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John Curtis 1.
Das Brausen und Prasseln der Flammen drang bis zu Caligu und seinen Männern in die Boote...
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Seewölfe 49 1
John Curtis 1.
Das Brausen und Prasseln der Flammen drang bis zu Caligu und seinen Männern in die Boote. Der hünenhafte Pirat wandte sich um und starrte zu den beiden brennenden Galeonen hinüber. Er kochte vor Wut über die Niederlage, die ihm der Seewolf beigebracht hatte. Außerdem konnte es nicht mehr lange dauern, bis das Feuer auch die Pulverkammern der beiden Schiffe ergriff. Caligu wußte genau, was dann geschehen würde. „Verdammt noch mal, pullt. ihr verfluchten Hunde!“ brüllte er die Ruderer an. „Oder wollt ihr, daß wir hier alle in die Luft fliegen?“ Die Männer legten sich in die Riemen. Auch sie hörten das Brausen und Zischen der Flammen, die die Masten und Takelage der beiden Galeonen inzwischen in Riesenfackeln verwandelt hatten. Eins der beiden Schiffe lag weit nach Backbord über, es konnte jeden Augenblick kentern. Über die Bucht, die sich nach Norden hin öffnete und einen natürlichen, riesigen Hafen der Grand-Cayman-Insel bildete, lag dicker schwarzer Rauch. Durch die grellen Sonnenstrahlen, die die Szene an diesem Morgen erhellten, wirkte er noch fetter, noch schwärzer. Die leichte Brise, die von West wehte, reichte nicht aus, um den Qualm, der unablässig von den beiden brennenden Schiffen emporquoll, zu vertreiben. Einer der Männer hustete gequält und ließ für einen Moment seinen Riemen fahren. Sofort gerieten auch alle anderen Ruderer aus dem Takt. Wilde Flüche wurden laut, die Ruder krachten gegeneinander, zwei von ihnen zersplitterten sofort. Caligu sprang so heftig auf, daß das Boot bedrohlich zu schwanken begann. Aber das kümmerte den Anführer der Piraten nicht. Mit einem wilden Schrei drang er auf den Mann ein, der die Schuld an dem Durcheinander trug. Er packte den Mann und riß ihn mit einem brutalen Ruck zu sich heran. Gleichzeitig schlug er zu.
Caligu, der Pirat
Der Pirat schrie auf, Blut schoß aus seiner Nase, aber Caligu ließ ihn nicht los. Mit seinen Riesenkräften hob er ihn hoch und schleuderte ihn in weitem Bogen über Bord. Wieder schwankte das Boot bedrohlich hin und her. „Rudern, verflucht, ich schlage jedem den Schädel ein, der jetzt nicht sofort wieder pullt!“ Caligus Augen waren dunkel vor Zorn, er kümmerte sich nicht um den Mann, der im hochaufspritzenden Wasser verschwand und in Todesangst wild mit Armen und Beinen um sich schlug. Das Boot nahm wieder Fahrt auf, aber in diesem Augenblick erschütterte eine berstende Explosion die Bucht. Caligu fuhr herum - er sah gerade noch, wie eine gewaltige Stichflamme in den Himmel schoß und wie die eine der beiden Galeonen regelrecht auseinanderplatzte. Er und seine Männer duckten sich unwillkürlich tief ins Boot, da fegte auch schon die Druckwelle der Explosion über sie weg. Sekunden später begann es um sie herum Trümmer zu regnen. Caligu und seine Männer hatten Glück, ihr Boot blieb vom Trümmerregen verschont. Dafür erwischte es das Nachbarboot von der anderen Galeone voll. Caligu vernahm den Krach und das Knirschen, mit dem der Großmast der explodierten Galeone das Rettungsboot zermalmte und die Männer unter sich begrub. Er hörte die Schreie, mit denen sie starben, und er spürte auf der nackten braunen Haut das Wasser, das ihn und seine Männer traf und das Boot fast vollschlagen ließ. Dann herrsche plötzlich wieder Stille, eine geradezu unnatürliche Stille, wie es Caligu schien. Denn immerhin war da noch die andere Galeone, die brannte und ebenfalls jeden Augenblick in die Luft fliegen konnte. Der Pirat richtete sich auf. Und dann sah er es - die zweite Galeone war gekentert. Langsam wälzte sie sich weiter herum. Das Wasser, das innerhalb weniger Sekunden die Masten bedeckte, erstickte die züngelnden Flammen. Gleich darauf
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schwamm das Schiff kieloben - und so blieb es für die nächsten Minuten liegen, während neben seinem Rumpf riesige Luftblasen an die Wasseroberfläche stiegen und blubbernd zerplatzten. Nach und nach richteten sich auch die anderen Piraten wieder auf. Sie starrten zu der Galeone hinüber, ihre Blicke suchten die Stelle ab, an der eben noch das Boot mit ihren Gefährten gewesen war. Sie fanden jedoch nichts außer Trümmern und dem Großmast, in dessen Umgebung sich die See blutrot gefärbt hatte. Caligu spürte, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken kroch. Er sah das Blut, und er sah auch schon die ersten dreieckigen Rückenflossen der Haie, die von See her heranschossen. „Weiter - wir wollen uns beeilen, daß wir Land unter die Füße kriegen“, sagte er in die Stille hinein. „Wenn diese verdammten Bestien erst einmal durch das Blut und die im Wasser treibenden Leichen wild werden, dann ...“ Er brauchte den Satz nicht zu Ende zu sprechen, jeder seiner Männer kannte sich mit Haien aus. Sie alle wußten, daß gerade diese Gegend nur so von ihnen wimmelte. Sie stemmten sich in die Riemen und begannen, wie die Verrückten zu pullen. Sie alle erfüllte nur ein einziger Gedanke: so schnell wie möglich weg von dieser Stelle. * Caligu hielt in die Bucht hinein, geradewegs auf den breiten Streifen Sandstrand zu, der vor ihnen in der Sonne leuchtete. Dabei warf er immer wieder einen Blick zu der Karavelle hinüber, die am Rand der Bucht vor Anker lag. An zwei Ankern, wie seine scharfen Augen erkannten. Gleichzeitig beobachtete er jedoch auch die Männer, die am Ufer der Bucht standen und ihnen entgegenstarrten. Er wurde aus alledem nicht recht klug. Wer war dieser verfluchte Fremde gewesen, der ihnen eine so mörderische Abfuhr erteilt hatte? Und warum lag dort ein Schiff an zwei Ankern in der Bucht?
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Unwillkürlich suchten seine Augen das Deck ab, konnten aber niemanden entdecken. Einen Moment zögerte er. Sie brauchten ein neues Schiff. Mindestens eins, also mußten sie sich die Karavelle holen. Sofort? überlegte er. Aber er verwarf den Gedanken so schnell, wie er ihn gefaßt hatte. Daß sich an Deck niemand sehen ließ, mußte nicht unbedingt etwas Gutes zu bedeuten haben. Im Gegenteil, die Kerle konnten ihm und seinen Männern mit dem Kahn eine hübsche Falle bauen. Außerdem war das Schiff ein gehöriges Stück entfernt. Sie mußten, wollten sie dorthin, quer über die Bucht zur anderen Seite pullen, gut sichtbar für jeden Mann, der an den Geschützen auf sie lauerte. Nein, sie hatten genug Blei und Eisen in den letzten Stunden geschluckt. Besser würde sein, zunächst einmal an Land zu gehen und dort das Heft in die Hand zu nehmen. Dann würde man schon herauskriegen, was es mit diesem seltsamen Schiff dort hinten für eine Bewandtnis hatte. In diesem Moment stutzte Caligu, der im Gegensatz zu seinen Männern an den Riemen den Strand genau beobachten konnte. Caligu glaubte seinen Augen nicht zu trauen. „Halt!“ brüllte er seinen Männern zu. „Dreht euch mal um, bei allen Teufeln der Hölle, da hinten am Strand gibt es Weiber, und zwar eine ganze Menge!“ Unwillkürlich hatte er die Augen zusammengekniffen. Die Sonne, die sich mehr und mehr durch den über der Bucht lagernden Qualm hindurcharbeitete, blendete ihn. Aber so oft und so lange er auch zum Strand hinüberstarrte - das erregende Bild blieb - ein rundes Dutzend Frauen hatte sich neben den Männern aufgebaut, und sie alle sahen Caligu und seinen Piraten entgegen. „Mensch - Weiber!“ flüsterte einer der Piraten andächtig. Aber dann warf er seinen Kopf herum und brach in ein dröhnendes Gelächter aus. „Weiber!“
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schrie er. „Leute, da drüben gibt es Weiber. Und junge noch dazu, wenn meine Augen mich nicht täuschen. Jungs, die holen wir uns! Beim Satan, das wird ein Fest!“ Ohne daß Caligu irgendeinen Befehl erteilt hatte, griffen sie zu den Riemen. Dann pullten sie aus Leibeskräften. Das Boot näherte sich schnell dem Strand. An seiner weißleuchtenden Bugwelle erkannten die Spanier, wie eilig es die Schiffbrüchigen hatten, in der Bucht zu landen. * Maria Juanita stand neben dem hünenhaften Portugiesen. In ihren Zügen arbeitete es. Sie besaß scharfe Augen, und deshalb erkannte sie den bunt zusammengewürfelten Haufen schon von weitem. Die wüsten Gesichter, die großen goldenen Ohrringe, die etliche von ihnen trugen, die roten, grünen, gelben und schwarzen Kopftücher, -die sonnengebräunten nackten Oberkörper. Immer wieder jedoch glitten ihre Blicke zu dem Mann, der am Steuer des Bootes saß. Ein wahrer Riese! durchzuckte es sie. Und je näher das Boot an den Strand heranglitt, desto deutlicher erkannte sie das kühne, scharf geschnittene Gesicht, die schmale Nase, die sinnlichen, leicht wulstigen Lippen, die breite Narbe, die sich über die linke Wange zog und dem Mann ein wildes Aussehen verlieh. Unter seiner kupferfarbenen Haut spielten beachtliche Muskelpakete, sobald er sich bewegte, sein dichtes, schwarzes Kraushaar rundete das gesamte Bild nur noch ab. Verstohlen ließ Maria Juanita ihre Blicke über den neben ihr stehenden Portugiesen gleiten. Raoul Calon war ebenfalls ein Mann von hünenhafter Statur, und ein harter Kämpfer, aber im Vergleich zu dem Kerl, der innerhalb der nächsten Minuten auf den Strand der Bucht springen würde, war er nicht mehr als ein primitiver Schläger. Für beide, für den Portugiesen und für den anderen, würde fortan kein Platz sein.
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Einer von ihnen würde sterben, das begriff Maria Juanita sofort. Die beiden würden um sie kämpfen, und sie würde dem Sieger gehören. Über ihre Züge huschte ein grausames Lächeln. Gehören? Das dachten die Männer immer, nur weil sie mehr Kraft hatten als eine Frau. Aber gehören? Nun, sie würde schon sehen, wer hier wem aus der Hand fraß. Das Boot stieß auf den Strand. Das war genau der Moment, in dem Maria Juanita ihre Gedanken abrupt unterbrach. Der riesige Fremde war mit einem raubtierhaften Satz an Land gesprungen. Seine weißen, makellosen Zähne blitzten im Sonnenlicht. Er stand da und starrte sie an. „Komm her“, sagte er dann. „Komm her, oder ich hole dich. Du gehörst jetzt mir, du gehörst ab sofort Caligu. Und wer noch seine Pfoten nach dir ausstreckt, dem schlitz ich den Bauch auf!“ Er streckte gebieterisch die Hand aus, während seine Augen vor Erregung funkelten. Maria Juanita stand wie erstarrt, und ebenso die anderen Frauen, hinter diesen die Männer und zu ihrer Linken der riesige Calon. Aber an ihn dachte sie erst wieder, als er sich plötzlich bewegte. Er trat ein paar Schritte vor, auf Caligu zu. „Wenn du sie haben willst, dann mußt du mich erst töten. Diese Frau wird dir niemals gehören, solange ich lebe.“ Der Portugiese stand wie ein Baum im weißen Sand der Bucht. Sein Atem ging ruhig, und seine breite Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Er schien nicht sonderlich aufgeregt zu sein, obwohl er bestimmt erkannt hatte, was für einen gefährlichen Gegner er soeben herausgefordert hatte. Auch Caligu rührte sich nicht. Er blickte den Portugiesen aus seinen schwarzen Augen nur an. Doch dann packte ihn plötzlich die Wut. Es hatte bisher noch keinen Menschen auf der Welt gegeben, der ihm, Caligu, etwas streitig machen konnte, was er haben wollte.
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Keinen? Wirklich keinen? Caligu erschien blitzartig das Bild des Seewolfs, das sich in sein Gehirn eingebrannt hatte. Doch, dieser eine hatte ihm nicht nur das Schiff, das er kapern wollte, streitig gemacht, sondern ihm und seinen Männern auch noch eine vernichtende Niederlage zugefügt. Dieser Gedanke ließ die Wut Caligus übermächtig werden. Mit einem lauten Schrei riß er sein langes Entermesser aus dem Gürtel. Gleichzeitig sprang er auf den Portugiesen zu. „Dann stirb, du Hund!“ brüllte er. Die Klinge seiner Entermessers stieß in einem blitzschnellen Ausfall nach vorn, aber der Portugiese war auf der Hut und wich dem tödlichen Stich ebenso schnell aus. Und jetzt hielt auch er sein Messer in der Faust. Seine Klinge zuckte vor, so schnell, daß Maria Juanita und die anderen diesem Stich mit den Augen nicht folgen konnten. Doch auch der Portugiese stach ins Leere, denn Caligu warf sich zur Seite, wirbelte sofort herum und drang erneut auf den Portugiesen ein. Sein rechter Fuß zuckte hoch und traf den Portugiesen in die Seite. Der Portugiese wurde von dem Tritt zur Seite geschleudert. Er strauchelte, und sofort war Caligu heran. Seine Messerhand stieß hoch, aber wieder hatte er den Portugiesen unterschätzt. Der fuhr blitzschnell herum, packte den Messerarm seines Gegners und zog Caligu mit einem Ruck über seine Schulter. Der riesige Pirat schlug in den weißen Sand. Sofort warf sich der Portugiese auf ihn. Die beiden Männer rangen erbittert miteinander. Sie wälzten sich durch den Sand, ihre Messer blitzten in der Sonne, aber keinem gelang der entscheidende Stich, Caligu barst fast vor Zorn. Er spannte alle seine Muskeln und warf sich genau in dem Moment herum, als der Portugiese seinen Griff für einen Bruchteil einer Sekunde lockerte, um sich in eine günstigere Position zu bringen. Mit einem weiteren Ruck, in den Caligu seine ganze ungeheure Körperkraft legte,
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gelang es ihm, die eiserne Klammer, die seinen Messerarm noch immer gepackt hielt, zu sprengen. Sofort stieß er mit den Ellenbogen nach, dann mit dem Knie und zuletzt mit dem Kopf. Das war selbst für den hünenhaften Calon zuviel. Er stöhnte und wollte sich zur Seite wälzen, um aufzuspringen und der gefährlichen Reichweite von Caligus Messerhand auszuweichen. Aber er schaffte es nicht mehr, er war angeschlagen und damit nicht mehr schnell genug für einen Gegner wie den riesigen Piraten. Zwar gelang es dem Portugiesen noch, sich zur Seite zu rollen. Auch aufzuspringen vermochte er noch, aber dann traf ihn das Entermesser Caligus. Er hatte es geworfen, und es bohrte sich dem Portugiesen bis ans Heft in die Brust. Es war, als hätte eine Gigantenfaust die Bewegungen des Portugiesen gestoppt. Caligu sah ihn stehen, sah das Zittern, das durch Calons mächtigen Körper lief, dann stürzte der Portugiese. Ein Blutschwall brach aus seinem Mund, und ein letztes gurgelndes Stöhnen entrang sich seiner Kehle, seine Beine zuckten noch ein paarmal hin und her, dann lag er still. Caligu drehte sich um, nachdem er das Messer aus der Brust des Toten gerissen hatte. „Noch jemand?“ fragte er drohend. Dabei hob er die Klinge seines Entermessers leicht an, und unwillkürlich wichen die Spanier, die hinter den Mädchen standen, zurück. Eines der Mädchen schrie, andere fielen um, aber Caligu rührte das nicht. Aus seinen schwarzen funkelnden Augen starrte er Maria Juanita an. „Komm her“, sagte er wieder. Und diesmal gehorchte Maria Juanita. Langsam, wie in Trance, ging sie auf Caligu zu, bis sie direkt vor ihm stand. Sie hatte keinen Blick für den Toten, um den herum sich der Sand langsam rot färbte, sie sah nur den Piraten an. Ihr Atem ging schwer. Der Pirat ließ ihr keine Zeit. Er schob das Entermesser in seinen Gürtel, packte sie
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und fetzte ihr mit ein paar Griffen die Kleider vom Leib. Erst als sie nackt vor ihm stand, lachte er dröhnend. Anschließend warf er sie sich über die Schulter und ging mit ihr fort. Und Maria Juanita leistete keinen Widerstand. Er achtete auch nicht mehr auf das Schreien der anderen Mädchen, als seine Männer sich auf sie warfen. Er sah nicht, daß die zwölf Spanier vor dieser Horde entfesselter Männer die Flucht ergriffen und sich schleunigst in Sicherheit brachten. Er spürte Maria Juanita an seinem Körper, und Caligus Blut kochte bei jedem, Schritt, den er tat, immer mehr. * Erst als die Sonne im Meer versunken war und die Spanier den Portugiesen längst begraben hatten, kehrte wieder Ruhe ein. Die meisten Mädchen hatten sich zurückgezogen, die Männer zündeten Feuer an. Stillschweigend ordneten sich die Spanier Caligu unter, denn sie wußten, daß er der einzige war, der sie vor seiner Horde von Piraten und Mördern schützen konnte. Caligu tat das, weil er sie brauchte, jedenfalls vorläufig noch. Es lag nicht in seiner Absicht, die Spanier schon jetzt umbringen zu lassen. Caligu saß mit Maria Juanita allein an einem der Feuer. Wieder und wieder starrte er zu der Karavelle hinüber, die gerade noch sichtbar auf der anderen Seite der Bucht lag. Plötzlich sah er die Frau an seiner Seite an. „Ich will dieses Schiff haben“, sagte er in die Stille hinein. „Heute nacht noch. Und dich nehme ich mit an Bord, du bleibst bei mir.“ Caligu sagte das in einem Ton, der gar keinen Widerspruch zuließ. Dann zog er Maria Juanita plötzlich zu sich heran. „Sobald es dunkel ist, fangen wir an. Ein Boot haben wir noch, das reicht. Dann werde ich mir von den Spaniern diejenigen aussuchen, die ich brauchen kann. Ich habe viele meiner Leute verloren. Im Kampf mit diesem schwarzhaarigen Bastard und als meine Galeone in die Luft flog. Das muß
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ein Fressen für die Haie gewesen sein!“ Er lachte roh, aber gleich darauf verfinsterte sich sein Gesicht, und er zog Maria Juanita noch näher zu sich heran. „Wer ist dieser Hund? Los, rede, du kennst den Kerl doch, oder?“ Juanita wand sich in seinem Griff, sie funkelte ihn wütend an. „Hör zu, du Ochse, du kannst jederzeit deinen Spaß mit mir haben, denn du bist ein Kerl nach meinem Geschmack. Aber faß mich nicht so an!“ Irgendetwas in ihrem Ton ließ Caligu stutzig werden. Unwillkürlich lockerte er seinen Griff. Seine Blicke forschten in ihrem Gesicht, aber sie ließ ihm keine Zeit, etwas zu sagen. „Man nennt den Schwarzhaarigen den Seewolf. Jedenfalls seine Männer erwähnten diesen Namen, wenn sie von ihm sprachen. Ich kann dir auch nicht viel über ihn sagen, denn dieser Satan hat meine Mädchen und mich sofort an Land gejagt. Der Hundesohn wußte genau, wie gefährlich es ist, wenn Mädchen eine Crew erstmal zum Sieden bringen. Aber da ist noch etwas anderes, was dich und mich interessieren sollte.“ Caligu starrte sie an, aber Maria Juanita legte absichtlich eine Pause ein, um ihm einzuheizen. „Also, was sollte ich wissen?“ fragte er schließlich, und sie merkte, daß sie den Bogen besser nicht überspannen sollte. „Du solltest wissen, daß dieser schwarze Bastard die ganze Galeone voller Gold und Juwelen hat. Schätze, wie ich sie noch niemals zuvor in meinem Leben gesehen habe. Sie haben sie hier in der Bucht auf das große Schiffe umgeladen - mit dem kleinen, das dort hinten in der Bucht liegt, ist er hergesegelt. Er verfügt nur über eine kleine Mannschaft, aber dieser Kerl versteht zu kämpfen, und er ist listig. Er hat den Spaniern die stark bewaffnete und viel größere Galeone mit einer List abgenommen, indem er einfach den Generalkapitän zu sich an Bord ließ und ihn dann gefangen nahm.“ Caligu hatte zugehört, ohne Maria Juanita zu unterbrechen.
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„Voller Gold und Juwelen sagst du?“ fragte er. „Wer hat das gesehen, woher willst du das wissen?“ „Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Ganz aus der Nähe, aber diese Tölpel haben mich nicht bemerkt.“ Wieder schwieg sie. Und auch Caligu starrte vor sich auf den Boden, nur in seinen Zügen arbeitete es. Seine Augen begannen gierig zu funkeln. „Wir holen uns das Schiff“, sagte er dann. „Dieser Seewolf hat bei mir noch was gut, den bringe ich eigenhändig um. Aber er wird nicht gleich tot sein, du sollst sehen, was Caligu mit seinen Feinden tut.“ Er griff plötzlich nach ihr. Seine Finger glitten über ihre Brüste, schoben sich an ihrem Leib hinab bis zu den Schenkeln. Juanita wollte ihn abwehren. „Ich denke, du willst die Karavelle, du ...“ „Nachher, jetzt will ich erst dich. Ich habe viel nachzuholen!“ Er lachte sein dröhnendes Lachen und wischte die Hände, die ihn abwehren wollten, einfach zur Seite. Und Juanita ergab sich in ihr Schicksal. Mit einem Seufzer ließ sie ihn gewähren und spürte gleichzeitig, wie Caligu auch ihre Sinne entflammte. 2. Die Vorgänge in der Bucht unten waren nicht unbeobachtet geblieben. Die Spanier, die sich von Anfang an in das Innere der Insel zurückgezogen und es abgelehnt hatten, sich an dem Angriff auf den Seewolf zu beteiligen, waren Zeugen von der wilden Orgie der Piraten und dem vorausgegangenen Zweikampf zwischen Caligu und dem Portugiesen geworden. Stillschweigend hatten sie Valdez als ihren Führer akzeptiert, denn er hatte von ihnen allen die größte Erfahrung und Umsicht. Valdez war einer jener ewigen Landsknechte, die nie den Ehrgeiz besessen hatten, Unterführer oder gar mehr zu werden, die aber dessen ungeachtet über einen ganz beträchtlichen Schatz an Erfahrungen und auch Weitblick verfügten. Er gab sich in bezug auf Caligu und seine Bande keinerlei Illusionen hin. Für ihn
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waren die Piraten eine Bande von Mördern und Halsabschneidern, die ohnehin an die erstbeste Rah gehörten, und zwar mit einer soliden Schlinge um den Hals. Er hatte aber ebenso klar erkannt, daß sie selbst bei zahlenmäßiger Übermacht Caligu und seinen Männern hoffnungslos unterliegen würden, wenn sie sich auf einen offenen Kampf mit seiner Bande einließen. Aber irgendetwas mußte geschehen, darüber war Valdez sich im klaren, und darüber hatte er den ganzen Tag schon nachgegrübelt. Sie mußten auf jeden Fall von dieser Insel wieder fort. Es konnte Jahre dauern, bis sich mal wieder ein Schiff hierher verirrte. Angenommen, die Piraten besetzten die Karavelle. Im offenen Kampf, das war ihm ebenfalls klar, konnte er das vor Anker liegende Schiff, auf dem im Moment immer noch einsam und verlassen der Generalkapitän Don Francisco Rodriguez hauste, nicht erobern. Er und seine Männer brauchten das Schiff jedoch, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollten, Spanien jemals wiederzusehen. Außerdem gab es da noch einen weiteren Punkt, der Valdez erhebliche Kopfschmerzen bereitete. Früher oder später würden ihn die anderen - unter der Führung der Piraten - jagen und auch stellen, schon damit für alles, was noch geschehen würde, keine Zeugen mehr existierten. Ganz besonders diese Maria Juanita fürchtete er. So hatte Valdez das einzige getan, was er unter diesen Umständen tun konnte: Er hatte seine Chance wahrgenommen. Während die Piraten mit Juanita und ihren Mädchen eine geradezu schamlose Orgie feierten, bei der es Vergewaltigungen vor aller Augen am laufenden Band gab, schlich er mit seinem Trupp von Männern an den Piraten vorbei zum Strand, vor dem die Karavelle lag. Ein Boot hatte er nicht, so mußten sie das letzte Stück eben schwimmen. Valdez und die Seinen hatten Glück, die Haie ließen sich in dieser Nacht nicht blicken. .Der Generalkapitän empfing Valdez und seine Männer mit Freuden. So wenig er
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sich früher jemals um den alten Haudegen gekümmert hatte, in der gegenwärtigen Situation war ihm ein solcher Mann hochwillkommen. Aus diesem Grund hatte er auch keinerlei Einwände, daß Valdez an Bord das Kommando übernahm -natürlich, ohne den Generalkapitän selbst mit irgendeiner Weisung zu behelligen. Zu dem Zeitpunkt, als Juanita und Caligu miteinander berieten, wie sie die Karavelle noch im Laufe der Nacht in ihre Hand kriegen konnten, ohne daß es den anderen Spaniern auf der Insel auffallen würde, stand Valdez zusammen mit dem Generalkapitän auf dem Achterkastell des Schiffes. „Bei Morgengrauen müssen wir die Anker lichten, Waldes“, sagte Don Rodriguez gerade und spürte Ärger in sich aufsteigen, als Valdez den Kopf schüttelte. „Das können wir nicht, Senor“, erwiderte er ruhig. „Von meinen Männern ist keiner Seemann. Wir sind nicht imstande, dieses Schiff zu segeln. Wir brauchen wenigstens ein paar Leute von der alten Besatzung. Aber die werden wir nicht kriegen, denn die Piraten werden sich die Galeone selbst unter den Nagel reißen wollen.“ Der Generalkapitän sah Valdez an. Er zupfte an seinen kostbaren Kleidern aus Samt und Seide. „Aber wenn das nicht geht, Valdez“, er schüttelte konsterniert den Kopf, „dann war die Besetzung der Karavelle doch völlig sinnlos. Was wollen Sie dann mit dem Schiff? Und wie wollen Sie ohne Besatzung je nach Spanien zurückkehren?“ Valdez trat an das Schanzkleid. Einen Moment starrte er in die dunklen Fluten, auf denen sich das Schiff langsam hob und senkte. „Nein, Senor, es war nicht sinnlos, die Karavelle zu besetzen. Es gibt da eine Möglichkeit ...“ Er konnte seinen Satz nicht zu Ende sprechen, denn in diesem Moment enterte eine der Wachen zum Achterkastell auf. „Senor — da drüben in der Bucht —ich glaube, die Piraten wollen jetzt unser Schiff kapern, wir ...“
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Mit ein paar Schritten war Valdez an der achteren Reling des Achterkastells. Wortlos starrte er auf die Wasserfläche der Bucht hinaus. Und richtig, auch er erkannte das große Boot, das eben mit allerlei Gerät beladen wurde. Deutlich sahen sie die Männer im Schein der Feuer hin und her eilen und Waffen und Geräte an Bord des Bootes verstauen. „Du hast recht, Alfredo“, sagte er nach einer Weile. „Ich glaube auch, daß sie es jetzt versuchen wollen. Ganz bestimmt rechnen sie nicht damit, daß wir bereits an Bord sind. Aber wir werden ihnen einen heißen Empfang bereiten, den sie nicht so schnell vergessen werden.“ Der Generalkapitän trat auf Valdez zu. „Was haben Sie vor, Valdez? Nein, das können wir nicht riskieren, uns mit diesen Piraten anzulegen. Die hängen einen nach dem anderen von uns an die Rahnock, wenn wir unterliegen. Es ist besser, wenn ich jetzt wieder das Kommando an Bord und die volle Verantwortung für das übernehme, was geschieht.“ Valdez trat hart an den Generalkapitän heran. „Aufknüpfen werden sie uns so wieso, ganz gleich, ob wir unterliegen oder kapitulieren. Nein, das alles ist kein Ausweg für uns. Deshalb trete ich Ihnen das Kommando auch nicht wieder ab. Ich fühle mich für meine Männer verantwortlich. Wir werden kämpfen, Senor.“ Valdez versammelte sein Häuflein von Soldaten um sich und erklärte ihnen, was er vorhatte. Die Männer überlegten einen Augenblick, aber dann stimmten sie zu. „Valdez hat recht. Wir müssen den Kerlen einen heißen Empfang bereiten, nur dann, wenn wir sie jetzt zurückschlagen, haben wir eine Chance.“ Don Rodriguez hatte aber immer noch nicht begriffen. „Und dann, wenn wir sie wirklich abgeschlagen haben? Sie werden einen zweiten Angriff versuchen, dann werden wir die Verlierer sein. Und überhaupt, was nutzt es uns denn, wenn wir erreichen, daß
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sie unser Schiff nicht entern? Wie sollen wir dann nach Spanien segeln? Sie haben doch selbst gesagt, Valdez, daß ...“ Valdez verlor die Geduld. Er wunderte sich jetzt nicht mehr, daß die Spanier solche Schlappen gegen El Draque und den legendären Seewolf einstecken mußten, wenn solche Trottel zu Generalkapitänen ernannt wurden, die derartig begriffsstutzig waren. „Warten Sie es ab, Senor. Ich versichere Ihnen, daß ich genau weiß, wie ich erreichen werde, was ich erreichen will. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, wir müssen unsere Vorbereitungen treffen.“ Valdez verließ das Achterkastell und eilte mit seinen Männern über das Deck. Wenige Augenblicke später herrschte an Bord der ehemaligen „Isabella IV. — ex Cartagena“ geschäftiges Treiben. Aber die Männer vermieden jedes laute Kommando, kein offenes Licht wurde an Deck gezeigt. Für Caligu und seine Piraten erweckte die Karavelle den Anschein, als ob sie nach wie vor völlig verlassen daläge. * Als das Boot vom Strand abstieß, saß Caligu wieder am Ruder. Neben ihm Maria Juanita, die wie versessen darauf gewesen war, mit von der Partie zu sein. Auch sie hielt ein langes Entermesser in der Hand. Das Boot stieß ab, die Piraten tauchten die Riemen ein. Caligu hatte seine besten Männer ausgewählt —und er konnte eigentlich gar nicht sagen, warum. Er rechnete mit keinem Widerstand, dennoch warnte ihn sein Instinkt immer wieder. Irgendetwas mit dem Schiff da draußen auf der anderen Seite der Bucht stimmte nicht. Juanita sah, wie er in die Dunkelheit lauschte, während die Piraten die umwickelten Riemen nahezu geräuschlos ins Wasser tauchten — eine Maßnahme, über die sie gemurrt und gelästert hatten, aber Caligu war unerbittlich geblieben. „Du siehst Gespenster, Caligu“, sagte Juanita. „Auf diesem Kahn hockt nur der feiste Generalkapitän, und der ist nun wirklich nicht zum Fürchten.“ Sie stieß ein
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gurrendes Lachen aus. „Also, wenn ich mir wieder vorstelle, wie er mich oder eine von uns ...“ Sie schüttelte sich vor Lachen. Aber dann wurde sie plötzlich wieder ernst. „Dennoch, ein Gutes hat dieser lächerliche Popanz doch, Caligu“, sagte sie zu dem riesigen Piraten. Aber der schien ihr gar nicht zuzuhören, und Juanita packte die Wut. Wenn sie alles vertragen konnte — das nicht. Sie hieb ihm ihren Ellenbogen in die Seite, daß Caligu wie der Blitz herumfuhr. Wütend funkelte er sie an, aber wieder schnitt sie ihm sofort das Wort ab. „Hör mir zu, du Büffel, wenn ich mit dir rede. Denn was ich zu sagen habe, ist wichtig, kapiert?“ Caligu starrte sie wütend an. Dann packte er sie und zog sie dicht an sich heran. „Du nimmst dir reichlich viel heraus“, sagte er, und seine Stimme hatte dabei einen Klang, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Jede andere hätte ich längst den Haien zum Fraß vorgeworfen, hüte deine Zunge, Weib!“ Juanita wußte, daß sie hoch spielte, aber sie dachte gar nicht daran, aufzugeben. „Wenn ich dir sage, daß es wichtig ist, was ich mit dir besprechen will, dann ist es das auch, und dann kannst du mir gefälligst zuhören. Oder glaubst du, daß wir uns Fehler leisten können, die uns einen Haufen Geld kosten?“ Caligu blickte sie verständnislos an. „Geld? Wieso das?“ Juanita nickte. „Ich weiß, du hättest diesen Generalkapitän einfach erschlagen und über Bord geworfen. Das wäre falsch, Caligu, denn dieser Kerl bringt uns von den Spaniern ein dickes Lösegeld ein. Er mag eine so lächerliche Figur sein, wie er will, aber er ist aufgrund seiner Informationen für die spanische Krone wichtig. So bescheuert sind die Dons auch nicht, daß sie ihn für nichts und wieder nichts in eine solche Stellung aufrücken lassen!“ Caligu hatte sie längst losgelassen. In seinem Kopf arbeitete es. Er war nicht dumm, aber er hatte auch nicht die Intelligenz, über die Maria Juanita
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verfügte. Caligu war gerissen, ein Mann, der nie um einen Trick verlegen war. Er verließ sich auf seine Stärke, auf seine Schnelligkeit, auf seinen Mut. „Verdammt, Juanita“, sagte er schließlich. „Du hast recht, und ich Idiot wollte diesen Goldfisch über die Klinge springen lassen.“ Er gab seinen Männern durch Zeichen zu verstehen, daß sie sofort mit Pullen aufhören sollten. „Hört mir alle gut zu“, sagte er leise zu den Männern im Boot. „Auf dem Schiff dort drüben befindet sich ein Generalkapitän der Spanier. Diesem Kerl wird kein Haar gekrümmt. Aber wer ihn entwischen läßt, ist ein toter Mann. Der Bursche wird uns ein kräftiges Lösegeld einbringen, außerdem kann er uns vielleicht noch als Geisel nützlich werden, für den Fall, daß die Dons uns doch noch mal mit ein paar ihrer schweren Schiffe stellen. Immerhin stehen wir auf ihrer Wunschliste ganz oben!“ Caligu lachte leise vor sich hin, und seine Männer fielen ein. Er gab das Zeichen zum Weiterpullen, und wieder glitt das Boot durch die Dunkelheit auf die Karavelle zu. Etwa eine halbe Stunde später lagen sie in einer Entfernung von nur knapp hundert Yards achterlich von der Karavelle. Caligu lauschte in die Dunkelheit, und immer noch schien ihm die ganze Sache nicht recht geheuer. Sein Instinkt warnte ihn, aber diesmal war es Juanita, die ihn antrieb. „He, Caligu“, höhnte sie. „Hast du plötzlich Angst vor einem alten Mann? Oder auf was wartest du noch? Soll ich rüberschwimmen und ihn dir von oben ins Boot werfen?“ Caligu spürte wieder, wie die Wut in ihm hochstieg, aber die Worte Juanitas gaben den Ausschlag. Er wies die Männer durch Zeichen an, weiterzupullen. Das Boot glitt langsam an die Karavelle heran. Es erreichte das Heck, umrundete es und schor gleich darauf längsseits. Wie der Blitz sprang Caligu auf, das breite Entermesser zwischen den Zähnen. Er erreichte das Schanzkleid mittschiffs im Sprung. Seine Männer waren ebenfalls
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aufgesprungen und wollten ihm folgen, als Caligu sich bereits emporzog, um an Bord zu entern. Da brach plötzlich die Hölle los. * „Drauf, gebt es diesen Hunden, besorgt es ihnen!“ zerschnitt plötzlich Valdez’ Stimme die tückische Stille. Laute Kommandos ertönten, Flüche wurden laut und dann kippten Valdez und seine Männer die Kübel mit kochendem Wasser auf die Angreifer hinunter. Die Piraten brüllten auf, viele ließen sich einfach fallen, halb verrückt von dem Schmerz, der ihre Körper durchzuckte und ihnen fast die Besinnung raubte. Caligu hatte das Schanzkleid erreicht, da traf auch ihn der Guß aus einem der Kübel und verbrühte ihm die rechte Schulter. Der riesige Pirat stieß einen Wutschrei aus, in den sich auch der wahnsinnige Schmerz mischte, der sich von der Schulter über seinen ganzen Oberkörper fortpflanzte. Gleichzeitig traf ihn ein Belegnagel in die Seite. Caligu glaubte für einen Moment, jemand hätte ihn mitten durchgeschlagen. . Der Stoß einer Lanze, dessen Spitze ihm die Haut über den Rippen aufschlitzte, gab ihm den Rest. Caligu ließ los und stürzte neben dem Boot ins Wasser zurück. Noch halb benommen klammerte er sich an der Bordwand fest, die er mit ein paar mehr im Unterbewußtsein ausgeführten Schwimmbewegungen erreicht hatte. Um ihn herum war die Hölle los. Männer brüllten, spanische Flüche durchschnitten die Nacht, einer seiner Männer lag im Boot, und in seinem Körper steckte der abgebrochene Schaft einer Lanze. Caligu war rasend vor Wut und Schmerz, aber er begriff, daß sie in eine Falle geraten waren und daß ihr Angriff gescheitert war. Es war unmöglich, einen weiteren Versuch zu wagen, die Karavelle zu entern. Juanita packte ihn an den Armen und half ihm ins Boot. Auch sie blutete aus einer Kopfwunde. Caligu hatte jedoch in diesem Moment kein Auge für sie.
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„Zurück!“ schrie er. Gleichzeitig bückte er sich und warf den Toten kurzerhand aus dem Boot. Als abermals ein Guß kochenden Wassers das Boot mittschiffs traf und den riesigen Piraten nur knapp verfehlte, hieb er mit seinem Entermesser die Leine los, mit der sie das Boot an der Karavelle vertäut hatten. Dann stieß er das Boot ab, und bei diesem Stoß setzte er alle seine gewaltigen Kräfte ein, obwohl ihn dabei von der Schulter her ein Schmerz durchzuckte, der sogar ihn aufbrüllen ließ. Aber das Boot schoß ins offene Wasser hinaus und verschwand gleich darauf in der schützenden Dunkelheit. Nach und nach fanden sich seine Männer ein. Jedenfalls der größere Teil von ihnen. Und sie beeilten sich höllisch, ins Boot zu gelangen, denn sie dachten an die Haie, die in diesem Augenblick bestimmt aus der Tiefe zu ihnen heraufschossen. Dann begannen sie zu pullen, so gut es ging. Etliche von ihnen hatten verbrühte Schultern, Gesichter oder Arme, aber sie bissen die Zähne zusammen. Das Boot nahm Fahrt auf, und hinter ihnen her tönte das höhnische Geschrei der Sieger. Etliche Männer blieben an der Kampfstätte zurück - ertrunken oder erschlagen - und dort, wo sie im Wasser trieben oder untergegangen waren, begann bereits Minuten später die See zu kochen, und ihre Fluten färbten sich rot. Die Haie waren da. Caligu und seine Männer erreichten den Strand mehr tot als lebendig. Sie stöhnten vor Schmerzen und wurden von ihren Kameraden, die zurückgeblieben waren, um die Spanier in Schach zu halten, aus den Booten gezogen. Auch Juanita wankte an den Strand. Ein Belegnagel hatte sie am Kopf erwischt. Aber im Gegensatz zu vielen der Piraten dachte sie nur an eins: an Rache für diese Schmach, für diese Niederlage. Ihre dunklen Augen glühten, und ihre Züge verzerrten sich vor Wut, als Caligu sie einfach wegschob und den Strand hinaufging.
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Aber sie sagte nichts, denn dieser Riese war in diesem Augenblick bestimmt zu allem fähig, wenn man ihn reizte. Darin glichen sie sich wie ein Ei dem anderen die spanische Hure und der Pirat: Das Todesurteil über Valdez und seine Soldaten war gesprochen! Und es würde vollstreckt werden, so sicher wie an jedem Morgen die Sonne wieder aufging. Aber während Caligu seinen Zorn nach außen hin zu beherrschen wußte und zunächst dafür sorgte, daß die Schwerverletzten unter seinen Männern versorgt wurden wie auch seine eigene Schulter, steigerte sich Juanita in ihrem ohnmächtigen Haß Stunde um Stunde weiter hinein. Sie merkte nicht, daß die Wut, die sie beherrschte, ihr den klaren Blick für die Gefahren trübte, die sie heraufbeschwor. Jedesmal wenn ihr bewußt wurde, daß der Vorsprung, den der Seewolf durch diesen verpatzten Angriff gewann, ebenfalls Stunde um Stunde, die sie hier tatenlos in der Bucht verbrachten, weiterwuchs, knirschte sie mit den Zähnen und ballte die Hände. Denn mit jeder Meile, die der Seewolf zurücklegte, wurde die Wahrscheinlichkeit geringer, daß es Caligu und ihr noch gelingen würde, ihm seine Schätze abzujagen, mit denen sein Schiff bis unter das Oberdeck vollgestopft war. Maria Juanita wußte nur eins: es mußte etwas geschehen. Nicht morgen, nicht erst in ein paar Tagen, nein, sofort! Diese Kerle sollten nicht lange ihre Wunden lecken, sondern sie sollten einen neuen Angriff wagen. Sie warf sich in wirren Träumen hin und her. Ihr Schädel schmerzte, und als die Morgendämmerung ihren ersten Schimmer über die Bucht warf, da hatte sie ihren Entschluß gefaßt. Sie sprang auf, warf sich ein paar Kleidungsstücke über und trommelte gleich darauf ihre Mädchen zusammen. Diesem Caligu und seinen Kerlen mußte man einheizen, es wäre doch gelacht, wenn ihr das nicht gelänge. Und zwar genauso, wie sie sich das vorstellte und mit genau dem Erfolg, den sie bezweckte.
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Juanita ahnte nicht, daß sie einen schwerwiegenden Fehler beging. Sie hätte wissen müssen, daß bei einem Mann wie Caligu so etwas nicht zog. Sie hätte einkalkulieren müssen, daß er vielleicht ganz anders reagieren würde, als ihr das lieb sein konnte. Aber Maria Juanita tat das nicht, denn ihr Zorn und ihre Gier trübten ihren sonst so scharfen Verstand. 3. In der Nacht dieser Niederlage Caligus segelte der Seewolf mit seiner „Isabella V.“ ostwärts auf die Windward-Passage zu. Er segelte über Steuerbordbug, und die „Isabella V.“ hatte alles an Segeln gesetzt, was ihre Rahen und Masten trugen. Das Schiff lief gute Fahrt. Rauschend brach sich die Bugwelle unter der Blinde, und hinter dem Heck bildete das Kielwasser einen breiten, phosphoreszierenden Streifen. Ferris Tucker hatte die Wache. Der Seewolf und Ben Brighton schliefen um diese Stunde fest, und das war nach den Strapazen der letzten Stunden nicht mehr als recht. Ferris Tucker ließ seine Blicke über das große Schiff gleiten. Dem hünenhaften Schiffszimmermann ging es dabei wie jedem echten Seemann: ein Schiff war nicht irgendetwas für ihn, nicht ein totes Gebilde aus Holz, Kupfer und Eisen und Tauwerk, sondern es war eher wie ein lebendes Wesen. Er warf einen Blick zu den Segeln hoch. Sie standen gut. Unter seinen Füßen hob und senkte sich die Galeone auf der langen Dünung. Irgendwo auf der Kuhl hörte er Geräusche, dann gedämpfte Stimmen. Ferris Tucker ging zur Five-Rail hinüber, der Balustrade, die das Achterkastell gegen die tiefergelegene Kuhl begrenzte. Und dann mußte er plötzlich grinsen, denn kein anderer als der einstige Profos der „Golden Hind“, Ed Carberry, stand dort unten und las einem der Männer die Leviten, und zwar recht gründlich, wie es Ferris Tucker schien.
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„Verdammt noch mal, wann wird das endlich in deinen irischen Dickschädel reingehen, du lausige Kakerlake: Wache ist Wache, da wird nicht gepennt. Sauf dir nicht den Arsch voll, wenn du es nicht vertragen kannst. Wenn ich dich noch einmal erwische, dann ziehe ich dir persönlich die Haut in Streifen von deinem Affenarsch, ist das nun endlich klar? Also — für diesmal erledigt, aber laß dich von mir nicht noch einmal erwischen! Ich werde ein Auge auf dich haben, mein Junge. Du kennst den alten Carberry immer noch nicht!“ Der Profos stieß sein Rammkinn vor und setzte seine Runde fort. Ferris Tucker kehrte ebenfalls grinsend an seinen Platz auf dem Achterkastell zurück. Er mochte diesen Carberry, der so brutal aussah, dessen Flüche mühelos jeden Sturm übertönten und der doch unter seiner rauhen Schale ein gutes Herz verbarg. Wieder ließ er den Blick über die „Isabella V.“ wandern. Das war nun das fünfte Schiff, das er unter den Füßen hatte, solange er mit dem Seewolf und seiner Crew fuhr. Und eigentlich hatten sie auch immer Glück gehabt. Gewiß, es gab da die „Isabella die keiner von ihnen so schnell vergessen würde. Sie war nach einem schweren Gefecht gegen eine spanische Übermacht vor den Küsten Irlands gesunken. Danach hatte für die meisten ihrer Besatzung das Martyrium in spanischer Gefangenschaft begonnen, und zwar als Galeerensträfling in der Mündung des Guadalquivir. Bis der Seewolf und Ben Brighton sie schließlich herausgehauen hatte. Ferris Tucker spürte plötzlich, wie die alten Narben, die die Peitschen der Aufseher an seinem Körper hinterlassen hatten, wieder zu brennen begannen. Rasch gab er seinen Gedanken eine andere Richtung. Sie hatten diesmal ein ganz ausgezeichnetes Schiff erwischt. Die Galeone, ein großes und sehr stark gebautes Schiff, verfügte über eine Bewaffnung, die sich sehen lassen konnte.
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Vierundzwanzig Kanonen auf dem Hauptdeck, und zwar 17pfündige Culverinen, die noch aus zweihundert Yards Entfernung jeden Schiffsrumpf glatt durchschlugen. Außerdem hatte die „Isabella V.“ noch zehn Drehbassen. Vier auf dem Vorderkastell, sechs auf dem geräumigen Achterkastell. Höchst gefährliche Waffen, wenn den Breitseiten schließlich der Nahkampf und das Entern folgte. Mit den zehn Drehbassen ließ sich die gegnerische Mannschaft sturmreif schießen, denn die Ladungen dieser kleinen Geschütze, die durch ihre drehbaren Lafetten zudem auch noch äußerst beweglich waren, brachten mit ihren Ladungen aus gehacktem Blei und Eisen den gegnerischen Besatzungen verheerende Verluste bei. Dazu waren die Pulverkammern und die Magazine der „Isabella V.“ bis an die Decken voll Pulver und Kanonenkugeln. Das Schiff holte in diesem Augenblick leicht nach Steuerbord über, eine Bö fuhr in die Segel und scheuchte Ferris Tucker sofort aus seinen Gedanken auf. Eine plötzliche Bö bei sonst stetigem Wind bedeutete nie etwas Gutes. Doch so sehr er auch in die Nacht horchte, auf das Singen des Windes in der Takelage, es blieb alles ruhig. Ferris Tucker ließ von nun an die Segel kaum noch aus den Augen. Das Wetter in dieser Gegend zwischen den Cayman-Inseln war tückisch, hier mußte man stündlich mit teuflischen Überraschungen rechnen. Um die „Isabella V.“ brauchte man auch in dieser Hinsicht keine Sorgen zu haben. Wenn sie auch bei weitem nicht so schnell und wendig war wie ihre Vorgängerin, so war sie doch wesentlich stärker gebaut. Für ihre Größe war, sie ein durchaus guter Segler, der selbst bei schwachem Wind noch ein vernünftiges Etmal zustande brachte. Ferris Tucker hatte das Schiff, soweit es die knappe Zeit zuließ, gründlich untersucht. Im Gegensatz zu vielen anderen Schiffen dieser Zeit, die oft viel zu schnell zusammengezimmert wurden, war
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dieses Schiff sorgfältig und äußerst solide gebaut worden, von einem Baumeister, der sein Handwerk verstanden hatte. Wieder stieß eine Bö in die Segel, aber dieses Mal fiel sie vorlicher ein, und einige der Segel begannen zu killen. Das Knattern und Schlagen des Segeltuchs waren Mißtöne in den Ohren Ferris Tuckers, und er zögerte keinen Augenblick. „Wache raus!“ zerschnitt sein Kommando die nächtliche Stille. „Klar bei Brassen! Ho, Jungs, beeilt euch und hebt eure Ärsche aus der Koje. Carberry, schwänz diese verdammten Decksaffen ein bißchen auf!“ Das brauchte er Carberry nicht zweimal zu sagen. Die gewaltige Stimme des Profos riß auch die letzten Schläfer aus den Träumen. An Deck der „Isabella“ entstand innerhalb weniger Minuten Bewegung. Ferris Tucker behielt mit seinem Kommando recht. Der Wind begann zu schralen, und Ferris Tucker ließ die Galeone sofort weiter nach Steuerbord abfallen. Doch der Wind drehte weiter und zwang Tucker, neben dem längst der Seewolf und Ben Brighton standen, auf Backbordbug zu gehen und nach Osten aufzukreuzen. Die Männer an den Brassen fluchten, denn jetzt, das kannten sie zur Genüge, begann die schweißtreibende Arbeit. Und damit war die Gemütlichkeit vorbei. Zudem nahm der Wind laufend an Stärke zu. Es sah ganz verdammt danach aus, als ob sich einer jener gefürchteten Stürme entwickeln würde, die dann tagelang bei wechselnden Windrichtungen Schiff und Besatzung durchbeutelten und die Männer bis an den Rand völliger Erschöpfung trieben. Aber diese düstere Prognose schien sich nicht zu bestätigen. Es wehte zwar eine recht steife Brise, und sie zwang auch weiterhin dazu, in langen Schlägen ostwärts zu kreuzen, aber das Wetter hielt. Doch dafür passierte etwas anderes, etwas, womit niemand von ihnen allen gerechnet hatte, am wenigsten der hünenhafte Schiffszimmermann. Kurz vor Beginn der Morgendämmerung erhielt Dan O’Flynn, der jüngste an Bord
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der „Isabella“, von Ben Brighton den Auftrag, ins Vorschiff zu gehen und Tauwerk zu holen, das gebraucht wurde, um die beiden Boote auf dem Hauptdeck zusätzlich festzuzurren. Ben Brighton war ein vorsichtiger Mann. Obwohl sich das Wetter bisher gehalten hatte, ließ er die „Isabella“ dennoch auf einen schweren Sturm vorbereiten. Dan machte sich pfeifend auf den Weg. Er war ausgezeichneter Laune. Genau wie die meisten anderen, wozu besonders die Männer der Stammbesatzung und auch einige der neuen Leute aus der Karibik zählten, hatte er sich sofort in ihr neues Schiff verliebt. Es bot im Gegensatz zur „Isabella IV.“ und auch zur „Isabella III.“ viel mehr Platz und damit manche Annehmlichkeit, auf die sie lange hatten verzichten müssen. Außerdem befanden sie sich auf Heimatkurs. Alle Männer der Crew freuten sich mächtig, das gute alte Europa wiederzusehen. Er öffnete das Schott, das ins Innere des Vorkastells führte und blieb gleich darauf wie angewurzelt stehen. Ganz deutlich vernahm er unter sich, in der Tiefe des Rumpfes, das Gurgeln von Wasser, das hin und wieder noch von einem eigenartigen Brausen und Zischen überlagert wurde. Dan stand für einen Moment wie erstarrt auf den Stufen des Niederganges, der nach unten in die Segelkammer führte, in der auch das Tauwerk aufbewahrt wurde. Aber dann enterte er wie der Blitz hinab. Es war dunkel dort unten, und Dan konnte nicht recht etwas sehen. Aber dafür spürte er es umso mehr, je weiter er den Niedergang hinabturnte. Und als er noch ein Deck tiefer gestiegen war, schwappten ihm die ersten Wellen bereits um die Füße. Wasser im Schiff! schoß es ihm durch den Kopf. Und zwar eine ganze Menge, wie ihm sofort klar wurde. Die „Isabella V.“ holte über, und zwar nach Backbord. Im selben Moment traf Dan ein Wasserstrahl, der so dick und so gewaltig war, daß er ihn augenblicklich von den Stufen des Niedergangs in die schwappende Brühe fegte.
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Dan tauchte regelrecht unter. Als er prustend und spuckend wieder auftauchte, durchzuckte ihn ein eisiger Schreck. Denn schon wieder schoß ein mehr als mannsdicker Wasserstrahl in das Schiff und spülte ihn abermals zur Seite. Dan stieß eine Verwünschung aus, dann arbeitete er sich an den Niedergang heran und klomm die Stufen hoch. Er war über und über mit schwarzer, stinkender Brühe besudelt, in die sich das Seewasser mit dem schmutzigen Bilgewasser verwandelt hatte. Dan schoß an Deck, sauste wie der Blitz zum Achterdeck und turnte die Stufen zum Achterkastell hoch. Der Seewolf und Ferris Tucker starrten ihn an wie eine Erscheinung. „He, Dan, zum Teufel, was ist denn mit dir passiert, was ...“ Der Seewolf sah ihn aus seinen eisblauen Augen an. Aber Dan ließ ihm keine Zeit, seinen Satz zu Ende zu sprechen. „Wir haben ein Leck im Schiff! Das ganze Vorschiff steht unter Wasser, und immer wenn die ‚Isabella’ nach Backbord überholt, dann schießt ein mannsdicker Wasserstrahl rein, der einen glatt von den Füßen reißt. Der hat mich in die Brühe gespült, ich konnte gar nichts dagegen tun!“ sprudelte Dan aufgeregt hervor. Ferris Tucker war mit einem Schritt bei ihm. „Was sagst du da, Junge?“ Und er ignorierte, daß Dan jedesmal die Wut packte, wenn ihn jemand mit „Junge“ anredete. „Ein Leck im Vorschiff ?“ Der Schiffszimmermann tauschte einen gedankenschnellen Blick mit dem Seewolf und Ben Brighton. Dann glitt sein Blick nochmals zu Dan hinüber, klar, das Bürschchen hatte unzweifelhaft die Wahrheit gesagt, man sah das ja überdeutlich. Wie auf Verabredung sausten die drei Männer los. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt, und dann die Aussicht auf schweres Wetter, auf einen Sturm, der möglicherweise schon von irgendwo heraufzog. So etwas konnte selbst einem Schiff wie der „Isabella V.“ zum
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Verhängnis werden, besonders bei der Ladung, die sie mit sich führte. Die Männer verschwanden im Vorschiff, gefolgt von Dan und einigen anderen, die jetzt aufmerksam geworden waren. Unter ihnen auch Carberry, Smoky und Matt Davies, der Mann mit der scharfgeschliffenen Prothese am rechten Unterarm. Ferris Tucker erkannte sofort, daß Dan die Wahrheit, ja, daß er das volle Ausmaß der Gefahr noch gar nicht erkannt hatte. Er tauchte wieder auf, jetzt genauso schwarz und verschmiert wie Dan. Inzwischen hatte Ben Brighton dafür gesorgt, daß ein paar Öllampen zur Stelle waren. In ihrem Schein sahen sie deutlich, wie bei jedem Eintauchen und Überholen nach Backbord tatsächlich ein mannsdicker Strahl Seewassers ins Schiff schoß. Ferris Tuckers Gesicht war verbissen. „Das ist bedrohlich“, sagte er zum Seewolf. „Die Männer müssen sofort an die Pumpen, jeder verfügbare Mann. Die ‚Isabella’ hat bereits viel Wasser genommen, und es wird mit jeder Minute mehr. Gott gnade uns allen, wenn wir mit diesem Leck in einen Sturm geraten. Los, eine Leine, ihr müßt mich an Backbord herablassen, ich will mir die Sache aus der Nähe ansehen. Erst dann können wir entscheiden. Außerdem rate ich dringend, das Schiff sofort wieder auf Steuerbordbug zu legen, damit das Leck aus dem Wasser kommt. Leg das Schiff so hoch an den Wind wie möglich, ganz gleich, welchen Kurs du dabei steuern lassen mußt!“ Der Seewolf erwiderte nichts. Er erkannte auch so, daß Ferris Tucker absolut recht hatte. Sofort wurden alle Vorbereitungen getroffen. Die Galeone schwang herum, legte sich nach Steuerbord über, und Ferris Tucker wurde in einer Schlinge an einem starken Tau an der Bordwand hinabgelassen. Als er schließlich das riesige Loch sah, das eine der Kugeln der Piraten dicht über der Wasserlinie an Backbord in das Schiff gerissen hatte, erschrak er.
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Sorgfältig inspizierte er die Einschußstelle, dann gab er das Zeichen, ihn wieder an Deck zu ziehen. Er war klatschnaß, und unter seinem mächtigen Körper bildete sich sofort eine große Wasserlache. „Nichts geht mehr, Hasard“, sagte er. „Dieses Leck kriegen wir auf See allenfalls provisorisch dicht. Richtig reparieren kann ich das Schiff erst, wenn die „Isabella“ auf ruhigem Kiel liegt, vielleicht müssen wir sogar aufslippen, zumindest aber stark nach Steuerbord krängen. So können wir jedenfalls nicht weitersegeln -und wir haben noch ein ganz verdammtes Glück gehabt, daß von der Kugel kein Spant beschädigt wurde.“ Der Seewolf überlegte, dann hatte er einen Entschluß gefaßt. „Alles klar bei Halse!“ befahl er. „Ferris, du kümmerst dich jetzt um das Leck. Wir segeln platt vor dem Wind zurück, und zwar zu den kleinen Cayman-Inseln. Sie sind nicht weit weg, und dort finden wir bestimmt alles, was wir für die Reparatur brauchen. Das Leck bleibt bei achterlichem Wind ebenfalls aus dem Wasser, also, an die Arbeit. Nimm dir an Männern, was du brauchst!“ Der Seewolf gab Ben Brighton einen Wink, während die Männer der Crew an die Brassen eilten. Abermals schwang die „Isabella V.“ herum und ging auf Kurs zu den kleinen CaymanInseln. 4. Caligu saß an einem der Feuer, die am Strand der Bucht brannten. Er hatte seine Männer zusammengerufen, soweit sie noch in der Lage waren, an Beratungen teilzunehmen. Sei- ne Überlegungen waren ähnliche Wege gegangen wie die Maria Juanitas. Nur daß er trotz seines Zornes kalt und sachlich über alles nachgedacht hatte. Eins stand fest: sie mußten die Karavelle haben, um jeden Preis. Denn erstens konnten sie es sich nicht leisten, auf der Cayman-Insel von einem spanischen
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Kriegsschiff erwischt zu werden, zweitens verspürte Caligu nicht die geringste Lust, sich hier festzusetzen. Auch dann nicht, wenn sie mit Weibern versorgt waren. Sie hatten es falsch angefangen. Sie hätten warten sollen bis zum Morgen, dann wäre ihnen diese böse Überraschung erspart geblieben, weil sie die Spanier rechtzeitig genug entdeckt Und ihre Kampftaktik darauf hätten einstellen können. Voller Wut dachte er daran, daß er sich von dieser Maria Juanita hatte beeinflussen lassen, daß sie praktisch entschieden hatte, was geschehen sollte. Er schwor sich, daß damit ein für allemal Schluß sei. In diesem Augenblick sah einer seiner Männer hoch. Ein drahtiger, kleiner Bursche, den alle nur „das Messer“ nannten, weil er mit dieser Waffe umzugehen verstand wie kein anderer. Daß er außerdem über beträchtliche Körperkräfte und Ausdauer verfügte, ließ ihn nur noch gefährlicher erscheinen. Er galt stillschweigend als Caligus rechte Hand, auch wenn diese beiden Männer, nebeneinander gestellt, zum Lachen reizten. Nur lachte eben keiner, denn dann hätte er sich ebenso gut selber gleich die Kehle durchschneiden können. Das Messer sah auf. Und er sah Maria Juanita, die eben mit ihren Weibern über den Strand marschierte, gradewegs auf das Feuer zu, an dem Caligu und seine Männer saßen. „He, Caligu, wir kriegen Besuch“, sagte das Messer. „Deine Juanita rückt uns mit ihrem Weibervolk auf den Hals. Da bin ich aber mal gespannt, was die wollen.“ Caligu fuhr herum. Er sah das entschlossene Gesicht Maria Juanitas, und ihm schwante nichts Gutes. Aber er blieb ruhig sitzen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann waren Juanita und ihre Mädchen heran. Langsam drehte sich Caligu herum. Seine dunklen Augen blickten merkwürdig kalt. Das Messer, das ihn von allen Männern am besten kannte, spürte, wie ihm unwillkürlich eine Gänsehaut über den Rücken kroch.
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Er hatte diesen Blick schon einmal gesehen, damals, als sie die „Elvira“ gekapert hatten und eine der Frauen, die als Passagier an Bord der spanischen Galeone gewesen war, Caligu voller Zorn ins Gesicht geschlagen hatte, als er ihr befahl, sich zu entkleiden. Was dann folgte - das Messer dachte nicht mehr weiter. Es war eine Orgie sondergleichen geworden. Maria Juanita baute sich vor Caligu auf und blickte ihn aus funkelnden Augen an, während die anderen Mädchen sich im Halbkreis hinter ihn gruppierten. Caligu starrte Juanita immer noch an. Dann glitt sein Blick über die anderen Frauen, die inzwischen direkt schon wieder Ähnlichkeit mit normalen Mädchen hatten, denn ihnen war die Schminke und alles andere, was sie noch zu benutzen pflegten, um sich für ihr Geschäft zurechtzuputzen, längst ausgegangen. Schließlich kehrte Caligus Blick zu Maria Juanita zurück. „Was wollt ihr?“ fragte er rauh. „Seht ihr nicht, daß wir hier Kriegsrat halten? Dabei habt ihr Weiber nichts zu suchen. Verschwindet, aber ein bißchen plötzlich!“ Maria Juanita verfärbte sich. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Zornbebend trat sie einen Schritt näher an Caligu heran. „So, Kriegsrat haltet ihr? Und dabei haben wir nichts zu suchen? Ich will dir großmäuligem Kanaken mal etwas sagen: Saufen und huren, das könnt ihr, darin seid ihr einfach Spitze. Und ganz besonders im Schnarchen, wenn ihr besoffen zwischen den Büschen liegt. Aber kämpfen? Ihr Schlappschwänze werdet ja nicht einmal mit ein paar völlig vertrottelten spanischen Soldaten fertig. Wenn die ein bißchen heißes Wasser auf eure Dummköpfe schütten, dann gebt ihr Fersengeld und leckt jammernd eure Wunden.“ Caligu starrte das Mädchen immer noch an, und hin und wieder warf ihm das Messer einen Blick zu. Dieses verdammte Weibsbild mußte von Gott und allen guten Geistern verlassen sein, so mit Caligu zu reden. Ausgerechnet mit dem! Das konnte nur in einer Katastrophe enden!
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Maria Juanita hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Und wenn ihre Stimme eben noch von Hohn getrieft hatte, jetzt klang sie plötzlich schrill und kreischend. „Ihr sitzt hier rum und haltet großartige Reden und sauft euch schon wieder den Ranzen voll. Aber unterdessen legt der Seewolf Meile um Meile zurück, unsere Chance, diesen Kerl mitsamt seinen Schätzen zu erwischen, wird immer geringer. Tut endlich was!“ schrie sie mit vor Wut überschnappender Stimme. „Oder müssen wir Frauen euch elenden Hurenböcken und Schlappschwänzen erst zeigen, wie man ein Schiff mit ein paar vertrottelten Soldaten kapert?“ Sie öffnete schon den Mund, um weiter herumzugeifern, da sprang Caligu wie der Blitz auf. Es war eine einzige ruckartige Bewegung, die ihn auf die Füße katapultierte. Und fast im selben Moment explodierten an Maria Juanitas Kopf ein paar furchtbare Ohrfeigen, die so wild und wuchtig von Caligu geschlagen wurden, daß Juanita sich fast aus dem Stand überschlug. Sie flog der Länge nach in den weißen Sand, aber Caligu ließ ihr keine Zeit, wieder auf die Füße zu springen. Mit einem Hechtsatz warf er sich über sie, riß ihr die Kleider vom Leib und nahm sie vor aller Augen. Die Mädchen kreischten und wollten fliehen, aber das Messer stand plötzlich vor ihnen, die breite Klinge seiner Waffe blitzte im Schein des lodernden Feuers. „Ihr bleibt!“ sagte er hart. Die Frauen wichen vor ihm zurück wie vor dem Leibhaftigen. Er zwang sie, sich die höllische Szene anzusehen, die nur von den Schatten der Nacht, die noch über der Bucht lagen, gemildert wurden, durch den Schein des Feuers jedoch etwas Gespenstisches erhielt. Endlich stand Caligu auf und ließ von Maria Juanita ab. Dann riß er sie an den langen Haaren empor und bediente sie abermals mit einigen Ohrfeigen. Als er sie endlich losließ, brach sie vor ihm in die Knie. Caligu starrte sie böse an.
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„Merk dir das gut, Weib“, sagte er. „Hier gibt es nur einen einzigen, der Befehle gibt und das große Wort führt. Und der bin ich, Caligu! Wärst du einer meiner Männer, dann würden dich jetzt schon die Haie fressen. Und beim nächsten Mal, das schwöre ich dir hier vor meinen Männern, bezahlst du Aufsässigkeit oder solche Frechheiten, wie du sie uns eben entgegengegeifert hast, mit dem Leben! Weg jetzt mit euch, bevor ich mir das noch anders überlege!“ Maria Juanita kroch in sich zusammen. Dann griff sie nach ihren Kleidern und streifte sie sich rasch über. Anschließend taumelte sie auf die Füße und wollte mit den anderen Mädchen verschwinden. Aber Caligu verstellte ihr noch mal den Weg. „Und weil du immer so ein großes Maul hast, wirst du bei jedem Gefecht, bei jedem Kampf, den wir ausfechten, neben mir in der vordersten Reihe sein. Und wehe, du zeigst auch nur die Spur von Angst oder Feigheit, dann bringe ich dich eigenhändig um! Niemand nennt mich ungestraft einen Feigling, auch du nicht. Du wirst in Zukunft alles genauso tun, wie ich es befehle. Gleich, was es ist. Das gilt für jede von euch!“ brüllte er plötzlich mit einer Stimme, die Tote geweckt hätte. Die Frauen und Juanita stoben davon. Caligu starrte ihnen mit finsterer Miene hinterher. Er war sicher, daß sie diese Lehre nicht so bald vergessen würden. Ganz absichtlich hatte er Maria Juanita vor den Augen der anderen so gedemütigt. Jeder sollte wissen, daß er der Herr in diesem Haufen war, er, Caligu, und niemand anders. Caligu setzte sich wieder ans Feuer. „Wir greifen an“, sagte er, „sobald es hell wird. Dann werden wir diesen Hunden das kochende Wasser und die vergangene Nacht heimzahlen.“ Die Männer schrien durcheinander. Das war nach ihrem Geschmack, denn fast jeder von ihnen hatte etwas abgekriegt, und diejenigen, die vom kochenden Wasser getroffen worden waren, wurden durch den wütenden Schmerz, der in ihrem Körper
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tobte, noch immer nachhaltig an die schmachvolle Niederlage erinnert. Sie sprangen auf und schwangen ihre Messer und Pistolen, von denen allerdings nur noch wenige zum Schießen taugten, weit das Wasser sie unbrauchbar gemacht hatte, drohend in Richtung auf die vor Anker liegende Karavelle. Ihr Geschrei hallte weit über die Bucht, und wer die hin und her springenden Gestalten vor den Feuern am Strand in diesem Augenblick sah, der konnte denken, daß die Hölle aufgebrochen sei und alle ihre Teufel sich dort ein Stelldichein gegeben hätten. * Der Generalkapitän, der neben Valdez auf dem Achterkastell der einstigen „Isabella IV.“ stand, wurde vor Schreck leichenblaß, als das wüste Geheul über die Bucht an seine Ohren drang und er die wie wild hin und her tanzenden und waffenschwingenden Gestalten erblickte. „Um Himmels willen, Valdez, die Kerle bereiten sich auf einen neuen Angriff vor! Sie werden uns alle töten – ach, was sage ich, sie werden uns grausam zu Tode foltern. Jeden einzelnen von uns – nein, das halte ich nicht aus, das kann kein Mensch ertragen.“ Valdez, der ewige Krieger in den Diensten der spanischen Krone, grinste ihn voller Verachtung an. „Es stimmt, Senor, niemand hält es aus, wenn man ihn zu Tode foltert. Jedenfalls ist mir noch kein derartiger Fall zu Ohren ge ...“ Der Generalkapitän fuhr herum. Seine Leichenblässe hatte sich in Zornesröte verwandelt. „Valdez, ich verbiete Ihnen, daß Sie mich auch noch verhöhnen. Respektieren Sie gefälligst meinen hohen Rang.“ „Recht so, Senor, so gefallen Sie mir schon wesentlich besser. Natürlich haben Sie recht, dieser Pirat ist ein Untier, ein Sadist. Und deshalb habe ich mir etwas ausgedacht, was ihn davon abhalten wird, uns zu massakrieren. Verlassen Sie sich
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ganz auf mich: Caligu wird nicht eher dieses Schiff betreten, bis ich es ihm erlaube, und wir uns geeinigt haben. Ich habe da einen hervorragenden Plan, und ich will mich beeilen, meine Vorbereitungen zu treffen. Valdez wollte das Achterkastell verlassen, aber der Generalkapitän hielt ihn zurück. „Halt, Valdez. Ich will wissen, was das für ein Plan ist! Was soll das für eine Idee sein, die einen Teufel wie diesen Caligu davon abhalten sollte, uns alle abzuschlachten? Valdez, ich sage Ihnen ...“ Aber Valdez war bereits am Niedergang. Er verneigte sich leicht vor dem Generalkapitän. „Keine Zeit mehr zu langen Erklärungen, Senor. Blicken Sie nach Osten, dort zeichnet sich die Morgendämmerung bereits ab. In weniger als einer halben Stunde wird es hell, dann greift Caligu an. Wenn ich Sie wäre, würde ich schleunigst meinen Degen schleifen, denn für die Kanonen und Schußwaffen haben wir weder Pulver noch Blei.“ Der Generalkapitän erblaßte von neuem. „Degen schleifen? Guter Gott, was nutzen mir gegen diesen Caligu meine Waffen? Und ich denke, Sie haben einen hervorragenden Plan?“ Valdez verneigte sich abermals und grinste wahrhaft teuflisch. „Nur für den Fall, Senor, daß er vielleicht doch nicht klappt. Dann sollte ein Mann wie Sie mit der Waffe in der Hand sterben, das sind Sie Spanien und Seiner Allerkatholischsten Majestät, die Sie zum Generalkapitän der spanischen Flotte ernannt hat, schuldig. So, Senor, ich muß gehen, die Zeit drängt!“ Er wies nach Osten, wo sich am Horizont bereits unübersehbar ein heller Streifen abzeichnete. Don Rodriguez blickte ihm völlig entgeistert nach. „Sterben?“ ächzte er. „Wie ein Mann? Nein, ich bin nicht für den Kampf geschaffen. das haben bisher immer die anderen für mich besorgt.“
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Seine Hände sanken herab, aber dann tasteten sie doch zitternd nach dem Degen, der im Wehrgehänge steckte. * Noch bevor die Sonne über der Kimm erschienen war, stieß das Boot mit Caligu und seinen Männern vom Strand ab. Neben dem Piraten saß Maria Juanita. Sie verhielt sich schweigsam, nur hin und wieder warf sie verstohlen ein Blick auf den Mann, der neben ihr saß. Hure und Pirat—sie waren sich im Grunde genommen verdammt ähnlich, das hatte sie längst begriffen. Sie nahm Caligu die Züchtigung und die Demütigung, die er ihr angetan hatte, nicht einmal übel. Denn bei Huren wie bei Piraten gab es nur ein Gesetz: Der Stärkere regierte, alle anderen hatten sich zu unterwerfen. Und Caligu war körperlich absolut der Stärkere. Er war ein Mann, ein Vulkan, wie ihn Maria Juanita überhaupt noch nirgendwo auf der Welt getroffen hatte. Und, zum Teufel, sie kannte genug Männer, mehr als jede ihrer Frauen. Sie hatte nach Spanien zurückreisen wollen, weil sie sich mit ihrem ältesten Gewerbe der Welt auf dem neuen Kontinent des spanischen Reiches eine goldene Nase verdient hatte, weil sie reich geworden war und in Spanien nun endlich das Leben führen wollte, von dem sie schon immer geträumt hatte: ein großes Haus mit Dienstboten, nur noch Männer, die ihr gefielen, ohne daß sie dabei nach dem Geld zu schielen brauchte. Und dann war plötzlich wieder alles aus. weil dieser dreimal verfluchte Bastard von einem Seewolf das Schiff gekapert und ihr und den anderen Mädchen damit alles weggenommen hatte, was sie in langen Jahren zusammengekratzt hatten. Aber sie verstand diesen Caligu nur zu gut. Sie wäre mit jeder Hure aus ihrer Truppe genauso verfahren, wenn sie ihren Machtbereich in Frage gestellt hätte. Oder man hätte ihr die Führung streitig gemacht, denn jede lauerte nur darauf, bei ihr irgendeine schwache Stelle zu entdecken.
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Nein, wenn sie diesen Caligu, der ihr als Mann besser gefiel als jeder, den sie bisher kennengelernt hatte, wenn sie diesen Riesen beherrschen wollte, und das wollte sie auf jeden Fall und um jeden Preis, dann mußte sie das anders anfangen. Heimlich, denn sie verfügte über Intelligenz und einen scharfen Verstand. In diesem Punkt war sie Caligu überlegen, und sie begriff gar nicht mehr, wie ihr diese Panne überhaupt hatte passieren können, sie mußte von Sinnen gewesen sein. Wieder warf sie einen verstohlenen Blick auf Caligu, der sich voll auf das Schiff konzentrierte, dem sie sich mit jedem Ruderschlag mehr und mehr näherten. Nicht heimlich diesmal, nein, im Gegenteil, die Spanier sollten in Panik geraten, Caligu kannte seinen Ruf. Doch, dachte Maria Juanita weiter, es gab da bestimmt eine Möglichkeit. Eine kluge Frau war jederzeit in der Lage, so einen Büffel von Kerl um den kleinen Finger zu wickeln, ihn aus der Hand fresset’ zu lassen. Nur durfte er das unter keinen Umständen merken. Juanita mußte in diesem Augenblick ihren Gedankengang unterbrechen. Denn an Deck der Karavelle richtete sich Valdez hinter dem Schanzkleid auf. „Halt!“ brüllte er den Piraten zu. „Halt, keinen Yard näher!“ Caligu starrte ihn an. Dann lachte er dröhnend. „He, Mann, scheißt du dir vor Angst schon in die Hose? Jetzt geht es euch an den Kragen, ihr werdet büßen für die Nacht! Am besten hängt ihr euch jetzt schon gegenseitig alle auf. Wen wir noch lebend erwischen, der wird sich wünschen, daß seine Mutter ihn nie geboren hätte! Wir werden euch foltern, ihr sollt schreien, bis das Meer erzittert. An euer Geheul wird man hier noch lange denken. Du Schwein, du hinterhältiger Hund, du hast mir die Schulter mit deinem kochenden Wasser verbrüht. Keiner wird dich anrühren, du bist für mich reserviert. Bete jetzt, wenn du willst, oder fluche, wenn dir danach ist, aber du wirst tausend Tode sterben, so wahr ich Caligu bin! Und jetzt Schluß mit
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dem Gerede! Kämpft, wenn ihr keine Memmen seid. Zeigt, daß ihr euch auch auf etwas anderes versteht, als das heimtückische Herunterschütten von kochendem Wasser!“ Er sah seine Männer an. „Vorwärts, pullt, ihr verfluchten Hunde. Jede Minute, die diese Bastarde noch leben, ist schon zuviel. Gebt kein Pardon, sie sollen sterben, einer wie der andere! Vorwärts!“ Seine Männer legten sich ins Zeug. Die Ruder tauchten im Takt ein, das Boot schoß auf die Karavelle zu. Der Generalkapitän starrte Caligu und seine Bande von Mördern aus schreckensgeweiteten Augen entgegen. „Mein Gott, mein Gott!“ stöhnte er und rang vor Panik die Hände. Valdez beobachtete das Boot ungerührt, doch als es bis auf hundert Yards heran war, legte er die Hände abermals wie einen Trichter an den Mund. „Halt!“ brüllte er noch einmal. „Halt, oder es passiert was!“ Wüstes Geschrei und Gelächter antworteten ihm, aber dann blieb sogar Caligu das Wort im Halse stecken. „Wenn ihr euren Kurs nicht augenblicklich ändert“, die Piraten hatten sich der Karavelle inzwischen bis auf fünfzig Yards genähert, „dann sprenge ich das Schiff in die Luft. Es ist mein voller Ernst, die Pulverkammern sind voll bis unters Deck. Ho, ich freue mich darauf, wenn ihr verfluchten Mörder und Banditen dann in Fetzen gerissen zur Hölle fahrt! Ich zähle bis fünf, entweder ihr ändert euren Kurs, oder ich lasse das Pulver zünden!“ Valdez begann zu zählen. Caligu starrte ihn aus schreckgeweiteten Augen an. Dann begann er zu fluchen, aber das half ihm nichts, Valdez zählte seelenruhig weiter. Als er bei vier war, hob er die Hand. Caligu warf das Ruder herum, das Boot schor nach Backbord, sofort hörte Valdez mit dem Zählen auf. Der Generalkapitän hatte die Hände um das Schanzkleid gekrampft. Er war einer Ohnmacht nahe.
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„Welch ein schändlicher, welch ein wahnsinniger Plan!“ ächzte er. „Valdez, haben Sie geblufft, oder meinten Sie es ernst?“ „Geblufft, Senor. Hier ist nicht eine Tonne Pulver an Bord. Der Engländer hat alles auf die Galeone mannen lassen.“ Valdez grinste den feisten Rodriguez an. Der Generalkapitän rang die Hände, dann rannte er plötzlich fort und erbrach sich. Valdez kümmerte sich nicht darum, ihm war dieser Mann gleichgültig. Er hatte ihn als Vorgesetzten gekannt und genausowenig gemocht. Er hatte immer gewußt, daß Don Francisco Rodriguez ein Hasenfuß war. „Caligu!“ brüllte er zu dem Boot hinüber, in dem die Piraten fluchend saßen und zu ihm hinüberstarrten. „Pullt zurück. Ich werde euch jetzt sagen, zu welchen Bedingungen ihr vielleicht an Bord dürft. Ich will ehrlich sein, obwohl sich das bei Leuten wie dir nie auszahlt: Wir wollen hier weg, aber wir können dieses Schiff nicht segeln. Wir werden einen Pakt miteinander schließen. Ihr erhaltet von uns das Schiff, dafür bringt ihr uns hier weg. Aber ihr rührt keinen von uns an. Ihr gebt eure Waffen ab. Und glaubt nur nicht, daß ich mich von euch übertölpeln lasse, einer meiner Männer wird in der Pulverkammer bleiben. Führt ihr Verrat im Schilde, dann fliegen wir alle in die Luft, denk darüber nach. Schicke in zwei Stunden das Boot wieder her, ich will mir alles noch einmal gründlich überlegen, du solltest das gleiche tun. Und jetzt verschwindet, die Lunte brennt immer noch!“ Caligu knirschte vor Wut mit den Zähnen. Er warf einen blitzschnellen Blick auf Maria Juanita. Auch sie war leichenblaß. Sie wußte genau, was es bedeutete, in einer Entfernung von nur fünfzig Yards in einem Boot neben einer explodierenden Karavelle zu sitzen. Caligus Hände ballten sich zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten. „Wie hast du diesen Valdez genannt?“ zischte er sie an. „Einen vertrottelten und verblödeten spanischen Soldaten? Ich sage dir, das ist der gerissenste und kaltblütigste
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Kerl, der mir je begegnet ist. Er soll tausend Tode sterben, das schwöre ich dir. Aber ich muß zum Schein auf seine Bedingungen eingehen. Wenn wir erst mal an Bord sind, wenn dieses Schiff erst mal segelt, wenn wir endlich nach diesem dreimal verfluchten Seewolf suchen können, dann wird sich schon eine Möglichkeit finden, mit diesen Kerlen fertig zu werden. Auch dann, wenn sie mit brennender Lunte auf einem Pulverfaß schlafen sollten.“ Er sah sie nachdenklich an. „Ich glaube sogar, ich habe schon eine Lösung gefunden“, fügte er hinzu. „Vielleicht gebe ich dir Gelegenheit, zu beweisen, wie schlau und wie gerissen du bist und wie leicht du alle Männer um den kleinen Finger wickeln kannst. Nur bei mir, bei Caligu, klappt das nicht, denke immer daran, wenn dir dein Leben lieb ist. Du kannst mit mir zusammenbleiben, dir wird nichts fehlen, du wirst reich und mächtig werden, aber versuche nie wieder, mich herumzukommandieren.“ Anschließend gab er seinen Befehl, zurückzupullen. Ein paarmal blickte er zu der Karavelle zurück. Aber dort blieb es still. Keiner von Valdez’ Männern schrie ihnen höhnische Bemerkungen nach. Alle spürten, daß es erst wirklich gefährlich werden würde, sobald Caligu und seine Männer sich an Bord des Schiffes befanden. Zwei Stunden später war das Boot mit Caligu und dem Messer, seinem Unterführer, wieder neben der Karavelle. „Ich nehme deine Bedingungen an, Valdez. Aber so, wie du mich gewarnt hast, mit dir falsches Spiel zu treiben, so warne ich dich auch. Sag deinen Männern, daß sie sich von meinen Leuten fernhalten sollen. In Cuba setzen wir euch an Land. An Bord werden nur meine Männer und die zwölf Frauen bleiben. Die Spanier auf der Insel bleiben dort, ich bin nicht verrückt genug, sie auch mitzunehmen. Wenn du damit einverstanden bist, gut. Wenn nicht, werden wir deine Landsleute auf der Insel töten und ihr könnt hier liegenbleiben, bis der jüngste Tag anbricht. Einmal werden
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euch die Lebensmittel ausgehen und das Wasser, dann müßt ihr zur Insel. Ich werde euch dort dann erwarten und töten. Gleichgültig, ob ihr das Schiff sprengt oder nicht. Ihr könnt natürlich auch noch versuchen, selber mit dem Kahn davonzusegeln. Aber eins laß dir sagen, Valdez, und ich versteh mich auf Schiffe: Dieser Typ ist zwar schnell, dafür jedoch schwer zu segeln. Beim ersten Sturm, der euch erwischt, fressen euch die Haie. Entscheide dich, Valdez, ich warte nicht länger!“ Valdez zögerte einen Moment. Dieser Kerl war noch viel gefährlicher, als er gedacht hatte. Aber ihm blieb keine andere Wahl, er mußte mit dem Teufel paktieren, wenn er und seine Männer nicht zur Hölle fahren wollten. „Einverstanden, Caligu!“ rief er nach einer kurzen Bedenkzeit. „Ihr pullt mit dem Boot bis auf zwanzig Yards heran. Dann schwimmt ihr zum Schiff, einzeln und in Abständen, ohne Waffen. Wir werden euch mittschiffs in Empfang nehmen, wer eine Waffe hat, wer unsere Vereinbarung bricht, der wird sofort erledigt. In einer Stunde könnt ihr an Bord. Und nochmals, mein Mann sitzt in der Pulverkammer, du kannst ihn dir ansehen, wenn du willst. Du schwimmst als erster zu uns, Caligu. Wir behalten dich als Geisel, bis alles gelaufen ist. Mehr habe ich dir nicht zu sagen.“ Valdez drehte sich um, und auch seine Männer verschwanden vom Schanzkleid an Steuerbord. Zähneknirschend willigte Caligu ein, anschließend ruderten ihn seine Männer wieder zurück. Es war ein großes Boot, sechs Riemen auf jeder Seite. Plötzlich, auf dem Weg zur Bucht, stutzte er. Dann schlug er sich mit der flachen Hand’ vor die Stirn. Gleichzeitig sah er Messer, seinen Unterführer, an. „Wir alle haben uns benommen wie hirnlose Idioten! Dieser Valdez hat uns geblufft. Woher will er denn wohl Pulver haben? Glaubst du im Ernst, ein Kerl wie der Seewolf läßt eine volle Pulverkammer zurück, wenn er ein so großes Schiff
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gekapert hat wie diese spanische Galeone, mit der er auf und davon gesegelt ist?“ Das Messer sah ihn überrascht an. „Verflucht, du könntest recht haben, Caligu.“ Er überlegte, und Caligu ließ ihn, denn er kannte den scharfen und präzisen Verstand dieses Mannes und wußte ihn zu schätzen, seit Messer in seiner Crew war. „Dennoch, wir sollten auf das Spiel von Valdez eingehen. Es könnte nämlich auch sein, daß die spanische Galeone mit Pulver bis unter die Decks voll war. Dann hätte ich mir an Stelle des Seewolfs das Umladen auch gespart. Nein, ich glaube das nicht, aber, Caligu, es könnte sein.“ Der riesige Pirat nickte widerwillig. Nun, man würde schon sehen. Wenn man erst an Bord war, würden sich Möglichkeiten ergeben. Mit und ohne Mann in der vollen oder leeren Pulverkammer. 4. An diesem Morgen erreichte auch die „Isabella V.“ die kleinen Cayman-Inseln. Dem Seewolf schien es wie ein Wunder, daß das Wetter sich gehalten hatte. Sooft er zum Himmel empor gesehen hatte, es waren immer wieder Anzeichen dagewesen, die auf Wetterverschlechterung hingewiesen hatten: eine kleine gelbliche Wolke am Horizont, die eine Weile rasch wuchs und wieder verschwand, hinter ihnen plötzlich eine dunkle Wand, unter welcher der Gischt bedrohlich aufleuchtete und sich die gerade noch tiefblauen Wogen der langen Dünung, die das Schiff begleiteten, plötzlich grün färbten und wie Glas aussahen. Der Seewolf hatte gespürt, wie nervös und argwöhnisch auch Ferris Tucker alle diese Zeichen beobachtete. Der Seewolf hatte keine überflüssigen Fragen gestellt. Er wußte, daß das Leck an Backbord von dem Schiffszimmermann so gut abgedichtet worden war, wie sich das unter den jetzigen Umständen überhaupt bewerkstelligen ließ. Aber die Nervosität des Schiffszimmermanns, bei Tucker etwas
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völlig Ungewöhnliches, zeigte ihm auch, daß Ferris sich um das Schiff sorgte. Natürlich war dies alles der übrigen Besatzung auch nicht entgangen, und jeder Mann an Bord atmete auf, als sich endlich kurz nach Sonnenaufgang die kleinen Cayman-Inseln Steuerbord voraus über die Kimm schoben. „Dem Himmel sei Dank!“ Ferris Tucker stieß diese Worte aus. Hasard sah ihn etwas befremdet an. „Hör mal zu, Ferris, mir ist deine Nervosität schon die ganzen letzten Stunden aufgefallen. Ich habe nichts gesagt und auch keine Fragen gestellt, aber warum, zum Teufel, bist du eigentlich so so ...“ Ferris Tucker grinste plötzlich, als dem Seewolf ein ganz bestimmter Ausdruck einfach nicht über die Lippen wollte, wurde jedoch sofort wieder ernst. „Die Erklärung ist ganz einfach. Wären wir mit der ,Isabella V.’ in schweres Wetter geraten, dann hätte es böse ausgesehen. Bei der Untersuchung des Lecks wurde mir nämlich klar, was ich bereits vorher befürchtet hatte: Ein schwerer Brecher zum Beispiel hätte nicht nur sein Wasser durch das Leck befördert, sondern auch noch die anderen Planken eingedrückt. Es ist zwar kein Spant beschädigt worden, aber eine Reihe von Planken haben durch den Einschlag Risse erhalten und an Stabilität verloren. Kurz gesagt, ein Sturm, ein paar Brecher wären völlig ausreichend gewesen, das Leck buchstäblich im Handumdrehen auf den doppelten bis dreifachen Umfang zu erweitern. Den Rest brauche ich ja wohl nicht mehr zu erklären. So, das wär’s, und nun laß uns zusehen, daß wir möglichst rasch eine geschützte Bucht finden, in der ich in Ruhe arbeiten kann. Ich werde einen Teil der Backbord-Bugbeplankung erneuern, das ist am sichersten.“ Der Seewolf nickte. Dann wandte er sich Carberry zu, der neben Tucker stand. „Ed, zieh die Männer von den Pumpen ab. Jeder verfügbare Mann klar bei Brassen. Schicke- Männer in die Takelage, vielleicht müssen wir schnell manövrieren. Und laß jetzt schon einen Teil der Segel
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bergen. Ich kenne die kleinen CaymanInseln nicht, wir müssen ständig ausloten, wenn wir nicht irgendwo aufbrummen wollen. Dieser Kahn hat einen ganz schönen Tiefgang.“ Carberry verschwand. Einen Moment später scheuchte er seine Männer auf die Stationen. Die „Isabella“ näherte sich den kleinen Cayman-Inseln. Vor achterlichem Wind, der wie durch ein Wunder ebenfalls beständig geblieben war, schob sie sich mit rauschender Bugwelle durchs Wasser, und nur ganz allmählich verlor das schwere Schiff an Fahrt. Der Seewolf hielt auf die Insel zu, die am weitesten nach Osten lag. Die Inseln boten rein äußerlich gesehen nichts Besonderes Berge, zum Teil dichte Vegetation, ein paar zerklüftete Buchten an der nach Süden gelegenen Küste, die so gelegen waren, daß sie auch bei Sturm aus dem südlichen Sektor Schutz bieten würden. Jean Ribault, der bisher zusammen mit Piet Straaten in der Takelage gearbeitet hatte, trat zu Ben Brighton und Hasard. Ihm folgte kurze Zeit später Karl von Hutten. Auch sie suchten die Küste der östlich gelegenen Insel mit den Augen ab. Dann verständigten sie sich durch einen raschen Blick. Dem Seewolf entging nicht, wie von Hutten dem Franzosen zunickte. „He! Was habt ihr? Los, heraus mit der Sprache! Kennt ihr diese Inseln?“ Ribault schüttelte den Kopf. „Nein, nicht direkt. Aber wir haben so dies und jenes über sie gehört. Es soll, besonders auf der östlichen Insel, Kannibalen geben. Man sagt, daß hier schon manches Schiff seinen Anker zum letztenmal geworfen habe und dann für alle Zeiten dort liegengeblieben sei, wenn es nicht ein Sturm auf die Klippen warf. Es konnte nie mehr flott werden, weil nämlich die Besatzung nicht mehr lebte.“ Ben Brighton starrte die beiden an wie eine Erscheinung. Ferris Tucker ebenfalls. Er trat dicht an den Franzosen heran. „Verflucht noch mal, warum rückt ihr beide erst jetzt mit der Sprache heraus? Ihr wißt doch genau, daß ich Holz brauche,
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daß ich es mir an Land schlagen muß, daß ich aus den Stämmen neue Planken schneiden muß.“ Er funkelte den Franzosen wütend an. „Ich habe keine Lust, auf meine alten Tage noch in den Topf von so einem braunhäutigen Burschen gesteckt zu werden!“ „Eben, Ferris, darum rücken wir ja gerade mit der Sprache heraus. Aber ich will ehrlich sein, ich habe noch eine genauere Information, ich weiß nur nicht, ob sie stimmt. Auf der östlich liegenden Insel soll es im Süden eine versteckte Bucht geben. Sie böte auch vor Unwettern, die in dieser Gegend sehr schnell losbrechen, hervorragenden Schutz. Aber ...“ Karl von Hutten zögerte sichtlich. „Aber was, Himmeldonnerwetter, nun rede doch endlich, Mann! So kenne ich dich ja gar nicht!“ Ferris Tucker schüttelte den Kopf. Auch der Seewolf und Ben Brighton sahen den braunhäutigen Mann, der eine Indianerin zur Mutter gehabt hatte, neugierig an. „Also gut. Einer mündlichen Überlieferung zufolge soll dort in dieser Bucht ein unheimliches Schiff mit einer noch unheimlicheren Besatzung sein Unwesen treiben. Das Schiff soll pechschwarz sein und ebensolche Segel haben. Es segelt nur bei Nacht und versteckt sich bei Tage. Aber in dieser Bucht, von der ich sprach, sollen schon etliche Wracks liegen. Alles Schiffe, die versuchten, dort zu ankern und deren Besatzungen sich verlocken ließen, das Auge der Götter zu berauben.“ „Das Auge der Götter? Zum Teufel, was ist das?“ fragte Carberry und runzelte die Stirn. Karl von Hutten zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht genau, und auch bei den Karibik-Piraten gab es nur Gerüchte. Es soll sich um einen See handeln, dessen Ufer und Grund aus Edelsteinen besteht. In einem kleinen Tempel soll dort ein Heiliger wohnen, ein uralter Indianer. Manchmal heißt es aber auch, daß dort oben ein ganzer Stamm von Priestern lebt und einen großen, alten Indianerschatz bewacht.“
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Carberry und Ferris Tucker schütteln den Kopf. „Seit wann bist du unter die Märchenerzähler gegangen?“ fragte Carberry mit unüberhörbarem Spott in der Stimme. „Verflixt, irgendwo schlägt bei dir doch wohl dein indianisches Blut durch. Und wenn das alles stimmen würde, was hat dieses rätselhafte Schwarze Schiff denn damit zu tun? Willst du mir erzählen, daß die Indianerpriester mit ihm alle Fremden vertreiben oder vernichten, die sich in die Bucht wagen und dem Auge der Götter zu nahe geraten?“ Karl von Hutten zuckte mit den Schultern. „Jetzt weißt du auch, warum ich mit der Sprache nicht rausrücken wollte. Ich bin genauso wenig ein Narr wie du, Ed. Aber ich habe es für meine Pflicht gehalten, den Seewolf und euch alle zu warnen. Ich weiß aus Erfahrung, daß an indianischen Legenden immer etwas dran ist. Und außerdem, ich meine Jean Ribault, der hat auch ...“ Dem Seewolf riß die Geduld. „Also los jetzt, Jean, was weißt du von dieser Geschichte? Rede schon, ich halte von Hutten nicht für einen Spinner. Wenn er so etwas sagt und glaubt, uns warnen zu müssen, dann hat das bestimmt seinen Grund. Also, was weißt du davon?“ Jean Ribault gab sich sichtlich einen Ruck. „Ich habe bei den Karibik-Piraten einen gekannt, der ist dem Schwarzen Schiff begegnet. Ich würde das nicht erzählen, wenn er nicht immer einer von denen gewesen wäre, denen ich vertraute und Glauben schenkte. Er war ein richtiger Beachcomber, den es nirgendwo lange hielt, der immer wieder irgendwoanders hin mußte. Er fiel bei einem unserer letzten Gefechte mit einem Kauffahrer. Eine Kanonenkugel riß ihm den Kopf ab. Nicht weit von hier haben wir ihm dem Meer übergeben.“ Auf dem Achterkastell herrschte eine ganze Weile Schweigen. „Gibt es noch eine andere Bucht, die sich für unsere Zwecke eignen würde?“ fragte der Seewolf schließlich.
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Der Franzose nickte. „Natürlich. Unter anderen eine Bucht, in der wir verschiedentlich geankert haben, um Schildkröten zu fangen. Aber unser Kapitän hat immer einen großen Bogen um die andere Bucht geschlagen. Er hat allerdings nie darüber gesprochen, warum er das tat. Diese Bucht, weiter westlich von der Schildkrötenbucht, habe ich nie gesehen.“ Über der Nasenwurzel des Seewolfs erschienen zwei steile, scharfe Falten. Er sah Ben Brighton, Ferris Tucker und Ed Carberry fragend an. Die zogen ebenfalls ernste Gesichter. Doch schließlich begann der rothaarige Hüne zu grinsen. Er hob seine gewaltige Axt leicht an, und seine Finger glitten spielerisch über die breite Schneide. „Wißt ihr was? Holt Dan heraus. Das Bürschchen hat uns bisher immer Glück gebracht. Ich habe hier einen Penny, er soll ihn werfen. Wenn die Seite mit der Zahl nach oben liegt, dann laufen wir diese geheimnisvolle Bucht an. Wenn nicht, dann suchen wir uns irgendeinen anderen Platz. Das ist gewissermaßen ein Orakel an die Götter.“ Der Seewolf begann allmählich an seinem Verstand zu zweifeln, aber Carberry brüllte bereits nach dem Bürschchen. „Ihr seid ja alle total übergeschnappt“, sagte der Seewolf nur, aber dann schwieg auch er. Das war schließlich eine völlig neue Erfahrung, die er mit seinen Männern machte. Dan O’Flynn flitzte die Stufen zum Achterdeck hoch. Auf seiner Schulter ritt keffernd Arwenack, der Schimpansenjunge, das Maskottchen der Crew. Hinter Dan drängten neugierig Smoky, Blacky, Al Conroy und der riesige Batuti zum Achterkastell hinaus. Hasard gönnte ihnen das Vergnügen. Dan blickte den Seewolf fragend an, Ferris Tucker reichte ihm den Penny, und schon wollte Dan, der sich genarrt fühlte, aufbrausen, als der Hüne ihn beschwichtigte. „So, mein Sohn, du sollst jetzt nichts weiter tun, als diesen Penny in die Luft
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werfen. Aufs Deck zurück fällt er von selbst. Also los!“ Dan sah ihn an, als wäre er der Klabautermann persönlich, und wieder wollte er aufbrausen, weil die. Männer hinter ihm zu lachen begannen, obwohl sie nicht wußten, um was es ging. Der Seewolf schaltete sich ein. „Tu jetzt, um was Ferris dich gebeten hat, Dan“, sagte er mit ernstem Gesicht und mußte sich dabei das Lachen gewaltsam verkneifen. Dan warf den Penny hoch, wollte ihn dann, nachdem er ein Stück über Deck gerollt war, flugs aufheben, aber der Schiffszimmermann stoppte ihn mit dem langen Stiel seiner Axt. „Halt, mein Sohn, du würdest eine Todsünde begehen. Dies ist eine heilige Handlung, die nehme ich selber vor.“ Dan starrte ihn aus großen Augen an, und als sich Ferris Tucker bückte, den Penny dann dem Seewolf hinhielt, verstand er gar nichts mehr. „Zahl war oben“, sagte er nur. „Na, dann wollen wir mal sehen, ob uns auch dieser schwarze Unhold holt und zur Hölle schickt.“ Dabei schwang er seine riesige Axt blitzschnell empor und ließ sie durch die Luft sausen, haarscharf am Kopf Batutis vorbei, der entsetzt zurückprallte. Die Männer lachten brüllend, und im Nu hatte sich die Crew in der Kuhl versammelt, weil sie wissen wollte, was es denn eigentlich gab. Hasard legte Tucker die Hand auf die Schulter. „Erklär du es ihnen, Ferris“, sagte er und konnte jetzt ebenfalls kaum noch ernst bleiben. „Du hast uns mit deinem verdammten Penny die ganze Suppe eingebrockt. Sollte mich aber wegen dieser Geschichte tatsächlich der Teufel holen und wir treffen uns in der Hölle wieder, dann werde ich dafür sorgen, daß du verfluchter Hundesohn für die nächsten hundert Jahre aus dem Fegefeuer nicht mehr rausgelassen wirst. Also, Männer, hört euch jetzt an, was Ferris euch zu sagen hat, und dann an die Brassen. Denn jetzt bin ich auch neugierig geworden!“
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Und diesmal lachten er und Ben Brighton ebenfalls dröhnend. Nur Jean Ribault und Karl von Hutten verhielten sich schweigsam. Aber auch sie wußten zu diesem Zeitpunkt nicht, wie bald ihnen allen das Lachen gründlich vergehen sollte. 5. Zur selben Stunde begann auf der ehemaligen „Isabella IV.“ der erste Akt eines Dramas, das von nun an nicht mehr aufzuhalten war. Genau nach einer Stunde lag das große Boot zwanzig Yards querab von der Karavelle. Caligu, Maria Juanita und eine Reihe von Piraten hielten sich bereit, an Bord des Schiffes zu schwimmen. Der Generalkapitän stand auf dem Achterkastell und war vor Angst grün im Gesicht. Er konnte nicht anders, er mußte immer wieder den mehr als sechs Fuß großen Piraten mit der Narbe auf der Wange anblicken. Und er spürte, wie sein Puls zu jagen begann und ihm der Schweiß ausbrach. Nein, Don Francisco Rodriguez traute diesem Kerl da unten nicht. Anders Valdez. Der stand in stoischer Ruhe am Schanzkleid und gab letzte Anweisungen. Neben ihm befanden sich Seesoldaten mit geladenen Musketen, die sie in einem der Laderäume der Karavelle aufgetrieben hatten. Valdez war sich darüber im klaren, daß er in diesem Spiel keine allzu guten Karten hatte, aber was sollte er tun? Er gab sich einen Ruck. „Caligu!“ rief er. „Du schwimmst als erster, wie ich es gesagt habe. Du kommst nackt, ihr alle legt eure Kleider in das Boot, wir werden sie später an Bord nehmen. Ich bin nicht so närrisch, euch zu trauen, ich will sichergehen, daß keiner von euch eine versteckte Waffe bei sich führt.“ Caligu fuhr vom Sitz. Er funkelte Valdez aus seinen schwarzen Augen an. „Für wie verrückt hältst du dämliche Kakerlake mich eigentlich? Ich soll ohne Waffe an Bord schwimmen, nach mir die anderen, alle einzeln? Und ihr murkst uns
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ebenso einzeln ab, sobald wir das Schiff betreten! Ich werde schwimmen, Valdez, aber mit meinem Zeug und mit meinem Messer. Jetzt sofort. Und es wird mir scheißegal sein, ob du diesen Dreckskahn nun in die Luft jagst oder nicht. Und wage es ja nicht, mich anzurühren, meine Geduld ist am Ende. Ich bin Caligu, merk dir das, du Hurenbock!“ Caligu sprang ins Wasser, das sich hochaufspritzend über ihm schloß. Mit wenigen Schwimmstößen erreichte er das Schiff und schwang sich sofort an Bord, so schnell und mit solcher Geschmeidigkeit, daß die beiden Seesoldaten mit ihren Musketen unwillkürlich zurückwichen. Caligu kümmerte sich nicht um sie, und deshalb sah er auch nicht, wie sehr seine Entschlossenheit Valdez für einen Moment verunsicherte. Aber immerhin gab ihm das wertvolle Sekunden Vorsprung. „Los, rüber mit euch, ich habe dieses ganze Affentheater jetzt satt. Wenn Valdez den Befehl zum Sprengen gibt, dann fliegt er mitsamt seinen Leuten ebenfalls in die Luft. Rüber mit euch, soll ich’s noch mal sagen?“ Die Piraten stürzten sich schreiend ins Wasser, und schon Minuten später enterten sie auf. Aber Valdez war nicht untätig geblieben, er hatte seine Schrecksekunde längst überwunden. Seine Soldaten drängten die Piraten sofort gegen das Schanzkleid zurück, und jetzt bemerkte Caligu, daß die Männer des alten Haudegens hervorragend bewaffnet waren. Gleichzeitig gab er zweien seiner Leute einen Wink und entriß Caligu mit einer blitzschnellen Bewegung Entermesser und Pistole, die in seinem Gürtel steckten. „Du hast es nicht anders gewollt, Caligu“, sagte er. „Pfeif jetzt deine Männer zurück, oder ich lasse den Kahn hochgehen. Das ist mein Ernst. Bevor wir uns von euch schlachten lassen, fliegen wir lieber in die Luft!“ Caligu starrte ihn an. „Her mit meinen Waffen“, sagte er kalt und streckte die Hand aus.
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Valdez begann zu zählen. Laut und deutlich. Seine Stimme durchdrang die Stille, die in diesem Moment auf dem Schiff herrschte. Es war so still, daß man fast das keuchende Atmen der Männer hörte. Die Piraten rückten unwillkürlich näher an das Schanzkleid heran, ihre Gesichter wurden immer bleicher, Schweiß lief an ihren Körpern herab. Nur Caligu stand hochaufgerichtet vor Valdez, der immer noch die Hand nach seinen Waffen ausstreckte. Hohn leuchtete aus seinen Augen, als Valdez „vier“ sagte, dann aber unwillkürlich zögerte. Caligu packte blitzschnell zu und entriß ihm sein Entermesser. „Auf was wartest du?“ brüllte er ihn an. „Sag endlich fünf, du Held. Ich will wissen, wie das ist, wenn wir alle in die Luft geblasen werden. Also, willst du, oder soll ich es tun?“ Valdez starrte den Piraten an. Er hatte hoch gespielt und verloren, das begriff er in diesem Moment. Blitzartig zuckte die Erkenntnis durch sein Hirn, welchen entscheidenden Fehler er begangen hatte. Caligu ließ ihm keine Zeit, etwas zu korrigieren. „Ich wußte es, dieser Mistkerl hat kein Pulver, nicht eine Unze Pulver befindet sich an Bord. Er hat uns geblufft, und beinahe wäre ihm das auch gelungen. Schlagt die Kerle tot, werft sie über Bord! Aber Valdez und den Generalkapitän will ich lebend, wer einem von ihnen auch nur ein Haar krümmt, den bringe ich eigenhändig um.“ Caligu schlug zu. Ganz überraschend und ansatzlos. Die breite Klinge des Entermessers traf Valdez seitlich am Kopf. Er brach sofort zusammen, und Caligu kümmerte sich nicht weiter um ihn. Er war mit einem Sprung bei den beiden Soldaten, die ihre Musketen hochrissen. Dem einen schlug er mit einem gewaltigen Hieb den Kopf von der Schulter, den anderen erledigte er durch einen Stich in die Brust, nachdem er die Muskete zur Seite geschlagen hatte.
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Für Caligu und seine Männer gab es von diesem Augenblick an kein Halten mehr. Sie verwandelten sich in reißende Bestien. Zwar wehrten sich die Soldaten tapfer ihrer Haut und erschlugen ein paar von Caligus Leuten oder erstachen sie mit der Hellebarde, als die Piraten auf sie zustürmten, aber das alles half ihnen nichts. Die Piraten, ihnen allen voran Caligu und an seiner Seite Maria Juanita, die zur Megäre geworden war, drängten sie zum Vorschiff ab. Einige liefen an ihnen vorbei, jagten zum Vorderkastell und sprangen sie dann von hinten an, als sie sich gegen den wie einen Berserker wütenden Caligu, der über und über mit Blut bespritzt war und einen entsetzlichen Anblick bot, verteidigten. Es vergingen nur wenige Augenblicke, dann verstummte der Kampfeslärm auf der Karavelle. Von Valdez’ Männern hatte keiner das Massaker überlebt. Valdez selbst lag bewußtlos auf dem Hauptdeck. Er wurde brutal emporgerissen und an den Großmast gebunden. Zwei andere schleiften den wimmernden Generalkapitän vom Achterkastell zum Hauptdeck hinunter und warfen ihn Caligu vor die Füße. „Gnade, Gnade ...“, heulte Don Rodriguez, bis Caligu ihm voller Ekel und Wut einen Tritt versetzte, der ihn verstummen ließ. Denn der Generalkapitän war ob solch frivoler Behandlung in Ohnmacht gefallen. Caligu sah sich auf dem Schiff um. „Durchsucht es vom Deck bis zum Kiel. Wenn sich noch einer von diesen Kerlen verkrochen haben sollte, dann holt ihn hervor. Die Haie werden ihren Spaß an ihm haben. Werft die Toten über Bord, beseitigt das Blut und holt die anderen her!“ „Was wird mit den Spaniern auf der Insel?“ fragte Messer, der eben die Klinge seines Messers an der Hose abwischte. „Holt sie an Bord. Es sind Seeleute, die wir gebrauchen können. Wir haben genug Leute verloren, jetzt wieder fünf. Dieser Valdez soll das alles büßen, aber erst,
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wenn wir Zeit dazu haben. Ich werde mich nachher um ihn kümmern.“ Er packte selbst mit an, als seine Männer die Toten über Bord warfen. Andere schwammen zum Boot hinüber und begannen sofort, zum Strand zu rudern, um ihre restlichen Kameraden und die spanischen Seeleute abzuholen. Maria Juanita sah Caligu an. Sie hatte ihn kämpfen sehen, von ihrer Hand waren allein zwei Soldaten gefallen, und es ließ sie völlig kalt, daß sie die beiden von hinten erstochen hatte. Aber Caligu — so etwas wie diesen Piraten, so einen Vulkan von einem Mann, hatte sie noch nie erlebt. Sie traute ihm jetzt zu, daß er den Seewolf finden und ebenfalls besiegen würde. Ihre Prognose schien sich zu bestätigen. Denn Caligu verlor auch nicht eine Minute damit, an Deck herumzustehen oder gar seinen Sieg zu feiern. Er trieb die wenigen Männer, die sich noch außer ihm und Juanita an Bord befanden, erbarmungslos an, die Karavelle segelfertig zu machen. Er selbst enterte ebenfalls in die Takelage auf und überprüfte das laufende und stehende Gut, soweit es in der knappen Zeit möglich war. Aber seine kundigen Augen erkannten sofort, daß er ein hervorragendes Schiff erwischt hatte, das dazu noch zu den schnellsten Schiffen gehörte, die die Karibik befuhren. Ärgerlich blieb allerdings, daß sie keine Unze Pulver an Bord vorfanden. Dieser Valdez hatte sie geblufft. Von Anfang an. Caligu wischte den Gedanken an das Pulver fort. Er hatte sowieso nicht die Absicht, den Seewolf und sein viel stärker bewaffnetes Schiff auf offener See anzugreifen. Er wußte, wie dieser schwarzhaarige Teufel zu kämpfen verstand. Nein, den mußte er anders erwischen. Caligu war klar, daß die Engländer aus der Karibik in den Atlantik wollten. Dazu mußten sie durch die Windward-Passage. Dort würde er sie irgendwie abfangen. Er kannte das ganze Gebiet genau, es gab dort viele Möglichkeiten, schließlich mußte sich der Seewolf vor der Überquerung des Atlantik auch noch mit
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Vorräten eindecken, vor allem mit Frischwasser. Aber sie würden sich höllisch beeilen müssen, wenn ihnen dieser fette Fisch nicht entgehen sollte. Denn wenn die Galeone auch wesentlich langsamer segelte als ihr Schiff, sie hatte mittlerweile einen beträchtlichen Vorsprung. Auch daran war dieser Valdez schuld! Nur insgesamt eine Stunde verstrich nach dem Kampf, dann ging die Karavelle ankerauf. Ihre Segel blähten sich im aufbrisenden Wind, und der schlanke Segler glitt aus der Bucht. Caligu verpaßte ihm alles an Tuch, was seine Masten zu tragen vermochten. Schon nach den ersten Meilen wußte er, daß dieses Schiff eine außergewöhnlich hohe Geschwindigkeit entwickelte. Um Valdez kümmerte er sich nicht. Der stand auf dem Hauptdeck, an den Großmast gefesselt. Den Generalkapitän hatten sie in die Vorpiek gesperrt, der konnte auch nicht entwischen, ganz abgesehen davon, daß es als Alternative für ihn nur die Haie gab, die schon seit Stunden der Karavelle beharrlich folgten. Caligu übergab dem Messer das Kommando. Er selbst ging in die einstige Kammer des Seewolfs. Dort wartete Maria Juanita bereits auf ihn, und diesmal hatte Caligu nicht das geringste dagegen, sich mit ihr zu beschäftigen. * Vom Deck her drang das Kreischen’ der anderen Mädchen. Die Männer hatten noch ein Faß Rum in einem der Laderäume gefunden. Er war ihnen zwar unbegreiflich, wieso der Seewolf und seine Crew eine solche Kostbarkeit einfach zurücklassen konnten, aber das änderte auch nichts an der Tatsache. Caligu hörte ihr Grölen und wußte, daß sie schon bald alle betrunken sein würden. Es störte ihn nicht, denn er kannte seine Galgenvögel genau, einen wie den anderen. Sollte es notwendig sein, dann würde er sie schon in die Takelage lagen. Die einstige „Isabella IV.“ nahm Kurs auf
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die Windward-Passage. Das Messer stand auf dem Achterkastell, und seinen scharfen Augen entging nichts. Der Wind zwang ihn, zunächst einen langen Schlag nach Nordost zu segeln. Das würde zur Folge haben, daß er die kleinen Cayman-Inseln passieren mußte. Den Unterführer Caligus beschlich ein ungutes Gefühl. über diese Inseln gab es geradezu höllische Gerüchte. Er glaubte zwar nicht recht daran, was andere Piraten ihm alles darüber berichtet hatten, er konnte Caligu mit diesen Geschichten auf keinen Fall anöden, der reagierte auf dergleichen Dinge allergisch, aber sein Unbehagen blieb. Gleichzeitig dachte er jedoch daran, daß die viel schwerfälligere Galeone des Seewolfs etwa den gleichen Kurs gesegelt sein mußte. Es war gar nicht so ausgeschlossen, daß die Burschen bereits dort versuchten, ihre Vorräte zu ergänzen. Es gab dort Schildkröten in Massen, Wasser ebenfalls genügend, falls man sich traute, diese verrufenen Inseln zu betreten. Das Messer überlegte. Er beschloß, Caligu auf diese Möglichkeit hinzuweisen, auch wenn es ihm widerstrebte. Er gab ein paar Kommandos, sie wurden sofort und ohne Widerrede ausgeführt. Die Karavelle ging noch höher an den Wind. Das Messer hatte es plötzlich verdammt eilig, denn eines stand fest, diese Galeone mit ihren unermeßlichen Reichtümern würde die fetteste Beute sein, die sie je gekapert hatten – wenn das stimmte, was diese Juanita erzählt hatte. Aber er traute ihr zu, daß sie genau wußte, wovon sie sprach. Zwei Stunden später betrat Caligu das Achterkastell. Auch er war betrunken. aber das hatte bei einem Mann wie ihm nichts zu bedeuten. Stumm kontrollierte er den Kurs des Schiffes. Schweigend hörte er den Erklärungen seines Unterführers zu. Anschließend nickte er. „Wir sehen auf jeden Fall nach“, entschied er. „Und zwar besonders auf der östlich gelegenen Insel. Dort gibt es die Bucht der
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Schildkröten und die andere weiter im Westen ...“ Er bemerkte nicht, daß sein Unterführer den Kopf zur Seite wandte, und deshalb fiel ihm auch nicht auf, daß das Gesicht des Messers plötzlich alle Farbe verloren hatte. 6. Die Sonne hatte die Mittagslinien längst überschritten, als sich die „Isabella V.“ der östlichen der beiden Inseln. Little Caymans näherte. Sie war zerklüfteter als die andere, die in Sichtweite westlich von ihr lag. Steile Felsen reichten bis ans Meer, das Wasser war beinahe tiefschwarz. Zumeist wurden die Felsen von dichter Vegetation überwuchert, im Innern der Insel mochten sich Täler befinden, der Seewolf wußte es nicht. Die Karten, die er den Spaniern abgenommen hatte, enthielten keinerlei Angaben über diese beiden Inseln, und das bedeutete nichts anderes, als daß auch die Spanier sie bisher gemieden haben mußten. Natürlich gab es auch noch eine andere Erklärung: die Inseln gaben nichts her. Es. gab dort nichts für die Spanier zu holen, und dann interessierten sie natürlich die spanische Krone ebenfalls nicht. Aber immer wieder erwischte sich der Seewolf dabei, wie er im Geist ein pechschwarzes Schiff auf seine Galeone zusegeln sah, schwarze vermummte Gestalten an Bord, die Segel prall vom Wind. Ein Schiff viel größer als seins, das ihn rammen wollte. Hasard schalt sich schließlich einen Narren. „Die Kerls haben mich mit ihrem dummen Gerede schon angesteckt!“ knurrte er, während er abermals die Insel, an der sie vorüberglitten, mit seinem Spektiv sorgfältig nach einem Zeichen menschlichen Lebens absuchte. Er fand jedoch nichts. Nur irgendwo im Innern der Insel gab es einen Berg, der höher aufragte als alle anderen. Befand sich dort oben das Auge der Götter? Jener geheimnisvolle See, dessen Ufer und Grund aus Edelsteinen bestehen sollte?
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Hasards Blicke lösten sich für einen Moment von der Insel. Sie glitten zum Großmars hoch, in dem Dan O’Flynn hockte und sich die Augen fast aus dem Kopf schaute. Hasard nahm das Spektiv und betrachtete den Jungen eine Weile. Das Bürschchen hatte ganz rote Wangen und Ohren. Die Geschichte von dem unheimlichen Schiff mußte seiner regen Phantasie verdammt zugesetzt haben. Und dazu noch der See, das Auge der Götter ... Hasard schob das Spektiv zusammen. Auf die scharfen Augen Dans konnte er sich verlassen, das wußte er. Die Insel mochte vielleicht eine Länge von zwei oder auch drei Meilen aufweisen. Sie hatte eine langgestreckte Form, ihre Breite betrug an der dicksten Stelle sicher nicht einmal eine Meile. Alles in allem nicht gerade imponierend, stellte der Seewolf fest. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie die Bucht im Süden erreichten. Für alle Fälle wollte er die „Isabella V.“ in gefechtsbereiten Zustand versetzen lassen. Mochte das alles nur ein Gerede sein, wie es bei allen Seeleuten und in allen Hafenkneipen immer wieder anzutreffen war, wenn dort bei Schnaps, Bier und Wein kräftiges Seemannsgarn gesponnen wurde. Da tauchte die ewige Seeschlange, die ganze Schiffe samt Besatzungen verschlang wie ein Hai einen Schellfisch, ebenso auf wie das Totenschiff, das von Skeletten gesegelt wurde und jenem Schiff, das ihm begegnete, seinen eigenen Untergang ankündigte. Hasard kannte diese Geschichten alle. Und war er als Junge schon skeptisch gewesen, wenn die Alten ihr Garn spannen, später glaubte er dergleichen Dinge überhaupt nicht mehr, sondern nur noch das, was er mit eigenen Augen sah. Trotzdem schien ihm in diesem Fall Vorsicht angebracht. Um so mehr, als er sich in einem Seegebiet befand, das wegen seiner Gefährlichkeit bei allen Seefahrern übel verleumdet war — in der Karibik. „Klar Schiff zum Gefecht!“ dröhnte sein Befehl durch die Stille und ließ die Männer
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ruckartig herumfahren. Doch gleich darauf flitzten sie zum Geschützdeck, an die Drehbassen auf dem Vorund Achterkastell. Jeder von ihnen hatte seinen Platz, jeder wußte genau, wohin er gehörte. Dennoch trieben Al Conroy, Carberry, Smoky und Ben Brighton die Männer noch weiter an. Die Klarmeldung erfolgte in Rekordzeit. Nur Minuten später tauchte eine Landspitze vor ihnen auf, und gleich hinter ihr öffnete sich eine weite Bucht, die eine birnenförmige Gestalt aufwies. Das alles registrierte Hasard in Sekundenschnelle, auch daß die Einfahrt zu dieser Bucht durch ein großes Schiff leicht blockiert werden konnte. Das andere jedoch, das sahen er und seine Männer zu spät. Sie sahen es, als die „Isabella V.“ die Einfahrt bereits passiert hatte, und es verschlug ihnen fast den Atem. „Oh, verflucht ...“ Das war zunächst alles, was Ben Brighton von sich gab. Carberry, der sich bei den Männern an den Geschützen befand, schob sein Rammkinn vor. „Scheiße!“ sagte er laut und vernehmlich. Das war der einzige Kommentar, den er von sich gab. Hinter der Landspitze, die die „Isabella V.“ soeben umsegelt hatte, erstreckte sich ein breiter, langer Sandstrand, der in einer langgezogenen Kurve nach hinten in die Bucht hineinschwang. Dort lagen fünf große Schiffe — Wracks, das erkannten sie sofort. Zum Teil schwer zusammengeschossen, eins völlig ausgebrannt, ein anderes lag gekentert im Wasser. Wenn dem Seewolf und seinen Männern allein schon dieser Anblick an die Nerven ging, viel schlimmer war für sie, daß zwei der Wracks ganz eindeutig neueren Datums sein mußten. Sie sahen das an allem — an der Takelage, an den Rümpfen, an den Farben, die diese Schiffe immer noch trugen. Der Seewolf starrte mit zusammengebissenen Zähnen auf die makabre Szene, die sich ihren Augen bot.
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Er nahm sein Spektiv aus der Tasche und zog es auseinander. Was er durch das Spektiv erblickte, war ebenfalls nicht geeignet, seine Stimmung zu heben. Dieser Strand da vor ihnen, der bei flüchtiger Betrachtung — und wenn man sich die zerstörten Schiffe wegdachte — schon fast einen paradiesischen Eindruck vermittelte, war in Wirklichkeit ein so höllischer Fleck Erde, wie ihn selbst der Seewolf noch nie zuvor gesehen hatte. In seinem hellen Sand lagen Gerippe, Totenschädel mit leeren Augenhöhlen und Knochen aller Art. Hier und da ein dunkler Fleck — der Überrest einer Feuerstelle, an der diese Menschen einmal gesessen haben mochten. Der Seewolf setzte das Spektiv ab. „Ben, was meinst du dazu?“ fragte er schließlich. „Es grenzt doch schon beinah an Selbstmord, wenn wir unsere ,Isabella’ aufslippen. Das können wir nicht riskieren, denn dann sind wir jedem Angreifer gegenüber völlig wehrlos.“ Ben Brighton blickte ebenfalls mit finsterem Gesicht in die Bucht. Auch ihm war äußerst unbehaglich zumute. Der Seewolf hatte recht, das konnten sie wirklich nicht riskieren. Aber neben all diesen grausigen Entdeckungen gab es auch etwas anderes, und das würde ihnen dazu verhelfen, diese Bucht schneller wieder verlassen zu können, als sie das einkalkuliert hatten. „Nein, aufslippen können wir die ‚Isabella’ nicht, im Gegenteil, sie muß auch während der Reparatur ständig einsatzbereit bleiben, gefechtsklar, meine ich. Das bedeutet, daß wir lediglich ankern werden. Aber Ferris kann sich alles, was zum Beseitigen unseres Lecks benötigt wird, von einem der neueren Wracks herüberholen. Das wird unsere Liegezeit hier wesentlich verkürzen ...“ Ben Brighton unterbrach sich. Denn Hasard hörte ihm gar nicht zu, sondern blickte angespannt in den hinteren Teil der Bucht, der sich im Dunst verlor und von dunkelgrüner Vegetation gebildet wurde, die sich hoch in die Berge hinaufzog. Dort schien die Bucht fjordähnliche Spalten zu
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besitzen, die sich weiter ins Innere der Insel fortsetzten — geradezu ideale Schlupfwinkel für Piraten. Doch auch das war es nicht, was seine Blicke so fesselte und ihn abermals nach dem Spektiv greifen ließ. In diesem Moment erschallte Dans helle Stimme aus dem Großmars. „Das Schwarze Schiff, Steuerbord voraus!“ Die Männer auf dem Geschützdeck fuhren herum. Hasard sah, wie sich ein paar von ihnen bekreuzigten. Zögernd gingen sie an das Schanzkleid nach Steuerbord, starrten in die Bucht - und sie sahen dasselbe wie Hasard mit seinem Spektiv. Nur nicht so deutlich und nicht so scharf und bedrohlich. Im Hintergrund der Bucht lag das Schiff: eine pechschwarze Silhouette, sehr massig, sehr groß. Es war kaum zu sehen, die dunklen, mit Vegetation bedeckten Hänge verbargen es vor ihren Blicken, der nebelartige Dunst, der über den Wassern der Bucht lag und ihr ein gespenstisches Aussehen verlieh, tat ein übriges. Aber es lag still. Die schweren Masten vier, wie Hasard zählte - ragten in den Himmel. An einer der Rahen hin ein zerfetztes Segel, das konnte Hasard gerade noch erkennen. Der Seewolf spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er hatte schon viel von Totenschiffen gehört, zwar nie daran geglaubt, aber jetzt? Wortlos reichte er Ben Brighton sein Spektiv. Der setzte es an und blickte hindurch. Auch auf seiner Stirn erschienen feine Schweißperlen, aber sie stammten nicht von der Hitze, die von den Planken ihres Schiffes aufstieg. „Tatsächlich“, murmelte er, „das Schwarze Schiff! Ich hätte nie gedacht, daß an diesem Gerede etwas dran sein könnte. Aber was ist mit dem Schiff los? Was ist das überhaupt für ein Typ? Es hat ein Vorderkastell, aber das Achterkastell fehlt. Und es ist größer als irgendeins, das ich bisher gesehen habe! Und da - es ankert, ich habe eben deutlich die schwere Trosse gesehen!“
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Ferris Tucker enterte zum Achterkastell auf, gefolgt von Karl von Hutten und Jean Ribault. Auch diese Männer ließen sich das Spektiv von Hasard geben. „Hölle und Verdammnis!“ fluchte der Schiffszimmermann nach einer Weile. „Das ist wirklich die verrückteste Sache, die mir je widerfahren ist. Der Kahn liegt wahrhaftig vor Anker und rührt sich nicht, obwohl seine Leute uns längst entdeckt haben müßten. Wenn du auf mich hörst, dann segeln wir jetzt hin und sehen uns dieses Geisterschiff einmal an. Und wenn es sich auch nur muckst, dann kriegt es eine Breitseite von mir verpaßt, die es in Stücke reißt!“ Das war tatsächlich die einzige Möglichkeit, die ihnen blieb. Sie mußten wissen, welche Bewandtnis es mit diesem Schiff hatte, ehe sie daran gehen konnten, ihr Leck zu flicken. Hasard gab die notwendigen Kommandos, und wieder sah er, wie ein Teil der Männer sich bekreuzigten. Die „Isabella“ nahm Fahrt auf. Langsam glitt sie durch die Bucht. Die Männer an den Geschützen und Drehbassen hielten glimmende Lunten in der Hand, bereit, sofort zu feuern. Die Spannung an Bord des Schiffes wurde fast unerträglich, je weiter sich die „Isabella V.“ dem unheimlichen Schiff näherte, auf dem sich auch jetzt noch immer nichts rührte. * Viele Augenpaare folgten jeder Bewegung und jedem Manöver der „Isabella V.“, als sie auf das Schwarze Schiff zulief. Ein wahrer Riese von Gestalt, größer noch als selbst Caligu, mit langen, flammendroten Haaren, sah durch ein Spektiv. Schon auf den ersten Blick erkannte man, daß dieses Spektiv eine Menge Geld gekostet haben mußte, falls er es sich irgendwann einmal gekauft hatte. „Merkwürdig, diese Burschen sind äußerst vorsichtig. Ihre Geschütze sind feuerbereit, aber sie können noch nicht erkennen, was mit dem Schiff El Diabolos geschehen ist. Sie trauen dem Frieden nicht“. sagte er in
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die Stille, die in der zur Festung ausgebauten Höhle hoch in den Felsen herrschte. Seine Männer, alles große Kerle mit schweren Kupferhelmen auf den kantigen Schädeln, klirrten leise mit den Waffen – breiten Schwertern, wie sie eigentlich nur im Norden der Erde Verwendung gefunden hatten. Ein unsichtbarer Beobachter hätte denken können, daß in dieser Bucht die Vergangenheit wieder Einzug gehalten hatte. Der Anführer dieser wilden Gesellen, die zum Teil in rußgeschwärzte Felle gehüllt waren, starrte auch weiterhin durch das Spektiv. Geduldig wartete er, bis sich die „Isabella V.“ noch näher an das Schwarze Schiff herangeschoben hatte, aber dann stieß er plötzlich einen unterdrückten Schrei aus. Im Blickfeld seines Spektivs stand der Seewolf. Deutlich erkannte er das scharf geschnittene Gesicht, die langen schwarzen Haare, die in der Brise flatterten. „He, den Burschen da unten sollten wir kennen“, sagte er leise, als er das Spektiv für einen Moment absetzte. Grenzenlose Verblüffung stand in seinen Zügen. Einer seiner Männer schob sich an ihn heran. „Sagtest du: wir?“ fragte er. Der Anführer nickte. „Es ist schon eine Weile her, sogar ziemlich lange. Dieser Mann da unten, wenn er es wirklich ist, hat uns einmal sehr geholfen. Ihm verdanken wir auch unser Schiff, er ...“ Die Männer bildeten einen Kreis um ihn. Der, der zuerst gesprochen hatte, ließ sich das Spektiv geben. Er blickte lange hindurch, dann nickte er. „Er ist es. Ich erkenne ihn genau, ich habe mir sein Gesicht damals gemerkt. Er und wir, wir haben Waffenbrüderschaft geschlossen. Gäbe es El Diabolo noch, dann müßten wir ihm jetzt schon helfen. Ihr alle wißt, was dieser Kerl für eine heimtückische Bestie war Die Männer nickten und klirrten abermals mit ihren Waffen. Ihr Anführer schob das Spektiv zusammen.
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„Zum Schiff!“ befahl er. „Aber Vorsicht, mit dem Seewolf ist nicht zu spaßen. Wenn wir uns nicht rechtzeitig zu erkennen geben, wird er sofort das Feuer eröffnen. Und wenn er noch der ist, der er damals war, dann versteht er auch zu treffen!“ Die Männer wollten die Höhle verlassen, aber ihr Anführer hielt sie zurück. „Halt, wartet. Wir brauchen die englische Flagge, die wir an Bord von El Diabolos Schiff gefunden haben, als der Teufel ihn endlich geholt hatte!“ Er ging zu einer schweren Truhe, die im Hintergrund der Höhle stand. Einen Augenblick suchte er, dann hatte er sie gefunden. „Also los, der Seewolf wird einen ganz schönen Schrecken kriegen, wenn wir plötzlich in der Bucht auftauchen und ihm den Weg nach draußen versperren. Aber nochmals, Vorsicht, er ist ein gefährlicher Bursche“ Die Männer verließen die Höhle. Lediglich eine kleine Mannschaft blieb als Wache zurück. Der steile Pfad, der zur Schildkrötenbucht hinunterführte und von allen, die ihn kannten, als kostbares Geheimnis gehütet wurde, schlängelte sich an dem Berghang nach unten. Sie brauchten aber nur wenige Minuten, bis sie die ziemlich versteckte Bucht erreicht hatten, die auch immer der Liegeplatz des Schwarzen Schiffes gewesen war. Auf diese Weise war es seinem Kapitän El Diabolo, über dessen Herkunft niemand etwas Genaues wußte, möglich gewesen, Schiffe, die in die große Nebenbucht eingelaufen waren, von See her zu überraschen. Zumeist hatte er gewartet, bis sie vor Anker lagen. Dann war er über sie hergefallen. Überlebende gab es nie, wer ihm in die Hände fiel, starb. Je nach Laune El Diabolos schnell oder auch qualvoll. Die große Bucht im westlichen Südteil der Insel hatte viele Todesschreie gehört und viele Orgien erlebt, die sich am Strand der Bucht und auf dem Schwarzen Schiff abgespielt hatten. Die riesige Höhle, in der El Diabolo mit seinen Männern und Weibern gehaust
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hatte, war mit Beute voll bis unter die Decke. Und so hatten die Fremden ihn auch gefunden: an einem erloschenen Feuer, die schweren silbernen und goldenen Pokale noch in den erstarrten, zum Teil schon verwesten Händen, die toten Frauenzimmer neben El Diabolo und seinen bärtigen, in schwarzes Tuch gekleideten Gesellen. Das Schiff draußen in der Bucht vor Anker, zerschossen, aber doch noch zurückgekehrt. Die Fremden und ihr riesiger rothaariger Anführer hatten nie herausgefunden, woran El Diabolo sowie seine Männer und Weiber gestorben waren, mitten in einem ihrer wüsten Gelage. Aber sie waren tot, kein einziger von ihnen hatte überlebt. Nicht einmal die Wache auf dem Schiff, auch diese vier Männer hatten an Deck gelegen, halb verwest, von der Sonne ausgedörrt, mit grinsenden Totenschädeln. Die Fremden waren von eisigen Schauern des Entsetzens geschüttelt worden, so hart, kampfgewohnt und vertraut mit dem Tode sie seit vielen Jahren waren. Im ersten Impuls hatten sie diese Bucht des Todes wieder fluchtartig verlassen wollen, dann hatten sie jedoch erkannt, ein wie sicherer Zufluchtsort ihnen da kampflos in die Hände gefallen war. Sie überwanden das Grauen, das noch tagelang unter ihnen umging, und blieben. Seit etlichen Monaten befanden sie sich nun schon hier, und noch nie hatte ein fremdes Schiff diese Bucht angelaufen weder Spanier noch Piraten. Aber immer noch lag jenes unheimliche Schwarze Schiff draußen in der Bucht, und sie rührten es nicht an. Es verfiel mehr und mehr in den Stürmen, die manchmal über die Insel tobten und durch die Bucht heulten. Doch das Schwarze Schiff sank nicht, und auch sein Anker hielt, und noch immer lagen die vier Toten an Deck. Das alles ging dem riesigen Anführer durch den Kopf, als er zur Schildkrötenbucht hinabeilte, in der ihr Schiff in einer breiten Felsspalte lag, die sich als einzige in die Felsen hineingefressen hatte und sich als Liegeplatz geradezu anbot.
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Eine halbe Stunde später glitt die „Thor“ in die Schildkrötenbucht hinaus. Ein sehr großes und stark bewaffnetes Schiff, das einst den Namen „Espana“ getragen hatte. * Langsam glitt die „Isabella V.“ auf das Schwarze Schiff zu. Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Da ist keine Maus mehr an Bord, Ben“, sagte er. „Das Schiff ist tot, schon lange. Sieh nur die Takelage an, das zerfetzte Segel, die Wasserlinie des Rumpfes.“ Ben Brighton mußte dem Seewolf recht geben. Muscheln hatten sich bereits bis zur Wasserlinie des großen Seglers angesiedelt. Außerdem klafften in der Bordwand noch die Löcher, die irgendwelche Kanonenkugeln dem Schiff in seinem letzten Kampf gerissen hatten. Das Achterkastell war zum größten Teil zerstört und auch völlig ausgebrannt. Es war alles in allem ein gespenstischer Anblick, der sich ihren Augen bot. „Gehen wir an Bord?“ fragte Ferris Tucker, der sich wieder auf dem Achterkastell eingefunden hatte. Der Seewolf überlegte, aber dann schüttelte er den Kopf. „Nein, Ferris, ich will so schnell wie möglich aus dieser Bucht wieder verschwinden. Diese Bucht ist eine Falle, aus der es kein Entrinnen mehr gibt, wenn uns ein Schiff von draußen den Weg verlegt. Es braucht sich nur quer in die schmale Durchfahrt zu manövrieren, dann sitzen wir fest. Ich habe mich selten so unbehaglich gefühlt wie hier. Wir kehren jetzt zum Strand zurück und ankern. Dort holst du dir mit ein paar Männern, was du für unser Leck benötigst. Die Wracks bieten eine reiche Auswahl an Planken und Hölzern aller Art. Vielleicht finden wir dort auch sonst noch etwas Brauchbares ...“ „He, Deck!“ Die -helle Stimme des Bürschchens durchdrang die Stimmen der Männer, die aufgeregt über das seltsame Schiff diskutierten und die verrücktesten Vermutungen anstellten.
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Der Seewolf fuhr herum. „Ja, Dan, was gibt es?“ rief er zum Mars hinaus, wo Dan immer noch saß. „Auf dem Schwarzen Schiff liegen Tote. Vier Mann. Aber sie müssen schon lange tot sein, sie sehen aus, als wenn sie von Sonne und Wind völlig ausgetrocknet worden wären. Auf den Decks herrscht ein schlimmes Durcheinander. Wenn mich nicht alles täuscht, ist dieses Schiff nach seiner letzten Schlacht hier in die Bucht gesegelt, hat den Anker geworfen, und kurz darauf sind die Leute gestorben. Es ist nichts mehr repariert worden. Leere Pulverfässer liegen neben den Geschützen herum, eingetrocknetes Blut ist noch immer auf den Planken zu sehen, die Türen, die ins Innere des Schiffes führen, sind zum Teil herausgebrochen. Da muß etwas passiert sein, was die Besatzung des Schiffes völlig überrascht hat. Jedenfalls das Schwarze Schiff kann uns nichts mehr tun!“ „Nichts mehr tun - nichts mehr tun“, äffte ihn Ferris Tucker nach. „He, du Hosenscheißer, was sind denn das für dämliche Sprüche? Habe ich wirklich noch nie gehört, daß man dem Seewolf und seiner Crew einfach etwas tun kann oder nicht!“ Dan verschlug es die Sprache, jedenfalls glaubten sie das unten an Deck. Er verstummte nämlich schlagartig. Ben Brighton warf abermals einen Blick zu dem unheimlichen Schiff hinüber. „Ich glaube, wir sollten uns dieses Schiff doch noch mal etwas näher ansehen, bevor wir ...“ Dans aufgeregte - Stimme unterbrach ihn und schnitt ihm das Wort ab. Und von dem Moment an dachte keiner mehr daran, was wohl auf dem Schwarzen Schiff passiert sein mochte. „Deck!“ schrie das Bürschchen, und dabei überschlug sich seine Stimme wie üblich. „Ein großes Schiff passiert die Einfahrt, hält unter vollen Segeln auf uns zu. Mann und was für ein Brocken, also wenn das jetzt nicht Kleinholz gibt ...“
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Der Seewolf und die anderen fuhren herum. Die Männer auf dem Geschützdeck liefen nach Backbord. Tatsächlich, da rauschte ein gewaltiger Dreimaster in die Bucht. Zwar nicht ganz so groß und schwer bewaffnet wie ihre „Isabella“, aber dafür in der deutlich besseren Position. Hasard korrigierte sein Urteil jedoch sofort. Der Fremde befand sich nicht in einer wesentlichen besseren, sondern die „Isabella“ in einer völlig ausweglosen Position. Sie lag fast still, etwa hundert Yards querab von dem Schwarzen Schiff. Ihre Segel waren backgebraßt, der Fremde lief im spitzen Winkel auf sie zu. Schon sahen sie die wilden Gestalten, die sich auf dem Vorschiff versammelt hatten, die Felle, die ihre Körper umhüllten und vor der Brust auseinanderklafften, die kupfernen Helme und die langen, breiten Schwerter, mit denen sie wie wild in der Luft herumfuchtelten. Besonders fiel dem Seewolf ein Riese auf, unter dessen Helm brandrotes Haar hervorquoll und im Winde flatterte. Carberry sauste aufs Achterkastell. „Verflucht noch mal, ihr steht hier rum und haltet Maulaffen feil und glotzt diese Kerle an, als wären sie gerade samt ihrem Schiff vom Himmel gefallen - die wollen uns rammen, sieht das denn hier keiner?“ Er brüllte ein paar Befehle und scheuchte die Männer vom Geschützdeck an die Brassen. Hasard stoppte sie wieder. „Ed, was du tust, ist völlig sinnlos. Glaubst du Narr, ich stünde hier herum, wenn ich überhaupt noch eine Chance gesehen hätte, diesen Kerlen auszuweichen? Ehe wir auch nur das erste bißchen Fahrt im Schiff haben, sind sie längst hier. Und ich glaube nicht, daß sie uns rammen wollen, dabei gehen sie ja selber drauf. Nein, die werden abdrehen, die werden uns eine Breitseite in die Flanke jagen, vielleicht sogar versuchen, zu entern. Schau dir diese Kerle an, die sehen weiß Gott nicht so aus, als ob es irgendetwas gäbe, vor dem sie Furcht hätten. Nein, wir werden ihnen einen heißen Empfang bereiten, an den sie noch
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lange denken sollen. Sie können schließlich nicht damit rechnen, daß wir seit unserer Einfahrt in die Bucht feuerbereit sind. An die Geschütze, Männer!“ Carberry und Ferris Tucker sausten zum Hauptdeck hinunter. Der Seewolf sah sie über die Kuhl rennen, aber er sah auch, wie seine Männer dem Fremden, der sich rasend schnell näherte, aus weit aufgerissenen Augen entgegenstarrten. Manche hoben bereits wie abwehrend die Hände, als sie das Rauschen der gewaltigen Bugwelle hörten, die die Galeone vor sich herschob. Hasard stand mit Ben Brighton auf dem Achterkastell. Er wartete auf den Moment, in dem das Schiff abdrehen würde, aber nichts dergleichen geschah. Die Kerle, die auf dem Vorschiff mit ihren breiten Schwertern herumfuchtelten, grinsten sogar. „Verflucht, Ben, diese Kerle sind übergeschnappt! Völlig verrückt, die werden sich in unsere Backbordseite bohren und uns gegen das Schwarze Schiff drücken. Himmelarsch, was geht in deren Köpfen eigentlich vor?“ Der Seewolf sprang zu den Männern, die an den Drehbassen standen. Die anderen schweren Geschütze konnten unter diesen Bedingungen nicht in den Kampf eingreifen, denn die Fremden befanden sich außerhalb ihres Schußwinkels. Aber Hasard packte wilder Zorn. Er dachte gar nicht daran, sich kampflos abschlachten zu lassen. Schon wollte er den Befehl zum Entern geben, alle seine Leute aufs Achterkastell beordern und dann mit den Drehbassen feuern, da geschah etwas, was ihm zum zweiten Mal an diesem verrückten Tag den Atem verschlug. Der Fremde korrigierte seinen Kurs um ein paar Strich, Gleichzeitig entfaltete sich knatternd über der prallstehenden Blinde die englische Flagge. Der Arm des Seewolfs, bereits zum Feuerbefehl erhoben, blieb in der Luft hängen. Die Fremden brachen in ein infernalisches Geschrei aus, verstummten dann aber wie auf Kommando.
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Der riesige Kerl, der Hasard schon zuvor aufgefallen war, legte die Hände an den Mund, als die Galeone in einem Abstand von kaum zwanzig Yards an ihnen vorbeirauschte. „Ho, Seewolf! Erinnerst du dich noch an Thorfin Njal, den Wikinger? Nimm deine Lunten von den Ballermännern, oder willst du gute Freunde zur Hölle schicken? Ho, du schwarzhaariger Teufel, warte, ich werde gleich bei dir an Bord sein!“ Hasard sah noch, wie der Wikinger sich den schweren Helm vom Kopf riß und das Schwert an Deck fallen ließ. Gleich darauf sprang er. Die Galeone zischte an ihm vorbei, er selbst schwamm mit kräftigen Stößen auf die „Isabella“ zu, auf der die Männer dem fast zum Greifen nahen Schiff nachstarrten wie einer Erscheinung. Hasard war auch nicht fähig, ein einziges Wort herauszubringen. Er stand nur da und blickte den Riesen an, der sich eben an einem über Bord geworfenen Tau emporzog und dann triefend vor Nässe an Deck stand. Ferris Tucker war der erste, der ihn erkannte. Er lief auf ihn zu, und plötzlich tanzten die beiden Hünen wie die Irren an Deck herum. „Ben, ich kann es nicht glauben, das gibt es doch nicht!“ stieß der Seewolf endlich hervor, und dann sauste auch er zum Hauptdeck hinunter. Dabei schoß ihm blitzartig die Erinnerung durch den Kopf, wo und wie er diesen Riesen von Kerl kennengelernt hatte. Im Kanal, damals, nach ihrem Kampf gegen die bretonischen Freibeuter und nach seinem schlimmen Abenteuer in der Piratenbucht. Damals hatte der Wikinger mit seiner kleinen Karavelle gegen eine mächtige spanische Galeone gekämpft, und der Seewolf war ihm zu Hilfe geeilt, ohne lange zu fragen. Er hatte verhindert, daß der Wikinger seinen Übermut mit dem Leben bezahlen mußte, als der Spanier ihm durch eine Breitseite sein Schiff entmastet hatte. Dann hatte er schließlich an Bord der spanischen Galeone den Mann gefunden, der ihm ständig nach dem Leben getrachtet
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und einen Anschlag nach dem anderen auf ihn begangen hatte. In einem erbarmungslosen Duell, das an Bord seiner „Isabella“ ausgetragen wurde, hatte er den Spanier schließlich getötet. Die Galeone aber, die der Wikinger ebenfalls fast entmastet und der er das Ruder in einem kühnen Angriff zerschossen hatte, die war dem Wikinger von Hasard als rechtmäßige Beute zugesprochen worden, weil es sein Sinn für Gerechtigkeit einfach nicht anders zuließ. England hin und England her. Seitdem hatte er in diesem Riesen einen Freund, der Teufel mochte wissen, wie der gerade hierher, in diese Bucht geraten war. Thorfin Njal riß sich aus den Pranken Ferris Tuckers und stürzte auf Hasard zu, der seinen Augen immer noch nicht traute. Dann lagen sich die beiden so unterschiedlichen Männer in den Armen. Schließlich hielt der Wikinger den Seewolf auf Armeslänge von sich. „So klein ist die Welt, Hasard!“ röhrte er. „Und jetzt willst du bestimmt wissen, wie meine Männer und ich in diese Bucht geraten sind? Warte, bis meine Männer mit der ,Thor` zurück sind, dann werden wir dir alles erzählen. Wirf Anker, Freund, heute feiern wir ein Fest, von dem noch unsere Enkelkinder erzählen werden ...“ Hasard wollte den Wikinger bremsen, aber es gelang ihm nicht. „Hast du sie erkannt?“ schrie Thorfin Njal dazwischen. „Sie ist es noch immer, die spanische Galeone ‘Espana’, die du mir damals überlassen hast. Ein ausgezeichnetes Schiff, sage ich dir. Es hat meinen Männern und mir Glück gebracht in jeder Beziehung!“ Hasard sah, wie die „Thor“ eine Halse fuhr, dann glitt sie erneut auf die „Isabella V.“ zu. Nein, es würde sich nicht vermeiden lassen, das Fest, von dem der Wikinger gesprochen hatte, war fällig. Ferris Tucker und Carberry hatten sich ein paar Männer geschnappt und ließen den Anker in die Tiefe rauschen. Das Leck hatte nun auch noch etwas Zeit. Solange es den Wikinger mit seiner Crew und den Seewolf mit seiner „Isabella V.“ in der
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Bucht gab, da sollte nur jemand wagen, sie hier anzugreifen. Der Seewolf rief seine Männer zusammen. Er erklärte denjenigen, die nicht wissen konnten, wie er diesen Riesen kennengelernt hatte und unter welchen Umständen sie Freunde geworden waren. Anschließend beauftragte er Carberry, ein Rumfaß heraufzuholen, denn das Wiedersehen müsse gefeiert werden. Dan war längst wie der Blitz aus dem Mars abgeentert. Er wurde vom Wikinger sofort gebührend in Empfang genommen, denn Thorfin Njal erinnerte sich an das Bürschchen sehr gut. Er griff ihn sich und schwenkte ihn durch die Luft. „He, mein Freund!“ grölte er dazu. „Mir scheint, dir sind inzwischen auch richtige Seebeine gewachsen, was? Ich ernenne dich zu meinem Bootsmann, wenn du willst. Kerle wie dich brauche ich immer! Ho, was sagst du, mein Freund?“ Er setzte Dan wieder ab, und der Junge glühte vor Glück. „Los, du sollst den ersten Schluck mit Thorfin Njal trinken! Also überleg es dir, Freund, du brauchst nur ein Wort zu sagen, ich kaufe dich deinem Seewolf ab, und wenn ich dich in Gold aufwiegen müßte!“ Dan nahm den Becher, den ihm der Wikinger reichte, und stürzte ihn die Kehle hinunter. „Recht so, Freund!“ schrie Thorfin Njal, „aus dir wird mal was, so und jetzt zu dir, du schwarzhaariger Satan, der du eben deinen besten Freund mit deinen Drehbassen in Stücke schießen wolltest. Komm her, dies wird ein Abend, an dem die Bucht erzittert, an dem die Haie vor Schreck aus dem Wasser springen werden!“ Es wurde ein wüster Nachmittag und ein noch wüsterer Abend. Hasard und seine Männer erfuhren die Geschichte dieses Riesen und seiner Mannen. Er war mit seinem Schiff in die Karibik gesegelt, weil ihn die englische Krone mit ihren schnellsten und größten Schiffen gejagt hatte, obwohl er eingedenk seiner Freundschaft mit dem Seewolf niemals einen englischen Handelsfahrer
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angegriffen und gekapert hatte. Schließlich hatte er sich seiner Haut wehren müssen und eine englische Galeone vor der bretonischen Küste versenkt, und damit war seines Bleibens nicht mehr länger, denn nun jagten ihn Engländer, Spanier und Franzosen gemeinsam. Und zwar mit allem, was sie aufzubieten hatten. Der Wikinger hatte ihre Sperren, die sich bis weit in den Atlantik hinein erstreckten, durchbrochen und dabei wiederum einige Galeonen entmastet oder in den Grund gebohrt. „Ja, und dann hörte ich von dieser Bucht und von diesem El Diabolo, der sich zum Schrecken der ganzen Gegend entwickelt hatte. Ich wollte es mit ihm auskämpfen, ich wollte um die Bucht, die Höhle und um seine Schätze mit ihm kämpfen. Aber wir segelten zu spät in die Bucht, El Diabolo war tot, auf geheimnisvolle Weise mitten während eines Gelages gestorben, nachdem er drei spanische Galeonen vor Jamaica niedergekämpft und alle Überlebenden dabei getötet hatte. Niemand weiß, woran er starb. Aber wenn du mich fragst, dann hat er sich am Auge der Götter vergriffen. Die Indios, die das Heiligtum da oben bewachen, werden ihre Hand im Spiel gehabt haben. Genaueres weiß ich auch nicht darüber. Wir haben mit den Indios einen Pakt geschlossen: Ich halte ihnen jeden Fremden vom Leib und lasse keinen zum Auge der Götter. Sie versorgen uns dafür mit allem, was wir an Nahrungsmitteln und Wasser benötigen und schützen uns außerdem bei dem großen Treff, der alle paar Jahre hier stattfindet, vor den Indios der anderen Stämme, die sonst keine Weißen auf dieser Insel dulden. Ich kann dir sagen, das müßtest du mal sehen, wenn sie hier in der Bucht mit ihren Booten aufkreuzen, Tausende, weiß der Teufel, wo die alle herkommen. Kein Spanier wagt sich hierher, hier sind meine Männer so sicher wie nirgendwo anders. Bleib hier, ich werde mit den Indios reden. Ich kriege das hin.“ Hasard hatte erhebliche Schwierigkeiten, dem Wikinger zu erklären, warum das
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nicht ging. Schließlich gab der Wikinger nach. „In Ordnung“, sagte er schließlich, und seine Zunge war bereits schwer vom Alkohol. „Aber es war gut, dich und deine Männer wiederzusehen. Morgen werden euch meine Leute helfen, das Leck an deinem Schiff zu reparieren. Und jetzt begleitet mich alle auf mein Schiff, ihr sollt heute meine Gäste sein!“ Längst war die „Thor“ an der „Isabella“ längsseits gegangen, knapp hundert Yards neben dem Schwarzen Schiff, auf dessen Deck die vier Toten lagen. Es wurde ein wildes Fest, und als die „Thor“ endlich zur Schildkrötenbucht zurücksegelte, war Mitternacht längst vorbei. „Wir werden auf euch aufpassen“, hatte der Wikinger beim Abschied gesagt. „Aber es ist nicht gut, wenn unsere beiden Schiffe in dieser Mausefalle hier liegen. Wir ankern niemals in der Bucht des Todes, du hast selbst gesehen, daß hier kein Schiff entwischen kann, das von einem anderen überrascht wird.“ Als der Mond schließlich über den Bergen der Insel aufging und sein Silberlicht auf das Wasser der Bucht warf, teilte der Seewolf die Wachen an Bord der „Isabella“ ein. Er selbst schloß sich nicht aus, auch keiner der Männer aus seiner alten Crew. Um ganz sicher zu gehen, ließ er auch einen Ausguckposten an Land auf einen Berg aufziehen, um die See ringsum beobachten zu lassen. * In eben dieser Nacht, in der Hasard und seine Männer das Wiedersehen mit dem Wikinger feierten, schob sich die Karavelle Caligus auf die beiden Inseln zu. Da der Wind von Osten wehte, mußte die Karavelle Schlag um Schlag aufkreuzen.’ Erst im Morgengrauen erreichte die Karavelle die westwärts liegende der beiden Inseln: Little Cayman. Sie segelte an ihrer Südküste vorbei und auf die andere Insel– Cayman Grae – zu. Zu dieser Zeit war Caligu in den Vormars geentert.
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Dieser wüste Kerl hatte Instinkt –und gute Augen. Und er hatte Glück. Denn die Karavelle segelte aus reinem Zufall einen Kurs, der ihm für knappe drei Minuten einen Einblick in die birnenförmige Bucht im westlichen Teil der Südküste Cayman Graes gewährte. Caligu entdeckte die dreimastige Galeone dieses schwarzhaarigen Bastards. Wie der Blitz enterte er ab, raste zum Achterdeck und gab seine Ruder- und Segelkommandos. Im Dunst des Morgens schwang die Karavelle wie ein Geisterschiff herum auf den Backbordbug und segelte auf Nordkurs durch die schmale Passage zwischen den beiden Inseln. Dann ließ Caligu auf Westkurs gehen und steuerte eine Bucht an der Nordküste Little Caymans an. Dort warf er Anker. Eine Viertelstunde später stieg die Sonne im Osten über die Kimm. Caligu versammelte seine Kerle. „Hört zu“, sagte er. „Heute nacht, nach Mitternacht, schnappen wir uns den Brocken drüben auf Cayman Grae. Wir pullen mit dem Boot hinüber und überfallen sie, während sie. schlafen.“ Er grinste wölfisch. „Oder hat jemand von euch Hurensöhnen Schiß in der Hose — wegen der Schauermärchen, die über die Insel erzählt werden?“ „Das Schwarze Schiff“, murmelte einer der Kerle. Er hatte eine zerdroschene Nase, eine Hasenscharte und eine gezackte Narbe auf der linken Wange. Mit dieser Visage konnte er kleinen Kindern das Fürchten beibringen — nicht nur kleinen Kindern. Den Weibern Maria Juanitas grauste es, wenn dieser Kleiderschrank auf eine von ihnen lüstern war. Caligu fixierte ihn mit seinem kalten Blick. „Das Schwarze Schiff“, sagte er verächtlich. „Hast du’s schon mal gesehen?“ „Nein, aber davon gehört.“ „Na und? Gehört — Gehört! Ich habe mal gehört, daß des Teufels Großmutter jeden Morgen rasiert werden muß.“ Caligus Augen wurden schmal. „Willst du dich drücken, Plattnase?“
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„Ich?“ Der Mann, den sie Plattnase nannten, tat entrüstet. „Ich doch nicht.“ „Dein Glück, Plattnase. Du weißt doch, auch die Haie freuen sich über ein gutes Frühstück. Oder hast du das vergessen?“ „N-nein.“ Der häßliche Mann war blaß geworden. „Sehr schön.“ Caligus kalter Blick wanderte über die Gesichter seiner Männer, die ihn unbehaglich anstarrten, aber hastig wegblickten, wenn er sie ansah. „Wir werden uns die Galeone schnappen, koste es, was es wolle“, fuhr Caligu fort. „Ihr wißt, was sie geladen hat. Einen solchen Goldfisch läßt man nicht von der Angel, niemals! Darum pfeif ich auch auf alle Gerüchte über das Schwarze Schiff. Und wer noch einmal von ihm spricht, dem reiß ich die Zunge heraus. Jetzt kümmert euch um eure Waffen. Setzt das Beiboot aus, umwickelt die Riemen, fettet die Dollen! Gesoffen und gehurt wird nicht mehr, dafür habt ihr morgen genug Zeit, wenn wir die Galeone übernommen und die verdammten Engländer zur Hölle geschickt haben. Ist das klar?“ Die Männer nickten. Caligu nickte zum Großmast hin. Dort stand immer noch Valdez. Wenn sie ihn nicht an den Mast gefesselt hätten, wäre er zusammengesackt. Seit sie Grand Cayman verlassen hatten, stand er dort. Aber den Kopf trug er immer noch hoch. Links, wo ihn die breite Klinge von Caligus Entermesser getroffen hatte, war eine blutverkrustete Schwellung. „Bindet das Schwein los“, sagte Caligu, „und bringt es nach achtern in die Kammer neben dem feisten Rodriguez.“ Er grinste höhnisch, als Valdez an ihm vorbeigeschleppt wurde. Valdez konnte nicht gehen, seine Blutzirkulation war gestaut. Sie hatten ihn unter den Achseln gepackt und zerrten ihn wie einen Getreidesack über Deck. Caligu wich zur Seite. Dann trat er mit, dem rechten Stiefel zu und knallte ihn Valdez zwischen die Rippen. Valdez verbiß sich den Schmerz. Es hatte keinen Zweck, jetzt schon zu jammern. Was ihm
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bevorstand, würde noch schlimmer werden. Caligus Lachen dröhnte hinter ihm her. * Die Morgenwache auf dem Bergausguck von Cayman Grae hatte der Ire Patrick O’Driscoll um vier Uhr übernommen. Er hatte einen dicken Kopf und war noch halb betrunken von dem Saufgelage der Nacht. Er löste Gary Andrews ab, der ihn mißtrauisch anstarrte. „Du pennst ja noch halb“, sagte Gary Andrews. „Und voll bist du auch noch. Du hättest deinen irischen Dickschädel mal ins Wasser stecken sollen.“ „Halts Maul“, knurrte ihn Patrick O’Driscoll an. „Verschwinde und leck mich am Arsch.“ „Letzteres bestimmt nicht, Freundchen“, sagte Gary Andrews kalt. „Aber einen guten Rat geb ich dir noch. Paß auf und penn nicht ein. Wir schieben hier keine Ausguckwache, weil wir nichts Besseres zu tun haben.“ Der Ire fluchte. „Ausguckwache! Wenn ich das schon höre. Nach was sollen wir denn Ausguck halten, he? Nach Haifischen vielleicht?“ „Vielleicht“, sagte Gary Andrews, „und zwar nach menschlichen Haifischen wie diesen Caligu und seinen Galgenvögeln.“ „Ach hör doch auf“, brummte der Ire. „Hau ab und erspar mir deinen Quatsch.“ Gary Andrews zuckte mit den Schultern und stieg die Felsen hinunter. Eine halbe Stunde später war Patrick O’Driscoll eingeschlafen. Er hatte sich hingesetzt, mit dem Rücken an einen Felsen gelehnt, dann war ihm der Kopf nach vorn gesackt. Schließlich war er auch zur Seite gekippt, aber nicht mal davon war er aufgewacht. Als die Karavelle Caligus zwischen den beiden Inseln hindurchsegelte, hatte Patrick O’Driscoll tief geschlafen. Sie segelte auf Sichtweite an ihm vorbei. Wäre er wach gewesen, hätte er ihren Kurs verfolgen und feststellen können, daß sie
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Little Cayman ansteuerte und dort an der Nordküste in einer Bucht verschwand. Aber nichts von alledem kriegte er mit. Die Morgenkälte weckte ihn etwa eine halbe Stunde vor seiner Wachablösung. Er fuhr hoch und fluchte. Aber er fluchte nicht, weil ihm bewußt wurde, daß er auf Wache geschlafen hatte, sondern weil er fror, weil er steif war und weil sein Schädel immer noch brummte. Er rappelte sich hoch, warf einen flüchtigen Blick über die See, die ringsum bleigrau vor ihm lag, und schlug dann die Arme um den Körper, um warm zu werden. Er fand alles zum Kotzen, nur sich selbst nicht, im Gegenteil. Die Tatsache, daß er die Wache zum Pennen benutzt hatte, erfüllte ihn mit einer gewissen Genugtuung, einer Genugtuung, wie sie etwa ein Kind empfinden mag, das heimlich in den Suppentopf auf dem Herd gespuckt hat und mittags –ohne selbst zu essen – dann zuschaut, wie Eltern und Geschwister die Suppe auslöffeln. So etwa fühlte sich der Ire Patrick O’Driscoll, denn er hatte allen ein Schnippchen geschlagen, und niemand hatte etwas davon gemerkt. Und es war ja auch nichts passiert, nicht wahr! Und das war der fundamentale Irrtum des Iren. Jean Ribault löste ihn um acht Uhr ab. „Was Besonderes?“ fragte der Franzose routinemäßig und nahm einen Rundblick. „Nichts“, sagte Patrick O’Driscoll. „Alles ruhig und -still wie in einem Affenarsch.“ „Was weißt du schon von Affenärschen“, sagte Jean Ribault. Er spähte zu der Insel Little Cayman hinüber. „Mann, zu der kann man fast hinüberspucken.“ Der Ire gähnte, kratzte sich die Brust und sagte: „Na, dann viel Spaß bei dem Quatsch hier.“ „Was für einem Quatsch?“ „Hier Ausguck zu gehen.“ Jean Ribault starrte ihn an. „Das erzähl mal dem Seewolf, du Klugscheißer, vielleicht gibt er dir Unterricht, warum und wieso wir die ‚Isabella’ da unten in der Bucht sichern und abschirmen. Oder hast du vergessen, was wir geladen haben. Und
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von dem Drecksack Caligu weißt du ja wohl auch, wir sind beide lange genug hier in der Karibik gefahren. Jetzt hau bloß ab, ich krieg schlechte Laune, wenn ich dein dämliches Gesicht sehe.“ Der Ire duckte sich, seine Augen begannen tückisch zu funkeln. „Du brauchst wohl mal ‘ne Abreibung, Franzose, he?“ „Versuch’s doch mal, Ire.“ Jean Ribault lächelte kalt. Der Ire knurrte, dann sprang er Jean Ribault an. Aber er sprang ins Leere –Jean Ribault war blitzschnell zur Seite gewichen. O’Driscoll krachte vierkant gegen den Felsen, vor dem der Franzose gestanden hatte. Bevor er sich herumwerfen konnte, hatte ihn Jean Ribault hinten an Hose und Kragen gepackt, hochgestemmt und hinunter auf den Pfad geworfen, der zum Ausguck hochführte. Der Ire kollerte abwärts und landete in einem Gebüsch. Fluchend rappelte er sich hoch und drohte mit der Faust. Aber den Kampf fortzusetzen, dazu schien ihm die Lust vergangen zu sein. Er kletterte abwärts, und Jean Ribault beobachtete, daß der Ire etwas hinkte. Er gestand sich ein, daß er nichts dagegen gehabt hätte, wenn sich der Ire das Genick gebrochen hätte. 7. Valdez lauschte dem Gespräch, das in der Kammer nebenan zwischen Caligu und seinem Unterführer, dem Messer, geführt wurde. Daß die „San Josefe“, das frühere Flaggschiff des Konvois, drüben auf der anderen Insel in einer Bucht lag, hatte er bereits mitgekriegt, als er noch gefesselt am Mast gestanden hatte. Jetzt vernahm er in allen Details, was die beiden Galgenvögel planten, um die Galeone in ihren Besitz zu bringen. Nebenan in der anderen Kammer jammerte der feiste Generalkapitän. Für ihn wollten die Halunken Lösegeld von den spanischen Behörden auf Kuba erpressen. Doch dann wurde das Gespräch für Valdez äußerst interessant, auch wenn ihm bei
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dem, was er zu hören kriegte, alles andere als wohl war. Denn er war die Hauptperson dieses Gesprächs. „Und Valdez, was soll mit diesem Kerl geschehen?“ hörte er Caligus Unterführer fragen. Der Pirat lachte nur. „Ich hab mir schon etwas einfallen lassen. Sobald wir mit diesem Seewolf fertig sind, werde ich mich mit ihm befassen. Ich lasse ihn kielholen. Aber auf meine Art ...“ Einen Moment herrschte Schweigen. Dann vernahm Valdez wieder die Stimme des Unterführers. „Kielholen? Und das ist dir genug? Für diesen Hund, der uns mit kochendem Wasser übergossen hat? Sieh her, so hat dieser Hundesohn meinen Arm zugerichtet. Und was ist aus deiner Schulter geworden? Ich dachte, du würdest dieses Miststück foltern lassen, daß er die ganze Karibik zusammenschreit. So, wie wir es schon mit vielen getan haben. Und den Rest dann für die Haie, aber erst, nachdem sie wieder bei Bewußtsein waren!“ Wieder lachte Caligu. „Du kennst mich scheinbar noch nicht. Ich habe gesagt: kielholen auf meine Art. Hast du mal ein Schiff, das so lange im Wasser war wie dieses, von unten gesehen? Weißt du, wie scharf die Muscheln sind, die sich an seinem Rumpf angesiedelt haben? Die schlitzen einen Mann glatt auf, wenn er unter einem in Fahrt befindlichen Schiff durchgezogen wird. Er blutet dann wie ein Schwein, und das lockt die Haie an. Aber nicht so schnell, daß sie ihn schon beim erstenmal erwischen. Nein, wenn man ihn wieder an Bord hat, dann sind die ersten heran. Die zeige ich ihm, bevor er zum zweiten Mal auf die Reise geht. Aber ich lasse ihn so schnell unter dem Schiff durchziehen, daß auch ein Hai keine Chance hat, ihn zu erwischen!“ Caligu lachte scheppernd. Dann sprach er weiter. „Ich habe Männer gesehen, die zwei Reisen hinter sich hatten. Die meisten hatten kein Gesicht mehr, die Haut hing von ihren Körpern in Fetzen, aber sie lebten und waren immer noch bei Bewußtsein. Die haben wir mit Salz und
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Pfeffer eingerieben, und wieder runter mit ihnen. Irgendwann gibt es dann einen Ruck, und vielleicht auch noch einen zweiten. Vielleicht, wenn der Mann Glück hat, zieht man dann nur noch ein Stück Tau an Bord. So geht das, du wirst schon hören, wie dieser Kerl jammert. Was ist da eine Folter? Sie verlieren das Bewußtsein, weil der Schmerz nicht zu ertragen ist, der Körper spielt einfach nicht mehr mit. Nein, ich weiß, was ich mit diesem Valdez will!“ Valdez brach der Schweiß aus. Ja, er hatte von dieser unmenschlichen grausamen Methode der Piraten, Verräter oder auch Feinde hinzurichten, gehört. Aber noch nie so in allen Einzelheiten. Er spürte sein Herz, das wie wild zu schlagen begann, seine Knie begannen zu zittern. Nur mit allergrößter Anstrengung schaffte er es, sich wieder in die Gewalt zu kriegen und seinen Verstand einzusetzen. Von diesem Moment an war ihm klar, daß er alles daran setzen mußte, zu fliehen, um den Seewolf vor diesen Bestien zu warnen. Wenn ihm das gelang, dann war er gerettet, aber nur dann. Denn der Seewolf würde fair bleiben, er würde ihn bestenfalls zum Gefangenen erklären und als Gegner behandeln, der im ehrenvollen Kampf unterlegen war. Die beiden Kerle gingen wieder an Deck. Valdez begann damit, seine Kammer zu untersuchen. Zunächst einmal lauschte er. Nein, eine Wache hatten die Piraten nicht vor seiner Tür postiert. Im nächsten Moment erkannte er auch, warum nicht. Die Tür bestand aus dicken Bohlen, niemals konnte er sie aufbrechen, ohne Werkzeug schon gar nicht. Valdez mußte die Panik, die abermals in ihm aufzusteigen drohte, gewaltsam bekämpfen. Im stillen beneidete er den Generalkapitän, der hatte eine echte Chance, gegen ein saftiges Lösegeld wieder freizuwerden. Auch darüber hatten die beiden Piraten ja miteinander gesprochen. Zoll für Zoll untersuchte der alte Haudegen die Kammer. Vor dem Fenster, das aber noch vom letzten Sturm her von außen
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verschalkt war, blieb er schließlich stehen. Hier lag seine einzige Chance. Vorsichtig tastete er den Rahmen ab. Er war zwar kein junger Mann mehr, aber er kannte sich mit Schiffen aus. Viele Jahre seines Lebens hatte man ihn immer wieder an Bord von Seglern gesteckt, und wenn es nur darum ging, ihn und seine Männer zu einem anderen Kriegsschauplatz zu transportieren. Seine Fingerspitzen untersuchten jeden Zoll des Rahmens, die Scharniere, die Verriegelungen. Plötzlich verhielt er. Hatte das Holz nicht eben dem Druck seiner Finger nachgegeben? Valdez versuchte es noch einmal. Tatsächlich, es war keine Täuschung gewesen! Er zwang sich zur Ruhe. Sorgfältig tastete er die Stelle ab, verstärkte den Druck – und wieder gab der Rahmen nach. Noch einmal vergewisserte er sich, dann löste er behutsam, jedes überflüssige Geräusch sorgsam vermeidend, die Innenverriegelungen des Fensters. Sie befanden sich in erstklassigem Zustand und ließen sich leicht bedienen. Einen Augenblick hielt er inne und lauschte, aber draußen auf dem Gang, der aufs Hauptdeck hinausführte, rührte sich nichts. Valdez zögerte nicht länger. Er stellte sich vor das Fenster, verkeilte seinen Körper und begann zu drücken. Das war jetzt der entscheidende Moment. Sein Puls flog, der Schweiß brach ihm aus, aber tatsächlich, der Fensterrahmen ließ sich aufdrücken. Die Verschalkung, die Ferris Tucker noch angebracht hatte, gab nach, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht hatte schon vor ihm einer der Männer aus der Crew des Seewolfs versucht oder damit begonnen, sie abzumontieren, als das Wetter wieder besser geworden war. Valdez hütete sich, das Fenster zu plötzlich aufzudrücken. Er mußte unbedingt verhindern, daß Teile der Verschalkung plötzlich an der Bordwand herabpolterten oder allzu laut ins Wasser klatschten. Darum griff er durch den sich ständig erweiternden Spalt hindurch und nahm
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eines der Holzstücke nach dem anderen weg. Behutsam legte er es auf den Boden der Kammer. Erst dann öffnete er das Fenster. Draußen hatte die Abenddämmerung eingesetzt. Valdez hatte Glück im Unglück, die Kammer lag zur Landseite, er brauchte also nicht erst das Schiff zu umschwimmen oder unter dem Schiff hindurchzutauchen. Er zog seine Stiefel aus und legte alle Kleidung ab, die er entbehren konnte. Dann zog er sich am Fensterrahmen hoch und ließ sich mit den Beinen voran nach draußen gleiten. Die Karavelle war zwar kein großes Schiff, aber das Achterkastell lag dennoch etliche Yards über dem Wasserspiegel. Er durfte sich aber nicht einfach fallen lassen, das würden die Wachen garantiert hören. Valdez überlegte. Vorsichtig löste er eine Hand und tastete die Bordwand ab. Fast immer hatten spanische Schiffe Verzierungen. Und richtig, eine davon kriegte er zu fassen. Sofort krallte er seine Finger ein, löste die andere Hand und ließ sich tiefer gleiten. Das wiederholte er noch ein paarmal. Im stillen dankte er den Erbauern des Schiffes, daß sie so viel Sinn für Schönheit aufgebracht hatten. Dann berührten seine Füße auch schon die Wasseroberfläche. Er löste seine Hände und glitt nahezu lautlos in das dunkle Wasser. Die wenigen Yards bis zum Ufer der Insel legte er rasch zurück. Schon Minuten später stieg er an Land, dort kauerte er sich sofort hinter einen der Büsche. Er lauschte zum Schiff hinüber, aber die Wachen schienen ganz in ihr Würfelspiel vertieft zu sein. Ihren Stimmen nach mußten sie sich auf dem Hauptdeck, und zwar in der Nähe des Großmastes befinden. Valdez schlich sich davon. Er folgte einem schmalen Pfad, der nach Osten, also zum Ende der Insel führte. Die ganze Zeit lauerte er gespannt, ob auf der Karavelle Krach geschlagen würde. Aber kein Laut ertönte. Wahrscheinlich waren die Piraten zu intensiv mit ihrem nächtlichen Unternehmen beschäftigt, als sich jetzt
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noch um die beiden Gefangenen zu kümmern. Valdez trat sich etwas Spitzes in die nackte Fußsohle und fluchte. Er setzte sich hin, legte den rechten Fuß über den linken Oberschenkel und zupfte einen Dorn aus der Sohle. „Mistding“, sagte er leise. Zehn Minuten später hatte er die Ostküste von Little Cayman erreicht und spähte hinüber zur anderen Insel. Er seufzte. Verflucht weit, wenn man diese Strecke schwimmen mußte. O verdammt! Und die Haie! Valdez war ein harter Mann, ein im Pulverdampf ergrauter Krieger, der seine Tapferkeit niemandem mehr zu beweisen brauchte. Aber dieses Stück dort hinüber zur anderen Insel, das war eine Mordstrecke. Dazu wehte der Wind von Nordosten, und das nicht gerade zahm. Wind und Seegang würden ihn nach rechts, also nach Süden versetzen - weg von den beiden Inseln. Valdez biß die Zähne zusammen und schaute sich am Strand um. Dann setzte er sich in Bewegung und marschierte am Wasser entlang nach Norden. Er mußte so weit wie möglich vom nördlichen Teil der Insel aus starten, um nicht von Wind und Seegang abgetrieben zu werden. Der erste Teil würde am schlimmsten sein, danach geriet er schon in die Abdeckung von Cayman Grae, da brauchte er sich nicht mehr so stark abzustrampeln. Er schaute nach rechts zur Insel hinüber und stolperte über einen Baumstamm, der aus einem Gestrüpp hervorragte. Der Fluch erstarb ihm auf den Lippen. Es war kein Baumstamm - oder doch. Es war mal einer gewesen. Jetzt war es ein Einbaum, ein indianischer Einbaum. Der Teufel, nein, der liebe Gott mochte wissen, wer diesen Einbaum hier zurückgelassen hatte. Valdez grinste und ging um den Einbaum herum. Und so entdeckte er achtern auf der anderen Seite auch die zwei Paddel, die dicht an der Bordwand lagen.
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„Ei-ei“, sagte Valdez leise und hätte am liebsten geflötet. Er warf beide Paddel in die Aushöhlung, spuckte in die Hände und schob das Ding über den Sand ins Wasser. Ein bißchen ärgerten ihn die heranrollenden Brandungswellen, aber dann durchstieß er sie und jumpte auf das primitive Fahrzeug. Es war gar nicht so primitiv. Es war gut ausbalanciert und lag gut im Wasser. Was wollte er mehr? Vielleicht noch ein Dach über dem Kopf oder eine Besegelung? Er lachte und stach das Paddel ins Wasser, zog durch, steuerte etwas und hieb das Paddel wieder ins Wasser. Der Einbaum schoß regelrecht ab und flitzte durch die Wellen. Valdez fühlte sich wie ein König, und er hatte allen Grund dazu. Ein Mann des Krieges wußte das, vor allem ein Mann, der mit den Konquistadoren durch Urwald und Sümpfe und durch den Tod marschiert war. Er war dem Teufel wieder einmal von der Schippe gesprungen. Er wollte nach Hause, nichts anderes zählte mehr. Er hatte die Schnauze gestrichen voll. Nur eins wollte er noch: seine Knochen nach Spanien bringen, damit sie dort, in dem kleinen Dorf am Guadalquivir, ihre Ruhe fanden. Der Seewolf mußte ihm helfen. Dieser Mann war seine Chance, denn er half ihm, wenn er ihm von dem geplanten Überfall berichtete. Dieser schwarzhaarige Teufelskerl war keiner vom Schlage eines Caligu, das wußte Valdez. Dafür hatte er ein Gespür. Valdez trieb den Einbaum mit kraftvollen Schlägen quer durch die Passage zwischen den beiden Inseln. Er bolzte gegen den Seegang und gegen den Nordost an, aber das war fast ein Kinderspiel gegenüber jener Arbeit, die er hätte leisten müssen, wenn er geschwommen wäre. Cayman Grae wuchs aus der Dunkelheit vor ihm hoch wie ein urweltliches Schloß mit Zinnen und Türmen — die Westküste der Insel. Valdez spürte, wie der Nordost nachließ. Jetzt begann ihn die Insel abzudecken.
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Er brauchte noch knappe sieben Minuten, bis er die ersten Klippen erreichte, sie umsteuerte und auf das Ufer zuhalten konnte. Dann hatte er es geschafft. Der Einbaum schob sich über knirschenden Sand am Ufer hoch. Valdez atmete aus und ließ für ein paar Augenblicke den Kopf sinken. Um ihn herum gluckste und murmelte das Wasser — wie am Guadalquivir, an dem er als Junge so oft gesessen hatte. Der alte, harte Mann stand auf, balancierte über die Höhlung des Einbaums, der ihn gerettet hatte, und sprang an Land. Er zog das Fahrzeug höher ans Ufer und zwischen zwei Felsen. Es sollte nicht ins Meer hinausgespült werden, das hatte es nicht verdient. Sorgsam deponierte Valdez die beiden Paddel neben dem Einbaum, genauso, wie er sie gefunden hatte. Dann lief er südwärts am Strand entlang, umrundete das Westkap der Insel und eilte weiter am Strand in östlicher Richtung, bis die große Bucht auftauchte, in der die „San Josefe“ lag. Er glitt wieder ins Wasser und schwamm auf das Schiff zu. Und wenn sie auf ihn schossen? Er hob den Kopf und rief: „Hallo! Hier ist ein Freund! Nicht schießen!“ Er starrte zu dem Schiff hoch. Am Schanzkleid erschien der Kopf eines Mannes. Es war Carberry, der den Ruf hörte. „He, wer bist du, und was willst du?“ fragte er. Valdez verlor keine Zeit, denn Caligu und seine Männer pullten in diesem Augenblick vielleicht schon auf die Insel zu. „Laß mich an Bord“, sagte er. „Ich muß zum Seewolf, ihr sollt überfallen werden. Caligu, der Pirat, liegt mit seiner Karavelle drüben auf der anderen Insel in einer Bucht. Vielleicht ist er schon mit einem Boot hierher unterwegs. Ich habe gehört, daß er euch überfallen will, und danach gelang es mir, von seinem Schiff zu fliehen ...“ Carberry handelte. „Los, rauf mit ihm. Wenn du ein falsches Spiel treibst, bist du ein toter Mann!“ sagte
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er drohend. Damit griff er zu und zog Valdez an Bord. Ferris Tucker, der den Wortwechsel ebenfalls gehört hatte, stand neben ihm, seine Axt griffbereit in der Faust. „Ferris, hol Hasard. Du hast gehört, was dieser Mann behauptet. Schick Ben Brighton los, er soll die anderen wecken. Diesem Caligu werden wir auf die Pfoten klopfen, daß ihm ein für allemal die Lust vergeht, sich am Seewolf und seiner Crew zu vergreifen.“ Er tastete Valdez ab, aber der war ohne Waffe. „Sie können mir glauben, Senor“, sagte Valdez. „Ich war als Soldat mit meinen Kameraden auf diesem Schiff, bevor der Seewolf es eroberte. Caligu, diese Bestie, hat alle meine Leute abgeschlachtet und den Haien zum Fraß vorgeworfen, nachdem wir einen Angriff von ihm mit kochendem Wasser abgeschlagen hatten ...“ Valdez sprudelte alles heraus, was er gehört und was Caligu ihm für ein Ende zugedacht hatte. „Senor, geben Sie mir eine Waffe, ich will helfen, diesem Schinder und seiner Mörderbande auf die Pfoten zu klopfen.“ Hasard tauchte neben Valdez auf. Prüfend sah er den Mann an. „Ich kenne ihn, Ben“, sagte er dann, „wir können ihm glauben. Verteilt euch jetzt auf dem Schiff, aber seid leise. Und dann laßt diese Halunken heran. Jedem, der seine Rübe über das Schanzkleid steckt, dem haut ihr eins drauf. Besetzt die Drehbassen!“ Die Männer, der größte Teil von ihnen war im Handumdrehen wach gewesen, huschten davon, so leise, daß selbst der Seewolf kaum etwas hörte. Danach herrschte wieder Stille auf dem Schiff. Die Männer lauerten an den Drehbassen und hinter den Schanzkleidern. Batuti, der sich neben Dan postiert hatte, hielt zwischen seinen weißen Zähnen ein breites Entermesser, seine Rechte umspannte den schweren Schaft des Morgensterns, den er am Blackwater von einem Spanier erbeutet und nie mehr hergegeben hatte.
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Sie warteten bis nach Mitternacht. Ein leises Plätschern an der Backbordseite verriet dem Seewolf, daß es soweit war. Trotzdem nötigte es ihm Respekt ab, wie leise die Piraten an die „Isabella“ herangeschwommen waren. Ein paar geflüsterte Kommandos beseitigten die letzten Zweifel. Sekunden später erschien der erste Kopf über dem Schanzkleid, der Körper folgte. Batuti sprang auf und schlug mit dem Morgenstern zu. Der Mann verschwand aufklatschend im Wasser der Bucht. „Drauf, Jungs!“ gellte die Stimme des Seewolfs durch die Nacht. Dan stach dem nächsten, der sich am Schanzkleid zeigte, sein Entermesser in die Brust. Ferris Tucker schwang seine riesige Axt und erledigte gleich zwei Piraten mit einem Streich. Auf dem Achterkastell entlud sich donnernd eine der Drehbassen, gleich darauf eine zweite. Gehacktes Blei peitschte die Wasseroberfläche neben der „Isabella“. Die Piraten schrien, einige von ihnen versanken gurgelnd in der Flut. Caligu schrie vor Wut. Er konnte es nicht fassen, daß auch dieser Angriff wieder mißlingen sollte. Er schüttelte den Arm Maria Juanitas, die sich an ihn klammerte, ab. Dann schwamm er in mächtigen Stößen zum Vorschiff der Galeone. Er packte ein herabhängendes Tau und enterte wie der Blitz auf. In langen Sätzen fegte er über das Deck und prallte auf den Seewolf. Die Waffen der beiden Männer klirrten aneinander. „Du Bastard, ich bringe dich um, ich werfe dich den Haien vor!“ keuchte er und versuchte, Hasard gegen das Schanzkleid zu drängen. Inzwischen war es mehreren Piraten gelungen, die „Isabella“ zu entern. Sie kämpften wie die Wilden. Ihre Messer blitzten im Mondlicht. Valdez fackelte nicht lange. Er hatte sich einen Belegnagel aus der Nagelbank gerissen und schlug wie ein Berserker auf
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die Piraten ein. Valdez war alles andere als ein Schwächling, wo er hintraf, da war meistens kein zweiter Schlag mehr notwendig. Plötzlich fühlte er sich von hinten gepackt. Irgendjemand griff ihm in die Haare und riß ihn zurück. Valdez warf sich herum und entging auf diese Weise einem heimtückischen und von hinten geführten Messerstich Maria Juanitas. Valdez entriß ihr mit einem Griff das Messer, als sie wieder auf ihn eindrang. Sie schrie und geiferte und fuhr ihm mit ihren scharfen Nägeln ins Gesicht. Valdez taumelte zurück, Blut lief ihm über die Augen. Und schon wieder drang Juanita wie eine Megäre schreiend auf ihn ein. In seiner Verzweiflung und halb blind vor Schmerz und Zorn schlug Valdez mit der Messerhand nach ihr. Er hatte keine Lust, sich ausgerechnet von dieser Hure abmurksen zu lassen. Sein Belegnagel lag längst irgendwo auf den Planken des Schiffes. Die scharfe Klinge des Entermessers fuhr durch Maria Juanitas Gesicht und hinterließ eine klaffende Wunde, die sich quer über die Nase von Wange zu Wange zog. Juanita taumelte zurück, geradewegs in Batutis Arme, der eben mit einem mächtigen Streich einen der Piraten über Bord gefegt hatte. Batuti erkannte, daß er ein Mädchen vor sich hatte. Seine bereits zum tödlichen Schlag erhobene Rechte ließ den Morgenstern los. Dann packte er zu, riß die wie wild um sich schlagende Maria Juanita hoch und schleuderte sie in weitem Bogen von Bord. Er hörte sie schreien und sah, wie sie im hochaufspritzenden Wasser verschwand. Unterdessen hatten sich Caligu und der Seewolf ineinander verbissen. Hasard spürte die ungeheure Kraft, mit der der Pirat seinen Messerarm nach hinten zog. Früher oder später würde er sein Messer fallenlassen müssen, dann aber war es aus mit ihm, denn Caligu würde ihm sofort seine Klinge ins Herz stoßen.
Caligu, der Pirat
Der Seewolf spannte die Muskeln. Mit einem plötzlichen Ruck warf er sich herum. Das geschah so plötzlich, daß Caligu, wollte er nicht gegen das Schanzkleid geschmettert werden, loslassen mußte. Er taumelte, fing sich ab, aber Hasard war bereits heran. Er rammte dem Piraten seinen Schädel mit solcher Wucht in die Magengrube, daß Caligu quer über das ganze Hauptdeck katapultiert wurde. Und noch bevor er sich wieder aus seiner Benommenheit aufzurappeln vermochte, war der Seewolf abermals heran. Ein mit aller Kraft geschlagener Haken warf Caligu gegen die Nagelbank, ein weiterer fürchterlicher Hieb trieb ihn an ihr vorbei genau auf Ferris Tucker zu, der Rücken an Rücken mit Matt Davies stand und kämpfte. Seine Axt streckte einen Angreifer nach dem anderen zu Boden, und die scharfgeschliffene Hakenprothese von Matt Davies riß bei seinen Gegnern fürchterliche Wunden. Caligu sah den Seewolf von neuem heranstürmen. Er war angeschlagen und nicht mehr imstande, auch nur einen dieser entsetzlichen Hiebe zu verkraften. Er warf sich mit einem Hechtsprung über das Schanzkleid an Steuerbord und verschwand im Wasser. „Weg - bloß weg hier!“ schrie einer der Piraten in diesem Moment. Es war einfach zu dunkel auf der „Isabella“, um zu verhindern, was nach diesem Ruf geschah. Die Piraten griffen noch einmal voller Wut an, kämpften sich den Weg zum Vorderkastell frei und sprangen dann einer nach dem anderen über Bord. Minutenlang hörten die Männer des Seewolfs noch ihre Rufe, das Geräusch, das sie beim Schwimmen verursachten, aber danach herrschte plötzlich wieder Stille an Bord der Galeone. Der Kampf war so schnell vorbei, wie er begonnen hatte. Aus dem anderen Ende der Bucht vernahmen sie die dröhnende Stimme des Wikingers.
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„Haltet aus, wir sind gleich bei euch!“ Der Schatten eines Bootes schob sich über die silberne Bahn, die das Mondlicht auf dem Wasser der Bucht hinterließ. Gleich darauf hörten sie das Geräusch von Riemen, die im Takt eintauchten, und nur Minuten später enterte der Wikinger an Bord der „Isabella“. Der Seewolf ließ ein paar Lampen anbringen und zusätzlich Fackeln anbrennen. „Was war los, Freund?“ röhrte Thorfin Njal. „Wer besitzt die Frechheit, euch unter meinen Augen anzugreifen und mitten in der Nacht zu überfallen? Ich reiße diesem Kerl die Gedärme aus dem Leib, nenne mir seinen Namen!“ Der Seewolf grinste und wischte sich das Blut aus dem Gesicht, das ihm aus einer Platzwunde über die linke Wange rann. „Es war Caligu, einer der Piraten aus der Karibik. Er hat es schon einmal mit mir versucht, das kostete ihm seine beiden Schiffe. Jetzt wollte er sich wahrscheinlich die ‚Isabella’ als Ersatz dafür holen, mitsamt ihrer Ladung. Aber dieser tapfere Spanier hier, den Caligu nach seinem Sieg hinrichten lassen wollte, hat uns in allerletzter Sekunde gewarnt, nachdem ihm die Flucht vom Schiff der Piraten gelungen war.“ Er schlug Valdez auf die Schulter. „Ohne seine Warnung sähe es anders aus, denn die Kerle hätten uns tatsächlich im ersten Schlaf überrascht!“ Der Wikinger sah Valdez an. „Hör zu, mein Sohn. Ich kann zwar die Dons nicht leiden, aber du bist eine Ausnahme. Du hast meinen Freund und seine Männer vor dem heimtückischen Angriff dieses Caligu gerettet. O ja, ich habe von diesem Kerl gehört. Er ist einer der grausamsten und gemeinsten Leuteschinder der Karibik. In diesem Punkt hat er sogar El Diabolo übertroffen ...“ Der Wikinger überlegte. „Es ist zwecklos, Caligu jetzt zu verfolgen. Aber ich werde ihn töten, wenn ich ihm je begegne, das schwöre ich dir bei meiner
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Freundschaft, Seewolf. Ich werde ihn aufschlitzen von oben bis unten!“ Er sah Valdez an. „Was soll mit ihm geschehen?“ fragte er. „Wenn Senor Valdez will, kann er bei mir an Bord bleiben. Ich kann Männer wie ihn in meiner Crew gebrauchen. Nun, wie ist es, Senor, wollen Sie?“ Valdez nickte nur. Dann drückte er dem Seewolf die Hand. „Ich bin ein alter Soldat. Ich habe keinen anderen Wunsch als den, daß meine Gebeine in spanischer Erde begraben werden, so, wie es sich für einen Christenmenschen meiner Art gehört. Wenn Sie mir dazu verhelfen würden ...“ Der Seewolf nickte. „Sie werden Spanien wiedersehen, Senor Valdez, das verspreche ich Ihnen. So, und jetzt wollen wir mal feststellen, wie viele von Caligus Banditen und Mördern wir erwischt haben.“ Sie fanden vier toten Piraten. Wie viele seine Männer in die Bucht geworfen hatten und wie viele dort noch ertrunken waren, das wußte keiner von ihnen. Der Wikinger sprach aus, was alle dachten. „Ich glaube, wir könnten jetzt einen kräftigen Schluck Rum gebrauchen, Hasard, oder willst du uns verdursten lassen?” Der Seewolf wollte nicht. Und diesmal feierten sie noch, als längst der Morgen über der Bucht zu grauen begann. * Um diese Zeit pflügte die Karavelle Caligus bereits wieder durch die See. Der Pirat tobte vor Wut. Erst hatte er die nachlässigen Wächter anstelle des entflohenen Valdez’ kielholen lassen wollen, aber Maria Juanita redete ihm das aus, obwohl sie vor Schmerz und Zorn kaum zu sprechen vermochte. Ihr Gesicht war durch den Schnitt, den Valdez ihr verpaßt hatte, total entstellt. Es war ihr auch klar, daß diese Wunde eine häßliche Narbe auf Lebenszeit hinterlassen würde. „Spar dir das Kielholen auf, Caligu“, sagte sie. „Folge diesem schwarzhaarigen
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Bastard, wir kriegen ihn und seine Galeone noch, und damit auch diesen Valdez. Warte mit dem Kielholen, denn du brauchst jetzt jeden Mann. Dieser Valdez ist dir sicher, und wenn ich ihn dir von Bord der Galeone stehlen müßte!“ Der Pirat riß Maria Juanita an sich. „Du bist eine Frau, wie ich sie brauche. Du wirst eine Narbe haben, das ist nicht schlimm. Aber du hast recht: Ich werde diesem Hund von Seewolf folgen, ich werde ihm einen Hinterhalt legen. Unser Schiff ist schneller als seins, wir werden immer eher da sein als er. Er soll sich von nun an vor Caligu hüten.“ Er sah die Wachen an, die vor ihm auf den Knien lagen und um Gnade winselten. Mit einem Tritt beförderte er sie vom Achterkastell hinab in die Kuhl. „Ihr habt Glück, ich schenke euch euer Leben. Bedankt euch bei ihr dafür. Wenn ihr aber noch mal versagt ...“ Er sprach den Rest nicht aus, sondern hob eine dickbauchige Weinflasche an die Lippen und trank sie in einem Zug leer. „Messer, Kurs auf die Windward-Passage! Irgendwo werden wir die englischen Hunde noch erwischen, und dann laß ich den Teufel los!“ Er zog Maria Juanita mit sich fort, und sie lächelte ihm zu, obwohl sie vor Schmerz eher hätte schreien können. * Zwei Tage später verließ die „Isabella V.“ die Bucht. Das Leck hatte Ferris Tucker tadellos repariert, der Schiffszimmermann und ein paar Leute des Wikingers waren ihm dabei zur Hand gegangen. Als die „Isabella V.“ die offene See erreichte und ihre Besatzung die Wanten aufenterte, um jeden Fetzen zu setzen, den sie tragen konnte, stand der Wikinger auf der Landzunge und starrte dem großen Schiff nach. Seine scharfen Augen erkannten den Seewolf, der ihm vom Achterkastell aus zuwinkte.
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„Ob ich dich noch einmal wiedersehen werde, alter Freund?“ murmelte der Wikinger. Dann wandte er sich ab und ging zu dem Boot zurück, das am Strand auf ihn wartete. Er verspürte in diesem Moment Heimweh nach der bretonischen Küste. Aber der Rückweg dorthin war ihm versperrt. Er begann lauthals zu fluchen. So sicher und schön die Bucht auf dieser Insel auch sein mochte - die Heimat, das Land, in dem man geboren wurde, ersetzte sie nicht. Er blieb ruckartig stehen, noch ehe er das Boot, in dem seine Männer auf ihn warteten, sehen konnte. Eines Tages, das wußte er, würde er zurücksegeln. Gleich was dann mit ihm geschah. Ho – wer Thorfin Njal, den Wikinger, hängen wollte, der mußte ihn erst einmal fangen! Er stieß ein gewaltiges, dröhnendes Lachen aus, und plötzlich war ihm wieder besser. * Der Seewolf nahm Kurs auf die Windward-Passage. Auch ihn zog es endgültig nach Hause. Er wollte so rasch wie möglich den Atlantik erreichen und von dort auf dem kürzesten Weg nach England segeln. Er grinste Ben Brighton und Carberry und Ferris Tucker an, die eben aufs Achterkastell aufenterten. „Ho, der Wind steht gut. Er bläst genau aus der richtigen Richtung! Laßt unsere gute ‚Isabella’ laufen, was das Zeug hält.“ Irgendwo auf dem Vorschiff stimmte Blacky ein wüstes Lied an, und andere fielen ein. Arwenack, der Schimpansenjunge, hockte auf dem Spill und blickte die Gefährten aus seinen braunen, großen Augen an. Aber er verhielt sich mucksmäuschenstill, er spürte, daß dies ein besonderer Moment für sie alle war...
ENDE