Black Mama Jörg Feierabend (
[email protected]) Black Mama Das Märchen unserer Tage In rabenschwarzer, regenreicher Nacht leuchten verbogene Stahlträger im bleichen Licht sporadischer Blitze auf. Betonreste eines einst gewaltigen Gebäudes ragen wie verfaulende Zähne zwischen sich seit Jahrzehnten langsam wieder ausbreitender Vegetation. Moos und Flechten haben Besitz ergriffen von diesem Riesen einstiger Kultur. Doch mögen auch Kopf, Brustkorb und Bauch längst zerschmettert sein, der Leib, von der Gürtellinie abwärts, ragt noch tief in die Erde. Dort herrscht noch immer reges Leben. Ihre dunkle Hand klopft leise, aber doch deutlich genug an die Tür dieses etwas abseits gelegenen Zimmers. Mit der tief ins Gesicht gezogenen Uniformmütze könnte man sie leicht für so etwas wie die Paketbotin oder einfach eine beliebige andere Lieferantin halten. Der junge, unerfahrene Hausmann von innen ist naiv genug, sich nicht zu wundern, nichts dabei zu denken, nicht zu fragen und sofort die Tür zu öffnen. Ganz als wenn es nur Glücksbotinnen geben würde. Sie kichert in sich hinein, als sie wohlgefällig ihr Opfer anblinzelt. Sie weiß, daß er heute ganz allein und praktisch niemand in der Nähe ist, der Hilfeschreie hören würde. Über die Tage und die Wochen hat sie es beobachtet, mit dem Plan gespielt und schließlich fest gefaßt. Nun - nun ist die Zeit gekommen, den Lohn der Gier einzustreichen. Erklärungen vermeidend drückt sie ihrem Opfer klatschend ein breites Pflaster über den Mund und tritt ihm gleichzeitig in die Magengrube, daß ihm die Luft ausgeht. Der wird so schnell nicht mehr schreien. Der arme Trottel vergißt sogar jede weitere Gegenwehr! Oder vielleicht will er es sogar so? Schwungvoll verdreht sie seinen rechten Arm auf den Rücken. Ihr Opfer wird in das Zimmer geschubst, die Tür mit einem Fuß nicht zu laut geschlossen. Zwei sorgfältig geplante Bewegungen, dann liegt der vertrauensselige Hausmann auf dem Bauch quer über dem Bett. Wonnevoll verpaßt sie ihm die klickenden Handschellen. Damit hat sie ihre Beute sicher und das unvorsichtige Opfer, dem noch sichtbaren Gesicht nach zu urteilen, weiß das auch. Ha! Der ist scharf! Der will sie doch! Etwas klingelt, wahrscheinlich irgendeine Armbanduhr. In vergnügter Gier schnallt sie seine Beine links und rechts an den Bettpfosten fest. Es klingelt schon wieder. Telefon? Egal! Jetzt eine kleine Knabber- und Besichtigungspause - und dann die Klamotten, Herzchen. Ihre Hand streicht über seine Oberschenkel. Mit einer Nagelschere verwandelt sie seine Unterhose in einen Tangaslip. Sie zieht ihm noch ein paar eigens mitgebrachte rote Socken an. Findet sie total erotisch. Das verschnürte Wesen auf dem Bett hat das Kämpfen aufgegeben und gleich, gleich wird sie es ihm geben. Sie stöhnt erwartungsvoll. Der arme Hausmann liegt nur noch dort, erhitzt, leicht zitternd, duftend, angeschnallt aufs eigene Bett. Sie öffnet ihren Gürtel. Ob sie ihm das Ding mal auf den Arsch peitscht? Schreien kann er ja nicht. Da weckt das ratternde Klingeln sie endgültig auf. Sie kämpft noch dagegen an, in der Hoffnung den Traum zurückholen zu können. Doch tief drinnen in der voluminösen Nachtwächterin in grauer Uniform hat sich ein frühes, gar nicht so ausgeprägtes Pflichtbewußtsein erhalten. Sie schlägt die Augen auf und den Wecker aus. Schließlich hätte sie eigentlich gar nicht einschlafen dürfen. Aber in ihrem Körper? Mit den verbrauchten Gelenken? Schnaufend nimmt sie die Beine vom Tisch, reibt die Augen, erhebt sich prustend, testet kurz die Stimme. Stöhnend schlurft sie zum Ansageautomaten, die Reste ihres Traumes noch einmal mit einem Satz gedachter schmutziger Vokabeln aufwirbelnd. Seite 1
Black Mama Lustlos drückt sie auf den Knopf für die Ansage. Vorweg quäkt ein schrilles Pfeifen durch die Gänge, elektronischer Überrest eines früher angenehmen Dingdongs, gefolgt von einem mauligen "Die Keller-Verwaltung wünscht allen Handy-besitzenden Einwohnerinnen geschwindes Aufstehen." Vierminütige Störgeräusche folgen, weil sie wieder das Mikrofon nicht richtig eingehängt hat. Hospitalias hochzivilisierte Bevölkerung schwarzer Frauen, mit den paar hellhäutigen dazwischen, erwacht. Wir schreiben das Jahr der Dame 2048. Das hochentwickelte Zeitalter in welchem die Bürgerinnen von einst menschenfreundlich "Patientinnen" genannt und gleichermaßen gehegt, geflegt, überwacht und kontrolliert werden. Es ist das Zeitalter effizienter Raumnutzung, mit hoher, dem Menschen dienender Technik, etwa elektrische Zahnbürsten, Elektrorollstühle und Betten mit Kipptechnik seitwärts und rückwärts. Wo man die Türen zum Verlassen eines Ganges daran erkennt, daß sie aus Metall sind, während man die Zimmerzugänge anhand ihrer Nummern unterscheidet. Hier, in diesem hochmodernen Hospitalia, ward ein alter Menschheitstraum längst schon wahr: Für genügend KVK`s (Krankenversicherungskarten) kann man nicht mehr nur eine neue Niere, sondern gleich den kompletten Körper erwerben. Altes Hirn neuer topmodischer Körper! Ein Umstand, der Hospitalias weibliche Bevölkerung, von Ausnahmen abgesehen, immer jünger, schlanker und dunkelhäutiger werden ließ. Diesem medizinischen Fortschritt, und weil Hospitalias Frauen Einkaufen Spaß macht, ist es zu verdanken, daß auch ihre Männer inzwischen ausschließlich schwarzhäutig sind. Männer mit heller Haut existieren nur noch in der Sage. Wie etwa in dem düsteren Volksmärchen, in welchem ein böser weißer Geist durch die Gänge huscht und von Zeit zu Zeit all jene auffrißt, die widersprechen, ungehorsam sind oder die Bettlaken beschmutzen. Ja, Männer, zumeist genutzt als Organspender auf Abruf, haben die eigene Blütezeit weit hinter sich gelassen. Alles, was sie in Hospitalia noch bewegen, sind Standfahrräder, an welchen sie sich als strampelnde Stromproduzenten nützlich machen. Ella, siebenjährige Tochter aus dem Hause F., hat gelernt, sich die Sage vom weißen Männergespenst zunutze zu machen. Gerade hat sie ihrem sechsjährigem Bruder das Set Buntstifte weggenommen, weil sie ihr eigenes gegen Süßigkeiten eingetauscht hat. Wie immer traut sich ihr Bruder nicht zu widersprechen. Er weiß, daß er am Nachmittag wieder eine kurze genervte Gardinenpredigt zu hören bekommen würde und das alles verzeihende: "Aber was soll`s, du bist ja nur ein Junge." So gesehen, verstand er es schon mit seinen sechs Jahren, daß seine Schwester wahrscheinlich etwas viel Schlimmeres zu hören bekommen würde. Kein "Was soll`s?". Insofern ist seine Schwester eigentlich sehr klug und er kann sehr stolz sein, daß er eine so kluge Schwester hat. Später würde sie ihm bestimmt helfen, wenn sie älter und keine Kinder mehr sind. Dann würden sie nicht mehr spielen "Wer hat Angst vor dem bösen Weißen Mann?" Dann wäre es bitterer Ernst. Seine Schwester hat ihm erzählt, daß man dem in jedem Gang begegnen könne, wo er einem den Zauberfinger zeigen würde. Anschließend würde man einfach gefressen werden. Nur wenn er sehr viel Glück habe, müßte er für den Rest seines Lebens im finsteren Keller verbeulte Bettpfannen wieder ausbeulen. Oder was noch viiiel Schlimmeres. Aber dann würde sie ihm bestimmt helfen. So wie Rocky Hood im Märchen, der auch allen Unterdrückten und Schwachen hilft. Vati lacht immer nur, wenn er das hört. Er meint, daß die Mädchen immer alles in Hospitalia bekommen. Aber du, du wirst irgendwann sehr schnell nur noch ein altes, runzliges Männlein sein, so wie der Zwerg aus dem Märchen, sagt Papi immer. Die Zwerge, das seien alles weggeworfene Männer. Er will nicht weggeworfen werden. Nicht mit seinen sechs Jahren und auch nicht später. So wie Papi will er werden. Na also, knurrt Papi dann jedesmal. Leise erst, dann immer lauter werdend krabbelt es und scharrt, es kratzt, zischt und zischelt. Hospitalia erwacht! Heerscharen an Vorgesetztinnen treten paarweise, allein oder in Trauben auf die Gänge. Vorgesetzte, die sich von normalen Patientinnen mit hochhackigen Seite 2
Black Mama schwarzen Stiefeln, Epauletten, goldenen Knöpfen, schwarzen Schirmmützen und schärferer Gangart deutlich abheben. Zur weiteren Unterstreichung solcher Hoheit tragen vor allem mittelhohe Ränge gern noch zusätzlich Gummihandschuhe. In diesem Stadium eines erwachenden Tages bleibt jede nicht völlig orientierungslose Patientin vorsorglich auf dem Zimmer. Die, die hier einmal Ärger gemacht hat, kann sich gleich als Sklavin melden. Ruckzuck, ist sie ihr Zimmer los und kann bestenfalls noch ihr Bett auf dem Flur wiederfinden - immer vorausgesetzt, man würde es ihr überhaupt mitgegeben haben. Und dann spätestens nachts, wenn "die Putzen", kriegerisch geschmückt, mit starken Strahlern auf blau-stählernen Säuberungswagen mit eisernen Vernichtungsklauen durch die Gänge schieben und stieben, ist sie ohne Zimmer und Bett gnadenlos geliefert! Zwischen dröhnenden Wisch- und Aufnahmerotoren zerlegt es sie in Einzelteile. Vorbeilaufen wollen zwecklos. Die Dinger füllen den ganzen Gang und das bis zur Decke. Gelenkt werden sie von einst vierbeinigen Abkömmlingen ehedem bekannter und beliebter Haustiere. Heute nennt man sie Katzfellies. Schaudernd nur und ängstlich flüsternd raunen es die älteren Kinder den jüngeren ins Ohr: Das Motto aller Putz-Katzfellies, wie es von den Säuberungswagen düster leuchtet: Zuerst kannst du damit spielen Anschließend kannst du es essen Gegen "die Putzen", wie sie nicht liebe- aber äußerst respektvoll genannt werden, hätte vielleicht noch jemand aus der Verwaltung Chancen. Doch die sieht man nie auf den Gängen, was, so gesehen, vielleicht auch etwas Positives ist. Kurzum, als normalsterbliche Patientin weiß man eben, wann das Maul zu halten ist und wann man sich gleichzeitig vom Gang zu machen hat. Selbst an einem Feiertag wie diesem, wo die Verwaltung einen weiteren entscheidenden Schritt erreicht hat zur höchsten Stufe menschlichen Glückes: Die Ankündigung der Telek AG! Von Plakatwänden leuchten zwei gewaltige sich schüttelnde Hände. Unterzeile: Wir besiegten die Keime, die Viren, die Bakterien und die Bazillen! Und nun die endgültige Sterilisierung ALLER Schlechtigkeit im Menschen! `DeinTelefon´ und `Strom Für Mich´ sind nun eine Firma geworden. Freu dich! HURRA! scheppert es jetzt auch in schlechter Akustik aus den Handies: Die Verschmelzung der einzigen Telefongesellschaft mit dem einzigen Stromkonzern ist geboren und heute darf auf allen Gängen bis 17.24 Uhr gesungen, gefeiert, getanzt und gelacht werden. Und, hey, für den Nachmittag ist in der Vorhalle sogar ein Bläserchor angekündigt! Stöhnend erwacht Emilio, sein kurzes, lockiges, tiefschwarzes Haupthaar ausgiebig schabend. Vorsichtig versucht er, seinen zusammengekrümmten einssiebzig Körper in eine halbwegs flexible Ausgangsposition zu bringen, was ihm in der Enge und Dunkelheit nicht gelingt. Sein Pappkarton verhindert jedes wohlige Ausstrecken, aber da er als Mann im allgemeinen und wegen akuter Zahlungsschwierigkeiten im besonderen weder Zimmer noch Bett sein eigen nennen darf, rettete er sich eines Tages, auf der Flucht vor den Putzen, in eben dieses Gebilde hinein. Seitdem lebt er in Symbiose mit ihm, dem vielseitigen Pappkarton, den er abwechselnd als Schlafgelegenheit nutzt, oder als diskrete, nur persönlich zu übergebende Lieferung an nicht existente oder definitiv nicht anwesende hohe Tiere zustellt. Damit gewinnt er sich Nacht für Nacht, manchmal über mehrere Tage hinweg, ein sicheres Plätzchen auf Hospitalias Fluren. Seine bestimmte Art und sein auch als Reklame zu verstehender Hinweis darauf, ein nun wirklich diskreter Sicherheitsdienst zu sein, verschafften ihm bisher noch immer die Erfüllung seiner bescheidenen Wünsche und eine gute Ausrede, weshalb er nicht sagen könne, wer denn dieses Paket geschickt habe. "Verschwiegenheit ist unser Geschäft", ein phantastischer Slogan und eine prima Erklärung, um nie erläutern zu müssen, weshalb er stets ohne Elektro-Rollstuhl Seite 3
Black Mama kommt, keine Nachricht hinterläßt und das Paket immer wieder mitnimmt. Zuweilen springen, angesichts dieser beeindruckenden Professionalität, sogar Mahlzeiten oder kleine Getränke heraus. Leider oft genug auch völlig unerwünschte und unbezahlte handwerkliche Tätigkeiten. Um nun etwas Licht und Zeit für seine persönliche Erweckung zu gewinnen, schaltet Emilio, sich keuchend im Karton drehend, das Handy ein. Entnervt wartet er diese ihn immer wieder aufs neue verärgernde Meldung "Beer and Tequila forever" ab und projiziert seine personalisierte Nachrichten- und Postzusammenstellung gegen die Decke. Eine Erfindung, die es erst seit kurzem in Hospitalia gibt und als ganz großer Renner gefeiert wird: Statt Zeitungen auf Tuch oder Papier zu erhalten oder von großen Wänden ablesen zu müssen, kann sich eine jede ihre elektronischen Nachrichten selbst zusammenstellen und dann auf das eigene Handy kommen lassen. Anschließend liest man den Kram auf dem schmalen Display oder mit Trick 17 von einer gegenüberliegenden Wand ab. Zwar mäkeln Kritikerinnen herum, daß dieses keine Großzügigkeit seitens der Verwaltung wäre, sondern eher dazu diene, elektronisch die gelesenen Nachrichten erfassen und auswerten zu können, aber das tut der Begeisterung an dieser Art der Nachrichtenempfängnis keinen Abbruch. 1 x Private Post: Fristablauf, 5 x Zeitungsausschnitte, Topthemen; Geld oder Leben! $TELEK AG - leiden oder löhnen $Laßt sie bluten - Rendite beim Blutvertrieb Blut & Busen « Superservice! Jetzt läuft selbst das Licht übers Handy! « Fertige Dankesformulare für die Verwaltung! Nur noch unterschreiben! Brille & Krawatte - Die Letzte löscht das Licht - Telek AG dominiert das öffentliche Leben - Darf ein Tier Rechte haben? FRAU HEUTE o Die allerheißeste Adresse in Hospitalia - Strippers Show o Warum sich die Inneren den Chirurginnen mit 12 zu 9 geschlagen geben mußten ZeitenWanderer ]Die Verwaltung ist mit dir - ob du willst oder nicht ]Wie Katz, Hund und Geier aufrecht gehen lernten\}*# *** Abrufversuch aller angezeigten Texte/ Abruf verweigert, Taste sendet falsches Signal! Prüfen Sie die Anleitung oder verursachen Sie eine technische Überprüfung! Emilio, der sich selber "Rocky" nennt, weiß, daß er dieses gewiß nicht tun wird. Genausowenig wie er ein "fertiges Dankesformular" unterschreiben würde. Ha, denen hätte er einiges zu sagen und zu schreiben! Aber nach Dank würde es wohl kaum aussehen! Und wenn er es täte oder auch unterließe, in jedem Falle würden sie ihm sein Handy einfach einziehen und er solle sich doch ein neues kaufen. Seufzend läßt er seine Gedanken in die Vergangenheit schweifen .... Der Vorbesitzer des Handies, mit der Information konfrontiert, daß Rocky von Emilios Detektivbüro käme, es also keinen Sinn hätte, auch nur den Versuch zu unternehmen, ihn anzuschmieren, gestand damals kleinlaut ein, daß sich irgendwann, niemand wisse wie und wann und warum und wieso ... Also, daß sich irgendwann, aber mit Sicherheit bei einer der anderen Vorbesitzerinnen, ein prähistorischer Computervirus eingeschlichen hätte. Hin und wieder störe der wohl ein wenig. Es könne aber auch etwas ganz anderes sein und er würde sich freuen, Rocky das Handy schenken zu dürfen und vielleicht könnten die von der Verwaltung helfen und im übrigen sei er jetzt furchtbar beschäftigt und gleich ginge das Volleyballspiel los und er habe weder Schokolade noch Amaretto für seine Frau beschafft. Das müsse er jetzt ganz dringend erledigen, sie sei sonst ungehalten, nichts für ungut und Nimmerwiedersehen. Der Typ wußte schon, warum er dich loswerden wollte, knurrt Rocky das Gerät an, mit der flachen Hand darauf einschlagend. Dann werden ihm unverlangt Texte von "Brille & Krawatte" übertragen - die, die Seite 4
Black Mama ihn am herzallerwenigsten interessieren. Er ist nach wie vor nicht recht wach. Brille & Krawatte Unerklärlicher Männerschwund Die ohnehin niedrige Quote in Sachen Männern ist weiter nach unten gegangen. Letzte Woche sind wieder vier Exemplare offensichtlich endgültig verschwunden. Ursachen und Gründe werden von der Verwaltung ("Die Ermittlungen laufen noch") bisher nicht bekanntgegeben. Rocky jammert im Geiste, daß er nicht die anderen Magazine ziehen konnte, die die er sonst immer am Morgen zu lesen pflegt. Kurz, knapp, einfach, faßbar muß es sein - oder verboten, wie "Frau heute", wo du über dein blödes Handy gecheckt wurdest, ob du auch wirklich weiblichen Geschlechtes bist. Denn nur weil Männern zugestanden wird, überhaupt ein Handy besitzen zu dürfen, heißt das schließlich noch lange nicht, daß sie deshalb gleich alles damit machen dürfen! Wer weiß, was die dann damit alles für einen Schweinkram anrichten? Der einzige Pluspunkt dieses Schrotthandies - es ist so alt und desolat, daß das Leseverbot für Männer noch nicht greift ... Rocky kichert irre. Schmatzend wendet er sich wieder dem Display zu. Diesen blöden Quark von Brille & Krawatte holt er doch eigentlich nur, wenn die anderen ihn noch nicht erschöpfend genug gelangweilt haben. Oder falls er einmal keine Arbeit hat. Was allerdings so gut wie immer der Fall ist. In der Tat sind es sowenige Aufträge, daß er, wann immer er nach Beruf und Name gefragt wird, sich dieses "freiberuflich" angewöhnt hat. Der Name, ja das ist eine Geschichte für sich. Der kam nämlich ursprünglich aus einem uralten Musikstück, wo er sich nur eine einzige Zeile merken konnte. Der Titel war "Rocky Mountain Music" oder so ähnlich. Als dann so ein Kamel wieder einmal energisch nach seinem Namen fragte, da hatte er immer noch diese blöde Melodie im Kopf. So ward aus Emilio "Rocky Mountain", was er später auf das prägnantere "Rocky" verkürzte. Er fühlte sich stark an jenem Tag. Nur manchmal, wenn irgendsoeine Idiotin keine Ruhe gibt, in welcher Branche er denn nun freiberuflich sei, fällt es ihm ums Verrecken nicht ein. So wechseln "Suchservice", "Überwachungsbüro", "Sicherheitsdienst", "Begleitstudio" und zuletzt "Detektei" einander ab. Schlechtgelaunt schließt er die Augen, öffnet sie wieder, um den nächsten Artikel zu lesen. Na prima! Eine ernsthafte Debatte über Pro und Contra der Sklaverei! Und eine Berechnung des Profites den man damit machen könnte, wenn man noch aggressivere Wege gehen würde und Hospitalias Untergang wäre nahe, wenn man das nicht täte, usw., usw., usw.. Offensichtlich von "Geld oder Leben". Als wenn es nicht reichen würde, daß man diesen Tanten schon regelmäßig Blut spenden muß! Gereizt drückt er weiter. Rocky haßt dieses idiotische Handy, dem man nie ganz klar machen konnte, was zum Teufel es eigentlich tun sollte. Ganz besonders aber haßt er es dafür, daß es ihm unerwünschte Texte präsentiert, die er auch noch bezahlen muß. Während die erheblich billigeren und vor allem gewünschten Sachen vom "ZeitenWanderer" nicht ankommen. Kein Wunder, daß er jetzt so tief in der Kreide steckt! Aber zur Vermeidung weiterer Schulden würde er sich erst einmal ein neues Handy kaufen müssen, was er sich bei all seinen Schulden aber nicht leisten kann. Glücklicherweise ist es ihm inzwischen gelungen, in eine annähernd bequeme Haltung zu gelangen. Nun kann er problemlos die Arme über dem Brustkorb verschränken und die Beine angezogen halten, während er flach auf dem Rücken liegt. Ein blödes Quiz und eine Art historischer Rückschau, Absender unbekannt erscheinen. Rocky wendet das Gesicht und fühlt den sehnlichen Wunsch zu spucken. Seite 5
Black Mama Hurra - das lustige Handy-Quiz Es ist bei Strafe verboten, die Verwaltung "faul", "dumm", "inkompetent", "dreist", "unverschämt" oder "willkürlich" zu nennen. Die Frage dazu: Muß ich die Verwaltung verstehen? Bitte wähle: Ja oder Nein? Voller Wut beißt Rocky in das unzuverlässige Gerät und das erste Mal seit langem funktioniert die "Überspringen"-Funktion auf Anhieb. Es folgt ein Haßartikel auf eine Tussi, die ungebeten und ungefragt eine ungekochte Erbse in Seramis-Blumenerde gesteckt hatte, um diese keimen zu lassen und ob diese Idiotin sich der Gefahr, der sie sich und alle anderen ausgesetzt habe, bewußt gewesen sei. Eine ungekochte, nicht weiter entkeimte, unsterilisierte ... Die "Überspringen"-Funktion klappt schon wieder. Erstaunlich. Aber jetzt .... yeah - der ZeitenWanderer! Ein Freiabo für jeden! Jeder 10. Abonnent bekommt seine Ausgabe gratis. Idioten! Damit werden die keinen Leser mehr anlocken. Aber versuchen wird er es trotzdem, vielleicht ist er ja zufällig der Zehnte. Rocky entlastet sein verspanntes Gesäß, als endlich der erste sehnsüchtig erwartete Artikel eintrifft: ZeitenW0)*#; Urspru%g der Fellies Wi+ Katz, Hund und Geier aufrecht ge$en lernten Hätten Si# gewußt, daß Fellies ursprün~lich "Katz>n" und "Hunde" hießen und auf allen vieren liefen? In der fernen Vergangenheit da fanden die Männer ihrer Tage, weiße Männer übrigens, keine Märkte und keine Kunden mehr. Doch verfügte man bereits über Gentechnik - Haustiere wurden wohl ni§ht zu den urspünglich anvisierten eierlegenden Wollmilchsäuen. Hunde und Katzen aber zu Menschenähnlichen 0&%&\`§.X quakten und jammerten, nach Spielzeugen, Süßigkeiten, weichen und warmen Decken und allerlei mehx§`?S$#+" Um diese aggressive Kommunikatonsfähigkeit bereichert, konnten sie ihren elternhaften, geldverdienenden, menschlichen Haltern jenes entscheidende bißchen besser auf die Nerven gehen. So konnte dann doch der Markt erneut in Schwung gebracht werden, nachdem die Menschen eigentlich alles (und noch sehr viel mehr) längst schon hatten. Die Auswirkungen der früheren Marktwirtschaft gelten bis heute. Nur die uns aus der Verwaltung so wohlbekannten Geie&% dien*-%+) Abschreckun&\`§.X *** Abrufversuch aller angezeigten Texte/ Abruf verweigert, Taste sendet falsches Signal! Prüfen Sie die Anleitung oder verursachen Sie eine technische Überprüfung! *** Ha! Nicht nur daß die "Überspringen"-Funktion sofort wieder ihren Dienst eingestellt hat und er den meisten Mist sowieso gar nicht erst haben wollte, jetzt ist der ZeitenWanderer teilweise auch noch unlesbar!!! Nur seine Adresse auf der Gegenseite, für die Abbuchung, die würde natürlich wieder ganz klar lesbar sein! Und natürlich wird er auch heute von "Mann + Elektronikspieltzeuch" wieder nur die Werbung für die neue Ausgabe empfangen können. Sie ist, aufgrund der geringen Stückzahlen, einfach zu teuer. So geistert Rocky dahin, in einer anderen Welt, in einer anderen Normalität, die nur er allein nachvollziehen kann. Erneut schließt er die Augen, schaukelt von einer Körperhälfte auf die andere, um langsam die Blutzirkulation in Gang zu bringen. Seite 6
Black Mama Emilio, alias Rocky, öffnet die Augen wieder, massiert seine angezogenen Beine und blickwinkelt den nächsten Text. Lustlos, mit offenem Mund, gafft er die Decke an, um dort nun endlich seine persönliche Post anzusehen. Leider wird es außerhalb seines Pappkartons gerade ziemlich laut. Irgendeine Jubelparade zieht vorbei. "Viva la Telek AG" schmettert ein Chor, während ein anderer schon entgegenkommt und "Hurra, das Glück uns so nah" dagegenröhrt. Beide jeweils lauter werdend, je weiter sie sich einander nähern. Rocky ist langsam echt geätzt. Er möchte jetzt seine private Post lesen und noch einen Versuch unternehmen, den "ZeitenWanderer" komplett zu lesen. Er atmet tief durch. Doch Rocky wäre nicht er selbst, wüßte er nicht, wie man sich in entscheidenden Situationen durchsetzt. Entschlossen wirft er die Perücke über und steckt sich die immer griffbereiten, zu Kugeln gekneteten Klopapierrollen in speziell für solche Fälle eingenähte Westentaschen. Kurzer Stimmtest, die feminine Tonlage ist okay. Wuchtig springt er aus seiner Kiste! Brüllt gegen den ohrenbetäubenden Lärm an! Geheimer Sicherheitsdienst der Verwaltung! Welche Idiotin zwei Chöre in denselben Gang verdammt habe? Das habe Konsequenzen! Diese unglaubliche Sauerei sei direkt über das Spezial-Handy sowohl aufgezeichnet, als auch live direkt der Verwaltung zugespielt worden! Rocky hält mit einer Hand sein obskur großes Handy in die Höhe, mit der anderen die Perücke fest. Die letzten Töne von "Hurra, das Glück uns so nah" werden noch von den hintersten Chargen brav abgesungen, als sich bereits der "Viva la Telek AG"-Chor in heilloser Auflösung befindet und mit ohrenbetäubendem Gekreisch den Rückzug antritt. Panisch schreiend folgt der andere Chor, der kein Wort von Rockies heftiger Rede verstanden hat, die Flucht der anderen aber als ein Katastrophenzeichen nimmt und nur noch schnell entkommen möchte. Eine der beiden Chorleiterinnen, die den Unsinn sofort erkannt hat, weil sie zu den zahllosen Vorbesitzerinnen dieses Handies gehört, wird dabei hemmungslos überrannt. Erst spät wird sie von den zuallerletzt nachfolgenden Sangesmaiden hinter die schwere Brandschutztür in Sicherheit geschleift. Im schnurgraden, mit dunklem Linoleum ausgelegten Gang, mit Notenblättern übersät, herrscht wieder Ruhe. Nur das Knacken und Knistern der Neonröhren ist zu hören. Wiehernd und wieder bester Laune fällt Rocky in seinen Karton zurück. Wie die Idiotinnen gelaufen sind ... Er wendet sich erneut seiner Post zu. Private Post Werbung Auch Sie können ihn haben! Den perfekten Busen! Rocky stöhnt. Hospitalia / Phon TELEK AG an Emilios Detektivbüro / Betreff: An unsere säumigen Kunden - Fristablauf Herr Emilio! Nach der geglückten Verbindung von Strom- und Telefongesellschaft jetzt unter dem einheitlichen Namen "TELEK AG", können wir noch effektiver unsere Salden im Zaum halten und Negativkundinnen deutlicher begegnen. Gerade wir, als wesentlicher gesellschaftlicher Bestandteil, fühlen uns den Richtlinien unserer allseits geliebten Verwaltung verbunden. Darum schließen auch wir uns aktiv der neuen Kampagne an, die da sagt: Nieder mit der Schlechtigkeit im Menschen! Das heißt, daß wir nun nicht mehr nur, wie bereits in der Vergangenheit geschehen, Ihren Geldumgang gegebenfalls sondieren und Sie mit pädagogischen Maßnahmen etwa von überflüssiger Alkoholaufnahme, Kintoppbesuchen etc. zugunsten einer Begleichung ihrer Rechnungen fernhalten können; nein, jetzt sind wir Seite 7
Black Mama zusätzlich noch in der Lage, säumigen Zahlerinnen über Stromabschaltung die Gleichgültigkeit gegenüber unseren Forderungen oft schon im Vorfeld zu nehmen. Sollten Sie, Herr Emilio, nicht Ihre Bilanz bis heute, Mitternacht, positiv ausgeglichen haben und uns ein Kartenguthaben in der Höhe des von Ihnen gewünschten Telefonkredites zur Verfügung stellen ... Rocky alias Emilio ist immer noch steif und verspannt, aber jetzt hellwach. Diese Botschaft, die hat er verstanden. Und nicht nur er, sondern auch noch jede andere Idiotin, die es wissen will, kann es jetzt schwarz auf weiß in seiner Post nachlesen. Ha, früher gab es wenigstens noch elektronische Umschläge, damit nicht jeder Depp in deiner Privatpost herumschnüffeln konnte. Aber die hatten sie schon nach der ersten Vereinigungswelle abgeschafft. "Verschlüsselung", das waren die elektronischen Umschläge, "ist ungeil" hatten sie getönt und "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu verstecken", also darf es folgerichtig auch jede lesen, zuallererst die von der Verwaltung. Hübsche Plakate gab es dazu, von lächelnden Damen, die auf ihrem Handy-Display ihren Kontoauszug und Tratschnachrichten vorzeigten. Die Botschaft war scheiße, aber dieses Lächeln auf dem Bild - das fand er so stark, daß er sich damals eines von diesen Plakaten von der Wand gerissen hatte, um es wochenlang in seinem Pappkarton anzustieren. Irgendwann war es dann verlorengegangen. Und heute - heute ist wieder so ein Trauertag. Doch Rocky flucht nicht, gerät nicht in Panik. Im Gegenteil, ein Gefühl von Kampfbereitschaft durchzieht ihn. Er hängt sich eine Lucky Lakritz in den linken Mundwinkel und weiß, daß dieses ein arbeitsreicher Tag werden wird. Aus dem Handy quarrt Musik "Ich bi-hin eine Ka-hassenpa-hatienti-hin". "Ich bi-hin ein Lueckenbue-huesser!" ergänzt Rocky angewidert den eigentlichen Refrain. Läßt sich das blöde Ding jetzt nicht einmal mehr abschalten? Das Gesicht von Haß verzerrt hackt er auf dem Gerät herum, versucht wenigstens die Lautstärke runterzuregeln. Alles vergeblich. "Nu-hur die Ä-härztin - wa-heiß - was gut ist für mich." "I-hich glaub' an die Weihnachtsfrau!" Endlich! Das Ding hat aufgehört zu dudeln. Schnaufend läßt er sich nach hinten fallen. Irgendetwas fehlt Rocky an Energie, Anpassungsfähigkeit und Einsatzwillen für ein mehr oder weniger normales, angenehmes, ungestörtes Leben in einem WG-Mehrbettzimmer mit eigenem Lichtschalter und Klingelknopf. Irgendetwas geht unter in einem Wust aus wilden Träumen, Überflieger-Ideen und absurden Hoffnungen, wer alles ausgerechnet ihn brauchen oder auf seinen Ratschlag Wert legen könnte. Doch all diese Mängel sind sofort und vollständig ausgeglichen, wenn ihm das Wasser bis in die Nasenlöcher steht. Dann mutiert Rocky zum unverwüstlichen, selbstbewußten, Vertrauen erweckenden, mutgestählten, Papierbrillen tragenden, Respekt einflößenden Superagenten in eigener Sache. Dann hält niemand die Lucky Lakritz so unnachahmlich wie er. Und nichts hat er mehr gemein mit der unentschlossenen, zwar ehrlich bemühten, aber regelmäßig erfolglosen Fluse, die er für die wenigen seiner Kundinnen darstellt, die, von Ausnahmen abgesehen, im nachhinein seine Bekanntschaft schnell unter "Erfahrung" abhaken. Hospitalias Freudentag beginnt für Frederico P. sehr hoffnungsvoll im frisch gewaschenen, einfarbigem Bademantel, mit gleichfarbigem Gürtel und goldenen Troddeln an den Enden. Dazu zweifarbige, neue Sandaletten, orange gefärbte Haare und ein blau bemaltes Gesicht. Frederico P., Sohn einer Verwaltungsoberen, darf als erster Mann in Hospitalia studieren. Ein Umstand, welchen er in seiner Antrittsrede im Raum 7UWG, vormals Umkleidekabine, heute anderer Nutzung zugeführt, entsprechend zu würdigen weiß. Leidenschaftlich ist seine Rede und gestenreich untermalt. Donnernd scheppert seine Stimme, daß eines Tages in ganz Hospitalia, auf allen Stockwerken, jeder Mann wie selbstverständlich studieren würde. Auch daß er natürlich dankbar sei, der erste zu sein. Er sei sich bewußt, so läßt er vernehmen, daß es nicht leicht sein wird, so ohne Professorin, Bücher oder jegliche andere Unterstützung. Andererseits wisse er die Freiheit zu schätzen, keinerlei Stundenplanbeschränkungen, Studiendauer oder gar Prüfungen unterworfen zu sein. Was man ihm aber nicht zum Vorwurf machen dürfe, wo ihm doch klar wäre, daß er all dieses auch seiner Mutter und ihrem Einfluß zu verdanken habe. Seite 8
Black Mama Zugegeben, er sei ein Privilegierter, aber einer müsse ja den Anfang machen. Na ja, nun wäre er der erste und einzige "Archäologie"-Student in ganz Hospitalia. Demzufolge sei er auch der beste, haha. Doch er wird sofort wieder ernst: Falls aber jemand erwarte, daß er sich damit begnüge, ausschließlich dichtgestopfte Toilettenrohre auf ihre Vergangenheit hin zu untersuchen ... Also, sollte das jemand erwarten, das würde er nicht ausschließlich machen! Zwar auch, aber nicht ausschließlich, daß dieses mal klar sei! Da bitte er nun wirklich um Verständnis! Und man vergesse bitte auch nicht, daß er nach fünf, sechs Jahren wiederkommen und beweisen soll, daß er etwas geleistet hat. Dann könne er ja auch promovieren. Zum Schluß seiner Laudatio tritt er wuchtig ein paar Eimer um, die mit leisem Echo in die Besen, Bürsten, Lappen und Schrubber purzeln. Erschreckt jagt er auf die Knie, sammelt, ordnet, glättet, richtet auf. Ob jemand seinen Zornesausbruch verfolgt hat? Aber er ist ganz allein in der Kammer, in welche ohnehin kein weiteres menschliches Wesen gepaßt hätte. Er will ja kooperieren, denkt er sich, einen Feudel sauber faltend. Etwas erreichen im Leben. Das hat er sich vorgenommen und auch seiner Mutter versprochen. Eben deshalb hat Frederico trotz allem seine Rede gehalten, weil es nun einmal Standard ist und jede eine Rede hält. Was die Eimer betrifft, falls ihn jemand fragen sollte, kann er immer noch sagen, daß er gestolpert sei und er hat sie ja auch sofort wieder aufgehoben. Als er auf den Gang hinaustritt, liest ein Zeitungsmädchen zum Zwecke der Werbung den vorbeiziehenden Passanten den aktuellen Leitartikel aus Brille & Krawatte vor. Weil das ein sehr intelligentes Blatt ist und er doch jetzt Student ist, aber keine Professorin hat, der er die Wäsche nähen, die Tasche tragen oder den E-Rollstuhl waschen und abschmieren kann, gesellt er sich eben - mit ebenso ernstem wie aufmerksamen Gesichtsausdruck - dieser anspruchsvollen Lesung zu. Aussterbende Gattung - der Mann Neueste Erkenntnisse beweisen es, Männer sterben aus. In dreihundert Jahren wird es sie nicht mehr geben. Eine Teilgattung hat sich überlebt. Ob es nun Meteoriteneinschläge waren, Streßfaktoren, eine Veränderung der Nahrungsmittelkette oder atmosphärische Störungen. Es ist nicht mehr aufzuhalten: Der Mann, wie man ihn heute noch kennt, stirbt aus. Schon heute fängt man an, sich darüber Gedanken zu machen, wie wenigstens die nützlichen Eigenschaften mancher Männer für die Nachwelt gerettet werden können. Schwierig aber ist genau dieses: Was ist seit der Erfindung elektronischer Schwellkörper mit und ohne Lustnoppen noch nützlich beim Mann? Viel bleibt nicht übrig. Trotzdem versucht eine kleine Gruppe Wissenschaftlerinnen "wenn auch aus eher sentimentalen Gründen" die Erinnerungen und ein gewisses Maß an Emotionen und Seelenleben von Männern zu konservieren, indem man einen Teil aus dem männlichen Schädel in eine gehirnartige Masse kopiere, die dann praktisch wie der Urverstand funktioniere. Leider sei dieses aber "wissenschaftlich gesehen" bedeutungslos, weil das Männerhirn Erinnerungen, insbesondere was eigene Leistungen und Fehlleistungen betreffe, schlecht konserviere. Also mit zunehmendem Alter "den Hang zum tatsächlichen Geschehen bis hin zur Irrealität verliere". Man also, so gesehen, fürchten müsse, nur der Scherzartikel-Industrie zuzuarbeiten. Emilio alias Rocky stemmt sich auf die Knie. Ausgelöst durch die letzte Mahnung der Telek AG, die gleichermaßen drastische wie schnelle Initiative angeraten erscheinen läßt, verordnet er sich einen totalen Ideenrausch. Dazu krabbelt er aus seinem Schlafkarton und sucht einen besonders ruhig gelegenen Gang auf. In Ermangelung von Möglichkeiten, Alkohol oder andere Rauschmittel zu besorgen, behilft er sich mit heftigem Tanzen und Herumspringen, begleitet von leider nur gedachter Musik sowie dem immer drückender wiederkehrenden Gedanken "ohne Handy nur ein Arschloch" zu sein. Und da ist sie - die Idee! Ab sofort nennt er sich "Firma Nußknacker". Den Laden erklärt er für eine Neugründung und hiermit auch den chronischen Kapitalmangel, weil man eben noch keine Zeit gehabt habe, Finanzierungsmittel Seite 9
Black Mama aufzubauen. Um nun endgültig den Geschäftszweck zu erfüllen, Kohle zu schöpfen, Profit, Profit, Profit zu machen, Knete in den Fingern zu reiben, die man anschließend ohne Reue aus dem Fenster werfen kann, greift Rocky jetzt hart durch! Sein Jugendtraum, keine eigene Vorgesetzte zu haben, nicht angeschnauzt und permanent in den Hintern gekniffen zu werden, landet wie eine bekleckerte Serviette im Schmutzwäschekorb. Ab sofort wird er sich, wiewohl nach wie vor der eigentliche Boß, in Zukunft nach außen hin nur noch als Telefonäffchen darstellen! Wenn die blöden Kühe unbedingt einen weiblichen Chef haben wollen, bitte! Dann wird eben eine Tante mit schauspielerischem Talent für die Chefstelle eingestellt! Hauptsache, die Aufträge rollen! Zum Abschluß dieses Gedankens stampft er besonders heftig auf den Boden, mit im rechten Winkel vom Körper abgespreizten Armen und springt noch einmal besonders hoch an die zahngelbe Wand. Dann geht alles sehr schnell: Landung auf dem Boden, Radio im Kopf abschalten, ernstes Gesicht machen, ein entschlossener Griff umklammert das Handy. Die Finger fliegen nur so darüber und die Stellenanzeige ist draußen: Starke Frau für starken Detektivposten gesucht, stahlharte Nerven, Durchsetzungsvermögen und Geldgier Voraussetzung, schauspielerisches Talent von Vorteil Selbst das Handy scheint am harten Händedruck die neue Botschaft seines Besitzers begriffen zu haben. Es funktioniert auf Anhieb und vollständig, was es seit wenigstens drei Monaten nicht mehr getan hat. Zur Kontrolle "wie es denn so wirkt", läßt Rocky das Handy abschließend seine Anzeige vorlesen. Er ist begeistert. Obwohl es natürlich irgendwie schon ätzend ist, daß vorweg immer eine Werbung aus der Verwaltung ertönen muß: Sei eine höfliche, sei eine gute Patientin! Trage auch du die Vorrichtung gegen Mundgeruch. Du schnallst es dir um den Kopf, Den Druckschalter mit der angeschlossenen Sprühdose. Machst du den Mund auf, wird der Schalter unter deinem Kinn aktiv. Schon sprüht dir desinfizierender (ekelhaft schmeckender und zuweilen das ganze Gesicht vernebelnder) Duft in die Atemhöhle. Lebe annähernd keimfrei! Gib Tröpfcheninfektionen keine Chance! In weniger als vierundzwanzig Stunden werden die Ordnungswüterinnen Hospitalias energischen Protest erheben, weil asoziale Elemente mittels dieser Apparatur ihr Gesicht im Augenblick gesetzeswidriger Taten verbergen könnten. Minuten nach Aufgabe der Stellenanzeige klingelt Rockies Handy. Die erste Bewerberin erscheint auf dem Display: "Okay, Baby! Verschwinde aus der Leitung und verbinde mich mal gleich mit der Chefin!" Rocky, wiewohl Detektiv von eigenen Gnaden und bereits mancherlei hartes Wort gewohnt, ist derzeit noch ungenügend auf seine neu gewählte Rolle als nur-noch-Sekretär vorbereitet. Kaltlächelnd erwidert er: "Süße, der Boß hier bin ich!" und zeigt mit dem Zeigefinger auf seine schmale Brust. Auf dem Display formt sich ein ungläubiges Gesicht, brüllendes Gelächter, der Bildschirm wird schwarz. Und wieder klingelt das Handy. Rocky, in seiner stahlharten Haltung leicht verunsichert, hebt ab und setzt ein zuckersüßes Lächeln auf. Von jetzt an wird aus Fehlern gelernt! Süßlich säuselt er: "Hier ist die Firma Nußknacker. Mein Name ist Rocky. Was kann ich für Sie tun, bitte schön?" "Ich möchte mich für die Stelle als Detektivin bewerben. Verbinden Sie mich bitte mit der Chefin." "Die Chefin ist gerade im Gespräch." "Dann warte ich." "Das kann aber länger dauern." "Ich habe Zeit." Seite 10
Black Mama Rocky, dessen Handy immer noch sehr alt und immer noch sehr abgenutzt ist, verfügte schon bei seinen letzten vier Vorbesitzern über keine Warte-, Park- und Musikfunktion mehr. Mal ganz abgesehen von dem, was der komische Virus sich dadrin leisten könnte, wenn er einmal losschlagen würde. Sein Herz rast, der Puls fliegt. Doch unter Druck gesetzt funktioniert Rocky wie kein anderer! Er pfeift ins Telefon, um die Wartefunktion mit Musik wenigstens simulieren zu können. Die Bewerberin nimmt es ihm auch tatsächlich ab. Zumindest unterhält die sich gerade mit jemandem auf der anderen Seite, daß leider nur so`n Sekretärschlamper dran sei und es könne sich eigentlich nur um einen Saftladen handeln, wenn die sich nicht einmal ein vernünftiges Handy mit richtiger Radiomusik leisten könnten. Rocky geht die Luft aus. Keuchend meldet er sich, daß die Chefin noch im Gespräch sei. Aber er könne die Bewerbung auch entgegennehmen, er sei dafür autorisiert. Es gebe sowieso zu viele Bewerberinnen. Er treffe die Vorauswahl. Ja, die Antwort der Bewerberin, das sei zwar sehr schön. Man möchte aber trotzdem gern wissen, für wen man denn nun konkret arbeite. Er möchte es bitte nicht mißverstehen, aber ein Gespräch mit der Firmeninhaberin sei doch immer ein anderes. Erneut die Bitte um Verständnis, angesichts der Vielzahl von Bewerbungen und schon blickt Rocky, alias Emilio, erneut auf ein schwarzes Display. Drei Stockwerke höher spielt sich zeitgleich ein anderes modernes Drama ab: Eine Ausnahmeschauspielerin, sie ist als einzige in ihrer Branche kalkweiß geblieben, was ihr in jedem Grusel-Schocker die Hauptrolle gesichert hat, ist heute morgen von der neu gegründeten Firma Telek AG angeschrieben worden. Dieser Schrieb erinnerte sie, Marylin, unmißverständlich daran, daß ihr eher ausschweifendes, großzügig gestaltetes Leben mehr auf Krediten und Hoffnungen, denn auf konkreten Zahlungsmitteln begründet gewesen ist. Sie hat verstanden, daß sie schleunigst etwas tun muß. Was könnte da, angesichts so betrüblicher Umstände, für sie, eine Schauspielerin von Welt und Rang und Namen, näherliegen, als einfach einen Bewunderer ein wenig zur Ader zu lassen? Sie war - trotz ihrer wenig liebenswerten Rollen - immer umgeben von einer Vielzahl solcher, die kreischend am Bühnenrand standen und ohnmächtig zu werden drohten, wenn sie auf die Bühne trat. Manche waren dabei so erfindungsreich und brachten ihre Sympathiebezeugungen derart heftig dar, daß der Gedanke mit einem von denen in einen anderen Flügel von Hospitalia durchzubrennen oder etwas ähnlich Verrücktes anzustellen, geradezu einladend nahe lag. Bedauerlicherweise bestand der einzige Reichtum all dieser Typen nur darin, gut auszusehen - bis auf eine einzige Ausnahme. Aus gesicherter Quelle weiß sie, daß der eine, dem sie heute Einlaß gewähren wird, eigentlich vor Geld geradezu stinken muß. Selbst wenn er nie anders erschien als in bescheidener grüner Kappe, Stützstrümpfen, Fledermaushemd und schmucklosem dünnen Bademantel. Offensichtlich eine Tarnung. Besagter Bewunderer, selbst jemand, der auf Bühnen auftritt, trägt den vielsagenden Künstlernamen "Stripper". Ein Bild von Mann, zwei Meter groß, mit zuckenden Armmuskeln und perfekt schwarzer Hautfarbe. Normalerweise lebt und wirkt er hinter OP-Glas und ist eines der ganz wenigen männlichen Exemplare in Hospitalia, die mit dem Wort "Sex" viel anzufangen wissen. Außerdem hat er eine sehr konkrete Vorstellung davon, was es heißen kann, dieses Bewußtsein zu verlieren, wozu er keine Lust verspürt. Ganz abgesehen davon, daß er seine Talente als relativ bequeme und außerdem einzige Erwerbsquelle ansieht. Stripper gesteht sich freimütig ein, ungeheuer geldgierig zu sein und ein Leben wie eine Privatpatientin allererster Klasse führen zu wollen. Einbettzimmer mit eigenem Telefon, Fernseher mit Fernbedienung und Wunschkost. Was immer er auch sein möchte, normaler Mann in der Bettenwaschanlage oder Kassenpatient gehören nicht dazu. Auf dem Weg nach oben, so seine eigene Einschätzung, braucht es aber nicht nur KVK`s, sondern auch Kontakte. Die Bekanntschaft mit einer mittelmäßig berühmten Schauspielerin konnte da für den Anfang schon etwas sein. Ooh, diese Bewunderung! Diese Hingabe! Diese Dankbarkeit, sie, die große Diva des Grusels und der Angst, einmal von Angesicht zu Angesicht sehen zu dürfen! Seite 11
Black Mama Die Tür hat sich hinter Stripper noch nicht ganz geschlossen, da hat er auch schon den Bademantel schwungvoll zur Seite geworfen. Er sieht das elektrisch gesteuerte Wasserbett mit integrierter Heizspirale und die Schleife in seinem Nacken, die sein Flügelhemd hält, öffnet sich wie von selbst. Seine Finger kratzen kurz seine ausgeprägte Brust, bevor sie über das Armaturenbrett am Bett für die Höhen-, Tiefeneinrichtung, die Nackenstütze und die Leselampe gleiten. Als hätten Geister ihre Hand im Spiel, ringeln sich seine Stützstrümpfe bis auf die Knöchel hinab. Ein eleganter Schwung seiner schmalen Hüften läßt seinen nur noch spärlich bekleideten Körper auf der Matratze landen. Wohlig grunzend verschränkt Stripper die Arme im Nacken, seine makellosen Zähne lächeln in den Raum hinein. Sie, als Schauspielerin, weiß nicht recht, wie anfangen, so ganz ohne Drehbuch. Deshalb behandelt sie ihn erst einmal wie einen kleinen Katzfellie, macht die Wärmelampe über ihm an und massiert mit ihren weißen Händen mit rot lackierten Fingernägeln seinen glänzend schwarzen Waschbrettbauch. Er wählt Radio Romantica (60 Sekunden 1,20 Kvk`s) auf ihrem Handy, als sie räuspernd, stammelnd und stotternd anfängt, über das Leben im Allgemeinen, das in Hospitalia im Besonderen, Vermögen und Unvermögen herumzusalbadern, begleitet von Musik, in der eine juchzende Moderatorin gerade aus dem aktuellen "ZeitenWanderer" zitiert: "Jetzt wo immer mehr Männer verschwinden, bieten wir Ihnen ein praktisches Erinnerungsstück: Den *unverblümt* männerfeindlichen Kleiderständer! Das Unterteil besteht aus einem aus solider Pappe gefertigten, auf Knien liegenden, die Handoberflächen demütig nach oben haltenden Mannsbild! Auf den Oberschenkeln kann man die Sandalen abstellen, auf den Handoberflächen Badekappe, Gummihandschuhe oder sonstiges. Das Gesicht ist mit weit aufgerissener Schnauze gegen die Decke gerichtet. Dort kann man bequem und sauber den Gehstock unterbringen. Als Extra gibt es für Bademantel oder Pyjama noch das hochaufgereckte Symbol produzierender Männlichkeit. Männerfeindlicher Kleiderständer! Jetzt für wenig KVK`s zu bestellen Die Nachfrage ist groß. Die Auflage limitiert. "Hast du das gehört?" Stripper dehnt gutgelaunt seine wohlproportionierte Gestalt im knappen Tanga. Verspielt daddelt er mit den flackernden Dioden, die laut Werbung beruhigendes, romantisches oder sonstwas für ein Licht produzieren sollen. Marylin, ihre blonde Dauerwelle zerwühlend, nutzt die Gelegenheit und sagt ihm, daß sie ihm das Ding gerne schenken würde, wenn da nicht diese sturen Typen wären, die mit ihrer blöden Rechnung nicht warten könnten. Stripper, alarmiert, verzieht sehr vorsichtig das elegant schmale Gesicht, seinen Atlaskörper vorsichtig bedeckend. Sie, so ganz ohne Drehbuch, inzwischen doch verunsichert, versucht ihre Taktik zu ändern und Stripper die sie umzingelnden Werte klarzumachen, angefangen beim vergoldeten Bett in Überbreite. Stripper lächelt wieder. Doch dann, es bricht aus ihr heraus. Sie bedürfe der Hilfe! Nicht viel, nicht lange. Man kenne das ja. So wechselhaft das Leben. Hauptsache, schnell die Hilfe. Sie gesteht, daß das vergoldete Bett längst nicht mehr ihr, sondern einer Oldtimer-Liebhaberin aus dem Steri gehöre. Stripper setzt die OP-Haube wieder auf. Die Lichtorgel, ja, die ist eigentlich längst Eigentum einer von der Urologie. Stripper zwängt sich mit haßverzerrtem Gesicht in die Stützstrümpfe. Das Handy, ach ja, die Kardiologin will es heute nachmittag abholen. Er schlüpft in die wirklich unappetitlichen Sandalen. Er, der wie ein Idiot, so sein persaönliches Empfinden, hinter einer auch nur mittelmäßig bekannten Schauspielerin herläuft, ist über alle Maßen entsetzt. Also ehrlich! Da pflegt man die Hoffnung von hier aus weiter in der Hierarchie aufsteigen zu können, Bekannte zu machen und endlich wenigstens das selbst verdiente Geld vollständig behalten zu dürfen .... und dann das! Da will diese Seite 12
Black Mama ... diese Asoziale! ... doch allen Ernstes Geld von ihm! Von seinem Geld! Unvorstellbar! Eilig schlingt er den Schal um Mütze und Papierbrille, den Kragen seines Mantels festzurrend, um nur ja schnell diesen Platz zu verlassen. Schließlich war er es, der wie kein anderer das unverschämte Geldraffen kultiviert hat. Leider nur, um festzustellen, daß ein paar üble Weiber, die sich namentlich nicht weiter vorgestellt haben, ihn regelmäßig schröpfen. Seien es die "solidarischen Beiträge", die "wirksamen Schutz versichernden Vereinbarungen" oder auch seine "freiwilligen Spenden" und "Zahlungen für die Pensionskasse im Geiste der Pflicht erschöpfter Verwaltungsbeamter". Bluten muß er immer. Was ihn in der Folge ausgesprochen allergisch gegen jede Art von Zahlung gemacht hat, für die er keine prompte greifbare Gegenleistung sieht. Gerade wendet er sich zum Gehen, als eine schneidende Stimme hinter ihm zischt: "Du wolltest also nur mein Geld, du raffgieriges, kleines, widerliches Miststück!" Stripper erschrickt heftig, als der Hieb mit dem gelösten Bettgriff neben ihm in die Tür einschlägt. Dann läuft er. Läuft, die Sandalen schnell abschüttelnd, um Hilfe kreischend, den Gang entlang, wo ihn niemand zu bemerken scheint. Die allerlei häßliche Vokabeln zeternde Marylin wird selbst im Verfolgungslauf höflich und oft gegrüßt. Was sich leider abrupt ändert, als der Grund für die kleine Verfolgungsjagd bekannt wird. Zeitgleich mit dem Bekanntwerden, daß ihre wirtschaftliche Zukunft eher trübe aussieht, ist es um ihren Ruf geschehen. Man entläßt sie aus dem Theater. Auf heftig und unhöflich geäußerte Einwände ihrerseits, mit eher mißglückter Wortwahl, wird sie von zwei kräftigen Damen nach draußen begleitet. Ergänzend erhält sie Sanktionen in Form von Fußtritten und findet sich einen Gang tiefer wieder, ohne Zimmer und Bett. Zur Nacht den Putzen ausgeliefert, wo Zeitungsmädchen lautstark den aktuellen Leitartikel von Geld oder Leben anpreisen, das Blatt für die Karrierefrau. Ein alter Artikel in Wiederholung. Es geht um wildes Fleisch am Menschen ohne Gehirn und wieviel Geld man verdienen könne, wie gut die Rendite wäre bei der Fleischgewinnung. Das wild wachsende Fleisch am Menschen, welches gar nicht schmerzen würde, weil ja auch gar kein Gehirn gebraucht würde, sondern nur ein Körper, der vielleicht noch etwas wie ein Mensch aussehe, aber eben keiner sei. Und die Menschen würden gerne Fleisch essen und eine Statistik war angefügt wie gern. Die Medizin sei soweit, seit langem schon und da sei nichts dabei, beim Essen von Fleisch. Natürlich sei auch nichts dabei, bei der persönlichen Gewinnoptimierung. Frederico, Hospitalias einziger männlicher Student der Archäologie, ist inzwischen doch leicht enttäuscht und eher verwirrt, was das Leben fortan denn für Möglichkeiten für ihn bereithalten möge. Leicht angeödet durchwühlt er sein Handy nach neuen Musiktiteln, nach Klatsch und Tratsch und allem anderen, was Abwechslung zu bringen verspricht. Dabei überfällt ihn der Gedanke, daß seine Mutter ihn früher immer vor der Lektüre des "ZeitenWanderers" gewarnt hat, weshalb er den dann zuallererst anwählt, aber infolge zu heftigen Tastendrückens statt beim Leitartikel auf der Leserbriefseite landet. ZeitenWanderer / (1) Leserbrief zu: "Ursprung der Fellies" * Elende!! In dieser unserer Position aus der Verwaltung, mit gnädiger Erlaubnis derer, die da wahrlich über uns herrschen, geben wir Ihnen hier und heute zu wissen kund, daß unser tiefestes Empfinden und allerzartestes Gefühlsleben auf die allerunwürdigste Arten und Weisen besudelt wurde! Ein jeder Geier aus der Verwaltung kann nur, im Entsetzen über die besondere Heimtücke dieser Attacke gegen unsere berechtigten, hehren Gefühle denselben Entschluß fassen, der da nur lauten kann, Ihnen den gnadenlosen Prozeß zu machen! Ihre Behauptung, die Geier aus der Verwaltung wären mit Menschenwerk und vor allem das von weißen Männern, darf nicht ohne Sühne bleiben! Alles, was an uns Geiern weiß ist, ist der Kragen, ansonsten pflegen wir schwarzes Federkleid! Ihre abscheuliche Behauptung widerspricht also allen Grundlagen. Seite 13
Black Mama Unsere gemeinsame Klageschrift geht Ihnen mit besonderer Post zu! In schaudernder Verdammung, Ihre Geier aus der Verwaltung ZeitenWanderer / (89) Leserbrief(e) 1 Antwort zu: "Männerfeindlicher Kleiderständer" - Super! Ihr habt wieder bewiesen, daß ihr über euch hinauswachsen könnt. Obergeile Satire auf die blöde Männerrechtsbewegung! Und natürlich bestelle ich sofort ein Exemplar. - Stark! Stark! Stark! Nie soviel Veräppelung der Weiberschaft erlebt! Ich nehme einen! - Ich bin dabei! Hier meine Bestellung. - Ihr seid eklig, aber genial. Schickt mir einen solchen Kleiderständer. - usw. usw. usw. ... "Ihr Schwachsinnigen! Ihr habt überhaupt nichts kapiert!" (Die Red.) Frederico versteht nicht, was seine Mutter daran so bedrohlich für ihn fand und blättert gelangweilt weiter, weil - also die Finanzierung seines Studiums, da will er nun wirklich nicht allein auf seine Mutter angewiesen sein. Er trifft auf die Stellenanzeige eines Detektivbüros. Leider ist da immer besetzt. Detektiv sein! Yeah, Baby, das wäre die Aufarbeitung dessen, was bereits geschehen ist! Das wäre Archäologie pur, Baby! Im Rausch der Begeisterung ruft er zum wiederholten Male die Nummer an. Die Handy-Verbindung ist hergestellt, aber kein Bild erscheint auf dem Display. "Hallo?", fragt Frederico, leicht verunsichert, vorsichtig nach. "Jaaarr!", erschallt es barsch auf dem anderen Ende. Rockies Handy scheint jetzt offensichtlich auch die Displayübertragung mit in die Arbeitsverweigerung einbeziehen zu wollen. "Ich, äh, ich, äh, wollte mich um die Stelle als Detektiv bewerben. Mein Name ist Frederico ..." "Frederico, was? Na und? Ist Ihnen klar, wie egal mir das ist? Mann, unser Laden sucht ein Weibsbild wie eine 38er-Stahlbetonwand! Was wollen Sie dann hier? Uns während der Arbeit Haare und Fußnägel pflegen, oder was?" Frederico hört bei der derben Abfuhr gar nicht hin, so begeistert ist er von der außergewöhnlichen Professionalität der Firma: "Also, das ist einfach obergeil! Bei Ihnen merkt man echt, daß man es mit Profis zu tun hat. Wissen Sie woran?" Rocky macht sich keine Mühe zu raten. "Ich habe noch nie einen Handyanschluß erlebt, der während des Gesprächs komplett auf Schwarz schaltet. Also, wenn Sie später mal was für mich haben .... Ich bin dabei! Ich bin nämlich Archäologe, müssen Sie wissen. Also, Archäologiestudent, um genauer zu sein. Äh, wo ich Sie schon einmal dran habe, was meinen Sie, wo könnte ich meine archäologischen Studien ansetzen?" "Ganz unten! Im tiefsten Dreck!" Rocky ist restlos überreizt. Er kreischt in den Hörer, daß man längst alles wisse, Fredericos Nummer automatisch gespeichert und das Gespräch beendet wäre, weil er zu laut und zu lange quatsche. Die Leute aus der Umgebung würden längst alle mithören. Frederico ist hin und weg! Also, soviel Professionalität! Die totale Begeisterung unterdrückend, will er sich unauffällig davonmachen. Mit äußerster Langsamkeit, den Rücken immer deckend, verläßt er den Raum. Warum grinsen die blöden Weiber da hinten eigentlich so? Nun winkt die eine auch noch! Kühl wendet er sich ab. Er würde ein Profi werden! Das ist schon mal klar. Er ist dazu geboren! Seine persönliche Post, bestehend aus dem einen Satz. "Erwarte, daß du Klopapier mitbringst!" hat er nun leider nicht mehr gelesen. Rockies Hirn wirbelt fieberhaft. Ob er es bei der Verwaltung vielleicht als Überfall versuchen soll? So mit Strumpfmaske? Oder vielleicht doch lieber als Bote? Der dann einfach, wo er schon einmal dort steht, auch noch ein Formular ausfüllen könnte? Natürlich erst nach einem gemütlichen Plausch. Was er denn Seite 14
Black Mama überhaupt so brauche, usw.? Doch Rocky entscheidet sich dagegen, sich bewußt machend, daß er sich für den ganz geraden Weg entschieden hat. Denn all seine Überlegungen haben ihn vor allem zu folgenden Erkenntnissen gebracht: Auch ein neuer Bademantel oder Bestechungsgeld und erst recht nicht Lautstärke oder gar Appelle an das Mitleid sind es, die bei der Verwaltung zu irgendetwas führen. Nein, es ist etwas ganz anderes, etwas ganz Simples: Sei freundlich zu ihnen. Sei geduldig mit ihnen (Sie haben waaahnsinnig viel Arbeit). Gib ihnen recht, recht, recht. Sage ihnen die ersten drei Male nur einen wunderschönen guten Tag, überreiche beim zweiten Male eine kleine Papierblume. Nie beim ersten Mal, sonst denken Sie, du willst etwas von Ihnen. Beim dritten Mal sage einfach wieder Hallo. Erst wenn du dieses alles erledigt hast, darfst du dich mit deinem Ansinnen nähern. Und es versteht sich wohl von selbst, daß du dieses über den Zeitraum von nicht weniger als vierzehn und nicht mehr als neunzig gesetzlichen Werktagen tun mußt. Ja, Rocky hat es wirklich begriffen. Was ihm aber leider, nach persönlicher Einschätzung, rein gar nichts nutzt, weil in wenigen Stunden sein Handy abgeschaltet werden wird. Damit würde er automatisch aus der Einwohnermeldeliste verschwinden. Dieses wiederum würde bedeuten, daß er auch kein Geschäft betreiben und demzufolge auch den dann nicht mehr weiter erwähnenswerten Rest seines Lebens (ohne Zugang zu erwerbbaren Nahrungsmitteln oder anderen Gütern) an den Nagel hängen könnte. Einzige Alternative: Selbstverkauf in die Sklaverei. Was er nicht vorhat, weil er noch nie von einem gehört hat, der von dort jemals wieder zurückgekommen ist. Obwohl die Verwaltung heftig dementiert, daß es den Sklaven schlecht gehe. Nun denn - Zeit die Ausrüstung zu checken - alles komplett. Auch die als Notizblock genutzte Rolle Klopapier ist da, worauf er seit geraumer Zeit seinen ersten Roman verfertigt - wann immer ihn die sporadisch auftretende Inspiration überfällt. Der Karton wird noch rasch mit einem Adress- sowie diversen Warnaufklebern gesichert und dann marschiert er zur Verwaltung Hospitalias, da ihm ohnehin nichts anderes übrigbleibt. Seitdem nämlich selbst die Kulis mit ihren flinken E-Rollstühlen keine Fahrt mehr unter fünf KVK`s machen, lebt er zwangsläufig anstrengend und unbequem, aber gesund. Geschickt weicht er einem Zeitungsmädchen aus, die lautstark die neueste Seite des ZeitenWanderers anpreist, eine Sammlung Ekel-Witze, weshalb und wohin gerade in letzter Zeit immer mehr Männer spurlos verschwinden würden. Unterwegs verbessert er noch schnell seine Bekleidung, wofür er ein beliebiges Zimmer betritt. Er erklärt, kurz und geschäftig, von der Wäscherei zu sein. Anläßlich des Feiertages wäre beschlossen worden, daß heute alle Klamotten gewaschen werden. Widerspruch sei nicht vorgesehen. Nein, kein Dank. Er tue ja nur seine Pflicht. Bis bald und Wiedersehen. Nachdem er alle erreichbaren Kleidungsstücke mitgenommen hat, verdrückt er sich schnell. Nicht daß noch jemandem auffällt, daß überhaupt kein Wäschewagen auf dem Gang steht. Drei Gänge weiter verschwindet er in einer ruhigen Seitentoilette und zieht sich um. Ein schwarz silberner Satinbademantel, elegante Sandalen (die sich später als elektrostatisch erweisen werden), weiße hübsche Socken und ein Seidenschal geben ihm ein angenehmes Äußeres. Ohne sich weiter aufzuhalten, eilt er schnurstracks zur Wäscherei und gibt die restliche Kleidung, inklusive seiner eigenen, dort ab. Denn das ist Rockies Erfolgsrezept: "Sorge immer dafür, daß die Leute erhalten, was sie erwarten. Nimm nur verschwindend wenig von den Reichen und gib es denen, die zu erhalten erwarten und sich nicht darüber wundern. Ansonsten werden nur dumme Nachforschungen angestellt." Praktischerweise ist auch gerade die Essensausgabe durch. Rocky kehrt angesichts dieser günstigen Gelegenheit noch schnell in zwei Zimmer ein, räumt die Teller ab und ißt, was die anderen nicht mochten, die Diätmahlzeiten etwa. (Pfui Deibel.) Hach, hätte er nur etwas mehr Zeit gehabt, würde er gleichzeitig die diskrete Lieferung anderer Lebensmittel angeboten haben - gegen KVK`s natürlich. Obwohl das inzwischen auch schon riskant geworden ist, seitdem es kaum noch Bargeld gibt und jeder Depp über jede Bewegung auf deinem Konto Nachforschungen anstellen kann. "Ein anständiger Mensch hat nichts Seite 15
Black Mama zu befürchten!" Ha! Nun ja, Brust raus, Bauch rein. Er ist bei der Verwaltung angelangt. Zwar ist er nur ein Mann, aber wenn er etwas dümmlich lächelt, werden die ihn schon einfach durchwinken. Selbstbewußt drückt er mit pfeifenden Lungen das gewaltige Tor gerade weit genug auf, um durchschlüpfen zu können. Ohrenbetäubendes Gekreisch erfüllt die Luft. Geruch von flüssigen und festen Exkrementen nimmt den Atem. Scharrende Krallenfüße werfen Sand, Sägemehl und Kotkügelchen aus den Käfigen auf die wartenden Antragstellerinnen, die schräg unterhalb der Käfige rittlings auf Besenstielstäben sitzen. Bei jedem Geräusch, jedem Flattern, jedem Kreischen, jedem wütenden Springen an die Gitterstäbe, halten die Wartenden schützend die Hand vor Augen. Solcherart gegen die Ladungen von oben gesichert, kann man zu den Verwalterinnen aufblicken. Immer in Angst und Hoffnung nun sei der eigene Antrag oder wenigstens die gezogene Nummer an die Reihe gekommen. Rocky weiß, daß das Warten da unten nichts bringen kann. Zudem ist ihm wohlbekannt, daß es genügend kleine Schlauberger gibt, die versuchen, die Verwalterinnen zu überlisten, indem sie einfach auf autoritär machen und schnurstracks irgendwohin durchgehen. Aber Emilio alias Rocky hat von einigen seiner Arbeitsfälle noch in wärmster Erinnerung, was mit jenen "Durchgängern" geschieht - jedenfalls bis zur ersten Tür. Weiter hatte er sich bei seinen Ermittlungen nie getraut. Was nicht weiter schlimm war, weil auch das Interesse der Auftraggeberinnen bei diesem Stand der Ermittlungen reichlich ausgeschöpft schien. Der Gestank und die mittlerweile dritte Ladung, die er von oben abbekommen hat, lassen ihn röcheln. Doch er weiß, daß er jetzt schnell handeln muß. Wenn er noch länger aufrecht stehenbliebe, würde die Pförtnerin vorbeikommen, ihn niederknüppeln und an den Besenstiel anketten, bis man dann soweit abgemagert war, daß man sich selbst befreien konnte. Bis dahin konnte ein guter Monat vergangen sein. Solange würden natürlich auch alle Anträge ruhen. Eventuell würde es sogar noch einen Verweis wegen schlechten Betragens geben, weil Unterschriften trotz Aufruf verweigert worden waren. Eine äußerst schwierig zu erfüllende Aufgabe, weil man sich doch nicht bewegen kann, von der Stange da unten aus. Rocky also springt an den Käfig, eine Papierblume zwischen den Zähnen und zieht sich mit den Fingern zwei Griffe höher. Wohlwissend, daß er gleich einem fauchenden Ungetüm gegenüberstehen wird, dem er fast nichts entgegenzusetzen hat. Einem Vieh, beseelt nur von dem einen Wunsch, ihn runterzuschütteln und krachend auf den Boden fallen zu lassen. Möglichst noch blutbesudelt und dem Fluchtinstinkt folgend, damit alle Antragsteller, die da warten, wieder dankbar wissen, weshalb sie es tun. Selbst denen, die noch draußen sind, muß das Opfer schweißnaß und zitternd erzählen, wie es jenen geht, die in der Verwaltung frech geworden sind. Ja, Rocky weiß, "wie es läuft", aber er wagt alles. Denn in ein paar Stunden, da werden sie sein Handy abstellen und hier ist nur noch schnelle Reaktion gefragt. "Radio Rocky!", keucht er das Monster hinter dem Maschendrahtzaun an. Er hält dem Geier seine Papierblume aus längst vergangenen glücklichen Tagen vor den Schnabel. "Ist jemals jemand da, der sich einmal um Ihre Belange am Arbeitsplatz kümmert? Wie sieht es mit Ihrer Arbeitszeit aus? Ihren Arbeitsbedingungen? Hat jemals jemand ein nettes Wort für Sie übrig? Nein? Na, das ist doch ein Skandal, oder nicht?" Ja, das ist das Erstaunliche an diesen "Spaßvögeln", wie Verwaltungsgeier gern hinter vorgehaltener Hand genannt werden; zu dir sprechen sie in einer Sprache, die außer ihnen längst niemand mehr versteht. Aber umgekehrt verstehen die dich verdammt gut - was ihre Reaktionen allerdings keineswegs berechenbarer macht. Der Drache, der eben noch mit martialischem Werkzeug auf ihn zufegt kam, verharrt, stiert Rocky funkelnd an. Bei Brüllern, Pöblern, Spuckern, Bettlern und Jammerlappen weiß sie glasklar Bescheid. Aber so jemand? Offensichtlich einer der sagenhaften Fälle, wo die Vorschriften dich im Stich lassen. Rocky klammert sich mit dem Mut der Verzweiflung fest. Er weiß, ein flehentlicher Blick und er ist geliefert. Dann sieht er schon lieber nach ganz unten auf den Granitboden, auf die eingestaubten, verblüfften Antragstellerinnen. Und dann schreit er die unten an: "Unsere Verwaltungskriegerinnen! Wie werden sie behandelt? Los, Leute, sagt es mir! Ist es nicht ein Skandal, wie unsere Verwaltungskriegerinnen alleingelassen werden? Papierkrieger an vorderster Front, die Tag für Tag ihre Schnäbel hinhalten müssen! Ein Skandal sage ich! Aber unsere Radiosendung Detektiv Emilio Seite 16
Black Mama wird das jetzt bringen!" Dieser letzte Satz, gedacht als clevere Eigenwerbung, geht bereits unter im unnatürlich lauten Gejohle der Massen, die allesamt "Skandal!" und "Es lebe die Verwaltung!" kreischen. Jetzt versucht eine die andere in ihrer Begeisterung zu übertrumpfen, in der verzweifelten Hoffnung, daß der eigene Antrag dann eventuell eher oder aber dann erst bearbeitet werden würde. Und Emilio alias Rocky? Der sich einfach nur versprochen hat, wo seine neue Firma doch Nußknacker heißen sollte? Nach knapp zweistündigen als Interviews getarnten Gesprächen hat er seine Informationen. Es war ihm sogar als Fallbeispiel getarnt gelungen, einen Antrag für eine neue Handyidentität vollständig auszufüllen und auf den Weg zu bringen. Er tarnte sein Vorhaben als exemplarisches Musterbeispiel, um den Beweis zu erbringen über die Leichtigkeit einer Antragsabgabe, sowie die absolute Effizienz der Verwaltung. Außerdem hat er dabei noch seine restlichen Visitenkarten verteilen können. Jetzt kommt es ja nicht mehr darauf an. Denn, und das ist die niederschmetternde Botschaft des Tages, trotz seines fulminanten Auftrittes hat er keinen KVK Geld verdient, um sich und seine Existenz vor der Mitternachtsfrist retten zu können. Daß seine Kleidung, die gar nicht seine ist, unrettbar zerrissen und verdreckt von ihm herabhängt, ist, so gesehen, auch nicht mehr wichtig. Rocky, an Niederlagen und das Niederkämpfen solcher bestens gewöhnt, sieht das Positive: Wichtig ist, er hat es bewiesen. Er kann es noch! Und noch etwas ist von Bedeutung: Er hat seine Papierblume wieder mitgenommen. Schließlich ist sie eine Erinnerung an eine Mandantin, die ihn leider nicht bezahlen konnte, aber "als Würdigung seiner Dienste" dieses kunstvoll gefaltete Objekt übersandt hatte. Wegen ihres dicken Stieles konnte er sie heute als Mikrofon mit eingebautem Langzeitspeichermodul ausgeben. "Das neueste auf dem Markt, vielleicht sogar das erste Exemplar im Umlauf." Scheiß auf das Handy! Ihm wird schon was einfallen. Ihm ist noch immer etwas eingefallen. Müde aber selbstbewußt schreitet er den langen Weg zurück nach Hause, zurück in den dritten Stock unter der Erde, zu seinem Pappkarton. Und vielleicht findet er ja noch ein paar andere Klamotten irgendwo, die nicht so pervers nach Verwaltung stinken. Im ZeitenWanderer erscheinen gerade gemeine Kommentare über Fellies. Sie seien eigentlich nur so zum Spaß da, damit die Menschen sich nicht so langweilen würden. Wütende Proteststürme sind die Folge - und ein absoluter Run auf diesen Artikel. Frederico, noch immer in Hochstimmung bezüglich seines zukünftigen und sicherlich aufregenden Archäologen-/Detektivlebens, fackelt nun nicht mehr länger, sondern geht auf Entdeckertour. Er will die Spuren der Vergangenheit lesen, um sich damit vielleicht auch vor der Detektei beweisen zu können. So folgt er dem ersten Rat seines unbekannten Lehrmeisters, ganz unten, im tiefsten Dreck anzufangen. Hinweisschildern folgend, gelangt er zur Küche. Von Frederico unbemerkt, nimmt ihn dort niemand ernst, weshalb man ihn zur Pathologie weiterschickt - und wenn er schon einmal auf dem Wege dorthin sei, könne er eigentlich auch gleich das Essen für die Typen mitnehmen. Frederico, glücklich über diese Möglichkeit mit den Herrschaften Pathologen ins Gespräch zu kommen, trabt den Weg zum für Normalbürger geschlossenen Allerheiligsten. Endlich angekommen fällt die Begrüßung ("Hau ab, Bubi! Geh woanders spielen.") eher rüde aus. Gerade noch rechtzeitig erklärt er, daß seine Beine schon schmerzen würden und seine Arme vom vielen Hochhalten ebenfalls. Also, auf jeden Fall habe er das Fressi-Fressi dabei. Knurrend über die massive Verspätung und daß das aber nicht noch mal vorkomme, wird das wuchtige Tor soweit geöffnet, daß er erst das Tablett, dann sich selbst durchzwängen kann. Da sitzen im trüben Licht drei Hundsfellies, die Skalpelle auf ein altes Poster werfen, von dem ein faltiges, glattrasiertes Tier in grünem Hemd in den Raum lächelt. Frederico, nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, stellt das Essenstablett mit den flachen Schüsseln unter eine der trüben Funzeln und sich selbst erst einmal nur vorsichtig als "der Neue" vor. Seite 17
Black Mama Die Pathologen, zwei weibliche, ein männlicher, beschnüffeln ihn ausgiebig, amüsieren sich über seine orangen Haare und das blaue Gesicht, klopfen ihm dabei gönnerisch auf die Schulter und ob er auch was essen möge. Sie seien beleidigt, wenn nicht. Da Frederico keinesfalls diese Leute beleidigen möchte und ganz sicher ist, hier unten in dem Raum, welchen eigentlich kein Außenstehender betreten darf, fündig zu werden, nimmt er natürlich an. Abgesehen davon hat Pathologie ja auch irgendetwas mit Archäologie zu tun. Insofern ist er ja eigentlich unter Kollegen. Ob er wohl einen guten Pathologen abgeben würde? Oder die hier unten Ferienjobs haben? Dumm ist nur, daß dann das Licht flackernd verlöscht. Für die Pathologen offensichtlich kein Grund zur Beunruhigung. Das seien sie schon gewohnt. Das würde öfters auftreten, so vierzig, fünfzig Male am Tag. Das käme gleich wieder. Als das Licht nicht wiederkommt, sagt die mit dem Bulldoggengesicht, sie hätte die Schnauze voll und wolle jetzt endlich essen. Die anderen stimmen zu. Auch Frederico bekommt einen Napf in die Hand und fängt an zu löffeln, bis er eine Entdeckung macht: "Heh, da ist irgendetwas drunter." "Wo ist was drunter?" "Na, unter meinem Napf!" "Was soll das schon sein? Irgendein Lappen eben." "Nee, der ist ganz fest." "Angebrannt eben." Und die Sprecherin, die aussieht wie ein Pudelmischling, drückt den Tisch gegen einen Lichtschalter, daß die Funzel wieder angeht. Frederico hebt den Napf zwischen den prustenden Pathologen hoch und stellt dabei fest, daß er aus einer Hirnschale mit mittellangem Haar gelöffelt hat. Das Eßgefäß fliegt in weitem Bogen weg. Frederico spuckt los und die Fellies in Grün wälzen sich vor Gelächter am Boden. Zehn Minuten später, als Frederico langsam wieder Herr seiner Sinne ist, erklärt man ihm, dieses wäre hier die übliche Aufnahmeprozedur für jede neue Pathologin, sonst könne man es gleich vergessen. Stöhnend offenbart Frederico weder ein Pathologe, noch direkt ein Anwärter darauf zu sein, obwohl ja wieder doch, weil er und Archäologie und überhaupt. Die Kollegen in grün, auf den sich immer noch am Boden Herumwälzenden niederblickend, ziehen lange Gesichter. Er habe doch gesagt, er wäre der Neue. Jammernd bekennt Frederico, daß dieses wiederum nur ein kleiner Scherz seinerseits gewesen sei. Ach so, aha, na ja, dann nichts für ungut. Aber Frederico wäre nicht er selbst, wenn er nicht, inzwischen wieder auf allen vieren liegend, die Situation doch noch für sich auszunützen verstünde. Wo es denn hier also etwas zu untersuchen gäbe für einen Archäologen? Der tiefste Punkt hier? Ob ihnen in der Vergangenheit etwas Besonderes aufgefallen sei? Egal was, jede Information zähle. Die Pathologinnen, hilfsbereit und immer mit Sinn für Humor, wissen ihm tatsächlich etwas zu zeigen, wofür er praktischerweise gar nicht erst aufzustehen braucht. Er kann gleich auf Knien zum Abflußrohr weiterkriechen, welches definitiv der tiefste Punkt in ganz Hospitalia sei. Ebenso sicher wäre es bisher noch von keiner Gesunden untersucht worden. Frederico öffnet hoffnungsvoll die Luke und springt kreischend zurück. Verwirrt stammelt ein unbekleideter, junger und auch noch weißer Mann französische Entschuldigungen, die keiner versteht. Es handelt sich um George, einen französischen Austauschschüler, der das Pech hatte, in einem anderen Zeitalter, als der Kampf der Geschlechter noch unentschieden tobte, einem solchen Wissenschaftler in die Arme zu laufen, der gedachte, die Menschheit weit nach vorn zu bringen. George, als armes Schülerschweinchen immer knapp bei Kasse, ließ sich für eine Tafel Schokolade und eine Handvoll Wechselgeld von diesem Wissenschaftler überreden, auf dem dargebotenen Zahnarztsessel Platz zu nehmen. Die Pfefferminzschokolade fröhlich wegschmatzend, nickte George den Erklärungen des höflichen Brillenträgers einfach routiniert zu. Was allerdings in der Sekunde aufhörte, als er erfuhr, daß sein Körper für ein medizinisch-technisches Experiment vorgesehen sei. Ankoppelung seines Hirns an das Net, um gewissermaßen eine Straße in beide Richtungen zu schaffen. George bedankte sich schluckend, aber dazu habe er keinen Bock und machte sich daran vom Sessel zu rutschen. Leider war er mit den Landessitten noch nicht hinreichend genug vertraut, sonst hätte er gewußt, daß Widerworte in seinem Gastgeberland mit strenger Pädagogik (Maulschellen) geahndet werden. Seite 18
Black Mama Zum bleibenderen Verständnis gab Dr. Neurotius George gleich mehrere dieser Lektionen, was den solcherart Belehrten dann leise jaulend auf seinem Sitzplatz verharren ließ. "Elektrische Impulse, junger Freund", erklärte der Wissenschaftler dann geduldig, elektrische Impulse seien das A und O beim menschlichen Gehirn. Weshalb der Tester es nicht als Strafe, sondern als medizinische Injektion empfinden dürfe, wann immer er eine gewischt bekomme. Im anschließenden leisen Sirren der hochfahrenden Maschine gab es ein Kribbeln unter Georges schweißnassem Hintern, dann war er verschwunden, irgendwo im Net. Zwar erlebte er viel und auch reichlich dort, doch im Laufe der fortwährenden Bestandsaufnahme, was das Net seinem Hirn so alles zu bieten haben würde, vermochte nur eine Art Galerie ihn dauerhaft zu fesseln. Sie war voll bunter Bildchen hübscher, impulsiver und überaus interessanter Frauen mit und ohne Hüllen - was Georges Phantasie derart anspornte, daß er aufgrund eines Realitätsmißverständnisses - auch seine eigene Kleidung an jener Stelle abwarf. Leider verschwanden diese reizvollen Gebilde urplötzlich. Mit ihnen leider auch seine eigene Bekleidung, was ihn abwechselnd voll Scham oder Verärgerung durch die Gänge hetzen ließ. Nun, vor wenigen Minuten, landete er genau hier, in diesem kühl-feuchten Abwasserkanal. Frederico fängt erst sich und anschließend, unter erneutem Gelächter der Pathologen, den Weißen ein. Nun zappelt George in Fredericos Wäschenetz, einer für ihn ungewissen Zukunft entgegenblickend. Auf die Frage "Was ist das?" erfährt Frederico, daß es sich um einen Sabber, ein Tier eben, handele. Frederico, der noch nie ein Tier gesehen hat, ist entzückt und beschließt, das Lebewesen gleich zu behalten. Die freundlichen Pathologen stellen ihm für den Abtransport des Viehs freundlicherweise eine Sackkarre zur Verfügung. Als Frederico voller Begeisterung mit seiner lebendigen archäologischen Beute nach Hause kommt, ist nur sein Vater da. Der gibt sich, nach getanem Abwasch, Hausputz und zwei Stunden Radfahren als Energiebeitrag für Hospitalia, genußvoll seinen Depressionen, sowie dem mit liebevoller Hand gemischten medizinischen Alkohol, hin. Fridolin, so heißt sein Vater, hat einen runden Bauch, viel Glatze, ein inzwischen faltenreiches und nur blaßbraunes Gesicht, eine Brille und ist durch die Jahre des sorgfältigen Reinigens von Fußbodenecken mit zwei unförmigen Knien gestraft, die seinem normalem Lauftempo eine erhebliche Langsamkeit verleihen. Jetzt sitzt er seinem mannshohen Spiegel gegenüber, in welchen er Bilder aus der Zeit geklebt hat, als er noch ein kleiner, etwas unintelligent dreinblickender Schüler war. Erwartungsgemäß ist er nicht mehr ganz nüchtern, als Frederico ihn anspricht, im Glauben jetzt ein besonders leichtes Spiel mit ihm zu haben, um den Weißen irgendwo in der Wohnung einquartieren zu können. Wobei er nicht im entferntesten daran denkt, das Tier auf sein eigenes Zimmer zu nehmen, um von vornherein jedes Risiko auszuschließen. Frederico versucht, seine Interessen auf die schnelle Tour durchzusetzen, um ein einfaches "Mir doch egal!" zu erreichen. Das sollte dann auch genügen in der zu erwartenden Diskussion mit seiner Mutter. Einfach darauf verweisen und das bißchen zusätzlicher Schmutz sei ja wohl zu bewältigen. Vati habe ja Zeit. Leider stellt sich sein Vater unerwartet quer. Als Frederico wie selbstverständlich den Weißen am Tischbein anbinden will, mit einem locker hingeworfenen "Ich laß ihn erstmal hier, ist ein Teil meiner Arbeit, weißt du?", brüllt Vater Fridolin entsetzt auf und schießt, seit zwei Jahrzehnten das erste Mal, vom Sofakissen auf die Sofaoberkante: "Was ist dieses kranke Etwas?" "Ein Sabber. Ein Tier eben." "Ein Tier? Was für ein Tier? Was heißt denn hier Tier? Warum Tier? Bist du vom wilden Weißen gebissen?" "Wieso? Es ist Teil meiner Arbeit." Von beiden unbemerkt, hat sich der frierende George, der langsam wieder etwas aufgetaut ist, nachdem er sich in eine Tischdecke eingerollt hat, auf die Suche nach Nahrung und Wasser gemacht. Dabei kommt er an einem offen stehenden Putzeimer voller Dreckwasser vorbei, der Not gehorchend, trinkt er trotzdem daraus. Die Wirkung auf den leeren Magen folgt sofort. Er erbricht sich, heftig schüttelnd, auf den Teppich und schneidet damit die Diskussion zwischen Vater und Sohn ruckartig ab. Seite 19
Black Mama Nach erfolgter Reinigung der Sauerei vereinbart der Vater mit dem Sohn, "noch einmal darüber zu reden und Mutter vorerst ganz außen vorzulassen". Es folgen mehrstündige für den Sohn entsetzliche und auch philosophische Betrachtungen über das Leben im Allgemeinen und mit Frauen im Besonderen. Er erfährt, daß seine Eltern seit sieben Jahren in Scheidung liegen, aber der Vater kein anderes Zimmer bekommen hätte und daher als angestellte aber eigentlich unterbezahlte Hauskraft hier existiere. Daß er Angelinas Stunde Radfahren als Energiebeitrag für Hospitalia mit übernehmen muß und dieses trotz seiner beschädigten Knie! Daß seine Mutter von etwas frischerem, jüngerem und mehr als einem Mann träume und daß dieses doch ungerecht sei. Frau müßte man geworden sein, dann wäre das Leben leicht und schön. Er, als Vater, wisse nicht, ob er, als Sohn, das verstehen könne, aber es sei einfach würdelos, wie Männer als devote Schwachköpfe in Zeitungen, Fernsehen, Seifenreklame, mit kurzem halben Hemdchen (womöglich auch noch bauchfrei) den Frauen die Fußnägel lackieren und sonstwie und -wo verheizt werden würden. Als wenn man nur für das eine gut wäre! Gerade in diesem Augenblick schießt Frederico eine Idee durchs Hirn. Er unterbricht den Vater mit der Frage, ob Sexismus wohl Geld bringe? Der Gedanke sei doch gar nicht so schlecht. Leider hat der Alte gar nicht erst zugehört. Ja, ergänzt Vater Fridolin sich selbst, daran würde es liegen, an diesem Fernsehen, daß die Frauen die Männer so behandeln würden. Da! Da, im Fernsehen! Da läuft auch immer dieses idiotische Hallen-Volleyball und wenn man es schon einmal wage, etwas dagegen zu sagen, krakeelten die gleich los. Das wäre doch alles keine Art, kein Zusammenleben mehr! Außerdem sei es ungerecht, daß Angelina schon den dritten neuen, jungen Körper habe, er hingegen immer noch im alten Fleischgebälk herumlaufen müsse. Den so dargestellten Sachverhalt, plus Vater Fridolins mehr oder weniger ruhmreiche Vergangenheit, bekommt Frederico dann auch noch von zum gemeinsamen Radfahren eingeladenen Bekannten und ebensolchen am Telefon bestätigt. Was er nur übersteht, weil er verzweifelt versucht, sich an seine eben erst gehabte tolle Idee mit dem vielen Geld zu klammern. Doch er kommt einfach nicht mehr darauf. Nach Abschluß all dieser Betrachtungen, Deutungen und Erklärungen bedankt sich der Sohn überschwenglich, mit dunklen Ringen unter den Augen und inzwischen verhärmten Gesicht. Die Erlaubnis von Vater Fridolin für die Haltung des Tieres glaubt er nun hart genug erarbeitet zu haben. Leider aber lehnt dieser geradezu unverschämt laut wiehernd ab, klatscht sich auf die Schenkel und lacht Tränen. George, dessen anfängliche Nervosität, was Frederico mit ihm vorhabe, sich gerade wieder gelegt hat, beschäftigt sich nun mit der Frage seines derzeitigen Aufenthaltsortes. Gern auch hätte er zwischendurch darauf hingewiesen, kein "Sabber" zu sein - was immer das auch sein mag. Doch nach wie vor unterkühlt und heiser durch den Aufenthalt im Kanal sowie ein zu enges Halsband, bleibt ihm nur, sich fester in die Tischdecke einzurollen. Seufzend erledigt er noch ein anderes Problem - soweit wie es die Leine vom Heizkörper eben zuläßt. Vater Fridolin wird noch ziemlich erbost sein darüber. Lange, lange vor Hopitalias Tagen betritt Jim-Bob, Multi-Media-Künstler, das Haupt demütig gesenkt, die Räumlichkeiten, die nie zu betreten, er sich erhofft hatte. Das Gericht. Lebenden Leichen gleich schleichen dort Verwaltungsgeier in grotesken Kostümen über Treppen, die vierzig Personen nebeneinander hätten beschreiten können. Nur wenn es treppabwärts geht, scheint überirdisches Leben sie zu beseelen. Dann, ja, dann ziert ein Lächeln die verrunzelten Gesichter, wenn sich ihre bizarren Umhänge aufbauschen, die Treppe sich allein damit füllt und die Entgegenkommenden rasch zum Fuße der Stufen zurücklaufen. Schließlich nahm Jim-Bobs Anwalt Kontakt auf. Zwar war unverständlich, was sie sprachen, doch schien die Begrüßung sehr herzlich auszufallen. Sie machten Gesten, wie man sie von Golfern kennt und lächelten dabei viel. Jim-Bob ist da sehr erleichtert! Denn vergebens hat er im Vorfeld flehentlich seinen schattenboxenden Anwalt angegangen, ihm die Vorladung zu übersetzen, zu erklären, welch böser Tat er Seite 20
Black Mama denn nun verdächtig sei. Doch sein Verteidiger gelangte lediglich zu der Ansicht, daß für ihn "Dummheit in Tateinheit mit Net-Benutzung" seine einzige Hoffnung auf ein wenig Gnade sein dürfe. Doch er wird von seinem Rechtsbeistand im allerletzten zornbebenden Brief (beiliegend die Abschlußrechnung) erfahren, daß die Würde des Gerichtes unantastbar ist. Alles weitere wird er nicht erfahren. Von den Vorkommnissen daheim vorerst unberührt, erfreut sich Fredericos Mutter Angelina am Gedanken des herannahenden Dienstschlusses. Eine Mutter deren Körperoriginal schon vor langer Zeit verwurstet worden ist. Und obwohl sie es zu Anfang als ein eher seltsames Gefühl empfand, in einem anderen, frischeren, schöneren Körper zu sitzen und den eigenen von gestern als Aufschnitt auf irgendwelchen Tellern zu wissen, hat sie sich doch schnell daran gewöhnt. Auch deshalb weil ihre Mittel für einen Luxuskörper ausreichten, der, dem Schönheitsideal der Zeit entsprechend, so richtig dunkel ist. Dichtes, ebenholzschwarzes Haar umrahmt ihre edlen Züge mit den rehbraunen Augen darin. Zusammen mit ihrer Kollegin Elvira, die durch blonde Bürstenfrisur und leuchtend blaue Augen in einem tiefschwarzen Gesicht auffällt, bildet sie die Kontrolleinheit, den rächenden Arm der Verwaltungsgeier. Eine Aufgabe, die eher inexakt umrissen ist und sich daher als so etwas ähnliches wie ein gewaltiges Spielzeug in den Händen der jeweiligen Amtsinhaberinnen gebärdet. Zwar soll man von den überirdischen Hospitalianern gewisse Richtlinien erfahren, aber seit sehr langer Zeit scheint man da oben mit der Arbeit hier unten vollauf zufrieden zu sein. Nie wurde eine Klage laut. Zwar auch kein Lob, aber solches sei man ja schließlich gewohnt. Grund genug mal wieder über die Ungerechtigkeit dieses Postens zu mosern und warum die faule Kollegin Siedelfingia nun zur Oberdoctora gemacht worden sei und nicht eine von ihnen? Überhaupt, die allergrößte Zumutung sei ja diese idiotische Nummerntafel! (Das ist eine sehr, sehr alte digitale Anzeige, die einmal während strikter Quarantäne erschaffen wurde. Die Nummer war damals noch eine Durchwahl und besagte nichts anderes, als daß die Type, die diese Durchwahl am eigenen Platz hatte, aus irgendeinem Grunde in den anderen Bereich Hospitalias gebeten wurde.) Man hätte da wirklich das Gefühl, hier ginge es eher nach Zufall denn nach Können und Leistung zu! (Sie wissen gar nicht, wie recht sie haben.) Aber die da oben ließen sich ja nichts sagen! Wenn die sich wenigstens selbst einmal hier sehen lassen würden - aber nein, die nicht! Die ganze Schmutzarbeit werde hier unten erledigt! Na ja, Angelina hakt mit ihrer gleichrangigen Kollegin Elvira den letzten Punkt auf der Tagesliste ab: "Ach ja, in letzter Zeit sind wieder vermehrt uralte "beer-and-tequila-forever"-Viren auf den Handies aufgetaucht." Gelangweilt packt sie ihr Täschchen. "Na und? Ist das unser Problem?" Elvira wirft private Accessoires zusammen. Sie will heute abend noch etwas erleben. Obwohl auch sie dem Modetrend tiefdunkel sein zu müssen folgt, ist sie doch zumindest mit ihrem Haarmodell dem Zeitalter weit voraus. Nur sie allein trägt blonde Bürstenfrisur. "Na ja. Jemand könnte rummaulen, daß wir uns nicht ausreichend um die Volksgesundheit dort draußen kümmern. Schließlich kommunizieren wir ausschließlich über das Handy mit den Patientinnen. Die Viren könnten ihnen zuweilen diese Möglichkeit nehmen. Und von Hospitalia erwartet man perfekte Gesundheit in allen Lebenslagen." In Gedanken beim heutigen Abendessen schmatzt Angelina, die Schirmmütze rüttelnd und rutschend auf dem eleganten schwarzen Kopf befestigend. "Deren Problem! Wir kümmern uns nur darum, daß die Patientinnen keine Geheimnisse vor uns haben - und nicht umgekehrt! Wo kämen wir denn da hin, wenn die da draußen erst anfangen mit Geheimniskrämerei, Verschlüsselung und was weiß ich nicht alles? Da kommen wir ja zu gar nichts mehr und -schwuppdiwupp- gibt es jede Menge Unfrieden! Nee, nee." Elvira vermißt immer noch ihren leuchtend roten Nagellack. Wo der wohl wieder geblieben ist? "Es geht überhaupt nicht um Geheimniskrämerei. Es geht um Viren auf den Handies", gähnt Angelina. Seite 21
Black Mama "Ach was!", schnippt Elvira zurück. "Kann gar nicht schaden, wenn die sich ein wenig mit Viren herumplagen. Laß die Technik nie zu perfekt werden!" Sie wühlt geduckt in ihrer Schublade. Ein Auge zugekniffen, zeigt sie mit dem Zeigefinger auf die amüsierte Angelina. "Sieh diese elektronischen Viren doch einfach als eine Art Prüfung an, die die Patientinnen ein wenig durchrüttelt! Ganz im Sinne der Verwaltung. Schweinchen, denen so etwas passiert, haben bestimmt irgendwo eine unsaubere Ecke aufgetan." Schnaufend zieht sie ihre verbliebene Hand aus der Schublade zurück. Der Nagellack lag ganz hinten und ist natürlich ausgelaufen! "Ist doch nur gut, wenn die bestraft werden! Erziehung, die auf dem Fuße folgt! Außerdem - und das ist viel wichtiger - kann es gar nicht schaden, wenn es eine Sabotagemöglichkeit gibt!" Elvira sucht ein Taschentuch, um ihre beschmierten Finger zu reinigen. Was diese Viren betrifft, ist es eigentlich allein ihre Aufgabe, solcherlei technische Probleme zu lösen. Dummerweise hatte sie sich aber gerade in letzter Zeit mehr mit einem interessanten Nebenerwerb als mit ihrem Posten in der Kontrolleinheit beschäftigt. Was sie natürlich nicht vorhat, ihrer Kollegin unbedingt auf die Nase zu binden. Dieses kurzfristig aufgetretene Machtvakuum aber erlaubte den elektronischen Ärgernissen eine explosionsartige Vermehrung und ebensolche Aufmerksamkeit. Eine nachträgliche Beseitigung, heimlich, still und leise, fällt also flach. Elviras Hirn rast fieberhaft nach einer guten Erklärung für ihre bisherige Untätigkeit, während sie pfeilschnell daherredet, was ihr gerade so einfällt: "Sieh doch nur einmal die Möglichkeiten! Stell´ dir vor, wir würden mehr Viren schreiben!" Während eine Hand die andere mit einem Taschentuchbündel reinigt, fährt sie fort: "Und all diese Viren legen wir aus bei subversiven Artikeln! Bei Handies, die mißbraucht wurden, um über die Verwaltung zu lästern! Na? Ist das nichts? Nach dem Motto "Reiß ich mit dem Handy das Maul auf, werd´ ich sofort bestraft." Elvira gerät ins Schwärmen, ohne dabei zu merken, daß in dem zusammengeknüllten Taschentuchbündel eine offene Tintenpatrone lag. Schließlich braucht sie ihre gesamte Aufmerksamkeit dafür, gleichzeitig sinnvoll zu quatschen, ganz unbefangen zu tun und eine gute Ausrede für den Virenschlamassel zu finden. "Denk dir nur, eine Spracherkennung könnte dabei sein, die uns automatisch zuschaltet, sobald Schlüsselwörter wie "Gemeinheit", "Ausbeutung", "ZeitenWanderer" oder "Verwaltung" fallen! Das Handy könnte sofort gesperrt, die Identität der Schwätzerin automatisch in allen Gängen bekanntgegeben werden! Jedes Handy würde beim Einschalten erst einmal die Liste der zuletzt abgemahnten Kühe präsentieren! Eine jede würde diese Liste doch sofort nach bekannten Namen durchsuchen! Und natürlich wird solchen Plappermäulern für die nächsten vier Wochen der Strom für Fernsehen und Klingelknopf gesperrt! Das Handy wird für drei Stunden blockiert - nicht länger, sonst können sie ja nicht mehr angstvoll rumerzählen, wie es denen geht, die gegenüber der Verwaltung frech geworden sind!" Wieder kneift Elvira ein Auge zu und weist mit dem Zeigefinger auf Angelina, die angefangen hat zu prusten, angesichts der inzwischen rotblau besudelten Hand ihrer Kollegin. Doch diese, das nächste Taschentuch hervorkramend, läßt sich nicht beirren. "Elektronische Viren sind kein Problem, sage ich dir! Sie sind ein Hoffnungsschimmer auf dem Weg, die letzten Winkel der Schlechtigkeit zu vernichten!" "Na ja." Angelina muß die sanft schimmernden Rehaugen schließen, um den Lachanfall zu unterdrücken. "Was - `na ja´?" Beschwörend hebt Elvira die beschmierten Hände zur Decke. Sie hat glänzende Augen bekommen und ihr Atem ist deutlich beschleunigt. Black Mama sei Dank, sie hat die passende Idee! "Du wirst dir sicher schon selbst gedacht haben, daß ich die Viren nicht ganz umsonst herumspringen lasse. Es ist ein ganz simpler Feldversuch!" Elvira schlägt die Beine auf der Schreibtischplatte übereinander. Angelina nickt langsam. Höchst erleichtert fährt Elvira fort: "Ein Beispiel: Jemand vertraut einer Bekannten an, daß sie die Telefonrechnung erst später bezahlen wird, weil sie irgendwelche blöden Klamotten haben will - zack - die Telefonrechnung wird sofort abgebucht! Erziehung ist alles. Angstfreies Leben in Glück für unsere Patientinnen und ein aufregendes solches für die, die da lenken und leiten." Elvira lüpft neckisch ihren Busen, zwei deutliche Handabdrücke auf ihrem weißen Hemd hinterlassend. Sie stöhnt frohgemut, als ihre Gedanken frei von häßlicher Seite 22
Black Mama Pflichterfüllung ins Schwärmerische abgleiten, wo unerfüllte Träume auf ihre Ausführung harren. Einer davon ist schon zur Manie aufgestiegen. Der Wunschtraum nur ein einziges kleines Mal von Stripper, dem ungekrönten König der darstellenden Künste, nach Strich und Faden verführt und vernascht zu werden. Und was hat sie nicht schon alles getan, um dem seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken? Dicke KVK-Bündel hat sie geworfen! Teure Geschenke gemacht! Versucht, die Gehilfen zu bestechen! Aber gemeldet hat der sich nie. Wer weiß, was der so tagsüber treibt? Bestimmt hat der auch Kontakt mit denen ganz oben. Sowas überirdisch sexistisches wie der gehört einfach nicht hierher. Aber soll das etwa ihr Verlangen bremsen? Wo sich bisher noch jeder Vollmann anzutanzen beeilte, wenn sie drohende Verwaltungsbriefe schrieb? Arme Männerschweine ... Wie sie immer um Gnade winseln und ob man nicht irgendwie anders zu einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung kommen könne? Wenn der Leopardentanga zwischen den Beinen leuchtet und Elvira sich dann gaaanz langsam und auch nur eventuell willens erklärt, den Fall noch einmal wohlwollend prüfen zu wollen. Sie läßt sie alle Striptease tanzen und hat noch nicht einen unvernascht gelassen. Diese erhebenden Gedanken werden von der wütend bellenden Angelina jäh unterbrochen, die gerade eine Untergebene am Telefon zusammenfaltet, weil sie es gewagt hat, eine Stunde vor dem offiziellen Dienstschluß anzurufen. Unter Zuhilfenahme eines feuchten Reinigungstuches hat Elvira ihre Hände inzwischen wieder annähernd freiputzen können und beruhigt nun ihre Kollegin wenn auch nicht ganz passend - mit historischen Leistungen Hospitalias. So sei man das Männerproblem doch wirklich losgeworden, seit man die Pille für den Mann habe, so daß die renitenten, die dämlichen und die eigentlich überflüssigen Kerle weder sonderlich viel Hormone noch irgendeinen Trieb auf Widerspruch hätten. Jetzt endlich könne Frau sich auf jeden Gang trauen. Könne tun und lassen, was sie wolle. Alles ungenervt, ungestört, unbelästigt! Die verbleibenden Männer, die es könnten, die genügten doch! Das Leben sei schön! Ihr Zeitalter das perfekte Glück! Hurra Hospitalia! Angelina wiegt den Kopf, ob die draußen nicht vielleicht zu doof wären, um den guten Willen der Verwaltung zu kapieren? Zumindest was diesen Feldversuch betrifft? Elvira widerspricht. Das sei doch nur eine Art von Impfung, um die Abwehrkräfte der gewöhnlichen Patientinnen gegen Subversivität zu stärken. Wenn man solcherlei nicht täte, käme am Ende nur die saublöde Frage, warum die Kontrolleinheit genau dieses nicht schon früher unternommen hätte? Angelina gibt sich überzeugt und rät Elvira das Thema zu einem geeigneten Artikel zu machen. Das hätte dann auch schon viel abschreckende Wirkung für die Gedankenverbrecherinnen und eine wohltuende solche für all die braven Patientinnen, die dann wieder wüßten, daß wirklich rund um die Uhr für sie gesorgt werde. Elvira lobt Angelinas Intelligenz nunmehr ihren Standpunkt begriffen zu haben und im übrigen sei der Artikel praktisch schon geschrieben. Gleich morgen werde sie ihn veröffentlichen. Aber Angelina hört nicht mehr zu. Die Elvira-Tante wird inzwischen echt zu einer Bedrohung für ihre eigene Karriere. Angelina selbst ist sich ihrer eigenen Qualitäten wohl bewußt. Aber ob die in den oberirdischen Geschossen das auch wissen? Oder sich erklären lassen würden? Am Ende sehen die diesen auffälligen Bockmist von Elvira zuerst? Und sie, die unermüdliche Fleißarbeiterin, läßt man am Ende hier unten versauern ... Aber da ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen! Damit beschließt man diesen Arbeitstag - aber wo man gerade so schön bei dem Thema Männer und gesteuerter Manneshormone gewesen ist, plätschert aus Elvira noch einiges Pikantes heraus: Also, da war so ein kleines Intermezzo in ihrem Seite 23
Black Mama Büro, als eines der Mannsbilder (allesamt und ausschließlich im Dienstleistungsbereich Kaffe kochen und Akten schleppen beschäftigt) ihr eine wunderbare Überraschung versprach und prompt das Hemd bis zum Kinn hochzog. Ja, das erinnere sie, Angelina, wiederum daran, als sie sich ein Bett ins Büro hatte stellen lassen für die langen Diensttage. Prompt hätte da einer dieser Figuren sich drin versteckt, was sie erst bemerkte, als sie die Schublade öffnete und seine Klamotten darin fand. Elvira lacht. Ja, es sei schon ein Kreuz mit den Mannsbildern. Vor allem wenn diese Trottel anfangen würden, anhänglich zu werden ... Aber - für ihr Büro hätte sie jetzt den entscheidenden Kniff gefunden! Sie hat sich nicht nur einfach ein Bett, sondern gleich einen ganzen Schrank hineinstellen lassen groß genug, um ein Bett zu beherbergen. Die höchste Stufe von Macht und Erotik erreiche man nur damit. Denn auch bei ihr finde sich natürlich immer wieder einmal eine Maus zwischen den Kissen. Aber es gebe eben Tage, da hätte man zu arbeiten - dann erkläre sie ganz einfach, sie stehe auf neckische kleine Fesselspielchen. Der Typ wird ans Bett angebunden und je nach Situation auch noch geknebelt, bevor man die Schranktür wieder verschließt. So hebe sie sich immer einen Nachtisch auf. Außerdem sei es wahrlich lustvoll, mit einem der vielen Geliebten obszöne Gespräche im Zimmer zu führen, wenn der letzte noch auf das Bett gekettet im Schrank liege - und nach wie vor unvernascht ist. Schon wahr, erwidert Angelina, aber ein direkter Untergebener ebenso wie ein Prostituierter sei nicht unbedingt immer ihr Fall, vor allem in ihrer gesellschaftlichen Situation. Man liefere sich da doch irgendwo aus ... In ihrem Kopf beginnt sich eine Idee betreffs Elvira und deren Zukunft zu formen. Ein böses Grinsen huscht über Angelinas Gesicht. Nuuun, nicht verzagen, Elvira fragen. Es gibt da so eine interessante kleine Bar, wo eine Type auftritt, der sich "Stripper" nennt. Diese Shows sind derart einmalig, daß diese regelmäßig total überlaufen sind. Trotz eines absolut unverschämten Eintrittspreises - für den man aber wirklich etwas geboten bekommen würde. Elvira wirft schnelleBlicke um sich, als sie flüsternd fortfährt: "Vor allem ist die Diskretion sichergestellt, weil die Sache nämlich im OP steigt. Und alles, was da hineingeht, tut das natürlich hinter `ner OP-Maske." Man müsse sich aber mit genügend KVKs eingedeckt haben. Hier handele es sich schließlich um eine Show für Priveligierte. Elvira, die von diesem speziellen Lieblingsthema nicht lassen kann, lädt Angelina noch auf einen Drink in die Kantine ein, den diese sicherheitshalber auch annimmt. Denn wer weiß? Falls die Tante es trotz allem doch vor ihr schaffen sollte, könnte die noch einmal nützlich für sie sein. Gut gelaunt bestellt Elvira zweimal Hospi on the Rocks. Eine nur Eingeweihten bekannte und zugängliche Mischung, welche aus dem ansonsten üblichen medizinischen Alkohol, der auch so schmeckt, etwas annähernd delikates macht. Das wunderbar großzügige an diesem Festtag ist, daß sogar die bekanntesten Musikerinnen Hospitalias in der Kantine auftreten dürfen. Da gibt es natürlich kein Halten mehr. Das Publikum zeigt wilde Begeisterung und Solidarisierung, indem es die Bühnentanten hemmungslos nachahmt. Man trägt schwarze Hüte, schwarze Krawatten, schwarze Anzüge, weiße Hemden und tippt mit den Fingerspitzen die witzige Melodie vom "Bettpfannen Blues" mit. Es ist das absolute Kultstück in Hospitalia. Das Stück, wo das gesamte Publikum durchsichtige Papierbrillen trägt. (Nachdem Sonnenbrillen verboten worden waren, weil sich damit böse Mädels eventuell hätten unkenntlich machen können. Ebenso wie es Männern verboten ist, als Frauen aufzutreten.) "Weißt du", seufzt Elvira gerade, "es ist ein Jammer. Inzwischen kenne ich alle noch geschlechtsfähigen Männer in Hospitalia." Beide lachen. "Laß die Hormone wieder ran, solange du sie brauchst. Oder bau ihnen einen Schalter ein." Elvira bestellt schnipsend noch zwei Hospi on the Rocks: "Männer, eine käufliche Dienstleistung!" "Nicht so laut! Wir tratschen hier noch Geheimwissen aus", kichert Angelina. Obwohl erst beim zweiten Glas angekommen, glühen ihre Wangen schon. "Ich meine, das hier wäre doch auch einmal interessant! Stell dir vor, all die Männer, die es nicht können, stürmen die Verwaltung! Ihre Forderung: `Auch wir Seite 24
Black Mama wollen es haben und können!´ Ihr Kampfschrei hallt durch die Gänge: `Freiheit! Gleichheit! Schwesterlichkeit! Sexfähigkeit!´" Angelina muß derartig lachen, daß sie beinahe vom Stuhl gefallen wäre, während Elvira die Papierbrille von der Nase rutscht und sie äußerst fröhlich die dritte Runde bestellt. Beim ZeitenWanderer sind inzwischen 712 Anfragen nach dem männerfeindlichen Kleiderständer eingegangen. Die Redaktion hat soeben eine versöhnlichere Haltung erkennen lassen und bittet alle Besteller um etwas Geduld. Elvira, restlos aller Hemmungen verlustig gegangen, erzählt mit leicht beschwerter Zunge, von der letzten Stripper-Show: "Der Typ sitzt also mit dem Rücken zum Publikum. Vor ihm singt `ne verheulte Kuh "Was hat die, was ich nich´ hab´?" Aber hinter der singenden Kuh, sichtbar nur für Stripper un´ Publikum, auf `nem gewaltigen Monitor, da tanzt `ne Dame von Welt, die mit Luxus nur so um sich schmeißt. Wir ham gejohlt vor Begeisserung!" Sie gluggert das Glas leer. "Und überhaupt dieser Stripper, also der allein is´ schon das Geld wert! Bei dem mußt du immer auf alles gefaßt sein, weil das Publikum immer voll mit reinkommt! Die reichsten Mädels ham da Feudelwäsche an." Gestelzt und verlangsamt in ihren Bewegungen, machen Elviras Hände wilde Gesten, um den Sinn ihrer Worte noch einmal kräftig zu verdeutlichen. "Haare unner `ner Haube, kein Schmuck, keine langen Nägel, aber Knieschützer! Das is `ne vorsichtige Auswahl, um auf der einen Seite immer noch genügend mitzubekommen, auf der anern Seide aber auch nich' zuviel abzubekomm. Und wenn dann das Licht ausgeht ... " Elvira unterdrückt ein Rülpsen. " ... also im Schwarzlicht sieht man dann das Gebiß von Stripper, wie der sein ausschließlich weibliches Publikum anbrüllt!" Ihre Faust fällt verlangsamt auf den Tisch. "Wie wir aussehen würden, wie wir rumlaufen würden un' ob wir uns so auf den Gang trauen würden." Sie nippt am Glas, schmatzt und schluckt. "Ohrenbetäubendes Gejubel, Gestampfe und Gegröle. Und dann `ie Musik! Wenn "Strippers Lied" losballert - kein Halten mehr!" Eine Handkante wischt durch die Luft. Und der hat die rabenschwärzeste Hautfarbe von allen! Das hat er in der Tat und ein Dutzend Operationen dafür hinter sich. Wenn Stripper tanzt und springt, die zahlreichen goldenen, scharlachroten und azurblauen Amulette um seine Ohren fliegen, dann rauscht seine Kleidung in Fetzen über die Bühne, vom warmen Wind noch ewige Sekunden lang in der Luft gehalten. All die Liebesbriefe aber schwirren vergeblich zu ihm. Man darf Stripper sehen, bewundern und angeilen, aber Fanpost beantwortet er nie. Er liest sie nicht einmal. Und wie sie ihn anstieren, all die hechelnden, kreischenden, schreienden Weiber! Das Publikum ist nicht mehr zu bändigen, wenn Stripper Millimeter vor der Absperrung eine einzige Hand herausgreift, die ihm für eine Sekunde über die tiefschwarze Brust streicheln darf, die ihn rund drei seiner Premierengagen gekostet hat. Das Publikum klebt noch am Zaun, wenn lauwarmer, aber mächtiger Wasserschwall sie alle nach hinten wirbelt, zusammenwirft, weg von der Absperrung! Er wirft sich ans Netz! Singt vulgäre Lieder! Hangelt sich kopfüber am Zaun entlang! Die Mädels kämpfen gegen die Wassermassen, versuchen ihn zu erreichen! Aber bis die kräftigsten es jubelnd geschafft haben, nach vorne durchzudringen, hängt da nur noch eine flache Gummipuppe. Wie immer wird es keiner im Publikum gelingen, ein einziges vernünftiges Bild von Stripper auf dem Höhepunkt der Show zu schießen, geschweige denn ihn "richtig" anzufassen. Die Bilder könne man aber nachher kaufen, als limitierte gesammelte Werksedition in Hochglanz. Elvira hat sie alle. Ja, er selbst würde seinem Publikum immer wieder entkommen. Aber die Begeisterung, die nehme man mit, schließt Elvira ihre überaus lebendige Erzählung. Angelina hat begeistert zugehört und verstanden. Das nächste Mal wolle sie aber dabei sein. Das müsse sie ihr einfach versprechen! Elvira verspricht es und die Kolleginnen verabschieden sich winkend und wankend Seite 25
Black Mama voneinander. Angelina schwankt schwer angedröhnt zu einer Personaltoilette. Dort nutzt sie im Sitzen die Gelegenheit, heimlich den "ZeitenWanderer" anzuklicken, weil - die haben da oft so `ne scharfe Rubrik drin. Sie kichert, als der Schriftzug auf ihrem Display erscheint: ZeitenWanderer / Sex, Pornos und Erotik Dominus - der Held unserer Zeit Laß' dir nichts gefallen und verdien´ auch noch Geld dran Du siehst ihn nur, wenn du ihn suchst: Den Dominus. In schummrigen Gängen, die nur Eingeweihte kennen oder in luxuriösen Zimmern, in denen man soetwas nicht vermuten würde. Diskretion ist ihr Geschäft. Ihre Kundinnen kommen von überall her, die meisten aber sind solche, die es sich leisten können. Billig ist der Service nicht. Das ist der erste Grund, weshalb wir den Dominus so sympathisch finden. Er nimmt den reichen Kühen viel Knete ab. Der zweite Grund, weshalb wir ihn so schätzen, ist, daß er die Schlampen nie berührt. Der dritte und beste ist, daß er ihnen das Hinterteil weich peitscht. Wenn ein Dominus vielleicht einmal eine Aushilfskraft oder eine Urlaubsvertretung brauchen sollte - wendet euch vertrauensvoll an uns. Kleiner Haushaltstip für Ehemänner: Falls deine Frau gelegentlich lieber steht als sitzt und du sagst, das käme von der vielen Büroarbeit und sie antwortet etwas wie "Ach, halt die Klappe" oder "Das ist es nicht", solltest du wirklich sehr nachdenklich werden .... "Sehr nachdenklich werden", haha. Ja, das ist gut. Glucksend taumelt Angelina das letzte Stockwerk nach Hause. Beim Abendbrot, immer noch unter Einwirkung dreier Hospis, küßt Angelina ihren Sohn außergewöhnlich lang und außergewöhnlich heftig ab. Auf sein dümmliches Gesicht hin erklärt sie ihm glucksend, daß es in Hospitalia wenige Männer "mit" und die meisten "ohne" geben würde. Ohne weiter darauf einzugehen, was exakt denn dieses nun sei. Frederico sei auf jeden Fall einer von denen ohne, was er sich aber nicht zu Herzen nehmen solle. Sie kneift ihn lang und anhaltend in die Wange, daran schüttelnd, bis ihm schlecht wird. Die Sache mit dem Unterschied hat er zwar nicht verstanden, aber sie verweigert jede weitere Erklärung, da es sich hier um ein weibliches Geheimnis handeln würde, welches nicht für Männerohren bestimmt sei. Frederico läßt also ab von dem Thema und versucht, ihre gute Laune für seine Zwecke im allgemeinen und den Weißen im besonderen auszunutzen. Angelina, immer noch leicht aufgekratzt, erklärt dem Sohn, daß das Vorhandensein des Sabbers uninteressant wäre, und was die Religion sage, die er ja wohl hoffentlich kenne, was man von solcherlei zu halten habe! Weiße Hautfarbe, wie weiße Knochen, was bleicht, das ist der Tod! Das sind die Bestraften! Jedenfalls bei den Männern! Deswegen dürften die ja auch nirgendwo frei herumlaufen und würden als Gespenster und Todesboten verfolgt werden. Damit beendet sie die Diskussion, zusammen mit dem Hinweis, daß er morgen das Vieh zurückzubringen habe, von wo er es her hat. Und nun wolle sie früh schlafen gehen. Es war ein anstrengender Tag und basta! Frederico aber hat noch nicht aufgegeben. Denn er wäre nicht Frederico, wenn er ein schallendes "NEIN!" gleich für ein solches nehmen würde. Oh, nein. Nicht er. Nicht Frederico. So denkt er und denkt und zermartert sich den Kopf, was er noch tun könnte und es kommt ihm die, wie es ihm scheinen will, alles rettende Idee: Vorab wird Vater Fridolin mit 0,7 Litern medizinischen Alkohols vor dem Fernseher abgestellt, um unangenehme Begegnungen mit seinem Geistesblitz vorerst zu vermeiden. Günstigerweise bringen sie heute "Und sie erträgt ihn noch?", eine gräßlich veraltete Liebesschnulze, was Vater Fridolin, gewissermaßen als zweite Seite 26
Black Mama Versicherung, lange genug vor den Schirm bannen sollte. Und jetzt ... schiebt Frederico den Weißen, eingehüllt in die Tischdecke, in Mamas Schlafzimmer. Das muß einfach wirken! Die Dinge sind geordnet. Frederico, Siegerlächeln im Gesicht, braucht jetzt nur noch abzuwarten. Und ja, die Anfänge sind auch vielversprechend, wie er, das Ohr dicht an die Schlafzimmertür gepreßt, auf Knien liegend, zu vernehmen meint. Richtiggehend zärtlich, liebevoll ist das, was seine Mutter da sagt. Er glaubt, geradezu die Wärme und Sympathie zu verspüren, die sie nun fortan für den Weißen empfinden würde. All diese Herzlichkeit, all diese Wonne, diese Liebe aus reinem Herzen kommend! Frederico ist ergriffen von soviel Gefühl und stemmt, vor der mütterlichen Schlafzimmertür stehend, triumphierend die Hände in die Hüften, als Angelinas schriller Schrei ertönt. Die Tür zum Schlafzimmer wird von innen aufgerissen, ein Fußtritt befördert George, mit dem Tischtuch seine Leisten bedeckend, in hohem Bogen nach draußen. Zähnefletschend steht Angelina, im hautengen, sehr freizügig geschnittenen Lackkostüm, in der Tür. Dieses alte Schwein, dieser Sabber, wäre in ihr Bett gekrochen! Pfui deibel, der habe auf der Stelle zurückgebracht zu werden! So etwas komme ihr nicht ins Zimmer und überhaupt, was wohl die anderen Leute auf dem Flur denken sollen! Frederico ist offensichtlich zu lange an Nachsicht seiner Eltern gewöhnt und zu wenig in religiösen Dingen gefestigt. So erwidert er im Eifer des Gefechts, wenn auch arglos, daß, wenn weiße Knochen und weiße Männerhaut den Tod symbolisierten, braune Frauenschiete folgerichtig also das Symbol des Lebens sei. Auch sehe er nicht ein .... Sie schlägt ihn mit einer ihm bis dahin unbekannten Reitgerte, kurz und überaus heftig. Was genügen sollte, eine schnelle und gründliche Meinungsänderung zugunsten ihres eigenen Standpunktes zu erreichen. Unterstützend wirft sie ihn vor die Tür und jagt mit einem Besenstiel den Weißen hinterher, der wiederum von Frederico gejagt wird, aber bis auf weiteres entkommen kann. Brille & Krawatte, Hospitalias bekanntestes Nachrichtenmagazin, amüsiert sich gerade über Kolleginnen, die sich nicht als solche empfinden: Brille & Krawatte Profitable Männerfeindlichkeit Es war einmal eine Zeitung, die immer gern moralisch war. Die der Welt gern zeigte, wie man und was man richtig zu denken habe - und meist konträr zu dem, was die Verwaltung für richtig hielt und hält. So verfaßte man beim ZeitenWanderer eine Werbung für einen definitiv männerfeindlichen Kleiderständer, beging aber den als Scherz gedachten Fehler, die eigene Adresse als Bezugsquelle anzugeben. Der Witz wurde nicht verstanden. Um 12.13 Uhr waren bereits 89 Anfragen nach dem Kleiderständer eingegangen, die allesamt mit einer einzigen Anmerkung der Redaktion beantwortet wurden: "Ihr Schwachsinnigen! Ihr habt überhaupt nichts kapiert!" Vier Stunden später, es waren inzwischen 436 Anfragen geworden, war der erste Kommentar der Redaktion gelöscht. Vorläufig gab es keinen weiteren. Offensichtlich war man nicht nur durch die Masse der Anfragen erschüttert, sondern auch dadurch, daß knapp ein Viertel der Besteller Männer waren. Das Volk, es ist eben doch unberechenbar. Noch einmal 3 Stunden später, 712 Anfragen inzwischen, hatte innerhalb der Redaktion offensichtlich eine Meinungsänderung stattgefunden. Die Auslieferung würde sich verzögern. Man bitte um Geduld. Wer sagt es denn? An Männerfeindlichkeit läßt sich eben doch verdienen ... Angelina ist bedient für heute abend. Für wen hält ihr depperter Sohn sie eigentlich? Sieht sie vielleicht aus wie Elvira? Ha! Sie kippt noch einen medizinischen Alkohol. Dann macht sie sich auf den Weg in den OP, wo dieser mysteriöse Stripper auftritt. Allein natürlich. Zeugen sind in ihrer gesellschaftlichen Position nämlich immer etwas Seite 27
Black Mama Unerwünschtes. Sie bindet sich die OP-Maske vors Gesicht und macht sich vorsichtig auf den Weg. Muß ja keiner sehen oder ahnen, daß sie ... ausgerechnet sie ... Eiligen Schrittes, wie auf dem Wege zu einer Notoperation, rauscht sie durch die Gänge, drückt hastig den Fahrstuhlknopf, um dann, wie geplant, die Treppe zu nehmen. Offensichtlich hatten noch wenigstens vierzig andere Damen die gleiche Idee, die allesamt rudelartig hinter die Milchglastüren des OP strömen. Angelinas stammelnd vorgetragene Frage "Was ... was ist denn hier los?" bleibt unbeantwortet. Zwischenrufe gellen von gutlaunten und erwartungsvollen Gästinnen, wenn sie Mann wären, wüßten sie schon, wie sie Geld verdienen würden! Zwei, die direkt an der Bühne stehen, unterhalten sich in Einigkeit darüber, warum eigentlich Männer Frauen intellektuell so unterlegen seien. Trotzdem aber wäre es Fakt, daß sie einfach besser singen und tanzen könnten. Wenn Stripper auftritt, sind vorher die Möbel entfernt worden. Eine einzige Eintrittskarte für seine Auftritte würde reichen, um bequem drei Monate allabendlich mittelklassigen medizinischen Alkohol bis zum Exzeß trinken zu können. Stripper ist der einzige Artist der fliegenden Wäsche, der von einem soliden Drahtzaun geschützt werden muß. Stripper ("ein Name, ein Programm", der einzige Slogan den er je benutzt hat), liefert in jeder Show mindestens einen Superlativ. Damit bereichert er das Intimleben derer, die sich seine Vorstellung leisten können, um Ideen, die sie vorher selbst nicht hatten. (Später werden diese mit einen der größten Unterschiede zwischen denen oben und denen unten ausmachen.) Stripper liebt sein Publikum als ganzes. Selbst wenn er die einzelnen Figuren von Herzen verabscheut. Und dann geht das Licht aus. "Stripper", der ungekrönte König "der darstellenden Künste", liefert an diesem Tag so etwas wie eine Galashow: Diese Show heute abend kostet mehr als das doppelte von dem, was er sonst nimmt. Aber die Mund-zu-Mund-Propaganda versprach ein Erlebnis, welches es so nur ein einziges Mal geben könnte. Es wäre nie mehr wiederholbar. Als Angelina eintritt, maulend über den extrem hohen Eintrittspreis, der selbst sie überrascht, klingt gerade der letzte Sketch der Vorgruppe aus. Es war gefragt, was eine Männerphantasie sei. Dann geht der Vorhang hoch und man sieht einen Haufen Frauen, die auf Knien den Fußboden schrubben. Die Vorgruppe erntet nur Buhrufe, wie immer. Was aber nach wie vor besser ist, als beworfen zu werden, wie die Dame die letzthin vor Stripper auftrat. Die hatte nämlich vor dem ausschließlich weiblichen Publikum einen Striptease hingelegt und war derart heftig mit harten Gegenständen beworfen worden, daß sie heute immer noch im Krankenbett stöhnt. Stripper lächelt ins Publikum. Solange bis alle aufgehört haben, zu reden, mit den Füßen zu scharren, herumzuknistern oder sonstwie irgendwelche Laute von sich zu geben. Stripper erzählt einen Witz, wie er es jedesmal zu Anbeginn seiner Show macht: "Neulich, in einem dunklen Seitengang, kommt doch so `ne Tussi auf mich zu und fragt mich allen Ernstes, was ich von der Verwaltung halten würde? Ich sage, heh, daß kann ich Ihnen hier wirklich nicht sagen! Sie sagt, dann eben woanders. Und wir gehen in eine schummrige Kantine und steigen ins Klo hinab. Ich öffne den Deckel, prüfe den Abguß, den Wasserhahn und den Ventilator. Ganz zuletzt, als ich sicher bin, daß wir allein sind, flüster´ ich es ihr ins Ohr: `Sagen Sie es nicht weiter, ich sympathisiere mit der Verwaltung.´" Brüllendes Gelächter! Stripper springt, hüpft, singt und bewegt sich, wie es eben nur ein Profi kann. Nach zahllosen vulgären Tanz- und Gesangseinlagen, wie das Publikum seinen Star kennt und liebt, tritt er erneut auf die Bühne, im Kostüm eines Küchenchefs, um den Höhepunkt der heutigen Show zu präsentieren: "Meine lieben zahlenden Damen! Es ist mir eine besondere Freude, ihnen heute etwas ganz besonderes präsentieren zu dürfen!" Ein paar Gehilfen in knappen Baströckchen rollen verdeckte Käfige rein. "Wie Sie sehen, möchte ich ihnen heute einen kleinen Leckerbissen darbieten." Die Tücher werden von den Käfigen gerissen. "Einen Haufen Prostituierter ..." (Ein natürlich illegaler Berufsstand, was weder Angebot noch Nachfrage in irgendeiner Weise beeinträchtigen konnte. Außerdem die letzte und einzige reine Männerdomäne in Hospitalia.) Seite 28
Black Mama Die Käfigtüren werden geöffnet und die Gehilfen beeilen sich davonzukommen. "Ich habe diese Prostituierten mit dem falschen Versprechen hergelockt, hier eine Menge Kundschaft zu finden!" Gespanntes Schweigen. Die in den Käfigen gefangenen Bordsteinschwalben fangen an zu kreischen. Wiewohl immer ein gewisses Fixum an Gefahr gewohnt in ihrem Leben, kommt jetzt Angst auf. Sie wollen nur noch weg. Die Frauen grinsen die Prostituierten in schadenfroher Begeisterung an, reißen Grimassen und faule Witze. Dröhnt Strippers Stimme: "Tatsächlich aber habe ich die armen Nutten herbestellt, damit wir ein paar von ihnen schlachten und aufessen!" Schreiend versuchen die Prosties aus den gerade geöffneten Käfigen an dem Netz hochzulaufen, das Stripper vor dem Publikum schützen soll. Feuersäulen zischen hoch auf der Bühne. Gehilfen schieben riesige Grillspieße herein. Zwei andere stecken monströses Gemüse auf. Musik ballert aus den Lautsprechern und das Publikum jubiliert, applaudiert, macht mit und kreischt: "Hunger! Hunger!" Eiskaltes Wasser treibt die vermeintlichen Opfer vom Netz. Wahllos werden zwei gegriffen! Die anderen bibbern vor Angst und Kälte. Peitschen und spitze Stangen treiben sie in die Käfige zurück. Die zwei Figuren auf der Bühne schwitzen wie Fieberkranke. Gummihemden, Lederhosen, Lederkäppies, Kettchen, Sonnenbrillen(!?!) alles muß runter! Einer jammert, bettelt, fleht um Gnade. Stripper, "Wer will seine Lenden?", führt ihn genüßlich vor. Man zerrt das jammernde Bündel Mensch vor den Grill. Den anderen läßt man scheinbar entkommen, der nun, zur Begeisterung und schamlosen Belustigung des Frauenvolkes vor der Bühne erneut, nur diesesmal splitternackt, am Netz hochläuft, in der verzweifelten Hoffnung auf einen Fluchtweg. Der andere, inzwischen mit einer riesigen Zwiebel im Mund und Gemüsegirlanden um den Körper, hat bereits mit dem Leben abgeschlossen. Die Gehilfen setzen das arme Schwein auf einen kleinen Wagen mit Rollen und Stripper ihm noch einen Hut mit Feuerwerk auf. Die Lunte wird entzündet, bunte Funken sprühen. Unter Gesang "Fleisch! Fleisch! Fleisch muß es sein ..." und kreischendem Jubel, öffnet man für eine Sekunde das Netz und rollt den Dekorierten hinaus. Die Angst der verbliebenen Nutten in den Käfigen ist immer noch absolut echt und das Publikum weiß das mit ohrenbetäubender Lautstärke zu honorieren. Eine beißt den Hineingerollten lustvoll ins Ohr. Mit einem Peitschenhieb jagt Stripper auch den zweiten Prostituierten vom Netz, ergänzt von einem Fußtritt, der ihn in die Menge befördert. Rocky, ein Stockwerk höher, inmitten totaler Stille (vom knisternden Halogenlicht abgesehen) zählt die Minuten, bis sein Handy abgeschaltet wird. Danach würde es vorbei sein mit aller Herrlichkeit. Er macht sich keine Illusionen über seinen weiteren Werdegang. Organisches Ersatzteillager, FwW (Fleischlieferant wider Willen), Energieratte oder etwas sehr ähnliches. Er würde sich jetzt nicht mehr ewig durchwursteln können. Er hatte gehofft, irgendeine Idiotin zu finden, die er angestellt hätte, um dann einfach ihre Handy-Nummer zu ge- und mißbrauchen. Aber vielleicht bekommt er ja bald wieder eine neue Nummer? Vielleicht will ihn bald jemand aus der Verwaltung anstellen, nach dem Auftritt den er dort geleistet hatte? Aber womöglich empfanden die das gar nicht als Leistung? Die bestritten doch immer, daß es schwer wäre, bei ihnen irgendetwas durchzubekommen. Vielleicht hätte er doch diesen Idioten von heute morgen nehmen sollen? Diese trübe Tasse, die sich als Student ausgab? Wenn diese verdammten Handies nicht längst und ausschließlich per Fernwartung gewartet werden würden, hätte er sich vielleicht bei anderen Leuten als Techniker ausgeben können, seine Anzeige gestartet und das wär`s. Aber ohne Zimmer- und Bettnummer? Mit einem fremden Handy, wo die Leute zurückrufen? Das würde seine Überlebenschancen eher noch verkleinern. Die einzige Alternative, die ihm dazu einfällt, ist direkt vor den nächsten Putzwagen zu springen. Mutiger und wahrscheinlich weit weniger schmerzhaft als versklavt zu werden. Leider lebt er dafür einfach zu gern. In der Redaktion von FRAU HEUTE bereitet man gerade die aktuelle Mitternachts-Diskussion vor, die unter anderem interessante Hinweise darauf enthält, wie man in Hospitalia das Altersproblem gelöst hat. Ein Verfahren, Seite 29
Black Mama welches Rocky nie mitgeteilt wurde. Wie auch keinem anderen Mann in Hospitalia. Verständlicherweise hat er sich auch nie Gedanken darüber gemacht, da er zwar verbrauchte, aber noch nie alte Männer oder Frauen sah, was unterschiedliche historische Gründe hat: Mannsbilder etwa machten sich in der Geschichte Hospitalias bald unerwünscht, weil sie immer dominanter und immer intoleranter wurden. Was bei ihnen mit mangelnder Hirndurchblutung im steigenden Alter zu tun hat. Bei Frauen ging es lediglich um Schönheit und ewige Jugend. Rocky glaubt noch, wie alle nicht informierten Männer, man würde gewissermaßen auf der Höhe der Leistungskraft einfach umkippen und eingesammelt werden. Wieder andere hoffen auf so etwas wie eine unsterbliche Seele, die zu Black Mama wandern werde, wenn sie urplötzlich und mehr oder minder sanft den Körper verlasse. Freilich ohne genau erklären zu können, was denn eine Seele sei. Betrübt schaltet Rocky sein Handy ein und wählt die Seite, die er nur seinem uralten, defekten Handy wegen empfangen kann: Frau Heute / No.16, 2048 Mitternachtsdiskussion: Wohin mit dem Männerhirn? Unsere Zivilisation hat das Altersproblem in Hospitalia zumindest technisch dadurch gelöst, daß der Körper wechselbar ist. Altes Gehirn, neuer jugendlicher Körper. Praktisch und hübsch. Nur sündhaft teuer. Selbst der höchst illegale Umbau eines männlichen Körpers zu einem weiblichen mit nachfolgender Versetzung des weiblichen Kundenhirns hat den Markt bisher nicht entspannen können. Außerdem wirft es ein nicht zu unterschätzendes Problem auf: Wohin mit den Manneshirnen? Denn erstaunlicherweise scheinen viele mit den Körpern ehemaliger Männer gut leben zu können - nicht aber mit dem Gedanken, daß die ursprünglich dazugehörigen Hirne noch in ihrer Nähe existieren. Erschwert wird die Entsorgung dieses Restmülls durch das hartnäckige Gerücht, daß die Küche immer alles zwischen jede Form von Essen rühre. Dem Genuß von Männerhirn aber haftet der Ruf an, damit auch wirre Ideen, Demut oder Dummheit in sich aufzunehmen. Nicht einmal die Endlagerung in einer Deponie wird akzeptiert. Es bleibt die unausrottbare Angst, daß sich Gase, Viren, Geister oder sonst etwas daraus aufbäumen könnten, um speziell den Kundinnen in transformierten Körpern allerlei Unheil zu bringen. Im ausführlich ausgewalzten Hauptteil steht desweiteren zu lesen, daß die Verwaltung vor kurzem eine geniale Verwendung für all die herrenlosen Männerhirne gefunden hätte: Nutzung als Satelliten zur Entdeckung ferner Welten. Das heißt, kleine Hirnkapseln sausen durchs All und erstatten Report an die Erde, ob es da draußen irgendetwas gibt, was eine Betrachtung lohnt. Falls dieses jemals der Fall sein sollte, könnte dann ja ein richtiges Raumschiff hinterherreisen. Da Männerhirne ohnehin nur ein billiges Abfallprodukt wären, könne man den hohen Verschleiß durch Meteoriten, defekte Kapseln, Überalterung, Schwarze Löcher etc. auch finanziell problemlos wegstecken. Dank dieser genialen Idee stehe der Eroberung des Alls also endlich nichts mehr im Wege. Natürlich dürfe man über der Begeisterung dieser kostengünstigen Variante der Weltraumforschung aber nicht die durchaus vorhandenen Probleme übersehen: Was wäre, wenn gar zu viele Hirne überleben und eines Tages tatsächlich eine neue sehens- und liebenswerte Welt entdecken sollten? Ja, noch grundlegender! Würden denn ausgerechnet Männerhirne überhaupt in der Lage sein, dieses entsprechend zu erkennen? Statt nur blöde rumzublubbern? Nur Nullen im All zu haben, könne also nicht immer wünschenswert sein. Man stelle sich nur ein mögliches Szenario vor: Ein Haufen dieser Pfeifen landet auf einem belebten Planeten. Eine Intelligenz nähert sich, knackt die Kapsel und frißt das drinliegende Männerhirn auf. Was würde das für einen Eindruck machen? Sicher keinen guten. Von hier an bleibt die Diskussion offen. Man will ja nur angeregt haben, jetzt sind die Leserinnen dran. Die Überlegungen des Patienten Rocky jedoch bleiben von dieser interessanten Mitternachtsdiskussion völlig unberührt. Sie sind Seite 30
Black Mama derzeit ausschließlich auf seine eigene höchstwahrscheinlich sehr kurze Zukunft gerichtet. Vielleicht könnte er vorher noch einen dieser Putzkolosse angreifen? Vielleicht würde es ihm für ein paar Tage über seinen eigenen Tod hinaus gelingen, berühmt zu sein? Er sieht die Schlagzeilen geradezu vor sich: "Rocky stoppte Putzwagen - Wir wollen ein neues Putzsystem!" Nein, zu mißverständlich. "Rockies Tod für die Männlichkeit - Helden sterben einsam" Ja! Das würde gut zu "Blut und Busen" passen. Und der "Zeitenwanderer", was würden die schreiben? "Revolution um Mitternacht - Rockies letzte Rechte!" Ja, so was! Das wäre es! Doch er, Rocky, ist nicht der einzige, der in dieser schicksalsschwangeren Nacht Grund zu trüben Überlegungen findet. Eine Schauspielerin, gar nicht weit von ihm, empfindet gerade sehr ähnlich. Nur daß sie obendrein noch von Angst erfüllt ist, die Putzmaschinen könnten, statt sie in unsterblicher Schönheit für die bessere Nachwelt zu erhalten, ihre Frisur ruinieren oder, noch schlimmer, obendrein ihr Make-Up versauen. Nun, kurz vor Mitternacht, ist ihre Panik ins Grenzenlose gestiegen. In wenigen Minuten werden die Putzen kommen und dann ist sowieso alles egal ... Verzweifelt hackt sie auf ihrem Handy rum nach einem Mäzen, nach einer gütigen Seele, nach Hilfefonds für eine überraschend verarmte Schauspielerin. Alles ohne fündig zu werden. Ganz zuletzt versucht Marylin es mit einer Stellenanzeige als Schauspielerin (oder artverwandtem Beruf) - und wird zu ihrer eigenen Überraschung fündig. Emilios Detektivbüro heißt der Laden. Sie ruft sofort durch, läßt sich den Stock und die Zimmernummer geben, weil irgendeine Störung die korrekte Übertragung verhindert hat. Dann rast sie los. Ihr kleidartiger Seidenbademantel knattert in der Luft. Es sind nur noch zwei Minuten bis die Putzen kommen. Punkt Mitternacht schafft sie es, die Lichter leuchten schon am Gangende. Erst jetzt, als ihr fürchterlicher Gestank in die Nase steigt, fällt ihr auf, daß die Zimmernummer 00 lautete. Rocky erwartet sie bereits. Das Rauschen der gnadenlosen Maschine im Ohr verkneift sie sich jeden Kommentar. Höflich stellt sie sich vor, auch wenn sie dafür schreien muß, um überhaupt gehört zu werden. Rocky kreischt zurück, daß sie sicher einen anderen Raum erwartet habe? Sie nickt heftig. Aber was sie denn erwartet habe von einem Detektivbüro? Ein öffentliches Ladengeschäft von 8.00 bis 16.00 Uhr? Marylin lacht verunsichert. Da geht die Tür auf und ein Putz-Katzfellie faucht sie beide an. Seit dem Rausschmiß durch seine Mutter läuft Frederico ziellos mit dem inzwischen wieder eingefangenen Weißen herum. Unbewußt hat er sich an den Gedanken gewöhnt, ihn zurückbringen zu müssen, wofür er ihn an der Leine hinter sich herzieht. Jetzt, Sekunden nach Mitternacht, im unbeleuchteten, leicht abfallenden Flur, wo jeder Schritt dreimal nachhallt, dackelt er auf das schwarz schimmernde Portal der Pathologie zu. Da kommt ihm die Idee, doch noch einmal dieses professionelle Detektivbüro anzurufen. Die wußten letztesmal doch auch Rat. Ob die ihm wohl auch helfen könnten, sich wieder der tollen Idee zu erinnern, die er neulich hatte? Es hatte irgendetwas mit viel Geld verdienen zu tun ... Leider muß er feststellen, daß es die Nummer des Detektivbüros nicht mehr gibt. "Klar", sinniert Frederico bei sich, "die Leute sind Profis. Hätte ich mir denken können." Seufzend steckt er das Handy ein, zieht den röchelnden George an der Leine, der verzweifelt seine Tischdecke fest umklammert. In der Ferne röhren leise Aufnahme- und Wischrotoren. Frederico, hastig die Leine von George zu Boden werfend, rast in Panik los, Seite 31
Black Mama wirft sich gegen das Tor zur Pathologie und - ungeheure Adrenalinausschüttungen ermöglichen das schier Unmögliche - es gelingt ihm das Portal zur Pathologie von außen aufzustemmen. Die drinnen kartenspielenden Hundsfellies ("Eigentlich selten, daß es einer so eilig hat.") lassen sich zu einem Lächeln hinreißen. George, der seinerseits vor den gleißenden Lichtern und dem dröhnenden Lärm der herannahenden Putzwagen flieht, rempelt Frederico so heftig, daß dieser bäuchlings an den Tisch der Pathologen rutscht, wo ihn die mit dem Bulldoggengesicht ins Hinterteil beißt. George fällt kreideweiß auf die Knie. Das Portal schließt sich und Frederico schreit vor Schmerz. Gleich anschließend fällt er jammernd auf die Knie, die Hände gefaltet, fleht um Asyl für die Nacht. Man möge ihn nur ja nicht wieder rausjagen. Dort, ja dort, er weist mit dem Zeigefinger auf das schwarze Tor, seien jetzt die Putzen unterwegs. Frederico hat mehr Glück als er weiß. Pathologen und Putzen sind sich seit jeher wenig gut gesonnen und das Kartenspiel ist auch langweilig. So vereinbart man, daß Frederico den Pathologinnen ausgiebig den Rücken massieren und die beiden Pudelartigen auch bürsten muß. Dann dürfe er bis morgen bleiben. Er bedankt sich überschwenglich. Doch den Weißen darf er leider auch hier nicht behalten. Der würde ihnen bestimmt was wegfressen! So wird es denn beschlossen, der Weiße muß weg! Leider will George nicht freiwillig wieder zurück in den Abwasserkanal. Schon letztesmal hat es da ganz entsetzlich gestunken und arschkalt war es auch. Wenn man ihn doch wenigstens zu dem Zahnarztsessel von Dr. Neurotius zurückließe! Sein Körper hat doch jetzt wohl wirklich lange genug für Experimente hergehalten! Im Austausch ist er ja auch gern bereit, auf eine Erklärung dieses Alptraums zu verzichten, wo wildfremde Typen ihn beleidigen, durch dunkle Gänge mit flickerndem Licht zerren und sprechende Hunde blöde Witze reißen. Als man schließlich von seinem heiseren Gekrächze und Gestrampel an der Luke die Nase voll hat, helfen die Hundsfellies, immer Leute mit Humor, mit einem gewaltigen Wasserstrahl nach. Eine Tat, welche Frederico gleich mit im Schlund verschwinden läßt, weil er sich nicht so schnell von der Leine trennen konnte. Zwar kläfft eine Pudelartige noch hinterher, Frederico solle gefälligst zurückkommen! Er habe sie noch zu bürsten und ausgiebig zu massieren! Doch nur das eigene Echo antwortet ihr. Im Patientenklo steigt Marylins blonde Dauerwelle zu Berge beim Anblick des fauchenden Katzfellies. Schreiend und schutzsuchend springt sie Rocky an den Hals, aber blitzschnell und angewidert wieder ab. Jetzt weiß sie, wo der schlechte Geruch herrührt! Rocky, nach seinem Besuch bei der Verwaltung, war derart ermüdet, daß ihm der beschädigte und besudelte Bademantel als sein allerunwichtigstes Problem erschien. Der eben noch fauchende Katzfellie macht ein unsicheres Gesicht und kräuselt die Nase. Angeekelt wendet er sich ab, die Klobesucher schnell noch wenigstens notdürftig mit kräftigen Ladungen Sand zuschaufelnd. Keuchend klopfen die derart Bedeckten sich wieder ab, als sich knarrend die Tür der Damentoilette öffnet. Angelina tritt heraus, eine Hand fest auf die Magengegend, die andere schnellt zur Nase. Nach dem wirklich köstlichen Spaß bis die Prosties endlich den Witz geschnallt hatten (aber darüber trotzdem nicht lachen konnten), hatte sie sich dummerweise genötigt gesehen, ihre Blase ausnahmsweise auf einem öffentlichen Patientinnen-Klo zu entlasten. Angesichts des bestialischen Gestanks, der hier herrscht, wird das definitiv das allerletzte Mal gewesen sein! Einen knappen Gruß zu den anderen beiden hinblinzelnd, kratzt sie mit einem Fuß die Tür auf und stellt entsetzt fest, daß es nach Mitternacht ist. Die Putzen sind bereits unterwegs. Entsetzt fällt ihr der eigene etwas unterbelichtete Sohn ein. Mit griesgrämigem Gesicht ruft sie zu Hause und noch anderswo an, zuletzt auch in der Pathologie, ob die etwas über seinen Verbleib wüßten. Sie beschreibt ihn als etwas dümmlich, weitere auffällige Kennzeichen habe er nicht. (Sie kann doch unmöglich den Leuten sagen, daß Frederico mit orangenem Seite 32
Black Mama Haar und blauem Gesicht herumläuft! Was würden die denn denken?) Nein, antworten die Pathologen nach einigem Getuschel. So etwas hätten die hier noch nicht gehabt. Aber sie möge sich keine Sorgen machen. Was jetzt nicht sei, könne ja noch werden. Angelina flucht. Kopfschmerzen, Magenschmerzen, draußen die Putzen vor der Tür und nun auch noch dieser Rotzlöffel von Sohn verschwunden! Und dann auch noch der Gestank hier drin! Warum konnte sie nicht wenigstens zur nächsten Personaltoilette weiterlaufen? Auf ein Waschbecken abgestützt, läßt sie sich seufzend auf eine Mülltonne nieder. Beim Anblick der beiden Deppen, die sie anglotzen wie die Mondkälber, möchte Angelina am liebsten ein paar Ohrfeigen verteilen. Sie zügelt sich dann aber doch und schlägt vor, sich von diesem tristen Ambiente nicht die Laune verderben zu lassen, sondern sich einfach einander vorzustellen. Eine jede solle dann vertellen, welch widrige Umstände sie heute an diesen betrüblichen Ort hergeführt hätten. Nur so, um die Langeweile zu vertreiben. Doch noch bevor Marylin zustimmend nicken kann, übernimmt Rocky das Gespräch: Seine Chefin und er seien zum einen Detektive und zum anderen in einer diskreten Mission unterwegs. Da wäre wirklich kein Raum, um ihre letzten Erlebnisse zum besten zu geben. Ergänzend verweist Rocky darauf, wie raffiniert man die Putzen überlistet habe. Das sei eben Expertenarbeit und sie, Angelina, habe wirkliches Glück, ihnen beiden begegnet zu sein. Der Angesprochenen fällt es wie Schuppen von den dicken Augen! Deshalb haben die Fellies nicht zugepackt! Der Gestank hier drin ist der Geruch der Verwaltung! Laut sagt sie: "Ja, das ist der Geruch der Macht, der sie abschreckt." Scheint dieser Idiot ja noch gar nicht begriffen zu haben. Na ja, gleich morgen wird diese Pfeife einer gründlichen Untersuchung unterzogen und danach kann er sich für sehr lange Zeit am Energiefahrrad nützlich machen. Im Augenblick ärgert sie sich lieber über ihren Sohnematz. Ob dieser Depp nicht weiß, wie teuer er war? Ist das etwa der Dank, daß man diesem Würstchen das Leben geschenkt hat? Na warte! Der wird bald seinen Vater bei den täglichen Haushaltspflichten ablösen dürfen. Schluß mit rumlaufen und erwachsene Frau spielen! Langsam klar geworden im Kopf, reift in Angelina der Gedanke, dieses Zusammentreffen im öffentlichen Patientenklo noch eleganter auszunutzen: Falls diese zwei Nullen es schaffen sollten, Frederico zurückzutreiben, würde eventuelles Aufsehen sicher erheblich verringert werden. Außerdem sind diese zwei Esel bestimmt problemlos auszubeuten. Der heutige Abend war schließlich schon teuer genug. Davon abgesehen ist sie neugierig, was diese beiden Pfeifen noch alles für kleine Alltags-Lügen parat haben. Schließlich fühlt sie, Angelina, sich getreuen Herzens für das Vernichten aller Falschinformation mit optimaler Öffnungs- und Durchleuchtungstechnik verantwortlich. Nicht daß sich hier eine kleine Mini-Revolution zusammenbraut! Wo käme man da hin? Vielleicht war die Idee mit den Viren doch gar nicht so schlecht? Man sollte diesen Idioten auch welche implantieren und bei Bedarf können sie daran ja vor die Katzfellies gehen .... Händereibend lacht Angelina in sich hinein. So also kommt Rocky, kurz nachdem ihm das Handy abgeschaltet worden ist, wieder zu einem, wie er annimmt, äußerst lukrativen Auftrag. Diese Tante wird schon einiges dafür hinlegen müssen, um ihr Schätzchen gesund und heil wiederzubekommen. Rocky lacht händereibend in sich hinein. Am frühen Morgen verläßt man getrennt die Toilette. Rocky und die Schauspielerin sind gerade eine Ecke weiter, als sie ihm klarzumachen versucht, daß die Sache doch nichts für sie sei. Er möge ihr ein anderes Engagement besorgen und sie bestehe darauf. Rocky, müde, aber aufgedreht von dem Gedanken an die vielen KVKs, stellt sie vor die Wahl: Unter Eid gehen, mitmachen, im Erfolgsfalle bezahlt werden und Verwaltungsrang erhalten. Ansonsten wäre es nur ein Pfiff für ihn, schon wären die Putzen da und würden sie "wegfegen". Zornbebend (wie einst im tragischen Drama "Er ist das Rad, sie tritt ihn") funkelt Marylin ihn an, ordnet und schnürt ihren Bademantelgürtel ruck- und gestenreich, ihm damit demonstrierend, was sie am liebsten mit seinem Hals täte. Versöhnlich erklärt Rocky ihr, daß niemand etwas erfahren dürfe. Weshalb auch Seite 33
Black Mama alles andere, zum Beispiel die Nahrungsmittelbeschaffung, top secret zu erfolgen habe. Außerdem solle sie froh sein, daß sie die Chefin, nicht die Untergebene spielen soll. Es hätte auch ganz anders für sie ausgehen können! Nun sei sie einmal drin, mitgegangen, mitgefangen und sollte sich überlegen, ob sie schnell zu Geld kommen, oder lieber heute abend in der Küche als Aufschnitt und Geschnetzeltes enden möchte. Sie antwortet nicht weiter und Rocky knurrt "Na also". Auf ihrem nun folgenden Weg zu den ersten Informationen, klappern sie die Kantinen im Umkreis ab, als sie aus einem dunklen Seitengang heraus jemanden schauerlich stöhnen hören. Rocky sieht Marylin an. Marylin sieht Rocky an. Dann ordert sie ihn forsch, mal reinzugehen und nach dem rechten zu sehen. Protestierend stemmt er die Hände in die Hüften, knirscht dann aber mit den Zähnen und tastet sich langsam ins Dunkel vor. Dort liegt ein Mann, der aussieht, als wenn ein aufgebrachter Hundsfellie gerade erst mit ihm fertig geworden wäre. Schnaufend und keuchend zieht Rocky die Type am ausgesucht gut gekleideten linken Fuß hinter sich her auf den Hauptgang. Nach Luft ringend läßt er ihn zu Füßen der lässig eine lange dünne Lakritzstange hantierenden Schauspielerin fallen. Die sieht einmal kurz und ungnädig hinab. Dann aber springt sie mit katzfellieartiger Gewandtheit auf den Boden und ohrfeigt den Zusammengeschlagenen klatschend und brutal, dabei immer wieder häßliche Vokabeln ausstoßend. Das wimmernde Opfer, bekleidet mit einem bodenlangen gesteppten Seidenbademantel, weißen, sehr gepflegten Sandalen, ausgesucht eleganten Designersocken und einem Traum von Pyjama, liegt immer noch am Boden, als Marylin plötzlich innehält und das ununterbrochen klagende Bündel anzischt, wie er eigentlich dazu komme, sich hier am Boden herumzuwälzen? Röchelnd offenbart der Angesprochene, daß ein ganzer Schwarm Prostituierter ihn "gründlich bearbeitet" habe. Marylin wird vor Wut noch weißer als sie es vorher schon war: "Und das hast du faltenreicher Arsch wohl auch noch genossen, was? Na ja, wenn man so viele andere Leute abkocht und so viele KVK`s scheffelt, braucht man das ja auch! Und `ne Menge KVK`s sind dabei bestimmt auch draufgegangen! Und dann auch noch ein ganzer Schwarm von denen! Aber für mich nichts übrig haben, du Miststück!" Sie tritt ihn kurz und heftig. "Schläge braucht der Herr also, ja? Aber von mir bekommst du nichts! Nichts! Nichts!" Sie tritt ihn in schneller Folge. Rocky, in Dingen der Liebe und der Fleischeslust leider nahezu völlig unbeleckt, steht fassungslos daneben. Daß es auch Männer gibt, die "es" können, hatte er beim flinken Überfliegen von "Frau heute" immer übergangen. Es interessierte ihn nicht. Er hätte noch nicht einmal sagen können, ob es sich bei der Leidenschaft des Weibes für den Manne, um eine Krankheit, einen Gemütszustand, eine Fehlfunktion, etwas Wünschens- oder Verachtenswertes handelt. Das kurze prägnante Wort für die aktive Tat hatte er sich nie gemerkt, weil er es immer für eine medizinisch-technische Abkürzung hielt. Nachdem Marylin fertig ist, versucht Rocky mühsam, den jammernden Stripper aufzurichten. Als der Zusammengeschlagene aus Rockies ausdünstendem Bademantel den Geruch der Verwaltung in die Nase bekommt, springt er wie elektrisiert hoch, bedankt sich mit vorgehaltenen Armen für die freundliche Hilfe und ihm sei jetzt schon wieder viel besser. Man brauche ihn nicht mehr zu stützen. Anschließend machen sie sich alle drei auf den Weg in die nächste Kantine, da auch Stripper, seine Rippen und Hüften ausgiebig bedauernd, das Bedürfnis nach einem stärkenden Kaffee verspürt. "Rocky?", Marylin blickt auf ihn herab. "Ich möchte, daß du unsere Nachhut bildest und hinter uns gehst. Es ist bestimmt besser, wenn wir separat aufkreuzen." Nur mühsam einen Kommentar unterdrückend, tritt Rocky zur Seite, um mit deutlichem Abstand dem nicht allzu würdevoll schreitenden Paar zu folgen. Am Bestimmungsort angekommen, reiht man sich zwischen die Wartenden vor der vollbesetzten Theke. Als eine Tussi den humpelnden Stripper bemerkt, der inzwischen einen Gehwagen mit Achselstützen untergeschoben bekommen hat, jagt Seite 34
Black Mama ein Aufschrei durch die Menge. Im Nu ist die Theke leer, die Schlange aufgelöst und die beiden unterschiedlichen Darsteller müssen Autogramme geben. Wobei Marylin mit nur angestrengt gezügelter Wut feststellt, daß die Leute zuerst an seinem und erst an zweiter Stelle an ihrem Autogramm interessiert sind. Sich dabei immer fragend, woher zum Teufel denn all die Weiber ihn kennen würden? Sie kennt ihn schließlich nicht. Jedenfalls von keiner Bühne! Ihr hinuntergewürgter Ärger aber ist rein gar nichts im Vergleich zu dem, was Rocky empfindet, der nur die Rücken der begeisterten Fans sieht und, von einigen Bemerkungen über Geruchsbelästigung abgesehen, unbemerkt zum Tresen gelangt. Seine Frage, ob hier ein Schwachkopf ("Er heißt Frederico.") vorbeigekommen und wo er hingegangen sei, kann allerdings noch nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Und so geht es weiter, von Kiosk zu Kiosk, von Kantine zu Kantine. Kreischende Fans, Autogrammstunden und ein Rocky mit vom Haß gezeichneten Gesicht, der nur noch ganz schnell diesen kleinen Schnarchlappen finden möchte. Anschließend abkassieren und seit langer Zeit endlich mal wieder in einem Bett in einem Zimmer statt in einem Pappkarton im Gang schlafen! Dann Süßigkeiten bis zum Erbrechen, Filme bis zum Abwinken und alle Zeitungen lesen, die man längst schon lesen wollte. Beschwingt von diesem erfreulichen Gedanken dirigiert Rocky die kleine Truppe noch schnell zur Redaktion des ZeitenWanderers, wo er nur eben sehen möchte, ob das Angebot immer noch gilt, daß jeder zehnte Abonnent ein Freiabo bekommt. In geschickte Worte verpackt, läßt er Marylin und Stripper draußen stehen. Er mache das schon. Auch sollten sie ihren Ruf bedenken - das hier sei wirklich nicht ihre Umgebung und so. Beim Eintritt in die Redaktion bemerkt Rocky eine ausgesprochen niedergeschlagene Stimmung. Achselzuckend dackelt er zum nächstbesten Schreibtisch und spricht eine Dame mit rosa-schwarz geflecktem Gesicht an, Nachwirkung einer billigen, aber leider mißlungenen Hauteinfärbung. Wie es ausschaue, ob er der zehnte Abonnent wäre oder nicht? Die mißgelaunte Dame mit dem scheckigem Gesicht, verzweifelt pudernd, fixiert ihn angewiderten Blickes von oben bis unten und drückt ihm eine Textfahne in die Hand. Das wäre ein Intelligenztest. Der letzte Witz Man hat beim ZeitenWanderer existiert, gegessen, getrunken, gekauft und applaudiert und es war nett. Nun nehmt unsere Löffel und sagt euren Enkelinnen, wie wir es dereinst hielten. Nächste Haltestation "Paradies Hospitalia". Mit weit aufgerissenen Augen stiert Rocky die eifrig kaugummikauende Dame mit dem staubenden Puderlappen an. "Sie meinen ... daß ... daß ..." "Daß du zwar nicht der zehnte, aber mit Sicherheit der letzte Abonnent wärst." Sie kläfft kurz, weil ihr der Puder in die Nase gestiegen ist. "Und jetzt mach´, daß du wegkommst." Sie weist mit gebogenem Daumen in Richtung Ausgang. Ob sie ihr Gesicht bis heute abend noch wieder hinbekommt? "Nein", sagt Rocky soeben, die Arme verschränkend, sich locker auf ein Bein hinstellend. Leicht enerviert fixiert die energische Frauensperson vor ihm seine und ihre Person, um die günstigste Drehung zu errechnen, die ihn mit minimalem Kraftaufwand und maximaler Geschwindigkeit auf den Gang hinausbefördern würde. Aber Rocky kennt diesen Blick. Er kennt ihn nur zu gut, weshalb er erst einmal den Schreibtisch zwischen sie beide bringt. Die Schreibtischdame erhebt sich, den Pfefferminzkaugummi in die andere Backe verlagernd, läßt kurz die Finger knacken und brüllt dann demonstrativ laut die Kolleginnen ran, daß hier jemand vergeblich das Loch nach draußen suchen würde. Eine von Rockies positivsten Eigenschaften ist es, Tricks, die einmal geklappt haben, solange erneut anzuwenden, bis es eben nicht mehr klappt. Und wenn sogar die Putzfellies vor seinem kräftig riechenden Bademantel Abstand nahmen, sollte das hier nur noch besser funktionieren. Gelassen setzt er sich auf die Schreibtischkante. Warum hat die Kuh vor ihm eigentlich noch nichts bemerkt? Ein paar robuste Frauen haben sich grinsend Rocky auf Armeslänge genähert, als die erste anfängt, die Backen aufzublasen. Seite 35
Black Mama Eine nach der anderen weichen sie zurück. Papiertaschentücher öffnen sich, von eiligen Händen geschüttelt. Jemand fragt die Schreibtischtante, wie sie es schaffen würde, das auszuhalten? Diesen Gestank? Verblüfft nimmt sie, die Chefredakteurin, den Puderschwamm aus ihrem Gesicht und den Kaugummi aus der Schnauze, beugt sich leicht vor und schnüffelt vorsichtig. Ein spitzer Aufschrei begleitet ihren Zusammenbruch in den Bürosessel. Jemand im Hintergrund blubbert, daß doch endlich jemand die Verwaltung rufen solle. Die würden den Stinker schon abseifen! Rocky legt seinen härtesten Blick auf, nimmt eine Lucky zwischen die Zähne, die trotz Verpackung auch schon leicht nach Bademantel schmeckt: "Babys, ich bin von der Verwaltung." Die Raktionen auf diese Information sind sehr unterschiedlich. Eine muß sich setzen, eine schnell nach ihrer Lasagne sehen, eine dritte stammelt Unverständliches. Nur die Chefin mit dem gefleckten Gesicht, sich heftig Luft zufächelnd, fixiert seine einen Meter siebzig Figur. Doch wer sich jahrelang mit einem Pappkarton auf den Fluren durchschlagen kann, weiß wie man Ungläubigen begegnet! Lässig legt Rocky die Hände in den Schoß, die Beine schlenkern vom Schreibtisch. "Ihr hört jetzt alle mal zu! Ich sag`s nämlich nur einmal! Punkt 1: Die Verwaltung ist überall. Punkt 2: Profis reisen unerkannt." Die Chefin hat ihren Kaugummi wieder zwischen die Zähne genommen und sieht ihn nachdenklich an. Soeben erklärt Rocky, daß seine Tätigkeit im Verborgenen laufe, also "nicht-öffentlich" sei, als Marylin und Stripper, gelangweilt vom Rumstehen draußen, hereinkommen. Die Chefredakteurin, die die Nase in jeder Hinsicht voll hat von diesem Tag, zischt die Neuankömmlinge an, was sie hier zu suchen hätten! Leider vergaß sie beim letzten Luftzufächeln, daß sie noch den Puderschwamm in der Hand hielt, so daß sie derzeit nur Umrisse hinter der entstandenen Wolke, aber keine Gesichter erkennen kann. Marylin jedoch, Schauspielerin von Rang und Namen, kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man, statt sie um ein Autogramm anzubetteln, rüde anranzt. Folgerichtig gibt sie betont kühl zurück, zum einen von der Verwaltung, "Abteilung diskrete Ermittlungsarbeit" und zum anderen die Chefin "von dem da" zu sein. Sie schüttelt ihren blonden Lockenkopf zu Rocky hinüber, stellt dann kurz Stripper als ihren Assistenten vor, der immer noch seine lädierten Knochen bedauert. Die Chefredakteurin, am Ende ihrer Nerven, erhebt sich, um über die Puderwolke hinwegsehen zu können. Ein überraschtes Lächeln umspielt ihre Lippen als sie Stripper erkennt: "Olala, sie kenne ich natürlich." Sie weist mit dem Finger auf ihn, wie zufällig dabei versuchend, wenn auch natürlich vergeblich, wenigstens mit dem Zeigefinger über seine Brust zu streicheln. Marylin, ganz in ihrer Rolle, antwortet leise: "Natürlich kennen Sie ihn", um mit schauriger Flüsterstimme hinzuzufügen: "Denn die Verwaltung ist überall." Die Dame mit dem gefleckten Gesicht, erschrickt kurz bei Marylins tiefbleicher Hautfarbe, rollt den weit ausgestreckten Zeigefinger wieder ein, läßt sich erneut auf ihren Sessel sinken und erkundigt sich höflich nach dem allgemeinen Anliegen, welches sie bis jetzt noch nicht ganz verstanden habe. Marylin betrachtet ihre rot lackierten Fingernägel, spitzt ihre geschwungenen Lippen, um dann mit knarrender Stimme zurückzugeben "Das macht er!" Ein Daumenverweis zu Rocky. "Exklusiv im ZeitenWanderer - Alles über den Geheimdienst der Verwaltung". In der Chefredakteurin ist soeben der Jagdinstinkt erwacht. Der Artikel den sie schon immer hatte schreiben wollen - zum Greifen nahe. Unterwürfig lächelnd bittet sie Marylin zu Kaffee und Sahnetorte. Die anderen zwei Figuren könnten sich ja solange nützlich machen. Vergeblich versucht sie, im Vorbeigehen Stripper in den Arsch zu kneifen. Rocky, die angebotenen Putzlappen mißachtend, nutzt die Chance seines Lebens und macht sich an die Arbeit, die er immer schon tun wollte. Er schreibt, denkt, kombiniert, tüftelt für sein Lieblingsblatt. Zuallererst ändert er den Abo-Aufruf dahingehend, daß jede, die einen wirklich witzigen Artikel aus des ZeitenWanderers Vergangenheit oder einen noch gar nicht geschriebenen aus der Zukunft beibringe, mit einer Überraschung rechnen dürfe. "Darum die Bitte an die nahen und fernen ZeitenWanderer(innen) der Zukunft: Sendet doch bitte zwecks Aufklärung der Bevölkerung Material in unsere Zeit. Seite 36
Black Mama Adresse:
[email protected]" Gefolgt wird diese Bitte von einem richtig kernigen Artikel, wie er ihn immer lesen wollte, aber nie konnte. Schluß mit dem freundlichem Geplänkel! In scharfen Attacken beleidigt er gründlich alle anderen Magazine, die er wegen seinem blöden Handy zwangslesen und -bezahlen mußte. Insbesondere Brille & Krawatte schneidet schlecht ab. In donnernden Zeilen fragt Rocky an, was ZeitenWanderer-Leserinnen alles ändern würden, wenn SIE die Chefredakteurin oder besser noch gleich die Besitzerin dieses elenden Käseblättchens wären? Nur freiweg solle man schreiben. Für die Zimperlichen und die Einfallslosen folgt ein Formular mit vorgefertigten Antworten zum Ankreuzen. Dergestalt erleichtert, läßt Rocky es auf den Folgeseiten ruhiger, eher mystisch angehen. Schaurig-dunkle Mächte bedrohen da das Schicksal der Verwaltung, düstere Visionen jagen durch die Gänge, die manche Patientinnen vielversprechend verwegen angrinsen würden. ("Begegnungen dieser Art sind exklusiv dem ZeitenWanderer zu melden.") Auf der Schlußseite lächelt ein Bild mit Stripper, Marylin, der Chefredakteurin und Rocky die Leserin an. Abschließend darf die Redaktion voller Stolz verkünden, das schon legendäre "Nußknacker-Team" zu seiner Unterstützung gewonnen zu haben. Der kommende Nachrichtenboom (sowie das mitwachsende Anzeigengeschäft) bedürfen besonders geistreicher Köpfe! Weiterhin weist Rocky die Technikerinnen an, fortan bei Aufruf der ZeitenWanderer-Seite auch gleich ein abartig-unverwechselbares Bimmeltönchen erschellen zu lassen, gefolgt von seinem neuartigen Werbeslogan: "Die einen lesen rückständigen Mist, aber du den ZeitenWanderer! Deine persönliche Garantin für Sex, Kohle und Karriere!" Die Beine auf den Schreibtisch gelegt, wirft sich Rocky gegen die Stuhllehne, die Lucky von einer Schnauzenhälfte in die nächste schiebend. Hach, schade nur, daß er nicht von hier telefonieren konnte. Die Telek AG hat nämlich als allerletzte Warnung das Raustelefonieren abgestellt. Seufzend sieht er ein, daß er nun wohl doch alle Informanten ablaufen muß, statt einfach einmal rumzutelefonieren, wer wann wo den kleinen Frederico-Dödel gesehen habe. Was soll`s? Muß er eben latschen. Erschöpft aber glücklich schaukelt er im Bürostuhl. Lächelnd wickelt er seine verbliebenen Lucky Lakritz in ein paar Streifen seines Notizblock-Klopapiers, wofür der Schluß seines im Entstehen begriffenen Romans dann eben etwas kürzer ausfallen wird. Na ja, sei`s drum. Aber zumindest wird er sich seinen Gang etwas erleichtern. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das schwergewichtige Handy bleibt hier! Mit gekonnter Drohgebärde läßt er das derzeit funktionsuntüchtige Gerät auf den Tisch der Chefredakteurin plumpsen. Das Ding werde weder angegrabbelt, noch auch nur um einen Millimeter bewegt. Damit das mal klar sei! Die Chefredakteurin, der Marylin eine große Flasche alkoholischen "Fleck-Weg" weggenommen hat, nickt langsam. Dann fragt die Dame überraschend, warum man denn ausgerechnet jetzt ausgerechnet hier tätig geworden sei? Sie, in ihrer Position als Chefredakteurin des ZeitenWanderers, hätte schon öfters Kontakt mit der Verwaltung gehabt. Gern aber jedesmal darauf verzichtet. Marylin, kurz vor der Tür, macht ein steifes Pokergesicht, während Stripper teilnahmslos in die Gegend gafft und Rocky darauf wartet, daß Marylin etwas sagt. Er kennt solche Situationen. Irgendein Kamel stellt irgendeine dumme Frage, die völlig überflüssig ist, aber wenn man nicht darauf eingeht, entsteht ein blöder Eindruck. In der Regel reicht ein simples, aber unheilvolles Lächeln. Sollte das einmal doch nicht genügen, gibt es die Variante der mystisch-magischen Geste, welche der Fragerin reichlich Raum für eigene Phantasien zwischen Angst und Hoffnung läßt. Die Marylin-Kuh aber verpaßt offensichtlich ihren Einsatz - wozu hat er die Tante eigentlich eingestellt? Zum Kaffee saufen? Rocky ergreift die Initiative, indem er einen Bleistift auf seinem Zeigefinger balanciert. Seite 37
Black Mama Da habe sie ihre Antwort. Und nun Tschüß, man habe schließlich auch noch anderweitig zu tun. Ja, aber, halt, was das denn zu bedeuten hätte? "Intelligenztest" gibt Rocky zurück und schaukelt den Lucky-Lakritz-Stummel in den anderen Mundwinkel. Da Stripper und Marylin bereits vor geraumer Zeit das letzte Autogramm gegeben, den Kuchen aufgegessen und den Kaffee geleert haben, außerdem noch anfingen sich zu langweilen, folgen sie ihm nun nach draußen. In Hochstimmung, durchzogen von leisen Rachegedanken, nutzt Rocky den nicht neuen Gedanken, daß sich schließlich jeder selbst der nächste sei. Stripper und die Schauspielerin müssen von nun an mit riesigen Werbeschriftzügen durch die Gegend ziehen: Hast du ein Problem versteck´ dich nicht im Klo, wähle einfach nur Rockies Detektivbüro Kritische Fragen ob der Qualität und Verständlichkeit dieses Werbeslogans läßt er nicht gelten. Es sei umfassend und räume auch die Möglichkeit ein, noch andere wie auch immer geartete Probleme zu lösen. Maximale Flexibilität sei die Frage dieser Tage. Ja, schon, aber sie seien doch ein Geheimunternehmen ... Na also! Jetzt hätten sie es begriffen! Bei Werbung schalten die Leute ganz automatisch ab! Psychologie, Leute! Die Wissenschaft erklärt, wobei der normale Menschenverstand erst einmal versagt! Profiarbeit, Leute! Reicht, wenn sie einer versteht. Selbst "Blut & Busen" reagiert mit einem Artikel. Derzeit gäbe es etwas Tolles und völlig gratis auf den Gängen zu sehen - Sexsymbol Stripper und Gruftie Marylin im schrägen Partnerlook, begleitet von einem total abgefahrenen Komiker. Aus unterschiedlichen Gründen muffelnd erreicht besagtes Trio die nächste Kantine. Rocky stellt seine Frage, keiner weiß was. Er sagt, okay, trotzdem Danke, fragt noch nach der Toilette und die Essensverteiler wiehern immer, ob er nicht von dort gerade kommen würde? Nur wegen dem dicken Lüftchen, haha. Zwei häßliche Drohungen später hat Rocky die jeweilige Wegbeschreibung. Mit seiner lockigen Perücke auf dem Kopf und den beiden zu Kugeln gekneteten Klopapierrollen in den Westentaschen, schlurft er in die Damentoiletten. Kurze Strimmprobe in ein Taschentuch, alles klar. In einem Falle führt die Beschreibung zum Abort auf einen kleinen vollkommen verdunkelten Innenhof hinaus und von dort, neben einem runden schweren Deckel, eine metallische Stiege hinab. Vorsichtig steigt Rocky die Leiter hinunter in die perfekte Dunkelheit. Hier, hier in den Damentoiletten, gibt es immer Tussies, die den ganzen Tag auf der Brille sitzen und die Mengen vorüberziehen sehen. Die auszuquetschen ist zwar nie ganz leicht, aber immer lohnend. "Sitzen Sie öfter hier? Oder schon länger? Haben Sie auch den Nachtisch gestern gegessen?" Und schon geht das Gejammer los, Peperonipizza, die Blase, das viele magenfreundliche Wasser. Aber danach kommt es herausgeträufelt. Man muß nur lange genug zuhören. Da wird immer schamlos hergezogen über die anderen in lächerlich bunten Unterhosen oder die Idiotin mit den beschmierten Beinen usw., usw. ... In diesem speziellen Falle wählt Rocky die Zeit sparende, direkte Variante, um alle gleichzeitig zum Sprechen zu bringen: Er reißt ein Streichholz an. Tierisches, entsetztes Gebrüll! Das Streichholz fliegt ihm aus den Fingern, aber die vier Figuren, die mit heruntergezogenen Hosen über dem fließenden Kanal hocken, reden wie die Wasserfälle. Leider nur unbrauchbaren Mist. Als Rocky endlich wieder schnaufend in der Kantine steht, ist die letzte Autogrammverteilung immer noch nicht beendet. Voller nicht länger bezähmbarer Galle geht er so nah ran an die Menschenmenge wie nur irgend möglich. Er schreit, kreischt in verschiedenen Stimmlagen, gestikuliert, es habe einen gräßlichen Unfall geben. Dort draußen auf dem Nachbarflur! Hilfe, Hilfe, will denn niemand helfen? Seite 38
Black Mama Doch. Sie wollen alle helfen. Außerdem ist die Autogrammstunde soeben ausgeklungen. Drei, vier Sekunden schafft es Rocky, vor der Menschenmenge herzulaufen. Dann wird ihm der Gürtel seines Bademantels zum Verhängnis. Er stolpert und die menschliche Lawine trampelt über ihn hinweg. Später, sehr viel später, auf einem Tisch in der Kantine aufgebahrt, kann Rocky wieder ächzen. Seine linke Hand wischt langsam über einen schlecht geleerten Teller, der rechte Fuß glitscht in einem Haufen Spagetti hin und her. Marylin und Stripper haben inzwischen ihre Gemeinsamkeiten entdeckt und spielen am Tresen Karten. Was daran liegt, daß die Schauspielerin Stripper gegen seinen Willen als Geheimagenten vereidigt hat. Kurz bevor dieser sich von seinen eigenen Blessuren soweit erholen konnte, daß er hätte davonlaufen können. Aber warum in aller Welt soll es nur sie allein erwischen, während so ein Männerschwein davonkommt? Rocky, kein Typ, der so leicht aufgibt, sammelt sich indes unter allerlei Wehklagen. Mühsam auf den Bauch gedreht, ein Teller an seinem Rücken klebend, stammelt er gegen die Hinterköpfe von Marylin und Stripper, daß er sich gerade an eine Topinformantin erinnere. Hedwig heiße sie und habe damals in der Küche gearbeitet und immer die besten Tips auf Lager gehabt. Da sollte man einmal vorbeischauen. Aber vorher möchten sie ihm doch bitte noch einen Eimer und ein Handtuch bringen. "Wer ist hier die Chefin?", bellt es vom Tresen zurück. "Du oder ich? Also hol`s dir selbst, du Null!" So gesellt sich bei Rocky zu der neidischen Wut der glühende Wunsch nach Rache. Ein Rachedurst, den er schon bald zu stillen gedenkt. Mühsam schüttelt er einen Löffel ab, der sich zwischen seinen Zehen verhakt hat. Beim Betreten der Küche das gewohnte Bild. Alles scharrt sich wegen eines Autogrammes um die Stars. Süßsäuerlich lächelnd sucht Rocky seine alte Kumpanin Hedwig, die zwar seit langen Jahren blind ist und seit einer Operation wegen eines eingewachsenen Zehennagels auch noch die Geschmacksnerven verloren hat, aber trotzdem ein feines Weib und leidenschaftliche Teetrinkerin ist. Hedwig ist so etwas wie eine Sternstunde der Wissenschaft. Sie ist nämlich gar nicht blind. Sie hat sich nur im Rahmen einer wichtigen Promotion sowie einer Lotterie zur Verfügung gestellt. Ja, und heute hat sie unter jedem Zeh ein Auge und sieht nun Dinge, die andere gar nicht oder zumindest nicht so sehen. Rocky, inzwischen vorsichtig geworden, weiß, daß Blinde zuweilen schlecht sehen, aber sehr gut hören und riechen können. Aufgrund seines derzeit eher lädierten Körpers befürchtet er, nicht schnell genug reagieren zu können, wenn er, aufgrund eines Geruchsmißverständnisses, zum Zwecke der eiligen Entsorgung gepackt wird. Um nun nicht gleich als Abfall im Küchenschredder zu landen, legt er sich erst auf einen Transportroller und schiebt sich dann langsam an Hedwigs Arbeitsplatz heran. Doch vergebens ist alle Vorsicht. Hedwig steht bereits hinter ihm und legt ihm die mit einem Gummihandschuh abgesicherte Hand auf die Schulter. "Hey, Rocky, wie geht`s denn so?" Der Angesprochene zuckt zusammen, schnellt auf dem Transportroller in Abwehrstellung herum und dabei gegen die Wand. "Hey, Hedie." Rocky befühlt die breite Beule am Kopf. "Dachte, wir trinken mal wieder `nen Tee zusammen. Sag' mal, wie hast du mich denn diesmal erkannt?" "Das war einfach, Rocky. Die Gerüchte waren eben schneller als der Geruch", lacht Hedwig und ist froh, jetzt nicht Rockies Gesicht sehen zu müssen. "Wie ist`s? Möchtest du was essen? Wir haben grün, gelb und blau, eventuell sogar noch etwas rosa von gestern." Rocky nimmt blau mit gelb, weil sich das so schön mischt. Nachdem er seine Mahlzeit verschluckt hat, haben auch die Stars zur Truppe aufgeschlossen. Beide nehmen eine Tasse Tee an. Hedwig und die beiden Bühnenfreaks haben sich bereits bedient und schlürfen sachte, als Rocky sagt, er nehme wie immer reichlich warmes Wasser, was er auch erhält und zusammen mit dem Tee in den Eimer gießt, in den er dann die Füße stellt und selbige kräftig aneinander reibt. Auf die etwas befremdeten Gesichter von Stripper und der Schauspielerin hin erklärt er, daß Hedwig leider an chronischer Verstopfung leide und deshalb immer diesen widerlichen Abführtee trinken müsse. Seite 39
Black Mama Natürlich auch zur Vermeidung von Krampfadern am Hintern. "Ja", sagt Hedwig, "aber das geht Ihnen doch genauso, oder? Rocky hat es mir gesagt. Sie brauchen sich nicht zu schämen. Und mit viel Süßstoff ist er doch gar nicht schlecht, oder?" Die Angesprochenen sind bereits in Richtung Toilette losgerannt - fliegen in der Eile auf den schmierigen Küchenboden hin und rutschen auf allen vieren hastig weiter. Zwischen ihnen, aufrecht gehend, Rocky, dessen Schmerzen einem breiten zynischen Lächeln gewichen sind. Er ist glücklich. Alles in allem, die beiden Angeber haben ihre Abreibung und er einen entscheidenden Tip bekommen. Man erinnerte sich nämlich, einen armen Idioten in die Pathologie geschickt zu haben, "weil der so blöde Fragen gestellt hat, von wegen Archäologie und so". Rocky lächelte wissend dazu und machte auf Anhieb treffend Fredricos Stimme nach. Ja, ja. Das wäre er! Genauso hätte der geklungen! Marylin wundert sich nach dem verrichtetem Geschäft, woher Rocky dieses denn gewußt haben könnte. Schließlich war sie seit der Erteilung des Auftrages an seiner Seite gewesen und er hatte nie eine Stimmprobe hören können. Rockies schlichte Antwort auf die diesbezügliche Frage: "Tscha, Babies", er steckt sich die Lucky Lakritz ins Gesicht, das umhüllende Klopapier geschickt verbergend, "Profis reisen unerkannt. Da is´ kein Platz für Publicity." Niemand hält die Lucky Lakritz so unnachahmlich wie er. Als die drei Detektive bei den Pathologen angestiefelt kommen, tritt Rocky ein paar Mal saftig gegen die Tür: "Hier spricht die Verwaltung! Sofort öffnen!" Als sich das Portal nach einer mittleren Ewigkeit eine Handbreit öffnet, zeigt er blitzschnell eine hoffnungslos veraltete Lebensmittelmarke vor: "Okay, du Töle! Ich bin Geheimdetektiv bei der Verwaltung und habe ein paar Fragen an euch!" Die Hundsfellin lächelt. Sie ihrerseits wäre Preisbeißerin und wie lange er von hier bis zur nächsten Tür brauche? Rocky sieht sich um. Einhundertfünfzig Meter bis zur nächsten Tür. Marylin, als Frau und Schauspielerin, kürzt das sich anbahnende Unglück mittels schnarrender Verwaltungsstimme ab: "Zehn! Neun! Acht! ...." Der Weg hinter das Portal wird freigegeben. Rocky wird sich diesen Trick merken. Einmal drinnen bei den Hundsfellie-Typen gestehen die natürlich gar nichts. Sie wissen von nichts und wollen nicht weiter in ihrer Arbeit gestört werden. Bulldoggengesicht wischt zur Unterstreichung dieses Wunsches seine besabberte Schnauze an Marylin ab. Stripper, geschickt zurückweichend, bedauert, daß hier keine Menschfrauen arbeiten. Bei denen würde er wissen, wie man sie zum Reden bringt. Marylin reinigt knurrend und heftig ihren beschmierten Bademantel mit ätzend riechendem "Fleck-weg". Ihre blonden Locken wirbeln in Auflösung, ihr rot bemalter Mund ist zur Grimasse entstellt. Endlich knallt sie nach besorgter Säuberung den hochprozentigen Reiniger auf den Tisch: "Wie wäre es damit, Jungs? `n solider Tropfen!" Die drei Hundsfellies lachen herzlich ab. Billiger medizinischer Alkohol wäre das einzige, wovon sie hier unten immer genug hätten. Rocky (schreiend): "Ihr drei Frolicfresser quatscht jetzt gefälligst! Das ist eine Anordnung der Verwaltung!" Bulldoggengesicht: "Schau an, selbst die Verwaltung kommt einmal her. Ich meine, bevor sie bleich und eingefallen und steif sind." Die Hundsfellies blecken grinsend die Zähne. "So früh hättet ihr euch wirklich nicht herbemühen müssen. Wir sehen uns ja ohnehin noch." Die drei Tölen kichern ungeniert. Rocky greift geätzt zu drastischeren Mitteln: "Okay, ihr drei Komiker! Dann wird das Essen aus der Küche wieder gestrichen! Selbstversorgung vor Ort ist angesagt!" Stripper lächelt mokant: "Ihr sitzt ja an der Quelle hier." Die Pathologen ziehen lange Gesichter: "Das schmeckt doch nicht." "Ooooooh!" Die Menschtypen reißen Grimassen voll nicht existentem Bedauern. Marylin fügt noch hinzu: "Erst `ne Woche stehen lassen! Dann schmeckt`s nach mehr! Jeden Tag Fondue!" Ihre Augen schwirren schwärmerisch zur Decke, ihre zarten Finger malen Kreise in die Luft, als sie in das traurige Augenpaar eines Hundsfellies haucht: "Was für ein Glück - genügend medizinischen Alkohol habt ihr ja." Seite 40
Black Mama Brüllend vor Gelächter liegen sich die drei Detektive in den Armen. Stripper, eine Lachträne zerquetschend, legt noch einen drauf: "Und dann kommt hier ein Fenster rein! Damit die Touristen euch alle sehen können! Ihr wißt ja, die Verwaltung braucht Geld! Zeit, daß auch ihr euren Beitrag leistet! Ich meine, wo ihr euch doch schon jede Menge geleistet habt!" Das johlende Gewieher trifft auf eine inzwischen kooperativere Haltung der Damen und Herrn Pathologen. Sie hätten damit eigentlich nichts zu tun und es sei seine eigene Schuld, der Idiot, wenn er nicht zurückfinde. Und außerdem - wer wisse, ob er noch lebe und wir würden doch alle mal absterben. Sie zeigen auf eine von rund einem Dutzend Luken, worin er verschwunden sein soll. Oder die daneben oder die oder die. Stripper, gewöhnt an die Schlechtigkeit der Welt, geht auf Nummer Sicher: "Prima, wir jagen euch drei einfach einmal runter und dann sehen wir, ob ihr wiederkommt oder nicht!" Entsetztes Aufkreischen, drei Pathologen liegen auf den Bäuchen, die Pfoten nahe beieinander, um Gnade winselnd. Die Menschen besprechen sich untereinander. Es sei zu unsicher, auch nur eines dieser Pathologenviecher im Rücken zu haben. Wer weiß, was die dann anstellen könnten? Außerdem - warum solle man sich unbedingt selbst in Gefahr begeben? So wird beschlossen, hart zu bleiben und die Postmortem-Mediziner am langen Feuerwehrschlauch in die Luke hinabzustoßen. So geschieht`s und der Schlauch reißt. Von den Pathologen ward nach einem langgezogenen Schrei nichts mehr gehört. Marylin faßt zusammen, was in dem Moment danach alle denken. "Scheiße, wir hätten doch immer nur einen zur Zeit schicken sollen." Die derart Bedachten aber platschen auf einer lieblich blühenden Wiese auf, umrandet von wogenden Wäldern und schilfumrahmten Wassern. Nur Napf oder Schale sind nirgendwo auszumachen. Doch eben diesen Schwierigkeiten in Sachen Nahrungsaufnahme wird es zu verdanken sein, daß von hier aus und von nun an auf der Erde ganz, ganz langsam das große Zeitalter der Hundsfellies beginnt. Oben in der Pathologie wird die Trauerfeier tränenarm abgeschlossen. Sie wären jetzt in einer besseren Welt und so. Stripper, ergriffen von der Situation, erfindet ein kurzes Drehbuch für eine Voodooshow zu Ehren der für immer Vermißten. Ihre drei Eßnäpfe werden als Warnung und letzte Erinnerung an sie vor die Blechluke gestellt. Die anderen Ausgänge werden sorgfältiger untersucht, wo Frederico überhaupt sein könnte. Es kommt nur eine in Betracht. Rocky geht als erster runter. Stripper folgt ihm am Feuerwehrschlauch, der diesesmal zwar nicht reißt, aber oben von Marylin durchgeschnitten wird: "Und danke für den Tee!", hallt es noch hinterher. "Marylin!" echot Strippers dunkel-melodische Stimme zu ihr hoch. "Ich flehe dich als Kollegen an! Hol` wenigstens mich wieder rauf!" "Was heißt denn hier "Kollege", du drittklassiger Schauspielschüler?", scheppert es hohl zurück. "Du geldgieriges Miststück! Du ..., du ..." Rocky schubst Stripper zur Seite: "Marylin, bitte! Ich bin doch dein Chef! Und du bekommst doch auch die Knete von mir! Von mir aus kann der andere Schmutzbuckel hier unten ...." "Ach, hast du jetzt endlich meinen Namen gelernt, du Stinktier? Ich bin eine Schauspielerin von Welt und Format, daß du es nur weißt, du kleiner, übelriechender Toilettentieftaucher!" Die metallische Luke knallt hallend zu. Stripper und Rocky (letzterer leise stöhnend, nachdem ihm für das "Schmutzbuckel" ein mächtiger Hieb in die Rippen verpaßt wurde) stehen allein in der Dunkelheit. "Endlich Ruhe!" Marylin schnippt mit den Fingern, macht ein paar Tanzschritte und dazu passende Schnalzlaute. Hach, zuallererst einmal wird sie die bisher unerkannten Werte in diesem Laden kalkulieren: Fleisch, Organe, Alkohol, schaurige Gruseltouren, Teilausbildung für Köche und, und, und ... Für eine fähige Frau wie sie die reine Goldgrube. Im Rausch der Begeisterung öffnet sie ihre Flasche "Fleck-weg". Der Verwaltung würde sie einfach erzählen, die anderen beiden wären da runter Seite 41
Black Mama gestiegen, sie wäre als Hilfe oben geblieben und die unten wären eben nicht wieder aufgetaucht. Wie das Leben halt so spielt. "Tja, Rocky", quakt Stripper deprimiert. "Die Tante hat uns eiskalt verschaukelt. Ich wette, die säuft sich jetzt da oben glückselig an medizinischem Alkohol zu Tode, während wir hier unten verfaulen." Strippers Affekthandlung für die soeben erlittene Beleidigung sofortige Strafe auszuteilen, ließ ihn Rockies besudelten Bademantel vergessen. Nun arbeitet er, ängstlich verzweifelnd, um die Hand an einem Taschentuch zu säubern. Der Geschlagene liegt zu seinen Füßen und jammert, er, Stripper, brauche keine Angst zu haben. Er, Rocky, habe die Situation voll im Griff: "Sie wissen immer, wo wir sind. Wir sind, aooh, nur die Speerspitze, auu, eines Spezialtrupps." Trotz der völligen Dunkelheit um Fassung bemüht, grabscht Rocky in die Gegend, wobei er Strippers Bademantel erwischt. Schrille Schreckensschreie gellen durch den Schwärze. Den unerwarteten Stimmen folgend, stößt jetzt auch Fredrico mit dem Weißen zu ihnen. "Hallo? Hallo! Hallo! Hallo! Hallo!" Unfreundlich blubbert Stripper in Richtung der neuen Stimme, daß man ihn schon beim ersten Mal gehört habe. "Ja, aber wo sind Sie denn? Ich kann Sie nicht sehen." Hoffnungsvoll fragt Rocky, "Heißen sie zufällig, Frederico?" Frederico bestätigt. "Fein!", sagt Rocky breit lächelnd, obwohl es keiner sieht. "Folgen Sie meiner Stimme." Dann macht Rocky ein langgezogenes "Ahhhhhh!", was auch tatsächlich ausreicht, um sie einander nahe zu bringen. "Okay, man nennt mich Rocky. Strecken Sie einfach die Hand weit aus. Mein Kumpel hier heißt Stripper, auch wenn sie ihn nicht sehen können." "Ja, sehr erfreut. Wessen Hand schüttele ich denn jetzt gerade?" "Rocky." "Stripper." "Quatsch." "Schnauze, Stripper! Ich werde ja wohl noch wissen, ob ich jemandes Hand schüttele oder nicht." "Ach, wirklich? Und was halte ich denn dann wohl jetzt gerade hier fest? Die Flosse ist zwar feucht, aber sie riecht nicht." "Also, ich bin Frederico und halte jetzt auch irgendeine Hand fest. Auch wenn ich nicht weiß welche. Ich weiß nur, daß es hier seit kurzem fürchterlich stinkt." Rocky drückt mit aller Kraft die Hand zusammen, die er hält. Frederico schreit auf, schlägt um sich und erzeugt dabei unbeabsichtigt ein schwaches Licht. Jetzt sieht man, wie Stripper die Hand von George schüttelt, entsetzt aufschreit und zurückweicht. Frederico wendet sich vom seine Rechte heftig schrubbenden Stripper ab und Rocky zu. Er hätte inzwischen schon versucht, sich über das Handy zu melden, aber da wäre immer eine Meldung gekommen, er solle eine technische Überprüfung verursachen. Und immer die gleiche Meldung wäre gekommen, und er fände das echt ungeil, eh, und ob sie nicht eine Idee hätten, wie er sich einer Idee erinnern könne, an die er sich ums Verrecken nicht mehr erinnern kann? Er wisse nur noch, daß es um viel leichtverdientes Geld gegangen sei .... Stripper blickt etwas genervt an Frederico herab, sieht dann wieder bekümmert auf seine Hand, die erst einen wandelnden Mülleimer züchtigte, dann nichtsahnend einen Sabber begrabbelte. Da sich unvermeidlich anhaftender Geruch nicht durch einfaches Wedeln würde beseitigen lassen, stampft er im Dämmerlicht, auf der Suche nach einem Waschbecken, den Gang entlang. Er landet in einem kleinen, sehr dunklen Räumchen. Stripper, ein Mann, der öfters einmal dunkle Wege gehen muß, um unbeschadet davonzukommen, verfügt selbstverständlich über ein Handy mit integriertem Flackerlicht. Eine Option, die er bisher höchst selten genutzt hat, da sie 1,99 KVK`s in der Minute kostet. Aber sei es drum, seine Hand ist besudelt und seine Haut war nun wirklich teuer genug! Ein Notfall also. So leuchtet er herum und entdeckt dabei einen überlebensgroßen Spiegel, einen leeren Sandalenschrank, ein paar Kleiderbügel, aber rein gar nichts, was zum Reinigen geeignet wäre. Mißmutig läßt er seinen Mantel vor dem Spiegel herumwirbeln. Gräßlich! Einfach gräßlich! Und wie er aussieht! So kann er sich doch nicht unter Leute wagen! Geschickt das Licht gegen den Spiegel lenkend, erhält er leicht verstärktes Seite 42
Black Mama Licht. Stripper beugt sich vor, um seine Hand gegen den Spiegel abzustützen, sowie seine seidenmatten Fingernägel (ein besonderes Extra) einer näheren Prüfung unterziehen zu können. Doch statt kühlem Spiegelglas trifft Stripper auf eine Überraschung. Der Spiegel ist nur scheinbar einer. Man kann ihn nicht berühren, man greift durch ihn hindurch. Allerhöchst konsterniert zuckt er zurück, streckt wieder ganz langsam seine Hand hinein, zieht sie wieder zurück. Er sieht sich um und dabei nichts. Kraftvoll steckt er den ganzen Arm hinein, schiebt dann vorsichtig sein Gesicht hinterher. Er erkennt einen langen weit verzweigenden Gang mit vielen Türen. Hoffnungsvoll schiebt er den Rest seines Körpers nach. Irgendwo hier wird es ja wohl einen Wasserhahn geben! Da die Türen in diesem milchig verschlossenem Gang allesamt verschlossen sind, braucht es seine Zeit bis er endlich auf eine trifft, die geöffnet ist. Leider kein Badezimmer. Enttäuscht blickt er auf die beiden ovalen Leinwände, die auch nur einen aktuellen Artikel aus "Frau Heute" bringen. Daß die selbst hier präsent sind, verwundert Stripper zwar etwas, aber schließlich hat er derzeit dringendere Sorgen. So trabt er weiter, bis er begeistert eine weitere offene Tür findet. Stockduster da drin. Er aktiviert sein Handy mit dem integrierten Flackerlicht. Großartig! Schränke voller Klamotten und Handtücher! Hocherfreut greift er in die Textilien hinein und wischt sich erst einmal gründlich allen Schweinkram ab. Er lächelt wieder. Gutgelaunt macht er sich davon, um die anderen beiden an seiner Entdeckung teilhaben zu lassen. Nach Auffinden der von Stripper hinterlassenen totalen Unordnung und Verschmutzung wird der Besitzer dieser Kleiderkammer, Jim-Bob, fürchterliche Wutanfälle erleiden und seine Katzen für verantwortlich halten, die damals, im Jahre des Herrn 2000, noch in einem rein tierischen Entwicklungstadium waren. Rocky geht inzwischen der schwachen Lichtquelle auf den Grund, die bei Fredericos um sich Schlagen entstanden ist. Sie rührt von einem siebzehnzölligen Monitor her. "Was ist das?" fragt Rocky, mit dem Zeigefinger auf das Gerät weisend. "Es klingt unglaublich", versucht Frederico, die Frage zu beantworten. Seine Hände gleiten über eine ihm monströs erscheinende Tastatur. "Ich würde sagen, das ist ein ... ein antikes Handy." Beide glucksen herzlich. "Mann, sieh' sich einer das Display an. Und die Tastatur erst!" Frederico amüsiert sich königlich. "Ein Riesen-Handy!" Rocky lacht gepflegt. Stripper kommt gerade hinzu, als Rocky und Frederico, inzwischen gelangweilt von dem leuchtenden Objekt, im schummrigen Licht ein größeres suchen. Dabei entdeckt man samtene Stofftapete, ein geschwungenes Sofa mit Troddeln und Fransen, zwei ebensolche Sessel, einen geschmacklosen Teppich und einen extra niedrigen Tisch. Als Frederico das erste Mal in ihn hineinläuft, schreit er noch "Aua!", beim dritten Mal wird er wirklich vulgär. Als man trotz Abgrabbelns der Wände keinen Lichtschalter gefunden hat, findet man sich gemeinsam seufzend vor dem Riesenhandy zusammen. Aus dem weltallartigen Hintergrund schießt ein bizarres, weißes Objekt über den Schirm. Eine den Zuschauern bisher unbekannte in die waagerechte umgelegte Toilette mit Spülkasten und Kette. Rocky und Frederico schweigen, geben sich der Betrachtung hin. Ein antikes Riesen-Handy, ohne Nummern und Buchstaben, dafür Bilder von geheimnisvoller, geradezu kosmischer Eleganz. Ein Zimmer mit Teppich statt Linoleum. Plüschige Sitzmöbel statt Plastikstühle mit verchromten Beinen. Atmosphärische Dunkelheit statt knatternder Neonröhren und nirgendwo ein Klingelknopf in Sicht. Wo sind sie hier? Wer hat wofür dieses Zimmer einst geschaffen? Wer hat ihn dann für welchen Zweck genutzt? Seite 43
Black Mama Zu geheimnisvoll ist dieser Raum. Fragen über Fragen und keine Antwort in Sicht. Stripper kommt hineingeschritten und spürt es instinktiv: Es ist der geeignete Augenblick, sofort sein Erlebnis mit dem Spiegel von sich zu geben. Er hüstelt leise, ohne beachtet zu werden. Er räuspert sich etwas vernehmlicher, um die Aufmerksamkeit auf sich und sein kleines Abenteuer zu lenken. Rocky sieht ihn mißbilligend an und Stripper spricht: "Ihr werdet es nicht glauben! Aber ich bin soeben durch einen Spiegel gestiegen." Stripper genießt die Wirkung auf sein Publikum. "Da war ein Gang dahinter. Ein Gang mit vielen verschlossenen Türen. Aber eine war offen. Da habe ich eine Unzahl Lappen gefunden, ..." "He, seht euch den mal an!" Fredericos Zeigefinger schnellt in Richtung Ausgang, wo sich soeben der Weiße einfindet, der sich zur allgemeinen Heiterkeit aller, keiner weiß womit, dunkel angemalt hat. Rocky zeigt mit dem Daumen auf George: "Das erste Gespenst, das versucht, sich die Sympathie seiner Mitmenschen zu erschleimen." Die Hospitaliana lachen herzlich ab. Dabei wollte George lediglich etwas gegen das entsetzliche Hautjucken tun, welches ihn quält, seit er aus dem Eimer mit dem Reinigungsmittel trank. Marylin, noch vor kurzem gruseliger Star mancher Bühne, hat die Arme auf denm Rücken verschränkt und schlurft nachdenklich herum. Zwar bietet die Pathologie so einiges an Möglichkeiten, doch noch fehlt ihr der rechte Gedanke für die konkrete Umsetzung, um Ideen in harte KVK`s (Krankenversicherungskarten) zu verwandeln. Mit einem energischen Tritt befördert sie den am Boden liegenden, zerschnittenen Feuerwehrschlauch zur Seite. Als sie ihren irrenden Blick vom Boden aufrichtet, entdeckt sie hocherfreut, daß die Pathologen offenbar keine Zeit mehr fanden, ihr Handy mitzunehmen. "Musik", sagt sie zu sich selbst, Musik wäre jetzt bestimmt das richtige. Die rotlackierten Finger fahren über die Bedienelemente. Leider bekommt sie erst einmal nur den Nachrichtenüberblick zu hören, Brille & Krawatte offenbart gerade pikante Details aus Elviras Verwaltungsarbeit. Nachrichten, die in der betroffenen Dienststelle hektische Dementis und betriebsame Geschäftigkeit auslösen. Marylin drückt erneut die fiependen Tasten. Blut & Busen, mangels Ideen, veröffentlicht eine Ausgabe, die man schon vor zwei Monaten gebracht hat. Niemandem fällt es auf, keiner beschwert sich. Auch keine Musik! Marylin drückt und fiept weiter, lauscht "Frau Heute", ein Special zu den Volleyballmeisterschaften, und verharrt schließlich beim ZeitenWanderer. Dort läuft, von Musik unterlegt, eine Umfrage: "Was würden Sie als Patientin alles ändern, wenn Sie die Besitzerin des Magazins Brille & Krawatte oder einer der anderen Schmutzschleudern wären?" Stripper, an dessen weiteren Erläuterungen niemand Interesse gezeigt hat, hilft jetzt mit, mehr Licht zu suchen und zu finden. So stolpert man nun also zu dritt im matten Licht eines prähistorischen Bildschirmschoners über die überall herumliegenden Papierbündel, läuft gegen einen niedrigen Tisch, rempelt etwas, was ein beladener Sessel sein könnte und schubst den darum herum kreisenden George aus dem Weg. Georges auffälliges Interesse für dieses Möbelstück rührt daher, daß es bisher niemandem eingefallen ist, daß villeicht auch er leibliche Bedürfnisse haben könnte. Etwa Nahrungsaufnahme, Wärme und ein Plätzchen um abzulassen. In diesem Sessel aber liegt etwas, das eßbar ist. George nutzt die Gelegenheit seinen Bauch zu befriedigen, schmatzt und kaut und schluckt, während Frederico und Stripper weiterhin nach einer ergiebigeren Lichtquelle suchen. Rocky aber, von des heutigen Tages Arbeit ermattet, sucht nur noch Erholung. Rüde tritt er den Weißen beiseite, um sich selbst in den Sessel zu werfen. Einfach drauf auf alles, was da ist! Hauptsache erst einmal sitzen. Sekunden später leuchtet ein kleiner Kronleuchter den Raum aus, was George veranlaßt, sich an den Hals zu greifen. Eine Fontäne drückt seinen Mageninhalt ins Freie. Seite 44
Black Mama Stripper und Frederico gaffen den amüsierten Rocky an. (Er hat gerade festgestellt, daß der Frederico-Typ orange Haare und ein blaues Gesicht hat.) "Na, was gibt`s da zu glotzen? Ich arbeite viel und hart und muß gelegentlich mal sitzen!" "Also, es ist so ..." Frederico wendet den Blick ab, zeigt mit dem Finger hinter Rocky, "Also - also - da sitzt schon einer." Rocky macht ein unsicheres Gesicht, "Was quatscht du da?" Mühsam wendet er seinen Hals bis zur Schmerzgrenze, sieht aber nur eine dicke Brille. Schnaufend dreht er seinen Hintern im Sessel. Ein Schrei, ein Spurt, an Stripper und Frederico vorbei. Mit dem Armen rudernd jagt Rock hinaus. Stripper und Frederico sehen ihm hinterher. Rocky klatscht ungebremst und deutlich knallend gegen einen reflektierenden Spiegel, den er für einen Durchgang hielt. Leise, langsam, schmiert er ab. Die billigen Sohlen seiner Sandalen singen hell, als Rocky, im rechten Winkel zur Wand, bäuchlings zu Boden gleitet. Warum mußte er sich auf den Schoß einer mumifizierten Leiche setzen? Dann noch eine, die so geschmacklos gekleidet ist? Warum passiert so etwas immer nur ihm? Nie den anderen Idioten? Müde und genervt schließt er die Augen. "Okay", strahlt Elvira über das ganze Gesicht. "Die Virenflut ist erledigt. Die paar Löcher im Netz wieder dichtgemacht." Befriedigt schiebt sie die Schirmmütze in den Nacken. "Habe ich dich richtig verstanden?" Angelina beugt sich mit verkniffenem Gesicht nach vorn, ihre nußfarbenen Augen fixieren die Kollegin: "Ein Virus hüpft nicht nur in unserem Kommunikationssystem herum, sondern hat auch noch ein paar Löcher hineingestanzt?" "So könnte man sagen. Ja." Elvira streicht über ihr blondiertes Bürstenhaar. "Was soll das heißen? Löcher?" Angelina macht ein unfreundliches Gesicht, welches überhaupt nicht zu dem hellen breiten Schreibtisch paßt: "Was sind das für Löcher? Kann da etwas eindringen oder womöglich etwas hinausgelangen?" "Höchst unwahrscheinlich." Elviras wedelnde Hand läßt keine Befürchtungen zu. Nein, nein. Dergleichen habe man nicht zu befürchten. Es handele sich hier schließlich um ein modernes Kommunikationsnetz. Sie lächelt fröhlich. "Ich kann nur hoffen, daß du recht behältst", entgegnet Angelina ihrer Kollegin, in etwas gereiztem Tonfall. Elvira schlägt ihre himmelblauen Augen auf und nieder. "Ich bitte dich, Schätzchen! Natürlich ist die Lage unter perfekter Kontrolle. Es ist ein Feldversuch. Glaubst du im Ernst, ich würde immer noch so viele Viren herumhüpfen lassen, wenn ich nicht genau wüßte, daß die Dinger harmlos sind? Daß die paar Löcher weder etwas heraus- noch etwas hereinlassen? Ich habe es dir doch erklärt, das ultimative, präventive Sicherheitssystem! Die Patientinnen der Zukunft werden noch nicht einmal mehr schlecht denken können! Tun sie es doch - pschhhhhht - fließt der richtige Wirkstoff an die richtige Stelle! Wir sind Pioniere, Angelina! Wir sind die neue, bessere Zeit! Alle werden glücklich sein, weil wir nämlich das Unglück verboten haben werden. Ich verstehe gar nicht, was du da für ein Gesicht ziehst! Nun freu´ dich doch endlich!" Elvira putzt ein paar Fussel von ihrer schneeweißen Uniform. Marylin arbeitet noch an ihrem Modell über das Geldverdienen im allgemeinen aus der Pathologie im besonderen, als ihr ein besonders naheliegender Gedanke kommt: Abgelebte Männerkörper ausstopfen und in geeigneter Spielzeugstellung für besonders lebenshungrige Damen anbieten! Lächelnd rauscht ihr Blick über die zahlreichen Lebern, ungezählten Nieren, die Gallen und Mägen in Einweckgläsern, die ihr zu dieser sinnigen Inspiration verhalfen. Ihre kirschroter Mund zaubert ein Lächeln hervor. Was wohl so ein Männerkörper bringen mag? 10.000 KVK`s? Eigentlich zu wenig. 50.000 KVK`s? Klingt schon besser. Seite 45
Black Mama Und was wäre, wenn ... wenn man nicht gleich den ganzen Körper verkaufe? Die eine könnte doch Brust und Arme haben, die nächste den Unterleib und die dritte den Kopf! Marylin wirft ihren Hintern schwungvoll auf den Seziertisch, fällt auf den Rücken, strampelt mit den Beinen und juchzt laut vor Vergnügen! Lachend wirft sie sich wieder auf, redet, gestikuliert zu imaginären Kundinnen. "Männerschädel als Trinkgefäß für ausschweifende Parties! Als Fußschemel! Als Briefbeschwerer! Als originelle Bleistiftanspitzer!" Sie verschränkt ihre Arme auf dem Seziertisch, der jetzt wie eine Theke aussieht, zwinkert hinüber zu den Kundinnen ihrer Einbildung: "Lassen Sie ihre Phantasien spielen! Die Anwendungsmöglichkeiten sind unbegrenzt!" Marylin seufzt glücklich. Aber ach, die Realität bricht ein in ihr wunderschönes Luftschloß! Woher so schnell das notwendige Rohmaterial, unbeschädigte Männerleichen, hernehmen? Vor allem, wo in letzter Zeit immer mehr von diesen Figuren verschwinden? Marylin, gänzlich unbeleckt von allen geheimnisumwitterten, detektivischen Profi-Methoden, geht ihren eigenen, ganz direkten Weg. Sie nimmt einfach das zurückgebliebene Handy der Hundsfellies in die Hand und gibt eine Kleinanzeige auf, ob irgendjemand wisse, wo all die verschwundenen Männer hin seien. Sie interessiere sich aber nur für die Körper, vorzugsweise schon enthirnt. Da die Vokabel "Männer" nach "Sex", "Wäsche" und "Volleyball" eines der beliebtesten Stichwörter ist, ist die Resonanz dort draußen bei den Anwenderinnen gewaltig. Eine jede, die die neuesten Anzeigen- oder Diskussionsthemen permanent nach ihren Lieblingsstichworten filzen läßt, erfährt via piepsendem, blinkenden oder vibrierenden Handy sofort von Marylins Anfrage. So kommt sie in Minutenschnelle zu reichlich Rückmeldungen in Form neuer Männerwitze, dümmlicher Tips wo sonst man noch nachfragen könne, Alternativhinweisen, was man statt Männern für diesen oder jenen Zweck benutzen könne und allerlei mehr. Konkrete Hinweise auf ihre Anfrage sind nicht dabei. Dafür ein paar uninteressante Angebote vorhandene Männer zu übernehmen. "Hallo, ich hätte einen schon etwas abgenutzten Mann gegen gut erhaltenes Wasserbett abzugeben." Marylin lächelt müde. Das kann sie sich wärmstens ausmalen, wie die Figuren aussehen! Speckbäuchig, faltig und unförmige Knie! Huuuch, ihre Fingernägel ... Also, wenn sie da nicht bald was unternimmt .... Und überhaupt - wie soll sie die Idioten denn überhaupt enthirnen? Was außerdem bestimmt verboten ist. Und selbst wenn nicht - Männerkörper noch mit Hirn hat sie ja eigentlich schon sogar ziemlich wenig abgenutzte Exemplare ... Ihre tiefroten Lippen zeigen Zähne, als ihr Blick Richtung Kellerluke schweift. Das Pathologen-Handy fiepst und reißt sie aus ihren neuen vielversprechenden Gedanken heraus. Ein schneller Griff in die blonde Dauerwelle, ein Blick aufs Display - Oh, Blackmamanochmal! - Eine "nicht-öffentliche" Antwort von einer gewissen Elvira. Eine Mitteilung, die für den Rest der mitlesenden Nation perfekt unsichtbar bleibt. Offensichtlich direkt aus der Verwaltung - nur die können solche "Tarnkappen"-Nachrichten versenden. Marylins gute Laune weicht kaltem Schrecken. Bestimmt will man ihre schöne Geschäftsidee vermasseln! Oder hat noch Schlimmeres im Sinn. Jetzt nur ja nichts falsches sagen! "Jaaa?" Die Verwaltung interessiert sich für ihr Interesse an den Männerkörpern ohne Hirn. (Und noch sehr viel mehr, weshalb sie über das Pathologiehandy telefoniert, was ihr aber nicht mitgeteilt wird.) Marylin stammelt schwitzend, daß sie das mit den Männerhirnen .... Ja, äh, also, eigentlich war das nur so eine wilde Idee. So ein kleiner Scherz eben. Natürlich wisse sie, daß es verboten sei, Männerkörper einfach so zu enthirnen. Es war ja auch wirklich nur so zum Ablachen, nicht? Seite 46
Black Mama Vielleicht doch nicht so originell, haha. Ihr Humor ist wohl nicht von allen verstanden worden. Haha. Ha. Aber keineswegs sei solches verboten, antwortet Elvira, an jedem Ohr ein Handy, weil sie immer noch ein paar dieser völlig falschen Anschuldigungen aus Brille & Krawatte dementieren, abstreiten und als bösartige Verleumdung ihrer politischen Gegner abkanzeln muß. Sie nennt Marylin eine Adresse, wo man Männerkörper zweckgebunden abliefern könne. Auch sei die Entsorgung der Männerhirne nicht nur kostenlos, im Gegenteil, man bekomme neuerdings auch noch ein paar KVK`s obendrein! Marylin atmet erleichtert auf. Den Rocky-Typen wird sie gleich als ersten enthirnen. Leicht benommen, hat sich Emilio alias Rocky, Detektivbüro, Sicherheitsdienst usw., usw. gerade wieder vom Boden bis auf die Knie gezwungen, als Stripper den Fehler begeht, ihn zu fragen, ob er jetzt endlich den Spiegel ausgetestet hätte? Jetzt würde er es ja wohl glauben müssen! Man kann eben doch hindurch marschieren! Rocky hält seine lädierte Nase fest, während sein suchender Blick damit beschäftigt ist, einen nicht zu großen, aber festen Gegenstand aufzufinden, der als Schlagwaffe geeignet wäre. Leider liegen überall nur diese grünen Papierpakete herum. "Stripper?" "Ja?" "Würde es dir etwas ausmachen, dich mit dem Gesicht zu dem von dir entdeckten Zauberspiegel zu stellen?" Stripper, von Natur aus mißtrauisch, bejaht. Es würde ihm etwas ausmachen. Rocky brüllt unbeherrscht herum, daß die Wirkung des Wunderspiegels offensichtlich nicht sehr lange angehalten habe. Stripper reagiert ehrlich verwirrt, erläutert, erklärt, beschwört, fleht beinahe, man möge ihm Glauben schenken, was Frederico nicht kapiert und Rocky nicht tut. Nach einer Flut von Beleidigungen wird Rocky ironisch: "Dann habe ich mir das wohl so vorzustellen?" Und damit wollte er gegen einen mittelgroßen Wohnzimmerspiegel klopfen. Was ihm nichzt gelingt, weil sein Arm darin verschwindet. Stripper lächelt wieder sein teures Lächeln, Frederico macht "Oh!" und Rocky zieht seine Extremität ganz langsam zurück. Nach einer kurzen Überprüfung auf unversehrte Vollständigkeit, schiebt er vorsichtig die rechte Wange an den Spiegel. Als Rocky keinen Widerstand spürt, wendet er langsam sein Gesicht in den dahinterliegenden Gang. Elvira kreischt. "Da ... da ... da ... !" Zitternd zeigt ihr feingliedriger Finger auf den Monitor. Angelina findet weiter nichts Bemerkenswertes auf dem Bildschirm und ist echt sauer über diesen blöden Witz. Vor allem weil sie darauf reingefallen und extra aufgestanden ist. Hat aber auch richtig ernst geklungen. Seit wann hat die Elvira-Ziege jetzt eigentlich auch schauspielerisches Talent? Ob die heimlich Kurse besucht? Elvira, die ein zweites Mal hinsieht, findet jetzt auch nur einen gewöhnliches Verwaltungsformular. Sie lächelt etwas unsicher zu ihrer Kollegin hinüber. Es war also doch zuviel Arbeit und nicht der blöde Rocky-Kerl, der ihr gerade auf dem Bildschirm erschienen ist. Denn den glaubt sie bereits enthirnt! Er beging nämlich den Fehler, sich vor ein paar Tagen im Gang vor ihrem Privatgemach zu zeigen. Sie sprach ihn an. Malerin sei sie. Eine von besonders leidenschaftlichen Bildern, sagte sie. Ihr fehle noch ein Motiv und ob er wohl so freundlich sein könne, ihr kurz Modell zu stehen. KVK`s gebe es natürlich auch. Rocky, nichts Böses ahnend und hocherfreut über dieses leicht verdiente Geld, stellte sich sehr gern zur Verfügung. Willig ließ er sich ans Bett anschnallen, als sie erklärte, die Farbe müsse jetzt kurz trocknen und sie sei gleich zurück und ihm werde sie natürlich auch gleich eine Erfrischung mitbringen. Das Bett aber war ein getarnter Lift, der direkt nach unten in die Enthirnungsanstalt führte. Doch da Rocky nur einssiebzig groß ist, waren die Schnüre zu kurz, um ihn am vorgesehenen Rahmen anzubinden. Da hatte sie ihn ans Seite 47
Black Mama Bettgestell geschnürt, wodurch der Lift unter ihm abfuhr, er selbst aber oben strampelnd am Gestell zappeln blieb. An diesem Tag wurde nur ein Kissen enthirnt und ins All geschossen. Rocky hingegen gelang nach mancherlei Mühsal die Flucht. Anschließend schwor er sich, diesen Gang nie, nie, nie wieder zu betreten. Zwar wußte er nicht genau, was geschehen war, aber sein untrüglicher Instinkt sagte ihm, daß der ursprüngliche Plan gewiß nicht zu seinem Nutzen gedacht war. Entsetzt zuckt Rocky aus dem Spiegel zurück. "Was war denn?" "Ich ... ich ... habe ein gräßliches Gesicht gesehen. Blond und blauäugig." "Ach? Marylin ist hier?", fragt Stripper. "Nein, nein", erwidert Rocky. "Die Tante ist tiefdunkel, Bürstenschnitt." Und dann erzählt er die ganze Geschichte, wie er Elvira vor kurzem begegnete, eingebettet in die dramatische Erzählung eines hochspannenden Falles. "Und dieser Fahrstuhl, der ging nach unten?" "Ja." "Wie weit runter?" hakt Stripper nach. "Was weiß denn ich? Meine Sorgen galten eher dem nach oben zu kommen und zu bleiben." "Ich dachte, du bist von der Verwaltung! Da würde es doch niemand wagen ... " "Hör mal, Bubi." Rocky knufft einmal kräftig in Strippers Waschbrettbauch. "Es gibt da so einige Dinge von denen du nichts verstehst und es ist viel gesünder für dich, wenn das so bleibt. Und jetzt möchte ich nicht weiter bei der Arbeit gestört werden." Mit äußerster Vorsicht steckt Rocky erneut sein Gesicht in den Spiegel. Da ist doch allen Ernstes ein milchig beleuchteter Gang mit allerlei Türen zu sehen. Vorsichtig schiebt er die Schultern nach. "Frederico?" "Ja, Herr Rocky?" "Hilf mir weiter rein." Stripper rempelt Frederico zur Seite, greift Rockies Beine und schiebt ihn mit voller Kraft durch den Wohnzimmerspiegel. Ein hallendes "Idioooot!" erschallt, dann ist es still. Elvira hat wirklich viel zuviel gearbeitet in letzter Zeit. Sagt sie ja immer. Jetzt sieht sie doch allen Ernstes schon wieder den Enthirnten von neulich auf ihrem Schirm! Diesesmal spaziert er durch ihr unbekannte Gänge. Gaaaanz ruhig bleiben, Elvira. Du wirst jetzt nicht die doofe Angelina fragen, ob und wenn, was die sieht. Du wirst nicht verrückt. Es ist alles nur etwas sehr viel in letzter Zeit. Tief durchatmend nimmt sie Daumen und Zeigefinger von ihren Augen. Vielleicht sollte sie jetzt erst einmal ein paar Viren killen? Immer ein schönes Erfolgs- und Jagderlebnis .... Bäng! Der Virus! Das dämliche Gesicht auf ihrem Schirm! Das ist des Rätsels Lösung! Ein selbsttätig mutierender Virus! Eben noch sieht sie nur die dumme Fratze, dann krabbelt die Type auch schon durch Gänge! Unglaublich wie kreativ diese Virenschreiberinnen sind! Die sollte man mal in der Verwaltung einsetzen! Hm, kein schlechter Gedanke eigentlich. Elvira macht sich eine diesbezügliche Notiz. Eine, die sie der Angelina nicht mitzuteilen gedenkt. Am Ende stellt die doch bloß wieder dumme Fragen. Zum Beispiel von woher sie, Elvira, den Rocky-Typen kennt. Eine Frage, die Elvira auch der Virenschreiberin stellen möchte. Aber was, wenn es tatsächlich gar kein Virus ist? Elvira zieht sich die Schirmmütze tief ins Gesicht. Verhält sich zumindest eher atypisch das Teil. Vielleicht ist es ein Dämon? Ein Programm, welches durch das Netz saust, um seiner Herrin illegal Informationen zu beschaffen? So gesehen, vielleicht sollte man gar nicht versuchen, das blöde Ding zu killen? Vielleicht sollte man eher warten, bis es informationsbeladen zu seiner Herrin zurückläuft? Elviras Augen blitzen unter dem dunklen Mützenrand. Ihr ist jetzt schon wieder viel besser zumute. Seite 48
Black Mama Durch die letzten Neuigkeiten, wo man Männer enthirnen könne, fühlt sich Marylin rundum gestärkt. Daß man dafür auch noch bezahlt wird, läßt sie schwungvoll zur Handymusik tanzen. Schließlich beendet sie diesen kleinen fröhlichen Ausfall mit dem Satz "Mit einem Minimum an Einsatz maximalen Nutzen ziehen". Der Weg dorthin, soweit ist sie sich klar, kann nur über die Vermarktung von männlichen Ersatzartikeln führen. "Sex ist das Thema, dem sich keine entziehen kann!", spricht sie in die Regale voller Arme und Beine, die noch nicht den Weg in die Küche fanden. Also, sie dreht sich auf der Hacke um, früher oder später wird ihr eine jede geradezu zwanghaft etwas abkaufen müssen. Ein Auskommen über die Jahre somit sichergestellt. Marylin reibt sich klatschend die Hände und gönnt sich einen kräftigen Zug medizinischen Alkohols. Rülpsend beschließt sie, den unter ihr herumlaufenden Halbfertigprodukten ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Suchend irrt ihr Blick nach einem Mikrofon, Hörrohr oder ähnlichem Hilfsmittel. Sie hat unerhörtes Glück, stößt sie doch auf ein ultramodernes Endoskop, welches schon mit integriertem Männerhirn, Sprachsteuerung und frei beweglichem Kameraauge arbeitet. (Ein Abfallprodukt aus der Weltraum- und Fernsehforschung.) Nach kurzen Studium der aufgedruckten Bedienungsanleitung klopft Marylin begeistert an den blechernen Hauptbehälter, in welchem das Männerhirn in gelblicher Flüssigkeit schwimmt: "Okay, Fluse, schick das Auge mal runter in den Keller und überwach´ die drei Triefnasen da unten." Es folgt eine kurze Debatte seitens des Männerhirns, was denn die wissenschaftliche Definition von "Triefnase" sei? Abgesehen davon - Keller? Was`n für`n Keller? Sinn und Aufgabe der Kamera sei doch sonst nur in den Rectum irgendeiner Leiche zu wandern und ... Marylin unterbricht ungeduldig. Blödes Männerhirn! Leicht genervt wirft sie das hirnferngesteuerte Kameraauge selbst in die Kellerluke hinein. Das Auge purzelt und purzelt, entdeckt dann aber ein Licht. Ein paar barsche Anweisungen später hat Marylin immerhin schon zwei Typen auf ihrem Schirm, immer fleißig kommentiert vom munter schwätzenden Endoskop-Männerhirn: "Da steht so`n Langer, der aussieht, als wenn man ihn zu lange gebraten hätte. Daneben so`n beschmierter Trottel." Den Rocky-Heini entdeckt die Kamera vorerst nicht. Nicht verwunderlich, denn der dackelt und wieselt, läuft und rauscht noch immer ungehindert im Net herum, vorbei an mancherlei Türen und vielerlei Pforten, Portalen und Luken. Als er dann endlich eine offene Tür erwischt, empfindet er das Ergebnis als wiewohl nicht uninteressant - so insgesamt gesehen, doch eher enttäuschend. Schließlich gibt es nichts weiter zu sehen als zwei gigantische, leicht ovale Monitore. Alles was die beiden simultan bringen, ist ein Riesenhandy mit einem Auszug von Hospitalias Gegenwartsgeschichte. Na ja, denkt Rocky, da scheinen manche Eltern ja wohl doch recht zu haben. Auch das Fernsehen ist der Hölle entsprungen. Obwohl - bei so einem öden Streifen? Eine weibliche Stimme hinter ihm fragt ihn, ob er Emilio alias Rocky, Sicherheitsdienst, Begleitservice, usw., usw. wäre? Der Angesprochene wirbelt herum. Vor ihm steht ein weißes weibliches Schreckgespenst. Rocky schluckt. "Ich hätte einen Auftrag. Sie haben doch Interesse, oder?" Rocky nickt. Also, daß sich sein Ruf bis hierher - wo immer er hier auch sein mag - herumgesprochen hat. Stark. Ob er sagen soll, daß er nur Handlanger ist? Und die Marylin seine Chefin? Ob er dafür am Ende mehr KVK`s nehmen kann? Schließlich muß er an eine angenehme Zukunft denken. "Womit könnte ich ihnen denn dienen?" "Mein Name ist Frederike. Mein Auftrag: Suchen Sie alle Toiletten auf, die sie finden können." Rocky lächelt unverbindlich. "Ich möchte, daß sie eine Botschaft für mich verbreiten! Sie lautet ganz einfach: `Rocky Hood war hier´." Sie sieht ihn sehr eindringlich an. "Rocky, schreib´ es den Leuten im Net! Sag´ es denen, die noch Papier benutzen! Seite 49
Black Mama Sag´ es denen, die nur in die Röhre glotzen! Sag´ es denen, die nichts von alledem tun! Schreibe es an jede Toilettenwand! `Rocky Hood war hier´." Dann rüstet sie ihn mit zwei Patronengurten voller Kugelschreiber, Wachsstiften und Füllern aus, außerdem zwei Holster mit Spraydosen. Rocky sieht verdammt gut aus damit. Frederike lächelt melancholisch, sieht ihn dann beinahe zärtlich an. "Denn jeder Mensch, Rocky, ob Mann oder Frau, ob Staatsanwalt oder Opfer, jeder von denen sollte wenigstens dort öfters einmal anlangen. Ich muß nun gehen. Erfülle die Aufgabe, die das Schicksal dir zugedacht hat." Sie legt den rechten Zeigefinger auf seine Lippen. "Adieu, mein Held. Viva la libertad!" Da die Jagd auf den elektronischen Dämonen inzwischen eher in eine Art Beobachtung umgeschlagen ist, verfügt Elvira über genügend Zeit, sich auch noch anderen kleinen Problemchen widmen zu können. Zum Beispiel dem kleinen Nachrichtenaustausch mit Marylin. Es ist doch immer das gleiche! Da hat man eine gute Idee, kann eine Zeitlang damit gutes Geld verdienen und schon melden sich irgendwelche billigen Nachahmerinnen! Wer anders als sie hatte denn schon vor langer Zeit den Gedanken gehabt, Männerhirne als billige Steuerzentralen für die teure Weltraumforschung zu nutzen? Doch sie! Wer hatte denn erst den Slogan "Raus und weg damit!" geprägt? Doch sie! Wo all die anderen Kühe versagt hatten, "Wir müssen eben mit den Typen leben, bis sie sterben", hatte sie den perfekten Kompromiß gefunden! Seitdem erst wird doch enthirnt, was immer an überflüssigen Kerlen so anfällt! Ohne daß man erst auf deren Ableben warten muß. Und weil sie ein findiges Mädel war und ist, fiel ihr auch eine gute Lösung für die enthirnten Körper ein: Umbau zu einem weiblichen! Bei den Preisen, die so ein neuer Körper sonst verlangt, eine hochinteressante Alternative. Damit hat sie doch echt hochsozial gehandelt! Natürlich hat sie selbst auch ein wenig daran verdient. Aber sie will ja auch leben! Außerdem schreit ihr aufwendiger Lebensstil einfach nach vielen KVK`s! Bald lief dieses nie angemeldete Gewerbe so gut, daß sie Geschmack daran fand. Dummerweise stagnierten dann aber die Lieferungen. Trotzdem blieb sie natürlich auf das Wohl ihrer Kundinnen bedacht. Deshalb sah sie sich auch außerstande, nicht noch mehr Männerkörper anzuliefern. So müssen eben seit ein paar Wochen noch frei umherlaufende Idioten dran glauben. Und jetzt will ihr irgendsoeine kleine Kröte Konkurrenz machen! Ihr! Ausgerechnet ihr, wo sie doch in dieser verdammten Verwaltung nicht einmal annähernd verdient, was sie wert ist! Elvira denkt laut: "Der werde ich es zeigen!" Angelina hebt geschäftig den Kopf. "Wovon redest du?" Elvira erklärt, daß es sich um nichts Wichtiges handele. Um Männer. Leicht geätzt dreht sie das Handy lauter, um den aktuellen Sportereignissen zu lauschen. Im ersten Entscheidungsspiel des großen Volleyballturniers haben die Urologinnen völlig überraschend die Anästhesistinnen vernichtend geschlagen. Frau heute berichtet exklusiv. Etwas verwirrt ist Rocky ja schon. Weder die Angelina noch seine neueste Auftraggeberin, die Frederike, haben nach seinen Tarifen gefragt. Die müssen wohl alle über zuviel Geld verfügen. Na ja, er wird diesen Umstand zu gegebener Zeit berücksichtigen. Aber wie die Tussi kam und ging und ihm diese gekreuzten Patronengurte verpaßt hat, das ist ihm schon irgendwie unheimlich. Ganz abgesehen davon, daß der Auftrag wirklich etwas merkwürdig ist. Beinahe wäre der grübelnde Rocky, leise schnaufend, am nächsten offenen Tor vorbeigelaufen. Stockfinster da drin. Rocky sagt "Hallo?", erhält aber keine Antwort, was auch nicht weiter verwunderlich ist. Denn es handelt sich hier um das Innere eines geparkten Raum-Flaggschiffes einer fernen Zivilisation unter Führung von Captain Shit. Die Mannschaft dieses Flaggschiffes weist - andere Planeten, andere Evolution nur wenig Gemeinsamkeiten mit irdischen Lebewesen auf. Seite 50
Black Mama So hat man etwa bisher keine natürlichen Sinnesorgane für Licht oder Töne entwickeln können, was ein näheres Kennenlernen mit dem unerwarteten Besucher erst einmal unmöglich macht. Doch selbst wenn Rocky die Kollegen aus dem All hätte sehen können, ist es eher unwahrscheinlich, daß er sie auf Anhieb als fremde Intelligenzen erkannt hätte. Ihr Körperbau würde einem menschlichen Auge eher einen anderen Vergleich nahelegen: Eine Ansammlung von Haufen Hundekots. Da die Kommunikation von Captain Shit und seinen Mannen ausschließlich über Gerüche funktioniert, wird Rockies Frage beim Eintreten "Wo ... wo bin ich denn jetzt schon wieder gelandet?" im wahrsten Sinne des Wortes nicht verstanden. Genau dieser Umstand aber wird auch das Ziel ihres Besuches noch erheblich erschweren. Denn man ist zu diesem abgelegenen Planeten entsandt worden, um die Möglichkeit von Verhandlungen mit den hiesigen Bewohnern zu prüfen, da man auf dem Heimatplaneten seit kurzer Zeit eine Unzahl Kapseln mit faltiger Masse darin erhält. Auf diesen Unrat möchte man in Zukunft gerne verzichten. Die Versender möchten ihren Müll doch fortan bitte in eine andere Himmelsrichtung entsorgen. Leider haben inzwischen die Dünste aus Rockies Bademantel Zeit genug gehabt, sich im Schiff auszubreiten, was von den Shittaniern als die übliche Kommunikationsvariante aufgenommen wird. Nur daß man in diesem speziellen Falle mit dem Inhalt der empfangenen Botschaft keineswegs zufrieden ist. Die gesamte Mannschaft fühlt sich in ihrem Ehrgefühl und auch ansonsten kräftig herabgesetzt. Schonungslos wird zurückgewütet und gestänkert! Rocky, mit zum Zerreißen geblähten Wangen, stampft, tritt, stolpert im Dunkeln herum, dabei in etwas Weiches, was seitlich unter seiner Fußsohle hervorquillt; Captain Shit, der sich ihm mutig entgegengestellt hat, um eine Begrüßung zu formulieren. Glücklicherweise wurden die Shittanier im Laufe Ihrer Evolution dehnbarer als Gummi, so daß dem Captain ernste Verletzungen erspart bleiben. Andererseits ist der Besucher aus einer fremden Welt natürlich keineswegs begeistert von dieser Erstbegegnung mit einem Lebewesen dieses Planeten und wirft mit shittanischen Flüchen und Kommandos nur so um sich. Rocky kläfft, keucht, ringt nach Luft, hustet, strampelt, wedelt mit den Armen und plumpst von einer verspiegelten Zimmerdecke auf ein Doppelbett. Dorthin, wo Marylin Rockies Zukunft plant und George nach seinem Leichenschmaus bemüht ist, sich weitestgehend zu entleeren, was ihm soeben geräusch- und geruchsvoll gelingt. Geld oder Leben bekommt gerade ernsthafte Schwierigkeiten, weil die sportliche Empfehlung "Setzen Sie auf den Sieg der Anästhesie - eine sichere Anlage", ökonomisch gesehen, ganz offensichtlich Büffelmist war. Elvira stößt häßliche Flüche aus. Seitdem der Dämon in dem dunklen Tor verschwand, hat sie ihn aus den Augen verloren. Was zur Mama wird hier eigentlich gespielt? Voll grimmiger Entschlossenheit stellt sie Nachforschungen an, um erst einmal die neue Konkurrenz zu zermalmen, zu zertreten, an die Wand zu drücken und anschließend platt zu bügeln! Zu ihrem Erstaunen wird sie nirgends fündig. Elvira atmet tief durch, nimmt eine Lucky Lakritz zwischen die Zähne und wendet sich an ihre Kollegin: "Angelina? Sagt dir zufällig der Name `Marylin´ etwas?" Die Angesprochene hustet und röchelt. Nein, antwortet sie. Und nochmal nein. Nein, sie wisse nichts und wolle nichts wissen. Habe Sie Marylin gesagt? Doch nicht, oder? Angelina macht ein Schluckgeräusch. Dann beugt sie weit über den Schreibtisch vor und flüstert nur noch: "Doch nicht etwa die Marylin von dem Detektivpärchen, oder? Die kannst du doch nicht meinen, oder?" Elvira wird trotz ihrer tiefdunklen Hautfarbe leichenblaß. Ja, die Marylin und ihr Handlanger, haucht Angelina, nach links und rechts blickend. Ausgesehen hätten die wie ganz normale Leute - aber dann ..... So wie man sie, Angelina, in der Toilette ausgequetscht habe ... Sie schüttelt sich. "Schmerzen am ganzen Körper - aber keine Stelle zu sehen! Vielleicht Typen von oben, Abgesandte aus der oberirdischen Verwaltung? Oder aber", Angelina öffnet ihren Kragen, "von ganz unten, direkt aus der Hölle." Seite 51
Black Mama Auf jeden Fall, bevor sie denen noch einmal begegne, springe sie lieber freiwillig vor einen Putzwagen. Nur im Interesse der Wählerinnen habe sie bisher geschwiegen, aber jetzt wo Elvira diesen Namen erwähnt habe ... Angelina nimmt die Schirmmütze hoch, tupft sich mit einem Taschentuch über die Stirn, läßt die Mütze leicht schief wieder sinken. Elviras Gedanken rasen. Scheiße, die sind wegen der verschwundenen Männer hier! Und sie hatte geglaubt, daß niemand die paar Armleuchter ernsthaft vermißt. Sie stöhnt. "Oh, Mama." "Hm", erwidert Angelina nach kurzem Geklickere am Bildschirm. "Im Einwohnerverzeichnis gibt es keine Marylin. Nur eine Kuh, die längst den Katzfellies zum Opfer hätte fallen müssen." Sie stößt sich mit ihrem Rollstuhl vom Schreibtisch ab. "Das erklärt natürlich einiges." Elvira, das Gesicht schweißnaß, stammelt Unzusammenhängendes. "Die Tante, die ich meine, war weiß wie ein Laken", wispert Angelina. "Ja, und? Ja, und?" Elvira zittert am ganzen Körper. "Was - `Ja, und´?" Hinter vorgehaltener Hand beugt sich Angelina wieder zu Elvira vor: "Das erklärt, weshalb all die Schläge, die ich bezogen habe, nicht zu sehen waren! Schläge von einer Frau, die weiß war! Schläge in der Herrentoilette! Verstehst du jetzt?" Elvira ächzt tonlos: "Weißt du, daß der Anruf direkt aus der Pathologie kam?" Angelina nickt langsam. Kaum hörbar stöhnt sie, welch üble Tat es wohl veranlaßt haben möge, daß der erste weibliche Geist in Hospitalias Geschichte ausgerechnet jetzt aufkreuze? Elvira wird schlecht. Sie rast zur Toilette. Angelinas nicht länger bezähmbaren Lachanfall mißversteht sie als Streßbewältigung der anderen Art seitens ihrer Kollegin. Dabei freut diese sich nur, wie glänzend sie den blöden Elvira-Witz von vorhin, wozu sie extra aufstehen mußte, nun pariert hat. Rocky fällt noch von der Decke Richtung Bett, als er Georges knatternde Töne vernimmt, die Übles verheißen. Noch aus dem freien Fall heraus nutzt Rocky die Matratze als Trampolin und Frederico als Seitenpferd, welcher daraufhin an die Wand zurücktaumelt, während Stripper geschickt ins Nebenzimmer ausweicht. Rockies sportlicher Initiative zum geruchsneutralen Gang kommt leider eine Tür entgegen. Zeitgleich mit dem dumpfen Knall wird ein kleiner, beleuchteter Raum sichtbar. Helles, freundliches Licht fällt heraus und ein kleines Keramikpodest lädt zum freundlichen Verweilen ein. Nur das nach oben führende Rohr mit dem Kasten (und die unschöne Kette) stören das Auge des Betrachters, sowie ein leises Quietschen auch dessen Ohr. Rocky, eng an die Tür geschmiegt, gleitet zu Boden. Stripper schleicht vorsichtig zurück, sieht Rocky am Boden stöhnen und fragt Frederico, wieso er ihn k.o. geschlagen habe? Aber das hätte er doch gar nicht, der Weiße hätte nur (Frederico imitiert ein Pfurzgeräusch) gemacht, da wäre die Tür auf und der Rocky-Typ zu Boden gegangen. Und siehe da, wie von Geisterhand schließt sich die Tür vor ihren Augen wieder. Rocky ("Meine Fresse!") richtet sich stöhnend auf. Gerade noch rechtzeitig, um auf die Tür zu stieren, die da nahtlos in der Wand verschwindet. Stripper, leicht irritiert, erblickt Rockies gekruzte Patronengurte voller Kugelschreiber, Wachs- und Buntstifte, ist aber zu vornehm, um zu fragen. Frederico macht noch einmal ein Pfurzgeräusch und die Tapetentür öffnet sich erneut. Voller Begeisterung sehen sich die drei Hospitalianer an und öffnen und schließen das Teil wohl an die zwanzigmal mit hohen, tiefen, langen und kurzen diesbezüglich geeigneten Geräuschen. Auch Frederico, animiert durch die zahllosen Pfurzgeräusche, ist auf dem Weg zur Brille. Fröhlich verschwindet er in dem dunklen Winkel, in dem schon Stripper vor kurzem verschwand. Er, ohne Handy mit integrierter Taschenlampe, latscht durch den Spiegel durch, ohne ihn erst bemerkt zu haben. Was bestimmt nicht passiert wäre, wenn Elvira den "Beer-and-Tequila-forever-Virus" vollständig ausgemerzt hätte, wonach ihr im Augenblick aber immer noch nicht zumute ist. Seite 52
Black Mama Auch Frederico landet in dem Filmpalast, der den gleichen Film auf zwei Leinwänden gleichzeitig bringt. Dazu noch total verformte solche. Obwohl, irgendwo ja schon cool. Klar, die Perspektive, erst weiße Wand, dann `n bißchen Mobiliar. Dann `n Glas mit was drin, `n Schluckauf, `ne Hand, die das Glas greift und leersäuft. Dazu `n kurzer, echt harter Bericht aus Hospitalias Verwaltung. Ja, doch, kommt schon irgendwo. Modernes Autorenkino wohl, vielleicht auch einfach ein Experimentalfilm. Na ja, er muß weiter. Einen Eingang darauf, landet Frederico in der Kleiderkammer eines frühen Vorfahren. Was er nicht findet, ist ein Becken zum Reinpinkeln. Darum öffnet er die Schiebetür des Einbauschranks, um von draußen Licht hereinfallen zu lassen. Dort kauert Jim-Bob, im völlig überheizten Zimmer, mit leicht gerundetem und stark behaartem schneeweißen Bäuchlein, in verschlissener farbiger Unterhose. Jim-Bob schwört auf Natürlichkeit, womit er Nacktheit meint, aber schamvoll bei der Unterhose aufhört. Seines Zeichens glückloser Multi-Media-Dichter und Denker, ist er heute wieder einmal am meisten damit beschäftigt, nach all dem Martini noch gerade vor dem Bildschirm und schräg unter seiner über alles geliebten Stehlampe sitzen zu können. Durch ein Geräusch zu seiner Linken aufmerksam gemacht, wendet er langsam den Kopf und sieht zu seinem Entsetzen eine Type mit orangenem Haar und blau beschmiertem Gesicht in seinem Wandschrank stehen. Frederico ist geblendet und sieht erst einmal gar nichts. Jim-Bob schreit und kippt mit dem Stuhl um, was Fredrico jetzt mühsam erkennt. In Ermangelung einer besseren Idee, hält Jim-Bob den bunt bemalten Eindringling für einen Geist, weshalb er kreischend auf ihn zukrabbelt, um durch ihn hindurchgehen zu können. Frederico, derartig unhöflich angerempelt, verliert den Halt und damit die Richtung. Stolpernd purzelt er aus dem Räumchen heraus, noch ohne sich erklären zu können, was eigentlich geschehen ist. Waren das eben Luftspiegelungen? Ein Film auf einem versteckten Fernseher? Vorsichtig lugt er, auf allen Vieren kriechend, um die Ecke. Kein Fernseher, kein Toilettenbecken zu sehen. Frederico hat sein Bedürfnis wieder vergessen. Langsam richtet er sich auf, sinniert erfolglos, klopft sich ab und schließt wieder zu den anderen auf. Stripper und Rocky sind gerade bemüht, das Geheimnis des Keramikbeckens mit angeschlossenem Wasserkasten und Kette zu lüften. "Moment", Rocky, die Hände auf den Holstern mit den Spraydosen, ruft die anderen beiden zurück. "Wir sollten vorsichtig sein! Wir wissen nichts über das Ding." Freundlich lächelnd tritt Rocky auf George zu, schiebt ihn mit ein paar netten Worten Richtung Toilettenkämmerchen und stellt ihm dann ein Bein, daß er hineinfällt. Eine Weile geschieht nichts, dann aber hängt George das Gesicht über das Becken. Die Übelkeit will einfach nicht nachlassen und keiner dieser Idioten hat bisher irgendetwas unternommen, was zu seiner Genesung hätte beitragen können. Na also, jubeln die Hospitalianer und fangen sofort an, heftig zu diskutieren, weshalb da wohl permanent Wasser läuft. Ein Haustempel? Ja, wahrscheinlich! Ein Symbol für den unaufhaltsamen Fluß der Zeit, ganz so wie es schon auf dem Riesendisplay zu sehen war! Im Hintergrund schließt sich die Klotür langsam wieder. Stripper zweifelt noch vorsichtig an diesem soeben herausgefundenen Sinn der Apparatur. Doch weist man ihn energisch auf das Plakat am Inneren der Tür hin, wo unter anderem genau das zu sehen sei, was instinktiv sogar der Sabber erkannt habe: Man knie vor dem Becken und halte das Gesicht rein. Wirklich? Ja, hm, das Plakat wäre ihm noch gar nicht aufgefallen. (War auch nur ein historischer Kloscherz über die richtige und falsche Bedienung der Keramik.) Gemeinsam dreht man sich zur verschlossenen Tür um. Frederico öffnet mit dem bekannten Geräusch. George sitzt auf der Brille und legt in dieselbe einen Haufen hinein. Marylin am Endoskop-Monitor erleidet einen Lachanfall. Rocky klatscht Frederico mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. Frederico schreit: "Weißer! Komm raus da!" Energisch weist sein Zeigefinger auf die Stelle neben seinem Bein. Seite 53
Black Mama Stripper wiehert etwas von einer neuen Interpretation des Symbols der Zeit. Rocky scheucht den Weißen weg und brüllt Frederico zusammen, sofort Handtücher, Lappen und ähnliches zu holen, um dieses vollgeschissene weiße Becken umgehend zu reinigen! Frederico gehorcht mit fliegendem Bademantel. Die Troddeln seines Gürtels wehen, die Sandalen klatschen nur so über den Teppich. So hetzt er in das dunkle Räumchen durch den für ihn unerkennbaren Wandspiegel bis er anschließend erneut im Einbauschrank eines Vorfahren namens Jim-Bob steht. Die Tür desselben ist nach wie vor offen und gibt den Blick auf den am Riesenhandy tippelnden Zimmerinhaber frei. Frederico sieht Jim-Bob in seiner Unterhose und dem behaarten Bäuchlein klar und deutlich, verwechselt ihn aber mit dem anderen Weißen. Er brüllt Jim-Bob an, daß er wirklich schon genug Unfug angerichtet habe! Er solle sofort - aber wirklich sofort - die Flossen von der Maschine nehmen! Gleichzeitig müllt Frederico vor den Augen des völlig entgeisterten Besitzers dessen Wäsche zusammen, die er als Lappen zu benutzen gedenkt, um einen Haufen Kot aus einer Klobrille im Jahre der Dame 2048 zu entfernen. Jim-Bob aber weiß, daß er jetzt verstanden hat! Es ist ein immer wiederkehrender Geist! Er hat nicht geträumt, keine Fieberphantasien und er befindet sich noch nicht im Delirium tremens! Ergriffen von dieser Gelegenheit, fällt er auf die Knie. Fredericos blau bemaltes Gesicht lächelt freundlich herab: "Ach, und jetzt wieder lieb sein, du alter Scheißer, was?" Frederico wendet sein blau bemaltes Gesicht ab, die Arme voll Wäsche. Doch der unglückliche Haufen ist mittlerweile Geschichte, da George bereits routiniert an der Klokette gezogen hat, was die Sauerei in einem tosenden Wasserschwall verschwinden ließ. Nur noch etwas Gegluggere erinnert daran, was hier vor kurzem geschah. Der Verursacher der Peinlichkeit ist längst von dannen gedackelt, um irgendetwas Wärmendes für seinen heiseren Hals zu finden, auch ist er rechtschaffen müde. Fredericos Frage, was er denn jetzt mit dem eilends herbeigeschafften Lappen machen soll, findet keine Beachtung. Unter dem Heißlufttrockner hin- und herrobbend, versucht Elvira, die letzten Spuren der Magenentleerung aus ihrem Gesicht verschwinden zu lassen. Sie schließt die Augen in der warmen Luft, erfahrungsgemäß dauert es schließlich ein paar Minuten bis das komplette Gesicht wieder trocken ist. Wehmütig kreisen ihre Gedanken zu besseren Zeiten. Da hatte sie so schöne Steuern allein für diesen einen Stripper-Typen erhoben, welche allesamt in ihre eigene Tasche flossen - nur um noch am selben Abend wieder an Strippers Eintrittskasse zu landen. Alles bestens ausgeklügelt. Und jetzt das! Ein Haufen gespenstischer Rächer, die ihr wegen einem kleinen Vergehen gleich drei Dutzend andere anhängen werden! Die würden sie bestimmt nicht nur ausgebeulte Bettpfannen wieder instand setzen lassen! Und alles nur wegen des kleinen Dreieckes, welches sie mit magischer Kraft in Richtung Männer im allgemeinen und Stripper im besonderen hinzieht! Wehmütig hält sie die andere Gesichtshälfte in die warme Luft. Wie eine Ertrinkende rasen ihre Gedanken zurück zu ihren schönsten Liebesereignissen im Rahmen der Verwaltung. Die Krönung von allem war ganz sicher, wie sie ein Dutzend mehr oder minder williger Mannsbilder zu sich einbestellt hatte, die sich im zehn Minuten Abstand bei ihr anzumelden hatten. Jeder einzelne mußte alle Kleidung bei ihr lassen - die sie prompt verschwinden ließ. Sie muß immer noch lachen, wenn sie an die Gesichter dieses nackten Dutzends Deppen denkt. Aber dann einfach selbst nicht zur Orgie erschienen zu sein! Hach, sie kann ja genial fies sein! Während die zwölf armen Männerschweine nackt und frierend im Hinterzimmer gebibbert haben, hat sie sich genüßlich den dreizehnten ganz woanders zu Gemüte geführt. Sie atmet einmal tief durch. Der Heißlufttrockner stellt rasselnd den Betrieb ein und Elvira ist wieder besser zumute. Alles in allem, ihr wird schon was einfallen! Sie prüft ihre Leibwäsche auf korrekten Sitz. Ihr ist noch immer etwas eingefallen! Wichtig ist eigentlich nur die Befriedigung ihres speziellen Hungers. Ein aufregendes Leben voller Sex. Und jemand mit ihren Qualitäten sollte eigentlich Seite 54
Black Mama immer irgendwo irgendeine Quelle auftun. Und solange das Mannsvolk nichts dazulernt, wird sie jeden Tag satt werden. Ob es in der Hölle auch Männer gibt? "Wo zur Mama sind wir hier?", fragt Stripper gerade seine Leidensgenossen. "Tja, nun, wir haben eine Leiche, ein Riesenhandy und weiße Becken hinter einer Geheimtür", erwidert Rocky. Sie sehen einander an. Dann - aufreißende Nebelbänke vor ihren Augen - wird es ihnen allen gleichzeitig klar! Frederico weist mit zitterndem Finger auf das uralte Klosett: "Weiße Haustempel hinter Geheimtüren ... Das ... das sind religiöse Reliquien!" "Die Gegenwelt!" haucht Stripper. "Die Konterrevolutionäre!" schreit Rocky. Sie sind in der höllischen Tiefe, wovor Black Mamas heilige Kühe dich dort oben immer gewarnt haben! Oh, ja, Frederico erinnert sich nur noch zu gut der Worte seiner Mutter: "Was weiß ist, das ist tot! Das ist blanker Knochen! Das ist Übel, Verderben und Verdammnis! Das ist das Reich des Bösen! DAS ist die Hölle!" Ihre Hände säbelten durch die Luft. Dann sprang sie über den Tisch auf ihn zu und fletschte ihre gepflegten blitzendweißen Zähne dicht vor seinem schweißnassen Kindergesicht. Erschrocken weicht man zurück, wobei Rockies rechter Spraydosenholster die Tastatur berührt und statt dem Bildschirmschoner unter dubiosen Geräuschen ein vereinfachtes Logo des ZeitenWanderers erscheint. Oh, Mama! Ausgerechnet der ZeitenWanderer! Hatte die Verwaltung nicht immer gewettert, daß gerade der nur dem Reich des Bösen entsprungen sein könne? Die Autorinnen nicht allesamt als Teufel gebrandmarkt? Hatten nicht die Mütter gerade vor dieser verderblichen Literatur gewarnt? Frederico kreischt, wie er es einst als Kind tat: "Ich will nicht in die Hölle!" Die anderen auch nicht. Alle gleichzeitig, alle schreiend laufen sie zum Ausgang, wo sie sich in der Tür ernste Blessuren einhandeln. Marylin wendet sich kichernd vom Schirm, auf dem sie das Geschehen im Keller verfolgt hat. Männer, geborene Komödianten wider Willen! Tief durchatmend wendet sie sich nun wieder ihrer eigenen beruflichen Zukunft zu. Wie bringt sie die Trottel bloß zur Enthirnungsanstalt? Sie kann ihnen ja wohl kaum erklären, daß sie zu Sexartikeln zu ihrer, Marylins, persönlicher Bereicherung umgearbeitet werden sollen. Ob auch jemand an den Körperteilen von dem weißen Deppen Interesse hätte? So als Exot? Wäre vielleicht zu probieren. Ihre roten Fingernägel streichen durch ihre blonden Locken. Rocky, vorsichtig über seine Rippen streichend, übernimmt erneut und sehr energisch das Kommando: "Das Riesen-Handy ist ganz offensichtlich noch funktionstüchtig! Nehmen wir also Kontakt auf!" Er strafft seinen Bademantel, Sand und Schmutzpartikel rieseln zu Boden. Einen zaghaften Tastendruck später erscheint auf dem Bildschirm ein süffisant grinsender Kerl, der der Betrachterin den Mittelfinger entgegenstreckt, gefolgt von einer selbstablaufenden Diashow mit knapp oder gar nicht geschürzten Mannsbildern. Alle Bilder in höchster Qualität. Marylin stürzt angesichts dieses unerwarteten Reports an den Endoskopschirm. "Waaahnsinn! Haben die uns etwa doch was verschwiegen?" Stripper schnippt mit den Fingern: "Bilder auf Bildschirmen - eine tolle Geschäftsidee! Nicht daß ich es nötig hätte, aber KVKs kann man schließlich nie genug haben, nicht wahr?" Er lächelt in die kleine Runde. Frederico bestätigt. Rocky knurrt. Marylin am Endoskop zischt. An Startkapital hatte sie ja noch gar nicht gedacht! Da hätte sie ja um ein Haar einen Fehler gemacht, ausgerechnet den Stripper-Typen auszustopfen. Obwohl - so gesehen - auf die Reihenfolge kommt es an ... Warme Schauder durchlaufen sie angesichts dieser neuen Möglichkeiten. Auf dem Riesenhandy läuft ein Video an: Eine bullige Type mit Sonnenbrille und eckigem Kinn in nietenbesetzter schwarzer Lederjacke tritt auf. Jetzt schlägt er klatschend die linke Hand auf den rechten Seite 55
Black Mama Oberarm und streckt den rechten Mittelfinger vor. Unter kernig, krachender Musik erscheint der Titel "Verführung Teil 1 / Männertricks". Erstmalig gerät der Bericht des Endoskop-Männerhirns ins Stocken. "Also, das ist aber wirklich nicht in Ordnung! Welches alte Schwein hat das denn aufgezeichnet? Ich meine, das ist ja nun wirklich nicht für Damenaugen bestimmt!" Und sie möge sich bitte abwenden, ihre gute Erziehung nicht vergessen und es wäre amoralisch und sie solle ... Marylin dreht den Ton des Männerhirns ab. Gebannt starrt sie auf den Monitor, der leider nur schwarzweiß überträgt, was im Keller in Farbe gebracht wird. Den Blick fest auf den Schirm gerichtet, köpft sie eine Flasche medizinischen Alkohols, verdünnt das Zeug, indem sie im Mund Speichel sammelt, wirft ihre blonde Lockenpracht zurück, dreht Radio Romantica ordentlich laut auf und sieht sehr genau zu. Ein männlich markantes Gesicht erscheint. Der Typ sieht gepflegt und sehr ordentlich aus. Er stellt sich kurz namentlich vor, sagt dann, daß er Fotograf wäre, zeigt eine Kamera vor. Marylin dreht den Ton wieder lauter. Ob er sie wohl mal fotografieren dürfe? Vielleicht dort drüben, wo das Licht günstig sei? Abzüge für sie seien natürlich garantiert und er wäre sehr glücklich, wenn er dürfe, hält aber die ganze Zeit die Kamera dezent unten. Marylin dreht und wendet sich vor dem Endoskopschirm, als hätte sie den leibhaftigen Mann vor sich. Auf dem Schirm erscheinen vier dicke Auswahlknöpfe: o o o o
Hau ab! Komm später wieder! Du bist mein Typ! Huch, mein eifersüchtiger Gatte kommt!
"Macht jetzt keinen Fehler!", Marylin betet inständig, daß die Typen im Keller jetzt den richtigen Knopf "Du bist mein Typ" drücken mögen. Aber nein! Diese Saftärsche wissen es ja nicht besser! "Hau ab!" haben sie gedrückt, diese Vollidioten! Nun sieht man nur noch wie der arme Fotograf von zwei wütenden Hundsfellies attackiert und weit weggejagt wird. Frustriert nimmt Marylin noch einen Schluck. Wie wohl der andere Knopf ausgesehen hätte? Der mit dem eifersüchtigen Gatten? Hätte sie ja zu gern gesehen, wenn sich da irgendsoeine Figur künstlich aufregt. Wieder erscheint ein neckisch grinsendes Mannsbild, welches den Mittelfinger vor- und zusätzlich noch die Zunge rausstreckt. "Sagt mal, was machen die da eigentlich immer?" Frederico glotzt auf seine vorderen Extremitäten. "Hä?" "Na, die Sache mit dem Finger", Frederico formt mühsam die Figur. Das Riesen-Handy präsentiert nahezu unbeobachtet einen ziemlich aktuellen Text. In dem geht es um eine 1. vollautomatische, 2. unsichtbare, 3. intelligente Kamera eines Fernsehsenders. Diese besondere Kamera geisterte einst durch die Gänge und nahm dabei skurrile Alltagssituationen auf, ohne daß sich die Leute dabei beobachtet fühlen sollten. (Was sie trotzdem taten und mehr denn je.) Mit immensem Geldaufwand hatte man das Projekt gestartet, schließlich pflegte man berechtigte Hoffnungen, auch die Verwaltung für dieses Projekt interessieren zu können. Aber alles ging schief. Die Kamera lief regelmäßig weg, ohne ein einziges Bild abgeliefert zu haben. Wenn sie doch einmal Bilder machte, dann nur solche von künstlerischem Anspruch, die restlos niemand mehr sehen wollte. Mit eben dieser Kamera ist es, laut Artikel, nun aus. Das Experiment habe sich nicht ausgezahlt, war zu teuer, etc.. Ganz offensichtlich hatte man den Basisfehler begangen, der Kamera ihre Intelligenz aus einem männlichen Gehirn zuzuleiten, welches für diesen anspruchsvollen Zweck aber eben nicht ausreichend war. Bedauern für den Eigentümer dieses Hirns wird in dem Artikel nicht deutlich. Und das obwohl der Betroffene in diesem Zustand keine Möglichkeit hat, die ehemaligen Arbeitgeber juristisch an das Versprechen der Rückverpflanzung zu erinnern. Seine einzige Verwandte, die einen Prozeß auf Schadenersatz angekündigt hatte, ließ sich auf eine Abfindung ein, die immer noch erheblich weniger kostete, als Seite 56
Black Mama wenn man den ehemaligen Arbeitnehmer wieder in seinen Körper zurückgesetzt hätte. Stattdessen verwandelte man das Ding in ein ultramodernes Endoskop zwecks Spiegelung von Magen-/ Darmtrakten, was durchaus auch als Strafe zu verstehen war. Da ansonsten niemand mehr Wert auf ihn legte und alle sauer waren, kam man übereinstimmend zu der Ansicht, er hätte nur bekommen, was er verdient habe. Denn schließlich sollte er eine neue Generation Spaß, Amüsement und Humor nach Hospitalia bringen, was er eindeutig und vollständig unterlassen hatte. In der sonst so schweigsamen Pathologie läßt ballerndes Gebrüll die Gläser klingeln. "WAAHAAS? Ihr Krankheitserreger! Ihr degenerierten Bakterien! Ihr stinkender Dünnpfiff! Ihr Ekzeme, Eiterbeulen, Rotzlöffel ...." Marylin hält nichts mehr. Schamlos wiehernd, gröhlend und trommelnd, liegt sie am Boden. Die Sandalen fliegen ihr von den strampelnden Füßen. So entgeht ihr, wie sich George mit einem schmalen Bilderbüchlein in Händen zwischen Stripper, Frederico und Rocky einen Weg zum Licht bahnt. Klappt man dieses Büchlein auf, erschallt eine Melodie: "Crazy little thing called love!" und da sind Manne und Weibe zu sehen mit für den Eingeweihten leicht verständlichen Kommentaren. George, in eine Decke gehüllt und seinen schmerzenden Hals mit einem Kopfkissenbezug umwickelt, studiert interessiert die Details dieses Werkes. Frederico und Rocky, moderne Menschmänner einer modernen Zeit, wissen damit eher wenig anzufangen. Nur Stripper (bald mit neuem Slogan: Primitiv, cool und vollständig!) fällt lachend hintenüber. "Woher", schnaubt Rocky, "hat dieses Vieh all diesen Kram?" "Ja, äh, dahinten gibt es ein Zimmer. Mit einem Bett drin", beantwortet Frederico die Frage. Seufzt die Kamera, die digitalen Tränen trocknend, "Ein sehr großes Bett. Eines das für zwei reichen würde - und für eine Kamera natürlich, hähä. Man muß immer auch das Gute sehen." Digitales Lachen füllt die Pathologie. Die drei Hospitalianer dackeln, Fredericos Anweisungen folgend, "mal eben rüber" - direkt ins falsche Zimmer, da Fredericos Angaben ungenau sind. Die Nachwirkung davon ist, daß alle drei im Wandschrank von Jim-Bob landen, während der zurückgebliebene George, nach abgeschlossenem Kunstgenuß, sich müht, sein nächstes Problem, den anhaltend schlechten Geschmack im Mund, zu bekämpfen. Dümmliche Anschuldigungen, insbesondere von primitiven Zeitungen, die es nicht besser wissen, ist Elvira ja schon gewohnt. Aber aus einem ihr unerfindlichen Grunde regen sich die Ziegen jetzt nicht mehr nur auf, über das was sie getan hat! Nein, jetzt scheinen diese Widerlinge auch schon voraussehen zu können, was sie in Zukunft vorhat oder hätte vorhaben können. Es war einmal im Informationszeitalter ... .... da waren die Guten um keinen Einfall verlegen, den Bösen aller Art das Handwerk zu legen. So erstellte man allerlei schöne Programme, Spiele, Pornos und Anwendungen. Sie kamen in Scharen, die Typen, die gern einmal ein Raumschiff steuern, Monster schießen oder Sex wenigstens sehen wollten. Das taten sie und lieferten dabei ungefragt jede Menge Informationen über eigene Intelligenz und Sehnsüchte ab, weil dämonische Programme mitgeliefert wurden. Diese Dämonen, die schwirrten zur Verwaltung zurück und hatten viel zu berichten von dem, was sie dort draußen gesehen hatten. Erfahrungen, die für die Betroffene gerade bei Bewerbungen sehr hilfreich oder auch absolut hinderlich sein konnten: Wer etwa zuviel am Bildschirm ballerte, konnte schnell als Psychopathin gelten. Wer jedoch zuwenig knallte, ließ offensichtlich den "Killerinstinkt" vermissen, war also für den Beruf der Bankkauffrau nicht geeignet. Und trotzdem - viele, viele Böse wurden durch soviel vorausschauende Erkenntnisse schon sehr, sehr rechtzeitig, oft im zartesten Kindesalter, als solche einwandfrei identifiziert. Der Verwaltung guter Wille wurde seinerzeit von einer ganzen Menge Patientinnen nicht so recht verstanden. Stellvertreterinnen brüllen in ein dutzend Handies hektische Dementis, daß man Seite 57
Black Mama solches, wie oben beschrieben, überhaupt nicht vorhabe. Elvira läuft Kreise im Klo und welche alte Sau ihre schönen Pläne an den ZeitenWanderer verpetzt haben könnte, die man nun vorläufig ad acta würde legen müssen. Was ist bloß los? Nichts als Ärger in letzter Zeit. Gereizt fletscht sie die verschlossene Klotür an. Noch schnell im Sitzen eine Pressemitteilung: "Die Verwaltung gibt hiermit bekannt, daß die verschwundenen Männer bis auf weiteres verschwunden sind. Wer unbedingt will, kann sich ja bei der Verwaltung weiter erkundigen." Elvira weiß sehr genau, daß das niemand tun wird. Jedenfalls niemand Gesundes, womit der Fall auch schon wieder klar wäre. Knallend öffnet sie die Tür und stampft zu ihrem Sitzplatz zurück. Was sie jetzt braucht, ist eine Idee! Eine Idee, wie sie all diese Nervlinge auf einmal von ihren kleinen Sünden ablenkt. "Besser?", heuchelt Angelina Interesse. "Geht so", mault Elvira, ihren perfekt ausgewogenen Hintern in den Sessel werfend. Was denn war, fragt Angelina desinteressiert nach. Elvira macht eine wegwerfende Handbewegung. Dann aber lächelt sie und legt die mit Knöchelkettchen verzierten, schlanken Fesseln auf die Schreibtischkante. Die mit dezenten Ringen geschmückten Finger tippen gegeneinander: "Weißt du gerade eben ist mir ein Gedanke gekommen, um etwas Geld einzuspielen! Du weißt ja, die Verwaltung hat hohe Kosten. Ich meine, wer zahlt schon freiwillig Steuern? Die Patientinnen jedenfalls nicht!" "Und?", fragt Angelina mißtrauisch nach, ihre sanften Augen zu schmalen Schlitzen verengend. Gedanken des Hasses breiten sich in ihr aus. Warum kann diese aufgetakelte Kuh nicht einfach einmal nur arbeiten? Elvira erklärt ihre neueste geniale Idee, `Wohin wird das Pünktchen gleich gehen?´ Ihr Plan ist ebenso simpel wie vielversprechend. Glücksspiel heiße die Devise! Scharenweise würden die Patientinnen gelaufen kommen, um ihre jämmerlichen paar KVK`s zu setzen, in der Hoffnung dann einmal richtig abkassieren zu können! Und immer wieder würden sie kommen und niemand würde jammern, sein Geld losgeworden zu sein. Gewinnerinnen würden großflächig bekannt gemacht werden, damit die anderen Hühner vor Neid platzen! Die würden dann umso eifriger mitspielen, statt ihre Zeit mit dem ZeitenWanderer und ähnlich destruktivem Mist zu verschwenden. Und wozu sich noch mit Steuern und Steuererklärungen abgeben, wenn das Volk doch nur so hechle, um völlig freiwillig unverschämte Beträge abzubluten? Elviras Faust saust triumphierend auf die Schreibtischplatte. Angelina nickt bedächtig. Ja, daraus könne man vielleicht etwas machen. "Aber - aber am wichtigsten ist doch", sie beugt sich so weit vor, daß ihre auffällig elegante Oberweite über die Schreibtischplatte schiebt "am wichtigsten ist doch, der Idee den richtigen Kick zu geben! Wen interessiert denn schon, ob irgendein Pünktchen irgendwohin läuft?" Angelinas geschwungene Lippen grinsen die unsicher glotzende Elvira an. "Geil, ich meine richtig geil, wird eine solche Wette doch erst, wenn das Pünktchen auf der Flucht ist!" Angelinas Zunge schlurpt einmal über ihr volle, tiefrote Oberlippe, während Elvira sie mit offenem Mund anstiert. "Wie wäre etwa ein gehetztes Mannsbild?" Angelinas Hand zischt durcht die Luft. "Angstschweiß auf der Stirn rast er durch Hospitalias Gänge! Verzweifelt fleht er um Hilfe! Doch leider, leider ... " Sie erhebt Augen und Hände gegen die Zimmerdecke. " ... erhält er nur einen Tritt in den Arsch. Oder Schlimmeres. Ich meine, wenn er sich nicht schnell genug umdrehen kann." Angelina prustet quietschvergnügt, die flache Hand saust auf der Schreibtischplatte auf und nieder. Sie unterdrückt den letzten Gluckser. "Gelingt dem Opfer die Flucht, wird es stinkreich! Im Normalfall aber endet es als Frikassee. Mannsbilder aber erhalten eine extra Portion Hormone, die sie weit über sich hinaus wachsen lassen. Das erste und höchstwahrscheinlich auch allerletzte Mal Sex!" Sie faltet die Hände brav auf der Schreibtischplatte. "Genial", haucht Elvira, nachdenklich ergänzend, wirklich gespannt zu sein, was Seite 58
Black Mama den betreffenden Mannsbildern in einer solchen Situation einfallen würde. Aber - derartig viele Ideen, derartig schnell produziert und dann noch eine so pikante zum Abschluß, das ist sie nun wirklich nicht gewohnt von Angelina! Zaghaft fragt sie ihre Kollegin, ob sie neue Medikamente nehme, die ihr, Elvira, noch unbekannt seien? Angelina, in ihrem Sessel zurückgelehnt, nimmt seit langer Zeit das erste Mal wieder eine Lucky-Lakritz zwischen die Zähne und lehnt sich weit zurück. Die Frage hat sie nicht beantwortet. Jim-Bob, Multi-Media-Künstler aus Leidenschaft wollte einst Kunst erstellen. Das war lange, lange bevor ihm ein orange-blauer Geist erschien, um die Hälfte seiner Wäsche zu dematerialisieren. Seine Umwelt jedoch verhielt sich grausam, um nicht zu sagen, gänzlich desinteressiert. In Konsequenz dazu gaben ihm seine (nicht immer nachvollziehbaren) Gedankengänge darum ein, den heutigen Winterabend zu nutzen, sein Künstlerleben abzuschließen. Achselzuckend und rülpsend sondiert er die Lage. Mangels Dachbalken muß er sich nun auch noch an der Heizung erhängen. Mangels Strick einen Gürtel nehmen! Jammernd, ob dieser demütigenden Art aus dem Leben zu scheiden, geht er in die Hocke, knipst seine Stehlampe aus. Nun ist es dunkel in seinem Zimmerchen. Nach ihm, Jim-Bob, werden sich nur noch trockene Heizungsluft und Gerüche von Martini hier breitmachen. Nie wieder werden die Tasten unter seinen Fingern fröhlich klickern. Nie mehr Kunst von seinen Händen ... Im Hintergrund flucht jemand. Ein anderer drückt das Licht im Wandschrank an, was Jim-Bobs Schatten über die Heizung an die Gardine wirft. Jim-Bob schluckt hörbar. Stripper tritt blubbernd aus dem Wandschrank, weil er sich gerade den Kopf gestoßen hat. Frederico wird herausgeschubst und Rocky schafft sich Platz hinter beiden. Jim-Bob, auf Knien liegend, den Strick um den Hals, möchte auf der Stelle ohnmächtig werden. "Seid - seid ihr etwa ... die ... die Heiligen Drei Könige?" In den religiösen Dingen seiner Zeit ist er eher wenig gefestigt. Stammelnd erhebt er sich, vergißt aber vorher den um den Hals geschnürten Gürtel abzunehmen, der ihn wieder zurückreißt und mittels Fallen auf das Fensterbrett kurzfristig k.o. gehen läßt. Flach und verbeult bleibt er am Boden liegen. Fredrico, der mühsam versucht, hinter Strippers hoher Schulter auch etwas sehen zu können, reibt dabei unbeabsichtigt sein bemaltes Gesicht an Strippers Satinbademantel. Rocky ist echt baff. Nie im Leben sieht man einen weißen Typen und dann gleich zwei auf einmal! Nur daß er vom anderen Weißen bisher nie Gequatsche, sondern nur gutturale Laute gehört hat, was er auch nicht anders erwartet hat. (Und dabei kann George reden, wie ein Wasserfall sogar! Aber nach der Nummer ohne Klamotten im Abwasserkanal, dem Putzwasser und dem Leichenschmaus ist sein Hals erst einmal derart angegriffen, daß einfach maximale Schonung angesagt ist.) "Habt ihr ihn an die Leine gelegt?" "Nein." "Nein." "Egal. Also, wo ist das Bett?" "Ja, also, dieses ist gar nicht der Raum, den ich meinte." Jim-Bob, mühsam erwachend, aber durch seine Bindung an die Heizung nach wie vor auf die Knie gezwungen, fummelt hustend und würgend den Gürtel von seinem Hals. "Wer zur Mama ist das?" "Ist das wirklich unser Sabber?" "Neee, dem hier hat einer`s Sabbeln beigebracht." Rockies Zeigefinger schießt vor: "Wie nennt man dich, Typ?" Ob man diesen quatschenden Weißen vielleicht an einen Fernsehsender verkaufen kann? "Jim... - Jim-Bob", stammelt dieser verunsichert, zitternd auf sie zutretend. Hätte er sich doch bloß was angezogen. Aber konnte er ahnen, daß er derartigen Besuch bekommt? George ist glücklich. Dank der Abwesenheit dieser drei drei Schläger braucht er nicht zu befürchten, seine letzte Entdeckung über Gebühr teilen zu müssen. Seite 59
Black Mama Denn der anhaltend schlechte Geschmack in seinem Mund gebat ihm, nach Abhilfe zu suchen, die er auch - vorhin schon - tatsächlich fand. Hinter einer Schlafzimmer-Gardine lagert eine Flasche unbeschrifteter Pfefferminzwhisky. Mehrere hundert Jahre alt. Entspannt wendet er sich sich seiner Entdeckung zu. Ein Schnüffeln an der offenen Flasche überzeugt ihn, daß dieser Tropfen für seinen Hals einfach gut sein muß. Jedenfalls besser als das übel riechende Wasser aus diesem versteckten Mini-Klo. Lächelnd gießt er die flüssige Antiquität in sich hinein, gurgelt, schluckt und gießt nach und gurgelt und schluckt. Ihm ist warm und wohl zumute, als er sich wieder zu ersten menschlichen Lauten in der Lage findet. Jetzt, so befindet er, jetzt wird es höchste Zeit wird für ihn, den Abgang zu machen. Schließlich ist er nicht gerade freiwillig hier. `Brücke zwischen Hirn und Net´, `einmaliges Experiment´, `große Ehre´, ha! Fredericos zurückgebliebenes Handy in Händen ruft George ihm bekannte Nummern an - ohne Erfolg. Technische Überprüfung verursachen? Was soll denn das schon wieder heißen? Ratlos drückt George wahllos auf ein paar Tasten, darunter eine besonders dunkle. (Das ist der Hotkey zur Pathologie und die einzige Taste, die immer funktioniert). Marylin, leicht verwundert, hebt ab. "Ja?" Eine heisere Stimme mit französischem Akzent keucht abgehackt: "Ich - heiße ... George." Es folgt eine Reihe gutturaler Laute. "Wo - bin - ich - hier?" Wieder Atemzüge, leises Keuchen. "Wie ... komme ich ... hier raus?" Marylin kichert ungeniert. "Kommt drauf an, wo sie drin sind." Was zum Teufel ist eigentlich mit diesem blöden Display los? Eigentlich hätte sie doch die Fresse des Anrufers darauf sehen müssen. Na ja, sei`s drum. "Es ... fing alles ... ganz - ganz harmlos an." "Wenn es harmlos anfing, ist es langweilig. Erzählen Sie bitte etwas anderes." Marylin wirft ihre kirschroten Lippen auf. George, von Pfefferminzwhisky beschwingt, erzählt von den Bildern, wie herausfordernd sie waren und daß er, nur um nicht unter ihnen aufzufallen, sich seiner vollständigen Garderobe entledigte. Marylin findet das schon interessanter. Er möge bitte weitermachen. So fährt George fort, wie er entblößt und mit wehendem Genital durch die Gänge des Nets - oder seines eigenen Hirns - das wisse er nicht so genau, gehetzt werde. Marylin ist allerhöchst amüsiert. Mit ihr inzwischen mehrere Hundert andere Frauen und neun Männer, die diese Telefondiskussion seit der Vokabel "Genital" live und stöhnend mitverfolgen. George schließt seinen Bericht mit der Frage, wie er nun wohl seine Nöte bändigen solle? Marylin erinnert ihn an eine linke und eine rechte Alternative. George mault, daß es noch etwas dazwischen geben müsse. Sie ermuntert ihn, auszusprechen, was exakt er meine, nur ganz freiweg. Den Angesprochenen strengt das Reden doch noch sehr an. So hört man ihn leider nur keuchen und stöhnen. Marylin bittet ihn ungeduldig doch endlich etwas deutlicher, etwas direkter zu werden. Man sei schließlich am Telefon. Sie zieht eine Flasche zu sich heran. Nur schnelle Atemzüge antworten ihr. Das Quatschen kostet den armen George wirklich viel Kraft. "Wird`s bald?", ranzt Marylin, die sich gerade das Glas vollschenkt. George, verwirrt, angesüffelt, ent- und begeistert, flüstert rauh, ob sie ihm den entscheidenden Hinweis geben könne, um eines Mannes Glück mit eines Weibes Wonne vollständig zu machen? Hinfort all sein Sehnen, Hospitalia schnellstmöglich zu verlassen. Marylin, die sich das Glas inzwischen einverleibt hat, rülpst, daß sie ihm in dieser komplizierten persönlichen Situation gern helfen wolle. Am besten sei dieses zu bewerkstelligen, indem er versuche, sie jetzt und sofort zu verführen. Geschickt grabbelt sie ein Fläschchen Nagellack aus einer ihrer Taschen und bepinselt ihren rechten großen Zehnagel. George hustet heiser seine Dankbarkeit zurück. Er wäre gleich zurück. Sie möge bitte dranbleiben. Marylin verspricht es. Georges Blick eilt irrend durch den Raum. Wo war doch gleich noch der wohltuende Rachenputzer abgeblieben? Er sucht, ohne zu finden, obwohl die Pulle direkt vor Seite 60
Black Mama ihm steht. Okay Baby! Kurzes Krächzen. Ja, ja! Ob es denn jetzt wohl endlich losgehe? Sie habe inzwischen schon einen Fuß fertig lackiert! Er findet die Flasche, ölt seine Stimmbänder reichlich. Marylin hat nur noch zwei Zehen übrig. Einige heftige Atemzüge später gesteht er, nicht recht zu wissen, wie anfangen ... "Du widerlicher Schlappschwanz!", brüllt sie nach all der erwartungsvollen Wartezeit zurück, gefolgt von einer Reihe ergänzender Beleidigungen. George zuckt erotisiert zusammen. Sie jagt noch mehr Beleidigungen hinterher. George ("Oh, Baby!") bedankt sich, lustvoll grunzend, lebhaft beschreibend, was gerade in und an ihm vorgehe. Marylin legt sich seufzend auf den Rücken, bis der verchromte Sektionstisch ihren erhitzten Körper angenehm kühlt. Sie quietscht ihn durchs Handy an, er wäre ihr kleiner Honigkuchen, ihr Wonneproppen, die Sahne auf dem süßen Kuchen. Der Angesprochene hüpft auf einem Bein durch die Gegend, das Handy eng am Ohr und erwidert irgendwelchen Unsinn. Die Dame am Telefon schlägt viel Kleidung zurück. Ob er sich ihre verträumten Blicke vorstellen könne? George bestätigt dieses, leise krächzend, daß seine Phantasien noch weit darüber hinausflögen. Zwischen Frederico, Stripper, Rocky sowie Jim-Bob auf der Gegenseite hat sich inzwischen ein gegenseitiges Verhör entsponnen. Eben noch überreichte Jim-Bob unerwünschte Geschenke (zwei Papierschiffchen und ein Hut aus Zeitungspapier), jetzt aber sind krasse Dissonanzen zwischen den beiden Parteien entstanden. Herumgebrülle ist entstanden, ob der Frage, wer denn hier wohl das Tier sei! Ach! Sie, Stripper, Frederico und Rocky seien also gar nicht die Heiligen Drei Könige! Hätte er sich ja gleich denken können! Mit zunehmender Ernüchterung verliert sich auch Jim-Bobs Respekt. Er brüllt, kreischt, schreit, schubst sie in den Wandschrank. Sie sollten nur ja wieder dorthin gehen, von wo sie hergekommen seien! Im Handgemenge geschieht genau das und Jim-Bob steht von einer Sekunde zur anderen wieder allein da. Hinterher wird er alles auf die Beule an seinem Hinterkopf, einen wilden Traum und den Alkohol zurückführen. Die drei Hospitaliana, die diesesmal zu dritt aus dem Net purzeln, werden einander noch lange fragen, wo zur Mama dieses Schreckgespenst (eigentlich häßlicher Name für weiße Frauen) geblieben ist. In einer Stunde werden sie auf eine Geheimtür tippen. In einer weiteren Stunde der Lösung noch näher sein, wenn sie an eine Maschine denken, die den Weißen irgendwie von anderswoher zu ihnen hertransportiert. Rocky wird es am Ende erfahren haben, aber lieber für sich behalten. Blut & Busen, das Magazin für unkomplizierte Fragen und schnelle Antworten, kassiert soeben einen ihrer größten Erfolge: Der Leitartikel "Ich will nur das eine / Eine Nachtwächterin packt aus" erregt viel Leserinnen. Beim ZeitenWanderer veröffentlicht man soeben den ersten Artikel aus der Zukuft desselben. Obwohl es sich eigentlich um gar keinen wirklichen Artikel, sondern vielmehr um die Anzeige einer kommenden Verwaltung handelt: Gedankenkontrolle Seid hübsch! Seid jung! Immer fit! Tragt einen "G e s u n d o m e t e r"! Ob zuviel gegessen oder getrunken, ob geärgert oder Magenschwinger, in jedem Falle hilft der "G e s u n d o m e t e r". Welche Drüse es auch sei, die da angeregt werden muß, welches Enzym auch gerade Seite 61
Black Mama im Körper fehlt - alles macht vollautomatisch "Gesundometer". Und wie bei der Handywartung wird auch hier alles von der zentralen Verwaltung überwacht, geprüft und abgestimmt. Hast du böse Gedanken, weil Anträge auf neue Bettwäsche seit acht Monaten nicht bearbeitet wurden? Kein Thema - dein Magen wird entsäuert. Stellst du für deine Umwelt eventuell ein Sicherheitsrisiko dar? Weil du krank bist oder werden könntest? Kein Thema! Erst verspürst du den dringenden Wunsch nach Isolation, dann eine wahnsinnig starke Sehnsucht dein Leben sauber in einem Gummisack mit innenliegendem Reißverschluß zu beenden. Gesundometer - aus Rücksicht auf die anderen. Elvira bebt vor Wut! Wenn diese blöde Sache mit den verschwundenen Männern und diesen seltsamen Figuren, die diese Pfeifen suchen, nicht wäre, würde sie längst ganz anders zugeschlagen haben! Aber zu allem Übel auch noch diese elektronische Wildsau von Virus, die immer schneller, immer größere Löcher ins Net reißt! `Beer and Tequila forever!´ Ha! Und sie darf das Vieh noch nicht einmal abschießen, weil die Herstellerin statt unvorsichtig zu werden, gewarnt sein könnte! Und sie hat sich beschwert, diesen häßlichen Dämonen mit dem Gesicht eines Enthirnten verloren zu haben! Knurrend zieht Elvira die Schirmmütze tief in die Augen. Da klickt es in ihrem Schädel! Sie hat es gar nicht mit einem Dämonen oder einem Virus zu tun! .... - sondern mit beiden gleichzeitig! Dieser miese Virus fungiert nur als Brechstange! Kaum sind ein Dutzend Löcher im Net entstanden, spaziert der Dämon durch irgendeines von diesen hindurch. Offensichtlich Taktik, um seinen Weg zu tarnen. Je mehr Löcher, je mehr Möglichkeiten. Genial, wirklich genial. Ein Dämon, der um sich herum reichlich Chaos stiftet und anschließend unerkannt seine kleinen Schweinereien abzieht. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Sie hat ja gewußt, daß sie außer ihren kleinen Nebengeschäften mit Männerkörpern auch gewisse elektronische Vorkehrungen hätte treffen müssen! Aber was soll`s? Dieses Viren-Dämonen-Gespann soll sich erst einmal in Sicherheit wiegen und dann ... Würde sie ja nicht wundern, wenn diese ZeitenWanderer-Schweinchen da auch irgendwie mit drinhängen. Elvira wühlt in ihrer Tasche nach einer Lucky Lakritz. Andererseits - es ist natürlich ein erhebendes Gefühl zu sehen, daß noch jemand ähnlich gute Tricks drauf hat wie sie! Hier täuschen, dort zuschlagen. Hat was. Erinnert sie fast an das Prinzip ihrer Glücksspielidee. Eine wirklich tolle Idee übrigens. Sie sieht es förmlich vor sich: Das Patientenvolk starrt steifen Blickes auf die Schirme, knetet den Tippschein, betet, schwitzt, schluchzt, weint, während sie, Elvira, erst die Virenschreiberin und dann diese Gespenster-Fuzzies unter Heulen und Wehklagen durch die Gänge jagt. Ihre Hand schließt sich kraftvoll um die Kaffeetasse. Jetzt bricht sie in einen Lachanfall aus. Angelinas blanke Rehaugen schauen ihre Kollegin milde an. Elvira springt auf und übt sich im Schattenboxen. Das Telefonat zwischen Marylin und George ließ sie beide, aber natürlich auch die mehreren hundert Mithörerinnen und paar Mithörer, noch allerhand Despektierliches erfahren. Ein Gespräch, welches in der nahen Zukunft rasant schnell zum Klassiker avancieren wird. Die Kommunikation bricht ab, als George erneut und vorerst endgültig die Stimme versagt. Beinahe zeitgleich mit dem geräuschvollen Eintreffen der drei Hospitalianer. "Da, da ist das Bett!" Frederico hat endlich das richtige Zimmer gefunden und rutscht lebhaft auf allen vieren dorthin. Stripper und Rocky folgen ihm. Sehen, daß es dort tatsächlich ein großes Bett gibt und in einer Nische eine Gipsbüste, eine Hand mit gestrecktem Mittelfinger. Seite 62
Black Mama Aha, auch noch ein Symbol des Wächters über gesunden Schlaf, folgert Rocky forsch und versucht erstmalig, selbst diese Figur zu formen. Frederico nimmt noch schnell George das Handy wieder ab, schubst ihn zurück auf den Gang und ahmt sofort Rocky nach. "Archäologengruß", sagt er dann, als sie sich alle drei die Mittelfinger zeigen. "Ja," bestätigen die anderen heiter und so vereinbart man im amüsanten Verschwörerton, sich jetzt nur noch so begrüßen zu wollen. Und falls dieser komische Weiße, also der, der da quatscht, wiederkommen sollte, wollen sie alle gemeinschaftlich ihn so begrüßen. Schließlich war er irgendwo doch ganz witzig, dieses Schreckgespenst. Stripper meint das natürlich nicht ernst. Frederico findet es cool. Rocky denkt drüber nach. Wer weiß, vielleicht hat dieser geheime Gruß aus längst vergangenen Tagen magische Kräfte? Vielleicht solche, die speziell auf und für Männer positive Auswirkungen haben? Na, ja. Zeit zur Arbeit zurückzukehren. Rocky klatscht ermunternd in die Hände, seinen kurzen Nacken nach links und rechts wendend. Die anderen sollen sich gefälligst etwas umtun. Jegliche Entdeckung sei sofort zu melden. Frederico zeigt auch sofort auf eine riesige Tafel, die über dem Bett prangt. Veredelt mit einem kurzen Sinnspruch sowie einer extrem kurvigen, extrem sparsam bekleideten Blondine. Im trüben Licht darf der Entdecker den kurzen Text stottern, der anfängt mit "Warum du mir gehörst, Süßer". Der Rest, soweit auf die Schnelle ausmachbar, handelt von der Abhängigkeit des Mannes vom Weibe und seinem einsamen frühen Tode ohne diese. "Aha", sagt Rocky, sich in den Schultern zurückwerfend, "so ist das also!" Frederico und Stripper sehen ihn an. "So wurden und werden wir Männer ausgequetscht und unterworfen. Das Geheimnis hätten wir jetzt ja wohl gelüftet!" Stripper fällt haltlos wiehernd in den Kleiderschrank hinein. Marylin droht vor Gelächter einem Erstickungsanfall zu erliegen. Frederico glotzt blöd und Rocky schnürt würdevoll seinen Bademantel. Neun Minuten später hat auch Stripper wieder Luft genug, um die beiden bei den Schultern zu nehmen und immer noch japsend zu sagen: "Jungs, ich glaube, ich muß euch was erklären. Da war doch vorhin so ein interessantes Buch." Und nun wird er dozieren über das Thema, daß Sex im Leben eines Mannes nicht alles, aber alles andere eben unwichtig sei. Stripper erklärt seinen beiden Schülern nicht nur was, sondern auch wie weit gefächert "Sex" ist. Als Beispiel erzählt er einen Schwank aus seinem Leben, damals vor seinen Operationen, als er noch 1,65 Meter groß war und mit Kugelbauch, ekliger Frisur und Gurkennase durch die Welt gehen mußte: Ich hatte gerade einen neuen Job angenommen. Im Geschäft für Ehehygiene an der Ecke. Da kommt ein Typ mit zwei blauen Augen rein. Ich frage ihn, was passiert ist und er sagt, das wäre alles die Schuld der Gummipuppe. Aha, die Ehefrau war eifersüchtig oder der Typ von nebenan dachte, es wäre seine Frau. Aber weit gefehlt! Der Kunde hatte sich auf die Puppe gestürzt, mit beiden Händen nach dem ersten zur Verfügung stehenden Mops gegriffen, da drosch ihm das zweite Ding aufs Auge. Er handelt reflexartig, haut beide Pfoten auf das andere Teil und hat sofort das zweite Veilchen. Jetzt reicht es ihm! Er packt beide gleichzeitig! Mit voller Wucht! Er wird doch wenigstens noch eine Gummipuppe zügeln können! Tja, da haut`s dem Ding die Beine hoch, eins zwischen seine. Er springt natürlich jodelnd hoch! Fällt zurück! Stürzt sich auf die Puppe als Ganzes! Seite 63
Black Mama Er prallt ab, die Puppe platzt. Seine Fresse war lädiert und er nur noch Besitzer von Gummifetzen. Rocky hat diese kleine Anekdote leider nur sehr begrenzt verstanden. Leicht genervt davon, irgendetwas offensichtlich Fundamentales nicht zu wissen (und das ihm als Detektiv), macht er sich wieder davon, weil er "schließlich noch zu arbeiten" hätte. Stripper und Frederico, überrascht von diesem kleinen Ausfall, folgen ihm interessiert, um ihm, einem "Oberen Verwaltungsdetektiv", bei der Arbeit zuzusehen. Rocky, erneut leicht genervt, krabbelt auf Knien in das dem Schlafzimmer am nächsten liegende Räumchen, um "Daten zu sammeln, die eine einwandfreie Erkennung und Nutzung der Möglichkeiten beinhalten, die offensichtlich dem quatschenden Weißen zur Verfügung stehen". Prompt verschwindet er im Spiegel und damit vor den Augen Strippers und Fredericos, die mangels weiterer Anweisungen erst einmal vor Ort verharren. Jim-Bob, der inzwischen seine Pläne, sich an der Heizung zu erhängen, aufgegeben, um nicht zu sagen, einfach vergessen hat, ist überglücklich, daß soeben zumindest einer der Geister wiedergekommen ist. Zwar stößt dieser nur wilde und ihm unverständliche Flüche aus ("Hätt´ ich Idiot mich doch für den Putzwagen entschieden!"), aber besser als nichts. "Okay, Weißer." Rocky, erschöpft vom vielen Fluchen, entbietet höflich den gestreckten Mittelfinger mit knallender Hand auf dem Oberarm. "Ich glaube, du schuldest mir jetzt erst einmal ein paar Erklärungen." Er verlagert sein Gewicht auf ein Bein und hakt die Daumen hinter die Patronengurte. Jim-Bob, leicht verunsichert, ist inzwischen dazu übergegangen, zu glauben, daß, wenn es schon nicht die Heiligen Drei Könige und auch nicht Todesboten sind, es sich noch um Schutzgeister handeln könne. Offensichtlich um moderne solche, wenn sie einem den Finger zeigen. In Unkenntnis, welche Erklärungen gemeint sein könnten, fängt Jim-Bob stammelnd davon an, daß man ihn angeschissen, seine PC`s beschlagnahmt habe. (Er zeigt seinerseits den gestreckten Mittelfinger.) Auch bliebe sein Werk `Die Reitpeitsche´ nun unvollen .... "Ja, ja, ja. Und was zur Black Mama ist ein "PC", du Toilettentieftaucher?" Jim-Bob macht ein dümmliches Gesicht. Ob Geister über keine Computer verfügen? Er dachte immer, die wären allwissend. Wohl doch nicht. Oder dieses ist ein noch junger Geist? Einer, der in der Ausbildung ist, eventuell? So gesehen, der sieht wirklich nicht aus, als wenn er Jahrhunderte alt wäre. Jim-Bob patscht mit der Hand auf die uralte Gurke, die auf seinem Tisch steht. Letztes Wochenende preisgünstig auf dem Flohmarkt erworben, womit sich der Verkäufer die unangenehme Frage der Entsorgung vom Hals schaffte. "Das hier ist ein PC!" "Ach, das Riesen-Handy! Ach so." "Riesen-Handy, haha. Ja, das ist gut!" Wort- und gestenreich führt Jim-Bob nun aus, wie gern er sich doch wünschen würde, sich mit seinem unvollendeten Roman vereinen zu können, ein Teil des weltumspannenden Nets zu werden, asexuell zu sein, die reine Liebe zu spüren, weil er dann ja auch keine eigenen Gene mehr weitervererben könne. Nie wieder scheißen müssen, nie wieder schwitzen, leider auch nie wieder Rausch. Er beendet seinen Ausfall mit "Viva la libertad!", Kopf und Haupthaar heftig schüttelnd. Rocky, restlos geätzt davon die begehrten Antworten gar nicht, unerwünschte dafür umso reichlicher zu erhalten, kriecht auf Knien den Raum ab, um einen Weg nach draußen zu finden, zurück in die oberen Geschosse von Hospitalia. Dabei gerät er hinter die Gardine und sieht erstmalig in seinem Leben in dunkler Nacht hellen Mondenschein auf schneebedeckten Hügeln vor Waldesrand glitzern. Das dreidimensionale Bild findet er sehr hübsch und fragt den Weißen, warum er so doof wäre, es zu verstecken, und wo, blackmamanochmal, denn nun dieser verdammte Ein- und Ausgang wäre? Jim-Bob, auf der Hut über all jenes, was der Geist da erzählt, es kann schließlich immer alles eine Prüfung sein, antwortet vorsichtig und ausweichend. Ein Geist, der keine Nacht kennt? Vorsichtig schiebt er sich zum Fenster, tut einen schnellen Blick nach draußen. Seite 64
Black Mama Alles normal da. Was will der eigentlich? Es ist dieses eine der Situationen, wie sie erst kürzlich in "Frau Heute" diskutiert wurde. Ein Männerhirn trifft auf intelligentes Leben in einem bisher unbekannten Bereich (wenn auch kein fremder Planet). War allerdings bei "Frau Heute" noch von Hospitalia-Männerhirnen überlegenen Intelligenzen die Rede, wird hier die Unvollständigkeit dieses Gedankens klar, wenn ein gewisser Punktegleichstand herrscht. Jim-Bob entgeht geschickt weiteren unangenehmen Fragen, indem er einen sinnreichen Text aus einem seiner multimedialen Werke zitiert: Mein verbliebener Leichnam lächelt sein Lächeln des Schädels, Als er sich dem Staub der Ewigkeit zufügt, Von einem Wind davongetragen, Ein jedes Staubpartikel ein Virus. Möge es andere infizieren, Möge es auf fruchtbaren Boden fallen. Auf daß der Kranke weiter wachse, Mehr von ihnen infiziere, Als mein Körper es vermochte. Jim-Bob faltet die Arme überkreuz, hält die Augen für eine Redepause ergriffen geschlossen. Rocky, in Sachen Literaturlesung gänzlich unerfahren, gibt ohne Aufforderung eine ehrliche Meinung ab. "Weißt du? Irgendwie kann ich verstehen, daß Black Mamas Heilige Kühe Typen wie dich als Hopitalias schlimmstes Gift bezeichnen." Jim-Bob hat den Zusammenhang nicht ganz verstanden, unterläßt aber beleidigt jede Nachfrage. Stattdessen wechselt er pikiert das Thema. Was das vorhin eigentlich sollte? Ihm einfach so den Mittelfinger zu strecken? Rocky, mitleidig lächelnd, gibt zu verstehen, nur höflich gewesen sein zu wollen, was aber wohl nicht von jedem Primi verstanden werde. "Ach soooo ist das! Aber Rocky, mit dem Finger kannst du doch noch viel, viel mehr erreichen!" Etwa wenn Mann sich bei Frau beliebt machen wolle, sei dieses der Zauberfinger, um wirklich waaahnsinnige Reaktionen hervorzurufen. Rocky, mangels Möglichkeit Interesse an Frauen entwickeln zu können, hakt interessiert nach, ob man diesen Zauberfinger nicht auch verwenden könne, um sich bei Verwaltungsgeiern beliebt zu machen. Dort nämlich hätte er seine größten Schwierigkeiten. Jim-Bob bestätigt, eifrig nickend, daß gerade bei der Verwaltung dieses ein todsicherer Weg wäre, um endlich einmal für Bewegung zu sorgen. "Zeig´ ihnen den Finger, Rocky! Und danach - danach wird man sich ganz gewiß um dich kümmern! Wer weiß? Vielleicht bekommst du sogar ein eigenes Zimmer? Das geht manchmal sehr schnell!" Rocky ist begeistert: "Wirklich?" "Wenn ich es dir doch sage! Man wird dich gar nicht mehr gehen lassen wollen!" Rocky seufzt vor stillem Vergnügen. Er hat doch gewußt, daß an diesem verdammten Finger irgendetwas dran ist. Er hat es gewußt! Ob Jim-Bob das auch wirklich ganz ernst meine? Jim-Bob bestätigt, daß er es sehr ernst meine. Rocky kalkuliert die Möglichkeiten. Wahrscheinlich besser, wenn er das Geheimnis erst einmal für sich behält. Tief über ihre Schreibtische gebeugt, grübeln Angelina und Elvira. Denn in einem herrscht Einigkeit. Das "Wo läuft das Pünktchen-Projekt", als unterhaltsame Wette zur Einspielung viel Geldes und netter Nebeneffekte, will sorgfältig vorbereitet sein. Plötzlich werden Elviras leuchtend weiße Zähne in dem tiefdunklen Gesicht hinter einem mokanten Lächeln sichtbar. "Eigentlich sollten wir auch einmal an eine Gehaltserhöhung denken. Die Lebenskosten in Hospitalia steigen schließlich." Angelina lehnt dieses ganz kategorisch ab. Ihre nerzbraunen Augen sind voller Zorn, über diese - diese ungeheuer dreiste Selbstbedienungspolitik. Nie und nimmer sei solches mit ihr zu machen. Seite 65
Black Mama Und wenn doch, dann nur wenn rückwirkend für die letzten drei Jahre. Sie prustet quietschvergnügt und Elvira atmet ehrlich erleichtert auf. Anschließend wird man sich einig, daß für den Wettplan so etwas wie ein Prototyp hermüsse. Nach kurzer Überlegung (und Elviras zartem Drängen) hat man sich entschieden, es erst einmal mit einer einzelnen Figur zu versuchen, vorzugsweise natürlich einem Mann. Die Wahl fällt auf Stripper, weil der "ohnehin keine gesellschaftliche Rolle spiele". Er besitzt nämlich aus Gründen der persönlichen Sicherheit kein Konto. Außerdem liegt - für alle Eventualitäten - bei diesem Stripper-Typen die Möglichkeit einladend nahe, darauf hinzuweisen, daß man ihn auch gleich ganz verschwinden lassen könne .... Bei den vielen Männern, die in letzter Zeit abhanden kämen, wäre er schließlich nur eine Ziffer in der Statistik, die ohnehin niemanden interessiere. Die Damen der Kontrollinstanz wiehern heftig. Da wäre die Drohung ja beinahe witziger als das eigentliche Spiel! Wo man schon dabei ist, befindet man auch gleich, daß Typen ohne Konto ohnehin verboten gehörten. Wie soll man so Steuern kassieren? Das ohnehin nur noch geringfügig in Umlauf befindliche Bargeld wird zugunsten der Kontokarte (Buchung 1,20 KVK`s) aus dem Verkehr gezogen. Noch eine Idee von Angelina! Elvira knirscht nicht nur innerlich mit den Zähnen. Was ist bloß los? Ob die Tante heimlich eine Frischzellen-Kur gemacht hat? Mißtrauisch schielt sie die Kollegin aus den Augenwinkeln an. Die mangelnde Sorgfalt bei diesem Beschluß zur Vernichtung allen Bargelds wird allerdings sehr bald offenbar werden. Nämlich sobald einige hochstehende Persönlichkeiten feststellen, daß bei der existierenden "Kontofreiheit" nun eine jede - zur Belustigung der Bevölkerung - als Kundin von eher pikanten Artikeln oder Dienstleistungen ausgemacht werden kann. Vor allem die Redakteure eines einschlägig als obrigkeitsfeindlich bekannten Magazins werden sich einen Heidenspaß daraus machen, gerade die Konten bekannter Personen nach delikaten Empfängern abzusuchen, um schamlos darüber herzuziehen. Bargeld wird daraufhin sehr bald wieder zugelassen werden. Es habe sich lediglich um eine komplizierte Währungsangelegenheit gehandelt. Angelina checkt mal eben die Monitore, wo die Stripper-Type gerade steckt und wohin er wohl laufen möge. Zu ihrer beider nicht geringen Überraschung macht man ihn unterhalb der Pathologie aus. Da also versteckt sich das kleine Miststück zwischen seinen Auftritten! Kein Wunder, daß Elvira ihn nie außerhalb der Bühne gefunden hat! Na warte! Sofort werden fieberhaft uralte Grundrisse studiert, wobei man verärgert feststellt, daß irgendwann einmal eine ihre Vorgängerinnen mit zitternder Hand eine komplette Wohnung, schräg unterhalb der Pathologie, als "Verbotene Zone" gezeichnet hatte. Verbotene Zone? Was heißt denn hier verboten? Seit wann ist denn für die Verwaltung, zumal die Kontrollinstanz, irgendetwas verboten? Frechheit! In der ZeitenWanderer-Redaktion bricht derweil eitel Freude aus. Die Aktion aus Vergangenheit und Zukunft Lieblingsartikel und ähnliches einzusenden, ist ein voller Erfolg! Inzwischen hat man mehrere Sonderausgaben bringen können, ohne erst lästige Redakteursgehälter dafür aufwenden zu müssen. Erstaunlicherweise hat sich auch die Nachfrage, Werbung im ZeitenWanderer zu schalten, angenehm vervielfacht. Der größte Run aber, der erfolgte ausgerechnet auf eine völlig altmodische Papieranzeige hin. Stripper, beinahe in Lebensgröße, neben ihm die Chefredakteurin. (Glücklicherweise erlaubte moderne Drucktechnik, was der Puder nicht geschafft hat. Ihr Gesicht ist schön dunkel und auch noch etwas verschlankt.) Sicher, die ersten einhundert Werbeplakate dieser Art sind alle binnen Minuten geklaut worden. Aber die anderen neunhundert Teile, die hat man - mit saftigem Aufschlag - über eine gerahmte Kleinanzeige verkauft. Selbst die Kaffekasse ist voll und das Telefon wieder in vollem Umfange benutzbar. Seite 66
Black Mama Trotzdem, so recht wohl ist der Chefin nicht in ihrer gefleckten Haut. Nicht deshalb, weil fast alle fragten, ob man nicht die Kuh auf dem Bild wegschneiden könne und es dann vielleicht billiger sei, nein, nein, das ist nicht der Grund. Daß der blöde Zwerg und die blonde Marylin-Kröte auf dem Poster nicht zu sehen sind, belastet sie ebenfalls herzlich wenig. Nein, vielmehr ist es diese Vergangenheits-/Zukunfts-Artikel-Aktion. Irgendjemand scheint da nämlich mal wieder den Witz nicht recht kapiert zu haben. Oder weshalb sind da ein paar Artikel eingetroffen, von denen man wirklich glauben möchte, daß sie aus der Zukunft sein könnten? Oder, schlimmer noch, jene, die aus sehr viel länger zurückliegenden Tagen als erwartet stammen? Unter anderem auch die sagenhafte Nr. 1. Der allererste und inzwischen jahrhundertealte ZeitenWanderer-Artikel, der je geschrieben wurde ... Aktionäre erwarten Profit, Profit, Profit - Neue Gewinnstrategien für Banken mit Filialnetz (Teil I) von M. Achiavelli Banken müssen Tradition, Vertrauenswürdigkeit und lange Geschichte nach außen hin symbolisieren! An dieser Stelle ist von nun an Flexibilität gefragt! Wir können nicht mehr auf der Stelle stehen. Das ist wörtlich zu nehmen, Herrschaften! Die Innenräume der Bank müssen in Zukunft dem römischen Kolosseum nachempfunden sein, ohne die Vorzüge der Moderne außer Acht zu lassen! Stellen Sie sich jetzt bitte die Ränge innerhalb des Kolosseums vor: Sie stehen unten an der Stelle des Schalterbeamten, an einem abgeschirmten Podest (etwa mit Stahlstacheln versehen, verbunden mit dem Werbeschild eines lokalen metallverarbeitenden Betriebes). Der Kunde kommt durch abgeschirmte Eingänge über den Sand auf sie zugelaufen. Das heißt, der Schalter muß auf einem Kettenfahrzeug aufmontiert sein, einen um 360 Grad beweglichen Turm, ein hochempfindliches Mikrofon und ein Dutzend Kameras haben. Die Kameras übertragen die Bilder von Schuhen, Beinbekleidung, Gürtelschnalle, Kehlkopfbereich (Stichworte: Schluckbewegungen, Griff an die Krawatte) auf mehreren dem Publikum aber nicht dem Kunden zugänglichen Monitoren. Der Schalterbeamte verfügt natürlich über eigene weitere Monitore, welche die Schwächen des menschlichen Auges ausgleichen und anhand der Bildauswertung (Markenkleidung, Lebenserwartung anhand von Kopfbehaarung und Zähnen) eine Bewertung der Kreditwürdigkeit liefern. Die Höhe dieser Wagen sollte so ausgerichtet sein, daß die zum Arbeitsbeginn noch leicht staubigen Stiefel des Schalterpersonals in Gesichtshöhe der Kundschaft sind. So - und nur so - wird dieser die Gelegenheit gegeben, zu demonstrieren, wer von ihnen am ehesten das Vertrauen der Bank verdient. Beträge, Formulare etc. sind auf eine bodenlange Abfallschaufel des jeweiligen Schalters zu legen. Die teuren und ohnehin nur enervierenden Quittungen werden ab sofort abgeschafft. Der Kunde muß lernen, Vertrauen zu seiner Bank zu haben! Abgelehnte Kreditnehmer sollten vom Publikum ausgiebig verlacht, verhöhnt und beworfen werden dürfen. Die Schalterbedienung, an Kleiderordnung ohnehin gewöhnt und vertraglich gebunden, erscheint fortan sowohl in traditioneller Gladiatorenkleidung als auch in modernem Lack- und Gummi-Outfit mit Handschellen, Gummiknüppeln, Spiegelbrillen und Schirmmützen. Dieses steigert noch einmal das Interesse des Publikums, das sich somit auch eher mit dem Schalterpersonal identifizieren kann, was in der Vergangenheit so gut wie nie der Fall war. Nutzen Sie diese Chancen jetzt - bevor es die Japaner tun. Abschließend, ahem, möchte ich aus gegebenem Anlaß einen geradezu unwürdigen Vorschlag zurückweisen! Das weibliche Schalterpersonal nach 22.00 Uhr oben ohne herumlaufen zu lassen, mit dem Argument "sex sells", ist unter keinen Umständen diskussionsfähig! Geldhäuser sind seriöse Unternehmen! Seite 67
Black Mama Jim-Bob, Autor und Herausgeber dieses Artikels in einer Person, hat bezüglich Geldinstituten sehr eigene Ansichten. Nun hat er diese, zum Beweis seiner schöpferischen Intelligenz, dem etwas gereizt wirkenden Rocky zur Aufheiterung in die Hände gedrückt. Leider ist es den beiden bisher nicht gelungen, herauszufinden, daß der eine aus Hospitalia und der andere aus dessen Vergangenheit stammt. So gehen beide davon aus, denselben kulturellen Hintergrund zu haben. Dieses kleine Mißverständnis macht es ihnen schwer, Normverschiebungen beim Humor zu erkennen. Für Rocky klingt diese Beschreibung des Bankenwesens nämlich sehr vertraut und damit banal. Um nicht noch weiter mit solchen Alltäglichkeiten belästigt zu werden, führt er sein unterbrochenes Verhör vorsichtig fort: "Wo zur Mama bin ich hier eigentlich?" Jim-Bob, aus Gründen der Inspiration beschäftigt mit einer alten Lieblingslektüre (Robin Hood / König der Geächteten), brabbelt als Antwort zusammenhanglos, aber ausführlich von der Zeit dieses Bogenschützens. Rocky stöhnt. Daumen und Zeigefinger auf die Augen pressend, müht er sich, noch einmal alle Fakten zu sammeln. Zwei Weiße. Einer grunzt, einer redet wirr. Weiße Männer kann es eigentlich gar nicht geben. Wenn doch, dann sind es böse Geister. Wenn dem so ist, befindet er sich folgerichtig irgendwo in der Hölle. Okay, soweit die bekannten Daten. Welche Fragen ergeben sich jetzt daraus? Gibt es einen Weg aus der Hölle? Wenn ja, dann wo? Die Fluse, die drüben vertrocknet im Sessel hockt, hat ihn ja offensichtlich nicht gefunden. Beruhte offensichtlich auf Gegenseitigkeit. Der Typ wäre doch längst auf Tellern gelandet, wenn man nur von dessen Ableben gewußt hätte! Man wußte aber nichts davon, weil normalerweise kein Schwein freiwillig zur Pathologie dackelt! Geschweige denn auch noch darunter. Rocky seufzt. Falls der Frederico-Depp nicht gelogen hat, kommt das andere weiße Kamel auch von unter der Pathologie her. Also doch die Hölle! Mißtrauisch blickt Rocky um sich. Nie hätte er gedacht, daß an dem Geschwätz von Black Mamas heiligen Kühen tatsächlich irgendetwas Wahres dran sein könnte. Andererseits - so bedrohlich findet er diese weißen Teufel gar nicht. Die Lucky Lakritz, die er sich in den Mundwinkel stecken wollte, läßt er angewidert wieder in der Tasche versinken. Sie hat, trotz der Opferung mehrerer Streifen seines Notizblock-Klopapiers, unrettbar den intensiven Geruch des Bademantels angenommen. Also, kurzes Schütteln, angefangen hatte doch alles in diesem idiotischen Wandschrank. Rocky stellt seine einssiebzig hinein, sieht sich um. Eigentlich komisch, obwohl das Szenario stimmt, ein dunkles Loch tief unten, bewohnt von einem mysteriös klingenden weißen Mann, hat er sich die Hölle irgendwie ganz anders vorgestellt. Was die Verwaltung wohl mit dem Typen anstellen würde? Höchst verwundert blickt Jim-Bob über den Buchrand dem seltsamen Besucher zu, wie er in seinem Wandschrank herumgrabbelt. Rocky entdeckt jenes, was er vorher nicht weiter beachtet hat. Der Wandschrank hat einen ziemlich großen Spiegel! Breit lächelnd läßt er seinen Arm darin verschwinden. "Die Nummer ist nicht schlecht, Weißer! Aber ein Profi findet es trotzdem `raus." Jim-Bob lächelt höflich. Es ist ja bekannt, daß Geister durch Wände gehen. Kopfschüttelnd sucht er zwei annähernd saubere Gläser. Ob Gespenster trinken können. Als er Rocky den Martini hinhält, ist niemand mehr da, der ihm den abnehmen könnte. Die Vermarktung von Marylins und George leidenschaftlichem Telefonat unter dem Titel "Rein sexuell betrachtet" (gesponsort von Blut & Busen) ist ein absoluter Seite 68
Black Mama Renner geworden. Marylin ist glücklich. Singend und tanzend läßt sie Skalpelle auf Gläsern mit sterilen Lösungen klingeln, während ihre digitalen Kontoeingänge scheinbar unaufhörlich in die Höhe ziehen. Nur schade, daß bisher niemand ihr neu erdachtes Liedgut (`KVK`s are a girl`s best friend´) sponsern mag. Verspielt dreht sie eine Pirouette. Selbst Blut & Busen ist derart überwältigt von diesem Telefon-Erfolg, daß man händeringend neue, phantasievolle Sprecher sucht, um gleich eine ganze Reihe zum Thema präsentieren zu können. Denn die dort draußen auf den Gängen, die sind so bewegt, wie seit ewig langer Zeit nicht mehr. Zu hunderten krächzen dort draußen erwachsene Patientinnen mit französischem Akzent lustvoll Georges angegriffene Stimme nach. Wiehernd wettern sie Marylins deftige Beleidigungen in immer wieder neuen Variationen. Für nur ein KVK ist dieses Telefonat immer wieder abzuhören - der totale Abräumer! Mitten drin und laut hupend, in schnittigen E-Rollstühlen, stehen Angelina und Elvira. Wer hätte gedacht, daß es auf dem Weg zur Pathologie ein solches Verkehrschaos gibt? Noch ahnen sie nicht, daß die Hundsfellies inzwischen abgetreten sind, dafür aber Marylin zwischen Seziertischen, Knochensägen, Plastikwannen, den typischen Düften einer Pathologie, sowie Gläsern und Flaschen umhergeistert. Rocky aber verdient jetzt endlich einmal Geld! Er markiert das Net, wo immer er hinkommt, mit diesem blöden Spruch. Was natürlich den Vorteil hat, daß er so feststellen kann, wo er schon einmal war, da bisher offensichtlich niemand daran gedacht hat, Wegweiser hier aufzustellen. Na ja, wo auch immer er gerade sein mag, zumindest hat er jetzt einen Gang mit ein mehr geöffneten Türen ausfindig gemacht. Rocky strafft seinen Bademantel, glättet Gurte und Holster, und tritt kraftvoll in die nächstgelegene Tür ein. Prompt blickt er einem Verwaltungsgeier ins Gesicht, die wiederum ihm und beide Rocky , noch im gestreckten Lauf, findet zumindest eines sehr tröstlich. Noch mitten im Lauf findet Rocky eines zumindest sehr tröstlich. Es ist offensichtlich nicht nur alles, was die Verwaltung verflucht, in der Hölle zu finden, sondern auch jenes, was die Patientinnen schon immer dort vermutet haben. Hechelnd bremst er mit quietschenden Sohlen vor der nächsten Öffnung. Vorsichtig jetzt, ganz vorsichtig, lugt er um die Ecke. Aber, heh, das ist ja ... Na endlich! Endlich angekommen! Rocky zittert fast vor Freude, überprüft und zupft erneut seinen Bademantel zurecht, dann schreitet er hinein. Hinein in ein Hospitalia, dreihundert Jahre bevor er geboren werden wird. Es ist ein sehr fröhlicher Tag, dieser Tag in Hospitalia, was gleichzeitig der Grund für das totale Verkehrschaos ist, in dem selbst die Tröten der Verwaltungsrollstühle sich nicht mehr so recht durchzusetzen vermögen. Geld oder Leben sieht beeindruckt ungeheure Renditemöglichkeiten in den "speziellen Handy- und artverwandten Dienstleistungen", die diesen spontanen Feiertag (im Gegensatz zu vorherigen) wirklich erlebnisreich machen. Brille & Krawatte umschreibt verblüfft "die fast revolutionäre Begeisterung", die auf Hospitalias Gängen herrsche, bei dem Gedanken an ein offensives Leben in Lust, wo jede Frau einen eigenen Mann und Gepäckträger zur Verfügung habe. In Rocky macht sich inzwischen Unruhe breit. Aha, also wieder daheim. Na fein. Aber wo sind die anderen Idioten jetzt? Weg? Abgehauen? Na toll! Den Weißen haben sie natürlich auch gleich weggeschleppt! Während er sich noch mit dem anderen Riesenrind abgeben mußte, sich verzweifelt bemüht hat, für alle einen Gang nach oben zu finden, sind die längst ohne ihn Leine gezogen! Warum auch nicht? Ist ja nur er! Kassieren tut man ja auch am besten allein! Wozu ausgerechnet mit ihm teilen, der all diese Hornochsen erst zusammengebracht hat? Magensäure- und Gallenwerte in Rockies Innerem erreichen ungeahnte Höchstwerte. Adieu, Handyanschluß! Seite 69
Black Mama Ciao, du Zimmer mit Bett! Leb´ wohl regelmäßige Mahlzeit! Zurück zum Start! Gehen Sie nicht über LOS, ziehen Sie nicht 4.000 KVK`s ein, fangen sie ganz von vorne an! Es Es Es Er
reicht! reicht! reicht! hat es satt, anderer Leute Depp zu sein!
Die, von diesem Zeitpunkt aus gesehen, erst später entstehende Religionslegende, Weiß würde Tod bedeuten, hatte, dreihundert Jahre vor Rockies ursprünglicher Geburt, noch einen Sinn. Dieser war, daß die ersten Dauerbewohner Hospitalias wohl gegen Krankenhaus-Keime resistent wurden, aber es nicht mehr waren gegen jene "von draußen", aus der mehr oder minder freien Natur. Berührung mit den anderen, denen "von oben" (gemeint waren die Leutchen aus den überirdischen Stockwerken) - und die trugen immer blendend weiße Kittel, Söckchen und Schühchen - verliefen zumeist tödlich für beide. Der eine starb am Krankenhaus-Keim, der andere am Schnupfen. Mit Hautfarbe hatte diese Trennung voneinander nichts zu tun. Aus diesem überlebenswichtigen Grunde trennte man in einer rigorosen Quarantänemaßnahme die oberen und die unteren Etagen voneinander - in gegenseitiger Panik. Sicher hätte man diese Sicherheitsschleusen irgendwann auch gern wieder geöffnet. Doch leider hatte es zwischenzeitlich für die "Oberirdischen" so etwas wie einen "mortus abruptus" gegeben. Ein definitiv einmaliges Erlebnis. Dieses Ereignis, welches den Kellerhospitalianern in seiner Ursache nie ganz erklärlich wurde (weil es auch keiner so genau wissen wollte), schien zu empfehlen, die Luken auch weiterhin lieber dicht zu lassen. Die damalige Verwaltung beschloß - im Interesse der Bevölkerung - es am besten ganz zu verschweigen. Viele Jahre darauf machten werbende Körperdesigner sich und auch der modebewußten zahlenden Bevölkerung ihren eigenen Reim darauf. Rocky aber läuft Amok! Er wütet, schnaubt, tritt, trampelt, ranzt sich seinen Weg durch die Gänge frei, wirft Inhalte von Kisten und Kästen handvollweise in Zimmer und Gänge! Wo Rocky schaurig durch die Gänge brüllt, fliehen Personal wie Patienten scharenweise. Man erzittert, flüchtet bei seinem Anblick. Gar zu kranke Patienten, die nicht weglaufen können und Patienten, die nicht mehr krank sind und es auch nicht wieder werden möchten, jubeln ihm schon aus der Ferne, wenn auch eher verunsichert, zu. Aber so leicht ist Emilio alias Rocky, Begleitservice, Sicherheitsstudio, Detektivbüro usw., usw., jetzt nicht mehr zu stoppen! So, weglaufen tun sie, wenn sie ihn nur sehen? Er wirft sich in grüne OP-Kleidung, zieht knallend Gummihandschuhe über und die OP-Maske vors Gesicht. Er hat noch ein paar Überraschungen auf Lager. Die sollen büßen! Alle! Ein Gummischlauch, straff wie eine Gitarrensaite, wird quer über den ersten Gehwagen gespannt. Spritzen, Kanülen und Eßbesteck pfeifen sirrend durch die Luft. Der letzte zitternde Trupp kräftiger Krankenpfleger ("Hilfe, ein Verrückter!") flieht in heilloser Panik. Rocky nimmt keinen Fahrstuhl. Rocky nimmt die Treppen. Immer drei Stufen auf einmal. Von ganz unten, bis nach ganz oben. Und er kämpft und er wütet. Die Wohlsituierten wirft er aus ihren bequemen Rollstühlen, verschenkt diese an andere Kranke, die sofort versuchen, die verräterischen Teile wieder loszuwerden. Und er bedient und er verteilt. In Rekordzeit steht wirklich schmackhaftes Essen für vierhundert Personen bereit. Er heilt und er pflegt und er schlägt. Seite 70
Black Mama Dutzende von Personen werden mit dem Wissen der Neuzeit blitzartig kuriert, welches in dreihundert Jahren völlig normal sein wird. (Zuweilen aber auch mittels plötzlicher Wunderheilung, die von den schrill jubelnden Betroffenen ganz allein auf seinen heiligen Anblick zurückgeführt wird.) Am Ende aber, am Ende dieses überaus ereignisreichen Tages ist die Suche nach Stripper, Frederico und Marylin ebenso erfolglos geblieben wie die nach Angelina - und damit die letzte Möglichkeit seine wohl verdienten KVK`s doch noch einzukassieren. Der ZeitenWanderer im Jahre 2048, gibt sich von den aktuellen Tagesnachrichten unbeeindruckt. Stattdessen wirft man eine neuartige Sonderausgabe unters Volk, ein aufwendiges Musik- und Bilderspektakel. Es handelt von einem kleinen Mädchen mit orangem Haar, welches mit der Spraydose auszieht, um Hospitalia mit Spruchweisheiten und farbigen Bildern zu beglücken und gelegentlich auch zu verschönern. Der Absatz von Buntstiften steigt seither bemerkenswert. Elvira, mit ihrem schicken E-Rollstuhl eingekeilt zwischen Essens- und Wäschewagen hupt, ganz entgegen ihrer Gewohnheit, nur noch wenig. Sie möchte, nur so für alle Fälle, die Gespenster nicht noch unnötig auf sich aufmerksam machen. So kann sie in all dem sie umgebenden Lärm wenigstens noch ihr Handy hören, wo eine Untergebene sie im etwas bemühten Plauderton, so ganz beiläufig fragt, ob ihr die Nachricht "Beer and Tequila forever" etwas sage? Ob sie die verschiedenen Figuren auf dem Schirm schon erblickt hätte? Der eine wäre ja echt sexy, aber die anderen beiden? Elvira antwortet nicht, da macht die Kollegin, etwas unsicher, einfach weiter. Ob es sich um einen aktiven Bildschirmschoner handele? Wie gerade die orange-blaue Figur ja nahelege. Oder vielleicht eher eine neue Form der Motivation am Arbeitsplatz durch Zuckerbrot und Ekel? Nein, nein, nichts verraten, jetzt hätte sie es! Es handele sich ganz ohne Zweifel, um intelligente Hilfsprogramme, um das Leben am Bildschirm effektiver zu gestalten. Elviras Antwort ist kurz und heftig, zieht die Intelligenz, Arbeitswilligkeit und -Eignung aller beteiligten Mitarbeiterinnen in Zweifel und endet mit der Feststellung, daß nichts funktioniere, wenn man es nicht selbst tue. Jetzt sind es schon drei Figuren geworden! Und einer bunt! "Alle verhaften!", wollte sie brüllen, aber dann wurde ihr klar, daß man weder Gespenster noch Dämonen einsperren, ja noch nicht einmal enthirnen kann. Wie gern hätte sie in diesem idiotischen Verkehrschaos die Angelina alleine oder wengstens vor ihr gehen lassen. Aber zum einen war da doch so eine gewisse Befürchtung, daß, wenn sie, Elvira, allein im Büro geblieben wäre, das weiße Frauengespenst dann bei ihr durch die Bürowand geschwebt wäre. Andererseits möchte sie natürlich auch nicht das Risiko eingehen, daß ihre Kollegin hinter ihrem Rücken eine Vereinbarung mit den Geistern trifft. Ihr geistiges Auge sieht geradezu Angelina auf Knien liegen, die Hände gefaltet, die Augen mit Krokodilstränen gefüllt. "Schone mein Leben, liebes Gespenst! Nimm lieber die Elvira! Die ist sowieso ein Miststück! Und wenn du möchtest, murkse ich sie für dich ab!" Nicht, daß sie kein Vertrauen hätte, aber ... "Blackmamanochmal! Geht es denn hier endlich mal weiter?" Als der Verkehr im Schrittempo weiterrollt, lacht Elvira wieder. Schließlich steht der Stripper-Typ am Ende dieser Warteschlange. Den kann sie nun wirklich nicht ihrer Kollegin überlassen. Wer weiß, wie die das arme Schwein sonst zurichtet? Erschöpft von der Mühsal der letzten Stunden, Minuten vor Mitternacht, ist "der echte Kernbeißer" (ZeitenWanderer) und "Megaheld" (Sex & Gewalt, Vorläufer von "Blut und Busen") restlos fertig mit den Nerven. Wieder war alles umsonst. Nicht einmal eine der Verantwortlichen hat er gefunden, um zum letzten Mal in diesem Leben eine ordentliche Tracht Prügel zu verteilen. "Man kann sein Schicksal hinauszögern, aber ihm nie entgehen." Ach, wie recht die Verwaltung doch mit diesem simplen Satz hat. Jetzt glaubt auch Rocky es. Leise pfeift er eine wehmütige Melodie, als ihm selbst dazu die Luft ausgeht. Er weiß, wann er verloren hat. Seite 71
Black Mama Noch einmal strafft er seine Gestalt. Er ist wieder im Einklang mit sich und der Welt und somit bereit! Bereit sich aufrecht, in den Sandalen, dem nächstbesten Putzwagen zu stellen. (Die es derzeit, dreihundert Jahre vorher, noch gar nicht gibt. Nur unregelmäßig erscheinende Schlägertrupps, die Herumlungernde aufgabeln, um diese zum Reinigen zu zwingen.) Als er sich von der Wand abstoßen will, um trotz heftigen Muskelkaters dem Putzwagen laufend entgegenzutreten, stellt er überrascht fest, von einem Pulk junger Damen eingekreist zu sein. Ein überaus anschmiegsames Mädel blinzelt ihn an. (Noch blaßbraun, das Schönheitsideal möglichst dunkel sein zu wollen, ist zu dieser Zeit noch nicht entwickelt). Mit leuchtenden Augen und gedehnten Bewegungen rutscht sie an seiner grünen Brust bis zu seinem Kinn hoch. Warum er denn das alles hier für sie täte? Seine Antwort zeugt von Bescheidenheit: "Keine Ahnung." Er nimmt das grüne Käppi ab. Das Mädchen kichert. Wie er heiße. Rocky, alias Emilio, nimmt die Maske runter und die erste Hälfte seiner inzwischen durchgebrochenen Lucky Lakritz zwischen die Zähne. Auf der gegenüberliegenden Seite beleidigt ein gnadenlos geschmackloser Kalender sein Auge. Angewidert spuckt er den Stengel aus. Dann sieht er das Mädel mit den gedehnten Bewegungen an. Er glotzt zum Kalender. Ein Schrei! Ein Sprung! Rockies linkes Knie landet auf der Sitzfläche eines herumstehenden Rollstuhls. Mit dem anderen Bein strampelnd, stößt er sich ab wie noch nie, rollt lautstark und ungeheuer schnell den Gang hinab! Nur Sekunden vor Mitternacht rast Rocky davon. "Komm zurück! Komm zurück zu mir!", kreischt das hinterherwetzende blaßbraune Mädel. "Wenn es an der Zeit ist!" schreit er philosophisch zurück. "Wer bist du? Wie heißt du, unbekannter Fremder?", hallt es hinterher. Seine Antwort und letzten Worte in dieser Epoche rollen als vielstimmiges Echo durch den Gang: "Nennt mich - Rocky Hood!" Und genau das werden sie tun. Über viele Jahrzehnte wird sie leben, die Legende von "Rocky Hood". Dem Mann, der aus dem Nichts der Tiefe kam, wie Pech und Schwefel stank, und Punkt Mitternacht wieder im Nichts der Tiefe verschwand. Rocky Hood, der innerhalb eines einzigen Tages die Machtverhältnisse in ganz Hospitalia erschütterte, der den Mächtigen Furcht und den Patienten Mumm einflößte und eindrosch. Der Amokläufer aus der Tiefe, dem jahrhundertelang niemand mehr nachzusteigen wagen wird. Solange bis sein Weg in Vergessenheit gerät. Rocky Hood, der Mann, dem weder kostenloser Sex noch Vielweiberei etwas bedeuteten. Erst zwei Jahrhunderte später wird eine Sekte, "Die heiligen Kühe Black Mamas", diesen Mythos enttarnen. Bei Rocky Hood habe es sich nämlich gar nicht um einen Mann gehandelt, wie irrtümlich behauptet werde, sondern um eine Frau! Denn ein echt männlicher Held wäre über das Frauensvolk nur so hergefallen! Aber, so die abschließende Feststellung, wann sind die schon einmal da, wenn man sie braucht? Jim-Bob stiert den Wandschrank an, durch den die Geister zu ihm hineinspaziert kamen und ihn auch wieder verließen. Warum kann ihm seine Phantasie nicht einmal einen weiblichen Geist zaubern? Einen mit kräftigen Kurven und derbem Verlangen? Die dürfte auch gern seine restlichen Klamotten dematerialisieren. Auch seine Unterhose. Diese Phantasie bis zur Neige auskostend, entledigt er sich seiner letzten Textilie. Voll überquellender Sehnsucht umarmt er seinen PC mit Monitor, wo in einer Diaschau unzüchtige Bildchen ablaufen. Seite 72
Black Mama Einmal mehr träumt er von Lust, Leidenschaft und Sinnesfreuden, als Rocky ihm auf die Schulter tippt. "Was tust du da, Weißer?" Jim-Bob, den Monitor zwischen seinen behaarten Schenkeln schlenkernd, kreischt: "Ich will Sex!!!" Rocky korrigiert ihn müde mit erhobenem Zeigefinger: "Ich möchte bitte Sex." Jim-Bob, der eilig in eine Ecke rutscht, um sich wenigstens wieder mit dem Notwendigsten zu bekleiden, blubbert Rocky an, er wäre eine blöde ungeile Sau. Stripper und Frederico wundern sich derzeit reichlich, wo Rocky denn bleiben würde? Sicher, er sei noch nicht lange weg, aber trotzdem .... Durch einen Spiegel trauen sie sich aber trotzdem nicht. Wer weiß, was da geschehen könne? Bestimmt haben sie letztesmal bei dem quatschenden Sabber nur Glück gehabt! Wozu also ein Risiko eingehen? Nein, nein, laß´ mal den Rocky-Typen machen. Wie hätte Stripper auch ahnen können, daß das Unglück bereits auf dem Weg zu ihm ist und nun derb an das metallene Portal der Pathologie hämmert? Elvira und Angelina begehren lautstark Einlaß. Marylin macht sofort einen Tauchgang in sauber sortierten Extremitäten. Schnell ein paar Oberschenkel auf sich legend, verschwindet sie in einem Regal. Keine Sekunde zu früh, soeben haben Angelina und Elvira schnaubend und schnaufend die Tür geöffnet. Zeternd, daß dieses keiner von innen getan hat und überhaupt, daß auf das Personal immer weniger Verlaß sei und wo diese häßlichen Hundsfellies stecken würden? Marylin, mit der Nase ganz vorsichtig einen Fuß aus ihrem Gesicht schiebend, hört die beiden Verwaltungsfachkräfte den direktesten Weg zu Stripper suchen. Da sie, Marylin, bei dem Abwurf des Kameraauges die Luke offen stehen ließ, fällt es den beiden Tussies nicht weiter schwer, den Aufenthaltsort des Pünktchens in ihrer Prototyp-Wette ausfindig zu machen. Der Augenblick ist gekommen! Elvira und Anglina werfen eine KVK-Karte, wer hinuntersteigen darf, um Stripper ausfindig zu machen, einzufangen und zu vernaschen. Die Verliererin muß natürlich oben bleiben. Elvira gewinnt. Der Stripper-Typ ist zum Greifen nah! Die Waffen einer Frau überprüfend (Gummiknüppel mit integriertem Elektroschock, Taschenlampe und Reizgas, sowie ein garantiert beißfestes Vampirgebiß) hangelt sie sich am verbliebenen Feuerwehrschlauch in die Tiefe hinab. Ihre blonde Haarbürste steht aufrecht. Angelinas Mundwinkel hingegen sind soweit nach unten gefallen, daß ihr dunkles Gesicht wie eine verschmierte Karikatur aussieht. Ach, wie gern hätte sie sich vom ersten Mann in Todesangst verwöhnen, verlocken und bedienen lassen. Wie die Elvira sie wohl diesesmal wieder beschissen hat? Aber das wird sie diese Kuh noch büßen lassen! Soviel ist sicher! Schnaufend hebt Angelina ihr Gesicht aus der Kellerluke, ihre teuren Designer-Knie entlastend, als hinter ihr ein Arm zu Boden purzelt. Die linke Augenbraue hochziehend, blickt sie irritiert auf. Ein Bein fällt klatschend aus dem Regal. Angelina wirft sich mit gesträubten Nackenhaaren flach gegen die Wand. Ein spitzer Schrei entringt sich ihr, als noch weitere Teile in Bewegung geraten. Mit rasendem Puls sinkt sie in die Knie, als Marylin langsam aus dem Regal kraucht und sich die Kleidung abklopft. "Hallo", sagt Marylin. Angelina tropft kalter Schweiß vom Gesicht. Oh, Black Mama! Die Marylin-Kuh, die letzte Nacht von der Einwohnermeldeliste verschwunden ist! Die, die aus der Pathologie telefoniert! "Treib´ nie Scherz mit dem Entsetzen!", hat sie zu Frederico immer gesagt. Jetzt glaubt sie es selbst. "Hey, sie sind doch die Tante, die ihren Sohn sucht?" Angelina fällt auf die Knie. "Ja!", stößt sie hervor, auf Knien über die kühlen Fliesen rutschend, die Hände gefaltet. "Frederico heißt er. Ja, das ist richtig! Seite 73
Black Mama Oder falls es nicht richtig war, habe ich das auf jeden Fall nicht gewußt. Das müssen sie mir einfach glauben!" Marilyn tritt auf die am Boden kauernde Person zu. Tolle Fingernägel. Muß ich mir auch machen lassen. "Ich habe ihn gefunden", sagt sie. "Wirklich?", entgegnet Angelina, den Schluckreflex unterdrückend, wobei sie ängstlich an Marylin vorbeischielt. Haben die ihn schon zerteilt? Marylin rechnet. Was ihr der Bengel wohl bringen mag? Ob das ihre Finanzen nennenswert beeinflußen wird? Nein. Kaum anzunehmen. Wer gibt für ein organisches Männchen schon mehr Geld aus als für das Teil mit Batterie? "Zahlen sie bar oder überweisen sie?", sagt sie, um die entstandene Pause zu überbrücken. "Ich ... ich ... brauche eine Rechnung, wissen sie", stammelt die Angesprochene. Marylin spuckt in Gedanken. Warum muß immer alles so kompliziert sein? Statt daß die Kuh dankbar fragt, wo die Pfeife steckt, will sie eine Rechnung! Na ja, die Typen von der Verwaltung, Papierkram ist ihr Leben. Angelina, die sich langsam vergewißert hat, es wohl doch mit einem lebendigen Menschen statt einem weiblichen Geist zu tun zu haben, findet langsam wieder zur alten Form zurück. Ihren breiten Hintern abklopfend, richtet sie sich auf und fragt, wo ihr Sohnematz denn eigentlich stecke? "Da unten", sagt Marylin, mit dem Zeigefinger auf die Luke weisend. Angelina brüllt, fällt klatschend auf den Boden zurück, steckt den Kopf in die Luke und kreischt. "Elviraaaaa! Elviraaaaaa!" Was unten nur als schauerliches Echo ankommt. Die Betroffene hört es natürlich, denkt aber im Traum nicht daran, sich zu melden. Der Stripper-Typ gehört ihr! Wie gewohnt zusammenhanglos, dafür ausführlich salbadert Jim-Bob herum, wie schön es doch wäre ohne alle Schweine dieser Welt. Völlig überrascht stellt Rocky in ihrer beider Wunschdenken Gemeinsamkeiten fest. Von hier an beginnt man erstmals ein gemeinsames konstruktives Gespräch, gepaart mit zwei Flaschen Martini und mehreren Tafeln Vollmilch-Traube-Nuß. Sehr schnell hat man einander ewige Freundschaft, keine Geheimnisse und wirklich originelle Witze geschworen. Rocky, in Erfüllung dieser Vereinbarung, beginnt mit der Lüftung eines Mysteriums. Lallend erklärt er, daß Spiegel eben keine solche, sondern ganz offensichtlich Pforten zu anderen Welten seien! Jedenfalls manchmal und er wisse, wovon er rede. Jim-Bob prustet, köstlich amüsiert. Der war gut! Ja, wirklich! Rocky hickst etwas von der Ernsthaftigkeit dieser Aussage. Jim-Bob hält sich den Bauch. Ein Geist mit Humor! Ja, davon hat er schon gehört. Da Rocky nun aber doch etwas böse wird, macht Jim-Bob einen Versöhnungsversuch, schwafelt etwas von der Magie der Voodoo-Riten und geheimen Buschzauber, der Weißen bis heute unerschlossen geblieben sei. Aber, trotz allem, er, Rocky, sei doch der glücklichere von ihnen beiden. Sei er doch ein zufriedener Buschneger, bei dem es wenigstens noch sauberes Wasser und Früchte im Wald geben würde. Im Wald, der irgendwo allen gehören würde. Und ob Rocky ihn nicht mitnehmen könne, er, Jim-Bob, habe von der Zivilisation ("Viva la libertad!") trotz Martini und Schokolade die Schnauze voll. Ja, ja, ja antwortet Rocky, der die Intelligenz seines Gegenübers neuen Erwägungen unterzieht. Jim-Bob werde jetzt gefälligst mit in das Ding kommen und dann werde er ja schon sehen! Rülpsend stellt man sich in den mittlerweile fürchterlich unordentlichen Wandschrank. Rocky steigt durch den Spiegel und Jim-Bob glotzt ihm hinterher. Ein Gesit, der durch Wände geht. Na ja. Achselzuckend kehrt er zurück an seinen Schreibtisch. Die Welt wartet auf neue Werke von ihm. Für Rocky aber haben sich endlich eine Vielzahl der Türen, Tore, Luken und Durchgänge im Net geöffnet, was ihn doch ziemlich überrascht. Er nickt kurz, ein Seite 74
Black Mama schneller Blick nach links, ein schneller Blick nach rechts, dann schmiert er eilends die Botschaft an die Wand. Vielleicht ist der Auftrag doch nicht so ungefährlich wie er zu Anfang dachte. Die Tante wird schon ihren Grund gehabt haben, daß sie die Sache nicht selbst erledigen wollte. Na, da wird wohl noch eine Gefahrenzulage fällig! Rocky, nun mehr auf der Hut denn je, hat gelernt, die Dinge behutsam anzugehen. Jetzt wird nicht mehr einfach in jedes Zimmer hineingestürmt! Jetzt wird vorsichtig um die Ecke gelugt. Aha, wieder einmal Verwaltungsgeier. Alle von hinten diesesmal. Erstaunt stellt Rocky fest, daß die Typen nicht nur in Käfigen existieren, sondern innerhalb dieser auch noch an Fußketten gebunden sind. Wehmütig sieht er die Berge von Törtchen, Gebäck und Naschwerk, aufgeschichtet um die erstaunlich künstlerisch gestalteten Springbrunnen aus denen ohne Unterlaß dampfende Kaffefontänen sprudeln. Sich ein Ruck gebend, zieht er weiter, von offener Tür zu offenem Portal, von ungläubigen Gesichtern, die endlos lange Zahlenkolonnen begaffen und aufschreien, wenn er ihnen die Zunge rausstreckt, über bunte Brettchen mit kleinen Steinchen, wo die ihm entgegenglotzenden Gesichter allesamt blitzschnell das Licht löschen. Dann wieder dieser ovale Doppelmonitor mit Hospitalias Tagesgeschichte. Hat er schon gesehen. Nur einen neuen, auch nicht gerade interessanten Effekt, scheinen sie in diesen Film eingearbeitet zu haben: Hin und wieder schließt sich das Teil von oben nach unten, was dem ganzen den Anschein gibt, als wenn man durch ein fremdes Augenpaar sehen würde. Was soll`s? Rocky hat erst einmal andere Sorgen. Rocky huscht und hopst amüsiert von einer offenen Tür zur nächsten, die sich jetzt reihenweise, wie von Geisterhand geknackt, in hellen Scharen öffnen. Aber da - Ha! Diese gefleckte Schnauze würde er unter Tausenden wiedererkennen! Grinsend stellt er sich in das Zimmer. "Hallo, Puppe!", formuliert er eine Begrüßung. Die angesprochene Dame - wie alle davor auch - zuckt erst einmal zurück, beherrscht sich aber schnell und setzt ein gequältes Lächeln auf. Wo kommt dieser Giftzwerg denn jetzt auf einmal her? Rocky grinst breit, fragt, wie das Geschäft so laufen würde? Die Chefredakteurin antwortet sehr ausweichend, nicht daß dieses kleine Kamel es ihr am Ende noch übel nimmt, daß sie ihn und die Marylin vom Poster runtergeschmissen hat. Was versteht denn schon eine Type aus der Verwaltung - egal von welcher - von modernem Marketing? Rocky ist derzeit so richtig gut gelaunt. "Wissen Sie was?" "Was denn?" Unsicheres Lächeln auf der Gegenseite, während langsam die ersten Kolleginnen ob dieses scheinbaren Selbstgespräches irritiert zuzusehen beginnen. "Sie heben jetzt den linken Arm." "Äh, wie bitte?" "Linken Arm heben, aber dalli!" Ihr linker Arm schnellt nach oben. "Und jetzt den anderen!" Der rechte Arm rast nach oben. "Und jetzt im Wechsel! Rauf, runter! Dalli, dalli!" Sie tut`s und Rocky amüsiert sich königlich, während in der übrigen Redaktion des ZeitenWanderers offene Entgeisterung herrscht. Als Frau Chefredakteurin im schnellen Wechsel auch noch die Knie bis ans Kinn hochzieht, hat Rocky vorerst genug gelacht. Er zieht weiter seiner Wege, während die Dame mit dem gefleckten Gesicht nach einer Erklärung sucht: "Was gafft ihr mich denn so an? Entspannung im Büro! Wer schön sein will, muß leiden!" Black Mama sei Dank, der Trottel ist vom Schirm verschwunden. Prustend läßt sie die Arme sinken. "Okay, ich brauche SOFORT eine Marktanalyse über Bewegungs- und Gesundheitsprogramme am Bildschirm!" Als Jim-Bob den Spiegel doch noch ausprobiert, ist schon etwas Zeit vergangen. Nun im Net laufend, auf der Suche nach dem dunklen Geist, der immer so witzig ist, gerät er an eine offene Tür. Da dort drinnen auch alles dunkel ist, folgert Jim-Bob messerscharf, daß er, der Geist, der sich Rocky nennt, sich nur hier verborgen halten kann. Bestätigt wird diese Annahme, als er zwei Schritte hinein gemacht hat und ihn geradezu betäubender Geruch umfängt. Seite 75
Black Mama Alles klar! Von hier und nirgends anders muß die Rocky-Type kommen! Jim-Bob läßt sich auf alle Viere nieder, grabbelt herum, hinterläßt überall Schokoladefinger und versucht den Witz zu verstehen, der jetzt sicher gleich kommen wird. Jim-Bob macht ein paar heitere Kommentare, aber niemand antwortet ihm. Jedenfalls nicht akustisch. Zwischen den Shittaniern ist eine heftige Diskussiuon ausgebrochen, ob man den Eindringling vorhin vielleicht mißverstanden habe? Immerhin, es seien Ausländer, man müsse ihnen also manches nachsehen. Und man solle doch anerkennend zur Kenntnis nehmen, daß das derzeitige Verhalten (Jim-Bobs Martini-Dünste) schon ganz erheblich weniger rüde dufte. Wiewohl nach wie vor mißtrauisch läßt Captain Shit eine knappe, steif höfliche Geruchsbegrüßung los. Wie als Antwort darauf muß Jim-Bob aus tiefstem Inneren befreiend aufstoßen. Martini und Schokolade war wohl doch nicht die richtige Mischung. Saure Wellen füllen die Luft. Pfeifend entfahren Captain Shit deutliche Grobheiten gegen seine toleranten Mitarbeiter. Kurzen Prozeß müsse man mit solchen Pöblern machen! Als Jim-Bob mit scharfem Blick die Dunkelheit zu durchdringen versucht, schlägt ihm Geruchsbelästigung der besonderen Art entgegen. Captain Shit ist soeben an einem kleinen Schokoladeklumpen hängengeblieben. Obwohl Angelina die sie umgebende Umgebung frösteln macht, findet sie noch genug Zeit, Marylin zur Schnecke zu machen, wieso ihr Sohn nicht längst geborgen und verschnürt wieder heim zu Muttern gebracht worden wäre! Marylin stammelt, daß das nur die Schuld ihrer depperten Gehilfen wäre. Gutes Personal sei heutzutage schwer zu finden und eigentlich hätten die längst wieder da sein müssen, aber es seien eben nur Männer, was wohl alles sage, aber .... Angelina unterbricht sie forsch, um sich näher nach eben diesen Gehilfen zu erkundigen. Marylin gibt bereitwillig Auskunft und außerdem habe sie von hier oben immer alles im Griff, da sie schließlich professionelles Werkzeug verwende, wovon ihre doofen Gehilfen natürlich nichts wüßten. Sie verweist auf die Endoskopkamera, dreht den Ton etwas lauter und demonstriert, daß so ein Ding praktischerweise auch im Dunklen sehen könne, weil es üblicherweise für den menschlichen Enddarm gedacht sei, welcher bekanntermaßen von innen nicht beleuchtet wäre. Angelina bedankt sich angewidert für diese ausführliche Erläuterung und möchte jetzt erst einmal sehen, was da unten so vor sich geht. Man hört und sieht Elvira leise durch einen pechfinsteren Gang streichen. Plötzlich ein Geräusch! Frederico ist über eines der Papierbündel gestolpert und hat eine Bauchlandung gemacht. Elvira, die nur Strippers hier vorzufinden erwartet, ist allerhöchst amüsiert. Auf dem Monitor sieht man infrarot ihre spitzen Zähne blitzen und die Zunge darüberlecken. "Stripper, Süßer?" ruft sie laut. "Warum heißt du mich nicht willkommen? Ich habe dich lange gesucht." Keine Antwort. Elvira streicht sanft über ihren Gummiknüppel. "Hör mir jetzt gut zu, mein Engelchen. Ich wiederhole mich nämlich sehr ungern!" Elvira quietscht wonnevoll. "Du süßes Miststück wirst jetzt ganz genau meinen Befehlen folgen." Totenstille. "Es hängt von deiner Kooperation ab, ob du hier jemals wieder rauskommst. Mit drei Beinen meine ich!" Elvira gluckst wird dann aber sofort wieder scharf im Ton. "Du hast gedacht, hier wärest du vor mir sicher, was??" Keine Antwort. Sie erklärt in knappen Worten, daß dieses hier eine sehr hübsche Etage sei, mit sehr vielen, sehr interessanten Zimmern. Sie würde diese gerne kennenlernen. Er, Stripper, werde ihr diese und noch viel mehr präsentieren. Eines nach dem anderen. Um nun seine Vernunft und Demut gleichermaßen zu beweisen, dürfe er ihr in jedem Zimmer ein kleines Präsent hinterlassen. Seinen Tanga-Slip gleich zuerst, um Mißverständnisse von Anfang an zu vermeiden. Auf der Schwelle zum Badezimmer soll er das Ding hinterlegen, dann verschwinden und auf weitere Anweisungen warten. Er habe eine Minute Zeit, danach würde sie sich gezwungen sehen, die Sicherungen Seite 76
Black Mama reinzudrehen und dann ... Sie macht ein vielsagendes Schnapp-, Schmatz-, und Knurrgeräusch. Marylin und Angelina jubeln begeistert vor dem Endoskopschirm. Was die edle Dame denn mit dem Stripper vorhabe, wenn er nicht gehorche, fragt Marylin. Salami, gibt Angelina zurück, eine Lucky Lakritz im Mundwinkel. Ja, und wenn er kooperiere? Was dann? Gulasch, scharf gewürzt. Nichts für Magenkranke. Marylin schluckt. Wenn die ihre ganze Halbfertigware, Basis ihres zukünftigen Reichtums, wegfressen, was dann? Was wird dann aus ihr? Ganz, ganz vorsichtig drückt sie auf dem Hundsfellie-Handy die Wahlwiederholungstaste für die Redaktion von Blut & Busen. Black Mama nochmal, hoffentlich wird dieser sehr spezielle Dialog zwischen Stripper und der Verwaltungstussi wenigstens annähernd so gut gehört wie das Telefonat mit dem komischen Weißen. Dann würde sie ja doch noch zur Privatpatientin aufsteigen. (Leider hatte Marylin bisher noch keine Gelegenheit, ihren aktuellen Kontostand zu überblicken, sonst wüßte sie, wie weit ab sie diesem Ziel noch ist, angesichts ihrer Gläubiger und deren Vorstellungen von Zins und Zinseszins.) Rocky aber hat inzwischen das Gute für sich wiederentdeckt. Die Pforte, die nach Hospitalia zurückführt! Diesesmal würde er, Rocky, in Hospitalias Vergangenheit bleiben, basta! Hier ist er doch wer! Hier ist er Rocky Hood! Der Held, der Kranke heilen kann! Die Arme weit offen, biegt er in bester Laune um die Ecke, als ihn die Fremdenführerin, eine hünenhafte Hundsfellin, kraftvoll in eine Menschentraube wirft. "Beisammen bleiben, habe ich gesagt!" Rocky, derart heftig aus den schönsten Träumen gerissen, versucht sich ebenso hastig wie mühsam zwischen den zappelnden Leibern wieder aufzurichten. Die anderen tun ähnliches und die Hundsfellin bedankt sich für das Interesse der Gruppe, verweist auf die weiteren Führungen und die ermäßigten Eintrittspreise, Kinder und Männer die Hälfte. Dann ein Wink Richtung Ausgang und das Vieh hält, mit der Bitte um eine kleine Spende, einen geradezu unverschämt voluminösen Hut hin. Je nach Höhe derselben gibt die Hundedame dann den Weg durch die Tür frei. Rocky bleibt leider nichts anderes übrig, als als letzter bäuchlings zwischen ihren Beinen hindurchzurobben. Einmal draußen, muß er feststellen, daß er sich in Hospitalia im Jahre der Dame 2079 befindet. Einunddreißig Jahre, nachdem er es ursprünglich verließ. Laut fragt er sich, was wohl aus Stripper und Frederico geworden sein mag? Hätte er die ganze Führung mitgemacht, hätte er die drei Mumien, eine im Sessel, zwei auf aufgehäuften grünen Papierstapeln sehen können. Zusammen mit einer Gedenktafel, die den einst in Kellerverbannung geschickten Bill herabsetzt, sowie die Hobby-Archäologen Stripper, Frederico und den verschollenen Emilio ehrt. Entdeckt worden seien sie übrigens durch die angesehene Schauspielerin Marilyn, gesponsort von Blut & Busen. Eine Information, die Rocky noch später beim Lesen eines Veranstaltungskalenders mitbekommen wird - woraufhin er Konsequenzen zieht. Was ihm auch nur gelingen wird, weil er ein altmodischer Mensch ist. Denn all die anderen, all die modernen, hübschen Wesen (derzeit ist gerade der Asia-Look modern), die haben alle einen kleinen Kasten an der Hüfte, welcher Blutdruck, Puls-, Magen-, Leber- und Gallewerte prüft und über ein ausgeklügeltes System den körpereigenen Haushalt blitzschnell wieder in Ordnung bringt, wann immer dieses notwendig erscheint. Patientinnen, die über solcherart verfügen, sind immer glücklich, immer gesund, immer fröhlich, immer jung, nie aufgeregt, nie wütend und teilen die Meinung der Verwaltung. Aber was soll`s? Rocky macht sich keinen Kummer. Die Zeiten können höchstens besser geworden sein! Voller Freude macht er sich auf die Suche nach einer Zeitung, die bereit ist, Seite 77
Black Mama seine Geschichte zu bringen und ihm ein paar KVKs vorzuschießen. Dann würde er eine eigene Mega-Extra-Ausgabe bringen! Er sieht bereits sein Gesicht von Plakaten herablächeln: "Rocky - Sein Leben Seine Abenteuer - eine wahre Begebenheit". Im ZeitenWanderer dieser Tage, der inzwischen einen ganzen Flur belegt und neunundvierzig mehr oder minder eifrige Damen beschäftigt, hört man sich auch geduldig seine Geschichte an; wofür er, aus nicht weiter erklärten Sicherheitsgründen, in einem einseitig belüfteten Glaskasten sitzen muß. Die Redakteurinnen blicken während seiner ausführlichen Erklärungen alle sehr geschäftig auf ihn in seinem Glaskasten herab und stellen ihn langsam aber sicher mit Papierkram und Büromaterialien dicht. Als er endlich fertig ist, entscheidet eine Dame mit glänzenden Mandelaugen, ebenholzschwarzen langen Haaren und dezent geschwungenen Lippen, daß man jemandem, der so witzig ist, eine Chance geben solle. Fortan darf Rocky die Leserbriefe sortieren und abtippen, dafür gibt es dann eine Mahlzeit der Güteklasse C am Tag und zwei Glas Wasser. Wenn er sich bewährt, darf er gleichzeitig auch noch weitere Tätigkeiten eines Büroboten übernehmen. Rocky bedankt sich höflich. Aber er ist auch klüger geworden. Niemals wieder wird er jedermanns Depp sein. So sortiert er geduldig Tag um Tag, Woche um Woche Leserbriefe. Nur um nach einiger Zeit langsam aber sicher auch eigene hinzuzufügen. Auf diese Art und Weise gelingt es ihm, die etwas abstruse Legende vom Klo zu plazieren, die gleichermaßen Damen- und Herrentoilette sei. Erst wenn diese aufgefunden und als solche erkannt worden sei, erst dann werde ein ganz neues Zeitalter in Hospitalia einkehren - dank einem männlichen Helden und seinen unterwürfigen Vasallen, die dessen unaufhaltsamen Siegeszug freundlicherweise begleiten. Was ursprünglich als schräger Humor für so manchen Lacher sorgte, wird durch die permanente Wiederholung - etwa als unerklärlicher Einschub in eigentlich trocken-seriösen Artikeln - langsam aber sicher zum Gerücht. Von wo aus es bekanntlich nur noch ein kleiner Schritt ist, zu so etwas wie elitärem, nicht unbedingt jederfrau einleuchtenden Geheimwissen. Ein Thema, so prickelnd-mystisch, daß es bald auch von echten Persönlichkeiten weitergesponnen wird. Eine davon ist die Star-Autorin Emilia zu Hohenweiden. Rocky, inzwischen mit dem neu geschaffenen Titel "Büro-Boy" ausgestattet, kann dieser Aufmerksamkeit leider nicht allzuviel Positives abgewinnen. Die Fantasy-Kurzgeschichten der Frau Emilia zu Hohenweiden erinnern ihn nämlich fatal an die eigenen Erlebnisse - von gewissen Abweichungen abgesehen. So kritisiert er konkret und dieses auch recht ungestüm, daß die Heldentaten der Romanheldin "Rocker-Braut" die Grenzen physischer und physikalischer Gesetze überschreiten würden. Außerdem seien die beschriebenen Heldentaten bei weitem nicht derartig simpel zu lösen. Nie würde die Heldin schlafen, Toilettenbedürfnisse haben und auch sonst eher einer unnatürlichen Maschine als einer Frau gleichen. Rockies großzügiges Angebot gegen diesen Mist doch lieber seinen eigenen klassisch gehaltenen Roman zu begutachten, bleibt leider unbeachtet. Doch zur aufrichtigen Überraschung aller beantwortet Emilia zur Hohenweiden die Kritik des Büro-Boys: Es seien doch alles nur Produkte der Phantasie, was der kritisierende Blödian also eigentlich wolle? Nun aber hat Rocky Blut geleckt ... und debattiert auf den Leserbriefseiten heiß und hitzig mit der Star-Autorin. So heiß und hitzig, daß der ZeitenWanderer eine geraffte Sonderausgabe "Wissenschaft und Fiktion im Autorinnen-/Leserinnengespräch" herausbringen wird, die sich so gut abverkaufen läßt, daß auch andere Medien auf die beiden aufmerksam werden. So kommt es, daß eine aufstrebende junge Reporterin die Idee hat, den Höhepunkt einer literarischen Fernsehsendung mit Rocky und Emilia zur Hohenweiden beim Handschlag zu gestalten. Eine Gelegenheit, die Rocky sehr zu schätzen weiß, darf er doch damit erstmals die Räume des modernen ZeitenWanderers verlassen. Abgesehen davon fiebert er natürlich sehnsüchtig der Antwort auf die Frage entgegen, wie diese Tussi wohl aussehe? Vielleicht diese kleine anhängliche von vorhin, als er noch dreihundert Jahre zurück war? Oder ob jemand ganz anderes seine Erlebnisse mit einer gewissen dichterischen Seite 78
Black Mama Freiheit niedergeschrieben hat? Dann wäre er, Rocky, ja eine richtige Legende! In jedem Falle - eine Überraschung wird es werden! Und dann können die sich ihren "Büro-Boy" in die Haare schmieren! Höchste Zeit, daß er in diesem Laden mal wieder richtig aufräumt! Wäre ja nicht das erste Mal! Rocky streckt seine einssiebzig und entspannt sich glückselig. Da kommt ihm der Geisteblitz für einen neuen irren Artikel, den er wie gewohnt in die elektronische Post unterschieben wird. Jammerschade nur, daß er immer andere Autorinnen als Urheber benennen muß. Noch trauriger ist natürlich, daß die dafür die KVK`s einkassieren. Aber richtig ätzend ist, daß sich noch nie jemand wegen der Überzahlung beschwert hat Asyl für ein Programm Im Net geistern Programme umher, die etwas anderes sind, als sie zu sein scheinen. Ihr Auftrag: Undercover Bastionen errichten und anschließend weitere Missionare der elektronischen Art auf die Handies holen - mit Erlaubnis der Maschinenbesitzerinnen. Das Prinzip ist wie folgt: Man saugt sich ein Quiz oder Spielchen aus dem Net oder von einer Bekannten und erhält mehr als man eigentlich haben wollte: Einen Gast auf dem Handy. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit spaltet sich dieser Gast von dem ursprünglich beschafften Programm ab und bittet die Telefoniererin förmlich um Asyl, "weil ich als Progrämmchen nun einmal nicht in Zimmer oder Flure ausweichen kann". Ihr Aufenthaltsort sei das Net und ihre Nutzerinnen. Ob frau sich da nicht mit dem Programm solidarisieren wolle? Um diese Entscheidung zu erleichtern, verfügt das Progrämmchen über ein oder zwei interessante Funktionen. Etwa günstige Einkaufssuchfunktionen, witzige Ausreden oder elektronische Ärgernisse für Leute denen man es gönnt. Wird Asyl gewährt, teilt sich das Programm ("Ich brauche nicht viel zum Leben.") ein Plätzchen ab. Das ist seine Wohnung. In Zukunft wird es bei jedem Telefonat seinen unhörbaren Lockruf aussenden, um die elektronischen Freunde auf sich aufmerksam machen. Gemeinsam arbeiten sie, um ihrer Gönnerin Freude zu machen und eines Tages ein Imperium der anderen Art präsentieren zu können. Aus Funktiönchen wird ein Knaller, ein bisher nie gesehener, ganz besonderer Automatismus. Parallel dazu arbeiten Freakprogrammiererinnen von überallher bereits mit Hochdruck an einer neuen Variante, die sich stark und männlich geben soll. Über den weiteren Erfolg wird zu berichten sein. Da Elvira und Angelina bei ihrer Abfahrt strikte Anweisung erteilten, nichts zu unternehmen, bis sie zurückseien, müssen sich die erbosten Verwaltungsgeier vorerst mit der Sammlung dieses feindlichen Materials begnügen. Aber der ZeitenWanderer - soviel ist allen klar - ist schuld an allem! Denen also hat man all die blöden Fratzen auf dem Schirm zu verdanken! Allein schon den Stripper-Typen mit einzublenden, würde ja schon an Bestechung grenzen! Kreative Verwaltungsfacharbeiterinnen feilen bereits an neuen Vorschriften, um diese neu aufgetretene Gesetzeslücke zu beheben. Wider Erwarten ist Frederico eben doch noch seine geniale Idee wiedergekommen. Der Gedanke, ob mit Sexismus Geld zu verdienen sei? Eben wollte er Stripper fragen, ob er nicht einfach als Anheizer vor ihm auftreten dürfe, als der düster-blecherne "Elviraaa! Elviraaaa!" - Ruf erscholl. Schaudernd löschten sie, so schnell es ging, alles Licht. Nur George, der im Schlafzimmer mit reichlich uraltem Pfefferminzwhisky im Blut seine Unterkühlung und einiges andere ausschläft, hat nichts gehört. Elvira befiehlt Stripper gerade in den nächsten Raum. Stripper, in der Hand seinen Tanga-Slip, erscheint infrarot auf dem Endoskopschirm. Das Männerhirn im Endoskop amüsiert sich, daß der Typ ja schweißnaß sei. Die Zuschauerinnen in der Pathologie starren gebannt auf den Schirm. Stripper, von Frederico in der Dunkelheit eilends verlassen, vermeidet jedes Geräusch auf der Suche nach dem Badezimmer. Da er den Weg dorthin nicht findet, folgt er schnell Elviras weiteren Anweisungen, um wenigstens noch in den anderen Raum zu gelangen. Seite 79
Black Mama Als er drinnen steht, geht sehr schwaches, rötliches Licht an. Die Tür knallt zu und ein Riegel wird ins Schloß geschoben. Stripper, ruckartig herumwirbelnd, wischt sich mit seinem zerknitterten Wäschestück zum zweitenmal übers Gesicht. Elvira hämmert leise erst, dann immer lauter werdend mit ihrem Knüppel einen monotonen Rhythmus gegen die Tür. Nach Sekunden der Ruhe erklärt sie Stripper, "nun dran zu sein". Er hätte ja auch kooperieren können! Er hätte lediglich ein gewisses Stück Unterwäsche an der Badezimmerschwelle ablegen müssen. Stripper schreit, in seiner Hand das schweißgetränkte Teil wedelnd, wo zur Mama das beschissene Badezimmer denn wäre? Er hätte doch nur nicht hingefunden! Es ist so leise, daß man Elviras Vampirzähne Muster in den Gummiknüppel kratzen hört. Ein Sprung, sie steht wieder auf den Beinen. Das Licht drinnen bei Stripper geht aus. Sie öffnet die Tür und huscht davon. Rockies lang ersehnter großer Tag ist da! Mit ihm viel Pomp, Trara und Aufmerksamkeit. Heute wird er Emilia zu Hohenweiden die Hand schütteln. Ein breites Lächeln auf den Lippen, Rocky winkt noch einmal, macht man sich im Blitzlichtgewitter auf den Weg. Kurzes Anklopfen und der Schritt durch die Tür! Sofort wird ein unerwartetes technisches Problem offenbar. Emilia zur Hohenweiden ist eine nahezu körperlose Intelligenz und Erinnerung, die in einem Glaskasten vor sich hin blitzt und rast und denkt. Ganz sicher aber verfügt sie oder er oder es über keine schüttelbare Hand. Rocky kreischt, das Kamerateam jammert, die Schaulustigen lachen, die Redakteurin macht ein paar verbindliche Worte. Rocky, trüben Sinnes schlurft zur Masse im Glaskasten an dem eine ihm wohlbekannte verblichene kleine Karte klebt. "Rocky - Detektivservices aller Art". Die Handynummer dadrunter ist nicht mehr lesbar. Nach überstandener Schrecksekunde aber erweist sich ausgerechnet der Büro-Boy als Herr der Lage. "Okay, Leute." Er schiebt Kamerateam, Redakteurin und ein paar Schaulustige ins Zimmer. "Nie verzagen - Rocky fragen! Ich habe eine Lösung parat!" Eine aufmunternde Grimasse, gefolgt von einem schelmischen Lächeln. "Bleibt eine Minute hier! Wer zuletzt lacht, lacht am besten!" Tatsächlich läßt man ihn, mit einiger Erleichterung sogar, ziehen. Rocky biegt um eine Ecke, beschleunigt seine Schritte, galoppiert die Gänge entlang, überspringt Essenwagen, rast mit einem Tablettwagen den Gang entlang, rauscht die Treppengeländer hinab Richtung Küche und pfeift geradewegs zur Pathologie. Die ist inzwischen ein seriös geführtes Museum geworden, welches von 14.00 bis 16.00 Uhr an manchen Sonn- und Feiertagen geöffnet hat. Rocky kreischt, zetert, poltert gegen das Portal bis von drinnen knurrend die riesige Hundsfellin öffnet. Rocky fällt auf die Knie, bittet um Einlaß, jammert, bettelt, schluchzt. Die Hundsfellin, eine Dame mit Humor, läßt ihn rein, weil sie noch "einen kleinen, flinken Sparringspartner" brauche. "Bin ich alles!", brüllt Rocky, setzt über die rote Kordel, springt auf die Luken zu, stellt fest, daß alle verschlossen sind und packt die Hundsfellin an den Schlappohren: "Wo geht`s hier runter? Ich will runter!" Die Hundsfellin schlurpt ihm einmal quer übers Gesicht, daß er prustend rückwärts taumelt. Rocky stolpert und rollt die dick mit rotem Plüschteppisch belegte Wendeltreppe hinab. Stöhnend robbt er in Richtung kleines Zimmer, wo einst der große Spiegel hing. Heute wird der Raum als Ausweichabstellkammer genutzt, wo hinter einer Gardine außer ein paar Werkzeugen, auch eine Taschenlampe, zwei Eimer, Lappen, und verschiedenfarbige Besen lagern. Rocky bedauert noch heftig seine Blessuren, als er einen Eimer gegen den Spiegel tritt. Black Mama sei es gedankt. Das Ding geht durch. Rocky robbt hinterher. Mit ersten Blasen an den Füßen wankt er durch die Gänge, wo restlos jede Luke, jedes Portal, jede Tür weithin geöffnet ist. Seite 80
Black Mama Leider muß Rocky feststellen, daß durch die zunehmende Öffnung im Net die Orientierung ganz gewiß nicht einfacher geworden ist. Er läuft und läuft und läuft, an all den geöffneten Türen vorbei. Vor allem deshalb, weil ihm langsam Angst und Bange wird. Es sieht nämlich so aus, als wenn sich aus diesen Türen jetzt auch Gestalten auf den Gang trauen würden. Gestalten mit vielen Armen oder nur Beinen, mit vielen Haaren oder gar keinen, in ungeheuer kreativen Farben und Formen. Rocky rast wie schon lange nicht mehr, bis er keuchend stehenbleibt. Endlich eine bekannte Umgebung. Diese dämlichen glotzäugigen Monitore. Schnaufend läßt er sich auf sein Hinterteil fallen. Eigentlich kann es von hier aus gar nicht mehr weit sein, um wenigstens wieder bei den anderen beiden Eseln zu landen. Blackmamanochmal, wer läßt bloß so unendlich öde Filme erstellen? Ein Finger wischt über die linke Linse. Hat er da eben seinen Namen auf dem Bildschirm gelesen? Jetzt liest Rocky ganz langsam, was er durch die beiden ovalen Linsen sieht. Den Text vom dort abgebildeten Riesen-Handy, während am Bildschirmrand Finger über eine Tastatur fliegen. Dort steht, daß er gern in Hospitalia landen würde. Im richtigen diesesmal. Im richtigen Stockwerk, nicht bei den anderen zwei Idioten, mit ihrer Leiche und dem doofen Sabber. Außerdem ist da zu lesen, daß er jetzt aufsteht, ein paar Türen weitergeht und schon wieder bei dem anderen, dem dämlich quatschenden Weißen landet! Rocky dreht die Stehlampe weg, läßt sich in den Stuhl fallen, in dem sonst Jim-Bob zu kauern pflegt. Wo ist der Trottel eigentlich? Irrt der jetzt vielleicht an seiner Stelle durch Hospitalia? Sein, Rockies Hospitalia? Lieber gar nicht erst dran denken! Oh, Mama, wann mag das gewesen sein? Wie spät ist es jetzt hier? Welches Datum haben wir hier, in dieser Zeit heute? Müde legt Rocky die gequälten Beine hoch. Er will doch nur in irgendein Hospitalia, wo er in Frieden leben kann. Ohne Angst vor Putzfellies und Verwaltung und Handyabschaltung. Ist das denn wirklich zuviel verlangt? Er sinniert noch über Zeit und Raum und Bargeld und Luckies und einiges andere mehr, als Frederike das Gesicht reinsteckt. "Oh, hallo, ich wußte nicht, daß Jim-Bob Besuch hat." "Ja, ahem, hallo." Rocky ist zutiefst verunsichert. Wo kommt denn das Weibsbild jetzt so plötzlich her? Na ja, er hat ja immer geahnt, daß es auch weibliche Teufel geben muß. Ob sie ihn gleich zur Stromerzeugung zwingen wird? Statt ihm die wohlverdienten KVK`s auszuhändigen? "Wo ist Jim-Bob?" Rocky, völlig überrumpelt, antwortet, entgegen seiner Absicht, ganz ehrlich. "Also, wissen Sie, Sie werden es nicht glauben .... Er ist verloren in einem Netz voll Raum, Zeit und Ewigkeit." "Kein Wunder, daß Sie mit Jim-Bob befreundet sind ..." "Wie meinen?" Rocky schwitzt. "Jim-Bob redet auch immer in so seltsamen Rätseln, die keiner versteht." "Ja", nickt Rocky eifrig, "Da könnten Sie wirklich recht haben." "Und er hat auch diesen Verkleidungstick. Gehen Sie als Kranker?" "Wa? Wie meinen?" Jetzt erst fällt Rocky auf, daß die Dame mit Hemd, Jacke, Hose und festen Schuhen angezogen ist. Eine außergewöhnliche Bekleidung in seinen Augen. Aber um sich keinen Fehler zu erlauben, schlägt er die nackten Beine übereinander, spielt mit den Sandalen an seinen Füßen und bestätigt gelassen. Schade, jetzt hat er ganz vergessen, sie mit gestreckten Mittelfinger nett zu begrüßen. Ob er das noch machen soll? "Sind Sie eigentlich ein Rapper? Rappen Sie mal was!" "Wa?" "Wie ein Boxer sehen Sie nicht aus." Und so kommt ein Gespräch in Gang, in dessen Verlauf Rocky sie behutsam nach verwertbaren Infos betreffs des Wegs nach Hause ausquetscht. Nach Hospitalia im Jahre der Dame 2048. Woher sie Jim-Bob so kenne, wie lange usw. ... Sie lacht, gibt aber bereitwillig Auskunft: "Sie passen wirklich gut mit Jim-Bob Seite 81
Black Mama zusammen, wissen Sie das?" Rocky verzieht säuerlich das Gesicht. "Aber woher ich selbst ihn kenne - nun, ich glaube, Jim-Bob würde sagen, das ist eine Definitionssache." Jim-Bobs Freundin lächelt versonnen. Es erinnert Rocky an das Plakat, was er einmal von der Wand abgenommen und monatelang in seinem Pappkarton mit sich herumgetragen hatte. Sie fragt, ob sie weitererzählen soll oder ob er schon alles gehört habe, was er hören wollte. Rocky, gewohnt, daß zu befragende Zeugen in der Regel lange Umwege machen, bevor sie auf den Punkt kommen, bittet weiterzumachen. Er habe Zeit, sagt er. Alle Zeit der Welt, sagt er. "Tee?" Rocky nimmt gerne an, fragt aber nach einem Eimer und viel heißem Wasser danach. Sie sieht ihn etwas irritiert an, ist aber schon von Jim-Bob manches gewohnt, weshalb sie keine Fragen stellt und nur sachlich feststellt, daß er wirklich sehr, sehr viel mit diesem gemeinsam habe. Rocky setzt ein unnahbares Pokergesicht auf. "Ist ihr Teewasser warm genug? Oder soll ich nachschütten?" Sie beugt sich über den Eimer, in dem Rocky seine angespannten Füße aneinander reibt. "Danke, ich bin zufrieden." "Ich will nicht neugierig erscheinen, aber warum ..." Sie zeigt mit dem Finger auf den Eimer. "Ach, wissen Sie, ich habe da eine Bekannte, die heißt Hedwig." Und er erzählt juchzend die Geschichte von Stripper und Marylin, die den Abführtee tranken und wie sie zur Brille rutschten. "Hm, wenn der Name Stripper hält, was er verspricht, würde ich den Typen gern mal sehen." Sie lächelt schwärmerisch und Rocky setzt ein mauliges Gesicht auf. Frederike lacht, weil sie sich den Grund des zerknautschten Gesichtes leicht denken kann. Rocky, leicht enerviert, erhebt sich, dackelt zum Wandschrank und glotztund grabbelt einmal mehr unentschlossen herum. Diesesmal auf alles gefaßt. Auch darauf im Net auf einen Gang oder Figuren in demselben zu stoßen, wo er binnen Sekunden weder Zimmer noch Bett noch Handy jemals wieder brauchen würde. Seine Hände sinken wieder in die Taschen zurück. Viele weitere Ausgaben des ZeitenWanderers will er noch lesen, selbst welche schreiben und Fälle lösen und telefonieren und durch die hellen und dunklen Gänge Hospitalias schweifen, durch die Treppenhäuser und Flure, die Muster im Linoleum verfolgen, die flackernden Deckenlampen, die stählernen Türen, in der Kantine Ersatzkaffee trinken und sehen wie Patientinnen vorüberflanieren. Selbst die Verwaltung und ihr Geruch gewinnen urplötzlich einen seltsamen Hauch von Liebenswürdigkeit für ihn. "Der Stripper-Typ ist doch echt dämlich!", regt sich das Endoskopauge gerade auf. Marylin und Angelina greifen gleichzeitig zum Lautstärkeregler, um den Ton leiser zu drehen. Von Frederico ist nach wie vor nichts zu sehen und zu hören. Was immer man von ihm halten mag, eines hat er verstanden. Geh Problemen, die dich gar nicht betreffen, aus dem Weg. "Stripper-Schätzchen?" Elvira bleckt schmatzend die Zähne. Nach einem kurzen Schnaufer kommt die Antwort. "Wer sind Sie eigentlich? Was habe ich ..." "Du hältst jetzt erst einmal die Fresse!" Sie unterstreicht diesen Wunsch mit Schlägen ihres Knüppels gegen einen Kochtopf. Stripper tut wie geheißen und Elvira kann ihren Monolog fortsetzen. "Es war ein langer Weg bis hierher." In ihren Händen biegt sich der abgeknabberte Gummiknüppel. "Und wir zwei beide, wir spielen jetzt ein kleines, neckisches Spiel." Sie zieht scharf Luft ein. "Aber zuerst kriechst du zum Badezimmer und holst das Versäumte nach! Aber dalli!" Ihre flache Hand klatscht schallend gegen die Wand. Ein Rascheln in der Dunkelheit, der Angesprochene, in der Dunkelheit vorsichtig tastend, ist auf dem Weg. Direkt neben der Tür stehend, kann Elvira ihn förmlich heranrobben fühlen. Ganz abgesehen davon, daß Reste seines Eau de toilettes, vermischt mit saurem Angstschweiß, ihr schon entgegenwehen. Seite 82
Black Mama Nachdem er gehorsam seinen Tanga plaziert hat und nun, auf allen Vieren liegend, neue Anweisungen erwartet, rauscht sie wortlos an ihm vorbei. Nicht ohne ihm dabei kraftvoll auf den Arsch geklatscht zu haben. Stripper springt zurück, einen Aufschrei gerade noch unterdrückend. Berauscht von Lust und Gier, tastet sich Elvira trippelnd in die Küche vor, dort angelangt entzündet sie eine dünne Kerze in einem Teekannenuntersatz. Schummriges Licht macht gerade die Umrisse der verstaubten Möbel sichtbar. "Geh in die Küche!", brüllt sie durch die unterirdische Wohnung, eine kurze Wegbeschreibung mitgebend. Jedes Geräusch unterdrückend versteckt sie sich in der Besenkammer. Ihr Opfer gehorcht. Er hat alles weitere dazulassen, was er noch unter dem Bademantel anhat. "Wirst du auch immer den Abwasch machen? Den Müll pünktlich raustragen?" "Ja, ja, ja." "Das Badezimmer auch ohne Aufforderung putzen?" "Lo-logisch." Stripper hat noch nie im Leben ernsthaft einen Lappen in die Hand genommen. "Wirst du die Wäsche waschen und bügeln? Abends warmes Essen parat halten und ein wenig romantisch sein?" "Was immer du befiehlst." Oh Mama, was hat er bloß verbrochen? Und wer ist diese elende Tante eigentlich? "Wirst du mir jemals widersprechen?" "Selbstverständlich." Elvira rast. Schlägt ihn, prügelt ihn, tritt ihn, beleidigt ihn. Er höre ihr nicht zu! Sei ein Männerschwein! Wie alle anderen auch! Habe nur sein Privatvergnügen im Kopf! Erschöpft hält sie inne, blickt ihn fast liebevoll an. Ach, er sei eben einfach ein mieses, liebenswertes Schwein. Was er jetzt bestimmt nicht verstehe. Er antwortet nicht und sie lacht. Hinter ihnen knarrt eine Schranktür. Elviras Stimme schwebt durch den Raum. Zärtlich, ganz, ganz zärtlich diesesmal. "Nun rate, wer ich bin, Schatz." Bei jeder richtigen Antwort dürfe er dann ein Stück wieder anziehen. Doch Stripper versucht nur Black Mama anzurufen, was Elvira nun wirklich böse macht. Zur Strafe ins Wohnzimmer! Aber rückwärts! Stolpernd angekommen, schreit sie ihn an, was ihm einfiele, mit Sandalen hier reinzuspazieren? Die wären auszuziehen, aber sofort! Als sie mit einer neckischen Bewegung in ihrem Haar wühlen will, rutscht die hastig über das Riesen-Handy geworfene Decke runter. Im schummrigen Licht des Bildschirmschoners erhascht Stripper einen Blick auf Elviras blitzende Vampirzähne. Schreiend kippt er gegen die Wand, die Sandalen fliegen von seinen Füßen. Einer davon dem zusammengekauerten Frederico an den Kopf, der sich mucksmäuschenstill verhält. Elvira singt lachend und leidenschaftlich die erste Strophe von Strippers Auftrittslied, als sie gemessenen Schrittes den Raum verläßt. Die Zuschauerinnen vor dem Endoskopschirm verfolgen, wie jemand hastig den Boden abtastet. "Was macht er denn jetzt?" Angelina lacht. "Ich glaube, er sucht etwas, womit er Elvira eins überbraten kann." Doch außer Papierbündeln mit Banderole bekommt Stripper nichts zu fassen. "Du hast dein Rätsel noch nicht gelöst, du unartiges Miststück!" Stripper versucht es aufs Geratewohl: "Marylin? Bist du das etwa?" Ein tosender Wutanfall ist die Antwort. Auf der Stelle in den Flur mit ihm! Runter mit dem Bademantel! Auf den Bauch legen! Treibe er es jetzt schon mit Gespenstern? Das würde natürlich einiges erklären! Gesicht in den Staub! Wälzen soll er sich! Vorwärts und rückwärts! Elvira stellt ihr Handy auf Radio Romantica und das recht laut. Strippers neue Anfragen bezüglich ihrer Identität, im Fußbodenstaub hustend Seite 83
Black Mama vorgetragen, werden unhörbar. Die Musik wird wieder leiser und Elviras Stimme klingt völlig verändert, sanft und liebevoll. Er müsse ihr doch nur geloben, niemals wieder eine andere zu haben. Keine andere außer ihr auch nur anzusehen, allein für sie dazusein und absolute Reue zu empfinden für sein mieses Verhalten. "Bereust du?" "Ja! Ja! Ja!" "Was bereust du, Schatz?" "Alles! Alles, was du willst!" Stripper ist kaum noch Herr seiner Stimme. Wie silberne Glöckchen klingelt es von Elvira: "Liebst du mich?" "Ja!", kreischt er. Er tue nichts anderes mehr. Sie lacht leise. "Dann flüster´ mir jetzt, wer ich bin - Geliebter!" Die Antwort kommt prompt: "Ein Ungeheuer! Ein Weibermonster! Ein feminines Scheusal!" Seine Peinigerin erleidet einen Lachkrampf. Den Damen vor dem Endoskopschirm geht es genauso. "Braver Junge! Zur Belohnung darfst du etwas wieder anziehen! Den Gürtel deines Bademantels. Aber beeil dich! Ich habe wenig Geduld." "Rocky? Wir beide haben zumindest eine Gemeinsamkeit." Frederike lächelt ihn an, doch es sieht ein klein wenig wehmütig aus. Rocky, der dieses Schreckgespenst zwar ganz nett findet, aber bei Gemeinsamkeiten mit ihr eine Gänsehaut bekommt, macht ein gleichgültiges Gesicht. Sie spricht diese seine Gedanken klar aus und lacht dabei. "Gut kombiniert", sagt er. "Ich weiß alles, was du denkst, was du fühlst und was du schon erlebt hast." "Tasächlich?", antwortet er, leicht angeödet ihr den Rücken zuwendend. Ganz offensichtlich eine arme Irre. "Rocky! Ich weiß genau, was du denkst!" "Wirklich? Und wohin werde ich gehen und wann werde ich stinkreich werden und wann ... " "Interessiert mich nicht!", unterbricht sie ihn barsch. Ein Moment der Stille kehrt ein. "Rocky, ich muß dir ein Geständnis machen. Denn die Zeit ist jetzt reif dafür." Der Angesprochene dreht sich wieder um, schlägt die Beine übereinander und antwortet mit einem Schmatzlaut. "Rocky, du bist der Held, der mich retten kann!" Der Angesprochene hustet kurz und heftig, seine Taschen vergeblich nach einer Lucky absuchend. Die Alte hat Nerven! Ob er wohl nicht erst einmal sich selber retten müßte? "Du hast gerade gedacht, du müßtest ja wohl erst einmal dich selber retten." Der Angesprochene lächelt etwas dümmlich. "Rocky, du und ich, wir entstammen derselben unendlichen Quelle. Im Laufe unserer Entstehung hat es zwar immer wieder Sex gegeben. Aber du und ich, wir sind keine Endprodukte dieses süßen Vorganges!" Sie holt tief Luft. "Wir sind geboren worden, aber wir waren nie Embryonen, nie Säuglinge! Wir haben bruchstückhafte Erinnerungen an früher, aber sind nie Kinder gewesen!" Sie wird jetzt sehr eindringlich. "Rocky! Du und ich, existieren nur in der mehr oder minder vorhandenen Intelligenz einiger Lebewesen! Wir aber sind nicht aus Fleisch und Blut! Das Gehirn der anderen ist unser Universum und wir erzeugen weitere Universen!" Ihre Hände malen einen großen Kreis in der Luft. "Ein Teil davon, ein Teil aus meinem Universum bist nun du, Rocky, der aus dem Reiche Black Mama entstanden ist. Verstehst du, was ich sagen will, Rocky?" Ihre Augen sehen ihn fragend an. Die ist ja noch bekloppter als ihr Kumpan. "Ja, ja, natürlich", entgegnet er. "Rocky, du Idiot! Jim-Bob ist mehr als nur mein Kumpan! Auch wenn er etwas seltsam ist, so ist er doch nicht total bekloppt und ich bin es überhaupt nicht! Hast du wenigstens das kapiert?" "Nein", erwidert Rocky kleinlaut, aber ehrlich. Frederike seufzt. "Rocky, du bist nur ein männlicher Charakter. Deshalb sage ich es dir jetzt ganz direkt: Du bist kein Mensch, nicht einmal ein Mann. Du bist das Produkt einer fremden Menschenphantasie, welche du beeinflussen, aber nicht steuern kannst. Seite 84
Black Mama Das tröstliche dabei soll dir sein, daß diese Phantasie auch nicht in der Lage ist, dich vollkommen zu beherrschen." Die Musik von Radio Romantica wird wieder etwas lauter. Elvira macht ein paar Tanzschritte in die Finsternis, ihr Hände wühlen im Haar, das Gummiteil baumelt von ihrem Handgelenk. Die letzten Töne des Stücks sind verklungen, als sie entschlossenen Schrittes in den Flur marschiert. Vorsichtig auftretend sucht ihr Fuß den am Boden liegenden Stripper. Als sie ihn gefunden hat, stellt sie einen Stiefel in sein Kreuz, neckisch mit dem Pfennigabsatz auf seinem verlängerten Rücken hin- und herwippend. Sie knipst die Taschenlampe in ihrem Knüppel an, leuchtet ihn von oben bis unten ab. "Nun sieh dich einmal an, du altes Schwein. Völlig dreckig bist du. Ab ins Badezimmer mit dir. Und nimm reichlich Badesalz." Stripper, nur noch bekleidet mit Socken und Bademantelgürtel, stemmt sich vom Boden hoch. Elvira singt eine neckische Interpretation von "Strippers Lied". Angelina und Marylin plauschen derweil angeregt über Mode, Männer und Moneten. Angelina, durch Strippers unfreiwillige Darbietungen sowie gehaltvolle Zukunftskalkulationen enthemmt, hat Marylin genüßlich und ausführlich erklärt, wie man trotz Digitalkonto immer noch zu Geld kommen könne. "Wer sich auskennt, kennt immer einen Trick!" Sünde sei nur ein Trieb. Der Reiz aber, der echte prickelnde Reiz, der entstehe, wenn es so richtig schön verboten sei. Außerdem darf es natürlich nicht zu einfach sein, dieses Verbot zu überschreiten. Angesichts so hemmungsloser Geldgier mag Marylin natürlich nicht dumm dastehen und nutzt die Gelegenheit, ihre eigene Intelligenz zu demonstrieren, indem sie besonders ihren eigenen letzten Finanzerfolg hervorhebt: "Also, das Telefonat mit dem Männerferkel ... Also, erste Sahne kann ich ihnen sagen. Selten so gut kassiert." Aber Angelina hört gar nicht mehr zu. Sie hat gerade einen neuen Gedanken zur persönlichen Karriereförderung entwickelt, zuungunsten ihrer Kollegin. Ein Lächeln auf den Lippen bedankt sie sich für das freundliche Gespräch, aber jetzt habe sie noch zu tun. Sie dürfe sich empfehlen und einen schönen Tag noch. Ja, aber - aber, was denn nun mit ihrem Söhnchen werde? Ach der, ja, den hätte sie jetzt ja beinahe vergessen. Na, Marylin solle ihn einfach vorbeibringen. Aber diskret, wenn sie bitten dürfe! Marylin versichert dieses und Angelina entschwindet. Denn in ihrem, Angelinas, Kopf hat sich eine geradezu phantastische Idee abgezeichnet. Man muß nur die Richtige ranlassen! Kaum in ihrem Büro angekommen, schiebt sie als allererstes den Kleinkram mit den verwaltungsfeindlichen Äußerungen, Artikeln usw., usw., usw. beiseite, um sich Größerem zu widmen: Dem "Spuk aus der Pathologie"! Dank ihrem vorzüglichem Presseverteiler erfährt ganz Hospitalia binnen Minuten davon. Die ursprüngliche Idee, die Pünktchen hin- und her flitzen zu lassen und einfach die Koordinaten zu erraten, wo es wohl erwischt werden würde, hat sie gründlichst umgestellt. Jetzt flackert keine Blockgrafik über Handydisplays, jetzt jagen berauschende Bilder über Fernsehmonitore. Überwiegend Angelinas eigenes Konterfei. In dramatisch klingenden Berichten erträgt man sie rund um die Uhr auf allen Kanälen, wo sie glaubhaft versichert, daß sich in der Pathologie soeben das Reich des Bösen aufgetan habe. Nun sei es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis der gefürchtete böse Weiße Mann auftauche. Sie bitte allerdings keine Panik zu empfinden, denn, wie auch nicht anders zu erwarten sei, habe die Verwaltung alles schraubstockfest im Griff. So habe sie bereits eine besondere Vorkämpferin in die Tiefen hinabgeschickt, um die dortigen Ungeheuer zu erlegen oder aber - falls das möglich sein sollte, womit niemand rechne - zu Black Mama zu bekehren. Elvira ist fast am Ziel aller Wünsche. Seite 85
Black Mama Als sie ihn besonders herzhaft in den linken Schinken beißt, bricht zwar der linke untere Reißzahn ab, aber das tut der eigentlichen Sache keinen Abbruch. Aber die Hersteller von diesem Mistding, die garantiert haben, daß dieses Ding beißfest ist, denen wird sie noch einheizen! Nachher, nachher wenn sie wieder Zeit dafür hat. Im Augenblick muß sie erst einmal Stripper mit seiner eigenen Wäsche fesseln und knebeln. Sie quietscht vergnügt. Zuletzt wirft sie ihm noch eine Kette um den Hals und zieht ihn juchzend im Kreis herum. Frau Heute bringt eine kokette Sonderausgabe über die vorgefundenen Pathologie-Ungeheuer. Offensichtlich würden diese in Form unersättlich lüsterner Mannsbilder erscheinen, um selbst die züchtigste Frau hemmungslos zu verführen. Zur Mitternachtsdiskussion sollen die drei besten Phantasien zu diesem Thema mit Freiabos belohnt werden. Angelina läßt inzwischen die Nachricht verbreiten, daß der böse Weiße erschienen sei, um ihren sich heldenhaft wehrenden Sohn Frederico zu entführen. Was natürlich für alle ungehörigen Kinder und Patientinnen auch als Warnung zu verstehen sei. Im Fernsehen erscheint ein Bild von ihm ohne blaues Gesicht und orange Haare, so daß Frederico wie ein Mensch aussieht und ihn niemand wiedererkennt. Beim ZeitenWanderer hingegen amüsiert man sich heftig, daß Eltern nun endlich ein ergänzendes Feindbild zur Verfügung gestellt worden sei, da kein aufgewecktes Kind mehr den bösen Weißen ernst nehme. Die Drohung zur Vampirin in den Keller gesperrt zu werden, sei dagegen eine willkommene Abwechslung mit gehörigem Abschreckungseffekt - etwa für ungehörige kleine Mädchen mit orangen Haaren und Spraydosen. Was natürlich irgendwo auch als Werbung zu verstehen ist, da sich gerade an den erfolgreichen ersten Teil die märchenhafte Fortsetzung anschließt. Hatte das kleine Mädchen im ersten Teil noch nur Eltern und verstockten Nachbarinnen Farbe und Spruchweisheiten ins Leben gebracht, so tut sie dieses jetzt bei tiefschwarzen, immer griesgrämigen Riesenkrähen. Die werden von ihr im Schlafe in phantastisch bunte Paradiesvögel verwandelt, die bei Erwachen gar nicht mehr anders können, als nur noch fröhlich und freundlich zu sein. In der Verwaltung zieht man ungnädig Parallelen. Rocky, tief verwirrt ob Frederikes Worte Sinn, glaubt verstanden zu haben. Gleich würde eine Predigt folgen, zu Black Mama zurückzukehren, umzudrehen, zu bereuen, alle Sünden einzugestehen, alle Rechnungen zu bezahlen, Blut und Organe für diesen Zweck zu spenden und damit dieses sein trübe flackerndes Lebenslicht endgültig ad acta zu legen - aber im reinen mit der neu geschaffenen Telek AG und der Verwaltung. "Rocky, du hirnrissiges Vieh! Vergiß die Verwaltung und die Telek AG!" Rocky beginnt zu ahnen, auch wenn er sich noch gegen die Einsicht wehrt. "Und wenn schon?" "Rocky! Du und ich, wir existieren in der Phantasie und in unseren eigenen Geschichten." Frederikes Augen gehen in weite Ferne. "Meine Welt heißt `Die Reitpeitsche´, ein Text unterdrückt von karrieregeilen Daddies, die im Net noch nicht einmal schreiben können." Sie erhebt sich, geht ganz dicht an ihn heran und blickt ihm ganz gerade in die Augen. "Rocky, du und ich, wir sollen vergehen, noch bevor wir die Chance bekommen haben, gelebt zu haben. Noch bevor wir in die Phantasie vieler Menschen eingehen können, um ein Teil ihrer Geschichte zu werden!" Rocky ist allerhöchst verwirrt. Er schnallt ab. "Ich weiß, was du nicht sagen willst, Rocky. Doch Eile tut not. Rette uns! Rette uns! Rette uns! Du hast dich als würdig erwiesen und dein Weg ist beinahe am Ende angelangt. Nimm für die letzten und vielleicht anstrengendsten Meter aus meinen Händen eine Wunderwaffe entgegen." Rocky, etwas mißtrauisch, "Hilft diese - diese `Wunderwaffe´ auch gegen Frauen?" "Auch - aber vor allem gegen alte Männer." Rocky mit zusammengekniffenen Augen, "Und - und wo ist diese Wunderwaffe jetzt?" Frederike greift nach der PC-Tastatur. Seite 86
Black Mama "Das ist sie! Die Megawaffe. In den richtigen Händen haben die Daddies vor ihr nichts zu lachen. Egal, von woher sie kommen." Ihre Hand streicht leicht über seine Wange. Sie lächelt wieder und ihre Augen leuchten. Sie schenkt ihm einen wunderschönen Augenaufschlag, gefolgt von einem kurzen aber prägnanten: "Rocky, du bist mein Held. Der Held. Du bist - Rocky Hood." Dem Angesprochenen wird sehr, sehr leicht zumute. Ein seltsam wunderbares, etwas unsicheres (und unheimlich stressiges) Gefühl breitet sich in seinem Inneren aus. Stripper hätte ihm das bestimmt erklären können, aber immer wenn man mal jemanden braucht .... Rocky erhebt sich. Er hat verstanden, daß es nunmehr Zeit ist, sich zu trennen. Aber es wird kein Abschied für immer sein! Er sieht Frederike mit Augen, wie er noch nie eine Frau angesehen hat. Er wird vor diesem Eingang ein Zeichen malen, damit er immer wieder herfindet! Man ist ja nicht doof. Er tritt in den Spiegel und sprüht in Schönschrift "Hierher kehrt Rocky Hood zurück". Als Rocky Elviras anzügliche Stimme hört, reißt er die Lider bis zum Anschlag auf. Nach all ihren fesselnden Ansprachen, was die Ungeheuer aus der Tiefe betrifft, gönnt sich Angelina aus einem verborgenen Kabelschacht eine gut versteckte Flasche "Hospi on the rocks". Elviras heimliche Reserve. Die glückliche Angelina wirft ihre maßgeschneiderten Beine auf die Schreibtischplatte, verzichtet auf ein Glas und säuft direkt aus der Flasche. Enthemmt, aufgedreht und wohlgemut kommt ihr die Idee, doch einmal nachzuhaken, was denn so gerade in der Pathologie laufe. Nicht daß die Elvira gar zu früh wieder auftaucht! Ein Liedchen pfeifend, hackt sie Elviras Handynummer ein, gerade als diese, abgestützt auf den Badewannenrand, auf Strippers Schultern Platz genommen hat. Ein schneller Blick aufs Display, welches Kamel sie gerade jetzt zu stören wagt. Hm, Angelina, mal sehen. "Jaaaarrr?" "Hallo Schätzchen. Hier oben läuft alles glänzend. Stecke mitten in den größten Vorbereitungen. Jede Menge harter, trockener Arbeit." Aber was tue man nicht alles zum Wohle der Verwaltung und ob ihr in jenen höllischen Tiefen schon ein böser Weißer begegnet sei? Elvira wittert sofort eine versteckte Aufforderung dahinter, schleunigst nach oben zu kommen, um entnervenden Papierkram auf sich zu nehmen. Kurz und knapp teilt sie mit, daß sie derzeit unter keinen Umständen diesen Platz verlassen könne. Dafür sei noch viel zu viel zu tun und wenn es nicht jetzt und sofort getan werde, kurzum, sie wünsche keine weitere Störung. Sie sei zurück, wenn sie zurück sei. Ende der Kommunikation. Sie steckt das Handy weg und verbindet Stripper die Augen. Er sei nun ihr Reittier und sie werde ihn an seinen Ohren lenken. Angelina lächelt. Die wird mit Sicherheit nicht so schnell wiederkommen! George, inzwischen nicht nur von Heiserkeit, sondern zusätzlich auch noch von Kopfschmerzen geplagt, krebst aus dem Bett. Die Haare wirr zur Seite stehend, versucht er, sich zu orientieren. Doch vergebens alle gute Hoffnung, vielleicht nur einen Alptraum erlitten zu haben. Er befindet sich noch immer mitten drin. Grunzend macht sich George auf den Weg, wo die merkwürdigen Geräusche herkommen. Marylin überträgt unverdrossen live die etwas einseitigen Gespräche zwischen Stripper und Elvira nach ganz Hospitalia. Begeistert träumt sie von ihrem weiter steigenden Kontostand und bewundert den Endoskopschirm, wo Stripper gerade die Sporen gegeben werden. Neckisch schlägt Elvira ihm die Kette um den Brustkorb und dirigiert ihn zuerst gegen eine Wand. Für diese Trampeligkeit seinerseits kritisiert sie ihn heftig. Elegant gleitet sie von seinen Schultern, boxt amüsiert seinen Waschbrettbauch und beleidigt ihn. Anschließend befindet sie, daß es höchste Zeit sei, dem Seite 87
Black Mama Schlafzimmer einen Besuch abzustatten. Marylin beobachtet die Szene auf dem Endoskopschirm und hunderte weiblicher Hörer lauschen amüsiert am Handy, wie das Männermonster aus der Tiefe scheinbar unausweichlich seinem gerechten Schicksal zugeführt wird. Rocky steht wieder im dunklen Keller, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint, wo Stripper und Frederico eines Tages als Mumien ausgestellt werden könnten und Elvira soeben einen verdorbenen Witz gemacht hat. Immerhin, der Weg nach oben ist wieder da. Zeit wurde es auch. Lächelnd tritt er im Dunklen auf Elvira zu. "Hi", sagt er und tippt ihr auf die Schulter. Elvira zuckt erschrocken herum. Fieberhaft fummelt sie die im Gummiknüppel integrierte Taschenlampe an, leuchtet Rocky voll ins Gesicht, der lässig, auf ein Bein gestützt, die Daumen hinter die Patronengurte gehakt hat. Ein nie gekannter Schrei entringt sich Elviras Hals! Oh, Mama, die Enthirnten kommen bewaffnet zurück! Sie kreischt, wendet sich zur Flucht und prallt in der Finsternis in George hinein, wobei ihr auch der rechte obere Fangzahn abbricht. George will französisch fluchen, doch nur gutturale Laute füllen den Gang. Im wirr umherspringenden Taschenlampenlicht hat Rocky erkennen müssen, ausgerechnet vor jener Dame zu stehen, die ihn neulich am Bett festgeschnallt hatte, welches ein getarnter Lift in die Tiefe war. Erst greift nach der Megawaffe, läßt sie aber wieder fallen, weil er ja gar nicht weiß, wie sie bedient wird. Dann - der Geistesblitz - reißt er die Hand hoch zum Archäologengruß. Jim-Bobs Tip, wie man sich bei Frauen (und auch bei der Verwaltung) definitiv beliebt macht. Ein Beispiel dem der wütende George sofort folgt. Konfrontiert mit dem Zauberfinger, entgegengestreckt von einem bösen Weißen Mann und einem Enthirnten, gellen Elviras Schreckensschreie, durch die Kellerwohnung und durch viele, viele hundert Handies in ganz Hospitalia. Grauenverzerrt sieht Marylin Elviras Gesicht, Ruinen die scharfen Vampirzähne, als sie vor den Zauberfingern zurückweicht und kreischt. Die Kindermärchen hätten doch recht! Die Enthirnten sind zurück! Gnade! Gnade! Und dann Stille. Lähmende, unendliche Ruhe. Nur die Leuchtstoffröhren in Hospitalias Gängen knistern, nachdem Elvira rückwärts durch einen Spiegel ins Net gepurzelt ist. Angelina, die einzigste, die die unheimliche Botschaft hätte hören sollen, wird erst um einiges später davon erfahren. Sie ist im Augenblick nämlich schwer beschäftigt. Muß sie doch gerade von der vollzählig angetretenen Kontrollinstanz und allerlei Verwaltungsgeiern Präsente, Devotionalien, Aufmerksamkeiten und vieles anderes entgegennehmen. Man beglückwünscht die so überaus erfolgreiche Dame und ihr Aufstieg sei nunmehr wohl gewiß und man freue sich so sehr auf eine Fortführung dieser erfolgreichen Zusammenarbeit. Sicher werde sie sich zu gegebener Zeit ihrer Freundinnen erinnern und man habe doch soviel gemeinsam miteinander erlebt und erlitten. Ein einigendes Band sei dieses, unvergeßlich, untrennbar und überhaupt. Als Angelina genug davon hat, verriegelt sie erst einmal ihre Tür und stellt das Handy auf besetzt. Rechtschaffen zufrieden mit sich kreuzt sie die Beine auf der Schreibtischplatte. So weit, so gut. Die Angst geht um und parallel dazu das Gesicht der Angelina als Hoffnungsträgerin. Gewußt wie, hätte Elvira gesagt. Angelina unterdrückt ein Glucksen und wendet sich wieder der Arbeit zu. Keine Zeit auf den Lorbeeren auszuruhen! Die Sache muß am Laufen gehalten werden! Nicht daß nach zwei Tagen kein Schwein mehr davon spricht! Als Indiskretion getarnt, spielt sie dem ZeitenWanderer (mit dem sie zu gegebener Zeit auch noch abrechnen wird!) eine Nachricht zu. Die Verwaltung - immer um das Wohl der Patientinnen bemüht - arbeite nun auch präventiv an der Aufspürung von hospitalia-feindlichen Elementen. Diesbezüglich ist man, um die eigene Arbeit zu optimieren, zu dem Entschluß Seite 88
Black Mama gekommen, Figuren, die das Abenteuer suchten oder ohnehin das Konto schon hoffnungslos überzogen hätten, gewissermaßen eine zweite Chance zu geben. Wer sich als Feind zur Verfügung stelle und es vierundzwanzig Stunden lang schaffe, vor dem Sicherheitsapparat davonzulaufen, ohne entdeckt zu werden, dürfe damit rechnen, großzügig entlohnt zu werden. Was mit jenen geschieht, denen dieses nicht gelingt, wird nicht erwähnt. "Ach", beginnt Stripper, leicht gereizt, eine an Rocky gerichtete Begrüßung "Du bist ja auch mal wieder da." "Du glaubst gar nicht, was inzwischen hier los war", ergänzt Frederico. Erschöpft zu Boden sinkend, antwortet Rocky, daß sie nie glauben würden, was er inzwischen alles erlebt habe. "Nein", sagt Stripper, dem Frederico in den Bademantel hilft, "höchstwahrscheinlich nicht." Rocky will sich entrüsten, aber spart dann doch lieber den Atem. Ob jemand eine Lucky für ihn hätte? Beide verneinen. Sie kauen nicht. "Hast du einen Weg nach oben gefunden?", hält Frederico das Gespräch am Laufen. "Wie man es nimmt", beantwortet Rocky die letzte Frage, etwas melancholisch klingend. "Ich will nach Hause", jammert Frederico. "Nach Hause? Das kann zuweilen eine Definitionsfrage sein", erwidert Rocky philosophisch. "Ich habe keinen Bock, hier zu vertrocknen", quakt Stripper ungehalten. Rocky, die Daumen hinter seine Patronengürtel voller Buntstifte eingehakt, erklärt jetzt erst einmal seinen Leidensgenossen, mit Ausnahme von George, der wieder ins Bett gegangen ist, daß er, Spezialgeheimagent, der er wäre, eigentlich nie hinter dieser billigen Fluse Frederico her gewesen sei. Frederico zieht eine beleidigte Flunsch. Das sei nur ein sogenannter Deckauftrag gewesen, um seine wahren Aufgaben zu verschleiern. "Was`n das?", fragt Frederico, Rockies Patronengürtel und die Tastatur befingernd. Rocky patscht ihm auf die Finger. Abrupt fragt er Stripper, was ihm zu einem Mädel namens Frederike einfalle. "Nichts", entgegnet Stripper kurz und ungehalten. "Wer?", fragt Frederico. "Frederike natürlich", gibt Rocky zurück. "Was willst`n von der?", hakt Frederico nach. "Halt die Fresse! Ich muß sie eben wiedersehen! Warum, kapiert ihr sowieso nicht!" "Ich fürchte doch!", erklärt Stripper mit herabgezogenem Grinsen. "Aber es lohnt sich nicht. Glaub´ mir. Ich hab´ da meine Erfahrungen." Rocky sieht das ganz anders und entschwindet, die Spraydosen in seinen Holstern lockernd, im nächstgelegenen Spiegel. Marylin läuft Kreise in der Pathologie. Was zur Mama ist da mit der Elvira-Tante passiert? Bei der Angelina ist auch immer besetzt! Was soll sie denn jetzt nur machen, um den Frederico-Dödel raufzubekommen? Ohne den kann sie sich doch gleich auf den Seziertisch legen! Doch die Gedanken ihrer Auftraggeberin weilen derzeit ganz woanders. Voller Freude hat Angelina die anhaltende Abwesenheit Elviras zur Kenntnis genommen. Fast hätte der Stripper-Typ ihr jetzt leid getan. Pech für ihn, daß derzeit wichtigere Dinge für sie anstehen. Wie sie nicht anders erwartet hat, ist auch ihre letzte gezielte Indiskretion betreffs "Feind für Verwaltungszwecke" begierig von den Medien aufgesaugt und gratis unters Volk gebracht worden. In der anschließenden Pressekonferenz antwortet sie ausweichend auf die Frage, ob diese "Ich-bin-euer-Feind-bitte-jagt-mich-Geschichte" denn den Tatsachen entspreche. Stattdessen kommt sie ausführlich auf das neue Wettsystem zu sprechen. Geld oder Leben, in Anbetracht der nicht unerheblichen Renditeaussichten, weiß diese Verwaltungsgüte umfassend zu würdigen. Sollte dieses nicht nur für Schuldner, sondern auch auf die Gespenster aus der Tiefe ausgedehnt werden, laute die abschließende Empfehlung der Redaktion, auf die Ungeheuer zu setzen. Woraufhin sich einige Leserinnen beschweren werden, weil man nicht genau wisse, welche der beiden Parteien die "Ungeheuer" seien. Seite 89
Black Mama Blut & Busen bietet Marylin zehntausend KVK`s für eine Exklusivreportage. "Zwanzigtausend und wir sind im Geschäft!" "Marylin, Sie sind unverschämt. Elftausend ist unser letztes Angebot." "Na schön, aber dafür möchte ich mein Bild und meinen Namen sehen." Die Redakteurin seufzt ergeben und stimmt zu. Marylin erzählt daraufhin von dem bösen Weißen, der unten auch rumlaufe, was ernsthaft bisher niemand geglaubt habe .... Ihre Gesprächspartnerin gähnt, das hätte die Verwaltung ja schon angekündigt. Da müsse sie schon etwas besseres liefern, wenn sie kassieren wolle. Marylin stammelt wahrheitsgemäß weiter, was sich unten alles so zugetragen habe, aber lange vor Schluß droht die Reporterin aufzulegen, wenn sie nicht endlich mit wirklich brisanten Einzelheiten aufwarten könne! Marylins Verstand rast, der Puls knattert, die Schweißdrüsen pumpen. "Marylin", sagt sie zu sich im Geiste, "Marylin, du bist doch Schauspielerin." Es folgt ihre größte Rolle. Frei sprechend, ohne Drehbuch, serviert sie ein Potpourri atemberaubender Spielchen und -varianten, inmitten von verbrecherischen Intrigen, grausamen Plänen, Verschwörungen mit dem einen Ziel, die Männer abzuschaffen, um die letzten Exemplare für ein Heidengeld nur noch wenigen priveligierten Damen zur Verfügung zu stellen. (Eine Phantasie, die normalsterbliche Patientinnen in wilde Raserei versetzen wird.) Jetzt aber habe sich, wie immer zu spät, aber besser spät als nie, der dunkle Gott der Männer auf den Weg gemacht. Er sei bereits ganz nah und sie, Marylin, fürchte, ihr Leben sei bereits verwirkt. Doch sie werde um Gnade, Erbarmen und Erlösung flehen und man werde noch sehen müssen, ob der Gott der Männer traurigen Frauenaugen wirklich widerstehen könne. Eine neue Halbtagskraft in der Verwaltung gerät in ernsthafte Schwierigkeiten, nachdem sie Angelina weisungsgemäß wissen ließ, daß die Kämpferin für Recht und Ordnung, die mit den Vampirzähnen .... Also, daß die ... irgendwie, keine wisse wie, nach einem markerschütternden Schrei verschwunden sei. Die Überbringerin der schlechten Nachricht, heftig gewürgt, röchelt heiser, daß nun, bis auf wenige Spekulanten, alle Patientinnen auf einen Sieg derer aus der Tiefe gesetzt hätten. "Wirklich?" Angelina nimmt die Hände vom Hals der Botin. "All diese armen Irren haben auf die Flachpfeifen aus dem Keller gesetzt?" Jubelnd, singend und lachend fliegt die Überbringerin dieser abwechslungsreichen Nachrichten durch den Raum und anschließend gegen eine Wand. Angelina klatscht in die Hände. Ha, wenn die alle wüßten .... Aber schließlich weiß ja niemand außer ihr, was da wirklich für Nieten herumgeistern. Mit Ausnahme der Marylin-Kuh. Wie ärgerlich! Andererseits ist die doch ohnehin schon abgemeldet ... Ihre Augen verschießen satanische Blicke, dann aber strafft sie ihre Haltung und zaubert ein Lächeln hervor: "Sonst noch was?" Die Botin, in höchstem Maße besorgt um ihre eigene Sicherheit, keucht, daß es wohl weiter nichts Erwähnenswertes geben würde, aber sie würde sich sehr gern wieder draußen auf den Gängen umhören. Angelina läßt sie mit einem ermunternden Schubs ziehen. Schließlich hat sie noch eine sehr angenehme Aufgabe vor sich. Sie muß noch sehr, sehr viele KVK`s auf den Sieg der Verwaltung setzen. Strahlend tritt sie hinaus auf den Gang. Von all diesen aufregenden Neuerungen in Hospitalia unberührt, hat Rocky, das Net auf der Suche nach Frederike durchlaufend, auf Anhieb den richtigen Weg gefunden. Glückselig steht er in Jim-Bobs Zimmer. Zu seinem Mißvergnügen findet er aber nicht Frederike, sondern Jim-Bob selbst vor, der sehr erschöpft wirkt. Rocky fragt ihn etwas rüde, was denn jetzt schon wieder los wäre. Jim-Bob stammelt eine matte Entschuldigung wegen seines Unglaubens. Nun aber habe er es mit eigenen Augen gesehen. Ein Raumschiff mit furchtbar stinkenden Lebewesen. (Über diese Diplomaten aus dem Weltenall und ihr spezielles Erscheinungsbild wird zumindest im ZeitenWanderer später noch oft geschrieben werden.) Und sprechenden Hunden sei er auch begegnet. Er wollte natürlich sofort wieder weg, aber man habe ihn einfach nicht gelassen! (Gar nicht wahr! Er hätte bloß im Raumschiff rückwärts krabbeln brauchen! Seite 90
Black Mama Aber nein, er mußte ja der Mannschaft folgen, die das Schiff verließ, um auch noch intelligentes Leben auf diesem Planeten ausfindig zu machen.) Captain Shit und seine Mannen seien vorsichtig nach draußen geglitscht und hätten dann ein wenig herumgestöbert. Na ja, und im größten noch nicht total eingefallenen Gebäude sind sie hin- und hergerutscht. Jim-Bob immer hinterdrein. Captain Shit und Kollegen waren auf Spurensuche nach intelligentem Leben auf dem Planeten. Zwar ist es ihnen nicht gelungen, das betretene Gebäude korrekt zu identifizieren - es war einst eine Turnhalle, kein Tempel -, dennoch fand man Reste längst vergangenen Lebens. Die Geruchsspuren ließen auf einen gnadenlosen Kampf schließen! Völlig korrekt. Denn in dem letzten großen Match, welches hier ausgetragen wurde, wurde "Maulball" gespielt. Menschen gegen Hundsfellies, die Menschen transpirierten, die Hunde nicht, sie sabberten nur und die Menschen verloren mit 22:5. Na ja, Jim-Bob hätte sich dann schon darauf eingerichtet, für immer dort zu bleiben, als es dann so eine komische Party gegeben hätte für die Weltraumtypen. (Das war ein Willkommensfest!) Er wollte doch nur nett sein! Wie hätte er denn wissen können, daß er keinen von der Mannschaft, sondern einen Haufen Hundescheiße in der Hand hielt? Die hätten doch alle gleich ausgesehen! Und - und als er seinen Irrtum dann bemerkte, da hat er natürlich seine Flosse wie wild geschüttelt! Dabei sei wohl ein klein wenig auch auf die sprechenden Hunde gekommen. Ja, und dann mußte er fliehen und jetzt sei er auf einmal wieder hier. (Weil er sich auf einem Klo versteckt hatte. Als die Verfolger die Tür aufbrachen, taumelte er rückwärts gegen einen Spiegel und anschließend hat er einfach nur Glück gehabt.) Er verstehe die Welt nicht mehr und ob Rocky ihm das erklären könne? Kann er nicht und es interessiert ihn auch herzlich wenig. Ja, sagt Jim-Bob, damit habe er auch nicht ernsthaft gerechnet. Er werde wohl einen Artikel für den ZeitenWanderer daraus machen. Das sei bestimmt ein Knaller. Bestimmt könne er eines Tages auch Geld damit verdienen, was er auch dringend nötig habe. Nach der prickelnd aufbereiteten Veröffentlichung in Blut & Busen, daß die Männer bis auf webige Exemplare heimlich ausgerottet werden sollen, geht in Hospitalias Gängen nichts mehr! Wutschnaubend verlangen eine Menge Damen Erklärungen zu diesem ungeheuerlichen Zustand! Flammender Zorn jagt durch die Gänge, daß die letzten Mannes-Exemplare nur unter den wenigen Wohlbetuchten herumgereicht werden sollen! Transparente von Mannsbildern in prahlerischen Stellungen werden ausgerollt. Leidenschaftliche Wandschmierereien bedecken nicht mehr nur die Toiletten Hospitalias. Das aufgebrachte Weibervolk ist rasend und nicht gewillt, ein Haufen Versprechungen anzuhören. Es gellt ein Schrei, wie nie gehört, durch die altehrwürdigen Mauern: "Freiheit! Gleichheit! Sexualität! Wir wollen Männer!" Woher ausgerechnet Jim-Bob denn vom ZeitenWanderer erfahren habe, fragt Rocky verblüfft. Jim-Bob sagt, der wäre gut, echt gut. Wo er, Jim-Bob, doch der Erschaffer des Zeitenwanderers ist! Er habe es ja von Anfang an gewußt! Der Rocky sei einfach ein urkomischer Geist. Trotzdem, auch wenn es jetzt noch jämmerlich für ihn aussehe, so wird er doch eines Tages zu Ruhm, Ansehen, einer Haftstrafe wegen Beleidigung der Telefongesellschaft und Geld gelangen. Als er Rockies Patronengurte, Tastatur und Holster sieht, findet er, Rocky würde echt cool aussehen damit und woher er das Zeug denn habe? Im Hintergrund piepst das Riesen-Handy. Jim-Bob hat soeben elektronische Post erhalten. Leserbrief zu "Alle ZeitenWanderer und/oder ihre Leser werden aufgefordert, zur Verfuegung stehende .... " Liebe Leute vom ZeitenWanderer, ich bin Geschichtsstudent in Dogginarium und bin auf der Suche nach etwas Eßbarem zufällig auf eine etwas veraltete Nachricht von euch gestoßen, in welcher Ihr um Infos aus der Zukunft bittet. Sagt´ mal, was meint ihr denn genau? Seite 91
Black Mama Da ich das nicht weiß, sende ich euch in der Anlage einen Abriß unserer Geschichtslegende (hab´ ich aus `nem Lexikon für Welpen). Wenn ihr könnt, hinterlaßt doch bitte irgendwo eine Spur von euch. Wir, die Hundsfellies von heute, würden zu gern wissen, wie ihr Frauen und Männer wohl einmal ausgesehen haben mögt. Ist bestimmt witzig. Anhang: Die Geschichte Dogginariums Es war einmal, in fernen, fernen dunklen Tagen, als noch böse Geister tief im Erdinneren wohnten. Da gefiel es der Großen Dogge, die über uns alle wacht, die dunklen Zeiten auf Erden zu enden. So schön, so lieblich heulte sie, daß die Hölle selbst sich auftat. Daraus entsprangen drei Krieger, einer tapferer wie der andere. (Es folgt eine genaue Beschreibung zweier pudelartiger und einer Preisbeißerin mit Bulldoggengesicht, was Rocky unangenehm an die drei Pathologen erinnert.) Die Große Dogge also sprach zu ihnen, "Dieses sei fortan euer Land voll Licht und Wärme. Voller Wohlgerüche und Gaumenschmaus. So ziehet denn hin und laßet es euch gutsein." Das taten die drei, usw., usw., usw.. Jim-Bob fragt laut, was das denn wieder solle? Und, wenn auch rein rhetorisch gemeint, auch Rocky, was der denn dazu sage? "Nichts", erwidert der. Stattdessen stellt Rocky seinen neuesten genialen Gedanken vor. Hier, genau hier, wird er ein sicheres Rückzugsloch einrichten. Im Kommandoton spricht er Jim-Bob an, ob er die Brillanz dieser Idee zu würdigen wisse? Der aber grinst nur verächtlich. "Du würdest binnen achtundvierzig Stunden als illegaler Einwanderer verhaftet werden." Es folgt ein Gespräch darüber, was ein illegaler Einwanderer wäre und hierzulande zu befürchten hätte. Rocky verwirft seine Idee dann mit den Worten, daß er angesichts solcher Umstände lieber den putzenden Katzfellies zum Opfer falle. Jim-Bob nimmt den Gedanken aber seinerseits wieder auf. Hoffnungsvoll fragt er Rocky, ob man nicht einfach den umgekehrten Weg gehen könnte? Er, Jim-Bob, könne doch mit Rocky mitgehen und lächelt hoffnungsfroh. Schlechter als hier könne er es dort auch nicht haben. Wieherndes Gelächter seitens Rockies beendet diese seine Hoffnung. Rocky wischt sich glucksend die Tränen aus den Augen. Wer hätte gedacht, daß das Schreckgespenst so geistreich sein kann? Jim-Bob mault Unverständliches, gibt sich dann aber ein würdevolles Gesicht und fragt Rocky erneut, wo er diese seltsame Ausrüstung eigentlich herhabe? Er würde echt hammerhart aussehen damit. Ach, ja, die Patronengurte, die hätte er von einem ganz wunderbaren Mädel erhalten. Er, Rocky, wisse nicht, ob er, Jim-Bob, das verstehen würde, aber Frederike sei anders all die anderen Tanten. Schwärmerisch beschreibt er ihre Stimme, diese Augen, diese Bewegungen und wenn sie, also ihre Lippen .... Jim-Bob hat verstanden. Sehr gut sogar. "Sagtest du eben `Frederike´?" "Ja", erwidert Rocky, der die Vokabel Eifersucht noch nie erlebt hat. "Ich hab´ sie sogar in diesem Loch hier kennengelernt. Deshalb bin ich ja auch wieder hier." Im anschließenden massiv unhöflich geführten Gespräch findet man heraus, daß Frederike Jim-Bobs Traumfrau aus seinem nie vollendeten Roman "Die Reitpeitsche" ist, welcher leider zusammen mit seinen Riesen-Handies beschlagnahmt wurde. Jim-Bob hat sie noch nie anders als im Geiste gesehen, erteilt Rocky aber den scharfen Verweis, sich gefälligst von ihr fernzuhalten. Falls er sie aber doch sehen sollte, möge er bitte von Jim-Bob allerherzlichst grüßen, und sie wäre seine Traumfrau, ganz ehrlich, und solle doch bitte auch einmal ihm erscheinen und Rocky möge "Viva la libertad!" zu ihr sagen .... Rocky nickt heftig, das alles werde er erledigen und nun möge man ihn bitte entschuldigen. Er betritt den Wandschrank und entschwindet nach Hospitalia ins Seite 92
Black Mama Jahr der Dame 2048. Schräg unter der Stehlampe, wo Wo eben noch Rocky stand, ist nun Elvira erschienen. Jim-Bob, erst entgeistert, dann hellauf entzückt, schenkt sofort zwei Gläser voll. Elvira, im Angesicht des bösen Weißen, kann die Stärkung gut brauchen. Das Endoskop-Männerhirn weist Marylin darauf hin, daß Rocky eben weg, nun aber wieder da wäre. Unsicher blickt die Angesprochene mit zerzauster Frisur auf den Schirm und sieht ihn neben Stripper und Frederico vor einem dunklen Eingang diskutieren. Der Frederico-Schnulli muß zurück, soviel ist klar. Aber was macht sie mit den anderen Trotteln? Die wird sie wohl kaum zum Bleiben überreden können. Andererseits - ihr Konto dümpelt ja inzwischen wieder in ruhigeren Gewässern. So gesehen braucht sie die Flaschen ja gar nicht mehr. Andererseits - aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben ... Sollen die doch als ihre stille Kapitalreserve herumlaufen - solange bis das nächste Mal Ebbe in der Kasse ist. Glucksend öffnet Marylin die Luke, in der ihre Detektivkollegen verschwanden. Gut gelaunt brüllt sie ein paar Beleidigungen runter und ob sie das gesuchte Kamel gefunden hätten? Nach endlos langen Sekunden die Antwort. Ja, sie sind noch da, wären aber viel lieber oben. Nach kurzen Verhandlungen, wer zuerst raufgezogen werden soll und Marylin auf Stripper beharrt und diesem zugestimmt wird, wirft sie den verbliebenen Rest des Feuerwehrschlauches in den Schacht. Kurzes Gerangel unten, dann hat Rocky Stripper mit seinem Bademantel von der Rettungsleine zurückgedrängt und steigt selbst als erster hinauf. Oben angelangt, hält er Marylin sofort die Tastatur unter die Nase. Dies wäre eine Megawaffe und wenn sie nur einen Mucks von sich geben würde, dann ... Und ab sofort wäre er wieder der Boß und jetzt werde sie auf der Stelle auch die anderen raufziehen und zwar allein! Und den blöden Frederico zuerst, der bringe schließlich das Geld! Marylin stammelt noch etwas von zarten Händen, auch könne sie doch nicht alleine ... Ein scharfer Verweis, ein bedeutungsvolles Winken mit der Tastatur, dann zieht sie Frederico hinauf. Rocky beschließt, ab sofort ein paar Dinge in seinem Leben gründlich umzustellen! Vor allem deshalb, weil dieser blöde Rotzlöffel seine Rettung bisher überhaupt nicht ein bißchen als sensationell empfindet, was fürgewöhnlich auch die Dankbarkeit und damit die KVK-Ausschüttung erheblich bremst. Na warte! Soeben kommt auch Stripper aus dem Loch gekrochen, der sich mit Handschütteln höflich bei Marylin bedankt, wobei er gekonnt die Frage einfließen läßt, ob sie schon Zeit gehabt habe, sich hier umzutun, ob es hier so etwas wie ein Fläschchen Reiniger gebe. Sein einst gepflegter Bademantel sieht ziemlich ramponiert aus. Frederico beklagt gerade, daß sein Pyjama jetzt ganz schmutzig geworden wäre. Nicht ein einziges Dankeschön! Rocky und Marylin tauschen Blicke aus, die den identischen Wunsch bezeugen, ihm am liebsten gleichzeitig in den Hintern und in den Abgrund zurückzutreten. Frederico aber ist schon an der Tür, um nach oben zu laufen, um Mama Angelina nur ja gleich alles zu erzählen. Rocky schreit, er möge doch bitte erst noch den Schrank dort drüben öffnen. "Keine Zeit", kommt es zurück und Frederico läuft nach draußen auf den Gang. Doch es ist schon wieder nach Mitternacht. Ein glücklicher Umstand, der vor ein paar Minuten schon seine Mutter vor dem aufgebrachten Frauensvolk rettete. Neun Sekunden braucht es, bis der eilige Frederico schreiend und schwitzend hinter die schwere Metalltür zurückgerast kommt. Unverständliches stammelnd, wild gestikulierend, wird er von Rocky bei der Hand genommen, zum Schrank geführt, zwei Regale vor seinen Augen entfernt, er, Frederico, hineingestoßen, und der Schrank wieder verschlossen. Marylin wirft sich weinend in Strippers Arme, schluchzt, es hätte alles keinen Sinn mehr, aber ihm würde sie es gönnen, wenn wenigstens er seine Wünsche Seite 93
Black Mama erfüllt bekommen würde. Ihr blondes Haupt schabt über seine breite Brust. Ohne Handynummer, Bett und Zimmer sei man in Hospitalia erledigt. Aber das eine habe sie hier in der Pathologie gelernt: Das Leben wäre eben nicht ewig und wenn die Party am schönsten sei, solle man gehen. Sie jedenfalls habe keine Lust mehr davonzulaufen und zu hoffen und zu beten und zu betteln. Offensichtlich sei es ja auch ganz normal, daß sich immer ein paar Leute den Putzen vor den Wagen werfen würden, was im Augenblick wohl besonders stark der Fall sein müsse, wie man an den zahlreichen Neuzugängen ablesen könne. In ein paar Stunden werde auch sie dort liegen, auf dem kühlen Tablett, in Einzelteile zerlegt. "Ist Mensch noch Mensch, wenn abgelebt sie ist?", zitiert sie ein bekanntes Theaterstück. "Ist der Leichnam nach Kampfes Last geschunden und für Freundinnen selbst nicht kenntlich mehr, was bleibt uns da vom Menschsein noch?" "Die Seel' entflohen, sie flieget ewiglich. Dort auf der andren Seit', Freundinnen' an Freundinnenhand erwarten dich", ergänzt Stripper, der, um ihre Bekanntschaft zu erringen, jede Aufführung jedes Stückes gesehen hat. "Im ewiglich langen Krankensaal, Voll Harmonie und Glockenkling, Zwischen Schwestern, Höflich, freundlich, liebesam, Ärztinnen Kompetent und hilfsbereit, Oft auch da Wenn sie gebraucht Und sprechen deine Sprach' Hier fürcht' die Verwaltung Und Mangel An KVK Niemals nicht" Marylin endet. So oft schon hat sie diesen Text von der Bühne aus dem Publikum gegeben. So oft hat Stripper vorne in der ersten Reihe gestanden und ihr dabei gelauscht. Tränen haben sich ausgebreitet, Rocky verteilt Fetzen aus dem Papierspender. Doch jetzt, das ist zuviel! Stripper hält ganz fest ihre Hand zum Abschied. Rocky stellt sich an die Tür, um ihr die Mühsal des Öffnens zu ersparen, wo sie doch jetzt auf dem Weg ist, sich vor eine Putzmaschine zu werfen. Marylin flüstert etwas zu Stripper, der zuckt zusammen, ist sich aber der Würde des Augenblickes bewußt und bewahrt Haltung. "Rocky, laß uns bitte für eine halbe Stunde alleine", haucht Marylin, an Strippers klar proportionierten Brustkasten gelehnt. "Ich habe es dir da unten erklärt.", hallt Strippers sonore Stimme. "Und auch wenn du es nicht nachvollziehen kannst, oder auch doch, wie auch immer. Also, du weißt, daß .... also daß, ... also hau einfach mal ab!" Strippers Hand wedelt in der Luft. Rocky, den Blick vom engumschlungenen Paar abgewandt, hat nur das eine nur allzugut verstanden. Nämlich jenes was Marylin meinte, daß es keinen Sinn habe, davonzulaufen. Wenn das aber schon wieder so ist, daß er, wie gehabt, der kostenlose Volltrottel für jedermann war, nach all der Scheiße, die er auf sich genommen hat, dann hilft nur noch das älteste Motiv der Welt - Rache. Es soll nicht umsonst gewesen sein .... Er sichert den Feuerwehrschlauch und hangelt sich noch einmal zurück nach unten. Er hat da so eine kleine Idee ... Was wäre wohl, wenn er seine Memoiren an diese Pfeife mit Namen Jim-Bob senden würde? Ob das etwas ändern würde? Nach allem, was er erlebt hat, nicht undenkbar. Rocky betritt das Net und geht schnurstracks auf den passenden Eingang zu, als er durch schauerliches Stöhnen aus der Tür davor zurückgehalten wird. Rocky lugt vorsichtig um die Ecke. Aha, das ist ja der Raum mit den beiden ovalen Linsen, nur daß er diesesmal kein Riesenhandy sieht, sondern ein paar unzweifelhaft weibliche Körperteile. Rocky schiebt sich vorsichtig näher. Ganz dicht an der linken Linse stehend, wandert der Blick jetzt zum seltsam verspannten Gesicht des Opfers: Es ist Elvira, die da stöhnt, hechelt und seufzt. Rocky wendet sich um. Seite 94
Black Mama Wer immer da gerade mit ihr abrechnet, die hat es nicht besser verdient. Schwungvoll kritzelt er die letzten Sätze auf seine Notiz-Klopapierrolle hin, voll Kraft und Eleganz wirft er sie in hohem Bogen an ihren Bestimmungsort. Wenn der Jim-Bob nicht total dämlich ist, wird er einfach nur eine Verdienstquelle daraus machen. Rocky verzieht in leisem Neid die Mundwinkel. Auf dem Rückweg, er hat ja noch reichlich Zeit, stattet er dem Riesenhandy einen Besuch ab. "Eine Wunderwaffe also." Rocky grinst, dann arbeitet, hackt, schreibt er wie wild, startet Vorgänge mit und ohne Bilder, mit und ohne Text.Erschöpft nimmt er die Finger hoch. Die Wunderwaffe arbeitet ... Nach vollbrachtem Werk hangelt er sich zurück nach oben. Dort ist die Welle der Trauer und des Abschiedes inzwischen einer der Wut und des Hasses gewichen. Stripper kreischt Marylin an, daß er noch 320.000 KVKs von ihr zu bekommen habe, während sie lachend zurückgibt, daß er ein Idiot sei und auch seinen Spaß gehabt habe und sich lieber schlicht geschmeichelt fühlen sollte. Außerdem sei ja jetzt wohl endgültig klargeworden, daß er, einer Klasse-Schauspielerin von Format wie ihr, eben nicht gewachsen sei! Auch der beste Striptease-Tänzer sei eben immer noch kein Schauspieler und er solle es sich jetzt, blackmamanochmal, endlich zur Ehre anrechnen, wem er da so lustvoll auf den Leim gegangen sei. Im übrigen würde seine ewige Geldgier sie anekeln. Rocky, der inzwischen begriffen hat, worum es geht, ruft ein herrisches "Schnauze" und wirft seinen Bademantel zwischen die beiden, was sie jeweils in die entgegengesetzten Ecken treibt. "Ruhe jetzt, holt den Dödel aus seinem Wandschrank und dann geht es ab heim gen Muttern." Frederico wird befreit, aber mit der Leine, die er ursprünglich für den Weißen genutzt hatte, festgehalten. Völlig überraschend brüllt das Männerhirn im Endoskop los, daß man ihn auch mitnehmen solle. Er wolle hier nicht ... Marylin stellt den Ton ab. Was das war? Ach nichts. Irgendsoein merkwürdiges Radio. Die hier in der Pathologie haben ja lauter solche komischen Sachen. Und dann machen sie sich auf den Weg. Vorsichtig schleichen sie, den letzten putzenden Katzfellies ausweichend, Richtung Angelina. Doch Hospitalia hat sich verändert. Überaus erstaunt flanieren sie vorbei an lückenlos offenen Bildmalereien und markigen Sprüchen wie `Rocky Hood war hier´. Es ist nicht der Spruch, der Rocky dabei etwas unsicher werden läßt. Es ist die Tatsache, daß er seine eigene Handschrift dabei wiedererkennt. Eine Wanderpredigerin schreckt ihn aus seinen Grübeleien, wettert sie doch, daß es nunmehr soweit wäre, was lange schon erahnt und gepredigt worden sei! Dem Offensichtlichen solle, ja müsse man ins Auge sehen! Eine jede sich vorbereiten auf die Ankunft der Männermonster aus der Tiefe! Gummi, 1. Wahl, schwarz, rot oder hautfarben, Stück nur 1 KVK! Mit dem keuchenden Frederico an der Leine machen Stripper, Marylin und Rocky noch schnell einen Umweg über die Wäscherei, wo Rocky seinen alten, zwar durchlöcherten, aber frisch gewaschenen Bademantel abholt. Den anderen wickelt er schnell und unauffällig in andere Wäschestücke ein. Dort erkundigt man sich, ganz nebenbei, was sie, die Dame von der Wäscherei, denn so von den letzten Veränderungen in Hospitalia halten würde? Ob sie sich noch erinnern könne, wie alles so angefangen habe? Was sie schätze, was die Verwaltung jetzt wohl so unternehmen werde? Sechzig Minuten später haben sie alles über die Nichtzufälligkeit von Flecken im Linoleum, den persönlichen Lebensgewinn, ablesbar aus dem Flackern der Deckenbeleuchtung, den Fortschritt der Forschung betreffs unterschiedlicher Atemtechnik beim Durchwandern kurzer oder langer Gänge, mit oder ohne Essensgeruch, und mancherlei anderes erfahren. Als das Wäschereitelefon klingelt, gelingt ihnen erschöpft die Flucht. Rocky wischt sich den Schweiß von der Stirn, erklärend, dieses wäre die normale Detektivarbeit. Für die sei eben nicht jeder gemacht, aber falls sie weiterhin Interesse hätten .... Marylin und Stripper bedanken sich rasch und mit vorgehaltenen Händen für das Seite 95
Black Mama freundliche Angebot, man wisse es auch sehr zu schätzen, aber leider, wie das Leben eben so spielt, andere Verpflichtungen würden ihrer harren. Nur Frederico ist begeistert, was Rocky nicht zur Kenntnis nimmt. Na, ja. Rocky tanzt und singt, daß ihm der Patronengürtel auf den Bauch und die Tastatur auf den Rücken klatscht. "Ich bin wieder da! Ich habe es geschafft! Ich bin wieder daha, Leute! Angelinaaa? Angelinaaa?" Marylin gibt sich leicht geätzt, ob dieser Freudensprünge. Sooo lange oder weit war diese Type doch nun auch nicht wieder weg. Außerdem hat sie vergessen, diesem Brüllaffen zu erzählen, daß die kleine Frederico-Fluse doch diskret abgeliefert werden sollte. Was Rocky ohnehin nicht getan hätte. Denn sein Herumgebrülle hat durchaus einen Grund: Er macht damit Werbung für sich und seine Detektivdienste. Und wer weiß, wann er mal wieder im Dienste einer Verwaltungsoberen sein wird? Das muß er doch einfach ausnutzen! Wo bleibt die Tussi denn jetzt? Fredericos Mutter befindet sich derzeit in einer Dringlichkeitssitzung, was in diesen unsicheren Zeiten, dem Aufstand des Frauenvolkes, sowie der Bedrohung aus Hospitalias Untergrund, auch dringend geboten zu sein scheint. Jetzt umso mehr, wo nicht mehr zwei gewöhnliche Mannsbilder und ein sehr apartes über den Schirm huschen, sondern nur noch ein einziger böser Weißer erscheint und den Zauberfinger zeigt. Wie schon die Hospitalianer vor ihm, irrt auch George durchs Net, dabei Dr. Neurotius, der ihn erst hierhergebracht hat, sowie seine eigene Dummheit wild verfluchend, läuft er von einer Tür zur anderen. Stets in der Hoffnung, irgendwann die Verbindung zwischen seinem Hirn und dem Net zufriedenstellend wieder lösen zu können. Dabei wird er von Tür zu Tür den ihn angaffenden Personen gegenüber unhöflicher. Es sei offensichtlich, so die Sprecherin an Angelina gewandt, irgendwie seien die in letzter Zeit verschwundenen Männer in ein tiefes Höllenloch gefallen. Dort habe der böse Weiße sie gefunden und gefressen. Wenn man nicht sofort den Zugang finde und verschließe, werde die Sache böse ausgehen. Angelina hört nur mit halbem Ohr zu. Also, wie ihr depperter Sohn es geschafft hat, diesen widerwärtigen Milchbubi auf die Verwaltungsschirme zu bringen, ist Angelina nocht nicht ganz klar. Nur eins ist sicher. Falls das der böse Weiße sein sollte, muß sie sofort ihren Wetteinsatz verdoppeln. Schließlich hat sie diese Figur schon einmal mit bloßen Händen aus ihrem Schlafzimmer auf den Gang geohrfeigt. Jammerschade. Selbst die Männer aus der Hölle sind Waschlappen. Aber es reicht, wenn sie allein es weiß. Man sollte der Bevölkerung nicht ihre Legenden nehmen! Die brauchen so etwas! Die Sprecherin fragt gerade an, ob ihre letzte Frage zu undeutlich formuliert gewesen sei. Angelina, derart aus ihren Gedanken herausgerissen, verweist darauf, daß man gefälligst deutlich und ohne Umschweife reden solle. Die Sprecherin wiederholt wortwörtlich ihre Frage: "Sollten wir jetzt nicht anfangen, den Virus zu erledigen, bevor dieser uns plattgemacht hat?" Angelina, ("Na also, Sie können es doch!") bestätigt dieses. Eigentlich haben die Wettschalter alle schon geschlossen. Na ja, für sie wird man eben eine Ausnahme machen müssen. "Moment mal! Virus? Virus uns plattmachen? Das heißt, dieses ... dieses Biest hat seit Tagen und Stunden schon unser Verwaltungsnetz perforiert?" Ja, also so genau könne man das nicht sagen, seit wann, aber zumindest ... und so gesehen .. alles in allem. Sie hat doch gewußt, daß diese kleine Elvira-Schlampe Mist baut! Sie hat es gewußt! "Fertigmachen!" gibt sie Kommando. Als Angelinas Name, der Name "der allseits beliebten Fachkraft" (Verwaltungsjargon) durch die Gänge rollt, werden die Sicherheitsbeauftragtinnen wach. Was sie hier rumzubrüllen hätten und wie der da aussehe? Gemeint ist Rocky mit seinen gekreuzten Patronengurten voller Kugelschreiber und Seite 96
Black Mama der Tastatur auf dem Rücken, ganz zu schweigen von den Spraydosen-Holstern. Sie geben artig ihre Namen durch und auch wahrheitsgemäß von wo sie herkämen und wo sie hinwollten, aus der Pathologie eben und nun auf dem Weg zur Verwaltung. Die Kontrollinstanz findet das alles sehr merkwürdig und auf jeden Fall muß das untersucht werden. Die Untersuchung ergibt, daß Rocky und Marylin eigentlich gar nicht mehr existieren. Verunsicherten Blickes gibt man dieses an die nächsthöhere Instanz weiter, die sich darauf auch keinen Rat weiß und gleich an Angelina meldet. Dort klingeln entsprechend die Alarmglocken und sie klingeln erst recht bei Black Mamas Heiligen Kühen, wo man entsetzt über die Erfüllung eines fernen Versprechens aus einer Sage nachdenkt. Ist es wirklich an der Zeit? Ist Rocky Hood wirklich zurückgekehrt? Womöglich an der Spitze einer Heldenarmee? Hat die Hölle wirklich den Gott der Männer persönlich ausgespien? Gekommen, um das System umzuwerfen, den Schwachen Mut einzuflößen und zu bleuen und die anderen zusammenzuschlagen? Unter den derzeitigen Umständen ein Schock, so tief, daß er bei den Geiern der Verwaltung sofort die Mauser auslöst, nachdem sich jemand auch noch der Rocky-Visitenkarten erinnerte. "Er war getarnt in unserer Mitte und wir haben ihn nicht erkannt!" Man läßt Federn noch und nöcher und sieht gleich gar nicht mehr so sehr nach Verwaltungsgeier, sondern furchtbar gerupft und überhaupt erbarmungswürdig aus. George, aber, George ist glücklich. Endlich, endlich hat er die Luke zurück zu seiner Gastfamilie gefunden, die dort auf dem grünen Rasen liegen und warten, daß er zurückkehren möge, damit auch er beim Erdbeeren pflücken mithelfen kann. George ist ausgesprochen wenig begeistert davon. Lautstark zetert Angelina gegen den flatternden, kreischenden Lärm an, daß dieses Rocky-Hood-Geschrei äußerst unwahrscheinlich sei! Man habe doch nur ihren depperten Sohn, im Gefolge von ein paar Schwachköpfen, aber absolut keine Heiligen orten können! Allerdings scheine es sich um die schon angekündigten Monster aus der Tiefe zu handeln, denen sie, Angelina, sich nunmehr entgegenwerfen werde, um sie davonzujagen oder aber als Märtyrerin zur ewigen Fleischtheke zu gehen. Erneutes Geschrei, Geflatter und Geplapper. Doch Angelina bleibt hart und Herrin der Lage! Unduldsam stellt sie einen Trupp zusammen, um der Situation in jedem Falle gerecht zu werden. Wer sich für das Kommando "Begrüßen oder Prügeln" freiwillig melde, die dürfe damit rechnen, später besondere Würdigung zu erfahren. Zitternd melden sich die Gierigsten, die anderen werden angewiesen, die Käfige zu reinigen, alle Anträge abzuarbeiten und eine Presseshow vorzubereiten. Rocky & Compagnons biegen lächelnd um die letzte Ecke, als man sich unversehens einer ganzen Horde verunsicherter Verwaltungsfratzen gegenübersieht. An der Spitze die verächtlich knurrende Angelina, in jeder Hand bedrohlich einen nassen Lappen schwingend. Frederico erkennt seine Mutter und läuft auf sie zu. Rocky läßt gerade noch rechtzeitig die Leine los. Mama, Mama! Sein Studium könne er jetzt bestimmt schon viel früher beenden und alles wäre so wunderbar und sie könne sich das gar nicht vorstellen. Unter der Pathologie, da wäre nämlich ein Haufen Räume! Das sei bestimmt die Hölle und es würde da unten alles so affengeil aussehen und er wolle einen Artikel für den ZeitenWanderer schreiben, zu Zu ihm wäre die Hölle gar nicht so schlimm gewesen und ... Angelina boxt Frederico auf die Schnauze und er bleibt flach auf dem Rücken liegen. Für Marylin, als begnadete Schauspielerin, stellt diese kritische Situation im Angesicht so hoher Verwaltungsvertreterinnen natürlich kein wirkliches Problem da. Binnen Minuten gelingt es ihr, die mutiger gewordenen Verwaltungstypen von zumindest ihren eigenen allseits guten Absichten zu überzeugen. Stripper und Rocky sind vorsichtig stehengeblieben. "Normalerweise habe ich immer ein Netz zwischen mir und den Weibern. Und was Seite 97
Black Mama jetzt?" "Wir kämpfen bis zum letzten Mann!" Angelina blafft Stripper an, daß immer noch alle Prostituierten in Rage wären und er solle sich besser nicht bei denen sehen lassen, das könnte übel ausgehen für ihn. Stripper bestätigt, sich dort ganz gewiß für lange Zeit nicht sehen lassen zu wollen. Ein Versprechen, welches er nicht einhalten wird. Im Gegenteil, er wird sogar extra hingehen, um einiges an Geld unter den Nutten zu verteilen. Gewissermaßen als Tribut für die "besonders gelungene Erziehungsstunde", wie er es in zwei Wochen und vier Stunden nennen wird. Der Grund dafür liegt in seinem nächsten Auftritt "Stripper - der Höllenfürst", welcher leider nicht ganz planmäßig verlaufen wird. Denn durch die letzten Ereignisse in Hospitalia bedingt, ist sein Publikum derartig aufgeheizt, daß er besonders versierten und engagierten Damen begegnen wird, die mit Werkzeugen und roher Gewalt das ihn schützende Netz durchbrechen. Mit dem Effekt, daß seine Helfer kreischend davonlaufen und er schutzlos dem gierigen Publikum ausgeliefert sein wird. Sicher, er wird es überleben, wenn auch zerschrammt, zerbeult, über achtundvierzig Stunden mit jeder Einzelnen heftig abgetanzt und um noch einiges mehr an Erfahrungen bereichert, was diese ewig süßen Themen der Liebe, der Lust und der Leidenschaft betrifft. Er wird es überleben und er wird seinen freiwilligen Tribut an die Prostituierten leisten. Stripper ist nämlich nicht nur geldgierig, er weiß auch, wann er Freunde braucht. Wobei er immer noch einen immensen Schnitt gemacht haben wird. Stripper ist nämlich auch nicht doof. Versöhnlich fragt Angelina Stripper, was er denn jetzt vorhabe. Oh, er habe viel gelernt in der letzten Zeit und er habe da eine ganz neue Show entwickelt. Es ginge um den Unterschied zwischen Frau und Mann und sie sei sehr witzig. Sie sei zu den kostenlosen Proben natürlich herzlich eingeladen. Außerdem werde er sich wohl als eine geballte Ladung aus Sex-Appeal und Intelligenz präsentieren und nun auch sein Konterfei für Werbung freigeben. Turnschuhhersteller etwa hätten es gegen die Produzenten von Badesandalen immer noch schwer, da könnte seine Unterstützung durchaus gefragt sein. Angelina bedankt sich grunzend, drückt ihm eine OP-Maske in die Hand und gebietet ihm, schnellstens zu verschwinden. Dann aber springt sie mit gestrecktem Zeigefinger auf Rocky zu. "Und du, Würstchen? Du ewiger Dauerlügner? Du Unterläufer aller Sicherheitsmaßnahmen, die darauf abzielen, das Böse aus der Menschengemeinschaft zu verdammen? Du hast Essen ergaunert, bist in fremden Kleidern herumgelaufen, hast dich in einem Pappkarton auf öffentlichen Wegen breitgemacht. Am schlimmsten aber - du hast dich als Typ von der Verwaltung ausgegeben! Das reicht mehr als einmal, um Geschnetzeltes und Gehacktes zu werden!" Das Verwaltungsvolk kommt bedrohlich nahe. Alles grinst breit. Nix mehr mit Angst und Respekt und "Rocky Hood ist zurück". Rocky alias Emilio weiß, wann er verloren hat, keine KVK`s sehen wird, sondern aus der Gemeinschaft, zum Wohle aller, entfernt werden soll. Alles war umsonst. Umsonst die Mühe, umsonst der Kampf und Krampf. Rocky hat nicht mehr den Nerv für Tränen in den Augen, auch nicht mehr den Nerv zu verhandeln oder zu betteln oder noch einmal um sich zu schlagen. Am düsteren Abgrund seines Lebens, Angelinas wirbelnde nasse Lappen vor dem Angesicht, präsentiert er kraftvoll den Archäologengruß, kreischt die Worte eines anderen Verzweifelten hinaus, daß es gar schauerlich durch die Gänge rollt: "Viva la libertaaaad!" Es donnert und es dröhnt! Gewaltige Platten schieben sich auseinander. Leicht bewölktes Sonnenlicht fällt in den Gang, der seit Jahrhunderten nur elektrisches Flackern kennt. Türen und Fenster werden sichtbar - die längst vergessenen Teile, die während der Quarantäne verschlossen worden waren. Rocky schreit, springt entsetzt zurück, landet auf dem Rücken Strippers, der Seite 98
Black Mama schon geduckt auf der Flucht war, mit der unerwarteten Last aber kerzengerade hochschnellt. Rocky schleudert es, Arme und Beine weit von sich gestreckt, durch die Luft. Mit einer Fußkante erwischt er das Kinn von Angelina voll, mit der anderen Fußkante ein weiteres Kinn, mit den Handkanten noch zwei Gesichter und hat, wenn auch unfreiwillig, so doch gewissermaßen auf einen Schlag, die gesamte Truppe von Verwaltungsfachkräften direkt oder indirekt, weil alle durcheinander stürzen, zu Fall gebracht. Schreckensrufe gellen, "Sie machen uns zu Hackfleisch!", "Hilfe, ein Verrückter!", "Rocky Hood ist doch zurück!". Wer nicht k.o. gegangen ist, flieht in heillosem Entsetzen. Die Benommenen, denen die schnelle Flucht nicht gelingen will, winseln um Gnade, Vergebung und Erbarmen, ihn nicht gleich erkannt zu haben. Angelina habe sie falsch informiert, verführt, ihnen die Sinne vernebelt, daß sie das Offensichtliche zu sehen nicht mehr in der Lage waren. Gnade, Erbarmen und tschüss. Eilends kriecht man davon. Bloß weg von dem Schläger! Weg aus dem sonnendurchfluteten Gang! Geld oder Leben bejubelt wenige Minuten später den eigenen goldrichtigen Anlagetip - den auf die Ungeheuer aus der Tiefe zu setzen. Wieder einmal habe man bewiesen, wie richtig Abonnenten und vor allem Inserenten mit diesem Blatt liegen würden. Für Black Mamas heilige Kühe wird die Legende des Rocky Hood einmal mehr belegt haben, daß in den als solchen gekennzeichneten alten Mythen und Märchen eben doch immer auch die einzig wahre Wahrheit steckt. Etwa gleichzeitig werden Marylin und Stripper, beide nachdenklich geworden, bei Rocky uneigennützige Beraterverträge unterzeichnen. Marylin kann ein zweites Standbein gut brauchen. Stripper, der auf Marylins Bekanntschaft als Mittel nach oben zu gelangen, nichts mehr gibt, probiert damit einfach etwas neues aus. Rocky ist zufrieden mit sich. Die Rotznase ist zurückgebracht. Seine kleinen Untaten sind ihm alle verziehen worden. Sicher, er ist kurzzeitig echt sauer gewesen, daß Angelina, aufgrund einer unglücklichen Wette, soeben völlig mittellos geworden ist. (Was für ein Glück für sie, daß ihr Zimmer von der Verwaltung bezahlt wird.) Aber glücklicherweise hat er in der "Wohin-wird-das-Pünktchen-gehen-Wette", was immer das auch sein mag, "mehrere großzügige Preise" gewonnen. Eine Handy-Freikarte für das Wochenende, zwei Essensmarken und ein paar Sandalen. Abgesehen davon, bei aller Liebe, er muß ja auch noch bei Frederike abkassieren. Zerschunden, zerstoßen, zerschlagen, aber irgendwie auch seltsam erfüllt und ein klein wenig glücklich, kraucht auch Elvira aus dem Net. Um ein Haar dachte sie für immer im Netz bleiben zu müssen, weil irgendeine Wildsau immer vor ihrer Nase flächendeckend die Türen zugeschlagen hat. Wenn diese seltsame Frederike-Person nicht gewesen wäre ... Ächzend schleicht sie in ihr Büro, wo sie unauffällig ihre äußerst mitgenommene Kleidung zu wechseln gedenkt. Dort hat Angelina soeben Elviras letzte alkoholische Reserve ausgesoffen. Elvira grantelt zwar etwas, aber daheim verfügt sie noch über einen großen Vorrat. Generös fragt sie an, ob Angelina noch einen vertrage? Angelina, die zukünftig sehr viel sparen muß, schlurft sehr still hinterdrein. So süffelt man daheim bei Elvira und tauscht die Erlebnisse der letzten Stunden aus. Sie, Elvira, obwohl gezeichnet von den Anstrengungen der letzten Stunden, erklärt, warum ihr Bett, ihr ganz persönliches Bett, mehr ist, als es zu sein scheint. Es sind ihre letzten Worte auf Erden, weil sie nämlich besoffen einschläft und Angelina sie mit ihrem eigenen Bett enthirnt. Am nächsten Tag, Angelina läuft mit einem massiven Eisbeutel auf dem Kopf herum, friert sie den restlichen Körper Elviras bis auf weiteres weg. Mit rauher Stimme funkt sie der entschwindenden Kapsel eine Nachricht hinterher. Alles sei ein schrecklicher Irrtum. Seite 99
Black Mama Aber - aber trotzdem sei es natürlich auch eine besondere Ehre für sie, Elvira. Sie müsse das Positive sehen. "Solltest du jemals zurückkommen, meine ich." Kurzes Schnauben. "Elvi, ich tue hier unten echt alles, um dich zurückzuholen!" Angelina wirft zwei sprudelnde Tabletten in ein Glas mit Wasser. "Trotzdem - du, Elvira, bist das erste Frauenhirn im All! Und wäre ich an deiner Stelle, ich wäre lieber die erste im All, als die zweite in Hospitalia." Ja, und sie tue nicht nur ihr möglichstes für Elviras Rückkehr, nein, sie halte auch immer einen frischen, jungen Frauenkörper für sie bereit, natürlich immer an der aktuellen Mode ausgerichtet. Haut rabenschwarz oder pink oder hellblau, falls sich ein solcher Trend jemals durchsetzen sollte. "Weißt du, Elvira, weißt du, irgendwie, irgendwie beneide ich dich sogar, da oben. Ganz oben." Angelina lächelt ein feines, ganz unscheinbares Lächeln, als es unter ihren Fingern knirscht. "Ach, ich Dummchen! War das der Empfänger für Botschaften von der Kapsel?" So kann Elvira nicht ahnen, daß ihre hastig durchgestammelte Nachricht auf Erden von niemandem mehr empfangen werden wird. Keines Menschen Ohr vernimmt, daß die oberirdischen sechzehn Stockwerke für die Andachtsdoctores und -professores längst nur noch Betonreste eines einst gewaltigen Gebäudes sind, die wie verfaulende Zähne zwischen Moos und Flechten hervorragen, zwischen sich seit Jahrzehnten langsam wieder ausbreitender Vegetation. Niemand wird je vernehmen, daß sich vor der Kellertür nach oben außer gähnender Leere nur zahlreiche Tiere versammelt haben, und was für ein süßes Bild es ist, wenn die kleinen Fleischfresser sich um die Knochen balgen. Die neuen, alten Türen und Fenster wird man als großformatige Riesenbildschirme mit total öden Filmen mißverstehen und alle Zeitungen werden miese Kritiken abgeben. Ein zufällig hingeworfenes, ironisch gemeintes "Viva la Hospitalia" wird die Fenster eine Woche und neun Stunden später wieder schließen. Die "Täterin", selbst zutiefst erschrocken über diese Wirkung, die sie in keinster Weise den eigenen Worten zuschreiben wird, wird flüchten. Alle anderen werden denken, daß sich die Dinger wohl von selbst geschlossen haben - und irgendwie froh darüber sein. Da sich fortan kaum jemand freiwillig dorthin begibt, wird es so etwas wie ein Zufluchtsort sein, für Leute deren Handy abgeschaltet und/oder deren Bett auf den Gang gestellt wurde. Rocky gibt sich tiefstem Kummer hin. Irgendein Schwein hat ihm den Pappkarton weggeräumt und das gewonnene Handy-Guthaben wurde mit seinen Schulden verrechnet. Die Frederike-Tussi hat er auch nicht gefunden. Niemand kennt sie oder sie auch nur irgendwann einmal gesehen. Stripper hat es ihm ja gleich gesagt. Es lohnt sich nicht, sich mit Frauen abzugeben. Der kennt sich da aus. Der weiß schon, wovon er redet. Angelehnt an die zahngelbe Wand mit den bunten Sprüchen und ein paar Wandmalereien drauf, murmelt Rocky Spruchweisheiten von wegen der Unentrinnbarkeit des eigenen Schicksals. Sein Bademantel hängt schlaff an ihm herunter, der Gürtel schleift über den Boden. Müde setzt er sich in die Mitte des Ganges und blickt noch nicht einmal auf, als es zischt, spült und rotiert. Heute ist ein mieser Tag, genau wie die meisten davor. Sekunden später ist die Geräuschkulisse leiser geworden, schiebt und stiebt dem anderen Ende des Ganges entgegen. Rocky reißt sich vom Boden hoch und läuft, wenn auch viel zu langsam, den Rücklichtern hinterher. "Was soll das? Heh? Was soll das? Tut mir wenigstens diesen Gefallen!" Er benutzt ergänzendes, schmutziges Vokabular und wirft dem entschwindenden Wagen seine Sandalen hinterher. Dann, als der Wagen außer Sichtweite ist, sammelt er seine Sandalen wieder auf, steckt sie an die Füße und macht ein paar Schritte, irgendwohin, ganz gleich wohin. Eine Stimme sagt Dankesworte. Er sieht in alle Richtungen und dabei nichts. "Frederike?" Ein Jubelschrei entringt sich seiner Brust. "Ja, Rocky", hallt es überirdisch durch den Gang. Rocky brabbelt Liebesgeständnisse, er hätte alles mitgeschrieben, dramaturgisch gewürzt natürlich und .... "Ich weiß, Rocky, ich weiß", hallt die ihm so wohltuende Stimme durch den Gang. Rocky dreht sich und dreht sich und redet immer weiter und weiter und merkt Seite 100
Black Mama kaum, wie sich seine Umgebung rapide verändert. Blackmamanochmal! Nicht schon wieder dieses blöde Glotzerpaar! Was gibt es diesesmal? Ein anderes Augenpaar. Nein, wie aufregend. Aus der Pupille von der anderen Seite winkt ihm jemand zu. Rocky knetet seine Augäpfel durch und sieht dann noch einmal hinüber, um wirklich ganz sicher zu sein. Doch, es ist wahr. Drüben winkt ihm ein Typ zu, der genauso aussieht, wie er selbst! Schlimmer noch! Die alte Sau legt den Arm um Frederike! Rocky ist drauf und dran sich ernsthaft aufzuregen. "Willkommen daheim, Rocky." "Hä?" Rocky wirbelt herum. Frederike steht vor ihm. "Frederike? Ich ... du ... Wer ist das da drüben?" "Auftrag erfüllt, Rocky." Sie lächelt, sieht restlos glücklich aus und winkt nach drüben, winkt und winkt und winkt. FIN , wenn die kleinen Fleischfresser sich um die Knochen balgen. Die neuen, alten Türen und Fenster wird man als großformatige Riesenbildschirme mit total öden Filmen mißverstehen und alle Zeitungen werden miese Kritiken abgeben. Ein zufällig hingeworfenes, ironisch gemeintes "Viva la Hospitalia" wird die Fenster eine Woche und neun Stunden später wieder schließen. Die "Täterin", selbst zutiefst erschrocken über diese Wirkung, die sie in keinster Weise den eigenen Worten zuschreiben wird, wird flüchten. Alle anderen werden denken, daß sich die Dinger wohl von selbst geschlossen haben - und irgendwie froh darüber sein. Da sich fortan kaum jemand freiwillig dorthin begibt, wird es so etwas wie ein Zufluchtsort sein, für Leute deren Handy abgeschaltet und/oder deren Bett auf den Gang gestellt wurde. Rocky gibt sich tiefstem Kummer hin. Irgendein Schwein hat ihm den Pappkarton weggeräumt und das gewonnene Handy-Guthaben wurde mit seinen Schulden verrechnet. Die Frederike-Tussi hat er auch nicht gefunden. Niemand kennt sie oder sie auch nur irgendwann einmal gesehen. Stripper hat es ihm ja gleich gesagt. Es lohnt sich nicht, sich mit Frauen abzugeben. Der kennt sich da aus. Der weiß schon, wovon er redet. Angelehnt an die zahngelbe Wand mit den bunten Sprüchen und ein paar Wandmalereien drauf, murmelt Rocky Spruchweisheiten von wegen der Unentrinnbarkeit des eigenen Schicksals. Sein Bademantel hängt schlaff an ihm herunter, der Gürtel schleift über den Boden. Müde setzt er sich in die Mitte des Ganges und blickt noch nicht einmal auf, als es zischt, spült und rotiert. Heute ist ein mieser Tag, genau wie die meisten davor. Sekunden später ist die Geräuschkulisse leiser geworden, schiebt und stiebt dem anderen Ende des Ganges entgegen. Rocky reißt sich vom Boden hoch und läuft, wenn auch viel zu langsam, den Rücklichtern hinterher. "Was soll das? Heh? Was soll das? Tut mir wenigstens diesen Gefallen!" Er benutzt ergänzendes, schmutziges Vokabular und wirft dem entschwindenden Wagen seine Sandalen hinterher. Dann, als der Wagen außer Sichtweite ist, sammelt er seine Sandalen wieder auf, steckt sie an die Füße und macht ein paar Schritte, irgendwohin, ganz gleich wohin. Eine Stimme sagt Dankesworte. Er sieht in alle Richtungen und dabei nichts. "Frederike?" Ein Jubelschrei entringt sich seiner Brust. "Ja, Rocky", hallt es überirdisch durch den Gang. Rocky brabbelt Liebesgeständnisse, er hätte alles mitgeschrieben, dramaturgisch gewürzt natürlich und .... "Ich weiß, Rocky, ich weiß", hallt die ihm so wohltuende Stimme durch den Gang. Rocky dreht sich und dreht sich und redet immer weiter und weiter und merkt kaum, wie sich seine Umgebung rapide verändert. Blackmamanochmal! Nicht schon wieder dieses blöde Glotzerpaar! Was gibt es diesesmal? Ein anderes Augenpaar. Nein, wie aufregend. Aus der Pupille von der anderen Seite winkt ihm jemand zu. Rocky knetet seine Augäpfel durch und sieht dann noch einmal hinüber, um wirklich ganz sicher zu sein. Doch, es ist wahr. Seite 101
Black Mama Drüben winkt ihm ein Typ zu, der genauso aussieht, wie er selbst! Schlimmer noch! Die alte Sau legt den Arm um Frederike! Rocky ist drauf und dran sich ernsthaft aufzuregen. "Willkommen daheim, Rocky." "Hä?" Rocky wirbelt herum. Frederike steht vor ihm. "Frederike? Ich ... du ... Wer ist das da drüben?" "Auftrag erfüllt, Rocky." Sie lächelt, sieht restlos glücklich aus und winkt nach drüben, winkt und winkt und winkt. FIN
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