Auf diese Nacht habe ich gewartet
Sara Fitzgerald
Das Interview, das die aufstrebende Politikerin Marian McNamara dem ...
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Auf diese Nacht habe ich gewartet
Sara Fitzgerald
Das Interview, das die aufstrebende Politikerin Marian McNamara dem Journalisten Robert Tate gibt, hat für beide dramatische Folgen. Denn während diese Begegnung sie privat in eine leidenschaftliche Affäre führt, löst Roberts Berichterstattung über Marian ein gefährliches Intrigenspiel um Macht und Korruption aus. Und Marian, die im Mittelpunkt dieses politischen Kampfes steht, scheint keine andere Wahl zu bleiben, als auf Robert zu verzichten… © 1984 by Sara Fitzgerald Unter dem Originaltitel: „Affairs of State“ erschienen bei Silhouette Books, division of Harlequin Enterprises Limited Übersetzung: Hermine Heidtmann © Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY Band 101 (8 ! ), 1985 by CORA VERLAG GmbH & Co. Berlin
1. KAPITEL Sexy, dachte Robert Tate. Ausgesprochen sexy. Und wenn der Senat der Vereinigten Staaten etwas dringend benötigte, dann war es eine Frau, die Verstand besaß – und sexy war. Von seinem Beobachtungsposten in der Telefonkabine vor dem Tanzsaal des Hotels aus musterte er Marian McNamara mit geübtem Blick. Sie war noch hübscher, als er nach ihren Schwarzweißfotos vermutet hatte: üppiges braunes Haar, von blonden Strähnchen aufgehellt. Guter Gesichtsschnitt, zarter Hals und wohlgeformte Fesseln. Mit anmutigen Bewegungen ging Marian McNamara in der Eingangshalle auf und ab. Sie hatte den Kopf stolz erhoben und setzte unbewußt jeden Schritt genau vor den anderen. Ihr Blick fiel auf die Spiegelwand und blieb dort haften, so daß Robert Tate ihre grünen, ausdrucksvollen Augen bewundern konnte, während Marian ihr Aussehen einer letzten Prüfung unterzog. Plötzlich erschien auf ihren Lippen jenes strahlende Lächeln, das drinnen im Tanzsaal Hunderte von Plakaten schmückte. Jetzt konnte sich Robert nicht länger zurückhalten. „Zeigen Sie’s ihnen, Frau Senator!“ rief er ihr zu. Sie fuhr zu ihm herum, offensichtlich verwundert darüber, wo diese Stimme so plötzlich hergekommen war. Aber als er aus der Telefonkabine trat, war sie sicher, daß sie dieses Gesicht noch nie gesehen hatte. Von den vielen Menschen, die sich an diesem Abend hier versammelt hatten, kannte sie bestimmt einige hundert, doch bei diesem Mann mußte sie passen. Er sah attraktiv aus, hatte ein kantiges Gesicht, das trotz der frühsommerlichen Jahreszeit schon tief gebräunt war. Graumeliertes Haar, ein energisches Kinn und graublaue Augen, in die ein warmes Leuchten stieg, wenn er lächelte. Vielleicht ein Reporter, der schnell noch in seiner Redaktion angerufen hat, überlegte Marian. Aber diese Vermutung verwarf sie gleich wieder. Dafür war er zu gut angezogen. Er trug einen dunklen Nadelstreifenanzug, der maßgeschneidert wirkte, und ein tadellos gebügeltes weißes Hemd. Bei den Reportern, die sie auf ihren Wahlkampagnen getroffen hatte, konnte man von Glück sprechen, wenn ihre Socken zusammenpaßten. „Meinen Glückwunsch“, sagte er und zog an seiner Zigarette. „Danke.“ Marians Antwort glich einem Flüstern. Er könnte natürlich auch ein Hotelgast sein, der sich kurz zuvor in der Bar aufgehalten oder sich im Fernsehraum eine Sendung angesehen hat, überlegte sie. Vom Tanzsaal drang gedämpftes Stimmengewirr der Menschenmenge zu ihnen heraus, die allmählich unruhig zu werden begann. Ach, sollen sie doch warten, dachte Marian. Sie hatte keine Lust, aus dieser spannungsgeladenen Atmosphäre auszubrechen, die zwischen ihr und dem Fremden herrschte. Dabei empfand sie ihm gegenüber auch Mißtrauen, kam sich verwundbar und ausgeliefert vor. Wer immer er auch sein mochte – er wußte genau, wer sie war: Marian McNamara, neununddreißig Jahre alt und frischgewählte Senatorin, die in Kürze nach Washington gehen würde. Sie hingegen wußte gar nichts über ihn und hätte doch so gern alles gewußt. „Marian, wir sind soweit!“ rief Dan Clarke, der ihren Terminkalender führte. „Ich komme“, erwiderte sie und suchte dann wieder den Blick des Fremden. „Die Wahlfeier ist ein Ereignis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.“ „Das habe ich auch nicht vor“, meinte Robert Tate. Sie wandte sich ab und eilte den Gang entlang. Der Rock ihres Seidenkleids
umspielte bei jedem Schritt ihre hübschen Beine. Marian spürte instinktiv, daß der attraktive Fremde jede ihrer Bewegungen verfolgte. Dan hatte auch Lisa aufgestöbert. Nachdem er sie hinter die Tribüne geführt hatte, legte Marian den Arm um ihre Tochter und drückte sie an sich. Die Sechzehnjährige strahlte, als Jerry O’Malley, der Oberbürgermeister, mit der Eröffnungsrede begann. „Meine Damen und Herren, die gesamte Wahlkampagne über haben wir Marian McNamara als unsere Kandidatin vorgestellt, die den Staat Michigan im Senat der Vereinigten Staaten vertreten wird. Damals haben wir das lediglich gehofft, doch jetzt ist aus unserer Hoffnung Gewißheit geworden. Unsere tüchtige Politikerin, die stets im Hintergrund gearbeitet hat, während des harten Wahlkampfes aber hervorgetreten ist und unserer Partei einen Sitz im Washingtoner Senat gesichert hat: Marian McNamara.“ Das Orchester setzte ein. Marian ergriff Lisas Hand und zog sie mit auf die Tribüne hinaus. Das grelle Licht der Scheinwerfer ließ nichts erkennen, nur das Geräusch rückender Stühle verriet ihnen, daß sich die Menschenmenge erhob. Und genau zum richtigen Zeitpunkt schwebten die Luftballons zur Decke empor. „Wenn Daddy das doch miterleben könnte!“ flüsterte Lisa ihrer Mutter ins Ohr. Marian gab ihrer Tochter einen zarten Kuß auf die Stirn. „Ja, mein Liebes, das wäre schön.“ So müßte es immer sein, bis in alle Ewigkeit, wünschte sich Marian inbrünstig. Hunderte von begeisterten Anhängern und Wählern, die klatschten, sangen und tanzten, während das Orchester unermüdlich weiterspielte, mit jedem Stück fröhlicher, triumphierender. Dazu Lisa an ihrer Seite. Ihre sonst so kritische Tochter teilte den Augenblick höchster Freude voll und ganz mit ihr. Und nicht zu vergessen das Gemurmel der Parteimitglieder hinter Marian, von denen jedes versicherte, es habe „von Anfang an gewußt, daß sie es schaffen würde.“ Während sie durch das gleißende Licht in die Menge und in die Fernsehkameras lächelte, fragte sich Marian, ob der Fremde irgendwo unten war und sie wieder beobachtete. Rasch verdrängte sie diesen Gedanken, warf stolz den Kopf zurück und trat einen Schritt vor. Sie hob den Arm zum Zeichen, daß sie um Ruhe bat. Es war erstaunlich, wie schnell es still wurde. „Als erstes möchte ich Ihnen allen für Ihre Unterstützung danken. Der Ausgang der Wahl beweist, daß die Wähler politische Vertreter haben wollen, die ehrlich sind, sich ernsthaft bemühen und die Interessen der Bürger vor den Eigennutz stellen. Dieses Vertrauen ist ein großes Geschenk, und wir müssen alles tun, um uns dessen würdig zu erweisen.“ Jerry gab der Band ein Zeichen. Die Musik erklang, Marian lächelte und winkte. Sie erinnerte sich an den Anfang der Wahlkampagne. Damals war sie außerhalb ihres heimatlichen Wahlkreises völlig unbekannt gewesen, und sie konnte heilfroh sein, wenn bei ihren Ansprachen überhaupt irgend jemand zum Zuhören kam. Sie hatte sich ernsthaft gefragt, ob es nicht Wahnsinn gewesen war, ihren sicheren Sitz im Bezirksparlament aufzugeben, um für den Senat der Vereinigten Staaten in Washington zu kandidieren. All das hatte sich jedoch schlagartig geändert, als die Skandale und Bestechungsaffären von Senator Wilcox aufgedeckt wurden und Schlagzeilen machten. Eine Untersuchungskommission wurde einberufen. Ihr Gegenkandidat verlor Stimmen, während ihre Wählerschaft immer größer wurde. Aber erst am letzten Wochenende hatten die Hochrechnungen eindeutig ergeben, daß sie ihren Gegenkandidaten überrundet hatte. Es war ein schönes Gefühl, diesen Wahlsieg errungen zu haben, und Marian war glücklich über den Jubel und die Zuneigung ihrer Anhängerschaft. Alle Mühe
hatte sich gelohnt. Sie stand im Mittelpunkt des großartigsten Festes, das sie je erlebt hatte. So froh und beschwingt hatte sie sich nicht einmal am Abend ihres ersten Wahlsieges gefühlt. Doch trotz ihrer Freude ließ es sich nicht leugnen, daß ihr vom vielen Lächeln schon der Kiefer weh tat, daß sie geschwollene Füße hatte und ihr Arm vom Winken allmählich erlahmte. Ein anstrengendes Jahr und ein sehr langer Tag lagen hinter ihr, und jetzt, da der Höhepunkt überschritten war, fühlte sie sich erschöpft. Marian sah sich nach Pete Steiner um, der ihre Wahlkampagne geleitet hatte. Sobald sie ihn erblickte, hob sie fragend die Augenbrauen. Konnte sie die Feier verlassen, ohne unhöflich zu wirken? Pete zog seine Uhr zu Rate, nickte dann leicht und machte sich auf die Suche nach Jerry. Marian gab ihrer Tochter Bescheid, daß sie gehen wollte. Gemeinsam zogen sie sich in die Eingangshalle zurück, nachdem Marian zum Abschied der Menge noch einmal zugewinkt hatte. „O je“, stöhnte sie und fächelte sich Luft zu. Dabei fiel ihr Blick auf die Telefonkabine. Sie war jetzt leer. „Gehen wir doch in unsere Suite hinauf und ruhen uns ein bißchen aus, bevor das große Abschiedsgetümmel losbricht“, schlug Pete vor. Er hatte ihnen eine DreiZimmerSuite im zehnten Stock besorgt. Dort hatten sie die letzten Hochrechnungen und Auszählungen verfolgt. Obwohl nur ihre engsten Freunde und Mitarbeiter zu Marians Zimmer Zutritt gehabt hatten, herrschte darin jetzt genauso ein Durcheinander wie in den beiden anderen, größeren Räumen. Auf dem Tisch häuften sich leere Bierdosen, schmutzige Gläser und Teller mit Essensresten. Zwei Farbfernseher liefen in voller Lautstärke, wenngleich keine Zuschauer anwesend waren. Das erhöhte noch den verlassenen, trostlosen Eindruck. Marian öffnete das Fenster einen Spalt breit, streifte dann die Schuhe von den Füßen und streckte sich auf dem Bett aus. „Mach es dir nicht allzu gemütlich“, warnte Pete. „Du hast noch ein Interview vor dir.“ „Muß das sein?“ fragte Marian. „Wer ist es denn diesmal?“ „Also, du weißt ja, daß ich zu einer solchen Zeit normalerweise fast jeden abwimmeln würde“, versicherte er rasch. „Aber in diesem Fall handelt es sich um einen Journalisten der ,New York Times’. Er arbeitet in einer Redaktion in Washington, wo er für alle Angelegenheiten des Senats zuständig ist. Du solltest ihn wirklich kennenlernen.“ „Okay.“ Sie seufzte. Pete zog sich zurück, während Marian wieder in die Schuhe schlüpfte, die ihr jetzt viel zu warm und zu eng vorkamen. Sie strich sich den Rock glatt und sah überrascht auf, als im Fernsehen eine Sendung über die Ereignisse unten im Tanzsaal begann. Schnell stellte sie das andere Gerät ab und verfolgte auf dem Bildschirm, was sie gerade eben selbst erlebt hatte. Von ihrer Erschöpfung war zum Glück nichts zu merken. Statt dessen wirkte sie jung und lebenssprühend. „Frau Senatorin?“ Sie fuhr herum, um Pete zu fragen, ob er sie mit dieser formellen Anrede auf den Arm nehmen wollte. Aber dazu kam es nicht mehr. Marian hatte es vor Überraschung die Sprache verschlagen. Neben Pete stand mit vergnügtem Gesichtsausdruck der Fremde im Nadelstreifenanzug. „Robert Tate von der ,Times’.“ stellte Pete vor, ohne von ihrer Verwirrung Notiz zu nehmen. „Mr. Tate, das ist Senatorin Marian McNamara, die Siegerin dieses Wahlkampfes.“ Marian stand wie festgewurzelt da, als Robert Tate mit ausgestreckter Hand auf
sie zuging. „Ich freue mich, Frau Senatorin, und danke Ihnen sehr, daß Sie mir noch ein Interview geben“, sagte er lächelnd. Sie hatte sich wieder gefaßt und ergriff die dargebotene Hand. „Normalerweise würde ich Sie jetzt bitten, mich einfach Marian zu nennen, aber Sie werden gewiß verstehen, daß ich heute abend gern mit ,Frau Senatorin’ angesprochen werden möchte.“ „Selbstverständlich“, versicherte er. „Ich hoffe aber, daß Sie mich dennoch Robert nennen.“ „Robert“, wiederholte Marian und nickte. „Ich lasse euch jetzt wohl am besten allein“, meinte Pete und wandte sich zum Gehen. Verzweifelt versuchte Marian, ihm zu signalisieren: Nein, nicht mit diesem Mann. Aber während sie noch überlegte, wie sie ihn unauffällig zum Bleiben bewegen könnte, schloß sich schon die Tür hinter Pete. Ratlos sah sie sich in dem Hotelzimmer um. Dieser Raum war in erster Linie zum Schlafen gedacht. Wo um alles in der Welt sollten sie bloß das Interview abhalten? „Kommen Sie, wir bauen uns eine Sitzecke“, schlug Robert vor, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er holte den Schreibtischstuhl herbei und stellte ihn vor den Lehnstuhl am Fenster. „Nehmen Sie bitte Platz, Frau Senatorin“, sagte er höflich und wies auf die bequemere Sitzgelegenheit. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“ fragte Marian. Doch im nächsten Augenblick überlegte sie, ob das richtig gewesen war. Wie verhielt man sich als Senatorin in einer solchen Situation? Es würde gar nicht so einfach sein, sich mit all den neuen Regeln zurechtzufinden, die jetzt auf sie zukamen. „Ja, gern, vielen Dank. Nach der Hitze da unten im Tanzsaal wäre ein kaltes Bier jetzt etwas Herrliches.“ „Es war wirklich entsetzlich heiß“, stimmte Marian zu und fischte eine feuchte Dose aus dem Getränkekühler, in dem das Eis schon zu schmelzen begann. Verflixt, wo war nur ein sauberes Bierglas? „Dabei haben Sie doch so kühl ausgesehen“, meinte er. Ihre Verwirrung nicht beachtend, fügte er beiläufig hinzu: „Lassen Sie nur, ich trinke auch aus der Dose.“ „Oh.“ Jetzt erst fiel ihr wieder ein, was sie zu tun hatte. Sie schlug die feuchte Bierdose in eine Serviette ein, gab dann für sich ein paar Eiswürfel in ein Cocktailglas und füllte es mit Selters auf. Bei Robert Tate, das war ihr bereits klar, würde ihr ein Drink bestimmt nicht weiterhelfen. Sie mußte sich alle Mühe geben, ihre Nervosität unter Kontrolle zu bringen. Als sie ihm die Bierdose reichte, trafen ihre Fingerspitzen aufeinander. Wie elektrisiert zuckte Marian zusammen. „Auf Ihren Sieg!“ Er hielt sein Bier in die Höhe. Auch Marian erhob ihr Glas und tippte damit die Dose an. Dann ließ sie sich in dem blauen Lehnstuhl nieder und achtete darauf, daß ihr Kleid nicht verrutschte. „Sagen Sie, Mr. Tate…“ „Nicht Mr. Tate“, unterbrach er sie. „Nennen Sie mich doch bitte Robert.“ „Na gut, Robert“, verbesserte sie sich und setzte erneut an: „Was hat Sie denn veranlaßt, den weiten Weg von Washington bis hierher zu machen?“ „Ihr Erfolg ist sehr beachtlich, Frau Senatorin. ,Marian McNamara, die den Drachen besiegt hat’, wird es in Washington heißen. Und alle werden fragen: ,Was ist das nun wirklich für eine Frau?“‘ „Und Sie glauben, daß Sie das herausfinden werden?“ „Ich kann’s zumindest versuchen“, erwiderte er. Seine Augen funkelten und wirkten plötzlich viel dunkler. Er griff in seine Anzugtaschen und holte einen Notizblock und einen Kugelschreiber hervor. Zuletzt beförderte er ein silbernes
Feuerzeug zutage. Wie sein Anzug, zeugte es von Wohlstand und gutem Geschmack. „Sie werden vermutlich herausfinden, daß ich trotz der aufregenden Ereignisse ziemlich unkompliziert bin“, sagte Marian, um die Gesprächspause zu füllen. Nachdem sich Robert eine Zigarette angezündet hatte, musterte er aufmerksam ihr Gesicht. „Unkompliziert – mag sein“, räumte er ein. „Aber eine junge Politikerin, die ein erfahrenes, mächtiges Kongreßmitglied schlägt und seinen Platz im Senat erringt, muß über irgendeine geheime Waffe verfügen. Sonst ist das doch nicht zu schaffen – schon gar nicht für eine Frau.“ Robert setzte seine Musterung fort, von Kopf bis Fuß und wieder nach oben, und wo immer sein Blick sie traf, fühlte Marian ein Prickeln auf ihrer Haut. Sie riß sich zusammen. „Es bedarf keiner geheimen Waffen, wenn der politische Gegner sich in Skandale verwickelt, die ihm beinahe eine Gefängnisstrafe eingebracht hätten.“ „Sie meinen also, die Wahl wurde eher von Harold Wilcox verloren als von Ihnen gewonnen?“ „Zweifellos habe ich Wählerstimmen dazugewonnen, als die Finanzskandale von Senator Wilcox bekannt wurden. Aber ohne ein vernünftiges Programm wäre ich nicht als Sieger aus dieser Wahl hervorgegangen.“ Robert stenografierte mit, trank dann einen Schluck Bier. „Es gibt Leute, die behaupten, daß hinter Ihren politischen Schachzügen eigentlich Pete Steiner steht.“ Die beiläufige Bemerkung ärgerte Marian vielleicht gerade deshalb, weil sie selbst schon darüber nachgedacht hatte, ob sie ohne Petes Erfahrung und seine Ratschläge das Rennen gemacht hätte. Marian befeuchtete sich die Lippen, verschränkte die Hände ineinander und legte sich die Worte sorgfältig zurecht. „Wenn der Kongreß seine Arbeit nach der Sommerpause wiederaufnimmt, werde ich diejenige sein, die im Senat den Staat Michigan vertritt, Mr. Tate. Und wenn an der Art und Weise, wie ich das tue, Kritik laut wird, dann werde ich ganz allein dafür geradestehen müssen.“ Robert lächelte flüchtig. „Bravo, Frau Senatorin“, sagte er, aber das klang eher zynisch als beifällig. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schaute ihr in die Augen. „Hat Pete Ihnen dazu geraten, heute abend dieses außergewöhnliche Kleid zu tragen?“ Diese Frage kam so überraschend, daß Marian für einen Moment ihre Wachsamkeit vergaß. Sie lachte. „Von wegen! Wenn es nach Pete ginge, würde ich ausschließlich Rot tragen. Er liegt mir ständig damit in den Ohren, daß Rot im Fernsehen am besten wirkt.“ „Aber dieses Kleid hier hat mir anscheinend Glück gebracht“, erklärte Marian schließlich. „Ich habe es getragen, als ich mich zur Wahl aufstellen ließ, und als der erste Bericht über Wilcox veröffentlicht wurde, hatte ich es zufälligerweise ebenfalls an.“ Sie hielt inne und lächelte. „Und heute hat es seine Wirkung ja wohl wieder gezeigt.“ Marian war entsetzt, als sie feststellte, daß Robert alles mitnotierte. Wenn das in der Presse erschien, würde jeder Leser sie für ein Dummerchen halten. „Erzählen Sie’s Pete nicht weiter“, sagte Robert und legte für einen Augenblick seinen Stift weg, „aber ich bin mir sicher, daß Ihnen jede Farbe ausgezeichnet steht.“ Falls er sie mit dieser Bemerkung aufmuntern wollte, so hatte er genau das Gegenteil erreicht. Weshalb sieht er mich nur so forschend an? fragte sich Marian verwirrt. Wie gern hätte sie in diesem Moment Roberts Gedanken gelesen. In den langen Monaten des Wahlkampfs hatte Marian alle persönlichen
Bedürfnisse zurückgestellt. Sonderbar, daß ihr ausgerechnet jetzt, am Abend ihres großen Triumphes, ihre Einsamkeit wieder bewußt wurde. Vielleicht war es jedoch unvermeidlich, daß ein Tief kam, wenn man lange Zeit nur auf ein Ziel hingearbeitet und es plötzlich erreicht hatte. Oder lag es etwa an diesem Mann, der so unvermutet in ihrem Leben aufgetaucht war? Es ließ sich nicht leugnen, daß Robert Tate sehr anziehend auf Marian wirkte. War er sich seiner Ausstrahlung bewußt? Möglicherweise setzte er seinen Charme sogar mit voller Absicht ein, um seine weiblichen Interviewpartner zu entwaffnen. Wenn sie nur herausfinden könnte, was ihn so ungeheuer anziehend machte, dann wäre sie nicht mehr ganz so wehrlos… Auf jeden Fall hat es mit seinem Blick zu tun, entschied Marian, als sich Robert von seinem Stuhl erhob. Aber auch sein Lächeln hatte etwas Gewinnendes, ganz egal, ob es ein herzliches Lächeln war oder ein spöttisches. Robert begann nachdenklich im Zimmer auf und ab zu gehen, von Marian unauffällig beobachtet. Sie besaß keine sehr hohe Meinung von der körperlichen Verfassung der Journalisten, die sie kennengelernt hatte. Fast ausnahmslos wölbte sich bei ihnen der Bauch über dem Gürtel: zu viele Drinks, zuviel Essen und zuwenig Bewegung. Robert Tates Körper dagegen wirkte straff und durchtrainiert. Er war an dem Tisch mit den Getränken stehengeblieben. „Möchten Sie noch etwas zu trinken?“ fragte er. Als Marian den Kopf schüttelte, holte Robert aus dem Kühler noch eine Dose Bier heraus und fand sogar ein sauberes Glas. Während er sich einschenkte, überlegte er, wie er das Interview ausdehnen konnte. Dabei hatte er sich zunächst gesträubt, als man ihn hierher schicken wollte! Aber zu diesem Zeitpunkt hatte er ja auch noch nicht ahnen können, was für eine vielversprechende Story sich über Marian McNamara machen ließ. In der Redaktion hatte er sogar gewettet, daß Wilcox die Wahl für sich entscheiden würde. Bei dieser Erinnerung zuckte er innerlich zusammen und warf einen verstohlenen Blick auf seine Interviewpartnerin. Gescheit und schlagfertig, stellte er anerkennend fest. Doch auch sehr angespannt und nervös. Was konnte er dagegen unternehmen? Während er darauf wartete, daß der Schaum sich setzte, dachte er an andere Abende nach Wahlentscheidungen in anderen Städten mit anderen Frauen. Es war schwierig, sich die Nächte ins Gedächtnis zurückzurufen, und noch schwerer fiel es ihm, sich an die Namen der Frauen zu erinnern. Diese Erkenntnis machte ihn verlegen. Damals hatten ihn diese Nächte ganz ausgefüllt, aber jetzt, Jahre danach, empfand er nur noch Leere. Marian McNamara war anders, und nicht nur deshalb, weil er es noch nie mit einem weiblichen Senator zu tun gehabt hatte. Es würde Zeit kosten, sie näher kennenzulernen, aber er zweifelte nicht daran, daß sich die Mühe lohnte. Du bist der Reporter, und sie ist eine Politikerin, die du zu interviewen hast, ermahnte er sich selbst. Er mußte Distanz wahren. Robert schüttelte die letzten Tropfen aus der Dose und vertrieb gleichzeitig die berauschenden Tagträume, die sich in seinem Kopf festsetzen wollten. Die Pflicht rief. „Was halten Sie für Ihre vordringlichste Aufgabe, Frau Senatorin, wenn Sie Ihre Arbeit in Washington aufnehmen?“ erkundigte sich Robert. Auf Marian wirkte die Frage wie ein eiskalter Wasserguß. Ihr wurde wieder klar, daß Robert Tate nicht deshalb bei ihr war, weil er sie mochte und sie ihm gefiel, sondern weil sie eine Wahl gewonnen hatte. Wenn sie nicht aufpaßte, konnte er ihr die Worte im Mund herumdrehen und sie vor aller Welt blamieren. „Die moralische Haltung der Abgeordneten, ihre Ehrlichkeit und Verantwortung
gegenüber den Wählern halte ich für einen sehr wichtigen Punkt“, antwortete sie ernst. „Und dann natürlich die Bereiche, in denen ich bereits in den letzten Jahren tätig war: Gesundheitsfürsorge, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit, Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsprogrammen…“ „Bleiben wir doch erst noch einmal beim Geld“, unterbrach Robert sie. „Über dieses Thema mußten Sie sich persönlich nie Gedanken machen, nicht wahr?“ Er stieß den Rauch seiner Zigarette aus und kniff die Augen etwas zusammen. Verärgert funkelte sie ihn an. „Mein verstorbener Ehemann ist mit dem Familienvermögen sehr sorgfältig umgegangen, so daß ich finanziell abgesichert bin, das ist richtig. Aber ich bin keineswegs wohlhabend oder gar reich.“ „Sind die Reichen Ihrer Meinung nach weniger anfällig für politische Korruption?“ Wollte er sie dazu bringen, daß sie sich abfällig über Wilcox äußerte, oder wollte er sie mit ihm vergleichen? „Das ist ein viel zu weites Feld, als daß wir das jetzt klären könnten, Mr. Tate. Und außerdem fehlt mir die Erfahrung, um mich hierüber spontan zu äußern.“ Robert schwieg einen Augenblick, dann lächelte er. „Sie haben wohl schmerzende Füße?“ „Meine Füße?“ Marian war völlig verwirrt, bis sie merkte, daß sie irgendwann im Verlauf des Gesprächs völlig unbewußt die Schuhe abgestreift hatte. Schnell schlüpfte sie wieder hinein. „Oh.“ Robert seufzte. „Dabei sind sie doch so hübsch.“ „Meine Füße?“ fragte sie wieder und traute ihren Ohren nicht. „Sie sind geschwollen und voller Druckstellen!“ Lächelnd blickte sie Robert an. Eigentlich hätte ihr die Situation peinlich sein müssen, aber seltsamerweise war das ganz und gar nicht der Fall. Ihre wunden Füße erinnerten sie jedoch daran, wie müde sie war. „Es ist schon spät“, bemerkte sie leise. „Ich bin erschöpft, und Sie sind es wahrscheinlich auch. Jetzt möchte ich gern mit meiner Tochter nach Hause fahren, um den Abend im privaten Kreis ausklingen zu lassen. Dafür haben Sie doch sicher Verständnis.“ Bevor er etwas entgegnen konnte, war sie schon aufgestanden und streckte ihm die Hand hin. „Herzlichen Dank für die Zeit, die Sie mir geopfert haben“, verabschiedete er sich. Robert ergriff ihre Hand und hielt sie viel länger, als es normalerweise üblich war. „Ich hoffe, wir werden bald wieder die Gelegenheit zu einem Gespräch haben.“ „Von mir aus gem. Ich würde mich freuen“, sagte sie lächelnd. Er drückte seine Zigarette aus. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“ Damit verließ er das Zimmer, winkte Pete im Nebenraum grüßend zu und verschwand. Aber Marian war voller Zuversicht, daß Robert nicht endgültig aus ihrem Leben verschwunden sein würde. Anderthalb Wochen später hatte Marian bei einer New Yorker Bekannten doch noch die Ausgabe der „New York Times“ vom Morgen nach der Wahlnacht auftreiben können. Der Bericht von Robert Tate war einer der Leitartikel. Aber der Text hätte genausogut aufgrund der Nachrichtenmeldungen verfaßt worden sein können: Er war eine klare, sachliche Wiedergabe ihrer Rede, die Darstellung von Wilcox’ Niederlage mit statistischen Angaben über die Wähler, die sich für Marian entschieden hatten. Dann ging Robert Tate nur noch auf die Hauptpunkte ihres Programms ein und erwähnte einige Einzelheiten aus den Untersuchungen im Fall Wilcox. Marian selbst war nicht zitiert. Darüber, was sie persönlich als ihre vordringlichsten Aufgaben ansah, stand nichts in der Zeitung. Auch ihre
Stellungnahme zu der Frage, ob nicht eigentlich Pete der Drahtzieher sei, war nicht erwähnt. Von dem gesamten Interview fand sich keine Spur. Warum, fragte sie sich, hatte sich Robert Tate überhaupt die Mühe gemacht, mit ihr zu reden?
2. KAPITEL Am 4. Juli kurz vor zehn Uhr morgens klingelte das Telefon. Durch den fröhlichen
Lärm, der von draußen hereindrang, und die laute Musik, mit der auch im Radio
der Unabhängigkeitstag gefeiert wurde, hätte Marian das Klingeln überhört, wenn
Lisa nicht abgenommen hätte.
„Für dich!“ rief sie.
„Wer ist es denn?“
Lisa zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Irgend jemand hat nach Senatorin
McNamara gefragt.“
„Das darf doch wohl nicht wahr sein.“ Marian stöhnte. „Nicht mal am höchsten
Feiertag der Nation wird man in Ruhe gelassen!“
Sie nahm ihre Kaffeetasse mit zum Telefon. „Ja, hier McNamara“, meldete sie
sich.
„Robert Tate, Frau Senatorin. Schönen Feiertag.“
Ihr Ärger schwand. „Guten Morgen.“
„Ich störe Sie doch hoffentlich nicht.“
„Aber nein“, versicherte sie ihm. „Ich habe keine festen Feiertagspläne. Meine
Tochter und ich sitzen gerade gemütlich beisammen und überlegen uns, was wir
mit dem Rest des Tages anfangen wollen.“ Sie gab Lisa durch ein kurzes Nicken
zu verstehen, daß es sich um keinen lästigen Anrufer handelte.
„Ich würde Sie gern um einen Gefallen bitten“, fuhr er unbefangen fort, ohne sich
an dem Rauschen in der Leitung zu stören. Da heute alle Welt miteinander
telefonierte, war die Verbindung begreiflicherweise schlecht.
„Sie erinnern sich, daß ich mit Ihnen noch einmal ein längeres Interview machen
wollte?“
„Ja.“
„Ich habe mir überlegt, ob ich mich nicht einfach ins Flugzeug setzen und zu
Ihnen kommen soll.“
„Heute?“
„Ja. Ich könnte am Nachmittag bei Ihnen sein.“
„Aber heute ist Unabhängigkeitstag, Robert! Gehen Sie denn nicht zur Parade?
Möchte Ihre Familie diesen Tag nicht gemeinsam mit Ihnen verbringen?“
„Nein“, gab er knapp zur Antwort.
„Ist das üblich bei Reportern, daß sie Senatsmitglieder an Feiertagen anrufen?“
„Manchmal“, entgegnete er trocken. „Ich halte mich an das, was ich ,Robert
Tates Regel Nummer fünf nenne.“
„Und die lautet?“
„Wenn ein Reporter an einem hohen Feiertag anruft, bestehen erstens gute
Aussichten, daß er den Politiker zu Hause erreicht. Zweitens hat dessen
Sekretärin frei und kann ihn gegen unerwünschte Anrufe nicht abschirmen…“
„Und drittens wird er wütend“, ergänzte Marian.
„Das ist natürlich das Risiko“, gab Robert zu. „Sind Sie denn wütend?“
Marian trank einen Schluck von ihrem lauwarmen Kaffee und dachte nach. Sie
wußte, was sie hätte tun sollen: ihm höflich sagen, er möge sie erst wieder in
Washington anrufen, wenn sie ihre Arbeit als Senatorin aufnahm. Aber Roberts
Vorschlag klang so verlockend…
„Nein, ich bin nicht wütend“, antwortete sie.
„Sehen Sie, jetzt wissen Sie, wie»das funktioniert!“
„Ich habe dem Interview noch nicht zugestimmt“, wandte Marian ein.
„Was hindert Sie noch daran? Haben Sie nicht selbst gesagt, daß Sie nichts
Besonderes vorhaben?“
„Das heißt nicht, daß ich nichts zu tun hätte!“ entgegnete sie. „Ich habe mir ein paar Unterlagen mitgebracht, die ich endlich einmal in Ruhe durchsehen möchte. Nächste Woche habe ich einige Besprechungen, auf die ich mich vorbereiten muß. Und außerdem möchte ich ein bißchen mit Lisa Zusammensein. Wir wollen uns die Parade anschauen und…“ „Ich schlage Ihnen folgendes vor“, unterbrach er sie hartnäckig. „Wenn ich am späten Vormittag losfliege…“ „Dazu müßten Sie aber sofort aufbrechen. Darüber hinaus kann ich mir nicht vorstellen, daß Sie noch ein Ticket bekommen. Heute ist der 4. Juli, Robert! An diesem Tag ist die halbe Nation unterwegs, und die Flugzeuge sind bestimmt schon seit Wochen ausgebucht.“ „Ach, ich habe mir für alle Fälle schon rechtzeitig einen Platz reservieren lassen“, erklärte er beiläufig. Marian staunte. Dieser Mann dachte wirklich an alles – und seit wann hatte er diesen gelungenen Überraschungsanruf schon geplant? „Gegen halb zwei komme ich an und fahre dann zu Ihnen hinaus“, fuhr Robert fort. „Das heißt, wenn Sie ein paar Stunden für mich erübrigen können.“ „Doch, das läßt sich einrichten.“ Marian versuchte, ihrer Stimme einen resignierten Klang zu geben, mußte sich aber eingestehen, daß sie sich auf Roberts Besuch freute. „Großartig“, meinte er. „Dann bis heute nachmittag. Sie haben noch Ihre alte Adresse?“ „Ja, die stimmt noch.“ „Gut, dann finde ich Sie auch“, meinte er zuversichtlich. „Aber etwas wollte ich Ihnen noch sagen…“ „Ja?“ „Sie sollten sich eine Geheimnummer zulegen, die nicht im Telefonbuch steht, Frau Senatorin.“ Verdutzt schwieg Marian einen Augenblick. Als sie etwas erwidern wollte, hatte Robert schon eingehängt. „War das der Reporter von der ,Times’?“ fragte Lisa, nachdem Marian den Hörer auf die Gabel zurückgelegt hatte. Marian nickte. „Verrückter Kerl.“ Sie versuchte so gleichmütig wie möglich zu sprechen, konnte Lisas vielsagendem Grinsen jedoch entnehmen, daß ihr das kläglich mißlungen war. „Komm“, sagte Marian rasch, um das Thema zu wechseln, „hilf mir in der Küche.“ Marian hatte vorgehabt, an diesem Feiertag einen genauen Plan darüber aufzustellen, was sie während der Sommerpause des Senats noch alles erledigen wollte. Aber jetzt waren ihr die Vorbereitungen für den heutigen Tag wichtiger als die für die nächsten Wochen. Ein paar Stunden, hatte Robert gesagt. Das konnte bedeuten, daß er zum Dinner blieb. Auf jeden Fall mußte sie dafür gerüstet sein. Agnes hätte das mit den Vorräten im Haus spielend geschafft, wenn sie hier gewesen wäre. Doch heute am Nationalfeiertag hatte Marian ihrer langjährigen Haushälterin natürlich freigegeben. Im Kühlschrank ist Fleisch, überlegte Marian. Daraus ließe sich Geschnetzeltes machen. Wenn sie Schinken hineinschnitt, Tomatenscheiben und reichlich Kräuter hinzufügte… „Geben wir eine Party?“ neckte Lisa sie. Marian tat, als habe sie nichts gehört. Sie hackte Dill, Petersilie, Schnittlauch und stellte Kresse bereit. Im Obstkorb lagen frische Aprikosen. Ob sie vielleicht Aprikosenschaum zubereiten sollte? Das war zeitraubend, schmeckte jedoch
herrlich und war wunderbar leicht. Der ideale Nachtisch für ein Dinner. Auch hätte sie zum Essen einen vorzüglichen Wein anzubieten. Außerdem würde sie Säfte aus frischgepreßten Früchten bereithalten. Als nächstes machte Marian einen Kontrollgang durchs ganze Haus. „Ich stelle jetzt den Staubsauger an“, warnte sie ihre Tochter, die in ein Buch vertieft auf der Couch lag. „Agnes hat gestern doch alles in Ordnung gebracht“, meinte Lisa erstaunt über die Aktivitäten Marians. „Ach, ich möchte nur ein bißchen aufräumen“, sagte sie und fuhr mit dem Staubsauger über jeden Quadratzentimeter des flauschigen weißen Teppichs. „Du hast schon einen Sitz im Senat“, rief Lisa lautstark, um das Surren zu übertönen. „Was willst du denn jetzt werden, Hausfrau des Jahres?“ Verärgert stellte Marian den Staubsauger ab. Sie hatte schon eine heftige Entgegnung auf der Zunge, hielt dann aber inne. Lisa hatte recht. Was wollte sie eigentlich beweisen? Seit Roberts Anruf hatte Marian darüber nachgedacht, was er im Sinn haben mochte, und darüber, welche Hoffnungen und Erwartungen sie selbst an eine Bekanntschaft mit Robert knüpfte. Was Robert bezweckte, ließ sich leicht erraten: Er brauchte eine Story für seine Zeitung. Sein Vorgehen war vielleicht etwas ungewöhnlich, aber außer einem Interview wollte er nichts von ihr – oder? Ihre eigenen Beweggründe zu erforschen, fiel Marian bedeutend schwerer. Sicher, gute Presseberichte würden ihre Position stärken, und Robert konnte sie mit seinen Artikeln von Anfang an unterstützen, sobald der Kongreß nach der Sommerpause seine Arbeit wiederaufnahm und sie sich in Washington bewähren mußte. Doch Marian wußte, daß sie es darauf nicht angelegt hatte. Auch ohne die Aussicht auf eine gute Darstellung in der führenden Zeitung hätte sie sich über das Wiedersehen mit Robert Tate gefreut. Wonach suchte sie eigentlich? Nach der großen Liebe? Das war albern. Nach einem Freund in der fremden Umgebung? Das schon eher, aber vermochte sie zu einem Reporter soviel Vertrauen zu entwickeln, daß sich darauf eine Freundschaft aufbauen ließ? Konnte sie sich ihm gegenüber so geben, wie sie wirklich war, ohne alle Vorbehalte und Vorsichtsmaßnahmen? Lief sie dann nicht Gefahr, daß er sein Wissen um ihre Schwächen, ihre Verletzbarkeit gegen sie benutzte und in der Zeitung verbreitete? „Wann wird er denn da sein?“ erkundigte sich Lisa neugierig. „Um halb zwei landet das Flugzeug. Aber wer weiß, wie lange er braucht, bis er hier ist. Heute wird es nicht leicht sein, ein Taxi aufzutreiben.“ „Du siehst gut aus, Mama“, meinte Lisa anerkennend, bevor sie sich wieder in ihr Buch vertiefte. Marian lächelte und entspannte sich etwas. Bei der Hausarbeit hatte sie sich überlegt, was sie anziehen sollte. Sie wollte Robert diesmal weniger offiziell gekleidet gegenübertreten, durfte aber auch nicht allzu lässig wirken, denn schließlich war ein Interview kein zwangloses Gespräch mit einem Freund. Sie hatte sich für eine Hose aus naturreiner Baumwolle entschieden, dazu eine leichte, kragenlose Bluse in Rose gewählt, deren Ärmel sie über den Ellbogen hochschlug. Zum Schluß schlüpfte sie in die rosa Ballerinas. Bei ihrer Größe von einem Meter und zweiundsiebzig trug sie fast immer flache Schuhe. Was Robert anbetraf, wäre das allerdings nicht notwendig gewesen, denn er überragte sie um ein ganzes Stück. Hundert Bürstenstriche – früher hatte sie ihr Haare jeden Tag hundertmal gebürstet, aber während der Wahlkampagne hatte sie aus Zeitmangel damit
aufgehört. Jetzt nahm sie sich die Zeit, und dieser uralte Tip wirkte immer noch Wunder. Ihr schulterlanges Haar glänzte, und die blonden Strähnchen setzten interessante Akzente. Nachdem sie nun aufgeräumt und sich umgezogen hatte, blieb Marian nichts anderes übrig als zu warten. Die Uhr auf dem Kaminsims schlug die halbe Stunde: halb zwei. Marian studierte die neuesten ArbeitslosenStatistiken, machte sich Notizen und legte den Aktenordner wieder weg, um ihr Makeup zu überprüfen. Es war zwei Uhr. Vielleicht hatte das Flugzeug Verspätung. Es war gewittrig, also kein sehr günstiges Flugwetter. Dazu kam noch der lebhafte Feiertagsverkehr. Oder hatte Robert die Maschine verpaßt? Nein, dann hätte er sie bestimmt, angerufen und ihr Bescheid gegeben. Es klingelte an der Haustür, noch ehe die Zeiger der Uhr viertel nach zwei anzeigten. Er mußte alles perfekt organisiert haben. Lisa blickte erwartungsvoll auf, als Marian zur Tür ging. Gerade als sie öffnete, fielen die ersten Tropfen. Robert stand draußen. Am Himmel zuckten Blitze, und die schweren Regentropfen hinterließen dunkle Recken auf seinem hellen Mantel. „Hallo“, begrüßte er sie strahlend. „Sieht so aus, als hätte ich das Gewitter mitgebracht.“ „Hallo.“ Etwas zaghaft erwiderte Marian sein Lächeln. „Kommen Sie schnell herein, das ist ja ein richtiger Wolkenbruch.“ Robert schüttelte sich, daß die Tropfen flogen, und streifte sich dann sorgfältig die Schuhe auf der Fußmatte im Eingang ab. „Ich nehme Ihnen den Mantel ab“, bot Marian an. Wie breit und kräftig Roberts Schultern sind, dachte sie, während sie den Mantel aufhängte. Leise raschelte der Stoff, und der zarte, unaufdringliche Duft eines herben Parfüms stieg Marian in die Nase. Mit einer gewissen Erleichterung stellte sie fest, daß auch er heute legerer gekleidet war. Er trug eine hellgraue Hose, ein blaues Sportjackett und ein hellblaues Hemd ohne Krawatte. Dadurch wirkte er viel lockerer als am Abend der Wahl, gar nicht mehr wie ein einflußreicher Journalist der ‘führenden Zeitung. „Hatten Sie Schwierigkeiten, mich zu finden?“ fragte Marian. Der leichte Plauderton wollte ihr nicht so recht gelingen. „Nein, ich hatte zum Glück einen tüchtigen Taxifahrer erwischt, der sich bei einer Tankstelle nach dem genauen Weg erkundigt hat.“ Robert hielt kurz inne und fuhr dann fort: „Nochmals vielen Dank dafür, daß Sie mich heute am Feiertag überhaupt empfangen.“ „Ich frage mich nur, warum Sie sich die Mühe machen, am Feiertag herzukommen.“ Diese Bemerkung war Marian entschlüpft, bevor sie die Worte zurückhalten konnte. Robert warf ihr einen prüfenden Blick zu, sagte aber nichts. „Gehen wir doch hinein“, schlug sie rasch vor. „Stellen Sie Ihre Tasche am besten dort neben der Garderobe ab.“ Marian führte ihn durch den Flur und dann die zwei Stufen zum Wohnzimmer hinunter. „Ich glaube, Sie haben am Abend der Wahl meine Tochter nicht kennengelernt, Robert. Das also ist Elisabeth, oder Lisa, wie wir sie nennen. Lisa, das ist Robert Tate von der ,New York Times’.“ „Guten Tag“, begrüßte Lisa ihn höflich. „Tag, Lisa“, grüßte Robert zurück, und es klang, als freue er sich wirklich, sie kennenzulernen. Lisa zwinkerte Marian zu. „Ich bin gerade an einer Stelle in meinem Buch
angelangt, wo ich einfach nicht mehr aufhören kann. Ihr entschuldigt mich doch, wenn ich in mein Zimmer gehe?“ „Aber natürlich“, erwiderte Marian und hoffte, daß Robert das vielsagende Zwinkern entgangen war. Lisa eilte die Treppe hinauf, und gleich darauf waren leise, entfernte Klänge von Rockmusik zu hören. Ein etwas peinliches Schweigen setzte ein, bis sich Marian an ihre Pflichten als Gastgeberin erinnerte. „Ich wollte mir gerade einen Kaffee machen. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee, Tee, ein Glas Wein oder frischgepreßten Kirschsaft?“ „Ein Kaffee wäre jetzt schön, vielen Dank. Ich trinke ihn schwarz.“ Marian zog sich in die Küche zurück. Über die Theke hinweg, die Küche und Eßecke voneinander trennte, konnte sie Robert jedoch beobachten. Er ging langsam bis zur Mitte des Wohnzimmers, sah sich interessiert um und schien jede Einzelheit in sich aufzunehmen: Den weißen Teppich und das dazu passende helle Sofa, dem rote und blaue Kissen fröhliche Farbtupfer verliehen. Die farblich genau abgestimmten Vorhänge vor der Glastür, die zum Wintergarten hinausführte. Die alten Drucke europäischer Städte an der Wand. Ihr Klavier in der Ecke, ein Erbstück, das sich seinen Mahagoniglanz jedoch bewahrt hatte. Das üppige Grün des Wintergartens und die vielen bunten Sommersträuße, die überall im Zimmer verteilt waren. Zuletzt blieb sein Blick auf Marian haften, die an der Kaffeemaschine herumhantierte. Der Journalismus war ein hartes Geschäft, und die meisten seiner Kollegen hätten sich über die hausfrauliche Betätigung der Frau Senatorin lustig gemacht. Aber seltsamerweise wurde Marian in seinen Augen nur noch attraktiver, als er diese neue Seite an ihr entdeckte. In letzter Zeit hatte die Vorstellung, zu heiraten und wieder einen eigenen Hausstand zu haben, etwas durchaus Verlockendes für ihn. Marian McNamara aber, so mußte er sich sagen, hatte gerade jetzt wohl kaum das Verlangen nach Heim und Herd. Seine Gastgeberin, die ihm mit freundlichem Lächeln eine Tasse Kaffee reichte, würde in Kürze den Staat Michigan im Senat vertreten. Sie war Kongreßmitglied, eine der ganz wenigen Frauen, die es in ihrer politischen Karriere so weit gebracht hatten. „Sie haben ein schönes Zuhause“, begann Robert das Gespräch. „Wohnen Sie hier schon lange?“ „Mein Mann und ich haben das Haus etwa ein Jahr nach unserer Hochzeit gekauft“, erwiderte Marian. Sie schenkte sich ebenfalls Kaffee ein und nahm in dem tiefen Sessel Platz, der Robert schräg gegenüberstand. „Ist das Ihr Mann?“ fragte er und nahm ein silbergerahmtes Bild vom Couchtisch auf. Es war die Schwarzweißfotografie eines jungen Paares, das sich, die Arme um die Schultern gelegt, anlächelte. „Ja“, gab sie leise zur Antwort. „Ein Schnappschuß aus Paris, wo wir unseren siebten Hochzeitstag verbracht haben.“ Robert ließ seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen. „Viele dieser Kunstgegenstände haben Sie aus Europa mitgebracht, nicht wahr?“ Damit leitete er auf ein unverfänglicheres Thema über. Und als sie nur bestätigend nickte, fuhr er fort: „Auch die Farbzusammenstellung in diesem Raum ist sehr geschmackvoll. Wenn das Ihre Ideen waren, dann sind Sie eine wirklich talentierte Innenarchitektin.“ „Was wollen Sie eigentlich schreiben?“ fragte Marian amüsiert. „Einen Artikel für ‚Schöner wohnen’?“ Robert lachte. „Nein, natürlich nicht. Aber ich kann jetzt verstehen, weshalb es Sie am Abend der Wahl aus dem Hotelzimmer fort nach Hause gezogen hatte.“
Marian fragte sich, was hinter dieser scheinbar so harmlosen Bemerkung steckte. Hatte in seiner Stimme nicht ein seltsamer Unterton mitgeschwungen? „Wenn Sie erst in Washington sind, werden Sie dann noch oft hierher zurückkommen?“ setzte Robert unbefangen das Gespräch fort. „Lisa ist ja schließlich noch hier. Sie wird bei Freunden wohnen, bis sie mit der Schule fertig ist. Also werde ich öfter herkommen, um mit ihr zusammen sein zu können. Oder sie besucht mich in Washington. Natürlich werde ich gelegentlich auch meinen heimatlichen Wahlkreis aufsuchen, werde Reden halten und Rechenschaftsberichte geben. Aber ich nehme an, daß ich zumindest am Anfang die meiste Zeit in Washington verbringen werde.“ Robert stand auf und ging zur Tür. „Sie spielen Klavier?“ fragte er und wies mit dem Kinn auf ihren Flügel. „Meine Mutter behauptet es“, antwortete Marian lachend. „Ich hingegen halte Lisa für weitaus musikalischer. Sie ist auch diejenige, die Klavier spielt.“ „Womit beschäftigen Sie sich also in Ihrer Freizeit?“ Robert hatte seine Tasche aus dem Flur geholt und kramte jetzt darin herum. „Ich lese gern, und zwar moderne Literatur, geschichtliche Werke, politische Fachbücher, Biographien und Krimis.“ Sie hielt inne. „Übrigens habe ich gerade Ihr neues Buch über den Wahlkampf gelesen“, fügte sie hinzu. „Oh?“ Überrascht sah er auf. „Und wie finden Sie es?“ Würde er erraten können, daß sie nach dem ersten Interview losgegangen war und es gekauft hatte? „Es hat mir gut gefallen“, sagte sie vorsichtig. „Gegen Ende fand ich allerdings, daß die politischen Analysen etwas zu kompliziert wurden.“ „Ganz meine Meinung“, stimmte er zu. „Leider habe ich es zu spät gemerkt. Wenn ich das Buch noch einmal schreiben könnte, würde ich Ihren Rat beherzigen und den Schluß einfacher darstellen.“ Er holte einen Kassettenrecorder hervor. „Und was machen Sie sonst noch, wenn Sie nicht gerade mit Ihrem neuen Amt beschäftigt sind?“ „Ich gehe gern ins Kino, ins Theater und ins Konzert, und jetzt im Sommer arbeite ich viel im Garten. Das ist meine große Leidenschaft.“ Robert stellte den Kassettenrecorder auf den Tisch und setzte sich wieder. „Sie wollen unser Gespräch aufnehmen?“ fragte sie mißtrauisch, obwohl sie sich selbst lächerlich vorkam. Schließlich hatte sie schon oft genug auf Band gesprochen. „Nur zu Ihrer Beruhigung“, erklärte er. „Wenn unser Gespräch auf Band festgehalten wird, müssen Sie nicht befürchten, daß ich Sie falsch zitiere.“ „Und was ist mit all den Dingen, die Sie in ihrem Text gar nicht verwenden?“ Er lehnte sich zurück, als ob er ihrer Anspielung ausweichen wollte. „Sie meinen den Artikel nach unserem letzten Interview?“ Auf Marians Nicken hin fuhr er fort: „Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Der Chefredakteur hat allerhand von mir zu hören bekommen. Erst läßt er mich tausend Meilen zu Ihnen fliegen, dann streicht er mir alle interessanten Passagen weg.“ Der Flug zu mir war also reine Zeitverschwendung, dachte sie bitter. „Schließlich bot man mir an, ich solle noch einen längeren Artikel über Sie schreiben. Und diesmal hat mir der Chefredakteur versprochen, ihn nicht wieder zu zerreißen.“ Also war es vielleicht gar nicht seine Idee, mich nochmals aufzusuchen, ging es Marian durch den Kopf, und ihre gute Laune verflog restlos. „Genug der Vorreden. Fangen wir doch an, ja?“ Robert drückte zwei Tasten auf dem Recorder und zündete sich eine Zigarette an. „Was haben Sie seit Ihrer Wahl bis jetzt alles unternommen?“
Marian gab sich Mühe, langsam und deutlich zu sprechen. Sie wußte, daß ein Reporter, der mitnotierte, von sich aus auch kleine Fehler verbesserte, die sich beim schnellen Sprechen unvermeidlich einschleichen. Vom Kassettenrecorder war jedoch keine Formulierungshilfe zu erwarten. Außerdem konnte Robert beim Abhören des Bandes nicht mehr zurückfragen, wenn er etwas nicht verstand. Deshalb mußte alles klar und verständlich sein. „Als erstes mußte ich Mitarbeiter einstellen. Es war sehr mühevoll, bis ich mich durch die Berge von Bewerbungsschreiben hindurchgearbeitet hatte. Aber ich glaube, ich habe wirklich gute Leute gefunden.“ „Und zwar wen?“ Marian blickte auf das laufende Gerät. „Das würde ich Ihnen lieber inoffiziell sagen. Macht es Ihnen etwas aus, den Recorder so lange abzustellen? Die Entscheidung ist nämlich noch nicht in allen Fällen endgültig. Außerdem möchte ich auch niemand von den Bewerbern verletzen, die zu einem Vorstellungsgespräch geladen wurden und dann doch eine Ablehnung erhielten.“ Obwohl Robert über ihre Bitte alles andere als erfreut war, stoppte er sofort das Band. „Meine Assistentin in Verwaltungsfragen wird Jeanne Ling sein, die bereits für Senator Lee gearbeitet hat. Kennen Sie sie?“ Er nickte. „Sie ist wirklich eine der Besten.“ „Ich freue mich, daß Sie das auch finden.“ „Und was wird mit Pete Steiner?“ wollte Robert wissen. „Pete wird mein Pressereferent. Wir waren uns darüber einig, daß ich für diese Aufgabe nur eine in Kongreßfragen erfahrene Person beauftragen werde. Das trifft auf Pete ja zu, und darüber hinaus war die Pressearbeit schon immer seine Stärke. Bei den juristischen Beratern bin ich mir noch nicht sicher, da ist die Entscheidung also noch offen.“ „Kann ich den Recorder wieder anstellen?“ bat Robert. Auf Marians Nicken hin drückte er wieder die Taste. „Wie haben Sie sich sonst noch auf Ihre neue Tätigkeit eingestellt?“ „Unmengen von Informationsmaterial darüber gelesen, wie man als Senator sein Büro und seine Sprechzeiten organisiert. Den Stapel Post etwas abgetragen. Mich mit Maklern in Verbindung gesetzt und in Washington eine Wohnung gesucht, was gar nicht so einfach war. Und außerdem“, sie holte tief Luft nach dieser langen Aufzählung, „habe ich versucht, noch etwas Zeit für Lisa zu erübrigen.“ Robert warf einen raschen Blick auf seinen Notizblock, auf dem er sich offenbar einige Fragen für das Interview aufgeschrieben hatte. „Haben Sie schon mit dem Senat abgesprochen, welche speziellen Aufgaben Sie übernehmen möchten?“ „Kann ich darauf wieder inoffiziell antworten?“ „Na schön“, erklärte er sich widerstrebend bereit und streckte die Hand nach dem Gerät aus. „Ich möchte ja kein schwieriger Interviewpartner sein, aber…“, setzte Marian zu einer Entschuldigung an. „Sie sind aber ein schwieriger Interviewpartner“, unterbrach er sie, und seine Augen wurden dabei noch dunkler. „Wenn dieses Hin und Her so weitergeht, werde ich noch verrückt.“ Ich muß mich ihm gegenüber behaupten, sagte sich Marian. Ihm klarmachen, daß er sich entweder an meine Bedingungen hält oder auf das Interview verzichtet. „Hören Sie“, lenkte Robert ein, noch ehe sie antworten konnte, „ich verstehe durchaus, daß Sie besorgt darüber sind, wie Ihre Äußerungen in der Öffentlichkeit aufgenommen werden. Aber eines dürfen Sie mir glauben: Ich
habe den weiten Weg hierher bestimmt nicht dazu gemacht, um Sie bloßzustellen und Ihnen zu schaden.“ Marian versuchte, in Roberts Augen zu lesen, ob sie ihm trauen konnte. „Ich möchte Sie kennenlernen“, sagte er. „Und ich möchte über Sie schreiben. Sollte das jedoch in einen Nervenkrieg ausarten, verzichte ich lieber auf den Artikel.“ Als Privatperson hätte Marian diese Lösung nicht schlecht gefunden, aber die Politikerin in ihr sträubte sich dagegen. Robert wußte, daß sie schwankte. „Okay“, fuhr er fort, „ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Mir ist gerade eine Idee gekommen: Für jede Frage, die ich Ihnen stelle, dürfen Sie mich auch etwas fragen.“ Jetzt mußte Marian doch lächeln. „Ist das nicht etwas ungewöhnlich?“ Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Aber wenn es funktioniert“, fügte er mit leuchtenden Augen hinzu, „dann schreibe ich in der journalistischen Fachpresse einen Bericht darüber, damit alle meine Kollegen diese neue Technik kennenlernen.“ „Sie sind mir gegenüber allerdings im Vorteil“, wandte Marian ein. „Mir steht keine Zeitung zur Verfügung, in der ich über Sie schreiben könnte.“ „Wer weiß?“ entgegnete er und lächelte verschmilzt. „Vielleicht finden Sie etwas über mich heraus, was Sie auf Ihrer ersten großen Cocktailparty in Washington zum besten geben können. Möglicherweise werden dort Neuigkeiten wirkungsvoller verbreitet als durch die Zeitung.“ Roberts Vorschlag reizte sie immer mehr. „Und wie soll das Gespräch ablaufen?“ „Mich dürfen Sie ohne Einschränkungen alles fragen, was Ihnen einfällt. Dafür erlauben Sie mir, daß ich das Band laufen lasse. Wenn Sie in einer bestimmten Angelegenheit keinesfalls offiziell Stellung nehmen wollen, dann sagen Sie es einfach, und ich werde es bei der Abschrift des Bandes beachten. Doch ich hoffe, daß das nicht zu oft passiert.“ „Damit bin ich einverstanden“, entgegnete Marian. Marian trank einen Schluck Kaffee und schaute Robert erwartungsvoll an. „Okay, wer beginnt?“ „Sie, wenn Sie wollen.“ „In Ordnung.“ Womit sollte sie jetzt nur anfangen? Marian stellte die erstbeste Frage, die ihr in den Sinn kam: „Wie alt sind Sie?“ „Sechsundvierzig. Jetzt bin ich dran. Was hat Sie zu einer politischen Laufbahn bewogen?“ „Moment mal“, protestierte sie. „Das ist nicht fair. Um ihre Frage zu beantworten, muß ich Ihnen einen ganzen Roman erzählen!“ „Dann überlegen Sie sich beim nächstenmal eine bessere“, riet Robert und schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln. „Na gut.“ Sie seufzte, mußte aber ebenfalls lächeln. „Für Politik interessierte ich mich eigentlich schon immer. Ich hab^ Politikwissenschaft studiert und mich bereits vom ersten Semester an im Studentenparlament betätigt. Als ehemalige Schulsprecherin hatte ich auch schon entsprechende Vorerfahrungen. Noch während des Studiums wurde ich Mitglied der Demokratischen Partei und habe dann in vielen Bereichen ehrenamtlich mitgearbeitet. Gleich nach meinem Examen habe ich geheiratet, ein Jahr später wurde Lisa geboren. Dennoch war ich auch weiterhin in der Lokalpolitik tätig. Etwa zu der Zeit, als Lisa eingeschult wurde, ging unser langjähriger Stadtrat in den Ruhestand. In den Debatten, wer seine Nachfolge antreten sollte, hat irgend jemand mich vorgeschlagen. Ich ließ mich zur Wahl aufstellen, und weil ich die einzige Frau war, haben mich alle Frauengruppen unterstützt. So kam ich in den
Stadtrat.“ Vom vielen Sprechen hatte Marian einen trockenen Mund bekommen. Sie trank etwas Kaffee und erzählte dann weiter: „Ein paar Jahre später, als das Wahlalter auf 18 herabgesetzt worden war, wurden die Bezirke neu aufgeteilt. Weil die Statistiken gezeigt hatten, daß ich nicht nur die Frauen, sondern vor allem auch die jungen Wähler auf meiner Seite hatte, wurde ich gebeten, für die Bezirkswahlen zu kandidieren. Auch diese Wahl habe ich gewonnen.“ „Und wann hatten Sie den Entschluß gefaßt, den Sprung in die KongreßPolitik zu wagen?“ Marian ließ sich nicht überrumpeln. „O nein“, wehrte sie ab und drohte Robert mit dem Finger. „Das ist schon die nächste Frage.“ Er lächelte und lehnte sich zurück. Jetzt werde ich ihn einmal in die Enge treiben, dachte Marian. „Wie kommt es, daß Sie am 4. Juli zu einem Interview aufbrechen und den Feiertag nicht mit Ihrer Familie verbringen?“ Ein schmerzliches Zucken lief über sein eben noch so vergnügtes Gesicht. Sorgfältig setzte er seine Kaffeetasse ab. „Ich bin seit etwa sechzehn Jahren geschieden. Meine Frau bestand darauf, das Sorgerecht für unsere beiden kleinen Söhne zu bekommen. Da ich mich zu diesem Zeitpunkt sehr um meine berufliche Laufbahn gekümmert habe, bin ich nicht mit allen Mitteln gegen diesen Antrag vorgegangen. Nicht einmal dann, als es plötzlich hieß, daß die Jungen ihren Geburtstag und alle Feiertage grundsätzlich bei ihr verbringen sollten.“ Seine Stimme wurde weicher und verlor ihren forschen Klang. „Bis vor wenigen Jahren hat mir das auch nicht soviel ausgemacht. Doch wenn ich jetzt darüber nachdenke, was ich versäumt habe und was mir alles entgangen ist, dann, stimmt mich das traurig.“ Sein Gesicht hellte sich auf. „Mein Ältester arbeitet in Europa, aber der Jüngere ist jetzt in einem Internat in Virginia, wo ich ihn oft besuchen kann. Seine Mutter besteht jedoch nach wie vor darauf, ihn an den Feiertagen bei sich zu haben.“ „Das tut mir leid“, bemerkte Marian leise. Robert holte eine Zigarette hervor und zündete sie schweigend an. Mit unbewegtem Gesicht blickte er in den Wintergarten hinaus. Dann wandte er sich wieder Marian zu. „Wie lange ist es her, seit Ihr Mann starb?“ An diese Frage war sie schon gewöhnt. „Fünf Jahre.“ Marian erhob sich, trat an einen Ecktisch, auf dem eine Vase mit Schnittblumen stand, und ordnete sie. „Als er eines Abends spät von der Arbeit nach Hause fuhr, stieß er mit dem Fahrzeug eines Betrunkenen, das ihm auf der linken Straßenseite entgegen kam, frontal zusammen.“ Sie beugte sich vor, um an den Blumen zu riechen, und strich zart über die Blütenblätter. „Was war er eigentlich von Beruf?“ „Ingenieur in einer Autofirma“, antwortete Marian, sah auf und lächelte. „Diesmal haben Sie es geschafft, eine zweite Frage einzuschmuggeln, Robert.“ „Also gut. Gleiches Recht auch für Sie.“ Mit gerunzelter Stirn ging Marian zu ihrem Sessel zurück. Sie hätte Robert gern eine wirklich knifflige Frage gestellt, doch die Neugierde, was mit seiner Ehe gewesen war, überwog. „Was macht Ihre ehemalige Frau denn jetzt?“ „Sie hat wieder geheiratet und ist Hausfrau.“ „Weshalb haben Sie sie geheiratet?“ „Jetzt schürfen Sie aber ganz schön in die Tiefe!“ Marian zwinkerte ihm zu. „Ich lerne schließlich von einem Profi, oder?“ Robert lachte in sich hinein, wurde jedoch im nächsten Augenblick wieder ernst. „Wir haben geheiratet, als unser erstes Kind unterwegs war. Damals studierte ich
noch und arbeitete nachts als Aushilfe bei der ,Times’. Kaum hatte ich dort eine feste Anstellung bekommen, fand meine Frau, ich solle sie stärker entlasten und mich mehr um sie kümmern. Ich hingegen fand, daß ich mich jetzt meiner Karriere widmen müßte.“ „Bei so gegensätzlichen Erwartungen war der Bruch wohl unvermeidlich.“ „Vielleicht nicht unbedingt. Es gibt sicher Ehepaare, die eine Einigung erreicht hätten, aber Claudia und mir ist es nicht gelungen.“ Robert setzte sich noch bequemer zurecht und stieß dabei leicht gegen ihr Knie. Durch den Baumwollstoff hindurch spürte Marian ein Prickeln auf ihrer Haut. „Das Interview scheint vielversprechend zu werden“, fuhr Robert verschmitzt fort. „Nächste Frage: Was hätte Ihr Mann zu Ihrem Wahlsieg gesagt?“ Marian zögerte, warf einen Blick zur Treppe und senkte die Stimme. „Darauf möchte ich nicht offiziell antworten. Vor allem Lisas wegen ist mir daran gelegen, daß das nicht an die Öffentlichkeit dringt. Einverstanden?“ Robert nickte. „Wenn Tom noch lebte, hätte ich mich niemals zur Wahl aufstellen lassen“, begann sie langsam, jedes Wort sorgfältig abwägend. „Seine Ansichten von den Aufgaben einer Frau und Mutter waren – sagen wir mal: sehr traditionell. Meinen Sitz im Stadtrat hatte er akzeptiert, obwohl er auch darüber nicht sehr glücklich war. Er tolerierte diese Tätigkeit jedoch, weil ich es in der Regel geschafft hatte, abends zu Hause zu sein. Er mußte also keine Zugeständnisse machen. Aber mit einer sechsjährigen Legislaturperiode im Senat, einer Vollzeitbeschäftigung und womöglich einem Umzug nach Washington wäre er nie einverstanden gewesen…“ „Und Sie hätten nachgegeben?“ „Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, für den Senat zu kandidieren“, erklärte Marian. „Schließlich liebte ich meinen Mann, und als wir heirateten, hatte ich erreicht, was ich mir wünschte.“ „Aber jetzt denken Sie anders?“ fragte Robert. „Ja“, bestätigte Marian. „Ich habe neue Impulse bekommen, habe mich weiterentwickelt. Außerdem wird Lisa ja auch immer selbständiger. Toms Auffassung von meiner Rolle im Leben könnte ich heute nicht mehr teilen.“ Weshalb erzähle ich Robert das eigentlich alles? ging es Marian plötzlich durch den Kopf. Nicht einmal mit ihren engsten Freunden hatte sie darüber gesprochen. Warum also wurde sie jetzt auf einmal so mitteilsam und wieso ausgerechnet diesem Mann gegenüber? Lag es an der geschickten Art, wie er das Interview führte? Vielleicht gehörte es zu den Techniken eines guten Journalisten, seine Gesprächspartner in einen entspannten Zustand zu bringen, in dem sie dann bereitwillig erzählten. Oder hatte sie aus einem ganz anderen Grund mit Robert Tate über ihren Mann reden wollen? Geschah es aus dem Gefühl heraus, einen neuen Freund gewonnen zu haben? Oder mehr deshalb, weil sie sich auf unerklärliche Weise zu ihm hingezogen fühlte? Plötzlich fiel Marian die Stille im Zimmer auf, die nur durch das leise Surren des Kassettenrecorders durchbrochen wurde. Robert blickte versunken in seine Tasse, nachdem er sie lautlos abgesetzt hatte. „Möchten Sie noch Kaffee?“ beendete Marian das Schweigen. Wie einfach war es doch, nur Gastgeberin zu spielen. „Gern, danke“, entgegnete er und reichte ihr die Tasse. Während Marian Kaffee nachschenkte, trat Robert an die Tür zum Wintergarten und schaute hinaus. „Es hat aufgehört zu regnen.“ Marian wies zum Himmel empor, wo die dunklen Gewitterwolken durch den Wind auseinandergetrieben wurden.
Robert ging auf ihren leichten Plauderton ein. „Ja, die Parade fällt also doch nicht ins Wasser. Aber ein großes Vergnügen wird es nicht sein, durch die regennassen Straßen zu stapfen.“ Marian wurde plötzlich bewußt, daß Robert bald aufbrechen mußte, wenn er noch ein Hotelzimmer bekommen wollte. Am Feiertag war das ohnehin schwierig, und nach diesem Gewitter würden sich auch noch viele Camper in die Hotels flüchten. Und selbst wenn Robert sich rechtzeitig ein Zimmer hatte reservieren lassen, so würde er am späten Abend, wenn die Shows und Tanzveranstaltungen begannen, kein Taxi mehr auftreiben können. Robert schien sich darüber keine Sorgen zu machen, denn er trank seelenruhig aus und setzte anschließend das Interview fort. „Sie sind erst neunundreißig. Können Sie sich vorstellen, daß Sie für den Rest Ihres Lebens im Senat tätig sind?“ Es fiel Marian nicht leicht, zum Thema zurückzukommen, auch dachte sie nicht mehr an die zuvor getroffene Vereinbarung, sich abwechselnd Fragen zu stellen. Er war der Journalist, sie der Interviewpartner. „Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Der Fall Harold Wilcox hat mir erschreckend deutlich vor Augen geführt, was eine langjährige Tätigkeit im Senat bei einem Menschen bewirken kann. Damit meine ich gar nicht so sehr die Bestechungsskandale, sondern eher die verschiedenen Interessengruppen, denen sich ein Senatsmitglied anschließen muß, um wiedergewählt zu werden. Aus diesem Grund war ich fast geneigt, folgendes öffentlich zu verkünden: ,Sechs Jahre, für die ich in den Senat gewählt wurde, werde ich meinen Posten, so gut ich kann, ausfüllen. Doch für die nächste Periode werde ich nicht mehr kandidieren, also versucht gar nicht erst, mich kaufen zu wollen.’“ „Und warum zögerten Sie mit diesem Bekenntnis.“ Marian lächelte. „Weil ich befürchte, mir wird die Arbeit so viel Spaß machen, daß ich gar nicht mehr aufhören möchte“, erklärte sie offen. „Hinzu kommt, daß außer mir nur noch eine einzige Frau im Senat ist. Mir ist klar, daß ich ohne die Unterstützung der Frauengruppen die Wahl nicht gewonnen hätte. Deshalb fühle ich mich meinen Wählerinnen auf eine besondere Weise verpflichtet.“ „Na, da haben Sie doch schon Ihre spezielle Interessengruppe, mit der Sie sich einigen müssen“, versuchte er sie aus der Reserve zu locken. Aber damit war Marian nicht zu verunsichern. „Das ist etwas anderes“, entgegnete sie ruhig. „Hier geht es um Dinge, von denen ich völlig überzeugt bin.“ Ihr fiel auf, daß er schon drei Fragen hintereinander gestellt hatte, doch das war ihr jetzt egal. Marian fühlte sich so gelöst und entspannt wie bei einer angeregten Diskussion mit einem Kollegen. Ihr Mißtrauen war verschwunden, denn sie hatte erkannt, daß es ihm darum ging, ihre politischen Ansichten von allen Seiten zu beleuchten. Die Uhr schlug die halbe, dann die volle Stunde. Marian führte aus, was sie von den Einsparungsmaßnahmen hielt, der Außenpolitik und von dem Verhältnis, in dem die Rüstungsausgaben zu den Sozialausgaben standen. Sie hatte zu all dem eine klare Meinung und war trotzdem nicht ganz zufrieden. Leise Klänge von Blasmusik drangen durchs offene Fenster. Draußen marschierten Soldaten vorbei, feierten fröhliche Menschen den Unabhängigkeitstag. Das Wetter hatte sie nicht abhalten können. Auf seltsame Weise waren Robert und Marian von diesen Leuten abgeschnitten, und die entfernten Festtagsgeräusche trugen nur noch dazu bei, ihre Isolation zu verstärken. Schließlich, als es halb sechs schlug, stellte Robert den Kassettenrecorder endgültig ab. „So, das müßte für heute eigentlich reichen“, erklärte er und
verstaute Notizblock und Stift in der Jackentasche.
„Ich mache mich jetzt besser auf den Weg, bevor die Straßen total verstopft
sind. In Washington jedenfalls geht es am Abend des 4. Juli immer hoch her.“
„Sie sind herzlich eingeladen, wenn Sie zum Dinner bleiben wollen“, meinte
Marian, wie sie es geplant und sich schon hundertmal vorgesagt hatte.
„Vielen Dank, aber ich sollte jetzt doch besser ins Hotel fahren. Dürfte ich mal
telefonieren, um mir ein Taxi zu bestellen?“
„Natürlich. Das Telefon steht im Flur, auf der Kommode neben dem Spiegel.
Gleich daneben liegt das Telefonbuch.“
„Danke.“ Robert ging in den Flur. Er ließ die Tür offen, und Marian konnte ihn
sprechen hören.
„Guten Tag. Würden Sie mir bitte ein Taxi schicken? 51 55 Whitegate Road… Wie
bitte? Ach, damit hatte ich nicht gerechnet… Wissen Sie vielleicht, ob ein anderes
Unternehmen…? Auch nicht? Ja, da kann man nichts machen. Vielen Dank
jedenfalls.“
Marian hielt den Atem an und saß regungslos da. Einen Augenblick blieb Robert
noch im Flur stehen, bevor er wieder ins Wohnzimmer kam. Nervös fuhr er sich
durch sein dichtes Haar.
„Ich habe ein Problem…“
„Ja?“ Obwohl Marian wußte, was es war, stellte sie sich ahnungslos.
„Das Taxiunternehmen ist mit Vorbestellungen restlos ausgebucht.“
„Ich kann Sie ja fahren“, bot Marian an, obwohl sie ihn viel lieber zum Bleiben
aufgefordert hätte.
„Wirklich?“ fragte er, und es klang so erleichtert, daß Marian sich gekränkt fühlte.
„Es tut mir wirklich leid, Ihnen diese Mühe zu machen, aber ich wüßte nicht, wie
ich sonst hier wegkommen sollte. Sie wohnen eben doch ein ganzes Stück
außerhalb der Stadt – das ist der Nachteil der schönen ruhigen Lage.“
Aber jetzt hatte sie an anderes zu denken. „Wir müssen uns beeilen“, erklärte sie
Robert, während sie in ihren Wagen stiegen. „Bei einem solchen Andrang wie
heute verfällt die Reservierung, falls der Gast bis abends nicht eingetroffen ist.
Und man weiß nie, was als ,abends’ gilt. Das sicherste ist, recht früh im Hotel zu
sein.“
Sie steckte den Schlüssel ins Zündschloß und drehte ihn herum. Ein tuckerndes
Geräusch ließ Marian Schlimmes ahnen.
„Haben Sie Schwierigkeiten?“
Marian nickte. „Das kann man wohl sagen. Seit Wochen nehme ich mir vor, die
Batterie aufladen zu lassen, bin jedoch nie dazu gekommen. Und jetzt…“
Sie warf Robert einen raschen Seitenblick zu. Glaubte er womöglich, sie wolle ihn
mit Absicht hierbehalten?
„Kommen Sie“, forderte sie ihn entschlossen auf, „wir leihen uns einen Wagen
von den Nachbarn.“
Aber als sie am Nachbarhaus klingelten, öffnete niemand.
„Alles ausgeflogen“, stellte Robert lakonisch fest.
„Das hätte ich mir eigentlich denken können“, stöhnte Marian. Lächelnd blickte
sie ihn an. „Ich glaube, jetzt bleibt Ihnen nur eins übrig…“
Robert wartete darauf, daß sie den Satz zu Ende sprach.
„Sie werden die Nacht wohl hier verbringen müssen.“
Robert wirkte weder besorgt noch nervös. „Tja“, meinte er, „jetzt bin ich eben
das Opfer des Nationalfeiertags. Das ist mir noch nie passiert – und schon gar
nicht bei einem Mitglied des Senats!“
3. KAPITEL „Ein phantastisches Essen.“ Robert seufzte behaglich und lehnte sich zurück. „Und wie Sie das alles so schnell herbeigezaubert haben… Sie konnten doch gar nicht damit rechnen, daß Sie einen Gast zum Dinner haben würden.“ Lisa, die sich endlich von ihrem Buch losgerissen hatte, räusperte sich vernehmlich, und Marian warf ihr einen warnenden Blick zu. „Danke“, sagte sie. „Aber die Soße, die Sie zum Aprikosenschaum gemacht haben, war köstlich. Verraten Sie mir das Rezept?“ „Ach, ich habe einfach alles zusammengeschüttet, was ich finden konnte“, erklärte er vergnügt. Lisa wandte sich an Robert. „Sie haben noch gar nicht zu Ende erzählt, was in Wisconsin passiert ist“, drängte sie. „Ach, das.“ Robert lächelte Marian zu, die den Tisch abzuräumen begann. Wenig später gab er eine neue Horrorgeschichte von der letzten Präsidentschaftswahl zum besten. Lisa konnte nicht genug davon hören und lauschte mit angehaltenem Atem. Es war schön, wieder einen männlichen Gast zu bewirten, dachte Marian zufrieden. Natürlich hatte sie nach Toms Tod schon öfter Herren zu Besuch gehabt, für die sie auch gekocht hatte. Doch waren dies meistens Arbeitsessen gewesen. Es ließ sich nicht vermeiden, daß sich dabei die Unterhaltung auf Wahlkampfstrategien und Parteiprogramme beschränkte. Bei diesen Treffs schlang Lisa hastig ihr Essen hinunter, um sich danach schleunigst in ihr Zimmer zu verziehen. Marian ließ die leere Weinflasche in den Mülleimer fallen. Sie hatte fast vergessen gehabt, wie befriedigend es war, ein gutes Essen herzurichten, das man gemeinsam mit einem Gast genoß. Dabei war das Geschnetzelte kein Festmahl im eigentlichen Sinne gewesen. Deshalb freute sie sich doppelt, daß von dem Fleisch, mit Gemüse und Kräutern rasch in der Pfanne gebraten, dem grünen Salat und dem Aprikosenschaum, zu dem Robert noch eine Soße gezaubert hatte, nichts übriggeblieben war. Nur eine Scheibe Brot lag noch auf der Platte. Aber was jetzt? fragte sich Marian. Trotz ihrer Vorbereitungen hatte sie nicht damit gerechnet, daß Robert den ganzen Abend bei ihr verbringen würde. Bis zu diesem Zeitpunkt mußte sie sich allerdings keine Gedanken darüber machen, wie sie Robert unterhalten sollte. Das besorgte Lisa. Sie wich nicht von seiner Seite, erkundigte sich so interessiert nach seinen Erlebnissen, daß er kaum zum Luftholen kam. Schließlich rettete er sich in die Küche. „Kann ich Ihnen helfen?“ wollte er wissen. Noch ehe Marian antworten konnte, stand er auch schon neben ihr am Spülbecken. Sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken, als sie sich umwandte, um die restlichen Teller zu holen. Lisa erschien ebenfalls in der Küche, doch da sie sich nicht nützlich machen konnte, verzog sie sich rasch wieder ins Wohnzimmer. Dort raschelte sie mit der Fernsehzeitung. „Gleich beginnt ein Western“, rief sie. „Ein ganz alter, das wird bestimmt lustig. Schauen wir uns den zusammen an?“ „Das klingt vielversprechend.“ Robert warf Marian einen fragenden Blick zu. „Haben Sie Lust?“ Marian wäre nicht auf den Gedanken gekommen, so etwas vorzuschlagen, aber sie fand Lisas Idee nicht schlecht. Ein komischer Western würde auch ihr gefallen. „Natürlich“, stimmte sie zu. „Wann fängt er denn an?“ „Jeden Augenblick“, rief Lisa. „Ich schalte schon mal den Fernseher ein.“ Robert nahm das Tablett und holte das letzte Geschirr vom Eßtisch.
„Danke“, sagte Marian. Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Schweigend räumten sie die Küche auf, Marian wusch das Geschirr unter fließendem Wasser ab und gab es dann Robert, der es sorgfältig in die Spülmaschine einordnete. Bei den Platten und den großen Tellern verlief alles glatt, doch als Marian die Tassen und Gläser weiterreichte, berührten sich fast jedesmal ihre Finger. Wieder und wieder stieß Marians nasse, heiße Hand gegen Roberts, wenn er ihr das Geschirr abnahm. Das passierte so oft, daß es sich erübrigte, noch „Verzeihung“ zu sagen. Außerdem war sich Marian bewußt, daß dies nicht aus Versehen geschah. Fast krampfhaft hielt sie jeden Teller, jede Tasse umklammert. Aber als sie Robert zum Schluß ihre liebste Glasschüssel reichte, rutschte sie ihr aus der Hand. Marian stand wie versteinert da und sah die Schüssel schon in tausend Scherben zerspringen. Doch dazu kam es nicht. Robert griff blitzschnell zu und erwischte sie gerade noch, ehe das Glas auf dem gekachelten Küchenfußboden zerschellen konnte. Die Schüssel in der Hand, erhob er sich wieder, den Blick unverwandt auf Marian gerichtet. „Sie können gut fangen“, brachte sie schließlich mühsam hervor. „Nicht immer“, entgegnete er ernst. „Und es gibt einen Fang, den ich viel lieber machen möchte.“ Ein sonderbares Gefühl stieg in Marian auf, sobald ihr die versteckte Bedeutung seiner Worte klarwurde. „Es fängt an!“ ertönte Lisas Stimme aus dem Wohnzimmer. „Wir kommen!“ rief Marian, teils erleichtert, teils enttäuscht über diese Störung. Lächelnd wandte sie sich an Robert. „Nehmen Sie die Tassen mit hinüber? Ich bringe uns noch den Kaffee und etwas zum Knabbern.“ Wortlos wartete er an der Küchentür, bis auch Marian soweit war. Kaum ging sie vor ihm her, zitterten ihre Hände so stark, daß die Gebäckschalen und die Kaffeekanne auf dem Tablett bedenklich verrutschten. Robert, der die Tassen trug, berührte Marian sacht mit seinen Ellbogen zwischen den Schulterblättern, als wollte er ihr damit ihr inneres Gleichgewicht wiedergeben. Und seltsamerweise gelang das auch. Marian hatte ihr Tablett wieder fest im Griff und spürte gleichzeitig, wie sich, ausgehend von ihren Schultern, eine wohlige Wärme in ihrem Körper ausbreitete. „Der Film hat gerade angefangen“, bemerkte Lisa. Sie rutschte auf den Boden hinunter und machte es sich dort bequem, so daß das kleine Sofa für Robert und Marian frei wurde. Die beiden setzten sich – jeder in eine andere Ecke der Zwei PersonenCouch – und verfolgten schweigend den Ritt des Helden über die Prärie. Auch Lisa sagte nichts. Sie hatte sich trotz des reichlichen Dinners eine Handvoll Salzmandeln genommen, kaute genüßlich und beobachtete konzentriert das Geschehen auf dem Bildschirm. Marian streifte ihre Tochter mit einem liebevollen Blick, von dem Lisa jedoch nichts merkte. Erst als der Film für ein paar Minuten Werbesendung unterbrochen wurde, wandte sich Lisa zu Marian und Robert um. „Der Western paßt genau auf deine Wahlsituation, Mama, findest du nicht auch? Du bist die Heldin, und Harold Wilcox ist der böse Schurke, der schließlich doch besiegt wird – anders kann’s ja gar nicht ausgehen.“ „Das ist doch ein bißchen sehr weit hergeholt.“ Marian schüttelte den Kopf. „Schließlich gibt es noch eine ganze Reihe von Personen in dem Film. Die Soldaten zum Beispiel.“
„Die Truppen?“ Lisa überlegte angestrengt. „Die denken nicht nach und tun, was ihnen gesagt wird – wie die große Masse der Wähler.“ „Also hör mal“, protestierte Marian, „willst du vielleicht den Leuten, die mich gewählt haben, das Denken absprechen? Außerdem sind auch die Soldaten in ihrem Verhalten nicht einheitlich. Wie sieht es denn zum Beispiel mit den beiden aus, die stets versuchen, der Gefahr aus dem Weg zu gehen?“ „Ach, das sind Feiglinge“, erklärte Lisa abfällig, „genau wie einige Regierungsmitglieder.“ Marian schaute zu Robert hinüber. Offensichtlich hatte er Spaß an Lisas Analyse. „Und der Sheriff?“ fragte er, „dieser eiskalte Typ, findest du den wieder?“ „Der Mann ohne Herz – das ist einfach.“ Lisas Augen funkelten übermütig. „Das ist natürlich die Presse!“ Robert ließ sich auf dem Sofa zurückfallen und preßte die Hand ans Herz, als sei er zutiefst verletzt worden. „Oh, wie das schmerzt, so zu Unrecht beschuldigt zu werden“, klagte er. Unvermittelt richtete er sich auf. „Aber weißt du eigentlich auch, wer du in diesem Film bist?“ „Wer?“ fragte sie gespannt und kicherte erwartungsvoll. „Toto! Das Äffchen, das der Heldin auf der Schulter sitzt!“ Sie lachten noch, als der Western fortgesetzt wurde. Marian tat so, als verfolge sie das Geschehen auf dem Bildschirm, aber in Wirklichkeit dachte sie über das tiefe Glücksgefühl nach, das sie plötzlich durchströmte. Lisa würde es guttun, wenn ein Mann im Haus wäre, überlegte Marian. Sie braucht einen Vater. Manchmal ließ es sich nicht vermeiden, daß Mutter und Tochter unterschiedlicher Meinung waren, selbst wenn ihr Verhältnis sonst noch so gut sein mochte. Ein Vater könnte in diesen Situationen vermittelnd eingreifen. Und wie steht es mit dir, Marian? erforschte sie sich selbst. Es durchzuckte Marian wie ein elektrischer Schlag, als sie sich diese Frage zum erstenmal bewußt stellte. Tom fehlte ihr, sie trauerte immer noch um ihn. Aber mit der Erkenntnis, daß nichts und niemand ihn zurückbringen konnte, hatte sich die Sehnsucht nach Tom in die Sehnsucht nach einem Menschen verwandelt, der fähig wäre, seinen Platz einzunehmen. Über Jahre hinweg hatte Marian diese Sehnsucht unterdrückt, jetzt loderte sie in ihr wie ein verzehrendes Feuer. Hatte Robert Tate es entfacht? Marian warf ihm einen raschen Seitenblick zu. Er ist ein Mann, den eine Frau lieben konnte, gestand sie sich ein. Zu seinem guten Aussehen kamen noch bemerkenswerte Eigenschaften hinzu: Er war ein unterhaltsamer Gesprächspartner, sehr intelligent, witzig und geistreich. Und auch wenn er sich manchmal so hart und unnahbar gab, so war Marian überzeugt davon, daß er ein weiches, verletzliches Wesen hatte. Vielleicht hatten ihn bittere Erfahrungen im Privatleben vorsichtig werden lassen. Marian hätte natürlich ihren Charme einsetzen und Robert damit umgarnen können. Doch sie mochte die Anwendung solcher Verführungskünste nicht, hielt sie schon als junges Mädchen für unter ihrer Würde. Darüber hinaus mußte sie an ihre Position als Senatsmitglied denken. Sie hatte dafür zu sorgen, daß man ihr mit Achtung und Respekt gegenübertrat – ihre Wähler wie ihre Kollegen und natürlich auch die Presse. Robert Tate eingeschlossen, der mit ausgestreckten Beinen neben ihr saß, den Film verfolgte und dabei den Arm nachlässig auf der Rückenlehne des Sofas abstützte. Es wäre so leicht, dachte Robert, während der Cowboy auf dem Bildschirm in der Ferne verschwand. Nur ein paar Zentimeter trennten seine Fingerspitzen von
Marians Nacken. Wenn er seine Hand ein kleines Stück hinunterrutschen ließ, konnte er die Frage lösen, die ihn schon den ganzen Abend über plagte: Was war weicher, der duftige Stoff ihrer rosa Bluse, die hellen Härchen in ihrem Nacken oder ihr Hals mit seiner zarten Haut? Nimm dich zusammen, rief er sich selbst zur Ordnung. Wenn er seinen Gefühlen nachgab, würde er nur eine Abfuhr bekommen. Er durfte nicht vergessen, daß sie eine Persönlichkeit im öffentlichen Leben war. Da konnte er kaum erwarten, daß sie ihm Annäherungsversuche gestatten würde. Robert verstand selbst nicht so recht, was mit ihm los war. Tausend Meilen von Washington entfernt saß er hier in einem kleinen VorstadtHaus fest, schaute sich einen alten Western an und fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr. Ja, er konnte sich nicht einmal erinnern, wann er sich jemals so behaglich und im Einklang mit sich selbst gefühlt hätte. Das sind Alterserscheinungen, versuchte er sich einzureden. Sentimentale Filmmusik erklang, und der Western endete mit einem HappyEnd. „Das war eine prima Idee von dir, Lisa“, lobte Robert. „Jetzt weiß ich wenigstens wie man Büffel jagt und aus dem Hinterhalt schießt.“ Lisa strahlte. „Schön, daß es Ihnen gefallen hat. Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ja? Und du auch, Mama? Ich geh jetzt ins Bett und lese noch ein bißchen.“ „Ich denke, du hast dein Buch ausgelesen?“ neckte Robert. „Oh, es gibt davon noch vier Fortsetzungsbände“, erklärte Lisa ernsthaft. „Gute Nacht.“ Robert nickte verständnisvoll. „Gute Nacht, Lisa.“ „Gute Nacht“, sagte auch Marian, zog ihre Tochter an sich und gab ihr einen Kuß auf die Wange. Am liebsten hätte sie Lisa gebeten, sie jetzt nicht allein zu lassen, aber das war natürlich Unsinn. Noch bevor Marian überhaupt etwas hinzufügen konnte, war Lisa auch schon die Treppe hinaufgelaufen und in ihrem Zimmer verschwunden. „Ein nettes Mädchen“, meinte Robert, als die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen war. „Ich freue mich, daß Sie sie mögen.“ Marian schwieg. Was sollte sie tun? Sie hatte noch keine Lust, schlafen zu gehen. Morgen würde Robert abreisen. Ihr graute vor dem Moment, wenn sie ihm das Bett richten mußte. „Möchten Sie einen Cognac?“ schlug sie vor. Sie wußte, daß ihr der Drink nicht helfen würde, aber zumindest gewann sie etwas Zeit. „Das wäre jetzt genau das richtige, vielen Dank“, entgegnete er mit weicher Stimme. Er half ihr beim Abräumen der Kaffeetassen und machte sich dann am Kamin zu schaffen. Wie nach dem Gewitter zu erwarten gewesen war, hatte es stark abgekühlt. Ein Feuer konnte man jetzt gut vertragen. Im Kamin lagen Buchenscheite bereit. Robert schichtete sie geschickt auf, legte etwas Papier unter, und bald züngelten die Flammen empor. Marian kam mit den Cognacschwenkern zurück. Robert hatte sich auf dem dicken, flauschigen Teppich vor dem Kamin niedergelassen. „Danke“, sagte er, als sie ihm ein Glas reichte. Er nahm es in beide Hände und schwenkte die golden schimmernde Flüssigkeit. Dann sah er auf, blickte ihr direkt in die Augen. „Ich möchte einen Toast aussprechen“, erklärte er. „Worauf?“ „Trinken wir darauf, daß wir den nächsten Unabhängigkeitstag genauso friedlich verbringen werden – und auf Ihre Karriere als Mitglied des Senats.“ Marian nickte ihm zu, die Gläser klangen aneinander. Schweigend saßen sie
beisammen und schauten gedankenverloren in das prasselnde Kaminfeuer. Schließlich durchbrach Robert die Stille. „Es war ein wunderbarer Tag. Ich möchte Ihnen danken, daß ich ihn hier verbringen durfte.“ „Und ich freue mich, daß Sie gekommen sind.“ Marian zögerte einen Moment und setzte dann hinzu: „Es war auch für mich ein schöner Tag.“ „Es war seit langer, langer Zeit der schönste Unabhängigkeitstag, an den ich mich erinnern kann.“ „Für mich auch“, gestand Marian. Ihr Mund war trocken. Hastig nahm sie einen kleinen Schluck von dem feurigen Getränk. Eine Pause entstand. Marian fiel nichts ein, wie sie die Situation bewältigen sollte. Bleiben wir noch lange hier sitzen, dachte sie, wird es immer schwieriger, Gute Nacht zu sagen. Als die Uhr elf schlug, raffte Marian sich auf. Sie wußte, was sie zu tun hatte. „Ich gehe jetzt wohl auch besser schlafen“, erklärte sie. Nachdem er zustimmend genickt hatte, fügte sie hinzu: „Leider ist das Bett aus dem Gästezimmer schon nach Washington transportiert worden. Ich muß Ihnen daher hier auf der Couch Ihr Bett richten.“ „Ich werde bestimmt gut darauf schlafen“, versicherte er rasch. „Ich hole Ihnen Bettwäsche und Decken.“ Sie ging die Treppe hinauf, und als sie zurückkam, hatte er inzwischen seine Tasche auf dem Couchtisch abgestellt und holte gerade sein Rasierzeug hervor. Marian begann das Kopfkissen zu beziehen. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“ Robert entfaltete die Decke und steckte die Zipfel in den Bezug. Marian griff von unten zu. Gemeinsam schüttelten sie das Deckbett zurecht, breiteten dann das Laken über die Couch und legten Kissen und Decke darauf. Dabei verrutschte das Bettuch. Sie griffen gleichzeitig unter die Decke, um es zu spannen. In diesem Moment berührten sich ihre Hände. „Verzeihung“, sagte er. Doch der Blick, den Robert ihr zuwarf, verriet allzu deutlich, daß es ihm keineswegs leid tat. Er war ihr so nahe. Wenn er ihr jetzt über das Gesicht strich, würde sie seine Zärtlichkeit erwidern, das wußte sie sicher. Robert überlegte. Gibt sie mir jetzt ein Zeichen, irgendeins, ein leichtes Flattern der Augenlider, einen tiefen Atemzug, und ich werde sie in die Arme schließen… Aber keiner von ihnen rührte sich. Sie waren beide nicht bereit, den ersten Schritt zu tun. „Gute Nacht, Robert.“ „Gute Nacht.“ Marian wandte sich ab und stieg die Stufen hinauf. Am obersten Treppenabsatz blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. Sie wußte, Robert würde ihr nachsehen, bis sie in ihrem Zimmer verschwunden war. Sie lächelten sich zu. „Träumen Sie etwas Schönes, Frau Senator“, rief er ihr hinterher. Als Marian sich in ihrem Schlafzimmer auszog, versuchte sie sich vorzustellen, was Robert Tate jetzt gerade machte. Packte er seine Tasche fertig aus? Zog er seinen Schlafanzug an? Ein leises Gluckern in der alten Rohrleitung verriet ihr, daß er im Badezimmer Wasser laufen ließ. Vielleicht putzte er sich jetzt die Zähne. Sie schlüpfte aus Bluse und Hose, hakte den Verschluß ihres BH auf und streifte den Slip ab. Wie war eigentlich das Gefühl, von einem Mann ausgezogen zu werden? Marian versuchte, sich an die ersten Jahre ihrer Ehe zu erinnern, bevor sich die Beziehung zwischen ihr und Tom zur Alltagsroutine entwickelt hatte. Vor dem Spiegel strich sich Marian mit der Hand über die wohlgerundeten Hüften, umschloß ihre Brüste, die immer noch fest und prall waren, wie bei
einem jungen Mädchen. Unten wurde das Wasser abgedreht. Ich bin verrückt, dachte Marian. Hier in der kühlen Nacht zu stehen und mich zu bewundern wie ein verzückter Teenager, der sich zum erstenmal betrachtet. Energisch griff sie nach ihrem Nachthemd, legte es dann wieder beiseite und ging zu ihrem Schrank. Sie hatte keine Lust, das einfache Baumwollhemd anzuziehen. Heute wollte sie reine Seide auf ihrer Haut spüren. Mit wenigen Handgriffen fand Marian, was sie suchte, und streifte das knöchellange Gewand über. Der leichte Stoff schmiegte sich um ihren Körper und raschelte bei jedem Schritt. Marian löschte das Licht und schlüpfte unter die Decke. Im Erdgeschoß war alles still. Robert schläft sicher schon, dachte sie. Der Gedanke an diesen Mann ließ sie erschauern und das Herz bis zum Halse klopfen. Sie konnte sich nicht entspannen, es zuckte ihr in den Gliedern, und im Magen verspürte sie ein flaues Gefühl. Als sie schließlich doch einschlief, wurde sie von wirren Träumen geplagt. Es waren Träume eines Menschen, der allzuviel unterdrückte. Marian erwachte. Das Zimmer lag noch im Dunkel. Sie schaute auf die Uhr, um festzustellen, ob es bald Morgen sein würde, aber die grünleuchtenden Ziffern ihrer Digitaluhr zeigten zwei Uhr sechzehn an. Plötzlich vernahm sie leise Klänge von Musik. Ihr Radiowecker? Marian tastete danach. Nein, er war abgestellt. Hörte Lisa vielleicht Musik? Sie lauschte und wurde dabei hellwach. Nein, die Klänge kamen eindeutig aus dem Erdgeschoß, genauer gesagt von dem Klavier dort unten. Jemand spielte einen Chopinwalzer, dann eine Nocturne. Einige der Stücke hatte Lisa letztes Jahr bei einer Schulveranstaltung vorgetragen. Doch ihre Tochter konnte es unmöglich sein, die mitten in der Nacht am Klavier saß. Der nächtliche Pianist mußte also Robert sein. Ohne weitere Überlegung schwang Marian die Beine aus dem Bett und griff nach ihrem Morgenmantel aus rosa Seide. Auf leisen Sohlen schlich sie die Treppe hinunter, damit Robert sie nicht bemerkte. Endlich war sie unten angelangt, kauerte sich auf die letzte Stufe und zog die Knie bis zum Kinn hoch. In dieser Stellung verharrte sie regungslos und lauschte der Melodie. Robert spielte die Adagios so zart, so einfühlsam, daß ihr die Tränen in die Augen stiegen. Dann wandelte sich die Musik, schwoll an und wurde immer leidenschaftlicher vorgetragen. Wenig später trat Stille ein. Marian hörte, wie Robert das Notenheft umblätterte. Sie hielt den Atem an und hoffte, er möge nicht auf sie aufmerksam werden. Aber umsonst. „Hallo, Marian“, begrüßte er sie leichthin, bevor er wieder zu spielen anfing. Sollte sie die Treppe hinaufstürzen und sich wieder in ihrem Schlafzimmer verkriechen? Nein, das wäre albern. Statt dessen fuhr sie sich mit den Fingern ordnend durch die Haare, zog den Gürtel ihres Morgenmantels enger zusammen und ging ins Wohnzimmer. Auch Robert hatte einen Bademantel an. Er war aus weichem, dunkelblauem Frotteestoff mit weißen Blenden am Halsausschnitt und an den Ärmeln. Robert war barfuß, und die freie Stelle über seinen Knöcheln ließ erkennen, daß er keinen Schlafanzug trug. „Ich habe Sie nicht wecken wollen“, entschuldigte er sich. „Aber nein“, wehrte sie ab. „Ich konnte ohnehin nicht einschlafen“, schwindelte sie. „Ich auch nicht.“ Marian nickte, verschränkte die Arme über der Brust und blieb neben dem Klavier stehen.
„Kommen Sie“, sagte Robert. Er stand auf, drehte den Klavierhocker seitwärts
und setzte sich dann ans äußerste Ende. „Nehmen Sie Platz.“
„Danke.“ Marian ließ sich neben ihm nieder. Auf dem engen Klavierhocker war es
nicht zu vermeiden, daß sich ihre Oberschenkel berührten. Marian spürte, wie
sich ihre Beinmuskeln verkrampften und wie hochempfindlich ihre Haut unter der
dünnen Seide reagierte.
„Es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe. Sie waren großartig.“
Robert legte das abgegriffene Notenheft beiseite und begann, die Regentropfen
Prelude von Chopin zu spielen.
„Sonderbar“, sagte er. „Ich habe Sie nicht kommen hören, und doch wußte ich,
daß Sie plötzlich da waren. Vielleicht habe ich Ihr Parfüm gerochen.“
Marian lächelte. „Ich benutze kein Parfüm.“
„Dann muß es Ihre Ausstrahlung sein.“
Diese Bemerkung verwirrte sie. Und wie lange nannte er sie eigentlich schon
Marian statt ,Frau Senator’?
„Ich wollte mir aus der Küche ein Glas Milch holen“, log sie, um aufstehen zu
können. „Möchten Sie auch eins?“
„Wäre es zuviel verlangt, wenn ich die Milch gern warm hätte, mit etwas Whisky
darin als Schlummertrunk?“
„Aber gern“, versicherte sie ihm mit leicht zittriger Stimme und ging in die
Küche. Sie machte kein Licht, sondern goß die Milch und den Whisky im Schein
der Türbeleuchtung am offenen Kühlschrank in die Tassen. Diesmal gab sie auch
in ihren Milchbecher einen Schuß Whisky, erwärmte dann die Milch im
Mikrowellenherd.
Als Marian über den dicken Teppich zum Klavier schritt, wurde ihr bewußt, daß
auch sie barfuß war. Das machte sie verlegen.
Unsicher hielt sie Robert seine Tasse hin. Er unterbrach sein Spiel und nahm sein
Getränk entgegen.
„Weshalb haben Sie mir nicht erzählt, wie gut Sie Klavier spielen?“ wollte Marian
wissen.
„Sie haben mich ja nie gefragt.“ Seine Augen funkelten vergnügt.
Sie stöhnte. „Wir sind doch jetzt nicht wieder bei unserem Fragespiel angelangt,
oder?“
„Nein, nein“, beruhigte er sie und klopfte einladend neben sich auf den
Klavierhocker. Vorsichtig nahm sie Platz. „Ich kann es Ihnen gern erzählen“,
fügte er hinzu. In der linken Hand hielt er die Tasse, während er die rechte
gemächlich über die Tasten wandern ließ. Dabei umspannte er jedesmal mehr als
eine Oktave. „Kurz vor meinem Schulabschluß habe ich sehr ernsthaft erwogen,
Musik zu studieren.“
„Und weshalb haben Sie Ihre Pläne geändert?“
„Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß ich es als Journalist schaffen könnte,
absolute Spitzenklasse zu werden, als Musiker aber nicht.“
„Und haben Sie es geschafft?“
„Was?“ Robert sah sie fragend an.
„Als Journalist absolute Spitzenklasse zu werden.“
Er lächelte, und während er immer höhere Noten spielte, kam sein Arm ihrer
Brust immer näher. „Das kommt darauf an, wie man es betrachtet.“ ‘‘ „Zum
Beispiel am Erfolg gemessen“, schlug Marian vor. „Würden Sie lieber über das
Weiße Haus berichten als über den Senat, und man läßt Sie nur nicht?“
„Nein. Ich erhielt nach der letzten Präsidentschaftswahl sogar ein entsprechendes
Angebot, lehnte es jedoch ab, weil ich lieber für den Senat zuständig bleiben
wollte. Präsidenten kommen und gehen. Der Senat ist etwas Beständiges.“
„Aber auch Senatoren kommen und gehen“, wandte Marian ein. „Zum Glück.“ Robert sah auf, um ihrem Blick zu begegnen, und suchte dann nach einer Zigarette. „Je älter ich werde, desto unwichtiger wird mir der Erfolg, zumindest das, was ich als junger Mann darunter verstand. Heute gibt es so viele junge Ehrgeizlinge, die nur darauf warten, einen anderen beiseite zu drängen. Ich schau mir das an, und mir wird klar, was manche Dinge, von denen man als junger Mensch geträumt hat, einem abverlangen. Und plötzlich sind andere Bereiche viel wichtiger. Wie man sein Leben gestaltet. Die Freunde…“ Er hielt inne und setzte dann leise hinzu: „Die Familie.“ Marian überkam plötzlich das Verlangen, Robert durch das zerzauste Haar zu fahren und es zu durchwühlen. Was fiel ihr eigentlich ein? Hatte sie sich nach Toms Tod so sehr vor allem verschlossen, daß sie jetzt außer Kontrolle geriet? Marian sah auf ihren Schoß hinab und mußte an sich halten, um nicht den harten, festen Schenkel neben sich zu streicheln, von dem sie nur der blaue Frotteestoff trennte. Am liebsten hätte sie Roberts Kopf an sich gezogen und Roberts schlanke, kräftige Finger auf ihrem Körper gespürt. Wie sehr sie sich danach sehnte, ihn zu berühren! Warum nur mußte sie sich in Seide hüllen? fragte sich Robert. Die zarte Baumwolle, die sie am Nachmittag getragen hatte, war weich und angenehm gewesen, aber doch noch einigermaßen sicher. Und nun das hier! Wie verführerisch sie neben ihm saß… Wie zur Warnung brach der heftige Schmerz im Nacken wieder aus, der ihn am Einschlafen gehindert hatte. Unwillkürlich zuckte Robert zusammen. Er drückte seine Zigarette aus und griff nach hinten auf die schmerzhafte Stelle. „Haben Sie einen steifen Hals?“ fragte Marian. „Ja. Ich muß im Flugzeug Zug abbekommen haben.“ Er drehte den Kopf hin und her. „Lassen Sie mich mal versuchen“, bot Marian an. Sie legte die Hände auf seine breiten Schultern und massierte ihm den Nacken, preßte die Fingerspitzen tief hinein und knetete die Muskeln gründlich durch. „Das tut gut“, stöhnte Robert erleichtert. „Machen Sie weiter, ja?“ Vielleicht war das alles nur ein Traum: das gedämpfte Licht, die romantische Musik, die Robert spielte, die gleichförmigen Bewegungen, die Marians Körper wie Wellen durchliefen. Die Welt um sie herum schien zu versinken. Marian nahm gar nicht wahr, daß Robert zu spielen aufgehört hatte und nach ihr griff. Im Nu hatte er sie an der Hand gepackt und herumgewirbelt, so daß sie wieder neben ihm auf dem Klavierhocker saß. „War das auch ein Rat von Pete Steiner, daß Sie nett zu mir sein sollen, damit ich einen guten Artikel über Sie schreibe?“ fragte er hinterhältig. Marian war so entsetzt, daß sie unwillkürlich die Hand vor den Mund hob. An ihrem Handgelenk zeichneten sich noch die roten Flecken ab, wo Robert sie gepackt hatte. Röte schoß ihr nun auch ins Gesicht, die Stimme versagte ihr, und sie konnte nur heftig den Kopf schütteln. Roberts listiges Grinsen verwandelte sich in ein warmes Lächeln. „Ich wollte Sie doch nur necken, Marian“, sagte er und ergriff wieder ihre Hand, zart und vorsichtig diesmal. „Aber etwas muß ich heute nacht noch unbedingt wissen.“ Er ließ ihre Hand los, legte einen Finger unter ihr Kinn und küßte sie zärtlich. Als Marian seine Lippen auf den ihren spürte, schloß sie die Augen. Mit der Zunge fuhr er die Konturen ihres Mundes nach, dann küßte er sie noch einmal. „Ich hatte recht“, sagte er und lächelte, wobei seine dunklen Augen strahlten.
„Sie sind genauso süß, wie ich dachte.“ Dann wandte er sich wieder dem Klavier zu und spielte eine Melodie. Im ersten Augenblick war Marian ganz verwirrt, ja, sie fühlte sich zurückgestoßen. Doch dann durchschaute sie seine Beweggründe mit dem sicheren Instinkt, der zwischen zwei Menschen entsteht, die etwas sehr Kostbares und auch Zerbrechliches miteinander geteilt haben. Sie wußte, er wollte es ihr nur leichter machen. Und so übernahm auch sie ihren Teil an der Aufgabe. „Gute Nacht, Robert“, flüsterte sie. „Gute Nacht, Marian.“ Sie nahm ihre Tasse und ging zur Treppe. Diesmal sah sie nicht zurück. Es war neun Uhr, als Marian erwachte. So lange hatte sie schon seit Wochen nicht mehr geschlafen. Im Haus war alles still. Robert war offensichtlich noch nicht wach. Sie griff nach ihrem seidenen Morgenmantel, überlegte es sich dann aber anders und schlüpfte statt dessen in einen weißen Leinenrock mit dazugehörendem Oberteil. Leise schlich sie die Treppe hinunter und beschloß, zum Frühstück Pfannkuchen mit Ahornsirup zu machen. Von der Küche aus warf sie einen Blick ins Wohnzimmer. Sie hatte damit gerechnet, auf der Couch einen zerzausten Schopf zwischen verknitterten Laken zu erspähen, aber die Decke lag sauber gefaltet am Fußende der Couch, und von Robert war nichts zu sehen. „Robert?“ Niemand antwortete. Wo konnte er nur hingegangen sein? Als sie sich im Wohnzimmer umsah, stellte sie fest, daß seine Tasche verschwunden war. Er hatte sogar den Aschenbecher geleert, den er benutzt hatte. Verwirrt ging Marian in die Küche zurück. Und dort, unter der Kaffeemaschine, deren Lämpchen rot leuchtete und signalisierte, daß bereits jemand Kaffee gekocht hatte, fand sie einen Zettel. Ihr war etwas traurig zumute, als sie nach dem Papier griff und zu lesen begann. Liebe Marian, entschuldigen Sie, daß ich ohne Abschied aus Ihrem Haus verschwunden bin, aber als ich aufwachte, stellte ich fest, daß ich bereits um neun Uhr nach Washington zurückfliegen konnte. Die Taxigesellschaften sind jetzt nicht mehr so überlastet also war es auch kein Problem, ein Taxi aufzutreiben, das mich rechtzeitig zum Flughafen bringen würde. Ich hoffe sehr, daß Sie den gestrigen Abend in guter Erinnerung behalten werden. Es war sehr schön bei Ihnen, ich habe wunderbar geschlafen, war aber ein wenig ernüchtert, als ich heute morgen den Kassettenrecorder auf dem Couchtisch stehen sah und mir einfiel, daß ich einen Artikel über Sie zu schreiben habe. Da darf sich keine Erinnerung an eine Vision in rosa Seide einschleichen. Dann mußte ich noch daran denken, daß Sie das nächstemal, wenn wir uns wiedersehen, Senator McNamara sein werden, und ich bin dann einer von diesen lästigen Reportern, die man sich tunlichst vom Leibe hält. So ist das nun mal, und dabei sollten wir es wohl auch belassen. Daß ich den ersten Flug nach Washington nehme, ist wohl der einfachste Weg und liegt sicher auch in Ihrem Interesse. Auf Wiedersehen, Marian. Bei unserer nächsten Begegnung wird es heißen: Guten Tag, Frau Senator. Ihr Robert Tate Niedergeschlagen legte Marian den Zettel beiseite und goß sich eine Tasse Kaffee
ein. Robert hatte ihn zu stark gemacht, wie die meisten Männer. Vielleicht hat Robert recht, sagte sie sich. Er war Journalist, sie war Politikerin. Nichts konnte daran etwas ändern, nicht einmal ein zärtlicher Kuß in einer Gewitternacht. Marian goß etwas Milch in ihren Kaffee und rührte gedankenverloren in der Tasse. Na schön, sagte sie sich schließlich, wenn er es so haben will, dann bin ich eben Frau Senator McNamara. Sie trank noch einen Schluck, holte dann einen leeren Karton herbei und ging zum Bücherregal. Teils um sich zu beschäftigen, teils weil es schon lange notwendig war, begann sie die Bücher einzupacken, die sie in Washington brauchen würde.
4. KAPITEL Marian saß an ihrem großen Schreibtisch aus Eichenholz und trank die vierte Tasse Kaffee, um endlich richtig wach zu werden. An die Ereignisse der vergangenen Wochen erinnerte sie sich nur noch schwach. Lisa hatte ihr beim Packen geholfen. Jeanne Ling war dabei, das Haus im Regierungsviertel von Washington wohnlich einzurichten. Es gab sogar einen kleinen Garten, in dem sie sich betätigen konnte, falls sie einmal Zeit dazu fand. Und mit Jeannes, Petes und Dans Unterstützung waren die restlichen Mitarbeiter eingestellt worden. Selbst an den Tag, an dem sie ihren Amtseid ablegte, konnte Marian sich nicht genau erinnern. Sie hatte ihr „Glückskleid“ getragen, Lisa hatte ihr die Bibel gehalten, und auch Marians Mutter war dagewesen und hatte ein Paar Tränen vergossen. Inzwischen fühlte Marian sich in ihrem Büro schon ganz heimisch. In der Mitte des Raumes stand der große Schreibtisch, außerdem gab es eine Sitzecke mit einem leuchtendroten Sofa und dazu passenden Sesseln. Teppich und Gardinen waren farblich darauf abgestimmt. Es war ein schönes Dienstzimmer, das Marian sich ganz persönlich ausgestattet hatte. Auf dem Schreibtisch standen Fotos von Lisa, an der Wand hingen Lithographien historischer Gebäude und eine Landkarte der USA aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert. Das Bücherregal war voll mit Nachschlagewerken, aber auch mit Büchern, die Marian ganz einfach mochte und um sich haben wollte. Für den Nachmittag hatte Pete eine Pressekonferenz einberufen. Auch ein Aufnahmeteam des Fernsehens würde anwesend sein, und deshalb hatte sie ihre „Regierungsuniform“ angelegt, wie Lisa das nannte, wenn ihre Mutter sich für offizielle Anlässe elegantkonservativ kleidete. Diesmal trug sie ein blaues Kostüm mit kurzer Jacke und eine pastellblaue Bluse mit weitem, weichem Kragen, ein Geburtstagsgeschenk von Lisa. Als Marian am Morgen in den Spiegel gesehen hatte, war sie zufrieden mit sich gewesen. Auch das half ihr, sich für das Kommende zu rüsten. Sie überflog die Namensliste der Reporter, die Pete ihr gegeben hatte, und lächelte, als sie den Namen „Robert Tate“ auf der Liste fand. Ob Robert kommen würde? Sein ausführlicher Bericht über sie und ihre politischen Ziele war schon vor Wochen erschienen, aber sie hatte nichts mehr von ihm gehört, auch nicht, als sie nach Washington gekommen war. Das kränkte sie mehr, als sie sich eingestehen mochte. Der Summer auf ihrem Schreibtisch ertönte und kurz danach die Stimme ihrer Sekretärin Lila: „Pete könnte jetzt die Reporter zu Ihnen hereinführen, Frau Senator, wenn Sie soweit sind.“ „Schön. Bitten Sie sie herein.“ Marian kam hinter ihrem Schreibtisch hervor. Jetzt, in letzter Sekunde, wurde sie doch noch nervös, strich sich den Rock glatt und fuhr sich übers Haar. Dann ging die Tür auf, Pete führte die Reporter herein und übernahm die Vorstellung. Marian schüttelte Hände und sagte ein paar unverbindliche Worte. Da erschien Robert. Marian verschlug es mitten im Satz die Sprache, als Robert Tate plötzlich vor ihr stand. In dem silbergrauen Anzug, dem hellblauen Hemd mit der dezenten graublauen Krawatte sah er geradezu umwerfend aus: Seine blauen Augen, das schwarze Haar mit silbernen Fäden durchzogen, das jungenhaft unbekümmerte Lächeln, all das war ihr schon so vertraut. Vergiß nicht, er ist nur ein Reporter, ermahnte sie sich. Nur ein Reporter. „Guten Tag, Mr. Tate“, sagte sie, streckte ihm die Hand entgegen und bemühte sich, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. „Schön, Sie wiederzusehen.“
„Ich freue mich auch, Frau Senator.“ Robert ergriff ihre Hand, hielt sie mit seinen kräftigen Fingern kurz umschlossen, mit den Fingern, die Chopin gespielt und ihr Gesicht zärtlich gestreichelt hatten. Jetzt nannte er sie natürlich „Frau Senator“, so wie er es angekündigt hatte. Nur einen Moment lang begegnete sie seinem Blick, dann wandte sie sich an die anderen. „Wir können anfangen. Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Sie selbst setzte sich hinter ihren Schreibtisch. Blitzlichter zuckten auf, und die Scheinwerfer der Fernsehkameras waren auf sie gerichtet. „Ich habe die Konferenz einberufen, um Sie einerseits persönlich kennenzulernen und zu begrüßen, zum anderen aber, um Sie darüber zu informieren, wie meine Mitarbeiter und ich vorgehen wollen, damit unsere Arbeit für jedermann offen und überprüfbar ist.“ Während sie sprach, hatte sie den Blick auf die Kamera gerichtet. „Als ich mich für dieses Amt bewarb, habe ich mir geschworen, es anders zu machen als meine Vorgänger. Um diesen Schwur einzuhalten, habe ich einen ,VierPunktePlan’ erstellt.“ Was die Gelder anbetraf, führte sie aus, so würde sie öfter, als der Senat es verlangte, Zwischenbilanzen erstellen lassen und die Unterlagen in ihrem Büro öffentlich zugänglich machen. Auch allen ihren Mitarbeitern würde sie jederzeit Einsicht in die Finanzen gewähren. Drittens, fuhr sie fort, würde ihre Sekretärin über ihre Verabredungen genau Buch führen, auch über ihre Arbeitsessen, so daß jedermann sich darüber informieren konnte, mit wem sie zusammentraf. Und zuletzt würden alle Parteispenden auf einer Liste vermerkt, die ebenfalls öffentlich auslag. „Damit“, schloß Marian, „hoffen wir, den Bestechungsaffären ein Ende zu bereiten. Gibt es noch Fragen?“ Ein eifriger junger Reporter hob die Hand. „Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen konnte der Senat den Fall Harold Wilcox nicht verhindern“, begann er. „Sie sagen, Sie wollen Ihre Buchführung veröffentlichen. Aber ist eine Veruntreuung der Gelder dadurch ausgeschlossen?“ Marian mußte lächeln. „Natürlich ist jede veröffentliche Zwischenbilanz nur so zuverlässig wie derjenige, der sie abzeichnet. Aber ich möchte monatlich statt jährlich abrechnen, so daß Unregelmäßigkeiten rascher entdeckt werden. Und wir machen exakte Angaben zu jeder einzelnen Ausgabe, anstatt wie üblich nur Formulare mit Pauschalbeträgen für die verschiedenen Sparten auszufüllen.“ „Soll auch über Ihr Zusammentreffen mit Reportern Buch geführt werden?“ rief jemand von der anderen Seite des Raumes. Noch ehe Marian sich zu ihm umwandte, wußte sie, daß es Robert Tate war, der die Frage gestellt hatte. „Natürlich“, antwortete sie ruhig. „Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.“ Aus den Reihen der Reporter kam unterdrücktes Gelächter. Vielleicht, dachte Marian, hat Robert einen entsprechenden Ruf unter seinen Kollegen. „Aber es lassen sich doch auch am Telefon Vereinbarungen treffen“, fuhr er fort. „Das scheint mir doch ein recht großes Schlupfloch in Ihrem Netz zu sein, Frau Senator.“ „Wir sind für Verbesserungsvorschläge jederzeit aufgeschlossen“, meinte Marian freundlich. Sie beantwortete noch einige Fragen zu ihren speziellen Aufgaben im Senat und enttäuschte einen Fernsehjournalisten, der von ihr eine persönliche Stellungnahme zum Fall Wilcox haben wollte. Aus den Augenwinkeln sah sie, daß Robert sich eine Zigarette anzündete. „Keine weiteren Fragen mehr?“ konnte sie schließlich feststellen. „Dann kann ich nur noch hoffen, daß Ihnen all die Informationen, zu denen wir Ihnen Zugang
gewähren, dienlich sein werden. Andererseits“, setzte sie noch rasch hinzu,
„hoffe ich natürlich nicht, daß Sie jemals etwas Verdächtiges entdecken. Ich
danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Auf Wiedersehen.“
Die Reporter schienen es nicht eilig zu haben. Einige fragten Pete noch nach
Einzelheiten aus, mit denen man sie nicht behelligen wollte, andere blieben für
einen kleinen Plausch.
Pete hielt sich außerhalb des Kreises auf, wandte sich aber erst zum Gehen, als
der letzte Reporter sich verabschiedet hatte.
„Ach, Robert“, rief Marian, bemüht, ihrer Stimme einen unbekümmerten Klang zu
geben. „Hätten Sie noch einen Augenblick Zeit?“
Pete warf ihr einen fragenden Blick zu, begleitete die Journalisten hinaus und
schloß hinter ihnen die Tür.
„Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Marian wies auf einen Stuhl.
„Danke“, sagte Robert, setzte sich und drückte seine Zigarette aus. Dann wandte
er sich ihr zu und fragte: „Haben Sie meinen Artikel gelesen?“
„Ja.“
„Und was halten Sie davon?“
„Er hat mir gefallen, wenn auch nicht in allen Punkten.“
„Was, zum Beispiel, hat Ihnen nicht gefallen?“
„Zum Beispiel das hier.“ Marian holte den Zeitungsausschnitt aus einer
Schublade hervor und suchte nach einer bestimmten Stelle. „,Mrs. McNamara,
die Hausfrau, die Politikerin wurde…’ Also hören Sie, Robert, schließlich bin ich
seit zehn Jahren im Stadtrat und bringe Erfahrungen aus dem Bezirksparlament
mit!“
Er wirkte betroffen. „Mein Chefredakteur hat mir das abverlangt.“
„Wie bitte?“
„Der Chefredakteur bestand auf diesen Einschub“, erklärte Robert zögernd. „Ich
habe dagegen protestiert. Aber schließlich gab ich nach, weil das die einzige
Möglichkeit war, mich in einem anderen Punkt durchzusetzen.“
„Und der wäre?“
„Ihre Naivität in den Mittelpunkt zu rücken, den ganzen Artikel darauf
abzustimmen.“
Marian traute ihren Ohren nicht. „Meine was?“
„Ihre Naivität. So hat es Ken genannt, als er zu Ihrer Aussage kam, daß Sie
eventuell nur eine Periode lang im Senat bleiben wollen. ‚Entweder
unwahrscheinlich naiv oder unwahrscheinlich dumm’, meinte er dazu. Wir haben
uns stundenlang herumgestritten. Schließlich habe ich mich bereit erklärt, die
Sache mit der Hausfrau hineinzunehmen, wenn ich dafür nicht den ganzen Artikel
nach seiner Interpretation umschreiben müßte.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, daß er wirklich so von mir denkt“, meinte Marian
etwas gekränkt.
„Keine Angst, ich werde ihm schon noch beweisen, daß er unrecht hat.“
„Wie meinen Sie das?“ fragte Marian erstaunt.
Robert lachte. „Ich habe ihm eine Wette angeboten. In ein paar Monaten werden
wir aus unserem Kollegenkreis sechs Leute befragen, was sie von Senator
McNamara halten. Ist ihr Urteil negativ, habe ich verloren. Ist es positiv, habe ich
gewonnen. Und der Verlierer lädt den Gewinner zu einem VierPersonenDinner
im vornehmsten Restaurant in Washington ein.“
Marian freute sich darüber, daß er zu ihr hielt, wußte jedoch nicht, wie sie ihm
das sagen sollte. Statt dessen wies sie wieder auf den Artikel. „Da war noch
etwas…“
„Ach?“ Robert griff erstaunt nach dem Zeitungsabschnitt.
Marian gab sich alle Mühe, ernst zu bleiben. „Ja. Was Sie über meine Augenfarbe
geschrieben haben, wobei ich mich frage, was diese Angabe in einem politischen
Artikel überhaupt zu suchen hat.“ Mit Freude erteilte sie Robert diesen kleinen
Seitenhieb. „Und dann stimmt es noch nicht einmal!“
„Ich habe aber doch geschrieben, daß Sie grüne Augen haben“, protestierte
Robert.
„Eben nicht“, stellte Marian triumphierend richtig. „Hier, lesen Sie: ,Die
braunhaarige, braunäugige Frau Senator…’“
„Tatsächlich“, sagte Robert ganz erschüttert. „Wie konnte mir das nur
passieren?“
Jetzt befand er sich in der Defensive, und Marian spürte wieder dieses
aufregende Prickeln, das jedesmal ihren Körper überlief, sobald sie bei einer
Diskussion ihren Gegner in die Enge getrieben hatte. „Vielleicht hat Ihre
Erinnerung Sie getäuscht“, meinte sie leichthin.
„Nein“, widersprach Robert entschieden. „Ich weiß, welche Augenfarbe Sie
haben.“ Er hielt inne und fragte dann: „Wie ist es, Frau Senator, bestehen Sie auf
einer Berichtigung?“
Marian lächelte. „Das wird nicht nötig sein. Zum Glück ging es ja um nichts
Wesentliches.“
„Für mich ist es wesentlich.“
Was meint er damit? fragte sich Marian. Meine politische Arbeit, den Artikel oder
meine Augenfarbe?
„Jedenfalls wird es nicht wieder vorkommen“, versprach er.
„Sind Sie denn sicher, daß es ein nächstes Mal geben wird?“ neckte Marian ihn
mit gespielter Strenge in der Stimme.
Robert sah sie erschrocken an, merkte dann aber, daß sie nur einen Scherz
gemacht hatte. „Wenn ich mein schamgebeugtes Haupt wieder erheben darf,
möchte ich Sie gleich um etwas bitten.“
„Und zwar?“
„Hätten Sie Lust, beim großen Dinner des Presseclubs mein Gast zu sein? Diese
Veranstaltung findet jedes Jahr statt, bevor der Kongreß nach der Sommerpause
seine Arbeit wiederaufnimmt. Das Dinner ist nächsten Mittwoch.“
Die Einladung klang sehr verlockend. „Soviel ich weiß, habe ich an diesem Abend
keinen Termin.“
Robert nickte ihr zu. „Dann bleibt es also dabei, falls ich bis dahin nichts
Gegenteiliges von Ihnen höre. Ich freue mich.“
Seine Uhr gab PiepSignale von sich, und er stellte sie ab. „Jetzt muß ich
schleunigst zur nächsten Pressekonferenz. Bis bald, Mar…. Frau Senator.“
„Auf Wiedersehen, Robert.“ Als er schon an der Tür war, sagte sie noch:
„Und vergessen Sie nicht…“
„Ja?“ Robert wandte sich zu ihr um.
Marian wies auf ihre Augen. „Sie sind grün!“
„Ich werde es nicht vergessen“, versprach er ungewöhnlich ernst. „Nie mehr.“
Marian ließ sich auf ihren Bürostuhl fallen. Nach Pressekonferenzen fühlte sie sich
immer erschöpft, aber diesmal war sie ganz besonders froh, es hinter sich zu
haben.
Robert hatte sich genauso verhalten, wie er es angekündigt hatte. Die nächtliche
Szene vor dem Klavier war nur noch eine schwache Erinnerung. Fast kam es ihr
vor, als wäre alles nur ein Traum gewesen.
Und doch war etwas in ihr vorgegangen, als er sie zum Dinner einlud. War es
diese prickelnde Erregung, die eine Frau durchlief, wenn ein ganz bestimmter
Mann sie um eine Verabredung bat?
Jeanne steckte den Kopf durch die Tür. „Sind Sie bereit für unsere Besprechung?“
„Natürlich“, antwortete Marian.
„Führen Sie die Leute nur herein.“
Ihre Mitarbeiter kamen, nahmen sich Stühle und setzten sich im Halbkreis vor
ihren Schreibtisch.
Jeanne Ling war Eurasierin, attraktiv und äußerst intelligent. Vor dreizehn Jahren
hatte sie Hawaii verlassen, um für einen Senator zu arbeiten, der mit ihren Eltern
befreundet war. Dann war sie bei dieser Tätigkeit geblieben. Außer ihr gab es nur
wenige Frauen, die es bis zur VerwaltungsAssistentin eines Senators gebracht
hatten.
Über Brian Horgan, ihren Rechtsberater, wußte Marian weniger. Sie hätte auch
für dieses Amt gern eine Frau angestellt, aber es war keine geeignete
Rechtsberaterin zu finden gewesen. Brian hingegen brachte all die Kenntnisse
mit, die Marian zur Ergänzung ihrer eigenen Schwerpunkte benötigte.
Lila Stewart hatte schon jahrelang für Marian im Bezirksparlament gearbeitet und
kannte sie und ihren Arbeitsstil genau. Ein gegenüber anderen Bewerberinnen
wichtiger Vorteil.
Und Pete, dachte Marian, was sollte sie ohne Pete nur anfangen? Nach außen
wirkte er oft rauhbeinig, aber er war ihr ein unentbehrlicher Berater.
„Wer möchte anfangen?“ fragte Marian.
Jeanne ergriff das Wort. „Das Komitee für Arbeitsbeschaffung trifft diese Woche
zusammen. Die Mitglieder werden sich Ihnen vorstellen und Sie in die Projekte
einführen, an denen zur Zeit gearbeitet wird.“
„Okay.“ Marian nickte. „Was noch?“
Pete blätterte in seinem Terminkalender. „Da wäre noch das Dinner des
Presseclubs.“
Marian zuckte leicht zusammen. „Was ist damit?“
„Man hat Sie eingeladen, an den Reden teilzunehmen.“
Marian sah ihn verständnislos an, damit hatte sie nicht gerechnet.
„Das ist so üblich, Frau Senator“, erklärte Jeanne. „Der Club sucht sich fünf oder
sechs neue Politiker aus und legt ihnen eine Frage vor. Beim Dinner hält dann
jeder von ihnen eine DreiMinutenRede. Das ist zur Unterhaltung gedacht und
soll witzig sein. Aber Sie haben es mit einem hartgesottenen Publikum zu tun,
und es passiert oft, daß kein einziger Witz bei den Zuhörern ankommt.“
„Warum ausgerechnet ich?“ stöhnte Marian. Tischreden gehörten zu jenen
Pflichten ihrer politischen Laufbahn, die sie am meisten verabscheute.
„Das ist doch klar“, meinte Jeanne. „Sie sind die einzige Frau, die in diesem Jahr
den Sprung in den Senat geschafft hat.“
„Und was soll ich nun tun?“ fragte Marian. Eine solche Rede war eine
Herausforderung, die ihr vielleicht guttat. Aber ginge es nach ihr, würde sie viel
lieber mit Robert Tate unter den Zuhörern sitzen.
„Ich würde absagen“, riet Pete. „Du hast es nicht nötig, dich auf diese Weise dem
Publikum zu stellen. Aber wenn du nicht als Rednerin auftrittst, müssen wir
überlegen, als wessen Gast du die Veranstaltung besuchst.“
„Wie meinst du das?“ wollte Marian wissen.
Wieder war es Jeanne, die die Erklärung gab: „Wir haben Einladungen von der
,Freien Presse’, dem ‚Anzeiger’, von Newsweek, ABC, sogar vom Frauen
Magazin“, zählte sie auf.
„Und ich habe eine Einladung von der ,New York Times’ angenommen“, platzte
Marian heraus.
„Das kannst du nicht eigenmächtig entscheiden. Solche Terminabsprachen sind
meine Sache“, wandte Pete heftig ein.
„Entschuldige, Pete“, sagte Marian und wurde jetzt ebenfalls laut. „Aber als Robert Tate mich fragte, ahnte ich nicht, daß du gleich eine Staatsaffäre daraus machen würdest.“ „Aber die ,New York Times’“, mischte sich Jeanne vermittelnd ein, „ist doch gar keine so schlechte Wahl.“ „Nein“, gab Pete zu, „aber Marian darf die Zeitungen aus Michigan nicht vernachlässigen. Dort hat sie schließlich ihren heimatlichen Wahlkreis.“ „Bei einem Dinner mit der ,New York Times’ kann aber doch von Vernachlässigung der MichiganPresse keine Rede sein“, gab Marian zu bedenken. „Hoffentlich“, knurrte Pete, beließ es aber dabei. „Sonst noch etwas?“ Marian sah sich in der kleinen Runde um. „Also gut. Pete, sagst du dann bitte die Einladungen ab und gibst dem Presseclub Bescheid?“ Er nickte, und damit war die Sitzung zu Ende. Marian blieb allein in ihrem Zimmer zurück. Es war zwar nur um ganz belanglose Dinge gegangen, und doch dröhnte ihr der Kopf, als hätte sie eine stundenlange anstrengende Sitzung hinter sich. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und machte sich auf die Suche nach ihrer VerwaltungsAssistentin. „Jeanne, erzählen Sie mir doch noch etwas mehr über dieses Dinner“, bat Marian. „Gern. Was möchten Sie wissen?“ Marian zögerte. „Also, zunächst einmal, bin ich der Gast von Robert Tate oder von der ,New York Times’?“ „Bedeutende Zeitungen wie die ,Times’ oder ,Newsweek’ bezahlen für mehrere Tische und beauftragen dann ihre Journalisten, möglichst wichtige Leute einzuladen“, antwortete Jeanne. „Robert Tate wird also vermutlich den Tisch noch mit ein, zwei Kollegen teilen, und gemeinsam werden sie eine ganze Anzahl von Gästen haben.“ „So ist das also.“ Marian gab sich Mühe, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Danke, Jeanne.“ Nachdenklich ging Marian zurück in ihr Büro. Wie viele Pluspunkte gab es wohl dafür, fragte sie sich, daß Robert Tate die neue Senatorin an den Tisch der „Times“ gebracht hatte? Joel Gottlieb war ein junger Mann, der sich viel zu ernst für seine fünfunddreißig Jahre nahm. Aber immerhin war er der Vorsitzende des Komitees für soziale Angelegenheiten, und deshalb hörte Marian ihm aufmerksam zu. „Unser letzter Punkt auf der Tagesordnung betrifft die Altenheime“, sagte Gottlieb. „Wir erfahren immer wieder von Fällen, in denen die staatliche Kontrolle völlig unzureichend ist.“ Er erläuterte, daß alle Heime etwa einmal jährlich von staatlicher Seite überprüft wurden. War das Heim nicht in Ordnung und die Versorgung der Senioren nicht zufriedenstellend, gab es Auflagen. In besonders schlimmen Fällen konnte die Stadt sogar veranlaßt werden, das Heim zu schließen. Dieses System war Marian schon aus ihrer bisherigen Arbeit bekannt. Aber sie horchte auf, als Gottlieb auf die zum Teil skandalösen Bedingungen in den Heimen zu sprechen kam. „Zum einen“, berichtete er, „entgeht den staatlichen Kontrollbeamten viel zuviel. Zum anderen ist es schon vorgekommen, daß die Mängel zwar aufgedeckt wurden, die Stadt das Heim aber dennoch nicht schließen ließ. Wir wissen nicht, ob es sich dabei um Einzelfälle handelt, die sich aus bürokratischen Verzögerungen ergeben haben. Es könnte auch sein, daß der Fehler bei der obersten Stelle im Ministerium zu suchen ist. Weil wir nicht ausschließen können, daß es um Bestechung und
andere Delikte geht, haben wir diese Informationen bisher noch nicht an die
Öffentlichkeit getragen. Wir wollen auch weiterhin im Verborgenen
weiterforschen, bis wir Beweise auf den Tisch legen können.“
„Und was ist mit den alten Leuten in den Heimen?“ unterbrach Marian.
„Was soll mit ihnen sein?“ fragte Gottlieb zurück.
„Nun, während wir heimlich nach den Schuldigen fahnden“, empörte sich Marian,
„gefährden wir die Behaglichkeit und womöglich sogar das Leben unserer älteren
Mitbürger in diesen Heimen!“
Gottfried wirkte etwas verärgert. „Das haben wir alles bedacht“, fertigte er
Marian ab. „Dennoch sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß dies der beste
Weg ist.“
Marian war immer noch nicht überzeugt. Aber diesmal zumindest entgegnete sie
nichts mehr.
Kaum hatte Marian ihr Büro betreten, ertönte der Summer. „Robert Tate von der
,Times’ möchte Sie sprechen. Kann ich durchstellen?“
„Natürlich“, sagte Marian und fragte sich, was es noch zu besprechen gab. Sie
griff zum Hörer.
„Ja, hier McNamara.“
„Guten Tag, Frau Senator. Es tut mir leid, wenn ich Sie bei der Arbeit störe…“
vernahm sie Roberts Stimme.
„Schon gut.“
„Es ist mir etwas peinlich“, fuhr Robert fort, „aber als ich eben meine Karten für
das Dinner im Presseclub durchsah, fiel mir ein, daß ich Ihnen das Angebot hätte
machen sollen, noch einen Gast mitzubringen.“
Jetzt war es endgültig klar, daß es sich nicht um eine Verabredung zwischen ihr
und Robert Tate handelte. Marian fühlte sich verletzt und hätte gern eine
Begleitperson mitgebracht, um ihr Gesicht zu wahren. Aber wen? Lisa war wieder
in Michigan. Und es wäre nicht ganz passend, wenn sie Pete einladen würde.
Ansonsten kannte sie nur noch ihre Kollegen aus dem Senat, und die hatten
bestimmt schon ihre Einladungen, waren überdies verheiratet und brachten ihre
Frauen mit.
„Vielen Dank“, sagte sie deshalb kühl, „aber ich werde von Ihrem Angebot keinen
Gebrauch machen.“
„Ich wollte Sie auf jeden Fall noch einmal fragen. Es war dumm von mir, nicht
gleich daran zu denken, daß Sie möglicherweise einen Gast mitbringen
möchten.“
Warum? hätte Marian am liebsten geschrien. Kannst du dir denn nicht vorstellen,
daß du der einzige bist, mit dem auszugehen ich mir wünsche?
„Vielleicht ein andermal?“ erklärte sie so gleichgültig wie möglich. „Ich bin noch
nicht lange genug in Washington, um viele Leute zu kennen.“
„Oh, das müssen wir aber ändern“, sagte Robert entschieden.
Wofür hielt er sich eigentlich? Für ein Vermittlungsinstitut?
„Also, dann schicke ich Ihnen Ihre Karte ins Büro“, fuhr er fort. „Ich freue mich
auf das Dinner mit Ihnen. Auf Wiederhören.“
„Auf Wiederhören.“
Marian legte auf und starrte aus dem Fenster, ohne irgend etwas wahrzunehmen.
Dabei trommelte sie mit den Fingern den Takt eines Marsches auf ihrer
Schreibtischplatte. Sie war wütend, wußte aber nicht, worüber sie sich mehr
aufregte: über Robert Tate, der nach der geringsten Annäherung abweisend
reagierte, oder über sich selbst, weil ihr das so unter die Haut ging.
Jemand klopfte an die Tür. „Ja, bitte?“ rief Marian und unterdrückte ein Seufzen.
Jeanne kam herein. „Man würde sich noch in einem weiteren Komitee über Ihre
Mitarbeit freuen.“
Marian sah sie erwartungsvoll an.
„Ja“, sagte Jeanne. „In dem Komitee, das sich mit den Belangen der geistig
Behinderten befaßt.“
„Na, großartig.“ Marian verdrehte die Augen. „Dort bin ich genau richtig.“
5. KAPITEL „Sie wollten doch ins Sheraton?“ vergewisserte sich der Taxifahrer, während er
das Fahrzeug durch den dichten Abendverkehr lenkte.
„Ja“, bestätigte Marian und suchte in ihrer Handtasche nach dem Fahrgeld.
Sie würde reichlich spät zum Dinner kommen, und doch war sie überrascht, wie
schnell alles gegangen war. Ihre Sitzung hatte sich bis nach fünf Uhr hingezogen,
aber Lila hatte noch einen Friseur ausfindig gemacht, der sie trotz der späten
Stunde drannahm. Die Friseuse hatte Marian vorgeschlagen, das Haar über dem
linken Ohr straff aus dem Gesicht und schwungvoll zur Seite zu bürsten, so daß
es sich rechts doppelt üppig bauschte. So hatte sie das Gesicht und schwungvoll
zur Seite zu bürsten, so daß es sich rechts doppelt üppig bauschte. So hatte sie
das Haar noch nie getragen, aber es gefiel ihr und stand ihr gut.
Nach dem Friseur hatte sie sich in aller Eile umziehen müssen. Dabei war ihr die
Entscheidung, was sie anziehen sollte, äußerst schwergefallen. Sie hatte sich für
Washington drei neue Abendkleider gekauft, war aber bis zur letzten Minute
unentschlossen gewesen, welches davon sie anziehen sollte. Da die meisten ihrer
Kollegen beim Dinner erscheinen würden, durfte sie nicht zu auffallend gekleidet
sein. Aber auch Robert Tate würde da sein. Und bei ihm wollte sie sichergehen,
daß er sie bemerkte.
Schließlich hatte sie sich doch für das gewagteste, ein schulterfreies Kleid,
entschieden. Zu ihrem fünften Hochzeitstag hatte Tom ihr einen Malachit
Anhänger und dazu passende Ohrringe geschenkt, in genau demselben grünen
Farbton. Sie hatte gerade den zweiten Ohrring befestigt, als der Taxifahrer vor
der Tür hupte. Also war sie in aller Eile in die Schuhe geschlüpft, hatte sich ihren
Samtumhang umgeworfen und war zur Tür gestürzt.
Zwanzig Minuten später hielt das Taxi vor dem Hoteleingang. Marian reichte dem
Chauffeur einen Geldschein. „Das stimmt so, und vielen Dank.“
Nachzügler strömten auf den Eingang zu, und Marian schloß sich ihnen an.
Nachdem sie die Kontrolle passiert hatte, erreichte sie die große Halle.
„Marian?“
Sie fuhr hemm und sah Alan Smythe, den Senator von Ohio, der ebenfalls im
Komitee für soziale Angelegenheiten tätig war.
„Hallo, Alan.“ Marian war froh, in diesem Menschengewühl ein bekanntes Gesicht
zu entdecken.
„Mit wem sind Sie heute abend zusammen?“
„Ich sitze am Tisch der ,New York Times’. Und Sie?“
„Mich hat der Chefredakteur des ,OhioTagesanzeigers’ eingeladen.“
Marian fiel Petes Mahnung ein, daß man die Presse aus dem Heimatstaat nicht
vernachlässigen dürfe. Alan Smythe hatte den Rat befolgt, ohne ihn zu kennen.
„Es ist wohl an der Zeit, daß wir uns zu Tisch begeben“, sagte er.
„Ich kenne mich hier nicht aus. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich Ihnen
anschließe?“
„Natürlich nicht.“ Er lachte. „Kommen Sie.“
Alan Smythe führte Marian durch die überfüllte Halle zu einer breiten Treppe, die
in den Ballsaal hinunterführte. Er war in den Nationalfarben dekoriert, mit roten,
blauen oder weißen Tischtüchern und Chrysanthemensträußen in denselben
Farben. Zwischen den Tischen drängten sich überall Menschen. Mindestens
tausend, schätzte Marian. Wie sollte sie da nur Robert Tate finden?
„Orientieren Sie sich an den Tischnummern“, riet Alan. „Ich muß mich jetzt hier
links irgendwo durchschlängeln.“ Er winkte ihr zum Abschied zu.
„Danke, Alan.“ rief Marian ihm nach und sah dann auf ihre Karte, die sie fest
umklammert hielt. Tisch Nummer 75. Nummer 60 bis 85 standen direkt vor ihr,
was wohl bedeutete, daß sich Nummer 75 mitten in der Menge befand.
Entschlossen raffte sie den knöchellangen Rock ein paar Zentimeter in die Höhe
und bahnte sich einen Weg. Mit höflichem „Gestatten Sie“ schob sie sich an den
dichtgedrängt stehenden Gästen vorbei, rückte Stühle beiseite und fühlte
gelegentlich die bewundernden Blicke der Männer auf sich gerichtet.
„Frau Senator! Senator McNamara!“ Sie wandte sich nach rechts und entdeckte
zu ihrer Erleichterung Robert Tate, der ihr eifrig zuwinkte und ihr entgegenkam.
„Ich fürchtete schon, Sie hätten sich verirrt“, begrüßte er sie, faßte sie am
Ellbogen und führte sie auf den Tisch zu.
Marian lachte. „Diese Befürchtung hatte ich allerdings auch.“
Er trug einen Smoking, wie alle Herren im Saal, aber seine knapp geschnittene
Jacke betonte die Taille, und das hätten sich nur sehr wenige der Anwesenden
erlauben können.
Robert bemerkte ihre Blicke und schmunzelte. „Kommen Sie“, meinte er dann.
„Gehen wir.“
Der Weg, den er bahnte, war weit gezielter als die gewundenen Pfade, die Marian
sich durch die Menge geschaffen hatte. Zwischendurch fand Robert noch Zeit,
jemanden zu begrüßen, sie vorzustellen, einem Kollegen zuzuwinken oder über
das Durcheinander eine scherzhafte Bemerkung zu machen.
„Unser schmerzlich vermißter Gast ist eingetroffen“, verkündete Robert, als sie
schließlich am Tisch Nummer 75 angelangt waren. „Frau Senator McNamara.“
Er führte Marian um den Tisch herum und stellte ihr die übrigen Gäste vor.
Senator Harris und seine Frau kannte Marian schon. Auch der Ministerialrat war
ihr vom Sehen bekannt, aber sie war ihm und seiner Frau noch nicht persönlich
begegnet. Dann war da noch die sehr aktive Leiterin der Verbraucherschutzzentrale, die einen Anwalt aus Washington als Gast mitgebracht hatte. Das fünfte Paar bestand aus einer Kollegin von Robert Tate bei der „Times“ und ihrem Mann, einen Doktor Sowieso, dessen Namen Marian nicht verstand. Und dann sagte Robert einen Satz, der alle Hetze und Mühen dieses Abends wieder wettmachte: „Bitte nehmen Sie Platz, ich habe den Stuhl neben mir für Sie freigehalten.“ Marian wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte, und zum Glück blieb ihr eine Antwort erspart. Eine Stimme ertönte über den Lautsprecher: „Meine Damen und Herren, bitte erheben Sie sich. Wir spielen jetzt die Nationalhymne.“ Stühle wurden gerückt, das Orchester gab den Einsatz, und die vielen Menschen sangen mit. Marian allerdings tat nur so, als würde sie singen. Als Politikerin mußte sie sich natürlich entsprechend patriotisch geben, aber sie wollte keinesfalls, daß Robert Tate sie singen hörte: So angenehm ihre Sprechstimme auch war, beim Singen schwankte sie ständig zwischen Sopran und Alt hin und her. Auch Robert beteiligte sich nicht an dem Gesang, stand aber in ehrfürchtiger Haltung da. Marian konnte nicht ahnen, daß das weniger mit der Nationalhymne zu tun hatte als mit ihr. Robert sah sie bewundernd von der Seite an. Es gibt noch mehr schöne Frauen hier im Saal, dachte er. Aber Marian ist doch etwas ganz Besonderes. Sie ist nicht nur schön, sie hat Ausstrahlung. Und dieses Kleid, sagte er sich, war wirklich gewagt. Andere Politikerinnen hätten gewiß eine Jacke übergezogen, um sich im wahrsten Sinne des Wortes keine Blößen zu geben. Damit hätten sie zwar die Wirkung des Kleides zerstört, aber ihren respektablen Ruf in der Öffentlichkeit gewahrt.
Die Musik hatte aufgehört zu spielen, und Robert konnte sich nicht länger zurückhalten. „Sie sehen bezaubernd aus“, flüsterte er Marian zu. „Oh, vielen Dank.“ Sie freute sich über das Kompliment. „Sie haben doch schon ein grünes Glückskleid“, neckte er sie. „Ist dies das zweite?“ „Ich trage es zum erstenmal“, sagte Marian fast ein wenig herausfordernd. „Ob es ein Glückskleid ist, muß sich erst noch herausstellen.“ Sie sahen sich tief in die Augen, bis der Kellner kam und ihnen mit einer Terrine Consomme den Blickwinkel verstellte. „Um beim Glückskleid zu bleiben“, fuhr Marian fort, nachdem der Kellner wieder gegangen war, „ich kann von Glück sagen, daß Ihr Chefredakteur nichts davon erfahren hat. Sonst hätte er eine noch schlechtere Meinung von mir, als er sie ohnehin schon hat.“ „Nun ja“, meinte Robert und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, „ich war der Ansicht, daß Ihr Vertrauen auf Ihr Glückskleid ein Geheimnis zwischen Ihnen und mir bleiben sollte.“ Er legte den Arm über ihre Stuhllehne, und Marian fühlte den glatten Stoff seines Ärmels auf ihrem bloßen Rücken. Robert griff nach der Flasche Rotwein in der Mitte des Tisches und schenkte den übrigen Gästen nach, bevor er Marian und zuletzt sich selbst bediente. Der Lärm im Saal machte es unmöglich, sich in der Tischrunde zu unterhalten. Nur mit dem Sitznachbar war ein Gespräch möglich. „Seit Sie mich auf meinen Fehler aufmerksam gemacht haben“, sagte Robert, „habe ich oft an Ihre Augen gedacht.“ „So?“ Etwas Besseres fiel Marian nicht ein. „Ja. Und ich habe mir vorgenommen, beim nächstenmal nicht nur die Farbe richtig zu nennen, sondern Ihre Augen noch genauer zu beschreiben.“ „Wie meinen Sie das?“ fragte Marian, deren Herz wild zu klopfen begann. „Ach, ich kann nicht einfach schreiben: ,Marian McNamara hat grüne Augen.’ Da muß ich mir schon etwas mehr einfallen lassen. Zum Beispiel: ,Ihre Augen haben die Farbe von…’“ Er streckte die Hand aus und strich behutsam über den Anhänger, der an ihrem Brustansatz lag. Dabei schaute er sie fragend an. „Malachit“, antwortete Marian atemlos und warf einen Blick in die Runde, um festzustellen, ob jemand diese intime Geste beobachtet hatte. „Malachit“, wiederholte Robert. „Und sie strahlen genauso.“ Flinke Kellner räumten die Suppe ab und servierten statt dessen eine knackfrische Salatplatte. „Würden Sie mir bitte die Salatsoße reichen?“ rief der Ministerialrat über seine Frau und Robert hinweg Marian zu. Sie reichte ihm die Sauciere. „Sagen Sie“, sprach sie ihn dabei an, „ist in diesem Jahr mit einer Steuererleichterung für die Automobilindustrie zu rechnen?“ Offenbar hatte er nichts gehört, denn er wandte sich ohne ein weiteres Wort wieder der Journalistin zu seiner Linken zu. „Wenn Sie sich unterhalten wollen“, meinte Robert und nahm sich vom Tomatensalat, „werden Sie mit mir vorlieb nehmen müssen.“ „Ich habe nichts dagegen“, gab Marian lächelnd zu. „Zum Beispiel könnten Sie mir erzählen, wie diese Tischrunde zusammengekommen ist.“ „Ganz einfach“, berichtete Robert. „Laura“, er nickte zu seiner Kollegin hinüber, „und ich haben uns gemeinsam überlegt, wen wir einladen wollten. Ich entschied mich für Senator Harris, Laura meinte, sie würde den Ministerialrat bitten, unser Gast zu sein. Und weil wir nicht nur Leute über sechzig am Tisch wünschten, haben wir auch noch die Dame vom Verbraucherschutz und ihren Begleiter zu
uns gebeten.“
„Und dann kam ich noch hinzu“, ergänzte Marian.
„Ja.“
„Darf ich erfahren, warum?“
„Ach, immerhin war ich Ihnen eine Einladung schuldig“, scherzte er und wurde
sofort wieder ernst. „Außerdem wollte ich Sie gern näher kennenlernen. Mir lag
daran, Sie wiederzusehen, in einem von der Umwelt akzeptierten Rahmen.“
„Und wenn ich Ihrem Angebot gefolgt wäre und einen Gast mitgebracht hätte?“
„Dann hätte ich wohl zu Hause bleiben müssen“, entgegnete er trocken und wies
auf den vollbesetzten Tisch.
Die Kellner kamen wieder, räumten die geleerten Salatteller ab und trugen
Steaks mit frischen Kräutern überbackenen Kartoffeln auf.
„Sind Sie denn nach Ihrem Besuch bei mir gut nach Hause gekommen?“
erkundigte sich Marian, und wieder hatte sie heftiges Herzklopfen.
„Ja, danke. Ich erwischte ein Taxi und erreichte noch rechtzeitig das Flugzeug
nach Washington.“
„Sie müssen es sehr eilig gehabt haben.“ Marian hatte ihm immer noch nicht
ganz verziehen, daß er sich heimlich weggeschlichen hatte.
„Ich mußte mittags wieder in der Redaktion sein. Außerdem hatte ich das Gefühl,
Ihre Gastfreundschaft bereits überbeansprucht zu haben.“
„Lügner.“
Robert zuckte bei diesem direkten Angriff zusammen, und Marian war selbst ganz
überrascht von ihrem Ausbruch.
Er trank einen Schluck Rotwein, rückte dann näher zu ihr heran und senkte die
Stimme.
„Sie haben ja recht, Marian. Aber was hätte ich sagen sollen? Daß ich feige war
und den einfachsten Weg wählte? Daß ich nicht wußte, was eigentlich geschehen
war, und daß ich Ihnen anmerken konnte, daß Sie es genausowenig wußten?“
Noch ehe Marian etwas erwidern konnte, hatte der Vorsitzende des Presseclubs
das Mikrophon ergriffen. Die Teller wurden abgeräumt und durch Dessertschalen
mit Eis ersetzt, und alle Gäste im Saal rückten ihre Stühle so, daß sie zum
Podium sehen konnten. Auch Marian setzte sich um und wandte Robert dadurch
den Rücken zu.
Wie Jeanne es ihr geschildert hatte, unterzog der Vorsitzende des Presseclubs
sechs Kongreßmitglieder einer scherzhaften Pressekonferenz. Alle gaben sich
Mühe, schlagfertig und geistreich zu sein, ernteten aber allenfalls Gelächter.
Robert lehnte sich über Marians Schulter, um ihr ins Ohr zu flüstern: „Sie sollten
eigentlich da oben sitzen.“
„Ich hätte Gelegenheit dazu gehabt“, flüsterte sie zurück.
„Und warum haben Sie nicht zugesagt?“
„Ich wollte mich nicht blamieren.“
„Ich werde Lisa Bescheid geben, daß sie an ihre Mutter denken soll, wenn sie
beim nächsten Western wieder eine Vergleichsperson für einen Feigling sucht“,
drohte Robert und lehnte sich wieder zurück.
Die PodiumsVeranstaltung war zu Ende. Eifriges Stühlerücken setzte ein, die
Gäste erhoben sich, viele drängten in den Tanzsaal, in dem bereits das Orchester
zu spielen begann.
Robert wandte sich an die Tischrunde. „Kommen Sie doch bitte noch auf einen
Drink in das Zimmer der ,Times’. Wir haben Raum 612 für heute abend
gemietet.“
Senator Harris und der Ministerialrat bedankten sich höflich, wollten aber nach
Hause und verabschiedeten sich.
Nachdem die beiden Paare gegangen waren, stellte Robert fest, daß seine Kollegin Laura sich um die Dame vom Verbraucherschutz und ihren Begleiter kümmerte. „Da bleibt uns nur noch eins zu tun“, sagte er zu Marian. „Tanzen.“ „Haben Sie Lust?“ „Müssen Sie denn nicht in den Raum der ,Times’ und den Gastgeber spielen?“ fragte Marian zurück. „Nein, es gibt genug andere, die das tun können. Im übrigen“, fügte er hinzu und legte den Arm um ihre Taille, „möchte ich viel lieber mit Ihnen tanzen.“ Marian lächelte ihm zu und ließ sich von ihm zur Tanzfläche geleiten. „Können Sie Swing?“ fragte Robert. Sie lachte. „So jung bin ich nicht mehr, Robert, daß ich Swing nicht mehr gelernt hätte.“ Er ergriff ihre Hand, legte den Arm um sie und fing an zu tanzen, wobei er achtgab, ihr nicht auf den langen Rock zu treten. Seine Bewegungen sind leicht und elegant, und er führt gut, dachte Marian. Sie hatte immer gern getanzt, doch obwohl auch Tom ein guter Tänzer gewesen war, hatte sie es nicht immer leicht gefunden, seinen Schritten zu folgen. Robert hingegen teilte ihr mit einem Blick oder einem leichten Händedruck mit, wenn eine neue Figur kam, und Marian war überzeugt, daß sie auch dann mit ihm hätte tanzen können, wenn sie die Schritte gar nicht beherrschte. „Worüber lächeln Sie?“ fragte er, als die Musik mit einem schwungvollen Schlußakkord abbrach. Dabei ließ er ihre Hand nicht los. „Ich habe mir gerade überlegt, daß man nicht oft einen Mann findet, der wirklich gerne tanzt.“ „Nun ja“, meinte Robert, „das kommt ganz darauf an, mit wem ich tanze.“ Die Band setzte wieder ein, diesmal zu einem langsamen Tanz. Robert zog sie an sich heran, und Marian fühlte sein kühles Kinn an ihrer heißen Schläfe. Sie nahm den herben, männlichen Duft seines Rasierwassers wahr. Ihre Hand lag auf seinem Oberarm, dessen kräftige, durchtrainierte Muskeln sie durch den Stoff hindurch spüren konnte. Robert tastete unterdessen nach einer geeigneten Stelle an ihrem Rücken. Als er seine Hand nach oben gleiten ließ, so daß sie auf ihrer entblößten Schulter zu liegen kam, überlief Marian ein heißer Schauer. Die meisten Paare auf dem blankpolierten Parkettboden bewegten sich in kleinen, monotonen Kreisen auf der Stelle. Robert hingegen hatte einen ganz anderen Tanzstil. Er beschrieb weite Bögen, vor und zurück, und wirbelte Marian unter seinem Arm hindurch. Um nicht aus dem Gleichschritt zu geraten, durfte sie den Kontakt mit ihm nicht verlieren. Sie preßte sich an ihn, damit er sie auch mit seinen Beinbewegungen führen konnte, dabei fühlte sie die kräftigen Muskeln seiner Oberschenkel. Er tanzte so gewandt, daß Marian über das Parkett zu schweben glaubte. Sie hätte den Boden unter den Füßen verlieren können und sich doch immer ganz sicher gefühlt, weil seine starke Hand sie hielt. Roberts Berührungen wurden etwas kühner. Behutsam tastete er über ihre samtweiche Haut, die sie bisher in seiner Gegenwart stets bedeckt hatte. Marian schloß die Augen, während sie seine Fingerspitzen über ihr Rückgrat gleiten fühlte, hinauf und dann wieder nach unten. Eine Welle der Erregung durchlief sie, Robert zog sie noch dichter an sich, so daß ihre Brüste fest gegen seinen Oberkörper gepreßt waren. Ob jemand sie beobachtete? Sie sah sich verstohlen um. Es tanzten nur noch zehn oder zwölf Paare. Die Menge hatte sich zerstreut.
Entspannt lehnte sich Marian wieder an Robert, und kurz darauf meinte sie, seine Zunge an ihrem Ohr zu spüren. Aber das bilde ich mir gewiß nur ein, sagte sie sich. Ihre Phantasie war überhitzt. Es war herrlich, in seinen Armen zu liegen, wenn auch nur für ein paar Tänze. Was riskierte sie schon? Nichts, oder? Sie lachte leise in sich hinein, als sein heftiger Herzschlag und ihr pochender Puls ihr ein entschiedenes „Doch“ zur Antwort gaben. Marian wußte, daß dieser Mann ihr etwas bedeutete, aber was das war und welche Wichtigkeit er für sie hatte, konnte sie nicht mit Sicherheit sagen. Dabei fühlte sie, daß auch er mehr für sie empfand als die Kameradschaft eines Reporters seiner Interviewpartnerin gegenüber. Vielleicht würde es ihnen gelingen, die Stimmung jener Nacht vom 4. Juli wieder herbeizuzaubern, wenn sie nur einen Weg fanden, ganz einfach Marian und Robert zu sein und nicht Politikerin und Berichterstatter. „Robert“, sagte sie schließlich, als er sie immer weiter in seinen Armen wiegte. „Hm?“ „Die Band hat aufgehört zu spielen. Ich glaube, es ist Schluß.“ Jetzt gab es keinen Vorwand mehr, sie festzuhalten. Robert ließ sie los. „Verzeihung“, sagte er lächelnd. Ganz plötzlich überkam Marian das Bedürfnis, hinaufzulangen und ihm durch die Haare zu fahren. Aber ihr wurde wieder bewußt, daß immer noch Leute um sie herum waren. „Es wird spät“, meinte sie deshalb. „Sind Sie mit dem Wagen hier?“ „Nicht mit dem eigenen. Ich habe mir ein Taxi genommen.“ „Dann nehmen wir uns zusammen eins für den Heimweg.“ „Aber Sie müssen vielleicht in eine ganz andere Richtung“, wandte Marian ein. „Ich möchte Sie gern nach Hause bringen, damit ich weiß, daß Sie sicher angelangt sind.“ Von der Menschenmenge war nicht mehr viel übrig. Daher dauerte es nicht lange, bis Marian ihr Cape von der Garderobe geholt hatte und mit Robert vor dem Hotelgebäude stand. Es gelang ihm, gleich das erste Taxi anzuhalten, das die Einfahrt heraufkam. „Wohin?“ fragte der Fahrer. Robert sah Marian fragend an, und sie nannte ihre Adresse. Schweigend fuhren sie durch die nächtlichen Straßen. Robert tastete nach ihrer Hand, nahm sie zwischen seine Hände und umschloß sie. Marian wandte sich ihm zu und beobachtete den Wechsel von Licht und Schatten auf seinem Gesicht, wenn der Wagen an Lampen und beleuchteten Schaufenstern vorbeifuhr und dann wieder ins Dunkel tauchte. Die Lachfalten um seinen Mund waren jetzt stärker ausgeprägt, und seine Augen lagen tiefer, so als hätte er genug vom höflichen Lächeln und wollte sich jetzt ausruhen. Es fiel Marian schwer, nicht einfach die Hand auszustrecken und ihm sanft die Wange zu streicheln. „Sie sehen müde aus“, sagte sie. Er lächelte. „Genau das habe ich eben von Ihnen gedacht.“ Das Taxi war jetzt im Regierungsviertel angelangt und umrundete das Weiße Haus, das sich hell gegen den Nachthimmel abhob. Jetzt war es nicht mehr weit bis zu Marians Apartment. Soll ich Robert noch auf einen Drink hereinbitten? überlegte sie. Aber nach dem Drink, was dann? Ihr war so sonderbar zumute wie in jener Nacht vom 4. Juli, und wieder wußte sie nicht, wie sie sich von ihm verabschieden sollte. Robert zog sie an, geistig, gefühlsmäßig und sexuell. Aber er verwirrte sie auch, und diese Verwirrung
wurde um so stärker, je näher sie ihn kennenlernte.
„Hausnummer 405?“ vergewisserte sich der Taxifahrer.
„Ja“, bestätigte Marian. Ihr fiel wieder ein, daß Robert Tate gar nicht wußte, wo
sie wohnte. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie zum Dinner
abzuholen. Nichts deutete darauf hin, daß zwischen ihnen etwas geschehen
würde.
Der Chauffeur verlangsamte die Fahrt und hielt vor Marians Haus.
„Warten Sie einen Moment, ich komme gleich zurück“, bat Robert den Fahrer und
stieg aus.
Damit wäre das Problem gelöst, dachte Marian. Robert hielt ihr die Tür auf und
half ihr beim Aussteigen. Dann begleitete er sie zum Eingang ihrer Wohnung,
ohne ihre Hand loszulassen.
Marian fischte die Schlüssel aus ihrer Handtasche.
„Vielen Dank, Robert“, wandte sie sich schließlich an ihn. „Es war ein
wunderschö…“
Er legte ihr behutsam die Hand auf den Mund und brachte sie damit zum
Schweigen. „Das Taxi wartet, und ich habe Ihnen etwas zu sagen.“ Er fuhr mit
den Armen unter ihren Samtumhang und zog sie ganz nahe an sich heran. „Ich
habe ein Problem, bei dem Sie mir vielleicht helfen können.“
Marian sah ihn verwirrt an. „Ja?“
„Ja. Ich kann an nichts anderes denken als an Sie, Marian. Ich habe es versucht,
seit ich am 5. Juli frühmorgens aufgebrochen bin, aber ich kann Sie nicht
vergessen. Ich halte mich von Ihnen fern. Ich lade Sie zum Dinner ein und tue
dann so, als wären Sie ein xbeliebiger Gast wie die anderen auch. Ich sage mir
ständig, daß Sie Senatsmitglied sind, aber alles, woran ich denken kann, ist die
Frau.“
„Robert…“
Er wartete nicht ab, was sie zu sagen hatte, sondern küßte sie mitten auf den
Mund. Dabei ließ er seine Hand sanft über ihren Rücken gleiten. Der Verschluß
ihres Capes ging auf, und der kühle Nachtwind strich über ihren Hals und den
Brustansatz.
Eigentlich müßte mir jetzt kalt werden, dachte Marian, doch sie spürte nur die
Wärme seiner kraftvollen Umarmung und die Glut seines Kusses.
Jetzt küßte er sie schon kühner. Seine Zunge schob sich zwischen ihren Zähnen
durch und erforschte ihren Mund, ihre glatten Zähne, die weiche Zunge, alle
warmen Nischen ihrer Mundhöhle.
Laut ertönte die Hupe des Taxis. Robert gab ihre Lippen frei, hielt Marian aber
weiterhin umfaßt.
Dieser Augenblick durfte nicht so plötzlich abgebrochen werden. „Wie wäre es
noch mit einem Drink?“ schlug Marian vor.
Er drückte sie an sich. „Ich komme gleich wieder.“ Dann lief er zum Taxi zurück,
während sie die Haustür aufschloß und das Licht anknipste. Als sie sich
umwandte, stand Robert hinter ihr und hatte die Tür geschlossen.
„So“, sagte Robert. „Komm, ich helfe dir mit deinem Umhang.“ Unendlich
langsam streifte er ihr das Cape ab, so daß der Samt – und seine Hände –
Zentimeter um Zentimeter über ihre Schultern glitten.
„Was möchtest du trinken?“ fragte Marian und entwand sich seinem Griff.
„Hast du Weinbrand?“
„Irgendwo muß eine Flasche sein.“ Sie fand den Weinbrand und goß sich selbst
ein winziges Glas Amaretto ein. Robert ging auf die Couch zu, aber Marian setzte
sich auf einen der hohen Küchenstühle, und als er sah, wo sie sich
niedergelassen hatte, kam er zu ihr.
Fragend sah er sie von der Seite an. „Worüber lächelst du?“
„Ach, mir ist gerade meine Studentenzeit in den Sinn gekommen“, erklärte
Marian. „Damals lernte ich meinen Mann kennen, und ich war fest davon
überzeugt, daß er mich nur betrunken machen und mit mir schlafen wollte.
Deshalb verhielt ich mich kühl und abweisend Dabei war es genau das, was ich
mir von ihm wünschte.“
Robert stellte sein Glas ab und ergriff ihre Hand. „Du bist noch nicht bereit. Ist es
das, Marian?“
Sie biß sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf. „Ich weiß selbst nicht, was
mit mir los ist.“ Sie sah ihm in die Augen. „Für ein kleines Abenteuer bin ich nicht
die richtige Frau.“
„Es geht mir auch nicht um ein Abenteuer mit dir, Marian“, entgegnete Robert
und fuhr ihr zart mit den Lippen über die Hand. „Das heißt nicht, daß ich mich
noch nie damit begnügt hätte, aber bei dir würde mir das nicht reichen.“
Er leerte sein Glas und stand auf. Dabei wirkte er so traurig, daß Marian ihre
Worte bereute. Robert half ihr von dem hohen Küchenstuhl herab und geleitete
sie zur Tür.
„Ich möchte dich lieben, Marian, aber es muß auch für dich schön und richtig
sein.“ Zärtlich gab er ihr einen letzten Kuß auf die Stirn. „Laß es mich wissen,
wenn es soweit ist.“
Er öffnete die Tür.
„Soll ich dir nicht ein Taxi rufen?“ fragte Marian.
„Nein“, wehrte er mit einem jungenhaften Lächeln ab. „Ich laufe jetzt ganz gern
ein Stück.“
Sie sah ihm nach, wie er die Straße hinunterging. An der Ecke drehte er sich
noch einmal um, winkte und verschwand. Erst jetzt schloß Marian die Tür.
Rasch zog sie sich aus und ging zu Bett. Erinnerungen an Tom stiegen in ihr auf,
aber immer wieder schoben sich Bilder von Robert Tate dazwischen. Ihre
Vernunft sagte ihr, daß sie sich richtig entschieden hatte, aber ihr Gefühl sagte
ihr genau das Gegenteil. Dieser Widerspruch plagte sie bis in den Morgen hinein,
und erst als es schon hell wurde, fiel sie in einen tiefen Schlaf.
6. KAPITEL Ein Krankenwagen raste vorbei, und die Sirene zerschnitt schrill die morgendliche Stille. Marian tastete nach ihrem Wecker. Noch nicht einmal sieben Uhr. Sie hatte kaum geschlafen, aber jetzt würde sie keine Ruhe mehr finden. Ihr Blick streifte den leeren Platz in ihrem breiten, französischen Bett. Plötzlich fiel ihr alles wieder ein. Sie hatte Robert in der Nacht weggeschickt. Oder eigentlich auch nicht, dachte sie. Er selbst wollte gehen, aber sie hatte ihn nicht zurückgehalten. Sie stand auf und machte sich ein Frühstück zurecht. Dabei hörte sie Nachrichten. Später blätterte sie die „Washington Post“ und die „Times“ durch, überflog lustlos die Leitartikel, bis ein Bericht über das Dinner des Presseclubs in der „Washington Post“ ihr Interesse weckte. Es war ein langer Artikel, illustriert mit einigen Bildern. Marian goß sich eine zweite Tasse Kaffee ein und vertiefte sich in den Bericht. Die wichtigsten Stellen der Reden waren abgedruckt und Marian lachte, als sie an die Pointen erinnert wurde. Doch plötzlich erstarrte sie. Gegen Ende des Artikels fiel ihr Blick auf die folgenden Zeilen: „Mit dem Dinner war das Fest aber noch lange nicht zu Ende. Manche Gäste vergnügten sich auf den CocktailPartys der PresseVeranstalter, andere begaben sich auf die Tanzfläche. Unter den letztgenannten befand sich ein höchst ungewöhnliches Paar: Der WashingtonKorrespondent der ,Times’’, Robert Tate, tanzte Wange an Wange mit Marian McNamara, dem neuen Senatsmitglied aus Michigan. Sie sah in ihrem schulterfreien Kleid umwerfend, wenn auch nicht gerade senatorenhaft aus, und es war offensichtlich, daß die beiden mit viel interessanteren Dingen als dem neuen Staatshaushalt oder den Aufgaben des Senats beschäftigt waren.“ Marian las den Abschnitt ein zweites Mal. Nein, sie hatte sich nicht geirrt. Es stand alles so da, wie sie es gelesen hatte, Schwarz auf weiß, aller Welt zugänglich. Warum gerade ich? fragte sie sich und konnte es immer noch nicht fassen. Was war denn so Besonderes an einem Tanz zwischen einem Reporter und einem Senatsmitglied? Wenn es nur um das Kleid gegangen wäre, das hätten die Leser bald vergessen. Aber Marian und Robert, das war eine Geschichte, die im Kongreß die Runde machen würde. Wie würde Robert reagieren, wenn er das las? Vielleicht lachte er darüber oder freute sich sogar, weil es seinen Ruf bestätigte. Möglicherweise schmunzelten jetzt seine Kollegen und nickten anerkennend, weil er wieder eine neue Eroberung gemacht hatte. Marian legte die Zeitung beiseite, Wie sollte sie sich verhalten? Am besten, sie tat so, als wäre nichts geschehen. Ohne anzuklopfen, kam Pete in Marians Büro gestürmt und schloß die Tür hinter sich. „Hast du die ,Washington Post’ schon gelesen?“ fragte er, und als sie nickte, fuhr er fort: „Es wäre vielleicht doch besser gewesen, du hättest auf dem Podium eine Rede gehalten. Ernsthaft, Marian, solche Geschichten können dir schaden.“ Sie seufzte. „Meinst du, das wüßte ich nicht selbst?“ „Ich möchte dir nur klarmachen, daß ein solcher Artikel deine ganze Karriere ruinieren kann.“ Nervös fuhr er sich durchs Haar und suchte nach den richtigen Worten. „Du hast es ohnehin schon schwer, dich durchzusetzen, weil du eine Frau bist, und noch
dazu eine gutaussehende. Wenn aber solche Klatschgeschichten über dich im Umlauf kommen, dann zählt nur noch das, und kein Mensch kümmert sich mehr darum, was du in deinem Amt geleistet hast.“ „Und was raten Sie mir dagegen zu unternehmen, Herr Pressesekretär?“ fragte Marian ungeduldig. Pete wirkte jetzt etwas verlegen. „Nun, du könntest dich weniger oft mit Robert Tate treffen.“ „Aber ich ,treffe’ mich doch gar nicht mit ihm!“ „Ach! Und was war gestern abend?“ Pete bemerkte Marians betroffenen Gesichtsausdruck und fuhr sehr viel sanfter fort: „Es tut mir leid, Marian. Ich weiß, es handelt sich um dein Privatleben und ich habe kein Recht, mich einzumischen. Aber als dein Pressesekretär muß ich dir den Rat geben, dich Robert Tate gegenüber etwas zurückzuhalten, zumindest in der Öffentlichkeit.“ „Bist du jetzt fertig?“ fragte sie scharf. Er schnitt eine Grimasse. „Es wäre nicht schlecht, wenn du dich etwas konservativer kleiden würdest.“ Dann wandte er sich zum Gehen und nickte ihr noch einmal aufmunternd zu. „Das war’s. Und jetzt mache ich mich wieder an die Arbeit. Schließlich werde ich dafür bezahlt.“ Marian sah ihm gedankenvoll nach. Er hatte recht. Ihre Position war schwierig, und wenn Roberts Chefredakteur gegen sie eingestellt war, so war er bestimmt nicht der einzige. Sie mußte alles tun, um die Vorurteile abzubauen und sich als ernsthaft arbeitende Senatorin zu bewähren. Und wenn das bedeutete, daß sie Robert nicht wiedersehen sollte? Darüber wollte sie lieber nicht nachdenken. „Sie müssen gestern ja einen tollen Abend gehabt haben“, neckte Alan Smythe, als Marian den Raum betrat, in dem die Sitzung des Komitees für soziale Angelegenheiten stattfand. Sie lächelte verlegen. „Ich kann es einfach nicht fassen, was für Unsinn als ,Nachrichten’ verbreitet wird.“ Er machte eine abwehrende Handbewegung. „Nehmen Sie es nicht tragisch. Durch so etwas müssen wir alle einmal hindurch.“ Joel Gottlieb eröffnete die Sitzung. „Es geht leider nicht gut voran“, stellte er fest. „Wir sind den Berichten über skandalöse Bedingungen in Altenheimen in allen Fällen nachgegangen. Bis jetzt wissen wir jedoch nicht mehr, als daß die meisten dieser Heime im Besitz der Gesellschaft Bidwell sind. Das kann etwas bedeuten, muß es aber nicht, da Bidwell etwa zwanzig Prozent aller Altenheime in den Staaten besitzt.“ Marian notierte sich den Namen und die Zahl. „Schicken Sie doch ein paar staatliche Aufsichtsbeamte hin“, schlug sie vor. „Damit die Behörden zumindest darauf aufmerksam werden.“ „Genau das hatte ich vor“, erklärte Gottlieb beleidigt. „Dann sind wir uns ja einig“, mischte sich Alan ein und blinzelte Marian zu. Bevor die KomiteeMitglieder wieder auseinandergingen, gab Gottlieb noch eine Zusammenfassung der bisherigen Untersuchungsergebnisse und bat um vorläufige Geheimhaltung. Marian ging mit Alan zum Fahrstuhl und blätterte dabei in den Unterlagen. „Dieser Kerl glaubt wirklich, daß wir Marionetten sind, die er an einem ,Faden gängelt’.“ „Soll ich Ihnen etwas verraten?“ Alan zog die Augenbrauen hoch. „So ist es!“ Nachdem Marian nach drei Stunden Senatssitzung, eine Besprechung mit der FarmerVereinigung von Michigan, eine Diskussion mit einer Abschlußklasse und
ein Gespräch mit dem Abgesandten der Automobilindustrie hinter sich hatte, war sie mit ihren Terminen für den heutigen Tag fertig, jedenfalls mit den langfristig vorausgeplanten. Wieder ertönte der Summer. Diesmal war es Pete. „Robert Tate ist hier. Kannst du ihn empfangen?“ Obwohl Pete ganz unbefangen sprach, konnte Marian die Spannung geradezu knistern hören. „Ich stecke gerade mitten in der Arbeit, Pete. Wenn er vielleicht fünf Minuten warten könnte.“ „Gut“, meinte Pete zufrieden, „wir kommen in fünf Minuten.“ Es war der richtige Schachzug gewesen, denn natürlich war es ganz gleichgültig, ob Marian jetzt oder nach dem Gespräch mit Robert weiterarbeitete. Aber Pete freute sich über die Verzögerung, und vielleicht würde auch Robert daraus schließen, daß sie auf Distanz ging. Sie holte einen Spiegel aus der Handtasche, überprüfte ihr Makeup, strich sich den Rock glatt und wartete. Jemand klopfte leise an die Tür. Mit mürrischem Gesicht kam Pete herein, ließ Robert eintreten und zog sich zu Marians Erleichterung wieder zurück. „Hallo“, sagte Robert und nahm auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch Platz. „Guten Tag.“ Marian war heilfroh, daß er nicht näher gekommen war. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie er sie mit schwierigen Fragen bombandiert und was er über sie geschrieben hatte. Aber es gelang ihr nicht, den unbequemen Reporter in ihm zu sehen. Vor ihr saß ein Mann. Ein behutsamer Mann. Ein Mann, der ihr ein anderes, besseres Leben anbot. Und seine Worte von der Nacht zuvor klangen in ihr nach. Schließlich brach Robert das Schweigen. „Ich hoffe, der Artikel in der ,Washington Post’ hat dir keine Unannehmlichkeiten gemacht.“ Marian gab sich gelassen. „Ach, halb so schlimm. Bist du gestern gut nach Hause gekommen?“ Er nickte. „Du siehst müde aus.“ „Es war ein schlimmer Tag heute“, gab Marian zu. „Und mit dem Artikel hat es angefangen?“ Marian wich seinem Blick aus. „Das weniger“, sagte sie leichthin. „Was sonst?“ Robert ließ nicht locker. Also beschrieb Marian ihm den Verlauf des Tages, die vielen anstrengenden Termine, und stellte fest, daß es ihr guttat, darüber zu sprechen. „Und dann Joel Gottlieb, mit dem bekomme ich sicherlich noch einmal ernstlich Krach.“ „Ja, das war zwischen ihm und mir auch unvermeidbar. Welche Schwierigkeiten hast du mit ihm?“ Sie berichtete von den Zuständen in manchen Altenheimen und von Joels zögerndem Vorgehen und seiner Geheimhaltungstaktik, während sie im Interesse der Heimbewohner rasche Maßnahmen befürwortete. Robert hörte ihr aufmerksam zu, stellte Zwischenfragen, und Marian schüttete ihm ihr ganzes Herz aus. „Ich habe dir schon viel zu lange die Ohren vollgejammert“, meinte sie schließlich verlegen. „Durchaus nicht“, widersprach Robert. „Doch“, beharrte Marian. „Und du hast mich auch noch dazu ermuntert!“ Am liebsten hätte sie hinzugefügt, daß das alles natürlich inoffiziell war, aber ihr fiel wieder die peinliche Situation während des Interviews am 4. Juli ein. Damals hatte er ihr ein Versprechen gegeben, und sie zweifelte daran, daß er es halten
würde. Er würde ihr nicht schaden.
Robert erhob sich. „Noch etwas“, sagte er. „Ich hoffe, daß der Bericht in der
»Washington Post’ zwischen uns nichts geändert hat.“
Marian versuchte zu lachen. „Natürlich nicht. Weshalb auch?“
Er sah ihr in die Augen, als könnte er dort ihre Bedenken lesen. „Ich jedenfalls
möchte dich wiedersehen, Marian. In den nächsten Tagen habe ich allerdings
entsetzlich viel zu tun. Aber ich melde mich bei dir, sobald ich kann.“
Marian nickte zögernd. „Gute Nacht.“
„Gute Nacht. Geh bald nach Hause und schlaf gut.“
Sie sah ihm nach, und ihr war zumute, als würde er einen Teil von ihr
mitnehmen. Eigentlich wollte sie gar nicht, daß er ging, aber sie konnte ihn nicht
bitten, noch zu bleiben.
Zwei Tage später kam Pete zum zweitenmal ohne anzuklopfen in Marians Büro.
Man konnte ihm ansehen, daß er sehr aufgeregt war.
„Du hast ihm die Informationen gegeben, Marian, nicht wahr?“ Er warf die
„Times“ auf ihren Schreibtisch.
„Wovon redest du überhaupt?“
„Du weißt wirklich nicht, worum es geht?“ fragte Pete verblüfft.
Marian schüttelte den Kopf.
„Ein Artikel von Robert Tate.“ Pete wies auf eine Schlagzeile. „Er zitiert eine
zuverlässige Quelle’, die er nicht nennt, und bringt dann einen kompletten
Bericht über die AltenheimUntersuchungen des Komitees für soziale
Angelegenheiten.“
„Aber ich habe ihm kein Interview gegeben“, beharrte Marian.
Pete sah sie ungläubig an. „Willst du etwa behaupten, daß du mit ihm über die
Untersuchung nicht gesprochen hast?“
Sie schwieg und erinnerte sich daran, daß sie ihm von ihren Schwierigkeiten mit
Gottlieb erzählt hatte. Konnte er sich den Rest dazu gedacht habe?
„Ich habe die Untersuchung erwähnt“, sagte sie schließlich. „Aber nur in einem
privaten Gespräch unter Freunden. Er hat sich auch keine Notizen gemacht.“
„Hast du ihm gesagt, daß es sich um keine offizielle Information handelte?“
Marian schüttelte den Kopf.
Pete verdrehte die Augen. „Hör mal, Marian, es ist mir gleichgültig, wie gut du
mit dem Kerl befreundet bist. Aber du kannst bei einem Reporter nicht alle
Vorsicht außer acht lassen!“
„Ich werde beim nächstenmal daran denken“, sagte Marian knapp.
„Beim nächstenmal! Das hilft jetzt auch nicht weiter!“ Pete knallte die Tür hinter
sich zu.
Kurze Zeit später rief Joel Gottlieb an.
„Bitte“, meinte er spitz, „wenn Sie Robert Tates ,Quelle’ sind, so ist das natürlich
Ihre Angelegenheit. Aber in diesem Fall sind Sie sich doch hoffentlich bewußt,
daß Sie den Erfolg der ganzen Untersuchung gefährden.“
Als er schon aufgelegt hatte, hielt Marian den Hörer noch immer in der Hand und
wartete darauf, daß sich ihr Puls wieder normalisierte. Bei Joel war sie gar nicht
zu Wort gekommen, aber jetzt legte sie sich eine Rede zurecht und bat dann Lila,
eine Verbindung mit Robert Tate herzustellen.
Endlich ertönte der Summer. „Auf Apparat drei, Frau Senator.“
Sie holte tief Luft. „Robert?“
„Ja, Frau Senator.“
Ihr fiel ein, daß er in seinem Büro war, aber dann bekam die Wut wieder
Oberhand. „Was erlaubst du dir eigentlich?“
„Wieso, was ist los?“
„Das fragst du noch? Dein Artikel! Erst hörst du als guter Freund geduldig zu,
dann schreibst du deine Story darüber!“
„He, Moment mal!“ Jetzt wurde er genauso laut wie sie. „Ich gebe zu, daß unser
Gespräch mir einen Hinweis gab, aber ich habe zwei andere Leute getroffen, die
mir genau dasselbe erzählt haben.“
Allmählich beruhigte er sich wieder. „Es tut mir leid, wenn du deswegen
Schwierigkeiten hattest. Aber du mußt mir glauben, daß ich den Artikel nicht auf
deine Informationen gegründet haben, Marian.“
Sie hätte ihm so gern geglaubt, brachte es aber nicht übers Herz, ihm das zu
sagen.
Robert merkte wohl, daß sie so nicht weiterkamen. „Denk darüber nach“, schlug
er vor, „ich rufe dich später noch einmal an. Dann siehst du die Sache vielleicht
anders.“
„Schön wär’s“, sagte sie und legte auf.
Gleich nach dem Mittagessen kam ein Anruf, der erst von Lila und dann von Brian
entgegengenommen wurde. Brian stellte schließlich durch.
„Normalerweise würde ich Sie mit so etwas nicht behelligen, Frau Senator“,
erklärte er, „aber es scheint dringend zu sein, und der Mann möchte nur mit
Ihnen sprechen.“
Marian nahm das Gespräch an, bat aber Brian, es mitanzuhören.
Der Anrufer war offensichtlich nervös, aber was er sagte, klang überzeugend.
„Frau Senator, ich arbeite im zuständigen Ministerium und möchte Sie
ermuntern, bei den Untersuchungen der Altenheime nicht lockerzulassen. Da
steckt noch viel mehr dahinter, als Sie sich bis jetzt träumen lassen.“
„Könnten Sie etwas deutlicher werden?“ Marian hielt einen Stift bereit, um sich
Notizen machen zu können.
„Die leitenden Stellen in den städtischen Kontrollbehörden werden zunehmend
nicht mehr von Altenpflegern, sondern von politischen Managern besetzt“, kam
es durch die Leitung.
Marian schrieb eifrig mit. „Wissen Sie, warum?“
„Nein, aber ich versuche es herauszufinden. Ich habe den Verdacht, daß sie alle
Anweisungen erhalten, wie bei den BidwellHeimen vorzugehen ist.“ Er schwieg
einen Moment und fügte dann hinzu: „Mehr kann ich im Augenblick noch nicht
sagen.“
Aber Marian war nicht bereit, das Gespräch so einfach zu beenden. „Würden Sie
mir bitte Ihren Namen sagen, und wo ich Sie erreichen kann?“
„Lieber nicht“, bat er. „Ich möchte meine Stelle nicht gefährden und muß
vorsichtig sein. Sobald ich etwas Neues in Erfahrung bringe, rufe ich Sie an. Ich
werde mich als ,Mike’ melden.“
„Okay, Mike. Sie haben mir sehr geholfen. Aber etwas wüßte ich doch noch gern:
Weshalb rufen Sie gerade mich an?“
Er zögerte und sagte dann: „Ich habe Ihren Wahlkampf verfolgt und mir gedacht,
daß Sie jemand sind, der sich dieser Sache annehmen würde. Und ich halte Sie
für jemanden, dem man vertrauen kann.“
Marian mußte lächeln. „Das können Sie auch, Mike“, versprach sie.
Brian kam in ihr Zimmer, nachdem sie aufgelegt hatte. „So sonderbar das auch
alles klingt“, sagte er, „ich glaube ihm.“
„Ich auch“, bestätigte Marian. „Haben Sie sich Notizen gemacht?“
Er nickte.
„Dann informieren Sie bitte Joel. Und sorgen Sie dafür, daß Informationen über
Bidwell zusammengetragen werden.“
Der letzte Anruf an diesem Tag kam von Robert Tate.
„Nehmen Sie ihn entgegen?“ fragte Lila. Marian biß sich auf die Unterlippe. Sie war nicht mehr so aufgeregt wie am Morgen, wußte aber immer noch nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. „Nein“, entschied sie schließlich, „verbinden Sie ihn mit Pete.“ In irgendeinem Regierungsgebäude hier in dieser Stadt saß ein Mann, der seine Stelle riskierte, um den Zuständen in den Altenheimen auf den Grund zu gehen. Das Opfer, das sie bringen mußte, war nur gering: sich nicht mit einem Reporter einzulassen, der sie so verwirrte, daß sie ihre Urteilsfähigkeit verlor. Das war sie ihren Wählern schuldig. Sie durfte nichts verraten. Sie hatte ein Amt übertragen bekommen, und das würde sie nach besten Kräften erfüllen, ohne sich ablenken zu lassen. Würde Robert das verstehen? Konnte er es verstehen? Traurig sah sie auf das Telefon herab. Er mußte ihre Absicht erkannt haben, als sie das Gespräch mit ihm nicht annahm.
7. KAPITEL Graue, trostlose Herbsttage spiegelten Marians Stimmung wider. Wenn Robert Tate sie im Büro anrief, ließ sie das Gespräch von Lila oder Pete entgegennehmen. Rief er sie zu Hause an und lud sie zum Essen ein, so erfand sie irgendwelche Ausreden oder behauptete, daß sie übers Wochenende zu Lisa nach Hause fuhr. Nach ein paar Wochen gab er seine Versuche auf. Eines Tages erhielt sie eine Einladung besonderer Art. Marian stürzte zum Telefon, um Lisa anzurufen. „Was hältst du davon, mit mir zu einer Party des Präsidenten zu gehen?“ Lisa war begeistert, und Marian freute sich, daß sie ihrer Tochter eine solche Möglichkeit bieten konnte. Wen hätte sie auch schließlich sonst mitbringen können? Robert? Damit alles wieder von vom anfing? Also war Lisa ihre Begleitung. Marian holte sie vom Flughafen ab. Sie wird erwachsen, dachte sie erschrocken, als sie ihre Tochter über die Absperrung hinweg umarmte. Und ich versäume so viel! Am nächsten Tag brachen sie frühzeitig auf, um Kleider zu kaufen. Lisa entschied sich für ein kurzes geblümtes Seidenkleid. Marian erstand ein leuchtendrotes Baumwollkleid mit weiten Ärmeln. Lisa drängte sie, auch noch den teuren Wildledergürtel zu kaufen, mit dem das Kleid in der Boutique ausgestellt war. „Es gibt dem Kleid seine besondere Note“, belehrte sie ihre Mutter. „Es ist sonst nämlich ein bißchen konservativ.“ „Um so besser“, sagte Marian und holte ihr Scheckbuch hervor. „Genau so etwas habe ich gesucht.“ Sie war mit ihrer Wahl immer noch zufrieden, als sie am Abend vor dem Weißen Haus aus dem Taxi stieg. Lisa sah sich begeistert um. Wie von Zauberhand wurde die Eingangstür geöffnet und ein Diener in Livree geleitete sie hinein. In einem kleinen Zimmer neben dem Empfangsraum legten sie ihre Mäntel ab und stiegen dann die Treppe empor. Lebhaftes Geplauder empfing sie dort. Hübsch gekleidete Menschen standen in Grüppchen beisammen, und mitten im Raum hatte sich eine lange Schlange gebildet, die zum Präsidenten und seiner Gattin hinführte. „Komm“, sagte Marian. „Stellen wir uns an und bringen wir die Begrüßung hinter uns.“ Der Präsident war im GästeEmpfangen geübt, und so dauerte es nicht lange, bis Marian und Lisa für den Händedruck an der Reihe waren. Dann wanderten sie durch die Räume, das Rote, das Blaue und das Grüne Zimmer, in denen Speisen und Getränke aus verschiedenen Gegenden der Vereinigten Staaten angeboten wurden. Sie schlenderten in den großen Saal zurück, wo der Sozialminister Marian ansprach. Nachdem sie ein paar höfliche Worte ausgetauscht hatten, fragte sie ihn nach dem Stand der AltenheimUntersuchung und erfuhr, daß es keine neuen Ergebnisse gab. „Es sieht fast so aus, als würde die Arbeit sabotiert“, meinte der Minister besorgt. Marian nippte an ihrem Cocktail. „Hier ist wohl nicht der passende Ort, um darüber zu sprechen, Herr Minister, aber vielen Dank für die Information.“ Lisa hatte sich inzwischen zum Saalausgang begeben und winkte ihr von dort aus heftig zu. „Mama“, rief sie, als Marian in Hörweite gekommen war, „sieh mal, wer da ist!“ Gehorsam warf Marian einen Blick in den angrenzenden Raum. Auf einem blumengeschmückten Podium stellte gerade eine Band ihre Instrumente auf. Links auf der Bühne stand ein großer Konzertflügel – und Robert Tate schlug ein
paar Akkorde an. War es wirklich schon fast zwei Monate her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte? Zwei Monate ohne sein Lachen, seine Worte, seine Berührungen? Die Zeit hatte ihr jedoch nicht geholfen, Abstand zu ihm zu gewinnen, das wurde Marian jetzt wieder in aller Klarheit bewußt. Sie war noch nicht soweit, daß sie ihn wiedersehen konnte, schon gar nicht in aller Öffentlichkeit. „Komm doch, Mama“, drängte Lisa, die nicht ahnen konnte, was in ihrer Mutter vorging, und zog sie einfach hinter sich her. Als sie am Podium haltmachten, sah Robert auf. „Hallo, Lisa“, begrüßte Robert sie lächelnd. „Und Marian.“ Er nickte ihr etwas steif zu. „Wie kommen Sie denn hierher?“ fragte Lisa neugierig. „Das ist doch eine Party für Kongreßmitglieder.“ „Ich spiele gelegentlich in einer Band“, erklärte Robert. „Und nachdem der Pianist krank geworden ist, bat mich der Präsident, für ihn einzuspringen.“ Er lachte. Ein blonder, junger Mann trat zu ihm ans Klavier. Robert legte ihm die Hand auf die Schulter. „Darf ich vorstellen? Mein Sohn Andrew. Andrew, das sind Frau Senator McNamara und ihre Tochter Lisa.“ Sie begrüßten sich, dann wandte sich Robert wieder an seinen Sohn. „Führe Lisa doch an das kalte Büfett, das wir vorhin entdeckt haben. Ich muß mich jetzt noch etwas einspielen.“ Bereitwillig machte sich der Junge auf den Weg, und Lisa lief strahlend vor Freude neben ihm her. „Ich lasse dich dann besser auch allein“, sagte Marian. Doch Robert hielt sie zurück. „Wieso bist du mir ausgewichen?“ Er sprach so scharf, daß Marian zusammenzuckte. „Ich bin dir nicht ausgewichen“, behauptete sie. „Ich hatte nur so schrecklich viel zu tun.“ „Du weichst mir schon wieder aus!“ Marian wollte widersprechen, aber Robert hatte sich schon wieder dem Klavier zugewandt. „Ich möchte später mit dir reden. Jetzt muß ich mich wirklich aufs Spielen konzentrieren.“ Er schlug ein paar Akkorde an. Verwirrt kehrte Marian in den großen Saal zurück, der sich inzwischen gefüllt hatte. Na großartig, dachte sie, jetzt habe ich auch noch Lisa verloren. Sie ging durch alle Räume und wartete ein paar Minuten am kalten Büfett, aber von den beiden jungen Leuten war nichts zu sehen. Musik erklang, und Marian folgte der Richtung, aus der sie kam. Beharrlich schob sie sich an den begeistert lauschenden Zuhörern vorbei, bis sie freien Blick aufs Podium hatte. Robert wirkte etwas blaß, wie Marian fand. Es war das erstemal, daß sie ihn wirklich nervös erlebte. Aber als sein Einsatz kam, schien alle Anspannung von ihm abzufallen. Leicht und sicher flogen seine Hände über die Tasten. Die Musik hatte ihn jetzt gefangengenommen. Er beugte sich vor und zurück, und während er mit dem rechten Fuß das Pedal trat, klopfte er mit dem linken den Takt. Alle Leute um sie herum genossen die Musik, nur Marians Interesse galt ausschließlich Robert Tate. Als sein Solo zu Ende war und stürmisch Applaus aufbrandete, erwachte er aus seiner Versunkenheit und dankte dem Publikum mit einem leichten Kopfnicken. Die Band hatte ihr Spiel beendet, doch der unablässige Applaus forderte eine Zugabe von Robert. Schließlich setzte er sich noch einmal ans Klavier, und Marian zuckte zusammen, als die ersten Töne erklangen: Es war das Regentropfenprelude von Chopin, dasselbe Stück, das er in jener Nacht bei ihr zu Hause gespielt hatte.
Was wäre gewesen, wenn sie die Nacht zusammen verbracht hätten? Aber das
konnte sie sich jetzt nicht mehr ausmalen, die Folgen waren zu kompliziert. Es
war besser so wie es gekommen war. Oder?
Marian verließ den Raum. Ich sollte auf Robert warten und ihm sagen, wie gut er
gespielt hat, dachte sie. Nein, sie brachte es nicht fertig, ihm jetzt
gegenüberzutreten. Außerdem mußte sie ja Lisa finden.
Für einen Augenblick lehnte sie sich an eine Marmorsäule und schloß erschöpft
die Augen.
„Sie waren großartig, Mr. Tate“, hörte sie eine Stimme direkt hinter sich.
Erschrocken fuhr Marian herum und sah Robert auf sich zukommen. Er mußte
Leute begrüßen und sich für begeistertes Lob bedanken. Keinen Moment ließ er
sie dabei aus den Augen.
Dann stand er neben ihr und musterte sie von Kopf bis Fuß, als sollte er eine
genaue Personenbeschreibung von ihr anfertigen.
„Ich muß mit dir reden“, sagte er schließlich. „Komm, suchen wir uns ein Ecke,
wo wir ungestört sind.“
Er nahm sie am Ellbogen und führte sie die Treppe hinunter zum Eingang. Die
Halle mit den Marmorwänden war kühl und nicht so strahlend hell erleuchtet wie
die oberen Räume. Sie schritten einen roten Teppich entlang bis zur
gegenüberliegenden Wand, und dort, unter dem Porträt einer Präsidentengattin
aus dem 19. Jahrhundert, die Marian nicht kannte, ließ Robert sie endlich los.
„Ich frage dich noch einmal, Marian: Warum bist du mir ausgewichen?“
Marian vermied es, seinem Blick zu begegnen. Ihre Gründe kamen ihr jetzt
bedeutungslos und lächerlich vor, und sie wußte nicht, was sie ihm antworten
sollte.
„Dir war die Klatschgeschichte in der ,Washington Post’ peinlich. Und dann kamst
du dir verraten vor, als ich meinen Artikel über die AltenheimAffäre schrieb,
obwohl er genau das bewirkte, was du wolltest: Joel Gottlieb wurde aktiv. Aber
dir wurde das alles zu gefährlich, und deshalb bist du mir aus dem Weg
gegangen, wolltest nicht einmal mehr mit mir sprechen. War es so, Marian?“,
fragte er energisch.
„Ja“, gab sie leise zu.
Robert packte sie an der Schulter und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. „Hast
du denn überhaupt nicht daran gedacht, wie mir zumute war, wenn ich dich
anrief und an Pete verwiesen wurde? Was ich fühlte, als ich mir eine Absage nach
der anderen holte? Hast du dir nie überlegt, wie sehr mich das verletzten mußte,
oder war dir das gleichgültig?“
Er sah ihr in die Augen, als stünde dort die Antwort geschrieben, und fügte dann
heiser hinzu: „Ist es denn so lange her, Marian, daß du schon vergessen hast,
wie es ist, mit einem Mann zusammen zu sein?“
Mit einer einzigen kraftvollen Bewegung umschlang er sie und zog sie an sich.
Nein, Robert, wollte sie protestieren und stemmte sich gegen seine breite Brust.
Die Party würde bald vorbei sein, und dann würden die Gäste herunterkommen,
um ihre Mäntel zu holen.
Aber er achtete nicht auf ihren Widerstand, und ihr Protest erstarb ihr auf den
Lippen. Robert küßte sie mit einer Heftigkeit, die sie zwar in ihm vermutet,
jedoch noch nie erlebt hatte. Dann, als sie seine Zunge fühlte, war es ihr plötzlich
ganz gleichgültig, ob jemand sie beide entdeckte. Sie erwiderte seinen Kuß und
gab sich ganz seinen Zärtlichkeiten hin.
Marians Knie drohten unter ihr nachzugeben; sie mußte sich an einer Säule
anlehnen. Atemlos sah sie Robert an.
Er zog sie erneut an sich. „Andrew ist das Wochenende über bei mir.“
„Und ich habe Lisa zu Besuch.“ Das Stimmengemurmel von oben wurde lauter, Schritte hallten auf der Treppe. Robert ließ Marian los, sah ihr aber unverwandt in die Augen. „Ich würde jetzt gern sagen: ein andermal. Aber das habe ich schon einmal vorgeschlagen, und dann habe ich umsonst gewartet.“ Ohne Zögern versprach Marian: „Diesmal wird es ein anderes Mal geben.“ Er lächelte, peinlich darauf bedacht, ihr nicht zu nahe zu kommen. „Die Gäste brechen auf. Komm, wir schauen nach den Kindern.“ Sie fanden die beiden im Gespräch vertieft auf einem antiken Sofa im Roten Zimmer. „Wir haben schon alles ausgemacht“, teilte Lisa ihnen mit, sobald sie ihre Mutter und Robert erblickte. „Ja“, fiel Andrew ein, noch ehe die beiden etwas erwidern konnten. „Für morgen ist schönes Wetter angesagt, und wir haben beschlossen, daß wir alle zusammen rausfahren und ein Picknick veranstalten.“ Robert lächelte Marian über die Köpfe der beiden Teenager hinweg zu. „Da müssen wir uns wohl fügen“, meinte er. „Wenn schon alles beschlossen ist!“ Robert machte einen glücklichen Eindruck. Es ist wie eine Befreiung, dachte Marian, als Robert die Stadt hinter sich gelassen hatte und über die Landstraße fuhr. Die Sonne schien an diesem herrlichen Spätsommertag. Marian kurbelte das Fenster noch ein Stück herunter, um den lauen Wind im Gesicht zu spüren. „Sagt Bescheid, Kinder, wenn es euch zu sehr zieht“, rief sie nach hinten. Vom Rücksitz kam keine Antwort. Marian warf einen Blick über ihre Schulter und lächelte. Lisa und Andrew waren ganz und gar von ihrer Unterhaltung in Anspruch genommen. Robert zwinkerte ihr zu, und Marian wußte, daß auch er sich darüber freute, daß ihre Kinder dabei waren, Freundschaft zu schließen. Nach weiteren zwanzig Minuten Fahrt hielten sie an einem einsam gelegenen, wunderschönen Waldstück. „Wenn wir hier durchgehen, kommen wir zu einem Wasserfall“, sagte Andrew zu Lisa, als sie aus dem Wagen stiegen. „Komm, ich zeig ihn dir.“ Robert machte den Kofferraum auf und holte den vollgepackten Picknickkorb heraus. Dann wies er mit dem Kinn zu Andrew und Lisa, die sich schon ein ganzes Stück entfernt hatten. „Wollen wir unseren Führern folgen?“ Langsam gingen sie hinter den beiden her. Marian mußte beim Anblick des jungen Pärchens lächeln. „Für Teenager ist das Leben doch viel einfacher“, sagte sie. „Ich glaube nicht, daß die beiden dir darin zustimmen würden“, wandte Robert ein. „Vermutlich nicht“, gab sie zu. „Aber trotzdem, für junge Leute ist Liebe noch etwas ganz Unkompliziertes.“ „Das kann sie für Erwachsene auch sein.“ Mit seiner freien Hand strich Robert zart über Marians Wange. „Unser Leben ist sicherlich kompliziert, aber das heißt nicht, daß auch unsere Liebe kompliziert sein muß. Ich sehne mich schon lange nach dir, und ich glaube, dir geht es ähnlich. Was ist daran kompliziert?“ „Vielleicht liegt es an dieser Stadt“, sagte sie, „oder an meinem Amt. Oder daran, daß ich wirklich vergessen habe, wie es ist, mit einem Mann zusammen zu sein. Einfach ist es jedenfalls nicht.“ Robert nahm den schweren Picknickkorb in die andere Hand und legte seinen Arm um Marian. „Vergiß, daß du Senatorin bist und ich Reporter. Heute sind wir ganz einfach Eltern, die mit ihren Kindern einen Sonntagsausflug machen. Wir
werden niemanden treffen, den wir kennen.“
„Woher willst du das wissen?“
„Andrew hat die Stelle hier entdeckt, und wir sind noch nie einer Menschenseele
begegnet.“
„Also gut“, versprach Marian. „Tun wir so, als wären wir nichts als Eltern.“
„Und als nächstes“, schlug Robert vor, „vergessen wir, daß wir Eltern sind, und
tun so, als wären wir nur – ein Paar.“
„So geht das also“, sagte Marian lächelnd, und ihr Herz begann heftig zu klopfen.
Andrew und Lisa hatten sich auf einem großen Felsen niedergelassen, der
Aussicht auf den Wasserfall bot. Robert reichte seinem Sohn den Picknickkorb
hinauf und half Marian, den steilen Felsen zu erklettern.
Oben richtete sie sich auf und atmete in tiefen Zügen die frische Waldluft ein.
„Herrlich“, rief sie aus. Unten stürzte der Wasserfall in die Tiefe, und die Sonne
glitzerte auf dem schäumenden Wasser.
„Ich hab’ Hunger“, verkündete Andrew. „Kommt, wir packen aus.“
Gemeinsam breiteten sie eine Art kaltes Büfett auf dem Felsen aus, so daß sich
jeder seine eigenen Brote richten konnte. Dazu gab es Obst, Säfte und Wein und
zum Nachtisch kleine, hübsch dekorierte Törtchen. Der Schokoladenguß wurde in
der Sonne weich, und auch die Cremefüllung klebte ihnen an den Fingern.
„Kann ich eine Serviette haben?“ bat Lisa.
Robert stöhnte. „Ich wußte doch, daß wir etwas vergessen haben! Da wird uns
wohl nichts anderes übrigbleiben, als die Finger abzulecken.“ Scherzhaft hielt er
Marian seinen Zeigefinger hin.
Sie nahm die Herausforderung an, fuhr mit der Zunge um seinen süßen,
klebrigen Finger, saugte sich an ihm fest, als wollte sie Robert beweisen, was sie
alles fertigbrachte. Ihre Kühnheit überraschte sie, aber gleichzeitig fühlte sie sich
merkwürdig erregt.
Andrew stand auf und klopfte sich die Knöchel ab. „Ich habe einen Drachen
mitgebracht“, sagte er zu Lisa. „Hilfst du mir, ihn steigen zu lassen?“
Lisa sprang bereitwillig auf.
„Einen Augenblick“, sagte Robert. „Wir sollten eine Zeit ausmachen, wann wir
uns wieder treffen. Es ist jetzt halb eins. Sagen wir: um drei? Am Waldrand beim
Wagen?“
„Okay“, Andrew warf einen prüfenden Blick auf seine Uhr. „Bis dann!“
Robert wandte sich Marian zu. „Was würdest du gern machen? Eine Decke
ausbreiten und ein Sonnenbad nehmen?“
„Ja, ich glaube, das wäre genau das richtige“, sagte Marian mit strahlenden
Augen. Sie sammelte die Reste des Picknicks ein und packte sie in den Korb. „Ich
habe dir noch gar nicht gesagt, wie gut du gestern gespielt hast. Es war
außergewöhnlich gut. Hat dich der Präsident daraufhin angesprochen?“
Er nickte. „Ja. Er meinte, wir wären gar nicht so schlecht, wie er zunächst dachte.
Und dann sagte er, wenn ich mein erstes Konzert in New York hätte, sollte ich
nicht vergessen zu erwähnen, daß ich seine Entdeckung sei.“
Marian lächelte. Sie freute sich für ihn.
„Und du?“ fragte Robert. „Hast du mit ihm gesprochen?“
„Ach, nur ganz kurz.“
„Worüber?“
Die Frage kam so überraschend, daß Marian zögerte. Ihr fiel wieder jener
Nachmittag ein, an dem sie zu redselig gewesen war. Aber Robert erkannte ihr
Dilemma.
„Ich gehe immer davon aus, daß das, was du mir erzählst, inoffiziell ist, so lange
du nicht ausdrücklich das Gegenteil sagst“, versicherte er ihr. „Und bevor ich
einen Artikel über etwas schreibe, worüber du mich informiert hast, laß ich es
dich wissen.“
„Danke“, sagte sie leise. „Er hat lediglich gefragt…“
„Lassen wir das“, unterbrach er sie. „Vergiß nicht: Heute bist du keine
Senatorin.“
So war es Marian am liebsten. Gemeinsam gingen sie zum Wagen zurück, und
sie genoß jeden Augenblick. Die Sonne, das Vogelgezwitscher, ihre Hand in
seiner.
Es war lange her, seit sie sich so beschützt gefühlt hatte. Nach Toms Tod glaubte
sie, darauf verzichten zu können. Jetzt war sie unabhängig, aber gerade weil sie
Roberts Schutz nicht benötigte, war es schön, sich zumindest so zu fühlen.
Behütet. Geborgen.
„Andrew ist ein netter Junge“, sagte sie unvermittelt.
„Ja“, stimmte Robert zu. „Trotz all meiner Schwierigkeiten mit Claudia – dafür
bin ich dankbar.“
„Und du bist sicher, daß ich ihm meine unschuldige Tochter anvertrauen kann?“
neckte Marian.
Er strich ihr mit dem Finger über die Nase. „Sie ist bei ihm vermutlich sicherer,
als ihre Mutter es bei seinem Vater ist.“ Damit öffnete er den Kofferraum, stellte
den Picknickkorb hinein und holte eine Decke hervor.
Marian sah ihn erstaunt an. „Du hast dich ja bestens vorbereitet.“
„Man weiß nie, wann man eine Decke gebrauchen kann“, parierte er. „Komm,
jetzt suchen wir uns ein passendes Fleckchen.“
Robert führte Marian einen Waldpfad entlang, der vom Wasser wegführte.
Schließlich kamen sie an eine von Büschen abgeschirmte Stelle, an der es noch
üppig grünte, während die bereits gefallenen Blätter eine weiche Unterlage
boten. Dort breiteten sie ihre Decke aus.
Robert streckte sich aus und legte sich den Arm über die Augen, um sie vor der
Sonne zu schützen. Marian setzte sich neben ihn, stützte den Kopf auf die
angezogenen Knie und dachte nach.
Als Politikerin war sie daran gewöhnt, schnell zu denken und zu sprechen und
sich klar und verständlich auszudrücken. Aber wenn es um ihre Gefühle für
Robert Tate ging, war es nicht leicht, die richtigen Worte zu finden.
„Du hattest recht“, sagte sie schließlich.
„Inwiefern?“ fragte er schläfrig.
„Daß ich dir ausgewichen bin.“
Er nahm den Arm von den Augen und begann, ihr den Rücken zu streicheln. „Und
warum bist du mir ausgewichen?“
„Du hast die Gründe gestern ja selbst schon genannt. Ich hatte Angst. Angst, daß
man mich in meinem Amt nicht ernst nehmen würde. Angst, du könntest mich
nur benutzt haben.“
„Warum hast du nicht mit mir darüber gesprochen?“ Robert berührte die nackte
Haut unter ihrem Pullover.
Marians Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Ich habe wohl gedacht, daß es
so am einfachsten wäre. So ähnlich wie ein gewisser Jemand, der eines Morgens
ohne Abschied aus meinem Haus verschwand.“
Robert griff an die Stelle auf ihrem Rücken, an der er ihren BHVerschluß
vermutete. Aber sie hatte am Morgen entschieden, keinen BH anzuziehen. Sie
hatte mit kühlerem Wetter gerechnet, und da wären ihre Brüste unter einer
dicken Jacke verborgen gewesen.
„Du hast recht, ich habe dir gegenüber genauso gehandelt“, gab er zu und setzte
sich auf. „Aber es stimmt nicht, daß das der einfachste Weg war. Es hat mir sehr
weh getan.“ „Das ist mir inzwischen klar geworden“, sagte sie, „und es tut mir leid.“ Robert zog sich den Pullover aus. „Heiß“, erklärte er, und dann funkelte es in seinen Augen. „Soll ich?“ fragte er und faßte nach dem Saum ihres Pullovers. Sie nickte stumm. Langsam schob er ihren Pullover nach oben und fuhr ihr dabei mit den Händen seitlich am Körper entlang. Als er ihr schließlich den Pulli über den Kopf gezogen hatte, erwiderte Marian bereitwillig seinen Kuß. Robert küßte sie mit aller Zärtlichkeit, folgte mit der Zunge den Konturen ihres Mundes, ließ den Finger folgen, strich ihr zart über die Wangen und den Hals entlang. „O Marian“, flüsterte er, „du bist so schön.“ Er umarmte sie, streckte sie sanft auf der Decke aus und streichelte ihren flachen Bauch. Marian schloß die Augen. Wie sie so dalag, mit ausgebreiteten Armen und wirrem Haar, kam sie sich sehr sexy vor, wie elektrisiert von der Sonnenwärme und Roberts Berührungen. Unter dem leichten Blusenstoff fuhr er über ihre weiche, weiße Haut, bis er bei ihren Brüsten angelangt war und die Brustwarzen sich steil aufrichteten. Dabei beugte er sich vor und küßte sie erneut, leidenschaftlicher jetzt, verlangender. Warum habe ich mich so lange dagegen gesträubt? fragte sich Marian. Ihre Gründe kamen ihr fadenscheinig vor, und Washington erschien ihr unendlich weit entfernt. Nur der Mann in ihren Armen zählte noch, und diesmal würde sie nicht wieder loslassen. Liebkosend strich sie über seinen muskulösen Oberkörper, den kräftigen Rücken und wieder über die Brust mit den empfindlichen Brustspitzen. „Du kleine Waldnymphe“, murmelte er und schob die Finger unter ihren Gürtel. Marian stöhnte leise, als ihr bewußt wurde, was alles sie sich in ihrem Leben hatte entgehen lassen. Ihre Körper bewegten sich im selben Rhythmus, ihre Zärtlichkeiten wurden kühner. Robert hob den Kopf, um ihr in die Augen zu sehen, und entdeckte darin das gleiche Begehren, das er selbst empfand. Konnten sie es wagen? Ein schriller Vogelruf war zu hören, das Knacken von Ästen und dann… „Mama!“ Marian schoß hoch und zupfte ihre Bluse zurecht. Am Rande der kleinen Lichtung stand Lisa und machte ein empörtes Gesicht. Andrew, ein paar Schritte hinter ihr, gab sich alle Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Robert versuchte, seiner Stimme einen normalen Klang zu geben. „Da seid ihr ja! Wie spät ist es denn?“ „Zwanzig nach drei“, sagte Andrew. „Wir haben zuerst am Auto auf euch gewartet, aber dann machten wir uns doch auf die Suche. Wir dachten, ihr hättet euch vielleicht, äh, verlaufen.“ „Wir kommen gleich“, versprach Robert. „Geht schon mal vor zum Wagen.“ Als die beiden verschwunden waren, sahen sich Marian und Robert an und fingen an zu lachen. „Dabei weiß ich überhaupt nicht, was ich mit meiner empörten Tochter anfangen soll“, sagte Marian schließlich. „Wie ist das bei dir?“ Er verzog das Gesicht. „Mir war auch schon mal behaglicher zumute.“ Sie standen auf und brachten ihre Kleidung in Ordnung. Dann zog Robert sie für einen letzten Kuß an sich. „Bis zum nächstenmal“, sagte er. „Und wehe, du überlegst es dir inzwischen wieder anders!“ Wenige Minuten später waren sie am Auto angelangt. Aber während die Hinfahrt wie im Flug vergangen war, schien der Rückweg eine Ewigkeit zu dauern. Lisa
schmollte, und Marian machte sich Sorgen um sie. Robert und Andrew versuchten ein Gespräch aufrechtzuerhalten, gaben aber bald auf. Endlich waren sie vor Marians Wohnung angelangt. Weit und breit war kein Parkplatz frei, also hielt Robert nur kurz an und ließ den Motor laufen. „Vielen Dank, Mr. Tate, für den Ausflug“, sagte Lisa eisig. Noch bevor er etwas erwidern konnte, war sie schon ausgestiegen und zum Haus gelaufen. Er wandte sich Marian zu. „Ich wäre gern noch mit euch essen gegangen, aber ich muß Andrew ins Internat zurückfahren. Und morgen früh fliege ich gleich mit der ersten Maschine nach New York.“ „Vielleicht ist es so am besten“, sagte Marian. Sie dachte an Lisa, besann sich dann aber ihrer eigenen Interessen. „Wann kommst du zurück?“ wollte sie wissen. „Ende der Woche. Ich ruf dich an.“ Er gab ihr einen Kuß auf die Stirn. „Laß dich inzwischen von Lisa nicht unterkriegen.“ „Bestimmt nicht.“ Marian drückte ihm die Hand und winkte hinterher, als der Wagen davonfuhr. Dann ging sie ins Haus. Lisa hatte sich auf die Couch geworfen und blickte mit finsterer Miene aus dem Fenster. Marian setzte sich zu ihr. „Willst du denn den Rest deines Besuchs in dieser Stimmung verbringen? Los, heraus mit der Sprache.“ „Du hast Daddy nicht mehr lieb!“ warf Lisa ihr vor. Marian blieb ruhig. „Natürlich liebe ich deinen Vater, Lisa.“ „Aber wie kannst du dich dann so aufführen? Mit einem anderen Mann?“ Es fiel Marian nicht leicht, die richtigen Worte zu finden. „Dein Vater ist jetzt seit fünf Jahren tot. Er fehlt mir sehr, und er wird immer ein Teil von uns sein, von dir und von mir.“ Sie holte tief Luft. „Aber mein Leben ist noch nicht zu Ende. Du weißt, wie einsam ich nach Daddys Tod gewesen bin. Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, daß ich aus meinem Schneckenhaus hervorkrieche.“ „Und deswegen wirfst du dich dem nächstbesten gutaussehenden Mann an den Hals“, höhnte Lisa. „Es muß schön für dich sein, Mama, so ein tolles Leben zu führen, wenn deine Tochter aus dem Weg ist.“ Damit sprang sie auf, rannte ins Gästezimmer und verriegelte die Tür hinter sich. Ihre Worte hatten Marian getroffen, aber sie wollte sich den Tag nicht verderben lassen. Sie holte sich ein Glas Weißwein aus der Küche, streckte sich auf der Couch aus und rief sich den Ausflug ins Gedächtnis zurück. Mit geschlossenen Augen lag sie da und stellte sich vor, daß Robert sie küßte. Sie fühlte wieder seine Hände, seinen warmen Atem auf ihrer Haut. Und immer wieder dachte sie daran, wie der Nachmittag hätte enden können, wenn nicht alles ganz anders verlaufen wäre.
8. KAPITEL Jeanne folgte Marian in ihr Büro und schloß die Tür. „Hier“, sagte sie und reichte
ihrer Chefin eine Handvoll Notizzettel. „Das sind die Anrufe von heute morgen.
Lila hat mich gebeten, Ihnen das zu geben.“
Marian sah die Zettel durch und lächelte, als sie eine Notiz über den Anruf von
„Robert Tate, ,New York Times’“ fand. Als sie aufsah, merkte sie, daß Jeanne nur
mit Mühe ein Grinsen unterdrückte.
Einen Augenblick lang überlegte Marian, dann sagte sie: „Darf ich Sie etwas
fragen, Jeanne? Von Frau zu Frau?“
„Natürlich.“
„Bin ich verrückt, daß ich mich mit ihm einlasse?“
Jeanne schüttelte den Kopf. „Durchaus nicht. Er ist ein sehr attraktiver Mann.
Aber Sie müssen sich in acht nehmen.“
„Vor wem? Vor ihm?“
„Eigentlich mehr vor den anderen. Aber auch vor ihm. Passen Sie auf sich auf,
Frau Senator.“
„Das werde ich, Jeanne, und vielen Dank.“
Marian schloß die Tür hinter ihrer Assistentin und sortierte die Zettel. Einiges
würde Brian für sie erledigen, die Presseangelegenheiten gingen an Pete. Um das
übrige mußte sie sich selbst kümmern. Aber zuerst…
Sie griff zum Telefon und wählte. Eine junge Männerstimme meldete sich: „Guten
Tag, hier ist die ,New York Times’.“
„Ich hätte gern Robert Tate gesprochen.“ Marian mußte sich Mühe geben,
sachlich und geschäftsmäßig zu sprechen.
„Einen Augenblick, ich sehe nach, ob er im Haus ist.“
Wenn nicht, nahm sie sich vor, dann lege ich einfach auf. Aber da kam auch
schon seine Stimme durch die Leitung: „Ja, hier Tate.“
„Hallo, Robert, ich bin’s, Marian.“
Sein eben noch etwas ungeduldiger Tonfall änderte sich schlagartig. „Marian!
Gerade wollte ich noch einmal versuchen, dich zu erreichen.“
„Hast du heute abend Zeit?“ Vor Aufregung war ihr die Kehle wie ausgetrocknet.
„Wollen wir heute abend zusammen essen?“
„Gern“, sagte er. „Ich habe heute abend Gott sei Dank keinen Termin. Soll ich
uns irgendwo einen Tisch reservieren lassen?“
„Ach nein“, wehrte Marian ab. „Ich glaube, es ist gemütlicher bei mir zu Hause.“
Es war ihm anzumerken, wie sehr er sich freute. „Schön. Und wann?“
„So gegen halb acht?“
„Also bis dann.“
„Auf Wiedersehen“, flüsterte sie und legte auf.
Als es am Abend klingelte, eilte Marian aufgeregt zur Tür und öffnete sie. Ein
tiefes Glücksgefühl überkam sie, als sie Robert vor sich stehen sah, in einem Arm
einen Blumenstrauß, im anderen eine Tüte.
„Es hat so lange gedauert“, sagte er. „Fast eine Woche!“ Ohne den Mantel
auszuziehen, umschlang er sie mit allem, was er in den Händen hielt, zog sie mit
Blumen und Päckchen an sich heran und küßte sie. Marian legte ihm die Arme
um den Hals und verschränkte die Hände hinter seinem Nacken, so fest, als
müßte sie befürchten, ihn zu verlieren.
„Das ist für dich.“ Robert reichte ihr den großen Strauß. „Und das ist für uns“,
damit drückte er ihr eine Weinflasche in die Hand und schlüpfte endlich aus dem
Mantel.
Marian sog den zarten Duft der Blumen ein. „Ich stelle den Strauß gleich ins
Wasser“, sagte sie. Aber als sie die Schränke durchsuchte, stellte sie fest, daß sie
keine Vase hatte und statt dessen mit einem leeren Gurkenglas vorliebnehmen
mußte.
„Es fehlen immer noch ein paar Sachen von zu Hause“, entschuldigte sie sich,
während sie den Strauß auf den Wohnzimmertisch stellte.
Robert sah sich bewundernd um. „Dafür, daß du erst so kurze Zeit hier wohnst,
hast du es dir aber recht gemütlich eingerichtet. Du hast wirklich eine Begabung
für Innenarchitektur.“
„Hab1 ich das nicht schon einmal gehört?“ neckte Marian.
Robert wurde ernst. „Ist Lisa wieder in Washington?“
„Ja, sie ist am Dienstag zurückgeflogen.“
„War es ein angenehmer Besuch?“
Marian zögerte. „Die letzten beiden Tage verliefen weniger gut. Es fällt Lisa
schwer, einen neuen Mann in meinem Leben zu akzeptieren.“
„Sie hat Angst, daß ich ihren Vater verdränge?“
„Ja.“ Marian war überrascht, daß Robert das Problem sofort erkannt hatte.
„Das tut mir leid.“ Er schloß Marian in die Arme, diesmal eher tröstend als
leidenschaftlich. Und als er sie an sich drückte, schien der Schmerz zu
schwinden, und die Verwirrung, die Lisa bewirkt hatte, legte sich.
Sie gab ihm einen flüchtigen Kuß aufs Kinn. „Keine Angst, Lisa kommt schon
darüber hinweg.“ Das würde sie wohl müssen, aber Marian war doch nicht so
ganz überzeugt davon.
Wohin sollte das alles führen? Robert begehrte sie, und sie wußte jetzt, daß auch
sie ihn begehrte, sehnsüchtig und voller Leidenschaft. Aber was würde nach
einigen Nächten sein? Sechzehn Jahre lang hatte Robert Tate sich an keine Frau
gebunden. Wie konnte sie da erwarten, daß er sich jetzt änderte?
„Zeit zum Abendessen“, sagte sie, um die Stimme in ihrem Inneren zu
übertönen. Sie band sich ein sauberes Küchenhandtuch um und begoß das
brutzelnde Hähnchen ein letztesmal mit Ingwersoße, dann gab sie das
Tiefkühlgemüse in den Mikrowellenherd.
„Wenn das der Senat sehen könnte“, neckte er, „dann würden deine Anträge
noch schneller durchkommen.“
Marian nahm das Küchenhandtuch ab und drohte ihm damit.
„Hilfe!“ rief er lachend. „Nein, im Ernst, ich habe heute nachmittag bei der
Senatssitzung zugehört. Dein Antrag war gut, und du hast ihn sehr überzeugend
vorgetragen. Kein Wunder, daß du dich durchgesetzt hast.“
„Vielen Dank, mein Herr.“ Marian deutete einen Knicks an. „Dann sorg mal dafür,
daß dein Chefredakteur davon erfährt.“
„Zu Diensten, Madam.“ Robert sah ihr zu, wie sie einen Leuchter mit vier langen
weißen Kerzen auf den Tisch stellte und das elektrische Licht ausschaltete. Sie
war eine eindrucksvolle Politikerin, aber ihre Wirkung als Frau war noch stärker,
zumindest auf ihn. Eine Frau mit tiefen Empfindungen, dessen war er sich sicher.
Aber war er ihrer Liebe wert?
Marian reichte ihm einen Teller. „Du siehst so aus, als dächtest du angestrengt
über etwas nach, Robert.“
„Ach, es ist nichts Besonderes“, sagte er rasch und nahm ein Stück Hühnerbrust.
Er kaute langsam, genoß den würzigen Geschmack und sagte dann: „Ich erinnere
mich an das Foto von dir und deinem Mann in Paris. Das kann ich hier nirgends
entdecken.“
Einen Augenblick lang war es sehr still im Zimmer. „Ich habe es Lisa überlassen“,
erklärte Marian schließlich. „Sie hatte kein Bild von Tom und mir.“ Nach einer
Pause fügte sie noch hinzu. „Außerdem wollte ich versuchen, über das
Vergangene hinwegzukommen.“ Er langte über den Tisch und ergriff ihre Hand. „Ist es dir gelungen, Marian?“ – „Ja“, erwiderte sie fest. Aber es war nicht leicht gewesen. Robert stand auf und hob Marian hoch, als hätte sie kein Gewicht. Dann umschloß er ihr Gesicht mit seinen kräftigen Händen und erforschte ihren Mund, ihre Nase, erst das linke und dann das rechte Ohr, schließlich ihren Hals. Mit einer Hand strich er ihr über die Brust, so zart, daß er nur die Spitzen berührte, während er mit der anderen Hand ihr Hinterteil umspannte und sie ganz dicht an sich preßte. Marian stöhnte auf. Ihr Verlangen nach Robert ließ sich nicht mehr unterdrücken. Sie brauchte ihn, sehnte sich nach ihm mit einer Leidenschaft, die ganz anders war als die Gefühle, die Tom in ihr geweckt hatte. Jetzt grübelte sie auch nicht mehr darüber nach, ob es vielleicht nur für eine Nacht war. Sie liebte Robert, und nur das zählte. Er küßte sie in den Ausschnitt ihrer Bluse und ließ seine Lippen dann nach unten wandern. Bei ihren Brüsten angelangt, hielt er inne und sah ihr in die Augen. „Ich möchte dich lieben, Marian“, flüsterte er heiser. „Willst du das auch?“ Marian brachte kein Wort heraus, aber sie nickte, und Robert nahm sie an der Hand und führte sie aus dem Wohnzimmer. Sie zeigte ihm, welche Tür zum Schlafzimmer führte, knipste die Nachttischlampe an, die den Raum in ein gedämpftes Licht hüllte, und deckte dann das Bett ab. Er zog sie an sich, bis ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Dann griff er an ihr Ohrläppchen und löste den großen goldenen Ohrring, den sie trug. Der zweite folgte, und bevor Robert die Ringe beiseite legte, streichelte er ihren Nacken, ihren Hals. Während er ihre Bluse aufknöpfte, nahm sie ihm die Krawatte ab und öffnete ihm das Hemd. Robert befreite sie von der Bluse und legte sie sorgfältig über den Schaukelstuhl neben dem Bett. Dann streifte er ihr die weiche Samthose ab und strich dabei ihre Beine entlang, bis er an ihren Füßen angelangt war. Er kniete nieder und zog ihr die Schuhe aus. Als Marian seine warme, rauhe Zunge an ihrem bloßen Knöchel spürte, mußte sie sich an seinen Schultern festhalten, um nicht den Halt zu verlieren. Sie durchwühlte sein dichtes Haar, denn so sehr sie seine Zärtlichkeiten genoß, so wollte sie ihn doch auch anfassen, ihn spüren. „Du zitterst ja“, stellte Robert fest und küßte ihr den Oberschenkel. „Schnell ins Bett, bevor du dich erkältest.“ Sie schlüpfte unter die leichte Decke und legte sich auf die Seite, damit sie ihm beim Ausziehen zusehen konnte. Die Szene kam ihr sonderbar bekannt vor. Seit dem 4. Juli hatte sie immer wieder davon geträumt. Jetzt stand er nackt vor ihr, und sie wußte nun, daß seine Kleidung seiner Figur nicht geschmeichelt hatte. Von den breiten Schultern über die Brust, auf der sich weiche dunkle Haare kräuselten, bis zur Taille und weiter nach unten war alles schlank und fest. Es war offensichtlich, daß er seinen Körper pflegte und trainierte, ohne davon besessen zu sein. „Das ist nicht fair“, beschwerte sich Marian, als Robert zu ihr ins Bett kam. „Du bist nackt, und ich habe immer noch etwas an.“ „Das müssen wir sofort ändern.“ Er setzte sich über sie, griff nach dem Verschluß ihres BH und zog ihn ihr aus. Dann neigte er den Kopf und liebkoste mit der Zunge ihre Brustspitzen, bis sie hart wurden. Aber Marian wollte mehr von Robert spüren. Sie zog seinen Kopf an ihre Brust und fühlte zum erstenmal das leichte Kratzen seiner Bartstoppeln auf ihrer zarten Haut. Als er nach unten langte und ihr das Höschen abstreifte, war es endlich so,
wie sie es sich ersehnt hatte. Jetzt konnten sich ihre Körper ungehindert aneinanderdrängen. „Ich möchte, daß es schön für dich wird, Marian“, flüsterte er. „Es wird schön… mit dir.“ Die Zärtlichkeiten, die sie dann austauschten, machten alle Worte überflüssig. Sie fanden immer neue Stellen, die es zu entdecken, zu streicheln und zu erregen galt, ihr Herzschlag beschleunigte sich, und ihre Leidenschaft riß sie wie eine Woge mit sich davon. Wie konnte ich nur so lange ohne das leben? fragte sich Marian. Wie konnte ich überhaupt ohne Robert leben? Seine Küsse erweckten nie gekannte Gefühle in ihr. Sie drängte sich an ihn, fieberte vor Verlangen. Ein letztesmal suchte Robert ihren Blick, sah sie fragend an. „Liebe mich“, bat sie. Marian hob sich ihm entgegen und schlang die Beine um ihn. Jetzt waren sie eins, und ihre atemlosen, leidenschaftlichen Küsse ließen keinen Raum mehr für vernünftige Überlegungen und Grübeleien. All das war ausgelöscht. Es war unendlich lange her, daß Marian mit einem Mann zusammen war, und sie hätte es am liebsten bis in alle Ewigkeiten ausgedehnt. Aber die Spannung in ihr wurde so groß, daß sie es nicht mehr aushielt. Sie barg ihr Gesicht an Roberts Schulter und ließ sich gehen. Alles, was sie gewaltsam zurückgedrängt hatte, brach sich Bahn, und als hätte Robert nur auf dieses Signal gewartet, löste sich auch seine Spannung, und sie teilten den Höhepunkt miteinander. Erschöpft lagen sie sich in den Armen. Marian streichelte seinen Kopf, der an ihrer Brust ruhte, und vergrub ihre Lippen in seinem Haar. Auch das hatte sie fast vergessen gehabt, dieses wunderbare Gefühl der vollständigen Ermattung und die warme Sicherheit, zueinander zu gehören. Bei Tom jedenfalls hatte sie diese Sicherheit gehabt. Und Robert? Gehörte er jetzt zu ihr? Ohne daß Marian sich den Grund erklären konnte, lief ihr plötzlich eine Träne übers Gesicht, gerade in dem Moment, als Robert die Augen aufschlug. „Ich habe dir doch nicht weh getan, Marian, oder?“ Er küßte ihr die Träne von der Wange. „O nein.“ „Was ist es dann?“ „Es war… es war so wunderschön… Und mir war auf einmal, als hätte ich jetzt den letzten Rest der Vergangenheit begraben.“ Sie schluckte. „Entschuldige bitte.“ „Was gibt es denn da zu entschuldigen?“ „Daß ich an Tom gedacht habe, ausgerechnet jetzt.“ „Das ist doch nur verständlich.“ Robert schlang die Arme um sie und hielt sie ganz fest. „Du bist eine wunderbare Frau.“ Entspannt kuschelte sich Marian in seine Arme und schreckte hoch, als ein leises Piepsignal ertönte. „Das hat jetzt gerade gefehlt.“ Verärgert griff Robert nach seiner Armbanduhr und stellte das Signal ab. „Es tut mir leid, aber ich muß in der Redaktion anrufen. Heute abend ist allerhand los, und weil ich deine Telefonnummer nicht hinterlassen wollte, mußte ich versprechen, mich zu melden. Darf ich telefonieren? Es geht ganz schnell.“ „Nebenan im Arbeitszimmer ist ein Telefon.“ Robert schwang sich aus dem Bett und verließ das Zimmer, ohne sich etwas überzuziehen. Marian hörte ihn sprechen und auflegen. Dann kam er langsam zurück und setzte sich zu ihr.
„O Marian, es tut mir ja so leid, aber es hat sich etwas ergeben, und jetzt muß ich in die Redaktion, um meinen Artikel für die Spätausgabe umzuschreiben.“ Marian merkte, daß er sich nur mühsam beherrschte. „Schon gut“, sagte sie und strich ihm über den Arm. „Wir sind eben vielbeschäftigte Leute, du und ich. So etwas kommt vor, aber die Zeit, die wir miteinander haben, wird doch dadurch nur noch kostbarer, oder?“ Er lächelte zu ihr hinunter. „Ja“, sagte er und küßte sie. „O ja.“ Marian und Robert verbrachten nun häufig die Abende bei ihr zu Hause, aßen zusammen, unterhielten sich bis spät in die Nacht, sahen fern oder lasen in ihrer Pflichtlektüre, die kein Ende zu nehmen schien. Aber Marian lehnte es ab, mit Robert auf Parties zu gehen. „Du bist albern“, neckte er. „Ich bin nur vorsichtig“, verbesserte sie ihn. „Du behandelst mich wie einen Aussätzigen“, beschwerte er sich. „Noch schlimmer“, parierte sie. „Wie einen Reporter.“ Nach einiger Zeit jedoch konnte Robert sie dazu überreden, gelegentlich mit ihm auszugehen. Sie wählten kleine Restaurants am Stadtrand, wo das Essen gut war und doch weniger Gefahr bestand, daß sie Bekannte trafen. Wenn sie ins Kino gingen, kamen sie erst, wenn es schon dunkel war, und schlüpften durch den Seitenausgang hinaus, bevor das Licht wieder anging. Robert betrachtete das als Spiel, für Marian war es eine Notwendigkeit. Dabei machte ihr diese Geheimnistuerei zu schaffen. Sie liebte Robert und hätte das am liebsten aller Welt mitgeteilt, aber sie hatte immer noch zu große Bedenken, wie ihre Umwelt reagieren würde. Nachts, wenn er neben ihr schlief, lag sie oft wach und fragte sich, wie lange es noch so weitergehen konnte. Und wenn sie beisammen saßen, redeten sie über alles mögliche, über ihre Kinder, über Politik, den Senat und die Presse. Niemals sprachen sie über ihre Zukunft. Sie schreckten beide davor zurück, diesen schwankenden Boden zu betreten. Nach vielen Mühen war es dem Komitee für soziale Angelegenheiten endlich gelungen, einen Vertreter des Sozialministeriums zu einer Stellungnahme zu bewegen. Derek Harvey, ein Schützling von Staatssekretär Evans, der im Ministerium für die Altenheime zuständig war, schien sehr darauf bedacht, nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Chef in ein günstiges Licht zu stellen. Der Staatssekretär sei, wie er versicherte, „sehr besorgt über die unzureichende Versorgung der Altenheimbewohner.“ Dem Ministerium sei es jedoch nicht möglich, eine Liste all der Heime zu erstellen, die sich bei der letzten Inspektion als mangelhaft erwiesen hatten. Die Untersuchungen würden von den einzelnen Gemeinden durchgeführt, da ließen sich die Ergebnisse nicht so rasch in Washington sammeln. Und wenn man der Ansicht sei, daß die Regierung nicht schnell genug eingriff, so müsse er dagegenhalten, daß es um die Versorgung vieler Senioren ging, die man nicht auf einen bloßen Verdacht hin auf die Straße setzen könne. Alan Smythe und die anderen Komiteemitglieder taten ihr Bestes, Harvey konkrete Zusagen abzuringen, aber er war nicht festzunageln und hatte auf jede Frage eine rasche, nichtssagende Antwort parat. Marian unternahm einen letzten Versuch. „Mr. Harvey, wir sind den unzureichenden Bedingungen in den Heimen unsererseits nachgegangen und haben dabei festgestellt, daß es sich zu einem Großteil um Heime von ein und demselben Unternehmen handelte – Bidwell. Haben Sie vielleicht eine Erklärung dafür?“
„Nein, Frau Senator“, sagte Harvey, ohne mit der Wimper zu zucken, „das habe
ich nicht.“
Zurück in ihrem Büro, ließ Marian sich erschöpft in ihren Schreibtischsessel
sinken. Das Privattelefon klingelte. Verärgert nahm sie den Hörer ab.
„Ja?“ fragte sie ungeduldig.
„Hoppla“, sagte Robert. „Soll ich auflegen und es noch mal versuchen?“
„Entschuldige.“ Sie seufzte. „Ich bin sehr enttäuscht über das Gespräch im
Ministerium.“
„Du arbeitest zuviel“, stellte Robert fest. „Da muß ich für deine Erholung sorgen.
In fünfzehn Minuten hole ich dich unten am Eingang ab.“
„Aber Robert, ich kann doch hier nicht weg!“
„Natürlich kannst du das“, beharrte er. „Deine Sitzung ist vorbei, jetzt hast du
Pause. Und falls du in den nächsten zwei, drei Stunden einen Termin haben
solltest, verschieb ihn einfach. Ein bißchen Entspannung wird dir gut
bekommen.“
Marian warf einen Blick auf ihren Tagesplan. Tatsächlich, sie hatte den frühen
Nachmittag frei.
„Okay“, sagte sie.
„Na wunderbar. Ich breche sofort zu dir auf. Du erkennst mich an meinem Taxi.“
Marian lachte und legte auf. Sein freundliches Wesen tat ihr gut.
Pünktlich auf die Minute hielt ein Taxi vor dem Eingang, und Marian stieg zu.
Robert drückte ihr die Hand, wartete aber, bis der Fahrer ein paar Straßen
zurückgelegt hatte, ehe er sie küßte.
„Wohin fahren wir?“ fragte sie, als er ihren Mund wieder freigab.
„Das soll eine Überraschung sein.“
„In dein Apartment?“
Robert lächelte nur und schwieg.
Bald stellte sich heraus, daß sie richtig vermutet hatte. Marian war glücklich
darüber. Sie war erst wenige Male bei Robert gewesen. Er bewohnte ein
praktisches und doch gemütliches DreiZimmerApartment ganz in der Nähe
seiner Redaktion. Es war die ideale Unterkunft für einen Junggesellen, der viel
unterwegs war, und Robert hatte ihr einmal erzählt, daß zwei seiner Kollegen im
selben Haus wohnten.
Mit dem Fahrstuhl fuhren sie nach oben. Als sich die Tür hinter ihnen schloß,
beugte sich Robert vor, und Marian fühlte seine Zunge an ihrem Ohr. Es war wie
ein Versprechen auf das, was kommen würde, ein prickelnder Schauer überlief
ihren Körper.
Robert schloß seine Wohnung auf und trat beiseite.
„Du bist verrückt.“ Marian lachte bei dem Anblick, der sich ihr bot.
Mitten auf dem blauen Teppich im Wohnzimmer war ein kariertes Tischtuch
ausgebreitet. Daneben standen Roberts Picknickkorb und eine Kühlbox. Aber
damit noch nicht genug. Er hatte seinen zwei Meter hohen Feigenbaum aus der
üblichen Ecke hervorgeholt und auch alle übrigen Zimmerpflanzen um das
Tischtuch herum aufgestellt.
„Ich habe mir schon gedacht, daß ich dich nicht dazu bewegen könnte, mit mir
zum Wasserfall zu fahren“, erklärte er vergnügt, „und da wollte ich eben den
Wald zu dir bringen.“
„Ich liebe dich“, sagte sie und schlang ihm die Arme um den Hals.
Er zog sie an sich. „Die Frage ist jetzt nur, ob wir zuerst essen oder uns gleich
auf die Decke legen?“
Marian ließ ihre Fingerspitzen über seine Brust gleiten. „Eine schwere
Entscheidung“, seufzte sie, „aber ich bin hungrig.“
„Also essen“, sagte Robert, zog Jackett, Krawatte und Schuhe aus, bevor er sich
im Schneidersitz auf dem Tischtuch niederließ. Marian folgte seinem Beispiel. Er
holte kaltes Brathuhn, knuspriges französisches Weißbrot und eine Schüssel
Kartoffelsalat aus dem Picknickkorb und goß eisgekühlten Wein in zwei Gläser.
„Was hättest du eigentlich gemacht, wenn ich nicht gekommen wäre?“ wollte
Marian wissen.
„Dann hätte ich eben alles allein aufgegessen oder dich zum Dinner eingeladen.“
Er legte ihre Füße in seinen Schoß und streichelte sie. Marian spürte seine
Liebkosung das ganze Bein hinauf und noch höher. Sie schloß die Augen.
„Genau das habe ich heute gebraucht“, sagte sie, „nach diesem schrecklichen
Morgen.“ Dann richtete sie sich auf und sah ihn an. „Du warst doch dabei. Was
hältst du von der Stellungnahme des Ministeriums?“
„Du lieber Himmel.“ Robert stöhnte. „Kannst du denn niemals abschalten?“
„Bitte, Robert. Du weißt, dieses Gespräch war wichtig für mich.“
„Na gut“, gab er nach. „Wenn du es wissen willst: Ich halte Harvey für einen
ganz ausgekochten Lügner, und unter diesen Umständen hat euer Komitee sein
Bestes getan.
Aber wir haben immer noch nicht erfahren, was dahintersteckt und warum das
Ministerium die Sache so verzögert.“
Marian seufzte. „Ich weiß.“
„Komm“, sagte er leise, faßte sie am Kinn und stellte mit der anderen Hand ihr
Glas ab. „Das ganze Picknick“, er küßte sie aufs linke Ohr, „ist dazu gedacht“, er
küßte sie aufs rechte Ohr, „daß du dich entspannst.“ Er küßte sie in die
Halsgrube.
„Und du meinst, daß ich dabei Hilfe brauche?“ murmelte sie an seiner Schulter,
während er die Hände langsam über ihren Oberkörper gleiten ließ.
„Ja“, bestätigte er, indem er sein Streicheln lange genug unterbrach, um ihr in
die Augen sehen zu können, „das meine ich.“
Marian machte sich an Roberts Hemdknöpfen zu scharfen. „Wenn ich dich nicht
getroffen hätte, wäre aus mir eine prüde alte Senatsdame geworden.“
„Niemals“, widersprach Robert und drückte sie sacht auf den Boden hinunter. „In
dieser Brust“, er umfaßte ihre Brüste und küßte den Spalt, den er zwischen ihnen
geschaffen hatte, „schlägt das Herz einer leidenschaftlichen Frau.“ Sie lächelte.
Im Augenblick fühlte sie sich nicht sehr leidenschaftlich, wenigstens noch nicht.
Statt dessen beobachtete sie, wie er sich auszog. Als erstes entblößte er seine
breite Brust, an die Marian sich nach dem Liebesspiel so gern lehnte.
Dann streifte er die Hose ab. Und jetzt, im Nachmittagslicht, konnte sie erneut
seine langen, kräftigen Beine bewundern und, als er sich umwandte, das feste,
runde Gesäß, das zum Streicheln geradezu verlockte.
Marian tastete nach den kleinen Knöpfchen auf ihrer weißen Seidenbluse, aber
Robert hielt sie zurück.
„Nein, laß mich.“ Er knöpfte sie mit geübten Fingern auf, und gleich darauf
landete ihr Rock neben der Bluse auf dem Fußboden. Dann küßte er Marian auf
den Brustansatz und öffnete den Verschluß ihres BH, der sich diesmal vorne
befand.
„Es ist schön, dich nackt bei Tageslicht zu sehen.“
„Du siehst mich doch fast jeden Morgen“, erinnerte sie ihn.
„Aber dann“, erklärte er, „haben wir keine Zeit für uns!“
Nachdem er sie ausgezogen hatte, lehnte er sich zurück und genoß den Anblick,
den sie bot.
„Jetzt kommt der Nachtisch“, neckte Marian und fröstelte unter dem kühlen
Lufthauch der Klimaanlage. „Los, deck mich zu.“
Lächelnd legte er sich auf sie. Sie rief seinen Namen und fuhr mit den Fingern durch sein dichtes Haar, kämmte es nach allen Seiten durch und zog dabei sein Gesicht immer näher an sich heran. Es war ihre Mittagspause, aber sie überstürzten nichts. Sie hielten sich in den Armen, voller Staunen über ihre Liebe und über das Glück, das sich ihnen bot. Robert folgte mit der Zunge dem Schwung ihrer Lippen. Er kannte ihren Mund so genau, daß er ihn im Schlaf hätte zeichnen können, und doch erregte ihn diese Zärtlichkeit genauso wie beim erstenmal. Marian biß vorsichtig in seine Zunge – ein Signal unter Liebenden, daß es an der Zeit ist, das Vorspiel zu beenden. Sie bog ihm ihre Hüften entgegen, und er drang in sie ein, langsam, damit sie beide den Augenblick voll auskosten konnten. Mit jeder Bewegung meinte er, sie besser kennenzulernen, sie noch inniger zu lieben. Und sie war bereit für ihn, nahm ihn auf, leidenschaftlich und ganz. Als schließlich, unter dem zarten Duft der Zimmerpflanzen um sie herum, der Augenblick der Erfüllung kam, war es überwältigend neu und einmalig für sie, wieder ganz anders als die übrigen Male. „Zwei Stunden“, stellte Robert fest, nachdem sie gemeinsam geduscht hatten und sich gegenseitig mit seinen flauschigen, weichen Badetüchern abgerubbelt hatten. „Kein Mensch wird merken, daß du weg warst.“ „Und was ist mit dir?“ fragte Marian. „Vielleicht ist in der Redaktion inzwischen die Sensation des Jahrhunderts gemeldet worden.“ „Dann muß die Sensation eben ohne mich auskommen“, meinte er gelassen. Sie tippte mit der Zehe an das schmutzige Geschirr, das um das Tischtuch herum auf dem Fußboden stand. „Sollen wir nicht noch aufräumen?“ „Nein, laß nur. Ich habe meine Putzfrau gebeten, heute nachmittag vorbeizukommen.“ Sie zogen sich an. „Wann fliegst du nach Michigan?“ fragte Robert. „Gleich morgen früh. Ich möchte das Wochenende mit Lisa verbringen, und dann habe ich noch ein paar Tage in meinem Wahlkreis zu tun.“ „Ich muß am Montag wieder nach New York“, sagte er, als er sich die Krawatte umband, „ich weiß noch nicht, für wie lange.“ In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. „Das wird die Putzfrau sein.“ Robert sah auf die Uhr. „Sie kommt wohl heute etwas früher.“ Wenn Marian später an das zurückdachte, was nun passierte, konnte sie sich selbst nicht verstehen. Sie hätte ja nur ins Badezimmer gehen müssen, um sich fertig anzuziehen. Vielleicht hatte das Liebesspiel sie träge gemacht. Oder es lag an der Sicherheit, mit der Robert seine Putzfrau angekündigt hatte. Während er die Tür öffnete, blieb Marian jedenfalls auf der Tischdecke knien und knöpfte gerade ihre Bluse zu. „David!“ „Hallo, Robert!“ Entsetzt sah Marian zu dem jungen Mann auf, der im Türrahmen stand. Mit einer Hand raffte sie ihre Bluse zusammen, während sie mit der anderen ihr zerzaustes Haar zu ordnen versuchte. Es war unmöglich für Robert, sich dem Mann so in den Weg zu stellen, daß er den Blick auf Marian verdeckte. Daher konnte er nur so tun, als wäre sie nicht vorhanden. „Ja, was möchtest du?“ fragte er, um Gelassenheit bemüht. „Ich fliege heute abend nach London“, erklärte David und grinste dabei von
einem Ohr zum andern, „aber ich kann meinen Adapter für die europäischen Steckdosen nicht finden. Hast du einen, den du mir leihen könntest?“ Robert schüttelte den Kopf. Marian vermochte nicht zu beurteilen, ob er die Bitte wirklich nicht erfüllen konnte oder nur den Mann loswerden wollte. „Dann werde ich mich wohl naß rasieren müssen.“ Er bog sich an Roberts Schulter vorbei zur Seite. „Sie müssen Senator McNamara sein. Guten Tag, ich bin David Elliott von der ,Times’.“ Marian nickte nur. Sie brachte kein Wort heraus. „War sonst noch etwas, David?“ fragte Robert ungeduldig. „Nein“, erwiderte er keck. „Entschuldige, daß ich euer… äh… Picknick gestört habe.“ Dann sah er, wie Robert die Fäuste ballte, und zog sich hastig zurück. Robert schloß die Tür hinter ihm, drehte sich aber nicht zu Marian um. „Es tut mir leid.“ Fahrig suchte sie in ihrer Handtasche nach einer Bürste. „Ist er ein Freund von dir?“ wollte sie wissen. „Das nicht gerade.“ Endlich wandte er sich von der Tür ab und trat zu Marian. „Er ist einer von den ehrgeizigen Jungreportern, von denen ich dir erzählt habe. Aber ich glaube, wir können uns auf seine Diskretion verlassen.“ Sie sah ihn ungläubig an. „Ich hoffe sehr, daß du recht hast, Robert. Aber ich glaube, dein Vertrauen in Reporter ist entschieden größer als das Vertrauen, das ich aufbringe.“
9. KAPITEL Die Reisetasche in der Hand, knipste Marian das Licht im Flur an. Sonst freute sie sich nach jeder Reise auf ihre gemütliche Stadtwohnung. Nicht so an diesem Tag. An diesem Tag konnte sie sich über gar nichts freuen. Das Wochenende mit Lisa war ohne Streit verlaufen, aber Marian mußte sich eingestehen, daß sie das Thema „Robert Tate“ tunlichst vermieden hatten. Ansonsten war alles reibungslos verlaufen, bis Pete sie am Dienstagmorgen angerufen hatte. „Du stehst mal wieder in der Zeitung“, hatte er gesagt. Seinem Tonfall war schon zu entnehmen gewesen, daß es etwas Unangenehmes war. „Liest du es mir vor?“ bat sie. „Es steht im ,Stadtgeflüster’“, begann Pete. Marian wurde äußerst unbehaglich zumute. Das „Stadtgeflüster“ war eine reichlich boshafte Washingtoner Klatschzeitung, die vom Präsidenten abwärts von jedermann gelesen wurde. „Die Schlagzeile“, fuhr Pete fort und räusperte sich, „lautet: ,Spielgefährten in der Mittagspause’.“ Marian stöhnte. Pete las vor: ,„Wie verbringen Senatsmitglieder ihre Mittagspause? Marian McNamara, die Abgesandte von Michigan, zog sich nach der Vormittagssitzung mit Robert Tate zurück, dem bestaussehenden Journalisten der ,Times’. Speisten sie in einem der vornehmen Restaurants der Stadt? O nein, Hebe Leser, mit so etwas Gewöhnlichem gaben sich die beiden gar nicht erst ab. Statt dessen veranstalteten sie ein Picknick auf dem Fußboden seines Apartments. Und der Spaß endete offenbar auch keineswegs beim Essen…“‘ Pete hatte aufgehört zu lesen. Marian schwieg. Ihre Wangen glühten, und die Hand, mit der sie den Hörer hielt, wurde feucht. Am liebsten wäre sie ins Bett gekrochen, hätte sich die Decke über den Kopf gezogen und wäre nie wieder nach Washington zurückgekehrt. „Falls du nichts dazu zu sagen hast“, meinte Pete spitz, „solltest du dir schleunigst etwas einfallen lassen. Oder hast du vergessen, was Ende der Woche auf dich zukommt?“ „Was denn?“ fragte Marian müde. „Das Interview mit Marvella Prescott.“ In ihren Schläfen begann es zu hämmern. Sie schloß erschöpft die Augen. Marvella Prescott. Zuständig für die Frauenseite der „Freien Presse“. Eine erfahrene Journalistin mit einem riesigen Leserkreis, der sich vor allem an ihrer Fähigkeit ergötzte, hochstehende Persönlichkeiten bloßzustellen. Wenn Marcella Prescott jetzt in Washington war, würde ihr diese Klatschspalte auf keinen Fall entgehen. Marian riß sich zusammen. „Jetzt ist es passiert“, sagte sie. „Wir können nichts mehr daran ändern.“ Aber Pete ließ nicht locker. „Und wie konnte das passieren?“ „Das muß von David Elliott kommen“, erklärte sie. „Er klingelte, als wir uns gerade fertigmachten. Robert dachte, es sei seine Putzfrau, und öffnete ahnungslos die Tür.“ „Oder Robert hat die Meldung selbst durchgegeben“, mutmaßte Pete mit eisiger Schärfe. „Das ist völlig ausgeschlossen, Pete.“ „Wie du meinst“, erwiderte er ruhig. „Aber wenn ihr zwei beisammen seid, kommt das seltsamerweise immer in die Presse.“ „Welchen Nutzen sollte Robert davon haben?“ verteidigte Marian ihn etwas
trotzig.
„Auch Journalisten haben ihre Eitelkeit“, sagte Pete. „Für Robert Tate ist es
bestimmt eine tolle Sache, mit dir zusammen zu sein. Und eine tolle Story. Er hat
vermutlich gar nichts dagegen, in der Presse mit dir in Verbindung gebracht zu
werden.“
„Ich glaube, du siehst das alles völlig falsch“, meinte sie leise.
„Also gut“, lenkte Pete ein. „Ich will dir jetzt auch keine Strafpredigt halten. Nur
fürchte ich, ich kann nicht viel tun, um den Schaden wiedergutzumachen.“
Marian dachte mit Wut an Elliot.
„Hatten Sie eine gute Reise, Frau Senator?“ wurde Marian von Jeanne in ihrem
Büro begrüßt.
„Ja, danke, jedenfalls bis die Meldung im ,Stadtgeflüster’ erschien.“
„Ja, das war wirklich Pech“, sagte Jeanne bedauernd. Sie zögerte und fragte
dann: „Haben Sie von Robert Tate seither etwas gehört?“
Marian verneinte. „Aber er hätte mich vermutlich ohnehin nicht erreichen
können.“
Jeanne verließ das Zimmer. Vor Marian lagen zwei große Stapel Briefe, die auf
Erledigung warteten. Sie begann die Post durchzusehen, entschied dann aber,
daß etwas anderes Vorrang hatte.
In ihren Unterlagen fand sie die Telefonnummer der „Times“ in New York. Die
freundliche Stimme einer Telefonistin meldete sich.
„Könnte ich bitte Robert Tate sprechen?“
„Einen Augenblick, ich verbinde.“ Es knackte in der Leitung. Sei da, flehte Marian
innerlich, ich brauche dich.
Die Telefonistin schaltete sich wieder ein. „Es tut mir leid, aber Mr. Tate ist zur
Zeit nicht in seinem Büro. Kann ich etwas ausrichten?“
„Nein, vielen Dank“, sagte Marian, und ihre Stimme zitterte leicht. „Ich rufe
später noch einmal an.“
Langsam legte sie auf und griff nach dem obersten Brief des Stapels, der als
„dringend“ gekennzeichnet war. Es handelte sich um die Bitte von
Senatsmitgliedern an ihre Kollegen, eine neue Gesetzesvorlage zu unterstützen.
„Liebe Kollegen“, diktierte sie stumm einen Antwortbrief. „Inzwischen werden Sie
den dummen Klatsch gehört haben, der mich mit Robert Tate in Verbindung
bringt. Ich möchte Ihnen versichern, daß mein Privatleben keinerlei
Auswirkungen darauf hat, wie ich mein Amt ausübe.“
Ihr Phantasiebrief wurde von einem lauten Klopfen unterbrochen.
„Ja, bitte?“
„Marvella Prescott ist hier“, meldete Pete, ohne ein Grußwort für Marian zu
erübrigen. „Bist du bereit, sie zu empfangen?“
„Nein“, stöhnte sie. „Aber führ sie herein, damit ich es hinter mich bringe.“
Sonderbar, dachte Marian, als Pete die Journalistin hereinbat. Obwohl sie soviel
Zeit mit Robert Tate verbracht hatte, fühlte sie sich Reportern gegenüber immer
noch unbehaglich. Sie hatte viel über die Zeitungsarbeit erfahren, und während
sie Robert voll und ganz vertraute, vergaß sie doch nie, daß sie bei seinen
Kollegen auf der Hut sein mußte.
„Senator McNamara.“ Marvella kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu.
„Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mrs. Prescott. Ich bewundere Ihre Artikel
schon seit langem.“ Möglichst dick auftragen, dachte Marian. Vielleicht hilft das.
„Und ich bewundere Sie, Frau Senator, schon seit Ihrer Wahlkampagne.“
Marian fragte sich, wie lange die gegenseitige Bewunderung wohl andauern
mochte. „Nehmen Sie doch bitte Platz“, sagte sie und wies auf die Couch.
Das Interview begann völlig harmlos. Marvella befragte Marian über ihren Umzug
nach Washington, ihre Arbeit und über die wichtigsten Ereignisse im Senat.
Marian fand die Journalistin überraschend sympathisch und wußte, daß das
gefährlich sein konnte.
Wie gefährlich, sollte sich gleich herausstellen.
„Und jetzt erzählen Sie doch mal“, begann Marvella, als plauderte sie mit einer
alten Schulfreundin. „Unsere Leser sind ja so gespannt darauf, etwas mehr über
Ihre Romanze mit diesem ,Times’ Reporter zu erfahren.“
Marian gab sich Mühe, Haltung zu bewahren. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß
das für die ,Freie Presse’ von Interesse ist.“
„Aber Frau Senator, das ist doch eine tolle Story. Wir aus Michigan entsenden
eine gutaussehende Witwe nach Washington, und in kurzer Zeit hat sie sich einen
der begehrtesten Männer geangelt. Natürlich interessiert das unsere Leser sehr.“
„So würde ich das nicht ausdrücken“, sagte Marian abweisend.
„Robert Tate ist aber nun mal ein hochinteressanter Mann, und nicht leicht zu
haben. Jedenfalls laut Statistik im WashingtonMagazin über die ,zwanzig
begehrtesten Junggesellen’. Das wußten Sie gar nicht? Sehen Sie, Frau Senator,
ich bereite meine Interviews gründlich vor.“
Sie kramte einen Zeitungsausschnitt aus ihren Unterlagen hervor. „Hier, vor zwei
Jahren. Ich zitiere: ,Attraktiv, geistreich und ohne feste Bindungen. Die Frau, der
Robert Tate einst in die Falle geht, wird einen guten Fang machen.’ Jetzt verraten
Sie uns doch mal Ihr Geheimnis, Frau Senator.“
„Ich habe“, sagte Marian betont, „keineswegs ,einen Fang gemacht’.“
Marvella lächelte hinterhältig. „Sie erklären also die Meldung im ,Stadtgeflüster’
für falsch?“
Jetzt gab es keinen Ausweg mehr. „Dazu möchte ich mich nicht äußern.“
Marvella klappte triumphierend ihr Notizbuch zu. „Ich denke, ich habe jetzt
genug Material. Vielen Dank, Frau Senator, für die Zeit, die Sie mir geopfert
haben.“
Marian streckte die Hand aus und brachte ein schwaches Lächeln zustande.
„Keine Ursache, Mrs. Prescott. Auf Wiedersehen.“
Marian fragte sich, was ein Reporter in einer solchen Situation wohl empfand.
War er begeistert von der Story, die er herausgefunden hatte? Fühlte er sich
mächtig? Schadenfroh? Zufrieden? Oder tat es ihm ein klein wenig leid um den
Interviewpartner, den er dem vernichtenden Urteil der Öffentlichkeit preisgeben
würde? Marvella empfand bestimmt kein Bedauern. Aber Robert? Marian hoffte,
daß es bei ihm anders sein mochte.
Aber wo war er überhaupt? Warum hatte er nicht angerufen? Sie brauchte ihn
jetzt so sehr.
„Ohne feste Bindungen“, fiel ihr ein. Was hatte das zu bedeuten? Und was war
von einem Mann zu halten, der auf einer Liste der „zwanzig begehrtesten
Junggesellen“ erschien?
Der Summer ertönte. „Ja?“
Jeanne hörte sich ungewöhnlich nervös an. „Frau Senator, Martin Hopkins
möchte Sie sprechen. Kann ich ihn hereinbitten?“
„Natürlich“, sagte Marian. Hopkins’ Besuch erstaunte sie. Sie hatte wenig Kontakt
mit dem Vorsitzenden ihrer Partei und konnte sich nicht vorstellen, was es so
Wichtiges gab, daß er persönlich zu ihr kam.
Hopkins nickte Marian kurz zu, während er eintrat, und blieb stehen, obwohl sie
ihm einen Stuhl anbot. Unter dem Arm trug er die „New York Times“. Kein gutes
Zeichen, schoß es Marian durch den Kopf.
„Kommen wir gleich zur Sache“, begann Martin. „Sind Sie für den Artikel in der
gestrigen ,Times’ verantwortlich?“
Marian holte tief Luft. „Ich weiß gar nicht, wovon Sie sprechen, Martin. Ich bin erst gestern nacht nach Washington zurückgekommen.“ Er hielt ihr die Zeitung vor die Nase und wies auf eine Schlagzeile. „Wieder etwas über die Altenheime. Eine üble Geschichte.“ Der Bericht stammte von Robert Tate. Es fiel Marian schwer, sich auf den Artikel zu konzentrieren, während Martin sie unablässig beobachtete. Aber schon nach den ersten Sätzen wußte sie, worum es ging. Mike, ihr anonymer Informant, hatte einen Brief an die städtischen Aufsichtsbeamten beschafft, der sie anwies, nichts gegen die BidwellHeime zu unternehmen. Marian hatte dieses Schreiben an das Komitee weitergeleitet, ohne mit Robert darüber zu sprechen. Der Artikel enthielt genaue Angaben über die finanziellen Schwierigkeiten, in denen andere Abteilungen der BidwellGesellschaft steckten. Das erweckte beim Leser den Verdacht, daß irgend jemand im Ministerium versuchte, den Heimskandal zu vertuschen, um der Gesellschaft aus der Finanzkrise zu helfen. „Mir sind die Vorgänge teilweise bekannt. Robert Tate jedoch erhielt keinerlei Informationen von mir“, erklärte Marian entschieden. „Der Präsident ist äußerst besorgt, Marian. Unsere politischen Gegner werden uns Schwierigkeiten machen. Wir müssen herausfinden, wer die Geheimhaltung durchbrochen hat. Ich frage Sie noch einmal: Waren Sie das?“ „Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Nein“, antwortete Marian ernst. „Daß die Gesellschaft in einer Finanzkrise steckt, ist mir völlig neu. Falls die Information aus den Reihen des Komitees stammt, hat Joel Gottlieb mich nicht eingeweiht.“ „Das ist vielleicht gar keine so schlechte Idee“, meinte Hopkins anzüglich. Marian war der Verzweiflung nahe. „Ich bin genauso ratlos wie Sie, und ich werde alles tun, um herauszufinden, wer die Informationen an die Presse weitergegeben hat.“ Martin hob die Augenbrauen. „Wenn Sie Robert Tate fragen würden, das wäre uns wirklich eine große Hilfe.“ „Ich werde mein Bestes tun.“ „Na schön“, sagte der Parteivorsitzende und verließ sie ebenso abrupt, wie er gekommen war. Marian fühlte sich noch einsamer als zuvor. Ihre einzige Hoffnung war Robert. Und Mike müßte wieder einmal anrufen, dachte sie. Jedes Gespräch mit ihm bestätigte sie in ihren Vorhaben. Sie stand vom Schreibtisch auf und ging in Brians Zimmer hinüber. „Gibt es etwas Neues von Mike?“ fragte sie. „Ja, schon“, murmelte er. Marian wurde ungeduldig. „Und zwar was?“ Brian wich ihrem Blick aus. „Er sagte, daß er vermutlich nicht mehr anrufen würde.“ „Was ist los?“ fragte sie entsetzt. „Ist seine Stellung in Gefahr?“ Ihr Rechtsberater vergewisserte sich, daß niemand sie hören konnte. Dann berichtete er: „Er sagte, es täte ihm leid, aber nachdem er von Ihrer Beziehung zu Robert Tate gelesen hätte, könnte er Ihnen nicht mehr vertrauen.“ „Ich verstehe.“ Marian ging in ihr Zimmer zurück und schloß die Tür. Sie mußte jetzt alleine sein. Wie hatte sie nur glauben können, daß sie für ein solches Amt geeignet war? Hätte sie doch ihren sicheren Sitz im Bezirksparlament behalten! Und warum nur hatte sie Tom nicht geglaubt, als er ihr sagte, sie könne unmöglich beides vereinbaren: ein Privatleben und ein Amt in der Politik? Das Telefon klingelte, einmal, zweimal, dreimal. Wieso nahm denn keiner ihrer
Mitarbeiter den Anruf entgegen? Plötzlich wurde ihr bewußt, daß es sich um ihren
PrivatApparat handelte.
„Marian? Bist du’s?“ vernahm sie Roberts Stimme.
„Wo hast du denn nur gesteckt?“ fuhr sie auf.
„Du warst doch diejenige, die nicht zu erreichen war. Ich habe es in den letzten
Tagen ein paarmal vergeblich versucht.“
„Hast du die Klatschspalte im ,Stadtgeflüster’ gelesen?“
Robert schwieg. „Ja“, sagte er dann. „Es tut mir so leid, Marian.“
„Das hilft mir jetzt auch nicht weiter.“ Sie umklammerte den Hörer mit beiden
Händen. „Wir müssen uns unbedingt treffen“, sagte sie, ohne selbst recht zu
wissen, warum.
„Am Montag komme ich zurück“, erinnerte er sie.
„So lange kann ich nicht warten!“
„Vor Freitag mittag komme ich hier auf keinen Fall weg“, dachte er laut, „und
dann muß ich in einer dringenden Familienangelegenheit nach New Jersey.“
Eine Weile war es still in der Leitung. Dann fuhr Robert fort: „Aber vielleicht gibt
es doch eine Möglichkeit. In St. Michaels kenne ich ein entzückendes kleines
Hotel. Dort könnte ich am Freitagabend von New Jersey aus hinkommen. Von
Washington würdest du etwa zwei Stunden brauchen. Macht dir das etwas aus?“
Marian war jetzt nicht gerade nach einem romantischen HotelTreff zumute, aber
das ließ sich nun nicht ändern. „Nein, es macht mir nichts aus.“
Robert gab ihr die Anschrift des Hotels und beschrieb ihr den Weg. „Ich weiß
nicht, wie lange es bei mir dauert. Aber ich werde kommen.“
Er wartete, und als Marian nichts sagte, fragte er besorgt: „Ist es dir recht so?
Und ist alles in Ordnung mit dir?“
„Natürlich“, versicherte sie mit erzwungener Fröhlichkeit. „Alles bestens.“
„Dann ist es ja gut“, sagte er, immer noch etwas besorgt. „Bis morgen abend
also.“
Sie legten auf, und Marian mußte an die Bilder denken, die man ihr heute von
Robert vermittelt hatte.
Der engagierte Reporter. Der begehrte Junggeselle, der keine Bindungen einging.
Und ihr Geliebter. Der erste Mann in ihrem Leben seit Tom.
Nach zwei Stunden erreichte Marian das Hotel. Es lag direkt am Wasser, und
mächtige alte Kastanienbäume säumten die Einfahrt.
Sie war froh, daß die Fahrt reibungslos verlaufen war, ohne Stau und ohne
Umleitung. Sie hätte keine Kraft mehr gehabt, um mit Pannen fertig zu werden.
Es waren die Umstände, sagte sie sich. Unglückliche Umstände, die Robert nicht
zu verantworten hatte. Und doch war ihre Beziehung die Wurzel all ihrer
Schwierigkeiten, bedrohte ihren guten Ruf und ihre politische Karriere.
Ihre Beziehung zu Robert, das wußte sie nun, ließ sich nicht geheimhalten. Sie
mußte damit rechnen, daß die Zeitungen darüber berichteten, wieder und immer
wieder. Und das würde ihre Tätigkeit im Senat ernsthaft gefährden. Sie aber
hatte sich für ein sechsjähriges Amt verpflichtet und war entschlossen, ihr Bestes
zu geben, selbst wenn das einen Verzicht auf Robert bedeutete.
Aber würde sie das ertragen können? Es mußte doch möglich sein, Privat und
Berufsleben miteinander in Einklang zu bringen. Gerade mit Robert schien das
jedoch ausgeschlossen, und dabei war er der einzige Mann, den sie begehrte.
Marian nahm ihre Reisetasche aus dem Kofferraum und schritt auf das Hotel zu.
Es war ein schönes, altes Gebäude, die Eingangshalle geschmackvoll mit
Antiquitäten dekoriert.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“ fragte der Empfangschef.
„Ja“, sagte sie. „Ich bin hier mit einem Mr. Tate verabredet…“
„Das Zimmer ist bestellt“, teilte er ihr mit, ohne in seinen Unterlagen nachsehen zu müssen. „Mr. Tate ist aber noch nicht eingetroffen. Möchten Sie inzwischen schon aufs Zimmer gehen?“ Robert muß das Hotel auf mein Eintreffen vorbereitet haben, dachte Marian und nickte. Der Empfangschef legte ihr das Gästebuch vor. „Wenn Sie sich bitte eintragen würden?“ Sie überlegte einen Moment. Sollte sie einen falschen Namen angeben? Wenn jemand die Eintragung entdeckte, konnte das erneut Schlagzeilen machen. Aber ein falscher Name würde ihr unter Umständen noch größere Schwierigkeiten verursachen. Das war unter ihrer Würde. Ein junger Mann führte sie zu ihrem Zimmer. Es war behaglich eingerichtet, mit zwei Schaukelstühlen am Fenster und einem großen Bett mit dicken Federbetten. Die Aussicht ging auf den Fluß hinaus, und der ganze Raum, Teppich, Tapete und Vorhänge, war dazu passend in blaugrauen Schattierungen gehalten. Nachdem der junge Mann gegangen war, stellte sich Marian ans Fenster und sah gedankenverloren hinaus. Wann würde Robert bei ihr sein? Sie hängte ihre Bluse in den Schrank, machte sich kurz frisch und ging hinunter in den Speisesaal. Dort setzte sie sich an einen ZweiPersonenTisch in einer ruhigen Ecke. Es hatte keinen Sinn, mit dem Essen auf Robert zu warten; sie wußte ja nicht, wann er eintreffen würde. Also bestellte sie sich ein Glas Wein und frische Krabben. Es wurde halb acht, dann acht Uhr, und noch immer ließ Robert sich nicht blicken. Schließlich stand Marian auf und ging zur Rezeption. „Hat jemand eine Nachricht für mich hinterlassen?“ fragte sie und bekam ein bedauerndes Kopfschütteln zur Antwort. Er könnte wenigstens anrufen, dachte sie. Ihre Zweifel wuchsen. Wenn er nicht bald kam, würde es zu spät sein, falls es nicht jetzt schon zu spät war. Sie ertrug es nicht, wartend im Zimmer zu sitzen. Deshalb zog sie ihren Mantel an und brach zu einem Spaziergang auf. Konzentriert sah sie auf den Weg, der am Fluß entlangführte, damit sie in der Dunkelheit nicht stolperte. Sie war schon immer vorsichtig gewesen. Mit Robert Tate allerdings war sie ein Risiko eingegangen und hatte sich dafür viel Kummer eingehandelt. Als sie zu frösteln begann, ging sie zum Hotel zurück. Der Empfangschef kam ihr gleich in der Eingangshalle entgegen. „Oh, Mrs. McNamara, wir haben schon überall nach Ihnen gesucht. Mr. Tate hat angerufen. Er läßt Ihnen ausrichten, er könne leider erst jetzt aufbrechen. Er kommt, aber es wird spät, und Sie möchten bitte nicht aufbleiben und auf ihn warten.“ Marian bedankte sich höflich. Es tat ihr leid, daß sie den Anruf verpaßt hatte, aber sie war entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. In ihrem Zimmer ließ Marian sich ein Schaumbad ein und bestellte sich über das Haustelefon ein Glas Sherry. Die Fahrt hatte sie angestrengt, und nach einem ausgiebigen Bad und einem Sherry hoffte sie, einschlafen zu können. Sie zog ein Nachthemd aus blauem Satin an, von dem sie wußte, daß es Robert gefiel. Das Bett war schon aufgedeckt, und auf den Kissen lagen zwei hübsch in Goldfolie verpackte Pralinen. Marian schlüpfte ins Bett, steckte eine Praline in den Mund und legte die zweite für Robert auf den Nachttisch. In der Nacht wurde Marian durch ein Geräusch geweckt. Ein Schlüssel wurde im Schloß gedreht, und für einen Augenblick konnte sie im Schein der Flurbeleuchtung Robert in der offenen Tür stehen sehen. Vorsichtig kam er ins
Zimmer. Obwohl er sich bemühte, leise zu sein, rempelte er gegen den Schaukelstuhl und stieß einen unterdrückten Fluch aus. „Das macht nichts“, sagte Marian schläfrig. „Ich bin wach.“ Robert setzte sich zu ihr ans Bett und knipste die Nachttischlampe an. „Ich bin ja so froh, daß ich endlich bei dir bin.“ Zärtlich hob er ihr Kinn an, zog sie zu sich heran und küßte sie. „Wie spät ist es?“ „Frag lieber nicht“, sagte er, sah dann aber doch auf die Uhr. „Gleich zwei.“ Er stand auf und ging auf das Bad zu. „Morgen früh erzähle ich dir alles.“ Morgen, dachte Marian und rollte sich auf die Seite. Wir können morgen miteinander reden, das ist früh genug. Als Robert zurückkam, fiel ihr auf, wie erschöpft er aussah. Sie beobachtete ihn dabei, wie er sich auszog. Würde sie Robert jemals aufgeben können? Sie schloß die Augen und versuchte, die quälenden Gedanken zu verdrängen. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ hörte sie ihn fragen. „Ja“, sagte sie, bemüht, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. „Natürlich.“ Robert war nicht überzeugt. Seit ihrem Telefonat machte er sich Sorgen. Er hatte so gehofft, vor Marian im Hotel sein zu können, aber die Besprechung mit den Anwälten hatte sich endlos in die Länge gezogen. Er mochte gar nicht daran denken. Robert schlüpfte zu Marian ins Bett, knipste das Licht aus, legte den Arm um sie und kuschelte sich an ihren Rücken. So waren sie schon oft miteinander eingeschlafen, und doch war es heute anders als sonst. Sie war angespannt, nervös. Er war todmüde, wußte jedoch, daß er sie so nicht einschlafen lassen konnte. Zärtlich strich er über die seidige Haut ihres Beins, fuhr mit der Hand unter den Saum ihres Nachthemds und streichelte ihren Oberschenkel. Dabei barg er sein Gesicht in ihrem Haar und ließ sich von dem Duft betören. „Ich liebe dich, Marian“, sagte er, und es klang wie ein Gebet. Seine Zärtlichkeiten erweckten in Marian nicht nur Lust, sondern auch Erinnerungen, Erinnerungen an die Leere in ihrem Leben, solange sie Robert noch nicht kannte. Vielleicht ist es das letztemal, daß wir so zusammenliegen, dachte sie. Und plötzlich überkam sie ein unsagbares Verlangen, die Erfüllung mit ihm noch einmal zu erleben, bevor er für immer aus ihrem Leben verschwand. Sie wandte sich zu ihm herum, preßte ihren Mund auf seinen und überraschte ihn mit einem ungestümen Kuß, der ihm unmißverständlich klarmachte, wie sie sich die Nacht vorstellte. Auch in Robert erwachte das Verlangen. Mit beiden Händen strich er über ihren Körper, bis er zu den zarten Rundungen ihrer Brüste kam. Er tastete über den spitzenbesetzten Stoff nach der Schleife, die das Nachthemd über der Brust zusammenhielt. Marian war nicht bereit, unter seinen Liebkosungen passiv zu bleiben. Sie streichelte seinen Rücken, den Hals und den Nacken, durchwühlte sein dichtes Haar, liebkoste die Brust und den Bauch. Das alles war ihr so vertraut, aber sie mußte alles noch einmal fühlen, damit sie wußte, daß es kein Traum gewesen war, wenn sie sich später daran erinnerte. Robert drehte sich auf den Rücken, und Marian stöhnte vor Verlangen. Mit der Zunge umkreiste er ihre Brustspitzen und glitt dann langsam nach oben, über ihren Hals und das Kinn bis zu ihrem leicht geöffneten Mund. Voller Verlangen umklammerte sie ihn mit den Beinen und zog ihn zu sich herab. Alle Müdigkeit war verflogen, als ihre Körper sich aneinanderdrängten. Sie bewegten sich im selben Rhythmus, erst langsam, dann immer schneller, bis die
Woge der Leidenschaft über ihnen zusammenschlug.
Dann war alles still. Nur das Pochen ihrer wild klopfenden Herzen waren zu hören
und das leise Rauschen des Regens, der inzwischen eingesetzt hatte.
Mühsam unterdrückte Marian die Tränen. Wie konnte sie sich Robert versagen,
nachdem er sie so glücklich machte? Wie sollte sie leben ohne seine
Zärtlichkeiten, ohne seine Liebe?
Er lag neben ihr und sah sie unverwandt an, während er sanft die Konturen ihrer
Lippen nachzog.
„Was immer auch geschieht, Marian, du sollst wissen, daß du die einzige Frau
bist, die mir etwas bedeutet.“ Behutsam drehte er sie um, so daß ihr Rücken an
seinem Bauch zu liegen kam.
Er hat verstanden, dachte Marian, bevor sie in einen tiefen Schlaf sank.
Marian erwachte, als das erste Licht des Tages ins Zimmer fiel. Robert schlief
noch. Er mußte wirklich sehr erschöpft gewesen sein.
Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, stand sie auf und schlich leise zum Fenster.
Es war ein trüber Tag. Vom Norden her zogen dunkle Wolken auf, und auf dem
grau dahinfließenden Fluß hatten sich weiße Schaumkrönchen gebildet.
Marian sah zu Robert hinüber. Haarsträhnen fielen ihm wirr in die Stirn und
gaben ihm ein jungenhaftes Aussehen. Was immer auch geschehen mochte:
Marian wußte, sie würde nie aufhören, ihn zu lieben.
Im Flüsterton bestellte sie über das Haustelefon das Frühstück. Doch der Kellner,
der kurz darauf das Tablett brachte, klopfte so laut an die Tür, daß Robert
aufwachte.
Er stöhnte und rieb sich die Augen.
Marian hatte inzwischen das Tablett entgegengenommen. „Es tut mir leid“, sagte
sie. „Ich wollte dich ausschlafen lassen.“
„Na, jetzt bin ich ausgeschlafen. Guten Morgen.“ Er stand auf.
Sie frühstückten, und dann ließ sich das Thema, das sie bisher vermieden hatten,
nicht mehr umgehen.
Robert zündete sich eine Zigarette an. „Diese Klatschmeldung im
,Stadtgeflüster’…“ begann er.
Marian zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Du kannst ja nichts dafür.“
„Doch, in gewisser Weise ist es meine Schuld.“ Sie wich seinem Blick aus, sah
durchs Fenster auf den Fluß, während er weitersprach:
„Du darfst dich von so etwas nicht unterkriegen lassen, Marian. Du stehst im
öffentlichen Leben und mußt immer damit rechnen, daß über dich geklatscht
wird. Kannst du das nicht einfach ignorieren?“
„Als man schrieb, ich hätte zu wenig Erfahrung in Washington, machte mir das
nichts aus, auch die Kritik an meinen politischen Ansichten störte mich nicht.
Aber Angriffe auf mein Privatleben sind mir unerträglich.“
„Wer hat dich denn angegriffen?“ fragte Robert ein wenig zu forsch.
„Du weißt genau, was ich meine.“ Er schien es tatsächlich nicht zu wissen, also
fuhr Marian fort: „Mit dieser Klatschspalte ist die Geschichte nicht zu Ende. Die
‚Freie Presse’ wird sie ebenfalls verbreiten, eine Journalistin hat mich schon
darüber ausgequetscht. Und die ,Freie Presse’ ist die Zeitung für Michigan,
Robert. Meine Tochter wird es lesen, meine Freunde werden es lesen und nicht
zuletzt meine Wähler werden davon erfahren. Was glaubst du, was sie von mir
denken werden?“
Die Sache machte ihr mehr zu schaffen, als er angenommen hatte. „Also, ich
bereue diese Mittagspause nicht. Und du?“
Marian überhörte diese Frage. „Das ist noch nicht alles. Mein Informant aus dem
Ministerium hat deinetwegen sein Vertrauen zu mir verloren. Und meine Kollegen
ziehen sich vor mir zurück.“
„Wann wirst du endlich anfangen, dein eigenes Leben zu leben, Marian, ohne
Rücksicht auf deine Kollegen?“
Der Hieb saß, aber gerade deshalb wurde Marian jetzt selbstgerecht. „Ich bin
Senatorin. Das bedeutet, daß ich im Interesse der Wähler auf meinen Ruf zu
achten habe. Auch die Meinung meiner Kollegen ist wichtig.“
„Das ist doch lächerlich!“
Marian fühlte sich jetzt so herausgefordert, daß sie etwas ansprach, was sie
eigentlich für sich hatte behalten wollen. „Ist es nicht merkwürdig, daß die Presse
von jeder unserer Begegnungen sofort erfährt?“
„Willst du mir unterstellen, daß ich die Zeitungen davon unterrichte?“ fuhr er sie
an. „Was denkst du eigentlich von mir?“
Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und blickte nervös zum Fenster,
gegen das ein heftiger Regen peitschte. „Außerdem habe ich ganz gewiß kein
Interesse daran, jedesmal deine Launen zu ertragen, sobald eine
Zeitungsmeldung über uns erschienen ist.“
„Launen!“ brach es aus ihr heraus. „Du hast ja keine Ahnung, was ich
durchmachen müßte! Der Parteivorsitzende persönlich erschien in meinem Büro.
Er untersagte mir jede weitere Information an dich.“
„Das tut mir leid.“ Robert nahm sie in die Arme, aber Marian dachte jetzt nur an
politische Belange.
„Von wem hast du diese Informationen, Robert?“
„Du weißt, daß ich dir das nicht sagen kann“, sagte er überrascht.
„Warum nicht? Niemand würde es von mir erfahren, aber ich könnte mich besser
rechtfertigen.“
Er war fassungslos. „Marian, ein Reporter verrät nie und unter keinen Umständen
seinen Informanten. Ich kann es dir nicht sagen.“
„Wenn du mich liebtest, würdest du es tun.“
Warum habe ich das gesagt? fragte sie sich. Sie sah, wie sehr sie Robert damit
verletzt hatte, doch sie konnte ihre Worte nicht rückgängig machen.
Robert drückte seine Zigarette aus. „Wenn du mich liebtest, Marian, würdest du
so etwas nicht von mir verlangen.“ Mit müder Stimme setzte er hinzu: „Wer
benutzt jetzt wen?“
Sie wandte ihm den Rücken zu und klammerte sich haltsuchend an die
Fensterbank. „Es geht nicht mit uns beiden, Robert.“
„Doch, es geht. Wir müssen es nur versuchen.“
„Wir haben es versucht“, wandte sie ein und spürte, wie ihr die Tränen kamen.
Sie hätte sich so gern überzeugen lassen, wenn er nur die richtigen Worte finden
würde. Aber Robert schwieg.
„Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen“, meinte Marian leise, während ihr die
Tränen über die Wangen liefen. Hastig begann sie, ihre Sachen zu packen.
Robert sagte noch immer nichts, doch seine Traurigkeit ließ Marians Entschluß
ins Wanken geraten. Noch war es möglich, daß sie sich in die Arme nahmen und
versöhnten. Aber für wie lange? fragte sie sich. Schon bald würde es einen neuen
Konflikt in ihrem Berufsleben geben, und das ließ sich von ihrem Privatleben
nicht trennen.
Auch Robert wußte das, deswegen unternahm er keinen Versuch, Marian
zurückzuhalten und sie durch seine Zärtlichkeiten alle Probleme vergessen zu
lassen. Es wäre sinnlos gewesen. Jeder hatte seinen Stolz, vielleicht mehr als gut
für sie war.
10. KAPITEL Im Sitzungsraum des Komitees für soziale Angelegenheiten war allerhand los, als Marian ihren Platz einnahm. Fernsehleute bauten ihre Kameras auf und verlegten Kabel, und der Pressetisch war so umlagert, daß die Reporter sich noch zusätzlich Stühle holten. Nur ein Journalist fehlte, stellte sie fest. Wo war Robert? Er hatte sich dem Skandal um die Altenheime bisher mit so viel Interesse angenommen, daß er heute unbedingt hier sein müßte. Ihr letztes Treffen war fast einen Monat her. Alles andere hatte sich geglättet, wegen der Klatschmeldung im „Stadtgeflüster“ hatte Marian noch einige Bemerkungen von ihren Kollegen einstecken müssen, von denen manche boshaft, andere scherzhaft waren. Der Artikel in der „Freien Presse“ war von mehreren Zeitungen aufgegriffen worden. Lisa hatte sie damit geneckt. Andere Reaktionen fielen weniger angenehm aus. Marian hatte sich daraufhin in die Arbeit gestürzt, überzeugt davon, daß dies die beste Möglichkeit war, ihre Wähler die Klatschgeschichten vergessen zu lassen. Auch Robert hoffte sie so vergessen zu können. Dennoch lag sie oft nächtelang wach, selbst nach einem anstrengenden Tag im Senat, und grübelte darüber nach, wo Robert wohl sein und was er tun mochte. Sie hatte in all der Zeit nichts von ihm gehört und auch keinen Artikel von ihm entdeckt. Da blieb es nicht aus, daß sie sich Sorgen um ihn machte. Am liebsten hätte sie in der Redaktion angerufen, um herauszufinden, wo er sich aufhielt und was mit ihm los war, aber Robert mochte sie nicht fragen, und bei seinen Kollegen wagte sie es nicht. Mit der Zeit, so tröstete sie sich, würden die Wunden heilen. Aber ihr Kummer schien nur noch größer zu werden. Mit jedem Tag gewann sie etwas mehr Sicherheit und Zuversicht, was ihr Amt anbetraf, und jeden Tag grübelte sie darüber nach, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie mußte in Erfahrung bringen, wo Robert war. Aber wer könnte das für sie tun? Pete? Er hatte die besten Verbindungen, aber ihn wollte sie damit nicht beauftragen. Vielleicht Jeanne? Möglicherweise fand sie etwas heraus. Es war einen Versuch wert. Als die Sitzung eröffnet wurde, schob Marian alle anderen Gedanken beiseite. Endlich war es dem Komitee gelungen, Staatssekretär Evans zu einem persönlichen Erscheinen zu bewegen. Und diesmal war Marian auf ihn vorbereitet. Am Abend zuvor bei der Durchsicht der Unterlagen war ihr plötzlich eine Idee gekommen, worin die Verbindung zwischen dem Ministerium und der Bidwell Gesellschaft bestehen könnte. Mit einer Frage ließe sich das klären, und dieser Frage konnte Evans mit Sicherheit nicht ausweichen. Zunächst unterschied sich die Stellungnahme des Staatssekretärs nicht sehr von dem, was sein Untergebener bereits gesagt hatte. Er erklärte sich besorgt über die Verhältnisse in den Altenheimen, verwies aber auf die Schwierigkeiten, Tausende von Heimen zu kontrollieren, die über fünfzig Staaten verteilt waren. Dann schaltete sich Alan Smythe ein. „Ich möchte auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, Herr Staatssekretär, und zwar meine ich die Lücke in Ihrem Finanzbericht.“ Evans Gesicht, stellte Marian fest, wurde aschfahl, aber er entgegnete kühl: „Mein Finanzbericht entsteht in Zusammenarbeit mit der Buchhaltung, meinem Finanzberater und meinem Anwalt. Ich kann keine Stellung nehmen, ohne sie zu befragen.“ „Vielleicht erklärt sich die Lücke durch Ihren Aktienkauf bei Bidwell?“
Im Sitzungssaal wurde es totenstill. Alle lauschten gespannt auf die Antwort.
„Es gehört zu den Aufgaben meines Finanzberaters, Aktien zu kaufen und zu
verkaufen. Ich müßte den genauen Stand erst mit ihm klären.“
„Ich denke, das war deutlich genug.“ Alan setzte sich wieder und zwinkerte
Marian zu. Mike, dachte sie. Es mußte Mike gewesen sein, der den Aktienkauf in
Erfahrung gebracht hatte, und er hatte die Information an Alan Smythe
weitergeleitet. Was für ein Glück, daß er sein Anrufe nicht ganz eingestellt hatte!
Jetzt war Marian an der Reihe. „Herr Staatssekretär, kennen Sie Richard
Buckston, der bei Bidwell für die Altenheime verantwortlich ist?“
„Ja.“
Marian hoffte inständig, daß er keine unnötigen Schwierigkeiten, machen würde.
„Wie gut kennen Sie ihn?“
Evans blieb gelassen. „Wir treffen uns gelegentlich. Zum Beispiel auf Tagungen
über Altenpflege.“
Sie holte tief Luft und spielte ihren letzten Trumpf aus. „Ist Mr. Buckston mit
Ihrer Frau verwandt, Herr Staatssekretär?“
Evans Lächeln verschwand schlagartig. „Er ist ihr Bruder.“
Unter den KomiteeMitgliedern und am Pressetisch setzte ein Raunen ein.
„Wußten Sie, daß Bidwell in Finanzschwierigkeiten steckt?“ fuhr Marian mit ihrem
Verhör fort.
Evans machte den Mund auf, schloß ihn dann wieder und erklärte endlich: „Ich
nahm an, daß mein Schwager sich unter einigem Druck befand. Schließlich habe
ich dieselben Zeitungsberichte gelesen wie Sie.“
Das war eine geschickte Antwort, aber dennoch fügte sich das Bild zusammen.
Buckston hatte seinen Schwager um Hilfe gebeten, und Evans hatte ihn gedeckt.
Der Aktien wegen, dachte Marian. Dafür war er das Risiko eingegangen.
Sie zeigte dem Diskussionsleiter an, daß sie keine weiteren Fragen hatte.
Zumindest keine, die Evans wahrheitsgemäß beantworten würde. Außerdem
wollte Marian keinen Skandal auslösen. Das konnte ihrer Partei und auch dem
Präsidenten, der Evans schließlich berufen hatte, nur schaden. Vielleicht würde
Evans jetzt von sich aus sein Amt niederlegen.
Auf alle Fälle mußte eine interne Untersuchung eingeleitet werden, um alle
Einzelheiten zu klären. Und wo zum Teufel war Robert?
Am Ende der Sitzung kam Jeanne auf Marian zu. Sie wartete, bis Marian sich der
Reporter entledigt hatte, von denen sie umringt wurde, und fragte dann:
„Welchen Eindruck haben Sie vom Verlauf des heutigen Gesprächs?“
Marian überlegte. „Noch sind wir nicht am Ziel, aber bald.“ Dann faßte sie sich
ein Herz. „Mir ist etwas Merkwürdiges aufgefallen.“
„Was denn?“
„Robert Tate war nicht da.“
Zunächst lächelte Jeanne, dann wurde sie plötzlich ernst. „Sie haben recht.“ Sie
zögerte etwas und fuhr fort: „Möchten Sie, daß ich einmal nachfrage, warum er
nicht gekommen ist?“
„Wenn Sie das tun könnten, Jeanne?“
„Natürlich“, versicherte sie. „Ich kenne etliche Leute, die wiederum mit Reportern
von der ,Times’ bekannt sind. Da läßt sich bestimmt etwas machen.“ Sie
bemerkte den Gesichtsausdruck ihrer Chefin und legte ihr beruhigend die Hand
auf den Arm. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde diskret vorgehen“,
versprach sie gefühlvoll.
Am Freitag trödelte Marian in ihrem Büro herum, während ganz Washington es
eilig hatte, ins Wochenende zu gehen. Sie hatte anstrengende Tage hinter sich.
Nach der Sitzung hatte der Senat den Präsidenten veranlaßt, eine Untersuchung
einzuleiten. Berichte wurden geschrieben, Kongreßmitglieder nahmen in
Talkshows Stellung, und überall hieß es, daß Evans eine bessere Erklärung liefern
oder sein Amt niederlegen müsse. Aber Evans reagierte nicht darauf, und der
Präsident übte keinen Zwang aus.
Jeanne, bereits im Mantel, schaute in Marians Zimmer. „Haben Sie einen Moment
Zeit?“
„Natürlich.“
„Ich habe etwas über Robert Tate in Erfahrung gebracht“, berichtete Jeanne. „Er
hat ein anderes Aufgabengebiet in der Redaktion übertragen bekommen.“
Marian versuchte, ruhig zu bleiben. „Wissen Sie, weshalb?“
„Nein. Es hieß nur, Robert Tate habe Urlaub genommen und sei jetzt für einen
anderen Bereich zuständig, nicht mehr für den Senat.“
Hatte Robert um ein anderes Aufgabengebiet gebeten, damit er nicht mehr mit
ihr zusammentraf?
Das konnte sie sich nicht vorstellen. Aber wenigstens brauchte sie sich keine
Sorgen mehr um ihn zu machen.
Die Party war schon im vollen Gange, als Marian und Alan Smythe am Capitol
Hotel ankamen. Sie hatten sich ein Taxi geteilt und betraten gemeinsam den
Festsaal. Sofort kam eine freundliche Hostess auf sie zu, heftete ihnen
Namensschildchen an und verwies sie an Geschäftsleute ihrer jeweiligen Staaten.
Daß Senatsvertreter und Firmeninhaber sich kennenlernten, war Sinn und Zweck
dieser Party.
Zwei Geschäftsleute fingen sofort an, auf Marian einzureden. Sie bemühte sich
um einen interessierten Gesichtsausdruck, war in Gedanken jedoch weit weg.
Wie würde es sein, wenn sie Robert wiedersah? Es war unvermeidlich, daß sie
sich irgendwo begegneten. Würde er sich freuen, sie zu treffen? Oder würde er
ihr die kalte Schulter zeigen? Marian fröstelte es bei dieser Vorstellung.
Sie wollte wissen, wie es ihm ging. Sie wünschte sich, etwas von seinem neuen
Job zu erfahren, von seinen Söhnen. Vor allen Dingen aber sehnte sie sich
danach, ihn wiederzusehen.
Marian gab sich Mühe, den Geschäftsleuten ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu
schenken, aber es war hoffnungslos. Sie war müde, und die Gespräche
langweilten sie. Verstohlen sah sie auf die Namensschildchen und stellte
erleichtert fest, daß die beiden nicht aus Michigan kamen.
Alan kam und brachte ihr einen Drink.
„Das ist lieb von Ihnen, Alan“, sagte sie und legte ihm kurz die Hand auf den
Arm, „aber ich muß jetzt gehen.“
„Bleiben Sie doch, Marian“, bat er.
„Nein, ich muß wirklich gehen.“
Er machte ein enttäuschtes Gesicht. „Dann bis zum nächstenmal. Ein schönes
Wochenende.“
„Gute Nacht, Alan.“ Marian nickte den beiden Geschäftsleuten zu. „Gute Nacht,
meine Herren.“
Vor dem Festsaal nahm sie das Namensschild ab und warf es in den nächsten
Papierkorb. Dann schritt sie durch die schwingende Drehtür nach draußen. „Soll
ich Ihnen ein Taxi besorgen, Madam?“ fragte der Portier.
„Nein“, antwortete Marian nach kurzem Überlegen, „ich laufe lieber.“
Sie wußte nicht genau, wo sie sich befand und wie sie nach Hause kommen
sollte, aber der Abend war geradezu ideal für einen Spaziergang.
Sie wandte sich nach links. Der Wochenendverkehr hatte sich gelegt, auf den
schönen, breiten Straßen war es ruhig. Marian bog rechts ab, nach Westen zu,
wo der Abendhimmel sich über Bürohochhäusern und Zeitungsredaktionen
wölbte. Sie ging zur Connecticut Avenue und mußte an einer Ampel warten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah Marian einen Mann und eine Frau aus einem Gebäude herauskommen. Die Frau stoppte ein Taxi und winkte ihrem Begleiter zum Abschied zu. Er blieb noch einen Augenblick stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden, und hob beim ersten Zug das Kinn. Es war eine unbedeutende Geste, eine, die Marian schon hundertmal an ihm beobachtet hatte. Trotz der Entfernung wußte sie: Es war Robert. Ihre Vernunft sagte ihr, daß sie sich ein Taxi herbeiwinken oder in der nahegelegenen UBahn verschwinden sollte. Doch plötzlich schaltete die Fußgängerampel auf Grün um, und einem Impuls folgend überquerte Marian die Straße. Was bezweckte sie damit? Robert zu sehen? Ihn sprechen und lachen zu hören? Ihm zu sagen, daß sie ein Leben ohne ihn nicht ertrug? Vielleicht sollte sie ihn erst anrufen. Aber nein, sie konnte nicht warten. In der Zwischenzeit würde sie der Mut vielleicht wieder im Stich lassen. An der Ecke blieb sie stehen. Er sah verändert aus, auch wenn sie den Unterschied nur schwer beschreiben konnte. Sein Haar wirkte grauer, doch das lag vielleicht an der Straßenbeleuchtung. Vielleicht lag es auch an der Kleidung, dem nachlässig geknöpften Mantel, der gelockerten Krawatte. Aber das alles spielte keine Rolle. Er war der Mann, nach dem sie sich sehnte, den sie liebte. Robert hatte Marian noch immer nicht gesehen. Sie holte tief Luft und rief: „Robert!“ Er wandte sich um, und ein Lächeln huschte über seine Züge, ein strahlendes, glückliches Lächeln. „Marian!“ Einen unbehaglichen Augenblick lang wußten sie nicht, wie sie sich verhalten sollten. Was erwartete sie? Was wollte der andere. Beide empfanden, wie schön es war, wieder zusammenzusein. Schließlich sagte Marian das erste, was ihr in den Sinn kam: „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.“ „Ach?“ Er sah sie erstaunt an. „Ich habe dich im Senat nicht gesehen und auch keinen Bericht mehr von dir gelesen“, erklärte sie und fuhr dann zögernd fort: „Da du nicht einmal auf der Sitzung mit Staatssekretär Evans erschienen bist, habe ich jemanden gebeten, sich nach dir zu erkundigen. Man sagte, du hättest ein anderes Aufgabengebiet übertragen bekommen.“ Robert nickte nur. Marian fragte sich schon, ob sie die ganze Unterhaltung alleine bestreiten mußte, als er endlich zu reden begann. „Wir wollen doch nicht auf der Straße herumstehen. Möchtest du etwas trinken?“ Sie warf einen Blick durch die Glastür in die große Halle des Gebäudes. „Hier geht es zur Redaktion, nicht wahr? Würdest du mir dein Zimmer zeigen?“ „Natürlich“, sagte er und hielt ihr die Tür auf. „Aber verrätst du mir auch, warum du es sehen möchtest?“ „Du hast immer betont, wie verschieden unsere Berufswelten sind. Meine Welt kennst du in und auswendig, aber ich weiß von deiner so gut wie nichts.“ Nach einer Weile fügte sie leise hinzu: „Und ich würde sie gern kennenlernen.“ Mit dem Fahrstuhl fuhren sie in den neunten Stock. Robert schloß eine schwere hölzerne Doppeltür auf. „Hier entlang“, sagte er. Durch einen langen Flur gelangten sie in einen großen Raum mit vielen Schreibtischen. Sie waren unbesetzt, und auch die meisten Lampen waren ausgeschaltet. Nur ganz hinten standen ein paar Männer zusammen und
arbeiteten an einem Bildschirm, der die Gruppe in gespenstisch grünes Licht tauchte. „Wo ist dein Platz?“ wollte Marian wissen. „Ich habe ein kleines Zimmer hier nebenan.“ Robert öffnete eine der Seitentüren. Überall lagen und hingen Notizzettel, das Bücherregal war vollgestopft mit Fachliteratur und Aktenordnern, und auf dem Schreibtisch stapelten sich Papiere und Unterlagen. Gleich neben der Schreibmaschine entdeckte Marian eine Fotografie seiner Söhne. Sie fuhr mit dem Finger über die Oberkante des Schreibtischstuhls. Noch zögerte sie, die Frage auszusprechen, die ihr auf der Zunge lag, aber sie mußte sie stellen. „Gefällt dir dein neuer Aufgabenbereich?“ Robert zündete sich eine neue Zigarette an. „Ach doch, ja.“ „Warum hast du gewechselt?“ Er zuckte mit den Schultern. „Es gab Leute in der Redaktion, die der Ansicht waren, daß ich meinen Job und mein Privatleben nicht gut genug auseinanderhalten könnte.“ „Wegen deiner Artikel über das Komitee?“ fragte Marian entsetzt. „Ja“, bestätigte er. „Man hat wohl erwartet, daß ich aufstehe und sage: ,Hört her, Leute, ich habe eine private Beziehung zu Marian McNamara, die eine treibende Kraft in diesem Komitee ist, daher setzt lieber jemand anderen auf diese Story an.’ Aber mich hat die Geschichte zu sehr interessiert. Und ich war überzeugt davon, daß meine Artikel durch dich nicht schlechter würden!“ Marian schlug die Hände vors Gesicht. Es war immer dasselbe: Ihre Berufe waren unvereinbar, die Situation war grotesk. Fast flüsternd sagte sie: „Und gerade über den Senat hast du so gern geschrieben. Du mußt mich ja gehaßt haben, als man dir diesen Bereich wegnahm!“ Robert legte seine Zigarette in einen Aschenbecher und sah Marian in die Augen. „Nein, Marian. Ich habe dich deswegen nicht weniger geliebt. Ich habe dich nur um so mehr gebraucht.“ „0 Robert.“ Im nächsten Augenblick lag sie in seinen Armen. Sie hielten sich so fest umschlungen, daß sie seinen Schmerz zu fühlen glaubte, und ihre Tränen netzten seine Wange. Erneut empfand Marian die Sicherheit und Geborgenheit, die Robert ihr vermittelte. Sie küßten sich, als wäre es das erstemal, und in ihrem Kuß lag die Erkenntnis, wieviel sie einander bedeuteten. Robert streichelte ihr mit beiden Händen das Gesicht und küßte sie zart auf die Stirn. „Du hast mir so gefehlt, Marian.“ „Ich habe mich so dumm benommen“, sagte sie und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Ich verstehe gar nicht, wie du mich ertragen konntest. Und jetzt auch noch das…“ Robert verschloß ihr den Mund mit einem weiteren Kuß. „Meine Versetzung wollen wir vergessen.“ Dann nahm er ihre Hand und wärmte sie zwischen seinen Händen, hielt sie ganz fest. „Es ist wunderbar“, erklärte er strahlend, „daß du gerade jetzt in mein Leben zurückgekehrt bist. Du hättest dir gar keinen besseren Augenblick aussuchen können.“ „Wieso?“ „Ich brauche dringend eine Begleitung für ein ganz vornehmes Dinner, und dazu ist niemand besser geeignet als du.“ Seine Augen funkelten, als wolle er sie necken, aber Marian sah ihn nur verständnislos an. „Erinnerst du dich nicht?“ fragte er. „Meine Wette mit dem Chefredakteur. Wir ermittelten durch Würfeln sechs Kollegen, die wir nach ihrer
Meinung über dich befragten. Fünf von ihnen hatten einen äußerst guten
Eindruck von dir. Natürlich glaubt mir niemand mehr, daß ich objektiv über dich
urteilen kann, aber auf mich kam es in diesem Fall ja auch nicht an.“
„Und wer hat sich gegen mich geäußert?“
Er schüttelte den Kopf und lachte. „Du bist unverbesserlich. Bevor du nicht den
letzten Wähler überzeugt hast, bist du nicht zufrieden, was? Aber mach dir keine
Sorgen. In ein paar Monaten hast du auch diese Gegenstimme auf deine Seite
gebracht.“
Er schloß sie in die Arme. „Ich habe in letzter Zeit viel über uns nachgedacht, in
meinem Urlaub und auch sonst. Ich glaube, ich weiß eine Möglichkeit, wie wir
unsere Schwierigkeiten überwinden und es in Zukunft besser machen können.“
„Und zwar?“
„Wir werden heiraten.“
Marian sah in ungläubig an. „Aber löst das unsere beruflichen Probleme.“
„Es gibt viele Gründe. Einer der weniger wichtigen wäre, daß wir für die
Klatschspalten uninteressant würden. Natürlich wird es auch weiterhin passieren,
daß man mißtrauisch reagiert und denkt, wir verschaffen uns gegenseitig
Vorteile. Aber es ist dann zumindest klar und eindeutig, daß wir
zusammengehören, und dieses Rätselraten hört auf.“
„Meinst du, daß du deine frühere Stelle wiederbekommst?“
„Ich glaube nicht, daß ich weiterhin über den Senat berichten sollte“, sagte er
lächelnd. „Aber es ist davon die Rede, mich wieder im Regierungsbereich
einzusetzen, das ist eben doch mein Spezialgebiet.“
Marian dachte über Roberts Worte nach.
„Den wichtigsten Grund“, flüsterte er ihr ins Ohr, „habe ich noch gar nicht
genannt.“
„Ja?“ fragte sie atemlos.
„Ich liebe dich“, sagte er und drückte sie an sich, „und möchte, daß du meine
Frau wirst.“
In Marian tobten die widerstreitendsten Gefühle. Sie brauchte einen Augenblick,
bis sie sprechen konnte.
„Bist du denn bereit, dich nach all diesen Jahren fest zu binden?“ fragte sie.
„Das kommt darauf an, was du darunter verstehst“, erklärte er. „Ich bin bereit,
den Rest meines Lebens mit einer Frau zu verbringen, so lange du diese Frau
bist.“
„Gut, Mr. Tate.“ Marian klopfte das Herz bis zum Hals. „Ich nehme an, die
Einladung zum Dinner und den Heiratsantrag.“
Robert lehnte seine Stirn an ihre. „Ich verspreche dir, daß du es nicht bereuen
wirst.“
Dann ließ er sie los, griff nach einem Stift und schlug sein Notizbuch auf. „Also,
an welche Zeitung sollen wir die Meldung geben? die ,Times’? Die ,Washington
Post’? Das ,Stadtgeflüster’?“
Marian sah ihn verdutzt an, bis sie seine Lachfältchen bemerkte. „An alle“,
verkündete sie. „Ich bin erst zufrieden, wenn es in jeder Zeitung auf der
Titelseite steht!“
„Komm zu mir“, Robert legte den Arm um ihre Taille und zog sie fest an sich.
Seine Lippen berührten ihren Mund, dann küßte er sie, heiß und verlangend.
Marian preßte sich an ihn, bis sie seinen Herzschlag spürte. Sie wußte, nie wieder
würde sie an Roberts Liebe zweifeln, auch nicht an sich selbst, solange er an
ihrer Seite war.
„He, Robert!“ rief jemand durch die Glastür. „Komm her!“
Er küßte Marian noch einmal und ließ sie los. „Warte bitte einen Augenblick.“
Ihr wurde plötzlich unbehaglich zumute. „Haben die uns beobachtet?“
„Ach, das sind sie gewöhnt“, neckte er. „Du weißt doch: ,Robert Tate, der
begehrteste Junggeselle’.“ Er drückte ihr zärtlich die Hand und ging zu den
Männern in den großen Redaktionsraum. Als er zurückkam, strahlte er über das
ganze Gesicht.
„Was ist?“ fragte Marian gespannt.
„Evans hat für morgen mittag eine Pressekonferenz einberufen, um seinen
Rücktritt zu erklären.“
„Wirklich?“ Sie konnte es kaum fassen, daß sie es endlich geschafft hatte.
„Ja, wirklich. Und wie lautet Ihr Kommentar dazu, Frau Senatorin?“
„Erst möchte ich wissen, ob du den Bericht schreibst“, forderte sie.
Robert lachte. „Das kommt darauf an, ob jetzt in aller Eile ein anderer
aufzutreiben ist, der die Story schreibt. Ich soll auf jeden Fall in der Redaktion
bleiben.“
„Gut“, sagte sie ernst. „Schreibst du den Bericht, habe ich keinen Kommentar.
Schreibt ihn ein Kollege von dir, dann sag ihm, daß er mich zu Hause erreicht.“
„Es kann eine lange Nacht werden“, warnte Robert.
„Das macht nichts.“ Sie lächelte. „Ich warte auf dich, egal, wie spät es wird.“
Nach einem letzten Kuß ging sie zur Tür. „Jetzt leg los, Robert, bevor die
Konkurrenz dir die Story wegschnappt.“
„Sehr wohl, Frau Senatorin.“
Robert sah ihr nach und schmunzelte, während er sich die Sätze zurechtlegte, die
er schreiben würde, falls er den Auftrag erhielt: „Als möglicher Nachfolger von
Staatssekretär Evans im Sozialministerium ist unter anderem Senatorin Marian
McNamara im Gespräch…“
ENDE