Jan Tschichold
Ausgewählte Aufsätze über Fragen der Gestalt des Buches und der Typographie
TSCHICHOLD GESTALT DES BUC...
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Jan Tschichold
Ausgewählte Aufsätze über Fragen der Gestalt des Buches und der Typographie
TSCHICHOLD GESTALT DES BUCHES
JAN TSCHICHOLD
Ausgewählte Aufsätze über Fragen der Gestalt des Buches und der Typographie
BIRKHÄUSER VERLAG BASEL UND STUTTGART
Nachdruck verboten Alle Rechte, insbesondere das der Übertragung in fremde Sprachen und der Reproduktion auf photostatischem Wege oder durch Mikrofilm vorbehalten © Birkhäuser Verlag Basel, . ---
Inhaltsverzeichnis
Jan Tschichold .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Ton in der Hand des Töpfers .. .. .. .. .. .. .. .. .. Grafik und Buchkunst .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Über Typographie .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Die Bedeutung der Tradition für die Typographie .. Symmetrische oder asymmetrische Typographie? .. Willkürfreie Maßverhältnisse der Buchseite und des Satzspiegels .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Das traditionelle Titelblatt, typographisch .. .. .. .. Satzregeln des Verlegers für den Drucker .. .. .. .. Wie Probeseiten aussehen sollen .. .. .. .. .. .. .. .. Konsequenzen des Drittelsatzes .. .. .. .. .. .. .. .. Warum Absatzanfänge eingezogen werden müssen .. Kursiv, Kapitälchen und Anführungszeichen im Textsatz des Buches und in wissenschaftlichen Zeitschriften .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Vom Durchschuß .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Der satz von Notenziffern und Fußnoten .. .. .. .. .. Auslassungspunkte .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Gedankenstriche .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ‹Hurenkinder› und ‹Schusterjungen› .. .. .. .. .. .. .. Die typographische Planung von Tafelwerken .. .. .. Bogensignaturen und Bogenrücken-Signaturen .. .. Kapitalband, Schnittfarbe, Vorsatzpapier, Lesebändchen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Bücher und Zeitschriften müssen einen Rückentitel tragen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Schutzumschlag und Steifband .. .. .. .. .. .. .. .. Über breite, zu große und quadratische Bücher .. .. Weißes oder getöntes Werkdruckpapier? .. .. .. .. .. Zehn der zurzeit häufigsten Kardinalfehler der Buchherstellung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Register .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
Jan Tschichold
J T ist ein Sohn der Stadt Leipzig und in ihr am . April geboren. wurde er Schüler der Akademie für Buchgewerbe und Graphik zu Leipzig. Von bis erteilte er an dieser Hochschule den Abendunterricht in Kalligraphie. erschien in Leipzig sein Heft elementare typographie, das im Verein mit seinem in Berlin erschienenen Buche Die neue Typographie die Satzweise umgewälzt hat und bis auf den heutigen Tag nachwirkt. Seit war er Lehrer für Satzstil und Kalligraphie an der Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker in München. Unmittelbar nach der unrühmlichen ‹Erhebung› des Jahres wurde er, wie auch seine Frau, beide erklärte Gegner des ‹Nationalsozialismus›, in ‹Schutzhaft› gesetzt und er seines Lehramtes beraubt. Tschichold wählte das Los der Emigration und fand in der Eidgenossenschaft, in Basel, Zuflucht. Hier entwickelte er sich zum Verkünder eines gereinigten Traditionalismus der Typographie. Er ist heute Repräsentant eines akademisch-klassischen Satzstils. wurde er nach England berufen, um dort das innere und äußere Aussehen der weltbekannten Penguin Books zu reformieren. Nach Erfüllung dieser gewaltigen Aufgabe ging er nach Basel zurück. Er stand dort im Dienste eines Weltunternehmens der pharmazeutischen Industrie. Er
wurde zum Direktor der Graphischen Akademie München gewählt, lehnte es aber ab, diesem Ruf zu folgen. Ungezählte Schweizer Bücher und viele Millionen englischer sind aus seiner Hand hervorgegangen. Seine Lehren und sein Beispiel haben mehrere Generationen in Europa und Amerika stark beeinflußt. Die Reihe seiner eigenen Bücher, die Schrift, Schriftgeschichte, Typographie und chinesische Graphik behandeln, umfaßt einschließlich der zahlreichen Ausgaben in andern Sprachen über fünfzig Titel. Für seine Verdienste um die Entwicklung der Typographie als Kunst wurde ihm bereits , als bisher einzigem Europäer, die höchste Auszeichnung der graphischen Industrie der USA, die Goldmedaille des American Institute of Graphic Arts, New York, verliehen. Jan Tschichold ist Ehrenmitglied des Double Crown Club, London, und der Société typographique de France. Im Juni wurde er von der Royal Society of Arts, London, zum Honorary Royal Designer for Industry (Hon. R.D.I.) ernannt. Am . Juli hat ihm die Stadt Leipzig im Jahre ihres achthundertjährigen Bestehens den Gutenberg-Preis, die höchste europäische Auszeichnung für Typographie, verliehen. Im Jahre ernannte ihn die Deutsche Akademie der Künste, Berlin, zum korrespondierenden Mitglied.
Ton in des Töpfers Hand …
V Typographie ist eher eine Wissenschaft denn eine Kunst. Beherrschung des Handwerks ist unerläßlich, aber ist nicht alles. Denn der sichere Geschmack, der das Vollendete auszeichnet, beruht auf einem klaren Wissen um die Gesetze harmonischer Gestaltung. Dieses geht zwar in der Regel, obschon nur teilweise, aus einem ursprünglichen Gefühl hervor, doch bleiben Empfindungen ziemlich wertlos, solange sie kein sicheres Urteil auszulösen vermögen. Sie müssen sich zum Wissen um die Folgen der formalen Entscheidungen wandeln. Es gibt daher keine geborenen Meister der Typographie; nur allmählich kann man sich zu einem solchen ausbilden. Es stimmt nicht, daß sich über den Geschmack streiten ließe, solange wir damit den guten Geschmack meinen. Doch werden wir ebensowenig mit einem solchen geboren, wie wir wirkliches Kunstverständnis mit auf die Welt bringen. Denn zu erkennen, wer oder was auf einem Bilde dargestellt ist, hat ebensowenig mit Kunstverständnis zu tun wie das Urteil eines Laien über die Breitenverhältnisse der römischen Buchstaben. Streit ist überdies sinnlos. Wer überzeugen will, muß es besser als andere machen. Guter Geschmack wie vollkommene Typographie sind überpersönlich. Der gute Geschmack wird heute irrtümlich oft als veraltet abgetan, da der Massenmensch auf der Suche nach der Bestätigung seiner sogenannten Persönlich
keit die eigentümliche Form der objektiven geschmacklichen Norm vorzieht. In einem typographischen Meisterwerk erscheint die Handschrift des Künstlers ausgelöscht. Was von manchem als persönlicher Stil angepriesen wird, sind kleine, nichtige, zuweilen sogar schädliche Eigentümlichkeiten, die sich oft für Neuerungen ausgeben, wie etwa der Gebrauch nur einer bestimmten Schriftart, seien es entweder Groteskschriften oder absonderliche Schriftformen des neunzehnten Jahrhunderts, die Vorliebe für bestimmte Schriftmischungen oder die Anwendung scheinbar kühner Regeln, etwa nur einen Schriftgrad für eine ganze Arbeit, selbst eine komplizierte, zu verwenden und anderes mehr. Persönliche Typographie ist mangelhafte Typographie. Nur Anfänger und Dummköpfe können sie fordern. Vollkommene Typographie beruht auf vollkommener Harmonie aller Teile. Daher müssen wir lernen und lehren, was harmonisch sei. Harmonie hängt von guten Verhältnissen oder Proportionen ab. Proportionen stecken in allem: im Gewicht der Ränder, in den gegenseitigen Verhältnissen der vier Ränder einer Buchseite, im Verhältnis des Durchschusses einer Seite zum Ausmaß der Ränder, im Abstand der Seitenzahl von der Schriftfläche, im Ausmaß der Sperrung von Versalzeilen im Verhältnis zum glatten Satz und, nicht zuletzt, im Ausschluß der Wörter; das heißt, in allem und jedem. Nur durch fortgesetzte Übung und strengste Selbstkritik, durch dauerndes Lernen können wir den Sinn für vollkommene Arbeit ausbilden. Die meisten geben sich leider mit halbwegs guten Arbeiten zufrieden. Sorgfältiger Ausschluß und richtiges Sperren der Versalien scheint man
chen Handsetzern noch immer unbekannt oder unwichtig zu sein, obwohl es für den, der sucht, nicht schwer ist, die richtigen Regeln zu finden. Da Typographie sich an jedermann wendet, bietet sie keinen Raum für umwälzende Änderungen. Die Form nicht eines einzigen Buchstabens können wir wesentlich verändern, ohne das Satzbild unsrer Sprache zu zerstören und damit unbrauchbar zu machen. Bequeme Lesbarkeit ist die oberste Richtschnur aller Typographie. Über Lesbarkeit kann jedoch nur der ein Urteil fällen, der im Lesen wirklich geübt ist. Nicht jeder, der eine Fibel oder auch eine Zeitung lesen kann, ist Richter; denn beides ist in der Regel gerade noch leserlich, entzifferbar. Entzifferbarkeit und ideale Lesbarkeit sind Gegensätze, Gute Lesbarkeit hängt von der richtigen Wahl der Schrift und der ihr angemessenen Satzweise ab. Gründliche Kenntnisse in der Geschichte der Buchdrucklettern sind eine unabdingbare Voraussetzung vollkommener Typographie. Noch wertvoller ist eine tätige Kenntnis der Kalligraphie. Die Typographie der meisten Zeitungen ist entschieden zurückgeblieben. Ihre Formlosigkeit zerstört alle Ansätze guten Geschmacks und verhindert dessen Ausbildung. Da viele Menschen aus Denkfaulheit mehr Zeitungen als Bücher lesen, ist es kein Wunder, daß auch die übrige Typographie, die der Bücher nicht ausgenommen, so wenig entwickelt ist. Woher auch soll selbst ein Setzer, falls er mehr Zeitungen als sonst etwas liest, sein Wissen über guten typographischen Geschmack beziehen? Und wie man sich an geringes Essen gewöhnen mag, wenn man kein besseres bekommen kann und daher jede Möglichkeit der Verglei
chung fehlt, so haben sich viele der heutigen Leser darum an schlechte Typographie gewöhnt, weil sie mehr Zeitungen als Bücher lesen und damit ihre Mußestunden, wie sie es mit Recht nennen, totschlagen. Sie kennen keine bessere Typographie und können daher keine bessere verlangen. Den übrigen fehlt die Stimme, da auch sie nicht sagen könnten, wie es besser zu machen sei. Anfänger und Amateure messen dem sogenannten Einfall zuviel Gewicht bei. Vollkommene Typographie entsteht vorwiegend durch die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten, deren Kenntnis Sache langer Erfahrung, wie die richtige Wahl Sache des Taktes ist. Gute Typographie kann nicht witzig sein. Sie ist das genaue Gegenteil eines Abenteuers. Der Einfall zählt also wenig oder gar nicht. Er zählt um so weniger, als er nur auf gerade eine Arbeit anwendbar ist. In einer guten typographischen Arbeit sind alle einzelnen Teile formal durch einander bedingt, und ihre Verhältnisse werden langsam erst während der Arbeit entwickelt. Gute Typographie ist heute eine eminent logische Kunst und unterscheidet sich durch den Anteil selbst von Laien nachprüfbarer Logik von allen andern Künsten. Dennoch darf unter Umständen eine sachlich begründete, aber zu weit gehende Abstufung der Schriftgrade dem einfacheren Aussehen geopfert werden. Je bedeutender der Inhalt des Gedruckten ist, je länger es erhalten werden soll, um so sorgfältiger, um so ausgewogener, um so vollkommener muß seine Typographie sein. Nicht nur Ausschluß und Durchschuß müssen peinlichster Kritik standhalten, sondern auch die Proportionen der Ränder, die aller verwendeten Schriftgrade und die Anordnung
der Titelzeilen müssen edle Verhältnisse zeigen und unabänderlich wirken. Die Entscheidungen in der höheren Typographie, etwa eines Buchtitels, sind, wie ein wirklich hochentwickelter Geschmack, der freien Kunst verwandt. Sie können Formen hervorbringen, die in ihrer Vollkommenheit guter Malerei und Bildhauerei ebenbürtig sind. Dem Kenner nötigen sie sogar mehr Hochachtung ab als diese; denn der Typograph ist durch den unabänderlichen Wortlaut fester denn irgendein anderer Künstler gefesselt, und nur der Meister kann die starren Buchdrucklettern zu ihrem wahren Leben erwecken. Vollendete Typographie ist gewiß die sprödeste aller Künste. Aus starren, zusammenhanglosen, gegebenen Teilen soll ein Ganzes entstehen, das lebendig und wie aus einem Guß erscheint. Nur die Steinbildhauerei kommt vollendeter Typographie an Spröde nahe. Für die meisten Menschen bietet vollendete Typographie ästhetisch keine besonderen Reize, da sie schwer zugänglich ist wie die hohe Musik. Im besten Falle wird sie dankbar hingenommen. Das Bewußtsein, namenlos und meist ohne besondere Anerkennung wertvollen Werken und der knappen Anzahl optisch sensitiver Menschen einen Dienst zu erweisen, ist in der Regel die einzige Belohnung für die lange, doch nie endende Lehrzeit des Typographen.
Geschrieben in England, Ende
Graphik und Buchkunst
D Arbeit des Buchkünstlers unterscheidet sich wesentlich von der eines Graphikers. Während dieser beständig auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln ist, wozu ihn mindestens das Verlangen nach ‹persönlichem Stil› drängt, muß der Buchentwerfer der getreue und taktvolle Diener des geschriebenen Wortes sein und diesem zu einer Darstellung verhelfen, deren Form niemals den Inhalt überschreien oder bevormunden darf. Die Arbeit des Graphikers muß den Bedürfnissen des Tages entsprechen und lebt, außer in graphischen Sammlungen, selten längere Zeit; das Buch aber soll die Zeiten überdauern, Selbstverwirklichung ist das Ziel des Graphikers, Selbstentäußerung die Aufgabe des seiner Verantwortung und Pflicht bewußten Buchkünstlers. Das Feld des Buches ist daher kein Gebiet für denjenigen, der ‹den Ausdruck der Gegenwart prägen› oder ‹Neues› schaffen will. In der Buchtypographie kann es nichts Neues im strengen Sinne dieses Wortes geben. Die vergangenen Jahrhunderte haben Methoden und Regeln entwickelt, die nicht mehr zu verbessern sind und die man nur zu neuem Leben erwecken und wieder anwenden muß, weil sie im Laufe der letzten hundert Jahre mehr und mehr vergessen wurden, um vollkommene Bücher machen zu können. Vollkommenheit, vollkommene Anpassung des typographischen Ausdrucks an den Inhalt ist das Ziel wahrer Buchkunst; Neuheit und Überraschung ist das Streben werbender Graphik.
Die Buchtypographie darf nicht werben. Übernimmt sie Elemente der werbenden Graphik, so mißbraucht sie den Text im Dienste der Eitelkeit des Graphikers, der es nicht fertigbringt, als Diener des Werkes vollständig zurückzutreten. Das heißt keineswegs, daß seine Arbeit farblos und jedes Ausdrucks bar sein soll oder gar ein in einer Druckerei anonym entstehendes Buch nicht schön sein könne. Dank der Tätigkeit S M, des leitenden Künstlers der Monotype Corporation in London, ist in den vergangenen Jahren die Zahl edler Druckschriften gewaltig angestiegen. Durch die Wahl einer dem Inhalt möglichst vollkommen entsprechenden Schrift und durch den Entwurf einer vollkommen schönen, ideal lesbaren, gut durchschossenen, nicht zu weit ausgeschlossenen Seite mit harmonisch abgewogenen Rändern, durch die taktvolle Wahl geeigneter Grade für die Überschriften und den Entwurf eines wirklich schönen und reizvollen, mit der Texttypographie harmonierenden Innentitels kann der Buchkünstler erheblich zum Genuß eines wertvollen literarischen Werkes beitragen. Benützt man aber Modeschriften, etwa eine Grotesk oder eine der nicht immer unschönen, aber für ein Buch meistens zu aufdringlichen deutschen Künstler-Handsatzschriften, so macht man das Buch zu einem Modeartikel. Dies ist nur richtig, wenn es sich um buchähnliche Erzeugnisse von kurzer Lebensdauer handelt, aber abwegig, wenn das Buch einige Bedeutung hat. Je größer diese ist, um so weniger darf der Graphiker sich selbst in Positur setzen und mit seinem ‹Stil› dokumentieren, daß er und niemand anders das Buch gestaltet hat. Daß Werke über die neue Architektur oder über neue Malerei ihren
typographischen Stil aus jener ableiten dürfen, sei unbestritten; doch sind das seltenste Ausnahmen. Schon in einem Buche über Paul Klee etwa erscheint es mir unrichtig, die gewöhnliche Grotesk als Schrift zu wählen, weil deren Armut der Subtilität dieses Malers ins Gesicht schlägt. Gar einen Philosophen oder einen klassischen Dichter aus dieser nur scheinbar modernen Schrift zu setzen, ist undiskutabel. Der Buchkünstler muß seine Persönlichkeit ganz und gar abstreifen. Er muß vor allem einen ausgeprägten Sinn für Literatur haben und deren gelegentlichen Rang richtig einschätzen können; rein visuell Eingestellte ohne literarische Interessen sind als Buchentwerfer unbrauchbar, weil sie schwerlich erkennen können, daß die Kunst ihrer Entwürfe den Respekt vor der Literatur, der sie dienen sollten, vermissen läßt. Darum ist wirkliche Buchkunst eine Sache des Taktes allein und vor allem des heutzutage nur selten richtig bewerteten Guten Geschmacks. Da das Vollkommene, dem der Buchkünstler nachstrebt, wie alles Vollkommene immer ein wenig in der Nähe des Langweiligen steht und von Unsensibeln mit diesem verwechselt wird, so hat es, zumal in einer Zeit, die auf handgreifliche Neuheiten ausgeht, keinerlei Werbekraft. Ein wirklich gut gemachtes Buch ist nur von einer Elite als solches erkennbar; die übergroße Mehrzahl der Leser empfindet seine exzeptionelle Qualität nur dumpf. Ein wirklich schönes Buch muß auch äußerlich nichts Neues, sondern soll nur vollkommen sein. Der Schutzumschlag des Buches allein bietet die Möglichkeit, die formale Phantasie schweifen zu lassen. Es ist zwar kein Fehler, diesen dem Buch und seiner Typographie anzu
gleichen, ist er doch in erster Linie ein kleines Plakat, das den Blick auf sich ziehen soll und worin vieles erlaubt ist, das im Buche selber unschicklich wäre. Leider ist auf Kosten der heutigen farbenprächtigen Schutzumschläge der Einband, das eigentliche Kleid des Buches, oft arg vernachlässigt worden. Viele Leute huldigen, vielleicht daher, der Unsitte, die Schutzumschläge aufzubewahren und die Bücher mit ihnen in den Bücherschaft zu stellen. Ich begreife das noch, wenn der Einband dürftig oder gar häßlich ist; doch gehören Schutzumschläge in den Papierkorb wie Zigarettenschachteln. Im Buche selbst aber ist Selbstentäußerung die oberste Pflicht des verantwortlichen Entwerfers. Er ist nicht des Textes Herr, sondern sein Diener.
Über Typographie
T, mag sie noch so armselig sein, ist niemals selbstverständlich oder auch nur zufällig. Schön gesetzte Druckarbeiten gar sind stets Ergebnisse langer Erfahrungen. Zuweilen sind sie sogar eigentliche künstlerische Leistungen von hohem Rang. Weit eher aber als die Werke der freien Kunst ist die Kunst des Satzes, weil sie sich nicht nur an einen engen Kreis wendet, jedermanns kritischem Urteil ausgesetzt, und dieses wiegt hier mehr als irgendwo sonst. Typographie, die nicht jedermann lesen kann, ist unbrauchbar. Ob etwas wirklich leicht und mühelos zu lesen ist, kann selbst der nicht leicht beurteilen, der dauernd über Leserlichkeit und Lesbarkeit nachsinnt. Und der Durchschnittsleser revoltiert ja nur, wenn die Typen zu klein sind oder sein Auge irritieren. Beide Eigenschaften sind indessen bereits Zeichen einer gewissen Unlesbarkeit. Alle Typographie besteht aus Buchstaben. Diese erscheinen entweder als fortlaufender glatter Satz oder als Anordnungen von Zeilen in verschiedenen Graden und manchmal sogar von kontrastierender Form. Gute Typographie beginnt, und das ist keineswegs etwas Nebensächliches, schon beim Satz der einzelnen Textzeilen eines Buches und selbst einer Tageszeitung. Aus genau der gleichen Schriftart und Größe lassen sich sowohl angenehm und leicht leserliche wie schwer leserliche Zeilen setzen. Zu weiter Ausschluß und kompresser Satz verdirbt fast jede Schrift.
Zunächst aber trägt die Form der Buchstaben selbst in hohem Maße zur Leserlichkeit oder ihrem Gegenteil bei. Nicht sehr viele Menschen machen sich über die Form der Schrift Gedanken. Die für einen bestimmten Zweck am besten geeignete Schrift aus der Unzahl vorhandener Typen herauszufinden, ist einem Laien kaum möglich. Es handelt sich auch keineswegs nur um eine Frage des Geschmacks. Das gedruckte Wort wendet sich an jedermann, an Ungebildete und Gebildete, an Menschen fast jeden Alters. Wer lesen kann, bedient sich einer Übereinkunft, die zäher und weniger ausrottbar ist als irgendeine. Keines einzigen Buchstabens Merkmale können wir ändern, ohne damit zugleich das ganze Schriftbild fremdartig und damit unbrauchbar zu machen. Je ungewöhnlicher das Wort aussieht, das wir doch schon millionenmal in der uns vertrauten Form wiedererkannt, das heißt soviel wie gelesen haben, um so eher werden wir von seiner Form gestört. Denn wir verlangen es unbewußt in üblicher Gestalt. Alles andere befremdet uns und erschwert das Lesen. Wir dürfen daraus schließen, daß eine Type um so leserlicher ist, je weniger ihre Grundformen sich von den schon seit vielen Generationen gebrauchten unterscheiden. Wohl sind kleine Abwandlungen, etwa an der Form und Länge der Endstriche, am Stärkeverhältnis der kräftigern und schwächern Teile der Buchstaben denkbar. Doch finden diese virtuellen Variationen ihre Grenze in der Übereinkunft über die Form der Buchstaben. Am Ende einer fünfzigjährigen Zeit des Experimentierens mit zahlreichen neuartigen, andersartigen Schriften steht die Einsicht, daß die besten Schriften entweder die
klassischen Schriften selbst (soweit sich ihre Stempel oder deren Abschläge bis auf unsere Zeit erhalten haben) oder ihre Nachschnitte oder neue Schriften sind, die sich nicht weit von diesen entfernen. Eine zwar späte und kostspielige, aber dennoch wertvolle Erkenntnis. Die vornehmste Tugend einer Schrift ist, sich als solche gar nicht bemerkbar zu machen. Wirklich gute Typographie soll auch nach zehn, fünfzig, hundert Jahren noch leserlich sein und den Leser nicht abstoßen. Nicht von allen Büchern des vergangenen Halbjahrhunderts läßt sich das sagen. Manches versteht nur, wer die historischen Zusammenhänge kennt. Im Bestreben, zu reformieren – und gar viel war um die Jahrhundertwende reformbedürftig –, ist man oft weit übers Ziel hinausgeschossen. Dem heutigen Betrachter scheint es, daß man vor allem anders sein wollte als früher. Eine neue Schrift sollte eine weithin als solche erkennbare, Achtung heischende Persönlichkeit sein. Einer noch ein wenig primitiv verstandenen Reklame kamen diese etwas auffälligen Schriftpersönlichkeiten zustatten. Heute aber ist die Wirkung der meisten neuen Schriften, die vor dem ersten Weltkrieg erschienen, längst verbraucht. Nur einzelne von ihnen können noch verwendet werden. Das Bild der Typographie, das sich um bot, war vom Stilwillen der verschiedenartigsten Persönlichkeiten zerfurcht und litt unter einer Unzahl verschiedenartiger Schriften. Setzmaschinen, die heute einen wohltätigen Einfluß ausüben, da sie die Zahl der verwendeten Schriften beschränken helfen, waren damals viel seltener als heute. Fast alles wurde noch von Hand gesetzt. Wohl gab es andere,
aber nicht immer wirklich bessere Schriften als um und kaum weniger viele. Gedankenlose Schriftmischungen wucherten wie Unkraut. Als Pionier sauberer, strenger Typographie ist vor allen andern C E P zu nennen, der früher als andere typographische Ordnung anstrebte und selbst mit heute zum Teil häßlich wirkenden Schriften Vortreffliches schuf, ferner J H, der mit einer wohlüberlegten Auswahl alter Schriften eine Menge noch heute schöner Bücher druckte. Im Jahre trat die sogenannte Neue Typographie auf. Sie verlangte radikale Einfachheit und Abkehr vom zentrierten Satz. Dabei beging sie zwei Denkfehler. Sie legte die Verworrenheit der typographischen Durchschnittsform allein den Schriftarten zur Last und glaubte, in der Endstrichlosen, der Grotesk, das Heilmittel und gar die Schrift unserer Zeit gefunden zu haben. Und sie hielt die ‹Mittelachse›, die allerdings zu lächerlichen Gebilden mißbraucht wurde, für eine Zwangsjacke und wünschte ihr durch Asymmetrie zu entgehen. Eine strenge Verminderung der Zahl der verwendeten Antiqua- und Frakturschriften, wo nötig ihre Ersetzung durch die besten lieferbaren Formen, und eine strengere Anordnung hätten aber damals wie heute genügt, das Bild der Typographie erheblich zu verbessern. Die Endstrichlose ist nur scheinbar die einfachste Schrift. Sie ist eine für kleine Kinder gewaltsam reduzierte Form und für Erwachsene schwerer lesbar als die mit den keineswegs ornamental gemeinten Endstrichen versehene Antiqua. Auch ist Asymmetrie keineswegs besser als Symmetrie, nur anders. Beide Anordnungsarten können gut sein.
Die Neue Typographie hinterließ ihre Spuren in zahlreichen neuen, nicht immer besseren Endstrichlosen. Viel später erst gelangte sie auch nach England, Italien und den Vereinigten Staaten. Während sie in England nur selten verstanden wurde und kaum Bedeutung erlangte, obwohl die englische Durchschnittstypographie noch heute einer ähnlichen Reinigung bedarf wie einst die deutsche, fand sie in Italien und besonders in den Vereinigten Staaten intelligente und phantasiebegabte Schüler. In Deutschland wurde ihre Entwicklung, die sonst schneller auf natürliche Art geendet hätte, abgeschnürt. Die Gießereien haben damals eine große Anzahl neuer Groteskschriften herausgebracht, und eine Zeitlang sah man fast keine andern Schriften. Es fehlte auch nicht an zum Teil sogar fruchtbaren typographischen Experimenten. Indes wird selten viel auf einen Hieb erreicht, und eine Verbesserung auch nur der Typographie von Grund auf kann nicht das Werk eines halben Jahrzehnts sein. Ein chinesisches Sprichwort sagt: Stäte Arbeit gibt feine Ware. Doch wurden neben den vielen Endstrichlosen in jener Zeit noch andere Schriften herausgebracht, die sich nicht der Mode verschrieben hatten und zum Teil Aussicht auf eine längere Lebensdauer haben. Unter den Handsatzschriften bilden die Schriften von E R W vermutlich den wertvollsten Beitrag des dritten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts an die Typographie. Unter den Setzmaschinenschriften der verschiedenen Systeme haben bleibenden Wert die Matrizen nach noch in Abschlägen vorhandenen klassischen Schriften, etwa der Walbaum-Antiqua und der Walbaum-Fraktur, und einige Neuschnitte nach alten
Schriften, die mehr oder weniger getreu nach alten Drucken hergestellt worden sind. Heute gilt die Einsicht, daß nur diejenigen Schriften wirklich gut sind, die den Hauptausprägungen der überlieferten klassischen Schriften mindestens sehr nahestehen. Unter diesen Hauptvertretern der klassischen Schriften oder ihren zeitgenössischen Abwandlungen heißt es, eine vernünftige, möglichst kleine Auswahl zu treffen. Viele moderne Schriften sind ja nur verdorbene Abwandlungen alter Schriften. Um gute Formen von mangelhaften zu unterscheiden, bedarf es eines sehr geübten Auges, und nur das unermüdliche Studium der vortrefflichsten Druckschriften der Vergangenheit befähigt zu einem Urteil. Eine gute Druckschrift soll von edler Zeichnung sein und das Auge freundlich berühren. Im übrigen darf sie nicht besonders auffallen. Dicke und dünne Striche müssen ein maßvolles Verhältnis zeigen. Ihre Unterlängen sollten unverkürzt sein, und der durchschnittliche Abstand zwischen zwei Buchstaben, das heißt die Zurichtung des Schriftgießers, darf nicht unverhältnismäßig knapp sein. Eine etwas zu enge Zurichtung entstellt viele Schriften neuerer Zeit und auch manche Nachschnitte guter, verlorengegangener Typen. Eine jede Druckerei sollte mindestens einen Vertreter der Ältern Antiqua (der Schriftgattung, die gemeinhin, aber ungenau, als Mediäval bezeichnet wird) mit der zugehörigen Kursiv in sämtlichen Graden von Punkt aufwärts, einschließlich der Grade Punkt und Punkt, bis hinauf zu Punkt, besitzen, ferner eine gute Fraktur, ebenfalls in allen Graden, mindestens aber bis Punkt. Mir erscheint
der Besitz einer Antiqua Jüngern Stils (zum Beispiel der Bodoni) weniger dringend als der einer Antiqua des Übergangsstils (etwa der Baskerville); jedoch läßt sich gegen die Walbaum-Antiqua nichts vorbringen, zumal sie der Bodoni dank ihrer Zurückhaltung überlegen ist. Eine gute Egyptienne und eine gute Endstrichlose sind wohl notwendig, doch muß man bei ihrer Auswahl an die schon vorhandenen Grundschriften denken und von vornherein unharmonische Mischungen zu vermeiden trachten. Vorbedingung für ein gutes Aussehen der fertigen Arbeit und für eine angenehme Leserlichkeit ist der richtige Satz jeder einzelnen Zeile. Noch ist der zu weite Satz in fast allen Ländern die Regel. Er ist ein Erbteil des neunzehnten Jahrhunderts, dessen dünne, spitzige und zu helle Schriften den Satz mit Halbgevierten geradezu fordern. Unsere etwas kräftigeren Schriften verlieren ihren Zusammenhang als Zeile, wenn sie so weit gesetzt werden. Der Satz mit Drittelgevierten und noch enger sollte zur unbedingten Richtschnur, und nicht nur in Büchern, gemacht werden. Nach dem Schlußpunkt den Wortabstand zu vergrößern, ist unnötig, falls das Werk nicht aus ungewöhnlich langen Sätzen besteht. Die Anfänge der Absätze sollen unbedingt eingezogen werden. Satz ohne Einzüge, leider in Deutschland, und nur dort, fast die Regel, ist eine schlimme Unsitte, die verschwinden sollte. Der Einzug, in der Regel ein Geviert, ist das durchaus einzige sichere Mittel, einen Absatz zu kennzeichnen. Denn das Auge, am Ende einer Zeile angelangt, ist zu träge, einen knappen Ausgang zu bemerken, der überdies in Werken ohne Einzüge häufig erst nachträglich hergestellt
werden muß. Es kommt ja auch keineswegs so sehr auf einen möglichst ruhigen Umriß des glatten Satzes an als auf beste Leserlichkeit und Klarheit. Daher ist der Satz ohne Einzüge als Irrtum zu verwerfen. Auszeichnungen in der Fraktur werden gewöhnlich gesperrt. Früher setzte man dort Schwabacher oder auch einen größeren Frakturgrad. Verführt durch den Fraktursatz, pflegen manche Setzer auch den Antiquasatz durch Sperrung statt durch Kursivsatz auszuzeichnen. Dies ist nicht länger richtig. Auszeichnungen im glatten Antiquasatz müssen durch Kursiv bewirkt werden. Eine weitere Auszeichnungsart bilden die Kapitälchen, die im Fraktursatz ihresgleichen nicht haben. Kapitälchen sind besser als die Halbfette, die nur im deutschen Sprachgebiet in so ausgedehntem Maße verwendet wird. Dafür fehlen hier leider die Kapitälchen fast überall. Werden sie verlangt, so muß man sie durch einen kleineren Grad der Versalien mühsam vortäuschen. Es ist daher dringend zu wünschen, daß der Gebrauch der Kapitälchen mehr gepflegt werde und vor allem die besten Setzmaschinenschriften, aber auch die wichtigsten Handsatzschriften, um ihre Kapitälchen bereichert werden. Es sollte eine oberste Regel sein, daß Gemeine nie und unter gar keinen Umständen gesperrt werden. Die einzige Ausnahme ist die Auszeichnung im glatten Fraktursatz. Alle Sperrung verdirbt die Leserlichkeit und die Harmonie des Wortbildes. Daß man in Buchtiteln und Akzidenzarbeiten so häufig sperrt, geht auf die Satzweise der Zeit der deutschen Klassiker zurück, die durchaus keine Glanzzeit der Typographie war. Was aber in der Fraktur noch zur Not er
träglich ist, wird in der Antiqua und in der Kursiv zum häßlichen Unsinn. Gesperrter Satz kostet überdies doppelt soviel wie gewöhnlicher. Anders steht es mit den Antiquaversalien. Diese müssen stets und unter allen Umständen gesperrt werden, und zwar mindestens mit einem Sechstel der Kegelstärke. Dieses Sechstel ist indes nur als Richtwert aufzufassen, da die Spatien zwischen den Versalien ihrem optischen Werte nach gegeneinander ausgeglichen werden müssen. Es sollte selbstverständlich sein, daß der Ausschluß von Wörtern, die aus Versalien gesetzt sind, größer sein muß als der zwischen Wörtern aus Gemeinen; doch ist er oft entweder derselbe, das heißt zu knapp, oder viel zu weit. Er muß zwar deutlich, soll aber nicht unnötig dick sein. Was man als Stil der Typographie bezeichnen könnte, wird zunächst durch Lebensform und Arbeitsbedingungen bestimmt. Wir sind zum Beispiel ganz und gar nicht mehr imstande, reiche und gar vielfarbige Einrahmungen und Untergründe, wie sie im neunzehnten Jahrhundert vorkamen, zu erstellen. Sie wären viel zu kostspielig. Wahrscheinlich gäbe es auch niemand, der sie setzen könnte. Wir müssen mit unserer knappen Zeit rechnen und einen leicht gangbaren Weg suchen. Was allzu umständlich ist, ist kaum modern. Einfachheit ist überhaupt, heute mehr denn je, das Adelszeichen meisterlicher Arbeit. Wer je einem Meister bei der Arbeit über die Schulter schauen durfte, war gewiß erstaunt, wie leicht und flink ihm alles von der Hand geht. Es sieht so aus, als ob er seine Arbeit aus dem Ärmel schüttle. Wer mühsam probieren muß, ist noch Lehrling.
Ich mußte so viel über die Typen, deren sich der Setzer bedienen muß, sagen, weil ohne diese Schriften und ohne daß man weiß, warum man gerade sie verwendet, keine ordentliche Arbeit entstehen kann. Umhertasten unter allen möglichen Schriften bedeutet Pröbeln, Zeitverlust, teure Arbeit. Das gilt auch, wenn Entwurf und Ausführung einer Arbeit verschiedenen Händen anvertraut werden. Wer nur zeichnen, aber nicht setzen kann, kann schwerlich eine gute und brauchbare typographische Skizze liefern, und beides, Skizze und Ausführung, muß flink von der Hand gehen. Dem Entwerfer, falls ein solcher in der Druckerei beschäftigt wird, müssen die spezifischen Möglichkeiten der vorhandenen Schriften ständig gegenwärtig sein, und er muß wissen, was umständlich und was einfach zu setzen ist. Und nur, wenn seine Skizze fehlerlos ist, wird der Satz genau das sein, was ihm vor Augen stand. Ein zeichnender Laie, der ja das eigentümliche, perlende Schwarzweiß der Typen gar nicht recht kennt und nicht imstande ist, auf dem Instrumentarium der Typographie zu spielen, wird stets überrascht und unzufrieden sein. Nach einer guten Skizze, die nicht einmal immer sauber und für Laien verständlich zu sein braucht, muß selbst ein durchschnittlicher Setzer mühelos und schnell setzen können. Ein Meister könnte wohl auch ohne Skizze setzen, wenn’s sein muß, aber auch er wird in der Regel vor dem Satz eine Skizze machen, schon um den Neusatz auch nur eines Wortes zu vermeiden. Ein Meister tut keinen Handgriff zuviel. Es gibt Arbeiten, die mehr als den üblichen Aufwand im Entwurf oder in der Ausführung oder in beidem verlangen. Sie sind aber selten und müssen es bleiben. Wenn auch die
Arbeitsstunde des Entwerfers vielleicht teurer ist als die des Setzers, so sind drei Skizzen, selbst haargenaue, noch immer billiger als drei gesetzte Ausführungen. Vor allem aber muß der Entwurf aus dem Geiste der Typographie geboren und nicht darauf angelegt sein, die Wirkungen anderer graphischer Techniken, etwa der Lithographie oder der Zeichnung, zu erreichen oder sie auszustechen. Typographie ist eine eigenständige Kunst, anders als beide. Es gibt zwei berühmte Schriftproben, beide wahre Denkmale typographischer Kunst. Die eine ist wenigstens dem Namen nach ziemlich bekannt; das Manuale tipografico G B, Parma . Die andere, technisch und künstlerisch weit erstaunlicher, kennen nur wenige. Ich meine das Spécimen-Album von C D, Paris . Es ist in hunderten bunter Farben, zahllosen Schriften und mit abertausenden von Ornamenten verschiedener Form gesetzt und gedruckt, von wirklich hohem Geschmack und einer unübertrefflichen Genauigkeit im Aufeinanderpassen der vielen bunten Formen. Sosehr auch ein Setzer dieses Werk bewundern würde, eigentliche Typographie ist es nicht. Es ist nur die täuschende Imitation lithographischer Wirkungen durch Typographie, ein Scheinsieg der Typographie über die Lithographie. Ein Rest solcher irriger Bemühungen sind die hochempfindlichen englischen Schreibschriften in unseren Steckkästen. Sie täuschen Lithographie vor, und gerade darum sind sie keine guten Buchdruckschriften. Gute Typen sind solid, und allzu feine Haarstriche, gar verbundene Schrift, sind untypographisch. Gute Typographie zeigt einen einfachen Aufbau. Die zur
Mitte geschlossene Zeile ist eine spezifische und sogar die wichtigste Anordnungsart guter Typographie. Sie ist noch heute so modern wie je. Der Schreiber, auch der Maschinenschreiber, stellt seine Überschriften nicht gerne zur Mitte, weil es ihm Mühe macht. Allein in der Typographie ist diese Anordnung sinnvoll. Das Anordnen verschieden großer Kegel auf Mitte untereinander ist die zugleich einfachste und beste typographische Methode, weil sich die Zeilenzwischenräume leicht und schnell im Schiff abändern lassen. Die Kunst steckt zum großen Teil in den Zwischenräumen. Senkrecht gestellte Zeilen sind nicht nur schwer lesbar, sondern auch technisch mangelhaft, weil ihre Beweglichkeit im Schiff viel geringer ist. Ganz zu schweigen vom schrägen Satz, der dem typographischen Ordnungssystem zuwiderläuft. Man kann gewiß auch mit Gips arbeiten, aber Typographie ist das nicht. Gute Typographie ist sparsam im Zeitaufwand und auch in den Mitteln. Wer ein normales Buch mit Ausnahme der Titelseiten aus einem einzigen Grad und seiner Kursiv setzen kann, versteht seine Sache. Wer mehr als drei Kästen für eine kleinere Akzidenzarbeit oder einen einfachen Titel aufstellen muß, hat noch nicht ausgelernt. Doch darf, wer ein Briefformular ganz aus einem einzigen Schriftgrade setzen zu dürfen glaubt, nicht meinen, er habe den Stein der Weisen gefunden. Er verwechselt die Bequemlichkeit des Lesers mit seiner eigenen und übersieht, daß der Wortlaut aus wichtigen und weniger wichtigen Teilen besteht. Was wir tun und wie wir es tun, soll in allen Teilen einer einleuchtenden Notwendigkeit entspringen. Wo wir sie nicht erkennen oder fühlen, ist etwas faul. Geschmackliche
Eiertänze können lustig wirken, aber kaum auf Dauer Anspruch erheben. Der Setzer soll ein Meister, aber kein Clown sein, der jeden Tag andere Kapriolen schlägt. Der Streit um Symmetrie oder Asymmetrie ist müßig. Beide haben ihre Gebiete und besondern Möglichkeiten. Man glaube aber nicht, daß die unsymmetrische Satzweise, weil jünger, unbedingt die moderne oder gar die absolut bessere sei. Sie ist im besten Falle keineswegs einfacher oder leichter als die symmetrische, und über die symmetrische als etwas angeblich Veraltetes die Nase zu rümpfen, ist ein Zeichen geringer Reife. Ein Katalog mag mit asymmetrischer Typographie militärische Ordnung demonstrieren. In einem Buche aber stört sie den Fluß des Lesens. Asymmetrische Briefbögen können besser sein als symmetrische, aber asymmetrisch gesetzte kleinere Anzeigen bieten, zur Seite vereinigt, einen greulichen Anblick. In der Typographie gilt nicht der alte oder ein neuer Stil, sondern nur, was gut ist.
Das folgende Kapitel wurde vom Verfasser als Vortrag gehalten an der Zweihundertjahrfeier der Hochschule für Graphik und Buchkunst zu Leipzig am . Oktober .
Die Bedeutung der Tradition für die Typographie
Z Bauten und Gebrauchsgegenstände sind unverwechselbare Zeugnisse der Gegenwart. Veränderte Baumethoden haben die Architektur, neue Produktionsweisen und Werkstoffe die Gestalt der meisten Gegenstände gänzlich gewandelt. Auf diesen Gebieten hat die Tradition nicht mehr viel zu sagen; heutige Bauten und viele der Gebrauchsgegenstände, die wir benützen, sind traditionslos, sofern man von der noch kurzen Tradition einiger Jahrzehnte absieht. Die Elemente und die Form des Buches jedoch und vieler Drucksachen sind deutlich aus der Vergangenheit abgeleitet, selbst wenn diese in Millionenauflagen hergestellt werden. Die Gestalt der Schrift verknüpft die Bildung jedes einzelnen Menschen unauflöslich mit der Vergangenheit, auch wenn er sich dessen nicht bewußt ist. Daß wir die Druckschrift der Gegenwart der Renaissance verdanken, daß sie sehr oft eine Schrift der Renaissance ist, ist ihm unbekannt oder gleichgültig; man nimmt die Buchstaben als gegebene und übliche Kommunikationszeichen hin. Alle Typographie setzt Tradition und Konventionen voraus. Traditio kommt von lateinisch trado, ich übergebe, und bedeutet Übergabe, Weitergabe, Überlieferung, Unterricht, Lehre. Das Wort Konvention kommt von convenio, zusammenkommen, und bedeutet Übereinkunft. Ich ge
brauche dieses Wort und das von ihm abgeleitete Wort konventionell nur in seinem ursprünglichen, niemals in abfälligem Sinne. Die Form unserer Buchstaben, der älteren Hand- und Inschriften sowohl wie der heute üblichen Schriftschnitte, spiegelt eine langsam erstarrte Konvention, eine Übereinkunft, die sich unter vielen Kämpfen gebildet hat. Noch nach der Renaissance standen in mehreren europäischen Ländern gebrochene Nationalschriften der für alles Lateinische verbindlichen Antiqua gegenüber, und selbst heute, so hoffe ich, ist das letzte Wort über die Fraktur noch nicht gesprochen. Von ihr abgesehen, ist die Antiquaminuskel der Renaissance unsere Schrift seit Jahrhunderten. Was ihr folgte, sind bloße modische Abwandlungen, zum Teil nur Entstellungen der edlen Grundformen, keinerlei Besserungen. Der Schriftschnitt Claude Garamonds, um in Paris entstanden, ist in seiner Klarheit, Leserlichkeit und Schönheit schlechthin unübertrefflich. Er trat auf, als auch das abendländische Buch als Gegenstand seine mittelalterliche Schwerfälligkeit abgelegt und jene Form angenommen hatte, die noch heute die beste ist: der schlanke, aufrechtstehende rechteckige Körper, aus gefalzten und im Rücken gehefteten Bögen gebildet, in einem Einband, dessen überstehende Kanten den Schnitt schützen. Seit etwa hundertfünfzig Jahren ist mit der Gestalt des Buches in der verschiedenartigsten Weise manipuliert worden. Zunächst wurden die verwendeten Druckschriften spitzig und dünn, man griff zu willkürlich breiten Proportionen des Buchkörpers und reduzierte seine Handlichkeit, man glättete später das Papier so stark, daß sogar seine
Fasern und damit sein Bestand litten – schließlich kam der Reformversuch des Engländers William Morris und seiner Nachahmer, zuletzt traten die deutschen Schriftkünstler der ersten drei Jahrzehnte dieses Jahrhunderts mit neuen Schriften auf den Plan, die größtenteils vergessen sind. Für alle diese Experimente, die zwar den Historiker und den Liebhaber fesseln können, auch hin und wieder für ihre Zeit Gültiges, ja Bedeutendes hervorgebracht haben, gibt es eine einzige Ursache: das Mißvergnügen am Bestehenden. Selbst das Bestreben, vorsätzlich Neues oder anderes zu schaffen, wird in erster Linie durch dieses Mißvergnügen legitimiert. Mangelnde Freude am Üblichen läßt sich von der dunklen Ahnung betören, daß anderes besser sein könnte. Man findet etwas schlecht, kann aber nicht definieren, warum, und man will es einfach anders machen. Modische Formvorstellungen, Minderwertigkeitskomplexe und neue technische Möglichkeiten spielen zwar hinein, sind aber weniger wirksam als der Protest des Jünglings gegen die Umwelt der älteren Generation. Dieser Protest gegen Formen ist sogar fast immer wohlbegründet. Denn rar ist das Vollkommene! Aber der Protest ist unfruchtbar, Leistungen aus Protest bleiben fragwürdig, solange man noch nicht einigermaßen ausgelernt und die Entwicklung der typographischen Grammatik gründlich studiert hat. Denn allein sie verschafft uns das Werkzeug konstruktiver Kritik, das Wissen. In der Druckkunst zählt vor allem, was jedermann täglich zu Gesicht bekommt: zuerst Bilderbuch und Fibel, dann das Lesebuch, das Lehrbuch, der Roman, die Zeitung, die alltäglichen Prospekte. Nur ganz weniges davon vermag
uns, seiner Gestalt nach, auch nur einigermaßen zu erfreuen. Dabei kostet die Herstellung eines guten Kinderbuches, die eines gut gesetzten Romans nicht mehr als das schlechthin Übliche. Es trifft wahrhaftig zu, daß irgendetwas an so vielen Druckwerken nicht stimmt. Aber ohne die Ursachen des Unstimmigen methodisch zu erforschen, ohne für eine Analyse hinreichend ausgerüstet zu sein, glaubt der Naive, etwas anderes sei auf alle Fälle besser. Und ständig sind Leute am Werk, ihm immer simplere Rezepte als der Weisheit letzten Schluß anzubieten. Zurzeit ist das der gedichtartige Zeilensatz aus Grotesk, womöglich nur in einem einzigen Grad. Die wahre Ursache so vieler Unzulänglichkeiten in Büchern und anderen Drucksachen ist der Mangel an oder der ausdrückliche Verzicht auf Tradition und die anmaßende Verachtung der Konventionen. Wenn wir etwas bequem lesen können, so dank der Respektierung des Üblichen. Lesenkönnen setzt Konventionen und ihre Kenntnis und Beachtung voraus. Wer die Konventionen über Bord wirft, läuft Gefahr, den Text unleserlich zu machen. Bücher, deren Textdarstellung unseren Gewohnheiten nicht entspricht, wie die unvergleichlich herrlichen Manuskripte des Mittelalters, sind mühsamer als unsere Bücher zu lesen, auch wenn man gut Lateinisch versteht, und ein Buch in Gabelsberger-Stenographie ist heute überhaupt unnütz, weil wir nicht einmal mehr die einzelnen Wörter lesen können. Die Benützung der konventionellen Buchstaben und der konventionellen Schreibweise sind unabdingbare Voraussetzungen gemeinverständlicher, das heißt brauchbarer Typographie. Wer das nicht beachtet, vergeht sich am Leser.
Diese Wahrheit richtet fürs erste unseren Blick auf die Form der Buchstaben. Die Geschichte der Schriftschnitte könnte viele tausende verschiedener Alphabete aufzählen, die zwar fast alle die kristallisierte Endform unserer Schrift, die Antiqua oder Renaissanceminuskel, zur Mutter, jedoch sehr unterschiedliche Qualitäten haben. Die formale Schönheit ist dabei nur ein Kriterium, und schwerlich das wichtigste. Neben dem unentbehrlichen Rhythmus ist es vor allem die ausgeprägt klare, unverwechselbare Form, das höchst empfindliche richtige Verhältnis von Assimilation und Dissimilation im Einzelbuchstaben, das heißt die Anähnelung aller Buchstaben und die simultane Entähnelung des Einzelzeichens, die eine vollkommene Leserlichkeit gewähren. Die vollendete Form unserer Buchstaben ist, wie schon erwähnt, das Werk des großen Schriftschneiders Garamond. Sie ist für ein Vierteljahrtausend die einzige Antiqua in Europa gewesen, wenn man von ihren zahlreichen Nachahmungen absieht. Alte Bücher aus dieser Zeit können wir noch genau so gut wie unsere Vorfahren lesen und leichter als so manches, das uns heute begegnet. Und das, obwohl nicht alle dieser alten Bücher so sorgfältig gesetzt sind, wie das der anspruchsvolle Kenner der Gegenwart verlangt. Rauhes Papier und nicht selten mangelhafter Druck täuschen aber über diese Mängel hinweg. Guter Satz ist enger Satz, weiter Satz ist schlecht leserlich, weil die Löcher den Zusammenhang der Zeile und damit die Erfaßbarkeit des Gedankens gefährden. Gleichmäßiger Zeilenausschluß ist im heutigen Maschinensatz kein Kunststück mehr. Wie richtig der Setzer mit Schrift und Ausschluß früher umzugehen wußte, lehrt jedes einzelne Buch vor
. Den Begriff der ‹Liebhaberausgabe›, des gepflegten Buches, kannte man damals noch kaum; die Qualität ist im großen und ganzen von gleichmäßiger Höhe. So leicht es heute ist, ein häßliches Buch zu finden (man braucht nur das erstbeste zu nehmen), so schwer ist es, ein wirklich häßliches altes Buch aus der Zeit vor zu entdecken. In der krankhaften Sucht nach anderem sind heute die von der Vernunft gebotenen Proportionen der Papiergröße, wie so viele andere Werte, von manchen geächtet worden, zum empfindbaren Nachteil des einzelnen wehrlosen Lesers. Einst waren Abweichungen von den wahrhaft schönen und daher angenehmen Seitenproportionen : , : √ und des Goldenen Schnittes selten: zahlreiche Bücher aus der Zeit zwischen und zeigen eins dieser Verhältnisse bis auf halbe Millimeter genau. Um dies zu erfahren, muß man alte Bücher gründlich examinieren. Das tut aber leider, leider so gut wie niemand. Der Gewinn aus solchem Studium ist unermeßlich. Eine bis ins einzelne gehende Betrachtung alter Bücher und ihre Unterstützung durch sowohl permanente wie wechselnde Ausstellungen alter Bücherschätze sind darum höchst dringliche Aufgaben aller Lehranstalten der Typographie und der alten Bibliotheken. Man darf sich dabei nicht mit der neugierig-oberflächlichen Betrachtung besonders schöner Seitenpaare oder gar nur der Titel begnügen, sondern muß solche Bücher in die Hand nehmen, ihren Zusammenhang und ihre typographische Gliederung Seite für Seite studieren. Dazu können schon inhaltlich belanglose, das heißt nicht weiter wertvolle, alte Bücher durchaus dienlich sein. Wir sind zwar mit Augen geboren, aber nur langsam öffnen
sie sich der Schönheit, viel langsamer, als man so denkt. Es ist auch gar nicht leicht, einen Kundigen zu finden, der einem hilft. Gar oft fehlt es an der Aligemeinbildung, schon beim Lehrer. Um empörte es einen Kunstlehrer, daß der Typograph in der ganzen Schriftgeschichte der letzten zweitausend Jahre Bescheid wissen müsse. Damals waren die Ansprüche übrigens weit mäßiger als heute. Schlügen wir jedoch solche Forderung in den Wind, so fielen wir in die Barbarei. Wer nicht mehr versteht, was er macht, ist ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Unter den alten Büchern findet man auch die unvernünftigen Formate nicht, die man uns heute so oft als Werke der Buchkunst vorsetzt. Große Formate kommen zwar vor, aber stets mit gutem Grund – nicht aus Eitelkeit oder Geldmacherei geboren, sondern aus irgendeiner plausiblen Notwendigkeit. Bibliophile Riesenschmöker, ähnlich den Prachtgreueln der Gegenwart, als Lektüre ungeeignet, wurden zwar für Könige gelegentlich gemacht, sind aber seltenste Ausnahmen. Die vernünftige Größe der alten Bücher ist nachahmenswert. Die eindringliche Betrachtung von Büchern aus den Zeiten der Renaissance, der eigentlichen Glanzzeit des Buchdrucks, und des Barocks belehrt uns am besten über den vernunftgemäßen Aufbau eines Buches. Ein solches Buch ist oft leichter zu lesen als so mancher Prospekt der Gegenwart. Wir sehen einen wundervoll ebenen Satz, deutlich in die damals selteneren Absätze gegliedert, die jedesmal mit einem Gevierteinzug eröffnet werden. Diese Kennzeichnungsart der Zäsuren, ursprünglich eine Zufallsentdeckung, ist die
einzige gute Methode. Sie ist Jahrhunderte hindurch bis auf den heutigen Tag benützt worden. Jetzt glauben gar manche, sie sei unmodern, und fangen die Absätze stumpf an. Das ist einfach falsch, weil es die so nötige Gliederung, die am linken Rande des Satzes erkennbar sein muß, zerstört. Der Gevierteinzug ist eins der kostbarsten Erbteile der typographischen Geschichte. Wir sehen ferner die Kennzeichnung der Kapitelanfänge durch Initialen. Gewiß sind diese auch Ornament, in erster Linie aber unverfehlbare Hinweise auf wichtige Anfänge. Sie stehen heute fast in Verruf, sollten aber mindestens in Form ungeschmückter großer Lettern wieder aufgenommen werden. Ein Verzicht auf Initialen enthebt uns nicht der Notwendigkeit, den Kapitelanfang einigermaßen deutlich zu machen, etwa durch den Satz allein des ersten Wortes aus einem Versal und Kapitälchen, am besten ohne den Einzug, der unter einer zentrierten Überschrift sinnlos ist. Es genügt nicht, Hauptgruppen innerhalb eines Kapitels durch eine Blindzeile zu kennzeichnen: wie leicht ist die letzte Zeile eines Hauptabschnittes die letzte einer Seite! Darum muß auch hier wieder mindestens die erste Zeile des neuen Hauptabschnittes stumpf angefangen und das erste Wort auch hier wieder aus einem Versal und Kapitälchen gesetzt werden. Noch besser ist die Einfügung etwa eines Sternes in der Mitte über diesem Anfang. Die Renaissance kannte nicht die Furcht vor großgradigen Überschriften, die heute so weit verbreitet ist. Diese sind oft nicht aus Versalien, sondern aus Gemeinen gesetzt: eine nachahmenswerte Satzweise. Aus Angst, etwas falsch zu machen, ist man heute oft zu zaghaft in der Gradbestim
mung der Hauptzeilen eines Titels. Allerdings sind unsere meistens kleinen Verlagssignete nicht imstande, ein Gleichgewicht herzustellen, wenn die obersten Zeilen sehr groß sein möchten. Im einzelnen belehrt uns das Buch der Renaissance über den sinnvollen Gebrauch der Kursiv, sei es als Auszeichnung im Text oder als Schrift des Vorwortes, über den richtigen Gebrauch und die Satzweise der Kapitälchen, den sinnvollen Einzug von Fortsetzungszeilen in Inhaltsverzeichnissen und unendlich viel mehr. Schließlich ist der überzeugende Stand der Satzspiegel auf der Buchseite zu nennen, der durchaus nicht veraltet und ohnehin unbesserbar ist, die wohlüberlegte Handlichkeit des fertigen Buches, der Einklang der Druckfarbe mit dem natürlichen, also nicht blendendweißen Papier zu rühmen. Die alte zentrierte Satzordnung ist zwar dem Ordnungswillen der Renaissance verwandt, aber zeitlos gültig. Da wir in ihr nach zentrierten Überschriften erster und zweiter Ordnung Überschriften letzter Ordnung nach links rücken können, ist sie deutlicher, reicher und brauchbarer als eine Ordnung, die jede Zentrierung verwirft und ihre Überschriften oft nur mittels halbfetter Schrift wahrnehmbar machen kann. Die Typographie des alten Buches ist ein kostbares Erbe, wohl wert, von uns weiter benutzt zu werden. Es wäre verwegen und sinnlos, die Form des europäischen Buches wesentlich ändern zu wollen. Kann, was sich Jahrhunderte hindurch als brauchbar und richtig erwiesen hat – denken wir nur an den Gevierteinzug, durch eine sogenannte ‹experimentelle Typographie› verdrängt werden? Nur unbestreit
bare Besserungen hätten einen Sinn. Eigentliche, wirkliche Experimente dienen der Ausforschung, sind Mittel der Wahrheitsfindung und Beweisführung, sind selber aber niemals Kunst. Unendliche Energien werden vertan, weil jeder meint, auf eigene Faust von vorne anfangen zu müssen, statt daß er erst einmal gründlich lernt. Wer kein Schüler sein will, wird schwerlich Meisterschaft erreichen. Achtung der Tradition ist keineswegs Historismus. Aller Historismus ist tot. Doch die besten Schriftschnitte der Vergangenheit leben fort. Zwei oder drei von ihnen warten auf ihre Wiederentdeckung. Typographie ist Kunst und Wissenschaft zugleich. Ein Teilwissen, das sich auf Schüler von Schülern, quasi auf Abschriften fehlerhafter Spätausgaben, gründet statt auf das unmittelbare Studium der Quellen, kann nichts Gültiges hervorbringen. Wohl ist Typographie aufs engste mit der Technik verknüpft, aber aus Technik allein entsteht niemals Kunst. Die Tradition, die ich hier meine, steht nicht auf dem Werk der vorigen Generation, wenngleich sie sich oft mit diesem deckt. Wir müssen die große Tradition des Renaissance- und Barockbuches an der Quelle studieren und mit neuem Leben erfüllen. Methodische Untersuchungen fehlerhafter Bücher sollten allein an solchem Maßstab orientiert sein. Experimente, die Andersartiges zum Ziel haben, mögen fesselnd oder unterhaltsam sein, mindestens für den Experimentator selbst. Aber dauerhafte Tradition erwächst nicht aus ihnen, sondern nur aus dem Erbe wahrer Meisterschaft. Ars typographica Lipsiensis vivat et floreat!
Symmetrische oder asymmetrische Typographie?
D Frage, in dieser Form gestellt, erfordert zunächst eine Begriffsklärung. Das Wort symmetrisch läßt sich bei der Erörterung eines typographischen Aufbaus nicht verwenden, denn symmetrisch ist etwas, dessen Hälfte das Spiegelbild der andern Hälfte ist. Zwar bedeutet Symmetrie ursprünglich ganz allgemein Gleichgewicht, doch hat sich der Begriff seit langem im soeben erwähnten Sinne verengt. Streng symmetrische Gegenstände müssen zwar nicht geradezu häßlich sein, sind jedoch nur selten eigentlich schön. Denken wir an den älteren Kleiderkasten, der ein echtes und auf der linken Seite ein nutzloses Schlüsselschild hat. Es hat eine Zeit gegeben, die das falsche Schlüsselschild vermißt hätte. Weil die linke Hälfte eines zentrierten Titels oder auch nur einer einzigen zentrierten Zeile nicht das Spiegelbild der rechten darstellt, ist das ganze Gebilde überhaupt nicht im strengen Sinne symmetrisch. Es gibt also gar keine symmetrische Typographie, und man sollte darum nicht von symmetrischer Typographie reden, sondern von zentrierter, wenn die Zeilen auf Mitte geschlossen sind. Nebenbei bemerkt, gibt es auch keine Mittelachse und daher auch keine Mittelachsentypographie, Das Wort Mittelachse ist eine Tautologie. Eine Achse ist immer in der Mitte dessen, das sich um sie dreht, mag dieses selbst auch unsymmetrisch sein.
Ein Rahmen um einen Satz ist natürlich in der Regel symmetrisch, aber eine Zutat, die hier nicht diskutiert werden muß. Ungezählte Naturformen sind, wenigstens äußerlich, symmetrisch: die menschliche Gestalt, das Tier, das Samenkorn, das Ei. Oder sie entwickeln sich zu einer allgemeinen Symmetrie hin: der freistehende Baum etwa. Die symmetrische Gestalt des Menschen mit seinen beiden Augen und Armen findet ihren Spiegel in der symmetrischen Gestalt des Buches und auch in einem Buchtitel, dessen Zeilen zur Mitte geschlossen sind. Ähnlich antwortete auch die symmetrische Renaissancearchitektur auf die Gestalt des ihr gegenüberstehenden Menschen. Symmetrische Ordnung schlechthin ist weder Stilmerkmal noch Ausdruck einer Gesellschaftsverfassung, sondern nur eine quasi natürlich gewachsene Form, die es zu allen Zeiten und in den verschiedensten Gesellschaftsordnungen gegeben hat; doch darf man ihr wohl das erkennbare Streben nach Ordnung, einer Mitte zu, attestieren. Was ist es nun, das uns so viele symmetrische und scheinsymmetrische Formen schön erscheinen läßt? Der Rokokopark mit seiner strengen Regelmäßigkeit ist, leer, von unerträglicher Gespreiztheit und Öde. Aber ein darin wandelnder Mensch oder ein Menschenpaar bringt den Gegensatz zwischen geometrischer Strenge und lebendiger Bewegung zum Bewußtsein und macht das Ganze erfreulich. Zwar ist der Mensch äußerlich symmetrisch, doch sind schon beide Gesichtshälften niemals gleich, oft sogar recht verschieden, und diese Verschiedenheit ist zumindest aus
drucksvoll und zuweilen eigentliche Ursache der Schönheit. Ein Kiesel erfreut uns eher als eine Kugel. Ausdruck und Leben heißt Bewegung. Unbewegte Symmetrie ist spannunglos und läßt uns kalt. Ein sehr reicher Barockrahmen oder ein sonstiger symmetrisch aufgebauter ornamentaler Rahmen, der uns schön erscheint, ist es vielleicht nur darum, weil die Bewegung des Ornaments die allgemeine Statik stört. In der Tat ist die Störung der perfekten Symmetrie ein Erfordernis der Schönheit. Was nicht ganz symmetrisch ist, ist erheblich schöner als die untadelige Symmetrie. Die Kunst zeigt den nackten Menschen niemals in Achtungstellung, sondern stets in einer unsymmetrischen Haltung: diese Störung der Symmetrie ist notwendig. So ist auch der scheinsymmetrische Buchtitel schön und voller Ausdruck dank dem unterbewußt wahrgenommenen Widerspiel der durchaus unsymmetrischen Wortbilder und Zeilen und dem Streben, diese Elemente in einer festgefügten, ‹symmetrischen› Ordnung zu binden: Ordnung in der Freiheit. Umgekehrt ist der Auftritt symmetrischer, statischer Buchstaben, wie A H M T V, im Text dynamisch angeordneter Typographie ein angenehm retardierendes Moment. Selbst ein Wechsel scheinsymmetrischer und dynamischer Ordnung kann zuweilen, etwa in Zeitschriften, erfreulich sein; doch gehört dazu eine meisterhafte Sicherheit, wie überhaupt keinerlei Rezept zur Kunst führt. Neueste Beispiele aus der Akzidenztypographie zeigen, daß man die ihrem Wesen nach natürliche zentrierte Typographie auch strapazieren und ihr eine eitle Haltung verleihen kann, die
der Aufgabe fremd ist und das Ergebnis zur Modeerscheinung werden läßt. Das Richtige wird in der Typographie, die nur ein Diener, kein Herr ist, durch die Zweckmäßigkeit definiert: daher ist es durchaus nicht unfolgerichtig, sondern öfter angezeigt, ein Buch zwar mit einem zentrierten Titel zu eröffnen und auch die Kapitelüberschriften in die Mitte zu stellen, aber Unterabteilungen mit nach links gerückten Überschriften zu beginnen. Also gibt es, wie wir sehen, überhaupt keinen Gegensatz zwischen scheinsymmetrischer und nicht zentrierter Typographie, sondern nur vielstufige Bestrebungen zu vorwiegend zentrierter oder vorwiegend dynamischer Anordnung, die in allen ihren Abarten, je nach dem Zweck der Arbeit, richtig oder ungeeignet sein können. Hoffen wir, daß das jeweilige Ergebnis in seiner Art auch schön sei.
Willkürfreie Maßverhältnisse der Buchseite und des Satzspiegels
Z Konstanten regieren die Proportionen eines gut gemachten Buches: Hand und Auge. Das gesunde Auge ist immer um zwei Spannen von der Buchseite entfernt, und alle Menschen fassen Bücher auf die gleiche Weise an. Die Buchgrößen werden vom Gebrauchszweck bestimmt. Sie sind auf die durchschnittliche Größe und die Hände von Erwachsenen bezogen. Schon Kinderbücher dürfen nicht in Foliogröße hergestellt werden, weil einem Kinde dieses Format unhandlich ist. Ein hoher oder wenigstens genügender Grad von Handlichkeit wird erwartet: ein Buch in Tischgröße ist ein Unding, Bücher von Briefmarken große sind Spielereien. Sehr schwere Bücher sind ebenso unwillkommen; ältere Leute könnten sie vielleicht nicht ohne fremde Hilfe bewegen. Riesen müßten viel größere Buchformate und Zeitungen haben; Zwergen wären viele unserer Bücher zu groß. Zwei Hauptgruppen von Büchern gibt es: jene, die wir auf den Tisch legen, um sie zu studieren, und die andern, die wir im Stuhl zurückgelehnt, im Sessel oder in der Eisenbahn lesen. Studierbücher sollten wir schräg vor uns aufstellen. Dazu raffen sich aber nur wenige auf. Uns über das Buch zu beugen, ist der Gesundheit genau so abträglich wie die übliche Schreibhaltung, die der flache Tisch fordert. Der Schreiber des Mittelalters schrieb auf einem Pult, das wir
kaum noch Pult zu nennen wagen, so steil war es (zuweilen bis fünfundsechzig Grad). Das Pergament war mit einem quergespannten Band festgehalten und wurde nach und nach aufwärts geschoben. Die Schreiblinie, stets waagerecht, war in Augenhöhe, und der Schreiber saß nahezu aufrecht vor dem Pergament. Noch um die Jahrhundertwende schrieben Pfarrer und Beamte stehend an einem Pültchen: eine gesunde, vernünftige Schreib- und Lesehaltung, die leider ganz selten geworden ist. Die Lesehaltung hat jedoch mit der Größe und Ausdehnung der Studierbücher nichts zu tun. Ihre Formate reichen von Großoktav bis Großquart; größere Formate sind Ausnahmen. Studier- oder Tischbücher liegen auf dem Tisch und können nicht in der freien Hand gelesen werden. Bücher, die man gerne freihändig läse, zeigen alle Abarten des Oktavformats. Vollkommen wären die seltenen noch kleineren Bücher, falls sie schlank sind: sie können ohne Mühe stundenlang in der freien Hand gehalten werden. Aus einem aufgestellten Buche wird nur beim Gottesdienst vorgelesen: die Augen des Vorlesers mögen um Armeslänge von den Buchstaben des Textes entfernt sein. Eine gewöhnliche Buchseite ist bloß eine Ellenlänge vom Auge des Lesers entfernt. Nur von profanen Büchern ist hier die Rede: nicht alle der folgenden Erwägungen und Regeln gelten auch für sakrale Bücher. Es gibt viele Proportionen der Seiten große, das heißt des Längenverhältnisses von Breite und Höhe. Jedermann kennt zumindest vom Hörensagen das Verhältnis des Goldenen Schnittes: genau : ,. Die Proportion : ist nichts anderes als eine Annäherung an den Goldenen Schnitt. Es fällt
Figur . Rechteck aus dem Fünfeck. Verhältnis : , (irrational). schwer, dies noch von der Proportion : zu behaupten. Außer den Proportionen : ,, : , : werden in erster Linie außerdem die Proportionen : , ( : √ ) und : , ( : √ ) für Bücher benützt. Siehe Figur . Figur führt ein wenig bekanntes, sehr schönes Rechteck aus dem Fünfeck vor; Proportion : ,. Die geometrisch definierbaren irrationalen Seitenproportionen : , (Goldener Schnitt), : √, : √, : √,
Figur . Quartformat mit seiner Faserlaufrichtung. : , (Figur ) und die einfachen rationalen Proportionen : , : , : , : , : nenne ich klare, absichtliche, eindeutige, alle andern unklare und zufällige Verhältnisse. Der Unterschied zwischen einem klaren und einem unklaren Verhältnis ist, obwohl oft geringfügig, merkbar. Viele Bücher aber zeigen keine dieser klaren Proportionen, sondern eine zufällige Proportion. Es ist zwar nicht erklärlich, aber erwiesen, daß der Mensch Flächen von geometrisch eindeutiger, absichtlicher Proportion angenehmer oder schöner findet als solche von zufälliger Proportion. Ein häßliches Format bewirkt ein häßliches Buch. Da Brauchbarkeit und Schönheit einer Drucksache, ob Buch oder Handzettel, vom Seitenverhältnis der endlichen Papier
Figur . Oktavformat braucht die andere Faserlaufrichtung. größe abhängen, muß, wer ein schönes und angenehmes Buch machen will, daher zuerst ein Format von eindeutiger Proportion bestimmen. Eine und dieselbe Proportion, sei sie : oder : , oder : oder irgendeine andere eindeutige Proportion, genügt aber nicht für alle Bucharten. Es ist wiederum der Gebrauchszweck, der nicht nur die Größen der Bücher, sondern auch ihre Seitenproportion bestimmt. So ist die breite Proportion : vorzüglich für Bücher in Quart geeignet, weil diese auf dem Tisch liegen. Ein Taschenbuch in der Proportion : aber ist sowohl unhandlich wie unschön. Selbst wenn dieses gar nicht eigentlich schwer ist, können wir es nur kurze Zeit in der freien Hand halten, und über
dies fallen beide Hälften des Buches stets zurück: das Buch ist viel zu breit. Dies gilt auch von den leider nicht seltenen Büchern im Format A (, mal Zentimeter, : √ ). Ein kleines oder Freihandbuch muß schlank sein, weil wir es sonst nicht regieren können. Die Proportion : ist hier ungeeignet; gut ist eine der Proportionen : , (sehr schlank), : und : ,, : . Kleine Bücher müssen also schlank, große dürfen breit sein; die kleinen hält man in der freien Hand, die großen liegen auf dem Tisch. Die alten Bogenformate, alle ungefähr von der Proportion : , ergeben gefalzt im Wechsel die Proportionen : und : ; das Viertel ist Quart oder : , das Achtel Oktav oder : . Die beiden Hauptproportionen : (Oktav) und : (Quart) bilden ein sinnvolles Paar wie Mann und Weib. Der Versuch, sie durch die Zwitterproportion : √ der sogenannten Normalformate zu verdrängen, ist ebenso widernatürlich wie es der Wunsch wäre, die Polarität der Geschlechter aufzuheben. Die neuen Rohbogenformate vermeiden diesen Wechsel : – : – : – : und behalten halbiert die ursprüngliche Proportion. Diese Proportion heißt : ,. Bogen aber, die sich ihrer Laufrichtung nach für Quart eignen, darf ich nicht für Oktavbücher verwenden, da das Papier dann verkehrt liefe, und für Sedezbücher kann ich sie nicht verwenden, da das Papier für diese zu dick wäre. Wir kämen daher auch ohne Bogenformate der Proportion : , zurecht. Vergleiche die Figuren und . Das Format A ( mal , Zentimeter) eignet sich zwar gut für den zweispaltigen Satz von Zeitschriften, auch mag A für zweispaltigen Satz passen; einspaltiger Satz be
friedigt auf beiden Formaten jedoch nur selten, und A ist dazu, in der Hand gehalten, unangenehm, weil es zu breit, unhandlich, unelegant ist. Schon einmal, im hohen Mittelalter, zu einer Zeit, da besonders viele Bücher zweispaltig geschrieben waren, sind Buchformate mit der Proportion : , üblich gewesen. Gutenberg zog jedoch die Seitenproportion : vor. In der Zeit der Renaissance begegnet die Buchproportion : , nur selten. Dagegen trifft man zahlreiche deutlich schlanke Kleinfoliobücher von großer Eleganz an, die uns zum Vorbild dienen sollten. Außer dem vierspaltigen Codex Sinaiticus des Britischen Museums, einem der ältesten Bücher der Welt, hat es nur wenige quadratische Bücher gegeben. Es bedarf ihrer nicht. Als Studierbücher sind sie unnötig niedrig und von störender Breite, als Freihandbücher so unhandlich und unelegant wie kein einziges anderes Format. Erst in der behäbigen Zeit, die den Verfall der Typographie und der Buchkunst einleitet, unserem Biedermeier, waren nahezu quadratische Quart- und sehr breite Oktavformate nicht selten. Wie häßlich die Bücher im neunzehnten Jahrhundert geworden waren, zeigte sich um die Jahrhundertwende. Der Satzspiegel wurde genau in die Mitte des Papiers gestellt, alle vier Ränder waren gleich breit. Das Seitenpaar verlor seinen Zusammenhang und fiel darum auseinander. Man begann sich darüber Gedanken zu machen, sah mit Recht ein Problem im Verhältnis der vier Ränder zueinander und versuchte, dieses in Zahlenwerten zu formulieren. Diese Bemühungen aber haben eine verkehrte Richtung eingeschlagen. Nur unter gewissen Voraussetzungen können die Ränder rationale (das heißt, in einfachen Zahlen
ausdrückbare) Progressionen (innerer Rand zum oberen, vorderen und unteren) wie zum Beispiel : : : bilden. Die Ränderprogression : : : ist nur möglich, wenn das Papierformat die Proportion : hat und das Satzformat ihr folgt. Hat das Papier aber eine andere Proportion, etwa : √, dann ergibt eine Stellung mit Rändern im Verhältnis : : : einen Satzspiegel von einer Proportion, die von jener der Seitengröße unterschieden und daher unharmonisch ist. Das Geheimnis der schönen Buchseite steckt also nicht notwendig in einem in einfachen Zahlen ausdrückbaren Verhältnis der Randbreiten. Harmonie zwischen Seiten große und Satzspiegel entsteht durch Proportionsgleichheit beider. Gelingt es, Stellung des Satzspiegels und Seitenformat unauflösbar miteinander zu verknüpfen, dann werden die Ränderverhältnisse zu Funktionen des Seitenformats und der Konstruktion und von beiden unabtrennbar. Die Ränderverhältnisse regieren also nicht die Buchseite, sondern ergeben sich erst aus dem Seitenformat und dem Formgesetz, dem Kanon. Wie aber sieht dieser Kanon aus? Vor der Erfindung des Buchdrucks sind die Bücher mit der Hand geschrieben worden. Gutenberg und den Frühdruckern diente das geschriebene Buch als Vorbild. Die Buchdrucker übernahmen die Gesetze der Buchform, denen die Schreiber seit langem gefolgt waren. Daß es Richtschnuren gab, ist gewiß; zeigen doch zahlreiche mittelalterliche Handschriften große Übereinstimmungen in den Proportionen ihrer Formate und der Stellung der Schriftflächen. Diese Gesetze sind uns jedoch nicht überliefert. Sie waren Werkstattgeheimnisse. Nur durch Nachmessen mittelalter
Figur . Ideales Proportionsgerüst einer mittelalterlichen Handschrift mit ungehaltenen Schriftflächen. Ermittelt von Jan Tschichold, . Blattproportion : . Ränderverhältnisse : : : . Schriftflächenproportion im Goldenen Schnitt! Nur die äußere untere Ecke der Schriftfläche wird von einer Diagonalen mitbestimmt. licher Handschriften können wir versuchen, ihnen auf die Spur zu kommen. Auch Gutenberg erfand kein neues Formgesetz. Er folgte dem Werkstättengeheimnis der Eingeweihten. Vermutlich war hier Peter Schöffer im Spiele, dem, als einem hervorragenden Kalligraphen, dieses gotische Werkstättengeheimnis sicherlich geläufig war. Ich habe viele mittelalterliche Handschriften nachgemes
Figur . Der geheime Kanon, der vielen spätmittelalterlichen Handschriften und Inkunabeln zugrunde liegt. Ermittelt von Jan Tschichold, , Blattproportion : . Schrift- und Blattfläche proportions gleich. Höhe der Schriftfläche gleich der Blattbreite. Randverhältnisse : : : . sen. Keineswegs jede folgt irgendeinem Gesetz genau; es gab auch damals schon kunstlos gemachte Bücher. Nur die sichtlich mit Überlegung und Kunst eingeteilten Handschriften zählen. gelang es mir endlich, nach mühsamer Arbeit, den Goldenen Kanon der spätgotischen Buchseiteneinteilung, wie er von den besten Schreibern benützt worden ist, zu rekonstruieren. Er ist in Figur dargestellt. Figur ist ein Kanon, den ich aus noch älteren Handschriften abstrahiert
Figur . Neunteilung von Höhe und Breite des Papiers im Sinne von Rosarivos Konstruktion, die, wie Figur , die Blattproportion : voraussetzt. Das Ergebnis deckt sich mit Figur ; nur die Methode ist eine andere. Als Kanon Gutenbergs und Peter Schöffers nachgewiesen. habe. Obwohl schön, ist er heute kaum mehr anwendbar. In Figur ist die Höhe des Schriftfeldes gleich der Breite des Papiers: bei dem Seitenverhältnis : , das eine Bedingung dieses Kanons ist, ergeben sich ein Neuntel der Papierbreite als innerer, zwei Neuntel als vorderer Rand, ein Neuntel der Papierhöhe als oberer und zwei Neuntel als unterer Rand. Schriftbild und Papiergröße sind proportionsgleich. Andere, empirisch entwickelte Schemata hatten zuweilen schon die Proportionsgleichheit von Satzspiegel und Seitenformat ge
Figur . Neunteilung nach van de Graaf, vor geführt auf der Blattproportion : . Der einfachste Weg zum Kanon der Figur . Geometrie statt Millimeterrechnung. fordert, doch fehlte die Verknüpfung in der Diagonale der Doppelseite, die hier zum erstenmal als Bestandteil der Konstruktion auftritt. Raúl Rosarivo hat genau das, was ich als Schreiberkanon aufgedeckt habe, als Kanon Gutenbergs nachgewiesen. Er findet Größe und Stellung des Satzspiegels mittels einer Neunteilung der Seitendiagonale (Figur ). Der Schlüssel dieser Satzspiegelstellung ist die Neunteilung der Breite und Höhe des Blattes. Am einfachsten läßt sie sich auf die durch Joh. A. van de Graaf gefundene, in Figur gezeigte Art bewirken. Sein Verfahren läuft auf meine
Figur . Die Villardsche Figur. In unserem Diagramm der Seitenkonstruktion steckt auch eine Abwandlung der Villardschen Figur. So wird der harmonikale Teilungskanon des Villard de Honnecourt genannt. Villard war ein piccardischer Architekt der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts. Sein Bauhüttenbuch, eine Handschrift, wird in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrt. Mit Hilfe dieses Kanons, den die verstärkten Linien zeigen, kann ohne jeden Maßstab eine Strecke in beliebig viele gleiche Teile geteilt werden. Figur und die Figur Rosarivos hinaus. Er benützt aber nicht die Seitenproportion : , die ich, besseren Vergleiches halber, seiner Figur zugrunde gelegt habe. Die letzte und schönste Bestätigung für die Richtigkeit meines in Figur dargestellten Ergebnisses gewährte mir
jedoch die der Figur einbeschriebene Villardsche Figur. Dieser noch wenig bekannte, wahrhaft erregende gotische Kanon bewirkt harmonikale Teilungen und kann in jedem beliebigen Rechteck errichtet werden. Mit ihm kann man ohne jeden Maßstab eine Strecke genau in beliebig viele gleiche Teile teilen. In Figur ist er noch einmal für sich allein dargestellt. Raúl Rosarivos Untersuchungen haben die Gültigkeit des von mir ermittelten spätmittelalterlichen Schreiberkanons (Figur ) für die ersten Drucker nachgewiesen und damit seine Richtigkeit und Bedeutung erhärtet. Dennoch dürfen wir nicht glauben, daß die diesem Schreiberkanon zugehörige Formatproportion : allen Bedürfnissen entspräche. Das späte Mittelalter forderte von einem Buche weder besondere Handlichkeit noch gar Eleganz. Erst in der Zeit der Renaissance begann man, zierliche und leichte, handgerechte Bücher zu machen. Nach und nach kamen kleinformatige Bücher in den noch heute üblichen Proportionen : , : , : √ und das Quartformat : auf. So schön die Proportion : auch ist, kann sie durchaus nicht für alle Bücher dienen. Gebrauchszweck und Charakter eines Buches fordern oft eine andere gute Proportion. Doch läßt sich der Kanon der Figur auch auf diese andern Formatproportionen anwenden. Er führt auf jedem Buchformat zu einer willkürfreien, unbedingt harmonischen Stellung des Satzspiegels. Sogar dessen verhältnismäßige Größe läßt sich ändern, ohne daß die Harmonie der Buchseite zerstört wird. Wir betrachten zunächst die Buchformate des Goldenen Schnittes, der Proportionen : √, : √ und Quart ( : ), und benützen dabei die in Figur ent
Figur . Der Villardsche Teilungskanon, einem Rechteck : einbeschrieben. Die lange Seite bis zu einem Zwölftel geteilt.
Figur . Seitenproportion : √ ( : ,). Neunteilung der Papierhöhe und -breite. wickelte Neunteilung. Die Figuren bis sind zugleich Anwendungen des Villardschen Kanons der Figur ; denn auch dieser läßt sich in jedem Rechteck errichten. Daß sich auf dieselbe Weise harmonische, willkürfreie Satzspiegel sogar in ungewöhnlichen Formaten bilden lassen, zeigen uns die Figuren und , Quadratformat und Querformat. Querformate eignen sich für Notenhefte und Bücher mit Bildern im Querformat; hier wird die Seitenproportion : meistens besser sein als die zu niedrige Proportion : .
Figur . Seitenproportion des Goldenen Schnittes ( : ). Neunteilung der Papierhöhe und -breite. (Für die Seitenproportion : siehe die Figuren bis .) Selbst die Neunteilung ist, obwohl die schönste, nicht die allein richtige. Mit einer Zwölfteilung erhalten wir, wie Figur darlegt, einen größeren Satzspiegel, als er in Figur erscheint. Figur zeigt als Beispiel die Sechsteilung der Höhe und Breite auf der Seitenproportion : nach einem italienischen, von Marcus Vincentinus geschriebenen kleinen Gebetbuch des späten fünfzehnten Jahrhunderts, das in Edward Johnstons berühmtem Lehrbuch auf Tafel abgebildet ist. Es bedeutete mir eine tiefe Befriedigung, als ich in meinem Kanon den Schlüssel der herrlichen Seitenein
Figur . Seitenproportion : √ (sogenanntes Normalformat). Neunteilung der Papierhöhe und -breite. teilung dieses Meisterwerks der Kalligraphie fand, das ich in mehr als vierzig Jahren nicht aufgehört habe zu bewundern. Das Schriftfeld ist halb so hoch wie das Pergament; die Seite, , mal , Zentimeter groß, enthält Zeilen zu Buchstaben. Die Höhe des Papiers darf, falls nötig, überhaupt beliebig geteilt werden. Selbst noch schmälere Ränder, als sie Figur zeigt, sind möglich. Nur die Verknüpfung des Satzspiegels mit den Diagonalen der Einzelseite und des Seitenpaares muß erhalten bleiben; denn sie allein bürgt für eine harmonische Stellung des Satzspiegels. Das typographische Zwölfersystem, dessen Einheit der in zwölf Punkte geteilte Cicero ist, hat weder ursprünglich
Figur . Seitenproportion : (Quart). Neunteilung der Papierhöhe und -breite. Auch hier muß der Satz die Proportion des Blattes wiederholen. noch notwendig etwas mit dem hier mitgeteilten Kanon zu tun, nicht einmal mit der Buchseite der Proportion : , die Gutenberg und Peter Schöffer benützt haben. In der Frühzeit des Buchdrucks war der zwölfgeteilte Cicero noch unbekannt. Es gab noch keine allgemein gültigen Maßstäbe. Selbst die Körpermaße Schritt, Elle, Fuß und Daumenbreite (Zoll) waren nicht genau definiert. Gegebene Strecken wurden wahrscheinlich mittels des Villardschen Kanons geteilt, und jeder rechnete für sich allein mit Einheiten, die durchaus nicht streng allgemeingültig waren. Zwar ist es bequem, auf der Seitenproportion : (Figur ) alle Abmessungen, auch die Papiergröße, in Cicero zu bestimmen. Jedoch nur auf dieser. Wer immer mit Pro
Figur . Seitenproportion : . Neunteilung der Papierhöhe und -breite. portionen zu tun hat, braucht den Rechenschieber, den kreis- oder den stabförmigen. Als ich von bis in London das Aussehen sämtlicher Ausgaben des Verlages Penguin Books vollständig erneuerte, mußte ich ständig mit Pica (dem englischen Cicero, genau sechster Teil eines Zolls), Zoll- und Zentimetermaß und dem kreisförmigen Rechenschieber arbeiten: etwa eine Proportion in Zoll und Achtelzoll festlegen und diesen Wert in Zentimetern und Millimetern suchen, indem ich Zoll- und Zentimetermaß übereinanderlegte, die dezimale Entsprechung ablas und ihr Verhältnis auf dem kreisförmigen Rechenschieber prüfte. Da England weder dezimal rechnet noch so mißt, ist der Rechenschieber im britischen Buchgewerbe fast unbekannt. Ein irrationales Verhältnis, wie der Goldene Schnitt, muß dort geometrisch gesucht werden. Es schadet nicht, das zu lernen. Auf dem Rechenschieber aber stelle ich : , oder : ein und lese ab, daß ein Buch im Format des Gol
Figur . Seitenproportion : . Neunteilung der Papierhöhe und -breite. denen Schnittes von Zentimeter Höhe , Zentimeter breit sein muß. Natürlich soll die Satzbreite womöglich auf gerade oder wenigstens auf volle, notfalls auf halbe Cicero ausgehen, der Bundsteg wenigstens auf halbe Cicero. Die Breite des beschnittenen Kopfstegs und das beschnittene Format jedoch gibt man in Millimetern an, selbst wenn man alles in Cicero ausgedacht haben sollte. Denn der Buchbinder kennt nur Millimeter. Alle diese Vorschriften enthält das Probeseitenpaar, das der Herstellung vorausgeht. Die Wirklichkeit läßt die mathematisch richtige Größe und Stellung des Satzspiegels nur selten zu. Wir müssen uns oft mit einer Näherung an das Ideal zufrieden geben. Weder können wir immer den typographischen Satzspiegel genau so hoch machen, wie es erwünscht wäre, noch genügt in der Regel der rechnerisch richtige Bundsteg. Dieser stimmt nur, solange das Buch aus nur einem Bogen besteht oder sich ganz flach aufschlagen läßt. Es ist der Anblick des aufgeschlagenen Buches, der dem Kanon entsprechen muß.
Figur . Seitenproportion : . Zwölfteilung der Papierhöhe und -breite mittels des Villardschen Teilungskanons, wie ihn Figur zeigt. Diese geometrische Zwölfteilung ist einfacher und besser als eine Millimeterrechnung. Der Bundsteg soll so breit erscheinen wie die Außenstege: nicht nur der Schatten, sondern auch der im Bund verschwindende Teil des Papiers vermindert die sichtbare Breite des Bundstegs. Es gibt keine unfehlbare Regel, wieviel im Bund zugegeben werden muß. Viel hängt davon ab, wie das Buch gebunden wird. Dicke Bücher brauchen in der Regel eine größere Zugabe als dünnere. Auch das Papiergewicht spielt mit. Sicherheit gewährt nur das Einkleben eines Paares bis zur Schrift ausgeschnittener Probeseiten auf richtigem Papier in
Figur . Seitenproportion : . Sechsteilung der Seitenhöhe und -breite. Beides angewendet in einem von Marcus Vincentinus (Marcus de Cribellariis) geschriebenen kleinen Gebetbuch aus dem späten fünfzehnten Jahrhundert. einen Stärkeband. Dieser bereits muß um die vermutliche Zugabe im Bund breiter sein als die genaue Proportion fordert: sonst stimmt der Außensteg nicht. Vielleicht muß nachher der Stärkeband entsprechend berichtigt, nämlich breiter oder schmäler gemacht werden. Eine um Millimeter breitere beschnittene Blockgröße schadet der Proportion der Deckelgröße kaum, da die Deckel vorn etwa zweieinhalb Millimeter breiter, oben und unten je zwei Millimeter, zusammen also vier Millimeter höher sind als der Buchblock. Im übrigen gilt nur das aufgeschlagene Buch, das
sichtbare Papier; die Deckelgröße, die vom Buchblock bestimmt wird, gilt nicht. Die Wahl des Schriftgrades und des Durchschusses trägt noch erheblich zur Schönheit des Buches bei. Die Zeilen sollten acht bis zwölf Wörter enthalten; was darüber ist, ist vom Übel. Die breiten Ränder der Neunteilung erlauben etwas größere Grade als die Zwölfteilung. Zeilen mit mehr als zwölf Wörtern verlangen einen stärkeren Durchschuß. Undurchschossener Satz ist eine Marter für den Leser. Es ist auch nicht unnütz, auf die Beziehung zwischen Weite der Schrift und Seitenproportion hinzuweisen. Ein quadratisches Buchformat, das nicht gerade zu den besten gehört, fordert eine breitlaufende Schrift, damit sich die Umrisse der Buchstaben o und n etwa dem Format einigermaßen anschließen. Schmallaufende Schriften wären durchaus ungeeignet. Auf den üblichen Hochformaten aber sind Schriften von üblicher Weite richtig, denn ihre o und n haben einen Umriß, der dem der Buchseite proportional sehr nahekommt. Die Seitenzahl gehört nicht zum Umriß des Satzspiegels, sondern steht außerhalb. Ich selber verwende in der Regel zentrierte Ziffern am Fuße des Satzspiegels. Sie bilden meistens die beste und sind auch die bei weitem einfachste Form. Nur ausnahmsweise stehen meine Seitenzahlen unten außen; ich ziehe sie dann in der Regel mit einem Geviert ein, weil sonst ein Einzug der letzten Textzeile stört. Die mittelalterlichen Handschriften zeigen kleine Blattzahlen in der äußersten obern Ecke des Pergaments. Ein zentrierter lebender Kolumnentitel ohne Trennlinie rechnet besser nicht zum Satzspiegel, zumal wenn die Sei
: , ( : √ ) : : : ( : √ ) : , ( : ) : , ( : √ ) : (Goldener Schnitt) : : , ( : √ ) : , (Figur )
tenzahl am Fuße steht. Steht aber zwischen dem lebenden Kolumnentitel und dem Text eine Trennlinie, so gehört beides zum Satzspiegel. Als die Typographie gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts hoffnungslos darniederlag, hatte man naiv alle möglichen Stilarten, doch nur in ihren augenfälligen Äußerlichkeiten, Initialen und Vignetten, kopiert. An die Bedeutung der Seitenproportionen dachte niemand. Maler versuchten dann, die heruntergekommene Typographie von erstarrten Regeln zu lösen, und wehrten sich gegen alles, das die neu verkündete künstlerische Freiheit antastete. Sie hielten daher auch nur wenig oder nichts von exakten Proportionen. Die Erwähnung des Goldenen Schnittes war ihnen ein Greuel. Dieser war allerdings eine Zeitlang von Leuten mißbraucht worden, die in ihm ein allgemeines Kunstrezept entdeckt zu haben glaubten und schlechthin alles nach dem Goldenen Schnitt teilen oder formen wollten. Darum benützte niemand vorsätzlich Buchformate von genauer rationaler oder irrationaler Proportion, noch bekümmerte man sich gar um eine willkürfreie Gestalt der Satzspiegel. Wenn dennoch dann und wann ein schönes Buch entstand, so hatte es einer gemacht, der sich musterhafte Drucke der Vergangenheit öfter angesehen und ihnen einige Maßstäbe entnommen hatte, darunter auch ein Gefühl für gute Proportionen der Seitengröße und der Stellung des Satzspiegels. Dieses unbestimmbare ‹Gefühl› bildet aber keinen verläßlichen Maßstab und ist nicht lehrbar. Weiterführen kann allein ein unermüdliches wissenschaftliches Lernen aus vollkommenen Werken der Vergangenheit. Wie wir dem allerpeinlichsten Studium alter Schriftschnitte die
wichtigsten Druckschriften der Gegenwart verdanken, so wird auch die Forschung nach den Geheimnissen der alten Buchformate und Satzspiegel uns wahrer Buchkunst ein gutes Stück näherbringen. In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts hielt man die Menge der vorhandenen Rohbogenformate für zu groß und wünschte sie zu begrenzen. Die durchschnittliche Seitenproportion der alten Bogenformate, : , die ein Quartformat : und ein Oktavformat : ergab, war durchaus sinnvoll. In der proportionalen Verschiedenartigkeit des Quartund des Oktavformats glaubten einige einen Nachteil zu erkennen: so entstand das heutige sogenannte Normalformat mit der Proportion : √, das halbiert sie beibehält. Es rächte sich, daß man der Seitenproportion vorher keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Nur darum konnte das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und die große Zahl der alten Formate zugunsten nahezu eines einzigen beseitigt werden. Viele Leute glauben, diese enge Normung der Papierformate sei die Lösung aller Formatfragen. Dies ist ein Irrtum. Die Auswahl der genormten Formate ist viel zu klein, und die Zwitterproportion : √ ist nur eine und gewiß nicht immer die beste Proportion. Figur bietet eine Übersicht über alle in diesem Traktat erwähnten Rechteckproportionen und dazu noch die seltene Proportion : √. , , , , sind irrationale, , , , , sind rationale Verhältnisse. Jeder, der Bücher oder andere Drucksachen macht, muß zuerst nach der passenden Papiergröße in der jeweils geeigneten einwandfreien Proportion suchen. Selbst die schönste Schrift hilft nichts, wenn bereits das Format, etwa A , an
sich mißfällt. Ebenso zerstört ein unharmonischer Satzspiegel in ungeschickter Stellung jede mögliche Schönheit. Zahllose Satzspiegel, sogar in schlanken Formaten, sind zu hoch. Dissonante oder unharmonische Buchseiten müssen entstehen, wenn das uns eingeborene Bedürfnis nach einem Satzspiegel in der genauen oder angenäherten Proportion des Goldenen Schnittes in Widerstreit gerät mit einem Seitenformat der Proportionen : √ oder : . Wenn ein harmonisches Seitenbild entstehen soll, so muß man entweder das Seitenformat ändern oder dem Satzspiegel die Proportion des Seitenformats erteilen. Über gute Papierproportionen wird niemand rechten, solange nicht nur eine allein für richtig erklärt wird. Der richtige Satzspiegel, die andere Bedingung eines schönen Buches, ist bisher nur sehr selten und noch seltener methodisch erforscht worden. Auch er war im neunzehnten Jahrhundert so vernachlässigt worden, daß fast jede Änderung erlaubt schien. Die Geschichte des Satzspiegels in neuerer Zeit zeigt immer neue Versuche, Altes, nicht Befriedigendes, durch Ungewohntes zu verdrängen. All jenen Versuchen gemeinsam ist Willkür. Man hatte längst das Gesetz verloren, und mit dem ‹Gefühl› konnte man ihm nicht auf die Spur kommen. Erst meinem Nachmessen zahlreicher mittelalterlicher Handschriften gelang es. Der hier verkündete Kanon ist frei von aller Willkür und macht mühseligem Tasten ein Ende. Er erzeugt in allen seinen Abwandlungen Buchformen, deren Seitenformat und Satzspiegel sich unfehlbar miteinander vertragen, das heißt, untereinander im Einklang sind.
· G M: Kunst-Typographie. In: Archiv für Buchgewerbe, Heft : –; Heft : –. Leipzig, . – Versuch eines kenntnisreichen Bücherfreundes, die Schönheitsgesetze alter Bücher aufzuspüren. Glaubt, in rationalen Zahlen ausdrückbare Randverhältnisse aufstellen zu können. E J: Manuscript and Inscription Letters. Second édition. London: John Hogg, . Plate I. – Empirisch festgestellte Randverhältnisse in Zahlen; in dem einzigen vorgeführten Beispiel unanfechtbar, E J: Writing & Illuminating, & Lettering. Seventh edition. London: John Hogg, . Pages –. Plate XX. (Deutscher Titel: Handschrift, Zierschrift und angewandte Schrift.) – Auf Erfahrungen ruhende Maßtheorien über die Ränder. Auch hier nur Zahlenverhältnisse. F B: Das Buch als Werk des Buchdruckers. Leipzig: Deutscher Buchgewerbeverein, . – Das Werk eines Sachkundigen. Im ganzen noch gültig. Glaubt unter dem Einfluß Milchsacks und anderer an rationale Randverhältnisse. E. W. T: Über den Satz im schönen Buch. Berlin: Officina Serpentis, . – Einer der wichtigsten Sätze dieses Bekenntnisses fällt nur nebenbei: ‹Um das Format einer Seite zu bilden ist man immerhin etwas von der Größe des Papiers und dessen Größenverhältnissen abhängig.› Leider kein gutes Deutsch, und schade, daß dieser richtige Gedanke nicht weiter verfolgt wird.
J T: Die Maß Verhältnisse der Buchseite, des Schriftfeldes und der Ränder. In: Schweizer Graphische Mitteilungen, , –. St. Gallen, August . – Früher Versuch des Verfassers. Enthält mehr Feststellungen als Theorien. Viele Illustrationen. J. A. G: Nieuwe berekening voor de vormgeving. In: Tété, , –. Amsterdam, November . – Zeigte die einfachste Art der Neunteilung von Breite und Höhe des Papiers. H K: Ein harmonikaler Teilungskanon. Zürich: Occident-Verlag, . – Geistvoll und tief wie alle Bücher dieses Mannes. Enthält den Hinweis auf den im Bauhüttenbuch Villards de Honnecourt versteckten Teilungskanon. J T: Die Proportionen des Buches. In: Der Druckspiegel, , –, –, –. Stuttgart, Januar, Februar, März . – Geschrieben . Erste Publikation des Verfassers mit dem von ihm ermittelten spätmittelalterlichen Schreiberkanon. Zahlreiche Diagramme und Abbildungen. Zum Teil durch die vorliegende Abhandlungen überholt. J T: Bokens Proportioner. (Buchform des vorigen Aufsatzes in schwedischer Sprache.) Göteborg: Wezäta, . – Schön gedruckte Ausgabe, zweifarbiger Druck. Eins der Schönsten schwedischen Bücher des Jahres. J T: De proporties van het boek. (Dasselbe, holländisch.) Amsterdam: Intergrafia, . W W: Das Buch vom Rechteck. Ravensburg: Otto Maier, . – Interpretation der Eigenschaf
ten der wichtigeren Rechtecke und ihrer Rolle vornehmlich in der Baukunst. Handelt nicht vom Buche. R M. R: Divina proportio typographica. Krefeld: Scherpe, . – Schön gemachtes Buch mit musterhaften Figuren. Stützt Tschicholds Fund des spätmittelalterlichen Schreiberkanons, Figur . Geht fehl in der erkennbaren Meinung, die Buchseite der Proportion : und diese Proportion überhaupt sei das allein Vollkommene.
Ein Verlagssignet von Jan Tschichold.
Das traditionelle Titelblatt, typographisch
D Titelblatt ist auch seiner typographischen Form nach ein Teil des Buches und muß zur übrigen Typographie des Buches passen. Den Titeln zahlreicher Bücher fehlt aber die überzeugende Formverwandtschaft mit den nachfolgenden Buchseiten. Mag der Maschinensatz noch so vollendet sein, das Buch enttäuscht als Ganzes, wenn der Titel typographisch nicht befriedigt und unbeholfen wirkt. Askese in den Mitteln darf nicht in Schwäche und Kümmerlichkeit ausarten. Die Titel vieler Bücher sehen aus, als wären sie im letzten Augenblick gesetzt und ohne Verbesserung für druckreif erklärt worden, oder als wären sie von jemand gesetzt oder angeordnet worden, dem Lust und Liebe zur Sache mangeln. Diese Titel gleichen dürftig bekleideten, blutarmen, furchtsamen Waisenkindern. Die Kunst der traditionellen zentrierten Typographie scheint verloren. Der Titel, Herold des Textes, muß kräftig und gesund sein und soll nicht bloß flüstern. Gesund aussehende Titel sind aber Ausnahmen. Und schöne, unauswechselbare Titelblätter gar sind so selten wie alles Vollkommene. Eine wichtige Voraussetzung ist ein guter Wortlaut. ‹Matthias Grünewald || Der Isenheimer Altar› wäre eine irrige und unbrauchbare Titelformulierung. Richtig wäre
‹Der Isenheimer Altar || des Matthias Grünewald›. Anfechtbar ist auch der Wortlaut ‹Eduard Mörike || Sämtliche Werke›. Richtig wäre ‹Mörikes || sämtliche Werke›; ganz unerträglich aber, nämlich schlechtes Deutsch, ‹Sämtliche Werke von Eduard Mörike›. Anders der echte Titel ‹Eduard Mörike || Maler Nolten› oder ‹Maler Nolten || Von Eduard Mörike›. Es gilt also zwischen freien Verlagsformulierungen und originalen Verfassertiteln genau zu unterscheiden. Ein falsch oder ungeschickt formulierter Titel behindert die Bildung eines guten Titelblattes ungemein.
Abbildung . Seitenpaar, schematisch, zum Vergleichen mit der irrigen Stellung des Titels in Abbildung . Der Titel darf horizontal die Mitte des Satzspiegels nicht verlassen.
Hat man kein genau stimmendes Probeseitenpaar vor Augen, so kann man den Titel weder richtig entwickeln noch die Qualität seiner Form beurteilen. Nur von der Buchseite her kann ein gesunder Titel entwickelt werden. Auch für ihn gelten daher die Rand Verhältnisse der Buchseite und die Stellung des Satzspiegels (Abbildung ): der Titel darf nicht, wie das leider so häufig geschieht, in die Mitte der Papierbreite gestellt werden (Abbildung ). Damit tritt er aus seinem Zusammenhang mit dem Buchganzen. Seine Zeilen dürfen den Satzspiegel nir-
Abbildung . Sind die Buchränder nicht gerade knapp, so sind oberer und unterer Rand so richtig. Der angedeutete Titel steht aber irrigerweise in der Mitte der Blattbreite.
gends überschreiten. Es ist sogar fast immer besser, wenn die Hauptzeile merkbar schmäler ist als die volle Satzbreite. Viele Titel füllen auch nicht die ganze Höhe; dies ist besonders dann angezeigt, wenn das Buch sehr schmale Ränder hat. Selbst ein kurzer Titel muß die Buchseite ‹füllen›. Das bedeutet, daß er eine gehörige Ausdehnung haben muß. Man scheint sich jedoch oft vor größeren Graden zu fürchten. Die Hauptzeile sollte wenigstens zwei Grade größer sein als die Grundschrift des Buches. Enge Regeln lassen sich dafür aber nicht aufstellen, da der Titelsatz eine Aufgabe ist, in der das ausgebildete Formgefühl entscheiden muß. Selbst kurze Titel aus verhältnismäßig kleinen Graden können das Blatt ‹füllen›, wenn sie geschickt angeordnet werden. Vielleicht läßt sich eine lange Hauptzeile brechen. Dann entstehen zwei kürzere Zeilen, und die wichtige obere Gruppe erhält einen flächigen Umriß statt eines strichförmigen. Der große weiße Raum zwischen der Haupt- und der Verlagsgruppe darf nicht zufällig und ‹leer› erscheinen. Die Spannung des weißen Raumes muß an der Wirkung des Ganzen teilnehmen. Ein gutes Verlagssignet ist dort nützlich, doch keineswegs unbedingt erforderlich. Ein solches muß sich indes der Typographie graphisch anschmiegen und darf darum keine dickeren Striche als die dicksten des größten auf dem Titel verwendeten Grades und keine dünneren als die feinsten Striche des kleinsten vorkommenden Grades zeigen. Schwarze Verlagssignete mit NegativbuchRechts: Abbildung . Französischer Buchtitel von , Heute sind Zeilentrennungen, wie sie hier erscheinen, tabu.
staben bilden innerhalb eines Titelgefüges häßliche Fremdkörper (Abbildung ). Sie sind nicht nur der Buchtypographie fremd, sondern gefährden auch die Rückseite der Blätter, da sie meistens durchscheinen. Das Verlagssignet muß leicht sein und dem Grau der Zeilen entsprechen. Ein gutes Signet ist ein Kunstwerk. Eigentlich klein braucht es durchaus nicht zu sein, wie überhaupt Zimperlichkeit und Zaghaftigkeit einem Titelblatt schlecht anstehen. Nicht jeder Graphiker aber kann ein brauchbares Verlagssignet zeichnen. Die Entwicklung eines guten Verlagssignets ist keineswegs einfach und durchläuft meistens mehrere kostspielige Stadien. Ist das Verlagssignet auf dem Titel unerwünscht, so mag es den Schmutztitel bilden. Im Jugendstil kam das in die obere rechte Ecke des Satzspiegels der Schmutztitelseite gestellte Signet auf, wo zum Beispiel der Insel-Verlag es lange unterbrachte. Diese Stellung erscheint heute gesucht. Man stellt das Signet allenfalls besser in die optische Mitte der Papierhöhe von Seite (die Seiten und sollten wie die beiden letzten Buchseiten unbedruckt bleiben) und in die Mitte der Satzspiegelbreite. Der beste Platz aber scheint mir die Seite mit den Druckangaben am Ende des Buches, falls man diese, entgegen der landläufigen Übung, dort unterbringt. Die Drucker der Gotik, der Renaissance und des Barocks hatten es ziemlich leicht, einen guten Titel zu bilden. Das Signet des Verlegers oder ein anderer großer illustrativer Rechts: Abbildung . Schöner Titel der französischen Renaissance, Paris , mit großem Signet.
Holzschnitt bildete die Mitte des Titels und eröffnete das Buch angemessen (Abbildungen und ). Im achtzehnten Jahrhundert wich diese Dekoration einer etwas kleineren Holzschnitt- oder Kupferstichvignette (Abbildung ). Jetzt sind Titel mit Verlagssigneten eher Ausnahmen, und nur ein unbedruckter Raum zwischen der Titel- und Verlagsgruppe ist geblieben (Abbildung und ). Der Umriß der Titeltypographie, mitbestimmt durch die Brechung von Wortgruppen und die Abstufung der Grade, die beide der Logik und dem Wert der Wörter entsprechen müssen, ist eine der Schwierigkeiten guten Titelsatzes. In manchen Forderungen an den heutigen Titelsatz lebt noch der Rationalismus des achtzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts. Wir dürfen nicht, wie die Drucker der Gotik, der Renaissance und des Barocks (Abbildungen und ), Wörter und Zeilen brechen, wo es das äußere typographische Aussehen wünschbar macht, und die Grade gar ohne Rücksicht auf den Inhalt wählen, sondern müssen streng der Wortbedeutung folgen. Auch ist es nicht leicht, ohne Verlagssignet ein Gleichgewicht zwischen der oft schwer befrachteten Hauptgruppe oben und der viel weniger umfangreichen Verlagsgruppe unten herzustellen. Darum ist ein guter Titel, zumal ein Antiquatitel, heute schwerer zu setzen als im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Die Form eines Trinkgefäßes ist gewiß einer der geeignetsten Umrisse eines Titels (Abbildungen und ), falls sie sich, wohlgemerkt scheinbar mühelos, erreichen Rechts: Abbildung . Französischer Titel von Barbou, , mit Holzschnittsignet (Druckerei).
läßt. Das Verlagssignet gäbe in einem solchen Titel den Knauf des Gefäßes ab. Aber das ist sehr selten. Unsere Titel sind dafür zu kurz. Wir dürfen zufrieden sein, wenn wir einen bloß angenehmen Umriß und ein gutes Verhältnis zwischen den beiden Hauptgruppen erreichen. Dazu ist eines vor allem nötig: beide Gruppen, die obere und die untere, müssen eine flächige Ausdehnung, keine nur lineare, haben und sollen daher, wenn immer möglich, mehrzeilig sein (Abbildung ) oder auf Mehrzeiligkeit dressiert werden. Die oft langen deutschen Wörter erleichtern es nicht gerade, einen guten Umriß zu bilden, wenn wir Antiqua oder gar Antiquaversalien verwenden. Vielleicht verwendet man Antiquaversalien viel zu häufig und Antiquagemeine zu selten. Fraktur ergibt erheblich kürzere und daher flächigere, dazu kräftigere Wortbilder und ist auch im Titelsatz deutscher Bücher dankbarer als Antiqua (Abbildungen und ). Leider war die Typographie der Zeit Goethes im großen und ganzen schwächlich und unsicher, und die zerfahrenen Titelblätter jener Zeit sind schwerlich vorbildlich (siehe die Abbildung nebenan). Ein richtiger Titel muß aus genau derselben Schriftfamilie wie das Buch gesetzt werden, also aus Garamond, wenn das Buch aus Garamond, aber aus Gewöhnlicher Mediäval, wenn das Buch aus dieser Schrift gesetzt ist. Garamond auf dem Titel wäre fehl am Ort und ließe die erwünschte Harmonie vermissen, wenn der Text aus einer Gewöhnlichen Mediäval gesetzt ist. Man kann dabei nicht Rechts: Abbildung . Deutscher Titel aus der Zeit Goethes. Kein Vorbild. Imitation von Antiquasatz mittels Fraktur.
Links: Abbildung . Buchtitel von ungefähr . Ungeformt und im einzelnen mangelhaft. Rechts: Abbildung . Derselbe Text, wie man ihn heute, und besser, setzen könnte. Ungesperrt. streng genug sein. Halbfette, selbst die genau zur Grundschrift passende, soll auf Titeln überhaupt nicht verwendet werden. Es liegt auch nicht der geringste Anlaß dazu vor. Gezeichnete Titelzeilen sind denkbar, jedoch sie so zu zeichnen, daß sie mit den Textseiten und der Type wirklich zusammenklingen, ist eine subtile Kunst, die nicht jeder Schriftzeichner beherrscht. Selbst die beste Typographie, obwohl selber schwierig genug, ist viel einfacher und vor allem viel beweglicher zu handhaben. Für einen guten Titelsatz ist ein verständnisvoller Um
Links: Abbildung . Leider typischer Titel der Gegenwart mit Kopf in Bauchgegend und negativem Signet. Rechts: Abbildung . Derselbe Titel, in Ordnung gebracht. Signet positiv. gang mit den Buchstaben das wichtigste Erfordernis. Wir denken hinfort nur an Antiquatitel. Vorkommende Versalzeilen müssen unbedingt gehörig gesperrt und dabei sorgfältig ausgeglichen werden. Niemals nur mit Punkt zwischen H und I, sondern die kleinsten Grade mit 1⁄2 Punkt, die größeren, bis Cicero, mit etwa bis 1⁄2 Punkt, von Punkt aufwärts mit etwa und mehr Punkt gesperrt. Ungesperrte und zu schwach gesperrte Versalienzeilen sind stets häßlich. Ihre Buchstaben kleben sozusagen aneinander und ergeben ein nur schwer entzifferbares Liniengewirr.
Man sperrt häufig zu schwach und muß dann manchmal gar einen Buchstaben anfeilen, um eine vermeintlich zu große Lücke, etwa zwischen VA, zu verringern. Das ist verwerflich und durchaus nicht nötig, wenn man gehörig sperrt. Der Raum zwischen VA muß einfach als kleinste optische Distanz benützt werden. Selbst zwischen LA muß immer ein schwaches Spatium, allerwenigstens ein Kartenspan, liegen. Gemeine Antiqua- und Kursivbuchstaben dürfen auch auf dem Titel niemals gesperrt werden. Es ist irrig, in der Sperrung der Antiquaversalien einen Grund für ein Sperren gemeiner Zeilen zu sehen. Auch Fraktur sieht gesperrt häßlich, ungesperrt am schönsten aus (Abbildungen , , ). Zahlen im Text des Titels (‹Mit Abbildungen›) müssen ausgeschrieben werden (‹Mit zweihundertvierzig Abbildungen›, ‹achtzehntes Jahrhundert›); nur die Jahreszahl wird in arabischen Ziffern () gegeben. In Werken von Bedeutung, kaum in anderen, darf das Jahr auch in römischen Ziffern erscheinen (), zumal wenn der Titel ganz aus Antiquaversalien gesetzt ist. Je weniger Grade auf dem Titel, um so besser! Viele Köche verderben den Brei, und zu viele Grade den Titel. Mit vier und fünf Graden richtig umzugehen ist schwer (Abbildung ). Mehr als drei Grade sind nur ausnahmsweise nötig, manchmal genügen sogar nur zwei (Abbildungen und ). Ein Titel nur aus Antiquaversalien wirkt fast immer harmonisch, doch gerne etwas starr. Man braucht diese SatzRechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers (Holzstich von Reynolds Stone). .
weise nicht zur Regel zu erheben. Den Hauptzeilen kann man mit Gemeinen Ausdruck verleihen und die kleineren Zeilen mittels Versalsatzes bändigen (Abbildung ). Der Verlag ist niemals wichtiger als der Verfassername, und seine Bezeichnung darf höchstens genau so groß wie der Verfassername gesetzt werden. Wie oft wird gegen diese Rangordnung verstoßen und der Verfassername kleiner als die Verlagsbezeichnung gesetzt! Es kommt leider sogar vor, daß der Verlagsname so groß gesetzt ist wie die Hauptzeile oben! Wir sehen, daß auf dem Spielplatz des richtigen Titelsatzes viele Einschränkungen, Warnungen und Verbote gelten: die Grenzen des Satzspiegels, eine sehr geringe Freiheit der Schriftwahl, Beschränkung der Gradanzahl, keine Halbfette, unbedingte Sperrung der Versalien. Immerhin können wir nun einmal ein Titelmanuskript zu bearbeiten versuchen. Ein guter Weg ist dieser: sehr sorgfältiges Skizzieren aller Wörter mit schwarzem Kugelschreiber oder der Füllfeder – nicht mit Bleistift – in den Graden, die wir vorderhand für richtig halten, an Hand einer Schriftprobe. Ganz besonders der Anfänger muß sich hüten, Schmierskizzen zum Satz zu geben, und sich bemühen, jeden einzelnen Buchstaben so täuschend wie möglich zu zeichnen. Nur der sehr Erfahrene darf scheinbar flüchtiger arbeiten. Bloße Balken, wie sie einige meiner Schemata zeigen, täuschen unfehlbar! Zerschneiden der Zeilen und Auflegen auf ein leeres Seitenpaar Rechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers. Im Stile des deutschen Rokokos, .
aus gleichem Papier in genauer Buchgröße; die rechte Seite zeigt die Grenzen des Satzspiegels in dünnen Bleistiftlinien. Verschieben und verschieben, Ändern der Grade, bis wir die beste Lösung gefunden zu haben glauben. Festkleben der Zeilen mit wasserlosem Klebstoff (Sanford’s Rubber Cement); Skizze zum Drucker. Auf der Skizze am Kopf die Schriftart (etwa ‹alles aus Janson›), am Rande die Schriftgrade (etwa ‹ gew. Gem.›, ‹ Versalien mit 1⁄2 P. gesp.›) genau angeben, bei Versalien also auch die Sperrung vorschreiben, ferner etwa ‹Höhe genau wie Textseite› oder ‹Höhe und Stellung genau wie Skizze› und ‹Abzüge in richtiger Stellung laut Skizze auf beschnittener Doppelseite› verlangen. Ist die Skizze fachgerecht und gerät sie in gute Hände, dann bekommt man das, was man mühsam entwikkelt hat und eine überzeugende Einheit bilden soll. Häufig aber kriegt man etwas, das nicht genau ausgeführt ist: der Durchschuß ist geändert, die Sperrung ist nicht ausgeglichen. Oder es sind zu weite, seltener zu enge, Wortabstände zu bemängeln. Zwar gab der große E. R. Weiß seine Korrekturen nicht in Punkten, sondern in Millimetern an, doch sollte ihm der Hersteller darin nicht folgen. Der Setzer rechnet eben in Punkten, und wieviel Punkte machen einen halben Millimeter aus? ‹1⁄2 P.› ist eindeutig, ‹etwas mehr Spatium› dagegen kann alles mögliche bedeuten. Der Titelsatz ist zum Teil ‹die Kunst des Punktes›, ja des halben Punktes. ‹Sperren› ist ein unklarer Befehl; man muß deutlich angeben ‹mit 1⁄2 P. mehr sperren›, ‹mit 1⁄2 P. sperren›. Rechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers. Gesetzt aus ‹Monotype› Bell. .
Es kommt vor, daß der erste Abzug in jedem Teilchen stimmt. Oder der Abzug sieht doch anders aus, als der Entwerfer ihn sich vorgestellt hat, und er muß selber da und dort ändern und richten. Dann muß man neue Abzüge auf richtigem Format und in genauer Stellung verlangen, bis der Titel ‹sitzt›. Die Skizze des Titels, ja der ganzen Titelei, sollte dem Manuskript des Textes beiliegen, und die ersten Abzüge sollten mit den ersten Fahnen eintreffen. Die Probeseiten müssen schon vorliegen und genehmigt sein, bevor das Werk abgesetzt wird. Ein guter Titel muß in seiner Ausdehnung, auch wenn er schmäler und niedriger ist als die Buchseite, deren Umrißproportion einigermaßen wiederholen. Sonst paßt er nicht zu ihr. Ist die obere Gruppe des Titels schmal, so darf die Verlagszeile erst recht nicht die Satzbreite füllen (Abbildung ). Häufig wird die Hauptgruppe bei weitem viel zu tief gestellt (Abbildung ). Die Entwerfer solcher Titel scheinen zu meinen, daß die Verlagszeile nicht an der Gesamtform teilhat. Solch ein Titel sieht abgesackt aus. Die Verlagszeile ist doch genau so sichtbar wie die obere Gruppe, und beide zusammen müssen als Ganzes richtig sitzen. Man erwartet die Hauptzeile im obern Drittel und durchaus nicht in der optischen Mitte der Titelseite! Titel wie in Abbildung angedeutet sind schlecht. Auch muß hier der Verlagszeile ihre lange Strichform (im Original aus Gemeinen gesetzt und durch Sperrung gestreckt und verdorben) genommen werden, denn diese widerspricht der runden Rechts: Abbildung . Anständig gesetzter imaginärer Titel, jedoch von ungenügender Individualität.
Form der obern Gruppe. Wie überall, wären hier aufeinanderfolgende gleich lange Zeilen höchst unerwünscht. Der Titel sitzt erst, wenn die obere Gruppe gehoben und die untere mehrzeilig und schmäler gemacht wird (Abbildung ). ‹Passender› Durchschuß zwischen den Zeilen ist leicht verlangt, aber schwer getan. Die Zwischenräume zwischen den Zeilen müssen nicht nur dem Inhalt nicht widersprechen, sondern wie die Zeilen selber an der Wirkung des Ganzen teilnehmen. Da in der Regel der größere Teil des Blattes unbedruckt ist, wirken Zeilengruppen mit geringem Durchschuß fremd; das Weiß des Hintergrundes muß den Satz durchdringen. Große weiße Ränder fordern sehr kräftigen Durchschuß auch zwischen Zeilen aus demselben Schriftgrad. Eine gewisse Transparenz der Titeltypographie ist meistens erwünscht. Sonst verträgt sich der Satz nicht mit dem Hintergrund und kann nicht mit ihm verschmelzen (Abbildungen , und ). Hat das Buch, wie in Taschenausgaben, sehr schmale Ränder, dann darf der Titel den Satzspiegel nicht füllen. Die obere Gruppe würde sonst bei weitem zu hoch stehen und muß darum gesenkt werden. Aber auch die Verlagsgruppe entsprechend gehoben! Das proportionale Verhältnis des obern Randes zum untern, wie es die Buchseite zeigt, muß auf dem Titel wiederkehren. Auch wird man die obere Gruppe häufig etwas senken (und gleichzeitig die Verlagsgruppe heben) müssen, wenn Rechts: Abbildung . Derselbe Text, Hauptzeile aber aus ungesperrten Gemeinen. Viel besser als Abbildung .
die erste Zeile die Hauptzeile bildet. Eine kurze erste Zeile, dazu noch aus einem kleineren Grad als die Hauptzeile, ist sehr willkommen, aber nicht immer zu haben. Der Verfasser eines Buches kann übrigens ebensowohl über der ersten Zeile stehen wie auch durch das Wörtchen VON mit ihr verknüpft, ihr folgen. Manchmal kann man das Wörtchen VON auf eine eigene Zeile stellen, was einer starken Betonung der Mittellinie gleichkommt (Abbildung ); ein andermal mag man diese kurze Zeile nicht und setzt das von vor den Namen in dessen Zeile (Abbildung ). Auf der Rückseite des Titels finden sich fast immer Angaben, wenn nicht über den Herausgeber, so über die Auflage und den Drucker (irrigerweise auch oft über den Entwerfer des nicht zum eigentlichen Buche gehörigen Schutzumschlages, selbst wenn es sich um gar nicht bemerkenswerte, ja schlechte Entwürfe handelt). In ganz billigen Büchern geht es kaum anders, weil sich am Ende des Buches kein Platz dafür finden läßt. Aber lieblos gesetzt brauchen sie selbst in den billigsten Büchern nicht zu sein. Man wähle einen sehr kleinen Grad der Grundschrift (sperre ihn nicht), suche nach einem guten Zeilenfall und durchschieße den Satz mit annähernd ebensoviel Punkten wie die Zeilen der Textseiten. Viel gepflegter und ruhiger wirken leicht gesperrte Kapitälchen eines sehr kleinen Grades mit dem Durchschuß der Textschrift. Der Wortlaut sei so knapp wie möglich. Da diese Zeilen auf der Titelseite durchscheinen, sollte man sie so anordnen, daß sie wo immer möglich Rechts: Abbildung . Erst diese Typographie fängt die Zeitstimmung ein. Sie ist bei weitem nicht so einfach wie sie aussieht.
auf Gruppen oder Zeilen des Titels fallen und deren Ausdehnung möglichst nicht überschreiten. Diese Angaben auf der Rückseite des Titelblattes beginnen neuerdings beängstigend anzuwachsen. Sie erinnern bereits an die endlosen Mitarbeiterlisten, die man vor dem eigentlichen Anfang eines Films wehrlos über sich ergehen lassen muß, und sind ebenso aufdringlich wie vorderhand unerwünscht. Die Fertiger sollten sich bescheiden erst am Schluß des Buches nennen. Am Anfang genannt zu werden, kommt allein dem Verfasser und dem Geburtshelfer des Buches, dem Verleger, zu. Daher meine ich, Ketzer, der ich immer war, alles übrige sollte erst hinter dem Textende erzählt werden. Da der ersten Textseite eines Buches Nichts gegenüberstehen sollte, kann man sich indes auch damit helfen, daß man den Titel des Werkes, ohne Verfasser, rechts neben der Rückseite des Haupttitels schmutztitelartig wiederholt, damit die linke Seite neben dem Textanfang endlich leer bleibt. Nur in den allerbilligsten Büchern mag dort etwas stehen. Aber dies müßte sich wenigstens nett präsentieren. Es ist aber leider die Seite, die am nachlässigsten behandelt wird, und darum ein Ausweis der Fähigkeiten des Herstellers. Daß die Graue Eminenz, der Hersteller, hier nie genannt wird, hat drei Gründe. Erstens mag es der Verleger nicht. Zweitens ist der Hersteller zu bescheiden, obwohl er wahrhaftig wichtiger ist als etwa der Graphiker des Schutzumschlags. Und drittens will es der Hersteller selber nicht, Rechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers, Mühelos abwandelbare Standardlösung.
weil er bis zum Erscheinungstag fürchten muß, daß irgendeiner das Buch verpatzt hat. Der Autor fürchtet den Setzer, der Drucker den Buchbinder, der Hersteller aber alle vier, mehr als die vier ihn. Der sich verantwortlich fühlende Hersteller, der Luchsaugen und Umsicht haben muß wie die Leibgarde eines Diktators, überläßt Ruhm oder Schande lieber dem Fußvolk, das sich in naiver Selbstliebe und schöner Vollzähligkeit nennt, noch bevor man auch nur eine Zeile hat lesen dürfen. Denn Er hat’s erfahren: Man kann nie wissen. Den Leser aber kümmert vorderhand nicht im geringsten, wer das Buch gedruckt hat und was darüber hinaus noch auf der Rückseite des Titels an welterschütternden Einzelheiten mitgeteilt wird. Alle diese Angaben über den Drucker, die Auflage, sogar die Namen des Herausgebers oder des Übersetzers sind am besten am Schlusse des Buches aufgehoben (Abbildung ). Die beiden allerletzten Seiten eines gut gemachten Buches sollen wie die beiden ersten gänzlich unbedruckt bleiben; dies gilt auch für Bände mit Kunstdrucktafeln am Ende. Auf der viert- oder drittletzten Seite des Buches, dem besten Ort für die Angaben des Herausgebers, des Druckers und so weiter (Abbildung ) könnte und sollte auch das Erscheinungsjahr genannt werden, wenn es auf dem Titelblatt verschwiegen wird. Zurück zu den Titeln. Die Abbildung stellt den Titel einer imaginären Ausgabe in einer einwandfreien Form vor. Links: Abbildung . Zusammengefaßte bibliographische Notizen am Ende des Buches der Abbildung .
Die Grundschrift ist Garamond. Ein typographisch fehlerloser Titel ist aber nicht immer schon ein vollendet guter Titel. Dieser Titel und die Garamond als Grundschrift wären recht, wenn es sich um irgendeinen Roman handelte. Dieser Roman aber (der früheste europäische Roman, , wie der Jahre ältere erste japanische Roman Genji übrigens das Werk einer Frau) verlangt typographische Atmosphäre und müßte aus Janson-Antiqua (noch besser fast aus Lutherscher Fraktur) gesetzt werden. Abbildung stellt einen ersten Versuch eines Janson-Titelblattes dafür dar. Doch ist in ihm die Zeitstimmung noch immer nicht eingefangen, und erst Abbildung nähert sich einer guten Lösung. Es handelt sich dabei nicht um den Historismus der achtziger Jahre, sondern um eine Verschmelzung des Zeitstils von mit heutigen Formwünschen. Modernitätssucht ist infantil. Bücher sind keine Modeartikel. Ein Titel für dieses Buch ‹aus dem Geiste der Gegenwart›, an Stahlmöbel, Autokarosserien oder den Sputnik erinnernd, wäre die Ausgeburt eines ungebildeten Narren. Die endliche Lösung einer ähnlichen Aufgabe, die die Stimmung des Werkes typographisch interpretiert, zeigt Abbildung . In der Regel werden wir aber schon zufrieden sein, wenn ein Titel wenigstens Verstand und Auge nicht beleidigt, wenn er den aufgezeigten Grundforderungen an gutes, harmonisches, gesundes Aussehen entspricht und vor allem richtig in der Seite sitzt. Videant sequentes. Rechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers. . Caslon-Antiqua und Weiß-Schmuck.
Satzregeln des Verlegers für den Drucker
D Verkehr des Verlegers mit dem Drucker kann mitunter mühselig werden, wenn der Drucker noch nach Regeln schafft, die nicht allen Ansprüchen genügen, die an den Satz gestellt werden. Die Qualität des Satzes entscheidet über das Aussehen des Buches. Selbst mit einer nicht ausgesprochen schönen Schrift lassen sich gute Wirkungen erzielen, wenn wenigstens nach guten Regeln gesetzt wird. Andererseits wird auch die schönste und vollkommenste Schrift verdorben, wenn sie zu weit ausgeschlossen ist und wenn die feineren Regeln des guten Satzes nicht beachtet werden. Die nachfolgenden Grundsätze sichern ein tadelloses Satzbild. Der Verleger, der sie seinen Druckern zur Pflicht macht, wird vom Aussehen des Satzes nicht enttäuscht werden. Nicht behandelt sind die Fragen des Durchschusses (des Zeilenzwischenraums), der Seitenhöhe, des Verhältnisses der Satzbreite und des Satzspiegels zum Papierformat. Diese Dinge sind komplexer Natur und können kaum in kurze Regeln gefaßt werden. Sie werden an anderen Stellen dieses Buches behandelt. Regeln Alle Überschriften und erst recht der glatte Satz müssen mit Dritteln ausgeschlossen werden. Besonders im Handsatz ist
auf optisch gleiche Wortzwischenräume in der Zeile zu achten. Hinter den Schlußpunkten von Sätzen und abgekürzten Sätzen soll nur der normale Wortzwischenraum der Zeile liegen. Nur in weiten Zeilen darf dort eine größere Lücke bleiben; dort dürfen auch vor Kommas und Bindestriche Spatien gesteckt werden. Zwischen dem Wort und den Parenthesen liegen Spatien, außer vor A, J, T, V, W, Y, nach dem Schlußpunkt und in sehr engen Zeilen. Folgen einzelner Buchstaben und Abkürzungen, wie d. h., u. a., C. F. Meyer, fordern stets verminderte Zwischenräume. Die Überschriften und Gruppen in Titeln werden ohne Schlußpunkte gesetzt. Gemeine sollen nie gesperrt werden. Statt gesperrter Schrift ist immer Kursiv zu verwenden. Versalien sind überall sorgfältig (von Punkt aufwärts mindestens mit 1⁄2 Punkt) zu sperren und auszugleichen und lieber etwas zu weit als zu eng zu halten. Als Einzug darf stets nur ein Geviert verwendet werden. Größere Einzüge, die weder auffälliger noch schöner sind, können nur bei übermäßig langen Zeilen gebraucht werden. Zu große Einzüge können bewirken, daß die Ausgangszeile kürzer ist als der Einzug darunter. Der Geviertgedankenstrich soll nur in tabellarisch gesetzten Preisbezeichnungen verwendet werden. In allen andern Fällen sind kürzere Striche (Streckenstriche, auf Halbgeviert) zu setzen. Der Bindestrich soll jedoch nicht an Stelle des Gedankenstrichs treten. In der Regel sollen im Antiquasatz halbierte französische Anführungszeichen ‹ › angewendet werden. In der gleichen
Arbeit müssen diese die gleiche Form haben. Sie sind vom Wort durch Spatien zu trennen (außer in engen Zeilen). Nur Anführungen in der Anführung erhalten diese Anführungszeichen: « ». Notenziffern müssen im gleichen Charakter wie die Grundschrift gesetzt sein. Auf die Notenziffer () oder den Notenstern (*) soll keine Parenthese folgen, weder im Text noch in der Fußnote. Zwischen dem Wort und der darauffolgenden Notenziffer muß ein Spatium liegen. Über den Fußnoten soll entweder nur ein Zwischenraum oder eine durchgehende Stumpffeine liegen. Der Zwischenraum über und unter dieser Linie darf nicht kleiner sein als der Durchschuß des oberen Textes. Die Umlaute Ä, Ö, Ü dürfen nicht durch Ae, Oe, Ue ersetzt werden (Ärzte, Äschenvorstadt). In Zahlen ist das Komma allein zur Kennzeichnung der Dezimalstellen zu gebrauchen. Die Tausendergruppen müssen durch Spatien statt durch die falschen Kommas oder Punkte getrennt werden. , bedeutet nicht dreihunderttausend, sondern dreihundert. Dreihunderttausend setzt man so: . Auch Schlußpunkte dürfen nicht zur Trennung der Tausendergruppen gebraucht werden. Das Komma leitet immer die Dezimalstellen ein: , m; , kg. Man setzt jedoch: . Uhr. Auch in Telephonnummern trennt der Setzer die Gruppen besser durch Spatium statt durch den Punkt: Nr. . (In deutscher Sprache setzt man Nr., nicht No.)
Wie Probeseiten aussehen sollen
W ein Verleger ein Buch plant, so verlangt er von seinem Drucker Probeseiten. Sobald diese nach einigem Hin und Her genehmigt worden sind, dienen sie Setzer und Drucker als verbindliche Muster. Es ist daher nötig, die Probeseiten mit aller erdenklichen Sorgfalt vorzubereiten. So muß zum Beispiel die Seitenhöhe völlig klar sein. Wenn ein Werk aus zwei verschiedenen Schriftkegeln gesetzt wird, muß eine der beiden Seiten ganz aus dem Hauptgrad gesetzt sein, da nur dieser die genaue Satzhöhe bestimmen kann. In dieser Seite darf daher auch kein Untertitel vorkommen. Überhaupt muß ein Seitenpaar vorgeführt werden, nicht nur weil nur dieses die eigentliche Wirkung des fertigen Buches zeigt, sondern auch, weil allein ein solches die Möglichkeit bietet, einen Kapitelanfang zu zeigen. Dieser ist sowohl für den Maschinensetzer wie für den Handsetzer von Bedeutung. Am besten stellt man die Seite mit dem Kapitelanfang nach links, die gewöhnliche Textseite nach rechts. Wenn das Buch typographisch sehr verwickelt ist, müssen vielleicht drei, vier oder gar sieben Probeseiten angefertigt werden. Denn auf den Probeseiten müssen alle charakteristischen Satzarten des Buches vorkommen. Das Werk darf erst berechnet werden, wenn der Setzer die Probeseiten druckfertig gemacht hat. Sonst können sich Unterschiede im Umfang ergeben. Der Entwurf darf keine
theoretische Arbeit des Büros sein. ‹Der Satz war vorberechnet› ist keine Entschuldigung für ein häßliches Buch. Der Satz der Probeseiten darf nicht weniger sorgfältig erstellt werden als ein normaler Auftrag. Mit Druckfehlern schon in der Probeseite verscherzt sich der Drucker das Vertrauen des Verlegers in den Korrektor. Verlangt der Auftraggeber die Anwendung eigener Hausregeln, so müssen diese angewendet und die wichtigsten Hinweise auf Seite vermerkt werden. Siehe die Nachbarseite. Kommen Fußnoten im Werk vor, so soll ein verwickelteres Beispiel dafür vorgeführt werden. Das beschnittene Format, Bund- und Kopfsteg müssen haargenau stimmen. Der Ehrgeiz eines guten Druckers muß es sein, Probeseiten zu liefern, an denen der Verleger nichts aussetzen kann. Vor allem muß das Papier, sofern es schon vorhanden ist, dasselbe sein wie das der Auflage; falls es noch in der Anfertigung ist, so soll das Papier der Probeseiten dem späteren mindestens seiner Oberfläche nach möglichst ähnlich sein. Aber auch der Druck muß erstklassig sein. Auf Zurichtung kann keineswegs verzichtet werden, und die Farbgebung muß dem Papier und der Schriftart genau angepaßt sein. Die Seiten dürfen also weder blaß noch fett wirken. Denn der Maschinenmeister hat sich später nach den Probeseiten zu richten. Oft liefert die Druckerei nur eine armselige Seite, vielleicht gar mit einer Ausgangszeile am Fuß, die den unteren Papierrand entstellt. Aber richtige Probeseiten bestehen aus noch mehr als wenigstens einem Seitenpaar: auf Seite der vierseitigen Probe sollen die Angaben des nebenstehen
. Vorschlag – . September Werk: Gottfried Keller, Der grüne Heinrich Verlag: Zum Venedig, Basel Drucker: Jakob Schnellhase, Basel Seitengröße beschnitten: , mal Zentimeter. Grundschrift: Mono Centaur – auf , Cicero, Zeilen. Bundsteg pro Seite: Cicero. Kopfsteg beschnitten: Cicero. Ä, Ö, Ü, ß. ‹ ›. Halbgeviert-Gedankenstriche! Statt Sperrung Kursiv. Wortausschluß nach Satzschlußpunkten. Geschätzter Umfang: Seiten (einschließlich Seiten für Schmutztitel (= Seite ), Titel und Vorwort sowie Seiten Inhalt am Ende des Bandes). Neue Kapitel anhängen.
Muster für Seite
den Musters gedruckt erscheinen. Nur dann wird dem Setzer und dem Maschinenmeister, vor allem auch ihren gelegentlichen Mitarbeitern, alles klar sein. Wenn die Probeseiten etwa statt , mal cm nur , mal , cm groß sind, könnten schließlich Zweifel entstehen, ob nicht etwa , mal , cm gemeint seien. Auch muß bei jedem neuen Versuch der ursprünglich geschätzte Umfang nachgeprüft werden, denn nicht immer findet gleich der erste Versuch die Zustimmung des Verlegers. Die Versuche müssen auch numeriert und fortlaufend datiert sein. Es empfiehlt sich ferner, auch Bund- und Kopfsteg auf Seite der Probeseiten festzulegen, damit später kein Unglück passiert. Der Drucker soll nicht zu wenige Exemplare der Muster herstellen. Mindestens vier gehen an den Auftraggeber, und mindestens weitere vier werden für die Auftragstasche zurückbehalten. Nur wenn alle diese Anweisungen sorgfältig befolgt werden, ist es wenigstens einigermaßen sicher, daß das fertige Buch alle Mitarbeiter und den Auftraggeber befriedigt.
Konsequenzen des Drittelsatzes
D enge Satzweise, die gewöhnlich nicht ganz richtig als Drittelsatz bezeichnet wird, führt notwendig zu einer Revision gewisser Satzregeln des neunzehnten Jahrhunderts, die gewohnheitsmäßig noch heute gelten. Manche älteren Regeln stehen in so schroffem Gegensatz zum engen Satz, daß man sich einmal entscheiden muß; eine Verständigung zwischen ihnen und der engen Satzweise ist nicht möglich. Der Forderung nach engem Satz liegt die optische Erfahrung zugrunde, daß der ältere Halbgeviertausschluß die Wörter des Satzes zerreißt und ihr Erfassen erschwert. Er ergibt ein unruhiges, weißfleckiges Gesamtbild, worin die Wörter der Zeilen oft dichter untereinander als nebeneinander stehen und dadurch ihren sinnvollen optischen Zusammenhang einbüßen. Der Ausschluß Gutenbergs und des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts war noch enger, als wir ihn heute verlangen. Er war geringer als die Stärke eines i und wäre also eher als Viertelsatz zu bezeichnen. Allerdings hatte der Setzer damals die Möglichkeit, innerhalb der Zeile ein oder mehrere Wörter in ziemlich beliebigem Maß abzukürzen. Nur so ist das unnachahmlich vollkommene Satzbild der Inkunabeln und italienischer und französischer Drucke des sechzehnten Jahrhunderts zu erklären. Das ideale Schriftbild der Antiqua ist das der lateinischen Sprache, für das sie geschaffen worden ist. Deutsche Texte
mit ihren langen Wörtern und der barocken Häufung der Versalien in ihrer gegenwärtigen Schreibweise sind viel schwerer schön zu setzen als Englisch, das das ruhigste typographische Bild unter den lebenden Sprachen ergibt, weil es nur wenige Versalien und gar keine Akzente braucht und vorwiegend aus kurzen Wörtern besteht. Die heutigen romanischen Sprachen sind heute nicht mehr so ideal wie ihre lateinische Mutter zu setzen, da sie mit Akzenten versehen sind und die nicht selten vorkommenden z, j und selbst k eigentliche Fremdkörper in der Antiquaschrift sind. Aber sie erinnern an das Lateinische und weisen nicht die zahllosen Versalien des Deutschen auf. Im deutschen Satz verlangen die langen Wörter notwendigerweise häufiger Worttrennungen als andere Sprachen. Guter enger Satz ist in französischen und englischen Werken selbst mit den Regeln des neunzehnten Jahrhunderts über Worttrennungen noch leicht durchführbar. Im Deutschen verlangt der enge Satz nicht nur die Lockerung, sondern die Abschaffung der Regeln über sogenannte mangelhafte Trennungen, wie ergan-gen, aufge-bracht, Ti-rol. Man kann nicht zugleich eng setzen und mangelhafte Worttrennungen vermeiden. Sonst erhält man teils eng, teils weiter oder weit gesetzte Zeilen. Auch die Regel, man dürfe nicht mehr als dreimal hintereinander am Zeilenende trennen, ist in gutem engem (deutschem) Satz nicht immer leicht zu befolgen. Selbstverständlich fordert enger Satz auch nach den Schlußpunkten den gleichen, ja unter Umständen geringeren Ausschluß als zwischen den Wörtern. Die älteren Regeln über den vergrößerten (oft lochartig großen) Ausschluß hinter dem Satzende sollten endgültig verschwin
den. Für den Maschinensetzer bedeutet es eine große Erleichterung, wenn er nicht mehr auf Schlußpunkte achten muß. Auch auf den Umbruch wirkt sich der enge Satz aus. Die Regel, daß Ausgangszeilen nicht die erste Zeile einer neuen Seite bilden dürfen, ist bei engem Satz nicht ohne weiteres annehmbar. Solche Zeilen sind gewiß nicht schön; sie zu vermeiden ist jedoch schwer, wenn man weder aus- noch einbringen kann. Vergleiche hierzu Seite bis . Anfangszeilen am Fuß der Seite gelten ohnehin nicht als Fehler. Es ist übertrieben, zu verlangen, daß auch sie nicht vorkommen dürfen. Denn dann muß fast stets der Autor helfend durch Streichungen oder Zusätze eingreifen. Das hieße jedoch eine Vorherrschaft der Form über den Inhalt der Typographie errichten, die gerade ein guter Setzer weder begünstigen noch gar verlangen darf.
Warum Absatzanfänge eingezogen werden müssen
D Niederschrift einer Gedankenfolge wird vom Verfasser in Gruppen zusammengehöriger Sätze gegliedert; diese Satzgruppen nennen wir Absätze. Früher wurden sie auch Paragraphen genannt. Das heutige unschöne Paragraphzeichen § ist nichts anderes als eine verkommene Variante des mittelalterlichen Zeichens ¶, das ursprünglich auch inmitten fortlaufender Zeilen erscheinen durfte und farbig geschrieben wurde. Es bezeichnete den Anfang einer neuen Satzgruppe. Im späten Mittelalter begann man diese Satzgruppen mit einer neuen Zeile einzuleiten, hielt aber an dem Brauch fest, das Absatzzeichen, meist in roter Farbe geschrieben, davorzusetzen. Einige Frühdrucker haben es auch als Type geschnitten und schwarz mitgedruckt. Ursprünglich aber wurde es in den Inkunabeln noch rot vom Rubrikator (der von dieser Arbeit seinen Namen ableitet: rubrum – rot) eingeschrieben. Der Platz dafür mußte vom Setzer freigelassen werden. Das Einschreiben der Paragraphzeichen unterblieb aber oft, und man fand schließlich, daß der Gevierteinzug – wie wir diesen leeren Raum heute nennen – auch ohne das rote Zeichen darin den Absatz genügend und sicher kennzeichnet. Er tut das auch heute noch, und bisher hat man kein sparsameres oder wenigstens ebenso gutes anderes Mittel entdeckt, den neuen Absatz zu kennzeichnen. An Versuchen
hat es nicht gefehlt, diesen Brauch durch einen neuen zu ersetzen. Etwas Altes zu zerstören hat aber nur Sinn und das Neue nur Bestand, wenn dieses einer Notwendigkeit entspringt und besser als das Alte ist. Dies läßt sich aber nicht von dem einzuglosen Satz sagen, der immer mehr Überhand nimmt. Auch er hat eine, wenn auch viel kürzere, Geschichte. Das Streben unserer Zeit nach Einfachheit, eine Reaktion auf den überladenen Stil unserer Großväter, drückt sich oft in einer krankhaften Sucht nach Vereinfachung aus. Eine folgenschwere Begriffsverwechslung. Einige der englischen Pressendrucker der Jahrhundertwende unterließen den Einzug, und diese unüberlegte Manier, die übrigens in England bis in die jüngste Zeit hinein keine Nachahmer fand, wurde von jungen Verlegern in Deutschland übernommen. Ein sehr angesehener Verlag, einst in Leipzig, hat viele seiner Bücher ohne Einzüge setzen lassen und damit zu der weiten Ausbreitung dieser bedenklichen Satzweise erheblich beigetragen. Wenn Setzer, Korrektor und Lektor sich alle Mühe geben, wenigstens die vorhergehende Zeile mit einem wenn auch noch so knappen Ausgang (manchmal nur oder gar typographische Punkte betragend!) zu versehen, so mag das noch zur Not hingehen. In zweitrangigem Spaltensatz, dem von Zeitungen, Zeitschriften und buchartigen Drucksachen, wird aber diese Satzart, die keineswegs etwa billiger ist als der Satz mit Gevierteinzügen, geradezu gefährlich. Im Zeitungssatz pflegt man zwischen die Absätze oder mehr Punkte zusätzlichen Durchschuß zu legen, zum Teil deshalb, weil Zeitungen keinen so sorgfältigen Umbruch wie Bücher vertragen. Musterhaft ist das aber nicht.
Schon der Setzer einer Zeitung hat keine Zeit, darauf zu achten, daß jede Endzeile einer Rubrik auch einen sichtbaren ‹Ausgang›, also einen unbedruckten Rest, aufweist. Manchmal endet auch mitten im Absatz eine Zeile mit einem Schlußpunkt. Der Metteur schaut auf die Schlußpunkte am Ende der Zeilen; unter diese Zeilen legt er den zusätzlichen Durchschuß, der damit die Rolle des Einzuges übernimmt. Hat er auch keinen Fehler gemacht? Den Satz zu lesen, hat er keine Zeit. Den hastig lesenden Korrektor kümmert es auch kaum, weil es ihm ebenfalls an Zeit mangelt. Das Ergebnis sind irrtümlich zerschnittene und fälschlich gekuppelte Sinngruppen. Der unregelmäßige zusätzliche Durchschuß verdirbt überdies das Aussehen des Satzbildes. All das leuchtet natürlich nur einem ernsthaften Leser ein. Aber selbst wenn Setzer, Korrektor und Lektor eines Buches jener indirekten Kennzeichnung der Absätze durch erzwungene, künstliche Ausgänge in der vorhergehenden Zeile alle Aufmerksamkeit schenken, so sind selbst alle drei zusammen nicht so unfehlbar, daß diese indirekte Kennzeichnung auch wirklich nirgendwo vergessen wird. Gedruckt wird das Buch aber für den Leser. Auch er ist am Ende jeder Zeile ein wenig träger als an ihrem Anfang. Die ‹stumpfen› Anfänge (so nennt der Fachmann Anfänge ohne Einzug) erwecken in ihm den Eindruck eines fortlaufenden Sinnzusammenhangs, während ein guter Schriftsteller diese Absätze mit allem Vorbedacht wählt und erkennbar gemacht haben will. Der einzuglose Satz erschwert also auch die Aufnahme des Gedruckten durch den Leser. Und das ist sein wichtigster Nachteil. Stumpfe Anfänge ma
chen den Satz zwar ‹ruhiger›, als normaler aussieht; aber das wird mit einem bedenklichen Verlust an Artikulation erkauft. Die Artikulation ist durchaus notwendig, wenn das gedruckte Buch die ideale Darbietung einer Gedankenfolge sein soll. Die Artikulation muß unbedingt links, am Anfange der Zeilen, erscheinen, nicht am Ende der Zeilen, wo man zu lesen aufhört. Wie bemühend ist es, daß diese Selbstverständlichkeit noch erläutert werden muß! Nur an einer Stelle ist der Einzug sinnlos und unschön: unter einer auf Mitte gestellten Überschrift. Der erste Absatz soll stumpf beginnen. Unter einer nach links gerückten Überschrift jedoch ist der Einzug erforderlich. Zwei neuere Unarten der indirekten Kennzeichnung von Absätzen seien nur gestreift: einzugloser Satz, dessen Absätze durch volle Blindzeilen getrennt sind, die eine viel zu starke Unterbrechung bewirken und es unter Umständen fraglich erscheinen lassen, ob auf der neuen Seite ein neuer Absatz beginnt; und nach rechts geschobene Ausgangszeilen, die äußerst lästig wirken und auch nur ein indirektes Mittel sind. Es gibt eben nur eine einzige sichere, nur eine einzige technisch einwandfreie und dabei höchst einfache und sparsame Art, den Absatzbeginn zu kennzeichnen, und das ist der Einzug, der in der Regel ein Kegelgeviert (also Punkt im -Punkt-Grad) betragen soll. Er darf auch etwas kleiner, ja in gewissen Fällen sogar etwas größer sein. Der Setzer wird ihn kaum vergessen und der Korrektor mit Sicherheit darauf achten; kein Leser kann ihn übersehen. Daß Satz mit Gevierteinzügen weniger schön sei, ist unwahr. Der einzuglose Satz sieht nur einfacher aus, geht aber auf
Kosten der Artikulation, die ein Attribut typographischer Schönheit ist. Daß er heute so häufig anzutreffen ist, beweist durchaus nicht, daß er gut ist. Zahlreiche Werke der schönen Literatur, ja sogar wissenschaftliche Bücher, sind in neuerer Zeit ohne Einzüge gesetzt worden. Aus einer Mode der Jahrhundertwende ist beinahe eine feste Regel geworden, und man scheint nicht zu erkennen, daß es dieser unartikulierten Darstellungsart an Deutlichkeit gebricht. Sie ist ein Anzeichen schwindender Achtung vor dem Wort und dem Buchstaben. Der Schriftleiter einer Fachzeitschrift hat gar gemeint, der Satz mit Einzügen sei eine Neuerung, deren Brauchbarkeit sich erst erweisen müsse! Es ist aber der Satz mit Einzügen, der sich seit mehr als vierhundert Jahren bewährt hat. Von ihm weicht man nur in Deutschland und der Schweiz so häufig ab. In England, Frankreich, den skandinavischen Ländern und den Vereinigten Staaten trifft man die ‹lallende› Satzweise ohne Einzüge nur ausnahmsweise an, vornehmlich nur in lieblos gemachten Druckerzeugnissen. Der normale alte Satz mit Einzügen ist unendlich besser und deutlicher als der glattgeschniegelte Satz mit stumpfen Anfängen. Die alte Methode kann gar nicht verbessert werden. Sie ist, obschon wahrscheinlich ein zufälliger Fund, die ideale Lösung des Problems. Mögen die Verleger und die Setzer, die es angeht, recht bald zu ihr zurückfinden. Einen kleinen Teil der Schuld an der Ausbreitung der falschen Satzart trägt auch die weithin geübte Art, wie Briefe und Manuskripte auf der Schreibmaschine geschrieben werden: auch hier statt der sicheren und stets erkennbaren Einzüge stumpfe Anfänge und Blindzeilen zwischen
den Absätzen. Die Handelsschulen lehren heute, ohne im geringsten in typographischen Fragen kompetent zu sein, daß Einzüge veraltet, stumpfe Anfänge ‹modern› seien. Das ist eine ganz irrige Laienmeinung. Es wäre gut, wenn man auch hier zur alten Art – bis Buchstabenbreiten genügen vollauf als Einzug – zurückkehrte.
Kursiv, Kapitälchen und Anführungszeichen im Textsatz des Buches und in wissenschaftlichen Zeitschriften
Geschichtliches D Anfänge einer typographischen Differenzierung des Textsatzes finden wir in der Zeit des Barocks. Damals fing man an, innerhalb eines Antiquasatzes Kursiv zur Unterscheidung zu verwenden. In Büchern deutscher Sprache, die ohne Ausnahme in Fraktur gesetzt wurden, huldigte man um diese Zeit der Mode, fremde Wörter in Antiqua zu setzen; die Wortstämme von Fremdwörtern mit deutschen Endungen wurden in Antiqua, die Endungen in Fraktur gesetzt. Im achtzehnten Jahrhundert hatten sich schon einigermaßen feste Regeln für solcherart gemischten Satz, vor allem für wissenschaftliche Bücher, gebildet. Es gab und gibt immer Bücher, deren Text durch eine Schriftdifferenzierung an Deutlichkeit und Klarheit gewinnt. Neidvoll betrachten wir den Satz der Ausführlichen lateinischen Sprachlehre von I. J. G. S, Leipzig, (Abbildung). Die Grundschrift dieses Buches ist die Fraktur der Zeit. Die Übersetzungen ins Deutsche sind aus
Schwabacher gesetzt. Diese schöne, kräftige Schrift diente vor J. F. U (–) als Halbfette. (Eigentliche halbfette Frakturschriften sind erst im neunzehnten Jahrhundert aufgekommen.) U verbannte die von ihm für häßlich gehaltene Schwabacher aus dem Schriftenbestand der Buchdruckereien und führte als Ersatz der Auszeichnung der Fraktur durch Schwabacher die Sperrung ein, mit deren Ausmerzung wir heute uns abmühen. Daher rührt es, daß noch heute, aber nur in Deutschland, der Schweiz und in Österreich, Antiqua manchmal irrigerweise mit gesperrter Antiqua statt mit Kursiv ausgezeichnet wird. Im Antiquasatz soll aber nirgends gesperrt werden. (Versalien und Kapitälchen bilden die Ausnahme.)
Für die lateinischen Wörter sind im S von Antiqua und Kursiv verwendet worden. Dem beneidenswerten Autor und dem Setzer standen also verschiedene Schriften auf dem gleichen Kegel für ebenso viele Wortkategorien zur Verfügung. Kapitälchen waren damals in Deutschland anscheinend noch seltener als heute. Sonst hätte S, falls nötig, auch sie noch verwenden können. Aber er hätte sie nicht benötigt, und noch mehr als Schriftarten sollte kein Autor im Text brauchen. In einer Grammatik läßt man sich das durchaus gefallen, aber kaum in anderen Büchern, mögen sie noch so gelehrt sein. Ein heutiger Typograph, der dieselbe Grammatik in Antiqua zu setzen hätte, hätte nur Schriftarten zur Verfügung, nämlich Antiqua, Kursiv und Kapitälchen, und müßte zur Halbfetten Zuflucht nehmen, wenn Schriftarten verlangt würden. (Mit Endstrichloser als Grundschrift wäre er noch früher verloren.) Und wieviel besser sieht Breitkopf-Fraktur mit Alter Schwabacher aus als etwa Garamond mit halbfetter Garamond! In vollkommener Weise wird der Unterschied zwischen Deutsch und Lateinisch im S durch den Formengegensatz zwischen Fraktur und Schwabacher auf der einen und Antiqua und Kursiv auf der andern Seite veranschaulicht. In einer aus Antiqua gesetzten Grammatik würden die lateinischen Wörter sich längst nicht so gut abheben. Wir können also diese allerdings schwere Aufgabe, solange wir auf die Fraktur verzichten, nicht so gut bewältigen wie der Setzer des achtzehnten Jahrhunderts. Mit der Fraktur haben wir uns, wie auch dieses Beispiel lehrt, eines Schatzes begeben, um den uns Anderssprechende beneiden dürften, wüßten sie genauer Bescheid. Es
ist ein Unglück, daß Fraktur wie früher auch heute noch mit sachfremden Argumenten von den einen bekämpft und mit ebendenselben von anderen gelobt wird; von der besonderen Eignung der Fraktur und der Schwabacher für die zum Teil langen Wörter der deutschen Rechtschreibung, von ihrer raumsparenden Gedrängtheit, von ihrer aus spezifisch deutscher und transalpiner * Linienkunst erwachsenen Form ist kaum die Rede. Man lese J G, G K, M, selbst G Liebesgedichte oder Des Knaben Wunderhorn in Antiqua. Dann spürt man vielleicht doch, daß sie alle unpassend ‹verkleidet› sind. Aber das nur nebenbei. Wenn man im mittleren neunzehnten Jahrhundert einen ähnlichen wissenschaftlichen Text wie den des S aus Antiqua zu setzen hatte, mußte man bereits die halbfette ‹Aldine› zu Hilfe nehmen (die ihren Namen, der auf A M anspielt, ganz zu Unrecht führt). Dazu kamen Kursiv und Kapitälchen. Kursiv ist eine an die humanistische Verkehrsschrift erinnernde, oft etwas schmäler laufende schrägstehende Verwandte der Antiqua, die hauptsächlich durch ihren Richtungsgegensatz auffällt, aber im Grau der ganzen Seite nur * Ich finde leider kein besseres Adjektiv als diesen wenig gebräuchlichen Ausdruck. Das Wort ‹mitteleuropäisch› ist durch gewisse Subjekte der näheren Vergangenheit in Verruf gebracht worden; auch trifft es die Sache nicht. ‹Transalpin› heißt buchstäblich ‹jenseits der Alpen›. Da dieses Wort aber von Römern geprägt worden ist, bedeutet es ‹nördlich der Alpen›, wie umgekehrt ‹cisalpin› (eigentlich ‹diesseits der Alpen›) ‹südlich der Alpen› bedeutet.
soweit stört, als das ihre Funktion verlangt. Kapitälchen sind Lettern in Großbuchstabenform, aber annähernd in der Größe des kleinen n. Schon der authentische Schnitt der Garamond, wie er in der Frankfurter Schriftprobe C B () erscheint, zeigt Kapitälchen für Grade. Während man hervorzuhebende Stichwörter gern in Kursiv setzte, blieben die Kapitälchen den Namen von Personen, zuweilen aber auch Ortschaften, vorbehalten. In den die Antiqua benutzenden Ländern bildeten sich seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nützliche und allgemein verbindliche Regeln heraus, die auch wir annehmen und lernen müssen, wenn wir die Antiqua richtig gebrauchen wollen. Es wäre absurd, andere Regeln aufzustellen. Die richtigen Regeln haben längst ihre Brauchbarkeit bewiesen, dürfen also unbesehen übernommen werden. Auch verbietet die Rücksicht auf Leser anderer Sprache, es anders als die übrige Welt zu machen. Wir sind also nicht frei, Kursiv und Kapitälchen, so wie es uns gerade einfällt, zu verwenden, sondern müssen endlich die Kinderschuhe ablegen und Kursiv und Kapitälchen richtig verwenden lernen. Bis jetzt geschieht dies noch viel zu selten. Wo Kursiv, wo Kapitälchen? In einem Roman kommen Textauszeichnungen mittels Kursiv oder gar mittels Kapitälchen kaum vor. Höchstens daß heute das betonte Wort ‹ein› mit Kursiv hervorgehoben wird (‹Nur ein Mittel hälfe …›). Früher pflegte man es, wo es nötig war, mit einem Versal zu setzen, was mir richtiger erscheint, als es in Kursiv oder gar gesperrt zu bringen.
Selbst in Lehrbüchern dürfen weder Kursiv noch Kapitälchen als Signalscheiben des laufenden Textes, also als Ordnungsmittel der Übersicht, mißbraucht werden. (Sind solche Signalzeichen durchaus nötig, so setze man fette Sterne vor das Stichwort.) Sie dienen eigentlich überhaupt nicht zur Hervorhebung, sondern nur zur Verdeutlichung und Differenzierung. Die ‹Rubrizierung› des Textes wird durch die verschiedenen Arten der Überschriften und dazu manchmal durch Marginalien sichtbar gemacht. Die Absätze deuten Gedankenpausen an. Nur in ganz seltenen Fällen darf ausnahmsweise einmal ein quasi laut zu sprechendes Wort oder ein Satz in Kursiv gesetzt werden. Wie das Wort Schriftsteller verrät, gehört es zur Kunst des Schreibens, dem wichtigen Wort den gewünschten Nachdruck durch seine Stellung innerhalb des Satzes zu verleihen. Die in manchen Zeitungen blühende Fettsetzerei halber und ganzer Sätze, überhaupt die Sucht, fast die Hälfte aller Wörter auszuzeichnen, hilft dem Leser, der etwas verstehen will, gar nicht, sondern läßt ihn meinen, er werde für schwachsinnig gehalten. Das extreme Gegenteil aber, alles und jedes in nur einem einzigen Grade und dazu ohne Kursiv abzusetzen, offenbart einen wirklich erschreckenden Mangel an Höflichkeit dem Leser gegenüber und ist noch weit schlimmer als der Gebrauch zu vieler Schriftarten. Kursiv ist in erster Linie für die Charakterisierung der im Text vorkommenden Bezeichnungen von Büchern, Zeitschriften, Kunstwerken und die Namen von Häusern und Schiffen bestimmt. Dafür erhalten diese Wörter keine Anführungszeichen. Ferner ist es angezeigt, Wörter und Sätze aus fremden Sprachen durch Kursivsatz statt durch Anfüh
rung zu kennzeichnen. Dies ist eine feste Regel im Englischen, im Französischen und in vielen anderen Orthographien. Kapitälchen, genauer: Kapitälchen mit Versalien, dienen der Kennzeichnung von Personennamen. Man sieht diese zuweilen auch ganz in Versalien, doch fallen sie dann zu sehr auf (J Y ist besser als JUAN DE YCIAR); auch erkennt man nur, wenn man Kapitälchen mit Versalien verwendet, was klein und was groß geschrieben werden muß. Vornamen werden genau wie der Familienname aus Kapitälchen mit Versalien gesetzt. Zusammensetzungen, wie Ohmsches Gesetz, Röntgenstrahlen, rembrandtartig, setzt man jedoch besser nur in gewöhnlichen Buchstaben. Kapitälchen müssen stets ganz schwach gesperrt werden; sonst verlieren sie alle Leserlichkeit. Es ist eine Ermessensfrage, ob man in einem längeren Buche die vorkommenden Namen stets so auszeichnen will. Es besteht kein Zwang. Manchmal sträuben sich die Buchverfasser dagegen, denselben Namen, so oft er vorkommt, auszuzeichnen. Aber der Versuch, dies nur zu tun, wenn der Name zum ersten Male auftaucht, glückt selten. Man muß die Auszeichnung entweder überall durchführen oder auf sie verzichten. In einer Bibliographie dagegen sollten die Verfasser stets in Kapitälchen und Versalien, die Buchtitel stets in Kursiv gesetzt werden. Die Verfasser von Zeitschriftenartikeln werden ebenfalls in Versalien und Kapitälchen, die Aufsatztitel in Gewöhnlicher und nur die Zeitschriftentitel in Kursiv gesetzt. (Zeitschriften sind Bücher.) Nicht allgemein bekannte Eigennamen, wie ‹Salon des
Refusés›, sowie nicht allgemein geläufige und in übertragenem Sinne oder mit Vorbehalt gebrauchte Wörter, wie ‹Hurenkind› (Ausgangszeile am Kopf einer Seite), dürfen zwischen Anführungszeichen gesetzt, sollen aber in Gewöhnlicher, nicht in Kursiv erscheinen. Auch wird man einen ungeläufigen Begriff, der erläutert werden soll, wie ‹Kraft des Pinsels›, gern zwischen Anführungszeichen setzen. Zitate setzt man ebenfalls aus gewöhnlicher Schrift, faßt sie aber mit Anführungszeichen ein. Die aufgeführten Regeln entsprechen der englisch-französischen Methode, sind international gültig und der in deutschsprachigen Büchern häufigen Willkürlichkeit vorzuziehen. Von der Halbfetten rede ich lieber gar nicht; vor ihrem Gebrauch im Buche, außer in Nachschlagewerken und allenfalls für Überschriften, ist dringend zu warnen. Ihre Funktion ist Blickfang, nicht Differenzierung. Ist, etwa in einem Vorwort, die Kursiv Grundschrift, so wird diese mit Gewöhnlicher ausgezeichnet, nicht etwa mit gesperrter Kursiv. Es gibt Leute, die jede Differenzierung des Textes verwerfen. Sie sagen, sie bewirke Unruhe. Aber diese Leute schütten das Kind mit dem Bade aus. Man schaut den Text ja nicht bloß an, man soll ihn gut lesen können. Die kleine ‹Unruhe› erleichtert die Aufnahme des geschriebenen Wortes ungemein und belebt es sogar in angenehmer Art. Und die dauernde Belästigung durch Anführungszeichen statt Kursivsatz ist auch nicht erfreulich. Denn es gibt mehrere Gründe für den Gebrauch von Anführungszeichen! Allerdings verlangt der richtige Gebrauch von Kursiv, Kapitäl
chen und Anführungszeichen im Buche von Autor und Lektor strenge Selbstzucht, und es gibt Autoren, die diese nicht gern üben. Echte und unechte Kapitälchen Echte Kapitälchen werden nur zu den Buchschriften geliefert, und nicht einmal zu allen. Diese echten Kapitälchen, meist um eine Spur höher als das kleine n, sind eigens für jeden Brotschriftgrad geschnitten und nicht von derselben Form wie etwa ebenso kleine Versalien, sondern etwas breiter und proportional etwas kräftiger als diese. Eine Druckerei, die nicht über echte Kapitälchen verfügt, muß sich mit Versalien eines kleineren Grades behelfen. Ganz tadellos sieht das selten aus. Entweder sind diese Versalien etwas zu groß oder etwas zu klein und stets etwas zu zart im Verhältnis zu den Gemeinen der Grundschrift. Außerdem ist die Mischung zweier Grade in der Zeile unbequem, zumal wenn sie häufig ist. Der Besitz von echten Kapitälchen in den Graden , , und bietet der Druckerei nicht unwichtige Nebenvorteile. Die -Punkt-Kapitälchen sind zugleich minuziöse
VERSALIEN
VERSALIEN
VERSALIEN
VERSALIEN
‹Großbuchstaben›, die oft auf feineren Drucksachen gebraucht werden, und an Stelle von nur Versaliengrößen besitzt man in denselben Graden mit den Kapitälchen verschiedene Sorten von Großbuchstaben in subtiler Abstufung. Der Besitz von Kapitälchen ist ein Muß für eine gut einzurichtende Druckerei. Anführungszeichen Zwischen Anführungszeichen gesetzt wird in erster Linie die gesprochene Rede. Nötig ist es eigentlich nicht, und auch nicht sehr schön, aber doch deutlicher als der Satz ohne solche Zeichen. Zumal jene aufgeblähten Romane, in denen Rede und Gegenrede stets neue Absätze bilden, bedürften der Anführungszeichen im Grunde nicht, weil der neue Absatz (falls dank einem Einzug erkennbar) ja zeigt, daß ein anderer redet. Deutlich wohl, aber nicht gerade satzverschönernd – das ist unser Urteil über diese Zeichen. Es gibt nicht nur eine Art. Da sind zuerst die ‹deutschen Gänsefüßchen›, denen wir in der Fraktur begegnen. Vorn zwei Kommas, hinten zwei umgedrehte Kommas: . Kein Spatium zwischen Wort und Zeichen! In der Antiqua gilt dasselbe, nur daß man dort Antiquakommas benützt. Diese wie jene werden meistens als Pärchen geliefert. Ich möchte unterstreichen, daß das Schlußgänsefüßchen aus ‹umgedrehten Kommas› (“) bestehen sollte und nicht aus oben aufgehängten (”), weil diese verdoppelte Apostrophe sind. Dann gibt es die ‹französischen Gänsefüßchen›, französisch guillemets («n»). In der Fraktur dürfen sie nicht ver
wendet werden. Nur sie verdienen eigentlich den Namen; denn die deutschen Anführungszeichen haben, scheint mir, ja keine Ähnlichkeit mit Gänsefüßchen. In Deutschland zeigen sie meistens mit der Spitze nach innen: »n«; in der Schweiz müssen sie mit der Spitze nach außen zeigen: «n». Sie sollten, außer vor den Buchstaben mit Fleisch A, J, T, V, W und nach Schlußpunkten, stets mit einem Spatium gesetzt werden. Es ist freigestellt, ob man in deutschem Antiquasatz deutsche oder französische Gänsefüßchen verwenden will. Die Sache wird verzwickter, wenn man gewahr wird, daß es nicht dasselbe ist, eine gesprochene Rede anzuführen oder ein ungebräuchliches Wort einzuführen. Manche haben da zum andern Stil Zuflucht genommen, benützen also beide Arten, «n» und „n“. Andere nehmen für das anzuführende Wort die Hälfte des Pärchens, also ‹n› oder ,n‘ (beileibe nicht ,n’! Der Apostroph darf nicht auch Anführungszeichen sein!). Was aber tun, wenn es keine ‹n› gibt, ganz genau zu den «n» passend? Diese zwei erwünschten Zeichen fehlen in fast allen Schriften. Man kann sie aber von der Linotype bestellen: die Garamondform ‹ › für Garamond und Janson; und von der Monotype die Bembo-Form ‹ ›, die zu den meisten Antiquaschriften paßt. Diese halben Gänsefüßchen sind die beste Anführung der gesprochenen Rede, und man könnte die barocken Pärchen für die anderen, aber selteneren Notwendigkeiten aufsparen. Anführung innerhalb einer Anführung: Manche setzen «–, ‘–», andere «–,, “–», benützen also dann die sonst nicht verwendete Sorte. Es ist aber schwer einzusehen, wozu es überhaupt des Wechsels bedarf. Man kann ganz gut setzen:
«–« »–», da die innere Anführung wohl immer ganz kurz ist. Ich ziehe folgende Art vor: ‹–« »–›, wie ich überhaupt den einfachen Anführungszeichen dieser Form ‹ › den Vorzug gebe. Die Engländer unterscheiden zwischen single quotation marks (‘n’) und double quotation marks (“n”). Viele gute englische Drucker ziehen heute für die Anführung der gesprochenen Rede die single quotation marks vor, weil die doppelten das Satzbild so unruhig machen. Auch hier sind Spatien empfehlenswert, damit das Anführungszeichen am Ende nicht zu einem Apostroph wird. Die meisten Länder haben eine eigene Art der Anführungszeichen und ihres Gebrauchs. Aufschluß darüber erteilen W H, Satz und Behandlung fremder Sprachen, und P G, Richtlinien für den Satz fremder Sprachen. Der richtige Satz von Literaturnachweisen (englisch: References, französisch: Sources) und Bibliographien Ordnungsziffer in voller Größe mit Schlußpunkt, freigestellt. (Nur im Text Bruchziffern, ohne Klammer, weil sie dort nicht stören sollen. In der Nachweisliste müssen die Ziffern deutlich sein; Bruchziffern kleiner Grade sind meistens kaum noch leserlich.) Autoren in Versalien und Kapitälchen (Vornamen einheitlich entweder ausgeschrieben oder abgekürzt, einheitlich vor- oder nachgesetzt), leicht gesperrt (auf der Schreib
maschine durch doppelte Unterstreichung darstellen): Voss, H. Dahinter Doppelpunkt. Stammt eine Arbeit von zwei Autoren, so dürfen auch die Wörter ‹und, and, et› in Kapitälchen dort gesetzt werden, wo die Arbeit im Text erwähnt wird. Obwohl diese Satzweise nicht konsequent ist, läßt sie deutlich erkennen, daß es sich um eine Arbeit zweier Autoren und nicht um zwei verschiedene Arbeiten handelt. In den Literaturverzeichnissen jedoch setzt man statt ‹und, and, et› besser nur ein Komma, weil dieses in allen Sprachen verstanden wird. ‹et al.› (et alii = und andere) wird stets in gewöhnlichen Gemeinen gesetzt. Es ist unrichtig und durchaus verwerflich, Verfassernamen kursiv zu setzen. Falls keine Kapitälchen vorhanden sind, sollen die Verfassernamen gar nicht hervorgehoben werden. Reihenfolge bei kompletten Buchtitelzitierungen: Autor in V und K, am liebsten leicht gesperrt (auf der Monotype mit oder Einheiten), Doppelpunkt. Titel ungekürzt, in Kursiv, Punkt. Verlagsort, Komma. Erscheinungsjahr in gewöhnlicher Schrift, Punkt. Beispiel: . S M: Four Centuries of Fine Printing. London, . Falls der Verleger genannt wird, folgt dem Verlagsort ein Doppelpunkt (erst der Ort, dann der Verlag): . J T: Geschichte der Schrift in Bildern. Vierte Auflage. Hamburg: Hauswedell, .
Artikeltitel in gewöhnlicher Schrift, nicht kursiv (Beispiele und ). Sie dürfen zwischen Anführungszeichen gestellt werden (Beispiele und ). Vor dem Buch- beziehungsweise dem Zeitschrifttitel darf ein Halbgeviert-Gedankenstrich stehen. Buchtitel und Zeitschrifttitel in Kursiv (auf der Schreibmaschine einmal unterstreichen). Abkürzung der Zeitschriftennamen nach den einschlägigen Listen, zum Beispiel nach World Medical Periodicals, . Auflage, . Jahrgang in Kursiv (im Manuskript einmal zu unterstreichen), Seitenzahl gewöhnlich, eventuelle Jahreszahl in gewöhnlicher Schrift zwischen Klammern, Schlußpunkt. Eventuelle Länderangaben wie ‹(Dtschl.)›, ‹(Österr.)› zwischen runden Klammern, aber in gewöhnlicher Schrift. Beispiele: (Vornamen abgekürzt, nachgesetzt) . G, R., J, N.: Effects of Vitamin B (B). Therapy on the Polyneuritis of Alcohol Addicts. – J. Am. med. Ass. , – (). . W, S., W, R. W.: The Nature of the Cardiovascular Disturbance in Nutritional Deficiency States. – Ann. intern. Med. (USA) , – (). (Vornamen ausgeschrieben, vorgesetzt) . L P. R: ‘Chinese Pictorial Arts.’ – The Brooklyn Museum Quarterly. July . Brooklyn, .
.
J T: ‘Color Registering in Chinese Woodblock Prints.’ – Printing & Graphic Arts, Lunenburg, Vermont, , – ().
Nur wenn die Schriftart weder Kursiv noch Kapitälchen enthält, darf alles in gewöhnlicher Schrift gesetzt werden. Der Jahrgang soll dann in halbfetter Schrift erscheinen. Gemeine Buchstaben dürfen nie gesperrt werden. Ungedruckte Kongreßvorträge sowie Kongreßnamen selber sind weder Bücher noch Zeitschriften und werden daher in gewöhnlicher Schrift gesetzt. Im Buchtext vorkommende Buchtitel sind genau so darzustellen wie in den Literaturnachweisen (das heißt in Kursivschrift und ohne Anführungszeichen). Autorennamen dürfen dort in gewöhnlicher Schrift erscheinen; doch sind Kapitälchen mit Versalien besser. Im Text wird auf die einzelnen im Literaturnachweis angeführten Quellen, wenn diese numeriert sind, mit einer hochstehenden Bruchziffer ohne Klammer verwiesen. Diese fordern jedoch keineswegs auch Bruchziffern als Ordnungsziffern der Literaturnachweise. Selbst Verlags- und Antiquariatskataloge gewinnen an Leserlichkeit, wenn in ihnen die vorstehenden international gültigen Satzregeln befolgt werden. Längst ist es Zeit, daß an Stelle der sträflichen Willkür, mit der in der Schweiz und vor allem in Deutschland Autorennamen und Buchtitel (fast stets falsch) ausgezeichnet werden, die Ordnung tritt, die in den Antiqualändern schon seit vielen Jahrzehnten einheitlich befolgt wird und millionenfach erprobt ist.
Vom Durchschuß
U Durchschuß wird der mittels Blindmaterials bewirkte Zeilenzwischenraum verstanden. Zumal in größeren Arbeiten, wie Büchern und Zeitschriften, ist die Bemessung dieses Leerraums von großer Bedeutung für Lesbarkeit, Schönheit und Wirtschaftlichkeit des Schriftsatzes. Für Akzidenzdrucksachen, Inserate und ähnliche Arbeiten geringen Umfangs für die Tagesbedürfnisse wird man kaum allgemeingültige Regeln aufstellen können. Nur so viel ist hier wohl stets richtig, daß, je mehr Ausgangszeilen oder verschieden lange Zeilen der Satz aufweist, das heißt, je unruhiger sich der Umriß des Satzbildes darstellt, um so eher ein kräftiger Durchschuß zu empfehlen ist. Ein solcher betont die Linearität der Zeilen und hebt dadurch die Unruhe der Silhouette einigermaßen auf. Auch zu weit gesetzter, das heißt schlechter Satz läßt sich durch Verstärkung des Durchschusses retten. Die Satzweise der Bücher des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts erschiene noch schlechter, wenn man den in der Regel starken Durchschuß vermindern würde. Dieser läßt die übergroßen Lücken zwischen den Wörtern nicht so deutlich in Erscheinung treten. Selbst weiter Durchschuß befreit jedoch keineswegs von den Regeln über guten Ausschluß. Zwar wirken, wie gesagt, bei sehr weitem Durchschuß zu große Wortabstände nicht mehr so deutlich und so störend wie in kompressem
Satz. Aber das ist kein Grund, in solchen Fällen Halbgevierte oder noch größere Wortzwischenräume zu verwenden. Die oberste Forderung an den guten Setzer ist geschlossene Zeilenwirkung, die nur durch Drittelsatz erreichbar ist. Frühere Zeiten haben selbst die Antiqua viel enger gesetzt als wir; so zeigt die Schriftprobe mit dem Original der Antiqua Garamonds von im -Punkt-Grad in allen Zeilen einen Ausschluß von nur Punkten, das heißt von einem Siebentel-Geviert! Man kann also bei sogenanntem Drittelsatz noch nicht von sehr engem Satz reden. Wenn allerdings der Durchschuß so stark oder noch stärker ist als der Kegel, dann darf man auch ein wenig ‹weiter› setzen als in kompressem Satz: sonst könnten sich die Wörter infolge des sehr weiten Zeilenabstandes optisch zu sehr nähern und damit die Lesbarkeit des Ganzen vermindern. Nicht immer ist man sich dessen bewußt, daß auch die verschiedenen Schriftarten verschiedenen Durchschuß verlangen. Genau so, wie man schon einzelne Zeilen aus kräftigen Fraktur-, Schwabacher- und Texturschriften ‹sehr eng› setzen muß (größere Grade noch enger als mit Dritteln), damit die Zeilenbänder nicht zerfallen, so vertragen diese dunklen Schriften auch keinen allzu starken Durchschuß; sie müssen als glatter Satz ziemlich kompakt wirken. Das gilt sogar noch für die älteren Antiquaschriften wie die Garamond-Antiqua, wenngleich hier ein wenig mehr Durchschuß noch nicht schadet. Ganz anders aber ist es bei den jüngeren oder klassizistischen Antiqua- und Frakturschriften des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts: der Bodoni-, der Didot- und der Walbaum-Antiqua und der
Unger-Fraktur: sie alle verlangen kräftigen Durchschuß und wirken kompreß überhaupt nicht gut. Man kann also nicht ohne Schaden eine aus Garamond gesetzte, wohlgeratene Seite in eine ebenso gesetzte Bodoniseite verwandeln; diese wird wahrscheinlich stärkeren Durchschuß fordern. Daraus folgt, daß splendid gesetzte, weit durchschossene Bücher eher aus einer jüngeren, kompreß gesetzte unbedingt aus einer älteren Antiqua gesetzt werden sollten. Der Durchschuß in einer buchähnlichen Arbeit hängt auch von der Breite der Papierränder ab. Ein kräftiger Durchschuß setzt breite Ränder voraus, damit die Satzfläche überhaupt recht in Erscheinung tritt. In einer älteren Antiqua gesetzt, kann der gleiche Satzspiegel eines Buches sowohl schmälere wie breitere Ränder erhalten; im ersten Fall wirkt das Buch einfacher, im andern ‹splendid›. Bücher erzählenden Inhalts mit Illustrationen sind eine besondere Angelegenheit. Hier kommt es vor allem auf den vollendeten Zusammenklang von Illustration und Satzspiegel an. Richtig wäre es, immer zuerst das Satzbild auszuarbeiten und dies dem Illustrator zu übermitteln, damit dieser seine Zeichnung dem Seitenbild anpaßt. Wenn aber die Zeichnungen schon vorliegen, dann muß der Setzer versuchen, ein Satzbild zu erzeugen, das noch einigermaßen gut mit den Zeichnungen zusammengeht. Besonders schwer ist es, für schwere Holzschnitte (in Langholz) das passende Satzbild zu finden. Die alte Schwabacher ist hier oft die gegebene Schrift. Wird Antiqua verlangt, so ist eine Lösung erheblich mühsamer. Vielleicht hilft ein großer Grad über die Schwierigkeiten hinweg. Eine halbfette Antiqua des älteren Schnittes kommt für ein schönes Buch nie
mals in Frage; eine fette Antiqua neueren Schnittes ist zwar dunkel, paßt aber nicht zu Langholzschnitten. Etwas Allgemeingültiges über den richtigen Durchschuß moderner Künstlerschriften zu sagen, ist kaum möglich. Je mehr sich eine solche Schrift dem älteren oder jüngeren Antiquastil nähert, wird geringerer Durchschuß möglich oder stärkerer nötig sein. Hier sind Entscheidungen nur angesichts probeweise gesetzter Seiten möglich. Schließlich übt die Länge der Zeilen, das heißt die Anzahl der Buchstaben in der Zeile, einen Einfluß auf den Durchschuß aus. Zeilen über Cicero aus den Brotschriftgraden fordern fast immer Durchschuß, besonders lange naturgemäß viel, da sonst das Auge Mühe hätte, die richtige nächste Zeile zu finden. Aber so lange Zeilen sind überhaupt nicht gut; wo immer möglich, wird man versuchen, entweder schmäler oder zweispaltig zu setzen oder einen größern Grad zu verwenden. Es gibt jedoch keine feststehende ideale Länge für die Zeilen eines Buches. Zentimeter ( Cicero) sind eine gute Breite, wenn es sich um Petit- bis Garmondgrade handelt. Für den Cicerograd einer Antiqua ist diese Satzbreite zu schmal. Abscheulich wird die von manchen irrtümlich als Ideal angepriesene Breite von Zentimetern, wenn der Grad noch größer ist. Die Folge sind Zeilen, die man kaum noch schön ausschließen kann.
Der Satz von Notenziffern und Fußnoten
Z sei aufgezählt, was häßlich und darum falsch ist: . Bei Notenziffern im Text des Buches: a. der unpassende Schnitt der Bruchziffern; b. die überflüssige Parenthese hinter der Bruchziffer; c. das fehlende Spatium zwischen Wort und Bruchziffern. . In den Fußnoten: a. Bruchziffern, weil diese viel zu klein, oft geradezu unleserlich sind und überdies meistens einer andern, oft durchaus nicht passenden Schrift angehören; b. die Unterdrückung des Satzzeichens hinter der Ordnungsziffer; c. die entbehrliche und unschöne -Cicero-Stumpffeine links über den Fußnoten; d. ein zu knapper Durchschuß zwischen den Zeilen der Fußnoten; e. Unübersichtlichkeit infolge stumpfer Anfänge. Nach dieser Aufzählung Begründungen, Heilmittel und ein Modell: a. Der Schnitt der Bruchziffern muß entweder mit der Grundschrift übereinstimmen oder dieser wenigstens nahestehen. Da die Gewöhnliche Antiqua kaum mehr verwendet wird, sind die überall vorhandenen hochstehenden Bruch
Ziffern aus dieser Schrift fast niemals richtig. Sie passen nicht einmal zu Walbaum oder Bodoni. Im Linotypesatz benütze man ‹durchlaufende› hochstehende Versalziffern der Grundschrift mit -Punkt-Bild (Handmatrizen) und im Monotypesatz Bruchziffermatrizen von genau passender oder der Grundschrift wenigstens ähnlicher Form. Ob diese Ziffern gemeine Ziffern oder Versalziffern sind, ist unerheblich; beide passen, wenn nur die Schriftart zur Grundschrift gehört oder ihr ähnlich ist. Versalziffern sind aber vorzuziehen. b. Die Parenthese hinter den Ziffern stammt aus der handschriftlichen Vorlage und ist überall entbehrlich. Sie stört das Satzbild grundlos und belästigt den Leser. c. In gutem Satz darf das Spatium vor den Notenziffern nicht fehlen, weil sonst die Ziffer sich nicht gut abhebt. Sie darf nicht am Wort kleben. a. In die typographische Hölle gehören die Bruchziffern am Anfang der Fußnoten. Bruchziffern in und gar Punkt sind so klein, daß man sie kaum oder überhaupt nicht mehr lesen kann. Sie müssen aber deutlich sein, weil man sie sucht. Hier ist die Kleinheit der Bruchziffern sinnlos und eine Plage. Im Text soll der Verweis klein sein: darum verwendet man dort Bruchziffern. Die Fußnote soll schnell gefunden werden: daher ist hier die normale Ziffer des Grades der Fußnote allein richtig, niemals eine Bruchziffer! b. Dieser Ordnungsziffer von normaler Form und Größe folgt ein Schlußpunktals unentbehrliches Satzzeichen. Freistellung der Ziffern ist weder nötig noch schön; richtig ist der Einzug der ersten Zeilen mit einem Geviert des Grades. Die Punktzahl des Einzugs im Text auch im Satz der Fuß
noten beizubehalten, halte ich für gesucht und veraltet; doch mag diese ältere Regel in Ausnahmefällen nützlich sein. c. Unerklärlich ist das Fortleben der Cicero langen linksstehenden Stumpffeinen über den Fußnoten, die entbehrlicher ist als ein Blinddarm für den Menschen. Sie soll wohl Text und Fußnoten trennen und die Fußnoten eröffnen. Das bewirkt aber bereits der kleinere Grad. Wird die Trennung durch eine Linie durchaus gefordert, so soll die Stumpffeine über die ganze Breite des Satzes gehen. d. Ganz harmonisch ist eine Seite nur, wenn Text und Fußnoten mit gleich viel Punkten durchschossen sind, zum Beispiel: der Text aus Punkt mit Punkt und die Noten aus Punkt mit ebenfalls Punkt. Es ist aber nicht falsch, die Noten mit Punkt weniger als den Text zu durchschießen. Ein stärkerer Unterschied im Durchschuß macht die Gruppe der Fußnoten merkbar dunkler als der Text wirkt und ist daher nicht gut. So wie im Text eines Buches zwischen den Absätzen kein zusätzlicher Durchschuß verteilt werden darf, soll auch zwischen den einzelnen Fußnoten einer Seite kein solcher erscheinen. e. Wer dem Irrtum huldigt, auf Einzüge verzichten zu dürfen, wird die Folgen auch beim Satz der Fußnoten zu spüren bekommen. Die laienhafte Scheidung der Fußnoten durch einige Punkte Durchschuß, gelegentlich sogar durch nur Punkt, ergibt ein unartikuliertes, höchst unklares, unrhythmisches und daher häßliches Satzbild. Eine solche Satzweise ist genau so verwerflich wie der Satz selbst einfacher Texte ohne Einzüge am Anfange der Absätze. Er bewirkt das Gegenteil von Gestalt: Ungestalt.
Einige Besonderheiten mögen noch kurz behandelt werden. Falls in einem Buche nur eine einzige Fußnote vorkommt oder nur je eine einzige auf vereinzelten Seiten, dann wirkt es sonderbar, wenn jedesmal die Ziffer als Verbindungsmittel auftritt. Der Stern ist in solchen Fällen besser, sonst aber sind Ziffern den Sternen vorzuziehen. Im Text steht vor dem Stern kein Spatium, wohl aber muß dem Stern in der Fußnote ein -Punkt-Spatium folgen. Aus einem Wort oder aus wenigen Wörtern bestehende vereinzelte Fußnoten darf man zur Mitte der Seite stellen; dies trägt zur Harmonie zentrierten Satzes bei. Stehen aber mehrere Fußnoten auf der gleichen Seite, so ist die Zentrierung einer kurzen Fußnote nicht richtig. Es kommt vor, daß viele ganz kurze Fußnoten aufeinander folgen und, untereinandergestellt, das Gleichgewicht der Doppelseite stören würden. Solche Fußnoten stellt man hintereinander und trennt sie durch Gevierte. Alle Fußnoten müssen Schlußpunkte erhalten. Sehr lange Fußnoten mag man zur Hälfte auf die linke, zur Hälfte auf die rechte Seite stellen, doch sollte man diese Methode nicht auf die Spitze treiben. Ist der Textsatz sehr breit und aus Cicero oder einem noch größeren Grade gesetzt, so wird man die Fußnoten vielleicht zweispaltig setzen. Enthält dann eine der beiden Spalten eine Zeile weniger als die andere, so ist das weniger schlimm, als die Differenz durch Verteilung von zusätzlichem Durchschuß zwischen den Gruppen zu verwischen. Fußnoten sind die späteste und höchstentwickelte Form der Noten. Marginalnoten fordern einen Rand auch dort,
Modell für Notenziffern und Fußnoten.
wo er nicht benötigt wird; sie zu finden ist oft nicht einfach, wenn irgendeine Note zufällig sehr lang ist und bereits die nächste weit entfernt von dem Zifferhinweis steht. Sie sind eine längst veraltete Form. Auf jeder Seite wieder mit Note zu beginnen, ist aus vielen Gründen nicht zu empfehlen. Man zählt am besten entweder alle Noten eines Buches durch oder doch wenigstens die der einzelnen Kapitel. Nur so verhütet man, daß die Noten ihren richtigen Platz verlieren. Die Fußnoten am Schlusse der Kapitel oder des ganzen Buches zusammenzufassen, ist zwar keineswegs verkehrt, vermag aber zuweilen die Lektüre eines Buches zu erschweren. Ein tadellos hergestelltes Buch erkennt man daran, daß die letzte Zeile der Fußnoten mit Punkt unterlegt ist und daher genau Register mit der Schriftlinie einer normalen Schlußzeile hält. So vollendet hergestellte Bücher sind leider seltene Vögel.
Auslassungspunkte
Zur Funktion A zeigen an, daß entweder ein paar Buchstaben eines Wortes oder daß ein Wort oder mehrere ausgelassen sind. Die Auslassungen von Wörtern nennt die Grammatik Ellipsen. Nicht jeder Schriftsteller ist solch ein Meister der Ellipse wie Laurence Sterne. Wie der sogenannte Gedankenstrich verhüllen auch die Auslassungspunkte nicht selten des Schreibers Ohnmacht, sich auszudrücken. Meistens sind sie entbehrlich. Der Dichter schreibt: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Daß ich so traurig bin, Ein Märchen aus alten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn. Der Ellipsengaukler aber: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Daß ich so traurig bin …, Ein Märchen aus alten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn … Zuweilen zwar ist die Nuance der Auslassungspunkte nötig. Vor ihnen verharrt die Stimme schwebend auf der angefangenen Tonhöhe; vor dem Schlußpunkt senkt sie sich.
Aber nur der Meister des Wortes bedarf dieser Abtönungen, und häufiger Gebrauch der Auslassungspunkte ist eine störende Manie. (Wie unbestimmt würde dieser Satz werden, wenn ich drei Auslassungspunkte an sein Ende setzte! Ich habe niedergeschrieben, was ich sagen wollte und kann; setzte ich drei Auslassungspunkte, so überließe ich es dem Leser, auf der Wiese zu verweilen und nach weiteren Blumen zu suchen. Wenn ich aber meine, schon alle gepflückt zu haben, dann widerspricht es dem Anstand, den Leser auf die Suche zu schicken.) Noch im achtzehnten und am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts setzte man an Stelle ausgelassener Buchstaben eines Namens Sterne: Madame de R*** . Dies gilt jetzt als veraltet. Der heutige Schriftsteller würde hier entweder Auslassungspunkte oder einfache Abkürzungspunkte setzen. Zur Satzweise Handelt es sich um einzelne ausgelassene Buchstaben zur Verhüllung eines anstößigen Wortes oder eines Namens, so pflegt man genau so viele Punkte zu setzen wie Buchstaben stehen müßten, um dem Kundigen anzuzeigen, ob er das ganze Wort richtig erraten hat. Setzt man ohne solche Rücksicht beständig drei Punkte, so wird die Verhüllung meistens unauflöslich. Für ausgelassene Wörter, ob eines oder mehrere, setzt man niemals mehr als drei Punkte, auch wenn das Manuskript vier oder noch mehr zeigt. Zuweilen sieht man aber nur zwei Punkte gedruckt; das ist aber undeutlich und nicht ungefährlich. Nur drei Punkte sind richtig.
Die übliche Satzweise solcher Punkte befriedigt nicht. Erstens reißen sie störende Löcher in das Satzbild, sofern sie, wie üblich, gesperrt sind. Darum sollte man sie ganz ohne Spatien setzen oder setzen lassen. Zweitens ist es unlogisch, vor den Wörter andeutenden Punkten, wie üblich, so viel Spatium zu haben wie zwischen den Punkten. Einem Wort muß zunächst der volle Wortabstand der Zeile folgen. Unser Schluß lautet: Die drei Auslassungspunkte werden unspatiiert gesetzt, und vor ihnen liegt der Wortabstand der Zeile: ‹Aber … ich will es nicht beschreiben.› Folgt den Auslassungspunkten ein Satzzeichen, so ist dieses vom letzten Punkt durch ein Punktspatium zu trennen: ‹Also nahm sie solche ohne Weigerung an … , und ich führte sie nach der Türe zur Wagenremise.› Ebensowenig sollen die Punkte, die einzelne ausgelassene Buchstaben andeuten, spatiiert werden; vor ihnen wird natürlich erst recht kein Spatium gesetzt. Nur wenn man die Auslassungspunkte ohne Spatien setzt, entsteht ein gutes Satzbild, und nur dann bleibt es erhalten.
Gedankenstriche
Funktion E Gedankenstrich steht höchst selten an Stelle eines unausgesprochenen Gedankens. Meistens deutet er nur eine kleine Pause an, zuweilen eine Art Denkpause; vielleicht soll sein Name diese bezeichnen. Gelegentlich steht er am Ende eines Satzes und verbirgt, wie drei Auslassungspunkte, ein genierendes Wort oder verhüllt eine ebensolche Situation. Träfe der Name Gedankenstrich die Sache und steckten hinter dieser Art von Strichen immer Gedanken, so könnte man sich schließlich gar ein ganzes Buch nur aus ‹Gedanken›-Strichen vorstellen. Aber darauf sind die Hochstapler der Gedankenstriche und die Taschenspieler der Auslassungspünktchen erstaunlicherweise noch nicht gekommen. Häufig stünde an Stelle des Gedankenstriches besser ein Komma: Er kam – aber ungern. Er kam, aber ungern. Weniger entbehrlich ist der Gedankenstrich bei gewissen Einschaltungen: Ich sag dir – paß gut auf –, wohin du gehn mußt. Der Gedankenstrich trennt manchmal auch Rede und Antwort: Horch, es klopft. – Sieh nach, wer’s ist. Zuweilen vertreten Gedankenstriche Parenthesen, wenn die Wörter zwischen ihnen nicht abgeschwächt werden sollen: Die Garamond – die häufigste Schrift der Gegenwart – und die Bodoni sind ihren Formgesetzen nach Antipoden.
Wie Semikolon und Anführungszeichen ist der Gedankenstrich ein neueres Zeichen, das in älterer und alter Literatur nicht zu finden ist. Noch Goethe und seine Zeit bedurfte seiner nur selten. Auch heute noch ist der Gedankenstrich häufig entbehrlich und sollte, wo immer möglich, durch Kommas oder Parenthesen ersetzt werden. Satztechnik Der weithin übliche Gedankenstrich ist eine stumpffeine Linie von Geviertlänge (—). Diese Breite (seine ‹Dickte›) ist viel zu groß und verdirbt unfehlbar jedes gepflegte Satzbild. Es kann zwar ein wenig verbessert werden, wenn man vor und nach dem Geviertstrich knapperen Ausschluß als sonst in derselben Zeile verwendet; aber das wird gar leicht vergessen. Das einzig Richtige ist, Striche von halber Länge, Halbgeviertstriche (–) also, zu nehmen und vor und hinter ihnen den normalen Wortabstand der Zeile zu benützen. Diese Halbgeviertstriche heißen auch Streckenstriche, weil sie in Streckenbezeichnungen gebraucht werden: Basel–Frankfurt; dort aber ohne Wortspatien. Solche Halbgeviertstriche gehören zu den Normalsortimenten der Monotypeschriften; für die Linotype werden sie nur auf besondere Bestellung geliefert. Der Hersteller, der tadellosen Satz wünscht, darf also und sollte auf Halbgeviertstrichen bestehen. In den Handsatzschriften fehlen die Halbgeviertstriche leider stets. Ausnahmen bestätigen die Regel. Dabei wären sie, zumal in eigenwilligeren Schriften, so dringend nötig. Es
bleibt ein Rätsel, warum sie nicht zu jeder Schrift, und zwar in genau passender Zeichnung, mitgeliefert werden. Manche Handsetzer meinen, sie dürften den Bindestrich auch als Gedankenstrich verwenden, wenn sie ihn mit Wortabständen setzen; doch ist das ein Irrtum. Der Bindestrich ist zu kurz. Form In der Regel genügt ein stumpffeiner Strich. Genauer: ein Strich so kräftig wie der Querstrich im e des jeweiligen Grades. Ein stumpffeiner Strich ist indes immer passend, ausgenommen in Endstrichlosen und Egyptienneschriften, wo er eben die Strichstärke des Querstriches im e haben sollte, aber nicht hat. In den meisten Fraktur- und Schwabacherschriften ist die stumpffeine Stärke richtig. Daß manche Setzer meinen, sie sollten lieber eine erheblich kräftigere Linie (etwa aus einer Endstrichlosen) verwenden, ist mit dem störenden Loch zu erklären, das der viel zu lange Geviertstrich ins Satzbild reißt. Doch kann dieser Mangel nicht mit solchen kräftigeren Geviertlinien behoben werden, sondern nur mit einem kürzeren, stumpffeinen Strich von Halbgeviertdickte. Dickere Striche sind außer in Endstrichlosen und Egyptienneschriften stilistisch falsch. Der Geviertstrich ist nur in einem einzigen Falle anwendbar und notwendig: in tabellarischen Preisaufzählungen. Diese Zeilen sollen auf ein selten beachtetes Satzdetail hinweisen und zur Beseitigung eines außerordentlich häufigen Schönheitsfehlers beitragen.
‹Hurenkinder› und ‹Schusterjungen›
I wohl allen Lehrbüchern des Schriftsatzes ist zu lesen, daß Ausgangszeilen am Kopfe von Buchseiten unbedingt vermieden werden müssen. Sie beleidigen in der Tat Auge und Verstand. Die Ausgangszeile zerstört hier das Rechteck der Buchseite, und das knappe Satzende am Beginn einer Seite wirkt zu dürftig. Die Regel ist richtig. Doch wird nicht immer deutlich gesagt, wie man diese ‹Hurenkinder› (englisch: widows) verhüten kann. Wer zwischen die Absätze eines Textes je nachdem einmal zwei, einmal drei oder auch vier Punkte Durchschuß legt, dem machen sie zwar keine Sorgen. Aber diese Satzweise ergibt keine gute Buchtypographie. Der sorgsame Verleger verlangt vor allem engen Satz. Lassen sich in ihm ‹Hurenkinder› überhaupt vermeiden? Nur selten kann man austreiben, ohne den engen Satz zu verderben, noch seltener einbringen. Darf man, kann man überhaupt den Verfasser bitten, ein paar Wörter hinzuzudichten oder zu streichen, um die typographischen Schwierigkeiten zu überwinden? Ich meine, nein. Je besser der Text, um so schwerer ist es. Auch ist nicht der Setzer der Herr des Textes, sondern der Autor. Wenn der Dichter nicht mehr lebt, kann man ihn ja auch nicht mehr fragen. Wir nehmen einmal an, daß der Dichter tot oder unerreichbar sei, oder sind, noch besser, überzeugt, daß es über
haupt verkehrt ist, den Textschreiber um Änderungen zugunsten eines schönern typographischen Aussehens zu bitten. Zuerst muß man noch einmal alle Nachbarseiten ansehen, ob sich denn gar nichts ein- oder ausbringen läßt. Vielleicht darf der Überschlag eines Kapitelanfangs einmal um eine Zeile knapper gehalten werden. Die beste Methode aber scheint mir, die vorhergehende Seite einfach um eine Zeile zu kürzen! Natürlich erscheint dann an deren Fuß eine blinde Zeile, doch stört diese nicht, wenn der Kolumnentitel oben steht, die Buchränder nicht extrem schmal sind und der Satz nicht zweispaltig ist. Oder man macht einmal eine Seite ausnahmsweise um eine Zeile länger. Dies geht aber nur in Büchern mit genügend breiten Rändern. (Siehe Seite in diesem Buche.) Diese Art ist nicht etwa meine Erfindung. Ich habe sie in Büchern der Wende zum neunzehnten Jahrhundert angewendet gefunden und halte sie für wert, bekannt und wieder benützt zu werden. Der Neusatz ganzer Gruppen, den das Austreiben und das Einbringen mit sich bringt, kostet Geld. Wenn der Verleger sich weigert, diese ‹unverlangte Mühe› zu bezahlen, dann entsteht Streit. Umbricht man aber mit Hilfe der beschriebenen Blindzeilen, so gibt es keinen Neusatz und keine Fragen. Nichts einzuwenden ist gegen ‹Hurenkinder› unter der durchgehenden Linie, die unter einem lebenden Kolumnentitel steht. In diesem Falle ist das Rechteck der Buchseite unbeschädigt. Ungeeignet ist der noch immer wiederkehrende Trick, eine Seite zwar um eine Zeile zu kürzen, sie aber dann mit
Papierstreifen zu durchschießen, um die richtige Höhe wieder herzustellen. Nicht nur weil Papier quillt, sondern auch weil wir dann das Zeilenregister, Merkmal eines gut umbrochenen Buches, verlören. ‹Hurenkinder› sollen also nicht vorkommen. Manche verwerfen aber auch Anfangszeilen am Fuße einer Seite (‹Schusterjungen›, ‹Waisenkinder›). Mir scheint, daß das nicht mehr als ein Wunsch sein darf. Man soll nicht zuviel verlangen. Nur solange man noch austreiben durfte, fast wie man wollte, das heißt, bevor der enge Satz zur Richtschnur wurde, waren solche Wünsche auch erfüllbar. Anfangszeilen am Fuße einer Seite sind also wohl unerwünscht, aber zulässig. Was an ihnen stört, ist der Ausgang über ihnen, der helle Raum über der einzelnen letzten Zeile. Manchen könnte der Einzug stören, wenn die Seitenzahl unten steht. Ich ziehe diese, falls sie nicht zentriert ist, daher stets mit ebensoviel Punkten ein wie die Absätze des Textes.
Die typographische Planung von Tafelwerken
E gibt zwei Arten von Tafelwerken: solche, deren Tafeln in den Text eingeschaltet sind, und andere, in welchen Text und Tafeln getrennte Teile bilden. Die Textteile sollen gut leserlich, die Tafeln groß und deutlich sein. Der Wunsch, Satzspiegel und Maximalmaße der Bilder gleich groß zu halten (Abbildung ), ist berechtigt und führt gewiß zu einer harmonischen Buchform. Es ist aber nicht sicher, ob solche Bildgrößen unseren Ansprüchen an die Klarheit und Deutlichkeit, die bei zunehmender Verkleinerung der Bilder leiden müssen, entsprechen. Immerhin ist diese Art allein richtig, sofern es sich um Einschalttafeln oder Abbildungswerke mit gleichem Papier für Text und Bilder handelt. Die Maximalbreite der Klischees ist die Satzspiegelbreite; die Maximalhöhe ist die Satzspiegelhöhe weniger bis Millimeter für die ein- beziehungsweise zweizeilige Bildlegende, die noch innerhalb des Satzspiegels bleiben muß. Wenn man die Proportion des Buchformats festlegt, darf man nicht vergessen, daß die Proportionen der meisten Abbildungen, besonders von Gemälden, schöne Rechtecke sind. Formate, die sich dem Quadrat nähern, sind selten. Die Proportion des Bildes erhöht sich im Buche in der Regel um die meist nötige Legende, für die man je nach Bedarf eine bis zwei Zeilen vorsieht. Bild und Legende zusammen
Abbildung . ergeben ein schlankes Rechteck, das sich der Proportion des Goldenen Schnittes nähert. Dieser Satzspiegel wiederum fordert ein schlankeres Buchformat als die Quartproportion, die oft keine guten Tafelpublikationen ergibt. Das Format A hat sich für solche Werke als einziges ‹Normalformat› gut bewährt. Ein gutes kleineres, beschnittenes Format ist mal cm. Nachdem all dies bedacht, ein wohlüberlegtes Textseitenpaar hergestellt und gutgeheißen ist, druckt man in passender Anzahl vierseitige Satzspiegel im beschnittenen Format in derselben Größe und in endgültiger Stellung, wovon die Rektoseiten so aussehen könnten wie unsere Abbildung . Diese Satzspiegel erleichtern das Kleben des Umbruchs, da
Abbildung . man mit ihrer Hilfe die Stellung der Klischees und das Aussehen der Seitenpaare unmißverständlich festlegen kann. Auch die Querbilder müssen in ihrer Größe und Stellung dem Satzspiegel folgen (Abbildung ). Falls das Buch sehr breite Ränder hat, kann man ihre Höhe (b) nach der Satzspiegelbreite richten und die Legende auf den Rand setzen. Sonst aber, das heißt in der Regel, muß die Legende innerhalb des Satzspiegels stehen und das Bild entsprechend kleiner sein (Abbildung ). Die ursprünglichen Bildproportionen müssen, zumal bei Abbildungen von Kunstwerken, erhalten bleiben. Es wäre verfehlt, diese zugunsten einer vollen Ausnützung des Satzspiegels zu verändern. Es kann daher nicht verlangt werden,
Abbildung . daß die Abbildungen stets sowohl die Höhe als auch die Breite des vorhandenen Maximalraumes ausfüllen. Haben alle Bilder die gleichen Proportionen, so wird man die Höhe des Textsatzspiegels nach den Bildern einrichten, natürlich ohne die Legenden unter den Bildern außer acht zu lassen. Abbildungen von Gemälden und anderen Kunstwerken dürfen niemals angeschnitten werden. Weil bei einem Bild auch der letzte Millimeter von Bedeutung ist, darf schon der Chemigraph nur das unbedingt Nötige am Rande des Klischees abschneiden. (Anzuschneidende Klischees müssen an den Seiten, wo das Messer auftrifft, um volle Millimeter größer sein.) Ein Kunstwerk aber wird entstellt, wenn man es in verkürzter Form darbietet.
Tafelwerke mit eingeschalteten Tafeln sind teurer als solche mit nachgeheftetem Tafelteil. Am kostspieligsten sind eingeklebte Einzeltafeln, zumal wenn diese an anderen Stellen als vor der ersten Seite oder in der Mitte des Bogens auftreten sollen. Ihr Klebrand entstellt die Buchseite, auf der das Bild befestigt ist. Billiger und von besserer Wirkung ist das Umlegen und Einstecken von Viertelbogen, da dann das mühsame Kleben entfällt. Aus den Abbildungen , und geht hervor, daß die Stellung der Abbildungen die gleiche sein muß wie die des Textes. Textseite und Bild sollen sich durch den gemeinsamen Papierrand zu einer Einheit verbinden. Denn auch ein Abbildungswerk ist ein Buch, und in einem Buche herrscht das Grundgesetz, daß man das Seitenpaar und nicht die Einzelseite im Auge haben muß. Meinte man, die Bilder seien eine Sache für sich und müßten in der Mitte des Papiers stehen, so hätte es wenig Sinn, sie niemals größer als den Textsatzspiegel zu machen. Daß die Abbildung wie eine Textseite gestellt werden muß, bezieht sich wohlgemerkt auch auf querstehende Illustrationen (Abbildung ). Es ist abwegig, hier das Buch ganz zu vergessen und sie unabhängig vom Satzspiegel in die Mitte des Papiers zu stellen. Zur Abbildung . Beispiel eines Spezialspiegelschemas für Tafelwerke, Die fette Linie zeigt den vollen Satzspiegel. a = Maximalhöhe einer ganzseitigen Abbildung im Hochformat, b = Maximalhöhe einer ganzseitigen Abbildung im Querformat. Die Differenz (c) zum vollen Satzspiegel muß dem Räume zweier Zeilen entsprechen, also bis Millimeter betragen.
Abbildung . Siehe die Beschreibung nebenan unten.
Abbildung . Querstehende Abbildungen stören stets. Man suche sie zu vermeiden. Bilden sie gar die Mehrzahl, so wählt man Querformat und setzt den Text zweispaltig (Abbildung ). Dem Prinzip, Satz und Abbildungen genau gleich groß zu halten, darf man auch in Werken mit nachgeheftetem Tafelteil folgen. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß dann die Tafeln zu klein wirken. Denn die dunklen Abbildungen wirken optisch kleiner als ein gleich großer grauer Satz. In diesem Falle ist es durchaus richtig, für den Tafelteil einen Satzspiegel anzunehmen, der etwas größer, aber von gleicher geometrischer Proportion wie der Textsatzspiegel ist. Die Stellung des Satzspiegels solcher Tafeln hängt davon ab, ob die Tafeln nur aufrechten Seiten stehen oder ob die Blätter auf beiden Seiten bedruckt sind. Einseitig bedruckte Tafeln wirken fast wie lose Einzeltafeln; folgt man bei ihrer Stellung der klassischen Regel, daß der Bundsteg halb so breit sein soll wie der Außensteg, so kann das übertrieben aussehen und eine Milderung verlangen. Dennoch dürfen der linke und rechte Rand niemals annähernd gleich sein.
Schon das weiße Blatt zur linken Hand verlangt eine gewisse Näherung der Tafel zum Falz. Treten jedoch die Tafeln paarig auf, so darf man sich nicht allzu weit von der Regel entfernen, daß der innere Rand halb so groß sein soll wie der äußere. Sonst zerfallen die Seitenpaare, die auch Paare bleiben, wenn sie sehr ungleich sind (Abbildung b). Bei der Ausmessung solcher Tafeln gelten die Maximalmaße, die durch ein vorher hergestelltes und gedrucktes Schema (Abbildung ) festgelegt werden müssen. Der Bildumbruch wird auf diese Schemaseiten geklebt und dabei die Höhen Stellung der Abbildung festgelegt. Hohe, lange Bilder füllen den Satzspiegel der Länge nach aus und stehen natürlich in der Mitte der Horizontalen des Bildsatzspiegels (Abbildung , links), schon um Register zu wahren, während kleine Bilder (Abbildung , rechts) so gestellt werden müssen, daß das Verhältnis zwischen der Entfernung zum oberen Schnitt und der zum unteren Schnitt der Proportion : oder : entspricht. Die Legenden bleiben dabei stets bei den Bildern. Gewiß kann man wohl auch die Legenden in konstanter Höhe, das heißt am Fuß des Bildsatzspiegels, belassen, doch ist das nur in besonderen Fällen möglich. Sind die Tafeln numeriert, wie es in der Abbildung angedeutet ist, so ist die Stellung dieser Ziffern auf allen Tafeln die gleiche; sie müssen genau Register halten. Man sieht zuweilen Bücher, deren Tafeln oben außen (außerhalb jedes Satzspiegels) numeriert sind. Diese Methode ist kostspielig und selten richtig. Sie ist nicht buchmäßig und verteuert den Satz. Selbst wenn Setzer und Drucker sich die größte Mühe geben und diese Bezeichnungen wirklich an genau gleicher Stelle stehen, ver
Abbildung a. Textteil. schieben sich diese Gruppen im fertigen Buch infolge der unvermeidlichen kleinen Falzfehler merklich nach links und rechts und nach oben und unten. Wünscht man einen Unterschied der Tafelnummern gegenüber den Kolumnenziffern, so kann man entweder Kursiv oder einen anderen Grad als im Textteil verwenden oder die Seitenzahlen im Textteil mit einer Parenthese dekorieren. Sind die Tafeln größer als der Textspiegel, wie wir zuletzt angenommen haben, so stehen die Bildnummern ohnehin tiefer und ein wenig weiter außen als die Kolumnenziffern. Wichtig ist, daß auch verschieden große Tafeln im Druck einem bestimmten Satzspiegel folgen müssen und nicht ‹ge
Abbildung b. Tafelteil desselben Buches. Größerer Satzspiegel, doch in der Proportion des Textsatzspiegels. fühlsmäßig› gestellt werden dürfen. Es ist mithin Sache des Setzers, die Klischees zu justieren, einheitlich große Seiten herzustellen und damit die Wirkung schon festzulegen, bevor der Drucker den Satz erhält. Bei der Revision des unzugerichteten ersten Bildbogens, der genau beschnitten vorzulegen ist, mag nochmals geprüft werden, ob die Stege eine befriedigende Breite haben; am Satz der Bilder selbst darf jetzt nichts mehr änderungsbedürftig sein. Mehr und mehr kommen Werke mit farbigen Tafeln auf den Markt. Es muß einmal ausgesprochen werden, daß es ein Unfug ist, Gemälde von Fenstergröße oder mehr Flächeninhalt in Postkartengröße farbig zu reproduzieren. Das
Abbildung . sind keine Wiedergaben mehr, sondern Fälschungen, gleichviel, ob sie besser oder schlechter gemacht sind. Falls man so stark verkleinern muß, sind schwarze Reproduktionen stets besser. Farbig sollte man nur so groß wie möglich reproduzieren und lieber Ausschnitte als das Ganze bringen. Eine Farbenreproduktion, linear auf die Hälfte bis auf ein Viertel verkleinert, ist meistens noch befriedigend. Sonst aber mache man Ausschnitte, möglichst originalgroß. Um dem Dilemma der Querbilder zu entgehen, hat man auch zu fast quadratischen Formen gegriffen, gegen die man ebenfalls protestieren muß. Wahre Monstren von Büchern sind entstanden, die jeden Bücherfreund schaudern machen. Siehe hierzu Seite .
Von größter Wichtigkeit ist die Laufrichtung des Papiers. Wie das Textpapier, so muß auch das Bilderpapier in der Richtung des Buchrückens laufen (Abbildung ). Man darf
Abbildung . nicht glauben, daß eine vereinzelte Tafel doch die verkehrte Laufrichtung haben dürfe. Denn auch dann entstehen die bekannten Querfalten, die eben die Folge verkehrtlaufenden Papiers sind. Wenn sich ein Buch oder eine Zeitschrift schlecht öffnen oder schlecht schließen läßt, so liegt das immer an der verkehrten Laufrichtung einzelner oder gar aller Teile (Textpapier, Tafeln, Vorsatz, Überzugspapier, Leinen), nie etwa am Buchbinder, wie manche Leute zu meinen geneigt sind. Stellung querstehender Tafeln Wo sich querstehende Abbildungen nicht vermeiden lassen, soll man die Tafeln so bequem wie möglich betrachten können. Daraus ergeben sich bestimmte Regeln (die großen Ziffern zeigen, wie das Bild jeweils angesehen wird): Abbildungen a bis d.
Abbildung a. Querstehendes Bild neben einer Textseite.
Abbildung b. Ein normales und ein querstehendes Bild.
Abbildung c. Ein querstehendes Bild links und ein normales rechts (schlechter als b, nur in Ausnahmefällen anwendbar). Kopf des Bildes also im Bund! Dieser Fall c schließt den folgenden Fall d keineswegs aus.
Auf Halbkarton oder Papier aufgelegte Abbildungen Auch aufgelegte Abbildungen dürfen nur angeschnitten werden, wenn es sich um gewöhnliche Photographien handelt. Die Abbildung eines flächigen Kunstwerkes (eines Gemäldes, einer Graphik) dagegen soll niemals hart beschnitten werden; sie muß ein Millimeter breites weißes Rändchen behalten, damit der Beschnitt nicht das Ganze verkürzt und damit entstellt. Ränder, die schmäler sind als Millimeter, werden gern ungleich. Die Legende stellt man auf das Hintergrundpapier. Auf dem Bildpapier nimmt sie sich nicht gut aus. Man kann aber die Legende auch am Fuß der benachbarten Textseite unterbringen, wenn das Bild genau so hoch ist wie der Satzspiegel (‹Gegenüber: …›). Dadurch kann die Tafel gewinnen. Anlageecken für den Buchbinder muß man aber gleichwohl auf die Folie drucken. Diese müssen sich seitlich auf der Bund-
Abbildung d. Zwei quer stehende Bilder müssen beide von der rechten Seite her angesehen werden können; die Drehung von Bild nach außen wäre schlecht, da der Leser sich ärgert, wenn er das Buch zweimal drehen muß.
Abbildung a. seite (oben und unten, Abbildung a und b) befinden. Satz und Druck solcher Hintergrundblätter fordern vom Setzer und Drucker große Aufmerksamkeit. Als Folie kann man ein auf der Rückseite nicht bedrucktes Blatt des Textpapiers benutzen, wenn dieses genügend stabil ist. Andere Folien (Halbkartons) müssen möglichst schmiegsam sein, um nicht aus dem aufgeschlagenen Buche herauszustarren. Schon deshalb allein müssen auch sie die richtige Laufrichtung haben. Die falsche Laufrichtung ergibt eine brettartige Starre und Querfalten im Bund. Die beste Tönung der Folie ist der Ton des Textpapiers. Zumal farbige Reproduktionen von Bildern und ähnlichem, von allem, dessen Farbe als solche richtig wahrgenommen werden soll, nur auf chamoisfarbenen oder weißen Folien
Abbildung b. montiert werden. Die aus dem Anfang dieses Jahrhunderts stammende Unsitte, dunkle oder doch farbige Folien zu benutzen, verhindert fast immer die richtige Wirkung eines farbigen Bildes. Am schlimmsten sind braune und grüne Folien, relativ erträglich schwarze und lehmgraue, also unbunte Folien. Das dem Textpapier entsprechende Weiß ist die beste Folie. (Die Darbietung typographischer Arbeiten darf diese Regel durchbrechen. Ein irgendwie getöntes Papier als Folie entspricht in diesem Falle dem Zufallshintergrund, auf dem wir den dargebotenen Prospekt normalerweise wahrnehmen würden. Jedoch ist auch hier Weiß, nicht aber Hochweiß, oft besser als ein farbiges Papier.) Für aufgelegte farbige Reproduktionen ist also Chamois oder schwach getöntes Weiß bei weitem der beste Hinter
Abbildung . grund, und dunkle Hintergründe sind eine schlimme Hinterlassenschaft der Zeit vor . Rahmen aus Farbstreifen oder gar Ornamente um solche Reproduktionen sind heute glücklicherweise fast nie mehr zu sehen. Auch von montierten Reproduktionen gilt, daß die Papiere sowohl der Folie als auch der Reproduktion die richtige Laufrichtung haben müssen (siehe oben). Das Ankleben von Reproduktionen Neun unter zehn aufgelegten Reproduktionen sind falsch angeklebt, nämlich an der oberen Kante. Ganz fachwidrig ist es, das Bild nur an den beiden oberen Ecken anzukleben. Dann löst sich die äußere Ecke bald ab; das Bild fliegt
Abbildung . und wird rasch verdorben werden oder gar verlorengehen. Mindestens müßte man die ganze obere Kante anschmieren. Aber auch das ist noch durchaus verkehrt. Noch schlimmer ist es, das Bild an drei Ecken zu befestigen: dies führt unfehlbar zu Quetschfalten. Allein richtig ist es, das Bild an der dem Bund benachbarten senkrechten Kante anzukleben (Abbildung ). Der dicke Strich ist der Leimstreifen. Nur dann darf man sicher sein, daß die inneren Bildecken nicht (wie bei verkehrter Montage) umgeknickt werden. Selbst wenn ein querstehendes Bild als Frontispiz (Titelbild) erscheint, muß diese Regel befolgt werden (Abbildung ). Daß in diesem Fall das ‹Oben› des Bildes im Bund liegen muß, wurde schon begründet. Das ‹Unten› darf also nicht dem gegenüberliegenden Titel zugekehrt sein.
Schließlich sei noch darauf verwiesen, daß die letzte Tafel keine querstehende sein darf und daß die beiden letzten Seiten eines am Ende des Buches auftretenden Tafelteils ebenso wie die beiden ersten Seiten des ersten Bogens unbedruckt bleiben sollten. Etwas, das, wenn überhaupt, erst bemerkt zu werden pflegt, wenn es zu spät ist.
Bogensignaturen und Bogenrücken-Signaturen
Die Bogensignatur J Druckbogen eines Buches muß am Fuße der Schriftflache der ersten Seite eine Signatur tragen. Sie besteht aus der Bogenziffer und einem Stichwort. Das Stichwort ist in der Regel der Familienname des Verfassers. Manchmal setzt man dazu noch ein oder zwei weitere Wörter, die dem Titel des Buches entnommen werden. An Stelle dieser Kennwörter läßt sich auch eine Kennziffer verwenden. Die Signatur ist vor allem für den Buchbinder bestimmt. Unter anderem prüft er daran die Reihenfolge der zusammengetragenen Bögen. Dabei nimmt er diese in die rechte Hand und blättert sie mit der linken Hand durch. Würde man die Bogensignatur, wie das zuweilen irrtümlich gelehrt und gehandhabt wird, rechts unter die Schriftfläche der ersten Seite stellen, so fände der Buchbinder sie nicht leicht genug. Sie muß daher links stehen. Die Bogenziffer muß vor dem Stichwort stehen, weil sie bei der Nachprüfung wichtiger ist als dieses, und vom Stichwort durch ein Halbgeviert getrennt sein. Diese Bogensignatur sollte aus einem kleinen Grade, der unbedingt der Grundschrift des Buches angehören muß, gesetzt werden. Es ist verfehlt, sie zu sperren. Das macht sie nur umso auffälliger; sie springt dann in die Augen und
stört den Leser, für den sie ja gar nicht bestimmt ist. Im übrigen sollte sie eingezogen sein, und zwar mit ebensoviel Punkten wie die Absätze des Textes. Steht auch die Seitenzahl am Fuße der Seiten, so muß die Bogensignatur mit ihr Linie halten. Man kann das Kennwort auch aus einem sehr kleinen Grade der Grundschrift in die Mitte der Bundstege, ziemlich weit unten, senkrecht zwischen die erste und die letzte Seite des Bogens setzen (Abbildung ). Die Bogenziffer muß jedoch links unter der Schriftfläche bleiben. In kostbaren Drucken sollte man die Bogensignatur durch die kleinen Buchstaben der Grundschrift (a, b, c usf.) ersetzen. Zur Nachbarseite: Abbildung a zeigt die üblichen, aber schlechten Rückensignaturen. Obwohl sie recht groß und schwarz sind, verhindert ihre Richtung, daß sie in ungenau gefällten Bogen sicher auf dem Rücken erscheinen. Manchmal bleibt nur ein Teil sichtbar zurück, zuweilen verschwindet die Signatur ganz (Abbildung b). Abbildung a zeigt brauchbarere Rückensignaturen. Eine -waagrecht gestellte Punkt fette Linie von Punkt Länge wird fast immer geeignet sein. Eine solche erscheint unfehlbar auf dem Rükken selbst mittelmäßig genau gefalzter Bogen (Abbildung b). Abbildung zeigt den Abdruck des Satzes für die Stereos, aus denen alle überflüssigen Linien herausgeschnitten werden. Es bleibt für jeden Bogen stets nur eine Linie (und eventuell das Stichwort unten) stehen. Stichwörter setze man aus leicht gesperrten -Punkt-Kapitälchen.
a (falsch)
b (falsch)
a (richtig)
b (richtig)
(richtig)
Die Bogenrücken-Signatur Die rationalisierten Arbeitsmethoden der heutigen Buchproduktion fordern, daß die Druckbogen buchartiger Erzeugnisse statt oder außer der Signatur am Fuße der ersten Seite des Bogens ein Kennzeichen in der Mitte des Steges zwischen der ersten und letzten Seite des Bogens erhalten. Es besteht aus einer fetten Linie, die von Bogen zu Bogen um eine regelmäßige Distanz weiter abwärts gestellt wird. Diese Signatur heißt Bogenrücken-Signatur oder kurz Rückensignatur. Die Bezeichnung ‹Flattermarken› trifft die Sache nicht. Das Binden größerer Auflagen von Büchern ohne Bogenrücken-Signaturen ist etwas teurer als das von Büchern mit solchen. Zuweilen sieht man Rückensignaturen in der Form eines schwarzen Cicerogevierts. Sie sind sehr unschön; denn eine so breite Fläche kann im gebundenen Buch niemals ganz verschwinden. Wenn nicht mit größter Genauigkeit gefalzt wird, so wird auf einer der beiden Seiten gar noch mehr als die Hälfte dieses großen schwarzen Fleckes sichtbar. Aber auch eine senkrecht gestellte Punkt fette Linie ist ungeeignet, weil auch diese im gebundenen Buch sehr leicht zum Vorschein kommen kann. Sie ist auch oft nicht breit genug und verschwindet durch ungenaues Falzen (Abbildung b). Richtig sind allein waagrecht gestellte fette -PunktLinien von Punkt Länge. (Nur wenn die gefalzten Bogen des Buches sehr dünn sind, ist eine ebenso starke, aber nur Punkt lange Linie richtig.) Eine fette Linie von Punkt Länge erscheint mit Sicherheit auf dem Rücken des gefalzten Bogens, stört aber, selbst wenn sie einmal im gebunde
nen Band teilweise sichtbar werden sollte, nur wenig. Wie groß der Abstand von einer solchen Signatur zur andern sein soll, muß von Fall zu Fall entschieden werden. Im allgemeinen wird sie am besten um Punkte nach unten fortschreiten. Ein ganz regelmäßiges Fortschreiten dieser Signaturen kann man damit erreichen, daß man eine ‹Leiter› aller benötigten Signaturen absetzt (Abbildung ), davon Stereos in der Zahl der Bögen herstellt und die jeweils überflüssigen Linien wegschneidet.
Kapitalband, Schnittfarbe, Vorsatzpapier, Lesebändchen
A man die Bücher noch mit der Hand band, umnähte man Kopf und Fuß des Buchblockrückens über einem Pergamentstreifen mit Zwirn oder Seidenfaden; ursprünglich, um mit einem solchen handgestochenen Kapital die Enden der Lagen noch einmal zusammenzuhalten, zugleich aber auch, um am Kopf des Buchrückens dem Finger einen Widerstand zu bereiten und den Kopf des Lederrückens zu schonen, am Fuß schließlich vorwiegend der Symmetrie halber. Das Wort kommt vom lateinischen caput (Kopf) und capitalis (was zum Kopf gehört). Weil das Kapital vor allem am Kopf des Buchrückens bemerkt wird. Man könnte ganz gut Kopfband sagen. Und, analog dem Schwanzschnitt, Schwanzband. Die Wortform ‹Kaptal› ist eine Verballhornung wie etwa ‹Nomprel› für Nonpareille. Wird das Kapital nicht auf einen am Buchblock befestigten Pergamentstreifen von Hand genäht, sondern dort ein Band aufgeklebt, so spricht man von Kapitalband. Das Kapitalband kam am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts mit dem Industriezeitalter auf. Noch die Barbou-Bände des achtzehnten Jahrhunderts haben echte Kapitale; Verlagsbände des frühen neunzehnten Jahrhunderts zeigen die infolge der Massenproduktion erforderlich gewordenen Ersatzmittel: gefalzte Stoffstreifen, mit einem Bindfaden in
der Falzung, zusammengeklebt und so den Wulst bildend, der die sonst sichtbaren Einkerbungen der Lagen verstekken soll. Oder dasselbe aus gefärbtem Papier. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts muß das heute übliche Kapitalband aufgekommen sein, das aus Stoff gewebt und in einer nicht gerade reichlichen Farbenund Musterauswahl verfügbar ist. Es wird in Rückenbreite abgeschnitten und oben und unten an den Buchblock geklebt; der bunte Wulst soll die Anfänge der Lagen verdekken. Von einer technischen Funktion, einer Notwendigkeit kann keine Rede mehr sein, es handelt sich nur noch um einen Schmuck. Um einen ‹Schmuck› wie den einer ausgefransten oder liederlich gebundenen, unpassenden Krawatte. Es hält nämlich schwer, selbst unter noch nie benutzten Bänden einen zu finden, dessen Kapitalband a) die ganz genaue Länge hat, b) nicht wenigstens an einem Ende ausgefranst ist, c) gerade sitzt, d) festhält und e) harmonisch zur Farbe des Dekkenüberzuges und zum Farbschnitt paßt. Womöglich schaut es gar noch über die Deckenkanten heraus, weil der Wulst dicker ist als die vielleicht zu schmalen Buchkanten es erlauben. Es bildet also meistens das Gegenteil eines Schmuckes. Daß es ohnehin überflüssig ist, reicht für eine Verurteilung nicht hin. Es sei aber erwähnt, daß kein englischer Verlagsband Kapitalbänder aufweist (solche ‹mit› sind dort ebenso selten wie deutsche ‹ohne›) und niemand daran Anstoß nimmt, während einem hierzulande berichtet wird, daß ‹das Publikum› auf Kapitalbändern bestehe und Deckenbände ‹ohne› als nicht fertig angezogen mißbillige. Wenn’s
wahr ist. Bücher sollen ja auf ‹holzfreiem› (!) Papier mit schönem, breitem, unbedrucktem Rand gedruckt, in ‹Leinen› (!) gebunden und mit ‹Gold› (!) bedruckt sein, einen unzerstörbaren abwaschbaren Schutz(!)umschlag haben und dabei womöglich nur drei Mark kosten. Und bitte nur mit Kapitalband! Bände ohne Kapitalband sind mir auf alle Fälle lieber und sehen ordentlicher aus als solche mit dem fast niemals gut sitzenden, ausgefransten Zeug. Wie wäre der Name Fransband? Nicht, daß das Kapitalband stets sinnlos wäre. Es ist zuweilen eine sehr willkommene Schmuckmöglichkeit. Aber meistens entbehrlich. Ein vermutlich schwer auszurottender Atavismus wie unser Blinddarm. Doch am einzelnen Buch leicht zu entfernen; Pinzette genügt. Daß das Kapitalband meistens nicht sehr fest sitzt, mag ja noch hingehen. Hat es wenigstens die genaue Länge, so ist aber das eine Ende bestimmt ausgefranst, und das macht es so unerfreulich. Warum muß das Ding aus Kunstseide sein? Man könnte heute leicht fransenlos schneidbares Kapitalband aus Plastik machen (den aufzuklebenden Teil stark durchlöchert), der sichtbare Teil gerippelt oder sonst geprägt, damit er nicht wie eine Gummiröhre aussieht – dann wären endlich die bisherigen so unsauberen Kapitalbänder aus der Welt geschafft! Solange es so etwas noch nicht gibt, kann man sich bei teureren Ausgaben mit Leder-, farbigen Papier- oder Leinen streifen helfen, die wie die oben erwähnten Stoffstreifen um einen Faden geklebt sind und einen dickeren
oder feineren Wulst bilden. Papier, Leder und Leinen wollen zwar auch gut angerieben sein, fransen aber nicht. Bemerkt man keine Fransen und haftet das Bandstück gut, so bringt einen wahrscheinlich der nicht passende Farbton des Kapitalbandes zur Verzweiflung, dessen Bestellnummer vermutlich durch das Los bestimmt wurde. Ist denn unbekannt, daß das Kapitalband nicht irgendeine Zufallsfarbe haben darf, sondern diese etwas mit den Farbtönen seiner Umgebung zu tun hat? Ein rein weißes Kapitalband schickt sich nicht, wenn das Papier des Buches getönt ist; da müßte es ebenso getönt sein oder sich farbig abheben. Der schmale Streifen des Kapitalbandes kann als farbiger Kontrastreiz willkommen sein: wenn die Decke etwa braun überzogen ist, sieht ein grünes Kapitalband gut aus – aber alles kommt auf die Nuancen an! Es scheint aber, daß die Kapitalbänder von den Verantwortlichen vergessen und von Unverantwortlichen ausgesucht werden, so verfehlt sind sie in der Regel! Die Sache wird noch weit problematischer, wenn wir an den getönten Kopfschnitt denken und gar noch ein farbiges Vorsatzpapier und ein Leseband im Spiele sind.
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Der Sinn eines gefärbten Schnittes ist die bessere Schließung der oberen, dem Eindringen von Staub besonders ausgesetzten Schnittfläche und die Änderung der Tönung des ungefärbten Schnittes, damit dessen spätere Verstaubung nicht so deutlich wahrgenommen werden kann. Reinweiße Schnittflächen, zumal dicker Bände, sehen außerdem überhaupt nicht gut aus. Ringsum-Farbschnitt, an sich schöner
als bloßer Kopf-Farbschnitt, ist heute selten. Er sollte eine nicht vordringliche Färbung aufweisen, die mit der Einbandfarbe zusammengeht. Die knallroten Ringsum-Farbschnitte gewisser ausländischer Taschenausgaben finden wir alle im höchsten Maße abstoßend. Echt Gold und auch Schnitt-Pigment, dazu das Polieren sowohl des Goldschnittes wie das eines Farbschnittes, für Einzelbände noch heute üblich, tragen zur Schließung der Schnittoberfläche erheblich bei. Bücher mit eingeschalteten Blättern auf Kunstdruckpapier, oder ganz aus solchem bestehend, vertragen weder Farb- noch Goldschnitt, da die Seiten solcher Bücher dann leicht zusammenkleben. Der farbige Kopf- oder Ringsum-Schnitt nimmt an der farbigen Komposition des Buchäußern teil und kann entweder zurückhaltend in einem gelblichen Beigeton gehalten sein, der sich fast immer eignet, oder in einer kräftigeren, bewußt gewählten Farbe. Dabei muß man aber bereits mit an das Vorsatzpapier und an das Kapitalband denken.
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Zunächst etwas vom Vorsatz allein. Das Wort ist verkürzt aus ‹das Vorsatzpapier› und daher sächlich: das Vorsatz, nicht der. Das Vorsatz heißt so, weil es dem Buchblock vorgesetzt wird. Und nachgesetzt. Aber auch die hintere Entsprechung heißt Vorsatz, nicht etwa Hintersatz. Die Engländer hingegen, entirely different from the Continentals as they are, sagen end paper (und dafür nie etwa front paper). Man hat schon fast vergessen, daß das Vorsatz aus buntem Papier bestehen könnte. Wohin man blickt, weißes
Dänische Zeichnung: Das Vorsatz-Blatt. Vorsatz, schon weil die meisten Bücher leider auf dem augenschädlichen ‹blütenweißen› Papier gedruckt werden. Manche nicht ganz modernen Leute finden den Sprung vom dunklen Einband in das grelle Weiß des Inhalts zu gewagt und nehmen darum ein chamois Vorsatz. Ob es immer paßt, ist fraglich. An die Farbe des Stoffüberzugs denkt man nämlich nicht. Dabei könnte ein farbiges Vorsatz einen angenehmen Übergang von der Gewebefarbe zur Papierfarbe bilden, dazu auch den Blick von den störenden Schattierungen der Innendeckel noch besser ablenken als das weißliche Bütten
ersatz-Papier der üblichen Vorsätze. Das Textpapier eignet sich selten als Vorsatz, da es zu wenig geleimt ist und der Zug des Einbandstoffes meist kräftiger ist als der des Textpapiers. Ideal ist der gleiche Zug: das genau gleiche, etwa farbige Papier also für Überzug und Vorsatz; doch sieht man das nur sehr selten. Besonders in Quart- und noch größeren Formaten nimmt sich ein farbiges Tonpapier als Vorsatz weit besser aus als ein weißes. Im großen und ganzen paßt ein chamois Vorsatz kaum zu einem weißen Textpapier.
* Die Auswahl an Lesebändern ist noch ärmlicher als die an Kapitalbändern und übersteigt wohl selten ein halbes Dutzend. Keine schmalen Bändchen, und nur vier, fünf Farben, die nie passen und selber häßlich sind. Obwohl das schwerlich der Grund für den leider so seltenen Gebrauch der Lesebändchen ist. Denn für eine einigermaßen nennenswerte Auflage kann man sie ja in jeder Breite und Farbe anfertigen lassen. Man denkt einfach nicht daran, daß ein Leseband erwünscht sein könnte. Um es zu vermissen, muß man natürlich Bücher auch lesen. Gelesen werden ist der Endzweck eines Buches, und bessere Lektüre sollte darum mit Lesebändchen ausgestattet sein. Ein Lesebändchen fordert, so scheint mir, auch ein Kapitalband. Nun: Überzug, Kapitalband, Vorsatzpapier und Leseband sollten eine farbige Komposition bilden, deren einzelne Bestandteile spürbar aufeinander bezogen sind. Wie sehr selten sind sie das! Vielleicht haperts am meisten beim Leseband mit seinen kümmerlichen sechs Sorten. Man
mag doch nicht vom Leseband ausgehen, wenn man das Gewebe des Überzugs ausliest! Da ein weißes Leseband keinen befriedigenden Ausweg eröffnet, wenn das Textpapier getönt ist, läßt man es lieber weg, falls die zu kleine Auflage des Buches an keine Anfertigung denken läßt. Eine nennenswerte Auflage gestattet aber die Anfertigung eines Lesebandes (lieber aus Seide denn aus Kunstseide) in jeder Breite und Farbe!
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Die Auswahl an Kapitalbändern geht so hin, was die Tönungen betrifft. Aus Einbandstoff, Vorsatz und Kapitalband kann nun eine angenehme, farbige, überzeugende Komposition entwickelt werden. Dafür im einzelnen Anleitungen zu geben, ist hier schlechthin unmöglich. Der Versuch liefe auf eine Farbenlehre hinaus. Die Zahl möglicher guter Lösungen ist aber ebenso groß wie die Unzahl der vorhandenen häßlichen.
Bücher und Zeitschriften müssen einen Rückentitel tragen
D Verlagsbände von einigem Umfang keinen Rückentitel tragen, ist selten. Zwar fehlt er manchmal auf Bänden aus Restbeständen, die noch schnell in eine möglichst billige Decke gehängt werden, doch sind das Ausnahmen. Selbst einem Laien scheint ein Buch von zwei Zentimeter Dicke ohne irgendeinen Rückentitel mindestens nicht fertig angezogen. Es gibt aber zahlreiche Verlags-Deckenbände, die um einen Zentimeter stark sind, ohne einen Rückentitel. Auf dem eigentlichen Bande, versteht sich. Denn auf dem Schutzumschlag fehlt er schon viel seltener. Da aber der Schutzumschlag nicht zum Buche gehört und doch einmal abgenommen wird, im schlimmsten Falle weil er endlich unansehnlich geworden ist, genügt das nicht. Titel und Verfasser müssen auf dem Rücken jedes Deckenbandes und jeder Broschüre stehen. Diese Angaben sind unvergleichbar wichtiger und notwendiger als der gleiche Wortlaut auf dem Vorderdeckel, wo er durchaus entbehrlich ist; denn wir finden ein Buch nur wieder, wenn es einen vollständigen Rückentitel zeigt. Es ist erstaunlich, daß so viele Verleger dieser Notwendigkeit nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken. Messen sie denn ihren Erzeugnissen so geringe Bedeutung
bei, daß diese in einer Bibliothek auf lange Zeit untergehen dürfen? Jeder Sortimenter weiß, wie ungemein lästig die zahlreichen Bücher, Broschüren und Zeitschriften ohne Rückentitel sind, und der Benutzer einer eigenen, leidlich umfangreichen Bibliothek weiß das gleiche Klagelied anzustimmen. Nicht nur alle Deckenbände, auch alle Broschüren von Seiten Umfang und darüber, selbst Kataloge und Zeitschriften aller Art mit eckigem Rücken, müssen im wohlverstandenen Interesse ihrer Verleger, Käufer und Benutzer einen Rückentitel tragen. Auch wenn ein allzu bequemer Buchbinder davon abraten sollte. Dünne Broschüren können nur einen Längstitel erhalten, der auf deutschen Büchern von unten nach oben laufen muß. Bei Büchern, die einen Zentimeter dick oder noch stärker sind, sollte man sich indessen immer zuerst fragen, ob nicht ein Quertitel möglich ist, dem im Prinzip der Vorrang gebührt. Ein Längstitel auf einem Rücken von drei oder vier Zentimeter Stärke ist wenig erfreulich. Da Verfasser und Buchtitel in einem Längstitel aus einem und demselben Grade gesetzt zu werden pflegen, ist ein solcher zumeist weniger übersichtlich als ein gut gegliederter Quertitel; ein Längstitel wirkt gar leicht plump und unartikuliert. Die Rücken der Schutzumschläge könnten viel mehr als üblich zu Angaben über den Inhalt ausgenützt werden. Dort sollten nicht nur Verfasser, Buchtitel und am Fuß der Verlag oder sein Signet stehen; hier ist auch oft Raum genug für den vollen Untertitel und selbst umfangreiche weitere Angaben wie ‹Mit Illustrationen, farbigen Tafeln und einer Bibliographie›. Wer überhaupt etwas von Bü
chern versteht, zieht im Sortiment nicht jedes Buch aus der Reihe, sondern beschränkt sich auf die Lektüre der Rückentitel, weswegen dort die Angabe des Verlags so wichtig ist, die im übrigen höchstens auf dem Einband wissenschaftlicher Werke angebracht werden darf, auf andern Büchern aber schon gar nichts zu suchen hat. Ausführlichere Angaben über den Inhalt auf dem Rücken des Schutzumschlages können auf jeden Fall sehr nützlich sein. Leider ist es unwahrscheinlich, daß die üblen blinden Buchrücken allesamt verschwinden; doch sollte kein noch so schmächtiges Druckwerk von auch nur einigem Wert ohne Rückentitel erscheinen.
Schutzumschlag und Streifband
D ältesten Verlagsbände vom Ende des fünfzehnten und aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, die der Verleger Anton Koberger und Aldus Manutius, erhielten wohl noch keine Schutzumschläge. Solche scheinen erst seit dem Beginn der industriellen Büchererzeugung, das heißt seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, aufgekommen zu sein. Schon diese frühen Schutzumschläge sollen den wertvollen Einband vorläufig schonen und tragen, hierin vom Einband unterschieden, den Titel des Buches und oft noch weitere Angaben auf der Schauseite. Zuweilen ist diese nur eine unveränderte oder mit einer Einfassung versehene Wiederholung des Titelblattes. In den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts wurde oft der Einband selber, zu dessen Nachteil, zum Träger des werbenden Titels gemacht. Seit längerem aber hat man wieder begonnen, den Einband, die dauernde Hülle, vom Schutzumschlag, dem Träger werbender Aufschriften, sauber zu trennen. Während die Einbände seit etwa dreißig Jahren leider immer dürftiger geworden sind, ist die Formung des Schutzumschlages, der den Käufer anlocken soll, neuerdings immer mehr verfeinert worden. Der Schutzumschlag darf nicht mit dem Umschlag verwechselt werden. Jener umhüllt lose den Einband; der Umschlag wird am Rücken der gehefteten Ausgabe angeschmiert.
Der Schutzumschlag des Buches ist eine Art Plakat. Er soll den Blick auf sich ziehen und den Einband vor Licht, Schmutz und Reibung schützen, bis das Buch in den Besitz des Käufers übergeht. Der Verleger stellt ihn her, nicht um dem zukünftigen Besitzer eine Schutzhülle zu liefern, sondern um sich selber und den Sortimenter vor Schaden zu bewahren. Sorgfältig hergestellte Bücher sollten niemals ohne wenn auch noch so bescheidene Schutzumschläge ausgeliefert werden. Der Schutzumschlag bildet keinen echten Teil des Buches. Das eigentliche Buch ist der Buchblock. Selbst der Einband und mit ihm das Vorsatzpapier sind, genau genommen, nur unechte, weil zeitweilige Bestandteile des Buches, die in den Papierkorb wandern, wenn es neu gebunden wird. Der allein gültige Buchtitel steht im Innern des Buches, auf dem Titelblatt. Was auf dem Schutzumschlag steht, ist für den Bibliographen ohne Belang; es ist nicht notwendig, ja irrig, die Existenz eines Schutzumschlages besonders zu erwähnen, da er, nicht anders als ein dem Buch beigelegter Prospekt, nur eine fliegende Zugabe zum Buche bildet. Bilder auf dem Schutzumschlag oder dem Umschlag, ja sogar die auf einem Pappband aufgeklebten, sollten aus demselben Grunde im Buche nicht vorausgesetzt oder gar als Bestandteile erwähnt werden. Bilden sie einen wesentlichen Bestandteil des Buches, so müssen sie dem Buchblock, etwa als Frontispiz, eingefügt werden. Bilder auf dem Umschlag oder dem Einband werden bald beschädigt. Wer kein Vertrauen zur Sauberkeit seiner Hände hat, mag das Buch zunächst im Schutzumschlag lesen: der wahre
Leser aber wirft ihn schon vor der ersten Lektüre fort; es sei denn, er sammle Schutzumschläge als graphische Beispiele. Sogar dann entfernt er den Schutzumschlag, um ihn in einer besonderen Schachtel zu versorgen. Man kann ein Buch im Schutzumschlag nicht gut festhalten und ward ständig von der Reklame auf dem Umschlag gestört. Das Kleid des Buches ist der Einband; der Schutzumschlag ist nur sein Regenmantel. Um den Schutzumschlag gar einen weiteren aus Cellophan zu legen, um jenen vor Schaden zu bewahren, ist ebenso närrisch, wie wenn jemand den StoffÜberzug eines teuren Lederkoffers noch mit Papier umhüllt. Die Vorderseite des Schutzumschlags enthält außer dem Verfassernamen und dem Titel oft einen werbenden Text und den Namen des Verlags. Nicht selten sind diese literarischen Bestandteile einer meist süßlichen Zeichnung oder Malerei eingebettet, die sich manchmal über den Rücken bis auf die Rückseite ausdehnt. Der Zeichner nimmt an, daß Bücher mit solchen Schutzumschlägen gespreizt im Schaufenster aufgestellt werden; doch machen nur wenige Sortimenter von dieser Möglichkeit Gebrauch. Die Einschläge oder ‹Klappen› sollen möglichst breit sein. Auf der vorderen ‹Klappe› steht oft ein ‹Waschzettel›, der den Inhalt des Buches umreißt, oder der Verlag zeigt schon hier und dazu auf der hinteren ‹Klappe› andere Bücher an. Die Schutzumschläge englischer Bücher tragen in der Regel am Fuß der vorderen ‹Klappe› die Preisangabe, die man abschneiden kann, wenn man das Buch verschenken will. Doch sollte man dann lieber den Schutzumschlag ganz entfernen. Der Schutzumschlag, der nur Diener des Einbandes ist, wird nicht ‹vornehmer›, wenn die Klappen
und die Rückseite unbedruckt bleiben. Da der Käufer des Buches für Anzeigen anderer Bücher aus demselben Verlag dankbar ist, braucht man keine Bedenken zu tragen, außer den Einschlägen auch die ganze Rückseite und sogar die gesamte, fast immer unbedruckte Kehrseite des Schutzumschlags mit Bücheranzeigen und Verlagsmitteilungen zu bedrucken. Eine andere Frage ist es, ob die Auflage des Buches einen so großen Aufwand an Satzkosten erträgt und ob es nicht oft vernünftiger ist, dem Buche einen auf dünnem Papier gedruckten Gesamtprospekt beizulegen. Auf keinen Fall braucht man sich zu bemühen, über die jeweils angestrebte anziehende Wirkung der Schauseite hinaus einen besonders zurückhaltenden Schutzumschlag zu erzeugen (was keineswegs ausschließt, ihn sorgfältig und schön zu setzen); er sollte, im Gegenteil, so beschaffen sein, daß man ihn wie einen Prospekt nach Durchsicht ohne Bedenken fortwirft. Nur so kann man der unerfreulichen Gewohnheit mancher Leute begegnen, Bücher wie ein Sortimenter mit ihrem Schutzumschlag in den Bücherschaft zu stellen. (Nur solche Bücher stelle ich in ihrem Schutzumschlag auf, deren Einband noch häßlicher ist als der Schutzumschlag. Leider erscheinen ihrer jährlich mehr!) Der Aufdruck auf dem Rücken des Schutzumschlags sollte alle wichtigen Angaben der Schauseite wiederholen. Erfahrene Bücherkäufer, die nicht jedes Buch aus dem Schaft ziehen müssen, sollten schon auf dem Rücken alles Wissenswerte lesen können, das heißt nicht nur Verfasser und Titel, sondern, sofern der verfügbare Raum es zuläßt, auch einige Angaben über den Herausgeber oder Bearbeiter, über den Umfang, die Zahl der Tafeln und dergleichen, sowie den
Verlagsnamen. Die Gestalt des Rückens sollte nicht weniger attraktiv sein als die Vorderseite. Da der Schutzumschlag keinen festen und schon darum keinen echten Bestandteil des Buches bildet, braucht seine graphische Form nicht notwendig der Gestalt des Buches selbst angeglichen zu sein. Ein gepflegter Einband darf sehr wohl von einem Schutzumschlag umgeben sein, der nur auf grobe Schaufensterwirkung ausgeht. Ein Mensch von Geschmack wird indes günstiger über das Buch denken, wenn der Schutzumschlag formal und farbig auf Einband und Buch abgestimmt ist. Je teurer das Buch ist, um so haltbarer muß das Papier sein, aus dem der Schutzumschlag hergestellt wird. Für billige Bücher, die schnell verkauft werden, genügt ein holzhaltiges Papier; kostbare Werke, die manchmal längere Zeit im Schaufenster ausgestellt werden, müssen jedoch Umschläge aus kräftigen holzfreien Papieren erhalten. Nur wenn die Druckerei ein exaktes Blindmuster des Buches erhält, kann der Schutzumschlag so genau gedruckt werden, daß er richtig paßt; Stellungsfehler sind sonst kaum zu vermeiden. Der fertige Umschlag soll haargenau so hoch sein wie die Einbanddecke. Die Auflage bemißt man um zehn Prozent höher als die der zu bindenden Exemplare, damit beschädigte Schutzumschläge durch neue ersetzt werden können. Wenn das Buch ein einfaches Versandfutteral erhält (das, genau wie der Schutzumschlag, in der Bibliothek nicht mit aufgestellt werden soll), so kann man auf dessen Schauseite ein werbendes Blatt aufkleben und sich mit einem unbedruckten Schutzumschlag für das Buch selbst begnügen.
Diese Art ist vorzuziehen, wenn das Buch sehr weich gebunden ist und nicht aufgestellt werden kann. Der Buchhändler stellt dann das Buch mit dem Futteral ins Fenster. Streifbänder mit einer Schlagzeile (‹Bauchbinden›) wirken zwar auffällig, schaden aber einem Buche, das keinen Schutzumschlag trägt. Das Sonnenlicht entzieht dem unbedeckten Teil die Farbe; der Einband ward bald unansehnlich und das Buch unverkäuflich. Man darf daher nur solche Bücher mit Streifbändern versehen, die schon einen Schutzumschlag tragen. Mit einem geeigneten Aufdruck läßt sich eine ‹Bauchbinde› auch vortäuschen.
Über breite, zu große und quadratische Bücher
D absolute Breite eines Buches wird nicht bloß von seiner Handlichkeit bestimmt, sondern auch von der üblichen Tiefe der Bücherregale. Bücher, die breiter sind als etwa Zentimeter, sind darum lästig. Mit so breiten Büchern geben sich die allermeisten Leute nicht gern ab. Sie sind kaum aufstellbar und liegen eine Zeitlang herum, bis der Besitzer sie mit schwer verhohlener Erleichterung jemand anderem aufdrängt oder sie in den Papierkorb wirft. Ich denke da an Firmengeschichten, die mit besonderer Größe auffallen wollen und bei denen, nahezu unfehlbar, die Rükkentitel fehlen, was aber hier nicht so schlimm sein mag. Wer wünscht, daß sein Buch die Zeiten überdauert, wer wünscht, daß es wiederauffindbar bleibt, darf es also nicht übertrieben breit machen und den Rückentitel nicht vergessen. Legitim große Werke, solche mit sehr großen wertvollen Tafeln, sind etwas anderes. Der Besitzer solcher Bücher hat ein Fach für solche Werke. Dennoch muß man bestrebt bleiben, Bücher nicht unnötig groß zu machen. Daß Bücher allzu klein gehalten werden, ist bei weitem seltener. Neuerdings sind quadratische Bücher in gewissen Kreisen die große Mode. Aus dem Bestreben, alles ganz anders zu machen, nicht nur Grotesk statt Antiqua zu verwenden und die angeblich Unruhe stiftenden, jedoch unentbehr
lichen Einzüge durch stumpfe Anfänge zu ersetzen, benützen Leute, die sich ultramodern vorkommen, gerne ein quadratisches Format. Dies ist an sich weniger häßlich als ein übertrieben breites Quartformat, das einfach plump ist wie ein Nilpferd. Da wäre ein optisch korrigiertes oder sogar ein reines Quadrat immer noch besser. Gegen quadratähnliche Bücher sprechen drei Argumente. Das erste meint die Handlichkeit. Quadratische Bücher können von der ungestützten Hand nicht bewältigt werden, noch viel weniger als das häßliche Format A . Das zweite Argument geht auf die Einstellbarkeit. Wenn solche Bücher breiter sind als Zentimeter, muß man sie legen. Bücher sollte man aber aufstellen können, damit sie schnell wiedergefunden und benützt werden können. Für das dritte Argument muß ich etwas ausholen. Das Gewicht des Buchkörpers wird von den Scharnieren des Rückens in seiner richtigen Lage gehalten. Ist der Buchkörper sehr schwer – das ist leider häufig –, dann senkt sich der Buchkörper vorne, stößt auf das Brett des Bücherschaftes und nimmt dort Staub an, etwas, was durch die Kanten des Einbandes verhütet werden soll. Je länger der Rücken im Verhältnis zur Buchbreite ist, um so besser bleibt der Buchblock in seiner richtigen Lage. In einem querformatigen Album reicht der Rücken dazu nicht mehr aus. Ähnlich ist es aber schon bei den quadratförmigen Büchern. Auch in ihnen senkt sich der Buchblock alsbald auf das Brett des Bücherschaftes. Auch daher sind quadratförmige Bücher als grundverfehlte Neuerungen zu verwerfen. Innerhalb der plausiblen Buchgrößen kommen zahlreiche Proportionen, das heißt Verhältnisse von Breite zu Höhe,
vor. Da die gute Tradition über Bord geworfen worden ist und erst neu errichtet werden muß, sollte vor der Arbeit jede Buchgröße auf ihre geometrische Proportion geprüft werden, das heißt, ob sie die genaue Proportion von : oder : oder den Goldenen Schnitt, um nur einige wichtige Proportionen zu nennen, aufweist. Öfter als man meint ist die einfache Proportion : die beste; das gilt sogar für Quartbücher, wenn man das Papier dafür machen läßt. Zwar gibt es kein Rezept, doch kann man viel aus Büchern der Zeit vor lernen, auch Proportionen. Ein letztes Wort, das nur am Rande zum Thema gehört: das Gewicht des Buches. Die meisten unserer Bücher sind viel zu schwer. Das kommt meistens vom Kunstdruckpapier. Dicke Bücher aus Kunstdruckpapier sollten darum in zwei Halbbände aufgeteilt werden. Die alten Bücher waren viel leichter. Chinesische Bücher gar sind sozusagen federleicht. Die Papierfabriken sollten sich bemühen, viel leichtere Papiere zu machen, im besonderen erheblich leichtere Kunstdruck- und Offsetpapiere.
Weißes oder getöntes Werkdruckpapier?
P muß chemisch gebleicht werden, um eine reinweiße Farbe anzunehmen. Ungebleichtes Papier ist jedoch nicht nur viel dauerhafter, sondern auch schöner. Es ist heute sehr selten und kommt wohl nur als Handpapier vor. Der wundervolle Ton der ältesten gedruckten Bücher und noch älterer Papierhandschriften hat sich bis heute unverändert erhalten, wenn die Bücher nicht durch Wasser oder Fäulnis gelitten haben. Wenn man früher lobend von ‹weißem Papier› sprach, so meinte man den leicht écrufarbenen Ton, den das ungebleichte Papier vom Leinen und von der Schafwolle erhielt, welche die eigentlichen Ausgangsstoffe alles alten Papiers waren. Dieser Ton ist auch heute noch der schönste. In einer Kollektion von Werkdruck- und Offsetpapieren besticht natürlich das persilweiße Offsetpapier das naive Auge. Es ist aber nicht als Werkdruckpapier gedacht, sondern für Buntdrucke vorgesehen, die am getreuesten ausfallen, wenn der Papierhintergrund reinweiß ist. Aus demselben Grunde ist das meiste Kunstdruckpapier mit einem reinweißen Aufstrich versehen. Ganz leicht getöntes Kunstdruckpapier, für das ich seit vielen Jahren vergeblich meine Stimme erhebe, ist, so wünschenswert es wäre, leider überhaupt nicht als Lagersorte erhältlich.
Wahrscheinlich weil man in den Büros der Druckereien der Anziehungskraft des unbedruckten reinweißen Papiers verfällt, weil es manchem ‹moderner› scheint – es erinnert ja an den Frigidaire, moderne sanitäre Einrichtungen und den Zahnarzt –, weil weißes Offset natürlich am besten mit weißem Kunstdruck zusammengeht und getöntes Kunstdruck nicht angeboten wird, weil man ein ‹brillantes› Druckresultat erstrebt und weil vielleicht auch unerfahrene Laien sich einmischen, erhalten wir so schrecklich viele reinweiße Bücher. Sogar die Einbände beginnen jetzt öfter im weißen Kleid der Unschuld einherzugehen. Sie gehören zwar nicht zur Sache, sind aber ein Ausdruck derselben Neigung und überaus empfindlich. Lesen die Männer, die für die Herstellung solcher Bücher verantwortlich sind, eigentlich ihre Erzeugnisse? Da sie sie kennen, werfen sie wohl kaum mehr als einen Blick darauf. Lesen ist ein ganz anderer Vorgang. Aber sie müßten doch schließlich andere Bücher lesen und wenigstens dort bemerken, wie schmerzhaft der reinweiße Ton im Buche wirkt. Er wirkt nicht nur kalt und unfreundlich, sondern stört, denn er blendet das Auge wie Schnee. Die Buchseite wird unangenehm durchsichtig; der weiße Papierton, statt mit der Schriftfläche zur Einheit zu verschmelzen, tritt in eine andere optische Ebene zurück. Wenn weiß Offset als Werkdruckpapier mißbraucht wird – schon an und für sich Zeichen einer zu sorglosen Herstellung –, wird diese nachteilige Wirkung noch durch die Öde der Papieroberfläche verstärkt, die nahezu jeder Struktur entbehrt. Da die meisten heute verwendeten Schriften eine übermäßige Glätte und Regularität zeigen, die sich beson
ders dann offenbart, wenn Maschinensatz angewendet wird, so entsteht als Gesamteindruck äußerste Glätte und Kälte, eine Art Spiegel der Unbeteiligtheit, mit der zuweilen Bücher gemacht werden. Ein gut aussehendes Buch darf aber nicht das Produkt nur von Rechenkünsten und minimalem Energieaufwand sein. Wenn wir oft ausländisches Lob für unsere Bücher einheimsen dürfen, so muß das vor allem unserer hochentwickelten Drucktechnik zugeschrieben werden, nicht etwa der eigentlichen Schönheit unserer Bücher. * Viele Nationen verfügen nicht über gleichwertige Produktionsmittel, und eine ähnliche Interesselosigkeit dem Buch als Gegenstand gegenüber ist dort ebenso verbreitet wie hier. Wenn man ein Buch notwendig braucht, so wird man natürlich über seine herstellungsmäßigen Mängel hinwegsehen müssen. Der gute Verkauf eines wissenschaftlichen Buches etwa bedeutet daher keineswegs, daß es auch schön gemacht sei. Das Elementar-Notwendige ist noch keine Kunst. Diese fängt erst beim scheinbar Überflüssigen an. Erst wenn sich ein Buch so angenehm präsentiert, wenn es auch als Gegenstand so vollendet ist, daß wir es am liebsten gleich kaufen und nach Hause nehmen möchten, könnte es sich um ein Werk wahrer Buchkunst handeln. Zur angenehmen Gesamtwirkung eines Buches trägt aber auch das gut aussehende Papier nicht weniger bei als eine gepflegte Typographie. Das wird viel zu oft übersehen. Wie außerordentlich selten sind die Bücher, deren Papier die Hand eines kundigen Papierentwerfers verrät! Man * Dieser und der nachfolgende Satz beziehen sich auf die Eidgenossenschaft.
kann nämlich ein Papier so genau auf den Gesamtentwurf eines Buches, nicht nur im Hinblick auf das Verhältnis seiner Dicke und besonderen Biegsamkeit zur Seitengröße, so genau auf den Charakter der Schriftart und die Stimmung des Buches hin entwerfen, durch Struktur, Tönung und andere Eigenschaften, daß ein vollkommener Einklang aller Teile entsteht. Unsere Papierfabriken sind durchaus imstande und auch bereit, solche Wünsche zu erfüllen. Und das muß nicht einmal mehr kosten. Auf jeden Fall ist zu wünschen, daß rein weiße Papiere nur dort verwendet werden, wo es durch die Aufgabe gefordert wird. Ich selber kann mir allerdings einen solchen Fall nicht leicht vorstellen. Wenn ‹blütenweißes› Papier als Empfehlung genannt wird, so wird unsere Freude an weißen Blüten schmählich mißbraucht. So schön diese sind, so ist ihre Farbe doch keine sehr geeignete Nuance für ein Werkdruckpapier. Zum ‹Schneeweiß› versteigt man sich schon seltener, wohl aus einem richtigen Gefühl heraus. In und nach Notjahren trifft man viel graues und muffiggelbliches Papier in Büchern an. Wenn sie überstanden sind, erwartet man mit Recht wieder ein schönes, haltbares Papier. Der Laie irrt, wenn er nun meint, gutes Papier müsse reinweiß sein, und was getönt ist, sei nicht dauerhaft. Der Fachmann aber sollte wissen, daß das ein Trugschluß ist, und den Laien aufklären. Reinweißes Papier kann ebensogut in zehn Jahren gelbliche Ränder bekommen, wie deutlich graues von der allerbesten Qualität sein! Es kommt auf den Stoff an, und von dem versteht der Laie kaum sehr viel. Weiße ist also kein sicheres Zeichen für Qualität und Haltbarkeit. Zartgetönte Werkdruckpapiere, deren Ton
aber in der Regel fast unmerklich sein muß, sind besser, weil sie das Auge nicht blenden und eine Einheit zwischen Papier und Satz herstellen, die auf weißem Papier nur in einigen sehr seltenen Ausnahmefällen entsteht. Ich rede aber hier weniger von der Papierqualität als vom nötigen Papierton. Es gibt ja noch eine Menge Bücher und Broschüren, die auf billigem Papier hergestellt werden müssen. In der Regel sieht der hellste erreichbare Ton leicht grau und wenig sympathisch aus. Dem kann durch eine passende Nuancierung gegen Chamois hin ohne weiteres abgeholfen werden, ohne daß das Papier mehr kostet. Ich habe das in mehreren Fällen mit bestem Erfolg erreicht. Das Papier ist zwar nicht besser geworden, aber dem Auge angenehmer. Zuletzt habe ich diese Änderung bei den billigen Penguin-Büchern durchgeführt, die in England jetzt s.d. (zwei Franken) kosten. Das vorher abstoßend wirkende, bleiche Grau wurde in einen warmen Ton umgewandelt, und die Bücher lasen sich danach so angenehm wie solche zum dreifachen Preis! Sogar unsere Zeitungen und Zeitschriften würden gut tun, dieser Möglichkeit nachzugehen. Das übliche Zeitungspapier ist grau und häßlich, genau wie die früheren Penguin-Ausgaben. Würde man es gelblich halten, so würde die Leserlichkeit der Zeitungen nur gewinnen. Ihrer meist unschönen Typographie hälfe es zwar nicht, aber unsere Augen würden weniger angegriffen. Man darf vermuten, daß die Tönung des Papiers, das die Londoner Times verwendet, absichtlich gelblich getönt ist: welch ein Unterschied gegenüber dem unerfreulichen Grau unserer Zeitungen! Man gehe und vergleiche, um sich überzeugen zu las
sen. Ich fürchte nur, daß dieser Anregung so wenig stattgegeben wird wie meiner früheren, ein leicht getöntes Kunstdruckpapier als Lagersorte herzustellen. Dabei haben beide Anregungen erhebliche Bedeutung für die Volksgesundheit, nämlich für Millionen Augen. Weiße des Papiers ist also kein Anzeichen der Haltbarkeit. Es ist als Werkdruckpapier ungeeignet, weil es das Auge blendet. Eine ganz zarte Tönung gegen Ecru oder Chamois hin ist notwendig. Auch ganz billige Bücher und Zeitschriften, sogar Zeitungen, sollten auf getöntem statt rein grauem Papier gedruckt werden. Bestimmte Schriften verlangen übrigens gewisse Papiertöne und -oberflächen. Dies gilt besonders von den Neuschnitten klassischer Schriften. Je älter die Schrift, um so dunkler und rauher muß das Papier sein. Die PoliphilusAntiqua () kommt auf weißem Papier gar nicht zur vollen Geltung. Sie wirkt gut nur auf einem Papier, das dem Ton und Charakter des Papiers der Zeit um nahekommt. Ähnliches gilt von der Garamond-Antiqua (um ). Das späte achtzehnte Jahrhundert hatte eine Vorliebe für ‹weißes› Papier (man konnte es damals aber zum Glück noch nicht so weiß bleichen wie heute), und darum wirken die Baskerville-Antiqua (um ) und die Walbaum-Antiqua (um ) auf fast weißen Papieren am besten. Nur die Bodoni-Antiqua (um ), und auch sie nur in großen Graden, auf großen Seiten, verträgt ‹ganz weißes› Papier, aber nur, sofern es wenigstens eine gewisse Struktur hat. Bodoni ging nämlich vorsätzlich auf diesen äußersten Gegensatz zwischen einem nervösen Schwarzweiß der Type und weißem, ziemlich glattem Papier aus, einen Effekt, der
einem angenehmen Lesen sehr im Wege steht. Das neunzehnte Jahrhundert folgte ihm darin nach. Das heute meist unansehnlich gewordene, muffig-gelbliche Papier seiner letzten Jahrzehnte ist weniger Absicht als unvorhergesehene Folge einer bedenkenlosen Papierverschlechterung. Die Tönungen der heutigen Papiere werden in der Regel durch Farbzusätze bewirkt. Zahllose Variationen durch Tönung, Zusammensetzung, Leimung und besonderen Oberflächencharakter sind möglich. Wir sollten das nicht vergessen, sondern so oft wie möglich davon Gebrauch machen.
Zehn häufige Kardinalfehler der Buchherstellung
. Abwegige Formate: Unnötig große, unnötig breite und unnötig schwere Bücher. Bücher müssen handlich sein. Bücher, die breiter sind als die Proportion : (Quart), ganz besonders quadratische, sind häßlich und unpraktisch; die wichtigsten guten Proportionen für Bücher sind und bleiben : , Goldener Schnitt und : . Das Zwitterformat A ist ganz schlecht, nur das Zwitterformat A ist manchmal nicht völlig ungeeignet. Der Buchblock zu breiter Bücher, zumal der quadratförmigen, senkt sich vorne. Bücher, die breiter sind als Zentimeter, lassen sich nicht leicht aufstellen und aufbewahren. . Ungegliederter, gestaltloser Satz, als Folge der Unterdrükkung der Einzüge. Wird leider durch die gleichartige, falsche, irrig als ‹modern› angesehene Schreibweise der Briefe gefördert, die die Handelsschulen lehren. Man glaube nur nicht, daß das eine ‹Geschmacksfrage› sei. Hier scheiden sich Leser und Nichtleser. . Anfangsseiten ohne jedes Initial, die ganz oben links stumpf anfangen und aussehen wie eine zufällige Seite des Textes. Man meint, etwas anderes als den Anfang vor sich zu haben Der Kapitelanfang muß durch einen breiten weißen Raum über der Anfangszeile, durch ein Initial oder etwas anderes ausgezeichnet werden.
. Gestaltlosigkeit als Folge des Unsinns, nur Einen Grad für alles zuzulassen. In einem Buche, dessen Kapitelanfänge nicht akzentuiert sind und dessen Titel und Druckvermerk aus dem Grade der Grundschrift, sogar ohne Benützung reiner Versalzeilen, gesetzt sind, findet sich der Leser nur schwer zurecht. . Weißes und gar hochweißes Papier. Höchst unangenehm für die Augen und ein Vergehen an der Volksgesundheit. Eine schwache Tönung (elfenbein und dunkler, jedoch niemals crème), die aber ja nicht aufdringlich sein darf, ist fast immer das beste. . Weiße Decken. Genau so abwegig, weil so empfindlich, wie weiße Anzüge. . Gerade Rücken bei Deckenbänden. Der Rücken gebundener Bücher muß schwach gerundet sein; sonst ist das Buch nach der Lektüre windschief, und die mittleren Lagen sind ‹gestiegen›. . Längslaufende Riesenschriften auf Rücken, die für eine waagrecht laufende Beschriftung breit genug wären. Man braucht den Rückentitel nicht von weither lesen zu können. . Gar kein Rückentitel. Unentschuldbar bei Büchern, die über Millimeter dick sind. Wie soll man eine solche Broschüre wiederfinden können? Der Verfasser darf nicht fehlen, denn dieser bestimmt oft den Standort in einer Bücherreihe. . Unkenntnis oder Mißachtung des richtigen Gebrauchs von Kapitälchen, Kursiv und Anführungszeichen: siehe Seite ff. ENDE
Register
Akademie für Buchgewerbe und Graphik, Leipzig Ältere Antiqua American Institute of Graphic Arts Anfänger Anführungszeichen – Antiqua des Übergangsstils Antiquaversalien Assimilation Asymmetrie , , – Auslassungspunkte –
BogenrückenSignaturen – Bogen Signaturen – Breitkopf-Fraktur Briefformular Buchbinder Bücher, alte Buchkünstler Buchstaben, Form der Bundsteg ,
Barbou , Barock Baskerville Bauer, Friedrich Berner, Conrad Bibliographien , – Bibliophile Riesenschmöker Bodoni , Bodoni, Giambattista Manuale tipografico
Derriey, Spécimen-Album Didot-Antiqua Dissimilation Double Crown Club Drittelgevierte
Codex Sinaiticus Cribellariis, Marcus de
Einband Einfachheit Einfall einzigen Grad, Drucksachen aus einem ,
Einzug unter zentrierter Überschrift sinnlos Einzüge , , – ‹elementare typographie› Elite Endstriche Endstrichlose , , Entwerfer Experimente ‹experimentelle Typographie›
Gutenberg , , , , Gutenberg-Preis Guter Geschmack , Halbfette Hegner, Jakob Historismus höhere Typographie ‹Hurenkinder› , – Initialen
Formate, ungewöhnliche Fraktur Fußnoten –
Johnston, Edward Jüngere Antiqua
Garamond , , Gebrauchszweck Gedankenstriche – ‹Gefühl› , Genji Geschmack, Guter , Gestaltlosigkeit , Goldener Kanon Goldener Schnitt , Goethezeit, Typographie der Graaf, Joh. A. van de , Graphiker Grotesk
Kalligraphie Kanon, Goldener Kapitälchen , , – Kayser, Hans Kinderbuch klassische Schriften Koberger, Anton Kolumnentitel, lebender Konventionen , Kunst des Satzes Künstlerschriften Kapitalband – Kursiv , – Leipzig , ,
,
Lesbarkeit Lesebändchen – Literaturnachweise – Lithographie Logik Manutius, Aldus Marcus Vincentinus , Maßverhältnisse, willkürfreie – Milchsack, Gustav ‹Mittelachse› Modeschriften Morison, Stanley Morris, William Nationalschriften, gebrochene ‹Nationalsozialismus› ‹Neues› neue Typographie, Die Neue Typographie Normalformat, sogenanntes , Notenziffern – Notwendigkeit Penguin Books persönlicher Stil Poeschel, Carl Ernst
, ,
Probeseiten , , – Proportionen , Pult , quadratisches Buchformat , – querstehende Abbildungen , Rechenschieber Renaissance , , , , , Roh, Franz Rohbogenformate Rosarivo, Raúl –, Royal Society of Arts Rückentitel – Rückentitel von unten nach oben Satz, weiter Satzbreite Satzes, Kunst des Scheuer, I. J. G. , , , Schlußpunkt Schmutztitel Schnittfarbe , Schöffer, Peter , Schreibschriften
Schriften, klassische ‹Schusterjungen› – Schutzumschlag , – Schwabacher , , Seitenzahl Selbstentäußerung Setzmaschinen Sperren Spitzenbildchen , Steinabreibungen Stempel, chinesische Stern Stone, Reynolds Streifband Symmetrie , , – Tafelwerke – Takt Tieffenbach, E. W. Titelblatt – Titels, Rückseite des , Tradition – Typographie›, ‹Die neue Typographie eine Wissenschaft Typographie, höhere Typographie, Neue
Unger, J. F. Unger-Fraktur ungewöhnliche Formate Verlagssignet , , , Villard de Honnecourt , , , Vincentinus, Marcus , Vorsatz , Walbaum-Antiqua , , Walbaum-Fraktur Weiß, Emil Rudolf , weißes Papier – weiter Satz Wersin, Wolfgang von Zahlen im Titel Zeitungen , , zentrierte Satzordnung , Zoll Zurichtung des Schriftgießers Zwitterformate Zwitterproportion
Nach Angaben von Jan Tschichold gesetzt aus ‹Monotype› Van Dijck und gedruckt bei der Birkhäuser AG in Basel. Ätzungen von Clichés Schwitter in Basel.
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