Lebenskeime aus dem Weltall? Im neuesten UTOPIA-Abenteuer haben wir es mit dem Projekt des Bakterienkrieges zu tun. Es ...
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Lebenskeime aus dem Weltall? Im neuesten UTOPIA-Abenteuer haben wir es mit dem Projekt des Bakterienkrieges zu tun. Es handelt sich hierbei um Pläne, deren mögliche Verwirklichung heute bereits von den Großmächten, wie beispielsweise England, USA. und Kanada, eifrig untersucht wird. Derartige Forschungen werden schon seit Jahren u. a. in den Laboratorien von Camp Detrick in Maryland (USA.) mit verschiedenen bekannten Krankheitserregern durchgeführt. Die vorliegende Erzählung berichtet jedoch von einem Bazillus, der nicht von der Erde stammt, sondern aus dem Weltraum eingeschleppt wurde. Bazillen aus dem Weltall? Ist es denn möglich, daß Lebenskeime von anderen Himmelskörpern zu uns auf die Erde gelangen? Diese Möglichkeit ist durchaus nicht undenkbar. Der bedeutende schwedische Naturforscher und Nobelpreisträger Svante Arrhenius (1859 – 1927) hat wohl als erster darauf hingewiesen. Nach seiner Ansicht ist es der Lichtdruck der Sonnenstrahlen, der diese winzigsten organischen Körperchen von Planet zu Planet durch den interplanetarischen Raum treibt. Doch müßten diese Lebenskeime nicht auf ihrer Reise durch den luftleeren und temperaturlosen Weltraum zugrunde gehen? Auch das ist keineswegs anzunehmen. Gerade diese primitiven Lebewesen, wie Bakterien und Sporen, sind unvorstellbar widerstandsfähig gegen die Unbilden der Umwelt. Bei Versuchen im Laboratorium hat man beispielsweise Bakterien in flüssigem Helium Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt ausgesetzt, ohne daß sie dadurch ihre Lebensfähigkeit einbüßten.
von Alf Tjörnsen Ein dunkler Winterabend lag über Orion-City. Der Sturm, der von den Bergen kam und durch die breiten Straßen der Atomforschungsstadt tobte, rüttelte an den Büschen der Vorgärten und trieb kalte Regenschauer gegen die Fensterscheiben. Es war ein Wetter, bei dem man keinen Hund vors Haus jagen würde. Aber in dem behaglichen Wohnraum in Jim Parkers Bungalow merkte man nichts davon. Im Kamin loderte ein Feuer, das mit groben Holzscheiten genährt wurde. Behaglich lehnte der Kommodore im Klubsessel und nahm von Zeit zu Zeit genießerisch einen Schluck Glühwein oder einen Zug aus seiner geliebten Zigarette. Er war an diesem Abend allein. Fritz Wernicke, sein treuer Gefährte, weilte schon seit Tagen auf „Luna nova“, der kosmischen Außenstation, um dem neuen Kommandanten beim Einarbeiten in seine schwierigen Aufgaben zu helfen. Gedankenverloren drehte Jim Parker den Knopf des Rundfunkempfängers und lauschte den einschmeichelnden Klängen einer gedämpften Tanzmusik. 3
Die zärtlichen Weisen wurden roh unterbrochen. Der Sprecher von Radio Orion-City schaltete sich ein und brachte eine Sondermeldung: „Die seit einigen Tagen viel erörterte Kriegsgefahr im zentralasiatischen Raum scheint in ein neues, bedrohliches Stadium zu treten. Beobachter aus Nowo-Urumtsi berichten von umfangreichen Truppenkonzentrationen an den Grenzen der Zentral-Dsungarei. Polizeiminister Iwanow hat Massenverhaftungen unter denjenigen Bevölkerungskreisen durchführen lassen, die der Regierung des Diktators Ili Khan nicht gewogen sind Angeblich soll der Kriegsminister der Zentral-Dsungarei, Marschall Ismael, den Mobilmachungsbefehl bereits unterzeichnet haben. Auf einer Massenkundgebung forderte Hassan Mustafa, der Propagandaminister …“ Nowo-Urumtsi – die Zentral-Dsungarei – Iwanow und Hassan Mustafa … Jim Parker hörte nicht mehr, was der aufgeregte Rundfunkansager sonst noch auf dem Herzen hatte. Weit schweiften seine Gedanken zurück. Die Gegenwart versank – die Wände des vertrauten Zimmers verschwanden, verloren sich in grauem Dunst. Der Wind, der eben noch im Kamin gesungen hatte – war es nicht der Sandsturm, der über die Wüsten und Steppen der öden Dsungarei brauste? Der Kommodore schloß die Augen. Er fühlte sich zurückversetzt in jene Zeit vor drei Jahren, die er im Wirbel seines abenteuerreichen Lebens längst vergessen hatte. Damals, als das große international Non-Stop-Rennen schneller Düsenflugzeuge um den Erdball raste … „O Jim, alte Mondrakete, wohin sind wir nur geraten?“ rief der kleine Fritz Wernicke mit kläglicher Stimme. „Wirklich eine bezaubernde Gegend, scheint das Hinterteil der Welt zu sein. Vielleicht sind wir schon gar nicht mehr auf der Erde, vielleicht hat uns dieser entsetzliche Sturm längst in den Weltraum hinausgetragen.“ 4
„Dann wäre mir beinahe wohler“, knurrte Jim Parker und hielt den Steuerknüppel fest umkrampft, den Blick starr nach vorn gerichtet. Sie hockten nebeneinander in der engen Kabine der Y-333, der neuesten Kurierdüsenmaschine des S.A.T. * . Draußen tobte ein Sandsturm mit elementarer Gewalt und nahm ihnen jede Möglichkeit der Orientierung. „Aber, wieso denn, Jim?“ fragte Wernicke zögernd. „Weil wir dort wenigstens nicht in Gefahr wären, uns irgendwo den Schädel einzurennen, old fellow.“ „Und hier?“ „Hier rasen wir mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit am Rande des Tien Schan dahin, was so viel wie ‚Himmelsgebirge’ bedeutet“, erwiderte der Kommodore und wies mit einer Kopfbewegung auf die Flugkarte. „Keine Sorge, Jim“, meinte Fritz Wernicke beruhigend. „Was soll uns schon passieren? Wir sind 4000 Meter hoch …“ „… und der Tien Schan erreicht bis 7300 Meter – damned – da haben wir die Bescherung schon!“ Mit aller Kraft riß der Kommodore das Steuer nach rechts. Die Maschine ächzte, schier unerträglich war der Andruck. In scharfer Kurve wich das Flugzeug vom bisherigen Kurs ab. Dicht am Backbordfenster vorbei huschte nebelhaft eine steile, rissige Felswand. Schon war sie vorüber, wie ein flüchtiger Spuk. „Es hat keinen Zweck mehr, wir müssen aufgeben“, knirschte Jim Parker und drosselte den Düsenmotor. Vorsichtig betätigte er das Höhensteuer. Sie flogen jetzt in genau nördlicher Richtung, dem Sturm direkt entgegen, Rasch verlor die Maschine an Fahrt und an Höhe. Eine Blindlandung bei diesem Unwetter war selbst mit mo*
S.A.T. = Staatliches Atom-Territorium der USA
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dernsten Peilgeräten ein Wagnis, das an Selbstmord grenzte. Aber es blieb den Freunden keine andere Wahl. Ihre Blicke hingen am Armaturenbrett. Jim Parkers Hände umkrampften das Steuer. Wernicke lag auf dem Sprung, um sofort zuzupacken, wenn es erforderlich sein sollte. „Fahrwerk raus!“ Doch die Räder waren noch nicht ganz ausgefahren, als ein heftiger Ruck durch die Maschine ging. Ein Krachen und Knirschen von unten her – die Piloten schossen nach vorn, wurden fast aus den Gurten gerissen. Es schien, als wollte sich das Flugzeug auf die Nase stellen, doch sein Rumpf fiel wieder in die Horizontale zurück. Noch ein Knirschen und das Scheuern von Sand. Und dann wieder Ruhe. Nur der Sturmwind brauste und pfiff durch die zertrümmerten Fenster. „Bauchlandung“, konstatierte Fritz Wernicke sachlich. „Aus!“ * „O Jim, ich verdurste.“ Todmüde schleppten sich die beiden Piloten über die trockene Steppe der Dsungarei. Sie hatten ihre Maschine aufgeben müssen und sahen keine andere Möglichkeit, als zu Fuß auf die Suche nach einer menschlichen Niederlassung zu gehen; denn auch die Funkanlage des Flugzeugs war bei der Landung zu Bruch gegangen. Der Sturm hatte sich noch während der Nacht gelegt. Heiß brannte die Sonne jetzt vom Mittagshimmel und dörrte die Kehlen der einsamen Wanderer aus. Aber Jim Parker trieb seinen Freund ständig zum Weitergehen an. „Vorwärts, Fritz, und keine Müdigkeit vorschützen! Je schneller wir vorankommen, desto eher bist du erlöst. Hier, 6
nimm meine Feldflasche. Es ist noch ein Schluck kalter Tee drin.“ „Tee?“ dehnte der kleine Steuermann entrüstet. „Sag, Jim, willst du mich vergiften? Tee ist kein Getränk …“ „… löscht aber vorzüglich den Durst.“ Jim Parker mußte lächeln. Der gute Fritz erkannte nur hochprozentige, scharfe Sachen als Getränke an. „Sei nicht so mißmutig“, versuchte er, seinen Freund zu trösten. „Bald haben wir’s geschafft. Wir sind im Lande der Dsungaren, eines mongolischen Volksstammes, und die Mongolen sind bekannt für ihre Gastfreundlichkeit.“ „Ach, das ist nett“, freute sich Fritz Wernicke, schon halb versöhnt. „Ich stell sie mir fabelhaft interessant vor, wie sie auf schäumenden Rossen dahergesprengt kommen. Der Häuptling wird uns in sein geräumiges Zelt einladen, und während über dem Lagerfeuer ein mächtiger Büffel am Spieß gedreht wird, den man uns zu Ehren geschlachtet hat, reicht uns die schöne Häuptlingstochter den Willkommenstrunk. Die Ältesten des Stammes nahen sich uns in festlichen Seidengewändern, und der Medizinmann verneigt sich tief und sagt: …“ „Halt! Stehenbleiben! Hände hoch!“ Fritz Wernicke blieb das Wort im Munde stecken. Gehorsam hob er die Arme. Der Kommodore folgte seinem Beispiel. Sie waren am Rande eines dürren Gebüsches entlanggegangen und sahen sich plötzlich von vier Männern umstellt, die wie aus dem Boden gewachsen schienen. Drohend richteten sich die Läufe von Maschinenpistolen auf sie. Erst jetzt unterzog der Kommodore die Leute, die ihnen einen so überraschenden Empfang bereitet hatten, einer genaueren Betrachtung. Sie trugen schwarze Uniformen mit goldenen Knöpfen und Abzeichen und waren bis an die Zähne bewaffnet. Unter den hohen, wappengeschmückten Käppis starrten kalte mongolische Gesichter. 7
Der Anführer, anscheinend ein Offizier im Leutnantsrang, gab zwei seiner Leute einen Befehl. Sie traten von hinten an die beiden Piloten heran und leerten ihnen mit affenartiger Geschwindigkeit die Taschen. „Wer seid ihr?“ knurrte der Offizier in gebrochenem Englisch. „Weist euch aus!“ „Gestatten Sie zunächst, daß wir es uns ein wenig bequemer machen, Sir“, erwiderte Jim Parker mit spöttischer Höflichkeit. Er nahm die Hände herunter und steckte sie lässig in die Hosentaschen. „Wir heißen Parker und Wernicke und haben an dem großen internationalen Non-Stop-Rennen teilgenommen, von dem Sie in Ihrer gastlichen Wüste gewiß auch gehört haben. Hatten leider Pech. Mußten nahe dem Tien Schan im Sturm notlanden und sind jetzt auf der Suche nach einer menschlichen Niederlassung. Alles weitere über uns mögen Sie unseren Pässen entnehmen, die Sie uns soeben abgeknöpft haben …“ „Sofern Sie des Lesens kundig sind“, vollendete Fritz Wernicke boshaft. „Sie sind überhaupt nicht gefragt“, schnauzte der Anführer. „Sie sind verhaftet. Los – kommen Sie jetzt mit!“ „Es scheint, wir sind einer Räuberbande in die Hände gefallen“, sagt Jim Parker geradeheraus. „Was fällt Ihnen ein?“ donnerte der Offizier. „Wir sind die Staatspolizei der Zentral-Dsungarei. Sie sind in einem geheimen Sperrgebiet aufgegriffen worden und der Spionage verdächtig.“ Parker und Wernicke wechselten einen verblüfften Blick. Nun – das Mißverständnis mußte sich ja bald aufklären. Sie stiegen in den Jeep, der jetzt am Rande des Gebüschs sichtbar wurde, und jagten unter scharfer Bewachung nordwärts über die trockene Steppe. Nach halbstündiger halsbrecherischer Fahrt lenkte der Wagen in eine Karawanenstraße ein, an deren Mo8
dernisierung fleißig gearbeitet wurde, überall waren kleinere und größere Trupps ausgemergelter Gestalten in gestreifter Gefangenenkleidung unter der Aufsicht schwerbewaffneter Staatspolizisten mit der Verbreiterung und Pflasterung des Weges beschäftigt. Die Gefangenen, deren erschöpfte Gesichter meist sympathische und intelligente Züge trugen, warfen dem vorüberfahrenden Polizeiwagen haßerfüllte Blicke zu. „Was sind denn das für Leute?“ fragte Jim Parker erstaunt. „Staatsfeinde“, zischte der Polizeileutnant wütend. „Gegner unseres geliebten Khans.“ Mit scharfem Ruck hielt der Jeep vor einem steinernen Wachthaus, das wie eine kleine Festung am Wegrand stand. Ein Doppelposten stand links und rechts neben dem niedrigen Eingang, über dem ein greuliches, schwarz-gelb geflecktes Wappentier aus Blech angebracht war, dessen rechte Pranke eine Fackel schwang. „Scheint ’ne Hyäne mit ’nem blutigen Knochen vorzustellen“, mutmaßte Fritz Wernicke respektlos. Der Polizeileutnant befahl den beiden Inhaftierten auszusteigen. In diesem Augenblick trat ein anderer schwarz Uniformierter aus dem Wachthaus und kam schnell heran. Auf seiner Brust klimperte eine breite Ordensspange mit zahlreichen Medaillen. Das Gesicht war eine vertrackte Mischung von Brutalität und Verschlagenheit. Die Posten präsentierten das Gewehr. Auch der Leutnant stand stramm. Seine Rechte schoß schräg aufwärts und fuhr wieder herunter an die Hosennaht. Mit schnarrender Stimme erstattete er seinem Vorgesetzten Meldung. „Offenbar ein ganz großes Tier“, raunte Jim Parker seinem Freund ins Ohr. „Was wohl diese ulkige Armbewegung bedeuten sollte?“ grunzte Wernicke. „Will dieser Affe etwa Fliegen fangen?“ 9
Ein Rippenstoß mit dem Kolben der Maschinenpistole eines ihrer Wächter belehrte den guten Fritz, daß er hier nur zu sprechen hätte, wenn er gefragt würde. Der Leutnant hatte seinen Rapport beendet. Er führte wieder den seltsamen Gruß aus und trat respektvoll zurück. Der andere wandte sich mit unendlich höhnisches Gesicht an die Verhafteten. „Sie bleiben also dabei, die Weltraumpiloten Parker und Wernicke zu sein, Gentlemen?“ fragte er in reinstem Englisch und mit einer fast zärtlichen Stimme. „Als Teilnehmer an einem Wettflug hierhergekommen und zur Notlandung gezwungen?“ Sein Gesicht wechselte blitzartig den Ausdruck, wilder Haß verzerrte seine Züge, als er auf Jim Parker losfuhr: „Sie infamer Lügner! Sie sind nichts anderes, als ganz gemeine Spione, die das Werk unseres großen Khans an das Ausland verraten wollen. Sie sind …“ „Moment mal, junger Mann“, fuhr ihm die Stimme des Kommodores schneidend in die Rede, „wenn Sie uns nicht glauben wollen, so ist das Ihr persönliches Pech. Spione sind wir jedenfalls nicht, Sie komischer Lamettaheini, und Ihr ‚Großer Khan’, oder wie der Kerl sich schimpft, ist uns völlig Wurscht. Und nun lassen Sie uns gefälligst frei. Scheint eine ganz elende Räuberbande zu sein, der wir hier in die Hände gefallen sind.“ Dem Polizeichef und seinen Trabanten blieben ob solcher Kühnheit die Münder offenstehen. So hatte noch niemand zu ihnen zu sprechen gewagt. Doch dann kam Bewegung in die Gruppe. Mit erhobenen Waffen drang alles auf die Gefangenen ein. Es hätte wahrscheinlich ein schlimmes Ende genommen, wäre in diesem Augenblick der Gefahr nicht unerwartet Hilfe gekommen. Ein Auto bremste scharf vor dem Wachthaus, und ein junger Mann sprang heraus und stürzte sich zwischen die Kämpfenden. „Kommodore Parker! Ist es denn möglich?“ 10
Verdutzt hielten die Polizisten inne. Jim Parker zog sich die zerrissene Kombination zurecht und reichte dem unbekannten Retter die Hand. „Thank you. Ihre Hilfe kam im rechten Augenblick. Aber, mit wem habe ich eigentlich die Ehre? Und woher kennen Sie mich?“ „Verzeihung, Mister Parker, mein Name ist Tarim, Ali Tarim. Mein Vater ist Professor in Nowo-Urumts!“ „Etwa der berühmte Lehrer der ostasiatischen Kunst?“ fragte Parker überrascht. „Eines seiner vortrefflichen Werke ziert auch meinen Bücherschrank.“ „Er ist es, Sir. Darf ich Sie und Ihren Begleiter – es ist doch sicher Mister Wernicke, der bekannte Weltraumpilot – einladen, unser Gast zu sein?“ „Herzlich gern, Mister Tarim. Doch zuvor müßten Sie uns erst aus den Klauen der wildgewordenen Staatsgewalt erlösen. Dieser ordenbehängte Knabe hier hält uns nämlich für Spione.“ „Oberst Iwanow? Das sieht ihm ähnlich. Nun, ich werde mit ihm reden.“ Es entspann sich eine erregte Debatte, deren Ergebnis sich sehr bald zeigen sollte. Der Polizeioberst verzog sein Gesicht zu einem unaufrichtigen Grinsen und gab dem Leutnant ein Zeichen, den Gefangenen ihre Sachen zurückzugeben. Dann forderte er sie auf, sich in das Kontrollbuch im Wachthaus einzutragen und erklärte sie für entlassen. „Ich bitte, meinen Irrtum zu entschuldigen, Gentlemen. Doktor Tarim, der Sie kennt, hat die Bürgschaft für Sie übernommen. Sie können gehen.“ Sein Arm fuhr in die Luft und vollführte wieder die seltsame Bewegung, die der landesübliche Gruß zu sein schien. Parker und Wernicke waren doch froh, als sie endlich in Doktor Tarims Wagen saßen und in Richtung auf die Landeshauptstadt Nowo-Urumtsi davonbrausten. 11
* Das Haus Professor Tarims war in der Art eines chinesischen Kon-Kuans gebaut und lag in einem vornehmen Viertel am Südrand der Stadt. Die beiden Weltraumpiloten fanden eine so herzliche Aufnahme, daß sie sich sofort „wie zu Hause“ fühlten. Sie hatten den Rest des Nachmittags in dem großen Gartenzimmer, das man ihnen eingeräumt, verschlafen und genossen nun den schönen Abend auf der Terrasse im Kreise ihrer Gastgeber. Außer den Tarims, Vater und Sohn, waren noch Wang Feng-Tse, der chinesische Generalkonsul, und seine Tochter Liu anwesend, sowie Hassan Mustafa, der Pflegesohn des Professors. Das Gespräch lief munter dahin, und doch hatte Jim Parker das Gefühl, als lastete ein dumpfer Druck auf seinen neuen Freunden. Fritz Wernicke schien es nicht zu bemerken. Er hatte den seltsamen Empfang schon vergessen, den die Staatspolizei ihnen bereitet hatte, und plauderte begeistert drauf los: „Ein herrliches Land, die Zentral-Dsungarei! Riesig nette Menschen. Und dann diese Gastlichkeit und diese – erlesenen Getränke. Prost, Gentlemen! Was mich am meisten überrascht, ist der hohe Stand an Zivilisation, dieser technische Fortschritt, dem man auf Schritt und Tritt begegnet: moderne Straßen, hervorragende Verkehrsmittel, Fabriken, elektrischer Strom, fließendes Wasser und W. C. Es ist alles fast genau so wie bei uns in Amerika. Und dabei muß ich zu meiner Schande gestehen, daß ich bisher so gut wie nichts über dieses Land gewußt habe. Ich habe Sie – pardon, Gentlemen, – für so etwas wie ein technisch und wirtschaftlich zurückgebliebenes Gebiet gehalten!“ „Tukestan, die Dsungarei – das ist alter Kulturboden“, lä12
chelte der Professor, und seine Hand glitt wie liebkosend über eine kostbare, viele hundert Jahre alte Vase, die neben ihm auf dem niedrigen Tischchen stand. „Aber Sie haben recht, Mister Wernicke. In mancher Hinsicht ist die Zeit an uns vorübergegangen. Einst waren wir Durchgangsland für den Mongolensturm, der Asien und halb Europa überflutete, später ein Spielball zwischen Russen und rivalisierenden chinesischen Mächtegruppen. Vor einigen Jahren wurden wir selbständig, und dann begann für uns der gewaltige technische Aufschwung, dem Sie hier überall begegnen. Doch so begrüßenswert er in vieler Hinsicht sein mag – die Motive, denen er entspringt, erfüllen mich mit wachsender Sorge.“ „Es kommt mir so vor“, bemerkte Jim Parker vorsichtig, „als sei die Bevölkerung Ihres Landes nicht sonderlich glücklich. Sie wirkt irgendwie unfrei, auch wenn man von den Gefangenentransporten, denen wir unterwegs begegneten, ganz absieht.“ Als habe er damit ein verschlossenes Tor weit aufgestoßen, entlud sich mit einem Schlage der zurückgehaltene Groll der Anwesenden. „Es ist eine Schmach!“ rief der junge Tarim leidenschaftlich. „Seit Ili Khan vor drei Jahren die Macht an sich riß, ist die Freiheit bei uns tot. Es gibt keine Kritik mehr, keine andere Meinung, als die vom Staat vorgeschriebene. Ein dichtes Netz von Spitzeln und Polizeiagenten umgibt und durchsetzt das ganze Land. Die Bedauernswerten, die Sie heute in der kleidsamen Sträflingstracht beim Straßenbau beobachten konnten, sie alle haben nichts anderes verbrochen, als daß sie eine andere politische Meinung hatten als unser geschätzter Diktator.“ „Schweig, Ali!“ zischte Hassan Mustafa den jungen Mann an. „Es sind Verbrecher, die die gigantische Aufbauarbeit unseres großen Khans sabotieren wollen.“ 13
„Schweig du mir von deinem ‚großen Khan’, Hassan“, unterbrach ihn Wang Liu, die junge Chinesin. „Er ist ein Barbar. Denken Sie nur, dieser Ili Khan hat ein Gesetz erlassen, das es Ali und mir verbietet zu heiraten.“ „Wieso denn das?“ fragte Parker verständnislos. „Weil ich einem anderen Volk und einer anderen Rasse entstamme.“ „Die strenge Rassenpolitik unseres großen Khans besteht zu vollem Recht“, dozierte Mustafa wie ein politischer Agitator. „Es gibt nun einmal von Natur hochwertige und minderwertige Rassen …“ „Sie sind zu liebenswürdig, junger Mann, und überdies ein Ausbund an Höflichkeit“, unterbrach ihn Generalkonsul Wang mit beißendem Spott. „Was mich persönlich am meisten beunruhigt, ist der Umstand, daß Ili Khan hier im Herzen Asiens eine hypermoderne Riesenarmee aus dem Boden stampft und sie mit Waffen ausrüstet, die allgemein als unmenschlich geächtet sind. Welchen Zweck verfolgt er wohl damit? Weit und breit lebt keine Nation, die hier angreifen würde.“ „Gewiß, wir haben die modernste Armee in Zentral-Asien“, erklärte Mustafa stolz. „Sie dient dazu, den Frieden zu verteidigen. Schon die alten Römer sagten: ‚Si vis pacem, para bellum’ (= Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor).“ „Ein gefährliches Wort“, sagte Professor Tarim, „und sehr anfechtbar.“ Ein Diener war lautlos eingetreten und flüsterte dem Hausherrn etwas ins Ohr. Der blickte erstaunt auf und wandte sich seinen Gästen zu. „Wir bekommen Besuch: Oberst Iwanow von der Staatspolizei.“ „Oberst Iwanow!“ rief Mustafa begeistert und sprang auf. „Welch eine hohe Ehre.“ 14
„Auf die wir gern verzichten würden“, knurrte Ali Tarim grimmig. Über die Stufen herauf kam sporenklirrend Oberst Iwanow. Er salutierte mit der seltsamen Bewegung des Fiiegenfangens und steuerte dann sofort auf Jim Parker zu. „Kommodore Parker“, begann er grinsend, „ich hatte heute bereits das Vergnügen …“ „Erinnere mich“, brummte der Kommodore. „Womit kann ich dienen?“ „Zunächst möchte ich mich nochmals wegen des Mißverständnisses von heute früh entschuldigen, das ich außerordentlich bedauere. Sodann habe ich die Ehre, Sie im Namen unseres großen Khans einzuladen, morgen als sein Gast an der großen Parade teilzunehmen.“ „An einer Parade?“ „Jawohl, Sir. Aus Anlaß des dritten Gründungstages der Dsungarischen Reichspartei.“ Jim Parker war nicht wenig erstaunt. Wie kam er nur zu dieser Auszeichnung? Er überlegte kurz. Doch dann dankte er mit knappen Worten und sagte zu. * Professor Tarim verspürte nicht die geringste Lust, sich diesen „Rummel“, wie er es nannte, anzusehen. Aber Fritz Wernicke war voller Neugier und schloß sich Ali und seiner Braut Liu an, um einen Gang zum Paradeplatz zu machen. Die Stadt ertrank in Fahnen und Transparenten. Eine dichte Volksmenge drängte sich in den Straßen. Aber es herrschte keine frohe Stimmung. Die meisten Menschen wirkten mißtrauisch und bedrückt, überall wimmelte es von schwerbewaffneter Staatspolizei, die in den Straßen, welche die Wagenkolonne des 15
Khans passieren sollte, in zwei Doppelreihen Spalier bildete. Drohend waren die Mündungen ihrer Maschinenpistolen auf die Schaulustigen und zu den Fenstern der Häuser hinaufgerichtet. Fritz Wernicke verstand das nicht. „Warum gebärden sich diese Herren nur so furchtbar dienstlich?“ fragte er seine Begleiter. „Wozu dieses bewaffnete Riesenaufgebot?“ „Um den großen Khan vor der Liebe des Volkes zu schützen“, erwiderte Doktor Ali Tarim ernsthaft. „Man scheint ihn ja wirklich zum Fressen gern zu haben“, stellte Wernicke fest. „Sagen Sie mal, Doktor, was bedeutet eigentlich diese Hyäne mit dem blutigen Knochen, die man überall auf den Fahnen sieht?“ „Das ist keine Hyäne“, lachte Ali. „Es soll einen Panther mit einer Fackel vorstellen – das Wappen der Reichspartei.“ „Vorsicht!“ flüsterte Liu und deutete mit den Augen auf einen Zivilisten, der mit forschendem Blick um sie herumstrich. Aus der Ferne ertönte jetzt verworrener Lärm. Die Staatspolizisten faßten ihre Waffen fester. In einer Staubwolke raste mit rasselnden Ketten eine Gruppe von Panzerwagen vorüber und verschwand in Gedankenschnelle hinter der nächsten Straßenkrümmung. „Heil dem Khan!“ riefen ein paar Zuschauer und warfen die Arme in die Luft. „War das alles?“ wunderte sich Fritz Wernicke. „Der hat es aber verdammt eilig.“ „Ist auch besser für ihn“, knurrte Ali Tarim grimmig. * Eingekeilt in eine Menge ordengeschmückter Militärs wohnte Jim Parker der großen Parade der Zentral-Dsungarischen Partei bei. Er 16
stand auf der beflaggten Ehrentribüne, wenige Schritte hinter dem Diktator, einem kleinen Mann in betont einfacher Uniform. Unten, auf der betonierten Fahrstraße, zogen in endlosen Kolonnen die gelb-uniformierten Formationen vorbei: Panzerregimenter, motorisierte Infanterie und Artillerie aller Kaliber, Raketenwerferabteilungen und wieder Panzer. Die staubige Luft dröhnte und zitterte. Jim Parker mußte unwillkürlich lächeln, als er die Ausrüstung der Truppen sah: Panzer amerikanischen Ursprungs, modernste französische Geschütze, Kraftfahrzeuge aus England – die Regierungen der Herkunftsländer waren gewiß nicht mit Ili Khan und seiner Politik einverstanden, aber Geschäft war Geschäft. Hoch in den Lüften jagte ein Düsenjägerverband über ihren Köpfen dahin. Er stellte den Namenszug Ili Khans dar. Ein Heulen schwoll an und ebbte wieder ab. Wie ein Phantom entschwand die Formation den Blicken der Zuschauer. „Unsere Luftwaffe ist der Stolz der Nation“, sagte der Diktator über die Schulter zu Parker. In seinen Augen leuchtete ein fanatischer Glanz. „Geben Sie acht – jetzt wird scharf geschossen.“ Jim Parker trat näher an die Balustrade heran. Jenseits der Straße war ein Dorf aus hölzernen Attrappen aufgebaut worden. Wieder heulte es unter dein wolkenlosen Himmel auf. Ein neuer Verband von Düsenjägern flog eine weite Kurve und ging zum Angriff auf das Bodenziel über. Die Bordwaffen bellten und knatterten. Weit hinter den Holzhütten spritzte der Sand auf. „Ja, ja – aller Anfang ist schwer“, grinste Parker schadenfroh. Die Formation näherte sich abermals, setzte zum zweiten Angriff an. Diesmal zischten die Geschosse in eine Gruppe von Soldaten hinein, die sich am Rande des Paradeplatzes gelagert hatte. Schreiend stoben die Überraschten auseinander. Das Dorf hatte wieder nichts abbekommen. 17
„Spiele nicht mit dem Schießgewehr – denn es fühlt wie du den Schmerz“, deklamierte der Kommodore vergnügt. Der Diktator fuhr herum, zornrot im Gesicht. Es sah aus, als würde er einen Tobsuchtsanfall bekommen, doch er beherrschte sich gewaltsam. „Ich hoffe, es war Ihnen interessant, Kommodore Parker“, sagte er geschmeidig. „Darf ich Sie bitten, mich übermorgen um zehn zu einer Besprechung aufzusuchen?“ Mit einer herrischen Handbewegung erteilte er den Befehl zum Abbruch der Vorführung. * „Möchte nur wissen, was dieser ulkige Napoleon im Westentaschenformat von dir will“, sagte Fritz Wernicke am Abend dieses ruhmreichen Tages, als der Kommodore ihm von der ehrenvollen Einladung, die er erhalten hatte, berichtete. „Ich meinerseits traue dem Burschen nämlich nicht über den Weg.“ „Ich meinerseits nämlich auch nicht“, gab Jim Parker zu. Sie saßen zusammen mit Ali Tarim im parkähnlichen Garten des großen Hauses unweit eines künstlichen Teiches und sahen den Flamingos zu, deren Gefieder bunt im Schein der Abendsonne leuchtete. Der junge Arzt sog gedankenvoll an seiner Zigarette und wandte sich dann an den Kommodore: „So wie ich den Khan beurteile, plant er wieder eine Teufelei. Wahrscheinlich will er Sie für seine Kriegsvorbereitungen verwenden.“ „Damit kann er bei uns keinen Blumentopp gewinnen“, lachte Jim Parker. „Vergessen Sie nicht, daß Sie praktisch in seiner Gewalt sind“, mahnte Ali eindringlich. „Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: Versuchen Sie, Ihre Maschine wieder klar zu bekommen, und fliegen Sie heimwärts, bevor es zu spät ist.“ 18
„Das wird – ohne Hilfe aus Orion-City – kaum gehen“, meinte der Kommodore. „Wir kriegen unsere Mühle ohne Ersatzteile nicht wieder flott.“ „Dann fordern Sie schnellstens Hilfe an, Gentlemen. Wenn Sie wollen, fahre ich Sie noch heute abend zur Wohnung des amerikanischen Geschäftsträgers.“ Kurz danach raste der Wagen des jungen Tarim mit den beiden Freunden durch die dämmerigen Straßen, die jetzt seltsam ausgestorben wirkten. Doch ihr Besuch bei Mister Wilson war vergeblich. Der Geschäftsträger weilte auf dem großen Festbankett im Palast des Khans und war vorläufig nicht zu erreichen. „Telegraphieren Sie am besten selbst nach Orion-City“, riet Ali und fuhr seine Gäste kurz entschlossen zum Telegraphenamt. Ein mürrischer Beamter nahm die Depesche entgegen, musterte die Fremden mißtrauisch und verschwand im Nebenraum. Die Zeit verging. Schließlich kam er zurück – in Begleitung eines Offiziers der Staatspolizei. „Ich bedauere außerordentlich, meine Herren“, sagte der Uniformierte betont höflich, und in seinem Gesicht stand ein schadenfrohes Grinsen. „Wir können Ihr Telegramm nicht durchgeben.“ „Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“ Jim Parker fühlte sich plötzlich wie ein Tier, das in die Falle gegangen war. Der Polizeioffizier zuckte die Achseln. „Die Leitungen sind gesperrt. Befehl vom Khan. Vielleicht versuchen Sie es in den nächsten Tagen wieder.“ Das war offener Hohn. „Schöner Saftladen!“ machte Fritz Wernicke seinem Herzen Luft. Jim Parker sagte nichts. Schweigend ging er zum Wagen zurück. „Ich möchte gern noch zu den Wangs fahren“, sagte Ali Tarim. „Darf ich Sie einladen, mitzukommen?“ 19
Der Kommodore dankte. „Wir wollen noch einen Spaziergang machen, Mister Tarim. Unterhalten Sie sich gut und grüßen Sie die Wangs von uns. Good night.“ Als die Freunde wenig später durch den Garten schritten, der das Haus ihres Gastgebers umgab, bemerkten sie einen schmalen Streifen Licht, der durch die schweren Fenstervorhänge der Bibliothek fiel. „Der Professor scheint noch wach zu sein“, meinte Jim Parker und ging auf die halbgeöffnete Glastür zu. „Wollen ihm gute Nacht sagen, Fritz.“ Doch an der Tür blieben sie wie angewurzelt stehen. Im matt erleuchteten Bibliotheksraum sahen sie nicht den Professor, sondern Hassan Mustafa, seinen Pflegesohn, den begeisterten Parteigänger Ili Khans. Er blickte sich scheu um und schlich auf eines der hohen Regale zu, wo er stehen blieb und ein schmales Bündel Papiere aus seiner Brusttasche zog. Einen Augenblick zögerte Mustafa. Dann zog er einen dickleibigen Wälzer aus dem Fach. Schnell schob er die Papiere zwischen die Blätter, stellte das Buch an seinen Platz zurück und eilte zur Tür. In seinen Zügen glomm ein triumphierendes Lächeln. * In der Nacht brachen Tumulte in Nowo-Urumtsi aus. Der Mob tobte durch die Straßen der Hauptstadt und plünderte. Hier und da flammten Brände auf. Eine Anzahl politisch mißliebiger Mitbürger wurde aus den Betten gezerrt und wanderte in die Gefängnisse der Staatspolizei. Am anderen Morgen berichtete der staatliche Rundfunk der Zentral-Dsungarei von „spontanen Kundgebungen“ der Bevölkerung, die sich gegen die Feinde der Regierung richteten. Mit 20
unerbittlicher Strenge würde von jetzt ab gegen alle Saboteure vorgegangen, die das Werk des großen Khans gefährdeten. Als Doktor Tarim mit den beiden Freunden zum Amtssitz des amerikanischen Geschäftsträgers fuhr, waren die Straßen noch voller Unruhe. Es war sonnenklar, daß die Staatspolizei mit der Unterwelt gemeinsame Sache machte. „Feine Zustände“, knurrte der Kommodore. „Hatten Sie es anders erwartet?“ fragte Ali zurück. Im Büro des Geschäftsträgers wurde ihnen eine neue Enttäuschung zuteil. Mister Wilson war schwer erkrankt, als er vom Bankett bei Ili Khan zurückgekehrt war, und konnte keine Besucher empfangen. „Wird sich wohl überfressen haben“, meinte Wernicke respektlos. „Hoffentlich hat man nicht irgendwie nachgeholfen“, sagte Ali, der mit den Gepflogenheiten seines Staatsoberhauptes vertraut war. Auf dem Heimweg fuhren sie über einen großen Platz, auf dem eine dichtgedrängte Menschenmenge ihnen den Weg versperrte. Ein mächtiges Feuer loderte inmitten einer Grünanlage. Auf einer Bank daneben stand ein Redner, in dem sie sofort Mustafa erkannten. Er ruderte mit den Armen in der Luft und hielt eine lärmende Ansprache. „Fort mit dem geistigen Schund, mit dem verkalkte Schreiberlinge den Geist unserer Jugend vergiften wollen. Werft eure Werke in die Flammen! Nur das soll noch gelten, was im Einklang steht mit den Ideen unserer Partei.“ Eine Reihe von Lastautos steuerte durch das Gedränge und entlud Tausende von Büchern in den Schmutz des Platzes. Sofort wurden sie aufgeklaubt und flogen in das prasselnde Feuer. Ali Tarim war ausgestiegen und hob eines der Bücher auf. 21
Stumm reichte er es Jim Parker, der den Titel las: „Blüte und Niedergang der mongolischen Kultur“. „Von Ihrem Vater?“ fragte er. Ali nickte nur. Bedrückt setzten sie ihre Fahrt fort. Das Gespräch kam erst wieder in Gang, als sie in der Bibliothek des Tarimschen Hauses saßen. Behutsam strich Ali über eine Buchreihe, die unter den unzähligen Schriften aller Art eine Sonderstellung einzunehmen schien. „Vaters Werke“, lächelte er wehmütig. „Wahrscheinlich sind das die einzigen Exemplare, die es in diesem Augenblick noch davon gibt.“ Jim Parkers Blick folgte der Bewegung seiner Hand. Plötzlich fuhr er zusammen. Der gestrige Abend – die Gestalt Hassan Mustafas, dort, vor dem Bücherregal – sein triumphierendes Lächeln … Was mochte der Bursche wohl dort gesucht haben? Beunruhigt ging Parker auf das Regal zu und holte den dicken Wälzer hervor, in dem Mustafa die Papiere verborgen hatte. Es war der „Kampf um die Dsungarei“, verfaßt von Ili Khan höchstpersönlich. Parker nahm die Blätter heraus und entfaltete sie. Neugierig schauten ihm die beiden anderen über die Schulter. Ali Tarim stieß einen Schrei aus … Die geheimnisvollen Blätter enthielten – fein säuberlich aufgezeichnet – einen Plan, der dem Sturz des Diktators dienen sollte. * Es war eine bedrückte Stimmung, die auf den vier Männern lastete, als sie an diesem Abend in der Bibliothek zusammensaßen und schweigend ihre Pfeifen und Zigaretten rauchten. Selbst Fritz Wernickes freches Mundwerk war vorübergehend verstummt. Professor Tarim war ein gebrochener Mann. Sein Lebenswerk 22
war in den Flammen der Bücherverbrennung untergegangen. Und Hassan, sein Pflegesohn, den er geliebt hatte wie sein eigenes Kind, – er hatte ihn an die grausamen Feinde verraten. „Sie haben uns das Leben gerettet, Gentlemen“, ergriff Ali Tarim mit warmer Stimme das Wort. „Ohne Ihr Hinzukommen wäre unser Schicksal vielleicht schon in dieser Stunde besiegelt.“ „Es war reiner Zufall“, wehrte Jim Parker ab. „Unbegreiflich ist mir nur, wie dieser Mustafa einer solchen Gemeinheit fähig war.“ „Hassan!“ murmelte der Gelehrte. „Alles habe ich für ihn getan …“ „Und Sie haben nicht geahnt, was für eine Schlange Sie am Busen nährten“, grollte Wernicke gewichtig und goß sein Glas bis zum Rande mit jenem schauderhaften einheimischen Fusel voll, den man hier fälschlich als „Echt schottischen Whisky“ bezeichnete. In diesem Augenblick meldete der Diener Oberst Iwanow, der ihm in Begleitung von zwei Staatspolizisten auf dem Fuß folgte. Ein höhnisches Lächeln umspielte die Züge des Polizeigewaltigen. „Verzeihen Sie die Störung, meine Herren, aber ich muß leider eine Hausdurchsuchung vornehmen. Hier, bitte, meine Vollmacht.“ „Bitte, tun Sie Ihre Pflicht“, erwiderte der Professor eisig, ohne das Schriftstück eines Blickes zu würdigen. „Darf ich fragen, wer uns denunziert hat?“ erkundigte sich sein Sohn geradeheraus. „Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben.“ Iwanow warf ihm einen giftigen Blick zu und gab seinen Untergebenen ein Zeichen. Tölpelhaft drehten sie die Bilder herum und krochen unter Tische und Stühle. 23
„Aha“, sagte Ali. „Sie wollen natürlich nicht die Namen jener Angeber verraten, ohne die Sie so gut wie hilflos wären.“ „Die dreisten Reden werden Ihnen gleich vergehen!“ Wütend steuerte er direkt auf das Bücherregal zu, riß den dicken Wälzer Ili Khans heraus und klappte ihn auf. „Hier, meine Herren! Was habe ich denn da gefunden?“ Und er schwenkte ein schmales Bündel beschriebener Blätter in der Rechten. Als keine Antwort kam, erstrahlte sein Gesicht in heller Schadenfreude. Da saßen sie, die ertappten Staatsfeinde, und waren vor Schreck gelähmt. Genießerisch trat er ein paar Schritte vor und verkündete: „Professor Tarim und Doktor Ali Tarim, ich verhafte Sie wegen Hochverrats.“ Der Professor rührte sich nicht. Ali lächelte nur spöttisch. „Was Sie nicht sagen. Und das alles auf Grund der Zettel, die Sie da erbeutet haben? Wollen Sie nicht wenigstens nachsehen, was draufsteht?“ Verblüfft musterte Iwanow seine Beute – und stieß einen Fluch aus. Anstelle der hochverräterischen Pläne enthielten die Blätter nichts anderes, als Auszüge aus dem Werk seines großen Khans, das er fast auswendig kannte. Verstört blätterte er die dicke Schwarte noch einmal durch. Aber seine Mühe war umsonst. „Suchen Sie vielleicht etwas Bestimmtes?“ fragte der Kommodore liebenswürdig. Oberst Iwanow schlug das Buch zu. Er sah sich durchschaut. Ärgerlich gab er seinen Leuten den Befehl zum Abmarsch. „Gute Nacht, meine Herren. Bedauere nochmals, Sie gestört zu haben.“ „Oh, macht fast gar nichts“, sagte Jim Parker gedehnt. „Es war uns äußerst lehrreich. Was meinen Sie wohl, Herr Oberst, wie die armen Leute in der freien Welt staunen werden, wenn 24
wir unsere Eindrücke aus ihrem prächtigen Polizeistaat zum besten geben werden?“ Iwanow zuckte zusammen. Doch schon huschte wieder ein höhnisches Grinsen über sein Gesicht. „Freuen Sie sich nicht zu früh, Mister Parker“, sagte er lauernd, „noch sind Sie nicht daheim.“ Mit klirrenden Sporen verließ er den Raum. * Zur festgesetzten Stunde erschien Jim Parker am nächsten Vormittag im Palast des Diktators, wo ihn General Ismael, den er schon anläßlich der Parade kennengelernt hatte, in Empfang nahm. Es ging treppauf, durch zahllose Räume und Korridore, an präsentierenden Wachtposten vorbei, bis sie endlich im Vorzimmer des dsungarischen Staatschefs standen. Ein goldbetreßter Adjutant geleitete den Kommodore weiter. Der Doppelposten der waffenstarrenden Leibgarde präsentierte die Maschinenpistolen. Der General verabschiedete sich mit einer Verbeugung. Und dann stand Parker dem Allgewaltigen allein gegenüber – dem Manne, unter dessen Gewaltherrschaft ein ganzes Volk ächzte und zitterte. Ili Khan war klein von Gestalt und hatte ein Gesicht, das eine eigenartige Mischung von Intelligenz, Verschlagenheit und Brutalität widerspiegelte. Ein langer, dünner Schnurrbart verlieh ihm das Aussehen eines mongolischen Reiterführers der alten Zeit. In den schwarzen Augen flackerte zuweilen ein gefährliches, irres Leuchten. Der Diktator führte seinen Gast zu einem Tischchen, auf dem Erfrischungen bereitstanden. Lächelnd dankte der Kommodore – eingedenk der dringenden Mahnung Ali Tarims, der ihn vor den verdächtigen Getränken und Rauchwaren des Khans gewarnt hat25
te. Er zog seine eigene Zigarettenpackung, Marke „Maza Blend“, aus der Tasche und ließ sich in den angebotenen Sessel sinken. Ili Khan eröffnete ohne weitere Umschweife das Gespräch. Er versuchte, dem Kommodore seine Ideen und Ziele auseinanderzusetzen, die diesem jedoch nur unvollkommen klar wurden. Offenbar schwebte dem Khan die Errichtung eines neuen mongolischen Reiches in Asien vor. Diesem Ziele galten alle seine militärischen Vorbereitungen. Mit einer Handvoll fanatischer Anhänger und den modernsten Vernichtungswaffen hoffte er, seine Pläne eines Tages zu verwirklichen. „Unsere Stärke ist die Luftwaffe“, schloß er seine Ausführungen. „Aber es fehlt ihr der geeignete Führer und Organisator, ein Mann von überragenden technischen Fähigkeiten Wer könnte diesen Platz besser ausfüllen als Sie, Kommodore Parker? Treten Sie in unsere Dienste und modernisieren Sie den wichtigsten Zweig der dsungarischen Armee! Ich biete Ihnen die Stellung eines Luftmarschalls mit außerordentlichen Vollmachten und 10 000 Dollar Monatsgehalt.“ Jim Parker schüttelte den Kopf. „Ich muß Sie enttäuschen, Sir. Wie Sie wissen, stehe ich im Dienste des S.A.T. und bin von Jugend an der Weltraumfahrt verschworen.“ „Macht nichts“, winkte der Khan geringschätzig ab. „Jeder Mensch hat seine Marotte. Wenn wir erst unsere militärischen Aufgaben auf der Erde erfüllt haben, können Sie meinetwegen auf Staatskosten eine ganze Raumschiff-Flotte ausrüsten und die Bewohner aller anderen Planeten unterwerfen.“ „Ich habe nicht den Ehrgeiz, andere Leute zu bekämpfen und zu unterwerfen“, erwiderte der Kommodore ernst. „Mein Streben gilt dem friedlichen Fortschritt der Menschheit …“ „Hören Sie auf“, unterbrach ihn Ili Khan ungeduldig. „Solch ein pazifistisches Geschwätz ist wirklicher Männer unwürdig. Wir leben in einer Welt der Tatsachen. Nur der Starke setzt sich 26
durch. Wer die Macht hat, diktiert den anderen, den Schwächeren, seinen Willen. – Nun, Kommodore, wie steht’s? Willigen Sie ein?“ Jim Parker fühlte, daß es keine Verständigungsmöglichkeit mit diesem machtbesessenen Fanatiker gab. Er stand auf und blickte den Diktator fest an. „Ich glaube, Sir, wir verschwenden unsere Zeit miteinander. Bevor ich gehe, möchte ich Sie lediglich darum bitten, ein Telegramm nach Orion-City senden zu dürfen. Ich möchte mit meinem Freund Wernicke sobald wie möglich heimwärts fliegen und muß ein paar Ersatzteile kommen lassen, ohne die wir nicht starten können.“ „Sie werden auf gar keinen Fall starten können“, betonte der Diktator nachdrücklich. „Was soll das heißen?“ „Das heißt, daß ich Sie hier behalten werde, Mister Parker, so lange, bis Sie sich entschlossen haben, in dsungarische Dienste zu treten.“ „Also Erpressung und Menschenraub?“ brauste der Kommodore auf. „Das sieht Ihnen ähnlich. Es paßt haargenau zu dem Bild, das ich sowieso von Ihrem widerlichen Raubstaat gewonnen hatte.“ „Schimpfen Sie nur“, höhnte Ili Khan. „Das nützt Ihnen gar nichts. Dadurch kommen Sie auch nicht nach Hause.“ „Wie wollen Sie mich daran hindern?“ Mit zwei raschen Schritten war der Khan am Schreibtisch und drückte einen verborgenen Knopf. Ein unsichtbare Tapetentür im Hintergrund des Zimmers sprang auf. Einige kampfbereite Leibgardisten stürzten in den Raum. Der Diktator lächelte höhnisch. Doch plötzlich wich sein Lächeln einem Ausdruck größter Bestürzung. Sein Gefangener hatte sich zum Sprung geduckt, federte blitzschnell heran … 27
„Hilfe!“ jammerte der große Khan. Doch da hatte ihn der Kommodore bereits gepackt. In hohem Bogen flog der Gewaltige zwischen die Männer seiner Leibgarde, die kreuz und quer durcheinanderpurzelten. Durch die entstandene Lücke schnellte sich Parker zur Tapetentür hinaus. Schüsse peitschten hinter ihm her. Er achtete nicht darauf. Durch einen kurzen, matterleuchteten Flur ging es, dann eine Wendeltreppe hinab. Wieder einen geraden, menschenleeren Gang entlang, in dem eine Alarmglocke wimmerte. An seinem Ende noch eine Treppe – gerade erschien auf der obersten Stufe ein Offizier der Staatspolizei, gefolgt von einem halben Dutzend seiner Leute. Die Rechte des Kommodores landete knallend einen Kinnhaken. Der Getroffene fiel hintenüber und riß im Fallen seine Leute mit. Der Kommodore verschwand in einem Seitengang und – stand dem General Ismael gegenüber. „Sie hier, Mister Parker? Ich dachte …“ „Denken ist Glückssache“, grinste der Kommodore. „Tut mir leid, Ismael.“ Unter seinem harten Jagdhieb sackte die massige Gestalt des Generals zusammen. Parker riß die Tür auf und zerrte den schweren Körper des Bewußtlosen unter Aufbietung aller Kräfte hinein. Wenige Augenblicke später bahnte sich ein junger Mann in der Uniform eines hohen dsungarischen Offiziers seinen Weg durch die Gänge des Palastes, in denen es wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen wimmelte. Im allgemeinen Durcheinander fiel es niemandem auf, daß die Uniform um seinen Körper schlotterte, als sei sie ihm um mehrere Nummern zu groß. *
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Mit heulenden Sirenen rasten Polizeiautos durch die Straßen von Nowo-Urumtsi. An allen Straßenecken verkündeten es die Lautsprecher: „Achtung, Achtung! Attentat auf den Khan! Gesucht wird der Amerikaner Jim Parker. Der Gesuchte ist sofort festzunehmen und der Staatspolizei zu übergeben. Achtung, Achtung …“ „Man hat Ihrem Freund einen bösen Streich gespielt“, sagte Ali Tarim besorgt. „Ich halte gleich ein schlechtes Gefühl, als er zu dieser Audienz ging. Hätte er doch nur auf mich gehört.“ „Aber wenigstens ist er in Freiheit“, stellte Fritz Wernicke beruhigt fest. „Und wenn er diesem ‚großen Khan’ wirklich eins vor’n Latz geknallt hat, dann hoffe ich nur, daß es ein Volltreffer war.“ „Gehen Sie lieber hier fort, Mister Wernicke“, bat Liu. „Man könnte Sie erkennen. Kommen Sie mit ins Konsulat. Da sind Sie zunächst in Sicherheit.“ „Liu hat recht“, entschied Ali hastig. „Beeilt euch und verschwindet. Ich hole schnell den Wagen und komme euch dann nach.“ An einer Straßenkreuzung trennten sich die drei jungen Leute. Die Chinesin zog Fritz Wernicke in die wenig belebte Nebenstraße. Doch schon nach wenigen Schritten blieben sie erschrocken stehen. Ein Offizier in der gelben Uniform der dsungarischen Armee trat auf sie zu und hob den Arm. „Aus“, sagte Liu mutlos. Fritz Wernicke ging blitzschnell in Boxerstellung. „Halt, Fritz, alter Whiskytöter!“ riet der Offizier lachend. „Bitte, keine Schlägerei! Wir haben jetzt andere Sorgen.“ „Jim, großer Häuptling aller Planeten! Sei mir willkommen – selbst in dieser malerischen Tracht!“ Gerührt wollte der Welt29
raumpilot seinen ‚großen Bruder’ in die Arme nehmen, aber die junge Chinesin hielt ihn zurück. „Bitte, kein Aufsehen! Schnell, kommen Sie mit zum Konsulat!“ Ungehindert kamen die drei ans Ziel, und wenige Minuten später traf auch der junge Mann mit dem Wagen ein. In Anwesenneu des Konsuls hielten sie einen kurzen Kriegsrat. „Ich werde Ihnen chinesische Pässe geben“, erbot sich Generalkonsul Wang. „Aber trotzdem ist es mir schleierhaft, wie Sie unerkannt aus Nowo-Urunnsi herauskommen wollen.“ „Ich weiß einen Weg“, meldete sich seine Tochter zum Wort. „Im Südpark wird man Sie kaum suchen. Ich werde Sie führen.“ „Und ich fahre mit dem Wagen voraus und erwarte euch am ‚Ziegenbrunnen’“, rief Ali. „Von dort bringe ich Sie zur Grenze, Gentlemen.“ Die Flucht gelang. Allen Maßnahmen der Staatspolizei zum Trotz konnten die Flüchtlinge die Hauptstadt verlassen. Die weite Steppe dehnte sich vor ihnen. Zwei Tage ging es noch weiter nach Südosten. Dann war das Grenzgebirge erreicht. Voller Dankbarkeit nahmen die beiden Weltraumpiloten Abschied von ihren Rettern. Doch Ali Tarim wehrte ab. „Wir stehen tief in Ihrer Schuld. Kommen Sie gut in die Heimat – und vergessen Sie uns nicht ganz!“ Und abermals zwei Tage später überquerten die Herren Tao und Chang, alias Jim Parker und Fritz Wernicke, hoch droben im Tien Sohan die chinesische Grenze. Auf dem Luftweg kehrten die Geretteten über Japan nach Orion-City zurück, wo man sie bereits für tot gehalten hatte. Das Abenteuer hatte dann noch ein politisches Nachspiel. Doch sei es, daß man es nicht ernst genug nahm, oder daß man nicht zu viel Staub aufwirbeln wollte – kurzum, es blieb bei 30
einer Protestnote der USA und einer ausweichenden Antwort der Regierung der Zentral-Dsungarei. Die Sache verlief im Sande … Jim Parker fuhr aus seinen Erinnerungen auf. Das Feuer im Kamin war niedergebrannt. Draußen heulte noch immer der Sturm. Es fröstelte ihn. Ja – das lag nun schon drei Jahre zurück. Kriegsgefahr in Zentralasien … War es nun soweit – holte der große Khan endlich aus zu dem seit langem befürchteten Schlage? NowoUruintsi – Professor Tarim und sein Sohn Ali, die Wangs – was mochte aus ihnen inzwischen geworden sein? * Mitternacht war bereits vorbei, als Doktor Abel Young das Mikroskop zurückschob und sich aufatmend erhob. Er befand sich in seinem Privatlabor im Materialuntersuchungslabor des S.A.T. zu Orion-City. Doch das, was er hier außerhalb seiner Dienststunden in geheimnisvoller Arbeit trieb, hatte sehr wenig mit Werkstoffprüfung zu tun. Der kleine, grämliche Gelehrte, der allgemein als ein menschenscheuer, schrulliger Sonderling galt, hatte nämlich ein Steckenpferd: die Bakteriologie. Und dieser interessanten Wissenschaft opferte er seine gesamte Zeit. Wenn er dann geschäftig zwischen Elektronenmikroskop und Brutschrank, zwischen Dunkelkammer und Panzerschrank hin und her huschte, fühlte er sich ganz in seinem Reich. Und wehe dem Störenfried, der es wagte, in diese ‚heiligen Hallen’ einzudringen! An diesem Abend mußte dem Forscher wohl ein besonderer Erfolg beschieden gewesen sein; denn sein faltiges, von Bartstoppeln überwuchertes Gesicht strahlte im Glanz eines großen Triumphs. Beinahe feierlich nahm er einen Rotsaft in die Hand 31
und zog in seinem Protokollbuch einen dicken Strich unter die Notizen, welche die Überschrift „L 13“ trugen. Das Schrillen des Telephons ließ ihn zusammenfahren. Ein Anruf zu dieser nächtlichen Stunde? Befremdet hob er ab und meldete sich. Sein Gesprächspartner am anderen Ende schien eine Vorstellung für überflüssig zu halten. „Hallo, Doc, da sind wir wieder mal“, verkündete eine merkwürdig farb- und tonlose Stimme. Die Stimme schien in dem Gelehrten eine Erinnerung wachzurufen, die ihn unangenehm berührte. Ohne große Begeisterung antwortete er: „Ach, Sie sind’s, Mister West.“ „Oh, Namen spielen keine Rolle“, kam die geschmeidige Erwiderung. „Aber lassen wir’s ruhig dabei. Wie weit sind Sie mit Ihren Untersuchungen?“ „Es hat geklappt“, rief Doktor Young stolz – und biß sich gleich darauf vor Wut auf die Zunge. Gerade diesem Andy West hätte er seinen Erfolg lieber verschweigen sollen! Der andere ließ ihm keine Zeit zum überlegen. „Ich beglückwünsche Sie, Doc. Wir – das heißt: mein Auftraggeber und ich – haben keinen Augenblick daran gezweifelt Nun dürfte also der Zeitpunkt gekommen sein, um unserem Vorschlag von damals wieder näherzutreten?“ „Ja, aber …“ „Kein ‚Aber’, Doc! Die Sache eilt. Schlage vor, daß wir uns übermorgen treffen. Sagen wir – um zehn Uhr abends. Selbstverständlich an einem neutralen Ort. Paßt Ihnen der Termin?“ „Meinetwegen“, antwortete der Doktor zögernd. „Ausgezeichnet. Denn seien Sie bitte um diese Zeit an der Ecke Rigel- und Beteigeuze-Street. Ich hole Sie mit dem Wagen ab. Good by, Doc.“ Der geheimnisvolle Partner hatte eingehängt. 32
* Eine schlanke Zubringerrakete ging an der Weltraumstation „Luna nova“ längsseits, die wie ein gigantisches Riesenrad die Erdkugel weit jenseits der letzten Ausläufer der Atomsphäre umschwebte. Drei abenteuerliche Gestalten in plumpen Weltraumpanzern lösten sich aus der Luftschleuse des Schiffes, stießen sich ab und schwebten, von ihren Rückstoßpistolen getrieben, auf die nächstgelegene Einstiegsluke der Station zu. Wenig später schälte sich Kommodore Parker mit seinen Begleitern im Innern der Station aus den luftdrucksicheren Kombinationen. „Bringt die Bleche gleich in die Werkstatt, boys“, sagte er zu den anderen. „Ich komme gleich nach.“ In der Funkstation traf er Fritz Wernicke und Henri Lasalle, den Kommandanten der Station. Inmitten eines Dutzends ihrer Mitarbeiter umstanden sie einen Radioempfänger, aus dessen Lautsprecher die aufgeregte Stimme eines Ansagers atemlos Berichte verlas. „Hallo, Jim, alte Mondrakete!“ rief der kleine Wernicke und steuerte freudestrahlend auf den Eintretenden zu. „Was bringst du uns Schönes?“ „Blech“, grüßte der Kommodore, „nichts als Blech.“ „Wie meinen?“ fragte Lasalle und machte kein sehr geistreiches Gesicht, „Übrigens – herzlich willkommen, Kommodore!“ „How do you do, Lasalle! Sie haben ganz richtig gehört. Ich habe einen ganzen Haufen Bleche aus neuen Legierungen mitgebracht. Wir wollen sie hier im Kältelabor erproben.“ „Ausgezeichnet, Kommodore! Aber hören Sie: Das sind ja schöne Geschichten, die bei euch dort unten auf der Erde passieren.“ 33
„Wie meinen?“ fragte Jim Parker nun seinerseits erstaunt. „Was soll denn bei uns passiert sein?“ Die Stimme im Lautsprecher überschlug sich jetzt fast vor Erregung: „Achtung, Achtung! Ladies and Gentlemen, wir unterbrechen unseren Kommentar zur Lage in Zentralasien und bringen eine Sondermeldung des Globalen NachrichtenDienstes: Starke Panzerverbände der Zentral-Dsungarei haben soeben die Grenze der Äußeren Mongolei ohne vorherige Kriegserklärung überschritten. Dsungarische Kampfflugzeuge belegten verschiedene mongolische Ortschaften und Flugplätze mit Bomben. Die Regierung der Äußeren Mongolei hat die Vollversammlung des Weltbundes der Freien Nationen angerufen …“
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„Versuchen Sie doch mal, den Sender Nowo-Urumtsi zu bekommen“, wandte der Kommodore sich an den Funker. Knacken Pfeifen, verworrene Geräusche aus dem Lautsprecher. Dann eine verzerrte Summe in gebrochenem Englisch, die plötzlich geisterhaft, aber deutlich vernehmbar, im Raum stand: „… hören Sie nunmehr die Ansprache des großen Khans vor dem Ministerrat in englischer Übersetzung: ‚Meine Herren Generale und Minister, Unterführer der Reichspartei, Männer und Frauen der Zentral-Dsungarei! Seit Jahren versuchen die Machthaber unserer Nachbarländer, den heroischen Kampf unseres Volkes um Frieden, Freiheit, Aufbau und um die Schaffung eines großen zentralasiatischen Reiches zu torpedieren. Unsere Geduld ist jetzt zu Ende. In diesem historischen Augenblick rollen unsere heldenhaften Panzerarmeen über die Grenze der benachbarten Mongolei, werfen unsere Kampfgeschwader Zehntausende Tonnen Bomben auf die Städte unserer feigen und hinterhältigen Feinde. Keine Macht der Erde wird unsere siegreichen Verteidigungsheere aufhalten können. Wir werden das Volk der Mongolei befreien. Wir werden …“ „Da haben wir die Schweinerei“, sagte der Kommodore grimmig. „Ich habe es mir schon damals gedacht, daß der Rappel bei diesem Ili Khan eines Tages ausbrechen würde.“ „Möge er daran ersticken“, wünschte Fritz Wernicke inbrünstig. „Woher mag dieser kleine Kläffer nur die Kühnheit nehmen, einen Krieg mit den Nachbarn vom Zaum zu brechen und zugleich die ganze Welt herauszufordern?“ fragte Lasalle verständnislos. „Er hat seit Jahren nur für diesen Überfall gerüstet“, meinte Jim Parker nachdenklich. „Aber das allein würde seine Frechheit noch nicht erklären. Ich möchte wetten, daß er noch ir35
gendeine ganz große Teufelei auf Lager hat – irgendeine scheußliche Geheimwaffe, von der wir noch nichts ahnen …“ „Verzeihung, Sir: Funkspruch aus Orion-City.“ Ein Funker war neben den Kommodore getreten und reichte ihm eine Meldung. Jim Parker entfaltete sie und las: „S.A.T. an Kommodore Parker, zur Zeit auf ‚Luna nova’: Sofort zurückkehren zwecks Besprechung der durch Kriegsausbruch in Zentralasien entstandenen Lage. Cunningham.“ * Die Unterredung, zu der man Doktor Abel Young auf so geheimnisvolle Weise geholt hatte, fand in einem Gastzimmer des Maryland-Hotels statt, eines zweitrangigen, in den nördlichen Bezirken der City gelegenen Hauses, in dem meist kleinere Farmer der Umgegend und Reisevertreter Quartier zu nehmen pflegten. Das einfach möblierte Zimmer im vierten Stock war sorgfältig verdunkelt. Auf den beiden Stühlen saßen sich Doktor Young und ein bleicher, einfach gekleideter Mann gegenüber, dessen unbedeutendes Gesicht auch nicht den leisesten auffälligen Zug zeigte. Etwas abseits, auf der Bettkante, hockte ein Mann mittleren Alters mit exotischen Gesichtszügen und lächelte verbindlich. „Sie glauben also, Herr Doktor, daß Ihnen mit dem Bazillus L 13 eine Züchtung gelungen ist, die den Forderungen meines Auftraggebers in jeder Hinsicht genügt?“ fragte der Bleichgesichtige gespannt. Der Gelehrte schnaubte verächtlich: „Wenn Sie damit meinen, daß es sich um einen Bazillus handelt, gegen den es kein Gegenmittel gibt, dann allerdings, Mister West.“ Der Asiat im Hintergrund beugte sich vor und flüsterte mit 36
Andy West in einer Sprache, die Young nicht verstand. Der Agent nickte und wandte sich wieder an den Gelehrten: „Unser Freund Nadir möchte gern wissen, wo Sie diesen rätselhaften aufgetrieben haben?“ Doktor Young grinste triumphierend: „Auf dem kleinen Planeten Luzifer * , Gentlemen.“ „Also ein Lebenskeim, der nicht von unserer Erde stammt? Äußerst interessant! Aber, sagen Sie, Doktor: Wenn ich mich recht entsinne, sind doch alle Bazillen, die damals von Luzifer aus eingeschleppt wurden, den rigorosen Desinfektionsmethoden Doktor Leonhards zum Opfer gefallen?“ „Gewiß, alle – mit Ausnahme jener, die ich – wohlverpackt in einem kleinen Fläschchen – in der Tasche trug.“ „Sie sind ein Teufelskerl, Doc“, staunte Andy West anerkennend. „Für meine Wissenschaft ist mir jeder Weg recht“, wehrte Young bescheiden ab. Andy West räusperte sich. „Ähem – um wieder zur Sache selbst zu kommen: Die Bazillen vom Luzifer sollen doch seinerzeit in dem Antibiotikum ‚Novomycin’ ein sehr wirksames Gegengift gefunden haben.“ „Allerdings“, gab Young zu. „Es ist mir aber in der Folgezeit gelungen, resistente Bakterienstämme zu züchten. L 13 ist ein Bazillus, gegen den selbst das ‚Wundermittel’ Novomycin völlig wirkungslos ist. Er zeichnet sich durch ungewöhnliche Virulenz aus …“ „Es ist gut, Herr Doktor“, verneigte sich Andy West und legte ein Schriftstück auf den Tisch, das der ewig lächelnde Herr Nadir ihm herübergereicht hatte. Mit seiner tonlosen Stimme fuhr er fort: „Es dürfte in diesem Stadium der Verhandlungen an der Zeit sein, das Geheimnis unseres Auftraggebers zu lüf*
Siehe UTOPIA, 16. Band: „Planetoid Luzifer“
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ten. Wir, das heißt Mister Nadir und ich, vertreten die Interessen der zentral-dsungarischen Regierung. Der Khan der Dsungarei unterbreitet Ihnen durch uns ein großzügiges Angebot. Hier sind die Bedingungen.“ Doktor Young warf nur einen flüchtigen Blick auf den Vertrag und verzog das Gesicht. „Die Zentral-Dsungarei? Hatte mir fast schon gedacht, daß dieses kriegerische Ländchen dahintersteckte. Ich glaube, Mister West, aus der Sache wird nichts. Die Dsungarei hat bei diesem Abenteuer keine Chancen. Eine Schnapsidee von Ili Khan, seinen viel stärkeren Nachbarn anzugreifen. Der Weltbund der freien Nationen wird sich einschalten. Ehe wir mit unserem L 13 überhaupt drüben wären, hat die Weltpolizei dem ganzen Spuk schon ein Ende gemacht.“ Andy West verzog keine Miene. Stattdessen mischte sich jetzt Nadir ins Gespräch. „Sie sehr im Irrtum, Mister Doktor“, begann er in gebrochenem Englisch. „Weltbund nichts wird unternehmen. Dsungarei viel zu siegreich. Bitte, hören selbst.“ Er stand auf und machte sich an dem kleinen Rundfunkempfänger zu schaffen, der auf dem Nachttisch aufgestellt war. Aus dem Lautsprecher sprudelten förmlich die Tagesnachrichten, die ein Sender nach dem anderen durchgab, und alle kündigten von großen Erfolgen der dsungarischen Armee: „… wurden die eilig ausgebauten mongolischen Verteidigungsstellungen am Nordwestrand der Wüste Gobi von schnellen dsungarischen Einheiten überrollt … – … die mongolische Luftwaffe in heftigen Luftkämpfen vernichtet … – … der Rest wurde- am Boden zerstört … – … dsungarische Panzerspitzen stoßen in drei Keilen gegen die Hauptstadt vor … – … die Regierung geflüchtet … – … das Heer in voller Auflösung …“ Mister Nadir schaltete das Gerät aus. „Nun, Mister Doktor“, lächelte er, „noch immer nicht glauben an Sieg von großes Khan?“ 38
Der Gelehrte war sichtlich beeindruckt. Aber er hatte noch einen Einwand: „Wenn die Dsungarei so große militärische Erfolge zu verzeichnen hat – wozu braucht sie dann noch die Bakterienwaffe?“ „Für den Endsieg“, erklärte Nadir bedeutungsvoll. Doktor Young überflog den Vertragstext und blickte nachdenklich vor sich hin. Was da von ihm verlangt wurde, klang ungeheuerlich. Aber es wurde auch etwas dafür geboten: eine phantastische Kaufsumme, ein ständiges Gehalt von einer schwindelnden Höhe, wie er es im Dienst des S.A.T. nie und nimmer erreichen würde. Und dann – eine staatliche Förderung seiner Forschungen, die technische Auswertung seiner Resultate in gewaltigem Maßstab! Das gab den Ausschlag. Doktor Young kämpfte die Gewissensbisse nieder, die sich schüchtern meldeten, und setzte seinen Namen unter das Schriftstück, in dessen nüchternen Zeilen Tod und Vernichtung von Millionen nichtsahnender Menschen verborgen ruhten. * Mit leidenschaftlicher Erbitterung schleuderte der Vertreter der Mongolei auf der außerordentlichen Versammlung des Weltbundes der freien Nationen seine Anklage gegen den heimtückischen Überfall auf seine Heimat den Delegierten entgegen, die aus diesem besonderen Anlaß vollzählig erschienen waren. Seine Rede schloß mit einem Appell an das Gewissen der freien Welt und einem dringenden Hilferuf um internationale Waffenhilfe. Wenn er jedoch geglaubt hatte, einen Sturm der Entrüstung gegen die Aggressoren zu entfachen, so sah er sich bitter enttäuscht. Wohl wurde ihm gedämpfter Beifall zuteil, und einige Delegierte legten sogar die Zeitungen fort, in denen sie sonst 39
während der Sitzungen eifrig zu lesen pflegten, aber niemand machte Anstalten, praktische Vorschläge zu machen. Als das Warten allmählich peinlich wurde, erhob sich der Bundessekretär de Rivera, ein grauhaariger Nikaraguaner, zu ein paar nichtssagenden Worten: „Wir alle stehen tief erschüttert vor diesem unbegreiflichen Geschehen. Glauben Sie mir – ähem – daß wir alle, die wir hier versammelt sind, und mit uns alle im Weltbund vereinigten Nationen, den rohen Überfall der Dsungaren auf das schärfste verurteilen. Seien Sie – ähem – versichert, daß wir in dieser Stunde im Geist an der Seite Ihres schwergeprüften Landes stehen.“ „Äußerst liebenswürdig, Sir“, erwiderte der Vertreter der Mongolei sarkastisch. „Aber mit geistiger Unterstützung allein ist uns leider nicht geholfen. Wir brauchen dringend Waffen und militärische Hilfe, um uns wirksam verteidigen zu können.“ Der greise Sekretär des Weltbundes wand sich vor Verlegenheit. „Ich verstehe Ihre Sorge, Sir. Ich schlage vor, die Frage – ähem – an einen Unterausschuß zu verweisen.“ Lebhafter Beifall wurde laut. Die Mehrzahl der Delegierten erhob sich und strebte in auffälliger Eile den Ausgängen zu. „Aber wir haben keine Zeit mehr“, drängte der Mongole verzweifelt. „So hören Sie doch, Gentlemen! Der Feind steht vor den Toren unserer Hauptstadt. Seine Panzerarmeen überfluten das ganze Land. Wenn uns nicht sofort geholfen wird, ist es zu spät.“ „Unser mongolischer Kollege hat recht“, meldete sich jetzt Doktor Wang, der Vertreter Chinas, zum Wort. „Ich hatte während meiner Dienstzeit als Generalkonsul in Nowo-Urumtsi Gelegenheit genug, die unheimlichen Anstrengungen zu beobachten, mit denen Ili Khan seine Kriegsrüstungen schon vor Jahren betrieb. Glauben Sie doch nicht, daß er sich zufriedengeben wird, wenn ihm der mongolische Nachbarstaat als leichte 40
Beute zugefallen ist. Wir verfügen über Informationen, nach denen Ili Khan bereit ist, Waffen von einer Schrecklichkeit einzusetzen, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat. Der Brand, den der machtbesessene Diktator entfacht hat, wird ganz Asien ergreifen, wenn wir ihm nicht Einhalt gebieten.“ De Rivera hob bedauernd die Schultern. „Sie sehen, Gentlemen, die Herren Delegierten scheinen das Problem nicht für so brennend zu halten wie Sie. Es bleibt mir leider nichts anderes übrig, als die Verhandlungen zu vertagen. Nehmen Sie jedoch die Versicherung mit, daß wir Sie moralisch unterstützen werden.“ „Dafür können wir uns auch nichts kaufen“, sagte der mongolische Vertreter bitter, als er an der Seite seines chinesischen Kollegen den Sitzungssaal verließ. „Ich möchte nur wissen, warum die Delegierten einer klaren Stellungnahme ausgewichen sind.“ „Das ist leicht zu erraten“, lächelte Wang. „Alle diese Länder haben mehr oder weniger große Rüstungsaufträge von Ili Khan erhalten. Würden sie jetzt Maßnahmen gegen ihn ergreifen, dann wäre das Geschäft dahin.“ „Das bedeutet also, daß wir ganz auf uns allein gestellt sind.“ „Vorläufig wohl“, nickte Wang nachdenklich. „Eines Tages werden diese Herren freilich einsehen müssen, daß sie mit dem Teufel paktiert haben. Hoffen wir, daß es dann – für alle Völker der Welt – noch nicht zu spät sein wird …“ * Trotz der alarmierenden Rundfunk- und Pressemeldungen nahm die Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten von den Kriegsereignissen in Zentralasien nur wenig Notiz. Gewiß – die Überfallenen konnten einem leid tun. Aber die Mongolei war 41
weit, und der Alltag würde auch über diese letzte Sensation bald hinwegschreiten. Um so größer war das Erstaunen der leitenden Mitarbeiter des Staatlichen Atom-Territoriums der USA, als sie in diesem Zusammenhang zu einer Sondersitzung bei Generaldirektor Cunningham zusammengerufen wurden. Und ihre Überraschung stieg ins Grenzenlose, als ein hoher Regierungsvertreter, Unterstaatssekretär Watson aus Washington, auf dieser Sitzung das Wort ergriff und in großen Zügen die durch den Überfall auf die Mongolei entstandene Lage erläuterte. „Wir befinden uns also in einer fatalen Situation, Gentlemen“, schloß er seine Ausführungen. „So sehr die Regierung im Grunde diesen – ähem – Vorfall bedauert, so ist sie andererseits durch gewisse Handelsinteressen, das heißt: -abkommen, gebunden. Kurz und gut: Es ist unerwünscht, die Gegner Ili Khans irgendwie durch Rat und Tat zu unterstützen, wenn ihre Agenten sich an einzelne Abteilungen oder Mitglieder des S.A.T. mit der Bitte um Hilfe wenden sollten.“ In das unwillige Murren, das den Worten des Regierungsvertreters folgte, klang laut und vernehmlich die sonore Stimme Kommodore Parkers: „Ich wüßte ein vorzügliches Mittel, Sir, um die Regierung aus ihrer fatalen Situation zu erlösen.“ „Und das wäre?“ „Schicken Sie ein Sonderkommando von Freiwilligen mit Raketenflugzeugen nach Nowo-Urumtsi und lassen Sie diesen Ili Khan mit seinen Strauchdieben ausheben. Ich kenne mich dort drüben ein wenig aus und würde gerne den Befehl übernehmen. Schätze, daß wir dadurch nicht nur den Überfallenen einen Dienst erweisen würden, sondern auch dem dsurigarischen Volk selbst – und darüber hinaus der ganzen Welt.“ „Bravo!“ ertönte es im Kreise der Zuhörer. „Das ist völlig ausgeschlossen“, ereiferte sich der Unter42
staatssekretär. „Der Plan eines Abenteurers! Nein, nein, Gentlemen, ich erwarte, daß Sie sich so verhalten, wie es das Ministerium von Ihnen verlangt. Jede Eigenmächtigkeit einzelner“ – Mister Watson sah keinen der Anwesenden an – „würde die bedauerlichsten Folgen für den Betreffenden nach sich ziehen.“ „Ihre Ausführungen waren uns außerordentlich interessant, Sir“, erwiderte der dicke Generaldirektor Cunningham eisig. „Wenn Sie meinen, uns vor fremden Agenten warnen zu müssen, so möchte ich die Gelegenheit benutzen, um meinerseits vor Spionen der Gegenseite zu warnen. Es ist mir zu Ohren gekommen, daß in letzter Zeit wiederholt dsungarische Agenten in der City gesichtet wurden. Sollte einer von diesen Strolchen in den Werkanlagen ertappt werden, ist er umgehend dem Sicherheitsdienst zu übergeben.“ „Ich danke Ihnen, Gentlemen. Die Sitzung ist geschlossen.“ Als Jim Parker sich von seinem Chef verabschiedete, kam ihm plötzlich ein Gedanke. „Sagen Sie, Boß, wo steckt eigentlich Doktor Young, der Leiter des. Materialprüfungslabors? Ich hatte gehofft, ihn hier anzutreffen, und wollte noch ein paar neue Versuchsreihen mit ihm besprechen.“ „Doktor Young?“ Ein Zug von Unmut ging über das fleischige Gesicht Cunninghams. „Den treffen Sie hier nicht mehr an. Hat überraschend gekündigt und dürfte die City bereits verlassen haben.“ „Was – so kurzfristig?“ „Jawohl. Fast vom Morgen auf den Abend. Sagte, sein Bruder wäre gestorben. Soll irgendeine Fabrik in China besessen haben, die Young nun übernehmen mußte. Mußte ihn kurzfristig gehen lassen, weil er noch Urlaubsansprüche hatte. Ist dann gleich mit dem Clipper-Flugzeug via Jokohama abgereist. Na, meinen Segen hat er. Habe nie viel mit dem Burschen anfangen können.“ – 43
Der Kommodore war sehr nachdenklich, als er am Abend sein behagliches Wohnzimmer betrat und Fritz Wernicke begrüßte, der es sich bereits am Kamin mit einer Flasche Gin bequem gemacht hatte. „Sag mal, Fritz“, begann er ohne lange Einleitung, „hatte unser famoser Doktor Young eigentlich einen Bruder?“ „Abel Young, der Bazillenzüchter? Ausgeschlossen – er ist völlig alleinstehend, das weiß ich zufälligerweise genau.“ „Ich hatte es mir gedacht“, nickte Parker geheimnisvoll. Und dann berichtete er seinem Freund vom Verlauf der Sondersitzung. „Diese Flaschen“, schimpfte Wernicke in ehrlicher Entrüstung, als der Kommodore geendet hatte. „Diese Hampelmänner! Sehen sie denn wirklich nicht, was uns von diesem Ili Khan noch alles blühen kann? Anstatt ihm das Handwerk zu legen, denken sie nur an die Interessen der Rüstungsindustrie, denken sie nur ans Geschäft.“ „Geschäft ist Geschäft!“ meinte Parker achselzuckend. „Eines Tages wird die Regierung ihren Fehler einsehen, und dann ist es vielleicht schon zu spät. Was mir im Augenblick die größten Sorgen macht, ist das Schicksal unserer Freunde, der Tarims in Nowo-Urumtsi. Aufrechte Männer ihrer Art waren dem Diktator von jeher ein Dorn im Auge. Wenn möglich, hat Ili Khan den Kriegsausbruch zum willkommenen Anlaß genommen, um …“ „… um sie kurzerhand zu liquidieren?“ vollendete Wernicke. „Jim, das wäre furchtbar. Aber zuzutrauen wäre es ihm schon. Wenn man sich nur mal erkundigen könnte …“ „Eine direkte Anfrage könnte den Tarims in diesem Polizeistaat nur Ungelegenheiten, wenn nicht Schlimmeres, bringen. Doch vielleicht geht es auf anderem Wege.“ Noch am gleichen Abend verließ ein Luftpostbrief des Kommodores Orion-City mit dem Nachtflugzeug. Er trug die Aufschrift des chinesischen Generalkonsuls in Nowo-Urumtsi. 44
* Ein Vierteljahr war dahingegangen. Der Winter näherte sich seinem Ende, und in den Gärten von Orion-City leuchteten bunt die ersten Frühlingsblumen. Ein warmer Wind strich durch die breiten Straßen der Atomstadt, die sich mit neuem, fröhlichen Leben füllten. Es war an einem sonnigen Vormittag, als Jim Parkers kleiner grünweißer Sportwagen mit scharfem Ruck vor dem Eingang seines Bungalows hielt. Mit federnden Schritten eilte der Kommodore durch den Vorgarten, trat in die Wohnung und begrüßte die alte Haushälterin, die zu seinem Empfang aus der Küche herbeieilte. Dann ging er in sein Arbeitszimmer und versenkte sich in das Studium der hundert und mehr Briefe, die den Schreibtisch in mächtigen Stößen bedeckten. Jim Parker war an diesem Morgen vom Mondwerk „Luna IV“ zurückgekehrt, wo er die Vorbereitungen für den Bau einer vollautomatischen Treibstoffabrik beaufsichtigt hatte. Fritz Wernicke hatte ihn wie üblich begleitet. Den beiden Weltraumpiloten standen nunmehr wichtige Aufgaben in den irdischen Anlagen des S.A.T. bevor. Gedankenverloren blätterte der Kommodore in den Briefen. Da fiel ihm plötzlich ein länglicher Umschlag in die Hand, den chinesische Luftpostmarken zierten. Er kam vom chinesischen Generalkonsul in Nowo-Urumtsi. Hastig riß er den Brief auf und las: „Hochverehrter Herr Kommodore! Erst heute kann ich Ihre Zeilen beantworten. Ich war längere Zeit von Nowo-Urumtsi abwesend und wohnte als Delegierter Chinas der letzten Vollversammlung des Weltbundes der freien Nationen bei. Inzwischen hat Ili Khan die Mongolei besetzt. Der leichte Sieg 45
scheint ihn zu neuen Übergriffen zu ermutigen. Wir rechnen täglich mit einem Angriff auf die Grenzprovinzen Chinas. Ili Khan muß über Geheimwaffen verfügen, die selbst die Atombombe an Schrecklichkeit übertreffen. – Von unseren gemeinsamen Freunden kann ich Ihnen leider nichts Gutes berichten. Professor Tarim wurde bei Kriegsbeginn durch die Staatspolizei verhaftet. Sein Sohn Ali ist seitdem spurlos verschwunden. Mit den aufrichtigsten Grüßen, auch an Mister Wernicke, Ihr Wang.“ * Geschäftiges Treiben herrschte in dem großen, hypermodernen Laboratorium, das der Diktator in Nowo-Urumtsi für Doktor Young eingerichtet hatte. Der kleine Bakteriologe strahlte. Er sah seine kühnsten Träume erfüllt. Endlich standen ihm unbegrenzte staatliche Mittel zur Verfügung, um seine Forschungen zu betreiben, für die diese Hohlköpfe in Orion-City nicht das geringste Verständnis gezeigt hatten. Die Produktion von L 13 lief auf Hochtouren. Zwischen riesigen elektrischen Brutschränken amerikanischer Herkunft, zwischen langen Arbeitstischen mit Mikroskopen darauf und geheimnisvollen, nie zuvor gesehenen Maschinen hantierten weißgekleidete Gestalten mit der Sicherheit von Robotern. Vom Eingang her, wo eine starke Wache schwerbewaffneter Staatspolizisten mißtrauisch achtgab, daß kein Unberufener in Doktor Youngs Hexenküche eindringen konnte, ertönten Kommandos und Sporenklirren. Abel Young sah von seinem Mikroskop auf und erblickte eine kleine Gruppe von dsungarischen Offizieren, unter ihnen den Kriegsminister, Marschall Ismael, und Polizeiminister Iwanow. Freudig ging er den hohen Gästen entgegen. 46
„Allerhand Betrieb“, nickte der Marschall anerkennend und sah sich neugierig um. „Was machen Sie denn hier eigentlich so?“ „Wir erzeugen hier den Bazillus L 13 in geradezu phantastischen Mengen“, erklärte der Forscher diensteifrig. „In diesen Maschinen, die Sie da drüben sehen, werden die Bakterien an eine bestimmte staubförmige Substanz gebunden, in der sie sich noch weiter vermehren können. Der Staub wird sodann in Behälter abgefüllt und steht zum – ähem – zum Abwurf zur Verfügung.“ „Sind die Behälter auch garantiert dicht? Kann uns hier auch wirklich nichts passieren?“ fragte der Polizeiminister ängstlich und schielte unwillkürlich zur Tür. „Der Herstellungsprozeß erfolgt unter Beachtung altbewährter Sicherheitsmaßnahmen“, lächelte Doktor Young. „Kein Bazillus kommt mit der Außenwelt in Berührung, solange nicht die Verschlüsse der Behälter am Flugzeug durch Fernsteuerung geöffnet werden.“ „Wie groß ist die Giftwirkung Ihres Stoffes“, fragte Marschall Ismael. Der Bakteriologe dachte einen Augenblick nach. Fast schien es, als bereitete der Gedanke ihm selbst Unbehagen. Aber er faßte sich schnell. „Jeder dieser Behälter enthält mindestens 10 Billionen Bakterien vom Typ ‚L 13’. Tierversuche lassen darauf schließen, daß diese Menge ausreichen würde, um rund 75 Millionen Menschen zu verseuchen.“ „Wie viele Behälter sind bisher gefüllt?“ „Der sechste wird spätestens morgen fertig.“ „Beeilen Sie sich, Doktor“, sagte Marschall Ismael. „Der große Khan drängt darauf, den Angriff gegen China zu eröffnen. Wir brauchen zunächst – na, sagen wir mal: zehn von diesen Behältern, damit wir mit gutem Gewissen anfangen können. Wann – denken Sie – können wir damit rechnen?“ 47
„In spätestens vierzehn Tagen“, erwiderte der Bakteriologe nach kurzem Überlegen. * Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlug die Nachricht vom Angriff Ili Khans auf das große chinesische Weltreich ein. Hatte die Weltöffentlichkeit dem Überfall auf die Mongolei kein sonderliches Interesse geschenkt, so warf das neue kriegerische Ereignis seine Schatten über alle Länder der Welt und ließ selbst das Leben des einzelnen nicht unberührt. Wichtige Lebensmittel, wie Zucker und Reis, verschwanden über Nacht aus den Auslagen und wurden allerorts zu heißbegehrter Schwarzhandelsware. In der überstürzt einberufenen außerordentlichen Sitzung des Weltbundes der freien Nationen herrschte völlige, Ratlosigkeit. Ein Sonderbeauftragter Chinas sparte nicht mit bitteren Vorwürfen. Aber diese weltumspannende Organisation, die sich in friedlichen Zeiten hervorragend bewährt hatte, versagte vollkommen, als ein kleiner Raubstaat sich über alle internationalen Bestimmungen hinwegsetzte und seine Nachbarn mit Krieg überzog. Und wie ein dumpfes Grauen schlich eine Ahnung durch die Reihen der Delegierten im Plenarsaal des weißen Marmorhauses, in dem der Weltbund tagte. Sie flackerte überall in der Welt auf und ließ die Menschheit in Furcht erzittern – wuchs sich schließlich zu einer furchtbaren Gewißheit aus: Ein Kleinstaat, der es wagen konnte, ein 500-Millionen-Volk anzugreifen, mußte über geradezu fürchterliche Massenvernichtungswaffen verfügen … *
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Zuerst schien das Kriegsglück den Angreifern hold zu sein. In zwei starken Keilen waren die Divisionen der ZentralDsungarei südwärts über den Tien Schan gegen ChinesischTurkestan und südostwärts in die Provinz Kansu vorgestoßen. Sie trafen auf keinen nennenswerten Widerstand. Aber nach drei Tagen zügigen Vormarsches änderte sich das Bild. Die Chinesen hatten starke Truppenverbände aus dem Inneren des Riesenreiches herangezogen und an die Fronten geworfen. Ihr Widerstand versteifte sich zusehends. Ja, an einigen Frontabschnitten mußte der Angreifer – trotz großer technischer Überlegenheit – bereits den Rückzug antreten. Die Welt begann aufzuatmen – als plötzlich wie eine Bombe die grauenhafte Ankündigung einschlug, die Hassan Mustafa, der Propagandaminister der Zentral-Dsungarei, höchstpersönlich über Radio Nowo-Urumtsi der entsetzten Menschheit zur Kenntnis gab: „Wir verlangen die bedingungslose Kapitulation der volksfeindlichen Pekinger Regierung. Unser großer Khan hat die Macht, seinen Willen durchzusetzen. Wir verfügen über biologische Geheimwaffen, die stark genug sind, ganz China im Handumdrehen zu verseuchen. Ein einziges Flugzeug kann die Bevölkerung von Millionenstädten vernichten. Gegen den Bazillus L 13 gibt es kein Gegenmittel in der Welt. Wir warnen die Gegner unseres Khans!“ Jim Parker hielt sich mit Fritz Wernicke gerade in der Montagehalle des Prüfstandes XXII auf, in der das erste Langstreckenverkehrs-Atomflugzeug, „Marco Polo“, seiner Vollendung entgegenging, als einer der Ingenieure aus dem Montagebüro gestürzt kam und ihn an den Rundfunkempfänger holte. „Sondermeldung aus Nowo-Urumtsi, Kommodore!“ Verbissen lauschte Parker dem Geschrei Mustafas, das pathetisch aus dem Lautsprecher klang: „Aha – das also ist Ili 49
Khans Geheimwaffe! Er will die Menschheit mit Bakterien verseuchen. Zuzutrauen wäre es diesem Schurken schon. Aber was ist das für ein unbekannter Bazillus ‚L 13’? Schade, daß Doktor Young nicht mehr in Orion-City weilte. Er hätte uns bestimmt einen lehrreichen Vortrag über sein Steckenpferd, die Bakteriologie, gehalten. Doch Young dürfte längst in der komischen Fabrik hocken, die ihm sein Bruder im Fernen Osten vererbt hat. Und wahrscheinlich hat er jetzt andere Sorgen als seine Bazillenzüchterei.“ * Am anderen Morgen saßen Parker und Wernicke ihrem Chef in dessen Arbeitsraum im Hauptverwaltungsgebäude zu OrionCity gegenüber, um über den letzten Brennversuch des „Marco Polo“ zu berichten, als Shilling, der Privatsekretär des Generaldirektors, eintrat und meldete: „Verzeihung, Sir, Oberstleutnant Mortimer und Doktor Leonhard warten draußen. Sie bitten dringend, sofort vorgelassen zu werden.“ „Mortimer und Leonhard? Komisches Gespann! Na, meinetwegen. Herein mit ihnen!“ Der lange Mortimer, der Chef des Sicherheitsdienstes der Atomstadt, wirkte ungewöhnlich ernst, als er die Anwesenden begrüßte und schweratmend in einem der ledernen Klubsessel Platz nahm. Auch Doktor Leonhard, der leitende Arzt und Biologe des S.A.T., machte ein düsteres Gesicht. „He, ihr finsteren Unglücksraben“, wetterte der Atomboß ungeduldig, „was bringt ihr mir für Hiobsbotschaften? Darf ich wissen, worum es sich handelt?“ „Sie dürfen, Boß“, erwiderte Mortimer und begann, sich eine jener scheußlichen Zigaretten zu drehen, die ihn nicht minder 50
gefürchtet machten, als sein Ruf als erfolgreicher Kriminalist. „Sie haben doch von dem geplanten Bakterienkrieg gehört, Boß?“ „Klar habe ich“, schimpfte Cunningham. „Unglaubliche Schweinerei. Aufhängen sollte man diesen Ili Khan.“ „Dazu müßte man ihn erstmal haben“, warf Fritz Wernicke vorlaut ein. „Prost, Gentlemen! Alkohol ist der beste Schutz vor Bazillen.“ Und er leerte sein Whiskyglas mit einem Zuge. Cunningham warf ihm einen bösen Blick zu. Dann wandte er sich wieder an Mortimer: „Und was haben wir damit zu tun?“ „Hoffentlich nichts, Boß. Aber dieser Doktor Young, der einstmals Abteilungsleiter im S.A.T. war, scheint keine reine Weste zu haben.“ „Abel Young? Wie kommen Sie auf den?“ „Er war mir schon immer etwas verdächtig – mit seinem Bazillenfimmel. Hielt es daher für ratsam, seiner verlassenen Bude einen kleinen Besuch abzustatten. Fand einen Haufen altes Gerümpel und etwas schmutzige Wäsche vor, und dann ein paar Notizen, die mir interessant genug erschienen, um unseren Doktor Leonhard als Sachverständigen zuzuziehen.“ „Es kann keinen Zweifel geben“, platzte der Arzt los, „daß es Young seinerzeit trotz aller Vorsichtsmaßregeln gelungen ist, Bakterien vom Planetoiden Luzifer mitzubringen.“ „Damned! Und wir hatten geglaubt, wir hätten sie mit Stumpf und Stiel ausgerottet“, rief Jim Parker. „Doch nun, da wir wissen, um welche Art von Bazillen es sich handelt, können wir uns davor schützen. Novomycin hat sich damals glänzend bewährt.“ Doktor Leonhard zuckte die Achseln: „Es dürfte Young gelungen sein, resistente Stämme zu züchten. Die Bezeichnung ‚L-13’, das bedeutet wahrscheinlich ‚Luzifer 13’, legt diese Vermutung nahe.“ „Schöne Bescherung!“ Der dicke Ted S. Cunningham 51
durchmaß mit wuchtigen Schritten den Raum. „Und solch einen Giftmischer haben wir im S.A.T. großgezogen! Sagen Sie, Mortimer, ist da nicht vielleicht doch ein Irrtum möglich?“ „Kaum anzunehmen, Boß. Habe Erkundigungen über die Reise Doktor Youngs eingeholt. Er ist tatsächlich von Jokohama aus nach China weitergeflogen, wo sich seine Spur verliert. Aber eine Erbschaft hat er im Reich der Mitte nicht angetreten, und einen Bruder, den er beerben konnte, hat er auch niemals gehabt.“ In das entstandene Schweigen hinein klang jetzt die Frage des Kommodores: „Und gibt es wirklich keine Möglichkeit, ein Gegenmittel gegen diesen verdammten Bazillus zu entwickeln? Irgendein Serum vielleicht …“ „Das wäre nur möglich, wenn wir eine Probe von diesem ‚L 13’ hätten.“ „Nun“, meinte Jim Parker, „dann müssen wir uns eben eine verschaffen.“ Vier Augenpaare starrten ihn ungläubig an. „Geben Sie mir die Erlaubnis, Boß, einen kleinen Abstecher nach Nowo-Urumtsi zu machen? Würde mich ganz gern mal ein wenig in dieser Youngschen Giftküche umschauen.“ „Großartig!“ Fritz Wernicke sprang begeistert auf. „Also – wann starten wir?“ „Hier wird nicht gestartet“, schnauzte Cunningham wütend. „Das hätte grade noch gefehlt, daß das S.A.T. sich in die außenpolitischen Konflikte fremder Völker einmischt. Nein, nein, boys, daraus wird nichts. Ihr bleibt hier. Und damit basta!“ Als die beiden Freunde im Sportwagen des Kommodores heimwärts fuhren, fragte Fritz Wernicke beiläufig: „Also, Jim, wann fliegen wir?“ „Morgen früh. Aber von ‚wir’ kann gar nicht die Rede sein. Du bleibst hier in Orion-City in Reserve. Irgendeiner muß schließlich da sein, der mich heraushaut, wenn ich Pech haben sollte. Verstanden?“ 52
Nur widerwillig fügte sich der tatenhungrige kleine Steuermann in die Rolle, die sein ‚großer Bruder’ ihm zugedacht hatte. * Es war in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages, als der Kommodore an Bord des Langstrecken-Atomflugzeuges ‚Marco Polo“ auf dem Zentralflugfeld von Orion-City startete. In der Nacht hatte es angefangen, heftig zu regnen, und der Flugplatz bot auch jetzt noch keinen erfreulichen Aufenthalt. So war es nicht erstaunlich, daß der Start des „Marco Polo“ nur wenig Aufsehen erregte. Nur die Mannschaften des Bodenpersonals waren zu sehen, und Fritz Wernickes Anwesenheit stellte nichts besonders Auffälliges dar. Auch hatte niemand Anstoß daran genommen, daß Parker angeordnet hatte, für den geplanten kurzen Probeflug die Tanks voll mit Treibstoffen zu füllen und sogar weitere Reservebehälter anzubringen. In seiner Stratosphärenfliegerkombination, mit Sturzhelm, Atemgerät und Fallschirm ausgerüstet, zwängte sich Jim Parker durch die Einstiegluke zum Führerstand. Er drehte sich noch einmal um und winkte zurück. „Leb wohl, Fritz, und halte dich bereit!“ „Ehrensache, Jim. Mach’s gut, alte Mondrakete! Und Gnade der Himmel diesem Ölgötzen, wenn dir etwas zustoßen sollte.“ Die Luke schloß sich. Die Bodenmannschaften sprangen zurück. Ein Feuerstrahl schoß aus dem Heck der Maschine. Das Mammutflugzeug erzitterte und ruckte an, raste brausend über die regennasse Rollbahn. Wie ein silberner Vogel schwang sich „Marco Polo“ in die Lüfte. Westwärts ging sein Flug. Doch von den Zurückbleiben53
den wußte nur Fritz Wernicke, wohin der angebliche Probeflug ging … Jim Parker flog geradewegs in die Höhle des Löwen – zu gefahrvollem Einsatz direkt ins Herz der kriegerischen Dsungarei. * Hoch über den Regenwolken schoß ‚Marco Polo’ durch den Luftraum. Silbern blitzte sein Leib in den Strahlen der Morgensonne. Doch das schnelle Atomflugzeug eilte vor der Sonne davon, ließ sie langsam, aber deutlich merkbar, mehr und mehr hinter sich im Osten zurücksinken. Vor den Augen des einsamen Piloten ragten die Rocky Mountains auf. Kühn und sicher zog die Maschine hoch über ihren felsigen Gipfeln dahin. Bald lag der Große Ozean unter ihren Schwingen. Der Kommodore strahlte. Stolz glitt sein Blick über das Armaturenbrett. Das neuartige Atomtriebwerk arbeitete zuverlässig und erfüllte alle Erwartungen. Gedankenschnell und sicher schwebte das Flugzeug über die endlose Wasserwüste. Unwillkürlich mußte Jim an jenen Flug vor drei Jahren denken, als er mit Fritz Wernicke am Steuer der Y-333 die gleiche Strecke durchflog. Der gute Fritz – sicher lag er jetzt dort hinten, im fernen OrionCity, schon auf der Lauer, um seinem Freund zu Hilfe zu eilen, wenn es nötig werden sollte. Jim Parker wußte, daß er sich auf ihn verlassen konnte, daß keine Macht der Welt ihn zurückhalten konnte, wenn er seiner Hilfe bedurfte. Ein langer Uferstreifen dort in der Tiefe – die japanische Küste. Die Gebirge Japans – einzelne Städte. Und wieder Wasser – das Gelbe Meer. Schließlich das chinesische Festland, das sich grenzenlos nach Westen dehnte. 54
Der Kommodore wich jetzt ein paar Strich nordwärts vom bisherigen Kurs ab. Er mochte eine weitere Stunde geflogen sein, als am Horizont die Gipfel des Tien Schan aufragten. Jetzt galt es, vorsichtig zu sein. Er näherte sich dem Kampfgebiet und mußte auf Überraschungen gefaßt sein. Auch war es wohl besser, nach einem Landeplatz Ausschau zu halten, bevor er in das Luftverteidigungsnetz der Zentral-Dsungarei mit seinen vollautomatischen Flakraketen hineingeriet. In weiten Kurven kreiste der Silbervogel über der wilden Bergwelt des Tien Schan und verringerte rasch seine Geschwindigkeit. Es wurde Zeit, einen geeigneten Landeplatz ausfindig zu machen. Dort unten – das weite Hochtal! Ein mächtiger Gletscher quoll im breiten Strom zwischen zwei Bergspitzen herab und endete auf der Talsohle in einer halbkreisförmigen Moräne. Der Talgrund selbst war fast eben. Nach Norden hin schien er einen leicht passierbaren Ausgang zu haben. Der Kommodore setzte zur Landung an und ließ die Maschine ausrollen. Er stieg aus dem Führerraum, öffnete die Kombination und atmete erleichtert auf. So – das wäre geschafft! Nun kam es zunächst darauf an, den Weg aus dieser Bergwildnis heraus zu finden und möglichst unauffällig in das dsungarische Hoheitsgebiet einzusickern. „Hände hoch!“ Das Kommando war in der Sprache des Landes gegeben. Aber Jim Parker verstand es und zögerte nicht, dem Befehl nachzukommen. Vorsichtig wandte er sich um. Damned – jetzt hatten ihn die Brüder doch erwischt! Er hatte sich zu früh gefreut. Wenige Schritte hinter ihm stand ein halbes Dutzend Bewaffneter und hielt ihn mit den Gewehren in Schach. Es waren recht abenteuerliche Gestalten, und offensichtlich gehörten sie keiner der Armeen an, die sich im Bereich des Tien Schan ge55
genüberlagen. Sie trugen abgenutzte Zivilanzüge mit gelben Armbinden und über der Brust gekreuzte Patronengurte. In ihren Gürteln steckten Pistolen und Messer. Anscheinend war es eine Partisanenbande, der er in die Hände gefallen war. Doch auf welcher Seite mochte sie kämpfen? Der Anführer befahl dem Kommodore durch einen Wink, ihm zu folgen. Zwei seiner Leute ließ er zur Bewachung bei dem Flugzeug zurück. Die anderen folgten ihm und seinem Gefangenen nach dem Talausgang zu. * Kurz vor der Schlucht, in die das Hochtal im Norden auslief, zweigte ein schmaler Steig ab, der sich in die Wände hinein verlief. Im Gänsemarsch folgten ihm die Männer aufwärts. Steil ging es bergan. Dann öffnete sich plötzlich ein dunkles Loch im Fels. Jim Parker wurde von seinen Begleitern hineingeschoben und fand sich in einer geräumigen Höhle wieder, die von einem Lagerfeuer matt erleuchtet wurde. Undeutlich nahm er Gestalten wahr, die an den Wänden hockten. Kisten und Säcke waren im dämmrigen Hintergrund aufgestapelt. Waffen blitzten im trüben Flammenschein. Doch ehe sich der Kommodore näher umschauen konnte, rief ihn eine Stimme an, die ihm seltsam vertraut vorkam. „Kommodore Parker! Sind Sie es wirklich? Wie kommen Sie denn hierher, in diese Einöde?“ Ein schlanker junger Mann war vom Boden aufgesprungen und auf den Kommodore zugestürzt. Herzlich schüttelte er ihm die Hand. Überrascht und erleichtert zugleich erwiderte Jim Parker seinen Gruß. „Doktor Tarim! Sie hätte ich hier zu allerletzt erwartet. Anscheinend ist es Ihre spezielle Aufgabe, mich jedesmal aus 56
peinlichen Situationen zu befreien, wenn ich in die Dsungarei komme.“ „Verzeihen Sie den Irrtum meiner Leute, Kommodore, und seien Sie uns willkommen. Doch was führt Sie hierher ins Kriegsgebiet? Und wo haben Sie Ihren Freund Wernicke gelassen?“ Mit kurzen Worten erzählte Jim Parker von der Aufgabe, die er sich gestellt hatte. „Und was tun Sie hier, Doktor Tarim?“ fragte er abschließend. „Wir hielten Sie längst für verschollen.“ Ein bitteres Lächeln huschte über die hageren Züge des jungen Arztes. „Es gelang mir damals zu fliehen, als Ili Khan meinen Vater verhaften ließ. Mit ein paar Gleichgesinnten – ebenfalls erbitterten Feinden des Diktators – verbarg ich mich in den Bergen. Als der Überfall auf Turkestan begann, bildeten wir eine Kampfgruppe und griffen die Truppen des Khans an, wo immer sich die Gelegenheit ergab. Seit ein paar Tagen liegen wir hier oben und beobachten die Paßstraße nach Süden, auf der die Truppentransporte rollen.“ „Wie denken Sie über den Bakterienkrieg?“ erkundigte sich Parker. „Glauben Sie, daß Ili Khan mit seiner Drohung ernst machen wird?“ „Ich zweifle nicht daran“, entgegnete Ali Tarim düster. „Dieser Wahnsinnige ist zu jeder Schandtat fähig. Er hat inzwischen einsehen müssen, daß er sich mit den Chinesen übernommen hat. Besonders an der Kansu-Front mußte er schwere Schläge einstecken. Die dsungarische Armee befindet sich auf der ganzen Frontbreite im Rückzug. Radio Urumtsi spricht von ‚planmäßigen Absetzbewegungen’!“ „Und Sie meinen, daß Ili Khan nunmehr seine teuflischen Geheimwaffen einsetzen wird?“ „Auf jeden Fall. Es kann sich wohl nur noch um Tage handeln. – Hallo, was gibt es da?“ 57
Einer der Männer, die sich im Hintergrund der Höhle um ein kleines Rundfunkgerät geschart hatten, war herangetreten und flüsterte erregt auf Ali ein. Das Gesicht des jungen Arztes nahm einen Ausdruck von Bestürzung an. „Da haben wir es schon“, rief er erschrocken. „Die Regierung des Khans hat soeben die Chinesen letztmalig zur Kapitulation aufgefordert. Sollte diese Forderung nicht in spätestens drei Tagen bedingungslos erfüllt sein, so würde Lan-tschou, die Hauptstadt der Provinz Kansu, mit der Bakterienwaffe L 13 angegriffen werden.“ „In drei Tagen also?“ die Gestalt des Kommodores straffte sich. „Hören Sie, Doktor, wir dürfen keinen Augenblick mehr verlieren. Ich habe einen Plan. Er ist riskant und abenteuerlich, aber er kann die Rettung bringen, wenn er gelingt. Wir müssen diese Giftküche in Nowo-Urumtsi ausräuchern, bevor sie Schaden anrichten kann. Sind Sie bereit, mit Ihren Leuten mitzuhelfen?“ Ali Tarim sprang auf. „Mit Begeisterung, Kommodore! Jeder von uns setzt gern sein Leben ein, wenn es gilt, den Diktator zu bekämpfen.“ „Ich hatte es nicht anders erwartet“, nickte Parker. „Also, hören Sie zu …“ * Auf einer schmalen Paßstraße, die sich über schwindelnde Höhen und durch tiefe Schluchten in nord-südlicher Richtung durch den Tien Schan schlängelte, kroch langsam ein merkwürdiger Zug dahin. An der Spitze fuhr ein Kettenfahrzeug, das mit schwerbewaffneten dsungarischen Staatspolizisten vollgepfropft war. Es folgte eine lange Lastwagenkolonne. Die Wagen waren mit Beutestücken aller Art gefüllt. Etwa hundert ge58
fangene Chinesen, ein kümmerlicher Haufen, taumelten erschöpft hinterher. C-n Schluß bildete wieder ein offener Lastwagen mit Staatspolizisten. Auf dem Dach des Führerhauses war ein Maschinengewehr montiert. Seine Mündung war drohend auf die Rücken der wehrlosen Gefangenen gerichtet. Die Kolonne kam vom Kriegsschauplatz in OstTurkestan und bewegte sich nordwärts, der Zentral-Dsungarei zu. Die Staatspolizisten waren in froher lärmender Stimmung. Sie brachten reiche Beute heim und hatten offenbar dem Schnaps ausgiebig zugesprochen. Das vorausfahrende Kettenfahrzeug passierte jetzt ein enges Felsentor, hinter dem der Weg in ein schmales Tal mündete. Nach etwa zweihundert Metern verengte sich das Tal wieder zu einer Schlucht, deren Felswände steil himmelwärts strebten. Gerade hatte die Spitze diese Stelle erreicht, als aus der Höhe das Klappern und Prasseln von Steinen herabdrang. Erschrocken blickten die Staatspolizisten nach oben. 59
Eine Steinlawine aus riesigen Blöcken und Geröll stürzte an den Wänden zur Linken herab. Sie ergoß sich in die Schlucht Und schüttete sie zu. Eine Staubwolke quoll empor und nahm den überraschten die Sicht. Die Wachmannschaften waren plötzlich sehr ernüchtert. Sie sprangen von dem Lastwagen und eilten der Stätte der Verwüstung zu. Da prasselte von den Rändern des Talkessels Schnellfeuer auf sie herab. In fassungslosem Entsetzen rannten sie durcheinander und stolperten, sich gegenseitig niederreißend, dem anderen Ende des Tales zu. Aber sie sollten nicht weit kommen. Wie von Geisterhand löste sich eine ganze Felspartie in der Höhe der westlichen Wand und stürzte donnernd in die Tiefe. Sie waren hoffnungslos eingeschlossen. In den Trümmern am Nordausgang tauchten jetzt Gestalten auf und gingen geschickt zwischen den Felsblöcken in Deckung. „Feuer!“ kommandierte der Führer des Geleitzugs. Es sollte sein letzter Befehl sein. Eine Salve krachte hinter den Blöcken. Der Polizeioffizier warf die Arme in die Luft und fiel vornüber. Seine Leute warfen sich platt zu Boden. „Ergebt euch!“ klang ein Kommando vom Talausgang her. „Werft die Waffen weg!“ Die Staatspolizisten leisteten keinen Widerstand mehr. Sie wußten, daß in dieser Sackgasse jeder Versuch zur Gegenwehr reiner Selbstmord sein mußte. Ergrimmt fügten sie sich in ihr Schicksal. „Das hat ja besser geklappt, als ich gedacht hatte“, sagte Jim Parker aufatmend, als er mit Ali Tarim den Talkessel betrat. „Nun aber schnell weiter!“ Die gefangenen Staatspolizisten waren höchst erstaunt, als der Partisanenchef ihnen befahl, die Uniformen abzulegen. Sie knirschten in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen, als sie den 60
Plan ihrer Gegner erkannten. Doch diese ließen sich nicht beirren und verwandelten ihr Äußeres rasch und geschickt. Eine knappe halbe Stunde nach dem gelungenen Überfall marschierte eine Gruppe von zwanzig uniformierten Staatspolizisten nordwärts auf der Paßstraße dahin. Die wenigen Soldaten und Gebirgsbewohner, denen sie auf ihrem Weg begegneten, ahnten nicht, daß die beiden Offiziere, die schweigend an der Spitze schritten, in Wirklichkeit Jim Parker und Ali Tarim waren. Nach einer weiteren halben Stunde hielten sie vor der Unterkunft einer Transporteinheit des dsungarischen Heeres. Mit einem beschlagnahmten Lastwagen setzten sie ihren Marsch in Richtung auf die Hauptstadt fort. * Im bakteriologischen Institut Doktor Abel Youngs brannte zu mitternächtlicher Stunde in allen Räumen noch Licht. Freilich drang kein Schimmer davon nach außen. Das flache Gebäude lag wie erstorben im Dunkel der Nacht – erstorben, wie die ganze Hauptstadt des zentral-dsungarischen Reiches. Vor zwei Tagen waren zum erstenmal chinesische Kampfflugzeuge über Nowo-Urumtsi erschienen und hatten die Regierungsgebäude und Kasernen mit Bomben belegt. Zwar hatte der Diktator vor kurzem noch versichert, kein feindliches Flugzeug würde die Landesgrenzen überfliegen, aber die Tatsachen straften seine Worte Lügen. Seitdem war strenge Verdunkelung für das ganze Land angeordnet worden. Doktor Youngs faltiges Gesicht war in den letzten Tagen noch hagerer geworden. Wie graue Schatten lag die Übermüdung auf seinen Zügen. Man arbeitete im Institut in drei Schichten, um die vom Kriegsministerium angeforderten Giftmengen in der festgesetzten Zeit fertigzustellen. 61
Halb geistesabwesend schlich der Gelehrte durch den großen Arbeitsraum, blieb hier und da bei einem seiner Mitarbeiter stehen, ließ sich berichten oder gab kurze Anweisungen. Eine Weile sah er dem Einfüllen des bakterienverseuchten Staubes in den großen Transportbehälter zu. Noch drei Stunden – dann würde auch diese letzte der bestellten zehn „Bazillenbomben“ fertig sein. Sechs waren bereits abgeliefert worden. Drei weitere lagerten noch in einem stark gesicherten Nebenraum des Instituts. Ihr Abtransport war auf Schwierigkeiten gestoßen, seit die Chinesen den Luftraum über der Dsungarei unsicher machten. Verworrene Geräusche ließen Abel Young zur Tür blicken, wo ein schwerbewaffnetes Kommando der Staatspolizei Wache hielt. Die dort stationierten Posten machten ihre Maschinenpistolen schußfertig und gingen hinaus. Was mochte da wieder los sein? Vermutlich ein neuer Voralarm. Wenn diese verdammten Luftangriff nicht aufhörten, würden die gefährlichen L 13-Behälter niemals ihre Einsatzstelle erreichen, dafür würde er, Doktor Young, jede Wette eingehen. Doktor Abel Young würde diese Wette gewonnen haben – auch ohne die Luftangriffe der Chinesen. Das sollte sich jetzt in überraschender Weise bewahrheiten. Die Tür flog auf. Eine Schar von zehn Staatspolizisten drang ein, mit einem schlanken, hochgewachsenen Offizier in Leutnantsuniform an der Spitze. Rasch besetzten die Männer Fenster und Türen, zerschnitten die Leitungen der Alarmanlage und richteten ihre Waffen auf die Laboranten, die erschrocken die Hände hoben. „Aha – da haben wir ja den König der Giftmischer in eigener Person“, rief der Offizier und steuerte direkt auf Doktor Young zu. Der starrte ihn an, wie eine Erscheinung aus dem Jenseits. „Kommodore Parker – Sie hier? Damned …“ 62
Wie ein Wiesel versuchte Young davonzuhuschen. Aber schon hatte ihn der Kommodore am Kragen und schüttelte ihn: „Los Mann, wo haben Sie dieses verdammte L 13? Raus mit der Sprache? Aber etwas plötzlich, wenn ich bitten darf, sonst helfe ich nach.“ Das zappelnde Männchen wand sich und suchte krampfhaft nach einem Ausweg: „Es ist – es ist nicht hier“, stammelte es schließlich. „So – nicht hier“, höhnte der Kommodore und packte noch fester zu. „Dann wollen wir mal selbst nachsehen. Los, Leute, fangt mal mit der Tür da drüben an!“ „Nein!“ brüllte Young und versuchte, sich loszureißen. „Nein! Da ist nichts drin. Das L 13 ist – es ist …“ Doch schon hatten zwei Mann von der falschen Staatspolizei die Tür aufgebrochen and schoben gleich darauf drei umfangreiche, auf Gummiwagen liegende Behälter herein, die wie riesige Torpedos mit weiten Düsen am Schwanzende au sahen. Doktor Young sackte zusammen. Doch in diesem Augenblick peitschte der Knall eines Schusses herein, dem unmittelbar zahlreiche weitere folgten. Der Kommodore horchte auf. Was mochte denn da schief gegangen sein? In der Tür zum Vorraum erschien Ali Tarim, als Hauptmann der Staatspolizei verkleidet, und hielt die schwere Pistole in der Faust. „Wir sind überrascht worden, Kommodore. Wir hatten nicht mit der Wachablösung gerechnet …“ „Pech“, meinte Parker lakonisch. „Macht aber nichts. Wir haben unseren Zweck bereits erreicht. Haut ab und nehmt euch dieses Würstchens hier an. Es ist der Obergiftkoch des großen Khans und der stolze Vater des Bazillus L 13. Laßt ihn ja nicht entkommen und nehmt auch die anderen Figuren mit. Und nun raus hier!“ „Und Sie, Kommodore?“ 63
„Habe hier noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Komme gleich nach. So long.“ Ohne große Umstände trieben Alis Leute die Laboranten ins Freie, über den Handgelenken Abel Youngs schlossen sich Handschellen. Ali Tarim zerrte den sich heftig Sträubenden mit hinaus. Jim Parker war allein an der Stätte, an welcher Tod und Vernichtung für Millionen – ja, vielleicht für die ganze Menschheit – ausgebrütet wurden. Es war gelungen, die Pläne eines Wahnsinnigen zu vereiteln. Aber noch war es nicht ganz soweit. Aus einer dickgepolsterten Ledertasche, die an seinem Schulterriemen hing, nahm der Kommodore vorsichtig einen metallischen Gegenstand, der wie eine übergroße, ovale Konservendose aussah. Vorsichtig stellte er einen Zeiger ein, drückte auf einen winzigen Knopf und sah sich einen Augenblick suchend um. Dann stellte er das geheimnisvolle Gerät zwischen die Apparate auf dem langen Arbeitstisch in der Mitte des Laboratoriums und verließ eilig den Raum. Draußen knatterte noch immer das Feuergefecht. Kugeln sangen durch die Luft. Die Mannschaft des Khans mußte Verstärkung erhalten haben. Ali Tarims Leute zogen sich von Deckung zu Deckung zurück. Höchste Zeit für Parker, von hier zu verschwinden! Mit raschen Sätzen federte er über den dunklen Platz, der zwischen dem Laboratorium und der Betonmauer lag, die das Gebäude von der Außenwelt abschloß. Schon glaubte er, es geschafft zu haben, als er über einen Körper stolperte und schwer hinschlug. In diesem Augenblick blitzte ein Scheinwerfer auf und tauchte den Hof in grelles Licht. Jim Parker, der halb betäubt vom Boden hochtaumelte, schloß die Augen. 64
Ehe er sich wieder ganz in der Gewalt hatte, fühlte er sich von zahlreichen Fäusten gepackt. Im Nu war er entwaffnet und gefesselt. Sporenklirrende Schritte näherten sich aus der Dunkelheit. Jim Parker hörte eine aufgeregt gestotterte Meldung – dann eine Stimme, deren Klang ihm irgendwie bekannt vorkam. Neugierig wandte er den Kopf. – und sah sich Iwanow gegenüber, dem Polizeiminister Ili Khans. „Ich freue mich aufrichtig, Sie abermals bei uns begrüßen zu dürfen, Kommodore Parker“, sagte der Polizeigewaltige höhnisch, „wenn auch wiederum unter etwas verfänglichen Begleitumständen. Diesmal wird es Ihnen nicht gelingen, sich herauszureden. Oder wollen Sie etwa leugnen, am Anschlag auf das geheime Laboratorium, in dessen Hof wir stehen, beteiligt zu sein?“ „Ich habe absolut nicht die Absicht, es zu leugnen, Sir“, war Jim Parkers liebenswürdige Antwort. „Leider hatten Sie Pech.“ Iwanow hob bedauernd die Schultern. „Dank der Wachsamkeit unserer tüchtigen Staatspolizei konnten Sie Ihren Zweck nicht erreichen. Trotzdem gebe ich keinen Cent mehr für Ihr Leben. Es werden Ihnen im Gefängnis nur noch wenige Stunden bleiben, um darüber nachzudenken, wie töricht es von Ihnen war, unseren großen Khan zu bekämpfen.“ „Darüber reden wir später noch“, erwiderte Parker ungerührt. „Im übrigen bin ich mit dem Erfolg meines Einsatzes durchaus zufrieden.“ „Wie meinen Sie das?“ fragte Iwanow mißtrauisch. „Ich habe mir erlaubt, in Ihrer famosen Hexenküche eine handliche, aber überaus wirksame Atombombe mit Zeitzünder zu deponieren“, lächelte Parker. „Da, sehen Sie nur: Der Feuerzauber geht schon los.“ 65
Hinter den dichten Verdunkelungsvorhängen an den Fenstern des Labors war ein fahles Leuchten. Jetzt flammten die Vorhänge selbst in hellem Feuer auf und gaben den Blick frei in eine Hölle gleißender Weißglut. Das atomische Feuer strahlte und fraß weiter um sich, griff über auf Dach und Wände des Instituts … Iwanow brüllte einen Befehl. Die Staatspolizisten flüchteten Hals über Kopf und rissen ihren Gefangenen mit sich fort. Hinter ihnen brannte im blendenden Atomfeuer wie eine Magnesiumfackel das Haus, in dessen Retorten und Brutschränken der Tod für Millionen von unschuldigen Menschen geboren werden sollte. * Ein roher Kolbenstoß beförderte Jim Parker in eine der tiefsten Kerkerzellen im befürchteten Haupt-Staatsgefängnis der Zentral-Dsungarei. Schwer schlug die dicke Eisentür hinter ihm zu. Er vernahm das Rasseln von Schlüsseln, das Kreischen fester Riegel. Benagelte Sohlen entfernten sich und verhallten in den weiten Gängen. Im trüben Schein der drahtversponnenen Deckenlampe untersuchte der Kommodore gewissenhaft das starke Fenstergitter, die Zellentür und die Wände. Er hätte sich diese Mühe getrost sparen können. Hier kam kein Mensch aus eigener Kraft heraus. Müde ließ er sich auf die schmale Holzpritsche fallen. Seine Gedanken eilten zu den Ereignissen der letzten Stunden zurück. Was mochte aus Ali Tarim und seinen Gefährten geworden sein? Waren sie den Kugeln der Staatspolizei erlegen, oder war ihnen der Rückzug geglückt? Ein Lächeln glitt über Jim Parkers erschöpftes Gesicht. Wie dem auch sein mochte – die Tage des Diktators waren gezählt. Seine Geheimwaffe war vernichtet. Bald würde er der Über66
macht der Chinesen, die er leichtfertig herausgefordert hatte, erlegen sein. Dann schlug die Stunde der Freiheit für die Gefangenen in diesen düsteren Mauern, ja für das ganze unterdrückte dsungarische Volk … Doch plötzlich durchzuckte ihn ein furchtbarer Schreck. Was nun, wenn er gar nicht den gesamten Vorrat an L 13-Bakterien vernichtet hatte? Der Angriff auf Lan-tschou stand nahe bevor. War es da nicht anzunehmen, daß bereits größere Vorräte an L 13 außerhalb der Mauern des Laboratoriums lagerten – bereit zum Einsatz gegen die wehrlose Menschheit friedlicher Nationen? Ja – so mußte es sein! Und er, der Kommodore des Weltraums, lag hier hilflos und eingekerkert, außerstande, sein Rettungswerk zu vollenden. Er stöhnte, sprang auf und rannte ziellos in der engen Zelle auf und ab. Aber das half nun auch nichts mehr. Gewaltsam zwang sich Jim Parker zur Ruhe. Es hing jetzt alles davon ab, ob Ali Tarim der Rückzug gelungen war. Er würde nicht zögern, auf S.AT.Welle an Wernicke um Hilfe zu funken, so wie sie es vorher vereinbart hatten. Er legte sich auf das harte Lager zurück und schloß die Augen … Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte, als er sich an der Schulter gerüttelt fühlte, und eine barsche Stimme ihm befahl, aufzustehen und zu folgen. Es ging durch endlose, matt erhellte Gänge, in denen sich eine Kerkertür an die andere reihte, an waffenstarrenden Posten der Staatspolizei vorbei. Noch ein Doppelposten wurde passiert – dann stolperte der Kommodore, von einem Kolbenstoß in den Rücken getroffen, in einen Raum hinein. Von dem grellweißen Licht starker Scheinwerfer geblendet, schloß Jim Parker die schmerzenden Augen.
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* Als es ihm endlich gelang, die Lider zu heben, sah er sich einer Versammlung von ordenstrotzenden Uniformierten gegenüber, die hinter einem einfachen Tisch aufgereiht saßen. Haßerfüllte und höhnische Blicke trafen ihn. Er erkannte Ili Khan in eigener Person, neben ihm den Kriegsminister, Marschall Ismael, den Polizeiminister Iwanow, und Hassan Mustafa, Propagandaminister der Zentral-Dsungarei. „Einen schönen Streich haben Sie uns spielen wollen, Kommodore Parker“, begann der Diktator mit leiser Stimme. „Aber er ist Ihnen nur unvollkommen gelungen. Gewiß, die Vernichtung des Laboratoriums und die Entführung Doktor Youngs ist ein schwerer Schlag für uns. Aber wir verfügen noch über sechs weitere einsatzbereite Behälter mit L 13 – genug, um einen Erdteil zu verseuchen.“ „Sie wollen bluffen“, warf Parker, einem plötzlichen Einfall folgend, ein. „Das habe ich nicht nötig“, rief der Diktator höhnisch. „In Tarana, am Nordrand des Tien Schan, stehen die SpezialJagdmaschinen bereit, welche die neue Bakterienwaffe morgen an Bord nehmen sollen. Und wenige Stunden nach dem Start des ersten Flugzeuges wird über Lan-tschou die Pest vom Himmel fallen.“ Den Kommodore schauderte es. War das noch ein Mensch, der dort vor ihm saß? Der – um seinen Machtrausch zu befriedigen – bedenkenlos zum Massenmörder wurde? Ein Wahnsinniger war es, eine gefährliche Bestie, die man vernichten mußte. Aber das war leichter gedacht als getan. Eine unbekannte Zahl fanatischer Anhänger war diesem Irrsinnigen bedingungslos ergeben, bereit, jede seiner teuflischen Ideen – ohne zu zögern – in die Tat umzusetzen. 68
Jim Parker halte nicht weiter hingehört. Plötzlich riß ihn die Stimme des Diktators, die jetzt schrill und keifend klang, aus seinen Gedanken: „Kommodore Parker! Antworten Sie: Wo befindet sich Doktor Young?“ Parker zuckte die Achseln: „Sorry – ich weiß es selbst nicht. Bin aber gern bereit, ihn suchen zu helfen.“ „Wer ist Ihr Auftraggeber?“ „Fürchte, ich muß Sie abermals enttäuschen. Ich arbeite in eigenem Auftrag.“ „Wer waren Ihre Helfershelfer?“ „Fragen Sie sie am besten selbst.“ Iii Khan bekam einen rasenden Wutanfall. Schaum vor dem Mund, hämmerte er mit beiden Fäusten auf der Tischplatte herum. Darin sprang er auf, stieß den Stuhl um und stürzte, unartikulierte Laute ausstoßend, zum Fenster. Der Tobsuchtsanfall des Diktators klang ab. Noch zitternd vor Erregung, trat er auf den Kommodore zu und sagte mit mühsamer Beherrschung: „Ich habe Ihnen vor Jahren ein Angebot gemacht, Kommodore Parker. Ich wiederhole es heute zu den gleichen Bedingungen. Wenn Sie sich bereit erklären, in die Dienste der Zentral-Dsungarei einzutreten, sollen Ihnen auch Ihre letzten Untaten vergeben sein. Es liegt mir viel daran, Sie als Mitarbeiter zu gewinnen.“ „Aber mir liegt ganz und gar nichts daran, mich zu Ihrer Gangster-Prominenz zählen zu dürfen“, antwortete Jim Parker unfreundlich. Es sah fast so aus, als wollte der Diktator erneut in schäumende Wut ausbrechen. Aber er bezwang sich. „Sie werden jetzt in Ihre Zelle zurückgebracht, Parker. Ich gebe Ihnen sechs Stunden Bedenkzeit. Wenn Sie dann auf Ihrer Weigerung be69
harren, werden Sie um Mitternacht erschossen – im Rahmen der routinemäßigen Liquidationen von Spionen und Saboteuren. Abtreten!“ Als Jim Parker durch die kahlen Gänge in seine Zelle zurückgeführt wurde, hörte er durch die dicken Mauern gedämpft das Heulen der Alarmsirenen. Ihm klang es wie das Totenlied eines sterbenden Systems, das an dem Fluch seiner eigenen Verbrechen zugrunde ging. * Auch Fritz Wernicke hatte an diesem Nachmittag im fernen Orion-City ein peinliches Verhör über sich ergehen lassen müssen. Allmählich hatte es sich bis zu dem allgewaltigen Atomboß Ted S. Cunningham herumgesprochen, daß Kommodore Parker an Bord des „Marco Polo“ zu einem Versuchsflug gestartet – und von diesem Flug bis zur Stunde nicht zurückgekehrt wäre. Der gute Fritz hatte herumgedruckst und sich wie ein Aal gewunden. Doch als Cunningham ihm seine Vermutungen geradeheraus entgegenschleuderte, blieb ihm nichts anderes übrig, als den wahren Sachverhalt zu bekennen. Der Atomboß kaute grimmig auf seiner teuren Havanna herum. Aber der befürchtete Zornesausbruch blieb aus. „Schöne Geschichte“, knurrte er nur. „Wenn das Abenteuer gelingt, steht Parker als der Held des Tages da, und auf das S.A.T! fällt auch noch ein gut Teil Lorbeeren ab. Aber wenn es schief geht, dann – dann weiß ich von nichts. Verstanden?“ „Selbstverständlich, Boß“, beeilte sich Wernicke zu versichern. „Sie erfahren natürlich gar nichts von mir.“ „Donnerwetter!“ fluchte der Gewaltige nun doch los und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, daß das Tintenfaß umkippte. „Sie halten mich selbstverständlich über alles auf dem Laufenden, was Sie erfahren. Verstanden?“ 70
„Selbstverständlich, Boß“, stotterte Wernicke ratlos und empfahl sich schleunigst. Aber er vergaß sein Versprechen vollkommen, als er eine halbe Stunde nach dieser Unterredung im Bungalow Jim Parkers, den er während der Abwesenheit seines Freundes bewohnte, ankam und einen Funkspruch vorfand, den ein Eilbote der S.A.T.-Nachrichtenzentrale in der Zwischenzeit für ihn abgegeben hatte – eine Meldung von einem Geheimsender im Raum von Nowo-Urumtsi. Mit fliegenden Händen faltete Wernicke das Formular auseinander und las: „Nachrichtendienst Freie Dsungarei. Radiodepesche für Fritz Wernicke, S.A.T. Orion-City, Arizona, USA.: Kommodore Parker bei Vernichtung des L 13-Labors in Nowo-Urumtsi in Gefangenschaft Ili Khans geraten und ins Haupt-Staatsgefängnis gebracht. Befindet sich in Lebensgefahr. Sofortige Unterstützung erforderlich. Weitere Verständigung über S.A.T.-Welle. Ali Tarim.“ Jim Parker in Lebensgefahr – fern, im innersten Asien! Der gute Fritz fühlte, wie ihm die Knie weich wurden. Aber er war ein Mann der Tat. Sein bester Freund brauchte seine Hilfe. Da galt es, unverzüglich zu handeln! Seine Ausrüstung zusammenraffen und den flinken, grünweißen Sportwagen des Kommodore aus der Garage rollen, war das Werk eines Augenblicks. Und während am Himmel dunkle Wetterwolken aufzogen, raste der kleine Wagen mit wahrhaft polizeiwidriger Geschwindigkeit zum Zentral-Flugplatz der Atomstadt. Die Männer der Ersten Raketenjagdstaffel saßen in ihrer Messe. Sie spielten Karten und Tischtennis, rauchten und sangen im Chor die neuesten Schlager. Es herrschte eine prachtvolle Stimmung in dem gemütlich eingerichteten Raum. Da flog die Tür auf. Wie ein Sturmwind fegte eine kleine drahtige Gestalt 71
herein, in der die Piloten zu ihrer Überraschung den Steuermann ihres Kommodore erkannten. „Kameraden!“ schrie Fritz Wernicke atemlos, und seine Augen blitzten vor Kampfeslust. „Jim Parker ist in Gefahr. Nehmt eure Atomwaffen mit und macht die Maschinen klar! Alarm!“ Die Raketenflieger verloren keine Sekunde. Karten und Tennisschläger flogen in die Ecke. In fliegender Hast stürzten sich die Männer in ihre Kombinationen, legten die Sauerstoffgeräte an und griffen zu den Waffen. Hinter dem kleinen Weltraumpiloten her polterten sie zu den Hangars und schoben die Tore auf. Der Flugdienstleiter kam von weitem herbeigerannt. Er begriff nicht, was hier ohne sein Wissen geschah. Waren die Flieger der Staffel I verrückt geworden? Aber er kam zu spät. Mit dröhnenden Düsen fauchten die Maschinen In breiter Front über das weite Flugfeld. Aufheulend schwangen sie sich hinein in die dunklen Wolken, aus denen die ersten Blitze eines schweren Gewitters zuckten. Sie hatten nicht einmal gefragt, wohin der Flug gehen sollte. Ohne zu überlegen, folgten sie Fritz Wernicke, der die Führermaschine steuerte. Ihr Kommodore in Gefahr – da gab es für diese Männer nur eins: ihn heraushauen! * Es mochte kurz vor Mitternacht sein, als Jim Parker von einem starken Detachement der Staatspolizei zum zweiten Mal aus seiner Zelle abgeholt und in den Vernehmungsraum geleitet wurde. Er sah sich diesmal lediglich dem Polizeiminister gegenüber, der ihm einen haßerfüllten Blick zuwarf und ohne weitere Umstände begann: „Kommodore Parker, unser großer Khan hat mich beauftragt, Sie letztmalig zu fragen, ob Sie bereit sind, seinen großmütigen 72
Vorschlag anzunehmen und in unsere Dienste zu treten. Die Entscheidung liegt in Ihrer Hand. Wählen Sie das Leben, als Mitarbeiter des Khans, – oder den Tod?“ „Ich wähle die Freiheit“, entgegnete Parker vielsagend. „Was heißt das?“ glotzte Iwanow verständnislos. „Das heißt“, erklärte Jim Parker und gähnte gelangweilt, „daß ich keinerlei Neigung verspüre, mich um die ehrenvolle Mitgliedschaft in eurer Massenmörderorganisation zu bewerben.“ Der Minister zuckte zusammen. „Ist das Ihr letztes Wort?“ fragte er eisig. „Sie merken scheinbar alles“, sagte Parker spöttisch. „Bemühen Sie sich bitte nicht weiter.“ Iwanow stand auf. „Außerordentlich bedauerlich, Kommodore. Damit haben Sie sich selbst das Todesurteil gesprochen.“ Auf seinen Wink hin nahmen die Staatspolizisten den Gefangenen in die Mitte und führten ihn ab. „Sie werden jetzt in die Zelle der Todeskandidaten für diese Nacht gebracht“, rief Iwanow ihm nach. „Nehme an, daß Sie dort ein paar alte Bekannte treffen werden.“ Jim Parker wurde über eine steile Treppe in das Erdgeschoß hinuntergeleitet. Vor einer schmalen Eisentür hielt der Zug. Ein Schlüsselbund klirrte, die Tür schwang auf. Parker bekam einen Stoß und stolperte in die Zelle hinein. Kreischend schloß sich die Tür hinter ihm. Aus dem dichten Haufen der Todeskandidaten, die den großen, kahlen Raum füllten, drängten sich drei Gestalten nach vorn. „Kommodore Parker! Sie hier?“ Überrascht blickte Jim Parker in die Gesichter von Professor Tarim, Generalkonsul Wang und seiner Tochter Liu. Wortlos schüttelte er ihnen die Hände. 73
„Das ist ein trauriges Wiedersehen“, lächelte der Professor, dessen Haar schneeweiß geworden war. „Nun, wenigstens kann ich Ihnen eine erfreuliche Botschaft bringen“, sagte Parker. „Ihr Sohn Ali lebt und ist in Freiheit. Er brennt darauf, uns mit seinen Leuten zu befreien.“ „Ali lebt?“ rief Liu glücklich. „Oh, erzählen Sie, Kommodore! Was wissen Sie von ihm?“ „Später“, wehrte Jim Parker lächelnd ab. ‚Jetzt gibt es zunächst Wichtigeres zu tun. „Wie viel Zeit bleibt uns noch?“ Der Konsul zuckte die Achseln. „Die Erschießungen werden im allgemeinen kurz nach Mitternacht ausgeführt. Meiner Schätzung nach muß man uns jeden Moment abholen.“ Als hätte er damit das Stichwort gegeben, rasselte jetzt wieder das Schlüsselbund an der Tür. In ihrem engen Rahmen erschien ein Offizier der Staatspolizei mit einem bis an die Zähne bewaffneten Wachtsoldaten und betrachtete die Gruppe der Gefangenen mit rohem, schadenfrohem Grinsen. Mit einer Kopfbewegung gab er den Befehl zum Verlassen der Zelle. Jim Parker, der der Tür am nächsten stand, maß die beiden mit abschätzendem Blick. Sekundenlang blieb alles regungslos … Da hallten in die lastende Stille hinein Flakfeuer und Bordkanonen. Schwerfällig begannen die Sirenen draußen in der Stadt zu heulen. Die Detonationen von Fliegerbomben zerrissen die Luft. Fliegeralarm – und offensichtlich viel zu spät gegeben … Verdutzt lauschten die Staatspolizisten dem Lärm. Für einen einzigen Augenblick nur erlahmte ihre Wachsamkeit. Doch dieser Augenblick genügte. Der Kommodore wechselte mit Konsul Wang einen blitzschnellen Blick. Wie ein Mann warfen sich die beiden auf die Schwarzuniformierten, die – von wuchtigen Kinnhaken getrof74
fen – gegen die Wände taumelten. Fast im gleichen Augenblick waren sie entwaffnet. Parker und Wang stürmten durch die offene Tür in den Gang hinaus, schlugen rücksichtslos alles nieder, was ihnen im Wege stand. Mit Gebrüll folgten ihnen die Leidensgefährten. Schüsse krachten und hallten in den kahlen Gängen wider. Die Alarmglocken schrillten. „Zum Haupttor!“ schrie der Kommodore und rannte einen Wächter nieder, der die Maschinenpistole auf ihn anlegte. In der großen Wachtstube neben dem Tor, das zur Straße führte, sprangen die Mannschaften aus den Betten und angelten schlaftrunken nach ihrer Ausrüstung. Doch ehe sie wußten, wie ihnen geschah, waren sie von den befreiten Gefangenen bereits entwaffnet und gefesselt. Die Hände des Kommodores huschten suchend über die zahlreichen Riegel und Schlösser, die das Tor versperrten. Aber seine Mühe war vergeblich. Die Schlösser gaben nicht nach. „Die Schlüssel!“ rief er in den Höllenlärm hinein, der das Gefängnis erfüllte. „Wo sind die Schlüssel?“ Konsul Wang hielt einem Sergeanten die Pistole unter die Nase und redete drohend auf ihn ein. Der stotterte ängstlich irgendetwas Unverständliches. „Wir sitzen in der Falle“, wandte sich Wang erregt an den Kommodore. „Der Kerl behauptet. Iwanow hätte die Schlüssel mitgenommen, als er das Gefängnis verließ. Vor morgen früh würde das Tor nicht geöffnet.“ „Damned!“ fluchte Parker. „Das hat uns noch gefehlt. – Vorsicht, Leute! Volle Deckung!“ Am Ende des Hauptganges erschien eine Gruppe von Staatspolizisten und eröffnete das Feuer. Kugeln prallten an den Wänden und am Eisentor ab. Einer der Befreiten sackte lautlos zusammen und fiel auf die Seite. 75
„.Schnellfeuer!“ rief der Kommodore und schoß das Magazin seiner Pistole leer. Für einen Augenblick bekamen sie Luft. Rasch schleppten die Männer Tische und Schränke aus dem Wachtlokal herbei und errichteten eine Barrikade, die den Schützen einige Deckung gab. Die Staatspolizisten am anderen Ende des Ganges folgten ihrem Beispiel und rissen aus offenstehenden Zellen das spärliche Mobiliar heraus, um ihrerseits eine Barrikade zu bauen. Hin und her peitschten die Schüsse. „Lange können wir uns hier nicht halten“, knirschte der Kommodore und wischte sich das Blut von der Stirn, wo eine Kugel ihn gestreift hatte. „Wir müssen versuchen, die Barrikade drüben im Sturm zu nehmen und dann die ganze Bude zu säubern, damit wir wenigstens hier drinnen unsere Ruhe haben, wenn wir schon nicht rauskönnen.“ Gerade schob er ein frisches Magazin in die schwere Armeepistole, als Geräusche vor dem Tor ihn aufhorchen ließen. Etwa in Schulterhöhe erschien ein glühender Punkt in dem dicken Eisen – eine blendende, grünliche Flamme zischte daraus hervor. Die Flamme begann zu wandern und fraß einen weiten Kreis aus dem starken Metall heraus. „Ein Atombrenner!“ frohlockte Jim Parker. „Das ist Wernicke. Wir sind gerettet! Hallo, Fritz, gibt acht und bleib schön in Deckung. Hier drinnen wird scharf geschossen!“ „Jim, alte Mondrakete! Mach Platz, wir kommen!“ Klirrend polterte die herausgeschnittene Stahlplatte herein – und hinterher stürmten mit wildem Kriegsgeschrei die Befreier: Raketenflieger des S.A.T. und Freischärler aus Ali Tarims Verband – an ihrer Spitze der begeisterte Wernicke. Die Staatspolizisten leisteten nur noch schwachen Widerstand. Bald waren auch die letzten Winkel des weitverzweigten Gefängnisses von Schwarzuniformierten gesäubert. Die Atom76
brenner der S.A.T.-Flieger öffneten die verschlossenen Zellentüren und gaben den Hunderten von politischen Gefangenen die Freiheit wieder. Inmitten des lärmenden Durcheinanders standen Ali Tarim und Liu und hielten sich innig umschlungen. Konsul Wang und Professor Tarim standen abseits und sahen gerührt zu. Von der Straße herein drang das Knattern einer neuen Schießerei. „Wir müssen hier raus“, drängte der Kommodore. „Noch haben wir’s nicht geschafft. Schätze, mein lieber Fritz, daß uns in Tarana noch eine wichtige Aufgabe erwartet.“ „Tarana? Nie was von gehört. Wo liegt denn dieses komische Kuhdorf?“ „Ob es ein Kuhdorf ist, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls liegt es irgendwo am Nordrand des Tien Schan. Denke doch, daß unser Freund Ali uns den Weg zeigen wird.“ „Bin leider unabkömmlich, Kommodore“, beteuerte der junge Mann. „Aber ich gebe Ihnen einen Führer mit.“ „Und Sie selbst, lieber Freund?“ „Ich habe hier Wichtigeres zu tun. Die Zeit ist reif – jetzt stürzen wir den Diktator!“ „Gut so! Viel Glück, Ali!“ Begeistert schwangen die Befreiten die Waffen, die man den Staatspolizisten abgenommen hatte. Sie drängten sich hinter ihrem jungen Anführer auf die Straße hinaus, die bald von Kampflärm widerhallte. Der Freiheitskampf des dsungarischen Volkes war in sein entscheidendes Stadium getreten. * „Die Pest fällt vom Himmel! Rette sich, wer kann!“ In den engen, menschenüberfüllten Straßen von Lan-tschou 77
herrschte die Panik. Als der Militärgouverneur von Kansu vor einigen Tagen die Evakuierung der Provinzhauptstadt angeordnet hatte, waren nur wenige seinem Befehl nachgekommen. Die Stadt hatte in vergangenen Zeiten manchen Sturm erlebt und stets waren den Kriegs- und Revolutionswirren bald wieder ruhigere Zeiten gefolgt, Warum sollte es diesmal anders sein? Doch am Morgen dieses heißen Tages waren feindliche Flugzeuge über Lan-tschou erschienen und hatten Zehntausende von Flugblättern abgeworfen. Kurz und bündig stand darauf geschrieben, daß heute mittag, Punkt 13 Uhr, Millionen von Bakterien über der Stadt abgeworfen würden – Erreger einer tödlichen Krankheit, gegen die es kein Mittel gab, – es sei denn, daß die chinesischen Armeen bis zum Mittag kapituliert hätten. „Die Pest fällt vom Himmel!“ Nur knappe zwei Stunden noch, dann würde der Tod hunderttausendfach in unsichtbaren Teilchen vom Himmel herniederrieseln, würde Mensch und Tier ergreifen und unter furchtbaren Qualen verenden lassen. „Die Pest fällt vom Himmel!“ Kopflos drängte sich die Menge in den Straßen und versperrte den Truppen den Weg, die in Eilmärschen an die Nordwestfront geworfen wurden – in der vagen Hoffnung, sich durch raschen Zugriff der frontnahen Flugplätze des Feindes zu bemächtigen. Untergangsstimmung lag über der Stadt … * „Dies ist Tarana, Kommodore“, sagte der landeskundige Führer, den Ali Tarim der S.A.T.-Staffel mitgegeben hatte. Er deutete nach unten, wo zwischen den flachen Ausläufern eines Vorgebirges ein kleiner Flugplatz mit Baracken und Zelten am Rande sichtbar wurde. 78
Jim Parker nahm mit der Linken den Feldstecher hoch und musterte in Sekunden den Platz, auf dem der gewohnte Etappenbetrieb zu herrschen schien. Offenbar war die Nachricht vom Aufstand in Nowo-Urumtsi noch nicht bis hierher vorgedrungen. „Verdammt eng da unten“, brummte der Kommodore. „Hilft aber nichts – wir müssen runter.“ Mit gedrosselten Motoren ging die Staffel in steilem Gleitflug auf das Flugfeld nieder. Die Landung gelang. Aus den Zelten und Baracken kamen Piloten und Bodenpersonal herbeigerannt und bestaunten die unbekannten Maschinen. Gewiß ein neuartiger, bisher geheimgehaltener Flugzeugtyp des großen Khans! Aber ihr Erstaunen verwandelte sich in Bestürzung, als aus den gelandeten Maschinen plötzlich Männer in Stratosphärenflieger-Kombinationen sprangen und drohend ihre Waffen auf sie richteten. „Wo ist der Flugplatzkommandant?“ fragte Jim Parkers dsungarischer Begleiter. Ein grauhaariger Offizier im Range eines Majors trat vor. „Amerikaner?“ fragte er zögernd auf Englisch. „Freunde Ihres Volkes – und Gegner Ili Khans, Herr Major“, erklärte der Kommodore. „Um es kurz zu machen: Wo sind die Behälter mit dem L 13?“ „In einem Felsstollen, fünfhundert Meter südlich, in einem Seitental. Sie werden von Staatspolizei bewacht.“ „Gut, bleiben Sie hier und verhalten Sie sich ruhig. Fritz, du übernimmst hier das Kommando. Sechs Mann mit dem großen Atomwerfer kommen mit mir.“ Die Überrumpelung gelang vollkommen. Die Staatspolizisten, etwa zwölf an der Zahl, erkannten zu spät, mit wem sie es zu tun hatten. Angesichts der unheimlichen Atomwaffen ihrer 79
Gegner wagten sie keinen Widerstand und ließen sich von zwei S.A.T.-Piloten in Richtung zum Flugplatz abführen. Der Kommodore riß die Tür des Stollens auf und leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Da lagen sie, die schlanken Behälter, die er schon von dem Youngschen Institut in NowoUrumtsi her kannte. In ihrem Inneren bargen sie millionenfachen Tod. Auf seinen Wink hin brachten seine Begleiter den Atomwerfer in Stellung. Grell und grünlich fuhr der breite Strahl in die Höhle und ließ sie aufflammen in schmelzender Höllenglut. Durch eine Schutzbrille sah der Kommodore zu. Doch plötzlich wurde er blaß. Was dort im atomaren Feuer verging, waren ja nur fünf Behälter. Wo war der sechste, von dem Ili Khan gesprochen hatte. Sollte etwa … Ein furchtbarer Gedanke schoß ihm durch den Sinn. „Abrücken!“ befahl er seinen Männern, die gerade nach vollendeter Arbeit den Atomwerfer abschalteten. So schnell ihn seine Füße trugen, stürmte er den Weg zurück und stürzte atemlos auf den Flugplatzkommandanten zu. „Wir haben nur fünf L 13-Bomben gefunden. Wo ist die sechste?“ Der Major hob verlegen die Schultern. „Ich weiß es nicht. Eine Spezialmaschine der Staatspolizei holte ihn ab, fünf Minuten vor Ihrer Ankunft.“ Dem Kommodore stockte der Atem. „Rufen Sie die Maschine sofort zurück!“ brachte er schließlich mühsam hervor. „Das kann ich nicht!“ stotterte der Major. „Die Piloten der Staatspolizei nehmen nur Befehle vom Polizeiminister persönlich entgegen.“ Jim Parker ließ ihn einfach stehen. „Los, boys, faßt mal an!“ Von seinen Kameraden kräftig unterstützt, wendete er sein Raketenflugzeug und schob es startgerecht auf die Rollbahn. 80
„Was hast du vor, Jim?“ fragte Fritz Wernicke zweifelnd. „Ich muß die Maschine einholen, Fritz – um jeden Preis. Schnell, laß den Werfer verladen und steig ein! Der Staffelkapitän soll hier das Kommando bis zu unserer Rückkehr übernehmen.“ Mit heulender Düse – mehrmals so schnell wie der Schall – raste das Raketenflugzeug der dsungarischen Maschine nach, die den Tod nach Lan-tschou trug. Rasend schnell holte es auf. Aber das Häusermeer der Hauptstadt Kansus tauchte bereits im Dunst des Horizonts auf, als man endlich längsseit mit dem Verfolgten flog. „Landen Sie sofort!“ ließ der Kommodore dem fremden Piloten durch seinen dsungarischen Dolmetscher über Sprechfunk befehlen. Die Antwort war ein Feuerstoß aus einem schwenkbaren Maschinengewehr in der Kanzel des Gegner. „Atomwerfer klar!“ meldete Fritz Wernicke. „Nimm die Bakterienbombe aufs Korn, die unten am Rumpf hangt, und ziele gut. Achtung – Zündung!“ Fritz Wernicke hatte gut gezielt. Der Behälter strahlte grell 81
auf im Atomfeuer. Doch die Glut griff weiter um sich, erfaßte das Gestänge und fraß sich in den Rumpf hinein. Die Kunstglashaube der brennenden Maschine flog hoch. Zwei Gestalten sprangen heraus, wie große Wattebäusche leuchteten ihre Fallschirme in der Sonne. In brausende Flammen gehüllt, stürzte die Maschine herab und zerbarst in gewaltiger Explosion am Boden. * Die ganze Welt atmete befreit auf, als die Nachricht von Jim Parkers kühnem Einschreiten über alle Sender bekanntgegeben wurde. Bazillus L 13 war mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Die Menschheit war von einer furchtbaren Bedrohung erlöst. Auch auf dem Zentralflugplatz von Orion-City stauten sich die Menschenmassen, um den Heimkehrenden einen triumphalen Empfang zu bereiten. Als Jim Parkers Atomflugzeug „Marco Polo“ an der Spitze der Ersten Raketenstaffel zur Landung ansetzte, durchbrach die begeisterte Menge die Absperrung und riß die Kameramänner, die Rundfunk- und Fernsehreporter über den Haufen, die sich schußbereit auf dem Flugfeld aufgepflanzt hatten. Nur mit Mühe gelang es dem Kommodore, mit Fritz Wernicke aus diesem Wirbel und Freudentaumel zu entkommen. Inzwischen nahm Oberstleutnant Mortimer mit seinen Männern vom Sicherheitsdienst die Gelegenheit wahr, um Doktor Young aus dem Laderaum des „Marco Polo“ zu heben und in einem soliden Gefangenenwagen abzutransportieren. Wer weiß, was passiert wäre, hätte, die Menge in diesem Augenblick den gefesselten Bazillenzüchter erkannt?! Die Freunde kamen erst wieder zum Aufatmen, als sie im Arbeitsraum des Generaldirektors saßen, um ihrem Chef und 82
Unterstaatssekretär Watson Bericht zu erstatten. Der kleine dürre Regierungsbeamte erhob sich schließlich und schüttelte den beiden Helden des Tages bewegt die Hände. „Darf ich Ihnen, Gentlemen, den Dank unserer Regierung für Ihre heroischen Leistungen zum Ausdruck bringen“, begann er feierlich. „Wieso, Sir“, wunderte sich Parker. „Wir haben doch gerade das getan, was uns die Regierung strengstens untersagte?“ Der Unterstaatssekretär räusperte sich. „Ähem – allerdings – aber Sie hatten Erfolg. Und wer Erfolg hat, bekommt nachher bekanntlich Immer recht, übrigens erfuhr ich aus sicherer Quelle, daß auch der ‚Weltbund’ plant, Ihnen einen Orden zu verleihen.“ „Was? Der ‚Weltbund’ verleiht auch Orden?“ rief Wernicke spöttisch. „Da könnte es sich doch höchstens um das ‚Goldene Tintenfaß mit Kalk und Schlappschwänzen’ handeln.“ „Was ist übrigens inzwischen in der großen Politik geschehen?“ fragte Parker und beendete, damit die unernsten Betrachtungen seines vorlauten Freundes. „Infolge unseres letzten ‚Fronteinsatzes’ sind wir nicht mehr ganz auf dem laufenden.“ „Oh“, machte der dicke Cunningham, „es ist alles in schönster brauner Butter. Ali Tarim hat den Diktator gestürzt. Die Armee hat sich mit den Freiheitskämpfern vereinigt und die Staatspolizei niedergekämpft. Professor Tarim wurde mit der Bildung einer vorläufigen Regierung beauftragt. Seit heute morgen schweigen die Waffen an den asiatischen Fronten. Generalkonsul Wang hat sich erboten, sich für den Abschluß eines gerechten Friedens einzusetzen.“ „Und Ili Khan und seine Helfershelfer?“ „Iwanow, Mustafa und die Mehrzahl dieser Schießbudenfiguren konnten geschnappt weiden, als sie – als harmlose Hirten verkleidet – über die Grenze im Norden flüchten wollten. Der 83
Diktator selbst ist leider ins neutrale Ausland entkommen – mit Hilfe eines Langstrecken-Stratokreuzers, den er seit Beginn seiner Regierungszeit für diesen Fall in Bereitschaft stehen hatte. Natürlich unter Mitnahme der Kriegskasse. In einem Rundfunkinterview bezeichnete er sich als politischen Märtyrer und kündigte an, er würde nun seine mehrbändigen Memoiren schreiben …“ „… die wahrscheinlich in allen Ländern der Welt reißenden Absatz finden werden“, vollendete Jim Parker spöttisch. „Nun, lassen wir ihm sein Vergnügen. Er kann keinen Schaden mehr anrichten. Seine blutige Rolle ist ausgespielt.“ In diesem Augenblick erschien Shilling, der Privatsekretär Cunninghams, mit einem länglichen Paket, das er feierlich auf dem Schreibtisch seines Chefs niederlegte. „Soeben mit Sonderflugzeug aus Nowo-Urumtsi eingetroffen, Gentlemen“, erklärte er wichtig. „Für Kommodore Parker persönlich.“ Jim Parker löste die Verschnürungen und die Umhüllung. Zum Vorschein kam ein Banner aus Goldbrokat mit einem fackelschwingenden Panther im mittleren Feld. „Hilfe – die Hyäne mit dem blutigen Knochen!“ rief Fritz Wernicke in komischem Entsetzen. „Darauf schnell einen doppelten Whisky!“ „Die Standarte des Diktators“, sagte der Kommodore erstaunt. „Und hier eine Widmung von der Hand Professor Tarims: ‚Unseren Rettern, Kommodore Parker und seinen tapferen Kameraden vom S.A.T., in Dankbarkeit gewidmet.’“ – Ende –
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Sie fragen – UTOPIA antwortet UTOPIA-BRIEFKASTEN Liebe UTOPIA-Freunde! Heute wollen wir wieder einige Leserzuschriften beantworten. Heinrich T. in Eckernförde: Sie meinen Helium, ein Edelgas, das zuerst auf der Sonne festgestellt wurde und auf der Erde in gashaltigen Quellen vorkommt. Da es unverbrennbar ist, wurde es früher zur Füllung von Luftschiffen verwendet. Den Strahlenkranz der Sonne nennt man Korona; er ist nur bei totalen Sonnenfinsternissen sichtbar. Eberhard v. M. in Kassel: Der amerikanische Raketenforscher Robert Hutchins Goddard (1882–1945) hat sich durchaus nicht nur mit Pulverraketen, sondern ab 1920 nur mit flüssigen Treibstoffen befaßt. Der Ozeanflieger Oberst Lindbergh war nicht sein Mitarbeiter, setzte sich allerdings für seine Versuche ein. Karl F. in Flensburg-Weiche: Die Ionosphäre ist die höchste Schicht der Erdatmosphäre, oberhalb 70 Kilometer, in der ein Teil der Atome bereits ionisiert ist, d. h. einige Elektronen verloren hat. In der Ionosphäre treten u. a. die Nordlichter auf. Schreiben Sie bitte an den Pabel-Verlag, Rastatt (Baden), unter dem Kennwort: UTOPIA-Briefkasten. Wir geben Ihnen gern Auskunft. Freundliche Grüße! Ihre UTOPIA-Schriftleitung.
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Ein einmaliges Himmelswunder: Saturn, der Ringplanet In fast anderthalb Milliarden Kilometer Entfernung, dem 9½fachen Abstand Sonne – Erde, zieht Saturn, der Zweitgrößte unter den Planeten, seine Bahn durch die Fernen des Raumes. Er erscheint uns als heller Stern am Himmel; seine mittlere Helligkeit gleicht der des Atair, des Hauptsterns im Adler. Aber sein ruhiges Licht hebt ihn schon auf den ersten Blick aus der Unzahl der flimmernden Fixsterne heraus. Saturn ähnelt in vieler Hinsicht seinem „großen Bruder“ Jupiter, dem Riesen im Sonnensystem. Er übertrifft die Erde an Rauminhalt 860mal, an Masse jedoch nur 95mal. Seine mittlere Dichte beträgt nur knapp ein Achtel der irdischen, und die Schwerkraft an der Planetenoberfläche ist nur um Bruchteile größer, als die uns bekannte und gewohnte Schwere auf der Erde. Infolge seiner überaus schnellen Achsendrehung ist Saturn an den Polen stark abgeplattet. Um 11 600 km ist seine Polarachse kürzer als die Äquatorachse. So kommt es auf dem Planeten zu erheblichen Gewichtsunterschieden: Alle Gegenstände wiegen am Äquator sehr viel leichter als an den Polen des Saturn. Im Fernrohr bietet uns Saturn ein überraschendes und überaus reizvolles Bild: Eine Kugel, die von einem hellen Ring umgeben ist. Es gibt unter allen Wundern des unermeßlichen Himmels kein zweites dieser Art! Als die Astronomen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihre ersten, primitiven Fernrohre auf den Saturn richteten, konnten sie die wahre Gestalt des Ringes noch nicht erkennen. Sie stellten den Planeten als dreifachen Stern oder als Kugel mit zwei Henkeln dar. Galilei schrieb 1610 an Kepler: „Den obersten Planeten habe ich dreigeteilt beobachtet.“ Erst ein halbes Jahrhundert später fand der holländische Physiker Huygens die richtige Erklärung. Er schrieb 1657: „Von einem 86
Ring wird er umgürtet, der dünn und eben ist und nirgends (mit dem Planeten) zusammenhängt …“ Je nach der Blickrichtung von der Erde aus, erscheint uns der Saturnring mehr oder weniger weit geöffnet. Wenn die Erde in der Ebene des Ringes steht, und wir genau auf seine Kante blicken, sehen wir ihn überhaupt nicht, bzw. nur als dünnen Strich. Im Jahre 1966 wird dieser Fall wieder eintreten. Ein unvorstellbar flaches Gebilde ist dieser rätselhafte Ring. Sein gesamter äußerer Durchmesser beträgt 277 600 km, seine Breite ungefähr 25 000 km; aber bei diesen gewaltigen Dimensionen ist er kaum dicker als 15 Kilometer. Bereits im Jahre 1675 entdeckte der Italiener Cassini die nach ihm benannte, dunkle Teilung, die den äußeren Ring von dem helleren Innenring trennt. Und 1838 fand der deutsche Astronom Galle innerhalb dieser beiden noch einen dritten, dunkleren Ring, der „Florring“ genannt wird, weil er durchsichtig ist, und man die Saturnoberfläche durch ihn hindurch wahrnehmen kann. Ursprünglich nahm man an, der Ring umschwebe den Planeten als ein zusammenhängender, fester Körper. Laplace wies nach, daß dies unmöglich sei; längst hätte der Ring den Störungen durch die Massen der Saturnmonde zum Opfer fallen müssen. Auch die Annahme, der Ring bestehe aus flüssiger Materie, erwies sich als falsch. Heute wissen wir, daß die Ringe aus einer Unzahl einzelner Teilchen bestehen – aus Meteorsteinen und kosmischem Staub. Schon Cassini hatte etwas Ähnliches vermutet, aber der Beweis wurde erst im Jahre 1895 erbracht, und zwar mit den Mitteln der Spektroskopie. Die Staubteilchen umkreisen den Planeten um so schneller, je näher sie ihm sind. Die Oberfläche des Planeten selbst kennen wir nicht. Eine dichte Atmosphäre verwehrt uns den Blick in die Tiefe. Helle und dunklere Wolkenstreifen, parallel zum Äquator gelagert, zeigen sich in ihr. Sie befinden sich in ständiger, rascher Umbildung. Daneben treten helle, ebenfalls schnell veränderliche, Flecke auf. Es muß recht lebhaft zugehen in dieser Atmosphäre, die aus den 87
giftigen Gasen Methan (= „Sumpfgas“) und Ammoniak (= „Salmiakgeist“) zusammengesetzt ist. Temperaturmessungen haben für Saturn den höchst unbehaglichen Wert von ca. minus 180 Grad Celsius ergeben. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, daß wir – von der Erde aus – bei solchen Messungen nur die höchsten Schichten der Saturnatmosphäre erfassen können – dort, wo ihre letzten Ausläufer in den leeren Weltraum übergehen. Zweifellos herrschen an der Oberfläche des Planeten wesentlich höhere Temperaturen. Ja, man nimmt an, daß sie zum Teil noch glühend-flüssig sei. Gäbe es Bewohner in dieser lebensfeindlichen Welt, so hätten sie es mit merkwürdigen Verhältnissen zu tun. Nur 10 Stunden, 15 Minuten würde die Tageslänge für sie betragen, dagegen wäre ihr Jahr so lang wie 29 ½ Erdenjahre. Das Licht der Sonne, das nur knapp 8 ½ Minuten bis zu unserer Erde braucht, erreicht den fernen Saturn erst nach 1 Stunde und 27 Minuten. Nur eine matte Dämmerung würde den Tag des Saturn erhellen. 91mal schwächer als auf der Erde sind Licht und Wärme der Sonne auf dem Ringplaneten .. Außer dem prächtigen Ring umkreisen noch zehn Monde den Saturn. Phoebe, der entfernteste von ihnen, erst 1898 entdeckt, läuft in 13 Millionen Kilometer Abstand um den Planeten und braucht zu einem Umlauf nicht weniger als 550 Tage. Alle anderthalb Erdenjahre würde er also einmal als Vollmond am Saturnhimmel stehen. Der größte und hellste Mond, Titan, wurde schon 1655 von Huygens entdeckt. Er hat die doppelten Masse unseres Erdmondes und reicht mit seinen 4370 km Durchmesser schon nahezu an den Planeten Merkur heran. Titan erlangte in neuerer Zeit besondere Berühmtheit: Es ist der erste Fall, daß auf einem Mond einwandfrei eine Atmosphäre beobachtet werden konnte. Sie besteht aus Methan, demselben Gas, das auch in der Lufthülle des Planeten selbst eine große Rolle spielt.
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All die Fragen der Atomphysik, Raketentechnik, Weltraumschiffahrt und Weltstationen behandelt im Rahmen einer spannungsgeladenen, Handlung
UTOPIA Jim Parker Abenteuer im Weltraum Die für Deutschland ganz neue Zukunftsserie erscheint 14-tägig und ist überall im Zeitschriftenhandel oder direkt durch den Verlag Erich Pabel, Rastatt/Baden, erhältlich. Bisher sind 16 UTOPIA-Bände erschienen, die noch alle lieferbar sind.
* Band 1: Strafkolonie Mond Das „Staatliche Atom-Territorium“ läßt die gefährlichen, bei der Gewinnung von Atomenergie anfallenden radioaktiven Nebenprodukte auf Anraten des Raumschiffkommodore Jim Parker nach dem Mond verfrachten. Die „Gelbe Union“ versucht, die Anlagen des S.A.T. auf dem Mond zu vernichten. Band 2: Die Macht des Unheimlichen Alarm und Schrecken in der Atomstadt. Die „Gelbe Union“ hat ihren Großangriff eröffnet. Eine geheimnisvolle, lenkbare Raumstation erscheint über Orion-City. Jim Parker wird als Geisel entführt. Man droht, ihn zu ermorden, falls Orion-City nicht seine geheimen Forschungsanlagen ausliefert.
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Band 3: Panik im Weltall Ein interplanetarisches Verkehrunternehmen rüstet in Detroit zur ersten „Vergnügungsfahrt“ in den Weltraum. Mit dreißig dollarschweren, abenteuerlustigen Passagieren an Bord startet das Raumschiff „Globetrotter“ zu einer „Spritztour ins Weltall“. Eine Reihe dramatischer Zwischenfälle bringt Raumschiff und Fahrgäste in eine äußerst gefährliche Situation. Band 4: Auf dem künstlichen Mond Jenseits der Grenzen der irdischen Atmosphäre entsteht eine kosmische Außenstation. Jim Parker und seine Männer müssen nicht nur mit den technischen Schwierigkeiten fertig werden, sondern sie haben es darüber hinaus mit geheimnisvollen Gegnern zu tun, die den künstlichen Mond in den Dienst zerstörerischer Pläne stellen wollen. Band 5: Kurierflug nach Orion-City Tim Wendler soll als Kurier die geheimen Forschungsergebnisse des mexikanischen Alomphysikers, Professor Varras, von der „Varras-Insel“ im Südatlantik nach der „Atomstadt“ OrionCity schaffen. Als er zusammen mit Iris Varras, der Tochter des Gelehrten, in seiner Kuriermaschine startet, ahnt er noch nichts von den verhängnisvollen Abenteuern, die auf ihn warten, und von dem schweren Verdacht, in den er geraten soll. Band 6: Kameraden zwischen Erde und Venus In ihm rüstet das Staatliche Atom-Territorium zur ersten Fernexpedition zu unserem Nachbarplaneten Venus. Unter Kommo90
dore Jim Parker startet das modernste Weltraumschiff von der künstlichen Raumstation aus zu seiner abenteuerlichen Fahrt, die von der gesamten Menschheit mit Spannung verfolgt wird. Band 7: Kampf um den Vulkan Ein großes technisches Projekt – die Gewinnung von Energie aus dem heißen Inneren der Erde – soll verwirklicht werden. In Mexiko, dem Land der Vulkane, begibt sich der junge Geologe Harry Hilton an die Arbeit. Jim Parker, der Raumschiffkommodore, und sein treuer Gefährte Fritz Wernicke stürzen bei der Erprobung eines neuen Raketenflugzeugtyps über Mexiko ab und stoßen ebenfalls zu Hiltons Expedition. Die Männer haben eine Kette aufregender Abenteuer zu bestehen. Band 8: Das lautlose Grauen Im Gebiet der gigantischen Werkanlagen, die das „Staatliche Atom-Territorium“ der USA auf der Suche nach Uranerzen auf der Rückseite des Mondes angelegt hat, dreht eine Filmgesellschaft Außenaufnahmen für einen Raumfahrtfilm. Durch Bohrungen in einer neuen Schachtanlage aufgeschreckt, verlassen Schlangen unbekannter Art, die in unerforschten Höhlen unter der Mondoberfläche hausen, ihre Schlupfwinkel und überfluten in großer Zahl das Werkgebiet von „Luna IV“. Band 9: Flucht vor dem Kometen Aus den Tiefen des Weltalls nähert sich ein mächtiger Komet. Die Astronomen rechnen aus, daß er die Erdbahn kreuzen und mit der Erde zusammenstoßen wird. Falsche Propheten kündigen bereits den Weltuntergang an. Der gewaltige Schweifstern 91
kann zwar der Erde nichts anhaben, da sie durch ihren dichten Luftmantel geschützt ist, aber der kosmischen Außenstation und den Anlagen auf dem Mond droht Vernichtung durch einen Hagel von Meteorsteinen aus dem Kometenkopf. Band 10: Abenteuer in Alaska Ein gewaltiger Meteorstein stürzt vom Himmel herab und schlägt in eine Hügelkette im Inneren von Alaska ein. Aus dem Einsturzkrater dringt eine unbekannte radioaktive Strahlung hervor, die sich über das Land ausbreitet und die Bewohner in höchste Gefahr bringt. Während skrupellose Gangster versuchen, die strahlende Materie zur Verwirklichung egoistischer Machtpläne in ihre Hand zu bekommen, setzt Jim Parker mit seinen Gefährten das Leben ein, um die geheimnisvolle Strahlung unschädlich zu machen und die furchtbare Gefahr zu bannen. Band 11: Wettflug zum Abendstern Das Staatliche Atom-Territorium der USA entsendet eine Raumschiffexpedition unter Kommodore Parker zum Planeten Venus, um Bodenschätze auszubeuten und die Möglichkeit einer Besiedlung des Planeten zu erkunden. Vor dem Start von der kosmischen Außenstation wird jedoch bekannt, daß ein Konkurrenzunternehmen ebenfalls zwei Raumschiffe auf die Reise geschickt hat, um den Plänen des S.A.T. zuvorzukommen und Besitz von dem Planeten zu ergreifen. Kommodore Parker versucht den Vorsprung der anderen einzuholen. Es kommt zu einem rasenden Wettflug durch 40 Millionen Kilometer Nichts, auf dem Jim Parker mit seinen Gefährten die aufregendsten Abenteuer zu bestehen hat. 92
Band 12: In den Dschungeln der Venus Die Raumschiffexpeditionen des Staatlichen Atom-Territoriums der USA und der Australian Industrial Company sind gleichzeitig auf Venus gelandet. Getrennt begeben sie sich an die Erforschung der feindlichen, unbekannten Welt des Planeten. Vor den Forschern und Wissenschaftlern eröffnen sich die Geheimnisse einer Umwelt, wie sie vor Jahrmillionen auch auf der Erde geherrscht hat. Im Augenblick größter Gefahr finden sich die Expeditionen der beiden rivalisierenden Mächtegruppen unwillkürlich zusammen. Band 13: Entscheidung in Sydney Nach seiner Rückkehr von der großen Venus-Expedition fliegt Kommodore Parker nach Australien, um an den Verhandlungen des Staatlichen Atom-Territoriums der USA mit der Australian Industrial Company teilzunehmen. Es geht um die Besiedlung und Erschließung des fernen Planeten, auf dessen Besitz beide Mächtegruppen Anspruch erheben. In Sydney und in den Raketenwerken in der großen Sandwüste wird Jim Parker mit seinen Gefährten in eine Kette rätselhafter Anschläge und aufregender Abenteuer verwickelt. Wird es ihnen gelingen, alle Gefahren zu besiegen, um eine Einigung zwischen den rivalisierenden Gruppen herbeiführen zu können? Band 14: Siedler auf fremdem Stern Mit dem rasend schnellen Anwachsen der Menschheit drohen der Erde ständig Gefahren durch Übervölkerung. Auf der Suche nach neuem Lebensraum beschließt das Staatliche Atom93
Territorium der USA, auf dem Planeten Venus Land urbar zu machen. Kommodore Jim Parker geleitet den ersten Transport freiwilliger Siedler in zwei Raumschiffen zum Nachbarplaneten der Erde. Nach menschlichem Ermessen sind alle Vorkehrungen für ein Gelingen des kühnen Plans getroffen worden – aber das ganze Unternehmen gerät in höchste Gefahr, als nach der Landung auf der Venus Gold entdeckt wird. Band 15.: Das Rennen der Raketenfahrer An der Küste von Florida rüstet man zum ersten Raketenautorennen der Welt. Der junge Raketenwagen-Konstrukteur Dieter Helling, der auch ein Raketentriebwerk für Unterwasserfahrten erfunden hat, wird mitten aus den Vorbereitungen heraus auf geheimnisvolle Weise entführt. Seine Freunde Jim Parker und Fritz Wernicke setzen ihr Leben ein, um ihn selbst und seine Erfindung zu retten und seinem Wagen bei dem größten Rennen, das die Menschheit je erlebte, zum Siege zu verhelfen. Band 16: Planetoid Luzifer Eine Flotte von zwölf mächtigen Planetenschiffen startet zur Venus, um Kolonisten in ihre neue Heimat zu befördern. Unterwegs im Weltraum erleidet eines von ihnen eine schwere Havarie und muß auf einem Planetoiden notlanden. Unbekannte Krankheitserreger, die auf dem kleinen Planeten gefunden werden, rufen eine Seuche unter den Passagieren hervor. Die Rückkehr zur Erde wird unmöglich. In einem rasenden Wettlauf zwischen dem neuesten Raumschiff „Meteor“ und dem Planetoiden, der sich den vernichtenden Strahlen der Sonne nähert, versucht Kommodore Jim Parker, den Bedrohten Rettung zu bringen. 94
Lesen Sie im nächsten (18.) UTOPIA -Band: Im Norden des Schwarzen Erdteils wird ein gigantisches Projekt vorbereitet: Durch künstliche Bewässerung der Wüste Sahara soll neues Kulturland für die Menschheit erschlossen werden. Während jedoch die ersten Versuchsbohrungen in Nordafrika ausgeführt werden, ereignen sich eine Reihe geheimnisvoller Attentate. Ihre Spur weist nach einem Laboratorium des Mondwerks „Luna IV“, in dem an der Erprobung eines gefährlichen Giftstoffes gearbeitet wird. Jim Parker schaltet sich ein, um die Hintergründe der rätselhaften Verbrechen aufzuklären. Sollten Sie die vorhergehenden UTOPIA-Bände 1 bis 16 bei Ihrem Zeitschriftenhändler nicht mehr erhalten, dann wenden Sie sich bitte direkt an den Verlag Erich Pabel, Rastatt (Baden). Senden Sie dabei den Geldbetrag (je Band 50 Pfg.) auf das Postscheckkonto Karlsruhe 224 46 ein. Aber hierbei nicht vergessen, die gewünschten Nummern auf der Rückseite des linken Zahlkartenabschnittes anzugeben. Auch können Sie den Geldbetrag in bar sofort Ihrer Bestellung beifügen.
Auf dem Wege zur Weltraumfahrt 17) Erstes Reiseziel: Der Mond Mit seiner mittleren Entfernung von nur 384 000 km von der Erde dürfte der Mond das erste Ziel einer Weltraumexpedition sein. Wegen seiner großen Nähe ist er uns seit langem verhältnismäßig gut bekannt, sowohl hinsichtlich seiner astronomischen Merkmale wie seiner physikalischen Oberflächenbeschaffenheit. Der Durchmesser unseres Trabanten beträgt 3 476 km, sein Rauminhalt mißt rund ein Fünfzigstel des Erdvolumens, seine Masse beträgt jedoch nur ein Einundachtzigstel der irdischen. Mit rund 1 km Sekundengeschwindigkeit – einer sehr geringen Geschwindigkeit im kosmischen Maßstab – durcheilt er seine Bahn, die ihn in 27,3 Tagen einmal um die Erde führt. In der gleichen Zeit dreht sich der Mond auch einmal um seine Achse. Eine graue, tote Welt aus vulkanischem Gestein – mit riesigen, erstarrten Tiefebenen und schroffen Gebirgen – das ist das Bild, das uns die Mondoberfläche im Fernrohr bietet. Breite Risse durchziehen den Mondboden; man kennt etwa 350 solcher „Rillen“. Die Berge haben meist Ringform („Mondkrater“). Etwa 33 000 große und kleine Krater sind auf den besten Mondkarten verzeichnet. Bis zu Höhen von 10 000 Meter und mehr ragen die Gebirge über den Mondboden empor. Den Raumfahrer würden merkwürdige Verhältnisse auf unserem Trabanten erwarten. Luft und Wasser fehlen praktisch völlig. Es gibt keine Dämmerung, keinen Übergang zwischen
schwärzestem Schatten und gleißendem Sonnenlicht. Am tiefschwarzen Himmel stehen Sonne und Erdkugel zwischen der Unzahl der Fixsterne. Infolge seiner geringen Masse ist auch die Anziehung auf dem Mond sechsmal geringer als bei uns auf der Erde. Die Raumfahrer würden dort mühelos Hoch- und Weitsprünge vollführen können, die alle irdischen Rekordleistungen hinter sich ließen. Erstmalig würde dann auch ein menschliches Auge die Rückseite des Mondes erschauen, die unserem Blick von der Erde aus für immer verborgen ist. (Fortsetzung folgt)
Verlag und Druck: Erich Pabel, Rastatt in Baden, 1954 – Scan by Brrazo 08/2010 (Mitglied des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger e. V.) Die Bände dieser Serie dürfen nicht in Leihbüchereien verliehen, in Lesezirkeln nicht geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden.