ATLAN 144 – Die Abenteuer der SOL
Nr. 643 Ausgeburten des Bösen von H. G. Francis Die Verwirklichung von Atlans Ziel, ...
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ATLAN 144 – Die Abenteuer der SOL
Nr. 643 Ausgeburten des Bösen von H. G. Francis Die Verwirklichung von Atlans Ziel, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn ihm wurde die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten dieses Raumsektors. Doch Atlan gibt nicht auf! Um sich die verlorenen Koordinaten wieder zu besorgen, scheut der Arkonide kein Risiko. Mit den Solanern folgt er einer Spur, die das Generationenschiff gegen Ende des Jahres 3807 Terrazeit schließlich nach Bars-2-Bars führt, in die aus zwei miteinander verschmolzenen Galaxien bestehende Sterneninsel. Die Verhältnisse dort sind mehr als verwirrend. Doch die Solaner tun ihr Bestes, die Verhältnisse zu ordnen, indem sie die Völker der künstlichen Doppelgalaxis, die einander erbittert bekämpfen, zum Frieden zu bewegen versuchen. Um die Aktivitäten der Solaner zu unterbinden, leitet Anti-ES sofort Gegenmaßnahmen ein, die nicht nur den Solanern und dem Generationenschiff schwer zu schaffen machen, sondern auch Atlan. Der Arkonide wird auf den Arsenalplaneten verschleppt, wo er in einen Helfer von Anti-ES verwandelt werden soll. Doch Atlan weiß sich zu wehren – selbst gegen die AUSGEBURTEN DES BÖSEN ...
Die Hauptpersonen des Romans: Bruce Kayman, Flash Zehanian und Aldrich Szwesniak - Drei Solaner werden schrecklich verwandelt. Atlan und Tyari - Sie werden von den »Ausgeburten des Bösen« gejagt. Ticker - Atlans und Tyaris Helfer. Asgard - Das Kugelwesen soll befreit werden.
1. Bruce Kayman wußte plötzlich wieder, wie er hieß. Verwirrt sah er sich um. Er befand sich in einer halbrobotisierten Werkstatt, in der er an einer kompliziert aussehenden Positronik gearbeitet hatte. Wo bin ich? fragte er sich. »An Bord eines Raumschiffes«, antwortete er laut. »Natürlich. Wo sonst?« War dies wirklich die SOL? Hatte er die nicht schon längst verlassen? War da nicht eine wispernde Stimme gewesen, die ihm Anweisungen gegeben hatte? Er blickte auf seine Hände hinab. Sie waren schmutzig. Die Fingernägel hatten schwarze Ränder. Unangenehm berührt griff er nach einem spitzen Werkzeug, um sie damit zu säubern. In der Werkstatt war es nahezu klinisch sauber. Hier konnte er sich nicht beschmutzt haben. Er rieb sich die Hände. Sie waren trocken und ein wenig rissig, so als hätten sie schon ziemlich lange kein Wasser mehr gesehen. Zum Teufel! dachte er. Das ist es. Sie sind nicht erst seit heute dreckig, sondern schon verdammt lange. Kayman ging zur Tür und öffnete sie. Zögernd trat er auf den Gang hinaus, der dahinter lag. Er eilte bis zu einem Schott, das mit einem Fenster versehen war, und blickte hindurch. Nur wenige Schritte weiter befand sich eine Schleuse. Sie war offen. Der Weg hinaus in eine grünende, warme und offenbar angenehme Freiheit war offen. Bruce Kayman fuhr sich mit beiden Händen über den Schädel. Er wollte sich das Haar zurückstreichen und stellte dabei fest, daß er kahlköpfig war. Eine Welt brach für ihn zusammen. Er war stets stolz auf sein Haar gewesen, das er lang und voll bis in den Nacken herab getragen hatte. Jetzt aber fühlte sich sein Schädel an, als habe er niemals Haare gehabt. Panik erfaßte ihn. Er erkannte, daß etwas Ungeheuerliches mit ihm geschehen war, und daß dieses Raumschiff auf keinen Fall etwas mit der SOL zu tun haben konnte. Hastig öffnete er das Schott. Er spürte kaum, daß ihm eine warme Luft entgegenschlug, die von den exotischen Gerüchen einer fremden Welt erfüllt war. Er rannte zur Schleuse und blieb dann plötzlich stehen, als sei er gegen ein unsichtbares Hindernis gelaufen. Langsam trat er bis an den Rand der Schleuse heran und ließ seine Hände danach über die Jenseitsmaterie gleiten, die die Hülle des Raumschiffs bildete. Ströme von Energie schienen von der hellgrün bis hellrosa schillernden Substanz auf ihn überzufließen. Er schlug die Hände vor das Gesicht und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Es gelang ihm nicht. Er streckte die Hände erneut aus, preßte sie gegen die Schiffshülle und kratzte dann mit bloßen Fingern etwas Jenseitsmaterial von ihr ab. Das Stück, das er gewonnen hatte, begann augenblicklich in seinen Händen zu leuchten. Er schreckte auf, vermeinte, bedrohliche Geräusche in seinem Rücken zu vernehmen, und stürmte durch wogendes Gras hinüber ins Dickicht der Bäume und Büsche. Und plötzlich wußte er, daß er soeben die ARSENALJYK verlassen hatte. Er erfaßte, daß die wispernde Stimme zur Penetranz gehörte, und daß er Sklave von Anti-ES gewesen war. Wie von tausend Furien gehetzt, stürmte er weiter. Weg! Weit, weit weg von der ARSENALJYK, die für ihn Symbol des Negativen geworden war. Ganz gleich, wer oder was sonst noch an Bord dieses Raumschiffs existierte, er wollte nichts mehr damit zu tun haben. Er wollte frei sein, und der Gedanke, für den Rest seines Lebens als Eremit auf einem fremden Planeten leben zu müssen, allein und ohne Hoffnung auf eine Rückkehr zur SOL, schreckte ihn nicht. Erst als er etwa eine halbe Stunde durch die Wildnis geflüchtet war, blieb er erschöpft stehen. Der Schweiß lief ihm in Strömen herunter, und die Muskeln seiner Beine verkrampften sich. Jetzt endlich blickte er zurück. Niemand! dachte er. Da ist niemand. Man hat überhaupt nicht bemerkt, daß ich die ARSENALJYK verlassen habe. Sie werden mich vielleicht vermissen, aber sie werden mich nicht suchen. Für sie ist viel wichtiger, daß sie Atlan endlich erwischen. Drohend hob er die Faust und richtete sie dorthin, wo er das Raumschiff vermutete. Im gleichen Moment weiteten sich seine Augen. Er zog die Faust zurück, packte das rechte Handgelenk mit der Linken und blickte fassungslos auf seine Hand, die zu einem formlosen Gebilde geworden war. Er hatte keine Finger mehr. Am rechten Arm hatte er überhaupt nichts mehr, was eine Ähnlichkeit mit einer Hand hatte, sondern nur noch einen organischen Klumpen. * Flash Zehanian, von seinen Freunden nur »Zeh« genannt, war der zweite Solaner in der ARSENALJYK, der aus dem tranceähnlichen Zustand der Abhängigkeit erwachte und sich seiner selbst bewußt wurde. Er befand sich in der Zentrale der ARSENALJYK. Bei ihm waren zwei andere Solaner. Sie arbeiteten an den Computern und beachteten ihn nicht. Flash Zehanian begann am ganzen Körper zu zittern, als er sich dessen bewußt wurde, daß er frei war. Ich muß raus, erkannte er. Ich darf keine Sekunde länger hier bleiben. Kurzentschlossen eilte er zum Schott, öffnete es und verließ die Zentrale. Nur flüchtig blickte er zu den anderen Solanern zurück. Was hätte er auch schon für die anderen tun können? Nichts. Sie standen unter dem mentalen Einfluß eines Wesens, das unerreichbar weit entfernt war. Vielleicht haben sie ebenfalls Glück, dachte er. So wie ich. Aus irgendeinem Grund entläßt die Penetranz sie aus ihrer Kontrolle, und sie können tun und lassen, was sie wollen. Er fühlte sich wirklich frei, und er war überzeugt davon, daß die Penetranz ihn nicht wieder versklaven konnte, sobald er die ARSENALJYK verlassen hatte.
Bevor er jedoch ins Freie flüchtete, mußte er etwas essen. Er litt unter einem bohrenden Hunger, so als ob er schon seit Tagen nichts mehr zu sich genommen hätte. Er erinnerte sich nicht mehr an das, was geschehen war, seit er die SOL verlassen hatte. Hatte er nicht eben noch mit der blonden Emily geflirtet, der Informatikerin der SOL? Verwirrt öffnete er die Tür zu einem Kühlraum, in dem er allerlei Speisen wußte. Er öffnete eine Flasche mit Mineralwasser und trank sie auf einen Zug aus. Dann machte er sich mit großer Gier über eingelagertes Fleisch her, ohne es genügend aufzutauen. In seinen Gedanken ging alles durcheinander. Da waren auf der einen Seite Erinnerungen an das Leben in der SOL, und auf der anderen Seite Informationen über die ARSENALJYK, ihre Ausrüstung und ihre Besatzung. Er wußte, was er wo finden konnte, aber er bemühte sich vergeblich, sich irgendwelche Ereignisse der letzten Stunden, Tage oder Wochen ins Gedächtnis zu rufen. Er verdrängte diese Gedanken schließlich und konzentrierte sich nur auf das Fleisch und die Getränke, die in den verschiedenen Truhen des Raumes lagerten. Er schlang in sich hinein, was er nur eben aufnehmen konnte, bis sein Bauch so aufgequollen war, daß er kaum noch atmen konnte und Leibschmerzen verspürte. Er schleppte sich aus dem Kühlraum und durch die Schleuse hinaus. Dann entfernte er sich gemächlichen Schrittes von dem Raumschiff, als brauche er nicht zu befürchten, daß man ihn zurückholen könnte. Unbehindert erreichte er den Waldrand und rutschte dann eine Rinne hinunter, die der Regen irgendwann in das Erdreich gegraben hatte. Nach einigen Metern fiel die Rinne steil ab. Erschrocken griff Zeh nach den Zweigen der Büsche, konnte sich jedoch nicht halten und rollte wie eine Kugel in die Tiefe, bis er sich schließlich in den Zweigen eines Busches verfing. Er vernahm einen schrillen Schrei, spürte, daß sich unter ihm etwas bewegte und verharrte einige Sekunden lang regungslos auf der Stelle. Sein Rücken schmerzte. Mühsam wälzte er sich schließlich herum und richtete sich auf. Er sah, daß ein kleines Pelztier zwischen den Zweigen lag. Er war darüber hinweggerollt, hatte es mit seinem Gewicht in den Boden gedrückt und getötet. Zögernd griff er danach, drehte es in den Händen und beobachtete dann, wie sich seine Finger krallenartig krümmten. Er wollte den Kadaver von sich schleudern, konnte es jedoch nicht. Eine unsichtbare Macht schien ihn dazu zu zwingen, ihn zu den Lippen zu führen. Er grub seine Zähne in das Tier und verschlang es mit Haut und Haaren. Dann kroch er zu einem kleinen Bach und trank Wasser, bis er nicht mehr schlucken konnte. Was ist mit mir los? dachte er. Warum fresse ich wie ein Tier? Er versuchte, sich zu erbrechen, gab diese Bemühungen jedoch bald auf, da er überhaupt nichts erreichte. Stöhnend richtete er sich auf und schleppte sich weiter. Jetzt wurde jeder Schritt zur Qual. Der Schweiß brach ihm aus, und sein linker Fuß schmerzte, so daß er kaum auftreten konnte. Erst jetzt bemerkte Zeh, daß Fuß und Unterschenkel stark geschwollen waren. Irgend etwas hat mich gebissen oder gestochen und vergiftet! durchfuhr es ihn. Ich werde vor die Hunde gehen, wenn ich nicht zur ARSENALJYK zurückkehre und mich behandeln lasse. Er stützte sich mit beiden Händen an einem Baum ab und blickte lange auf den Waldboden. Sein Gehirn war leer. Er konnte nicht denken, und vorübergehend vergaß er sogar, wo er war. Dann aber war plötzlich das Bild des Arkoniden da. Er haßte den Unsterblichen. War Atlan nicht schuld an dem Schicksal, das er erdulden mußte? War der Arkonide es nicht gewesen, der Anti-ES durch seine Haltung zum Angriff veranlaßt hatte? Unwichtig, was mit dir passiert, dachte er. Es wird schon wieder gut werden. Zur ARSENALJYK darfst du auf keinen Fall zurück. Du wirst auf diesem Planeten bleiben. Das ist immer noch besser als Sklave der Penetranz zu sein. Irgendwann wird dir der Arkonide begegnen, und dann wird abgerechnet. Die Hose spannte sich derart über seinem geschwollenen Bein, daß er meinte, den Druck nicht mehr ertragen zu können. Er beugte sich mühsam nach vorn und schnitt das Hosenbein mit einem Messer auf. Dann riß er die Hose bis fast zu den Hüften hinauf auf. Darunter kam eine graubraune Haut zum Vorschein, die mit spitzen Höckern bedeckt war. Flash Zehanian sah, daß sich seine Haut verändert hatte, aber er machte sich keine Gedanken darüber. Er nahm diese Tatsache hin, als sei alles völlig normal. Das Hemd ist auch zu eng, dachte er. Es ist besser, wenn ich es gleich ausziehe. Danach streifte er nicht nur das Hemd ab, sondern warf auch die anderen Kleidungsstücke und alle Ausrüstungsgegenstände weg, die er bei sich gehabt hatte. Nackt schritt er weiter in die Wildnis hinein. Als er einen kleinen See erreichte, blickte er an sich herunter. Jetzt waren beide Beine von einer harten, stacheligen Haut bedeckt, und auch die Haut auf seinen Armen begann sich zu verändern. Kann sein, daß ich eine Art Metamorphose durchmache, dachte er gleichgültig. Wenn ich danach bessere Chancen gegen Atlan habe, soll es mir recht sein. Er warf sich auf den Bauch und wühlte die Hände in den Boden, bis er einen Wurm daraus hervorholte, der etwa einen halben Meter lang war. Zeh wusch das Tier im See und schlang es danach genußvoll herunter. Es hatte einen intensiven Nußgeschmack. * Aldrich Szwesniak stellte verwundert fest, daß er einige Zentimeter über dem Boden schwebte. Die Gravitationsautomatik funktioniert nicht, dachte er. Irgendeiner von diesen Nichtskönnern hat an den Geräten der Zentrale herumgespielt und in die Automatik eingegriffen. Mit beiden Armen rudernd, kämpfte er sich an den Tisch heran und hielt sich daran fest, um zu verhindern, daß er gegen die Decke getrieben wurde. Jetzt erst stutzte er. Wieso habe ich eigentlich nicht gemerkt, daß die Automatik ausgefallen ist? überlegte er. Wieso habe ich still auf der Stelle geschwebt? Warum bin ich nicht durch den Raum geglitten? Er sagte sich, daß sich schon alles wieder normalisieren werde, und drückte sich vorsichtig ab. Er glitt zu der offenen Tür der Hygienekabine hinüber und hielt sich an ihr fest. Geschickt streifte er seine Kleidung ab und schob sich danach an einem großen Spiegel vorbei unter die Dusche. Er stutzte.
Sein Äußeres hatte sich verändert. Seine Haut hatte nicht mehr den tiefbraunen Ton, auf den er immer so stolz gewesen war, sondern war jetzt vielmehr grau. Er meinte, das Blut darunter zirkulieren zu sehen. Ich träume, sagte er sich. Dies ist alles nichts weiter als ein Traum. Ich weiß, daß ich an Bord der ARSENALJYK und eine Marionette der Penetranz bin. Damit habe ich mich abgefunden, aber offenbar ist mein Unterbewußtsein nicht mit meiner Haltung einverstanden. Es protestiert mit diesem blödsinnigen Traum. Er lachte leise. Interessiert betrachtete er sein Spiegelbild. Es war leicht verzerrt. Arme und Beine wirkten kürzer als normal, und einen Hals schien er überhaupt nicht mehr zu haben. Belustigt versuchte er, den Kopf zu heben, konnte dabei jedoch den Eindruck nicht entscheidend verändern. »Ich sehe aus wie ein Gehirn mit zwei Armen, zwei Beinen und einem Kopf«, schmunzelte er. »Durch die Haut kann man sogar die Gehirnwindungen erkennen.« Er stellte das Wasser an. Es schoß heiß und zu Massagestrahlen gebündelt aus den Düsen, übersprühte ihn und floß rasch nach unten ab. Doch das fiel Szwesniak nicht auf. Er war viel zu sehr mit seinen Traum-Gedanken beschäftigt. Das Wasser war heiß und unangenehm. Er hätte es leicht einregulieren und auf seine spezifischen Bedürfnisse einstellen können. Doch dazu konnte er sich nicht aufraffen, da er fürchtete, dadurch das Ende seines Traumes einzuleiten. Er verließ die Hygienekabine. Sanft und elegant schwebte er hinaus. Ein wahrhaft verrückter Traum! dachte er. Ich kann mich allein kraft meines Willens bewegen! Hoffentlich hält dieser Traum noch ein wenig an. Wieder betrachtete er sich im Spiegel. Arme und Beine waren zu kurzen Stummeln zusammengeschrumpft, und der Kopf war bis an die Augen im Rumpf versunken. So glich er mehr einem grauen Ei als einem Menschen. Der Raum erschien ihm plötzlich zu eng. Er wollte hinaus auf den Gang und sich den anderen in seiner neuen Körperform zeigen. Die fallen um, wenn sie mich so sehen, dachte er belustigt und befahl, der Tür, sich zu öffnen. Sie gehorchte. Mühelos glitt er durch die Öffnung und trieb dann leicht wie ein Blatt im Wind über den Gang bis hin zum nächsten Schott. Worauf wartest du? dachte er. Zur Seite mit dir! Im nächsten Moment war der Weg frei. Auch die danach folgenden Schotte schienen seine Gedanken erfassen zu können und taten, was er von ihnen verlangte. So einen Traum müßte man öfter haben, dachte er. Gut wäre, wenn ich ein paar Leute hätte, die ebenfalls parieren würden wie die Türen. Ich würde Atlan die Hölle heiß machen. Er blickte auf eine Wand, an der er sich spiegelte. Nach wie vor schwebte er einige Zentimeter über dem Boden. Seine Figur hatte sich weiterhin verändert. Er sah jetzt aus wie ein von seiner Hülle befreites, kugelförmiges Gehirn. Extremitäten hatte er nicht mehr. Der Kopf war ebenfalls verschwunden. So ist das eben im Traum, erkannte er. Die unglaublichsten Dinge passieren. In diesem Traum kann ich eben ohne Augen sehen. Auch gut. Irgendwann wache ich auf, und alles ist wieder normal. Sollte er im Raumschiff bleiben? Wozu? Was konnte ein Ausflug ins Freie schon schaden? Wenig später tauchte er in das Grün des Waldes. Gelassen schwebte er über einige Büsche weg. Seine Gedanken lösten sich mehr und mehr von der ARSENALJYK und wandten sich im gleichen Maß Atlan zu. Irgendwo auf diesem Planeten versteckte sich der Aktivatorträger. Eine Frau war bei ihm. Wie hieß sie doch? Er dachte angestrengt nach. Warum fiel ihm der Name nicht ein? War er selbst nicht Alleshirn? Mußte ihm nicht alles Wissen sofort präsent sein? Ohne daß er sich dessen bewußt wurde, endete seine Traumvorstellung, und er orientierte sich nur noch an der Wirklichkeit, zu der auch er gehörte. Er haßte nicht nur den Arkoniden, er haßte auch die Wildnis dieses Planeten. Er horchte in sich hinein und korrigierte sich danach: Es war nicht die Wildnis, die eine tiefe Abneigung in ihm hervorrief. Es war die gesamte Natur dieser Welt. Sie war auf der Seite des Arkoniden, und sie war gegen ihn. Er begriff, daß sie ihn vernichten würde, sobald sie die Chance dazu hatte. Ich muß vorsichtig sein! ermahnte er sich. Ich muß mir jeden Schritt genau überlegen. Jeden Schritt? Er schritt nicht mehr durch die Welt. Er schwebte. Die Natur kann mir nichts anhaben, sagte er sich. Ich brauche sie nicht zu fürchten. Im Gegenteil. Sie muß sich vor mir in acht nehmen. Ich bin eine Gefahr nicht nur für Atlan, sondern auch für sie. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, als etwas silbern Schimmerndes aus dem Blätterdach auf ihn herabpeitschte. Bevor er recht wußte, was geschah, hing er in einem klebrigen Spinnennetz, das so fest war, daß es ihn an den Boden fesselte. Erschrocken sah er sich um. Eine schwarze Spinne, die größer war als er, stürzte sich zischend auf ihn.
2. »Wir müssen diesen Planeten so schnell wie möglich verlassen«, sagte Atlan, als Tyari sich am Fluß den Schlaf aus den Augen gewaschen hatte. »Im Augenblick hat die ARSENALJYK unsere Spur verloren, aber sie wird sie wiederfinden.« »Was hast du vor?« Sie wärmte sich die Hände über dem Feuer, das er entzündet hatte. »Willst du die ARSENALJYK kapern?« »Das ist unmöglich«, erwiderte er. »Aber wie willst du dann diesen Planeten verlassen? Ohne Raumschiff geht das nun mal nicht.« »Ich denke an Asgard«, erwiderte er. »Asgard ist eine Art organisches Raumschiff.« »Asgard steht unter der Fuchtel der Penetranz.« »Ich bin mir dessen bewußt. Aber das ist ein Problem, das zu lösen sein muß. Auch du hast unter dem Einfluß der Penetranz gestanden. Jetzt bist du frei.« »Dafür ist etwas anderes verantwortlich«, lächelte sie, und in ihren rötlichen Augen leuchtete ein warmes Licht auf. »Die Liebe.« »Wir müssen eben Mittel und Wege finden, Asgard zu befreien. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Oder willst du für alle Zeiten mit mir auf diesem Planeten bleiben?« Ihr Lächeln vertiefte sich. »Das klingt verlockend, aber ich träume eigentlich von einer anderen Zukunft«, entgegnete sie. »Dann sollten wir zunächst von hier verschwinden«, schlug er vor. »Die ARSENALJYK wird zurückkommen. Sie wird das Gebiet solange absuchen, bis sie uns gefunden hat.« »Wir sind schlecht ausgerüstet«, sagte sie. »Oder willst du dich von Ticker tragen lassen?« Atlan blickte zu dem Adler hinauf, der hoch auf dem Wipfel eines Baumes hockte und den neuen Tag mit einem schrillen Schrei begrüßte. »Nein. Ich habe eine andere Idee. Ich weiß nur noch nicht, ob sie sich verwirklichen läßt.« Sie saßen auf einem Felsplateau, auf das sie in dem unterirdischen Fluß hinausgeschwemmt worden waren. Die Hochfläche ging südlich von ihnen in einen sanft abfallenden Hang über, der von tellerförmigen Riesenpflanzen bedeckt war. Von diesem stiegen in unregelmäßigen Abständen mächtige Blätter auf, die Fallschirmen ähnelten. An ihrer Unterseite hingen an langen Fäden kopfgroße Samenkapseln. Vom Wind wurden die Blätter mit dem Samen weit über das Land hinausgetragen, das sich flach bis zum Horizont ausdehnte. Atlan schätzte, daß die Blätter die Samen über hundert Kilometer und noch mehr verbreiten konnten. »Diese Blätter«, sagte er. »Meinst du nicht, daß sie uns tragen können?« Tyari strich sich das weiße Haar aus der Stirn. »Wir könnten uns unter sie hängen. Eine verblüffende Idee. Und sie hat den Vorteil, daß wir spurlos verschwinden würden. Die ARSENALJYK könnte uns trotz aller technischer Raffinessen, mit denen sie ausgerüstet ist, kaum finden.« »Komm.« Sie sprang auf und eilte mit ihm zum Hang. In der Nähe einiger Pflanzen warteten sie und beobachteten, wie sich die Blätter lautlos von den Wurzeln der Pflanze lösten und im Wind rasch aufstiegen. Atlan packte eine der frei gewordenen Samenkapseln, um zu prüfen, wie stark der Auftrieb war. Das Blatt riß ihn augenblicklich in die Höhe, und er ließ los, um nicht zu hoch hinausgetragen zu werden. »Es geht«, sagte er. »Die Blätter sind wie große Flugdrachen.« »Wir sollten sie ein wenig präparieren«, schlug sie vor. »Ich stelle es mir nicht gerade angenehm vor, wenn wir uns in einer Höhe von mehreren hundert Metern nur mit den Händen festhalten können.« Atlan suchte zwei Blätter aus, von denen er glaubte, daß sie in den nächsten Minuten aufsteigen würden, schnitt einige Fäden aus anderen Blättern heraus und knüpfte einfache Sitze. Diese befestigte er an den Samenkapseln, half Tyari einzusteigen und kletterte einige Meter von ihr entfernt in einen anderen Sitz. Er blickte zu Ticker hinüber. »Ich hoffe, der hilft uns, beieinander zu bleiben.« »Bestimmt. Er beobachtet uns und hat den Plan bereits begriffen«, erwiderte sie. »Er wird uns begleiten.« »Du kannst seine Gedanken erfassen?« »Er denkt nicht in dem Sinn einer Intelligenz. Ich sehe instinktmäßige Gedankenmuster. Das sind keine Wörter oder gezielte Sätze, sondern Grundstimmungen, Bilder und JaNein-Entscheidungen. Mehr nicht.« »Das ist schon sehr viel.« Das Blatt, unter dem Tyari wartete, stieg ohne irgendwelche Vorzeichen plötzlich auf. Die Samenkapsel, auf der die junge Frau saß, löste sich aus der Wurzel der Pflanze, und der Wind riß das Flugblatt in die Höhe. Innerhalb von Sekunden entfernte Tyari sich so weit, daß Atlan ihre Stimme nicht mehr hören konnte. Er trat gegen die Samenkapsel unter sich, um sie zu lösen. Doch sie ließ sich nicht vorzeitig lockern. Er sah, daß sie mit zahllosen Häkchen versehen war, mit denen sie sich an die Wurzel klammerte. Nur unter dem Einfluß des Sonnenlichts sprangen die Häkchen auf. Daher mußte der Arkonide ausharren, bis Tyari seinen Blicken längst entschwunden war. Dann erst wurde die Samenkapsel plötzlich frei, und der Wind trieb ihn ebenfalls in die Höhe. Tickers Schrei hallte zu Atlan herauf. Der Arkonide drehte das Blatt, indem er das Gewicht verlagerte, bis er glaubte, Tyari ausmachen zu können. Unter ihr bewegte sich ein dichter Schwarm von Insekten. Langsam stieg er zu ihr auf. * Bruce Kayman blickte verstört auf das, was einmal seine Hand gewesen war. Erst ganz allmählich begriff er, daß ihn etwas Fremdes befallen hatte
und veränderte. Er hielt seine rechte Hand mit der linken, rannte durch die Wildnis und brüllte sein Entsetzen hinaus. Er verfluchte Anti-ES und die Penetranz, die er für das Geschehen verantwortlich machte, und er betete zu Gott in der Hoffnung, dieser werde ihn vor einem schrecklichen Ende bewahren. Nach einiger Zeit stieß er auf einen Bach, der bräunliches Wasser führte. Von einen unerklärlichen Durst befallen, stürzte er sich hinein und trank, soviel er konnte. Danach fühlte er sich ein wenig besser. Er watete den Bach aufwärts und legte den rechten Arm dabei auf den Rücken, um die Veränderung nicht mehr sehen zu müssen. Ich muß mich infiziert haben, dachte er. Irgendeine exotische Krankheit hat mich erwischt. Ich muß zurück zur ARSENALJYK. Nur dort gibt es Medikamente und vor allem Medoroboter. Er schalt sich einen Narren, daß er nicht schon viel früher umgekehrt und zu dem Raumschiff geeilt war. Ich bin nicht recht bei Verstand gewesen, dachte er. Jetzt erst wird mein Kopf klar. Ich werde gehen. Doch seine Beine trugen ihn weiter gegen die Strömung den Bach hinauf. Er wußte, daß er sich nach rechts hätte wenden müssen, wenn er die ARSENALJYK finden wollte, doch er tat es nicht. Seine Gedanken bewegten sich in der einen Richtung, sein Körper in der anderen. Er erkannte diese Tatsache, lehnte sich jedoch nicht dagegen auf, sondern beobachtete sich, als sei er ein fremdes Wesen, dessen Schicksal höchstens von wissenschaftlichem, nicht aber von persönlichem Interesse war. Er geriet auch nicht in Panik, als ihm nach einiger Zeit auffiel, daß er ebenfalls an der linken Hand keine Finger mehr hatte. Das Wasser wurde immer tiefer. Zunächst reichte es ihm bis an die Oberschenkel, dann bis zu den Hüften, bis zur Brust und schließlich bis zum Hals. Dennoch blieb er im Bach. Verwundert betrachtete der die Bäume und Büsche an den Ufern. Sie schienen größer geworden zu sein. Was ist los? fragte er sich. Wohin bin ich geraten? Irgendwie stimmen die Proportionen nicht mehr. Ich komme mir vor wie ein Kind, das sich durch die Welt der Erwachsenen bewegt. Er brauchte nunmehr nur den Kopf ein wenig zu neigen, um trinken zu können. Seine Kehle war wie ausgetrocknet, und er sog das Wasser in sich hinein, bis er Magenschmerzen hatte. Dann schleppte er sich weiter den Bach hinauf, erreichte einige Klippen, kletterte auf allen vieren über diese hinweg und sah sich plötzlich einem kahlen Hügel gegenüber, der sich braun und häßlich vor ihm erhob. Faust! dachte er. Das ist genau das, was du gesucht hast. Während er sich auf den eisenhaltigen Sand des Hügels stürzte, fragte er sich, warum er sich selbst »Faust« genannt hatte. Was soll der Unsinn? Mein Name ist ... Verwirrt hielt er inne. Er wußte genau, daß er einen anderen Namen gehabt hatte, aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Na schön, resignierte er, während er vergeblich versuchte, eine Handvoll Sand herunterzuschlucken. Bleiben wir bei Faust. Faust! Seltsamerweise fiel es ihm nicht schwer, auf allen vieren zum Bach zurückzukehren. Er bewegte sich leicht und schnell auf seinen vier Beinen, so daß er sich nun gar nicht mehr vorstellen konnte, daß er einmal auf zwei Beinen gelaufen war. Ein unangenehmer Druck lag auf seiner Brust. Irgend etwas schien in ihm zu sein, was machtvoll nach außen drängte. Faust wollte den Kopf senken und an sich herabsehen, aber das war unmöglich. Ich habe keinen Kopf mehr! erkannte er bestürzt. Ich bin vollkommen verändert. Er konnte seine Umgebung klar und deutlich erkennen. Er hatte einen Mund, und er hörte das Plätschern des Wassers im Bach, den Gesang der Vögel und die Drohlaute jagender Tiere im Wald. Vorsichtig hob er eines der beiden vorderen Beine und strich sich damit über die Augen. Sein Körper fühlte sich hart und kantig an. Er war eindeutig rechteckig und hatte keinerlei Ähnlichkeiten mehr mit dem Körper, in dem er vorher gelebt hatte. Während Faust sich dessen in aller Deutlichkeit bewußt wurde, blieben nun auch seine Bemühungen fruchtlos, sich an seine vorherige Erscheinungsform zu erinnern. Ihm wurde lediglich klar, daß er jetzt viel kleiner war als zuvor. Deshalb kam mir das Wasser so tief vor, erkannte er. Aber nicht das Wasser ist tiefer geworden, sondern ich bin geschrumpft. Er bedauerte nicht, was geschehen war. Trotz einiger kleiner Umstellungsschwierigkeiten fühlte er sich wohl in seinem Körper. Er stieß ein Stück Holz zur Seite, das ihm im Weg war, und zertrümmerte es dabei. Kleiner, aber kräftiger! staunte er. Meine Molekularstruktur hat sich verdichtet. Es wäre nicht schlecht, wenn jetzt irgendein Gegner auftauchen würde, mit dem ich mich auseinandersetzen kann. Ich wüßte gern, wie stark ich bin. Es schien, als habe die Natur des Planeten seine Gedanken vernommen. An der Flanke des Eisenbergs erschien der Kopf einer Schlange. Er konnte nur einen kleinen Teil des Tieres sehen, begriff aber, daß es erheblich größer war als er selbst. So habe ich es nicht gemeint! erschrak er. Ich habe nicht nach einer derart überlegenen Bestie gerufen! * Ich werde größer, erkannte Zeh, der sich kaum noch an seinen früheren Namen Flash Zehanian erinnerte. Die Arme und Beine sind nicht geschwollen, sondern sie sind dicker geworden. Interessiert betrachtete er die langen Stacheln, die ihm an Armen und Beinen gewachsen waren. Sie erhoben sich über festen Muskelsträngen, wie er sie nie zuvor gehabt hatte. Es ist tatsächlich eine Metamorphose. Ich bin kein Mensch mehr, sondern werde zu einem Geschöpf dieser Welt. Wahrscheinlich ist das gut so, denn in dieser Gestalt habe ich bessere Überlebenschancen. Er beugte sich tief über das Wasser und trank. Als er aufblickte, bemerkte er funkelnde Facettenaugen in dem Blätterwerk eines Busches. Sie waren größer als alle Augen dieser Art, die er je
gesehen hatte. Erschrocken fuhr er zurück, und im gleichen Augenblick schoß ein in vielen Farben schillerndes Wesen auf ihn zu. Messerscharfe Krallen streckten sich nach ihm aus. Zeh warf sich kraftvoll zur Seite und entging nur ganz knapp dem ersten Angriff des Rieseninsekts, das ihn an Bilder erinnerte, die er von einer terranischen Gottesanbeterin gesehen hatte. Unglaublich schnell wirbelten die sechs Greif- und Schneidezangen des Insekts durch die Luft und fuhren krachend auf ihn herab. Die Schläge erschütterten seinen Körper, doch die Waffen des bizarren Angreifers glitten wirkungslos an den Dornen seiner Arme und Beine ab. Zeh hatte dennoch Mühe, die wilden Attacken abzuwehren. Er wich Schritt für Schritt zurück und stemmte seinem Gegner die Arme und Beine entgegen. Mit dieser Verteidigung erreichte er jedoch nur, daß sich die Angriffswut des Insekts steigerte. Das Tier stieß laute Schreie aus, um ihn einzuschüchtern, und spie eine gelbliche, übelriechende Flüssigkeit auf ihn. Es dauerte nicht lange, bis Zeh den ersten Schrecken überwunden hatte. Dann packte ihn der Zorn. Sah diese Bestie denn nicht ein, daß sie ihn nicht überwältigen konnte? Warum gab sie nicht auf? Warum griff sie wieder und wieder an? Er schlug mit einem Arm zurück und zerschmetterte eine der sechs Zangen. Überraschenderweise zerbrach der Chitinpanzer des Insekts, ohne daß er sich sonderlich angestrengt hatte. »Ach, so ist das?« rief Zeh. Entschlossen wiederholte er den Angriff, und diesmal traf er das Rieseninsekt hinter dem kantigen Kopf. Er vernahm einen wilden Schrei, dann zerplatzte der Panzer, und der Kopf rollte ins Gras. Unschlüssig blieb Zeh stehen. War sein Gegner nun wirklich erledigt, oder konnte er auch ohne Kopf weiterkämpfen, weil das Haupthirn in einem unverletzten Körperteil steckte? Dumme Frage! schalt er sich. Was überlegst du eigentlich? Du hast einen Bärenhunger. Also sieh zu, daß du satt wirst. Er griff nach dem abgebrochenen Insektenarm, konnte ihn mit seinen ungestalten Händen jedoch nicht packen. Daher drückte er ihn mit einem Arm auf den Boden, preßte seinen Mund gegen das offene Ende und saugte ihn aus. Das Insektenfleisch schmeckte unerwartet gut. Es war außerordentlich zart und hatte ein feines Aroma, das ihm völlig unbekannt war, seinen Appetit jedoch bis ins Unermeßliche steigerte. Daher stürzte er sich förmlich auf den Kadaver des Insekts und verzehrte alles, was er daraus entnehmen konnte, so daß am Ende nur eine leere Hülle zurückblieb. Er empfand keinerlei Ekel dabei und überlegte bereits, wo er ein weiteres Exemplar dieser Tierart finden konnte. Sein Hunger war noch nicht gestillt. Ich wachse, sagte er sich. Ich brauche Eiweiß, je mehr, desto besser. Ich muß mich stärken, denn irgendwo in der Wildnis verbirgt sich Atlan. Früher oder später werde ich gegen ihn kämpfen. Ich habe geglaubt, daß ich frei bin, aber das war ein Irrtum. Die Penetranz hat mich aus der ARSENALJYK entlassen, weil sie will, daß ich zu einem Kämpfer werde, den Atlan zu fürchten hat. Er bedauerte nicht, daß er seine vermeintliche Freiheit wieder verloren hatte. Dazu war er gar nicht in der Lage. Der Umwandlungsprozeß nahm ihn voll in Anspruch, und wenn überhaupt Gefühle wegen des unheimlichen Geschehens in ihm aufkamen, so richteten sie sich ausschließlich gegen den Arkoniden. Du bist nicht allein! wisperte es in ihm. Da sind auch noch Faust und Alleshirn. Sie haben die ARSENALJYK ebenfalls verlassen, weil ich es so wollte. Sie werden deine Verbündeten sein. Zeh trabte zum Wasser, stürzte sich kopfüber hinein und trank soviel, wie er nur aufnehmen konnte. Faust und Alleshirn waren also die anderen. Er würde sie finden und sich mit ihnen verbünden. Und danach? Wehe dir, Atlan! * Alleshirn spürte den Druck, mit dem der Giftstachel der Spinne aufschlug, und er glaubte, sein Ende sei gekommen. Seine Reaktion kam viel zu spät. Er konnte nicht mehr fliehen und der tödlichen Waffe entgehen. Aus! durchfuhr es ihn. Das ist der Tod. Doch er irrte sich. Der Stachel durchbohrte seine Haut nicht, sondern prallte davon ab wie von einer elastischen Wand und wurde zurückgeschleudert. Im nächsten Moment glitt Alleshirn zur Seite, wich den schlagenden Spinnenbeinen aus, durchbrach das Netz und stieg einige Meter in die Höhe. Das Raubinsekt war jedoch nicht gewillt, ihn so ohne weiteres entkommen zu lassen. Es schnellte sich zu ihm hoch und umklammerte ihn, um ihn abermals mit dem Giftstachel anzugreifen. Wie nicht anders zu erwarten, scheiterte auch dieser Versuch. Alleshirn beschleunigte plötzlich, flog durch die Äste eines Baumes und streifte dabei die Spinne ab. Sie fiel auf den Boden und kauerte sich wütend zischend ins Gras. Ihre Facettenaugen funkelten im Licht der Sonne. Erstaunlich! dachte Alleshirn verwundert. Ich bin unverwundbar. Er blickte auf die Spinne herab. Ein widerliches Biest, dachte er. Ich werde es vernichten. Ein solches Untier darf nicht existieren. Falsch! hallte es in ihm wider. Überrascht horchte er in sich hinein. Wer hatte geantwortet? Die Penetranz war es nicht gewesen. Sie hätte er erkannt. Es war überhaupt niemand gewesen, zu dem er in irgendeiner Weise Verbindung hatte. Der Ruf aber war da gewesen. Wer bist du? fragte er mit hoher mentaler Konzentration. Alles! lautete die Antwort. Sie kam wie ein Windhauch und schien aus ihm selbst herauszuklingen.
Alleshirn glaubte, ein unverständliches Wispern zu vernehmen, das aus mehreren Richtungen zugleich kam. Er horchte, weil er hoffte, irgend etwas verstehen zu können. Doch seine Mühe war vergeblich. Er erfaßte den Sinn dessen nicht, was ihm die Stimme mitteilen wollte. Er haßte die Spinne, weil sie ihn angegriffen hatte. Schon immer hatte er sich vor Spinnen geekelt. Ihn interessierte nicht, daß diese Spinne ein Glied in einer Kette ökologischer Abhängigkeit war. Sie spann zahlreiche Netze durch den Wald. Auf ihnen fanden Kleinstlebewesen Enzyme, ohne die sie nicht existieren konnten. Die Ausscheidungen dieser Kleinstlebewesen enthielten wiederum Stoffe, die für die Bäume schädliche Insekten fernhielten. Von den Bäumen war eine Reihe von Tierfamilien abhängig, die auf den baumlosen Ebenen nicht hätten überleben können. Verwundert fragte Alleshirn sich, woher er das plötzlich alles wußte. Oder bildete er es sich nur ein? Er blickte auf die Spinne hinab, die sprungbereit zwischen den Büschen kauerte und ihn mit funkelnden Augen beobachtete. Sie ist es, die mir das alles einreden will, sagte er sich. Diese Bestie will mir weismachen, daß sie unersetzlich ist. In der Außenhülle von Alleshirn bildete sich eine tiefe Mulde. An deren tiefstem Punkt öffnete sich die Haut, und eine kleine rote Kugel schoß daraus hervor. Sie stürzte auf die Spinne herab, durchschlug deren Rückenhaut und tötete sie auf der Stelle. Alleshirn vernahm einen gellenden Todesschrei, der nicht nur von dem Rieseninsekt zu kommen schien. Alleshirn lachte. Es war ein lautloses Lachen, das niemand außer ihm wahrnehmen konnte. Vielleicht war diese Spinne im Rahmen ökologischer Abhängigkeiten wirklich wichtig. Aber was ging ihn das an? Was interessierte ihn, wenn ein Stück Natur zugrunde ging?
3. Faust kroch rückwärts auf seinen vier Beinen. Vorsichtig entfernte er sich von der Schlange, deren funkelnde Augen jede seiner Bewegungen verfolgten. Er wagte nicht, sich umzudrehen, um nachzusehen, wie weit es noch bis zum Wasser war, denn er fürchtete, daß das Reptil gerade in einem solchen Moment der Unaufmerksamkeit zuschlagen könnte. Das wäre dir gerade recht, verdammter Arkonide! dachte er. Wenn ich gefressen werde, hast du einen Gegner weniger. Das Licht der Sonne schuf eigenartige Reflexe in den Augen der Schlange. Es funkelte und leuchtete in einer Art und Weise in ihnen, die Faust in seinen Bann schlug. Er konnte seine Blicke nicht von diesen Augen abwenden. Er muß sie unverwandt ansehen, als wäre er durch ein unsichtbares Band mit ihnen verbunden. Plötzlich aber stieß eines seiner hinteren Beine ins Leere, und sein kastenförmiger Körper drohte aus dem Gleichgewicht zu geraten. Faust verharrte auf der Stelle. Was für ein Narr bist du doch! schalt er sich. Bildest du dir wirklich ein, daß du vor dieser Bestie fliehen kannst? Sie ist viel zu schnell für dich. Dir hilft nur eins. Du mußt sie angreifen und erledigen. Zumindest mußt du ihr zeigen, daß sie es nicht mit dir aufnehmen kann, solange du die Möglichkeit hast, deine Waffe einzusetzen. Erschrocken erkannte er, daß der Schlangenkopf ihm in den vergangenen Sekunden – oder waren es Minuten? – um mehrere Meter näher gekommen war. Du mußt etwas tun, oder es ist zu spät! tönte es in ihm. Er atmete einige Male tief durch, bis sich ein Gefühl schier unerträglicher Spannung in seinem Rumpfkörper einstellte. Dann bildete sich plötzlich eine ovale Öffnung auf der Vorderseite seines Körpers und ein metallisch blitzender Ball schoß mit hoher Beschleunigung daraus hervor. Eine stählerne Faust raste auf die Schlange zu. Das Wesen, das einmal Bruce Kayman gewesen war, schrie laut auf. Es beobachtete den Flug der Faust und stellte voller Entsetzen fest, daß es falsch gezielt hatte. Die Stahlkugel flog um Zentimeter an dem Schlangenkopf vorbei. Sie war mit einem dünnen, kaum sichtbaren Faden mit Faust verbunden. Dieser Faden riß nicht ab, als er sich auf seine volle Länge gestreckt hatte. Vielmehr zwang er den Sklaven der Penetranz, der Kugel zu folgen und schleuderte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt nach vorn. Die Kugel verlor ihren Schwung und fiel auf den Boden. Faust aber wirbelte durch die Luft. Er landete unmittelbar vor dem Schlangenkopf auf dem Geröll, und bevor er sich’s versah, hatte das Reptil ihn verschlungen. Faust erlitt einen Schock, und während er instinktiv den Faden mit der daran hängenden Stahlfaust einzog, ließ er sich widerstandslos tiefer und tiefer in den Magentrakt der Schlange würgen. Überraschenderweise litt er nicht unter Atemnot, und die Verdauungssäfte des Reptils weichten seine Haut nicht auf. Als störend empfand er lediglich die absolute Dunkelheit, die ihn umgab. Irgendwann hatte er den Faden soweit in sich gezogen, daß auch die Stahlfaust zu ihm zurückkehrte. Er fühlte, wie sie in die Öffnung an der Vorderseite seines Körpers glitt, und im gleichen Moment überwand er seinen Schock. Er hatte keine Grund, aufzugeben. Er war noch lange nicht verloren. Im Gegenteil. Jetzt brauchte er noch nicht einmal mehr zu zielen, wenn er die Schlange treffen wollte. Er brauchte die Faust nur blindlings abzuschießen und konnte sicher sein, daß er eine beträchtliche Wirkung erzielen würde. Ein wenig verringert wurden seine Chancen lediglich dadurch, daß er die zum Abschuß notwendige Spannung nicht mit Hilfe der Atmung aufbauen konnte. Doch er hatte noch andere Möglichkeiten. Er erhöhte stufenweise seinen Blutdruck, bis die nötige Gewebespannung erreicht war, dann gab er die Stahlfaust frei. Er spürte, wie sie durch die Öffnung herausschoß. Dann zerriß etwas, und helles Licht strömte zu ihm herein. Faust wühlte sich durch die klaffende Wunde nach draußen und stürzte sich sogleich ins Wasser, um die unangenehm riechenden Körpersäfte der Schlange abzuwaschen. Als er wenig später wieder auf festen Boden zurückkehrte, sah er das Riesenreptil. Es lag tot im Geröll. Die Faust hatte es förmlich zerrissen. Faust hätte schallend gelacht, wenn er dazu fähig gewesen wäre. Er konnte jedoch – wegen seines veränderten Körpers – nicht mehr lachen. So machten er seinen Triumphgefühlen dadurch Luft, daß er die Stahlfaust gegen einen Baumstamm abfeuerte. Vergnügt beobachtete er, wie dieser beim Aufschlagen des Geschosses regelrecht pulverisiert wurde. Er meinte, Atlan vor sich zu sehen. Warte nur! dachte er. Sobald ich dich in Schußnähe habe, werde ich es dir zeigen. Gegen meine Stahlfaust gibt es keine Abwehr. Wenn sie trifft, ist alles vorbei. Und sie wird dich treffen, Atlan! Er glaubte, ein fernes Wispern zu vernehmen. Überrascht horchte er. Tatsächlich war da eine Stimme. Sie verriet ihm, daß er nicht allein war. Nicht nur er hatte die ARSENALJYK verlassen, sondern auch Zeh und Alleshirn. Wer auch immer das sein mochte, er mußte sie finden. Es waren seine Verbündeten im Kampf gegen Atlan. * Mit wachsender Sorge beobachtete Atlan die junge Frau. Er hatte in den vergangenen Minuten aufgeholt, war jedoch noch immer etwa zweihundert Meter von Tyari entfernt. Er sah ihr silbern schimmerndes Haar im Wind flattern. Sie flog höher als er, und da sie nicht so schwer war wie er, hatte sie einen besseren Auftrieb, und es schien, als nutze sie darüber hinaus die thermischen Winde konsequenter als er. Noch hatte sie den Insektenschwarm nicht bemerkt, der ihr unaufhaltsam näherrückte, und fieberhaft überlegte der Arkonide, was er tun konnte, falls dieser Tyari tatsächlich angreifen sollte. Ihm fiel nichts ein. Gegen große Tiere konnte er kämpfen. Er konnte sie töten oder sie überlisten und ins Leere laufen lassen. Was aber sollte er gegen Hunderte von Insekten tun, die gemeinsam über Tyari oder ihn herfielen? Er wußte es nicht. Verzweifelt blickte er zu Ticker hinab, der etwa zweihundert Meter unter ihm flog. Warum unternahm der Adler nichts? Hatte er die Gefahr noch nicht bemerkt?
Tyari drehte sich um. Lachend winkte sie zu ihm herab. Sie schien sicher zu sein, daß sie ihren Feinden endgültig entkommen waren, und daß es nun nur noch darauf ankam, Asgard zu finden. Dann aber bemerkte sie den Insektenschwarm, und ihre Hand sank herab. Atlan glitt an dem Hang eines Berges entlang, der sich mitten aus der Ebene erhob, und geriet in den Sog rasch aufsteigender Luft, so daß sich die Entfernung zwischen ihm und Tyari schnell verringerte. Er schlug nach einigen der libellenartigen Insekten, die nun auch ihn bedrohten, konnte jedoch nicht verhindern, daß sich mehrere dieser kleinen, blau schimmernden Tiere an seine Hand krallten und ihn stachen. Heftige Schmerzen durchzuckten ihn und lähmten seinen Arm für Sekunden bis zur Schulter hinauf. Mit kräftigen Schlägen auf seine Hand tötete er die Insekten, erschreckt über die Auswirkung der Stiche. »Paß auf!« rief er Tyari zu. »Sie stechen.« Der Schwarm teilte sich. Immer mehr Insekten umschwirrten den Arkoniden, der sah, daß Tyari sich mit wirbelnden Armen gegen die Angreifer wehrte. Das Blatt, unter dem die junge Frau hing, schwankte bedrohlich, und innerhalb von wenigen Sekunden verlor Tyari wenigstens hundert Meter Höhe, ohne sich aus dem Schwarm befreien zu können. Atlan beobachtete, daß sich einige der Libellen über ihm an den Fäden zu schaffen machten. Sie zerfressen die Fasern, erkannte er. Ich werde abstürzen, wenn nichts geschieht. Er hatte eine Höhe von etwa vierhundert Metern erreicht. Unter ihnen lag ein ausgedehntes Moor mit zahllosen Tümpeln und kleinen Bauminseln. Er begriff, daß sie ohne Tickers Hilfe nie mehr herauskommen würden, wenn sie in diesem heimtückischen Gebiet landen mußten. »Ticker«, schrie sie. »Hilf uns.« Tyari konnte die instinktmäßigen Gedankenmuster des Vogels erfassen, wußte also, was in dessen Gehirn vorging. Ihr Verhalten signalisierte Atlan, daß Ticker überhaupt noch nicht wahrgenommen hatte, in welcher Gefahr sie schwebten. Ein Ruck ging durch den Vogel, und plötzlich schien er verschwunden zu sein. Der Arkonide blickte angestrengt nach unten, während er um sich schlagend die Insekten abzuwehren versuchte. Ticker war nicht mehr auszumachen. Mit Hilfe der Mimikry hatte er sich seiner Umgebung derart angepaßt, daß er sich nicht mehr von dem Grün der Blätter abhob. Oder war er tatsächlich nicht mehr da? Hatte der treue Helfer sich plötzlich von ihnen abgewendet? Atlan zuckte zusammen, als er es neben sich rauschen hörte. Er blickte zur Seite, und entdeckte den Adler, der das Versteckspiel in diesem Moment aufgab und damit sichtbar wurde. Sein Gefieder zeigte das gewohnte graue Bild. »Wir brauchen deine Hilfe«, sagte der Arkonide. »Vertreibe die Insekten.« Er zuckte zusammen, als er erneut gestochen wurde. Dieses Mal hatten sich die Angriffe auf seinen Hals gerichtet. Vor seinen Augen flimmerte es. Atlan glaubte, melodische Pfiffe und das Schwirren von vielen, kleinen Schwingen zu vernehmen. Blind schlug er um sich, und erst allmählich klärten sich seine Blicke wieder. Zunächst sah er, daß Tyari in einer Wolke wild flatternder Vögel verschwunden war. Dann bemerkte er einen Schwarm gleicher Vögel hinter sich. Die Tiere hatten ein leuchtend grünes Gefieder, und sie schnappten gierig nach den libellenartigen Insekten. Atlan griff in die Fäden seines Flugblatts und verlagerte gleichzeitig sein Gewicht, um sich auf diese Weise an Tyari heranzusteuern. Die junge Frau saß mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihrem primitiven Sitz und preßte die Hände gegen den Hals. Ihre Augen waren geweitet, aber sie sahen den Arkoniden nicht. »Tyari – was ist los?« »Sie haben mich gestochen«, antwortete sie mühsam. »Es tut so weh.« »Das gibt sich gleich«, versuchte er sie zu trösten. »Ich bin blind. Was ist los? Sind diese Biester noch da? Ich höre etwas rauschen.« »Ticker hat uns geholfen. Ein Schwarm kleiner Vögel hat die Insekten gefressen.« »Offensichtlich ist nicht die ganze Natur dieses Planeten auf unserer Seite«, bemerkte sie. »Es gibt Ausnahmen.« »Wir werden damit fertig. Für uns ist nur wichtig, daß wir Asgard schnell finden und für uns gewinnen.« Sie schüttelte den Kopf, um die Benommenheit zu vertreiben, und massierte sich die Schläfen. »Allmählich kann ich wieder sehen«, berichtete sie. »Ich dachte, diese Libellen bringen uns um. Es war ein gezielter Angriff, nicht wahr?« »Das könnte sein, aber ich bin noch nicht davon überzeugt. Es kann auch Zufall gewesen sein. Vielleicht sind die Insekten durch irgend etwas gereizt worden.« Sie nickte nachdenklich. »Ticker sollte bei uns bleiben«, schlug sie dann vor. »Nur er kann uns helfen, wenn es noch einmal zu so einem Vorfall kommen sollte.« »Wir müssen uns entscheiden, Tyari. Wenn wir diesen Planeten verlassen wollen, dann haben wir keine andere Wahl. Dann müssen wir den Adler auf die Suche nach Asgard schicken.« Sie streckte ablehnend eine Hand aus, und ihre rötlichen Augen verdunkelten sich. »Ich möchte das nicht noch einmal erleben. Es war scheußlich. Ich glaube, ich habe noch nie solche Angst gehabt.« »Es ist ja überstanden, Tyari.« »Und was tun wir, wenn der nächste Schwarm kommt?« Sie fuhr sich über die Augen, schüttelte erneut den Kopf und sagte: »Aber natürlich sehe ich ein, daß nur Ticker die Kugel finden kann. Er soll sich beeilen.« Sie schien sich ihrer Widersprüchlichkeit nicht bewußt zu sein. Während sie noch über das Risiko nachzudenken schien, das sie zwangsläufig eingehen mußten, wenn Ticker sich auf die Suche machte, setzte sie ihre telepathischen Fähigkeiten bereits ein, um den Vogel über seine Aufgabe zu informieren. Atlan blickte voraus. Er sah, daß sie sich einer Seenplatte mit vielen kleinen Inseln näherten. Dahinter lag ein flacher Bergrücken, von dem die meisten Flugblätter abgefangen wurden. Nur wenige konnten die Anhöhe überwinden und in die Steppe hinausgleiten, die sich jenseits des Rückens ausdehnte. Atlan erkannte, daß auch sie es nicht schaffen würden, bis in die Steppe zu kommen. Schon jetzt waren sie kaum noch hundertfünfzig Meter hoch, und sie verloren ständig an Höhe.
* Zeh tauchte schnaufend auf und trabte zum Ufer. Er hatte keinen Durst mehr, sein Hunger aber zerriß ihm schier die Gedärme. Er konnte es nicht fassen. Vor wenigen Sekunden war er noch so satt gewesen, daß ihm allein bei dem Gedanken ans Essen schon übel wurde. Und nun hätte er am liebsten das Laubwerk der Büsche verzehrt. Ich wachse, sagte er sich. Ich werde so schnell größer, daß man sehen kann, wie ich wachse. Er blickte an sich entlang. Er glich einem etwa zwei Meter langen Wurm, der mit Hunderten von Stacheln versehen war. In der Nähe bewegte sich etwas. Zeh schob sich rasch voran. Er durchbrach das Unterholz, glitt über eine Anhöhe und sah dann ein ungefähr fünf Meter langes und zwei Meter hohes Wesen, das sich schwerfällig auf sechs Beinen voranbewegte. Kopf, Schwanz und die Beine ragten aus einem mächtigen Panzer hervor, der den Rumpfkörper eiförmig umschloß. Von maßloser Gier getrieben, stürzte Zeh sich auf das Wesen und versuchte, ihm den Kopf abzubeißen. Dieser aber zog sich blitzschnell in den Panzer zurück, und zwei Klappen verschlossen die Öffnung, in welcher der Kopf verschwunden war. Als Zeh das Wesen lauernd umkreiste, stellte er enttäuscht fest, daß auch die Extremitäten und der Schwanz unter dem Panzer verborgen, und daß alle Löcher im Panzer durch Klappen verschlossen waren, die ihn an die Schotte der Raumschiffe erinnerten. Wütend warf er sich gegen den Panzer, richtete jedoch nichts aus. Die Schutzhülle hielt. Zeh umrundete das Wesen mehrere Male und kam dann zu dem Schluß, daß er es nicht bezwingen konnte. Er beschloß, auf der Suche nach Alleshirn und Faust nach anderer Beute zu suchen. Die Namen Faust und Alleshirn waren ihm so vertraut, daß er nicht darüber nachdachte, woher er sie kannte. Er wollte sich abwenden, feuerte zuvor jedoch in seiner Enttäuschung und Wut noch einen der Stachel ab, die er am Kopf trug. Der fingerlange Pfeil schlug krachend in den Panzer und blieb darin stecken. Zeh bemerkte überrascht, daß er wie ein Keil wirkte und einen Riß geschaffen hatte. Er schoß nun einen weiteren Stachel ab und zielte dabei so gut, daß dieser Zentimeter neben dem anderen in den entstandenen Spalt traf und diesen dabei verlängerte. Er stieß einen Triumphschrei aus und jagte sieben weitere Stachel in den Panzer. Sie alle bohrten sich tief in die harte Hülle und brachen dabei eine kreisförmige Platte auf. Sie hatte einen Durchmesser von etwa einem Meter. Voller Gier warf Zeh sich dagegen und stemmte sie heraus. Blut schoß pulsierend aus der Wunde. Zeh stürzte sich auf sie und stillte seinen Hunger, ohne daß sein Opfer sich wehrte. Es schien, als spüre dieses überhaupt nicht, was geschah. Zeh fraß soviel, daß er sich anschließend kaum noch bewegen konnte. Ächzend ließ er sich ins Gras zurückfallen, ließ den Kopf auf den Boden sinken und schlief erschöpft ein. Wenig später kamen andere Tiere aus dem Dickicht hervor, sicherten ängstlich, bis sie ihre Scheu überwunden hatten, und taten sich dann ebenfalls an dem gepanzerten Wesen gütlich. Es waren Tiere aller Art und Größe. Sie schlangen in sich hinein, was sie nur erbeuten konnten. Einige griffen Zeh an, der mittlerweile bis auf eine Länge von mehr als drei Metern angewachsen war. Doch sie konnten nichts gegen ihn ausrichten. Ihre Zähne glitten wirkungslos an seiner stacheligen Haut ab. Er wachte einmal kurz auf, registrierte, daß ihn niemand gefährden konnte, und schlief gelassen weiter. Er war nicht nur größer, sondern auch durch eine spezielle Panzerung zu einem unbesiegbaren Gegner geworden. Als er seine Ruhepause beendet hatte, entfernte er sich in aller Ruhe von seinem Opfer, ohne die Tiere zu beachten, die sich zwischen den Stacheln auf seinem Rücken niedergelassen hatten, oder die sich ihm drohend in den Weg stellten. Einen Büffel, der größer war als er selbst, und der nicht weichen wollte, schleuderte er mit einer leichten Kopfbewegung in die Büsche. Er schob sich einige Kilometer weit durch den Wald, als wisse er genau, wohin er sich zu wenden habe. Dann stieß er auf ein eiförmiges Gebilde, das in etwa zwei Metern Höhe zwischen den Bäumen schwebte. Es sah aus wie ein von seiner Schädeldecke befreites Gehirn. Deine Entwicklung ist abgeschlossen, klang eine Stimme in ihm auf. Der Kampf gegen Atlan kann beginnen. Wir drei werden es schaffen. Wo ist Faust? fragte er. Nicht weit von hier, antwortete Alleshirn. Auch er ist vollkommen. Er hat begriffen, und er weiß, was er zu tun hat, wenn wir Atlan gefunden haben. Zeh eilte hinter dem schwebenden Wesen her, das wie ein Gehirn aussah. Ungestüm brach er durch das Unterholz. Haß und Ungeduld trieben ihn voran. Er wollte der Penetranz zeigen, daß er die neugewonnenen Fähigkeiten konsequent zu nutzen bereit war. * Tyari blickte Ticker nach, bis er in der Ferne verschwand. »Er wird Asgard finden«, sagte der Arkonide. »Ich bin fest davon überzeugt.« Sie waren auf der Anhöhe gelandet und standen nun auf einer blühenden Wiese. Tyari ließ sich auf einen Stein sinken. »Es ist so friedlich hier«, lächelte sie. »Ja, man könnte mißtrauisch werden.« Sie lachte. »Wir sind nicht immer nur von Gefahren umgeben.« »Solange Anti-ES die Jagd auf uns nicht aufgegeben hat, leider doch. Und unser Freund hat nicht aufgegeben. Ich bin sicher, daß er längst eine neue Teufelei gegen uns ausgeheckt hat.« Tyari sah sich um. Sie hatte selten eine so friedlich wirkende Landschaft gesehen. Tatsächlich hatte es auf dieser Welt nie Intelligenzen gegeben, die in der Natur ihre zerstörerischen Spuren hätten hinterlassen können. Auf dem Arsenal-Planeten gab es eine Flora und Fauna, die ein in sich geschlossenes ökologisches System bildeten. Atlan, sie selbst, die Penetranz und das Arsenal waren lediglich Besucher, die früher oder später wieder verschwinden würden, entweder dadurch, daß sie in den Weltraum starteten – oder durch ihren Tod.
»Warum so nachdenklich?« fragte Atlan. Er setzte sich neben sie. »Nichts. Es ist nichts.« »Du überlegst, warum uns die Natur dieses Planeten geholfen hat?« »Auch das. Zumindest ein Teil der Natur hat sich auf unsere Seite gestellt. Es war eine Reaktion, die man mit einiger Einschränkung instinktiv nennen könnte.« »Ein Gemeinschaftsinstinkt aller Tiere und Pflanzen in einem bestimmten Bereich des Planeten?« »Sicherlich waren nicht alle Tiere und Pflanzen daran beteiligt, sondern wiederum nur ein Teil. Doch das genügte. Es war eine Abwehrreaktion gegen die Anwesenheit der Penetranz und die des Arsenals.« Sie strich sich eine weiße Locke aus der Stirn. »Ticker ist Ausdruck der Verteidigung der Natur. Er setzt sich für uns ein.« »Und jetzt haben wir möglicherweise den Bereich der Natur verlassen, der für uns und gegen das Arsenal ist«, ergänzte er. »Du fragst dich, ob es hier nicht zu einer Reaktion gegen uns kommen wird.« »Genau das wollte ich sagen«, bestätigte sie. »Der Angriff der Libellen könnte eine Warnung sein, die wir ernst nehmen müssen.« Mit einem Schlag verlor sich das Gefühl, sich inmitten einer friedvollen Landschaft zu befinden. Tyari stand auf. Voller Unbehagen sah sie sich um. »Es darf nicht zu einem Kampf mit diesem Teil der Natur kommen«, betonte sie. »Es wäre unser Ende.« »Bleibt die Frage, wie wir uns verhalten müssen, damit die Natur nicht rebellisch wird.« »Ich glaube nicht, daß wir das verlernt haben.« Ihre Haltung versteifte sich, als einige Fluginsekten in ihrer Nähe auftauchten und dann scheinbar ziellos hin und her flogen. »Nicht doch«, sagte er leise, als ihre Hand zum Kolben des Energiestrahlers glitt. »Du wirst doch nicht mit einer solchen Waffe auf ein paar Bienen schießen, nachdem du mir gerade erklärt hast, wie wichtig es ist, die Natur nicht gegen uns aufzubringen?« »Sie sind aggressiv«, erläuterte sie. »Ich spüre es, aber ich weiß nicht, ob wir es sind, die sie herausfordern.« »Bestimmt nicht.« Atlan zeigte auf die Fluginsekten, die tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Bienen hatten, als diese sich gemeinsam auf einen großen Käfer stürzten, der unter einigen Blättern verborgen gewesen war. »Es ist der arme Kerl dort. Er wird es nicht überleben.«
4. Wiederum vernahm Faust ein Flüstern und Wispern, das ihn mit unwiderstehlicher Gewalt anlockte. Alleshirn und Zeh riefen ihn, und er folgte ihrem Ruf, weil er wußte, daß der Kampf gegen Atlan begann, sobald er mit den beiden anderen zusammentraf. Er hastete durch den Dschungel, verschlang hier eine Riesenraupe, dort einen medusenartigen Lurch, eine Spinne oder einen Vogel, der zu spät aus seinem Nest flüchtete. Dabei spürte er, daß er jegliche Nahrung, die er zu sich nahm, augenblicklich in Körpersubstanz umsetzte. Die Struktur seiner Haut verdichtete sich immer mehr, bis sich schließlich ein elastischer Panzer herausgebildet hatte, den Faust für undurchdringlich hielt. Nach einiger Zeit lichtete sich der Wald. Das Land stieg an und führte zu einer Hochebene hinauf, hinter der sich hohe Berge türmten. Deutlicher als je zuvor hörte Faust den Ruf von Alleshirn, und er eilte den Hang hinauf – ein vierbeiniges Geschöpf ohne Arme und Kopf, das etwa fünfzig Zentimeter hoch war. Als er etwa die Hälfte des Weges zur Hochebene zurückgelegt hatte, spürte er, wie der Boden unter ihm erzitterte. Zunächst glaubte er an ein planetarisches Beben, doch dann vernahm er ein dumpfes Gebrüll, das sich im rasch näherte. Er verharrte auf der Stelle und sah sich um. Vor ihm lagen einige Steine und engten sein Sichtfeld ein. Dennoch sah er, wie sich ein Wall aus Tierleibern aus einer Bodensenke hervorschob. Faust fuhr erschrocken zurück. Eine unübersehbar große Herde von gewaltigen Tieren raste auf ihn zu. Es waren dreibeinige Geschöpfe mit kugelrunden Rümpfen und zwei Meter langen Stielaugen, die in ständiger Bewegung waren und sich hoch über die tellerartigen Köpfe erhoben. Allen voran stürmte der Leitbulle. Ein Tier, das etwa acht Meter hoch war und sich trotz seiner Leibesfülle mit überraschender Leichtigkeit bewegte. Faust fühlte Panik in sich aufkommen. Er zweifelte keine Sekunde daran, daß der Angriff dieser Tiere ausschließlich ihm galt. Mühsam beherrscht wartete er, bis der Leitbulle nahe genug herangekommen war. Dann schleuderte er die Stahlfaust heraus, und er hatte trotz seiner Angst gut gezielt. Das Geschoß zerschlug den Kopf des Tieres und fällte es. Doch dann mußte Faust begreifen, daß er die Herde auf diese Weise nicht aufhalten konnte. Während er die Stahlfaust noch einholte, setzte die Herde über den Kadaver des Leitbullen hinweg und war im nächsten Moment schon bei ihm. Faust schrie entsetzt auf. Er sah die Hufe der Dreibeiner auf sich herabkommen. Einer von ihnen allein war schon größer als er selbst. Deshalb konnte er sich nicht vorstellen, daß er diesen Angriff überleben würde. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er fühlte, daß die Hufe ihn trafen und in den Grund bohrten. Ein Trommelfeuer von Hieben ging auf ihn herab, so daß es schien, als sei jedes einzelne Tier der Herde bestrebt, ihm wenigstens einen Tritt zu versetzen. Faust hörte es donnern und krachen. Sein Körper wurde hin und her geworfen und versank dabei weiter im Boden. Zunächst versuchte Faust noch zu entkommen, indem er sich mit allen vier Beinen in die Tiefe grub, doch sehr bald wurde es dunkel um ihn, und er versank im Nichts. Es dauerte lange, bis er wieder zu sich kam und seine Sinne sich klärten. Es waren die Schmerzen, die ihn aus der Bewußtlosigkeit rissen. Sein ganzer Körper schien aus beschädigtem Gewebe zu bestehen! Jede einzelne Nervenfaser schien verletzt zu sein. Sehen konnte er nichts, und er verlor noch einige Male die Besinnung, bis ihm klar wurde, daß er tief im Boden steckte, und daß er sich freiwühlen mußte, wenn er nicht ersticken wollte. Namenlose Angst überfiel ihn. Wie tief steckte er im Boden? Konnte er sich selbst befreien? War die Herde wirklich weitergezogen? Oder befand sie sich noch über ihm und wartete darauf, daß er sich zeigte? Mühsam stemmte er sich gegen den Sand, der ihn wie ein Panzer umschloß. Zunächst schien es, als seien alle seine Anstrengungen vergeblich. Doch dann gewannen seine Beine ein wenig Spielraum, und er konnte etwas Sand zur Seite scharren. Das war der Anfang eines überaus anstrengenden und ausgedehnten Kampfes, an dessen Ende er vollkommen erschöpft ins Freie kroch. Er ließ sich auf den Boden fallen und schnappte nach Luft, und erst jetzt fiel ihm auf, daß er die ganze Zeit über nicht geatmet hatte. Er war ohne Sauerstoffzufuhr ausgekommen, obwohl er so schwer gearbeitet hatte, wie noch nie in seinem Leben. Ich bin ein vollkommenes Wesen! dachte er voller Stolz. Diese Giganten wollten mich töten. Sie haben es nicht geschafft. Sie haben mich in den Boden gerammt. Jedes andere Lebewesen wäre zugrunde gegangen. Ich nicht. Eine Welle der Dankbarkeit erfaßte ihn. Wieviel verdankte er doch der Penetranz, die seinen Körper zu dieser Vollkommenheit entwickelt hatte! Wahrscheinlich altere ich nicht mehr, überlegte er. Ja, so muß es sein. Ich bin unsterblich geworden. Voller Ehrfurcht richteten sich seine Gedanken auf die Penetranz und auf Anti-ES. Er horchte in sich hinein, denn da war noch eine andere Stimme in ihm, die seine Begeisterung nicht teilte. Sie war voller Haß und Abscheu. Er drängte sie zurück, denn er wollte nichts hören, was sich gegen Anti-ES richtete. Er wollte gehorsam sein und den Befehlen gehorchen. War das nicht der Sinn seines Lebens? Er spürte eine leichte Erschütterung des Bodens, richtete sich jedoch nicht auf. Wozu sollte er sich auch auf einen eventuellen Gegner vorbereiten? Das hatte er nicht nötig. Jetzt nicht mehr. Vielleicht geriet er vorübergehend in eine unangenehme Lage, mehr aber konnte ihm nicht passieren. So wartete er gelassen ab, bis er das Wesen sehen konnte, das sich ihm näherte. Dann aber zuckte er erschrocken zusammen. Ein etwa drei Meter langer, mit zahllosen Stacheln besetzter Wurm kroch auf ihn zu. Er machte einen furchterregenden Eindruck auf ihn, so daß Faust am liebsten wieder in das Loch geflüchtet wäre, aus dem er sich gerade freigekämpft hatte. Er atmete tief durch, um die nötige Spannung für den Abschuß der Faust zu schaffen, als er plötzlich ein weiteres Wesen bemerkte, das nicht weniger fremdartig aussah. Es glich einem eiförmigen Gehirn, und es flog hinter dem Wurm her. In seinem ersten Schrecken wollte er die Faust abfeuern. Wir haben dich gesucht, Faust, klang es da in ihm auf. Alleshirn und Zeh, antwortete er
bestürzt. Ich hätte euch beinahe angegriffen. Sie beruhigten ihn und gaben ihm zu verstehen, daß er sie mit seiner Waffe nicht hätte verletzen können. Wir wären entweder ausgewichen, oder wir hätten die Faust abgefangen, erklärte Alleshirn ihm. Wir sind komplett, entgegnete er. Jetzt geht es Atlan an den Kragen. Wißt ihr, wo er sich zur Zeit aufhält? Wir wissen nur, in welche Richtung er geflüchtet ist, erwiderte Zeh. Wir werden ihn bald auftreiben. Das klang so zuversichtlich, als sei der Arkonide bereits gefunden. Du hast Jenseitsmaterie bei dir, stellte Zeh fest. Ich habe ein wenig an mich genommen, als ich die ARSENALJYK verließ. Gib mir etwas ab. Faust, der die Jenseitsmaterie noch immer bei sich hatte, warf sich auf den Rücken und bot Zeh die Unterseite seines Körpers. Dort haftete die hellrosa leuchtende Jenseitsmaterie. Er stemmte zwei seiner Füße dagegen, und es gelang ihm überraschend leicht, etwa die Hälfte des Brockens abzulösen. Zeh steckte ihm seinen Kopf entgegen, und Faust drückte ihm das abgelöste Stück zwischen die Augen, wo es haften blieb. Kommt! befahl Alleshirn. Wir wollen Atlan und seine Begleiterin so schnell wie möglich erledigen. * Ein Tier, das man mit einiger Phantasie als »Ameise« hätte bezeichnen können, stemmte sich gegen einen Stein, der wenigstens siebenmal so groß war wie es selbst. Der Stein kippte über die Kante eines Felsens, fiel etwa einen halben Meter in die Tiefe und prallte dann gegen einige andere Steine, die locker auf einer schräg abfallenden Fläche lagen. Sie setzten sich in Bewegung, glitten etwa zwei Meter nach unten und rissen dabei einen größeren Stein mit, der wiederum eine Reihe von Steinen ins Rollen brachte und so die Lawine vergrößerte, die über eine Kante polterte. Fünf Meter tiefer prallten die Steine auf einige andere, die im staubtrockenen Gras lagen. Funken sprühten. Ein sanfter Windhauch strich über das Gras, und plötzlich züngelten Flammen auf. Ein weiterer Windstoß ließ das Feuer auf andere Gräser überspringen, und ein Busch begann zu brennen. Funken sprühten von ihm hoch. Dann wuchs eine lodernde Wand auf. Der Wind verstärkte sich. Mit rasender Geschwindigkeit bereitete sich nun das Feuer aus. Alleshirn sah es als erster kommen. Er ließ sich zu Zeh herabsinken, der Faust auf seinem Rücken trug und sich erstaunlich schnell voranbewegte. Ihr müßt euch beeilen. Das Gras brennt. Das Feuer bewegt sich auf uns zu. Zahlreiche Tiere flüchteten an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten. Faust richtete sich auf, konnte aber dennoch nicht über die Gräser hinwegsehen. Er roch lediglich den Rauch. Aufgeregt rannte er auf dem Rücken Zehs hin und her. Er wußte nicht, ob er gegen Feuer gefeit war. Vielleicht zerstörte die Hitze seinen Panzer? Sollte er Opfer der Naturkräfte werden, bevor er Gelegenheit gehabt hatte, gegen Atlan zu kämpfen? Ich muß mich in Sicherheit bringen, erklärte Zeh. Das Feuer könnte mich umbringen. Die Penetranz hat mich jedoch nicht geschaffen, damit ich mich mit der Natur dieses Planeten herumschlage, sondern weil ich den Arkoniden töten soll. Ihr müßt für einige Zeit auf meine Anwesenheit verzichten. Was hast du vor? schrie Faust. Zeh antwortete nicht. Ich werde höher fliegen, beschloß Alleshirn. Wenn ich hoch genug bin, erreicht mich die Hitze nicht. Laßt mich nicht allein, flehte Faust. Verzweifelt blickte er hinter Alleshirn her, der wie ein grauer Ballon zu den Wolken aufstieg. Von einer Sekunde zur anderen verschwand Zeh, und Faust stürzte auf den Boden herab. Fassungslos sah er sich um. Von Zeh war nichts zu sehen. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Faust war allein, und er begriff, daß er etwas unternehmen mußte, wenn er sich retten wollte. In höchster Angst rannte er vor der Feuerwand her, war jedoch nicht schnell genug, zumal er immer wieder Felsbrocken umlaufen mußte. Die Flammen holten ihn ein und überrollten ihn. Er zog die Beine unter den Leib und preßte sich an den Boden. Dann wartete er auf die Hitze, die seinen Panzer durchdringen mußte. Doch diese kam nicht. Erstaunt erkannte Faust, daß ihm auch Feuer nicht schaden konnte. Er sah die Flammen lodern, verfolgte, wie Buschwerk unmittelbar vor ihm in Flammen aufging, hatte aber dennoch keineswegs das Gefühl, daß es heiß war. Schlagartig verlor sich seine Angst, und abermals kam ein unbändiges Triumphgefühl in ihm auf. Zeh und Alleshirn waren geflohen, er aber hatte das Feuer besiegt. * Tyari griff nach der Hand Atlans. »Es entwickelt sich etwas gegen uns«, sagte sie. »Ich spüre es.«
Atlan drehte sich langsam im Kreis und beobachtete ihre Umgebung. »Ich kann nichts sehen«, erwiderte er. »Es sieht alles friedlich aus. Da hinten grast so eine Art Büffel, aber er entfernt sich von uns. Er ist keine Gefahr für uns. Ein paar Vögel schwirren herum, beachten uns jedoch nicht. Du wirst dich irren.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Atlan, ich irre mich nicht. Die Animosität kommt aus einem größeren Gebiet. Es ist halbkreisförmig.« Sie beschrieb mit der Hand einen Halbkreis, um ihm zu zeigen, welchen Streifen sie meinte. »Wir sollten hier weggehen, bevor sich der Kreis geschlossen hat.« Der Arkonide schritt den Hang hinunter. »Nein«, rief Tyari. »Geh nicht weiter. Sie werden dich töten.« Atlan blieb stehen und blickte auf den Boden. Im Gras bewegten sich zahllose Insekten, die ihn durch ihr Äußeres an Ameisen erinnerten. Es waren jedoch keine Ameisen. Ihr Körper setzte sich aus vier braunen Kugeln zusammen, die an den Ecken eines Quadrats angeordnet waren, und die durch dünne Röhren miteinander verbunden waren. Von jeder dieser Kugeln erhoben sich Greifzangen, und aus einer Kugel ragte zudem ein langer Dorn hervor, den die Tiere wie eine Lanze vor sich her schoben. Sie liefen auf mehrfach gegliederten Beinen und kamen erstaunlich schnell voran. Atlan fiel auf, daß sie alle in die gleiche Richtung liefen – den Hang hinauf. Er ging einige Schritte zur Seite und entdeckte weitere Tiere dieser Art. Sie waren jedoch wesentlich größer, und sie hatten noch bedrohlicher aussehende Zangen. Erschrocken kehrte er zu Tyari zurück. »Du hast recht«, sagte er. »Da braut sich etwas zusammen.« »Es müssen Millionen sein. Millionen von winzigen Tieren – und jedes von ihnen hat nur ein Ziel. Uns.« »Komm. Weiter.« Sie eilten den Hang hinauf. Als sie den Bergrücken erreicht hatten, blieb Tyari stehen. »Da ist noch etwas anderes«, sagte sie atemlos. »Ich habe eben einen Gedanken empfangen. Er kam von einem Wesen, das Alleshirn heißt.« »Es kann nur zum Arsenal gehören«, stellte Atlan fest. »Außer uns und der Penetranz mit dem Arsenal gibt es kein intelligentes Leben auf diesem Planeten.« Tyari ging einige Schritte weiter bis zu mehreren Büschen. »Atlan«, rief sie. »Wir sitzen in der Falle.« Der Arkonide eilte zu ihr. Sie zeigte auf die Büsche, und er begriff, was sie meinte. Dahinter lag ein hufeisenförmiger Talkessel mit senkrecht abfallenden Wänden. »Wir kommen hier nicht weiter«, stammelte sie. »Die Felsen fallen zu steil ab.« Atlan legte sich auf den Bauch und schob sich voran, bis er über die Felskante hinwegsehen konnte. Tyari hatte recht. Über diese Felswand konnten sie unmöglich nach unten klettern, denn sie war von Wind und Wetter glattgeschliffen. Nirgendwo bot sich auch nur der geringste Vorsprung. Anders sah es etwa zweihundert Meter links und rechts von ihnen aus. Dort konnten sie über einen flach auslaufenden Hang leicht bis in die Steppe hinuntergehen. »Komm«, sagte der Arkonide. »Wir versuchen es auf der linken Seite. Wenn wir Glück haben, sind die Insekten noch nicht so weit vorgerückt.« Tyari schüttelte den Kopf. Sie war ungewöhnlich blaß. Mit angsterfüllten Augen blickte sie ihn an. »Sie sind überall«, flüsterte sie, so als fürchtete sie, die Insekten könnten sie hören. »Sie kriechen von allen Seiten zugleich heran.« »Zur Not haben wir noch die Energiestrahler«, versuchte er, sie zu beruhigen. »Wir werden eine Hitzemauer schaffen, die sie nicht durchdringen können.« »Hörst du sie?« fragte sie. Er nickte. Es wisperte und knisterte im Gras. An einigen Stellen, an denen Steine das Gras überragten, war eine braune Masse zu erkennen, die sich eilig voranschob. »Es sind Millionen«, sagte Tyari. »Der ganze Hang wimmelt von ihnen. Wir dürfen nicht schießen.« »Natürlich werden wir schießen. Wir haben gar keine andere Wahl«, erwiderte er. »Wie willst du die Insekten sonst vertreiben?« »Wenn wir sie töten, bringen wir die Natur noch mehr gegen uns auf. Wer weiß, was dann geschieht?« »Wenn wir es nicht tun, bringen sie uns um.« »Es ist schwer, das alles zu verstehen. Es gibt keine Intelligenz auf diesem Planeten, und doch schafft es die Natur, ein solches Heer von Insekten zu koordinieren und auf uns zu lenken.« »Es gibt Formen von Leben, bei denen die Neuronen, welche die Intelligenz ausmachen, oder die für die instinktiven Reaktionen verantwortlich sind, nicht wie bei uns auf ein Lebewesen konzentriert sind, sondern über Hunderte, Tausende oder gar Millionen von Tieren und Pflanzen verteilt sind. Das muß hier auch der Fall sein.« »Gibt es nicht die Möglichkeit, ein solches Gemeinschaftswesen anzusprechen?« »Das würde Intelligenz voraussetzen, und die ist wohl doch nicht vorhanden. Oder kannst du telepathisch Gedanken der Natur erfassen?« »Leider nein«, antwortete sie. »Ich spüre die ungeheure Feindseligkeit dieser Insekten und ihre Freßgier, aber da ist kein gemeinsamer Gedanke. Ich kann nicht herausfinden, was sie dazu veranlaßt, alle in die gleiche Richtung zu ziehen und uns einzukesseln.« Sie griff verzweifelt nach seinem Arm, und er verstand sie. Um nicht noch mehr Feindseligkeit gegen sie aufzubauen, wollte sie einen Vernichtungskampf gegen die Insekten
verhindern, wußte jedoch nicht, wie sie es anstellen sollte, da es keine Kommunikationsbrücke zu jenem Teil der Natur gab, der sie angriff. Atlan sah, daß die ersten Insekten nur noch etwa einen Meter von ihnen entfernt waren. Er eilte mit Tyari an der Felskante entlang, bis er erkannte, daß sie sich einem breiten Band herankriechender Tiere näherten. »Wir können nicht hindurchlaufen«, sagte sie. »Und wenn wir noch so schnell sind. Wir müßten fast zweihundert Meter weit kommen, um den Gürtel zu durchbrechen. Das schaffen wir nicht. Bis dahin sind sie längst zu Hunderten an uns hochgekrochen.« Ratlos blieben sie stehen. Unaufhaltsam rückten die Insekten heran. Millionen von winzigen Zangen waren auf sie gerichtet. * Faust wartete, bis auch die letzten Gräser in seiner Nähe verbrannt waren, dann richtete er sich vorsichtig auf. Alleshirn, Zeh – wo seid ihr? Es war, als habe Alleshirn nur auf diesen Ruf gewartet. Sanft schwebte er durch den Rauch herab. Ihr habt es gut überstanden. Ihr? Ich weiß nur, daß ich überlebt habe. Zeh ist verschwunden. Sieh dich um. Faust tat, wie Alleshirn ihn geheißen hatte, und er entdeckte einen fingerlangen, stacheligen Wurm, der aus einem kleinen Loch im Boden hervorkroch. Er hatte schwer an dem hellrosa bis hellgrün schillernden Stück Jenseitsmaterie auf seinem Kopf zu tragen. Unwillkürlich wich Faust zurück. Er erfaßte nicht, was geschah. Doch plötzlich vergrößerte sich der Wurm. Innerhalb von Sekunden wuchs er an, verlängerte sich und blähte sich auf, bis er etwa drei Meter lang und einen Meter hoch war. Mit funkelnden Augen blickte er Faust an. Ich mußte verschwinden, und da habe ich mein Volumen verringert, indem ich die Molekulardichte veränderte, und bin in ein Mauseloch gekrochen. Die Hitze wäre nicht gut für mich gewesen, da meine Entwicklung noch nicht ganz abgeschlossen ist. Kommt. Wir müssen weiter. Atlan soll uns nicht entkommen. Faust kroch auf den Rücken Zehs, und dieser stürmte voran durch das verbrannte Land. Nach einiger Zeit erfaßte Faust einige Gedanken von Alleshirn. Du hast einen Plan, erkannte er. Das ist richtig. Und der Plan wird sich auch erfüllen. Ich werde euch noch eingehend darüber unterrichten, was weiterhin geschehen soll. Du denkst an deinen eigenen Tod! Er gehört zu dem Plan. Ich will mehr darüber wissen. Doch Alleshirn ging nicht auf diese Forderung ein. Er teilte seinen beiden Begleitern mit, daß er Atlan und Tyari sehen konnte. Sie stehen auf dem Berg vor uns an der Steilwand. Ich werde sie als erster angreifen. Faust bezweifelte, daß Alleshirn die Mittel hatte, den verhaßten Arkoniden zu töten. Womit wollte er kämpfen? Er stellte Alleshirn eine entsprechende Frage, erhielt jedoch keine Antwort. Lautlos schwebte das Riesenhirn davon. Zeh wurde schneller. Er warf sich förmlich voran und wälzte alles nieder, was ihm in die Quere kam. Er durchbrach das Unterholz, zermalmte eine Schlange unter sich und zerschmetterte die Nesttürme einer Vogelkolonie. Faust beobachtete Alleshirn, den er beneidete, weil er sich so leicht und mühelos bewegen konnte und weil er dadurch die Chance erhielt, vor Zeh und Faust gegen Atlan zu kämpfen.
5. Tyari wirbelte so wild herum, als habe ihr jemand unvermutet eine Waffe in den Rücken gestoßen. Doch unmittelbar hinter ihr war niemand. Der Gegner, dessen Gedanken sie aufgeschreckt hatten, war noch etwa zweihundert Meter entfernt. Es war ein eiförmiges Objekt, das hoch über den Baumwipfeln schwebte. Es kam aus der Richtung des Felsplateaus, von dem sie geflohen waren, und es näherte sich ihnen. »Alleshirn«, sagte sie leise. »Wovon sprichst du?« fragte Atlan besorgt. Er fürchtete, daß Tyaris Nerven unter dem Druck der Gefahr versagten. »Ich kann einen Teil seiner Gedanken erfassen«, erläuterte sie und zeigte auf das schwebende Gebilde, das im Licht der Sonne rötlich schimmerte. »Einen Teil nur, aber das genügt. Es haßt uns. Es will uns töten.« »Es ist eine Kreatur der Penetranz?« Tyari griff nach ihrem Energiestrahler. Dann zuckte sie gepeinigt zusammen, beugte sich herunter und schlug einige Insekten ab, die an ihren Beinen emporkrochen. Erschrocken stellte sie fest, daß es um sie herum im Gras von zangenbewehrten Tieren nur so wimmelte. Das Heer der mordgierigen Insekten hatte sie erreicht. Atlan wartete nicht mehr länger. Er schoß mit seinem Blaster auf den Boden. Der breitgefächerte Energiestrahl aus der Waffe setzte das Gras augenblicklich in Brand und vernichtete Tausende von Insekten. Mit einigen weiteren Energieschüssen schaffte er Tyari und sich einen Freiraum, auf dem sie sich für einige Minuten halten konnten. Tyari griff nach seinem Arm, und zunächst glaubte er, daß sie dagegen protestieren wollte, wie er gegen die rebellische Natur vorging, doch dann schrie sie auf, und er mußte zu ihr hochsehen. »Halte mich, Atlan«, rief sie. Verblüfft bemerkte er, daß sie einen halben Meter über dem Boden schwebte. Sofort versuchte er, sie nach unten oder zur Seite zu ziehen, richtete jedoch nichts aus. Es schien, als ob sie auf einem unsichtbaren Podest stehe, das er nicht verdrängen konnte. »Es ist das Alleshirn«, keuchte sie. »Es hält mich hoch.« Bis auf etwa hundert Meter hatte sich ihnen das eiförmige Wesen genähert. Deutlich waren die Windungen unter der transparenten Haut zu erkennen, die dieses Geschöpf wie ein Gehirn aussehen ließen. Das Licht der untergehenden Sonne schuf eigenartige Reflexe darauf, so daß es aussah, als tanzten kleine Flammen auf der angestrahlten Seite des Wesens. Atlan justierte seine Waffe auf Nadelstrahlwirkung und feuerte sie ab. Der Blitz schoß heraus – und glitt wirkungslos mehrere Meter an der Kreatur der Penetranz vorbei. »Du hast nicht getroffen«, stellte Tyari verwundert fest. Sie kannte den Arkoniden als ausgezeichneten Schützen, der so leicht kein Ziel verfehlte. Atlan legte erneut an und versuchte abermals, Alleshirn zu töten, doch wiederum zuckte der Energiestrahl weit an dem seltsamen Wesen vorbei. Und dann schwebte auch Atlan plötzlich einen halben Meter über dem verbrannten Boden. »Was war los?« fragte sie. »Warum hast du nicht getroffen?« »Das Ding hat meine Hand zur Seite gedrückt. Ich habe es deutlich gemerkt. Es hat telekinetische Fähigkeiten und ist uns damit weit überlegen.« »Glaubst du, daß wir es besiegen können?« »Ich weiß es nicht, Tyari.« Zusammen mit ihr glitt er von der Bruchkante des Berges weg den Hang hinunter. Er blickte nach unten, und es überlief ihn kalt, als er das Millionenheer der Insekten unter sich sah. Wie ein dichter Teppich bedeckten die winzigen Tiere den Boden. Wenn Alleshirn Tyari und ihn jetzt fallen ließ, würden sie innerhalb von wenigen Sekunden unter den freßgierigen Insekten begraben sein. »Wir können nichts tun«, flüsterte Tyari entsetzt. »Wenn wir Alleshirn töten, erledigt es uns.« Atlan stellte seinen Blaster erneut auf Breitstrahlwirkung ein und schoß mehrere Male nach unten. Das Gras ging in Flammen auf, und Hitze und der Gestank von verbranntem Chitin umgaben sie. Wiederum hatte der Arkonide damit eine Fläche von etwa zehn mal zehn Metern geschaffen, auf der keine Insekten mehr lebten. Doch von allen Seiten drängten weitere Tiere heran, so daß Atlan wieder und wieder schießen mußte. Währenddessen rückte auch Alleshirn näher. »Es amüsiert sich«, sagte Tyari mit bebender Stimme. »Es freut sich, weil es uns in der Hand hat.« »Hände hat dieses Ding schon lange nicht mehr«, erwiderte Atlan. Er merkte, daß eine unsichtbare Kraft an seinem Energiestrahler zerrte, und er warnte Tyari: »Paß auf. Es versucht uns telekinetisch zu entwaffnen.« Doch sie war sich der Gefahr bereits bewußt geworden. Mit beiden Händen umklammerte sie die Waffe. Atlan wandte Alleshirn den Rücken zu, so daß der Gegner nicht sehen konnte, daß er an seiner Waffe hantierte. Er adjustierte sie, zögerte einen Moment und warf sich dann in der Hoffnung herum, den Sklaven der Penetranz überraschen zu können. Er zielte bewußt an dem eiförmigen Wesen vorbei, da er zu wissen glaubte, weshalb er zuvor sein Ziel verfehlt hatte. Plötzlich registrierte er einen sanften Druck auf seine Hand, mit dem Alleshirn die Waffe zur Seite zwang. Der Energiestrahl zuckte aus dem Projektor – und traf das schwebende Gehirn, das der Waffe unbeabsichtigt die richtige Richtung gegeben hatte. Feuer hüllte eine Seite des eiförmigen Wesens ein, das, wie von einem wuchtigen Schlag getroffen, etwa hundert Meter zurückgeworfen wurde, während Atlan und Tyari auf den Boden stürzten. Tyari schoß auf die heranrückenden Insekten. Da sie ihren Blaster nicht auf Fächerwirkung eingestellt hatte, konzentrierte sich die Hitze des auftreffenden Energiestrahls auf einen schmalen Bereich. Der Boden glühte auf, und als Tyari den Blaster langsam herumzog, entstand ein Gürtel glutflüssigen Erdreichs um sie herum. Von ihm ging eine schier unerträgliche Hitze aus, aber er hielt die Insekten für einige Zeit auf. »Du hast es getroffen«, jubelte Tyari. »Gleich wird es zurückschlagen«, erwiderte Atlan. »Paß auf. Es wird uns mit einem telekinetischen Trick kommen.« »Es hat einen Schock«, entgegnete sie. »Wir müssen schießen. Beide, sonst bringt es uns um.« Sie hob ihren Energiestrahler und versuchte, ihn auszulösen. Es gelang ihr nicht. Die Waffe war blockiert. Atlan erging es ähnlich. Auch er konnte nicht feuern. Alleshirn hatte sich offenbar erholt. Langsam schwebte es heran. Eine Seite seines Körpers war mit Blasen bedeckt. Wieder und wieder preßten Atlan und Tyari ihre Finger auf die Auslöser ihrer Waffen. Ohne Erfolg. »Was können wir tun?« rief Tyari. Verzweifelt sah sie sich um. Dort wo der
Boden geglüht hatte, war ein qualmender Ring aus verbrannten Insektenleibern entstanden. Über ihn hinweg krochen unzählige andere Insekten auf sie zu. In spätestens einer Minute mußten die Tiere den jetzt noch freien Raum überschwemmt haben, in dessen Mittelpunkt Atlan und sie standen. Alleshirn hatte die Büsche erreicht, die an der Abbruchkante wuchsen. Es war jetzt nur noch etwa fünfzig Meter von dem Arkoniden und der Telepathin entfernt, und noch immer hinderte es die beiden daran, die Waffen abzuschießen. »Es braucht nur zu warten«, sagte Atlan. »Es dauert nicht mehr lange, dann fressen uns die Insekten.« »Ich kann einen Teil seiner Gedanken erfassen«, sagte Tyari hastig. »Es ist erschöpft und leidet unter Schmerzen. Es hat große Mühe, sich auf uns zu konzentrieren.« Atlan bückte sich, nahm einen Stein auf und schleuderte ihn nach Alleshirn, verfehlte es jedoch. Es schien, als seien nunmehr alle Chancen vertan, und als sei das Ende unausweichlich. In diesem Moment der größten Gefahr für Atlan und Tyari machte Alleshirn einen entscheidenden Fehler. Es wollte neue Kräfte schöpfen und sich erholen. Deshalb ließ es sich auf den Boden sinken. Augenblicklich schossen die Insekten an ihm hoch. Innerhalb von Sekunden verschwand es vollständig unter ihnen. Die Telepathin wandte sich entsetzt ab. Sie vernahm die Schmerzensschreie des Sklaven von Anti-ES, und ihr wurde bewußt, daß Alleshirn lediglich ein Opfer war, das den Befehlen der Penetranz gehorchen mußte. Atlan aber ließ sich von dem schrecklichen Bild nicht beeindrucken. Er fühlte, daß seine Waffe frei war, und er feuerte sie mehrmals hintereinander ab. Damit rüttelte er Tyari auf, die ihren Strahler nun ebenfalls auslöste. Die Blitze schlugen in den eiförmigen Körper von Alleshirn und vernichteten ihn. Der Arkonide spürte die Bisse einiger Insekten an den Beinen. Dennoch konnte er seine Blicke nicht von dem sterbenden Alleshirn lösen. Ihm und Tyari bot sich ein verblüffendes Bild. Aus der Glutwolke, in der Alleshirn vergangen war, trat eine menschliche Gestalt hervor. Sie schien die Hitze nicht zu spüren. Atlan erkannte einen dunkelhaarigen Mann mit scharfblickenden, blauen Augen, und er erkannte ihn wieder. Er war ihm einmal an Bord der SOL begegnet, und er erinnerte sich sogar an den Namen, weil dieser so ungewöhnlich war. Aldrich Szwesniak. Er spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief, und er erfaßte, mit welch grausamen Methoden und mit welcher Rücksichtslosigkeit AntiES kämpfte. Aldrich Szwesniak hob beide Arme, als wolle er grüßen. Dann verblaßte die Erscheinung und der Wind wirbelte die Asche auf. Tyari schlug sich schreiend gegen die Beine, um die Insekten zu entfernen. Atlan wollte ihr helfen, fühlte die Bisse nun aber auch. Gepeinigt griff er nach dem Energiestrahler um auf die heranflutenden Insekten zu schießen, als sich ihm plötzlich die Krallen Tickers um die Schulter legten. Der riesige Vogel zwang ihn mit einer Bewegung seiner Flügel näher an die Telepathin heran, packte sie ebenfalls und hob beide ruckartig an. Er schleppte sie flügelschlagend bis zu den Büschen an der Abbruchkante hinauf, sackte unter ihrem Gewicht ab, so daß sie mit den Füßen den von Insekten wimmelnden Boden berührten, und flatterte dann über die Steilwand hinaus. Jetzt breitete er die Schwingen aus und ließ sich gleiten. In raschem Flug ging es in die Tiefe. Atlan und Tyari wagten nicht, sich zu bewegen, weil sie fürchteten, daß Ticker sie dann nicht mehr halten konnte. So erduldeten sie die zahllosen Bisse der Insekten. Erst als sie in einen kleinen Tümpel stürzten, konnten sie sich von den Plagegeistern befreien. * Stunden später deutete Tyari auf Ticker, der auf einem Felsen saß und sich das graue Gefieder putzte. »Er hat Asgard gefunden«, sagte sie zu dem Arkoniden, der neben ihr saß und sich von dem Feuer wärmen ließ, das sie nach Einbruch der Dunkelheit entzündet hatten. »Asgard befindet sich zusammen mit dem Arsenal und der ARSENALJYK in einer Schlucht, die etwa zwei Stunden von hier entfernt ist.« »Zwei Stunden?« entgegnete Atlan. »Das dürften also um die zweihundert Kilometer sein.« »Wahrscheinlich«, bestätigte sie. »Ticker kann im Höchstfall bis zu 140 Kilometer in der Stunde zurücklegen. So schnell ist er bei seiner Suche nach Asgard aber bestimmt nicht geflogen.« »Er wird uns tragen müssen. Zu Fuß würde es zu lange dauern, zu Asgard zu kommen. Wenn Ticker uns mitnimmt, können wir morgen schon in der Nähe Asgards sein.« »Richtig. Wir müssen diese Gegend verlassen. Im Augenblick ist alles ruhig, aber ich spüre, daß eine latente Feindseligkeit der Natur bleibt. Sie könnte schon bald zu einem weiteren Angriff gegen uns führen.« Sie blickte zu Ticker hinüber, dessen Augen im Widerschein der Flammen eigenartig leuchteten. In dem adlerähnlichen Vogel kumulierten die Instinkte der Flora und Fauna eines Teils des Planeten, mit dem sich dieser Bereich der Natur gegen die Anwesenheit der Penetranz und des Arsenals wehrte. In ihm hatte die Natur alle verfügbaren Neuronenimpulse vereinigt, so daß sich diese in ihm entwickeln konnten. Tyari und Atlan wußten mittlerweile, daß Ticker ein absolut loyaler Verbündeter war. Sie konnten sich jederzeit auf ihn verlassen, und es schien, als brauchten sie keinen Angriff zu befürchten, solange er in ihrer Nähe war. Tyari rieb sich die zerstochenen und zerbissenen Unterschenkel mit dem Saft einer Wurzel ein, die Ticker für sie ausgegraben hatte. Allmählich ebbte das Jucken und Brennen ab, das durch das Insektengift verursacht wurde. Aus der Steppe klang das Blöken der Wildrinder und das Brüllen jagender Raubtiere herüber. Im Wald schlugen einige Nachtvögel an, und die Todesschreie kleinerer Tiere zeigten an, daß die Dunkelheit nicht Schutz genug für sie gewesen war. Plötzlich hob die Telepathin den Kopf. Mit einer raschen Geste bat sie Atlan, ruhig zu sein. Er zog ein Stück Holz zurück, das er gerade ins Feuer gelegt hatte, weil es allzu laut in den Flammen knisterte und knackte. »Zwei Wesen der Penetranz nähern sich uns«, flüsterte sie. »Die beiden sind verunsichert, weil wir das andere getötet haben, das sich Alleshirn nannte. Sie wollen uns angreifen. Zuerst will einer von ihnen seine Faust gegen uns einsetzen.« »Eine Faust?« fragte Atlan verwundert. »Wie ist das zu verstehen?« Ticker breitete seine Schwingen aus und öffnete den Schnabel zu einem schrillen Schrei. Dann nutzte er sein Mimikrytalent, verdrehte seine Federn und paßte sich dem nachtschwarzen Hintergrund des Waldes so perfekt an, daß er nahezu unsichtbar wurde. »Eine Faust«, bestätigte Tyari. »Ich weiß nicht genau, was er damit meint. Das Wesen ist recht primitiv. Das heißt – der eine Teil ist es. Der andere ...« Sie schüttelte verwirrt den Kopf, da sie sich nicht darüber klar werden konnte, auf was sie gestoßen war. »Was meinst du damit?« fragte der Arkonide. »Von was für einem anderen Teil sprichst du?«
Sie strich sich das weiße Haar zurück, das ihr über die Schultern nach vorn gefallen war. Versonnen blickte sie ins Feuer. »Da sind zwei Persönlichkeiten«, erwiderte sie zögernd. »Es sind auch zwei Wesen da, die etwas gegen uns aushecken.« »Nein, nein, davon spreche ich nicht. Wenn du willst, dann haben wir es mit zweimal zwei Persönlichkeiten zu tun, von denen zwei den die anderen überdeckenden Vordergrund bilden. Warte mal!« Ihre Stirn krauste sich. Sie schloß die Augen, und dann wurde ihr Gesicht starr wie eine Maske. »Ja«, flüsterte sie nach einiger Zeit. »So ist es. Wir haben es mit zwei Solanern zu tun, die von Anti-ES versklavt worden sind. Die primitiven Persönlichkeiten, die ihnen aufgezwungen worden sind, bilden den Vordergrund. Darunter aber leben die anderen, die der Solaner. Ebenso war es bei Alleshirn.« Sie schrie auf. »Atlan – paß auf!« Der Arkonide reagierte sofort. Er sprang auf und warf sich zur Seite. Aus der Dunkelheit schoß blitzender Stahl heran, raste an der Stelle vorbei, an der der Aktivatorträger eben noch gesessen hatte, schlug dann in einen Baumstamm und zerschmetterte ihn. Aus dem zersplitternden Holz heraus flog die Stahlfaust zur Seite und prallte mit immer noch großer Wucht gegen die Brust des Arkoniden. Sie schleuderte Atlan augenblicklich zu Boden. Ticker stieß einen schrillen Schrei aus. Er stieg flatternd in die Luft, stürzte sich dann jedoch ins Dickicht und tauchte mit einem wild um sich schlagenden Wesen wieder daraus hervor, das einer grauen Kiste mit vier Stummelbeinen glich, aus der ein langer Faden heraushing. Fassungslos beobachtete Tyari, wie der gewaltige Vogel mit dem Geschöpf der Penetranz in den Fängen aufstieg, und wie schließlich die an dem Faden hängende Stahlfaust den beiden in die Höhe folgte. Tyari erfaßte die Gedanken des Adlers und vernahm zugleich dessen Warnschrei. Ticker erinnerte sie daran, daß da noch ein zweiter Gegner war, der nicht weniger gefährlich als Faust war. Sie hob ihren Energiestrahler, konzentrierte sich auf die Gedanken Zehs, und feuerte in die Dunkelheit hinein, als sie zwischen den Bäumen einen hellrosa Schimmer entdeckte. Der gleißend helle Energiestrahl zerriß die Nacht. Für Sekundenbruchteile wurde ein stacheliger Riesenwurm zwischen den Bäumen sichtbar, der an der Seite von der Energieflut getroffen wurde. Tyari feuerte noch zweimal, obwohl ihr die von Panik erfüllten Gedanken Zehs verrieten, daß dieser die Flucht ergriffen hatte. Danach eilte sie zu Atlan, der besinnungslos auf dem Boden lag. Seine Wangen waren eingefallen, wächserne Blässe überzog das Gesicht, und die Augen waren halb geöffnet. In ihrem ersten Schrecken dachte sie, daß der Arkonide tot war. Sie tastete nach seinem Hals, um den Pulsschlag zu fühlen, und sie atmete erleichtert auf, als sie feststellen konnte, daß sie sich geirrt hatte. Behutsam öffnete sie ihm die Bluse, um zu sehen, wie schwer verletzt der Mann war, den sie liebte. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie die Wunde sah, die die Faust geschlagen hatte, und es erschien ihr wie ein Wunder, daß Atlan hoch lebte. Ein grauenhafter Schrei hallte durch die Nacht und schreckte sie auf. Sie erfaßte die Gedanken von Faust, den Ticker bis in eine Höhe von weit über tausend Meter getragen, und den er nun losgelassen hatte. Der Sklave der Penetranz stürzte in die Tiefe, und er schrie in seiner Todesangst. Tyari preßte die Hände vor das Gesicht. Sie wollte sich von den Gedanken Fausts abkapseln, doch es gelang ihr nicht. Sie blieb für seine Gedanken empfänglich, verfolgte, wie die Angst erlosch, als Faust die Aussichtslosigkeit seiner Lage akzeptierte, und wie der Tod für Faust keine Schrecken mehr hatte, sondern wie eine Erlösung erschien. Dann hörte sie, wie das umgeformte Wesen aufprallte. In diesem Moment hätten die Gedanken erlöschen müssen. Mit dem Tod hätten sie enden müssen. Doch ein Rest von ihnen blieb. Er war kaum wahrnehmbar, aber der Telepathin entging er dennoch nicht. Er hat es überlebt, dachte sie bestürzt. Er ist nur bewußtlos. Selbst dieser Aufprall hat ihn nicht umgebracht. Atlan stöhnte leise. Er blickte sie an, aber es dauerte lange, bis so etwas wie Erkennen in seinen rötlichen Augen aufleuchtete. »Was ist passiert?« fragte er mühsam. »Die Faust hat dich getroffen«, antwortete sie. »Du bist verletzt, aber der Zellaktivator wird dich heilen.« Er schloß die Augen wieder, und für einige Zeit schien es, als atme er nicht mehr. Ticker krächzte warnend und schreckte die Telepathin aus ihren Gedanken auf. Sie erfaßte, daß Gefahr bestand. Faust und Zeh waren noch in der Nähe, und die Feindseligkeit der sie umgebenden Natur hatte sich verstärkt. Wir müssen diese Gegend verlassen, überlegte sie. So schnell wie möglich. Doch dann hörte sie den Arkoniden stöhnen, und sie erkannte, daß sie nicht fliehen konnten. Atlan war noch nicht transportfähig. Sie mußte warten, bis er durch die Impulse des Zellaktivators soweit wieder hergestellt war, daß Ticker ihn tragen konnte. Um sich selbst machte sie sich weniger Sorgen. Sie glaubte, sich jederzeit behaupten zu können. Sie setzte sich ans Feuer und konzentrierte sich auf die Gedanken der beiden Penetranz-Geschöpfe. Faust war noch immer ohne Bewußtsein, und Zeh zögerte. Er hatte den Streifschuß erstaunlich gut überstanden und lauerte nun irgendwo in der Dunkelheit. Er wartete auf eine günstige Gelegenheit für den Angriff. Daneben aber baute sich eine immer größere Animosität der Natur auf. Ich darf nicht einfach nur abwarten und hoffen, dachte Tyari. Ich muß etwas unternehmen. Die Natur muß begreifen, daß sie selbst auch schuld ist an dem, was geschehen ist. Sie konzentrierte sich ganz auf das Bemühen, Kontakt mit dem Neuronenverbund zu bekommen, der die Instinktreaktionen von Fauna und Flora ausgelöst hatte. Sie versenkte sich dabei immer mehr in sich selbst, bis sie schließlich die Verbindung mit der unmittelbaren Umgebung verlor. Daher merkte sie nicht, daß kleine, sechsbeinige Nager aus zahllosen Löchern hervorkrochen und witternd ihre Nasen in Richtung Feuer erhoben. Sie spürte die Gefahr nicht, die aus dem Dunkel der Nacht kam, und sie hörte die warnenden Schreie Tickers nicht, der sich hier in einem für ihn fremden Revier befand. Tyaris telepathische Sinne suchten geduldig nach einer besonders dichten Neuronenansammlung, weil sie hoffte, diese am ehesten ansprechen zu können.
Doch so sehr sie sich auch bemühte, sie erzielte kein Echo. Ihr war, als wäre sie durch eine Wand von der Natur getrennt, die nur in einer Richtung für Gedanken und Emotionen durchlässig war. Die Nager hatten langgestreckte Köpfe und scharfe Reißzähne. Ihr Rumpfkörper setzte sich aus zwei parallel nebeneinander angeordneten Rümpfen zusammen, die durch eine dünne Haut miteinander verbunden waren. Fast alle glitten lautlos die Baumstämme hinauf bis hoch in die Baumkronen. Hier stießen sie sich ab und segelten mit straff gespannter Rumpfhaut durch den Wald, näher und näher an Tyari und Atlan heran. Kurz bevor sie landeten, blähte sich die Haut zwischen den beiden Rümpfen fallschirmartig auf, und sie schwebten sanft auf ihr Ziel herab. Dutzende von ihnen erreichten die Bäume in unmittelbarer Nähe des Feuers, und das Licht der Flammen ließ ihre Augen rot aufleuchten. Ticker hielt es nicht mehr auf seinem Ruheplatz auf dem Felsen. Er glitt mit ausgebreiteten Schwingen zu der Telepathin hinüber, landete hinter ihr und stieß sie kräftig mit dem Schnabel an, um sie zu warnen, doch auch damit konnte er sie nicht aus ihrem tranceartigen Zustand wecken. Atlan beobachtete ihn, und er begriff. Beunruhigt sah er sich um, und das Leuchten der winzigen Augen entging ihm nicht. Nun versuchte auch er, Tyari aufmerksam zu machen, aber er hatte ebensowenig Erfolg wie der Adler. Mühsam richtete er sich auf. Vor seinen Augen flimmerte es, und die Schmerzen in seiner Brust wurden nahezu unerträglich. Sekundenlang kämpfte der Arkonide mit einer beginnenden Ohnmacht, bis sich endlich seine Sinne klärten. Er griff nach seinem Energiestrahler, schaffte es jedoch nicht, ihn zu heben und gegen irgendein Ziel zu richten. Kraftlos sank die Hand mit der Waffe auf den Boden zurück. Narr! Worauf hättest du denn auch schießen wollen? forschte der Logiksektor. Vorhin waren es Insekten. Jetzt bringt die Natur größere Tiere ins Spiel. Aber wiederum setzt sie auf Masse. Du könntest niemals alle Tiere töten. Das Extrahirn urteilte völlig emotionslos. Es stellte nüchtern fest, daß er sich selbst nicht mehr retten konnte. Und es machte auch kein Geheimnis daraus, daß Ticker ihn nicht tragen durfte, weil er es nicht überlebt hätte, wenn sich seine Krallen in die Wunde gebohrt hätten. Er könnte mich an den Armen packen, durchfuhr es den Arkoniden. Auch dann reißt die Wunde auf, oder die Schmerzen bringen dich um. Atlan konnte sich nicht länger halten. Er kippte auf den Rücken zurück und verlor das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, zeigte sich am Horizont ein erster Silberstreif. Der neue Tag kündigte sich an. Etwa zwei Meter von Atlan entfernt kauerten fünf Nager im Gras. Sie blickten ihn mit gierigen roten Augen an, und ihre Zähne schimmerten hell. Bestürzt drehte der Arkonide den Kopf zur anderen Seite. Seine Lippen öffneten sich zu einem lautlosen Schrei. Er sah Tyari, die inmitten von Dutzenden dieser Nager saß und mit weit geöffneten Augen ins Leere blickte. Die Doppelrumpftiere waren unruhig. Die meisten von ihnen rannten nervös hin und her, als wüßten sie sich einer drohenden Gefahr ausgesetzt. Falsch, signalisierte das Extrahirn. Sie benehmen sich wie Tiere, die Hunger haben, und die sich gleich auf ihr Opfer stürzen wollen. Er richtete sich ein wenig auf, ließ sich jedoch sogleich zurücksinken, als ihm einer der Nager wütend in die Hand biß. Er horchte in sich hinein. Es ging ihm schon wesentlich besser als noch vor einigen Stunden. Die Schmerzen waren nahezu völlig abgeklungen, doch der Zellaktivator pulsierte kräftig. Ein deutliches Zeichen dafür, daß er noch immer nicht restlos wieder gesundet war. Ich muß irgend etwas tun, sagte er sich. Ich darf nicht hier liegen und abwarten. Du kannst nichts tun! wies ihn der Logiksektor zurecht. Tyari nutzt die einzige Chance, die ihr habt.
6. Zeh eilte zornschnaubend durch den Wald. Er litt unter den Nachwirkungen des Treffers, den er erhalten hatte, doch er drängte die Gedanken daran zurück. Trotz der Dunkelheit hatte er verfolgen können, daß der Adler Faust nicht nur in die Höhe, sondern auch einige hundert Meter weit in die Steppe hinausgetragen hatte. Jetzt suchte er den Kampfgefährten, der im helfen sollte, Atlan zu töten und sich an Tyari zu rächen. Immer wieder konzentrierte er sich auf ihn und schickte seinen geistigen Ruf hinaus. Doch Faust antwortete nicht. Dabei hat er einen unerhörten Anfangserfolg gehabt, sagte Zeh sich. Er hat Atlan getroffen und beinahe getötet. Wenn er jetzt bei mir wäre, könnten wir das Lager gemeinsam überrennen. Uns beide kann der Vogel nicht wegschleppen. Wenn er den einen nimmt, kann der andere Atlan und die Frau töten. Am Waldrand verharrte er auf der Kuppe eines Hügels und spähte in die Steppe hinaus. Das Geheul von zahllosen Raubtieren hallte zu ihm herüber. Beutelustig rückten die Bestien heran, doch er fürchtete sich nicht vor ihnen, da er wußte, daß sie ihm nichts anhaben konnten. Weit voraus leuchtete mitten in einer Herde von sechsbeinigen Tieren, die dösend unter den tulpenartigen Bäumen standen, ein hellrosa Licht, das hin und wieder in einen hellgrünen Farbton überwechselte. Zeh richtete sich erregt auf. Endlich hatte er Faust gefunden. Die Jenseitsmaterie wies ihm den Weg. Er schob sich den Hügel hinunter und glitt auf die Ebene hinaus. Ein Reptil, das fast so groß war wie er selbst, und das ihm wild in die Seite sprang, beachtete er nicht, und das brauchte er auch gar nicht, denn das Raubtier verletzte sich an den Dornen, die seinen Körper bedeckten, und es zog sich augenblicklich zurück, da es erkannte, wie aussichtslos der Kampf war. Einige der sechsbeinigen Antilopen wichen Zeh erschrocken aus und sprengten zur Seite, als er mitten durch die Herde stürmte. Ein weiteres Raubtier warf sich auf ihn, als er sich über Faust beugte, zog sich jedoch jaulend vor Schmerz wieder zurück, nachdem es an seinen Stachelpanzer geraten war. Zeh sprach Faust an, bekam jedoch keine Antwort. Er untersuchte den Kampfgefährten und stellte nach einiger Zeit fest, daß dieser einen Schock erlitten hatte und in einer Art geistiger Lähmung auf der Stelle verharrte, obwohl seine Körperfunktionen völlig in Ordnung zu sein schienen. Zeh kroch über ihn, um engen Körperkontakt mit ihm zu haben, und konzentrierte sich erneut auf ihn. In mühsamer, kräftezehrender Arbeit gelang es ihm nach Stunden, Verbindung mit ihm aufzunehmen und einen Teil der in der Jenseitsmaterie gespeicherten Energie auf seinen Geist zu lenken. Als die ersten Sonnenstrahlen über dem Horizont aufstiegen, reagierte Faust endlich auf die geistigen Rufe Zehs. Dieser erschrak, weil zunächst die Persönlichkeit des Solaners klar überwog, die Persönlichkeit von Bruce Kayman, die nicht verstehen konnte, daß sie nach einem solchen Sturz noch existierte. Doch es dauerte nicht lange, bis sich die Kraft der Penetranz durchsetzte. Wir haben den ersten Kampf verloren, aber noch lange nicht die Schlacht, erklärte Zeh. Wir werden jedoch niemals siegen, wenn wir untätig bleiben. Faust begann sich zu regen, und in seinen Gedanken spiegelte sich der Schrecken wider, den er empfunden hatte, als der Vogel ihn aus etwa einem Kilometer Höhe zu Boden geschleudert hatte. * Mitten im Sprung warf sich der Nager herum. Sah es eben noch so aus, als wolle er sich in den Nacken Tyaris verbeißen, so machte er nun einen absolut friedlichen Eindruck. Auch die anderen Tiere, die vor Sekunden noch zum tödlichen Angriff bereit zu sein schienen, verhielten sich plötzlich anders. Sie zogen sich von Tyari und dem Arkoniden zurück. Die Telepathin hob ruckartig den Kopf, und ihre Augen schlossen sich. Fast eine Minute lang blieb sie so sitzen und atmete tief durch, als wolle sie die klare Morgenluft genießen. Sie lächelte, als sie endlich die Augen öffnete, und Atlan ansah, der sich aufgerichtet hatte und nun nicht mehr den Eindruck eines lebensgefährlich Verletzten machte. »Es ist vorbei«, sagte sie. »Ich hatte eine Verbindung. Wir waren eins. Die Natur und ich, und sie hat mich verstanden. Sie hat begriffen, daß nicht wir es sind, die sich gegen sie vergehen, sondern die Penetranz und das Arsenal.« »Dann wird sie uns auch in diesem Bereich helfen?« »Zumindest wird sie uns nicht mehr angreifen. Wir sind keine Fremdkörper mehr, keine Störenfriede, die ausgemerzt werden müssen. Das schließt natürlich nicht aus, daß irgendwo ein Raubtier Appetit auf uns entwickelt und Jagd auf uns macht.« Sie kam zu ihm und untersuchte seine Brust, die nun schon fast wieder normal aussah. Nur noch durch eine leichte Verfärbung war zu erkennen, wo das Stahlgeschoß aufgeprallt war. »Was ist aus den beiden Kreaturen der Penetranz geworden?« »Sie leben noch. Sie befinden sich draußen in der Steppe, kommen jetzt jedoch näher. Sie sind mehr denn je entschlossen, uns zu töten.« »Wir werden ihnen einen heißen Empfang bereiten.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das werden wir nicht. Ticker wird dich wegbringen. Du bist jetzt transportfähig. Wir werden uns nicht auf einen Kampf mit diesen beiden Geschöpfen einlassen.« »Ticker wird zuerst mit dir verschwinden.« »Natürlich nicht, Atlan. Du bist noch längst nicht soweit, daß du dich in einem Kampf behaupten könntest. Ich kann zur Not weglaufen und die Hilfe anderer Tiere in Anspruch nehmen. Du wärst ohne Unterstützung.« Er mußte ihr recht geben. Es wäre falsch gewesen, wenn sie zuerst mit dem Adler geflogen wäre. »Halte dich nicht lange auf«, entgegnete er. »Wir wollen keine Zeit verlieren. Vielleicht können wir beide weg sein, wenn die beiden kommen.« Sie half ihm auf, und er streckte die Arme in die Höhe, da der Schulter-Brust-Bereich noch immer zu empfindlich war. Ticker erhob sich von dem Felsen, auf dem er gesessen hatte, strich mit ausgebreiteten Schwingen heran, packte ihn an den Armen und stieg mit ihm auf. Rasch gewann er an Höhe. Tyari blickte Atlan und ihm nach, bis sie in der Ferne verschwanden. Sie war froh, daß Atlan aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich heraus war. Sie entfachte das Feuer, um sich ein wenig aufzuwärmen, und beobachtete dabei, wie sich die Tiere mehr und mehr aus ihrer Nähe verzogen. Immer wieder blickte sie auf die Steppe hinaus. Von dort aus
erwartete sie den Angriff der beiden Penetranz-Kreaturen, deren Gedanken sie erfaßte. Langsam rückten Faust und Zeh näher, voller Haß und Rachsucht. Die Telepathin hatte den Eindruck, daß sich ihre Intelligenz allmählich verlor. Es schien, als sei mit der Umwandlung eine künstliche Intelligenz geschaffen worden, die instabil war. Einige Male blitzten Gedanken an Alleshirn auf, und mit ihnen wurde deutlich, wie sehr Faust und Zeh von ihm abhängig gewesen waren. Dennoch waren sie nicht zu unterschätzen. Und dann tauchten sie zwischen zwei Hügeln auf. Geheimnisvoll leuchtete die Jenseitsmaterie, die Zeh zwischen den Augen trug. Faust lief neben ihm her. Er bewegte sich geschickt und schnell voran. Er hatte den Schock überwunden und war jetzt wieder so weit, daß er eine Niederlage gar nicht erst einkalkulierte. Tyari kauerte sich hinter einen Felsen, stützte ihre Arme auf, zielte sorgfältig und schoß auf Zeh. Dann warf sie sich zur Seite, noch bevor sie gesehen hatte, ob sie getroffen hatte. Wie erwartet, raste die stählerne Faust heran und prallte mit solcher Wucht gegen den Felsen, daß dieser förmlich zertrümmert wurde. Tyari feuerte erneut. Dieses Mal richtete sie den Blaster jedoch nicht auf einen ihrer Gegner, sondern auf den Faden, der Faust mit seiner stählernen Waffe verband. Der aufgefächerte Energiestrahl durchtrennte ihn. Tyari richtete sich auf. Sie sah, daß Zeh verschwunden war. Faust stand wie erstarrt auf der Stelle. Er schien nicht begreifen zu können, daß er entwaffnet worden war. Ein Gedanke kam in ihm auf. Im gleichen Moment sprengte er ein Stück seines Panzers ab und schleuderte es auf Tyari, die sich instinktiv in die Hocke fallen ließ und dadurch dem Geschoß gerade noch ausweichen konnte. Sie riß den Strahler hoch und löste ihn aus. Ein fingerdicker Energiestrahl schlug unmittelbar vor Faust in den Boden ein und ließ ihn aufglühen. Als die Telepathin einen zweiten Schuß auf die gleiche Stelle abfeuerte, verwandelte sich der Boden unter Faust in zähflüssige Glut. Das vierbeinige Geschöpf versuchte zu fliehen, reagierte jedoch zu spät. Es versank in der Glut. In höchster Panik sprengte es nahezu die gesamte Oberschale seines Panzers ab. Krachend wirbelten die Bruchstücke in die Höhe, ohne dabei auch nur in die Nähe Tyaris zu kommen. Mit dieser Maßnahme versetzte Faust sich selbst den Todesstoß. Jetzt schützte seinen Rücken nichts mehr vor der Gluthitze. Eine Stichflamme schoß senkrecht in die Höhe, und eine krachende Explosion riß den Boden auf. Tyari wurde von einer Druckwelle erfaßt und haltlos über die Lichtung bis hin zu einigen Büschen gewirbelt, in deren Geäst sie sich verfing. Ihr war, als sei sie von Feuer umgeben. Tosende Glut raste über sie hinweg und versengte die Blätter in den Kronen der Bäume. Tyari preßte sich auf den Boden. Ihre Ohren schmerzten, so daß sie vorübergehend fürchtete, ihre Trommelfelle seien unter der Wucht der Explosion geplatzt. Erdbrocken, Grassoden und Zweige regneten auf sie herab. Sie fühlte eine seltsame Schwäche in den Beinen, und sie glaubte, sich nicht erheben zu können. Nur langsam überwand sie den Schock. Sie blickte zu der Stelle zurück, an der die Jenseitsmaterie explodiert war, und sie erfaßte die Gedanken des sterbenden Faust. Sie erschauerte vor Entsetzen. Sie sah eine dunkle Rauchwolke aus dem Krater aufsteigen, den die Explosion gerissen hatte, und sie meinte, die Umrisse eines Mannes darin erkennen zu können, der einen Arm hob, als ob er sie grüßen wollte. Endlich. Ich bin frei, klang es in ihr auf. Ich danke dir. Es waren die Gedanken Bruce Kaymans, der lieber tot als Sklave von Anti-ES sein wollte. Die Telepathin wandte sich ab. Es war geschafft. Sie hatte Glück gehabt, daß der größte Teil der freiwerdenden Energie nach oben entwichen war und sich nicht gleichmäßig ausgebreitet hatte. Faust und Zeh waren tot. Jetzt brauchte sie nur noch auf Ticker zu warten. Er würde sie abholen und zu Atlan bringen. Gemeinsam würden sie danach versuchen, Asgard zu finden und für sich zu gewinnen. Nein! Sie sprang auf, stolperte und stürzte wieder ins Gras. Zugleich hörte sie, daß etwas an ihr vorbeischoß. Sie sprang auf und flüchtete einige Schritte weiter. Atemlos blieb sie hinter einem Felsen stehen und blickte zurück. Zeh lebte. Sie konnte seine Gedanken empfangen, aber sie konnte ihn nicht sehen. Erschrocken wich sie zurück, da sie sich nicht zu erklären wußte, weshalb Zeh verschwunden war, seine Gedanken jedoch noch lebten. Sie spürte, daß er sich ihr näherte, und sie erkannte, daß sie sich nicht gegen ihn wehren konnte. Blind feuerte sie auf die Lichtung hinaus. Hatte Zeh sich unsichtbar gemacht? Schritt für Schritt wich sie zurück. Sie war unsicher geworden, und sie wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte, da sie sich nicht erklären konnte, was mit Zeh geschehen war. Das Brüllen eines Raubtiers ließ sie zusammenfahren. Sie fuhr herum und merkte erst jetzt, daß sie sich rückwärts schreitend einem Rudel von sechsbeinigen Raubtieren genähert hatte. Es waren acht Exemplare einer Spezies, die offenbar durch ihre Kraft und Wildheit die Steppe beherrschte. Die Tiere hatten langgestreckte, muskulöse Körper und ein grünlich-blaues Fell, mit dem sie sich den Farben ihrer Umgebung nahezu vollkommen anpaßten. Ihre Köpfe waren langgestreckt und mit Greifzangen versehen, so daß ihnen eine Beute, die sie einmal gepackt hatten, kaum entkommen konnte. Die beiden größten Tiere des Rudels stürmten Tyari einige Meter entgegen. Drohend entblößten sie ihre gewaltigen Reißzähne, und ein dumpfes Knurren drang aus ihren Kehlen. Erschrocken eilte Tyari zur Seite. Sie wollte sich nicht auf einen Kampf mit diesen Tieren einlassen, wie sie überhaupt jeder Auseinandersetzung mit der Natur aus dem Weg gehen wollte. Ihr kam es nur auf Zeh an. Er folgte jeder ihrer Bewegungen, und er schien ständig aufzuholen. Sie vernahm, was er dachte, spürte, daß er triumphierte. Seine Gedanken ließen keinen Zweifel daran, daß er sie sehen und daher auf jeden ihrer Schritte reagieren konnte. Fünf büffelartige Tiere mit schweren, bis fast zum Boden herabreichenden Hörnern und dichtem, zottigen Fell trabten an ihr vorbei. Schnaubend und röhrend stampften sie auf den Boden, als sie das Gelände erreichten, auf dem die Telepathin Zeh vermutete. Sie wollen mir helfen! schoß es Tyari durch den Kopf. Sie wissen, daß Zeh hier irgendwo ist, und sie suchen ihn. Die Natur hat sich endgültig auf meine Seite gestellt. Eines der Tiere brüllte laut auf, warf die vier Vorderläufe in die Luft und brach dann röchelnd zusammen. Es wälzte sich einige Male hin und her, dann erstarb jede Bewegung, und die Augen wurden starr. Tyari blickte verzweifelt in den Himmel. Wo blieb Ticker? Warum kam er nicht zurück? Er brauchte Atlan doch nur ein paar Kilometer weit zu bringen, um ihn in Sicherheit zu wissen. Dann konnte er sie nachholen. Doch von dem adlerähnlichen Vogel war nichts zu sehen. Ein weiterer Büffel brach zusammen und starb innerhalb von Sekunden. Zugleich empfing Tyari die Gedanken Zehs, dem sein erneuter Sieg eine unbändige Freude bereitete. Die anderen drei Büffel rannten wild stampfend hin und her. Sie senkten die Köpfe tief herab und rissen den Boden mit den Hörnern auf. Sie hatten Angst. Sie spürten, daß der Tod nach ihnen griff, aber sie flüchteten nicht. Sie suchten vergeblich nach dem unsichtbaren Gegner, der Tyari bedrohte. Die Telepathin fuhr herum und floh in die Steppe hinaus, als auch die übrigen drei Rinder einen rätselhaften Tod starben. Die Siegesfreude Zehs verlor sich mit jedem Schritt, mit dem sie sich von den toten Rindern entfernte. Zugleich kam die Angst in ihm auf, daß sie
Die Siegesfreude Zehs verlor sich mit jedem Schritt, mit dem sie sich von den toten Rindern entfernte. Zugleich kam die Angst in ihm auf, daß sie ihm entkommen könnte. Tyari blickte über die Schulter zurück, und da sah sie den stacheligen Riesenwurm, der sich mitten zwischen den getöteten Tieren erhob. Auf den ersten Blick bemerkte sie, daß viele seiner Stacheln im Kopfbereich fehlten. Er hat sie mit den Stacheln umgebracht! Geheimnisvoll und drohend zugleich leuchtete die Jenseitsmaterie zwischen seinen Augen, als er sich voranwarf und Tyari folgte. Er war beängstigend schnell. Die Telepathin blieb schwer atmend stehen. Ich kann nicht vor ihm weglaufen, dachte sie. Er wird mich einholen. Sie hob den Energiestrahler und zielte sorgfältig, wobei sie sich wunderte, daß der Stachelwurm unbeirrt weiterkroch, so als habe er nichts zu befürchten. Als sie sicher war, daß sie den Brocken Jenseitsmaterie zwischen den Augen treffen würde, feuerte sie die Waffe ab. Der Energiestrahl blendete sie. Dennoch meinte sie zu sehen, daß sie die Jenseitsmaterie getroffen hatte. Dann breitete sich auch schon ein Feuerball an der Stelle aus, an der Zeh eben noch gewesen war, und eine Druckwelle schleuderte sie mehrere Meter weit bis unter die Äste eines Baumes, der in einer Mulde wuchs. Sie befreite sich von einigen Dornen, die an ihrer Hose hingen, sprang auf und blickte zu der Explosionsstelle hinüber. Zeh war verschwunden, und jetzt empfing sie auch seine Gedanken nicht mehr. Sie erwartete, auch dieses Mal eine menschliche Gestalt zu sehen, aber sie wurde enttäuscht. Er ist tot! dachte sie. Und ich bin zu lange in diesem Graben gewesen. Der Solaner, der sich hinter Zeh verbarg, hat sich schon verflüchtet. Erleichtert schob sie die Waffe in den Gürtel zurück. Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht, und dann klangen die Gedanken Tickers in ihr auf. Es wird Zeit, daß du kommst, erwiderte sie. Die mächtigen Krallen legten sich um ihre Schultern, und dann trugen die Schwingen sie bis hoch über die Baumwipfel hinauf. Sie blickte noch einmal über die Schulter zurück. Ein häßlicher, schwarzer Fleck breitete sich unter ihr aus. Er kennzeichnete die Stelle, an der Zeh – wie sie meinte – gestorben war. Sie sah den fingerlangen Stachelwurm nicht, der an dem Brocken Jenseitsmaterie auf seinem Kopf schwer zu tragen hatte, und sie ahnte nicht, daß lediglich ein kleiner Teil dieser Jenseitsmaterie explodiert war. * Atlan wartete in einem langgestreckten Tal, dessen Hänge von dichten Wäldern überzogen waren. An einem Bachlauf suchten Tausende von farbenprächtigen Vögeln nach Nahrung. Auf ausgedehnten Grünflächen ästen antilopenartige Tiere. Einige Vierbeiner, die mit ihren dunklen Nasen und den aufgestellten Dreiecksohren an Hunde erinnerten, heulten den Arkoniden aus sicherer Distanz an. Sie zogen sich knurrend und jaulend ins Unterholz zurück, als Ticker mit Tyari landete, und sie einsahen, daß sie die Eindringlinge nicht aus ihrem Revier vertreiben konnten. »Ich habe es mir überlegt«, sagte Atlan, nachdem er die Telepathin begrüßt hatte. »Wir werden Asgard an uns bringen. Er muß irgendwo am Ende des Tales sein, wo die ARSENALJYK nun gelandet ist. Ich vermute, daß die ARSENALJYK ihren alten Landeplatz verlassen hat, weil die Natur dieses Planeten ihr allzusehr zugesetzt hat.« »Wenn die ARSENALJYK dort ist, dann ist auch die Penetranz da«, wandte Tyari ein. »Sie wird nicht tatenlos zusehen, wenn wir versuchen, Asgard in unseren Besitz zu bringen.« Atlan nahm einen vertrockneten Zweig und warf ihn in den Bach. Er verfolgte, wie das Holz von der Strömung hinweggetragen wurde. »Der Zellaktivator wird verhindern, daß die Penetranz mich geistig überwältigen kann«, entgegnete er. »Auch unsere Bindung aneinander hat ja eine auflösende Wirkung, gegen die unser gemeinsamer Gegner machtlos ist.« Sie setzte sich ins Gras, wollte gedankenverloren eine Blume abpflücken, um damit zu spielen, berührte sie dann aber doch nicht, weil sie die Natur dieses Planeten nicht unnötig herausfordern wollte. »Du denkst also, daß du Asgard für dich einnehmen kannst, wenn du erst einmal in ihm bist?« »Wenn wir beide in ihm sind«, korrigierte er lächelnd. Tyari deutete auf Ticker, der auf einer kleinen Sandbank im Bach stand und hin und wieder etwas Wasser trank. »Und was ist mit ihm? Besteht nicht die Gefahr, daß die Penetranz ihn überwältigt, wenn er sich in ihre unmittelbare Nähe wagt?« »Bestimmt nicht, Tyari. Wenn ich mir recht überlege, was passiert ist, dann bleibt eigentlich nur der Schluß, daß Ticker die Kräfte der Penetranz neutralisiert. Er ist bisher nie in den Bann der Penetranz geraten, wohl aber ein Teil der Natur dieses Planeten.« Die Telepathin nickte. Sie teilte diese Ansicht des Arkoniden. »Ticker soll zur ARSENALJYK fliegen«, schlug sie vor. »Mit seiner Hilfe kann ich mich über die Situation informieren, die wir vorfinden werden.« »Er soll aufsteigen. Je eher, desto besser.« Sie leitete diesen Gedanken an den Adler weiter, und dieser erhob sich mit mächtigem Flügelschlag. Er umkreiste Atlan und die Telepathin mehrere Male und flog dann in Richtung ARSENALJYK davon. Tyari legte die Hände vor das Gesicht und konzentrierte sich. Sie sah nun quasi mit den Augen des Vogels. Atlan entfernte sich einige Schritte von ihr, um sie nicht zu stören. Es dauerte nicht lange, bis die Telepathin den Kopf hob und ihn zu sich rief. »Am Ende des Tales liegt eine Senke«, berichtete sie. »Von ihr aus führen fünf Gräben auf uns zu. Das Ganze sieht von oben aus wie eine menschliche Hand. Mitten in der Senke steht die ARSENALJYK, die ehemalige Korvette der SOL. In den Gräben haben sich Mitglieder des Arsenals postiert.« »Hast du den Arsenalführer Kerness Mylotta gesehen?« »Ihn und Mjailam. Sie halten sich vor der ARSENALJYK auf. Wo die Penetranz ist, weiß ich nicht. Sie ist nirgendwo aufgetaucht, während Ticker über dem Raumschiff kreiste. Dafür haben wir aber Asgard entdeckt, und das ist wahrscheinlich wichtiger.« Sie lächelte flüchtig. »Ist jemand in seiner Nähe?« »Niemand. Er ist am äußersten Ende eines Grabens, der östlich von uns liegt. Dort wachsen kohlähnliche Pflanzen, die ihm besonders gut zu
schmecken scheinen. Jedenfalls grast er sie ab.« »Dann wollen wir nicht länger warten. Eine bessere Chance ergibt sich vielleicht nie.« Er blickte zu dem Adler hinauf, der bewegungslos über ihnen kreiste. »Ticker soll uns einzeln bis in die Nähe Asgards tragen«, sagte er. »Zuerst mich, dann dich. Ich warte, bis du da bist. Dann greifen wir gemeinsam an.« Die Telepathin hob einen Arm, und der riesige Vogel senkte sich gemächlich herab. Er hatte verstanden, was Tyari ihm mitgeteilt hatte.
7. Zeh warf sich ungestüm voran. Er hatte sich zu seiner normalen Größe ausgeweitet, weil er dadurch schneller war. Obwohl er nun allein gegen Atlan und Tyari stand, glaubte er mehr denn je an einen Sieg über sie. Rücksichtslos durchbrach er die weidenden Herden und tötete dabei mehrere Tiere, die ihm im Weg waren. Durch nichts ließ er sich aufhalten. Für ihn war enttäuschend genug, daß ihm Atlan und Tyari entkommen waren, und daß er seine beiden Mitkämpfer verloren hatte. Immer wieder bemühte er sich, eine geistige Verbindung zur Penetranz zu bekommen, jedoch vergeblich. Sie meldete sich nicht. Dennoch wußte er, daß die ARSENALJYK ihren Landeplatz verlassen hatte und zu einem anderen übergewechselt war. Er wußte, wo dieser war, und er zweifelte keine Sekunde daran, daß Atlan und Tyari dorthin geflogen waren. Er tat alles, um sie einzuholen, bevor es zur letzten Entscheidung kam, und er wünschte sich, daß er zu einem Zeitpunkt bei der ARSENALJYK eintreffen würde, an dem der unausweichliche Kampf zwischen den Mitgliedern des Arsenals und Atlan auf des Messers Schneide stand. Immer wieder versuchte die Natur, ihn aufzuhalten, doch er walzte jeden Widerstand nieder und tötete gnadenlos. Und wenn ihm gar keine andere Wahl blieb – beispielsweise an einem undurchdringlich erscheinenden Spinnennetz –, verkleinerte er sich, so daß er durch die Maschen schlüpfen konnte. Als die Natur ihm einen Schwarm fliegender Raubinsekten schickte, sprengte er ein winziges Stückchen Jenseitsmaterie ab, entzündete sie und umgab sich mit einem Feuerball, in dem die Insekten verbrannten. Danach setzte die Natur eine Antilopenherde gegen ihn ein, aber er feuerte fast sämtliche Stacheln seines Körpers ab und tötete die ganze Herde. Niemand und nichts konnte ihn aufhalten. * »Dort ist Asgard«, flüsterte Atlan, als Tyari neben ihm gelandet und Ticker zu einem Baum in der Nähe weitergeflogen war. »Er hat mich noch nicht bemerkt.« Asgard nahm noch immer Pflanzen in sich auf, um auf diese Weise Verluste seiner plasmaähnlichen Substanz wieder auszugleichen. Er war eine Kugel, die einen Durchmesser von annähernd fünf Metern hatte. Nicht zu sehen war, daß er in seinem Innern einen ebenfalls kugelförmigen Hohlraum mit einem Durchmesser von etwa drei Metern hatte. Auf seiner Außenhülle befanden sich unzählige Muster und Zeichen, die teils einzelne Worte, teils aber auch ganze Sätze oder Zeichnungen bildeten. Das wenigste davon war verständlich. Der überwiegende Teil war völlig fremdartig und schien unerklärlich zu sein. Atlan und Tyari wußten, daß Asgard diese Zeichen und Muster nach Lust und Laune selbst erzeugte und daß sie Ausdruck seiner Emotionen waren. Darüber hinaus konnte er diese Fähigkeiten aber auch für Kommunikationszwecke nutzen und ganz gezielt irgendwelche Muster, Zeichnungen oder Texte auf seiner Außenhaut erscheinen lassen. Er konnte kleine Auswüchse bilden – Extremitäten aller Art – und damit entsprechend den Notwendigkeiten hantieren. Vor allem aber konnte er Öffnungen in seiner Hülle schaffen und durch sie aufnehmen, was er in seinem Innern verbergen oder transportieren wollte. Er war ein künstliches Lebewesen, von Anti-ES und Anti-Homunk in der Namenlosen Zone erzeugt, das in seinem Innenraum eine beliebige Atmosphäre entstehen lassen konnte, so daß die unterschiedlichsten Lebewesen darin für einige Zeit existieren konnten. Für Atlan und Tyari war diese Eigenschaft von lebenswichtiger Bedeutung. Sie hofften, in Asgard eindringen und mit ihm die Flucht in den Weltraum antreten zu können, da das Kugelwesen die Gravitation verändern und damit sich selbst mit den Werten bis zu 50 m/sec2 beschleunigen konnte. In weniger als sechs Sekunden erreichte es eine Geschwindigkeit von 1000 km/h. Das sollte ausreichen, der Penetranz und dem Arsenal zu entkommen. Asgard konnte sich jedoch nicht akustisch mitteilen, und er war auch kein vollwertiger Telepath. Er konnte jedoch gedanklich mit Atlan, auf den sich seine Intelligenz besonders eingeschwungen hatte, korrespondieren, jedoch nur, wenn Atlan sich ihm bis auf wenigstens vier Meter näherte. Tyari konnte sich kaum direkt mit ihm verständigen. »Es ist alles so ungeheuer feindselig hier«, flüsterte die Telepathin. »Alles?« »Ja. Es braut sich etwas zusammen. Die Natur lehnt sich gegen die ARSENALJYK und die Penetranz auf. Ich fühle es. Noch nie ist mir soviel Aggressivität begegnet.« »Aber die richtet sich nicht gegen uns?« Tyari schüttelte den Kopf, aber Atlan hatte den Eindruck, daß sie unsicher war. Etwa zweihundert Meter von ihnen entfernt blitzte ein Energiestrahler auf, und ein Baumstamm explodierte unter dem Einfluß der spontan auftretenden Hitze. »Sie merken es«, wisperte die Telepathin. »Siehst du? Von allen Seiten wachsen Lianen heran. Sie sind hellgrün. Sie kreisen die ARSENALJYK ein.« Atlan wäre die Veränderung ihrer Umgebung niemals aufgefallen, wenn sie ihn nicht darauf hingewiesen hätte. Jetzt sah er, daß die Natur angriff. Die Vegetation war dichter geworden. Armdicke Schlingpflanzen schoben sich an die Senke heran, in der die ARSENALJYK stand. »Los«, drängte er. »Hin zu Asgard, bevor es zu spät ist.« »Vorsicht«, rief die Telepathin. Der Aktivatorträger fuhr herum. Er sah einen untersetzten Mann, der mit einem Messer bewaffnet war und von einem Baum auf ihn herabsprang. Bevor er ihm ausweichen konnte, hatte der Angreifer ihn bereits zu Boden gerissen. Atlan stürzte auf die Seite. Ein stechender Schmerz fuhr durch seine Brust und lähmte ihn. Der Sklave der Penetranz holte aus, um ihm das Messer ins Herz zu stoßen. Doch Tyari warf sich auf ihn und packte seinen Arm. Sie hielt ihn fest und verschaffte Atlan dadurch eine winzige Atempause, die jedoch lang genug war, so daß er sich von dem Schock erholen konnte. Er drängte den Angreifer mit einem Dagor-Trick zurück, hebelte ihn aus und schleuderte ihn in ein Gebüsch. Er nahm das Messer auf, das dem Untersetzten entfallen war, und schleuderte es weit von sich. Er erwartete einen weiteren Angriff, doch der Sklave der Penetranz kroch aus dem Gebüsch und rannte wie von tausend Furien gehetzt davon. »Wir müssen ihn aufhalten«, rief Tyari. »Er alarmiert die Penetranz.« »Zu spät«, erkannte der Arkonide. »Wir holen ihn nicht mehr ein. Wir haben nur eine Wahl. Wir müssen so schnell wie möglich in Asgard eindringen.« Er griff nach der Hand Tyaris und lief los. Sich jetzt noch länger zu verstecken, wäre sinnlos gewesen. Als sie sich der Kugel bis auf etwa zwanzig Meter genähert hatten, ertönten in der Ferne Schreie, und ein Schuß fiel. Ein Energiestrahl fuhr schräg über die Baumkronen hinaus. »Sie wissen Bescheid«, sagte die Telepathin. »Es dauert nicht mehr lange, bis sie hier sind.« Asgard wuchs vor ihnen auf. Deutlich zeigte er durch eine Veränderung der Muster und Zeichnungen an, daß er sie bemerkt hatte. Laß uns hinein, befahl der Extrasinn des Arkoniden, ohne diese Forderung allerdings klar im Wortlaut zu formulieren.
Eine Reihe von bizarren Mustern bildete sich, aber eine Öffnung tat sich nicht auf. Das Extrahirn drohte der Kugel zu schießen und ihm Verwundungen beizubringen. »Schneller«, drängte Tyari. »Schneller. Sie kommen schon.« Unter den Bäumen – etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt – tauchten einige verwahrlost aussehende Gestalten auf. Atlan blickte zu ihnen hinüber. Er war erschüttert. Diese Männer und Frauen waren ehemalige Solaner, die von der Penetranz und Anti-ES zu Marionetten gemacht worden waren. Sein Extrahirn schickte ein wahres Trommelfeuer von Impulsen zu Asgard, um ihn dazu zu veranlassen, endlich seine Schale zu öffnen. Mit der Faust schlug der Arkonide gegen ihn, als könne er ihn dadurch aufrütteln. Tyari schoß. Sie hatte keine andere Wahl. Doch sie tötete nicht, sondern feuerte auf einige Büsche, die zwischen ihr und den Sklaven der Penetranz wuchsen. Es schien, als habe die Natur nur auf den zündenden Funken gewartet. Die dürren Zweige der Büsche gingen in Flammen auf, und auch das Gras, aus dem plötzlich jegliche Feuchtigkeit gewichen zu sein schien, begann zu brennen. Zögernd und unsicher blieben die Sklaven stehen. »Was ist mit Asgard?« fragte Tyari. »Antwortet er nicht?« »Er schweigt sich aus«, erwiderte Atlan und hieb erneut mit der Faust gegen die Schale des Kugelwesens. »Er zeigt uns lediglich die verflixten Muster und Zeichen, aus denen niemand schlau werden kann.« Am Landeplatz der ARSENALJYK klang der dumpfe Donner einer Energiekanone auf, die auf Ziele in unmittelbarer Umgebung des Raumschiffs gerichtet war. Atlan hörte, wie die Triebwerke aufheulten. Der Boden unter seinen Füßen erzitterte, und dann neigte sich das Land zwischen ihm und dem Raumschiff, das urplötzlich einbrach und bis zur Hälfte im Boden verschwand, unter dem sich auf rätselhafte Weise ein großer Hohlraum gebildet hatte. Ein blindlings abgefeuerter Energiestrahl zuckte kaum zwei Meter über Tyari und Atlan hinweg. Er traf Asgard an der oberen Rundung und warf ihn mit unwiderstehlicher Gewalt herum. Die Organkugel wurde mitgerissen und taumelte etwa fünfzig Meter weit, wobei sie sich ungemein schnell drehte, als habe sie die Kontrolle über sich verloren. Schließlich aber fing sie sich. Sie stieg einige Meter an, drehte sich und senkte sich dann mit der versengten Rundung in einen Tümpel, um sich abzukühlen. Atlan machte sich keine Sorgen um Asgard. Er wußte, daß derartige Wunden bei ihm schnell verheilten. Innerhalb der letzten Minuten hatte sich der Himmel bezogen. Düstere Wolken drängten sich heran, und dann ging ein wolkenbruchartiger Regen hernieder, der die Sicht bis auf wenige Meter verringerte. Blitze zuckten herab, und der krachende Donner machte eine Verständigung fast unmöglich. »Die Natur greift die ARSENALJYK an«, schrie Tyari. »Glaubst du, daß sie etwas erreicht?« »So wohl kaum«, antwortete Atlan, während er zusammen mit ihr zu Asgard rannte. Einige der Verfolger schossen, aber die Energiestrahlen zuckten weit an ihnen vorbei. Es schien, als hätten die Sklaven der Penetranz sie aus den Augen verloren. An den rasch wechselnden Mustern auf der Außenhaut Asgards erkannte der Arkonide, daß dieser verunsichert war. Erlosch der Widerstand allmählich? Löste sich das Kugelwesen aus dem Bann der Penetranz? Hilf uns endlich! Tyari brach neben ihm zusammen, als sich ein riesiger Mann auf sie warf. Sie stürzte kopfüber in den Tümpel, und der Angreifer drückte sie unter Wasser. Für einen kurzen Moment zögerte der Arkonide, dann begriff er, daß die Telepathin sich niemals selbst helfen konnte. Er mußte seine Verständigungsversuche mit Asgard unterbrechen, um ihr zu helfen. Er mußte sich die Zeit nehmen, weil eine Flucht ohne Tyari sinnlos gewesen wäre. Zornig packte er den Mann an den Schultern und riß ihn hoch. Er sah, mit welcher Gewalt er die Telepathin festhielt, und ihm blieb nichts anderes übrig, als ihn mit einem äußerst riskanten Dagor-Schlag auszuschalten. Ellenbogen und Handkante trafen den Sklaven in so schneller Folge am Kopf, daß die Armbewegung des Arkoniden kaum zu erkennen war. Damit war der Kampf auch schon vorbei. Atlan hob Tyari hoch und zerrte die Marionette der Penetranz ans Ufer, damit sie nicht ertrank. »Es ist schon gut«, murmelte Tyari erschöpft. »Kümmere dich um Asgard. Ohne ihn schaffen wir es nicht. Nur auf ihn kommt es an.« Ihre Worte waren unnötig. Schon längst appellierte sein Extrahirn wieder an die Plasmakugel, sie aufzunehmen. Öffne dich endlich, Asgard, oder willst du, daß ich mir einen Weg in dein Inneres freischieße? Immer wieder zuckten Blitze aus dem düsteren Himmel herab und erhellten das Land, so daß Atlan und die Telepathin die Männer und Frauen sehen konnten, die von der ARSENALJYK kamen, und die versuchten, sich zu ihnen durchzukämpfen. Tiere der unterschiedlichsten Art warfen sich ihnen entgegen, ohne sich von den Energiewaffen aufhalten zu lassen. Atlan richtete seinen Blaster auf Asgard, stellte ihn auf geringe Energieausschüttung ein und schoß. Eine faustgroße Brandblase bildete sich auf der Außenhaut des Kugelwesens, und der Arkonide meinte, einen Schmerzensschrei zu hören. Öffne dich. Ich befehle es dir. »Ich glaube, Roboter kommen«, rief Tyari durch den Regen. »Das Arsenal schickt Kampfmaschinen.« Atlan schaltete seinen Strahler auf Desintegratorwirkung um und löste ihn gegen Asgard aus. Er schnitt eine tiefe Wunde in die Organschale des Wesens, und diese weitete sich plötzlich aus, so daß Tyari und er hineinkriechen konnten. Asgard bildete zugleich aber tentakelartige Arme aus, mit denen er die beiden zurückzustoßen versuchte. Es gelang ihm, die Telepathin am Hals zu fassen. Laß sie los! Asgard reagierte nicht auf den Befehl. Doch da schoß ein schwarzer Körper aus dem Regen herab und stieß wie ein Pfeil in die Öffnung hinein. Es war Ticker.
Der Vogel zerriß den Tentakel mit dem Schnabel und befreite Tyari auf diese Weise schneller, als Atlan es mit dem Desintegrator hätte tun können. Draußen blitzte es auf. Schier unerträglich helles Licht schlug durch die Öffnung herein, und wieder glaubte Atlan, einen Schmerzensschrei zu hören, dieses Mal noch schriller als zuvor. Asgard wurde von einem Schlag so heftig getroffen und weggeschleudert, daß Tyari und der Arkonide sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Sie stürzten übereinander. »Ruhig«, mahnte Atlan, als die Telepathin sich erheben wollte. Er legte seinen Arm um ihre Schultern. »Es ist alles gut. Er widersetzt sich mir nicht mehr.« »Was ist passiert?« »Die ARSENALJYK hat ihn getroffen.« »Er bewegt sich«, stellte sie fest. Sie zeigte durch den Spalt nach draußen. »Er schwebt von der ARSENALJYK weg. Warum ist er nicht schneller? Er ist viel zu langsam. Was ist mit ihm?« »Er ist verletzt. Ziemlich schwer sogar, aber seine Wunden heilen schnell.« »Die Öffnung schließt sich nicht.« »Das kommt noch.« »Glaubst du wirklich? Was ist, wenn er so mit uns bis in den Weltraum aufsteigt?« »Das wird er nicht tun. Ich bin ganz sicher. Er hat ...« Atlan verstummte. Besorgt blickte Tyari ihn an. »Was hast du?« fragte sie. »Was ist los?« »Die Verständigung mit ihm klappt nicht so recht«, erwiderte der Aktivatorträger. »Ist er stark verletzt?« »Ich glaube, er hat einen geistigen Schaden erlitten.« Atlan konzentrierte sich ganz auf die Verbindung zu Asgard. Er versuchte einen Teil seines Ichs auszuschalten und sich ganz dem Extrahirn zu überlassen. Einige Minuten verstrichen. Tyari beobachtete Ticker, der in kampfbereiter Haltung vor der Öffnung der Organschale kauerte und in den Regen hinausblickte. »Es ist tatsächlich so«, sagte Atlan. »Er hat einen geistigen Schaden. Er erinnert sich kaum noch an das, was geschehen ist, und über seine eigene Vergangenheit weiß er so gut wie nichts.« »Asgard bewegt sich viel zu langsam«, bemerkte die Telepathin mit bebender Stimme, die ihre immer stärker werdende Angst widerspiegelte. »Die Männer und Frauen des Arsenals folgen uns. Sieh doch, die Natur versucht, sie aufzuhalten, aber sie kämpfen alles nieder. Sie schießen auf alle Tiere, die ihnen in die Quere kommen.« »Früher oder später wird Asgard schneller werden. Er erholt sich bereits von seinen Verletzungen. Sorge machen mir allein Mjailam und Mylotta.« Diese Worte waren kaum über die Lippen des Arkoniden gekommen, als wenige Meter von der schwebenden Kugel entfernt ein humanoider Riese erschien, der ein nahezu schwarzes Fell hatte. Unbeholfen eilte er auf Asgard zu, die Arme wie hilfesuchend ausgestreckt. »Mjailam«, stöhnte Tyari erschreckt. »Das ist er.« Mjailam war der Mensch gewordene Instinkt Prezzar der Galaxis Farynt. Da er Teil dieser Galaxis war, konnte er, von seinem Instinkt gelenkt, überall in ihr und auf den Bars-Welten auftauchen. Atlan hatte damit gerechnet, daß er mitten in Asgard erscheinen würde. Doch nun war Mjailam außerhalb der Organkugel, und er war offenbar noch nicht einmal in der Lage, sie einzuholen. »Irgend etwas hält ihn auf«, erkannte der Unsterbliche. Unter dem Grün der Bäume trat eine untersetzte Gestalt hervor, die ein dunkles Stirntuch trug. »Mylotta«, rief Tyari. »Er wird uns angreifen.« Mjailam fiel weiter zurück. Er hatte Mühe, die Beine zu heben, und er stolperte einige Male. Dann verschwand er überraschend und erschien unmittelbar vor der Öffnung. Jetzt brauchte er nur noch die Arme auszustrecken, um sie zu erreichen. Er tat es nicht. Er fiel abermals zurück, blieb dann stehen und blickte hilflos zu Mylotta hinüber, dessen Waffen seltsamerweise nicht zum Einsatz kamen. »Sie schaffen es nicht«, sagte die Telepathin verblüfft. »Mjailam kann nicht zu uns hereinkommen, und Mylotta ist ebenfalls machtlos.« Atlans Extrahirn empfing ein Signal Asgards, der nun völlig auf seiner Seite stand. »Ich dachte, es sei eine neue Kraft, die Asgard entwickelt hat«, lächelte er. »Aber ich habe mich geirrt. Asgard hat mich soeben wissen lassen, daß es der Vogel ist, der Mylotta und Mjailam neutralisiert.« »Tatsächlich? Ticker? Wie ist das möglich?« rief Tyari überrascht. Sie tastete sich telepathisch an den Adler heran und erfuhr, daß Asgard die Wahrheit gesagt hatte. Ticker hatte die unbegreifliche Fähigkeit, Psi-Kräfte zu neutralisieren. Mjailam und Mylotta verschwanden im Regen. Einige Male blitzte es noch auf. Energiestrahlen fuhren über Asgard hinweg, ohne ihn zu verletzen. Sie verwandelten den Regen in kochendheißen Dampf, der sich jedoch so schnell wieder abkühlte, daß die Organkugel nicht von ihm berührt wurde. Dann endlich wurde es still. Asgard glitt durch eine düstere Schlucht mit steil aufragenden Felswänden. Allmählich wurde er schneller, so daß die ARSENALJYK weiter und weiter zurückfiel. »Wir sind vorläufig in Sicherheit«, sagte Tyari aufatmend. »Wir sind schon zu weit von der ARSENALJYK entfernt. Sie findet uns nicht wieder.« »Asgard braucht noch Zeit, um sich zu erholen«, entgegnete der Arkonide. »Vorläufig kann er jedenfalls noch nicht in den Weltraum starten.« Es schien, als habe Ticker diese Worte gehört. Er erhob sich, drehte sich um und blickte sich mit weit vorgestrecktem Kopf im Inneren der Organkugel um.
»Was hat er?« fragte Tyari beklommen. »Ich weiß nicht«, erwiderte Atlan. »Irgend etwas stimmt nicht.« Ein grünliches Leuchten erfüllte das Innere der Kugelhülle. Jenseitsmaterie! schrie das Extrahirn. Atlan fuhr hoch. Er sah sich um. »Irgendwo ist Jenseitsmaterie«, sagte er. »Ja, du hast recht. Es leuchtet so eigenartig.« Auch Tyari erhob sich. Ihr Haar sah nicht mehr weiß, sondern grün aus, und es veränderte seinen Farbton allmählich und wurde hellrosa. »Laß uns hinaus«, rief der Arkonide laut. »Asgard – wir wollen aussteigen.« Diese Worte wären wahrscheinlich sinnlos gewesen, wenn sie nicht zugleich auch vom Extrahirn des Arkoniden formuliert worden wären. Das Kugelwesen gehorchte. Es ließ sich mitten in der Schlucht auf den Boden sinken und verharrte dort. Atlan und Tyari sprangen durch die Öffnung an Ticker vorbei nach draußen. Der Adler folgte ihnen mit trägem Flügelschlag.
8. »Jagt sie«, befahl die Penetranz. »Noch sind sie in der Nähe. Noch haben sie diese Welt nicht verlassen. Hetzt sie zu Tode. Laßt sie nicht entkommen.« Geradezu fanatischer Haß stand hinter diesem Befehl. Die Penetranz war ein direkter Ableger von Anti-ES, den es nach dem Vorbild Chybrains erzeugt hatte. Die Penetranz besaß einen eiförmigen Körper von etwa einem Meter Höhe und 60 Zentimetern Dicke. Sie hatte keinerlei Extremitäten. Ihre Oberfläche war gleichmäßig glatt und mit dünnen, etwa fünf Zentimeter langen, flaumartigen Haaren überzogen. Sie leuchteten dunkelblau bis violett, wobei die Lichtbewegungen wellenförmig über die Außenfläche liefen. Dieses geheimnisvolle Leuchten schloß auch die Haare ein. Als sie ihren Sklaven den Befehl erteilte, Atlan, Tyari und Ticker weiterhin zu jagen, schwebte sie in einer Höhe von fast drei Metern über dem Boden. Sie hielt sich in der Nähe der ARSENALJYK auf, die noch immer zu mehr als der Hälfte im Boden steckte und gegen heranschießende Lianen, Schlamm und äußerst aggressiven Säureregen zu kämpfen hatte. Die Penetranz war ein quasibiologischer Roboter, der jedes Wesen, das einmal in seiner Nähe war, kontrollieren und lenken konnte, auch wenn es sich später weit von ihr entfernte. Diese Fähigkeit war durch die Niederlagen ihrer Sklaven keineswegs verringert worden. Die Mitglieder des Arsenals gehorchten. Die setzten die Jagd auf Atlan und Tyari fort. Doch nicht alle verließen die ARSENALJYK. Ein Teil der Besatzung blieb, um das Schiff von eingedrungenen Pilzen und Flechten zu befreien, die durch die Schleusen hereingekommen waren und sich im Innern in rasender Geschwindigkeit ausbreiteten. Geraume Zeit verging, bis es gelang, das Raumschiff aus dem Schlamm herauszuführen und somit zumindest teilweise aus der Umklammerung der Natur zu befreien. Mit Waffen und anderem Kampfgerät ausreichend ausgerüstet, flogen die anderen Sklaven der Penetranz davon, um den Kampf gegen Atlan und Tyari fortzusetzen. * »Was hat das zu bedeuten?« fragte Tyari atemlos. »Wieso ist Jenseitsmaterie in Asgard?« Bevor Atlan auf ihre Frage antworten konnte, klärte ein anderer das Geheimnis auf. Zeh brach mit ungestümer Gewalt aus der Öffnung der Kugelschale heraus. Tyari schrie erschrocken auf, als sie den Stachelwurm sah. Für einen Moment war sie unsicher. Sie wußte nicht, ob dies das gleiche Wesen war, mit dem sie schon einmal gekämpft hatte, da das Stück Jenseitsmaterie zwischen den Augen fehlte. Aber dann sah sie den fast von allen Stacheln entblößten Panzer, und ihr wurde klar, daß es nur Zeh sein konnte, der im Lauf der vergangenen Auseinandersetzungen zahlreiche Stacheln abgeschossen hatte. »Vorsicht, Atlan«, stöhnte sie, während Zeh noch vor Asgard verharrte und sie mit schwarzen Augen anblickte. »Er tötet mit seinen Stacheln.« Ticker stieg flügelschlagend auf. Seine langgezogenen Schreie brachen sich an den Felswänden der Schlucht. Atlan und die Telepathin wichen rückwärts schreitend zurück. »Es ist vorbei, nicht wahr?« flüsterte sie. »Ohne Asgard können wir nicht von hier verschwinden, und solange Zeh lebt, kommen wir nicht mehr an Asgard heran.« Er antwortete nicht. Was hätte er auch sagen sollen? Sie hatte die niederschmetternde Wahrheit erkannt. Atlan schob Tyari einige Schritte zur Seite, so daß sich Asgard nicht mehr in der Schußlinie mit Zeh befand. Dann, als er sicher war, daß er nur den Stachelwurm treffen würde und nicht versehentlich auch das Kugelwesen, griff der Arkonide blitzschnell zu seiner Waffe und feuerte. Er war nicht schnell genug. Zeh erkannte die Gefahr. Er verkleinerte sich und verschwand in Gras. Jetzt löste auch Tyari ihre Waffe aus. In plötzlich aufsteigender Panik schoß sie mehrere Male auf die Stelle, an der sie Zeh zuletzt gesehen hatte, aber irgendwie wußte sie, daß ihre Reaktion sinnlos und wirkungslos war. In besonderem Maß verunsicherte sie, daß sie die Gedanken Zehs nicht mehr erfassen konnte. Was hatte sich verändert? Wieso konnte sich die Kreatur der Penetranz plötzlich gegen sie abschirmen? Hatte sie selbst diese neue Fähigkeit dadurch geschaffen, daß sie auf Zeh geschossen hatte? Oder waren Kräfte von Faust und Alleshirn auf Zeh übergegangen, als diese starben? Tyari ahnte, daß sie niemals eine Antwort auf diese Fragen erhalten würde. Sie warnte Atlan vor der Schnelligkeit Zehs, und sie sagte ihm, auf welche Weise der Stachelwurm tötete. Ein winziger Pfeil schoß hautnah an ihr vorbei. Sie nahm kaum mehr als einen huschenden Schatten und ein leises Fauchen wahr. »Weg! Wir müssen weg hier«, schrie sie und rannte zu einigen Felsen hin, hinter denen sie Deckung zu finden hoffte. Atlan folgte ihr. »Ich habe ihn gesehen«, sagte er. »Dort drüben im Gras ist er.« »Dann schieß.« »Ein Solaner steckt in ihm«, erwiderte der Arkonide. »Vielleicht werden wir mit ihm fertig, ohne ihn zu töten.« »Wie denn? Du weißt, daß das unmöglich ist.«
Über ihnen polterte und rumorte es. Atlan blickte an den Felswänden hoch. Er sah, daß hoch über ihnen große Felsbrocken in Bewegung geraten waren, legte den Arm um Tyari und floh mit ihr unter eine überhängende Felswand, von der sie nur wenige Schritte entfernt waren. Kaum hatte sie sie erreicht, als auch schon die ersten Steine herabkamen. Sie schlugen in dem Bereich auf, in dem sich Zeh aufhielt. Sekunden später krachten tonnenschwere Felsbrocken herab. Sie zertrümmerten die Felsen und sprengten Gesteinssplitter ab, die wie Geschosse durch die Schlucht wirbelten, Atlan und die Telepathin jedoch nicht gefährdeten, da diese hinter einem hohen Stein Schutz gesucht hatten. Asgard hatte sich etwa hundert Meter von ihnen entfernt, so daß auch er nicht von der Lawine getroffen wurde. »Das kann Zeh unmöglich überlebt haben«, sagte der Arkonide. »Ich weiß nicht, ob er noch lebt«, erwiderte sie. »Ich empfange seine Gedanken nicht.« »Komm. Wir gehen zu Asgard. Wir steigen ein.« »Und die Jenseitsmaterie?« »Gefährlich ist zunächst nur dieser Stachelwurm.« »Er hätte uns schon töten können. Er war doch mit uns zusammen in der Kugel.« Tyari erschauerte vor Entsetzen, als sie daran dachte, wie nah ihnen der Tod gewesen war. Sie eilten über die Gesteinstrümmer hinweg auf Asgard zu, doch dieser wich ihnen plötzlich aus, so daß es Atlan nicht gelang, bis auf vier Meter an ihn heranzukommen. Er hörte nicht auf die Befehle, die das Extrahirn ihm erteilte. Er schwebte über eine Geröllhalde hinweg, über die ihm Atlan und Tyari nur sehr mühsam folgen konnten. Der Arkonide sah, daß Ticker über der Stelle kreiste, an der die Lawine herabgegangen war. Ganz offensichtlich suchte der Adler das Geschöpf der Penetranz. »Er hat ihn gefunden«, rief Tyari. »Aber das ist unmöglich. Wie kann Zeh das überlebt haben?« Ticker stieß blitzschnell auf den Boden herab, die Krallen weit vorgestreckt. Er packte etwas, das zwischen den Steinen verborgen war, und versuchte wieder aufzusteigen. Er schlug heftig mit den Flügeln, doch es schien, als sei er fest mit dem Boden verbunden. »Er schafft es nicht«, staunte Tyari. »Zeh ist zu schwer für ihn.« Das schien auch der Adler endlich zu erkennen. Er ließ den Stachelwurm frei und schwang sich zornig schreiend in die Lüfte. Im gleichen Moment vergrößerte Zeh sein Volumen wieder. Er tauchte zwischen den Steinen auf. Mit großen Augen blickte er zu Atlan und Tyari hinüber. Bleibt stehen! meinten diese zu hören. Es ist vorbei. Ihr könnt mir nicht mehr entkommen. Ihr seid schon so gut wie tot. Erschrocken blickten sie sich an. Sie waren etwa hundertfünfzig Meter von dem Wurm entfernt, und ihre Lage schien tatsächlich aussichtslos zu sein. Sie wußten nun, wie schnell Zeh war. Er konnte sie mühelos einholen. Ticker strich dicht über ihre Köpfe hinweg zu Asgard hinüber, landete auf der oberen Kugelwölbung und grub seine Krallen tief in die mit Mustern übersäte Haut des Kugelwesens. Asgard – nimm uns auf. Schnell. Zeh schnellte sich voran. Atlan und Tyari feuerten. Noch war ihr Gegner zu weit entfernt, so daß sie ihn selbst noch nicht treffen konnten. Sie richteten ihre Waffen jedoch auf das Gestein, das unter dem Einfluß der Hitze stark glutflüssig wurde. Damit schufen sie eine Barriere, von der sie hofften, daß Zeh sie so bald nicht überwinden konnte. Während sie Asgard zu erreichen versuchten, sahen sie, daß sie den Stachelwurm tatsächlich zu einem Umweg gezwungen hatten. Ticker schrie abermals auf, und jetzt verharrte Asgard endlich auf der Stelle. »Endlich. Wir schaffen es«, sagte Atlan. Er hob Tyari hoch und half ihr, durch die Öffnung in die Kugelschale zu steigen. Im gleichen Moment pfiff etwas an ihm vorbei. Er achtete jedoch nicht darauf und folgte der Telepathin in den Hohlraum, in dem es hellgrün leuchtete. Das Stück Jenseitsmaterie klebte der Öffnung genau gegenüber an der Innenhaut Asgards. Atlan versuchte, es herabzunehmen, um es hinauszuwerfen. Es gelang ihm nicht. Er konnte die Jenseitsmaterie nicht fassen. »Laß es«, drängte Tyari, während irgend etwas gegen die Kugelschale schlug. »Wir müssen weg.« Atlan lehnte sich lächelnd zurück. Er deutete nach draußen. »Wir sind bereits unterwegs«, erwiderte er. »Dieses Mal wird Zeh uns nicht einholen.« In schneller Fahrt glitt Asgard durch die Schlucht. Er flog wenigstens hundert Meter über dem Grund und war damit so hoch, daß Zeh sie auf keinen Fall erreichen konnte. Der Arkonide neigte sich durch die Öffnung hinaus und blickte zurück. »Ich kann den Stachelwurm nicht mehr sehen«, berichtete er. »Wir sind schon zu weit von ihm entfernt.« »Fällt dir nichts auf?« fragte Tyari, die sich auf die Knie herabsinken ließ. »Allerdings, Asgard fliegt unruhig. Er taumelt.« »Hast du irgendeine Verbindung zu ihm? Kannst du ihn verstehen? Äußert er sich irgendwie?« Atlan schüttelte den Kopf. »Da ist nichts«, erklärte er. »Er ist nicht in Ordnung«, behauptete sie. »Es stimmt was nicht. Warum taumelt er so?« Unmittelbar neben ihr wölbte sich für einige Sekunden eine dicke Beule auf. Dann bildete sie sich allmählich zurück, aber ein eigenartiger, dunkler Fleck blieb auf der Haut. Während Atlan und Tyari noch überlegten, ob diese Verformung irgend etwas zu bedeuten hatte, sackte Asgard plötzlich um etwa fünfzig Meter ab, als könne er mit einem Mal nicht mehr fliegen. Dann aber fing er sich wieder und glitt ruhig weiter. »Was ist mit ihm?« fragte Tyari. »Versucht die Penetranz, ihn zu beeinflussen?« »Wahrscheinlich«, erwiderte der Arkonide. »Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.«
Er konzentrierte sich auf das Kugelwesen. Sei ruhig! Ich allein gebe die Befehle. Wehre dich gegen die Penetranz. Du bist nicht mehr ihr Sklave. Du bist frei. Asgard reagierte nicht auf die Impulse. Er taumelte auch weiterhin, trieb nun aber ab und kam einer steil aufragenden Felswand immer näher. Schließlich prallte er so heftig dagegen, daß Atlan und Tyari sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Sie stürzten und versuchen vergeblich aufzustehen, denn nun drehte sich die Hohlkugel überraschend, und ihre Außenhaut rieb sich unangenehm knirschend am Felsen. Mehrere Minuten verstrichen, in denen Atlan und die Telepathin an die Innenwand der schnell rotierenden Kugel gedrückt wurden. Als Asgard sich endlich beruhigte, öffnete sich neben ihnen die Kugelhülle und eine schwärende Wunde wurde sichtbar. »Asgard ist verletzt«, erkannte Tyari. »Er quält sich.« »Seine Wunden heilen schnell«, erwiderte Atlan ruhig. »So etwas macht ihm nichts aus.« Langsam schloß sich die Wunde wieder, während die Öffnung blieb, durch die Atlan und Tyari hereingekommen waren. So konnten sie sehen, daß Asgard weiterflog und sich dabei von der Felswand entfernte. Atlan horchte in sich hinein. Er hoffte, irgendwelche Hinweise von seinem Logiksektor zu bekommen, wurde jedoch enttäuscht. Das Extrahirn schwieg sich aus. Langsam senkte Asgard sich ab, verharrte dann jedoch in einer Höhe von etwa fünfzehn Metern über dem Boden. Atlan beugte sich erneut aus der Öffnung. Es schien keinen Grund dafür zu geben, daß Asgard sich nicht von der Stelle bewegte. Er schwebte über der Mündung eines kleinen Flusses am Ende eines Fjords, der zum Meer hin offen war. »Was ist los?« fragte die Telepathin. »Ich weiß nicht«, antwortete er. Ticker segelte mit ausgebreiteten Schwingen unter ihm vorbei. Atlan folgte ihm mit seinen Blicken, wie er sich in Richtung Meer von ihm entfernte. Er wollte sich wieder umdrehen und zu Tyari zurückkehren, als ihm plötzlich auffiel, daß die Außenhaut Asgards eine rotbraune Färbung angenommen hatte und mit unregelmäßig geformten gelben Flecken übersät war. Er ist tatsächlich krank, erkannte der Logiksektor. Behutsam strich er mit der Hand über die Haut. Sie war rauh und heiß. Er ließ sich zurücksinken. »Was ist los?« fragte die Telepathin. »Warum sagst du mir nichts?« Er berichtete ihr, was er gesehen hatte, und versuchte gleichzeitig, Asgard zu erreichen. Tyari griff nach seinem Arm. Sie zeigte nach draußen, wo Zeh etwa hundert Meter von ihnen entfernt zwischen den Felsen auftauchte und sich ihnen rasch näherte. Es schien, als habe Asgard nur auf ihn gewartet, denn nun setzte er sich wieder in Bewegung und glitt langsam auf den Fjord hinaus, wobei er sich so weit absenkte, daß er das Wasser fast berührte. Der Stachelwurm raste bis an die Flußmündung, verharrte dort zögernd einige Zeit und warf sich dann ins Wasser. Nur noch sein Rücken und seine Augen waren zu sehen, als er sich Asgard näherte. Lautlos stürzte sich Ticker aus der Höhe herab. Er stieß Zeh die Krallen tief in den Rücken und versuchte, ihm die Augen auszuhacken. Der Stachelwurm tauchte so schnell weg, daß er den Adler beinahe mit in die Tiefe gerissen hätte. Ticker hatte einige Mühe, seine Krallen loszureißen und sich wieder in die Höhe zu schwingen. Zeh hat kaum noch Stacheln auf dem Rücken, dachte Atlan. Seltsam. Er zog den Energiestrahler, zielte auf Zeh, den er deutlich erkennen konnte, und schoß. Der Energiestrahl fuhr ins Wasser und erhitzte es schlagartig so sehr, daß es an der Oberfläche verdampfte. Dichter Nebel breitete sich über dem Fjord aus, als Atlan abermals schoß, und Zeh tauchte tief weg. »Er gibt nicht auf«, flüsterte Tyari. »Wir müssen ihn töten. Irgendwie.« Asgard stieg sanft auf bis in eine Höhe von etwa hundert Metern, verweilte einige Minuten auf der Stelle, bis sich der Nebel unter ihm verzogen hatte, und Zeh wieder sichtbar wurde. Der Stachelwurm schwamm an der Oberfläche und wurde von der Strömung in den Fjord hinausgetrieben. Asgard ließ sich nun wieder absinken, bis er nur noch etwa zwanzig Meter hoch war. Er flog mit mäßiger Geschwindigkeit vor Zeh her. »Asgard lockt ihn ins offene Meer hinaus«, stellte Tyari fest. »Aber wozu? Glaubt er, daß Zeh irgendwann ertrinkt?« Es schien so. Hin und wieder verlangsamte Asgard seinen Flug, so daß Zeh näherkommen konnte, beschleunigte dann aber wieder, bevor die Kreatur der Penetranz ihn erreichen konnte. Atlan hätte ohne weiteres auf den Stachelwurm schießen können, doch er war sich mittlerweile nicht mehr sicher, ob es sinnvoll war, diesen auf diese Weise zu bekämpfen. Er suchte nach einem anderen Weg, Zeh unschädlich zu machen. Asgard verließ den Fjord. Zeh folgte ihm auf das offene Meer hinaus. Er verriet durch sein Verhalten, daß er nicht besonders intelligent war. Ich sterbe! kam ein Gedanke Asgards. Nein! Du wirst leben! Tyari hatte nichts von diesem kurzen Gedankenaustausch zwischen Atlan und dem Kugelwesen bemerkt. Sie machte den Arkoniden auf große, langgestreckte Flossen aufmerksam, die in einiger Entfernung von ihnen die Wasseroberfläche durchbrachen. Hier draußen auf dem Meer herrschte eine sanfte Dünung. In ihr wurden die Rücken von großen Meerestieren erkennbar, die sich ihnen näherten. »Jetzt weiß ich, was Asgard will«, sagte sie. »Er hofft, daß diese Fische über Zeh herfallen.«
»Jetzt weiß ich, was Asgard will«, sagte sie. »Er hofft, daß diese Fische über Zeh herfallen.« »Vielleicht tun sie es wirklich. Die Natur ist gegen Zeh. Möglicherweise siegt sie hier endlich gegen ihn.« Ohne jede Vorankündigung stürzte Ticker sich überraschend aus der Höhe herab und schoß durch die Öffnung herein. Bevor Atlan und die Telepathin recht wußten, was er beabsichtigte, packte er das Stück Jenseitsmaterie mit dem Schnabel, ließ sich aus der Öffnung fallen und glitt mit ausgebreiteten Schwingen davon. »Er konnte die Jenseitsmaterie anfassen«, sagte Tyari erstaunt. »Was will er damit?« »Ich weiß es nicht. Verraten es dir seine Gedanken nicht?« »Nein. Die Verbindung zu ihm ist nicht mehr gut. Ich vermute, daß Zeh uns durch seine Anwesenheit irgendwie stört.« »Zeh ist bei jedem Kampf stärker geworden«, entgegnete Atlan. »Mich würde nicht überraschen, wenn er jetzt auch noch Psi-Fähigkeiten entwickelt.« Die Fische schossen lautlos heran. Sie waren annähernd zwanzig Meter lang und hatten tentakelartige Fangarme, mit denen sie Zeh packten und in die Tiefe rissen. »Sie schaffen es auch nicht«, sagte Tyari. »Er wird sie alle umbringen.« Tatsächlich schien es so, als habe sie recht. Das Wasser brodelte und schäumte. Die riesigen Fischleiber peitschten es mit ihren Flossen auf. Und immer wieder erschien der Stachelwurm an der Oberfläche, jedoch stets von mehreren Tentakeln umklammert. Zwei Fische trieben tot ab. Dann aber beruhigte sich das Wasser allmählich, und der Fischschwarm verschwand in der Tiefe. »Kannst du ihre Gedanken empfangen?« fragte Atlan. »Was denken sie?« »Sie handeln rein instinktiv. Sie denken überhaupt nicht. Sie wollen nur töten, und jetzt glaube ich, daß sie es schaffen. Sie bleiben in der Tiefe und entfernen sich von uns.« Asgard trieb langsam zur Küste zurück. Er setzte zwischen einigen Felsen unter einer Steilküste auf, und es schien, als habe er sich mit Ticker abgesprochen, denn kaum hatte er diesen günstigen Platz erreicht, als irgendwo in den Bergen ein gleißend heller Lichtblitz aufstieg, dem eine ungeheure Detonation folgte. Wenig später jagte eine Druckwelle über sie hinweg, die eine verheerende Wirkung auf sie gehabt hätte, wenn sie noch mit Asgard auf dem Meer gewesen wären. »Was war das?« fragte Tyari. »Meinst du, daß die ARSENALJYK explodiert ist?« »Nein, das glaube ich nicht«, erwiderte er leise. »Ich fürchte, es war Jenseitsmaterie.« »Du fürchtest?« »Wenn es Jenseitsmaterie war, dann lebt Ticker nicht mehr. Ich hätte damit rechnen müssen. Seit dem Beginn der Auftragserfüllung, zu der mich die Kosmokraten losgeschickt haben, ist mein Weg immer wieder von den Opfern gerade gewonnener Freunde begleitet. Chart Deccon, Chybrain, Barleona und jetzt Ticker.« Er trat durch die Öffnung hinaus, denn plötzlich war es ihm in Asgard zu eng geworden. Er drehte sich um und reichte Tyari die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Da sah er die Haut Asgards. Sie war mit zahllosen Wunden bedeckt. Von den Mustern und Zeichen war nichts mehr zu erkennen. »Was ist mit Asgard?« fragte die Telepathin erschrocken. »Er sieht aus, als ob er verfault.« Der Arkonide umkreiste das Kugelwesen, das in einem unglaublich schlechten Zustand war. Er mußte daran denken, daß Asgard vom Sterben gesprochen hatte, und plötzlich wußte er, wie ernst er es gemeint hatte. »Atlan«, rief Tyari, die ihm nicht gefolgt war. Er eilte zu ihr hin. Mit zitternder Hand wies sie auf einige fingerlange Stachel, die tief in der Kugelschale Asgards steckten. »Das ist es«, behauptete sie. »Als wir mit Asgard geflohen sind, haben wir die Aufschläge gehört. Zeh hat Asgard diese Stacheln in die Haut geschossen, und jedes andere Lebewesen wäre Sekunden später daran gestorben. Das Gift wirkt ungeheuer schnell. Ich habe beobachtet, wie Zeh einige Büffel umgebracht hat.« Neben den Stacheln waren tentakelartige Auswüchse zu erkennen, die jedoch schlaff herunterhingen. Asgard hatte offensichtlich versucht, sich von den gefährlichen Geschossen zu befreien, war jedoch gescheitert, weil ihm die Kraft gefehlt hatte. Ohne Hilfe konnte er nicht überleben. Atlan wollte mit der Hand nach einem der Stachel greifen, um ihn herauszuziehen, doch Tyari hielt seinen Arm fest. »Nein«, warnte sie. »Das ist zu gefährlich. Die Stacheln sind giftig. Vergiß das nicht.« »Du hast recht. Vielleicht geht es mit den Ästen dort.« Der Arkonide nahm angeschwemmtes Holz auf, das am Ufer lag, drückte es gegen einen der Stachel und zog diesen dann vorsichtig heraus. Klang da nicht ein Gedanke Asgards in ihm auf? Wurde nicht so etwas wie Erleichterung spürbar? Behutsam entfernte Atlan auch die anderen Stacheln, wobei er kräftig zupacken mußte, da sie außerordentlich fest im Fleisch Asgards saßen. Danach schlossen sich die zahllosen Wunden des Kugelwesens so schnell, daß der Heilungsprozeß mit bloßen Augen zu verfolgen war, und schon nach wenigen Minuten erschienen die ersten Muster auf der Haut. Als etwa eine Stunde verstrichen war, sah Asgard wieder so aus wie vor der Verletzung durch die Giftstachel. Die Oberfläche seines Kugelkörpers war glatt und ließ durch nichts erkennen, welch verheerende Wirkung Zeh erzielt hatte. »Ticker kommt nicht«, sagte Tyari. »Er wäre längst hier, wenn er die Explosion überlebt hätte. Außerdem – kannst du dir erklären, wie er die Jenseitsmaterie gezündet hat?« »Nein. Ich habe keine Ahnung. Das werden wir wohl nie erfahren.« Er sah ein, daß es sinnlos gewesen wäre, noch länger auf den Adler zu warten. Sie mußten starten, wenn sie der ARSENALJYK entkommen wollten. Atlans Extrahirn korrespondierte mit Asgard. Jetzt kam es darauf an, das richtige Manöver zu fliegen, so daß die ARSENALJYK sie nicht sehen und verfolgen konnte. Nachdem Atlan und Tyari in die Hohlkugel gestiegen waren, entschied sich Asgard dafür, sich noch wesentlich weiter von der ARSENALJYK zu entfernen und dann in einem Gebiet, in dem es stark regnete aufzusteigen, um die Gefahr der Ortung möglichst gering zu halten. Wenige Stunden später war es soweit. Asgard teilte Atlan mit, daß er bereits eine Höhe von drei Kilometern erreicht hatte und weiterhin zügig stieg. Da hämmerte irgend etwas gegen die Außenhaut der Kugel.
»Atlan«, wisperte Tyari. »Es ist ...« Eine Öffnung tat sich auf, und Ticker kroch herein. Mit der selbstverständlichsten Miene, die ein Raubvogel aufsetzen kann, hockte er sich auf die Schulter des Arkoniden. Die Öffnung schloß sich wieder, und Asgard beschleunigte spürbar stärker. Die Suche nach der SOL konnte beginnen. * Die Penetranz rief ebenso verzweifelt wie zornig nach Anti-ES. Sie erwartete, scharf getadelt zu werden, nachdem sie geschildert hatte, wie der Kampf gegen Atlan und Tyari verlaufen war. Doch Anti-ES tadelte nicht. Es zeigte sich überraschenderweise zufrieden. Du hast nicht versagt, erklärte Anti-ES der Penetranz, denn nicht nur Atlan, sondern auch die SOL geht ihrem Ende entgegen. Verblüfft dachte die Penetranz über diese rätselhafte Aussage nach, und sie kam schließlich zu dem Ergebnis, daß Anti-ES von Anfang an geplant hatte, Atlan und die SOL auszuschalten. Dann war die Aktion der drei Ausgeburten ein Erfolg, obwohl sie nun tot sind? fragte die Penetranz. Sie wäre ein voller Erfolg gewesen, wenn Zeh und die Jenseitsmaterie in Asgard geblieben wären. Die Jenseitsmaterie sollte gezündet werden, sobald Atlan mit Asgard in die SOL eingedrungen wäre. Der Plan muß nun leicht geändert werden. Die Penetranz lauschte diesen Gedanken verwundert nach. Es schien ganz und gar nicht so, als sei Anti-ES enttäuscht.
ENDE
Weiter geht es in Band 145 der Abenteuer der SOL mit: Galaxien im Kampf von Peter Terrid Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt