Im Schwingungserzeuger dieses Testers befand sich eine winzige Komponente Hyperenergie. Atlan setzte die Nadeln an. Insider drückte seine Schalter, und plötzlich geschahen unglaubliche Dinge. Obwohl die ausgesandten Ströme geringstwertig waren, lösten sich aus den Spitzen lange, laut knisternde Funkengarben. An den Stellen, an denen die Entladungen das Futur berührten, zeigten sich winzige Explosionserscheinungen. Dünner, ätzender Rauch stieg auf, obwohl Atlan blitzschnell reagierend die Arme auseinandergerissen und die Testnadeln aus der Nähe des Futurs gebracht hatte. »Es bewegt sich wieder!« schrillte Atiq‐Oyz und sprang zurück. Zuerst, als das zweifache Blitzebündel abgerissen war, verfärbte
sich die Oberfläche. Sie bildete dunkelrote und dunkelgrüne Schlieren. Binnen weniger Sekunden veränderte das Futur seine Form. Die Konturen flossen ineinander; aus dem käferartigen Bildwerk wurde ein formloser, birnenartig wirkender Gegenstand. Wie trockener Sand bröselte das Futur auseinander. Unter dem erschrockenen Schweigen der Solaner und dem tiefen Schrecken der drei Vulnurer verwandelte sich der Steinblock in Staub, der zu einem Teil auf dem Metallschrank liegenblieb, zur anderen Hälfte zu Boden floß, langsam wie Schlamm oder Sirup. Atlan ließ die Schultern sinken und murmelte betroffen: »Das war nicht unsere Absicht. Wir wollten euer Heiligtum nicht zerstören.« »In dem Augenblick, kurz nach dem Funkenhagel«, sagte Bjo deutlich, »habe ich kosmische Schwingungen aufgefangen. Sie waren ruhig, fast zufrieden. Ich glaube, daß das Futur – um unsere Worte zu gebrauchen – über diese Änderung seines Zustands keineswegs böse ist.« Tyari meinte verständnisvoll: »Für unsere vulnurischen Freunde ist das wohl kein echter Trost. Was können wir tun?« Schweigend räumte Insider die Testgeräte weg und stellte sie auf dem Korridor ab. »Unser Test kann nur der Auslöser für einen Vorgang gewesen sein«, erklärte Tyari und versuchte, in den Gesichtern der Drillinge irgendeinen Ausdruck zu erkennen, »der früher oder später ohnehin stattgefunden hätte. Natürlich fühlen wir uns mitschuldig an der Selbstzerstörung.« Atiq‐Than hatte irgendwoher eine Art Urne oder Dose geholt. Jetzt füllte er mit Schaufel und einem breiten Pinsel den Staub vorsichtig in die breite Öffnung. Atiq‐Oyz zirpte verhalten: »Es wird nicht leicht sein, die Gruppen, die das Futur so inbrünstig verehrt haben, zu beschwichtigen. Immerhin, das
Heiligtum existiert ja noch. Aber wenn wir dem Mono anbieten, zu den Futur‐Koordinaten zu fliegen, nach dieser Sonne oder dem Planeten ›Vullkaug‹, dann stellt das wohl einen Ausgleich für uns dar.« »Es wäre durchaus machbar«, meinte Insider. »Wenn es nicht zu lange dauert, würde ich mitfliegen. Vullkaug. Hört sich herausfordernd an.« Atlan überlegte. Ein langer Blick Tyaris traf ihn. Der Arkonide sagte halblaut: »Ich sollte erst einmal mit Lichtquelle‐Jacta sprechen. Sicher ist grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, Vullkaug anzufliegen. Das Futur wird irgendwelche Gründe gehabt haben, das Ziel und die Koordinaten mehr oder weniger deutlich auszusprechen.« »Natürlich hat es nicht damit rechnen können, daß wir uns hier befinden.« Atiq‐Droos meinte mit Entschiedenheit: »Solltet ihr euch entscheiden, nach Vullkaug zu fliegen, so möchten wir mitfliegen. Wir drei. Und vielleicht auch ein Angehöriger der obersten Gruppe. Aber das zu erbitten, ist nicht unsere Sache.« »Hmmm«, machte der Arkonide. »Das Junk‐System ist weitestgehend zerstört und unbrauchbar, der Nabel ist nicht mehr existent, von den BRISBEE‐Kindern können wir aus guten Gründen vorläufig keine Hilfe mehr fordern; es überstiege ihre Kräfte.« Mit großer Sicherheit war der Planet Vullkaug für die Vulnurer ein wichtiges Ziel, schon allein wegen der Ähnlichkeit der Namen. Von ihr versprach sich der Arkonide nichts, aber für die Insektoiden war die Bedeutung groß. Vielleicht führte der Weg zur Lichtquelle über Vullkaug? Er traf seinen Entschluß ziemlich schnell. »Einverstanden«, sagte er. »Ihr Drillinge kümmert euch in der MORGEN um Ausrüstung und Erlaubnis und all das. Wir gehen durch die Transmitter zurück in die SOL.«
»Tatsächlich? Wir besuchen Vullkaug?« wollte Atiq‐Than aufgeregt wissen. »Wir steuern dieses System an. Die genauen Koordinaten liegen in der SOL. Selbstverständlich mit der MJAILAM«, antwortete Atlan. »Kommt zu uns hinüber, laßt euch genügend Zeit, und dann werden wir wohl sehen, was an Vullkaug so wichtig ist.« Tyari hob die Hand und versprach: »Ich werde mit dem Mono sprechen und alles erklären.« »Einverstanden.« In der zurückliegenden Zeit, sagten sich übereinstimmend die Solaner, waren sie häufiger nicht etwa exakten Hinweisen und Zielen gefolgt sondern Legenden und flüchtigen, wenig versprechenden Augenblickserkenntnissen. Verglichen mit früheren Versuchen war der Hinweis des Futurs fast eine wissenschaftliche Zielangabe. Die SOL wartete dort drüben. Minuten später befand sich die Gruppe um Atlan wieder in SOL‐City, anschließend sprach Atlan mit dem High Sideryt. Dem Start der MJAILAM stand nichts mehr entgegen. Nur der Logiksektor hatte einen Einwand. Optimismus ist fehl am Platz. Bilde dir nicht ein, daß du es leicht haben wirst. Und denke an die Bedeutung der Vision, die dich plagt! Atlan würde trotzdem das Ziel »Vullkaug« ansteuern. 4. Als mehr und mehr Verteidiger ihre Blicke nach oben richteten, ahnte Baugh, daß der Kampf verlorengehen würde. Als schließlich zwei Drittel seiner Krieger rechts und links um den Bojenberg herumgerannt waren und der gewaltigen Rauchwolke nachstarrten, wußte er es. Fronsel, der Kleinkarierte, hatte vorläufig den Kampf um den
Bojenberg gewonnen. Niedergeschlagen und langsam verstaute er seine Waffen am Körper, sah sich um und musterte die unübersehbaren Spuren des erbitterten Ringens und Kämpfens. Das gesamte Gelände war voll davon. Der Pilgerzug hatte inzwischen die Siedlung und die Quartiere der Priester erreicht. Die Wanderer und Pilger deuteten ebenso aufgeregt nach oben. Der Oberpriester wandte sich an die wenigen Krieger, die noch auf der Plattform geblieben waren. »Es hat keinen Sinn, weiterzukämpfen. Geht hinunter und helft ihnen, die Toten zu begraben.« »Was sollen wir tun? Sie haben sich am Berg festgesetzt!« »Das wird entschieden, wenn ich alles gesehen habe.« Er öffnete die Flügel, rannte auf die Hängebrücke zu und flatterte summend in einer großen Spirale hinunter und auf der westlichen Seite halb um den Berg herum. Dann sah er den Rauch, die winzigen Gestalten auf den Leitern und Gestellen und das riesige Loch im Berg, aus dem es unverändert herausrauchte. Die Wolke senkte sich wie ein Ring um die Spitze des Heiligen Berges. Ein schräger Schleier wurde vom Sonnenaufgangswind weggedrückt und zog langsam über das Land, bis er mit dem Schwarz einer Gewitterwolke halbwegs verschmolz. »Ein schlechtes Zeichen.« Baugh wurde sofort von Priestern und Kriegern umringt. Sie erkannten, daß der Kleinkarierte mit seinem Stellvertreter, dem Schwarzspiraligen, den Berg erobert hatte. »Sinnlos!« sagte Baugh nach einer Weile. »Räumt das Feld. Die Pilger sollen tun, was ihnen beliebt. Überdies wird es Blitze, Donner und Regen geben.« »Also … nicht weiterkämpfen?« »Nein. Die Schlacht ging verloren. Aber nicht der Krieg.« Dort oben hockten Fronsel und seine besten Männer. Sie hatten gelernt, wie das harte Material des Bojenberges zu zerstören war.
Jetzt hinderte sie nichts und niemand mehr daran, das Innere zu untersuchen. Der Berg war, für alle sichtbar, geschändet. Das Heiligtum der Vullkauger war entweiht. Der alte Oberpriester war ratlos. Alles, woran er und seine Tapferen glaubten, war in Frage gestellt. Leise, zögernd zirpte er, mit rauher und von ohnmächtiger Wut und Resignation erfüllter Stimme: »Vielleicht werden die alten Legenden wahr, auch wenn ich es nicht glaube. Aber es mag sein, daß der Heilige Berg die Rächer herbeiruft. Vielleicht kommen sie mit einem Schiff, das zwischen den Sternen fliegt. Ich gehe zurück in den Tempel. Vielleicht erkenne ich einen Weg, wie wir die Frevler vertreiben können.« Stumm und erschüttert sahen seine Kämpfer zu, wie Baugh davonging. Er war alt genug, um zu wissen, daß sich auch Fronsels Sieg ins Gegenteil verkehren konnte. * Fronsel betrachtete schweigend die näher ziehenden schwarzen Wolken. Sie vermischten sich mit der riesigen Rauchwolke, die hinter ihm aus dem Loch im Berg hervorquoll, verstärkt von den ununterbrochen fauchenden Blasebälgen. »Richtet euch darauf ein, daß es eine ungemütliche Nacht wird!« rief er seinen Männern zu. »Gewitter! Blitze.« »Und Regengüsse«, schrillte der Schwarzspiralige. Fronsel gab ein paar Befehle ins Innere der Höhle. Ein Krieger schob mit der Bronzeschaufel die letzte Glut an den Rand der Höhle. Sie war mittlerweile riesengroß geworden. Hinter den Rauchschleiern sah Fronsel immer wieder helles Metall aufblitzen, das von schwarzem Ruß gefleckt war. Jetzt brannten die Holzkohlen einen runden Kanal, der schräg abwärts führte. Die Kohlen glühten
auf und verzehrten sich. Schließlich fielen sie, zusammen mit tropfendem Material, in langen, aufglühenden Spuren wieder durch die Kruste und hinunter ins trockene Gras. »Seht nach unten. Heute werden sie nicht mehr stürmen«, schrie Fronsel. »Die Nacht haben wir für uns.« Andere Krieger kletterten in die Höhle. Mit wenigen Wassergüssen löschten sie die letzten Glutnester. Ein erster Windstoß des kommenden Gewitters fuhr in die Höhle und vertrieb den Rauch. Nur ein stechender Brandgeruch blieb übrig. »Jetzt haben wir alle Platz. Wir können ausruhen«, rief Tyhmier und winkte. »Hinein mit euch.« Die Krieger kletterten näher, schwangen sich über den Rand, verteilten sich im Innern der Höhle. Öl wurde in metallene Lampen gefüllt. Thymier und Fronsel schoben sich durch die aufgeregte Menge tiefer und tiefer ins Innere. »Du hast einmal gedroht, den Berg abzutragen, Fronsel. Daraus wird heute nichts, wie?« meinte Thymier und hob die Lampe. »Heute nicht!« Die Krieger versuchten, auf dem Boden des zerklüfteten, verbrannten Innern ihre Plätze zu finden. Sie packten ihr Essen aus und streckten ihre Muskeln. Waffen klirrten, Flüche ertönten. Etwa zwanzig Manneslängen war das Loch tief, etwa dreißig an der breitesten Stelle breit. Im Zentrum hatte die Glut eine Höhlung geschaffen, in der vier Männer übereinander hätten stehen können. »Habt ihr bewaffnete Wachen draußen?« rief Fronsel nach hinten. Es gab einen dröhnenden Widerhall. Gleichzeitig zuckte fern des Bojenbergs der erste Blitz auf und erhellte zuckend Teile des Innern. »Vier Mann.« »Und – was tut der Gegner?« »Die Priesterkrieger starren herauf und begraben die Toten. Sie habenʹs aufgegeben.«
»Trotzdem. Bleibt wachsam.« Die klauenartigen Zangen der beiden Krieger scharrten über die Reste der Holzkohle und die verkrustete Oberfläche des geschmolzenen Berginnern. So groß wie zwei Körper erstreckte sich vor ihnen eine gleichmäßig leicht gerundete Metallfläche. Zwei scharf eingeschnittene Trennlinien, wie die Fugen zwischen Steinquadern, zogen sich von einem Viereck nach beiden Seiten, zwei weitere senkrecht nach oben und unten. Das Viereck, das auf der Spitze stand, unterschied sich in metallischer Färbung und einer anderen, rauheren Oberfläche von der Umgebung und war ebenso durch eine Vertiefung vom anderen Material getrennt. Langsam zog Fronsel seinen Dolch und klopfte mit dem Knauf gegen das Metall. Es gab einen harten Klang von sich, als ob es aus einer dicken Schicht bestünde. »Natürlich kommen wir nicht hindurch«, zirpte Thymier und hob die Lampe. Ein dumpfes Donnergrollen wurde hörbar, dann zuckte, schon näher, wieder ein langer Blitz auf. »Wenn im Bojenberg ein Kern aus Metall ist, so verbirgt er etwas, wie ein Haus oder ein Tempel. Ein solches Haus aber hat einen Eingang. Oder mehrere. Wenn sie verschlossen sind, können wir sie aufbrechen. Ich glaube aber nicht, daß die Tore hier oben sind.« Er klopfte wieder gegen das Metall und versuchte, mit der Spitze zwischen den abgeteilten Abschnitte hineinzubohren. Die beiden unterschiedlichen Metalle gaben häßliche, kreischende Laute ab. »Das metallene Geheimnis des Bojenbergs«, mutmaßte Fronsel, »widersteht unserer Bronze.« Auch auf das hartnäckige Klopfen gab es keine Antwort. Kalt und abweisend blieben die Metallquadern. Fronsel sagte: »Ich bin ein wenig enttäuscht.« »Warum?« »Wir haben Baugh besiegt. Alle Neudenker werden es jetzt wissen …« Blitze und Donner kamen näher. Windstöße fauchten heran und
wirbelten Staub auf. Der beginnende Sturm fuhr an der glatten Wandung des Berges entlang, fing sich in der Höhle und erzeugten einen Ton wie von einer gewaltigen Flöte. Fronsels Worte und Rufe gingen in dem scharfen Krachen der Donnerschläge unter. »… sie wissen es. Sie reden mit allen darüber. Die Pilger bringen die Nachricht überall …« Fronsel winkte ab. Er blieb unbefriedigt. Das Geheimnis des Berges war nicht einmal zum Teil bekannt geworden. Nur daß eine unvorstellbare große Menge Metall hier verborgen war, konnte er zum zweitenmal beweisen. Wozu gab es diesen Metallturm? Was verbarg sich darin? War es wirklich ein Heiligtum? Und wenn – es bewirkte nichts, war einfach da, schien sinnlos zu sein. Blitz folgte auf Blitz, der laute, wütende Donner rollte näher, die ersten Regengüsse peitschten gegen die Flanken des Berges. »… ausruhen. Morgen sehen wir mehr!« schrie Fronsel, kroch zurück bis zur Kante der Höhle und winkte die Posten herein. Der Berg schien zu zittern und zu schwanken. Regen raste heran, wurde in die Höhle hineingeschleudert, lief in breiten Bahnen über die glatte Fläche und tropfte in einem breiten Vorhang auf die Köpfe und Körper der Vullkauger. Die Geräusche machten die Krieger halb taub, die Blitze blendeten sie. Es war unmöglich, ein Wort zu wechseln. Auch der Platz innerhalb der Palisaden war leergefegt. Die Gräser bogen sich triefend naß unter der Wucht der Sturmstöße tief zu Boden. Die leblosen Körper schimmerten im Widerschein der Blitze. Die schwarzen Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben. Das Gewitter wütete und tobte Stunde um Stunde. Unaufhörlich zuckten die Blitze, schlugen am Waldrand in Bäume ein und setzten sie in Flammen. Die Wasserflut, die aus den tief treibenden Wolken rann, vertrieb die Krieger vom Eingang der nassen Höhle im Berg, lief zusammen und dort wieder ab, wo das zweite Loch gebrannt worden war. An der Flanke des Bojenbergs
lief eine breite, rußgeschwärzte Spur herunter und vermischte sich mit den farbigen Resten alter Bilder und Zeichen. Fronsel und Tyhmier warteten ungeduldig. In der Nacht entwickelten sie einen abenteuerlichen Plan, den sie beim ersten Morgengrauen in die Tat umsetzen wollten. Die brennenden, schnell gelöschten, dampfenden Bäume waren das Vorbild für das nächste Gefecht gegen die Traditionalisten, die noch immer nichts begriffen hatten. * Die meisten Feuer und Lampen waren gelöscht worden. Ringsherum war das Land triefend naß. Von jedem Zweig tropfte es unentwegt. Die Holzteile der Konstruktion, die zur Höhle hinaufführten, waren rutschig. Als sich Fronsels Krieger nacheinander über die Sprossen und Traversen nach unten tasteten, rutschten immer wieder die Klauen und Scheren ab. Sie nahmen alle ihre Ausrüstung mit und flogen, einer nach dem anderen im tiefen Dunkel der stürmischen Nacht, über die Palisaden. Fronsel war der letzte, und als er jenseits der Absperrung schwer in den nassen Sand sprang, blickte er noch einmal zurück. Das Gewitter tobte sich weit hinter den Wäldern aus. Der Widerschein der Blitze traf ferne Wolken. Der Mond, riesengroß, tauchte jenseits der Siedlung auf. Schwarz und geheimnisvoll, wie seit undenklicher Zeit, ragte der kegelförmige Berg auf und verdeckte die Sterne, die nach und nach erschienen und strahlend leuchteten. Einer der Sterne bewegte sich. Fronsel eilte seinen Kriegern hinterher. Sie würden in den nächsten Tagen sehr viel Arbeit bekommen.
* Die MJAILAM beendete die Linearetappe; auf den Bildschirmen zeichneten sich die Sterne ab. Ein gewohntes Bild, sagte sich Atlan und nickte Uster Brick zu. Der Pilot hob die Hand mit aufwärts gestrecktem Daumen und rief: »Ziel präzise und ohne Schwierigkeiten gefunden. Das ist die Sonne.« Im genauen Zentrum der Ortungsschirme war eine gelbweiße Sonne zu sehen, die sich deutlich vor dem Sternengewimmel der galaktischen Kulisse abhob. Nach und nach tauchten die Echos der Planeten auf. Der Rechner arbeitete die Bahnen und Daten aus und projizierte sie hinzu. Die Koordinaten, die SENECA ermittelt hatte, stimmten mit der erreichten Position bis auf winzige, vernachlässigbare Abweichungen überein. Der Kreuzer MT‐1 raste auf das Zentrum des Planetensystems zu. »Nichts übereilen«, sagte Atlan. »Bjo? Gibt es irgendwelche aufregenden Impulse von diesem ›Planeten der Käfer‹?« »Ich espere nur die Ausstrahlungen von Planetariern, die sich in einem frühen Stadium der Zivilstation befinden müssen. Vullkaug scheint sich, im übertragenen Sinn, im Anfang der Metallzeit zu befinden. Kupfer, Bronze oder so.« Tyari lächelte und erklärte in die Richtung der vulnurischen Altertumsforscher: »Das bedeutet nichts anderes, Atiq‐Brüder, als daß unsere Technik den Planetariern immens überlegen ist. Vermutlich erscheinen wir ihnen als Götter oder Sagenhelden.« Insider, der Uster assistierte, fügte hinzu: »Möglicherweise haben wir auch mit der Sprache ein bißchen Glück. Wenn sie dem Vulnurisch so ähnelt wie die Namen, liegen wir nicht falsch mit dieser Vermutung.« »Das werden wir in Kürze erfahren«, schloß Breiskoll. Der Kreuzer
bremste seine Geschwindigkeit ab, und die MJAILAM wurde auf jenen Planeten zugesteuert, neben dem auf der Ortung sich der Impuls eines Mondes abzeichnete. Atlan wandte sich an Bjo. »Wenn es dir gelingt, ein Ziel zu finden, das mehr Erfolg verspricht als andere Teile dieser Welt, dann sage es bitte rechtzeitig.« »Selbstverständlich.« SENECA hatte den Text des Futurs wieder und wieder neuen Analyseversuchen unterzogen. Sie waren nicht erfolglos geblieben. Atiq‐Than hatte nach dem Start voller Erregung berichtet, daß ihm gestattet worden war, den schweren Staub des Futurs in einem Behälter mitzunehmen. Jetzt stand ein durchsichtiger Zylinder aus Kunststoff auf einem der Steuerpulte in der Zentrale. Das Pulver darin sah aus wie feiner schwarzer Lavastaub. Jetzt sagte einer der Drillinge: »Vullkaug, nach allem, was wir erfahren haben, kann einfach nichts anderes als ein wichtiger Planet sein. Wichtig vielleicht auch für euch Solaner, Atlan.« »Durchaus möglich. Wir haben schon die überraschendsten Dinge erlebt.« Die MJAILAM flog mit Minimalbesatzung. Nur etwa die Hälfte des Atlan‐Teams und einige Solaner waren an Bord. Nach und nach versammelten sie sich alle in der Zentrale und betrachteten Schirme, Monitoren und die Ergebnisse der Nahortung. Schon jetzt wurde deutlich, daß Vullkaug über eine dichte Atmosphäre verfügte. Die Mondbahn wurde projiziert, die Oberflächenschwerebeschleunigung lag bei rund 0,8 g. »Merkt ihr etwas?« fragte Breiskoll die beiden anderen Telepathen. Sowohl Sternfeuer als auch Federspiel schüttelten schweigend die Köpfe. »Näher heran«, sagte Bjo kurz. »Ich orte keine Gefahren.« Vor ihnen lag die sonnenabgewandte Seite. Vergleichsweise
langsam flog die MJAILAM näher. Die Fernortung durchforschte den gesamten Bezirk der kosmischen Umgebung. Immer wieder versuchte die MJAILAM‐Positronik, einen Gegner zu entdecken, ein heranfliegendes Raumschiff etwa oder eine der zu erwartenden bösen Überraschungen dieser Galaxis. Es gab kein Echo, nicht den geringsten Hinweis. »Es wäre wirklich einmal eine begrüßenswerte Abwechslung, während einer Mission nicht angegriffen zu werden«, meinte Tyari nach einer Weile. Das Raumschiff änderte weder das Ziel noch die Geschwindigkeit. Vullkaug und der namenlose Mond wurden deutlicher sichtbar, und der Planet zeichnete sich bereits im Bereich der normaloptischen Beobachtung scharf als winzige Scheibe ab. »Von den Vullkaugern haben wir sicher nichts zu befürchten«, sagte Bjo. »Der halbe Planet schläft, auf der anderen Hälfte kann ich keinerlei Aufregung erkennen, auch nicht den Eindruck, den beispielsweise eine riesige Siedlung machen würde.« Wieder vergingen zehn, fünfzehn Minuten. Aus der Scheibe des Planeten wurde eine Kugel. Federspiel wies plötzlich, völlig unvermittelt, auf das Pult, auf dem das Gefäß mit der schwarzen Asche des Futurs stand. Niemand hatte in den letzten Minuten darauf geachtet. »Dort! Seht genau hin!« Selbst die drei Vulnurer bewegten ihre Körper. Die Solaner verstanden sofort und starrten die transparente Urne an. Der Staub geriet langsam in Bewegung. Er verhielt sich in diesem Moment wie eine dickflüssige Masse, deren Form sich langsam veränderte. Aus dem dunklen Grau bildeten sich feine, hellrote Linien und Schlieren. Das breiartige Pulver begann zu glänzen und kroch langsam an den Innenwandungen herauf, kippte wieder zurück, vermischte sich mit dem übrigen Inhalt und bildete ein paar große, träge aufsteigende Blasen. Mehr und mehr von der seltsamen Materie wurde hellrot. »Gibt es eine Erklärung?« fragte Atlan laut. Er war aus seinen
Gedanken aufgescheucht worden. Natürlich hatte das Verhalten des ehemaligen Futurs etwas Bestimmtes zu bedeuten. Jemand oder etwas bestimmte diese Veränderungen. »Noch nicht«, sagte Bjo und näherte sich langsam und vorsichtig dem Behälter. In der hellroten, pulsierenden Masse zeichneten sich erste Fäden aus hellgrüner Farbe ab. Hellrot‐hellgrün? Ein ziemlich deutlicher Verdacht suchte seinen Weg in Atlans Überlegungen. Wieder vergingen zwei oder drei Minuten. Die Augen aller Besatzungsmitglieder in der Zentrale richteten sich auf die Überreste der einstigen Steinfigur. Die Masse schien flüssiger geworden zu sein und pulsierte wie ein aufgeregtes Lebewesen. »Wißt ihr Solaner, was davon zu halten ist? Das Futur, die Legende, verformt sich schon wieder!« Atiq‐Droos breitete zirpend seine Insektenarme aus. Aus jeder Geste der Vulnurer sprachen Ratlosigkeit und Überraschung. »Das Fultur pulsiert in den Farben der Jenseitsmaterie«, sagte Atlan. »Es gibt uns ein Signal. Das Pulsieren hat zweifellos eine Bedeutung«, setzte Breiskoll hinzu. Die Masse bewegte sich wie in Zeitlupe. Jetzt durchzogen klar erkennbar beide Farben die breiige Substanz. Sie versuchte, innen den Rand zu erreichen und das Gefäß zu verlassen. Eine Zunge oder ein Finger bildete sich über die Kante und pendelte suchend hin und her. »Für mich ist es fast klar«, murmelte Atlan und ließ sich in einen Kontursessel fallen, »daß das Futur etwas mit der Jenseitsmaterie und somit auch mit der Lichtquelle zu tun hat. Ich glaube nicht, daß ich mich irre.« Schweigend und von neuen Hoffnungen erfüllt, lauschten die Vulnurer. Sie rissen ihre Blicke nicht von dem tastenden Pseudoorgan des Futur‐Klumpens los. »Vermutlich zeigt mir die Masse das Ziel!« meldete sich Uster und
nahm geringfügige Kurskorrekturen vor. »Durchaus möglich«, sagte Tyari. Die Spannung innerhalb der Zentrale wuchs, je mehr sich das Raumschiff der Planetenoberfläche näherte. Uster ließ die MJAILAM über der Nachtseite ruhig einschweben und wandte sich dann etwa in der Äquatorhöhe nach Osten. Auf den Monitoren der Nahortung zeichneten sich die verwaschenen Merkmale verstreuter kleiner Siedlungen ab. Winzige, kaum sichtbare Straßen folgten den Geländemerkmalen. Viel mehr war nicht zu sehen; es gab keinerlei Energieemissionen. Tyari wandte sich an Bjo und sagte halblaut: »Du hattest recht mit der angehenden Metallzivilisation. Warum gebärdet sich das Futur so aufgeregt?« »Keine Ahnung«, antwortete der Telepath wahrheitsgemäß. Uster versuchte zu erkennen, wohin ihn der wippende, züngelnde Finger des Futurs führte. Richtete sich dieses seltsame Ding nach dem tatsächlichen Ziel auf dem Boden dieser Welt? Oder »sah« es die Wiedergabe der Bildschirme? Uster schaute immer wieder nach rechts auf das Pult und entschied, daß dieser Klumpen einen Kompaß‐Effekt erzeugte, also auf die wirklich vorhandenen Merkmale deutete. Die MJAILAM ging tiefer und flog der aufgehenden Sonne entgegen. Schweigend und interessiert warteten Solaner und Vulnurer. Unverändert wies der schillernde, leuchtende Finger genau nach Osten. Zunächst war auf dem großen Monitor noch die Krümmung des Käferplaneten wie ihn SENECA genannt hatte, zu sehen gewesen. Jetzt schien die Oberfläche völlig eben; Wälder, gekrümmte Flußläufe und Ebenen erschienen nach und nach aus dem Dunst des Morgens. Die Sonne schob sich hoch. Ihre waagrechten Strahlen trafen das Raumschiff, blendeten die Augen der Solaner und ihrer Gäste, bis das starke Licht heruntergefiltert wurde. Die seltsame Kompaßnadel vollführte wieder starke Zuckungen und deutete, im
Bezug zum Boden der Zentrale, schräg nach unten. »Uster«, meinte Bjo schließlich, »das Ding meint wahrscheinlich, daß wir uns näher umsehen oder gar landen sollen.« »Das sagte ich mir auch gerade«, gab Brick zurück. Die MJAILAM steuerte in eine weite Kurve. Die Antennen und Linsen richteten sich nach unten. Es wurde heller; über diesem Teil des Planeten gab es nur wenige Wolken. Die Schatten waren lang und schwarz. »In einer ziemlich ebenen Fläche steht ein auffälliger Berg!« sagte jemand aus der Ortung und projizierte die Vergrößerung auf die Schirme. »Zu gleichmäßig«, flüsterte der Arkonide, »um natürlich zu sein. Solche exakten Kegel sind selten in der Natur.« Das Schiff folgte dem Deuten des Futurs. Der Finger aus Jenseitsmaterie tastete auf den kegelförmigen Berg. Eine erste Messung wurde durchgesagt und unterbrach das gespannte Schweigen in der Zentrale. »Hundertzwanzig Meter groß, an der Basis vollkommen rund, und achtzig Meter Durchmesser. Er scheint aus einer besonderen Art von Plastik zu bestehen.« »Verstanden. Versucht herauszufinden, ob sich hinter der Umhüllung etwas versteckt, bitte«, zirpte Atiq‐Oyz. »Wir sind schon dabei.« Rund dreihundert Meter über dem Boden, über Hüttendächern, einem flachen Fluß und großen Zonen aus Wald und Feldern, durch den dünnen Rauch von Herdfeuern, glitt die MJAILAM fast völlig lautlos näher. Das Sonnenlicht traf das kugelförmige Raumschiff und riß aus der Hülle funkelnde Reflexe. Die Bildschirme zeigten eine riesige Menge käferartiger Wesen, die um den Fuß des Berges wimmelten. Sie waren etwa einen Meter groß und glichen weitaus mehr dem Futur, als es noch ein steinernes Standbild gewesen war, als den drei Vulnurern, die unsicher auf die merkwürdige Szene starrten. Breiskoll erklärte nach wenigen Sekunden:
»Sie kämpfen! Tatsächlich. Es ist sogar deutlich zu sehen, nicht nur zu spüren.« »Wir fliegen noch ein paar Kurven, um alles genau zu beobachten. Dann suchen wir einen Landeplatz!« entschied Atlan. Zuerst nahmen die Vullkauger, die sich entlang einer Verteidigungsanlage aus Graben und Palisaden einen erbitterten Kampf mit blitzenden Waffen lieferten, von dem vergleichsweise riesigen Fremdkörper keinerlei Notiz. Viele der Käferartigen, deren Rückenschilde und Halbflügel in allen nur denkbaren Farben und Farbkombinationen, Mustern und Ornamenten leuchteten, trugen hölzerne Lasten mit sich, Balken und Abschnitte und Reisigbündel. Warum sie kämpften, vermochte niemand zu sagen, aber es ging wohl um den Berg. Holztürme lehnten an der völlig glatten Oberfläche des spitzkegeligen Berges. Schriftzüge, Bilder und jede andere Art von Malerei und Ritzzeichnungen bedeckten den Fuß des Berges bis hinauf zu den seltsamen Gerüsten und Hängebrücken und auch an vielen anderen Stellen, wo es keine Leitern gab. Ein rußgeschwärztes Loch befand sich auf der Nordseite dicht unter dem gerundeten »Gipfel« des Berges. »Die Vullkauger kämpfen offensichtlich um die Herrschaft über diesen Berg«, bemerkte Atiq‐Than. »Weißt du, Bjo, aus welchem Grund?« Bjos Antwort war zögernd. Wahrscheinlich hatte er Schwierigkeiten, die Gedanken und Empfindungen dieser Planetarier richtig zu interpretieren. »Es geht um irgend etwas Heiliges, Verehrenswertes. Sie alle scheinen halb außer sich zu sein.« »Ich verstehe«, meinte der Arkonide nachdenklich. »Bevor wir uns entscheiden, sehen wir uns alles gründlich an. Ortung! Mehr Bilder, bessere Vergrößerungen! Keinerlei Einmischungen – vorläufig. Und du, Bjo, mußt versuchen, herauszufinden, worum es geht.« Breiskoll nickte nur und vertiefte sich in die Bedeutung der Bilder,
die in rascher Folge auf den Bildschirmen der Panoramagalerie und den Monitoren abwechselten. Sicher schien allen Besatzungsmitgliedern, daß der MJAILAM weder von den Vullkaugern noch von verborgenen Einrichtungen Gefahr drohte. Die amorphe, zweifarbig schillernde Masse des Futurs hatte sich in den letzten Minuten nochmals verändert. In dem durchsichtigen Gefäß lag ein stabiler Brocken wie ein abgekanteter Stein. Er bestand zweifelsfrei aus Jenseitsmaterie. * An zwei Stellen hatten die Krieger Fronsels die Palisaden niederreißen können. Aus den Wäldern kam ein nicht abreißender Strom von Neudenkern. Jeder schleppte Holz mit sich, Reisig oder Holzkohlen. Fronsels Krieger schwangen sich mit brummenden Flügelschlägen über den Graben. Die langen Spitzen der Mehrfachdolche bohrten sich in die Körper der Verteidiger. Auf der Rampe stand Baugh und schrie seine Befehle zu den Priesterkämpfern hinunter. »Schlagt sie zurück! Sie wollen die größte Schändung ausführen, die wir uns denken können.« Seine Schreie und Kommandos gingen in dem Lärm unter. Speere und Bolzen heulten durch die Luft. Längst waren die Leitern und Gerüste auf der abgewandten Seite des Bojenbergs abgerissen worden. Unheimlich gähnte das große schwarzgeränderte Loch, das die Abtrünnigen gebrannt hatten. Die Farben der zahllosen Malereien waren an vielen Stellen ausgewaschen und verliefen in breiten, undeutlichen Bahnen. Dort, wo die Neudenker durchgebrochen waren, häufte sich um den Fuß des Berges Holz und eine ungeheure Menge trockener Äste und Reisig. Die Pilger des Vortags hatten, als die ersten Krieger aufeinanderprallten, entsetzt die Flucht ergriffen.
»Schneller! Mehr! Dort hinüber!« Immer wieder gelang es Fronsel, dem Kleinkarierten, über seinen Kriegern und dem unübersehbaren Heer der Träger, hin und her zu flattern. Jede junge Vullkaugfrau, jeder Jugendliche, schleppte Brennmaterial. Ununterbrochen hatten seit den frühesten Morgenstunden die Äxte und Bronzesägen geklungen. Bäume und Gesträuch waren gefällt und zerhackt worden. Und jetzt brachten sie mehr und mehr Brennmaterial heran und schichteten es rechts und links von Baughs Rampe auf. Wieder heulte ein Hagel von Schleudersteinen über die Palisaden. Verteidiger brachen schreiend zusammen. Langsam wichen Baughs Männer zurück. Aus der Siedlung kamen frische Krieger gerannt und geflogen. Noch glänzten ihre Körper. Die Flügeldecken der anderen waren zerschlitzt und von Körperflüssigkeit und Staub bedeckt. Wieder wuchs der Wall aus Holz. Einige besonders starke Krieger flogen entlang der Bergwand und leerten Säcke voller Holzkohlen über die Masse aus Holz. Andere schütteten aus großen Krügen warmes Öl, das von den Balken an die Wand des Bojenbergs spritzte. »Zurück! Sonst packen sie euch!« schrie Fronsel. Seine Krieger lieferten den Verteidigern entlang der breiten Lücken im Verteidigungsgürtel einen erbitterten Kampf. Auf beiden Seiten gab es Verwundete und Tote. »Fronsel!« Mede‐Ack, der Schwarzweiße, landete neben Fronsel im zerwühlten Boden. Er hatte bis auf einen Multipledolch alle seine Waffen verloren. Die bronzenen Schutzschilde seiner Gelenke waren zerschrammt und zerbeult. Der Körper war stumpfbraun vor Staub. »Was willst du?« Die Atemluft pfiff durch die Öffnungen unter ihren Panzern. Sie fühlten, wie ihre Kräfte geschwunden waren. Erregt zuckten die Zangenglieder unter ihren breiten Mündern. »Aus unserem Lager kommen die letzten Träger. Es ist nochmals
eine gewaltige Menge Holz.« »Kümmere du dich darum. Wo sind die Feuer?« »Noch am Flußufer. Sie werden bewacht.« »Wir holen sie, wenn das letzte Brennmaterial am Berg ist.« »Einverstanden. Sie sind zäh, die Baugh‐Kämpfer.« »Beim Bojenberg! Wir schlagen sie – heute. Für immer.« Sie führten mit den langen, zitternden Fühlern und den Handlungsgreifern die rituellen Krieger‐Gesten aus. Dann, nach einem schnellen Rundblick, spreizten sie ihre Flügel. Gerade, als Fronsel einen kurzen Anlauf nahm und auf das Loch in dem Wall zuflog, hörte er, wie Mede‐Ack etwas von einem gewaltigen Blitz am Himmel rief, aber er hatte andere Sorgen. Während die Sonne kletterte, ihre Strahlen stärker und die Schatten kürzer wurden, nahm die Heftigkeit der Auseinandersetzungen zu. Jetzt, in der Zeit zwischen Sonnenaufgang und Mittag, ging es nicht mehr um Gegensätze des Glaubens und der Tradition. Jetzt würden die Neudenker allen Vullkaugern beweisen, daß in dem Berg etwas verborgen war, das sich – vielleicht – Boje nannte, aus Metall bestand und nichts mit einem Heiligtum zu tun hatte. Baugh begann einzusehen, daß seine Krieger gegen die Flut der Häretiker und Neudenker nichts mehr ausrichten konnten. Sie setzten sogar Kinder und Frauen ein, und das war kein Gegner für seine Krieger mehr. Er wußte, daß eine Zeit zu Ende war und ein neuer Abschnitt begann. Aber was würde diese neue Zeit bringen? Nichts Gutes. Das stand fest. Baugh bereitete sich auf eine schlimme, dunkle Zeit vor, in der es weder echten, wirklichen Glauben noch die Möglichkeit geben würde, an dem Auftrag der Ahnen und den Traditionen sich festzuhalten. Als Baugh sah, daß eine Gruppe Krieger durch das zerstörte Tor auf die Siedlung zurannte und flatterte, hob er seinen Kopf und sah
… »Die Ahnen!« stieß er in höchstem Schrecken und Erregung hervor. Er sah eine riesige Kugel, leuchtend im grellen Sonnenlicht, über der Siedlung schweben, zwei‐, dreimal so hoch wie die Spitze des Bojenbergs. Die Kugel bewegte sich langsam und unhörbar über die Weiden und Äcker hinweg auf den Wald zu, aus dem noch immer die Massen der schleppenden und hastenden Vullkauger kamen. 5. Atlan wußte jetzt, etwa zwei Stunden vor dem höchsten Stand der Vullkaug‐Sonne, was sie erwartete. Die Ortung hatte herausgefunden, daß sich hinter der Mischung aus hartem und schaumartig porösem Kunststoff ein Gebilde aus Metall verbarg. Es hatte etwa die Form einer Kugel, die auf einem schlanken Stiel ruhte, wobei das letzte, obere Drittel einen deutlich geringeren Durchmesser hatte und von der Kugelform abwich, mehr eiförmig oder spitzoval war. Der absolut regelmäßig geformte Kegelberg dürfte ebenso aus der Vorzeit der Vullkaug‐Käferwesen stammen wie das Futur aus dem Legendenschatz der Vulnurer. Das Futur, oder vielmehr der Steinbrocken, zu dem es sich wieder umgestaltet hatte, lag nach wie vor ruhig in seinem Behälter. Zwei Solaner und Atiq‐Droos bewachten es und würden jede Veränderung sofort melden. »Wir landen zwischen dem Flußufer und dem Berg«, entschied der Arkonide. »Zwar befinden wir uns zwischen den beiden Kämpfergruppen, aber die Landung wird sie vermutlich von ihrem blutigen Geschäft ablenken. Selbst wenn wir noch ein paar Stunden kreisen, werden wir nichts erfahren.« »Befehl wird sofort ausgeführt«, gab ihm Uster Brick recht. »Inzwischen haben uns auch alle Vullkauger gesehen. Trotzdem
kämpfen sie weiter.« »Wenn auch nicht mehr so wütend wie noch vor kurzer Zeit«, flüsterte Tyari. Seid vorsichtig. Vermutlich ist der Berg samt Inhalt heilig. Ihr tastet ein Tabu an! warnte der Logiksektor. Die Luft außerhalb des Schiffes war für die Solaner ebenso gut verträglich wie für die Vulnurer. Mit der Schwerkraft gab es für sie noch weniger Probleme. Sollte tatsächlich beide, Vullkauger und Vulnurer, mehr als nur die frappierende Ähnlichkeit trotz der Größenunterschiede verbinden, würde auch die Verständigung nicht extrem schwierig werden. »Aber sie fürchten die Erscheinung des Schiffes nicht«, stellte Atiq‐ Than fest. Er hatte mit einem solchen Effekt gerechnet. »Noch nicht.« Atlan wartete die Landung nicht ab. Er bemerkte die wenigen Veränderungen, die sich seit dem Näherkommen der MJAILAM rund um den Berg ergeben hatten, nickte Uster zu und verließ die Zentrale. Er ging schnell in seine Kabine, um einen leichten Raumanzug, Ausrüstung und Waffen anzuziehen und zurechtzulegen. Das Schott glitt zu, er war allein. Er ließ sich in einen federnden Sessel nieder und streifte die weichen Bordstiefel von den Füßen. Er mußte zweimal, dreimal gähnen, dann spürte der eine plötzliche Müdigkeit, die seinen Körper ebenso überfallartig ergriff wie seinen Verstand. Er sackte in seinem Sessel zusammen. Seine schläfrigen Augen hefteten sich auf den Bildschirm des Interkoms, auf dem sich einzelne Szenen von Kampf und Flucht abzeichneten. Eine neue Vision! schrie unüberhörbar in das beginnende Dunkel eines Wachtraums der Logiksektor. »So … ist es …«, murmelte Atlan undeutlich und erkannte seine eigene Stimme nicht mehr. Er wußte, daß er zu träumen begann. Trotzdem verließ ihn die Wirklichkeit sekundenlang völlig. Aber sie
kam immer wieder, so daß Atlan, hin und her gerissen in diesem seltsamen Zustand, fast die plastische Wirklichkeit des Traumes, der Vision, mit der realen Wirklichkeit des Hier und Jetzt verwechselte. Sein Bewußtsein sprang sozusagen zwischen diesen beiden Polen hin und her. Er flüchtete und rannte keuchend durch ein Meer aus Farben und Gerüchen. Tyari war neben ihm. Plötzlich herrschte eine drängende, unzweifelhafte Gegenwart. Atlan war dort: Meine Gedanken überschlagen sich. Ich bin auf Kausnit, auf der Ebene der Flüsterblumen. Ich und Tyari. (Ticker ist tot. Er starb … irgendwann in der Zukunft/Vergangenheit. Ich vermag es nicht zu sagen. Meine Gedanken sind voll in Anspruch genommen von dem Versuch, zu überleben. Wieder einmal zu überleben!) Rosmeres Jäger sind hinter uns her. Es ist unwichtig, warum sie uns verfolgen. Wir rennen, stolpern keuchend und schwitzend unter der stechenden Sonne durch die endlose Flut der vielfarbigen Blumen. Unter unseren Schritten zerbrechen die Blütenstengel und reißen mit schmatzenden Geräuschen. Blütenstaub wirbelt durch die warme Luft und dringt mit betäubendem Duft in unsere Nasen und weit aufgerissenen Münder. »Atlan, ich verliere langsam alle meine Fähigkeiten«, stieß Tyari abgehackt hervor. »Ich spüre die Ausstrahlungen der Jäger nur noch schwach.« »Das ist der verdammte Blütenstaub«, sagte ich und hob den Arm. Ich zeigte auf den Waldrand und die niedrigen Hügel, die sich am Ende der freien Fläche vor den Horizont schoben. Wir wußten nicht, was hinter den Hügeln lag. »Sie werden uns einkesseln!« »Wir können uns wehren«, sagte ich und wischte den Schweiß von meiner Hand, ehe ich wieder Tyaris Finger packte und sie mit mir zog. Wir
rannten geradeaus, auf die Hügel zu. Unsere Doppelspur durch die riesige Fläche der exotischen Blüten und Blumen war für jeden Verfolger unübersehbar. Einige Minuten später, als wir den kühlenden Schatten eines einzelnen Tethavebaums erreicht hatten, blieb ich stehen und wirbelte herum. »Ich sehe sie«, keuchte ich und versuchte, meinen Pulsschlag zu kontrollieren. Langsam zog ich die Waffe aus der Schutzhülle und regelte den Energiestrahl ein. »Oder einige von ihnen.« Es ging um Leben oder Tod für uns beide. Die rothaarige Rosmere wollte uns sterben sehen. Ich setzte die Waffe auf das linke Handgelenk und merkte, daß der Projektorlauf unruhig zitterte. Ich machte ein paar schnelle Schritte und glitt hinter den borkigen Stamm. Als ich den Strahler mit beiden Händen an einem trockenen Aststück abstützte, sah ich durch die Zieloptik, wie sich zwei Jäger inmitten des Blütenfelds aufrichteten. Ich zielte ruhig und fast zu lange, dann feuerte ich zweimal. Unsichtbar in dem gleißenden Sonnenlicht röhrten die Blasterschüsse waagrecht über die Blumen. Obwohl ich wußte, daß uns die Jäger töten würden, hatte ich auf die Schultern der zwei schlanken Männer in Kampfanzügen gezielt. Die Kleidung stand sofort in Flammen. Ich sah die schmerzerfüllten Gesichter, aber hörte die Schreie nicht. Beide Getroffene brachen, sich halb überschlagend, zu Boden. Ich sicherte die Waffe und schob sie zurück. »Das wird uns einen großen Vorsprung sichern, Liebste«, sagte ich. Tyari band ihr langes silbernes Haar, das sich während des Rennens gelockert hatte, wieder zu einem Zopf zusammen. Auch sie war gut ausgerüstet. Wir waren kein wehrloses Wild. Seit Tagen hasteten wir, nur durch wenige Stunden Schlaf unterbrochen, durch die menschenleere Landschaft des Planeten Kausnit. Woher ich dieses Wissen besaß, ahnte ich nicht einmal. Aber so war es – wir wurden von mindestens zwanzig berufsmäßigen Jägern verfolgt, deren Anführerin die schöne Rosmere war, die ich einmal am Anfang der tödlichen Jagd
deutlich gesehen hatte. Mich wunderte, daß die Jäger weder Reittiere noch Maschinen benutzten. Dann hätten wir, wenn überhaupt, keine echte Chance gehabt. »Ich habe gerade noch den Schmerz der beiden Jäger telepathisch auffangen können«, gab Tyari zu. »Wie viele Tage, sagst du, bis zur Rettung?« Ich lachte grimmig und wischte den Schweiß von meiner Stirn. Tyari schob mir einen Riegel Konzentratnahrung zwischen die Zähne. Ich sagte: »Ich habe nichts gesagt. Aber irgendwoher weiß ich, daß es drei Tage sind.« Tyari blickte mich aufmerksam an. Aus ihrem Gesicht sprach derselbe Ernst zu überleben, wie aus jeder ihrer Bewegungen. »Dann sollten wir nicht warten. Los. Weiter!« »Obwohl wir«, sagte ich, »eine deutliche Spur hinterlassen. Das wird sich erst hinter den Hügeln ändern.« Wir holten ein letztesmal tief Atem. Wieder drang der feine Blütenstaub und der betäubende Geruch der ätherischen Öle in unsere Nasen, legte sich auf die Schleimhäute und löschte, wenigstens bei Tyari, einen Teil der geistigen Fähigkeiten aus. Dann rannten wir los, zuerst viel zu hastig, dann in einer Geschwindigkeit, von der wir hofften, sie stundenlang durchhalten zu können. Der fahlblaue Himmel über uns war völlig wolkenlos. Die Hitze nahm zu. Die Konturen der Hügel verschwammen im Glast, der von der Ebene aufstieg. Tyari und ich hasteten durch das Meer aus Blüten und Farben, das uns zu einer anderen Zeit entzückt hätte. Jetzt achteten wir nur darauf, zwischen den Gewächsen richtig aufzutreten. Ein verstauchter Fuß kam einem klaren Todesurteil gleich. Rätselhaft! Wir wußten alles, aber wir kannten den Grund nicht. Warum waren sie auf Kausnit? Wer war die schöne Rosmere mit dem stechenden Blick? Und warum wollte sie unseren Tod? Wieder hinterließen wir eine Spur, deutlich zu sehen, obwohl sie weniger breit war. Die Hügel kamen trotz der großen Entfernung scheinbar schnell
näher. Immer wieder drehte ich mich um, oder Tyari sicherte nach den Seiten. Noch hatten wir kein Teil unserer Ausrüstung verloren – wir konnten uns in der Hoffnung wiegen, zu überleben. Jetzt führte Tyari. Ich rannte mit angewinkelten Armen hinter ihr her. Wir liefen auf den Einschnitt zwischen zwei Hügeln zu. Noch sah keiner von uns die Verfolger. Vielleicht hatten sie uns sogar eingekreist. Tyari wüßte es, aber ihre telepathischen Kräfte waren so gut wie gelähmt. Bis zum Einbruch der Dunkelheit erreichten wir die Hügel. Am Ende unserer Kräfte, stolperten wir den Hang aufwärts. Ich zog meine Waffe, verlor den Halt und schlug schwer zu Boden. Ich landete im dicken Gras und schlug mit dem Hinterkopf gegen eine harte Fläche. Sekundenlang war ich benommen. Als ich blinzelnd vor Schmerz, zugleich mit einem Stöhnen, die Augen aufriß, sah ich in Tyaris Gesicht. »Atlan!« sagte sie und schüttelte mich. »Du träumst! Was ist los? Wir sollten schon längst …« Ich richtete mich auf, blickte verwirrt um mich. Um mich herum hat sich schlagartig alles verändert. Ich bin in meiner Kabine. »Verdammt!« sagte Tyari. »Atlan! Wo bist du mit deinen Gedanken? Die anderen warten.« Ich stemme mich hoch. Die tödlich‐gefährliche Wirklichkeit verging so schnell, wie sie gekommen war. Ich befand mich wieder in einer anderen Realität. »Ich hatte eine schauerliche Vision«, sagte ich langsam und atmete tief durch. Meine Gedanken klärten sich. »Sie handelt von Verfolgung und toten Jägern.« »Und wie endet sie?« fragte Tyari. Ich blickte sie an, als hätte ich sie vor unendlich langer Zeit verloren und eben erst wiedergefunden. »Das weiß ich nicht. Die Vision hörte plötzlich auf. Ohne wirkliches Ende.« Tyari starrte mich völlig verwundert an. Sie kannte meine Vision, in der Ticker gestorben war. Ticker, der in der SOL zurückgeblieben war. Ich würde, selbst wenn die Vision sich wiederholte oder
weitergeführt wurde, Tyari nichts davon erzählen. * Nebeneinander gingen Atlan und Tyari in die Zentrale zurück. Sie trugen die leichten, raumfesten Einsatzanzüge und waren mit allem Notwendigen ausgerüstet. Nach einigen Schritten hielt Atlan seine Freundin an der Schulter zurück. Sie blieben stehen. Zögernd fragte der Arkonide: »Mir ist spätestens seit dem Anflug auf den Vullkaug‐Planeten aufgefallen, daß du Breiskoll sämtliche telepathische Arbeit überlassen hast. Gibt es einen Grund?« Erinnere dich nicht zu oft an deine Visionen, riet der Extrasinn. Es belastet dich zu sehr. Es sind Botschaften deines Unbewußten, nicht des Logiksektors. Möglicherweise Botschaften einer anderen Macht. Vergiß es – vorläufig! Nach kurzem Zögern entgegnete Tyari schulterzuckend: »Eigentlich gibt es keinen Grund. Ich habe mich ebenso wie Bjo auf Vullkaug konzentriert. Er hat nur bestätigt, was ich auffing. Hätte ich etwas Abweichendes gespürt, würde ich es laut und deutlich gesagt haben.« »Ich bin beruhigt.« Atlan winkte ab. Schon der erste Blick auf die Bildschirme sagte ihnen, daß die Kämpfe um den Berg einem Höhepunkt entgegenstrebten. Während die Angreifer dicht neben dem Schiff rannten und flogen, Fackeln und rauchende Glutschalen in den Scheren, versuchten andere, sie um jeden Preis abzuwehren. Atlan wandte sich an die Atiq‐Drillinge. »Wir verlassen das Schiff. Wartet bitte hier. Wir werden euch sicher bald brauchen. Aber ich meine, es ist wichtig, daß wir zuerst dort draußen etwas Ruhe schaffen.« »Sie kämpfen«, meinte Atiq‐Droos, »um das, was im Berg versteckt ist. Aber sie wissen nicht, was es ist. Warum wollen sie
den Berg niederbrennen?« »Wir werden es bald erfahren«, sagte Atlan, winkte seinen Freunden und schwebte durch den Antigravlift hinunter. Kurz darauf standen sie auf der ausgefahrenen Rampe und traten aus dem Schatten der MJAILAM. Im selben Moment betätigte Uster ein paar Kontaktfelder. Der Kampflärm zwischen dem Schiff und dem Berg wurde mühelos von laut heulenden Sirenenlauten und den blökenden Summern durchschnitten. Bis jetzt hatte wohl keiner der Kämpfer sich von der ungewohnten Erscheinung ablenken lassen – jetzt erstarrten alle. Das Schiff bohrte die mächtigen Auflageteller der Landestützen etwa fünfhundert Meter von den rauchenden, halb zerstörten Palisaden entfernt in den weichen Boden des Flußufers. Als das letzte Echo der Signale verklungen war, hatte tatsächlich der Kampflärm aufgehört. Atlan sagte leise in seinen Minikom: »Achtung, Zentrale! Legt ein Schutzfeld um den Berg. Besonders an den Stellen, an denen die brennbaren Wälle sind.« »Wird sofort ausgeführt.« Atlan, Tyari, Breiskoll und fünf Solaner, die Hände etwas nervös in der Nähe der Waffen, bewegten sich auf das Flußufer zu. Der Landeplatz war psychologisch gut gewählt. Genügend nahe am Schauplatz, dennoch eine bestimmte Grenze respektierend. Die Translatoren, die Wortschatz und Grammatik der Vulnurer‐Sprache gespeichert hatten, wurden eingeschaltet. »Was jetzt?« fragte jemand aus Atlans Begleitung. Breiskoll deutete nach vorn und erwiderte lakonisch: »Warten.« Bjo, Atlan und Tyari besprachen das Problem miteinander. Die Vullkauger schienen zu wissen, daß der Berg mit Hilfe von Feuer abgetragen oder wenigstens stärkstens beschädigt werden konnte. Also mußten sie auch eine konkrete Ahnung davon haben, was innerhalb der Kunststoffschicht versteckt war. Keiner der Fremden zweifelte daran. Hoch über ihnen spannten sich jetzt die
knisternden Strahlen aus den Schiffsprojektoren. »Sie kommen. Dort, und dort, und dort drüben.« »Endlich. Ich glaube, wir haben interessante Stunden vor uns!« sagte Atlan, von der Richtigkeit seiner vielen unausgesprochenen Überlegungen überzeugt. Tatsächlich war deutlich auszumachen, daß verschiedene Käferwesen teils rennend, teils fliegend, teils in einer hastigen Kombination beider Fortbewegungsarten sich auf das Schiff zubewegten. Es waren Angehörige beider Parteien, denn sie kamen aus verschiedenen Teilen des Schlachtfelds. Die Solaner warteten. Sie rechneten sich einen bestimmten Vorteil aus. Sie beobachteten ruhig die näherkommenden Käferwesen. Deren Köpfe und Halsteile ähnelten sehr stark denen der Vulnurer, einschließlich der aufgeregt spielenden Kopffühler. Die Vullkauger, eine Handbreit größer als ein Meter, richteten sich vor den Fremden auf. Ihrem Gesicht war kein Ausdruck zu entnehmen, ebensowenig wie denen der Vulnurer. Trotz der Wunden und des Schmutzes sahen Atlan und seine Begleiter, daß jeder von ihnen ein anderes Muster und unterschiedliche Farben auf dem Rücken führte. Genau ein Dutzend Vullkauger blieben vor den Ankömmlingen stehen. Sie waren erregt; alle ihre Fühler, Scheren und Klauen spielten nervös. Ihr Atem ging pfeifend und fauchend, Ihre laut zirpenden, trillernden Stimmen bildeten einen total unverständlichen Chor. Atlan hob seinen Arm und versuchte, eine Übersetzung des Translators zu hören. Je sechs von ihnen bildeten eine Gruppe – Verteidiger und Angreifer also! Sie alle redeten auf die Solaner ein. Sie taten irgendwie … selbstverständlich, als sei die Landung eines Schiffes in ihrer Kultur alles andere als eine Überraschung. Tatsächlich schafften es die Translatoren, einzelne Worte und Satzfetzen herauszufiltern und zu übersetzen. Ahnen … Gelöbnis … Vermächtnis, Auftrag, erfüllt … Neudenker, Feuer, Kampf, Verbrechen … Vullkaug, Bojenberg, Überlieferung …
endlich gekommen. Hüter des Bojenberges. Kleinkarierter, Feuer, Verbrechen gegen Tradition. Es war nicht allzu schwer, hinter diesem Wortschwall einen gewissen Sinn zu erkennen. Atlan sage: »Wir sind nicht eure Ahnen. Wir sind zum Bojenberg geführt worden. Unsere Freunde werden mit euch reden.« Der Translator, auf höchste Lautstärke eingestellt, übersetzte. Die Vullkauger hörten zu sprechen auf und lauschten. Atlan fragte: »Versteht ihr?« »Wir verstehen«, kam die Antwort aus dem Gerät. Noch ehe einer der Solaner etwas tun konnte, ertönte aus der Richtung der offenen Polschleuse ein seltsames Geräusch, das sie alle alarmierte. Es war ein summendes Heulen, ähnlich einem Windstoß, der orgelartige Töne erzeugte. Die Vullkauger hoben abwehrend die obersten Gliedmaßen, während die Solaner überrascht herumfuhren. Gleichzeitig sprangen die Lautsprecher aller Interkome an. »Atlan! Bjo! Das Futur … es löst sich …« Der Arkonide hatte fast erwartet, daß sich das Stück Jenseitsmaterie nicht immer so verhalten würde wie in den letzten Stunden. Aufgelöst? Was hatte das zu bedeuten? Sie sahen sofort, was gemeint war. Die Jenseitsmaterie hatte sich zum zweitenmal in Staub verwandelt. Ein hellrot‐hellgrüner Rauch kam aus der Polschleuse, bildete blitzschnell die Struktur einer Windhose und raste davon, einen schleierartigen Schweif hinter sich herziehend. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte die rauchige Materie den Bojenberg erreicht und umrundete ihn mehrmals. Das Heulen und Brausen verstärkte sich und hallte ebenso laut über die Landschaft wie kurz zuvor die akustischen Warngeräte der MJAILAM. Dann hörte die Bewegung auf. Atlan sagte in den Minikom: »Alles klar, Uster. Wir sehen selbst, was passiert. Die Atiq‐ Drillinge sollen zu uns kommen. Es ist besser, sie führen den
Dialog.« Auch das Geräusch der Staubspindel riß ab. Für lange Momente schien die gesamte Masse des Kegelberges zu flimmern und sich aufzulösen. Dann sahen sie alle, wie sich der schillernde Staub an die glatte Wandung des Berges legte. Die Zentrale schaltete die Schirmprojektoren ab; sie waren sinnlos geworden. Die Jenseitsmaterie bedeckte in einer hauchdünnen Schicht jetzt die gesamte Oberfläche des Berges. Langsam begann ein Knistern sich auszubreiten und wurde lauter und durchdringender. Atlan hob ein Feldlinsengerät an die Augen und schaltete es auf höchste Vergrößerung. Er murmelte: »Erstaunlich. Die Materie des Berges zerfällt in winzige Krümel. Wir werden den Inhalt wohl gleich zu sehen bekommen …« An allen Stellen gleichzeitig löste sich der Kunststoff auf. Lange Schleier der weißen, pulvrigen Substanz wehten zur Seite. Dünner und dünner wurde die verbergende Schicht. An einigen Stellen ging der Auflösungsprozeß schneller vor sich, an anderen weniger auffallend. Aber es gab keinen einzigen Vullkauger, der diesen Vorgang nicht mit Entsetzen oder Hoffnung betrachtet hätte. »Wir speichern jedes einzelne Bild«, rief Uster aus der Zentrale. »Das ist wirklich einzigartig und sehenswert.« »Gute Idee«, lobte ihn der Arkonide. Der Logiksektor meldete sich mit einer Erklärung. Die Lichtquelle scheint in ferner Vergangenheit Vorsorge dafür getroffen zu haben, daß bestimmte Komponenten, lange getrennt, einmal zusammenkommen. Du hast den Transport übernommen. Dieser Futur‐ Klumpen Jenseitsmaterie hat sein endgültiges Ziel erreicht! Der Logiksektor hatte zumindest mit seiner letzten Bemerkung völlig ins Schwarze getroffen. Die Jenseitsmaterie schien sich, während sie den wuchtigen Kunststoffmantel auflöste, selbst zu verzehren. Mehr und mehr von der pulvrigen Substanz schwebte zu
Boden, und zwischen den treibenden Schleiern im Nachmittagswind zeichneten sich immer wieder einzelne Wirbel energetischer Felder ab. Die riesige Wölbung erschien zuerst, die dickste Stelle des kugeligen Mittelpunkts der Boje. Das Futur war ein Sensor, führte der Extrasinn dozierend weiter aus, an Bord der MORGEN versteckt. Etwas sollte gefunden werden. Die Aktivitäten Chybrains und deine Anstrengungen, Atlan, wurden bemerkt. Sie schalteten das Futur sozusagen ein. Atlan nickte. Im Verlauf von weiteren Minuten erschien die halbovale Spitze oder Oberteil der Boje. »Boje? Wozu? Was soll diese Boje kennzeichnen?« Einer der Vullkauger, der Verzierung auf seinem Rücken zufolge wohl der »Kleinkarierte«, stieß ein paar Worte hervor. »Boje! Ich habe es gewußt!« Jetzt verschwand auch der Rest unterhalb der Rundung, die sich nach unten fortsetzte und in einer Art Stiel auslief, der metertief im Boden des restlichen Bergfußes versteckt war. Die Boje balancierte kurze Zeit später auf diesem konisch zulaufenden Fortsatz und sah von der Seite aus wie ein Kelch mit einer Abdeckung. Hoch oben, etwa in sechzig Metern Höhe, glitt eine Luke auf. Der Arkonide unterdrückte ein Grinsen und sagte leise zu Tyari: »Die Vullkauger können fliegen, aber nicht dort hinauf. Wir haben keine Schwierigkeiten.« Es war ihnen klar, daß das Futur Atlan und die drei Vulnurer zur Boje geführt hatte; eine Tatsache, die so offensichtlich war, daß es an Zwangsläufigkeit grenzte. Schließlich sprach Bjo Breiskoll: »Wenn ich die wenigen Informationen der Vullkauger richtig deute, wenn ich ferner interpretiere, was ich geespert habe, dann haben sie um die Boje einen Kult getrieben. Der Schwarzgepunktete hier ist ein Priester. Er und seinesgleichen hüteten die Boje. Die sogenannten Neudenker, deren Vertreter wohl der Kleinkarierte ist, wußten oder dachten wenigstens, daß sich im Berg etwas verbirgt.
Sie beide wollten natürlich das Beste für ihr kleines Völkchen. Die weiteren Verhandlungen überlasse ich euch und den Atiqs. Ich bin hungrig und müde.« Atlan nickte ihm zustimmend zu. Für ihn bedeutete dies ein klares Zeichen, daß sich die Lage entspannt hatte. Der letzte Rest des weißen Staubes glitt von den hellen Metallflächen herunter. Die Boje schien zu schweben, denn ihr Fuß berührte mit dem untersten Abschnitt gerade den weiß überpuderten Boden. Einige Vullkauger liefen mit weißen Chitindecken und ebensolchen Flügeln umher und putzten einander den Staub ab. »Ab jetzt vergessen die Vullkauger ihren Kult«, sagte Tyari. »Das ist vorbei. Die uralte Legende gilt nicht mehr. Aber für sie beginnt eine neue Zeit.« Hinter ihnen ertönten knirschende Tritte. Ein Vulnurer kam herangelaufen und sprach den Arkoniden an. »Atlan! Wunderbare Dinge sind geschehen. Wir haben alles gesehen. Das Futur, es war ein Bote, ein Wegweiser. Ihr habt die Mittel, die Boje zu untersuchen. Sagt uns, wozu sie dient, ja?« »Das wird einige Zeit dauern. Eure Aufgabe ist, die beiden streitenden Parteien zu beruhigen. Tut euer Bestes, Atiq‐Than.« »Selbstverständlich.« Die beiden Gruppen der Vullkauger hatten schweigend und gebannt den Vorgängen zugesehen. Sie standen ebenso unter dem Eindruck eines schweren Schocks wie alle ihre Artgenossen. Niemand dachte mehr an Kampf. Zögernd wandten sich die Käferwesen zu den Solanern um und … … sahen die drei Vulnurer. Atlan und seine Gruppe zogen sich zurück. Sie beobachteten die überraschten Reaktionen der Planetarier. Verwirrung und Lähmung waren abermals die Folge. Zunächst standen die Vullkauger da und rührten sich nicht. Ihre Facettenaugen waren auf die Facettenaugen der Atiq‐Drillinge
gerichtet. Dann warfen sich die Vullkauger zu Boden und zogen ihre Fühler fast bis zum Nackenschild zurück. »Ihr seid wahrlich die Ahnen!« verstanden die Solaner aus den stockend arbeitenden Übersetzungsgeräten. Die Antworten der Vulnurer verstanden sie einwandfrei. »Wir sind nicht eure Ahnen. Vielleicht haben wir gemeinsame Vorfahren«, sagte Atiq‐Than. »Die wahren Herren des Bojenberges.« Also gab es Legenden, wahrscheinlich nicht schriftlich, sondern nur in Form von Erzählungen wiedergegeben, die vom Aussehen der »Herren der Boje« sprachen. Dieser Vorstellung entsprachen die Vulnurer. Die Tatsache, daß sich beide Sprachen stark ähnelten, war ein zusätzliches Indiz dafür. »Ihr sprecht so, daß wir euch verstehen können«, kam es von den staubbedeckten Kriegern. »Das ist richtig. Wir sind sicher, daß unsere Ahnen, eure und unsere, uns diese Sprache geschenkt haben.« »Woher kommt ihr?« Ganz geschickt erklärten die Vulnurer, dem Verständnis der bronzezeitlichen Krieger angepaßt, woher sie kamen und aus welchem Grund. Nach dieser Schilderung konnten nun auch die Vullkauger glauben, daß das Futur die Herren, Ahnen oder Verwandten herbeigeführt hatte. Schließlich meinte Atiq‐Droos: »Wir werden die Boje untersuchen. Unsere Freunde helfen uns, denn es ist ihr Sternenboot. Wir haben keine Hilfsmittel. Dann können wir euch erklären, was sich wirklich im Bojenberg bis heute versteckt gehalten hat.« »Nein!« Der Kleinkarierte und ein anderer stürzten vor und griffen nach den bronzenen Dolchen mit mehreren Spitzen. Atlans Hand glitt zum Waffenkolben. »Was steht dagegen?« Der Kleinkarierte sprach durchdringend laut. Er schien seine
Aufregung gut zu bezähmen und sprach langsam und mit markanten Worten. Dadurch wurde es den Translatoren leichter, die treffende Übersetzung zu finden. Die Solaner konnten gut verstehen, was er meinte. »Die Sternenbarke, sie sieht aus wie die Boote der Ahnen. Auf der Wand des Berges, dort gab es Bilder davon. Wir, die Neudenker, haben gekämpft. Wenn die Barke nicht gekommen wäre, unser Feuer würde den Berg zerstören. Wir kämpften dafür, daß wir alle klüger werden. Unser Ziel. Das Boje wird helfen.« »Es heißt die Boje«, wandte Atiq‐Oyz ein. »Dort oben ist das Tor. Wie wollt ihr hineinkommen?« Jetzt sprang der Schwarzgepunkte vor, hinter sich drei andere Käferwesen. Er trug keine Waffe. Aber ebenso bestimmt und feierlich erklärte er: »Ich bin Baugh. Priester. Wir bewachten den Bojenberg seit unendlich vielen Generationen. Diese griffen an. Sie zerstören, wir bewahren. Uns gehört das Boje. Wir gehen hinein. Wir bauen eine Rampe, dort könnt ihr sehen. Gut, es wird dauern.« »Die Boje«, wiederholte Oyz. Er wirkte etwas ungeduldig, aber seine ruhige Sprechweise unterstrich das, was er sagte. »Bis ihr eine Rampe gebaut habt, die bis dort oben reicht, sind wir mit wunderbaren kleinen Booten und riesigen, metallenen Kriegern dort eingedrungen. Und wenn ihr drinnen seid, versteht ihr nichts. Oder könnt ihr etwa diese Sternenbarke steuern? Eure Waffen sind aus weicher Bronze. Zudem wollen wir euch helfen. Niemand will euch die Boje stehlen. Erst müssen wir genau wissen, was unsere Ahnen mit der Boje wollten.« Tyari wandte sich an die Angehörigen der MJAILAM‐Besatzung und sagte leise: »Es ist völlig klar. Wie an Bord der SOL in früheren Zeiten. Jede Gruppe will die Macht, weil ihre Chefs meinen, ein seligmachendes Rezept gefunden zu haben.« »Ob sie wirklich miteinander verwandt sind, wird eine einfache
Untersuchung klären«, murmelte Atlan, hob den Interkom an die Lippen und ordnete an, daß mit einem gezielten, schwach energetischen Traktorzugstrahl der Körper eines toten Vullkaugers an Bord geholt werden sollte. Er brauchte diese Gewißheit – oder das Gegenteil davon. »Verstanden«, kam es aus der Zentrale. Offenbar hatten es die Fremden tatsächlich mit den Anführern der beiden Kriegsparteien zu tun. Natürlich vertrat jeder von ihnen deutlich seinen Standpunkt. Aber ohne die Vulnurer und die Solaner mit ihrem entsprechenden technischen Wissen waren sie nicht in der Lage, etwas mit der Boje anzufangen. Die Luke stand noch immer einladend offen. Überdies mußte die Ortung mittlerweile festgestellt haben, daß sich die Boje energetisch am Boden abstützte, denn es gab keine mechanischen Stützen oder dergleichen. Atlan nahm Tyaris Hand und winkte seinen Freunden. »Wir sind jetzt besser innerhalb des Schiffes«, sagte er und hob die Hand in Richtung der Vulnurer. »Ruft, wenn ihr Probleme habt. Wir machen einen Gleiter klar.« »Wir schaffen es schon. Aber wir lassen uns Zeit. Die Legenden sind durch die lange Zeit verändert worden. Wir rücken wieder alles an seinen Platz.« »Viel Erfolg!« wünschte Tyari. Als sie schon in der Polschleuse standen, blickten sie hinunter und sahen, daß erwartungsgemäß Vulnurer und Vullkauger auf das Flußufer zugingen, durch den seichten Fluß stapften und offensichtlich entweder die Siedlung oder die Boje aufsuchen wollten. Je näher sie den Palisaden und dem Weg zu den Hütten kamen, desto mehr Vullkauger blieben stehen und machten Gesten, die man für Ehrerbietung oder Begrüßung halten konnte. Kopfschüttelnd wandte sich Atlan ab. »Eine Reihe von neu aufgetauchten Fragen wurden schon beantwortet«, sagte er nachdenklich. Auch er war müde und sehnte sich nach einem guten Essen. »Vielleicht beantwortet die Boje auch
ein paar alte Fragen. Auf jeden Fall: es ist eine hochtechnisierte Konstruktion.« In den folgenden Stunden versammelte sich die Besatzung in der Messe und versorgte sich mit Speisen und Getränken. In kleinem Kreis wurden die Erlebnisse diskutiert. Die Medorobots hatten einem Getöteten genügend Gewebeproben entnommen, die jetzt untersucht wurden. In der beginnenden Dunkelheit wurde der Körper wieder dort abgesetzt, wo man ihn gefunden hatte. Vermutlich hatte kein Vullkauger in all der Aufregung etwas davon gemerkt. Die Ergebnisse, meinten die Fachleute, würden morgen früh von der MJAILAM‐Positronik abgerufen werden können. Roboter präparierten auch einen großen Lastengleiter, mit dem der hochgelegene Einstieg ins Boje‐Gebilde möglich war. »Warum nehmen wir eigentlich nicht die Flugaggregate und schwirren in der Dunkelheit hinüber?« fragte Uster, wie es schien, ein wenig vorwurfsvoll. Atlan mußte grinsen. »Ich hatte diesen Einfall schon vor einer Stunde«, sagte er und hob den Becher. »Ausnahmsweise bin ich der Meinung, daß wir, Vulnurer und zumindest die beiden Anführer der streitbaren Vullkauger gemeinsam hineingehen. Wir ersparen uns Mißtrauen, neues Durcheinander, eine Menge erklärende Arbeit und vieles andere mehr.« »Akzeptiert!« lachte entspannt der Risikopilot. Die Ortung berichtete, daß sich unter der Boje ein schwaches, weit ausgedehntes Feld aufgebaut hatte. Dieses Feld, einem Gitterwerk aus Energie ähnlich, stützte jetzt die Boje, die ihres Kunstschaum‐ Haltes beraubt war. Eine Aufzeichnung lief auf dem großen Monitor im Speiseraum ab, die in größtmöglicher Darstellung jeden Teil der Oberfläche zeigte. Die rechteckigen Flächen, die flachen Fugen und die Löcher im dickeren Teil wurden im harten Licht der Sonne deutlich. Wozu sie dienten, ließ sich erraten. »Irgendwelche Luken, Löcher für ausfahrbare Projektoren,
Geschütze oder Antennen – das Übliche«, meinte ein Techniker. »Das Ding ist mit allergrößter Wahrscheinlichkeit raumflugtauglich. Deswegen auch die Luftschleuse hinter der großen Luke.« Sie stand immer noch offen. Die untergehende Sonne tauchte die Konstruktion in ein rötlichgelbes Licht. Die Boje wies einen Durchmesser von fünfundsechzig und eine Länge von hundert Metern auf. »In den Aufzeichnungen oder Erinnerungen ›unserer‹ Vulnurer allerdings ist kein Raumgefährt dieses Aussehens bekannt. Also auch nichts über den Zweck der Boje.« Atlan wirkte nachdenklich, als er Tyari antwortete. »Das Futur hat jemanden hierher geführt. Ob wir es waren oder die Vulnurer oder beide, ist unwichtig. Dann befreite es die Boje aus der Verschalung. Die Boje aktivierte sich daraufhin. Ich bin sicher, daß sie jedem Eindringenden, der hören kann, etwas zu sagen hat.« Tyari legte ihre Hand auf seine Finger und schüttelte den Kopf. »Morgen«, sagte sie mit Bestimmtheit. Jemand sagte, daß wohl irgendwann in der Vorgeschichte, als die Vulnurer von der Lichtquelle getrennt worden waren, das Futur und die Boje erzeugt oder auf ihren Weg gebracht worden waren. Jedenfalls hatten sie sich in relativer Sicherheit befunden. »Die Sicherheit der Vulnurer in der Namenlosen Zone muß seinerzeit gefährdet gewesen sein«, sagte Atlan überrascht. »So war es.« Du wirst morgen erst Gewißheit haben, wisperte der Logiksektor. Die Solaner diskutierten so lange, bis mitten in der Nacht die Krieger der Priester die Atiq‐Drillinge mit lodernden Fackeln zum Schiff eskortierten. Nachdem die Vulnurer in der MJAILAM wieder in Sicherheit waren, verschloß ein Schutzschirm die Schleuse. Verschiedene Luken glitten auf. Die frische Nachtluft Vullkaugs flutete ungehindert durch fast sämtliche Räume des Schiffes – eine zusätzliche Annehmlichkeit. Auch zu den ersten Berichten der Vulnurer sagte Atlan nur:
»Morgen! Es verspricht ein interessanter Tag zu werden.« Er aktivierte in der Zentrale zusätzliche Sicherheitssysteme, kontrollierte die Diensthabenden in der Ortung und schloß dann beruhigt das Schott seinen Kabinenflurs hinter sich. Tyari wartete bereits mit Gläsern voller rotem Wein. 6. Nur einige schwach leuchtende Schalterfelder durchbrachen die Finsternis. Als sich Atlan bewegte, fühlte er im Halbschlaf, wie sich der zähe Schlamm des Sumpfes um seine Stiefel schloß. Lianen und weißliche Fäden aus Schmarotzerpflanzen wischten durch sein Gesicht. Hinter ihm keuchte und stöhnte Tyari. Der Geruch des Blütenstaubs kämpfte gegen den fauligen Gestank des Sumpfurwaldes an. Sie waren wieder auf Kausnit. Die Vision! Der nächste Abschnitt dieses halben Traumes, der Atlan zu verwunden versuchte wie ein Pfeil aus dem Dunkel der Ungewißheit. Weit hinter sich hörte er die Jäger, die sich mit exotisch klingenden Rufen verständigten. »Schneller!« wimmerte Tyari auf. Jeder Schritt bedeutete riesigen Kräfteverschleiß. Er drehte sich um, packte ihren Unterarm und zog sie mit sich. Sie wateten bis zu den Knien durch eine Sumpffläche, dann rutschten sie auf einen schmalen Wildwechsel hinaus. Binnen weniger schneller Schritte hatten die gierigen Rankengräser und die langen Haare der giftgelben Moospolster Stiefel und Hosen wieder gesäubert. Die Enden der Pflanzen stürzten sich auf alles, was in ihre Nähe kam. Eine Wasserflasche und ein Kompaß‐Kombigerät waren im Sumpf versunken, ebenso Atlans Vibromesser. Eine Schlange hatte es ihm aus der Hand gerissen und davongewirbelt. »Warum hetzen sie uns, Atlan?« klagte Tyari, als sie den Rand einer langgezogenen Lichtung erreichten. Der Pfad führte hinaus ins helle
Sonnenlicht, mitten durch die mannshohen Gräser und auf das Gewirr aus gestürzten Baumriesen zu. »Weil sie unseren Tod wollen«, erwiderte er. Seine Lungen brannten. Sie rannten, so schnell sie es noch vermochten, quer durch die Lichtung. »Halt. Wir legen einen Hinterhalt«, brummte der Arkonide. »Noch sind es mindestens fünfzehn Jäger.« »Wenn nicht einer oder der andere im Sumpf steckengeblieben ist«, erklärte sie. Nach wenigen Stunden Schlaf, abwechselndem Wachen, einigen Schlucken Wasser und einem Essen, das aus verschiedenfarbigen, geschmacksarmen Konzentratriegeln bestanden hatte, waren sie noch in der Nacht weitergerannt. Rettung erwartete sie morgen auf einer Hochfläche hinter dem Irrgarten. »Dort hinüber«, befahl Atlan, als sie den jenseitigen Rand der Lichtung erreicht hatten. »Dann haben wir sie von zwei Seiten.« »Wann?« fragte sie nur und zog sich auf einen Stamm hinauf, dessen Rinde unter ihrem Griff pulverisiert wurde. Fingergroße Insekten rannten nach allen Richtungen davon. »Wenn sie in der Mitte der Lichtung sind.« »Sie … oder wir.« »Denke daran, wenn du feuerst«, ermahnte er Tyari und packte eine Liane. Er schwang sich mit ihrer Hilfe in eine raschelnde Krone aus trockenen Blättern, die mitten zwischen den faulenden Bäumen lag. Dann warteten sie wieder. Atlan und Tyari hatten die Läufe der Strahler vor sich auf hölzernen Teilen ihrer Deckung aufgestützt. Die Zielkreuze deuteten auf den Pfad. Er wand sich in einem halben Dutzend Schleifen durch klappernde, bambusartige Pflanzen mit Tellerblüten. Jetzt standen die Stengel ruhig. Als sie hindurchgerannt waren, hatten sie ratternde Geräusche von sich gegeben, die zusätzlich an den Nerven zerrten. Und jetzt bewegten sie sich wieder, drüben, am anderen Rand der Lichtung. Die dunklen, faltenreichen Gesichter der Verfolger tauchten auf. Eins, zwei … fünf … sieben von ihnen befanden sich, die langen Waffen
in die Höhe gereckt, in dem schulterbreiten Gang zwischen den wippenden, rasselnden Pflanzen. Sie sprachen laut miteinander. Einer lachte rauh. Tyari zielte und bemerkte zum erstenmal, daß ihre normalerweise gepflegten Fingernägel nicht nur schmutzig, sondern abgebrochen, eingerissen und zersplittert waren. Ausgerechnet jetzt fiel ihr diese Nebensächlichkeit auf. Auf die kämpferische Intelligenz ihres Geliebten konnte sie sich verlassen. Ihr erster Schuß traf den letzten Verfolger, der von ihrem Standort am weitesten entfernt war, in den Hals und tötete ihn. Weniger als eine Sekunde später dröhnten heulend zwei Schüsse. Der Vorletzte und derjenige, der sich zu weit entfernt hatte, brachen zusammen. Atlans zweiter Schuß traf das Energiemagazin einer fremden Waffe und ließ es detonieren. Der vierte Menschenjäger wurde zerfetzt. Zwei weitere Schüsse, von links und rechts, mitten in den Glutball, den Explosionsdruck und den gewaltigen Donnerschlag hinein abgegeben, trafen zwei weitere Jäger. Aus dem Dschungel erhoben sich riesige Schwärme von Vögeln. Der Lärm hatte Tyari und Atlan fast taub gemacht. An zwei Stellen brannte und rauchte der Pseudobambus. Durch den Gestank nach Sumpfwald und Rauch tastete sich das süßliche Aroma der verdammten Blüten draußen in der Ebene. Sie schienen allgegenwärtig zu sein wie die Atemluft. Der siebente Menschenjäger hatte sich versteckt. Er tauchte nicht mehr auf. Einige Minuten lang warteten Tyari und Atlan. Als sie wieder hören konnten, ertönte vor ihnen ein helles Summen. Es wurde schärfer und näherte sich. Gleichzeitig mit dem Schub der Erinnerung, daß die Jäger sich am Rand der Lichtung in Interkosmo verständigt hatten, kam ein flacher Gleiter von links über die Lichtung. Er durchquerte den freien Raum über den Gewächsen und dem beizenden Rauch in rasend schnellem Flug. Augenblicklich peitschten zwei Schüsse auf, aber sie heulten vor und seitlich hinter dem Gefährt durch die Luft. Rosmere mit langem, im Fahrtwind flatterndem Haar, hatte sich weit aus dem Flugapparat hinausgebeugt. Jetzt zuckte sie zusammen, duckte sich, und der metallisch
blitzende Gleiter war außer Sicht. Das Geräusch wurde leiser und hörte ganz auf. Atlan setzte fünf Schüsse im Abstand von wenigen Metern genau in die Spur des Pfades. An fünf Stellen begann der Bambus zu brennen. Dann kletterte Atlan auf der anderen Seite wieder aus dem Versteck und kämpfte sich einen Weg durch die Schlingpflanzen und die Würgespiralen hinüber zu Tyari. Er schob die heißgeschossene Waffe zurück, breitete die Arme aus und half ihr auf den nassen Boden hinunter. Ihr Gesicht, sonst straff, glatthäutig und voll, war eingefallen und schmutzig, voller winziger Wunden und übersät von Insektenstichen. Die Augen waren vor Übermüdung riesengroß und leuchteten roter denn je. »Auch diesen letzten Tag überleben wir«, sagte er entschlossen. Sie drängte sich hilfesuchend an ihn. »Was soll dieses seltsame Versprechen«, sagte Tyari mit schlaftrunkener, aber keineswegs geschwächt klingender Stimme. »Liebster! Du bist schweißgebadet.« Dunkelheit! Es roch nach frischer Luft, Schweiß und Tyaris Parfüm! Ein scharfes Klicken; mehrere Beleuchtungskörper schalteten sich ein. Der Arkonide stieß die Luft stöhnend aus der Lunge und ließ sich zurückfallen. Er lag im Bett, Tyari lag schwer in seinen Armen. Ihr Gesichtsausdruck war fragend, erschrocken. »Die Vision«, sagte er. »Eine andere Vision. Noch scheußlicher als der erste Teil.« Sie stand wortlos auf, füllte die Gläser wieder mit dem duftenden, starken Rotwein und kauerte sich vor ihm neben das Lager. »Willst du mir nicht sagen, wovon du geträumt hast?« Atlan, mit verstörtem, hartem Gesichtsausdruck, nahm einen tiefen Schluck. Dann schüttelte er den Kopf und erwiderte: »Nein. Noch nicht. Die Zeit dafür ist noch nicht da. Ich habe vor dir keine Geheimnisse, aber ich kann noch nichts sagen. Es ergibt keinen Sinn, Tyari.« Sie schmiegte sich in seinen Arm und flüsterte:
»Wenn du mir doch etwas sagen würdest! Vielleicht könnte ich dir helfen.« Atlan gab keine Antwort. Aber mit jedem weiteren Schluck wich ein wenig von seiner Verkrampfung. Am Morgen schien es, als habe er alles wieder vergessen … wie eben einen schlechten Traum. Nichts hatte er vergessen. Nicht die winzigste Kleinigkeit. * Carn Hahare, klein selbstbewußt und mit einem verschwörerischen Zwinkern, setzte sich unaufgefordert zu Atlan und Tyari. Er schob einen leeren Teller zur Seite und sagte: »Spätaufsteher! Wir haben die Analyse fertig. Atiq‐Oyz war sehr kooperativ. Oder vielleicht wollte er nicht so schnell weglaufen. Wir haben histologische Proben von Vullkaugern und Vulnurern miteinander verglichen.« »Schön«, sagte der Arkonide kauend und rührte langsam in seiner Tasse, »daß hier wenigstens noch einer arbeitet. Das Ergebnis scheint dich zu freuen?« »Dich nicht weniger, Atlan«, erklärte Carn zufrieden. »Vulnurer und Vullkauger sind eindeutig biologisch miteinander verwandt. Es läuft darauf hinaus, daß sie mindestens gemeinsame Vorfahren haben.« »Möglicherweise haben die Vulnurer und ihre Artgenossen noch andere Verwandte. Durch Borallu wissen wir von der Verwandtschaft der Vulnurer und Zyrtonier.« Tyari beschäftigte sich mit dem Frühstück und meinte auf Atlans Bemerkung hin: »Die großen Unbekannten, die mit ihren Robotern, die so aussehen wie Zecken, in der Namenlosen Zone herumspucken. Auch sie sind letzten Endes Insekten.« »Richtig«, sagte Atlan und nickte. »Überhaupt ist die Namenlose
Zone ein Reservat der Überraschung. Es ist ebenfalls denkbar, daß Vulnurer, Zyrtonier, Zyrvulner und Vullkauger Mutationen eines gemeinsamen Typs sind, irgendwelcher Vorfahren aus der Vergangenheit. Wir sind hier in geschichtliche Dimensionen von vielen Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden hineingeraten.« »Zufall? Gezielt? Absicht oder gesteuerte Entwicklung?« fragte sich Carn laut. »Wie auch immer, der Beweis ist klar. Unsere insektoiden Gruppen sind miteinander verwandt. Alles andere bleibt vorläufig ein Rätsel. Die Drillinge waren recht beschäftigt. Sie versuchen jetzt, mit Baugh und Fronsel zu verhandeln, den Anführern der beiden streitenden Parteien. Glücklicherweise gibt es keinen Kampf mehr.« »Die Leitung dieses Schiffes dankt dir für diesen umfassenden Bericht«, sagte der Arkonide lachend, richtete seinen Blick auf den Interkom, der gerade wieder die Boje zeigte, die auf unsichtbaren Stützstrahlen balancierte und in der Morgensonne strahlte und funkelte, als würde sie noch mehr auf sich aufmerksam machen müssen. »Das ist unser nächstes Problem!« sagte Atlan nachdrücklich. Er schien in ganz anderer Stimmung zu sein als mitten in der Nacht, fand Tyari. Er war gelöst und strahlte Entschlossenheit aus. Aber sie wußte, wie gut er sich beherrschen konnte. Er würde alles daran setzen, auch diese Mission zu einem größtmöglichen Erfolg zu bringen. Atlan hingegen, der sich natürlich noch außerordentlich genau an seine Visionen erinnerte, verfluchte sein photographisch genaues Gedächtnis. Irgendwann in der nahen oder fernen Zukunft würden die Visionen zur Wirklichkeit werden – das ahnte er. Er war machtlos gegen diese Bilder, und ebensowenig würde er die Zukunft beeinflussen können. Seit der ersten Vision dachte er immer wieder daran – als eine von mehreren gleichermaßen niederdrückenden Möglichkeiten –, daß ihn jemand demoralisieren wollte. Psychoterror, war das Stichwort. Waren es Informationen
oder Drohungen, die an ihn übermittelt wurden? Er befand sich offensichtlich im Fokus eines Gegners, der ihn vernichten wollte. »Der Gleiter ist bereit?« »Ja. Die Atiqs warten an einer neutralen Stelle zwischen Palisaden, dem Eingang zum ehemaligen Tempelbezirk und der Siedlung. Dort versuchen sie, das Eindringen in die Boje vorzubereiten.« »Tyari und ich werden ihnen dabei helfen«, entschied Atlan. »Darf ich jetzt, bitte, in Ruhe zu Ende frühstücken?« »Ich lasse euch allein«, meinte Carn und schloß leise das Schott hinter sich. Sie beendeten ohne Hast ihre Mahlzeit, besprachen mit Uster Brick und Bjo Breiskoll in der Zentrale alle Einzelheiten und kletterten dann im Hangar, dessen Schleuse weit geöffnet war, in den schweren Gleiter. Das Gefährt hob sich, glitt summend aus der Luke und in einem weiten Bogen durch die Luft, auf die Stelle zu, an der ein dichtgedrängter Ring aus Vullkaugern eine kleine Gruppe umgab. Atlan wandte sich ernst an Tyari. »Vielleicht gelingt es uns, die Diskussion zu beschleunigen. Wir haben nicht viel Zeit.« »Dir gelingt es bestimmt!« versicherte sie lächelnd. Auch Tyari, die es sich versagte, telepathisch nachzuforschen, war bemüht, nicht auf zurückliegende Vorfälle einzugehen. Sie versuchte, Atlan aufzumuntern. Langsam umflog der Gleiter die Vullkauger, deren Rücken heute glänzten und in unzähligen Farbkombinationen leuchteten. Zwei der Vulnurer winkten mit ihren langen Insektenarmen. Dann landete der Arkonide die Maschine außerhalb des Kreises der Zuhörer. Sie sprachen leise miteinander. In der Luft war ein ununterbrochenes Zirpen und Rascheln. Atlan und Tyari stiegen aus und gingen auf die Gruppe innerhalb der Vullkauger zu. Atlan sprach langsam eine kurze Begrüßung, dann hob er beide Arme und zeigte auf die offene Schleuse der Boje.
»In dieser Nacht«, sagte er zu Atiq‐Than und Baugh, »fingen die wunderbaren Maschinen der Sternenbarke eine Rede auf. Die Boje sprach zu uns. Sie sagte: Geht zu Baugh und Fronsel und berichtet ihnen, daß ich, also die Boje, unendlich lange Zeit versteckt blieb. Würden die Vullkauger gelernt haben, besseres Metall zu verarbeiten, würden sie viele Erfindungen gemacht haben, hätten sie den Berg viel zu früh niedergebrannt. Hilf mir bei der Übersetzung, Than.« Geschickt spürte der Vulnurer die Schwachpunkte auf und schien zu verstehen, was Atlan mit diesem Versuch bezweckte. Mit lebhaftem Klappern der Scheren und aufgeregten Fühlerbewegungen hörten sie zu. Atlan sprach weiter und überlegte sich jedes Wort. »Die Boje sagte uns: Ich habe es so eingerichtet, daß die Vullkauger es nicht schaffen, mit weniger Arbeit besser zu leben oder solche Erfindungen zu machen wie die Fremden im Raumschiff oder der Sternenbarke. Wenn die Vullkauger, sagte die Boje unzweifelhaft, zu mir kommen, in mein Inneres, werde ich mit ihnen sprechen. Und die Fremden sollen den Vullkaugern helfen. Die Vulnurer, ihre Brüder, sollen ihnen helfen. Und schließlich sollen sie Freunde werden. Das sagte die Boje.« Hoffentlich hatte Atlans Schachzug die Vullkauger überzeugt. Skeptisch wartete er, bis die Atiq‐Brüder und die zwei Anführer miteinander redeten. Er hörte mit größter Aufmerksamkeit die Übersetzungen und Rückübersetzungen mit und bemerkte, daß die Anführer der Streitparteien deutlich zueinander Abstand wahrten. »Sie meinen, sie können nicht kontrollieren, ob wir die Wahrheit sagen«, erläuterte Atiq‐Droos schließlich. Atlans Antwort enttäuschte ihn nicht. »Sie können es sofort kontrollieren. In der Boje. Wir fliegen dorthin!« »Wir alle!« unterstützte ihn Atlan. »Ein Kontakt mit dem
beschützenswerten und zu erobernden Gegenstand im verschwundenen Berg.« »Warum will Baugh die Untersuchung oder das Betreten verweigern? Will er nicht, daß sein Volk etwas lernt?« »Und warum haben Fronsel und seine Krieger gegen ihn gekämpft?« wollte der Vulnurer wissen. »Doch nicht, um vor der offenen Boje zu warten?« Der Kleinkarierte vollführte eine Reihe seltsam aussehender Bewegungen mit allen Gliedmaßen, dann verstand Atlan: »Die Fremden haben recht. Überwinde dich, alter Priester. Ich habe genug Mut. Thymier und Mede‐Ack und ich, wir fliegen mit den Fremden in die Boje.« Atlan winkte; eine Geste, die Fronsel verstand. Sofort rannten er und zwei andere Vullkauger, schwarzspiralig und schwarzweiß, auf den Flugapparat zu. Sie kletterten geschickt auf die Ladefläche, auf der Teile der Ausrüstung festgezurrt waren. Atlan und Tyari warteten noch. Der Arkonide konnte ein breites Grinsen nicht unterdrücken. Die drei Vulnurer redeten auf Baugh ein, und schließlich, um nicht Fronsel den gesamten Ruhm zu gönnen, stimmte auch der Traditionalist zu. Er benannte zwei Krieger namens Noupt und Kharp. Auch diese Vullkauger kletterten schließlich auf die Ladefläche, aber von der anderen Seite. »Los!« sagte Atlan. »Sagʹs ihnen, Than. Für sie alle wird die Zukunft besser werden.« Das Zirpgeräusch schwoll an, als die Vulnurer zu Tyari und Atlan in die Kabine hineinkletterten. Der Gleiter hob ab und flog so langsam, daß alle Vullkauger den Flug gebührend beobachten konnten, schräg hinauf und ungehindert in die Schleuse hinein. Die Luke war groß genug für mehrere Flugkörper dieser Art. Als Atlan den Gleiter aufsetzte, nickte ihm Tyari zu und flüsterte: »Ich bin sicher, daß die Boje sprechen wird. Es ist ein Flüstern in der ganzen Anlage.« Sowohl die Vulnurer als auch als die beiden Solaner hatten schon
jetzt erkannt, daß die Boje als Raumfahrzeug gedacht war. Die Schleuse trug alle entsprechenden Merkmale. »Aussteigen«, sagte Atlan. »Die Geheimnisse der Boje warten auf uns.« Atlan bewegte sich mit äußerster Vorsicht, aber es gab keine Fallen. Die Boje dachte und handelte selbsttätig. Im ersten Raum hinter der geräumigen Schleuse änderte sich die Schwerkraft, und während die Eindringlinge für einige Sekunden Schwierigkeiten hatten, hallte durch den Korridor mit rundem Querschnitt eine Stimme. Sie sprach Interkosmo. Atlan blickte sich um. Auch Vulnurer und Vullkauger verstanden die Stimme der Boje. »Eine starke telepathische Komponente«, erklärte Tyari. Altan hörte: »Der Zentralcomputer der Boje begrüßt euch. Geht weiter; ich schalte entsprechende Zeichen. Die Programmierung, die ich in der Vergangenheit bekam, hat alle Ereignisse ausgelöst. Geht in die Leitzentrale und stellt Fragen. In jedem Abschnitt gibt es optische und akustische Verständigungseinheiten.« Die Vullkauger waren überwältigt und liefen hinter Tyari und Atlan ins Innere des Schiffes hinein. Atlan hingegen folgte einem System huschender Farbstriche vor seinen Fußspitzen. Türen glitten geräuschlos auf und wieder zu. »Ich, die Boje, verstehe mich auch als Futurboje. Die Grundprogrammierung zwingt mich, folgendes zu erklären: Wenn es an der Zeit ist, dem Geschehen in der Namenlosen Zone eine schicksalhafte Wendung zu, geben, dann muß ich alle positiven Kräfte und Anstrengungen unterstützen. Ich bin ein hervorragendes Werkzeug.« Die Leitzentrale, nicht weit von der Innenhülle, offensichtlich innerhalb der kugeligen Mittelrundung untergebracht, war für die Atiq‐Drillinge und die Solaner ein gewohnter Anblick. Die Bildschirme und eine Vielzahl von Kontrollinstrumenten waren
aktiviert. Ehrfurchtsvoll tappten die Käferartigen von einem Gerät zum anderen und berührten alles scheu mit den Spitzen der Greifscheren. Atlan beschloß in dieser Sekunde, sich nicht um die Belange der Vullkauger zu kümmern. Er fragte: »Das Futur aus Jenseitsmaterie brachte uns zur Futurboje. Richtig?« »So war es geplant.« »Wer hat dich programmiert?« »Das entzieht sich meinen Speichern. Ich wurde aktiviert, als die Materie den schützenden Berg auflöste.« »Du kannst in die Namenlose Zone eindringen?« »Ich bin mit dem gesamten Inhalt in der Lage, zwischen dem normalen Universum und der Namenlosen Zone hin und her zu wechseln.« »Dir ist also an einer Wiedervereinigung zwischen Lichtquelle und Vulnurern gelegen? Die Vulnurer, das sind die größeren Wesen hinter mir.« Atlan lehnte, Tyari gegenüber, an die Rückenkonstruktion eines vergleichsweise riesigen Sessels gestützt. Die Erklärungen des Zentralcomputers kamen aus allen Richtungen und besaßen die Qualität einer lauten, selbstbewußten Stimme. Wie die Umschreibungen und Erklärungen für die Vullkauger klangen, wollte sich Atlan nicht vorstellen. Er wartete begierig auf die Antwort. »Selbstverständlich unterstütze ich alle positiven Kräfte, die diese Vereinigung fördern oder herbeiführen wollen. Ich bin, laut Programmierung, in der Vergangenheit hier versteckt worden. Ein winziger Impuls an Reststrahlung sorgte dafür, daß die Planetarier einen bestimmten Stand der Entwicklung nicht überschritten; sie hätten die Prinzipien meines Langzeitprogramms gestört.« »Du weißt also definitiv nichts von den Ereignissen der Vergangenheit?«
»Nein. Ich bin durch das Futur eingeschaltet worden. Ich besitze allerdings sämtliches Wissen und Fähigkeiten zur planvollen Durchführung zukünftiger Aktionen.« »Schade«, meinte Tyari. »Wir haben alles verstanden«, schaltete sich Atiq‐Droos ein. »Die Zeit ist reif, Futurboje!« »Der Zentralcomputer hat dieselbe Analyse durchgeführt. Ich bin für entsprechende Einsätze bereit.« »Auch mit einer Mannschaft aus Solanern und Vulnurern, einzeln oder zusammen?« »Die Entscheidung darüber habe ich nicht getroffen. Jeder, der die beiden Komponenten zusammenführen will, kann meine Fähigkeiten ausnutzen. Die Zeit ist reif.« »Du wirst den Planeten Vullkaug verlassen müssen.« »Ein Vorteil für die Vullkauger. Ich werde das bisher blockierte Wissen und die kulturell‐zivilisatorischen Zurückhaltungen freigeben. Binnen kurzer Zeit wird sie ein Sturmwind der Fähigkeiten heimsuchen.« Atlan blickte Tyari schweigend an. Dann nickte er langsam. Er hatte noch nicht alle Aspekte dieser überraschenden Eröffnungen und der neu gewonnenen Möglichkeiten durchdacht. Er stellte eine weitere Frage. »Angenommen, ich erteile der Futurboje den Befehl, einen bestimmten Punkt im Normaluniversum anzufliegen und von dort aus in die Namenlose Zone zu fliegen? Mit Schiffen der Solaner und solchen der Vulnurer. Wie sähe die Reaktion aus?« Er war sich bewußt, daß ein riesiger Computer sie alle seit dem Eindringen genauestens beobachtete. Nein. Schon vorher! Seit dem Augenblick, um genau zu sein, als sich der Kegelberg aufgelöst hatte, war er aktiviert. »Ich würde diesen Befehl mit allen mir verfügbaren Mittel befolgen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, füge ich hinzu: Teile der Technik der Boje sind versiegelt, also geheim. Sie dürfen nicht
entschlüsselt werden. Abgesehen davon sind die entsprechenden Hohlräume auch nicht zugänglich.« »Meine Neugierde hält sich in engen Grenzen«, entgegnete der Arkonide. »Wir verlassen jetzt den Leitstand. In kurzer Zeit kommt ein kleines Kommando an Bord mit genauen Kursanweisungen und anderen, interessanten Vorhaben.« »Es wird mir willkommen sein.« Auf den Bildschirmen veränderten sich die Ansichten des Planetenbodens. Sie drehten sich alle langsam um neunzig Grad. Atlan und Tyari hörten, als sie langsam zum Gleiter zurückgingen, mehr telepathisch oder suggestiv als akustisch wahrnehmbar, wie die Futurboje die Vullkauger anredete. Sie versicherte – und dabei gebrauchte sie hochtrabende und markante Sätze –, daß sowohl die standhaften Traditionalisten als auch die mutigen Neudenker genau das Richtige gedacht und getan hätten. Ihr Kampf sei von der Boje diktiert worden. In Wirklichkeit gab es keine Gegensätze. Der Grund des Streites würde den Planeten bald verlassen. Und die Vullkauger mußten sich miteinander versöhnen. Sie würden reich belohnt werden. Die treuen Dienste, die für die Ahnen geleistet worden waren, würden die Vullkauger zu einem glücklichen kleinen Volk machen, einem Stamm, der in einer paradiesischen Welt lebte, sorgenfrei und … und … Die Futurboje schwebte jetzt waagrecht in der Luft. Die Schleuse lag so dicht über dem Boden, daß Vulnurer und Vullkauger mit einem Satz in die weiß überstäubte Fläche hinunterspringen konnten. Atiq‐Oyz blieb bei Baugh und Fronsel – bis zum Start, sagte er. Für Altertumsforscher gäbe es sehr viel zu tun, versicherte er. Atlan, Tyari und die beiden Vulnurer brachten den Gleiter zurück in die MJAILAM. Dort verbrachten sie einige lebhafte Stunden damit, allen Besatzungsangehörigen zu berichten, was alles vorgefallen war. Es gab laute Diskussionen. Die Mitglieder eines kleinen Teams meldeten sich freiwillig, um mit diesem
hochinteressanten Objekt den Rückflug zur SOL anzutreten. Atlan stimmte zu und legte den Start für die ersten Stunden des fünfundzwanzigsten August fest. Ein risikoloser Weg in die Namenlose Zone schien offen zu sein. Ob es leicht war, ihn zu beschreiten, würden sie alle bald herausfinden. Noch viel mehr Grund zur Freude würden die Vulnurer haben. Dachte er an die Vision, vergingen Atlan das Lachen und jeder Anflug von gelöster Fröhlichkeit. 7. Atiq‐Than hockte auf der Sitzfläche eines Kontursessels und wirkte in der stark gedrosselten Punktlichtbeleuchtung der Zentrale wie ein exotischer Ritter, wie eine metallgepanzerte Gestalt aus einer außergewöhnlichen Welt. Seine Stimme zirpte, und der Translator gab den Text wieder. »Lichtquelle‐Jacta wird außer sich sein vor Freude. Wenn es stimmt, dann werden wir in Kürze die Lichtquelle vor uns sehen. Eine quälende Zeit der Ungewißheit geht zu Ende, Atlan.« »Mache auf keinen Fall den Fehler«, warnte Atlan und schaute immer wieder auf den Monitor, der ihnen zeigte, wie es sich die Gruppe um Bjo Breiskoll im Leitstand und den angrenzenden Räumen der Futurboje bequem zu machen versuchte, »zu denken, ein Vorstoß in die Namenlose Zone ginge ohne Gefahren ab. Viele Solaner sind dort gestorben. Andere kehrten mit Schäden zurück, die noch lange nicht ausgeheilt sind.« »Das weiß ich«, meinte der Vulnurer. »Aber ich bin trotzdem heiter und zufrieden.« Sie hatten sich von den Vullkaugern in bestem Einvernehmen getrennt. Die Ladung der MJAILAM war um einige Tonnen einfacher Maschinen, Nachrichtengeräte und Lernbänder samt
Translatoren und Bildschirmen erleichtert worden. Die Bronzezeitler würden viel nachzuholen haben. Jedes Geschenk war erklärt und dankbar entgegengenommen worden. Barren halbedler Metalle waren das Gegengeschenk. »Zurück zur SOL, zur HEUTE, GESTERN und MORGEN!« rief der Vulnurer. »In wenigen Stunden.« Atlan besaß nun in den BRISBEE‐Kindern und der Futurboje zwei Möglichkeiten, in die Namenlose Zone einzudringen. »Bleibt ihr allein hier?« fragte der Insektoide und machte die Geste der Verabschiedung. Atlan erwiderte: »Ja. Wir genießen die Ruhe.« In der Siedlung brannten viele Feuer, Lampen und Fackeln. Die Neudenker waren aus den Wäldern gekommen und feierten mit den Traditionalisten. Die Pilger, zu denen sich eine zweite Karawane gesellt hatte, feierten mit und ließen sich von den ehemaligen Priestern berichten, welche Wunder am Beginn einer neuen Zeit standen. Tyari lehnte sich zurück, esperte kurz und flüchtig in Atlans Richtung und verschloß dann, zu Tode erschrocken, ihren Verstand. Atlan schlief fast. Dennoch rasten seine Gedanken. Er war im Zentrum eines höllischen Hurrikans aus Gefühlen, der Illusion erschöpfender Bewegungen und anderer Visionen befangen. Er lag wie bewußtlos im Sessel des Kommandanten, starrte mit offenen Augen an Tyari vorbei auf die Bildschirme und atmete keuchend. * Ich preßte meinen Rücken gegen den heißen Fels und hob den Kopf. Der halbzerschmetterte Körper eines toten Menschenjägers fiel, sich überschlagend, über die kantigen Brocken der Geröllzunge. Hinter mir stieß Tyari scharf den Atem aus.
»Es leben noch immer einige der Verfolger«, flüsterte sie. Die Stunden, die wir im Labyrinth der farbigen Felsen umherirrten, schienen nicht zu enden. Noch stand die Sonne Kausnits nicht im Nachmittag. Wieder jaulte ein Strahlschuß über sie hinweg und verwandelte den Stein dort, wo mein Schatten auftraf, in Splitter, weißglühende Funken und Rauch. Weder ich noch Tyari sahen den Schützen. »Wir leben auch noch. Erstaunlich, nicht wahr?« gab ich zurück. Geduckt schoben wir uns durch die schmalen Spalten zwischen sonnenglühenden oder schattenschwarzen Mauern aus Stein. Noch hatten wir nicht den höchsten Punkt erreicht, von dem die Treppe hinunterführte zum Landeplatz des Rettungskommandos. Hoch über uns schwebte irgendwo der Gleiter Rosmeres. »Sie haben es auf meinen Tod abgesehen«, murmelte Tyari. Obwohl in jeder Felsritze jene ekelhaften, stäubenden Blüten wucherten, gab es einzelne Momente, in denen Tyari espern konnte. »Unsinn, auf unseren Tod!« sagte ich betont. Wir hasteten weiter, seit drei Tagen ununterbrochen auf der Flucht. Verwundete und Tote markierten unseren Weg. Hinter uns, hoch über unseren Köpfen, klapperten und polterten zuerst kleine, dann größere Steine, schließlich hagelte eine staubende Lawine genau an der Stelle herunter, an der sich eben noch Tyari befunden hatte. Ich ließ mich zurückfallen, zielte flüchtig und schoß auf den Jäger, dessen Oberkörper zwischen zwei Steinzinnen in die Höhe gerissen wurde und dann schwer nach vorn fiel Ein System enger Steinbögen nahm uns auf. Wir hasteten aufwärts und sahen schon die freie Fläche, die sich hinter einem unregelmäßigen Steinwall wie hinter Palisaden verbarg. Als wir das Rund vor uns sahen, blieben wir im Schutz eines Durchlasses stehen. Tyari sicherte nach hinten, ich wagte es, meinen Kopf in die Fluchtrichtung zu drehen. Im gleichen Augenblick sprang dort, wohin wir rennen mußten, ein Jäger wild feuernd zwischen den Basaltsäulen hervor. Ich traf ihn mit dem zweiten Schuß, nachdem ich mich zu Boden geworfen und mein Schienbein aufgeschrammt hatte. Das Summen des Gleiters wurde lauter. Meine Augen suchten den
Himmel ab. Wind und Regen hatten den Stein vor uns völlig glatt und plan geschliffen. Einzelne Steinbrocken lagen darauf und warfen Schatten. »Wir haben es fast geschafft. In zwei Stunden liegt alles hinter uns«, sagte ich und musterte jede Handbreit der Felsen, die in den unglaublichsten Formen diese Fläche umgrenzten. Nichts bewegte sich. Nur der heiße Wind, der nach Sumpf und Dschungel roch und nach Blütenstaub, winselte in kurzen Stößen. Unser Herzschlag und die Atemgeräusche waren das Lauteste ringsum. »Ich zuerst«, flüsterte ich. »Jeder sichert den anderen. Siebzig große Schritte.« »Verstanden. Mach schnell.« Ich hob die Waffe, kontrollierte die Ladeanzeige, holte tief Luft und warf mich vorwärts. Ich raste mit riesigen Sprüngen im Zickzack über den freien Platz und war mit dem letzten Sprung im einzigen sichtbaren Durchlaß. Zu meinen Füßen lag die Leiche des Verfolgers. Wir besaßen nur noch die Waffen. Alles andere hatten wir verloren. Wir starben fast vor Durst. Ich warf einen langen Blick auf die steinernen Stufen und winkte dann Tyari. Sie rannte, sprang und schlug ebenso Haken wie ich. Als sie noch zwei Sprünge von mir entfernt war, schwang sich der Gleiter mit Rosmere darin über die Felsbarriere. Rosmere stand federnd darin, eine klobige Waffe im Anschlag. Der Gleiter hielt in der Luft an. Rosmere schoß einen Meter neben meiner rechten Schulter in den Raum zwischen den Felsen. Ich versuchte, nach links auszuweichen, um freies Schußfeld zu haben. Im gleichen Augenblick sah Tyari die Feindin, sprang halb zur Seite, halb drehte sie sich herum. Wir beide schossen. Mein Schuß traf den Gleiter Tyari verfehlte den Oberkörper Rosmeres nur um zwei Handbreit. Dann deutete der Projektor der schönen Rothaarigen genau auf mich. Tyari war herangekommen, ahnte die Situation mehr, als sie sie sehen konnte, und sie sprang genau vor mich. Im selben Augenblick feuerte Rosmere.
Tyari hatte sich vor mich geworfen. Ob zufällig oder bewußt, war unwichtig. Sie wurde gegen mich geschleudert. Ihr Arm fiel schwer herunter, der Kolben ihrer Waffe krachte auf mein Handgelenk und prellte meine Waffe aus den schmerzenden Fingern. »Sie wollte … mich, Atlan«, hauchte Tyari und glitt langsam an meinem Körper herunter. Ich hielt sie geistesabwesend fest und hörte das laute, triumphierende Lachen Rosmeres. Ihre Stimme hallte über die Fläche: »Das ist es, was ich wollte, Atlan. Ich wollte Tyari töten. Du kannst weiterleben, denn dich brauche ich noch.« Ich war völlig gelähmt. Ich sah untätig zu, wie sie sich in den Gleitersitz fallen ließ, die Maschine wendete und davonjagte. Tyari war tot. Ich erwache wieder aus der Vision. Ich finde mich in der Zentrale der MJAILAM, und mir gegenüber sitzt Tyari – lebend und besorgt, denn sie hält mir mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck einen Kunststoffbecher mit rotem Wein entgegen. Atlan suchte in ihren Augen nach Gewißheit. Wußte Tyari, welche Vision ihn verwirrt, erschreckt und schließlich wieder in die Wirklichkeit geschleudert hatte? »Danke«, flüsterte Atlan. »Wovon hast du geträumt?« fragte Tyari. Er trank, um Zeit zu gewinnen, dann antwortete er: »Vom Tod in seiner brutalsten Form.« Sie schwiegen beide, denn weder Atlan noch Tyari wußten, was sie sagen sollten. Stunden später starteten die Futurboje und die MJAILAM zurück zur SOL. ENDE Die Zyrtonier – sie verkörpern die eigentliche Macht in der Namenlosen Zone, wie man inzwischen weiß – sind nicht müßig. Endlich haben sie die
Lichtquelle entdeckt, und ihr Angriff führt zum Untergang der Basis … UNTERGANG DER BASIS – unter diesem Titel erscheint auch der von Arndt Ellmer verfaßte Atlan‐Roman der nächsten Woche.