Brennpunkt Denver von Robin Moore Roman
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Originaltitel: THE TERMINAL CONNECTIO...
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Brennpunkt Denver von Robin Moore Roman
XENOS Verlagsgesellschaft m.b.H. & Co.
Originaltitel: THE TERMINAL CONNECTION Genehmigte Buchausgabe © Copyright 1979 by Autor Alle Rechte vorbehalten Herstellung und Umschlaggestaltung: Klingenberg Werbeagentur GmbH, Hamburg Herausgeber: Xenos Verlagsgesellschaft m.b.H. & Co., Lottbekheide 17,2000 Hamburg 65
1. Paula Masters drückte die Knöpfe, die ihren Mikrowellenherd auf das Braten von Frühstücksspeckschnitten programmierten. Es war nicht gerade das komplizierteste Computerprogramm, das sie jemals eingespeist hatte. Manchmal konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren, daß sehr viele Menschen – sie selbst eingeschlossen – sehr wohl imstande wären, ohne Zuhilfenahme all dieser elektronischen Hexenkünste ein einfaches Frühstück auf den Tisch zu bringen. Die Digitaluhr an der Wand neben ihr zeigte Viertel nach sechs an. Paula war noch gar nicht richtig wach. Undeutlich entsann sie sich der Bilder des letzten, quälenden Traumes, bevor der routinemäßige Anruf des diensthabenden Wachbeamten ihrer Firma erfolgt war: Sie hatte an der Konsole eines riesigen Computers gesessen, größer als jeder andere, den sie bis jetzt bedient oder gesehen hatte. Reihen von grünfluoreszierenden Zeichen blitzten auf und schlängelten sich über die Bildschirme und versuchten ihr etwas mitzuteilen, ja sie sogar zu rügen, weil sie keine Antwort darauf wußte. Aber wie lautete die Antwort? Sie mußte es in Erfahrung bringen. Denn irgendwo in diesem Irrgarten von Daten lauerte sie – die flüchtige Wahrheit… Erleichtert war sie erwacht. Ein Glück, daß ihre Angestellten sich mit diesen Problemen herumplagen mußten! Sie selbst war auf dem Gebiet der Computer-Technologie so weit beschlagen, daß sie sich darüber vernünftig unterhalten konnte und imstande war, jene Fragen aufzuwerfen, von denen die Existenz ihres Unternehmens abhing. Sie verstand es auch sehr wohl, die qualifiziertesten Elektroniker der Branche anzuwerben. Im Moment aber mußte Paula Masters ihre Aufmerksamkeit auf die Lösung der zwar banalen, aber genüßlichen Frage konzentrieren, wie viele Orangen sie in die 3
Saftpresse tun sollte. Das grüne Herdlicht zwinkerte ihr gutmütig zu und zeigte damit den bereits eßbaren Zustand ihrer Speckschnitten an. Sie lächelte. Das komplizierte Gerät war eine Hinterlassenschaft ihres Mannes John, der immer darauf bestanden hatte, daß seiner Frau sämtliche arbeit- und zeitsparenden Einrichtungen zur Verfügung standen. John Masters war zwei Jahre zuvor beim Absturz des Firmen-Jets ums Leben gekommen. Paula entdeckte ihr Spiegelbild im Glas der Backrohrtür. Sie stieß einen Seufzer aus. Nicht übel für eine Vierunddreißigjährige, dachte sie bei sich und ließ schwelgerisch die Hände über ihre formvollendeten Seiten gleiten. Nur zu gern rief sie sich ins Gedächtnis zurück, was ihr Mann an ihr so sehr geliebt hatte. Die zwei Jahre ohne ihn waren eine lange Zeit gewesen. Natürlich hatte sie ihre Verehrer, doch würde noch eine ganze Weile vergehen, ehe die Erinnerung an John Masters so weit verblaßt war, daß sie einem anderen wenigstens etwas Aufmerksamkeit schenken konnte. Ihre vierjährige Tochter Iris riß sie aus ihren Erinnerungen. Sie kam in die Küche gelaufen, die Stoffpuppe an sich gedrückt, und beklagte sich mit beträchtlichem Energieaufwand über das Benehmen ihrer älteren Schwester. »Mami!« schrie Iris. »Cassy wollte mir wieder Angst einjagen!« Cassy, sechs Jahre, kam zwei Schritte hinter ihrer Schwester und beteuerte ihre Unschuld. »Habe ich gar nicht«, heulte sie. »Sie übertreibt wieder mal.« Paula stellte sich insgeheim auf eine jener Morgensituationen ein, die ihr – von kleineren Katastrophen abgesehen – sämtliche Freuden der Elternschaft bringen konnten, wenn auch nicht ohne Energieaufwand ihrerseits. »Aber Cassy«, sagte sie, »hast du deiner Schwester wieder Schauermärchen aufgetischt? Du weißt doch, daß ich dir das verboten habe!« 4
»Und wie«, zirpte Iris, von einem Fuß auf den anderen hüpfend. »Und wie! Sie erzählte mir eine richtige Gruselgeschichte vom bösen grünen Männchen vom Himmel – hinten im Garten.« »Nein, stimmt nicht«, legte Cassy Protest ein. »Habe ich nicht.« Cassy verfügte über eine lebhafte Phantasie und übertrumpfte damit die Kindersendungen im Fernsehen um ein beträchtliches. Leider bildete ihre jüngere Schwester meist das einzig verfügbare Publikum. Paula hielt ihre übliche Predigt. »Cassy, du weißt sehr gut, daß es die grünen Männchen aus dem Weltraum nicht gibt. Zumindest nicht hinten in unserem Garten. Du kannst dir ruhig Geschichten ausdenken, darfst aber dein Schwesterchen nicht damit erschrecken.« »Ich war ja gar nicht erschrocken«, sagte Iris, plötzlich anderen Sinnes. »Ich wußte ja, daß es nicht wirklich stimmte.« »Sehr schön«, sagte Paula. Dieses Problem war gelöst. »Los, jetzt macht euch fertig fürs Frühstück. Iris, du ziehst dich an, und Cassy, du gehst mit dem Hund hinaus in den Garten. Er muß dringend. Gib acht, daß er die kleinen grünen Männchen nicht beißt.« »Ist gut, Mami«, sagte Cassy, den Scherz ihrer Mutter genießend. Die zwei kleinen Mädchen machten sich hurtig an ihre Aufgaben, und Paula deckte den Frühstückstisch. Dieser Vorgang war zumindest noch nicht mechanisiert. Sie stellte die letzte Packung einer »Kellogs Bunte Mischung« auf den Tisch in der Nische zur Auswahl. Das sollte für eine kleine Aufregung sorgen, als die Mädchen endlich kamen, weil nur mehr eine Packung Sugar Pops vorhanden war. Paula hatte die Absicht, dieses Problem mit einer im Kühlschrank heimlich versteckten Portion frischer Erdbeeren zu lösen. Die Frühstücksspeisefolge war nun geregelt, und Paula lief zurück 5
ins Schlafzimmer, wobei sie das großflächige, in zwei Ebenen unterteilte Wohnzimmer durchqueren mußte. Sie hielt kurz inne und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie durch die Glasschiebetüren, welche die Westfront des Raumes bildeten, in den rückwärtigen Gartenteil hinausblickte. Dort stand Iris in wichtigtuerischer Pose und las die Morgenausgabe der Denver Post, die aus irgendeinem Grund über das Hausdach geschleudert worden und in einem Blumenbeet gelandet war. Paulas Lächeln wurde nicht zuletzt dadurch verursacht, daß Iris, die eben die Anfänge des Lesens meisterte, eifrig die Schlagzeilen überflog, die von Korruption, Inflation und internationalen Verwicklungen kündeten. Unterdessen versuchte Cassy den Hund zu Kunststückchen zu bewegen. Paula versagte sich den Luxus elterlicher Befriedigung und machte sich ans Anziehen. In den fünf Minuten, die sie für ihre Morgentoilette benötigte, hatte Paula sich von einer hübschen, begehrenswerten Witwe von vierunddreißig in eine adrette, gepflegte Tüchtigkeit ausstrahlende Frau verwandelt. Als sie schließlich wieder die Küche betrat, war eine kleine Katastrophe eingetreten: Iris hatte sich sowohl die Sugar Pops angeeignet als auch die Erdbeeren entdeckt – beides war bereits in ihrem Schüsselchen gelandet. Paula konnte die Situation noch retten, da ihr die Waffeln in der Tiefkühltruhe einfielen. Sie schimpfte mit Iris und fing an, für Cassy die Waffeln zu toasten. Iris war noch zu klein, um zu merken, daß sie ohnehin im Vorteil war und rief keck: »Ich möchte auch eine Waffel.« Paula war nahe daran, die Geduld zu verlieren, doch das Summen ihres privaten Telefonanschlusses gebot einer Gardinenpredigt Einhalt. Sie durchquerte die Küche und nahm den Hörer des hellblauen Telefons ab, das neben dem regulären gelben Apparat an der Wand angebracht war. In sachlich-frischem Ton sagte sie »Hallo«. Sie brauchte ihren Namen nicht zu nennen und auch nicht nach dem Namen 6
des Anrufers zu fragen, weil sie wußte, daß die Stimme am anderen Ende dem Mann vom Nachtdienst ihres Wach- und Sicherheitsunternehmens gehörte, der wiederum wußte, daß Paula die einzige Person war, die sich auf diesem Privatanschluß melden würde. Die Stimme sagte durchs Telefon: »Mrs. Masters – letzte Nacht hat es Slayton erwischt. Wir haben es eben vom Versandleiter erfahren, der aufsperrte. Der alte Slayton hat sich bei mir per Telefon fast die Stimme ausgeschrien.« In Paulas Magen ballte sich ein Klumpen zusammen. Ihr Verstand unternahm den Versuch, sich vorzustellen, wie ihr John das Problem angefaßt hätte. Um Zeit zum Überlegen zu gewinnen, sagte sie zu dem Nachtdienst versehenden Beamten: »Das können wir Mr. Slayton nicht verübeln. Er verließ sich auf unser Schutzsystem.« Der Diensthabende murmelte etwas vor sich hin, das Paula nicht erfaßte. Sie legte sich bereits einen Aktionsplan zurecht und unterbrach den Mann: »Rufen Sie Moon an … er soll rüber zu Slayton …« – Moon Pettigrew war Paulas Chefdetektiv – »… und dann soll Beth sofort ins Büro …!« Beth Morrison war Paulas Chefsekretärin und ihre unentbehrliche rechte Hand. » … und dann rufen Sie Loudermilk an, er soll seine Mannschaft zusammentrommeln und sie unverzüglich auf diesen Fall ansetzen!« »Loudermilk?« fragte der Mann vom Nachtdienst. Leutnant Derk Loudermilk war der Chefdetektiv der Polizei von Denver, und es war für eine private Sicherheitsfirma reichlich anmaßend, ihm Anordnungen zu erteilen. Paula fuhr fort: »Seine eventuell verletzten Gefühle überlassen Sie mir. Sie sagen ihm nur, er solle sich in Trab setzen!« Sie legte auf und war so klug, sich eine Tasse Kaffee einzugießen, weil sie wußte, dies würde das Dröhnen der Panik in ihrer Brust in Schach halten. Vor Jahren, als sie noch als 7
Chefsekretärin für ihren Mann gearbeitet hatte, und dann, während der herrlichen Zeiten als Mann und Frau, hatte John ihr beigebracht, eine Panik mit der banalsten und alltäglichsten Waffe zu bekämpfen, die zur Hand war. Sie entsann sich, daß er gesagt hatte: »Sobald du spürst, daß Panik aufkommen will, dann tue etwas ganz Normales. Zünde eine Zigarette an, geh ins Badezimmer, bürste dir die Haare oder trink ein Täßchen Kaffee – alles, was deiner Umgebung wieder Stabilität verleiht.« Paula schenkte sich also Kaffee ein und rührte in der Sahne, während sie gegen den Drang ankämpfte, loszurasen und wieder ins Bett zu springen, in der Hoffnung, das Problem würde sich in Nichts auflösen. Während Cassy vor Entzücken über ihre Waffelportion überschäumte und Iris schmollte, brachte es Paula zustande, sich zu dem Standpunkt durchzuringen, ihre Entscheidungen frei von Furcht treffen zu wollen.
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2. Am gleichen Donnerstagmorgen streifte Keith Stuart gemächlich seine Handschuhe über und ließ das Manschettenband fest zuschnappen. Er langte in seinen Golfsack und holte seinen zerschrammten und arg mitgenommenen Vierer-Schläger mit einer Behutsamkeit hervor, die selbst einem flüchtigen Beobachter nicht entgehen konnte. Niemals benutzte er einen Fairway-Schläger. Das hätte jener technischen Feinheiten bedurft, die zu meistern er nicht imstande war, obwohl er sein Wochenend-Golfspiel mit einem beachtlichen Dreizehner-Handicap bestritt. Er überblickte die einsame Großartigkeit des Willis-CaseGolfplatzes und genoß die Aussicht. Normalerweise teilte er sein wöchentliches Golfspiel mit seiner Frau Elaine, aber heute war er ohne sie von zu Hause weggegangen. Am Abend zuvor hatte sie beiläufig geäußert, sie würde vielleicht nicht mitkommen. Und das hatte er wörtlich genommen, obgleich sie schon öfter ähnliche Äußerungen getan und dennoch das Golfspiel am Donnerstagmorgen nie versäumt hatte. Nach alter Gewohnheit waren sie stets Viertel vor sieben, ehe der Klub öffnete, auf dem Gelände. Sie spielten dann immer bis neun und frühstückten anschließend, ehe er zu seiner Bank fuhr, um an der wöchentlichen Sitzung des Aufsichtsrates teilzunehmen. Keith beklagte sich häufig über das in Colorado geltende Gesetz, das ihn zwang, Direktoren in einer Bank einzusetzen, die eigentlich ihm gehörte. Zumindest hatte seine Frau die Aktienmehrheit erworben, als sie von ihrem Vater, einem Börsenmakler, ein beträchtliches Vermögen erbte. Er mußte sich jedoch dem Buchstaben des Gesetzes beugen und litt unter der wöchentlichen Konfrontation mit zehn unglaublich konservativen Gegenspielern, die er in seinen Aufsichtsrat berufen hatte. Bis auf die Donnerstage wollte er für sie ohnehin 9
unerreichbar bleiben. Es reichte ihm, wenn sie im Sitzungszimmer seine sämtlichen Pläne durchkreuzten. Er konnte liebend gern darauf verzichten, daß sie frühmorgens einfach in sein Büro hereinplatzten und ihn mit dummen Ideen belästigten, wie er mit seinem Geld – dem Geld seiner Frau – umgehen sollte. Er sah vom ersten Abschlagplatz auf und bemerkte zwei junge Männer, die in einer Entfernung von etwa 320 Yards auf der 420-Yard-Bahn am Viererloch die Spielbahn querten. Das mußten die zwei Angestellten sein, die täglich um dieselbe Zeit kamen und den Raum für die Golfsäcke, den Schankraum und den Abstellraum für die Golfkarren betriebsbereit machten. Obwohl der erste Abschlagplatz gute dreißig Fuß höher als die Spielbahn lag, befanden sich die zwei Männer ziemlich außer Keiths Reichweite. Er legte den Ball auf, nahm die richtige Fußstellung ein und spürte, wie sich seine Sohlennägel in das taufeuchte Gras bohrten. Mit festem und zuversichtlichem Griff packte er seinen alten Lieblingsschläger mit beiden Händen, holte schwungvoll aus, traf vorbildlich und trieb den Ball in löblich hohem Bogen die Bahnmitte entlang. Er landete etwa 200 Yards außerhalb. Die zwei Angestellten stuften dies als annehmbaren ersten Schlag ein und blickten hinauf, um nun Mrs. Stuarts ersten Abschlag mitzubekommen. Jetzt erst bemerkten sie, daß Mr. Stuart allein war. Keith ging rasch an den Karren und legte seinen Vierer-Schläger auf den Fahrersitz. Der junge Mann sagte zu seinem Begleiter: »Möchte wissen, wann Stuart endlich seinen Fairway-Schläger ausprobiert.« Der andere äußerte bloß: »Scheiße.« Damit war die allgemeine Meinung über Keith Stuart zum Ausdruck gebracht: Er war kein Golfspieler, der zu Experimenten neigte. Etwa in diesem Moment bemerkte der erste junge Mann, daß Stuarts Golfkarren den steilen Fahrweg vom ersten Loch herab reichlich willkürlich herunterschwankte. Bis er gesagt hatte: 10
»He …« und der andere »Verdammt …«, war der Wagen bereits unkontrolliert und gefährlich den Fahrweg entlang heruntergepoltert. Ohne weiteren Kommentar setzten sich die zwei jungen Männer in Trab. Sie liefen über den feuchten Golfrasen und hielten direkt auf die Stelle zu, wo der steile Hang des Hügels sich unvermittelt zum ersten, höher gelegenen Abschlagplatz erhob. Im Laufen sahen sie, wie der Wagen eine Rechtsschwenkung vollführte. Und dann, als Keith anscheinend die Richtung korrigierte, schnellte der Wagen nach links zurück, und eines der Hinterräder hob vom Boden ab. Sie konnten sehen, wie sein Golfschläger herausgeschleudert wurde und ins Gras fiel, als der Wagen seitlich umkippte. Sie konnten auch noch sehen, wie Stuart sich auf den Wagenboden duckte, als dieser seitlich umfiel und wie irr den Steilhang herunterkullerte. Die zwei Männer beschleunigten ihr Tempo und erreichten den demolierten Golfkarren gerade, als er auf der nunmehr ebenen Rasenfläche zum Halten kam. Das Gefährt lag da, Unterseite nach oben gekehrt, mit rasend schnell rotierenden Rädern. Der Morgentau hatte jegliche Staubentwicklung verhindert; dennoch wirbelten Erdklumpen aus dem plötzlich aufgegangenen Golfsack im rückwärtigen Teil des Karrens, und ein paar Rasenstücke wirbelten durch die Luft. Der eine der jungen Männer stand da und starrte das Wrack an. Er konnte sich nicht so weit überwinden, um nachzusehen, wie es um Keith Stuart bestellt war. Er wollte nicht in Wirklichkeit das sehen, was er bereits im Geiste vor sich sah. Der andere bückte sich und spähte unter den umgekippten Wagen. Da sah er Keith Stuart, zu einer Kugel zusammengerollt, praktisch um die Steuerungssäule gewickelt. Der junge Mann erkannte erst auf den zweiten Blick, wo sich Keiths Kopf befand, und diese Entdeckung fiel damit zusammen, daß Keith ein Auge öffnete, das sich aber sofort wieder schloß. Der Angestellte war überzeugt, daß Keith tot 11
wäre. Aber da stieß Keith Stuart mit zusammengebissenen Zähnen voll Ungeduld hervor: »Zieht mich schleunigst hier heraus!« Die zwei jungen Angestellten des Willis-Case-Golfplatzes waren für Rettungsaktionen weder ausgebildet, noch waren sie einschlägig versiert – und doch glückte es ihnen nach ausgiebigem Hochstemmen und Ziehen, den Golfkarren wieder in die richtige Stellung zu bringen. Und als der Karren mit einem Ruck auf seinen Gummirädern landete, sahen sie, daß Keith Stuart keinerlei sichtbare äußere Verletzungen aufwies. Besser gesagt, man sah keine Blutspuren. Die beiden waren immerhin so gewitzt, ihn mit äußerster Vorsicht auf den Boden zu betten. Keine Schmerzensschreie, als sie ihn ausgestreckt hinlegten. Gut zu verstehen – denn Keith hatte drei eingedrückte Rippen und war vor Schmerzen bewußtlos geworden! Während einer der jungen Männer loslief, um vom Klubhaus aus die Rettung zu verständigen, besah sich der andere den ramponierten Golfkarren und den still daliegenden Keith Stuart. Er fragte sich, wie der Banker den Unfall hatte überleben können. Und hatte dabei keine Ahnung, daß er eben Augenzeuge des dritten Anschlages auf Keiths Leben geworden war.
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3. Moon Pettigrew schnellte aus seinem Porsche Carrera und hatte bereits vier Riesenschritte auf das bewachte Tor zu gemacht, als die Wagentür zuschnappte. Ein uniformierter Polizist der Stadt Denver stand übertrieben stramm und salutierte. Er wußte, daß Moon früher bei der Polizei von Chicago als Oberst gedient hatte. »Wer ist drinnen?« fragte Moon schroff. Der Polizist war glücklich, ihm mit Informationen dienen zu können: »Der alte Slayton ist eben eingetroffen. Sein Geschäftsführer und sein Anwalt sind seit einer halben Stunde da, und Leutnant Loudermilk ist kurz vor ihnen gekommen.« Moon durchschritt das eiserne Umzäunungstor. Er hielt kurz inne und warf einen Blick auf Slaytons Juwelengroßhandel samt Schauräumen. Der Bau war ein einstöckiger Betonklotz. Damals, als Joshua Slayton die Baupläne erstmals einreichte, um die Baubewilligung zu bekommen, hatte sich die Empörung der Öffentlichkeit in lauten Protesten Luft gemacht. Das knappste und vernichtendste Urteil hatte gelautet, daß das Bauwerk »…einen häßlichen, sterilen Betonbrocken darstelle«. Joshua Slayton hatte daraufhin zweiundvierzigtausend Dollar für einen Fassadenschmuck aus Stein ausgegeben, in der Hoffnung, damit das Gebäude attraktiver zu gestalten; es war aber der häßliche, sterile Betonbrocken geblieben. Moon schüttelte ungläubig den Kopf. Das Gebäude hatte bloß drei Eingänge, die zu bewachen waren: einen kleinen Vordereingang, den die Kunden benutzten, eine Hintertür für die Angestellten und eine mittelgroße Einfahrt für Panzerwagentransporte. Aus- und Eingänge wurden von einem Computersystem überwacht, welches das Herz jenes Sicherheitsprogramms darstellte, das von Paulas Gesellschaft, der Masters’ Security, entwickelt worden war. Als Chef13
detektiv des Unternehmens hatte Moon seine jahrelangen polizeilichen Erfahrungen zur Entwicklung eines Systems beigesteuert, das sie alle für eine unüberwindbare Barriere gehalten hatten. Masters’ Security hatte zur Vervollkommnung des Systems die hervorragendsten Computer-Köpfe des Landes engagiert. Paula träumte davon, die Firma ihres Mannes auf dem Gebiet der Sicherheitseinrichtungen auszuweiten und sich nicht auf bloße grundlegende Ermittlungen zu beschränken. Auch wenn der Computer versagt hatte – und das war eigentlich gar nicht möglich –, so war das Gebäudeinnere gespickt mit Laser-, Ultraschall- und Infrarotsensoren, welche die Polizei von Denver und den Diensthabenden von Masters’ Service gleichzeitig alarmiert hätten. Das System war in der Fachzeitschrift Security Magazine als »… die wirksamste Schutzeinrichtung, die es auf dem Gebiet der elektronischen und automatischen Sicherheitssysteme gibt« bezeichnet worden. »Quatsch«, dachte Moon Pettigrew bei sich. »Da hat jemand das ganze System zur Schnecke gemacht.« Moon stieg die kurze Treppe zum Vordereingang hoch. Da blieb er stehen und sah vor sich die zolldicke Stahltür ohne Klinke, dafür aber mit dem Zyklopenauge einer Fernsehkamera bestückt, die automatisch aktiviert wurde, sobald jemand davor stand. Im Normalfall pflegte ein Kunde der Firma Slayton da zu stehen. Der Geschäftsführer oder einer seiner Assistenten konnte den Besucher in Augenschein nehmen und identifizieren, ehe er mit einem Knopfdruck die Tür zur Seite gleiten ließ. Im Gebäudeinneren war jetzt jemand alarmiert worden. Die Tür glitt langsam beiseite und gab Moon den Weg frei. Er betrat die Empfangshalle. Die Halle maß zehn Fuß im Quadrat und war bar jeder Einrichtung. Zwei Wände waren mit großflächigen Wandgemälden geschmückt, die großartige Ansichten der Rocky Mountains darstellten. Diese Freiluftdarstellungen 14
halfen mit, das überwältigende Gefühl von Klaustrophobie zu lindern, das fast jeden Eintretenden erfaßte, sobald die Eisentür sich ächzend zuschob. Eine Zwischensperre sorgte dafür, daß die Innentür sich nicht öffnete, solange die Außentür nicht völlig geschlossen war. Während Moon abwartete, bis die einprogrammierte Zeitspanne verging und er den Hauptausstellungsraum betreten durfte, überdachte er das Rätsel, dem er gegenüberstand. Die Türen waren computergesteuert. Das Gebäude hatte dicke Gußbetonwände. Sogar die Klimaanlage hatte man ohne Rücksicht auf Kosten so konstruiert, daß sie im Keller und nicht auf dem Dach arbeitete. Oberflächlich gesehen war alles ganz einfach: Unerlaubt hatte niemand das Gebäude betreten können. Das Summen eines elektrischen Antriebmotors ertönte, und die zwei schweren Mahagonitüren schwangen auf, während eine Stimme rief: »Hallo, du Alleskönner, nichts wie rein.« Moon wußte, die Stimme gehörte Leutnant Derk Loudermilk, dem Chefdetektiv der Polizei von Denver. Er zuckte zusammen, als er an die peinliche Begegnung dachte, die ihm nun bevorstand. Er und Paula waren so stolz auf ihr Sicherheitssystem für die Firma Slayton, daß sie beide zu Derk ein wenig unfreundlich gewesen waren, Moon als Gesetzeshüterkollege und Paula als Freundin und gelegentliche Partnerin. Moon trat ein und sah sich den entmutigten Mienen des Empfangskomitees gegenüber. Slaytons Anwalt, sein Geschäftsführer und der Chefbuchhalter hielten im Flüsterton eine Konferenz ab. Derk Loudermilk stand mit kleinem Lächeln neben dem alten Joshua Slayton. Während Moon durch das Anzünden einer Zigarette Zeit gewann, unterzog er den Hauptausstellungsraum einer raschen Inspektion. Es gab keine sichtbaren Zeichen, die auf einen Einbruch hindeuteten, doch die niedergeschlagene Miene Mr. Slaytons ließ erkennen, daß man größere Verluste erlitten hatte. 15
Moon hatte genügend Zeit geschunden. Er stellte nun die Frage, die in Worte zu fassen er gefürchtet hatte: »Wieviel haben sie eingeheimst?« Joshua Slayton war ein sanftmütiger Mensch, der nie viel Worte machte. »Eine ganze Menge, Moon«, sagte er. »Eine ganze Menge.« Moon konnte die Gefühle des Alten gut verstehen, doch mußte er den tatsächlichen Betrag in Erfahrung bringen. Er fragte Derk Loudermilk: »Kennen Sie die genaue Summe?« Slaytons Chefbuchhalter nahm es auf sich, ihm zu antworten: »Der Großteil des fehlenden Inventars bestand aus Rohgold, Silber und ungefaßten, geschliffenen Steinen. Meiner Berechnung nach haben wir an die 1,2 Millionen an Investitionen eingebüßt. Im Verkauf hätte das schätzungsweise 2,4 Millionen ergeben.« Jede einzelne der Verlustziffern wirkte wie ein Faustschlag auf Moons Eingeweide. Mit einem Blick zu Derk Loudermilk sagte er matt: »Ungefaßte Steine und Rohmaterial?« Derk nickte und ergänzte: »Die können das Zeug für etwa eine Dreiviertelmillion losschlagen. Eine große Sache, Moon.« Moon wurde ganz übel, denn es gab Dinge, von denen er wußte, daß die Männer vor ihm sie nicht einmal ahnten. So wußte er, daß Paula Masters mit dem Erfolg des SlaytonSystems gerechnet hatte, weil sie einen Versuch wagen wollte und Investitionskapital brauchte, damit die Masters’ Wach- und Sicherheitsgesellschaft groß in den Industrieanlagenschutz einsteigen konnte. Er wußte auch, daß Paula gleiche Überlegungen anstellte wie ihr verstorbener Mann: »Wenn ein Klient unsertwegen Geld verliert, müssen wir für den Schaden aufkommen.« Erwies sich das vorliegende Rätsel als unlösbar, dann würde Paula das zur Ausweitung der Firma nötige Investitionskapital nicht zusammenbekommen. Die Schadenersatzforderungen von Slayton würden die Firma Masters nahezu auslöschen. 16
Er tat einen tiefen Atemzug voll Nervosität und sagte: »Dürfen wir uns mal umsehen?«
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4. Beth Morrison sperrte ihren Schreibtisch auf und nahm den Ordner mit der Aufschrift »Jahresbericht« heraus. Sie war eine knappe halbe Stunde nach dem zur Eile mahnenden Anruf des diensthabenden Wachmanns im Büro eingetroffen und war nicht wenig ungehalten. Sie arbeitete erst seit zwei Wochen am Jahresbericht und wußte so wenig von der Slayton-Anlage, daß sie ihrer Meinung nach nicht viel Hilfe beisteuern konnte. Die Firma Masters hatte in ihrer Geschichte zwei Chefsekretärinnen zu verzeichnen, nämlich Paula und Beth. Paula hatte mit dreiundzwanzig bei Masters angefangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Firma aus bloß fünf Angestellten bestanden. Drei Jahre später heiratete sie John und mußte das Jahr darauf mit der Arbeit aufhören, als sie ihr erstes Kind, Cassy, erwartete. Damals war Beth bei Masters’ Schutz und Sicherheit eingetreten – vor sieben Jahren. Als John beim Absturz des Firmenjets ums Leben kam, war es Beth, die ihren Einfluß geltend machte und Paula überredete, als Präsidentin in die Firmenleitung einzutreten. Ihre Argumente hatten vernünftig geklungen: Paula war verantwortungsbewußt und mit der Führung der Firma völlig vertraut. Schließlich war sie fast von Anfang an dabeigewesen, hatte mitgeholfen, als die Firma sich vergrößerte, und hatte die meisten Spitzenkräfte wie Moon und Beth eingestellt. Dazu kam, daß sie den Aktionären der Gesellschaft nicht unbekannt war. Zusätzlich zu diesen zwingenden Gründen hatte Beth versprochen, sie würde bleiben und Paula bei dem täglich anfallenden Kleinkram zur Hand gehen. Dann war die verständlicherweise schwierige Zeit gekommen, als man diese Idee den Aktionären mundgerecht machen mußte – daß eine Frau einer expandierenden und erfolgreichen Sicherheitsfirma vorstand, schien einfach nicht richtig –, doch Paulas gewinnende Persönlichkeit und die Art, 18
wie sie die Kniffe des Sicherheitsgeschäftes im Griff hatte, überzeugte die Zweifler schließlich. So war Paula in die Fußstapfen ihres Mannes getreten. Die Gesellschaft war zu diesem Zeitpunkt auf zwanzig Angestellte in der Ermittlungsabteilung und dazu fast vierzig in der Wachdienstabteilung angewachsen, die vor allem die Ladenzentren und Banken betreute. Ein Jahr vor seinem Tode hatte John die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und an der ehrwürdigen Börse von Denver eingeführt. Sein Plan hatte vorgesehen, der Gesellschaft Kapital zur Ausweitung auf das Gebiet der elektronischen Sicherheits- und Schutzeinrichtungen zuzuführen. Allgemeine wirtschaftliche Probleme der Betriebe hatten diese Ausweitung hinausgeschoben, aber es war nach wie vor Paulas wichtigstes Ziel, dafür zu sorgen, daß Masters’ Security schließlich doch in das große Geschäft mit der Sicherheit einstieg. Beth schüttelte enttäuscht den Kopf, als sie den Ordner mit dem Jahresbericht in Augenschein nahm. »Das ist eben das Problem«, überlegte sie. »Paula ist auf seinen Traum fixiert, und das wird mich Geld kosten.« Beth hatte achttausend Stück Vorzugsaktien zu einem Stückpreis von einem Dollar bekommen. Masters’ Security – oder MS, wie die Firma in den Börsenberichten geführt wurde – stand jetzt auf sieben Dollar, und das bedeutete, daß Beth Aktien im Wert von 56.000 Dollar zu 8.000 Dollar kaufen konnte. Im Jahresbericht machte nun Paula den Vorschlag, neue Aktien auszugeben, um das Kapital aufzustocken. Damit würde der Kurs effektiv auf vier Dollar sinken – vielleicht sogar um die Hälfte, auf schäbige 3,50 pro Aktie. Beth legte den Bericht auf den Schreibtisch und schlug ihn auf der mit vielfachen Streichungen und Gekritzel versehenen Seite auf, wo Paula die Ideen durchgespielt hatte, wie man den dringenden Kapitalbedarf den Aktionären plausibel machen könnte. Mit einem einzigen Blick auf die Anmerkungen und 19
die Kritzeleien am Rand stellte Beth fest, daß Paula die Dinge nicht so sah wie John, und zum dreißigsten Mal im Monat erwog sie, einfach alles liegen- und stehenzulassen, ihre Aktien zusammenzupacken und davonzulaufen. Beth sah aus dem Fenster ihres im dritten Stock des BrownPalace-Hotels gelegenen Büros. Sie erblickte Paula, die in ihrem winzigen blauen Pinto-Kombiwagen im Anrollen war. Paula ihrerseits sah hinauf und stellte fest, daß bei Beth Licht brannte. Sie war froh, daß alles startklar war, denn es gab viel Arbeit an diesem Tag. Sie hatte Iris und Cassy durch die morgendliche Prozedur gehetzt und sie um eine Stunde zu früh in Kindergarten respektive Schule abgeliefert. Sie hatte den frühmorgendlichen Verkehr ins Stadtzentrum von Denver erfolgreich hinter sich gebracht und das Hotel in Rekordzeit erreicht. Die Einfahrt zum Parkhaus auf der anderen Straßenseite war durch keine Kolonne blockiert. »Morgen, Mrs. Masters«, begrüßte der Parkhauswächter sie. Er öffnete ihr die Tür, während sie mit dem mittelgroßen schwarzen Aktenkoffer hantierte, der als tragbares Büro und gleichzeitig als Handtasche diente. Sie erwiderte den Gruß, überquerte eilig die Straße und hielt auf den Haupteingang des Brown Palace zu. Burton, der freundliche, anscheinend immer diensttuende Portier, hob zwei Finger an den Mützenrand. Das war seine übliche Höflichkeitsbezeugung für Paula. »Früh dran, Mrs. Masters«, meinte er. Paula lächelte strahlend und erwiderte: »Viel zu früh für mich, Burton.« Sie mochte den alten Mann, der John Masters’ Verbündeter geworden war, damals, als Paula sich in den Mann verliebte, den sie später heiraten sollte. Burton hatte immer viel Aufhebens um sie veranstaltet, hatte ihr das Gefühl vermittelt, eine begehrte Frau zu sein. Sogar das einfache Türöffnen hatte er zu einer exquisiten Schau werden lassen – damals, als John um sie warb. Burton schien hier so fest verankert wie die schimmernde Messingtafel vorne am 20
Brown Palace. Er strahlte hell und warm als fester Bestandteil ihres Lebens. Während sie durch den Eingang hastete und die kurze Treppe zur Halle hinauflief, fühlte sich Paula in Zeiten versetzt, die – was Hotels betraf – längst im Schwinden begriffen waren. Das Brown Palace ist eines jener Etablissements, die in den energiegeladenen Tagen des alten Westens groß geworden waren und rasch zu jener Üppigkeit erblühten, die sich geradezu explosionsartig in einer Wirtschaft entwickelte, welche auf dem Reichtum von Goldminenbesitzern beruhte und auf dem Lebensstil von Rinderzüchtern, die durch den unersättlichen Appetit der neuen Nation nach gutem Essen reich geworden waren. Es hatte einst mehrere solcher Hotels gegeben: das Clearmont in Fort Worth, Texas; das Madison in St. Louis, Missouri; das Palmer House in Chicago. Aber die Zeit und die gewandelten Bedürfnisse des modernen Menschen hatten alles so verändert, daß nur mehr Häuser wie das Plaza in New York, das Mark Hopkins in San Francisco und das Brown Palace in Denver die Atmosphäre einer anderen Epoche hatten bewahren können, ohne ihre Gäste an die sterile Tüchtigkeit ausstrahlende Spitalsatmosphäre der Motels zu verlieren, die für zeitgemäße Geschäftsreisen mittlerweile unentbehrlich geworden waren. Kopfnicken und Lächeln wurden mit dem Mann vom Empfang gewechselt, sodann mit dem Manager, während Paula zu dem Fahrstuhl ging, der sie zu den Geschäftsräumen von Masters’ Security im dritten Stock bringen sollte. Sie war froh, daß John die Firmenleitung im Hotel eingemietet hatte und sie daher jetzt nicht gezwungen war, sich dem ständigen Zustrom von Firmen in die Geschäftsgebäude aus Stahl und Glas anzuschließen, die um das Stadtzentrum und auch draußen in dem neuen Gelände um Cherry Creek emporschossen. »Nein«, dachte sie, während sie auf das Öffnen der kunstvoll verzierten 21
Fahrstuhltür wartete, »ich möchte nur sehr ungern von hier weg. Unser Leben ist zu sehr mit diesen Mauern verquickt.« Der kurzen Fahrt nach oben folgten ein paar eilige Schritte den teppichbelegten Gang entlang zu Suite 301, welche die Südwestecke des Brown Palace einnahm. Auf ihr »Hi, Beth!« bekam sie ein lässiges »Oh, hi, Paula!« zu hören, und Paula spürte einen seltsamen Stich. Schon in den vergangenen Monaten war ihr ein leichtes Nachlassen von Beths Freundlichkeit aufgefallen, doch war dies belanglos gewesen und nie ganz deutlich zutage getreten, so daß sie es als bloße nervöse Spannung abtun konnte. Heute jedoch war die Mißstimmung aus irgendeinem Grund nicht mehr zu übersehen, und Paula faßte den Entschluß, sich mit Beth über jedes eventuell aufgetaucht Problem zu unterhalten. Aber das mußte warten, bis die Sache mit Slayton vom Tisch war. Beth brachte sie Paula ohne Umschweife ins Bewußtsein, als sie fragte: »Ärger mit Slayton?« Paula steuerte auf ihr Büro zu und antwortete: »Richtig getippt. Es wird eine Menge Arbeit geben. Gibt es Kaffee?« Während sie auf ihre Tasse Kaffee wartete, versuchte Paula ihre Gedanken zu ordnen. Eigentlich hatte sie geplant, den Tag mit der Ausarbeitung ihres Appells an die Aktionäre zu verbringen. Sie hoffte noch immer, die richtigen Argumente zu finden und die Aktionäre überzeugen zu können, daß die Gesellschaft für ihr Engagement auf dem Gebiet elektronischer Sicherheitssysteme Geld benötigte. Jetzt aber, nach der Panne bei Slayton, stand sie vor dem Problem, sich selbst zu beweisen, daß Masters’ Security sehr wohl imstande war, sich in dieser Sparte des Sicherheitsgeschäfts zu behaupten. Zum erstenmal seit Jahren mangelte es ihrer Urteilsfähigkeit an Durchschlagskraft. Sie wollte sich eben der Lösung dieses Problems zuwenden, als die Sprechanlage auf ihrem Schreibtisch quäkte: »Mrs. Keith Stuart ist da. Sie möchte Sie sprechen.« 22
Gleichzeitig mit dieser Ankündigung wurde die Tür geöffnet. Elaine Stuart stand da und bat: »Paula – ich muß Sie unbedingt sprechen. Bitte.« Elaine durchquerte den Raum und blieb vor Paulas Schreibtisch stehen. Beth platzte hinter ihr herein und wollte gegen Mrs. Stuarts Eindringen Protest erheben; Paula aber beruhigte ihre Sekretärin mit einer kleinen Handbewegung und zeigte damit an, daß Elaine ruhig bleiben könne. Dann bat sie um eine zweite Tasse Kaffee. Elaine Stuart war vor einigen Jahren in John und Paula Masters’ Leben getreten, als sie Keith Stuart heiratete. Seither waren sie einander häufig bei verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen begegnet. Vorher hatte Elaine meist in der Nähe ihres Familienbesitzes in Pueblo gelebt. Soviel Paula wußte, war sie mütterlicherseits mit den Coors verwandt, und etliches aus deren Bierbrauervermögen war ihr zugeflossen. Egal, wie es sich tatsächlich verhielt, es war jedenfalls bekannt, daß Elaine sehr wohlhabend war, und der übliche Bridgeparty-Klatsch wollte wissen, daß es eigentlich sie war, die für Keith die Park Center National Bank gekauft hatte, damit er sein eigenes kleines Finanz-Spielzeug bekam. Zusätzlich vermerkte der Klatsch höchst unliebenswürdig, daß Elaine sieben Jahre älter war als Keith. Damit war sie dreiundvierzig, neun Jahre älter als Paula. Was jedoch außer Diskussion stand, war Elaines äußere Erscheinung, denn sie war immer gut angezogen, erstklassig frisiert und perfekt zurechtgemacht. Aber schließlich hatte man sie noch nie um sieben Uhr dreißig morgens in einem Zustand nicht zu übersehender Panik gesichtet. »Jemand hat eben versucht, Keith umzubringen«, eröffnete sie Paula. Diese riß erschrocken die Augen auf. Das kam für sie völlig überraschend. »Hat Keith es heil überstanden?« fragte sie. Elaine nickte bekümmert und explodierte sogleich von 23
neuem: »Jemand will ihn töten, Paula! Sie müssen uns helfen!« Paula ging die Sache mit größtmöglicher Logik an. »Haben Sie die Polizei benachrichtigt?« Wäre Elaine wie üblich geschminkt gewesen, hätte niemand ihr Erbleichen bemerkt, als Paula die Polizei erwähnte. Doch bar jeglicher Schminke, ohne Puder, Wimperntusche und andere Komponenten ihrer Schönheit, war ihr anzusehen, wie ihr das Blut aus den Wangen wich, während sie Paula anschrie: »Man kann die Polizei nicht einschalten!« »Und warum nicht?« fragte Paula. »Warum können Sie die Polizei nicht einschalten?« Als die Tür aufging und Beth mit zwei Tassen Kaffee hereinkam, erwiderte Elaine mit gedämpfter Stimme: »Keith will es nicht.« Paula wußte, daß sie Elaine Beths Gegenwart nicht zumuten konnte. Die Ärmste war schon genug verängstigt. Deswegen wartete Paula, bis Beth hinausgegangen war, ehe sie fortfuhr: »Ich glaube, Sie sollten mir alles sagen. Wo ist Keith? Wie geht es ihm? Wer hat versucht, ihn umzubringen?« Elaine schlürfte ihren Kaffee und starrte Paula über den Tassenrand hinweg an. Paula hatte dabei das unangenehme Gefühl, daß sie die Augen eines gejagten Tieres vor sich sah: Elaine sah ganz einfach schrecklich aus. Krähenfüße an den Augenwinkeln, die Brauen an der Nasenwurzel gerunzelt, hängende, unbewegliche Lider. Plötzlich wurde Paula klar, daß diese ansonsten energische Frau ihr am Schreibtisch in einem Zustand gegenübersaß, der einem Nervenzusammenbruch nicht unähnlich war. Paula beugte sich vor und sagte ruhig: »Elaine, wir schaffen das schon. Und jetzt beruhigen Sie sich und erzählen mir möglichst alles. Erstens, wo ist Keith?« »Im Krankenhaus, Paula, im Krankenhaus.« Paula wies ihr Bewußtsein zurecht und befahl ihm, die eigenen Probleme für den Augenblick zu vergessen. Sie wußte, 24
daß sie statt dessen am Telefon hängen und mit Slayton und der Polizei sprechen und von Moon Pettigrew einen Bericht hätte einholen sollen, aber diese Frau am Schreibtisch ihr gegenüber war eine leidlich gute Freundin und brauchte dringend Hilfe. Und wenn man Keith ins Krankenhaus geschafft hatte, dann war sein Zustand vielleicht wirklich ernst. Paula nahm einen Bogen Schreibpapier und notierte sich Datum, Uhrzeit und die Anfangsbuchstaben ES für Elaine Stuart. »Welches Krankenhaus?« fragte sie schließlich. »Er wurde ins Fitzsimmons Army Hospital gebracht«, antwortete Elaine. »Sie wissen ja, daß er Oberst der Reserve ist.« Paula wußte es nicht, und es interessierte sie auch nicht. »Nun, was ist ihm eigentlich zugestoßen?« Elaine berichtete, daß Keith wie an jedem Donnerstag frühmorgens hinaus zum Golfplatz gefahren war. »Und zum erstenmal überhaupt«, fuhr sie fort, »war ich nicht mit von der Partie. Da passiert ausgerechnet dieser Unfall mit dem Golfkarren. Einfach unsinnig, daß es sich dabei um einen echten Unfall handeln soll! Keith ist diesen steiler abfallenden Hang unzählige Male hinuntergefahren. Niemals gab es dabei irgendwelche Schwierigkeiten. Es hätte seinen Tod bedeuten können, aber Gott sei Dank sieht es jetzt nicht allzuschlimm aus. Zwei Angestellte von Willis Case waren zur Stelle und konnten ihn unter dem Wrack hervorziehen. Gottlob kamen sie so früh zu Arbeit.« »Ja, ein wahres Glück«, gab Paula ihr recht. »Haben Sie ihn schon im Krankenhaus besucht?« »Ach Gott, Paula«, stieß Elaine wirr hervor, »gräßlich, wie er aussah. Er war gar nicht bei Bewußtsein. Aber die Ärzte versicherten mir, er würde bald über den Berg sein. Ich bin unverzüglich hierhergekommen. Ich wußte gar nicht, an wen ich mich sonst hätte wenden können.« Paula wartete ab, bis Elaine sich von ihrem 25
Schnellfeuerbericht erholt hatte. Eines war klar: sie stand an der Kippe zur Hysterie, und da war eine kleine Atempause zur Lockerung der Spannung sehr angebracht. Dabei gab es für Elaines panische Angst keine logische Erklärung. Nichts von dem bisher Gesagten deutete auf etwas anderes als einen ganz normalen Unfall hin. Paula versuchte die Einzelteile von Elaines Geschichte zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen, und sie mußte passen. Keith hatte also einen Unfall mit einem Golfkarren gehabt; nach Elaines Bericht war niemand so nahe an der Unfallstelle gewesen, daß er den Unfall hätte verursachen können. Keith war verletzt und lag im Krankenhaus. Offenbar stand es um ihn nicht allzu ernst, sonst hätte ihn Elaine nicht allein gelassen. Ein Golfkarren war auf dem Steilhang des ersten Abschlages bei Willis Case umgekippt. Dieser Hang war wegen seiner Steilheit berüchtigt. Warum war Elaine mit dieser Geschichte als einziger Grundlage zu Paula um Hilfe gekommen? Das war alles so verwirrend. Paula merkte, daß Elaine sich mittlerweile beruhigt hatte. Ihre Wangen hatten wieder etwas Farbe bekommen. Paula wagte die Frage: »Und warum hat jemand versucht, Keith zu töten?« Elaine flehte mit ihren Blicken um Verständnis, während sie hervorstieß: »Ja, begreifen Sie denn nicht? Begreifen Sie nicht? Begreifen –« Paula gebot dieser Wörterexplosion Einhalt, indem sie aufstand, hinter dem Schreibtisch hervorkam und sich neben Elaine setzte. Die Ärmste war in elender Verfassung und benötigte selbst dringend ärztliche Hilfe, dachte Paula bei sich. Laut sagte sie: »Was begreife ich nicht?« Elaines Augen flossen über, als sie antwortete: »Man will ihn umbringen. Es ist das dritte Mal, Paula. Bitte, helfen Sie mir!« Während ihrer Tätigkeit als Sekretärin ihres Mannes hatte Paula wiederholt herzzerreißende Szenen mit Klienten 26
miterleben müssen. Das waren nicht jene klinischnüchternen Sitzungen, in deren Verlauf eine Versicherung John damit beauftragte, den Beweis für die Unrechtmäßigkeit einer Forderung zu erbringen, oder jene unpersönlichen Besprechungen, als deren Ergebnis John auf Wunsch einer Firma das Leben eines zu engagierenden Mitarbeiters zerpflückte. Nein, es waren jene Auftritte im Büro, wenn John und später Paula engagiert wurden, um abgängige Kinder oder Ehepartner wiederzufinden. Manche der Vermißten waren einfach auf und davon, um unglücklichen häuslichen Verhältnissen zu entgehen. Die jüngeren waren verhältnismäßig einfach zu finden. Aber bei den älteren, die über größere finanzielle Rückendeckung verfügten, war es schwieriger und in vielen Fällen gar unmöglich. Die Unterlagen der Firma enthielten auch einige Entführungsfälle. Das waren überhaupt die schwierigsten, doch hatte kein einziger so viel Angst und Schrecken hervorgerufen, wie Elaine Stuart sie jetzt zeigte. Paula nahm den einzig greifbaren Faden von etwas Ungewöhnlichem auf, als sie fragte: »Was meinen Sie mit ,zum dritten Mal’?« Elaine erlitt einen Weinkrampf und stotterte ihre Antwort hervor: »Man hat schon … zuvor … versucht … ihn zu töten … bei drei verschiedenen Gelegenheiten …« Paula sprach jetzt lauter und mit mehr Bestimmtheit. Sie hatte von John gelernt, daß man damit eine Situation besser in den Griff bekam. »Wer sind ,man’? Erzählen Sie mir von den drei Versuchen.« Die Härte in Paulas Ton schien Elaine tatsächlich aus ihrem geistigen Tief zurückzuholen. Sie sah Paula in die Augen und sagte nach einer kleinen Pause: »Ich weiß nicht, wer es war. Keith wollte mir nichts sagen.« Elaines Miene deutete ihre Niederlage an. Paula schien es, als bilde Elaine sich die ganze Sache bloß ein. Oder hatte 27
Keith Stuart sie aus seinem Problem herausgehalten, falls es für den Banker tatsächlich ein solches gab? Wieder schlug Paula den Befehlston an, als sie Elaine drängte, ihr von den anderen Anschlägen auf Keiths Leben zu erzählen. Es vergingen einige Augenblicke, während Elaine sich eine Zigarette anzündete und Ordnung in ihre Gedanken brachte. Dann sagte sie zu Paula: »Das alles begann an einem Samstagmorgen vor drei Wochen. Keith hatte für seine Sammlung eine neue Schrotflinte gekauft und wollte ein paar Runden schießen. Er fuhr also hinaus zum Littleton Shooting Club … Sie wissen ja, der Klub, den sie gründeten, damit sie endlich einen Privatklub hatten.« Paula wußte es sehr wohl, weil ihr Mann John zu den Gründungsmitgliedern gehört hatte. Der Littleton Shooting Club lag auf einem 65 Morgen großen hügeligen Areal fünfzehn Meilen südlich von Denver. Für nur wenige tausend Dollar für jeden einzelnen hatte eine Gruppe von zehn Männern einen Schießstand, ein Klubhaus und einen Schießplatz im Freien errichten lassen. Der Schießplatz bestand aus einer Reihe von durch das Buschwerk gehauenen Pfaden, auf denen man Übungsschüsse auf Zielscheiben abgeben konnte, die hinter Bäumen und Sträuchern hervorschnellten. Das Klubhaus diente zur Aufbewahrung von Waffen und stellte daneben einen abgeschiedenen Treffpunkt für Pokerpartien dar. »Keith fuhr sehr zeitig hinaus«, fuhr Elaine fort. »Er sagte mir, der Boden sei leicht mit Reif bedeckt gewesen und es hätte vor dem Tor weder Auto- noch Fußspuren gegeben. Von dem Reif auf dem Vorhängeschloß sei etwas abgestreift worden von jemandem, der vor ihm das Schloß geöffnet und wieder versperrt hatte. Zunächst dachte er sich nichts dabei. Er ging an den Pistolenstand und fand alles ganz verlassen und ohne Anzeichen von irgendwelchen Aktivitäten vor. Dort verschoß er zehn Patronen und ging dann durch das Freigelände zurück. Er hatte gerade zwei Patronen abgeschossen, da spürte er, daß 28
er beobachtet wurde, so sagte er. Er wollte sich umsehen, als er plötzlich ganz knapp hinter sich ein Geräusch hörte. Er drehte sich um, und da ging ein Schuß los und traf ihn an der Schulter. Er wurde herumgeschleudert und fiel zu Boden. Er glaubte, das Anstarten eines Motors zu hören, doch er war verletzt und konnte die Verfolgung nicht aufnehmen. Zum Glück hatte er seine Schießweste an. Die Kugel des Mörders hatte seinen Arm nur gestreift, ihm eine schlimme Schürfwunde zugefügt und ihn leicht versengt.« Paula gebot mit einer Handbewegung dem Redeschwall Einhalt. Sie fragte: »Hat er die Polizei gerufen?« »Nein! Nein! Nein! Das kann er nicht«, rief Elaine aus. »Warum nicht?« fragte Paula weiter. Elaine war dabei, eine Antwort zu formulieren, hielt inne und sagte bloß: »Weil …« Dabei blieb es. Paula merkte sich, daß sie auf diesen Punkt noch zurückkommen wollte, gab aber vorerst ihren Fragen eine neue Wendung: »Wie schaffte er es, daß die Wunde versorgt wurde, ohne daß ein Polizeibericht vorliegt? Bei Schußwunden muß man die Polizei benachrichtigen.« Elaine zögerte. Man sah ihr an, daß sie überlegte, ob sie auf diese Frage eingehen sollte. Paula drängte: »Sie müssen mir alles sagen, wenn ich Ihnen helfen soll.« Schließlich gab Elaine zu: »Doktor Moss hat ihn versorgt.« Paula war alles klar. Dez Moss war der Arzt, den ihr gesamter Bekanntenkreis konsultierte. Wenn Keith eine ausreichende Erklärung bot, hatte er ihn sicher behandelt, ohne der Polizei die Verletzung zu melden. Sie merkte vor, daß sie Dez Moss wegen des Vorfalls auf dem Schießplatz einige Fragen stellen wollte. Elaine war noch nicht fertig: »Dann kam der vergangene Samstagnachmittag. Wir wollten bei Howard Johnson auf dem Federal Boulevard auf ein Eis gehen und parkten auf der anderen Straßenseite, weil der Parkplatz voll war. Eben wollten 29
wir die Straße überqueren, als Keith ausrief: ,Achtung!’ und mich zurück gegen den Randstein stieß. Genau in diesem Augenblick kam ein Wagen auf uns zugeschossen. Er sauste nur so vorbei, und Keith wurde vom Kotflügel zu Boden gerissen. Paula, wenn er mich nicht zurückgestoßen und selbst mit einem Sprung ausgewichen wäre, wären wir jetzt beide tot.« Paula stellte ein paar Fragen über das Auto, das sie angefahren hatte: ob jemand den Vorfall beobachtet hätte, und abermals, ob die Sache der Polizei gemeldet worden wäre. Elaine hatte weder den Wagentyp noch das Nummernschild gesehen; Zeugen gab es keine, und Keith weigerte sich, die Polizei hineinzuziehen. Paula wog die Geschichten ab. Die drei Vorfälle sahen aus, als hätte es jemand ernsthaft auf Keith abgesehen, aber es konnte sich dabei ebensogut um Zufälle handeln. Er konnte sich zufällig selbst angeschossen haben und schämte sich, sein Versagen einzugestehen; der Vorfall mit dem Wagen war vielleicht auf einen fahrlässigen Fahrer zurückzuführen; und die Sache mit dem Golfkarren konnte sicher nach einer genaueren Untersuchung der Umstände erklärt werden. Das einzige, was auf tatsächliche Anschläge hindeutete, war Elaines panikartiger Zustand. Paula rief Beth herein und ließ sie ungeachtet der Einwände Elaines über die drei Vorfälle ein Stenogramm aufnehmen. Zu Elaine sagte sie: »Damit können wir die einzelnen Vorfälle herauskristallisieren. Vielleicht kommt etwas dabei heraus, das uns ein Stück weiterbringt.« Bei Elaines nochmaliger Wiedergabe der Vorfälle ergaben sich genügend kleinere Abweichungen, die bei Paula den Eindruck verstärkten, daß sie die Wahrheit sagte, so wie sie sie wußte. Hätte Elaine gelogen, so hätte sie dafür gesorgt, daß die einzelnen Versionen einander aufs Haar glichen. Wichtig war, daß die grundlegenden Tatsachen gleichblieben. Während Beth 30
ihr Stenogramm abtippte, versuchte Paula sich zu einem Entschluß durchzuringen. Die Sache war kein Fall für Masters’ Security, weil sie an sich keine Detektiv-Agentur waren. Aber Elaine war eisern, was das Nichtbenachrichtigen der Polizei betraf. Warum nur? Moon Pettigrew bog mit seinem Carrera auf den leeren Parkplatz des Burger King in der East Colfax Street ein und stieg aus, hinaus in die scharfe Herbstluft. Er holte tief Atem, um sich aufzulockern – das erste große Atemholen nach mehr als einer Stunde. Er faßte in die Hosentasche und zog eine Münze heraus, dann betrat er die Telefonzelle. In seinen Ohren erklangen elektronische Frequenzen, als er die Nummer von Masters’ Security gedrückt hatte. Paula hob ab. »Hallo«, sagte Moon. »Wir stehen vor einigen Problemen.« »Wie arg ist es denn?« fragte Paula. »Nach Auszahlung der Versicherungssumme werden bei Slayton noch etwa 425.000 offenbleiben. Slaytons Buchhalter behauptet, es wäre mehr, aber diese Witze kenne ich zur Genüge. Das Opfer tut immer so, als ginge es um Leben und Tod. Wenn die endgültige Bewertung vorliegt, wird sich der Verlust vielleicht auf … na … etwa 410.000 verringern.« Am anderen Ende der Leitung schauderte Paula bei dem Gedanken, ihrem Klienten diesen großen Verlust ersetzen zu müssen. In den Verträgen stand zwar nichts von Schadenersatz, aber Masters’ Security hatte von Anfang an voll hinter den Aufträgen gestanden; und Paula würde nicht zögern, diese Geschäftspolitik weiterzuverfolgen, auch wenn dies bedeutete, daß die Firma sich das Gebäudeschutzgeschäft entgehen lassen mußte, weil das zur Ausweitung nötige Kapital für die Entschädigung Slaytons draufgehen würde. Paula drehte ihren Stuhl und sah hinaus auf die schneebedeckten Gipfel der Rockies im Westen von Denver. Die Bewegung diente eher dazu, ihre bekümmerte Miene vor Elaine zu verbergen, als die 31
sich ihr bietende Szenerie zu genießen. Paula senkte die Stimme und fragte: »Moon, wie ist es passiert?« Ihr Chefermittler drehte und wand sich in seiner Zelle, als er versuchte, ihr seine Enttäuschung per Telefon mitzuteilen. »Verdammt, wenn ich das wüßte, Paula. Es wurden keinerlei Spuren eines sichtbaren Eindringens hinterlassen. Man hatte offenbar ausreichend Zeit zur Verfügung, weil nirgends Anzeichen von Panik oder Eile zu sehen sind. Außerdem machten die Täter sich nicht die Mühe, an den inneren Alarmanlagen herumzuhantieren. Die Laser-, Infrarot- und Ultraschalleinrichtungen funktionierten einfach nicht.« Paula fragte nach einer kleinen Pause: »Haben Sie die Computerbänder überprüft?« »Von A bis Z«, erwiderte Moon. »Das Band-Depot war versperrt, haargenau so wie damals, als die Leute von Slayton den Betrieb aufnahmen. Ich ließ ihren Computer-Mann eine Abstimmungskontrolle machen und dann einen kompletten Abdruck des gesamten Programms herstellen. Es war das erstemal, daß die Leute von Slayton zu Gesicht bekamen, was wir in das Programm verpackt hatten. Es haute hundertprozentig hin.« Paula mußte diese schlechte Neuigkeit erst verdauen. Dann sagte sie: »Wir werden ein ganzes neues Hauptsteuerprogramm für sie ausarbeiten müssen.« Mit einem Anflug von Sarkasmus entgegnete Moon: »Paula, wir können von Glück reden, wenn die uns jemals wieder ins Haus lassen. Der alte Slayton ist fuchsteufelswild.« Dieser kleine Kommentar war eigentlich überflüssig, doch Paula wußte, daß Moon sich als Geschlagener fühlte, und nahm ihm seine bissige Bemerkung nicht übel. Sie fragte statt dessen: »Können wir die Bänder zur Überprüfung bekommen?« Moon erwiderte mit dem ersten Anzeichen besserer Laune: 32
»Ich habe sie schon. Slayton läßt übers Wochenende seine eigenen Leute Wache schieben. Er fürchtet nämlich einen zweiten Einbruch, wenn die Presse Wind von der Sache bekommt. Derk bot dem Alten an, uniformierte Polizei bis Montagmorgen vor dem Haupteingang zu postieren.« Paula dachte an ihren Freund Leutnant Derk Loudermilk von der Detektivabteilung der Polizei von Denver, und sie fragte sich, warum er noch nicht angerufen hatte. Sie waren eng befreundet, und es sah ihm so gar nicht ähnlich, sich nach dem Vorgefallenen nicht bei ihr zu melden. Sie sagte: »Am besten, Sie bringen die Bänder raus zu Sy und sehen, was er damit anfangen kann, ja?« Sy Anesso war bei Paula Leiter der Forschungsabteilung und ein wahrer Computer-Hexenmeister. »Ich fahre gleich raus in den Betrieb und komme zurück, sobald ich mit Sy gesprochen habe«, antwortete Moon. »Zu Mittag bin ich mit Heckle und Jeckle im Denver Club verabredet«, teilte Paula ihm mit. »Dort können Sie mich notfalls erreichen.« Moon pfiff ins Telefon. »Erst wird Slayton ausgeplündert, und dann müssen Sie mit diesen zwei Typen essen. Sieht mir nach einem schönen Tag aus.« Heckle und Jeckle waren die Spitznamen für zwei Aufsichtsratsmitglieder von Masters’ Security. Zwei junge Männer, die Paula das Leben schwermachten, das wußte die ganze Belegschaft. Moon fragte noch: »Noch ein paar Katastrophen für heute?« Paula drehte sich in ihrem Stuhl um, sah in das eingefallene Gesicht von Elaine Stuart und sagte ins Telefon: »Nein, Moon. Nichts Dringendes jedenfalls.« Sie legte auf und sandte ein gezwungenes Lächeln in Elaines Richtung. »Na, Elaine, jetzt werden wir mal überlegen, wie wir Ihr Problem angehen könnten.«
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5. Moon betrat die Forschungsabteilung auf dem im Aurora Industrial Park östlich von Denver gelegenen Betrieb von Masters’ Security. Unter dem Arm trug er einen Koffer mit dem Hauptprogramm von Slayton. Er trat an Sy Anessos Schreibtisch und ließ den Koffer auf die verkramte Tischplatte fallen. Sy sah ihn über die Brillengläser hinweg an. »Die Bänder von Slayton?« »Sie gehören Ihnen«, antwortete Moon. »Und jetzt finden Sie schleunigst heraus, wie die Kerle ins Gebäude kommen konnten.« Sy Anesso, ein Endvierziger, galt als einer der fähigsten Köpfe auf dem Gebiet der Programmentwicklung. Eigentlich sah er nicht danach aus: Leicht übergewichtig und von blasser Gesichtsfarbe, trug er Schlipse in den kühnsten Farben, die es überhaupt gab. Sein Gewichtsproblem rührte vom tagelangen Sitzen vor Computer-Ausdruck-Maschinen her und nebenbei davon, daß er dauernd belegte Brote verschlang, die er mit Cola hinunterspülte. Seine Blässe kam von dem Leben in geschlossenen Räumen, in denen Reihen von fluoreszierenden Röhren die einzigen Lichtquellen darstellten. Die grellbunten Schlipse stammten von seiner Frau, die seine einzige Liebe außerhalb der Welt der Elektronik darstellte und die auch der Grund dafür war, warum Sy nicht daran dachte, die Firma zu wechseln. Seine Frau war begeisterte Skiläuferin und Denver der ideale Ort dafür. Wäre er zu einer führenden Firma der Branche übergewechselt, hätte er Denver höchstwahrscheinlich verlassen müssen, und das kam für ihn nicht in Frage. Dabei kam Sy niemals auf den Gedanken, daß er selbst gar nicht Skifahren konnte – es zählte allein die Tatsache, daß seine Frau den Sport liebte. 34
Sy drückte die Zigarette in seinem vergammelten Aschenbecher aus und stand auf. »Gehen wir«, sagte er zu Moon. Moon folgte Sy durch eine nicht näher gekennzeichnete Tür in die größte Montagehalle des Betriebes. Sie gingen an Tischen vorbei, an denen weißbekittelte Frauen in komplizierter Feinarbeit die elektronischen Komponenten zusammensetzten, aus denen die ausgeklügelten Einrichtungen bestanden, welche die Grundlage eines jeden Sicherheitsnetzes bildeten. Kopfschüttelnd durchschritt Moon die riesige Montagehalle. Paula hatte sich – und die Firma – an die äußerste Grenze gewagt, als sie die Fertigung in einem eigenen Betrieb hier in Aurora aufnahm. In dieser Sparte waren ja bereits große Namen mit großem Geld tätig. Paula hatte den kühnen Entschluß gefaßt, es mit den Schwergewichtlern wie General Electric, Bowmar, Motorola und Honeywell in der Fertigung verschiedener Warn-Sensoren aufzunehmen. Sie hoffte, Masters’ Security würde mit eigenen, vollständigen Systemen wettbewerbsfähig gegen solche Riesen wie Burns, Pinkerton’s, ADT und Wackenhut werden. Ein großer Traum für ein kleines Mädel, das eigentlich nur das Ziel ihres Mannes verwirklichen wollte! Moon wußte, daß die Finanzierung der Anlage durch Eigenmittel ermöglicht worden war und Paula ihre Gewinne wieder investiert hatte. Jetzt aber wurde neues Kapital gebraucht. Paula hatte ihre gesamten finanziellen Hoffnungen an den Erfolg der Anlage bei Slayton geknüpft. Und wenn sich nun gleich ihr erstes System als Fehlschlag erwies, gab es keine Chance, daß die Aktionäre von Masters’ Security der Ausgabe neuer Aktien zustimmten. Wenn dazu noch die Geschichte durch die Presse publik gemacht wurde, würde der Wert der Masters’-Security-Aktien in die Gefahrenzone absinken und Paula wäre raus aus der Gesellschaft, zumindest aber als Präsident und Generaldirektor abserviert. 35
Sy führte Moon in einen winzigen Raum, der als spezieller Umkleideraum für diejenigen diente, welche die »Weiße Zone« der Anlage betraten. Wortlos zogen die beiden weiße Overalls über, streiften dicke Papierstiefel über ihre Schuhe und stülpten Wegwerfmützen übers Haar. Sie durchschritten einen kurzen Gang, dessen Boden mit einem Gitterrost versehen war, und Moon spürte deutlich die Saugwirkung eines nach unten ziehenden Luftstroms – eine Luftdusche, Errungenschaft des Raumfahrtzeitalters, durch die sie von Schmutzpartikeln gereinigt wurden. In Sekundenschnelle waren sie von Staub und Schmutz befreit, die in die »Weiße Zone« nicht eindringen durften. Der Raum, den sie nun betraten, war nicht sehr groß, etwa zehn Fuß im Quadrat. Er wurde von einem LuftAufbereitungsaggregat gespeist, der das Vorhandensein von Masseteilchen in der Größe von höchstens acht Mikron zuließ – dem einmillionsten Teil eines Meters mal sieben oder etwa drei Zehntausendstel eines Zolls. Der Grund für Sys Reinlichkeitsfanatismus war einfach: Er arbeitete in den innersten Tiefen der Computer – ähnlich einem Chirurgen, der am offenen Herzen operiert –, wo schon kleinste Staubteilchen in den Schaltkreisen Schaden stiften konnten. Die in der »Weißen Zone« geleistete Arbeit bestand auch nicht nur in der Ausarbeitung von Programmen, es handelte sich dabei um Grundlagenforschung auf dem Gebiete der Programmfindung. In diesem Raum hatte Sy auch jene Schaltordnung entwickelt, die den Computern beibrachte, von jeder Person, die versuchen sollte, Daten einzuspeisen, die Identifizierung zu verlangen. Und hier war es auch, wo Sy »Masters’ Security LTE« – den »Latent TemperatureEvaluator« – so weit entwickelt hatte, daß jeder Bandzentimeter Aufzeichnungen enthielt, so daß – wenn unerlaubt Daten eingespeist wurden – der Computer Alarm schlug und dies zur Überprüfung führen würde, wobei der Computer sodann den Großteil der Analyse selbst lieferte. 36
Aber viel wichtiger als alle diese Zusatzeinrichtungen eines MS-Computers war Sys einfaches, aber höchst sicheres Programm: Einmal stündlich zählte der Computer auf ein inneres Kommando hin alle seine Bits, was die Abkürzung für »Binärdigit« oder »Binärziffer« ist, die kleinste Programmeinheit – ein mikroskopisch kleiner Punkt auf dem Magnetband, der das Gedächtnis des Computers speichert. Wie jeder Computer, der sein Geld wert ist, enthielt er Millionen solcher Bits, und er konnte sie in Sekundenschnelle inventarisieren, wenn Sys System es von ihm verlangte. Wenn die Rechnung am Ende dann nicht genau stimmte, heulte der Computer auf wie ein Schloßgespenst. Der weiteren Öffentlichkeit noch unbekannt ist die Tatsache, daß diese Technik eine der jüngsten Bedrohungen für Handel und Banken ausschalten könnte: den Computerdiebstahl. Allgemein bekannt ist die ominöse Warnung auf der Rückseite von Fernsehapparaten: »Gefahr – Hochspannung«. Sodann gibt es noch die entmutigenden Warnungen auf manchen versperrten elektronischen Anlagen, die besagen: »Reparaturen nur von der Erzeugerfirma durchführen lassen.« Aber in Sys »Weißer Zone« hatten solche Ermahnungen keine Gültigkeit. Hier waren die geheiligten Innereien des geheimnisvollen Computers völlig bloßgelegt. Drähte, Dioden, Transistoren, Netzanschlüsse und Speicherkreise – alles respektlos als das enthüllt, was sie waren: von Menschen geschaffene Mittel, um dem Menschen zu helfen. Sy fragte Moon: »Haben Sie die Zählkontrolle der Bits vorgenommen?« »Wurde vorgenommen und stimmte.« Sy nickte, schien aber nicht geneigt, sich damit zufriedenzugeben. Er legte die Magnetbänder auf Laufwerke und tat sie in Apparate hinein. In weniger als drei Minuten hatte Sy festgestellt, was Moon ihm bereits mitgeteilt hatte. »Okay«, sagte Sy. »Sehen wir uns den Schlamassel einmal 37
näher an.« In der folgenden Stunde kreisten Räder, klickten Relais, Ausdruck-Bögen wurden auf den Boden gespieen. Mit jeder neuen Überprüfung der Bänder und der Entdeckung, daß alles in Ordnung war, glitt Sy tiefer in Zorn und Enttäuschung hinab, weil er spürte, wie er von den halbzollbreiten, weißen Plastikstreifen mit der Eisenoxydbeschichtung besiegt worden war. Er hatte tatsächlich gehofft, Anzeichen dafür zu finden, daß jemand an den Bändern herumgebastelt hatte – es war aber nichts zu sehen. Er hatte gehofft, mit Hilfe eines Computers einen Computerdieb zu fassen. Die Ergebnisse waren jedoch gleich Null. Schließlich sagte er in einem Zustand verständlicher Mutlosigkeit zu Moon: »Die Bänder stimmen – der Computer funktioniert einwandfrei.« Moon war wütend. Nicht auf Sy, auch nicht auf den Computer und auf das von Masters’ Security installierte System. Er war wütend auf sich selbst, weil er keine Antwort fand, die er Paula hätte geben können. Als ehemaliger Polizist wußte er, was jetzt vonnöten war. Er sagte zu Sy: »Na, schön. Noch einmal von vorne. Ganz von Anfang an, jede nur mögliche Überprüfung.« Sy hatte in sein Wissen und seine Fähigkeiten mehr Vertrauen und legte heftig Protest ein. Schließlich aber setzte sich Moon durch – weil ihnen schließlich auch nichts anderes übrigblieb. Während der nächsten Stunde wurde der gesamte Vorgang also wiederholt. Das Fitzsimmons Army Hospital in Denver ist eine alte und angesehene Einrichtung. Rote Ziegelmauern und gepflegte Rasenflächen erwecken den Eindruck eines Krankenhauses von beträchtlicher Bedeutung, eines Hauses, das in Würde heranreifte auf Fundamenten geballter Sachkenntnis und jeglichen Wissens, das gesammelt wurde, seitdem sich der Mensch der Gebrechen des Menschen angenommen hatte. 38
Zusätzlich zur militärischen Präzision, die sich dem Besucher vom Augenblick des ersten Betretens des Gebäudekomplexes an offenbart, herrscht hier eine Aura ärztlicher Allmacht, die dem Patienten Vertrauen einflößt. Während es die eigentliche Aufgabe des Hospitals ist, sich der Leiden der schlichten unteren Armeeränge anzunehmen, wird daneben der Behandlung der oberen Dienstränge jene große Aufmerksamkeit gewidmet, welche die Militärs für angemessen halten. Diese Funktion wurde aufs Anschaulichste demonstriert, als Dwight D. Eisenhower, Präsident und Armeegeneral, während eines Besuches bei der Familie seiner Frau einen Herzanfall erlitt. Eine Zeitlang stand das Fitzsimmons im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der ganzen Welt und ließ seinem Patienten General-Präsidenten im VIPTrakt königliche Behandlung zuteil werden. Andere folgten, und auch sie wurden mit jener – ihrem Status im Leben gebührenden besonderen Aufmerksamkeit behandelt. Aus diesem Grunde wurde der Bankpräsident und Reserveoffizier der Armee Keith Stuart auf Suite 309 des Francis-E.-WarrenTraktes gelegt, in dem lautlose Tüchtigkeit herrschte. Die diensthabende Schwester, der dieser Bereich des Stockwerkes unterstand, sah auf die Uhr und entschloß sich zu einer Nachschau bei ihrem Patienten auf 309. Sie war eine attraktive Frau, die den Rang eines Majors innehatte. Das zu groß geratene Goldlaub am Kragen wirkte im Verhältnis zu ihrer zierlichen Statur unproportioniert. Sie hielt sich kerzengerade, als sie leise den Gang entlang ging. Ihre gummibesohlten weißen Schuhe schritten geräuschlos über den roten Fliesenboden. Sie öffnete die Tür und sah hinein. Ein erfreulicher Anblick. Ihr Patient mußte erwacht sein, denn er hatte sich umgedreht und sogar die Decken gegen die kühle Luft der Klimaanlage hochgezogen. Sie betrat den Raum, um Mr. – Major Stuart darauf aufmerksam zu machen, daß ihm eine ärztliche Untersuchung bevorstand. Bei der Einlieferung 39
hatte der diensthabende Arzt festgestellt, daß Keith Stuart keine ernsten Verletzungen davongetragen hatte. Man hatte ihn unsanft geweckt, und er war während der Röntgenaufnahmen wieder eingenickt. Brüche wurden nicht festgestellt, also verschrieb man ihm eine Dosis Schlaf. Als die Tür hinter ihr ins Schloß fiel, vermeinte die Schwester, hinter sich etwas zu fühlen. Dann verspürte sie den mörderischen Griff einer Hand, die ihr Mund und Nase fest verschloß. Eine große, kräftige Frau hätte sich vielleicht zur Wehr setzen können. Die Schwester war jedoch zierlich und wußte, daß Widerstand zwecklos war, als ein Arm sich um ihren Körper schlang und ihre Atemluft explosionsartig durch die den Mund bedeckenden Finger entwich. Sie versuchte, den Kopf zu befreien, doch der auf Brust und oberem Magenteil lastende Arm drückte ein- oder zweimal stark zu, und sie spürte, wie sie in die Dunkelheit hinüberglitt. Sie fiel in Ohnmacht und blieb zehn Minuten lang bewußtlos. Inzwischen wurde Suite 309 um ihren Patienten erleichtert.
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6. Der Denver Club hatte sich nicht viel verändert seit seiner Eröffnung im Jahre 1876, jenem Jahr, als Colorado zum Centenniumsstaat wurde, den man als achtunddreißigsten in die Union aufnahm. Sogar die zauberhafte Gasbeleuchtung der Gründerzeit funktionierte noch, wurde aber – zum Entsetzen der Feuerwehr – nur am Abend des ersten August bei der jährlichen Staatsgründungsgala angezündet. Natürlich war die Einrichtung erneuert worden, einzelne Stücke hatte man ersetzt, doch die berühmte, von den Minenund Rinderbaronen finanzierte Eleganz war erhalten geblieben. Vor etlichen Jahren, lange vor der die ganze Nation umfassenden Bewegung für die Frauenrechte, hatte man die den Ausschluß von Frauen betreffenden Klauseln gestrichen. Daher fiel es niemandem als Besonderheit auf, als Paula Masters durch den Bogeneingang des Lesezimmers eintraf. Die Gepflogenheit des Lesens war aus dem Lesezimmer zwar fast völlig geschwunden, nur ein paar Altmeister überflogen die Luftpostausgaben der Wirtschaftsblätter, und die jüngeren Semester – die ihre Marktinformationen über private Anschlüsse auf ihrem Schreibtisch geliefert bekamen – zollten den älteren Mitgliedern Respekt, indem sie sich beim Martini dezenter Ruhe befleißigten. Zwei der Männer im Lesezimmer hielten in ihrem halblauten Gespräch inne, als Paula sich ihnen näherte. Charlie le Claire und Ben Martin waren im Aufsichtsrat von Masters’ Security Paulas erklärte Gegner. Junge Männer, vierunddreißig beziehungsweise achtunddreißig Jahre alt. Paula wußte, daß sie als Strohmänner irgendwelcher Interessenten außerhalb Denvers agierten, weil sie selbst nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung hatten, um die 23 Prozent von Masters’ Security zu erlangen, die sie kontrollierten. 41
Jemand oder eine finanzielle Gruppe hatte das Geld für sie aufgebracht, um in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Paula hegte den Verdacht, daß es sich dabei um einen Branchenführer auf dem Gebiet des Sicherheitsgeschäftes handelte. Sie hatte keine Möglichkeit, der Herkunft des Geldes auf die Spur zu kommen, es sei denn die beiden sagten es ihr, und das war nicht sehr wahrscheinlich. Ihre Hintermänner vertrauten darauf, daß die beiden ihr Aktienpaket in ihrem eigenen Namen hielten, sie konnten also ebensogut darauf vertrauen, daß sie den Mund hielten. »Hi, Paula«, begrüßte der eine sie, und sie antwortete: »Hallo, Charlie-Ben«, als wären ihre Namen eine Worteinheit, so wie sie ja auch die Bedrohung durch die beiden als Einzelvorhaben ansah. Paula setzte sich und bestellte einen Sherry mit Eis. Sie pflegte das Eis so weit schmelzen zu lassen, daß es den Drink verdünnte und so der Alkoholgehalt reduziert wurde, damit sie diesen beiden gegenüber ihre Wachsamkeit bewahrte. Sie unterhielten sich einige Minuten liebenswürdig, wobei Paula verzweifelt nach Themen von vielfältigem Interesse suchte, um die zwei Männer zunächst von direkten Fragen über die Gesellschaft abzuhalten. Dieses Spiel beherrschte sie so gut, daß sie sich zu Tisch setzten, ohne daß MS ein ernsthaftes Gesprächsthema gebildet hätte. Während der Suppe erklärte sie, daß der Jahresbericht kurz vor der Fertigstellung stünde und kommende Woche für die Aktionärssitzung bereitliegen würde. Beim Salat erwähnte sie, daß die Verkaufsziffern gestiegen seien und sie trotz einer allgemeinen Rezession auf eine Umsatzsteigerung im nächsten Jahr hoffe. Während des Hauptganges erklärte sie, daß der Gewinn merklich zurückgegangen sei. Sie umschiffte die Klippe jedoch, indem sie darauf hinwies, dieser Rückgang hänge damit zusammen, daß sie das Kapital sofort wieder in das Unternehmen investiert hätte – um die kommerzielle 42
Grundlage auszuweiten und mit Volldampf in das Geschäft mit Alarmanlagen einzusteigen. Beim Nachtisch schweifte sie ab und entwarf ein Bild von den Expansionschancen der Sicherheitsbranche im allgemeinen. Sodann zügelte sie ihr Tempo und berichtete wie geplant beim Kaffee vom Einbruch in Slaytons Juwelen-Schauraum und Lager. Ben Martin kam nicht mehr dazu, künstlichen Milchersatz und Süßstoff in seinen Kaffee zu tun, denn er hatte den strategisch geeignetsten Moment abgewartet, um Paulas Absicht zu erschüttern, Präsident der Gesellschaft zu bleiben. »Soll das heißen«, fragte er herausfordernd, »daß Sie die ganze Zeit gewartet haben, um uns erst jetzt von der bedeutendsten Katastrophe zu erzählen, der sich unsere Gesellschaft jemals gegenübersah?« Paula bedachte ihn mit einem absichtlich schwach ausfallenden Lächeln und erwiderte: »In Anbetracht dessen, daß Sie erst knapp drei Jahre bei uns investieren, glaube ich kaum, daß Sie diesen Vorfall mit jenen Katastrophen vergleichen können, die sich ereigneten, als Sie noch auf der Oberschule waren.« Charlie le Claires Stimme troff vor Befriedigungswillen, als er sagte: »Aber Paula, Sie dürfen mit Ben nicht so hart umspringen. Ich weiß, daß Sie und Ihr Mann schwer geschuftet haben, um diese Firma aufzubauen. Ich bin auch sicher, daß Ben dies anerkennt. Stimmt’s, Ben?« Paula erkannte blitzartig, daß diese zwei Finanz-Barrakudas jetzt mit ihr »Guter Junge – böser Junge« spielten. Sie wollte gegen Charlies dick aufgetragene Hilfsbereitschaft auf der Hut sein. Paula sagte zu ihm: »Charlie, ich brauche Ihre Hilfe in dieser Sache nicht. Wir haben lange Zeit an dem Slayton-Projekt gearbeitet, und ich bin sicher, meine Leute können beweisen, daß das Versagen des Systems nicht von der Firma verschuldet wurde.« Paula wünschte, sie hätte das glauben können. Ben beugte sich über seinen unberührten Kaffee vor und 43
brachte mittels seiner Augen und dünnen Lippen seine Verachtung für Paula zum Ausdruck, als er sagte: »Paula, Sie machen sich da etwas vor. Ich begreife nicht, wieso Sie sich noch immer der Hoffnung hingeben, die Leitung der Gesellschaft in den Händen zu behalten. Wir haben zuviel Geld investiert, als daß wir es mit einer Frau aufs Spiel setzen –« Charlie sprang ein und spielte sein »Guter Junge – böser Junge«-Spiel weiter »… mit einer höchst attraktiven Frau, Ben. Vergiß das bitte nicht.« Zu Paula gewandt, verströmte er öliges Mitgefühl: »Muß ziemlich hart für Sie gewesen sein, nicht?« »Nicht härter als sonst«, gab sie zurück. Er klammerte sich hartnäckig an seine Scharade, als er fortfuhr: »Jede Wette, daß diese Probleme sich zwischen Sie und die Kinder schieben. Lieber Gott, Paula, Sie sollten sich nach einem neuen Ehemann umsehen und Pläne machen!« Paula erwiderte mit einer Lautstärke, die ausreichte, um die zwei zu beeindrucken: »Lassen Sie den Humbug, Charlie. Ich bin keine trauernde Witwe, fühle mich auch nicht als mißbrauchte Hausfrau, und daß ich eine gute Mutter bin, weiß ich.« Paula gebrauchte nur selten Kraftausdrücke, hatte aber von John gelernt, daß sie manchmal unentbehrlich waren, um dem Gesagten Nachdruck zu verleihen. »Ich leite die Firma, ich kenne die Firma, ich habe sie mit aufgebaut. Und jetzt sitzt ihr zwei Typen da und wollt mir weismachen, daß das Unternehmen mir entgleitet. Und ihr glaubt allen Ernstes, daß ich das fresse? Quatsch!« »Ruhig, ruhig, ruhig«, bat Charlie. »Wir wollen Ihnen die Firma beileibe nicht wegnehmen. Ich glaube, Ben wollte nur zum Ausdruck bringen, daß man mit einer Blutauffrischung an der Spitze die Probleme besser in den Griff bekäme.« »Ein neuer Präsident also?« fragte sie herausfordernd. Beide nickten. Paula fragte weiter: »Sie meinen also, ich solle … mich zurückziehen? Damit ich mich mehr um die Kinder kümmern 44
kann und dergleichen mehr?« Charlie lächelte. Er hatte das sichere Gefühl, den GuterJunge-Wettbewerb gewonnen zu haben. »Und an Ihren Bezügen ändert sich natürlich nichts. Als eine Art Bonus würden wir sogar ein paar zusätzliche Spesen übernehmen, und Sie würden Vorsitzende des geschäftsführenden Ausschusses.« »Geschäftsführender Ausschuß!« explodierte sie. »Wir haben nicht mal einen Ausschuß dieses Namens! Und Sie faseln davon, mich mit Bezügen und Spesen zu behalten, während Sie sich einen neuen Präsidenten samt Bezügen zulegen? Charlie, haben Sie nicht gehört, daß die Gewinne zurückgehen? Die von Ihnen vorgeschlagene Veränderung ist genau das, was wir brauchen, um in die roten Zahlen zu kommen.« Ben zwängte sich wieder mühsam in das Gespräch hinein. »Aber wenn Sie draußen sind, würden wir der Gesellschaft wahrscheinlich mehr Kapital zuführen.« Paula war wütend. »Wir werden das benötigte Kapital durch Ausgabe von neuen Aktien hereinbekommen. Die Aktionäre werden dies nächste Woche bewilligen. Wir brauchen keinen neuen Präsidenten, um zu Kapital zu kommen.« Ben schlug zurück. »Aber nicht, wenn der Aufsichtsrat Ihren Antrag auf Neuausgabe nicht unterstützt.« Paula wurde durch diesen Angriff aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Aufsichtsrat hatte den Antrag bereits gebilligt. Es fehlten nur noch die Stimmen der Aktionäre. Sie verbarg ihre Gefühle, indem sie mit Nachdruck sagte: »Im Aufsichtsrat sitzen acht Direktoren. Sie beide können nicht für alle sprechen.« Ben schnaubte verächtlich. »Als wir für die Ausgabe neuer Aktien stimmten, da war noch keine Rede von einer Katastrophe wie dem Fiasko bei Slayton.« »Lassen wir die Aktionäre entscheiden«, erklärte Paula. Charlie warf sich mit versöhnlichem Ton ins Gefecht: 45
»Warum berufen wir nicht eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung ein?« Sein Tonfall sollte die Falle verhüllen, aber Paula ging ihm nicht auf den Leim. Sie antwortete: »Warten wir die Aktionärsversammlung ab. Wir könnten die Aufsichtsratsmitglieder vor den Aktionären die Sitzung abhalten lassen.« Paula vertraute darauf, daß sie diese zwei Männer als Opportunisten entlarven konnte, die für auswärtige Interessen arbeiteten. Sie selbst hatte ihr Los mit dem der Menschen verknüpft, die in die Gesellschaft investiert hatten, welche sie seit dem Tode ihres Gatten leitete. »Meiner Ansicht nach«, jammerte Ben, »sollten wir eine Sondersitzung einberufen.« Paula war froh, daß sie in ihrer Wachsamkeit gegenüber den verlogenen Absichten dieses Gespannes nicht nachgelassen hatte. Mit dieser Bemerkung hatte Ben sich verraten. Jahre zuvor, als Paula noch John Masters’ Sekretärin war, hatte sie die meisten Protokolle der Sitzungen und Resolutionen getippt, die der Zulassung der Gesellschaft an der Aktienbörse von Denver vorangingen. Über die Jahre hinweg drang in ihre gegenwärtigen Überlegungen eine der Klauseln, die besagte, daß mit den Stimmen von drei Aufsichtsratsmitgliedern eine außerordentliche Sitzung einberufen werden konnte. Damals hatte es nur fünf Aufsichtsratsmitglieder gegeben, und drei hätten bereits ein Quorum, das heißt eine beschlußfähige Mehrheit, dargestellt. Diese Regelung war nicht geändert worden, als der Aufsichtsrat auf acht Mitglieder erweitert wurde. Sie sah sich nun der gefährlichen Möglichkeit gegenüber, dem Aufsichtsrat erklären und vor ihm rechtfertigen zu müssen, warum sie weiterhin Präsidentin bleiben wollte. Sie fürchtete nun, daß der Aufsichtsrat vorschlagen könnte, sie solle zurücktreten, und zulassen, daß diese zwei schäbigen 46
Handlanger einen Mann ihrer Wahl für diese Position vorschlagen würden. Offenbar wußten die beiden von der alten Klausel. Das Gespräch hatte nun lange genug gedauert. Eben als Ben die förmliche Bemerkung tat: »Wir bilden ein Quorum, und ich beantrage eine Sondersitzung des Aufsichtsrates«, stand Paula auf. »Wir sind ein Quorum gewesen, meine Herren«, erklärte sie und steuerte anmutig dem Ausgang des Speisesaales zu. In der Eingangshalle des Klubs kam ein uniformierter Page auf sie zu und sagte: »Anruf für Sie, Mrs. Masters.« Sie sagte, daß sie den Anruf in der Damengarderobe entgegennehmen wolle, und machte, daß sie davonkam. Sie bekam mit, daß das Garderobenmädchen auf das Schrillen hin abhob, als sie eintrat und den Hörer entgegennahm. »Hallo, Paula.« Sie erkannte Moons Stimme. »Ich bin hier im Betrieb zusammen mit Sy.« Paulas Herz klopfte noch immer wegen des Geplänkels mit Ben und Charlie, doch Moons Anruf ließ sie Hoffnung schöpfen. Vielleicht überbrachte er ihr Neuigkeiten, die ihre Gesellschaft im Falle des Slayton-Einbruches vor Schande bewahren würden. »Gute Neuigkeiten?« fragte sie, gespannt auf die Antwort. Die Pause, die Moon eintreten ließ, war Antwort genug. Und als er schließlich sagte: »Ich verbinde Sie mit Sy«, wußte sie, daß die Nachricht keineswegs gut sein würde. »Sy«, sagte sie. »Ich muß etwas in der Hand haben, was ich an die Presse weitergeben kann.« Sy stellte wahrlich keine Ermutigung dar. »Paula, ich habe die Bänder zweimal durchgecheckt. Mit sämtlichen Überprüfungsmöglichkeiten, die mir zu Gebote stehen. Und ich kann nicht mehr sagen als das: niemand hat an ihnen herumgepfuscht. Es sieht vielmehr so aus, als hätte jemand eine Lücke in unserem System entdeckt. Man hat uns 47
ausgepunktet. Die Bänder sind in Ordnung.« Paula hatte unzählige Stunden mit dem Studium von Computerprogrammen verbracht. Sie hatte Vertrauen zu Sy und dem System, das er zur Sicherung der Firma Slayton ausgearbeitet hatte. Sie fragte Sy nach der Einheiten-Zählung. »Dieselbe Zahl, die wir dem Originalprogramm eingaben.« Sie fragte ihn nach möglichen thermischen Störungen. »Keine, Paula. Keinerlei Veränderungen.« Sie fragte, ob die Bänder Abnützungserscheinungen zeigten. »Das schon«, sagte Sy, »aber nur in normalem Ausmaß. Das System ist schließlich noch jung.« Sie fragte, ob die Möglichkeit bestünde, daß ein Anzapfer vielleicht über einen externen Terminal den Slaytonschen Computer geknackt hätte. »Das hätte sich bei der Zählung der einzelnen Bits zeigen müssen.« Sie fuhr mit einer ganzen Litanei an Fragen fort, auf der Suche nach einem Hoffnungsstrahl als Antwort, doch es kam keiner. Noch ehe sie mit Sy fertig war, begann sich eine bohrende Frage versuchsweise in ihrem Bewußtsein auszuformen, doch war sie nicht imstande, diese Frage festzunageln. Sie weigerte sich, die Möglichkeit aufzugeben, daß eine erneute Untersuchung des Bandes die Erklärung liefern könnte, wie ein narrensicherer Computer durch Manipulationstricks dazu gebracht werden konnte, gewöhnliche Verbrecher bei Slayton einbrechen zu lassen. Doch war sie nicht imstande, diese Frage zu konkretisieren. »Der Computer soll die Untersuchungsreihe noch einmal durchlaufen«, sagte sie zu Sy. »Sag unserer Maschine, was wir wissen wollen, und laß sie die Überprüfung durchführen.« Paula wußte, daß sie zweierlei falsch gemacht hatte: erstens hatte sie Sys Computer als Maschine bezeichnet; für ihn war es eine Person. Zweitens hatte sie seine Computerfähigkeiten in Zweifel gezogen. Sie hörte den Anflug von Unmut in seiner 48
Stimme heraus, als er antwortete: »Verdammt noch mal, Paula, nur um das Programm einzugeben, brauchen wir den ganzen Tag. Und schätzungsweise die halbe Nacht, um die gesamten Ergebnisse ausgedruckt zu bekommen.« »Sy, Sie müssen mir helfen. Die ganze Gesellschaft steht auf dem Spiel. Zwei Aufsichtsratsmitglieder setzen mich unter Druck. Wir alle könnten in ein Debakel abrutschen.« »Sie sind der Boß«, lenkte Sy ein. Sie sagte: »Und ich möchte es bleiben. Machen Sie sich ans Programmieren und rufen Sie mich an, wenn Sie damit durch sind, egal wie spät es werden sollte.« Dann verlangte Paula wieder Moon zu sprechen und sagte ihm, er solle draußen bleiben und Sy wenn möglich helfen. Moon sagte: »Ich kann dieser Nuß nicht helfen. Er redet mit dieser verdammten Maschine mehr als mit mir.« Paula mußte lachen. Dann fiel ihr Elaine Stuarts Besuch vom Morgen ein, und sie sagte: »Moon, fahren Sie ins Büro und lesen Sie sich die Erklärung durch, die Beth von Elaine Stuart aufgenommen hat. Danach fahren Sie raus zu Willis Case und stellen Nachforschungen über einen Unfall an, den Keith Stuart heute morgen dort draußen hatte.« »Was liegt an?« »Lesen Sie erst den Bericht, dann wissen Sie alles. Bis Sy mit den Bändern fertig ist, können wir ohnehin nichts machen, also können wir uns einem Freundschaftsdienst widmen.« Moon zeigte sich einverstanden. Paula legte auf und rief sogleich Beth Morrison im Büro an. Sie erfuhr, daß Leutnant Derk Loudermilk angerufen und nichts hinterlassen hatte. Paula bat Beth, falls er erneut anriefe, solle sie ihm sagen, daß sie hinaus zum Fitzsimmons Army Hospital gefahren wäre und Keith Stuart besuchen wolle. Derk Loudermilk war 47, Witwer seit 20 Jahren, seitdem seine Frau bei einer Geburt gestorben war. Seine Tochter war auf 49
einem College, und Derk konnte sich voll und ganz seinem Beruf widmen, was für die Stadt Denver von nicht geringem Nutzen war. Auch außer Dienst hielt Derk nämlich Ausschau nach gestohlenen Fahrzeugen, und wenn er, selten genug, an einer gesellschaftlichen Veranstaltung teilnahm, angelte er sich treffsicher als Gesprächspartner jemanden heraus, der der Polizei ablehnend gegenüberstand, und leistete damit wertvolle Öffentlichkeitsarbeit. Bei diesen raren gesellschaftlichen Anlässen war Paula seine Begleiterin. Ihr verstorbener Mann war mit Derk eng befreundet gewesen. Derk hatte selbst einen tragischen Verlust hinnehmen müssen und war vielleicht gerade deswegen für Paula eine verständnisvolle Hilfe in der ersten Zeit ihrer Witwenschaft gewesen. Den beiden erschien es als natürlichste Sache der Welt, gemeinsam auszugehen, und mit der Zeit war ihre Beziehung immer enger geworden. Beide erfüllten verschiedene Bedürfnisse im Leben des anderen, hatten sich gefühlsmäßig aber noch nicht endgültig aneinander gebunden. Derk brachte gelegentlich das Thema Heirat aufs Tapet, doch geschah dies immer mit scherzhaftem Unterton. Paula war noch nicht willens, eine Situation anzusteuern, die eine weitere Expansion der Firma sehr erschweren würde. Als Paula die lange Marmortreppe zum Eingang des Krankenhauses hinaufhetzte, sah sie Derk aus dem Gebäude treten und ihr entgegenkommen. Auf halbem Wege trafen sie sich. »Na, läßt du dich krank schreiben, weil du die Gauner im Falle Slayton nicht fassen kannst?« scherzte sie. Er lachte auf, machte kehrt und begleitete sie hinauf. »Und ich hoffte schon, du hättest endlich eine einbruchsichere Anlage ausgetüftelt, und ich könnte mich zur Ruhe setzen.« Paula schüttelte verlegen den Kopf. Der richtige Schock kam jedoch, als er sie fragte: »Bist du wegen der Sache mit Keith Stuart hier?« Es verschlug ihr momentan die Sprache, denn sie wußte, wie sich Elaine Stuart nachdrücklich gegen eine Einbeziehung der 50
Polizei ausgesprochen hatte. Schließlich brachte sie heraus: »Hat Elaine dich angerufen?« Derk antwortete: »Nein, das Krankenhaus. Warum?« »Warum sollte dich das Krankenhaus wohl anrufen?« Derk sah sie sonderbar an. »Obwohl wir hier auf bundeseigenem Grund und Boden stehen und das FBI die Sache übernimmt, sieht man es nicht ungern, wenn die hiesige Polizei mitmacht.« Jetzt war es an Paula, merkwürdig auszusehen. Sie war total durcheinander. »Ja, was ist hier denn passiert?« Derk nahm Paulas Arm und führte sie jetzt treppabwärts. Dabei sagte er: »Und jetzt sagst du mir schön, warum du dich so sehr für Keith Stuart interessierst. Stehst du bei seiner Bank in der Kreide, oder hat er als reicher und gutaussehender Mann dein Wohlgefallen erregt?« Während sie einer Bank auf der Rasenfläche vor dem Gebäude zustrebten, schalt sie ihn: »Hüte bloß deine Zunge, mein Lieber! Sollte ich mich je für einen Mann interessieren, dann für einen nicht allzu überragend aussehenden Polizisten, also spiel nicht den Geistreichen. Erzähl mir lieber, was los ist.« Er schüttelte in gespielter Zurückhaltung den Kopf. »Weiß gar nicht, ob ich das darf. Es handelt sich um eine Information, die unter Geheimhaltung fallen könnte.« »Derk Loudermilk!« empörte sie sich. »Spiel dich nicht so auf! Was ist passiert?« Er genoß es, sie zappeln zu lassen. »Zuerst kommst du dran.« Paula überdachte ihre Verpflichtung Elaine Stuart gegenüber. Aber schließlich war es nicht zu umgehen, daß sie Derk mit Elaines Problem konfrontierte. Es war auch der Hauptgrund, warum sie Keith Stuart hatte aufsuchen wollen – sie wollte seine Erlaubnis, die Polizei in Anspruch nehmen zu dürfen. Sie berichtete also, was Elaine Stuart ihr am Morgen 51
erzählt hatte. Dem »Hm« Derks folgten einige Minuten der Überlegung, ehe er ihr von Keith Stuart erzählte. »Heute morgen hat jemand versucht, ihn draußen bei Willis Case umzubringen. Das Bremskabel seines Golfkarrens, den er jeden Donnerstag benutzte, war zerschnitten. Der Besitzer der Anlage entdeckte den Riß, nachdem man Keith ins Krankenhaus geschafft hatte. Man hat ihn also hierhergeschafft – und jetzt sieht es aus, als hätte man ihn von hier entführt.« »Entführt?« wiederholte Paula entsetzt. »Wer sollte ihn entführen?« »Er ist Bankier. Damit stellt er ein sehr lohnendes Objekt dar. Überdies, wenn du der Ansicht bist, daß ihn jemand töten wollte, dann darf dich doch nicht wundern, daß ihn jemand entführt.« »Komm, Derk«, stichelte sie ungläubig, »warum zuerst der Mordversuch und dann die Entführung? Das paßt nicht zusammen.« »Sehr gut«, erwiderte Derk, »aber vielleicht waren diese Anschläge mit einer Erpressung verquickt? Und als man merkte, daß man ihn mit Mordversuchen nicht kleinkriegen konnte, entführte man ihn.« Paula blickte über die grünen Rasenflächen. Dann sagte sie: »Das hält einer näheren Prüfung nicht stand.« Und sie verfielen in Schweigen und unterzogen, ein jeder für sich, die Situation einer stillen Beurteilung. Derk brach das Schweigen. »Ich glaube, du hast recht.« Paula staunte. »Wieso? Ich habe doch nichts gesagt!« »Doch, hast du«, erklärte er. »Du sagtest Mordversuch und Entführung wären nicht dieselbe Art Verbrechen. Aber dann hat man ihn vielleicht aus dem Krankenhaus entführt und getötet.« »Mein Gott, Derk, was sagst du da?« rief sie aus. »Wir leben in einer zivilisierten Stadt. Was geht hier vor?« 52
Leise sagte Derk: »Zivilisierte Städte sind genau die Orte, an denen sich diese Dinge zutragen. Deswegen geht uns die Arbeit nicht aus.« Paula schalt ihn aus. »Sei nicht so verdammt zynisch. Was gedenkst du zu unternehmen?« »Vermutlich muß ich abwarten, welche Entscheidung das FBI für mich trifft. Formaljuristisch fällt die Sache in ihr Ressort. Aber ich schicke ein paar SCS-Jungs hinaus auf die Straße. Wollen mal sehen, was sie beim Dreckschnuppern finden.« Wie die meisten Großstädte, so hatte auch Denver bei der Verbrechensbekämpfung besondere Wege einschlagen müssen. Darauf beruhte die Gründung der »Specialized Crime Squad«, SCS, der Spezialtruppe. Sie griffen mit neuentwickelten Methoden ein gegen typische Stadtverbrechen wie etwa Terrorismus, Entführung, Bombenattentate und die unzähligen anderen Krebsgeschwüre, die am Recht der Bürger auf friedliches Zusammenleben ständig fraßen. Paula sagte: »Ich glaube, mein kleines Fiasko da draußen bei Slayton muß sich vorerst mit der Warteliste begnügen.« »Ich wüßte nicht warum«, erwiderte Derk. »Ich habe meine Computerleute bereits auf den Fall Slayton angesetzt. Leider haben momentan deine Leute die Bänder, so daß die meinen im Augenblick Daumen drehen. Ich habe veranlaßt, daß sie inzwischen die Telefonanschlüsse daraufhin abklopfen, ob es irgendwo eine Anzapfstelle gibt.« Dafür war Paula sehr dankbar, und das sagte sie ihm. Sie hätte sich nämlich einen gerichtlichen Durchsuchungsbefehl verschaffen müssen, damit Sy bei der Telefongesellschaft Nachschau halten durfte, und diese Durchsuchungsbefehle waren etwas, was eine private Ermittlungsfirma nicht so einfach bekam. Derk lächelte. »Gehört zum Service.« »Du weißt gar nicht, wie sehr ich deine Hilfe brauche, 53
Derk«, sagte sie. »Was den Aufsichtsrat betrifft, so steht mir das Wasser bis zum Hals, wenn der Fall Slayton nicht zu einem vernünftigen – und für uns günstigen – Abschluß kommt, und das vor unserer Jahressitzung nächste Woche.« »Harte Bandage, wie?« sagte er. »Hart ist eine Untertreibung. Aus irgendeinem Grund haben es zwei meiner ‘freundlichen’ Aufsichtsratsmitglieder auf meinen Kopf abgesehen.« Derk streckte die Hand aus und berührte ihr Haar. »Ein hübscher Kopf, allerdings«, murmelte er. Paulas Lächeln fiel matt aus. »Ich glaube, wir beide gehen jetzt an die Arbeit.« Derk stand auf. »Und wie steht es mit einem gemeinsamen Abendessen?« »Nur, wenn ich für uns zu Hause koche. Ich muß nämlich die Stellung halten, weil Sy ein paar Tests laufen hat und damit nicht vor Abend fertig wird. Ich möchte es sofort erfahren, wenn er die Bänder durchgecheckt hat.« »Klingt großartig. Außerdem wird es meinem Spesenkonto nicht so weh tun.« »Steaks und Wein bringst natürlich du mit. Ich steuere die Küche bei«, lautete ihre Antwort. »Autsch.« Derk verzog lachend das Gesicht. »Also dann um sieben.« Als Paula ins Büro zurückkam, mußte sie überrascht und verärgert feststellen, daß Beth Morrison nicht an ihrem Schreibtisch saß. Die Sekretärin mußte weggegangen sein, weil ihre Handtasche nicht da war, doch der Telefonantwortdienst war nicht eingeschaltet. Eine halbe Stunde später kam Beth daher und versuchte ihre merkwürdige Abwesenheit mit Einkäufen zu entschuldigen. Paula fiel auf, daß sie keine Päckchen bei sich hatte. Bald darauf kam Moon, randvoll mit Neuigkeiten, die er draußen bei Willis Case aufgegabelt hatte, und Paula vergaß Beth Morrison. 54
Als Moon sich Paula gegenübersetzte, sagte er: »Wissen Sie, heute bin ich für die schrullige Seite unseres Geschäftes nicht zu gebrauchen. Ich meine, das Zeug draußen bei Sy im Betrieb! Ich mag es einfach nicht. Ja, ich verstehe es, aber ich hasse allein den Gedanken, mein Leben damit zu verbringen, MiniEinheiten elektronischer Daten durch den Computer zu jagen!« Paula nickte verständig. »Moon, anders geht es jetzt nicht. Wir müssen uns damit abfinden.« »Ja«, gab er zurück, »aber wenn man die guten Seiten des Polizistendaseins damit vergleicht! So wie eben draußen auf dem Golfplatz. Menschenskind, da hatte ich es mit einem klassischen Fall von Drecksarbeit zu tun. Natürlich war die Mannschaft von Denver schon da und hatte den üblichen technischen Kram erledigt. Keine Frage, jemand hat versucht, Keith Stuart zu töten. Verdammter Mist, man hat das Bremskabel säuberlich durchgeschnitten. Der Karren war nicht mehr lenkbar, sobald er den Steilhang knapp vor dem ersten Abschlagplatz erreichte. Vorher konnte nichts passieren, weil das Gelände um den Abschlagplatz ganz eben ist und er die Bremse gar nicht brauchte. Aber sobald er den Fahrweg hinunterrollte, war es um ihn geschehen. Ich sprach mit den zwei Angestellten. Es wäre ein großes Durcheinander gewesen, sagten sie.« Moon zog sein Notizbuch hervor und las die Namen der zwei jungen Männer, die das unkontrollierte Rollen des Golfkarrens beobachtet hatten, dann zählte er die zwei grundlegenden Erkenntnisse auf, die er bei seinen Interviews gewonnen hatte. »Erstens: für Keith Stuart war es stinknormal, daß er sich an jedem Donnerstagmorgen in aller Herrgottsfrühe auf dem Golfplatz tummelte. Zweitens: kein Mensch kann einen Golfkarren ohne Bremsen auf dem Hang beim ersten Abschlag steuern.« »Und in welchen Punkten unterschieden sich die Aussagen 55
der beiden Männer?« fragte Paula. »Ach«, seufzte Moon, während er ein paar Seiten überblätterte. »Einer sagte, der Wagen hätte dreimal schwankend die Richtung gewechselt, der andere sagte, viermal. So wie der Wagen unten landete, bin ich geneigt, dem ersten Knaben recht zu geben. Da waren aber noch weitere drei Punkte, in denen sie uneinig waren. Einer sagte, Keith hatte die Handschuhe angehabt, der andere sagte das Gegenteil – ich werde mal bei den Fahrern der Ambulanz nachfragen. Einer sagte, Keith hätte den Schläger in den Sack auf dem Rücksitz des Wagens getan, der andere sagte, der Schläger wäre neben ihm auf dem Sitz gewesen. Ich neige der Ansicht des zweiten zu, es gab nämlich nur einen Schläger, der nicht zerbrochen oder verbogen war. Er muß herausgefallen und weit weg vom Karren gelandet sein. Einer der Angestellten behauptete, Keith wäre bei Bewußtsein gewesen, als sie bei ihm ankamen, und hätte zu ihnen etwas gesagt, der andere kann sich nicht erinnern, daß Keith ein Wort äußerte.« Paula überlegte. »Sind diese unterschiedlichen Beobachtungen von Bedeutung?« Moon schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich wüßte, im Augenblick jedenfalls nicht. Ich werde versuchen, später herauszubekommen, wie die Tatsachen wirklich aussehen. Im Moment scheint mir das nicht so wichtig.« »Ergibt sich aus den übereinstimmenden Aussagen ein zwingender Schluß?« fragte Paula. »Nur der, daß Mrs. Stuart nicht dabei war. Es sieht so aus, als hätte sie das Donnerstagmorgengolf noch nie versäumt.« »Ja, ich glaube mich zu erinnern, daß die beiden donnerstags immer gemeinsam unterwegs waren«, bemerkte Paula. »Haben Sie bei dem Arzt nachgefragt?« fragte Moon. »War zu beschäftigt.« Sie ließ eine Pause eintreten. »Keith wurde gekidnappt.« »Du lieber Gott«, stieß Moon hervor. »Und das sagen Sie 56
mir erst jetzt?« Sie sagte mit einem Lächeln: »Ich wollte erst Ihren Bericht hören.« »Wie hat man ihn geschnappt? Wer war es?« »Das weiß kein Mensch. Das FBI befaßt sich damit, weil es auf einem Armeegelände passierte. Derk hat Leute von seiner Spezialeinheit darauf angesetzt, aber die müssen erst warten, bis sie offiziell zum Mitmachen aufgefordert werden.« »Soll ich mal beim Arzt nachfragen?«, fragte Moon. Paula überlegte. »Können Sie im Falle Slayton noch etwas unternehmen?« Moon gab eine verneinende Antwort. Paula wies ihn an, den Arzt aufzusuchen, der Keiths Schrotflintenwunde behandelt hatte. Nachher sollte er an Ort und Stelle recherchieren, wie es sich mit dem angeblichen Überfahrenwerden der Stuarts verhalten habe. Sie fügte hinzu: »Ich sehe mal bei Elaine vorbei. Vielleicht kann ich ihr helfen und herausbekommen, ob sie bezüglich der Widersprüchlichkeiten, die Sie entdeckten, etwas zu sagen hat.« Moon ging. Er ging mit dem begreiflichen Enthusiasmus eines Cops, der hinter einem handfesten Geheimnis herjagt und nicht bloß Haschen spielt mit spinnwebfeinen elektronischen, in einem Computer gespeicherten Theorien. Paula und Moon waren übereingekommen, um fünf Uhr wieder die Basis anzulaufen.
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7. Paula ging hinaus, um Beth ein paar Briefe auf den Schreibtisch zu legen und Wasser zu trinken. Das Mädchen sah nicht einmal auf, und plötzlich wurde Paula die Besorgnis um ihre Sekretärin wieder bewußt. Sie mußte den Versuch machen herauszubekommen, was sie bedrückte. »Hektischer Tag heute«, sagte sie als Eröffnung. Beth reagierte mit einem keineswegs begeisterten »Hm«. Die beiden Frauen hatten im Leben viel gemeinsam. Beide waren als John Masters’ Sekretärin tätig gewesen. Beide hatten persönlich zum Aufstieg der Firma beigetragen. Beide hatten ihrem Ziel, nämlich Masters’ Security zu einem großen Unternehmen zu machen, Ausdruck verliehen. Paula spielte sich vor Beth nicht gern als Boß auf, aber da stimmte etwas nicht. In freundlichem Ton äußerte Paula: »Unser Problem da draußen bei Slayton könnte sich zur Katastrophe auswachsen.« Beth sah zu Paula auf und sagte hölzern: »Ich hatte eben am Jahresbericht gearbeitet.« Paula hatte hart gearbeitet, um sich eine Position in einer von Männern beherrschten Welt zu schaffen. Sie hatte sich außerdem bemüht, Beth beruflich so zu dirigieren, daß diese schließlich in leitender Position landen würde. Aber eines würde Paula niemals dulden, und das war eine »launenhafte« Frau im Geschäftsleben. Das mußte sie Beth zu verstehen geben. »Sehen Sie, Beth«, setzte sie an, »mir ist nicht entgangen, daß Sie Kummer haben. Ich möchte wissen, was Sie bedrückt. Ich habe schon genug um die Ohren und kann Sie auf meiner Liste wirklich nicht brauchen.« Beth holte tief Luft, streckte die Hand aus und stellte den Schalter ihrer Schreibmaschine ab. »Ich wüßte nicht, was Sie das anginge«, erwiderte sie spitz, ohne Paula dabei anzusehen. 58
»Beth, ich möchte mich nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten einmischen«, antwortete Paula gekränkt, »aber in den letzten Monaten hat sich Ihre Einstellung dem Beruf gegenüber geändert, und das macht mir Sorgen.« Beth antwortete eiskalt: »Mir ist nichts aufgefallen.« Paula beherrschte sich, ging aber zum Angriff über: »Mir um so mehr, und mir erscheint es wichtig.« Plötzlich konnte Beth nicht mehr an sich halten: »Sie haben mich rausgedrängt. Alles war anders, bevor …« Die Anspielung auf Johns Tod blieb unausgesprochen. Paula antwortete mit fester Stimme: »Beth, es tut mir leid, wenn Sie sich irgendwie übergangen fühlen. Das war gewiß nicht meine Absicht, und ich möchte gern wissen, worauf sich Ihre Gefühle gründen.« »Paula, verschonen Sie mich mit diesem Quatsch«, antwortete Beth wütend. »Sie wissen verdammt gut, daß wir uns niemals auf das Geschäft mit Slayton hätten einlassen sollen. Wir waren mit den vertraulichen Ermittlungen ausgelastet. Das Unternehmen wurde immer größer, wir wußten, was wir machten, alles war im Lot.« Also das war es. Paula wurde klar, daß Beth sich nur gezwungenermaßen mit der sehr fortgeschrittenen Technik der Sicherheitsbranche befaßt hatte. Nie wäre Paula auf die Idee gekommen, daß Beth mit diesen Problemen zu kämpfen hatte. Sie konnte sich in Beth sehr gut hineindenken, denn auch sie war von den nahezu mystischen Begriffen einer Branche überwältigt worden, die sich mit Laser, Computern und all den anderen unverständlichen Fachjargon-Ausdrücken herumschlagen mußte, lauter Notwendigkeiten, wenn man in einer hochentwickelten elektronisch orientierten Industrie Fuß fassen wollte. Aber damit wurde Beths Haltung nicht annehmbarer. Paula entschied, daß sie eine Rüge aussprechen mußte, wenn auch nur eine sanfte. Sie beugte sich vor. »Ich weiß, daß es für Sie vielleicht 59
unverständlich oder unannehmbar ist«, sagte sie, »aber ich trage nun die Verantwortung für die Führung des Unternehmens, und ich brauche dazu jede Hilfe und Mitarbeit. Wir müssen sehr eng zusammenarbeiten. Wir wollen versuchen, das nicht zu vergessen, ja? Und wenn Sie es nicht fertigbringen, dann lassen Sie es mich wissen. Ich finde dann sicher jemanden, der es kann.« Beth starrte Paula ausdruckslos an. Dann schaltete sie die Schreibmaschine wieder ein und fing zu tippen an, ohne ihre Chefin einer Antwort zu würdigen. Sie nahm Paulas Worte mit kleinstmöglicher äußerer Reaktion auf und verdrängte ihre wahren Gefühle in die Tiefe, in jenen speziellen Magenwinkel, der an Spannungen mitnagt. Im vergangenen Monat hatte sich das Nagen gesteigert, seit damals, als Keith Stuart während seiner seltenen Besuche bei Masters’ Security begonnen hatte, sie wie eine begehrenswerte Frau und nicht nur als schmückendes Bürorequisit zu behandeln. Zunächst war sie geschmeichelt gewesen, und dann hatte sich die Beziehung viel zu rasch zu viel mehr entwickelt, als sie wollte – vielleicht zu mehr, als sie bewältigen konnte.
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8. Elaine Stuart erlebte das unangenehme Vorgefühl von Gefahr. Ihre Phantasie vermochte eine ganze Reihe von entsetzlichen Bildern zu erzeugen, während das Telefon in ihrem Wohnzimmer gereizt zum zweitenmal schrillte. Der adrett gekleidete FBI-Agent bedeutete ihr, den Hörer abzuheben. Sie fühlte fremde, grobe Hände, die ihre Kehle umfaßten und an ihren Kleidern zerrten; sie wurde vernichtet, entwürdigt, mißbraucht. Sie sah, daß einer der anderen im Raum anwesenden FBI-Leute an Schaltern drehte und Knöpfe betätigte, die Lichter aufglühen und Aufnahmegeräte rotieren ließen. »Bitte gehen Sie ran«, drängte sie der adrett Gekleidete. Sie streckte die Hand aus, drückte die Kugel beiseite, die auf ihr Herz zuschnellte und das Messer, das sich in ihren Leib bohren wollte. Die an ihr Ohr dringende Stille bewirkte, daß die Phantasiebilder verschwanden, während sie warten mußte. Wie der FBI-Mann sie angewiesen hatte, sagte sie nichts und wartete ab. Dann sagte Keiths Stimme: »Hi, Süße.« Keith nannte sie niemals »Süße«, aber Elaine war durch das FBI darauf vorbereitet worden. Sie antwortete: »Geht es dir gut? Ich mache mir ganz dumme Sorgen.« Niemals hätte sie den Ausdruck »dumme Sorgen« gebraucht, doch genau das hatten ihr die FBI-Leute eingetrichtert. Keiths nächste Äußerung lautete: »Mir geht es gut. Mach dir meinetwegen keine Sorgen.« Elaine sah sich suchend nach irgendwelchen Anweisungen um. Die Handbewegungen der Agenten deuteten an, sie könne nach Belieben weitersprechen. Ihre nächste Frage kam von Herzen und entstammte keiner 61
Instruktion. Sie bat: »Was kann ich für dich tun?« Keiths Stimme war von beträchtlicher und verständlicher Spannung gefärbt, als er sagte: »Im Moment nichts. Man gestattet mir den Anruf, damit du die Polizei bittest, sich herauszuhalten. Das ist im Augenblick sehr wichtig, Elaine.« Elaine stand knapp vor dem Zusammenbruch. Sie war der Situation hilflos ausgeliefert. Matt antwortete sie: »Ich werde tun, was ich kann.« Keith war mit der Antwort rasch zur Hand: »Sage ihnen …« Die Leitung verstummte, als sie ein Klicken am anderen Ende hörte. Der FBI-Mann, der die Apparate bedient hatte, stand hastig auf und sagte: »Ich schaffe das rasch in die Zentrale.« Seinen Bewegungen schien etwas wie Berufsstolz anzuhaften, als er das Band wieder abspulte und Tätigkeiten verrichtete, die für Elaine keine Bedeutung hatten. Schockiert und fasziniert sah sie zu, während sie sich in gedämpftem Ton unterhielten. Sie war gekränkt, daß man sie in ihrer Misere nicht weiter beachtete. Doch dann kam der Agent, der die Aktion leitete, zu ihr, als wäre ihm erst jetzt etwas eingefallen. Sein Ton drückte Mitleid aus. Elaine bekam das Gefühl, daß man ihr helfen wollte. Der Agent sagte: »Mrs. Stuart, Ihr Mann wird in der Stadt festgehalten. Er weiß, daß wir uns eingeschaltet haben. Glauben Sie mir, er weiß, daß wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Wir hoffen, daß wir Ihnen Ihren Mann sobald wie möglich wiedergeben können.« Der Agent wußte außerdem, daß er von einem einzigen Kidnapper festgehalten wurde und sich in einem Privathaus im Gebiet von Denver befand. Dieses Wissen verdankte er zur Gänze dem Tauris-Code, den die American Bankers Association in Verbindung mit FBI und American Society for Industrial Security ausgearbeitet hatte. Nach jenem Ort aus der griechischen Mythologie benannt, wo Iphigenie festgehalten 62
wurde, benutzte der Tauris-Code Alltagssätze, um die Lage eines gekidnappten Bankiers festzustellen. Keith hatte mit »Hi, Süße«, begonnen. Das sollte anzeigen, daß er von einem einzigen Kidnapper festgehalten wurde. Hätte er gesagt »Hi, mein Schatz«, hätte dies zwei oder mehr Entführer bedeutet und »Hi, ich bin’s«, daß er über seine Entführer keine Angaben machen konnte. Indem er gesagt hatte: »Mir geht es gut. Mache dir meinetwegen keine Sorgen«, hatte Keith den Zuhörern mitgeteilt, daß er im Ort in einem Privathaus festgehalten wurde. Andere Kombinationen augenscheinlich harmloser Grußformeln hätten andere Informationen beinhaltet. Elaine hatte Keith zu verstehen gegeben, daß das FBI den Fall bearbeitete, als sie nach Anweisung den Ausdruck ,dumme Sorgen’ gebraucht hatte. Diese Worte hatten Keith mitgeteilt, daß das FBI mithörte und aktiv geworden war. Dieses Wissen sollte der entführten Person Hoffnung verleihen. Hätte Keith gewußt, daß die Anwesenheit des FBI im Haus oder dessen Beschäftigung mit dem Fall eine kritische und gefährliche Situation heraufbeschwören konnte, so hätte er ihnen unter Anwendung einer anderen scheinbar harmlosen Phrase nachdrücklich Anweisung geben können, sich da rauszuhalten. Er hatte dies nicht getan, und sie machten weiter. Aus Keiths im Haus gelegenen Büro hatten sie sich Bänder aus dem Diktiergerät verschafft. Man wollte sie zu Stimmvergleichen mit jener Stimme verwenden, die man bei dem Telefonat auf Band aufgenommen hatte. Ein PSB oder psychologischer Streßbewerter würde für das FBI die seelische Verfassung des Entführungsopfers genau ausloten. Eine Telefonsperre, ausgelöst vom Ultraschallsignal des Telefons am anderen Ende der Leitung, konnte wenigstens den Stadtteil feststellen, von dem aus der Anruf getätigt worden war. Während die anderen Agenten, offensichtlich Techniker, sich aus dem Haus der Stuarts trollten, um sich im FBI-Labor in der Stadt an die Arbeit zu machen, tat der erste Agent alles 63
in seiner Macht stehende, um Elaine Vertrauen einzuflößen, daß alles nur Mögliche unternommen würde. Er schlug vor, den Hausarzt zu rufen – Beruhigungsmittel können die Wartezeit erleichtern. Er fragte, ob sie eine Freundin bei sich haben wolle – ein stabilisierender Einfluß, der den Schock verringern kann; er forschte sogar nach ihrer religiösen Haltung – die Seelsorger haben Möglichkeiten der Tröstung, die bedeutsam werden können. Elaine ließ erkennen, daß es ihr einziger Wunsch war, allein gelassen zu werden. Und das war das allerletzte, was ein einsatzfreudiger FBI-Mann einem Menschen in einer Zeit der Krise gestattete. Er ließ sich häuslich nieder und bot ihr an, Kaffee zu kochen. Sie war einverstanden. Paulas Pinto-Kombi machte gute Fahrt auf der Route 40. Es ging nach Norden, nach Cranby zu ihren Eltern. Sie würde früher da sein als erwartet. Iris schrie begeistert, sie hätte eben noch eine Zulassungstafel aus Texas erspäht. Damit kam sie auf insgesamt fünf. Das Zählen von Zulassungstafeln war ein Spiel, das manche Kinder während einer Autofahrt still hielt. Cassy war keineswegs still, sie meldete mit größter Dringlichkeit, daß sie erneut zur Toilette müßte. Paula schenkte ihr weiter keine Beachtung, da sie zwanzig Meilen vorher in Idaho Springs angehalten hatte. Sie hatten Eis gegessen, und Cassy hatte die Toilette zweimal frequentiert. Einzig ihr Hund Mitzi lag ruhig und friedlich auf dem Vordersitz und schmiegte sich an Paula, die sich auf das Fahren zu konzentrieren versuchte. Die Kinder bedeuteten für sie keine Ablenkung; sie war an sie und ihre Marotten im Auto gewöhnt. Was ihr allerdings keine Ruhe ließ, waren die Probleme, die den ganzen Tag auf ihr gelastet hatten. Das jüngste Problem hatte sich eingestellt, als sie bei Elaine Stuarts Haus just eintraf, als ein ganzer Schwarm von Männern herauspolterte, bei denen es 64
sich offensichtlich um FBI-Leute handelte. Sie kletterten in jene betont unauffälligen Spitzelautos, die man einen Block weiter sah. Paula wurde von einem Agenten empfangen, der ihr öffnete und sie auf der Stelle auf sehr kompetente, höfliche Weise nach dem Grund ihres Besuches befragte. Da der Agent Denver kannte, wußte er, wer Paula war; er wollte nun wissen, warum sie da war. Kaum hatte sie ihn von ihren Freundschaftsrechten und ihrer beruflich bedingten Besorgnis überzeugt, bat er sie ins Wohnzimmer. Elaine sprang auf und umarmte Paula in einer für sie uncharakteristisch warmen Freundschaftsgeste. Paula nahm es hin, sie übertrieb die Geste sogar bis zum äußersten. Als Elaine ihr leise zuflüsterte: »Kein Wort von heute morgen«, verstand sie Elaines Zurschaustellung von Gefühlen besser. Der Agent, befriedigt, daß Paula einen rechtmäßigen Platz in dem gesamten Schema innehatte, ging in die Küche und setzte Kaffee auf. Kaum war er draußen, fragte Paula Elaine: »Sie haben denen von den Anschlägen auf Keith nichts erzählt?« Elaine schüttelte vehement den Kopf. »Nein! Das kann ich nicht. Ich bitte Sie, Paula, sagen Sie nichts. Es würde die Dinge nur verschlimmern.« Paula konnte sich nicht denken, was es da noch zu verschlimmern gäbe. Sie bedrängte Elaine: »Sie haben kein Recht, es ihnen vorzuenthalten. Es ist einfach unfair, daß man sie an die Arbeit schickt, ohne daß sie alles wissen, was sich in den letzten zwei Wochen abgespielt hat. Es könnte sich für ihre Ermittlungen als überaus wichtig erweisen.« Elaine hielt dagegen, daß Keith angerufen hätte, daß es ihm gutginge, daß man ihn bald freiließe und daß er nicht von denen festgehalten würde, die ihm nach dem Leben getrachtet hatten. Paula hatte diese Argumente in kürzester Zeit zerpflückt, aber Elaine erwies sich als unbelehrbar. Paula gab zu, daß sie Derk Loudermilk gegenüber die Anschläge auf 65
Keith erwähnt hätte. Da geriet Elaine in Wut, vermied es jedoch, laut zu werden. »Paula, Sie haben mein Vertrauen mißbraucht«, sagte sie anklagend. Paula verteidigte sich: »Ich sagte es Derk wenige Minuten nach der Entführung Keiths. Es wäre falsch gewesen, wenn ich ihm diese Information vorenthalten hätte.« Als der FBI-Agent schließlich mit drei Tassen Kaffee wiederkam, hatten die zwei Frauen hin und her argumentiert, den strittigen Punkt jedoch nicht gelöst. Paula ließ das Thema fallen, weil Derk das FBI mit Sicherheit in die Sache einweihen würde. Der Agent setzte sich vor den verschnörkelten Schreibtisch, auf dem das Telefon stand. »Gibt es Neuigkeiten im Falle Slayton?« fragte er Paula. Paula schüttelte enttäuscht den Kopf. Sie fragte ihn mit einem Lächeln: »Haben Sie am Ende die Absicht, uns aus der Klemme zu helfen?« »Mrs. Masters, wäre da nicht ein juristisches Problem, könnten wir uns in die Ermittlungen einschalten.« »Vielleicht hat man zum Anzapfen des Computers das Telefon benutzt«, meinte Paula. Der Agent nickte verständnisinnig, sagte aber gleich: »Das müßten wir mit Sicherheit wissen, und auch dann müßte der Anruf von außerhalb des Staates gekommen sein.« Dann wechselte das Gespräch auf Gebiete über, die mit der Entführung Stuarts nichts zu tun hatten. Er spürte, daß Elaine schon genug mitgemacht hatte und eine Wiederholung der bekannten Tatsachen ihren angespannten Zustand bloß verschlimmern würde. Paula merkte genau, was der Agent im Sinne hatte, und gelangte zu der Auffassung, daß sie wenig zur Entspannung der Lage beitragen könnte. Sie hatte das Gefühl, ihre Anwesenheit bedeute für Elaine eher eine Bedrohung, keine Beruhigung. Nachdem sie den Kaffee ausgetrunken hatte, sagte sie: »Elaine, ich muß zurück in die Firma. Kann ich 66
etwas für Sie tun, Ihnen etwas bringen?« Nach einem Augenblick der Überlegung sagte Elaine: »Könnten Sie die Nacht über hierbleiben?« Paula war nicht wenig erschrocken. So eng war sie mit Elaine nicht befreundet. Es mußte also mehr dahinterstecken. Und doch wurde sie das Gefühl nicht los, daß damit vielleicht etwas zu gewinnen war. Sie fragte: »Eigentlich wollte ich mit Derk zu Abend essen. Darf ich ihn mitbringen?« Elaine wurde sofort mißtrauisch. Paula merkte es und fuhr rasch fort: »Ehrlich, Elaine, Derk und ich haben uns verabredet, bevor ich hierherkam. Bitte, schenken Sie mir Vertrauen.« Elaine sah den FBI-Agenten an und fragte: »Sind damit Probleme verbunden?« Er gab zurück: »Nein. Inzwischen wurde Ihr Telefon mit unserer Abhörabteilung in der Nähe hier verbunden. Ich lasse von einem Wagen, der weiter unten steht, Ihr Haus beobachten. Für mich besteht eigentlich kein Grund zum Bleiben. Ja, ich denke, Gesellschaft wird Ihnen guttun. Besonders, wenn diese Gesellschaft sich aus zwei Cops wie Paula und Derk Loudermilk zusammensetzt.« Elaine sah Paula an. »Sicher macht es Ihnen Umstände.« »Aber keine Spur. Wir alle möchten Keith gesund zurückhaben.« Und aus diesem Grund fuhr Paula am Spätnachmittag ihre Kinder hinaus zu ihren Eltern. Für jemanden, der noch nie durch die vorgelagerten Hügel und das Bergland westlich von Denver gefahren ist, sind die Rockies einzig in ihrer Größe und Schönheit. Die Fähigkeit der Natur, aus dem Erdgestein Monumente zu meißeln, tritt hier zutage, wo Gipfel bis über vierzehntausend Fuß emporragen und Täler bilden, die dazu bestimmt sind, den juwelengleich schimmernden, in Kaskaden herabstürzenden Bächen und Flüssen den Weg zu öffnen – um das Kunstwerk vollkommen zu gestalten. Wer die Baumgrenze 67
zum erstenmal sieht, erschrickt beinahe, wenn der dichte Baumbestand schlagartig in einer gewissen Höhe aussetzt, als hätte die Natur mit einem Riesenlineal die Wachstumsgrenze markiert. Paula sehnte den Tag herbei, an dem ihre Kinder diese Schönheit schätzen würden. Sie mußte noch lange warten, das wußte sie, denn im Moment war Iris mehr an Nummerntafeln ferner Orte interessiert, und Cassy mußte noch immer auf die Toilette.
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9. Moon Pettigrew erreichte Paula im Hause ihrer Eltern in Cranby, knapp vor der Rückfahrt nach Denver. »Paula, wann können wir uns treffen?« fragte Moon. »Ich bin so um sieben herum da. Warum?« »Ich habe Wühlarbeit betrieben.« »Los, raus damit.« »Ich war bei dem Arzt«, berichtete Moon. »Der Schuß steht zweifelsfrei fest, doch handelte es sich dabei nur um einen Streifschuß an der Schulter. Aus der Schießweste wurde ein ordentliches Stück Lederpolsterung herausgerissen, aber die Haut selbst hat nichts abbekommen.« »Ich begreife nicht, worauf Sie hinauswollen«, meinte Paula. Moon machte eine Pause. Er hoffte, Paula würde selbst die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Dies war nicht der Fall, und er fuhr fort: »Vielleicht wurde der Schuß von Keith selbst ausgelöst.« Paula sog hastig Luft ein. Dieser Gedanke wäre ihr nicht im entferntesten gekommen. »Soll das ein Scherz sein?« »Nein, keineswegs«, sagte er. »Der Arzt ist kein Witzbold. Er stellte klar fest, daß die Wunde sehr wohl von einem Schuß stammen könnte, der auf Keith abgegeben wurde, daß sie aber ebensogut von ihm selbst verursacht sein könne.« Paula schüttelte erstaunt den Kopf, so als könne Moon sie durchs Telefon sehen: Zerstreut fragte sie: »Aber warum?« »Genauso lautet meine Frage an Sie«, gab er zur Antwort. Paula dachte nach und sagte dann: »Ich fahre jetzt gleich los. Treffen wir uns um sieben bei mir. Würden Sie Beth anrufen und ihr sagen, sie solle ebenfalls kommen?« Moon antwortete: »Zunächst mal: ich bin jetzt hier im Büro, und Beth ist weg. Ich werde versuchen, sie zu erwischen.« Paulas Temperament flammte auf, und sie sagte: »Lassen 69
wir Beth endlich! Was gibt es sonst? Schnell, schnell, ich möchte bald losfahren.« Moon fuhr fort: »Ich war noch mal bei Willis Case, weil ich wissen wollte, ob einer der Angestellten vielleicht eine Ahnung hat, ob Keith sich den Golfkarren für den Unfall zurechtgebastelt hat.« »Und . ..?« »In diesem Punkt kam ich nicht weiter, dafür aber habe ich einen anderen Leckerbissen, an dem wir kauen können. Elaine Stuart hat mit dem Tennistrainer Intensivstunden absolviert.« Paula nahm diese Neuigkeit mit nicht geringem Erstaunen auf. »Tatsache oder Klatsch, Moon?« fragte sie ruhig. »Tatsache«, lautete die Antwort. Moon fuhr in seiner Erklärung fort. »Ich unterhielt mich ein wenig mit einem der Angestellten. Ein knorriger alter Knabe. Sie kennen sicher den Typ: ein netter, fähiger Golfer, der nie genug Geld hatte, um bei der PGA einzusteigen. Eine bittere Pille für ihn, daß Tennis mittlerweile so populär wurde und die jungen Hengste auf den Tennisplätzen 50 Piepen pro Stunde einstreifen, während er schäbige 15 kriegt.« Paula hatte ihre Zweifel. »Und warum glauben Sie ihm?« »Er hat die beiden gesehen«, sagte Moon, »hat sogar ihre Wagen draußen vor dem Morton-Motel gesichtet. Und zwei andere Angestellte, die im Golfausrüstungsladen arbeiten, stützen seine Geschichte.« Paula wandte ein: »Das müssen sie wohl. Sie arbeiten für ihn.« »Richtig«, gab Moon ihr recht. »Deswegen ging ich in den Tennisladen. Der fragliche junge Mann hatte einen freien Tag, aber einer gab zu, daß der andere mit Elaine Stuart herumgespielt hätte. Ich glaube, ich habe ihm genügend Angst eingejagt. Er steckte mir sogar, daß sie ihrem Tenniskavalier einen Wagen spendiert hätte.« »Diese Affäre muß irgendeinen Stellenwert haben«, 70
überlegte Paula. »Ich dachte mir, es würde Ihnen gefallen«, sagte Moon. Paula korrigierte ihn. »Es gefällt mir ganz und gar nicht. Die Sache könnte gefährlich werden. Wie heißt der Bursche? Welcher ist es?« »Jake McCampbell«, sagte Moon. »Groß, blond –« »Den kenne ich«, antwortete Paula. Ein gutaussehender Mann, um vieles jünger als Elaine. »Rufen Sie Derk an«, instruierte ihn Paula, »und sagen Sie ihm, was Sie in Erfahrung brachten. Dann rufen Sie Sy an und sagen ihm, daß wir heute bei mir zu Hause arbeiten werden. Er soll mich da anrufen, wenn er mit den Bändern zu einem Ergebnis gekommen ist. Danach rufen Sie Elaine Stuart an. Sagen Sie, Sie riefen in meinem Auftrag an. Ich möchte, daß sie zu mir ins Haus kommt, ja?« »Und was soll das alles?« »Sie bat mich, ich solle bei ihr übernachten. Bis zu Keiths Rückkehr«, erklärte Paula. Moon lachte. »Damit rauben Sie ihr bloß kostbare Zeit für ihren Freund. Möchte bloß wissen, warum sie wollte, daß Sie bei ihr bleiben.« »Genau das habe ich mich auch gefragt«, sagte Paula. »Rufen Sie sie an. Sie soll zu mir kommen. Ich habe ein paar Fragen auf dem Herzen.« Paula legte auf und starrte eine ganze Minute aus dem Fenster, ehe sie merkte, daß Iris an ihrem Rock zupfte. Paula beugte sich hinunter und sagte: »Tut mir leid, Liebes. Was ist denn?« Iris hielt ein zusammengefaltetes Taschentuch hoch, das große Ähnlichkeit mit einer Maus hatte. Paula wußte sofort, worauf Iris so stolz war. Sie sagte: »Ja, ich weiß. Opa ist ein Zauberkünstler und kann jede Menge wunderbarer Tricks. Ich kann mich erinnern, daß er solche Mäuse auch für mich bastelte. Damals war ich ungefähr so alt wie du.« 71
Iris war total verwirrt – sie konnte sich nicht vorstellen, daß ihre Mutter auch einmal ein kleines Mädchen war. Paula gab Iris einen Kuß auf die Wange. Sie ging ins Wohnzimmer und verabschiedete sich von allen. Es wurde langsam dunkel, und sie hatte heute in Denver noch wichtige Dinge zu erledigen. Sie setzte an: »Und ihr, Kinder –« Aber Cassy und Iris beendeten den Satz einstimmig: » – seid artige kleine Mädchen.« Und alle lachten lauthals. Paula ließ die Kinder im Vertrauen darauf zurück, daß sie hier liebevoll umsorgt wurden und den Aufenthalt in den Bergen genossen. Sie fuhr vor ihrem Haus in Denver vor, als Sy Annesso eben in ihre Zufahrt einbog. Während Paula das Alarmsystem ausschaltete und die Eingangstür aufsperrte, erkundigte sie sich bei Sy: »Wo steckt Moon?« Moon hätte ihn angerufen und gemeint, er würde sich vielleicht um ein paar Minuten verspäten, sagte Sy. Er hätte Beth gebeten, per Telefon alle erreichbaren Motels daraufhin abzuklopfen, ob sich dort jemand vielleicht an Elaine und ihren Tenniskavalier erinnern konnte. Sy schloß: »Das alles sieht nach einem heillosen Schlamassel aus, Paula.« Sie bat Sy ins Wohnzimmer. Die diametral entgegengesetzten Ansichten ihrer zwei leitenden Mitarbeiter entlockten ihr ein Lächeln. Für Sy war die Schattenseite des Lebens, wie sie in Form von Verbrechen zum Ausdruck kam, ein ,heilloser Schlamassel’, während Moon sich in der Welt elektronischer Warnsysteme nicht zurechtfinden konnte und den sogenannten ,Schlamassel’ ungemein genoß. Und genau das war der größte Trumpf ihrer Firma: auf das eigene Fachgebiet eingeschworene Experten, die jedoch bereit waren, in anderen Bereichen mitzumachen, wenn es die Situation erforderte. Paula bot Sy einen Drink an. »Ja, gerne, Bourbon mit Eis«, 72
sagte er. Sy brachte Paula in diesem Punkt immer leicht aus der Fassung. Nach seinem Aussehen zu schließen hätte man ihm nämlich bloß geeistes Himbeersoda zugetraut. Er trank nur sehr selten Alkohol, und wenn, dann mußten es gleich drei Bourbon sein, die allerdings bei ihm keinerlei Wirkung zeigten. Sy war beileibe kein Milchgesicht, er sah bloß so aus. Als sie in die Küche um Eis ging, folgte er ihr. »Wir stecken bis obenhin in Schwierigkeiten, weil wir das Leck in unserem System nicht aufspüren können«, sagte er leise. Paula hielt mitten in ihrer Bewegung inne: »Soll das heißen, daß die Bänder einwandfrei sauber sind?« Sein Lächeln fiel trübe aus. »Hm, ja, so ungefähr!« Paula suchte in seiner Miene nach Spuren eines Hoffnungsschimmers, als sie fragte: »Ja, besteht denn nicht die geringste Möglichkeit?« »Kommen Sie mit den Drinks, dann reden wir weiter«, meinte er. Kaum hatten sie sich im Wohnzimmer niedergelassen, sagte Sy behutsam: »Paula, wir haben nichts Handfestes. Es ist nur so, daß ich auf einen Bänderteil stieß, der einen geringeren Bias-Faktor aufzuweisen scheint.« »Was ist denn ein Bias-Faktor?« »Der eigentliche elektromagnetische Kreis, der dem Magnetband die Impulse übermittelt. Es sieht aus, als hätte er bei der Programmeingabe nicht hundertprozentig funktioniert.« Paula klammerte sich geradezu an die nächste Frage: »Ist das sicher?« »Nicht ganz«, sagte Sy. »Das Versagen könnte mehrere Ursachen haben: ein Absinken der Stromstärke etwa oder der Einfluß der Klimaanlage auf die Temperatur. Es war jedenfalls das einzige, was ich bei meinen vielen Testserien entdecken konnte.« Paula lehnte sich mit ihrem Drink zurück und konzentrierte 73
sich voll auf das Problem. Sy hatte sein Glas geleert, ging auf ihr Drängen an die Bar und versorgte sich selbst. Minutenlang sagte sie kein Wort. Und als sie ansetzte: »Und was ist mit …«, da klingelte es an der Tür. Moon war eingetroffen. Er lehnte einen Drink ab, setzte sich neben Sy aufs Sofa und stürzte sich in eine Aufzählung jener Orte, die er auf der Suche nach Beth vergeblich abgeklappert hatte, nachdem er sie in ihrer Wohnung nicht angetroffen hatte. »Verdammt, warum kann sie nicht greifbar sein, wenn man sie braucht?« Paula beruhigte ihn: »Aber Moon, Beth wird doch nicht zu Hause hocken und auf Ihren Anruf warten.« Er sah ein, daß er Unmögliches verlangt hatte, fuhr aber anklagend fort: »Sie ist ganz zeitig aus dem Büro. Zu Hause ist sie auch nicht. Nicht mal in einer ihrer schicken Bars war sie aufzutreiben. Überdies hat sie beruflich in letzter Zeit stark nachgelassen.« Paula zog die Brauen hoch und fragte lächelnd: »Und das alles liefert Ihnen Ihr System?« Jetzt mußte Moon selbst lachen. »Ach was, ich würde jetzt bloß dringend jemanden brauchen, der für mich die Knochenarbeit macht. Ich glaube, ich könnte über diese Miß Spitzenhöschen Elaine allerhand Interessantes ausgraben.« »Richtig vulgär, wie Sie daherreden«, meinte Sy. Moon witzelte: »Seit Monaten die erste richtige Arbeit. Tausendmal besser als dazuhocken, während Sie mit Ihrer dummen Maschine Zwiesprache halten.« Sy brummte und tat einen tiefen Schluck. In den nächsten Minuten berichtete Sy Moon von seinem Mißerfolg und daß er bis jetzt nichts Richtiges hatte entdecken können. Er fügte auch hinzu, was er Paula gegenüber bereits gesagt hatte. Während er redete, fiel Paula endlich die unausgesprochene Frage ein, die sie seit ihrem Telefongespräch mit Sy am Morgen gequält hatte. Es war dieselbe Frage, die sie eben hatte stellen wollen, als Moon 74
eintraf. »Sy, Sie sagten da etwas von Abnutzungserscheinungen auf der Bandoberfläche.« Sy bejahte und lieferte sodann eine grundlegende Erklärung, wie die Eisenoxydbeschichtung der Bänder, die eine Magnetisierung ermöglicht, sich abnutzen kann. »Aber der Computer bei Slayton hat eine pneumatische Regelung der Bandspannung und wird über Spannungsinduzierung gelesen. Es dürfte auf Jahre hinaus keine Abnutzung geben«, rief Paula. Sy hielt mit dem Glas auf halbem Weg zum Mund inne. »Ja, Paula, das stimmt. Ich konnte ein paar leichte Spuren ausmachen, die sich im Rahmen des Normalen hielten. Dies baute ich als konstanten Faktor für den gesamten Test ein.« Moon ging in die Küche und holte sich etwas Alkoholfreies, während Paula und Sy die Sache mit den Bändern weiter besprachen. Als Moon zurückkam, erklärte Sy Paula eben, daß der Faktor so geringfügig wäre, daß bei den Ergebnissen kein spürbarer Unterschied zu erwarten sei. Hastig fragte Paula: »Aber könnte dieser Faktor die Auswertung jener Stellen, die dem Standard nicht entsprachen, nicht verfälscht haben?« »Nein«, kam seine Antwort wie aus der Pistole geschossen. Dann korrigierte er sich nach einer kleinen Pause. »Ja, doch. Es könnte sein, verdammt noch mal. Der Faktor könnte sich addiert haben.« Die Blicke zwischen Sy und Paula ließen hinlänglich erkennen, daß sich neue Hoffnung zeigte, beweisen zu können, daß der Einbruch bei Slayton vielleicht doch außerhalb ihres Kontroll- und Verantwortungsbereiches lag. Wenn jemand an den Bändern herumgebastelt hatte, ließ sich dieser Eingriff möglicherweise bis an den Ursprung zurückverfolgen. Sy trank sein Glas nicht leer. Er stand auf und sagte: »Ich fahre gleich los und beginne mit neuen Tests.« »Sehr gut. Und Sie rufen uns an, wenn Sie …« 75
Moon unterbrach Paula mit der Frage: »Warum holen wir nicht Trospers Rat ein?« Sy erstarrte und setzte eine gekränkte Miene auf. Paula zögerte zunächst, doch dann wurde ihr klar, daß Moons Vorschlag hervorragend war. Brigadegeneral Hollie Trosper leitete die Air Computer Division, die Abteilung für Luftfahrtcomputer, an der Air Force Academy in Colorado Springs. Er hatte an der Planung des Slayton-Systems mitgearbeitet, und, was noch wichtiger war, er war Projektleiter für das quasi geheime ZARF-ComputerProgramm. Und zu den wichtigsten Aufgaben von ZARF gehört die Entwicklung von Techniken zur Durchdringung undurchdringlicher Computer. Sys gekränkte Miene hatte ihre Ursache in seinem Berufsstolz. Immer hatte er das Gefühl gehabt, es mit General Trosper auf dem Gebiet der Computer-Technologie aufnehmen zu können. Der General war auch nur deswegen zur Mitarbeit am Slayton-Projekt herangezogen worden, weil Sys Verstand nicht imstande war, in kriminellen Bahnen zu denken. Hollie Trosper hingegen widmete sich mit Hingabe der Aufgabe, außerhalb der Legalität liegende Wege zum Knacken von Computern zu entwickeln, nur damit man diese Computer hinterher verbessern konnte. Paula konnte sich in Sys Gemütslage gut hineindenken, und sie beeilte sich, der Situation die Spitze zu nehmen. »Sy, Hollie verfügt über eine weitaus bessere technische Ausstattung als wir.« »Ja, Paula, das weiß ich«, sagte Sy, »aber ich könnte die Bänder noch mal durchlaufen lassen und ein viel besseres Ergebnis liefern.« Moon bemerkte trocken: »Und die halbe Nacht vergeuden. Und dann müßten wir Trosper wahrscheinlich ohnehin um Hilfe angehen. Sy, Sie müssen sich damit abfinden. Er ist ein Profi.« 76
Paula wandte sich mit sanftem Nachdruck an Moon: »Immer mit der Ruhe, Moon. So wie die Dinge liegen, stehen wir alle unter Druck.« Und zu Sy sagte sie: »Wir könnten Hollie bitten, er solle Ihnen bei den Tests an die Hand gehen. Ohne Sie würde er es nicht schaffen, das wissen Sie. Aber es ginge alles so viel schneller, wenn Sie mit dem Computer der Air Force Academy arbeiten könnten.« Sy wußte, daß er auf der Verliererseite stand, denn er hatte selbst schon daran gedacht, General Trosper beizuziehen. Sein Stolz hatte diesen Schritt verhindert. Zuzugeben, daß er Hilfe brauchte, wäre dem Eingeständnis gleichgekommen, daß ihm ein anderer auf dem Gebiet der Computertechnik überlegen war, und das war etwas, was er um nichts in der Welt zu erkennen geben wollte. Sekunden, nachdem Sy sich einverstanden erklärt hatte, einen zweiten Fachmann heranzuziehen, hatte Paula bereits den telefonischen Kontakt mit der Wohnung des Generals auf dem Gelände der Akademie hergestellt. Nachdem sie ihm ihr Problem eilig erklärt hatte, war Hollie Trosper bereit, sich mit Sy vor Gebäude 34 auf dem Akademiegelände zu treffen. Dort hauste das SigMa-Computer-Ungetüm. Paula legte auf, und Moon machte sofort den Vorschlag: »Ich fahre Sy hin.« Gleich darauf war Paula allein. Sie trank ihren Sherry aus und stand unter der Dusche, als Derk Loudermilk eintraf. Er wirkte verständlicherweise hocherfreut, Paula, vor Seife schäumend und verlegen in ihren Morgenrock gewickelt, zu ertappen. »Bin gleich fertig«, rief sie und lief zurück ins Bad. »Brauchst du Hilfe?« scherzte Derk und ging daran, sich einen Drink zu mixen. Sie rief zurück: »Wenn ich deine Art Hilfe brauche, lasse ich es dich wissen.« In den wenigen Minuten, die Paula zum Duschen und Anziehen brauchte, versuchte Derk, sich aus der Hektik des 77
Tages zu lösen. Oberflächlich gesehen, war es nicht lebhafter zugegangen als an anderen Tagen seines Polizistenlebens, und doch hatte es vielerlei gegeben, was Anspannung bewirkt hatte. Mit seinem Scotch kam er nun endlich zur Ruhe. Paula kam in einem hübschen dunkelgrünen Kleid herein, das einen reizvollen Kontrast zu ihrem blonden Haar bildete. Bei ihrem Eintreten surrte das Telefon auf dem Beistelltischchen, und sie sagte: »Bitte, nimm du für mich ab, Derk.« Er nahm den Hörer, lauschte und sagte dann zu Paula: »Es ist für mich.« Dann hörte er weiter. Er stellte ein paar belanglose Fragen, während Paula sich noch einen Sherry nachgoß. Dann stand er auf und legte mit Schwung den Hörer auf. »Zum Austrinken hast du jetzt keine Zeit mehr«, sagte er. Sie sah ihn fragend an. Er beantwortete ihren Blick mit der Ankündigung: »Elaine Stuart ist aus ihrem Haus abgängig.«
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10. Man hatte es während der stündlichen Routineüberprüfung des Stuartschen Telefonanschlusses, die vorgenommen wurde, um festzustellen, ob er klaglos funktionierte, entdeckt. Im Verlaufe eines jeden Entführungsfalles wurden die Telefonanschlüsse laufend überwacht, um sicherzustellen, daß das einfachste Mittel der Kommunikation zwischen den Entführern und der Familie offengehalten wird. Eine einfache Störung in der Leitung konnte für den Entführten über Leben und Tod entscheiden. Der Anruf um acht Uhr war vom FBIVerbindungskommando gekommen, und Elaine meldete sich nicht. In Sekundenschnelle wurde der in der Nähe des StuartHauses geparkte Beobachtungswagen per Funk alarmiert. Der im Wagen wartende Agent ging zum Haus, klopfte an die Tür und sperrte schließlich mit einem Hauptschlüssel auf, den man ihm für eben diesen Fall mitgegeben hatte. Er fand das Haus leer vor und rief den zuständigen Agenten an. Es gehörte zum Verfahren, daß die Polizei von Denver verständigt wurde und Derk Loudermilk es vom diensthabenden Sergeanten des Detektivbüros erfuhr. Als Derk und Paula vor dem Haus der Stuarts eintrafen, war die Straße mit Polizeiautos vollgeparkt, die sich Stoßstange an Stoßstange drängelten. Derk und Paula gingen ins Wohnzimmer. Dort trafen sie eine ansehnliche Gruppe von FBI-Agenten an, die sich mit ein paar Polizeidetektiven der Stadt Denver unterhielten. Dabei schien niemand etwas von Belang zu äußern. »Was, zum Henker, ist denn passiert?« wollte Derk wissen. Der FBI-Mann, der die Ermittlungen leitete, antwortete mit Nachdruck: »Loudermilk, ruhig Blut. Wir sind eben daran, das alles zu sondieren.« Derk fuhr auf: »Zum Teufel mit Ihrem ruhigen Blut! Ihr verdammten Braunstiefel habt den Fall versaut.« 79
»Braunstiefel« ist ein verunglimpfender Spitzname für einen FBI-Mann. Der Ausdruck geht auf die Zeit zurück, als J. Edgar Hoover seinen Agenten sogar die Schuhfarbe vorschrieb. Die Agenten nehmen verständlicherweise Anstoß an diesem Ausdruck. Der leitende Agent ließ sich das nicht bieten. »Jetzt hören Sie gut zu …!« »Zuhören, ich denke nicht dran!« schoß Derk zurück. »Ihr habt euch diesen saublöden Fall unter den Nagel gerissen, weil es so aussieht, als hätte er auf bundeseigenem Gelände seinen Ausgang genommen. Ich möchte wissen, was ihr bis jetzt getrieben habt! Nichts – außer den Fall vermasselt!« »Gemach, gemach, Ihre ersehnte Zuständigkeit haben Sie inzwischen gekriegt«, gab der Agent zurück. »Es handelt sich jetzt um eine Vermißtenmeldung im Zusammenhang mit einem Verbrechen. Sie sind zur Mitarbeit herzlich eingeladen!« »Aufgeblasener Esel!« explodierte Derk. »Mit welchem Recht kommen Sie in unsere Stadt und –« Derk spürte Paulas Hand an seinem Ärmel und zügelte seinen Zorn. »Wie ist Elaine aus dem Haus gekommen?« fragte Paula. Der Agent war heilfroh, daß er dem Streit mit Derk ausweichen konnte. Der ständige Konflikt zwischen den verschiedenen Bereichen der Exekutive war keineswegs erbaulich. Er war froh, daß der Zwist jetzt in den anfallenden Problemen unterging. Er beantwortete Paulas Frage, richtete seine Antwort jedoch an Derk. »Sie muß wohl hinten hinaus sein, wahrscheinlich durch die Terrassentür, die zum Schwimmbecken führt. Dann muß sie den Weg bis zur nächsten Straße entlanggelaufen sein.« Derk bemerkte: »Es muß sie also jemand erwartet haben.« Der Agent nickte. Paula fragte: »Hat sie telefoniert?« »Nein«, sagte der Agent. »Wir hören ihren Anschluß ab und 80
hätten mitgehört.« »Ich fragte nur, weil sie mich erwartete«, meinte Paula. »Ja, ich erinnere mich, Mrs. Masters, ich war dabei. Sieht aus, als hätte sie ihre Absicht geändert. Wir wissen, daß sie keinen Anruf tätigte und daß niemand das Haus betrat.« Derk bemerkte trocken: »Wenn euer Kamerad nicht sah, wie sie wegging, dann ist es doch möglich, daß auch er übersah, daß jemand kam.« Sofort wurde von Seiten des FBI Spannung im Raum spürbar. Derk wollte die Sache wieder ausbügeln. »Ich wollte damit nichts Negatives sagen. Seid doch um Himmels willen nicht so überempfindlich. Ich meine doch nur, daß jemand …« Der leitende Agent lieferte seinen Beitrag zur Besserung der Stimmung, indem er sagte: »Ich weiß schon, Derk. Wir hatten ja keine Ahnung, daß ihr Gefahr droht, sonst hätten wir mehr Dampf dahinter gemacht. Außerdem dachten wir, es wäre alles bestens, wenn Mrs. Masters über Nacht käme.« Dieser Einwand sollte nicht der Reinwaschung dienen, es war vielmehr die natürliche Reaktion auf die eingetretene Situation. Die Ermittlungen hatten sich auf die Befreiung des Entführungsopfers konzentriert. Daß dessen Frau gefährdet war, hatte man ja nicht ahnen können. Man hatte immerhin das Telefon angezapft und einen bewährten Agenten in unmittelbarer Nähe postiert. Derk sagte: »Also noch eine Entführung.« Paula ergänzte: »Oder eine abgängige Person.« Der Agent lieferte seinen Beitrag: »Oder ein Fall von Flucht.« Diese letzte Bemerkung senkte sich wie eine dämpfende Hülle auf die Gruppe. Auf die Idee, daß Elaine allein und unbeeinflußt das Haus verlassen haben konnte, war niemand gekommen. Paula fragte: »Können Sie das näher erläutern?« 81
Der Agent nickte. »Es kommt sehr häufig vor, daß nahe Angehörige eines Entführungsopfers durchdrehen und Dinge tun, die dem außenstehenden Beobachter gegen jegliche Vernunft gerichtet zu sein scheinen. Viele weigern sich ganz einfach, ans Telefon zu gehen. Das ist eine normale Reaktion auf einen Schock. Sie wollen nicht Anteil haben an einer Sache, der sie nicht gewachsen sind. Sie ergreifen die Flucht.« Paula überlegte. Sie dachte an das, was Moon Pettigrew über Elaine Stuart in Erfahrung gebracht hatte. Sie entschloß sich mit kleinen Einschränkungen, der Gruppe davon Mitteilung zu machen. »Mein Chefermittler entdeckte heute nachmittag, daß Elaine vielleicht eine Affäre mit einem Tennistrainer hat.« Diese Enthüllung platzte inmitten der Anwesenden wie eine Bombe. Die sich daraus ergebenden Folgerungen strotzten vor Möglichkeiten. Ganz plötzlich war aus der bemitleidenswerten Gattin eine der Beteiligung am Verbrechen Verdächtige geworden. »Warum hast du damit so lange hinterm Berg gehalten?« fragte Derk mit unverhülltem Mißvergnügen. Sie sagte die Wahrheit. »Ich hatte es einfach vergessen – bis vorhin.« Sie sah Derk schuldbewußt an, der verständnisvoll nickte. Er wußte, die Hektik hatte Paula sehr zugesetzt. Derk ging ans Telefon. »Darf man von hier aus mal anrufen?« versuchte er einen gutmütigen Witz. Der Agent lächelte. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, abgehört zu werden. Wir haben den Anschluß automatisch angezapft.« »Ich werde mich beim Sprechen vorsehen«, sagte Derk. Während Derk seinen Leuten im Büro übers Telefon Anweisungen erteilte, fragte der FBI-Agent Paula nach den Einzelheiten dessen, was Moon ermittelt hatte. Sie gab ihm in groben Zügen an, was Moon ihr erzählt hatte. Der Agent schüttelte den Kopf. »Und ich dachte, wir hätten es hier mit einer simplen Bankier-Entführung zu tun. Nie hätte ich 82
gedacht, daß die Frau ihre Hände dabei im Spiele haben könnte.« Paula fragte: »Sind Sie so sicher? Sie sagten doch selbst, sie könnte ebensogut einfach weggelaufen sein.« Der Agent erwiderte: »Vielleicht klammere ich mich bloß an einen Strohhalm, aber das ist bislang die greifbarste Spur, die wir haben.« Derk gesellte sich wieder zu der Gruppe. »Ich habe meine Leute jetzt auf den Tennistrainer angesetzt. Die Fahndung läuft. Und jetzt sehen wir uns mal die anderen Möglichkeiten an. Gibt es hier Anzeichen eines gewaltsamen Eindringens?« Sowohl die FBI-Leute als auch seine eigenen Detektive hatten die vielen Einstiegmöglichkeiten untersucht, die ein eventueller Entführer Elaine Stuarts benutzt haben konnte. Nirgends Anzeichen eines solchen gewaltsamen Eindringens. »Wie steht es mit den Taxi-Gesellschaften?« fragte Derk. »Ist hier um diese Zeit jemand in ein Taxi gestiegen?« Einer der Detektive sagte: »Das überprüfen wir gerade. Die Antwort müßte bald dasein.« »Na, dann beeilt euch mal«, mahnte Derk. Und an den Einsatzleiter des FBI gewandt fragte Derk: »Was habt ihr bis jetzt gemacht?« »Das Übliche. Alle bekannten Terroristengruppen überprüft, dazu alle notorischen Irren. Sodann haben wir alle Bankangestellten verhört, die uns vielleicht einen Hinweis hätten geben können.« »Glück gehabt?« »Nichts«, gab der Agent zurück. »Wir haben ein Team von der Federal Reserve Bank in St. Louis angefordert. Die werden die routinemäßigen Buchprüfungen bei der Bank vornehmen und das Geld bereitstellen, wenn die Forderung kommen sollte.« Derk wußte, daß man bei Lösegeldzahlungen häufig Experten der Bundesreservebank heranzog, die nicht nur die 83
Zahlungen in die Wege leiteten, sondern Gesamtsumme Banknoten einfließen weiterverfolgbar waren und später vor Beweismaterial dienten. Er konnte nur hoffen, rechtzeitig da waren.
auch in die ließen, die Gericht als daß die Leute
Derk setzte Paula vor elf bei ihrem Haus ab. Ihr Steak-Dinner hatten sie zugunsten eines hastigen Imbisses in einer kleinen Hamburger-Kneipe aufgeben müssen, aber beide waren viel zu müde, um sich ein richtiges Essen zuzubereiten oder es zu genießen. Paula bat ihn auf einen Drink hinein, doch er wehrte ab: »Ich muß noch hinein ins Zentrum. Wir haben eine schwere Nacht vor uns. Ich weiß, daß wir Elaine finden können und dabei vielleicht auch Keith auftreiben.« Lächelnd sagte sie: »Ich würde dir ja helfen, wenn ich könnte, aber ich kann ja nicht mal meine eigene Sekretärin finden. Ich bin todmüde.« »Morgen früh rufe ich dich an. Ich werde dich nicht stören, ehe sich nicht etwas wirklich Wichtiges ergibt.« Sie ließ ihn mit einem Kuß und mit der Bemerkung stehen: »Von Stören kann die Rede nicht sein. Ich möchte auf dem laufenden bleiben.« Nicht wenige Menschen wurden in jener Nacht in Denver tatsächlich gestört. Der Angestellte des Golfklubs wurde gestört, als Detektive der Polizei von Denver Einlaß in sein Haus begehrten und sich mit ihm über seine Behauptungen im Falle Elaine Stuart unterhalten wollten. Der Geschäftsführer des Tennisklubs wurde gestört, als man ihn zehn Minuten nach Mitternacht aus dem Bett scheuchte. Er sollte hinaus in den Klub und die Privatadresse des Tennistrainers heraussuchen. 84
Der Verwalter des Wohnblockes wurde um halb ein Uhr morgens gestört, als Detektive im Laufe ihrer Ermittlungen auf ihr Klopfen an der Tür der Wohnung des Tennistrainers keine Antwort bekamen. Der Verwalter ließ sie ein, und sie entdeckten, daß die Wohnung in aller Eile verlassen worden war – sehr zum Erstaunen des Verwalters, aber nicht der Detektive. Kurz vor vier fühlte sich Derk Loudermilk, der die Fahndungsaktivitäten seiner Abteilung koordinierte, gestört, als ein Anruf vom FBI kam. Doch es erwies sich, daß die Störung in gewisser Hinsicht gute Nachrichten mit sich brachte. »Leutnant Loudermilk«, begann der Agent, »wir haben eben ein Telex vom Computer des National Crime Center in St. Louis bekommen.« »Und was steht drin?« fragte Derk. »Zwei Mitglieder der Familie di Motto, Sparte gewaltsamer Einbruch, waren tagelang unauffindbar.« Derk fragte sich, was zwei Einstiegdiebe mit Elaine Stuarts Verschwinden zu tun haben könnten. Der Agent fuhr fort: »Gestern abend um neun Uhr kreuzten sie in Cincinnati wieder auf. Es gab eine riesige Dinnerparty in Palonis Restaurant – einem bevorzugten Lokal der Familie di Motto.« »Die haben wohl tüchtig gefeiert?« meinte Derk nachdenklich. »Möchte bloß wissen was.« »Den Einbruch bei Slayton«, sagte der Agent mit spürbarem Genuß. »Ach«, versetzte Derk erstaunt, »ich wußte gar nicht, daß ihr daran interessiert seid.« Der Agent meinte: »Ich soll Ihnen noch ausrichten, daß dies als Hilfestellung für einen Freund anzusehen ist.« Derk lachte und bedankte sich. Er legte auf und machte sich in Gedanken eine Notiz, beim nächsten Mal den Leuten vom FBI freundlichere Nasenlöcher zu zeigen, falls sie jemals wieder bei einem Fall mit den Nasen aneinanderstießen. 85
Derk ließ sich mit seinem Gegenstück bei der Polizei von Cincinnati verbinden und erbat per Fernschreiben nähere Angaben über das im FBI-Telex erwähnte Gaunerduo. Es wurde ihm für neun Uhr morgens versprochen. Da von seinen Außendienstleuten alles Menschenmögliche unternommen wurde, konnte Derk seine Füße auf den Schreibtisch legen in dem Bemühen, ein Quentchen Schlaf nachzuholen. Dieses Bemühen wurde alle zehn bis zwanzig Minuten von seinen Leuten vereitelt, die von verschiedenen Stellen der Stadt aus anriefen und von Spuren Bericht erstatteten, die sich als unergiebig oder völlig belanglos erwiesen. Bis sechs Uhr morgens hatte die intensive Suche nach Elaine Stuart und ihrem Tennistrainer keinerlei Ergebnis gezeitigt. Fünf Minuten nach sechs, eben als Derk eine Tasse heißen Kaffees seine rauhe Kehle hinunterzwingen wollte, kam erneut ein Anruf vom FBI. Elaine Stuart war per Taxi zu Hause vorgefahren. Sie war nicht zu bewegen, auch nur ein einziges Wort zu äußern.
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11. Paula machte sich mit viel Geschirrgeklapper in ihrer Küche zu schaffen und war bemüht, sich an die Abwesenheit ihrer zwei Mädchen zu gewöhnen. Derks Anruf vor wenigen Minuten hatte bewirkt, daß ihre gewohnten Hantierungen von höchst überflüssigen Verrichtungen unterbrochen wurden. So rief sie beispielsweise nach der nicht anwesenden Iris, stellte Flocken auf den Tisch, die nicht benötigt wurden, und öffnete die Tür für den Hund, der sich momentan auf dem elf Morgen großen Besitz ihrer Eltern in den Bergen tummelte. Sie schalt sich selbst und versuchte, Methode in ihre morgendlichen Vorbereitungen zu bringen. Derk wollte sie abholen und zum Haus der Stuarts bringen. »Kaffee«, sagte sie laut in dem Versuch, sich schockartig zu konstruktivem Handeln zu zwingen. »Was ich jetzt ganz dringend brauche, ist eine Tasse Kaffee.« Sie ging an den Küchenschrank, auf dem ihre Kaffeemaschine stand, und mußte entdecken, daß diese bereits angestellt war. Mechanisch brachte Paula Duschen und Ankleiden hinter sich. Drei Schluck Kaffee und ein Zug an der Zigarette wurden vom Glockenton der Haustür jäh gestoppt. Sie öffnete und sah vor sich das total abgespannte Gesicht Derk Loudermilks, der sie zur Begrüßung mit einem matten Lächeln bedachte. Sein Lächeln und ihr halb ausgesprochenes »Guten Morgen« erstarrten unter dem durchdringenden Schrillen der Alarmanlage, die ihr Haus absicherte. Paula hatte vergessen, die Anlage vor dem öffnen der Tür abzuschalten. Mit einem Satz war sie am Hauptschalter neben dem Dielenschrank, doch noch ehe sie das Alarmgeschrill abtöten konnte, läutete ihr Telefon. Sie wußte, was dieser Anruf bedeutete. Sie nahm den Hörer ab. Eine Stimme fragte: »Alles in Ordnung, Mrs. Masters?« Der diensthabende Nachtwächter des Betriebes draußen in Aurora. Das Öffnen der Türe hatte bewirkt, daß bei 87
ihm das Alarmsignal aufleuchtete und daraufhin sofort automatisch die Nummer von Paulas Haus gewählt wurde. »Alles bestens. Ich vergaß, die Anlage abzuschalten«, antwortete Paula, erfreut, daß das System so klaglos und rasch funktionierte. Der junge Mann vom Nachtdienst äußerte schüchtern: »Könnte ich wohl Ihre Kontonummer haben, Mrs. Masters?« Paulas erste Reaktion war Ärger, doch sie beherrschte sich sofort. Der Mann mußte sich über die Person, die den Anruf entgegennahm, unbedingte Gewißheit verschaffen, eine Rückversicherung, die drei Ziele hatte. Erstens wurde sichergestellt, daß die Person, die antwortete, Zugang zur privaten Kontonummer hatte. Sie antwortete: »Ja – 819.« Diese Antwort lieferte die Antwort auf die zwei weiteren Fragen. Wäre Paula in Nöten gewesen, hätte sie mit dem vorgesetzten Buchstaben R geantwortet. Damit hätte der Mann gewußt, daß jemand sie in der Gewalt hatte und sie Hilfe brauchte. Keine der Nummern des Masters’-Sicherheits-Code trug das Präfix R. Die letzte Kontrolle wurde zwei Minuten, nachdem sie aufgelegt hatte, erledigt. Ihre Stimme wurde von einem mit dem Computer im Betrieb gekoppelten psychologischen Stimmbewerter überprüft. Hätte der Computer in Paulas Stimme emotionelle Belastung entdeckt, dann hätte der Sicherheitsexperte der Polizei den Hinweis gegeben, bei Paula Nachschau zu halten. Auch wenn ein Opfer sich bemühte, unbefangen zu klingen, deckte der Computer den Schwindel auf. Derk lachte, weil Paula ihrem eigenen System auf den Leim gegangen war. »Deine Branche wird es noch so weit bringen, daß wir ehrlichen Polizisten eines Tages arbeitslos werden.« »Bei Slayton hat das gute System gestern aber nicht so klaglos funktioniert«, erwiderte Paula betrübt. Da fiel Derk die Meldung vom FBI ein. »Wir haben so etwas wie eine Spur. Wir werden uns aber verteufelt schwertun, alle 88
Zusammenhänge aufzuzeigen.« Paula bugsierte ihn in die Küche und bot ihm Kaffee an. Er lehnte dankend ab, ließ sich jedoch zu einem Glas Orangensaft überreden. Er fuhr fort: »Zwei Einbruchs-Spezialisten aus Cincinnati waren ein paar Tage aus ihrem Heimatrevier verschwunden. Gestern abend tauchten sie plötzlich wieder auf, reichlich mit Geld bestückt. In Kürze bekomme ich ihr Vorstrafenregister herein.« »Und damit kannst du etwas anfangen? Es könnte sich beim Verschwinden und Auftauchen der beiden um einen reinen Zufall handeln.« Derk gab ihr recht, meinte aber: »Soviel ich von den Kollegen in Cincinnati erfahren konnte, liegt eine Sache wie bei Slayton genau auf der Linie dieser Gauner. Das Duo ist berüchtigt für saubere Arbeit. Das einzige Rätsel dabei ist, wie sie die computergesteuerten Sicherheitssysteme knackten. Bisher gibt es nämlich keine Anzeichen dafür, daß sie sich bei ihrer Arbeit elektronische Mätzchen zunutze machten, obwohl es mit großer Wahrscheinlichkeit feststeht, daß sie bei dem Goldraub in Brooklyn ihre Finger im Spiel hatten.« Derk hatte die Einzelheiten dieses Falles nicht präsent, bei dem das System einer Sicherheitsgesellschaft unterlaufen und Feingold im Wert von einer knappen halben Million geraubt worden war. Bei dem System hatte es sich um eine sehr komplizierte Anlage gehandelt, die darauf eingestellt war, auf höchst geringfügige Veränderungen der Spannung oder Codefrequenz zu reagieren. Die Gauner hatten einfach den telefonischen Alarmanschluß abgefangen, einen eigenen Voltund Frequenzgenerator eingeschoben und das ganze System ausgetrickst. Von da an lief alles als reine Routinesache ab: Einstieg durch das Dach und Abtransport des Goldes. Seither hatte man neue elektronische Schutzvorrichtungen entwickelt, aber es sah so aus, als hätten kriminelle Elemente viel Zeit darauf verwendet, diese Systeme ebenfalls zu knacken. 89
Genauso ein Fall war der Einbruch bei Slayton. Um ein narrensicheres computergesteuertes Schutzsystem zu knacken, bedurfte es mehr als eines wagemutigen Einbrechers und einer massiven Brechstange. Dazu bedurfte es eines ausgebildeten, qualifizierten Verstandes und jeder Menge technischer Informationen. Derk brachte mehr Mitgefühl als Aufrichtigkeit zum Ausdruck, als er sagte: »Paula, wir schaffen den Fall. Und wenn wir es geschafft haben, wird alles so einfach aussehen.« Paula trank ihre Tasse leer und meinte: »Lassen wir das, solange wir Elaines Problem am Hals haben. Lieber Gott, hoffentlich ist sie wohlauf.« »Keine Bange«, beruhigte Derk sie. In Derks Wagen fuhren sie ihn. Vor dem Haus der Stuarts parkte bereits ein Ambulanzfahrzeug. Sie brachten den Polizeikordon um den Besitz der Stuarts hinter sich, betraten das Wohnzimmer und fanden dort einheimische Polizisten im Gespräch mit FBI-Agenten vor. Im Speisezimmer, etwas abseits, sahen sie Elaine Stuart still dasitzen, während der leitende FBI-Agent leise auf sie einredete. Der Agent bemerkte Derk und Paula und entschuldigte sich bei Elaine. Sie gab weder Antwort, noch nahm sie seine Worte überhaupt zur Kenntnis. Mit enttäuschtem Kopfschütteln kam der Agent auf Derk und Paula zu. »Jetzt rede ich seit einer halben Stunde auf sie ein, und sie hat nicht ein einziges Wort verlauten lassen. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.« »Wozu die Ambulanz?« fragte Derk. »Als sie einfach so dasaß und die Wand anstarrte, bekam ich das Gefühl, daß sie vielleicht unter Drogeneinfluß stehen könnte. Ich möchte sie in einem Krankenhaus ärztlich untersuchen lassen.« Derk nickte. »Können Sie den Arzt überreden, Pentathol anzuwenden?« 90
Paula war entsetzt. »Derk! Ein schrecklicher Vorschlag. Elaine mußte so viel mitmachen .. .« » … und ihr Mann ist vielleicht tot«, schloß Derk mit Nachdruck. Derks Bemerkung hatte die unausgesprochenen Gedanken aller Beteiligten zusammengefaßt: Es bestand immerhin die Möglichkeit, daß Elaine mit der Entführung zu tun hatte. »Könnte ich mit Elaine sprechen? Allein?« fragte Paula. »Versuchen Sie es«, sagte der Agent. »Ich lasse nur ein paar Minuten locker. Ich möchte die Meinung eines Arztes bezüglich ihres Zustandes hören. Dann machen wir weiter.« Paula ließ sie stehen. In ihrer Abwesenheit erwogen Derk und der FBI-Agent von neuem die Möglichkeit, ein Wahrheitsserum anzuwenden, falls Elaine in ihrem Schweigen verharrte. Beide wußten, daß dies vom rechtlichen Standpunkt aus eine heikle Sache war. Falls man auf diese Weise zufällig entdeckte, daß sie an der Entführung beteiligt war, durfte sie deswegen nicht vor Gericht. Paula betrat das Speisezimmer und blieb stehen in der Hoffnung, Elaine würde ihre Anwesenheit zur Kenntnis nehmen. Als Elaine unansprechbar blieb, schloß Paula leise die Schiebetüren zum Wohnzimmer und schloß damit die Gesetzeshüter aus, die vielleicht Ursache von Elaines beharrlichem Schweigen waren. »Darf ich mich für ein paar Minuten zu Ihnen setzen, Elaine?« bat Paula. Es kam keine Antwort. Paula nahm einen der Stühle, die um den langen Tisch gruppiert waren. Sie setzte sich in die Nähe, aber nicht ganz nahe zu der Frau, die offensichtlich geistig verwirrt war. Paula hielt sich für eine Art Polizisten. Sie wußte zwar, daß ihr die formale Ausbildung fehlte, aber was sie zuerst bei ihrem Mann und dann als Chefin einer Ermittlungsfirma gelernt hatte, gab ihr eine gewisse Sicherheit. Sie war stolz darauf, daß sie 91
einen Verstand besaß, der Hinweise oder Motive aufzuspüren imstande war. Ihre Branchenkollegen hatten ihr oft genug das Kompliment gemacht, daß sie beneidenswert Objektivität bewahren konnte – etwas, was alle Bullen von sich behaupteten. Aber sie war auch eine Frau und sah vor sich eine Geschlechtsgenossin mit einem Problem. Es war nicht müßiges weibliches Geschwätz, das sie sagen ließ: »Diesen Raum habe ich immer gemocht.« Es war eine Sonde, die eine versperrte Tür öffnen sollte. Es klappte. Elaine sagte sanft: »In diesem Zimmer haben wir wunderbare Dinners gegeben.« Paula mußte ihr recht geben. Die Stuarts waren als wundervolle Gastgeber bekannt, und Paula verdankte ihnen die Erinnerung an schöne Abende in einem Freundeskreis, dem sie und John zu seinen Lebzeiten angehörte und der jetzt noch, wenn auch viel seltener, Paula meist in Gesellschaft Derk Loudermilks sah. Im Moment ließ Paula nicht mehr verlauten. Sie hatte eine Verbindung mit Elaine hergestellt und hoffte auf weitere Zugangsmöglichkeiten. Zunächst sah es nicht danach aus, denn Elaine verharrte in Schweigen. Und dann sagte Paula in einem berechneten Versuch, aus der Sackgasse auszubrechen: »Ich erinnere mich an damals, als John mit Keith in Streit geriet wegen –« Paula hielt inne, da Elaine die Arme auf dem Tisch vor sich verschränkte, den Kopf senkte und laut losschluchzte. Sie weinte hemmungslos. Paula rückte näher und legte einen Arm um deren Schulter. »Bitte, Elaine. Sprich dich aus. Ich möchte dir helfen.« Das Weinen hörte nicht auf, doch dann wimmerte sie kaum verständlich: »Ich habe ihn verloren … Paula … ich habe ihn verloren.« Der Satz oder vielmehr die Worte wurden mehrmals wiederholt, ehe Paula sie zu einem Gedanken zusammenfügen konnte. Als ihr endlich klarwurde, was Elaine ausdrücken 92
wollte, antwortete Paula im Flüsterton: »Ruhig, ruhig. Sie haben ihn nicht verloren. Es wird alles wieder gut.« Hinter den von Paula geäußerten Worten lauerte die verständliche Angst, Elaine könnte etwas wissen, was die anderen nicht wußten. Paula hoffte, dieses Wissen wäre nicht so unheilvoll, wie es sich anhörte. Elaine hatte die Heulerei hinter sich, hatte aber mit ihren Äußerungen noch gegen einzelne Schluchzer anzukämpfen. »… ich habe ihn verloren … ihn verloren. Warum nur? Warum soll ich …« Paula war sehr versucht, es mit Strenge und Unnachgiebigkeit zu versuchen, doch sie war bis jetzt mit ihrer herzlichen, verständnisvollen Annäherung weiter gekommen als der FBI-Agent mit seiner Befragungstechnik. Sie beschränkte sich daher auf ihre Rolle als stille, mitfühlende Freundin. Sanft bohrte sie weiter: »Elaine, so sagen Sie mir doch, warum Sie das glauben. Sicher irren Sie sich.« Aber Elaine beharrte unter leisen Schluchztönen: »Er ist weg. Aber.. . warum? Oh Gott, warum . ..?« Paula erhoffte sich weitere Einzelheiten, indem sie Elaines Gedanken auf Spezifisches lenkte. »Keith ist nicht weg, er ist – « Ein kalter verächtlicher Blick Elaines, deren Schluchzen bei der Erwähnung von Keiths Namen sofort verstummte, brachte Paula zum Schweigen. Vor Gift sprühend, spie Elaine die Worte hervor: »Paula, Sie alberne Gans. Glauben Sie denn, ich weine um Keith? Wie unbeschreiblich albern Sie sind!« Paula hatte wenig Mühe, zu begreifen, weil sie vom Tag zuvor von Elaines Affäre mit dem Tennistrainer wußte. Sie wollte aber nicht, daß Elaine von ihrer Entdeckung etwas erfuhr und sagte: »Ich verstehe nicht …« Aber Elaine äußerte abschätzig: »Ist doch einerlei.« Jetzt war der Zeitpunkt für Strenge gekommen, entschied Paula. »Mir ist es nicht einerlei, Elaine. Mich interessiert es. 93
Und jetzt hören Sie mir gut zu: Sie waren diejenige, die zu mir kam. Sie baten mich um Hilfe. Sie haben mich in diesen Wirrwarr hineingezogen. Kommen Sie mir also jetzt nicht mit dem Einerlei-Getue! Ich habe meine Kinder außer Haus unterbringen müssen. Ich bin die halbe Nacht wach geblieben, habe mir Ihretwegen Sorgen gemacht und meine Angestellten auf Keith angesetzt. Jetzt hören Sie mit dem Einerlei-Kram auf und reden vernünftig mit mir weiter.« Elaine öffnete ihre Handtasche und entnahm ihr ein Taschentuch, weiter einen Lippenstift und ein Päckchen Zigaretten. In dieser Reihenfolge vollführte sie ihre Rituale, und als sie endlich einen tiefen Zug an der Zigarette tat, sah sie Paula in die Augen. »Paula, ich nehme an, Sie hatten einen Liebhaber oder auch zwei?« Paula enthielt sich einer Antwort, hauptsächlich deswegen, weil sie genau wußte, sie hätte dieser arroganten Person gegenüber mit ihrer Wut nicht zurückhalten können. Elaine fuhr fort: »Na, das ist nun wirklich egal. Ich jedenfalls habe einen … oder vielmehr hatte einen, ehe Keith entführt wurde. Ich weiß, daß alle sich darüber das Maul zerreißen, weil ich älter bin als Keith. Vielleicht haben die Menschen ein Recht darauf, eine reiche Frau mit ihrem Klatsch zu verfolgen, wenn sie einen jüngeren Mann heiratet. Nun ja, das hat mich niemals gestört. Gestört hat mich lediglich die Tatsache, daß es mein Geld war, das Keith ein Hobby verschaffte, eine sogenannte Berufung, ein Spielzeug, das ihn mir wegnahm. Ich kaufte für ihn diese Bank; und es dauerte nicht lange, und sie stand zwischen uns! Eine Frau in mittleren Jahren macht sich nur lächerlich, wenn sie es mit einer Bank aufnehmen will. Deswegen habe ich mir Ablenkung verschafft.« Paula war zwar nicht in Stimmung für Elaines Beichte, aber sie hatte sie endlich zum Reden gebracht und mußte unbedingt in Erfahrung bringen, wo Elaine letzte Nacht gesteckt hatte. »Es war nicht weiter schwierig, müssen Sie wissen«, fuhr 94
Elaine fort. »Junge Männer, die zusehen, wie alte oder in mittleren Jahren stehende Frauen fünfzig Dollar für eine Trainingsstunde hinblättern, erkennen sofort ihre Chance. Sie lassen sich für ihre Dienste bezahlen – Sie verstehen.« Paula war nahe daran aufzugeben. Elaines Benehmen kam einer Beleidigung gleich. Und dann kam Elaine mit der Eröffnung, auf die Paula gewartet hatte. »Aber gestern abend reichten die Geschenke nicht mehr! Die Liebesfähigkeit reichte nicht mehr! Und mein Verlangen, ihm zu helfen, reichte nicht mehr! Er sagte einfach: Lebwohl!« Elaine war zwar eine gute Bekannte, doch Paula ließ jedes Zartgefühl außer acht, da es hier um die Aufdeckung eines Verbrechens ging. »Glauben Sie, daß dieser Mann etwas mit Keiths Entführung zu tun hat?« Paula beobachtete genau, wie Elaine reagierte. War es gekonnte Schauspielerei oder war es aufrichtig, als sie sagte: »Niemals, Paula. Das paßt einfach nicht zu seiner Persönlichkeit.« Paula fragte sich, um welche Art von Persönlichkeit es sich bei einem jungen Mann handeln konnte, der sich sein Alter und seine Vitalität zunutze machte, um eine verzweifelte Frau zu demütigen. »Wo ist er? Wohin ist er verschwunden?« »Ich weiß es nicht. Nach Kalifornien oder New York oder in die Arme eines hübschen jungen Dings.« »Hören Sie doch auf!« gebot Paula ihr Einhalt. »Und jetzt hören Sie gut zu, Elaine Stuart. Ich weiß, Sie mußten eine Kränkung hinnehmen, aber immerhin wurde Ihr Mann entführt. Ihr Liebhaber könnte daran beteiligt sein. Er könnte der Polizei vielleicht zu ein paar Ideen verhelfen. Sie können uns Ihren Beistand nicht verweigern, so wie wir Ihnen den Beistand nicht verweigert haben. Wo ist er?« Paulas eindringliche Stimme rüttelte Elaine richtig auf. Sie klang schon viel vernünftiger, als sie sagte: »Ich glaube, er ist 95
nach Hause zu seiner Mutter, nach Texas. Er sagte, die Entführung hätte ihm Angst eingejagt. Er wolle mich loswerden.« Eine kleine Pause, dann fügte sie hinzu: »Paula, das ist die peinlichste Sache, die mir je passiert ist.« Paula kümmerte sich keinen Deut um Elaines gekränkten Stolz. Sie war vielmehr daran interessiert, Keith Stuart gesund und in Freiheit wiederzusehen. »Elaine, wo lebt seine Mutter?« fragte sie. Elaine sagte, sie glaube, es wäre in Dallas. Er führe einen weißen Corvette Sting Ray – eines ihrer Liebesgaben, wie es sich weiter herausstellte. Paula ließ Elaine allein und erstattete Derk Bericht. Er verlor keine Zeit und nahm sofort mit der Colorado State Police Kontakt auf. Vielleicht konnte man den Verdächtigen schnappen, ehe er die Grenze des Bundesstaates passierte. Während Derk am Telefon hing, berichtete Paula dem FBIAgenten und einem von Derks Detektiven, daß Elaine behauptete, sie hätte die Nacht mit dem Tennistrainer verbracht. Der Detektiv explodierte: »Sie ist eine verdammte … ‘tschuldigung, Mrs. Masters, aber sie lügt. Unsere Leute haben alle Bars und Kneipen und anderen möglichen Treffpunkte abgeklappert. In seiner Wohnung waren sie sicher nicht, auch nicht irgendwo draußen im Wagen. Ich möchte mit ihr reden.« Paula warnte ihn: »Nicht so hastig. Das übernehme lieber ich. Man darf sie nicht zu hart drannehmen. Sie könnte sonst wieder ihren Klaps kriegen, und wir stehen wieder da wie zu Beginn.« Dem FBI-Agenten war es recht und ebenso Derk, als er sich wieder zu der Gruppe gesellte. Derk fragte: »Könntest du sie dazu bewegen, sich unter einem Lügendetektor ausfragen zu lassen?« Paula schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie sagt die Wahrheit, und ihr Tennisfreund hat ihr den Laufpaß gegeben. Sie strömt über vor Selbstmitleid. Ich glaube, wenn wir sie in eine normale Verhör-Situation bringen, verscherzen wir uns 96
ihre Sympathie endgültig.« Paulas Beweisführung leuchtete allen ein. Sie ging wieder zu Elaine, die jetzt bereitwillig auspackte. Sie erzählte Paula, daß sie während der Nacht drauflosgefahren wären, daß sie auf der I-80 nach Sterling gelangten, sich ein paar Drinks genehmigt hätten in einer Bar, die sie nicht kannte, und gegessen hätten in einem Restaurant, an das sie keine Erinnerung mehr hatte. So delikat als möglich gab sie Paula zu verstehen, daß sie ein letztes intimes Beisammensein mit ihm gehabt hatte. Dann wären sie nach Denver gefahren, wo sie sich ein Taxi genommen und nach Hause gefahren wäre. Schließlich erklärte Elaine sich bereit, aus Sorge um ihren Mann mit dem FBIAgenten zu sprechen. Sie sagte zu Paula: »Ich weiß zwar, daß es nach alldem zwischen mir und Keith aus ist, aber ich möchte, daß er freikommt.« Widerwillig gab sie ihr Einverständnis, nach dem Gespräch mit dem FBI-Agenten auch mit Derk zu sprechen. »Und was soll ich aus ihr herausbekommen?« fragte Derk, als der FBI-Mann die Schiebetüren zum Speisezimmer zuschob. »Sie wird mir sicher nicht mehr sagen als dir.« Paula bemerkte: »Ich glaube, er wird auch nicht viel mehr erfahren.« Damit meinte sie den FBI-Agenten hinter der geschlossenen Tür. Sie berichtete, was Elaine ihr noch gesagt hatte. Aber Derk knurrte bloß: »Ich weiß, daß sie lügt. Sie lügt wie gedruckt.« Paula sah ihn fragend an. »Paula, hast du je versucht, auf dem Vordersitz eines Sting Ray mit jemandem intim zu werden?« fragte er. Ihre schockierte Miene war Strafe genug für Derk, der nun mit dem Anflug eines Lächelns in der Stimme sagte: »Entschuldige, Paula! Aber … hm … denk mal drüber nach. Ich gehe jede Wette ein, das ist nicht der Ort, wo zwei Menschen aufs Ganze gehen, besonders wenn sie schon seit langem intim sind.« 97
Paula ließ sich Derks Einwand durch den Kopf gehen. Nach einiger Überlegung war sie geneigt, ihm recht zu geben. »Ich möchte die Sache zwar nicht pragmatisch beweisen, aber ich verstehe nicht, warum sie gelogen haben soll.« Derk faßte einen Entschluß, der ihm nicht weiter schwerfiel, weil er der Meinung war, Elaine Stuart habe mit der Entführung ihres Mannes mehr zu tun, als sie Paula gegenüber zugegeben hatte. Er wollte jetzt gehen, ohne Elaine verhört zu haben. Zu einem seiner Detektive sagte er: »Du nimmst sie dir vor. Sieh zu, was du aus ihr rausbekommst – besonders über die vergangene Nacht. Nachher führst du sie vor.« Der Detektiv warf Derk einen Blick zu. Er wollte seinen Ohren nicht trauen. Paula fragte: »Warum? Weswegen?« Derk sagte, zu dem Detektiv gewandt: »Führ sie vor wegen Verdachtes«, und zu Paula gewandt, fuhr er fort: »der Mittäterschaft.« »Okay. Sie sind der Boß«, äußerte der Detektiv. »Derk, ich glaube, jetzt machst du einen Fehler«, sagte Paula. »Sie hat sich zwar einen Ehebruch zuschulden kommen lassen, aber als Entführerin sehe ich sie nicht.« Derk antwortete mit einem Achselzucken: »Hier gehen unsere Ansichten auseinander. Ich möchte mir die Dame auf meinem Revier vorknöpfen. Vielleicht tut es ihr ganz gut, wenn sie härter angepackt wird.« »Glaubst du denn nicht, daß sie genug mitgemacht hat? Schließlich ist ihr Mann noch immer verschwunden.« »Mag sein, aber ich habe so eine Ahnung, daß sie mehr weiß als sie sagt.« Paula hatte noch einige Gegenargumente auf Lager, ließ sie jedoch nicht laut werden. Derk war ein erfahrener Polizeibeamter. Sie spürte, daß die jahrelange Berufspraxis seine Reaktion bestimmte. »Wenn du willst, nehme ich dich in die Stadt mit«, sagte Derk zu Paula. 98
»Ich hole lieber meinen eigenen Wagen. Könntest du mich zu Hause absetzen?« Das ließe sich leicht machen, sagte Derk. Und Paula ging, ohne Elaine Bescheid zu sagen, die noch immer hinter geschlossenen Türen mit dem FBI-Agenten beisammensaß. Eine halbe Stunde später war Paula bereits in ihrem Büro im Brown Palace Hotel.
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12. In der vorvergangenen Nacht waren die Lichter im fünften Stock des Hap Arnold Building auf dem Gelände der US Air Force Academy nördlich von Colorado Springs nicht erloschen. Die Sonne war schon vor einigen Stunden aufgegangen. Ihre Strahlen pumpten verjüngende Energie in die drei Männer, die vor der zehn Fuß langen Konsole des Computer-Terminals saßen. Im grün phosphoreszierenden Schein der Schaubildgeräte flackerten gelbglühende Symbole, in einer Fachsprache abgefaßt, die dem einen der Männer Muttersprache, dem anderen immerhin vertraut, für den dritten aber völlig fremd war. Der Mann, der bis zum letzten Digitalelement genau wußte, was der Honeywell Alpha 3000 sagte, war Brigadegeneral Hollie Trosper, Chef der Computerabteilung und Projektoffizier der ZARF – letzteres der Codename der Air Force für das Studien- und Entwicklungsprogramm für Computersicherheit auf militärischem Gebiet. Die beiden anderen waren Sy Annesso, der bei jedem Erscheinen neuer Daten auf den Sichtschirmen wissend nickte und Moon Pettigrew, der den Kopf vor Verwunderung darüber schüttelte, daß seine Partner das Gewirr von Zeichen auf den Monitoren entziffern konnten. Als Projektoffizier der ZARF war General Trosper mit der Lösung von Problemen vertraut, an denen ein Laie gescheitert wäre und die manchen Fachmann verwirrt hätten. Die eigentliche Berechtigung von ZARF bestand darin, daß es als Gewissen der Computer agierte und sie davon abhielt, das zu tun, was sie nicht tun sollten. Computer sind sonderbare Gebilde, die einem jedoch begreiflich werden, wenn man sich vor Augen hält, daß sie nicht mehr und nicht weniger als eine 100
Erweiterung des menschlichen Verstandes darstellen. Die früheren Computergenerationen waren simple Gedächtnisspeicher, die in kürzester Zeit massive Ergebnisse liefern konnten. Dann aber folgte die Entwicklung zu ausgeklügelteren Nachfahren, zu Hybrid-Arten und Gattungen, denen man die Möglichkeit einräumte, sich an Entscheidungsbildungen zu beteiligen – und damit begann der Ärger. In jener Zeitspanne, die eine Person zum Addieren von zehn sechsstelligen Zahlen benötigte, konnte der Computer Milliardenziffern ausrechnen und dabei entscheiden, ob die Summe einer vorher eingegebenen Ziffer entsprach, ob die Ziffer etwa noch einer Überprüfung zu unterziehen wäre oder ob sie bereits für künftigen Gebrauch gespeichert werden sollte. Als man dem Computer sodann Gelegenheit gab, an der kommerziellen Entwicklung mitzuwirken, als er finanzielle Transaktionen überwachen oder eine ganz neue, milliardenschwere Industrie auf dem Gebiete des Kreditkartenwesens aufbauen sollte – entstand schließlich ein Problem: seine Zugänglichkeit! Firmen verließen sich einzig und allein auf Computer, wenn es um Inventaraufnahmen oder wichtige Kalkulationen ging, um Geschäftsberichte, in denen Außenstände und Zahlungsverpflichtungen gegenübergestellt wurden. Bankinstitute druckten ulkige kleine Nummern an den unteren Rand der Schecks und verkürzten damit die tagelange Prozedur der Ein- und Auszahlung, ja, sie schafften damit praktisch die altehrwürdige Sitte ab, daß ein Scheck » … eine Woche oder zehn Tage« brauchte, ehe er verrechnet war. Dieses der Zivilisation dargebrachte Opfer wurde dann schnell durch die Geburt von Plastikgeld in Form von Kreditkarten wettgemacht, die den Menschen dreißig bis fünfundvierzig Tage Schonfrist einräumten, ehe Zahlungen fällig wurden. Wer diese elektronischen Waisen bei sich installierte, mußte 101
auch bald feststellen, daß die meisten Computer das Zehnfache der verlangten Arbeit zu leisten imstande waren. Daraus folgte die Einführung des ‚Time-Sharing-Systems’ einer fabelhaften Möglichkeit, die Computerkosten aufzuteilen. Als problematisch erwies sich dabei nur die Tatsache, daß ein Computer als ein besonders treuloser Sklave agiert, der nur zu willig mehreren Herren dient. So konnte es geschehen, daß harmlose Terminal-Operatoren entdecken mußten, wie sie zufällig und unabsichtlich ganze Berichte über Bankgebaren geliefert bekamen, wenn sie nur eine Aufstellung des eigenen Lagerbestandes erfahren wollten. Als sich diese Pannen herumsprachen, war es nur eine Frage der Zeit, bis man absichtlich einen Blick in fremde Computer tat – eine Art Binär-Digital-Voyeurtum – anfänglich ein kleiner Spaß, der sich jedoch hurtig zu einer neuen Form der Industriespionage entwickelte. Die Computer selbst gaben zwar nichts preis, aber die menschlichen Schwächen der Computer-Operatoren taten das Ihre. Wer etwas zu verbergen hatte, sah sich schleunigst nach Sicherheiten um. In Schreibmaschinen-Terminals wurden Tastensperren eingebaut, sodann durfte der Computer nur Daten ausspucken, wenn der Fragende sich mit einer geheimen Code-Nummer ausweisen konnte, und zu guter letzt mußte der Computer dem Datenbegehrenden Fragen stellen wie: »Wie heißt Ihr Hund?« So weit, so gut. Aber die gesperrten Schaltbretter ließen sich höchst einfach durch das Anzapfen des Telefonanschlusses umgehen, womit eingehende Daten zu einem anderen Terminal umgelenkt wurden. Man durchdrang das GeheimcodeNummernsystem, indem man dem Computer elektronisch Gewalt antat und ihm befahl, sämtliche Code-Nummern bekanntzugeben. Persönliche Identifizierung war zeitraubend und konnte überdies telefonisch abgehört werden, so daß man von dieser Prozedur bald abging. Der komplizierte Gehilfe des Menschen, dessen Ankunft zunächst glückund 102
segenverheißend war, wurde so zu einem Zauberlehrling der Wirtschaft. Wer mit dem Flaschengeist des Datenverarbeitungsgenies umspringen konnte, hatte die darin enthaltenen Informationen und Fähigkeiten unter Kontrolle. In der Welt der Wirtschaft, des Handels und der Banken konnte eine derartige Zugänglichkeit gefährlich und kostspielig werden, wo es aber um nationale Verteidigung ging, sogar katastrophal und tödlich. Die von verschiedenen Zweigen innerhalb des Verteidigungsministeriums benutzten militärischen Computer hatten es mit einfachen Problemen logistischer Natur zu tun, beispielsweise mit Truppenbewegungen gegen den Feind. Weit kompliziertere Denkspiele, wie etwa die Entscheidung, welche russischen oder chinesischen Städte mit Interkontinentalraketen dem Erdboden gleichzumachen sind oder beispielsweise – als Gipfel der Herausforderung – die Entwicklung von Plänen für jede erdenkliche Situation, zu jedem möglichen Zeitpunkt an den verschiedensten Punkten der Erde – einen solch unersättlichen Wissensdurst könnte kein einfacher menschlicher Verstand oder auch eine ganze Gruppe von Gehirnen befriedigen. Die Abteilungen des Verteidigungsministeriums mußten nach demographischen Gesichtspunkten auf jene Kongreßdistrikte verteilt werden, die solche Rosinen verdienten. Daher galt es, Daten aus weitverstreuten Orten dem Pentagon zu übermitteln. Und diese Verbindungsglieder machten die gesamte Kette verwundbar. Von ihrem Posten an der Brustwehr des Festungswalls aus hält die ZARF Wache, in eine Nacht voll unbekannter Gefahren hinausspähend. Sie versucht, Wege zu entdecken, um nicht voraussehbare Kombinationen in der Elektronik zu verhindern, die das System gefährden könnten. Die Elite dieser neuen Verteidigungslinie bildeten die »Tiger-Teams«, moderne Krieger, gewappnet mit einem Diplom der Naturwissenschaften, geweiht dem Turnierkampf 103
mit Datenspeichern und Zwischenschaltungen. An der Spitze dieser Ritter-Phalanx stand General Hollie Trosper. Den Koreakrieg hatte Hollie Trosper gemeinsam mit John Masters mitgemacht, und ihre Freundschaft hatte die Jahre überdauert. Nach John Masters’ Tod hatte Hollie Paula weiter die Freundschaft gehalten und war ihr mit Rat und Tat zur Seite gestanden, als sie an dem Sicherheitssystem für »Slayton, Großhandel und Ausstellungsräume« gearbeitet hatte. Abgesehen davon, daß er Paula gesagt hatte: »Einfach unmöglich«, hatte er etliche grundlegende Verfahren vorgeschlagen, um Slayton »verdammt sicher« zu machen. Von Anfang an hatte Hollie Trosper Paula erklärt: »Das Problem besteht darin, daß man einem Computer das Lügen beibringen kann«, und während er hier mit Sy und Moon dasaß, suchte er genau das – jenen Fehler im SlaytonComputer, der diesem das Lügen ermöglicht hatte. Nach stundenlanger Befragung der eisenoxydbeschichteten Bänder war Hollie überzeugt, daß der Computer gelogen hatte. Er war eben dabei, festzustellen, wie dieser heimtückische Eingriff vollbracht worden war. Moon war nahe daran, vor Langeweile einzunicken, als Hollie zu Sy sagte: »Sehen Sie?« und Sy mit einem verständigen »Hm« reagierte. Im Laufe der Nacht hatte man Moon erklärt, daß man einem Hinweis auf der Spur war, der von Sys erster Beobachtung eines Spannungsabfalls und Paulas Behauptung, es gäbe Abnutzungserscheinungen an den Bändern, herrührte. Keines dieser Charakteristika hätte eigentlich auftreten sollen. Mehrere Stunden lang hatte General Trosper seinem Honeywell Alpha 3000 Anweisung gegeben, jedes einzelne Bit der SlaytonBänder auszuweisen. Die letzte Sichtanalyse zeigte nun deutlich, daß jemand Zugang zu den Bändern gehabt hatte, während man sie sicher eingebettet im Slayton-Computer wähnte. 104
Moon war die Bedeutung dieser Entdeckung nicht völlig klar, weil sowohl Sy als auch Hollie mit Worten und Phrasen um sich warfen, die für Moon unverständlich waren. Er spürte die Spannung in seinen zwei Mitstreitern und zwang seinen Verstand zum aufmerksamen Zuhören. Dabei wartete er nur auf eine Wendung, die zuließ, daß er endlich seine Erfahrung aufs Tapet bringen konnte, nämlich die Sachkenntnis eines simplen, Tatsachen aufspürenden Cops. Leise und sachlich äußerte Hollie: »Okay. Jetzt haben wir es.« Moon beugte sich vor und begutachtete die Reihe von Sichtmonitoren, während Hollie verschiedene Schalter betätigte, die wiederum verschiedene Bereiche seines KontrollComputers aktivierten. Auf einigen Bildschirmen erschienen Zahlen, auf anderen Sinuskurven und auf wieder anderen Wörter wie BAUD und ACOBOL. Für Moon bedeutete das alles gar nichts, um so mehr aber für Sy und Hollie. Es dauerte weitere zehn Minuten, ehe einer der Computer-Experten eine für Moon verständliche Äußerung tat. Hollie machte den Anfang. »Moon, jemand, der über ein großes allgemeines ComputerFachwissen und dazu über Insider-Informationen vom SlaytonComputer verfügt, hat das Alarm-Warnsystem umgemodelt.« »Steht das jetzt fest?« fragte Moon. »Hat jemand an dem System herumgepfuscht?« Hollie nickte. Moon ließ nicht locker. »Es war demnach also nicht unser Fehler?« »Nach unserem heutigen Wissensstand wurde von Masters’ Security kein Fehler begangen«, versicherte Hollie. »Euch haben Leute ausgepunktet, die zwar nicht klüger, aber mindestens ebenso klug sind. Übrigens ein Problem, dem sich die gesamte Industrie gegenübersieht.« »Na, großartig, Hollie. Heute wird Paula ein überglückliches Mädchen sein.« »Moon, wenn Sie nicht mehr wissen wollen, dann wissen 105
Sie’s jetzt«, meinte Hollie. Moon erfaßte sofort die Bedeutung von Hollies Worten und fragte: »Könnten wir noch mehr herausbekommen?« Sy lächelte stolz, weil er nicht nur über die zusätzliche Information verfügte, sondern auch zu den Denkprozessen beigetragen hatte, die schließlich zur Aufdeckung der Manipulation führten. »Moon, wir wissen jetzt nicht nur, daß das System manipuliert wurde. Wir wissen sogar, wie das gemacht wurde. Wir können auch mit ziemlicher Sicherheit sagen, von wo aus, und das wiederum dürfte Sie auf die Spur des Täters führen.« Insgeheim war Moon froh, daß Sy sich als anerkannte Autorität bewährt hatte, doch das ließ er sich jetzt nicht anmerken. Er mochte Sy, wollte jedoch um keinen Preis einem Menschen offen recht geben, dessen Lebensinhalt darin bestand, in einem Raum zu hocken und sich mit Elektronen ein Gefecht zu liefern. Hollie belächelte den freundschaftlichen Wettstreit der beiden. Beide waren mit der Verbrechensbekämpfung befaßt und doch durch Welten voneinander getrennt. Hollie erklärte Moon: »Wir wissen jetzt, daß jemand den gesamten Datenaufbereitungs- und Operationsmodus von Slayton kannte. Entweder wurden die Arbeitsunterlagen gestohlen, oder man hat die Leitung abgehört.« »Die Leute von Slayton bekamen von uns niemals Arbeitsunterlagen. Deswegen können sie unmöglich aus den Räumlichkeiten der Firma Slayton entwendet worden sein.« »Bleibt also der Telefonanschluß. Die Lauscher haben vielleicht die direkte Alarmleitung zu eurem Wachhabenden angezapft, oder aber sie haben an den firmeninternen Anschlüssen bei Slayton genippt«, meinte Hollie. »Sie wissen sicher noch, wie ich damals die Anschlüsse der Verkaufsabteilung streichen wollte? Aber Slayton bestand darauf, daß die Angestellten auch Zugang zum 106
Kreditkontenbereich des Computers bekämen –« »Dann also ging die Aktion von einer der Abteilungen aus?« fragte Moon. »Nein«, sagte Hollie. »Wir haben uns die von diesen Terminals ausgehenden Signale angesehen. Sie geben keine der Eingabe ähnliche Spuren ab.« Sy sagte nun zu Moon: »Jedes mit einem Computer verbundene Terminal hat seine eigene ,Handschrift’ – so ähnlich wie Fingerabdrücke. Sie wissen schon.« »Nein, weiß ich nicht. Aber wenn ich es wissen müßte, dann schießen Sie los.« Sy genoß diesen Augenblick. »Ein Computer-Terminal ähnelt einer Schreibmaschine, sendet aber auch ein elektronisches Signal aus, das dem Zentral-Speicher als Instruktion zugeht. Und diese Signale weisen gewisse Unterschiede auf. Das Signal für den Buchstaben A beispielsweise könnte sich um Bruchteile von Tausendstelsekunden von einem anderen A unterscheiden, dazu kommen noch andere, kaum wahrnehmbare Abweichungen in der Spannung, Frequenz und Amperezahl. Aber immerhin Unterschiede. Hollies Maschine hier kann solche Unterschiede aufspüren.« »Das den Slayton-Bändern zugrundeliegende Programm wurde von einem Apparat aus abgeändert, der sich außerhalb des Slayton-Netzes befand. Das wissen wir«, sagte Hollie. »Und wieso merkten wir nicht, daß eine Änderung vorgenommen wurde?« fragte Moon. »Gerade aus dieser Tatsache entnehmen wir, daß man sich zu den Arbeitsbogen Zugang verschafft hatte. Man änderte das Programm, ohne die Zahl der Bits innerhalb des Programms zu ändern«, erklärte Hollie. »Kapiere ich nicht.« »Es ist ungefähr so«, erklärte Hollie weiter. »In der Normalsprache könnte man schreiben: ,Laß Joe nicht rein.’ 107
Wenn man den für diesen Satz benötigten Raum zusammenrechnet, kommt man auf achtzehn Digits. Wenn man nun die Aufforderung so formuliert: ‚Bitte laß Joe rein’ – hat man noch immer achtzehn Einheiten, aber die Aufforderung hat gegenteilige Bedeutung. Bei einem Computer ist es nun etwas einfacher, aber im Prinzip gleich. Das Wichtigste dabei ist: man benötigt Zeit, um ein Programm durchzustudieren, damit man Gegenbefehle mit der gleichen Digit-Zahl eingeben kann. Eigentlich ganz einfach, aber doch recht raffiniert.« Moon mußte diese Information erst verdauen, ehe Sy weitere Neuigkeiten aufs Tapet bringen konnte. »Wir wissen zudem, daß das zum Eindringen benutzte Terminal innerhalb von Denver liegen muß, weil die Frequenz der städtischen Elektrizitätsversorgung als Trägerwelle dient.« »Mist«, schimpfte Moon. »Wer soll das verstehen?« Hollie glättete die Wogen. »Die von einem Elektrizitätswerk gelieferte Energie beinhaltet kleine Signal-Impulse. Wir konnten diese Signale aufspüren, die zum Betreiben des Terminals benutzt wurden sowie dazu, das verstärkte Signal über Telefonanschluß zu senden, als die Veränderungen an den Slayton-Bändern vorgenommen wurden. Es ist nicht so wie beim Betrachten von Fingerabdrücken durch ein Vergrößerungsglas; eher so, wie wenn man durch ein Elektronenmikroskop guckt und sich die im Schweiß der Fingerabdrücke enthaltenen Aminosäuren ansieht.« Moon tat, als verstünde er, und fragte weiter: »Können Sie noch nähere Angaben machen?« Hollie antwortete in autoritätsschwangerem Ton: »Das Terminal war ein Olivetti-Schaltbrett – nicht weiter als zwei Meilen von Slayton entfernt, in der Nähe einer Verkehrsampel! Ich würde sagen, maximal hundert Fuß von einer Verkehrsampel entfernt.« Moon hielt das zunächst für einen Scherz und bedachte Hollie mit einem kritischen Blick. Dem aber schien es voller 108
Ernst zu sein. Sy erklärte: »Gewiß ist Ihnen klar, daß ein Olivetti-Terminal sich anders verhält als einer von – sagen wir – IBM.« Moon nickte verständnisinnig, und Sy weihte ihn in alle übrigen, vom Computer gewonnenen Erkenntnisse ein. »Sehen Sie, Moon, wir spürten ein schwaches magnetisches Signal auf, das alle neunzig Sekunden aufschien. Unserer Ansicht nach kann es sich dabei nur um eine Verkehrsampel handeln. Stimmt’s?« »Stimmt – aber es könnte sich auch um eine Leuchtreklame handeln«, entgegnete Moon. Hollie warf ein: »Ein Neon-Lichtsignal wäre anders geartet. Nein – es war das Steuerungssignal einer Verkehrsampel.« »Und davon haben wir in Denver ja allerhöchstens zwei- bis dreitausend«, sagte Moon trocken. »Innerhalb des Verkehrsschneisensystems für die Feuerwehr?« warf Hollie ein. Moon stellte mit den Augen eine Frage. Hollie erklärte: »Die Sperrvorrichtung, mittels der die Feuerwehr alle Ampeln auf Rot stellt, um sich freie Bahn zu schaffen, muß bei jedem Zyklus einklicken. Das konnten wir ebenfalls herausfinden.« Moon brachte nun sämtliche Erkenntnisse auf einen Nenner: »Wir suchen also ein Olivetti-Computer-Terminal in der Nähe einer roten Ampel auf einer Feuerwehr-Freistraße, höchstens zwei Meilen von Slayton entfernt?« Sy lächelte. »Richtig.« »Von den zwei Meilen gehen Sie nicht runter?« fragte Moon. »Nein«, erwiderte Hollie. »Wir verglichen die BAUDS mit der Bitrate des Olivetti und sind zu der sicheren Erkenntnis gelangt, daß es sich um einen Radius von zwei Meilen handelt – ein paar Fuß auf oder ab.« Sy erklärte genüßlich, BAUDS wären Meßeinheiten zur Messung der telefonisch übermittelten Signale. Im Vergleich 109
mit der Signalübermittlungsgeschwindigkeit der OlivettiBitrate kamen sie genau auf die genannte Entfernung. »Handelt es sich dabei um eine echte Entfernung?« fragte Moon. »Sind es zwei Meilen nach allen Richtungen?« »Man muß es stückweise zusammenrechnen«, sagte Hollie. »Zunächst die Entfernung entlang der Telefonleitung zum Teilnehmeranschluß, sodann von dort wieder hinaus.« »Wenn ich mich nach euren Angaben richte, kann ich jetzt ein Drittel der Bevölkerung von Denver überprüfen«, grollte Moon. Sy korrigierte ihn: »Nein, nur solche, die Zugang zu den Tasten eines Olivetti-Computer-Terminals haben. Finden Sie den heraus, und Sie haben Ihre Firma gerettet.« Hollie drehte an Schaltern, um Alpha 3000 lahmzulegen. Er fragte Moon: »Ist es denn so schlimm?« »Darauf können Sie Gift nehmen«, lautete Moons Antwort.
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13. »Sie können Gift darauf nehmen, daß es ernst ist«, schnarrte Ben Martin in den Hörer. Er hielt ihn so krampfhaft umklammert, daß seine Knöchel weiß hervortraten. Er lauschte angestrengt und knallte dann den Hörer hin. »Dieser Idiot legt einfach auf, stieß er wütend hervor. Charlie le Claire schüttelte enttäuscht den Kopf. Er äußerte eiskalt: »Bleiben also nur noch zwei. Wenn wir die nicht auf unsere Seite bekommen, sind uns bis zur Aktionärsversammlung die Hände gebunden.« Ben Martin schüttelte wutentbrannt den Kopf. »Diese zwei Schwachköpfe sind erst morgen wieder erreichbar. Verdammte Scheiße! Ich hätte eigentlich gedacht, es würde leichter gehen.« Seit dem Lunch tags zuvor hatte Ben Martin ununterbrochen versucht, sich Unterstützung für eine außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrates von Masters’ Security zu sichern, doch sah es ganz so aus, als würden sein blinder Eifer und seine Wut kleine Wellen bilden wie der Bug eines schwerbeladenen Kahnes. Von den drei telefonisch erreichbaren Aufsichtsratsmitgliedern schienen alle gewillt, Paula die wenigen verbleibenden Tage bis zur Sitzung zur Aufklärung des Juwelenraubes bei Slayton Zeit zu lassen. Keiner hatte sich von Bens rüden Methoden einschüchtern lassen. Die zwei Aufsichtsratsmitglieder, die erst Samstag zurückerwartet wurden, würden vermutlich von den anderen benachrichtigt werden, ehe Ben sich mit ihnen in Verbindung setzen konnte. Sein Aktionsplan wollte so gar nicht nach Plan abrollen. Charlie le Claire hatte eine Idee. »Warum erwirken wir nicht einen Unterlassungsbescheid gegen die Einberufung der Aktionärsversammlung? Wenn wir eine Woche oder zehn Tage Zeit gewinnen, können wir die anderen Aufsichtsratsmitglieder vielleicht noch umpolen.« 111
Wütend griff Ben Martin nach der Morgenausgabe der »Rocky Mountain News« und schleuderte sie quer über seinen Schreibtisch. »Weil wir das nicht brauchen können!« explodierte er. Auf der Titelseite prangte in dicken Schlagzeilen die Story des Einbruches bei Slayton. Charlie le Claire war derjenige, der in diesem Fall die Entscheidungen traf. Insgeheim stimmte er mit Ben dahingehend überein, daß eine gerichtliche Verfügung zur Vertagung der Sitzung ein zusätzliches Schlaglicht auf eine Situation warf, die ohnehin schon zu stark belichtet war. Da hatte er einen ganz anderen Aktionsplan parat. Er schob die Zeitung zurück. »Okay«, sagte er. »Nehmen wir Verbindung mit Beth auf.« Beth Morrison saß voll Unbehagen in einer Nische des Branding Iron Coffee Shop im Untergeschoß des Brown Palace Hotels. Sie drehte und wand sich unter Paulas eindringlichem Blick. Es war kurz nach zehn. Auf Paulas Vorschlag hin waren sie heruntergekommen. Im Büro war es den ganzen Morgen über hektisch zugegangen, da die Presse alle Augenblicke um Erklärungen bat und die Polizei dauernd hereinschneite, um sich Unterlagen, Geschäftsberichte oder andere für die Ermittlung im Falle Slayton benötigte Informationen zu holen. Derk Loudermilk wußte als einziger, wo sie jetzt waren. Paula wollte es so, weil er an der Stuart-Entführung arbeitete und sie auf dem laufenden bleiben wollte, falls es neue Erkenntnisse gäbe. Ihr eigenes Problem, die Schlappe bei Slayton, wurde durch Beths distanzierte Haltung noch zusätzlich belastet. Sie wollte nun die Situation endlich abklären, und das war im Büro unmöglich. »Beth, Sie müssen mir sagen, was mit Ihnen los ist«, bat Paula. Mit der Andeutung wütender Ungeduld antwortete Beth: 112
»Nichts ist los, Paula. Ich sagte Ihnen schon, daß ich mich nicht wohl fühle.« »Trotzdem wollen Sie nicht zu Hause bleiben oder einen Arzt konsultieren, stimmt’s?« Beth protestierte. »Ich brauche keinen Arzt. Ich bin nur nicht ganz auf dem Damm. Sicher kennen Sie das aus eigener Erfahrung.« »Ich werde das Gefühl nicht los, daß Sie nicht ganz aufrichtig sind«, bohrte Paula weiter. Beth unterzog sich erst gar nicht der Mühe des Antwortens. Sie spielte mit ihrem Löffelchen im Kaffee herum. Paula ließ nicht locker. »Warum haben Sie sich gestern abend nicht bei mir gemeldet?« Jetzt flammte helle Empörung in Beths Augen auf. »Bin ich der Firma über jeden einzelnen Schritt Rechenschaft schuldig?« Paula unterdrückte ihr Verlangen, die ganze Sache auf sich beruhen zu lassen. Die Firma Masters’ Security konnte sich keine Mitarbeiter leisten, die die Zeituhr drückten und ihre acht Arbeitsstunden strikt einhielten. Die Mitarbeiter im mittleren und oberen Management arbeiteten jeweils so lange, bis eine Sache erledigt war. Und Beth war jahrelang der Firma gegenüber sehr großzügig gewesen, was Zeit betraf. Solange sich Paula zurückerinnern konnte, hatte Beth es nie versäumt, Moon oder Paula über ihr Kommen und Gehen und ihren jeweiligen Aufenthalt auf dem laufenden zu halten, für den Fall, daß sie gebraucht wurde. »Und ausgerechnet wenn wir uns mit der Slayton-Sache herumschlagen, verschwindet sie einfach eine ganze Nacht!« dachte Paula bei sich. Laut bemerkte sie: »Beth, klären wir die Sache lieber auf der Stelle ein für allemal ab. Andernfalls werde ich leider ohne sie auskommen müssen.« Das war bis jetzt das Äußerste an Drohung, was Paula sich einem Mitarbeiter gegenüber geleistet hatte. Ihr Mann hatte ihr 113
einen hochqualifizierten Mitarbeiterstab hinterlassen, der imstande war, weitere befähigte Mitarbeiter an sich zu ziehen. Während Paula den üblichen, zwischen Angestellten und Firmenleitung auftauchenden Problemen draußen in Aurora bei den technischen Angestellten des Fertigungsbetriebes sehr wohl begegnet war, blieb die administrative Seite der Muttergesellschaft in den Büros im Brown Palace so klein und beschränkt, daß sich Probleme gar nicht erst ergeben konnten. Bis diese unangenehme Sache mit Beth begonnen hatte. Da sah das Mädchen von ihrer Tasse auf und sagte: »Langsam komme ich auch zu der Einsicht, daß dies eine hervorragende Idee ist, Paula.« Paula war perplex. Sie hatte Beth nur ein wenig Angst einjagen und damit erreichen wollen, daß sie sich wieder so benahm wie früher. Nun gut, sie würde nicht versuchen, Beth umzustimmen – vermutlich war es die beste Lösung. Aber ein wenig hinausschieben wollte sie die Sache. »Sehr gut, Beth. Aber ich würde es begrüßen, wenn Sie bis nach der Aktionärsversammlung blieben.« Beth zögerte zunächst. Dann gab sie mit einem Nicken wortlos ihre Einwilligung.
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14. Im Cherry Creek Einkaufszentrum ging es lebhafter zu, als es sonst um halb neun Uhr morgens üblich war. Normalerweise nahmen die Scharen von Büro- und Ladenangestellten, die sich ihr tägliches Brot in Denvers glänzendem, funkelnagelneuem Einkaufs-Prunkstück verdienten, hastig ihren Kaffee aus Plastikbehältern zu sich, dazu ein Stück Gebäck und eilten an ihre Arbeitsplätze, erstaunt, daß sie es wieder mal rechtzeitig geschafft hatten. Dieser Morgen indessen war anders. Vor der Park Central National Bank ließ eine ganze Abteilung von Polizeiwagen ihre aufdringlichen blauen SignalLampen aufblitzen, Polizisten trugen eine Miene zur Schau, als hätten sie in letzter Minute das Verbrechen des Jahrhunderts verhindert, und biedere Bürger drängelten sich so nahe als möglich heran und raunten sich wilde Gerüchte über den Grund all der Aufregung zu. So wurde unter anderem behauptet, eine Bankräuberbande oder aber Terroristen wären samt Geiseln in den Tresorräumen der Bank eingeschlossen; andere Zaungäste mutmaßten, daß eine wilde Schießerei bereits stattgefunden hätte und man jeden Moment damit rechnen müsse, mit dem Anblick blutiger Leiber konfrontiert zu werden, die zum wartenden Ambulanzfahrzeug geschafft werden müßten. Die meisten Uniformierten wußten übrigens genausowenig, was im Gebäudeinneren vor sich ging. Niemand hatte sie darüber aufgeklärt. Von Zeit zu Zeit forderten sie in amtlichem Befehlston die gaffenden Zuschauer zum Weitergehen auf. So hatten sie wenigstens etwas zu tun. Ähnliche Verwirrung herrschte im Inneren der Bank. Clancey, der in der Bank Wachdienst gehabt hatte, stand total verwirrt da, während in der Menschenmenge vor ihm die Gesichter kamen und gingen. 115
Derk Loudermilk stellte den drei ihn umstehenden Männern eine Frage: »Können wir uns hier denn nirgends zurückziehen?« Als er keine Antwort bekam, schlug er vor: »Gehen wir doch da hinein.« Er wies auf die geschlossene Tür zu den Räumen des Bankdirektors. »Geht nicht«, sagte eine Stimme, »wir haben die Räume versiegelt!« »Verdammtes FBI«, schimpfte Derk. Das ihn umgebende Trio ließ eine Vielzahl von Gefühlen erkennen. Ein gelehrt aussehender Rechnungsprüfer von der Bundesreservebank in St. Louis grinste, ein akademischsnobistisch angehauchter IRS-Agent lachte offen, und ein modisch gekleideter FBI-Agent, es war derjenige, der gesprochen hatte, runzelte die Stirn. »Entschuldigung«, sagte Derk und bequemte sich zu einer freundlichen Grimasse. »Seid ihr denn da drinnen noch nicht fertig?« Ein negatives Kopfschütteln war gekoppelt mit den Worten: »Wir warten auf die Ergebnisse der FingerabdruckUntersuchungen. Wir müssen uns ein anderes Plätzchen suchen.« Er sprach eine attraktive junge Dame in der Nähe an. Sie trug eine hellrote, taillierte Jacke und war Stellvertreterin des Direktors. »Wir dürfen das Sitzungszimmer benutzen«, sagte er, als er sich wieder zu ihnen gesellte. Derk sah zum Halbstock hoch, wo das Sitzungszimmer wie ein Aquarium prangte. Es hatte Glaswände und war von der Halle her von allen Seiten einzusehen. Derk ging zu der modernen Treppenkonstruktion aus behauenem Marmor und rostfreiem Stahl voraus. Inmitten der Massenbewegung interessierter Ermittler war Clancey beinahe in Vergessenheit geraten. Das war eigentlich erstaunlich, denn Clancey war der Grund ihres Hierseins. Er war der Hauptgrund, warum Derk Loudermilk einen stillen Ort suchte. 116
Die zu dieser Situation führenden Ergebnisse kreisten zur Gänze um Clancey. Auf seine nachdrückliche Forderung hin ließen die anderen Ermittler Derk den Vortritt, nachdem er geäußert hatte: »Und jetzt möchte ich Clancey sprechen. Ungestört. Okay?« Bejahendes Nicken räumte Derk die Entscheidung in einer Situation ein, zu deren Lösung es der Weisheit eines Salomo bedurft hätte. Paddy Clancey hatte seinerzeit – als Derk zur Polizei nach Denver gekommen war – als Polizist des Wachdienstes Dienst versehen. Inzwischen war er als Nachtwächter bei Masters’ Security beschäftigt, mit der Auflage, nur zur Bewachung in Keith Stuarts Bank eingesetzt zu werden. Dieses quasi bindende Übereinkommen war vor fünf Jahren unter Mithilfe Derk Loudermilks zwischen John Masters und Keith Stuart geschlossen worden. Clancey hatte zu Denvers populärsten Polizisten gehört. Wie bei zahlreichen anderen Banken im Gebiet von Denver stellte Masters’ Security auch hier uniformierte Bewacher als Schutzmänner zur Verfügung. Älteren, pensionierten Polizisten wurde meist die Schicht zwischen Mitternacht und acht Uhr zugeteilt, weil die Banken es nicht gern sahen, wenn behäbige Typen während der Schalterstunden Dienst taten. Und den meisten ehemaligen Bullen behagte auch der Nachtdienst – da fühlte man sich eher als »Cop« als tagsüber, wenn man Lollies an Kinder verteilen und Hunderte von Kunden grüßen mußte. So kamen bei dieser Einteilung alle auf ihre Rechnung, denn die Nachtwächter stellten eine wichtige Ergänzung der komplizierten elektronischen Schutzvorrichtungen innerhalb des Alarmsystems dar. Und der Grund des allgemeinen Interesses an Clancey war die Tatsache, daß er den Präsidenten der Bank, Keith Stuart, mit eigenen Augen gesehen hatte! Während sich die zahlreichen Erhebungsbeamten im 117
ungewohnten Komfort der Stühle um den Konferenztisch niederließen, sagte Derk: »Clancey, schießen Sie los. Von Anfang an.« Von seiner Wichtigkeit erfüllt, ließ Clancey seinen Bericht vor Derk erneut abschnurren, während die anderen zuhörten. »Es war kurz nach fünf. Das weiß ich so genau, weil ich eben meinen Kontrollanruf beim Wachhabenden in der Firma erledigt hatte und das Hauptalarmsystem zur stündlichen Überprüfung eintastete. Alles tadellos, wenigstens sagte mir das der Bewacher draußen in Aurora. Kaum hatte ich aufgelegt, fährt vorne am Eingang ein Wagen vor, ganz an den Randstein heran. Das fiel mir auf.« Derk konnte sich in bezug auf Einzelheiten auf Clancey verlassen. Er hatte seinerzeit als Polizist tadellose Arbeit geleistet und sich auch im Ruhestand seine scharfen Sinne bewahrt. »Also«, fuhr Clancey fort, »ich bemerkte das sofort und denke noch, das könnte jemand sein, der zum NachtdepotEinwurf möchte. Ich schlendere langsam rüber zur Glastür und denke, ich seh’ nicht recht. War es doch er, höchstpersönlich, lächelte glücklich und winkte mir freundlich zu. Und ich hatte mir solche Sorgen um ihn gemacht, wie wir alle in der Bank, einfach so entführt zu werden … Ich denke mir: ,Ist er endlich freigekommen!’ Er zieht seine Datenkarte raus – Sie wissen ja, das Ding mit dem Aufdruck, mit dem die Leute in die Bank reinkommen –, und ich schließe natürlich als erstes die Tür auf und lasse ihn herein. Ich glaube, das Warnsystem draußen in Aurora wurde dadurch gar nicht ausgelöst, oder aber der Nachtwächter dachte eben, ich hätte meine stündliche Kontrolle gemacht. Na, ich mache die Tür auf und sage: ,Glauben Sie mir, Mr. Stuart, wir waren in großer Sorge um Ihre Sicherheit.’ Sagt doch Mr. Stuart eiskalt: ,Nichts wie rein, Clancey, und Tür zu!’ Eine schöne Überraschung, das können Sie mir glauben. Hastig sagt er mir, er würde beobachtet. Man 118
würde Mrs. Stuart töten, falls er eines der Alarmsysteme einschalte oder die Polizei rufe. Ich kenne mich nicht mehr aus, soviel steht fest. Da steht er vor mir und sieht schrecklich aus, glauben Sie mir. Glatte zehn Jahre älter. Ich entschied mich zu tun, was er verlangte: Ich setzte mich an den Tisch des Vizepräsidenten und machte gar nichts. Nun denn, Mr. Stuart geht zu seinem Büro und sieht jetzt, daß die Tür mit den Siegeln vom FBI vollgeklebt ist. Er macht kehrt und geht in die Einlauf-Stelle, den Raum, in den das Geld eingeliefert wird. Nach fünf oder zehn Minuten kommt er mit einem Sack heraus, mit einem unscheinbaren Bank-Geldsack, der ziemlich gewichtig aussieht. Er kommt auf mich zu und sagt, er hätte sich Bargeld nehmen müssen, und zwar aus den NachtdepotSäcken, die sich inzwischen angesammelt hatten. Sie wissen ja, donnerstags kommt immer viel Geld von den Lebensmittelläden, Jede Wette, daß er aus dem vollen schöpfen konnte.« Einer der Buchprüfer der Bundesreservebank ließ verlauten: »Er hinterließ eine genaue Aufstellung darüber, was er aus jedem Sack nahm. Es macht etwas über 73.000 Dollar aus.« Derk nahm dies zur Kenntnis, bedachte den Mann jedoch mit einem Blick, der besagte: ,Laß doch Clancey ausreden’, und der Wächter konnte fortfahren. »Mr. Stuart sagt mir: ,Clancey, von Ihnen hängt jetzt mein Leben ab. Sagen Sie niemandem, daß ich hier war. Die werden mich töten.’ Ja, genau das sagte er: ,Die werden mich töten.’ Ich fragte ihn noch wegen des Sackes und sagte, daß die Entnahmen sicher auffallen würden, und er meinte, ich sollte so lange als möglich den Mund halten. Für ihn zähle jede einzelne Minute.« Clancey sah sich um, sichtlich auf der Suche nach verständnisvollen Mienen, doch was er statt dessen sah, war ein Meer steinharter Gesichter. Bis auf Derk, der den Alten freundlich ansah. »Weiter«, drängte er ihn. 119
»Na ja«, entgegnete Clancey, »das wär’s soweit. Er sagte noch, ich solle den Wachhabenden anrufen und ihm sagen, mir wäre der Schlüssel im Schloß steckengeblieben und ich wolle jetzt die Türe öffnen. Das tat ich und ließ ihn hinaus, wie er hereingekommen war.« Eben als der Rechnungsprüfer der Bundesreservebank fragen wollte, ob er endlich Clancey verhören dürfe, platzte Paula Masters herein, gefolgt von einem Polizisten in Uniform, der vergeblich versuchte, sie aufzuhalten. Dabei entging er nur knapp einem handgreiflichen Zusammenstoß mit dem diensthabenden Wächter von Masters’ Security, der natürlich Partei für Paula ergreifen wollte. Derk schmunzelte belustigt. Die Szene war wie geschaffen für Pressefotografen. Er wies den Polizisten an, Paula einzulassen. Derk erteilte ihr eine scherzhafte Rüge: »Mädchen, du kannst ja richtig Ärgernis erregen!« Sie gab keine Antwort, ging vielmehr direkt auf Clancey zu und fragte ihn: »Ist Ihnen nichts zugestoßen?« Trotz seiner mehrmaligen Versicherung, er sei wohlauf, ließ Paula nicht locker, als wolle sie sich hundertprozentig vergewissern, daß er unverletzt geblieben war und nicht knapp vor einem Herzanfall stand. Paulas Besorgnis um ihre Angestellten war aufrichtig, und gar für Clancey hatte sie eine besondere Schwäche, weil er in den Anfängen des Unternehmens John Masters tüchtig zur Seite gestanden hatte. Derk drängte voll gutmütiger Ungeduld: »Lieber Himmel, Paula, laß den Armen doch in Ruhe. Er fühlt sich tadellos. Er soll uns noch eine Menge Fragen beantworten.« Der FBI-Mann sagte: »Ich kann Ihnen sagen, was wir bis jetzt wissen.« Köpfe wandten sich um, und Augen starrten den Agenten an, der gemächlich fortfuhr: »Keith Stuart steckt knietief in einem Diebstahl großen Stils.« Schweigen in der Tafelrunde, während diese Feststellung 120
sich in die Gemüter senkte. Der Buchprüfer bemerkte: »Recht hat er. Stuart nahm unbefugt der Bank anvertraute Gelder an sich. Eine klare Verletzung der Bankstatuten.« Derk machte dem ein Ende. »Ach, hört doch auf mit dem Unsinn. Der Mann wurde bedroht und handelte unter Zwang.« Zu Clancey gewandt, fragte Derk: »War er im Wagen allein?« Clancey verneinte. »Am Steuer saß eine Dame. Ich konnte sie nicht erkennen und hielt es im Interesse Mr. Stuarts für das Beste, wenn ich nicht hinging und mir den Wagen genauer ansah. Er sagte ja, er würde beobachtet.« Ein paar Minuten vergingen, während Derk Clanceys Geschichte für Paula aufbereitete. Daraufhin machten sich die anderen Anwesenden über Clancey her. Derk sah dem Treiben eine Weile zu, dann aber unterbrach er das Sperrfeuer von Fragen mit der Warnung: »Wenn ihr den alten Clancey nicht glimpflicher behandelt, dann nehme ich ihn euch überhaupt weg. Beruhigt euch und tut nicht so, als hätte er das Geld genommen.« Das Verhör war etwas ausgeufert, aber Derks Ermahnung brachte die Dinge wieder ins Lot. Derk sagte nun zu Paula, er wolle draußen mit ihr reden. Sie wollte bei Clancey bleiben; sie fühle sich für ihn verantwortlich, weil er ihr Angestellter war. Derk sagte: »Nur ganz kurz. Außerdem stiehlst du dem Alten seinen großen Augenblick. Er genießt das alles ungemein.« Unter sanftem Protest ging sie mit ihm hinaus, nachdem sie Clancey das Versprechen abgerungen hatte, daß er sie anrufen würde, falls er etwas brauchte. Draußen auf dem Treppenabsatz sagte Derk: »Das Fernschreiben aus Cincinnati ist gekommen. Es sieht aus, als wären die zwei Verdächtigen, die das FBI ausforschte, dieselben, die das Ding bei Slayton drehten. Ich ersuchte die Polizei, die zwei festzunehmen. Für Mittag habe ich einen Flug gebucht. Ich muß mir die beiden näher vorknöpfen.« Paulas Lebensgeister sprühten. »Glaubst du, es sind die 121
Richtigen?« »Ja. Ich habe erreicht, daß die Behörden des Hamilton County die beiden wegen verschiedener Verdachtsmomente festhalten. Heute nachmittag weiß ich schon mehr.« »Vielleicht schaffen wir es«, sagte Paula offensichtlich erleichtert. »Möchtest du mitkommen?« fragte Derk. »Wir könnten das Wochenende dort verbringen und Geschäft mit Vergnügen verbinden.« Eine Denkpause von Seiten Paulas trat ein. Sie entschied, daß sie zuviel um die Ohren hatte, um sich sorglos zu amüsieren, und eiste sich mit der Bemerkung los: »Ich muß meine Mädchen besuchen. Wenn wir die Schlappe bei Slayton ausbügeln, fahre ich zu meiner Familie.« »Ich möchte am frühen Abend wieder da sein. Wie steht es mit dem Dinner, das wir uns gestern entgehen lassen mußten?« »Ja, gern«, sagte sie bereitwillig. »Ich kann morgen früh hinaus nach Cranby fahren.« Und dann fragte sie. »Was ist mit Keith Stuart? Wer verfolgt diese Sache weiter?« »Wenn alles glatt läuft, schätze ich, daß er heute nacht oder morgen freigelassen wird, jetzt da das Lösegeld bezahlt ist – vorausgesetzt, es war sein Lösegeld, das er sich hier holte. Die Bundesfahnder klammern sich jetzt wie Kletten an ihn und das Geld, so daß für die Kidnapper nicht viel Energie übrigbleiben wird. Du hast doch gehört, was dieser Besserwisser da drinnen sagte. Die wollen doch Keith wirklich einen Diebstahl anhängen. Dabei könnte Keith die Summe mit dem kleinen Finger aus seinem Privatkonto bezahlen. Wenn Keith sich damit Sicherheit erkauft, ist alles andere Nebensache.« »Ich warte auf Nachricht von Moon und Sy. Die beiden sind draußen bei Hollie Trosper. Sie überprüfen mit seinem Computer noch einmal die Bänder«, sagte Paula. »Ich werde entweder im Büro sein oder zu Hause. Soll ich dich am Flughafen abholen?« 122
»Nein, ich lasse meinen Wagen in Stapleton stehen. Nach der Landung rufe ich dich sofort an und komme dann zu dir.« Paula machte ihm ein Angebot. »Sicher findet sich bei meinen Eltern noch ein freies Bett für dich, falls du übers Wochenende kommen möchtest.« Er grinste. »Da halte ich von meiner Idee mehr.« »Ich auch, aber ein andermal.« Er wollte die Treppe hinunter, doch sie hielt ihn auf. »Könnte ich Clancey hier loseisen?« Derk schüttelte den Kopf. »Laß den armen alten Clancey endlich in Ruhe. Er ist ganz in seinem Element. Sein Herz könnte nicht gesünder sein, sein Verstand ist messerscharf, und er ist das erste Mal seit Jahren in einen Polizeifall verwickelt. Laß dem alten Knaben doch die kleine Freude.« Sie sah die Richtigkeit seiner Argumente ein, wollte aber nicht ganz klein beigeben. »Ich bleibe in der Nähe – für den Fall, daß er mich braucht.« Derk schüttelte den Kopf. Mit einem Lächeln lief er die Treppe hinunter und aus dem Bankgebäude. Genau in diesem Augenblick versuchte Moon Pettigrew von Colorado Springs aus verzweifelt, die Dame von der Telefonzentrale der Bank zu bewegen, ihn mit Mrs. Masters zu verbinden. »Hören Sie, schönes Kind«, kläffte Moon, »es kümmert mich keinen Deut, ob sie im Sitzungszimmer ist. Erheben Sie Ihren Allerwertesten und verbinden Sie mich gefälligst.« Diese Äußerung bewirkte bloß, daß die Dame den Stöpsel abzog und sich an ihre neben ihr sitzende Kollegin wandte: »Dieser dreckige Hundesohn hat ein besonders loses Maul.« Der vor Empörung platzende Moon wandte sich an Sy. »Bleiben Sie oder kommen Sie mit? Ich bin schneller in Denver, als daß ich einen Anruf durchbringe. Ich muß Paula doch über die Sache informieren.« Sy wäre zu gern geblieben und hätte gemeinsam mit General 123
Trosper die Analyse der Slayton-Bänder zu Ende geführt, aber er wußte auch, daß er in der nächsten Ermittlungsphase Moon mit seinem technischen Wissen zur Hand gehen mußte. Beide meldeten sich bei dem General ab und rasten gleich darauf auf der I-80 zurück nach Denver.
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15. Paula saß an ihrem Schreibtisch und verzehrte ein Thunfischsandwich zum Lunch. Sie sah auf die Uhr, verwundert darüber, daß sie von Moon und Sy noch nichts gehört hatte. Beth hatte ihr ausgerichtet, Moon hätte angerufen, während Paula in der Bank war, doch dies war die letzte Neuigkeit aus Colorado Springs. Zehn nach zwölf. Paula wollte bis eins warten, bis Beth vom Mittagstisch zurück war. Dann wollte sie General Trospers Dienststelle anrufen und in Erfahrung bringen, was Moon vorhatte. Fünf Minuten darauf spazierten Moon und Sy, übers ganze Gesicht grinsend, in ihr Büro. Noch ehe sie eine Begrüßung äußern konnte, sagte Moon: »Mich wundert, daß man Sie hier antrifft.« So begierig sie darauf war zu erfahren, was die beiden herausbekommen hatten, ließ sie sich von Moons Frage verwirren. »Warum?« »Ja, wissen Sie noch nichts davon?« fragte Moon, »Keith Stuart ist eben zu Hause aufgetaucht.« Paulas erstauntes »Was!« ermunterte Moon zu weiteren Erklärungen. »Ich habe es eben aus dem Radio erfahren. Er tauchte so geheimnisvoll auf, wie er verschwand.« Einen Augenblick lang war Paula verärgert, weil man sie nicht verständigt hatte, dann fiel ihr ein, daß Derk in einem Flugzeug nach Cincinnati saß und von der neuen Entwicklung wahrscheinlich keine Ahnung hatte. Vor der Landung würde er auch nichts erfahren, dachte sie bei sich. Sie sprang auf und wollte zur Tür. Sie wollte so rasch als möglich zum Haus der Stuarts. »Nicht so eilig«, sagte Moon herausfordernd. »Ist Ihr Interesse an den Slayton-Bändern schon erloschen?« Paula hatte die Neuigkeit von Keith Stuarts Auftauchen so 125
durcheinandergebracht, daß sie die Bänder komplett vergessen hatte, die doch für ihr Leben eigentlich bedeutsamer waren als die glückliche Wiederkehr des Bankiers. Sie lieferte eine Erklärung für ihre Reaktion, und die beiden zeigten Verständnis, gierten aber danach, ihre Neuigkeiten loszuwerden. Sie bat sie zu warten, bis sie sich telefonisch bei den Stuarts von der Richtigkeit der Meldung überzeugt hatte. Sie wählte die Nummer, und eine Männerstimme meldete sich. Sie gab sich zu erkennen, und die Stimme am anderen Ende erklärte, er wäre der FBI-Agent, der Mrs. Stuart verhört hätte. »Könnte ich Mr. Stuart sprechen?« fragte Paula. »Ich sehe mal nach«, antwortete der Agent. Sein Ton deutete auf eine spannungsgeladene Atmosphäre hin, und sie fragte sich schon, was wieder schiefgelaufen wäre. Wieder kam die Stimme übers Telefon: »Nein, Mrs. Masters. Er will mit niemandem sprechen – nicht mal mit uns.« »Ich komme gleich rüber«, sagte Paula und legte auf. Sie wünschte sich Derk herbei, der ihr sicherlich einige Fragen hätte beantworten können, aber das war im Moment eben nicht möglich. Paula sah Moon und Sy an. »Also, was habt ihr entdeckt?« Voll Respekt ließ Moon Sy den Vortritt bei dem sehr ermutigenden Bericht. Es ärgerte Moon ein wenig, daß Paula den von Sy benutzten Computer-Jargon größtenteils verstand, aber schließlich hatte Paula das elektronische Datenverarbeitungssystem, das bei der Sicherungsanlage der Firma Slayton angewandt worden war, gründlicher durchstudiert als er. Noch immer fiel es ihm schwer, die Elektronik mit einem Verbrechen in Verbindung zu sehen. Zugegeben, ein Nachteil für seine berufliche Laufbahn, aber er würde sich niemals anpassen können. Die Sitzung mit Sy und General Trosper hatte jedenfalls dazu beigetragen, daß sein Respekt für die elektronischen Spürhunde gefestigt worden 126
war. Für Paula war es ein Schock, erfahren zu müssen, wie einfach es gewesen war, das bei Slayton installierte System zu knacken, doch Sy rief ihr ins Gedächtnis, daß sie von allem Anfang an gewußt hätten, daß die Telefonleitungen zu den Verkaufsbüros eine Schwachstelle darstellten. Sie hatten den alten Slayton zu überzeugen versucht, daß sie ein Risiko darstellten, doch er hatte nicht locker gelassen. »Wir können unserem größten Kunden doch nicht einfach sagen, alles wäre seine eigene Schuld«, meinte Paula verdrossen. »Nein, aber wir können die von Trospers Computer gelieferten Angaben zum Aufspüren des Telefonanschlusses verwenden. Vielleicht kommen wir dahinter, wer uns diesen Hieb verpaßte«, sagte Moon. »Und was geschieht jetzt?« fragte Paula. »Wir müssen uns mit den Leuten von der Telefongesellschaft gutstellen«, riet Moon. »Wir brauchen ihre Hilfe, wenn wir die Anschlüsse überprüfen!« Sy warf ein: »Wir brauchen nur Zutritt zu ihren Terminals und zur Verteilerzentrale.« »Brauchen wir dazu eine gerichtliche Verfügung?« fragte Paula. »Wie ich die Sache sehe, nein. Wir möchten nur die an Slayton vergebenen Anschlüsse überprüfen. Andere Kunden zapfen wir nicht an. Vielleicht geraten wir in dicke Luft, wenn wir das Terminal feststellen, aber dafür suchen wir eine Lösung, wenn es soweit ist. Ja, ich schätze, daß wir von Derks Leuten eine Verfügung brauchen, wenn wir den Standort festgestellt haben.« »Und was kann ich dabei tun?« bot Paula ihre Mithilfe an. »Im Moment nichts. Ich setze mich mit der Sicherheitsabteilung der Fernsprechgesellschaft in Verbindung, Sy kann das Problem mit ihren technischen Kanonen 127
durchgehen. Wir fangen bei Slayton an und verfolgen von dort aus die Anschlüsse. Dazu müssen wir uns Zutritt ins Haus verschaffen und in den Raum mit dem Computer-Terminal.« »Das dürfte kein Problem darstellen, weil man dort für die nächsten Tage menschliche Bewacher installiert hat«, sagte Paula. Moon meinte sarkastisch: »Dort gibt es ohnehin nichts mehr zu holen.« »Soll ich Mr. Slayton anrufen?« fragte Paula. »Nein. Ich werde ihm hoffentlich alles zur Genüge erklären und seine Mitarbeit gewinnen können«, sagte Moon. »Derk ist nicht da, kommt aber am frühen Abend zurück. Werden wir vorher die Mithilfe der Polizei brauchen?« »Schon möglich, wenn uns der Durchbruch glückt«, sagte Sy, »aber wir können damit warten. Wir verständigen Sie, sobald wir die Techniker der Fernsprechgesellschaft zur Mitarbeit animiert haben.« Paula sah ihre zwei Freunde und Mitarbeiter an. Sie hatten die Nacht durchgearbeitet, um das Verbrechen aufzuklären, und sahen jetzt entsprechend schmuddelig aus. Unrasiert, zerdrückte Kleider, rotgeränderte Augen. Sie konnte nicht umhin zu sagen: »Warum ruht ihr euch nicht eine Weile aus?« Sy erklärte stolzgeschwellt: »Paula, wir müssen die Sache erledigen. Es ist zu wichtig.« Sie spürte Wärme ob der unverhüllt zur Schau gestellten Anhänglichkeit, und ihr wurde klar, daß diese beiden sie mit ihrem Problem nicht allein lassen würden. »Nehmt euch wenigstens die Zeit, euch zu Hause frisch zu machen«, ließ sie nicht locker. »Wenn ihr euch so bei der Telefongesellschaft präsentiert, glaubt man womöglich, ihr seid die Verbrecher.« Alle lachten und waren einverstanden, daß Paula beim Sicherheitsbeamten der Rocky Mountains Bell anrufen und für zwei Uhr ein Gespräch für Moon und Sy vereinbaren würde. 128
Die zwei Männer gingen, als sie den Hörer abnahm. Sie kannte den zuständigen Mann innerhalb der Telefongesellschaft, und er versicherte sie seiner Unterstützung, solange Moon und Sy nichts von ihm verlangten, was gegen die Bestimmungen der FCC, der Bundeskommission für das Nachrichtenwesen, verstieß. Paula bedankte sich bei ihm und schrieb hastig eine Nachricht für Beth auf ein Blatt Papier. Höchste Zeit, daß sie sich auf den Weg zu den Stuarts machte. Keith Stuart fuhr mit den Fingern durch sein graumeliertes Haar und zwinkerte vor Müdigkeit. Ungeachtet der Proteste des FBI-Agenten, der ihn verhören wollte, hatte Keith sich geduscht und in zwanglose Schale geworfen. Der Agent wiederholte seine Frage: »Können Sie uns sagen, wer es war?« Keith antwortete monoton und matt: »Ich sagte schon, ich lasse mich nicht verhören. Das war eine der Bedingungen meiner Freilassung. Ich bin nicht in der Lage, mich mit Ihnen über meine Situation zu unterhalten. Bis Montag nicht.« Der Agent argumentierte: »Mr. Stuart, wenn es Ihnen um Sicherheit zu tun ist – die können wir Ihnen verschaffen. Wir haben es mit einem schweren Verbrechen zu tun, und wir brauchen von Ihnen Informationen. Sie sind verpflichtet, uns zu helfen.« Keith beugte sich in seinem Sessel vor und sagte mit Nachdruck: »Falls ich einen Anwalt herbeizitieren muß, der Sie über meine Rechte belehrt, dann tue ich es. Zu Ihrer Information sei gesagt, daß das Bundesgesetz vorsieht, daß eine Familie das Recht hat, über die Bedingungen einer Entführung zu verhandeln, und genau das habe ich getan.« Der Agent konterte: »Das Gesetz hat nur Gültigkeit bis zur Befreiung des Opfers.« Keith nickte. »Meiner Meinung nach – und ich habe das Recht, darüber zu entscheiden – schwebe ich noch immer in Gefahr und weigere mich daher, die Angelegenheit bis zu dem vereinbarten Zeitpunkt zu diskutieren. Montag bin ich bereit zu 129
reden.« Zusammen mit dem FBI-Agenten war ein Beauftragter der Bundesreserve eingetroffen, der sich nun keine Mühe gab, seine Barschheit zu verbergen, als er zu Keith sagte: »Mr. Stuart, in diesem Augenblick sind Revisoren in Ihrer Bank am Werk. Es läge in Ihrem Interesse, wenn Sie sich entschließen könnten, unsere Fragen im Laufe des Tages zu beantworten.« »Den Teufel werde ich sagen«, stieß Keith hervor. »Sie werden es sagen, Mister. Wir sind vom Gesetz ermächtigt, Sie samt Ihrem Hintern in die eben erwähnte Bank zu verfrachten.« Der Beauftragte der Bundesreservebank ließ seinem Ärger freien Lauf. Nun war es an dem FBI-Mann, die Wogen der Erregung zu glätten. »Mr. Stuart, uns liegt keineswegs daran, Ihnen zusätzliche Probleme zu bereiten. Sie haben sicherlich genug mitgemacht. Aber die Bankleute und unsere Agenten brauchen Hilfe. Warum können Sie sich nicht zur Mitarbeit entschließen?« Eben in diesem Augenblick kam Paula Masters herein. Die Agenten hatten ihr Eintreten nicht bemerkt, doch Keith Stuart sah sie und äußerte in reichlich unliebenswürdigem Ton: »Was zum Henker treiben Sie hier?« Keiths rüder Ton versetzte den Anwesenden einen Schock. Paula blieb wie angewurzelt stehen. Sie war mit Keith Stuart niemals eng befreundet gewesen, aber schließlich hatte niemand aus ihrem Freundeskreis Keith wirklich nahegestanden. Sie hatte das Gefühl, daß sie Elaine in gutem Glauben zu Hilfe gekommen war, und man merkte ihr an, daß Keiths sarkastische Begrüßung ihr weh getan hatte. In die peinliche Stille hinein sprang Elaine auf und lief auf Paula zu. In arrogantem Ton sagte sie zu Keith: »Paula hat sich großartig benommen. Ich brauche sie bei mir.« Keith erhob sich gemessen und kam mit ausgestreckter Hand auf Paula zu: »Tut mir leid, Paula – ich habe einiges 130
durchgemacht. Bitte, entschuldigen Sie.« Paula versuchte ihren Eindruck zu analysieren. Er wirkte aufrichtig in Rede und Gehabe, und doch stimmte da etwas nicht. »Kommen Sie, Paula«, lud Keith sie ein. »Setzen Sie sich und helfen Sie mir, diese Menschen zu überzeugen, daß ich zu Recht noch nicht reden will.« Paula betrat das Wohnzimmer der Stuarts in der Erwartung, dort hektische Aktivität anzutreffen. Statt dessen lag über dem Raum Beklemmung wie eine dämpfende Hülle. Die Mienen der Polizisten und der Bundesfahnder verrieten, daß es nicht ohne Unstimmigkeiten abging. Der FBI-Agent sagte zu Paula: »Mrs. Masters, könnten Sie Mr. Stuart wohl klarmachen, daß wir auf seine Mithilfe dringend angewiesen sind. Er will nicht einsehen, daß bei der Verfolgung der Kidnapper für uns jede Minute kostbar ist. Er besteht darauf –« Keith unterbrach ihn. »Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie sich in meinem Haus befinden und Mrs. Masters nicht nur ein Gast ist, sondern eine Freundin des Hauses. Ich werde nicht zulassen –« Dem Agenten stieg die Röte ins Gesicht, als er sich wieder Gehör verschaffte: »… besteht darauf, nach seinem Gutdünken zu verfahren.« »Meiner Meinung nach wäre es am besten, wenn wir die Sache in aller Ruhe besprechen«, meinte Paula darauf. »Es gibt nichts zu besprechen«, murmelte Keith mißmutig. Elaine sagte zu Paula: »Keith fühlt sich noch immer gefährdet. Er vereinbarte mit den Entführern, daß er keinesfalls vor Montag auspacken würde. Und dazu hat er wohl das Recht, stimmt’s, Paula?« »Wenn Sie einen Rat in rechtlicher Hinsicht suchen, dann ziehen Sie am besten einen Anwalt hinzu«, antwortete sie. »Ich bin der festen Meinung, daß Keith zur Mitarbeit verpflichtet ist 131
– der Polizei gegenüber, Ihnen und sich selbst gegenüber.« Und an Keith gewandt, setzte sie hinzu: »Ich möchte Ihnen meinen Rat nicht aufdrängen, Keith, doch meine ich, Sie sollten auf die Fragen eingehen. Man verschafft den Entführern bloß einen zusätzlichen Vorteil, wenn die Fahndung hinausgezögert wird.« Keith konnte seinen Unwillen kaum unterdrücken, als er antwortete: »Wenn ich nicht bis Montag den Mund halte, wird man mich oder Elaine töten, damit hat man mir gedroht. Die Burschen brauchen diese Zeitspanne, um sich abzusetzen. Bitte – überlaßt die Entscheidung mir.« Der FBI-Agent wiederholte: »Aber wir sind durchaus imstande, Sie zu schützen.« Jetzt flammte Keiths Zorn auf. »Man hat mich mitten aus einem Armeespital geschnappt. Menschenskind, Sie müssen sich mal in meine Lage versetzen!« Paula konnte Keiths Haltung nicht billigen, sie brachte jedoch Verständnis für sein merkwürdiges Verhalten auf. Er wurde von Todesangst beherrscht und fürchtete um seine und Elaines Sicherheit. »Keith, glauben Sie, daß Sie sich mit diesen Herren später unterhalten können? Nachdem Sie sich ein paar Stunden ausgeruht und Ordnung in Ihre Gedanken gebracht haben?« wagte sie einen Vorschlag. Die wütende Miene des FBI-Agenten stellte zwar keine Schützenhilfe dar, doch Keith ließ sich zu der Antwort bewegen: »Gut, ich werde es mir überlegen. Ich bin zwar nicht bereit, mich festnageln zu lassen, aber ich werde es mir überlegen.« Das war eine vernünftige Antwort, nach Paulas Gefühl jedenfalls, doch sie sah sofort, daß sie ihre Überredungskünste auch bei dem FBI-Menschen spielen lassen mußte. Mit einer Reihe von Argumenten, die an Verstand, Mitgefühl und Verständnis appellierten, konnte sie dem FBI-Agenten das 132
Einverständnis zu einer Zusammenkunft um fünf Uhr abringen. Innerhalb von fünf Minuten leerte sich das Haus. Schließlich waren die Stuarts und Paula die einzigen. Als sich die Tür hinter dem letzten geschlossen hatte, äußerte Elaine: »Verdammt, jetzt brauche ich einen Drink.« Keith wollte mithalten, Paula aber entschied sich für eine Cola. Die Getränke wurden verteilt, das Trio ließ sich auf der Couch vor dem Kamin nieder, und sogleich entspannte sich die Atmosphäre spürbar. Keith hob sein Glas und trank Paula lächelnd zu: »Und schönen Dank für Ihre Bemühungen. Ich war zu einer Mitarbeit einfach nicht fähig. Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich mitgemacht habe!« »Ich möchte nie in die Lage kommen, es mir vorstellen zu können«, sagte sie und erwiderte sein Lächeln. Elaine verharrte in nervösem Schweigen. Langsam bekam Paula das Gefühl, Elaine fürchte, das Thema Tennistrainer und Liebhaber würde nun aufs Tapet kommen. Aber Paula war der Meinung, daß diese Affäre im Moment unangebracht war. Derart vertrauliche Angelegenheiten wurden am besten zwischen den beiden Betroffenen ohne fremdes Zutun bereinigt. Sie versuchte nun Elaine mit der Bemerkung zu beruhigen: »Keith, Sie nehmen Elaine hoffentlich nicht krumm, daß sie mich mit hineingezogen hat? Sie wollte nur das Beste für Sie.« Keith sah Elaine zärtlich an. »Ich kann mir denken, wieviel Sorgen ich dir gemacht habe. Na, hoffentlich ist jetzt alles überstanden.« Elaine hatte Paulas Schachzug durchschaut und lächelte erleichtert. Paula drängte sich der Gedanke auf, daß Entführung und Ehebruch Keith und Elaine einander vielleicht wieder näherbrachten und daß Elaines Tennisfreund von nun an von der Bildfläche verschwinden würde. »Ihr beiden solltet für ein paar Tage verschwinden und 133
ausspannen, sobald die Sache ausgestanden ist«, schlug Paula vor. »Wir verschwinden schon heute nachmittag«, sagte Keith. Das war doch der Gipfel! Paula hatte all ihren Einfluß geltend gemacht, um das Verhör hinauszuschieben, und jetzt hatte Keith sie ausgetrickst! »Das können Sie nicht tun, Keith«, sagte sie steif. »Und wie ich kann«, antwortete er. »Ich werde doch nicht rumhocken und abwarten, bis die Ganoven, die mich entführten, mich auch noch umbringen. Die haben zwar jetzt das Geld, möchten es aber auch in Freiheit genießen. Ich bin der festen Überzeugung, daß die mich oder Elaine töten, wenn ich vor den Bullen auch nur ein Wort laut werden lasse.« »Aber Sie haben Ihr Wort gegeben«, flehte Paula. »Ich sagte nur, ich würde es mir überlegen. Und eines können Sie mir glauben: überlegt habe ich mehr als genug. Während ich festgehalten wurde, da nahm ich mir eines fest vor, Paula: Ich schwor mir, ich würde weiterleben, koste es, was es wolle. Glauben Sie mir, es fiel mir nicht leicht, einfach herzugehen und Geld aus meiner eigenen Bank zu klauen. Aber es ist mir ebensowenig leichtgefallen, dazusitzen und daran zu denken, daß man mir einfach den Kopf von den Schultern pustet.« »Aber es gäbe so viel, was …«, wollte Paula einwenden. Keith brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Paula, ich weiß, Sie sind eine gute Freundin, aber auch Sie können mich nicht dazu bringen, daß ich mein Leben oder das Leben Elaines aufs Spiel setze. Nein, wir verschwinden erst mal.« Paula war versucht, ihre ganze Mißbilligung ungehemmt zu äußern, doch dann überlegte sie, wie sie wohl in einer ähnlichen Lage reagieren würde, wenn das Leben ihrer kleinen Töchter auf dem Spiel stünde. Und sie wußte, daß sie ähnlich wie Keith handeln würde. 134
»Sie stempeln mich zur Mitwisserin«, sagte sie. Angst hatte sie nicht, aber es würde sie einige Erklärungen dem FBI und der Polizei gegenüber kosten. Elaines typischer Wankelmut brach sich mit der Bemerkung Bahn: »Paula, das ist allein Ihre Schuld.« Mit einem tadelnden Seitenblick zu Elaine hinüber sagte Keith: »Wie kannst du nur so etwas sagen. Paula wollte uns nur helfen.« Elaine äußerte ohne Wimpernzucken: »Paula kam auf eigene Faust her. Sie hätte nicht kommen müssen.« Keith war Elaines genaues Gegenteil, als er sagte: »Paula, bitte halten Sie Elaine nicht für undankbar. Aber die Spannungen waren in letzter Zeit für uns beide zu groß.« Paula war nicht gekränkt, sie war bloß total durcheinander, weil sie ehrlich bemüht gewesen war, Elaine als Freundin zur Seite zu stehen. Elaines Meinungsumschwung war durch nichts gerechtfertigt. Paula stand auf. »Ich glaube, es ist am besten, wenn ich jetzt gehe.« Sie lief zur Eingangstür, und Keith konnte sie nur mit Mühe einholen, ehe sie die Tür geöffnet hatte. »Bitte, Paula«, bat er. »Seien Sie nicht böse. Elaine ist außer sich. Das wissen Sie. Sie hat einen schweren Schock erlitten.« Das wollte Paula ihr gern zugestehen, gleichwohl hatte Elaines Haltung in ihr den Wunsch geweckt, sich von den Problemen der Stuarts schleunigst abzusetzen. Schließlich sah sie sich einem eigenen sehr großen Problem gegenüber. »Ich bin froh, daß Sie freikamen, Keith«, äußerte sie aufrichtig. »Hoffentlich kommt alles wieder ins rechte Lot.« Keith gab sich nicht zufrieden. »Bitte, gehen Sie nicht im Zorn!« »Von Zorn kann keine Rede sein«, sagte sie ernst. »Ich habe vollstes Verständnis für Elaine. Ich halte es bloß für grundfalsch, wenn ihr beide jetzt sozusagen Reißaus nehmt. Wird die Polizei erfahren, wohin die Reise geht?« 135
»Nein«, lautete Keiths knappe Antwort. »Wir verkriechen uns am Cosmic Pool, doch ich möchte, daß Sie das für sich behalten!« Jetzt war es mit Paulas Fassung vorbei. »Warum binden Sie es mir dann auf die Nase? Sie können mich nicht zur Geheimhaltung verpflichten!« Keith war zerknirscht. »Es tut mir leid, Paula, aber ich kann nicht zulassen, daß Sie jedem brühwarm erzählen, wo wir uns aufhalten. Aber falls sich etwas tut – falls man die Burschen fängt –, dann könnten Sie uns verständigen.« Paula kannte den Cosmic Pool der Stuarts sehr gut. Es waren 350 Morgen Land, hoch oben auf einer unzugänglichen Hochfläche am Rande des Rocky Mountain National Parks. Elaine hatte dieses Stück Land geerbt, und Keith wollte dort einen noblen Ferienort aus dem Boden stampfen, der Vail als aktuellen Tummelplatz der Reichen ablösen sollte. Der Cosmic Pool war ein idealer Ort für jemanden, der Abgeschiedenheit suchte, weil er nur mittels eines Ski-Liftes erreicht werden konnte, der auf eine Höhe von dreitausend Fuß führte und ebenfalls Eigentum der Stuarts war. »Aber warum darf das FBI davon nichts wissen«, fragte sie Keith. »Man könnte euch einen Mann als Bewacher mitgeben. Dieser Schutz und dazu die Unzugänglichkeit des Ortes bieten ein Optimum an Sicherheit. Ehrlich gesagt, Keith, ich glaube, Sie begehen da eine Dummheit.« »Sobald die Nase eines FBI-Mannes in unserer Nähe auftaucht, glauben die Entführer, ich hätte geplaudert, und das wäre mein Ende. Paula, davon bin ich überzeugt! Wenn ich das FBI um Schutz bitte, unterschreibe ich damit mein eigenes Todesurteil. Für mich heißt es Worthalten oder Tod!« Paula sah Keith Stuart an. Sie versuchte, in ihm den Mann zu sehen, dem die Angst im Nacken saß, doch was sie tatsächlich sah, war ein arroganter Kerl, fest entschlossen, nach eigenem Gutdünken zu handeln. 136
Mit weiteren Argumenten war da nichts auszurichten. Sie spürte, daß er von seinem Plan nicht abrücken würde. Er mußte während seiner Gefangenschaft die Hölle durchgemacht haben, und doch konnte sie für seine Haltung keine Entschuldigung finden. »Keith, ich werde Ihretwegen nicht lügen! Wenn man mich fragt, werde ich sagen, wo Sie sind.« Aus keinem ersichtlichen Grund veränderte Keith Stuart ganz plötzlich seine Haltung und wurde wieder zu jener liebenswerten Persönlichkeit, die sie immer gekannt hatte. »Paula, ich würde Sie niemals bitten, für mich zu lügen. Und jetzt sage ich Ihnen eines: Ich werde dem FBI sagen, wohin ich mich verkrieche, werde aber ansonsten keinerlei Informationen geben!« Nach einer kleinen Pause fuhr er lächelnd fort: »Paula, Sie waren viel mehr als nur eine gute Freundin. Schön zu wissen, daß es auf der Welt noch Menschen gibt wie Sie. Das hätte ich beinahe vergessen, als diese Halunken mich gefangenhielten.« Paula hielt einen Augenblick inne. Da hatten falsche Töne mitgeklungen, und doch konnte sie im Augenblick nicht den Finger auf den wunden Punkt legen. Sie wollte den bohrenden Gedanken mit der Erklärung verdrängen, daß Keith furchtbare Erlebnisse hinter sich hatte, doch umsonst. Da war etwas … »Bitte, denken Sie nicht zu schlecht von Elaine«, sagte er. Sie wollte sich möglichst einfach loseisen und antwortete: »Sagen Sie Elaine, daß ich sie gut verstehen kann. Ich weiß, daß die Sache für Sie beide schrecklich war. Ich werde mich von nun an heraushalten.« Sie schickte ihren Worten ein gezwungenes Lächeln als Bekräftigung nach. »Sie sind ein prächtiges Mädchen!« strahlte Keith. Dann fügte er hastig hinzu: »Keine Angst, ich werde hinterlassen, wo wir sind. Alles wird wieder gut. Sie werden schon sehen.« Jetzt wußte Paula, was ihr Unbehagen bereitete: Er log, daß sich die Balken bogen. Keith Stuart hatte nicht die leiseste Absicht, das FBI von seinen Plänen zu unterrichten. Nun ja, sie 137
wollte dafür sorgen, daß Derk davon erfuhr und entsprechende Maßnahmen ergreifen konnte. »Danke, Paula«, sagte Keith zuletzt. »Vielen Dank.« Und Paula ging, angewidert von seinen durchsichtigen und geheuchelten Dankesbezeugungen.
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16. Joshua Slayton hatte die Daumen in die Westentaschen seines dunkelgrauen Anzuges gesteckt. So schritt er den Mittelgang seines eleganten Ausstellungsraumes entlang. Er war ein vornehmer alter Mann, ganz nach Art eines erfolgreichen Juweliers: die Kleidung schlicht und adrett, die Haltung aufrecht und Vertrauen einflößend, das Gehaben autoritär. Nach einem Kauf bei Joshua Slayton fühlte man sich als Kunde stets bestätigt, da der Mann sein Geschäft verstand. Er vollführte eine großartige weitausholende Gebärde, nachdem er die Hand aus der Westentasche gezogen hatte. Diese Geste sollte den Raum als Ganzes umfassen: »Sehen Sie sich das an. Auf den ersten Blick bemerkt man gar nichts Ungewöhnliches.« Es war eine traurige, ja fast mitleiderregende Feststellung, die sich in Paulas Verantwortungs- und Pflichtgefühl tief eingrub. Dieser liebenswerte alte Mann hatte auf sie gesetzt, und sie hatte versagt. Er selbst war zwar nicht dieser Meinung. Joshua Slayton war nicht der Mann, der abschätzige Bemerkungen über Frauen im allgemeinen oder im Geschäftsleben fallenließ. Er erwies sich als hartnäckiges Exemplar der alten Schule und war trotz der Ratschläge seiner Anwälte und Versicherungsexperten fest entschlossen, den von der Versicherung nicht gedeckten Teil des Verlustes zu tragen. Diese Summe war mittlerweile auf genau 413.000 Dollar und etliches ausgerechnet worden. Die Zahl hatte sich in Paulas Magengrube gerammt, als sie vor wenigen Minuten oben in der Rechnungsabteilung genannt worden war. Das war auch der Grund, warum sie Joshua Slaytons wohlüberlegtem Vorschlag, sie beide sollten sich unter vier Augen unterhalten, nur zu gern zugestimmt hatte. Seine Absicht war es, dieser Dame ihren Seelenfrieden wieder zu verschaffen. Seine Gesellschaft würde 139
den Verlust tragen. Paula aber wollte mit ihm allein sein, weil sie ihm sagen wollte, daß ihre Gesellschaft für den Verlust aufkommen würde. Sie wollte ihm dieses Angebot nicht als Effekthascherei vor den Detektiven und Ermittlern der Versicherungsgesellschaft oder auch nur vor seinen eigenen Angestellten unterbreiten. Während sie ziellos an den Schmuck-Schaukästen im leeren Ausstellungsraum vorübergingen, sagte sie: »Wir glauben jetzt zu wissen, wie es bewerkstelligt wurde, Mr. Slayton.« Er antwortete ihr, als spräche er zu einer Lieblingsnichte: »Liebe Paula, glauben Sie ja nicht, daß wir von den Sachen etwas zurückbekommen. Bei einem Einbruch großen Stils wie diesem hier ist das nur selten der Fall. Aber lassen Sie sich deswegen bloß keine grauen Haare wachsen.« Er wiederholte seinen Vorschlag nicht, daß er den Verlust tragen würde, doch seine Haltung sagte alles. Paula blieb neben einem Schaukasten mit goldenen Armbanduhren stehen. »Ich werde nicht zulassen, daß Sie die Summe als Verlust verbuchen, Mr. Slayton! Wir kommen für jeden von der Versicherung nicht gedeckten Betrag auf!« Er blickte hinunter auf den schimmernden Schaukasten und schnurrte ganz leise aus alter Gewohnheit Katalognummer und Großhandelspreis herunter. Sodann sah er Paula an und sagte: »Ich weiß wohl, Sie meinen es gut, aber ich kann Ihr Angebot nicht annehmen. Wie Sie wissen, meine Liebe, haben wir beide miteinander ein Geschäft getätigt, und dieses beinhaltet keinen Schadenersatzanspruch!« »Ich weiß, was in unserem Vertrag steht, Mr. Slayton«, wandte Paula ein. »Aber wir werden niemals zulassen, daß ein Kunde einen so großen Verlust allein trägt. Das ist einfach unmöglich.« Das Altmännergesicht runzelte sich auf unglaubliche Weise, als es sich zu einem breiten Lächeln verzog. »Paula, Sie sollten das Alter ehren. Und jetzt kein Wort mehr davon. Sagen Sie 140
mir, was Sie in Erfahrung gebracht haben.« Paula sah ein, daß sie ihn niemals würde umstimmen können. Sie würde die Hilfe seiner Anwälte in Anspruch nehmen müssen, um ihn zur Annahme der Entschädigung zu zwingen. Sie wußte auch, daß die von ihrer Gesellschaft gezahlte Summe sie den Posten als Firmenpräsidentin kosten würde und die Gesellschaft an den Rand der Insolvenz brachte, aber ihr Entschluß blieb eisern. Sie mußte es tun, gleichgültig, was kommen mochte. Sie hatte eine abgekürzte Erklärung der auf der Air Force Academy geleisteten elektronischen Detektivarbeit zur Hälfte hinter sich gebracht und hatte eben die manipulierten Bänder erwähnt, als sie durch eine gedämpfte Lautsprecherstimme unterbrochen wurde, die ankündigte: »Am hinteren Eingang stehen ein paar Leute von Masters’ Security. Soll ich Sie reinlassen, Mr. Slayton?« »Ja, bitte«, erwiderte er mit einer Lautstärke, die von den im ganzen Ausstellungsraum angebrachten Monitor-Mikrophonen aufgenommen wurde. Zu Paula sagte er: »Hören wir uns mal an, was Ihre jungen Leute da zuwege gebracht haben.« Er ging ihr durch eine Anzahl von Türen voraus, bis sie schließlich in die Eingangshalle für Angestellte gelangten. Moon machte ein ernstes Gesicht. Sy strahlte vor Wonne darüber, daß er an vorderster Front mitmachen durfte, und der Techniker der Telefongesellschaft machte ein gelangweiltes Gesicht. Paula nahm die nötigen Vorstellungszeremonien vor, und Moon schoß gleich los. »Wir müssen unbedingt in Ihren Computer-Terminal-Raum. Könnten Sie uns das ermöglichen, Mr. Slayton?« Kurz darauf befanden sie sich in dem kleinen, sterilen Raum. Während der Mann von der Telefongesellschaft Anschlüsse durchcheckte, ehe er eine kleine schwarze Box an der Leitung anbrachte, erklärte Sy: »Wir werden vorübergehend einen 141
Signalgenerator in die Mietleitungen einschalten. Der Generator erzeugt eine Frequenz und eine Spannung, die wir leicht verfolgen können, weil sie sich von sämtlichen anderen in Telefonleitungen vorkommenden Kombinationen unterscheiden. Sodann überprüfen wir an Ort und Stelle jene Anschlüsse, an denen ein Anzapfen der Leitung möglich wäre, und isolieren auf diese Weise die mögliche Anzapfstelle. Das Anzapfen von Telefonleitungen ist im Grunde kinderleicht. Wenn einem ein Nachbar ein Verlängerungskabel ins Haus schmuggelt und mit diesem Anschluß sein Haus mit Strom versorgt, dann berappt man so lange für den Strom des anderen, bis man die Anzapfstelle entdeckt. Der andere profitiert auf unsere Kosten. Und beim Anzapfen einer Fernsprechleitung hört jemand mit, ohne daß man etwas merkt. Wir tun nicht mehr, als die Leitung auszusondern und die Stelle herauszufinden, wo sich jemand eingeschaltet’ hat.« »Klingt ganz einfach«, meinte Joshua Slayton dazu. »Aber wird die Anzapfstelle noch feststellbar sein?« Sy nickte lächelnd. »Die meisten professionellen Anzapfer schalten sich in einen Fernsprechkreis so geschickt ein, daß es einem flüchtigen Beobachter gar nicht auffällt. Und die Abzweigung wurde ja nicht mehr gebraucht. Warum sollte also jemand das Risiko eingehen und sich beim Entfernen der Vorrichtung womöglich erwischen lassen?« »Erscheint mir logisch«, sagte Slayton. Paula fragte Moon: »Wie lange wird das alles dauern?« Moon vollführte eine kaum wahrnehmbare Geste, die sich ganz allgemein auf den Fernmeldetechniker bezog und sagte: »Hängt davon ab, wie hurtig wir uns bewegen …« Moons Geduld wurde von dem herumwerkelnden, höchst blasiert wirkenden Techniker auf eine harte Probe gestellt. »Wir überprüfen die Tertiärgruppenleitungen im Stadtzentrum. Es gibt bloß fünf Punkte, an denen man Anzapfstellen einrichten kann, nicht gerechnet die Stellen, die besonders abgesichert 142
sind, wie das Fernmeldeamt und die versiegelten Verteilerboxen. Gelingt es uns nicht, die Anzapfstelle an einem der fünf Punkte festzustellen, dann müssen wir etwa dreißig weitere Stellen untersuchen. Aber Sy schätzt, daß wir an einem der wunden Punkte fündig werden.« Der Techniker bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die seine lässige Art Lügen strafte. In weniger als fünf Minuten hatte er sich aufgerichtet und sagte: »Okay, los geht’s. Ich bin angeschlossen.« Paula bat Moon, er solle sie anrufen, sobald es Neuigkeiten gäbe. Im Hinausgehen meinte Joshua Slayton zu Paula noch: »Eine erstaunlich komplizierte Welt, in der wir leben.« Paula lächelte hoffnungsvoll. »Mr. Slayton, jetzt liegt der Fall in guten Händen. Sicher gibt es sehr bald gute Nachrichten.« Und Slayton meinte: »Und Sie machen sich nun keine Sorgen mehr, Paula. Egal, wie sich die Sache entwickelt … es ist alles in Ordnung.« Ihre Anspannung wurde durch seine liebenswerte Art nicht gemindert. Sie sah sich noch immer der finanziell katastrophalen Aussicht gegenüber, eine Summe auszahlen zu müssen, die ihre Gesellschaft an den Rand des Ruins brachte. Er versuchte weiterhin, ihre Befürchtungen zu dämpfen, doch Paula verließ die Firma Slayton mit dem Gefühl, ihr stünde eine trübe Zukunft bevor. In ihren eigenen Firmenräumen im Brown Palace angekommen, mußte sie feststellen, daß Beth nicht da war. Sie sah, daß die von ihr hinterlassene Nachricht zur Kenntnis genommen worden war. Beth war also nach dem Mittagessen zurückgekommen und hatte sich erneut empfohlen. Beth stahl sich in eine Telefonzelle im rückwärtigen Teil des Rexall Drugstores an der Ecke Colfax / Larimer Street. Sie 143
warf ihr Zehncentstück ein, wählte eine Nummer und sagte, nachdem sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung meldete: »Ich bin’s.« Sie hörte eine Weile zu, so daß die Stimme ein paar Sätze äußern konnte, und sagte sodann: »Ich habe schon genug getan.« Es trat wieder eine Pause ein, während der sie zuhörte. Dann sagte sie: »Nein. Das tue ich nicht. Ich habe genug getan.« Ohne auf die Antwort der anderen Stimme zu warten, hängte sie auf und trat aus der Zelle. Nervös klopfte sie eine Zigarette aus der Packung, ging dann an die Theke und bestellte sich eine Tasse Kaffee, ehe sie sich auf den Weg zurück ins Büro machte.
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17. Seinen Namen hatte der Cosmic Pool von einem alten Goldgräber bekommen, der im Winter 1861 auf der Suche nach Gold die steilen Hänge der Hochfläche erklommen hatte. Die Goldfunde von Leadville im Jahr zuvor hatten ihm frischen Mut verliehen, und er nährte wie viele Prospektoren tief in seinem Herzen die Hoffnung, daß er die Hauptader entdecken und sein Leben sich zum Besseren wenden würde. Während der Unbilden des Winters und bis in den knospenden Frühling hinein hatte er die Hochfläche durchkämmt und dabei nur einen drei Morgen großen See entdeckt, den er Cosmic Pool nannte, weil er spürte, daß von außen auf ihn wirkende Kräfte ihm den Weg zu Reichtümern wiesen. Zur Sommersonnenwende mußte er aufgeben, als ihm der Proviant ausging und ihn auch seine Tatkraft im Stich ließ. Im Jahr darauf wurde Colorado zum Unionsstaat, Elaine Stuarts Urgroßvater mütterlicherseits steckte ein Stück Land zur Besiedlung ab und ließ am Rande des Cosmic Pool eine Jagdhütte errichten. Ihm schwebte dabei ein Jagdrevier vor, in dem sich die Reichen unter den Vieh- und Grubeninvestoren tummeln konnten. Als Nebenzweck sozusagen wollte er das Quellwasser des Teiches für seine Bierbrauerei nutzbar machen. Keiner dieser Pläne sollte Früchte tragen, und der Besitz wurde als nicht allzu bedeutsamer Teil des Vermögens weitervererbt. Die durch Generationen geübte Erbteilung brachte es nun mit sich, daß das Grundstück an Elaine fiel. Keith griff den Gedanken ihres Urgroßvaters auf, sein Plan aber sah vor, daß bei der Erschließung des Gebietes Geld, viel Geld, aus dem Land seiner Frau zu holen sein müsse. Mit dem Aufkommen superreicher, geldgierig aus dem Boden gestampfter Wintersportorte wie Vail kam es zu einer explosionsartigen Entwicklung auf dem Gebiet des 145
Ferienwohnungsbaues. Keith wollte die Pseudo-Individualisten ansprechen, die mit seinem Projekt da draußen in der großen Wildnis eine feste Bleibe suchten. Das Land wurde in Parzellen von fünf Morgen unterteilt, die er für fünftausend Dollar pro Morgen an den Mann bringen wollte. Elaine würde davon fein säuberlich eindreiviertel Millionen Dollar abbekommen. In einer Anwandlung von Edelmut hatte Keith darauf bestanden, daß sämtliche Gewinne an Elaine fielen. Dabei behielt er sich zur Finanzierung die Gründung einer »Tudor Trust« genannten Scheinfirma vor, die allein an Gebühren die stolze Summe von 1,6 Millionen Dollar kassiert hätte. Bei der Baufinanzierung würde sich diese Summe mit Leichtigkeit verdreifachen, und Keith hätte sich ohne Wissen seiner Frau ein kleines Vermögen schaffen können. Der Plan war soweit gut gediehen, und er hatte die Absicht, in ein oder zwei Jahren mit dem Bau zu beginnen, sobald die Baukosten auf ein Rentabilität verheißendes Niveau gefallen waren. In der Zwischenzeit hatte er mit einem Darlehen seiner Bank am weniger steilen Südhang der Hochfläche ein SkiGelände erschlossen. In einer Höhe von zweitausend Fuß, an einer Flachstelle des Hanges, lag die Bergstation des Skiliftes. Keith hatte vorgesehen, daß der Lift die restlichen tausend Fuß hinauf bis zur Hochfläche auch noch ausgebaut würde. Die Ski-Fahrer mußten an der flachen Stelle aussteigen, während die Anteilseigner bis zum Gipfel durften und damit einen bequemen, wenn auch nicht ganz unkomplizierten Zugang zu ihrem Besitz hatten. Der Lift war im Vorsommer angelegt worden, und Keith erwartete nun einen ertragreichen Winter, der ihm genug Geld zur Rückzahlung der ersten Baukostenrate einbringen würde. Keith Stuart hatte Mort Phillips angerufen, der Liftwart und zugleich Aufseher des Cosmic-Pool-Skigebietes war. Mort 146
wohnte am Fuße des Südhanges. Das Anwerfen des Generators, der die Liftmotoren mit Strom versorgte, war für ihn daher eine Kleinigkeit. Übers Telefon hatte Mort geäußert: »Bin richtig froh, daß Sie den Entführern entkommen sind, Mr. Stuart.« Keith hatte diese Gefühlsbezeugung zur Kenntnis genommen und den Anruf mit der Ankündigung beendet, er und Elaine würden um sechs Uhr abends an der Talstation des Ski-Lifts eintreffen. Mort versicherte, daß alles bereit sein würde. Keith und Elaine hatten sich unterwegs mit Lebensmittelvorräten versorgt, die für zwei bis drei Tage langten, und waren dann hinauf zu dem Gelände gefahren. Mort erwartete sie bereits. Er drückte den Anlaßhebel und brachte den Doppelsitz mit einem Schubs in die richtige Position. »Der Proviant kommt mit dem dritten Sessel hinter Ihnen«, sagte er. »Da haben Sie ausreichend Zeit und können sich oben bereitmachen, ja?« »Sehr schön«, meinte Keith. »Und vergessen Sie ja nicht, Mort, hinter uns darf niemand mehr rauf. Ist das klar?« »Aber gewiß doch, Mr. Stuart«, gab Mort zurück. »Seien Sie ganz unbesorgt. Der Lift steht still, bis Sie mich sonntags oder montags anrufen. Ich kriege meine Anweisungen und richte mich danach, worauf Sie sich verlassen können!« »Und lassen Sie niemanden an meinen Wagen heran. Verstanden?« »Genau. Sie haben die Schlüssel, ja, Mrs. Stuart?« Elaine nickte, während sie auf dem rechten Sitz Platz nahm. »Na, ich sorge dafür, daß keiner an den Wagen rankommt oder mit dem Lift rauffährt.« Keith setzte sich und sicherte sich und Elaine mit dem Sicherheitsbügel. »Ab geht die Post!« rief Mort aufmunternd und drückte den Anlasser. »Und wenn Sie runter wollen, rufen Sie mich an.« Die Lift-Kabel spannten sich, als der Antriebsmechanismus 147
in Bewegung gesetzt wurde. Der Doppelsessel geriet ins Pendeln, schwang in hohem Bogen vorwärts und glitt auf die ersten Führungsrollen zu. Die Stuarts waren etwa dreihundert Fuß hochgeglitten, als der Lift mit einem Ruck anhielt. »Mort lädt den Proviant auf, sagte Keith. Elaine kannte den Vorgang. Seit seiner Fertigstellung hatte sie den Lift gewiß ein dutzendmal benutzt. Inzwischen war es dunkel geworden, sie konnten aber noch immer die Talstation ausmachen, wenn sie sich umdrehten. Keith verrenkte den Hals und warf einen Blick zurück. »Gib acht!« stieß Elaine ängstlich hervor. »Der dumme Lift ist schließlich keine Tanzfläche.« Keith gab nicht einmal die Andeutung einer Antwort. Er beobachtete unter Verrenkungen, was da unten vor sich ging. »Verdammt, warum macht er nicht schneller!« »Was ist denn?« fragte Elaine herausfordernd. »Du benimmst dich wie der reinste Idiot.« Da drehte sich Keith zornfunkelnd zu ihr um. »Du glaubst wohl, du hättest…« Seine Erwiderung wurde vom plötzlichen Anfahren ihres Sessels unterbrochen – Mort hatte den Lift wieder gestartet. Keith ließ den Satz unvollendet. Schweigend starrte er vor sich in die schwarze Nacht. Man konnte den schwachen Lichtschein der Bergstation sehen, nicht aber die Lichter selbst ausmachen. Der letzte Teil des Hanges war durch die breite Stufe im Hang der Sicht entzogen. Die Nachtluft wirkte belebend, doch Elaine spürte ein Frösteln, an dem nicht die Temperatur schuld war. »Beruhige dich«, sagte sie zu Keith als Ablenkung für sich selbst und um ihm irgend etwas zu sagen. Er gab keine Antwort. Sie konnte mit Mühe sein Profil ausmachen. Sein Gesicht war von Ingrimm verkrampft. Mit zusammengepreßten Zähnen starrte er glasigen Blickes vor sich hin. 148
Sie faßte über den Sicherheitsbügel und legte ihre Hand auf die seine. Da spürte sie, daß er die Stange so krampfhaft umklammert hielt, daß seine Handknöchel hervortraten. Paula legte den Hörer ihres Küchentelefons auf. Die Mädchen hatten vom Haus der Großeltern aus angerufen. Sie wollten, daß Paula käme. Einsam waren sie nicht, keine Rede. Für Einsamkeit blieb in dem gastlichen Haus keine Zeit, weil sie dort neben allen verfügbaren unterhaltsamen Aktivitäten mit einem Übermaß an Liebe verwöhnt wurden. Die EinsamkeitsMasche sollte nur dazu dienen, Paula von ihrer Arbeit loszueisen und sie rasch auf den Weg zu schicken. Sie hatte den Kindern versichert, daß sie sie lieb hatte, hatte sie zum Zähneputzen ermahnt und gesagt, sie würde sie in der Frühe holen. Nein, die genaue Zeit könne sie nicht angeben, aber jedenfalls so zeitig als möglich. Paula ging zurück an den Tisch in der Frühstücksnische. Moon und Sy verzehrten die letzten Bissen ihrer Käsetoasts, Sy trank eine Cola, Moon saß vor seinem zweiten Bier. Die beiden waren mit dem Erreichten offensichtlich hoch zufrieden. Sie zwängte sich neben Moon auf den Sitz und sagte: »Und was jetzt?« Moon nahm einen Schluck Bier. »Wie ich schon sagte: Wir warten ab«, meinte er. Paula wußte, wie wichtig es war, daß sie die Entwicklung der Dinge abwarteten, die Moon aufgespürt hatte, doch das Warten war nicht ihr Fall. Sie hatte das Gefühl, der Fall hatte sich seinem Ende genähert; vielleicht glückte es ihnen sogar, einen Teil der Beute sicherzustellen. Sie hing dem albernen Wunsch nach, das gesamte Diebesgut möge wieder auftauchen; aber auch nur ein Teil würde genügen, die finanziellen Verpflichtungen ihrer Gesellschaft zu verringern, und das war im Moment ihr sehnlichster Wunsch. »Und wenn wir es wissen – was dann?« fragte sie. 149
Moon steckte sich eine Zigarette an, ehe er antwortete. »Am liebsten würde ich nichts wie hin und nachsehen. Zum Teufel, die haben uns ein paar hunderttausend Dollar gekostet. Die möchte ich mir ordentlich vorknöpfen.« »Das überlassen wir lieber Derk«, riet ihm Paula. Moon ließ sich nicht beirren. »Wenn Derk rechtzeitig kommt und uns schleunigst einen Durchsuchungsbefehl verschafft, bin ich einverstanden. Wenn er aber in Cincinnati hängenbleibt oder irgendso ein verdammter Richter mit dem Durchsuchungsbefehl bis Montag warten möchte, dann platzen wir dort auf eigene Faust rein.« Paula konnte Moons Ungeduld gut verstehen und hätte ihm vermutlich auch sein eigenmächtiges Einschreiten verziehen, falls die von ihm aufgezählten Umstände eingetreten wären. Aber Derk mußte jeden Augenblick kommen und wußte sicher, wie man sich möglichst rasch einen Durchsuchungsbefehl verschaffen konnte. Moon und Sy hatten in Zusammenarbeit mit den Leuten von der Telefongesellschaft die Anzapfstelle an der SlaytonLeitung entdeckt. Die elektronische Überprüfung der Leitung, angefangen vom Telefon bis zum Slayton-Computer, hatte ergeben, daß das Leck bis auf zweihundert Fuß an die von General Trosper vorausgesagte Stelle herankam. Mittels eines Schnittstellensystems hatten sie die Nummer herausgefunden, und die Telefongesellschaft hatte Name und Adresse des Anschlusses besorgt. Moon und Sy hatten den Techniker stehenlassen, um rasch einen Blick auf das Haus zu werfen, in dem sich das betreffende Telefon befand. Es war ein kleines, zweigeschossiges Bürohaus, das – ebenfalls wie vorausgesagt – in der Nähe einer Kreuzung mit einer automatischen Feuerwehrschneisen-Schaltung lag. Ins Gebäudeinnere konnten sie nicht, weil mittlerweile am späten Freitagnachmittag alles abgeschlossen war. Aber den Namen der Firma hatten sie, und Moon hatte einen 150
Freund angerufen, der im Büro des Staatssekretärs von Colorado saß, in dem ein Verzeichnis aller Firmen und Körperschaften auflag. Er hatte um die Namen der Direktoren und Vorstandsmitglieder gebeten. Die Feststellung dieser Namen war eine reine Routinesache bis auf die Tatsache, daß die Amtsstunden vorüber waren und es vielleicht eine Weile dauern würde, bis man die gewünschten Informationen zutage förderte. Der Freund wollte Moon bei Paula anrufen. Das Telefon klingelte, gleichzeitig erklang die Türglocke. »Der Anruf könnte für mich sein«, sagte Moon. Paula war ganz aufgeregt, als sie sagte: »Das wird Derk sein. Ich geh’ an die Tür.« Derk strahlte, als die Tür aufging. Er drückte Paula an sich und bedachte sie mit einem Kuß mitten auf den Mund. Er zog den Kopf ein, als sie scherzhaft gegen ihn ausholte und sagte: »Benimm dich! Ich bin in Gesellschaft!« Derk ließ sie los. »Ich weiß. Ich habe draußen den Carrera gesichtet. Möchte wetten, daß ich diesem Blechbrocken einen Strafzettel wegen Schnellfahrens aufbrummen könnte, nur weil er da draußen herumsteht.« »Laß den dummen Wagen. Was hast du in Erfahrung bringen können?« fragte Paula. Wieder strahlte er und neckte sie: »Bekomme ich einen Kuß für meine Bemühungen?« Paula ließ die Aufforderung unbeachtet und bat ihn mit einem Blick, ernst zu bleiben. Sie packte ihn an der Hand und zog ihn in die Küche. Moon legte eben den Hörer auf. Seine Miene ließ eine Mischung aus Verwirrung und Wut erkennen. »Hi, Derk«, sagte er ungewohnt monoton. »Sie wissen, daß der Slayton-Computer angezapft wurde?« »Klar«, antwortete Derk. »Die Abhörstelle liegt in einer Firma mit Namen Tudor Trust«, erklärte Moon. Diese Erklärung bedeutete Derk gar nichts. 151
Paulas Stimme bebte vor kaum zu bezwingender Ungeduld, als sie fragte: »Konnten Sie feststellen, wem die Firma gehört?« Moons Gesicht wurde zornrot, als er nickte. »Sie gehört mit allem Drum und Dran Keith Stuart.« Es trat Stille ein, eine Pause, die das Gefühl von Unwirklichkeit über die Küche legte, als ein jeder diese schockierende und unerwartete Enthüllung verdauen mußte. Ein wenig benommen ging Moon an den Kühlschrank und holte sich ein Dosenbier heraus. Derk sagte leise: »Mir auch eines.« Moon warf ihm eine Dose zu. Derk sah das Ding mit einem kurzen Blick an, ehe er sagte: »Dieser Hundesohn. Dieser elende Hundesohn.« Nun wurde einige Minuten nur belangloses, unzusammenhängendes Zeug geredet. Schließlich fragte Moon Derk: »Könnten Sie uns einen Durchsuchungsbefehl verschaffen?« »Aber sicher. Es dauert höchstens ein, zwei Stunden. Ich habe da einen Lieblingsrichter.« »Okay«, sagte Moon. »Sie verschaffen uns die Durchsuchung. Sy und ich machen uns auf die Socken und verschaffen uns dort Eintritt. Je eher Sie kommen, desto kürzer müssen wir uns als Gesetzesbrecher betätigen.« Derk Loudermilk war als Gesetzeshüter so gewissenhaft wie nur möglich in einer Welt, in der der Moralkodex sich so schnell änderte, daß man kaum so rasch schalten konnte. Er hegte große Sympathie für Moon Pettigrew, sowohl beruflich als auch persönlich. Er würde gegen Moons illegales Eindringen nicht einschreiten, sondern möglichst rasche Schritte unternehmen, um seinem Vergehen das Mäntelchen der Legalität umzuhängen. Im Kielwasser des emotionellen Aufruhrs, den die Entlarvung Keith Stuarts mit sich gebracht hatte, hatte Derk es 152
versäumt, den Freunden von den Ergebnissen seines Ausfluges nach Cincinnati zu berichten. Als er jetzt seine gewonnenen Informationen mit der neuesten Entdeckung in Einklang brachte, schien sich alles zu klären. »Das Gaunerduo in Cincinnati hat den Einbruch bei Slayton abgezogen«, sagte er. Paula mußte sich setzen, als sie diese Einzelheit zu dem Mosaik fügte, das sich über das Bild Keith Stuarts gelegt hatte. Sie suchte nach Worten. »Aber … und ich dachte … was hat das…?« »Ich kenne die Antworten auch nicht, aber überleg doch mal. Sicher verfügte Keith Stuart nicht über die körperliche Geschicklichkeit – oder auch nur die entfernteste Neigung – selbst in das Gebäude einzudringen. Er brauchte Hilfe und konnte sich irgendwie den Kontakt zu diesen Unterwelttypen verschaffen.« Moon ließ sich das durch den Kopf gehen und sagte dann: »Ich möchte wetten, daß er die Entführung bloß als Ablenkungsmanöver benutzte, damit man ihn nicht in die Sache einbeziehen konnte.« Paula brachte einen Einwand gegen diese Gedankengänge vor: »So dumm ist er nicht, daß er sich in eine vorgetäuschte Entführung einläßt. Vielleicht hielten ihn die Unterweltler sozusagen als Garantie fest, damit er nicht schwach wurde und die Polizei auf den Plan rief.« Derk leistete ihr Schützenhilfe. »Außerdem würde er nicht bei einem so komplizierten Betrugsmanöver gegen die Polizei mitmachen, bei dem auf ihn Mordanschläge verübt werden. Nein, ich glaube, wir haben es mit zwei getrennten, aber zufällig aufeinandertreffenden verbrecherischen Aktivitäten zu tun.« »Ob zufällig oder nicht, weiß ich nicht«, sagte Paula, »aber ich sehe keine Logik in der Verbindung beider Fälle. Wenn er mit den Einsteigbrüdern von Cincinnati unter einer Decke 153
steckte, brauchten sie ihn nicht festzuhalten. Es hätte genügt, wenn sie sein Vorgehen aufgedeckt hätten. Hast du von ihnen etwas erfahren, was für eine Verbindung mit Keith spräche?« »Nein«, erwiderte Derk. »Aber nach dieser Verbindung hielt ich gar nicht Ausschau. Wir konnten feststellen, daß die Beute in Vegas an den Mann, beziehungsweise an den Hehler gebracht werden soll. Alles deutete darauf hin, daß ein möglichst schnelles Umsetzen in Geld zu dem Job gehörte. Da brauchte jemand ganz schnell Geld. Deshalb wählte man Vegas.« »Dann müssen wir herausbekommen, ob Keith Stuart dringend Bargeld brauchte. Wenn uns das glückt, können wir ihn festnageln.« »Die Rechnungsprüfer der Bundesreservebank leisten in der Bank für uns sehr viel Vorarbeit«, meinte Paula. »Vielleicht könnte Elaine uns weiterhelfen.« Doch dann fügte sie hinzu, als wäre ihr etwas Unangenehmes eingefallen: »Ach, verdammt.« »Was ist denn?« fragte Derk. »Die beiden sind weg«, erklärte sie. »Keith wollte vor Montag nicht aussagen. Deswegen fuhr er mit Elaine hinauf zu ihrem Besitz am Cosmic Pool.« Jetzt bekam alles einen anderen Sinn, und bloße Ideen nahmen mit beängstigender Klarheit Gestalt an, als Moon sagte: »Ich glaube, der Kerl wird bis Montag längst getürmt sein. Glaube nicht, daß er sich gefährdet fühlt. Ich glaube vielmehr, der Hundesohn will sich aus dem Staub machen.« Derk kannte den Besitz der Stuarts draußen am Cosmic Pool. Er und Paula waren im Sommer zuvor, als der Sessellift in Betrieb genommen worden war, Gäste im Stuartschen Haus gewesen. Es lag klar auf der Hand, daß der Ort für eine Flucht höchst ungeeignet war, aber er hatte das Gefühl, daß Moons Meinung Hand und Fuß hatte. »Ich werde mich mit der Polizei oben in Estes Park in 154
Verbindung setzen«, sagte er. »Die sollen einen Mann bei Mort Phillips postieren. Falls Keith oben am Pool ist, können wir ihn dort oben festnageln oder ihn an der Talstation festhalten, falls er herunterkommt, ehe wir genug gegen ihn zusammengetragen haben, daß wir ihm richtig ans Leder können –« »Aber das alles reimt sich nicht zusammen«, sagte Paula. »Wenn Keith an dem Einbruch bei Slayton beteiligt und völlig sicher war, sein Geld zu kriegen, ohne erwischt zu werden – warum sollte er davonlaufen? Falls man ihn tatsächlich entführte und er den Kidnappern Lösegeld zahlte, warum wollte er dann nicht mit der Polizei zusammenarbeiten?« Moon verfolgte ihre Überlegungen weiter. »Und falls er türmen wollte – wenn wir davon ausgehen, daß er das Geld nach dem Hehlerintermezzo in Vegas rasch in die Finger bekam – warum suchte er sich dazu ein gottverlassenes Fleckchen Erde wie den Cosmic Pool aus?« »Wenn wir eine Antwort auf alle diese Fragen wollen, müssen wir uns tüchtig ranhalten«, sagte Derk. Zu Moon sagte er noch: »Sie fahren zu dem verdächtigen Bürohaus und machen sich an die Arbeit. Ich verschaffe Ihnen den Durchsuchungsbefehl und sehe zu, daß Sie mit dem Hintern nicht zu stark in die Zwickmühle geraten.« Nach längerem Schweigen machte Sy sich bemerkbar. »Für mich bitte auch, Derk. Ich brauche ebenfalls Rückendeckung, weil ich derjenige bin, der uns Einlaß in die Räume verschafft.« Derk sah Moon fragend an. Schließlich war Moon der Expolizist und konnte eine simple, wenn auch unrechtmäßige Durchsuchung sicher über die Bühne bringen. Sy hingegen war ein Mensch, der kaum aus den vier Wänden seines ComputerLabors herauskam. Moon erklärte: »Das Büro ist mit einem Magnetkarten-Schlüssel zu öffnen. Sy meint, er schaffe das mit dem kleinen Finger. Wir müssen also nicht mühsam Türen aufbrechen.« 155
Derk lächelte. »Sehr gut.« Dann fragte er Paula: »Kommst du mit mir, oder möchtest du dich lieber deinen zwei Meisterdetektiven anschließen?« »Ich möchte sehen, mit welchen Manipulationen der Einbruch bei Slayton ermöglicht wurde.« »Warte lieber, bis ich den Durchsuchungsbefehl habe«, riet Derk ihr. »Der Gedanke an Moon und Sy hinter Gittern stört mich nicht, aber bei dir ist es etwas anderes. Außerdem möchte ich, daß du als Klägerin auftrittst. Du könntest mir helfen, den Richter zu überzeugen, so daß er uns die Vollmacht gibt zu tun, was Moon inzwischen bereits getan haben wird.« »Gut, ich komme mit«, sagte sie. »Außerdem fahre ich lieber in deinem Wagen als in Moons weißer Mini-Rakete.« Es dauerte mehr als eine Stunde, bis Derk seinen Lieblingsrichter aufgetrieben hatte, der mit seiner Frau zum Kegeln gegangen war. In einer ziemlich lauten Ecke des zur Kegelbahn gehörenden Sportartikelladens erklärte Derk ihm den Zweck seines Kommens. Innerhalb von wenigen Minuten war das Dokument ausgestellt. Derk fuhr beim Staatsanwalt vorbei und ließ sich den Durchsuchungsbefehl bestätigen. Er lehnte das Angebot eines Assistenten des Staatsanwaltes ab, der mitkommen wollte, um dem Dokument gehörig Nachdruck zu verleihen. Derk rief noch seine Dienststelle an und ging dann hinaus zu seinem Wagen, in dem Paula wartete. Er lachte lauthals, als er einstieg. »Was ist denn gar so komisch?« fragte Paula. Derk berichtete, daß er in seinem Büro angerufen hätte. »Und die sagten mir, man hätte Elaines Tenniskavalier geschnappt. Er hatte sich mit einer Kellnerin in einem Motel in Pueblo verkrochen.« »Das darf nicht wahr sein!« rief Paula mit einer Mischung von Ironie und Mitgefühl. 156
»Ja, sieht mir nach einem schwarzen Tag für die Stuarts aus«, meinte Derk. Das Bürohaus unterschied sich durch nichts von den meisten Häusern dieser Gattung, von Ärzten oder Anwälten finanziert, die genügend flüssiges Bargeld haben und es in der wunderbaren Welt des »renditebringenden Grundbesitzes« investieren. Im allgemeinen nimmt der Freiberufler mit dem hohen steuerpflichtigen Einkommen das Erdgeschoß selbst in Anspruch und stottert die Hypothek mit den von den Mietern des Obergeschosses gezahlten Mieten ab. Die einen haben damit Erfolg, andere nicht. Das Haus, das die Tudor Trust beherbergte, fiel in letztere Kategorie. Das Ausbleiben des Erfolges fand seinen Ausdruck in der abgewirtschafteten Schäbigkeit des ersten Stockes. Sy hatte nicht nur das so bombensicher wirkende Magnetkartensystem überlistet, er hatte daneben auch ein einfaches Alarmsystem unwirksam gemacht, das allerdings durch lautes Geklingel etwaige in Hörweite Befindliche nur verärgert hätte. Derk und Paula erklommen die kärglich erhellte Treppe, die mit einem billigen Bodenbelag ausgelegt war. Oben angekommen, sahen sie Licht aus der offenen Tür am Ende des Ganges. Derk klopfte scherzhaft an, trat ein und rief: »Sie sind verhaftet!« Sy tat einen Luftsprung aus seinem Sessel. Moon sah angewidert auf und fragte bloß lakonisch: »Sie haben den Durchsuchungsbefehl gekriegt?« Derk nickte und klopfte auf seine Manteltasche. »Gut«, sagte Moon. »Wir werden ihn brauchen. Wir sind fündig geworden. Sy hat eben den Computer bei Slayton eingeschaltet.« »Aber die Leute bei Slayton haben den Sicherheitscomputer bis Montag eingemottet.« 157
Sy ließ sich behutsam in den Stuhl vor der Konsole gleiten. Er funkelte Derk wütend an. »Sie haben mich zu Tode erschreckt, Derk.« Paula lachte. »Sie müssen aber ein schlechtes Gewissen haben.« Derk ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Die Ansammlung von Computer-Drum-und-Dran setzte ihn nicht wenig in Erstaunen. Er wußte nicht, was all diese Apparate konnten oder machten, es war aber nichtsdestoweniger ein eindrucksvoller Anblick. Derk stellte Sy die Frage: »Wie konnten Sie von hier aus den Slayton-Computer anzapfen? Ich dachte, der wäre außer Betrieb gesetzt worden.« »Hm, ja, jemand fütterte den Computer mit der Anweisung, er solle nicht arbeiten. Und ich gab ihm einfach die Anweisung, er solle arbeiten. Es ist eine Eigenheit der Computer, auf die letzte Stimme zu hören, die zu ihnen sprach. Außerdem bin ich dem Slayton-Computer nicht unbekannt. Ich bin sozusagen sein Patenonkel.« Derk und Paula unterzogen das elektronische Drumherum einer genaueren Inspektion. Neben dem Schaltbrett des Olivetti-Terminals gab es hier zusätzlich einen Magnetplattenspeicher einer früheren Generation, einen Zentralrechner und die nötigen Zusatzgeräte, die die Rechenoperation ermöglicht hatten, durch die das SlaytonBand unwirksam gemacht worden war. »Diese Dinge hier«, sagte Sy und zeigte auf ein Bord mit elektronischem Zubehör in der anderen Raumecke, »sie gehören zur Grundausrüstung beim Telefonanzapfen. Ziemlich einfache Sachen, nichts besonders Hochentwickeltes. Es mußte auch gar nicht kompliziert sein, weil man ja hier in diesem Raum ganz offen arbeiten konnte und nichts verbergen mußte. Eine einfache Oberwellenabzweigung, und ich konnte mich in die Eingabe-Leitung von Slayton einschalten. Die Verbindung 158
bleibt so lange, bis ich wieder ausschalte.« »Schluß jetzt mit der Herumspielerei«, sagte Moon zu Sy. »Lassen Sie diese anderen Bänder da ausdrucken. Möchte sehen, was draufsteht.« In den folgenden zehn Minuten nahm Sy eine Inventur der Magnetbänder vor und entdeckte dabei einen Verkaufsentwurf für das Landprojekt am Cosmic Pool; er entdeckte eine Analyse mehrerer verschiedener Geldinstitute, die mit Wechselkursen und fremden Währungen spekulierten; er entdeckte auch einen vollständigen Bericht über die Finanzen der Firma Masters’ Security – bis zum Monat zuvor, als die Firma zwei neue Aktenschränke erstanden hatte. Während das Druckwerk klickte und mit unverminderter Heftigkeit Daten über ihre Firma ausspie, starrte Paula in stiller Verwunderung vor sich hin. »Was halten Sie von alldem?« sagte Moon. Diese Frage war an niemanden Bestimmten gerichtet. Die Antworten ließen auf sich warten. »Paula, was hast du jetzt vor?« fragte Derk. Sie brachte momentan kein Wort heraus. Moon meldete sich zu Wort. »Ich glaube, wir sollten diesen Raum hier amtlich versiegeln. Das alles strotzt vor Beweisstücken. Am liebsten möchte ich unsere eigenen Wachen vor die verdammte Tür stellen, damit keiner reinkommt. Dürfen wir das, Derk?« »Das schaffen wir auch.« Derk wußte, daß Moon aus Höflichkeit nicht an seine polizeilichen Befugnisse rühren wollte. »Ich möchte diese Bänder mit hinaus in den Betrieb nehmen und eine Analyse anfertigen«, sagte Sy. Derk wandte ein: »Damit wird ihre Beweiskraft gemindert, Sy. Könnten Sie die Dinger nicht überspielen und Kopien anfertigen?« »In einer Kopie kann man keine Details feststellen«, erklärte Sy. »Es ist nicht wie beim Überspielen von Musik. Die Bänder 159
enthalten zuviel Informationsmaterial, von dem einiges beim Überspielen verlorenginge – zumindest das, wonach ich suche. Menschenskind, mit Hochgenuß würde ich die Bänder durch Hollies Honeywell laufen lassen – jede Wette, daß wir alles mögliche darauf entdecken.« Paula wußte, daß Sy zur weiteren Arbeit bessere technische Voraussetzungen brauchte, als sie hier gegeben waren. Sie fragte Derk: »Könntest du Sy als Sachverständigen einschleusen, der die Bänder für deine Abteilung untersucht?« Derk hatte dafür nur ein mitleidiges Lächeln übrig. »Jeder Verteidiger würde ihn in Stücke reißen. Sy ist Angestellter deiner Firma und gilt als befangen.« Derk dachte nach und rückte dann mit einem Vorschlag heraus. »Ich könnte die Staatsanwaltschaft veranlassen, die Bänder hinaus zu Hollie Trosper zu schaffen. Und wenn Hollie nichts dagegen hat, Sy in seinen Computer-Raum zu lassen, dann kann niemand etwas dagegen einwenden.« »Versuchst du es?« bat Paula. Derk sah sich um. »Nicht zu fassen ist das. Zwischen diesem komischen Telefonzeug und Computerbestandteilen gibt es nicht mal ein Telefon.« Sy lachte und deutete auf das Gestell mit der Abhörausrüstung. »Da drüben ist ein Handapparat des Entstördienstes. Nichts Berühmtes, aber er funktioniert.« Derk wählte die Nummer der Staatsanwaltschaft. Während er telefonierte, sagte Paula zu Moon: »Als erstes setzen Sie morgen früh ein paar Leute auf zwei Dinge an: Wir brauchen einen vollständigen Hintergrundbericht über Keith Stuart und müssen herausfinden, wie unsere Finanzberichte hier in diese Bruchbude gelangen konnten.« »Wäre es nicht möglich, daß sie aus einem Ansuchen um ein Darlehen entstammen, das wir bei der Bank einreichten? Wenn Keith Stuart das Ansuchen zu Gesicht bekam, war es ihm ein leichtes, die Daten zu transferieren.« 160
»In diesem Fall würden Punkte wie die Anschaffung der Aktenschränke nicht angeführt sein. Nein, wir müssen die undichte Stelle woanders suchen«, meinte Paula. Moon fing an, sich Notizen zu machen. »Sicher kriegen wir jede Menge Informationsmaterial über Keith von der Polizei hier in Denver. Während seiner Entführung hat man dort sicher fleißig recherchiert.« »Richtig!« sagte Paula. Derk hatte eben aufgelegt und berichtigte sie in ernstem Ton. »Falsch.« Die drei anderen sahen ihn an und warteten auf seine Erklärung. Derk ließ sich auf einen Stuhl neben Sy fallen. »Elender Mist«, sagte er. »Eben wurde Keith Stuart tot aufgefunden.«
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18. Die Pechschwärze der klaren Nacht wurde von den grellen Stößen stroboskopischer Rot- und Blaulichter rhythmisch erhellt, die in den Kugellampen auf den verschiedenen Polizeifahrzeugen und auf einem düster wirkenden Transporter des Coroner von Larimer County aufblitzten. Die Szene verdeutlichte, daß es sich hier nicht um den gewöhnlichen Tod eines gewöhnlichen Bürgers handelte; hier ging es um einen Vorfall von einiger Bedeutung. Nicht nur die Staats-, Distriktsund städtische Polizei hatte sich des Falles angenommen; auch die Ordnungshüter des Nationalparks waren aufgekreuzt, da der Cosmic Pool an den Rocky Mountain National Park angrenzte. Und das FBI war erschienen, weil das Opfer kurz zuvor das Opfer einer Entführung gewesen war, die sich auf bundeseigenem Gelände abgespielt hatte. Derk Loudermilk lenkte seinen Wagen durch den Irrgarten von Fahrzeugen, vorbei am Geplärr der Polizeiradios. Er war mit Paula in einer wilden Fahrt in knapp eineinhalb Stunden von Denver hierhergekommen. Er hatte in diesem Gebiet zwar keine Befugnisse, aber niemand würde ihm das Recht der Anwesenheit streitig machen. Es lag hier seinerseits ein rechtmäßiges polizeiliches Interesse vor. Paula stand völlig außerhalb dieser Polizei-Sippen, doch war sie eine bekannte und respektierte Persönlichkeit. Scheinwerfer beleuchteten den Steilhang, auf dem sich eine kleine Gruppe Uniformierter zur Talstation des Liftes herunterarbeitete. Ein paar Weißbekittelte waren darunter. Mit Hilfe der anderen schleppten sie eine korbähnliche Bahre aus Metall herunter, die einen großen schwarzen Plastiksack mit einem Leichnam darin enthielt. Derk bugsierte seinen Wagen auf eine parkplatzähnliche Stelle und schaltete die Zündung aus. Mit einem Blick auf die 162
Szene sagte er: »Wir kommen zu spät.« Weder Derk noch Paula hätten präzisieren können, warum sie den Toten unbedingt am Ort des Absturzes hatten sehen wollen. Es war immer am besten, wenn man eigene Eindrücke gewinnen konnte und sich nicht auf die Berichte anderer verlassen mußte. Inzwischen hatte man sie bereits von den Geschehnissen unterrichtet: Keith war aus einem fast hundert Fuß über dem Boden befindlichen Lift-Sessel tödlich abgestürzt. Während sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Abstieg konzentrierte, lag das Zentrum der Aktivität offenbar drüben bei einem großen Wohnmobil, das als Behelfsbüro der Lift-Anlage und als Quartier für Mort Phillips diente. »Sehen wir uns mal an, was es da drüben gibt«, sagte Derk. Paula folgte ihm nach. Im Näherkommen erspähte Derk einen Uniformierten mit unfreundlichem Gesicht. Eine Kragenecke wurde von den Initialen CSP geschmückt, die andere von einem Silberstreifen. Ein Polizeileutnant des Bundesstaates Colorado. Derk faßte behutsam nach Paulas Arm, damit sie nicht stolperte, als er ihre Schritte auf den Mann zu lenkte. Im Näherkommen sagte Derk: »Hallo, Stud. Wie geht’s immer?« »Ach, sieh mal einer an! Sie auch da, Derk? Was treiben Sie denn hier oben?« »Wir haben berechtigtes Interesse an dem Fall«, erwiderte Derk. »Sie kennen doch Paula Masters?« Der Leutnant sagte: »Klar, ‘n’ schönen guten Abend, Mrs. Masters.« Damit tippte er an seinen Mützenrand. »Na, wie sieht’s aus?« erkundigte Derk sich. »Ach, reine Routinesache. Ein Sturz aus dieser Höhe auf Felsuntergrund, da bleibt nicht viel übrig. Ich weiß bloß nicht, wie dieser Dummkopf aus dem Sessel fallen konnte. Warum mußte das ausgerechnet heute passieren? Mein Junge hat heute abend ein Fußballmatch.« 163
Seine Gleichgültigkeit und scheinbare Kaltschnäuzigkeit waren nicht als mangelnder Respekt vor dem Tod aufzufassen. Aber die häufige Begegnung mit Todesfällen gewaltsamer Natur läßt in dem Beobachter eine Isolierschicht wachsen, die sich eben in einer gewissen Gleichgültigkeit äußert. Einer mehr oder weniger, der ins Gras beißt, ändert den Lauf der Welt nicht, so lautet letztlich die Meinung eines altgedienten Bullen. »War er allein?« fragte Paula. Zu ihrer Verwunderung war von Elaine bis jetzt nicht die Rede gewesen. »Nein, Gnädigste, seine Frau war dabei.« »Was sagt sie?« fragte Paula. »Nichts. Nicht ein einziges Wörtchen. Seit man sie mit dem Sessellift herunterschaffte, hat sie kein Sterbenswort laut werden lassen, zu niemandem. Dem armen Mort Phillips jagte sie einen schönen Schrecken ein. Als niemand von den beiden anrief, um zu melden, daß sie oben sicher angekommen wären, ließ er den Lift weiterrotieren. Sie fuhr bis ganz hinaus, dann wieder runter, und saß einfach da mit einem irren Ausdruck. Seither hat sie nichts gesagt.« »Wo ist sie?« fragte Derk. Er dachte an Paulas Erfolg, der es am Morgen gelungen war, Elaines Schweigen zu durchbrechen. »Da drüben in Morts Wohnwagen«, lautete die Antwort. »Die haben es schon aufgegeben, mit ihr sprechen zu wollen. Ich denke, man wird sie runter nach Denver in ein Krankenhaus bringen. Vielleicht ist sie ein Fall für den Irrenarzt. Kein Wunder, wenn sie mit ansehen mußte, wie ihr Alter sich zu Tode stürzte.« »Ich möchte mit ihr reden«, sagte Paula. »Läßt sich das einrichten?« »Sicher. Die anderen haben längst aufgegeben. Jetzt geht es nur noch darum, wie man sie am besten runtertransportiert.« Vor dem Eingang stand ein Uniformierter der Bundespolizei. Er ließ sie ohne weitere Formalitäten ein. Drinnen saß Elaine 164
vor einem kleinen Schreibtisch. Sie hielt einen Telefonhörer ans Ohr, sagte aber kein Wort. War es das grelle, von oben strahlende Licht oder das Bild, das sie sich im Geiste von ihr gemacht hatten, sie sah jedenfalls schrecklich aus. Zwar war es nicht weiter verwunderlich, daß eine Frau schrecklich aussah, die erst seit zwei Stunden Witwe war, aber die leere Starre ihres Gesichtes wirkte fehl am Platze. Hätte sie geweint oder getobt oder irgend etwas dem Augenblick Entsprechendes getan, es wäre normal gewesen. Aber so saß sie einfach da, den Blick ins Nichts gerichtet. Noch ehe Paula oder Derk etwas sagen konnten, äußerte Elaine: »Ich rufe ein Taxi.« Das Geschehen nahm surrealistische Dimensionen an. Paula trat neben Elaine. Sie wußte nicht recht, was sie sagen sollte. Sie legte ihre Hand leicht auf Elaines Schulter, als wollte sie sagen: »Es tut mir so leid, kann ich irgendwie helfen?« Elaine sah auf und fragte: »Könnten Sie mich mitnehmen? Die wollen mir nicht erlauben, meinen Wagen zu steuern.« Paula antwortete verwirrt: »Ich weiß nicht recht, Elaine. Die Polizei möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.« »Ich habe nichts zu sagen«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. »Sagen Sie das draußen, ja?« Derk kam näher. Er setzte sich Elaine gegenüber. »Was ist eigentlich passiert?« fragte er ganz beiläufig. Elaine zögerte keine Sekunde. »Wir fuhren hinauf zum Jagdhaus. Keith fiel hinunter. Das ist alles. Er fiel einfach aus dem Sessel. Er ist tot, sagte man mir.« Derk und Paula waren bereits Zeugen zahlloser Tragödien gewesen. Sie wußten, daß sich in einer traumatischen Situation jeder Mensch anders verhält. Elaines anfängliche Weigerung zu reden konnte man als Folge der Schockeinwirkung ansehen. Aber Derk wollte die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Er wollte unbedingt ein Verhör erreichen. »Elaine, würden Sie es mir zuliebe auf sich nehmen? Wir 165
brauchen dringend ein paar Informationen.« »Derk, ich werde nichts sagen«, sagte sie eisern. »Ich weigere mich schlichtweg, mit denen da draußen zu reden.« Derk versuchte ihr Vertrauen zu gewinnen. »Mit denen brauchen Sie nicht zu reden. Reden Sie mit mir.« »Keith ist rausgefallen. Mehr habe ich nicht zu sagen.« »Könnten Sie uns einen Überblick, darüber geben, was passierte, seit ich Sie heute zu Pause besuchte?« fragte Paula. Elaine äußerte sich nun in Kurzsätzen, die zusammengefaßt die ganze Geschichte ergaben. Keith hatte sich unbedingt vor den Kidnappern verstecken wollen. Er hatte sich für den Cosmic Pool als Schlupfwinkel entschieden. Sie hatten Einkäufe gemacht und waren zur Talstation des Sesselliftes gefahren. Sie schloß ihren Bericht: »Und während der Bergfahrt fiel Keith heraus.« Derk gönnte ihr eine Minute Ruhe. Er gab sich mit ihrer Antwort nicht zufrieden. Nach einer kleinen Pause fragte er: »Könnten Sie genau wiederholen, was sich zugetragen hat, seit Sie hier an der Talstation des Sessellifts eintrafen?« Elaine blieb stumm. Derk wollte weiterbohren, doch Paula gab ihm mit einer kaum wahrnehmbaren Augenbewegung zu verstehen, daß Elaine einem Zusammenbruch nahe war. Das gehörte zu jenen Dingen, die eine mitfühlende Seele in einer anderen erspürt, während es einem Dritten völlig entgeht. Derk war noch nicht gewillt, den Rückzug anzutreten, doch wurde ihm die Entscheidung abgenommen, als der Leutnant die Tür aufriß und ihn hinausbat. In Gesellschaft des Leutnants waren zwei Mann in Zivil. Einer von der Dienststelle des Gerichtsarztes, der andere ein FBI-Agent. Der Leutnant fragte: »Na, Glück gehabt?« »Nicht viel«, berichtete Derk. »Sie ist ziemlich einsilbig. Sagte nur, Keith wäre aus dem Sessel gefallen.« 166
»Verdammt, möchte wissen, wie wir sie zur Mitarbeit bewegen könnten«, sagte der FBI-Mann. Der Gerichtsmediziner sagte: »Man darf sie nicht drängen. Sie hat einen Schock erlitten.« »Sie sieht ziemlich mitgenommen aus«, bemerkte Derk. »Sie sollte sich ausruhen«, fuhr der Arzt fort. »Ihr Mann wurde entführt, kehrte zurück und verunglückt dann – und das innerhalb eines Tages. Man kann es ihr nicht verdenken, wenn sie zusammenklappt.« Da trat Mort Phillips zu der Gruppe. »Die haben ihn in den Fleischwagen verfrachtet. Könnte mich wohl jemand nach Estes Park bringen? Heute möchte ich nicht unbedingt hier die Nacht zubringen.« Derk fragte ihn: »Hatten Sie den Eindruck, daß einer der Stuarts heute irgendwie merkwürdig war?« Der Leutnant kannte Mort Phillips gut und machte ihn mit Derk bekannt. Mort antwortete. »Er kam mir ein wenig kurz angebunden vor. Sonst gehört er nicht zu den Typen, die einen herumkommandieren, aber diesmal bestand er darauf, daß ich mich vom Telefon nicht wegrührte, damit Mrs. Stuart sofort in die Stadt zurückkönnte, wenn sie wollte. Dazu sollte ich seinen Wagen gut im Auge behalten. Mehr nicht, aber er ließ nicht locker. Könnte mir denken, daß er so war, weil er entführt wurde.« »Sonst noch was?« fragte Derk. »Nichts«, sagte Mort. »Nichts – bloß weiß ich nicht, wie er aus dem Sessel fallen konnte.« Jetzt meldete sich der FBI-Agent. »Und warum nicht? Ich war eben drüben am Lift und hab’s versucht. Die Dinger sind verdammt wacklig, und wenn der Sicherheitsbügel sich öffnet, dann fällt man raus wie nichts.« »Jetzt hören Sie gut zu, junger Mann«, fauchte Mort den FBI-Mann an, »erstens sind die Sessel kein Vierteljahr alt und lassen sich nicht so leicht öffnen. Zweitens, Sie haben den 167
Sessel hier an der Talstation ausprobiert. Weiter oben, wo Mr. Stuart rausfiel, ist der Neigungswinkel viel steiler. Um herauszufallen, muß man sich richtig mit aller Gewalt vorbeugen.« Derk unterbrach ihn: »War der Sicherheitsbügel vorgelegt, als Mrs. Stuart herunterkam?« »Sicher«, erwiderte Mort. »Sie klammerte sich an den Bügel, als ginge es ums Leben. Ich mußte ihre Hände mit aller Gewalt losmachen. Sie war völlig verkrampft, das kann ich Ihnen sagen.« »Hören Sie«, sagte der Arzt, »warum machen wir nicht Schluß damit? Ich setze als erstes für Montagmorgen eine Leichenbeschau an. Da können sie alle die einzelnen Punkte durchsprechen.« Der Leutnant sah auf die Uhr. Vielleicht schaffte er es noch rechtzeitig bis Estes Park und konnte sich die zweite Spielhälfte des Fußballmatches seines Sohnes ansehen. Er lud Mort ein mitzufahren. Der FBI-Agent sagte: »Ich möchte, daß der Staatsanwalt bei der Leichenschau zugegen ist. Geht das klar?« Der Arzt sagte: »Mir egal, wer kommt. Montags um neun kann er kommen und kann Fragen stellen, soviel er will. Wer schafft Mrs. Stuart hier weg?« Der Leutnant fragte: »Soll sie in Polizeigewahrsam genommen werden?« »Bis jetzt handelt es sich für mich um einen verrückten Unfall«, antwortete der Arzt. »Vom ärztlichen Standpunkt sehe ich keinen Grund dafür, sie festzuhalten. Wird sie bei der Leichenbeschau zugegen sein?« »Dafür könnte ich wahrscheinlich sorgen«, sagte Derk. »Wenn Sie eine Vorladung ausstellen, werde ich sie hinschaffen. Sie scheint mit Paula zur Zusammenarbeit bereit zu sein.« »Na gut«, äußerte der Gerichtsarzt. »Das wäre also geregelt. 168
Morgen mache ich mich über ihn her.« Er wies mit dem Daumen zu dem Transporter des Coroner hinüber, der eben auf die Hauptstraße einbog. »Und wir alle sehen uns Montagmorgen im Gerichtsgebäude wieder. Bis dann also.« Derk fragte den Leutnant. »Was ist mit dem Wagen? Wollen Sie, daß er hier stehenbleibt?« »Ich brauche ihn nicht. Sie können ihn hierlassen oder nach Denver zurückschaffen, wie Sie wollen. Meiner Ansicht nach hat der Doktor recht: Sieht nach einem ungewöhnlichen Unfall aus.« Mort konnte nicht stillbleiben: »Ungewöhnlicher Unfall! Daß ich nicht lache! Unmöglich, daß er aus dem Sessel fiel.« Der Leutnant wurde langsam ungeduldig. »Kommen Sie, Mort. Auf der Heimfahrt können Sie mir alles darüber erzählen.« Derk hätte von Mort gern mehr erfahren, entschied sich dann aber, bis zur Leichenschau zu warten und erst mal anzuhören, was dabei gesagt wurde. Er ging zurück in den Wohnwagen. »Elaine, wir dürfen Sie nach Hause bringen«, sagte er beim Eintreten. »Möchten Sie mit mir fahren?« Seit er hinausgegangen war, hatte Elaine in Schweigen verharrt, und Paula hatte sie nicht gedrängt. Elaines Stimme war schmerzverzerrt, als sie nun fragte: »Und was ist mit Keith?« »Man kümmert sich um ihn. Keine Sorge. Sie brauchen jetzt Ruhe.« Derk sah, wie ihre Gesichtsmuskeln spielten, als sie sich einen weiteren Kommentar zu diesem Thema verkniff. Sie wußte, daß sie machtlos war. Sie fühlte sich einsam und verlassen und wußte nicht aus noch ein. Trotz Derks Protest kam man schließlich überein, daß Paula Elaines Wagen nehmen sollte. Derk wollte hinterdrein fahren. Paulas Angebot, die Nacht bei Elaine zu verbringen, wurde von dieser als unnötig und unwillkommen abgelehnt. Sie traten ins 169
Freie; Paula spürte ein Frösteln, das sie zunächst der kalten Nachtluft zuschrieb und von dem sie doch wußte, daß es die Reaktion auf Elaines Blick war, der unbeirrt die Lifttrasse hinaufgerichtet war. Derk ging neben den zwei Frauen. Auch er bemerkte, daß Elaine sich von dem Lift nicht losreißen konnte. Er nutzte den Augenblick für die Frage: »Erinnern Sie sich an irgend etwas, was Keiths Tod –« »Hören Sie auf!« schmetterte Elaine die Frage ab. »Hören Sie endlich damit auf!« In Anbetracht der Diagnose, die der Arzt vor wenigen Minuten gestellt hatte, ließ Derk das Thema lieber fallen. Er sperrte Elaines Wagen mit dem Schlüssel auf, den sie ihm übergab, und half ihr auf den Beifahrersitz. Paula geleitete er an den Fahrersitz und flüsterte ihr zu: »Versuch herauszubekommen, auf welche Weise Keith herausfiel.« Die Bedeutung dieser Frage entging Paula nicht. Vielleicht handelte es sich bei Keiths Tod um keinen Unfall. Mit verständlichem Hangen und Bangen setzte Paula sich neben Elaine. »Wir sehen uns in der Stadt«, sagte sie zu Derk, der die Tür zuwarf. »Ich halte mich knapp hinter dir«, sagte er darauf.
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19. Es war Samstag morgen, zehn nach sieben, Paula war mehr als eine Stunde später als normal erwacht. Sie hatte den Wecker am Vorabend nicht gestellt, weil sie so abgekämpft ins Bett gefallen war, daß sie tüchtig ausschlafen wollte. Ihre ersten Gedanken galten ihren Töchtern Cassy und Iris. Die Fahrt hinaus nach Cranby würde eine Stunde oder mehr beanspruchen, sie mußte also schleunigst aus den Federn. Auf halbem Weg ins Bad hörte sie Derk aus der Küche rufen: »Kaffee ist aufgesetzt!« Sie hatte ganz vergessen, daß Derk in Cassys Bett übernachtet hatte. Er war so übermüdet gewesen, daß er es nicht mehr zu seiner Junggesellenwohnung schaffte und ihre Einladung, über Nacht zu bleiben, angenommen hatte. Nachdem sie Elaine Stuart zu Hause abgeliefert hatten, waren sie am Vorabend bei Paula auf Kaffee und Brandy eingefallen. Nach dem anstrengenden Tag hatten sie etwas Entspannung dringend nötig. Und als sie schließlich in den behaglichen Sesseln vor dem Kamin saßen, hatte Derk sich eine Meinung zurechtgezimmert: »Ich glaube, daß Elaine ihn getötet hat.« »Das glaube ich nie und nimmer!« rief Paula aus. Er nahm einen Schluck Brandy und sagte: »Angenommen, Elaine wollte ihren Mann loswerden, damit sie mit ihrem Tennisgeliebten ungestört blieb.« »Ganz falsch«, hielt Paula ihm entgegen. »Ihr Freund hat sie sitzenlassen. Du selbst sagtest, daß man ihn mit einer anderen in Pueblo erwischte.« »Und wenn das nur ein Ablenkungsmanöver war?« »Das wäre wohl zu kompliziert. So viel Mühe hätten die sich nicht geben brauchen!« »Kompliziert oder nicht, nehmen wir es mal an«, sagte Derk 171
lächelnd. »Na schön.« »Dann war sie diejenige – und nicht Keith, die den Vorschlag mit dem Cosmic Pool machte. Auf halbem Weg hinauf machte sie den Sicherheitsbügel auf, versetzte ihm einen Stoß und ist Witwe.« Paula sagte zunächst nichts und nahm einen Schluck Brandy und Kaffee, ehe sie antwortete: »Mein Herr, das ist aber eine wilde Vermutung. Sollte sie auf Wahrheit beruhen, dann wirst du es Elaine unmöglich nachweisen können.« »Ja, das ist der springende Punkt. Aber ich habe ihren Tennisfreund in sicheren Gewahrsam genommen und könnte ihr bestimmt Riesenlöcher in ihrer Geschichte unter die Nase halten, jede Wette!« »Das wäre gemein. Im Moment steht sie vor einem Nervenzusammenbruch«, meinte Paula darauf. »Paula, sie hat vielleicht ihren Mann auf dem Gewissen«, äußerte Derk mit einem Anflug von Ungeduld. »Vielleicht ist sie deswegen so durcheinander.« Paula wollte ihm seine Behauptungen nicht abnehmen, war jedoch zu müde, um sich auf eine Debatte einzulassen. »Überschlafen wir die Sache«, sagte sie. Mit gespielt lüsternem Lächeln antwortete er: »Ich würde ja vorschlagen, gemeinsam, aber ich bin zu müde.« »Ich auch.« Ihr Gutenachtkuß war eine von Müdigkeit getragene, platonische Angelegenheit. Paula hatte unruhig geschlafen, weil ihr Derks Behauptung, Elaine hätte Keith Stuart getötet, nicht aus dem Kopf gehen wollte. Ihrer Ansicht nach hielt die Behauptung einer genaueren Betrachtung nicht stand. Während sie den Morgenmantel über ihren Schlafanzug streifte, fragte sie sich, ob der Schlaf einer langen Nacht Derks Meinung hatte ändern können. 172
Als sie die Küche betrat, rief er: »Schönen guten Morgen. Ich hätte ja gern ein paar Eier weichgekocht, wollte aber deine häusliche Autorität nicht antasten.« »Vielleicht können wir uns fürs erste mit Kaffee begnügen«, bat sie. Er goß ihr eine Tasse ein, und sie setzten sich in die Eßnische. Der Tag war wunderschön, die Luft klar. Im Westen schimmerten die Berge in der Morgensonne. Der Herbst strebte seinem Höhepunkt zu. Seine Schönheit konnte nur durch böse Gedanken getrübt werden. Derk brachte diese Gedanken ins Spiel, indem er sagte: »Ich möchte Elaine vorerst festnehmen lassen.« Damit war es für Paula mit dem Morgenfrieden vorbei. »Und mit welcher Begründung? Doch nicht etwa wegen Mordes? Dafür bist du gar nicht zuständig, denn auch, wenn sie es getan hat, so wurde die Tat oben im Larimer County verübt.« »Und wenn der Mord hier geplant wurde?« wandte Derk ein. »Ich möchte sie unter dem Verdacht, einen Mord geplant zu haben, festnehmen. Außerdem könnte ich ihr den Fall Slayton anhängen, glaube ich.« »Derk, hast du nicht gut geschlafen?« fragte Paula. »Du machst einen verwirrten Eindruck.« Derk amüsierte sich königlich. »Ach was, nachdem ich mir alles zurechtgelegt hatte, schlief ich wie ein Baby. Bevor Keith getötet wurde, war ich entschlossen, ihn festnehmen zu lassen. Aber seitdem die Möglichkeit auftauchte, daß Elaine ihn aus dem Sessellift stieß, sieht alles ganz anders aus. Jede Wette, daß Elaine Keith dazu benutzte, die Sache bei Slayton auszuhecken. Jede Wette auch, daß der dringende Geldbedarf mit ihrem Tennisfreund zusammenhängt. Junge Liebhaber können sich als sehr anspruchsvoll entpuppen, wie du weißt!« »Weiß ich gar nicht!« schoß Paula zurück. »Ich weiß nur, daß Elaine genügend Geld hat, um sich soviel Tennis173
Casanovas zu kaufen und zu begönnern, wie es ihr beliebt. Du darfst zudem nicht vergessen, daß Keith Stuart kein schwammiger alter Bankier war. Er hielt sich in tadelloser körperlicher Verfassung. Kannst du dir ernsthaft vorstellen, daß Elaine ihn aus dem Sessel bugsieren konnte, so daß er seitlich hinausfiel? Das ist doch sehr unwahrscheinlich.« »Stimmt nicht«, widersprach Derk. »So wie die Sessel am Tragseil hängen, wäre es ihr ein leichtes, ihm einen Stoß zu versetzen, daß er rausfiel. Genau an der Stelle, wo er fiel, geht es steil bergan, und der Sessel geriet sicherlich ins Schaukeln. Es wäre also ganz einfach gewesen.« Paula sah Derks Standpunkt ein. An einer Antwort wurde sie durch das Schrillen der Klingel an der Eingangstür gehindert. Moon Pettigrew war gekommen. »Guten Morgen«, sagte er zur Begrüßung. »Bekommt ein einsamer Junggeselle hier ein Täßchen Kaffee?« »Heute findet im Hause Masters offenbar ein Tag der Junggesellen statt«, lautete Paulas Antwort. »Kommen Sie rein. Derk ist da.« Moon trat über die Schwelle. »Ich weiß, sein Wagen steht draußen. Die Motorhaube ist kühl, also muß er wohl schon sehr zeitig gekommen sein, wie?« Paula ging ihm voraus in die Küche. »Sie können wohl nie aus Ihrer Polizistenhaut?« Sie sah keinen Grund, für Derks Anwesenheit eine Entschuldigung zu suchen. Moon wäre der erste gewesen, der ihnen aufrichtig Glück zur Hochzeit gewünscht hätte. Moon setzte sich neben Derk. »Was gibt es?« fragte er. Beide berichteten ihm nun die Einzelheiten von Keiths Tod. Derk tat ein übriges und erläuterte, warum er Elaine eine Mordanklage anhängen wollte. Und nachdem Paula ihre Gegengründe ins Treffen geführt hatte, war es an Moon, sie beide in Erstaunen zu versetzen. »Ich bin seit fünf Uhr auf den Beinen und habe bei ein paar 174
Leuten hier und in New York herumgehorcht. Sieht aus, als hätte Elaine sich mit Währungsspekulationen befaßt. So wie ich die Sache sehe, hat sie sich vielleicht in eine ziemlich arge finanzielle Klemme manövriert.« Paulas Miene war Ausdruck ihrer Verwunderung. Derk war nahe daran, vor Befriedigung zu strahlen. Moons Erkenntnisse stützten seine Theorie nachhaltig. »Aber das ist nicht alles«, fuhr Moon fort. »Ich kam dahinter, daß ihr Erbe von einer renommierten Anwaltsfirma in der New Yorker Park Avenue verwaltet wird. Ja, und da gibt es eine Klausel, die sich auf alle Vermögenswerte bezieht. Die Erben sind gehalten, das Vermögen alle fünf Jahre um zehn Prozent zu mehren, andernfalls fallen die verbleibenden Fonds an die Erbmasse zurück. Und eine einschlägige Buchprüfung hätte in zwei Monaten vorgenommen werden sollen.« »Wie zum Teufel konnten Sie das herausfinden?« wollte Derk wissen. »Ein Freund kennt einen der Anwälte«, sagte Moon, »und hat mich mit diesen Einzelheiten versorgt. Das war völlig legal. Er brauchte mir nur einen Artikel aus der Zeitschrift ‘Trust Accounting’ vorzulesen. Da stand alles drin. Aus verschiedenen anderen Quellen konnte ich in Erfahrung bringen, daß Elaine ihren gesamten Anteil durchgebracht hatte, weil sie sich auf Spekulationen mit Fremdwährungen einließ. Dabei hat sie, entschuldigt den Ausdruck, die Hosen verloren.« Da war es nun, das einzige, was ihnen gefehlt hatte: das Motiv. Derk baute seine anfänglichen Verdachtsmomente sofort aus. »Ich glaube, sie hat Keith zu dem Einbruch bei Slayton gedrängt. Keith stellte eine Bedrohung für sie dar. Sie wollte ihren Tennisfreund ganz für sich – ergo mußte sie den armen Teufel umbringen.« Seine Theorie war natürlich löchrig, das wußte er, aber er war Polizist genug, um zu wissen, daß das Füllen von Löchern 175
das Um und Auf guter Detektivarbeit darstellt. Im Grunde genommen war er froh, daß es sich nur mehr um das Zusammensetzen von Einzelheiten handelte und die allgemeine Marschrichtung klar vor ihm lag. Paula hingegen war enttäuscht. Eine verständliche Reaktion ihrerseits. Als sie Derks Beschuldigungen entgegentrat, hatte sie sich allein auf ihren Verstand verlassen. Doch je länger sie über diese neueste Wendung nachdachte, desto tiefer setzte sich in ihr die Erkenntnis fest, daß sie in die Verdammung Elaines nur deswegen nicht eingestimmt hatte, weil ihr ein Motiv gefehlt hatte. Doch da waren noch andere Punkte, die an ihren Gedankengängen nagten. Punkte, die mit dem Motiv nichts zu tun hatten. Sie versuchte ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen, wurde aber durch die allgemeine Erregung daran gehindert, die von Derks gefestigtem Vertrauen in seine neue Theorie und in Moons Erkenntnisse erzeugt war. »Wann wirst du Elaine holen?« fragte Paula. Derk lehnte sich selbstzufrieden zurück, die Hände im Nacken verschränkt. »Mit Moons Neuigkeiten in der Hinterhand haben wir keine Eile«, prahlte er. »Wir brauchen keine Geständnisse aus ihr herauszupressen. Sicher klappt sie gleich zusammen, wenn wir sie mit unseren Erkenntnissen konfrontieren.« »Und wenn sie türmt?« fragte Moon. »Ich habe vorgesorgt. Ein Auto ohne Polizeikennzeichen hält Wache. Sollte sie Reißaus nehmen, fassen wir sie im Nu.« »Und wann willst du sie festnehmen?« fragte Paula wieder. Derk überlegte. »Meine Leute sollen übers Wochenende die Feinarbeit machen und Einzelheiten zusammensetzen. Ich glaube, ich werde bis nach der gerichtlichen Leichenschau warten. Sie muß unbedingt dabei sein. Ich möchte mir anhören, was sie zu sagen hat, bevor sie erfährt, daß wir ihr auf die Schliche gekommen sind.« 176
»Ein diabolischer Plan«, schalt Paula Derk. Derk zog Paula auf. »Sei bloß nicht gemein – nur weil du dich geirrt hast.« »Das ist es nicht, Derk. Aber ich bin auch jetzt noch nicht ganz überzeugt. Jetzt sieht es zwar so aus, als hätten wir das Motiv, das gestehe ich dir gern zu, aber in diesem Fall fehlte uns mehr als nur das Motiv.« »Sicher, da sind noch Lücken«, gab Derk zu, doch wir haben zwei Tage Zeit zum Auffüllen dieser Lücken. Nur abwarten!« Paula sah auf die Uhr. Höchste Zeit, daß sie hinausfuhr zu den Kindern. »Ich fahre rauf zu meiner Familie«, sagte sie. »Viel Hilfe kann ich euch ja nicht bieten.« »Du könntest mir Moon für zwei Tage leihen. Eigentlich war er es, der den Fall geknackt hat.« »Glauben Sie bloß nicht, ich hätte nichts zu tun«, sagte Moon. »Ich bringe Sy jetzt zu General Trosper. Die Staatsanwaltschaft hat offenbar die Computerbänder von Keith Stuart an Hollie ausgeliefert.« »Ja, das habe ich gestern abend in die Wege geleitet«, sagte Derk. »Na, da steht uns einige Arbeit damit bevor«, meinte Moon. »Haben Sie am Ende Feuer gefangen und interessieren sich für elektronische Detektivarbeit?« fragte Derk. Moon lachte. »Ich kann kaum widerstehen«, gestand er. »Ich möchte wirklich wissen, wie Keith sich die Unterlagen über unsere Firma verschaffte«, sagte Paula. Moon pflichtete ihr bei und setzte hinzu: »Und ich möchte wissen, wie er das gesamte Programm von Slayton umkrempeln konnte.« »Wann wirst du zurück sein?« fragte Derk Paula. »Morgen nachmittag fahren wir zurück. Möchtest du nachkommen?« »Furchtbar gern, aber ich habe noch viel zu tun, ehe ich Elaine endgültig festnageln kann.« 177
»Na, dann brechen wir auf, sagte Paula. »Ich kann es kaum erwarten, meine Mädels wiederzusehen.« Elaine hatte schlafen können, weil sie ein Mittel genommen hatte, das einen jeden eingeschläfert hätte, doch war sie zeitig erwacht. Mehr als zwei Stunden lang war sie ziellos im Haus umhergewandert, hatte nichts getan und immer nur gegrübelt. Sie hatte sich eine Tasse Tee hinaus zum Swimmingpool genommen, dabei war ihr eingefallen, daß sie jetzt nach Keiths Tod selbst die Leute zum Einwintern des Beckens kommen lassen mußte. Sie hatte Belanglosigkeiten erledigt, wie zum Beispiel in den Gästezimmern nachgesehen, ob alles in Ordnung wäre, einen Stapel Zeitschriften auf dem Couchtisch geordnet und sich dreimal umgezogen. Sie hantierte planlos in der Küche herum und gab schließlich den Gedanken an ein Frühstück zugunsten eines großen und gehaltvollen Kruges Bloody Mary auf. Aber eines unterließ sie, und sie unterließ es mit einiger Mühe. Sie vermied es, Keiths Arbeitszimmer zu betreten. Das Arbeitszimmer war mit echten alten Stücken aus der Walfängerzeit sehr kostspielig ausgestattet. Der Raum vermittelte ganz den Eindruck einer Kapitänskabine auf einem New-Bedford-Walfänger um 1820. Die Wände waren mit gemasertem Mahagoni getäfelt und mit hellem Messingzierat geschmückt. Die Couch war eine Schlafkoje, das Tischchen davor ein Steuerruder und der Schreibtisch ein ehemaliger Kartentisch. Zur Abrundung des Eindruckes verhalfen alte Seefahrtsbilder, naturgetreue Schiffsmodelle und von Seeleuten aus Muscheln und Walknochen gefertigte Ritz-Bilder. Dieser Raum, in dem sich Keith Stuarts Persönlichkeit so eindrucksvoll manifestierte, war von seiner Witwe bislang gemieden worden. Aber nach der dritten Bloody Mary wollte sie dem Unvermeidlichen ins Auge sehen und trat schließlich ein. Minutenlang studierte sie die Einzelheiten, die sie mit 178
Keith so mühevoll zusammengesucht hatte, dann trat sie an den Schreibtisch und setzte sich in den gepolsterten Kapitänssessel. Sie zog die Mittellade auf und fing an, seine Papiere durchzusehen. Es war das erste und einzige Mal in ihrem Leben, daß sie sich an den Schreibtisch ihres Mannes gesetzt hatte. Paula kämpfte mit sich, ob sie wirklich hinaus nach Cranby fahren solle, denn sie wollte unbedingt mit Elaine sprechen, sie ausfragen und die Wahrheit erfahren. Paulas zweites Ich aber hielt dagegen, daß Elaine die Möglichkeit haben würde, sich selbst zu verteidigen. Mit ihren finanziellen Möglichkeiten würde sie jede zur Verfügung stehende Möglichkeit ausschöpfen, um Derks Anschuldigung entgegenzutreten. Paula schalt sich, daß sie wieder übertriebenes Mitgefühl an den Tag legte, und doch wußte sie, daß Elaines Leben möglicherweise auf dem Spiel stand und daß man in diesem Fall sein Mitgefühl gar nicht genug übertreiben konnte. Paula hätte zu gerne die speziellen Schwerpunkte festgenagelt, denen ihr Bewußtsein in den letzten Tagen ausgesetzt war, doch war eine solche Sturzflut über sie hereingebrochen, daß sie ihre Gedanken nur unter größten Schwierigkeiten in die richtigen Kategorien zur näheren Analyse einordnen konnte. Die als Folge des Einbruchs bei Slayton beinahe eingetretene Katastrophe war gekoppelt mit ihrem Kampf um die Führung in der Firma. Das daraus resultierende Kaleidoskop der Verwirrung benebelte ihre Denkfähigkeit so stark, daß sie das Ziel nicht zu fixieren vermochte, das sie vor sich zu sehen vermeinte. Noch ehe sie es gewahr wurde, lagen die gemeißelten Felsgebilde, die herabstürzenden Wasserläufe, das ganze Schauspiel der Naturschönheit hinter ihr, und sie fuhr die kiesbestreute Zufahrt zu ihrem Elternhaus entlang. Sie ließ den Wagen in der Einfahrt stehen. Ihre Mutter trat aus dem Haus 179
und begrüßte sie. Es folgten die üblichen mütterlichen Kommentare. »Du siehst abgespannt aus.« – »Hast du schon gefrühstückt?« – und – »Kind, du machst mir Sorgen.« Schließlich erfuhr Paula, daß ihr Vater mit Cassy und Iris im Garten hinter dem Haus wäre. Obwohl der Morgen längst einem schönen, frischen Tag gewichen war, wollte Paulas Mutter es sich nicht nehmen lassen, sofort heiße Schokolade zu machen, »… während du die Kinder hereinholst«. Paulas Proteste verhallten ungehört. Zu den geheiligten Mutterpflichten gehört das Zubereiten von heißer Schokolade an kühlen Tagen. Paula fügte sich und machte sich auf die Suche nach ihren Töchtern. Seit ihren eigenen Kindertagen hatte Paula mit angesehen, wie der väterliche Garten zu einem wahren Traumreich emporgewuchert war, wie geschaffen für kleine Mädchen. Da war das Jahr gewesen, als der Vater einen Laubengang angelegt hatte, der sich zu einem herrlichen Labyrinth zum Versteckspielen auswuchs. Das Jahr, als er ein großes und wunderhübsches Puppenhaus baute, in dem Paula sich ihre ureigene Welt schuf, mit Teegesellschaften und zum Leben erwachten Puppen. Und dann das Jahr, als er den alten Eichenbaum zurechtgestutzt hatte, damit die Seile der Schaukel Platz fanden, mit der ein kleines Mädchen fast bis zu den Wolken zu fliegen vermochte. Sie beobachtete eine ganze Weile, wie Iris im Puppenhaus geschäftig werkelte und aus- und einschlüpfte. Sie fegte den Bretterboden, der ohnehin immer makellos sauber gehalten wurde. Indessen kreischte Cassy vor Entzücken, weil ihr Großvater die Schaukel immer höher fliegen ließ. Iris entdeckte Paula als erste und ließ eine jener liebenswerten Begrüßungen hören, die für eine Vierjährige typisch sind: »Hi, Mami, ich bin am Saubermachen.« Sie verschwand prompt wieder im Spielhaus. Cassy, die eben vielleicht ein Stückchen zu hoch in den Himmel geschleudert 180
worden war, benutzte Paulas Ankunft, um zu rufen: »Aufhören! Aufhören! Ich möchte runter!« Der Großvater hörte mit den schwunggebenden Stößen auf, und als Cassy im Bogen herunterkam, sah Paula, wie sie die Seile fest umklammerte und die Füße ausstreckte, um die Schaukel zu bremsen. Natürlich wurde sie von ihrem Schwung wieder in die Höhe befördert, und abermals sah Paula, wie ihre Tochter sich losmachen und auf sie zulaufen wollte. Es folgte ein weiterer voller Schwungbogen, ehe Cassy absprang und über den Rasen lief und sich in Paulas Arme stürzte. Dabei fielen beide beinahe der Länge nach um. Jetzt kam auch Paulas Vater näher. Er nahm Paula Cassy ab und gab seiner Tochter einen Kuß auf die Wange. »Uns geht es großartig«, sagte er. »Das sehe ich«, erwiderte Paula mit Wärme, doch waren ihre Worte von einer gewissen Zerstreutheit gefärbt. Ihr Verstand tastete, suchte und kämpfte gegen das flüchtige Huschen eines nicht greifbaren Gedankens. Ihr Vater machte eine Bemerkung über das schöne Wetter, die sie nur halb in sich aufnahm. Sie sah sich in der unmittelbaren Umgebung um und versuchte, den nicht formulierten Begriff zu isolieren, der ihre Gedanken so durcheinandergebracht hatte. Und ohne sich klar darüber zu sein, warum, bat sie ihren Vater unvermittelt, er solle Cassy wieder auf die Schaukel setzen. Cassy heuchelte Angst und jammerte: »Er schubst mich zu hoch.« Paula strich ihrer Tochter übers goldblonde Haar: »Keine Angst, Kleines.« Dann fragte sie ihren Vater: »Ob die alte Schaukel mich noch trägt?« »Das möchte ich sehr bezweifeln, Paula«, sagte er mit gespieltem Ernst. Gleich darauf brach er in sein fröhliches Lachen aus, das Paulas glückliche Kindheit begleitet hatte. 181
Kein Zweifel, ihre 104 Pfund würden die Tragfähigkeit der Schaukel nicht übermäßig beanspruchen. Paula lief zur Schaukel hin, drehte sich um und setzte sich. Sie zog den Rock über die Knie und nahm nach rückwärts Schwung. Cassy rief aufgeregt nach Iris. »Rasch, beeil dich! Mami sitzt auf der Schaukel!« Iris kam dahergelaufen und vermehrte das Geschrei: »Höher, Mami, viel höher!« Paula arbeitete kräftig mit den Armen, während sie ihr Körpergewicht zur Beschleunigung der Abwärtsbewegung einsetzte. Am höchsten Punkt der Pendelbewegung angelangt, verlagerte sie ihr Gewicht mit einer natürlichen, in der Jugend erlernten Bewegung. Der Rückwärtsausschlag erreichte seinen Höhepunkt, und sie nahm kräftig Schwung zur nächsten Schaukelkurve. »Schneller, schneller!« riefen die Töchter einstimmig. Ihr Vater mahnte Paula zur Vorsicht. Aber für Paula war es ähnlich wie Radfahren oder Rollschuhlaufen; es gehörte zu den Fertigkeiten, die man als Kind erlernt und für immer behält. Die langen, an einem Ast befestigten Seile bewirkten, daß ihr Gewicht der Schaukelbewegung dank der Zentrifugalkraft zusätzlich Schwung verlieh. Als sie die angestrebte Geschwindigkeit erreicht hatte, nahm sie nicht mehr Schwung, sondern wagte ein Experiment. Paula beugte sich der Bewegungsrichtung entgegengesetzt vor, so wie sie es vorhin bei Cassys Bremsversuch beobachtet hatte. Sie versuchte mehrmals, der Bewegung entgegenzuwirken, doch wurde sie immer wieder gegen den Sitz gedrückt. Sie entdeckte, daß sie nach vorne oder rückwärts Neigebewegungen vollführen konnte, sie war jedoch nicht imstande, einfach vom Sitz, der sie gleichsam festhielt, wegzurutschen. Wieder begann sie Schwung zu nehmen und flog in hohem Bogen in die Luft. Sie faßte das Seil höher, bemühte sich mit 182
aller Kraft, und mit einiger Mühe gelang es ihr, sich während des Schaukelns zum Stand hochzuziehen. »Mami! Ich sehe dein Höschen!« juchzte Cassy. Ihr Vater schalt sie mit gespielter moralischer Entrüstung: »Achten Sie gefälligst auf Ihren Rock, meine Dame!« Paula beachtete ihre Bemerkungen nicht weiter und vollführte ähnliche Bewegungen wie vorhin im Sitzen. Da die Masse ihres Gewichtes nun nicht mehr auf dem Sitz lag, hatte sich der Schwerpunkt verschoben, so daß sie am End- und Höhepunkt eines jeden Schwunges unsicher wurde. Ihr gesamtes Gewicht wurde vom Drehpunkt aus vorgeschleudert, doch jedesmal, wenn die Bewegung sich vom Steigen ins Fallen umkehrte, trat jener Sekundenbruchteil ein, da sie hätte fallen können, wenn sie sich nicht mit den Händen festgehalten hätte. Mit neu erwachter Geschicklichkeit ließ sie sich in Sitzposition fallen und brachte die Schaukel rasch zum Stillstand. »Mami, wir haben wirklich dein Höschen gesehen«, sagte Cassy höchst ernsthaft. Ebenso ernst bemerkte Paulas Vater: »Das nächste Mal ziehst du beim Schaukeln lange Hosen an.« Paula erklärte, sie hätte eben eine Idee ausprobiert. Sie drängte die anderen, ins Haus mitzukommen, weil sie einen Anruf erledigen müßte. Sie wurden bereits von Tassen dampfender Schokolade erwartet, doch Paula entschuldigte sich für einen kurzen Anruf. Ihre Mutter begann einen Vortrag darüber, daß sich in kürzester Zeit Haut auf dem Getränk bilden würde, »… und das hast du nie gemocht. Ich weiß noch …« Paula unterbrach die Gardinenpredigt höflich, indem sie ihre Tasse ans Telefon ins Wohnzimmer mitnahm. Sie wählte die Nummer von Derks Büro. Derk war nicht da und wurde in einer Stunde zurückerwartet. 183
Sie hinterließ die Nachricht, er solle sie anrufen. Paula saß da, trank ihre heiße Schokolade, versuchte ihr Problem durchzudenken und wurde dabei immer wieder von dem Geplauder in der Küche abgelenkt. »Wie schön es doch war, wenn man Eltern hatte, die jeden Augenblick eines jeden Besuches nur darauf bedacht waren, die Enkel glücklich zu sehen«, dachte sie. Sie dirigierte ihre Gedanken zu ihrem Anruf zurück und entschied: »Eine Stunde ist zu lange.« Sie trank ihre Tasse leer und ging in die Küche. »Ich muß zurück in die Stadt«, kündigte sie an. Besorgte Blicke der Eltern und betrübte Mienen der Kinder. »Ich bin bald wieder da«, versprach sie. »Ich habe etwas sehr Wichtiges zu erledigen, und ihr wollt sicher nicht, daß ich dringende Angelegenheiten liegenlasse?« Paulas Vater rettete die Situation, indem er sagte: »Und ich bringe euch Mädchen zu der Höhle des Ungeheuers.« Das genügte als Ablenkung auch für das unglücklichste Kind. Die Höhle des Ungeheuers war ein großes Loch neben einem herrlichen Wasserfall auf dem Besitz ihres Vaters. Paula erinnerte sich, daß man sie erst als Teenager davon hatte überzeugen können, daß in diesem Loch kein Ungeheuer hauste. Ihr Vater hatte Dutzende Schauergeschichten auf Lager, die er nun gehörig ausgeschmückt präsentierte, während er die Mädchen zum Wasserfall begleitete. Paula hatte das sichere Bewußtsein, daß ihre Mädchen einen herrlichen Nachmittag vor sich hatten – auch wenn sie dann die halbe Nacht von schrecklichen Träumen geplagt wurden. »Ich bin so rasch wie möglich wieder da«, versicherte Paula ihnen. Dann ging sie zurück ins Wohnzimmer. Sie hatte einen weiteren Anruf zu tätigen. Hastig wählte sie Elaines Nummer. Elaine meldete sich mit einem gelallten »Hallo.« »Hallo, Elaine, hier Paula.« 184
Paula hörte erneut ein undeutliches »Hallo.« Besorgt erkundigte sie sich: »Geht es Ihnen halbwegs?« Nun kam ein Geräusch durch die Leitung, eine Art Gackern, dann dumpf und tonlos die Worte: »Gewiß, Paula, mir geht es gut.« »Dürfte ich für ein paar Minuten bei Ihnen vorbeikommen?« »Ich wüßte nicht, warum. Ich möchte allein sein.« »Das kann ich gut verstehen, ich möchte aber mit Ihnen reden.« »Wir haben nichts miteinander zu bereden.« Und die Leitung war tot. Paula spürte, daß an Elaines Gemütslage nicht nur das schreckliche Erlebnis mit Keiths Todessturz schuld war. Die Stimme am Telefon hatte nicht nur leicht angetrunken, sie hatte auch abgrundtief verzweifelt geklungen. Das waren zwei Ingredienzien, die keine gute Verbindung miteinander eingingen. Es war höchste Zeit, daß sie zu Elaine kam. Paula lief in die Küche, küßte ihre Töchter zum Abschied und versprach abermals, möglichst bald wieder zurück zu sein. Im Nu war sie aus dem Haus und saß in ihrem Wagen. Und zum ersten Mal überhaupt hatte sie auf der Fahrt nach Denver kein Auge für die landschaftlichen Schönheiten.
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20. Erbittert stieß Moon Pettigrew hervor: »Was habt ihr beiden da zu flüstern?« Sy fühlte sich von Moons Tadel getroffen, doch General Trosper lachte bloß. »Tut mir leid, Moon. Wir bringen unsere Gedanken nur in die endgültige Form.« »Ach was«, schnaubte Moon. »Glauben Sie, ich bin den ganzen langen Weg hierhergekommen, nur um dazusitzen und mir anzuhören, was zwei Elektronikgenies miteinander zu quasseln haben?« Hollie hob besänftigend die Hand. »Ich sagte ja, es täte mir leid. So, und jetzt hören Sie, worauf wir uns geeinigt haben.« Moon beruhigte sich allmählich. Sein Ärger war begreiflich, denn er hatte sich massiv in die vielen Fragen des Falles Slayton hineingekniet, stand aber den Feinheiten der Computeranalyse nach wie vor als Laie gegenüber. Hollie ließ eine Erklärung auf ihn niederprasseln: »Wir haben eben das Hauptsteuerungsband von Slayton mit dem in dem gemieteten Büro gefundenen Eingabematerial verglichen. Es handelt sich um eine fachmännisch ausgeführte Befehlsänderung. Hätte Sy nicht den Spannungsabfall bemerkt, wäre man niemals auf den Austausch gekommen.« Moon schüttelte den Kopf. Er hatte begriffen, konnte aber seine Ungeduld nicht mehr zügeln. Schließlich war er nicht in Stimmung, sich anzuhören, wie Sy in den Himmel gelobt wurde. Er brauchte handfeste Beweise, mit denen sich etwas anfangen ließ. »Geduld, Geduld«, predigte Hollie. »Ich wollte ja nur, daß Sie die von uns unternommenen Schritte sehen, damit Sie wissen, wonach Sie Ausschau halten sollen.« Moon wollte Hollie wieder zu seiner Erklärung zurücklotsen. »Schon gut, ich will Ihnen die Schau nicht stehlen.« 186
»Moon, eigentlich ist es Ihre Schau. Ich bin fast sicher, daß Sy bei der Bestandsaufnahme nicht so genau vorgegangen wäre wie Sie und mir die Bänder nicht so prompt herangeschafft hätte. Der langen Rede kurzer Sinn: das Hauptprogramm fehlt.« Mit dieser endgültigen Feststellung schien alles gesagt, was der General sagen wollte, denn er sah Moon an, als wäre damit das ganze Geheimnis gelöst. »Das kapier’ ich nicht«, äußerte Moon. »Ganz einfach«, sagte Sy. »Es mußte ein Haupt- oder Steuerprogramm dasein, mit dem die Eingabe-Magnetspeicher gefüttert wurden.« Moon überdachte diese neue Komplikation. »Aber es wurde doch der Slayton-Computer angezapft und das Programm sozusagen geklaut. In diesem Punkt waren wir uns einig.« Sy berichtigte: »Wir nahmen an, daß man den SlaytonComputer anzapfte und sich so das Programm verschaffte, weil die Burschen den Inhalt genau kannten – bis zu der genauen Bit-Anzahl des Steuerprogramms.« Moon kannte sich nicht mehr aus, und seine Miene gab genau das zu verstehen. »Aber dieses Wissen verschafften sie sich, indem sie die Telefonleitung anzapften?« »Stimmt nicht«, berichtigte Sy ihn abermals. »Die TelefonZapfstelle wurde nur dazu benutzt, dem Slayton-Computer das neue Programm einzugeben.« Langsam dämmerte es Moon. »Also …« Sy beendete den Satz an seiner Stelle. »… also gab es gar kein Duplikat des Slayton-Programmbandes.« »Und die Magnetscheiben-Eingabesteuerung von Keith Stuart wurde nach den zugrundeliegenden Arbeitsunterlagen angefertigt«, setzte Hollie hinzu. Moon ließ sich in seinen Sessel zurücksinken, als ihm klar wurde, was dies bedeutete: Jemand hatte sich Zugang zu den Unterlagen von Masters’ Security verschafft, nach denen das 187
ursprüngliche Steuerungsprogramm von Slayton erstellt worden war. Jetzt hatte Moon etwas, was der Detektivarbeit, wie er sie kannte, sehr nahe kam. Tür kurze Zeit wurde Hollie Trospers Computerlabor von einer Aura der Befriedigung erfüllt, die jedoch rasch verflog, als klar wurde, daß die kritischen Unterlagen, die das Verbrechen ermöglicht hatten, entweder aus einer Quelle innerhalb von Masters’ Security stammten oder mittels einer Methode entwendet worden waren, die alle ihre Sicherungen ausgetrickst hatte. Moon hatte einst vor der Aufgabe gestanden, innerhalb seiner Abteilung bei der Polizei aus Sicherheitsgründen eine Ermittlung leiten zu müssen, und er hatte diese Episode als widerwärtigstes Erlebnis seiner gesamten Dienstzeit in Erinnerung behalten. Mit der nunmehr zutage getretenen Enthüllung würde eine ähnliche Aufgabe auf ihn zukommen. Nun aber waren gute Freunde betroffen. »Das wird eine Hundearbeit«, sagte Moon. Dann fragte er Sy: »Wird es schwierig sein, draußen im Betrieb die Überprüfungen zu machen?« Sy wollte Moon Mut machen, brachte aber bloß heraus: »Im Weißen Raum habe ich einen Überwachungsmonitor, der zugleich als Sperre dient. Ohne mein Wissen kann niemand hinein. Seit ich das Slayton-Programm durch meinen eigenen Computer laufen ließ, waren nur Sie drinnen.« »Und wie steht es mit dem Transport der Unterlagen zu Ihnen hinaus?« fragte Moon. »Sie wurden persönlich von Beth hinaus nach Aurora gebracht und wieder zurück ins Büro geschafft. Soviel ich weiß, liegen sie noch immer in Paulas Safe.« Ganz plötzlich und auf betrübliche Weise schrumpfte der Bereich möglicher Schuld bis auf einen Stecknadelkopf zusammen. 188
Moon sagte düster: »Ich muß Paula anrufen. Es wird sie schwer treffen. Sie mag Beth sehr gern.« Paula hatte in Idaho Springs angehalten, um zu tanken und um Derk anzurufen. Sie berichtete von ihrem Plan, Elaine Stuart sofort aufsuchen zu wollen. »Warum?« hatte Derk gefragt, und sie hatte ihm zu erklären versucht, wie sie über Elaines Unschuld dachte. Er ließ sich nicht beirren. »Ich habe mit ihrem Tennisfreund gesprochen. Der Bursche beteuert seine Unschuld so nachdrücklich, daß ich ihm einfach nicht glauben kann. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich ihm sagte, Keith Stuart wäre tot. Fast hätte man glauben können, ich hätte mich mit ihm übers Wetter unterhalten oder über ähnlich Belangloses. Sieh mal«, schloß Derk, »warum bereden wir die Sache nicht erst? Ich wollte Elaine heute ohnehin wieder in Anspruch nehmen und eine kleine Konfrontation mit ihrem Gigolo arrangieren.« Derk wollte sich mit ihr unbedingt in seinem Büro in der Stadt treffen, aber Paula bat flehentlich: »Derk, ich muß ganz rasch zu ihr. Du hättest sie hören sollen. In einem schrecklichen Zustand war sie. Ich habe richtig Angst um sie.« Schließlich gab Derk nach. »Aber nicht in ihrem Haus. Ich möchte nicht, daß sie mich sieht, bevor ich sie zur gerichtlichen Untersuchung schaffe. Ich habe einen Wagen zur Überwachung einen Block weiter abkommandiert. Dort treffen wir uns.« Eine Stunde später fuhr Paula an den Randstein heran und parkte hinter dem Beobachtungswagen ein. Die zwei zur Beobachtung von Elaines Haus abgestellten Männer winkten ihr zu. Offenbar hatte Derk sie per Funk benachrichtigt. Derk selbst kreuzte nach ein paar Minuten auf. Er ließ seinen Wagen stehen und kam auf Paulas Kombi zu. Er setzte sich auf den Beifahrersitz und sagte: »Suchen Sie Gesellschaft, Gnädigste?« »Bitte, bleib ernst, Derk«, sagte sie halb wütend. »Die 189
Ärmste hat Probleme, und ich glaube nicht, daß sie Keith getötet hat.« »Paula, die steckt knietief im Schlamassel«, sagte Derk. »Kann ja sein, aber sie hat Keith nicht getötet.« Dann erklärte sie ihm die Gründe für ihre Behauptung, das Experiment mit der Schaukel mit eingeschlossen. »Unmöglich, daß sie ihn einfach hinausgestoßen hat«, sagte sie mit Nachdruck. Sie nahm dabei ihre Arme zu Hilfe und ließ sie locker pendeln, aber Derk ließ sich nicht beeindrucken. »Wenn sie ihn rausstoßen wollte, dann hat sie es geschafft.« Paula fuhr fort: »Und sie hätte über ihn rüberfassen und den Sicherheitsbügel öffnen müssen. Das konnte sie nicht schaffen. Heute setzte ich mich bei meinen Eltern auf die Kinderschaukel …« Sie hielt inne und wartete, bis sein spöttisch-kritischer Blick wieder verschwunden war und fuhr dann fort: »… na jedenfalls, die Zentrifugalkraft der Schaukelbewegung des Sessels hätte sie in den Sitz zurückgedrückt. Du weißt, es war keine Fußstütze am Sessellift. Elaines Schwerpunkt war zu tief, als daß sie den Sicherheitsbügel hätte öffnen können.« Derks Gesicht zeigte ein Lächeln ohne Heiterkeit. »Aber er könnte es getan haben? Der Riegel war auf seiner Seite.« »Richtig.« »Warum?« »Ich weiß nicht. Gehen wir hinein und fragen wir sie.« Derk war gut als Polizist. Er war gewillt, alles zu akzeptieren, aber Elaines Beziehung zu dem Tennistrainer stellte in seinen Augen praktisch ein Schuldbekenntnis dar. Schließlich sagte er: »Es haut nicht hin. Warum hätte Keith den Bügel öffnen sollen?« Paula hatte eine Antwort parat. »Damit er aufstehen konnte. Die Möglichkeit, das Schaukeln zu verstärken, war aufzustehen und Schwung zu nehmen.« »Verrückt. Warum sollte er das getan haben?« 190
»Wenn er sie aus dem Sessel kippen wollte, war es der einfachste Weg. Körperlich war er der Überlegene. Sie war es, die gefährdet war.« »Damit behauptest du, daß er versuchte, sie zu töten.« Ihre Miene wurde zusehends unwilliger, als sie Derks Widerstand spürte. »Derk, warum fragen wir sie nicht selbst? Das ist das einfachste.« »Sieh mal, Paula«, legte Derk los, »du hast da ein paar Ideen, die sich ganz gut anhören, aber die Beweise, die wir gegen Elaine in der Hand haben, deuten direkt auf ihre Schuld. Wir beide haben Ideen, aber ich habe ihren Liebhaber, der meilenweit nach Komplize riecht. Deine Theorien können es mit meinen Tatsachen nicht aufnehmen.« Sie wollte ihm entgegenhalten, daß seine »Tatsachen« ebenso theoretisch waren wie die ihren, doch wußte sie, daß es sinnlos war. »Gehen wir jetzt rein?« »Du kannst hinein. Frag sie, was du willst, laß dir aber nicht anmerken, daß ich ihren Freund gefaßt habe. Wenn du fertig bist, kommst du heraus. Dann gehe ich rein und nehme sie mit. Ist das nicht anständig von mir?« »Und wenn ich ihre Unschuld beweisen kann?« fragte Paula. »Jetzt rede erst mal mit ihr. Dann sage mir, was du erfahren konntest. Wenn du beweisen kannst, daß sie es nicht getan hat, dann lasse ich sie natürlich in Ruhe.« Paula wartete, bis Derk ausgestiegen war, dann fuhr sie los und legte das kurze Stück bis zu Elaines Haus zurück. Elaine kam erst an die Tür, nachdem Paula mehrmals geklingelt hatte. Sie sah gräßlich aus. Zerrauft, ohne Make-up, Augen, die vom Weinen gerötet und verquollen waren. »Ich sagte doch, Sie sollten nicht kommen«, empfing sie Paula. Es sah so aus, als wolle sie ihr die Türe vor der Nase wieder zuschlagen. Paula war schon sehr lange auf dem Gebiet der Ermittlungen tätig und wußte sehr gut, wie man verhinderte, daß einem die 191
Tür vor der Nase zugeknallt wurde. Ein gekonnt plazierter Fuß ist eine uralte Taktik, die einem Zutritt verschafft, auch wenn dieser unerwünscht sein sollte. »Bitte«, beharrte Paula mit festem Druck gegen die Tür. Elaine gab kampflos auf und ließ die Tür los. »Ach, verdammt. Kommen Sie herein. Ich muß ohnehin weg.« Sie blieben in der Diele stehen, was Paulas Absichten genau entsprach. Sie wollte den Besuch möglichst rasch hinter sich bringen. »Sie sollen wissen, daß ich auf Ihrer Seite stehe, Elaine«, fing sie an. Elaine hielt sich nur mit Mühe aufrecht. Auch hatte sie Schwierigkeiten, gleichzeitig ihren Blick auf Paula gerichtet zu halten. Dabei äußerte sie lallend: »Ich brauche Ihre Hilfe nicht. Bin eben drauf gekommen, daß Sie mir schon zuviel geholfen haben.« Paula war nicht wenig verwirrt. »Was heißt das?« »Ich fand eben die Telefonrechnungen. Ja, so ist es. Glauben Sie denn, ich wüßte nicht, daß Sie davon wußten?« Paula stand vor einem Rätsel. Es war klar, daß die abgetakelte Person vor ihr betrunken war und nicht mehr wußte, was sie daherredete. In diesem Augenblick faßte sie den Entschluß, Elaine nicht weiter zu Hilfe zu kommen. Ideal wäre es gewesen, wenn sie Elaine hätte ins Bett schaffen können, damit sie ihren Dusel ausschlafen konnte. Doch die Gewalt der Ereignisse drängte und machte diesen zeitraubenden Plan unmöglich: Derk hatte es brandeilig, Elaine festzunehmen. Paula überdachte die mißliche Lage und entschied schließlich, daß es für Elaine am besten wäre, wenn man sie in die Polizeizentrale schaffte. Derk war als Polizist versiert, als daß er Elaine in ihrem gegenwärtigen Zustand verhört hätte. Man würde sie in Gewahrsam nehmen und sie ausschlafen lassen, bis sie wieder nüchtern war. Elaine reagierte überhaupt nicht, als Paula sagte: »Gut, ich gehe jetzt. Ich möchte Ihnen helfen und werde mich später 192
noch einmal mit Ihnen unterhalten. Ist es Ihnen recht?« Elaine schwankte leicht und streckte die Hand haltsuchend nach einem Tischchen aus. Da glitt sie aus und fiel hin. Paula war mit einem Satz an ihrer Seite und wollte ihr aufhelfen, Elaine aber schrie: »Lassen Sie mich in Ruhe! Und sagen Sie diesem Biest, das ich alles von den beiden weiß!« Elaine kämpfte sich hoch und stand nun unsicher auf den Beinen. Sie versuchte, Paula klar ins Blickfeld zu bekommen. Diese wußte genau, daß Elaine nicht mehr ansprechbar war. Die Frau redete ja nur mehr sinnloses Zeug. Als Paula bereits die Hand auf der Klinke hatte, konnte sie nicht an sich halten, obgleich sie wußte, daß es nicht anständig und gewiß nicht legal war, da Elaine nicht mehr Herrin ihrer Sinne war. »Haben Sie Keith aus dem Sessel gestoßen, Elaine?« Der Dolchstoß dieser Frage ernüchterte Elaine keineswegs, er bewirkte jedoch eine unerwartete Erwiderung, denn sie warf die Arme hoch und rief aus: »Armer Keith … da stand er wie ein Narr … und sagte alle die dummen Dinge … stand da …« Sie fing zu schluchzen an, »… und fiel und fiel und fiel …« Paula wollte hin zu Elaine und sie trösten, doch sie hielt inne, als das Schluchzen verstummte und sich in eine bösartig keifende Stimme verwandelte: »Hinaus aus meinem Haus! Nichts wie raus!« Ohne einen Blick zurück lief Paula hinaus. Die Szene, deren Zeuge sie eben geworden war, verursachte ihr beinahe Übelkeit. Die Frau hatte jegliche Beherrschung verloren. Paula lief den Weg vom Haus weg, lief an ihrem Wagen vorbei. Der Gedankenwirrwarr, der in ihr Bewußtsein gepreßt worden war, beflügelte ihre Schritte. Sie wollte zu Derk, sonst nichts. Er würde wissen, was jetzt zu tun war. Sie befand sich schon in einiger Entfernung vom Haus der Stuarts, ehe Derk bemerkte, daß sie auf seinen Wagen zulief. Allein die Art, wie sie sich bewegte, deutete an, daß es Ärger gegeben hatte. Derks erster Gedanke war, daß Elaine 193
womöglich versucht hatte, Paula zu töten. Aber eine Verfolgerin war nicht zu sehen. Er sprang aus dem Wagen und lief Paula entgegen. In Sekundenschnelle lag sie in seinen Armen. Inzwischen waren auch die zwei anderen Detektive ausgestiegen, hatten die Straße überquert und sich Paula und Derk genähert. »Was gibt es?« fragte der eine. Derk gab mit einem Kopfschütteln zu verstehen, daß er ebensowenig wußte. Leise flüsterte er Paula ins Ohr. »Alles in Ordnung?« Langsam machte sie sich frei. »Ja, schon, aber dieses Erlebnis vergesse ich niemals.« »Was ist passiert?« »Ach, Derk«, sagte sie in mitfühlendem Ton, als sie wieder zu Atem gekommen war, »sie ist in einem gräßlichen Zustand. Sie ist betrunken und redet dummes Zeug. Sie schrie, sie brüllte, sie fiel auf die Nase. Noch nie habe ich einen Menschen in einem solchen Zustand gesehen.« Derk preßte zwischen den Zähnen hervor: »Dieses Biest.« »Nein, nein. Sie ist außer sich wegen Keiths Tod. Ich fragte sie, ob sie ihm einen Stoß …« Derks Haltung wechselte unvermittelt. »Du hast was?« »Ich fragte sie, ob sie ihn gestoßen hätte.« »Du hast Glück gehabt. Sie hätte dich töten können.« »Derk, sie ist keine Mörderin. Nein.« »Achtung. Sie kommt eben aus dem Haus«, sagte einer der Detektive. Sie sahen hin. Elaine Stuart schwankte von der Haustüre zu ihrem in der Einfahrt geparkten Wagen. »Na, weit wird sie nicht kommen, solange Mrs. Masters ihr mit ihrem Wagen den Weg verstellt«, sagte der Detektiv. »Los, sehen wir mal, was das betrunkene Frauenzimmer vorhat«, entschied Derk. Zu viert überquerten sie die Straße. Derk sagte zu Paula. 194
»Laß deinen Wagen da stehen. Du fährst mit mir.« Der Detektiv, der als erster Elaine aus dem Haus kommen gesehen hatte, warf einen Blick zurück und blieb stehen. »Die ist wohl übergeschnappt. Sie steigt ein.« Alle blieben stehen und folgten seinem Blick. Er setzte hinzu: »Die sieht wohl Ihren Wagen nicht, Mrs. Masters!« Sie blieben mitten auf der Straße stehen und mußten ungläubig mit ansehen, wie Elaine die Tür zufallen ließ und sich ans Steuer setzte. Sie waren genügend nahe, um sehen zu können, wie sie nur unter großen Schwierigkeiten endlich ihren Schlüssel fand. Dann beugte sich Elaine vor und startete. »Blödes Stück«, sagte der Detektiv. »Jetzt gibt es ein Wrack mitten in der Einfahrt.« Kaum hatte er ausgesprochen und Elaine den Schlüssel unsicher umgedreht, da explodierte der Wagen mit einem Krach, der in näherer Umgebung alle Fensterscheiben zersplittern ließ. Die Gewalt der Explosion drückte Paula gegen Derk, und als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, sah sie eine schwarze Rauchwolke und rote Flammen, die zum klaren Himmel emporzüngelten. Aus dem Wageninneren eruptierten gelbe Flammen, und in wenigen Sekunden war der Lack verkohlt und Elaines sterbliche Überreste verbrannt. Der Beruf des Polizisten bringt nicht unbedingt völlig übernatürliche Reaktionen bei denen hervor, die ihn ausüben. Daher war es nicht weiter unnatürlich, daß die drei reglos und erschrocken gemeinsam mit Paula stehenblieben. Ein paar Worte wurden hörbar, wie etwa »Scheiße!« und »Verdammt!«, aber keiner rührte sich. Derk hatte sich als erster gefaßt. »Ruft per Funk ein paar Leute her«, ordnete er an. »Ich brauche den Gerichtsarzt, Sprengstoffexperten und Laborleute.« Als letzte Anordnung sagte er zu Paula: »Du setzt dich in 195
meinen Wagen und wartest dort.« Sie aber wollte nicht auf ihn hören, und er legte keinen weiteren Nachdruck hinter seinen Wunsch, wie er es normalerweise getan hätte. Jetzt aber resignierte er und fand sich mit der Tatsache ab, daß Paula ihm auf den Fersen blieb. Zum zweiten Detektiv sagte er: »Und Sie sehen zu, daß hier keine Schaulustigen Aufstellung nehmen. Ich möchte vermeiden, daß den Laborleuten die Arbeit unnötig erschwert wird.« Der Detektiv spurtete los. Die Anrainer liefen bereits über ihre Rasenflächen auf den brennenden Wagen zu. Derk packte Paulas Arm. Gemeinsam liefen sie den Gehsteig entlang. »Und jetzt hör gut zu«, sagte er. »Ich möchte dich nicht dabei haben, aber wenn du unbedingt willst, dann merke dir: Blut und Innereien wirst du nicht sehen, aber kipp nicht aus den Pantinen, wenn du zufällig über eine Hand stolperst oder der Kopf mitten auf dem Rasen liegt.« Derk spürte, wie Paula erbebte. »Mußt du gar so anschaulich sein?« fragte sie matt. »Nein, aber ich kenne diese Wagen-Explosionen zur Genüge, und ich weiß, daß der Anblick ein Schock sein kann. Das Wageninnere ist meist bis zur Unkenntlichkeit demoliert, aber da und dort findet man in einiger Entfernung ein Stück des Opfers. Ich möchte nicht, daß du mir hier in Ohnmacht fällst. Ich habe alle Hände voll zu tun und kann dich als zusätzliches medizinisches Problem nicht brauchen.« Paula hatte ihre Fassung wenigstens teilweise wiedererlangt und schoß zurück. »So viel Liebe und Fürsorge bin ich gar nicht gewöhnt.« Derk lächelte grimmig. »Braves Mädchen. Sieh dich bloß nicht zu genau um und wunder dich nicht, wenn du was zu sehen kriegst.« Sie waren jetzt schon ganz nahe am Grundstück der Stuarts, und Derk bemerkte: »Sieht mir nach einer geschickt plazierten Bombe aus. Vermutlich ist von Elaine nicht viel in einem 196
Stück übrig.« Er sollte sich irren. Das merkte er, als sie sich etwa dreißig Fuß vom Wagen entfernt befanden. Da sah er, daß die obere Hälfte von Elaines Torso über den Vordersitz geschleudert und gegen die hintere Dachstütze gedrückt worden war. Ihr Kopf fehlte, alles andere war zu erkennen, auch wenn es noch durch das aus dem zerrissenen Tank fließende Benzin brannte. Er ließ Paulas Arm los, faßte sofort nach ihrem Kopf und zog ihn an seine Schulter. Sie hatte den Leichnam nicht gesehen. Leise sagte er: »Sieh nicht hin. Ich bringe dich ins Haus.« Paula besaß die besondere Gabe, sich Männer auszusuchen, auf die Verlaß war. Sie ließ zu, daß er sie an dem Feuer vorbeiführte und äußerte kein Wort des Protestes. Sie verfügte darüber hinaus nämlich über die Gabe der Einsicht, wann Widerstand sinnlos war. Im Näherkommen bemerkte Derk, daß die Haustür sperrangelweit offenstand. Nach einem Blick auf das Schloß stellte er fest, daß es nicht aufgesprengt worden war. »Nicht mal die Tür hat sie abgeschlossen«, sagte er. »Ich sagte ja, sie war in einer schrecklichen Gemütsverfassung.« Derk ging ins Haus voraus und spähte hastig herum, ob die Explosion im Haus etwa kleine Brände verursacht hätte. »Hu«, äußerte er, »eine schöne Bescherung.« Es war aber längst nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussah. Das Haus der Stuarts war so angelegt, daß es von der Straße aus nur wenig einzusehen war, daher waren nur ein paar kleine Fenster zersprungen. Möbelstücke waren umgestürzt, Rauchschwaden zogen durchs Haus. Die mächtige Druckwelle, die über das Hausdach hinweggefegt war, hatte die große Schiebetür aus Glas hinaus auf den Patio gedrückt und ein paar Gartenmöbel in den Swimmingpool geschleudert. Derk wollte Paula zunächst in der Küche deponieren, doch 197
dann fiel ihm ein, daß dort womöglich ein Gasherd stand. »Komm mit«, sagte er und führte sie quer durchs Wohnzimmer in Keiths anschließendes Arbeitszimmer. »Du wartest hier drinnen«, bestimmte er. Er küßte sie zärtlich auf die Stirn und setzte hinzu: »Falls etwas passiert, dann läufst du durch diese Tür hinaus.« Er zeigte ihr eine nach außen führende Tür des Arbeitszimmers. »Könnte ja sein, daß plötzlich ein Brand ausbricht. Die Feuerwehr wird gleich dasein und das Haus durchsuchen.« Im Fortgehen sagte er noch: »Ich komme gleich wieder. Dann schaffe ich dich hier raus!«
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21. Während der nächsten Stunde glich die Straße vor dem Anwesen der Stuarts einer Straße nur für Polizei- und Feuerwehrfahrzeuge. Als erstes tauchten die Denver Blues auf, indigoblaue Streifenwagen der uniformierten Polizei. Derk wies sie an, das Gelände wegen der vielen Schaulustigen abzusperren. Dann kam die Feuerwehr, die von Derk nur schwer davon abgehalten werden konnte, das beinahe völlig ausgebrannte Auto tonnenweise mit Wasser zu überfluten. Er wollte vermeiden, daß eventuell vorhandene Beweisstücke in die Abwasserkanäle von Denver geschwemmt würden. Schließlich fanden seine Bitten Gehör, und die Feuerwehrleute nahmen widerstrebend Aufstellung, um im Falle eines erneut aufflammenden Brandes sofort eingreifen zu können. Ein Team der Brandschutzabteilung inspizierte das Haus, drehte die Gasleitung ab und verschalte die zersprungenen Scheiben mit Brettern. Sie fühlten sich ungemein bemüßigt, aktiv zu werden, nachdem Derk ihnen nicht erlaubt hatte, ihre Schläuche zu entrollen. Nach vierzig Minuten erschienen die Gerichtsmediziner auf der Szene und konnten nach knappen fünf Minuten Derk einen vorläufigen Bericht liefern. »Die volle Wucht der Detonation kam von unten durch den Boden und riß ihr die Beine weg. Der Kopf wurde abgetrennt, als der Körper nach hinten über den Sitz geschleudert wurde. Er landete hinten auf dem Boden. Der restliche Torso flog auf den Hintersitz, wo er gegen die Dachstütze prallte und verbrannte.« Als Derk dieses Protokoll des Grauens mit Kopfnicken zur Kenntnis nahm und sodann fragte, ob es sonst noch etwas gäbe, bekam er die unwirsche Antwort: »Was, zum Henker, sonst noch? An einem Herzversagen ist sie jedenfalls nicht gestorben, so viel steht fest!« 199
Derk schickte den untersuchenden Arzt weg und wies dessen Mitarbeiter an, sie sollten die Leichenteile in einen Sack einsammeln. Die mit den Labortechnikern zusammenarbeitenden Leute von der Sprengstoffabteilung lieferten die einzig brauchbaren Tatsachen. »Der Sprengsatz war mit dem Zündsystem durch eine Vorrichtung, wie sie zur Sicherung gegen Autodiebstähle dient, gekoppelt.« »Wie meinen Sie das?« fragte Derk. »Sie kennen sicher diese Dinger, die man dauernd aufgeschwatzt bekommt und die einen Autodiebstahl verhindern sollen, an denen man eine Zahlenreihe drücken muß, ehe der Wagen anspringt.« »Verstehe. Und sie hatte so etwas in ihrem Wagen?« Der Techniker antwortete: »Nein. Ich wollte damit nur sagen, daß das System als Auslöser für die Bombe verwendet wurde. Zumindest als Schaltschema, das die Bombe hochgehen ließ.« »Kapier’ ich nicht.« »Das Ding funktioniert mittels einer Magnetvorrichtung. Es läßt einen Impuls nur durch, wenn am Armaturenbrett die richtige Zahlenkombination gedrückt wird.« »Ja, jetzt begreife ich.« »Nun, und in diesem Fall war das Gerät so zurechtfrisiert, daß es nicht durch das Drücken von Zahlen aktiviert wurde. Der Stromkreis wurde so geschaltet, daß er auf Impulse des Zündschlüssels reagierte. Der lange Rede kurzer Sinn: Jemand hat den Apparat so zurechtgebastelt, daß die Bombe nicht beim ersten Anstarten hochging, sondern erst nach mehreren Malen. Ich müßte ein paar Tests machen, damit ich auf die genaue Anzahl komme, aber ich schätze, der Sprengsatz sollte beim dritten oder vierten Anstarten losgehen. Die meisten Schaltungen in diesen Diebstahlsicherungen sind ähnlich beschaffen.« 200
Derk mußte diese technische Information erst verdauen. »Hm, das könnte sich als höchst wichtig erweisen. Wann könnten Sie die genaue Anzahl der Starts haben, nach denen die Bombe losging?« Der Techniker überlegte. »Wenn ich sofort zum Labor fahre, könnte ich in einer Stunde soweit sein. Die Detonation entlud sich nach oben durch die Motorhaube, daher wurde der Verzögerungsmechanismus nicht so arg beschädigt. Ich denke, in einer Stunde schaffe ich es.« Derk warf einen prüfenden Blick auf die Szene. Die anderen Laborleute umdrängten emsig den Wagen. Das Fehlen des einen Technikers würde die Untersuchung wohl nicht wesentlich verzögern. »Fahren Sie los«, sagte er. »Einer der Blauen soll Sie mitnehmen. Ich brauche den Bericht dringend.« Der Mann mit dem Zündmechanismus nickte und machte sich auf die Suche nach einem Uniformierten, der ihn ins Labor kutschieren würde. Derk wollte eben dem Einsatzleiter der Feuerwehr sagen, daß er den Großteil seiner Fahrzeuge wieder zu ihren Standorten zurückbeordern könne, als er einen Fernsehkameramann erspähte, der durch die Absperrung geschlüpft war und das Autowrack aus der Nähe aufnehmen wollte. Derk gab einem der Uniformträger unauffällig einen Wink, und der Kameramann wurde zurück auf das der Presse vorbehaltene Gelände geführt. Während Derk seine Energien an die mechanischen Probleme des Tatsachensammelns im Verbrechensfalle verwandte, konzentrierte Paula ihre geistigen Fähigkeiten darauf, das Entsetzen über Elaines gräßlichen Tod in einen Winkel ihres Bewußtseins zu verbannen, der imstande war, diese Grausamkeit zu verarbeiten. Zunächst hatte das Ereignis alle ihre Gefühlskanäle überflutet. Das war gleich, nachdem Derk sie in der Stille von Keiths Arbeitszimmer allein gelassen hatte. Sie hatte noch immer die Flammeneruption vor Augen, und in 201
ihren Ohren dröhnte die Detonation der Bombe. Sie vermeinte den beißenden Geruch des Dynamits zu spüren, die Hitze des Feuers und den Druck des sich ausdehnenden Gases. Indem sie im stillen auf ihr Bewußtsein einhämmerte, es möge sich endlich beherrschen, verordnete sie sich Ablenkung und unterzog die Einrichtung des Raumes einer gründlichen Betrachtung. Die übertriebene Männlichkeit, die sich hier manifestierte, erschreckte sie beinahe. Wuchtig, handfest und funktionell, so bot sich die Einrichtung dem Auge des Betrachters dar. Die ledergebundenen Schwarten auf den rohen Borden unterstrichen den markigen Eindruck der verschiedenen Schiffsmodelle. Die Ritz-Zeichnungen auf Walknochen kündeten von wettergegerbten Händen, die in kargen Mußestunden seemannsgerechte Basteleien fertigten. Das alles setzte sich zu einem Bild zusammen, das Keith Stuarts Persönlichkeit offenbarte, und dies wiederum führte zu Elaine zurück, und Paulas Gedanken vollzogen abermals die Explosion nach. Sie setzte sich auf die Couch und preßte die Hände mit aller Kraft gegen die Augen, um die Erinnerung physisch auszulöschen und ihre Aufmerksamkeit anderen drängenden Problemen zuzuwenden. Sie versuchte sich auf den Fall Slayton zu konzentrieren und fragte sich, was Moon und Sy wohl in General Trospers Labor an Erkenntnissen gesammelt hatten. Aber im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen war Keith Stuart untrennbar mit dem Fall Slayton verbunden, und der Kreis drehte sich abermals um 360 Grad. Der flüchtige Gedanke, daß das Bild ihrer Töchter eine Ablenkung bieten könne, wurde abgetan, weil sie nicht einmal im Geiste ihre Mädchen in diese grauenvolle Umgebung verpflanzen wollte. Wieder suchte sie verzweifelt nach einem festen Punkt. Nach unendlich langer Zeit faßte sie schließlich den Entschluß, diesem Trauma ein Ende zu machen, indem sie ihm 202
ins Gesicht sah; und es zu besiegen, indem sie sich ihm stellte. Sie stand auf und ging ans Fenster. Draußen herrschte organisiertes Chaos. Nein, sie wollte Derk bei seiner Tätigkeit nicht behindern. Sie drehte sich um und bemerkte den ungeordneten Papierkram aus Keith Stuarts Leben auf seinem Schreibtisch. Der beste Weg, ihre schweifenden Gedanken zu bezähmen, war eine vertraute Tätigkeit, eine Beschäftigung mit Dingen, die sie kannte.
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22. In den Anfangsjahren hatte sich die Firma Masters hauptsächlich mit vertraulichen Ermittlungen abgegeben, und diese Tätigkeit erforderte die angeborene Fähigkeit des Aufspürens. Obwohl Paula ihr Handwerk unter der Anleitung ihres Mannes von der Pike auf gelernt hatte, hätte sie auf die praktische Anwendung gern verzichten können. Sie wußte, daß sie damit die Grenze der Legalität sachte überschritt. Denn auch nach seinem Tod hatte Keith Stuart in bezug auf die lose über den Schreibtisch verstreuten Papiere gewisse Rechte. Aber Paula hatte Keith gut genug gekannt, um zu wissen, daß er auf seinem Schreibtisch keine derartige Unordnung zurückgelassen hätte. Ganz klar, daß Elaine sich aus Neugier über Keiths Privatpapiere hergemacht hatte. Vielleicht ließ sich in diesem Papierwust eine Rechtfertigung für Elaines auffälliges Benehmen und ihre Betrunkenheit finden. Sie setzte sich an den Schreibtisch und begutachtete die Unordnung minutenlang, ohne etwas zu berühren. Im Geiste legte sie fest, an welcher Stelle die einzelnen Papiere lagen, kam aber schließlich zu der Einsicht, daß die verschiedenen Rechnungen, Notizzettel, Benachrichtigungen und Briefe wahllos verstreut herumlagen. Sie entnahm ihrer Handtasche eine Nagelfeile und benutzte sie als Werkzeug zum Anheben der Papiere, ohne deren Lageort wesentlich zu verschieben. Sie registrierte, bewertete und notierte im Geiste Informationsteile, die sich in etwa zu einem gemeinsamem Schema zusammenfügten, doch war nirgends eine Beziehung oder gar Enthüllung von Keiths ungesetzlichen Aktivitäten zu entdecken. Da lagen Rechnungen über Mitgliedsbeiträge in verschiedenen Klubs und Vereinigungen; Notizen, die sich auf Personalprobleme in seiner Bank bezogen; Anmerkungen bezüglich persönlicher und geschäftlicher Angelegenheiten und 204
Briefe, in denen es um belanglose Alltäglichkeiten ging. Die sorgfältige Untersuchung der jeweils drei Seitenschubfächer erbrachte nichts außer der Tatsache, daß Keith zweifellos in seiner eigenen Bank alle Möglichkeiten zur sicheren Aufbewahrung genutzt hatte, denn Paula hatte nichts finden können, was auch nur einigermaßen bedeutsam gewesen wäre. Wäre Paula ein Mann und kein verkappter Polizist gewesen, wäre ihr wichtigster und kritischer Fund wahrscheinlich dorthin gewandert, wo ihn der Gang des Schicksals vielleicht hatte bringen wollen, nämlich in den Müll. Aber Paula war eine Frau und konnte Unordnung nicht ausstehen. Daneben war sie in gewisser Weise Ordnungshüter, und ihr Bewußtsein konnte nicht zulassen, daß neben einem leeren Papierkorb zusammengeknülltes Papier liegenblieb. Es war nur ein kleines Papierhäufchen, drei Bogen, mit Metallklammern zusammengeheftet, von der Rocky Mountain Bell Telefongesellschaft zusammengestellt. Das Vorhandensein der Telefonrechnung erschien Paula als ungewöhnlich, weil sich Keith sicherlich wie die meisten Manager Rechnungen ins Büro schicken ließ. Bei näherem Hinsehen aber bemerkte sie, daß die Rechnung sich nur auf Gespräche mittels Kreditkarten bezog. Sie nahm an, daß Keith der Bequemlichkeit halber veranlaßt hatte, daß seine wegen der Bank geführten – von der Steuer absetzbaren – Gespräche von den Privatgesprächen getrennt aufgeführt wurden. Ein flüchtiger Blick auf die Rechnung des Vormonats zeigte, daß Keith mehrere Male geschäftlich unterwegs gewesen sein mußte. Sie wollte die Rechnung schon säuberlich im Papierkorb deponieren, als der »Richtige-Person-am-richtigenOrt-Aspekt« ins Spiel kam. Hätte einer der an den verschiedenen laufenden Ermittlungen Beteiligten diese Telefonrechnung zu Gesicht bekommen, so hätte er wohl kaum so reagiert wie Paula, die fast einen Satz vorwärts tat und nun 205
hastig die zwei anderen Bogen der einzeln angeführten Gesprächsaufstellung durchsah. Bliebe noch eine winzige Möglichkeit, daß ein gewiefter Top-Detektiv seinen Mitarbeiter angewiesen hätte, jede Nummer einzeln nachzusehen, doch bei Paula erübrigte sich dies. Sie ließ mit computerähnlicher Geschwindigkeit sämtliche möglichen Reaktionen durch ihr Gehirn klicken und kam schließlich zu dem vernünftigen Schluß, daß vielleicht Elaine Stuart diese anfängerhafte Ermittlertätigkeit auf sich genommen hatte. »Gut möglich«, überlegte Paula, »wenn sie einen Verdachtsgrund hatte.« Der Verdacht war vielleicht eigener Schuld entsprungen – Elaine hatte selbst eine Affäre; vielleicht war er ihrem Kummer entsprungen – es war immerhin möglich, daß einer jener, der Keith anrief, ihn getötet hatte. Oder der Verdacht war ihrem Wissensdrang entsprungen – das würde bedeuten, daß Elaine das Gefühl hatte, hier läge etwas Wissenswertes verborgen. In Anbetracht der Wichtigkeit dieser besonderen Nummer, die in einer Rechnungsliste mit insgesamt siebenunddreißig Gesprächen vierzehnmal erschien, entschied Paula, daß Elaine in erster Linie aus Sorge gehandelt hatte. Etwas war eingetreten, was sie veranlaßte, herumzutelefonieren und herauszufinden, welche Person zu welcher Nummer gehörte. Elaines ungewöhnliches Verhalten Paula gegenüber kurz vor der Explosion wurde mit einem Schlag verständlich, als Paula auf die vierzehn vom Computer ausgedruckten Zeilen blickte, die Keith Stuarts vierzehn Anrufe bei Beth Morrison verzeichneten. Jetzt wußte sie, warum Elaine sie wegen der Telefonrechnungen angeschrien hatte. Elaine hatte geglaubt, Paula wüßte über die Beziehung zwischen Keith und Beth Bescheid.
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23. Paula stellte nun Vermutungen darüber an, was wohl seit dem Vorabend, seitdem Elaine nach Keiths Tod allein geblieben war, vorgefallen war. Der Arzt war gekommen und hatte ihr ein Beruhigungsmittel verschrieben; Paula und Derk waren weggegangen. Man konnte davon ausgehen, daß sie die Nacht durchgeschlafen hatte. Paula malte sich aus, wie Elaine erwachte, sich der Realität von Keiths Tod gegenübersah und sich sodann wie gewohnt stark zurechtmachte. Elaine mußte den Drang verspürt haben, in Keiths Zimmer zu gehen und all die Dinge zu berühren, die Besitz ihres Mannes waren. Paulas Rekonstruktion wurde durch ihre Überzeugung gestützt, daß Elaine Keith nicht getötet hatte, doch mußte sie diesen Gedankengang weiter ausbauen, damit sie auch Derk davon überzeugen konnte. Paula stellte sich nun vor, wie Elaine Schubfächer aufzog und Papiere herausnahm, sie geistesabwesend durchsah, weiterkramte. Vermutlich wurde Elaine von Neugier getrieben, als sie unbekannte Telefonnummern auf der Rechnung entdeckte. Es hatte lange gedauert, wahrscheinlich sogar sehr lange, bis sie die zu den Nummern passenden Namen selbst gefunden hatte. Vielleicht hatte sie die Nummern anhand ihres Adreßbuches verglichen. Dann hatte sie wahrscheinlich kurzentschlossen den Hörer genommen und die Nummern angerufen. Beth Morrison hatte sich gemeldet, und Elaine war so geschockt worden, daß sie aktiv wurde. »Und deswegen«, überlegte Paula laut, »deswegen lief sie zu ihrem Wagen. Sie wollte eine persönliche Begegnung mit Beth herbeiführen.« Paula hatte jetzt zwei Möglichkeiten. Sie konnte sich an Derk wenden, der draußen vor dem Haus zu tun hatte. Aber Derk war ja der festen Überzeugung, Elaine hätte Keiths Tod 207
auf dem Gewissen. Sie hätte sich Moons Hilfe versichern können. Aber Moon stimmte mit Derk bezüglich Elaine überein. Andererseits war Moon ein Mitarbeiter und Freund, der sich vielleicht Paulas Standpunkt zu eigen machen würde. Das Problem löste sich von selbst, als das Telefon vor ihr auf dem Schreibtisch klingelte. Mit winzigem Zögern nahm Paula den Hörer auf. »Hallo?« Die vertraute kräftige Stimme Moons sagte: »Was, zum Teufel, machen Sie denn da?« »Ach, Moon«, sagte sie mit unverhohlenem Drängen in der Stimme. »Wo sind Sie denn?« »Ich bin in Englewood und fahre Richtung Stadt«, sagte Moon. »Sy und ich sind eben von General Trosper gekommen. Ich wollte Sie bei Ihrer Familie erreichen, aber da hieß es nur, Sie wären wie der Wirbelwind davon. Dann wollte ich Derk erreichen, der war nicht in seinem Büro. Da dachte ich mir, ich fahre gleich los: Und als wir durch Englewood fuhren, hörte ich im Radio von dem Bombenanschlag und dachte mir sofort, daß ihr beide sicher im Hause der Stuarts seid. Kann ich etwas in der Sache tun?« Paula sagte ihm, wie froh sie über seinen Anruf wäre und setzte hinzu: »Ich mußte eine höchst beunruhigende Entdeckung machen.« »Wir auch«, kam blitzschnell Moons Antwort. »Was gibt es?« Sie geriet durch Moons Bemerkung momentan aus dem Gleichgewicht, konnte ihm aber dessen ungeachtet berichten, daß sie Beths Telefonnummer auf Keiths Monatsabrechnung entdeckt hätte. Kaum hatte Moon das gehört, berichtete er seinerseits, daß Beth vermutlich Komplizin im Falle Slayton war. »Glauben Sie noch immer, daß Elaine Keith tötete?« fragte Paula, als er geendet hatte. Moon gestand nach einer kleinen Pause: »Ich bin nicht ganz 208
überzeugt, daß sie es nicht tat, aber ich bin gewillt, mir die Entlastungsgründe anzuhören.« »Ach, Moon«, sagte Paula aufgeregt, »ich weiß ja, daß ich bei Derk damit auf taube Ohren stoße. Aber ich muß ihn davon überzeugen, daß Elaine Keith nicht tötete. Ich weiß, daß ich recht habe.« Moon machte einen Vorschlag. »Warum reden wir nicht erst mit Beth? Vielleicht kann sie uns weiterhelfen?« Paula überdachte den Vorschlag. »Am besten, wir nehmen Derk dazu mit.« »Gut, nehmen Sie ihn mit.« »Und wo sollen wir uns mit ihr treffen?« fragte Paula. »In ihrer Wohnung?« »Ich halte das Büro für geeigneter. Wie wär’s, wenn ich bei ihr vorbeifahre und sie mitbringe?« Paula war einverstanden. »Und ich bringe Derk mit, und wir können uns dann mit ihr dort unterhalten. Ich bin sicher, daß Beth uns den Schlüssel zur Aufklärung geben kann. Wir müssen Derk dazu bringen, daß er nach einem anderen Mörder Ausschau hält. Sicher stellt sich heraus, daß der für seine Entführung Verantwortliche auch sein Mörder ist.« »Hallo, warum sagten Sie eben ,der’?« fragte Moon. »Was?« »Als Sie von der Entführung sprachen, sagten Sie ,der’ für die Entführung Verantwortliche!« Paula ließ im Geist den Satz erneut abspulen. »Der FBICode! Als Keith sich telefonisch meldete, gab er zu verstehen, daß es sich bloß um einen Entführer handle.« Moon erwiderte: »Richtig, und dann, nach seiner Rückkehr, sprach er immer von ,ihnen’, von mehreren.« Paula überlegte und nahm sich vor, mit Derk darüber zu sprechen. Sie wußte nicht mehr genau, was Keith damals gesagt hatte. Zu Moon sagte sie: »Sie fahren also zu Beth und bringen sie 209
mit. Ich komme mit Derk ins Büro.« »Ich muß zuvor noch Sy zu Hause absetzen«, wandte Moon ein. »Sie fahren sofort zu Beth«, wies Paula ihn im Befehlston an. »Aber Paula«, antwortete Moon, »der Ärmste ist ganz am Boden zerstört. Seine bessere Hälfte macht ihm die Hölle heiß, weil er dauernd unterwegs ist.« Ganz plötzlich ließ die Spannung in Paula nach. Schlagartig wurde ihr klar, was aus Sy Anessos friedlichem Leben geworden war. Mit einem Auflachen sagte sie: »Na schön. Versichern Sie Sy meiner unwandelbaren Zuneigung. Soll er ruhig zu seiner Frau zurück. Die große, böse Welt außerhalb der vier Wände seines Computerlabors ist nichts für ihn.« Moon gab spöttisch zurück: »Ich glaube sogar, langsam findet er Gefallen an der ganzen Sache.« »Hoffentlich nicht zuviel. Wir brauchen ihn dringend im Labor, und ich verfüge selbst über genügend Talent, um mit Ihnen gemeinsam die Knochenarbeit bei den Ermittlungen zu machen.« Moon schätzte, daß er 15 bis 20 Minuten bis zu Beth brauchte, dann weitere zehn Minuten in die Stadt. »Wir sehen uns also in einer halben Stunde im Büro«, schloß Paula. Sie legte auf und nahm die Telefonrechnung zur Hand. Dann unterzog sie den Schreibtisch einer weiteren Kurzinspektion und lief schließlich hinaus zu Derk. Die Explosionsszene nahm allmählich ein ordnungsähnliches Bild an. Die Polizei hielt die Schaulustigen nun mühelos im Zaum. Die Techniker kamen mit den Detailuntersuchungen langsam zu einem Ende. Doch als Paula um die Hausecke bog und den Rasen vor dem Haus überqueren wollte, sah sie etwas, was ihr gar nicht gefiel: ein Abschleppwagen bugsierte ihren Kombi eben aus der Einfahrt hinaus. 210
Sie lief zu Derk, der sich neben dem Einsatzwagen, dem sogenannten Befehlsstand, befand. »Derk, was machen denn die mit meinem Wagen?« Derk grinste übers ganze Gesicht. Er hatte offensichtlich seine Obliegenheiten fast erfüllt und näherte sich einem Punkt, an dem bereits eine Lockerung der Anspannung winkte. »Wenn du einen Blick auf den Wagen wirfst, wird dir nicht entgehen, daß die Windschutzscheibe herausgedrückt wurde, der Lack vorne angesengt ist und die zwei Vorderreifen zerschmolzen sind. Wenn du unbedingt damit nach Hause fahren möchtest, könnte ich dir dank meiner Beziehungen eine Polizeieskorte mitgeben.« Paula sah erst jetzt die Schäden, von denen Derk sprach. Klar, daß der Wagen in unmittelbarer Nähe der Explosion etwas abgekriegt hatte. Geistesabwesend sagte sie: »Aber … womit soll ich …« »Ich werde dich kutschieren. Das habe ich schon öfter getan.« Er gab dem uniformierten Sergeanten, der Unbefugte vom Haus fernhalten sollte, ein paar letzte Anweisungen. Paula war durch den Verlust ihres Wagens so abgelenkt, daß sie vergaß, Derk von ihren neuen Erkenntnissen zu erzählen. Erst als er mit dem Sergeanten fertig war, sagte sie: »Wir haben die Verbindung zwischen Keith Stuart und Beth Morrison entdeckt.« »Wer sind ,wir’? Was soll das heißen?« Hastig brachte sie alles in Kurzfassung vor und wiederholte, was Moon ihr am Telefon berichtet hatte. Derk nahm die Neuigkeiten zur Kenntnis und meinte: »Jetzt haben wir alles fein säuberlich in einem Paket. Elaine tötete ihn, weil sie dahinterkam, daß er es mit Beth trieb. Sieht mir nach einem klassischen Fall von verschmähter Liebe aus.« In Paula brandete die Wut der Enttäuschung auf. »Nein! Er konnte ja nicht wissen, daß sie die Telefonrechnung entdeckt 211
hatte. Das passierte erst heute morgen – nach seinem Tod.« »Du weißt nicht, ob dies eine Tatsache ist. Sie könnte die Rechnung entdeckt haben, während ihn die Entführer festhielten. Ich glaube sogar, er hat ihr von seiner Affäre erzählt, und sie stieß ihn aus dem Liftsessel.« Paula war ganz außer sich, als sie sagte: »Derk Loudermilk, manchmal kannst du der halsstarrigste Mensch sein, den man sich denken kann. Begreifst du denn nicht, daß Keith sich mit Unterwelttypen eingelassen hat, die ihn zu töten versuchten? Das erklärt, warum Elaine zu Tode kam, und das ist auch der Grund für Keiths Tod.« Derk meinte sarkastisch: »Und die Gauner betätigten sich als Kletterkünstler und warfen ihn aus dem Sessel. Stimmt’s?« »Wie sie ihn da hinauswarfen, weiß ich nicht, aber ich habe dir jedenfalls gezeigt, daß Elaine es nicht getan haben kann!« Ihre Wangen röteten sich bereits, und Derk wollte sie besänftigen. »Ruhe bewahren«, sagte er. »Ich weiß, was du glaubst, und ich glaube trotzdem, daß Elaine hinter seinem Tod steckt. Natürlich könnte es nicht schaden, sich mit Beth zu unterhalten, aber ich kann mir nicht denken, daß sie uns viel weiterhilft.« »Könnten wir hier rasch weg? Ich brauche jemanden, der mich ins Büro fährt.« »Klar. Ein paar Minuten noch, dann fahren wir los und sehen mal, was es Neues zu erfahren gibt. Ich bin überzeugt, daß Elaine Keith getötet hat, bin aber gern bereit, mir anzuhören, was Beth zu sagen hat. Wenn du mich fragst, dann steckt die junge Dame in einer argen Klemme.« Derks »paar Minuten« zogen sich in die Länge, da er dem Pressesprecher der Polizei, der von Presse- und Fernsehleuten belagert wurde, Direktiven geben mußte. Paula wartete ungeduldig neben dem fahrbaren Befehlsstand, während Derk sich loszueisen versuchte. Nach einer letzten Unterbrechung – ein Experte der Elektrizitätsgesellschaft ersuchte um die 212
Erlaubnis, das Grundstück mit seinen Leuten betreten zu dürfen, weil er den Strom abschalten wollte – kam endlich Derk. »Jetzt nichts wie los.« Sie hatten erst ein paar Schritte getan, als ein junger Funker seinen Kopf aus dem Laster steckte, der als Befehlsstand diente, und Derk zurief: »Leutnant, Anruf für Sie!« »Verdammt, Derk, laß doch! Wir müssen weg!« drängte Paula. »Aber Paula, vielleicht ist es der Chef oder der Bürgermeister oder Gott weiß wer. Nur einen Augenblick. Wenn ich jetzt nicht rangehe, nageln sie mich während der Fahrt über Funk fest.« Er ließ sie stehen und stieg in den Laster. Der Befehlsstand war der ganze Stolz der Einsatzabteilung der Polizei von Denver. Er verfügte über die neuesten funktechnischen Mätzchen und hatte daneben noch direkte Mikrowellentelefonanschlüsse. Desgleichen war ein Computer vorhanden, der im Falle von Katastrophen oder Unruhen Einsatzpläne ausspuckte, dazu ein Datenzentrum, das den Einsatzleuten auch an entlegenen Standorten sofort genaue Informationen liefern konnte. Aber Derk hatte im Augenblick nur fürs Telefon Interesse. »Hallo?« »Derk, hier Moon. Wir stehen vor einem Problem!« »Los, Moon. Paula hat mich über Beth informiert.« Darauf Moon: »Verdammter Mist, sie ist getürmt. Vor fünf Minuten kam ich hier an. Der Hausverwalter sagte, sie wäre hier vor einer halben Stunde mit dem Taxi weg. Sie hatte einen Koffer bei sich und sagte, sie wolle verreisen. Derk, die läuft auf und davon. Wir müssen sie noch dingfest machen.« Derks trainierte Reflexe reagierten ohne Verzug auf das anstehende Problem. Zu dem Funktechniker sagte er: »Ich brauche die Funkzentralen der Taxi-Unternehmen.« Zu Moon sagte er: »Bleiben Sie dran, ich lasse mal bei den Taxis 213
nachfragen.« Es dauerte nur zwei Minuten, bis der Funkspezialist auf die Frequenz der Taxi-Unternehmen geschaltet hatte und Informationen darüber anforderte, ob jemand unter Beths Adresse abgeholt worden war. Ja, ein gelbes Taxi hätte sie hinaus zum Stapleton Airport östlich von Denver gebracht und sie vor jenem Eingang abgesetzt, der den Continental Airlines vorbehalten war. »Moon, sie will fliehen«, rief Derk. »Sie ließ sich bei Continental absetzen.« »Bin schon unterwegs.« »Wir haben es von hier aus näher hinaus. Ich fahre mit Paula raus«, sagte Derk. »Ich erwarte euch draußen.« Derk sprang aus dem Befehlsstand. »Wir müssen los. Beth wurde der Boden zu heiß unter den Füßen«, rief er Paula zu. Sie liefen zu Derks Wagen und brausten in Sekundenschnelle in Richtung Stapleton Airport los.
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24. Moon Pettigrew stand und starrte ungläubig die linke Vorderseite seines Siebenundzwanzigtausend-Dollar-TurboCarrera an. Er wußte, daß er mitten in einer dringenden Mission steckte, und er spürte, wie sämtliche natürlichen Triebe eines Fahnders an ihm zerrten und ihn drängten, ins Flughafengebäude zu stürzen. Doch war er daneben auch der liebevolle Besitzer eines bildschönen Klassewagens und stand nun fassungslos vor dem, was er da angerichtet hatte. Die mit Höchstgeschwindigkeit absolvierte Hetzjagd durch Denver war zwar glatt verlaufen, weil er ein guter Fahrer war. Schon möglich, daß er ein paar biedere Bürger erschreckt hatte, die mit ansehen mußten, wie er mit achtzig Meilen durch Straßen brauste, in denen nur dreißig erlaubt waren. Aber kein einziges Mal war Leben oder Besitz eines Mitbürgers gefährdet. Erst bei seiner Ankunft vor dem Flughafengebäude war es passiert, als eine Frau plötzlich und unerwartet eine Wagentür aufmachte. Er hatte ruckartig ausweichen müssen und war auf den Gehsteig geholpert, wo eben Gepäck für die Abfertigung ausgeladen wurde. Es war auch kein arger Aufprall, nur das rechte Vorderrad war betroffen, doch bei einem Carrera bringt dies zusätzlich ein kräftiges Verbiegen des tief angebrachten Luftansaugstutzens und einen beträchtlichen Schaden an der teuren Ölkühlung. Das Rad war in einem häßlichen Winkel geneigt, der Pirelli-Reifen schickte zischend ein unheilverkündendes Signal aus, das eine teure Erneuerung verhieß. »Scheiße!« war eben ausreichend, um seinen Gefühlen gebührend Ausdruck zu verschaffen. Zu Fuß setzte er seine Mission fort. Ein Uniformierter der Flughafenpolizei kam eilig auf ihn zu. »He, Sie da!« rief er. 215
Moon faßte in seine Hüfttasche und zog den Dienstausweis hervor, den er vor dem Beamten aufklappen ließ. »Sehen Sie zu, ob Sie die Karre wieder auf die Straße bringen!« Der Beamte blieb wie erstarrt stehen, während Moon fortlief und in die Schalterhalle der Continental Airlines stürmte. Moon zügelte ganz automatisch seinen Schritt, als er die Weite der Halle betrat. Sein Instinkt sagte ihm, wie er im Kommen und Gehen der bevölkerten Wartehalle unauffällig bleiben konnte. Bewegte er sich zu hastig, fiel er sofort auf. Und er wollte doch Beth ausfindig machen, bevor sie ihn entdeckte. Die rot-weißen Farbtupfer des Logogramms von Continental Airlines schmückten einen Großteil des Schalterbereiches. Moon warf einen Blick auf die Fernsehmonitore, um zu sehen, ob von dort vielleicht ein Hinweis auf Beths Reiseziel käme. Zwei Maschinen waren eben gestartet, drei wurden startklar gemacht und sollten in den nächsten dreißig Minuten abfliegen. Also keine große Offenbarung! Moon erspähte einen jungen Mann vom Informationsschalter in knallroter Jacke. Er sprach ihn an. »Ich möchte über einen bestimmten Passagier, der einen Flug gebucht hat, Auskünfte bekommen.« »Tut mir leid, mein Herr, leider kann ich Ihnen darüber keine Auskunft geben.« Moon wurde ungeduldig. »Dann holen Sie gefälligst Chip Farrington her.« Der Rotbejackte brauchte gar nicht erst »Wie bitte?« hervorzustoßen, seine verdutzte Miene sagte genug. Moon erklärte: »Chip Farrington, Sie taube Nuß! Chef der Sicherheitsabteilung!« Dieses Wortgefecht, das auszuarten drohte, wurde abrupt beendet, als ein Vorgesetzter sich einmischte. Es war nicht zu übersehen, daß Moon hochgradig ungehalten war und auch der junge Mann bald an den Grenzen seiner Geduld angelangt sein würde. 216
Der im Umgang mit Notsituationen versierte Informationsbeamte dirigierte Moon sachte aus dem Hauptstrom der Passagiere und stellte im Nu fest, welches Anliegen er eigentlich hatte und warum. Moons Erwähnung des Namens Chip Farrington ebnete ihm gewisse Wege, und er landete hinten in irgendeinem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Büro. Kostbare Minuten gingen verloren, während der Mann sich die Genehmigung verschaffte, dem Buchungs-Computer Auskünfte zu entlocken; dann folgten erregende acht Minuten des Suchens und die Entdeckung, daß Beth Morrison bereits für den Flug nach Hawaii abgefertigt war. »Wir könnten sie ausrufen lassen«, schlug der Mann vor. Moon zischte: »Das wäre saudumm. Wir würden sie bloß aufscheuchen und sie nie wieder finden.« Und dann, sozusagen als letzte Rettung, sagte Moon: »Gehen wir sie einfach suchen. Ihre Leute sollen sie aufhalten, wenn sie an Bord geht. Mit ihr an Bord darf die Maschine nicht starten, ist das klar?« Als Moon aus dem Büro trat, sah er Derk und Paula in die Halle laufen. Moon gab an sie weiter, was er erfahren hatte. »Na, Sie waren ja sehr eifrig«, meinte Derk. Moon erwiderte lächelnd: »Ich habe mich beeilt.« »Ja, ich habe den Wagen gesehen.« Paula überflog inzwischen die Warteschlangen in der Hoffnung, Beth irgendwo zu entdecken. Während sie noch berieten, wie man Beth am besten ausfindig machen könne, kam der hilfreiche Informationsmann und berichtete, er hätte Anweisung gegeben, Beth aufzuhalten, wenn sie an Bord ginge. »Bis dahin sind es noch zwanzig Minuten«, sagte Derk. »Sie könnte ihren Entschluß ändern und einen anderen Flug buchen.« Paula hatte sich zwar darauf konzentriert, Beth zu erspähen, 217
ließ aber im Geiste alle Möglichkeiten abspulen, was Beth wohl während der Wartezeit tun würde. Und ihr wurde klar, daß alle für eine normale Situation in Betracht kommenden Möglichkeiten hier nicht zutrafen, weil Beth sich auf der Flucht befand. Paula fragte den Angestellten der Fluggesellschaft: »Welche Klasse hat sie gebucht?« »Du lieber Himmel«, rief der Mann aus, »die erste! Das hätte mir eher einfallen müssen, aber Ihr Freund hier hat eine gewisse Hektik verbreitet.« Derk und Moon reagierten blitzartig auf diese Information. »Wo ist die Wartehalle erster Klasse?« fragte Moon. Der Mann gab ihnen einen Wink, ihm zu folgen. Vor der betont schlichten, unbezeichneten Tür zum VIPRaum blieb Derk stehen. Er erkundigte sich bei dem Mann über die Anlage des Raumes, und ob es einen zweiten Ausgang gäbe. Die Auskunft über das Vorhandensein eines Notausganges und die sonstige Beschreibung der elegantkomfortablen Wartehalle ließen keine größeren Schwierigkeiten erwarten. Derk entwarf den Aktionsplan. »Wir kommen von vorne, und Sie, Moon, gehen direkt an den Notausgang. Paula und ich halten uns ein paar Schritte hinter Ihnen. Alles muß ganz rasch gehen, damit wir sie überrumpeln.« Und zu dem Mann sagte Derk: »Und Sie öffnen jetzt die Tür und halten sich ansonsten raus.« Der Angestellte der Fluggesellschaft hielt dagegen: »Aber sie ist schließlich unser Fluggast. Ich möchte mit hinein.« Derk blieb eisern. »Sie öffnen die Tür und gehen aus dem Weg!« Der andere wollte erneut Protest einlegen, obwohl er wußte, daß Derk von Amts wegen die Befugnis hatte zu verlangen, was er eben verlangt hatte. Er öffnete widerstrebend die Tür. Die Fülle von Kübelpalmen und üppigen farbenfrohen 218
Blumenarrangements ließ erkennen, daß die Fluggesellschaft ihre nach Honolulu fliegenden Passagiere mit den geeigneten Mitteln auf die Schönheit und das milde Klima des Pazifiks einstimmen wollte. Links entlang der Fensterfront die üblichen Schreibtische, rechts das liebkosende Behagen üppig gepolsterter Sessel und Sofas. Auf den polierten Flächen der im Überfluß vorhandenen Tischchen standen jede Menge Gläser und Kaffeetassen. Alle diese Dinge registrierte Moon, während er sich auf den Notausgang am anderen Ende zubewegte. Nur eines sah er nicht, und das war Beth Morrisons Gesicht. Das bereitete ihm Sorgen. Er erreichte sein Ziel innerhalb von sechs Sekunden und verstellte den Notausgang. Als er sich umdrehte, sah er Paula und Derk eintreten, die ebenfalls nach Beth Ausschau hielten. In diesem Augenblick mußte Moon entdecken, warum er Beth beim Durchqueren des Raumes nicht gesehen hatte. Sie kam eben aus der Damentoilette. Sie ging zu einem Sessel, ohne Moon oder Paula zu bemerken. Sobald sie aber nervös nach ihrem Drink faßte, hob sie den Blick und sah Paula. Das Geräusch des auf dem Boden zersplitternden Glases wurde durch den dicken Spannteppich gedämpft. Beth drehte in panischer Angst den Kopf und suchte einen Fluchtweg. Da sah sie Moon. Ihre Gesichtsmuskeln erschlafften, als ihr klar wurde, daß sie in der Falle saß. Moon sah, wie Paula leise zu Derk etwas sagte, und nach einem kurzen Wortwechsel ging Paula allein zu Beth hinüber. Derk ging zurück zum Haupteingang und blieb dort abwartend stehen. Moon konnte sehen, daß Paula Beth hatte allein sprechen wollen, und behielt seinen Standort am Notausgang bei. Paula war selbst überrascht, mit welcher Ruhe sie zu Beth sagte: »Wir wissen von Ihnen und Keith.« »Ich möchte darüber nicht sprechen«, sagte Beth steif. Paula setzte sich neben sie. »Sie müssen aber, Beth. Es ist 219
zuviel geschehen, zu viele Menschen haben gelitten. Da können Sie nicht einfach davonlaufen.« Beth sah sich im Raum um. Sie warf Derk einen Blick zu. Einen kurzen Augenblick lang glaubte Paula, es wären die Reaktionen eines gefangenen Tieres, doch es folgte dumpfe Resignation, als Beth fragte: »Was macht er denn da?« Leise erklärte Paula: »Beth, Gesetze wurden verletzt, und Sie stecken tief mit drinnen. Sie sind in einer argen Klemme. Und ich könnte gar nicht behaupten, daß ich Ihnen helfen möchte, denn Sie haben Dinge getan, die unsere Gesellschaft hätten zugrunde richten können. Ich brauche gewisse Antworten von Ihnen. Ich bitte Sie um Hilfe.« Beth brach in schallendes Gelächter aus, und die anderen Passagiere in der Abfertigungshalle erster Klasse drehten sich nach den zwei Frauen um. Als das Gelächter verstummte, sagte Beth: »Sie wollen, daß ich Ihnen helfe? Und was ist mit mir? Und was mit Keith? Können Sie mir helfen, ihn zurückzubekommen?« Paula fragte leise: »Warum haben Sie Keith die Bänder gegeben?« Beth sah Paula verwirrt an. »Ich habe sie Keith nicht gegeben! Er veranlaßte, daß ich sie Ben Martin übergab!« Paula bemühte sich, ihre Überraschung zu verbergen, und schaffte es auch, allerdings nur mit größter Anstrengung. »Aber warum wollte er das?« »Die wollten doch die Gesellschaft«, antwortete Beth gelassen, »und wir brauchten das Geld. Keith hatte kein Geld mehr, müssen Sie wissen. Das viele Geld, das in die Bank wanderte, diente nur dazu ihm seinen Job zu erkaufen, nicht, ihn reich zu machen. Viel wollten wir gar nicht, nur so viel, daß wir anderswo neu beginnen konnten.« Paula hielt mit ihrem Zorn nicht länger hinterm Berg. »Sie waren gewillt, meine ganze Gesellschaft zu opfern, nur um sich ein paar Dollar zu ergattern, mit denen Sie ,neu anfangen’ 220
wollten?« Beth zeigte keinerlei Anwandlungen von Reue. Paula stand empört auf und ging zu Derk. »Ich habe dieses Mädchen bis oben hin satt. Möchtest du ihr Fragen stellen?« Derk fragte verwirrt: »Was soll das heißen? Willst du sie am Ende an Bord der Maschine lassen?« »Nein. Ich möchte, daß man sie wegen Diebstahls von Arbeitsunterlagen für Computerprogramme belangt, aber ich möchte hier nicht mehr mit ihr sprechen.« »Ich schon. Ich möchte ihr ein paar Fragen hinknallen, bevor wir sie in die Stadt zurückschaffen und ihr der Gedanke an einen Anwalt kommt.« Verächtlich äußerte Paula: »Und ich weiß genau, wen sie nehmen wird. Diesen Ben Martin.« Dann berichtete sie Derk von Beths Enthüllung über die zwei Anwälte, die versucht hatten, sich Masters’ Security unter den Nagel zu reißen. Derk schüttelte angewidert den Kopf. »Verdammt, Paula, damit allerdings ist die Sache für mich erledigt.« »Ich verstehe nicht.« Derk erklärte es ihr. »Wenn du bloß ein paar Minuten gewartet hättest, bis wir mit ihr allein gewesen wären. Ich hätte vielleicht etwas aus ihr herausholen können, bevor ich Sie auf ihre Rechte aufmerksam machte. Aber so …« Seine Enttäuschung war nicht zu übersehen, als er den Satz unvollendet in der Luft hängen ließ. Paula wußte, daß Derk mit Beth nicht sprechen konnte, ohne sie zuvor über den ihr zustehenden Schutz aufzuklären. Es stand fest, daß sie in einen Diebstahl verwickelt war. Sie hatte die Namen der Beteiligten genannt. Während Derk darüber nicht erhaben war, ein paar Schritte in jene graue Zone zu tun, in der ihre Rechte verletzt wurden, würde er nie seine Vertrauensstellung dazu benutzen, wenn die Tatsachen bereits feststanden; und Paula hatte sie festgestellt, indem sie ihm von Ben Martin erzählte. 221
»Ich muß sie festnehmen«, sagte er. Paula hielt sich abseits, als Derk zu Beth hinging. Sie sah von weitem, daß er sie über ihre Rechte belehrte und sie sodann an die Tür brachte, die zur allgemeinen Abfertigungshalle führte. Im Vorübergehen sagte Beth gedämpft: »Es tut mir leid.« Paula gab keine Antwort. Derk fragte Paula: »Darf ich mir Moon für ein paar Minuten ausborgen, bis ich einen Uniformierten auftreibe, der sie in die Stadt schafft?« Paula nickte. Die jüngst gemachten Enthüllungen bewirkten, daß sie sich wie zerschlagen fühlte. Moon und Derk führten Beth hinaus, und Paula folgte ihnen. Sie sah, wie sie sich trennten. Derk machte sich auf die Suche nach einem Polizeibeamten, während Moon in Beths unmittelbarer Nähe blieb. Paula sah, daß sie miteinander redeten, doch es interessierte sie nicht. Sie gab Moon von weitem zu verstehen, sie wolle sich in einen stillen Winkel in der Nähe der Laderampen zurückziehen, und er nickte verständnisvoll. Als Paula sich entfernt hatte, sagte Moon zu Beth: »Sie haben Paula tief verletzt.« Beth nahm diese Äußerung zur Kenntnis, reagierte aber nicht weiter darauf. Als Ex-Polizist mußte Moon auf die Wahrung von Beths Rechten nicht Rücksicht nehmen. Er konnte ganz offen mit ihr reden. »Sie wollten also ab nach Hawaii?« Sie nickte stumm. »Glaubten Sie denn, er würde mitkommen?« Nach einer Pause antwortete sie: »Ganz gewiß. Es sollte für uns ein neuer Anfang sein.« In diesem Augenblick faßte Moon einen Entschluß. Keinen schönen Entschluß, aber einen, der sich als höchst wirksam erweisen konnte. Er entschloß sich, sie anzulügen, indem er eine Situation schuf, die sie nicht ignorieren konnte. Vielleicht wurde dadurch eine Schranke niedergerissen. »Sie wissen 222
hoffentlich, daß Keith Sie wegen einer anderen sitzengelassen hat? Wissen Sie eigentlich, daß er Sie betrog?« Grausam, aber wirkungsvoll. Tränen stiegen ihr in die Augen. Pures Vitriol träufelte von ihren Lippen, als sie den Toten verteidigte, der sie geliebt hatte. Sie schrie: »Unmöglich!« Aber Moons Plan ging auf, da der Keim des Verdachtes gepflanzt war. Er wartete nun, daß die Saat aufging. Flüsternd stellte sie sich die Frage: »Er wird doch nicht etwa …?« Moon ließ das Schweigen andauern. Es war notwendig, daß Beths Phantasie inzwischen einen Fall konstruierte, der Moons aus der Luft gegriffene Beschuldigung stützte. Beth dachte an die unerklärt gebliebenen Zeitlücken in Keiths Tagesablauf, an gewisse Vorfälle, die sie geflissentlich ignoriert hatte. Nach einer Weile bemerkte Moon sarkastisch: »Klar hat er. Ein Mädchen aus der Bank. Auch so ein gerissenes kleines Luder.« Beth befand sich nicht eben in der ausgeglichensten seelischen Stimmung, um Moons Attacke standzuhalten. Sie murmelte: »Aber wir hatten doch das Geld. Er hätte nie …« Da warf Moon ein: »Er wollte das Geld für sie verwenden. Für die andere.« Moon hatte keine Ahnung, welches Geld Beth meinte, aber er würde es herausbekommen, und wenn er sie vernichten mußte. »Nein«, stieß Beth hervor, »für uns war es bestimmt.« Moon log weiter. »Sie hat uns von dem Geld erzählt.« Jetzt geriet Beth ordentlich in Rage. Ihre Gefühle glaubten Moon und betrogen sie. »Das konnte niemand wissen«, sagte sie. »Alles war zu gut geplant. Niemand hat mich gesehen.« Jetzt waren die Möglichkeiten bis auf eine eingegrenzt. Es konnte sich nur um das Lösegeld handeln. »Sie saßen am Steuer, als Keith zur Bank fuhr, ja?« »Wer denn sonst?« sagte Beth in ihrer Verwirrung. »Die andere behauptet, sie wär’s gewesen«, stichelte Moon 223
weiter. Beth ging zur Verteidigung über und kämpfte um ihren Anspruch an Keith Stuarts Andenken. »Ich hab’ das Geld«, hielt sie ihm entgegen. Moon überlegte blitzschnell. Er wollte sich unbedingt ihre seelische Labilität weiter zunutze machen. »Sie haben bloß die Hälfte«, schoß er sie an. »Keith hätte damit bloß seine Verluste wettgemacht.« Beth bebte vor Zorn. »Sie lügen!« Moon merkte nun, daß er seinen Vorteil eingebüßt hatte. Beths Anhänglichkeit an Keith war zu stark. Er sah, daß Derk mit zwei Polizisten daherkam. Gleich darauf wurde Beth abgeführt, Moon und Derk gesellten sich zu Paula. Moon berichtete von seinen Erkenntnissen und schloß: »… Beth steckte bei der Entführung mit ihm unter einer Decke.« Paula meinte: »Damit wäre auch sein Fehler erklärt, den er im Zusammenhang mit dem FBI-Code machte. Zuerst sprach er von einem Entführer, dann sagte er, es wären mehrere gewesen.« Derk meinte: »Ich glaube noch immer, daß Elaine nicht ganz unschuldig war.« Paula schalt ihn. »Wenn die Entführung ein abgekartetes Spiel war, dann waren auch die Anschläge auf ihn nur inszeniert.« »Der Arzt sagte, die Wunde könnte er sich selbst zugefügt haben«, gab Moon zu bedenken. Da stellte Paula fest: »Noch etwas ließ mir keine Ruhe, aber ich konnte es nicht richtig fixieren.« Die Männer sahen sie fragend an. Sie fuhr fort: »Es steht in Zusammenhang mit dem GolfUnfall. Wir hörten uns die Geschichte an, und dabei wurde jedesmal gesagt: ,Er zog die Handschuhe aus.’ Ich bin nun keine versierte Golfspielerin, aber ich weiß, daß man die 224
Handschuhe nur auszieht, wenn man puttet, also zum Einlochen ausholt. Keiths erster Drive war aber vom Grün noch weit entfernt.« »Aber das wäre ein viel zu raffinierter Plan«, wehrte Derk ab. »Warum sollte er sich all dieser Mühe unterziehen, wenn er eine Entführung inszenieren wollte? Wie du schon einmal sagtest, Paula, gehen einer Entführung im allgemeinen keine Mordversuche voraus.« »Wenn Keith eine Entführung inszenieren wollte«, fuhr sie fort, »dann konnte er es genauso arrangieren. Bankleute werden täglich entführt. Aus irgendeinem Grund wollte er, daß es aussähe, als trachte ihm jemand nach dem Leben.« »Und zu welchem Endzweck?« fragte Derk. »Zum Beispiel: Keith wollte Elaines Tod herbeiführen«, sagte Paula. Nach einer kleinen Denkpause sagte Derk: »Aber Elaine stieß ihn aus dem Liftsessel.« »Das behauptest du andauernd, aber nehmen wir mal an, Keith faßte während der Fahrt den Entschluß, sie rauszuwerfen, und stand auf, nachdem er den Sicherheitsbügel aufgeklappt hatte. Statt dessen könnte er selbst hinausgefallen sein!« »Aber warum machte er das? Hätte er nicht warten können, bis sie oben angekommen waren?« fragte Moon. »Und wer legte die Bombe in Elaines Wagen?« fragte Derk. »Ich glaube, in Keith war irgend etwas vorgegangen«, sagte Paula, »und er entschloß sich augenblicklich, Elaine herunterzustoßen, nachdem er bereits die Bombe in ihrem Wagen plaziert hatte.« »Du glaubst also, Keith legte die Bombe?« fragte Derk ungläubig. »Warum nicht? Er hatte Zugang zur Unterwelt von Cincinnati. Sicherlich revanchierten die sich für den Gefallen, den er ihnen bei Masters’ Security erwies, und verschafften ihm eine kleine Bombe, mit der er seine Frau töten konnte. 225
Derk, sagtest du nicht, der Zünder wäre so eingestellt gewesen, daß der Sprengsatz erst nach mehreren Starts losging?« »Richtig. Die vom Labor sagten, er wäre auf das vierte Anstarten des Wagens eingestellt gewesen.« »Das wären also die Fahrt hinaus zum Cosmic Pool, dann die Rückfahrt nach Denver, während der sie zum Auftanken hielten, und schließlich heute morgen, als Elaine den Wagen startete. Denk daran, wie Keith dem Liftwart einschärfte, daß Elaine vielleicht zurück in die Stadt müßte. Verdammt, es war alles präzise geplant.« »Wenn die Anschläge auf ihn nur inszeniert waren, dann paßt alles zusammen«, sagte Derk bedächtig. »Hast du schon mal gehört, daß drei Mordanschläge auf dieselbe Person danebengehen und dann eine Entführung aus einem Militärspital gelingt?« fragte Paula. »Die Ereignisse lagen zu weit auseinander, als daß wir sie in eine Kategorie hätten einreihen können. Aber wenn man weiß, daß die Entführung ein Schwindel war, dann paßt alles nahtlos zusammen. Das haben wir Beth zu verdanken.« Moon warf ein: »Und der Einbruch bei Slayton wurde von Beth und Keith eingefädelt, um die Verluste in Elaines Familientrust abzudecken.« »Natürlich«, sagte Paula. »Wir waren zunächst überzeugt, Elaine stecke dahinter, aber es war in Wahrheit Keith. Er inszenierte und leitete alles, und er war derjenige, der hinter Gittern gelandet wäre. Das Geld von Slayton brauchte er, um die Verluste aus seiner Fehlleistung als Manager abzudecken. Als Gegenleistung hätten die organisierten Verbrecher Masters’ Security praktisch in der Hand gehabt und damit eine direkte Leitung zur Sicherheitsindustrie. Die hätten Zugang zu den neuesten Einrichtungen der Verbrechensbekämpfung bekommen. Heute verliert die Industrie an die sechzehn Millionen Dollar im Jahr auf diesem Gebiet. Dieser Kuchen ist zu groß, als daß ihn diese Gauner größtenteils Amateuren 226
überlassen hätten. Eine Sicherheitsgesellschaft ist die perfekte Fassade, hinter der man neue Einbruchstechniken entwickeln könnte.« »Und so wurden wir auf die linke Tour übernommen«, bemerkte Moon. »Von den Anwälten und Bankiers und all den anderen, die meinen Beruf erst möglich machen«, sagte Derk. Paula stellte lächelnd die Frage: »Und für die holde Weiblichkeit findet niemand ein Wort der Anerkennung?« Ihre beiden Freunde brachen in Gelächter aus. Derk neckte sie: »Du wolltest ja unbedingt in das Geschäft einsteigen. Jetzt siehst du, wie es da zugeht.« »Mir gefällt es«, sagte Paula. Dann wurde sie ernst. Die Folgen für die Überlebenden gaben ihr zu denken. »Derk?« »Was ist denn, Paula?« »Was geschieht jetzt mit Beth? Und mit Charlie und Ben?« Derk zog die Schultern hoch. »Le Ciaire und Martin nehmen wir wegen Betruges fest, gar kein Problem.« »Und Beth?« wiederholte Paula. »Was geschieht mit ihr?« Derk zögerte mit der Antwort. Trotz ihres gewissenlosen Verhaltens hatte Paula noch eine Bindung zu dem Mädchen, eine gewisse Loyalität, das wußte Derk. Beth war sehr lange für die Firma tätig gewesen, sie war mit Paula durch dick und dünn gegangen. Aber nun hatte sie sich als Komplizin zu einem schändlichen Verbrechen hergegeben. »Wir werden sie wahrscheinlich wegen Beteiligung an einem Verbrechen festnehmen«, sagte er schließlich. »Läßt sich das nicht umgehen?« »Sie hat immerhin ein Verbrechen begangen«, rief ihr Derk ins Gedächtnis. »Ich weiß ja, aber –« »Darüber unterhalten wir uns lieber etwas später, einverstanden? Vielleicht fällt uns dazu etwas anderes ein.« Paulas Blick sprach von Erleichterung und Dankbarkeit. 227
»Danke, Derk«, sagte sie leise. Derk bot ihr an, sie mit seinem Wagen hinaus zu ihren Töchtern zu bringen. Sie lehnte ab und bestellte für sich und für Moon je einen Leihwagen. Sie wollte sich in zwei Tagen wieder zurückmelden, sagte sie, sobald sie gemeinsam mit den Kindern wieder zu ihrem Normalzustand zurückgefunden hatte. Als sie schon im Begriff stand loszufahren, mahnte Moon Pettigrew sie: »Vergessen Sie bloß nicht die Aktionärsversammlung.« Sie lächelte gelöst. »Die braucht uns jetzt keine Kopfzerbrechen mehr zu machen. Ich werde da sein, und eines können Sie mir glauben: Wir werden die Firma so führen, wie wir es für richtig halten.«
- ENDE -
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