Die Drei ???
Bob macht blau
revised by AnyBody
Fan Story. Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
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Die Drei ???
Bob macht blau
revised by AnyBody
Fan Story. Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Inhalt Inhalt ................................................................................... 2 Bob macht blau ................................................................... 3 Zentrale ............................................................................... 8 FBI .................................................................................... 16 Fabrik ................................................................................ 21 Rückzug ............................................................................ 26 Solo für Peter .................................................................... 33 Gefangen ........................................................................... 36 Cotta ermittelt ................................................................... 42 Dank vom F.B.I................................................................. 48 Jahrmarkt........................................................................... 55 Showdown......................................................................... 63 Finale................................................................................. 69 Abspann ............................................................................ 72
Bob macht blau Bob Andrews hatte die Nase voll. Schöne Ferien waren das! Die ganzen letzten Wochen hatte er schuften müssen wie noch nie zuvor in seinem Leben. Erst durfte er irgendwelchen Prominenten nachjagen, um Fotos für die Zeitung seines Vaters zu machen. Dann mußte er in der Musikagentur von Sax Sandler mit unzuverlässigen Rockmusikern Auftrittstermine arrangieren - das war ungefähr so einfach, wie einem Ameisenhaufen Stepptanz beizubringen. Von Ausruhen oder Entspannung keine Spur. Fast schon sehnte er den Schulanfang herbei, soweit war es gekommen. Heute jedenfalls, an diesem sonnigen und heißen Augusttag, würde er sich nur um sein eigenes Wohlergehen kümmern. Das bedeutete: Kein Justus, kein Peter, keine Liz. Und vor allem: keine Arbeit! Der dritte Detektiv hatte sich genau überlegt, was er zu tun hatte. In aller Frühe rief er in der Agentur an und sagte sein Erscheinen mit einer kleinen Notlüge ab. Magenschmerzen! Er packte den Picknickkorb, schnappte sich ein spannendes Buch und bestieg seinen alten VW - Käfer. Bob kannte eine Stelle unweit von Rocky Beach, wo ihn garantiert niemand stören würde: den kleinen Park am alten Bahnhof. Rocky Beach war zwar nur eine Kleinstadt, doch war es stets bemüht, technisch mit den reicheren Nachbarorten mitzuhalten. Und so reichte der einfache und schlicht gehaltene Altbau aus roten Backstein, der am Rande der Stadt ein gemütliches Dasein fristete, nach Meinung der Politiker irgendwann nicht mehr aus. Ein neuer, modernerer Bahnhof im Zentrum mußte her, neue Schienen wurden verlegt, mehr Komfort integriert. Zeitgemäß -3-
gehörten jetzt ein Café, ein kleiner Supermarkt und ein Zeitschriftenladen zu dem Neubau, und die Touristen konnten nun direkt vom Zug ins Hotelbett fallen, ohne erst noch mühselig mit dem Taxi ins Zentrum fahren zu müssen. Der alte, ausrangierte Bahnhof aber verfiel und wurde schließlich nur noch von Nägeln und Schutt zusammengehalten. Die dahinter liegenden Gleise wurden zunächst noch für den Güterverkehr genutzt, doch mittlerweile waren auch sie stillgelegt worden. Gleichzeitig war der kleine, dem Bahnhof gegenüberliegende Park, verwildert. Er, der einst die ankommenden Zugfahrgäste mit bunten Blumen und gepflegten Wiesen empfangen und das Flair eines wohlhabenden Kurorts verbreitet hatte. Heute war davon nichts mehr zu spüren. Die Wege waren zugewuchert, die Bänke verschmutzt und statt der Blumen durfte man nur noch Unkraut bewundern. Bob liebte diese Stelle. Außer ein paar wagemutigen und wild romantischen Liebespaaren kam hier nie jemand hin. Für die Touristen war der Platz so unattraktiv geworden, daß er in keinem Reiseführer erwähnt wurde. Und die Einheimischen wollten an den Schandfleck lieber gar nicht mehr erinnert werden. Außerdem brauchte man für die Parkwege fast eine Machete - kein Ort für Familienausflüge also. Bob stellte den Käfer am anderen Ende des Parks ab und kämpfte sich bis zur großen Wiese durch, die direkt gegenüber dem Bahnhofsgebäude lag. Das Gras war hier so hoch, daß man schon im Stehen halb verdeckt war. Er breitete seine Decke aus und legte sich, vor der Sonne durch einen hochgewachsenen Baum geschützt, auf die Wiese. Er konnte, wenn auch nur aus einiger Entfernung, das alte Gemäuer sehen. Der Backsteinbau wirkte bedrohlich im Gegenlicht der Sonne, -4-
so als hätte er viele düstere Geschichten zu erzählen. Bob wußte, daß sich viele Legenden um diesen Ort rankten, aber er gab normalerweise nicht viel auf das Geschwätz der Leute. Aber dennoch war es seltsam hier. Schien es nicht so, als ob der leere Vorplatz, ehemals Standort vieler Taxis und Busse, auf neue Gäste zu warten schien. Hörte er nicht in der Ferne das Pfeifen einer alten Lokomotive? Bob mußte grinsen. Er hatte mal wieder zuviel Phantasie. Ein alter, abbruchreifer Kasten war das, nichts weiter. Gerade hatte Bob es geschafft, sich endlich auf seinen Krimi zu konzentrieren, da hörte er ein Geräusch. Einen Motor. Das durfte doch nicht wahr sein. Bei seinem Glück war das wahrscheinlich Sax Sandler, der nur mal zufällig vorbei kam, um nachzuschauen, ob da nicht ebenso zufällig der angeblich kranke Bob Andrews im Gras lag. Er duckte sich. Nein, Gott sei Dank, das Auto fuhr an seiner Stelle vorbei. Es hielt direkt auf den Bahnhof zu. Bob hatte eine gute Position. Er konnte genau auf das alte Gemäuer schauen, ohne Angst haben zu müssen, selbst entdeckt zu werden. Er war völlig geschützt. Der Wagen hielt vor dem Bahnhof. Ein Mann stieg aus. Bob konnte einen breitkrempigen Hut erkennen. Was sollte das? Ein Tourist, der sich den sagenumwobenen »Geister-Bahnhof« anschauen wollte? Der Mann betrat die Vortreppe zum ehemaligen Eingang. Mit Erstaunen nahm Bob zur Kenntnis, daß das Auto, mit dem der Fremde gekommen war, auf der Stelle umdrehte und den Schauplatz verließ. Wie wollte der Mann nun wieder von hier wegkommen? Doch dieser beachtete das abdrehende Auto gar nicht, sondern ging etwas unschlüssig am Gebäude entlang. -5-
Bob kramte nach seiner Brille, die er zum Lesen nicht brauchte und die noch im Korb lag. Hätte er doch seine Kontaktlinsen in die Augen getan. Wo war sie denn nur? Als er die Gläser endlich aufhatte, traute er der Sehhilfe kaum. Da war - niemand! Bob war verärgert über sich selbst. Einen Moment nicht hingesehen und den entscheidenden Augenblick verpaßt. Wo war der Fremde mit dem breiten Hut? Hinter dem Gemäuer, auf den Gleisen? Und wenn dort, was machte er da? Bob saß nachdenklich im Gras und beobachtete den Bahnhof. Es geht mich ja eigentlich gar nichts an, dachte er, schüttelte den Kopf und widmete sich schließlich wieder seinem Buch. Nicht allerdings, ohne alle paar Sekunden aufzuschauen, ob der seltsame Besucher nicht vielleicht doch wieder auftauchen wollte. Als Bob das nächste Mal auf die Uhr blickte, war eine halbe Stunde vergangen. Wo zum Teufel steckte der Kerl? Die Neugier des dritten Detektivs war nun endgültig geweckt. Hastig packte er seine Sachen zusammen und verstaute sie in seinem VW. Er stieg ein und fuhr die paar Meter bis zum Bahnhof. Aus der Nähe betrachtet wirkte der rote Bau noch unheimlicher. Und das bei Tageslicht! Alles schien durch und durch morsch, die Türen und Fenster waren mit dicken, schweren Holzbalken vernagelt. Es gab keine Stelle, von der man ins Innere hätte schauen können, dafür aber ein Schild: VORSICHT! EINSTURZGEFAHR! Sonst gab es nichts zu sehen. Gar nichts. Vor allen Dingen keinen Fremden. Bob überlegte, ob er rufen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er ging einmal um den Bahnhof herum. Der Bahnsteig war -6-
ebenso verrottet wie die ganze Umgebung. Das Holz war an vielen Stellen gesplittert, ein Geruch von Fäulnis lag in der Luft. Die Gleise wirkten matt, vereinzelt standen ein paar ausrangierte Güterwaggons in der Gegend herum. Hier war auch niemand. Bob seufzte. Er wußte, was das bedeutete: Er mußte zu Justus und Peter!
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Zentrale »Und du bist sicher, daß dir der Mann bekannt vorkam?«, fragte Justus Jonas. Der erste Detektiv knetete seine Unterlippe, das tat er immer, wenn er nachdachte. Eine alte Angewohnheit, die ziemlich unintelligent aussah, die er sich aber leider nicht abgewöhnen konnte. Die drei??? saßen in der Zentrale, einem alten ausrangierten Campinganhänger auf dem Schrottplatz der Firma Titus Jonas. Früher war der Wagen hinter hohen Schuttbergen verborgen gewesen, und die Drei konnten nur durch diverse Geheimgänge ins Innere gelangen. Heute jedoch waren sie zu groß und zu schwer für den geheimen Tunnel oder das Tor 3 , so daß sie ihr Hauptquartier vor einiger Zeit zähneknirschend frei räumen mußten. Justus‘ Onkel Titus und seine Frau Mathilda waren außerordentlich überrascht darüber gewesen, was die drei Jungen sich da in aller Heimlichkeit aufgebaut hatten. Es war aber auch wirklich beeindruckend. Die »Zentrale« trug ihren Namen tatsächlich zu Recht. Faxgerät, Telefonanlage, Computer und Überwachungskameras waren nur einige der technischen Spielereien, die der dafür begabte erste Detektiv installiert hatte. Auf dem Dach befand sich sogar ein altes Periskop, mit dem die drei Jungen früher, als sie noch von Onkel Titus‘ Gebrauchtwaren verdeckt waren, den Schrottplatz überblicken konnten. Tante Mathilda konnten die drei Freunde jetzt jedenfalls nicht mehr entkommen. Sie wußte nun endlich, wo sich die drei Jungen herumgedrückt hatten, wenn mal wieder weit und breit keine Spur von ihnen zu finden gewesen war. Peter Shaw, der zweite Detektiv, trommelte gedankenverloren -8-
mit seinen Daumen auf die Tastatur des Computers, der das Herz der Zentrale war und diese zu einem modern eingerichteten Büro machte. Bob warf Peter dafür einen kurzen, aber bösen Blick zu. »Ja, Justus«, sagte der dritte Detektiv dann und wandte sich dem leicht übergewichtigen Anführer des Trios zu. »Ich habe es nicht sofort bemerkt, aber als ich auf dem Weg hierher war, wurde ich mir immer sicherer, daß ich diesen Gang schon mal gesehen habe.« »Hat er denn irgendwie auffällig gehinkt oder so etwas?«, fragte Peter. Er war der sportlichste der drei Jungen, mittlerweile in der Gunst der hiesigen Weiblichkeit aber trotzdem klar von Bob abgehängt worden - was Peter nicht begeisterte, auch wenn er kein Wort darüber verlor. Bobs Wandlung von der Bücher verschlingenden Brillenschlange zum braungebrannten Mädchenschwarm war aber auch wirklich bewundernswert. Oder besorgniserregend, je nach Sichtweise. »Nein, Zweiter. Es war ungefähr so, als wenn du aus einiger Entfernung deine Eltern siehst«, sagte Bob nun. »Du kannst sie nicht genau erkennen, aber am Bewegungsablauf merkst du, daß es deine Eltern sind.« »Vielleicht war es ja dein Vater«, stichelte Peter. »Auf der Suche nach dem Blaumacher des Tages. Und morgen steht dann in der Zeitung: Bob Andrews beim Schwänzen erwischt! Der berühmte Hobbydetektiv...« »Ist ja gut, Peter«, unterbrach ihn Justus unwirsch. »Die Sache interessiert mich. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist der Mann ins Gebäude gegangen oder er hat sich in Luft aufgelöst. Möglichkeit Nummer Zwei möchte ich hierbei als unwahrscheinlich ausklammern.« »Gefällt mir gar nicht, wie du das sagst, Just.« Peter schüttelte den Kopf. »Der alte Bahnhof ist doch total baufällig. Was sollte -9-
jemand dort wollen?« »Keine Ahnung, Peter. Jedenfalls bin ich einmal um den ganzen Komplex herumgegangen, konnte aber keinen Eingang entdecken. Es war alles zugenagelt«, stellte Bob fest. Justus biß in einen Schokoriegel. Der erste Detektiv kämpfte seit eh und je mit seinen Gewichtsproblemen. Gerade allerdings war wieder mal eine Phase angebrochen, in der er sich weigerte, dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen. Nach einer Kunstpause bedachte er Peter und Bob mit einem bedeutungsschwangeren Blick. »Tja, Kollegen, das Ganze läßt nur einen Schluß zu: Wir werden heute abend hinfahren und den Bahnhof untersuchen!« Justus schien das nicht im Geringsten zu beunruhigen. Peter jedoch stockte der Atem. Trotz seiner Größe und Stärke neigte der zweite Detektiv am ehesten zu einer gewissen Vorsicht. »Heute Abend? Muß das sein, Just? Morgen ist doch auch noch ein Tag und....« »Morgen muß ich wieder arbeiten, Peter«, sagte Bob. »Und ich muß für Onkel Titus eine Haushaltsauflösung besuchen. Das kann ich unmöglich absagen.«, ergänzte Justus. Peter nickte müde. Er hatte verstanden. Nachdem es dunkel geworden war, bestiegen die drei Detektive Bobs Auto und fuhren zum Bahnhof. Sie parkten auf dem ehemaligen Taxiparkplatz vor dem Portal und überquerten zögernd die Straße. Im Dunkeln wirkte das Gemäuer noch abschreckender. Es erschien auch größer als am Tag, dachte Bob. Der kleine Turm an der Westseite, der wohl dem Stationsvorsteher als Aussicht gedient hatte, erhob sich mahnend zum Himmel. Kein Laut war zu hören, als die drei Detektive vor dem Haupteingang standen. »Puh, hier ist es aber duster«, sagte -10-
Peter. Ihm war unbehaglich zumute. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Sie gingen langsam auf die groben Holzbalken zu. Sie schienen so etwas wie »Hier kommt nichts durch - und ihr schon gar nicht!« signalisieren zu wollen. Justus rüttelte an den Brettern. Nichts bewegte sich. »Ob all die Schauergeschichten wahr sind? Es heißt doch, daß in diesem Bahnhof eine Tote spuken soll, die sich hinten auf die Gleise geschmissen hat. Angeblich soll die Stadt den Bahnhof ja auch deswegen neu gebaut haben«, flüsterte Peter. »Warum flüsterst Du, Peter?«, fragte Bob. »Mir wäre wohler, wenn wir einfach so tun könnten, als wäre das hier der normalste Ort der Welt.« »Es ist der normalste Ort der Welt, Kollegen!«, stellte Justus mit fester Stimme klar. »Das sind doch alles Ammenmärchen und ich...«. Der erste Detektiv stockte. Was war das? Ein dumpfes, tiefes Pochen drang aus dem Inneren des Bahnhofs. Kaum auszumachen von woher. Die drei Jungen schauten sich an. Da war es wieder! »Was ist das, Just?«, fragte Bob. »Keine Ahnung.« Der erste Detektiv hatte sichtlich ein Stück seiner Ruhe verloren. Er gab seinen beiden Freunden ein Zeichen. Die Jungen gingen lautlos, aber hastig um das Gebäude herum. Sie versuchten, das Geräusch, das nun in schöner Regelmäßigkeit ertönte, zu orten. Aber auch hier hinten, an der Rückfront, gab es keinerlei Anzeichen. »Das... das klingt irgendwie so, als wenn sich eine alte Dampflok in Bewegung setzt, nur daß die Räder sich nicht schneller drehen«, sagte Peter. Ihm war jetzt doch ziemlich mulmig. Die drei??? waren einmal um den gesamten Bahnhof -11-
herumgelaufen. Das Geräusch war weder lauter, noch leiser geworden. Es schien aus dem tiefsten Inneren des Gemäuers zu kommen. »Haltet mich nicht für verrückt, Kollegen«, sagte Bob. Er flüsterte jetzt auch. »Aber für mich klingt das fast so, als wenn es der Herzschlag des Bahnhofs wäre.« »Als nächstes willst Du uns erzählen, daß das Haus atmet und am liebsten Käsesandwich mit Gurken ißt, oder? Jetzt mach mal halblang, Bob.« Justus wünschte, er wäre von der Kraft seiner Worte nur selbst so überzeugt gewesen. Obwohl sich alles in ihm sträubte, ging er ganz nah an ein Fenster der Vorderfront heran. Er versuchte, durch die Ritzen zu schauen. »Kannst Du was erkennen, Erster?«, fragte Peter. »Nein, Kollegen, alles dunkel.« Justus seufzte. »Vielleicht sollten wir von hier verschwinden und....« Die drei prallten zurück! Aus den Ritzen des Fensters, vor dem sie standen, drängte plötzlich ein seltsames Licht nach draußen. Unzählige kleine, leicht violette Strahlen bahnten sich ihren Weg durch die Dunkelheit. Peter hätte am liebsten aufgeschrien. »Los, Kollegen, rüber in den Park«, zischte Justus. Auch ihm war es zuviel geworden. Die drei Jungen überquerten hastig die Straße und warfen sich in das hohe Gras. Selbst von hier aus konnte man noch deutlich die Lichtschimmer erkennen, die aus dem vernagelten Fenster drangen. »Was machen wir denn jetzt?«, fragte Peter. »Holen wir die Polizei?«. »Und mit welcher Begründung, Zweiter?«, fragte Justus trocken. »Daß wir am alten Bahnhof ein seltsames Licht und ein unheimliches Pochen gehört haben? Die behalten uns doch gleich da! - Was ist das?« -12-
Die Aufmerksamkeit des ersten Detektivs hatte sich wieder auf das Gemäuer gerichtet, wo sich neuerlich etwas tat. Die Drei konnten deutlich zwei scheinbar aus dem Nichts auftauchende Männer erkennen, die etwas Schweres in ihrer Mitte trugen. Nun ließen sie ihre Last fallen. Der größere von beiden schien jetzt in ein Mobiltelefon zu sprechen, während der andere begann, sich für das Auto der drei Detektive zu interessieren, das immer noch auf dem Bahnhofsvorplatz stand! »So ein Mist«, flüsterte Peter. »Wenn wir Glück haben, vermuten die Kerle irgendein Liebespaar, das sich in den Park verzogen hat.«, erwiderte Justus. Tatsächlich ließ der Kerl nach kurzem Zögern von Bobs Auto ab und ging zu seinem Partner zurück. Aus der Ferne ertönten Motorengeräusche. Ein weiterer Wagen näherte sich, es war dasselbe Auto, das Bob am Nachmittag gesehen hatte. So sehr sich die Jungen auch anstrengten, sie konnten kein Nummernschild erkennen. Die beiden Männer luden ihre Last auf den Rücksitz und stiegen ein. Das Auto brauste davon. »Und jetzt?«, fragte Bob. »Hinterher!«, schrie Just und rannte los. Bob und Peter schauten sich kurz resigniert an und folgten ihrem Superhirn. Da Justus nicht der schnellste war, erreichten die beiden anderen den Käfer trotz Justus Vorsprung deutlich eher. Schnaufend stiegen die drei Detektive ein und verfolgten das Auto. »Ich sehe die Rücklichter«, sagte Peter. »Du mußt da vorne rechts, Bob.« Die Gegend hier war flach und übersichtlich, so daß es für die -13-
Jungen nicht schwer war, das Auto im Blick zu behalten. Der Mondschein tat sein übriges. »Bob, mach das Licht aus«, sagte Justus. »Sonst sehen sie uns.« Bob tat, wie ihm geheißen. »He, Justus, wir kommen immer näher. Ich glaube, die haben angehalten«, stellte Peter fest. »Dann machen wir das jetzt auch. Ein bißchen näher noch, Bob, aber nicht so nah, daß sie unseren Motor hören können.« Die Drei fuhren noch etwa zweihundert Meter, dann machte Bob den Motor aus und ließ den Wagen rollen. »Stop!«, befahl Justus. »Wir steigen aus.« Die drei verließen den Käfer und näherten sich vorsichtig dem alten Chevy, der vor ihnen achtlos am Straßenrand stand. Niemand war zu sehen. Je näher sie kamen, desto mehr bemerkten sie jedoch ein leises Zischen, das aus dem Inneren des leicht abgewrackten Autos zu kommen schien. »Just, vielleicht sollten wir lieber weg bleiben. Nachher fliegt uns das Auto um die Ohren«, sagte Bob. Der erste Detektiv reagierte nicht, sondern ging langsam näher. Da sahen die drei Detektive es gleichzeitig: ein Schlauch führte vom Auspuff an das hintere, rechte Seitenfenster. Der Motor lief und leitete die tödlichen Abgase ins Innere! Justus war klar, was das bedeutete. Die seltsame, schwere Last, die die beiden Männer auf den Rücksitz verfrachtet hatten, mußte ein Mensch gewesen sein. Und er schwebte in allerhöchster Lebensgefahr! Auch Peter und Bob hatten die Gefahr erkannt. »Los, Peter!«, rief Bob. »Wir müssen den Schlauch vom Auspuff reißen!« Gesagt, getan! Peter und Bob zerrten an dem Schlauch, Justus bemühte sich, eine Tür zu öffnen. Gott sei Dank, die Fahrertür war nicht verriegelt. Er nahm einen zusammengesunkenen Mann auf dem Rücksitz wahr. -14-
»Luft, er braucht Luft!«, brüllte Peter. Justus öffnete die Verriegelung, unmittelbar danach rissen Peter und Bob den fast Leblosen auf die Straße. »Wir... wir müssen die Polizei rufen!«, rief Peter außer sich. »Das war ein Mordanschlag!« Da kam plötzlich Bewegung in den geschwächten Körper des Mannes. »Nein, keine Polizei... bin Polizei...«, röchelte er. »Es... geht schon...« Die drei??? blickten sich ratlos an. »Bringen wir ihn in die Zentrale«, schlug Justus schließlich vor.
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FBI »Mein Name ist Rob Pettersson. Ich arbeite beim F.B.I.«. Die drei Detektive hatten es dem Mann - so weit es ging - gemütlich gemacht. Nun war der vollgestopfte Campingwagen nicht gerade in Urlaubsverfassung und Peter mußte sich ziemlich verrenken, damit sie alle vier Platz hatten - doch ein lehnenverstellbarer Bürostuhl und eine Decke waren allemal drin gewesen. Rob Pettersson trank Kaffee. Peter hatte ihn in seinem Wagen zur Zentrale gebracht, während Bob und Justus im Käfer hinterherfuhren. Der F.B.I.-Mann hatte sich ziemlich schnell erholt, obwohl er gar nicht mal so kräftig aussah. Im Gegenteil: Er war klein, von eher schmächtiger Figur und hatte eine Halbglatze. ‘Ein totaler Durchschnittstyp’, dachte Bob. ‘Ideal für geheime Aufträge.’ Justus knetete wieder einmal seine Unterlippe. »Was geht in dem alten Bahnhof eigentlich vor, Mr. Pettersson? Und warum durften wir die Polizei nicht rufen?« Der F.B.I.-Mann seufzte. »Jungs, ich bin euch wirklich sehr dankbar, daß ihr mich gerettet habt. Aber gerade deswegen darf ich euch nichts sagen. Dieser Auftrag, den ich habe, ist streng geheim und wurde von höchsten Regierungskreisen angeordnet.« »Aber, Sir... «, begann Peter, wurde jedoch sogleich unterbrochen. »Kein aber, Junge! Man hat mich mit Chloroform betäubt und versucht, mich in meinem eigenen Auto zu beseitigen. Diese Geschichte ist viel zu gefährlich, als daß drei Jungen wie ihr euch darin einmischen solltet! Laßt die Finger davon. Hier geht es um mehr, als ihr euch erträumen könntet.« Seine Stimme war richtiggehend leidenschaftlich geworden. -16-
»Sir, sie wurden beinahe von zwei Männern umgebracht. Finden sie es nicht nachvollziehbar, daß wir diesen Vorfällen ein gewisses Interesse entgegenbringen?« Justus kramte in seiner Tasche. Mr.Pettersson wandte sich Bob und Peter zu. »Redet der immer so geschwollen?«, fragte er. »Außerdem haben wir schon oft der Polizei geholfen.«, fuhr der erste Detektiv ungerührt fort. »Hier ist unsere Karte«: Die drei Detektive??? Wir übernehmen jeden Fall Justus Jonas - Erster Detektiv Peter Shaw - Zweiter Detektiv Bob Andrews - Recherchen und Archiv »Aha, Detektive seid ihr.« Rob Pettersson lächelte leicht spöttisch. »Aber hier geht es nicht um Handtaschenraub, entlaufende Hunde oder ähnlichen Kleinkram.« Er beugte sich nach vorne und lächelte verschwörerisch. »Hier geht es um Gefahren, die ihr euch nicht mal vorstellen könnt - und diese Männer...« Er lachte ein kurzes, humorloses Lachen und wurde sofort wieder ernst. »Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich kein Mensch erklären kann, Jungs! Ich schon gar nicht. Und vor allem nicht euch. Ihr mögt eine Menge Fälle geklärt haben und ich bezweifle gar nicht, daß ihr drei Burschen intelligent und tatkräftig seid. Allerdings solltet ihr auch dafür sorgen, daß das noch ein paar Jahrzehnte so bleiben kann. Und diese Geschichte könnte eure Entwicklung gewaltig hemmen.« Er blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Runde. »Wie meinen sie denn das, Sir?«, fragte Peter erschrocken. »Er meint, daß Tote keine allzu revolutionären Entwicklungsstadien mehr durchmachen, Peter. Mr. Pettersson möchte uns bedeuten, daß unser Leben in Gefahr ist, wenn wir nicht aus dem Fall aussteigen«, antwortete Justus. -17-
Im Gegensatz zu seinem Kollegen wirkte er allerdings ruhig und gefaßt. »Ja, genau das meine ich«, entgegnete der Agent und erhob sich. »So, und jetzt muß ich leider gehen.« Pettersson stand auf und ging zur Tür. »Danke für den Kaffee. Und wenn ich euch noch einmal den dringenden Rat geben darf: Haltet euch da raus.« Er räusperte sich. »Nein - ich befehle es euch: Finger weg von diesem Bahnhof! Schönen Abend noch.« Weg war er. Die drei Jungen hörten noch den anspringenden Wagen, dann war der F.B.I.- Agent mit quietschenden Reifen verschwunden. Für einen kurzen Moment herrschte Totenstille in der Zentrale. Nur das Krächzen von Blacky, dem schwarzen Raben, war zu hören. »Starker Abgang«, stellte Peter schließlich trocken fest. »Wißt ihr, was mir aufgefallen ist? Sein Auto ist kurzgeschlossen worden. Die Kabel hingen unter dem Amaturenbrett heraus.« »Das zeigt nur, daß die vermeintlichen Mörder Petterssons Wagen offensichtlich nicht auf reguläre Art zum Anspringen gebracht haben. Sie mußten den Wagen wohl erst von irgendwoher stehlen und hatten die Schlüssel nicht. Allerdings haben die Täter auf diese Weise verhindert, daß Petterssons Ableben im eigenen Auto nach Selbstmord hätte aussehen können«, entgegnete Justus. Bob runzelte die Stirn. »Du meinst, jeder würde sich fragen, warum Rob Pettersson seinen eigenen Wagen kurzschließt, bevor er sich darin umbringt? Stimmt, Just. Eine Straftat vertuschen ist etwas anderes. Aber davon mal abgesehen: Gestern ist dieser Chevy noch ganz freiwillig zum Bahnhof gefahren.« -18-
Die Gehirne der drei Freunde arbeiteten auf Hochtouren. »Bist du denn sicher, daß es der Wagen war?«, fragte Peter. »Ganz sicher!« Bob hob die Hand zum Schwur. »Das beweist aber nicht, daß Pettersson auch drin war. Das Auto könnte auch schon früher gestohlen worden sein«, sagte Peter. »Auf jeden Fall war die Aktion gut geplant. Die beiden Männer müssen, nachdem sie Pettersson schachmatt gesetzt haben, in ein anderes Auto umgestiegen sein.« »So was ist im Zeitalter des Mobilfunks ja kein Problem mehr, Peter«, entgegnete Bob. »Ist euch eigentlich aufgefallen, wie Mr.Pettersson bei dem Satz mit den Dingen zwischen Himmel und Erde betont hat, daß sich die kein Mensch erklären kann?« »Ach, das bildest du dir ein, Bob«, antwortete Peter. »Oder meinst du, er dachte an Außerirdische?« Der zweite Detektiv mußte lachen. »Na ja«, sagte Justus, »immerhin hatten wir seit »Sie sind an unserer Seite« nichts mehr mit fremden Lebensformen zu tun. Es wäre wieder mal an der Zeit. Nein, im Ernst, Kollegen: Die Frage ist vielmehr, warum Mr.Pettersson uns Angst machen will. Wirklich nur, um uns zu schützen, oder hat er andere Motive?« »Auf jeden Fall hat er ein Loch in der Hosentasche«, sagte Bob und bückte sich. Er hob einen kleinen Zettel auf. »Den hat er wohl verloren.« »Na los, was steht drauf?«, fragte Peter ungeduldig. »Was macht fröhlich, frisch und rein, das kann nur Perdoma sein! Siebzehn, acht und zwanzig nur, bist nicht nur rein, weißt auch die Uhr!« Bob schüttelte den Kopf. »Was soll das denn sein?«, fragte er. -19-
»Das, Kollegen, ist vermutlich das einfachste Rätsel, das wir bisher zu knacken hatten!« Justus demonstrierte einen besonders überlegenen Gesichtsausdruck. »Nun spann uns nicht immer so auf die Folter, Erster!« Peter haßte das. »Ganz einfach - Perdoma ist ein altes Waschmittel, das seit zwanzig oder dreißig Jahren nicht mehr hergestellt wird. Warum? Weil die Firma pleite gemacht hat. Die Fabrik, in der das Zeugs hergestellt wurde, steht heute noch als Ruine in einem kleinen Tal kurz vor Santa Monica. Wir werden also morgen, dem 17.8., um 20 Uhr da sein.« »Enorm!«, staunte Peter, achtete aber darauf, nicht allzu begeistert auszusehen. Er wollte seinen eh schon eingebildeten Freund nicht zu sehr loben.
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Fabrik »Die Frage ist, ob Mr. Pettersson den Zettel absichtlich verloren hat, damit wir heute abend zur Fabrik kommen, oder ob es wirklich ein Zufall war.« Justus machte ein ernste Gesicht. Die drei saßen in Bobs Auto und fuhren die Strecke von Rocky Beach bis Santa Monica. Es war früher Abend und schwül. Ein Sommergewitter lag in der Luft. »Du meinst, es könnte eine Falle sein?«, fragte Peter. »Vielleicht ist dieser Pettersson ja auch gar kein F.B.I.-Mann.« »Das mit der Falle könnte schon sein. Das Rätsel war so einfach verfaßt, daß wir einfach darauf kommen mußten.« »Stimmt, Just«, sagte Bob. »Wenn ich schon einen Text kodiere, dann doch normalerweise so, daß kein normaler Mensch im ersten Anlauf drauf kommen kann. Andererseits hat er den Text nicht extra für uns geschrieben. Dazu hatte er keine Zeit.« »Alles richtig. Das zweite jedenfalls können wir fast ausschließen, Peter«, antwortete Justus. »Ich habe heute morgen mit Inspektor Cotta telefoniert. Er hat sich bei einem befreundeten Kollegen, der Zugriff auf die F.B.I.-Datenbank hat, erkundigt. Es war übrigens nicht leicht, ihn dazu zu überreden.« Justus machte eine Kunstpause. »Wir huldigen dir später, Justus«, grinste Bob. »Was hat er gesagt?« »Es gibt tatsächlich einen Rob Pettersson beim F.B.I.«, fuhr der Erste Detektiv leicht angesäuert fort. »Er ist klein, schmächtig, hat eine Halbglatze und ist zur Zeit mit einer geheimen Mission untergetaucht.« »Das ist unser Mann«, sagte Peter. »Aber ist es nicht ziemlich fahrlässig von einem Regierungsbeamten, solch wichtige -21-
Termine auf einen Zettel zu notieren - und dann auch noch zu verlieren?« »Das gehört zu den Dingen, die wir klären müssen, Zweiter«, sagte Justus. »Da vorne links, Bob.« Ein leises Donnergrollen war zu vernehmen. Es braute sich etwas zusammen. Die Straße war sehr staubig, und fast hätten die drei Freunde das Straßenschild übersehen, das auf einen schmalen, nicht befestigten Seitenweg zeigte. Perdoma Industries war dort zu lesen. Das heißt, eher zu erahnen. Die Schrift war fast verblichen. Bob fuhr etwa 100 in weiter und dann, hinter der nächsten Kurve, in die Büsche. Sie wollten das Auto wenigstens halbwegs tarnen. Eilig legten die Jungen ein paar Äste und herumliegendes Gestrüpp über das herausstehende Heck. Wer nicht ganz genau hinschaute, würde nichts bemerken. Die drei Detektive schlichen vorsichtig den verrotteten Pfad entlang, der so aussah, als hätte ihn seit Jahrzehnten kein Fahrzeug mehr aus der Nähe gesehen. Hinter der nächsten Ecke wurde ihnen plötzlich bewußt, daß sie sich auf einer Anhöhe befanden. Denn vielleicht 30 Meter unter ihnen, im Tal, lag der halb verfallene Perdoma Industries- Komplex. »Sollen wir da runter?«, fragte Peter. Die Wolkenfront, die auf sie zukam, drohte die tief stehende Sonne endgültig zu verdecken. Noch war das Gelände gut einzusehen. »Nein, viel zu gefährlich. Ich habe Ferngläser dabei«, antwortete Justus. »Wir schlagen uns in die Büsche. Los Kollegen!« Die drei Freunde verließen die Straße und arbeiteten sich durch das Dickicht. Die Anhöhe bildete einen Halbkreis um das Gebäude herum. Man konnte sich also oberhalb des Komplexes fast um das ganze Grundstück bewegen - und das ungesehen. -22-
Neben dem Zufahrtsweg, über den die drei??? gekommen waren, befand sich im Tal ein weiterer, der von der Straße aus St. Barbara abzweigte. »Los, wir kreisen das Gebäude ein«, sagte der erste Detektiv. »Ich werde hierbleiben und unsere Zufahrt sowie den seitlichen Teil der Ruine beobachten. Bob, du legst dich etwa 100m weiter von hier auf die Lauer, so daß du das Gebäude auf der anderen Seite vor dir hast. Peter, du bist am schnellsten und schleichst einmal ganz herum. Aber lautlos. Du kannst dann die andere Zufahrt und den Vordereingang einsehen.« Justus kramte in seinem Beutel. »Da, ich habe unsere alten Walkie-Talkies wieder ausgegraben. Stellt sie auf leise, es wird hier oben einen ordentlichen Hall geben. Los, es ist bald 20 Uhr.« Es tröpfelte. Peter und Bob verschwanden, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Justus versuchte, eine bequeme Position mit möglichst großer Sichtfreiheit zu finden, die ihn selbst verbergen sollte. Qualvolle Minuten vergingen, in denen absolut nichts passierte. »Dritter an Erster. Bin drüben. Keine besonderen Vorkommnisse«, quäkte es viel zu laut aus dem Walkie-Talkie. Hastig drehte Justus den Lautstärkeregler herunter. »Bei mir auch nichts, Dritter«, sagte er und sah sich vorsichtig um. Nein, niemand schien irgendetwas gehört zu haben. »Zweiter an Erster. Ich kann jetzt die Zufahrt sehen.« Peter war ziemlich außer Atem. Es war 20 Uhr. Pünktlich öffnete der Himmel seine Schleusen, begleitet von einem fast höhnischen Donner. »Na, super«, tönte es aus dem Fernsprechgerät. »Ich habe meine Sonntagshose an«, schimpfte Bob. »Du hast keine Sonntagshose, Bob. Bleibt bitte bei der Sache, Kollegen. Peter, siehst Du was?«, fragte Justus. »Noch nicht. Hoffentlich kommen die bald. Da, jetzt!« Die Stimme des zweiten Detektivs nahm einen angespannten Ton -23-
an. »Ein, nein, zwei Autos. Aus dem ersten Auto steigen zwei Männer aus. Just, die haben Maschinenpistolen. Sie bleiben vor dem Haupteingang stehen. Jetzt steigen aus dem zweitem Wagen vier weitere Leute. Uh, ich bin klatschnaß.« Peter machte eine Pause. »Weiter, Kollege. Ich kann von hier fast gar nichts sehen.« Justus war ungehalten. »Es kommt noch ein Auto. Vier weitere Leute sind darin. Jetzt steigen sie aus, begrüßen die anderen und verschwinden allesamt in der Halle. Nur die beiden Gorillas mit den Maschinenpistolen halten draußen Wache.« »Okay, Peter, halt die Augen offen«, sagte Justus. Ein paar Minuten geschah gar nichts. Der erste Detektiv hatte genügend Zeit, sich mit dem langsamen Durchnässen seiner Shorts zu beschäftigen. Auf seiner Seite blieb alles still. Dennoch hielt er den Weg, den sie gekommen waren, immer im Auge. Es war ihre einzige Rückzugschance. »He, Kollegen, hört ihr das?«, erklang plötzlich Bobs erregte Stimme aus dem Walkie- Talkie. Justus und Peter lauschten angestrengt in das regenverhangene Tal. Und tatsächlich: Ein dumpfes, unheimliches Pochen, wie das Anrollen eines Zuges. Dasselbe Geräusch wie am alten Bahnhof! »Justus, Peter, kommt zu mir, ich kann was sehen«, flüsterte Bob so leise, wie es seine Aufregung zuließ, in das Funkgerät. Justus setzte sich sofort in Bewegung, Peter tat dasselbe. Als sie fast gleichzeitig gebückt bei Bob ankamen, zeigte dieser, ohne ein Wort zu sagen, auf eine kaputte Scheibe an der Seitenfront des Gemäuers. Justus und Peter hoben ihre Ferngläser, mit denen man glücklicherweise auch im Dunkeln sehen konnte. Durch das Gewitter war es relativ dunkel geworden, so daß alle drei gewaltig die Augen zusammenkneifen mußten, um etwas zu -24-
erkennen. Da waren Schatten, die um eine Reihe von groben Kisten herumstanden. Und da, plötzlich - gleißendes Licht. Leicht violett! Justus, Bob und Peter zuckten zurück und nahmen die Ferngläser herunter. »Wir holen Inspektor Cotta«, sagte Justus. »Jetzt gibt es keine andere Möglichkeit mehr.« »Was machen die bloß da?«, fragte Peter quengelnd. »Schwarze Messen? Opferzeremonien?«. »Ach, Peter, weißt du es denn immer noch nicht?«, antwortete Justus in seiner betont überheblichen Art. Der erste Detektiv wollte gerade zu einer weiteren Erklärung ansetzen, als er von Bob unterbrochen wurde. »Warte, Just!«, sagte der dritte Detektiv. Er hatte sein Fernglas wieder vor die Augen genommen - und sah jetzt aus wie ein verschrecktes Eichhörnchen. Sofort hoben Peter und Justus ebenfalls ihre Gläser, doch sie sahen nichts. »Haltet mich nicht für verrückt, Kollegen, aber ich weiß jetzt, wen ich am Bahnhof gesehen habe. Gerade eben hat mir dieses violette Licht ein Gesicht gezeigt, das wir nur allzu gut kennen!« »Na, und wer ist es?«, fragte Justus. Bob schaute seine beiden Freunde direkt an. Der dritte Detektiv machte ein unglückliches Gesicht. »Skinny Norris!«
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Rückzug Die drei Detektive eilten so leise, wie es irgendwie möglich war, zurück zum Auto. Nur Justus’ Schnaufen war zu vernehmen. Als sie an Bobs Käfer angekommen waren, sahen sie aus wie nach einem Schlammbad. Es war nun fast ganz dunkel. Hastig räumten sie die Zweige vom Auto beiseite, als plötzlich ein Geräusch ertönte. »Aha!«, hörten sie eine triumphierende, kehlige Stimme. »Wer mischt sich denn da in Dinge ein, die ihn nichts angehen?«. Die drei Jungen fuhren herum. Ein Blitz erhellte die Szenerie für einen kurzen Augenblick. Justus, Bob und Peter sahen einen schwarzen Schatten, der sich breitbeinig auf den Weg gestellt hatte. Und, soweit sie das in dem kurzen Moment erkennen konnten, legte der Schatten mit irgendeinem Gerät auf sie an. »In Deckung!«, brüllte Justus und schmiß sich seitlich ins Gebüsch. Seine beiden Freunde folgten der Aufforderung. Genau sehen konnte der erste Detektiv das allerdings nicht. Ein Surren ertönte, dann ein harter Klang. Das Geschoß hatte den Käfer von Bob getroffen. Ein irres, hämisches, ja fast dämonisches Lachen erklang. »Das ist nur eine Warnung!«, brüllte die Stimme, die trotz ihrer Lautstärke durch den begleitenden Donner kaum zu verstehen war. »Taucht hier nie wieder auf. Bleibt weg! Kümmert euch nicht um Dinge, die zu groß für euch sind! Sonst geht ihr für immer!« Wieder dieses Lachen - dann war der Spuk vorbei. Nach ein, zwei Minuten traute sich Justus, den Kopf zu heben. Eine Hand beugte sich zu ihm herunter. »Nun steh schon auf, Just«, sagte Bob. »Für heute haben wir genug im Schlamm gerobbt.« -26-
Auf dem Heimweg schwiegen die drei Jungen. Peter hielt den Harpunenpfeil, der Bobs Auto getroffen hatte, wie eine Schlange in seinen Händen: mit äußerst spitzen Fingern. Erst als sie wieder in der Zentrale waren, machte Justus den Mund auf. »Wir haben ein Problem, Kollegen«, sagte er. »Ein Problem?«, antwortete Peter. »Justus, wir haben einen ganzen Sack voller Probleme. Das da gerade war ein Anschlag. Dieses schwarzgekleidete Phantom wollte uns an den Kragen. Das ist eindeutig eine Nummer zu groß für uns.« »Ja, Just«, bekräftigte Bob. »Laß uns einfach Inspektor Cotta anrufen, und die Sache ist erledigt.« »Dieses ‘Phantom’ hat auf mich einen höchst irdischen Eindruck gemacht. Und es wollte uns ja nur warnen. Nein, das macht mir keine Angst. Peter, hast Du eine Ahnung, woher dieser Harpunenpfeil stammen könnte?« Justus blickte seinen Freund gespannt an. »Nein«, sagte dieser. »Tauchershops gibt es wie Sand am Meer. Um das herauszubekommen, bräuchten wir Jahre.« »Na, dann hast du ja ab morgen was zu tun.«, sagte Justus unbeirrt. Peters Seufzer wurde dabei geflissentlich ignoriert. »Eine andere Sache: Was ist mit Skinny Norris, Kollegen?«, fragte Justus. »Ich weiß, er ist unser Erzfeind, aber dennoch sollte er nicht die Chance erhalten, sich selbst zu stellen?« »Du willst Skinny einen Gefallen tun? Ausgerechnet ihm, der uns schon wahnsinnig viele Knüppel zwischen die Beine geworfen hat? Justus, du spinnst!« Bob war ungehalten. In der Tat hatte Skinny Norris noch nie eine Gelegenheit ausgelassen, die drei Detektive zu schikanieren, zu bedrohen oder sonst irgendwie zu belästigen. Seit dem Fall mit dem Aztekenschwert war allerdings -27-
Funkstille. ‘Waffenstillstand’, wie Justus zu sagen pflegte. »Na ja, immerhin kennen wir ihn schon ewig, Bob. Vorschlag zur Güte: Wir beide fahren morgen in aller Frühe zu Skinny und fordern ihn auf, sich der Polizei zu stellen und auszupacken. Dann geht er entweder mit uns zu Inspektor Cotta, oder wir gehen alleine und zeigen ihn an. Einverstanden?« »Einverstanden, Erster«, willigte Bob zähneknirschend ein. Warum mußte Justus sich eigentlich immer durchsetzen? »Sag mal, Justus...«, begann Peter, »in welches Nest sind wir da eigentlich reingetappt?« Justus antwortete nur zögerlich. »Ich will nicht zuviel verraten, um mich nicht zu blamieren, falls ich falsch liegen sollte«, sagte er. Peter mußte schon wieder seufzen. Immerhin war der erste Detektiv ehrlich. Dieser fuhr fort: »Wenn mich nicht alles täuscht, Zweiter, befinden wir uns aber leider mitten in einem Hornissennest.« Am nächsten Morgen verabredeten sich Justus und Bob sehr frühzeitig. Der dritte Detektiv war ein wenig ungehalten, weil sich Justus wieder mal in sein berüchtigtes Schweigen hüllte. Bob hingegen tappte völlig im Dunkeln. Er hatte im Telefonbuch nachgeschaut und Skinnys momentane Adresse herausgefunden: Beckett Street, Santa Monica. »Nicht gerade eine feudale Gegend«, sagte Bob. Sie standen vor der Hausnummer 100, in der ihr Erzfeind wohnte. Das Haus war heruntergekommen, der Putz blätterte von den Wänden. Dort, wo noch Farbe zu erkennen war, hatte sie sich von einem ursprünglichen Gelb in ein schmuddeliges Schwarz verwandelt. Aus einem geöffneten Fenster im zweiten Stock tönte laute RapMusik. Justus mußte an die Ranch denken, auf der Skinny früher mit -28-
seiner Familie gelebt hatte. Eindeutig, Skinny war auf dem absteigenden Ast. Nun standen sie im ersten Stock vor einer groben Holztür, die nur unzureichend geschlossen schien. ‘Norris’ stand an der Tür. Eine Klingel war nicht zu entdecken. Der erste Detektiv klopfte. »Skinny?«, rief er. »Wer ist denn da?«, kam es unfreundlich von innen. Der unsympathische Klang der Stimme war ihnen sofort vertraut. Das war er. »Hier sind Justus Jonas und Bob Andrews aus Rocky Beach. Dürfen wir hereinkommen?« Zunächst war kein Laut zu vernehmen. Dann jedoch, nach kurzer Bedenkzeit, öffnete sich die Tür und Skinny stand ihnen gegenüber. Er war immer noch einen guten Kopf größer als die beiden Jungen und auch immer noch entsetzlich dürr. Heute betonte er das sogar, er trug ein eng anliegendes T-Shirt mit einem roten Stern in der Mitte. »Ach du Schande. Der Fettsack und sein dämlicher Freund. Hängt ihr immer noch zusammen ab?« »Immer noch die Liebenswürdigkeit in Person.«, sagte Bob. »Nein, im Gegensatz zu dir hängen wir nicht ab, Skinny. Dürfen wir rein? Wir haben mit dir zu reden.« Der junge Norris sagte nichts, aber er ging in Richtung des hinteren Zimmers. »Das war wohl so eine Art Einladung«, sagte Justus. Die beiden Jungen folgten Skinny, der sich in den letzten Jahren wirklich kaum verändert hatte. Dafür aber seine Umgebung. Sein Zuhause bestand aus einem Wohnraum, einer Kochnische und einem kleinen Bad, wie Justus auf den ersten Blick feststellte. Der Wohnraum war mehr als sparsam eingerichtet, er bestand aus einer auf dem Boden liegenden Matratze, einem Tisch ohne -29-
Decke und einem wackligen Stuhl. An der Wand hing das Poster einer gar nicht mehr so populären Heavy Metal- Band. Das war alles. »Skinny, wir haben mit dir zu reden«, platzte Bob heraus. Er wollte die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. »Was könntet ihr mit mir zu bereden haben?«, fragte der in seinem überheblichsten Tonfall zurück. Justus war diese Überfalltaktik offenbar unangenehm. Er schaute den dritten Detektiv ein wenig verwirrt an, übernahm dann aber selbst das Wort. Wenn es denn schon so überfallartig sein mußte, dann wollte er wenigstens selber reden. »Wir haben dich beobachtet, Skinny. Du bist offensichtlich kriminell geworden. Gestern abend hast du dich mit deinen Gaunerfreunden im Gebäude von Perdoma Industries getroffen. Ihr druckt Falschgeld im großen Stil. Was glaubst du, wie viele Jahre Gefängnis das sein werden?« Skinnys gespielte Überlegenheit fiel gänzlich von ihm ab. Er machte große Augen und ließ den Mund offen. Damit war er allerdings nicht allein. Auch Bob faßte sich erst langsam wieder. »Ach deshalb diese Stampfgeräusche. Das waren die Druckpressen.« Bob ging ein ganzes Lampengeschäft auf. »Ja, Kollege. In Verbindung mit dem natürlichen Hall des ansonsten leeren Bahnhofs und der verlassenen Fabrik enstand ein irreführender Klang, der diese entfernte Ähnlichkeit zu einem anrollendem Zug besaß«, sagte Justus in Richtung seines Freundes. »Kollege, Kollege...«, äffte Skinny. Er fuhr sich nervös durch sein zurückgekämmtes Haar. »Was willst du von mir, Dicker? Ich...ich mache es genau wie ihr. Ich bin Detektiv.«, sagte er schließlich. -30-
»Das glaubst du doch wohl selber nicht, oder?«, schnappte Bob. »Doch, doch!«, erwiderte Skinny eifrig. »Ein paar Beweise noch und schwupp, bin ich auf dem Weg zur Polizei. Ganz klare Sache! Dieses Mal braucht es euch gar nicht.« »Die Geschäfte als Detektiv scheinen nicht gut zu laufen«, stellte Justus mit Blick auf die Einrichtung fest. »Wüßte nicht, was dich das angeht, Pummelchen«, schnappte Skinny zurück. Justus war als Kind in einer Fernsehserie als Pummelchen aufgetreten. Und er haßte es, daran erinnert zu werden. Wenn Peter und Bob ihren Freund foppen wollten, brauchten sie nur das verhaßte Wort mit P zu sagen - und schon war der erste Detektiv zu Tode beleidigt. Jetzt aber überging er die Spitze. »Ich glaube dir nicht, Skinny. Dies ist unser einziger Versuch: Komm mit uns und stelle dich. Sage der Polizei, wer dahinter steckt und wo man die wirklichen Gauner finden kann.« Justus’ Stimme hatte einen eindringlichen Klang angenommen. Bob stieß in dasselbe Horn. »Du bist dabei, dir dein Leben zu versauen, Skinny Norris! Bei all dem Mist, den du schon gebaut hast, sollte dir klar sein, daß wir dir hier einen Riesengefallen tun. Sei verdammt noch mal nicht so blauäugig!« Skinnys Gesichtszüge hellten sich auf. Er setzte den üblichen hämischen Ausdruck auf. »Blauäugig sind hier nur zwei«, sagte er grinsend. »Nicht wahr, Jeff?« Die beiden Detektive fuhren herum. Hinter ihnen, im Eingang der Tür, stand ein breitschultriger Koloß. Er war fast so breit wie hoch, hatte völlig kurz geschorenes Haar und - was wesentlich eindrucksvoller war - eine Pistole in der Hand. -31-
Jeff grinste. »Allerdings«, sagte er nur. Und dann: »Hände hoch!«
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Solo für Peter Peter hatte schlechte Laune. Sehr schlechte Laune. Den ganzen Morgen war er nun schon in der Gegend herumgekurvt, hatte mit den beiden Angel- und TauchsportGeschäften in Rocky Beach angefangen und nach denen in Santa Monica nun die in Santa Barbara hinter sich gelassen. Er hatte sich unzählige Harpunen zeigen lassen, von den ganz teuren bis zu den billigen, kleinen Taschenharpunen, in Weiß, in Rot, in Blau; sogar pinke Harpunen gab es. Wenn er dann aber nach seinem speziellen Pfeil fragte, endete das kundengewinnende Lächeln der Verkäufer abrupt. Meistens wurde er mit einem knappen »Nie gesehen, nie gehört« aus dem Laden verwiesen. Dennoch wußte er jetzt wenigstens eins: Sein Pfeil war offenbar äußerst selten. Nur war er sich noch nicht im Klaren darüber, ob das jetzt ein Vor- oder ein Nachteil sein sollte. Immerhin hatte er bei seinem letzten Versuch, in Barneys Piranha- Shop, einen Tip bekommen. In Los Angeles gäbe es ein Geschäft, das sich auf seltene und kostspielige Harpunen spezialisiert habe. Dort könne er ja mal nachfragen. Für Peter war klar, daß dies das Ende der Fahnenstange sein würde. Er war nun wirklich lang genug unterwegs. Justus und Bob hatten den Fall wahrscheinlich schon gelöst und lagen bei Eis und Limo am Strand. Auf sie würde längst die Sonne Kaliforniens scheinen, aber er mußte ja hier noch den Tauchsport- Fachmann mimen. Er kannte sich in L.A. gut genug aus, so daß die angegebene Adresse kein Problem für ihn war. Als er aus seinem Käfer stieg, war er naßgeschwitzt. War das wieder eine Schwüle heute. Anderson Tauchsport stand über der Tür. Mehr hoffnungslos als optimistisch betrat Peter den Laden. Es roch ein wenig -33-
muffig und heruntergekommen, obwohl sich das Geschäft in einer guten Einkaufs- Gegend befand. ‘Na, die feine Gesellschaft wird hier wohl nicht reinstolpern’, dachte Peter. Hinter dem Tresen wartete ein drahtiger, schmalgesichtiger Verkäufer, der irgendwie zappelig wirkte. Er konnte kaum still stehen und trat von einem Fuß auf den anderen. Der Mann blinzelte den zweiten Detektiv erwartungsfroh an. »Was kann ich für dich tun?«, fragte er. »Mr. Anderson?«, antwortete Peter. »Der selbst.« »Ich habe hier einen Pfeil. Er scheint eher selten zu sein. Ich suche den Namen der dazugehörigen Harpune, am besten allerdings den Namen und die Adresse des Besitzers.« Peter mußte fast lachen. Ein aberwitziger Versuch. Den Spruch hatte er schon so oft gesagt. Mr.Anderson hielt den Pfeil dicht unter seine Gläser. »Na ja, das ist ein APX 7- Pfeil. Die Harpune ist sehr selten. Die wird hierzulande eigentlich gar nicht verkauft.« »Ach?« Peter wurde hellhörig. In den bisherigen Geschäften hatte man ja nicht einmal gewußt, wie die dazugehörige Harpune hieß. Mr.Anderson schien sich wirklich auszukennen. Allerdings war eine plötzliche Veränderung in ihm vorgegangen. Seine Haltung straffte sich, seine Miene verfinsterte sich. »Warum willst du das eigentlich wissen, junger Mann?«, fragte der Verkäufer fast feindselig. Peter hatte sich für diesen Fall natürlich eine Geschichte zurechtgelegt. »Na ja, wissen sie, Sir...«, begann er. »Meine Freunde und ich hatten neulich eine Art Unfall. Wir waren sporttauchen und trafen unter Wasser einen anderen Taucher, -34-
bei dem sich plötzlich ein Schuß seiner Harpune löste. Es wurde keiner von uns verletzt, aber die Sache war gefährlich und wir würden gerne mit dem Eigentümer dieses Pfeiles sprechen, um ihm klarzumachen, wie fahrlässig er gehandelt hat.« »So, so«, sagte Mr.Anderson. Wirklich überzeugt sah er nicht aus. »Weißt du, junger Mann, ich kann dir leider nicht helfen.« Er blinzelte nervös und sah zur Seite. »Außerdem schließe ich jetzt meinen Laden und wäre dir dankbar, wenn du mich verlassen würdest.« »Aber, Mr.Anderson...«, stotterte der zweite Detektiv. Da löste sie sich auf, die heiße Spur. »Kein aber, oder willst du, daß ich die Polizei rufe?«, schnappte der Ladenbesitzer fast hysterisch. »Nein, natürlich nicht. Ich gehe ja schon.« Peter war jetzt ziemlich verwirrt. Und als er nach der Düsternis des Taucherladens wieder in der gleißenden Sonne stand, fragte er sich, was wohl Mr.Andersons Stimmungsumschwung bewirkt haben mochte. Er würde jetzt jedenfalls die Suche aufgeben und zu Justus und Bob fahren. Denen würde er aber die Meinung geigen. Und während Peter seinen Käfer bestieg, griff drinnen Mr.Anderson mit zittrigen Fingern zum Telefon....
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Gefangen Derweil saßen Justus und Peter als gut verschnürte Pakete auf der Ladefläche eines Pick-Ups. Da ihnen die Augen verbunden worden waren, wußten sie nicht, wohin sie fuhren. Dafür bekamen sie den Staub der Straße in die Nase, und die reichlich vorhandenen Schlaglöcher ließen sie jeden Knochen einzeln spüren. Unterhalten oder gar Schreien war nicht möglich, da auch ihre Münder zugeklebt waren. Kurz - sie waren völlig hilflos. Gleichzeitig brannte die Sonne auf sie herunter. Es war eine echte Qual. Irgendwann, Justus hatte keinerlei Zeitgefühl mehr, fuhr der Wagen rechts ran. Die beiden Freunde hörten eine Tür schlagen. Die Ladeklappe öffnete sich, und es machte sich jemand an Justus Fesseln und Knebeln zu schaffen. Als der erste Detektiv seine Augen wieder an das gleißende Licht gewöhnt hatte, konnte er Skinny sehen, der sich gerade mit seinen Fußfesseln befaßte. Justus vermutete, daß sie sich auf dem Seitenstreifen des Highways befanden, der die verschiedenen Küstenstädtchen miteinander verband. Die Straße war rege befahren, aber natürlich kümmerte sich niemand um den Pick-Up am Straßenrand. Einsehen konnte man ihn eh nicht, da die Seitenwände höher als die Köpfe der beiden gefesselten Jungen waren. »Hör mir gut zu, Dicker«, sagte Skinny. »Vielleicht hast du recht und ich habe eine Dummheit gemacht. Ich werde versuchen, meinen Fehler wiedergutzumachen.« »Was ist mit Jeff?«, fragte Justus. »Schläft«, antwortete Skinny knapp. »Unterbrich mich nicht. -36-
Wenn du heute abend gegen 23 Uhr mit der Polizei auf dem Fabrikgelände von Perdoma Industries auftauchst, kannst du die ganze Bande hochnehmen. Auf mich müßt ihr dabei allerdings verzichten.« Skinny lachte dreckig. »Du kannst es dir natürlich überlegen und ich werde dir die Fesseln wieder anlegen.« Mit gespielter Überlegenheit blickte er den ersten Detektiv an. Justus hingegen bekam langsam wieder Oberwasser. »Du solltest dich der Polizei stellen, Skinny. Auch wenn du uns jetzt laufen läßt, kann ich trotzdem nicht verschweigen, daß du bei der ganzen Sache dabei warst.« Justus rieb sich die geschundenen Handgelenke. Skinny schwieg für einen Moment. Dann sagte er mit ernstem Gesichtsausdruck: »Hör zu. Ich werde erpreßt. Ich mache das nur, weil ich nicht anders kann. Wenn du zur Polizei gehst und die Bande hochnimmst, dann bin ich erlöst. Ich werde nie wieder etwas Kriminelles machen, ich schwöre es dir. Wir kennen uns nun schon so lange, und ich stehe seit damals bereits in eurer Schuld. Ein Norris vergißt das nicht. Aber laßt mich jetzt nicht im Stich.« Justus zögerte. »Ich werde es mir überlegen«, sagte er dann. »Hast du denn keine Angst, daß du verraten wirst, wenn deine Kollegen hochgehen?« »Das sind nicht meine Kollegen. Und ansonsten gibt es da einen Ehrenkodex, der Verrat verbietet. Und gegen den ich gerade verstoße.« Skinny lachte bitter. »Nein, wenn du mich nicht verrätst, wird niemand von mir erfahren. Eins noch...«, sagte er, während er sich an Bobs Fesseln machte. »Jeff wollte euch beseitigen, ich habe euch also das Leben gerettet. Vergiß das nicht, Justus!« Skinny sprang von der Ladefläche, ließ die Klappe aber offen. -37-
Er stieg auf der Beifahrerseite ein, wenig später sprang der Wagen an und fing an, langsam loszurollen. In Windeseile löste Justus Bobs restliche Fesseln, so daß die beiden Detektive von der Ladefläche des Wagens springen konnten. Skinny gab augenblicklich Vollgas. Mit quietschenden Reifen reihte sich der Pick-Up in den Verkehr ein und war nach wenigen Sekunden aus ihrem Sichtfeld verschwunden. Justus und Bob blickten dem Wagen hinterher. »Sonderbar«, sagte der erste Detektiv. »Höchst sonderbar.« Bob blickte seinen Freund gequält an. »Ach, was?«, sagte er. »Du findest es also wirklich sonderbar, am hellichten Tag gekidnappt zu werden und irgendwo auf dem Highway wieder ausgesetzt zu werden? Weißt du was, Justus? Du bist hier ‘sonderbar’.« »Nein, nein. Ich meine folgendes: Skinny steigt auf der Beifahrerseite ein, und unmittelbar darauf fährt der Wagen los. Ist er über Jeff drüber gestiegen? Hat er ihn zuvor auf den Beifahrersitz verfrachtet? Aber warum steigt er dann nicht auf der Fahrerseite ein? Und was will er seinem Kumpan erzählen, wenn der wieder aufwacht?« Justus blickte Bob direkt an. »Das meine ich mit sonderbar.« Bob mußte klein beigeben. »Okay, Du hast recht. Das ist wirklich... sonderbar. Und was machen wir jetzt?« »Wir halten ein Auto an und fragen, ob man uns mit nach Rocky Beach nimmt.« Das war allerdings leichter gesagt als getan. Die sprichwörtliche Hilfsbereitschaft der Kalifornier schien an diesem Tag eine Auszeit genommen zu haben. Die Sonne brannte unablässig auf die geschundenen Häupter der beiden Hobby- Detektive herab, doch zunächst wollte sich partout kein Auto ihrer erbarmen. -38-
»Wir sind leider nicht weiblich genug, Just. Ich wette, da hätten wir keine Probleme«, stellte Bob schließlich entnervt fest. »Ich fürchte, wir müssen laufen.« Justus stöhnte auf. »Das fehlt mir heute gerade noch zu meinem Glück, Bob. Weißt du, wie lange wir da unterwegs sind? Ich...« Der erste Detektiv verstummte, denn plötzlich hielt ein klappriger Ford neben ihnen. »Wo soll es denn hin gehen, Jungs?«, fragte ein alt wirkender Mann mit rauschendem Bart und einer dazu im Gegensatz stehenden modernen Sonnenbrille. Er trug ein Holzfällerhemd und ein Paar zerrissene, staubige Jeans. »Wir müßten zurück nach Rocky Beach, Sir«, sagte Bob und grinste verlegen. »Wohl ausgesetzt worden, was?«, antwortete der alte Mann und lachte. Dieses Lachen irritierte Justus für einen Augenblick, aber er beschloß das Gefühl zu ignorieren. Er wollte nur noch hier weg. Sie stiegen erleichtert in den Chevy und lehnten sich zurück. Im Radio lief der Country- Sender, und Chad, so nannte sich der alte Mann, begleitete ein Lied nach dem anderen aus vollem Hals. Oder besser gesagt, er versuchte es. Mehr als ein atonales Krächzen war zumeist nicht drin. »Sagt mal, Jungs, was wolltet ihr eigentlich dort an der Straße?«, fragte Chad schließlich. Die beiden Detektive hatten die Frage natürlich erwartet, aber eine gute Erklärung war ihnen bis jetzt nicht eingefallen. »Na ja...«, stammelte Justus. »Wir waren auf dem Weg zu unserer Tante in Rocky Beach...«, fiel Bob eifrig ein. »Und da hatten wir eine Panne«, fuhr der erste Detektiv fort. Wo sollte das bloß enden? -39-
»Eine Panne?«, fragte Chad sofort und blickte durch seine Sonnenbrille in den Rückspiegel. »Und euer Auto?« »Abgeschleppt«, setzte Bob nach. Jetzt hatte er’s. »Aber leider saß vorne im Abschleppwagen schon die halbe Familie des Mechanikers und es war kein Platz mehr für uns. Ein Taxi ist für Schüler nur schwer zu finanzieren.« »Obwohl der Herr vom Pannendienst sehr nett war und uns sofort eins rufen wollte«, stieg Justus wieder ein. »Wir haben ihn aber davon überzeugt, daß es kein Problem sei, per Anhalter von hier wegzukommen.« »Oho...«, sagte Chad. »Per Anhalter fahren kann aber sehr gefährlich sein.« Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. Bisher war Bob davon ausgegangen, daß Chad überhaupt keinen Mund haben konnte. So viel verdeckte der Bart. »Wie heißt ihr Jungs überhaupt?«, fragte der alte Mann. »Michael«, sagten Justus und Bob gleichzeitig. »Ach, ihr beide heißt gleich? Ich dachte, ihr wäret Brüder?«, fragte Chad und konnte sich eines weiteren Grinsens nicht erwehren. Justus biß sich auf die Unterlippe. Warum mußten Bob und er auch ausgerechnet denselben Massennamen wählen? »Nein, wir sind keine Brüder«, erklärte Bob. »Mein Vater ist der Bruder von Michaels Vater, und unsere Tante ist die Schwester von beiden.« »Aha. Da haben eure Eltern aber nicht viel Phantasie bewiesen.«, sagte Chad - und dann sang er wieder. Laut, schief und falsch. Dabei blieb es die ganze Fahrt. Chad malträtierte seine Stimmbänder, und die beiden Jungen schwiegen. So waren Justus und Bob angemessen genervt und erleichtert, als sie endlich den Schrottplatz erreichten. Justus öffnete die Tür. »Also dann, vielen Dank, Chad!«, -40-
sagte er und wandte sich nach draußen. Bob folgte ihm. Chad drehte sich zu den beiden Freunden um. »Einen Moment noch«, sagte er mit plötzlich veränderter Stimme. Justus und Bob schauten durch das Seitenfenster nach innen. Ihr Fahrer beugte sich den Jungen entgegen. »Hört mir zu, Justus Jonas und Bob Andrews. Ihr wollt eure Finger offenbar nicht aus dem Dreck ziehen. Dabei macht ihr euch doch nur schmutzig. Und was, wenn die Finger plötzlich weg sind? Ihr macht einen Fehler!« Den beiden Detektiven stockte der Atem. Woher wußte er ihre echten Namen? »Was?«, stammelte Bob nur. Chad nahm die Sonnenbrille ab. Justus und Bob schauten in ein paar komplett rote Augen! Sie erschraken. »Die Frage wäre: ‘Welchen’? Das ist eine letzte Warnung. Haltet euch endlich raus!« Chad lachte kehlig. Und jetzt erkannte Justus dieses Lachen. Er hatte es schon einmal gehört, und zwar von jener schwarz gekleideten Gestalt, die sie mit einer Harpune beschossen hatte. Tapfer beugte er sich vor. »Wer sind sie?«, fragte er. Der Mann, der sich Chad nannte, lachte erneut. »Niemand, den du besser kennenlernen wirst, Dicker«, sagte er und gab Gas. Justus mußte aufpassen. Beinahe hätte er seine Nase verloren.
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Cotta ermittelt Es war mittlerweile früher Abend. Justus, Bob und Peter saßen zusammen mit Inspektor Cotta im Auto und fuhren zum alten Bahnhof. Direkt hinter ihnen folgten vier weitere Polizeiwagen. Justus hatte dem Inspektor die ganze Geschichte erzählt, nur Skinny hatte er vorerst ausgespart. Cotta konnte kaum verbergen, daß er der für ihn verwirrenden Entwicklung nicht ganz folgen konnte. »Also, wie war das? Bob liegt auf der Wiese an diesem verrotteten Bahnhof und sieht einen unbekannten Mann darin verschwinden. Dann seid ihr abends dort und beobachtet eine Bande von Geldfälschern bei der Arbeit. Dann rettet ihr meinem Kollegen Rob Pettersson das Leben, zum Dank verliert er einen Zettel, der euch zum alten Perdoma- Gebäude lotst. Dort beobachtet ihr wiederum die Bande bei der Arbeit. Auf dem Rückweg, also quasi auf dem Weg zu mir, werdet ihr von einem Maskierten mit einer Harpune beschossen, anschließend wird Peter aus einem Tauchsport- Laden in Los Angeles geschmissen, und Justus und Bob werden auf offener Straße von einem Typen namens Jeff gekidnappt, wenig später aber wieder freigelassen.« Der Inspektor schnappte nach Luft. »Soweit richtig?«, fragte er. »Ja«, sagten die drei Freunde gleichzeitig und kleinlaut. »Gut. Ich fahre fort: Als Justus und Bob verlassen auf dem Highway stehen, hält ein alter Chevy, dessen Nummernschild ihr euch nicht merken könnt, neben euch an. Ein angeblicher, aber wohl doch nicht alter Mann mit roten Kontaktlinsen und angeklebtem Bart stößt eine weitere Warnung aus und ihr erkennt an seinem Lachen, daß dies derselbe Mann ist, der euch mit einer Harpune beschossen hat. Immer noch richtig?« -42-
Justus, Bob und Peter wurden immer kleiner. »Ja«, sagten sie leise. Scheinbar ungerührt nickte der Inspektor. »Gut, dann will ich euch mal ein paar Fragen stellen. Erstens: Warum seid ihr nicht direkt am nächsten Morgen zu mir gekommen, sondern habt erst noch Peter auf Harpunensuche geschickt?« Justus wollte antworten, aber der Inspektor machte eine abwehrende Geste. Er fuhr fort. »Hängt das vielleicht mit zweitens zusammen, nämlich meiner Vermutung, daß es da eine weitere Person gibt, die die Löcher in eurer Story stopfen könnte und deren Existenz ihr bisher leugnet?« Der erste Detektiv seufzte. Cotta war wirklich verdammt schlau. »Sie haben recht, Sir. Wir haben eine Art Kronzeugen, der Besserung versprochen hat. Er ist nicht wirklich ein Krimineller, sondern wird erpreßt«, erwiderte Justus. »Sagt er zumindest«, murmelte Peter. Inspektor Cotta schwieg lange. »Ihr wißt, daß ihr euch strafbar macht, wenn ihr einen Verbrecher nicht an die Justiz ausliefert?« Nun war es an den drei Detektiven, zu schweigen. Das wuchs sich wirklich zum größten Dilemma ihrer jungen Karriere aus. Der Inspektor atmete tief durch. »Ich beauftrage euch hiermit, die Wiedereingliederung eures Kronzeugen zu überwachen«, sagte der Inspektor. »Ich nehme an, es ist jemand aus eurem Bekanntenkreis. Sollte diese Person jemals irgendwo aus kriminellen Gründen aufgegriffen und in Verbindung zu dieser Geschichte gebracht werden, mache ich euch dafür haftbar. Ist das klar?« Justus war sich sicher, daß ihm gerade ein Magengeschwür -43-
wuchs. Das war wirklich ein verflixt hohes Risiko. So gut kannten sie Skinny Norris nun auch wieder nicht. Aber die drei Jungen nickten nur. Worauf hatten sie sich da bloß eingelassen? Als sie schließlich am alten Bahnhof ankamen, war es fast schon dunkel. In der Abenddämmerung richtete sich der kleine Aussichtsturm zum Himmel wie ein erhobener Zeigefinger. Justus, Bob und Peter fröstelten. Inspektor Cotta verteilte seine Leute um das Haus. Sie waren ein eingespieltes Team. »Tja, das Gemäuer ist vernagelt«, sagte der Inspektor. Bob hob beschwörend die Hände. »Und trotzdem muß es einen versteckten Eingang geben. So glauben sie mir doch. Ich weiß, was ich gesehen habe.« Cotta machte eine abwehrende Handbewegung. »Schon gut, Bob«, sagte er. »Gehen wir mal nach hinten zu den Gleisen.« Die drei Detektive machten unglückliche Gesichter, als sie dem Polizisten hinterherliefen. Wenn sie den Eingang nicht finden sollten, wie würden sie dann vor dem Inspektor dastehen? Im Abendlicht traten sie vorsichtig vorwärts. Wie leicht konnte man sich den Fuß verknacksen, wenn man nicht aufpaßte. »Du solltest mal Onkel Titus holen, damit er hier aufräumt.«, sagte Peter zu Justus. Dieser nickte. »Dieser Ort wäre tatsächlich ein Fest für seinen Ordnungswahn«, antwortete der erste Detektiv. In der Tat lagen Steine, Schutt und Gleisstücke wild durcheinander. Und der ehemalige Bahnsteig, noch ganz aus Holz gefertigt, knirschte so gefährlich, daß es die Jungen und die Polizisten vorzogen, ihn lieber nicht zu benutzen. Cottas Männer hatten mittlerweile Taschenlampen gezückt und leuchteten die Rückwand des Gebäudes ab. Gedämpfte -44-
Stimmen riefen sich Ergebnisse zu. Allerdings lauteten die vom Inhalt her alle ähnlich: »Nichts zu finden, Sir.« Ein paar Polizisten gingen zu den ausrangierten Güterwaggons hinüber und leuchteten jeden Winkel systematisch ab. Justus trat unruhig auf der Stelle. Wenn sich nicht bald was tat, drohte eine Riesenblamage. Da drehte sich ein jüngerer Kollege, der die Rückwand des Hauses untersuchte, plötzlich um. »Inspektor!«, rief er. »Was ist, Marks?«, fragte der zurück. »Hier sind Schleifspuren auf dem Boden. Sie wurden teilweise verwischt, aber man kann sie deutlich erkennen. Sie enden genau vor diesem Abschnitt der Außenwand.« Der Inspektor sowie Justus, Bob und Peter eilten zu dem jungen Polizisten, der vor Begeisterung ganz rote Ohren bekommen hatte. Das konnte man trotz der einsetzenden Dunkelheit erkennen. »An dieser Stelle war wohl früher der Ausgang zu den Gleisen. Die Schleifspuren sind aber frisch. Also muß hier irgendwo eine Möglichkeit sein, durch die Bretter zu dringen, Sir«, sagte Justus. Der Inspektor nickte. »Es ist die Frage, ob man diesen verborgenen Eingang vielleicht nur von innen öffnen kann«, sagte er. Er leuchtete nun selbst Ritze für Ritze ab. Die drei Jungen atmeten auf. Immerhin glaubte er ihnen jetzt offenbar. »Hier ist ein schmaler Spalt«, sagte Cotta plötzlich. »Man hat also wirklich durch die vernagelten Bretter eine Art Durchbruch gebaut.« Justus betrachtete die Stelle eingehend. Wenn das eine Tür sein sollte, wo würde dann die Klinke sitzen? Er griff wie selbstverständlich nach einem Stück Holz, das -45-
scheinbar zufällig quer über die anderen Bretter gezimmert worden war. Er rüttelte und zog, und tatsächlich bewegte es sich ein wenig. Sonst passierte allerdings nichts. »Schade«, sagte Justus. »Na ja, so einfach werden sie es uns kaum machen«, entgegnete Peter. »Man kann eben nicht einfach auf einen Knopf drücken und löst damit den Fall.« Justus schaute seinen Freund an. »Drücken?«, fragte er. Er griff wieder nach dem Holz, doch statt wie vorhin daran zu ziehen, drückte er es nach innen. Und tatsächlich. Ein Klicken, dann schwang ein vernagelter Bretterschlag von der Größe zweier Türen nach innen! »Danke, Peter«, sagte Justus trocken und trat beiseite. Cotta rief nach vier Polizisten, die ihrem Chef zur Seite eilten. Sie zückten neben den Taschenlampen auch ihre Waffen und betraten den Bahnhof. Viel erkennen konnte man von außen nicht. Staubig schien es zu sein. Spinnweben hingen von der Decke. Justus, Bob und Peter kamen sich ausgesperrt vor. Hilflos starrten sie in das schwarze Loch vor ihnen. Da hörten sie plötzlich laute Stimmen aus Richtung der Güterwaggons. »Schnell, Kollegen«, sagte Bob. »Ob wir nun hier herumstehen oder mal dahinten nachschauen, macht für Cotta ja wohl keinen Unterschied, oder?« So schnell es irgendwie ging, kletterten sie über die kaputten Gleise. Die Polizisten, die gerade noch sämtliche Güterwaggons untersucht hatten, hatten sich nun vor einem einzigen Wagen versammelt. Als die drei Jungen ankamen, sahen sie, daß die Tür geöffnet und zur Seite geschoben war. Die Beamten richteten ihre Lampen auf das Innere. Die drei Detektive erschraken. Das, was sie im Lichtkegel sahen, war eine Strohpuppe. -46-
Sie schien höhnisch auf die Gruppe herunterzublicken, ihr Mund war zu einem bösen Grinsen verzogen. Um den Hals trug sie ein Schild. Auf diesem stand mit Zeitungsbuchstaben nur ein Wort: PECH! »Jetzt glaube ich kaum noch, daß Inspektor Cotta irgend etwas findet«, sagte Justus, nachdem er sich wieder gefaßt hatte. »Wir sind wie Marionetten. Wir scheinen genau das zu machen, was von uns erwartet wird. Wohin wir auch kommen, wir sind zu spät, werden abgefangen oder uns wird aufgelauert. Als wenn wir von außen gesteuert würden.« Bob nickte. »Nur wüßte ich zu gerne, wer der Puppenspieler ist«, entgegnete er. Inspektor Cotta war mit der ersten Untersuchung des Hauses bereits fertig. Er gesellte sich mit seinen Leuten zu ihnen. »Da drin ist gar nichts«, erklärte er. »Man kann zwar noch erkennen, daß da vor kurzem etwas gestanden haben muß, aber ansonsten ist der Laden total ausgeräumt worden. Tja, wir sind zu spät.« Cotta blickte die Jungen ernst an. »Wenn ihr etwas schneller gewesen wärt, hätten wir die Bande vermutlich erwischt«, sagte er. Justus schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Sir.«, widersprach der erste Detektiv. »Ich glaube, daß wir ferngesteuert wurden.« »Wie bitte? Was meinst du, Justus?«, fragte der Inspektor verblüfft. »Das kann ich selber noch nicht so genau sagen, Inspektor. Vielleicht ist es ja auch egal, wenn sie die Bande nachher auf dem Perdoma- Gelände fassen.« Justus haßte das Gefühl, nicht selber alle Fäden in der Hand zu haben. Und so war es diesmal scheinbar. Nein - eindeutig! -47-
Dank vom F.B.I. Tante Mathilda blickte ihren Neffen besorgt an. »Du mußt was essen, Justus«, sagte sie. Doch der grunzte nur. Er hatte schlecht geschlafen. Einen Fall, den er gelöst hatte, stellte er sich anders vor. Er hatte ja auch eigentlich gar nichts gelöst. Er war immer nur dahin getapst, wohin er geführt wurde. Das und seine weitere Rolle bei der ganzen Angelegenheit gaben ihm zu denken. Inspektor Cotta hatte gestern abend das »Perdoma«Fabrikgelände umstellen lassen und die völlig überraschte Gangsterbande festgenommen. Er, Bob und Peter hatten währenddessen auf heißen Kohlen in der Zentrale gesessen und darauf gewartet, daß der Inspektor sie anrufen würde. Es war schon weit nach Mitternacht, als der erlösende Anruf endlich kam. Nein, keiner der Überführten sagte irgendetwas aus. Und nein, ein Mann namens Jeff war auch nicht dabei. Aber den würde man sicherlich bald kriegen. Und der maskierte Harpunenschütze sei gewiß irgendwer aus der Bande gewesen, der sie erschrecken sollte. Und Unmengen von Falschgeld hätten sie übrigens auch noch sichergestellt. Nach Skinny trauten sich die drei Freunde natürlich nicht zu fragen. Wäre er dabei gewesen, dann hätte Cotta sicherlich von selbst etwas gesagt. Er wußte von der problematischen Beziehung der drei Detektive zu ihrem ehemaligen Erzfeind. Und für diesen Windhund sollten er und seine beiden Kollegen zukünftig die Verantwortung übernehmen. Was wußte Justus schon, was Skinny noch alles anstellen würde? Und was er schon alles angestellt hatte? Sie waren ganz schön vertrauensselig, das stand mal fest. Nun hing der erste Detektiv müde am Frühstückstisch, die -48-
Haare wirr und ungekämmt, den Blick starr auf seine Frühstücksflocken gerichtet. Seine Tante Mathilda schaute ihn verwundert an. So kannte sie Justus gar nicht. So rauh auch manchmal ihr Umgang mit dem Vollwaisen sein mochte, eigentlich konnte sie die Seelenlage ihres Neffen immer relativ gut einschätzen. Justus Eltern waren bei einem Unfall ums Leben gekommen, als er noch ein Baby gewesen war. Da hatten sie und ihr Mann Titus ihn in ihr Haus genommen und ihn groß gezogen, so als ob er ihr eigener Sohn wäre. Die Hoffnung allerdings, daß dieser Schlaumeier eines Tages den Gebrauchtwaren- Center Titus Jonas weiterführen würde, hatten sie mittlerweile aufgegeben. Justus würde mit Sicherheit einmal einen Beruf ausüben, bei dem er in den Angelegenheiten anderer Leute herumschnüffeln konnte. Finanzbeamter wäre ideal, scherzte Onkel Titus bisweilen. Heute jedoch war Justus völlig lethargisch. Er konnte sich nicht damit abfinden, daß jetzt alles vorbei sein sollte. Zu viele Fragen waren noch offen. Wer war der Unbekannte mit der Harpune, der sie im Auto mitgenommen hatte? Wo war Jeff? Und was machte Skinny jetzt? Was war mit Rob Pettersson, der doch von einer »großen« Sache gesprochen hatte, obwohl es sich letztlich nur um eine schnöde Geldfälscher- Bande zu handeln schien? Zu viele offene Fragen für Justus, in dem die Gewißheit wuchs, daß die Geschichte eben noch nicht zu Ende war. Seinem Appetit waren diese Gedanken jedenfalls eher abträglich, was äußerst selten vorkam. Gerade wollte er dann doch mal einen Happen zu sich nehmen, als die Tür aufging und Onkel Titus die Küche betrat. Er war ein kleiner Mann mit einem um so größeren Schnurrbart. »Morgen«, brummte er. »Justus, da draußen ist ein gewisser -49-
Mr.Pettersson, der dich sprechen will. Sieht aus wie ein Agent aus diesem Kinofilm, na wie heißt der?« Onkel Titus überlegte kurz. ‘Men in Black’«, fiel es ihm schließlich ein. Er lachte schallend. Justus war mit einem Schlag hellwach. Ohne ein Wort zu sagen, stürmte er nach draußen. Tatsächlich, da stand er. Und er sah wirklich aus wie einer dieser Film- Agenten. Schwarzer Anzug, schwarze Krawatte, schwarze Sonnenbrille. Er gab Justus die Hand. »Gehen wir doch in die Werkstatt«, schlug dieser vor. Wortlos folgte Pettersson ihm. Hier, zwischen den Eisenplatten und Werkzeugbänken, waren sie ungestört. »Was kann ich für sie tun?«, fragte der erste Detektiv. Pettersson grinste. »Da habt ihr mir ja ganz schön ins Handwerk gepfuscht. An sich war der ganze Fall Bundessache, wie ich versucht habe, euch klar zu machen. Aber trotzdem vielen Dank.« »Wo waren sie eigentlich die ganze Zeit?«, fragte Justus. »Immer in eurer Nähe.«, grinste der F.B.I.-Mann. Einen kurzen Moment schwiegen beide. »Sind sie der Mann mit den Kontaktlinsen und der Harpune?«, fragte Justus schließlich. »Wer?«, fragte Pettersson, offenbar wirklich überrascht. »Wenn sie immer in unserer Nähe gewesen sind, müßte ihnen diese Gestalt doch über den Weg gelaufen sein, oder?«, fragte Justus zurück. Der Bundesbeamte machte jetzt einen etwas nervösen Eindruck. »Immer in eurer Nähe, ja«, sagte er etwas fahrig und blickte sich um. »Hör zu, Justus«, setzte er dann fort. »Ich bin eigentlich nur gekommen, um dir zu sagen, daß du unsere Begegnung für dich behalten mußt. Ich möchte, daß du das auch deinen Freunden mitteilst. Zu niemandem ein Wort, auch nicht zu diesem -50-
Inspektor Cotta, oder wie der Mann heißt. Du weißt ja, meine Mission ist geheim.« Justus begann, seine Unterlippe zu kneten. »Aber jetzt ist der Fall doch erledigt, oder nicht?« »Nicht ganz«, sagte Pettersson. »Es sind noch nicht alle Leute gefaßt, aber ich bin an ihnen dran. Also, vielen Dank noch mal, und viel Glück weiterhin.« »Haben sie mit Cotta gesprochen?«, fragte Justus. »Ich habe meine eigenen Quellen«, entgegnete der Agent knapp. Er wollte sich abwenden, doch Justus hielt ihn am Arm. »Sie haben den Zettel absichtlich verloren, nicht wahr? Sie wollten, daß wir zu dem Perdoma-Gebäude fahren und mit Inspektor Cotta die Bande hochnehmen!« Pettersson wurde immer nervöser. »Du bist schlau, Junge. Vielleicht zu schlau«, entgegnete er und kratzte sich verstohlen am Hals. »Aber warum haben sie dann andererseits versucht, uns unbedingt von diesem Fall fernzuhalten? Und wann haben sie sich das kleine Rätsel ausgedacht? Und wann haben sie es auf den Zettel geschrieben?« Pettersson wurde sichtlich sauer. »Vielleicht trage ich ja immer so ein Gedicht mit mir herum, für den Fall, daß ich es mal brauchen könnte? Du stellst entschieden zu viele Fragen, Justus Jonas.« Er streckte dem ersten Detektiv die Hand entgegen. »Es ist besser, wenn du nicht zuviel weißt. Ich muß los.« Justus schüttelte Petterssons Hand, sagte aber nichts. Er war völlig in Gedanken. Mr. Pettersson drehte sich um und verließ den Schrottplatz. Seinen Wagen hatte er auf der anderen Straßenseite geparkt. -51-
Justus mußte handeln. Wo war Patrick? Der irische Gehilfe der Firma Titus Jonas, der zusammen mit seinem Bruder Kenneth für die wirklich harten Arbeiten zuständig war, wusch gerade in der Garage den Kleinlaster. ‘Glückliche Fügung’, dachte Justus, als er, so schnell er eben konnte, dorthin rannte. »Patrick, ich brauche dich und den Laster. Wir müssen sofort los!«, rief er, leicht außer Atem. Patrick legte den Lappen beiseite. »Kein Problem, Just«, sagte er. »Der Schlüssel steckt.« Rob Pettersson hatte recht großen Vorsprung, doch es gab in Rocky Beach nicht allzu viele Straßen, und wenn der F.B.I.Mann aus der Stadt wollte, gab es sowieso nur eine Möglichkeit. Patrick drückte aufs Gas. Eine der herausragenden Eigenschaften des kräftigen Iren war es, immer die Ruhe zu bewahren. Und keine falschen Fragen zu ungünstigen Zeitpunkten zu stellen. »Ich sehe ihn!«, rief Justus. Und tatsächlich, vielleicht zweihundert Meter vor ihnen stand der Chevy an der Abzweigung zur Küstenverbindungsstraße. Das war ihr Glück. Denn jetzt hieß es links oder rechts für den Agenten. Und Justus und Patrick hätten eine fünfzig zu fünfzig Erfolgschance gehabt. So aber konnten sie verfolgen, wie Pettersson rechts abbog. Patrick hielt genau den Abstand, der nötig war. Der F.B.I.-Mann würde kaum auf die Idee kommen, daß er verfolgt wurde, und sie hatten ihn immer gut im Blick. Sie fuhren eine ganze Weile, etwa bis Wood Cove, als Rob Pettersson plötzlich rechts abbog. »Ist da vorne nicht Seaside?«, fragte Patrick. »Ja, genau. Er geht auf die Kirmes?«, entgegnete Justus ungläubig. »Ich wette, das ist kein Vergnügungsbesuch«, setzte -52-
er nach. ‘Seaside’ war ein kleiner Jahrmarkt, der kurz vor dem Strand lag und den Touristen einige Fahrgeschäfte, eine Geisterbahn, ein Riesenrad und etliche Schießstände und Eßbuden bot. Viele Menschen, die den Tag am Strand verbracht hatten, machten kurz vor ihrer Rückkehr ins Hotel einen Abstecher auf den Rummelplatz. Dort konnten sie vom Riesenrad aus den Sonnenuntergang über dem Meer bestaunen; die Männer versuchten ihre Frauen am Schießstand zu beeindrucken, und die Jugendlichen machten aus dem Autoscooter einen Kriegsschauplatz. Die Kirmesbetreiber lebten in den Sommermonaten recht gut davon und so war die ganze Anlage schon vor Jahren fest installiert worden. Justus und Patrick erreichten den Parkplatz vor Seaside. Sie hielten Ausschau nach Rob Petterssons Auto. Da stand es auch schon! Doch was jetzt? Der erste Detektiv dachte kurz nach. »Patrick, du fährst zurück und rufst Peter und Bob an«, sagte er dann. »Sie sollen sofort hierher kommen und unsere Ausrüstung mitbringen. Vor allem die Wanzen!« Patrick schüttelte den Kopf. »Und was ist, wenn der, den wir verfolgt haben, zwischenzeitlich wieder abhaut? Dann stehst du hier... «. Justus Unterlippe mußte mal wieder leiden. »Vielleicht möchtest du dir den grünen Chevy ja mal kurz etwas näher anschauen und das ein oder andere Kabel entfernen?«, fragte er schließlich fast beiläufig. Patrick grinste. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, antwortete er. Der erste Detektiv schaute auf seine Uhr. »Dann sind wir uns ja einig.«, stellte er fest. -53-
»Wird nicht einfach sein, ihn hier zu suchen, ohne selbst von ihm gesehen zu werden. Es scheinen eine Menge Menschen unterwegs zu sein.« Patrick mußte wieder grinsen. »Wenn du Pech hast, sieht er dich vielleicht zuerst, ohne daß du ihn siehst. Dann verfolgt er dich, und irgendwann habt ihr euch dann gegenseitig eingekreist«, sagte er. »Das ist nicht lustig, Patrick«, erwiderte Justus streng. »Genau das darf nicht passieren.« Er seufzte und blickte den Iren an. »Danke«, sagte er und betrat den kleinen Steg, der den Parkplatz mit dem Jahrmarkt verband. Patrick blickte ihm hinterher. »Paß auf dich auf, Just«, rief er.
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Jahrmarkt Der Geruch von Mandeln, Zuckerwatte, Hot Dogs und Burgern schlug ihm entgegen. Aus den Lautsprechern dröhnte ein undefinierbares Gemisch der neuesten Hits. Tatsächlich waren bereits viele Menschen unterwegs. Die meisten in Strandkleidung. Justus hatte sich überlegt, daß es am sinnvollsten wäre, wenn er versuchte, zwischen einer möglichst großen Gruppe zu verschwinden. Der Jahrmarkt war als Kreis angelegt. Vielleicht konnte er ja auf diese Weise einmal ganz herum gelangen, ohne selbst wahrgenommen zu werden. Er schaute sich um. Direkt vor ihm kreuzte gerade die für seine Zwecke ideale Familie. Vater, Mutter, vier Kinder, zwei Großeltern-Paare und wohl etliche Tanten und Onkel, die ihren Jahresurlaub gemeinsam zu verbringen schienen. Justus dachte sich, ein Sohn mehr oder weniger würde vielleicht gar nicht auffallen. Er gesellte sich unauffällig dazwischen und hoffte, daß die Horde nicht bei jedem Gerät stehenbleiben würde. Aber danach sah es nicht aus. Deutlich gelangweilt schlenderten sie im Schneckentempo an den doch so einladenden Ständen vorbei. Den marktschreierisch verkündeten Parolen von ‘garantiertem Losgewinn’ und den ‘besten Hot Dogs westlich von Florida’ wurde keinerlei Beachtung geschenkt. Justus hielt sich genau in der Mitte der kleinen Karawane und ignorierte dabei geflissentlich die irritierten Blicke seiner Nachbarin zur Linken, einer pummeligen Blondine mit -55-
Zahnspange und Zuckerwatte und die seiner Nachbarin zur Rechten, offenbar die Mutter der besagten. Nein, er war viel zu sehr damit beschäftigt, die Menge um sich herum zu fixieren. Gerade kamen sie am Autoscooter vorbei. Er konnte den Agenten nicht ausmachen. Aber würde Rob Pettersson Autoscooter fahren? Das wohl doch eher nicht. Justus lächelte seine Nachbarinnen freundlich an, die lächelten vorsichtig und ein bißchen unsicher zurück. Das pummelige Mädchen hatte ein grünes T-Shirt mit pinker Aufschrift an. »Ich mache Urlaub« stand darauf. »Tolles Shirt«, sagte Justus, nur um der Situation die Peinlichkeit zu nehmen. Er dachte allerdings das Gegenteil. »Findest du?«, reagierte die Angesprochene prompt und lächelte geschmeichelt. »Stacy«, stellte sie sich vor. »Michael Smith« antwortete der erste Detektiv abwesend. Von nun an wurde er für die nächsten Meter von links angeschmachtet, was ihm wirklich noch nie passiert war. Schade, daß er keine Zeit hatte, sich darin zu sonnen. Rechts tauchte die Geisterbahn auf. Seasides Tollhaus stand in großen Lettern über dem Gerät, zur Begrüßung grinsten Frankenstein und Dracula auf die Besucher herunter. Die Bahn schien relativ groß zu sein - und gut besucht war sie auch. Gerade erst kamen drei Wagen mit lachenden Fahrgästen aus dem Tollhaus. Die wurden angehalten, ihre Bügel geöffnet und... Justus hielt den Atem an. Der Mann, der den Gästen aus den Wagen half - das war doch Jeff! Kein Zweifel! Jeff, der Mann, der ihn und Bob zusammen mit -56-
Skinny Norris entführt hatte und der doch jetzt eigentlich im Gefängnis sitzen sollte. Das konnte kein Zufall sein. Justus blieb einfach stehen, so verblüfft war er. Und das war sein Fehler. Diese unnatürliche Starre, die er offenbar eingenommen hatte, schien Jeff aus irgendeinem Grunde aufzufallen. Auf jeden Fall sah er ihn! Zunächst schaute der Koloß nur staunend, doch dann verwandelte sich sein Gesichtsausdruck in ein hämisches Grinsen. Er gab er einem jungen Arbeiter ein Zeichen, daß dieser seinen Platz einnehmen sollte. Und jetzt bewegte er sich auf Justus zu! Der bekam Panik. Wohin denn nun? Er drängelte sich an der enttäuschten Stacy und Verwandtschaft vorbei und eilte zurück in Richtung Autoscooter. Justus begann zu rennen, Jeff verfolgte ihn. Und eines war mal sicher: Ein Konditionswunder war der erste Detektiv nicht. Wenn ihm nichts einfiel, würde sein Verfolger ihn bald erwischt haben. Er hechtete quer über die Fahrfläche des Scooters. Entsetzte Schreie begleiteten diese Aktion. Auf der Bahn setzte ein Chaos ein. Bremsen gab es bei den Elektroautos nicht, die Fahrer rissen reflexartig die Steuer herum und kollidierten miteinander. Justus konnte froh sein, daß er nicht umgefahren wurde. Aber, so dachte Justus, vielleicht hatte Jeff ja nicht so ein Glück. Zumindest brachte es ihm wertvolle Sekunden. Er rannte jetzt auf der anderen Seite der Kirmes in Richtung Ausgang. Doch was wollte er eigentlich da? Patrick war ja nicht mehr dort! Vielleicht hatte er Glück und da stand zufällig jemand mit laufendem Motor. Justus war völlig am Ende. Er nahm sich wieder einmal vor, möglichst bald etwas für seine Fitness zu tun. Er schnaufte aus -57-
dem letzten Loch. Noch ein paar Meter, dann hatte er den Steg erreicht, der zum Parkplatz führte. Da war er schon. Doch auf einmal wurde ihm der Weg versperrt. Und zwar von dem Mann, den er die ganze Zeit gesucht hatte! Da war Rob Pettersson! »Halt!«, sagte der. »Was machst du denn hier, Justus?« Justus konnte kaum sprechen, so außer Atem war er. »Gut, daß sie da sind, Sir«, antwortete er schließlich. »Ich werde von einem der gesuchten Geldfälscher verfolgt. Sein Vorname ist Jeff.« »Soso, Jeff«, erwiderte Pettersson nachdenklich. »Na, wegen dem war ich auch hier. Pfuscht du mir also wieder mal dazwischen?« Justus stützte seine Hände auf die Knie. »Tut mir leid, Sir«, sagte er. Sein Verfolger näherte sich mittlerweile langsam und vorsichtig den beiden. »Nehmen sie ihn fest?«, fragte der erste Detektiv. Rob Pettersson rückte seine Sonnenbrille zurecht. »Hm...«, zögerte er. »Wenn ich es mir recht überlege - nein!«, sagte er dann und deutete mit der linken Hand auf seine rechte Jackentasche, in der seine andere Hand steckte. »Und was ich hier verberge, Justus Jonas, ist eine Pistole. Deswegen würde ich dir empfehlen, Jeff und mir zu meinem Wagen zu folgen, ohne allzuviel Aufsehen zu erregen. Ist das möglich?« Justus sah auf einmal klar. Was war er doch für ein Hornochse. »Sie stecken also dahinter, jetzt verstehe ich! Es gibt gar nicht eine Geldfälscherbande, es gibt zwei Banden!« -58-
»Oho«, sagte Jeff. In Justus’ Kopf setzte sich das Puzzle zusammen. Auf einmal schien alles logisch! »Ein Späher, der im Turm saß, wie ich annehme, hat uns am alten Bahnhof spionieren gesehen. Stimmt’s?«, fragte Justus weiter. »Stimmt«, antwortete der Mann mit der Sonnenbrille und bewegte sich zum Parkplatz. Jeff nahm Justus Arm und drängte ihn vorwärts. Dieser redete sich gerade in Fahrt. »Sie bekamen eine Idee. Sie wollten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie wollten herauskriegen, wer wir sind und was wir wußten und gleichzeitig die Konkurrenz, die sich im Perdoma- Gebäude niedergelassen hatte, aus dem Weg räumen.« Jeff lachte. »Der Typ ist schlau, Mr. de Sica«, sagte er. »Ich weiß«, antwortete sein Chef. Sie erreichten den grünen Chevy. Der angebliche F.B.I.-Mann schloß die Tür auf. Justus war nicht zu bremsen. »So schrieben sie also den Zettel mit dem Perdoma- Rätsel und inszenierten den angeblichen Mordversuch.« »Richtig«, antwortete de Sica. »Die Abgase habe ich selbst ins Auto geleitet, allerdings hatte ich die Fenster offen, bis ihr kamt. Man will sich ja nicht vergiften«, erklärte er und lachte. »Und damit wir gar nicht erst auf die Idee kommen würden, daß es ein Selbstmordversuch gewesen sein könnte, haben sie ihren eigenen Wagen kurzgeschlossen«, sagte Justus weiter. De Sica lachte wieder. »Diesmal irrst du, Justus. Den Chevy habe ich kurzgeschlossen, weil ich meine Autoschlüssel verloren habe. Euer Eindruck der Situation war nur ein angenehmes Nebenprodukt.« »Auf jeden Fall lockten sie uns auf diese Art und Weise zu -59-
ihrer Konkurrenz, die wir dann für sie aus dem Weg räumen durften.« »Der Junge redet zuviel, Boß«, knurrte Jeff. De Sica machte eine abwehrende Handbewegung. »Laß ihn ruhig. Es wird ihm nichs mehr nützen«, sagte er. Justus ging gar nicht darauf ein. »Dann haben sie uns gewarnt, die Finger von dem Fall zu lassen, damit wir uns auch ja darum kümmern würden. Den alten Bahnhof haben sie natürlich geräumt, weil klar war, daß die Polizei auch dort nachschauen würde. Nur die Vogelscheuche konnten sie sich nicht verkneifen.« «Spaß muß sein«, sagte Jeff und drückte Justus ins Auto. »Es ist nur schade, daß du deine fundamentalen Entdeckungen niemandem mehr berichten wirst, Justus«, fuhr der Mann, dessen wirklicher Name de Sica war, fort. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloß - nichts passierte. Der falsche Agent fluchte und versuchte es wieder... und wieder. Keine Reaktion. Patrick hatte ganze Arbeit geleistet. »Verdammte Mistkarre!«, fluchte er und rüttelte am Lenkrad. »Scheint heute dein Glückstag zu sein, Justus«, sagte er dann. »Wir müssen dich wohl erst mal mit in unser Hauptquartier nehmen.« Sie stiegen wieder aus dem Chevy und bewegten sich zurück zum Jahrmarkt. Justus spürte, daß sich das kalte Metall aus de Sicas Jackentasche in seine Seite bohrte. Dennoch fragte er weiter. »Was ist mit Skinny Norris? Welche Rolle spielt er eigentlich?« De Sica lachte. »Er ist auch nur eine Marionette, die eure Fäden bedient hat. Norris hat eine Dummheit gemacht. Er hat gespielt und dabei viel, viel Geld verloren. Ich habe unter anderem ein Kreditinstitut. Er ließ sich von mir die Schulden -60-
bezahlen. Das machte ihn erpressbar. Na ja, du weißt ja, wie das ist: Ein Wort an die Familie und Skinny hätte sich nie wieder auf der Ranch seiner Eltern sehen lassen können. Und Familienehre haben diese Typen offensichtlich.« Sie waren mittlerweile zurück auf dem Jahrmarkt angelangt. Dahinten stand Stacy. Sie winkte Justus zu. Der lächelte gequält zurück. »Und dann?«, fragte er. »Dann war der junge Norris gerne bereit, sich für uns bei der Konkurrenz einzuschleichen. Deswegen wußten wir auch immer genau, wann die anderen eine Aktion planten und ausführen wollten - was wir an euch weitergeben konnten.« Justus seufzte. Seltsamerweise verspürte er kaum Angst. Zu faszinierend entrollte sich gerade der Fall vor seinem geistigen Auge. »Das heißt, sie haben uns die ganze Zeit beobachtet, nicht wahr? Als wir Skinny aufsuchten, ist uns Jeff gefolgt. Sie haben ihn per Handy informiert, daß er uns kidnappen sollte!« Mr. de Sica nickte anerkennend. Sie waren wieder am Autoscooter angekommen. Da glaubte Justus, seinen Augen nicht zu trauen. Der Mann, der da seltsam unbeteiligt in der Gegend herumstand - er trug eine alte, verlotterte Jeanshose, ein Holzfällerhemd, eine moderne Sonnenbrille und einen das Gesicht verdeckenden Bart! Nun blickte auch er Justus an - und legte den Finger auf die Lippen! Der erste Detektiv riß sich zusammen und setzte seine Ausführungen fort. »Und natürlich hat Skinny Norris Jeff im Pick-Up auch nicht K.O. geschlagen, sondern nur seine Aufgabe erfüllt - nämlich uns mitzuteilen, wann der entscheidende Moment sein würde, die Konkurrenz aus dem Weg zu räumen«, sagte er. »Ja, ihr habt wirklich gut funktioniert und genau das gemacht, -61-
was wir von euch erwartet haben«, sagte der Bandenchef fast lobend. Nun hatten sie wieder die Geisterbahn erreicht. Doch statt daran vorbeizugehen, verließen sie den Weg und drängelten sich an der Kasse vorbei zur Hinterfront. Hier öffnete Jeff eine Stahltür und ließ de Sica und Justus eintreten. Es war fast völlig dunkel. Justus erschrak, als Zentimeter vor seinem Kopf eine weißgekleidete Puppe mit schwarzen Augenhöhlen aus einer Kiste sprang. Sie achteten darauf, daß gerade keine Wagen kamen und machten einen großen Schritt über die Schienen. Jetzt nahm Jeff ein schwarzes Tuch beiseite und die Drei schritten durch einen schmalen Gang hinter die Kulissen der Geisterbahn. Justus konnte die Drahtgestelle und Holzkonstruktionen sehen. Sie befanden sich jetzt genau in der Mitte des Gebäudes. Um sie herum ertönten die Schreie der erschrockenen Fahrgäste, Schauermusik und grausiges Gelächter erklangen aus verborgenen Lautsprechern. Jeff drückte auf einen schwarzen Knopf, der zwischen all den schwarz angemalten Holzgestellen fast unsichtbar war. Völlig lautlos und hydraulisch öffnete sich eine Falltür im Fußboden. Sie war von außergewöhnlicher Größe. Man konnte also auch sperrigere Gegenstände durch sie hindurch befördern. ‘Zum Beispiel Geld-Druckmaschinen’, dachte Justus. Eine Holztreppe führte nach unten. Direkt in ein großes, schwarzes Loch...
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Showdown Etwas unschlüssig standen Peter und Bob am Eingang des Seaside-Jahrmarkts. Sie waren mittlerweile von Patrick informiert worden und hatten sich sofort auf den Weg gemacht, nicht ahnend, was sie wohl erwarten würde. Patrick hatte ja selbst kaum etwas gewußt. Das einzige, was sie unmittelbar bemerkt hatten, war der Wagen von Rob Pettersson. Wenn der noch hier war, würde Justus wahrscheinlich auch nicht weit sein. Sie schlenderten ein wenig ziellos über die Kirmes, darauf wartend, daß etwas passieren würde. Es war ein Wahnsinnsbetrieb. Menschenmassen drängelten sich Kopf an Kopf an den Attraktionen vorbei. ‘Wie in einer Sardinenbüchse’, dachte Bob. Peter war der Größere von beiden, aber auch ihm fiel es schwer, die Übersicht zu behalten. »Da finden wir eher die berühmte Nadel im Heuhaufen als Justus«, brüllte er. Laut war es nämlich auch. Bob nickte nur. Gerade passierten sie einen Autoscooter. Da plötzlich - ein Mann mit einer Clownsmaske und vielen bunten Luftballons drängelte sich durch das Gewühl zu ihnen. »Wollt ihr einen Ballon kaufen, oder auch zwei, haha?«, fragte er. »Nein, danke«, antwortete Peter geistesabwesend. Doch der Clown ließ sich nicht so leicht abschütteln. »Aber ein Ballon ist ein Stück Leben.«, rief er lachend. »Danke. Wir haben kein Interesse«, antwortete nun Bob, bereits leicht gereizt. »Dann nehmt ihn halt geschenkt, aber nehmt ihn«, knurrte der Clown und drückte dem verdutzten Peter einen roten Luftballon -63-
in die Hand. Der war so verblüfft, daß er ihn stillschweigend annahm. Sofort machte der aufdringliche Verkäufer auf dem Absatz kehrt und tauchte in der Menge unter. Bob war der erste, der die Sprache wiederfand. »He, da hängt ja ein Zettel an der Kordel«, stellte er fest. Tatsächlich! Vorsichtig löste Peter das Papier von der Schnur. Danach ließ er den Ballon fliegen. »Nun lies schon vor, Peter.«, forderte Bob ungeduldig. »Hier stehen nur zwei Worte: ‘Fahrt Geisterbahn!’«, antwortete Peter. »Was sollen wir?«, fragte Bob fassungslos. »Ist das eine Nachricht von Just? Spinnt der?« »Seine Schrift ist es jedenfalls nicht«, entgegnete der zweite Detektiv. »Und jetzt?«, fragte er weiter. »Es ist genau, wie Justus gesagt hat. Wir sind nur Marionetten, wir machen genau, was man uns sagt. Da können wir es das eine Mal auch noch tun, oder?« Bob winkte resigniert ab. Peter seufzte. »Gehen wir«, sagte er. Derweil war Justus unten in den Katakomben eines unterirdischen Kellersystems angekommen. Jeff ging vor, dann kam der erste Detektiv und schließlich de Sica selbst, die Waffe nun nicht mehr im Mantel verborgen, sondern direkt auf Justus zielend. »Das optimale Versteck«, sagte der Bandenchef. »Der Jahrmarkt macht soviel Lärm, daß uns keiner hört und niemand sieht.« »Warum sind sie dann zum alten Bahnhof ausgewichen?«, fragte Justus neugierig. Er wußte, daß es für ihn immer gefährlicher wurde, je mehr Hintergründe er erfuhr, aber er -64-
konnte sich mittlerweile eh nicht mehr vorstellen, einfach freigelassen zu werden. »Großauftrag«, sagte de Sica. »Wir hatten wenig Zeit und eine riesige Menge Geld zu drucken. Da haben wir noch ein paar Maschinen besorgt, die hier unten keinen Platz mehr gehabt hätten. Wäre ja auch alles glatt gegangen, wenn ihr nicht der Meinung gewesen wäret, ihr müßtet euch einmischen.« Sie erreichten eine Tür. Auf ein Klopfzeichen wurde sie von innen geöffnet und gab den Blick auf einen Raum von enormer Größe frei. Justus sah vier Druckmaschinen, die entfernt an seine Schulkopierer erinnerten, mehrere Sessel, einen großen Tisch und einen Fernseher. Auf den Sesseln saßen drei Männer, die Justus nicht kannte - und Skinny Norris. Justus warf dem jungen Mann einen vernichtenden Blick zu. Skinny konnte seine Verblüffung - und sein Unbehagen - kaum verbergen. De Sica stieß den ersten Detektiv in die Mitte des Raumes. »Na, Skinny, ich dachte, den kleinen Schnüffler wären wir los?«, sagte er verächtlich. »Es war deine Idee, die Jungen laufen zu lassen, jetzt wirst du die Konsequenzen ziehen.« »Und das heißt?«, fragte Skinny ängstlich. »Heute abend, wenn es dunkel ist, wirst du Justus Jonas verschwinden lassen. Solltest du zurückkommen, ohne deinen Auftrag erfüllt zu haben, wirst du selber... na, du weißt schon.« De Sica lachte dreckig. Skinny schwieg und blickte betreten zu Boden. Da klingelte de Sicas Handy. »Ja?«, raunzte er unfreundlich. »Gut«, sagte er dann knapp und legte auf. Er grinste Justus an. »Deine beiden Freunde haben gerade -65-
meine Geisterbahn betreten. Das wird ein wahrhaft denkwürdiger Augenblick für die beiden werden. Jeff, Marvin, Philip und Rico, ihr geht nach oben und bringt die beiden Idioten runter. Tja, Justus, bald seid ihr vollzählig.« Die vier Männer setzten sich in Bewegung. De Sica, Skinny und Justus blieben alleine zurück. »Ich komme mir vielleicht blöd vor«, sagte Peter, als sie die Gondel betraten. »Geisterbahn fahren! Ich bin doch kein Baby mehr.« »Wir sind ja auch nicht zum Vergnügen hier, Peter«, antwortete Bob. Ruckend setzte sich ihr Wagen in Bewegung. Sie durchfuhren eine Schwingtür; danach waren sie von völliger Dunkelheit umgeben. Leichter Wind wehte, schaurige Musik schlich sich in ihre Gehörgänge. Peter fröstelte. »Ich frage mich, was hier jetzt passieren soll?«, sagte er. »Wir werden es ja sehen«, antwortete Bob knapp. Da senkte sich eine Skelett mit glutroten Augen direkt vor ihre Nasen. Die beiden Freunde wollten es nicht, aber sie erschraken! Eine knochige Hand streckte sich nach ihnen aus. »Nun begrüße schon unseren Gast, Peter!«, sagte Bob trocken. Doch die Hand hatte sich schon von selbst wieder zurückgezogen. Sie fuhren um eine Kurve. Da sprang eine weiße Puppe aus einer Kiste. Diesmal wirkte der Schockeffekt nicht. Die beiden waren wirklich zu alt für diesen Kram. Plötzlich hielt ihr Wagen an. Das schwarze Tuch zur Rechten -66-
wurde zur Seite genommen, zwei dunkel gekleidete Männer mit Pistolen betraten die Gleise. »Die sehen aber echt aus«, rief Peter erschrocken. »Mensch, Peter, die sind echt. Weg hier!«, brüllte Bob und sprang aus der Gondel. Rasch versuchte er einen Fluchtweg auszugucken, doch das war leichter gesagt als getan. Nur gelegentlich wurde die Dunkelheit von einigen Lichtblitzen durchbrochen, die als Schockeffekte dienten. Peter zog Bob am Ärmel und wollte die Gleise entlang stürmen. Doch es gab keine Chance. Nach drei Schritten blickten sie direkt in die Mündungen zweier weiterer Pistolen, die zu zwei anderen Männern gehörten, die sich lautlos von vorne angeschlichen hatten. Und, Bob erkannte es sofort, einer von ihnen war Jeff! »Mitkommen!«, sagte der nur und schlug denselben Weg ein, den er eben noch mit Justus gegangen war. Sie verließen die Fahrbahn und stiegen seitlich hinter die Kulissen. Einer der Männer sprach in ein Funkgerät. Sofort setzte sich ihre nun leere Gondel wieder in Bewegung. Mißmutig folgten Peter und Bob den beiden Gangstern vor ihnen. In ihrem Nacken konnten sie die beiden anderen Männer spüren. Sie fühlten sich wie das Fleisch von Hamburger: In die Zange genommen. Wie die Lämmer waren sie in die Falle getappt. Sie hätten wenigstens Inspektor Cotta vorher Bescheid sagen sollen, dachte Bob. Blöd waren sie. Jeff drückte wieder auf den verborgenen, schwarzen Knopf. Die Falltür öffnete sich lautlos. Gerade betrat der erste der Ganoven die Treppe, da wurde es plötzlich hell um sie herum. »Danke, das wollten wir nur wissen!«, ertönte eine verborgene Stimme. -67-
»F.B.I.! Wenn nun bitte alle Beteiligten außer den beiden Jungen die Hände hoch nehmen würden?«, sagte die Stimme weiter. Peter und Bob blinzelten in die Scheinwerfer, die von überall her auf sie zu leuchten schienen. Marvin, Rico, Jeff und Philip entwickelten keinerlei Kampfgeist, sondern ließen augenblicklich ihre Waffen fallen. Peter und Bob sammelten sie eilig ein. Aus dem Dunkel traten vier Männer, ganz in Schwarz und mit Sonnenbrillen ausgestattet, die sie offenbar nicht mal in der Dunkelheit der Geisterbahn abzulegen gedachten. Sie hielten in der einen Hand Pistolen und in der anderen schwere Scheinwerfer, deren Lichtkegel den Platz erhellten. Da trat ein fünfter Mann aus der Dunkelheit; ein Mann, der Bob sehr bekannt vorkam! »Sie?«, fragte er ungläubig. Es war der Mann mit dem weißen Bart und den roten Kontaktlinsen, der Mann, der sie mitgenommen hatte und der sie zuvor mit der Harpune beschossen hatte. »Ja, ich«, entgegnete dieser und grinste. Zumindest schien es so. »Sie sind vom F.B.I.?«, fragte Bob fassungslos weiter. Der Mann mußte lachen. »Eure Überraschung wird gleich noch viel größer, wenn ihr erfahrt, wer ich bin.«, antwortete er. Er zog an seinem Bart und nahm seine Perücke ab. Zum Vorschein kam ein unscheinbarer, kleiner Mann mit Halbglatze. »Mein Name ist Rob Pettersson.«, sagte er.
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Finale Justus stand nach wie vor unschlüssig inmitten des großen Kellerraumes. De Sica saß auf einem Sessel, den Blick und seine Pistole auf ihn gerichtet. Skinny saß betreten daneben und starrte auf den Boden. »Eine Frage habe ich noch«, sagte Justus mutig. »Nur zu«, antwortete de Sica. »Du darfst alles fragen, was du willst.« »Wieso haben sie den Namen Rob Pettersson angenommen? Ich meine, sie sehen ihm offenbar tatsächlich ähnlich...« »Ganz einfach, Justus. Der echte Rob Pettersson hat mich vor einiger Zeit verhört, weil er dachte, ich könnte in FalschgeldGeschäfte verwickelt sein. Ich!« Er lachte höhnisch. »Er konnte mir natürlich nichts nachweisen. Dabei fiel mir aber unsere offensichtliche Ähnlichkeit auf und ich dachte mir, es würde sich vielleicht mal die Gelegenheit ergeben, mich dieses Zufalls zu bedienen. Wie man sieht, kam sie schneller als gedacht. Da haben wir euch ganz schön reingelegt, was?« Justus nickte. »Sie haben in der Tat ein Höchstmaß an krimineller Energie und beweisen erstaunlichen Einfallsreichtum«, erwiderte er in seinem arrogantestem Tonfall. Daß er mittlerweile wirklich Angst bekommen hatte, mußte ja keiner wissen. »Wie schade, daß sie das nicht für bessere Dinge genutzt haben.« , fuhr er fort. »Du kannst dir deine Moralpredigten sparen, Justus. Wenn wir mit diesem Großauftrag durch sind, setze ich mich zur Ruhe und werde nur noch bessere Dinge tun. Mich in der Sonne aalen, zum Beispiel!« Er lachte. Skinny sagte kein Wort, sondern war immer noch -69-
damit beschäftigt, Löcher in den Boden zu starren. Da ertönte wieder das vereinbarte Klopfzeichen an der Tür. »Es ist doch offen, ihr Idioten!«, brüllte de Sica. Die Tür schwang auf. Vier bewaffnete Polizisten stürmten voran und legten auf de Sica an, der außer sich vor Wut in einem Reflex Justus an sich gerissen hatte und ihn mit seiner Pistole bedrohte. Ein fünfter Mann kam herein. »Na, de Sica, erinnern sie sich noch an mich?«, fragte er. »Rob Pettersson!«, schäumte der Gauner. »Sie zerstören das Geschäft meines Lebens. Aber mich kriegen sie nicht. Wenn sie den Weg nicht freimachen, muß der junge Jonas dran glauben. Und das wollen sie doch wohl nicht riskieren, oder?« Die Polizisten zögerten. Aber Pettersson blieb ganz ruhig. »Hören sie, de Sica...«, sagte er. »Lassen sie den Jungen los. Man muß erkennen können, wann Schluß ist.« »Ach ja?«, brüllte de Sica. »Ich sag ihnen was: Sie legen die Waffen hin und Justus und ich verdrücken uns. Dann werden wir ja sehen, wer zuletzt lacht.« Pettersson dachte einen Moment nach. Dann gab er seinen Männern ein Zeichen. Diese nahmen ihre Pistolen runter und legten sie auf den Boden. »Los, Norris, heb die Waffen auf!«, befahl de Sica nun. Skinny, der wie gelähmt die ganze Zeit sitzen geblieben war und auf den Boden gestarrt hatte, zuckte zusammen. Er stand auf und ging wie in Trance auf de Sica zu. »Nein«, sagte er dann. »Was?«, fragten Pettersson und de Sica fast gleichzeitig. »Nein«, echote er noch einmal. Er stellte sich genau vor Justus und de Sica. »Es ist genug. Sie können mich erpressen, -70-
sie können mich bedrohen - doch irgendwann ist Schluß. Sie haben mich bei meiner Ehre gepackt und es geschafft, daß ich kriminell wurde. Ich habe mich da verrannt, aber ich lasse nicht zu, daß sie Justus erschießen. Sie werden mich zuerst erschießen müssen, denn ansonsten werde ich ihnen jetzt die Waffe wegnehmen.« Er hob die Hand, um de Sicas Pistole zu ergreifen. Dieser dachte gar nicht daran, sich zu ergeben, sondern richtete den Lauf auf Skinny. Justus nutzte den kurzen Moment, in dem de Sica die Waffe von seinem Körper nahm und gab dem Arm des Verbrechers mit seinem Ellenbogen einen kräftigen Stoß. De Sicas Pistole flog in hohem Bogen davon. Dabei löste sich ein Schuß, der mit lautem Pfeifen in die Wand einschlug. Keine Sekunde später waren die Polizisten über ihm und hatten ihn überwältigt. De Sica wand sich wie ein Aal und schrie wie ein Verrückter, doch die Übermacht der Beamten war zu groß. Sein Spiel war aus! Skinny ließ den Kopf wieder hängen. Justus atmete tief durch und blickte ihn an. »Danke, Skinny«, sagte er dann.
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Abspann Justus, Bob und Peter saßen in Rocky Beach im Eiscafe. Es war einen Tag später, die Erlebnisse in der Geisterbahn waren noch frisch und hatten den Detektiven eine unruhige Nacht beschert. Das herrliche Wetter und drei riesige Eisbecher ließen die gestreßten Detektive allerdings wieder etwas fröhlicher nach vorne blicken. »Also, wie war das, Kollegen?«, fragte Justus. »Rob Pettersson hat diesem Clown aufgetragen, euch den Ballon mit dem Zettel zu geben, damit ihr die Geisterbahn benutzt?« Peter streckte seine Beine aus. »Ja, Erster.«, antwortete er. »Wir waren sozusagen sein Köder. Er hoffte darauf, daß die Männer von de Sicas Bande uns genauso wie dich fangen würden, und daß das F.B.I. dadurch endlich herauskriegen würde, wo das Hauptquartier der Bande zu finden war.« Bob blinzelte müde hinter seiner Sonnenbrille und schluckte einen riesigen Löffel voll Erdbeereis herunter. »Natürlich dachte er sich schon, daß die Geisterbahn das Hauptquartier war, aber er konnte ja schlecht hereinspazieren und sagen: ‘Jetzt zeigt uns mal den geheimen Eingang’. Deshalb hat er überall seine Männer in den Kulissen versteckt und darauf gewartet, daß wir unseren Lockvogel-Auftrag erfüllen.« Justus seufzte. »Das scheint mir sowieso unser Problem bei diesem Fall zu sein. Wir haben immer nur funktioniert, mehr nicht.« »Tja«, sagte Bob. Sie schwiegen eine Zeitlang. Bis Bob den Mund wieder aufmachte. »Was wohl aus Skinny wird?«, fragte er. »Er wird milde Richter finden«, antwortete Justus. »Sagt zumindest Mr.Pettersson. -72-
Immerhin hat er mir das Leben gerettet!« »Oder du ihm. Wie man’s nimmt«, erwiderte Peter. »Wie kommt es eigentlich, daß Pettersson uns dauernd in Maskerade begegnet ist?«, fragte er sich dann. Justus zog seine linke Augenbraue hoch. »Ganz einfach, Kollege. Pettersson ist ein Kindskopf, der immer eine ganze Reihe von Tarnungen in seinem Kofferraum mit sich herumführt. Ein Spaßvogel, der seine geheimen Aufträge zum Versteckspielen und Verkleiden nutzt. Und er dachte sich, wenn er uns nur kräftig erschreckt, würden wir uns schon da raushalten.« »War wohl ein Irrtum!«, entgegnete Bob. »Gott sei Dank«, grinste Peter. »Übrigens hatte Pettersson die Harpune wirklich zum Sporttauchen gekauft. Als ihm dann aber bei dem Perdoma-Gebäude die Idee kam, Bobs Auto damit zu beschießen, hat er seinem Verkäufer Mr. Anderson eingebleut, ihm Bescheid zu sagen, falls sich jemand nach der Harpune erkundigen würde. Darum bin ich aus dem Laden befördert worden, und darum hat uns der echte Pettersson von da an beschattet.« »Richtig«, sagte Justus. »Und deshalb war er auch sofort zur Stelle, als Skinny und Jeff Bob und mich mitten auf der Straße ausgesetzt haben. Ich muß sagen, dieser F.B.I.- Mann liebt dramatische Auftritte.« Der Ober, ein kleiner Italiener mit pechschwarzem Haar und Brille, kam wieder an ihren Tisch. »Wollen die Herrschaften noch ein Eis?«, fragte er. »Nein, danke«, antwortete Peter. »Ich platze gleich.« »Wie sie wünschen. Die Rechnung übernimmt übrigens das Haus.« »Wieso?«, fragte Justus verblüfft. »Weil ihr es verdient habt!«, sagte der Italiener da mit zutiefst -73-
amerikanischer Stimme und hob seine Sonnenbrille hoch. Da waren sie wieder, die roten Augen! Er drehte sich mit einem Grinsen um und ging nach innen. Die drei Detektive starrten dem angeblichen Eisverkäufer mit offenen Mündern hinterher. Als erstes reagierte Peter. Er sprang auf und stürmte nach innen. Bob und Justus blickten sich nur an und sagten nichts. Schon kam Peter wieder raus. »Tja, Kollegen.«, grinste er. »Niemand kennt einen schwarzhaarigen Ober mit Brille, die Rechnung für uns wurde bar auf den Tisch gelegt und ein nettes Trinkgeld noch dazu. Das Phantom alias Rob Pettersson ist wieder mal verschwunden!« Justus seufzte. »Mir reicht es!«, sagte er. »Ab jetzt werden nur noch Fälle angenommen, die mit Handtaschenraub, entlaufenen Hunden oder verlorenen Briefmarken zu tun haben!« Er kratzte den Rest aus seinem Eisbecher. Peter und Bob schauten ihren dicklichen Freund ungläubig an. »Es sei denn...«, sagte der schließlich, »es ist was Interessanteres dabei!« Da nickten Peter und Bob beifällig und widmeten sich den Resten ihrer Becher. Das war schon eher der Justus, den sie kannten...
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