Stefan Hoffmann Boykottpartizipation
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Stefan Hoffmann
Boykottpartizipation Entwicklung ...
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Stefan Hoffmann Boykottpartizipation
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Stefan Hoffmann
Boykottpartizipation Entwicklung und Validierung eines Erklärungsmodells durch ein vollständig integriertes Forschungsdesign
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Stefan Müller
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Technische Universität Dresden, 2008
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Sabine Schöller Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1435-4
Geleitwort Konsumenten treffen zunehmend politisch motivierte Kaufentscheidungen. Deutsche Verbraucher etwa wurden in den vergangenen Jahren unter anderem dazu aufgerufen, Produkte von Nokia, Siemens oder Electrolux zu boykottieren, um dadurch Werksschließungen zu verhindern. Doch nicht jeder Boykottaufruf erreicht eine ähnlich starke Durchschlagkraft wie der Protest gegen das Vorhaben von Shell im Jahre 1995, die Ölplattform Brent Spar im Meer zu versenken. Nur wenn sich viele Konsumenten beteiligen, wird aus einem Aufruf ein tatsächlicher Boykott, welcher die Aufmerksamkeit der Medien erregt und das Verhalten der Entscheider im Zielunternehmen beeinflussen kann. Die Boykottpartizipation, das heißt die Teilnahme von Konsumenten an einer Protestaktion, ist damit der zentrale Erfolgsfaktor der Wirkung eines Konsumentenboykotts. Herr Hoffmann widmet sich in seiner Dissertation der Fragestellung, was Konsumenten dazu bewegt, an einem Boykott teilzunehmen. Die vorliegende Schrift ist aus mehreren inhaltlichen und methodischen Gründen ausgesprochen lesenswert: •
Die bisherige Literatur zum Konsumentenboykott ist hochgradig interdisziplinär. Beiträge finden sich in der Psychologie, der Soziologie, den Politikwissenschaften und den Wirtschaftswissenschaften. Der Verfasser arbeitet diese Strömungen anhand einer innovativen Unterscheidung zwischen einer globalen und einer individuellen Analyseebene der Boykottforschung systematisch auf.
•
Der Literaturüberblick offenbart, dass die einschlägige Forschung bislang noch nicht hinreichend beantworten kann, aus welchen Gründen eine Person eine Boykottteilnahme in Betracht zieht und deshalb Vor- und Nachteile dieser Handlungsoption abwägt. Um diese Forschungslücke zu schließen, führt der Verfasser das im weiteren Verlauf der Analyse äußerst bedeutsame Konstrukt der Betroffenheit in die Boykottliteratur ein. Dabei unterscheidet er zwischen einer objektiven Betroffenheit (entspricht dem „betroffen sein“) und einer affektiven Betroffenheit (d.h. dem subjektiven Erleben).
•
Der Verfasser entwickelt ein theoretisch fundiertes Rahmenmodell, welches die von der Boykottforschung entwickelten Partialtheorien integriert. Unter Rekurs auf das sozialpsychologische Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell argumentiert er, dass bei der Analyse der Boykottentscheidung die drei Antezedenzen Betroffenheit, Promotoren und Inhibitoren zu differenzieren sind. Damit schafft er ein
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Geleitwort
Denkraster, welches es zum einen erlaubt, Zusammenhänge zwischen bislang vorliegenden Befunden aufzuzeigen und zum anderen für die Einordnung zukünftiger Studien hilfreich sein kann. Nicht zuletzt könnte sich dieses Rahmenmodell als allgemeines Grundschema der Erklärung politisch motivierten Konsumentenverhaltens erweisen. Schließlich zeigt Herr Hoffmann, wie sich das allgemein formulierte Modell auf den speziellen, in der vorliegenden Untersuchung analysierten Fall einer Werksschließung anwenden lässt. Neu ist unter anderem, dass die Reputation der verschiedenen Unternehmensteile (Mutterkonzern, Tochterunternehmen) als variabel angesehen wird, was sich für die Prognose der Boykottwahrscheinlichkeit als bedeutsam erweisen sollte. •
Bemerkenswert ist auch der gut durchdachte Untersuchungsplan. Die als integriertes Forschungsdesign konzipierte empirische Untersuchung gliedert sich in zwei Hauptstudien, die untereinander verknüpft und vergleichend ausgewertet werden. Studie A basiert auf einer Befragung von Passanten und überprüft mit Hilfe von Strukturgleichungsanalysen konfirmatorisch die im Modell der Boykottpartizipation aufgestellten Hypothesen. Studie B folgt dem qualitativen Forschungsparadigma und wertet Internetpostings von Boykottteilnehmern inhaltsanalytisch aus. Damit wählt der Autor einen Forschungsansatz, der qualitative und quantitative Analyseelemente vereint und damit geeignet ist, das Untersuchungsobjekt in seiner Breite und Tiefe zu erfassen.
•
Die erstmals vom Verfasser angewendete sequenzielle Kombination harter und weicher kausalanalytischer Verfahren überwindet nicht nur methodentypische Nachteile der varianzbasierten Ansätze (keine Möglichkeit der Ermittlung der globalen Güte und keine inferenzstatistische Analyse kategorialer Moderatoren) wie auch der kovarianzbasierten Ansätze (eingeschränkte Möglichkeiten zur Analyse formativer Konstrukte). Nicht zuletzt liefert es auch einen Beitrag zur Überprüfung der Stichproben- und Methodenunabhängigkeit der Befunde.
Insgesamt handelt es sich um eine wissenschaftliche Arbeit, die in jeder Phase ein hohes Maß an „Sophistication“ aufweist und dennoch – bzw. gerade deshalb – gut lesbar ist. Dem Verfasser ist es gelungen, ein aus praktischer Sicht äußerst relevantes und aus wissenschaftlicher Sicht bislang nur unzureichend bearbeitetes Forschungsfeld umfassend aufzuarbeiten. Prof. Dr. Stefan Müller
Vorwort Die vorliegende Arbeit hätte ich nicht ohne die Unterstützung einiger wichtiger Menschen anfertigen können. In einer Lebensphase der Konzentration und Anspannung haben sie für mich Zeit und Energie investiert, ihr Können eingebracht und mich darin bestärkt, meinen Weg weiter zu gehen. Besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer und Doktorvater, Prof. Dr. Stefan Müller, der mich nicht nur in fachlichen, sondern auch in persönlichen Gesprächen unterstützt und gefördert hat. Sein Wissen, seine Ideen und sein kritisches Urteilsvermögen haben mein Dissertationsvorhaben befruchtet. Ich bin dankbar, dass er mir seinen wissenschaftlichen Ansatz und die dafür nötigen Kompetenzen vermittelt hat. Weiterhin möchte ich Herrn Prof. Dr. Marco Lehmann-Waffenschmidt und Herrn Prof. Dr. Michael Lingenfelder für die Anfertigung des Zweit- und Drittgutachtens danken. Zu Dank verpflichtet bin ich außerdem meinen weiteren Prüfern, dem Vorsitzenden der Prüfungskommission Herrn Prof. Dr. Udo Broll und Herrn Prof. Dr. Bernhard Schipp. Herzlich danken möchte ich meinen Kollegen und meinem näheren akademischen Umfeld Prof. Dr. Katja Gelbrich, Dr. Stefan Wünschmann, Kerstin Kosbab, Katja Wittig, Uta Schwarz, Anja Leuteritz und Robert Mai. Sie haben durch wertvolle Hinweise und konstruktive Kritik zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Zu Beginn des Dissertationsvorhaben hielten sie mir durch Freizeitaktivitäten den Kopf und in der intensiven Endphase durch die Übernahme von Tätigkeiten aus dem Berufsalltag den Rücken frei. Mein Dank gilt insbesondere jenen Personen, die bereit waren, mein Manuskript Korrektur zu lesen. Gerhard Liebermann, Katja Wittig, Margret Hoffmann und Susanne Liebermann haben sich mehrmals - auch spontan und kurzfristig - durch den Text gekämpft und mir zahllose wichtige Hinweise gegeben. Schließlich möchte ich meiner Familie danken. Meine Eltern und Schwiegereltern haben mich nicht nur bestärkt, sondern mir auch immer wieder durch die Betreuung meiner Tochter Zeit zum Schreiben verschafft. Meiner Tochter, die neun Monate vor Abgabe der Dissertation geboren wurde, danke ich dafür, dass sie mich immer wieder - zwar indirekt, aber vehement - dazu aufforderte vom Schreibtisch aufzustehen und bei einem gemeinsamen Spaziergang die nötige kritische Distanz zum Geschriebenen
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Vorwort
zu finden. Nicht zuletzt danke ich meiner Frau. Sie hat mich in jeder Phase gestärkt, entlastet und unterstützt. Ihr und meiner Tochter verdanke ich es, dass das Abfassen der Dissertation eine äußerst glückliche Lebensphase war. Stefan Hoffmann
Inhalt Abbildungsverzeichnis............................................................................................... XIII Tabellenverzeichnis ..................................................................................................XVII Abkürzungen und Symbole ....................................................................................... XIX 1 Bedeutung des Konsumentenboykotts in Forschung und Praxis .................................1 1.1 Politisierung des Konsumentenverhaltens ................................................................1 1.2 Boykott als interdisziplinäres Forschungsfeld...........................................................5 1.3 Ziele und Aufbau der Arbeit....................................................................................9 2 State-of-the-Art der Boykottforschung .....................................................................12 2.1 Makroperspektive: Boykott als kollektive Handlung...............................................12 2.1.1 Merkmale des Konsumentenboykotts............................................................12 2.1.1.1 Begriffsbestimmung .......................................................................12 2.1.1.2 Abgrenzung des Konsumentenboykotts von Embargo und Streik .............................................................................................13 2.1.1.3 Taxonomie des Konsumentenboykotts .............................................14 2.1.2 Boykott als Beeinflussungsstrategie ..............................................................18 2.1.2.1 Politische bzw. ethische Überlegungen als Auslöser der Boykottentscheidung ......................................................................19 2.1.2.2 Konsumentensouveränität als Wirkmechanismus .............................21 2.1.2.3 Aktivisten, Medien und soziales Umfeld als externe Einflüsse ..........26 2.1.2.4 Sozial verantwortliches Verhalten des Unternehmens als Ziel ...........29 2.1.3 Erfolg des Konsumentenboykotts .................................................................31 2.1.3.1 Erfolgskriterien eines Konsumentenboykotts....................................31 2.1.3.2 Empirische Befunde zum Boykotterfolg ..........................................33 2.2 Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung..........................35 2.2.1 Sozioökonomische Merkmale von Boykottteilnehmern..................................35 2.2.2 Antezedenzen der individuellen Boykottpartizipation ....................................38 2.2.2.1 Empirische Befunde .......................................................................38 2.2.2.2 Kritische Würdigung ......................................................................47 2.2.3 Modell von Klein et al. (2004): Ein Meilenstein der Boykottforschung ...........51 2.2.4 Forschungsdefizite .......................................................................................53 3 Modell der individuellen Boykottpartizipation .........................................................55 3.1 Rahmenmodell .....................................................................................................55 3.1.1 Boykott als prosoziales Verhalten .................................................................56 3.1.2 Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell des prosozialen Verhaltens ...................57
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Inhalt
3.2 Betroffenheit als Auslöser .....................................................................................59 3.2.1 Konzeptionalisierung der objektiven und der affektiven Betroffenheit ............59 3.2.2 Einfluss der Betroffenheit auf die Boykottpartizipation ..................................61 3.2.2.1 Persönliche Betroffenheit ................................................................62 3.2.2.2 Soziale und räumliche Betroffenheit ................................................64 3.2.2.3 Keine objektive Betroffenheit..........................................................66 3.3 Promotoren der Boykottteilnahme .........................................................................68 3.3.1 Streben nach Selbstwerterhöhung .................................................................69 3.3.1.1 Das Selbst als verhaltensrelevantes Konstrukt ..................................69 3.3.1.2 Identifikation und Disidentifikation als Möglichkeiten zur Selbstwerterhöhung ........................................................................70 3.3.2 Kontrollüberzeugung ...................................................................................71 3.3.2.1 Selbstwirksamkeit ..........................................................................71 3.3.2.2 Kollektive Wirksamkeit ..................................................................73 3.4 Inhibitoren der Boykottteilnahme ..........................................................................75 3.4.1 Soziales Dilemma ........................................................................................75 3.4.1.1 Boykott als Problem des kollektiven Handelns .................................75 3.4.1.2 Individuelle Kosten der Boykottteilnahme .......................................77 3.4.1.3 Mikro-ökonomische Perspektive .....................................................78 3.4.1.4 Sozialpsychologische Perspektive....................................................81 3.4.2 Ethnozentrismus ..........................................................................................83 3.4.2.1 Bedeutung des Herkunftslandes für die Kaufentscheidung ................83 3.4.2.2 Konsumenten-Ethnozentrismus .......................................................85 3.4.3 Vertrauen in das Management ......................................................................86 3.4.3.1 Interpersonelles Vertrauen vs. Systemvertrauen ...............................86 3.4.3.2 Funktionen von Vertrauen für den traditionellen Konsum .................87 3.4.3.3 Funktionen von Vertrauen für den politischen Konsum.....................88 3.4.4 Reputation ...................................................................................................90 4 Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung ......................................................93 4.1 Hypothesen ..........................................................................................................93 4.1.1 Betroffenheit als direkter Auslöser der Boykottpartizipation ..........................93 4.1.2 Promotoren und Inhibitoren der Boykottpartizipation ....................................96 4.1.3 Betroffenheit als Auslöser des Abwägungsprozesses .....................................97 4.1.4 Besonderheiten des Boykottauslösers „Standortverlagerung“ .........................99 4.1.5 Moderierender Einfluss der Konsumhistorie................................................101 4.2 Vollständig integriertes Forschungsdesign als Rahmen der Untersuchung .............103 4.3 Der Fall AEG/Electrolux als Untersuchungsgegenstand ........................................107 4.3.1 Auslöser des Boykotts................................................................................107 4.3.2 Klassifikation des Electrolux-Boykotts .......................................................108
Inhalt
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5 Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation.......................................111 5.1 Untersuchungsdesign ..........................................................................................111 5.1.1 Stichprobe .................................................................................................111 5.1.2 Messmodelle .............................................................................................112 5.1.2.1 Reflektive vs. formative Spezifikation ...........................................113 5.1.2.2 Operationalisierung ......................................................................116 5.1.3 Auswertungsmethodik ...............................................................................119 5.1.3.1 Einsatz der Analyseverfahren im Überblick ...................................119 5.1.3.2 Strukturgleichungsmodelle ............................................................120 5.1.3.3 Komplexe Zusammenhänge ..........................................................129 5.1.3.4 Ordinal-logistische Regression als Test auf Robustheit ...................132 5.2 Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation..........135 5.2.1 Messmodelle .............................................................................................136 5.2.1.1 Formative Konstrukte ...................................................................136 5.2.1.2 Reflektive Konstrukte ...................................................................139 5.2.2 Strukturmodell...........................................................................................144 5.2.2.1 Evaluation des Modells auf Basis der Schätzstichprobe ..................146 5.2.2.2 Mediatoreffekte ............................................................................149 5.2.2.3 Kreuzvalidierung und globale Güte des Modells.............................151 5.2.2.4 Moderatoreffekt der Konsumhistorie .............................................155 5.2.2.5 Robustheit der Befunde.................................................................159 5.3 Zusammenfassung und Diskussion ......................................................................162 5.3.1 Inhaltliche Interpretation ............................................................................162 5.3.2 Methodische Diskussion ............................................................................164 6 Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation ......................167 6.1 Untersuchungsdesign ..........................................................................................167 6.1.1 Ablauf der Inhaltsanalyse ...........................................................................167 6.1.2 Untersuchungsmaterial...............................................................................168 6.1.3 Gütekriterien inhaltsanalytischer Verfahren.................................................170 6.2 Entwicklung des Kategorienschemas ...................................................................173 6.3 Frequenzanalyse der Boykottmotive ....................................................................175 6.3.1 Häufigkeit der Kategorien, Oberkategorien und Hauptkategorien .................175 6.3.2 Zusammenfassung und Diskussion .............................................................178 6.4 Kontingenzanalyse: Identifikation segmentspezifischer Boykottmotive .................180 6.4.1 Empirische Befunde...................................................................................180 6.4.2 Zusammenfassung und Diskussion .............................................................184 7 Diskussion ...............................................................................................................186 7.1 Triangulation der Befunde aus Studie A und Studie B ..........................................186
XII
Inhalt
7.2 Ausblick auf die weitere Forschung .....................................................................192 7.2.1 Überblick ..................................................................................................192 7.2.2 Forschungsbedarf auf der Mikroebene ........................................................194 7.2.3 Forschungsbedarf auf der Makroebene ........................................................198 7.3 Implikationen für die Praxis ................................................................................202 7.3.1 Überblick ..................................................................................................202 7.3.2 Diskursives Verständnis des Konsumentenboykotts .....................................203 7.3.3 Präventive Maßnahmen ..............................................................................204 7.3.4 Reaktive Maßnahmen ................................................................................208 Anhang A: Fragebogen................................................................................................211 Anhang B: Deskriptive Statistiken manifester Variablen ............................................213 Anhang C: Reliabilität unbereinigter reflektiver Konstrukte .....................................214 Anhang D: Messmodelle in der Schätz- und Validierungsstichprobe ..........................215 Anhang E: Parameterschätzung auf Basis der Validierungsstichprobe ......................216 Anhang F: Kodiervorschrift der Inhaltsanalyse ..........................................................217 Anhang G: Interkoder-Reliabilität im Pretest .............................................................220 Literatur ......................................................................................................................221
Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Zunahme ethisch motivierten Kaufverhaltens ................................................ 1 Abb. 2: Zunahme der Boykottpartizipation in den G8-Ländern .................................. 4 Abb. 3: Boykottpartizipation als politisch bzw. ethisch motiviertes Antikonsum-Verhalten .................................................................................... 7 Abb. 4: Boykottforschung auf der Makro- und der Mikroebene ................................. 8 Abb. 5: Aufbau der Arbeit ......................................................................................... 11 Abb. 6: Zentrale Definitionen des Konsumentenboykotts ......................................... 12 Abb. 7: Arbeitsdefinition des Konsumentenboykotts ................................................ 13 Abb. 8: Unterscheidungskriterien von Konsumentenboykotten ................................ 15 Abb. 9: Zunehmende Aggressivität im Verlauf einer Protestaktion .......................... 17 Abb. 10: Modell der Boykottwirkung auf der Makroebene ......................................... 19 Abb. 11: Politischer vs. nicht-politischer Konsum ....................................................... 20 Abb. 12: Schematische Darstellung verschiedener Modelle der Konsumentenmacht ....................................................................................... 23 Abb. 13: Befunde zu sozioökonomischen Merkmalen von Boykottteilnehmern ......... 35 Abb. 14: Sozioökonomische Merkmale von Boykottteilnehmern in den G8Ländern ......................................................................................................... 37 Abb. 15: Empirische Beiträge zur individuellen Boykottpartizipation (1975 – 2007) ................................................................................................ 39 Abb. 16: Empirische Studien zur individuellen Boykottpartizipation.......................... 40 Abb. 17: Antezedenzen der Boykottpartizipation im Überblick .................................. 47 Abb. 18: Spektrum der theoretischen Erklärungsansätze ............................................. 50 Abb. 19: Modell der Boykottbeteiligung von Klein et al. (2004) ................................ 52 Abb. 20: Rahmenmodell der individuellen Boykottpartizipation................................. 56 Abb. 21: Grundstruktur des Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modells ............................ 58 Abb. 22: Formen der Betroffenheit............................................................................... 60 Abb. 23: Boykottpartizipation als Folge persönlicher Betroffenheit............................ 62 Abb. 24: Kognitives Prozessmodell prosozialer Boykottpartizipation......................... 68
XIV
Abbildungsverzeichnis
Abb. 25: Modell des Referenzgruppen-Einflusses nach Sen et al. (2001, Studie 1) ............................................................................................. 74 Abb. 26: Auszahlungsmatrix der Boykottentscheidung ............................................... 80 Abb. 27: Motive, den individuellen Beitrag an einer Gruppenleistung zu reduzieren ...................................................................................................... 82 Abb. 28: Bedeutung des Herkunftslandes für die Kaufentscheidung ........................... 83 Abb. 29: Rahmenmodell der Boykottpartizipation auf der Makro- und Mikroebene ................................................................................................... 93 Abb. 30: Grundstruktur des Modells der individuellen Boykottpartizipation .............. 99 Abb. 31: Erweitertes Modell der Boykottpartizipation .............................................. 103 Abb. 32: Möglichkeiten zur Integration qualitativer und quantitativer Forschungsansätze....................................................................................... 105 Abb. 33: Struktur der Untersuchung als vollständig integriertes Forschungsdesign ........................................................................................ 106 Abb. 34: Boykottaufruf des Sozialforums Nürnberg .................................................. 108 Abb. 35: Merkmale des Electrolux-Boykotts ............................................................. 109 Abb. 36: Spezifikation reflektiver und formativer Konstrukte ................................... 113 Abb. 37: Entscheidungskriterien zur Modellspezifikation ......................................... 115 Abb. 38: Operationalisierung der Boykottpartizipation ............................................. 116 Abb. 39: Operationalisierung der Promotoren und Inhibitoren .................................. 118 Abb. 40: Statistische Auswertungsmethoden im Überblick (Studie A) ..................... 119 Abb. 41: Für die vorliegende Arbeit bedeutende Leistungsmerkmale verschiedener Verfahren ............................................................................. 123 Abb. 42: Konzeptionelle Unterscheidung von Mediator- und Moderatorvariablen ..................................................................................... 129 Abb. 43: Häufigkeitsverteilung der Boykottpartizipation .......................................... 135 Abb. 44: Konsequenzen objektiver Betroffenheit ...................................................... 137 Abb. 45: Interkorrelationsmatrix der Indikatoren des formativen Konstrukts Gegenargumente ......................................................................................... 139 Abb. 46: Modifiziertes postuliertes Modell der Boykottteilnahme ............................ 145 Abb. 47: Strukturmodell auf Basis der Validierungsstichprobe ................................. 152 Abb. 48: Vereinfachte, schematische Modelle für Kunden und Nicht-Kunden ......... 164
Abbildungsverzeichnis
XV
Abb. 49: Ablauf von Studie B im Überblick .............................................................. 168 Abb. 50: Diffusion der Petitionseinträge .................................................................... 169 Abb. 51: Soziodemographische Merkmale der Petitionisten ..................................... 170 Abb. 52: Vergleich der Koeffizienten zur Bestimmung der InterkoderReliabilität ................................................................................................... 172 Abb. 53: Für die Inhaltsanalyse entwickeltes hierarchisches Kategoriensystem ....... 174 Abb. 54: Bedeutung der Haupt- und Oberkategorien ................................................. 178 Abb. 55: Beweggründe der Boykottteilnahme verschiedener Adoptertypen ............. 184 Abb. 56: Zentrale Befunde von Studie A und B im Überblick .................................. 186 Abb. 57: Triangulation der Befunde aus Studie A und Studie B................................ 188 Abb. 58: Zentrale Forschungsfragen zukünftiger Untersuchungen zum Konsumentenboykott .................................................................................. 193 Abb. 59: Affektive Betroffenheit als MIMIC-Konstrukt ........................................... 195 Abb. 60: Spezifikation der in Studie B identifizierten Promotoren............................ 197 Abb. 61: Überblick über Handlungsempfehlungen für Unternehmen........................ 202
Tabellenverzeichnis Tab. 1:
Art der theoretischen Fundierung der Boykottforschung auf der Mikroebene ................................................................................................... 49
Tab. 2:
Struktur der Stichprobe ............................................................................... 112
Tab. 3:
Kriterien zur Beurteilung der Güte reflektiver Messmodelle ..................... 124
Tab. 4:
Gütekriterien des Strukturmodells .............................................................. 127
Tab. 5:
Globale Anpassungsmaße kovarianzbasierter Strukturgleichungsmodelle ......................................................................... 129
Tab. 6:
Konsequenzen objektiver Betroffenheit...................................................... 138
Tab. 7:
Diskriminanzvalidität reflektiver Konstrukte ............................................. 141
Tab. 8:
Faktor- und Indikatorreliabilität latenter reflektiver Konstrukte ................ 142
Tab. 9:
Diskriminanzvalidität der modifizierten reflektiven Konstrukte ................ 143
Tab. 10: Interkorrelationen latenter Konstrukte ........................................................ 144 Tab. 11: Größe der Schätz- und der Validierungsstichprobe .................................... 146 Tab. 12: Wirkungspfade (PLS, Schätzstichprobe) .................................................... 147 Tab. 13: Evaluation des Strukturmodells (PLS, Schätzstichprobe) .......................... 148 Tab. 14: Validierung der Mediatoreffekte ................................................................. 150 Tab. 15: Evaluation des Strukturmodells (PLS, Validierungsstichprobe) ................ 153 Tab. 16: Globale Güte des Modells auf Basis der Schätz- und Validierungsstichprobe ............................................................................... 154 Tab. 17: Test auf Stichprobenunabhängigkeit ............................................................ 155 Tab. 18: Globale Güte des Modells bei der Gesamtstichprobe und dem Mehrgruppenvergleich ................................................................................ 156 Tab. 19: Analyse des Moderationseffekts ................................................................. 158 Tab. 20: Globale Güte der ordinal-logistischen Regression der Boykottpartizipation .................................................................................... 159 Tab. 21: Lokale Güte der ordinal-logistischen Regression der Boykottpartizipation .................................................................................... 161 Tab. 22: Durchschnittliche Interkoder-Reliabilität in vier Pretests und der Hauptstudie ................................................................................................. 175
XVIII
Tabellenverzeichnis
Tab. 23: Interkoder-Reliabilität und Häufigkeit der Kategorien in der Hauptstudie ................................................................................................. 176 Tab. 24: Segmentierung der Petitionisten ................................................................. 181 Tab. 25: Merkmale der Petitionisten ......................................................................... 183
Abkürzungen und Symbole a
Faktorladung
Į
Cronbachs Alpha bzw. Krippendorffs Alpha
AB
Konstrukt „Affektive Betroffenheit“
AGFI
Adjusted Goodness of Fit Index
AM
Arithmetisches Mittel
AMOS
Analysis of Moment Structure
ANOVA Analysis of Variance ß
Pfadkoeffizient bzw. Regressionsgewicht
C
Kontingenzkoeffizient
Ȥ²
Chi-Quadrat-Wert
CFI
Comparative Fit Index
ǻȤ²
Differenz aus Ȥ²-Werten
ǻdf
Differenz der Freiheitsgrade
DEV
Durchschnittlich erfasste Varianz
df
Freiheitsgrade (‘degrees of freedom’)
F
F-Wert
f²
Effektstärke der multiplen Regressionsanalyse
F/L
Fornell/Larcker-Kriterium
FR
Faktorreliabilität
GA
Konstrukt „Gegenargumente“
GFI
Goodness of Fit Index
H
Hypothese
IR
Indikatorreliabilität
K
Kurtosis
ț
Cohens Kappa
KMO
Kaiser-Meyer-Olkin
KSA
Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstest
Ȝ
Faktorladung der konfirmatorischen Faktorenanalyse
LSD
Least-Significant-Difference-Test (Post hoc-Test der Varianzanalyse)
LISREL Linear Structural Relationships
XX
Abkürzungen und Symbole
MIMIC
Multiple-Indicators-Multiple-Causes-Konstrukt
MSA
Measure of Sampling Adequacy
n
Größe der Stichprobe
NB
Konstrukt „Nutzen des eigenen Beitrags“
n.s.
nicht signifikant
NFI
Normed Fit Index
OB
Konstrukt „Objektive Betroffenheit“
p
Irrtumswahrscheinlichkeit
ɩ
Scotts Pi bzw. Gewicht der Indikatoren formativ spezifizierter Konstrukte
PLS
Partial Least Squares
PRAM
Program for Reliability Assessment with Multiple Coders
Q²
Prognose-Relevanz
r
Korrelationskoeffizient
R²
Bestimmtheitsmaß
RM
Konstrukt „Reputation des Mutterkonzerns“
RMSEA Root Mean Square Error of Approximation RT
Konstrukt „Reputation des Tochterunternehmens“
rtt
Trennschärfe (‘item to total correlation’)
S
Schiefe
SD
Standardabweichung
SEM
Kovarianzbasierte Strukturgleichungsmodelle (‘structural equation modeling’)
SPSS
Statistical Package for the Social Science
t
t-Wert (Student-Verteilung)
ÜK
Übereinstimmungskoeffizient
VAF
Varianzaufklärung durch eine Mediatorvariable (‘variance accounted for’)
VIF
Varianz-Inflations-Faktor
VM
Konstrukt „Vertrauen in das Management“
WVS
World Values Survey
1 Bedeutung des Konsumentenboykotts in Forschung und Praxis “The market is a democracy where every penny gives the right to vote.” Fetter (1911, S. 394)
“The minute we silence that cash register, they can hear everything we say.“ Anonymous (zitiert aus Friedman 1999, S. 90)
1.1 Politisierung des Konsumentenverhaltens Entgegen den Annahmen der klassischen Ökonomie treffen Konsumenten ihre Kaufentscheidung zunehmend auf Basis ethischer Kriterien (vgl. Shaw et al. 2006, S. 1050; Stehr 2007). Verbraucher bewerten nicht mehr nur die Eigenschaften eines Produkts (Qualität, Preis etc.) und den für sie daraus resultierenden Nettonutzen, sondern auch die Bedingungen, unter denen dieses Produkt hergestellt wurde (z.B. Kinderarbeit), und mögliche Nebenwirkungen („Externalitäten“) ihres Konsumverhaltens auf andere Menschen und die Umwelt (vgl. Micheletti 2003b; Stolle et al. 2005, S. 246). Neben egoistischen Motiven, wie der Befriedigung eigener Bedürfnisse, spielen auch Kriterien wie Gerechtigkeit und Fairness eine Rolle für die Kaufentscheidung (vgl. Carrigan/Attila 2001; Auger et al. 2003; Gintes et al. 2007). Dass sich Konsumenten zunehmend für die Politik interessieren, die hinter einem Produkt steht, spiegelt u.a. der von der Co-operative Bank (2007) in Großbritannien ermittelte “Ethical Purchasing Index” wider, der einen Warenkorb ethischer Produkte (z.B. Lebensmittel, Energie, Kleidung) erfasst. Er steigt seit 1999 in Großbritannien jährlich durchschnittlich um fast 20 % an und erreichte 2006 einen Gesamtwert von 32,3 Milliarden GBP (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Zunahme ethisch motivierten Kaufverhaltens Ethical Purchasing Index 30 (in Mrd. GBP) 20 10 0
18,4
9,6
11,9
13,5
1999
2000
2001 2002
22,1
2003
29,7
32,3
2004 2005
2006
26,6
Quelle: Co-operative Bank (2007, S. 4). Auf Basis einer für britische Konsumenten repräsentativen Stichprobe von jeweils ca. 1.000 Befragten.
2
Bedeutung des Konsumentenboykotts in Forschung und Praxis
Wenn sich Verbraucher aufgrund politischer oder ethischer Überzeugungen für oder gegen ein Produkt entscheiden, sprechen Micheletti et al. (2003) von politischem Konsumerismus. Der Konsumentenboykott gilt als eine wirksame Maßnahme des politischen Konsumerismus. Seit mehr als einem Jahrhundert wird zu den unterschiedlichsten Boykotten aufgerufen, um das Handeln von Unternehmen und politischen Akteuren zu beeinflussen. Historische Beispiele lassen sich bis zur amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung zurückverfolgen, als sich Kolonialisten in Boston, New York und Philadelphia weigerten, britische Produkte zu kaufen (vgl. Gelb 1995, S. 70). Bekannte Aktionen, welche die politische Macht von Boykotten bezeugen, sind der Montgomery Bus Boycott von 1955, der den Beginn der modernen Bürgerrechtsbewegung in den USA markiert, sowie der von Mahatma Gandhi organisierte Boykott britischer Waren, welcher darauf abzielte, die Unabhängigkeit Indiens durchzusetzen (vgl. Benady/Wilkinson 1999). Auch in der jüngeren Vergangenheit finden sich bedeutsame Beispiele: Im Jahr 1999 erklärten 42 % der Briten, dass sie wegen der französischen Nukleartests keine Lebensmittel aus Frankreich mehr konsumieren wollten (vgl. Ispos MORI 1999). Als französische Politiker 2003 gegen die außenpolitische Position der USA im Golfkrieg opponierten, mieden US-Bürger französische Produkte (vgl. Barroux 2003). Neben politischen Entscheidungen lösen auch Handlungen von Unternehmen Boykotte aus. Als der Konzern Shell im Jahr 1995 plante, die Ölplattform Brent Spar in der Nordsee zu versenken, kritisierte die Umweltschutzorganisation Greenpeace dieses Vorhaben auf das Schärfste. Sie rief zu einem Boykott aller Tankstellen des Ölkonzerns auf, der insb. in Deutschland vorübergehend einen starken Umsatzrückgang bewirkte und das Unternehmen schließlich zum Einlenken bewegte (vgl. Grolin 1998; Jordan 2001). Nestlé sah sich im Zeitraum von 1977 bis 1984 wegen seiner Vermarktungsstrategie für Muttermilchsubstitute in der dritten Welt mit einem globalen Boykott konfrontiert (vgl. Bar-Yam 1995). Auch in Deutschland sank in dieser Zeit der Umsatz des Unternehmens erheblich. Zwischen 1997 und 1999 boykottierten Konsumenten Sportschuhe der Marke Nike. Sie protestierten auf diese Weise gegen inhumane Arbeitsbedingungen bei Zulieferern dieses Unternehmens in Taiwan (vgl. Tomolillo/Shaw 2003). Die genannten Beispiele veranschaulichen, dass Boykotte häufig und aus verschiedenen Gründen initiiert werden (vgl. Neuner 2007, S. 342). Die genaue Anzahl der
Politisierung des Konsumentenverhaltens
3
Boykottbewegungen lässt sich jedoch nicht einfach bestimmen. Laut Todd Putnam (1993), dem Herausgeber des amerikanischen National Boycott Newsletter, nahm die Häufigkeit von Boykottaufrufen in den USA zwischen den sechziger und siebziger Jahren deutlich zu. Auch international wurden seitdem mehr und mehr Protestaktionen ausgerufen (vgl. Koku et al. 1997, S. 15). John/Klein (2003, S. 1196) versuchen, die Anzahl der Konsumentenboykotte durch eine Internetrecherche bei google.com zu bestimmen. Die Phrasensuche nach „boycott“ in Kombination mit Namen verschiedener Zielunternehmen zeigt, dass es schon für nahezu jedes große Unternehmen Boykottaufrufe gegeben hat. Demnach waren bereits 42 der Fortune-50-Unternehmen und 46 der Top-50-Marken Ziel eines Boykotts. Illia et al. (2006) befragten 26 Boykottorganisatoren aus der Schweiz. Ihre Untersuchung belegt, dass seit 2003 die Anzahl der jährlich ausgerufenen Boykotte deutlich steigt. Häufigste Auslöser aktueller Protestaktionen sind die außenpolitischen Positionen bedeutsamer Industrienationen im Rahmen internationaler Konflikte (z.B. die Haltung der amerikanischen Regierung im zweiten Golfkrieg). Eine eigene Auswertung der Daten des World Values Survey (vgl. Inglehart/Wenzel 2005; European Values Study Group and World Values Survey Association 2006) verdeutlicht, dass die Boykottbeteiligung in fast allen G8-Ländern zunimmt (vgl. Abb. 2). So verdoppelte sich in Japan und Großbritannien die Anzahl der Personen, die bereits mindestens einmal einen Boykott unterstützt haben, innerhalb von zwei Jahrzehnten. Die größte Boykottbereitschaft herrscht offenbar in den USA, wo sich gemäß der letzten Erhebungswelle (1999 bis 2004) bereits jeder Vierte (24,9 %) mindestens einer Protestmaßnahme angeschlossen hatte. Außerdem gaben 51,3 % an, sie würden zukünftig an einem Boykott teilnehmen.
4
Bedeutung des Konsumentenboykotts in Forschung und Praxis
Abb. 2: Zunahme der Boykottpartizipation in den G8-Ländern Anteil der Bevölkerung, der sich bereits an einem Boykott beteiligt hat (in %)
25 20
1. Erhebungswelle (1981 - 1984)
4. Erhebungswelle (1999 - 2004)
19,0 16,6 14,9
15
15,4
13,0 10,3
10 7,5 5
24,9
8,3
4,4
11,5
8,4
7,4
6,0 3,1
2,5 0 Russland*
Deutschland
Japan
Italien
Frankreich
GroßKanada britannien
USA
Anmerkung: * Der erste Wert der russischen Stichprobe stammt aus dem Jahr 1990 (2. Erhebungswelle).
Quelle: Eigene Auswertung auf Basis der Daten des World Values Survey (European Values Study Group and World Values Survey Association 2006).
Für Deutschland zeigt die Auswertung dieser Umfrage nur eine geringfügige Zunahme der Boykottsympathisanten. Laut einer von der ARD in Auftrag gegebenen Umfrage vom April 2005 betrachten aber auch hierzulande immer mehr Verbraucher Boykotte als geeignete Maßnahmen, um ihre Interessen durchzusetzen. Immerhin 39 % der Befragten halten einen Boykott von Unternehmen, die trotz hoher Gewinne Arbeitsplätze abbauen, für angemessen (vgl. Infratest-Dimap 2006). Anfang 2008 kündigte der finnische Konzern Nokia an, sein Bochumer Werk nach Rumänien zu verlagern (vgl. o.V. 2008). In einer von der Zeitschrift Stern in Auftrag gegebenen Umfrage des Forsa-Instituts gaben 56 % der befragten 1.000 Bundesbürger an, künftig vom Kauf von Mobiltelefonen des finnischen Herstellers abzusehen (vgl. Weber 2008, S. 25). Dies spricht dafür, dass auch in Deutschland Verbraucher bereit sind, ihre Macht als Konsumenten gezielt einzusetzen. Mehr denn je stehen große Konzerne unter der ständigen Beobachtung von NichtRegierungsorganisationen, die Boykotte ins Leben rufen, sobald Unternehmen aus deren Sicht unverantwortlich handeln bzw. selbst auferlegte Verhaltensrichtlinien nicht befolgen (vgl. Handelman 2006; Innes 2006). Da aufgrund der internationalen Verflechtung der Weltwirtschaft der Einfluss nationaler Regierungen auf Großkonzerne schwindet, versuchen Nicht-Regierungsorganisationen zunehmend, dem Handeln von Unternehmen entgegenzuwirken, falls sie dieses als willkürlich empfinden (vgl.
Boykott als interdisziplinäres Forschungsfeld
5
Follesdal 2003, S. 10). Insbesondere das Internet fördert die Zunahme und Professionalisierung von Konsumentenboykotten, da die Aktivisten so schnell und kostengünstig viele Konsumenten informieren und letztlich auch mobilisieren können. The Economist begründet die wachsende Beliebtheit des Instruments des Konsumentenboykotts damit, dass Organisatoren und Konsumenten aus früheren Protestaktionen gelernt haben, wie wirksam dieses Mittel sein kann (vgl. o.V. 1990). Zweifellos haben Konsumentenboykotte negative Folgen für Unternehmen, wie Umsatzrückgänge und Imageschäden. Große Konzerne betrachten die zunehmende Boykottbereitschaft deshalb mit Sorge. Beispielsweise äußerte eine Pressesprecherin des Coca-Cola-Konzerns Anfang 2006 Befürchtungen, dass die Boykott-Ankündigung der Universität Michigan das Ansehen des Unternehmens schädigen könnte (vgl. Grieshaber 2006). Jørgen Nielsen, der frühere Geschäftsführer des dänischen Kulturinstituts in Damaskus wiederum, zeigte sich besorgt, dass der Boykott dänischer Produkte als Folge der Veröffentlichung umstrittener Mohammed-Karikaturen durch Jyllands-Posten langfristig das Image dänischer Erzeugnisse schädigen könnte (vgl. Haas 2006). Zusammenfassend belegen diese Befunde und Beispiele, dass politische bzw. ethische Überlegungen zunehmend die Kaufentscheidung der Konsumenten beeinflussen und dass der Boykott eine immer häufiger und professioneller eingesetzte Maßnahme des politischen Konsumerismus darstellt, die Unternehmen merklich Schaden zufügen kann. Bislang liegen jedoch nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die erklären können, weshalb sich Konsumenten einem Boykott anschließen oder nicht. Neben anderen Disziplinen steht deshalb das akademische Marketing vor der Aufgabe, Theorien zu entwickeln, um diese Form des politischen Kauf- bzw. Konsumentenverhaltens genauer erklären und vorhersagen zu können. Nicht zuletzt Unternehmen benötigen dieses Wissen, damit sie besser als bislang Boykotte verhindern bzw. lernen können, angemessen darauf zu reagieren.
1.2 Boykott als interdisziplinäres Forschungsfeld Politisch bzw. ethisch motiviertes Konsumentenverhalten rückt zunehmend in den Fokus der Marketing-Forschung. Dies spiegelt sich u.a. in den Schwerpunkten einschlägiger Publikationsorgane wider. So veröffentlichte das European Journal of
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Bedeutung des Konsumentenboykotts in Forschung und Praxis
Marketing im Herbst 2006 ein Sonderheft zur Konsumentenmacht, und das Journal of the Academy of Marketing Science widmete im selben Jahr eine Ausgabe den Themen Identifikation, Reputation und soziale Verantwortlichkeit. Im englischen Sprachraum publizieren bereits seit mehreren Jahren führende Zeitschriften Beiträge zum politisch motivierten Konsumentenverhalten (z.B. Business & Society, Journal of Consumer Affairs oder Journal of Consumer Policy). Zu einzelnen Spielarten politischen Kaufverhaltens wie Konsumenten-Ethnozentrismus (vgl. Shimp/Sharma 1987), Animosität (vgl. Klein et al. 1998; Riefler/Diamantopoulos 2007) oder umweltbewusstes Konsumentenverhalten (vgl. Stern et al. 1995; Müller et al. 2007) liegen bereits theoretische Erklärungsansätze und zahlreiche empirische Untersuchungen vor. Die politisch bzw. ethisch motivierte Entscheidung von Verbrauchern, sich an einem Boykott zu beteiligen, wurde bisher jedoch noch nicht hinreichend erforscht. Allerdings bieten verschiedene Teilgebiete der Marketingforschung (Konsumentensouveränität, Marketingethik, Corporate Social Responsibility etc.) Anknüpfungspunkte für die Analyse politisch motivierter Konsumentenboykotte (z.B. Smith 1987; Brønn/Vrioni 2001; Bhattacharya/Sen 2004; Klein/Dawar 2004; Arthaud-Day 2005; Fombrun 2005; Ellen et al. 2006). Neben dem politischen Konsumerismus liefert auch die Antikonsum-Forschung wesentliche Beiträge zur Erklärung des Konsumentenboykotts. Sie gewinnt in der Marketingforschung immer mehr an Bedeutung. Traditionell untersuchen Konsumentenforscher insb. das Kaufverhalten sowie die zugrunde liegenden Motive und Bedürfnisse des Verbrauchers. Inzwischen jedoch gewinnt die Frage, warum Konsumenten ein bestimmtes Produkt nicht kaufen, mehr und mehr Bedeutung. So erschien 2002 ein Sonderheft zum Antikonsum in Psychology & Marketing, ein weiteres ist für 2008 im Journal of Business Research geplant. Dabei steht weniger das ‘inert set’ des Konsumenten, d.h. die zufällige Nicht-Wahl, sondern das ‘inept set’, d.h. die bewusste, willentliche Entscheidung gegen den Kauf eines Produkts, im Mittelpunkt des Interesses (vgl. Gould et al. 1997; Hogg 1998). Auch die Teilnahme an einem Konsumentenboykott fällt in die Kategorie des ‘inept set’. Angrenzende Fragestellungen der Antikonsum-Thematik reichen vom bereits intensiv untersuchten Feld der Unzufriedenheit und des Beschwerdeverhaltens (z.B. Hirschman 1970; Day/Bodur 1978; Oliver 1980; Halstead 1989) bis zu Konsumentengroll und Vergeltung (z.B. Huefner/Hunt 2000; Aron 2001). Zudem setzen sich Marketingforscher mit genereller Konsumkritik und Konsumentenresistenz auseinander (z.B. Herrmann 1993; Peñaloza/Price 1993; Holt
Boykott als interdisziplinäres Forschungsfeld
7
2002; Kozinets 2002; Thompson/Arsel 2004) sowie mit dem Verhältnis von Materialismus, Moral und freiwilliger Genügsamkeit im Konsum (z.B. Etzioni 1998; Borgmann 2000; Craig-Lees/Hill 2002; Zavestoski 2002). Somit liefert auch die Antikonsum-Forschung wichtige Ansatzpunkte für Untersuchungen zum Konsumentenboykott (vgl. Abb. 3). Abb. 3: Boykottpartizipation als politisch bzw. ethisch motiviertes AntikonsumVerhalten
Umweltbewusstes Konsumentenverhalten
Konsumenten-Ethnozentrismus und Animosität
Unzufriedenheit und Beschwerdeverhalten Konsumentengroll und Vergeltung
Politisch bzw. ethisch motivierter Konsum
Boykottpartizipation
Antikonsum (‘inept set’) Moral und freiwillige Genügsamkeit
Konsumentensouveränität Corporate Social Responsibility
Konsumkritik und Konsumentenresistenz
Neben dem Marketing sind aufgrund des interdisziplinären Charakters der Boykottforschung auch benachbarte Wissenschaftszweige geeignet, wichtige Erkenntnisse beizutragen. Einschlägige Befunde liefern u.a. die Mikro-Ökonomie (z.B. Tyran/ Engelmann 2005), die Politikwissenschaften (z.B. Stolle et al. 2005) und die Sozialpsychologie (z.B. Friedman 1999). Zur Systematisierung bisheriger Ansätze wird in der vorliegenden Arbeit zwischen einer Makro- und Mikroperspektive differenziert. Damit lassen sich Beiträge, die den Konsumentenboykott als kollektive Handlung (Makroperspektive) betrachten, explizit von Analysen der individuellen Beteiligung am Boykott (Mikroperspektive) abgrenzen. Auf der Makroebene wurden bislang meist Medien (insb. Zeitungsberichte) inhaltsanalytisch ausgewertet (z.B. Friedman 1985), um die Entwicklung von Boykotten im Zeitverlauf zu analysieren und daraus Taxonomien abzuleiten, anhand derer sich Protestaktionen nach verschiedenen Kriterien (wie Gründe und Ziele des Boykottaufrufs) klassifizieren lassen. Weiterhin untersuchten z.B. Smith (1990) die Wirkungsweise und z.B. Koku et al. (1997) die Effektivität von Boykotten. Auf der Mikroebene identifizierten Soziologen sozioökonomische Merkmale der Boykotteure (z.B. Goul
8
Bedeutung des Konsumentenboykotts in Forschung und Praxis
Andersen/Tobiasen 2003). Konsumentenforscher sowie Sozialwissenschaftler erforschten die Beweggründe von Individuen, an einer Protestaktion teilzunehmen (z.B. Kozinets/Handelman 1998) und Mikro-Ökonomen entwickelten Modelle der Boykottentscheidung, die auf Theorien zur kollektiven Rationalität basieren (z.B. Diermeier/van Mieghem 2005; vgl. Abb. 4). Abb. 4: Boykottforschung auf der Makro- und der Mikroebene Ebene Erkenntnisziel
Fragestellung (Bsp.)
Disziplin
Vertreter (Bsp.)
Kapitel
Makro Häufigkeit, Gründe und Ziele
Klassifikation der Boykottauslöser und -formen
Wirtschaftsgeschichte
Friedman (1985)
2.1.1.3
Ethik des Boykotts
Philosophie
Mills (1996)
2.1.2.1
Politische Einflussnahme durch die Kaufentscheidung
Politikwissenschaften
Micheletti et al. (2003)
2.1.2.2
Smith (1990)
2.1.2.3
Wirkungsweise
Corporate Social Responsibility Marketing Beitrag der Medien zum Boykotterfolg
Kommunikations- Friedman (1999) wissenschaften
Effektivität
Entwicklung des Aktienkurses nach Boykotten
Finanzwissenschaften
Koku et al. (1997) 2.1.3
Mikro Merkmale von Boykottteilnehmern
Sozioökonomische Merkmale der Boykotteure
Soziologie
Goul Andersen/ Tobiasen (2003)
Auslöser der Handlungstendenz
Allgemeine Psychologie
Nerb/Spada (2001) 3.2
Soziale Motive der Boykottteilnahme
Sozialpsychologie Kozinets/ 3.3 Handelman (1998)
Kollektive Rationalität
Mikro-Ökonomie Diermeier/van Mieghem (2005)
Beweggründe der Boykottteilnahme
2.1.2.4
2.2.1
3.4
Die Forschung auf der Makroebene hat eine vergleichsweise lange Tradition (vgl. Laidler 1913; Garrett 1987; Smith 1990; Friedman 1999). Sofern ein Boykott jedoch seine Wirkung „über den Markt“ entfalten soll, indem das boykottierte Unternehmen einen signifikanten Umsatzrückgang hinnehmen muss, hängt der Erfolg in entscheidendem Maße von der Anzahl der Teilnehmer ab. Damit rückt die individuelle Kaufentscheidung des einzelnen Verbrauchers in den Mittelpunkt des Interesses. Dieser wesentliche Faktor der Mikroebene wurde bisher noch nicht umfassend untersucht. Zwar finden sich in der Literatur bereits einige theoretische Erklärungsansätze (z.B. John/Klein 2003) und empirische Studien (z.B. Klein et al. 2004) zur individuellen Motivation für die Beteiligung am Boykott. Bei den vorgeschlagenen Modellen
Ziele und Aufbau der Arbeit
9
handelt es sich jedoch um Partialtheorien, welche jeweils einzelne Einflussfaktoren der Boykottteilnahme betrachten. x Allgemeinpsychologische Beiträge erforschen Emotionen als Auslöser der Boykottteilnahme (vgl. Nerb/Spada 2001), ohne dabei konkrete, für das Marketing bedeutsame Anwendungsfälle zu untersuchen. x Sozialpsychologen befassen sich vor allem mit Promotoren, welche die Bereitschaft zur Boykottteilnahme verstärken (z.B. Kozinets/Handelman 1998). x Ansätze, die auf mikro-ökonomischen Theorien basieren, identifizieren Inhibitoren der Boykottteilnahme (z.B. Sen et al. 2001). Bislang liegt jedoch noch kein Ansatz vor, welcher die drei Einflussgrößen Auslöser, Promotoren und Inhibitoren integriert analysiert. Die vorliegende Studie schlägt das Modell der individuellen Boykottpartizipation vor, um diese Forschungslücke zu schließen.
1.3 Ziele und Aufbau der Arbeit Gegenstand der Arbeit ist die Entwicklung und Validierung eines Modells der individuellen Boykottpartizipation, das die zentralen, in bisherigen Ansätzen vorgeschlagenen Einflussgrößen der Boykottteilnahme einschließt und um wichtige, bisher vernachlässigte Antezedenzen ergänzt. Damit soll die Arbeit einen theoretischen Rahmen für die bislang schwer integrierbaren Einzelbefunde der Boykottforschung bieten, noch nicht hinreichend beantwortete Fragen klären (z.B. Auslöser der Boykottentscheidung) und die Vorhersage der Boykottpartizipation maßgeblich verbessern. Zwei empirische Studien sollen durch die Kombination quantitativer und qualitativer Forschungsansätze das postulierte Modell empirisch validieren. Studie A prüft das theoretisch abgeleitete Modell in der quantitativen Forschungstradition mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen. Parallel dazu deckt die qualitative Studie B bislang vernachlässigte Einflussgrößen der Boykottpartizipation auf. Studie A und B werden im Sinne eines vollständig integrierten Forschungsdesigns (vgl. Srnka 2007, S. 255) systematisch kombiniert und abschließend vergleichend bewertet. Beide Untersuchungen analysieren das Modell am Beispiel eines Boykotts, der als Folge der Standortverlagerung eines traditionellen, für die Identität einer gesamten Region bedeutsamen Werks in ein Niedriglohnland ausgerufen wurde. Dieser potenzielle Boykottauslöser
10
Bedeutung des Konsumentenboykotts in Forschung und Praxis
gewinnt in Industrienationen wie Deutschland an Bedeutung (vgl. Schoenheit 2007, S. 214; Schoenheit et al. 2007, S. 11), weil angesichts der zunehmenden Verflechtung der Weltwirtschaft und des stark kostengetriebenen Standortwettbewerbs mehr und mehr Beschäftigte befürchten, den eigenen, bislang als sicher angesehenen Arbeitsplatz zu verlieren. Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Kapitel zwei beschreibt theoretische Grundlagen des Boykotts auf der Makroebene. Es stellt eine umfassende Konzeptionalisierung und Taxonomie des Konsumentenboykotts vor. Auslöser, Ziele und Wirkungsweise des Boykotts werden diskutiert und dessen Effektivität anhand empirischer Befunde erörtert. Anschließend wird ein Überblick über den Stand der empirischen Forschung zu Einflussfaktoren der Boykottentscheidung auf der Mikroebene gegeben. Kapitel drei leitet das „Modell der individuellen Boykottpartizipation“ her. Die theoretische Basis bilden insb. Erklärungsansätze der allgemein- und sozialpsychologischen sowie der mikro-ökonomischen Literatur. Anschließend werden das Konstrukt Betroffenheit konzeptionell in die Boykottliteratur eingeführt sowie Promotoren und Inhibitoren der Boykottpartizipation ausführlich diskutiert. Kapitel vier beschreibt das Ziel und den Aufbau der empirischen Untersuchung. Dabei begründet eine methodologische Diskussion, weshalb die vorliegende Untersuchung die quantitative und die qualitative Forschungsmethodik kombiniert. Weiterhin werden die Vorteile des hierbei gewählten „vollständig integrierten Designs“ erläutert und Forschungsfragen der Untersuchung sowie konkrete Hypothesen zum Modell der individuellen Boykottpartizipation abgeleitet. Die vorliegende Arbeit analysiert Reaktionen auf einen tatsächlichen Konsumentenboykott, dessen Auslöser beschrieben und klassifiziert wird. Kapitel fünf widmet sich der quantitativen Studie A, welche die Annahmen des hier vorgestellten Modells der individuellen Boykottpartizipation empirisch prüft. Um die postulierten komplexen Dependenzen formativer und reflektiver latenter Konstrukte zu analysieren, werden varianz- und kovarianzbasierte Strukturgleichungsanalyse kombiniert. Kapitel sechs präsentiert die Ergebnisse der Studie B, welche qualitative und quantitative Methoden kombiniert. Zunächst werden Internet-Postings von Boykotteuren im
Ziele und Aufbau der Arbeit
11
Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse aufbereitet. Die kodierten Inhalte werden anschließend in einer quantitativen Analyse ausgewertet und die Bedeutung der identifizierten Antezedenzen für die Boykottpartizipation bestimmt. Abschließend wird explorativ untersucht, ob sich die Merkmale der Boykottteilnehmer anhand verschiedener Segmentierungskriterien unterscheiden lassen (z.B. geographische Herkunft oder Adoptertyp). Schließlich führt Kapitel sieben die Befunde der beiden Teilstudien im Sinne einer Triangulation zusammen. Die Ergebnisse werden kritisch diskutiert und gewürdigt. Implikationen für die weitere Forschung sowie Gestaltungshinweise für die Praxis werden abgeleitet. Der Ablauf der Arbeit ist in Abb. 5 dargestellt. Abb. 5: Aufbau der Arbeit Kap. 2
State-of-the-Art der Forschung zum Konsumentenboykott - Makroebene: Merkmale, Wirkungsweise und Erfolg von Boykotten - Mikroebene: Überblick über empirische Befunde zur Boykottteilnahme
Kap. 3
Theoretische Grundlagen des Modells der individuellen Boykottpartizipation - Konzeptionalisierung des Konstrukts Betroffenheit - Herleitung von Promotoren und Inhibitoren der Boykottteilnahme
Kap. 4
Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung - Untersuchungsdesign, Forschungsfragen und Hypothesen - Beschreibung und Klassifikation des Untersuchungsgegenstands
Kap. 5
Studie A: Quantitative Analyse - Analyse der Messmodelle der Betroffenheit, Promotoren und Inhibitoren - Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
Kap. 6
Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse - Inhaltsanalyse zur Identifikation vernachlässigter Einflussgrößen - Identifikation segmentspezifischer Antezedenzen der Boykottpartizipation
Kap. 7
Diskussion der Befunde - Triangulation der Befunde von Studie A und B - Implikationen für Forschung und Praxis
2 State-of-the-Art der Boykottforschung 2.1 Makroperspektive: Boykott als kollektive Handlung 2.1.1 Merkmale des Konsumentenboykotts 2.1.1.1 Begriffsbestimmung Die Bezeichnung „Boykott“ geht auf einen Protest irischer Landwirte im Jahr 1880 zurück. Als ihnen der britische Landverwalter Charles Cunningham Boycott den Lohn vorenthielt und sie von ihrem Land vertreiben wollte, bewegten sie alle Bauern der näheren Umgebung dazu, keine Geschäfte mehr mit Herrn Boycott zu betreiben (vgl. Friedman 1999, S. 5f.). Da es zu dieser Zeit noch keine Bezeichnung für diese Art des Protests gab, benutzte man in der Folge einfach den Nachnamen des Landverwalters. Seitdem allerdings hat sich das Verständnis des Begriffs in der wissenschaftlichen Literatur deutlich geändert. Die wichtigsten Definitionen sind in Abb. 6 zusammengefasst. Abb. 6: Zentrale Definitionen des Konsumentenboykotts Autor
Definition
Laidler (1913, S. 27)
“… an organized effort to induce others to withdraw from social or business relations with others“
Wooton (1978, S. 169)
“… abstaining from using, buying from, selling to or otherwise dealing with a person or institution in order to exert influence”
Friedman (1985, S. 97)
“… an attempt by one or more parties to achieve certain objectives by urging individual consumers to refrain from making selected purchases in the market place”
Garrett (1987, S. 47)
“… the concerted, but nonmandatory, refusal by a group of actors (the agents) to conduct marketing transactions with one or more other actors (the target) for the purpose of communicating displeasure with certain target policies and attempting to coerce the target to modify those policies”
Smith (1990, S. 140)
“… the organised exercising of consumer sovereignty by abstaining from purchase of an offering in order to exert influence on a matter of concern to the customer and over the institution making the offering”
Die frühe Definition von Laidler (1913, S. 6) betont, dass ein Boykott eine organisierte Aktion ist, die Personen dazu bewegen soll, sich aus sozialen oder geschäftlichen Beziehungen mit anderen zurückzuziehen. Wooton (1978, S. 169) hebt hervor, dass gewöhnlich mit dem Ziel boykottiert wird, Einfluss auf eine Person oder Institution auszuüben. Neuere Beiträge zum Konsumentenboykott (z.B. Sen et al. 2001; Klein et al. 2004) stützen sich meist auf die Definition von Friedman (1985, S. 97), nach der
Makroperspektive: Boykott als kollektive Handlung
13
Protestgruppen den Boykott ausrufen und versuchen, individuelle Verbraucher davon zu überzeugen, vom Erwerb bestimmter Produkte abzusehen, um so gewisse Ziele erreichen zu können. Aufbauend auf dieser Begriffsbestimmung weist Friedman (1999) ausdrücklich darauf hin, dass drei Gruppen am Konsumentenboykott beteiligt sind: Das Unternehmen, dessen Produkte boykottiert werden (Zielunternehmen), die Gruppen, welche den Boykott organisieren (Aktivisten), sowie die individuellen Konsumenten, die sich dem Boykott anschließen (Boykottteilnehmer). Die Beliebtheit dieser Definition ist vermutlich auf ihren integrierenden, wesentliche Charakteristika vorheriger Definitionen subsumierenden Ansatz zurückzuführen. Kritisch an diesem Begriffsverständnis ist jedoch, dass es die Zielstellung des Boykotts mit der Formulierung „gewisse Ziele zu erreichen“ nur vage umschreibt. Hier ist Garretts (1987, S. 47) Definition vorzuziehen, welche die beiden Hauptziele des Boykotts mit einbezieht: Zum einen den Unmut über das Verhalten des Unternehmens auszudrücken und zum anderen dieses zu einer Änderung der Unternehmenspolitik zu bewegen. Die Definition von Smith (1990) bietet gegenüber dem Begriffsverständnis von Friedman den Vorteil, dass sie explizit das Konstrukt Konsumentensouveränität und damit die Wirkungsweise des Boykotts nennt (vgl. Kap. 2.1.2.2). Der vorliegende Beitrag schlägt eine Arbeitsdefinition des Konsumentenboykotts vor, die weitgehend auf Friedman (1985) basiert, aber versucht, deren Schwächen zu überwinden (vgl. Abb. 7). Abb. 7: Arbeitsdefinition des Konsumentenboykotts Die vorliegende Arbeit spricht von einem Konsumentenboykott, wenn Aktivisten (Protestgruppen, NichtRegierungsorganisationen etc.) potenzielle Boykottteilnehmer (Konsumenten) davon überzeugen, von ihrer Konsumentensouveränität Gebrauch zu machen, indem sie vom Kauf bestimmter Produkte des Zielunternehmens absehen, um ihren Unmut über dessen Verhalten auszudrücken (expressives Ziel) und/oder zu versuchen, dieses zu einer Änderung seines Verhaltens zu bewegen (instrumentelles Ziel).
2.1.1.2 Abgrenzung des Konsumentenboykotts von Embargo und Streik Nach Smith (1990, S. 275) sind sowohl der Konsumentenboykott als auch das Embargo Untergruppen des Boykotts im weiteren Sinne. Beide sind Ausdruck der Missbilligung (expressives Ziel) und ein Versuch, andere zu einer Verhaltensänderung zu zwingen (instrumentelles Ziel). Der zentrale Unterschied besteht darin, dass Konsumentenboykotte von privaten Organisationen ins Leben gerufen werden, während staatliche Institutionen Embargos als internationale ökonomische Sanktion initiieren.
14
State-of-the-Art der Boykottforschung
Auch der Streik zählt als Arbeitnehmerboykott zum Boykott im weiteren Sinne. Zwischen beiden Untergruppen bestehen Parallelen. Sowohl beim Streik als auch beim Konsumentenboykott versuchen Protestorganisationen (Gewerkschaften bzw. NichtRegierungsorganisationen), Dritte (Arbeiter bzw. Konsumenten) dazu zu bewegen, Geschäftsbeziehungen mit einem Unternehmen abzubrechen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Beide Protestformen sind organisierte, kollektive Aktionen, deren Teilnahme fakultativ ist (vgl. Gallagher/Gramm 1997). Dies bedeutet, dass Individuen, die sich nicht beteiligen, formal nicht sanktioniert werden können. Während der Konsumentenboykott das Verhältnis zwischen Verbrauchern und Unternehmen betrifft, tangiert der Streik das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Wie bereits Laidler (1913) und Wolman (1914) betonten, kann ein Konsumentenboykott die Wirkung eines Arbeitnehmerstreiks verstärken, indem er den Arbeitskampf auf den Konsum und damit auf die Gesellschaft ausweitet (vgl. Wiedenhoft 2006). Die Unterstützung eines Streiks durch einen Konsumentenboykott gewinnt zunehmend an Bedeutung, weil angesichts der Möglichkeit internationaler Standortverlagerungen die Macht der Arbeitnehmer schwindet. Zudem weist Wolman (1914) darauf hin, dass Konsumentenboykotte weniger kostspielig und potenziell effektiver sind. Dennoch sind Streiks in bestimmten Situationen wirkungsvoller: Nicht für jedes Verhandlungsthema eines Arbeitskampfes (wie Lohnerhöhungen) kann eine breite Masse von Verbrauchern gewonnen werden. Genauso ist nicht jedes Produkt für einen Konsumentenboykott geeignet. So kann ein Industriegüterhersteller von Endverbrauchern nur schwer boykottiert werden (vgl. Friedman 1999, S. 44). Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Konsumentenboykott. Der Einfachheit halber werden die Begriffe Boykott und Konsumentenboykott synonym verwendet. 2.1.1.3 Taxonomie des Konsumentenboykotts Konsumentenboykotte lassen sich anhand zahlreicher Merkmale unterscheiden. Klassifikationskriterien gehen insb. auf Friedman (1971; 1985; 1991; 1995a; 1995b; 1996; 1999) zurück, der in einer Reihe wissenschaftlicher Publikationen Medienberichte inhaltsanalytisch auswertete und auf diese Weise Charakteristika verschiedener Boykottbewegungen identifizierte (vgl. Abb. 8, S. 15).
Makroperspektive: Boykott als kollektive Handlung
15
Abb. 8: Unterscheidungskriterien von Konsumentenboykotten Kriterium
Ausprägungen
Anliegen Motivation Ziele Beeinflussungsstrategie Wirkungsweise Verhältnis zum Zielobjekt Umfang Geographische Reichweite Zeitspanne
ökonomisch nutzenorientiert instrumentell bestrafend medienorientiert direkt warenbezogen lokal kurz andauernd
politisch gewissensorientiert expressiv belohnend marktorientiert indirekt markenbezogen regional mittellang
bestrafend
katalysatorisch
firmenbezogen national lang andauernd
international
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Friedman (1999) und Sen et al. (2001).
Regester/Larking (2002) verstehen unter einem Anliegen die Diskrepanz zwischen den Praktiken eines Unternehmens und den Erwartungen der Stakeholder. Sen et al. (2001) zeigen, dass sich anhand des Anliegens zwei Grundtypen des Boykotts unterscheiden lassen. x Ökonomische Boykotte betreffen wirtschaftliche Interessen der Boykotteure und zielen darauf ab, die Marketingpraktiken eines Unternehmens zu ändern. Sie werden ausgerufen, wenn sich das Preis-Leistungs-Verhältnis der Produkte verschlechtert. x Eine zweite Gruppe basiert auf politischen, sozialen und ethischen Motiven. Im Folgenden werden sie als politische Boykotte bezeichnet. Sie werden ausgerufen, um das Zielobjekt dazu zu zwingen, verantwortungsvoller zu handeln. Friedman (1999) differenziert mehrere Unterkategorien, wie Arbeits-, Minderheiten-, religiöse und ökologische Boykotte. Nicht bei allen Boykotten zieht der Teilnehmer selbst einen direkten Nutzen aus einem erfolgreichen Verlauf der Protestaktion. Die Motivation, sich am Boykott zu beteiligen, kann sowohl egoistisch als auch altruistisch sein (vgl. Friedman 1999, S. 16). Nutzenorientierten Boykotten liegt eine egoistische Motivation zugrunde: Von der missbilligten Handlung (z.B. Werksschließung) unmittelbar selbst betroffen, treten die Boykotteure für eine Änderung ein (z.B. Arbeitnehmer als Teilnehmer eines von Gewerkschaften organisierten Arbeitsboykotts). Bei einem gewissensorientierten Boykott unterscheiden sich hingegen Personen, die von den Handlungen des Unternehmens betroffen sind, von denjenigen, welche den Boykott unterstützen.
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State-of-the-Art der Boykottforschung
Meist rufen Aktivisten Konsumentenboykotte aus, um auf das Verhalten eines Unternehmens einzuwirken. Manche Boykotte werden auch initiiert, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen sein Verhalten ändert, gering ist (vgl. Smith 1990, S. 258). Friedman (1999) unterscheidet Boykotte deshalb danach, welches Ziel sie verfolgen. Die von ihm beschriebenen vier Formen schließen sich gegenseitig nicht aus. x Instrumentelle Boykotte sollen eine Änderung des Verhaltens des Zielunternehmens bewirken. x Expressive Boykotte helfen Boykotteuren, ihren Unmut über das Verhalten des Unternehmens auszudrücken. Diese Form des Boykotts ist oft durch zeitlich kurze Aktionen und/oder eine nur vage Formulierung der Ziele gekennzeichnet. x Bestrafende Boykotte stellen eine Hybridform aus instrumentellen und expressiven Protesten dar. Sie werden häufig eingesetzt, wenn das Ergebnis eines von den Boykotteuren als unverantwortlich angesehenen Verhaltens eines Unternehmens irreversibel ist. Die Boykotteure verdeutlichen dem Unternehmen, dass sie dessen Handlungen missbilligen (expressives Ziel) und bekräftigen, ähnliche Aktionen auch zukünftig bestrafen zu wollen (instrumentelles Ziel). x Katalysatorische Boykotte entfalten ihre Wirkung nicht direkt auf das Zielunternehmen. Sie werden ausgerufen, um das Interesse der Medien und/oder einflussreiche Politiker auf das als unverantwortlich angesehene Verhalten des Unternehmens zu lenken. Die Aktivisten hoffen, mit ihrer Unterstützung die angestrebten Ziele zu erreichen. Verfolgen Boykotteure das Ziel, das Verhalten eines Unternehmens oder einer Organisation zu beeinflussen, so stehen ihnen in Anlehnung an den psychologischen Behaviorismus (vgl. Skinner 1945) zwei Beeinflussungsstrategien zur Verfügung. Ihr Konsumverzicht kann als Bestrafung der inkriminierten Verhaltensweisen des Unternehmens gedeutet werden. Entsprechend dem behavioristischen Vokabular kann der Boykott als „negative Verstärkung“ (bzw. Belohnungsentzug) klassifiziert werden. Vor dem kritischen Ereignis „verstärkt“ der Konsument die Handlung des Unternehmens durch den Kauf der Produkte. Nach dem kritischen Ereignis bleibt die Verstärkung aus, was zu einer Löschung des unerwünschten Verhaltens führen soll. Verbraucher können sich auch dafür entscheiden, z.B. sozialverantwortliche Handlungen von Unternehmen durch Belohnung zu verstärken. Friedman (1996, S. 440) führt hierfür das Kunstwort Buykott ein (oder auch ‘girlcott’, ‘procott’ und ‘anti-boycott’). Promi-
Makroperspektive: Boykott als kollektive Handlung
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nenteste Beispiele sind Aktionen, die Produkte eines Landes bzw. einer Region unterstützen sollen (z.B. Buy-American- bzw. Buy-Regional-Kampagnen). Gütesiegel für ökologische Lebensmittel, Fair-Trade-Produkte oder umweltfreundliche Produktionsmethoden begünstigen derartige Aktionen (vgl. Levi/Linton 2003; Micheletti 2003b). Friedman (1999, S. 10) zeigt, dass Boykotteure im Verlauf einer Protestaktion zunehmend aggressivere Maßnahmen einsetzen. Boykotte können folglich nach dem Grad der Aggressivität und damit anhand ihrer Wirkungsweise klassifiziert werden. Der Autor unterscheidet dabei den medienorientierten Typus, der maximal die dritte Stufe der in Abb. 9 dargestellten Abfolge erreicht, und den marktorientierten Typus, der alle vier Stufen „erklimmt“. Oft fehlen die notwendigen Ressourcen, um einen Boykott zu organisieren und auszuführen (vgl. Garrett 1987, S. 53). Viele Protestgruppen kündigen deshalb lediglich an, dass sie einen Boykott in Betracht ziehen. Sie initiieren damit medienorientierte Boykotte mit dem Ziel, eine breite Öffentlichkeit u.a. durch Pressemitteilungen auf das missbilligte Verhalten des Unternehmens aufmerksam zu machen und eine Drohkulisse aufzubauen. Wenn Boykottorganisatoren anstreben, so viele Konsumenten zur Teilnahme zu bewegen, dass das Management des Unternehmens aufgrund sinkender Absatzzahlen dazu gezwungen ist, das kritisierte Verhalten zu ändern, wird der Protest als marktorientiert bezeichnet. Abb. 9: Zunehmende Aggressivität im Verlauf einer Protestaktion Grad der Aggressivität
Handlung
Aktivisten haben einen Boykott … 1. … in Betracht gezogen
Sie kündigen an, dass sie planen, einen Boykott zu initiieren.
2. … angekündigt
Sie rufen zur Teilnahme am Boykott auf.
3. … organisiert
Sie nennen die getroffenen Vorbereitungsmaßnahmen.
4. … ausgeführt
Sie ergreifen Maßnahmen, um Konsumenten zur Teilnahme zu bewegen.
Quelle: In Anlehnung an Friedman (1999, S. 10).
Boykotte können auf direkte und indirekte Weise ihre Wirkung auf das Zielobjekt entfalten. Wird das Unternehmen boykottiert, dessen Verhalten angeprangert wird, handelt es sich um einen direkten Boykott. Häufig kann man das Zielobjekt (z.B. Hersteller von Landminen) jedoch nicht unmittelbar boykottieren. Aktivisten wählen dann Unternehmen aus, von denen sie annehmen, dass sie Druck auf das eigentliche Zielobjekt ausüben können. Zwei Untergruppen dieses indirekten Boykotts lassen sich unterscheiden: Handelt es sich bei dem Zielobjekt um eine politische Instanz, so bezeichnet Friedman (1985) diesen indirekten Protest als transformierenden Boykott
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State-of-the-Art der Boykottforschung
(bzw. Surrogatboykott). Bei einem sekundären Boykott möchte man das Unternehmen, welches nicht direkt boykottiert werden kann, durch Druck auf einen ökonomischen Partner (z.B. Zulieferer) beeinflussen. Weiterhin lassen sich Boykotte mit Blick auf deren Umfang unterscheiden. Bei Warenboykotten verweigern Verbraucher den Kauf aller Marken und Modelle einer Produkt- bzw. Dienstleistungskategorie. Firmenboykotte beziehen sich nur auf einen bestimmten Hersteller oder Händler, und Markenboykotte betreffen lediglich einzelne Marken. Ferner wird nach Maßgabe der geographischen Reichweite zwischen lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Boykotte differenziert. Nationale Boykotte treten Friedman (1999) zufolge am häufigsten auf. In den letzten Jahren wird jedoch immer häufiger zu internationalen Boykotten aufgerufen. Schließlich schlägt Friedman (1999) eine Klassifikation anhand der Zeitspanne vor. Kurz andauernde Boykotte enden innerhalb eines Jahres, nachdem sie ausgerufen wurden. Mittellange Boykotte währen ein bis zwei Jahre. Lang andauernde Boykotte erstrecken sich über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren. Allerdings fällt es oft schwer, einen Boykott einer dieser drei Gruppen zuzuordnen, da meist weder Beginn noch Endzeitpunkt exakt benannt werden können. 2.1.2 Boykott als Beeinflussungsstrategie Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind Konsumentenboykotte, die aufgrund politischer bzw. ethischer Überlegungen der Aktivisten ausgerufen und durchgeführt werden (Smith 1990, S. 7). Das in Kap. 3 vorgeschlagene Modell wird explizit nicht für ökonomische Boykotte aufgestellt, da angenommen werden kann, dass die Teilnehmer an dieser Form von Boykotten grundsätzlich anders motiviert sind als Teilnehmer politischer bzw. ethischer Boykotte. Während der Entscheidung zur Teilnahme an einem ökonomischen Boykott vor allem ein rationales Kosten-Nutzen-Kalkül zugrunde liegt (vgl. Diermeier/van Mieghem 2005), fließen in die Entscheidung zur Partizipation an einem politischen Boykott zahlreiche weitere Kriterien wie das Streben nach Selbstwerterhöhung ein, die nach Ansicht der klassischen Ökonomie „irrational” sind (vgl. Kozinets/Handelman 1998).
Makroperspektive: Boykott als kollektive Handlung
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Die Wirkung eines politischen Boykotts auf der Makroebene wird im Folgenden anhand des in Abb. 10 dargestellten Rahmenmodells beleuchtet, welches sich an der theoretischen Arbeit von Smith (1990) orientiert. Ein als sozial unverantwortlich eingeschätztes Verhalten eines Zielunternehmens bildet den Ausgangspunkt der Betrachtung (z.B. ausbeuterische Arbeitsverhältnisse). Politisch bzw. ethisch motivierte Konsumenten fühlen sich von diesem Verhalten betroffen und missbilligen es (vgl. Kap. 2.1.2.1). Dem Paradigma der Konsumentensouveränität zufolge setzen sie ihre Kaufhandlung bewusst ein, um das Unternehmen zu beeinflussen (vgl. Kap. 2.1.2.2). Externe Einflussgrößen wie Nicht-Regierungsorganisationen und Medien spielen dabei eine Verstärkerrolle, indem sie das Anliegen in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit rufen, Informationen verbreiten und den Boykott organisieren (vgl. Kap. 2.1.2.3). Das Bestreben dieser Aktivisten ist es, das Zielunternehmen durch den Konsumentenboykott zu sozial verantwortlichem Handeln zu bewegen (vgl. Kap. 2.1.2.4). Abb. 10: Modell der Boykottwirkung auf der Makroebene Politische Überlegungen als Auslöser (Kap. 2.1.2.1)
Konsumentensouveränität als Wirkmechanismus (Kap. 2.1.2.2)
Corporate Social Responsibility als Ziel (Kap. 2.1.2.4)
Aktivisten, Medien und soziales Umfeld als externe Einflüsse (Kap. 2.1.2.3)
2.1.2.1 Politische bzw. ethische Überlegungen als Auslöser der Boykottentscheidung Die folgenden Ausführungen zeigen, weshalb die Teilnahme an einem Konsumentenboykott eine Form des politisch bzw. ethisch motivierten Konsumverhaltens darstellt. Zuvor wird erläutert, was unter politischem bzw. ethischem Konsum zu verstehen ist. In der Literatur werden die Begriffe politischer und ethischer Konsum meist nicht eindeutig unterschieden und oft synonym verwendet (z.B. Stolle et al. 2005). Ein ethisch motivierter Verbraucher setzt sich Harrison et al. (2005, S. 2) zufolge mit den Externalitäten seines Konsumverhaltens auseinander, d.h. mit den Auswirkungen auf die Gesellschaft oder Dritte. Neuner (2007, S. 342) beschreibt politischen Konsum als eine Form des politischen Engagements, bei dem Ziele durch ökonomische Wahlent-
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scheidungen auf Märkten erreicht werden sollen. Da Ziele, welche politischen Kaufentscheidungen zugrunde liegen, zumeist ethisch motiviert sind, lassen sich die beiden Formen des Konsums konzeptionell schwer abgrenzen. Die vorliegende Arbeit vertritt die Auffassung, dass die beiden Bezeichnungen zwei unterschiedliche Merkmale der gleichen Form des Konsumentenverhaltens betonen. Die Bezeichnung „ethischer Konsum“ fokussiert stärker auf die kausale Motivation, d.h. die Gewissensentscheidung, die dem Verhalten zugrunde liegt. Der Begriff „politischer Konsum“ betont hingegen die finale Motivation, d.h. mögliche Auswirkungen des Konsums. Goul Andersen/Tobiasen (2003) klassifizieren die Teilnahme an einem Boykott als eine Form des politischen Konsumentenverhaltens. Sie verstehen die Boykottteilnahme als politisch motivierte, bewusste und kollektive Kaufverweigerung (vgl. Abb. 11). Abb. 11: Politischer vs. nicht-politischer Konsum Politischer Konsum kollektiv / organisiert
individuell / nicht organisiert
bewusster Nicht-Kauf
Boykott
bewusster Kauf
Buykott
individueller politischer Konsum
Nicht-politischer Konsum normativ z.B. religiös motivierte Prohibition z.B. ethnische Solidarität
utilitaristisch
gewöhnlicher Konsum
Quelle: In Anlehnung an Goul Andersen/Tobiasen (2003, S. 204).
Shaw et al. (2006, S. 1049) geben eine Erklärung dafür, weshalb Verbraucher ethisch bzw. politisch motivierte Kaufentscheidungen treffen: Konsum bedeutet in den Industrienationen heutzutage mehr als nur die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse. Da Konsumieren einen immer größeren Anteil des Lebens einnimmt, drücken Verbraucher ihre Wertvorstellungen zunehmend durch ihr Kaufverhalten aus (vgl. Dickinson/Hollander 1991; Harrison et al. 2005, S. 5). Es entsteht eine Konsumkultur, in der immer mehr Menschen darauf achten, welche Auswirkungen ihr Verhalten auf die Umwelt sowie auf das Wohlbefinden anderer Personen hat (vgl. Strong 1996; Shaw/ Clarke 1999; Diamantopoulos et al. 2003). Die in Kap. 1.1 beschriebene Auswertung der Daten des World Values Survey verdeutlicht, dass die Anzahl der Personen, die sich an Boykotten beteiligen, in fast allen G8Ländern zwischen 1981 und 2004 erheblich zugenommen hat. Dies kann mit Hilfe des von Inglehart (1997) identifizierten Wertewandels in den Industrieländern vom Materialismus zum Postmaterialismus erklärt werden. Der Autor stellt fest, dass ökonomi-
Makroperspektive: Boykott als kollektive Handlung
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scher, kultureller und politischer Wandel eng miteinander verknüpft sind. Je mehr der Wohlfahrtsstaat die großen Lebensrisiken absichert, desto stärker treten materielle Werte (des „Habens“) in den Hintergrund und gewinnen postmaterielle Werte (des „Seins“) an Bedeutung. Diese These der Wertesubstitution ist eng mit der Bedürfnishierarchie von Maslow (1987) und der ihr zugrunde liegenden Mangelhypothese verbunden: Eine in materieller Hinsicht zufriedene Person wendet sich den noch unbefriedigten postmateriellen Werten zu (z.B. der Selbstverwirklichung). Dass die Boykottbeteiligung im Zusammenhang mit einer postmaterialistischen Wertorientierung steht, belegt eine Studie von Stolle et al. (2005). Die Autoren entwickeln einen Index des politischen Konsumerismus, den sie aus den folgenden Indikatoren bilden: Motivation des politischen Konsums (ethische Überlegungen), Verhaltensweisen (Buy- und Boykott bestimmter Produkte) sowie Häufigkeit politischer Kaufentscheidungen. Ein multiples Regressionsmodell zeigt, dass sich die Ausprägung dieses Indexes bei Studenten aus Kanada, Schweden und Belgien insb. anhand des Konstrukts postmaterialistische Wertorientierung erklären lässt (ȕ = ,25; p ,001). Da der Indikator Boykottteilnahme durch den Index des politischen Konsumerismus gut repräsentiert wird (Trennschärfe rtt = ,77), lässt sich ableiten, dass die zunehmende Bereitschaft, an politischen Boykotten teilzunehmen, ein Ausdruck postmaterialistischer Wertorientierung ist. 2.1.2.2 Konsumentensouveränität als Wirkmechanismus 2.1.2.2.1 Macht des Konsumenten Boykottforscher stützen ihre Untersuchungen oft implizit auf die Annahme der Konsumentensouveränität. Denegri-Knott et al. (2006, S. 955) kritisieren, dass diese These in den meisten Studien (z.B. Friedman/Friedman 1990) nicht explizit genannt wird. Deshalb erörtert die vorliegende Studie im Folgenden zunächst als übergeordneten theoretischen Rahmen das Konstrukt Konsumentenmacht und ordnet sich in das Paradigma der Konsumentensouveränität nach Smith (1987) ein. Die Bestimmung des Ausmaßes der Konsumentenmacht hängt in starkem Maße von der zugrunde liegenden Definition ab. Die in der Literatur vorgeschlagenen Konzeptionalisierungen (Konsumentensouveränität, Kulturmodell und diskursives Modell) basieren wiederum auf verschiedenen Auffassungen des Konstrukts Macht:
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State-of-the-Art der Boykottforschung
x Schon im 17. Jahrhundert beschreibt der Philosoph Thomas Hobbes in seinem Buch „Leviathan“ Macht als kumulative Entität, definiert als Fähigkeiten, die einem Individuum helfen, eine Aufgabe gegen den Widerstand anderer auszuführen. x Der Politologe Dahl (1957, S. 202f.) setzt Macht und Einfluss gleich und schlägt damit eine Definition von Macht vor, welche dem Alltagsverständnis entspricht. Person A besitzt dann Macht, wenn sie fähig ist, Person B dazu zu veranlassen, eine Handlung auszuführen, die B ohne den Einfluss von A nicht ausgeführt hätte. x Die in der soziologischen und politischen Literatur am häufigsten zitierte Begriffsbestimmung stammt von Max Weber (1965, S. 28). Er begreift Macht als Chance, den eigenen Willen auch gegen das Widerstreben anderer durchzusetzen. x Foucault (1985) vertritt eine umfassendere Auffassung von Macht, die alle Möglichkeiten der Einwirkung auf das Handeln anderer einschließt. Demnach liegt bereits dann Machtausübung vor, wenn Person A das Handeln einer Person B beeinflusst, selbst wenn dies nicht gegen deren Willen geschieht. Daraus muss nicht notwendigerweise ein Nachteil für B und/oder ein Vorteil für A entstehen. Macht muss nicht nur durch Gewalt und Zwang, sondern kann auch durch Argumentation ausgeübt werden. Vor dem Hintergrund dieser von philosophischen, soziologischen und politologischen Theoretikern vorgeschlagenen Definitionen entstanden im Rahmen der akademischen Marketingforschung unterschiedliche Konzeptionen von Konsumentenmacht. Denegri-Knott et al. (2006) identifizierten drei theoretische Hauptströmungen. x Das Konzept der Konsumentensouveränität basiert auf den Theorien der Macht von Hobbes, Dahl und Weber. Das Postulat, dass der Konsument Souverän des Marktes ist, steht im Einklang mit den Annahmen klassischer und neoklassischer ökonomischer Theorien. Danach steuert der egoistische, frei und rational entscheidende Konsument durch seinen Konsum das gesamte Wirtschaftsleben (vgl. Gabriel/Lang 1995). Smith (1990, S. 13) behauptet sogar, dass die Konsumentensouveränität das Rational des Kapitalismus ist. Wie das folgende Kapitel zeigt, ist dieses Paradigma wesentlich für grundlegende Konzeptionen des Konsumentenboykotts. x Das Kulturmodell der Konsumentenmacht lehnt die klassische Annahme der Ökonomie ab, dass Verbraucher eigenständig, frei und rational entscheiden können, was und wie sie konsumieren. Vielmehr stehe der Käufer den verführerischen Konsumangeboten weitgehend machtlos gegenüber (z.B. Clark 1989). Dieser auf der Philosophie der Frankfurter Schule (z.B. Marcuse 1991; Horkheimer/Adorno 1993)
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basierende Ansatz geht davon aus, dass ein allumfassender und vereinheitlichter Massenkonsum sowie die Marketingpraktiken der Unternehmen die Anzahl möglicher Handlungsoptionen von Konsumenten einschränken. Der Markt wird als politisch und kulturell autoritäre Macht dargestellt, die aktive Bürger zu passiven Verbrauchern degradiert (vgl. Murray et al. 1994). x Das diskursive Modell der Konsumentenmacht basiert auf Foucaults Machtkonzept. Es beschreibt, wie Verbraucher und Produzenten interagieren und dadurch gemeinsam den Markt weiterentwickeln (vgl. Hodgson 2000; Holt 2002; Shankar et al. 2006). Die grundlegende These dieses Ansatzes lautet, dass die Bedürfnisse von Konsumenten und Unternehmen meist im Einklang miteinander stehen (vgl. Kozinets et al. 2004). Damit distanziert sich diese Konzeption sowohl von der vom Kulturmodell unterstellten Dominanz der Unternehmen als auch von der einseitigen Betonung der Macht des Verbrauchers im Modell der Konsumentensouveränität und schafft dadurch eine Synthese beider Ansätze (vgl. Abb. 12). Abb. 12: Schematische Darstellung verschiedener Modelle der Konsumentenmacht Macht als … einseitige Einflussnahme (Hobbes, Dahl, Weber)
Verständnis der Konsumentenmacht Konsumentensouveränität - Konsument agiert - Unternehmen reagiert
wechselseitige Einwirkung (Foucault)
Kulturmodell der Macht - Unternehmen agiert - Konsument reagiert
Diskursives Modell der Macht Konsument und Unternehmen interagieren
Der Boykott wird in der Literatur als Strategie diskutiert, mit deren Hilfe Konsumenten Einfluss auf das Handeln eines Unternehmens ausüben können. Die theoretische Diskussion folgt damit dem Modell der Konsumentensouveränität (vgl. Smith 1987; 1990).
2.1.2.2.2 Konsumentensouveränität Vertreter des Ansatzes der Konsumentensouveränität postulieren, dass Verbraucher durch ihr Kaufverhalten bestimmen, welche Güter und Dienstleistungen produziert werden (vgl. Shaw et al. 2006, S. 1052). Von Mises (1949, S. 270) veranschaulicht
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dies mit Hilfe einer Metapher aus der Seefahrt: Unternehmer haben das Steuer des Schiffs „Marktwirtschaft“ in der Hand. Sie kontrollieren die Produktion und sind verantwortlich für die Ausrichtung aller ökonomischer Angelegenheiten. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man sie für die Befehlshaber halten. Sie sind jedoch bedingungslos den Anweisungen des Kapitäns unterworfen. Der Kapitän ist der Konsument; denn er bestimmt durch sein Kaufverhalten, welche Güter hergestellt werden. Auch Adam Smith unterstellt mit der Metapher der unsichtbaren Hand, dass der Konsum die Produktion steuert und die Marktmacht damit bei den Konsumenten liegt. Gemäß den Annahmen der klassischen Ökonomie sorgt die unsichtbare Hand für eine allgemeine Wohlfahrtssteigerung, da so die Produktion effizienter und die Produkte besser und günstiger werden (vgl. Smith 2006). Neuere Ansätze zur Konsumentensouveränität gehen über die Annahme der klassischen Ökonomie hinaus und schließen die bewusste Entscheidung des Verbrauchers ein (vgl. Smith 1990). Dabei ziehen Autoren eine Parallele zwischen der Kaufentscheidung des Konsumenten und dem Wahlverhalten des Bürgers (z.B. Dickinson/ Hollander 1991): Er bestimmt durch seine Kaufwahl, welcher Hersteller welche Produkte unter welchen Bedingungen produziert (vgl. Baumol/Blinder 1982, S. 786). Damit besitzt der Verbraucher überhaupt erst die Möglichkeit, die in Kap. 2.1.2.1 beschriebenen ethischen Überlegungen in seine Kaufentscheidungen einfließen zu lassen. Eine qualitative Studie von Shaw et al. (2006, S. 1057) belegt, dass diese neuere Auffassung der Konsumentensouveränität mit den Laientheorien ethisch motivierter Verbraucher übereinstimmt: Käufer von Fair-Trade-Produkten geben an, dass sie ihr Kaufverhalten als bewusst ethisch motivierte Wahl innerhalb des Marktes sehen. Mehrere Befragte ziehen dabei explizit den Vergleich mit ihrem politischen Stimmrecht und räumen ihrer Marktentscheidung mehr Einfluss ein als ihrer politischen Wahl.
Makroperspektive: Boykott als kollektive Handlung
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2.1.2.2.3 Graduelle Konsumentensouveränität Von Mises (1949) Auffassung einer absoluten Konsumentensouveränität wurde insb. von Vertretern des diskursiven Modells der Konsumentenmacht (vgl. Kap. 2.1.2.2.1) vielfach kritisiert. Galbraith (1954) weist darauf hin, dass der Einfluss des Verbrauchers auf den Produzenten über den Markt nicht die einzig mögliche Beeinflussungsrichtung ist. Vielmehr steuert auch das Unternehmen den Markt, indem es (z.B. durch Werbemaßnahmen) auf die Einstellungen und das Verhalten der Marktteilnehmer einwirkt (Produzentensouveränität). Das Konstrukt der graduellen Konsumentensouveränität repräsentiert nach Smith (1987) dieses spezielle Machtverhältnis zwischen Produzent und Käufer. In realen Märkten wird es von zahlreichen Marktbedingungen mitbestimmt. x Wettbewerbsstruktur: Fulop (1967, S. 11) zufolge sind Konsumenten, je nach Wettbewerbsstruktur, unterschiedlich stark souverän. Absolute Konsumentensouveränität im Sinne von Mises (1949) herrscht nur unter der Bedingung des perfekten Wettbewerbs (vgl. Smith 1990, S. 41). Sie setzt eine atomistische Angebotsund Nachfragestruktur voraus, bei der Güter beweglich, substituierbar und beliebig teilbar sind. Mit abnehmendem Wettbewerb sinkt die Macht der Konsumenten. Je mehr die Marktstruktur monopolistisch geprägt ist, desto stärker sind die Verbraucher dem Einfluss der Produzenten ausgesetzt. x Kaufkraft der Konsumenten: Nach Ansicht von Smith (1990, S. 8) besitzen nicht alle Käufer das gleiche Stimmrecht, d.h. die gleichen Möglichkeiten zur Ausübung ihrer Konsumentensouveränität. Vor allem die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel sorgen für diese ungleiche Verteilung (vgl. Fulop 1967; Baumol/Blinder 1982). Wohlhabendere Mitglieder einer Gesellschaft haben damit eine größere Marktmacht im Sinne der Einkaufswahl (vgl. Dickinson/Carsky 2005). Beispielsweise können sie ohne bedeutsame Nachteile auf teurere Substitute ausweichen. x Manipulation des Verbrauchers: Das Paradigma der Konsumentensouveränität unterstellt, dass der Verbraucher fähig und bereit ist, seinen eigenen Lebensraum autonom zu gestalten (vgl. Lange/Treis 1972, S. 333; Nieschlag et al. 1975, S. 537ff.). Dass der Konsument uneingeschränkt in der Lage ist, in freier Verantwortung seine Kaufentscheidungen zu treffen, wird vielfach angezweifelt (vgl. Galbraith 1974). Diese Zweifel stehen im Einklang mit dem Kulturmodell der Macht. Der durch Werbung beeinflusste Konsument entscheidet nicht vollständig
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State-of-the-Art der Boykottforschung
autonom. Neuner (2007, S. 343) betont, dass die Konsumkompetenz der Verbraucher meist schlechter entwickelt ist als die Marketingkompetenz der Anbieter. x Zugang zu Informationen: Notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Konsument Entscheidungen verantwortlich und souverän treffen kann, ist ein Mindestmaß an Information und Urteilsfähigkeit. Erst wenn der Konsument ausreichend über die Leistungsmerkmale der Produkte sowie das Verhalten des Anbieters im gesellschaftlichen, ökologischen und politisch-rechtlichen Umfeld aufgeklärt ist, kann er auf Basis seiner Präferenzen Entscheidungen treffen (vgl. Hansen/Schrader 1999, S 478ff.; Priddat 2000, S. 130). Informationen sind auf Konsumgütermärkten aber asymmetrisch zwischen Verbrauchern und Produzenten verteilt (vgl. Kaas 1992, S. 479). Aufgrund unzureichender produkt-, unternehmens- und umfeldbezogener Informationen kann sich ein Konsument nur eingeschränkt souverän verhalten. Die zunehmende internationale Verflechtung der Weltwirtschaft führt zu einer Intensivierung des Wettbewerbs in vielen Branchen und eröffnet dem Konsumenten den Zugang zu alternativen Produkten (z.B. Moynagh/Worsley 2002; Nelson 2002). Dadurch steigt der Grad der Konsumentensouveränität. Die weitere Verbreitung und leichtere Zugänglichkeit von Informationen führt dazu, dass die Konsumenten besser informiert sind und damit auch mehr Macht besitzen (vgl. Harrison 2005; Pires et al. 2006, S. 939; Shaw et al. 2006, S. 1050). Insbesondere das Internet fördert die sog. Informationsdemokratie (vgl. Sawhney/Kotler 2001) und sorgt für Transparenz (vgl. Deshpandé 2002). Beispielsweise haben sich bereits sog. Corporate-Watch-Seiten etabliert, welche den Informationsaustausch erleichtern und die Organisation kollektiver Aktionen unterstützen (vgl. Scammel 2000; Neuner 2003). 2.1.2.3 Aktivisten, Medien und soziales Umfeld als externe Einflüsse Wie im Rahmenmodell der Boykottwirkung auf der Makroebene (vgl. Kap. 2.1.2) veranschaulicht, beeinflussen externe Faktoren, inwiefern Verbraucher ihre Konsumentensouveränität nutzen und ihren ethischen Überzeugungen Ausdruck verleihen. Ob sich eine für den Boykotterfolg hinreichend große Anzahl von Konsumenten an der Protestaktion beteiligt, hängt insb. von drei Einflussgrößen ab (vgl. Baron 2003; Tyran/Engelmann 2005; Innes 2006):
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x Aktivisten initiieren und organisieren den Boykott und koordinieren die Handlungen einer Vielzahl individueller Boykottteilnehmer. x Die Medien verbreiten Informationen über das mutmaßlich unverantwortliche Handeln des Unternehmens und den Verlauf des Boykotts. x Das soziale Umfeld kann Konsumenten, die dafür empfänglich sind, durch normativen, sozialen Druck zur Beteiligung am Boykott bewegen. 2.1.2.3.1 Aktivisten Baron (2001, S. 12) bezeichnet Personen, welche Maßnahmen organisieren, um das Verhalten eines Unternehmens zu ändern, als Aktivisten. Stern et al. (1999, S. 82) grenzen davon die Unterstützer ab. Sie sympathisieren mit der Bewegung und sind bereit, an einigen Aktionen teilzunehmen und gewisse Kosten zu tragen, um die Bewegung zu unterstützen. Friedman (1999, S. 10) zieht aus seinem Überblick über historische Boykotte im 20. Jahrhundert das Fazit, dass Aktivisten meist folgenden sozialen Gruppen angehören: Arbeitnehmer- und Konsumentenvereinigungen, Umweltschutzorganisationen und Vereinigungen, die Minderheiten repräsentieren. Aktivisten stellen den Kern der Protestbewegung dar. Indem sie Boykotte initiieren und organisieren, sind sie in erheblichem Maße für deren Gelingen verantwortlich. Sie helfen zudem, das Marktversagen „unvollständige Information“ auszuschalten, indem sie potenzielle Unterstützer über die Praktiken des Unternehmens informieren und dessen sozial unverantwortliches Verhalten aufdecken. Damit schaffen sie ein öffentliches Bewusstsein für Missstände und liefern die Hintergrundinformationen, welche grundlegende Voraussetzung für das in Kap. 2.1.2.1 beschriebene ethisch motivierte Kaufverhalten sind (vgl. Baron 2001, S. 10; Feddersen/Gilligan 2001). Am Beispiel eines ökologisch motivierten Boykotts konnte Innes (2006) belegen, dass eine Protestaktion umso effektiver ist, je mehr die Aktivisten investieren. Dafür spricht auch das folgende Umfrageergebnis: Greenpeace rief 2001 gemeinsam mit anderen Nicht-Regierungsorganisationen zu einem Boykott gegen ExxonMobil und deren Marke Esso auf, weil sich die amerikanische Regierung weigerte, das Kyoto-Protokoll zur Reduzierung der Treibhausgase zu unterzeichnen. Der amerikanische Ölkonzern galt als bedeutender Lobbyist, welcher einschlägige Entscheidungen der USRegierung wesentlich beeinflusst (vgl. Gueterbock 2004, S. 266). Nur fünf Prozent der
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britischen Verbraucher gaben in einer repräsentativen Umfrage an, dass sie die Marke Esso tatsächlich boykottierten. Aber 43 % meinten, sie würden sich dem Boykott anschließen, wenn eine Umweltorganisation sie explizit dazu aufrufen würde (vgl. Ispos MORI 2001). Dies legt nahe, dass sich mehr Konsumenten an dem Boykott beteiligt hätten, wenn die Aktivisten mehr Aufwand betrieben hätten, um potenzielle Teilnehmer in tatsächliche Unterstützer zu verwandeln.
2.1.2.3.2 Medien Aktivisten binden Medien in ihre Protestaktionen ein, weil diese den Meldungen über Missstände die notwendige Glaubwürdigkeit verleihen können und für eine große Reichweite des Aufrufs zum Boykott sorgen (vgl. Baron 2003, S. 46). Damit leistet die Presse einen erheblichen Beitrag zum Erfolg von Boykottbewegungen. Die Medien selbst haben ebenfalls ein immanentes Interesse daran, über Konsumentenboykotte zu informieren, da diesen meist ein einschneidendes Ereignis vorausgeht, welches helfen kann, Auflagen zu steigern. Baron (2003, S. 46) kritisiert, dass bislang kaum empirische Befunde zum Einfluss der Presse auf den Erfolg von Protestaktionen vorliegen. Lediglich eine Studie von Friedman (1995b) belegt, dass Aktivisten Medien gezielt nutzen, um ihre Ziele zu erreichen. Der Autor befragte Organisatoren von 24 Boykotten, die für den Umwelt- oder Tierschutz ausgerufen wurden. 22 dieser Aktionen waren stärker medien- als marktorientiert (vgl. Taxonomie in Kap. 2.1.1.3). Sie verfolgten nicht primär das Ziel, für einen Umsatzrückgang zu sorgen und so Druck auf das Unternehmen auszuüben. Vielmehr versuchten die Aktivisten, in der Presse eine Drohkulisse aufzubauen und damit dem Image des Zielunternehmens zu schaden.
2.1.2.3.3 Soziales Umfeld Auch das direkte soziale Umfeld des einzelnen Konsumenten beeinflusst dessen Entscheidung, sich einem Boykott anzuschließen (vgl. Baron 2003, S. 54ff.; John/ Klein 2003). Familienmitglieder, Freunde, Bekannte etc. entfalten normativen Druck (vgl. Sen et al. 2001, S. 400ff.), der entweder direkt oder indirekt, als internal wahrgenommener Druck, wirkt. Die Theorie des geplanten Verhaltens (vgl. Ajzen 1991) erklärt dies mit der subjektiven Norm. Demnach hängt die Verhaltensabsicht von der
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Annahme der Person ab, was das soziale Umfeld von ihr erwartet sowie von ihrer Motivation, diesen Erwartungen zu entsprechen. Einen weiteren Erklärungsansatz bietet die Referenzgruppen-Theorie (vgl. Hyman/Singer 1968). Sie geht davon aus, dass Individuen Standards von für sie bedeutsamen Personen (‘significant others’) übernehmen, um Entscheidungen zu treffen oder sich selbst zu beurteilen. Empirische Untersuchungen belegen, dass die Kaufentscheidung des Individuums in starkem Maße von Einflüssen der Bezugsgruppe abhängt (vgl. Childers/Rao 1992). John/Klein (2003, S. 1205) argumentieren, dass der Grad der Öffentlichkeit des Konsums die Bedeutung sozialer Einflüsse auf die individuelle Boykottentscheidung moderiert. Demnach spielen Erwartungshaltungen des sozialen Umfelds bei privatem (d.h. nicht beobachtetem) Konsum nur eine untergeordnete Rolle, während sie bei Gütern, die öffentlich konsumiert werden, bedeutsam sind (vgl. Bearden/Etzel 1982). So steht ein Tierschützer wahrscheinlich unter dem Druck, Fleischprodukte zu boykottieren, vor allem wenn er häufig mit ähnlich denkenden Freunden essen geht. 2.1.2.4 Sozial verantwortliches Verhalten des Unternehmens als Ziel Smith (1990, S. 256) zufolge basiert der Konsumentenboykott auf der grundlegenden Annahme der Aktivisten, dass politische und ethische Belange über den Markt geregelt werden können. Konsumentensouveränität wird bewusst ausgeübt, um Unternehmen zu sozial verantwortlichem Handeln zu bewegen. Im Folgenden wird zunächst das Konzept der sozialen Verantwortlichkeit (‘corporate social responsibility’, CSR) erläutert. Anschließend werden Motive von Unternehmen genannt, sozial verantwortlich zu handeln. Je mehr ein Konsumentenboykott diese anspricht, desto wirksamer wird er sein. Bislang liegt noch keine einheitliche terminologische und konzeptionelle Basis vor, die eine systematische Integration und Bewertung relevanter Ergebnisse zum sozial verantwortlichen Verhalten von Unternehmen ermöglicht (vgl. Ferrell/Maignan 2004, S. 17; McWilliams et al. 2006). So subsumiert der Begriff „soziale Verantwortlichkeit“ eine Reihe von Maßnahmen wie Sponsoring von Sportveranstaltungen, aber auch selbst auferlegte Verhaltensrichtlinien (‘code of conduct’) von Unternehmen, nach sozial und ökologisch vertretbaren Standards zu produzieren (vgl. Baron 2001, S. 9). Die soziale Verantwortung kann sich u.a. auf die Gesellschaft (z.B. Habisch 2007), die eigenen Mitarbeiter (z.B. Gazdar 2007) und die Umwelt (z.B. Günther/Kaulich 2007)
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State-of-the-Art der Boykottforschung
beziehen. Eine Systematisierung der Forschung zum sozial verantwortlichen Handeln von Unternehmen lässt sich durch die Abgrenzung folgender Strömungen erreichen: x Eine Forschungsrichtung betrachtet soziale Verantwortlichkeit als moralisch begründete, generelle soziale Verpflichtung von Unternehmen (vgl. Brown/Dacin 1997; Sen/Bhattacharya 2001). x Eine zweite Strömung betont die Stakeholder-Orientierung (vgl. Henriques/ Sadorsky 1999; Ferrell/Maignan 2004). Demnach verpflichtet sich das Unternehmen nicht gegenüber der Gesellschaft insgesamt, sondern gegenüber seinen diversen Bezugsgruppen (vgl. Freeman 1984). Verschiedene Stakeholder können auf unterschiedliche Weise von den Handlungen eines Unternehmens profitieren oder darunter leiden. x Eine dritte Gruppe von Forschern untersucht die Interessen des Unternehmens. Gemäß dem Management-Ansatz soll sozial verantwortliches Handeln dazu beitragen, die Existenz des Unternehmens langfristig zu sichern, indem gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Wertvorstellungen in der Unternehmenspolitik und -kommunikation berücksichtigt werden. Der bedeutendste Beitrag ist der IssueManagement-Ansatz, welcher der strategischen Managementliteratur entstammt (vgl. Ansoff 1980). Er steht für ein Informations- bzw. Frühwarnsystem, mit dessen Hilfe die Unternehmensleitung Risiken und Konflikte frühzeitig erkennen und diesen entgegenwirken kann. Strategisch eingesetztes sozial verantwortliches Handeln kann sowohl eine Reaktion auf externe Bedrohungen sein (z.B. ein von Aktivisten angekündigter Boykott) als auch eine Maßnahme, um die Nachfrage durch ein positives Image zu steigern (vgl. Baron 2001, S. 9). Der Antrieb des Unternehmens, sich sozial verantwortlich zu verhalten, muss nicht altruistisch sein, sondern kann auch, wie im Management-Ansatz beschrieben, egoistisch (d.h. Nutzen maximierend) motiviert sein. Smith (1990, S. 78ff.) unterscheidet drei mögliche Maßnahmen, die Unternehmen zu sozial verantwortlichem Handeln bewegen. x Moralische Selbstverpflichtung (z.B. in Gestalt von Unternehmensleitsätzen) unterliegt allein der Entscheidung des Managements des Unternehmens. Damit besteht eine gewisse Willkür in der Auswahl der sozialen Belange, für die sich ein Unternehmen einsetzt. Zudem fühlen sich Unternehmen oft nicht daran gebunden, ihre Leitsätze einzuhalten.
Makroperspektive: Boykott als kollektive Handlung
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x Die Gesetzgebung kann das Ausmaß sozial verantwortlichen Handelns von Unternehmen effektiv mitbestimmen. Zu viele Regelungen gefährden jedoch nach Ansicht vieler Ökonomen die Mechanismen der freien Marktwirtschaft. Außerdem schwindet die Möglichkeit in zunehmendem Maße, Unternehmen durch gesetzliche Vorgaben zu kontrollieren, weil sich international agierende Unternehmen durch eine flexible Standortpolitik über einschränkende nationale Regelungen hinwegsetzen können (vgl. Follesdal 2003, S. 10). x Im Zuge der zunehmenden Verflechtung der Weltwirtschaft gewinnt der politische Konsumerismus an Bedeutung. Politisch aktive Konsumenten können insb. durch länderübergreifenden Boykott Druck auf Multinationale Unternehmen ausüben und diese dazu anhalten, sozial verantwortlich zu handeln.
2.1.3 Erfolg des Konsumentenboykotts Historische Überblicke von Smith (1990, S. 298ff.), Friedman (1999) sowie Clouder/ Harrison (2005, S. 92) zeigen, dass zahlreiche Boykotte erfolgreich waren. Baron (2003, S. 41) kritisiert jedoch, dass Rückschlüsse auf die Effektivität von Konsumentenboykotten meist aus einzelnen Fallbeispielen gezogen werden. Auch Davidson et al. (1995, S. 172) zufolge erlauben diese meist anekdotisch dargestellten Ergebnisse keine Generalisierung. Im Folgenden werden Kriterien festgelegt, anhand derer sich der Erfolg eines Boykotts messen lässt. Anschließend werden einschlägige Studien vorgestellt. 2.1.3.1 Erfolgskriterien eines Konsumentenboykotts Smith (1990, S. 276) und Friedman (1999, S. 18) unterscheiden zwei Kriterien zur Beurteilung von Boykotteffekten. x Das Ausführungskriterium beschreibt, ob der Boykott wie geplant durchgeführt wurde. Eine Maßnahme war erfolgreich, wenn die Teilnehmer es unterlassen, die zu boykottierenden Produkte zu erwerben und das Unternehmen einen signifikanten Umsatzrückgang erleidet. x Das Auswirkungskriterium erfasst hingegen, ob der Boykott dazu führte, dass die Ziele der Boykottorganisatoren erreicht wurden (z.B. geringere Preise, Erhalt von Arbeitsplätzen oder Verbesserung des Umweltschutzes).
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State-of-the-Art der Boykottforschung
Smith (1990) betont, dass die beiden Erfolgskriterien unabhängig voneinander erreicht werden können. Beispielsweise kann ein Boykott zu einem Rückgang der Absatzzahlen des Unternehmens führen (= Ausführungskriterium). Gemessen am Auswirkungskriterium kann die Protestaktion trotzdem erfolglos sein, wenn das Zielunternehmen die fragwürdigen Praktiken beibehält. Auch der umgekehrte Fall ist denkbar: Selbst Boykotte, die keine deutlichen Umsatzrückgänge bewirken, können zu einer Änderung des Verhaltens des Unternehmens führen. Beispielsweise wirken medienorientierte Boykotte (vgl. Kap. 2.1.1.3) nicht durch den ökonomischen Druck auf das Unternehmen, sondern durch ihre Symbolkraft (d.h. durch öffentlich ausgeübten moralischen Druck) und den drohenden Imageschaden. Die Beurteilung sollte außerdem zwischen kurz- und langfristigem Boykotterfolg differenzieren (vgl. Friedman 1999). Bei Kampagnen mit langfristiger Zielsetzung (z.B. Erhalt von Arbeitsplätzen im Inland) kann diese Unterscheidung sehr bedeutsam sein. So mag ein Boykott ein konkretes kurzfristiges Ereignis (z.B. Werksschließung) verhindern, langfristig aber negative Konsequenzen haben (z.B. Investoren abschrecken). Wirksamkeit und Erfolg lassen sich jedoch meist nur eingeschränkt abschätzen (vgl. Friedman 1999, S. 17): Selbst wenn Einigkeit darüber besteht, anhand welcher Kriterien der Boykotterfolg gemessen wird, ist der Grad der Zielerreichung nur schwer bestimmbar, da viele Organisatoren ihre Ziele oft nur vage definieren. Zudem können sich diese im Verlaufe des Boykotts ändern. Darüber hinaus sind reliable Angaben zum Ausführungskriterium kaum verfügbar. Kennzahlen werden sowohl von Unternehmen als auch von Aktivisten meist interessengeleitet veröffentlicht und interpretiert. Als bspw. General Electrics wegen der Herstellung nuklearer Waffen boykottiert wurde, behauptete die Aktivistengruppe INFACT, dem Unternehmen sei dadurch ein Umsatzverlust von 43 Millionen US-Dollar entstanden. Das Unternehmen konnte hingegen nach eigenen Angaben keine Auswirkungen des Boykotts wahrnehmen (vgl. Miller et al. 1992). Darüber hinaus ist die interne Validität des Zusammenhangs zwischen dem Auftreten des Boykotts und einer Veränderung des Verhaltens des Unternehmens in vielen Fällen fraglich. Zahlreiche weitere Einflussfaktoren können Änderungen der Unternehmenshandlungen bewirken. Insbesondere Protestaktionen, die Verbesserungen von Arbeitsbedingungen bewirken sollen, werden meist durch Maßnahmen wie Presseberichte, Streiks und Verhandlungen flankiert. Der Einfluss
Makroperspektive: Boykott als kollektive Handlung
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des Boykotts auf das Auswirkungskriterium lässt sich somit nicht isoliert von Störeinflüssen beurteilen, weshalb die nachfolgend aufgeführten Ergebnisse nur unter Vorbehalt interpretiert werden können. 2.1.3.2 Empirische Befunde zum Boykotterfolg Mehrere Studien untersuchen den Erfolg realer Boykotte anhand von Primärdaten, die sich meist nur auf eine relativ kleine Fallzahl stützen (z.B. Miller/Sturdivant 1977). Andere werten Sekundärdaten (z.B. Presseberichte; Aktienkurse) aus, um eine größere Anzahl von Boykotten vergleichen zu können (z.B. Pruitt/Friedman 1986). Im Folgenden wird, getrennt nach Ausführungs- und Auswirkungskriterium, der Erfolg von Konsumentenboykotten anhand empirischer Befunde diskutiert. Nach dem Ausführungskriterium sind Boykotte dann erfolgreich, wenn sie das Unternehmensergebnis schmälern. Folgende empirische Befunde liegen dazu vor. x Miller/Sturdivant (1977) werteten die wöchentlichen Absatzzahlen eines FastFood-Restaurants im Verlauf einer Protestaktion aus. Der Vergleich mit den Vorjahreszahlen zeigte, dass diese einen Rückgang des Absatzes bewirkte. x Pruitt/Friedman (1986) analysierten die Reaktionen von Investoren auf 21 Boykotte, die in den USA im Zeitraum von 1970 bis 1980 durchgeführt wurden. Sie stuften 16 Protestaktionen (76 %) als erfolgreich ein, da sich in den zwei Monaten nach Ausrufung des Boykotts ein statistisch signifikanter Rückgang des Aktienkurses des Unternehmens zeigte. Pruitt et al. (1988) belegten am Beispiel von 16 gewerkschaftlich organisierten Boykotten, dass diese erfolgreich waren, d.h. negative finanzielle Auswirkungen auf das Zielunternehmen hatten. Allerdings war ein signifikanter Rückgang des Aktienkurses nur für einen kurzen Zeitraum nachweisbar. Nach ungefähr zwei Wochen näherte sich der Kurs wieder dem Ausgangswert an. Davidson et al. (1995) stellten bei 59 Konsumentenboykotten ebenfalls einen negativen Effekt auf den Aktienkurs fest. x Koku et al. (1997) analysierten die Reaktionen auf Berichte über 29 tatsächliche und 25 angedrohte Boykotte im Zeitraum von 1980 bis 1993. Die Autoren kamen zu einem Ergebnis, welches sowohl den zuvor zitierten Studien als auch ihren Hypothesen widerspricht: Die Mitteilung in der Presse, dass ein Unternehmen Gegenstand eines Boykotts ist, hatte einen Anstieg des Unternehmenswerts um durchschnittlich 0,76 % zur Folge. Bereits die Androhung eines Boykotts über die Presse
34
State-of-the-Art der Boykottforschung
führte zu einer Zunahme um 0,55 %. Die Autoren erklären diesen unerwarteten Befund damit, dass boykottierte Unternehmen Gegenmaßnahmen ergreifen, welche letztlich einer Pflege des Aktienkurses gleichkommen. Außerdem kam es vor, dass Anhänger des Unternehmens als Reaktion auf den Boykott einen Buykott organisierten, um das Unternehmen durch verstärkte Käufe in der Krisenzeit zu unterstützen. Nach Maßgabe des Auswirkungskriteriums gilt ein Boykott dann als erfolgreich, wenn die Ziele der Boykotteure erreicht werden und das Zielunternehmen seine Praktiken ändert. Folgende empirische Befunde zum Auswirkungskriterium liegen vor: x Friedman (1985) wertete die Aussagen der Organisatoren von 90 Boykotten aus, welche im Zeitraum von 1970 bis 1980 statt fanden. Wie der Autor berichtet, wurden bei 26,7 % dieser Boykotte die Ziele der Aktivisten weitgehend erreicht. x Davidson et al. (1995) analysierten die Auswirkungen von 59 Konsumentenboykotten. Sie beobachteten, dass etwa ein Drittel der Unternehmen als Folge der Protestaktionen ankündigte, das kritisierte Verhalten ändern zu wollen. Die dargestellten empirischen Befunde belegen, dass Boykotte durchaus im Sinne des Ausführungs- und Auswirkungskriteriums erfolgreich sein können. Der Boykott kann damit, wie von Smith (1990) angenommen, als eine Maßnahme des politischen Konsumerismus angesehen werden, welche die Konsumentensouveränität stärkt und Unternehmen zu sozial verantwortlichem Verhalten bewegen kann.
Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung
35
2.2 Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung Die Wirksamkeit eines Konsumentenboykotts hängt maßgeblich von der Anzahl der Teilnehmer ab. Dies führt zur zentralen Frage der vorliegenden Arbeit: Was bewegt Verbraucher zur Teilnahme an einem Boykott? Auf die Diskussion der Erkenntnisse zu den sozioökonomischen Merkmalen der Boykottteilnehmer (vgl. Kap. 2.2.1) folgt ein ausführlicher Überblick über empirische Studien zur individuellen Boykottentscheidung (vgl. Kap. 2.2.2.1). Aus der kritischen Betrachtung des Stands der Forschung (vgl. Kap. 2.2.2.2) leiten sich weitere Fragestellungen der vorliegenden Arbeit ab (vgl. Kap. 2.2.4). 2.2.1 Sozioökonomische Merkmale von Boykottteilnehmern Die dänischen Politologen Goul Andersen/Tobiasen (2003, S. 208) erfassten empirisch sozioökonomische Merkmale von Boykottteilnehmern. Demnach partizipieren vor allem weibliche, jüngere, gebildetere und wohlhabendere Konsumenten (vgl. Abb. 13). Der positive bivariate Zusammenhang zwischen Einkommen und Boykottbereitschaft kann den Autoren zufolge allerdings vollständig auf die gemeinsame Interkorrelation der beiden Variablen mit dem Bildungsstand zurückgeführt werden. Partialisiert man den Einfluss der Bildung aus beiden Variablen heraus, lässt sich kein statistisch signifikanter inkrementeller Beitrag des Einkommens mehr nachweisen. Abb. 13: Befunde zu sozioökonomischen Merkmalen von Boykottteilnehmern
Stichprobe Operationalisierung der Boykottteilnahme Korrelate - Geschlecht - Alter - Bildung - Einkommen
Goul Andersen/Tobiasen (2003)
Klein et al. (2004)
Stolle/Micheletti (2005)
1.640 Konsumenten, Dänemark
1.216 Konsumenten, Europa
1.015 Studenten, Kanada, Belgien, Schweden
Teilnahme an einem Boykott im letzten Jahr
Teilnahme an einem tatsächlichen Boykott
Teilnahme an einem Boykott im letzten Jahr
Frauen (-) (+) (+)
Frauen (n.s.) (nicht untersucht) (nicht untersucht)
Frauen (nicht untersucht) (nicht untersucht) (nicht untersucht)
Anmerkung: (+): positiver, (-): negativer, (n.s.): nicht signifikanter Zusammenhang.
Übereinstimmend mit Goul Andersen/Tobiasen (2003) berichten auch Stolle/Micheletti (2005) und Klein et al. (2004), dass sich insb. weibliche Konsumenten
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State-of-the-Art der Boykottforschung
Boykotten anschließen (vgl. Abb. 13). Nach Ansicht von Micheletti (2003a, S. 255ff.) gilt sogar generell, dass Frauen stärker zu politischem Konsumerismus neigen (z.B. Teilnahme an Buy- und Boykotten) als Männer. Wie im Folgenden gezeigt wird, ist diese Annahme jedoch zu bezweifeln. Zuvor werden die theoretischen Erklärungsansätze vorgestellt, welche die Autorin heranzieht, um zu begründen, weshalb Frauen stärker zum Konsumerismus neigen: x Das situationale Modell geht davon aus, dass viele Frauen aufgrund ihrer Rolle als Mutter dem Wert „Fürsorge“ mehr Bedeutung beimessen als Männer (vgl. Flammang 1997). Demnach sorgen sie sich mehr als andere über die Auswirkungen des von ihnen als unverantwortlich empfundenen Handelns von Unternehmen auf ihre Familie sowie auf andere Menschen und beteiligen sich deshalb an Boykotten. x Das strukturelle Modell versteht das verstärkte Engagement von Frauen als Antwort darauf, dass diese lange von den traditionellen Institutionen des politischen Systems ausgeschlossen oder in diesen zumindest unterrepräsentiert waren (vgl. Pateman 1983; Burns 2001). Der Boykott bietet ihnen eine Möglichkeit, sich politisch zu engagieren. x Das Sozialisationsmodell betont, dass Menschen im Verlauf ihrer Sozialisation geschlechtsspezifische Rollenmuster erlernen (vgl. Flammang 1997). Die traditionelle Rolle der Frau sieht vor, dass sie die überwiegende Mehrzahl der Waren des täglichen Bedarfs einkauft. Das damit verbundene höhere Involvement begünstigt die Boykottteilnahme. Friedman (1995a, S. 70) weist nach, dass während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem Hausfrauen aus der Mittelschicht zu ökonomischen Boykotten aufriefen, um Preissteigerungen bei Lebensmitteln zu verhindern. Im Einklang mit dem Sozialisationsmodell begründet der Autor den großen Frauenanteil mit der traditionellen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen. Ökonomische Konsumentenboykotte haben zwischenzeitlich jedoch aus verschiedenen Gründen erheblich an Bedeutung verloren (vgl. Herrmann 1993, S. 130). In den Industrieländern steht den zunehmend berufstätigen Frauen nicht mehr die für die aufwändige Organisation von Protestaktionen erforderliche Zeit zur Verfügung. Das gestiegene Einkommen enthebt sie der Notwendigkeit, auf geringfügige Preisanstiege mit einem Boykott zu reagieren. Schließlich schwinden in dem Maße, wie sich die Rollenmuster von Männern und Frauen angleichen, die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Boykottteilnahme.
Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung
37
Eine eigene Analyse der Daten des World Values Survey (WVS; vgl. European Values Study Group and World Values Survey Association 2006) gibt weiteren Aufschluss über sozioökonomische Merkmale von Personen, die sich an Boykotten beteiligen. Das WVS erfasst die Boykottteilnahme anhand der drei Kategorien: (1) der Befragte nahm bereits an einem Boykott teil, (2) er würde dies in Zukunft tun und (3) er wird sich auch zukünftig keinem Boykott anschließen. Abb. 14 präsentiert die Charakteristika der Personen, welche in der vierten Erhebungswelle des WVS (Zeitraum 1999 bis 2004) angegeben haben, sich bereits an einem Boykott beteiligt zu haben. Abb. 14: Sozioökonomische Merkmale von Boykottteilnehmern in den G8-Ländern Russland Stichprobengröße Boykottteilnahme (in %)
Deutschland
Japan
Italien
Kanada USA FrankGroßreich britannien
2325
1870
1070
1870
1482
960
1879
1178
2,5
8,3
8,4
10,3
13,0
16,6
19,0
24,9
2,0 2,2 3,2 n.s.
6,0 8,7 13,1
5,3 9,6 11,5
8,5 10,7 14,0
9,9 13,0 18,5
11,8 15,4 23,4
13,1 17,8 29,5
21,0 26,2 29,3
**
*
*
**
**
***
*
3,0 2,6 2,1 n.s.
10,6 10,0 6,2
10,9 13,7 6,9
9,4 16,3 11,2
11,3 17,8 19,4
15,4 23,8 16,0
14,4 28,2 28,8
**
6,8 9,3 8,3 n.s.
***
**
*
***
***
3,4 1,8
9,7 7,2 n.s.
7,7 9,1 n.s.
11,6 9,1 n.s.
15,7 10,1
20,4 13,5
22,0 16,9
***
**
**
26,7 23,5 n.s.
1)
Einkommen (in %) gering mittel hoch Alter (in %) 15 - 29 Jahre 30 – 49 Jahre 50 Jahre und älter Geschlecht (in %) männlich weiblich
*
Anmerkungen: Chi-Quadrat-Test: * p ,05; ** p ,01; *** p ,001; n.s. nicht signifikant. Bei statistisch signifikanten Unterschieden ist die Untergruppe fett hervorgehoben, die häufiger als andere an Boykotten teilnimmt. 1) Länderspezifische Einteilung der Einkommensklassen nach dem World Values Survey. Quelle: Eigene Auswertung auf Basis der Daten der vierten Welle (1999-2004) des World Values Survey (vgl. European Values Study Group and World Values Survey Association 2006).
Mit Ausnahme von Russland zeigt sich in allen G8-Staaten ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Einkommen und der Boykottteilnahme: Angehörige höherer Einkommensklassen nehmen signifikant häufiger an Boykotten teil. Weiterhin bestehen nach Maßgabe der Daten des WVS außer in Russland und Japan signifikante Unterschiede zwischen verschiedenen Altersklassen. In den meisten der G8-Länder partizipieren Personen des mittleren (Italien, Frankreich, Kanada) bzw. des mittleren
38
State-of-the-Art der Boykottforschung
und älteren Segments (Großbritannien, USA) am häufigsten an Boykotten. In Deutschland schließen sich hingegen eher jüngere Konsumenten Boykotten an. Im Widerspruch zu den oben berichteten Studien sprechen die in der vierten Erhebungswelle des WVS erhobenen Daten dafür, dass in den meisten G8-Staaten tendenziell mehr Männer als Frauen boykottieren. Nach Maßgabe des Chi-Quadrat-Tests konnte in der kanadischen, der britischen, der französischen und der russischen Stichprobe ein Geschlechtseffekt festgestellt werden. Die Analyse der Daten der ersten Welle, die im Zeitraum 1981 bis 1984 durchgeführt wurde, ergab vergleichbare Ergebnisse. Dieser auf Daten des WVS gestützte Befund widerspricht dem hohen Frauenanteil, der in den drei oben zitierten Studien festgestellt wurde. Dies gilt in besonderem Maße für Stolle/Micheletti (2005). Die Autorinnen berichten, dass sich in Kanada 71 % und in Schweden sogar 80 % der weiblichen Probanden in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung einem Boykott angeschlossen haben, aber nur 52 % respektive 60 % der männlichen Probanden. Möglicherweise ist der große Frauenanteil auf spezielle Charakteristika der Stichprobe zurückzuführen. Die Autorinnen weisen selbst darauf hin, dass die von ihnen gezogene Stichprobe von Teilnehmern eines Einführungskurses in Politikwissenschaften nicht für die Landesbevölkerung und vermutlich noch nicht einmal für alle Studierenden des Studiengangs repräsentativ ist. Anders als die von Stolle/Micheletti (2005) ermittelten Werte können die WVS-Daten Repräsentativität und damit eine höhere Verlässlichkeit beanspruchen. Zusammenfassend kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an einem Boykott mit zunehmendem Einkommen steigt. Darüber hinaus scheinen soziodemographische Variablen nur wenig zur Erklärung der Boykottpartizipation beitragen zu können. Vor allem die von Micheletti (2003a) vertretene These, dass Frauen stärker als Männer zu politischem Konsumerismus neigen, lässt sich empirisch nicht untermauern. 2.2.2 Antezedenzen der individuellen Boykottpartizipation 2.2.2.1 Empirische Befunde Noch immer liegen nur wenige empirische Beiträge zu Antezedenzen der individuellen Boykottteilnahme vor. Eine systematische Recherche in deutsch- und englischsprachigen Marketing-Zeitschriften sowie eine Stichwortsuche in weiteren Publikationsorga-
Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung
39
nen identifizieren für den Zeitraum von 1975 bis 2007 lediglich elf Beiträge (vgl. Abb. 15, S. 39). Diese berichten insgesamt über vierzehn Einzeluntersuchungen, da Sen et al. (2001) zwei und Spada/Nerb 2001 drei Experimente durchführten. Abb. 15: Empirische Beiträge zur individuellen Boykottpartizipation (1975 – 2007) Fachbereich
Zeitschrift
Ranking*)
Erscheinungsjahr
Marketing
Journal of Marketing Journal of Consumer Research Advances in Consumer Research International Marketing Review
A+ A+ B C
2004; 1997 2001; 1977 2002; 1998; 1987 2005
Ökonomie
Economica
A+
2005
Psychologie
Cognition & Emotion Journal of Human Behavior
-
2001 1976
Anmerkung: *) nach VHB-JOURQUAL 2003.
Der aktuelle Stand der empirischen Forschung zu psychographischen Merkmalen von Boykottteilnehmern wird im Literaturreview in Abb. 16 (S. 40ff.) ausführlich beschrieben. Die dort erfassten Studien sind chronologisch absteigend aufgeführt. Die in diesen Untersuchungen identifizierten Einflussgrößen werden nach den drei Kategorien Betroffenheit, Promotoren und Inhibitoren geordnet, weil diese Unterscheidung für den weiteren Verlauf der Arbeit bedeutsam ist. Wie in Kap. 3.2 beschrieben, fasst die Kategorie Betroffenheit jene Antezedenzen zusammen, welche dazu führen, dass der Konsument einem als sozial unverantwortlich erlebten Verhalten Bedeutung beimisst und in Erwägung zieht, sich einem Boykott anzuschließen. Von diesem Auslöser sind die Promotoren abzugrenzen (vgl. Kap. 3.3). Sie bestärken den Konsumenten in seiner Absicht, sich am Boykott zu beteiligen (z.B. Glaube an die Wirksamkeit eines Boykotts). Schließlich werden in Kap. 3.4 Inhibitoren beschrieben, d.h. Gründe, weshalb aus Sicht der Betroffenen eine Boykottteilnahme keine (z.B. Small Agent-Problem) oder negative (Bumerang-Effekt) Auswirkungen hätte.
40
State-of-the-Art der Boykottforschung
Abb. 16: Empirische Studien zur individuellen Boykottpartizipation 1. Ettenson/Klein (2005)
2. Tyran/Engelmann (2005)
Fragestellung
Wie wirkt sich die Animosität gegenüber einem Land langfristig auf die Beteiligung eines Boykotts der Produkte von Unternehmen aus diesem Land aus?
Boykottieren Konsumenten einen Einzelhändler nach einem plötzlichen Preisanstieg?
Theoretische Fundierung
Animositätsmodell (vgl. Klein et al. 1998)
Empirizistisch; keine explizite theoretische Fundierung.
Zentrale Befunde
- Animosität australischer Konsumenten gegenüber Frankreich mindert deren Bereitschaft, französische Produkte zu kaufen. - Auch ein Jahr nach Beendigung des missbilligten Verhaltens hegen australische Konsumenten negative Gefühle gegenüber Frankreich, welche weiterhin die Bereitschaft mindern, französische Produkte zu erwerben.
Befunde zur Boykottpartizipation: - Nach einem Preisanstieg neigen Konsumenten stärker zur Boykottteilnahme. - Die Boykottpartizipation ist eher expressiv als instrumentell motiviert.
Art des Boykotts*)
Politischer, indirekter Boykott der Produkte französischer Unternehmen zur Beeinflussung der französischen Regierung
Ökonomischer Warenboykott (Fiktives Beispiel, das in der Cover Story des Experiments beschrieben wurde.)
Operationalisierung der Boykottpartizipation
Studie 1: Bereitschaft, französische Produkte zu kaufen Studie 2: Anzahl der Produktkategorien, die der Konsument boykottiert
Proband muss sich vor jeder Runde eines Mehrrundenspiels festlegen, ob er boykottieren wird oder nicht
Stichprobe
Erhebung in zwei Wellen: 261 Konsumenten (1996) und 477 Konsumenten (1997), Australien
112 Studenten verschiedener Fachrichtungen, Schweiz
Weitere Befunde: - Boykotte beeinflussen die Marktpreise nur geringfügig. - Boykotte reduzieren die Konsumentenrente. Auslöser des Boykotts Nukleartests der französischen Regierung Preissteigerung im Einzelhandel im Südpazifik
Untersuchungsdesign Zwei Befragungen (als Längsschnittstudie bezeichnet; die Stichproben von Studie 1 und 2 wurden jedoch unabhängig voneinander gezogen)
Laborexperiment (Mehrrundenspiel mit 30 Runden)
Auswertungsmethode Strukturgleichungsmodell (LISREL)
Mann-Whitney-Test - (Verärgerung über) Preissteigerung
Betroffenheit
- Politische Animosität (+)
Promotoren
- Ethnozentrismus (+) Wirkt auch indirekt über den Mediator wahrgenommene Produktqualität. - Wahrgenommene Effektivität des Boykotts (+)
- Expressives Motiv (+) D.h. Ausdruck der Frustration. Dieses Motiv wurde nicht erfasst, sondern post hoc aus den Befunden erschlossen.
Inhibitoren
(nicht untersucht)
(nicht untersucht)
Anmerkungen: Einfluss auf die Boykottpartizipation: (-) negativ; (+) positiv; (n.s.) nicht signifikant. *) vgl. Kap. 2.1.1.3.
Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung
41
Abb. 16: Empirische Studien zur individuellen Boykottpartizipation (Fortsetzung) 3. Klein et al. (2004)
4. Klein et al. (2002)
Fragestellung
Welche Promotoren fördern und welche Inhibitoren hemmen die Boykottpartizipation?
Welche Promotoren fördern die Boykottpartizipation?
Theoretische Fundierung
Kollektives Handeln (vgl. Blais 2001); Kosten-Nutzen-Ansatz und Altruismus (vgl. Dovidio et al. 1991); Theorien des Selbst (vgl. Baumeister 1998)
Theorien des Selbst (vgl. Baumeister 1998)
- Grad der wahrgenommenen Verärge- Je mehr Ärger die Konsumenten rung über die Aktionen eines Unterverspüren, desto wahrscheinlicher ist nehmens stärkt die Absicht, am Boykott die Boykottpartizipation. zu partizipieren, und schwächt das - Selbstwirksamkeit und das Streben Markenimage. nach Selbstwerterhöhung fördern die - Individuen beteiligen sich am Boykott Boykottteilnahme. sowohl aus instrumentellen und expres- Gegenargumente und die Kosten des siven Gründen als auch zur Gewissenseingeschränkten Konsums wirken sich beruhigung. hemmend aus. - Streben nach Selbstwerterhöhung stärkt und die Kosten des eingeschränkte Konsum schwächen die Beziehung zwischen der wahrgenommenen Verärgerung und der Boykottpartizipation. Auslöser des Boykotts Werksschließung mit Massenentlassung Sozial unverantwortliche Vermarktung von Muttermilchsubstituten in Entwicklungsländern Zentrale Befunde
Art des Boykotts*)
Politischer Boykott der Produkte eines nicht namentlich genannten Lebensmittelkonzerns
Politischer Boykott der Produkte des unverantwortlich handelnden Lebensmittelkonzerns (hier: Nestlé-Schokoriegel)
Operationalisierung der Boykottpartizipation
Tatsächliche Teilnahme am Boykott (dreistufig: Teilnehmer, Zweifler, NichtTeilnehmer)
Boykottabsicht, Produktwahl (NestléSchokoriegel vs. alternatives Produkt)
Stichprobe
1.216 Konsumenten (geschichtete Stichproben), Europa
115 Studenten, USA
Untersuchungsdesign Befragung im Feld
Laborexperiment
Auswertungsmethode Multiple lineare Regression
Logistische Regression - wahrgenommene Verärgerung (+)
Betroffenheit
- wahrgenommene Verärgerung (+)
Promotoren
- Selbstwirksamkeit (+) - Selbstwerterhöhung (+)
Inhibitoren
(nicht untersucht) - Gegenargumente, z.B. BumerangEffekte (-) - Kosten des eingeschränkten Konsums (-)
-
Selbstwirksamkeit (+) Bestrafungswunsch (+) Gewissensberuhigung (+) Selbstwerterhöhung (n.s.) Konsistenzstreben (n.s.)
Anmerkungen: Einfluss auf die Boykottpartizipation: (-) negativ; (+) positiv; (n.s.) nicht signifikant. *) vgl. Kap. 2.1.1.3.
42
State-of-the-Art der Boykottforschung
Abb. 16: Empirische Studien zur individuellen Boykottpartizipation (Fortsetzung) Fragestellung
5a. Sen et al. (2001) - Studie 1
5b. Sen et al. (2001) - Studie 2
Wie wirkt sich die individuell wahrgenommene Erfolgswahrscheinlichkeit des Boykotts auf die Boykottpartizipation aus?
Wie wirken sich die individuell wahrgenommene Erfolgswahrscheinlichkeit des Boykotts und die Kosten des eingeschränkten Konsums auf die Wahrscheinlichkeit der Boykottpartizipation aus?
Soziales Dilemma (vgl. Dawes 1980); Soziales Dilemma (vgl. Dawes 1980); Bezugsgruppentheorie (vgl. Childers/Rao Bezugsgruppentheorie (vgl. Childers/Rao 1992) 1992) - Ein Konsument schließt sich einem - Die Wahrscheinlichkeit der BoykottZentrale Befunde teilnahme hängt vom wahrgenommenen Boykott an, wenn er annimmt, dass sich viele andere beteiligen. Die EmpfängBoykotterfolg ab. lichkeit für soziale Einflüsse moderiert - Der Boykott wird als erfolgreich diesen Zusammenhang. wahrgenommen, wenn Aktivisten im - Je stärker das zu boykottierende Rahmen des Boykottaufrufs darauf hinweisen, dass sie eine rege Teilnahme Produkt präferiert wird und je schwerer Substitute erhältlich sind, desto gerinund eine hohe Wirksamkeit erwarten. ger ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich - Die untersuchten Einflussgrößen der Konsument dem Boykott anwirken stärker auf die Boykottentscheischließt. dung, wenn das Individuum sensibel auf normative soziale Einflüsse reagiert. Tierversuche und Präsenz in LänderAuslöser des Boykotts Anstieg des Eintrittspreises für Kinobesuche märkten, in denen Menschenrechte nicht geachtet werden (hier: Burma) Theoretische Fundierung
Art des Boykotts*)
Ökonomischer Boykott der Kinos von Politischer Boykott von Zahnpasten von New York. Colgate-Palmolive sowie von Procter & (Fiktives Beispiel, das in der Cover Story Gamble des Experiments beschrieben wurde.)
Operationalisierung der Boykottpartizipation
Boykottabsicht und Einstellung zum Boykott
Boykottabsicht und –verhalten (in der Laborsituation)
Stichprobe
147 Studenten, USA
166 Studenten, USA
Untersuchungsdesign Laborexperiment
Laborexperiment
Auswertungsmethode ANOVA
ANOVA
Betroffenheit
(nicht untersucht)
Promotoren
- Erwartete Anzahl der Teilnehmer (+) - Erwartete Wirksamkeit (+) - Positive Konsequenzen (+) Die Wahrnehmung der Erfolgswahrscheinlichkeit wirkt als Mediatorvariable und normative soziale Einflüsse als Moderatorvariable (siehe Kap. 3.3.2).
Inhibitoren
(nicht untersucht)
(nicht untersucht) - Erwartete Teilnahme anderer (+) - Subjektive Bedeutung des Problems (+) Normative soziale Einflüsse wirken als Moderatorvariable (siehe Kap. 3.4.1.4).
- Präferenz für boykottierte Produkte (-) - Mangel an Substituten (-)
Anmerkungen: Einfluss auf die Boykottpartizipation: (-) negativ; (+) positiv; (n.s.) nicht signifikant. *) vgl. Kap. 2.1.1.3.
Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung
43
Abb. 16: Empirische Studien zur individuellen Boykottpartizipation (Fortsetzung) 6. Nerb/Spada (2001)
7. Kozinets/Handelman (1998)
Fragestellung
Welche subjektive Bedeutung messen Hängt die Bewertung von Umweltschäden und die daraus resultierende Absicht, Boykotteure ihrem Verhalten bei? das verursachende Unternehmen zu boykottieren, davon ab, ob dieses 1. das Ereignis kontrollieren kann, 2. höhere Ziele verfolgt, welche das Verhalten rechtfertigen, 3. wissentlich handelt?
Theoretische Fundierung
Appraisal-Theorie (vgl. Roseman et al. 1996)
Zentrale Befunde
- Der Ärger über einen Umweltschaden und die dadurch ausgelöste Boykottbereitschaft sind höher, wenn der Verursacher das Ereignis kontrollieren kann und kein höheres Ziel verfolgt.
Qualitativer, explorativer Ansatz; Post hoc-Erklärungen durch Rekurs auf sozialpsychologische Theorien (z.B. Belk 1988) - Boykotteure sehen ihr Engagement nicht nur als Teil einer kollektiven Aktion, sondern als einen persönlichen Akt, der dazu dient, sich emotional auszudrücken und moralisch zu verwirklichen.
Auslöser des Boykotts Umweltschäden (fiktive Medienberichte) Kein spezifisches Ereignis untersucht Art des Boykotts*)
Kein spezifischer Boykott untersucht
Kein spezifischer Boykott untersucht
Operationalisierung der Boykottpartizipation
Bereitschaft, sich an einem Boykott zu beteiligen (neunstufige Rating-Skala)
Qualitative Untersuchung
Stichprobe
78, 89 und 91 Studenten, Deutschland (drei Teiluntersuchungen)
14 Web-Interviews und 68 Postings aus den USA
Untersuchungsdesign Laborexperiment Auswertungsmethode ANOVA
Netnographie (ethnographischer Ansatz der Online-Forschung) Qualitative Interpretation
Betroffenheit
- Verärgerung Deren Einfluss auf die Boykottabsicht hängt von folgenden Merkmalen des Verursachers ab: - Kontrollmöglichkeit (+) - Verfolgung eines höheren Ziels (-) - Wissen über Schaden (n.s.)
(nicht untersucht)
Promotoren
(nicht untersucht)
- Individualisierung: Abgrenzung und moralische Selbstdarstellung (+) - Moralische Transzendenz: Selbstwertaktualisierung bzw. -erhöhung und Gewissensberuhigung (+)
Inhibitoren
(nicht untersucht)
(nicht untersucht)
Anmerkungen: Einfluss auf die Boykottpartizipation: (-) negativ; (+) positiv; (n.s.) nicht signifikant. *) vgl. Kap. 2.1.1.3.
44
State-of-the-Art der Boykottforschung
Abb. 16: Empirische Studien zur individuellen Boykottpartizipation (Fortsetzung) Fragestellung
8. Smith/Cooper-Martin (1997)
9. Belch/Belch (1987)
Wie beeinflussen ethische Bedenken über die zielgruppenspezifische Vermarktung schädlicher Produkte an dafür anfällige (d.h. leicht beeinflussbare) Käufersegmente das Verhalten des Individuums (z.B. Teilnahme an einem Boykott)?
Wie wirkt sich die Bedeutung, die das Individuum bestimmten Funktionen von Einstellungen beimisst, auf die Einstellungen zum Produkt und zum Unternehmen sowie auf die Kaufabsicht aus? Lässt sich die Einstellung von Boykotteuren und Nicht-Boykotteuren durch persuasive Botschaften ändern?
Theoretische Fundierung
Keine
Funktionale Theorie der Einstellung (vgl. Katz 1960); Erwartungs-Mal-WertAnsatz (vgl. Lutz 1981) - Je mehr ethische Bedenken ein Konsu- - Bei Boykotteuren beeinflusst die Zentrale Befunde Funktion „Unternehmensimage“ die ment gegenüber der zielgruppenspezifischen Vermarktung schädlicher Produk- Einstellung gegenüber dem Produkt und te für anfällige (d.h. leicht beeinflussba- dem Unternehmen sowie die Kaufabsicht. Bei Nicht-Boykotteuren hängen re) Konsumentensegmente hat, desto diese Variablen von der Funktion stärker neigt er dazu, Produkte des „Utilitarismus“ ab. Unternehmens zu boykottieren. - Positive Medienberichte über das Zielunternehmen stärken sowohl bei Boykotteuren als auch bei NichtBoykotteuren den Zusammenhang zwischen der individuellen Funktion der Einstellung und der Einstellung gegenüber dem Unternehmen. Unverantwortliche Arbeitsbedingungen Auslöser des Boykotts Zielgruppenspezifische Vermarktung schädlicher Produkte an anfällige und Diskriminierung Konsumentensegmente Art des Boykotts*)
Kein spezifischer Boykott untersucht
Operationalisierung Absicht, keine Produkte des Unternehder Boykottpartizipa- mens zu kaufen tion 522 und 322 Konsumenten, USA (zwei Stichprobe nahezu identische Studien) Untersuchungsdesign Laborexperiment Auswertungsmethode Korrelationsanalyse, ANOVA - Ethische Bewertung der Handlung des Betroffenheit Unternehmens (-) (nicht untersucht) Promotoren
Politischer Boykott von Bier der Adolph Coors Company durch Amerikaner mexikanischer Abstammung Known Group-Methode: Mitglieder einer politischen Studentenorganisation (= Boykotteure) vs. Nicht-Boykotteure 60 Studenten, USA (davon 30 Studierende mexikanischer Abstammung) Laborexperiment Multiple lineare Regression (nicht untersucht) - utilitaristische Funktion der Einstellung (n.s.) - expressive Funktion der Einstellung (n.s.) - unternehmensorientierte Funktion der Einstellung (+) (nicht untersucht)
(nicht untersucht) Inhibitoren Anmerkungen: Einfluss auf die Boykottpartizipation: (-) negativ; (+) positiv; (n.s.) nicht signifikant. *) vgl. Kap. 2.1.1.3.
Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung
45
Abb. 16: Empirische Studien zur individuellen Boykottpartizipation (Fortsetzung) Fragestellung
10. Miller/Sturdivant (1977)
11. Mahoney (1976)
Beeinflusst die Einstellung des Konsumenten zur sozialen Verantwortlichkeit des Unternehmens die Einstellungs- und Verhaltensänderung während eines Boykotts?
Wodurch unterscheiden sich stark und schwach involvierte Boykottteilnehmer?
Theoretische Fundierung
Keine
Theorie der kognitiven Dissonanz (vgl. Festinger 1957); Abgrenzungstheorie (vgl. Keniston 1965) - Ob ein Konsument sein Kaufverhalten - Stark involvierte Boykottteilnehmer Zentrale Befunde verfolgen längerfristige Ziele und im Laufe des Boykotts einschränkt, schätzen den Erfolg des Boykotts hängt davon ab, ob es für ihn bedeutpositiver ein als schwach involvierte sam ist, dass sich ein Unternehmen Teilnehmer. sozial verantwortlich verhält oder nicht. - Bei Kunden fördert diese Einschätzung, dass sich das Unternehmen sozial verantwortlich verhält, die Änderung seiner Einstellung zum Unternehmen. Bei Nicht-Kunden kann dieser Zusammenhang nicht nachgewiesen werden. Auslöser des Boykotts Gesundheitsschädliche Arbeitsbedingun- Erhöhung des Preises für Fleischprodukte gen in einem Tochterunternehmen des Konzerns Art des Boykotts*)
Politischer Boykott einer Fast Food-Kette Ökonomischer Boykott von Fleischprodukten
Operationalisierung der Boykottpartizipation
Anteil des Konsums beim Zielunternehmen an den Gesamtkäufen innerhalb des Sektors
Gruppenvergleich (stark vs. schwach involvierte Boykottteilnehmer)
Stichprobe
743 Konsumenten, USA (Paneldesign, wobei die Mortalität zu einer Stichprobengröße von n = 440 in der letzten Welle führte)
47 Konsumenten, USA
Untersuchungsdesign Panelbefragung im Feld in fünf Wellen Auswertungsmethode Multiple lineare Regression Betroffenheit
(nicht untersucht)
Promotoren
- Wichtigkeit der sozialen Verantwortlichkeit des Unternehmens (+) (nicht untersucht)
Inhibitoren
Befragung im Feld Korrelationsanalyse (nicht untersucht) - Erfolgserwartung (+) - Streben nach Erlösung (+) - Wahrnehmung von Machtlosigkeit (-)
Anmerkungen: Einfluss auf die Boykottpartizipation: (-) negativ; (+) positiv; (n.s.) nicht signifikant. *) vgl. Kap. 2.1.1.3.
46
State-of-the-Art der Boykottforschung
Die Literaturanalyse deckt auf, dass die Betroffenheit als Auslöser der Boykottentscheidung bislang am wenigsten differenziert analysiert wurde (vgl. Abb. 17, S. 47). Einige Studien thematisieren die Verärgerung des Konsumenten (z.B. Tyran/Engelmann 2005), die Animosität gegenüber dem Herkunftsland des Boykottziels (vgl. Ettenson/Klein 2005) oder die Bewertung des Handelns des Unternehmens (vgl. Smith/Cooper-Martin 1997). Der Erkenntnisbeitrag dieser Untersuchungen ist jedoch aufgrund der mangelhaften theoretischen Fundierung und Operationalisierung der Betroffenheit und/oder der Boykottabsicht begrenzt. So begreifen Tyran/Engelmann (2005) die Verärgerung über die wahrgenommene Ungerechtigkeit als möglichen Auslöser, ohne diesen Einflussfaktor jedoch theoretisch herzuleiten oder ihn differenziert zu erfassen. Klein et al. (2004) ziehen die Variable „wahrgenommene Verärgerung“ (‘perceived egregiousness’) heran, um den Auslöser der Boykottabsicht zu erklären. Wie Kap. 3.4.3.3 zeigt, ist jedoch die Inhaltsvalidität der Operationalisierung zweifelhaft. Ein theoretisch fundierter Ansatz zur Analyse der Auslöser der Boykottentscheidung stammt von den Allgemeinpsychologen Nerb/Spada (2001). Die Autoren untersuchen als abhängige Variable jedoch nicht die Teilnahme an einem Konsumentenboykott, sondern lediglich die generelle individuelle Bereitschaft hierzu. Damit liefert auch dieser Ansatz keine validen Befunde zum Einfluss der Betroffenheit auf die Boykottteilnahme. Den Einfluss von Promotoren auf die Boykottbeteiligung untersuchte die Boykottforschung hingegen bereits intensiv. Demnach erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Boykottpartizipation, wenn der Konsument die eigene Boykottteilnahme als wirksam wahrnimmt (z.B. Klein et al. 2002) oder erwartet, dass der Boykott generell erfolgreich sein wird, weil sich viele andere beteiligen (z.B. Sen et al. 2001). Auch der Wunsch, moralisch „richtig“ zu handeln, stärkt den Entschluss zur Boykottpartizipation (z.B. Kozinets/Handelman 1998). Schließlich hängt die Teilnahme davon ab, welche Bedeutung der Konsument sozial verantwortlichem Unternehmenshandeln beimisst (z.B. Miller/Sturivant 1977). Nur drei empirische Beiträge befassen sich damit, was Konsumenten von einer Teilnahme an einem Boykott abhält. Diese identifizieren vor allem die Kosten des eingeschränkten Konsums (inkl. der Präferenz für das zu boykottierende Produkt und den Mangel an Substituten) als Inhibitoren der Boykottpartizipation (vgl. Sen et al. 2001). Zudem sind einige Konsumenten davon überzeugt, dass Boykotte wirkungslos sind
Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung
47
oder sogar die intendierten Zielen konterkarieren (z.B. Klein et al. 2004). Da bereits mehrere theoretische mikro-ökonomische Modelle den Einfluss der Inhibitoren auf die Boykottentscheidung beschreiben (z.B. Rea 1974; John/Klein 2003; Diermeier/van Mieghem 2005), liegen trotz der wenigen empirischen Beiträge umfangreiche Erkenntnisse zu den Inhibitoren vor (vgl. Kap. 3.4.1.3). Die zentralen Befunde der empirischen Studien, die Antezedenzen der Boykottpartizipation analysierten, fasst Abb. 17 zusammen. Abb. 17: Antezedenzen der Boykottpartizipation im Überblick Betroffenheit - Verärgerung über die Handlungen des Unternehmens 2 (+), 3 (+), 4 (+), 6 (+) 8 (-) - Ethische Bewertung des Unternehmenshandelns 1 (+) - Animosität gegenüber dem Herkunftsland Promotoren - Selbstwirksamkeit - Erwartete Wirksamkeit - Erwartete Teilnahme anderer
3 (+), 4 (+) 1 (+), 5 (+), 11 (+) 5 (+)
- Gewissensberuhigung
4 (+), 11 (+)
- Moralische Überlegungen (inkl. Selbstwerterhöhungs- und Konsistenzstreben)
3 (+), 4 (n.s.), 7 (+)
- Bestrafungswunsch
2 (+), 4 (+)
- Wahrnehmung der Konsequenzen - Bedeutung der Reputation des Unternehmens
5 (+)
Individuelle Teilnahme am Konsumentenboykott
9 (+), 10 (+)
Inhibitoren - Kosten der Beschränkung der Konsummöglichkeiten 3 (-) 5 (-) - Präferenz für boykottierte Produkte - Mangel an Substituten
5 (-)
- Gegenargumente (z.B. Bumerang-Effekt)
3 (-)
- Wahrnehmung der Machtlosigkeit
11 (-)
Legende: 1: Ettenson/Klein (2005), 2: Tyran/Engelmann (2005), 3: Klein et al. (2004), 4: Klein et al. (2002), 5: Sen et al. (2001), 6: Nerb/Spada (2001), 7: Kozinets/Handelman (1998), 8: Smith/Cooper-Martin (1997), 9: Belch/Belch (1987), 10: Miller/Sturdivant (1977), 11: Mahoney (1976). Zusammenhang: (+) positiv; (-) negativ; (n.s.) nicht signifikant.
2.2.2.2 Kritische Würdigung Die Literaturübersicht zeigt, dass trotz der geringen Anzahl empirischer Studien zur individuellen Boykottpartizipation bereits eine Vielzahl methodischer Ansätze
48
State-of-the-Art der Boykottforschung
Verwendung findet. So werten Kozinets/Handelman (1998) Online-Postings und -Interviews inhaltsanalytisch aus. Ihr qualitativer Ansatz zeichnet sich durch Realitätsnähe und Unvoreingenommenheit aus. Der überwiegende Teil der Studien ist jedoch dem quantitativen Paradigma zuzuordnen. Hierzu zählen sowohl experimentelle, intern valide Studien (z.B. Sen et al. 2001, Studie 1; Klein et al. 2002), als auch Befragungen im Feld, welche die Teilnahme an einem tatsächlichen Boykott erfassen und sich damit durch eine größere Realitätsnähe auszeichnen (z.B. Klein et al. 2004). Charakteristisch ist die Dominanz von Querschnittsstudien. Zwar führen Ettenson/Klein (2005) im Abstand von einem Jahr zwei Befragungen zu Konsumentenreaktionen auf dasselbe kritische Ereignis durch. Da die beiden Stichproben jedoch unabhängig voneinander gezogen wurden, kann diese Untersuchung nicht als Längsschnittstudie ausgewiesen werden. Die meisten der in Kap. 2.2.2.1 vorgestellten Beiträge basieren auf repräsentativ erhobenen Stichproben. Sieben der elf Untersuchungen stützen sich auf Angaben von Konsumenten (z.B. Miller/Sturdivant 1977; Smith/Cooper-Martin 1997). Die zitierten Laborexperimente werden meist auf Basis studentischer Stichproben durchgeführt (z.B. Nerb/Spada 2001; Tyran/Engelmann 2005). Die in den Studien untersuchten Auslöser des Boykotts variieren stark: Drei Studien analysieren ökonomische Boykotte, die aufgrund einer als ungerechtfertigt erachteten Preissteigerung ausgerufen wurden. Mehrheitlich befassen sich die Beiträge jedoch mit politisch bzw. ethisch motivierten Boykotten. Die bisherigen Untersuchungen decken damit eine breite Auswahl der von Friedman (1999) identifizierten Auslöser ab (vgl. Kap. 2.1.1.3). Auch für die Operationalisierung der abhängigen Variablen werden verschiedene Ansätze vorgeschlagen. Einige Autoren erfassen das tatsächliche Verhalten des Konsumenten, d.h. die Teilnahme an einem realen Boykott (vgl. Sen et al. 2001, Studie 2; Klein et al. 2004). Andere erfragen die Teilnahmewahrscheinlichkeit an einem fiktiven Boykott (vgl. Sen et al. 2001, Studie 1). In zwei Beiträgen wählen die Autoren die Known Group-Methode und vergleichen Aktivisten mit einer Kontrollgruppe (vgl. Belch/Belch 1987) bzw. stark mit schwach involvierten Boykotteuren (vgl. Mahoney 1976). Nerb/Spada (2001) beziehen sich weder auf einen realen noch auf einen fiktiven Boykott. Sie erfassen nur die grundsätzliche individuelle Boykottbereitschaft. Fragwürdig ist die Operationalisierung der abhängigen Variable im Rahmen der La-
Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung
49
boruntersuchungen von Tyran/Engelmann (2005): Die Probanden geben vor jedem Durchgang eines Mehrrundenspiels in einem Referendum an, ob sie boykottieren werden. Das Spiel basiert auf der unrealistischen Annahme, dass ein Boykott stattfindet, wenn mehr als die Hälfte der Befragten angeben, keine Produkte des Unternehmens mehr zu kaufen. Der Studienüberblick verdeutlicht, dass Einflussgrößen der individuellen Boykottpartizipation meist hypothesengeleitet analysiert wurden. Acht der elf Beiträge basieren ex ante auf einem theoretischen Fundament (vgl. Tab. 1). Kozinets/Handelman (1998) verfolgen einen qualitativ-entdeckenden Ansatz und bieten Post hocErklärungen für die identifizierten Motivatoren der Boykottpartizipation. Damit sind lediglich die Ansätze von Miller/Sturdivant (1977) und Smith/Cooper-Martin (1997) atheoretisch. Tab. 1: Art der theoretischen Fundierung der Boykottforschung auf der Mikroebene Antezedenz
Anzahl der Studien
theoretische Fundierung ex ante
post hoc
keine
Betroffenheit Promotoren Inhibitoren
6 9 3
4 7 3
1
2 1
Gesamt
11
8
1
2
Um die individuelle Boykottpartizipation zu erklären, stützen sich Autoren bislang insb. auf Kosten-Nutzen-Überlegungen sowie Theorien zum kollektiven Handeln, die sowohl in der Mikro-Ökonomie (z.B. Olson 1965) als auch in der Sozialpsychologie (z.B. van Lange et al. 1992) diskutiert werden. Aus dieser Nachbardisziplin werden zudem Theorien zum prosozialen Verhalten (z.B. Dovidio et al. 1991), Theorien des Selbst (z.B. Baumeister 1998) und der Selbstwirksamkeit (z.B. Bandura 1986) herangezogen. Neuere Beiträge verbinden die ökonomische Kosten-Nutzen-Kalkulation mit sozialpsychologischen Erklärungsansätzen (z.B. Sen et al. 2001; Klein et al. 2004). Nerb/Spada (2001) stützen ihre Studie auf die im Kontext der Allgemeinen Psychologie entwickelte Appraisal-Theorie (vgl. Roseman et al. 1996). Ihr Beitrag verfolgt jedoch nicht das primäre Ziel, Boykottverhalten von Konsumenten zu analysieren. Vielmehr dient er einer allgemeinpsychologischen Analyse von Handlungsreaktionen auf verschiedene Emotionen. Vermutlich fand ihre Untersuchung deshalb bislang noch keine Beachtung in der wirtschaftswissenschaftlichen Boykottliteratur. Lediglich das
50
State-of-the-Art der Boykottforschung
Animositätsmodell (vgl. Klein et al. 1998), das Ettenson/Klein (2005) ihrer Untersuchung zugrunde legen, kann als theoretischer Beitrag des Marketing angesehen werden (vgl. Abb. 18). Abb. 18: Spektrum der theoretischen Erklärungsansätze Quelle (Bsp.)
Empirische Untersuchung (Bsp.)
Mikro-Ökonomie Theorie des Kollektiven Handelns
Olson (1965)
Sen et al. (2001)
Sozialpsychologie Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell Theorie der Selbstwirksamkeit Theorie des Selbst Referenzgruppen-Theorie Funktionale Einstellungs-Theorie Abgrenzungs-Theorie
Pilivian et al. (1969) Bandura (1986) Baumeister (1998) Hyman/Singer (1968) Katz (1960) Keniston (1965)
Klein et al. (2004) Klein et al. (2004) Klein et al. (2002) Sen et al. (2001) Belch/Belch (1987) Mahoney (1976)
Allgemeine Psychologie Appraisal-Theorie
Roseman et al. (1996)
Nerb/Spada (2001)
Marketing Animositäts-Modell
Klein et al. (1998)
Ettenson/Klein (2005)
Theorie
Zusammenfassend zeigt sich, dass die meisten empirischen Beiträge einzelne Einflussgrößen der Boykottpartizipation aus jeweils einer theoretischen Perspektive analysieren. Die vorgeschlagenen Modelle sind damit Partialtheorien der individuellen Boykottteilnahme, welche dazu bestimmt sind, die Wirkung einer begrenzten Anzahl von Antezedenzen zu erklären. Eine umfassende Theorie der Boykottteilnahme wurde bisher noch nicht vorgeschlagen. Zwar bieten John/Klein (2003) einen integrativen Ansatz, indem sie in ihrem theoretischen Beitrag mikro-ökonomische und sozialpsychologische Modelle verbinden. Die untersuchten Einflussgrößen werden jedoch zu einem mathematischen Modell verknüpft, ohne dieses theoretisch zu begründen, so dass dieser Ansatz zwar vergleichsweise umfassend, zugleich aber eklektizistisch ist. Klein et al. (2004) schließlich entwickelten, aufbauend auf den von John/Klein (2003) genannten Faktoren den bislang umfassendsten empirisch geprüften Ansatz, der mehrere Partialtheorien einschließt (vgl. Kap. 2.2.3). Dieser wird im Folgenden ausführlicher dargestellt.
Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung
51
2.2.3 Modell von Klein et al. (2004): Ein Meilenstein der Boykottforschung Die vorliegende Arbeit knüpft insb. an die Untersuchung von Klein et al. (2004) zur Boykottmotivation an. Gegenstand dieser im Journal of Marketing publizierten Studie ist ein Boykott eines europäischen Lebensmittelkonzerns, zu dem dessen Mitarbeiter aufriefen nachdem das Management angekündigt hatte, zwei Werke schließen und in diesem Zusammenhang zahlreiche Beschäftigte entlassen zu wollen. Die Autoren analysieren, was Konsumenten dazu bewegt, sich an einem solchen Boykott zu beteiligen. Als theoretische Basis der Studie dienen der Kosten-Nutzen-Ansatz sowie Annahmen zum kollektiven Handeln (vgl. Blais 2001). Eine Boykottteilnahme wird als Hilfeverhalten interpretiert, weshalb die Autoren auch die sozialpsychologische Literatur zum prosozialen Verhalten berücksichtigen (vgl. Dovidio et al. 1991). Klein et al. (2004, S. 93) postulieren, dass die wahrgenommene Verärgerung (in der Originalstudie als ‘perceived egregiousness’ bezeichnet) die Boykottentscheidung beeinflusst. Ein Konsument, der das Verhalten eines Unternehmens als falsch, unmoralisch oder verantwortungslos einstuft, ist demnach eher geneigt zu boykottieren als ein Konsument, der mit der Unternehmenspolitik zufrieden ist. Das Modell umfasst weitere Einflussgrößen, welche die Boykottabsicht stärken oder hemmen. Hierzu zählt die Selbstwirksamkeit (vgl. Bandura 1986), d.h. die Annahme, durch die individuelle Teilnahme am Boykott auf das Verhalten des Unternehmens einwirken zu können. Auch das Streben nach Selbstwerterhöhung fördert die Boykottbeteiligung (vgl. Baumeister 1998). Gemindert wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Individuum am Boykott beteiligt, durch Gegenargumente, wie die Annahme, der eigene Beitrag sei zu gering, um vom Unternehmen wahrgenommen zu werden (Small Agent-Problem). Die Vermutung, dass der Boykott keine Erfolgsaussichten hat, weil sich nicht genügend andere Personen anschließen, hemmt dieser Studie zufolge ebenfalls die Teilnahme. Gleiches gilt für die Annahme, dass die Protestaktion kontraproduktiv ist und die negativen Handlungen des Unternehmens sogar verstärkt (z.B. zusätzliche Entlassungen aufgrund sinkender Umsätze). Schließlich spielen die Kosten des Konsumverzichts eine bedeutende Rolle. Wer sich aufgrund seiner Teilnahme an einem Boykott in seiner Konsumfreiheit eingeschränkt sieht, hofft darauf, dass die Masse der anderen Boykotteure bereits ausreicht, um das Unternehmen zu einer Änderung des kritisierten Verhaltens zu bewegen.
52
State-of-the-Art der Boykottforschung
Die Autoren postulieren, dass die Faktoren Selbstwirksamkeit, Streben nach Selbstwerterhöhung, Gegenargumente und eingeschränkter Konsum den Einfluss der wahrgenommenen Verärgerung auf die Boykottbeteiligung moderieren. Eine multiple lineare Regression bestätigt allerdings nur zwei der vier Moderatoreffekte (vgl. Abb. 19). Abb. 19: Modell der Boykottbeteiligung von Klein et al. (2004) wahrgenommene Verärgerung ,10*** Selbstwirksamkeit ,09*** Streben nach Selbstwerterhöhung
n.s.
,07***
,02*
-,09***
n.s.
Gegenargumente Kosten des Konsumverzichts -,10***
-,07**
Geschlecht ,07* Erhebungszeitpunkt
R² = ,47 Boykottbeteiligung
,10*** Anmerkungen: Multiple lineare Regression: *** p ,001; ** p ,01; * p ,05; n.s.: nicht signifikant. R²: Bestimmtheitsmaß.
Quelle: In Anlehnung an Klein et al. (2004, S. 103, Modell A).
Neben den genannten theoretisch fundierten Einflussfaktoren belegen die Autoren eine höhere Boykottbeteiligung weiblicher Konsumenten, die sie post hoc mit dem stärkeren Involvement der Frauen beim Kauf von Lebensmitteln erklären (vgl. Sozialisationsmodell; Kap. 2.2.1; Micheletti 2003a). Ferner zeigt sich, dass Probanden, die zu einem späteren Zeitpunkt befragt wurden, mit höherer Wahrscheinlichkeit boykottieren. Die Autoren vermuten, dass der Erhebungszeitpunkt eine Proxy-Variable für die wahrgenommene Erfolgswahrscheinlichkeit des Boykotts darstellt: Je später eine Person den Fragebogen ausfüllte, desto besser konnte sie einschätzen, inwiefern der Boykott erfolgreich sein würde und ob es aussichtsreich ist, sich daran zu beteiligen. Der Ansatz von Klein et al. (2004) weist einige Limitationen auf. Aus methodischer Sicht muss bemängelt werden, dass die Autoren für alle untersuchten Konstrukte Indizes bilden und anschließend lineare Regressionsanalysen berechnen. Eine Strukturgleichungsanalyse mit latenten Variablen wäre diesem Verfahren insofern überle-
Mikroperspektive: Boykottpartizipation als individuelle Handlung
53
gen, als sie eine simultane Kontrolle der Reliabilität der Messmodelle ermöglicht. Konzeptionell ist gegen das Modell einzuwenden, dass das Konstrukt Gegenargumente falsch spezifiziert ist. Wie in Kap. 5.1.2 erläutert, wäre eine formative Spezifikation angebracht. Besonders kritisch zu betrachten aber ist die irreführende Etikettierung des Konstrukts „wahrgenommene Verärgerung“ (‘perceived egregiousness’), was zu Lasten der Inhaltsvalidität geht. Wie in Kap. 3.4.3 argumentiert wird, erfassen die Indikatoren nicht die wahrgenommene Verärgerung, sondern das Vertrauen in das Handeln des Managements. Dies hat zur Folge, dass in dem vorgeschlagenen Modell nicht berücksichtigt wird, weshalb ein Konsument reflektiert, ob er die Produkte eines Unternehmens boykottieren sollte oder nicht. 2.2.4 Forschungsdefizite Betrachtet man den in Kap. 2.2.2 vorgestellten Studienüberblick sowie die Erkenntnisse von Klein et al. (2004), so zeigt sich, dass die Forschung zur individuellen Boykottbeteiligung trotz der geringen Anzahl empirischer Beiträge auf einer Vielzahl theoretischer Erklärungsansätze fußt und sich unterschiedlicher Methoden bedient. Dieser Pluralismus ist grundsätzlich positiv zu bewerten, da der Untersuchungsgegenstand damit aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird. Zugleich macht der Überblick jedoch auch bedeutsame Schwächen der bisherigen Boykottforschung deutlich: x Es fehlt ein theoretischer Rahmen, der die beschriebenen Erkenntnisse integriert. Die bisherige Fundierung einzelner Befunde auf Basis von Partialtheorien hat eine Fragmentierung des Forschungsfelds zur Folge. Zwar verfolgen John/Klein (2003) bereits einen integrativen Ansatz, doch liegt bislang noch keine Studie vor, welche die Betroffenheit des Konsumenten sowie Promotoren und Inhibitoren der Boykottteilnahme gemeinsam analysiert. x Kosten und Nutzen bzw. Promotoren und Inhibitoren der Boykottteilnahme wurden bereits mehrmals empirisch untersucht. Offen hingegen ist, was Konsumenten dazu veranlasst, eine Beteiligung an einem Boykott in Betracht zu ziehen und Kosten und Nutzen dieser Entscheidung gegeneinander abzuwägen. Vermutlich ist die eigene Betroffenheit der Auslöser des Abwägungsprozesses. Die vorliegende Arbeit schlägt ein Modell der individuellen Boykottteilnahme vor, das sich als integratives Rahmenmodell für die weitere Boykottforschung eignet. Die genannten Einflussgrößen werden theoretisch in ein umfassenderes Modell der Boy-
54
State-of-the-Art der Boykottforschung
kottpartizipation auf der Makro- und der Mikroebene eingebettet. Vor allem aber widmet sich die Arbeit der Analyse der Betroffenheit des Konsumenten als Auslöser der bewussten Konsumentscheidung. Hierfür werden die Konstrukte objektive und affektive Betroffenheit eingeführt.
3 Modell der individuellen Boykottpartizipation 3.1 Rahmenmodell Smith (1987, S. 17) stellt auf Basis von Plausibilitätsüberlegungen eine einfache These auf: Konsumenten boykottieren, wenn sie betroffen, motiviert und dazu fähig sind. Ein Konsument ist dann betroffen, wenn er das Verhalten eines Unternehmens als sozial unverantwortlich wahrnimmt und diesem eine gewisse Bedeutung für sich beimisst. Um an einem Boykott teilzunehmen, muss er zudem motiviert sein, seine Kaufentscheidung bewusst dafür einzusetzen, das Handeln des Unternehmens zu ändern. Schließlich muss er fähig sein, am Boykott zu partizipieren. Beispielsweise muss er auf das zu boykottierende Produkt verzichten oder dieses durch Substitute ersetzen können. Die vorliegende Arbeit greift diese Annahme auf. Da Smith (1987) selbst weder die theoretische Grundlage seiner These diskutiert noch die Einflussfaktoren der Boykottteilnahme empirisch prüft, wird im Folgenden zunächst ein theoretisch begründetes Rahmenmodell aufgestellt. Dieses Modell der individuellen Boykottpartizipation leitet sich aus dem Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell des prosozialen Verhaltens ab (vgl. Dovidio et al. 1991; Kap. 3.1.2). Damit lassen sich Zusammenhänge zwischen den drei oben genannten Einflussgrößen erklären, wobei die Betroffenheit der Aktivierung und die Motivation dem subjektiven Nutzen entspricht. Mangelnde Fähigkeiten korrespondieren mit den Kosten der Boykottteilnahme. Obwohl das aufgestellte Modell einen Kosten-Nutzen-Vergleich einschließt, versteht die vorliegende Untersuchung die Boykottentscheidung nicht im Sinne des strengen Rational-Choice-Ansatzes (z.B. Frey 1990). Ausgehend vom Konzept der subjektiven Rationalität (vgl. Edwards 1954; Diekmann/Voss 2004), wird vielmehr angenommen, dass der Konsument seine Entscheidung nicht ausschließlich auf Basis objektiver, materieller Kriterien fällt, sondern auch subjektive Faktoren, wie das Streben nach Selbstwerterhöhung, einfließen. Diese Annahme liegt auch verschiedenen sozialpsychologischen Modellen zur Erklärung von Verhaltensintention im Allgemeinen (z.B. Theorie des geplanten Verhaltens von Ajzen 1991) und prosozialem Verhalten im Besonderen zugrunde (z.B. Norm-Aktivierungs-Modell von Schwartz 1977 oder Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell von Dovidio et al. 1991). Um der Subjektivität
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Modell der individuellen Boykottpartizipation
der Kosten- und der Nutzen-Komponenten der Boykottbeteiligung Ausdruck zu verleihen, werden diese als Inhibitoren und Promotoren bezeichnet (vgl. Abb. 20). Abb. 20: Rahmenmodell der individuellen Boykottpartizipation Aktivierung
Subjektiver Kosten-Nutzen-Vergleich
Betroffenheit (Kap. 3.2)
Promotoren (Kap. 3.3)
Inhibitoren (Kap. 3.4)
- Objektive Betroffenheit - Affektive Betroffenheit
- Streben nach Selbstwerterhöhung - Kontrollüberzeugung
- Soziales Dilemma - Ethnozentrismus - Vertrauen in das Management - Reputation
Verhalten
Boykottpartizipation
Im Folgenden wird zunächst begründet, weshalb die vorliegende Arbeit die Boykottteilnahme als eine Form des prosozialen Verhaltens betrachtet. Anschließend wird ausführlich erläutert, wie sich das Rahmenmodell aus dem Aktivierungs-KostenNutzen-Modell des prosozialen Verhaltens von Dovidio et al. (1991) ableitet. Darauf aufbauend werden theoretische Ansätze diskutiert, welche den Einfluss der drei Bedingungen Betroffenheit (vgl. Kap. 3.2), Promotoren (vgl. Kap. 3.3) und Inhibitoren (vgl. Kap. 3.4) auf die individuelle Boykottteilnahme erklären. 3.1.1 Boykott als prosoziales Verhalten Als prosoziales Verhalten werden Handlungen bezeichnet, mit denen eine Person andere unterstützt, ohne davon ausgehen zu können, dafür adäquat belohnt bzw. entschädigt zu werden (vgl. Thomas 1991, S. 108). Wenn Boykotteure (z.B. moralisch motivierte Konsumenten in den Industrienationen) nicht selbst von einem erfolgreichen Boykott (z.B. Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in einem so genannten Sweat-Shop in einem Niedriglohnland) profitieren, so handeln sie prosozial. Doch auch wenn ein Teilnehmer selbst von einer durch den Boykott erzwungenen Verhaltensänderung des Zielobjekts einen Nutzen zieht, ist seine Unterstützung der Protestaktion prosozial. Rein utilitaristische Abwägungen müssen den rationalen Verbraucher dazu bewegen, weiterhin zu konsumieren und darauf zu hoffen, dass er als Trittbrettfahrer von dem von anderen durchgesetzten Boykotterfolg profitieren
Rahmenmodell
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kann (vgl. John/Klein 2003). Denn die individuellen Kosten der Boykottteilnahme können erheblich sein, wenn das Individuum auf ein favorisiertes Produkt verzichten muss und keine adäquaten Substitute zur Verfügung stehen. In vielen Fällen übersteigen somit die individuellen Kosten den Nutzen für das Individuum (vgl. Diermeier/van Mieghem 2005). Das Kollektiv der Boykottsympathisanten profitiert hingegen von der Teilnahme des Einzelnen. Demzufolge muss die Boykottpartizipation meist auch dann als prosozial angesehen werden, wenn der Konsument selbst vom Erfolg des Boykotts profitiert. 3.1.2 Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell des prosozialen Verhaltens Begreift man die individuelle Boykottpartizipation als prosoziales Verhalten, so bietet das Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell (‘arousal: cost-benefit model’; vgl. Dovidio et al. 1991) einen geeigneten Rahmen, um dieses Verhalten zu erklären. Die Sozialpsychologen Piliavin et al. (1969) schlugen dieses Modell ursprünglich vor, um Hilfeverhalten in Notfällen zu erklären. Der Geltungsbereich des Ansatzes wurde im Laufe der letzten Jahrzehnte auf Hilfeverhalten im Allgemeinen erweitert (vgl. Piliavin et al. 1981; Dovidio et al. 1991; Schroeder et al. 1995). Wie Fritzsche et al. (2000, S. 562) berichten, wurde das Modell bereits in mehreren hundert Studien empirisch bestätigt (z.B. Piliavin 1975; Otten et al. 1988). Das Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell erklärt Hilfeverhalten mittels zweier konzeptionell unterschiedlicher Komponenten: Die physiologische und die affektive Aktivierung auf der einen Seite sowie der kognitive Vergleich antizipierter Kosten und Nutzen des Hilfeverhaltens auf der anderen Seite (vgl. Abb. 21, S. 58). Eine Person wird aktiviert, wenn sie beobachtet, dass sich eine andere Person in einer problematischen Situation befindet (vgl. Vaughan/Lanzetta 1981; Batson 1987). Aktivierung ist zunächst eine physiologische Reaktion, die gemäß den kognitiven Emotionstheorien (vgl. Reisenzein et al. 2003) durch eine kognitive Bewertung zu einem affektiven Zustand führt. Dieser wird als unangenehm empfunden. Der Wunsch, diesen aversiven Zustand zu reduzieren, stellt die grundlegende motivationale Komponente des Modells dar. Da dem Hilfeverhalten der Wunsch zugrunde liegt, das eigene Unbehagen zu reduzieren, kann man es auch als egoistisch motiviert betrachten (vgl. Cialdini et al. 1987).
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Modell der individuellen Boykottpartizipation
Der Grad der Aktivierung hängt von der wahrgenommenen Schwere und der Dauer der Hilfsbedürftigkeit ab. Zudem spielen die physische und die psychische Nähe des Beobachters zum Hilfsbedürftigen eine bedeutende Rolle. Je stärker der Beobachter aktiviert ist, desto unangenehmer empfindet er seinen Zustand (vgl. Eisenberg/Miller 1987; Cramer et al. 1988; Eisenberg et al. 1989). Wie einschlägige Metaanalysen belegen, steigt damit auch die Motivation, die Aktivierung zu reduzieren (vgl. Dovidio 1984; Dovidio et al. 1991, S. 90). Abb. 21: Grundstruktur des Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modells Aktivierung (affektive Komponente) Hilfeleistung bzw. alternative Verhaltensweise (konative Komponente) Kosten-Nutzen-Vergleich (kognitive Komponente)
Quelle: In Anlehnung an Dovidio et al. (1991, S. 88).
Eine Person kann den Grad der Aktivierung reduzieren, indem sie Maßnahmen ergreift, welche den Zustand des Hilfsbedürftigen verbessern. Handelt es sich nicht um einen akuten Notfall, bei dem die Person impulsiv Hilfe leistet, so wägt sie die antizipierten Kosten und Nutzen verschiedener Interventionen ab, bevor sie handelt (vgl. Piliavin et al. 1981). Präferiert wird jene Handlung, welche die Aktivierung möglichst schnell und stark reduziert und möglichst wenig „kostet“ (vgl. Dovidio 1984; Edelmann et al. 1984). Dovidio et al. (1991, S. 91ff.) nennen zwei Arten von Kosten, welche in ein derartiges Kalkül einfließen: x Kosten der Hilfeleistung: Hierzu zählen u.a. Zeit, Aufwand (vgl. Darley/Batson 1973) und monetäre Aufwendungen (vgl. Bleda et al. 1976). x Kosten unterlassener Hilfeleistung: Wer keine Hilfe leistet, wird auch das als unangenehm empfundene Mitgefühl mit dem Hilfsbedürftigen nicht reduzieren. Kosten entstehen somit durch die andauernde empathische Erregung sowie durch Selbstvorwürfe und öffentliche Beschuldigungen. Zudem erfährt das Individuum weder das positive Gefühl der Selbstwirksamkeit noch Belohnungen aus dem sozialen Umfeld (vgl. Deutsch/Lamberti 1986; Smith et al. 1989).
Betroffenheit als Auslöser
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Sind sowohl die Kosten des Helfens als auch die Kosten unterlassener Hilfeleistungen hoch, fällt eine Verhaltensprognose besonders schwer. In diesem Fall können kognitive Prozesse (wie die Umdeutung der Situation) helfen, eine Intervention zu vermeiden, ohne die Kosten der unterlassenen Hilfeleistung auf sich nehmen zu müssen. Beispielhaft sei das durch zahlreiche empirische Studien belegte Phänomen der Verantwortungsdiffusion genannt. Wenn viele potenzielle Helfer in Frage kommen, neigen die meisten Menschen dazu, die Verantwortung zum Handeln anderen zuzuschreiben (vgl. Latané/Darley 1968). Die vorliegende Arbeit überträgt das Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell auf die Boykottforschung und schlägt ein Modell vor, welches die Komponenten Betroffenheit (als Form der Aktivierung) sowie Inhibitoren (d.h. subjektive Kosten) und Promotoren (d.h. subjektive Nutzen) der Boykottteilnahme einschließt. Dieses Modell der individuellen Boykottpartizipation postuliert, dass der Konsument zunächst aufgrund einer Form der als unangenehm erlebten Betroffenheit eine Boykottteilnahme überhaupt in Erwägung zieht. Er prüft, inwiefern diese Reaktion geeignet ist, die als unangenehm empfundene Betroffenheit zu reduzieren, und wägt subjektive Kosten und Nutzen der Teilnahme ab. In den folgenden Kapiteln werden die theoretischen Grundlagen einzelner Komponenten dieses Ansatzes ausführlich beschrieben.
3.2 Betroffenheit als Auslöser 3.2.1 Konzeptionalisierung der objektiven und der affektiven Betroffenheit Die vorliegende Studie postuliert, dass Konsumenten, die von einem als sozial unverantwortlich erlebten Handeln eines Unternehmens betroffen sind, sich mit größerer Wahrscheinlichkeit an einem Boykott beteiligen als nicht betroffene Personen. Bevor diese Hypothese theoretisch begründet wird, wird das Konstrukt Betroffenheit konzeptionell eingeführt. Dem Begriff Betroffenheit lassen sich in der deutschen Sprache verschiedene Bedeutungen zuordnen. x Zum einen beschreibt er die objektive Tatsache, dass sich ein Ereignis oder eine Situation direkt auf eine Person auswirkt. So ist eine Person, die ihren Arbeitsplatz
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Modell der individuellen Boykottpartizipation
aufgrund des Ereignisses „Werksschließung“ verliert, real betroffen. Uebersax (1991, S. 83) spricht in diesem Zusammenhang von „Betroffensein“. x Zum anderen bezeichnet der Begriff Betroffenheit Emotionen, die durch eine bestimmte Situation ausgelöst werden. Diese können als Anteilnahme und Bestürzung beschrieben werden (vgl. Häcker/Stapf 2004, S. 132). Der Duden nennt zudem Gefühlszustände wie „Beklommenheit“, „Bekümmertheit“ oder „sich innerlich bewegt fühlen“ als sinnverwandte Ausdrücke (vgl. o.V. 2004, S. 207). Um die beiden Formen von Betroffenheit konzeptionell abgrenzen zu können, wird im Folgenden zwischen objektiver und affektiver Betroffenheit differenziert. Das Konstrukt objektive Betroffenheit beschreibt, in welcher Beziehung der Konsument zu dem als sozial unverantwortlich beurteilten Verhalten des Unternehmens (z.B. Werksschließung) steht. Dabei unterscheidet die vorliegende Arbeit zwischen x persönlicher Betroffenheit (z.B. der Konsument verliert seine Arbeitsstelle), x sozialer Betroffenheit (z.B. ein Familienmitglied des Konsumenten verliert seine Arbeitsstelle) und x räumlicher Betroffenheit (z.B. Konsument wohnt in der Nähe des zu schließenden Werks). Die affektive Betroffenheit beschreibt hingegen das Ausmaß, inwieweit sich eine Person vom nicht gebilligten Verhalten eines Unternehmens innerlich bewegt fühlt (vgl. Abb. 22). Abb. 22: Formen der Betroffenheit Betroffenheit
Beschreibung
Objektive Betroffenheit - Persönliche Betroffenheit
Individuum ist selbst von den als unverantwortlich empfundenen Handlungen des Unternehmens betroffen.
- Soziale Betroffenheit
Individuum steht persönlich Betroffenen nahe (Familie, Freunde und Bekannte).
- Räumliche Betroffenheit
Individuum wohnt in räumlicher Nähe zu persönlich betroffenen Personen.
Affektive Betroffenheit
Individuum fühlt sich innerlich bewegt, weil es objektiv betroffen ist und/oder dem als unverantwortlich empfundenen Verhalten große Bedeutung beimisst.
Bisher wurde das Konstrukt Betroffenheit vor allem im Rahmen der Forschung zum umweltschützenden Konsumentenverhalten diskutiert. Ein Literaturüberblick von
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Fransson/Gärling (1999) zeigt, dass die persönliche Betroffenheit, d.h. die Wahrnehmung, dass die eigene Gesundheit bedroht ist, das Ausmaß umweltfreundlichen Verhaltens steigert. Auch neuere Untersuchungen belegen die Verhaltensrelevanz von persönlicher Betroffenheit (vgl. Corbett 2005). Baldassare/Katz (1992) zufolge kann dieses Konstrukt umweltfreundliches Verhalten besser vorhersagen als demographische Merkmale wie Alter, Bildung und Einkommen sowie politische Einstellungen des Konsumenten. Maloney/Ward (1973) konzeptionalisieren Betroffenheit (die sie in ihrer englischsprachigen Studie als ‘affect’ bezeichnen) als affektive Reaktion von Individuen auf Umweltzerstörung. Sie erfasst den Grad, in dem das Wissen über ökologische Schäden eine Person emotional bewegt. Die Autoren weisen einen statistisch signifikanten, positiven Zusammenhang des Konstrukts mit umweltschützendem Verhalten nach. Grob (1995) zeigt, dass die Konstrukte persönlich-philosophische Werthaltung und affektive Betroffenheit das Umweltverhalten stärker beeinflussen als Umwelteinstellung und Kontrollüberzeugung. 3.2.2 Einfluss der Betroffenheit auf die Boykottpartizipation Die zuvor zitierten Studien belegen, dass die Konstrukte objektive Betroffenheit und affektive Betroffenheit zur Erklärung umweltweltschützenden Verhaltens beitragen. Im Folgenden werden Annahmen zum Einfluss der Konstrukte auf die Boykottpartizipation diskutiert. Dabei wird dieser Zusammenhang, je nach Art der objektiven Betroffenheit, unterschiedlich erklärt: x Persönliche Betroffenheit (vgl. Kap. 3.2.2.1): Die kognitive Emotionstheorie von Lazarus (1991) und die FrustrationsAggressions-Hypothese von Dollard et al. (1939) leisten einen signifikanten Beitrag zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen objektiv-persönlicher und affektiver Betroffenheit sowie den daraus entstehenden Handlungstendenzen (z.B. Teilnahme an einem Boykott). x Soziale und räumliche Betroffenheit (vgl. Kap. 3.2.2.2): Dass auch soziale und räumliche Betroffenheit die affektive Betroffenheit und die Wahrscheinlichkeit der Boykottteilnahme steigert, lässt sich mit Hilfe der Theorie der sozialen Identität von Tajfel/Turner (1986) erklären.
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x Keine objektive Betroffenheit (vgl. Kap. 3.2.2.3): Schließlich bietet das Norm-Aktivierungs-Modell von Schwartz (1977) eine Erklärung dafür, weshalb ein als unverantwortlich eingestuftes Handeln eines Unternehmens auch bei Personen, die objektiv nicht betroffen sind, affektive Betroffenheit sowie die Bereitschaft, sich am Boykott zu beteiligen, hervorrufen kann.
3.2.2.1 Persönliche Betroffenheit 3.2.2.1.1 Kognitive Emotionstheorie Die Appraisal-Theorien (z.B. Weiner 1986; Frijda et al. 1989; Roseman et al. 1996) vermögen zu erklären, unter welchen Umständen Personen, die persönlich von einem als sozial unverantwortlich beurteilten Verhalten eines Unternehmens betroffen sind, an einem Boykott der Produkte dieses Unternehmens teilnehmen. Dies wird im Folgenden anhand der kognitiven Emotionstheorie von Lazarus (1991), die eine Weiterentwicklung von Lazarus’ (1966) Stresstheorie darstellt, erläutert. Demnach beeinflusst die kognitive Bewertung (‘appraisal’) einer Situation oder eines Ereignisses (z.B. Verlust des eigenen Arbeitsplatzes wegen einer Werksschließung) die Art der affektiven Reaktion (z.B. Ärger, Freude). Diese wiederum kann eine Verhaltenstendenz (z.B. Boykottpartizipation) auslösen. Bei den folgenden Erläuterungen wird die tatsächliche Beziehung eines Individuums zu einem Ereignis als „persönliche Betroffenheit“ beschrieben. Die „affektive Betroffenheit“ erfasst die aus dem Bewertungsprozess resultierende Emotion (z.B. Verärgerung). Das Boykottverhalten steht schließlich für eine mögliche Verhaltenstendenz (vgl. Abb. 23). Abb. 23: Boykottpartizipation als Folge persönlicher Betroffenheit Situation
Kognition
Emotion
Konation
Persönliche Betroffenheit
Bewertung des Ereignisses
Affektive Betroffenheit
Verhaltenstendenz
z.B. Arbeitsplatzverlust bei Werksschließung
z.B. Bedeutsamkeit, Zielkongruenz
z.B. Verärgerung, Bestürzung
z.B. Bereitschaft zur Boykottpartizipation
Der kognitiven Emotionstheorie (vgl. Lazarus 1991) zufolge, setzt sich der kognitive Bewertungsprozess aus mehreren Komponenten zusammen. Je mehr ein Ereignis Einfluss darauf nimmt, ob eine Person ihre Ziele erreicht, desto stärker reagiert sie emotional auf dieses Ereignis. Wenn sie erkennt, dass sie dank des Ereignisses, ihre
Betroffenheit als Auslöser
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Ziele besser verwirklichen kann, entstehen positive Gefühle. Steht das Ereignis (z.B. Werksschließung) den Zielen der Person im Wege, so löst dies negative Emotionen aus. Die Person wird die emotionale Reaktion umso stärker erleben, je höher sie die Wahrscheinlichkeit einschätzt, dass ein antizipiertes Ereignis eintritt und je früher dieses eintreten wird. Abgeleitet aus Lazarus’ (1966) Stresstheorie postuliert der Autor ferner, dass die Art der emotionalen Reaktion auch davon abhängt, wie die Person ihr Potenzial einschätzt, mit der Situation umzugehen (z.B. die Stress auslösende Situation zu bewältigen; ‘coping’). Diese Einschätzung ist jedoch nicht bei allen Emotionen gleichermaßen relevant (z.B. Freude). Schließlich hängen Art und Stärke der emotionalen Reaktion der Person davon ab, ob das Ereignis selbst- oder fremdverschuldet ist. Nimmt sie an, dass sie selbst für ein unerwünschtes Ereignis verantwortlich ist, so reagiert sie im Normalfall mit Scham. Ärger und Aggression entstehen, wenn sie das Verschulden einem externen Einfluss (z.B. der Unternehmensleitung) zuschreibt (vgl. Lazarus 1991; 1993, S. 14ff.; Reisenzein et al. 2003, S. 79ff.). Der kognitiven Emotionstheorie zufolge können Emotionen Verhaltenstendenzen auslösen. Als Folge der für die vorliegende Arbeit bedeutsamen Emotion Ärger hegt das Individuum den Wunsch, die Quelle des Ärgers zu „attackieren“ (vgl. Lazarus 1991, S. 226; Lerner/Keltner 2001; Reisenzein et al. 2003). Ein kürzlich veröffentlichter Beitrag der Beschwerdeforschung belegt dies. Wie Bonifield/Cole (2007) zeigen, ärgern sich Kunden über einen Dienstleistungsanbieter, wenn sie diesen für bestehende Mängel verantwortlich machen. Und Ärger löst die Absicht aus, Vergeltung zu üben. Im Nachkaufverhalten äußert sich dies durch aggressive Beschwerden, negative Mund-zu-Mund-Propaganda oder dem Beharren auf einem Preisnachlass. Dass diese Erklärung auch für die Boykottforschung relevant ist, weisen die Allgemeinpsychologen Nerb/Spada (2001) experimentell nach. Ärgert sich eine Person über sozial unverantwortliches Handeln eines Unternehmens, ist sie in verstärktem Maße bereit, dessen Produkte zu boykottieren.
3.2.2.1.2 Frustrations-Aggressions-Hypothese Wie im vorhergehenden Kapitel erläutert, ist eine verärgerte Person motiviert, sich in aggressiver Weise gegen denjenigen zu wenden, dem sie die Verantwortung für die Ursache dieses Ärgers zuschreibt. Während die kognitive Emotionstheorie vor allem die Entstehung von Verärgerung durch die kognitive Bewertung eines Ereignisses
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Modell der individuellen Boykottpartizipation
beschreibt, vermag die Frustrations-Aggressions-Hypothese von Dollard et al. (1939) zu erklären, wann Ärger aggressives Verhalten auslöst. Aggression bezeichnet dabei Handlungen, mit denen Personen bzw. Objekte absichtlich geschädigt werden. Die Autoren widersprechen der bis dahin vorherrschenden Auffassung, dass angeborene innere Faktoren Aggression auslösen. Sie gehen vielmehr davon aus, dass Frustration die Ursache dafür ist, dass sich ein Individuum aggressiv verhält. Frustration entsteht ihre Ansicht nach, wenn sich ein Individuum aufgrund externer Einflüsse nicht so verhalten kann, wie es zur Erreichung seiner Ziele erforderlich wäre. Die ursprünglich deterministisch formulierte Frustrations-Aggressions-Hypothese wird häufig kritisiert (vgl. Mummendey/Otten 2001, S. 357). Als Schwäche wird genannt, dass Frustration nicht immer zu Aggression führen muss. Alternative Reaktionsformen wie Trauer, Vermeidung oder Apathie sind ebenfalls möglich. Ferner ist Frustration nicht die einzige Ursache aggressiven Verhaltens. Als Reaktion auf diese Einwände, relativieren die Autoren die ursprünglichen Hypothesen: Frustration schafft lediglich einen Anreiz für Aggression (vgl. Miller et al. 1941). Ob sich dies in tatsächlichem Verhalten äußert, hängt von zusätzlichen Bedingungen ab. Eine dieser Voraussetzungen beschreibt Berkowitz (1989) in der „Theorie der aggressiven Hinweisreize“. Demnach steigern bestimmte Hinweisreize die Wahrscheinlichkeit, dass Frustration aggressives Verhalten bedingt. Nur wenn in der jeweiligen Situation Reize vorhanden sind, die eine aggressive Bedeutung haben, äußert sich Frustration in Aggression („Waffeneffekt“). Versteht man wie Nerb/Spada (2001) das Boykottieren von Produkten eines Unternehmens als aggressives Verhalten gegenüber dem Zielobjekt, so lässt sich aus der Theorie der aggressiven Hinweisreize folgende Schlussfolgerung ziehen: Ist eine Person von einem umstrittenen Verhalten des Unternehmens betroffen, steigert dies ihre Bereitschaft, sich dem Unternehmen gegenüber aggressiv zu verhalten. Kommt ein aggressiver Hinweisreiz hinzu (z.B. der Aufruf einer Protestbewegung zur Boykottpartizipation), kann dies zu dem Entschluss führen, durch die Teilnahme an dem Boykott das Unternehmen zu schädigen. 3.2.2.2 Soziale und räumliche Betroffenheit Im Folgenden wird erläutert, weshalb sich die Boykottbereitschaft auch erhöht, wenn eine Person zwar nicht selbst, jedoch ihr soziales Umfeld betroffen ist. Dies lässt sich mit Hilfe der Theorie der sozialen Identität von Tajfel/Turner (1986) erklären.
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Demnach verfügen Individuen neben einer persönlichen Identität über eine soziale Identität. Diese entsteht aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Eigengruppe bzw. ‘ingroup’) sowie der Abgrenzung von einer anderen Gruppe (Fremdgruppe bzw. ‘outgroup’). In bestimmten Situationen nehmen Menschen ihre Umwelt nicht nur aus ihrer individuellen Perspektive wahr. Vielmehr definieren sie sich als Repräsentant ihrer sozialen Gruppe, mit der Folge, dass sich ihre Wahrnehmung der Gruppenperspektive angleicht. Die Forschung zur sozialen Identität beschäftigt sich intensiv mit der Frage, unter welchen Umständen die soziale Identität bedeutsam ist und der Einzelne vorrangig als Mitglied seiner Gruppe handelt. Die klassischen Ferienlagerexperimente von Sherif (1951) zeigen, dass das Individuum bei Bestehen eines Interessenskonflikts zwischen Gruppen der sozialen Kategorisierung (In- vs. Out-Group) verstärkte Bedeutung beimisst. Nach dem Paradigma der minimalen Gruppensituation (vgl. Turner 1978) genügt bereits die soziale Kategorisierung anhand eines Merkmals, um die InGroup von der Out-Group abzugrenzen und Mitglieder der In-Group zu bevorzugen. Nicht-Betroffene, die sich mit persönlich Betroffenen aufgrund bestimmter Gemeinsamkeiten identifizieren (z.B. gleicher Wohnort), neigen demzufolge verstärkt dazu, sich einem Boykott anzuschließen, weil sie sich als Gruppenmitglied betrachten. Die Forschung zum prosozialen Verhalten bekräftigt diese Annahmen. Dem Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell zufolge wird ein Beobachter umso stärker aktiviert, je größer die physische und die psychologische Nähe des Beobachters zum Hilfsbedürftigen ist (vgl. Dovidio et al. 1991, S. 88ff.). Zahlreiche empirische Studien belegen, dass die gemeinsame Zugehörigkeit zur selben sozialen Gruppe und das daraus entstehende Wir-Gefühl zwischen dem Hilfeleistenden und dem Hilfsbedürftigen eine bedeutsame Rolle dafür spielen, ob eine Person interveniert oder nicht (z.B. Dovidio et al. 1997; Omoto/Snyder 2002; Levine et al. 2005): x Sozialbiologische Studien zeigen, dass die Bereitschaft, Hilfe zu leisten, mit dem Verwandtschaftsgrad steigt (vgl. Cunningham 1986; Burnstein et al. 1994). Atkinson et al. (1986) weisen nach, dass Individuen selbst entfernten Familienmitgliedern mit größerer Wahrscheinlichkeit helfen als Fremden. x Individuen erwarten von ihren Freunden mehr Hilfe als von Fremden (vgl. Bar-Tal et al. 1977). Darüber hinaus zeigen empirische Studien, dass Freunde tatsächlich mehr Hilfe leisten als Fremde (vgl. Tesser et al. 1988; Clark et al. 1989). x Personen helfen auch Individuen, zu denen bislang keine Verbindung bestand, wenn sie situativ Gemeinsamkeiten wahrnehmen und damit ein Wir-Gefühl ent-
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steht (vgl. Sole et al. 1975). Stürmer et al. (2006, S. 944) argumentieren, dass ein Individuum dem Wohlergehen anderer Bedeutung beimisst, wenn es bei diesen Merkmale entdeckt, die es auch sich selbst zuschreibt. Deshalb helfen sich Personen, die sich als ähnlich wahrnehmen, signifikant häufiger als Personen, die sich weniger gleichen (vgl. Dovidio 1984; Park/Schaller 2005). Ähnlichkeit kann hinsichtlich unterschiedlichster Merkmale wahrgenommen werden (bspw. Wohnort oder sozialer Status). Weiterhin zeigt die Forschung zum prosozialen Verhalten, dass die Bereitschaft, sich gegenseitig zu helfen, steigt, wenn eine Bedrohung von außen wahrgenommen wird. Denn die gemeinsame Abgrenzung vom Aggressor intensiviert das Wir-Gefühl zwischen Hilfsbedürftigen und Hilfeleistenden (vgl. Dovidio/Morris 1975; Batson et al. 1979; Hayden et al. 1984). Auch dies ist für die Erklärung der Beteiligung an einem Konsumentenboykott bedeutsam: Die Wahrnehmung eines externen Aggressors (z.B. ein unverantwortlich handelndes Unternehmen) stärkt die Verbindung zwischen Hilfesuchenden (z.B. bedrohte Arbeitnehmer) und Hilfeleistenden (z.B. boykottierende Konsumenten). 3.2.2.3 Keine objektive Betroffenheit Das Norm-Aktivierungs-Modell von Schwartz (1977) hilft, die Boykottmotivation zu erklären, wenn zwischen dem Individuum und Personen, die objektiv vom Verhalten des Unternehmens betroffen sind, keine persönlichen Beziehungen bestehen. Der Autor nimmt an, dass altruistisches Verhalten dann entsteht, wenn persönliche Normen aktiviert werden. Diese sind von sozialen Normen abzugrenzen: Soziale Normen sind vom sozialen Umfeld vorgegeben. Eine Person, die sich diesen Vorgaben entsprechend verhält, möchte dadurch soziale und/oder materielle Belohnungen erhalten bzw. eine Sanktion des sozialen Umfelds vermeiden. Wer sich prosozial verhält, um die Vorschriften der sozialen Umwelt zu erfüllen, ist damit letztlich egoistisch motiviert. Persönliche Normen sind internalisierte moralische Überzeugungen, welche die Ansprüche der Person an sich selbst ausdrücken. Sie sind das Bindeglied zwischen erlernten abstrakten Wertorientierungen, welche das Individuum im Laufe der Sozialisation erworben hat, und spezifischen Verhaltensweisen, die es in einer bestimmten Situation ausführt (vgl. Schwartz/Howard 1981, S. 191).
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Laut Bamberg (1999) besteht der zentrale Beitrag des Norm-Aktivierungs-Modells darin zu erklären, wann Normen aktiviert und damit verhaltensrelevant werden. Es erläutert den kognitiven Entscheidungsprozess, der zu prosozialem Verhalten führt, sehr differenziert: 1. Aktivierung: Der Entscheidungsprozess beginnt damit, dass das Individuum die Hilfsbedürftigkeit einer anderen Person erkennt. Der Grad der Aktivierung hängt von der Deutlichkeit, mit der die Hilfsbedürftigkeit wahrgenommen wird, sowie von der Intensität der Hilfsbedürftigkeit ab (Schwartz 1977, S. 242). Außerdem muss das Individuum zu dem Schluss kommen, dass es in der Lage wäre, durch geeignete Maßnahmen, Hilfe leisten zu können. 2. Verpflichtung: Nachdem eine Person aktiviert ist, werden ihre persönlichen Normen salient. Sie fühlt sich moralisch dazu verpflichtet zu intervenieren. 3. Abwehr: Durch eine Hilfeleistung entstehen der Person oftmals beträchtliche subjektive Kosten, die sozialer, physischer, psychologischer und moralischer Natur sein können (vgl. Schwartz 1977, S. 253). Will sie diese vermeiden, muss die Person ihre moralische Verpflichtung leugnen oder die entstehende kognitive Dissonanz zwischen der Verpflichtung zur Hilfeleistung und deren Kosten auf andere Weise abbauen (vgl. Festinger 1957). So kann sie entweder den Grad der Hilfsbedürftigkeit oder die wahrgenommenen Konsequenzen des Nicht-Handelns für den Hilfesuchenden herunterspielen. Möglich ist aber auch, innerlich zu bestreiten, dass eine persönliche Verantwortung für den Hilfsbedürftigen besteht. 4. Verhalten: Ob eine Person interveniert, hängt ab vom Zusammenspiel der aktivierten persönlichen Normen mit den antizipierten Konsequenzen des Nichthandelns sowie der wahrgenommenen Verantwortung. Ursprünglich stellte Schwartz (1977) das Norm-Aktivierungs-Modell auf, um das Auftreten altruistischen Verhaltens (wie Helfen oder Spenden) zu erklären. Insbesondere im Rahmen der sozialpsychologisch orientierten Forschung zum umweltbewussten Verhalten wurde dieses Modell weiterentwickelt und dessen Geltungsbereich auf das Umweltverhalten ausgeweitet (vgl. Black et al. 1985; Guagnano et al. 1995; Gierl 2002). Das Norm-Aktivierungs-Modell lässt sich auch zur Erklärung der Teilnahme an einem Konsumentenboykott heranziehen. Verdeutlicht am Beispiel einer als sozial unverantwortlich empfundenen Werksschließung eines Unternehmens würde das Individuum demnach folgende Phasen durchlaufen (vgl. Abb. 24, S. 68):
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1. Persönliche Normen werden aktiviert, wenn das Individuum wahrnimmt, dass sich ein Unternehmen sozial unverantwortlich verhält (z.B. ein profitables Werk verlagert) und dies negative Konsequenzen für bestimmte Personen haben kann (z.B. drohende Arbeitslosigkeit). Ferner muss es zu dem Schluss kommen, dass ein Boykott eine geeignete Maßnahme ist, um die Situation der Hilfsbedürftigen zu verbessern. So könnte ein Konsumentenboykott Umsatzeinbußen für das Unternehmen nach sich ziehen und damit die Entscheidung des Managements beeinflussen. 2. Wenn das Individuum annimmt, dass es dazu beitragen kann, negative Konsequenzen für andere zu verhindern, fühlt es sich moralisch verpflichtet, sich dem Boykott anzuschließen. 3. Verursacht der Verzicht auf das präferierte Produkt merkliche subjektive Kosten, ist das Individuum motiviert, die Verpflichtung zur Hilfeleistung durch kognitive Umdeutung abzuschwächen und so die Teilnahme an dem Boykott abzuwehren (vgl. Kap. 3.4). 4. Nach der Abwägung der Konsequenzen wird sich das Individuum für oder gegen eine Beteiligung am Boykott des Unternehmens entscheiden und sich entsprechend verhalten. Abb. 24: Kognitives Prozessmodell prosozialer Boykottpartizipation 1. Aktivierung
2. Verpflichtung
3. Abwehr
4. Verhalten
Wahrnehmung moralischer Verpflichtung
Kosten-NutzenAbwägung und evtl. kognitive Umdeutung
Teilnahme bzw. Nicht-Teilnahme am Boykott
Wahrnehmung der Betroffenheit Anderer Boykott als potenzieller Lösungsansatz Überzeugung, dass die eigene Teilnahme den Erfolg des Boykotts fördert
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf dem Norm-Aktivierungs-Modell von Schwartz (1977).
3.3 Promotoren der Boykottteilnahme Die vorliegende Arbeit postuliert, dass Betroffenheit der Auslöser dafür ist, dass ein Konsument in Erwägung zieht, Produkte des Zielunternehmens zu boykottieren. Im
Promotoren der Boykottteilnahme
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Folgenden werden Bedingungen diskutiert, welche die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Konsument sich tatsächlich am Boykott beteiligt. Zu diesen Promotoren zählen das Streben nach Selbstwerterhöhung (vgl. Kap. 3.3.1) und die Kontrollüberzeugung (vgl. Kap. 3.3.2). 3.3.1 Streben nach Selbstwerterhöhung 3.3.1.1 Das Selbst als verhaltensrelevantes Konstrukt John/Klein (2003, S. 1203) nehmen an, dass Konsumenten u.a. an einem Konsumentenboykott teilnehmen, um ihren Selbstwert zu erhöhen. Das Konstrukt Selbst trägt damit zum Verständnis der individuellen Boykottbeteiligung bei. Es beschreibt die subjektive Wahrnehmung der eigenen Person bzw. der Eigenschaften, die sich eine Person zuschreibt (vgl. Mummendey et al. 1995, S. 54). Dabei unterscheiden Sozialpsychologen (vgl. Baumeister et al. 2003) meist zwischen dem Selbstkonzept, das sie als Summe der Urteile einer Person über sich selbst verstehen (kognitive Komponente), und dem Selbstwert, welcher aus der affektiven Bewertung des Selbstkonzepts hervorgeht (affektive Komponente). Allerdings ist diese Abgrenzung Swann et al. (2007, S. 85ff.) zufolge weniger eindeutig als es den Anschein hat; denn beide Konstrukte umfassen kognitive und emotionale Bestandteile. Die Autoren sprechen sich deshalb für das übergeordnete Konstrukt Selbstansichten (‘self-views’) aus, das beide Komponenten umfasst. Dieses besitzt den Autoren zufolge dann prognostische Validität, wenn es bereichsspezifisch erfasst wird. Im Folgenden werden Ansätze diskutiert, welche die Verhaltensrelevanz des Konstrukts erklären. Die Selbstverifizierungstheorie (vgl. Swann 1990) ist eine Weiterentwicklung der Konsistenztheorien (z.B. Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger 1957). Sie postuliert, dass Personen versuchen, ihr Selbstkonzept zu bestätigen, indem sie Dissonanzen zwischen ihrem Verhalten und ihrem Selbstkonzept reduzieren (vgl. Dauenheimer et al. 2002, S. 159). Die Konsistenztheorien implizieren nicht nur, dass Personen negative Informationen negieren, wenn diese ihr Selbstkonzept zu sehr verschlechtern, sondern auch, dass sie positive Informationen abstreiten, wenn diese es zu sehr verbessern würden. Im Gegensatz dazu postuliert die Theorie der Selbstwerterhöhung, dass Individuen stets danach streben, den eigenen Selbstwert zu steigern (vgl. Kanning 1997, S. 19; Baumeister 1998). Sie suchen selektiv nach selbstwertdienlichen
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Informationen und blenden selbstwertbedrohende Informationen aus (vgl. Strube/ Roemmele 1985, S. 984ff.; Campbell/Sedikides 1999, S. 24ff.). Sozialpsychologen schlagen zahlreiche Moderatorvariablen vor (z.B. die Höhe des Selbstwertes), die erklären, unter welchen Bedingungen welcher der beiden Ansätze mehr Erklärungskraft besitzt (z.B. Swann et al. 1987; Stone 2003, S. 846). Für die vorliegende Arbeit ist vor allem die empirisch fundierte Erkenntnis beider Theorien relevant, dass das Selbstkonzept die Kognitionen und das (Kauf-)Verhalten des Individuums beeinflusst (vgl. Hogg/Michell 1996). 3.3.1.2 Identifikation und Disidentifikation als Möglichkeiten zur Selbstwerterhöhung Aus den beiden in Kap. 3.3.1.1 vorgestellten Theorien kann abgeleitet werden, dass sich eine Person für die Teilnahme an einem Konsumentenboykott entscheidet, wenn sie dabei in Einklang mit ihrem angestrebten Selbstkonzept handelt (vgl. Kozinets/ Handelman 1998). Wie im Folgenden gezeigt wird, ist dies möglich, indem sich die Person mit den Boykottorganisatoren identifiziert bzw. von dem sozial unverantwortlich handelnden Unternehmen abgrenzt. Das Konstrukt der sozialen Identifikation leitet sich aus der Theorie der sozialen Identität ab (vgl. Tajfel/Turner 1986) und bezieht sich auf die wahrgenommene Einheit zwischen dem Individuum und einer Gruppe (vgl. Mael/Ashforth 1992, S. 104f.). Bedeutsam ist auch die Abgrenzung von anderen Gruppen. Identifikation entsteht somit als Folge der kognitiven Bewertung der Zugehörigkeit zu einer Gruppe (z.B. Boykotteure) und der Abgrenzung von einer anderen Gruppe (z.B. Konsumenten, welche das Unternehmen, dessen Verhalten als sozial unverantwortlich erlebt wird, weiterhin durch ihr Kaufverhalten unterstützen). Meist identifiziert sich ein Individuum mit Gruppen, deren Werte mit seinen eigenen übereinstimmen (vgl. Riketta 2005, S. 360). Durch das eigene Verhalten können diese gemeinsamen Wertvorstellungen ausgedrückt werden und damit die Identifikation noch verstärkt werden. Auch das Konsum- bzw. Antikonsumverhalten kann die Zugehörigkeit zu bzw. die Abgrenzung von Gruppen verstärken und damit soziale Identifikation schaffen (vgl. Schoenheit 2007, S. 218). Organisatoren von Boykotten rufen diese aus, weil ihrer Auffassung zufolge das Zielobjekt moralische Maßstäbe missachtet. Damit treten sie ihrer eigenen Ansicht nach für eine gerechte Sache ein (vgl. Smith 1990; Smith 2001).
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Boykottpartizipanten verdeutlichen somit, dass ihre moralischen Vorstellungen mit denen der Aktivisten übereinstimmen (vgl. Klein et al. 2002, S. 363). Die Identifikation mit deren Werten hilft, den eigenen Selbstwert sowohl individuell als auch über die öffentliche Wahrnehmung zu steigern. Gleichzeitig sorgt Disidentifikation dafür, dass die Boykottpartizipation den Selbstwert erhöht. Der Philosoph Follesdal (2003, S. 5) argumentiert, dass sich Boykotteure von dem in Verruf stehenden Unternehmen distanzieren. Sie trennen die kausale Verbindung zwischen dem eigenen Kaufverhalten, das die Praktiken des Unternehmens belohnen und legitimieren würde, und dem unmoralischen Handeln des Unternehmens. Die Abgrenzung ist vorrangig expressiv und weniger instrumentell motiviert: Indem sie den Boykott unterstützen, wollen Konsumenten (öffentlich wahrnehmbar) ausdrücken, dass sie jegliche Verantwortung für die als unsozial bewerteten Handlungen des Unternehmens von sich weisen. Dieses Motiv findet sich bereits im 18. Jahrhundert in der Moralphilosophie von Immanuel Kant (vgl. Kant 1990) und wird inzwischen unter dem Begriff „Integrität“ in der philosophischen Literatur diskutiert (vgl. Hill 1979; Sen 1982; Mills 1996). In der englischsprachigen Marketingforschung wird Disidentifikation meist als Clean Hands bezeichnet (vgl. John/Klein 2003). Klein et al. (2004) belegen in einer quantitativen Studie den signifikanten Einfluss dieses Motivs auf die Boykottpartizipation. 3.3.2 Kontrollüberzeugung Nach Klein et al. (2002) partizipieren Individuen insb. dann an einem Boykott, wenn sie annehmen, dass sie dadurch zum Erfolg der Protestaktion beitragen. Im Folgenden wird gezeigt, dass bei der Analyse dieses Zusammenhangs zwischen individueller und kollektiver Wirksamkeit unterschieden werden sollte. 3.3.2.1 Selbstwirksamkeit Die Theorie der Kontrollorientierung (‘locus of control’) von Rotter (1966) unterscheidet Individuen danach, wem sie die Kontrolle über ihr Leben zuschreiben. Personen mit externaler Kontrollorientierung attribuieren Erfolg und Misserfolg primär auf äußere Umstände (z.B. Einfluss mächtiger Personen oder Glück bzw. Zufall). Personen, die sich für Erfolge und Misserfolge selbst verantwortlich fühlen, weisen hingegen eine starke interne Kontrollorientierung auf. Weiter entwickelt wurde diese Theorie durch Banduras (1986, S. 391) Konzept der Selbstwirksamkeit. Dieses erfasst die
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Überzeugung, aufgrund eigener Fähigkeiten die richtigen Verhaltensweisen ausführen zu können, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Als Gegenstück zur internalen Kontrollorientierung bzw. Selbstwirksamkeit prognostiziert die Theorie der gelernten Hilflosigkeit (vgl. Seligman 1975), dass Personen einen generalisierten Kontrollverlust erleben, wenn sie wiederholt erfahren, dass sie bestimmte Umstände durch ihr Verhalten nicht beeinflussen können. In der Folge unterlassen sie jegliche Versuche, aktiv eine Änderung herbeizuführen. Gelernte Hilflosigkeit kann auf spezielle Situationen bezogen sein. Hat sie sich jedoch als Persönlichkeitsmerkmal manifestiert (vgl. Abramson et al. 1978), reagiert die Person mit negativen Emotionen wie Furcht (affektives Defizit) und ist nicht mehr fähig, neue Verhaltensweisen zu lernen (kognitives Defizit). Auch unternimmt sie keine Versuche mehr, ihre Umwelt zu beeinflussen (motivationales Defizit). Bei der Analyse des Einflusses der Kontrollüberzeugung, der Selbstwirksamkeit und der gelernten Hilflosigkeit auf konkretes Verhalten sollte das Abstraktionsniveau beachtet werden, auf dem die Konstrukte konzeptionalisiert sind. Lastovicka/ Joachimsthaler (1988, S. 583ff.) sowie Ajzen/Fishbein (2005) weisen darauf hin, dass sich bereichsspezifische Merkmale im Allgemeinen besser zur Erklärung und Prognose konkreten Verhaltens eignen als generelle Persönlichkeitseigenschaften. Dass dies auch für die Kontrollüberzeugung gilt, legt eine Studie von Wünschmann (2007, S. 188ff.) nahe. Die bereichsspezifisch operationalisierte Variable gelernte Hilflosigkeit erweist sich als bedeutende Einflussgröße des Grads der Beschwerdeführerschaft (d.h. der Disposition, sich nach einem kritischen Ereignis zu beschweren) und der subjektiv wahrgenommenen Kosten einer Beschwerde (wie Zeit und Arbeitsaufwand). Die als Persönlichkeitseigenschaft erfragte Kontrollüberzeugung liefert hingegen keinen signifikanten inkrementellen Erklärungsbeitrag. Übertragen auf die Forschung zum Konsumentenboykott lässt sich vermuten, dass die Teilnahme weniger von generellen internalen Kontrollüberzeugungen abhängt. Bedeutsamer ist vermutlich die bereichsspezifische Selbstwirksamkeit, d.h. die Annahme des Boykotteurs, durch seine Unterstützung der Protestaktion signifikant zu einer Änderung des Verhaltens des Zielobjekts beitragen zu können. Im Rahmen der Boykottforschung zeigen Klein et al. (2002, S. 364) bereits experimentell, dass der Wunsch, selbstwirksam einen eigenen Beitrag zum Erfolg des Boykotts zu leisten, die Wahrscheinlichkeit der Boykottteilnahme steigert. Klein et al. (2004) replizieren
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diesen Befund in einer Felduntersuchung. Die Bedeutung dieses Promotors für die Boykottteilnahme wurde damit sowohl in einem kontrollierten als auch in einem realitätsnahen Setting nachgewiesen. 3.3.2.2 Kollektive Wirksamkeit Forschungsergebnisse zum ethisch motivierten Kaufverhalten liefern weitere Hinweise zum Einfluss der Selbstwirksamkeit auf das Boykottverhalten. Shaw et al. (2006, S. 1055) führten Tiefeninterviews mit zehn Probanden aus Großbritannien durch, die sie auf einer Fair-Trade-Messe rekrutierten. Ihre qualitative explorative Untersuchung zeigt, dass die Befragten das bestehende Wirtschaftssystem als Ursache der von ihnen empfundenen Ungerechtigkeiten ansehen. Gleichzeitig sind sie davon überzeugt, dass sie durch ihr Kaufverhalten innerhalb dieses Systems Macht ausüben können. Allerdings sind sich die Befragten bewusst, dass nicht einzelne Kaufentscheidungen ausschlaggebend sind. Vielmehr sehen sie sich als Teil eines Kollektivs besorgter Konsumenten, welches durch organisierte Handlungen im Markt Einfluss nehmen kann. Die Repräsentativität dieser Erkenntnisse ist aufgrund der kleinen Stichprobe nicht gewährleistet. Eine Studie der Co-operative Bank (2005, S. 5) unterstützt allerdings den qualitativen Befund, dass viele Verbraucher von einer kollektiven Wirksamkeit des politischen Konsumerismus überzeugt sind, quantitativ: 54 % der befragten britischen Konsumenten nehmen an, dass Verbraucher als Kollektiv das Ausmaß sozial verantwortlichen Verhaltens von Unternehmen beeinflussen können. Nur wenn sich hinreichend viele Verbraucher einer Protestaktion anschließen, kann das Individuum davon ausgehen, dass sein eigenes Verhalten dazu beiträgt, dass das Management des Unternehmens den Protest wahrnimmt. Sen et al. (2001, S. 400) vermuten deshalb, dass die individuelle Teilnahmewahrscheinlichkeit steigt, wenn der Einzelne erwartet, dass sich viele andere dem Boykott anschließen. Die Autoren analysieren diesen Zusammenhang experimentell. In einem fiktiven Boykottaufruf variieren sie folgende Faktoren. x Erwartete Beteiligung: Hoch (80 % der Konsumenten) vs. gering (15 %). x Expertenurteil zur Wirksamkeit: Hoch (Boykott bewirkt, dass das Zielobjekt sein Verhalten ändert) vs. gering (kein Effekt). x Valenz des Boykottaufrufs: Darstellung der Ergebnisse eines erfolgreichen Boykotts vs. Betonung der Folgen eines Misserfolgs.
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Die Untersuchung zeigt, dass sich Personen generell eher einem Boykott anschließen, wenn sie erwarten, dass auch viele andere dies tun. Dieser Effekt wird durch zahlreiche Variablen moderiert bzw. mediiert (vgl. Abb. 25). So beachten Personen, die sensibel auf Einflüsse aus dem sozialen Umfeld reagieren, bei ihrer Boykottentscheidung in stärkerem Maße, ob andere partizipieren, als Personen, die weniger auf die Meinungen und das Verhalten des sozialen Umfelds achten („Anfälligkeit für normative Einflüsse“). Die „erwartete Beteiligung“ wirkt sich stärker auf die Boykottbereitschaft aus, wenn Experten den Boykott als effektiv einstufen („Expertenurteil zur Wirksamkeit“). Betont der Boykottaufruf die positiven Ergebnisse eines erfolgreichen Boykotts, wirkt sich die „erwartete Beteiligung“ stärker auf die Boykottbereitschaft aus als wenn mögliche negative Auswirkungen einer erfolglosen Aktion hervorgehoben werden. Diese „Valenz des Boykottaufrufs“ moderiert nicht nur den Zusammenhang zwischen „erwarteter Beteiligung“ und „wahrgenommener Erfolgswahrscheinlichkeit“, sondern wirkt sich auch direkt auf die „Wahrscheinlichkeit der Boykottpartizipation“ aus. Schließlich belegen die Autoren, dass der Einfluss der genannten Größen auf die „Wahrscheinlichkeit der Boykottteilnahme“ durch das Konstrukt „wahrgenommene Erfolgswahrscheinlichkeit“ mediiert wird. Abb. 25: Modell des Referenzgruppen-Einflusses nach Sen et al. (2001, Studie 1) Experimentelles Treatment
Kovariate
Abhängige Variable
Anfälligkeit für normative Einflüsse
Erwartete Beteiligung
Wahrgenommene Erfolgswahrscheinlichkeit
Wahrscheinlichkeit der Boykottpartizipation
Expertenurteil zur Wirksamkeit Valenz des Boykottaufrufs
Quelle: In Anlehnung an Sen et al. (2001, S. 401).
Die Untersuchung von Sen et al. (2001) zeigt, dass ein Individuum umso wahrscheinlicher an einem Boykott teilnimmt, je höher es die Wahrscheinlichkeit einschätzt, dass ein Boykott wirksam sein wird. In diesem Zusammenhang müssen zwei Effekte beachtet werden: Der Effekt des falschen Konsensus erklärt, weshalb Konsumenten die erwartete Beteiligung und damit die wahrgenommene Erfolgswahrscheinlichkeit oft
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überschätzen. Das Trittbrettfahrerproblem legt nahe, dass die Wahrscheinlichkeit der individuellen Boykottteilnahme mit einer Zunahme der wahrgenommenen Erfolgswahrscheinlichkeit des Boykotts auch abnehmen kann. John/Klein (2003, S. 1206) argumentieren, dass die Wahrnehmungsverzerrung falscher Konsensus die Einschätzung der Erfolgsaussichten des Boykotts beeinflussen kann. Demnach betrachten Individuen ihre eigenen Ansichten als relativ verbreitet, während sie alternative Sichtweisen als ungewöhnlich ansehen (vgl. Ross et al. 1977, S. 280). Klein et al. (2004, S. 104) bestätigen diesen Effekt empirisch. An dem von ihnen untersuchten Boykott nahmen 16 % der befragten Konsumenten teil. Die Boykotteure überschätzten die allgemeine Boykottpartizipation deutlich öfter (40 %) als Personen, die sich nicht am Boykott beteiligten (25 %). Wie in Kap. 3.4.1.3 gezeigt wird, kann aus der Forschung zum sozialen Dilemma der Schluss gezogen werden, dass die individuelle Teilnahmebereitschaft nicht linear mit der Anzahl weiterer Boykotteure wächst. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Bereitschaft wieder sinkt, sobald hinreichend viele andere Verbraucher boykottieren. Erwartet das Individuum, dass der Boykott auch ohne den eigenen Beitrag eine Änderung des Verhaltens des Zielunternehmens bewirkt, so steigt die Motivation, als Trittbrettfahrer den Nutzen des erfolgreichen Boykotts zu genießen, ohne die eigenen Konsummöglichkeiten einschränken zu müssen (vgl. John/Klein 2003; Diermeier/van Mieghem 2005).
3.4 Inhibitoren der Boykottteilnahme Im Folgenden wird diskutiert, aus welchen Gründen ein Konsument eher nicht an einem Boykott teilnimmt. Zu den Inhibitoren zählen soziale Dilemmata (vgl. Kap. 3.4.1), ethnozentrische Einstellungen (vgl. Kap. 3.4.2), Vertrauen in das Management (vgl. Kap. 3.4.3) und Reputation des Unternehmens (vgl. Kap. 3.4.4). 3.4.1 Soziales Dilemma 3.4.1.1 Boykott als Problem des kollektiven Handelns Wenn es zu einem Konsumentenboykott kommt, verfolgen mehrere Personen ein gemeinsames Ziel. Sen et al. (2001) sowie John/Klein (2003, S. 1196f.) argumentie-
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ren, dass die Entscheidung von Konsumenten, sich einem Boykott anzuschließen oder nicht, sich als Problem des kollektiven Handelns darstellen lässt. Mikro-ökonomische (z.B. Olson 1965; Sandler 1992) und sozialwissenschaftliche (z.B. Granovetter 1978; Oliver 1993) Theorien zum kollektiven Handeln betrachten rationale Entscheidungen sowohl aus der individuellen als auch aus der Gruppenperspektive. Aus diesen Ansätzen lassen sich für die Boykottpartizipation einzelner Konsumenten zwei bedeutsame Inhibitoren ableiten: Das Small Agent-Problem und das soziale Dilemma. Das Small Agent-Problem beschreibt die Annahme des Individuums, dass der eigene Beitrag zum Erfolg relativ gering ist. Die Motivation des Konsumenten, sich einer Protestaktion anzuschließen, nimmt ab, wenn er davon überzeugt ist, dass die Bedeutung des eigenen Kaufverhaltens im Gesamtmarkt verschwindend gering ist (vgl. John/Klein 2003, S. 1197). Betrachtet man Boykott als Wahlverhalten (vgl. Kap. 2.1.2.2), so lässt sich Boykottverweigerung analog zu der in der Public-ChoiceTheorie diskutierten Wahlverweigerung erklären (z.B. Downs 1957; Black 1958; Arrow 1963; Mueller 2003): Es besteht nur eine minimale Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten des Wählers bzw. des Boykottteilnehmers zu einer Änderung des Wahlresultats bzw. des Verhaltens des Unternehmens führt. Das Small Agent-Problem stellt damit das Gegenstück zu dem in Kap. 3.3.2 ausführlich erläuterten Promotor Kontrollüberzeugung dar. Als soziales Dilemma wird eine Entscheidungssituation beschrieben, in der die Interessen des Einzelnen (z.B. über das präferierte, aber zu boykottierende Produkt weiterhin verfügen zu können) im Widerspruch zu den Interessen der Gemeinschaft stehen (z.B. eine maximal hohe Anzahl an Boykotteuren zu gewinnen). Die Gemeinschaft verlangt dem Individuum ein kurzfristiges Opfer ab, damit das Kollektiv ein gemeinsames Ziel erreicht, das für alle Mitglieder von Nutzen ist (z.B. das unerwünschte Verhaltens eines Unternehmens verändern). Das Individuum muss zwischen der Maximierung des eigenen Vorteils und der Unterstützung der Gruppe wählen (vgl. Dawes 1980; Lynn/Oldenquist 1986). Van Lange et al. (1992) nennen drei formale Merkmale, die ein Individuum in ein soziales Dilemma bringen: x Nicht-kooperatives Verhalten (z.B. keine Teilnahme am Boykott) stiftet dem Individuum größeren individuellen Nutzen als kooperatives Verhalten (z.B. Teilnahme am Boykott). Dies gilt unabhängig davon, welche Entscheidungen andere Mitglieder des Kollektivs treffen.
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x Nicht-kooperatives Verhalten ist mit einem Nachteil für andere verbunden. x Nicht-kooperatives Verhalten kann den aggregierten Nutzen der Gemeinschaft mindern. Der Verlust, der anderen entsteht, ist größer als der Nutzen für den Einzelnen. Zieht ein Konsument die Teilnahme an einem Boykott in Erwägung, so muss er sich zwischen der Maximierung des individuellen Nutzens, der aus dem Konsum des Produkts erwächst, und dem Vorteil für das Allgemeinwohl entscheiden, der entsteht, wenn sich viele Personen am Boykott beteiligen. Um diese Entscheidung vollständig darzustellen, wird zunächst gezeigt, mit welchen Kosten bzw. Nachteilen der Einzelne aufgrund seiner Teilnahme an einem Boykott rechnen muss (vgl. Kap. 3.4.1.2). Anschließend wird diskutiert, wie Konsumenten mikro-ökonomischen (vgl. Kap. 3.4.1.3) und sozialpsychologischen (vgl. Kap. 3.4.1.4) Erklärungsansätzen zufolge auf ein soziales Dilemma reagieren. 3.4.1.2 Individuelle Kosten der Boykottteilnahme Wer an einem Boykott teilnehmen möchte, muss sich über die Handlungen des Unternehmens informieren und seine Konsumgewohnheiten ändern. Dies verursacht Friedman (2003, S. 49) zufolge insb. dann (subjektive) Kosten, wenn Substitute unattraktiv, zu teuer oder schwer zu beziehen sind. Damit lassen sich folgende Kosten der Boykottteilnahme identifizieren. x Informationskosten: Möchte ein Konsument seine Entscheidung zur Teilnahme an einem Boykott nicht auf Basis unvollständiger Informationen treffen, so muss er einen bestimmten Aufwand an Informationssuche in Kauf nehmen. Nur informierte Konsumenten können ethisch motivierte Kaufentscheidungen treffen (vgl. Shaw et al. 2006, S. 1051). x Kosten des Verzichts: Je stärker der Verbraucher die Produkte des zu boykottierenden Unternehmens Konkurrenzprodukten gegenüber bevorzugt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich der Protestaktion anschließt (vgl. Sen et al. 2001, S. 403). Die inhibitorische Wirkung der Produkt- bzw. Markenpräferenz auf die Boykottteilnahme veranschaulicht Friedman (2003, S. 51) am Beispiel einer Protestaktion gegen den Sportartikelhersteller Nike: Dass zahlreiche Afroamerikaner nicht an diesem Boykott partizipierten, obwohl sie die Ziele des Boykotts befürworteten (z.B. die Vergrößerung des Anteils afroamerikanischer Manager), er-
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klärt der Autor damit, dass der Verzicht auf die (Lifestyle-)Produkte des Unternehmens einen zu großen Einschnitt in ihrem persönlichen Lebensstil verursacht hätte. x Finanzielle Kosten: Grundsätzlich kann sich jeder an einem Konsumentenboykott beteiligen, weshalb dieser oft als die Waffe der Schwachen bezeichnet wird (vgl. Scott 1985). Micheletti et al. (2003a) weisen jedoch darauf hin, dass der Versuch, durch politisch motivierten Konsum Einfluss zu nehmen, finanzielle Kosten verursachen kann, da alternative Produkte oder Substitute oft teurer als das zu boykottierende Produkt sind. Je wohlhabender eine Person ist, desto mehr Handlungsalternativen stehen ihr zur Verfügung (z.B. Erwerb teurer Substitute). x Beschaffungskosten: Sind alternative Produkte oder Substitute schwer zugänglich, so entstehen dem Boykottteilnehmer zusätzliche Beschaffungskosten, wie ein Beispiel aus Äthiopien verdeutlicht: Als italienische Truppen im Jahr 1935 einmarschierten, riefen Nationalisten zu einem Boykott italienischer Eisverkäufer auf. Da die Verbraucher jedoch nicht ohne größeren Aufwand zu einer Alternative wechseln konnten, beteiligten sich nur wenige Konsumenten, und die Protestaktion scheiterte (vgl. Greenberg 2003, S. 63). Auch die Forschung zur Dienstleistungsqualität zeigt, dass ein Konsument umso mehr Ärgernisse toleriert, je weniger Möglichkeiten er besitzt, zwischen verschiedenen Anbietern zu wählen (vgl. Parasuraman et al. 1991, S. 43).
3.4.1.3 Mikro-ökonomische Perspektive Nun soll gezeigt werden, wie das Individuum aus Sicht mikro-ökonomischer Modelle die Boykottentscheidung fällt. Diese Ansätze analysieren meist die Partizipation an ökonomischen Boykotten. Wie in Kap. 2.1.1.3 beschrieben, wird diese Form der Protestaktion üblicherweise dann ausgerufen, wenn sich entweder die Produktqualität verschlechtert oder der Preis steigt und Konsumenten Unternehmen dazu bewegen möchten, wieder den ursprünglichen Zustand herzustellen. Der Teilnahme an dieser Form des Boykotts liegt damit per se ein utilitaristisches Kalkül zugrunde. Die im Folgenden diskutierten Modelle sollten deshalb nicht unmittelbar zur Erklärung der Teilnahme an politisch bzw. ethisch motivierten Boykotten herangezogen werden. Mikro-ökonomische Modelle beziehen sich meist auf eine als ungerechtfertigt empfundene Preissteigerung als Auslöser des Boykotts. Dabei gehen Rea (1974) und
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Tyran/Engelmann (2005) von folgenden Annahmen aus: Der Konsum des Produkts zum erhöhten Preis stiftet einen geringeren Nutzen als der Konsum des Produkts zum ursprünglichen Preis. Ein rational entscheidender Verbraucher wird das Produkt dennoch konsumieren, wenn der Saldo aus Kosten und Nutzen nach wie vor positiv ausfällt. Die Boykottpartizipation stiftet dem homo oeconomicus nur dann einen höheren Nettonutzen als der fortgesetzte Konsum, wenn sie dazu beiträgt, dass das Unternehmen den Preis des Produkts reduziert und die Kosten des Boykottierens nicht zu stark ins Gewicht fallen. Ob sich ein Konsument an einer Protestaktion beteiligt, hängt demnach ab vom Trade-off zwischen dem Nutzen des fortgeführten Konsums und dem erhofften Vorteil einer aufgrund der eigenen Beteiligung durch den Boykott hervorgerufenen Preisreduktion abzüglich der Kosten des Boykottierens. Von einem erfolgreichen Boykott profitieren aber nicht nur die Boykottteilnehmer. Somit liegt ein typisches öffentliches Gut-Problem vor (vgl. Hardin 1968): Auch diejenigen, die sich nicht am Boykott beteiligen, profitieren davon, wenn andere bewirken, dass ein Unternehmen sein Verhalten ändert (vgl. John/Klein 2003, S. 1197). Der Einzelne kann seinen individuellen Nettonutzen steigern, indem er weiterhin konsumiert (d.h. die Kosten des eingeschränkten Konsums vermeidet) und gleichzeitig darauf hofft, dass der Konsumverzicht anderer das Unternehmen zum Einlenken bewegt. Es besteht somit ein Anreiz, als Trittbrettfahrer (‘free rider’; vgl. McMillan 1979) die Anstrengungen anderer auszunutzen. Diermeier/van Mieghem (2005) ziehen deshalb das Fazit, dass für den Verbraucher kein rationaler Grund besteht, sich an einem Boykott zu beteiligen. Bereits Olson (1965) nimmt an, dass rationale, egoistische Individuen ihr Handeln nur dann an den Zielen der Gemeinschaft ausrichten, wenn sie in irgendeiner Form dazu gezwungen werden oder die Gruppe sehr klein und der Beitrag des Einzelnen damit identifizierbar ist. Die Gruppe der Verbraucher ist jedoch nicht eindeutig abgrenzbar. Konsumenten sind keine homogene Gruppe und können ihre Boykottentscheidung nicht gegenseitig kontrollieren. Zudem erfahren Verbraucher keine unmittelbare Verstärkung, wenn sie sich im Sinne des Kollektivs verhalten. Diermeier/van Mieghem (2005) schlagen ein formales Modell vor, welches die Entscheidung des Einzelnen, sich am Konsumentenboykott zu beteiligen, erklärt und das Trittbrettfahrerproblem beschreibt. Ihr Modell basiert auf der Annahme, dass der individuelle Entscheider beachtet, dass eine Protestaktion nur erfolgreich sein kann,
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wenn eine kritische Masse (vgl. Granovetter 1978; Oliver/Marwell 1988), d.h. eine hinreichend große Teilnehmerzahl, erreicht ist. Die in Abb. 26 dargestellte Grundform des Modells unterscheidet drei Fälle, welche es ermöglichen, die Boykottentscheidung des Einzelnen zu erklären: x Fall 1: Solange die Anzahl der bislang boykottierenden Personen gering ist, besteht für das rational entscheidende Individuum kein Anreiz, am Boykott zu partizipieren. Die Teilnahme verursacht Kosten (c), stiftet aber keinen Nutzen (b). x Fall 2: Nimmt das Individuum an, dass der eigene Beitrag den Ausschlag dafür gibt, ob der Boykott erfolgreich ist oder nicht, wird es sich der Protestaktion anschließen. Hierfür muss allerdings auch die notwendige Nebenbedingung erfüllt sein, dass die Kosten des eingeschränkten Konsums geringer sind als der Nutzen (b > c), der aus einer erfolgreichen Protestaktion folgt. x Fall 3: Nehmen bereits sehr viele Konsumenten an einem Boykott teil, stiftet die eigene Teilnahme der Person keinen zusätzlichen Nutzen, da der Boykott auch ohne sie erfolgreich sein wird. Die Teilnahme würde aber zusätzliche Kosten verursachen. Das Individuum entscheidet sich deshalb dafür, als Trittbrettfahrer sowohl die Vorteile des fortgesetzten Konsums als auch die Vorteile eines erfolgreichen Boykotts zu nutzen. Abb. 26: Auszahlungsmatrix der Boykottentscheidung Fall 1
Fall 2
Fall 3
Kein Boykotterfolg trotz Beteiligung
Boykotterfolg nur bei Beteiligung
Boykotterfolg auch ohne Beteiligung
X c. Quelle: In Anlehnung an Diermeier/van Mieghem (2005, S. 5).
Zusammenfassend beteiligt sich der Konsument nur in Fall 2 am Boykott, d.h. nur dann, wenn er den ausschlaggebenen Beitrag dafür leisten kann, dass der Boykott erfolgreich sein wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person in diese Situation gerät, ist jedoch verschwindend gering, so dass es nach diesem Modell sehr unwahr-
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scheinlich ist, dass eine Person boykottiert. Diermeier/van Mieghem (2005) erweitern dieses einfache Grundmodell, indem sie die Annahme deterministischer Entscheidungen durch probabilistische ersetzen. Zudem modellieren sie die Boykottentscheidung als Mehrrundenspiel. Eine bedeutsame Annahme ihres Ansatzes hinterfragen die Autoren jedoch nicht: Sie gehen davon aus, dass ein Individuum nur dann zur Teilnahme an einem Boykott bereit ist, wenn dieser dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird und das Unternehmen die kritisierte Verhaltensweise revidiert. Zahlreiche Fallbeispiele zeigen jedoch, dass Aktivisten immer wieder Boykotte mit geringen Erfolgsaussichten ausrufen und sich trotzdem Konsumenten daran beteiligen (vgl. Smith 1990, S. 299ff.). Auch der Überblick über den State-of-the-Art der empirischen Forschung (vgl. Kap. 2.2) verdeutlicht, dass die reduktionistische Annahme der rein utilitaristischen Boykottentscheidung nicht haltbar ist. Neben egoistischen und instrumentellen Motiven beeinflussen zahlreiche Variablen wie der Grad der Verärgerung oder das Streben nach Selbstwerterhöhung die Boykottentscheidung (vgl. Kozinets/Handelman 1998; John/Klein 2003). 3.4.1.4 Sozialpsychologische Perspektive Auch die sozialwissenschaftliche Forschung hat sich mit dem Problem des sozialen Dilemmas befasst, d.h. mit Situationen in denen der Einzelne sich zwischen der Maximierung des individuellen und des kollektiven Nutzen entscheiden muss. Insbesondere drei Effekte wurden vorgeschlagen, um erklären zu können, wie Menschen sich in solchen Konfliktsituationen verhalten (vgl. Abb. 27, S. 82). Das Konzept des sozialen Faulenzens unterstellt, dass die Motivation des Einzelnen, sich für eine Gruppenleistung einzusetzen, mit zunehmender Gruppengröße abnimmt, weil andere im Kontext großer Gruppen das Verhalten des Einzelnen kaum mehr identifizieren können (z.B. Latané et al. 1979; Arnscheid 1997). Verstärkt wird dies dadurch, dass das Individuum wahrnimmt, dass seine Anstrengung mit zunehmender Gruppengröße weniger Einfluss auf die Gesamtleistung hat und damit der Grenznutzen des individuellen Beitrags sinkt (vgl. Small Agent-Problem). Im Einklang mit den oben diskutierten mikro-ökonomischen Modellen gehen auch Sozialwissenschaftler davon aus, dass mit zunehmender Gruppengröße der Anreiz steigt, Trittbrett zu fahren, d.h. von den Leistungen anderer zu profitieren (z.B. Kerr/Brunn 1983; Arnscheid 1997). Die Effekte „soziales Faulenzen“ und „Trittbrett-
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fahren“ werden oft synonym verwendet, da in beiden Fällen ein Gruppenmitglied seinen Beitrag reduziert und darauf hofft, dass andere die für das Gruppenziel notwendige Leistung erbringen. Baron et al. (1992) zufolge besteht jedoch in der Motivation ein grundlegender Unterschied. Die Autoren sprechen von „sozialem Faulenzen“, wenn der Einzelne eine Kosten verursachende Leistung nicht erfüllt, weil er annimmt, dass seine Verweigerung nicht aufgedeckt wird. Trittbrettfahrer hingegen verweigern ihren Beitrag, weil sie annehmen, dass bereits hinreichend viele andere für den Erfolg der kollektiven Handlung sorgen und folglich der eigene Beitrag für den Erfolg nicht maßgeblich ist. Kerr (1982) führt den Gimpeleffekt als weitere Ursache dafür an, dass der Einzelne nicht motiviert ist, das Gruppenziel aktiv zu unterstützen. Leistet eine Person einen Beitrag und erfährt anschließend, dass andere dies ausnutzen (d.h. Trittbrett fahren), so reduziert sie in der Folge ebenfalls ihren Beitrag. Sie möchte nicht ausgenutzt werden und als „Gimpel“ gelten (vgl. Komorita/Parks 1994). Abb. 27: Motive, den individuellen Beitrag an einer Gruppenleistung zu reduzieren Effekt
Motivation
Wichtige Einflussgrößen
Soziales Faulenzen Das Individuum reduziert den eigenen, kostenwirksamen Beitrag, weil andere das Ausmaß der individuellen Leistungen nicht einschätzen können.
Anzahl anderer Gruppenmitglieder.
Trittbrettfahren
Das Individuum reduziert den eigenen, kostenwirksamen Beitrag, weil dieser die Gesamtleistung nur unwesentlich beeinflusst.
Erfolgswahrscheinlichkeit und Einschätzung des eigenen Beitrags zum Erfolg.
Gimpeleffekt
Das Individuum reduziert den eigenen, kostenwirksamen Beitrag, weil es sich nicht von anderen Gruppenmitgliedern ausnutzen lassen möchte.
Ausmaß des Trittbrettfahrens und sozialen Faulenzens anderer Gruppenmitglieder.
Quelle: In Anlehnung an Wilke/van Knippenberg (1997, S. 483) und Sen et al. (2001, S. 403).
Sen et al. (2001) untersuchten experimentell, ob die im Rahmen der Forschung zum sozialen Dilemma beschriebenen Effekte die Boykottentscheidung beeinflussen. Sie zeigen, dass Boykotteure die Gefahr, als Gimpel ausgenutzt zu werden, größer einschätzen, wenn die Kosten (z.B. bei hoher Produktpräferenz) einer Teilnahme am Boykott hoch sind. Bei geringen Kosten achtet der Konsument hingegen kaum auf die Entscheidung anderer und auf die Erfolgswahrscheinlichkeit des Boykotts. Sind Substitute vorhanden, ist die Boykottwahrscheinlichkeit generell sehr hoch, und der Einfluss anderer verliert an Bedeutung.
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3.4.2 Ethnozentrismus 3.4.2.1 Bedeutung des Herkunftslandes für die Kaufentscheidung Boykotte werden zunehmend aufgrund länderübergreifender Anliegen initiiert (vgl. Micheletti et al. 2003; Illia et al. 2006). Das Herkunftsland des zu boykottierenden Unternehmens gewinnt damit auch für die Boykottentscheidung des Einzelnen an Bedeutung (vgl. Ettenson/Klein 2005). Die Literatur zum Internationalen Marketing beschäftigt sich intensiv mit dem Einfluss, welchen das Herkunftsland des Unternehmens generell auf die Kaufentscheidung von Konsumenten ausübt. Neben dem Herkunftslandeffekt (‘country of origin’) diskutiert die einschlägige Forschung die Konstrukte Weltorientierung, Animosität und Konsumenten-Ethnozentrismus (vgl. Abb. 28). Diese werden im Folgenden kurz beschrieben und anschließend erläutert, weshalb das Konstrukt KonsumentenEthnozentrismus für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung ist. Abb. 28: Bedeutung des Herkunftslandes für die Kaufentscheidung Animosität
Ethnozentrismus
Beschreibung Herstellungsland als Moralisch motivierte Indikator der Produkt- Gleichbehandlung qualität aller Produkte, unabhängig von ihrer Herkunft.
Herkunftslandeffekt Weltorientierung
Kaufverweigerung aufgrund historisch, kulturell oder ökonomisch bedingter Feindseligkeit
Vermeidung des Kaufs von Importgütern, um die heimische Wirtschaft zu stärken
Bezugsebene ein anderes Land
alle Länder
Heimatland vs. ein anderes Land
Heimatland vs. alle anderen Länder
Quelle (Bsp.) Peterson/ Jolibert (1995)
Rawwas et al. (1996)
Klein et al. (1998)
Shimp/ Sharma (1987)
Konsum
Anti-Konsum
Anti-Konsum
Verhalten
Konsum
Gemäß dem Herkunftslandeffekt steigt die Kaufbereitschaft, wenn das Land, in dem ein Produkt hergestellt wurde, ein positives Image oder ein positives landesspezifisches Produktimage besitzt. Einschlägige Literaturreviews und Metaanalysen (vgl. Peterson/Jolibert 1995, S. 883ff.; Verlegh/Steenkamp 1999, S. 525ff.; Dinnie 2004; Pharr 2005) belegen diesen Effekt. Vor allem Verbraucher, die nicht fähig oder motiviert sind, Produkte anhand intrinsischer Merkmale zu beurteilen, schließen vom extrinsischen Produktmerkmal Herkunftsland auf die Qualität des Produkts (vgl. Dawar/Parker 1994). Dieser Effekt beschreibt somit eine Heuristik, welche die der
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Modell der individuellen Boykottpartizipation
Kaufentscheidung vorgelagerte Informationsverarbeitung erleichtert. Da ihm keine ethische bzw. politische Motivation zugrunde liegt, ist der Herkunftslandeffekt für die vorliegende Arbeit nachrangig. Das Konstrukt Weltorientierung (‘worldmindedness’) beschreibt ein empathisches Verständnis für andere Gesellschaften und das Interesse am Wohlergehen aller Nationen. Konsumenten mit einer starken Weltorientierung berücksichtigen bei ihrer Kaufentscheidung Richtlinien der Menschlichkeit (vgl. Kosterman/Feshbach 1989, S. 271) und messen dem Herkunftsland geringe Bedeutung zu (vgl. Rawwas et al. 1996, S. 22). Während dieses Konstrukt hilft, die Teilnahme an einem Buykott (z.B. FairTrade; vgl. Shaw et al. 2006) zu erklären, leistet es keinen bedeutenden Beitrag zur Vorhersage der Boykottteilnahme. Animosität (vgl. Riefler/Diamantopoulos 2007) bezeichnet eine generelle Antipathie von Konsumenten gegenüber einem bestimmten Land und die dadurch ausgelöste Absicht, Produkte, die in diesem Land hergestellt wurden, nicht zu kaufen. Ursächlich sind vergangene politische, militärische, kulturelle oder ökonomische Konflikten (z.B. die Massaker von Nanking als Ursache der Animosität chinesischer Konsumenten gegenüber Japan). Im Gegensatz zum unten diskutierten KonsumentenEthnozentrismus ist das Bezugsobjekt der Animosität explizit landesspezifisch. Animosität beeinflusst Klein et al. (1998) zufolge zwar die Kaufbereitschaft; sie wirkt sich jedoch nicht negativ auf die Beurteilung der Produktqualität aus. Die durch Animosität hervorgehende Kaufverweigerung ist damit keine Folge utilitaristischer Überlegungen, sondern Ausdruck politischer oder ethischer Überzeugungen. Je höher die Animosität, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Verbraucher Importe aus einem bestimmten Land boykottiert, um seine Missbilligung des Verhaltens der Landesregierung auszudrücken (vgl. Ettenson/Klein 2005). Beispiele für diese indirekten, politisch motivierten Protestaktionen sind der Boykott südafrikanischer Produkte aufgrund der lange Zeit vorherrschenden Apartheid (vgl. Teoh et al. 1999) oder der Boykott französischer Produkte durch australische Konsumenten aufgrund der Nukleartests der französischen Regierung im Südpazifik (vgl. Ettenson/Klein 2005). Das Konstrukt Konsumenten-Ethnozentrismus (vgl. Shimp/Sharma 1987) kennzeichnet die generelle Bevorzugung einheimischer Produkte. Es besitzt für die vorliegende Untersuchung die größte Relevanz und wird im Folgenden ausführlicher beschrieben.
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3.4.2.2 Konsumenten-Ethnozentrismus Der Begriff des Ethnozentrismus (vgl. Sumner, 1906) beschreibt das Phänomen, dass Individuen die eigene ethnische Gruppe als Ideal ansehen und andere Gruppen nach diesem Vergleichsstandard beurteilen. Erklären lässt sich dies mit der Theorie der Sozialen Identität (vgl. Tajfel/Turner 1986), welche das Verhalten der In-Group gegenüber der Out-Group beschreibt. Adorno et al. (1950) begreifen Ethnozentrismus als Persönlichkeitsmerkmal, welches eine feindliche Gesinnung gegenüber bestimmten anderen Gruppen (z.B. Minderheiten) verursacht. Nach Levine/Campbell (1972) sind ethnozentrische Personen auf Symbole und Werte ihrer eigenen ethnischen bzw. nationalen Gruppe stolz und grenzen sich durch diese Merkmale von anderen Gruppen ab. Shimp/Sharma (1987, S. 280) übertrugen das Konstrukt aus der sozialpsychologischen und soziologischen Literatur auf die Marketingforschung. KonsumentenEthnozentrismus gilt als Oberbegriff für den bevorzugten Konsum einheimischer Produkte (vgl. Sinkovics 1999; Klein 2002; Balabanis/Diamantopoulos 2004, S. 82). Ethnozentrische Verbraucher billigen einheimischen Produkten a priori eine höhere Qualität zu als Importprodukten (vgl. Netemeyer et al. 1991; Sharma et al. 1995). Sie betrachten den Konsum importierter Produkte außerdem als moralisch verwerflich, weil dies ihrer Meinung nach die heimische Wirtschaft (und damit insb. Arbeitsplätze) gefährdet (vgl. Sharma et al. 1995; Huddleston et al. 2001, S. 236). Buy-DomesticAufrufe sind ein Ausdruck von Konsumenten-Ethnozentrismus (vgl. Müller/ Kesselmann 1996) und damit gleichzeitig eine Form des Buykott, d.h. der komplementären Form des Boykotts (vgl. Friedman 1996). Als Antezedenzen des Konsumenten-Ethnozentrismus wurden verschiedene soziodemographische Merkmale identifiziert. So neigen ältere Verbraucher stärker zu Konsumenten-Ethnozentrismus als jüngere (vgl. Schäfer 1997 S. 827; Witkowski 1998). Zudem besteht ein negativer Zusammenhang zwischen Ethnozentrismus und dem Bildungsstand sowie dem damit einhergehenden Einkommen (vgl. Klein/Ettenson 1999, S. 19f.). Shimp/Sharma (1987, S. 287) zufolge sind Tätigkeiten, die Konsumenten mit niedrigem Einkommen ausüben, eine weitere Ursache ethnozentrischer Überzeugungen. Oft handelt es sich hierbei um wenig anspruchsvolle Aufgaben bei der Herstellung von Produkten, die leicht durch ausländische Importe substituierbar sind. Dies fördert die Angst, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren und in der Folge die
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Motivation, durch den Kauf einheimischer Produkte Arbeitsplätze im Inland zu sichern. Der Grad des Konsumenten-Ethnozentrismus korreliert zudem mit psychographischen Eigenschaften. Hierzu zählt Patriotismus, d.h. die Hingabe zum eigenen Land, sowie die Bereitschaft, Opfer für das eigene Land zu bringen (vgl. Cohrs 2005). Von Konsumenten-Patriotismus spricht man, wenn dieser sich im Kaufverhalten ausdrückt (vgl. Han 1988). Einige Autoren begreifen auch Konsumenten-Nationalismus als Antezedenz des Konsumenten-Ethnozentrismus (vgl. Good/Huddleston 1995, S. 36; Ouellet 2007). Dieser geht über den Wunsch der Förderung der inländischen Ökonomie und den Erhalt des persönlichen Wohlstands hinaus (vgl. Kosterman/Feshbach 1989; Druckman 1994, S. 47f.). Personen mit einem hohen Grad an Nationalismus hegen eher Feindseligkeiten gegenüber anderen Nationen. Zusammenfassend zeichnet sich Konsumenten-Ethnozentrismus durch die Präferenz inländischer und die Ablehnung ausländischer Produkte aus. Es ist zu vermuten, dass ethnozentrische Konsumenten dazu neigen, ausländische Produkte generell zu boykottieren. Klein et al. (2004, S. 103) weisen aber empirisch nach, dass ein hoher Grad an Konsumenten-Ethnozentrismus eine Person auch von der Teilnahme an einem Boykott abhalten kann. Denn dem Boykott ausländischer Produkten wohnt die Gefahr inne, dass dadurch ausländische Investoren abgeschreckt werden und dadurch der heimische Standort geschwächt wird. Im Einklang mit diesen von Friedman (1985) als Bumerang-Effekt bezeichneten Auswirkungen warnen verschiedene Autoren vor der kontraproduktiven Wirkung politischen Konsumerismus (z.B. Garrett 1986; Follesdal 2003, S. 3). 3.4.3 Vertrauen in das Management 3.4.3.1 Interpersonelles Vertrauen vs. Systemvertrauen Die vorliegende Arbeit postuliert, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Konsument ein Unternehmen boykottiert, umso geringer ist, je mehr er dessen Management vertraut. Im Folgenden wird zunächst der Begriff Vertrauen eingegrenzt. Anschließend wird die Bedeutung von Vertrauen für den traditionellen, d.h. nicht politisch motivierten, und den politisch motivierten Konsum diskutiert.
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Verschiedene Forschungsdisziplinen beschäftigen sich mit dem Konstrukt Vertrauen, wobei sie unterschiedliche „Vertrauensnehmer“ (d.h. Bezugsobjekte des Vertrauens) zum Gegenstand haben. So untersuchen Sozialpsychologen (z.B. Rotter 1980; Petermann 1996) und Soziologen (z.B. Luhmann 2000) das Konstrukt interpersonelles Vertrauen in seiner Funktion für zwischenmenschliche Beziehungen. Kommunikationswissenschaftler befassen sich mit der Vertrauenswürdigkeit des Kommunikators (vgl. Hovland et al. 1953). Gemäß der erweiterten Sichtweise muss der Vertrauensnehmer jedoch keine Person sein. In diesem Fall spricht man von Systemvertrauen (vgl. Schweer 2003, S. 323ff.; Petermann/Winkel 2006, S. 80). Politikwissenschaftler belegen, dass Personen auch Vertrauen in öffentliche Institutionen wie Staaten, Parteien und Regierungsformen entwickeln können (vgl. Warren 1999). Wirtschaftswissenschaftler diskutieren das Konstrukt Vertrauen insb. im Rahmen der Principal-Agent-Theorie (z.B. Williamson 1991; Pieper 2000). Zudem nehmen sie an, dass Personen auch Organisationen (vgl. Morgan/Hunt 1994; Mayer et al. 1995; Doney/Cannon 1997), materiellen Objekten wie Produkten (z.B. Bech-Larsen/Grunert 2001) und immateriellen Objekten wie Marken (z.B. Chaudhuri/Holbrook 2001; Delgado-Ballester/Munuera-Alemán 2001; Müller/Wünschmann 2004) vertrauen können. Ein Review von McKnight/Chervany (2002) zeigt am Beispiel von 65 Definitionen des Konstrukts Vertrauen, dass sich in den Marketingwissenschaften zwei Konzeptionen von Vertrauen gegenüber stehen. Die meisten Autoren betrachten Vertrauen in Übereinstimmung mit den bereits beschriebenen Auffassungen als Vertrauenswürdigkeit des Vertrauensnehmers (z.B. des Unternehmens; vgl. Morgan/Hunt 1994; Doney/Cannon 1997, S. 36). Einige Autoren meinen dagegen das Ausmaß, in dem sich Individuen auf andere verlassen. Sie begreifen Vertrauen als die Vertrauensbereitschaft des Vertrauensgebers (z.B. des Konsumenten; vgl. Moorman et al. 1993, S. 2). Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf die erste Perspektive und untersucht die Vertrauenswürdigkeit eines Unternehmens. 3.4.3.2 Funktionen von Vertrauen für den traditionellen Konsum Die Marketingforschung untersuchte Antezedenzen der Vertrauenswürdigkeit insb. im Business-to-Business-Bereich (vgl. Doney/Cannon 1997; Raimondo 2000). Empirische Studien zeigen, dass Manager Dienstleistern oder Lieferanten vor allem dann
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vertrauen, wenn diese sympathisch, kompetent, integer und aufrichtig erscheinen (Moorman et al. 1992; 1993; Nicholson et al. 2001, S. 5ff.). Untersuchungen aus dem Business-to-Consumer-Bereich weisen nach, dass Konsumenten einem Verkäufer umso stärker vertrauen, je mehr Problemlösungsbereitschaft (vgl. Siredshmukh et al. 2002, S. 17), Glaubwürdigkeit (vgl. Swan et al. 1999, S. 96f.) und Wohlwollen gegenüber dem Kunden (vgl. Ganesan/Hess 1997) sie diesem zuschreiben. In jüngster Zeit wurden verstärkt auch Antezedenzen des Markenvertrauens analysiert. Nach DelgadoBallester et al. (2003, S. 45ff.) sind Zuverlässigkeit und Problemlösungsbereitschaft zwei Komponenten des Markenvertrauens. Wünschmann/Müller (2004, S. 59) belegen einen starken Zusammenhang zwischen der Sympathie und dem Vertrauen, das Verbraucher einer Marke entgegenbringen. Dass Unternehmen davon profitieren können, als vertrauenswürdig zu gelten, wurde zunächst für den Business-to-Business-Bereich nachgewiesen. Demnach fördert das Vertrauen des Händlers in den Hersteller die Loyalität zu diesem (vgl. Morgan/Hunt 1994; Ganesan/Hess 1997). Diesen Zusammenhang untermauert auch die Forschung im Business-to-Consumer-Sektor sowohl für Dienstleistungen (z.B. Garbarino/ Johnson 1999) als auch für Produkte (z.B. Sirdeshmukh et al. 2002). Konsumenten, die einem Verkäufer vertrauen, entwickeln Einkaufsstättentreue (z.B. Crosby et al. 1990; Doney/Canon 1997; Young/Albaum 2003). Zahlreiche Studien belegen den positiven Einfluss des Markenvertrauens auf das Commitment und die Loyalität von Verbrauchern (vgl. Lau/Lee 1999; Delgado-Ballester/Munuera-Alemán 2001; Chaudhuri/Holbrook 2001, S. 89; Chaudhuri/Holbrook 2002; Delgado-Ballester et al. 2003, S. 45ff.; Sichtmann 2007). Dies gilt u.a. für den Mobilfunksektor (vgl. Huber et al. 2006, S. 243) und den Automobilsektor (vgl. Wünschmann/Müller 2006). Im Folgenden wird diskutiert, inwiefern sich der zwischen Vertrauen und traditionellem Kaufverhalten nachgewiesene Zusammenhang auf den politischen Konsum übertragen lässt. 3.4.3.3 Funktionen von Vertrauen für den politischen Konsum Die Critical-Citizen-These der Politikwissenschaften (vgl. Norris 1999) besagt, dass politisch motivierte Konsumenten den politischen Institutionen eher wenig, anderen Personen im Allgemeinen hingegen stark vertrauen. Im Einklang mit dieser These belegt eine in Schweden, Belgien und Kanada durchgeführte Untersuchung von Stolle
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et al. (2005, S. 259), dass politisch motivierte Konsumenten ein höheres generalisiertes Vertrauen gegenüber anderen Personen aufweisen. Dieses Konstrukt korrespondiert mit der in den Marketingwissenschaften diskutierten Dimension Vertrauensbereitschaft. Wie in der Critical-Citizen-These postuliert, ermitteln die Autoren darüber hinaus eine negative Korrelation zwischen dem Vertrauen in Institutionen (z.B. Regierung, Wirtschaft, Polizei) und der Neigung zum politischen Konsumerismus. Da der Indikator Boykottabsicht mit rtt = ,77 sehr hoch auf dem von ihnen erfassten Index des politischen Konsumerismus lädt, liegt der Schluss nahe, dass Personen, die an Boykotten partizipieren, Institutionen und Organisationen vergleichsweise wenig vertrauen. Aus den beiden vergleichsweise abstrakt operationalisierten Konstrukten Vertrauen in politische Institutionen und generalisiertes Vertrauen lassen sich folglich widersprüchliche Verhaltensvorhersagen für die Boykottpartizipation ableiten. Als Antezedenz dieser Form des politischen Konsumentenverhaltens erscheint deshalb das bereichsspezifisch erfasste Merkmal Vertrauen in das Management des Zielunternehmens geeigneter. Anhaltspunkte hierfür liefern Studien zur Wirkung der sozialen Verantwortlichkeit des Unternehmens. Sen et al. (2006) weisen empirisch nach, dass die Kaufabsicht höher ist, wenn Konsumenten sich bewusst sind, dass das Management sozialverträglich handelt. Dieser Zusammenhang ist umso stärker, je mehr Konsumenten einem Unternehmen vertrauen (vgl. Osterhus 1997; Lafferty/Goldsmith 1999). Individuen achten stark darauf, ob die Handlungen eines Unternehmens egoistisch oder altruistisch motiviert sind (vgl. Webb/Mohr 1998; Handelman/Arnold 1999). Nach Gilbert/Malone (1995) ist das „Warum“ sogar bedeutsamer als die Handlung selbst. Die in Kap. 2.2.3 beschriebene Studie von Klein et al. (2004) liefert einen empirischen Beleg für den Zusammenhang zwischen dem Vertrauen in ein Unternehmen und der Absicht, dieses zu boykottieren. Zwar lag den Autoren nicht daran, diesen Zusammenhang zu analysieren. Eine nachträgliche, kritische Betrachtung der Operationalisierung der Konstrukte legt diesen Schluss jedoch nahe. So ist die inhaltliche Validität des Konstrukts „wahrgenommene Verärgerung“ (‘perceived egregiousness’) fragwürdig. In einer Vorstudie erfassten Klein et al. (2002, S. 365) diese anhand folgender Indikatoren: “I think that [the company]s actions are very wrong” und “[The company]’s promotion of artificial infant feeding is inexcusable”. In einer Folgeuntersuchung
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ersetzen die Autoren diese Indikatoren jedoch durch die folgenden Formulierungen: “I trust [the company] not to close factories except when necessary”, “I trust [the company] to ensure that factory closing takes place in the best possible way for the workers” und “[The company] must close certain unprofitable factories to avoid putting the entire company in danger” (vgl. Klein et al. 2004, S. 100). Hoffmann/Müller (2008) argumentieren, dass diese Indikatoren eher das Vertrauen in das Unternehmen erfassen als Verärgerung. Deshalb sollte der nachgewiesene Zusammenhang zwischen beiden Variablen als Beleg für den Zusammenhang zwischen Vertrauen und Boykottpartizipation interpretiert werden (und nicht zwischen Verärgerung und Boykottpartizipation). Die Autoren zeigen, dass das auf diese Weise operationalisierte Konstrukt „Vertrauen in das Management“ negativ mit der Boykottpartizipation korreliert. Vertraut der Konsument darauf, dass ein Unternehmen sozial verantwortlich handelt, so hemmt dies seine Bereitschaft, an einem Boykott teilzunehmen. 3.4.4 Reputation Im Folgenden wird gezeigt, dass neben den bislang genannten Promotoren und Inhibitoren auch die Reputation des Zielunternehmens die Boykottentscheidung des Individuums beeinflussen kann. Dieses für die Marketingforschung sehr bedeutsame Konstrukt haben verschiedene Autoren unterschiedlich konzeptionalisiert (vgl. Fombrun/ van Riel 1997; Brown et al. 2006), bspw. als Unternehmensbewertung (‘company evaluation’, z.B. Sen/Bhattacharya 2001), Unternehmensassoziationen (‘corporate association’, z.B. Brown/Dacin 1997) und Image (z.B. Barich/Kotler 1991). Insb. die Konstrukte Image und Reputation werden oft synonym verwendet (vgl. Gotsi/Wilson 2001). Einwiller et al. (2005, S. 27) zufolge unterscheiden sich die Konstrukte aber darin, dass die Reputation eine öffentlich geteilte Information darstellt, während das Image das geistige Bild beschreibt, welches eine einzelne Person von einem Unternehmen verinnerlicht hat. Auch Wiedmann et al. (2006, S. 99) begreifen das Konstrukt Image als Bild, welches sich relevante Stakeholder von einem Unternehmen machen, während sie die Reputation darüber hinaus auch als Indikator der in der Vergangenheit und Zukunft liegenden Unterstützungspotenziale ansehen. Die Autoren verstehen darunter u.a. die Anziehungskraft, die das Unternehmen auf den Konsumenten ausübt und die Bereitschaft, das Unternehmen z.B. durch Weiter-
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empfehlungen zu unterstützen. Sie schreiben der Reputation damit eine stärkere Verhaltenswirksamkeit zu als dem Image. Wie im Folgenden begründet wird, sollte der Zusammenhang zwischen Boykottbeteiligung und Reputation aus einer prozessualen Perspektive betrachtet werden: Die Reputation vor der Ausführung des nicht gebilligten Verhaltens beeinflusst die Boykottteilnahme und diese wirkt sich wiederum auf die Reputation des Unternehmens aus. Die Reputation eines Unternehmens kann nach Baron (2003) darauf Einfluss nehmen, ob dieses boykottiert wird oder nicht. Wie Hoffmann/Müller (2008) empirisch belegen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Konsument einer Protestaktion anschließt, umso geringer, je positiver er das Unternehmen bewertet. Dies lässt sich mit Hilfe von Befunden zur Wirkung der Corporate Social Responsibility auf Konsumenten erklären (z.B. Sen/Bhattacharya 2001). Wie empirische Untersuchungen belegen, bewerten Konsumenten widersprüchliche Verhaltensweisen von Unternehmen, die als sozial verantwortlich wahrgenommen werden, wohlwollender als vergleichbares Verhalten von Unternehmen, die diesen Ruf nicht genießen (vgl. Klein/Dawar 2004; Eggert et al. 2005, S. 114). Gilt ein Unternehmen als sozial verantwortlich, kann der Verbraucher damit den Kauf der Produkte legitimieren (vgl. Handelman/Arnold 1999). Begreift man auch das Urteil des Konsumenten zur sozialen Verantwortlichkeit des Unternehmens als eine Form der Reputation, so liegt der Schluss nahe, dass Unternehmen mit negativer Reputation mit höherer Wahrscheinlichkeit boykottiert werden als Unternehmen, die dafür bekannt sind, sozial verantwortlich zu handeln. Auch der Einfluss der Boykottteilnahme auf die Bewertung des Unternehmens sollte beachtet werden. Diese Kausalität ist jedoch weniger eindeutig als es den Anschein hat. So deckt die Studie von Miller/Sturdivant (1977) eine unerwartete Auswirkung der Boykottteilnahme auf. Entgegen der Hypothese der Autoren verbessert sich im Verlauf der Protestaktion die Einstellung gegenüber der boykottierten Fast-Food-Kette (hinsichtlich Geschmack, Sauberkeit, Service etc.). Die Autoren erklären dies post hoc damit, dass Konsumenten das boykottierte Dienstleistungsangebot idealisieren, um so indirekt das von ihnen erbrachte Opfer zu betonen und ihren Selbstwert zu erhöhen. Im Regelfall aber zieht ein Boykott eine signifikante Verschlechterung der Unternehmensreputation nach sich (vgl. Garrett 1987). Konsumenten, die eine Handlung eines
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Modell der individuellen Boykottpartizipation
Unternehmens als unverantwortlich einstufen, attestieren diesem eine schlechtere Reputation als Konsumenten, die an diesem Verhalten nichts auszusetzen haben (vgl. Smith/Cooper-Martin 1997; Dawar/Pillutla 2000). Durch die Teilnahme an einer Protestaktion wird das Bewusstsein des Konsumenten für sozial unverantwortliches Handeln geschärft. So ermittelten Klein et al. (2002), dass sich die Beurteilung der Produktqualität verschlechterte, nachdem sich Probanden an einem Boykott beteiligt hatten. Die interne Validität dieses Befunds ist sehr hoch, weil die Autoren das Qualitätsurteil vor und nach dem experimentellen Treatment erfassen und dadurch eine kausal durch das Treatment verursachte Veränderung nachweisen können. Diesen Einfluss erklären die Autoren mit Hilfe der Theorie der kognitiven Dissonanz (vgl. Festinger 1957). Boykotteure versuchen, Dissonanzen zwischen der positiven Qualitätsbeurteilung und der Kaufverweigerung durch die Abwertung der Leistungsmerkmale abzubauen. Die Degradierung der Qualität hilft den Boykotteuren, die wahrgenommenen Kosten der Boykottpartizipation zu reduzieren. Diese Erklärung steht im Widerspruch zu den Ausführungen von Miller/Sturdivant (1977), wonach die Teilnehmer einer Protestaktion das zu boykottierende Produkt aufwerten. Beide Erklärungsansätze wurden post hoc aufgestellt, um die empirischen Befunde zu erklären. Eine explizite Untersuchung dieser konkurrierenden Erklärungen steht noch aus. In einer weiteren Studie belegen Klein et al. (2004, S. 104f.) empirisch, dass Boykotteure ein Unternehmen schlechter beurteilen als Personen, die sich nicht am Boykott beteiligen. Die Autoren erklären dies wiederum damit, dass die Teilnahme am Boykott dazu führt, dass das Individuum seine Beurteilung des Unternehmens revidiert. Dadurch löst es kognitive Dissonanzen zwischen der Boykotthandlung und dem bislang positiven Ruf des Unternehmens auf. Die Analyse basiert allerdings auf Daten einer Querschnittsstudie, weshalb die Richtung der Kausalität nicht empirisch festgestellt werden kann.
4 Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung 4.1 Hypothesen Das in Kap. 3 diskutierte Modell der individuellen Boykottpartizipation systematisiert als Rahmenmodell die Einflussgrößen der Boykottpartizipation auf der Mikroebene. Wie in Abb. 29 dargestellt, lässt es sich in das in Kap. 2.1.2 vorgestellte Modell des Konsumentenboykotts auf der Makroebene einbetten. Im Folgenden werden konkrete Hypothesen zur Überprüfung des Modells abgeleitet. Abb. 29: Rahmenmodell der Boykottpartizipation auf der Makro- und Mikroebene Makroebene Mikroebene
Auslöser (Verhalten des Unternehmens)
Betroffenheit
Promotoren/ Inhibitoren-
Reaktion Boykottpartizipation
(Verhalten des Unternehmens)
Externe Einflüsse (Aktivisten, Medien, soziales Umfeld) Anmerkung: Das empirisch zu prüfende Modell der individuellen Boykottpartizipation ist grau unterlegt.
4.1.1 Betroffenheit als direkter Auslöser der Boykottpartizipation Die vorliegende Studie postuliert, dass die Betroffenheit einer Person der Auslöser dafür sein kann, dass diese Person die Teilnahme an einem Boykott in Erwägung zieht. Dabei ist konzeptionell zwischen objektiver und affektiver Betroffenheit zu unterscheiden. Wie im Folgenden näher erläutert wird, kann aus den in Kap. 3.2 beschriebenen Theorien (kognitive Emotionstheorie von Lazarus 1991; Theorie der sozialen Identität von Tajfel/Turner 1985 und Norm-Aktivierungstheorie von Schwartz 1977) gefolgert werden, dass mit zunehmendem Grad der objektiven Betroffenheit die affektive Betroffenheit und die Wahrscheinlichkeit einer Boykottteilnahme steigen. H1
Je höher der Grad der objektiven Betroffenheit eines Konsumenten, desto stärker ist dessen affektive Betroffenheit.
H2
Je höher der Grad der objektiven Betroffenheit eines Konsumenten, desto wahrscheinlicher wird er sich an einem Konsumentenboykott beteiligen.
Wie in Kap. 3.2.2 erläutert, sind die Hypothesen H1 und H2 in Abhängigkeit von der Stufe der objektiven Betroffenheit weiter zu differenzieren (vgl. H1a bis H1c und H2a
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Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung
bis H2c). Die stärkste Ausprägung der objektiven Betroffenheit liegt dann vor, wenn das Individuum selbst Opfer unverantwortlicher Handlungen des Unternehmens ist („persönliche Betroffenheit“). Auf der nächsten Stufe ist das soziale Umfeld betroffen („soziale Betroffenheit“). Die schwächste Ausprägung objektiver Betroffenheit liegt vor, wenn Personen in räumlicher Nähe des Individuums betroffen sind („räumliche Betroffenheit“). Aus der kognitiven Emotionstheorie von Lazarus (1991) lässt sich der Schluss ziehen, dass persönliche Betroffenheit kognitive Bewertungsprozesse auslöst (vgl. Kap. 3.2.2.1), als deren Folge affektive Betroffenheit entsteht. Die Person erkennt, dass das Verhalten des Unternehmens für sie relevant ist und sie daran hindert, ihre Ziele zu erreichen. Dies ruft eine negative emotionale Reaktion hervor. H1a Konsumenten, die persönlich von den Handlungen eines Unternehmens betroffen sind, sind stärker affektiv betroffen als Konsumenten, die nicht persönlich betroffen sind.
Die Annahme eines (zumindest teilweise) rational handelnden Konsumenten legt nahe, dass persönlich betroffene Personen Produkte des Unternehmens boykottieren. Denn sie können hoffen, von der durch einen erfolgreichen Boykott provozierten Änderung des Verhaltens des Zielobjekts persönlich zu profitieren (vgl. Kap. 3.4.1.3). H2a Konsumenten, die persönlich von den Handlungen eines Unternehmens betroffen sind, nehmen mit höherer Wahrscheinlichkeit an einem Boykott teil als Konsumenten, die nicht persönlich betroffen sind.
Auch die soziale Betroffenheit kann die affektive Betroffenheit erhöhen. Untersuchungen zum prosozialen Verhalten zeigen, dass potenziell Hilfeleistende umso stärker emotional reagieren, je enger das Verhältnis zwischen ihnen und dem Hilfsbedürftigen ist (vgl. Kap. 3.1.2). Hieraus folgt, dass die affektive Betroffenheit nach einem als unverantwortlich beurteilten Handeln eines Unternehmens größer ist, wenn eine enge soziale Beziehung (z.B. Verwandte, Freunde) zu persönlich Betroffenen besteht. H1b Konsumenten, deren soziales Umfeld persönlich von den Handlungen eines Unternehmens betroffen ist, sind stärker affektiv betroffen als Konsumenten, deren soziales Umfeld nicht persönlich betroffen ist.
Die Teilnahme an einem Boykott lässt sich als prosoziales Verhalten gegenüber denjenigen begreifen, die von einem erfolgreichen Boykott profitieren würden. Folglich ist eine verstärkte Boykottbereitschaft von Personen zu erwarten, deren soziales Umfeld von den nicht gebilligten Handlungen des Unternehmens betroffen ist (vgl. Kap. 3.1.2). Nach dem Empathie-Modell des Hilfeverhaltens (vgl. Krebs 1975; Coke
Hypothesen
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et al. 1978, Stürmer et al. 2006) motiviert der als unangenehm empfundene Zustand der emotionalen Erregung dazu, die Not des anderen zu mildern. Insbesondere soziobiologische Untersuchungen zeigen, dass Familienangehörigen umso wahrscheinlicher Hilfe geleistet wird, je enger das Verwandtschaftsverhältnis ist (vgl. Cunningham 1986; Burnstein et al. 1994). Außerdem können Freunde eher Hilfe erwarten als Personen, zu denen keine persönliche Beziehung besteht (vgl. Tesser et al. 1988; Clark et al. 1989). H2b Konsumenten, deren soziales Umfeld persönlich betroffen ist, nehmen mit höherer Wahrscheinlichkeit an einem Boykott teil als Konsumenten, deren soziales Umfeld nicht persönlich betroffen ist.
Aus der Theorie der sozialen Identität (vgl. Tajfel/Turner 1986) lässt sich ableiten, dass auch schwache soziale Bindungen zu persönlich Betroffenen geeignet sind, die affektive Betroffenheit und damit die Wahrscheinlichkeit der Boykottteilnahme zu erhöhen. Die gemeinsame Abgrenzung von einem externen Aggressor (z.B. sozial unverantwortlich handelndes Unternehmen) steigert das Gemeinschaftsgefühl („WirGefühl“) zwischen Hilfsbedürftigen und Hilfeleistendem (vgl. Dovidio/Morris 1975; Batson et al. 1979; Hayden et al. 1984). Diese Abgrenzung führt dazu, dass sich die Person ihrer sozialen Identität bewusst wird, intensiveres Mitgefühl empfindet und sich solidarisch zeigt (vgl. Kap. 3.1.2). Nach dem Paradigma der minimalen Gruppensituation (Turner 1978) kann bereits ein gemeinsames Merkmal für ein Gemeinschaftsgefühl sorgen. Vermutlich erhöht bereits die räumliche Betroffenheit, d.h. die Nähe zu persönlich Betroffenen (z.B. derselbe Wohnort), Mitgefühl und Handlungsbereitschaft. Je geringer diese Distanz ist, umso größer ist die subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit, dass man selbst Opfer eines solchen Ereignisses werden könnte. Auch das Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell des prosozialen Verhaltens (z.B. Dovidio et al. 1991) postuliert eine negative Korrelation zwischen Hilfeverhalten und physischer bzw. psychischer Distanz zwischen Hilfsbedürftigen und potenziellem Hilfeleistenden. H1c Konsumenten, die in räumlicher Nähe zu persönlich Betroffenen wohnen, sind stärker affektiv betroffen als Konsumenten, die nicht in räumlicher Nähe zu persönlich Betroffenen wohnen. H2c Konsumenten, die in räumlicher Nähe zu persönlich Betroffenen wohnen, nehmen mit höherer Wahrscheinlichkeit an einem Boykott teil als Konsumenten, die nicht in räumlicher Nähe zu persönlich Betroffenen wohnen.
96
Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung
Wie in Kap. 3.2 diskutiert, ist neben der objektiven auch die affektive Betroffenheit eine bedeutsame Antezedenz der Boykottbeteiligung. Konsumenten schließen sich mit höherer Wahrscheinlichkeit einem Boykott an, wenn sie sich über die Handlungen des Zielunternehmens ärgern (z.B. Friedman 1999; Smith/Cooper-Martin 1997; Klein et al. 2002; Klein et al. 2004). Folgt man Nerb/Spada (2001) und begreift die Teilnahme an einem Konsumentenboykott als aggressives Verhalten, so lässt sich der Zusammenhang zwischen affektiver Betroffenheit und Boykottpartizipation mit Hilfe der Frustrations-Aggressions-Hypothese (vgl. Dollard et al. 1939) erklären: Eine frustrierte (d.h. stark affektiv betroffene) Person wendet sich in aggressiver Form gegen den Verursacher der Frustration (d.h. das Unternehmen). Es kann folglich vermutet werden, dass die Wahrscheinlichkeit der Boykottbeteiligung umso höher ist, je stärker der Grad der affektiven Betroffenheit ist. Hoffmann/Müller (2008) haben diese Hypothese am vorliegenden Datensatz bestätigt. Diese Arbeit soll prüfen, ob sie auch im Rahmen des hier aufgestellten Gesamtmodells der individuellen Boykottpartizipation Gültigkeit besitzt oder ob die relative Bedeutung ihres Einflusses durch den konkurrierenden Erklärungsgehalt anderer Konstrukte geschmälert wird. H3
Je stärker die affektive Betroffenheit eines Konsumenten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich an einem Boykott beteiligt.
4.1.2 Promotoren und Inhibitoren der Boykottpartizipation Wie Klein et al. (2002; 2004) bestätigen, ist das Streben nach Selbstwerterhöhung ein bedeutsames Motiv der Boykottbeteiligung. Diese ermöglicht es, durch Identifikation mit den als moralisch hochwertig eingeschätzten Zielen der Boykottorganisatoren und durch Disidentifikation mit dem Unternehmen, dessen Handeln als sozial unverantwortlich erlebt wird, den eigenen Selbstwert zu erhöhen (vgl. Kap. 3.3.1). H4
Je intensiver ein Konsument danach strebt, den eigenen Selbstwert zu erhöhen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich an einem Boykott beteiligt.
Der zweite Promotor, dessen Einfluss auf die Boykottbeteiligung im Einklang mit dem in Kap. 2.2.3 beschriebenen Modell von Klein et al. (2004) untersucht werden soll, ist die Kontrollüberzeugung, d.h. die Annahme des Boykotteurs, durch seine Teilnahme zum Erfolg des Boykotts beitragen zu können. Die Bedeutung dieses Konstrukts lässt sich u.a. mit Hilfe des Norm-Aktivierungs-Modells (vgl. Schwartz 1977) erklären. Dieses prognostiziert, dass ein Individuum, welches annimmt, zu einer Verbesserung des unerwünschten Zustands beitragen zu können, mit höherer Wahrscheinlichkeit
Hypothesen
97
interveniert, als eine Person, die ihrem Handeln keine entsprechende Wirkung zubilligt. Dies wurde u.a. im Zusammenhang mit umweltbewusstem Verhalten bestätigt (vgl. Stern et al. 1986). Der vorliegende Beitrag postuliert, dass der Grad der Kontrollüberzeugung auch zur Erklärung der Boykottpartizipation beiträgt. Um den Erklärungsbeitrag zu erhöhen, wird, wie in Kap. 3.3.2 erläutert, die bereichsspezifische (d.h. auf den Boykott bezogene) Kontrollüberzeugung analysiert. H5
Je stärker die Kontrollüberzeugung eines Konsumenten hinsichtlich des Boykotterfolgs, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich am Boykott beteiligt.
Kap. 3.4 zeigt, dass zahlreiche Inhibitoren den Konsumenten davon abhalten können, sich an einem Boykott zu beteiligen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Prinzipien des kollektiven Handelns (vgl. Kap. 3.4.1). Hierzu zählen das Trittbrettfahrerund das Small Agent-Problem (vgl. Olson 1965). Das Argument, dass ein Boykott die heimische Wirtschaft gefährden würde, leitet sich aus der Theorie des KonsumentenEthnozentrismus ab (vgl. Shimp/Sharma 1987; Klein et al. 2004; Kap. 3.4.2). Diese Inhibitoren können, wie in Kap. 5.1.2 erläutert, zum Konstrukt Gegenargumente zusammengefasst werden. H6
Je stärker ein Konsument Gegenargumente wahrnimmt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich am Boykott beteiligt.
Wie in Kap. 3.4.3 diskutiert, achten Konsumenten oft weniger darauf, was ein Unternehmen tut, sondern interessieren sich stärker dafür, warum es eine Handlung ausführt (vgl. Gilbert/Malone 1995; Becker-Olsen et al. 2006, S. 47ff.). Folglich kann angenommen werden, dass sich Konsumenten umso wahrscheinlicher an einem Boykott beteiligen, je geringer ihr Vertrauen in das Management des Unternehmens ist. Diese bereits von Hoffmann/Müller (2008) untersuchte Annahme soll nun im Rahmen des Modells der individuellen Boykottpartizipation reanalysiert werden. H7
Je weniger ein Konsument dem Management vertraut, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich an einem Boykott beteiligt.
4.1.3 Betroffenheit als Auslöser des Abwägungsprozesses Bisherige Studien (z.B. Sen et al. 2001; Klein et al. 2002; 2004) belegen, dass Promotoren und Inhibitoren die Wahrscheinlichkeit der Boykottbeteiligung beeinflussen. Warum dies bei verschiedenen Personen in unterschiedlichem Maße geschieht, wurde bislang jedoch noch nicht erforscht. Im Folgenden wird postuliert, dass die Betroffen-
98
Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung
heit nicht nur, wie in den Hypothesen H2 und H3 angenommen, direkt auf die Boykottbeteiligung wirkt. Aus dem Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell des prosozialen Verhaltens (vgl. Dovidio et al. 1991; Kap. 3.1.2) sowie aus dem Norm-AktivierungsModell (vgl. Schwartz 1977; Kap. 3.2.2.3) lässt sich ableiten, dass (objektive und affektive) Betroffenheit die Suche nach Argumenten für und gegen eine Teilnahme aktiviert. Aus sozialpsychologischen Konsistenztheorien (vgl. Festinger 1957; Harmon-Jones/ Harmon-Jones 2007) kann geschlossen werden, dass objektive und affektive Betroffenheit die Wahrnehmung von Promotoren (Streben nach Selbstwerterhöhung und Kontrollüberzeugung) der Boykottbeteiligung stärkt (vgl. Kap. 3.3.1). Das Individuum sucht eine Bestätigung für den durch seine Betroffenheit ausgelösten Wunsch, das Unternehmen zu boykottieren. H8
Je höher der Grad der objektiven Betroffenheit, desto intensiver ist das Streben nach Selbstwerterhöhung.
H9
Je höher der Grad der objektiven Betroffenheit, desto stärker ist die Kontrollüberzeugung.
H10 Je höher der Grad der affektiven Betroffenheit, desto intensiver ist das Streben nach Selbstwerterhöhung. H11 Je höher der Grad der affektiven Betroffenheit, desto stärker ist die Kontrollüberzeugung.
Ebenso wird der Grad der objektiven Betroffenheit die Suche nach und die Akzeptanz von Inhibitoren beeinflussen: Je stärker ein Individuum betroffen ist, desto weniger wird es dem Unternehmen in Zukunft vertrauen und desto weniger Bedeutung wird es Gegenargumenten beimessen. Hoffmann/Müller (2008) weisen einen negativen Zusammenhang zwischen affektiver Betroffenheit und dem Vertrauen in das Management nach, was nun im Rahmen des Gesamtmodells überprüft wird (vgl. H14). H12 Je höher der Grad der objektiven Betroffenheit, desto schwächer ist das Vertrauen in das Management. H13 Je höher der Grad der objektiven Betroffenheit, desto schwächer ist die Wahrnehmung von Gegenargumenten. H14 Je höher der Grad der affektiven Betroffenheit, desto schwächer ist das Vertrauen in das Management. H15 Je höher der Grad der affektiven Betroffenheit, desto schwächer ist die Wahrnehmung von Gegenargumenten.
Hypothesen
99
Die Hypothesen H1 bis H15 bilden gemeinsam das Modell der individuellen Boykottpartizipation (vgl. Abb. 30, S. 99). Im Folgenden wird dieses Grundmodell auf den in der vorliegenden Untersuchung analysierten Anwendungsfall adaptiert. Abb. 30: Grundstruktur des Modells der individuellen Boykottpartizipation Promotoren/ Inhibitoren
Betroffenheit
Verhalten
+
H2
Streben nach Selbstwerterhöhung
H8
+
Objektive Betroffenheit H1 +
+
H9
Kontrollüberzeugung
H13 -
+ H11
H10 +
- H12
Affektive Betroffenheit
Gegenargumente
-
-
H3
H4
+
H5 H6
H14 H15
+
Boykottpartizipation
-
H7
Vertrauen in das Management
+
Anmerkung: Postulierter Zusammenhang
+ positiv
- negativ
4.1.4 Besonderheiten des Boykottauslösers „Standortverlagerung“ Kap. 2.1.1.3 verdeutlicht, dass Konsumentenboykotte sehr unterschiedliche Merkmale aufweisen können. Dies wiederum bedeutet, dass Individuen je nach Art des Boykotts vermutlich unterschiedliche Kriterien heranziehen, um zu entscheiden, ob sie sich daran beteiligen möchten oder nicht. So wurde bereits in Kap. 3.4.1.3 diskutiert, dass Modelle, welche zur Erklärung der Teilnahme an ökonomischen Boykotten entwickelt wurden, nur eingeschränkt für politische Boykotte gelten können. Die vorliegende Arbeit postuliert, dass die Reichweite des bislang postulierten Modells vergleichsweise groß ist und es sich auf verschiedene Arten des Boykotts übertragen lässt. Die folgenden Hypothesen beziehen sich ausschließlich auf die in der vorliegenden Untersuchung analysierte Form des Boykotts. Auslöser war die Ankündigung eines ausländischen Mutterkonzerns, ein inländisches Tochterunternehmen in ein Niedriglohnland zu verlagern und damit Massenentlassungen im Heimatland der Konsumenten in Kauf zu nehmen (vgl. Kap. 4.3, S. 107). Die folgenden Annahmen wurden von
100
Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung
Hoffmann/Müller (2008) anhand des vorliegenden Datensatzes überprüft. Nunmehr werden diese in das in Abb. 30 dargestellte Grundmodell der individuellen Boykottpartizipation eingebettet. So kann nachgewiesen werden, dass die für den speziellen Anwendungsfall postulierten Zusammenhänge auch im Grundmodell der individuellen Boykottpartizipation mit konkurrierenden Einflussgrößen signifikante inkrementelle Erklärungsbeiträge leisten. Im Rahmen des hier untersuchten speziellen Boykottauslösers ist insb. die Reputation des Mutterkonzerns und des Tochterunternehmens für die Boykottentscheidung relevant. Dies lässt sich zunächst damit begründen, dass Wissen und Überzeugungen einer Person über ein Unternehmen generell ihre Reaktion auf dessen Verhalten beeinflussen (vgl. Brown et al. 2006). Im Folgenden wird unterstellt, dass die jeweilige Reputation der beiden beteiligten Unternehmen unterschiedlich auf die Komponenten des Modells der individuellen Boykottpartizipation wirkt. Wie Kap. 3.4.3 zeigt, konnte die Marketingforschung wiederholt empirisch nachweisen, das zwischen der Reputation eines Anbieters und dem Vertrauen des Nachfragers in den Anbieter ein Zusammenhang besteht. Folglich kann eine positive Wirkung der Reputation des Mutterkonzerns auf das Vertrauen in das Management dieses Konzerns angenommen werden. H16 Je positiver die Reputation des Mutterkonzerns, desto stärker ist das Vertrauen des Konsumenten in das Management des Mutterkonzerns.
Von den lang andauernden Annahmen der Konsumenten über das Unternehmen hängt es u.a. ab, wie diese eine aktuelle Krise beurteilen (vgl. Klein/Dawar 2004). So kann eine gute Reputation negative Reaktionen von Konsumenten mildern. Sie werden sich weniger stark affektiv betroffen fühlen und sich mit umso geringerer Wahrscheinlichkeit an einem Konsumentenboykott beteiligen, je positiver die Reputation des Unternehmens ist (vgl. Kap. 3.4.4). H17 Je positiver die Reputation des Mutterkonzerns, desto schwächer ist die affektive Betroffenheit. H18 Je positiver die Reputation des Mutterkonzerns, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Konsumenten am Boykott partizipieren.
Ist nur ein Unternehmen involviert (das bspw. umweltschädigende Stoffe emittiert), so können die bislang angestellten Überlegungen die Entscheidung des Konsumenten zur Boykottteilnahme erklären. In der vorliegenden Untersuchung stellt sich allerdings
Hypothesen
101
zusätzlich die Frage, wie sich die Reputation des zu schließenden Tochterunternehmens auswirkt. Nehmen Konsumenten die beiden Unternehmen als Einheit wahr, so gelten vermutlich auch für das Tochterunternehmen die bislang beschriebenen Zusammenhänge. Betrachten Konsumenten hingegen beide unabhängig voneinander und assoziieren sie Positives mit dem zu schließenden Tochterunternehmen, so liefert dessen Reputation einen eigenen Beitrag zur Erklärung der Boykottteilnahme. Aus den Konsistenztheorien (z.B. Balance-Theorie von Heider 1958) folgern Bhattacharya/ Elsbach (2002), dass Individuen motiviert sind, positive Assoziationen mit einem Unternehmen aufrecht zu erhalten, mit dem sie sich identifizieren. Gemäß der Theorie der sozialen Identität (vgl. Tajfel/Turner 1986) und dem Paradigma der minimalen Gruppensituation (vgl. Turner 1978) reicht ein gemeinsames Charakteristikum aus, um ein „Wir-Gefühl“, d.h. eine gemeinsame Identität entstehen zu lassen. Dies trifft auch für den vorliegenden Anwendungsfall zu, da aus Sicht der Konsumenten ein ausländischer Konzern ein inländisches Unternehmen schließt. Aufgrund der gemeinsamen Herkunft identifizieren sich Konsumenten mit dem lokal ansässigen Tochterunternehmen, während sie sich vom ausländischen Mutterkonzern abgrenzen. Vermutlich schreiben sie diesem die Verantwortung für die nicht gebilligte Handlung zu (Schließung eines Werks), während sie das Tochterunternehmen als Opfer wahrnehmen. Je positiver dessen Reputation ist, desto stärker fühlen sie sich betroffen und desto eher neigen sie dazu, den Mutterkonzern zu boykottieren. H19 Je positiver die Reputation des Tochterunternehmens, desto stärker ist die affektive Betroffenheit. H20 Je positiver die Reputation des Tochterunternehmens, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Konsument am Boykott partizipiert.
4.1.5 Moderierender Einfluss der Konsumhistorie Abschließend wird postuliert, dass die bisher beschriebenen Zusammenhänge bei Kunden des Unternehmens stärker ausgeprägt sind als bei Nicht-Kunden (Moderatorvariable „Konsumhistorie“). Hoffmann/Müller (2008) belegen bereits, dass die in Kap. 4.1.4 beschriebenen Zusammenhänge von der Variable Konsumhistorie moderiert werden. Es kann angenommen werden, dass dies auch für das erweiterte Modell gilt. Wie im Folgenden gezeigt wird, lässt sich diese Annahme damit begründen, dass Kunden stärker involviert sind und sich stärker mit dem Unternehmen identifizieren.
102
Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung
Dem Elaboration-Likelihood-Modell (Petty/Cacioppo 1981) zufolge neigen involvierte Individuen dazu, ihre Entscheidungen stärker auf rationale Argumente zu stützen. Demzufolge würden stark involvierte Konsumenten im Vorfeld der Boykottentscheidung ihr Wissen über das Unternehmen und ihre Überzeugungen stärker in Betracht ziehen als schwach involvierte Konsumenten. Da das Involvement von Nicht-Kunden geringer ausgeprägt ist als das von Kunden, kann postuliert werden, dass ihr Grad an affektiver Betroffenheit und ihre Boykottentscheidung nur wenig von der Reputation des Mutterkonzerns, der Reputation des Tochterunternehmens und dem Vertrauen in das Management beeinflusst werden. Für diese Population werden situative Faktoren, wie die wahrgenommene Bedeutung des aktuellen Falls, bedeutsamer sein. Ferner kann postuliert werden, dass Kunden, die sich mit einem Unternehmen identifizieren, bestrebt sind, ihr bisheriges Bild von diesem beizubehalten. Da der Kontakt mit einer Organisation die Identifikation stärkt (vgl. Ashforth/Mael 1989; Dutton et al. 1994), kann angenommen werden, dass Kunden sich mit dem Unternehmen mehr identifizieren als Nicht-Kunden. Bhattacharya/Sen (2003) belegen empirisch, dass die Folgen von Identifikation Loyalität und positive Mund-zu-Mund-Werbung sind. Insbesondere in Krisenzeiten kann dies einem Unternehmen nützen. Personen mit einer engen Bindung an das Unternehmen finden mehr Gegenargumente, um negative Informationen abzuwehren als wenig gebundene Personen (vgl. Ahluwalia et al. 2000). Sie versuchen ihre positiven Assoziationen zum Unternehmen zu bewahren, um weiterhin den Konsum seiner Produkte als Quelle einer positiven Identität und eines hohen Selbstwerts nutzen zu können (vgl. Einwiller et al. 2006). Zusammenfassend zeigt sich, dass ein starkes Involvement einen intensiven Abwägungsprozess auslöst und dass die Identifikation mit dem Unternehmen Personen motiviert, ihre bisherigen Assoziationen mit dem Unternehmen aufrecht zu erhalten. Die bisher beschriebenen Zusammenhänge sollten deshalb bei Kunden stärker ausgeprägt sein als bei Nicht-Kunden. H21 Die in den Hypothesen H1 bis H20 postulierten Zusammenhänge sind für Kunden des Unternehmens stärker ausgeprägt als für Nicht-Kunden.
Das anhand der Hypothesen H1 bis H21 beschriebene Modell der individuellen Boykottpartizipation ist in Abb. 31 (S. 103) schematisch dargestellt. Es wird in Studie A empirisch geprüft.
Vollständig integriertes Forschungsdesign als Rahmen der Untersuchung
103
Abb. 31: Erweitertes Modell der Boykottpartizipation Reputation
Promotoren/ Inhibitoren
Betroffenheit
Verhalten
H20 + +
H2
Streben nach Selbstwerterhöhung
H8 Reputation des Tochterunternehmens +
H19 Reputation des Mutterkonzerns
+
Objektive Betroffenheit
-
H17
H1 +
+
+ H11
H10 +
- H12
H4
+
Boykottpartizipation
-
-
H7
Vertrauen in das Management
H3 H18
+
H5 H6 Gegenargumente
-
H14 H15
+
Kontrollüberzeugung
H13 -
Affektive Betroffenheit
H16
H9
+ -
H21 Konsumhistorie Anmerkung: Postulierter Zusammenhang
+ positiv
- negativ
Moderatoreffekt
4.2 Vollständig integriertes Forschungsdesign als Rahmen der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung kombiniert qualitative und quantitative Methoden, um das Modell der individuellen Boykottpartizipation umfassend prüfen zu können. Das hierzu gewählte Vorgehen kann nach Srnka (2007, S. 255) als vollständig integriertes Design bezeichnet werden. Im Folgenden wird gezeigt, welche Vorteile dieses bislang wenig genutzte Forschungsdesign für die Validierung des Modells besitzt. Untersuchungen, die dem quantitativen Paradigma folgen, prüfen meist deduktiv gewonnene Hypothesen mit Hilfe etablierter Skalen. Sie bewegen sich letztlich immer in einem vertrauten theoretischen Rahmen und können so meist nur wenig zur Theorieentwicklung beitragen (vgl. Srnka 2007, S. 250). Gerade in der Marketingforschung wird häufig ein erheblicher Theoriemangel beklagt (vgl. Summers 2001; Krafft et al. 2003). Da bislang nur vergleichsweise wenige empirische Studien zum politisch und
104
Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung
ethisch motivierten Konsumentenverhalten vorliegen, sind Shaw et al. (2006, S. 1053) zufolge explorative und qualitative Ansätze nötig, um dieses Phänomen zu verstehen und potenzielle Einflussgrößen zu identifizieren (vgl. Denzin/Lincoln 1998). vgl. Denzin/Lincoln 1998). Qualitative Methoden ermöglichen eine Annäherung an den Forschungsgegenstand in seiner gesamten Breite und Tiefe (vgl. Levy 2005) und helfen so, bislang unbekannte Phänomene zu entdecken und neue Theorien zu entwickeln (z.B. Tomczak 1992; Laurent 2000). Allerdings bemängeln einige Autoren, dass es qualitativer Forschung an methodischer Strenge fehle, dass sie die Forderung nach Objektivität nicht erfülle und dass sie keine statistisch geprüften Ergebnisse liefere (vgl. Deshpandé 1983; Summers 2001; Varadarajan 2003). Um realitätsnah (‘relevance’) und gleichzeitig methodisch fundiert vorzugehen (‘rigor’), sollten deshalb qualitative und quantitative Ansätze kombiniert werden (vgl. Müller 2000, S. 152; Sale et al. 2002; Varadarajan 2003; Bazeley 2004). Das von Mayrings (2001) aufgestellte und kürzlich von Srnka/Koeszegi (2007) und Srnka (2007) erweiterte Klassifikationsschema der Integration qualitativer und quantitativer Forschungsansätze hilft, das gewählte Vorgehen zu beurteilen. Demnach lassen sich fünf mögliche Kombinationen qualitativer und quantitativer Untersuchungen unterscheiden (vgl. Abb. 32, S. 105): x Das Generalisierungsdesign setzt qualitative Analysen ein, um erstens induktiv für den Forschungsgegenstand relevante Merkmale zu identifizieren und zweitens qualitatives Untersuchungsmaterial in kategoriale Daten zu transformieren. Diese können anschließend mit Hilfe statistischer Verfahren ausgewertet werden. Ziele des Generalisierungsdesigns sind die Entwicklung von Theorien durch den Einsatz qualitativer Methoden und die Generalisierung dieser Ergebnisse mit Hilfe quantitativer Analysen. x Beim Elaborationsdesign werden quantitative Daten zunächst mit statistischen Methoden ausgewertet. Die gewonnenen Ergebnisse werden anschließend mit Hilfe qualitativer Methoden interpretiert. Dadurch sollen zugrunde liegende Muster identifiziert werden. Dieses Vorgehen ermöglicht, neue theoretische Einsichten in Felder zu gewinnen, die als bereits gut erforscht gelten. x Beim inzwischen weit verbreiteten Vorstudiendesign werden qualitative und quantitative Daten sequenziell erhoben. Die in einer ersten Stufe durchgeführte qualitative Analyse dient dazu, in einem bislang noch nicht hinreichend erforschten Bereich Forschungsfragen herzuleiten und Indikatoren für Erhebungsinstrumente
Vollständig integriertes Forschungsdesign als Rahmen der Untersuchung
105
zu entwickeln. In der nachfolgenden Phase werden Hypothesen quantitativ überprüft. x Das Follow-Up-Design sieht vor, dass zunächst quantitative Daten erhoben und ausgewertet werden. Eine darauf folgende qualitative Analyse eines zweiten Datensatzes dient dazu, die Befunde zu verstehen und zu interpretieren. x Das Triangulationsdesign betrachtet eine Fragestellung in zwei Hauptuntersuchungen, wobei eine Studie dem qualitativen und eine andere dem quantitativen Forschungsverständnis folgt (vgl. Flick 2004; Mruck/Mey 2007). Die Erkenntnisse beider Untersuchungen sollen sich wechselseitig unterstützen. Denzin (1970) führte den Begriff Triangulation zur Beschreibung eines Vorgehens ein, das dazu dient, Erkenntnisse zu erlangen, die nicht durch die eingesetzte Forschungsmethodik „kontaminiert“ sind. Kelle (2001) nennt als Ziel der Triangulation die Validierung von Untersuchungsergebnissen. Vor allem Autoren, die dem qualitativen Paradigma nahe stehen verwenden diesen Begriff. Als Äquivalent der quantitativen Forschung kann der Multitrait-Multimethod-Ansatz von Campbell/Fiske (1959) gelten, der eingesetzt wird, um zu prüfen, ob die Erfassung latenter Konstrukte vom verwendeten Messansatz beeinflusst wird. Abb. 32: Möglichkeiten zur Integration qualitativer und quantitativer Forschungsansätze Zwei-Studien-Design
Integriertes Design sequenziell Generalisierung
Elaboration
Vorstudie
Follow-Up
qualitativ
quantitativ
qualitativ
quantitativ
quantitativ
qualitativ
quantitativ
qualitativ
parallel Triangulation quantitativ
qualitativ
Integration der Befunde
Sowohl die Triangulation als auch die sequenziellen Ansätze erfordern zwei Datensätze, wobei je einer mit qualitativen und einer mit quantitativen Methoden ausgewertet wird. Srnka (2006, S. 12) bezeichnet diese Herangehensweise deshalb als ZweiStudien-Designs. Elaborations- und Generalisierungsdesigns stützen sich hingegen auf einen Datensatz, der sowohl mit qualitativen als auch mit quantitativen Methoden analysiert wird. Diese Vorgehensweise bezeichnet die Autorin deshalb als integriertes Design. Der größtmögliche Erkenntnisbeitrag lässt sich Srnka (2007, S. 255) zufolge durch ein so genanntes vollständig integriertes Design erreichen. Hierbei werden
106
Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung
innerhalb eines Forschungsansatzes ein Zwei-Studien-Design und ein integriertes Design kombiniert (vgl. Angerer et al. 2006, S. 125). Auch die vorliegende Arbeit wendet ein vollständig integriertes Design an, indem sie das Triangulations- und das Generalisierungsdesign kombiniert. Studie A wertet die Aussagen von 744 Personen mit Hilfe quantitativer, statistischer Analyseverfahren aus (vgl. Kap. 5.1). In Studie B werden 790 Internet-Postings zum selben Konsumentenboykott inhaltsanalytisch betrachtet. Dabei werden zunächst sowohl induktiv als auch deduktiv Einflussgrößen der Boykottteilnahme identifiziert (vgl. Kap. 6.1). Anschließend gilt es, diese dem Generalisierungsdesign folgend in kategoriale Daten zu überführen und mit Hilfe statistischer Verfahren quantitativ auszuwerten. Eine Triangulation führt die Ergebnisse beider Studien zusammen (vgl. Abb. 33). Abb. 33: Struktur der Untersuchung als vollständig integriertes Forschungsdesign Studie A (n = 744 Probanden) Konfirmatorischer Modelltest
Studie B (n = 790 Internet-Postings) Inhaltsanalyse
Kontingenzanalyse
Generalisierungsdesign Triangulationsdesign
Im Rahmen dieses Forschungsdesigns werden folgende Forschungsfragen beantwortet. Zunächst ist zu klären, ob sich das postulierte Modell der individuellen Boykottpartizipation validieren lässt. Studie A prüft als Hauptuntersuchung die in Kap. 4.1 beschriebenen Hypothesen H1 bis H21 empirisch. Forschungsfrage 1: Kann das Modell der individuellen Boykottpartizipation empirisch bestätigt werden?
Um zu gewährleisten, dass die Ergebnisse nicht von der gewählten Methode abhängen, wird parallel zu diesem hypothesenprüfend-deduktiven Vorgehen in Studie B derselbe Untersuchungsgegenstand einer qualitativen Analyse unterzogen. Dabei sollen bislang vernachlässigte Einflussgrößen der Boykottbeteiligung induktiv aufgedeckt werden. Forschungsfrage 2: Welche Einflussgrößen der Boykottpartizipation vernachlässigt die einschlägige Forschung bisher?
Der Fall AEG/Electrolux als Untersuchungsgegenstand
107
Studie B prüft außerdem explorativ, ob die durch die der Inhaltsanalyse gewonnenen Einflussgrößen der Boykottpartizipation im Zusammenhang mit soziodemographischen Merkmalen von Konsumenten stehen. Darüber hinaus wird analysiert, ob Personen, die sich vergleichsweise früh bzw. spät der Protestaktion anschließen, unterschiedliche Beweggründe zur Boykottteilnahme haben. Forschungsfrage 3: Partizipieren verschiedene Konsumentensegmente aus unterschiedlichen Gründen an dem Boykott?
4.3 Der Fall AEG/Electrolux als Untersuchungsgegenstand 4.3.1 Auslöser des Boykotts Die vorliegende Arbeit untersucht die Antezedenzen der individuellen Boykottpartizipation anhand eines realen Boykotts von Produkten des schwedischen Konzerns Electrolux. Am 15. Februar 2005 gab die Leitung des Unternehmens bekannt, dass sie plant, etwa die Hälfte der zu diesem Zeitpunkt in Hochlohnländern lokalisierten Standorte in Niedriglohnländer zu verlagern (vgl. o.V. 2005d). Anfang Juni 2005 meldete das Management, dass im Zuge der Umstrukturierung auch der Nürnberger Standort mit 1.750 Beschäftigten geschlossen werden solle. Das dort ansässige traditionsreiche AEG-Werk wurde 1922 gegründet und 1994 dem Electrolux-Konzern angegliedert. Als Grund für die drohende Schließung gab das schwedische Management an, das deutsche Werk sei aufgrund des Preisverfalls für Haushaltsgeräte nicht mehr wettbewerbsfähig (vgl. o.V. 2005a). Gerade im Hauptabsatzmarkt Deutschland seien die in Nürnberg hergestellten Geräte (wie Waschmaschinen und Geschirrspüler) einem enormen Preisdruck unterworfen. Am 12. Dezember 2005 stand dann endgültig fest, dass der Konzern das AEG-Werk im Laufe des Jahres 2007 nach Polen verlagern und die Mitarbeiter des Nürnberger Werks ihre Arbeitsplätze verlieren würden (vgl. o.V. 2005c). Im März 2007 wurde das Werk geschlossen (vgl. Ritzer 2007). Kritiker bezeichneten die geplante Schließung des traditionsreichen Nürnberger Werks als sozial unverantwortlich (vgl. Schwetz 2006). Ihrer Ansicht nach gäbe es im Raum Nürnberg kaum adäquate Ersatzarbeitsplätze. Außerdem argumentierten sie, dass die Nürnberger Haushaltsgerätefertigung profitabel arbeitete. Die Werksverlagerung war damit nach Meinung vieler Kritiker nicht durch das Ziel motiviert, wirtschaftlich zu überleben, sondern durch reines Gewinnstreben.
108
Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung
Als Reaktion auf die angekündigte Werksschließung und geplante Massenentlassung organisierte die IG Metall zunächst einen Streik der Belegschaft (vgl. o.V. 2006a). Sodann drohte sie am 5. Oktober 2005, einen Konsumentenboykott zur Unterstützung des Arbeiterstreiks zu initiieren (vgl. o.V. 2005b). Allerdings forderte die Gewerkschaft in der Folge nie offiziell Konsumenten zum Boykott auf (vgl. Schwetz 2006). Eine organisierte Form erhielt der Konsumentenboykott durch das Sozialforum Nürnberg, das am 16. Januar 2006 zu einem Boykott aller Electrolux-Produkte aufrief (siehe Abb. 34). Es richtete im Internet unter der Adresse www.jobkiller-electrolux.de eine Kampagnenseite ein, um Hintergrundinformationen zum Boykott, Pressemitteilungen und weitere Materialien bereitzustellen, welche den Boykott unterstützen (z.B. Logo, Unterschriftenlisten und Argumentationshilfen). Abb. 34: Boykottaufruf des Sozialforums Nürnberg Jobkiller Electrolux - Ich kaufe nix „Electrolux will die Hälfte seiner Fabriken in Europa schließen und die Produktion in Billiglohn-Länder verlagern. Davon betroffen ist auch das AEG-Werk in Nürnberg, wo über 1750 Arbeitsplätze vernichtet werden sollen. Selbst das neue Werk in Polen ist heute schon wieder zu teuer. Die Idee des Boykotts wurde von vielen Nürnberger/Innen spontan aufgegriffen, die auf die geplanten Massenentlassungen reagierten, und gegenüber der Presse erklärten: ‚Wir kaufen nichts mehr von AEG-Electrolux’! Mit dieser Initiative des Sozialforums Nürnberg unterstützen wir gemeinsam den Kampf der AEG-Belegschaft.“ Quelle: www.jobkiller-electrolux.de (vgl. Labournet 2006).
4.3.2 Klassifikation des Electrolux-Boykotts Um die Ergebnisse des empirischen Teils der vorliegenden Arbeit sinnvoll interpretieren zu können, soll der Boykott zunächst in das in Kap. 2.1.1.3 eingeführte Klassifikationsschema eingeordnet werden. Damit lässt sich die Generalisierbarkeit der Befunde beurteilen, d.h. abschätzen, ob sie auf andere Protestaktionen übertragbar sind. Die Protestaktion rund um das AEG-Werk kann zunächst als politischer Boykott klassifiziert werden. Sie sollte nicht nur bewirken, dass die gefährdeten Arbeitsplätze erhalten bleiben oder zumindest sozialverträglich abgebaut werden. Vielmehr wollten zahlreiche Boykotteure damit auch zeigen, dass der Standort Deutschland gefährdet ist. Der Electrolux-Boykott ist außerdem als Arbeitsboykott einzustufen, der ausgerufen wurde, um einen Arbeiterstreik zu unterstützen.
Der Fall AEG/Electrolux als Untersuchungsgegenstand
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Da sowohl Personen boykottierten, die von einer erfolgreichen Aktion selbst profitieren würden, als auch Personen, die Betroffene unterstützen wollten, handelt es sich sowohl um einen nutzen- als auch einen gewissensorientierten Boykott. Die Protestaktion war aus Sicht der Boykottorganisatoren in erster Linie instrumenteller Natur. Sie wurde ins Leben gerufen, um die Haltung und das Verhalten des ElectroluxManagements unmittelbar und real zu beeinflussen. Dies schließt aber nicht aus, dass sowohl Organisatoren als auch Teilnehmer zusätzlich expressive und bestrafende Motive verfolgten. Der Konsumentenboykott war marktorientiert initiiert. Die Organisatoren gaben an, vor allem durch rückläufige Absatzzahlen Druck auf das Management des Konzerns ausüben zu wollen. Dies schließt die zusätzliche Wirkung negativer Pressemeldungen und den damit verbundenen Imageverlust nicht aus. Die Teilnehmer boykottierten direkt die Produkte des angeprangerten Unternehmens. Da dazu aufgefordert wurde, alle Marken des Konzerns zu meiden, handelt es sich um einen Firmenboykott. Die Organisatoren grenzten den Boykott räumlich nicht ein. Der Aufruf fand bei Konsumenten aus dem gesamten Bundesgebiet Anklang, weshalb die Maßnahme als national einzustufen ist (vgl. Kap. 6.1.2). Das Sozialforum Nürnberg wies darüber hinaus von Anfang an auf die internationale Bedeutung hin, indem es betonte, dass auch andere europäische Produktionsstätten des Konzerns gefährdet seien. In zeitlicher Hinsicht ist der Boykott nicht beschränkt. Der Aufruf zum Boykott steht auch über zwei Jahre nach dem ersten Aufruf noch online auf der Webseite der Organisatoren, so dass der Boykott zumindest als mittellang einzustufen ist (vgl. Abb. 35). Abb. 35: Merkmale des Electrolux-Boykotts Kriterium
Ausprägung
Anliegen Motivation Ziele Beeinflussungsstrategie Wirkungsweise Verhältnis zum Zielobjekt Umfang Geographische Reichweite Zeitspanne
ökonomisch nutzenorientiert instrumentell bestrafend medienorientiert direkt warenbezogen lokal kurz andauernd
politisch gewissensorientiert expressiv belohnend marktorientiert indirekt markenbezogen regional mittellang
bestrafend
katalysatorisch
firmenbezogen international national lang andauernd
Anmerkung: Die Zuordnung des Elektrolux-Boykotts ist fett hervorgehoben.
110
Ziel und Aufbau der empirischen Untersuchung
Das Sozialforum Nürnberg bezeichnet die Resonanz auf den Boykottaufruf als enorm. Nach Angabe der Boykottorganisatoren gingen im Nürnberger Raum die Verkaufszahlen von Electrolux-Produkten um 46 % zurück (vgl. Labornet 2006). Diese Angaben wollte das Management des Konzerns jedoch nicht bestätigen. Ein Vertreter der IG Metall gab in einem Interview im Magazin Mitbestimmung an, dass das Image der Marke AEG deutlich geschädigt wurde und der Boykott die Verkaufszahlen von AEGProdukten um 35 % bis 40 % reduziert habe (vgl. o.V. 2006b). Selbst ein Sprecher des Electrolux-Konzerns konnte einen Umsatzrückgang nicht leugnen, beurteilte die genannten Zahlen jedoch als übertrieben (vgl. o.V. 2006c). Einem Spiegel-Bericht zufolge gab die Marktforschungsgesellschaft GfK bekannt, dass der Marktanteil von Electrolux bei Elektrogroßgeräten in Deutschland von Januar bis August 2006 um 20 % „eingebrochen“ sei (vgl. o.V. 2006d, S. 105). Der Marktanteil der Marke AEG sank von 10,7 % auf 8,3 %. Dagegen konnten andere in Deutschland ansässige Hersteller, wie Miele und das Gemeinschaftsunternehmen Bosch-Siemens, im gleichen Zeitraum Zuwächse im gesättigten Hausgerätemarkt verzeichnen. Das Nürnberger Werk wurde trotz Arbeiterstreik und Konsumentenboykott geschlossen. Es konnte zwar ein Sozialtarifvertrag über mehr als 250 Mio. Euro vereinbart werden, der von der Belegschaft mehrheitlich akzeptiert wurde. Der Großteil der Arbeitsplätze wurde jedoch abgebaut (vgl. Giese 2006). Wie Ritzer (2007) berichtet, räumte der Vorstandsvorsitzende des Konzerns selbst ein, dass das Unternehmen länger als erwartet die Nachwirkungen des Nürnberger Arbeitskampfes spüren werde.
5 Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation 5.1 Untersuchungsdesign 5.1.1 Stichprobe Studie A liegen Daten einer Befragung von Passanten in Nürnberg, Mannheim, Chemnitz und Dresden zugrunde. Sie wurde im Februar und März 2006 durchgeführt, als die öffentliche Auseinandersetzung um die geplante Schließung des AEG-Werks in Nürnberg ihren Höhepunkt erreichte. Um valide Aussagen zu erhalten, wurden nur Personen in die Untersuchung eingeschlossen, die bereits von der geplanten Werksschließung gehört hatten. Da die Presse zu diesem Zeitpunkt ausführlich über den Fall berichtet hatte, war eine sehr breite Bevölkerungsschicht informiert, so dass nur wenige angesprochene Passanten nicht befragt werden konnten. In jeder der vier Städte wurden an öffentlichen Plätzen ca. 200 Passanten befragt. Insgesamt nahmen 815 Personen an der Befragung teil. Nicht alle Fragebogen wurden vollständig ausgefüllt. So konnten nur 772 Personen die Frage, ob sie bereits Produkte des untersuchten Unternehmens besitzen, mit hinreichender Sicherheit beantworten. Weiterhin machten einige Befragte keine Angaben zur Reputation des Tochterunternehmens und/oder des Mutterkonzerns. Da die genannten Variablen von zentraler Bedeutung für Studie A sind, wurden diese Fragebögen aus der Untersuchung ausgeschlossen. Es konnte kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den soziodemographischen Merkmalen der ein- und ausgeschlossenen Probanden festgestellt werden. In dem verbleibenden Datensatz (n = 744) ließen sich dann noch 0,4 % fehlende Werte identifizieren. Da die in dieser Untersuchung eingesetzten kovarianzbasierten Strukturgleichungsanalysen nur vollständige Datensätze tolerieren (vgl. Hulland et al. 1996) und um nicht noch weitere Befragte ausschließen zu müssen, kam ein Imputationsverfahren zum Einsatz (vgl. Bankhofer 1995, S. 126ff.): Fehlende Werte einzelner Indikatoren latenter Konstrukte wurden durch Regression auf weitere Indikatoren desselben Messmodells ersetzt. Dieses Verfahren sollte nur eingesetzt werden, wenn die fehlende Werte zufällig auftreten. In dem vorliegenden Datensatz ließ sich kein Muster erkennen. Weder bei bestimmten Fällen noch bei bestimmten Variablen traten fehlende Werte gehäuft auf.
112
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Die Interviewer sprachen die Passanten gemäß einem Quotenplan an, um ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen sowie von verschiedenen Altersgruppen zu gewährleisten. Gemessen an den soziodemographischen Merkmalen Alter und Geschlecht, wurden in den vier Erhebungsorten vergleichbare Stichproben gezogen (vgl. Tab. 2). Die Passantenbefragung umfasst alle relevanten Bevölkerungsschichten. Dies verdeutlichen sowohl die Verteilung des höchsten Bildungsabschlusses der Befragten (Hauptschulabschluss: 13,0 %; Mittlere Reife: 18,6 %; Abitur: 28,3 %; Berufsschulabschluss: 19,5 %; Hochschulabschluss: 20,6 %) als auch deren Beschäftigungsverhältnis (Angestellte und Beamte: 36,5 %; Arbeiter: 10,7 %; Selbstständige: 9,3 %; Schüler, Lehrlinge und Studenten: 20,5 %; keine Berufstätigkeit: 10,2 %; Sonstige bzw. keine Angabe: 12,8 %). 65,0 % der Befragten leben in einer Partnerschaft. 47,5 % haben Kinder. Tab. 2: Struktur der Stichprobe Anteil (in %)
Alter (in %)
Geschlecht (in %)
16-25
26-40
41-55
> 55
männlich weiblich
Kunde*) (in %) nein
ja
Dresden Nürnberg Mannheim Chemnitz
25,3 21,9 25,1 27,7
30,3 34,3 22,7 21,8
30,9 36,3 35,2 23,3
22,3 21,9 25,6 31,2
16,5 7,5 16,5 23,7
54,3 50,3 50,8 59,2
45,7 49,7 49,2 40,8
46,8 27,6 60,4 35,9
53,2 72,4 39,6 64,1
Gesamt
100,0
27,0
31,0
25,5
16,5
53,9
46,1
43,0
57,0
Anmerkungen: Anzahl der Befragten: n = 744. *) Befragter besitzt Produkte von Electrolux bzw. AEG.
5.1.2 Messmodelle Das Modell der individuellen Boykottpartizipation postuliert die Existenz signifikanter Zusammenhänge zwischen latenten (d.h. nicht direkt beobachtbaren) Konstrukten. Um diese empirisch prüfen zu können, werden die Konstrukte über manifeste (d.h. direkt beobachtbare) Indikatoren erfasst (vgl. Anderson/Gerbing 1982, S. 453). Valide substanzielle Aussagen über strukturelle Zusammenhänge zwischen latenten Konstrukten lassen sich nur treffen, wenn die Konstrukte adäquat spezifiziert sind (vgl. Jarvis et al. 2003). In Kap. 5.1.2.1 werden deshalb zunächst Unterschiede der formativen und reflektiven Spezifikation diskutiert, bevor Kap. 5.1.2.2 die Operationalisierung der in die Untersuchung eingeschlossenen latenten Konstrukte beschreibt.
Untersuchungsdesign
113
5.1.2.1 Reflektive vs. formative Spezifikation Angeregt durch richtungsweisende Beiträge von Fornell/Bookstein (1982), Bollen/ Lennox (1991) sowie Diamantopoulos/Winklhofer (2001) herrscht derzeit insb. im deutschen Sprachraum eine intensive Diskussion über die Spezifikation von Messmodellen bei Strukturgleichungsanalysen (z.B. Götz/Liehr-Gobbers 2004; Albers/Götz 2006; Eberl 2006; Herrmann et al. 2006; Scholderer/Balderjahn 2006). In deren Mittelpunkt stehen die häufig nicht hinreichend berücksichtigten Unterschiede zwischen formativen und reflektiven Konstrukten (vgl. Abb. 36). Abb. 36: Spezifikation reflektiver und formativer Konstrukte Reflektive Spezifikation į1
x1
Ȝ1
į2
x2
Ȝ2 Ȝ3
į3
x3
ȟ
Formative Spezifikation ȟ xi Ȝi įi
Latente Variable Manifeste Variable Faktorladung Fehlervarianz manifester Variablen
x1 x2 x3
ʌ1 ʌ2 ʌ3
įȟ ȟ
ȟ Latente Variable xi Manifeste Variable ʌ i Gewicht der Indikatorvariablen įȟ Fehlervarianz der latenten Variablen
Quelle: In Anlehnung an Edwards/Bagozzi (2000, S. 161f.) und Herrmann et al. (2006, S. 36).
Das reflektive Messmodell beruht auf der Annahme, dass die latente Variable die Ausprägung der manifesten Indikatoren kausal beeinflusst (vgl. Bollen 1989, S. 182). Um eine reliable Messung gewährleisten zu können, sollten Konstrukte der klassischen psychometrischen Testtheorie zufolge durch mehrere Indikatoren operationalisiert werden (vgl. Nunnally 1978). Dieses Vorgehen reduziert den Einfluss der Messfehler einzelner Indikatoren. Da die latente Variable die manifesten Variablen beeinflusst, müssen diese relativ stark interkorrelieren (vgl. Bollen/Lennox 1991, S. 308). Um die interne Konsistenz der Konstrukte zu verbessern, sollten Items eliminiert werden, die nur schwach mit anderen, dem Konstrukt zugeordneten Indikatoren korrelieren (vgl. Churchill 1979). Ein formatives Konstrukt wird als gewichtete Linearkombination seiner manifesten Indikatoren gebildet (vgl. Lohmöller 1989, S. 29f.). Im Gegensatz zum reflektiven Messmodell beschreibt es nicht die Ursache, sondern eine Konsequenz der ihm zugeordneten Indikatoren (vgl. MacCallum/Browne 1993, S. 533). Die formative Spezifikation fordert lediglich, dass jede einzelne Beziehung zwischen manifesten Indikatoren und der latenten Variable theoretisch begründet ist. Die Indikatoren müssen jedoch nicht interkorrelieren (vgl. Jarvis et al. 2003, S. 201). Demzufolge ist es nicht sinnvoll,
114
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
die Reliabilität des Messmodells nach Maßgabe der internen Konsistenz zu bestimmen (vgl. Diamantopoulos 1999, S. 453f.). Auch in renommierten Fachzeitschriften finden sich immer wieder Beispiele dafür, dass formative Konstrukte fälschlicherweise reflektiv spezifiziert werden. Wie mehrere Autoren empirisch nachweisen, birgt diese Fehlspezifikation nicht unerhebliche Gefahren (vgl. Law/Wong 1999; Jarvis et al. 2003; Fassott/Eggert 2005; Fassott 2006). Wird die Operationalisierung dieser fehlspezifizierten Konstrukte nach Maßgabe der Kriterien der internen Konsistenz und Trennschärfe bereinigt (vgl. Homburg/Giering 1996; Lienert/Raatz 1998), so können Indikatoren, die zur Erklärung des Konstrukts beitragen, irrtümlicherweise eliminiert werden. Dies gefährdet die Inhaltsvalidität des Konstrukts und führt damit zu einer substanziell falschen Schätzung der Strukturbeziehungen zwischen den untersuchten latenten Konstrukten (vgl. Albers/Hildebrandt 2006, S. 16ff.). Um Fehlspezifikationen zu vermeiden, können die in Abb. 37 zusammengefassten Entscheidungskriterien herangezogen werden. Wie Herrmann et al. (2006, S. 47) argumentieren, liegt aber letztlich allen Entscheidungskriterien die Frage nach der Richtung der Kausalität zwischen Indikator und Konstrukt zugrunde.
Untersuchungsdesign
115
Abb. 37: Entscheidungskriterien zur Modellspezifikation Formativ
Reflektiv
Quelle
Beziehung zwischen Konstrukt und Indikatoren 4, 6
Richtung der Kausalität … - geht vom Indikator zum Konstrukt - geht vom Konstrukt zum Indikator
Ɣ
Indikatoren sind … - Charakteristika bzw. Ursachen - Manifestationen bzw. Konsequenzen
Ɣ
Verursacht die Änderung des … - Indikators eine Änderung des Konstrukts? - Konstrukts eine Änderung des Indikators?
Ɣ
Ɣ 1, 3, 5, 6, 7 Ɣ 6, 7 Ɣ ja
nein
6, 7
Sollten die Indikatoren ähnliche Inhalte messen und interkorrelieren?
nein
ja
6, 7
Ändern sich alle Variablen in dieselbe Richtung, wenn sich ein Item ändert?
nein
ja
2, 6
Sind die Indikatoren beliebig austauschbar?
nein
ja
6
Kann sich der konzeptionelle Inhalt des Konstrukts ändern, wenn ein Indikator eliminiert wird? Beziehung zwischen Indikatoren
Legende: 1. MacCallum/Browne (1993, S. 533); 2. Chin (1998a, S. 9); 3. Law/Wong (1999, S. 144); 4. Diamantopoulos/ Winklhofer (2001, S. 270); 5. Rossiter (2002, S. 314); 6. Jarvis et al. (2003, S. 201); 7. Fassott (2006, S. 71).
Die in Studie A untersuchten Konstrukte „objektive Betroffenheit“ und „Gegenargumente“ resultieren aus der Kombination ihrer Indikatoren. So setzt sich der Grad der objektiven Betroffenheit aus den Indikatoren „persönliche Betroffenheit“, „soziale Betroffenheit“ und „räumliche Betroffenheit“ zusammen. Auch das Konstrukt „Gegenargumente“ bildet sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Argumente, die einen Konsumenten von der Teilnahme an einem Boykott abhalten. Deshalb werden die Messmodelle dieser beiden Konstrukte formativ spezifiziert. Für die Konstrukte „Streben nach Selbstwerterhöhung“, „Selbstwirksamkeit“, „Reputation des Tochterunternehmens“, „Reputation des Mutterkonzerns“ und „Vertrauen in das Management“ ist hingegen die reflektive Spezifikation angemessen. Die Konstrukte liegen den manifesten Variablen zugrunde und bestimmen deren Ausprägungen. Die Indikatoren werden im Folgenden beschrieben.
116
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
5.1.2.2 Operationalisierung Die Operationalisierung der Boykottpartizipation wurde von der Untersuchung von Klein et al. (2004) adaptiert. Die von den Autoren vorgeschlagenen Antwortkategorien werden im Folgenden als „Boykotteur“, „Zweifler“ und „Nicht-Boykotteur“ bezeichnet (vgl. Abb. 38). Sie werden durch die Kategorie „Mitläufer“ ergänzt, da verschiedene Studien (z.B. Sen et al. 2001) belegen, dass das soziale Umfeld die Boykottentscheidung in starkem Maße beeinflusst. Abb. 38: Operationalisierung der Boykottpartizipation Viele Personen überlegen sich derzeit, was sie in der gegenwärtigen Situation selbst tun können. Eine Möglichkeit besteht darin, in Zukunft Electrolux (inkl. AEG) zu boykottieren, d.h. keine Produkte dieser Marken mehr zu kaufen. Bitte geben Sie an, welche der folgenden vier Aussagen auf Sie am besten zutrifft. Ich werde künftig Electrolux boykottieren, d.h. keine Erzeugnisse dieses Unternehmens mehr kaufen.
Boykotteur
Wenn viele Menschen keine Produkte mehr von Electrolux kaufen, würde ich mich dem Boykott anschließen.
Mitläufer
Ich habe bereits darüber nachgedacht, keine Produkte mehr von Electrolux zu kaufen, bin mir aber nicht sicher, ob ich das wirklich will.
Zweifler
Ich werde Electrolux nicht boykottieren.
Nicht-Boykotteur
Ferner werden die Probanden nach ihrer objektiven Betroffenheit befragt. Sie geben an, ob sie selbst („persönliche Betroffenheit“) bzw. ihre Familie, Freunde und/oder Bekannte („soziale Betroffenheit“) Opfer der geplanten Werksschließung sind. Die „räumliche Betroffenheit“ ergibt sich aus der Distanz zwischen dem Befragungsort und dem Standort des zu schließenden Werks. In der vorliegenden Untersuchung wird dieses Merkmal dichotom bestimmt, wobei Personen aus dem Großraum Nürnberg mit dem Wert „1“ für räumliche Nähe und alle anderen mit dem Wert „0“ für räumliche Distanz kodiert werden. Weiterhin stufen die Befragten ihre affektive Betroffenheit auf einer zehnstufigen Rating-Skala mit den Ankerpunkten „überhaupt nicht betroffen“ bis „stark betroffen“ ein. Einige Promotoren und Inhibitoren der Boykottpartizipation (vgl. Abb. 39, S. 118) werden anhand der von Klein et al. (2004) vorgeschlagenen Indikatoren operationalisiert. Hierzu übertrugen drei deutschsprachige Marketingwissenschaftler die Originalformulierungen vom Englischen ins Deutsche. Um die semantische Äquivalenz zu gewährleisten, wurde das Verfahren der Rückübersetzung (durch eine englischspra-
Untersuchungsdesign
117
chige Übersetzerin) gewählt (vgl. Brislin 1970). Die Indikatoren der Promotoren Streben nach Selbstwerterhöhung und Kontrollüberzeugung werden unverändert übernommen. Wie in Kap. 3.4.3 erläutert, können die von den Autoren vorgeschlagenen Indikatoren des Konstrukts ‘perceived egregiousness’ genutzt werden, um das Vertrauen in das Management zu erfassen. Mit dem Konstrukt Gegenargumente (‘counterarguments’) werden verschiedene Gründe erfasst, die einen Konsumenten davon abhalten können, sich einem Boykott anzuschließen. Die beiden Indikatoren Trittbrettfahren und Small Agent entstammen der Theorie des kollektiven Handelns (vgl. Olson 1965). Zwei weitere Indikatoren leiten sich aus der Forschung zum Konsumenten-Ethnozentrismus ab (vgl. Shimp/Sharma 1987). Sie erfassen das Ausmaß der Befürchtung, der Boykott könne einen Bumerang-Effekt auslösen (d.h. Investoren abschrecken und dadurch langfristig noch mehr Arbeitsplätze gefährden). Ferner könnten Verbraucher besorgt sein, dass statt der boykottierten Produkte des heimischen Produzenten Angebote von Konkurrenten aus Niedriglohnländern gekauft werden und der Boykott somit auch der heimischen Wirtschaft schadet. Klein et al. (2004) bestimmen Cronbachs Alpha als Maß der internen Konsistenz (Į = ,61). Dies spiegelt wider, dass sie implizit von einem reflektiv spezifizierten Konstrukt ausgehen. Dagegen spricht jedoch, dass die latente Variable „Gegenargumente“ nicht kausal auf die manifesten Indikatoren einwirkt. Vielmehr bilden die ethnozentrischen Überlegungen und Indikatoren, die Probleme des kollektiven Handelns ausdrücken, gemeinsam die latente Variable. Wie bereits in Kap. 5.1.2.1 diskutiert, wird das Konstrukt in der vorliegenden Arbeit deshalb formativ spezifiziert. Die Reputation der Marken AEG und Electrolux wird mit jeweils drei Items erfragt. Nach Wiedmann et al. (2006, S. 99) erfasst dieses Konstrukt u.a. die Glaubwürdigkeit des Unternehmens, das Vertrauen des Konsumenten in das Unternehmen sowie die Anziehungskraft, die das Unternehmen auf den Konsumenten ausübt. Deshalb werden die Probanden befragt, ob sie die beiden Marken als sympathisch und glaubwürdig einstufen und ob sie der Marke vertrauen.
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Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Abb. 39: Operationalisierung der Promotoren und Inhibitoren Dimension
Indikator
Label
Promotoren Kontrollüberzeugung - Boykotte sind ein wirksames Mittel, um ein Unternehmen von einem gesellschaftsschädigenden Vorhaben abzubringen. (reflektiv spezifiziert) - Jeder sollte sich an einem solchen Boykott beteiligen, denn jeder noch so kleine Beitrag ist wichtig. - Durch den Boykott der Produkte von Electrolux kann ich dazu beitragen, dass das Management seine Entscheidung ändert. Streben nach - Ich würde mich schuldig fühlen, wenn ich weiterhin Produkte Selbstwerterhöhung von Electrolux kaufen würde. (reflektiv spezifiziert) - Wenn ich Electrolux boykottiere, bin ich mit mir im Reinen. - Es wäre mir unangenehm, wenn Personen, die Electrolux boykottieren, sehen würden, dass ich noch Produkte dieses Unternehmens kaufe. - Meine Freunde und meine Familie bestärken mich darin, keine Electrolux-Produkte mehr zu kaufen.
Kollektive Wirksamkeit Bedeutung kleiner Beiträge Selbstwirksamkeit Persönliche Disidentifikation Gewissen Soziale Disidentifikation Normative Einflüsse
Inhibitoren Vertrauen in das Management (reflektiv spezifiziert)
- Ich vertraue dem Management von Electrolux. Das AEG-Werk Notwendigkeit in Nürnberg soll sicher nur deshalb geschlossen werden, weil es wirklich notwendig ist. Wirtschaftlichkeit - Wie jedes andere Unternehmen, so muss auch Electrolux unprofitable Werke schließen, um nicht die Existenz des gesamten Unternehmens zu gefährden. - Ich vertraue darauf, dass das Management von Electrolux das Soziale Verantwortlichkeit Nürnberger AEG-Werk sozial verträglich schließen wird.
Trittbrettfahren - Es ist gar nicht nötig, dass ich Electrolux boykottiere. Das machen schon genug andere. Small Agent - Da ich sowieso nicht viele Produkte von Electrolux kaufe, lohnt es sich nicht, dass ich dieses Unternehmen boykottiere. Damit würde ich nichts erreichen. - Man sollte Electrolux nicht boykottieren, weil dadurch noch Bumerang-Effekt I: Arbeitsplatzverlust mehr Arbeitsplätze gefährdet werden. - Es ist nicht sinnvoll, ein traditionelles Unternehmen aus einem Bumerang-Effekt II: klassischen Industrieland zu boykottieren. Ein solcher Boykott Importe würde nur dazu führen, dass vermehrt Produkte aus BilliglohnLändern gekauft werden. Quelle: In Anlehnung an Klein et al. (2004), eigene Übersetzung. Gegenargumente (formativ spezifiziert)
Bei den Konstrukten Streben nach Selbstwerterhöhung, Kontrollüberzeugung, Gegenargumente, Vertrauen in das Management sowie Reputation des Mutterkonzerns und Reputation des Tochterunternehmens kommen jeweils siebenstufige Rating-Skalen mit den Endpolen „-3“ bis „+3“ zum Einsatz. Jede numerische abgegrenzte Stufe wird auch verbal beschrieben (von „lehne voll und ganz ab“ bis „stimme voll und ganz zu“; vgl. Anhang A), damit die Probanden die Stufen als möglichst äquidistant auffassen und somit der Einsatz von Verfahren, die metrisches Skalenniveau voraussetzen,
Untersuchungsdesign
119
gerechtfertigt ist (vgl. Bortz/Döring 2002, S. 178). Um Reihenfolgeeffekte auszuschließen, folgt die Abfolge der Items der Promotoren und Inhibitoren im Fragebogen dem Zufallsprinzip. Schließlich geben die Befragten an, ob sie bereits Produkte der Marken Electrolux und AEG besitzen (Konsumhistorie). Als soziodemographische Merkmale werden Alter, Geschlecht, Familienstand, Schulabschluss und derzeitiger Beruf erhoben. Der vollständige Fragebogen ist in Anhang A abgebildet. 5.1.3 Auswertungsmethodik 5.1.3.1 Einsatz der Analyseverfahren im Überblick Um die dem Modell der individuellen Boykottpartizipation zugrunde liegenden Annahmen zu überprüfen, kommen die in Abb. 40 dargestellten statistischen Auswertungsverfahren zum Einsatz. Die Software AMOS 5.0 (vgl. Arbuckle 2003) wird angewandt, um kovarianzbasierte Strukturgleichungsmodelle zu berechnen. Varianzbasierte Modelle werden mit der Software SmartPLS 2.0 (vgl. Ringle et al. 2005) analysiert. Bei allen weiteren Berechnungen (z.B. ordinal-logistische Regression) kommt das Software-Paket SPSS 15.0 zum Einsatz. Abb. 40: Statistische Auswertungsmethoden im Überblick (Studie A) Untersuchungsziel
Analyseverfahren
Software
Evaluation der Messmodelle
- Konfirmatorische Faktorenanalyse - Test auf Diskriminanzvalidität
AMOS
Evaluation des Strukturmodells
- Strukturgleichungsanalyse - Analyse von Mediatoreffekten
SmartPLS
Kontrolle der Stabilität
- Kreuzvalidierung - SEM und ordinale Regression
SmartPLS Amos / SPSS
Segmentspezifische Modellierung
- Mehrgruppen-SEM
AMOS
Im Rahmen von Studie A sind sowohl bei der Auswahl der Analyseverfahren als auch bei der Interpretation der Ergebnisse Entscheidungen zu treffen, deren Grundlage in den folgenden Kapiteln diskutiert wird. Den folgenden Verfahren gilt dabei besondere Aufmerksamkeit.
120
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
x Strukturgleichungsmodelle: Bei der Analyse latenter Variablen muss grundsätzlich die Entscheidung getroffen werden, ob varianz- oder kovarianzbasierte Strukturgleichungsmodelle zum Einsatz kommen sollen. Kap. 5.1.3.2 zeigt, wie und weshalb Studie A diese Verfahren kombiniert, um den Besonderheiten der vorliegenden Fragestellung und des Datenmaterials gerecht zu werden. x Komplexe Zusammenhänge: Um die Annahmen des Modells der individuellen Boykottpartizipation zu testen, werden mediierende und moderierende Effekte analysiert, deren Beurteilung in Kap. 5.1.3.3 erläutert wird. x Ordinal-logistische Regression: In der vorliegenden Untersuchung ist die abhängige Variable Boykottpartizipation streng genommen ordinal skaliert. Wie in Kap. 5.1.3.4.1 und Kap. 5.2.2.5 begründet wird, kann Äquidistanz unterstellt werden, was den Einsatz parametrischer Verfahren prinzipiell rechtfertigt. Die Robustheit der Ergebnisse wird mit Hilfe einer ordinal-logistischen Regressionsanalyse zusätzlich validiert. Kap. 5.1.3.4 erläutert, wie das mit Hilfe dieses Verfahrens gewonnene Ergebnis interpretiert wird.
5.1.3.2 Strukturgleichungsmodelle Strukturgleichungsmodelle setzen sich zusammen aus einem Strukturmodell, welches die Beziehungen zwischen den exogenen und endogenen latenten Variablen beschreibt, und Messmodellen, welche die latenten Variablen durch manifeste Indikatoren operationalisieren (vgl. Jöreskog/Sörbom 1982; Anderson/Gerbing 1988; Leeflang et al. 2000). Die Strukturgleichungsanalyse ermöglicht es bislang als einzige Methode, komplexe Abhängigkeitsstrukturen zu untersuchen und gleichzeitig die Reliabilität der Operationalisierung latenter Konstrukte durch die manifesten Variablen zu kontrollieren (vgl. Homburg/Klarmann 2006, S. 727). In Studie A werden im Rahmen der Strukturgleichungsanalysen mehrere Entscheidungen getroffen, deren methodischer Hintergrund Gegenstand folgender Überlegungen ist.
5.1.3.2.1 Kovarianz- vs. varianzbasierte Methoden Zusammenhänge zwischen latenten Variablen werden in der Marketingforschung bisher vor allem mit kovarianzbasierten Strukturgleichungsverfahren (LISRELAnsatz) analysiert (vgl. Baumgartner/Homburg 1996). Dabei wird über die Parameterschätzung die Distanz zwischen der empirischen und der theoretischen (d.h. auf Basis
Untersuchungsdesign
121
des Modells geschätzten) Varianz-/Kovarianzmatrix minimiert. Eine alternative Analysemethode bietet der varianzbasierte PLS-Ansatz (vgl. Wold 1982; Lohmöller 1989; Bliemel et al. 2005; Huber et al. 2007), welcher die Maximierung der erklärten Varianz der abhängigen Variablen zum Ziel hat (vgl. Fornell/Cha 1994, S. 64ff.; Cassel et al. 1999, S. 438; Henseler 2005). Der PLS-Ansatz basiert auf einem Algorithmus, nach dem die Messmodelle und Komponenten des Strukturmodells sukzessive und iterativ durchlaufen werden. Einzelne Komponenten werden unter der Annahme geschätzt, dass alle anderen Komponenten perfekt bestimmt sind. Scholderer/Balderjahn (2005, S. 98) ziehen nach einem umfassenden Methodenvergleich das Fazit, dass die beiden Verfahren nicht als konkurrierend anzusehen sind und keines dem anderen grundsätzlich überlegen ist. Vielmehr sollte je nach Datenlage entschieden werden, welches der beiden Verfahren in Anbetracht des Untersuchungsziels geeigneter ist. Die bedeutendsten Entscheidungskriterien werden im Folgenden beschrieben. Ein wesentlicher Vorteil des LISREL-Ansatzes besteht in der Möglichkeit, das zu prüfende Modell in seiner Gesamtheit inferenzstatistischen Tests zu unterziehen und anhand von deskriptiven, globalen Gütekriterien zu beurteilen. Im Gegensatz dazu zielt der PLS-Ansatz zwar auf eine möglichst gute Prognose der abhängigen Variable ab. Ein Theorietest, d.h. eine Überprüfung des gesamten Modells, ist jedoch nicht möglich (vgl. Fassott 2005, S. 26ff.). Weiterhin bietet der kovarianzbasierte Ansatz die Möglichkeit, die Güte des Gesamtmodells sowie einzelner Parameter des Mess- und Strukturmodells mit Hilfe inferenzstatistischer Tests zu beurteilen. Im Gegensatz zum LISREL-Ansatz schätzt der PLS-Ansatz außerdem Parameter im statistischen Sinne nicht konsistent (vgl. Albers/Hildebrandt 2006, S. 15). Die Eigenschaft von PLS kann lediglich als ‘consistent at large’ bezeichnet werden: Nur bei zunehmender Anzahl an Indikatoren pro Konstrukt nähern sich die geschätzten den wahren Parametern an (vgl. Hui/Wold 1982). Stehen die fehlerkorrigierte Schätzung und statistische Prüfung theoretisch begründeter Modelle im Zentrum der Untersuchung, sollte deshalb die kovarianzbasierte Strukturanalyse angewandt werden (vgl. Scholderer/Balderjahn 2006). Der kovarianzbasierte Ansatz bietet einen weiteren, für die vorliegende Studie relevanten Vorteil: Es können Mehrgruppenvergleiche durchgeführt und damit Einflüsse kategorialer Moderatorvariablen untersucht werden (vgl. Sauer/Dick 1993; Homburg/
122
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Giering 2001). Software-Applikationen (z.B. SmartPLS, PLS-Graph), mit deren Hilfe sich varianzbasierte Strukturgleichungsmodelle berechnen lassen, bieten dafür hingegen bislang noch keine effizienten Lösungen an (vgl. Dibbern/Chin 2005; Homburg/ Klarmann 2006, S. 735). Da, wie oben beschrieben, im PLS-Ansatz inferenzstatistische Tests nicht möglich sind, werden zur Beurteilung der Güte einzelner Wirkungspfade die Standardfehler der Modellparameter mit Hilfe von Resample-Methoden berechnet (z.B. Bootstrapping; vgl. Lohmöller 1989; Efron/Tibshirani 1998). Dabei werden durch wiederholtes Ziehen mit Zurücklegen aus einem Datensatz mehrere Stichproben gleichen Umfangs gebildet. Dieses Vorgehen bietet verschiedene Vorteile gegenüber dem LISRELAnsatz: Die Erhebungsdaten müssen keine parametrischen Voraussetzungen wie die Multinormalverteilung erfüllen (vgl. Chin 1998b, S. 295; Chin/Newsted 1999, S. 314; Scholderer/Balderjahn 2006, S. 67; Herrmann et al. 2006, S. 39ff.); und es genügt ein vergleichsweise geringer Stichprobenumfang. Der PLS-Ansatz eignet sich außerdem besser zur Analyse hoch komplexer Modelle: Bliemel et al. (2005, S. 11) zufolge führen selbst Modelle mit 100 latenten Variablen und 1000 Indikatoren noch zu konsistenten Schätzungen. Viele Autoren (vgl. Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 715; Fassott 2005; Krafft et al. 2005; Herrmann et al. 2006, S. 53ff.) sehen den Hauptvorteil der PLS-Pfadmodellierung gegenüber dem kovarianzbasierten Ansatz jedoch darin, dass formativ und reflektiv spezifizierte Messmodelle (vgl. Kap. 5.1.2.1) uneingeschränkt gemeinsam analysiert werden können. Wie Scholderer/Balderjahn (2006, S. 59ff.) begründen, lassen sich zwar prinzipiell auch im LISREL-Ansatz formative Messmodelle integrieren. Formative Konstrukte können jedoch nicht als Messmodell spezifiziert, sondern müssen zusammen mit dem Strukturmodell geschätzt werden (vgl. Jöreskog/Sörbom 1996, S. 185ff.). Zudem ist die Identifikation des Modells nur unter bestimmten Konstellationen gewährleistet: Entweder muss das Konstrukt mindestens zwei endogene latente Variablen beeinflussen, oder es müssen bestimmte Parameter fixiert werden (vgl. MacCallum/Browne 1993, S. 537; Diamantopoulos/ Winklhofer 2001, S. 273; Jarvis et al. 2003, S. 214; Herrmann et al. 2006, S. 53ff.). Aus sachlogischen Gründen ist beides in der vorliegenden Untersuchung nicht gerechtfertigt. Um die reflektiv und die formativ spezifizierten Konstrukte gemeinsam zu analysieren und gleichzeitig den Einfluss kategorialer Moderatorvariablen sowie die globale Güte
Untersuchungsdesign
123
des Modells zu prüfen, bietet sich für die vorliegende Analyse eine Kombination beider Verfahren an (vgl. Abb. 41). Um die formativen Konstrukte vollständig abbilden zu können, wird in Studie A zunächst das Untersuchungsmodell mit PLS geprüft. Nachdem die Gewichtung der formativen Indikatoren ermittelt ist, werden die formativen, latenten Konstrukte der Empfehlung von Albers/Hildebrandt (2006, S. 13) folgend als gewichtete Single-Item-Summenkonstrukte in den kovarianzbasierten Ansatz einbezogen (vgl. Morgan/Hunt 1994, S. 29; Kuester et al. 1999, S. 99; Stock 2003, S. 390), um somit die globale Güte des Modells zu bestimmen sowie Mehrgruppenvergleiche durchzuführen. Abb. 41: Für die vorliegende Arbeit bedeutende Leistungsmerkmale verschiedener Verfahren Analyse formativer Konstrukte Kovarianzbasierter (LISREL-)Ansatz
Mehrgruppenvergleiche
Evaluation der globalen Güte
eingeschränkt
ja
ja
ja
eingeschränkt
nein
Varianzbasierter (PLS-)Ansatz
5.1.3.2.2 Güte reflektiver Messmodelle Mit Hilfe der konfirmatorischen Faktorenanalyse können reflektive Messmodelle beurteilt werden (vgl. Gerbing/Anderson 1988; Homburg/Giering 1996). Sie prüft Annahmen über die Faktorenstruktur, die den manifesten Indikatoren zugrunde liegt, und ermöglicht eine detaillierte Reliabilitäts- und Validitätsprüfung der Indikatoren und Faktoren. Dabei gibt die Indikatorreliabilität (IR) Aufschluss darüber, inwieweit eine Variable als Indikator für die latente Variable geeignet ist. Sie berechnet sich als Quadrat der Korrelation zwischen manifester und latenter Variable. Im Allgemeinen wird sowohl im LISREL-Ansatz (vgl. Bagozzi/Baumgartner 1994, S. 402) als auch im PLS-Ansatz (vgl. Hulland 1999, S. 198; Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 727) gefordert, dass eine latente Variable mindestens 40 % der Varianz jeder ihr zugehörigen Indikatorvariablen erklären sollte (IR ,40). Bedeutsamer als die Erklärung einzelner Indikatoren ist jedoch die Frage, wie genau die latente Variable durch die ihr zugehörigen Items operationalisiert wird. Als Maße wurden hierfür die Faktorreliabilität (FR) und die durchschnittlich erfasste Va-
124
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
rianz (DEV) vorgeschlagen (vgl. Fornell/Larcker 1981, S. 45f.). Beide beschreiben denselben Sachverhalt. Der Algorithmus der durchschnittlich erfassten Varianz führt jedoch zu etwas konservativeren Ergebnissen als jener der Faktorreliabilität. Die meisten Autoren beurteilen diese beiden Kriterien anhand der gängigen Schwellenwerte von DEV > ,50 und FR > ,60 (vgl. Bagozzi/Yi 1988, S. 80ff.; Homburg/Giering 1996, S. 12). Scholderer et al. (2006, S. 646) weisen allerdings darauf hin, dass aufgrund der Minderungskorrektur im LISREL-Ansatz Schätzungen des Strukturmodells auch bei geringer Reliabilität der Messmodelle zuverlässig sind. Wichtiger als diese Schwellenwerte einzuhalten, ist deshalb, dass die Konstrukte eindimensional sind und damit keine Korrelation zwischen den Messfehlern der Indikatoren verschiedener Konstrukte vorliegt. Auf Basis der konfirmatorischen Faktorenanalyse kann außerdem die Diskriminanzvalidität der Konstrukte geprüft werden. Dazu stehen mit dem Chi²-Differenztest (vgl. Anderson/Gerbing 1988, S. 416) und dem von Fornell/Larcker (1981, S. 46) beschriebenen Vorgehen zwei Methoden zur Verfügung. Da das Fornell/Larcker-Kriterium das strengere Verfahren ist, findet es in dieser Arbeit Anwendung. Es prüft, ob die gemeinsame Varianz einer latenten Variable mit den ihr zugeordneten Indikatoren größer ist als jede quadrierte Korrelation dieses Konstrukts mit den anderen in das Modell eingeschlossenen Konstrukten (vgl. Tab. 3). Diskriminanzvalidität kann angenommen werden, wenn die durchschnittlich erfasste Varianz eines Faktors einen größeren Wert aufweist als der Maximalwert dieser quadrierten Korrelationen. Tab. 3: Kriterien zur Beurteilung der Güte reflektiver Messmodelle Gütemaß
Grenzwert
Quelle
Reliabilität Indikatorreliabilität Durchschnittlich erfasste Varianz Faktorreliabilität
IR ,40 DEV ,50 FR ,60
Bagozzi/Baumgartner (1994, S. 402) Fornell/Larcker (1981, S. 46) Homburg/Giering (1996, S. 12)
Diskriminanzvalidität Fornell/Larcker-Kriterium
DEV > max (r²)
Fornell/Larcker (1981, S. 46)
Legende: max (r²): Maximalwert der quadrierten Korrelationen des Konstrukts mit anderen Konstrukten.
5.1.3.2.3 Güte formativer Messmodelle Bislang stehen noch vergleichsweise wenige Verfahren zur Verfügung, die es ermöglichen, formativ spezifizierte Messmodelle zu überprüfen. Da die Indikatoren formativer
Untersuchungsdesign
125
Konstrukte nicht interkorrelieren müssen, bleiben die aus der Psychometrie stammenden Ansätze zur Beurteilung der Güte ausschließlich auf reflektiv spezifizierte Konstrukte begrenzt (vgl. Diamantopoulos 1999, S. 453f.). Es ist nicht möglich formative Konstrukte anhand ihrer durchschnittlich erfassten Varianz bzw. Faktorreliabilität zu beurteilen. Da jeder Indikator einen unabhängigen Beitrag zur Erklärung des Konstrukts liefern kann, ist es nicht sinnvoll, Indikatoren mit geringer Trennschärfe zu eliminieren. Indikatoren eines formativen Konstrukts werden deshalb ausschließlich nach Maßgabe von Kriterien der Inhalts- und der nomologischen Validität ausgewählt (vgl. Albers/Hildebrandt 2006, S. 7). Um sicherzustellen, dass das Kriterium inhaltlich vollständig konzeptionalisiert und operationalisiert ist, sollte es durch Experten oder den Autor selbst validiert werden (z.B. Rossiter 2002; Jarvis et al. 2003). Dennoch sind einige statistische Verfahren geeignet, die Analyse formativer Konstrukte zu unterstützen. Zunächst sollten die Indikatoren formativer Konstrukte auf Multikollinearität geprüft werden. Unterschreitet der Varianzinflationsfaktor (VIF) den Grenzwert von VIF = 10, liegt nach Hair et al. (2006, S. 230) keine Multikollinearität vor, welche die Schätzung verzerren könnte. Die Güte der Indikatoren formativer Konstrukte lässt sich ferner über Standardfehler und die t-Statistik der Gewichte beurteilen. Diese können über das Bootstrapping-Verfahren ermittelt werden (vgl. Lohmöller 1989; Efron/Tibshirani 1998). Die Gewichte formativer Indikatoren (ʌ) entsprechen den standardisierten Koeffizienten einer multiplen Regressionsanalyse. Auch sie können zur Beurteilung herangezogen werden. Nach Chin (1998b, S. 318ff.) sollten sie ʌ ,20 betragen. Eine Kontrolle der Diskriminanzvalidität anhand des oben genannten Fornell/ Larcker-Kriteriums ist bei formativen Messmodellen nicht möglich, da die Indikatoren nicht zwangsläufig hoch interkorrelieren müssen (vgl. Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 728). Die Korrelationen zwischen den Konstruktwerten der latenten Variablen sollten deutlich unter r = ,90 liegen, damit die Konstrukte Herrmann et al. (2006, S. 57) zufolge als diskriminant valide angesehen werden können.
5.1.3.2.4 Bewertung des Strukturmodells Strukturmodelle werden u.a. anhand des Bestimmtheitsmaßes (R²) bewertet, welches angibt, wie gut sich die endogenen latenten Variablen durch ihre Antezedenzen erklären lassen. Homburg/Baumgartner (1995a, S. 170) schlagen für den kovarianzbasierten
126
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Ansatz einen Richtwert von R² ,40 vor. Beim varianzbasierten Ansatz können nach Chin (1998b, S. 318) Werte von R² ,19 als schwach, von R² ,33 als durchschnittlich und von R² ,67 als substanziell eingestuft werden. Mit dem Stone-Geisser-Test-Kriterium (Q²) kann die Prognose-Relevanz eines varianzbasierten Modells bestimmt werden (vgl. Fornell/Cha 1994, S. 71ff.; Chin 1998, S. 318; Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 731). Dieses Kriterium wird mit Hilfe einer Blind-Folding-Prozedur berechnet. Hierbei wird die Parameterschätzung mehrmals wiederholt und dabei je ein Teil der Untersuchungsdaten der zu prognostizierenden Variablen ausgelassen. Anschließend werden die ermittelten Parameter genutzt, um die Werte der ausgelassenen Datenpunkte zu schätzen. Nähert sich das Ergebnis besser an die empirischen Daten an als der Mittelwert dieser Variablen, liefert das StoneGeisser-Test-Kriterium einen positiven Wert (Q² > ,00). Damit besitzt das Modell Vorhersagerelevanz. Die Güte des Strukturmodells lässt sich anhand der Höhe der Pfadkoeffizienten (ß) beurteilen. Im kovarianzbasierten Ansatz kann diese u.a. bei Verwendung des Maximum-Likelihood-Schätzverfahrens inferenzstatistisch geprüft werden, was im varianzbasierten PLS-Ansatz nicht möglich ist. Mit Hilfe von Resampling-Methoden (z.B. Bootstrapping-Prozedur) können Standardfehler und t-Werte geschätzt werden (vgl. Lohmöller 1989; Efron/Tibshirani 1998). Werden alle Hypothesen aufgrund theoretischer Überlegungen gerichtet aufgestellt, liegt der kritische Wert bei t = 1,66. Wird dieser Wert überschritten, kann bei einer Stichprobengröße von n = 100 und bei einseitiger Testung von einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p ,05 ausgegangen werden (vgl. Backhaus et al. 2006; S. 818; Hermann et al. 2006, S. 61). Die Effektgröße (f²) gibt an, welchen Beitrag eine unabhängige Variable zur Erklärung der abhängigen Variablen leistet. Chin (1998b, S. 316) gibt in Anlehnung an Cohen (1988, S. 413f.) für den varianzbasierten Ansatz folgende Richtwerte an: Effektstärken ab f² = ,02 gelten als schwach, ab f² = ,15 als moderat und über f² = ,35 als stark. Tab. 4 stellt die in der vorliegenden Studie herangezogenen Gütemaße im Überblick dar.
Untersuchungsdesign
127
Tab. 4: Gütekriterien des Strukturmodells Kriterium
Grenzwert
Quelle
Erklärung abhängiger Variablen
R² ,19
Chin (1998b, S. 318)
Prognose-Relevanz (Stone-Geisser)
Q² > ,00
Chin (1998b, S. 318)
Bedeutung eines Wirkungspfads
ß (keine Vorgabe) t 1,66 (Į = ,05; einseitig; n = 100)
Hermann et al. (2006, S. 61) Backhaus et al. (2006, S. 818)
Beitrag unabhängiger Variablen
f² ,02
Chin (1998b, S. 318)
5.1.3.2.5 Globale Güte kovarianzbasierter Ansätze Für den varianzbasierten Ansatz liegen bislang noch keine Gütemaße vor, anhand derer das Struktur- und Messmodell gemeinsam bewertet werden können. Für den kovarianzbasierten Ansatz wurden hingegen bereits zahlreiche Maße zur Beurteilung der globalen Güte vorgeschlagen (vgl. Homburg/Baumgartner 1995a). Ihr Grundgedanke ist, dass die vom Modell reproduzierte mit der empirischen Varianz-/ Kovarianzmatrix der Stichprobe möglichst gut übereinstimmen sollte. Je geringer die Abweichung zwischen den Matrizen, desto positiver beurteilen die Maße das theoretische Modell. Inferenzstatistische Gütekriterien (z.B. Chi-Quadrat-Anpassungstest, RMSEA) ermitteln die Anpassungsgüte mit Hilfe statistischer Tests (vgl. Zinnbauer/ Eberl 2005, S. 569). Deskriptive Gütekriterien (z.B. NFI, CFI) werden meist über einen bestimmten Algorithmus ermittelt, der beide Matrizen und weitere Indikatoren berücksichtigt. Durch den Vergleich mit weithin akzeptierten Schwellenwerten lässt sich die Güte der Anpassung der reproduzierten Varianz-/Kovarianzmatrix an die empirisch ermittelte einschätzen. Die verfügbaren deskriptiven Gütemaße unterscheiden sich danach, ob sie die Sparsamkeit (‘parsimony’) des Modells berücksichtigen. Maße wie der GFI, welche dies nicht leisten, überbewerten Modelle, welche zu viele Parameter einschließen (vgl. Homburg/Baumgartner 1995a, S. 166). Der Chi-Quadrat-Anpassungstest überprüft die absolute Anpassung der empirischen an die modelltheoretische Varianz-/Kovarianzmatrix. Die Differenz zwischen den beiden Modellen ist Ȥ²-verteilt (vgl. Jöreskog/Sörbom 1982, S. 407), was eine inferenzstatistische Beurteilung ermöglicht. Da der Chi-Quadrat-Anpassungstest sehr empfindlich auf Abweichungen von der Normalverteilung reagiert, wird bei ausreichend großem Stichprobenumfang nahezu jedes Modell abgelehnt (vgl. Bagozzi 1981b, S. 380; Fornell/Larcker 1981, S. 40). Jöreskog/Sörbom (1982, S. 408) empfeh-
128
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
len daher die Relation des Ȥ²-Werts zur Anzahl der Freiheitsgrade als deskriptives Gütemaß zu nutzen. Byrne (1989, S. 55) schlägt für ein gut angepasstes Modell einen Grenzwert von Ȥ²/df 2,0 vor, während sich Homburg/Klarmann (2006, S. 737) für Ȥ²/df 3,0 aussprechen. Auch der Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA) bietet gegenüber dem Chi-Quadrat-Anpassungstest den Vorteil, dass das Testergebnis nicht von der Stichprobengröße abhängt. Das inferenzstatistische Anpassungsmaß prüft im Gegensatz zur Chi-Quadrat-Teststatistik nicht, ob ein Modell im absoluten Sinn richtig ist, sondern ob sich das theoretische Modell hinreichend gut an die empirischen Daten annähert (vgl. Steiger 1990, S. 177). Dabei beachtet es auch die Komplexität (d.h. die Freiheitsgrade) des Modells. Das RSMEA-Kriterium ist auf einen Wertebereich von ,00 bis 1,00 normiert, wobei Werte kleiner ,08 auf eine geringe Abweichung hinweisen (vgl. Browne/Cudeck 1993, S. 144). Der Goodness of Fit Index (GFI) sowie der Adjusted Goodness of Fit Index (AGFI) zählen zu den deskriptiven Gütemaßen. Sie geben an, welcher Anteil der empirisch ermittelten Varianz und Kovarianz sich durch das theoretische Modell erklären lässt. Anders als der GFI berücksichtigt der AGFI zusätzlich die Anzahl der Freiheitsgrade des Modells. Beide Werte sind zwischen ,00 und 1,00 normiert, wobei Werte ab ,90 auf eine gute Anpassung hinweisen (vgl. Jöreskog/Sörbom 1982, S. 141; Homburg/Baumgartner 1995a, S. 172). Bei inkrementellen Anpassungsmaßen wird untersucht, inwieweit sich die Anpassungsgüte beim Übergang eines so genannten Basismodells, welches keine inhaltliche Plausibilität aufweist, zum relevanten Modell verbessert. Der Normed Fit Index (NFI) und der Comparative Fit Index (CFI) vergleichen die Anpassung des empirischen Modells mit der eines Basismodells, in dem alle beobachtbaren Variablen nicht interkorrelieren (vgl. Bentler/Bonett 1980, S. 600). Im Gegensatz zum NFI beachtet der CFI die Freiheitsgrade des Modells. Beide Indizes können Werte zwischen ,00 und 1,00 annehmen, wobei Werte über ,90 eine hohe Güte signalisieren (vgl. Homburg/Klarmann 2006, S. 737).
Untersuchungsdesign
129
Tab. 5: Globale Anpassungsmaße kovarianzbasierter Strukturgleichungsmodelle Gütekriterium
Grenzwert
Quelle
Inferenzstatische Tests Chi-Quadrat-Test Root Mean Square Error of Approximation Deskriptive Maße Verhältnis Chi-Quadrat-Wert zu Freiheitsgraden Goodness of Fit-Index Adjusted Goodness of Fit-Index Comparative Fit Index Normed Fit Index
p > ,05 Jöreskog/Sörbom (1982, S. 407) RMSEA ,08 Browne/Cudeck (1993, S. 144) Ȥ²/df 3,0 GFI ,90 AGFI ,90 CFI ,90 NFI ,90
Homburg/Klarmann (2006, S. 737) Homburg/Baumgartner (1995a, S. 172) Homburg/Baumgartner (1995a, S. 172) Homburg/Klarmann (2006, S. 737) Bentler/Bonett (1980, S. 600)
5.1.3.3 Komplexe Zusammenhänge 5.1.3.3.1 Moderator- und Mediatorvariablen Die vorliegende Arbeit schließt die Untersuchung komplexer Moderator- und Mediatoreffekte ein. In beiden Fällen beeinflusst eine dritte Variable den Zusammenhang zwischen einer unabhängigen und einer abhängigen Variable. Baron/Kenny (1986, S. 1176) definieren eine Mediatorvariable als eine intervenierende Variable, welche den Zusammenhang zwischen einem Prädiktor (unabhängige Variable) und einem Kriterium (abhängige Variable) erklärt: Die unabhängige Variable beeinflusst die abhängige Variable über den Mediator. Das in Abb. 42 dargestellte Modell veranschaulicht den direkten Effekt des Prädiktors auf das Kriterium (ß2) sowie den indirekten Effekt (ß1 * ß3), der über den Mediator vermittelt wird. Abb. 42: Konzeptionelle Unterscheidung von Mediator- und Moderatorvariablen ß1 Prädiktor
Mediator ß2
Moderator
ß3 Kriterium
Prädiktor
ßmod
Kriterium
Von einer Moderatorvariable spricht man im Allgemeinen dann, wenn sie die Stärke oder Form des Einflusses einer unabhängigen Variable auf eine abhängige bedingt (vgl. Sharma et al. 1981). Moderatoren können grundsätzlich jedes Skalenniveau annehmen (vgl. Baron/Kenny 1986, S. 1174ff.; Cohen et al. 2003). In Studie A ist nur der Spezialfall kategorialer Moderatoren relevant, um Hypothese H21 überprüfen zu
130
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
können. Diese postuliert, dass der Prädiktors (z.B. affektive Betroffenheit) das Kriterium (z.B. Boykottpartizipation) in unterschiedlichem Maße beeinflusst, je nachdem, wie die kategorialen Variable Konsumhistorie ausgeprägt ist (z.B. Kunden vs. NichtKunden). Im Folgenden werden Methoden vorgestellt, die es ermöglichen, Mediatoreffekte und den Einfluss kategorialer Moderatoren zu analysieren.
5.1.3.3.2 Identifikation von Mediatoreffekten Mediatoreffekte lassen sich Baron/Kenny (1986, S. 1177) zufolge mit Hilfe mehrerer linearer Regressionsanalysen nachweisen. Hierzu müssen die folgenden Schritte ausgeführt werden: x einfache Regression des Mediators auf den Prädiktor (ß1) x einfache Regression des Kriteriums auf den Prädiktor (ß2a) x multiple Regression des Kriteriums auf den Mediator (ß3) und den Prädiktor (ß2b) Ein Mediatoreffekt liegt vor, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Die einfachen Regressionsanalysen belegen, dass der Prädiktor sowohl auf den Mediator (ß1) als auch auf das Kriterium (ß2a) einen signifikanten Einfluss ausübt. Zudem muss die Mediatorvariable das Kriterium in der multiplen Regressionsanalyse signifikant beeinflussen (ß3). Ist dies der Fall, so wird der Einfluss des Prädiktors auf das Kriterium im Rahmen der multiplen Auswertung (ß2b) geringer ausfallen als bei der einfachen Auswertung (ß2a). Lässt sich nach Einführung des indirekten Pfades (d.h. in der multiplen Regressionsanalyse) keine statistisch signifikante direkte Wirkung des Prädiktors auf das Kriterium mehr nachweisen, so handelt es sich um einen reinen Mediatoreffekt. Baron/ Kenny (1986, S. 1176) zufolge ist es allerdings auch möglich, dass der Mediatoreffekt den direkten Zusammenhang nur signifikant reduziert, nicht aber gänzlich aufhebt. In diesem Fall, d.h. bei unreiner oder partieller Mediation, kann der Anteil der durch die Mediatorvariable erklärten Varianz bestimmt werden. Nach Eggert et al. (2005, S. 106) berechnet sich die Effektstärke VAF (‘variance accounted for’) als Quotient aus dem indirekten (d.h. dem mediierten) und dem totalen Effekt (d.h. der Summe des direkten und indirekten Effekten) der unabhängigen auf die abhängige Variable. Sie gibt den prozentualen Anteil des Effekts des Prädiktors auf das Kriterium an, der durch die Mediatorvariable erklärt werden kann.
Untersuchungsdesign
131
Baron/Kenny (1986, S. 1177) weisen darauf hin, dass bei einer unreliablen Operationalisierung der Mediatorvariable die Bedeutung des indirekten Effekts eher unterschätzt und die Stärke des direkten eher überschätzt wird. Um unverfälschte Ergebnisse zu erhalten, empfehlen die Autoren Mediatoreffekte mit latenten Variablen nicht mit Hilfe gewöhnlicher Regressionsanalysen, sondern im Rahmen messfehlerbereinigter Strukturgleichungsanalysen zu bestimmen. Studie A folgt dieser Empfehlung und führt die drei Schritte zur Identifikation von Mediatoreffekten im Rahmen der Strukturgleichungsanalyse aus.
5.1.3.3.3 Analyse kategorialer Moderatorvariablen Auch Moderatoreffekte können im Rahmen von Strukturgleichungsmodellen analysiert werden (vgl. Ping 1995; Jöreskog/Yang 1996; Cortina et al. 2001; Chin et al. 2003). Im Folgenden wird nur der für Studie A relevante Spezialfall kategorialer Moderatorvariablen diskutiert. Baron/Kenny (1986) sowie Sauer/Dick (1993) empfehlen hierfür das Mehrgruppen-Strukturgleichungsmodell, das von gängiger Software (wie AMOS oder LISREL) unterstützt wird (vgl. Jöreskog/Sörbom 2001; Byrne 2001). Dieses Verfahren vergleicht das Strukturgleichungsmodell auf verschiedenen Stufen der Moderatorvariable. Die Stichprobe wird hierfür in mehrere Gruppen (entsprechend der Stufen des Moderators) aufgeteilt. Der Chi-Quadrat-Signifikanztest prüft, ob sich die Gruppen voneinander unterscheiden (vgl. Yang-Wallentin et al. 2001; Scholderer et al. 2006, S. 644). Die Berechnung der Mehrgruppen-Analyse verläuft in mehreren Schritten: Zunächst wird der Chi-Quadrat-Wert (Ȥ²restringiert) für ein Modell berechnet, bei dem die Parameter des Strukturmodells so restringiert sind, dass sie sich für die jeweiligen Gruppen nicht unterscheiden. Im zweiten Schritt werden die Restriktionen entfernt und alle Parameter frei geschätzt. Dies führt zu einem ChiQuadrat-Wert (Ȥ²frei) mit weniger Freiheitsgraden. Um den moderierenden Effekt aufzudecken, wird die Differenz der Chi-Quadrat-Werte gebildet (ǻȤ² = Ȥ²restringiert - Ȥ²frei ). Diese Differenz folgt einer Chi-Quadrat-Verteilung und kann somit inferenzstatistisch getestet werden (vgl. Byrne 1998, S. 273). Die Anzahl der Freiheitsgrade entspricht der Differenz der Freiheitsgrade der beiden Chi-QuadratWerte (ǻdf = dfrestringiert - dffrei). Mit dem beschriebenen Vorgehen lässt sich lediglich die Moderation des gesamten Modells überprüfen. Ist eine tiefer gehende Analyse erforderlich, besteht die Möglich-
132
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
keit, pro Durchgang nur einen Parameter zu restringieren und daraufhin die Veränderung des Chi-Quadrat-Werts festzustellen. So lässt sich der vermittelnde Effekt der Moderatorvariable auf diesen Parameter testen (vgl. Sauer/Dick 1993, S. 639). Ein Moderatoreffekt liegt bei einer Chi-Quadrat-Differenz von ǻȤ² 3,841 (ǻdf = 1) vor (vgl. Homburg/Giering 2001, S. 255; Backhaus et al. 2006, S. 818). Nach Cortina et al. (2001) sind Mehrgruppen-Strukturgleichungsmodelle bei künstlich kategorialen Moderatorvariablen mit Problemen verbunden: Da die Analyse separat für einzelne Gruppen (d.h. Stufen der kategorialen Variable) durchgeführt wird, ist es nicht möglich, Messfehler der Moderatorvariablen zu kontrollieren. Bagozzi et al. (1992) weisen darauf hin, dass die künstliche Kategorisierung von Variablen zu einem Informationsverlust führen und Gruppenunterschiede erzeugen kann, die lediglich für die vorliegende Stichprobe gültig sind. Die Mehrgruppen-Analyse sollte deshalb nur dann eingesetzt werden, wenn es sich wie in dieser Untersuchung um natürliche kategoriale Variablen handelt. 5.1.3.4 Ordinal-logistische Regression als Test auf Robustheit 5.1.3.4.1 Nicht-parametrische Prüfung der Befunde Studie A überprüft das Modell der individuellen Boykottpartizipation mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen, die nach Ansicht mancher Autoren Intervallskalenniveau der Indikatorvariablen voraussetzen (vgl. Bagozzi 1981a, S. 200; Homer/O’Brian 1988; Baumgartner/Homburg 1996). In der vorliegenden Untersuchung werden wie in zahlreichen anderen empirischen Untersuchungen auch Rating-Skalen eingesetzt, die streng genommen ordinal skaliert sind. Diese können nach Ansicht vieler Sozialwissenschaftler jedoch wie intervallskalierte Variablen behandelt werden, sofern die Befragten die Abstände zwischen den einzelnen Kategorien der Antwortskala als äquidistant auffassen (vgl. Jaccard/Wan 1995, S. 4; Bortz 2004). Darüber können Hayduk (1996, S. 213) sowie Bentler/Chou (1987, S. 88) zufolge, Verfahren für kontinuierliche Daten auch bei ordinalen Daten eingesetzt werden, wenn die Skalen mindestens vier Antwortkategorien aufweisen. Homburg/Klarmann (2006, S. 733) machen darauf aufmerksam, dass eine fälschliche Annahme des Intervallskalenniveaus bei eigentlich ordinal skalierten Daten zu einer Unterschätzung der Korrelationen, der Faktorladungen und der Standardfehler führt. Die Schätzung ist damit eher konservativ und erschwert die Bestätigung der aufgestellten Hypothesen.
Untersuchungsdesign
133
In der vorliegenden Untersuchung gewährleisten geeignete verbale Marken die Äquidistanz der Stufen der Indikatoren der unabhängigen Variablen (vgl. Kap. 5.1.2.2; Bortz/Döring 2002, S. 178). Die Operationalisierung der zentralen abhängigen Variable der vorliegenden Untersuchung, der Boykottpartizipation, wurde von Klein et al. (2004) adaptiert. Die Autoren belegen, dass diese Variable in ihrer Untersuchung die Äquidistanzbedingung erfüllt. Dies wird in Kap. 5.2.2.5 auch für die vorliegende Untersuchung nachgewiesen. Da es sich jedoch um die zentrale abhängige Variable der Untersuchung handelt, soll sichergestellt werden, dass diese Annahme zu keiner Verzerrung der Ergebnisse führt. Deshalb werden die Befunde der Strukturgleichungsanalysen mit Hilfe einer ordinal-logistischen Regressionsanalyse überprüft.
5.1.3.4.2 Gütekriterien der ordinal-logistischen Regression Mit Hilfe der ordinal-logistischen Regression können Zusammenhänge zwischen metrischen und/oder kategorialen Prädiktoren und abhängigen Variablen mit mindestens drei Ausprägungen geschätzt werden, die sich in eine Rangordnung bringen lassen (vgl. McCullagh 1980; Long 1997). In der vorliegenden Untersuchung kommt das kumulativ-logistische Modell der ordinal-logistischen Regression zur Anwendung, das eine logistische Verteilungsfunktion unterstellt (vgl. Gerpott/Mahmudova 2006, S. 497). Die wichtigsten Indikatoren und Gütekriterien werden im Folgenden vorgestellt. Sie lassen sich entsprechend der in der Literatur ausführlicher dokumentierten nominal-logistischen Regression interpretieren (z.B. Krafft 1998; Backhaus et al. 2006, S. 425ff.). Die globale Anpassung eines ordinal-logistischen Regressionsmodells kann anhand folgender Statistiken beurteilt werden: x Der Likelihood-Ratio-Test ermittelt, wie hoch der gemeinsame Erklärungswert der unabhängigen Variablen ist (vgl. Rese/Bierend, 1999, S. 236f.; Backhaus et al. 2006, S. 444). Hierfür wird die Devianz (d.h. die doppelte negative logarithmierte Likelihood) eines Modells, das nur eine Konstante einschließt, mit der Devianz eines Modells verglichen, das alle erklärenden Variablen umfasst. Die Prüfgröße folgt einer Chi-Quadrat-Verteilung, wobei die Zahl der Freiheitsgrade der Anzahl der unabhängigen Variablen entspricht. Signifikante Ergebnisse sprechen für eine hohe Güte der Anpassung des Modells an die empirischen Daten.
134
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
x Die so genannten Pseudo-R-Quadrat-Statistiken beschreiben den Anteil der durch die unabhängigen Variablen erklärten Streuung der abhängigen Variable. McFaddens-R² stellt die LogLikelihood-Werte und Cox/Snell-R² die LikelihoodWerte des Nullmodells denen des vollständigen Modells gegenüber. Beide Statistiken haben den Nachteil, dass der Maximalwert von R² = 1,00 fast nie erreicht wird. Nagelkerke-R² überwindet diese Limitation und ermöglicht damit eine einfache Interpretation. Backhaus et al. (2006, S. 456; Urban 1993, S. 62) schlagen vor, bei allen Statistiken Werte von R² ,20 als akzeptabel und R² ,40 als gut einzustufen. x Die Chi-Quadrat-Statistik nach Pearson gibt Aufschluss darüber, ob sich die auf Basis des Modells berechneten Zellhäufigkeiten signifikant von den beobachteten Häufigkeiten unterscheiden. Wünschenswert ist dabei ein nicht signifikantes Ergebnis. Dieses drückt aus, dass die Prognose nicht von den tatsächlichen Werten abweicht (vgl. Gerpott/Mahmudova 2006, S. 497). x Um die Klassifikationsfähigkeit der Regressionsfunktion zu bestätigen, sollte die Trefferquote der auf Basis der Regressionsfunktion geschätzten Gruppenzugehörigkeit höher sein als eine rein zufällige Zuordnung einzelner Fälle zu den Gruppen der abhängigen ordinalen Variable. Bei der Beurteilung der Trefferquote sollte die Gruppengröße beachtet werden, da eine zufällig richtige Zuordnung bei einer geringen Gruppenanzahl wahrscheinlicher ist als bei einer großen Auswahl. Da die Klassifikationsfähigkeit auf Basis derselben Stichprobe bestimmt wird, die auch für die Schätzung der Regressionsfunktion Verwendung findet, wird die Trefferquote immer überhöht sein. Eine bereinigte Trefferquote lässt sich durch die Unterteilung der Stichprobe in eine Lernstichprobe (zur Schätzung der Regressionsfunktion) und eine Kontrollstichprobe (zur Prüfung der Zuordnung) bestimmen (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 452f.). Ferner kann die Klassifikation mit Hilfe des Press’s Q-Test geprüft werden (vgl. Hair et al. 2006, S. 303). Die Prüfgröße folgt einer Chi-QuadratVerteilung mit einem Freiheitsgrad. Als lokale Gütekriterien bieten sich vor allem die so genannten Parameterschätzer (Schwellen- und Lageschätzer) an (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 460). Diese und die Wald-Statistik sollen im Folgenden erläutert werden. x Schwellenschätzer (IJ) geben die Intervallgrenzen der abhängigen Variable an. Aufgrund des ordinalen Skalenniveaus müssen diese nicht gleiche Abstände zueinander aufweisen. Mit Hilfe der Schwellenschätzer können einzelne Fälle den konkreten Klassen zugeordnet werden.
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
135
x Lageschätzer (b) beschreiben die Beziehung zwischen den unabhängigen Variablen und der abhängigen Variable. Positive Werte der Lageschätzer zeigen an, dass hohe Ausprägungen der Prädiktoren mit einer Zuordnung zu einer höheren Kategorie der abhängigen Variable korrespondieren. Negative Lageschätzer bedeuten, dass niedere Kategorien der abhängigen Variablen umso wahrscheinlicher sind, je höhere Werte der Prädiktor annimmt. x Die Wald-Statistik gibt an, ob die unabhängigen Variablen zur Diskriminierung zwischen den verschiedenen Abstufungen der abhängigen Variable beitragen. Diese Statistik folgt einer Chi-Quadrat-Verteilung mit einem Freiheitsgrad.
5.2 Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation Studie A überprüft das in Kap. 4.1 vorgestellte Modell der individuellen Boykottpartizipation. In der vorliegenden Studie stufen sich insgesamt 16,9 % der Befragten als „Boykotteure“, 13,2 % als „Mitläufer“, 24,3 % als „Zweifler“ und 45,6 % als „NichtBoykotteure“ ein. Der Anteil der Boykotteure ist unter Personen, die bereits Kunden des Unternehmens sind, deutlich höher als bei Nicht-Kunden (vgl. Abb. 43, S. 135). Ein Chi-Quadrat-Test (über die Kategorien Kunden vs. Nicht-Kunden und Boykotteure vs. Rest) bestätigt, dass dieser Unterschied statistisch signifikant ist (Ȥ² = 35,536; df = 1; p ,001). Hypothese H21 postuliert, dass die Bedeutung verschiedener Antezedenzen der Boykottpartizipation zwischen Kunden und Nicht-Kunden variiert. Um diese Hypothese zu prüfen und die in den beiden Gruppen unterschiedliche Boykottbereitschaft zu erklären, werden alle Analysen zusätzlich getrennt nach der Moderatorvariable Konsumhistorie durchgeführt. Abb. 43: Häufigkeitsverteilung der Boykottpartizipation Boykottpartizipation (in %) Alle Befragten (n = 744) Boykotteure Mitläufer Zweifler Nicht-Boykotteure
16,9
Nicht-Kunden (n = 424)
Kunden (n = 320)
7,5
13,2
24,1
12,2 24,3
13,9 29,4
45,6
20,5 50,9
41,5
136
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
5.2.1 Messmodelle 5.2.1.1 Formative Konstrukte Gemäß der in Kap. 3.2.1 beschriebenen Konzeptionalisierung wird das latente Konstrukt objektive Betroffenheit mit Hilfe von drei Indikatoren erfasst. Von den 744 Befragten geben 32 Personen an, selbst durch die Werksschließung betroffen zu sein („persönliche Betroffenheit“). Bei 48 Befragten sind Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte betroffen („soziale Betroffenheit“). 163 wohnen nahe des zu schließenden Werks („räumliche Betroffenheit“). Diese drei Kategorien sind nicht disjunkt. Die objektive Betroffenheit von Personen, auf die mehrere dieser Merkmale zutreffen, wird zunächst nach der stärksten Ausprägung bestimmt. Es wird angenommen, dass der Grad der objektiven Betroffenheit von der „räumlichen Betroffenheit“, über die „soziale Betroffenheit“ zur „persönlichen Betroffenheit“ zunimmt. Objektive Betroffenheit wird anschließend als latentes, formativ spezifiziertes Konstrukt gebildet. Die Hypothesen H1 und H2 postulieren, dass dieses latente Konstrukt insb. die affektive Betroffenheit und die Boykottpartizipation beeinflusst. Eine deskriptive Auswertung zeigt zunächst, dass der Grad beider Konstrukte monoton mit den Stufen der objektiven Betroffenheit ansteigt (vgl. Abb. 44, S.137). Im Folgenden wird inferenzstatistisch geprüft, ob objektiv Betroffene auch stärker affektiv betroffen sind als Personen, auf die keines der Kriterien objektiver Betroffenheit zutrifft. Die Analyse wird getrennt für „persönliche Betroffenheit“ (H1a), „soziale Betroffenheit“ (H1b) und „räumliche Betroffenheit“ (H1c) durchgeführt. T-Tests bestätigen alle drei Hypothesen (p ,01). Eine einfaktorielle Varianzanalyse mit Post hoc-Tests (Least-Significant-Difference-Test, LSD) ergibt zudem, dass sich die vier Gruppen auch paarweise statistisch signifikant unterscheiden (p ,05) und damit jeweils ein signifikanter Unterschied in der Ausprägung der affektiven Betroffenheit zwischen den verschiedenen Stufen objektiver Betroffenheit besteht.
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
137
Abb. 44: Konsequenzen objektiver Betroffenheit Affektive Betroffenheit 9,7
sehr stark betroffen 10 7 4 gar nicht betroffen 1
3,9
Keine objektive Betroffenheit
4,7
Räumliche Betroffenheit
5,8
Soziale Betroffenheit
Boykottpartizipation (Anteil in %) 100 75 50 25 0
Persönliche Betroffenheit 93,8
46,8
47,5
Räumliche Betroffenheit (n = 94)
Soziale Betroffenheit (n = 40)
5,7 Keine objektive Betroffenheit (n = 578)
Persönliche Betroffenheit (n = 32)
Auch die Annahme, dass objektiv betroffene Personen eher am Boykott teilnehmen als Personen, die nicht objektiv betroffen sind, lässt sich bestätigen. Die Boykottpartizipation ist bei „persönlicher Betroffenheit“ (H2a), „sozialer Betroffenheit“ (H2b) und „räumlicher Betroffenheit“ (H2c) signifikant höher als bei Nicht-Betroffenen (p ,001; vgl. Tab. 6, S. 138). Die Post hoc-Tests (LSD) einer einfaktoriellen Varianzanalyse attestieren mit einer Ausnahme allen paarweisen Vergleichen der Boykottpartizipation zwischen verschiedenen Stufen der „objektiven Betroffenheit“ statistische Signifikanz (p ,001). Lediglich Personen mit „sozialer Betroffenheit“ und Personen mit „räumlicher Betroffenheit“, unterscheiden sich nicht statistisch signifikant voneinander (p > ,05). Da die Variable Boykottpartizipation, wie in Kap. 5.1.3.4 diskutiert, quasi-metrisches Skalenniveau aufweist, wird die Robustheit dieser Befunde mit Hilfe nicht-parametrischer Verfahren überprüft. Der Kruskal-Wallis-Test stützt den Befund, dass sich die Teilnahme am Boykott zwischen den vier Stufen der „objektiven Betroffenheit“ signifikant unterscheidet (Ȥ² = 141,753; df = 3; p ,001). Die bei den Post hoc-Tests der Varianzanalyse identifizierten paarweisen Gruppenunterschiede lassen sich mit Hilfe mehrerer Mann-Whitney-Tests replizieren.
138
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Tab. 6: Konsequenzen objektiver Betroffenheit Stufe der objektiven Betroffenheit
Anzahl n
Affektive Betroffenheit AM t df p
Boykottpartizipation AM t df p 3,84 2,75 2,81
Persönliche Betroffenheit Soziale Betroffenheit Räumliche Betroffenheit
32 40 94
9,72 31,888*) 98 5,82 4,046 616 4,72 2,609 670
Keine Betroffenheit (Vergleichsbasis)
578
3,87
,000 ,000 ,009
17,997*) 4,808*) 9,987*)
39 ,000 42 ,000 109 ,000
1,73
*)
Anmerkungen: t-Tests für unabhängige Stichproben. t-Test für inhomogene Varianzen (nach Levene-Test). AM: Arithmetisches Mittel; t: t-Wert; df: Freiheitsgrade; p: Irrtumswahrscheinlichkeit.
Nachdem der Einfluss aller Stufen objektiver Betroffenheit auf die affektive Betroffenheit und die Boykottpartizipation nachgewiesen ist, wird die objektive Betroffenheit als ein latentes Konstrukt gebildet. Das formative Messmodell wird mit PLS berechnet, wobei die Analyse die affektive Betroffenheit und die Boykottbeteiligung als endogene Variablen einschließt. Dass keine Multikollinearität der Indikatoren vorliegt, welche die Ergebnisse verzerren könnte, lässt sich daran ablesen, dass der maximale Varianz-Inflations-Faktor mit VIF = 1,462 deutlich unter dem kritischen Schwellenwert von VIF = 10 liegt (vgl. Hair et al. 2006, S. 230). Wie in Kap. 5.1.3.2.1 erläutert, kommt die Bootstrapping-Prozedur (mit 1000 Stichproben) zum Einsatz, um Standardfehler und damit t-Werte zu berechnen. Da alle Hypothesen gerichtet aufgestellt sind, werden die Signifikanztests einseitig ausgewertet und anhand folgender Schwellenwerte interpretiert: t = 1,648 für das 5,0 %-Niveau, t = 2,334 für das 1,0 %Niveau und t = 3,107 für das 0,1 %-Niveau der Irrtumswahrscheinlichkeit (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 808). Die Analyse bestätigt, dass die Indikatoren „räumliche Betroffenheit“ (ß = ,621; t = 8,771) und „persönliche Betroffenheit“ (ß = ,534; t = 9,053) statistisch signifikant zur Erklärung des Konstrukts „objektive Betroffenheit“ beitragen. Die „soziale Betroffenheit“ (ß = ,081; t = 1,048) liefert zwar im multiplen Regressionsmodell keinen statistisch signifikanten, inkrementellen Beitrag. Da aber die vorangegangene bivariate Analyse einen isolierten Einfluss bestätigt, wird dieser Indikator nicht aus dem Messmodell ausgeschlossen. Zudem sollten Indikatoren formativer Konstrukte, die ein geringes Signifikanzniveau aufweisen bzw. deren Ladung gering ist, grundsätzlich beibehalten werden, wenn ihr Ausschluss sich nicht aus sachlogischen Gründen rechtfertigen lässt (vgl. Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 730; Albers/Hildebrandt 2006, S. 7). Um das formative Konstrukt auch bei Berechnungen mit dem kovarianzbasierten Ansatz einschließen zu können, wird ein an den Regressi-
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
139
onskoeffizienten gewichteter Index über diese drei Indikatoren gebildet (vgl. Kap. 5.1.3.2.1). Auch das formative Konstrukt Gegenargumente wird als gewichteter Index in die kovarianzbasierte Strukturgleichungsanalyse eingeschlossen. Zunächst bestimmt ein varianzbasiertes Modell die Gewichtung der Indikatoren des formativen Indexes. Auch bei diesem formativen Konstrukt lässt sich am maximalen Varianz-Inflations-Faktor von VIF = 1,504 ablesen, dass die Multikollinearität der Indikatorvariablen sehr gering ist und dass damit nicht mit einer verzerrten Parameterschätzung zu rechnen ist. Die Analyse ergibt folgende Gewichte für die Indikatoren des formativen Konstrukts: „Trittbrettfahren“ ß = ,415 (t = 4,553); „Small Agent“ ß = ,523 (t = 5,757); „Bumerang-Effekt I: Arbeitsplätze“ ß = ,323 (t = 3,339) und „Bumerang-Effekt II: Importe“ ß = ,042 (t = ,400). Auch wenn die letztgenannte Indikatorvariable im Rahmen der multivariaten Datenanalyse keinen statistisch signifikanten inkrementellen Beitrag zur Aufklärung des formativen Konstrukts liefert, korreliert sie doch bei bivariater Betrachtung statistisch signifikant mit dem latenten Konstrukt (vgl. Abb. 45) und wird deshalb beibehalten. Abb. 45: Interkorrelationsmatrix der Indikatoren des formativen Konstrukts Gegenargumente Trittbrettfahren
Small Agent
Bumerang-Effekt I: Bumerang-Effekt II: Arbeitsplätze Importe
Interkorrelation Small Agent Bumerang-Effekt I: Arbeitsplätze Bumerang-Effekt II: Importe
,326*** ,453*** ,420***
,410*** ,436***
,516***
Korrelation mit dem Konstrukt
,798***
,753***
,762***
,587***
Pearson-Produkt-Moment-Korrelation. * p ,05; ** p ,01; *** p ,001.
5.2.1.2 Reflektive Konstrukte Die reflektiven Messmodelle werden mit Hilfe einer konfirmatorischen Faktorenanalyse überprüft. Dabei kommt das Maximum-Likelihood-Schätzverfahren zum Einsatz. Dieses erfordert eine multivariate Normalverteilung der Daten (vgl. Hulland et al. 1996). Für die vorliegenden Daten beträgt die multivariate Kurtosis nach Mardia (1970) Kmult = 30. Damit ist die Abweichung von der multivariaten Normalverteilung als schwach bis moderat einzustufen (vgl. Byrne 1994, S. 297; Enders 2002, S. 368ff.).
140
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Die multivariate Normalverteilung setzt voraus, dass alle Variablen univariat normal verteilt sind. Der Betrag der Schiefe erreicht maximal den Wert Smax = ,99 und jener der Kurtosis den Wert Kmax = 1,19 (vgl. Anhang B). Abweichungen bis S = 2,25 und K = 7 stufen verschiedene Autoren als moderat ein (vgl. Enders 2002, S. 368; Nevitt/ Hancock 2004, S. 450). Es wird empfohlen, auch bei moderaten Abweichungen von der multivariaten Normalverteilung den Maximum-Likelihood-Schätzer anzuwenden, da er in diesem Fall sehr robust reagiert (vgl. Curran et al. 1996, S. 26; Olsson et al. 2000, S. 577ff.; Homburg/Klarmann 2006, S. 743). Das Modell der individuellen Boykottpartizipation wird sowohl für die gesamte Stichprobe als auch getrennt für die Gruppen „Kunden“ und „Nicht-Kunden“ geschätzt. Die Gütekriterien der Messmodelle überschreiten mit wenigen Ausnahmen die relevanten Schwellenwerte der durchschnittlich erfassten Varianz von DEV = ,50 und der Faktorreliabilität von FR = ,60 (vgl. Bagozzi/Yi 1988, S. 80ff.). Beim Konstrukt Vertrauen in das Management wird der erstgenannte Schwellenwert knapp unterschritten. Ferner liegt die Indikatorreliabilität einiger manifester Variablen der Konstrukte Kontrollüberzeugung, Streben nach Selbstwirksamkeit und Vertrauen in das Management unter dem von Homburg/Baumgartner (1995a, S. 170) geforderten Grenzwert von IR = ,40 (vgl. Anhang C). Das auf Basis der konfirmatorischen Faktorenanalyse berechnete Fornell/LarckerKriterium zeigt, dass zwischen den beiden Konstrukten Kontrollüberzeugung und Streben nach Selbstwirksamkeit keine Diskriminanzvalidität besteht. Begründen lässt sich dies mit inhaltlichen Überschneidungen. Beide beschreiben den Nutzen des eigenen Beitrags. Während im Fall von „Kontrollüberzeugung“ die Wirkung des Beitrags im Mittelpunkt steht, betont das „Streben nach Selbstwerterhöhung“, dass dieser Beitrag ein eigener bzw. persönlicher ist. In Tab. 7 ist das Ergebnis des Tests auf Diskriminanzvalidität für die gesamte Stichprobe dargestellt. Für die Untergruppen Kunden und Nicht-Kunden ergibt sich ein vergleichbarer Befund.
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
141
Tab. 7: Diskriminanzvalidität reflektiver Konstrukte Quadrierte Korrelationen DEV Fornell/ LarckerKontroll- Selbst- Vertrauen in Reputation Kriterium überwertdas Manage- des Mutterzeugung erhöhung ment konzerns Kontrollüberzeugung Streben nach Selbstwerterhöhung Vertrauen in das Management Reputation des Mutterkonzerns Reputation des Tochterunternehmens
,816 ,295 ,120 ,025
,252 ,197 ,048
,104 ,003
,023
,517 nicht erfüllt ,660 nicht erfüllt ,435 erfüllt ,683 erfüllt ,808 erfüllt
Anmerkung: DEV: Durchschnittlich erfasste Varianz.
Zusammenfassend zeigen diese Analysen, dass die Messmodelle der reflektiven Konstrukte Kontrollüberzeugung, Streben nach Selbstwirksamkeit und Vertrauen in das Management bereinigt werden sollten, um Faktor- und Indikatorreliabilität sowie Diskriminanzvalidität zu gewährleisten. Deshalb wird zunächst ein gemeinsamer Faktor über die Indikatorvariablen der Kontrollüberzeugung und des Strebens nach Selbstwirksamkeit gebildet. Dieser Faktor wird als Nutzen des eigenen Beitrags bezeichnet, da dies, wie oben erläutert, die konzeptionelle Schnittmenge beider Konstrukte darstellt. Um die interne Konsistenz des Konstrukts zu verbessern, werden Indikatoren ausgeschlossen, die in einer weiteren konfirmatorischen Faktorenanalyse eine Indikatorreliabilität von IR < ,40 aufweisen (vgl. Homburg/Baumgartner 1995a, S. 170). Der Indikator „Wirtschaftlichkeit“ des Konstrukts Vertrauen in das Management wird aufgrund der geringen Indikatorreliabilität eliminiert. Eine weitere konfirmatorische Faktorenanalyse über die modifizierten Messmodelle bestätigt die Verbesserung der Faktor- und der Indikatorreliabilitäten (vgl. Tab. 8, S. 142). Lediglich die durchschnittlich erfasste Varianz liegt im Falle des Konstrukts Vertrauen in das Management leicht unter dem oft geforderten Grenzwert von DEV = ,50 (vgl. Bagozzi/Yi 1988, S. 80ff.). Da die Faktorreliabilität den geforderten Grenzwert von FR = ,60 deutlich überschreitet, kann auch bei diesem Konstrukt von hinreichender Konvergenzvalidität ausgegangen werden. Außerdem stützt sich die Entscheidung, die latente Variable beizubehalten, auf den Hinweis von Scholderer et al. (2006, S. 646), dass Schätzungen des Strukturmodells im kovarianzbasierten Ansatz durch eine geringe Faktorreliabilität nicht gefährdet sind. Die Minderungskorrektur gewährleistet, dass die Fehlerkontrolle im Strukturmodell auch bei geringer Relia-
142
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
bilität der Messung eines Konstrukts zuverlässig funktioniert. Eine notwendige Voraussetzung ist jedoch, dass das Konstrukt wie im vorliegenden Fall eindimensional ist. Die Faktorladungen unterscheiden sich dem Augenschein nach kaum zwischen den beiden Gruppen „Kunden“ und „Nicht-Kunden“ (vgl. Tab. 8, S. 142). Ob die Messmodelle über die beiden Gruppen stabil sind, überprüft eine MehrgruppenKonfirmatorische Faktorenanalyse. Dabei wird eine Mehrgruppenspezifikation, welche zwischen den beiden Gruppen unterscheidet, mit einer Spezifikation verglichen, bei der die Messmodelle zwischen den Gruppen restringiert sind (vgl. Byrne 1998, S. 273). Da sich der Chi-Quadrat-Wert des restringierten Modells gegenüber dem freien Basismodell nur geringfügig verbessert, kann davon ausgegangen werden, dass sich die beiden Gruppen nicht voneinander unterscheiden (ǻȤ² = 4,692; ǻdf = 7; p > ,05). Tab. 8: Faktor- und Indikatorreliabilität latenter reflektiver Konstrukte DEV
Gesamt FR
Nutzen des eigenen Beitrags Bedeutung kleiner Beiträge Persönliche Disidentifikation Gewissensberuhigung
,591
,705
Vertrauen in das Management Notwendigkeit Soziale Verantwortlichkeit
,473
Reputation des Tochterunternehmens Sympathie Vertrauen Glaubwürdigkeit
,683
Reputation des Mutterkonzerns Sympathie Vertrauen Glaubwürdigkeit
,808
Ȝ
DEV
Kunden FR
,607
,715
,761 ,760 ,785 ,641
,465
,544
,634
,674 ,705 ,745 ,761
,487
,655
,735 ,624 ,664
,855
,797 ,865 ,815 ,948
Nicht-Kunden DEV FR Ȝ
,789 ,760 ,788
,724 ,649 ,866
Ȝ
,738 ,656 ,680
,864
,765 ,870 ,807 ,843
,960
,866 ,923 ,908
,802 ,831 ,840 ,734
,922
,896 ,938 ,919
,801 ,893 ,874
Anmerkungen: Konfirmatorische Faktorenanalyse (Maximum-Likelihood-Schätzung). Globale Güte: Ȥ² = 197,056; df = 76; Ȥ²/df = 2,593; GFI = ,955; AGFI = ,922; CFI = ,970; NFI = ,953; RMSEA = ,046. DEV: Durchschnittlich erfasste Varianz; FR: Faktorreliabilität; Ȝ: Faktorladung.
Die Zusammenfassung der beiden Konstrukte Streben nach Selbstwerterhöhung und Kontrollüberzeugung zu dem Konstrukt Nutzen des eigenen Beitrags führt dazu, dass zwischen allen reflektiven Konstrukten Diskriminanzvalidität besteht. Nach der
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
143
Modellmodifikation ist das Fornell/Larcker-Kriterium für alle Konstrukte erfüllt (vgl. Tab. 9). Tab. 9: Diskriminanzvalidität der modifizierten reflektiven Konstrukte Quadrierte Korrelationen Nutzen des eigenen Beitrags Nutzen des eigenen Beitrags Vertrauen in das Management Reputation des Mutterkonzerns Reputation des Tochterunternehmens
,380 ,173 ,026
Vertrauen in das Management
,112 ,007
DEV
Fornell/ LarckerKriterium
,591 ,473 ,683 ,808
erfüllt erfüllt erfüllt erfüllt
Reputation des Mutterkonzerns
,023
Anmerkung: DEV: Durchschnittlich erfasste Varianz.
Abschließend wird geprüft, ob sich die reflektiven Messmodelle auch von den formativen Konstrukten objektive Betroffenheit und Gegenargumente sowie der affektiven Betroffenheit abgrenzen lassen. Bislang steht kein Testverfahren zur Verfügung, das es ermöglichen würde, die Diskriminanzvalidität formativer Konstrukte zu analysieren. Hinweise geben jedoch die Interkorrelationen der latenten Konstrukte. Herrmann et al. (2006, S. 57) zufolge sollten deren Betrag unter r = ,90 liegen, damit Diskriminanzvalidität angenommen werden kann. Da auch formative Konstrukte untersucht werden, kommt die varianzbasierte Strukturgleichungsanalyse zum Einsatz. In der Gesamtstichprobe liegen alle Korrelationen sehr deutlich unter dem genannten Grenzwert (vgl. Tab. 10). Auch in den beiden Untersuchungsgruppen Kunden und Nicht-Kunden wird der genannte Grenzwert nicht überschritten. Die ermittelten Interkorrelationen liegen in der Gruppe der Kunden deutlich höher als in der Gruppe der Nicht-Kunden. Eine Ausnahme bildet der Zusammenhang zwischen der Reputation des Mutterkonzerns und der Reputation des Tochterunternehmens. Dieser ist für die Kunden mit r = ,02 (p > ,05) nicht statistisch signifikant, während für Nicht-Kunden eine statistisch signifikante, positive Korrelation (r = ,37; p ,001) besteht.
144
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Tab. 10: Interkorrelationen latenter Konstrukte Affektive Betroffenheit (AB) Objektive Betroffenheit Nutzen des eigenen Beitrags Gegenargumente Vertrauen in das Management Reputation des Mutterkonzerns Reputation des Tochterunternehmens
AB
Gesamtstichprobe Objektive Nutzen des Gegen- Vertrauen Reputation Betroffen- eigenen argumente in das des Mutterheit Beitrags Management konzerns (OB) (NB) (GA) (VM) (RM)
,36* ,40* -,31* -,28* -,26* ,24*
,47* -,44* -,32* -,41* ,25*
OB
Kunden NB GA
-,56* -,45* -,37* ,14*
VM
RM
,46* ,33* -,08*
AB
OB
,27* -,06
,11*
Nicht-Kunden NB GA VM
RM
Objektive Betroffenheit ,38* ,16* Nutzen des eigenen Beitrags ,47* ,53* ,20* ,29* Gegenargumente -,38* -,52* -,60* -,05 -,22* -,40* Vertrauen in das Management -,35* -,40* -,47* ,48* -,14* -,16* -,39* ,36* Reputation des Mutterkonzerns -,33* -,52* -,45* ,43* ,36* -,09 -,07 -,19* ,11 ,10 Reputation des Tochterunternehmens ,25* ,26* ,22* -,11* -,06 ,02 ,09 ,10 -,06 ,08 -,02
,37*
Anmerkung: Pearson-Produkt-Moment-Korrelation. * p ,05.
5.2.2 Strukturmodell Im Folgenden gilt es, die Annahmen des in Kap. 4.1 postulierten Modells der individuellen Boykottpartizipation zu überprüfen. Wie oben erläutert, werden die beiden latenten Variablen Streben nach Selbstwerterhöhung und Kontrollüberzeugung zum Konstrukt Nutzen des eigenen Beitrags zusammengefasst. Hypothesen, in denen eines der beiden Ausgangskonstrukte eingeschlossen ist, lassen sich damit nicht mehr isoliert prüfen. Da beide als Promotoren der Boykottpartizipation konzeptionalisiert wurden, sind die entsprechenden Hypothesen für beide Konstrukte gleichgerichtet aufgestellt: Es wird jeweils angenommen, dass sie von der objektiven (H8 und H9) und der affektiven (H10 und H11) Betroffenheit positiv beeinflusst werden (vgl. Kap. 4.1.3) und dass sie sich wiederum positiv auf die Boykottpartizipation (H4 und H5) auswirken (vgl. Kap. 4.1.2). Für die folgenden Analysen werden die Hypothesen H4 und H5 deshalb zu H22, die Hypothesen H8 und H9 zu H23 sowie die Hypothesen H10 und H11 zu H24 zusammengefasst (vgl. Abb. 46). H22 Je höher der Nutzen, den ein Konsument seinem eigenen Beitrag zuschreibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich an einem Boykott beteiligt.
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
145
H23 Je höher der Grad der objektiven Betroffenheit, desto größer ist der Nutzen, den ein Konsument seinem eigenen Beitrag zuschreibt. H24 Je höher der Grad der affektiven Betroffenheit, desto größer ist der Nutzen, den ein Konsument seinem eigenen Beitrag zuschreibt.
Abb. 46: Modifiziertes postuliertes Modell der Boykottteilnahme Reputation
Promotoren/ Inhibitoren
Betroffenheit
Verhalten
H20
+ H2 +
Reputation des Tochterunternehmens +
H19 Reputation des Mutterkonzerns
H23
Objektive Betroffenheit
-
H17
H1 +
+
H13 H24
Affektive Betroffenheit
- H12
+
+
Boykottpartizipation
-
-
H7
Vertrauen in das Management
H3 H18
H22
H6 Gegenargumente
-
H14 H15
H16
Nutzen des eigenen Beitrags
+
+ -
H21 Konsumhistorie Anmerkung: Postulierter Zusammenhang
+ positiv
- negativ
Moderatoreffekt
Es ist denkbar, dass das theoretisch abgeleitete komplexe Modell nicht das Kriterium der Sparsamkeit (‘parsimony’) erfüllt (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 384ff.). Würde ein vereinfachtes Modell denselben Erklärungsbeitrag leisten, wäre dieses dem umfassenden Modell vorzuziehen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn direkte Pfade vollständig durch indirekte ersetzt werden können („reine Mediation“). In einem ersten Schritt soll deshalb geprüft werden, inwiefern sich die Modellstruktur vereinfachen lässt. Das postulierte Modell wird zunächst auf Basis empirischer Daten beurteilt und gegebenenfalls modifiziert. Da eine anschließende Evaluation des modifizierten Modells anhand desselben Datensatzes zu einer Überschätzung der Effekte (‘overfitting’) führen würde, wird es an einem zweiten Datenset kreuzvalidiert (vgl. Homburg/ Klarmann 2006, S. 737). Dazu sind die Untersuchungsdaten in eine Schätz- und eine Validierungsstichprobe zu trennen (vgl. Steckel/Vanhonacker 1993). Sowohl aus der
146
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Teilstichprobe der Kunden als auch der der Nicht-Kunden wird randomisiert eine Schätzstichprobe der Größe n = 100 gezogen (vgl. Tab. 11). So kann das Modell an einer hinreichend großen Stichprobe geschätzt werden, und es verbleibt ein maximal großer Datensatz zur Validierung des modifizierten Modells. Tab. 11: Größe der Schätz- und der Validierungsstichprobe Kunden
Nicht-Kunden
Gesamt
Schätzstichprobe
100
100
200
Validierungsstichprobe
324
220
544
Gesamt
424
320
744
5.2.2.1 Evaluation des Modells auf Basis der Schätzstichprobe Zunächst wird am Beispiel der Schätzstichprobe das gesamte Modell mit varianzbasierten Strukturgleichungsanalysen (PLS-Ansatz) berechnet, da diese uneingeschränkt für formativ spezifizierte Konstrukte geeignet sind. Wie in Kap. 5.1.3.2.1 beschrieben, ist diese Methode jedoch nicht ohne Nachteile: Die globale Modellgüte kann nicht bestimmt und der Einfluss kategorialer Moderatorvariablen nicht inferenzstatistisch geprüft werden. Die Befunde werden deshalb anschließend mit Hilfe eines kovarianzbasierten Strukturgleichungsmodells validiert. Da der varianzbasierte Ansatz Strukturparameter nicht inferenzstatistisch prüfen kann, werden H1 bis H20 mit Hilfe der Bootstrapping-Prozedur (1000 Stichproben) geprüft (vgl. Kap. 5.1.3.2.1). Alle Hypothesen können einseitig getestet werden, so dass bei 200 Fällen die folgenden Grenzwerte gelten: t = 1,653 für das 5,0 %-Niveau, t = 2,345 für das 1,0 %-Niveau und t = 3,131 für das 0,1 %-Niveau der Irrtumswahrscheinlichkeit (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 808). Die Analyse bestätigt die Hypothesen H1, H12, H22, H23 und H24 für die gesamte Stichprobe wie auch für die Subgruppen Kunden und Nicht-Kunden (vgl. Tab. 12). Für die Kunden lassen sich zudem H6, H7, H13, H14, H17 sowie H19 bestätigen und für die Nicht-Kunden H2, H15 sowie H18. In der Stichprobe der Nicht-Kunden sind damit deutlich weniger Wirkungspfade signifikant als bei den Kunden.
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
147
Tab. 12: Wirkungspfade (PLS, Schätzstichprobe) Wirkungspfad
Reputation des Mutterkonzerns Æ Affektive Betroffenheit Æ Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation Reputation des Tochterunternehmens Æ Affektive Betroffenheit Æ Boykottpartizipation Objektive Betroffenheit Æ Affektive Betroffenheit Æ Nutzen des eigenen Beitrags Æ Gegenargumente Æ Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation
Hypo- Gesamtstichprobe (n = 200) these ß t H17 H16 H18
-,131* ,112* -,094*
Kunden (n = 100) ß t
Nicht-Kunden (n = 100) ß t
1,752 1,662 1,673
-,232** ,097 -,055
3,018 1,188 1,113
-,040 ,084 -,165*
,4259 1,234 2,129
H19 H20
,206** ,015
3,066 ,258
,230* -,010
2,055 ,184
,057 ,016
,753 ,357
H1 H23 H12 H13 H2
,236*** ,337*** -,324*** -,178** ,136*
3,338 5,046 4,129 2,377 2,337
,193** ,393*** -,414*** -,311*** ,044
2,879 6,524 6,985 4,361 ,811
,242* ,331* -,437* -,179 ,165*
1,952 1,927 1,664 ,803 1,702
Affektive Betroffenheit Æ Nutzen des eigenen Beitrags Æ Gegenargumente Æ Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation
H24 H14 H15 H3
,312*** -,152* -,198** ,043
4,394 1,727 2,484 ,711
,294*** -,168* -,119 -,085
4,408 2,337 1,446 ,087
,243*** 3,429 ,123 1,241 -,197** 2,682 ,076 ,945
Nutzen des eigenen Beitrags Æ Boykottpartizipation
H22
,321***
4,772
,328***
5,402
,319*** 5,695
Gegenargumente Æ Boykottpartizipation
H6
-,279***
3,993
-,387***
6,108
-,158
,790
Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation
H7
-,079
1,301
-,182***
3,183
,018
,078
Anmerkungen: Partial Least Squares. ß: standardisierter Pfadkoeffizient; t: Teststatistik (Bootstrapping, 1.000 Stichproben). * p ,05; ** p ,01; *** p ,001. Signifikante Wirkungspfade sind fett hervorgehoben (p ,05).
Zwei Hypothesen müssen verworfen werden (vgl. Tab. 12): Weder in der Gesamtstichprobe noch in den beiden Untergruppen lässt sich nachweisen, dass die affektive Betroffenheit (H3) und die Reputation des Tochterunternehmens (H20) die Boykottpartizipation direkt beeinflussen. Zwar lässt sich auch der Einfluss des Vertrauens in das Management auf die Boykottpartizipation (H7) in der Gesamtstichprobe auf dem 5 %-Niveau der Irrtumswahrscheinlichkeit nicht statistisch belegen (t = 1,301; p ,10). Für Kunden ist dieser Wirkungspfad jedoch statistisch signifikant, so dass dieser Pfad auf Basis der Validierungsstichprobe erneut geprüft wird. Alle anderen Pfade sind in der Gesamtstichprobe signifikant und werden deshalb beibehalten. Aufgrund der mit der Schätzstichprobe gewonnenen Befunde muss das Modell folglich nur geringfügig modifiziert werden: Lediglich die Hypothesen H3 und H20 werden an dieser Stelle bereits vollständig abgelehnt und die entsprechenden Pfade aus dem Modell eliminiert.
148
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Die Güte des Strukturmodells lässt sich im varianzbasierten Ansatz daran messen, wie gut die endogenen Variablen durch ihre Antezedenzen erklärt werden. Das Bestimmtheitsmaß (R²) zeigt, dass im Falle der Gesamtstichprobe 51,1 % der Varianz der abhängigen Variable Boykottpartizipation erklärt werden. Betrachtet man die beiden Untergruppen getrennt, lässt sich die Boykottpartizipation der Kunden mit R² = ,619 besser vorhersagen als jene der Nicht-Kunden (R² = ,350). Da die Varianzaufklärung der abhängigen Variable jedoch jeweils über 33 % beträgt, kann sie Chin (1998) zufolge als gut beurteilt werden. Das Stone-Geisser-Test-Kriterium ist stets positiv (Q² > ,00), was belegt, dass das Modell Prognose-Relevanz besitzt (vgl. Götz/LiehrGobbers 2004, S. 731). Boykottpartizipation und alle anderen endogenen Variablen (z.B. Nutzen des eigenen Beitrags) lassen sich gut durch ihre Antezedenzen erklären (vgl. Tab. 13). Tab. 13: Evaluation des Strukturmodells (PLS, Schätzstichprobe) R²
Q²
Effektstärke (f²) Totaler Effekt (ßtotal) RT RM OB AB NB GA VM RT RM OB AB NB GA VM
Gesamtstichprobe Affektive Betroffenheit Nutzen des eigenen Beitrags Gegenargumente Vertrauen in das Management Boykottpartizipation
,16 ,28 ,16 ,14 ,51
,17 ,21 ,08 ,11 ,50
,21 ,06 -,03 -,04 ,06
-,13 -,04 ,02 ,14 -,13
,24 ,41 -,36 -,23 ,40
,04 ,01 ,06 ,31 ,16 ,11 -,15 ,11 ,02 -,20 ,01 ,03 ,04 ,20 ,32 -,28 -,08 ,00 ,02 ,01 -,01 ,12 ,11 ,01
Kunden Affektive Betroffenheit Nutzen des eigenen Beitrags Gegenargumente Vertrauen in das Management Boykottpartizipation
,22 ,33 ,25 ,19 ,63
,22 ,25 ,13 ,15 ,63
,23 ,07 -,04 -,03 ,03
-,23 -,07 ,04 ,12 -,11
,19 ,45 -,45 -,33 ,42
,06 ,04 ,04 ,29 ,23 ,10 -,17 ,21 ,03 -,12 ,01 ,08 ,01 ,18 ,33 -,39 -,18 ,00 ,01 ,01 ,03 ,15 ,25 ,07
Nicht-Kunden Affektive Betroffenheit Nutzen des eigenen Beitrags Gegenargumente Vertrauen in das Management Boykottpartizipation
,07 ,21 ,18 ,11 ,35
,09 ,14 ,05 ,10 ,35
,06 ,01 ,01 -,01 ,02
,04 ,01 ,01 ,08 -,16
,24 ,39 -,41 -,23 ,37
,00 ,00 ,07 ,24 ,12 ,06 ,12 ,22 ,03 -,20 ,01 ,06 ,04 ,13 ,32 -,15 ,02 ,00 ,04 ,02 ,00 ,12 ,03 ,00
Partial Least Squares (PLS). R²: Varianzaufklärung; Q²: Prognose-Relevanz. RT: Reputation des Tochterunternehmens; RM: Reputation des Mutterkonzerns; OB: Objektive Betroffenheit; AB: Affektive Betroffenheit; NB: Nutzen des eigenen Beitrags; GA: Gegenargumente; VM: Vertrauen in das Management
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
149
Das Strukturmodell lässt sich ferner anhand des totalen Effekts der Antezedenzen beurteilen. Er beschreibt die Summe des direkten und aller indirekten Effekte einer Variable auf eine andere. Gemessen an diesem Kriterium übt der Grad der objektiven Betroffenheit den stärksten Einfluss auf die endogenen Konstrukte affektive Betroffenheit (ßtotal = ,236), Vertrauen in das Management (ßtotal = -,225), Nutzen des eigenen Beitrags (ßtotal = ,411), Gegenargumente (ßtotal = -,360) und Boykottpartizipation (ßtotal = ,397) aus (vgl. Tab. 13). Welchen Beitrag eine Variable zur Erklärung der endogenen Konstrukte leistet, lässt sich an der Effektstärke (f²) ablesen. Dieses Maß erfasst aber nur die direkten Effekte auf unmittelbar nachgelagerte Konstrukte. Inhaltlich bedeutsam sind Effektstärken ab f² = ,02 (vgl. Chin 1998b). Die geringe Stärke des Effekts der objektiven und der affektiven Betroffenheit auf die Boykottpartizipation lässt sich darauf zurückführen, dass sie nur einen schwachen direkten, jedoch über die Inhibitoren (z.B. Gegenargumente) und Promotoren (Nutzen des eigenen Beitrags) einen starken indirekten Einfluss ausüben. Dass die indirekten Pfade bedeutsam sein müssen, zeigt sich auch daran, dass die totalen Effekte dieser beiden Konstrukte auf die Boykottpartizipation vergleichsweise stark sind. Indirekte Effekte werden im Folgenden explizit geprüft. 5.2.2.2 Mediatoreffekte Im Folgenden werden die im Modell eingeschlossenen Mediatoreffekte mit Hilfe der von Baron/Kenny (1986) vorgeschlagenen und in Kap. 5.1.3.3.2 vorgestellten Methode explizit überprüft. Mit dem varianzbasierten Ansatz werden jeweils zwei einfache Regressionsmodelle mit latenten Variablen geschätzt, um die Regression des Mediators (ß1) und des Kriteriums (ß2a) auf den Prädiktor zu bestimmen. Anschließend analysiert eine multiple Regression die Wirkung des Prädiktors (ß2b) und die des Mediators (ß3) auf das Kriterium. Bis auf eine Ausnahme lassen sich alle indirekten Zusammenhänge inferenzstatistisch bestätigen (vgl. Tab. 14, S. 150). Nur die Mediation des Einflusses der Reputation des Tochterunternehmens auf die Boykottpartizipation durch die affektive Betroffenheit lässt sich nicht nachweisen. Dies liegt daran, dass bereits die Annahme eines direkten Einflusses des Prädiktors auf das Kriterium verworfen werden musste.
150
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Tab. 14: Validierung der Mediatoreffekte Prädiktor Mediator Kriterium 1. Schritt (Prä) (Med) (Krit) Prä Æ Med ß1 RT RM RM OB OB OB OB OB OB OB AB AB AB
Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ
AB AB VM AB AB AB AB NB GA VM NB GA VM
Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ Æ
BP BP BP NB GA VM BP BP BP BP BP BP BP
,244*** -,207** ,237*** ,396*** ,396*** ,396*** ,396*** ,480*** -,409*** -,323*** ,433*** -,341*** -,297***
2. Schritt
3. Schritt (multivariat)
Prä Æ Krit ß2a
PräÆ Krit MedÆKrit ß2b ß3
,152 -,404*** -,404*** ,480*** -,409*** ,323*** ,476*** ,476*** ,476*** ,476*** ,348*** ,348*** ,348***
,061 -,347*** -,341*** ,371*** -,331*** -,250** ,406** ,258*** ,310*** ,390*** ,103*** ,224*** ,253***
,331*** ,278*** -,326*** ,294*** -,188* -,194** ,214** ,507*** -,480*** -,304*** ,574* -,535*** -,345***
Mediation VAF Art (in %) keine partiell partiell partiell partiell partiell partiell partiell partiell partiell partiell partiell partiell
14,2 18,5 23,9 18,4 23,5 17,3 48,5 38,8 20,1 70,7 44,9 28,8
Anmerkungen: Partial Least Squares (PLS). * p ,05; ** p ,01; *** p ,001, VAF: Varianzerklärung durch den Mediator. RT: Reputation des Tochterunternehmens; RM: Reputation des Mutterkonzerns; OB: Objektive Betroffenheit; AB: Affektive Betroffenheit; NB: Nutzen des eigenen Beitrags; GA: Gegenargumente; VM: Vertrauen in das Management; BP: Boykottpartizipation.
Kein Mediatoreffekt erklärt den direkten Zusammenhang vollständig. Die Effektstärke VAF (‘variance accounted for’) der partiellen Mediation beschreibt, welcher Anteil des Effekts des Prädiktors auf das Kriterium durch den Einfluss der Mediatorvariable vermittelt wird (vgl. Eggert et al. 2005, S. 106). Vor allem der Promotor Nutzen des eigenen Beitrags und der Inhibitor Gegenargumente erklären, wie die beiden Formen der Betroffenheit auf die Boykottpartizipation wirken. Der Nutzen des eigenen Beitrags mediiert 48,5 % der Wirkung der affektiven Betroffenheit und 70,7 % der Wirkung der objektiven Betroffenheit. Die Variable Gegenargumente vermittelt 38,8 % des Einflusses der affektiven Betroffenheit und 44,9 % des Einflusses der objektiven Betroffenheit auf die Boykottpartizipation. Auch die affektive Betroffenheit wirkt als Mediatorvariable. Sie vermittelt den Einfluss der objektiven Betroffenheit auf den Promotor Nutzen des eigenen Beitrags (23,9 %), auf die Inhibitoren Gegenargumente (18,4 %) und Vertrauen in das Management (23,5 %) sowie auf die Boykottpartizipation (17,3 %). Aufgrund der in Kap. 5.2.2.1 vorgestellten Analyse war die Annahme eines direkten Einflusses der affektiven Betroffenheit auf die Boykottpartizipation (H3) zu verwer-
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
151
fen. Die Analyse der Mediatoreffekte enthüllt nun, warum sich dieser direkte Wirkungspfad nicht nachweisen lässt. Der Einfluss der affektiven Betroffenheit auf die Boykottpartizipation wird über die Konstrukte Nutzen des eigenen Beitrags, Gegenargumente und Vertrauen in das Management partiell vermittelt. Gemeinsam erklären diese Mediatorvariablen den direkten Effekt vollständig, d.h. der Prädiktor liefert keinen statistisch signifikanten inkrementellen direkten Beitrag zur Erklärung des Kriteriums mehr. 5.2.2.3 Kreuzvalidierung und globale Güte des Modells Die auf Basis der Schätzstichprobe ermittelten Parameter werden nun anhand der Validierungsstichprobe geprüft. Um die Befunde mit den bisherigen Ergebnissen vergleichen zu können, kommt wieder der varianzbasierte Ansatz zum Einsatz. Anschließend prüft eine kovarianzbasierte Strukturgleichungsanalyse die Stichprobenunabhängigkeit inferenzstatistisch und bestimmt die globale Modellgüte. Der varianzbasierte Ansatz bestätigt auf Basis der Validierungsstichprobe die in der vorangegangenen Analyse ermittelten Messmodelle (vgl. Anhang D). Auch das Strukturmodell stimmt weitgehend mit der auf Basis der Schätzstichprobe ermittelten Lösung überein. Die absolute Höhe der Wirkungspfade und deren Verhältnis entsprechen den ermittelten Ergebnissen (vgl. Anhang E). Im Gegensatz zur Analyse auf Basis zur Schätzstichprobe zeigt sich nun jedoch ein statistisch signifikanter Einfluss des Vertrauens in das Management auf die Boykottpartizipation (vgl. Abb. 47, S. 152). Damit liefert die statistische Signifikanzprüfung zwar ein abweichendes Ergebnis zwischen den beiden Stichproben, die Höhe des Wirkungskoeffizienten korrespondiert jedoch (Schätzstichprobe: ȕ = -,079; t = 1,301; p ,10; Validierungsstichprobe: ȕ = -,081; t = 2,455; p ,01). Dass sich der schwache Effekt nur in der Validierungsstichprobe statistisch belegen lässt, kann mit der größeren Stichprobe von n = 544 und der damit verbundenen höheren Teststärke erklärt werden (vgl. Cohen 1988). Die inhaltliche Interpretation des Modells bezieht sich im Folgenden stets auf die Analyse auf Basis der Validierungsstichprobe, da diese auf einer umfangreicheren Stichprobe beruht und rein konfirmatorisch (d.h. ohne Modellmodifikationen) vorgeht.
152
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Abb. 47: Strukturmodell auf Basis der Validierungsstichprobe ,15*** Reputation des Tochterunternehmens
,39***
Objektive Betroffenheit
-,41***
,28 Nutzen des eigenen Beitrags
-,20*** ,19***
,25***
Gegenargumente
,24***
Reputation des Mutterkonzerns
-,20***
,20 Affektive Betroffenheit
-,19*** -,17***
,27
,16 Vertrauen in das Management
,35***
-,20***
,53 Boykottpartizipation
-,08**
,16*** -,18*** Anmerkungen: Partial Least Squares (PLS). Validierungsstichprobe (n = 544). * p ,05; ** p ,01; *** p ,001. Das Bestimmtheitsmaß ist fett dargestellt.
Wie bereits im Falle der Schätzstichprobe, zeigt auch die Analyse anhand der Validierungsstichprobe, dass sich die Parameterschätzung für Kunden und Nicht-Kunden unterscheidet. In der Gruppe der Kunden muss nur ein postulierter Wirkungspfad (H7) verworfen werden, während sich bei Nicht-Kunden sieben nicht signifikante Pfade (H2, H6, H13, H14, H15, H16 und H19) zeigen (vgl. Anhang E). Das Bestimmtheitsmaß der abhängigen Variable Boykottpartizipation entspricht sowohl in der Gesamtstichprobe (R² = ,527) als auch in den Untergruppen Kunden (R² = ,608) und Nicht-Kunden (R² = ,354) dem bei der Schätzstichprobe gewonnenen Ergebnis. Die Varianzaufklärung der abhängigen Variable kann damit als gut beurteilt werden (vgl. Chin 1998). Das Stone-Geisser-Test-Kriterium ist jeweils positiv (Q² > ,00). Demzufolge besitzt das Modell Prognose-Relevanz für die Boykottpartizipation (vgl. Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 731). Weitere Gütekriterien des Strukturmodells stellt Tab. 15 (S. 153) ausführlich dar.
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
153
Tab. 15: Evaluation des Strukturmodells (PLS, Validierungsstichprobe) R²
Q²
Totaler Effekt Effektstärke (f²) RT RM OB AB EB GA VM RT RM OB AB EB GA VM
Gesamtstichprobe Affektive Betroffenheit Nutzen des eigenen Beitrags Gegenargumente Vertrauen in das Management Boykottpartizipation
,20 ,28 ,27 ,16 ,53
,20 ,21 ,13 ,12 ,53
,19 ,05 -,04 -,03 ,02
-,20 -,05 ,04 ,19 -,21
,25 ,45 -,46 -,24 ,42
,24 -,19 -,17 ,13 ,35 -,20 -,08
,04 ,03 ,06 ,24 ,11 ,23 ,07 ,03 ,04 ,05 ,04 ,04 ,20 ,08 ,01
Kunden Affektive Betroffenheit Nutzen des eigenen Beitrags Gegenargumente Vertrauen in das Management Boykottpartizipation
,22 ,37 ,34 ,25 ,61
,23 ,28 ,19 ,18 ,61
,19 ,06 -,05 -,04 ,06
-,19 -,06 ,05 ,23 -,19
,26 ,50 -,51 -,28 ,47
,29 -,24 -,23 ,20 ,37 -,24 -,06
,04 ,04 ,07 ,18 ,07 ,19 ,04 ,02 ,04 ,03 ,05 ,03 ,14 ,05 ,01
Nicht-Kunden Affektive Betroffenheit Nutzen des eigenen Beitrags Gegenargumente Vertrauen in das Management Boykottpartizipation
,07 ,08 ,09 ,03 ,35
,07 ,05 ,03 ,01 ,33
,15 ,02 -,01 -,01 -,11
-,19 -,02 ,01 ,10 -,20
,18 ,26 -,30 -,13 ,25
,11 -,06 -,08 -,06 ,30 -,10 -,16
,02 ,03 ,02 ,06 ,02 ,08 ,00 ,01 ,01 ,01 ,07 ,02 ,10 ,01 ,03
Anmerkungen: Partial Least Squares (PLS). R²: Varianzaufklärung; Q²: Prognose-Relevanz; f²: Effektstärke. RT: Reputation des Tochterunternehmens; RM: Reputation des Mutterkonzerns; OB: Objektive Betroffenheit; AB: Affektive Betroffenheit; NB: Nutzen des eigenen Beitrags; GA: Gegenargumente; VM: Vertrauen in das Management.
Nun wird die globale Güte des Modells beurteilt und überprüft, ob die Schätzung auf Basis der Schätzstichprobe und die Schätzung auf Basis der Validierungsstichprobe äquivalent sind. Hierzu eignet sich die kovarianzbasierte Strukturgleichungsanalyse. Allerdings kann diese formative Konstrukte nur modellieren, wenn die in Kap. 5.1.3.2.1 diskutierten Bedingungen erfüllt sind. Da dies für die vorliegende Analyse nicht zutrifft, gehen die formativ spezifizierten latenten Variablen als gewichtete Summenindizes in die Analyse ein (vgl. Kap. 5.2.1.1). Bei der Analyse des Modells anhand der Schätzstichprobe legen die Modifikationsindizes nahe, Kovarianzen zwischen den Fehlerwerten der latenten Variablen Nutzen des eigenen Beitrags, Gegenargumente und Vertrauen in das Management zuzulassen. Ein Chi-QuadratDifferenztest für hierarchische Modelle (‘nested models’) bestätigt, dass der Einschluss dieser Kovarianzen die Anpassungsgüte verbessert (vgl. Byrne 1998, S. 273). Bei einer Analyse auf Basis der gesamten Stichprobe reduziert sich so der ChiQuadrat-Wert um ǻȤ² = 58,440. Verglichen mit der Differenz der Freiheitsgrade von
154
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
ǻdf = 3 spricht dies für eine statistisch signifikante Verbesserung (p ,001) des Modells (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 818). Die sachlogische Bedeutung dieser Modifikation wird in Kap. 5.3 diskutiert. Die globale Güte des Modells lässt sich anhand der in Kap. 5.1.3.2.5 beschriebenen Kriterien beurteilen. Der Quotient aus dem Chi-Quadrat-Wert (Ȥ²) und den Freiheitsgraden (df) liegt sowohl in der Schätz- als auch in der Validierungsstichprobe deutlich unter dem von Homburg/Klarmann (2006, S. 737) genannten Grenzwert von Ȥ²/df = 3,0 (vgl. Tab. 16). In der Validierungsstichprobe überschreiten die Güteindizes GFI, AGFI, NFI und CFI die häufig genannten Schwellenwerte von ,90 (vgl. Bagozzi/ Yi 1988; Baumgartner/Homburg 1996). Nach der Berechnung auf Basis der Schätzstichprobe liegen der Wert des AGFI leicht und der des NFI minimal darunter. Der RMSEA überschreitet in beiden Stichproben den Grenzwert von ,08 nicht (vgl. Browne/Cudeck 1993, S. 144). Zusammenfassend kann die globale Güte sowohl für die Berechnung auf Basis der Schätz- als auch auf Basis der Validierungsstichprobe als akzeptabel bezeichnet werden. Demnach kann das Modell angenommen werden. Die Strukturparameter sind in Tab. 19 (S. 158) dargestellt. Tab. 16: Globale Güte des Modells auf Basis der Schätz- und Validierungsstichprobe Datenbasis Schätzstichprobe Validierungsstichprobe
Ȥ²
df
Ȥ²/df
GFI
AGFI
NFI
CFI
RMSEA
166,082 165,416
73 73
2,3 2,3
,903 ,962
,841 ,937
,898 ,961
,939 ,977
,080 ,048
Anmerkung: Strukturgleichungsmodelle (Maximum-Likelihood-Schätzverfahren).
Ob die auf Basis der Validierungsstichprobe gewonnenen Befunde von dem Modell abweichen, dem die Schätzstichprobe zugrunde liegt, lässt sich mit dem von Byrne (1998, S. 327) beschriebenen Test auf Stichprobenunabhängigkeit beurteilen. Es wird ein Mehrgruppen-Strukturgleichungsmodell berechnet, welches sowohl die Schätz- als auch die Validierungsstichprobe umfasst. Zunächst werden alle Strukturparameter so restringiert, dass sie in beiden Gruppen gleich geschätzt werden. Anschließend wird das Modell erneut geprüft, wobei nun die Strukturparameter für die Validierungsstichprobe und für die Schätzstichprobe unabhängig voneinander geschätzt werden. Weichen die beiden Modelle nicht statistisch signifikant voneinander ab, kann angenommen werden, dass zwischen der Schätz- und der Validierungsstichprobe keine Differenz besteht. Der Chi-Quadrat-Wert dieser beiden Modelle unterschiedet sich um
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
155
ǻȤ² = 26,155, was bezogen auf die Differenz der Freiheitsgrade von ǻdf = 29 bedeutet, dass die beiden Modelle nicht statistisch signifikant voneinander abweichen (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 818). Damit kann angenommen werden, dass das Modell unabhängig von der Stichprobe gültig ist (vgl. Tab. 17). Tab. 17: Test auf Stichprobenunabhängigkeit Modell Strukturparameter frei Strukturparameter restringiert
Ȥ²
df
Ȥ²/df
GFI
AGFI
NFI
CFI
RMSEA
356,018 382,173
164 193
2,2 2,0
,941 ,936
,913 ,920
,939 ,935
,966 ,967
,040 ,036
Anmerkung: Einfache und Mehrgruppen-Strukturgleichungsmodelle (Maximum-Likelihood-Schätzverfahren).
5.2.2.4 Moderatoreffekt der Konsumhistorie Bislang wurden neben der Gesamtstichprobe die Teilstichproben Kunden und NichtKunden isoliert analysiert. Hypothese H21 postuliert, dass alle Zusammenhänge des Modells bei Kunden stärker ausgeprägt sind als bei Nicht-Kunden. Der Moderatoreffekt der Konsumhistorie wird nun mit einem kovarianzbasierten Strukturgleichungsmodell für mehrere Gruppen inferenzstatistisch geprüft. Dies wird, wie in Kap. 5.1.3.3.3 beschrieben, in drei Schritten ausgeführt. x Schritt 1: Zunächst wird Modell I analysiert, bei dem die Strukturparameter so restringiert sind, dass sie für die beiden Gruppen Kunden und Nicht-Kunden denselben Wert annehmen. x Schritt 2: Anschließend wird Modell II getestet, bei dem alle Strukturparameter für beide Gruppen unabhängig voneinander geschätzt werden. x Schritt 3: Die Modelle II.1 bis II.15 erlauben schließlich, jeweils einen Strukturparameter frei zwischen den beiden Gruppen zu variieren, während alle anderen Pfade restringiert sind. So lässt sich der moderierende Einfluss der Konsumhistorie auf jeden einzelnen Pfad überprüfen. Sowohl die globale Anpassung von Modell I als auch die von Modell II können nach den in Kap. 5.1.3.2.5 beschriebenen Kriterien als sehr gut bezeichnet werden (vgl. Tab. 18). Beide theoretischen Modelle passen sich in ausreichendem Maße an die empirischen Daten an. Jedoch ist das freie Modell II dem restringierten Modell I überlegen. Das Verhältnis des Chi-Quadrat-Werts zu den Freiheitsgraden (Ȥ²/df) fällt deutlich geringer aus. Auch der RMSEA spricht für eine bessere Anpassung.
156
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Tab. 18: Globale Güte des Modells bei der Gesamtstichprobe und dem Mehrgruppenvergleich Ȥ²
df
Ȥ²/df
GFI
AGFI
NFI
CFI
RMSEA
Modell I (Strukturparameter restringiert) 402,866
193
2,1
,919
,900
,903
,947
,045
Modell II (Strukturparameter frei)
164
1,6
,943
,914
,938
,976
,032
256,856
Mehrgruppen-Strukturgleichungsmodell (Maximum-Likelihood-Schätzverfahren).
Dass Modell II bevorzugt werden sollte, lässt sich auch mit Hilfe eines Chi-QuadratDifferenztest für hierarchische Modelle nachweisen. Die Restriktion aller Strukturparameter in Modell I entspricht einem Gewinn an Freiheitsgraden von ǻdf = 29, während der Chi-Quadrat-Wert um ǻȤ² = 146,010 steigt. Dies belegt eine statistisch signifikante Modellverbesserung mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von p ,001 (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 818). Auch wenn nicht das gesamte Strukturmodell, sondern nur die fünfzehn Wirkungspfade (d.h. nach der LISREL-Notation die ȕ- und ȖKoeffizienten) restringiert werden, ergibt sich eine statistisch signifikante Modellverbesserung (ǻȤ² = 28,465; ǻdf = 15). Neben den globalen Gütekriterien belegen auch die Indizes des Strukturmodells die Überlegenheit des Mehrgruppen-Modells. Das restringierte Modell I erklärt 55,4 % der Boykottpartizipation. Führt man die Analyse für die beiden Gruppen der Moderatorvariable durch, so vermag Modell II 29,2 % der Varianz der abhängigen Variable Boykottpartizipation der Nicht-Kunden zu erklären, aber 65,7 % der Varianz der Gruppe der Kunden. Die Mehrgruppenanalyse kann damit die Boykottpartizipation dieser Teilstichprobe im Vergleich zur einer gemeinsamen Analyse über beide Gruppen deutliche besser vorhersagen. Im dritten Schritt wird die Moderation einzelner Wirkungspfade des Modells analysiert. Bereits ein Vergleich der Höhe der Pfadkoeffizienten in den beiden Gruppen stützt Hypothese H21: Der Betrag dieser Werte ist bei Kunden jeweils höher als bei Nicht-Kunden. Der moderierende Effekt der Konsumhistorie wird zunächst für jeden einzelnen Pfad, d.h. unabhängig vom Gesamtmodell, untersucht. Diese Auswertung wird im Folgenden als „isolierte Analyse“ bezeichnet. Sie ist notwendig, weil bei der vorangegangenen Analyse für viele Pfade eine partielle Mediation nachgewiesen werden konnte. Dies kann dazu führen, dass moderierte Zusammenhänge nur indirekt wirken und sich im Gesamtmodell nicht identifizieren lassen. Nach der isolierten Betrachtung werden die Moderatoreffekte im Rahmen des Gesamtmodells untersucht.
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
157
Bei der „isolierten Analyse“ zeigt sich in der Gesamtstichprobe sowie in der Gruppe der Kunden ein statistisch signifikanter Einfluss (ǻȤ² < 3,841; ǻdf = 1; p ,05) der Moderatorvariable Konsumhistorie auf zwölf der fünfzehn untersuchten Zusammenhänge (H2, H6, H7, H12, H13, H14, H15, H16, H17, H18, H22 und H24). Der Einfluss der Reputation des Tochterunternehmens auf die affektive Betroffenheit (H19) variiert nicht zwischen den beiden Subgruppen. Weiterhin unterscheidet sich der Einfluss der objektiven Betroffenheit auf die affektive Betroffenheit (H1) und auf den Promotor Nutzen des eigenen Beitrags (H23) nicht zwischen den beiden Subgruppen (vgl. Tab. 19, S. 158). Betrachtet man die Wirkungspfade hingegen im Rahmen des Gesamtmodells, so übt die Variable Konsumhistorie auf nur vier Strukturparameter einen statistisch signifikanten moderierenden Einfluss aus: Sie beeinflusst die Wirkung der objektiven Betroffenheit auf die Gegenargumente (H12) sowie des Promotors Nutzen des eigenen Beitrags (H22) und der Inhibitoren Gegenargumente (H6) und Vertrauen in das Management (H7) auf die Boykottpartizipation (vgl. Tab. 19, S. 158). Ein Vergleich der kovarianz- und der varianzbasierten Schätzung zeigt zwei Unterschiede im Strukturmodell: Während gemäß der kovarianzbasierten Analyse die Hypothesen H7 und H16 in der Gesamtstichprobe zurückgewiesen werden müssen, sind sie nach Maßgabe des varianzbasierten Ansatzes zu bestätigen. Die absolute Höhe der Wirkungspfade weichen jedoch nur geringfügig voneinander ab (H7: ßvarianzbasiert = ,08 und ßkovarianzbasiert = ,07; H16: ßvarianzbasiert = ,17 und ßkovarianzbasiert = ,11). Zwar ist die kovarianzbasierte Schätzung etwas konservativer (vgl. Kap. 5.3.2). Generell betrachtet sind die Befunde der beiden Analysen jedoch nahezu identisch. Das Modell lässt sich folglich unabhängig von der verwendeten Analysemethode nachweisen.
158
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Tab. 19: Analyse des Moderationseffekts
Hypothese Isolierte Analyse Reputation des Mutterkonzerns Æ Affektive Betroffenheit Æ Boykottpartizipation Æ Vertrauen in das Management Reputation des Tochterunternehmens Æ Affektive Betroffenheit Objektive Betroffenheit Æ Affektive Betroffenheit Æ Nutzen des eigenen Beitrags Æ Gegenargumente Æ Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation Affektive Betroffenheit Æ Nutzen des eigenen Beitrags Æ Gegenargumente Æ Vertrauen in das Management Nutzen des eigenen Beitrags Æ Boykottpartizipation Gegenargumente Æ Boykottpartizipation Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation Analyse im Rahmen des Gesamtmodells Reputation des Mutterkonzerns Æ Affektive Betroffenheit Æ Boykottpartizipation Æ Vertrauen in das Management Reputation des Tochterunternehmens Æ Affektive Betroffenheit Objektive Betroffenheit Æ Affektive Betroffenheit Æ Nutzen des eigenen Beitrags Æ Gegenargumente Æ Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation Affektive Betroffenheit Æ Nutzen des eigenen Beitrags Æ Gegenargumente Æ Vertrauen in das Management Nutzen des eigenen Beitrags Æ Boykottpartizipation Gegenargumente Æ Boykottpartizipation Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation
Modell I (restringiert)
Modell II.1 bis Modell II.15 (einzelne Wirkungspfade frei)
Gesamt (n = 544) ß
Kunden Nicht-Kunden Differenz (n = 324) (n =220) ß ß ǻȤ²
H17 H18 H16
-,29*** -,46*** ,36***
-,37*** -,56*** ,44***
H19
,25***
,22***
H1 H23 H12 H13 H2
,38*** ,54*** -,48*** -,49*** ,52***
,44*** ,63*** -,57*** -,54*** ,60***
,25*** ,38*** -,23*** -,19* ,30***
1,028 1,952 7,396** 3,536* 5,074*
H24 H14 H15
,44*** -,35*** -,37***
,50*** -,39*** -,42***
,21** -,15* -,09
11,426*** 8,959** 7,83**
H22
,71***
,77***
,49***
8,584**
H6
-,57***
-,65***
-,22***
27,875***
H7
-,53***
-,62***
-,36***
9,433**
H17 H18 H16
-,23*** -,19*** ,11
-,23*** -,15*** ,09
-,15* -,22*** -,07
,069 2,456 ,343
H19
,22***
,16**
H1 H23 H12 H14 H15
,22*** ,44*** -,41*** -,29*** ,12**
,27*** ,51*** -,49*** -,42*** ,07
,22*** ,35*** -,21** -,19* ,14*
H24 H13 H14
,26*** -,20*** -,22***
,27*** -,17*** -,19**
,11 -,10 -,04
H22
,46***
,45***
H6
-,11*
-,19***
H7
-,07
-,12
-,12 -,26*** ,00 ,11
,13
,33**
4,704* 6,885** 11,042*** 2,776
,251 ,017 ,020 4,200* ,537 ,085 ,069 ,563 ,987 4,760*
,05
11,897***
-,17
4,369*
Anmerkungen: Mehrgruppen-Strukturgleichungsmodell. * p ,05; ** p ,01; *** p ,001.
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
159
5.2.2.5 Robustheit der Befunde Wie in Kap. 5.1.3.4.1 (S. 132) erläutert, werden die Befunde nun durch eine ordinallogistische Regressionsanalyse validiert. Zunächst wird die globale Güte des Modells beurteilt, welches die Prädiktoren „Reputation des Tochterunternehmens“, „Reputation des Mutterkonzerns“, „affektive Betroffenheit“, „objektive Betroffenheit“, „Nutzen des eigenen Beitrags“, „Gegenargumente“ und „Vertrauen in das Management“ einschließt. Der Likelihood-Ratio-Test spricht für eine gute generelle Anpassung des Modells an die empirischen Daten: Das vollständige Modell erklärt die Boykottbeteiligung signifikant besser als ein Nullmodell, welches nur einen konstanten Term betrachtet (Ȥ² = 363,179; df = 7; p ,001). Die Chi-Quadrat-Statistik nach Pearson (vgl. Fahrmeir et al. 1996, S. 260) belegt, dass sich die beobachteten Zellhäufigkeiten der Stufen der Boykottpartizipation („Boykotteur“, „Mitläufer“, „Zweifler“ und „Nicht-Boykotteur“) nicht signifikant von den auf Basis des Modells berechneten Zellhäufigkeiten unterscheiden (Ȥ² = 1444,620; df = 1610; p = ,999). Die durch das Regressionsmodell vorhergesagte Klassifikation stimmt zu 58,5 % mit der tatsächlichen überein und übertrifft damit die aufgrund der Verteilung der Boykottpartizipation zu erwartende zufällige Trefferwahrscheinlichkeit von 40,7 % (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 478). Auch Press’s Q-Test bestätigt, dass die Klassifikation signifikant von einer zufälligen Zuordnung abweicht (vgl. Hair et al. 2006, S. 303). Die Variation der abhängigen Variable Boykottpartizipation wird der Pseudo-R²-Statistiken nach Nagelkerke zufolge zu 52,8 % durch das Regressionsmodell erklärt, was ebenfalls für eine sehr gute Modellanpassung spricht (vgl. Urban 1993, S. 62; Gerpott/Mahmudova 2006, S. 497). Tab. 20: Globale Güte der ordinal-logistischen Regression der Boykottpartizipation Likelihood-Ratio Ȥ² df p Gesamtstichprobe
363,2
7
,000
Kunden Nicht-Kunden
278,9 82,6
7 7
,000 ,000
Pearson-Test Ȥ² df p
Pseudo R-Quadrat Klassifikation Cox/ NagelMc korrekt (zufällig) Press’s Snell kerke Fadden Q
1444,6 1610 ,999 ,487 927,3 553,3
953 ,719 ,577 650 ,998 ,313
,528
,262
58,5 % (40,7 %) 324,7
,624 ,346
,333 ,159
63,6 % (37,1 %) 257,2 56,8 % (47,0 %) 118,8
Die Variationsaufklärung ist innerhalb der Gruppe der Kunden mit 62,4 % deutlich besser als in der gesamten Stichprobe (vgl. Tab. 20). Bei den Nicht-Kunden beträgt sie hingegen nur 34,6 %. Der Vergleich des Pseudo-R-Quadrat-Maßes nach Nagelkerke
160
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
der ordinal-logistischen Regression mit dem Bestimmtheitsmaß (R²) der Boykottpartizipation im Rahmen der Strukturgleichungsmodelle belegt eine deutliche Übereinstimung der Varianzaufklärung zwischen den drei Methoden. Dies gilt sowohl für die gesamte Stichprobe (kovarianzbasiert: 55,4 %; varianzbasiert: 52,7 %; ordinallogistisch: 52,8 %) als auch für die getrennte Analyse von Kunden (65,7 %; 60,8 %; 62,4 %) und Nicht-Kunden (29,2 %; 35,4 %; 34,6 %). Weiterhin stimmen die Lageparameter der ordinal-logistischen Regression in starkem Maße mit den Ergebnissen der Strukturgleichungsmodelle überein (vgl. Tab. 21). In der gesamten Stichprobe üben fünf der sieben Prädiktoren einen direkten Einfluss auf die Boykottpartizipation aus. Da die ordinal-logistische Regression keine linearen Zusammenhänge unterstellt, können die Lageparameter nicht direkt mit den Pfadkoeffizienten der Strukturgleichungsmodelle verglichen werden (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 439ff.). Doch auch diese Analyse belegt, dass die objektive Betroffenheit und der Promotor Nutzen des eigenen Beitrags die Boykottpartizipation positiv beeinflussen. Die Inhibitoren Gegenargumente und Vertrauen in das Management sowie die Reputation des Mutterkonzerns wirken hingegen negativ: Je höher sie ausgeprägt sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Konsument am Boykott beteiligt. Damit korrespondiert die Valenz des Einflusses der Antezedenzen, welche die ordinallogistische Regressionsanalyse nachweist, mit den Ergebnissen der Strukturgleichungsanalysen. Darüber hinaus stimmt auch die Rangordnung der Bedeutung der Prädiktoren für die Boykottbeteiligung in den Analysen überein. Wie die Strukturgleichungsmodelle (vgl. Abb. 47, S. 152), deckt auch die ordinal-logistische Regressionsanalyse auf, dass der Promotor Nutzen des eigenen Beitrags die stärkste Wirkung entfaltet. Objektive Betroffenheit, Gegenargumente und die Reputation des Mutterkonzerns üben demgegenüber einen etwas geringeren, aber dennoch bedeutsamen Einfluss aus. Die Wirkung des Vertrauens in das Management ist hingegen vergleichsweise schwach. Wie bei der Strukturgleichungsanalyse (vgl. Tab. 12, S. 147) lässt sich auch mit der ordinal-logistischen Regression der Boykottpartizipation weder der direkte Effekt der Reputation des Tochterunternehmens noch der der affektiven Betroffenheit auf die Boykottpartizipation nachweisen. Sie werden durch den gemeinsamen Erklärungsbeitrag mit anderen Prädiktoren herauspartialisiert.
Empirische Validierung des Modells der individuellen Boykottpartizipation
161
Tab. 21: Lokale Güte der ordinal-logistischen Regression der Boykottpartizipation Gesamtstichprobe Schätzer Wald df p
Kunden Schätzer Wald df
p
Nicht-Kunden Schätzer Wald df p
Schwellenparameter Nicht-Boykotteur / Zweifler Zweifler / Mitläufer Mitläufer / Boykotteur
-,659 35,43 1 ,000 ,972 64,25 1 ,000 2,390 204,36 1 ,000
-,685 19,81 1 ,000 ,936 31,75 1 ,000 2,307 111,35 1 ,000
-,341 3,81 1 ,051 1,411 47,31 1 ,000 3,076 96,37 1 ,000
Lageparameter Reputation - des Tochterunternehmens - des Mutterkonzerns Affektive Betroffenheit Objektive Betroffenheit Nutzen des eigenen Beitrags Gegenargumente Vertrauen in das Management
,074 -,609 -,080 ,550 ,936 -,497 -,250
,240 -,586 ,030 ,594 1,038 -,654 -,137
-,219 2,29 1 ,130 -,587 8,99 1 ,003 -,410 5,64 1 ,018 ,457 5,50 1 ,019 ,721 14,14 1 ,000 -,175 ,80 1 ,371 -,497 8,62 1 ,003
,57 28,08 ,63 22,86 57,32 17,03 5,69
1 1 1 1 1 1 1
,449 ,000 ,429 ,000 ,000 ,000 ,017
2,65 15,16 ,05 15,13 37,82 17,36 ,98
1 1 1 1 1 1 1
,104 ,000 ,819 ,000 ,000 ,000 ,324
Anmerkung: Statistisch signifikante Lageparameter sind fett hervorgehoben (p ,05).
Einen Beleg für die in Kap. 5.1.3.4.1 getroffene Annahme, dass die Variable Boykottpartizipation ein quasi-metrisches Skalenniveau besitzt, liefern die Schwellenparameter der ordinal-logistischen Regression (vgl. Tab. 21). Sie geben die Intervallgrenzen der abhängigen Variable an (vgl. Kap. 5.1.3.4.2). Die Differenz von 1,631 zwischen den Schwellen „Nicht-Boykotteur / Zweifler“ und „Zweifler / Mitläufer“ und 1,418 zwischen den Übergängen „Zweifler / Mitläufer“ und „Mitläufer / Boykotteur“ sind nahezu gleich groß. Die Abstände zwischen den verschiedenen Kategorien der Boykottpartizipation wurden folglich von den Befragten als gleich angesehen. Zusammenfassend bestätigt die ordinal-logistische Regression die Stabilität der im Rahmen der Strukturgleichungsanalysen identifizierten Ergebnisse. Sowohl die globalen als auch die lokalen Maße korrespondieren mit den Befunden der varianz- und kovarianzbasierten Strukturgleichungsmodelle. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Annahme des quasi-metrischen Skalenniveaus der Variable Boykottpartizipation gerechtfertigt ist und folglich die Strukturgleichungsanalyse angewandt werden konnte.
162
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
5.3 Zusammenfassung und Diskussion 5.3.1 Inhaltliche Interpretation Studie A bestätigt das postulierte Modell der individuellen Boykottpartizipation weitgehend. Ferner zeigt sich, dass die einzelnen Strukturparameter des Modells unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Folglich können einige zentrale Einflussgrößen und dominante Wirkungspfade identifiziert werden. Der Analyse der totalen Effekte zufolge nimmt die objektive Betroffenheit (ȕtotal = ,42) maßgeblich Einfluss darauf, ob sich ein Konsument an einem Boykott beteiligt oder nicht (vgl. Tab. 15, S. 153; varianzbasierte Analyse auf Basis der Validierungsstichprobe). Der direkte Wirkungspfad ist allerdings mit ȕdirekt = ,15 vergleichsweise gering, weil sich die objektive Betroffenheit primär indirekt über die Mediatoren affektive Betroffenheit, Nutzen des eigenen Beitrags, Gegenargumente und Vertrauen in das Management auswirkt. Von diesen wirkt der Promotor Nutzen des eigenen Beitrags am stärksten auf die Boykottpartizipation (ȕdirekt = ,35). Hingegen halten Gegenargumente einen Probanden davon ab, sich an einem Boykott zu beteiligen (ȕdirekt = ,20). Zusammenfassend zeigt sich, dass sich eine Person vor allem dann einem Boykott anschließt, wenn sie von den als sozial unverantwortlich erlebten Handlungen des Unternehmens objektiv betroffen ist. Die Wahrscheinlichkeit der Boykottteilnahme steigt, wenn der Konsument annimmt, durch seine Teilnahme dazu beitragen zu können, dass der Boykott das Verhalten des Unternehmens ändert. Sie sinkt jedoch in dem Maße, in dem der Konsument seinen Beitrag für das Gelingen des Boykotts als gering bewertet und einen BumerangEffekt fürchtet. Weitgehend unabhängig von dem beschriebenen dominanten Wirkungspfad entfaltet die Reputation des Mutterkonzerns ihre Wirkung auf die Boykottpartizipation. Sie beeinflusst die Boykottpartizipation direkt (ȕdirekt = -,18). Ihr Einfluss wird zudem partiell über die Konstrukte affektive Betroffenheit, Vertrauen in das Management und Gegenargumente vermittelt. Wie postuliert, erweist sich die Reputation des Mutterkonzerns als ein Inhibitor: Je positiver das Bild ist, das die Befragten von der Muttergesellschaft haben, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich am Boykott beteiligen. Weiterhin wurde das Modell der Boykottpartizipation auf Sparsamkeit geprüft und gegenüber dem theoretisch abgeleiteten Modell geringfügig modifiziert. Die direkten Wirkungspfade von der affektiven Betroffenheit und der Reputation des Tochterunter-
Zusammenfassung und Diskussion
163
nehmens auf die Boykottpartizipation lassen sich inferenzstatistisch nicht bestätigen und werden deshalb eliminiert. Die Analyse der Mediatoreffekte enthüllt, dass die affektive Betroffenheit die Boykottpartizipation zwar beeinflusst; ihre Wirkung wird aber über die Mediatoren „Nutzen des eigenen Beitrags“, Gegenargumente und „Vertrauen in das Management“ vermittelt, so dass sich der direkte Effekt vollständig aufhebt. Die varianzbasierte Analyse zeigt, dass das modifizierte Modell im Falle der Validierungsstichprobe 52,7 % der abhängigen Variable Boykottpartizipation erklärt (vgl. Tab. 15, S. 153). Die Varianzaufklärung kann damit als gut beurteilt werden (vgl. Homburg/Baumgartner 1995a, S. 170; Chin 1998b, S. 318). Eine getrennte Schätzung des Modells für Kunden und Nicht-Kunden erklärt für die Teilstichprobe Kunden sogar 60,8 % der Varianz. Bei Nicht-Kunden beträgt die Varianzaufklärung hingegen 35,4 %. Dass sich die Boykottpartizipation der Kunden mit den in die Untersuchung eingeschlossenen Variablen deutlich besser vorhersagen lässt als die der NichtKunden, kann damit erklärt werden, dass Kunden ein ausgeprägteres Involvement aufweisen und sich stärker mit dem Unternehmen identifizieren (vgl. Kap. 4.1.5). Nicht-Kunden beschäftigen sich generell weniger mit dem Unternehmen. Deshalb spielen viele der postulierten Einflussgrößen für sie eine geringere Rolle (vgl. Anhang E). Der dominante Wirkungspfad von der objektiven Betroffenheit über den Nutzen des eigenen Beitrags zur Boykottpartizipation lässt sich auch für Nicht-Kunden nachweisen. Dagegen spielen die Gegenargumente für sie keine Rolle (vgl. Tab. 15, S. 153 und Anhang E). Dies liegt vermutlich vor allem daran, dass die Boykottteilnahme für sie keine Einschränkung der bisherigen Konsumgewohnheiten darstellt. Beide Teilstichproben unterscheiden sich auch darin, wie sie das Verhältnis von Mutterkonzern und Tochterunternehmen wahrnehmen. Nicht-Kunden differenzieren zwischen beiden Unternehmen nicht deutlich, was sich an der mittelstarken positiven Korrelation zwischen den jeweiligen Reputationswerten ablesen lässt (r = ,37; p ,001; vgl. Tab. 10, S. 144). In der Gruppe der Kunden lässt sich hingegen keine statistisch signifikante Korrelation nachweisen (r = ,02; p > ,05). Bei der im vorliegenden Fall untersuchten Standortverlagerung unterscheiden sie zwischen der Rolle des Mutter- und des Tochterunternehmens. Sie schreiben vermutlich dem Tochterunternehmen die Rolle des passiven Opfers zu und dem Mutterkonzern die des Täters. Dies erklärt auch, weshalb in der Gruppe der Kunden zwischen der affektiven Betroffenheit
164
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
und der Reputation des Mutterkonzerns ein signifikanter negativer Zusammenhang besteht, während der Zusammenhang mit der Reputation des Tochterunternehmens signifikant positiv ist. Je positiver Kunden das Tochterunternehmen beurteilen, desto stärker fühlen sie sich von einer Werksverlagerung betroffen. Bei Nicht-Kunden, die nicht zwischen den beiden Unternehmen unterscheiden, liefert die Reputation des Tochterunternehmens keinen eigenen inkrementellen Beitrag zur Erklärung der affektiven Betroffenheit und der Boykottpartizipation. Das Konstrukt muss für diese Gruppe aus dem Erklärungsmodell ausgeschlossen werden. Das Modell der Boykottpartizipation lässt sich demnach für Nicht-Kunden wie Abb. 48 veranschaulicht vereinfacht aufstellen. Abb. 48: Vereinfachte, schematische Modelle für Kunden und Nicht-Kunden Kunden
Nicht-Kunden +
RT
OB +
+
+ + -
RM
-
AB
-
NB
OB +
GA
-
VM
+
+
BP
+
RM -
+ -
-
AB
NB +
GA
BP -
VM -
Legende: RT: Reputation des Tochterunternehmens; RM: Reputation des Mutterkonzerns; OB: Objektive Betroffenheit; AB: Affektive Betroffenheit; NB: Nutzen des eigenen Beitrags; GA: Gegenargumente; VM: Vertrauen in das Management; BP: Boykottpartizipation. (Grundlage: PLS, Validierungsstichprobe).
Um auch für Nicht-Kunden die Vorhersage der Boykottpartizipation verbessern zu können, sollte die weitere Forschung prüfen, welche bedeutsamen Einflussgrößen bislang vernachlässigt wurden. Hinweise darauf bietet Studie B. Allerdings ist es in der dort durchgeführten Inhaltsanalyse von Internet-Postings nicht möglich, zwischen Kunden und Nicht-Kunden zu differenzieren. 5.3.2 Methodische Diskussion Modelle, die auf Basis statistischer Kriterien explorativ modifiziert werden, sind an die Eigenschaften der Stichprobe angepasst, weshalb ihr Erklärungsbeitrag meist überschätzt wird (‘overfitting’). Sie sollten an einer unabhängigen Stichprobe kreuzvalidiert werden (vgl. Homburg 1991, S. 138; Homburg/Klarmann 2006, S. 737f.). Stu-
Zusammenfassung und Diskussion
165
die A teilt zu diesem Zweck den Datensatz in eine Schätz- und eine Validierungsstichprobe auf. Das auf Basis der Schätzstichprobe angepasste Modell lässt sich anhand der Validierungsstichprobe replizieren. Zwar weichen einzelne Strukturparameter in den beiden Stichproben geringfügig voneinander ab. Die Struktur des Modells und die relative Bedeutung einzelner Komponenten sind aber in beiden Gruppen vergleichbar. Dies belegt die Stichprobenunabhängigkeit des Modells. Um die externe Validität des Modells zu prüfen, sollte dabei auch das Untersuchungsdesign (z.B. Art und Auslöser des Boykotts; Merkmale der Befragten) variiert werden, denn Eisend (2006, S. 251) zufolge kann eine sog. imperfekte Replikation zur Generalisierung der Befunde beitragen. Das Modell der Boykottpartizipation hält auch einem Methodenvergleich stand: Schätzungen mit varianz- und mit kovarianzbasierten Strukturgleichungsmodellen bringen äquivalente Ergebnisse hervor. Insbesondere die Varianzaufklärung der abhängigen Variable Boykottpartizipation stimmt in beiden Analysen nahezu überein. Auch die Höhe der Pfadkoeffizienten ist nach Maßgabe der beiden Verfahren fast identisch. Der varianzbasierte Ansatz schätzt diese jedoch generell eher konservativ, weshalb sie im Mittel etwas niedriger ausfallen (vgl. Bagozzi/Yi 1994, S. 19; Fassott 2005, S. 29). Dies ist nach Scholderer/Balderjahn (2005, S. 91) darauf zurückzuführen, dass der PLS-Schätzer keine echte Minderungskorrektur von Pfadkoeffizienten vornehmen kann, d.h. der Einfluss des Messfehlers bei unreliablen Indikatoren unbeachtet bleibt. Obwohl sich das Modell empirisch sehr gut belegen lässt, sind aus methodischer Sicht einige Implikationen zu nennen, die in zukünftigen Studien beachtet werden sollten. Die kovarianzbasierte Analyse lies Kovarianzen zwischen den Fehlertermen der Konstrukte Gegenargumente, Nutzen des eigenen Beitrags und Vertrauen in das Management zu, wodurch sich die globale Güte des Modells signifikant verbessert. Diese Zusammenhänge weisen darauf hin, dass eine bislang vernachlässigte exogene Variable die drei Konstrukte beeinflusst. Möglicherweise kann eine generelle „Einstellung gegenüber dem Boykott“ den gemeinsamen Varianzanteil dieser Konstrukte erklären. Folgeuntersuchungen sollten dies empirisch prüfen. Da es sich bei Studie A um ein Querschnittsdesign handelt, kann die Richtung der Kausalität zwischen verschiedenen Variablen nicht identifiziert werden. Die Wirkungsrichtung lässt sich jedoch theoretisch begründen. So kann aus dem Aktivierungs-
166
Studie A: Quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Kosten-Nutzen-Modell des prosozialen Verhaltens (vgl. Dovidio et al. 1991) theoretisch abgeleitet werden, dass ein Konsument zunächst die Ausprägung verschiedener Promotoren und Inhibitoren abwägt und dass dies die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an einem Boykott kausal beeinflusst. Der Theorie der kognitiven Dissonanz (vgl. Festinger 1957) zufolge ist es zwar auch denkbar, dass sich ein Konsument zunächst für den Boykott eines von ihm präferierten Produkts entscheidet, bevor er die Entscheidung mit Hilfe einer selektiven Auswahl möglicher Promotoren und der Abwertung möglicher Inhibitoren nachträglich rechtfertigt. Meist wird die Wirkungsrichtung jedoch vermutlich von den Promotoren und Inhibitoren auf die Boykottpartizipation gehen. Dagegen ist die Richtung der Kausalität zwischen der Reputation des Unternehmens und der Boykottpartizipation schwer zu bestimmen. Wie bereits in Kap. 3.4.4 erläutert, wirkt sich die Reputation des Unternehmens vermutlich auf die Betroffenheit aus, und die Betroffenheit beeinflusst wiederum die zukünftige Reputation. Deshalb sollte die weitere Forschung Untersuchungsdesigns entwickeln, die es ermöglichen, die Reputation des Unternehmens sowohl vor als auch nach einer Werksschließung vergleichend gegenüber zu stellen. Diese Forschungsfrage kann letztlich nur durch eine Längsschnittuntersuchung beantwortet werden. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird das Konstrukt affektive Betroffenheit als Single-Item-Konstrukt operationalisiert. Die Forderung, latente Konstrukte anhand mehrerer Indikatoren zu operationalisieren, wird in der praktischen Feldforschung häufig nicht erfüllt. So enthüllt eine Bestandsaufnahme von Homburg/ Baumgartner (1995b, S. 1104), dass fast die Hälfte (46,5 %) der latenten Konstrukte in hochrangigen deutschsprachigen Publikationen und über ein Drittel (34,6 %) der Konstrukte in internationalen Publikationen mit nur einem Indikator erfasst werden. Dies kann jedoch die Reliabilität mindern, weil situative Störgrößen bei der Beantwortung des Indikators nicht durch weitere Indikatoren kontrolliert werden können (vgl. Churchill 1979, S. 66). Ferner ist die Inhaltsvalidität von Single-Item-Konstrukten fraglich, da ein einzelner Indikator nur einen begrenzten Ausschnitt eines möglicherweise breiter definierten Konstrukts erfassen kann. Folgeuntersuchungen sollten deshalb das Konstrukt affektive Betroffenheit mit Hilfe mehrerer Indikatoren operationalisieren. Um geeignete Indikatoren zu entwickeln, wird in Studie B mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse geprüft, wie Boykottteilnehmer ihrer affektiven Betroffenheit Ausdruck verleihen.
6 Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation 6.1 Untersuchungsdesign 6.1.1 Ablauf der Inhaltsanalyse Auch Studie B zielt darauf ab, Einflussgrößen der individuellen Boykottpartizipation zu identifizieren. Wie in Kap. 4.1 beschrieben, wird dabei mit der inhaltsanalytischen Auswertung von Internet-Postings ein qualitativer Ansatz verfolgt. Die Analyse setzt sich in Anlehnung an das in Kap. 4.1 vorgestellte Generalisierungsmodell (vgl. Mayring 2001; Srnka/Koeszegi 2007, S. 34ff.) aus einer qualitativen Kodierung des Ausgangsmaterials und einer anschließenden quantitativen Auswertung zusammen. Auf Basis des schriftlich fixierten Rohmaterials, welches nicht im Rahmen der Untersuchung entstand, werden zunächst induktiv vernachlässigte Einflussgrößen der Boykottpartizipation ermittelt. Derart gewonnene Ergebnisse sind nicht durch Antwortverzerrungen (Interviewer-Effekt, Antworttendenzen etc.) verfälscht, so dass diese qualitative Untersuchung als nicht-reaktiv angesehen werden kann (vgl. Schnell et al. 2005, S. 407). Qualitative Untersuchungen werden aber häufig kritisiert, da sie nach Ansicht vieler Autoren keiner strengen Methodologie folgen und lediglich das Alltagswissen des Forschers widerspiegeln (vgl. Calder/Tybout 1987, S. 137; Summers 2001). Homburg (2000, S. 357) gibt zu bedenken, dass auch die quantitative Forschung trotz ihrer objektiven Standards nur „Scheinobjektivität“ erzeugt. Die Auswahl der Forschungsfragen, der theoretischen Grundlagen sowie der Auswertungsmethodik hängt dem Autor zufolge in jeder wissenschaftlichen Untersuchung von den letztlich subjektiven Überzeugungen des Wissenschaftlers ab. Deshalb fordert Srnka (2007, S. 252), sowohl den Ablauf qualitativer als auch den quantitativer Analysen genau und lückenlos zu dokumentieren. Dadurch werden Studien intersubjektiv nachvollziehbar und deren Validität und Reliabilität beurteilbar. Um der Forderung nach intersubjektiver Nachvollziehbarkeit gerecht zu werden, gilt es, in Studie B das zu analysierende Material systematisch, d.h. nach einem vorab definierten und ausführlich dokumentierten Ablauf aufzuarbeiten. Die Untersuchung orientiert sich dabei an den von Mayring (2002) und Schnell et al. (2005, S. 409ff.) vorgestellten Leitfäden zur Entwicklung eines Kategoriensystems sowie an den von Srnka/Koeszegi (2007, S. 32) speziell für das Generalisierungsmodell vorgeschlagenen Analyseschritten (vgl. Abb. 49). Die Kategorien werden einerseits deduktiv aus den in
168
Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Kap. 3 vorgestellten Theorien abgeleitet. Andererseits werden bedeutsame Einflussgrößen der Boykottteilnahme, die bislang in der Literatur keine Beachtung finden, induktiv aus den zu analysierenden Internet-Postings gewonnen (vgl. Kap. 6.1.2). Anhand des Kategorienschemas und einer ausführlichen Kodiervorschrift (vgl. Anhang F) wird das Untersuchungsmaterial den Auswertungskategorien zugeordnet (vgl. Kap. 6.2). Studie B wertet die kodierten Einheiten anschließend mit Hilfe von Frequenz- und Kontingenzanalysen quantitativ aus (vgl. Kap. 6.3 und Kap. 6.4). Abb. 49: Ablauf von Studie B im Überblick Vorüberlegungen 1. Auswahl des Untersuchungsmaterials
Internet-Postings (Kommentare von Petitionisten auf www.jobkiller-electrolux.de)
2. Definition der Stichprobe
Vollerhebung (alle 790 im Zeitraum von 16.01.2006 bis 15.02.2007 veröffentlichten Postings werden analysiert)
Entwicklung des Kategorienschemas Deduktive Entwicklung des vorläufigen Kategorienschemas Kodierung einer Stichprobe durch je drei Kodierer Kontrolle der Interkoder-Reliabilität Ergänzung und Diskussion induktiv ermittelter Kategorien Festlegung von Ober- und Hauptkategorien
vier Iterationen
3. Iterative Entwicklung des Kategorienschemas und der Kodiervorschrift im Verlauf von vier Pretests
Reformulierung missverständlicher Beschreibungen 4. Kodierung des Ausgangsmaterials
Kodierung des gesamten Datenmaterials durch drei Kodierer, die sich von denen der Pretests unterscheiden
5. Kontrolle der Interkoder-Reliabilität
Bestimmung der Reliabilitätsmaße Scotts Pi, Cohens Kappa und Krippendorffs Alpha
Frequenzanalyse 6. Bestimmung der Bedeutung einzelner Merkmale
Univariate quantitative Auswertung der Häufigkeit klassifizierter Merkmale
Kontingenzanalyse 7. Identifikation segmentspezifischer Besonderheiten
Explorative, bivariate quantitative Analyse von Gruppenunterschieden
6.1.2 Untersuchungsmaterial Wie in Kap. 4.3 beschrieben, ruft das Sozialforum Nürnberg auf seiner KampagnenWebseite (vgl. www.jobkiller-electrolux.de) zur Teilnahme an einer Petition auf.
Untersuchungsdesign
169
Sympathisanten des Boykotts können sich online in eine Unterschriftenliste eintragen. Die Teilnehmer haben ferner die Möglichkeit, ihren Beiträgen Titel zu geben und das Verhalten des Unternehmens und den Konsumentenboykott zu kommentieren. Der erste Beitrag wurde am 16. Januar 2006 veröffentlicht. Die in Studie B analysierten Kommentare für die Untersuchung wurden am 15. Februar 2007 abgefragt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich 790 Personen in die Unterschriftenliste eingetragen. Die Aktion fand anfangs sehr schnell großen Anklang. Dieser rege Zuspruch ist sicherlich auf Maßnahmen der Aktivisten zu Beginn des Boykotts zurückzuführen (z.B. die direkte Ansprache von Passanten). Im weiteren Verlauf schlossen sich nur noch wenige weitere Petitionisten an, so dass die Diffusionskurve der Einträge schnell abflacht (vgl. Abb. 50). Die Kurve steigt im Großraum Nürnberg (Nürnberg, Fürth und Erlangen), d.h. in unmittelbarer Nähe des zu schließenden Werks, am schnellsten an. Im restlichen Bayern ist ihr Verlauf zunächst etwas flacher. In den übrigen Bundesländern reagieren die Teilnehmer noch später auf den Aufruf. Abb. 50: Diffusion der Petitionseinträge 800
Anzahl der Petitionisten
600
Gesamt
400 Bayern 200
Großraum Nürnberg
0 15.01.06
01.02.06
15.02.06
01.03.06
15.03.06* 15.09.06 15.02.07 * Bis zum 15.03.06 ist die tägliche, danach die monatliche Zunahme der Anzahl der Petitionisten dargestellt.
Zusätzlich zu ihrem Eintrag in der Unterschriftenliste bitten die Boykottorganisatoren die Teilnehmer um folgende Angaben: Vor- und Nachname, Alter, Wohnort (Bundesland und Stadt) sowie Beruf bzw. Funktion. 357 Personen nannten ihr Alter (vgl. Abb. 51). Von diesen sind knapp 90 % zwischen 20 und 60 Jahre alt. Bei 593 Einträgen ließ sich das Geschlecht des Petitionisten aus dem angegebenen Vornamen ableiten. Demnach folgten deutlich mehr Männer (75,0 %) als Frauen (25,0 %) dem Aufruf.
170
Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Abb. 51: Soziodemographische Merkmale der Petitionisten Alter der Petitionisten
Geschlecht der Petitionisten
Anteil 21,8 %
23,8 % 22,4 %
20% 10% 6,2 %
weiblich 25,0 %
19,6 %
männlich 75,0 %
5,3 % 0,9 %
0% n = 357
bis 19 20 - 29 30 - 39 40 - 49 50 - 59 60 - 69 über 70 Alter (in Jahren)
n = 593
Ihren Wohnort nannten 570 der 790 Teilnehmer. Knapp zwei Drittel davon wohnen in Bayern (n = 347; 61,9 %). 53 Petitionisten stammen aus Nordrhein-Westfalen (9,4 %), 43 aus Baden-Württemberg (7,7 %), 32 aus Hessen (5,7 %), 26 aus Niedersachsen (4,6 %), 18 aus Berlin (3,2 %) und 12 aus Rheinland-Pfalz (2,1 %). Weniger als 10 Petitionisten beteiligten sich in Hamburg (n = 8), Brandenburg (n = 5), SchleswigHolstein (n = 5), Saarland (n = 4), Bremen (n = 3), Sachsen-Anhalt (n = 2), Sachsen (n = 2) und Thüringen (n = 1). Neun Solidaritätsbekundungen erreichten das Forum aus dem Ausland: Fünf aus Österreich, je einer aus der Schweiz, Frankreich, Dänemark und den USA.
6.1.3 Gütekriterien inhaltsanalytischer Verfahren Mit Hilfe der Inhaltsanalyse ist es möglich, das qualitative Ausgangsmaterial auf quantitativ analysierbare Einheiten zu reduzieren. Diese sollten nur dann statistisch ausgewertet und interpretiert werden, wenn die Einheiten zuverlässig kodiert sind (vgl. Kolbe/Burnett 1991, S. 248; Neuendorf 2002, S. 141; Krippendorff 2004a, S. 214; Schnell et al. 2005, S. 412). Dabei gibt die Interkoder-Reliabilität das Ausmaß an, in dem mehrere unabhängige Kodierer mit Hilfe derselben Kodiervorschrift zum selben Ergebnis kommen. Die dafür vorgeschlagenen Koeffizienten unterscheiden sich u.a. darin, bei wie vielen Kodierern und für welches Skalenniveau sie anwendbar sind. Der Übereinstimmungskoeffizient (vgl. Lombard et al. 2004), Scotts Pi (vgl. Scott 1955), Cohens Kappa (vgl. Cohen 1960) und Krippendorffs Alpha (vgl. Krippendorff 1970; 2004a) werden bislang am häufigsten eingesetzt. Trotz der Forderung von Lombard et al. (2004) konnte sich die einschlägige Forschung noch nicht auf einen einheitlichen
Untersuchungsdesign
171
Standardkoeffizienten einigen. Studie B bestimmt deshalb alle vier genannten Koeffizienten. Der Übereinstimmungskoeffizient gibt den Anteil der von zwei Kodierern gleichartig zugeordneten Elemente im Verhältnis zur Gesamtheit der Elemente an (vgl. Lombard et al. 2004, S. 590). Der Wert 0,0 besagt, dass die Ergebnisse der beiden Kodierer in jedem Fall voneinander abweichen, während der Wert 1,0 für eine perfekte Übereinstimmung spricht. Ein Nachteil der sonst gut nachvollziehbaren Methode ist, dass sie die per Zufall zu erwartende Übereinstimmung zwischen Kodierern nicht beachtet. Das Maß gibt deshalb unter bestimmten Umständen sehr hohe Werte an, auch wenn die beiden Zuordnungen bei relevanten Merkmalen deutlich voneinander abweichen. Je weniger Kategorien eine Variable enthält und je stärker sich die A-prioriWahrscheinlichkeit der Kategorien nominaler Variablen unterscheidet, desto wahrscheinlicher stimmen die Ergebnisse zwischen zwei Kodierern zufällig überein und desto höher fällt der Koeffizient aus (vgl. Perreault/Leigh 1989, S. 135). Außerdem nimmt das Reliabilitätsmaß mit dem Anteil irrelevanter (d.h. sehr gering besetzter) Kategorien zu (vgl. Kolbe/Burnett 1991). Scotts Pi (vgl. Scott 1995) und Cohens Kappa (vgl. Cohen 1960) weisen gegenüber dem Übereinstimmungskoeffizienten bedeutsame Vorteile auf. Sie berücksichtigen nicht nur die Übereinstimmung, die zwischen den Kodierern zufällig auftreten sollte, sondern auch die Anzahl der Kategorien und deren A-priori-Wahrscheinlichkeit (vgl. Hughes/Garrett 1990). Beide Koeffizienten fallen daher in der Regel geringer aus als der Übereinstimmungskoeffizient und gelten damit als konservative Maße, welche ihren Maximalwert von 1,0 selten erreichen. Die Koeffizienten unterscheiden sich zwar im Algorithmus, der zur Schätzung der per Zufall zu erwartenden Übereinstimmung verwendet wird; die ermittelten Werte divergieren jedoch nur minimal (vgl. Lombard et al. 2002, S. 592). Krippendorffs Alpha gilt als sehr flexibles Maß zur Beurteilung der InterkoderReliabilität. Es kann im Gegensatz zu den bereits beschriebenen Maßen auch bei mehr als zwei Kodierern eingesetzt werden (vgl. Neuendorf 2002, S. 148; Hayes/ Krippendorff 2007). Während sich Übereinstimmungskoeffizient, Scotts Pi und Cohens Kappa nur bei nominalem Skalenniveau anwenden lassen, ist Krippendorffs Alpha unabhängig vom Skalenniveau der kodierten Daten. Außerdem wirkt sich die
172
Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Stichprobengröße nicht auf das Ergebnis aus, und der Koeffizient kann bei Datensätzen mit fehlenden Werten berechnet werden (vgl. Abb. 52). Abb. 52: Vergleich der Koeffizienten zur Bestimmung der Interkoder-Reliabilität Übereinstimmungskoeffizient (ÜK) Anzahl der Kodierer Skalenniveau der Kategorien Korrektur zufälliger Übereinstimmung Eigenschaft der Schätzung
Scotts Pi (ɩ)
Cohens Kappa (ț)
Krippendorffs Alpha (Į)
zwei
zwei
zwei
unbegrenzt
nominal
nominal
nominal
jedes
nein
ja
ja
ja
liberal
konservativ
konservativ
konservativ
Quelle: In Anlehnung an Lombard et al. (2002) und Hayes/Krippendorff (2007, S. 80ff.).
Neuendorf (2002, S. 145) verglich mehrere Studien, um zu ermitteln, ab welchen Grenzwerten Autoren im Allgemeinen davon ausgehen, dass eine Kodierung reliabel ist. Demnach beurteilen alle Autoren die Übereinstimmung bei Werten über ,90 als gut; bei Werten ab ,80 gilt sie häufig als angemessen. Für explorative Untersuchungen geben sich viele Autoren sogar mit einer Reliabilität von ,70 oder geringer zufrieden. Lombard et al. (2002, S. 593) empfehlen, zwischen liberalen und konservativen Indizes zu differenzieren. Der Übereinstimmungskoeffizient zählt zur ersten Gruppe und sollte vergleichsweise hohe Werte aufweisen. Scotts Pi, Cohens Kappa und Krippendorffs Alpha gelten als konservativ, so dass bereits etwas geringere Werte für eine zuverlässige Kodierung sprechen. Für die Berechnung des Übereinstimmungskoeffizienten und Scotts Pi kam in der vorliegenden Untersuchung das Softwareprogramm PRAM 0.4.5 (Program for Reliability Assessment with Multiple Coders; vgl. Skymeg Software 2004) zum Einsatz. Cohens Kappa wird mit SPSS 12.0 berechnet. Ein von Hayes/Krippendorff (2007) beschriebenes Makro für die Applikation SPSS ermöglicht die Berechnung von Krippendorffs Alpha. Mit Hilfe der Bootstrapping-Prozedur (vgl. Efron/Tibshirani 1998; Mooney/Duval 2003) lässt sich dessen 95-prozentiges Konfidenzintervall bestimmen. Diese Schätzung fällt umso genauer aus, je mehr Stichproben die Analyse umfasst. Der Empfehlung von Hayes/Krippendorff (2007, S. 86) folgend werden 10.000 Stichproben gezogen. Jeweils drei Kodierer ordnen in den vier Pretests und in der Hauptstudie die InternetPostings den in der Kodiervorschrift beschriebenen Kategorien zu. Da sich mit dem Übereinstimmungskoeffizienten, Scotts Pi und Cohens Kappa jedoch nur die Kon-
Entwicklung des Kategorienschemas
173
gruenz von zwei Kodierern bewerten lässt, wird in diesen Fällen jeweils das arithmetische Mittel aller möglichen paarweisen Kodiervergleiche berechnet. 6.2 Entwicklung des Kategorienschemas Zunächst wurde in einem iterativen Prozess das Kategorienschema der Inhaltsanalyse entwickelt (vgl. Abb. 53, S. 174). Den Ausgangspunkt bilden 15 Antezedenzen der Boykottpartizipation, die deduktiv aus der Literatur (vgl. Kap. 2.2.2, insb. Abb. 17, S. 47) abgeleitet wurden. In den ersten drei Pretests bearbeiteten drei Kodierer, die bereits über einschlägige Erfahrung in qualitativer Marktforschung verfügen, jeweils 100 Beiträge. Im ersten Pretest identifizierten sie induktiv acht bislang vernachlässigte Einflussgrößen. Der zweite Pretest basierte auf einer weiteren Stichprobe von 100 Postings. Er legte zwei zusätzliche Einflussgrößen offen. Bereits im dritten Pretest konnten alle 100 analysierten Postings anhand der bislang ermittelten Kategorien zufriedenstellend kodiert werden. Nach jedem Pretest diskutierten die Kodierer Definition und Abgrenzung der Kategorien. Sie beschrieben die Kategorien präzise und notierten jeweils Ankerbeispiele (vgl. Anhang F). Der Empfehlung von Srnka/Koeszegi (2007) folgend, wurde das Kategoriensystem hierarchisch aufgebaut. Dabei wurde zwischen den Stufen Kategorien, Oberkategorien und Hauptkategorien unterschieden (vgl. Abb. 53, S. 174). Die Zuordnungen der Kategorien zu den Oberkategorien und dieser zu den Hauptkategorien orientierten sich an den in der Boykottliteratur diskutierten Theorien und den einschlägigen empirischen Befunden (vgl. Kap. 2 sowie Kap. 3). Sie wurden von den Kodierern nach jedem Pretest diskutiert. Beim vierten Pretest untersuchten die drei Kodierer das gesamte Datenmaterial. Dabei zeigte sich, dass alle 790 Postings anhand des deduktiv und induktiv abgeleiteten Kategorienschemas kodiert werden können und es keiner weiteren Kategorie bedarf. Aufgrund der zunehmend präziseren Beschreibung der Kategorien verbesserte sich im Verlauf der Pretests die durchschnittliche Interkoder-Reliabilität (vgl. Anhang G). Nach dem vierten Pretest war die Kodiervorschrift so weit ausgearbeitet, dass die durchschnittliche Interkoder-Reliabilität zufriedenstellende Werte erreichte (Krippendorffs Alpha: Į = ,699; Scotts Pi: ɩ = ,695; Cohens Kappa: ț = ,694; Übereinstimmungskoeffizient: ÜK = ,965). Anschließend wurde die Kodiervorschrift ein letztes Mal präzisiert.
174
Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Abb. 53: Für die Inhaltsanalyse entwickeltes hierarchisches Kategoriensystem Kategorie
Oberkategorie
Direkte Betroffenheit a)
Hauptkategorie
Objektive Betroffenheit
Solidarische Betroffenheit 1) Generelle Verärgerung d) e) g) Verärgerung über Arbeitsplatzabbau 1) Verärgerung über Gewinnorientierung 1)
Betroffenheit Affektive Betroffenheit
Enttäuschung über Unternehmensentwicklung 2) Glaube an Konsumentensouveränität 1) Glaube an Effektivität des Boykotts c) Kollektive Wirksamkeit c)
Kontrollüberzeugung
Selbstwirksamkeit e) f) g) Boykottbereitschaft des sozialen Umfelds c) Persönlicher Beitrag e) f) g) Boykott-Meinungsführerschaft 1)
Gestaltungswunsch
Promotoren
Appellfunktion 1) Bestrafung b)
Vergeltungswunsch
System- und Globalisierungskritik
1)
Konsumenten-Ethnozentrismus g) Generelle Boykottbereitschaft
Politischer Konsumerismus
1)
Genereller Zweifel an Boykottwirkung 2) Small Agent f) g)
Zweifel am Erfolg
Bumerang-Effekt a) Inhibitoren
Präferenz für boykottierte Produkte c) Ausweichen auf Substitute c)
Kosten des Konsumverzichts
Trittbrettfahren c) f) g) Legende: Deduktiv ermittelte Merkmale Deduktiv ermittelte Merkmale ohne Nennung Induktiv ermittelte Merkmale
a) Smith
(1990); b) Friedman (1999); c) Sen et al. (2001); (2001); e) Klein et al. (2002); f) John/Klein (2003); g) Klein et al. (2004) d) Nerb/Spada
Im 1) ersten bzw. 2) zweiten Pretest identifiziert.
Die Hauptstudie führten drei Marktforscher (Kodierer D, E und F) durch, die sich von den Kodierern der vier Vorstudien (Kodierer A, B und C) unterschieden. Sie kodierten das gesamte Datenmaterial anhand der entwickelten Kodiervorschrift. Die durchschnittlich erreichte Interkoder-Reliabilität kann als sehr gut bezeichnet werden (Krip-
Frequenzanalyse der Boykottmotive
175
pendorffs Alpha: Į = ,865; Scotts Pi: ɩ = ,886; Cohens Kappa: ț = ,865; Übereinstimmungskoeffizient: ÜK = ,979; vgl. Tab. 22). Tab. 22: Durchschnittliche Interkoder-Reliabilität in vier Pretests und der Hauptstudie Design der Vorstudie Anzahl kodierter Postings (n) Kodierer Interkoder-Reliabilität Krippendorffs Alpha (Į) Scotts Pi (ʌ) Cohens Kappa (ț) Übereinstimmungskoeffizient (ÜK)
1. Pretest
2. Pretest
3. Pretest
4. Pretest
Hauptstudie
100 A, B, C
100 A, B, C
100 A, B, C
790 A, B, C
790 D, E, F
,507 ,488 ,490 ,957
,483 ,452 ,456 ,952
,593 ,576 ,577 ,962
,699 ,695 ,694 ,965
,865 ,886 ,865 ,979
6.3 Frequenzanalyse der Boykottmotive 6.3.1 Häufigkeit der Kategorien, Oberkategorien und Hauptkategorien Um bestimmen zu können, wie häufig die Petitionisten einzelne Antezedenzen der Boykottpartizipation nannten, werden die Ergebnisse der drei Kodierer der Hauptstudie zunächst zusammengeführt. Dabei gilt es, auch die im Kategorienschema hierarchisch höheren Ebenen nach folgenden Regeln zuzuordnen. Ein Posting wird dann … x … einer Kategorie zugeordnet, wenn mindestens zwei der drei Experten es dieser Kategorie zugeordnet haben. x … einer Oberkategorie zugeordnet, wenn mindestens zwei der drei Experten es mindestens einer der dieser Oberkategorie zugehörigen Kategorien zugeordnet haben. x … einer Hauptkategorie zugeordnet, wenn mindestens zwei der drei Experten es mindestens einer der dieser Hauptkategorie zugehörigen Kategorien zugeordnet haben. Tab. 23 (S. 176) zeigt die Reliabilität der Kodierung der Kategorien, Oberkategorien und Hauptkategorien in der Hauptuntersuchung sowie die Häufigkeit, mit der diese genannt wurden. Es zeigt sich, dass die Petitionisten insb. die Hauptkategorien Betroffenheit und Promotoren ansprechen; Inhibitoren der Boykottpartizipation thematisieren sie hingegen nur selten.
176
Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation
Tab. 23: Interkoder-Reliabilität und Häufigkeit der Kategorien in der Hauptstudie Antezedenz Į
Interkoder-Reliabilität Į (KI 95 %) ɩ ț
ÜK
Betroffenheit
Nennungen Anzahl in % 310
39,2
Objektive Betroffenheit Direkte Betroffenheit Solidarische Betroffenheit
,904 ,919 ,901
(,879 - ,927) (,871 - ,967) (,875 - ,928)
,903 ,936 ,901
,903 ,919 ,901
,976 ,997 ,978
118 20 102
14,9 2,5 12,9
Affektive Betroffenheit Generelle Verärgerung Verärgerung über Arbeitsplatzabbau Verärgerung über Gewinnstreben Enttäuschung über Unternehmensentwicklung
,877 ,837 ,895 ,813 ,746
(,855 - ,898) (,795 - ,877) (,862 - ,925) (,780 - ,846) (,619 - ,859)
,877 ,836 ,904 ,812 ,747
,877 ,837 ,895 ,812 ,747
,949 ,974 ,984 ,952 ,992
235 72 73 124 13
29,7 9,1 9,2 15,7 1,6
249
31,8
Kontrollüberzeugung Glaube an Konsumentensouveränität Glaube an Effektivität des Boykotts Kollektive Wirksamkeit Selbstwirksamkeit Boykottbereitschaft des sozialen Umfelds
,858 ,936 ,884 ,647 ,798 ,873
(,814 - ,898) (,888 - ,976) (,815 - ,954) (,446 - ,827) (,647 - ,924) (,784 - ,949)
,857 ,953 ,883 ,649 ,792 ,874
,857 ,936 ,884 ,649 ,792 ,874
,982 ,997 ,996 ,994 ,997 ,996
53 22 15 5 8 13
6,7 2,8 1,9 ,6 1,0 1,6
Gestaltungswunsch Persönlicher Beitrag Boykott-Meinungsführerschaft Appellfunktion
,844 ,888 ,951 ,819
(,810 - ,874) (,794 - ,967) (,910 - ,984) (,778 - ,857)
,836 ,893 ,951 ,837
,844 ,893 ,951 ,818
,961 ,997 ,997 ,970
109 8 22 82
13,8 1,0 2,8 10,4
Wunsch nach Vergeltung
,810
(,747 - ,868)
,819
,810
,986
33
4,2
Politischer Konsumerismus System- und Globalisierungskritik Konsumenten-Ethnozentrismus Generelle Boykottbereitschaft
,874 ,836 ,893 ,911
(,846 - ,900) (,796 - ,876) (,845 - ,937) (,860 - ,955)
,873 ,834 ,892 ,909
,873 ,835 ,893 ,909
,965 ,972 ,991 ,994
134 77 37 28
17,0 9,7 4,7 3,5
64
8,1
6 6 0 0
,8 ,8 ,0 ,0
58 36 33 0
7,3 4,6 4,2 ,0
Promotoren
Inhibitoren Zweifel an Erfolg Zweifel an Boykottwirkung Small Agent Bumerang-Effekt Kosten des Konsumverzichts Präferenz für boykottierte Produkte Ausweichen auf Substitute Trittbrettfahren
1,000 (1,000 - 1,000) 1,000 (1,000 - 1,000) ,926 ,896 ,912 -
(,895 - ,954) (,849 - ,939) (,869 - ,951) -
1,000 1,000 1,000 1,000 1,000 1,000 ,926 ,896 ,912 -
,926 ,896 ,912 -
,990 ,991 ,993 -
Legende: Į: Krippendorffs Alpha; KI 95 %: 95 %-Konfidenzintervall (Bootstrapping mit 10.000 Stichproben); ɩ: Scotts Pi; ț: Cohens Kappa; ÜK: Übereinstimmungskoeffizient. Anzahl der Postings: n = 790.
39,2 % der Petitionisten nannten Antezedenzen, welche in die Hauptkategorie Betroffenheit fallen. Dabei lassen sich die beiden Oberkategorien objektive und affektive Betroffenheit unterscheiden. Die objektive Betroffenheit umfasst die Kategorien
Frequenzanalyse der Boykottmotive
177
„direkte Betroffenheit“ und „solidarische Betroffenheit“. Erstere setzt sich wiederum aus den in Kap. 3.2.1 eingeführten Formen „persönliche Betroffenheit“ und „soziale Betroffenheit“ zusammen. Die induktiv ermittelte solidarische Betroffenheit wurde hingegen im theoretischen Teil der Arbeit noch nicht berücksichtigt. Sie entsteht, wenn Personen betroffen sind, die der Petitionist aufgrund eines gemeinsamen Merkmals (z.B. sozialer Status) zu seiner In-Group zählt. Die am häufigsten genannte (29,7 %) und damit bedeutendste Oberkategorie ist die affektive Betroffenheit, bei der mehrere Kategorien induktiv ermittelt werden konnten. So äußerten manche Petitionisten, dass sie entweder ganz speziell über den Arbeitsplatzabbau oder das übermäßige Gewinnstreben des Unternehmens verärgert seien. Einige zeigten sich enttäuscht von der derzeitigen Entwicklung des Traditionsunternehmens, dem sie bis dahin eine positive Reputation zuschrieben. Knapp ein Drittel der Petitionisten (31,8 %) spricht in den Internet-Postings Promotoren der Boykottpartizipation an. Neben den deduktiv aus der Literatur abgeleiteten Antezedenzen können zahlreiche weitere Argumente identifiziert werden, welche die Wahrscheinlichkeit einer Boykottteilnahme steigern. Einige Petitionisten (2,8 %) betonen, dass sie davon überzeugt sind, dass Konsumenten das Handeln von Unternehmen beeinflussen können. Dies wird im Folgenden als „Glaube an Konsumentensouveränität“ bezeichnet. Ferner machen mehrere Petitionisten deutlich, dass sie nicht nur aufgrund der Werksschließung verärgert sind. Vielmehr nehmen sie allgemein eine kritische Haltung zum System der freien Marktwirtschaft und dem Handeln Multinationaler Unternehmen ein (9,7 %). Eine „generelle Boykottbereitschaft“ dokumentieren 3,5 % der Petitionisten. Sie berichten, dass sie sich bereits an mehreren Boykotten beteiligt haben. Weiterhin machen 2,8 % deutlich, dass sie als BoykottMeinungsführer auf das Handeln ihres sozialen Umfelds einwirken und dieses zur Teilnahme bewegen möchten. Ungefähr jeder zehnte Teilnehmer (10,4 %) sieht die Protestaktion als Möglichkeit, andere von der Notwendigkeit des Boykotts zu überzeugen. Nur wenige Petitionisten thematisieren die Inhibitoren der Boykottpartizipation (8,1 %). Lediglich sechs Personen äußern Zweifel an der Boykottwirkung (0,8 %). Keiner nennt die theoretisch hergeleiteten Antezedenzen „Bumerang-Effekt“, „Small Agent“ und „Trittbrettfahren“. Wenn Inhibitoren genannt werden, dann mit dem Hinweis darauf, dass sich der Boykotteur nicht von diesen abhalten lassen sollte,
178
Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation
am Boykott teilzunehmen. So sprechen zwar 7,3 % der Teilnehmer die Kosten des eingeschränkten Konsums an. Sie betonen jedoch gleichzeitig, dass sie die Produkte des Unternehmens boykottieren, obwohl sie diese gegenüber Konkurrenzprodukten präferieren. Einige Petitionisten ergänzen zudem, dass die Kosten, die durch den Verzicht auf das bevorzugte Produkt entstehen, gering sind und ihrer Boykottabsicht nicht im Wege stehen, da sie Substitute kennen, auf welche sie ausweichen können. Zusammenfassend spielen die Inhibitoren für die Petitionisten nur eine untergeordnete Rolle (vgl. Abb. 54). Dies lässt sich damit begründen, dass in Studie B lediglich Aussagen von Unterstützern des Boykotts analysiert werden (vgl. Kap. 6.3.2). Abb. 54: Bedeutung der Haupt- und Oberkategorien Kontrollüberzeugung (6,7 %) Objektive Betroffenheit (14,9 %)
Affektive Betroffenheit (29,7 %)
Promotoren (31,8 %)
Betroffenheit (39,2 %)
Zweifel am Erfolg (0,8 %)
Gestaltungswunsch (13,8 %) Vergeltungswunsch (4,2 %)
Inhibitoren (8,1 %)
Anmerkung: Proportionale Darstellung der Bedeutung der
Konsumerismus (17,0 %)
Kosten des Konsumverzichts (7,3 %) Hauptkategorien und
Oberkategorien.
6.3.2 Zusammenfassung und Diskussion In Studie B werden Beiträge einer Unterschriftenpetition analysiert, um zu bestimmen, weshalb sich Personen einem Konsumentenboykott anschließen. Die identifizierten Beweggründe lassen sich den Hauptkategorien Betroffenheit, Promotoren und Inhibitoren zuordnen. Damit besteht eine formale Übereinstimmung mit dem im Theorieteil der Arbeit hergeleiteten und in Studie A empirisch geprüften Modell der individuellen Boykottpartizipation. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Befunden der Studien A und B werden in Kap. 7.1 ausführlich diskutiert. Die Ergebnisse von Studie B basieren auf Internet-Postings, welche die Petitionisten nicht zum Zweck der vorliegenden Untersuchung verfassten. Sie wurden nicht in eine Befragungssituation versetzt und zu Aussagen aufgefordert. Auch reagierten sie nicht
Frequenzanalyse der Boykottmotive
179
auf eine bestimmte Fragestellung oder einen Interviewer. Das Problem der Reaktivität kann damit in dieser Untersuchung ausgeschlossen werden (vgl. Schnell et al. 2005, S. 353). Das Vorgehen der Untersuchung wird ausführlich offengelegt, so dass es intersubjektiv nachvollziehbar und bewertbar ist. Studie B erfüllt damit eine wichtige Forderung an die Objektivität qualitativer Untersuchungen (vgl. Srnka 2007, S. 252). Die Interkoder-Reliabilitätskoeffizienten sprechen für eine sehr hohe intersubjektive Übereinstimmung bei der Kodierung des Datenmaterials. Die durch Studie B gewonnenen Befunde können jedoch nicht als repräsentativ für alle Boykottteilnehmer angesehen werden. Sie gelten nur für die Gruppe der Boykottteilnehmer, die ihre Teilnahme auch im Internet öffentlich bekanntgaben. Alle Beiträge entstanden aufgrund des eigenen Antriebs der Petitionisten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung stehen damit für eine hochgradig motivierte Teilmenge der Boykotteure, die sich möglicherweise von der Grundgesamtheit unterscheidet. Aufgrund ihres gezeigten Engagements lässt sich vermuten, dass sie situativ überdurchschnittlich betroffen bzw. verärgert sind. Zudem unterliegen möglicherweise einige Auskünfte aufgrund der öffentlichen Stellungnahme der Verzerrung „soziale Erwünschtheit“. Diese Annahmen und die Generalisierbarkeit der Befunde sollte in Folgeuntersuchungen überprüft werden. In einer Frequenzanalyse wurde die Relevanz der in den Internet-Postings angesprochenen Kategorien, Oberkategorien und Hauptkategorien quantitativ bestimmt. Diese Befunde sollten jedoch nur unter Vorbehalt interpretiert werden, da die Petitionisten nicht dazu angehalten wurden, sich zu bestimmten Themen zu äußern. Wenn ein Teilnehmer einen bestimmten Beweggrund nicht nannte, kann dies darauf zurückzuführen sein, dass dieser für ihn unbedeutend ist. Es kann aber auch sein, dass der Petitionist den Grund nicht nannte, obwohl dieser für ihn bedeutsam ist. Möglicherweise war der Beweggrund zum Zeitpunkt des Eintrags nicht salient, oder zeitliche Restriktionen hielten die Person davon ab, den Grund zu nennen. Die Analyse erfasst damit lediglich Beweggründe, welche für die Petitionisten offenkundig und mitteilungswürdig sind. Demnach ist der Befund, dass jeweils ungefähr ein Drittel der Petitionisten aus eigenem Antrieb Antezedenzen nannte, die den Hauptkategorien Betroffenheit und Promotoren zugehörig sind, als sehr bedeutsam anzusehen. Die qualitativ erfassten Daten sollten nur unter Vorbehalt quantitativ ausgewertet, interpretiert und generalisiert werden. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung war
180
Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation
es nicht möglich, die weitgehend anonymen Petitionisten zu einer Nacherhebung einzuladen, um die Ergebnisse statistisch abzusichern (vgl. Vorstudien-Modell; Kap. 4.1). Zukünftige Studien sollten deshalb die Befunde aufgreifen und kontrolliert quantitativ überprüfen. 6.4 Kontingenzanalyse: Identifikation segmentspezifischer Boykottmotive 6.4.1 Empirische Befunde Um zu überprüfen, ob sich die identifizierten Beweggründe zur Boykottteilnahme zwischen verschiedenen Segmenten unterscheiden, werden die Petitionisten anhand der Merkmale Alter und Geschlecht gruppiert, da diese Variablen, wie Kap. 2.2.1 zeigt, für die Boykottpartizipation bedeutsam sein können. Darüber hinaus werden sie danach eingeteilt, in welcher Entfernung sie vom Standort des zu schließenden Werks leben, da Studie A nachweist, dass räumliche Nähe die Bereitschaft zur Teilnahme an einer Protestaktion fördern kann. Ein Segment bilden dabei Personen aus dem Großraum Nürnberg, d.h. Personen, die in „unmittelbarer Nähe“ des zu schließenden Werks wohnen. Davon abzugrenzen sind zum einen bayrische Petitionisten, die nicht im Großraum Nürnberg wohnen („geringe Distanz“), und zum anderen Personen, die außerhalb Bayerns leben („weite Distanz“). Ferner werden in Anlehnung an Rogers (2003) vier Adoptertypen unterschieden: Personen, die sich innerhalb der ersten vier Tage (= „Innovatoren“), zwischen dem fünften und achten Tag (= „frühe Adopter“), in der zweiten Woche (= „späte Adopter“) und erst nach der zweiten Woche (= „Nachzügler“) in die Unterschriftenliste eintrugen (vgl. Tab. 24).
Kontingenzanalyse: Identifikation segmentspezifischer Boykottmotive
181
Tab. 24: Segmentierung der Petitionisten Stichprobengröße*) absolut in %
Segmentierungskriterium
Kategorien
Geschlecht
männlich weiblich
445 148
75,0 25,0
Alter
bis 29 Jahre 30 bis 39 Jahre 40 bis 49 Jahre 50 Jahre und älter
100 85 80 92
28,0 23,8 22,4 25,8
Räumliche Nähe
unmittelbare Nähe geringe Distanz weite Distanz
217 130 223
38,1 22,8 39,1
Adoptertyp
Innovator Früher Adopter Später Adopter Nachzügler
190 207 192 201
24,1 26,2 24,3 25,4
(1. bis 4. Tag) (5. bis 8. Tag) (2. Woche) (nach der 2. Woche)
Anmerkung: *) Da nicht alle Petitionisten ihre soziodemographischen Merkmale angaben, sind die Summen kleiner als 790.
Die vier Segmentierungskriterien sind weitgehend unabhängig voneinander. Mit einer Ausnahme können nach Maßgabe eines Chi-Quadrat-Tests keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zwischen den Kategorien verschiedener Segmentierungskriterien festgestellt werden. Nur die Kriterien „Adoptertyp“ und „räumliche Nähe“ weisen eine signifikante Kontingenz auf (Ȥ² = 39,833; df = 6; p ,001; C = ,256). Diese liegt darin begründet, dass Personen, die sich vergleichsweise früh in die Petition eintrugen, überdurchschnittlich häufig in der Nähe des zu schließenden Werks wohnen. So stammen 52,5 % der Innovatoren und 43,5 % der frühen Adopter aus dem Großraum Nürnberg. Der Anteil der Personen aus der näheren Umgebung des zu schließenden Werks beträgt bei den späten Adoptern 24,5 % und bei den Nachzüglern 24,3 %. Der Anteil der Petitionisten der Gruppen „geringe Distanz“ und „weite Distanz“ (d.h. aus dem Rest Bayerns und dem Rest Deutschlands) steigt hingegen im Verlauf der Petition an. Dieser Zusammenhang verdeutlicht, dass die Unterschriftenaktion ihren Ursprung in der Nähe des zu schließenden Werks hatte und sich erst allmählich regional ausweitete. Im Folgenden wird explorativ untersucht, ob sich die Auftretenshäufigkeit der identifizierten Ober- und Hauptkategorien zwischen den genannten Segmenten unterscheidet (vgl. Tab. 25, S. 183). Die Analyse deckt nur wenige Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Petitionisten auf. Männer führen signifikant häufiger Promoto-
182
Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation
ren der Boykottteilnahme an (C = ,10; p ,05). Dies ist insb. auf die generell stärkere Neigung männlicher Petitionisten zum politischen Konsumerismus zurückzuführen (C = ,12; p ,01). Mit Blick auf das Alter der Petitionisten bestehen ebenfalls nur wenige statistisch signifikante Unterschiede. Lediglich die Häufigkeit, mit der Promotoren genannt werden, unterscheidet sich stark zwischen den Altersgruppen. So ist die Kontrollüberzeugung im Segment der 40- bis 49-jährigen signifikant höher (C = ,18; p ,05), dagegen aber der Gestaltungswunsch (C = ,15; p ,05) und das Ausmaß des politischen Konsumerismus (C = ,16; p ,05) signifikant geringer. Die räumliche Nähe zum kritischen Ereignis beeinflusst die Häufigkeit, mit der Antezedenzen aller Hauptkategorien genannt werden. Die Betroffenheit wird von Petitionisten, die nicht in Bayern leben („weite Distanz“), signifikant häufiger angesprochen (C = ,12; p ,05) als von bayrischen Petitionisten („unmittelbare Nähe“ und „geringe Distanz“). Bayrische Petitionisten nennen zudem häufiger Promotoren (C = ,10; p ,05) und geben an, sich von Inhibitoren nicht abschrecken zu lassen (C = ,15; p ,01). Die Zusammenhänge können jedoch mit einer Ausnahme nur für die drei Hauptkategorien festgestellt werden. Lediglich bei der Oberkategorie „Kosten des Konsumverzichts“ ergeben sich statistisch signifikante Unterschiede (C = ,13; p ,05). Bayrische Petitionisten („unmittelbare Nähe“ und „geringe Distanz“) führen diesen Grund seltener an als Personen, deren Wohnort weiter entfernt vom zu schließenden Werk liegt („weite Distanz“).
Kontingenzanalyse: Identifikation segmentspezifischer Boykottmotive
183
Tab. 25: Merkmale der Petitionisten Geschlecht (Anteil in %) männ- weibC lich lich
Alter (Anteil in %) bis 29 30 bis 39 40 bis 50 Jahre Jahre Jahre 49 Jahre und älter
C
Betroffenheit Objektive Betroffenheit Affektive Betroffenheit
36,0 13,7 27,6
35,1 16,2 21,6
,01 ,03 ,06
8,4 3,6 5,9
6,7 3,6 5,3
7,0 2,5 4,8
9,2 4,2 5,9
,06 ,06 ,02
Promotoren Kontrollüberzeugung Gestaltungswunsch Vergeltungswunsch Politischer Konsumerismus
31,2 5,4 12,6 4,0 18,7
20,9 7,4 9,5 3,4 8,1
,10* ,04 ,04 ,02 ,12**
6,7 ,8 4,8 1,4 2,8
6,7 ,6 1,7 ,6 4,8
5,3 3,1 1,4 ,3 1,7
8,1 1,4 2,0 ,3 5,3
,07 ,18** ,15* ,10 ,16*
7,0 ,7 6,3
7,4 ,7 6,8
,01 ,00 ,00
2,0 ,6 1,4
2,0 ,0 2,0
2,0 ,0 2,0
1,7 ,6 1,7
,03 ,13 ,06
Inhibitoren Zweifel am Erfolg Kosten des Verzichts
Räumliche Nähe (Anteil in %) Adoptertyp (Anteil in %) direkte geringe weite C Inno- Frühe Späte NachNähe Distanz Distanz vatoren Adopter Adopter zügler
C
11,4 5,3 8,1
8,1 2,8 6,0
16,7 7,7 11,6
,12* ,09 ,09
12,9 3,9 10,1
24,4 14,6 14,8
23,5 7,0 19,0
26,1 7,6 21,8
,18*** ,18*** ,17***
Promotoren Kontrollüberzeugung Gestaltungswunsch Vergeltungswunsch Politischer Konsumerismus
7,4 2,1 3,7 2,1 5,3
10,0 2,1 3,0 1,1 4,7
11,9 1,9 4,9 ,7 6,7
,10* ,07 ,05 ,08 ,08
12,6 3,4 4,5 ,8 5,9
15,1 2,2 5,9 3,1 9,8
15,4 3,9 6,7 1,7 7,3
26,6 5,3 13,4 3,6 14,6
,20*** ,08 ,18*** ,09 ,15***
Inhibitoren Zweifel am Erfolg Kosten des Verzichts
1,6 ,0 1,6
1,2 ,0 1,2
4,9 ,5 4,4
,15** ,09 ,13*
3,9 ,3 3,6
3,6 ,6 3,1
2,5 ,6 2,0
7,8 ,3 7,6
,13** ,03 ,14***
Betroffenheit Objektive Betroffenheit Affektive Betroffenheit
Anmerkungen: Chi-Quadrat-Test. C: Kontingenz-Koeffizient; * p ,05; ** p ,01; *** p ,001. Bei statistisch signifikanten Gruppenunterschieden ist Untergruppe fett hervorgehoben, welche die Gründe häufiger als andere nannte.
Während sich bei den drei Merkmalen Alter, Geschlecht und räumliche Nähe zum kritischen Ereignis nur vereinzelte Gruppenunterschiede feststellen lassen, besteht ein systematischer Zusammenhang zwischen dem Adoptertyp und der Häufigkeit, mit der Beweggründe der Boykottteilnahme genannt werden. Für alle drei Hauptkategorien und für fünf der acht Oberkategorien lassen sich statistisch signifikante Differenzen zwischen den Typen nachweisen. Die Nachzügler nannten fast alle Kriterien häufiger als Personen, die sich bereits vor ihnen eingetragen hatten. Nur in Bezug auf die objektive Betroffenheit ergibt sich ein umgekehrtes Bild (vgl. Abb. 55). Die größte
184
Studie B: Qualitativ-quantitative Analyse der Boykottpartizipation
objektive Betroffenheit äußern frühe Adopter. Die Bedeutung dieses Befunds wird in Kap. 6.4.2 diskutiert. Zusammenfassend ist die Unterscheidung von Adoptertypen das bedeutendste Kriterium zur Segmentierung der Petitionisten. Abb. 55: Beweggründe der Boykottteilnahme verschiedener Adoptertypen Anteil (in %) 20 15 10 5 0
Betroffenheit
Objektive Betroffenheit
Promotoren
Affektive Betroffenheit
20 15 10 5 0
Gestaltungswunsch
Konsumerismus
Kontrollüberzeugung
Vergeltungswunsch
Späte Adopter
Nachzügler
Inhibitoren 20 15 10 5 0
Legende:
Zweifel am Erfolg
Kosten des Konsumverzichts
Innovatoren
Frühe Adopter
20 15 10 5 0
6.4.2 Zusammenfassung und Diskussion Die Kontingenzanalyse verdeutlicht, dass sich verschiedene Segmente (insb. verschiedene Adoptertypen) darin unterscheiden, welche Antezedenzen der Boykottteilnahme sie anführen. Allerdings sollte diese quantitative Analyse mit Vorsicht interpretiert werden, da die Petitionisten, wie in Kap. 6.3.2 diskutiert, nicht dazu angehalten wurden, sich zu bestimmten Themen zu äußern. Ob eine Person einen bestimmten Beweggrund der Boykottteilnahme nennt, hängt damit nicht nur davon ab, ob sie diesen Grund für bedeutsam erachtet, sondern auch davon, ob er zum Zeitpunkt des Eintrags für sie salient ist. Die vorliegende Kontingenzanalyse ist explorativer Natur. Da die Kategorien erst im Rahmen von Studie B ermittelt wurden, war an dieser Stelle ein theoriegeleitetes und hypothesenprüfendes Vorgehen nicht möglich. Zwischen den nach den Segmentierungsmerkmalen Alter, Geschlecht und räumliche Nähe zum kritischen Ereignis gebildeten Gruppen lassen sich keine systematischen Unterschiede erkennen. Mögli-
Kontingenzanalyse: Identifikation segmentspezifischer Boykottmotive
185
cherweise sind diese Befunde nur auf Charakteristika der vorliegenden Stichprobe zurückzuführen. Die Ergebnisse sollten deshalb in zukünftigen Studien validiert werden. Deutliche und systematische Unterschiede scheinen hingegen zwischen den vier Adoptertypen zu bestehen. Je später ein Petitionist teilnimmt, desto wahrscheinlicher thematisiert er die affektive Betroffenheit und desto mehr Promotoren und Inhibitoren der Teilnahme nennt er. Nur für die objektive Betroffenheit ergibt sich ein umgekehrtes Bild. Die „frühen Adopter“ nennen diese überdurchschnittlich häufig. Erklären lässt sich dies damit, dass Personen, die unmittelbar von einem Vorfall betroffen sind, sehr schnell und impulsiv handeln. Wer hingegen keine persönliche Beziehung zum kritischen Ereignis hat, wägt vermutlich bewusst Promotoren und Inhibitoren der Teilnahme gegeneinander ab, bevor er handelt und entscheidet sich folglich erst später für eine Boykottteilnahme. Dieser intensive Entscheidungsprozess führt dazu, dass er sich differenzierter zu Gründen und Motiven äußern kann, die für oder gegen eine Boykottteilnahme sprechen. Möglicherweise wird dieser Effekt noch dadurch verstärkt, dass dieser Typus sich in der Zeit bis zur Entscheidungsfindung intensiv in den Medien über die Hintergründe des Falles informiert. Zukünftige Studien sollten diese Post hoc-Erklärung empirisch prüfen.
7 Diskussion 7.1 Triangulation der Befunde aus Studie A und Studie B Das Modell der individuellen Boykottpartizipation wird in Studie A mit quantitativen und in Studie B sowohl mit qualitativen als auch mit quantitativen Analyseverfahren empirisch überprüft. Abb. 56 fasst die zentralen Befunde zusammen. Im Folgenden werden diese durch die Methode der Triangulation zusammengeführt. Abb. 56: Zentrale Befunde von Studie A und B im Überblick Studie A (quantitativ, Passantenbefragung) Entwicklung eines Modells der individuellen Boykottpartizipation ƔBestätigung der Messmodelle (Ausnahme: Mangelnde Diskriminanzvalidität der Konstrukte Streben nach Selbstwerterhöhung und Kontrollüberzeugung) Ɣ Bestätigung des aus Betroffenheit, Promotoren und Inhibitoren bestehenden Rahmenmodells der individuellen Boykottpartizipation Ɣ Nachweis des maßgeblichen Einflusses der objektiven Betroffenheit und der mediierenden Wirkung des Nutzen des eigenen Beitrags auf die Partizipation Ɣ Nachweis des moderierenden Effekts der Konsumhistorie Triangulation der Befunde Studie B (qualitativ-quantitativ, Inhaltsanalyse von Internet-Postings) Deduktive und induktive Analyse von Beweggründen Ɣ Bestätigung der Hauptkategorien Betroffenheit, Promotoren und Inhibitoren Ɣ Induktive Identifikation bislang vernachlässigter Antezedenzen (z.B. Vergeltungswunsch; politischer Konsumerismus) Analyse segmentspezifischer Beweggründe der Boykottteilnahme Ɣ Bestätigung schwacher Einflüsse soziodemographischer Merkmale Ɣ Nachweis spezifischer Beweggründe verschiedener Adoptertypen (z.B. starke objektive Betroffenheit früher Adopter)
Wie in Kap. 4.1 erläutert, kann eine Triangulation zusätzliche Erkenntnisse hervorbringen, die über die Befunde der quantitativen und qualitativen Einzelstudien hinausgehen (vgl. Srnka 2007, S. 254). Dabei sollen sich die Ergebnisse der beiden Untersuchungen gegenseitig validieren. Allerdings darf, wie Mayring (2001) darlegt, die Schnittmenge der Erkenntnisse mehrerer Studien nicht als „wahres“ Ergebnis betrachtet werden. Das Ziel einer Triangulation besteht vielmehr darin, durch den Vergleich der Ergebnisse neue Forschungsfragen zu entwickeln und so den Erkenntnisgewinn schrittweise voranzutreiben.
Triangulation der Befunde aus Studie A und Studie B
187
Der Vergleich der Studien A und B zeigt, dass sich die Grundstruktur des Modells der individuellen Boykottpartizipation unabhängig von der Methodik bestätigen lässt. In der quantitativen Untersuchung der Studie A beantworteten Passanten einen strukturierten Fragebogen. Dieser war so konzipiert, dass die in Kap. 4.1 theoretisch abgeleiteten Hypothesen des Modells der individuellen Boykottpartizipation geprüft werden können. Studie A bestätigt die deduktiv abgeleiteten Annahmen mit mehreren quantitativen Methoden (kovarianz- und varianzbasierte Strukturgleichungsmodelle sowie ordinal-logistische Regression). In der qualitativ-quantitativen Studie B werden hingegen Internet-Postings von Teilnehmern einer Petition zum Konsumentenboykott ausgewertet. Sie veröffentlichten ihre Kommentare nicht zum Zwecke der Untersuchung und nicht auf Anfrage eines Forschers, so dass die Gefahr der Reaktivität ausgeschlossen ist. Aufgrund des gewählten Untersuchungsansatzes konnten Petitionisten aber nicht gezielt um eine Beurteilung bestimmter Beweggründe ihrer Teilnahme gebeten werden. Trotz des abweichenden Untersuchungsdesigns zeigen beide Studien, dass die Boykottpartizipation durch das Zusammenspiel der Hauptkategorien Betroffenheit, Promotoren und Inhibitoren beeinflusst wird. Sie bestätigen damit das in Kap. 3.1 aus dem Aktivierungs-Kosten-Nutzen-Modell des prosozialen Verhaltens (vgl. Dovidio et al. 1991) abgeleitete Rahmenmodell der Boykottpartizipation. Während Studie A die Angaben zufällig befragter Passanten analysiert, werden in Studie B die Aussagen von Petitionisten ausgewertet, welche sich selbst zur Teilnahme an der Unterschriftenaktion entschieden hatten. Wie in Kap. 6.3.2 diskutiert, bilden diese eine Untergruppe der Boykotteure, die vermutlich spezielle Merkmale aufweisen (z.B. überdurchschnittliche Verärgerung). Trotz des unterschiedlichen Untersuchungsansatzes kann in beiden Studien dieselbe Grundstruktur des Modells nachgewiesen werden, was dafür spricht, dass die zentralen Annahmen des Modells unabhängig von den Merkmalen der Stichprobe Gültigkeit besitzen. Alle in Studie A und Studie B identifizierten Beweggründe der Boykottteilnahme lassen sich den drei Hauptkategorien Betroffenheit, Promotoren und Inhibitoren zuordnen. Auch hinsichtlich der Oberkategorien zeigen sich deutliche inhaltliche Übereinstimmungen zwischen Studie A und Studie B, die in Abb. 57 (S. 188) veranschaulicht sind. Die korrespondierenden Oberkategorien sind zum einen theoretisch fundiert und empirisch bestätigt (Studie A). Sie werden zum anderen von Boykotteuren bewusst zur Entscheidung herangezogen und als mitteilungswürdig erachtet (Studie B).
188
Diskussion
Die Triangulation deckt aber auch Unterschiede zwischen den beiden Studien und damit Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen auf. Im Folgenden werden die Ergebnisse der beiden Studien getrennt für die drei Hauptkategorien betrachtet. Abb. 57: Triangulation der Befunde aus Studie A und Studie B Hauptkategorien
Betroffenheit
Studie A - Faktoren Objektive Betroffenheit Affektive Betroffenheit Reputation des Tochterunternehmens Nutzen des eigenen Beitrags
Promotoren
Inhibitoren
Legende:
Reputation des Mutterkonzerns Vertrauen in das Management Gegenargumente
Studie B - Oberkategorien Objektive Betroffenheit Affektive Betroffenheit
Kontrollüberzeugung Gestaltungswunsch Vergeltungswunsch Politischer Konsumerismus
Zweifel am Erfolg Kosten des eingeschränkten Konsums
Korrespondierende Einflussgrößen.
Studie A und Studie B zeigen übereinstimmend, dass die Betroffenheit der Konsumenten die bedeutendste Einflussgröße der Boykottpartizipation ist. Beiden Untersuchungen zufolge bieten die objektive und die affektive Betroffenheit jeweils einen eigenen Erklärungsbeitrag. Die Komponenten der beiden Konstrukte unterscheiden sich jedoch in Studie A und Studie B. x In Kap. 3.2.1 werden drei mögliche Formen der objektiven Betroffenheit eingeführt: Die „persönliche Betroffenheit“, die „soziale Betroffenheit“ und die „räumliche Betroffenheit“. Entsprechend den aus der kognitiven Emotionstheorie (vgl. Lazarus 1991), der Theorie der sozialen Identität (vgl. Tajfel/Turner 1986) und dem Norm-Aktivierungsmodell (vgl. Schwartz 1977) abgeleiteten Vermutungen, belegt Studie A, dass jede dieser Antezedenzen die Wahrscheinlichkeit der Boykottpartizipation steigern kann. Gemessen am Einfluss auf die affektive Betroffenheit und die Boykottpartizipation kann ferner nachgewiesen werden, dass die „persönliche Betroffenheit“ die stärkste und die „räumliche Betroffenheit“ die schwächste Ausprägung der objektiven Betroffenheit darstellt. In Studie B konnten diese drei Stufen der objektiven Betroffenheit nicht gezielt erfragt werden. Aus den Kommentaren der Petitionisten lassen sich induktiv die „direkte Betroffenheit“ und die „soli-
Triangulation der Befunde aus Studie A und Studie B
189
darische Betroffenheit“ als Indikatoren der objektiven Betroffenheit herausfiltern: Erstere fasst die in Studie A als „persönliche Betroffenheit“ und „soziale Betroffenheit“ bezeichneten Komponenten zusammen. Die „solidarische Betroffenheit“ stellt eine Ergänzung zu den in Studie A untersuchten Formen objektiver Betroffenheit dar. Sie tritt auf, wenn das Individuum Betroffene aufgrund eines gemeinsamen Merkmals (z.B. sozialer Status) als Mitglieder der In-Group ansieht (vgl. „Paradigma der minimalen Gruppensituation“ von Turner 1981). Immerhin 12,9 % der Petitionisten weisen auf ihre solidarische Betroffenheit hin. Zukünftige Studien sollten deshalb die drei in Kap. 3.2.1 eingeführten Formen der objektiven Betroffenheit um diese Komponente erweitern. x Entsprechend der Frustrations-Aggressions-Hypothese (vgl. Dollard et al. 1939), zeigen beide Untersuchungen, dass Personen mit ausgeprägter affektiver Betroffenheit stärker als andere beabsichtigen, sich an dem Boykott zu beteiligen. In Studie A wird die affektive Betroffenheit als Single-Item-Konstrukt abgefragt. Studie B kann helfen, das Konstrukt zukünftig breiter zu konzeptionalisieren und zu operationalisieren. Die in Studie B vorgenommene Inhaltsanalyse identifiziert neben einer generellen Verärgerung der Petitionisten weitere spezifische Komponenten der affektiven Betroffenheit, die sich auf die Bewertung einzelner Merkmale des in der vorliegenden Untersuchung analysierten Ereignisses beziehen. So drücken die Petitionisten häufig die Verärgerung über den Arbeitsplatzabbau sowie über das aus ihrer Sicht ausschließliche Gewinnstreben des Unternehmens aus. Einige Petitionisten betonen darüber hinaus, dass sie über die Entwicklung des zu schließenden Tochterunternehmens enttäuscht sind, da sie mit diesem lange Zeit positive Assoziationen verknüpft hatten. Kap. 7.2 zeigt, wie diese Komponenten bei der Konzeptionalisierung des Konstrukts in zukünftigen Studien berücksichtigt werden können. Studie A und Studie B identifizieren teilweise dieselben Promotoren der Boykottpartizipation. Einige lassen sich jedoch nur in einer der beiden Studien belegen. So deckt die Inhaltsanalyse (Studie B) ein sehr viel breiteres Spektrum an Promotoren auf als das deduktive Vorgehen in Studie A. x Das Konstrukt Kontrollüberzeugung (vgl. Rotter 1966; Bandura 1986) trägt beiden Untersuchungen zufolge zur Erklärung der Boykottpartizipation bei. In Studie A zeigt sich jedoch keine Diskriminanzvalidität zur latenten Variable „Streben nach Selbstwerterhöhung“ (vgl. Baumeister 1998). Deshalb wird das Konstrukt
190
Diskussion
„Nutzen des eigenen Beitrags“ eingeführt, welches die beiden ursprünglichen Variablen umfasst. Im Rahmen der Inhaltsanalyse in Studie B ist es nicht möglich, die Diskriminanzvalidität zu beurteilen. Betrachtet man die Einflussgrößen, welche in dieser Analyse zum Konstrukt Kontrollüberzeugung zusammengefasst werden, so lassen sich mit „Selbstwirksamkeit“ und „kollektive Wirksamkeit“ zwei der in Kap. 3.3.2 theoretisch diskutierte Komponenten nachweisen. Darüber hinaus deckt Studie B drei weitere Einflussgrößen auf. Die Antezedenz „Glaube an die Konsumentensouveränität“ erfasst die Überzeugung, dass Verbraucher durch ihre aggregierten Kaufentscheidungen das Verhalten von Unternehmen beeinflussen können (vgl. Smith 1990). Mit „Effektivität des Boykotts“ ist gemeint, dass Konsumenten den Boykott als geeignete und wirkungsvolle Reaktion auf sozial unverantwortliches Verhalten von Unternehmen begreifen. Schließlich beschreibt die Einflussgröße „Boykottbereitschaft des sozialen Umfelds“, dass bspw. Familie, Freunde oder Bekannte des Verbrauchers am Boykott partizipieren und dieser dadurch animiert und in seinem Entschluss bestärkt wird, sich ebenfalls anzuschließen. Das Wissen, dass viele andere boykottieren, steigert den Grad der Kontrollüberzeugung. x Studie B identifiziert eine Oberkategorie Gestaltungswunsch, die das Verlangen der Boykotteure beschreibt, aktiv an der Protestaktion mitzuwirken. Ein Teil der Petitionisten tritt als Boykott-Meinungsführer auf. Sie versuchen, ihr direktes soziales Umfeld zur Teilnahme zu bewegen. Darüber hinaus appellieren zahlreiche Boykotteure auch an Personen außerhalb ihres direkten sozialen Umfelds, den Boykott zu unterstützen. Aufgrund des qualitativen Ansatzes konnte in Studie B allerdings nicht geprüft werden, ob das induktiv ermittelte Konstrukt Gestaltungswunsch einen unabhängigen Beitrag zu Erklärung der Boykottpartizipation leistet oder ob es sich durch die Konstrukte Kontrollüberzeugung und Streben nach Selbstwerterhöhung erklären lässt. x Ferner deckt Studie B das Verlangen einiger Konsumenten auf, an dem Zielunternehmen Rache zu üben. Dieser auf der Mikroebene geäußerte Vergeltungswunsch lässt sich in der in Kap. 2.1.1.3 vorgestellten Taxonomie dem bestrafenden Boykott auf der Makroebene zuordnen (vgl. Friedman 1999). x Studie B weist nach, dass sich viele Boykotteure stark für politische Belange interessieren und ihr Kaufverhalten daran ausrichten. Dieser als politischer Konsumerismus bezeichnete Promotor erfasst eine generelle Neigung, politischen Überzeugungen durch das Kaufverhalten Ausdruck zu verleihen (vgl. Micheletti et
Triangulation der Befunde aus Studie A und Studie B
191
al. 2003). Die Inhaltsanalyse in Studie B identifiziert drei Komponenten dieses Konstrukts. (1) Eine allgemeine „System- und Globalisierungskritik“ beschreibt, dass sich die Konsumenten kritisch über das Gesellschafts- und/oder Wirtschaftssystem äußern. Viele der Petitionisten sind überzeugt, dass die freie Marktwirtschaft und die als Globalisierung bezeichnete zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft ausschließlich Multinationalen Konzernen Vorteile bieten, während sie sich für deutsche Verbraucher und Arbeitnehmer als nachteilig erweisen. Die Boykotteure nehmen an, dass sie durch ihre Produktwahl Einfluss auf Multinationale Unternehmen ausüben können, die außerhalb nationaler Grenzen agieren und damit nicht dem Einfluss der eigenen Regierung unterliegen. (2) Ferner gaben zahlreiche Probanden eine generelle Boykottbereitschaft zu erkennen, d.h. diese Petitionisten gaben an, dass sie bereits mehrere Boykotte unterstützt haben. (3) Schließlich wird Konsumenten-Ethnozentrismus (vgl. Shimp/Sharma 1987) als weitere Komponente des politischen Konsumerismus identifiziert. Einige Boykotteure beabsichtigen, zukünftig regionale bzw. deutsche Produkte zu kaufen, um so die heimische Wirtschaft zu stärken. Damit steigert Studie B zufolge ein hoher Grad an KonsumentenEthnozentrismus die Bereitschaft, an einem Boykott zu partizipieren. Dies steht im Widerspruch zu der in Studie A gewonnenen Erkenntnis, wonach das Konstrukt aufgrund der Gefahr eines Bumerang-Effekts als Inhibitor zu konzeptionalisieren ist. Möglicherweise kann das Kognitionsbedürfnis (‘need for cognition’; vgl. Cacioppo/Petty 1982) als Moderatorvariable erklären, welche Beziehung zwischen Konsumenten-Ethnozentrismus und Boykottbeteilung besteht. Personen, die sich nicht differenziert mit wirtschaftlichen Themen auseinandersetzen, berücksichtigen in ihrem Entscheidungsprozess vermutlich nur das Argument, dass der Boykott im Ausland hergestellter Produkte die heimische Wirtschaft stärkt. Personen, die sich intensiver mit ökonomischen Zusammenhängen beschäftigen, werden u.a. beachten, dass ein Konsumentenboykott ausländische Investoren davon abhalten kann, in Deutschland zu investieren. Ob diese Post hoc-Erklärung Gültigkeit besitzt, sollte in Folgeuntersuchungen geprüft werden. x Schließlich zeigt Studie A, dass eine positive Reputation des Tochterunternehmens die Wahrscheinlichkeit der Boykottpartizipation steigert. Dies lässt sich mit Hilfe der Theorie der sozialen Identität von Tajfel/Turner (1986) erklären, da die Konsumenten das lokale Unternehmen zur In-Group zählen. Studie B kann diese Einflussgröße nicht identifizieren. Keiner der Petitionisten erwähnte explizit die
192
Diskussion
Reputation des zu schließenden Werks. Hieraus sollte jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ihnen die Reputation des Tochterunternehmens nicht wichtig ist. Dass Assoziationen des Konsumenten mit dem Unternehmen auch in Studie B eine Rolle spielen, spiegelt sich in der der Oberkategorie „affektive Betroffenheit“ zugeordneten Antezedenz „Enttäuschung über die Unternehmensentwicklung“ wider: Enttäuschte Konsumenten sind darüber, dass das Unternehmen ihre positiven Erwartungen, die vermutlich mit einer positiven Reputation verbunden sind, nicht erfüllt hat, unzufrieden, traurig bzw. verzweifelt. Die quantitative Untersuchung in Studie A belegt empirisch, dass die deduktiv abgeleiteten Inhibitoren Gegenargumente, Vertrauen in das Management und Reputation des Mutterkonzerns Konsumenten davon abhalten, sich einem Boykott anzuschließen (vgl. Abb. 47, S. 152). Wie in Kap. 6.3.1 beschrieben, kann Studie B die Relevanz dieser Inhibitoren nicht bestätigen. Während sich der qualitative Ansatz dafür eignet, zahlreiche neue Promotoren der Boykottteilnahme aufzudecken, konnten inhaltsanalytisch keine zusätzlichen Inhibitoren identifiziert werden. Dies lässt sich mit der Selbstselektion der Petitionisten erklären. An einer Petition nehmen nur Personen teil, die eine Protestaktion unterstützen. Deshalb nannten sie zahlreiche Gründe, warum sie sich dem Boykott angeschlossen haben. Dabei können nur schwer Inhibitoren identifiziert werden.
7.2 Ausblick auf die weitere Forschung 7.2.1 Überblick Aus der vorliegenden Studie lassen sich für zukünftige Untersuchungen folgende zentrale Forschungsfragen auf der Mikroebene ableiten. x Die in Studie A vorgeschlagene Konzeptionalisierung der affektiven Betroffenheit sollte um die in Studie B identifizierten Komponenten des Konstrukts erweitert werden. x Die in der Inhaltsanalyse induktiv ermittelten zusätzlichen Promotoren der Boykottpartizipation sollten validiert werden. x Es sollte untersucht werden, wie lange sich ein Konsument an einem Boykott beteiligt und welche Faktoren die Dauer beeinflussen.
Ausblick auf die weitere Forschung
193
Darüber hinaus ergeben sich aus der vorliegenden Untersuchung zahlreiche Fragestellungen, die auf der Makroebene angesiedelt sind. x Die externe Validität des in dieser Arbeit vorgestellten Modells sollte an unterschiedlichen Boykottfällen überprüft werden. x Erklärungsbedürftig ist weiterhin, welche Rolle die in Studie B identifizierten Adoptertypen bei der Diffusion eines Konsumentenboykotts innerhalb ihres sozialen Netzwerks spielen. x Mit dem Konstrukt Kontrollüberzeugung und dem Bumerang-Effekt von Boykotten kristallisieren sich Schnittstellen zwischen der individuellen Teilnahme auf der Mikroebene und der langfristigen Wirkung des Konsumentenboykotts auf der Makroebene heraus. Diese sollten intensiver erforscht werden. Die sechs zentralen Forschungsfragen sind in Abb. 58 in das in Kap. 4.1 vorgestellte Rahmenmodell des Konsumentenboykotts eingeordnet. Sie werden in den folgenden Kapiteln ausführlich diskutiert. Abb. 58: Zentrale Forschungsfragen zukünftiger Untersuchungen zum Konsumentenboykott Makroebene Mikroebene
Auslöser
Reaktion
(Verhalten des Unternehmens)
Betroffenheit
Promotoren/ Inhibitoren
Boykottpartizipation
(Verhalten des Unternehmens)
Überprüfung der externen Validität des Modells
Konzeptionalisierung der affektiven Betroffenheit
Validierung induktiv ermittelter Promotoren
Analyse der Dauer der Boykottbeteiligung
Kontrolle langfristiger Effekte des Boykotts
Externe Einflüsse (Aktivisten, Medien, soziales Umfeld) Analyse der Diffusion der Boykottteilnahme
194
Diskussion
7.2.2 Forschungsbedarf auf der Mikroebene Konzeptionalisierung der affektiven Betroffenheit Studie A und Studie B zeigen übereinstimmend, dass die affektive Betroffenheit maßgeblich zur Erklärung der Boykottpartizipation beiträgt. Studie A operationalisiert sie als Single-Item-Konstrukt, mit dem jedoch Reliabilitäts- und Validitätsprobleme verbunden sein können. Zukünftige Studien sollten die affektive Betroffenheit deshalb umfassender konzeptionalisieren. Studie B zeigt, welche Komponenten in die Konzeption des Konstrukts einfließen sollten. Sie identifiziert u.a. die Verärgerung des Konsumenten als Indikator affektiver Betroffenheit. Dabei kann zwischen einer generellen und verschiedenen Formen bereichsspezifischer Verärgerung unterschieden werden. Letztere beschreiben affektive Reaktionen auf bestimmte Merkmale des Auslösers des Boykotts. Um diesen Besonderheiten gerecht zu werden und die prognostische Validität zu verbessern, sollte das Konstrukt affektive Betroffenheit jeweils an das auslösende Ereignis angepasst werden. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen zum Spezifitätsproblem sprechen dafür, dass sich dadurch das konkrete Verhalten besser vorhersagen lässt. Lastovicka/Joachimsthaler (1988, S. 583ff.) zeigen dies am Beispiel von Persönlichkeitsmerkmalen und Ajzen/Fishbein (2005) am Beispiel von Einstellungen. Im Falle der hier untersuchten internationalen Standortverlagerung zählen die „Verärgerung über den Arbeitsplatzabbau“, die „Verärgerung über das Gewinnstreben des Unternehmens“ und die „Enttäuschung über die Entwicklung des Unternehmens“ zu den bereichsspezifischen Merkmalen. Das Zusammenspiel dieser Komponenten bestimmt den Grad der affektiven Betroffenheit. Nach den in Kap. 5.1.2.1 beschriebenen Regeln sind diese Indikatoren formativ zu spezifizieren. Das generelle Gefühl der Verärgerung und das der Bestürzung sind hingegen Ausdruck des zugrunde liegenden Konstrukts. Diese Indikatoren sind damit reflektiv zu bilden. Folglich ist auf Basis der in Studie B identifizierten Komponenten eine Spezifikation der affektiven Betroffenheit als MIMIC-Konstrukt (‘multiple indicators multiple causes’; vgl. Jöreskog/ Goldberger 1975) angebracht. Die reflektiven Indikatoren können als genereller Bestandteil des Konstrukts angesehen werden; die formativen Indikatoren müssen hingegen an das jeweilige Untersuchungsziel bzw. das auslösende Ereignis angepasst werden (vgl. Abb. 59).
Ausblick auf die weitere Forschung
195
Abb. 59: Affektive Betroffenheit als MIMIC-Konstrukt Formative Indikatoren (spezifisch, z.B. Werksschließung)
Konstrukt
Verärgerung über Arbeitsplatzabbau Verärgerung über Gewinnstreben
Reflektive Indikatoren (unspezifisch, generell) Gefühl der Verärgerung
Affektive Betroffenheit
etc.
Gefühl der Bestürzung etc.
Anmerkung: Schematische Abbildung: Fehlerterme und Kovarianzen sind nicht dargestellt.
Folgeuntersuchungen sollten auch die nomologische Validität des Konstrukts überprüfen, d.h. dessen Einbettung in das Netzwerk angrenzender Konstrukte (vgl. Amelang/Schmidt-Atzert 2006, S. 138ff.; Herrmann et al. 2006, S. 51). Studie A bestätigt, dass die affektive Betroffenheit mit der objektiven Betroffenheit korreliert. Zukünftige Studien sollten den Zusammenhang mit weiteren Konstrukten erforschen. Beispielsweise könnte die affektive Betroffenheit stark mit dem Involvement des Konsumenten korrelieren. Die Marketingliteratur schlägt verschiedene Formen dieses Konstrukts vor (z.B. Produktinvolvement, situatives Involvement; vgl. Zaichkowsky 1985; Costley 1988; Maheswaran/Meyers-Levy 1990). Vor allem das Konstrukt Issue-Involvement (vgl. Stanley/Lasonde 1996) könnte sich wesentlich mit der affektiven Betroffenheit überschneiden. Es beschreibt, welche Bedeutung ein Problem oder ein Anliegen für die Befragten besitzt. Vermutlich werden sich Konsumenten, die sich mit einem Thema (z.B. der Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes) intensiv auseinandersetzen, von dem Verhalten eines Unternehmens (z.B. Entlassungen) stärker betroffen fühlen als Konsumenten, die dem Thema keine Bedeutung beimessen. Weitere angrenzende Konstrukte könnten generelles Gerechtigkeitsempfinden (vgl. Kahneman 1986; Fehr/Schmidt 1999), Persönlichkeitsmerkmale (vgl. Costa/McCrae 1992) sowie Glaubensüberzeugungen und kulturell geprägte Werte (vgl. Hofstede 2001; House et al. 2004; Müller/Gelbrich 2004) sein. Validierung induktiv ermittelter Promotoren Studie B deckt zahlreiche Promotoren der Boykottpartizipation auf, welche in der Literatur bislang vernachlässigt werden. Damit die zukünftige Forschung diese Antezedenzen quantitativ untersuchen kann, sollten zunächst die Messmodelle spezifiziert werden. Die Entscheidung zwischen formativer und reflektiver Spezifikation kann anhand der in Kap. 5.1.2.1 aufgezeigten Kriterien getroffen werden.
196
Diskussion
Als Indikator der latenten Variable Kontrollüberzeugung konnte induktiv der „Glaube an die Konsumentensouveränität“ identifiziert werden (vgl. Abb. 53, S. 174). Dieser bestimmt gemeinsam mit den deduktiv ermittelten Indikatoren „kollektive Wirksamkeit“, „Selbstwirksamkeit“ und „Boykottbereitschaft des sozialen Umfelds“, wie das Konstrukt Kontrollüberzeugung ausgeprägt ist. Diese Indikatoren sollten deshalb formativ spezifiziert werden. Der Indikator „Glaube an die Effektivität des Boykotts“ ist hingegen reflektiv zu bilden, weil er den Grad der zugrunde liegenden Kontrollüberzeugung ausdrückt. Das Konstrukt sollte damit als MIMIC-Konstrukt (vgl. Jöreskog/Goldberger 1975) konzeptionalisiert werden. Die in Studie B vorgenommene Inhaltsanalyse ordnet die induktiv ermittelten Einflussgrößen „System- und Globalisierungskritik“ und „generelle Boykottführerschaft“ gemeinsam mit der Antezedenz „Konsumenten-Ethnozentrismus“ dem Konstrukt politischer Konsumerismus zu. Auch diese latente Variable sollte als MIMICKonstrukt spezifiziert werden. Der Grad des politischen Konsumerismus ergibt sich aus der Stärke der System- und Globalisierungskritik sowie aus der Ausprägung des Konsumenten-Ethnozentrismus, weshalb diese Indikatoren formativ zu bilden sind. In der reflektiv zu spezifizierenden generellen Boykottbereitschaft spiegelt sich dagegen das Ausmaß des politischen Konsumerismus wider. Schließlich wurden beim Konstrukt Gestaltungswunsch neben der deduktiv abgeleiteten Antezedenz „persönlicher Beitrag“ die Einflussgrößen „BoykottMeinungsführerschaft“ und „Appellfunktion“ induktiv ermittelt. Alle drei Indikatoren sind Ausdruck des tieferliegenden Gestaltungswunsches, so dass dieses Konstrukt anhand der in Studie B ermittelten Indikatoren reflektiv spezifiziert werden sollte (vgl. Abb. 60).
Ausblick auf die weitere Forschung
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Abb. 60: Spezifikation der in Studie B identifizierten Promotoren Formative Indikatoren
Konstrukt
Reflektive Indikatoren
Glaube an Konsumentensouveränität Kollektive Wirksamkeit Selbstwirksamkeit
Kontrollüberzeugung
Glaube an Effektivität des Boykotts
Politischer Konsumerismus
Generelle Boykottbereitschaft
Gestaltungswunsch
Boykott-Meinungsführerschaft
Boykottbereitschaft des sozialen Umfelds
System- und Globalisierungskritik Konsumenten-Ethnozentrismus
Persönlicher Beitrag Appellfunktion Anmerkung: Schematische Abbildung: Fehlerterme und Kovarianzen sind nicht dargestellt.
Zukünftige Studien sollten insb. die Diskriminanzvalidität der in dieser Untersuchung identifizierten Konstrukte überprüfen. Wie Studie A zeigt, sind Konstrukte, die sich zwar theoretisch differenzieren lassen, für Konsumenten subjektiv oft nicht zu unterscheiden. Deshalb sollte geprüft werden, ob sich die in der Inhaltsanalyse ermittelten Promotoren voneinander abgrenzen lassen. Analyse der Dauer der Boykottpartizipation Die vorliegende Untersuchung ist als Querschnittstudie angelegt, so dass keine Aussagen über die Dauer der Boykottpartizipation getroffen werden können. Der Beitrag von Ettenson/Klein (2005) belegt zwar, dass einige Konsumenten ein Jahr nach Beendigung des als sozial unverantwortlich angesehenen Verhaltens weiterhin boykottieren. Aber auch diese Autoren führten keine Längsschnittstudie durch, die abbilden kann, wie sich Boykotteinstellung und -verhalten einzelner Personen im Zeitverlauf verändern. Zukünftige Studien sollten ermitteln, wie lange sich Konsumenten beteiligen, da dies von zentraler Bedeutung für den Erfolg eines Boykotts bzw. für Reaktionen des Zielunternehmens ist. Die weitere Forschung sollte auch Faktoren identifizieren, welche die Dauer der Boykottbeteiligung beeinflussen. Insbesondere die erwartete Wirksamkeit könnte erklären, wie lange ein Verbraucher boykottiert. Im Verlauf der Protestaktion kann der
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Diskussion
Konsument zunehmend besser einschätzen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Unternehmen sein Verhalten als Reaktion auf den Boykott ändert. Der Saldo aus dem erwarteten Nutzen der Partizipation und den Kosten des eingeschränkten Konsums kann sich somit im Verlauf der Protestaktion ändern. Nimmt der Konsument wahr, dass die Maßnahme ihr Ziel verfehlt, und hegt er trotz des Verhaltens des Unternehmens eine hohe Präferenz für dessen Produkte, so wird er vermutlich nicht länger boykottieren. Diese Annahme gilt vor allem für instrumentelle Boykotte, welche explizit darauf abzielen, einen unerwünschten Zustand oder das missbilligte Verhalten des Unternehmens zu ändern. Die zukünftige Forschung sollte auch analysieren, aus welchen Gründen Personen an einem bestrafenden Boykott langfristig teilnehmen und ob die instrumentelle Motivation bei schlechten Erfolgsaussichten in eine bestrafende Motivation übergeht. 7.2.3 Forschungsbedarf auf der Makroebene Überprüfung der externen Validität des Modells der Boykottpartizipation Der vorliegende Beitrag analysiert Reaktionen von Konsumenten auf die Standortverlagerung eines traditionellen Werks aus einem Hoch- in ein Niedriglohnland. Zukünftige Studien sollten die externe Validität des aufgestellten Modells der individuellen Boykottpartizipation prüfen. Zu untersuchen ist, ob das in dem Modell beschriebene Zusammenspiel von Betroffenheit, Promotoren und Inhibitoren bei jeder Form … x … internationaler Standortverlagerungen, x … des Konsumentenboykotts, x … politisch bzw. ethisch motivierter Kaufentscheidungen dazu beiträgt, das Verhalten von Konsumenten zu erklären. Künftige Studien sollten demnach verschiedene Formen internationaler Standortverlagerungen unterscheiden und prüfen, wie umfassend der Erklärungsanspruch des aufgestellten Modells ist. So könnte die Reaktion der Konsumenten von der Anzahl der entlassenen Mitarbeiter und dem Industriezweig abhängen. Vermutlich wirken sich auch das Herkunftsland des Mutterunternehmens und die kulturelle Prägung der Konsumenten am Standort des Tochterunternehmens darauf aus, ob das Modell Gültigkeit besitzt. Vor allem die kulturelle und die psychische Distanz des Konsumenten zum Herkunftsland des Unternehmens könnte einen Einfluss darauf haben, wie derartige
Ausblick auf die weitere Forschung
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kritische Ereignisse interpretiert werden (vgl. Müller/Kornmeier 2002, S. 541ff.; Fahrig/Hoffmann 2007). Entsprechend der Erkenntnisse der Forschung zur Konsumentenanimosität (vgl. Klein et al. 1998; Ettenson/Klein 2005; Riefler/Diamantopoulos 2007) könnte auch das historisch gewachsene bilaterale Verhältnis zwischen dem Herkunftsland des Mutter- und dem des Tochterunternehmens von Bedeutung sein. Vermutlich steigert Animosität die Betroffenheit und fördert die Suche nach Promotoren der Boykottpartizipation. Weiterhin sollten Studien die Gültigkeit des Modells für verschiedene Formen des Konsumentenboykotts überprüfen. Dabei gilt es, die in Kap. 2.1.1.3 eingeführte Taxonomie zu beachten. Insbesondere Gründe für die Teilnahme an nutzen- und gewissensorientierten Boykotten könnten divergieren. So wirkt sich das Streben nach Selbstwerterhöhung vermutlicht nur bei letzteren aus. Auch zwischen instrumentellen und expressiven Boykotten variiert vermutlich die Bedeutung einzelner Faktoren des Modells. Durch instrumentelle Protestaktionen streben die Boykotteure eine Änderung des unerwünschten Zustands an und befürchten deshalb zum Beispiel eher BumerangEffekte. Dieses Risiko spielt bei der Entscheidung zur Teilnahme an einem expressiven Boykott möglicherweise eine untergeordnete Rolle. Folgeuntersuchungen sollten das in dieser Studie vorgeschlagene Modell nicht nur mit Blick auf Konsumentenboykotte überprüfen. Möglicherweise eignet sich das Zusammenspiel der Hauptkategorien Betroffenheit, Promotoren und Inhibitoren als generelles Rahmenmodell ethisch bzw. politisch motivierten Kaufverhaltens. Potenzielle Anwendungsfelder sind bspw. Konsum von Fair-Trade-Produkten oder umweltbewusstes Konsumentenverhalten. Die drei Hauptkomponenten besitzen vermutlich für weite Bereiche ethischen bzw. politischen Konsums Erklärungskraft. Einzelne Konstrukte, welche diesen Hauptkategorien zugeordnet sind, müssten der jeweils untersuchten Form des Konsumentenverhaltens angepasst werden. Analyse der Diffusion der Boykottteilnahme Studie B identifiziert mehrere Boykott-Adoptertypen und zeigt, dass die Motive zur Boykottteilnahme in Abhängigkeit vom Zeitpunkt, zu welchem sich ein Konsument für die Teilnahme entscheidet, variieren. Zukünftige Studien sollten insb. die Eigenschaften der Boykott-Innovatoren analysieren und erforschen, warum sich diese schon in der Anfangsphase des Boykotts engagieren, wenn die Erfolgsaussichten noch
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Diskussion
relativ gering sind. Die Diffusionsforschung zeigt, dass Innovatoren im Allgemeinen impulsiver als andere sind und ein höheres Aktivierungsniveau anstreben (vgl. Venkatraman/Price 1990). Sie sind unabhängiger als andere Adoptertypen, d.h. sie achten in ihrem Konsumverhalten weniger auf die Einflüsse aus ihrem sozialen Umfeld und auf ihren Status (vgl. Clark/Goldsmith 2005). Darüber hinaus sollte untersucht werden, wie sich die Motive, an einem Boykott teilzunehmen, im Verlauf der Zeit ändern und ob sich die Bedeutung der Promotoren und Inhibitoren bei verschiedenen Adoptertypen unterscheidet. So können Implikationen abgeleitet werden, wie Boykottorganisatoren bspw. verschiedene Adoptertypen für eine Teilnahme gewinnen können und wie Unternehmen in verschiedenen Stadien der Protestaktion verhindern können, dass die Anzahl der Boykotteure weiter wächst. Die vorliegende Untersuchung belegt in Übereinstimmung mit anderen empirischen Studien (z.B. Sen et al. 2001), dass die Boykottentscheidung von Einflüssen aus dem sozialen Umfeld mitbestimmt wird. Ein Konsument nimmt umso wahrscheinlicher an einem Boykott teil, je mehr er dazu durch sein soziales Umfeld ermutigt wird und je mehr er wahrnimmt, dass sich auch relevante Bezugspersonen daran beteiligen. Bislang wurde jedoch noch nicht untersucht, wie sich der Entschluss, ein Unternehmen zu boykottieren, in einem sozialen Netzwerk verbreitet. Zukünftige Studien sollten analysieren, wie die Beeinflussung durch organisierte Meinungsführer und die Beeinflussung durch Bekannte aus dem sozialen Umfeld interagieren. Für Folgeuntersuchungen empfiehlt es sich deshalb das in Studie B identifizierte Konstrukt der BoykottMeinungsführerschaft aufzugreifen und herauszufinden, welche Konsumenten in verstärktem Maße zur Diffusion des Boykottgedankens beitragen (vgl. Brüne 1989; Rogers 2003). Aus der Forschung zur Meinungsführerschaft (vgl. Venkatraman 1988; Chan/Misra 1990; Hoffmann et al. 2006) kann gefolgert werden, dass vermutlich auch Boykott-Meinungsführer überdurchschnittlich involviert sind und meist zu den Innovatoren zählen. Kontrolle langfristiger Effekte des Boykotts Bislang liegen nur wenige Befunde zur langfristigen Wirkung von Boykotten auf der Makroebene vor. Zukünftige Studien sollten diese analysieren und dabei explizit zwischen den beiden in Kap. 2.1.3.1 genannten Erfolgsmaßen, dem Ausführungs- und dem Auswirkungskriterium, unterscheiden.
Ausblick auf die weitere Forschung
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Wie in Kap. 2.1.3.2 berichtet, konnte mit Blick auf das Ausführungskriterium bereits gezeigt werden, dass der Aktienkurs von Unternehmen in den ersten zwei Monaten nach dem Boykottaufruf sinkt (vgl. Pruitt/Friedman 1986). Aufgabe zukünftiger Studien ist es, festzustellen, ob dieser Effekt auch langfristig Bestand hat. In diesem Zusammenhang sollte auch geprüft werden, inwieweit Kunden des Unternehmens abwandern und ob die direkten Konkurrenten im gleichen Maße vom Boykott profitieren. Darüber hinaus sollte die weitere Forschung analysieren, welche Eigenschaften einer Protestaktion bestimmen, ob diese über einen längeren Zeitraum von zahlreichen Konsumenten unterstützt wird (z.B. Auslöser, Erfolgsaussichten, zu boykottierendes Produkt). Besonders bedeutsam ist die Frage, ob Boykotte neben einem direkt messbaren ökonomischen Schaden auch einen langfristigen „lautlosen“ Reputationsschaden für das Unternehmen verursachen. Folgeuntersuchungen sollten ermitteln, von welchen Faktoren es abhängt, ob Konsumenten auch langfristig mit dem Unternehmen soziale Unverantwortlichkeit assoziieren. Hinsichtlich des Auswirkungskriteriums berichtet Friedman (1985), dass ungefähr ein Viertel der Zielunternehmen die Forderungen der Boykottorganisatoren erfüllt und das als sozial unverantwortlich angesehene Verhalten ändert. Davidson et al. (1995) ermitteln, dass Boykotte sogar bei einem Drittel der Unternehmen eine Verhaltensänderung bewirken. Weitere Untersuchungen sind nötig, um zu prüfen, ob Konsumentenboykotte Unternehmen tatsächlich dazu bewegen können, langfristig im Sinne der Organisatoren verantwortungsvoller zu handeln. Dabei gilt es, nicht nur die Auswirkungen einer einzelnen Protestaktion auf ein spezielles Unternehmen zu analysieren, sondern auch zu ermitteln, ob die zunehmende Gefahr, Zielobjekt eines Boykotts zu werden, dazu führt, dass Unternehmen generell stärker auf ihre Corporate Social Responsibility achten. Es gilt zu ermitteln, ob Unternehmensvertreter durch eine gesteigerte Bedrohung durch Konsumentenboykotte in Zukunft die durch diese Maßnahmen ausgelösten Umsatzeinbrüche und Imageschäden in ihr Kalkül einbeziehen oder ob, wie Herrmann (1993, S. 130) vermutet, ein Abnutzungseffekt des Boykotts eintritt. Die Forschung sollte auch klären, ob die Sorge vor Bumerang-Effekten berechtigt ist und bspw. der Boykott eines Unternehmens nach einer Werksverlagerung Kapitalgeber dazu veranlasst, zukünftig Investitionen an diesem Standort zu unterlassen.
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Diskussion
Inwiefern eine drohende Boykottgefahr die Entscheidung von Managern und Investoren beeinflussen kann, lässt sich mit den bisher gewählten Forschungsstrategien nicht erschöpfend beantworten. Konsumentenbefragungen (z.B. Klein et al. 2004), inhaltsanalytische Auswertungen von Presseberichten (z.B. Friedman 1985) und Analysen von Aktienkursen (z.B. Pruitt/Friedman 1986) liefern kein vollständiges Bild der Wirkung von Boykotten. Nur wenn die weitere Forschung auch Manager als Auskunftspersonen einbezieht, lässt sich abschätzen, welche Bedeutung diese der Gefahr eines Boykotts beimessen und ob sie ihr Handeln daran ausrichten. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass der von den übergeordneten Unternehmenszielen ausgelöste Konsistenzdruck und die Tendenz, sozial erwünschte Antworten zu geben, Verzerrungseffekte auslösen kann (vgl. Crowne/Marlow 1964). 7.3 Implikationen für die Praxis 7.3.1 Überblick Auf Basis der in Kap. 5 und 6 beschriebenen Erkenntnisse lassen sich verschiedene Handlungsempfehlungen für Unternehmen ableiten. Dabei wird zunächst ein diskursives Verständnis des Konsumentenboykotts vorgestellt, das den Boykottaufruf positiv interpretiert (vgl. Kap. 7.3.2). Anschließend werden Maßnahmen diskutiert, mit denen Unternehmen verhindern können, dass sich viele Personen an einem Boykott beteiligen (vgl. Abb. 61). Die Empfehlungen lassen sich danach einteilen, ob sie präventiv, d.h. zur Vorbeugung einer Boykottgefahr (vgl. Kap. 7.3.3), oder reaktiv eingesetzt werden, d.h. zum adäquaten Umgang mit einem Boykottaufruf (vgl. Kap. 7.3.4). Abb. 61: Überblick über Handlungsempfehlungen für Unternehmen Empfehlung
Präventive Maßnahmen
Reaktive Maßnahmen
Betroffenheit reduzieren
Identifikation schwächen
Persönliche und solidarische Betroffenheit mindern Moralische Überlegenheit der Aktivisten in Frage stellen
Promotoren schwächen Inhibitoren stärken
Corporate Social Responsibility stärken und Wechselbarrieren etablieren
Risiko des Bumerang-Effekts bewusst machen
Implikationen für die Praxis
203
Auch für die Boykottorganisatoren lassen sich aus den Befunden der vorliegenden Arbeit Empfehlungen ableiten, wie sie mehr Sympathisanten für ihre Protestaktionen gewinnen können. Da die Organisatoren im Allgemeinen auf Handlungen von Unternehmen reagieren, sind insb. reaktive Maßnahmen relevant. Die zu ergreifenden Maßnahmen leiten sich spiegelbildlich zu den von Unternehmen auszuführenden Handlungen ab und werden deshalb im Folgenden nicht weiter beschrieben. Beispielsweise könnte das Unternehmen den Verbrauchern verdeutlichen, dass es für das Unternehmensergebnis unbedeutend ist, ob es von einzelnen Konsumenten boykottiert wird oder nicht (indem es z.B. in Pressemitteilungen betont, dass der Boykott keinen signifikanten Effekt auf die Absatzzahlen ausübt). Organisatoren der Protestaktion hingegen sollten die Zielgruppe davon überzeugen, dass jeder individuelle Beitrag für den Erfolg bedeutsam ist (z.B. durch Berichte über Boykotte, die aufgrund einer sich nach dem Prinzip des Schneeballsystems vergrößernden Teilnehmerzahl Unternehmen dazu zwangen, ihr Verhalten zu ändern). 7.3.2 Diskursives Verständnis des Konsumentenboykotts Der Konsumentenboykott wird in Literatur und Praxis meist als Konfrontationsstrategie verstanden und im Sinne von Konsumentensouveränität konzeptionalisiert (vgl. Smith 1987). Dies impliziert die Annahme eines Null-Summen-Spiels. Besitzt ein Spieler Macht, so stellt dies für andere Spieler einen Nachteil dar (vgl. Hindess 1996). Ein positiveres Verständnis des Konsumentenboykotts ergibt sich, wenn man das diskursive Modell der Konsumentenmacht heranzieht (vgl. Kap. 2.1.2.2.1). Dieses basiert auf zwei Annahmen: Erstens, Verbraucher und Unternehmen interagieren und entwickeln so gemeinsam den Markt weiter (vgl. Hodgson 2000; Holt 2002; Shankar et al. 2006). Zweitens, ihre Bedürfnisse stehen meist im Einklang miteinander (vgl. Kozinets et al. 2004). Manager sollten Boykottaufrufe demzufolge nicht nur als Angriff begreifen, sondern auch als Chance, Verbesserungspotenziale aufzudecken. Nahezu jedes größere Unternehmen war bereits Ziel eines solchen Aufrufs (vgl. John/Klein 2003, S. 1196). Nicht jeder dieser Boykottaufrufe stellt Forderungen an Unternehmen, die erfüllbar sind, und nicht jeder Aufruf bewegt eine große Zahl von Verbrauchern zur Teilnahme. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit sprechen jedoch dafür, dass Unternehmen auch Boykottaufrufe beachten sollten, von denen weder aktuell noch prospektiv eine reale
204
Diskussion
Gefahr ausgeht. Denn jeder Aufruf gibt Hinweise auf Ursachen der Verärgerung und Unzufriedenheit von Konsumenten. Findet sich eine adäquate Lösung, kann dies dem Unternehmen helfen, soziale Verantwortlichkeit zu demonstrieren und seine Reputation zu stärken. Wie im Rahmen eines Beschwerdemanagements (vgl. Wünschmann 2007, S. 76ff.) könnten die Vorwürfe und Forderungen verärgerter Verbraucher oder politischer Aktivisten genutzt werden, um gezielt Unternehmensstrategie und -politik zu verbessern. Aktivisten sind oft Innovatoren, welche frühzeitig Werte und Überzeugungen vertreten und verbreiten, denen die Masse der Follower erst später Bedeutung beimisst. Ein Unternehmen, das frühzeitig die Forderungen von Aktivisten beachtet, kann deshalb systematisch Wettbewerbsvorteile generieren. Beispielsweise können Unternehmen, die seit langem auf eine umweltschonende Produktion achten, nun, da die Masse der Konsumenten zunehmend auf dieses Merkmal Wert legt, Nutzen daraus ziehen. Möglicherweise können Differenzen zwischen ethischen bzw. politischen Überzeugungen der Konsumenten und wirtschaftlichem Handeln der Unternehmen Ansatzpunkte zur Differenzierung und Positionierung von Unternehmen aufdecken. Boykottorganisatoren versuchen aktiv, Konsumenten von ihren Meinungen zu überzeugen und zu einer bestimmten Kaufentscheidung zu bewegen. Unternehmen sollten versuchen, das Referenzpotenzial von Aktivisten, die bislang Boykottaufrufe gegen das Unternehmen initiieren, positiv zu nutzen. Wenn Manager verantwortungsvoll mit den Bedenken der Aktivisten umgehen, könnten sie sogar bewirken, von diesen gegenüber Konkurrenzunternehmen bevorzugt zu werden. Das Referenzpotenzial der Aktivisten kann dann dazu beitragen, dass eine breite Masse das Unternehmen unterstützt und sich der Boykott somit im Idealfall in einen Buykott wandelt. Selbst wenn dieses Einlenken kurzfristig Kosten verursacht, ist langfristig dadurch in manchen Fällen eine Steigerung des Umsatzpotenzials denkbar. Das Management muss jeweils abwägen, unter welchen Bedingungen eine aufwändige Reaktion auf einen Boykottaufruf lohnenswert ist. 7.3.3 Präventive Maßnahmen Im Allgemeinen empfiehlt sich, wie beschrieben, ein proaktiver, verantwortungsvoller Umgang mit den Anliegen von Aktivisten. Gelegentlich sind jedoch aus Unternehmenssicht aufgrund äußerer Umstände Maßnahmen unumgänglich, die einzelne Sta-
Implikationen für die Praxis
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keholdergruppen als unverantwortlich ansehen. So mag eine Verlagerung eines Werks und die Entlassung eines Teils der Arbeitnehmer an einem Standort notwendig sein, um effizienter produzieren und andere Arbeitsplätze erhalten zu können. Im Folgenden werden aus der vorliegenden Studie Maßnahmen abgeleitet, mit deren Hilfe Boykotte auch in solchen Fällen verhindert werden können. Identifikation schwächen Die erste Handlungsempfehlung zur Verringerung der Boykottgefahr betrifft speziell Multinationale Unternehmen, die den Standort eines Tochterunternehmens verlagern (müssen). In dem hier analysierten Fall vertreibt der Konzern auch nach der Übernahme Produkte unter dem traditionellen Markennamen des Tochterunternehmens. Durch diese von Jaju et al. (2006, S. 208) als Pure-Synergistic-Redeployment bezeichnete Strategie versucht das Mutterunternehmen den Goodwill, den einheimische Konsumenten der Marke des Tochterunternehmens entgegenbringen, zu nutzen. Für das Management kann eine positive Reputation des zu schließenden Unternehmens aber auch ein Risiko darstellen. Konsumenten, welche die Reputation des zu schließenden Tochterunternehmens als positiv wahrnehmen und sich mit ihm identifizieren, fühlen sich von der Verlagerung stärker betroffen und werden sich wahrscheinlicher als andere einem Boykott anschließen. In Vorbereitung auf eine wirtschaftlich notwendige Werksverlagerung empfiehlt sich deshalb folgendes dreistufiges Vorgehen: 1. Der Konzern sollte die Unternehmensmarke des Tochterunternehmens bereits in einem frühen Stadium aufgeben und zu einer anderen Markenstrategie übergehen, die keine Assoziationen zwischen der traditionellen und der neu gewählten Marke hervorruft. 2. Das Tochterunternehmen sollte den traditionellen Standort beibehalten, bis die Identifikation der Kunden mit der ehemaligen Marke hinreichend gering ist. Marktstudien sollten dies begleitend überprüfen. 3. Erst wenn sich heimische Konsumenten kaum noch mit dem Tochterunternehmen identifizieren, kann der Konzern das Werk verlagern. Allerdings kann dieses Vorgehen mit Nachteilen für das Unternehmen verbunden sein. So kann der Markenwert der traditionellen Marke bereits vor der Werksschließung nicht mehr abgeschöpft werden. Deshalb hat das Management abzuwägen, was schwe-
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Diskussion
rer wiegt: Der vorhergehende Umsatzrückgang durch die Aufgabe der traditionellen Marke oder der Imageschaden und der Umsatzrückgang in Folge eines Boykotts. Corporate Social Responsibility stärken Unternehmen können die Gefahr, Zielobjekt eines Boykotts zu werden, durch eine positive Reputation und insb. dadurch minimieren, dass sie als Good Corporate Citizen (vgl. Matten/Crane 2005) agieren und den Ruf der sozialen Verantwortlichkeit erwerben bzw. pflegen. Wie frühere Befragungen (vgl. Becker-Olsen et al. 2006, S. 52), so zeigt auch die vorliegende Untersuchung, dass Konsumenten, die ein Unternehmen als weniger verantwortungsbewusst einschätzen, mehr als andere dazu neigen, dieses zu boykottieren. Der kognitiven Emotionstheorie von Lazarus (1993, S. 14) zufolge ärgern sich Personen nicht über jeden Akteur, dessen Verhalten sie daran hindert, ihre Ziele zu erreichen. Sie sind nicht verärgert, wenn sie davon ausgehen können bzw. müssen, dass dieser nicht anders handeln kann (vgl. Nerb/Spada 2001). Lediglich wenn sie annehmen, dass der Akteur andere Verhaltensoptionen besitzt, entstehen Frustration, Ärger und Wut. Vor allem Multinationale Unternehmen sollten deshalb in Märkten, in die sie neu eintreten, schon frühzeitig eine positive Reputation aufbauen. Kritische Entscheidungen (wie Massenentlassungen) werden Konsumenten dann eher dahingehend interpretieren, dass das Unternehmen nicht aufgrund reinen Profitstrebens handelt, sondern durch äußere Einflüsse (z.B. Rohstofflieferanten) dazu gezwungen ist (vgl. Klein/Dawar 2004). Insbesondere dann, wenn das Management Entscheidungen fällen muss, die von Betroffenen, Aktivisten und/oder einer breiten Öffentlichkeit als sozial unverantwortlich angesehen werden können, empfiehlt es sich, vertrauensfördernde Maßnahmen frühzeitig zu ergreifen. Beispielsweise billigen Konsumenten einem Unternehmen eher zu, sozial verantwortlich zu handeln, wenn das Management bereits dann sein Bedauern ausdrückt und Abfindungen für ehemalige Mitarbeiter zusagt, wenn es Massenentlassungen ankündigt. Werden die Abfindungen in gleicher Höhe erst nach konfliktreichen Verhandlungen mit den Gewerkschaften und/oder als Reaktion auf einen Konsumentenboykott zugestanden, wird die Bewertung des Unternehmens in der Öffentlichkeit deutlich negativer ausfallen. Um eine positive Reputation zu schaffen, darf es natürlich nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Hält das Unternehmen selbst auferlegte Verhaltensrichtlinien nicht ein,
Implikationen für die Praxis
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setzt es seine Glaubwürdigkeit umso mehr aufs Spiel. Sowohl Aktivisten als auch Journalisten sind sensibilisiert dafür, Widersprüche zwischen Selbstdarstellung und tatsächlichem Handeln aufzudecken und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Beispielsweise stellte die Süddeutsche Zeitung (vgl. Deckstein 2008) kürzlich die als unsozial beurteilten Verhaltensweisen eines Multinationalen Konzerns den selbst auferlegten Verhaltensrichtlinien gegenüber (z.B. „Fairness und offene Kommunikation“, „Respekt vor dem Einzelnen“ oder „der Mensch im Mittelpunkt“). Um Bumerang-Effekte zu verhindern, sollte das Management seine Auffassung von sozialem Verantwortungsbewusstsein nur dann veröffentlichen, wenn es auch entsprechend handelt. Wechselbarrieren etablieren Studie A zeigt, dass Kosten des eingeschränkten Konsums die Boykottbereitschaft hemmen können. Auch in den in Studie B untersuchten Internet-Postings diskutierten Boykotteure mögliche Wechselbarrieren. Die Boykottteilnahme wurde für einige Konsumenten, die bislang das zu boykottierende Produkt eindeutig gegenüber Konkurrenzprodukten präferierten, dadurch erleichtert, dass sie auf gleichwertige Substitute ausweichen konnten. Als Handlungsimplikation lässt sich daraus ableiten, dass das Unternehmen einem Boykott vorbeugen kann, wenn es ein Produkt anbietet, welches der Konsument nicht durch eine Alternative ersetzen kann oder möchte. Es sollte ein spezielles Bündel relevanter Eigenschaften aufweisen, oder das Image der Marke sollte so einzigartig sein, dass der Konsument den Verzicht darauf als gravierenden Nachteil empfindet (vgl. Greenberg 2003, S. 62; Kap. 3.4.1.2). Unternehmen sollten deshalb die Kriterien der Kaufentscheidung in jedem Markt genau analysieren und darauf abgestimmte Wechselbarrieren aufbauen. Entscheiden Verbraucher bspw. stark ethnozentrisch, so sollte der Herstellungsort als Alleinstellungsmerkmal beworben werden (z.B. durch Testimonials oder Foreign Branding). Handelt es sich um Produkte, die den eigenen Lebensstil ausdrücken (z.B. Mode), so sollte eine exklusive Marke aufgebaut werden, die nicht ohne weiteres ersetzbar ist (vgl. Friedman 2003, S. 51).
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Diskussion
7.3.4 Reaktive Maßnahmen Persönliche und solidarische Betroffenheit mindern Die vorliegende Studie zeigt, dass Individuen, die persönlich oder sozial betroffen sind, eher dazu neigen, sich einem Boykott anzuschließen. Studie B deckt außerdem die Bedeutung der solidarischen Betroffenheit auf. Aus den Erkenntnissen der Theorie der sozialen Identität (vgl. Tajfel/Turner 1986) lässt sich folgern, dass ein Gefühl der Zugehörigkeit entsteht, wenn der Konsument Ähnlichkeiten zwischen sich selbst und anderen, persönlich Betroffenen erkennt. Dies wiederum fördert die solidarische Betroffenheit und steigert damit die Wahrscheinlichkeit der Boykottpartizipation. Unternehmen sollten deshalb darauf hinwirken, dass sich möglichst wenige Konsumenten als persönlich betroffen erleben oder sich mit den direkt Betroffenen identifizieren. Um die solidarische Betroffenheit zu mindern, können sie bspw. verdeutlichen, dass zwischen den Umständen, die zur Entlassung von Arbeitnehmern führten und der Situation, in der sich Arbeitnehmer anderer Unternehmen derselben Branche und des gleichen Qualifikationsniveaus befinden, ein deutlicher Unterschied besteht. Es gilt aufzuzeigen, dass es sich um einen einmaligen Vorfall handelt, der durch das Eintreten außergewöhnlicher Umstände eintrat und zu betonen, dass die Auswirkungen auch in Zukunft für bislang Nicht-Betroffene keine Nachteile mit sich bringen werden. Zudem sollte das Unternehmen die negativen Folgen für Betroffene möglichst gering halten (z.B. Arbeitsplätze sozial verträglich abbauen) und dies durch eine proaktive Öffentlichkeitsarbeit kommunizieren. Für die Pressearbeit des Unternehmens ist es wichtig, starre soziale Kategorien zu vermeiden (z.B. Arbeitnehmer vs. Arbeitgeber), welche die Identifikation des Konsumenten mit den Betroffenen und die Abgrenzung zur Unternehmensleitung fördern. Moralische Überlegenheit der Aktivisten in Frage stellen In beiden Studien wurde der antizipierte Nutzen des eigenen Beitrags als wichtiger Promotor der individuellen Boykottteilnahme identifiziert. Unternehmen, die erreichen möchten, dass sich möglichst wenige Personen an einem Boykott ihrer Produkte beteiligen, sollten in der Öffentlichkeit Verständnis dafür schaffen, dass sie gezwungen sind, auf die missbilligte Weise zu handeln. Sie sollten aufzeigen, dass die gewählte Maßnahme das kleinere Übel im Vergleich zu allen anderen Handlungsoptionen ist. Weiterhin muss dem Management daran gelegen sein, die moralische Bedeutung des
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Boykottierens zu hinterfragen, um somit das Streben nach Selbstwerterhöhung potenzieller Teilnehmer zu konterkarieren. Wenn das Unternehmen erreichen kann, dass Partizipation nicht als moralisch hochwertig, sondern vielmehr naiv, kontraproduktiv oder im Extremfall sogar als verwerflich angesehen wird, so wird die Anzahl der Boykotteure sinken. Das Unternehmen kann bspw., wie im Folgenden beschrieben wird, der kritischen Öffentlichkeit die Gefahr eines Bumerang-Effekts des Boykotts verdeutlichen oder begründen, warum sein Verhalten nicht amoralisch ist. Bspw. könnte ein Unternehmen im Rahmen einer Werksverlagerung darauf hinweisen, dass diese sogar weniger entwickelten Regionen innerhalb der Europäischen Region hilft, ihren nicht selbst verschuldeten Rückstand aufzuholen. Risiko des Bumerang-Effekts bewusst machen Studie A zeigt, dass ethnozentrische Tendenzen Konsumenten von der Teilnahme an einem Boykott der Produkte eines Unternehmens abhalten können. Wer fürchtet, dass die Protestaktion einen Bumerang-Effekt auslöst, indem sie zukünftige Investoren abschreckt, wird sich an einer solchen Aktion nicht beteiligen. Das Unternehmen sollte deshalb in öffentlichen Stellungnahmen deutlich machen, dass ein Boykott langfristig auch negative Konsequenzen haben kann. Gleichzeitig gilt es zu zeigen, dass die eigene Strategie langfristig Arbeitsplätze im Inland sichert. Falls das Unternehmen gezwungen ist, arbeitsintensive, aber vergleichsweise unproduktive Teile der Wertschöpfungskette ins Ausland zu verlagern, um hochwertige Arbeitsplätze im Inland zu erhalten, so sollte es dies bereits im Vorfeld der Aktion öffentlich kommunizieren. Vermutlich werden Konsumenten dieses Argument aber nur dann als glaubwürdig empfinden, wenn das Unternehmen zuvor den Ruf aufbauen konnte, dass es generell sozial verantwortlich handelt.
Anhang A: Fragebogen
211
Anhang A: Fragebogen 1. Sind Sie selbst oder Ihnen nahe stehende Personen von der geplanten Werksschließung direkt betroffen? ͛ selber
͛ Familie/Freunde
͛ Bekannte
2. Wie stark fühlen Sie sich persönlich von der geplanten Werksschließung betroffen? (auf einer Skala von „1“ überhaupt nicht bis „10“ stark betroffen)
#
3. Inwieweit stimmen Sie folgenden Aussagen zu? lehne voll und ganz ab
lehne ab
lehne eher ab
weder/ noch
stimme eher zu
stimme zu
stimme voll und ganz zu
-3
-2
-1
0
+1
+2
+3
AEG
Electrolux
Die Marke … ist mir sympathisch.
#
#
Ich vertraue der Marke … .
#
#
Die Marke … ist glaubwürdig.
#
#
4. Viele Personen überlegen sich derzeit, was sie in der gegenwärtigen Situation selbst tun können. Eine Möglichkeit besteht darin, in Zukunft Electrolux (inkl. AEG) zu boykottieren, d.h. keine Produkte dieser Marken mehr zu kaufen. Bitte geben Sie an, welche der folgenden vier Aussagen auf Sie am besten zutrifft. ͛ ͛ ͛ ͛
Ich werde künftig Electrolux boykottieren, d.h. keine Erzeugnisse dieses Unternehmens mehr kaufen. Wenn viele Menschen keine Produkte mehr von Electrolux kaufen, würde ich mich dem Boykott anschließen. Ich habe bereits darüber nachgedacht, keine Produkte mehr von Electrolux zu kaufen, bin mir aber nicht sicher, ob ich das wirklich will. Ich werde Electrolux nicht boykottieren.
5. Inwieweit stimmen Sie folgenden Aussagen zu? [Skala -3 bis +3] Ich vertraue dem Management von Electrolux. Das AEG-Werk in Nürnberg soll sicher nur deshalb geschlossen werden, weil es wirklich notwendig ist.
#
Da ich sowieso nicht viele Produkte von Electrolux kaufe, lohnt es sich nicht, dass ich dieses Unternehmen boykottiere. Damit würde ich nichts erreichen.
#
Wie jedes andere Unternehmen, so muss auch Electrolux unprofitable Werke schließen, um nicht die Existenz des gesamten Unternehmens zu gefährden.
#
Wenn ich Electrolux boykottiere, bin ich mit mir im Reinen.
#
Boykotte sind ein wirksames Mittel, um ein Unternehmen von einem gesellschaftsschädigenden Vorhaben abzubringen.
#
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Anhang A: Fragebogen
Anhang A: Fragebogen (Fortsetzung) Ich vertraue darauf, dass das Management von Electrolux das Nürnberger AEG-Werk sozial verträglich schließen wird.
#
Es ist gar nicht nötig, dass ich Electrolux boykottiere. Das machen schon genug andere.
#
Es ist nicht sinnvoll, ein traditionelles Unternehmen aus einem klassischen Industrieland zu boykottieren. Ein solcher Boykott würde nur dazu führen, dass vermehrt Produkte aus BilliglohnLändern gekauft werden.
#
Meine Freunde und meine Familie bestärken mich darin, keine Electrolux-Produkte mehr zu kaufen.
#
Jeder sollte sich an einem solchen Boykott beteiligen; denn jeder noch so kleine Beitrag ist wichtig.
#
Ich würde mich schuldig fühlen, wenn ich weiterhin Produkte von Electrolux kaufen würde.
#
Durch den Boykott der Produkte von Electrolux kann ich dazu beitragen, dass das Management seine Entscheidung ändert.
#
Man sollte Electrolux nicht boykottieren, weil dadurch noch mehr Arbeitsplätze gefährdet werden.
#
Es wäre mir unangenehm, wenn Personen, die Electrolux boykottieren, sehen würden, dass ich noch Produkte dieses Unternehmens kaufe.
#
Vielen Dank für Ihre Antworten zu diesem Thema. Erlauben Sie mir nun noch einige Fragen zu Ihrer Person und zur Möglichkeit des Einzelnen, derartige Ereignisse zu beeinflussen. 6. Was geschieht, hängt allein von mir ab.
#
Es hängt nicht vom Glück, sondern von den eigenen Fähigkeiten ab, ob Menschen ihre Ziele erreichen.
#
Das, was ich anstrebe, erreiche ich gewöhnlich auch.
#
7. Ob man seine Ziele erreicht, hängt ab von: [Skala -3 bis +3] eigene Fähigkeiten #
Glück/Zufall #
8. Besitzen Sie bereits Produkte von Electrolux/AEG? 9. a) Alter:
Einfluss anderer # ͛ ja
͛ nein
#
b) Geschlecht
͛m
͛w
c) Leben Sie in einer Partnerschaft?
͛ ja
͛ nein
͛ ja
͛ nein
Haben Sie Kinder? d) Höchster Schulabschluss: # Bemerkungen:
e) Derzeitiger Beruf:
#
Anhang B: Deskriptive Statistiken manifester Variablen
213
Anhang B: Deskriptive Statistiken manifester Variablen Variable
Gesamtstichprobe AM
SD
S
K
Kunden AM SD
Boykottpartizipation
2,02 1,13 ,68
Affektive Betroffenheit
4,39 3,15 ,58 -1,02 4,99 3,34
Kontrollüberzeugung Kollektive Wirksamkeit Bedeutung kleiner Beiträge Selbstwirksamkeit
,13 1,90 -,12 -1,18 ,24 1,90 -,11 -1,19 -,43 1,85 ,30 -1,05
,99 2,22 1,22
,19 1,99 ,45 1,97 -,31 1,95
Nicht-Kunden
S
K
,38
S
K
1,45 1,77 ,94
1,05
-,09
,29 -1,36 3,55 2,68
,97
-,09
-,10 -1,28 -,22 -1,30 ,27 -1,18
Streben nach Selbstwerterhöhung Persönliche Disidentifikation Gewissensberuhigung Soziale Disidentifikation Normative Einflüsse
-,74 -,53 -1,16 -1,16
1,89 1,85 1,76 1,73
,60 ,36 ,84 ,81
-,76 -,89 -,19 -,12
-,46 -,31 -,86 -,97
1,99 1,95 1,87 1,84
Gegenargumente Trittbrettfahren Small Agent Bumerang-Effekt I: Arbeitsplätze Bumerang-Effekt II: Importe
-,56 ,44 ,19 ,47
1,68 1,97 1,85 1,89
,23 -,42 -,24 -,45
-,76 -1,14 -1,06 -1,06
-,75 ,10 ,10 ,39
1,72 ,40 -,73 2,01 -,24 -1,34 1,91 -,19 -1,17 1,97 -,38 -1,19
Vertrauen in das Management Notwendigkeit Wirtschaftlichkeit Soziale Verantwortlichkeit
-1,23 1,76 ,87 -,43 -1,35 1,80 -,72 1,74 ,29 -1,13 -,72 1,79 -,19 1,94 ,02 -1,33 -,40 1,98
AM SD
,11 1,78 ,00 1,78 -,57 1,73
,44 -1,04 -1,05 1,71 ,23 -1,14 -,78 1,69 ,71 -,55 -1,58 1,49 ,76 -,36 -1,39 1,55
-,28 ,87 ,34 ,64
1,60 1,86 1,78 1,77
,97 -,28 -1,18 1,67 ,26 -1,21 -,76 1,69 ,15 -1,37 ,11 1,86
Electrolux-Image Sympathie von Electrolux Vertrauen in Electrolux Glaubwürdigkeit von Electrolux
-,14 1,35 -,39 -,09 1,33 -,43 -,08 1,32 -,41
,22 ,30 ,64
AEG-Image Sympathie von AEG Vertrauen in AEG Glaubwürdigkeit von AEG
1,28 1,30 -,95 1,24 1,32 -,99 1,28 1,33 -,91
,61 1,55 1,23 -1,19 ,74 1,53 1,25 -1,27 ,64 1,45 1,35 -1,14
-,17 1,48 -,31 -,17 1,46 -,34 -,15 1,48 -,30
-,21 -,16 ,15
-,11 1,18 ,01 1,13 ,02 1,05
1,36 ,89 1,33 1,67 ,85 1,32 1,17 1,04 1,30
Legende: AM: Arithmetisches Mittel; SD: Standardabweichung; S: Schiefe; K: Kurtosis.
-,24 -1,00 -,05 -,94 ,23 -1,01
,71 ,46 ,93 ,75
-,42 -,51 ,17 -,01
,07 -,66 -,31 -,54
-,57 -,75 -,86 -,86
,87 -,28 ,35 -,99 -,12 -1,19
-,47 ,87 -,47 1,12 -,42 1,24
-,77 -,77 -,71
,16 ,26 ,31
214
Anhang C: Reliabilität unbereinigter reflektiver Konstrukte
Anhang C: Reliabilität unbereinigter reflektiver Konstrukte Gesamtstichprobe DEV FR Ȝ Kontrollüberzeugung Kollektive Wirksamkeit Bedeutung kleiner Beiträge Selbstwirksamkeit
,517
Streben nach Selbstwerterhöhung Persönliche Disidentifikation Soziale Disidentifikation Normative Einflüsse Gewissensberuhigung
,660
Vertrauen in das Management Notwendigkeit Wirtschaftlichkeit Soziale Verantwortlichkeit
,435
Reputation des Tochterunternehmens Sympathie Vertrauen Glaubwürdigkeit
,683
Reputation des Mutterkonzerns Sympathie Vertrauen Glaubwürdigkeit
,808
,761
DEV
Kunden FR
,543
,779
,685 ,809 ,654 ,676
,717
,732 ,630 ,744 ,695
,521
,549
,798 ,621 ,747 ,756 ,431
,783
,777 ,456 ,489 ,715 ,446
,783
,810 ,552 ,575 ,664
,855
,799 ,865 ,814 ,948
,478
,717
,806 ,541 ,603 ,866
Nicht-Kunden DEV FR Ȝ
,721 ,842 ,633
,792 ,593 ,668 ,745 ,782
Ȝ
,771 ,559 ,657 ,680
,864
,770 ,865 ,807 ,843
,960
,865 ,923 ,908
,802 ,831 ,840 ,734
,922
,895 ,938 ,920
Anmerkungen: Konfirmatorischen Faktorenanalyse (Maximum-Likelihood-Schätzung). Globale Güte: Ȥ² =509,395; df = 188; Ȥ²/df = 2,7; GFI = ,923; AGFI = ,888; CFI = ,943; NFI = ,914; RMSEA = ,048. DEV - Durchschnittlich erfasste Varianz; FR - Faktorreliabilität; Ȝ - Faktorladung
,801 ,894 ,873
Anhang D: Messmodelle in der Schätz- und Validierungsstichprobe
215
Anhang D: Messmodelle in der Schätz- und Validierungsstichprobe Schätzstichprobe Gesamt- Kunden Nichtstichprobe Kunden
Validierungsstichprobe Gesamt- Kunden Nichtstichprobe Kunden
Ȝ
Ȝ
Ȝ
Ȝ
Ȝ
Ȝ
Reputation des Tochterunternehmens Durchschnittlich erfasste Varianz Faktorreliabilität Sympathie Vertrauen Glaubwürdigkeit
,799 ,922 ,906 ,950 ,821
,750 ,899 ,875 ,951 ,761
,820 ,932 ,904 ,938 ,874
,799 ,922 ,885 ,896 ,856
,750 ,899 ,882 ,893 ,841
,820 ,932 ,852 ,872 ,905
Reputation des Mutterkonzerns Durchschnittlich erfasste Varianz Faktorreliabilität Sympathie Vertrauen Glaubwürdigkeit
,862 ,949 ,932 ,914 ,939
,900 ,964 ,956 ,940 ,949
,799 ,923 ,911 ,851 ,918
,862 ,949 ,916 ,946 ,944
,900 ,964 ,930 ,955 ,951
,799 ,923 ,901 ,911 ,913
Vertrauen in das Management Durchschnittlich erfasste Varianz Faktorreliabilität Notwendigkeit Soziale Verantwortlichkeit
,765 ,867 ,856 ,893
,769 ,870 ,852 ,902
,756 ,861 ,854 ,885
,721 ,838 ,883 ,814
,714 ,833 ,893 ,794
,735 ,847 ,864 ,850
Nutzen des eigenen Beitrags Durchschnittlich erfasste Varianz Faktorreliabilität Bedeutung kleiner Beiträge Persönliche Disidentifikation Gewissensberuhigung
,723 ,897 ,855 ,851 ,845
,716 ,883 ,856 ,837 ,845
,711 ,880 ,847 ,852 ,829
,729 ,890 ,843 ,859 ,859
,744 ,897 ,857 ,864 ,868
,688 ,869 ,811 ,833 ,844
Reflektive Konstrukte
ʌ
ʌ
ʌ
ʌ
ʌ
ʌ
Gegenargumente Small Agent Trittbrettfahrer Bumerang-Effekt I: Arbeitsplätze Bumerang-Effekt II: Importe
,408 ,022 ,537 ,171
,427 ,304 ,438 ,122
-,237 -,303 ,788 ,575
,534 ,411 ,350 ,003
,555 ,356 ,269 ,052
,446 ,490 ,629 -,187
Objektive Betroffenheit Persönliche Betroffenheit Soziale Betroffenheit Räumliche Betroffenheit
,608 ,122 ,565
,609 ,337 ,417
,533 ,030 ,761
,428 ,076 ,702
,390 ,080 ,720
,357 ,090 ,893
Formative Konstrukte
Anmerkungen: Partial Least-Spuares. Ȝ: Ladung reflektiver Indikatoren; ʌ: Gewicht formativer Indikatoren.
216
Anhang E: Parameterschätzung auf Basis der Validierungsstichprobe
Anhang E: Parameterschätzung auf Basis der Validierungsstichprobe Wirkungspfad
Hypo- Gesamtstichprobe (n = 544) these
Kunden (n = 324)
Nicht-Kunden (n =220)
ß
t
ß
t
ß
t
H17 H16 H18
-,195*** ,157*** -,175***
4,559 3,287 4,936
-,189*** ,187*** -,137**
3,267 3,195 2,940
-,186** ,081 -,226***
2,599 1,062 4,229
H19
,193***
4,627
,189***
3,439
,149
1,574
H1 H23 H12 H13 H2
,252*** ,389*** -,409*** -,195*** ,152***
5,567 9,517 9,072 4,124 3,868
,262*** ,425*** -,441*** -,217*** ,156***
4,479 8,753 8,298 2,848 3,572
,176* ,236* -,287* -,119 ,114
1,665 2,269 1,987 ,615 1,488
Affektive Betroffenheit Æ Nutzen des eigenen Beitrags Æ Gegenargumente Æ Vertrauen in das Management
H24 H14 H15
,240*** -,192*** -,174***
5,638 4,197 4,220
,292*** -,242*** -,225**
5,578 4,248 2,954
,114* -,055 -,075
1,666 ,636 1,335
Nutzen des eigenen Beitrags Æ Boykottpartizipation
H22
,350***
8,648
,376***
6,738
Reputation des Mutterkonzerns Æ Affektive Betroffenheit Æ Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation Reputation des Tochterunternehmens Æ Affektive Betroffenheit Objektive Betroffenheit Æ Affektive Betroffenheit Æ Nutzen des eigenen Beitrags Æ Gegenargumente Æ Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation
Gegenargumente Æ Boykottpartizipation
,302***
4,792
H6 1,254 -,195*** 4,709 -,243*** 4,653 -,105 Vertrauen in das Management Æ Boykottpartizipation H7 2,455 -,057 1,469 -,148** 2,478 -,081** Anmerkungen: Partial Least Squares. ß: standardisierter Pfadkoeffizient; t: Teststatistik (Bootstrapping, 1.000 Stichproben). * p ,05; ** p ,01; *** p ,001. Statistisch signifikante Wirkungspfade sind fett hervorgehoben (p ,05).
Anhang F: Kodiervorschrift der Inhaltsanalyse
217
Anhang F: Kodiervorschrift der Inhaltsanalyse Beispiele*)
Kategorie
Beschreibung
Direkte Betroffenheit
Konsument äußert, dass er selbst - „Ich bin selbst betroffen.“ oder sein soziales Umfeld durch - „Ich bin bei der AEG beschäftigt.“ die Handlungen des Unterneh- „Meine Mom und mein Dad arbeiten bei der AEG mens betroffen ist. seid fast 30 Jahren!“
Solidarische Betroffenheit
Konsument drückt seine Solidari- - „Zeit, durch unser Kaufverhalten Solidarität zu tät mit den Betroffenen aus. Er signalisieren!“ erwähnt Zusammengehörigkeit - „Solidarität mit Menschen, nicht Gewinnen!!!“ oder Hilfe für diejenigen, die - „wir müssen viel mehr zusammen halten. Man das durch das Verhalten des Untergeht uns alle an!!!“ nehmens betroffen sind.
Generelle Verärgerung
Konsument drückt im Text eine Verärgerung über das Verhalten des Unternehmens aus, ohne die Gründe der Verärgerung zu nennen.
Verärgerung über Arbeitsplatzabbau
Konsument verurteilt explizit die - „Schluß mit der Arbeitsplatzvernichtung“ Streichung von Arbeitsplätzen. - „Ja zu 1750 Arbeitsplätzen!“ - „Jobkiller“
- „Was die AEG/Elektrolux machen ist eine große Schweinerei.““ - „Vergesst nicht: Die wahren Parasiten tragen Nadelstreifen.“ - „Schnauze voll“
Verärgerung über Konsument beklagt sich darüber, - „Alles geschieht aus Geldgier.“ das Gewinnstreben dass die Entscheidung des - „Hier Hochpreise verlangen und dort Dumpinglöhne des Unternehmens Unternehmens ausschließlich zahlen.“ aufgrund profitmaximierender - „… um des Profits willen nach Belieben Menschen Motive getroffen wird. und ganzen Regionen die Grundlage entzieht“ Enttäuschung über Unternehmensentwicklung
Konsument drückt aus, dass das - „Warum hat sich AEG soooo verkauft.“ Unternehmen seine Erwartungen - „Traurig, was aus unseren Traditionsbetrieben nicht erfüllt hat und er deshalb unserer Stadt gemacht wird“ verzweifelt, traurig oder unzufrie- - „Der Slogan ‚Made in Germany’ ist dann wohl auch den ist. bei diesem Hersteller eine Farce.“
Glaube an Konsumentensouveränität
Konsument ist davon überzeugt, - „Wir sind nicht machtlos!“ dass Verbraucher Einfluss auf das - „Wir ‚Verbraucher’ haben eine sehr scharfe Waffe in Verhalten von Unternehmen der Hand, wir müssen sie nur einsetzen.“ nehmen können. Konkrete Ziele - „Die Konsumenten können den Konzernen Macht nennt er jedoch nicht. geben oder nehmen.“
Glaube an Effektivität des Boykotts
Konsument begreift den Boykott - „Der einzige Weg Elektrolux zu treffen, ist der als geeignete und effektive Geldbeutel; deshalb ist ein Boykott richtig.“ Maßnahme, um sozial unverant- - „Als Konsumenten haben wir die Möglichkeit durch wortlichem Handeln von Unterden Boykott der Ware von Sklaventreibern Einfluß zu nehmen entgegenzuwirken. nehmen!“ - „Nur durch eine breiten Boykott kann man der Electrolux-Führung zeigen dass es so nicht geht.“
Kollektive Wirksamkeit
Konsument nimmt an, dass der Boykott erfolgreich sein wird, wenn sich viele beteiligen.
*)
ohne Korrektur der Rechtschreibung zitiert
- „Wenn sehr sehr viele mitmachen, werden wir Erfolg haben“ - „Wenn das alle so machen, werden diese sogenannten Global Player schon merken, wo die Reise hin geht.“ - „je mehr desto besser und Druckvoller kann man Agieren.“
218
Anhang F: Kodiervorschrift der Inhaltsanalyse
Anhang F: Kodiervorschrift der Inhaltsanalyse (Fortsetzung) Kategorie
Beschreibung
Beispiele*)
Selbstwirksamkeit Konsument nimmt an, dass er durch sein Handeln die Entschei- dung des Zielobjekts beeinflussen kann.
„Boykott: Weg zu mehr Einfluß für uns Menschen“ „Die einzige Macht, die wir als Einzelne haben, ist inzwischen unser Konsum.“ „Jeder kann mit seiner Kaufentscheidung dazu beitragen, solchen Firmen die ‚ach so geliebten’ Bilanzen zu vermiesen“
Boykottbereitschaft des sozialen Umfelds
- „Meine Familie, unsere Verwandten, Freunde und Konsument betont, dass sein Bekannten finden die Unternehmensentscheidung mehr soziales Umfeld (z.B. Familie, als schäbig. Wir sind uns Alle einig: Wir werden keine Freunde, Bekannte) am Boykott Electrolux-Produkte mehr kaufen.“ teilnimmt. - „Meine Familie wird sich keine Elektrolux Produkte mehr kaufen.“ - „Meine Familie, meine besten Freunde und ich kaufen sicher nie wieder Artikel von Electrolux!“
Persönliche Beitrag
Konsument legt Wert darauf, dass er persönlich etwas zum Boykott beiträgt.
- „Ich werde meinen Teil leisten, um Electrolux zu boykottieren und ihnen so MEIN persönliches Nein ... zu erteilen!“ - „Ich werde meinen Teil dazu leisten; dass ist die einzige Sprache die diese Konzerne verstehen.“ - „Wie kann ich Euch Geld zukommen lassen, damit ihr den Kampf übersteht?“
BoykottMeinungsführerschaft
Konsument stiftet sein soziales Umfeld zur Teilnahme am Boykott an.
- „Wir kaufen keine Produkte dieses Hersteller (kauften zum Glück in der Vergangenheit auch nie welche) und geben diese Informationen natürlich an unsere Freunde und Nachbarn weiter!“ - „Ich werde versuchen jeden, den ich kenne, auch zu diesem Verhalten zu überzeugen.“ - „… werde alle meine Geschäftskontakte (ca. 1000) per E-Mail zum Boykott von Elektrolux Produkten aufrufen.“
Appellfunktion
- „Wacht endlich auf und bekämpft diese Firmen.“ Konsument ermutigt andere, sich zu beteiligen oder durchzu- - „Kämpft für euer Recht“ - „Wer nicht kämpft hat schon verloren, insofern weiter halten. so!“
Bestrafung
Konsument drückt aus, dass er dem Unternehmen (finanziellen oder physischen) Schaden zufügen will.
System- und Globalisierungskritik
Konsument äußert sich kritisch - „Großkapitalismus ist Gift für uns!“ über das Gesellschafts- und/oder - „Globalisierung nützt nur den Großkonzernen“ - „Schluss mit dem Neoliberalismus!“ Wirtschaftssystem.
KonsumentenEthnozentrismus
Konsument legt Wert darauf, regionale bzw. deutsche Produkte zu kaufen, um dadurch die heimische Wirtschaft zu stärken. -
*)
ohne Korrektur der Rechtschreibung zitiert
- „Nieder mit Electrolux“ - „Electrolux muss bluten.“ - „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“
„Wir geben doch mehr Geld für ‚Made in Germany’ aus!!“ „Ich kaufe nur noch Produkte, wo ich weiß, dass sie ausschließlich in Deutschland produziert werden.“ „Wir sollten nur noch deutsche Produkte kaufen um unsere eigene Wirtschaft zu stärken.“
Anhang F: Kodiervorschrift der Inhaltsanalyse
219
Anhang F: Kodiervorschrift der Inhaltsanalyse (Fortsetzung) Kategorie
Beschreibung
Generelle Konsument erwähnt im Text Boykottbereitschaft direkt, dass er auch an anderen Boykotten teilnimmt.
Beispiele*) - „Ich boykottiere schon viele Unternehmen“ - „Meine persönliche Boykottliste wird immer länger!“ - „Ich boykottiere zur Zeit Müller Milch, Samsung, Adidas, Grohe, Siemens und bald Vodafone.“
- „Ich fürchte aber, dass ein Boykott nicht viel ändern Generelle Zweifel Konsument bezweifelt, dass am Erfolg des Boykotte Änderungen des Verhal- wird“ - „Boykott - Was soll das bringen?“ Boykotts tens von Unternehmen hervor - „…ob mit oder ohne Boykott wird das Unternehmen rufen können. eh immer zu den höchsten Gewinnen hinziehen.“ Small Agent
keine Beispiele Konsument nimmt an, dass der eigene Beitrag zu gering ist, um zum Erfolg des Boykotts beizutragen.
Bumerang-Effekt
Konsument zeigt sich besorgt, weil der Boykott (langfristig) negative Auswirkungen haben könnte.
keine Beispiele
Präferenz für boykottierte Produkte
Konsument beteiligt sich am Boykott, obwohl er Produkte des Zielunternehmens präferiert. Er äußert sich positiv über deren Qualität oder gibt an, bereits Produkte zu besitzen.
- „Obwohl wir mit der Qualität unserer AEG-Geräte seit vielen Jahren überaus zufrieden sind, werden wir künftig auf qualitativ gleichwertige Hersteller ausweichen.“ - „Ich habe mal auf diese Marke geschworen, aber nicht mehr unter diesen Umständen.“ - „Ich besitze etliche Geräte von AEG, werde aber in Zukunft nichts mehr von AEG (Electrolux) kaufen.“
Ausweichen auf Substitute
Konsument boykottiert und benennt alternative Anbieter oder Produkte.
- „Bei uns wird die nächste Waschmaschine, Wäschetrockner, Spülmaschine etc. halt ein wenig teurer bei Miele gekauft!“ - „… für Liebherr und Bosch entschieden.“ - „Wenn ich was nicht kaufen will, dann gibt’s auch noch andere Firmen, die gute Qualität bieten!“
Trittbrettfahren
Konsument schließt sich dem Boykott nicht an, da dies Kosten verursacht. Er drückt gleichzeitig die Hoffnung aus, dass der Boykott dennoch erfolgreich ist, da sich genügend andere beteiligen.
keine Beispiele
*)
ohne Korrektur der Rechtschreibung zitiert
220
Anhang G: Interkoder-Reliabilität im Pretest
Anhang G: Interkoder-Reliabilität im Pretest 1. Pretest n = 100 3 Kodierer
Į
ɩ
2. Pretest n = 100 3 Kodierer
ț ÜK
Į
ɩ
3. Pretest n = 100 3 Kodierer
ț ÜK Į
ɩ
ț
4. Pretest n = 790 3 Kodierer ÜK
Į
ɩ
ț ÜK
Betroffenheit Objektive Betroffenheit Direkte Betroffenheit Solidarische Betroffenheit Affektive Betroffenheit Generelle Verärgerung Verärgerung über Arbeitsplatzabbau Verärgerung über Gewinnstreben Enttäuschung über Unternehmensentwicklung
,32 ,65
,25 ,26 ,97 ,19 ,12 ,13 ,97 ,62 ,62 ,62 ,97 ,76 ,76 ,76 ,99 ,65 ,65 ,93 ,70 ,70 ,70 ,91 ,80 ,80 ,80 ,93 ,78 ,78 ,78 ,96
,41 ,41 ,41 ,93 ,56 ,67 ,67 ,67 ,95 ,41 ,13 ,08 ,11 ,89 ,56 - - ,19
,55 ,36 ,56 ,15
,55 ,37 ,56 ,16
,92 ,94 ,83 ,97
,38 ,77 ,58 ,00
,38 ,78 ,58 -,01
,38 ,78 ,58 ,00
,93 ,95 ,87 ,99
,49 ,68 ,64 ,57
,43 ,68 ,64 ,56
,45 ,68 ,64 ,56
,99 ,57 ,54 ,55 ,95 ,69 ,70 ,70 ,98 ,49 ,43 ,98 ,27 ,17 ,19 ,97 ,74 ,77 ,77 ,98 ,68 ,68 ,99 ,75 ,77 ,78 ,99 ,50 ,33 ,33 ,99 ,64 ,64 ,96 - - ,57 ,56
,45 ,68 ,64 ,56
,92 ,95 ,91 ,99
Promotoren Kontrollüberzeugung Glaube an Konsumentensouveränität Glaube an Effektivität des Boykotts Kollektive Wirksamkeit Selbstwirksamkeit Boykottbereitschaft des sozialen Umfelds Gestaltungswunsch Persönlicher Beitrag
,66 ,66 ,66 ,49 ,32 ,33 ,50 ,33 ,33 ,02 ,02 ,01 -
,01
-
-
-
-
-
-
,92 ,95 ,91 ,99 1,0 - 1,00 1,00 1,00 1,00 ,90 ,95 ,90 0
,67
,03 ,02 ,88 ,01 ,02 ,00 ,98 ,33 ,22 ,22 ,99 ,68 ,68 ,68 ,99 1,0 ,86 ,86 ,99 ,32 ,21 ,22 ,97 - ,92 ,92 ,92 0 ,68 ,68 ,91 ,41 ,39 ,39 ,88 ,57 ,56 ,56 ,93 ,60 ,60 ,60 ,93
Wunsch nach Vergeltung Bestrafung
,38
,43 ,44 ,96 ,42 ,45 ,46 ,97 ,65 ,65 ,65 ,97 ,68 ,68 ,68 ,98
Politischer Konsumerismus System- und Globalisierungskritik Konsumenten-Ethnozentrismus Generelle Boykottbereitschaft
,65 ,64 ,64 ,97 ,57 ,56 ,57 ,95 ,69 ,69 ,69 ,93 ,70 ,71 ,70 ,95 ,66 ,65 ,65 ,99 ,81 ,82 ,82 ,99 ,44 ,45 ,46 ,95 ,78 ,77 ,77 ,98 ,60 ,66 ,66 ,99 - - ,90 ,90 ,90 ,99 ,66 ,66 ,66 ,98
Boykott-Meinungsführerschaft
,86
Appellfunktion
Inhibitoren Zweifel an Erfolg des Boykotts 1,0 0 -
Generelle Zweifel an Boykottwirkung
-
-
-
- ,50 ,33 ,33 ,99
-
-
-
- ,89 ,89 ,89
Small Agent Bumerang-Effekt
-
-
-
-
-
-
-
-
Kosten des Konsumverzichts Präferenz für boykottierte Produkte Ausweichen auf Substitute Trittbrettfahren Arithmetisches Mittel
,87 ,58 ,51
-
-
-
-
-
-
,87 ,87 ,98 ,80 ,80 ,80 ,98 ,66 ,66 ,66 ,99 ,76 ,76 ,76 ,98 ,57 ,57 ,96 ,66 ,63 ,63 ,98 ,36 ,28 ,29 ,97 ,81 ,81 ,81 ,99 - - ,49 ,49 ,96 ,48 ,45 ,46 ,95 ,59 ,58 ,58 ,96 ,70 ,69 ,69 ,97
Reliabilitätskoeffizient: Į: Krippendorffs Alpha; ɩ: Scotts Pi; ț: Cohens Kappa; ÜK: Übereinstimmungskoeffizient
Literatur Abramson, L. Y.; Seligman, M. E. P.; Teasdale, J. D. (1978): Learned Helplessness in Humans: Critique and Reformulation, in: Journal of Abnormal Psychology, 87 (1), 49-74. Adorno, T. W.; Frenkel-Brunswik, E.; Levinson, D. J.; Sanford, R. N. (1950): The Authoritarian Personality, New York: Harper. Ahluwalia, R.; Burnkrant, R. E.; Unnava, H. R. (2000): Consumer Response to Negative Publicity: The Moderating Role of Commitment, in: Journal of Marketing Research, 37 (2), 203-214. Ajzen, I. (1991): The Theory of Planned Behavior, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50 (2), 179-211. Ajzen, I.; Fishbein, M. (2005): The Influence of Attitudes on Behavior, in: Albarracín, D.; Johnson, B. T.; Zanna, M. P. (Eds.): The Handbook of Attitudes, Mahwah: Erlbaum, 173-221. Albers, S.; Götz, O. (2006): Messmodelle mit Konstrukten zweiter Ordnung in der betriebswirtschaftlichen Forschung, in: Die Betriebswirtschaft, 66 (6), 669-677. Albers, S.; Hildebrandt, L. (2006): Methodische Probleme bei der Erfolgsfaktorenforschung - Messfehler, formative versus reflektive Indikatoren und die Wahl des Strukturgleichungs-Modells, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 58 (2), 2-33. Amelang, M.; Schmidt-Atzert, L. (2006): Psychologische Diagnostik und Intervention, 4. Aufl., Berlin: Springer. Anderson, J. C.; Gerbing, D. W. (1982): Some Methods for Respecifying Measurement Models to Obtain Unidimensional Construct Measurement, in: Journal of Marketing Research, 19 (4), 453-460. Anderson, J. C.; Gerbing, D. W. (1988): Structural Equation Modeling in Practice: A Review and Recommended Two-Step Approach, in: Psychological Bulletin, 103 (3), 411-423. Angerer, T.; Forscht, T.; Swoboda, B. (2006): Mixed Methods - Ein neuer Zugang in der empirischen Marketingforschung, in: der markt, 45 (178), 115-127.
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