KLEINE
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DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND KU LT U R K U N D L I C H E HEFTE
KARLHEINZ
DOBSKY
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND KU LT U R K U N D L I C H E HEFTE
KARLHEINZ
DOBSKY
AUSTRALIEN DER.FÜNFTE
VERLAG
ERDTEIL
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K - B A S E L
TRAUMZEIT Schattenhaft huschen dunkle Gestalten um die lodernde Flamme, die emporzüngelt zum samtschwarzen Nachthimmel. Durch die vor Hitze zitternde Luft dringt monoton ein mit hoher Kehlkopfstimme vorgetragener Chorgesang; der trockene Erdboden dröhnt vom Stampfen nackter Füße, vom rhythmischen Zusammenschlagen der Bumerangs, Klangstäbe und Schilde, und aus der Laubkulisse des Buschwerks, der mächtigen Eukalyptusbäume weht der unirdische Singsang des Didscheridu, des zwei Meter langen Klangholzes, durch dessen Höhlungen der Wind wie in einer Flöte schwingt. Von den Baumwipfeln kommt ein spöttisches, gespenstisch menschenähnliches Gelächter — der in seiner Nachtruhe aufgestörte Lachvogel flattert durchs dunkle Geäst, in dem das bunte Gefieder der Papageien juwelenhaft gleißt. Das Lagerfeuer spiegelt sich in der unbewegten Fläche des Billabongs, des Wasserlochs, um dessen Steilrand die schokoladebraunen, bis auf einen Lendenschurz völlig nackten Menschen hocken — Menschen von furchterregender Häßlichkeit, mit platten Negernasen und strohigem Kraushaar, mit von Runzeln und Falten zerfurchten Gesichtern, in denen wie schwarze Gestirne ein dunkles Augenpaar strahlt. Ein stickiger Brodem von ranzigem Fett und fauligem Fischgeruch verpestet die Luft: Die Leiber sind mit Känguruhfett und Fischöl eingerieben, zu Ehren des Corroborees, des kultischen Tanzfestes, das nun seinen Anfang nimmt. In einer kreisrunden Doppelreihe bewegen sich die Tänzer um ihre Stammesgenossen, die schweißtriefenden Körper sind mit gezackten Ornamenten, mit weißen Kreidelinien und kreisenden Tupfen von gelbrotem Ocker verziert. Einige der Tänzer — nur Männer nehmen an diesem Fest teil — tragen einen meterhohen Kopfputz aus Grasbüscheln und Blättern, andere verbergen ihr Antlitz 2
hinter grotesken Masken, während die Körper der Vortänzer mit riesigen Flocken von Schafwolle bedeckt sind, angeklebt mit dem warmen Blut eines frischgeschlachteten Känguruhs. Mit markerschütterndem Geschrei, mit wilden Körperverrenkungen leiten die Vortänzer jede neue Tanzphase ein — den Schildkrötentanz, mit dem die überirdischen Mächte um viele Schildkröten zur täglichen Nahrung gebeten werden, den Honigwabentanz, der die begehrte Süßigkeit der Bienenwaben herbeizaubern soll, und den Känguruhtanz, der viele nahrhafte Känguruhs auf die Jagdfährte der Männer lockt. Vierzehn Tage und vierzehn Nächte dauert das Fest; wenn ein Tänzer erschöpft zu Boden sinkt, tritt sofort ein anderer an seine Stelle. Wenn das Feuer zu erlöschen droht, wirbelt der Feueranzünder seinen Feuerstock mit rasender Geschwindigkeit durch das zundertrockene Holz, bis die ersten Funken sprühen und die trockenen Grasbündel, das fahle Laub und die aufgeschichteten Mimosenzweige wieder in Brand setzen. Mit ehrfürchtigem Dank wird das neuerwachte Feuer begrüßt, die kostbare Morgengabe der Menschheitsdämmerung. Hat uns denn ein machtvoller Urwaldzauber zurückgeführt in die Steinzeit . . .? Aber nein — was da sich glänzend durchs Grasdickicht windet, sind nicht gefährliche Giftschlangen, sondern die Aufnahmekabel der Kulturfilmgesellschaft, und die goldfunkelnde Halbkugel, vor der die Vortänzer sich mit beschwörenden Gesten und schrillem Gesang bewegen, ist kein geheimnisvoller. Kultgegenstand, sondern ein Mikrophon, mit dessen Hilfe uns Tonfilm und Schallplatten den barbarischen Festlärm der Ureinwohner Australiens überliefern. Wir sind in Arnhem-Land, einem 30 000 Quadratkilometer umfassenden Gebiet an der tropischen australischen Nordküste, das von der Regierung zur „Aboriginal Reservation", also zu einem Schutzgebiet für die Eingeborenen erklärt worden ist und von Weißen nur mit einer staatlichen Sondererlaubnis betreten werden darf; ein riesiger „Naturschutzpark" für die aussterbenden „letzten Wilden" der Erde. Ähnliche Reservate hat man auch im Osten und Süden des fünften Erdteils für die „Abos" (Aboriginals-Ureinwohner) eingerichtet, die hier unter der behutsamen Vormundschaft der staatlichen Behörden ihre Tage verbringen können, wie sie es seit Jahrtausenden gewohnt sind. Man vermutet, daß in grauer Vorzeit, vor Jahrmillionen, Asien und Australien durch eine „lemurische" Landbrücke verbunden waren, durch den sagenhaften Erdteil „Gondwana", der im Verlauf einer gewaltigen Erdumwälzung zerbrach und bis auf einige stehengebliebene Inselpfeiler versunken ist. Über diese Landbrücke sollen
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einst von Südostasien her primitive Völkerstämme als Jäger und Sammler in das jetzige Australien eingewandert sein, das nach dem Untergang der Landbrücke eine für lange Zeit ins Reich der Mythen und Sagen verwiesene Insel wurde, ein natürliches Schutzgebiet für vielerlei Sonderlinge, die Gottes Schöpferlaune in Gestalt von Menschen, Tieren und Pflanzen erfand. Hier konnten sich auch die „Beuteltiere", von denen das bekannteste das drollige Känguruh ist und die einst .— lange vor dem Auftreten des Menschen — über die ganze Erde verbreitet waren, in großer Anzahl und in den verschiedenartigsten Gestalten bis in unsere Zeit erhalten. Mit ihnen verblieben auch die australischen Ureinwanderer in „gesicherter Verbannung", abgeschnitten von der Menschheitsentwicklung und befangen in einer magischen Urreiigion, in der es von Geheimbünden und bösen Geistern wimmelt. „Traumzeit" — so nennt der Uraustralier den Himmel, und „Traumgeist" heißt, für ihn die Seele, die nach seinem Glauben nicht nur Menschen, Tiere und Pflanzen, sondern auch jeder Stein, jede Erdkrume besitzen. Nach der Auffassung der „Abos" kommt der Mensch aus der Traumzeit, dem Himmel, für ein kurzes Dasein auf die Erde und kehrt danach in die Traumzeit zurück. Jeder Mensch stammt von Tieren ab, von seinem eigenen, ganz bestimmten Totemtier, und nach dem Tode nimmt er eine weiße Hautfarbe an. Die 1950 verstorbene britische Forscherin Daisy Bates, die 45 Jahre unter australischen Abos lebte und schließlich über zweihundert Eingeborenendialekte beherrschte, berichtete von einer alten Abofrau namens Delyungur, die in dem britischen Gouverneur, Sir George Grey, ihren längst verstorbenen Sohn wiederzuerkennen glaubte. Sie weinte unaufhörlich, weil sie ihn nicht einmal persönlich sehen und berühren durfte, und als man dies dem Gouverneur mitteilte, bestimmte er einen Tag, an dem sämtliche Eingeborenen des Distrikts zusammenkommen sollten. Durch die Gasse der ergriffenen Zuschauer führte man die weinende Frau dem Gouverneur entgegen, der sie freundlich begiüßte. Sie umarmte ihn und rief unter Freudentränen: „Boondoo, boondoo, bala ngan-Ya Kooling" (Wahr, wahr — es ist mein lieber Sohn). Die arme, verirrte Seele hatte ihren Frieden wiedergefunden, und der Gouverneur, der sich mit der Umarmung der alten Frau nichts von seiner Würde vergeben hatte, konnte die kleine Episode als beachtlichen psychologischen Erfolg kluger britischer Kolonialpolitik buchen. Da jede schriftliche Oberlieferung fehlt, ist uns das „Kunstschaffen" der Abos der einzige Schlüssel zur Erschließung ihrer religiö4
sen Vorstellungswelt und ihrer Entwicklung, die anscheinend schon vor vielen tausend Jahren zum Stillstand gekommen ist. Erst in unseren Tagen ist die Australoidenkunst — vor allem dank den Bemühungen des deutschen Forscherehepaars Andreas und Katharina Lommel — zum Gegenstand ernster wissenschaftlicher Forschung geworden, die schon höchst aufschlußreiche Ergebnisse erzielt hat. Bereits im Jahre 1907 erklärte der deutsche Forscher Klaatsch, der viele Jahre in Australien verbracht hatte: „Für alle geistigen und seelischen Probleme der Menschheit liefert das Studium der Uraustralier den Schlüssel der genetisdien (entwicklungsgeschichtlichen) Erkenntnis .. .", und auf dem Wege zur Erkentnis sind wir seitdem ein gutes Stück vorangekommen, ohne jedoch das Ziel auch nur annähernd erreicht zu haben. Neben den Forschungsarbeiten der Lommels verdienen die Expeditionen von Charles P. Mountford besonders hervorgehoben zu werden; sie führten zur Entdeckung guterhaltener Abo-Malereien in Arnhem-Land und zum Nachweis, daß sich die Australoidenkunst etwa 12 000 Jahre zurückverfolgen läßt, ohne daß man von einer „Stilentwicklung" im Sinne der großen Weltkulturen sprechen kann. Im Gegenteil — die Abo-Maler in Arnhem-Land schaffen noch heute die gleichen Gebilde wie ihre Urahnen. Sie benutzen auch die gleichen Materialien und Farben: natürlichen roten, gelben und braunen Ocker,
Nordaustralische Eingeborenen-Malereien im „Röntgenstil", der Tierund Menschengestalten gleichsam „durchsichtig" darstellt. 5
Holzkohle, Kreide und Ton. Blau wird ganz selten, Grün niemals verwendet. Die Farben werden in einem Steinmörser oder in einer Muschel angerührt und mit Wasser, Orchideensaft oder Tierfett vermischt. Als Pinsel dienen Zweige oder Vogclfedern, als Malgrund Baumrinde und Höhlenwände. Die Darstellungen selbst haben, auch wenn es sich um Tiere, Pflanzen oder Ornamente handelt, fast immer auch religiöse Bedeutungen, die uns freilich verschlossen bleiben. Man hat vor kurzem einmal versucht, einen Abo zum „Schau-Malen" in aller Öffentlichkeit zu verlocken — ein Experiment, das kläglich mißlang und doch verblüffende Einsichten bot: Der „Wilde" malte zwar in Erwartung des versprochenen Lohnes — Süßigkeiten und Tabak — gehorsam ein „Bild" auf Baumrinde, aber er ließ sehr wesentliche Bestandteile der originalen Australoidenkunst einfach weg, in der Hoffnung, daß die Weißen es „ja doch nicht merken" würden und aus Furcht vor der Rache der Geister, die es verbieten, letzte religiöse Geheimnisse an Fremde zu verraten. Diese letzten Geheimnisse werden uns also wohl immer verborgen bleiben, wenn wir auch inzwischen erfahren haben, welch große Rolle Magie und Traum in der Gedankenwelt der Abos spielen — einer Gedankenwelt, die sie befähigt, auch „abstrakte" Darstellungen zu schaffen. So wird zum Beispiel ein Känguruh manchmal nicht naturalistisch, sondern nur durch Pfoten- und Schwanzabdrücke dargestellt, auch Fußabdrücke von Menschen und Tieren werden zu „Bildern" verarbeitet, ein Beweis für die in Jahrtausenden zur Meisterschaft entwickelte Fähigkeit im „Spurenlesen". Ein Kookaburra — der Lachvogel, der wie ein Mensch lachen kann — wird entweder in seiner Vogelgestalt dargestellt oder durch, eine Reihe kleiner Pünktchen, die sein Gekicher auf verblüffend eindrucksvolle Weise „sichtbar machen"; und wenn bei einem gemalten Menschengesicht der Mund fehlt, so ist das keine willkürliche Weglassung, sondern bedeutet, daß es sich um einen „Geist" handelt. (Siehe die Kopfleiste Seite 2!) Wir haben es also nicht mit einem individuellen" Kunstschaffen zu tun, sondern mit strengen Überlieferungen und Gesetzen unterworfenen Gestaltungen, wie sie uns in Europa etwa von der Byzantinischen Kunstepoche vertraut sind. Eine bemerkenswerte Sonderleistung der Abo-Kunst ist die — nur im nordaustralischen Arnhem-Land zu findende — „Röntgenmalerei": Fische, Känguruhs und Schildkröten werden manchmal mit allen Eingeweiden, mit Knochengerüst oder Gräten gleichsam mit „Röntgenaugen" gesehen und dargestellt, oft mit großem anatomischen Verständnis. 6
Die Uraustralier kannten weder gezähmte Tiere noch den Ackerbau; Metalltechnik, Töpferei und Waffentechnik blieben den nomadisierenden Jägern und Sammlern ebenso fremd wie der Hausbau: sie suchten Schutz in Höhlen und Laubhütten. Pfeil und Bogen wurden — wahrscheinlich durch malayische Vermittlung — nur den Nordstämmen bekannt, während die übrigen Stämme zum Erlegen des Wildes meist den Jagdspeer benutzten, und das in ganz Australien verbreitete Wurfgerät — den Bumerang. In dem Eingeborenenreservat Laperouse bei Sydney, das im Gegensatz zu Arnhem-Land der Öffentlichkeit zugänglich ist, kann man heute die Meisterschaft der Abos im Bumerangwerfen gegen geringes „Eintrittsgeld" bewundern, und wenige Besucher Sydneys lassen sich diese Sensation entgehen. Mit Fotoapparaten und Filmkameras halten die Touristen die erstaunliche Kunstfertigkeit der eingeborenen Bumerangwerfer fest, die ihr Wurfholz so geschickt zu schleudern verstehen, daß es nach einem Flug von über 100 Metern wieder zu ihren Füßen landet. Es sieht sehr leicht und mühelos aus — aber wer es nachzumachen versucht, wird vergeblich auf die Rückkehr seines Bumerangs warten. Die Abos benutzen das Wurfholz in einer gewichtigen Ausführung für den Nahkampf und für die Jagd, in leichterer Ausführung als Wurfgerät, mit dem sie die Känguruhs so betäuben, daß sie leicht eingegangen werden können. Auch Wildenten und andere Vögel werden mit dem Bumerang erlegt. In jüngster Zeit ist das uralte Wurfgerät auch ein bei den „Weißen" sehr beliebtes Sportgerät geworden; und die Abos im Reservat von Laperouse haben aus der Massenanfertigung von Bumerangs ein regelrechtes Gewerbe gemacht. Man kann dort Bumerangs in allen Größen und Ausführungen kaufen, in der meist vergeblichen Hoffnung, es mit eifrigem Training doch selbst einmal zum Meisterwerfer zu bringen. Die Monatsproduktion von Bumerangs in Laperouse ist inzwischen bereits auf zweitausend Stück angestiegen und regelmäßig ausverkauft; man kann Bumerangs schon am Flughafen von Sydney erwerben, für — umgerechnet — zehn Mark das Stück . . . Ebenso alt wie der Bumerang ist das Wumera, ein Gerät zum Abwerfen von Speeren; und gleichnishaft für die enge Verbindung von Ältestem und Neuestem, von Steinzeit und Atomzeitalter auf dem australischen Kontinent mutet es an, daß die Abschußbasis für strategische Langstreckenraketen in der australischen Wüste — Wumera heißt. Es gibt noch etwa 20 000 reinrassige australische „Ureinwohner" und etwa 50 000 Mischlinge. Nicht alle Abos leben in den Reser-
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vaten; viele von ihnen arbeiten im Dienste der Weißen auf Farmen und Schlachthöfen und unterscheiden sich in Kleidung und Auftreten kaum von amerikanischen Negern. Nur an Sonn- und Feiertagen zeigt man sich gern in der alten Kriegsbemalung, führt — als Fremden-Attraktion — die Corroborees auf oder läßt sich als Bumerangwerfer bewundern. Wie in Urzeiten sind die Abos auch heute noch ausgezeichnete Spurensucher und werden deshalb oft und erfolgreich von den Polizeibehörden bei der Fahndung nach Verbrechern oder bei der Suche nach in Wüste und Busch Verschollenen eingesetzt. Einige kleinere Stamm,, von Ureinwohnern aber haben sich weder zum Kontakt mit den Weißen noch zum überwachten Dasein in den Reservaten bereitgefunden; sie führen noch heute eine Nomadenexistenz wie ihre Vorfahren, anspruchslos, scheu und mit wachen Instinkten für die Gefahren der unberührten Natur. Sie achten nicht der über sie hlnwegdröhnenden Düsenflugzeuge — ihr Lauschen gilt den Stimmen von Geistern und Dämonen, denen ihre Traumseele gehorcht, bis sie nach der irdischen Wanderung heimkehrt in die Traumzeit.
Der Körper dieses jungen australischen Eingeborenen zeigt noch die Narben schmerzhafter Einweihungs-Zeremonien. 8
Terra Australis Incognita! Die Vorstellung eines sagenumwobenen, noch unentdeckten „Südlandes" beschäftigte seit Ptolemäus, dem im zweiten nachchristlichen Jahrhundert wirkenden großen Gelehrten, die wissenschaftliche Welt des späten Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Das „Ptolemäische Weltbild", in dem die Erdkugel als Mittelpunkt der Schöpfung von Sonne, Mond und allen Gestirnen umkreist wurde, behielt seine Gültigkeit bis in die Tage des Kopernikus (s. Lux-Lesebogen 369), bis in die Zeit der großen Entdecker und Weltumsegler, die unter spanischer, portugiesischer, holländischer und britischer Flagge die Ozeane überquerten — getrieben von der Überzeugung, daß ohne die gewaltigen Massen des noch zu-entdeckenden Südlandes das „Gleichgewicht" der Erde nicht hergestellt sei, daß Wasser allein bei seiner großen Beweglichkeit niemals die wunderbare Gleichmäßigkeit der Erdumdrehung und die Stetigkeit der Erdachsenstellung gewährleisten könne. Manche der kühnen Seefahrer halten sich guten Glaubens für die glücklichen Entdecker des Südlandes; so der Spanier Ortiz da Retes, der das von ihm aufgefundene Land „Neu-Guinea" nennt, weil die schwarzen Eingeborenen mit ihrem Kraushaar ihn an die Neger der afrikanischen Guineaküste erinnern. Alvaro de Mendana wiederum hält die Inselgruppe ostwärts von Neu-Guinea für das sagenhafte Goldland Ophir des alttestamentlichen Königs Salomo und nennt sie „Salomons-Inseln". Doch erst durch die Reisen Dirk Hartogs, Abel Tasmans und James Cooks gewinnen die Inselwelten der Südsee nach und nach kartographisch zuverlässige Konturen. Der Holländer Tasman umsegelt, ohne ihn als eigenen Erdteil zu erkennen, den australischen Kontinent und landet 1642 an der Küste eines Neulandes, das er zu Ehren seines Auftraggebers „Van-Diemens-Land" nennt (das jetzige Tasmanien), während er Südaustralien „Neu-Holland" und einen scheinbaren Zipfel des ersehnten Südlandes „Neu-Seeland" tauft. 1688 erreicht der Engländer Dampier die australische Nordwestküste und berichtet von seinen wenig erfreulichen Eindrücken nach London: „Nichts als wasserlose Wüste, Sand und ödes Gestrüpp,. Tier- und Menschenarmut .. ." Zweiundachtzig Jahre später durchforscht der Engländer James Cook die australische Ostküste und nimmt sie für die britische Krone in Besitz. In Cooks Tagebüchern findet sich auch die erste Beschreibung von Australiens späterem Wappentier: „Herr Gore, mein Begleiter, war so glücklich, eines der Tiere zu schießen, die wir schon lange näher zu betrachten gewünscht hatten. Dieses Tier 9
hüpft, statt zu laufen, sein Schwanz ist etwa so lang wie der Leib, die Haut ist mit mausfarbigem Fell besetzt, nur der Kopf und die Ohren nicht, welche fast wie bei einem Hasen aussehen. Die Eingeborenen nennen dieses Tier Känguruh." Während James Cook durch seine Entdeckungsreisen das uralte Wahngebilde eines riesigen zusammenhängenden „Südlandes" zerstört, tobt in Nordamerika der siebenjährige Unabhängigkeitskrieg, der England seiner amerikanischen Kolonien beraubt. Die Regierung des dünkelhaften britischen Königs Georg III. hatte diese Kolonien bis dahin als willkommenen Schuttabladeplatz für menschliches Strandgut benutzt. Das britische Straf recht des 18. Jahrhunderts ist erbarmungslos streng und hart; schon der Diebstahl einer Sache im Werte von zwanzig Mark wird mit dem Tode bestraft, und die lebenslängliche Verbannung ist schon ein „Gnadenerweis". In regelmäßigen Zeitabständen wurden die zur Deportation verurteilten Sträflinge, wie die Heringe zusammengepreßt, auf Segelschiffe verladen und in die nordamerikanischen Strafkolonien gebracht. Für die Rechtsbrecher müssen nun, nach dem Verlust der amerikanischen Kolonien, neue und möglichst weit von England entfernte Verbannungsorte gefunden werden. Der Kolonialminister Lord Sydney erinnert sich der Berichte Dampiers und Cooks: Dieses „Neu-Holland", auf dessen Besitz die Holländer keinen Wert legen, scheint ihm der ideale neue Verbannungsort für „Verbrecher", und im Mai 1787 verläßt der erste Sträflingstransport den Hafen von Portsmouth. Das Kommando über die elf Schiffe hat Kapitän Arthur Phillip, der Sohn eines deutschen Lehrers, der von Frankfurt am Main nach England ausgewandert war. König Georg III. hat Phillip zum Gouverneur der Kolonie „NeuSüdwales" ernannt, die vorerst allerdings nur auf dieser Ernennungsurkunde existiert. Die elf Schiffe des Gouverneurs bergen eine seltsame Fracht: 600 männliche und 200 weibliche „Sträflinge", 212 Offiziere und Soldaten, ferner Schweine, Rinder, Pferde, Ziegen und Schafe. Auch Saatgut, Obstbäume, Eichen, Myrthen und Tamarinden, Baumwolle und Kaffeesamen, Zuckerrohr, Weinreben und Erdbeerpflanzen nimmt man mit in die neue „Kolonie"; denn nach Cooks Angaben gibt es dort weder Getreide noch eßbare Früchte, weder Gemüse noch Bauholz, weder Huf- noch Nagetiere. Acht lange Monate dauert die beschwerliche Reise, bis endlich — am 18. Januar 1788 — Arthur Phillips kleine Flotte in die von Cook erkundete „Botany Bay" einläuft. Aber der Gouverneur entschließt sich nach kurzem Aufenthalt, noch einige Meilen weiter 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.11 17:38:35 +01'00'
nach Norden zu segeln, und hier, in „Port Jackson", beobachten nun die „Eingeborenen" aus respektvoller Entfernung die Landung der geheimnisvollen fremden Besucher. "Wenige Tage später trifft noch eine zweite, kleinere Flotte hier ein: die Schiffe des Herzogs de La Peyrouse, der im Auftrage König Ludwigs des Sechzehnten von Frankreich das Land für die französische Krone in Besitz nehmen soll. Aber die Franzosen kommen zu spät; sie werden vom Gouverneur der königlich britischen Kolonie Neu-Südwales mit militärischen Ehren empfangen und willkommen geheißen als geehrte Gäste Seiner Britischen Majestät Regierung. An schnell errichtetem Fahnenmast flattert hoch im heißen Südwind die britische Flagge. Es ist der 26. Januar 1788 — der Tag, der von nun an als Staatsfeiertag der jungen Kolonie alljährlich festlich begangen wird und den der gesamte Fünfte Kontinent später zum Nationalfeiertag erhebt: zum „Australia Day".
Kapitän Arthur Phillip, der erste britische Gouverneur, hißt am 26. Januar 17SS in der späteren „Sydney-Bay" die britische Flagge. 11
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Raddampfer auf dem Murray. Dieser mit 2590 km Länge größte Fluß Australiens bewässert mit seinen Nebenflüssen ein Gebiet so groß wie Frank-reich und Spanien zusammen.
„Ich habe die Genugtuung gehabt, den schönsten Hafen der Welt zu entdecken, groß genug für tausend Linienschiffe, die hier in aller Sicherheit gleichzeitig landen können . . . " schreibt Gouverneur Phillip im Februar 1788 an Lord Sydney nach London, und bittet ihn um die Erlaubnis, die an diesem natürlichen Hafen errichtete Siedlung „Sydney" nennen zu dürfen. Aber auch von weniger erfreulichen Dingen ist in Phillips Berichten die Rede: von Revolten und Naturkatastrophen, von Seuchen und von Hungersnöten, denen Sträflinge und Bewacher preisgegeben sind. Die mitgebrachten Vorräte an Medikamenten und Verbandsmaterial gehen vorzeitig zu Ende, die Lebensmittel sind zum großen Teil schon auf der langen Schiffsreise verdorben, so daß man bei den Holländern in Batavia Hilfe erbitten muß, die auch gewährt wird. Die dunklen Eingeborenen waren den fremden Eindringlingen am Anfang freundlich entgegengekommen; sie hatten die dargebotenen Geschenke — Glasperlen, Spiegel und kleinere Werkzeuge, wie sie alle Kolonisatoren für die „Wilden" bereithalten — mit Gegengaben von Känguruhfleisch und Fischen vergolten und den weißen Männern ohne Argwohn ihre spärlichen Wasserstellen und Quellen gezeigt. Die Kinder der Wildnis ahnen nicht, daß die meisten der Neuankömmlinge „Verbrecher" sind, die zur Strafe hier ausgesetzt werden. Sie beobachten mit wachsendem Befremden, wie die zerlumpten Gestalten von rotberockten Bewaffneten mit Schlägen und Fußtritten zur Arbeit angetrieben werden, wie kleinere Vergehen mit Körperstrafen oder mit dem Tod durch Erhängen 12
bestraft werden. Vor dem Knallen der Musketen, dem Dröhnen der Schiffskanonen flüchten die Tiere immer tiefer ins schützende Urwalddickicht, und auch die Ureinwohner der neuen britischen Kolonie, die „Abos", ziehen sich allmählich verstört von den Siedlungen der Weißen zurück — nicht ohne Mitnahme brauchbarer Dinge wie Äxte und Nägel, Sägen und Drahtrollen. Das führt zu .„Vergeltungsfeldzügen" der Engländer gegen die Lager der Abos — aus Vertrauen wird Argwohn, aus Mißverständnissen erwachsen H a ß und Feindschaft, und aus Verhängnis die Schuld. Neu ankommende Schiffe speien neue menschliche Fracht an Land: Sträflinge, Bewachungsmannschaften und schließlich in wachsender Zahl auch freie Siedler, die hier ihr Glück versuchen wollen. In den acht Jahrzehnten bis zur Einstellung der Deportationen schickt England rund 170 000 Sträflinge — davon ein Zehntel Frauen, die zum Teil ihren Männern freiwillig in die Verbannung folgen — in alle Teile des neuerschlossenen Kontinents, bis im Jahre 1868 Königin Victoria die letzten neun zu lebenslänglicher Deportation Verurteilten begnadigt. Unter den Sträflingen sind nur wenig wirkliche „Schwerverbrecher" — die enden meist schon in der Heimat am Galgen — die Mehrzahl der Deportierten sind Gestrauchelte, kleine Gauner und Gelegenheitsdiebe, auch unschuldig in Not Geratene oder gar unschuldig Verurteilte sollen darunter gewesen sein. An allen Landeplätzen aber pflanzen die Soldaten die britische Flagge auf und bringen damit das riesige Land in den Besitz der britischen Krone, die auch Tasmanien und Neuseeland für sich beansprucht, ohne auf den Widerspruch anderer Nationen zu stoßen. An der Schwelle des 19. Jahrhunderts umsegelt Matthews Flinders, einer der letzten großen Seefahrer der Geschichte, die Küsten des einstigen „Neu-Holland", er skizziert auch die erste einigermaßen wirklichkeitsgetreue Karte des Fünften Erdteils und gibt dem Kontinent — in Erinnerung an die Terra Australis Incognita — den Namen A u s t r a l i e n . Die von Gouverneur Phillip mitgebrachten Pflanzen werden auf einem Stück Land angepflanzt, das heute zum Botanischen Garten von Sydney gehört. Aber nicht alles gedeiht — die ersten Anbauversuche von Brotgetreide haben wenig Erfolg, so daß die Siedler anfänglich mehr zu trinken als zu essen haben, denn die Offiziere und Beamten betreiben einen recht einträglichen und schwunghaften Schnapshandel. Rum und billiger Fusel werden zum wichtigsten Tauschobjekt, zum Schaden der Weißen und auch der Eingeborenen, die sich dem Laster der Trunksucht nur allzu willig ergeben. Aber die Engländer wollen auf die Dauer auch ihren geliebten Hammcl13
braten mit Mintsoße nicht missen; deshalb widmet man sich mit besonderer Hingabe der Schafzucht. Schon im Jahre 1797 wird das erste Zuchtpaar Merinoschafe aus Kapstadt importiert, die Urahnen der hundertfünfzig Millionen Schafe, die heute Australiens Weiden bevölkern. Die Schafzucht steht am Anfang von Australiens wirtschaftlicher Entwicklung. Eine Chronik von 1807 meldet ein erstes „Ausfuhrergebnis" von zweieinhalb Zentnern Wolle, die nach England verschickt werden. Und die Schafe vermehren sich so prächtig, daß man bald auf die Suche nach neuen Weideplätzen gehen muß: In den Jahren 1814/15 bauen Sträflinge und Soldaten unter unsäglichen Mühen die erste Straße über die „Blauen Berge", die westlich von Sydney die australischen Alpen nach Norden zu fortsetzen. Diese erste Straße — die „Cox-Straße" — öffnet den Weg. ins Innere des Erdteils, und nun kommen die Viehzüchter mit ihren riesigen Herden und lassen sich als „Squatters" (d. h. als „die, die sich hingehockt haben . . ."), ohne viel um Erlaubnis zu fragen, nieder. Sie schneiden sich riesige Stücke aus der noch herrenlosen Wildnis heraus und legen damit den Grundstein zu unermeßlichem Vermögen. Die „Squatters", die nicht als Deportierte, sondern als freie Männer nach Australien gekommen sind, machen erbarmungslos Jagd auf die Eingeborenen, die nackten Steinzeitmenschen, die zum Sonntagsvergnügen wie Hasen oder Füchse abgeknallt werden, so daß die Zahl der „Abos" von etwa 300 000 beim ersten Auftreten der Weißen in wenigen Jahrzehnten auf ein Drittel absinkt. Im Gegensatz zur afrikanischen „Kolonisation" scheitern auch alle Versuche, die Eingeborenen zu Sklaven zu machen. Die Squatters begründen im Jahre 1835 die Kolonie Victoria mit der Hauptstadt Melbourne; ein Jahr später folgt die Kolonie Süd-Australien mit der Hauptstadt Adelaide. 1839 läuft der Segler „Prince George" mit den ersten deutschen Siedlern, einer Gruppe preußischer Altlutheraner unter Führung des Pastors Kavel aus Klemzig in Brandenburg, in der Holdfast-Bay in SüdAustralien ein. Die Deutschen kommen mit nur geringer Habe; unter großen Schwierigkeiten machen sie das erwählte Land urbar, legen Felder an, errichten Hütten, und schon nach einem halben Jahr ist die Siedlung Klemzig entstanden. Viele weitere deutsche Siedlergruppen folgen — sie gründen Ansiedlungen mit den Namen Lobethal, Heidelberg, Schönthal, Gnadenfrei, Hahndorf und Rheintal. In der Kolonie Victoria entstehen die deutschen Siedlungen Carlsruhe, Coburg, Hessen, Lübeck und Jung, in Neu-Südwales Linden, Crambach und Hamberger. Eine bedeutende Rolle spielen die deutschen Siedler beim ersten Weinanbau in Australien, 14
vor allem im lieblichen Barossatal an der Südküste. Während des Ersten Weltkrieges, als auch das britische Königshaus seinen deutschen Namen in „Windsor" umwandelte, sind viele deutsche Ortsnamen von der Landkarte des Fünften Erdteils verschwunden . . . Der erste, dem es gelingt, die „Terra Incognita" — das u n b e kannte Land' — vom subtropischen Südosten bis zum tropischen Norden zu erforschen, ist ein Deutscher: der Torfinspektorssohn Ludwig Leichhardt aus Trebitsch in der Mark Brandenburg. Mit finanzieller Hilfe eines englischen Studienfreundes kommt er im Jahre 1842 nach Australien. Auf langen, einsamen Wanderungen entlang der paradiesischen Ostküste sammelt er die noch unbekannten exotischen Gewächse, und zwei Jahre später bricht er von der Moretonbucht aus (in der Nähe des heutigen Brisbane) zu einer wagemutigen Expedition ins Landesinnere auf. Seine Ausdauer und alle erlittenen Strapazen werden belohnt, als es ihm gelingt, das Tor zu fruchtbarem Neuland aufzustoßen, das später zur Domäne riesiger Schafherden werden sollte. Er dringt bis zum Golf von Carpanturia vor, durchquert das Arnhem-Land an der Nordküste und kommt nach einem Jahr, in dem er über fünftausend Kilometer zurückgelegt hat, nach Port Essington, dem heutigen Darwin. Eine zweite, nicht weniger erfolgreiche Expedition folgt, aber auf der dritten Forschungsreise ereilt ihn das Schicksal so vieler wagemutiger Entdecker: beim Versuch, den gesamten Kontinent von Osten nach Westen zu durchqueren, blieb er verschollen und bis heute ist es nicht gelungen, das Schicksal Ludwig Leichhardts aufzuklären. Viele Straßen in Australiens Großstädten, wie in Sydney und Brisbane, einige Berge und Flüsse tragen seinen Namen, und in Taroom in Queensland findet der Besucher an einem unter Naturschutz stehenden Coolibah-Baum eine Bronzeplatte mit der Inschrift: „Leichhardt, der Entdecker, kam hier vorüber und zeichnete diesen Baum im Jahre des Herrn 1844 . . . " Der Baron Ferdinand von Müller aus Rostock wird im Jahre 1852 „Chefbotaniker" der Regierung von Südaustralien. Ihm ist die Erschließung der an seltenen Arten so überreichen australischen Pflanzenwelt zu danken, von der ein großer Teil n u r auf diesem Kontinent zu finden ist. Sein Lebenswerk umfaßt zweiunddreißig naturwissenschaftliche Werke in englischer und lateinischer Sprache, und als er am 9. Oktober 1896 nach dreiundvierzigjährigem Wirken in Melbourne die Augen für immer schließt, schreibt eine große englische Zeitung in ihrem Nachruf: „Ferdinand von Müller hat mehr als irgendein anderer für den Fortschritt der Wissenschaft in der Südlichen Hemisphäre getan . . . " 15
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AUSTRALIEN (The Commonwealth of Australia) Fläche: 7 703 278 .hm. Einwohnerzahl: 10,5 Millionen. Mittlere Bevölkerungsdichte: 1,8. Staatsund Regierungsform: Parlamentarische Monarchie und unabhängiges Mitglied des Commonwealth of Nations. Staatsoberhaupt: Königin Elisabeth II. (seit 1952), vertreten durch einen Generalgouverneur. Wahlb erechtigt sind alle erwachsenen Bürger. Es besteht allgemeine Wehrpflicht. Staatssprache: Englisch. Religion: Überwiegend Protestanten, etwa 2 Millionen Katholiken. Währung: 1 Australisches Pfund = 20 Shillings = 240 P e n c e (I A u s t r a l . P f u n d ca. 9,44 DM). Bodennutzung: 46,0"!t Weideund Wiesenland, 1,5'/» A c k e r l a n d , 3,0»/« Wald, 49,5"/« Sonstiges. E i s e n b a h n e n : ca.52000 k m . Straßen: ca. 840 000 k m , d a u o n 23°/o A u t o b a h n e n oder H a u p t v e r k e h r s s t r a ßen. Der höchste Berg: Mont K o s k i u s k o (Australische Alpen, Neu-Südu)a(es), 2235 m hoch. AufSenbesitzungen: Papua (Neuguinea) Treuhandgebiet Neuguinea (früher deutsch) Treuhandgebiet Nauru Cocosinseln, Heard-Insel, MacDonald-Inseln, Ashmoregebiet, CartierInseln. Australisches S ü d polargebiet.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Fünfte Erdteil vom Fieber des Goldrausches geschüttelt; ein großer Teil der Einwohnerschaft von Adelaide stürzt Hals über Kopf nach Bendigo, der Stätte der ersten Goldfunde in Victoria. Mit ihnen zieht der Pastor Heinrich Backhaus aus Paderborn, der wenige Jahre zuvor nach Südaustralien ausgewandert war und nun seine Gläubigen begleitet, besorgt um ihr Seelenheil und warnend vor dem „Tanz ums Goldene Kalb". Und gerade ihn, der sich am wenigsten nach irdischen Gütern sehnt, trifft der glänzende Strahl eines unwahrscheinlichen Finderglückes: Beim Bau seines Hauses legen die Ausschachtungsarbeiten märchenhafte Goldvorkommen frei, deren Ertrag — über fünf Millionen Goldmark! — Pastor Backhaus nach seinem Tode der Pfarrgemeinde von Bendigo vermacht. Ein Glückskind ist auch der ehemalige Stallbursche Otto Holtermann, der mit einem deutschen Einwanderertransport nach Sydney kommt und dort zunächst als Kellner im Hotel „Hamburg" arbeitet, bis ihn das Goldfieber nach dem angeblich ertragreichen HillEnd lockt. Aber seine hochgespannten Erwartungen erfüllen sich zunächst nicht; um seine Existenz zu sichern, eröffnet er einen gutgehenden Bäcker- und Metzgerladen und schürft nur in seiner Freizeit weiter nach dem gelben Metall. Und seine Ausdauer wird belohnt; im Jahre 1870 stößt er auf die ergiebigste Goldader von Hill-End, die ihm ein Millionenvermögen einbringt. Statt nun seinen Wohlstand in behaglichem Nichtstun zu genießen, gräbt er mit um so größerem Eifer weiter. Er gründet 1872 die Star of Hope Gold Mining Co. und entdeckt den größten Goldklumpen, der jemals in der Welt gefunden worden ist, einen gleißenden Nibelungenschatz von sechs Zentnern Gewicht, eineinhalb Meter Höhe und einem halben Meter Breite. Später fertigt Holtermann in Zusammenarbeit mit den Fotografen Merlin und Bayliss die erste dokumentarische Bildserie von Australiens Pionierzeit an, die das Leben auf den Goldfeldern und in den werdenden Großstädten schildert. Diese Bildserie wird auf den Weltausstellungen von Philadelphia 1876 und Paris 1878 gezeigt und verlockt viele Wagemutige zur Auswanderung nach dem Fünften Erdteil. Holtermann führt als Inhaber der größten australischen Importfirma als erster das begehrte deutsche Lagerbier, deutsche Nähmaschinen und Werkzeuge und andere hochgeschätzte Waren mit dem Gütezeichen „Made in Germany" ein. Von allen nichtenglischen Einwanderern ist er der einzige, der als gewählter Abgeordneter in das Parlament der britischen Kronkolonie Neu-Südwales einziehen kann. Freilich waren nur wenige Goldsucher so vom Glück begünstigt 18
wie Backhaus und Holtermann. Der Goldrausch hat rasch wieder einer Ernüchterung Platz gemacht, und die Enttäuschten kehren reumütig an ihre früheren Arbeitsstätten zurück, soweit sie ihnen noch offenstehen. Die Unternehmer nützen die Not der Arbeitsuchenden rücksichtslos aus und zahlen Hungerlöhne, bis sich die Verzweifelten zusammenschließen und die ersten australischen Gewerkschaften begründen, jene „Unions", die sich seitdem zu einer allmächtigen Institution entwickelt haben. Schon im Jahre 1856 stellen die australischen Gewerkschaften die später berühmt gewordene Grundforderung auf: „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, und acht Stunden Erholung". Im gleichen Jahre erzwingen die Maurer in Melbourne den „Achtstundentag", und zum ewigen Andenken an diese Errungenschaft steht heute in Melbourne ein erzenes Denkmal, ein Obelisk, dessen Spitze dreimal die goldene Ziffer 8 trägt. Im Jahre 1859 wird die letzte der sechs britischen Kron-Kolonien in Australien gegründet: Queensland (Land der Königin) mit der Hauptstadt Brisbane. Aber diese sechs Kolonien leben keineswegs in friedlicher Eintracht — sie schließen sich eifersüchtig voneinander ab und gehen sowohl in der Wirtschaftsentwicklung als auch in der Einwanderungspolitik völlig verschiedene Wege. Die Eigenbrötlerei ist so groß,- daß beim beginnenden Eisenbahnbau jede Kolonie ihre Bahnstrecken mit einer anderen Spurweite baut, so daß die Reisenden noch heute an jeder „Grenze" umsteigen müssen. Man sieht, das alte zerrissene Europa wirft seine Schatten auch über den Fünften Kontinent! Die Einwanderer haben ihr kleinstaatliches Denken in die neue Heimat mitgebracht und pflegen dort ihr Hinterwäldlertum zusammen mit anderen, lobenswerteren Traditionen; viele bedauern, daß beim Bau der .großen Telegraphenleitung von Adelaide nach Darwin in den Jahren 1870—72 nicht auch verschieden starke Kabel verwendet werden können. Diese Telegraphenleitung von über dreitausend Kilometer Länge, die Australien über Darwin an das Kabel nach Singapur und damit an das Weltkabelnetz anschließt, erfährt noch heute manchmal eine unliebsame Unterbrechung: Die Eingeborenen klettern auf die Masten und stehlen die Porzellan-Isolatoren, aus deren Scherben sie sich „Steinbeile" und Messer anfertigen. Die Erforschung Australiens macht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewaltige Fortschritte. Schon 1840 hat der englische Wissenschaftler Eyre den nach ihm benannten Eyre-See entdeckt — einen riesigen Salzsee, der von Zeit zu Zeit immer wieder völlig verschwindet, um ebenso überraschend plötzlich wieder aufzutauchen. 19
Um die wissenschaftliche Bestimmung der australischen Tier- und Pflanzenwelt haben sich neben englischen Gelehrten vor allem Deutsche verdient gemacht; so der Zoologe Ludwig Krcfft, der von 1861 bis 1874 das Australische Museum in Melbourne leitete, der Botaniker Richard Schomburgk, der fast dreißig Jahre lang den Botanischen Garten von Adelaide verwaltete, und endlich die unvergessene Amalie Dietrich, die Tochter eines Handschuhmachers aus dem Erzgebirgsstädtchen Siebenlehn, die von 1863 bis 1873 Australiens Ostküste bereiste und die erste große Sammlung australischer Fauna und Flora und von Gerätschaften der Eingeborenen nach Europa brachte. Die von Amalie Dietrich gesammelten seltenen Pflanzen und die ausgestopften Tiere rinden in Europa die bewundernde Aufmerksamkeit der gelehrten Welt. Ein Zoologe aus Oxford fährt eigens nach Australien, um ein lebendes Schnabeltier sehen zu können: ein Säugetier, das Eier legt! Nicht weniger interessant sind der Beutelwojf, der Ameisenbeutler und der Ameisenigel, der Dingo (der australische Wildhund) und die Halskrauseneidechse, der Fuchskusu und der Wombat — und endlich das Urbild unserer Teddybären: der Koala, den man auch Beutelbär nennt, obwohl er nicht zu den eigentlichen Bären gehört. Der Koala ernährt sich ausschließlich von Blättern des Eukalyptusbaums, der in vielerlei Arten über ganz Australien verbreitet ist. Koala heißt in der Eingeborenensprache „Nicht-Trinker", denn ein Koala, der ans Wasser zu kommen sucht und davon trinkt, ist unrettbar einem qualvollen Tode verfallen. Auch sind bisher alle Versuche, das drollige Tierchen zur Freude der Kinder in europäischen Zoologischen Gärten zu halten, nach kurzen Anfangserfolgen gescheitert. Von überwältigendem Farben- und Formenreichtum ist die australische Vogelwelt. Unzählige Papageienarten bevölkern die Eukalyptuswälder, der Leierschwanz lockt mit seinem Glockenruf, und der Lachvogel verblüfft mit seinem hellen, menschenähnlichen Gelächter. Honigsauger und Zaunkönige, Flötenvögel und Ibisse flattern durch die heiße Luft; der Seidenlaubvogel betätigt sich als Kunstmaler, und das australische Großfußhuhn, der „Thermometervogel", benützt als „Brutapparat" die Sonne, den Regen und gärendes Laub. Der Emu, der neben dem Känguruh zum Wappentier Australiens geworden ist, überläßt das Brutgeschäft dem Männchen, das volle acht Wochen auf den Eiern sitzen muß.
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