C.H.GUENTER
Bombenserenade
ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT
1. Vietnam. Januar 1973 Luftbasis Binh-Dinh. De...
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C.H.GUENTER
Bombenserenade
ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT
1. Vietnam. Januar 1973 Luftbasis Binh-Dinh. Der schwere Langstreckenbomber wartete am Ende der Betonpiste auf die Startfreigabe. Sie kam über Funk vom Tower der streng bewachten Luftbasis. Die acht Pratt & Whitney-Düsentriebwerke der B 52 heulten auf zu voller Leistung. Die riesige Stratofortress rollte und legte auf den ersten 500 Metern stetig Tempo zu. Doch dann erhöhte sie ihre Geschwindigkeit nicht mehr in der vorgeschriebenen Weise. Sie wurde eher langsamer. Nach 1500 Metern Rollstrecke blieb der zweihundert To n nen schwere Überschallbomber auf der Piste stehen. Vom Tower beobachteten ein halbdutzend Ferngläser den Startabbruch. „Gefällt mir nicht“, rief der Flugoffizier der Binh-DinhBasis, „sieht nach einem schwerwiegenden Defekt aus. Schätze Triebwerkbrand.“ Mit Faustschlag auf den roten Knopf gab er Katastrophen alarm. Die Sirenen bekamen Strom, heulten ihren schaurigen Singsang über Pisten und Hangars und brachten die Ret tungstrupps auf die Beine. Die Feuerwehrfahrzeuge brausten als erste los. Die Sankafahrer ließen die Motoren an und folgten. Der Operationssaal im Hospital wurde klargemacht, der Schaumlöschhubschrauber hob ab. Zwei Minuten nach Auslösung des Alarms standen sämtli che Hilfsfahrzeuge im Kreis um die B-52-H. Doch an dem Boeing-Bomber waren alle Triebwerke ab gestellt. Der sechzig Meter lange und fünfzehn Meter hohe Vogel ruhte wie tot auf der Piste. Über Sprechfunk wurde die Besatzung angerufen. Da nie mand antwortete, versuchte man es mit Lautsprechern. 3
Keiner der acht Männer an Bord gab ein Lebensze ichen von sich. Mit größter Vorsicht näherte sich der Vortrupp des Re t tungskommandos in feuerfesten Aluminiumanzügen dem Bomber. Äußerlich zeigte die Maschine keinerlei Schaden. Weder am Fahrwerk, noch an den Triebwerken, noch an den Klappen oder am Leitwerk. Gabelstapler wurden herbeige funkt. Auf ihren Plattformen ließen sich Flugzeugingenieure zum Rumpfeinstieg hochliften. Mit Spezialwerkzeugen brachen sie das luftdicht verriegelte Schott auf und kletterten im Flugzeug nach oben. Zunächst fanden sie von der Besatzung nicht die Spur. Die Pilotensitze waren leer, ebenso die Plätze des Navigators, des Bordingenieurs und des Funkers. Weder der Bombenschütze war an seinem Platz noch der Sergeant, der die GAM-77 Hound-Dog-Raketen bediente. „Das gibt es nicht“, sagte der Captain des technischen Hilfstrupps. „Vor vierzig Minuten sah ich alle Mann an Bord gehen.“ Sie krochen durch den Rumpf nach hinten. Dort machten sie schließlich eine höchst merkwürdige Entdeckung. Im Heckstand der B-52, zwischen den ferngesteuerten 20mm-Kanonen, lagen sie zusammengekauert Nebeneinan der, übereinander und ineinander verkeilt. Alle acht Mann. Der Major, der Captain, die Leutnants, bis zum jüngsten Corporal. Sie lagen da wie tot. „Aber sie leben noch“, murmelte der Führer des Rettungs trupps. Dabei war ihm anzusehen, daß er das Schlimmste befürchtete. Etwas, das noch entsetzlicher war als der Hel dentod von acht Angehörigen der US Air Force. Die Flieger wurden ins Hospital gebracht. Wenig später stand die Diagnose fest. Der Basisarzt teilte sie dem Kom mandeur mit, als handle es sich um eine Sache höchster Geheimstufe. „Alle bewußtlos, Sir“, meldete er, „ohne Besinnung. Total 4
besoffen. Schätze, jeder von ihnen hat eine halbe Galone Whisky intus. Mindestens.“ * Es gab kein Donnerwetter, sondern eine Kriegsgerichtsve r handlung. Schuld daran war, daß man den Zwischenfall dem General in Saigon hinterbracht hatte. Liebend gerne hätte der Basiskommandant von Binh-Dinh die Sache unter den Teppich gekehrt. Jetzt war das nicht mehr möglich. Das Hauptquartier forderte strenge Bestrafung dieser him melschreienden Disziplinlosigkeit. „In den Reisfeldern von Hu-phong, in der Ebene der Tonkrüge, sterben Tausende tapferer GI’s“, tobte der General, „und die feinen Herren von der Air Force kippen volltrunken aus ihren bequemen Flugzeugsitzen. Ich fordere ein Exempel.“ Der Zorn des Generals war verständlich, wenn auch nicht berechtigt. Im Verlauf des Krieges waren von drei gestarte ten Flugzeugen durchschnittlich einskommazwei Maschinen nicht mehr zurückgekehrt. Die hohen Totalverluste began nen die Besatzungen zu entnerven. Andererseits hatte die Presse von dem Vorfall in BinhDinh Wind bekommen und ihn in den großen Zeitungen der USA hochgespielt. Der Präsident selbst hatte General Palmer daraufhin, ange sprochen. Um seinen Ruf als „Palmer der Fighter“ zu retten, hatte der General versichert, daß er rigoros durchgreifen werde. Bei der Verhandlung, sie fand am 14. in Saigon statt, wur de die hochspezialisierte B-52-Besatzung zu folgender Stra fe verurteilt: Rückstufung um zwei Dienstgrade plus Mili tärstraflager. Die Offiziere für sechs Monate, die Unteroffi ziere für drei. Für den Kommandanten kam unehrenhafte Entlassung aus der US Air Force hinzu. Die Kriegslage brachte es jedoch mit sich, daß immer hö 5
here Ausfälle beim fliegenden Personal und den Maschinen eintraten und die Air Force jeden ausgebildeten Mann drin gend brauchte. An dem Tag, als Major Benjamin ins Militärstraflager Dang-Pen abtransportiert werden sollte, betrat ein Colonel vom Einsatzstab des 8. Geschwaders seine Zelle und sagte: „Die Air Force gibt Ihnen die Möglichkeit, Ihre Ehre wi e derherzustellen, Major. Vorausgesetzt, Sie und Ihre Besat zung sind bereit, einen Sonderauftrag zu übernehmen.“ Major Benjamin hatte verstanden. „Was habe ich zu tun, Sir?“ fragte er tonlos. „Zunächst einmal“, fuhr der Colonel fort, „müssen Sie sich klar darüber sein, daß es ein Todeskommando ist. Die Chan cen zu überleben stehen eins zu zehn.“ * Die Beweglichkeit der Nordvietnamesen war die eines Fr o sches, während die der amerikanischen Truppen bestenfalls der einer Schildkröte gleichkam. So zwang der Gegner den Verteidigern Kämpfe an weit auseinanderliegenden Punkten auf. Da die Front über tausend Kilometer lang war, zersplit terten sich Amerikaner und Saigoner Einheiten. Sie mußten den Rückzug antreten. Ein geordneter Rückzug aber ist eines der schwierigsten militärischen Manöver, das die stets sieggewohnten Solda ten der USA nicht gelernt hatten. Das Chaos war entspre chend. Das große Spiel wurde zur Horrorpartie. Bombte die US-Luftwaffe die Dschungelpfade, dann sickerten Truppen und Nachschub des Gegners auf anderen Wegen ein. Bomb te die Luftwaffe den Hafen von Hai-Phong, dann zerstörten Guerillaeinheiten in Nachtangriffen die US-Stützpunkte. Bald wurden die Vietnamesen auch noch im Mekong-Delta offensiv. Ihre 5. Division landete mit Amphibienpanzern. In Hung-Long kehrten die Bauern eines Abends von der Feldarbeit heim, plötzlich sahen sie sich von Nordvietname 6
sen umringt. Die Besatzung des Ortes war bis auf den letz ten Mann getötet worden. Am gleichen Tag wurden noch vierzig Außenposten in der Provinz Chung überrannt. Bis Mitte Januar gehörten dem Feind zwei Drittel der 3000 Stützpunkte im Delta. Dann wurden die Nordvietnamesen bei Phong-Binh nahe Saigon offensiv. Der Zusammenbruch war abzusehen. * „Was habe ich zu tun, Sir?“ fragte Major Benjamin noch einmal. „Für uns zählt jetzt nur, daß wir eine halbe Million Men schen, Soldaten und zivile Hilfskräfte heil aus diesem He xenkessel Vietnam herauskriegen“, erklärte der Colonel, „und wenn möglich ein paar Tonnen des geheimsten Materi als. Wir können nicht Radaranlagen, Computerzentralen und Spezialflugzeuge im Wert vo n mehreren Milliarden Dollar einfach in die Luft sprengen.“ „Was habe ich also zu tun, Sir?“ fragte der Major zum dritten Mal. Er erfuhr es auch jetzt noch nicht. „Alles geht über den Hafen von Da-Nang raus“, fuhr der Colonel fort, „er liegt jetzt im Bereich der roten Luftwaffe. Zwar bomben wir jeden Tag ihre Startbahnen zusammen, aber sie ziehen Allwetterpisten an geheimen Plätzen durch den Dschungel, die sie tagsüber tarnen. Dies und die Invasi on im Delta müssen wir stoppen. Zumindest für eine Weile.“ Der Major wollte wieder seine Frage stellen, doch der Co lonel winkte ab. „Was Sie tun sollen“, nahm ihm der Colonel das Wort aus dem Munde, „bringen Sie Ihren Haufen auf Vordermann, Major. Wir beladen Ihre B-52 mit dem Brisantesten, was wir haben. Napalm, Sprengbomben, Dioxin-Entlaubungsgas. Sie werfen alles ab. Im Tiefflug. Gegen das mörderischste Ab wehrfeuer, das Sie sich vorstellen können. Sollten Sie von diesen Einsätzen zurückkehren, dann…“ 7
„Kann ich eine Zigarette haben, Sir?“ fragte Major Ben jamin, als hätte er keinen anderen Wunsch, als zu rauchen. Er bekam eine Lucky und sog den Rauch tief auf Lunge. „Dann“, kam der Colonel zum Ende, „kassiert der General das Urteil. Die Strafakte geht in den Reißwolf. Keine Ein tragung in die Personalbögen. – Aber auch keine Auszeich nung.“ „Und alles top secret?“ Der Colonel lächelte. „Der Einsatz ist mehr als streng geheim. Wir haben Grün de dafür. Aber fragen Sie mich nicht danach. Ich werde sie Ihnen nicht nennen.“ Major Benjamin rauchte noch einen Zug, warf die Zigaret te zu Boden und trat sie aus. „Wo sind meine Männer?“ „Sie warten im Briefing-Room“, sagte der Colonel, als hätte er die Entscheidung des Majors so und nicht anders erwartet. * „Das Ziel Nummer eins“, erläuterte der Einsatzoffizier, „ist leicht zu finden. Es wird durch das Wrack einer B-58 mar kiert.“ „Man hat es also schon einmal versucht“, bemerkte Major Benjamin. „Well, heute nacht.“ „Und die B-58 liegt präzise im Target.“ „Auf den Punkt genau.“ „Abschuß?“ „Eine Notlandung War es gewiß nicht.“ „Warum ging sie nicht hoch mit dem Bauch voll TNT?“ „Das ist eines jener technischen Rätsel“, meinte der Einsatzoffizier ausweichend, „mit denen man Zuweilen konfrontiert wird.“ „Wie steht es mit der Abwehr?“ 8
„Sie schützt den Brückenkopf für die Vietkong-Landung. Wir schätzen sie auf tausend Rohre, Flak aller Kaliber plus Raketen.“ „Und die B-58 explodierte nicht?“ „Aber sie droht im Sumpf zu versacken.“ Der Major, ein erfahrener Pilot, glaubte die Einsatzorder jetzt zu durchschauen. „Unser Bombenpotential soll sich mit dem der abgestürz ten B-58 addieren.“ „Dadurch erreichen wir hoffentlich die beabsichtigte Wir kung. Der Flußdamm zum Landeabschnitt wird dadurch brechen und die Flut wird alles überschwemmen.“ „Die B-58 darf aber nicht zu tief liegen.“ „Deshalb Ihr Blitzeinsatz, Major.“ „Ferner muß sie genau getroffen werden. Auf den Meter.“ „Deshalb Abwurf aus neunhundert Fuß.“ Die Besatzung erfuhr die Koordinaten, die Positionen der eigenen Luftabwehr, den Funkerkennungscode, gültig bis 16 Uhr, die zu fliegenden Kurse, das Wetter bis zum MekongDelta und das Wetter über dem Abwurfpunkt. Es war leider gut, aufgelockerte Bewölkung, kaum Dunst. Inzwischen war die B-52 sorgfältig gewartet und beladen worden, Eine Stunde später rollte sie zum Start. Es war 14 Uhr 35, am 17. Januar 1973. Über die Piste der Binh-Dinh-Basis wehte leichter Süd ostwind mit drei Knoten Geschwindigkeit. * Die B-52 der 461. Staffel des achten US-Luftwaffen geschwaders zog ein wenig träge himmelwärts. Sie war zu 15 Prozent überladen. Durch den enormen Treibstoffverbrauch beim Start, wenn die acht Triebwerke mit Vollast liefen, wurde dies rasch ausgeglichen. 9
Vierzig Sekunden nach dem Abheben war die B-52 von Major Benjamin in den Wolken verschwunden. Die Bedeckung über Binh-Dinh nützte leider wenig. Sie lag ausgerechnet dort, wo es keine Abwehr gab. Über dem Mekong, den die schallschnelle B-52 nach knapp vierzig Flugminuten erreichen würde, war die Luft kristallklar bis hinab ins lehmgelbe Flußdelta. Der Navigator, Leutnant Sims, bestimmte durch Erd- und Funkpeilung seinen Standort. Dann drückte er den Sprech knopf der Bordverständigungsanlage. „Kurswechsel auf eins sieben null. In zehn Sekunden.“ Er zählte rückwärts. „Jetzt!“ Der Pilot steuerte den Superbomber aufs Meer hinaus, um von dort in einer weiten Kurve gegen den Brückenkopf des Vietkong anzufliegen. Gleichzeitig ging er tiefer, auf Einsatzhöhe 900 feet. Um die Geschwindigkeit halten zu können, befahl er knapp: „Nachbrenner!“ Der Bordingenieur, Lt. Bennet, betätigte den Zentralschal ter für die zusätzliche Kerosin-Wasser-Injektion. Die Nach brenner blubberten auf wie mächtige Sauerstoffgebl äse. Wieder meldete sich der Navigator mit einer Kursände rung. Jetzt kam es auf gradgenaues Steuern an. Sie hatten nur diesen einen Anflug. „Bombenschütze1!“ rief der Kommandant. „Auf sero alles rausschmeißen.“ „Roger“, bestätigte der Sergeant Unter ihnen fuhren auf dem Meer Kutter, Dschunken und Patrouillenboote, die in ihrem donnernden Überschalltep pich beinah sichtbar zusammenzuckten. Die Küste tauchte wieder auf, genau in Ost Sie kam rasend schnell näher, wie in einem Zeitrafferfilm. Der schmale graue Strich wurde kräftiger, breiter, bekam Konturen und Tiefe. „Kurskorrektur auf zwo sieben zwo.“ Jetzt war Millimeterarbeit nötig. Feinsteuernd legte der 10
Major die B-52 auf Angriffskurs. Er flog sein Achtzigtau send-P-Ungeheuer mit den Fingerspitzen. Der Copilot starr te auf das Zielradar. „Schon was zu sehen?“ „Zuviel Störungen drumherum“, meldete Captain Dudley. „Der Aufklärer behauptet, daß die Radarerkennung der B 58 noch arbeitet.“ Der Copilot legte einige Schalter um. „Bei mir negativ.“ Hinter ihnen führte der Navigator das Fernglas vor die Augen. Die Küste, vor Sekunden nur ein Streifen, entwickelte sich zu einem Trichter, der sich zu einem Schlauch mit unendlich vielen Verästelungen aus Nebenflüssen, toten Armen, Sandund Schlickbänken verengte. Schon flogen die Inseln mit den Reisfeldern und den kleinen Gehöften auf sie zu. Der Mekong machte nicht den Eindruck, als sei hier eine größere militärische Operation im Gange. „Sie tarnen sich wie Schneehasen im Winter“, rief der Navigator. „Ziel aufgefaßt“, sagte der Mann am Radar. „Das muß sie sein. Typisches Echo. Vierzehntel Grad abfallen.“ Der erste Pilot steuerte jetzt nach Zielsuchgerät. Sie sahen die abgestürzte B-58, deren Bombenladung sich mit der ihren vereint entzünden sollte, nicht. Aber die Ra darwellen eilten ihren Augen weit voraus. „Wenn ich nicht wüßte“, murmelte der Navigator, „daß wir richtig sind, würde ich glauben wir seien auf dem fal schen Stern.“ Er hatte kaum geendet, da begann der Feuerhagel. Aus tausend Rohren aller Kaliber regnete ihnen glühender Stahl entgegen. Sie konnten wenig dagegen tun. Sie mußten durch. „Bombenabschußgerät“, befahl der Major ruhig, „Korrek tur minus drei auf siebzehn.“ 11
Die Digitalanzeige lief rückwärts. Die roten Ziffern zuck ten. Sechzehn… fünfzehn… Die MG- und Flakgeschosse hämmerten gegen den Bom ber, fetzten hier ein Loch, dort ein Verkleidungsblech weg. Die Druckwelle einer nahe detonierenden Flakgranate schüttelte die B-52. Aber verbissen hielt sie Kurs. Und dann plötzlich dieser Schlag, dieser Treffer, diese Faust, die sie totschüttelte. Die Digitalanzeige der Bombenwurfautomatic stand bei drei. Drei Sekunden bis zum Ziel, nur ein paar hundert Me ter noch. Sie konnten das Wrack der B-58 im Modder deut lich erkennen. Und dann dieser Treffer, Er hörte sich an wie der Rammstoß einer Lokomotive. Die Bombenabwurfanzei ge erstarrte endgültig bei der Zahl 2. „Motor vier und sechs brennen.“ „Tank aufgerissen. Hydraulik ohne Druck.“ Mehr konnte der Bordingenieur nicht melden. Der Kommandant sah es mit eigenen Augen. Die ganze linke Fläche war weg. An ihrer Stelle nur noch ein fransiger Stumpf. Auslaufendes Kerosin machte die Cockpitscheiben blind. Schon war um sie herum Feuer, Hitze, Qualm, stinkend-kokelnde Elektronik. Die B-52 wurde instabil, begann über den rechten Flügel wegzuschieben, zu trudeln. „Aussteigen!“ war das letzte, was der Kommandant sagte. Automatisch vollzog er die drei lebenserhaltenden Griffe am Schleudersitz. Anpressen, entriegeln, Zündhebel ziehen. Darin folgten ihm alle, die noch lebten und über Schleu dersitze verfügten. Der 2. Pilot, der Navigator Und der Bordingenieur. Der Funker war zu diesem Augenblick schon tot. Ein Splitter hatte ihm den Kopf gespalten. Die Treibsätze der Baker-Sitze schossen sie hoch aus dem taumelnden und trudelnden Flugzeug hinaus. Als sich die Fallschirme dicht über der Erde entfalteten, barst die B-52 zwei Meilen entfernt im rasenden Abwehr 12
feuer des Vietkong. Die Detonation war so verheerend, daß alle Waffen schwiegen, als habe die Druckwelle sie gelähmt * Durch die hereinbrechende Dunkelheit tönte das Gezwi t scher von Amseln. Es gab im Mekong-Delta aber keine Amseln. Major Benjamin rief mit Hilfe einer zur Notausrüstung ge hörenden Vogelpfeife seine Männer zusammen. Er selbst konnte sich kaum bewegen. Sein linkes Wadenbein war beim Aufkommen gesplittert. Als die anderen ihn fanden, hatte er sich schon eine Mo r phiuminjektion verabreicht. Er zählte seine Leute. „Captain Dudley, Leutnant Sims, Leutnant Bennet. Ist das alles?“ „Offenbar, Sir.“ Die Männer sahen verdreckt und verschlammt aus, lehm gelb wie die Erde am Fluß. Eine vorzügliche Tarnung. „Verletzungen?“ fragte Benjamin. Nur Sims hatte sich das Handgelenk verstaucht „Wo sind wir?“ „Keine vierhundert Yard vom B-58-Wrack entfernt“, me l dete der Navigator. „Und Charly, der Vietkong?“ „Ist still, Sir. Offenbar hat ihn der Detonationsblitz stark beeindruckt.“ „Die B-58 ist nicht mit hochgegangen.“ „Scheiße, sie versackt langsam.“ „Baut eine Bahre“, befahl der Major, „bringt mich hin. Wenn es uns gelingt, die Notausrüstung der B-58 zu bergen, dann haben wir eine Fluchtchance über den Fluß mit dem Schlauchboot. Draußen im Golf fischen uns die Seenothub schrauber raus.“ 13
„Dann schlagen wir Charly ein Schnippchen“, frohlockte der Navigator, ein blutjunger Bursche aus Wisconsin. „Aber nur, wenn wir es bis zur Dämmerung schaf fen.“ „Neun Stunden“, rechnete Bennet, der Techniker, kühl. „Zeit genug“, sagte der Major. – Um doch noch zu krepie ren, fügte er hinzu. Dies aber nur in Gedanken. Sie bauten eine Krankentrage aus Schwemmholz und Fall schirmbändern, versteift mit den Aluminiumrohren der Schleudersitze. Damit transportierten sie den Major durch Schlick und Schilf zum Wrack der B-58. Obwohl der notgelandete Bomber bis zur Oberkante im Modder steckte, gelang es ihnen, durch das Montageluk neben dem ausfahrbaren Peilermast einzudringen. Sie fanden zwar nur Leichen in der Maschine, aber auch die Pakete mit der Rettungsausrüstung. Sie enthielten ein Schlauchboot mit aufknöpfbarem Zelt, Proviant, Angel- und Jagdgeräte, sowie einen Sender, der automatisch Notrufe ausstrahlte. Doch dann fanden sie noch etwas. Im Rumpf machten sie eine Entdeckung, die selbst abge härtete Krieger wie sie zu Tode erschreckte. Es war so un geheuerlich, so teuflisch, daß sie den Rumpf der B-58 fluchtartig verließen, als säße ihnen der Satan im Nacken. Weil sie kaum ein Wort sprachen, fragte der Major: „He, was ist los, Leute. Was hat euch die Sprache ve r schlagen?“ Nur einer von ihnen fand Worte. Der zweite Pilot, Captain Dudley. „Daisy-Cutter“, murmelte er, „die Gänseblümchensense.“ „Welche?“ fragte der Major trocken im Hals. „Die größte Nummer.“ Der Major behielt, unter der Wirkung der schmerzstillen den Spritze, als einziger klaren Kopf. „Keine Panik, Männer“, sagte er, „wir müssen nur ve r dammt schnell zusehen, daß wir von dieser Höllenecke wegkommen, bevor die Sense zu mähen beginnt.“ 14
Als die Sonne aufging, trieben sie schon weit draußen im Golf von Kontschunchina, wo sie gegen Mittag Suchflug zeuge der Navy fanden und aus dem Bach fischten. * Als ihnen der Vertrag mit Hanoi die Chance bot, Südviet nam zu räumen, hatten die Amerikaner sieben Millionen Tonnen Bomben über Indochina abgeworfen. Dreieinhalb mal soviel wie im zweiten Weltkrieg vom Himmel fielen. Sechzigtausend GI’s waren gefallen, eine Million Vietna mesen war umgekommen, sechs Millionen verloren ihre Heimat und befanden sich auf der Flucht zwischen den Fronten. Ein Viertel des Tropenwaldes war von Bomben und Gra naten zerfetzt oder durch Dioxin-Entlaubungsgifte zerstört. Mehr als die Hälfte aller Dörfer war in Flammen aufgegan gen. Die Frage nach dem Sinn dieses verlorenen Krieges und danach, welcher Wahnsinnige die Schuld trug, daß die Frei heit der Welt angeblich am Mekong verteidigt werden muß te, konnte niemand beantworten. Bald wandte sich das öffentliche Interesse anderen Dingen zu. Nur ein Mann vergaß sein letztes Abenteuer in Vietnam nicht. Er erinnerte sich jeder Einzelheit. Sechs Jahre später benutzte er sein Wissen mit aller Vorsicht zu einem Millio nen-Dollar-Geschäft.
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2.
Durch die schummrigen Altstadtgassen von Rijeka hasteten die Menschen in der frühen Dunkelheit. Sie gingen vorbei an Läden voll Krimskrams, an den Re staurants mit den glotzäugigen Fischen im Fenster. Sie eilten durch Torbögen über Piazzi, die Treppen hinab zu den Kais, wo der adriatische Regenwind vom Meer kommend zum Angriff blies. Das blonde Mädchen im schwarzen Ledermantel suchte, Hände tief in den Taschen, nach einer Zigarette. Weil eine Bö die Gasflamme löschte, brannte sie erst beim zweiten Versuch. Die Zigarette in der hohlen Hand versteckt, eilte das Mäd chen weiter, überquerte in Höhe der Reedereibüros die Stra ßenbahngleise und blieb unter einer Laterne, etwa achtzig Meter vom Fährschiff der Istria-Linie entfernt, stehen. Auf dem Weg vom Bus hierher hatte sich die junge Frau immer wieder vergewissert, ob ihr auch niemand folgte. Jetzt schaute sie auf die Uhr. Nachdem sie die Zigarette zu Ende geraucht hatte, tat sie es abermals. Langsam schlenderte sie im Regen auf und ab. Der Wind blähte ihren Mantel und wehte durch ihr Haar. Ihre Bewe gungen verrieten verhaltene Unruhe. Nach fünf Minuten etwa verließ sie den Platz nahe der Bogenlampe und ging den Kai hinauf, wo die Frachter lagen. Dabei blickte sie immer wieder zurück. Auf dem Platz, auf den Straßen rings um mochten sich vielleicht hundert Me nschen aufhalten. Die einen warteten auf die Straßenbahn, andere tätigten rasche Einkäufe, wieder andere bummelten nur vorbei. Für eine Frau, die gejagt wurde, kam jeder Mensch außerhalb ihres Kreises als Verfolger in Betracht. War unter all diesen Leu ten vielleicht der lange Schatten, der bald seine Hand auf ihre Schulter legen und sagen wü rde: Clivia, Sie sind verhaftet! Leisten Sie keinen Widerstand, sonst mache ich von der Schußwaffe Gebrauch. 16
„Clivia“, rief eine gedämpfte Männerstimme. Sie fuhr herum, die Hand an der entsicherten Pistole. No t falls hätte sie auch durch das Nappaleder des Mantels gefeu ert. Im letzten Moment erkannte sie den jungen Mann. Er trug die Uniform eines Schiffsoffiziers und darüber einen blauen Nylonregenmantel. Clivias Sehnen entspannten sich. Die verkrampfte Musku latur wurde locker. „Mein Bruder“, rief sie erleichtert. Sie umarmte ihn. Nicht stürmisch, mehr wie einen Kame raden. Dann löste sie sich wieder von dem Mann. Sie hakte sich bei ihm unter. „Wie geht es dir?“ fragte sie. „Wie einem, der dem Henker vom Schafott sprang“, sagte der Mann. „Und wie sieht es bei dir aus?“ „Der erste Tag in der wiedergewonnenen Freiheit war schlimm. Dann kam ich rasch auf die Beine. Dank der Hilfe guter Freunde.“ Den Wind im Rücken gingen sie auf den Park zu. „Was wirst du jetzt tun?“ fragte der Mann, der als Schiffs offizier untergetaucht war. „Hängt von der Aufgabe ab, die man für mich hat.“ „Wie wäre es mit Kurierdienst?“ erkundigte sich der Mann. „Wohin?“ „Nahost. Am besten bleibst du auch für eine Weile dort.“ „Erzähl mir, wie ist die Lage?“ „Nicht hier“, entschied der Mann mit einem Blick hinauf zu den Bäumen, als würden überall Mikrofone hängen. „Es gibt ein Cafe in der Nähe. Ziemlich besetzt um diese Zeit. Und laut. Eine kroatische Band macht Musik. Dort gehn wir hin.“ „Ich kann einen Tee gebrauchen“, gestand Clivia Camber land. 17
Sie ist wie ein junger Baum, dachte der Geheimagent, der Clivia Camberland verfolgte. Wie ein Baum ist sie, der krumm wächst und deshalb gefällt werden muß. Einmal wird die Axt kommen und ihn umschlagen. – Das weiß sie. Sie weiß nur nicht, wann die Axt sie trifft. Bob Urban ging hinter einer serbischen Zeitung, die er nicht lesen konnte, in Deckung. Er beobachtete Clivia in ihrer Nervosität. Er sah, wie ein Seeoffizier des Fährschiffs auf sie zuging. Ihrer Begrüßung entnahm er, daß sie sich gut kannten. Einhändig fotografierte er das Paar. Seine winzige PocketKamera hatte ein Zoomobjektiv und war mit SupernightFilm geladen. Der brachte auch noch ein erlöschendes Glühwürmchen im Stockdunkeln zum leuchten. Urban schoß eine Reihe von Aufnahmen. Der Kameramo tor zog zwei Bilder pro Sekunde durch. Beim letztenmal erwischte er das Paar unter der Laterne, als es in den Park einbog. Urban steckte die Kamera weg und folgte den beiden. Bei den Arkaden verschwanden sie in einem Café. Das Café war voll Licht, voller Menschen, Rauch und Lärm. Im Regen stehend sah er sie drinnen Platz nehmen. Sie steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Er hätte viel dafür gegeben, Zeuge dieses Gespräches zu sein. Aber leider führte kein Weg dorthin. Als der Kellner für Clivia heißen Tee und für den Mann Prepecenica brachte, verließ Bob Urban seine Beobach tungsposition. Zwei Straßen weiter in der Ruz Veltrova stand sein BMW. Er stieg ein. Bevor er anließ, überlegte er, ob er noch et was tun konnte, ob wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft waren. Nein, mehr war hier nicht zu holen, auch wenn er sich da bei einen abbrach. Urban rangierte den 633 CSi aus der Parklücke und fuhr langsam aus der Stadt hinaus, am Meer entlang, die zehn Kilometer nach Opatija. 18
Er litt weder an einer Erkrankung der Blutgefäße noch der Lunge. Er war, abgesehen von einigen Kampfblesuren, kerngesund. Was ihn in den weltbekannten Kurort an den Ufern der Kvarner Bucht verschlagen hatte, war ein anderes Kapitel dieser merkwürdigen Geschichte. In Opatija regnete es nicht mehr. Urban stellte das Sport coupe auf den Ambassador-Parkplatz und begab sich auf sein Zimmer. Den nassen Burberry Trenchcoat hängte er über den Bü gel. Die Slipper rieb er trocken. Nach dem Duschen bestellte er telefonisch Abendessen. „Wie gestern“, sagte er. „Der Fisch war vorzüglich. Brin gen Sie eine kalte Flasche weißen Zilavka dazu. Aber das Ganze erst nach 22 Uhr.“ Jetzt ging es auf halbacht. In zweieinhalb Stunden würde es genau passen. Nackt streckte er sich unter das Laken. Dann löschte er alle Lichter bis auf die Nachttischlampe auf der Fensterseite des breiten Bettes. Entspannt schlief Bob Urban, Agent des Bundesnachrich tendienstes mit der Codenummer 18, ein. Gegen 21 Uhr erwachte er von einem Geräusch, das nicht in die Palette von Hotelzimmergeräuschen paßte. Die Apartmenttür wurde geöffnet, leise und überaus vor sichtig. Das Zuschnappen vernahm er kaum. Im Dunkeln hantierte jemand im Entree, ging dann, ohne Licht zu ma chen, ins Badezimmer, benutzte das WC, wusch sich die Hände und kam herein. Urban war jetzt völlig wach und sprungbereit wie immer. Die Deckenlampe flammte auf. Vor ihm stand eine sehr hübsche blonde Frau, Mitte Zwanzig, mit schmalem Gesicht und veilchenblauen Augen, dunklen Brauenbögen und ei nem sinnlichen Mund. „Schon im Bett?“ stellte Clivia Camberland erstaunt fest „Ich hatte Langewe ile“, log er, „ohne dich.“ Ihre linke Braue zuckte. 19
„Oder gingst du zu Bett, um vor mir zu verbergen, daß du ausgegangen warst?“ „Wo bist du solange gewesen?“ fragte er. „Du weißt, daß ich frei sein will.“ „Ich machte mir Sorgen.“ Sie lachte hell auf. „Um mich? Unnötig. Du weißt, wie unnötig das ist. – Der Motor deines Wagens ist noch warm. Wie kommt das?“ Urban richtete sich im Bett auf. Das Laken glitt bis zum Nabel hinab. Er steckte sich eine MC an. „Ich fuhr so herum.“ „Einfach nur so?“ „Okay, ich habe dich gesucht“ Sie schien ihm nicht zu glauben. „Warum ist dein Trenchcoat naß?“ „Es fiel ein wenig Wasser vom Himmel.“ „In Opatija hat es nicht geregnet Die Straßen dort sind trocken.“ Er brauchte eine halbe Sekunde, dann hatte er gesehen, daß ihr Haar und ihre Schuhe ebenfalls feucht waren. „Dich hat’s ja auch erwischt. Oder hast du im Springbrun nen gebadet?“ „Du spionierst mir nach“, zischte sie und begann das Haar zu bürsten. Er gab seiner Stimme einen beruhigenden Ausdruck. „Hör zu, Mädchen“, erklärte er. „Ich habe wirklich andere Sorgen. Ich bin losgefahren, weil ich zu Haus Ärger hatte, in der Firma und mit meiner Frau. Bin also verdammt wenig scharf auf neue Probleme. Wir haben uns versprochen, daß wir uns nicht auf die Nerven gehen wollen. So soll es bitte bleiben.“ Clivia schluckte es, aber nicht restlos. „Warum ist der Mantel feucht?“ wollte sie wissen. „Ich fuhr ein Stück rauf in die Ucka-Berge, rannte dort durch den Wald. War aber auch nicht die Offenbarung.“ Jetzt lächelte sie endlich. 20
„Wann gibt es was zu futtern?“ „Ist schon bestellt. Für zehn Uhr. Aufs Zimmer.“ „Noch eine Stunde Zeit, also?“ „Zeit genug“, sagte er. In diesem Punkt verstanden sie sich auch ohne viele Wo r te. In diesem Punkt harmonierten sie seit der ersten Nacht prächtig. Clivia Camberland, die Engländerin mit dem Hamburger Akzent, löste den Gürtel, schlüpfte aus dem Rock und aus dem Pullover, Büstenhalter trug sie keinen. War auch nicht nötig bei den festen kleinen Dingern. Die Schuhe, das Hö schen, alles flog weg. Sie legte das ganze Panorama bloß. Und schon lag sie neben ihm unter der Decke. „Nicht, daß ich dich lieben würde“, flüsterte sie. „Es macht einfach Spaß“, sagte er. Er war heute nicht voll bei der Sache, doch gab er sich Mühe es zu verbergen, ehe sie es merkte. Immer wi eder mußte er daran denken, wie es angefangen hatte, vor vier Tagen in München. * Das graue Telefon auf seinem Schreibtisch im BNDHauptquartier hatte gesummt – Ein Gespräch aus dem Post netz also. Er hatte abgehoben. „Jahn.“ Die Stimme war ihm bekannt. „Jahn, Bundeskri minalamt, Abteilung Terroristenfahndung. Hast du Zeit, Bob?“ „Für Wichtiges nie.“ „Dann hör zu. Wir suchten seit zehn Monaten eine gewisse Lydia Thomson. Letzten Monat ging sie uns nach einer wüsten Schlägerei in Hamburg ins Netz. Sie kam per Schub nach Wiesbaden. Wir wollten Verhöre, Psychotests et cetera vornehmen und versprachen uns wertvolle Infos davon. Die Thomson soll eine große Nummer sein und bei den neuen Aktionen der Gruppe November-Panther mitmachen. Aber 21
dann paßt so ein Vollidiot zehn Sekunden lang nicht auf, und sie entwischt uns. Damentoilette, Fenster, Dachrinne, das Übliche.“ „Gratuliere“, sagte Urban. „Wem?“ fragte Jahn und fuhr fort: „Vor wenigen Tagen ist sie in der Münchner Abstauberszene aufgetaucht. Mit neuen Papieren, ‘ner Masse Geld, neuem Make up. Tarnname Clivia Camberland. Inzwischen hat sich auch unser Er kenntnisstand dahingehend erweitert, daß sie uns in Freiheit mehr nützt als im Kittchen. Wegen der Verbindungen, ve r stehst du, wegen der neuen Sache, die da groß angeleiert wird.“ Urban ahnte, worauf Jahn abzielte. „Ihr denkt, Urban, der Gigolo, könnte die Dame mal ab klopfen.“ „Sie hat Verbindung zu Jungfilmerkreisen.“ Die hatte Urban auch. Es gab ein paar Regisseure, denen er geholfen hatte und die ihm gerne einen Gegendienst er wiesen. Beim BKA war das offenbar bekannt. „Und sie sucht Anschluß“, machte Jahn weiter, „an ir gendeinen unauffälligen Typ. Denn ohne so was kommt sie nur schwerlich weiter.“ „Mal stop“, unterbrach Urban den Anrufer. „Inlandaktivi täten sind dem BND untersagt.“ „Wir übernehmen dich kurzfristig und pro forma in unsere Truppe. Außerdem strebt die Dame der Grenze zu, die sie nur mit einem seriösen Kavalier relativ sicher überschreiten kann. Jenseits der Grenze ist BND-Operationsgebiet, oder wie sehe ich das?“ „Richtig“, bestätigte Urban. „Wir sorgen dafür, daß man euch unbehelligt ausreisen läßt, wenn ihr erst mal ein Paar seid.“ „Na, fein“, sagte Urban. „Was für Perspektiven.“ „Aber spätestens heute nacht muß das laufen“, drängte Jahn. „Auf der Ebene von Chef zu Chef ist alles genehmigt.“ Nun erfuhr Urban nähere Einzelheiten. 22
Kaum war sein Gespräch mit dem BKA beendet, bat ihn sein Einsatzleiter, Oberst a.D. Sebastian, zu sich. Erst druckste er verlegen herum, klemmte das Monokel ein, schloß das Jackett über dem Bauch, dann gab er sich einen Ruck. „Also“, fing er an, „die Sache ist nicht ganz legal…“ „Ich weiß Bescheid“, antwortete Urban. * Der Aufriß erforderte soviel Zartgefühl wie die Herstellung eines filigranen Kunstwerks. Erst rief Urban Pit Neuner an, einen Jungfilmer und Anar cho-Sympathisanten, der ihm verpflichtet war. „Du bist ein geniales Talent“, sagte Urban, „sonst hätte ich dich nie mit einem Mäzen wie dem Bankier Hasselmann zusammengebracht.“ „Er finanziert meinen zweiten Film“, berichtete Pit, „Titel: Terzett. Ich melke Hasselmann wie eine Kuh.“ „Auch kein schlechter Titel“, bemerkte Urban und kam zur Sache. „Bring mich mit einer gewissen Clivia Camber land zusammen.“ „Schauspielerin?“ „Terroristin.“ „Nie gehört.“ „Zeig deine Kunst im Arrangieren“, bat ihn Urban. Der Regisseur wollte für ihn herumhorchen und sich wi e der rühren. Er meldete sich gegen Abend. Die Auskunft klang nicht gut „Es ist völlig aussichtslos. Sie wohnt bei einer Freundin in Harlaching, einer Studentin der Politologie. Sie ist scheu wie ein krankes Reh und verläßt die Bude nicht.“ „Versuch es trotzdem.“ „Hat keinen Sinn, Mann.“ „Auf was wartet sie? Die wartet doch auf etwas. Wer war tet, hat Langeweile. Also, Versuchs.“ 23
Um 23 Uhr rief Pit Neuner wieder an. „Bei Slonner läuft eine Fete. Vielleicht kommt sie.“ „Ich bin da.“ Urban ließ alles weg, was sein gewohntes Äußeres aus machte. Die Maßhemden aus Paris, den Glencheck aus der Saville-Row, die Slipper aus Mailand. Er ging in Jeans, TShirt und abgewetzter Lederjacke hin. Als er die Schwabinger Atelierwohnung betrat, gab Pit ihm ein Zeichen. „Fehlanzeige.“ Urban schaute sich um. „Dort hinten sitzt sie doch.“ „Du kennst sie?“ tat Pit erstaunt „Nur vom Fahndungsfoto.“ Behutsam pirschte er sich an sie heran. Es war schwer, weil sie hinter jedem Fremden einen Bullen vermutete. De s halb quatschte er nicht Clivia, sondern ihre Freundin an. Urban spielte den ausgeflippten Manager, der alles satt hat te. Die Fabrik, die Familie, den Golfclub, das Boot am Starnberger See, das Privatflugzeug in Riem. Er sagte, mo r gen ginge er los. Irgendwo hin. Später diskutierte er mit anderen, schwofte, trank, betrank sich. Hinten sah er Clivia mit ihrer Freundin flüstern. Plötzlich saß die Politologiestudentin neben ihm. „Meine Schwester“, meinte sie, „die Blonde dort, wäre das nichts für dich?“ „Frauen machen Probleme“, winkte er ab. „Sie nicht. Ist auch auf dem Trip.“ „Wohin?“ „Erst mal raus aus unserer beschissenen Republik. Italien, Dalmatien, Ägäis.“ „Dann sag ihr, ich wünsche ihr gute Reise.“ Sein Verhalten wirkte. Außerdem hatte Jahn vom BKA recht, Clivia suchte einen Reisebegleiter, weil man zu zweit leichter herauskam. Es dauerte nicht lang, dann war sie da. Sie hockte sich ne 24
ben ihn auf den Boden, mit einem Glas Rotwein in der Hand. „Ich heiße Clivia.“ „Sag Bob zu mir.“ Sie sprach hamburgerisch mit britischem Akzent „Engländerin?“ „Clivia Camberland, aber nicht mit der schottischen Dyna stie verwandt.“ „Ist das die mit dem Dudelsack?“ fragte er grinsend. Die Fete lief bis um vier Uhr morgens. Um acht Uhr saß Clivia in seinem BMW. Sie fuhren ge meinsam nach Süden. Bei der Grenzpolizei in Kufstein kamen sie ohne Schwierigkeiten durch. Ein Stück abseits vom Rastplatz bei Kitzbühel, in den Gin sterbüschen, schliefen sie zum ersten Mal miteinander. Sie war ausgehungert nach Liebe und Freiheit. * Bob Urban erwachte von der Hitze im Raum und weil sich das Niveau der Matratze verändert hatte. Er hörte Clivia nicht mehr atmen. Im Dunkeln tastete er nach links. Die Wärme ihres Kö r pers war noch zu spüren, aber er war nicht mehr vorhanden. Er schaute auf die Uhr. Die Leuchtzeiger der Rolex zeig ten fünf Uhr. Zeit der Dämmerung. Er legte sich auf den Rücken. Die Arme unter dem Nacken verschränkt, dachte er über alles nach. Jeder andere hätte diese Tage mit einer schönen Frau im Süden als einen prima Job bezeichnet. Sein Dienst bezahlte alle Spesen. Gefahr bestand für ihn so lange nicht, wie seine Tarnung hielt. Wenn sie Löcher bekam, dann allerdings änderte sich das. Die Anarcho-Damen schossen schnell. Aber sein Herz war leer bei alledem. Es wurde immer lee rer für diese Art von Arbeit. Er kam sich vor wie ein Domp teur, der stets vor den unerwarteten Prankenhieben einer 25
Raubkatze auf der Hut sein mußte und in ihren Augen zu lesen versuchte, wann sie zuschlagen würde. Aber ihre Au gen waren unergründlich. Sie zeigten nicht, was sie dachte. Keine Reaktion war aus Ihnen abzulesen. Was, so fragte er sich, hat Clivia mit diesem Schiffsoffi zier in Rijeka gesprochen. Was hecken sie aus, was sind ihre nächsten Pläne. Er mußte es herausfinden, um einen Stein für das Mosaik zu liefern, für jenes gigantische Puzzle über das ständig wechselnde Bild der Terror-Szene, an dem das BKA Tag und Nacht arbeitete. Urban stand auf und öffnete die Vorhänge. Graues Licht drang herein. Er sah Clivia nicht. Sie war auch nicht im Badezimmer. Er steckte sich eine Zigarette an. Auf einmal kam sie, angekleidet und frisiert. Sie hatte einen flachen roten Kasten in der Hand. „Schreibmaschine“, sagte sie. „Gekauft?“ „Vom Hotel. Geliehen.“ Sie wirkte immer wie auf der Lauer. Sie paßte höllisch auf, was sie sagte und was sie tat „Deine Memoiren schreiben?“ fragte er spöttisch. „Nur meiner Mutter.“ „Geht das nicht besser mit der Hand?“ „Meine fürchterliche Klaue kann niemand lesen.“ Sie setzte die Maschine auf den Tisch, nahm sie aber wi e der weg. „Ich hab’s nicht gern“, gestand sie, „wenn man mir dabei über die Schulter schaut. Ich schreibe im Badezimmer.“ „Ziemlich unbequem dort.“ „Das Ding ist leicht, ich nehme es auf die Knie.“ Er nickte verständnisvoll und spielte den lieben Jungen. „Ich bade solange. Dreißig Minuten mit Haarwäsche. Ge nügt das?“ „Nett von dir.“ „Gar nicht nett“, sagte er, „ich hab’s nötig.“ Er wühlte in seinem Koffer, holte eine frische Packung 26
Zigaretten heraus und steckte sich eine davon mit dem schweren Gasfeuerzeug an. Das Feuerzeug legte er auf das Sidebord. Im Bad ließ er das Wasser ein. Über das Rauschen hinweg hörte er die Schreibmaschine. Sofort stellte er den Wasser zulauf schwächer, damit er das Hämmern der Maschine nicht störte und der Anschlag jedes einzelnen Typenhebels vom Tonbandgerät im Feuerzeug so genau wie möglich registriert werden konnte. Urban badete ausgiebig. Nach einer halben Stunde, als er wieder zu Clivia kam, war sie fertig. „Und was steht im Brief?“ wollte er wissen. „Keine Ahnung. Ist schon im Umschlag und zugeklebt.“ Der Brief lag neben seinem Feuerzeug. Er nahm ihn. Das Kuvert trug weder Briefmarke noch Adresse. Daß sie ihren Absender wegließ, leuchtete zur Not ein. Clivia riß ihm den Brief aus den Fingern. „Ich bringe ihn weg.“ „Die Post ist noch zu.“ „Ich werfe ihn nur in den Kasten.“ „Ohne Marke?“ „Die bekomme ich vom Portier.“ Sie zog die eleganten Stiefel an, schlüpfte in den Nappa mantel, setzte das Kopftuch auf, nahm ihre Tasche und den Brief. Beim Gehen küßte sie ihn flüchtig. „Bis dann“, sagte sie. Sie war schon im Flur, als sie noch einmal zurückkam. „Die Schreibmaschine.“ „Ich bringe sie schon runter“, versprach er. Clivia lächelte und war draußen. Urban schloß hinter ihr ab, wartete, bis die Lifttür ging und sie hinabfuhr. Dann öffnete er den Schreibmaschine n koffer, schaltete den Minirecorder im Gasfeuerzeug wieder ein und schrieb in rascher Folge mehrmals das ganze Alpha bet der Tastatur herunter. 27
Später lieferte er die Maschine im Hotelsekretariat ab und ging frühstücken. Die Sonne kam heraus. Clivia kam nicht. Sie läßt sich Zeit, dachte er. Er begann, sie zu suchen, fand sie weder auf dem kilome terlangen gewundenen Spazierweg am Meer, noch in einem der Cafes. Als er wieder im Hotel war, nahm er einen Drink. Es wur de Mittag. Vermutlich macht sie wieder einen Trip nach Rijeka, dachte er. Er rief München an und vereinbarte einen Termin für die Überspielung der Tonbandaufzeichnung. Einmal hörte er Schritte. Jemand kam in sein Apartment – Nur das Zimmermädchen. Es wurde Nachmittag und Abend. Um 20 Uhr kam der Anruf aus München. Alles war bereit für die Tonübertra gung. Sie erfolgte, zur Sicherheit und zur Ausschaltung von Übermittlungsgeräuschen, dreimal. Eine Angelegenheit von zehn Minuten. Urban ging zum Essen hinunter. Um 23 Uhr war Clivia noch nicht da. Allmählich machte sich Urban mit dem Gedanken vertraut, daß sie nicht mehr zurückkehrte. Ihr Instinkt war mindestens so fein entwickelt wie der seine. Sie hatte gespürt, daß er nicht ganz echt war, daß Gefahr von ihm ausging, und sie hatte die Konsequen zen gezogen. Kurz gesagt, sie war ihm entwischt. Das BKA hatte zuviel von ihm erwartet. Aber Erfolgsgarantien gab es nie in diesem Geschäft. * Am Morgen, als er schon seine Rechnung bezahlt hatte und die Reisetasche packte, rief München an. „Dran bleiben an der Dame“, forderte Sebastian. „Mit al len Mitteln.“ 28
„Bedaure, sie ist in irgendeiner Versenkung verschwun den.“ Der Alte fluchte. „Verdammt, das ist ein Fall und keine Ausstattungsoperet te.“ „Für mich war es eine“, entgegnete Urban. „Die Rolle des ausgeflippten Managers und Ehemannes paßt für Tenöre, aber nicht für Agenten.“ „Sehen Sie zu, daß Sie die Camberland wieder ein fangen.“ „Bin ich etwa beim BKA?“ „Der Fall wurde gestern nacht auf Geheimdienstebene ka tapultiert.“ Urban hätte gerne erfahren warum. „Ich verbinde Sie mit der technischen Abteilung“, sagte der Oberst. Es dauerte nur kurz, dann war einer der ElectronicIngenieure im Draht. „Die Aufzeichnung der Schreibmaschinengeräusche war Spitze“, erklärte der Experte. „Anhand deiner nachvollzoge nen Anschläge in alphabetischer Reihenfolge fertigten wir erst einmal optische Frequenzbilder jedes einzelnen Buch stabens an. Mit diesen unverwechselbaren Tonabdrücken glichen wir die Magnetstaubilder jener Tipvorgänge ab, aus denen sich der Brief zusammensetzte.“ „Ans liebe Mütterlein.“ „Wohl mehr an die Zentralleitstelle ihrer Organisation.“ Der November-Panther, überlegte Urban und fühlte sich erleichtert, weil es ihnen doch noch gelungen war, wenig stens einen Schritt weiterzukommen. „Wir rekonstruierten den Text. Es kostete uns eine lange Nacht, aber jetzt haben wir ihn.“ „Und wie lauter er?“ „Ich gebe zurück an Oper I“, sagte der Mann von der Ab teilung für elektronische Aufklärung. Oberst i.G.a.D. Sebastian war wieder dran. 29
„Sie haben es geschafft“, sagte er, „unsere tüchtigen Tech niker.“ Daß Urban das Basismaterial dazu geliefert hatte, blieb unerwähnt. Aber das war in diesem Laden ein Prinzip. Nie Lob, niemals Anerkennung zollen, möglichst Ausspielen der Abteilungen gegeneinander und Hochjubeln jeder noch so geringfügigen Panne. „Den Text“, bat Urban knapp. „Kurzfassung“, las der Alte vor. „Clivia an NP. Kriegs vorbereitungen von I. von J. und L. laufen an. Aufmarsch der Truppen vor dem Abschluß. Ist aber nur Ablenkung. Geheimplan sieht andere wirksamere Mittel vor. Endziel im Herbst Totalvernichtung.“ Urban dachte so intensiv nach, daß er sich beim Zupfen der Brauen ertappte. „I steht für Irak.“ „J für Jordanien und L für Libyen.“ „Wenn die aufmarschieren, dann nur gegen einen. Gegen Israel.“ „Die arabische Liga formiert sich nach ihrem Auszug aus Kairo neu.“ „Angeblich nur zur Ablenkung, wie es in dem Schrieb heißt.“ „Das ist der Punkt, wo es bei uns aushakt“, gestand Seba stian. „Wir sind uns nicht klar darüber, ob es sich um eine verklausulierte Tarnung handelt, um einen vereinbarten Code, oder ob etwa das Gegenteil der Wahrheit entspricht.“ „Dann wäre der ganze Brief verschlüsselt“, lautete Urbans Meinung. „Speziell der Hinweis auf die Länder I, J und L.“ „Mag sein“, der Alte zögerte, „wenn der Brief aber ernst zu nehmen ist, zwingt er uns eine Reihe von Verpflichtun gen auf.“ „In erster Linie die der Warnung.“ „Jemand muß den Kollegen vom MOSSAD in Tel Aviv eine Information zuspielen. Die Worte Geheimplan, wirk 30
samere Mittel, Totalvernichtung im Herbst, das klingt nicht gerade freundlich.“ „Bisher war es so“, wandte Urban ein, „daß, wenn wir ei nen einzelnen Takt hatten, der israelische Geheimdienst schon die ganze Melodie kannte.“ „Das muß nicht die Regel sein. Und deshalb…“ Sebastian sprach nicht weiter. Urban wußte ohnehin, was kam. „Keiner blamiert sich gern“, meinte Urban. „Sie haben es erfaßt. Wir können nur geprüfte Fakten we i tergeben. Wenn wir den MOSSAD warnen, muß das Hand und Fuß haben. Wie das zu ermöglichen ist, brauche ich Ihnen nicht zu erläutern.“ „Ich bitte trotzdem darum“, sagte Urban. „Finden Sie diese Frau wieder. Im Moment stellt sie den einzigen roten Faden zu den November-Panthern dar.“ „Die spielen doch nur eine Nebenrolle.“ „Das geht auch aus unserer Analyse hervor. Terroristen, ganz gleich welcher Gruppe, sind nicht mächtig genug, um auf die angedrohte Weise gegen Israel vorzugehen. Aber sie sind zuverlässige Handlanger für die großen Drahtzieher im Hintergrund. Die müssen Sie finden.“ „Erst mal muß ich sie suchen.“ „Und dann hart zupacken.“ „Bitte nicht zu vergessen, wo ich mich befinde. Nämlich in Jugoslawien, in einem Staat also, in dem Neigung besteht, auf dem Gebiet der Terroristenfahndung eher lässig vorzu gehen. Wenn die Polizei hier die Wahl hat, einen Agenten des Westens oder eine Terroristin zu fassen, sperrt sie erst den Agenten ein.“ Der Alte wischte den Einwand weg. „Sie machen das nicht zum ersten Mal.“ „Jeder Fall hat einige absolut neue Elemente.“ „Dagegen hilft die Erfahrung. Ich bitte um Erfolgsme l dung binnen…“ 31
Du bist ja meschugge, du alter Knacker, dachte Urban. Bei dem Wort binnen hatte er aufgelegt. Fünf Minuten später war sein Gepäck im BMW verstaut. Unter der Windschutzscheibe war es noch einmal ziemlich heiß geworden, obwohl die Sonne um diese Jahreszeit nicht mehr viel Kraft hatte. Urban ließ an und trat dem Coupé in die Flanken. Er fuhr zweifellos zu hart. Es war der Ausdruck seiner Stimmung. Sie paßte nicht zu dem Land ringsum. Der Herbst hüllte Istrien in weiche Töne. Der Himmel war blaß, die Blätter vergilbten. Milde Tage zwischen dem hei ßen Sommer und dem eisigen Winter, der bald in den Be r gen Dalmatiens Einzug halten würde. In ihm war es schon lange so weit. Wut erzeugte Frost und Kälte. Er war voll Wut auf sich, auf die anderen, auf die ganze verkommene Scheißwelt. 3. Der Schnee, der über den Michigansee herein trieb und in die Straßenschluchten von Chicago fiel, fühlte sich an, als sei er hoch droben in Kanada entstanden. Gestern war noch Badewetter gewesen, heute bedeckten eiskalte Flocken den Strand: Was für ein Herbst. Russel Bennet hatte Sommerreifen auf seinem Chevrolet und kam mächtig ins Schwitzen, weil der Schnee auf dem Asphalt eine seifige Schmiere bildete. Schließlich erreichte er seine Arbeitsstätte in Whiting, sechs Meilen östlich der Stadt, mit nur vierzig Minuten Verspätung. Am besten wäre er an diesem Freitag gar nicht im Werk erschienen. Aber das wußte er erst eine Stunde später, als er bereits gefeuert war. „Gleich zum Vizepräsidenten!“ rief ihm die Sekretärin zu, als er das Konstruktionsbüro betrat. Er hängte seinen Mantel an den Haken, richtete sich Frisur und Krawatte und fuhr mit dem Lift hinauf. 32
Das Verwaltungsgebäude war sieben Stockwerke hoch. Verwaltungsgebäude gaben in der Regel einen Indikator für den Erfolg eines Unternehmens ab. Die Servo Motoring Corporation stellte Antriebsmaschinen für Geräte aller Art von drei bis dreihundert PS Leistung her. Hubkolbentrieb werke, Zwei- und Viertakter, aber auch kleine Verbren nungsturbinen und Heißluftmotoren. Die Umsätze waren in den letzten Jahren sprunghaft geklettert. Pro Jahr um vierzig Prozent. Die Welt hatte einen unstillbaren Bedarf an Not stromaggregaten, an Wasserpumpenmotoren, an Kleinflug zeugen, an Motorschlitten. Sein Chef empfing ihn wie der Blitz einen Blitzableiter. Er gab Russel Bennet keine Chance, sich zu verteidigen. „Ihr Hundert-Stunden-Vollgastest der neuen Rotationsko l benmaschine ging voll in den Ofen.“ „Vollgastest“, sagte der Ingenieur, „hat seinen Namen von Vollgas, Sir. Man will die Festigkeit unter extremen Bedin gungen prüfen.“ „Ich bin Ingenieur“, konterte sein Boß, „wollen Sie mich belehren?“ „Wir fuhren den Test am Freitag an, am Montag sollte er beendet sein, Sir.“ „Kein Grund, die Maschine über das Weekend unbeauf sichtigt zu lassen, Mister Bennet.“ „Alle Sensoren waren an den Computer angeschlossen.“ „Aber der Computer fiel aus, und das sündhaft teure, handgearbeitete Versuchsmodell verreckte wegen Ölman gels.“ Bennet korrigierte den Chef. „Nein, wegen Überdrehzahlen, Sir.“ „Sie verbessern mich schon wieder, Mister Bennet.“ „Ich stelle nur richtig, Sir.“ „Okay, also wegen Überdrehzahlen“, sagte der Manager. „Wenn Sie zur Stelle gewesen wären, wäre das nicht pas siert“ 33
„Es hätte trotzdem eintreten können, Sir. Drehzahlen überwacht der Computer.“ „Quatsch. Sie haben einfach kein Interesse.“ „Ich arbeite sechzig Stunden und werde für vierzig be zahlt, Sir“, wandte Bennet ein. „Und ich bleibe dabei. Sie vernachlässigen Ihre Sorgfalts pflicht“ „Der Computer ist Sache der Computerleute.“ „Der Firma entstand dadurch Millionenschaden.“ „Ich habe vor dem Einsatz der Steuercomputer bei Ve r suchsanlagen immer gewarnt“, verteidigte sich der Ingeni eur, „es gibt sogar eine Denkschrift darüber, Sir. Aber die Firma wollte Personalkosten einsparen. Jetzt haben wir den Salat.“ Der Vizepräsident wurde wütend. „Erdreisten Sie sich, Entscheidungen des Managements zu kritisieren?“ „Ich stelle nur richtig, Sir. Damals bei der Air Force wäre keiner auf den Gedanken gekommen, ein Serientriebwerk beim Testlauf dem Computer zu überlassen.“ Diese Bemerkung von Russel Bennet war ein kapitaler Fehler. Sie traf eine Wunde bei seinem Vorgesetzten, der wegen irgendeiner Krankheit nie hatte Soldat werden dür fen. Langsam stand er auf, schrie aber um so lauter: „Was geht mich die US Air Force an, Mister Leutnant Bordingenieur Russel Bennet. Ihre Zeit bei den B-52 ist solange her, an die erinnert sich schon längst keiner mehr. Was vor sieben Jahren gewesen ist, interessiert heute nie manden. Und schon gar nicht, daß Sie damals ein Held oder sonst was gewesen sind.“ „Die Panne ist nicht meine Schuld“, beharrte der stets blasse spitznasige Brillenträger Bennet. „Frech auch noch“, kombinierte der Manager, „das ist ja die Höhe.“ „Ich stelle nur richtig, Sir.“ Ein Wort gab das andere. Die Diskussion wurde heftiger. 34
Aber nicht Bennet trieb sie voran, sondern der technische Präsident, der seinen Neffen auf Bennets Posten haben woll te. Aber das wußte Bennet schon lange. Dann fiel das entscheidende Wort: „Fired, you are fired!“ Er war gefeuert Sofort und auf der Stelle. Entlassen. Frist los. * Laut Vertrag stand Bennet bei fristloser Kündigung Gehalt für den laufenden Monat zu. Nachdem er seinen Schreibtisch geräumt hatte, ging er zur Kasse, um die zweitausendachthundert Dollar, abzuholen. Die Buchhalterin saß vor dem offenen Safe. Im Safe lagen gut und gern zwanzigtausend Dollar. Doch sie zahlte nicht aus. „Kein Bargeld“, bedauerte sie. „Dann bitte einen Scheck.“ „Auch das geht nicht, Mister Bennet. Anweisung von oben. Tut mir leid!“ Russel Bennet telefonierte noch einmal mit dem Personal büro. Auf seine Beschwerde hin bekam er zur Antwort, daß sein Gehalt zur Abdeckung der Schadensersatzforderung der Firma gegen ihn einbehalten würde. „Die Versuchsabteilung ist doch versichert“, entgegnete er. „Die tritt nicht für Schäden ein, die durch nachweisbar schuldhaftes Verhalten entstehen“, hieß es. Bennet sah einen Berg von Prozessen auf sich zurollen und glaubte, daß es besser sei, zu verschwinden. Der offene Safe war nur zwei Armlängen von ihm entfernt und die Buchhalterin kein Hindernis. Mit einem Griff hätte er sich bedienen können. Aber er wäre nicht weit damit gekommen. Er faßte einen anderen Plan und ließ sich auf einen Stuhl fallen. 35
„Ist Ihnen nicht gut, Mister Bennet?“ fragte das ältere Fräulein mit dem Zwicker. „Kann ich einen Schluck zu trinken haben?“ Sie stand auf, schloß den Safe, legte den Schlüssel in die Schublade und verschwand für eine Minute. Als sie mit der Cola wiederkam, war Bennet verschwun den. Wenig später sah sie ihn über den Werkshof zu seinem Wagen gehen. Bennet wirkte müde und erschöpft. Dement sprechend war auch seine Fahrweise, mit der er den Chevi durch das Schneetreiben zum Fabriktor bewegte. Die Buchhalterin zog die Kassenschublade auf, nahm den Safeschlüssel heraus und öffnete den Tresor wieder. * Bei der Standard-Oil-Raffinerie bog Bennet auf dem High way ab und rollte nach Downtown. Der Schnee ging in Regen über. Man brauchte aber noch Licht. Es wollte nicht Tag werden. Bennet spürte wenig Lust, jetzt sein ungemütliches Apartment aufzusuchen. Wahrscheinlich hätte er sich aus Wut vollaufen lassen. Also machte er Besorgungen. Er parkte nahe der technischen Universität von Illinois. Da kannte er sich aus. Er hatte mehrere Semester dort studiert. In der 47. Straße hinter dem Fuller Park betrat er einen La den, wo man allen möglichen eisernen Kram kaufen konnte. Pfannen, Grillgeräte, aber auch Werkzeuge – und Schlüssel rohlinge. Russel Bennet wählte zwei Rohlinge nach Augenmaß aus, erstand ein Sortiment Feilen, einen kleinen Schraubstock und Schleifpapier. Mit dem Zeug in einer Plastiktüte ging er essen. Er ve r drückte einen Hamburger und ein Bier und setzte noch einen Gin drauf. Gegen Mittag war er zu Hause. Zwar spürte er noch immer ungeheure Wut über die Art 36
und Weise seines Rausschmisses, aber sein Vorhaben gab ihm Schwung. Er montierte den Schraubstock an den Küchentisch, holte vorsichtig den Kaugummiabdruck des Safeschlüssels heraus, nahm den passenden Rohling und begann mit der Ar beit. Mit Eisen umzugehen, mit Metallen, mit Stahl, das hatte er gelernt. Vom kleinen Farmersohn im finsteren Illinois hatte er sich hochgearbeitet. Durch Fleiß in der Schule, weil er jede freie Stunde an der Dorftankstelle Autos repariert hatte, und durch Fernstudium hatte er sich die Grundlagen ge schaffen. In bezug auf Eisen waren seine Hände wie die eines Kunsttöpfers. Was der aus Lehm zauberte, das brachte Be n net mit Eisen fertig. Er hatte als Modellbauer gearbeitet, hatte gespart, hatte seinen Maschinenbauingenieur gemacht, erlag aber bald den verlockenden Inseraten der US Air Force. Leider waren seine Augen nicht gut genug, um Pilot zu werden, doch für die technische Laufbahn reichten sie allemal. So war er Bordingenieur bei den Bombern geworden, beim SAG, dem strategischen Luftkommando, dessen alte B-52 man in Viet nam systematisch verheizte. Nach der Rückkehr aus Indochina nützten ihm seine Orden wenig. Er mußte von vorne anfangen wie Hunderttausende, die durch den Krieg den Anschluß verpaßt hatten. Eine eigene Modellbauwerkstatt florierte nicht. Mit Glück kam Bennet zur Servo Motoring. Doch weil ein anderer scharf auf den Posten war, hatten sie ihn heute gefeuert. Mit Grün den, die man an den Haaren herbeizog. Aber sein Gehalt, diese zweitausendachthundert Dollar, die würde er sich holen. Die standen ihm zu. Nach seinem Moralempfinden war es kein Raub, wenn er sich diesen Betrag aus der Firmenkasse nahm. Auf seine Hände war Verlaß wie immer. Binnen vier Stunden hatte er den Rohling zu einem Sternschlüssel zu rechtgefeilt, dessen Seiten nahtlos in die Kaugummiabdrük 37
ke paßten. Nun kam die letzte Feinheit. Mit Korundpapier beschliff er jene Stellen des Bartes, die sich bei längerem Gebrauch abzunutzen pflegten. Jetzt war der Nachschlüssel gebrauchsfertig. Russel Bennet war davon überzeugt, daß er so leicht sperr te wie das Original. * Er besaß noch den Plastikausweis, der ihm Tag und Nacht Zugang zum Motorenprüfstand erlaubte. Kurz nach 22 Uhr passierte er das Werkstor. Der Nacht portier, ein neuer Mann, kannte ihn nicht. Ein Blick auf den Ausweis, und Bennet durfte passieren. Um 22 Uhr 10 betrat er die Verwaltung durch den Verbin dungsgang zur Kantine. Die Tür zur Kasse stand offen. Die neue Alarmanlage sicherte nur die EDV-Abteilung und das Depot mit den Magnetspulen. Ohne Licht zu machen, tastete sich Bennet an den Kassen safe heran. Der Schlüssel ging hinein wie gebuttert. Erst als der Safe offen war, knipste er die Lampe an. Er brauchte sie zum Abzählen seiner 2865 Dollar. Da fuhr ihm der Schreck dermaßen in die Glieder, daß ihm übel wurde. Was im Safe lag, war mindestens eine Million in großen Scheinen. Vermutlich brauchten sie das Geld für irgendeine Transaktion, für ein Geschäft, das nicht mit Bankscheck oder Überweisung abzuwickeln war. Für ir gendeine halbseidene Sache also. Bennet wußte, daß in diesem Laden eine Menge illegaler Sachen gedreht wurden. Zum Beispiel mit Lizenzen und Patenten, an die man nur über Werkspionage herankam, aber auch mit Konstruktionen anderer Firmen, die man leicht abänderte und dann als Eigenentwicklung vorstellte. Solche Dinge liefen nicht durch die Bücher. Dazu benötigte man schwarzes Geld, das man sich über Verkäufe ohne Fakturen beschaffte. 38
Die Wut kam Bennet wieder hoch. Diese Ganoven über traten jedes Gesetz, wie es ihnen paßte. Und wie sie das Gesetz mißachteten, genau so setzten sie sich über die Rech te ihrer Angestellten hinweg. Angesichts dieser Dollarpakete verließ ihn sein sonst so logisch arbeitender Verstand. Wie in Trance, wie in einem Rausch packte er das ganze Papiergeld in einen herumste henden Karton. Bis auf den letzten Schein räumte er den Safe aus. Alles andere, die Pläne, die Konstruktionsskizzen, ließ er unberührt. Der Karton wog gut vierzig Pfund, als er den Safe schloß und durch die Dunkelheit hinausschlich. Bennet packte den Karton in den Kofferraum des Chevi, drückte ihn zu und verließ um 22 Uhr 35 wieder das Werksgelände. Eines war ihm jetzt klar. Nach Hause fahren konnte er mit dieser Banknotenladung nicht mehr. In Gary tankte er voll. Dann nahm er die Westautobahn unter die Räder. Davenport in Iowa erreichte er nach vier Stunden. Mit Kaffee hielt er durch bis Omaha am Missouri. In der Phase starker Ermüdung hatte er einige Momente von seltener Klarheit. Er analysierte seine Lage und entwi k kelte einen präzisen Plan, den er auch durchhielt. Bei einem Altwarenhändler erstand er einen abgeschabten, aber stabilen Lederkoffer. In den packte er die Beute um. In einem kleinen Hotel schlief er bis zum Nachmittag. Dann kaufte er einen 77er Pontiac, der nur 9000 Meilen am Tacho hatte. Seinen alten Chevi stellte er ohne Kennzeichen auf einen Schrottplatz. Die ganze Nacht hindurch fuhr er nach Süden. Vor Kansas City mietete er ein Hotelzimmer. Im Radio brachten sie noch nichts von dem Geldraub. Vielleicht stand etwas in den Sonntagszeitungen. Doch da fand er auch keine Zeile. Nicht einmal in der Chi cago Tribüne. Einen Tag später war er schon in Louisiana. Es wurde wieder wärmer. Hier war noch Sommer. 39
Drüben auf der anderen Mississippiseite, in New Orleans, verkaufte er den Pontiac und erwarb einen Ford Bronco. Zweimaliger Wagenwechsel, so hoffte er, würde genügen, um seine Spur zu löschen. Außerdem trug er jetzt eine neue Brille. Um Kinn und Oberlippe hatte er sich seit Chicago nicht mehr rasiert. Der Bart sah schon recht ordentlich aus. Bennets drängendstes Problem war jetzt, wie er das Geld in Sicherheit brachte. Man konnte nicht ständig mit zwei Millionen Dollar durch die Gegend fahren. Soviel waren ihm nämlich in die Hände gefallen. Er dachte daran, in Florida ein Bankschließfach zu mieten, hatte aber zu wenig Erfahrung im Umgang mit Banken und fürchtete, sich zu verraten. Dann kam diese Nachricht der Biloxi-Radiostation. „Hallo Freaks“, gab der angekiffte Diskjockey durch. „In Chicago ist letztes Weekend ein tolles Ding gelaufen. Eine bei den Bullen stadtbekannte Gang wetzte die Messer zu einem großen Coup. Ging um zwei Millionen in bar. Bucks, versteht sich. Schöne grüne Scheinchen von Mutter Staats druckerei. Die Bande wollte den Safe einer Motorenfabrik ausnehmen. Die Typen trabten also nächstens an. Diamant säge im Koffer. Die Bullen brav hinterher. Als unsere Spe zialisten hinkommen und nach ihnen die Bullen, kriegen sie alle mächtig eckige Fenster. Der Safemann war nämlich leer. Ausgeräumt von einem Zuvorkommling. Aber perfetto, mit Nachschlüssel und weißem Brauthandschuh. – Großes Rätselraten. Keiner will es gewesen sein. Die Bande ist sauer, die Polizei ist topsauer, ganz supersauer ist der Fir menboß. – Ja, wer sagt’s denn immer. Money gehört eben in den Sparstrumpf und nicht in den eisernen Kasten. Jetzt läuft die große Jagd nach dem flinken Unbekannten. – Well, und weiter geht’s für uns mit den Billy-Willeys-Safe-Singers und ihrer schwarzen Scheibe vom Hot Dollar in the Night. Let’s go, Baby!“ Bennet schaltete das Radio ab. 40
Nie im Leben hätte sich Russel Bennet träumen lassen, daß es so schwer sei, mit viel Geld sorglos zu leben und einen Koffer voll Dollars auf eine Weise loszuwerden, daß er sicher lag und man jederzeit Zugriff zu seinem Inhalt hatte. Schließlich hielt er sich an Rothschilds Rat. Man muß Vermögen stets aufteilen, lautete der Grundsatz des franzö sischen Bankiers. Bennet eröffnete in vier Städten Floridas auf vier ver schiedenen Banken Konten von je 75000 Dollar. Dann kauf te er Gold, Barren und Krüger-Rand-Münzen für neunzig tausend Dollar und legte sie in ein Schließfach. Beim zwe i ten Besuch praktizierte er noch ein Paket mit dreihundert tausend Dollar in das Fach. In West-Palm-Beach kaufte er einen Bungalow für sieb zigtausend Dollar und bezog ihn für eine Woche. Dies aber nur, um nachts eine Million Dollar, gestopft in Gurkenglä sern, im Garten zu vergraben. Er buddelte sie unter den Weg und legte die Platten feinsäuberlich wieder darüber. Noch immer lasteten zweihunderttausend Dollar, auf sei nem Gemüt. Dazu kam, daß ein Mann sein Haus beobachte te. Kein Zweifel, es war immer derselbe Bursche, obwohl er sich um Tarnung bemühte. Er fuhr einen 76-Buick mit Georgia-Nummer. Bennet fühlte sich beschattet und verfolgt. Eines Nachts verließ er sein Haus. Den Wagen ließ er in der Garage. Er lief vor bis zum Supermarket, erwischte ein Taxi, nahm in der City ein anderes und löste ein Ticket für den Bus nach Key-West, wo er das Fährschiff nach Kap Säble bestieg. Von dort flog er nach Nassau auf die Baha mas. Schon einen Tag später flog er auf die Azoren, dann weiter nach Paris. Ohne Aufenthalt nahm er den Schnellzug nach Biarritz. Dort mietete er sich im Gulf-Placa-Hotel unter anderem Namen ein. Drei Tage lang fühlte er sich einigermaßen sicher. Dann kam ihm eine englische Zeitung mit einem Bericht über die 41
modernen Fahndungsmethoden der Interpol in die Finger. Von da ab lebte Bennet wieder in Unruhe. Angeblich gab es für einen Nichtprofi kaum Chancen, dem Zugriff der internationalen Polizeiorganisation zu entgehen, wohin auf dem Erdball er sich auch begab. Es sei denn, er hatte sein Abtauchen auf lange Sicht vorbereitet und lebte eine Art Doppelexistenz. Weil er recht solide aussah, dabei zurückhaltend war und außerdem den Eindruck von Wohlhabenheit machte, lernte er in der Hotelbar eine attraktive Frau kennen. Sie hieß Peg gy Monkton, war Engländerin aus Basinstocke, Witwe, und hatte eine Yacht Kein Zweifel, daß sie darauf aus war, einen vermögenden Mann an Land zu ziehen. Aber sie hatte eine Yacht und darin sah Bennet eine Chance. Sie lud ihn zu einem Törn auf die vorgelagerten Inseln ein. Bennet erwies sich als unerwartet seefest. „Wie wär’s mit Lissabon?“ fragte Peggy ein paar Tage später, „oder Gibraltar.“ Bennet, der fürchtete, daß er schon wieder Spürhunde auf den Fersen hatte, war innerlich bereit zuzustimmen. Aber bis Lissabon mit der Yacht, das sah er nicht ganz. „Das sind fünfhundert Meilen offenes Meer, Biskaya.“ „Mein Vater war Kapitän“, entgegnete die reizende Mrs. Monkton. „Und wenn die Winde gegen uns sind?“ „Dann stellen wir den Motor an.“ „Wir zwei ganz allein?“ „Ich heuere noch einen Matrosen an.“ „Okay, wenn ich mich an den Kosten beteiligen darf“, ent schied er. „Es muß ja nicht unbedingt Portugal sein.“ „Was halten Sie von Spanien, Mister Dorman?“ „Da wollte ich schon immer mal hin.“ Sie saßen in der Bar und tranken. Um Peggy zu fragen, ob sie mit ihm schlafen wollte, war er zu nüchtern. Vielleicht erwartete sie es, aber er traute sich nicht. Er 42
wußte nicht genau, wie sie reagieren würde. Wenn seine Chance, ins Mittelmeer zu gelangen, dadurch kaputtgegan gen wäre, er hätte es bedauert. In der Nacht vor der Abreise ging sein Telefon. „Ferngespräch, Sir“, meldete der Receptionist, „aus Chi cago.“ „Unmöglich“, entgegnete Bennet „ich kenne niemand in Chicago, war niemals im Leben dort“ Der Anrufer beharrte aber hartnäckig darauf, Mister Do r man – unter diesem Namen wohnte Bennet im Gulf-PlacaHotel – zu sprechen. Die Reception stellte durch. „Hallo Russel“, dröhnte es aus der Muschel, „ich glaube ja nicht, dich gestört zu haben. Ein Mann wie du hat keinen guten Schlaf. Denn nur ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.“ „Mein Name ist Steward Dorman“, sagte Bennet. Er kannte die Stimme nicht oder konnte sich nicht an sie erinnern. Der andere lachte. „Steward ist so idiotisch wie Dorman. Bleiben wir bei Russel Bennet. Hör jetzt gut zu, Russel. Du wirst Besuch bekommen in…“ Da legte Bennet auf. Sie hatten ihn also ausfindig gemacht. Wurde höchste Zeit, daß er wegkam. In etwas weniger als sieben Stunden wollten sie mit Peggy Monktons Yacht auslauten. Es hielt ihn nicht mehr im Bett. Er stand auf und warf das Nötigste in die große Reisetasche. Was er in Spanien brauchte, würde er dort kaufen. Die Hotelrechnung war bezahlt, die Trinkgelder verteilt Den Hut auf, Mantelkragen hochgestellt, verließ er seine Suite. Mit dem Lift fuhr er bis in den Garagenkeller, um das Gulf-Placa über die Rue Dusson zu verlassen. Selbst wenn er die Stunden bis zum Morgen auf einer Parkbank verbrin gen mußte, schien ihm das sicherer als hier. Das Licht ging aus. Er tastete nach einem Schalter. Es 43
flammte wieder an. Er war noch nicht auf der Straße, da schaltete der Automat die Minutenbeleuchtung wieder ab. Russel Bennet tastete sich die letzten Meter bis zu den Stu fen neben der Garageneinfahrt. Plötzlich explodierte etwas in seinem Gesicht. Es war eine lautlose Explosion mit zuckenden Blitzrefle xen im Sehnerv, aber ohne den üblichen Gestank nach ver branntem Sprengstoff. Fausthiebe kamen meistens ohne Geräusch und immer oh ne den Duft von TNT. Der bittere Messinggeschmack des nahen Todes breitete sich in Bennets Mund aus, als er zu Boden ging.
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4.
Der Mann, der am Flughafen Lod bei Tel Aviv durch die Einreisekontrolle ging, hatte ein Visum für drei Monate. Der Beamte musterte ihn mißtrauisch. Das Foto war ziem lich neu und stimmte mit dem Gesicht überein. Die sonsti gen Angaben in dem amerikanischen Paß trafen ebenfalls haargenau zu. Der Besucher war 179 groß, eher untersetzt als schlank wirkend, hatte ein breitflächiges Gesicht, graue Augen, Stirnglatze, einen Ansatz von Doppelkinn, Sattelna se und links ein abstehendes Ohr. Trotzdem war der Beamte mißtrauisch. „Mister Dudley?“ fragte der Grenzkontrolleur. „Zweck Ihres Besuches?“ „Steht doch auf dem Wisch, den ich an Bord ausfüllen mußte.“ „Ihre Schrift ist schwer lesbar, Sir“, bemerkte der Beamte höflich. „Zweck Ihres Besuches also?“ „Mal umsehn, denke ich“, sagte der Amerikaner in lässi gem Ton, „Land und Leute kennenlernen. Vielleicht kann man Geschäfte machen.“ „Dies wäre Ihnen mit dem Touristenvisum allerdings nicht erlaubt.“ „Anknüpfen“, verbesserte sich George Dudley, „nur Ge schäfte anknüpfen.“ „Welche Branche vertreten Sie, Sir?“ „Alles, was Geld bringt, für mich und meine Kunden. Aber vorwiegend exportiere ich Dinge, die kein Mensch wirklich braucht. Luxusparfums, Luxustextilien, Luxuska meras, Luxuskonserven.“ „Das braucht hier wirklich niemand“, bestätigte der Israeli, aber die Offenheit, der ironische Witz des Amerikaners waren nicht unsympathisch. Dudley bekam seinen Einrei sestempel. „Damit“, sagte der Beamte, indem er den Paß zurückgab, „ist dieses Dokument wenig geeignet für den Besuch arabi 45
scher Länder, Sir. Sie müßten sich einen anderen Paß aus stellen lassen.“ „Wer hat mit diesen verdammten Kanaken schon was im Sinn“, fluchte Dudley. „Noch etwas, Sir“, riet ihm der Beamte, „falls Sie doch an den Abschluß von Geschäften denken sollten, holen Sie sich ein Permit im Ministerium. Man verfährt sehr großzügig damit. Kostet nur wenige Pfund.“ „Warum braucht man es dann erst?“ „Ordnung muß sein, Sir“, betonte der Beamte. Der Amerikaner bestieg ein Taxi, das ein Chauffeur mit dichten schwarzen Locken fuhr. „Nach Tel Aviv, Sir?“ Überrascht sah der Amerikaner, daß es sich bei dem Fah rer um ein Mädchen handelte. „Dachte schon, so ein mieser dreckiger Kameltreiber sitzt vor mir“, rief er erleichtert. Die hübsche Israelin sagte: „Es gibt auch durchaus zivilisierte und angenehme Araber, Sir.“ „Und das sagen Sie als Jüdin?“ „Als aufgeklärte Bürgerin dieses Staates“, erklärte das Mädchen. „Als Studentin, die den Gedanken des friedlichen Nebeneinanderlebens nicht von vorneherein verwirft.“ „Und die blutigen Kriege, in denen man sie auszurotten versuchte, haben Sie die vergessen?“ „Der Krieg ist vorbei. Jetzt herrscht Frieden.“ „Nur Waffenruhe“, kommentierte der Amerikaner. „Mor gen schon kann es wieder losgehn. Noch nichts von den Aufmärschen im Norden gehört?“ „Irgendwer marschiert immer gegen uns auf“, erwiderte die Taxifahrerin. „Die junge Generation ist von Geburt an daran gewöhnt“ Der Amerikaner schien offenbar enttäuscht von dieser Geisteshaltung. „Fahren Sie los“, sagte er barsch. „Tel Aviv. Shalom Tower Hotel.“ 46
George Dudley war krampfhaft bemüht, nicht aufzufallen. Er verhielt sich, wie man es von einem Touristen erwartete. Er besuchte Jerusalem und das Tote Meer, die Festung Mas sada, den Negev, Nazareth und den Jordan. Abends kehrte er immer wieder in die Hauptstadt zurück und knüpfte Kontakte. Unter anderem stellte er Verbindung zu einem Makler her. Scheinbar unter Alkohol machte er diesem ein Geständnis. „Mit einem Land wie dem euren müßte gutes Business zu tätigen sein. Ich exportiere alles. Sämtliche Erzeugnisse der USA und Japans in die weite Welt. Dachte schon lange daran, als zweites Bein in Israel eine Importfirma zu grün den. Für den Nahen Osten.“ „Dabei kann ich Ihnen helfen“, sagte der Makler. „Ich ha be Verbindungen überallhin.“ „Zunächst suche ich ein Grundstück mit Lagerhallen. Nicht zu weit entfernt von Hafen und Flugplatz.“ Der Makler dachte nach. „Da hätte ich vielleicht etwas, droben in Jaffa.“ Der Amerikaner winkte entsetzt ab. „Ich vergaß Ihnen meine Bedingung zu nennen. Die einzi ge, die ich stelle. Das Gelände soll nicht zu nahe im Dunst kreis dieser Nachkommen Mohammeds liegen.“ Der Makler lachte. „Araberfresser, he?“ „Ich mag sie nun mal nicht, diese Haremsböcke.“ Der Makler schlug Dudley auf die breiten Schultern. „So l che Männer schätzen wir in unserem Lande. Schlechte Er fahrungen gehabt mit Arabern?“ „Ungefähr dieselben wie Sie.“ Dudley erzählte etwas von Geschäften mit Saudi Arabien, Whisky wäre dabei im Spiel gewesen, ganz legal, für Ame rikaner, die in Dschidda lebten. Man hätte ihn für zehn Jahre eingesperrt, wenn es ihm nicht gelungen wäre und so weiter und so weiter… 47
„Gegen Whisky haben wir hier nichts“, erwiderte der Makler, „nur gegen schlechten.“ „Wie diesen hier“, meinte Dudley. „Aber wenn mein La den erst läuft, wird sich das ändern.“ Er besichtigte mit dem Makler Grundstücke und mietete ein Lagerhaus im Shapira-Viertel, nahe der zentralen Bus station. Der Makler war ihm auch bei der Beschaffung der vorläu figen Lizenz behilflich. Die endgültige Genehmigung zur Gründung einer Importgesellschaft hing aber von einer se riösen Bankverbindung ab. Von jedem Ausländer, der in Israel eine Firma eröffnete, erwartete man, daß er entweder einen einheimischen Partner mit hineinnahm oder über Kapital in Höhe des angepeilten Umsatzes verfügte. „Sie müssen etwa hunderttausend Dollar nachweisen“, sagte der Makler zu George Dudley. „Zweihunderttausend wären besser. Dann gibt es keine Probleme mehr.“ „In einer Woche ist das Geld da“, versprach George Dud ley. * Die Überweisung verzögerte sich. George Dudley zog aus dem Hotel Shalom Tower aus und mietete sich eine kleine Wohnung in einem älteren fünfstök kigen Haus am Sderot-Masarik-Platz. Er entschloß sich deshalb für sie, weil sie im obersten Stockwerk lag, Lift hatte und weil die Wohnung schon über Telefon verfügte. Außerdem war sie bequem möbliert und hatte Klimaanlage. In diesen Tagen telefonierte George Dudley mehrmals mit den USA. „Hier läuft alles nach Plan“, meldete er seinen Geschäftspartnern. „Von mir aus kann es losgehen.“ „Wir sind leider noch nicht ganz soweit“, wurde ihm aus 14 000 Kilometer Entfernung mitgeteilt. „Aber es sieht aus, als würden wir den Rückstand aufholen.“ 48
„Woran liegt es?“ „Der Lageort ist noch ungenau.“ „Dachte, Jake hat die Koordinaten.“ „Er glaubte, daß er sie hätte“, antwortete der Mann in Wa shington. „Aber es ist wie mit dem Bild der ersten Geliebten im Herzen. Erinnerungen und Wirklichkeit weichen vonein ander ab.“ „Wir können uns keine Ungenauigkeit erlauben. Wir ha ben nur einen Versuch.“ „Jake ist dabei, das Problem zu lösen.“ „Auf welche Weise?“ wollte Dudley wissen. „Das hat er mir nicht gesagt“, bedauerte der Mann in den USA. „Ich erwarte ihn dieser Tage zurück.“ „Nun“, meinte der Anrufer aus Israel, „auf den Tag kommt es nicht an.“ „Nicht einmal auf die Woche und nicht auf den Monat. Hauptsache, es passiert, und das mit tausendprozentiger Präzision.“ „Allmählich falle ich hier trocken“, fuhr Dudley fort. „Wo bleibt die Überweisung?“ „Ein ziemlich hoher Betrag“, meinte sein Partner. „Ohne vernünftige Kapitalbasis erteilen sie hier keine Li zenz.“ „Ich kümmere mich darum“, versprach der Mann in Wa shington. „Nein, du kümmerst dich besser selbst darum. Ich muß morgen leider nach Hanoi.“ „Wie denn“, wollte Dudley wissen, „soll ich mich küm mern?“ Er bekam eine Telefonnummer. „Du hast von Tel Aviv aus den kürzeren Draht“, sagte sein Partner. „Ruf mich bitte nur an, wenn es Schwierigkeiten gibt. Wenn alles läuft, halten wir Funkstille. Und bleib we i terhin ein guter Freund Israels. Okay?“ „Shalom!“ rief Dudley. „Friede!“ antwortete sein Partner und legte auf. Am nächsten und übernächsten Tag rief Dudley mehrmals 49
die Nummer, die er von seinem Partner hatte, und monierte die Anweisung. Er wurde vertröstet. Es gäbe administrative Hindernisse zu überwinden, hieß es. Am Tag vor Sabbat rief Dudley wieder an. Man nannte ihm eine Adresse an der Straße nach Jerus a lem. Dort sollte er sich um 23 Uhr einfinden. * Mit seinem Citroën, den er gebraucht, aber zum Zehnfachen dessen, was in Paris üblich gewesen wäre, gekauft hatte, fuhr Dudley bei Dunkelheit los. Der Preis für Kraftfahrzeuge – man bezahlte für einen fa brikneuen Opel den Gegenwert von vierzigtausend Dollar – machte einem rasch die Steuersituation und Wirtschaftslage Israels klar. Auf Importe jeder Art schlug der Fiskus bis zu sechshun dert Prozent Luxusabgaben auf. Der starke Verkehr der Innenstadt flaute in den Randbe zirken ab. George Dudley hatte sich den Weg auf der Karte angesehen und eingeprägt. Aber gerade in den Vororten änderte sich das Bild der Straßen rasch. Karten waren hier nach einem Jahr schon überholt. Er fand Abzweigungen, wo keine eingezeichnet waren. Dort, wo er sie vermutete, befand sich ein Bauzaun mit dem Schild ›Militärisches Sperrgebiet‹. Dudley wendete. Weiter oben am Ramat Hatayasin fragte er einen Taxifahrer. Der erklärte ihm den Weg gegen Trink geld. So fand er schließlich die alte Straße nach Jerusalem und stoppte bei den Mauern der verfallenen Karawanserei. Kaum hatte er die Lampen gelöscht und eine Zigarette an gesteckt, sah er einen Schatten auftauchen. Der Mann klopf te an die Scheibe und stieg hinten zu. Ein Duft von schwar zen französischen Zigaretten strömte von ihm aus. Der Mann erklärte Dudley in flüssigem Englisch, wie er fahren 50
solle. „Halten Sie hinter dem Mercedes, Sir“, sagte er, „stei gen Sie um. Seien Sie unbesorgt, Sir, ich passe gut auf Ihren Wagen auf.“ Der Mercedes war ein S-Klasse mit langem Radstand. Dudley kam sich vor wie in einem Cadillac. Vom Chauffeur sah er nur die Konturen. Er fuhr etwa zwei Meilen durch Hügel, dann auf einer gewundenen Straße zwischen Maulbeerbüschen bergwärts. Ein Tor tauchte auf. Es öffnete sich vor der Limousine und fiel dann wieder ins Schloß. Hinter Hecken und Zypressen stand eine Villa. Weiß, mit Arkadenbögen beiderseits der Freitreppe und flachem Dach. Ein Mann in einer Art weißem Trainingsanzug, dessen Gesicht Dudley aber nicht sehen konnte, bat ihn ins Haus. Drinnen war alles kostbar. Marmor, Seidenteppiche, Kri stallstandlüster, viel Gold und weißes Ziegenleder. In der Halle rauschte ein Springbrunnen, zartblau beleuch tet, Blütendüfte verbreitend. Eine schwarze Numidierin, ein Kind noch, in Puderhosen und Brokatbüstenhalter servierte wortlos türkischen Mocca. Dudley trank spät abends selten Kaffee. Er schlief dann immer schlecht. Aber türkischer Mocca, wo man den Kaffee mit Zucker aufkochte, regte nur an. Er nippte an der hauch dünnen Tasse. Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Die Flüge ltür war aufgegangen. Ein riesiger dunkelhaariger Mann in der Pracht eines orientalischen Königs stand vor ihm. Der Mann trug lange seidene Galaba und Kaffije. Das Kopftuch aller dings in der Musterung arabischer Fürstenhäuser. An den Fingern hatte er Ringe mit taubeneigroßen Brillan ten, um den Hals eine goldene Kette aus bleistiftdicken Gliedern mit Rubinen und Smaragden besetzt. Dudley erkannte den Scheik. „Hoheit“, rief er, „Sie sind hier?“ Der Araberfürst eilte mit ausgebreiteten Armen auf den Amerikaner zu, umarmte und küßte ihn. 51
„Ich begrüße dich, mein Freund“, sagte er, „mein Bruder! Erst heute erfuhr ich, daß du schon in Tel Aviv weilst und welch vorzügliche Vorarbeit du geleistet hast. Sprich frei von der Leber weg. Was hast du für Sorgen? Alle deine Wünsche werden sofort erfüllt werden. Geht es um Geld? Dann nenne mir den Betrag. Nichts soll uns zuviel sein, wenn es um das Erreichen der hohen Ziele geht, die die Liga sich gesteckt hat.“ „Ich wußte“, sagte Dudley erleichtert, „daß ich mich auf meine Blutsbrüder verlassen kann.“ Dann drehte sich alles nur noch um den großen giganti schen Geheimplan.
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5.
Um 17 Uhr 50 rollte der BND-Agent Bob Urban sein BMW-Coup6 durch das weitgeöffnete Bugportal des Fähr schiffes ›Liburnija‹. Vier Minuten nach 18 Uhr warf die Liburnija die Leinen los. Sie kam mit langsamer Fahrt vom Pier frei, drehte im Hafenbecken von Rijeka und passierte wenig später die Mole. Zunächst nahm sie Kurs auf Rab. Während ihrer eintätigen Fahrt nach Dubrovnik würde sie eine Reihe von Inselhäfen ansteuern, hier Fracht entladen, dort Fahrzeuge und Passa giere an Bord nehmen. Bob Urban ging es nicht um eine genußvolle Küstenreise. Kaum lag sein Gepäck in der Steuerbord-Außenkabine, als er sich den Decksplan ansah und einen Rundgang durch das Schiff vornahm. Nach einer Stunde wußte er, wer der junge Offizier war, den Clivia in Rijeka getroffen hatte, wie er hieß, wo er seine Kammer hatte und zu welcher Wache er eingeteilt war. Dieser blonde, etwa 28 Jahre alte dritte Offizier hieß Atlic Savez. Was ihn in Clivias Kreise gebracht hatte, interessierte Urban wenig. Welche Rolle er darin spielte, würde er bald erfahren. In zehn Stunden etwa, schätzte Urban. Sein Vorgehen stimmte Urban mit dem Dienstplan des At lic Savez und dem Fahrplan des Schiffes ab. Savez hatte die Hundewache auf der Brücke, also von Mit ternacht bis vier Uhr. Dies hatte Urban der Liste im Büro des Zahlmeisters entnommen. Danach hatte Savez sechs Stunden wachfrei. In dieser Zeit mußte er ihn vornehmen. Da zu befürchten war, daß dieses Gespräch den dritten Offi zier stark in Mitleidenschaft zog, mußte Urban anschließend die Fähre verlassen. Das war in Orebic möglich. Die Liburnija erreichte Orebic laut Fahrplan um 08 Uhr 35. Orebic lag auf der Insel Pelje 53
sac, die wiederum eine Brücke zum Festland hatte. Mit seinem schnellen Wagen konnte er genug Kilometer hinter sich bringen, ehe man den dritten Offizier in seiner Kammer fand. Außerdem würde Savez allen Grund haben, über seinen Zustand Märchen zu erzählen. Mit der Wahrheit lieferte er sich nur selbst ans Messer. Nachdem Urban wußte, wie es lief, nahm er im Stile eines altgedienten BN-Dienstmannes in der Bar mehrere Gläser zur Brust, legte sich dann hin und wartete auf den Gong zum Abendessen. Im Speisesaal, links vom kalten Büffet, sah er den dritten Offizier sitzen. Der blonde Hüne Savez kümmerte sich, wie es seine Pflicht als Offizier war, um alleinstehende Damen. Urban hatte Ruhe, bei ihm Maß zu nehmen. Dann nahm er Maß an dem prachtvollen geräucherten Thunfisch. * Die Tür zur Kammer des dritten Offiziers war verschlossen. Urban rammte sie mit einem einzigen wuchtigen Fußtritt ein. Hier unten im Wohndeck der Besatzung dröhnten Ma schine und Schraubenwellenlager derart, daß der Knall, mit dem die Blechtür nach innen schlug, fast unterging. Mit Absatzkick warf er sie ins Schloß zurück. Ein Sprung, und Urban war in der acht Quadratmeter großen Kabine. Atlic Savez stand unter der Dusche. Blitzschnell packte Urban den nackten Burschen am Arm und warf ihn in die Koje. Das Knie auf den nassen Brustka sten setzend schlug er mit der Faust zu, damit Savez wußte, woran er war. Savez war kein Feigling. Er wehrte sich. Zumindest ve r suchte er es. Er richtete sich halb auf und konterte. Seine Fäuste trafen ins Leere, sein Kopf bumste hart gegen das Kojenbrett. Urban riß die schwarze Offizierskrawatte, ein festes Ding 54
aus Nylonseide, vom Stuhl und wickelte sie um Savez’ Handgelenke. Der Jugoslawe starrte ihn böse an. „Das zahle ich dir heim“, zischte er. „Wer? Du oder die November-Panther?“ Um die Mundwinkel des Seemanns zuckte es. So gut hatte er sich nicht in der Hand, daß die Überraschung nicht durch schlug. Plötzlich begann er gequält zu lachen. „Ich muß in zehn Minuten auf der Brücke ablösen. Sie werden kommen und mich suchen.“ „Du hattest die Hundewache“, stellte Urban fest, „und frei bis um zehn. Noch gut drei Stunden.“ „Aber ich erwarte Besuch zum Frühstück.“ Alles nur Bluff, dachte Urban. „Dann laß uns zur Sache kommen, Savez.“ Er massierte die Knöchel seiner rechten Faust. „Du bist ein guter Freund von Clivia. Wo ist sie?“ „Kenne keine Clivia.“ Es tat ihm leid, aber mit Streicheleinheiten ging es bei di e sem hartnäckigen Burschen nicht. Urban nahm erneut Maß. Die Faust traf dieselbe Stelle wie vorhin. Der Jugoslawe fluchte gepreßt. Und schwieg. „Ich habe euch gesehen“, fuhr Urban fort, „gestern am Pier in Rijeka. Es regnete. Ihr gingt ins Cafe. Sie trank Tee, du einen Klaren. Es gibt Fotos.“ „Wir kennen uns seit Jahren“, log der Offizier, „von einem Badeurlaub in Splitt.“ „Sie ist Terroristin“, fuhr Urban fort, „Mitglied einer Ope rativgruppe der November-Panther. Sie wurde aufgegriffen, konnte aber entwischen. Wo ist sie jetzt? Du sagst es mir jetzt. Nur das, und wir sind uns nie begegnet. Andern falls…“ „Ich habe keine Ahnung“, beharrte Savez stur. „Oder ich prügle es aus dir heraus, mein Junge.“ „Los doch“, tat Savez tapfer. 55
Urban hatte es sich einfacher vorgestellt. Er band Savez Beine mit einem Gürtel. „Zum letzten Mal im Guten“, drohte Urban, „ich muß wi s sen, wo ist sie hin? Ich werde es von dir erfahren. Es ist mein Job. Und ich bin Profi.“ Die Stirnadern des Sympathisanten schwollen an. In einer raschen Körperdrehung versuchte er einen Signalknopf zu drücken, der an der Kojenwand befestigt war. Urban sah es und fetzte das Kabel aus dem Schalter. Dann zeigte er dem Jugoslawen, daß er kein Spaßmacher war. Der andere schloß vor Schmerz die Augen. „Sie bringt“, keuchte er, „nur ein paar Nachrichten von A nach B.“ „Und wo ist B?“ Seine Gesichtsmuskeln zuckten stark, als er es preisgab. „Dubrovnik.“ Da wußte Urban, daß Savez log. Man mußte voraussetzen, daß er ihn in die entgegengesetzte Richtung schickte. Urban überlegte den nächsten Schritt. Wenn Savez bei Dubrovnik blieb, würde es schwierig werden. Mit Boxhieben allein war ihm nicht beizukommen. Ver dammter Henkersjob, fluchte er innerlich. In diesem Moment wurde an die Tür geklopft. Ehe ihm Urban die Hand auf die Lappen pressen konnte, gab Savez einen Ton von sich. Er klang wie die Aufforde rung einzutreten. Jetzt mußte Urban an zwei Fronten kämpfen. Damit Savez nicht schrie, stopfte er ihm eine Serviette zwischen die Zähne und brachte sich neben dem Spind in Deckung. Ein Mädchen kam herein, kaum einsfünfzig groß, zierlich, mit langem schwarzen Haar. Sie erschrak, als sie Savez’ Zustand bemerkte. Urban schlang seinen Arm um ihren Hals. Sie drehte ihr Gesicht zu ihm hin. Eine Indochinesin, vermutlich aus Vietnam. Mit Sicherheit kam sie nicht von den Philippinen wie die Ste wards und Küchenmädchen an Bord der Liburnija. 56
„Saigon oder Hanoi?“ fragte Urban. Sie wollte sich herauswinden, die kleine Katze, mit Fuß tritten, mit ihren rotlackierten Krallen. Sie versuchte die Zähne in sein Handgelenk zu schlagen. Urban brauchte alle Kraft, um sie zu bändigen. „Laß sie aus dem Spiel“, murmelte Savez trotz der Serviet te zwischen den Zähnen. Urban lockerte seinen Knebel. Mindestens vier Hände hä t te er gebraucht in dieser Situation. „Sie hat mit all dem nichts zu tun“, versicherte Savez, „sie ist nur meine Freundin.“ „Wo steckt Clivia?“ Der Jugoslawe wechselte mit der Vietnamesin einen Blick, der unbemerkt bleiben sollte. „Richtung Mestre ist sie“, sagte er. „Okay, nach Italien. Aber Mestre ist groß.“ „Am Flugplatz hat sie Kurierpost zu überbringen.“ „Wem?“ Plötzlich gebärdete sich die zarte Vietnamesin wie eine Rasende. Mit aller Kraft versuchte sie sich zu befreien. „Schweig!“ rief sie, „schweig Atlic! Nimm keine Rück sicht auf mich und schweig.“ Die niedliche Asiatin gehörte also doch zu der Clique. Sie mischte sich ein, weil Savez schon zuviel gesagt hatte. Ur ban ahnte auch, in welchem Punkt Savez zu weit gegangen war. Der Ton der Schiffsdiesel veränderte sich. Die Liburnija wurde langsamer. Vermutlich fuhr sie schon in die Bucht ein. Urban stopfte dem Mädchen zwei Papiertaschentücher zwischen die Zähne und fixierte sie, indem er ihr den we i ßen Arbeitskittel zur Zwangsjacke unfunktionierte. Sie war fast nackt darunter. Sie trug nur einen winzigen weißen Slip, vielleicht wegen der Hitze in der Bordwäscherei. Urban knotete die Ärmel auf den Rücken und die Enden ihres Kittels vor dem Bauch zusammen. Im Spind war genug 57
Platz. Er drückte sie zwischen Savez’ Uniformen und schloß die Tür. „Sie erstickt darin“, protestierte Savez. „In zwei Stunden spätestens werdet ihr befreit.“ „Geh zum Teufel, Mann!“ „Ich fahre nach Mestre“, sagte Urban. „Wenn ich Clivia dort nicht finde, dann geht ein anderer zum Teufel, nämlich du. Die Geheimpolizei in Belgrad ist zwar nicht sehr aktiv, was internationale Terroristen betrifft, aber sehr ungemüt lich gegen die im eigenen Lande.“ Die Schiffsmaschine drehte bestenfalls noch kleine Fahrt. Urban verließ die Kammer des dritten Offiziers und eilte hinunter in das Autodeck. Sein Gepäck lag bereits im BMW, auch hatte er dem Lademeister gemeldet, daß er in Orebic auszusteigen wünsche. Mittels einer schwenkbaren Plattform wurde der BMW durch das Backbordschott an den Pier gesetzt. Zwanzig Minuten später hatte Bob Urban das Festland er reicht und nahm den schmierigen Asphalt der Küstenmagi strale unter die Räder. * Urban kannte die nachrichtentechnischen Mittel des dritten Offiziers der Liburnija nicht. Zwar stand ihm die Bordfunk station zur Verfügung, um sie für die Zwecke der Nove m ber-Panther zu nutzen, hätte es jedoch einer geeigneten Landfunkstelle, eines Codes und der Mitarbeit des Funkers bedurft. Daß ein V-Mann wie Savez über diesen Apparat gebot, bezweifelte Urban. Savez mußte, wenn er Clivia warnen wollte, telefonieren. Ungestört war das nur von Land aus möglich, frühestens also in Dubrovnik, das die Fähre am späten Nachmittag erreichte. – In sieben Stunden etwa. Urban hatte schon größere Distanzen in sieben Stunden zurückgelegt. Leider war ihm das Wetter feindlich geson 58
nen. Es regnete wieder. Die Nässe verband sich mit dem Tropföl der Tanklastzüge und ihrem Reifenabrieb zu einer seifenartigen Schmiere. Die Magistrale war berühmt dafür. Das Fahren wurde zum Eiertanz. Über achtzig ging nichts mehr. Urban blieb hart am Limit und rechnete immer wieder. In Split war es schon nach zehn, in Zadar halb zwölf, in Rijeka 13 Uhr. Die Straßen quer durch die Halbinsel Istrien waren zwar trocken, aber kurvig und schmal. An der Grenze ließen sie sich endlos lange Zeit. Als Urban bei Triest endlich die italienische Autostrada unter den Rä dern hatte, war die errechnete Frist auf siebzig Minuten zusammengeschmolzen. Unwahrscheinlich, daß er bis 16 Uhr den Flughafen von Venedig erreichte. Trotzdem versuchte er es. Die Tachonadel lag bei hun dertneunzig an. Um abzukürzen, verließ er die Autostrada schon an der Ausfahrt Trevisio. Auf Nebenstraßen mogelte er sich, wie ein Verrückter driftend, zum Aeroporto durch. Um 16 Uhr 10 schaltete er am Parkplatz die Zündung aus. Das Triebwerk tourte ein paarmal nach, stand dann knak kend vor Hitze. Urban nahm sein Fernglas und eilte zur obersten Etage der Abfertigung. Nur wenige Flugzeuge standen auf dem Pro vinzflugplatz. Kaum Maschinen von Touristenunternehmen. Die Saison näherte sich ihrem Ende. Vor der Luftfrachthalle wurde eine alte 707 der Alitalia beladen. Weiter hinten gab es ein paar Sportmaschinen. Sonst war nichts los. Doch dann wurde Urbans Aufmerksamkeit plötzlich ge fesselt. Hinter den Hangars ragte ein hohes Dreieck auf, straff wie ein Segel. Es mußte sich um das Leitwerk eines Jet handeln, den man abseits geparkt hatte. Jetzt im schrägen Licht der sinkenden Sonne erkannte Urban sogar die Bema lung: Ein rotes Rechteck mit einem gelben Stern, genau in der Mitte. Das war es. 59
Er hatte sich nicht geirrt. Seine Kombination wurde damit voll bestätig! – Ein Flugzeug aus Nordvietnam. Auch Savez’ Freundin war Vietnamesin. Clivia hatte entweder Kurierpost zu diesem Flugzeug nach Mestre befördert oder sollte Kurierpost – was immer man darunter verstand – von diesem Flugzeug zu den NovemberPanthern bringen. Also bestand Zusammenhang zwischen ihnen. Wenn der Jugoslawe die Flugzeugbesatzung von dem Vor fall an Bord unterrichten konnte, dann war Clivia in Gefahr. Undichte Stellen beseitigte man in diesen Kreisen rück sichtslos. Tot aber nützte ihm Clivia wenig. Urban beeilte sich. * Bis er den Zaun an der richtigen Stelle überwunden hatte, vergingen weitere sechs Minuten. Jetzt sah Urban die sandfarben lackierte Tupolew 134 auf fünfhundert Meter Entfernung vor sich. Neben dem zweistrahligen Mittelstreckenjet älterer Bauart stand ein Tankwagen. Sie machten offenbar startklar. Urban blieb keine Zeit für Anschleichtricks. Er schlenderte über die deckungslose Wiese geradewegs auf den Vogel zu. Zwischen den Fahrwerkbeinen und hinten bei den Heck triebwerken werkelte Personal herum. Da er nicht wußte, wieweit er Erfolg haben würde, foto grafierte er die Tupolew mit Zoom. Er knipste einen ganzen Film durch, bekam die Mechaniker drauf und auch den großgewachsenen Mann in der hellblauen Pilotenuniform. Als Urban die Kamera einsteckte und sich wieder in Be wegung setzte, fuhr drüben der leere Tankwagen ab. Plötz lich war niemand mehr bei der Tupolew zu sehen. Die bord eigene Treppe wurde hochgefahren, das Schott hinter dem Cockpit geschlossen. Sekunden später vernahm Urban den 60
typischen Singsang von Turbinenanlassern. Motor eins zün dete sofort Der andere ließ sich Zeit. Die laufende Düse bekam brutal vollen Saft. Sie jaulte hoch und brachte die TU-134 zum Rollen. Die sind imstande und versuchen es mit einem Triebwerk, dachte Urban. Das sah verdammt nach Alarmstart aus. Also waren sie von Atlic Savez gewarnt worden. Das Flugzeug mit dem vietnamesischen Kennzeichen war jetzt uneinholbar. Daß die Startfreigabe verweigert wurde, wagte er nicht anzunehmen. Mestre hatte kaum Flugbewe gungen in dieser Stunde. Die sandgelbe Tupolew drehte und schwenkte auf die Piste ein. Auch das zweite Triebwerk hatte inzwischen gezündet und lief. Urban erkannte es am schwarzen Qualm, den es ausstieß, und dem rötlichen Feuerkern darin. Zu spät also. Keuchend blieb er stehen, steckte sich eine MC an, schluckte Wut und Enttäuschung hinunter. Er schluckte dreimal. Doch sie vergingen nicht. Die TU-134 hatte jetzt die Startposition am Ende der Piste erreicht. Die Triebwerke heulten auf. Der Jet fegte an Urban vorbei, hob wenige Sekunden später ab und wurde in den Himmel gezogen. Wo sie geparkt hatte, richtete sich das Gras schon wieder auf. Doch im Gras glaubte Urban etwas Dunkles zu sehen, als hätte jemand einen schwarzen Overall, eine Decke, oder auch nur eine Tüte mit Abfall zurückgelassen. Nichts war interessanter als Müll. Nichts gab mehr Auf schlüsse über die Lebensgewohnheiten seiner Erzeuger. Urban beschloß, das Ding sofort zu untersuchen. Nach hundert Schritten, als er davorstand, war er enttäuscht und tief erschüttert zugleich. Was wie ein Haufen Abfall im dürren Gras lag, war ein Mensch. Ein Toter. Die Leiche einer Frau. Man hatte sie erschossen. Aber so, daß sie kaum blutete. Profiarbeit. Auf ihre Stirn war ein Zeichen geritzt. Der Buchstabe T. T wie Traitor. Traitor war englisch und bedeutete Verräter. 61
Noch im Tod war sie so schön wie zu Lebzeiten. Lag es wirklich nur einen Tag zurück, daß sie gegangen war? Povera Clivia, dachte Urban, arme Clivia, etwas Besseres als dieses Ende hättest du bei mir auch gefunden.
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6.
Nach der Explosion in seinem Gesicht, die völlig lautlos erfolgte, umfing Russel Bennet zunächst schwarze Dunkel heit Dann setzte das typische Fahrstuhlgefühl ein, das ihn weit hinaus in den Weltraum beförderte. Dort glaubte er, eine Ewigkeit an den Sternen vorbeizuschweben. Plötzlich landete er mit hartem Aufschlag. Er war wieder auf der Erde. Sein Schädel schmerzte fürch terlich, speziell vorn über dem gestauchten Nasenbein. Er versuchte die Augen zu öffnen, sah aber nur Helligkeit, wie hinter einer fettverschmierten Scheibe. „Bist du okay, Russel?“ fragte eine Stimme. Sie kam aus einer Zeit, die weit zurücklag. „Fühle mich verdammt beschissen, Mann.“ „Dann trink davon.“ Der Whiskyduft war ekelerregend stark. Der Mageninhalt kam ihm hoch. Man schüttete ihm den Alkohol einfach zwischen die Zähne. Er mußte schlucken, ob er wollte oder nicht. Tatsächlich wurde ihm besser. „So hart wollte ich nicht zuschlagen, Russel“, versicherte der Mann. Die Erinnerung an diese Stimme wurde deutlich. Trotzdem vermochte Bennet sie nicht einzuordnen. „Warum, verdammt, tatest du es dann?“ „Weil du meinem Wunsch nicht zugänglich gewesen bist.“ „Welchem Wunsch?“ „Mit mir zu reden.“ „Worüber?“ Der andere lachte gedämpft. „Nicht über deine zwei Millionen Dollar“, sagte er, „die interessieren mich nicht. Aber das ganze Affentheater um deine Flucht, die Fahndung der Polizei und der Chicagoban den, die halfen mir, dich zu finden.“ Jetzt glaube Russel Bennet die Stimme erkannt zu haben. 63
Er rieb die Augen und sah den Mann. Nun hatte er die Be stätigung. „Jake Sims“, murmelte Bennet, „Leutnant Jake Sims, Na vigator, 461. Staffel, achtes Bombergeschwader.“ „Vietnam, Basis Binh-Dinh“, ergänzte der andere. „Januar vor sechs Jahren.“ Sims, rothaarig und stiernackig, hatte sich kaum verändert. „Schön, dich wieder zu haben, Mann.“ „Was willst du von mir?“ stöhnte Bennet. Sims grinste. „Dein Bestes, Leutnant.“ Bennet glaubte ihm aufs Wort. „Wo sind wir hier?“ „In dem Bungalowdorf Trois Cornichons, außerhalb der Stadt, auf die Grenze zu.“ Offenbar sprach Sims die Wahrheit. Das auf- und ab schwellende Rauschen in der Ferne konnte das Meer sein. Sims holte Champagner und zwei Gläser. Der Korken flog heraus, der Sekt schäumte in die Gläser. „A votre santé, wie der Franzose sagt!“ Sie sprachen beide diese Sprache, ein Überbleibsel aus Vietnam. Die Mädchen dort hatten sie von den Franzosen, ihren alten Besatzern, gelernt. Beim Trinken entdeckte Bennet einen Streifen Klebeband an seinem Handgelenk. „Du hattest mich gefesselt?“ „Vergiß es“, bat Sims. „Aber was sollte ich machen? Ich hatte dich neben mir im Wagen. Ich fessle einen alten Kum pel nicht gern, aber ich erinnerte mich, daß du flinker bist als ich. Ich wollte kein Risiko eingehen.“ Bennet zog das Lassoband vom Knochen und legte es in den Ascher. „Schon gut“, er zählte zusammen: „Du bist mir gefolgt, von den USA bis Europa, auf erheblichen Umwegen. Dann schlägst du mich nieder, bringst mich in einen einsam gele genen Bungalow am Meer. Was willst du von mir? Einen Anteil an der Beute?“ 64
Sims winkte ab, als seien zwei Millionen Dollar nicht der Rede wert. „Deine Mitarbeit, dein Können als Techniker, deine Erfah rung als Bordingenieur bei der US Air Force, darum geht es. Und nicht zuletzt um deine Fähigkeiten als Organisator.“ „Ich war nie einer.“ „Dann unterschätzt du dich erheblich. Der Safebruch in Chicago, deine Flucht, das alles war glänzend vorbereitet.“ „Reine Improvisation“, beteuerte Bennet. „Davon kann sich mancher Profi eine Scheibe abschnei den. Schön, nenne es, wie du willst, Russel. Jedenfalls bist du große Klasse. Wir brauchen dich.“ „Wer“, setzte Bennet nach, „ist wir?“ Sims nannte bekannte Namen. Für Sims war es nichts Be sonderes, für Bennet jedoch eine große Überraschung. „Captain Dudley gehört selbstverständlich dazu“, betonte Sims. „Der zweite Pilot, Dudley mit den Eulenaugen.“ „Und nicht zuletzt, vielmehr an erster Stelle, unser ge schätzter Major Benjamin.“ Bennet nahm einen Schluck Champagner. „Damit wären wir alle wieder beisammen. Die Offiziers crew aus der Charlie-Zeit“ „Ich habe dir die Teilhaberschaft an einem Geschäft anzu bieten“, fuhr Sims fort, „gegen das deine Chicago-Sache pures Trinkgeld ist“ „Ich lausche“, sagte Bennet „Nein, jetzt schläfst du erst einmal“, entschied Sims. Er hatte sich wirklich nicht verändert. Er hatte noch immer das sommersprossige Pfannkuchengesicht und den autoritären Ton wie damals. „Ich bin nicht müde“, wehrte Bennet neugierig geworden ab. „Aber auch nicht ausgeschlafen“, wandte Sims ein. „Ich verhandle nur mit einem ausgeschlafenen Burschen.“ Er stand auf, sperrte die Bungalowtür von innen zu und 65
steckte den Schlüssel ein. Dann öffnete er die Tür zum Schlaf räum. „Links du, rechts ich. Seife und Handtuch sind im Bade zimmer. Gute Nacht. Ich wecke dich zum Frühstück.“ * Sie tranken den Morgenkaffee zu einer Zeit, als Bennet auf Peggy Monktons Yacht erwartet wurde. Man merkte ihm die Unruhe an. „Ich weiß, was dich quält“, sagte Sims. „Es ist wegen der Engländerin. Vergiß sie.“ „Das wäre unklug.“ „Warum?“ „Bedenke die Umstände. Ich lebe unter falschem Namen hier. Habe mich mit ihr für einen Spanien-Törn verabredet. Wenn ich nicht komme, sucht sie mich. Ich bin weder im Hotel, noch anderswo zu finden. Sie rennt zur Polizei. Man verlangt meine Beschreibung. Der Name kann falsch sein, also geht man die internationalen Fahndungsbücher durch. Und hat mich am Haken.“ „Höchstens eine Spur“, schränkte Sims ein. „Schön, wir werden uns was überlegen. Aber erst möchte ich wissen, ob du mitmachst.“ „Wobei?“ fragte Bennet. Sims nahm das Ei in die Hand und halbierte es mit einem gekonnten Messerschlag. Im Kern war es nicht hart. Das Eigelb tropfte auf seine Finger. Er fluchte. Während er die Eihälften auslöffelte, kam er zur Sache. „Du erinnerst dich“, begann er, „an unseren letzten Einsatz im Mekong-Delta.“ „Vernichtung des Brückenkopfes.“ „Und der abgestürzten B-58.“ „Wer könnte das je vergessen. Wir sprangen dem Tod in letzter Sekunde von der Schippe.“ „Richtig, wir waren mächtig in der Klemme. Um uns her 66
um im Sumpf diese Schlitzaugen, der Major mit dem gebr o chenen Bein und ohne jedes Rettungsmittel. Alles war mit der eigenen Maschine in Fetzen geflogen. Damals warst du der erste im B-58 Wrack.“ „Ich barg die Säcke mit dem Schlauchboot.“ „Dabei mußtest du vom Radarschacht quer durch den Rumpf kriechen.“ „In einer B-58 finde ich mich noch heute blind zurecht.“ Sims nickte. „Darauf kommt es an“, erklärte er. „Doch darüber später. Als du mit den Segeltuchsäcken wieder zum Vo rschein kamst, warst du verdammt blaß um die Ohren. Ich habe dich selten so matschig gesehn, mein Junge. Deine Nase war spitz wie bei einem Toten. Du hast gezittert, schlimmer als mitten in einem feindlichen Jägerpulk.“ „Erinnere mich nicht gerne daran.“ Doch Sims fuhr unbeirrt fort: „Du hast im Inneren der B-58 etwas Teuflisches entdeckt“ „Teuflisch ist engelgleich dagegen.“ Sims beschrieb es mit perverser Freude am Detail: „Neun Meter lang.“ „Stahl.“ „Durchmesser einsfünfzig. „Einsvierzig“, verbesserte ihn Bennet, der Techniker. „Zehn Tonnen schwer.“ „Aufschrift“, Bennet verfügte offenbar über ein fotografi sches Gedächtnis, „Typenbezeichnung BLU-82/B-ADB.“ „Phantastisch“, applaudierte Sims, „du kennst dich aus mit den Dingern.“ „Als Air-Force-Ingenieur.“ „Man sagt, in ganz Vietnam hätten von dem Monster mehr Exemplare gelegen als Atombomben.“ „Es gibt Experten“, steuerte Bennet bei, „die behaupten, das Monsterbaby übertreffe auf gewissen Gebieten die Wir kung einer Atombombe bei weitem.“ „Daher der Name Daisy Cutter.“ 67
„Gänseblümchen-Sense.“ Bennet kaute langsam das Croissant. „Er kommt daher, weil das Ding sogar Gäns e blümchen vernichtet, was der Hiroshima-Bombe angeblich nicht gelungen sein soll. Sie löschte zwar alles Leben und verbrannte die halbe Stadt, aber den Gänseblümchen konnte sie wenig anhaben. Sie zitterten nur ein wenig im Lichtblitz und standen wieder da in ihrer unschuldigen Schönheit.“ Sims schob die Eierschalen beiseite, leerte den Café au lait, tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. „Genau darum geht es“, sagte er leise, „um die Bergung der Gänseblümchen-Sense.“ Bennet kam jetzt noch das Grauen hoch, wenn er daran dachte. „Sie war scharf.“ „Man wird sie vorher abnabeln.“ „Das ist ein Höllenjob.“ „Nicht für einen Profi.“ „Dabei denkt ihr an mich?“ „Zu einem Stundenlohn, von sagen wir… einer halben Million Dollar.“ „Dafür machen es andere auch.“ „Aber nicht so zuverlässig und nicht unter Wahrung strik ter Geheimhaltung.“ Bennet dachte lange nach. Er steckte sich eine Zigarette an, rauchte sie automatisch. „Wird man uns denn an das Wrack heranlassen?“ „Das ist arrangiert.“ „Mit den Vietnam-Besetzern?“ „Es gibt überall geldgierige Leute. Auch bei den Kommu nisten. Gold ebnet die schlechtesten Wege. Natürlich ist es nicht so, daß man uns auffordert, das Ding abzuholen, aber man wird es durch Wegschauen ermöglichen. Allerdings haben wir hur begrenzte Zeit dafür. Es muß ablaufen wi e ein Kommandounternehmen. Dies schon als Rückendeckung für den Militärgouverneur. Pannen dürfen wir uns keine erlau ben.“ 68
„Wer ist der Abnehmer?“ „Das weiß nur Major Benjamin.“ „Besser so.“ „Er hat die Sache eingefädelt. Er hat auch den Draht nach Hanoi. Er arbeitet als Berater dort, als technischer Experte ihrer Luftfahrtgesellschaft.“ Bennet schien nachzudenken, wer als Hintermänner in Frage kamen. Sims konnte offenbar Gedanken lesen. „Geldleute“, fügte er ergänzend hinzu, „die reichsten Leu te der Welt sind die Auftraggeber. Sie können ihre Ziele aber nicht anders durchsetzen.“ „Als…?“ Sims schwieg. Er sagte nur noch: „Für uns ist es ein ganz legales Geschäft, als würden wir Sombreros nach Grönland verkaufen oder Schlitten nach Afrika.“ „Was mich kolossal beruhigt“, erklärte Russel Bennet. * Nach dem Frühstück schaute Bennett immer häufiger auf die Uhr. „Was macht dich so nervös?“ fragte Sims. „Peggy Monkton.“ „Diese alberne Engländerin?“ Bennet lächelte säuerlich. „Ich weiß, was du denkst“, ent gegnete er, „was mag das für eine traurige Person sein, die sich für Russel Bennet entflammt. Mag sein, daß du recht hast. Aber hör gut zu, was ich darüber denke: Ich halte euch, dich, Captain Dudley und Major Benjamin für einen ebenso traurigen Haufen von Stümpern. Ihr setzt wer weiß was in Bewegung, um einen Coup aufzureißen, um den vierten Mann zu kriegen, und begeht dabei Fehler wie blutige An fänger. – Angenommen ich steige ein, dann könnte durch Peggy Monkton ein Sicherheitsrisiko entstehen, wenn sie mich durch die Polizei suchen läßt.“ 69
Sims schien sich ihrer nächtlichen Diskussion zu erinnern. Er kniff die Augen schmal. „Also, wie sieht es aus. Machst du mit?“ „Nur wenn die Sache professionell gehandhabt wird.“ „Zum Beispiel?“ „Ich muß die Monkton sprechen, um ihr zu sagen, daß ich es mir anders überlegt habe.“ „Und haust mit ihr ab“, setzte Sims nach. Jetzt lachte Bennet lauthals. „Du hast mich in Biarritz gefunden, du würdest mich auch in San Sebastian, in Santander und in Lissabon finden.“ „Nichts leichter als das“, bestätigte Sims. „Ein Wink an Interpol, und sie ergreifen dich.“ „Ich stehe zwischen zwei Feuern“, gestand Russel Bennet. „Lege ich dich aufs Kreuz, dann schnappt mich die Polizei. Und wenn ich die Monkton versetze, hetzt sie mir aus lauter Sorge ebenfalls die Kripo auf den Hals. Da komme ich überhaupt nicht mehr heraus.“ „Nicht lebend“, scherzte Sims. „Die alten Kameraden stehen mir näher“, gestand Bennet, „und die Aussicht auf gutes Geld.“ „Du gibst also dem Druck von unserer Seite nach.“ „Logischerweise, nicht klugerweise.“ Sims setzte jetzt ein Zeichen dafür, daß er Bennet vertrau te. Er faßte in die Tasche und warf ihm die Wagenschlüssel zu. „Sag deiner Segeltante Bescheid. Aber komm bald wi e der.“ „Wo auf dieser Welt sollte ich mich vor dir verstecken?“ „Es gibt keinen Platz“, betonte Sims. Es gibt einen Platz, dachte Russel Bennet, zeigte es aber nicht. Wenn er sich anstrengte, konnte er einigermaßen glatt lügen.
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Der Leih-Peugeot sprang nur unwillig an. Der Wind von See her hatte ihn völlig ausgekühlt. Als er lief, rollte Bennet den Weg hinauf und oben an der Bungalowsiedlung entlang zur Hauptstraße. Dort hielt er an und öffnete den Kofferdeckel. Nur Schleppseil und Wagenheber lagen darin. Obwohl die Benzinanzeige noch auf halbvoll pendelte, fuhr er bei der nächsten Tankstelle vor und kaufte einen Kanister. Er wählte einen für zwanzig Liter, einen gebrauch ten Armeekanister aus Blech. „Super?“ fragte der Tankwart. „Egal.“ „Sie müssen doch wissen was Sie fahren, Monsieur.“ „Klar Super“, sagte Bennet. Der volle Kanister kam in den Kofferraum. Rasch fuhr er weiter. Gut eine Stunde nach dem verabredeten Termin kam er im Yachthafen von Biarritz an. Peggy Monkton war schon ziemlich ungehalten. Er erklärte ihr, daß ihn wichtige Geschäfte von der Reise abhielten. Er könnte leider nicht mitkommen, bitte sie aber, irgendwo an der spanischen Küste auf ihn zu warten. Sie verabredeten sich für Freitag in Aviles. Das war in drei Tagen. Die Engländerin, sie hatte einen Narren an Bennet gefres sen, bedauerte es zwar, zeigte aber Verständnis. Bennet glaubte, daß es vorteilhaft sei, wenn er sie zum Abschied küßte. Also nahm er sie in die Arme. „Schade“, flüsterte er, „aber es geht nicht anders. Bis bald, Darling.“ Die Yacht warf die Leinen los und verließ den Hafen. Bennet wendete den Peugeot und fuhr wieder in Richtung St. Jean de Luz. Hinter Ciboure, wo sich die Straße dem Meer näherte und mit unzähligen Kurven und Windungen, meist hoch über dem Strand, der Küste folgte, rollte er langsam dahin. 71
In drei Tagen in Spanien, überlegte er, vielleicht kannst du noch einen Stierkampf sehen, ehe die Saison zu Ende geht. Gerade zum Schluß sollen sie am besten sein. Weiter dachte er an die hübsche mollige Engländerin. Er würde sie schon ins Bett kriegen. Gewiß wartete sie darauf. Wenn er es nicht versuchte, hielt sie ihn womöglich noch für einen Schwulen. In drei Tagen also in Aviles. Dann würde ein neues Leben beginnen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Vorausgesetzt, er machte jetzt keinen Fehler. Genaugenommen kam die rettende Idee von Jake Sims. Bennet käme nicht mehr aus dieser Klemme heraus, hatte er gesagt. Nicht lebend. Okay, wenn nicht lebend, dann eben tot. Leider hatte Bennet keine männliche Leiche seiner Größe und seines Alters zur Verfügung. Also mußte er dafür sor gen, daß es ein gutes Feuer gab, möglichst eine Explosion, die sich gewaschen hatte. Aber darauf verstand er sich. Am Ende einer langen Gera den, die bergauf führte, um hinter einer unübersichtlichen Hügelkuppe eine Kurve landwärts zu beschreiben, hielt er an. Wer diese Gerade zu schnell nahm, wurde aus der Kurve getragen und landete vierzig Meter tiefer zwischen Felsen und Gischt. Russel Bennet versteckte den Benzinkanister seitlich im Gebüsch. Dann stieß er zurück bis zur Hügelkuppe. Dort wartete er, bis die Straße auf beiden Seiten frei war und ließ den Peugeot abwärts rollen, ohne in der Kurve nach links zu lenken. Im letzten Moment sprang er heraus. Die Limousine hielt brav auf die Steilkante zu, kippte ab und purzelte, sich überschlagend und querschlagend, in die Tiefe. Unten kam sie mit der Vorderachse im Wasser zur Ruhe. Bennet kletterte mit dem Kanister ab, entleerte ihn in das zerbeulte Autowrack und legte mit dem letzten Liter eine Art Zündschnur, indem er den Sand fingerbreit auf mehrere 72
Meter benetzte. Den Kanister warf er ins Meer. Die feuchte Spur im Sand zündete er an, ehe sie vertrocknete. Rasch fraß sich die Flamme in der Benzinrinne entlang zum Wrack. Das Benzin blowte prasselnd hoch. Bennet rannte weg. Sekunden später explodierten die dreißig Liter Super im Tank. Die Explosion riß das Fahrzeug in Fetzen. Der Rest sackte über die Klippen in die Tiefe. Noch einmal kehrte Russel Bennet zurück und klemmte seinen Originalpaß, nachdem er ihn mit Ruß beschmiert hatte, unter einen Felsen. Dabei achtete er darauf, daß ihn der Erkennungsdienst der Sûrete National auch finden wür de. Danach stieg er zur Straße auf und ließ sich von einem Gemüselastwagen zur spanischen Grenze mitnehmen.
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7.
„Das sieht sogar ein Blinder, Monsieur Commisaire“, sagte Bob Urban. „Ich bin leider nicht blind“, mißverstand der Kriminalbe amte den leisen Spott. „Offenbar sieht es wirklich nur ein Blinder.“ „Man täuscht uns hier etwas vor.“ Der erfahrene Polizist aus Biarritz machte mit der Hand eine Bewegung, als wolle er sie trockenschütteln. „An dieser Kurve kracht es mindestens zweimal pro Wo che.“ „Man sollte sie entschärfen.“ „Das tat man. Am Kurvenaußenrand wurden, zwischen Straße und Steilhang, Leitplanken montiert. Sie sehen ja.“ Urban sah leider nur die Reste, die Stümpfe der einbeto nierten Leitschienenträger. Die Schienen selbst lagen aufge rollt wie Korkenzieher drüben in der Wiese. „Nützte offenbar wenig.“ „Ein Lkw rasierte den ganzen Segen schon wenige Tage nach dem Einbau weg.“ „Man sollte die Straße verlegen, weiter landeinwärts, Hü gel und Kurve begradigen.“ „Da kennen Sie die Sturheit unserer Bauern schlecht. Mit zehntausend Quadratmeter Boden wäre das zu machen. Aber die geben sie nicht her. Eher errichten sie Barrikaden.“ Besser so, dachte Urban, als man erledigt es durch Behö r dendruck wie bei uns zu Hause. „Die Leute sollen langsamer fahren“, meinte der hagere Kommissar mit der Baskenmütze, „und die Warnschilder beachten. Der Fahrer des Peugeot tat dies offenbar nicht in ausreichendem Maße.“ „Oder absichtlich“, ergänzte Urban. „Er war Amerikaner.“ „Die haben auch Verkehrsregeln. Außerdem mißfällt mir das Fehlen der Leiche.“ 74
Der Kommissar kratzte sich unter der Mütze, ohne sie ab zunehmen. „Kein Grund, an manipulierten Selbstmord zu denken.“ „Bon, aber wo ist die Leiche, bitte?“ Der Kommissar versuchte es zu erklären. „Der Wagen wurde aus der Kurve getragen, stürzte hinun ter. Benzinexplosion. Aus.“ „Wissen Sie“, unterbrach ihn der deutsche BNDAgent, „wie viele Autos nach so einem Unfall, selbst bei vollem Tank, explodieren? Nicht einmal zehn Prozent. Nur im Kino, da klappt es immer.“ „Dann war es einer von den zehn unter hundert“, beharrte der Franzose. „Der Wagen brannte aus, der Fahrer verkohl te.“ „Und wo sind die Reste? Die Knochen zum Beispiel.“ „Das Wrack kippte zwischen die Klippen. Hier herrscht ständig Ebbe und Flut, ein Steigen und Ablaufen des Was sers mit hoher Geschwindigkeit. Der Sog ist so stark, daß er schwach motorisierte Boote aufs offene Meer zieht. Die Dünung wirkt wie ein riesiger Staubsauger. Was an dem Wrack nicht niet- und nagelfest war, spülte sie heraus und nahm es mit.“ Das war eine Erklärung, aber keine ausreichende für Ur bans Mißtrauen. „Und ausgerechnet der Paß bleibt auf dem Trockenen.“ „Mitunter wirft die Dünung auch etwas an den Strand zu rück. Vor allem schwimmfähige Gegenstände. Aber seien Sie doch froh. Ohne den Namen wären Sie jetzt nicht hier.“ Urban steckte sich eine Montechristo an. Der Rauch war noch nicht verweht, da vernahm er die Stimme des Kommis sars wieder. „Warum sind Sie eigentlich so rasch gekommen, mon ca marade?“ Urban sagte es ihm. 75
Angefangen hatte es, als Urban noch hinter der Terroristin Clivia Camberland herjagte. Allerdings auf einem anderen Schauplatz, nämlich drüben in den USA, in Chicago. Bei der Auswertung amerikanischer Tageszeitungen war der zuständigen BND-Abteilung eine Notiz aufgefallen. Sie betraf den Einbruch bei der Servo -Motoring-Corporation in Whiting/Chicago. Der Auswerter las sie seinem Kollegen vor: „Hör dir das an, Josy“, rief er in den Nebenraum, „da wird einer von seinem Arbeitgeber um den Lohn beschissen, steigt nachts ein und bricht den Safe auf. Als er seine drei tausend Dollar einpacken will, sieht er zwei Millionen vor sich. Was hättest du an seiner Stelle gemacht?“ „Hätte alles mitgenommen und wäre für längere Zeit ve r reist.“ „Hat er auch“, erklärte der Kollege. „Natürlich sind sie jetzt hinter ihm her, hinter diesem schlauen Mister Bennet. Obendrein hat er noch geheime Konstruktionsunterlagen mitgehen lassen.“ „Wenn schon, denn schon“, kam es ironisch zurück. Unvermittelt hängte der andere Auswerter einen Fluch an. „Verdammt, wie heißt der Laden?“ „Servo-Motoring-Corporation in Whiting/Chicago.“ Der Angestellte, dem es oblag, alle wichtigen Tageserei gnisse auf dem amerikanischen Kontinent in Computerspra che zu übersetzen und zu programmieren, fuhr mit seinem Stuhl nach links vor ein halbrund geschwungenes Eingabe terminal, eine Anhäufung von Schaltern, Knöpfen, Tastatu ren und Sichtschirmen. Seine Finger spielten darauf. Die Anlage brauchte einige Zeit, um die abgerufene Information auf die Mattscheibe zu projizieren. Deshalb telefonierte der Mann mit einer anderen Abteilung. Was er hörte, schien seinen Verdacht zu bestäti gen. Wenig später stand es flimmernd auf dem Bildschirm. „Wußte es doch“, rief er, „ich kann mich auf mein Ge dächtnis verlassen. Vor Monaten lief eine Information 76
durch, daß die SMC in Chicago Zulieferer für unsere Rü stungsindustrie ist.“ „Was liefert sie und wofür?“ fragte der Kollege von ne benan. „Teile für den neuen Kampfpanzer Leopard zwo.“ Der von nebenan hatte seinen Schreibtisch verlassen und stand jetzt in der Tür. „Teile, was für Teile?“ „Eine kleine Antriebsmaschine für das Notstrom- und Startaggregat. Einen mit der Hand anlaßbaren Zweitakter, für den Fall, daß es extrem kalt ist und die Batterien den Hauptmotor nicht zum Laufen bringen. In Rußland herr schen bekanntlich kalte Winter.“ Da die Befürchtung bestand, geheime Pläne dieses Aggre gats, das die SMC für den deutschen Panzerbauer herstellte, könnten bei dem Safebruch abhanden gekommen sein, wur de die Operationsabteilung eingeschaltet Gespräche gingen zwischen München, Washington und Chicago hin und her. Wie sich herausstellte, fehlten tatsächlich einige Zeichnun gen. Man erklärte dem BND aber, daß man die Sache im Griff habe. Es könne sich nur um Tage handeln, dann sei Russel Bennet gefaßt. Die Geheimhaltung sei absolut gesi chert. Leider wurde Russel Bennet nicht gefaßt. Nun drängte der Panzerhersteller über das Verteidigungsministerium darauf, daß die Pläne sicherzustellen seien. Bonn schob die Sache wiederum seinem Auslandsgeheimdienst zurück. Beim BND herrschte daraufhin Ratlosigkeit. Wie sollte man die Pläne beschaffen, wenn es nicht einem FBI und Interpol gelang, eine Spur von Russel Bennet aufzunehmen? Und dann kam dieses Fernschreiben. Es lief über Sürete Paris via Interpol und BKA Wiesbaden nach München Pullach. Es lautete wie folgt: – ihre anfrage vom 17. russel bennet chicago – gesuchter gestern auf nebenstrasse nr. 4 biarritz – st. jean de luz töd 77
lich verunfallt. – aufschlagbrand. – identifikation der leiche ist veranlagt – gez. maurier interpol/paris. Das war an dem Tag, als Bob Urban aus Mestre zurück kam, mit nichts als ein paar Fotos in der Kamera und der Meldung, daß man Clivia Camberland erschossen hatte. Urban wirkte nicht sonderlich selbstbewußt, sondern recht unzufrieden. Oberst Sebastian nannte es anders. „Klein und häßlich stehen Sie jetzt da“, sagte er. „Recht fertigen Sie sich wenigstens.“ Den Gefallen tat ihm Urban nicht. „Daß man sterben muß“, antwortete er. „wenn man sich auf so einen Job einläßt, das ist die Regel. Und das Leben ist die Ausnahme.“ „Schön, aber soll das eine Begründung sein? Was bedeutet ein vietnamesisches Flugzeug in diesem Zusammenhang?“ „Der Pilot war außerdem Europä er.“ Dies schien dem Alten weniger wichtig. „Die Russen liefern Waffen, Geräte und Flugzeuge nach Hanoi, warum nicht auch Ausbilder und Bedienungsperso nal.“ Urban hatte keine Erklärung parat. Nicht einmal ein Ge fühl, wie es laufen könnte. Zusammenhänge zwischen der Terroristenszene und Ar a fats PLO hatte es zwar immer gegeben, aber nicht mit den indochinesischen Kommunisten. Als nächstes machte er sich an die Auswertung seines Filmmaterials. Mittendrin holte ihn ein Anruf aus dem Labor. „Sie müssen nach Biarritz“, befahl der Alte, aber in einem Ton, der wie eine Strafversetzung klang. „Biarritz immer“, sagte Urban. „Hören Sie erst, was dort gelaufen ist. Ich erwarte Sie in der Operationsabteilung.“ Das war vor 26 Stunden gewesen. 78
Urban beendete seine Ausführung mit den Worten: „Ich bin als eine Art Leichensucher in Biarritz, Monsieur.“ „Und Plänesucher.“ „Ohne Leiche keine Pläne.“ Mit verstecktem Grinsen fragte der Provinzkommissar sei nen berühmten Geheimdienstkollegen: „Wie wollen Sie jetzt vorgehen, Mons ieur Dynamite?“ Urban überlegte halblaut „Daß er unter seinem Geburtsnamen im Hotel abstieg, ist nicht anzunehmen.“ „Wir haben keine Eintragung auf Russel Bennet. In kei nem Hotel der Atlantikküste.“ „Mit dem Paßfoto kommen wir auch nicht weiter.“ „Man müßte es vervielfältigen und die Hotelrezeptionen damit abgrasen.“ „Haben Sie genug Leute, Commissaire?“ „Nicht in ganz Frankreich gibt es so viele.“ „Außerdem“, befürchtete Urban, „ist das Foto zu schlecht, um einige Jahre alt zu sein. Bennet hat sich mit Sicherheit verändert. Bart, andere Brille, und schon ist es praktisch unmöglich, ihn zu finden.“ Der Franzose hatte offenbar etwas in der Hinterhand. Er lächelte auf eine Weise, als bereite es ihm Vergnügen, den Deutschen auflaufen zu lassen. „Was nun?“
„Versuchen wir es über das Auto“, schlug Urban vor.
„Was wollen Sie mit diesem Wrack.“
„Das Kennzeichen ist lesbar. Zulassung erfolgte in Biar
ritz.“ „Der Wagen kann gestohlen sein.“ „Das haben Sie doch längst festgestellt, oder? Schätze, er ist es nicht.“ „Woraus schließen Sie das?“ wollte der Franzose wissen. „Aus Ihrem Verhalten“, sagte Urban. „Sie wissen etwas.“ Der Commissaire holte einen gefalteten Zettel aus dem Regenmantel und las eine Adresse ab. 79
„Cente-Automobile-Verleih. Monsieur Jake Sims aus New York.“ „Leider falsch“, verbesserte ihn Urban. „Mister Jake Sims kommt aus New Jersey.“ Der Franzose hob die buschigen Brauen. „Woher haben Sie das?“ „So schlau wie Sie war ich auch. Aber eines steht fest. Sims ist nicht Bennet. Bennet ist spitznasig und eine Schul terbreite schmäler als Sims. Nicht zu verwechseln die bei den. Nicht mal von den Mädchen im Autoverleih.“ „Schlußfolgerung?“ „Bennet benutzte den Wagen von Sims.“ „Dann trafen sich die beiden.“ „Und beide sind Amerikaner“, ergänzte Urban. „Aber Sims ist kein Polizist“ „Woher haben Sie das schon wieder?“ „Aus Washington. Von den Spezialagenten, die FBI und Interpol hinter Bennet herhetzten, heißt keiner Sims.“ Enttäuscht zerknüllte der Franzose seinen Zettel und warf ihn weg, als habe man ihm den Spaß an der Sache verdor ben. Urban lag aber daran, daß der Franzose nicht abschlaff te. „Jetzt stehe ich allerdings an der Wand“, gestand er. „Freut mich.“ Der Franzose ging voraus. Urban einen Schritt hinterher. Sie nahmen den weniger steilen Pfad zur Straße hinauf. „Ich kann mich nicht zehnteilen“, bedauerte Urban, „und sämtliche Hotels nach Sims abklappern.“ „Und die Zimmer und die Privatquartiere, die Camping plätze, die Bungalowdörfer, all die Leute, die hier den letz ten Kaninchenstall vermieten. Nein, das können Sie nicht, mon ami.“ „Ich nehme an“, sagte Urban. „Ihre Leute sind schon aus geschwärmt.“ „Ich muß den Fall lösen“, erklärte der Franzose in einem Ton, als säße er vor einem Teller Fischsuppe und möge Fischsuppe nicht. 80
„Sie halten mich auf dem laufenden?“ fragte Urban. „Vielleicht.“ „Wovon hängt das ab?“ Der Kommissar grinste jetzt. „Daß Sie mich zu einem Vin blanc einladen“, sagte er. * Die Nacht im Hotel erfüllte Urban mit wachsender Unruhe, als würde er etwas versäumen, ohne zu wissen, was. Die Bestätigung erhielt er beim Frühstück durch einen An ruf des Kommissars. „Wir haben diesen Sims“, berichtete er. Dann kam das dicke Ende: „Gehabt.“ „Was heißt gehabt?“ „Daß er bereits auf dem Weg in die USA ist.“ „Sie ließen ihn einfach ziehen?“ Urban schmeckte das in Kirschkonfitüre getauchte Butter hörnchen nicht mehr. „Wir hatten keine Handhabe gegen ihn.“ „Ihr Fall ist also geklärt.“ „In der Tat.“ Französische Kriminalbeamte ließen Ausländer niemals laufen, wenn sie nicht von deren Unschuld überzeugt waren. „Wo bekamen Sie ihn?“ „In einem Strandmotel nahe St. Jean. Er zog gerade aus. Er hatte auf Bennet gewartet, aber der hat ihn wohl versetzt Schließlich wurde es ihm zu dumm und er wollte nicht län ger herumhocken.“ „Ist er glaubwürdig?“ „Er spricht die Wahrheit“, versicherte der Kommissar. „Sims traf Bennet zufällig hier. Sie beschlossen, gemeinsam eine Yachtpartie nach Spanien zu unternehmen. Bennet fürchtete offenbar, Sims habe von seinem Coup in Chicago gehört, und versuche ihn zu erpressen. Er lieh sich Sims Wagen und erlitt den Unfall. Wir haben Sims Angaben 81
überprüft. Sie gehen in Ordnung. Er verwickelte sich nicht in Widersprüche.“ „Mir mißfällt“, sagte Urban, „daß dieser Sims plötzlich Bennet gut kennen soll. Alte Freunde treffen sich rein zufäl lig in Biarritz. Das mißfällt mir stark.“ „Es mißfiel mir zunächst auch“, gestand der Kommissar, „wir Kriminalisten haben offenbar doch die gleiche Wellen länge. Ich verhörte Sims in meinem Büro und fragte ihn, woher er Bennet kenne. Aus dem Krieg sagte er – Nun, im Krieg lernt man viele Leute kennen. So was kann jeder be haupten.“ „Wie gut behauptete er es?“ „So gut, wie man nur kann“, berichtete der Kommissar. „Er bestätigte es durch ein Foto. Auf dem Foto waren acht amerikanische Soldaten der Air Force. Zwei Leutnants, Sims und Bennet, ein Captain, ein Major und vier Mann schaftsdienstgrade.“ „Alte Kameraden vom Dschungelpfad“, murmelte Urban. „Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie ihm das Foto erst zurückgaben, nachdem Sie eine Kopie anfertigten.“ „Was sage ich“, stöhnte der Franzose, „unsere gemeinsa me Wellenlänge. Sie können eine Kopie der Kopie haben.“ „Ich bitte darum“, sagte Urban, „höflichst.“ Bevor er sich in Richtung Toulouse begab, um dort das südfranzösische Autobahnnetz zu erreichen, schaute Urban bei dem Kommissar vorbei. Jetzt erst erfuhr er, daß der baskenmützige Beamte, der offenbar nur Stummel rauchte und nie eine ganze Zigarre, Simon Préludien hieß. Ein viel zu poetischer Name für diesen lederhäutigen Grandler. Der Kommissar übergab Urban das Foto von Sims, Bennet und Kameraden im Umschlag. Urban warf nur einen Blick darauf, ehe er es einschob. Er bekam noch einen Kaffee und verabschiedete sich dann. Erst vierzig Kilometer weiter westlich, kurz vor Pau, zün dete es plötzlich bei ihm. Es war wie ein Blitz im Dunkel der Nacht, der für Sekundenbruchteile die Landschaft erhell 82
te. Das Foto. Verdammt, das Foto. – Der auf dem Foto links. Warum war er ihm nicht gleich aufgefallen? Aber nun war er ja darauf gestoßen, wenn auch mit Verzögerung. Diesbezüglich konnte er sich auf die Funktionsfähigkeit seines Gehirns so hundertprozentig verlassen wie auf den Sonnenuntergang. Meistens schlug es rechtzeitig Alarm.
Manchmal auch ein wenig zu spät.
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8.
Sie hatten alles zur Verfügung. Jedes notwendige Gerät. Nur nicht genügend Zeit. Der Militärgouverneur hatte versichert, daß er für fünfzig tausend Dollar in Gold alles auf seine Kappe nehme. Doch was er am Ende für sie tat, war wenig genug. Er zog nur seine Vorposten aus dem Mekong-Delta für 24 Stunden ab und ging zur Jagd. Ebenfalls für 24 Stunden. – Sie hatten also einen vollen Tag. Und nicht eine Minute länger. Aber der Major war ein großer Organisator. Er hatte das amphibische Landungsfahrzeug besorgt, den 44er Bergungs typ mit dem Drehkran und eine Dschunke samt Besatzung. Am 23. übernahm er das Landungsfahrzeug im Tung-VanDepot nahe der Küste. Sie checkten es durch. Bis auf einige Hydraulikdichtungen und die Kühlwasserpumpe für den Backbordmotor war das Gerät in ausgezeichnetem Zustand. Kein Wunder, es war 1974 fabrikneu aus Californien herü bergebracht worden und nie mehr zum Einsatz gekommen. Die Eroberer des Landes wußten wenig damit anzufangen. Seitdem stand es gut konserviert herum. Sie hatten lediglich zwei große 24-Volt-Batterien einzusetzen und die Tanks zu füllen. Am 25. fuhren sie los. Major Benjamin, Captain Dudley und Jake Sims. Ihren vierten Mann, Lt. Russel Bennet, ver mißten sie sehr. „Er fehlt uns an allen Ecken“, bedauerte Benjamin immer wieder. „Wenn es je einen Defekt gab, faßte er hin und hatte ihn behoben. Wozu wir eine komplette Werkstatt brauchen und drei Tage, da genügte ihm ein mittlerer Schraubenzieher und zwei Minuten.“ „Das technische Genie Bennet hatte was gegen uns“, höhnte Dudley. „Das hätte ich nicht von ihm erwartet“ „Es war meine Schuld“, gestand Sims. „Ich vertraute ihm. Ich dachte, einem alten Kameraden kannst du vertrauen.“ 84
„Wir schickten dich nicht als sein Kindermädchen rüber“, dämpfte der Major Sims Selbstkritik. „Und wer ahnt schon, daß ein Supertechniker wie Bennet mit einem Automobil solchen Mist baut.“ „Wenn es kein mieser Trick war.“ „Dann kriegen wir ihn eines Tages.“ „Und er wird dafür büßen“, ergänzte Dudley. „Was weiß er denn alles?“ „Zuviel“, erklärte Sims. „Ich mußte ihn einweihen. Er weiß, daß es um die BLU-82 geht und daß viel Geld im Spiel ist“ „Für wen wir es machen, weiß er nicht?“ „Er hätte es gerne erfahren, aber ich wollte es ihm erst spä ter sagen.“ „Ein Verräter ist er nicht“, äußerte sich Benjamin. „Ich kenne ihn.“ „Aber ein einsamer Experte für die BLU-82 war er.“ Der Major warf die Zigarette über die Bordwand des merkwürdigen Fahrzeugs, das aussah wie ein schiffsförmi ger Ponton, aber mächtige Räder hatte. Insgesamt acht Stück für die Fortbewegung im Gelände, außerdem zwei Propeller als Antrieb im Wasser. Der Bug war hochklappbar. Dann bot das Landungsfahrzeug zwei Panzern und fünfzig Mann Platz. Oben auf Deck war der Kran montiert. Man konnte sowohl Lasten bis zu 14 Tonnen damit heben als auch eine Bagger schaufel montieren. Jake Sims hatte extra einen Kurs als Baggerführer besucht. Der Major hatte sich alle erreichbaren geheimen Unterlagen über die BLU-82 besorgt. Er traute sich zu, sie zu zerlegen. Und Captain Dudley war extra aus Israel herübergeflogen, weil er 1973 als zweiter Pilot das Anflugradar bedient hatte und das Delta wie kein zweiter kannte. Sie fuhren dicht unter der Küste entlang auf den nördli chen Abschnitt zu. Der Seegang war mäßig, höchstens Stär ke zwei. Der Wind stand landwärts. Es ging auf Abend. 85
„Bald beginnt unsere Schonfrist“, sagte der Major am Ru der stehend. „In sechsundzwanzig Stunden müssen wir wi e der hier sein. Mit dem Ding an Bord.“ „Das ist eine Ewigkeit“, bemerkte Dudley, die Karte stu dierend. „Was hast du in Tel Aviv gesagt?“ fragte Sims. „Ich hätte in Boston eine Familienangelegenheit zu erledi gen.“ „Der israelische Geheimdienst ist mißtrauisch.“ „Ich habe sie reich beschenkt“, erwähnte Dudley, „mit Kaviar und Champagner aus der ersten Importquote. Das vertieft die Freundschaft.“ Die Küste wich zurück. Das Grün des Meeres wurde lehmbraun. Sie liefen in das Delta ein. Mit voller Fahrt schoben sie sich Stunden um Stunden Mekongaufwärts. Der Fluß verän derte ständig seine Ufer, die Inseln, die Schlickbänke und Fahrrinnen. Aber das Landungsboot war flach. Es hatte kaum achtzig Zentimeter Tiefgang. Dudley stand auf dem Dach des Fahrstandes, das Glas vor den Augen. „Noch ein paar Meilen“, rief er, „dann kommt CharlysPoint, die Stelle, wo sie die Flugabwehr postiert hatten. Dann hart backbord zwischen den Inseln durch.“ „Falls es da noch Inseln gibt.“ „Später kommt ein Dorf. Dort müssen wir den Priel rauf. In dessen Nähe muß es sein.“ Schlickbänke ragten wie flache Buckel aus dem Wasser. Besenartige Fahrwasserzeichen steckten im Schlick. Die Ufer waren trockengefallen. Es war die Stunde der Ebbe. Nahe bei dem ausgestorbenen Dorf schalteten sie auf Rad antrieb und fuhren das Amphibium an Land. Sie drückten noch ein paar Sandwiches hinunter, spülten mit Dosenbier nach. Gegen 21 Uhr rollten sie sich in die Hängematten. Die Stechmücken kamen. 86
Im Dunkeln hörte Sims den Major noch „damned Me kong“ fluchen. * Im Morgengrauen wurde Sims vom quietschenden Keilrie men des Backbordmotors geweckt. Die GM-Maschine lief so leise, daß das Lauteste an ihr tatsächlich der Gummirie men zur Lichtmaschine war. „Was ist denn los mitten in der Nacht?“ fragte Sims, stieg aber schon in die Stiefel und turnte nach oben. Sie tranken heißen Tee. Dudley hatte bereits das Terrain erkundet. Sie wollten den Weg über Land nehmen. „Natürlich gibt es keine Straße“, sagte Dudley, „aber der Sumpf hat oben eine harte Schicht. Die Trockenheit.“ „Und wenn wir einbrechen?“ „Das Gerät ist praktisch ohne Last Auflagegewicht der Reifen kaum sechs Pond pro Quadratzoll. Wenn es durch sackt, ziehen wir uns mit Anker und Winde wieder heraus. Wird schon schief gehen.“ Ringsumher herrschte absolute Ruhe und Windstille. Das Hochwasser stand in den Prielen. Sie fuhren los. Nach drei Meilen, als der Sumpf anfing, in den vor Jahren die B-58 gestürzt war, stieg Sims aus, und marschierte vo r neweg. Über Gegensprechanlage informierte er den Major, wie er fahren sollte. Trotzdem ließ sich nicht vermeiden, daß sie mit der hint e ren Doppelachse in ein salziges Wasserloch gerieten. Es krachte kurz. Die dünne Lehmschicht war gebrochen. Weiß liche Lake spritzte hoch. Der Major fluchte. – Schon eingesackt und noch nicht in der Nähe des Wracks. Sie schaufelten sich aber heraus. Als der Nebel stieg, sa hen sie etwas, das wie ein kerzengerader Baum ohne Äste und Krone aus der Ebene ragte. „Das Heckleitwerk“, rief Benjamin. „Es schaut noch drei 87
Meter aus dem Dreck. Die Maschine muß auf eine Kies schicht geraten sein und dort aufliegen. Zum Glück weiß keiner, daß an dem Leitwerk noch ein komplettes Flugzeug hängt.“ Anhand der Leitwerkspitze ließen sich die Lage des Bom bers und seine Umrisse bestimmen. Sie maßen aus, wie sie zu baggern hatten, um die B-58 genau über dem Radar schacht freizulegen. Dann schwenkten sie den Drehkran aus und kuppelten die Baggerschaufel an. Sims zeigte, was er gelernt hatte. Zu Anfang, war es so, als versuche man ein Loch in Gummi zu bohren. Als endlich die oberste Schicht abgetragen war, verhielt sich die nächste wie dünner Grießbrei. Was Sims auch weghob, floß, kroch und wälzte sich wieder in die Lücke. Dann fiel die Hydrau likpumpe aus. Sie reparierten bis zum Mittag. Noch sechs Stunden, und sie waren nicht einmal bei der Aluminiumhülle des Rumpfes angelangt. Dann kam die Sonne durch und mit ihr die Hitze. Plötzlich ging es besser. Sie kamen zügig tiefer. Mit den Baggerzäh nen rissen sie den Flugzeugrumpf auf zehn Meter Länge auf, drückten ihn auseinander bis das Ding im Abwurfschacht vor ihnen lag. Der Major massierte sich die Hände, stieg, das Spezial werkzeug umgehängt, hinab und begann mit dem Entschär fen. Mit angehaltenem Atem trennte er die letzten Kabel durch. Daß sie zündeten, war nicht anzunehmen. Alle Batterien an Bord, die Akkus und die Trockenelemente, waren nach sieben Jahren bestimmt ohne Energie. „Geschafft!“ rief er und riß schweißnaß eine Colabüchse auf. „Jetzt bist du dran, Dudley.“ Der Captain stieg ab und holte ein Transportnetz um die Blechröhre herum. Es handelte sich um eines jener Sisalnet ze aus armdicken Tauen, an denen Lastenhubschrauber Geländefahrzeuge und kleine Panzer beförderten. 88
Das Netz hielt 12 Tonnen aus. Wenn es neu war. Um 16 Uhr endlich war das Netz so weit, daß der Kranha ken die Ösen packen konnte. Der Anfang war Millimeterar beit. Vorsichtig wie eine Hebamme ein ausschlüpfendes Baby zogen sie das zehn Tonnen schwere Monster aus dem Rumpf und hievten es an Deck des Amphibienfahrzeugs. Dort hatten sie ein großes Pionierschlauchboot als Bett vo r bereitet Sanft ruhte das Monster auf den Gummiwülsten, gehalten von Keilen und Trossen. Eine halbe Stunde vor Ablauf der Zeitgarantie startete Benjamin die Motoren. Inzwischen herrschte wieder Ebbe. Sie mußten denselben Weg zurück, weil die Priele kaum Wasser führten. Sie erreichten das Dorf und hinter dem Dorf das Fahrwas ser, als ihre Frist zu Ende war. Aber die Sonne sank, und das Schlimmste war geschafft. „Der Gouverneur wird sich hüten“, sagte Benjamin, „uns jetzt noch ein Patrouillenflugzeug auf den Hals zu hetzen.“ Er irrte sich. In der Dämmerung hörten sie eine tief fliegende Maschine. Die Einmotorige kreiste, als suche sie etwas. Aber der Dunst über dem Delta hüllte sie ein. Gegen 22 Uhr, fünf Stunden nach Ablauf der Frist, er reichten sie die Mündung. Wenig später den offenen Sund. Kurz bevor ihre Benzinvorräte zu Ende gingen, sahen sie ein Licht. Sie blinkten es an. „Nur ein Kutter vor Netz“, befürchtete Dudley. Sie schossen das vereinbarte Erkennungssignal. Das Kutterlicht ging aus. Aber wenig später hörten sie den schweren Diesel der Dschunke. Ihre Umrisse schälten sich aus dem Dunkel der Nacht. Das Umladen dauerte bis 02 Uhr morgens. Endlich war das Monster an Deck der Dschunke festgezurrt. Sie versenkten das Amphibienfahrzeug, indem sie die Bodenventile im Motorraum öffneten, und nahmen Kurs Süd, auf die Brüder-Inseln. 89
Auf dem verlassenen Eiland neunzig Kilometer südöstlich von Kap Camau, das sie am 28. erreichten, standen mehrere Baracken. Die kambodschanischen Fischer besaßen hier einst einen Nothafen gegen die Stürme im Südchinesischen Meer. Heute gab es keine kambodschanischen Fischer mehr, wie es kaum noch ein kambodschanisches Volk gab. Mit den Flächenbombardements der US Air Force hatte seine Ausrottung begonnen, die Roten Khmer hatten sie fortge setzt. Jetzt versetzten ihm Hunger und Seuchen den Rest. In der Baracke gleich neben dem natürlichen Felsenpier machte sich Major Benjamins Team an die Arbeit. Der Major zerlegte das BLU-82-Gerät in die kleinstmögli chen Einzelkomponenten. Diese mechanischen Teile, sie lagen zwischen Taschenrechner- und Radiogröße, wurden unauffällig in Apparate integriert, wie man sie überall auf dem Weltmarkt erstehen konnte. Sie kamen als Bestandteile in Kameras, in Stereoanlagen und in Spielwaren. Die sper rigsten von ihnen wurden geschickt als Teile eines Motor rads oder einer Werkzeugmaschine verbaut. Kein Problem gab es mit der röhrenförmigen Hülle. „Die ist nur aus Blech“, sagte Benjamin, „nicht einmal Edelstahl oder Aluminium, einfaches verzinktes Blech, armygrün gespritzt. Die fertigt uns jeder Schmied maßgenau an.“ Große Schwierigkeiten hingegen machte der Inhalt der hermetisch verschlossenen fässerartigen Behälter. Im ganzen waren sie nicht an den Bestimmungsort zu bringen. Benjamin und Dudley hatten alle Möglichkeiten getestet, aber es gab keine. Man mußte den Inhalt in Mini portionen ins betreffende Land schmuggeln. Dafür hatte der Major eine Idee entwickelt. Er hatte ge hofft, den Inhalt in kleinere Behälter umfüllen zu können. Doch das ließ sich nicht verwirklichen. „Geht nicht“, sagte er erschöpft von den umfangreichen Versuchen. „Warum?“ 90
„Das Zeug ist nicht flüssig und nicht fest“ „Gibt doch nur die eine oder andere Möglichkeit, wenn es kein Gas ist.“ „Leider kennt man noch einen anderen Zustand. Den der Gelatine.“ „Der Sülze, meinst du.“ „Ein Mittelding zwischen flüssig und trocken, weich und hart.“ „Eine Art Aspik.“ „Wie kriegt man das aus den Fässern, ohne daß zuviel Luft rankommt?“ „In einem Unterdruckraum mit dem Löffel.“ Sims wollte wissen, woraus dieses sulzige Gemisch be stand. Der Major konnte nur vermuten. „Mit Uran, Plutonium oder mit A-Bombenmaterial hat es nichts zu tun.“ „Das wissen wir.“ „Schätze, es enthält Ammonium-Nitrat, Aluminiumpulver und noch ein paar geheime Zusätze.“ „Und wie soll das wirken?“ „Es wirkt“, versicherte der Major. „Ich weiß zwar nicht wie, aber ich sah es wirken. Und es war das Inferno.“ Der 30. an dem Dudley nach Tel Aviv zurück mußte, kam näher. In der Baracke standen Hunderte von Blechdosen und Flaschen herum, in die das Gemisch aus dem BLU-82-Gerät umgefüllt werden sollte. Dazu die nötigen Etiketten und Versandpapiere. Aber alles war noch leer. Endlich glaubte Benjamin eine Abpackmethode gefunden zu haben. „Bennet wäre schon am ersten Tag darauf gestoßen“, sagte er. „Ich habe unten ein Loch in die Fässer gebohrt und oben einen Ölhahn mit halbzölligem Querschnitt eingeschraubt Wenn ich nun von oben Druck gebe, kommt unten die Gela tine wurstartig heraus. Ich packe sie in die Eimer und ve r schließe sie. Fertig.“ 91
„Womit gibst du Druck?“ fragte Sims. „Das Zeug verträgt nur kurzfristige Berührung mit Sauerstoff.“ Benjamin grinste. „Propangas aus der Flasche für den Kombüsenherd der Dschunke.“ Noch in der Nacht begannen sie mit dem Abfüllen und dem Verschließen der Kleinbehälter. Am Morgen des 31. kam das Flugzeug von Bangkok her unter. Es holte Dudley und Major Benjamin ab. Nach einem stürmischen Dreistundenflug quer durch den Golf von Siam erreichte Dudley seinen Anschluß nach Kara tschi gerade noch. Major Benjamin hatte bereits ein altes De Havilland-Flugboot gechartert und kehrte wieder auf die Insel zurück, wo Jake Sims die Beute hütete. In drei Flügen verteilten sie das gesamte Material, perfekt getarnt, auf neue Lager. Zwei Tonnen flogen sie nach Sin gapore, zwei Tonnen nach Palawan, von wo sie, deklariert als philippinische Fischspezialität, exportiert werden sollte. Den Rest flogen sie nach Bangkok und Rangun. Dort über nahmen Spediteure moslemischen Glaubens den Weiter transport. Major Benjamin rieb sich die Hände. Er kassierte das zweite Drittel des vereinbarten Honorars und teilte es im vereinbarten Schlüssel zwischen sich und seinen Partnern auf. Auf jeden entfiel mehr als vorgesehen. „Bennets Anteil“, sagte der Major, „geht auch durch drei.“ „Er war ein Idiot“ „Wir kamen auch ohne ihn klar. Oder?“ „Ob er dichthält?“ überlegte Sims. „Wem sollte er sich anvertrauen, droben im Himmel?“ „Angenommen er ist doch nicht tot, und man schnappt ihn wegen der Sache in Chicago und nimmt ihn in die Mangel, dann singt er. Und wer singt, der singt alle Lieder, die er kennt“ „Die kriegen ihn nicht. Bennet ist ein Fuchs.“ 92
„Ein Risiko bleibt für uns.“ „Ich werde darüber nachdenken“, versprach der Major, „und spreche mit unseren Freunden. Vielleicht wissen die einen Weg, um ihn stumm zu machen, falls er noch lebt.“ Am 4. trennten sie sich. Jetzt, wo alles lief, hatten sie laut Plan eine Woche zur freien Verfügung. Sie konnten sie nach Belieben nützen. Sims kehrte nach Hause zurück und kümmerte sich um die kleine Ranch, die er vom Großvater geerbt hatte. Major Benjamin flog gleich zu einem Herbsturlaub ans Mittelmeer. Er hatte gehört, daß man sich in der Toscana vorzüglich erholen könne. Er hielt viel von ausgeruhten und intakten Nerven. Außer dem gab es in Italien noch einiges zu tun. Als Vorteil kam noch hinzu, daß Israel nicht weit entfernt war. In drei Stun den war man drüben. Vor dem Schlußakt, am 15. wollten sie alle im Heiligen Land zusammentreffen.
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9.
Bob Urbans Gehirn hatte rechtzeitig Alarm geschlagen. Eine Woche später in München bestätigte sich sein Ve rdacht. Der Major, links auf Jake Sims Erinnerungsfoto, war mit dem Piloten der vietnamesischen Maschine in Mestre identisch. An Zufall glaubte Urban nicht. Eher befürchtete er, daß das Gespinst dieses Falles Europa schon so engmaschig überzog, daß man zwangsläufig darauf hatte stoßen müssen. Bevor er beim Chef referierte, verglich er noch einmal die Gesichter. Es gab keinen Zweifel. Der Major auf dem Kriegsfoto war der Mann mit den Pilotenstreifen neben der Tupolew. Derselbe massige Schädel, derselbe kantige Na senrücken, dasselbe Hammerkinn. Auf dem Kriegsfoto trug er die Uniform der US Air Force, verziert mit den Schwingen des fliegenden Personals. Und auf dem Mestre-Schuß hatte er die Rangabzeichen eines Flugkapitäns. Das ergab die zweite wesentliche Überein stimmung. Benjamin war im Krieg nicht Jäger-Pilot, sondern bei den großen Bombern oder Fernaufklärern gewesen. Warum hätte er sich mit acht Mann ablichten lassen, wenn es sich nicht um die Besatzung seiner Maschine gehandelt hätte? Noch einen weiteren Punkt filterte Urban heraus. Das Foto war in Hanoi aufgenommen worden. Der ehemalige USOffizier Benjamin flog heute für eine vietnamesische Ge sellschaft Verkehrsflugzeuge. Also war er nach dem Waf fenstillstand dorthin zurückgekehrt. Vielleicht war er auch in Gefangenschaft geraten und hatte sich durch seine Bereit schaft, für Vietnam als Ausbilder tätig zu werden, freikaufen können. Mit diesem Informationsstand betrat Urban die Operati onsabteilung und hielt Vortrag. Schon nach wenigen Sätzen unterbrach ihn sein Chef. „Wenn ich Sie recht verstehe, hatten Sie also keinen Er folg in Biarritz.“ 94
„Nicht, was den Mann angeht, der in Chicago mögliche r weise deutsche Konstruktionspläne mitgehen ließ.“ „Nur deshalb schickten wir Sie nach Frankreich.“ „Oft ist es so, daß man Grün findet, wenn man Rot sucht. Der Fall Clivia Camberland endete durch ihren Tod in Me stre so abrupt wie die Fahrt einer Lokomotive am Prell bock.“ „Der Fall Clivia Camberland interessiert uns nicht mehr“, erklärte der Alte. „Auch dann nicht, wenn der Pilot der Tupolew ein alter Freund von Russel Bennet aus Chicago ist?“ „Bennet ist tot, oder?“ „Die Polizei glaubt allmählich daran.“ „Und die Terroristin Clivia Camberland ist auch tot.“ „Das steht fest.“ Resignierend winkte der Alte ab. „Was fanden Sie in Bennets Hinterlassenschaft?“ „Nichts.“ „Und bei der toten Terroristin?“ „Es gab nur den Brief, dessen Inhalt wir anhand der Schreibmaschinengeräusche rekonstruierten.“ Wieder winkte der Alte ab. „Laßt die Toten ruhn.“ „Und wie verhalten wir uns mit den Lebenden?“ wollte Urban wissen, „Es gibt da noch ein paar Spuren zu verfol gen.“ „Das überlasse ich Ihnen“, sagte der Boss. „Vo rausgesetzt, es ist nicht kostenaufwendig. Ich muß am Montag nach Genf.“ „Urlaub?“ „Kann ich mir nicht leisten.“ „Dann dienstlich.“ „In die neutrale Schweiz, wo denken Sie hin.“ Da Sebastian nicht der Mann war, der zwecks Krawatten kauf nach Genf fuhr, vermutete Urban, daß es sich um ein Mittelding zwischen Dienst- und Privatreise handelte. 95
„Wir werden uns rein zufällig treffen“, deutete der Alte an, „irgendwo zwischen Genf und Montreux. Soldeman von der CIA, Mattson vom MI-t und Berotti von der SIFA Rom. Wahrscheinlich wird auch Darnier vom französischen SDE CE zufällig mit dem Boot über den See herüberkommen und zu uns stoßen.“ „Liegt was in der Luft?“ „Nur allgemeine Sicherheitsfragen.“ „Ich komme noch mal vorbei“, sagte Urban, „ehe Sie das Haus verlassen.“ „Reißen Sie sich kein Bein aus“, knurrte der Alte hinter ihm her. „Wäre etwas völlig Neues bei Innen.“ * Urban sprach mit Washington. Die CIA hatte seine Funkfo tos erhalten. Der zuständige Sachbearbeiter war ausgezeich net im Bilde. „Beide Aufnahmen zeigen ein und denselben Mann“, be stätigte er. „Major Roger Benjamin, Kommandant einer B 52 in Vietnam. Russel Bennet gehörte als Bordingenieur zu seiner Besatzung.“ Urban ließ sich die Namen aller Männer auf dem Foto ge ben. „Vier davon leben nicht mehr“, erklärte sein Informant, „sie kamen bei einem Spezialeinsatz im Mekong-Delta um.“ „Die Unteroffiziere.“ „Leider.“ „Ausgerechnet die vier Offiziere überlebten es.“ „Sie konnten sich mit den Schleudersitzen herauskatapul tieren. Der Major wurde dabei verletzt.“ „Wie kommt es“, wollte Urban gerne wissen, „daß du alles auf Anhieb fandest?“ „Nun“, der Amerikaner zögerte mit der Antwort, „ich könnte jetzt behaupten, daß wir über ein lückenloses Archiv verfügen, in dem alles, was sich in den letzten zwanzig 96
Jahren auf Kriegs- und Spionageschauplätzen ereignete gespeichert ist“ Dies wäre eine in Geheimdienstkreisen übliche Erklärung gewesen. Doch der Amerikaner hatte entweder einen Hang zur Wahrheit oder Order, aus Gründen der Zusammenarbeit die Sache offenzulegen. „Es existiert hier eine besondere Akte.“ „Und du hattest sie gleich bei der Hand“, ergänzte Urban spöttisch. „Nicht zufällig, sondern weil es schon andere diesbezügliche Anfragen gab.“ Daraufhin erfuhr Urban den Grund, warum über Major Benjamin und seine Besatzung ein Dossier angelegt worden war. „Es gab 1973 eine Kriegsgerichtsverhandlung. Die kom plette Besatzung war vor einem wichtigen Einsatz so voll trunken, daß beinah der Tatbestand der Meuterei gegeben war. Die Burschen wurden schwer verdonnert, dann aber für ein Todeskommando begnadigt, wie es so schön heißt.“ „Alle acht?“ „Der ganze Haufen. Sie flogen einen Spezialeinsatz ins Mekong-Delta. Es galt einen Brückenkopf des Vietkong, den dieser aus Kambodscha heraus gebildet hatte, zu zerstö ren. Außerdem sollte eine B-58, die tags zuvor mit demsel ben Auftrag notlanden mußte, zerstört werden.“ „Denn zwanzig Tonnen Bomben plus zwanzig Tonnen Bomben ergeben vierzig Tonnen“, rechnete Urban. „Das war wohl der Sinn der Sache.“ „Erfüllte Benjamin den Auftrag, bevor sie ihn abschos sen?“ „Das konnte nie genau geklärt werden. Seine B-52 stürzte wohl dicht neben dem Wrack ab und zerstörte es mit dem eigenen Detonationsdruck.“ „Es gab kein Aufklärerfoto?“ „Das Gebiet ist sumpfig. Der Sumpf verschluckt binnen kurzem jede Spur. Außerdem setzte wenig später eine Re genperiode ein.“ 97
Urban fragte alles, was ihn interessierte. „Benjamin, Dudley, Sims und Bennet wurden gerettet?“ „Benjamin geriet bei einem späteren Einsatz in Gefangen schaft. Er überlebte aber, weil er Vietkong-Piloten an erbeu teten amerikanischen Geräten ausbildete. Später gründete Hanoi mit seiner Hilfe eine Fluggesellschaft, der er wohl auch einige Jahre als Chefpilot und Trainer diente. Wie man hört, kündigte er vor kurzem seinen Job und soll wieder in die USA zurückgekehrt sein.“ Der Amerikaner fragte, warum sich Urban so sehr für di e se Leute interessiere. Urban gab eine vorbereitete Erklärung ab und deutete Zusammenhänge mit internationalen Terror organisationen an. Plötzlich fluchte sein Gesprächspartner in Washington. „Verdammt, damit wird mir etwas klar. Jetzt schaue ich da endlich durch.“ „Würde es dir viel ausmachen, auch mir zu mehr Durch blick zu verhelfen?“ „Ich hatte schon mal eine diesbezügliche Anfrage“, rückte der Amerikaner heraus, „vor einigen Wochen. Nicht über Major Benjamin, sondern über seinen zweiten Piloten Cap tain Dudley.“ „Von Seiten der NATO?“ „Nein“, der CIA-Mann zögerte, „aus Tel Aviv.“ „Von MOSSAD?“ „Der israelische Geheimdienst machte eine Routinereche r che samt Foto, Namen und so weiter. Es drehte sich um Excaptain George Dudley. Er beabsichtigt, in Tel Aviv eine Handelsgesellschaft für Import und Export zu gründen. Inzwischen eröffnete er wahrscheinlich den Laden, denn bei uns lag nichts gegen ihn vor. Das meldeten wir den Israelis im Rahmen eines Datenaustauschprogramms.“ Urban sah plötzlich eine rote Linie. Sie zog sich von Israel nach Rijeka, von dort nach Mestre und weiter um den Er d ball bis Vietnam. Nur wie Clivia Camberland hineinpaßte, war ihm noch 98
nicht klar. Vielleicht war sie wirklich nur eine Terroristin auf dem Abstellgleis, die man gerade noch für Kurierdienste einsetzte und die man beseitigte, als sie zum Risiko wurde. Urban zog die logische Wurzel aus allem. „Da läuft etwas gegen Israel. Und zwar mit Hilfe dieses eingespielten B-52-Teams.“ „Möglich. Aber was läuft?“ Urban erinnerte sich des Briefes von Opatija. „Eine Art Ausrottungsschlag.“ „Durch wen?“ „Araber.“ „Nachweislich sind Benjamin und vor allem Dudley aus gesprochene Araberhasser.“ „Wie es im Herzen aussieht, weiß nicht einmal der Lügen detektor.“ „Aber warum ausgerechnet diese B-52-Besatzung?“ „Vielleicht haben sie den Arabern etwas anzubieten.“ „Mach mir nicht Angst“, murmelte der CIA-Beamte. „Die haben vielleicht wirklich etwas.“ Urban holte tief Luft. „Sag bloß, sie wußten, wo in Vietnam die Atombomben lagerten.“ Der Amerikaner lachte, aber nicht sehr locker. „Ich darf dir hiermit offiziell versichern, daß alle thermo nuklearen Sprengmittel, die für diesen Krieg als strategische Reserve abgezweigt worden waren, Stück für Stück wieder in unseren unterirdischen Depots liegen. Es war absolut unmöglich, sich so ein Ding unter den Nagel zu reißen.“ „Gab ja noch andere häßliche Waffen, oder?“ „Welche?“ „Napalm.“ „Damit kann man kein Volk ausrotten.“ „Mit Napalm nicht, aber mit Gift.“ „Außer den Dioxin-Behältern zur Dschungelentlaubung kam nichts Derartiges zum Einsatz.“ „Du mußt es wissen“, bemerkte Urban. 99
„Das ist alles lange her“, seufzte sein amerikanischer Ko l lege, „auch mein Informationsstand ist eng begrenzt.“ „Ruf mich an, wenn er sich weitet“, sagte Urban und häng te auf. * Oberst Sebastian stürmte in Urbans Büro. Aber nicht, um sich zu verabschieden. „Dachte mir“, setzte er an, „daß es Ihnen zusteht zu erfah ren, warum wir uns in Genf zu einem Whisky treffen.“ Zweifellos handelte es sich um eine Routinekonferenz der Operationschefs der NATO-Geheimdienste. Man hätte sich auch offiziell in einem Luxushotel auf irgendeiner Insel, im Gebirge, an einem See treffen können, aber sie konnten das Versteckspiel nicht lassen, die alten Herren. Oder lag es an Mattson vom britischen MI-6? Urban hatte gehört, daß er krank sei. „Mattson von MI-6“, sagte der Alte, „hat eine böse Lymphknotengeschichte erwischt. Liegt in einer Spezialkli nik in Vevey. Da es aber Mattsons Verdienst ist, diese Sache geklärt zu haben und er sich nicht zu uns begeben kann, fahren wir eben zu ihm.“ Bevor Sebastian weiterredete, konnte sich Urban den Rest denken. Mattson war ein so gewaltiger Nahostexperte, daß man ihn den Nachfolger des legendären Colonel Lawrence nannte. Im zweiten Weltkrieg spielte er gewissermaßen dessen Rolle weiter. Die Levante mit all ihren politischen Verästelungen kannte keiner so gut wie er. Heute koordi nierte er die Einsätze nur noch von seinem Londoner Schreibtisch aus, aber den Sachverstand, den Kopf für kri stallklare Analysen besaß nur er. „Mattson“, fuhr der Oberst fort, „hat eine brisante Behaup tung aufgestellt. Er ist der Ansicht, daß die Kriegsvorberei tungen, insbesondere die Aufmärsche und Truppenbereit stellungen an Israels Grenzen, nur Bluff sind.“ 100
„Das stammt von Mattson?“ fragte Urban erstaunt „Morgen am Genfer See will er uns seine Theorie näher begründen.“ „Und wann kam er darauf?“ fragte Urban neugierig. „Anstoß war möglicherweise ein Brief, der in Terroristen kreisen abgefangen wurde.“ „Nicht abgefangen, sondern audiographisch entschlüsselt, Großmeister“, erinnerte Urban. „Wie dem auch sei.“ „Stammt der Brief nicht von uns?“ erkundigte sich Urban etwas hinterhältig. „Im Zuge der Round-table-Gespräche wurde er mögli cherweise erwähnt.“ „Und man mißt dem Schreiben einer Terroristin an einen unbekannten Sympathisanten soviel Wert bei?“ „Tun Sie das nicht auch?“ fragte der Alte. Demnach wußte er doch noch, von wem der Brief beschafft worden war, ließ es aber unerwähnt. „Ich leitete nur eine Bandaufnahme weiter“, erklärte Ur ban. „Der Inhalt des Briefes stimmte wohl mit gewissen Er kenntnissen über militärische Entwicklungen in Nahost überein.“ „Und wie schätzt man die Androhung eines Kahlschlages gegen Israel ein?“ „Gering“, meinte der Alte. „So einfach geht das nicht MOSSAD ist wachsam.“ „Haben Sie etwas dagegen“, fragte Urban, „wenn ich da nachfasse?“ Der Alte hob die Schultern. „Selbst wenn ich es untersage, Sie tun ja doch, was Sie wollen.“ „Was ich für richtig und notwendig halte“, verbesserte Ur ban. „Das ist die Ursache für unser gestörtes Verhältnis.“ 101
„Was wäre ich ohne den großen Zuchtmeister“, gestand Urban lächelnd, „gegen was sollte man sonst verstoßen.“ „Was wäre der Zuchtmeister“, erwiderte der Oberst, „ohne seinen unfolgsamen Schüler.“ Er nahm seinen Hut und ging. Er hatte nicht geblinzelt und die Braue nicht um einen Mil limeter gehoben. Er hatte nur das Monokel ins Auge gedreht und Urban angesehen. Oft wußte man wirklich nicht, woran man bei ihm war. * Urban fuhr auf der vorhandenen Schiene weiter und traf sich mit einem israelischen Abwehroffizier zum Essen. Der Israeli kam auf den Terroristenbrief zu sprechen, be dankte sich für das kooperative Verhalten, brachte aber zum Ausdruck, daß dieser Brief nur einer unter Hunderten sei, von denen man wisse. Man nehme die Drohung nicht sehr ernst, da sie technisch nicht realisierbar sei. „Nicht ohne Atombombe“, fügte der Mann aus Tel Aviv hinzu, „und nukleares Sprengmaterial verrät sich durch seine Strahlung. Das haben wir voll unter Kontrolle. Da kommt kein Gramm über die Grenzen. Ebenso verhält es sich mit Massentötungsgiften. Außerdem ist die Wirkung nicht so, wie es immer hingestellt wird. Wenn man uns ausrotten will, geht das nur mit einem einzigen grandiosen Schlag oder nie.“ Urban wechselte das Thema und erwähnte Mister Dudley. Für ihn war es keine 180-Grad-Wendung, für den israeli schen Captain dagegen schon. „Okay, sprechen wir über Geschäfte“, sagte der Captain. „Dieser George Dudley ist Amerikaner und bringt Devisen ins Land. Er wurde übrigens von der CIA abgecheckt. Der Mann ist in Ordnung. Vietnam-Veteran und Araberfeind. Ich kenne zufällig die Akte.“ „Was führt er ein, was führt er aus?“ fragte Urban. 102
„Er führt“, erklärte der Israeli, „eines Tages mehr aus als ein. Nur darauf kommt es uns an. Er will Fruchtsaftkonzen trat exportieren, will eine Fabrik zur Trockengranulation von Orangen- und Pampelmusensaft bauen. Ein neues Ve rfahren garantiert höchste naturgetreue Geschmackserhaltung.“ Urban ließ nicht locker. „Und was importiert er?“ „Luxusgüter“, frohlockte der Captain, „wobei er uns die Möglichkeit einräumt, steuerlich voll in Aktion zu treten. Wir schöpfen bis zu achthundert Prozent des Warenwertes ab.“ „Zum Beispiel bei?“ „Kameras, Videorecordern, hochwertigen Hi-Fi-Anlagen. Ferner Konserven der Jet-set-Kategorie wie Kaviar, Trüffel, Gänseleber, Schwalbenschwanzsuppe, Weinbergschnecken, Amselzungen. Und noch eine ganze Menge. Ich bin leider kein Feinschmecker. Natürlich ist auch Champagner dabei, Parfüms und und und…“ „Konserven“, bemerkte Urban, „sind hermetisch ve r schlossene Blechbehälter. Vom Zoll schwer erfaßbar.“ „Man macht Stichproben.“ „Die man mehr oder weniger zur Kontrolle anbietet.“ „Unsere Beamten sind unbestechlich.“ „Kann ich eine Aufstellung von Dudleys Konservenliefe ranten haben?“ fragte Urban. „Läßt sich machen“, versprach der Captain. „Bei jedem anderen würde ich dieses Ansinnen rundweg ablehnen. Aber Sie, Robert, sind immer für einen unkonventionellen Einfall gut.“ Der Israeli arbeitete so zuverlässig wie früher die Preußen. Schon am nächsten Tag hielt Urban eine Liste in der Hand und dazu einige von Konservendosen abgelöste Etikette. Eines davon stammte von einer deutschen Firma. Sie lag im Badischen und stellte als einzige Konservenfabrik der Welt frittierte Schweineschnitzel in Weinaspik her. Auch die Dosen hatten die Form eines riesigen Schweineschnitzels. 103
Aufgrund der speziellen Würzung und Frittierung handelte es sich um eine exklusive Spezialität. In das Etikett war die Seriennummer gelocht. Routinemäßig rief Urban in Offenburg an. Erst ließ er sich alles über die Produktpalette der Schwarzwälder Konservenfabrik berichten, dann gab er die eingestanzte Chiffre des vorliegenden Etiketts bekannt „Wir rufen zurück“, hieß es. „Der Code muß erst durch den Versandcomputer laufen.“ Zwanzig Minuten später sprach Urban erneut mit dem Feinkosthersteller. „Die Dose wurde im Februar ausgeliefert“, erfuhr er. „Das war vor mehr als sieben Monaten.“ „Wir machen nur tropenfeste Dauerkonserven. Die Halt barkeit wird praktisch von der Haltbarkeit der Dose be grenzt. Natürlich verwenden wir auch bei den Dosen bestes Blech. Unsere Produkte sind teuer, aber Spitze.“ Urban ging es nicht darum, sich zu SKO-Konserven über reden zu lassen, sondern um die Vertriebswe ge. „Wohin ging der Posten mit der genannten Codenum mer?“ „Nach Mexiko“, hieß es. „Das kann nicht sein.“ „Irrtum völlig ausgeschlossen. Der Computer irrt nie. Er fallt zwar mal aus, aber er irrt nicht“ „Wie ist es dann möglich, daß eine Ladung Ihrer Konser ven mit der genannten Codenummer nach Israel eingeführt wurde?“ „Wir beliefern Israel nicht“, versicherte man Urban. „Oder glauben Sie, daß Juden, die nur Koscheres essen, ausgerech net auf unsere Schweineschnitzel scharf sind?“ Diese Auskunft mißfiel Urban sehr. Er faßte nach. „Wer druckt Ihre Dosenetikette?“ „Das machen wir in der eigenen Rotaprintanlage.“ „Sind die Aufkleber fälschungssicher?“ „Was ist überhaupt fälschungssicher“, erwiderte der tech 104
nische Leiter der Fabrik, „wenn sogar Banknoten nachge macht werden. Aber wer sollte sich dieser Mühe unterziehen und wozu?“ Das konnte Urban nicht mit wenigen Worten erklären. „Woran“, erkundigte er sich, „würde man eine Kopie Ihrer Dosen am schnellsten erkennen?“ „Am Inhalt“, meinte der Direktor, „am Geschmack. Unse re Gewürzmischungen, die Art, wie wir das Fleisch vorbe handeln, dann schneiden und frittieren, dazu braucht man jahrzehntelange Erfahrung.“ „Wie“, präzisierte Urban seine nächste Frage, „würde man am ehesten eine nachgemachte Dose herausfinden, wenn wir vom Inhalt absehen?“ „Wollen Sie damit sagen, daß man etwas anderes in die Dosen einfüllte?“ „Schon möglich.“ „Dann, würde ich sagen, erkennt man die falschen Dosen am unterschiedlichen Gewicht.“ „Das Gewicht würde man aus Gründen der Tarnung wohl genau einhalten.“ „Dann vielleicht an der Dosenform, an der Wölbung der unteren Rundkante oder am Schließfalz. Jede Verschließma schine hinterläßt typische Spuren. Das ist wie bei einer Schreibmaschine oder sogar wie bei Fingerabdrücken, wenn Sie so wollen.“ Urban sah nur ein Problem dabei. Es dauerte zu lange, die Original-Werksdose mit der in Israel eingeführten zu ve r gleichen. Er ließ sich die Werte geben und versuchte es anders. Er rief direkt im MOSSAD-Büro im Histradud-Gebäude an. Dort wollte man sich sofort der Sache annehmen und den Tip weiterverfolgen.
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Urban fuhr von Pullach nach Hause. Er mixte sich gerade einen Sechs-zu-eins, als ein Ferngespräch ankam. „Höhe neunundvierzig Zentimeter“, berichtete eine weit entfernte Stimme, „für die Großpackung.“ „Die Originalhöhe beträgt aber genau fünfzig.“ „Also fehlt ein Zentimeter.“ „Das ist viel.“ „Dann ist es eine nachgemachte Dose.“ „Oder sie wurde geöffnet, der Inhalt umgefüllt, der Rand begradigt und die Dose neu verdeckelt.“ „Ist das technisch möglich?“ wollte der Mann in Israel wissen. „Ich erinnere mich“, sagte Urban, „daß die Bauern im Krieg, als es keine Weißblechdosen mehr gab, dies immer so handhabten, um ihre schwarzgeschlachteten Schweine zu konservieren.“ „Dann müssen wir etwas unternehmen.“ „Und nicht zu wenig“, riet ihm Urban. „Das werden wir“, bestätigte der MOSSAD-Offizier in Tel Aviv. Als Urban von seinem Arbeitszimmer in die Wo hnhalle trat, standen plötzlich drei Männer da. Er hatte sie nicht eingeladen. Ungebetene Gäste also. Ehe er fragen konnte, woher sie kamen, entdeckte er die offene Dachterrassentür. Sie mußten über den Liftmaschi nenraum abgeklettert sein. Von ihren Gesichtern sah er nur, daß sie stark gebräunt waren. Ob es sich um Südländer oder um Farbige handelte, wagte er nicht zu entscheiden. Die Beleuchtung war ge dämpft. Die zwei Typen in Jeans und Parkas hatten die Rollkragen bis zu den Augen hochgezogen, und auf den Brauen saß schon wieder der Mützenrand. „Mister Dynamit?“ fragte der, der mit dem Superding von Armeepistole, einem übergroßen Browning-Modell, spielte. „Ich heiße Urban. Steht draußen vor der Tür.“ 106
„Mister Dynamit“, fuhr der andere unbeeindruckt fort, „Sie betreiben Aktivitäten, die absolut tödlich sind.“ „Schätze, Sie auch“, konterte Urban. „Früher oder später“, bemerkte der mit der ScorpionMaschinenpistole. „Für Sie wohl etwas früher.“ Der mit der Maschinenpistole machte eine blitzschnelle Bewegung. Er sprang in breitbeinige Stellung, brachte die Scorpion in Hüftanschlag. Sein Daumen betätigte den Siche rungshebel. „Kein Wort mehr. Sie hören jetzt gefälligst mal zu.“ „Und Hände hoch!“ kam es von links. „Nicht in meinem eigenen Hause“, erklärte Urban verär gert. „Entweder Sie verlassen in den nächsten 48 Stunden diese Wohnung nicht mehr, oder wir knallen Sie ab. Egal wo . Im Lift, in der Garage oder auf der Straße.“ Urban schüttelte den Kopf. „Und das soll ich Ihnen abkaufen?“ „Jawohl, weil wir keine Mörder sind“, sagte der andere, „sondern Freiheitskämpfer. Wir drohen nicht, wir fordern.“ Wenn Urban etwas haßte, dann waren es solche Töne von unfreundlichen Menschen in den eigenen vier Wänden. Er schaute sich um. Hinter ihm war der Dimmer. Sobald er auf den Knopf schlug, gingen die Lichter aus. Dann würden sie zwar um sich ballern, aber gewiß zu hoch. Wenn er sich zu Boden warf und herumrollte bekam er den mit dem Re volver zu fassen und konnte ihn in die Garbe des anderen hineinschleudern. „Und kein Telefongespräch“, ergänzte der Kleinere, schon rückwärts gehend. Sie zogen offenbar ab. Mit einer raschen Drehung versuchte Urban den Licht schalter zu erreichen. Seine Bewegung wurde gebremst. Es stand etwas im Weg, was nicht hierhergehörte. Er kannte seine Wohnung ziemlich genau. Er hatte sie selbst einge 107
richtet und es nicht etwa einem Innenarchitekten überlassen. Dort, wo er Widerstand fühlte, gab es keine Möbel. Also war es der dritte Mann. Sie kamen immer zu dritt, diese feigen Spinner. Getreu dem Grundsatz, daß es mit drei zu eins besser ging als eins zu eins. Keinesfalls würden sie in dieser Sekunde schießen, sonst hätten sie ihren eigenen Komplicen treffen können. In einer Kreiselbewegung veränderte Urban die Position und holte Schwung für einen saftigen Hieb. Seine Faust wühlte sich in das weiche Dreieck des Gegners. Den riß es auf die Zehen, dann sackte er zusammen wie ein Reifen, der die Luft verliert. Damit bestand keine Gefahr mehr, daß sie den Falschen trafen. Urban stand, und der Gegner lag. Mit einem Satz war der mit der Pistole bei ihm und drückte ihm den Lauf gegen die Schläfe. Aus dem Augenwinkel heraus sah Urban den Schatten an der Wand. Die Umrisse eines Mpi-Kolbens fuhren hoch und krachten ihm ins Kreuz. Schmerz wallte auf, der er ihn schier lähmte. Von da ab hatte er nur noch den Zeitraffereffekt. Mit weltraumartigen Bewegungen hoben die Maskierten ihren dritten Mann hoch und schienen mit ihm durch den Raum auf die Terrasse zu entschweben. Urban glitt sanft schrammend an der Wand herunter, kam federnd und daunenweich auf, lag da, konnte aber nichts tun, weil sich seine Glieder wie verklebt anfühlten. Selbst sein Hirn arbeitete im Langsamgang. Und der Schmerz dehnte sich endlos.
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10.
George Dudley hatte bei einem Kesselschmied in Haifa einen Wassertank bestellt. Er unterschied sich von anderen Blechfässern, die auf fast allen Dächern des Landes Son nenwärme zum Aufheizen des Brauchwassers einfingen, nur durch seine Abmessungen. Er faßte nicht die üblichen fünf hundert Liter, sondern ein Vielfaches davon. Dudley drängte auf Fertigstellung des Behälters. Als er zur Lieferung bereitstand, ließ ihn George Dudley mit einem gemieteten Lkw abholen und bar bezahlen. Der Lastwagen gehörte einer arabischen Spedition in Jaffa. Die zwei Fahrer, ebenfalls Araber, brachten den Tank zu einem von Dudley unter falschem Namen gemieteten klei nen Haus im Zentrum von Tel Aviv. Der Behälter wurde auf das Dach gehievt. Die Prozedur erregte keinerlei Aufsehen, denn offenbar handelte es sich um eine Erneuerung der Installation. Spät in der Nacht fuhr George Dudley in die Nähe dieses Hauses. Mehrere hundert Meter davon entfernt parkte er seinen Wagen. Von hinten durch die Gassen kommend, spazierte er an die alte Mauer heran und verschwand in der hinteren Tür des kleinen Gartens. Ohne Licht zu machen, betrat er das Haus, beschäftigte sich dort mehrere Stunden und verließ es, ehe der Morgen graute. Dann fuhr er wieder durch Tel Aviv, zu seinem offiziellen Wohnsitz. Kaum lag er im Bett, um noch eine Runde zu schlafen, als das Telefon ging. Das Zentralzollamt wünschte ihn dringend zu sprechen. „Wir müssen eine Lagerkontrolle vornehmen“, hieß „Meine Ware im Freihafen ist Ihnen jederzeit zugänglich“, erklärte Dudley. „Dafür brauchen Sie meine Erlaubnis nicht.“ „Es handelt sich um bereits verzollte Einfuhrgüter.“ „Dazu wiederum“, entgegnete der Amerikaner, „haben Sie 109
kein Recht. Die Ware wurde überprüft, der Einfuhrzoll ent richtet. Sie gehört mir.“ Der Beamte hatte diesen forschen Ton nicht erwartet. „Es steht bei Ihnen, Sir“, sagte er, „ich dachte, wir könnten das freundschaftlich unter uns regeln. Wir ziehen ein paar Proben, reine Routinesache, und fertig.“ „Und wenn ich es nicht dulde?“ „Werde ich mir eine Sondergenehmigung beschaffen.“ „Die kann nur der Staatsanwalt erteilen.“ „Sehr richtig.“ „Der Staatsanwalt macht das nur bei Vorliegen einer unge setzlichen Handlung.“ „Im Falle eines kriminellen Verdachtes, Sir.“ Dudley blieb ruhig. „Besteht dieser etwa?“ Der Beamte äußerte sich diplomatisch. „Mein Rat, Sir, bringen Sie es rasch hinter sich. In einer Stunde ist alles vorbei. Sagen wir, um zehn in Ihrem Lager haus.“ „Einverstanden“, seufzte Dudley. Er hatte keine andere Wahl. + Sie nahmen überall Stichproben vor. Jeden einzelnen Wa renposten unterzogen sie der Kontrolle. Sie hatten Speziali sten dabei. Die zerlegten Kameras, schraubten die Rück wände von Receivern ab, leuchteten hinein, spiegelten die Tanks von japanischen Geländemotorrädern aus, trennten die Alufolien aus amerikanischen Armee-Schlafsäcken. Sie arbeiteten rasch und ohne mehr zu zerstören, als notwendig war. Als sie eine Dose mit australischen Konserven öffneten, entdeckten sie darin ein Kameraobjektiv. „Das ist natürlich reiner Zufall“, spottete der Zollinspek tor. 110
Doch George Dudley war ein gewiefter Taktiker. „Nein, kein Zufall“, gestand er. „Wir müssen die ganze Partie röntgen. Was werden wir denn noch alles finden, Mister Dudley?“ „Etwa noch ein Dutzend Zoom-Objektive.“ „Sie wußten also davon?“ Dudley nickte betreten. „Das widerspricht unseren Einfuhrbestimmungen, Sir.“ „Ich weiß“, sagte Dudley kleinlaut. „Sind Sie mit einer Unterwerfungserklärung einverstan den?“ George Dudley machte einen dermaßen zerknirschten Ein druck, daß die Beamten nicht merkten, wie sie hinters Licht geführt wurden. Indem er sie Schmuggelware finden ließ, lenkte er sie von den wirklich heißen Partien ab. Die Erklärung wurde ausgefertigt. „Damit kommen Sie mit einer Geldstrafe weg“, sagte der Inspektor. „Aber nur dann, wenn Sie uns nach bestem Wis sen und Gewissen die Einfuhr anderer unverzollter Güter freiwillig angeben.“ Dudley schluckte. Schweiß stand ihm auf der Stirn. „We r de ich“, versicherte er, „werde ich.“ Zögernd nannte er den Beamten noch andere Verstecke. „Sagen Sie alles“, riet ihm der Inspektor. „Nur so kommen Sie um eine Freiheitsstrafe herum.“ Auf diese Weise fanden sie noch Luxusuhren in Paketen amerikanischer Babynahrung und hochwertige Rechner zwischen Strumpfhosenschachteln. „Ist das alles?“ fragte der Beamte erneut. Dudley gestand, auch gegen das Devisengesetz verstoßen zu haben. Er habe einen unerlaubt hohen Dollarbetrag auf dem Schwarzmarkt gegen israelische Pfund umgetauscht, um damit seine Firma aufzubauen. „Das wissen wir bereits“, sagte der Beamte. „Gut für Sie, daß Ihnen das noch einfiel.“ 111
Nach weiteren Stichproben zogen die Beamten gegen Mit tag ab. Dudley schätzte, daß ihn die Sache auf saftige zwanzigtau send Dollar kam. Von den Summen für die Nachverzollung ganz abgesehen. Aber am schlimmsten war er noch einmal vorbeigekom men. Mit dem Gabelstapler ließ er die Kartonberge beiseite räumen, um eine Sendung frisch eingetroffener Spezialkon serven sofort zu expedieren. Sie hoben den Fußboden der Lagerhalle an zwei Stellen ab und brachen im Hof ein zugemauertes Kellerfenster auf, damit es schneller ging. Binnen vierzig Minuten war der Lkw beladen und wegge fahren. George Dudley genehmigte sich gerade einen Schluck Im port-Bourbon, als die Zollfahnder schon wieder in den Hof des alten Lagerhauses hereinfuhren. „Bedaure“, erklärte der freundliche Inspektor, „wir müssen noch weiter suchen, Mister Dudley.“ „Wie stellen Sie sich das vor!“ protestierte der Amerikaner zum Schein. „Wir haben Hinweise bekommen bezüglich der Einfuhr unerlaubter Fleischkonserven.“ „Die sind regulär verzollt und deklariert.“ „Sie verstoßen aber gegen das Lebensmittelgesetz.“ „Nicht bei Lieferung an Hotels und Gaststätten für die Versorgung von Touristen.“ „Wo liegen die Konserve n?“ „Sind alle ausgeliefert“, erklärte Dudley. „Dann müssen wir die Bücher prüfen.“ Die Beamten schwärmten aus. Ein Team nahm sich Dud leys Buchhaltung vor, andere Gruppen stöberten im Lager das Unterste zuoberst. Im Gegensatz zu ihrer Tätigkeit am Vormittag hatte man jetzt den Eindruck, daß sie erst richtig anfingen. 112
Doch George Dudley war offenbar sauber. Zwar fanden sie ein Gebinde mit jugoslawischem Maraschino, aber Dud ley deswegen anklagen zu wollen, das rentierte sich nicht. + Dudley nahm an, daß man ihn beobachtete. Deshalb fuhr er nicht nach Hause, sondern parkte an der Ohel Maed Syn agoge, ging essen, nahm dann noch in einem Straßencafé einen Espresso und telefonierte auf dem Weg ins WC. Der Angerufene nannte seinen Namen nicht. „X-Day“, gab Dudley das Stichwort. „Was fällt Ihnen ein, Mann, sind Sie wahnsinnig?“ Dudley ahnte den Grund für den heftigen Vo rwurf. „Ich mußte die Ladung zu Ihnen schaffen, Bruder, sonst wäre alles geplatzt. Mit diesen letzten Tonnen haben wir die kritische Menge beisammen.“ „Verdammt, was soll ich mit dem Lkw in meinem Gar ten?“ Streichen Sie ihn grün an, lag es Dudley auf der Zunge, aber er schwieg lieber. „Der Wagen muß weg. Heute nacht noch“, schäumte der andere. „Ich habe an meinen Ruf zu denken.“ „Denken Sie lieber daran, die Stadt zu verlassen“, riet ihm Dudley. „In zweiundsiebzig Stunden ist es soweit.“ „Wie wollen Sie das Zeug von hier wegbringen?“ „Mit Hilfe Ihrer Leute“, erklärte Dudley. „Wenn jeder immer zwei Eimer trägt und pro Nacht zweimal geht, dann schaffen es zehn Mann in drei Tagen.“ „Und so ein Zug von Wanderameisen fällt nicht auf, den ken Sie?“ „Nicht wenn die Kuriere verschiedene Wege nehmen.“ „Es ist ein Risiko.“ „Denken Sie an das hohe Ziel“, erinnerte Dudley. „In vier Tagen ist alles vorbei. Niemand wird uns verfolgen können, weil es keinen mehr gibt, der dazu in der Lage wäre. – Ich 113
muß Schluß machen, Bruder. Bereiten Sie alles vor. Ich melde mich wieder.“ Dudley legte auf, ging ins WC und trank dann seinen Kaf fee zu Ende. Am Fenster bei der Tür saß einer, den er kannte. Diesem Gesicht war er schon öfter begegnet. Der Mann war entwe der von der Kripo oder von MOSSAD. Genau wußte man das bei der Ämterverfilzung nie. Einer Eingebung folgend, stand George Dudley auf und setzte sich zu dem Beamten in Zivil. „Wenn Sie meinetwegen Sorgen haben“, sagte er forsch, „dann heraus damit. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.“ Er winkte dem Kellner. „Ein Dominospiel!“ rief er und wandte sich wieder an den Beamten. „Sie spielen doch Domino, mein Freund?“ „Was sind Sie bloß für ein Mann, Dudley“, bemerkte der Israeli „Ich würde wer weiß was darum geben, zu wissen, was für ein Mann Sie sind.“ „Ich will es Ihnen sagen“, erwiderte Dudley lächelnd, „Ich liebe Essen, Trinken, Frauen und Geld. – Welche Version spielen wir? Die europäische?“ „Die orientalische“, sagte der Beamte und begann die Steine aufzustellen.
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11.
Bob Urban glaubte nicht, daß die drei Maskierten nur bluff ten. Es widersprach dem Bild, das er sich von ihnen machte. Daß sie sein Telefon nicht durchschnitten, daß sie ihn we der in der Tiefgarage noch draußen auf der Straße abballer ten, lag wohl daran, daß sie genug hatten. Jedenfalls erreichte Urban ungehindert das BNDHauptquartier in Pullach und wurde sofort zum Vizepräsi denten vorgelassen. Der empfing ihn mit einer Frage: „Sind Sie sicher, daß Oberst Sebastian abgereist ist?“ „Wir haben uns vorgestern verabschiedet. Er äußerte die Absicht, nach Genf zu fliegen, und tat es wohl auch.“ „Zu Hause ist er jedenfalls nicht.“ „Wie sollte er“, bemerkte Urban. Nun kam die Hiobsbotschaft. „In Genf ist er nämlich auch nicht“, fuhr der Vizepräsident fort. „Ich bekam einen Anruf aus Vevey. Man wartet dort auf ihn. Sie wissen, wer?“ Urban nickte. Ohne daß man ihm sagte, was er zu tun habe, ging er ans Telefon und sprach mit der Dienstreiseabteilung. Man hatte für Sebastian ein Ticket bei der Swissair für München-Zürich-Genf gebucht. Außerdem wurde bei der Fahrbereitschaft nachgefaßt. Urban übermittelte das Ergebnis: „Folgende Lage“, erklärte er. „Spiegel hat den Oberst nach Riem gefahren. Bei der Ausreisekontrolle ging er glatt durch. Der zuständige Beamte erinnert sich, Sebastian steht auch auf der Passagierliste der Swissair. Sie haben sogar die Nummer seiner Bordkarte. Jetzt forschen sie in Genf we i ter.“ Wie sich ergab, konnten die Schweizer Grenzbeamten nicht mit Sicherheit sagen, ob Wolf Sebastian oder ein Mann seines Aussehens am Flughafen Cointrin in die Schweiz 115
eingereist war. Man prüfte zwar die Reisepässe, führte aber nicht Buch. „Sollte er abgeholt werden?“ fragte der Vizepräsident be sorgt. „Das war nicht verabredet“, erinnerte sich Urban. „Der Treff war geheim. Keiner der Beteiligten verfügte über ei nen Dienstwagen. Sebastian mußte also ein Taxi nehmen.“ „Das ist unsere Chance“, meinte der Vizepräsident. „Was halten Sie davon, wenn wir der mysteriösen Geschichte nachgehen, solange sie noch spurwarm ist?“ „Das klingt, als befürchteten Sie das Schlimmste“, wandte Urban ein. „Denken Sie etwa nicht auch daran?“ „Ich bin Optimist. Ein Sebastian kommt nicht so schnell abhanden.“ „Wenn ihm etwas Alltägliches zugestoßen wäre, wenn ihn Krankheit oder ein Unfall an der Weiterfahrt hinderten, hätte er sich mit uns in Verbindung gesetzt.“ „Ganz meine Meinung.“ „Sie fliegen also nach Genf?“ fragte der Vizepräsident. Urban rechnete. „Nur wenn die Verbindung gut ist. Andernfalls nehme ich den Wagen. Die normale Fahrzeit beträgt etwa sechs Stun den. Mit dem Auto bin ich beweglicher. Vorher rufe ich aber in Vevey bei den diskreten Gentlemen an.“ „Kennen Sie die Nummer?“ „Mattson liegt wegen einer Lymphknotengeschichte in der Privatklinik von Professor Bürli. Da kriege ich sie.“ Urban eilte in sein Büro, um zu telefonieren. Im Bürli-Sanatorium kannte man den Patienten, dessen Namen er nannte, leider nicht. Auch die anderen Herren waren angeblich völlig unbekannt, sowohl dem Namen als auch der Beschreibung nach. Verdammtes Geheimdienstspiel, fluchte Urban innerlich. Aber dann trat ein Ereignis ein, das seine Blitzreise an den Lac Leman unnötig machte und den Bundesnachrichten dienst in Hochspannung versetzte. 116
Es fing ganz harmlos an. Ein Mann, der unreines Englisch sprach, aber nur was den Akzent betraf, hatte die BND-Nummer gewählt und wünschte mit einem Agenten namens Bob Urban verbunden zu werden. Wie üblich behauptete die Telefonistin, einen Agenten dieses Namens gebe es nicht, deshalb könne sie die Verbin dung auch nicht herstellen. Nun fragte der Anrufer, ob ihr ein Mann namens Mister Dynamit bekannt sei. Auch dies verneinte die Telefonistin. Sie führe einen Mi ster Dynamit nicht auf ihrer Nebenstellenliste. Jetzt wurde der Anrufer ungeduldig und nannte einen Codenamen, der nur Insidern bekannt war. Daraufhin stellte ihn die Telefonistin zu jener Abteilung durch, die als Filter zum Vorsortieren wichtiger und unwich tiger Anrufe diente. Da der Unbekannte eisern darauf bestand, daß man ihn mit dem Träger des Codewortes sprechen lasse, wurde er vertrö stet. Der Betreffende sei im Augenblick nicht erreichbar, er möge in einer Stunde wieder anrufen. Um 11 Uhr 45 vormittags erwischte der Unbekannte end lich Bob Urban. Er führte sich gleich richtig ein. „Der Operationschef des Bundesnachrichtendienstes, Oberst außer Diensten Wolf Sebastian, befindet sich in un serer Hand.“ Urban blieb ruhig, setzte sich und steckte sich eine MC an. „Und wer ist wir?“ fragte er. „Eine Freiheitsbewegung, die es nicht dulden kann, daß sich fremde Geheimdienste in ihre inneren Angelegenheiten einmischen.“ Schon beim ersten Wort dieses Mannes hatte Urban nicht an einen Scherz geglaubt. Die Sache klang bitterernst. Er schaltete das Tonband zu, denn im Hintergrund ver nahm er Geräusche, die immer dann, wenn der Anrufer schwieg, recht deutlich wurden. 117
„Wie geht es dem Oberst?“ „Den Umständen nach gut. Nun, ein alter Mann von Mitte Sechzig ist natürlich kein Riese an Gesundheit. Um so mehr sollten Sie seine Lage verbessern.“ „Was können wir tun?“ „Unsere Forderung lautet“, offenbar las der Mann jetzt Geschriebenes ab, „sofortige Einstellung jeglicher Aktivitä ten gegen die Organisation November-Panther.“ „Die sind längst eingestellt“, entgegnete Urban. „Das kann nicht der Grund sein, daß Sie Oberst Sebastian entführten. Ist er verletzt?“ „O nein“, erwiderte der andere, „wir faßten ihn mit Glacéhandschuhen an. Wir renkten ihm nur den Arm ein bißchen aus, als er in Genf unseren Wagen nicht gleich besteigen wollte. Aber bitte unterbrechen Sie mich nicht ständig.“ Der Mann begann wieder vorzulesen. Unter anderem ve r langten sie die Einstellung der Kooperation mit den Israelis im Falle Benjamin.“ „Wer ist Benjamin?“ tat Urban erstaunt Der Anrufer lachte rauh. „Das wissen Sie so gut wie ich.“ Zweifellos führte er ein Ferngespräch aus dem Ausland. Das Leitungssummen, die typischen Störgeräusche bewiesen es. Aber woher kam das metallische Klirren im Hintergrund und das Prasseln, das es immer wieder übe rdeckte. Das Prasseln war mitunter so laut, daß der Mann schreien mußte. Urbans nächste Frage erübrigte sich. Er stellte sie trotz dem. „Wo halten Sie Oberst Sebastian versteckt?“ „Irgendwo in Europa“, lautete die Antwort. Urban versuchte, so viele Fragen wie möglich zu stellen, um in den Pausen Geräusche aufs Band zu bekommen. „Und er lebt und ist okay?“ „Das garantieren wir. Aber nur für die nächsten vierund zwanzig Stunden und unter der Voraussetzung, daß Sie jede Tätigkeit gegen uns sofort beenden.“ „Haben Sie Beweise dafür, daß Sebastian lebt?“ 118
„Nein“, erklärte der Anrufer kategorisch. „Sie müssen uns schon glauben. Aber wir sind keine Gangster, sondern Frei heitskämpfer. Was wir sagen, das gilt. Wenn der BND nicht sofort alle Forderungen erfüllt, ist Ihr Chef ein toter Mann.“ „Und wenn wir auf Ihre Forderungen eingehen, was dann?“ „Ist er binnen einer Woche auf freiem Fuß.“ Urban schloß daraus, daß der geplante große Schlag noch innerhalb dieser Frist durchgeführt werden würde. „Wie bleiben wir in Kontakt?“ fragte er. „Gar nicht“, antwortete der Mann mit dem dalmatischen Akzent. „Wir werden Ihr Verhalten genau registrieren. Bei der geringsten Indikation töten wir Ihren Mann und werfen ihn ins Meer.“ Eine Sekunde später war aufgelegt. Urban stellte per Tastendruck das Tonband ab, starrte zum Fenster hinaus und begann seine Gedanken zu ordnen. * Das Expertenteam leistete in den nächsten Stunden hochin tensive Arbeit. Das Tonband sowie alle anderen erreichba ren Faktoren wurden ausgewertet. Man verständigte sich dabei mit Stichworten. „Was meint die Telefonistin?“ „Eine gute Telefonistin erkennt schon am Rauschton, ob der Anruf aus Grönland kommt oder aus Kenia.“ „Sie tippt auf Italien.“ „Welche Schlüsse läßt der Akzent zu?“ „Er geht mehr in die jugoslawische als in die romanische Richtung.“ „Das Klirren“, erwähnte Urban, „hörte sich an, als würden Aluminiumrohre an den Enden aneinandergestoßen.“ Die Wiedergabe lief über Verstärker und Speziallautspre cher. Da man sich über die Quelle des Geräusches nicht einigen konnte, wurde vorgeschlagen, ein Audiogramm 119
herzustellen, welches Geräusche sichtbar machte wie bei einem Stimmabdruck. Urban nahm einen Schluck Bourbon und tauchte tief in seinen inneren Geräuschespeicher hinein. „Wir werfen ihn ins Meer“, murmelte er, „hat der Bursche gedroht. Also sind sie nahe der Küste. Ein Mann, der aus dem Gebirge anruft, faselt nicht vom Wasser.“ „Es sei denn zur Irreführung.“ „Die glaubt er angesichts der mittelmeerischen Küstenlän ge von fünfzehntausend Kilometern nicht nötig zu haben.“ „Und das Klirren?“ „Aluminiumrohre, Metallrohre.“ „Mitunter klingt es wie ein Singen.“ Plötzlich hatte es Urban. „Masten!“ rief er. „Masten von abgetakelten Jachten. Das ist es. Die Verspannungen und Wanten sind locker. Die Beschläge, die Blöcke, Teile des laufenden Guts hämmern gegen die Alurohre. Ich erinnere mich. Wenn man an einem Jachthafen wohnt, kann man bei Sturm kaum schlafen, so klirrt es.“ „Aber nur bei Sturm.“ „Oder entsprechendem Wetter, das die Bootsrümpfe in Bewegung bringt.“ Erneut lief die Geräuschaufzeichnung durch. „Das verdammte Prasseln“, fluchte einer. „Regen, klar ist es Regen.“ „Ein Wolkenbruch oder sogar Hagel.“ „Hagel trommelt.“ „Ist es nicht wie Trommeln?“ Ob es von Regen oder Hagel kam, war im Moment un wichtig. Sie befragten den Hausmeteorologen, um zu erfah ren, wo es im Mittelmeerraum um 11 Uhr 45 stark geregnet habe. Der Meteorologe setzte sich umgehend mit Stationen in Marseille, in Genua, auf Sizilien, in Ancona und Split in Verbindung. Voll Ungeduld wartete das Team auf die Er gebnisse. 120
Endlich, gegen 14 Uhr, lagen sie vor. „Nieselregen überall“, hieß es, „von Griechenland quer herauf bis Cannes. Aber nur in einem Gebiet herrschten Sturmböen mit starken Regenfällen, vielleicht auch mit Hagel.“ „Wo?“ fragte Urban ungeduldig. „In der Toskana. Sagen wir, im Bereich zwischen Rapallo und Livorno.“ „Danke“, Urban legte auf und stöhnte. „Das sind immer noch hundertfünfzig Kilometer Küste.“ Einer schlug vor, alle Städte im gesamten Gebiet anzuru fen und zu fragen, ob dort um 11 Uhr 45 Hagel niederge gangen sei. Ein anderer deutete auf die Uhr. „Siestazeit. Jetzt treffen wir nicht mal bei der Gendarmerie einen an.“ „Aber unsere Gehirne machen keine Siesta“, erklärte Ur ban, ging wortlos hinaus, blieb etwa zehn Minuten weg und kam dann wieder. In der Hand hatte er einen mit Maschine beschriebenen DIN-A4-Bogen. „Aufstellung des israelischen Geheimdienstes über die Konservenlieferanten der Firma George Dudley, Tel Aviv.“ „Was hat das mit unserem Problem zu tun?“ Urban hatte bereits einen Namen unterstrichen und reichte das Blatt an einen Teamkollegen weiter. „Fungi-Konservenfabrik S.P.A. der Fratelli Gallini in Ma rina di Massa.“ „Was bedeutet Fungi?“ „Pilze“, übersetzte Urban. „Die Berge der Toskana sind sehr pilzreich.“ Sie riefen in einem Hotel in Marina di Massa an. Man be stätigte ihnen den Hagel am Vormittag. Auf Urbans Frage, ob die Konservenfabrik zur Zeit arbeite, hieß es, sie sei schon im letzten Jahr stillgelegt worden. „Tiefschlag“, lautete der allgemeine Kommentar. „Im Gegenteil“, lautete Urbans Meinung. Er orderte eines der BND-Flugzeuge. 121
Trotz des katastrophalen Wetters, Regenböen fegten über den Platz, konnte Urban die Cessna sicher in La Spezia landen. Ein Mann vom italienischen Geheimdienst war mit seinem Lancia zur Stelle. Sie fuhren sofort weiter. Auf den dreißig Kilometern ge wundener Küstenstraße hatte Urban Zeit, den Kollegen von Sifa einzuweihen. „Ist es nicht schön, unser bella Italia“, schwärmte Risputi zwischendurch. „Entschuldige, aber heute habe ich andere Sorgen“ , brummte Urban. „Sie haben also Sebastian, den großen Colonello, ge schnappt.“ „Und er könnte in die Fabrik der Fratelli Gallini gebracht worden sein.“ „Warum hast du das nicht schon am Telefon erwähnt? Wir hätten den Laden hops genommen.“ „Gerade deshalb“, sagte Urban. „Ich fürchte, dazu braucht man die vorsichtige Hand. Ein alter Mann ist schnell er schossen. Wumm und aus.“ „Terroristen?“ „Sie nennen sich die November-Panther, sogenannte Frei heitskämpfer. Wohl irgendeine Auslandsorganisation der PLO. Weiß der Teufel.“ „Wie willst du es machen?“ erkundigte sich der kleine Risputi. Urban hob zögernd die Schultern. Das sah er immer erst an Ort und Stelle. „Die Fabrik ist stillgelegt, hörte ich.“ „Am besten ist, einfach hineingehen, buona sera, guten Abend – und päng.“ „Ich gehe rein, aber du wartest draußen.“ „Und wenn ich die MPi rattern höre, mit der sie dich um legen, eile ich dir zu Hilfe.“ „Keinesfalls. Dann schlägst du erst mal Alarm.“ 122
„Ich wünschte“, sagte Risputi, „wir säßen schon beim Abendessen.“ „Nie“, meinte Urban, „waren Spaghetti so weit entfernt wie heute.“ Die Dunkelheit fiel herein, als sie Marina di Massa er reichten. An der Tankstelle fragte der Sifa-Mann beiläufig nach der Fabrik der Gallini-Brüder. Stillgelegt, hieß es. Sie solle abgerissen werden, um Platz für Villen und Bungalows zu schaffen. Die Fungi würden seitdem in Pistola gekocht und abgefüllt. Risputi schob sich wieder in den Lancia. Er wußte jetzt den Weg und bog vor dem Hafen ab. Die Straße führte ein Stück bergauf, unter der Autostrada hindurch und dann nach links. Das Gelände war von einer Mauer umgeben. Das alte Eisentor hing schräg in den Angeln. Sie fuhren ohne Licht näher heran. „Strom und Telefon sind natürlich abgeklemmt“, sagte Urban. „Wie kommst du darauf?“ „Der Erpresser rief vom Hafen aus an.“ „Falls wir richtig sind und er nicht von irgendeinem ve r dammten anderen Hafen aus anrief.“ „In zehn Minuten wissen wir es.“ Urban tippte mit zwei Fingern einen Gruß an die Stirn und stieg aus. Gegen den Regen stemmte er sich auf die alten Backstein hallen zu. * Der Wind schluckte jedes Geräusch und wehte es wer weiß wohin. Irgendwo schlug eine offene Tür gegen den Rahmen. Urban näherte sich in bestmöglicher Deckung der ersten Halle. Zwischen ihr und dem Kesselhaus bestand ein Ve r bindungsgang mit tiefen Fenstern, jedoch ohne Verglasung. Urban stieg hinein und durchquerte vorsichtig Schritt für Schritt das Dreivierteldunkel. 123
Der Betonboden war von Gerumpel bedeckt. Alte Sortier maschinen, Waschanlagen für Gemüse und Kräuter und Dampfkocher rosteten vor sich hin. Die moderneren Anla gen hatte man offenbar herausgerissen und abtransportiert. Von Halle eins erreichte Urban durch einen Bürotrakt hin durch die nächste Halle. Noch ehe er sie betrat, hörte er ein Geräusch, als wäre eine Ratte aufgeschreckt worden und hätte fliehend etwas umge stoßen. Aber das war wohl keine Ratte. Er sah den Umriß eines Mannes gegen den Nachthimmel unter den Sheddä chern. Die Lampe hatte er schon in der Hand. Nun riß er noch die Mauser vom Magnethalter, visierte mit beiden und knipste Licht an. Im Strahl stand ein Bursche, den er kannte. „Atlic Savez!“ rief Urban. „Hände hoch und keine Bewe gung!“ Der Dritte Offizier des jugoslawischen Fährschiffes Libu rija dachte nicht daran, Urbans Aufforderung zu befolgen. Mit einem weiten Satz brachte er sich hinter ein Transport band in Deckung. Dann hagelte es Wurfgeschosse auf Ur ban. Schwere Schraubenschlüssel, Maschinenteile, Back steine, alles, was Savez fand. Aber sie kamen immer unge zielter. Daraus schloß Urban, daß der Bursche zu entkommen ver suchte. Urban machte kehrt, verließ die Fabrik beim Kesselhaus und sah Savez rennen. Urban strahlte ihn mit dem Lampen kegel an, damit sein italienischer Kollege gewarnt wurde. Die Lancia-Scheinwerfer blitzten auf. Der Fliehende befand sich jetzt genau in ihrer Bahn. Er schlug einen Haken. Die Autotür schlug zu, Risputi rief was. Der Jugoslawe feuerte. Der Italiener antwortete auf seine Weise. Sofort fiel sein Schuß und noch einer. 124
Urban sah den Schiffsoffizier stürzen. Savez versuchte, wieder auf die Beine zukommen. Vergebens. Er kroch ein paar Meter durch den Regen und blieb in einer Pfütze lie gen. Als er hinkam, lag Savez auf dem Bauch. Der Italiener kniete neben ihm. „War das nötig?“ fragte Urban. Risputi deutete auf den Revolver im Dreck. „Er oder ich.“ Urban musterte Savez. „Er ist nicht tot“, sagte Risputi, „es waren nur Wirkungs schüsse, keine Fangschüsse.“ Sie schleppten Savez unter ein schützendes Vordach. „Wenn der Boß kommt“, keuchte Savez, „wird er euch zur Sau machen.“ „Danke“, sagte Urban, „und wo ist eure Geisel?“ „Krepiert“, zischte der Jugoslawe. Urban begann Sebastian zu suchen. Schließlich fand er ihn in einem Kellerloch, gefesselt und geknebelt. Aber er lebte. Als er ihn befreit hatte, keuchte der Alte, sich übergebend: „Auch schon da?“ „Ging nicht schneller.“ „Danke übrigens.“ „Nicht der Rede wert“, sagte Urban und steckte sich eine Zigarette an. Im Schein des Streichholzes sah er, daß sie nicht allein waren. In der anderen Ecke des Kellers war noch ein Mann an die Rohrleitungen gekettet. Ohne nach seinem Namen zu fragen, erkannte ihn Urban. „Sind Sie nicht“, fragte er, „ Russel Bennet?“ In einer verzweifelten Gebärde hielt ihm Bennet die bluti gen Handgelenke hin. „Diese Schweine!“ „Jaja, die alten Kameraden“, sagte Urban und öffnete das Schloß mit einem Stück Draht. „Schätze, Sie werden uns einiges zu erzählen haben, Mister Bennet“ 125
„Und nicht zu knapp“, krächzte der Amerikaner. „Aber ohne einen Schluck Wasser geht nichts mehr bei mir.“ * „Ob Sie es glauben oder nicht“, sagte Bennet entrüstet, „sie holten mich aus dem Bett einer Dame in Spanien.“ „Wer?“ „Die Beauftragten von Benjamin, Dudley und Sims. Weiß der Teufel, wie sie mich fanden. Aber ich war ihnen wohl ein zu großes Risiko.“ „Dann müssen Sie etwas wissen“, warf Sebastian, der sei ne Form rasch wiedergefunden hatte, ein. „Um eine leere Auster schert man sich nicht.“ Urban bewunderte den Alten. Das Abenteuer in Genf, die Stunden in den Händen dieser Burschen hatten ihn nach langer Zeit wieder einmal eisenhaltige Frontluft atmen las sen. Sie tat ihm offenbar gut. Er war nicht wiederzuerke n nen, tat forsch und dynamisch, als hätte er wer weiß welche Heldentaten vollbracht. „Klar weiß ich das“, gestand Bennet. „Dann raus damit!“ „Gern.“ Der Amerikaner zögerte. „Aber eine Hand wä scht die andere.“ Der clevere Bennet schlug ihnen ein Geschäft auf Gegen seitigkeit vor: Sie ließen ihn ziehen, zurück zu seiner ange beteten Peggy Monkton, lieferten ihn wegen der ChicagoSache nicht an Interpol aus, und er würde ihnen dafür erzä h len, was er wußte. Sebastian verständigte sich mit Urban. „Raub ist nicht unser Ressort. Packen Sie aus, Mann.“ Nun erfuhren sie, was ihnen zur Klärung des Falles noch fehlte. Aber was sie hörten, jagte ihnen Schauer über die Rückenhaut. „Die US Air Force“, berichtete Bennet, „hat 1973 im Me kong-Delta eine B-58 mit einer neuen Geheimwaffe verlo 126
ren. Wir sollten sie zerstören. Es mißlang jedoch. Jahrelang lag sie dort, gut konserviert im Sumpf. Benjamin und die alte Besatzung haben sie wohl geborgen.“ „Eine Atombombe?“ fragte Urban. „Eine BLU-82“, erklärte Bennet. ‘ Der Oberst schaute Urban an, als käme von ihm eine Er klärung. „Ist das noch schlimmer oder weniger schlimm als eine ABombe?“ „Wie man es nimmt“, fuhr Bennet fort. „Wir nannten die BLU-82 nur das mechanische Monstrum oder die Gäns e blümchen-Sense.“ „Die Sauerstoffdruckbombe?“ fragte Urban entsetzt. Bennet nickte. „Nach Meinung mancher Experten kann sie sogar die Wirkung eines atomaren Sprengsatzes übertreffen. Ein Ungetüm von zehn Tonnen. Eine Metallröhre voll Gela tine aus Ammoniumnitrat und Aluminiumpulver. Bei Zün dung verheert ihre Druck- und Hitzewelle ein Gebiet bis zu zwanzig Quadratkilometern. Jeglicher Sauerstoff im Nahbe reich verbrennt blitzartig. Kein Mensch, kein Tier kann im Wirkungsfeld der Bombe überleben.“ „Ich hörte davon“, sagte Urban. „Sie wurde in Vietnam eingesetzt. Es soll die Hölle gewesen sein.“ „Und Major Benjamin hat sie geborgen“, fügte Bennet er schöpft hinzu. „Ich will wissen“, drängte Urban, „wo er sie einsetzen wird und in wessen Auftrag.“ Der Mann von Sifa stieß zu ihnen. „Der Terrorist ist tot“, meldete er. Sie kamen überein, daß Risputi Oberst Sebastian und den Amerikaner in ein Hotel brachte. wo sie ein Bad, ein Bett und etwas zu essen bekamen. „Ich passe auf Bennet auf“, versprach der Alte, „ich bin soweit okay. Bei dieser Gelegenheit werde ich ihn gleich nach den vermißten Leopard-Konstruktionsaufzeichnungen fragen.“ 127
„Und ich komme später wieder zurück“, versprach der Ita liener. „Und ich“, sagte Urban, „warte auf den Major. Denn ohne ihn geht es nicht weiter. Sie haben die Bombe. Sie bringen sie in Einzelteilen nach Israel, setzen sie dort zusammen und werden damit ein paar Millionen Menschen töten. Vielleicht die Hälfte der Bevölkerung des Staates. Aber wo ist das Monster, das ist die Frage.“ „Benjamin?“ fragte der Oberst. „Benjamin wird sie mir beantworten“, sagte Bob Urban, obwohl er selbst nicht daran glaubte. * Die Nacht wurde lang, und Urbans Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Als der Morgen graute und es kalt wurde und er in seinem Regenmantel fröstelnd dasaß, gab er alle Hoffnung auf, daß Major Benjamin jemals käme, Wozu auch? Nur um nach dem Zustand der Geisel zu sehen? Oder wollten sie Sebasti an und Bennet an einen anderen Ort bringen? Wohl kaum. So schlecht war die alte Konservenfabrik gar nicht gewählt. Sie konnten ja nicht ahnen, daß sie auf der MOSSAD-Liste stand und daß es dem BND möglich gewesen war, den Ort zu lokalisieren. Atlic Savez konnte ihnen den Grund nicht mehr nennen, warum er Major Benjamin erwartete. Savez war tot. Aber vielleicht gab es doch einen Grund. Vielleicht wollte sich Benjamin mit Oberst Sebastian unterhalten, um zu erfahren, wieweit die Gegenseite über ihre Absichten in Tel Aviv unterrichtet war. Wer wußte nicht gern über die Posi tionen des Gegners Bescheid. Urban steckte sich eine Zigarette an. Die vorletzte in der Packung. Er hatte noch welche in der Cessna, hinten in seiner Reisetasche. Vor ihm am Boden lagen mindestens zehn Filterkippen. – 128
Ja, es war eine lange Nacht gewesen. Jetzt fiel der Tau. Er machte alles klamm. Draußen fuhr ein Auto vorbei. Dem Motor nach ein Lie ferwagen. In der nahen Unterführung knatterte ein Motor rad. Eine schwere Maschine. Und das ferne Summen, es kam von der Autobahn. Dort hatte jetzt der Frühverkehr eingesetzt. Plötzlich glaubte Urban das Geräusch zu hören, mit dem die Räder eines langsam fahrenden Automobils in wasserge füllte Schlaglöcher einer schlechten Straße patschten. Er warf die Zigarette weg und ging beim Kesselhaus in Deckung. Nicht zu fassen. Endlich war es soweit. Fast lautlos schob sich der verchromte Grill einer großen Fiatlimousine durch das offene Fabriktor. Der schwere 130er bewegte sich langsamer als ein Fuß gänger. Er rollte genau auf ihn zu. Etwa fünfzehn Meter vom Heizhaus entfernt wurde der Wagen gebremst. Aber niemand stieg aus. Die Scheinwerfer blinkten mehrmals. – Minuten vergin gen. Dann wurde gehupt. Zweimal kurz. Urban konnte ihm keine Antwort geben. Verdammt, was machst du, überlegte er, wenn er wieder wegfährt. Um gegen den Mann im Auto etwas zu unternehmen, war der Abstand zu groß. Urban wartete. Der Motor wurde ange lassen. Eine kurze Ritzeldrehung, und die Maschine summ te. Der Fiat rollte an. Seine Räder schmatzten im nassen Dreck. Die Räder wurden eingeschlagen. Der Fiat wendete. Urban mußte jetzt etwas tun, sonst entwischte ihm dieser Benjamin am Ende noch. In dem Augenblick, als er seine Deckung verlassen wollte, um hinter dem Fiat herzusprin ten, leuchteten die Bremslichter auf. Die Handbremse wurde angeratscht, die Tür schwang auf. Ein Bein kam heraus, der ganze Kerl folgte. Er trug helle 129
US-Offiziershosen, darüber einen grünen ArmeeRegenmantel. Jetzt stand er da, in voller Größe. Die Hände in den Ta schen, nahm er Witterung. Man sah deutlich, wie er den Kopf schräg stellte, um besser lauschen zu können. Er war aber auch bereit, mit jedem Muskel blitzschnell zu reagie ren. „Major Benjamin, nehmen Sie bitte die Hände hoch!“ schallte es durch den Morgen. Der Mann fuhr herum. Urban sah ein grobes, etwas ve r narbtes, aber einprägsames Gesicht mit kantigem Kinn. Urban stand vier Meter hinter ihm und zeigte ihm gleich, wo es lang ging. Mit gestrecktem Arm hielt er seine Mauser auf den Major gerichtet. Benjamin war erfahren genug, um zu wissen, was eine si chere Schußentfernung war. „Was kann ich für Sie tun?“ fragte er mit zwanghaftem Lächeln. „Die Hände heben und umdrehen. Beine breit!“ Urban tastete ihn ab. In der Manteltasche lag ein stumme l nasiger 38er Smith & Wessen, schwer wie ein Stein. „Wer sind Sie?“ fragte Benjamin. „Genug zu wissen, wer Sie sind, Major.“ „Sie kennen mich?“ „Von mehreren Fotos. Vietnam 73 und Mestre vergange nen Monat. Nur trugen Sie dort vier goldene Ärmelstreifen auf dem blauen Captain-Jackett.“ Benjamin stieß einen Fluch aus. „Wo sind meine Leute?“ „Sie meinen Ihren Gefangenenwärter. Der ist tot. Liegt drüben unter dem Wellblech. Sebastian und Bennet sind im Hotel. Aber jetzt frage ich, Sir.“ Kopfschüttelnd bat der Major um eine Zigarette. „Erst wenn Sie Handschellen tragen“, erklärte Urban. „Mit welchen Recht…“, setzte Benjamin an, hielt es aber für sinnlos weiterzufragen. 130
„Los, kommen Sie! Einsteigen! Sie fahren.“ „Wohin?“ „Nicht in die Freiheit, Major.“ „Aber“, wandte Benjamin ein, „aussagen werde ich kein einziges Wort.“ „Ich denke schon, daß Sie aussagen, Mister Benjamin.“ „Nicht einmal, wenn Sie mich töten.“ „Niemand wird Sie töten“, äußerte Urban. „Man wird an dere Methoden anwenden. Schließlich geht es um das Leben von Millionen Menschen.“ Der Major hatte wieder dieses zwanghafte Lächeln um die Lippen. „Sie wollen mich foltern? So sehen Sie nicht aus.“ „Wo denken Sie hin“, erwiderte Bob Urban, „ich mache mir die Hände nicht schmutzig an Ihnen.“ „Dafür haben Sie Ihre Leute“, höhnte der Major. Da er diesem Mann alles zutraute, zog Urban vor, den Fiat selbst in die Stadt zu fahren. Aber nicht, bevor er den Major an Händen und Füßen sorgfältig gefesselt hatte. „Es ist mir gleichgültig“, sagte Urban, den Fiat startend, „wie Sie den israelischen Geheimdienst nennen, Mister Benjamin.“
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12.
Elf Stunden später saß der BND-Agent Robert Urban im Einsatzwagen eines israelischen Sonderkommandos. Der Wagen war mit Spezialagenten für Sabotageabwehr besetzt. Er wartete auf letzte Orders für die Operation mit dem Decknamen Bombenserenade. Der Offizier neben Urban schaute auf die Uhr. „Die Zeit wird knapp.“ „Wenn die angegebene Frist von zwölf Stunden richtig ist, wird es allerdings happig“, pflichtete ihm Bob Urban bei. Nur diesem ungeheuren Zeitdruck gehorchend, war er den Israelis so weit entgegengekommen. In den frühen Morgenstunden jenes Tages, als er Major Jake Benjamin faßte, hatte er sie angerufen. Da es den Israe lis nicht möglich war, so schnell ihre Verhörexperten nach Italien zu schicken, hatten sie Urban ersucht, es selbst zu versuchen. Es ging ihnen nur um zwei Dinge: um den Lage ort der Bombe in Tel Aviv und um die Zeit der Zündung. Urban hatte es kategorisch abgelehnt, sich zum Folter knecht degradieren zu lassen. „Der sagt kein Wort ohne den dritten Grad.“ „Dann wenden Sie ihn an, verdammt!“ hatten ihn die Is raelis verzweifelt zu überreden versucht. Urban hatte erneut abgelehnt. „Wollt ihr euch noch einmal schuldig machen am Tod von Millionen Israelis?“ hatte man ihm daraufhin gedroht. „Der Mann steht zu Ihrer Verfügung“, hatte Urban geant wortet und aufgelegt. Binnen einer Minute war der Blitzrückruf erfolgt. Sie erklärten, daß sie seine Gründe respektierten, aber daß er ihnen helfen solle, Benjamin nach Israel zu bringen. „Schickt eine El-Al-Maschine nach La Spezia“, hatte er vorgeschlagen. „Das ist aus vielerlei Gründen nicht möglich“, hieß es. „Wir müßten Rom offiziell informieren, müßten einen Aus 132
lieferungsantrag stellen. Das kostet Zeit, und dann kann es zu spät sein.“ Urban wußte, daß es um Stunden, wenn nicht gar um Mi nuten ging. Und wenn er etwas haßte, dann waren es büro kratische Hürden. „Schön, ich fliege ihn raus“, hatte er versprochen. „Mit Sifa mache ich das klar. Die wollen ihn gar nicht. Sind froh, daß sie ihn los sind.“ Sie hatten Major Benjamin zum Flugplatz in La Spezia gebracht. Urban hatte vollgetankt und war losgeflogen. Aber wo sollte er mit dem Major landen, um ihn den Israelis zu übergeben? In Athen war es nicht möglich, in Ankara auch nicht. Es hätte zu neuen Verzögerungen geführt. Schließlich hatte er in Heraklion zwischengetankt und war nach acht Stunden in Tel Aviv gelandet. Jetzt hatten sie Benjamin im MOSSAD-Hauptquartier in der Mangel. Alle Einsatzwagen der Sabotageabwehrbrigade standen bereit. Sie warteten nur auf das Stichwort. Der Offizier neben Urban rief per Autofunk die Zentrale an. Kopfschüttelnd legte er wieder auf. „Noch nichts.“ „Der Bursche ist hart wie Granit.“ „Hoffentlich ist er nicht zu hart“, meinte der Israeli. „Zwei Tage vor Beginn des Yom-Kippur-Krieges faßten wir einen Spion. Der Spezialist griff zu hart zu. Der Spion starb, bevor er uns die Stunde des Angriffs nennen konnte. Der erste Schlag des Gegners traf uns voll. Fast wären wir k.o. gegan gen.“ * Neunzehn Minuten später rasten die Wagen los. Major Be n jamin hatte endlich gesungen. Die Wagen fuhren, konzen trisch von allen Seiten kommend, in die Altstadt hinein. „Dort hat sein Gehilfe Dudley eine geheime Privatwo h 133
nung“, sagte der Offizier von der Sabotageabwehr, „aber wie, zum Teufel, kommt man einer Allzweckdruckbombe bei? Wir kennen diese Waffe nicht, haben keine Erfahrung damit. Sie gilt als so gefährlich, daß die Amerikaner sie beharrlich von unserer Waffenwunschliste streichen.“ „Gewöhnlich“, sagte Urban, sich im schlingernden Wagen festhaltend, „wird sie aus mittlerer Höhe an Fallschirmen abgeworfen.“ „Es genügt wohl auch, sie auf dem flachen Dach eines Hauses zu zünden.“ „Ich fürchte, ja.“ „Wirkung?“ „Das verdeutlichen schon die Namen: Allzweck und Druck. Sie verbrennt den letzten Rest Sauerstoff blitz schnell, über einer ganzen Stadt.“ „Und was wird aus lungenatmenden Säugetieren ohne Luft?“ murmelte der Israeli. Mit heulenden Sirenen näherten sie sich dem Altstadtvier tel, bis auf Funkbefehl die Sirenen abgestellt wurden. Von allen Seiten her schoben sich jetzt die Wagen bis auf Sichtweite an das Haus heran. Von vorne, von hinten, durch enge Gassen. „Wollen Sie etwa stürmen lassen?“ fragte Urban den Einsatzoffizier. „Notfalls ja.“ „Wenn er Sie aber kommen sieht?“ „Schießen wir Tränengas oder scharf.“ „Um die Bombe zu zünden, bedarf es nur eines Hebe l drucks“, gab Urban zu bedenken. „Das würde Dudley selbst umbringen.“ „Und er zieht zwanzig Jahre Zuchthaus dem Tod vor, me i nen Sie?“ „Ich weiß es nicht“, gestand der Israeli, „aber verdammt noch mal, ich muß die Zündung der Bombe verhindern. Haben Sie eine Idee, oder können Sie nur Fragen stellen, Oberst Urban?“ 134
„Was halten Sie davon…“ Einsatzkommandos schwirrten hin und her. Der Oberst war voll beschäftigt. Er befahl zunächst, vorsichtig einzu sickern, langsam vorzugehen, ohne Lärm und ohne Aufhe bens. „Sie hatten eine Idee?“ fragte er Urban in einer kurzen Pause. „Eine sehr verrückte“, deutete Urban an, „aber eine wi r kungsvolle vielleicht.“ „Neu oder erprobt?“ „Oft erprobt“, meinte Urban, „speziell bei brennenden Ob jekten, wenn eine Explosion droht.“ „Wasserwerfer?“ „Erprobt auf Flugplätzen“, faßte es Urban genauer, „bei Notlandungen, Aufschlagbränden und so weiter.“ „Schaum!“ rief der Israeli so begeistert, als sei es sein Ein fall. Urban nickte. „Sie verfügen doch über hochmoderne Schaumlöschfahr zeuge?“ „Zum Teufel, aber die reichen nicht bis zum Dach mit ih ren Spritzen.“ „Gibt es auf den Luftbasen keine Löschhubschrauber?“ „Verdammt, warum sagten Sie das nicht früher?“ „Verzeihung, fiel mir eben erst ein.“ Der Einsatzoffizier machte alle Funkkanäle frei, sprach mit dem Flugplatz in Lod und den Militärluftbasen um Tel Aviv. Es dauerte nur wenige Minuten, dann war alles klar. „Sie kommen“, sagte der Colonel erschöpft. * Vier Löschhubschrauber mit je 5 Tonnen Schaumkonzentrat an Bord starteten. Gleichzeitig setzten sich alle verfügbaren Löschwagen in Bewegung. 135
Polizeifahrzeuge boxten ihnen die Straßen durch die belebte Stadt frei. Kurz vor 18 Uhr bemerkte George Dudley in seinem Haus, daß etwas vorging. Offenbar hatte er den Katastrophenfunk mitgehört. Er erschien auf dem Dach und erklärte über Me gaphon, er würde die Bombe sprengen, wenn sich die Einsatzkräfte nicht sofort zurückzögen und man ihm freies Geleit nach Ägypten garantiere. Er setzte eine Frist von zehn Minuten. Das war um 18 Uhr. Die Frist lief um 18 Uhr 10 ab. Um 18 Uhr sieben waren die Helikopter da. In fünf Meter Höhe über dem Dach schwebend, betätigten sie ihre Löschkanonen. Binnen einer Minute ergossen sich zwanzig Tonnen zähen Löschmittels auf das Haus. Ausgeschäumt nahm das Konzentrat das Dreißigfache sei nes flüssigen Volumens ein. Das Haus wurde buchstäblich in Schaum gebettet, darin begraben und erstickt. Am Ende war das Haus nur noch wie ein unförmiger we i ßer Würfel In wenigen Minuten war alles vorbei. Die Tanks der Löschhubschrauber waren geleert, die größte Gefahr ge bannt Trotzdem forderte der verantwortliche Offizier, daß auch die Feuerwehrfahrzeuge noch ihre Schaumstofftanks über das Haus und seine Umgebung entleerten. Bald rührte sich unter diesem Berg von schmierigem Weiß nichts mehr. Alles Leben darin schien erstickt zu sein. Erst jetzt wurde für Bombenserenade Entwarnung gege ben. Urban brauchte eine Zigarette. „Der Schaum nimmt der Bombe den Zugang zum Luftsau erstoff“, kombinierte er. „Eine Zündung würde, vorausge setzt sie erfolgt überhaupt, glatt verpuffen.“ „Bitte“, sagte der Einsatzoffizier erleichtert, „halten Sie 136
mich jetzt nicht für romantisch, Colonel Urban, aber so, wie dieses Haus aussieht und die Gärten ringsrum, so stelle ich mir den Winter im Schwarzwald vor.“ „Kann durchaus“, sagte Bob Urban, „kann durchaus hin kommen.“ * Der Job war getan. Aber es war wie bei der Arbeit des Sisy phos, man schöpfte den Trog leer, und ein neuer Wolke n bruch füllte ihn wieder. Ein anderer Fall würde die Welt erneut an den Rand der Katastrophe bringen, bis es eines Tages soweit war und sie tatsächlich aus der Bahn kippte. Urbans Muskeln lockerten sich, der Kopf wurde frei, die Anspannung verflog für kurze Zeit. Er schlenderte in das alte Jaffaviertel und war froh, daß er lebte. Denn daß einer starb, wenn man sich auf so etwas einließ, das war die Regel und das Überleben eher die Ausnahme. Die Nacht drängte mit salziger Frische durch die engen Gassen. Die Kühle wirkte fast kalt. Und die Stille war vollkommen. Nicht die Spur eines Lau tes, nicht ein noch so ferner. Friedlich schlief die große Stadt. ENDE
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