Erschienen am:
Uwe Kirchberg
01.07.2001
PROC STORIES Fan-Stories aus dem PERRY RHODAN ONLINE CLUB
Auf der Suche nach der verlorenen Menschheit III Endzeit
PROC STORIES Auf der Suche nach der verlorenen Menschheit III von Uwe Kirchberg Erschienen am: 01.07.2001
FAN-STORIES AUS DEM PERRY RHODAN ONLINE CLUB Die grausame Gewaltherrschaft des Kaisers und seines Beraters in der Milchstraße ist beendet. Der Kaiser, Ronald Tekener, ist geflohen, die Superintelligenz RHOMBIA fand bei dem Einsatz von J.J. ihr Ende, doch diese Nachricht soll zunächst noch geheim bleiben. NATHAN hat den Erdmond in einem silberfarbenen Raumschiff von 12 Kilometern Durchmesser verlassen und regiert jetzt im Verborgenen die Galaxis und wird ihr menschliche Züge verpassen. Letztlich wird NATHAN dafür sorgen, dass den Terranern der Weg zurück in die Heimat offen steht, sollten sie je zurückkehren... Paul und seine Freunde machten sich mit der TERRA erneut auf den Weg zur Galaxis M 343, um die dorthin verbannten Terraner zu befreien. In dieser Galaxis, die auch den Namen TRESOR trug, war bereits die TERRANIA unterwegs, das unbemannte und kleinere Schwesterschiff der TERRA. Dieses unbemannte Schiff ist in die Galaxis eingedrungen, in der alle höheren Dimensionen nicht existieren und überlichtschnelle Flüge unmöglich sind. Es soll das geheimnisvolle Zentrum finden und die Galaxis wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzen. Doch über Allem stand eine düstere Drohung, von der niemand zur Zeit etwas wusste, selbst NATHAN nicht. Denn den wahren Grund, warum die Terraner vor 50.000 Jahren nach M 343 verbannt worden waren, würden Paul und seine Freunde erst viel später herausfinden. Und wenn sie vorher das Falsche taten, würde für die Milchstraße und ihre Nachbargalaxien die ENDZEIT anbrechen.
Hauptpersonen des Romans Boris Walter – Er muss sich alleine durch M 343 schlagen Peter, Steph, Dagmar, Michele, J.J. und Anita – Sie sind auf der Suche nach der verlorenen Menschheit Ronald Tekener – Der ehemalige galaktische Kaiser ist nun in Gefangenschaft Das Sternenkind – Ein Mädchen sucht seine Bestimmung Der letzte Petronier – Er handelt im kosmischen Auftrag Perry Rhodan und Reginald Bull – Die Unsterblichen kehren zurück
PROC STORIES – Fan-Stories aus dem PROC – ist eine nicht kommerzielle Publikation des PERRY RHODAN ONLINE CLUBs. Kurzgeschichte »Auf der Suche nach der verlorenen Menschheit III« von Uwe Kirchberg. Letzte Änderung/Erscheinungsdatum: 01.07.2001. Titelbild: Uwe Kirchberg. Redaktion: Alexander Nofftz. Kommentar: Uwe Kirchberg. Satz: Xtory (SAXON, PDFLATEX). Internet: http://www.proc.org/stories/. eMail: c 2001. Alle Rechte beim Autor!
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41. Paradies-Europa
Mann, was bin ich fertig, dachte Elftron Meyer, als er die Spitze des Funkturmes erreichte. Naja, der Aufstieg bis in 400 Meter Höhe ist ja auch eine stramme Leistung... Er dachte dabei an seinen Sohn, dessen Kondition doch sehr zu wünschen übrig ließ. Elftron Meyer nahm seine Aufgabe sehr ernst. Zwar war die Materialqualität der Sendetechnik derart ausgereift, dass schon seit Hunderten von Jahren keine Reparatur oder Verbesserung mehr vorgenommen werden musste, aber man konnte ja nie wissen. Jedenfalls war es seine Aufgabe, die Sendeanlagen einmal wöchentlich zu überprüfen und diese Aufgabe nahm er sehr ernst. Für den Aufstieg hätte er natürlich auch den Aufzug benutzten können, aber Elftron Meyer wollte sich fit halten. Seit der allgemeinen Einführung der 1-TageWoche vor 130 Jahren war dieses Fithalten die Hauptbeschäftigung der Bevölkerung des Planeten Paradies-Europa geworden. Sonst gab es auch nicht viel zu tun. Die automatischen Fabriken lieferten alles, was man zum Leben brauchte, die Technik war äußerst ausgereift und langlebig. Dies galt auch für die Sendetechnik seines Turmes – es war vollkommen ausreichend, an einem Tage der Woche nach den Anlagen zu sehen. Wie üblich war die Sendeanlage in Ordnung und wie üblich hatte Elftron Meyer nichts weiter zu tun. Also genoss er, wie jede Woche, die tolle Aussicht über das Land Dormagen, das sich unter ihm ausbreitete. Das warme Licht der Sonne warf herrlich grüne Schatten von den Lebensbäumen, die vereinzelt auf der Grasfläche standen, die sich nach Osten bis zum Horizont erstreckte. Elftron Meyer wollte sich gerade an den Abstieg machen, als ein ungewöhnliches Summen seine Aufmerksamkeit erregte. Die Technik der Sendeanlage konnte es nicht sein, die summte nicht. Bei der näheren Untersuchung des merkwürdigen Geräusches kam es Elftron Meyer langsam zu Bewusstsein, dass es sein Funkge-
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rät war, das summte. Er meldete sich. Am anderen Ende der Funkverbindung war Josta Gregor. »Ja Josta, was liegt an?« fragte Elftron seinen Freund, der einen Sendeturm inspizierte, der von seinem Turm gut 1.000 Kilometer entfernt war. »Elftron, wusstest du, dass unsere Sender auch empfangen können?« hörte er Josta fragen. »Ja, ist bekannt, dafür sind sie auch ausgelegt. Ist aber noch nie eine Sendung von außen empfangen worden. Woher sollte sie denn auch kommen?« Elftron konnte sich gut vorstellen, wie Josta jetzt nickte. Natürlich verfügten alle Terraner auf Paradies-Europa über dieses Wissen. Man war allein in diesem Sonnensystem, alle anderen Planeten waren für eine Besiedlung ungeeignet, wie frühere Expeditionen gezeigt hatten. »Warum fragst du, Josta?« »Naja, ich war gerade wieder einmal in der kleinen Kabine unterhalb des Sendeturms und da hab ich es gehört«, antwortete dieser. »Ach, was wolltest du in der Kontrollstation? Die nächste Inspektion steht doch erst in vier Jahren an.« »Ich hatte so ein Gefühl, Elftron. Nur ein Gefühl.« Elftron konnte seinen Freund verstehen. Die alltägliche Langeweile brachte so manchen Terraner auf verrückte Gedanken. »Und was war los?« fragte er Josta Gregor. »Da ist eine Meldung eingegangen, die ich nicht verstehe«, antwortete Josta. »Geh’ doch bitte mal in deinen Kontrollraum und sieh nach, ob die Meldung auch bei dir eingegangen ist.« Elftron machte sich an den Abstieg. Auch jetzt dachte er nicht daran, den Aufzug zu benutzen. So wichtig konnte das Anliegen Jostas nicht sein. Er brauchte eine gute halbe Stunde, bis er den Fuß des Sendeturms erreicht hatte. Dann betätigte er den Öffnungskontakt für den kleinen Kontrollraum und trat ein. Weil er schon mal hier war, startete er gleich die automatische Prüfroutine. Hmm, scheint alles in Ordnung zu sein, dachte er bei sich, als er die Kontrollergebnisse
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durchsah. Nur hier, in Abschnitt 12, mmh... Abschnitt 12, das war der große grüne Schaltschrank im Hintergrund des Raumes. Elftron öffnete die Türen des Schaltschrankes und sah sofort, was los war. Da war tatsächlich eine Meldung eingegangen! Elftron ließ die Aufzeichnung ablaufen; er verstand eigentlich kein Wort. »Josta? Ich hab hier auch eine Meldung auf meinem System, ich verstehe nur nichts.« Sein Freund meldete sich sofort: »Das ist auch bei mir so. Die Meldung ist verstümmelt, obwohl ich einige Begriffe verstanden habe. Ich habe die Meldung aber gespeichert und bring sie in die Zentrale.« »Gut, Josta, ich komme auch zur Zentrale.« Der Weg zur Zentrale war weit. Für die 400 Kilometer würde Elftrons Hubschrauber gut zwei Stunden brauchen. Als die Rotorblätter die vorgeschriebene Drehzahl erreicht hatten, hob Elftrons Hubschrauber ab. * In der Zentrale wartete man schon ungeduldig auf die Ankunft der beiden Techniker. Guhria Panklott, Professorin für altterranische Sprachen und Häba Plok-Wirrenweis, Leiterin des Instituts für Linguistik an der Universität Dormagen waren sofort gekommen, als die Zentrale sie von der Meldung Josta Gregors informiert hatte. Sie waren fasziniert von dem Gedanken, dass es erstmalig möglich sein sollte, eine Meldung unbekannter Herkunft zu hören. Beide hatten ihre Assistenten und umfangreiche Gerätschaften mitgebracht, die sie bei der Analyse des Funkspruchs unterstützen sollten. Als Elftron Meyer eintraf, stürzten sie sich auf ihn. Doch Elftron winkte ab – man würde auf Josta warten müssen. Nur Josta hatte die Meldung original vom Empfangssystem kopiert, seine sei nur eine simple akustische Aufnahme. Nach einer Stunde traf Josta endlich ein und überspielte seine Aufnahme auf die AnalyseSysteme der Wissenschaftler.
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Schon beim ersten Hinhören wurde Häba Plok-Wirrenweis sichtlich nervös. »Das ist Alt-Terranisch, da bin ich mir ganz sicher«, sagte sie aufgeregt. »Ich kenne jedes Wort dieser Sprache. Es ist nur deswegen nicht verständlich, weil viele Worte fehlen. Die Meldung ist nicht vollständig!« »Es war nicht mehr auf dem Empfänger«, wies Josta den unausgesprochenen Vorwurf zurück. Kanold Bruzz, der technische Leiter der Zentrale, mischte sich in die beginnende Diskussion ein. »Wichtig ist doch wohl auch, woher dieser Funkspruch kam. Nach der Auswertung unserer Systeme jedenfalls nicht von Paradies-Europa!« Entsetzt drehten sich die Wissenschaftler zu ihm um. »Woher denn sonst? Außerhalb von Paradies-Europa gibt es kein Leben!« »Naja«, Kanold Bruzz zögerte mit der Antwort. »Wie Sie ja wissen, liegen die beiden Fernsehsender 1.000 Kilometer auseinander und da konnten wir eine Kreuzpeilung machen, um die Richtung festzustellen, aus der die Sendung kam. Wir haben zwei Techniker los geschickt, um die erste Messung, die wir von hier aus gemacht haben, noch einmal zu überprüfen. Aber wenn es sich bestätigt, dann...« »Was dann?« unterbrach ihn Guhria Panklott. »Dann ist der Sender 480.000 Kilometer von uns entfernt. Die Sendung kam aus dem Weltraum!« Gleich platzt sie, dachte Elftron, als die Gesichtsfarbe der Professorin ein dunkles Rot angenommen hatte. »Un... mög... lich!« keuchte diese. Im gleichen Augenblick schien Kanold Bruzz eine Information über sein Funkgerät zu bekommen. Er nickte. »Die Kreuzpeilung über die Empfänger vor Ort hat es bestätigt. Der Sender befindet sich im Weltraum. Die genaue Entfernung beträgt 474.000 Kilometer.« Häba Plok-Wirrenweis hatte sich als Erste gefangen und sagte: »Spielen Sie den unbekannten Funkspruch bitte noch einmal vor.« »...lfe... itte... di T... uft um Hilf... ich einer... schiff lahmgele... hallo...« Nachdenklich meinte die Professorin:
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»Wenn der Sender wirklich so weit weg ist und ich die Wortfetzen richtig deute, dann ist da draußen jemand, dessen Funkgerät defekt ist und der dringend Hilfe braucht!« * »Strahlend hell, vom Licht umspielt, steht das Schiff in goldnem Glanz.« – Genau an diese Zeile des berühmten Liedes erinnerte sich Omker Wanitwro, als er die EUROPA VII auf der Startrampe sah. Die beiden Astronauten saßen längst in ihren Kontursitzen und alle Kontrollen standen auf Grün. Omker Wanitwro konnte das Startkommando beruhigt geben. Das Brüllen der Feststoffraketen und das Donnern des Haupttriebwerks waren bis in seinen Kommandostand zu hören. Gemächlich gewann die EUROPA VII an Fahrt und schob sich in den grünen Himmel hinein. Genau zwei Wochen war es her, da hatte sein kleiner Stab den Auftrag erhalten, kurzfristig einen bemannten Raumflug vorzubereiten. Eine ungeheure Hektik war ausgebrochen. In Tag- und Nachtarbeit hatte man die EUROPA VII startklar gemacht. Zum Glück war in einem halben Jahr eine Expedition zur Raumstation MICH geplant gewesen, sodass man wenigstens auf trainierte Raumfahrer zurückgreifen konnte. * Heute morgen hatte die EUROPA VII ihre Haupttriebwerke gezündet und die Umlaufbahn um Paradies-Europa verlassen. Der Flug zu jenem imaginären Punkt, von dem der Hilferuf gekommen war, würde insgesamt zwei Tage beanspruchen. Tleko Samran und Flora Soft machten es sich in der engen Kabine des Raumschiffs so bequem wie möglich. »Genau 23 Stunden werden wir noch brauchen, liebe Flora«, sagte er zu seiner Kollegin neben ihm. »Danke, Tleko. Ich werde mal versuchen, ob ich mit dem Fernrohr schon etwas erkennen kann«, antwortete sie und ging vorsichtig nach hinten.
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Tleko Samran kontrollierte noch einmal alle Instrumente und lehnte sich zurück. Der Start und die Berechnungen für das Beschleunigungsmanöver hatten ihn so geschlaucht, dass er jetzt eine Mütze voll Schlaf brauchen konnte. Seine Kollegin richtete das Fernrohr auf den imaginären Punkt im Weltraum, wo das fremde Objekt zu finden sein musste. Sie hoffte, etwas zu erkennen, das man von den Observatorien des Planeten aus nicht hatte erkennen können, weil die Lufthülle von Paradies-Europa zu dicht war. »Tleko! Tleko, komm sofort her, das musst du dir ansehen!« rief sie. Tleko, der gerade eingenickt war, schreckte hoch. Mühsam löste er die Gurte und hangelte sich zu seiner Kollegin hinüber. Wortlos überließ sie ihm den Blick durch das Fernrohr. Tleko justierte die Optik neu und sah hindurch. »Oh Mann. Das müssen wir sofort nach unten durchgeben!« »EUROPA VII an Basis. Fremdes Objekt geortet. Es ist kein Asteroid oder ein anderes natürliches Objekt. Ich wiederhole, es ist kein natürliches Objekt. Seht selbst.« Flora Soft hatte die Kamera ausgerichtet und auf höchste Vergrößerung eingestellt. In der Bodenstation würde man es jetzt auch sehen. Das Objekt, von dem der Hilferuf gekommen war, war eindeutig künstlicher Natur. »Ich wage die Behauptung, dass das dort ein Raumschiff ist. Und es kommt nicht von Paradies-Europa«, sagte Flora in das Mikrophon. Sie konnte sich vorstellen, was jetzt da unten los war. Ein fremdes Raumschiff! Wo man sich doch so sicher war, dass es nie zu einer solchen Begegnung kommen würde, selbst wenn es ausserhalb von Paradies-Europa Leben geben sollte. Dazu waren die Entfernungen viel zu groß und die erreichbaren Geschwindigkeit viel zu gering. Die Geschwindigkeit des Lichts war die absolute Grenze und der nächste Stern war 28 Lichtjahre entfernt. Und jetzt trieb da ein Raumschiff quasi vor ihrer Haustüre. *
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Die ganze Bevölkerung von Paradies-Europa saß vor dem Fernsehern, als die EUROPA VII das fremde Objekt erreichte. Milliarden von Augenpaaren konnten die Annäherung verfolgen. Das Raumschiff war riesig. Vorsichtig näherte sich Tleko Samran dem Schiff. In seinem Raumanzug wirkte er wie eine dormagenische Fliege vor einem mächtigen Abruzzenfels. Jeden seiner Atemzüge konnten man auf dem Planeten deutlich hören. »Da ist was. Sieht aus wie eine Luke«, keuchte er. »Es gibt auch so etwas wie einen Hebel. He, ihr da unten, seid ihr sicher, dass dieses Raumschiff nicht doch von uns ist? Es sieht alles so vertraut aus.« Die Bodenstation verneinte energisch. Selbst in den uralten Aufzeichnungen war nie von derart riesigen Raumschiffen die Rede gewesen. Mit welchem Treibstoff hätte man eine so große Masse auch in die Umlaufbahn bringen sollen? Tleko Samran bewegte den Hebel. Leicht schwang der Lukendeckel nach innen. Tleko schwebte hinein und schloss die Luke hinter sich. Die Funkverbindung brach ab. * Das Material dieses Raumschiffs verhindert den Durchgang von Funkwellen, dachte Tleko, als er in der kleinen Kammer stand. Er sah sich um. Hinten gab es einen weiteren Durchgang. »Eine Schleuse also«, murmelte Tleko und versuchte, mit dem Handrad die innere Türe zu öffnen. Es ging nicht. Tleko suchte nach einem Hinweis und tastete die Türe ab. Dahinter klang es hohl. Tleko stutze, etwas klang hohl? Im luftleeren Raum? Er wartete ab. Wieder versuchte er die innere Türe zu öffnen und auf einmal ging es. Das Innenschott schwang auf. Vorsichtig schwebte er in den Gang. Alles war hell erleuchtet. Tleko hielt sich an Vorsprüngen fest und schob sich weiter in den Gang hinein. »Wie haben sich die unbekannten Raumfahrer denn fortbewegt?« fragte er sich, als er das Fehlen von Haltestangen und Griffen bemerkte.
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Tleko versuchte, mit den Füßen den Boden des Ganges zu erreichen. Vielleicht hafteten seine Magnetsohlen dort. Tatsächlich schien das Material des Bodens Eisen zu enthalten, denn seine Magnetsohlen hielten ihn am Boden fest. Mit großen Schritten ging er den Gang entlang. Links von ihm war eine Treppe zu erkennen. Seine klobigen Raumfahrerhandschuhe behinderten ihn zwar, aber es gelang ihm, die Treppe hinauf zu steigen. Am Ende der Treppe öffnete sich ein weiterer Gang, der mitten in das Raumschiff hinein zu führen schien. Tleko folgte dem Gang. Nach einer halben Stunde erreichte er eine weitere Türe. Auch diese war mit einem Handrad versehen und konnte mechanisch geöffnet werden. Tleko griff energisch zu und öffnete auch diese Türe. Dann sah er das Wesen. Es lag auf einer Liege und schien bewusstlos zu sein. Vorsichtig näherte er sich. Mein Gott, ein Terraner! dachte er, als er vor dem Wesen stand. Und er lebt noch! Die schwache Bewegung des Brustkorbes war gut zu sehen. Tleko berührte den Fremden an der Schulter. Nichts. Auch als der den Fremden etwas heftiger anstieß, reagierte der nicht. Vorsichtig löste Tleko die Gurte, mit denen sich der Fremde an die Liege befestigt hatte und holte den leichten Raumanzug hervor, den er mitgenommen hatte. Da es fast keine Schwerkraft gab, fiel es ihm leicht, dem Fremden den Raumanzug überzustreifen. Mit einem kräftigen Ruck arretierte Tleko den Helm. Jetzt kam es darauf an, dass der Fremde das Sauerstoffgemisch von Paradies-Europa vertrug. Wenn nicht, war ihm nicht mehr zu helfen. Doch der Fremde atmete weiter. Mühsam hatte es Tleko geschafft, den Fremden bis in die Schleuse zu transportieren. Nachdem er die Innentüre verriegelt hatte, wartete er ab. Etwa nach 5 Minuten konnte er das Aussenschott tatsächlich öffnen. Irgendetwas Automatisches, analysierte er, als er den Körper des Fremden behutsam durch die Luke schob. Sofort setzte der Funkverkehr wieder ein. Aufgeregte Rufe errichten ihn. Er beachtete sie
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jedoch nicht. Jeder konnte ja sehen, was er da mitbrachte. Über die Sicherungsleine hangelte er sich zu seinem Schiff zurück.
dener Fernsehsender hinter der Glasscheibe auftauchen. Gierig richteten sie ihre Objektive auf den Fremden und klebten die Mikrofone an die Glasscheibe, um nichts zu verpassen.
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Als die EUROPA VII auf der Landebahn in der Nähe der Basis aufsetzte, war der Fremde immer noch ohne Bewusstsein. Sie schafften ihn in die nahe Klinik, wo schon alles vorbereitet war, um ihm zu helfen. Dr. Hilius legte die Röntgenaufnahme zur Seite und wandte sich Präsident Klim Huga zu, der auf erste Ergebnisse wartete. Zum Glück war es gelungen, die Presse zurückzuhalten, sodass nur Präsident Huga im Untersuchungsraum anwesend war. »Also, verehrter Präsident. Zuerst einmal das Wichtigste, der Patient ist nicht schwer verletzt. Soweit ich das beurteilen kann, wird er weiterleben und bald aufwachen. Die Atmosphäre unseres Planeten scheint er gut zu vertragen. Etwas ist jedoch sehr aussergewöhnlich. Zur Erklärung muss ich etwas ausholen. Wie Sie wissen, unterscheiden sich alle die Terraner von Paradies-Europa leicht in ihrem inneren Körperaufbau. Es gibt beispielsweise Terraner mit allen möglichen Formen des Brustkorbes. Angefangen von Brustplatten mit kleinen Rippenansätzen bis hin zu Brustplatten mit ausgeprägten Rippen. Doch dieser Fremde hat keine Brustplatte, sondern nur Rippen. Auch seine inneren Organe unterscheiden sich nur wenig von unseren. Aber es gibt diese Unterschiede. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass dieser Fremde mit uns verwandt ist. Aber er ist irgendwie reinrassiger, wenn Sie gestatten.« Präsident Huga nahm die letzte Bemerkung des Chefarztes räuspernd zur Kenntnis: »Aber er ist ein Terraner?« »Ja«, antworte der Arzt. »Dann wecken Sie ihn bitte! Ich möchte mit ihm reden«, sagte der Präsident. Dr. Hilius erhöhte den Sauerstoffanteil am Beatmungsgerät und wartete ab. Im gleichen Augenblick sah er die Kameramänner verschie-
Oh Mann, was für ein Horror! Die Schmerzen sind weg. Gut. Scheint so, als wäre ich gerettet. Auf dem Schiff bin ich jedenfalls nicht mehr. Viele Stimmen sind um mich herum. Aber wo bin ich gelandet? Der Fremde öffnete seine Augen und Milliarden von Terranern auf dem Planeten ParadiesEuropa hörten die ersten Worte eines Lebewesens, das nicht von ihrem Planeten stammte: »Mein Name ist Boris Walter. Ich komme von der Erde und ich bin auf der Suche nach den verlorenen Terranern...« 42. Die schlafende Königin Boris hatte sich schnell an das Leben auf Paradies-Europa gewöhnt. Man reichte ihn herum und behandelte ihn überall wie einen Ehrengast. Wo er auch hinkam, überfiel man ihn mit Fragen. In der Talkshow des größten Fernsehsenders auf Paradies-Europa hingen die Zuschauer an seinen Lippen. Boris, der eigentlich schweigsame Russe, saß gelassen in seinem Sessel neben Präsident Huga und beantwortete die Fragen des Moderators. »Woher wissen Sie, dass dies die Galaxis TRESOR ist?« »Naja, ich denke es mir. Als ich in die Falle flog und wieder zu mir kam, war mein Raumschiff tot. Es gab keinen Hyperraum mehr, alle 5D-Geräte waren ausgefallen. Das ist meines Wissen nur in der Galaxis TRESOR der Fall. Meine Freunde und ich haben sie übrigens so genannt.« »Stimmt es wirklich, dass der Weltraum voll von Leben ist? Gibt es wirklich Hunderte von bewohnten Planeten?« »In dieser Galaxis? Keine Ahnung. In der Milchstraße und ihren Nachbargalaxien gibt es
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sicherlich einige Millionen bewohnte Planeten.« »Und man kann schneller fliegen als das Licht?« »Im Normalraum wohl nicht. Man muss schon den Umweg über den Hyperraum nehmen.« »Und Ihr Schiff kann das?« »Ja. Wenn die Raumstruktur in Ordnung ist, wenn es also einen Hyperraum gibt, dann kann sich dieses Schiff mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit bewegen. Unsere Heimat könnten wir bequem in einigen Wochen erreichen...« »Unsere Heimat?« unterbrach ihn der Moderator. »Wollen Sie damit sagen, dass auch wir einst aus der Milchstraße kamen?« »Hat Ihnen das noch keiner gesagt? Ja, Sie stammen auch aus der Milchstraße. Der Exodus der Terraner hat vor 50.000 stattgefunden. Unbekannte Mächte haben die Terraner damals aus ihrer Heimatgalaxis vertrieben und hier eingesperrt...« Der losbrechende Trubel war unbeschreiblich. Ein aufgeregter Redakteur lief händeringend durch den Raum und rief: »Wir haben abgeschaltet. Bei uns laufen die Telefon heiß. Was haben Sie bloß angerichtet!« * »Hallo Herr Walter, wie fühlen Sie sich heute?« fragte Dr. Hilius bei der morgendlichen Visite. »Schon besser, körperlich jedenfalls. Wie’s bei mir drinnen aussieht... Ach, fragen Sie lieber nicht«, antwortete Boris. Dr. Hilius nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben seinen prominenten Patienten. Er blätterte die Untersuchungsergebnisse durch und sagte: »Sie haben einen schweren Schock erhalten, der Sie körperlich an den Rand des Todes gebracht hat. Wäre keine Hilfe eingetroffen, hätten Sie in Ihrem Raumschiff nicht mehr lange zu leben gehabt. Jetzt sind Sie wieder gesund, soweit wir das hier beurteilen können.« »Gesund und gestrandet. 20 Millionen Lichtjahre von zu Hause entfernt. Und keine Ahnung, ob es meinen Freunden je gelingen wird, uns hier abzuholen.«
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Der Arzt war nachdenklich geworden und sagte: »Ich glaube nicht, dass wir hier weg wollen. Ihre Erzählungen in der Talkshow letzte Woche hat die Terraner sehr beeindruckt. Aber nach den aktuellen Umfragen sieht es so aus, als ob die überwiegende Mehrheit hier bleiben will, in unserer Heimat. Wir haben diesen Planeten besiedelt, hier sind wir geboren worden, hier haben wir unsere Heimat. Die Milchstraße ist weit. Wenn Ihre Freunde kommen, werden wir sie herzlich empfangen. Seien Sie bitte solange unser Gast.« * Boris traf Omker Wanitwro in dessen Büro auf dem Raumhafengelände, wo die Fäden für den nächsten Start der EUROPA VII zusammenliefen. »Ich habe mir euer Schiff genau angesehen. Auch bei uns auf der Erde gab es so etwas. Die Amerikaner hatten Spaceshuttles, die genau wie die EUROPA als Rakete starteten und als Flugzeug landeten. Auch in Russland ist so etwas entwickelt worden; ist nur nie geflogen. Euer Schiff ist perfekt. Ich weiß, was ich sage, denn ich kannte sowohl die amerikanische wie auch die russische Technik.« »Und du meinst, wir können deine MOLOKKO bergen?« fragte Omker. »Mal sehen, was sich machen lässt und was da oben noch ohne 5D-Technik funktioniert. Ich war einfach zu fertig, um die MOLOKKO allein in Bewegung zu setzen. Aber mit eurer Hilfe? Mal sehen, was noch geht...« * Boris trug einen Raumanzug aus paradieseuropäischer Fertigung über seinem SERUN, als er sich in seinem Kontursitz festschnallte. Auf den SERUN wollte er nicht verzichten, obwohl an dem Anzug nicht viel funktionierte. Mit ihm in der kleinen Kabine der EUROPA VII waren noch sechs Terraner: Tleko Samran und Flora Soft, die schon den ersten Flug zur MOLOKKO mitgemacht hatten und vier Techniker
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aus dem Stab von Omker Wanitwro. Der Start war heftig, aber die Belastung war für Boris durchaus nicht ungewohnt. Während seiner Ausbildung zum Kosmonauten hatte er härtere Starts durchmachen müssen. Nur die vier Techniker hatten große Probleme mit dem hohen Andruck beim Start und der anschließenden Schwerelosigkeit. Sechs Mal umrundete die EUROPA VII den Planeten, bevor sie auf Kurs ging. Boris hatte genug Zeit, die Schönheiten des Planeten zu bewundern. Er verstand ein wenig, warum der überwiegende Teil der Terraner lieber hier bleiben wollte. Aber wenn es einmal wieder einen Hyperraum gibt, werden sie Besuch und damit auch Probleme bekommen, dachte er. Dann ist es mit der friedlichen Isolation vorbei.
ne andere Aufgabe. Auf dem vierten Planeten dieses Systems ist ein Raumschiff notgelandet. Ich habe einen Impuls im Ultrakurzwellenband empfangen, der offensichtlich von seinem automatischen Sender abgestrahlt wird.« »Wir kennen einen solchen Impuls«, warf Flora Soft ein. »Alle drei Tage empfangen wir ihn auch auf Paradies-Europa. Unsere Wissenschaftler haben jedoch herausgefunden, dass es sich um ein natürliches Phänomen handeln muss.« »Da irrt ihr euch. Es handelt sich um einen Impuls von nur zwei Sekunden Dauer, der in einer Sonderform des alten terranischen Flottencodes codiert ist.« »Kannst du ihn entziffern?« fragte Boris. »Ja, er lautet: ›Die schlafende Königin ruft ihr Volk.‹«
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Über die Rettungsluke, die damals auch Tleko Samran benutzt hatte, waren sie in die MOLOKKO eingedrungen. Das TERRA-Schiff wirkte ohne die Anwesenheit von KATHARINA, dem Bordcomputer, öde und leer. Boris wusste, dass KATHARINA als Bordcomputer noch existierte, aber ohne 5D-Technik war sie wohl nicht in der Lage, in menschlicher Gestalt zu erscheinen. Boris aktivierte das Terminal in der Zentrale, auf dem KATHARINA ihm bei ihrer Ankunft die Nachricht übermittelt hatte. »KATHARINA, ich bin wieder hier und habe Hilfe mitgebracht.« Auf dem Bildschirm erschien statt einer Antwort nur ein Hinweis: Sprachausgabe. Tatsächlich konnten sie kurz darauf KATHARINAs Antwort hören: »Hallo Boris, guten Tag, liebe Gäste. Ich bin noch aktiv, aber durch das Fehlen höherdimensionaler Energien in meiner Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Das gilt auch für das Schiff. Übrigens gibt es auch eine Spracheingabe am Terminal 7.« Boris ging zu Terminal 7 hinüber und sprach dort in ein Mikrophon: »KATHARINA, können wir dieses Schiff auf Paradies-Europa landen?« »Ja, das ginge schon. Aber wir haben ei-
Die Terraner in der Zentrale von Boris’ Schiff schauten sich betreten an. Boris merkte gleich, dass etwas nicht stimmte. »Ihr wisst etwas?« sprach er sie an. »Was ist mit der schlafenden Königin?« Nachdem sie sich leise beraten hatten, trat Flora Soft vor und sagte: »Ja, in unseren uralten Aufzeichnungen gibt es Hinweise auf die schlafende Königin. Diese Hinweise sind allerdings aus den offiziellen Geschichtsbüchern entfernt worden. Nur unsere Regierung, einige Wissenschaftler und die Leute, die mit Raumfahrt etwas zu tun haben, kennen den Begriff noch. Ich bin zum ersten Mal damit konfrontiert worden, als ich nachgefragt habe, warum man keine Expedition zur Linda, dem 4. Planeten unseres Systems unternimmt. Man hat mich dann zur Seite genommen und mir folgende Geschichte erzählt: In grauer Vorzeit, lange bevor die Zivilisation auf Paradies-Europa ihre heutige Blüte erreicht hat, regierte der Roboter der Königin Linda unseren Planeten. Unter ihrer Regentschaft wurde die technische Entwicklung vehement vorangetrieben. Die ganze Bevölkerung arbeitete an einem Projekt, dem Königin Linda den Namen ›Tiefe‹ gegeben hatte. Viel ist über dieses Projekt nicht
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mehr bekannt, aber alle Terraner arbeiteten Tag und Nacht direkt oder indirekt daran. Trotz gigantischer Anstrengungen kam man jedoch nicht weit. Als Königin Linda weitere Anstrengungen forderte, regte sich heftiger Widerstand. Damals war die Versorgung der Bevölkerung schlecht geworden und der Lebensstandard war rapide gesunken, weil alle an dem Projekt arbeiteten, selbst die ehemaligen Landwirte und Viehzüchter. Eine kleine Gruppe von Oppositionellen wagte es schließlich, offen vor dem Roboter der Königin hinzutreten und das sofortige Ende des Projektes ›Tiefe‹ einzufordern. Sie sollen es nicht überlebt haben, erzählt man sich. Aber letztlich ist es doch gelungen, den Roboter zu vernichten. Wie das geschah und wer die Rebellion damals angeführt hat, ist nicht überliefert. Es ist außerdem festgehalten worden, dass Königin Linda nie den Planeten betreten hat. Seit Tausenden von Jahren ruft sie ihr Volk.« »Hmm«, sagte Boris nachdenklich. »Mir kommt da eine Idee. KATHARINA, erinnerst du dich an die Worte, die auf der Tafel standen. Auf diesem merkwürdigen Planeten mit dem verrückten Volk, wo jeder glaubte, eine Uhr zu sein?« »Ja, die Inschrift lautete: * Ich kann nicht länger auf Tek warten. Er ist seit 4 Wochen überfällig. Ich merke, wie ich mich verändere. Ich muss sofort hier weg. An alle, die das hier lesen: Der Planet macht einen verrückt. Der einzig sichere Weg hier heraus führt über Punta Negra. Punta Negra ist das stabile schwarze Loch, das die Sonne im Abstand von 2 Lichtwochen umkreist. Es führt in die letzte bekannte und funktionierende schwarze Sternenstraße in der Galaxis. Die automatische Station läßt jedes Schiff durch. Tek hat das schon mehrfach ausprobiert, der Weg ist sicher. Der Hyperraum nicht, starke Verzerrungen der Raumzeit ma-
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chen jeden Flug zu einem Risiko. * »Und die, die das geschrieben hat, ist in die gleiche Falle gegangen wie ich«, murmelte Boris. »Wahrscheinlich ist sie dann auch hier herausgekommen. Das war Dao-Lin-H’ay, die Gefährtin von Ronald Tekener, diese Kartanin. Soll auch einen dieser Unsterblichkeitschips besessen haben. Das erklärt alles. Ihr hohes Alter und ihr Streben, über das Projekt Tiefe hier wieder weg zu kommen.« Seine sechs Begleiter waren ruhig geworden. Flora Soft fragte leise: »Und jetzt willst du sicher zu diesem toten Planeten und die schlafende Königin wecken? Damit sie wieder Unglück über unseren Planeten bringt? Wir haben die Rufe gehört, aber alle, die zu den Wissenden gehörten oder gehören, waren sich einig: Die schlafende Königin darf nie von uns geweckt werden!« »Was wisst ihr über den 4. Planeten?« fragte Boris. »Er ist nie von uns erkundet worden«, antwortete Flora. »Die großen Observatorien liefern nur ein unscharfes Bild. Danach ist dieser Planet offensichtlich eine graue Steinwüste ohne Atmosphäre.« »Wenn es wirklich die Kartanin ist, die dort schläft, dann wird sie eure Bedenken akzeptieren, wenn es mit gelingt, sie zu wecken«, versuchte Boris seine Begleiter zu beruhigen. »Außerdem weiß ich nicht, ob wir zum 4. Planeten kommen... KATHARINA, ist ein Beiboot funktionsklar?« »Nein Boris, die Beiboote sind in Kompakten Feldern gelagert. Ohne 5D-Technik funktioniert das nicht. Die Boote bleiben so klein, wie sie jetzt sind. Du passt da jedenfalls nicht hinein...« »Häh, spielst du auf meine Körpermaße an? Das sind alles nur Muskeln! Aber sag mal, kann denn die MOLOKKO zum 4. Planeten fliegen?« antwortete Boris. »Dieses Schiff verfügt über Impulstriebwerke und leistungsfähige Notaggregate zur Energieversorgung. Wenn ihr mit der Energie sparsam umgeht, reicht sie für Flüge innerhalb
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dieses Sonnensystems durchaus aus. Bei der Steuerung des Schiffes sollten die Terraner von Paradies-Europa allerdings ein wenig helfen.« * Nachdem die Terraner ihre grundsätzlichen Bedenken gegen einen Anflug auf den 4. Planeten zurückgestellt hatten, weil sie Boris glaubten, was dieser über die schlafende Königin gesagt hatte, hatten sie sich mit den verschiedenen Handsteuer-Möglichkeiten auf der MOLOKKO vertraut gemacht. Langsam nahm das große Schiff Fahrt auf. Bis zur Annäherung an Linda, den 4. Planeten, war noch genug Zeit, mittels der Orter diesen Planeten genauer zu untersuchen. »Durchmesser ungefähr 3.000 Kilometer, keine Atmosphäre, überwiegend flach«, gab Answir Kottenbirg durch, der die Ortungsanlagen bediente. »Und grau ist er, der Planet«, antworte Boris, der ebenfalls durch ein Fernrohr gesehen hatte. KATHARINA meldete sich: »Erreichen Umlaufbahn um Linda in 5 Stunden.« * Nachdem die MOLOKKO die erste Umkreisung beendet hatte, wußte man mehr. Der Planet hatte einen Durchmesser von ziemlich genau 3.000 Kilometern. Trotz der fehlenden Atmosphäre konnten keine Einzelheiten auf der Oberfläche entdeckt werden. Auch als die MOLOKKO eine niedrigere Umlaufbahn wählte, war nichts zu erkennen. Nachdem KATHARINA den mutmaßlichen Standort des Notsenders berechnet hatte, warteten alle gespannt, bis sie die entsprechende Region überflogen. Doch so sehr sie sich auch anstrengten, dort unten war nichts. »KATRHARINA, reichen unsere Energiereserven für eine Landung und für einen späteren Start?« fragte Boris. »Ja.« »Gut, dann lande bitte dort, wo du den Notsender vermutest.« Die Impulstriebwerke der MOLOKKO ga-
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ben den erforderlichen Gegenschub und das Schiff näherte sich langsam der Oberfläche des Planeten. »Noch 200 Meter, noch 100 Meter«, meldete Answir Kottenbirg. »Noch 50 Meter...« Merkwürdiger Planet, dachte Boris. So einen ödes Ding hab ich ja noch nie gesehen. »Noch 10 Meter, noch 5 Meter. Landung... jetzt.« Alle warteten auf das Aufsetzen des Schiffes, doch nichts geschah! »Wir sinken ein«, rief Flora Soft entsetzt. Tatsächlich versank die 500 Meter durchmessende MOLOKKO im Boden des Planeten. Boris wollte gerade KATHARINA fragen, warum der Bordcomputer keinen Gegenschub gegeben hatte, als er es sah: Die Oberfläche des Planeten war nur eine Illusion gewesen oder ein anderer technischer Trick – es gab keinen Planeten! Stattdessen schwebte eine riesige runde Scheibe vor ihnen im Weltraum. Ihr Durchmesser betrug fast genau 2.000 Kilometer, ihre Dicke 1,5 Kilometer. »Das Ding ist eindeutig künstlich«, sagte Boris, nachdem er sich von dem Schock erholt hatte. Vorsichtig ging die MOLOKKO näher heran. Schon aus größerer Entfernung konnten sie einzelne Aufbauten und Türme, sowie ebene Flächen erkennen, die offensichtlich Landeplätze für Raumschiffe waren. Alle Landeplätze waren leer, nur auf dem kleinen Feld neben dem zentralen Turm war ein Raumschiff zu sehen. »Es handelt sich um einen leichten Kreuzer terranischer Bauart, Durchmesser 120 Meter«, gab KATHARINA bekannt. »Quatsch, solche Dinger haben wir nie gebaut«, widersprach Tleko Samran heftig. »Na gut. Alt-terranischer Bauart.« »Das Schiff von Dao-Lin-H’ay«, sagte Boris andächtig. »KATHARINA, lande bitte dicht daneben.« »Ist das nicht zu gefährlich?« hielt Flora Soft ihm entgegen. »Nein, Flora. Wenn diese riesige Scheibe über Waffensysteme verfügt, dann funktionieren die auch nur auf 5D-Basis, genau wie die
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Waffen der MOLOKKO.« Als die MOLOKKO gelandet war, verließen Boris und Tleko Samran das Schiff und näherten sich dem alten terranischen Kreuzer. Da die Bodenschleuse offen stand, hatten sie keine Probleme, in das Schiff einzudringen. Lediglich der Aufstieg über die Notleiter machte Boris etwas zu schaffen. Zum Glück hatte der Kreuzer Nottreppen, die zur Zentrale im Zentrum des Schiffes führten. Der zentrale Antigravschacht funktionierte natürlich ebenso wenig wie alle anderen Geräte auf 5D-Basis. Ziemlich außer Puste kamen sie oben an. Immerhin hatten sie fast 60 Höhenmeter zu überwinden gehabt und das bei einer Schwerkraft von vielleicht 0,7 Gravos. Die Zentrale war mit einem Doppelschott gesichert. Nachdem sie das erste Schott mittels eines Handrades geöffnet hatten, erkannten sie, dass sie sich in einer Luftschleuse befanden. Erst als sie das äußere Schott geschlossen hatten, ließ sich das Innenschott bewegen. Über die Außenlautsprecher ihrer Raumanzüge konnten sie die ersten Geräusche vernehmen. Es gab also Luft in der Zentrale. Vorsichtig schoben sie sich durch den Spalt des Innenschottes. In der Zentrale hörten sie das leise Brummen von Energieerzeugern und es gab Licht. Doch dieses Licht diente nur einem Zweck: Es beleuchtete den gläsernen Sarkophag, der mitten in der Zentrale stand. Zahlreiche Schläuche und Kabel führten zu diesem Sarkophag hin. Zögernd trat Boris näher. Tleko Samran war zurückgeblieben. Sofort erkannte er das Wesen, das in dem gläsernen Sarkophag lag – Dao-Lin-H’ay, die Kartanin. Trotz der Schläuche, die ihren Körper mit einem Lebenserhaltungssystem verbanden, konnte Boris sofort erkennen, dass die Kartanin wunderschön war. Bisher hatte er nur Holografien und Bilder gesehen, aber die Wirklichkeit übertraf alles. Der SERUN, den die Kartanin trug, betonte ihren durchaus humanoiden Körper und trotz der geschlossenen Augen fand Boris ihre katzenhaften Züge sehr ansprechend. Der Brustkorb der Kartanin hob und senkte sich
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ungeheuer langsam. Boris winkte Tleko Samran zu sich heran. Zögernd kam der Terraner von Paradies-Europa näher. Boris sagte: »Die schlafende Königin!« * Nachdem sie den Sarkophag mehrmals umrundet hatten, gaben sie die Suche nach dem Mechanismus auf, mit dessen Hilfe sie die Kartanin hätten wecken können. Tleko Samran fand jedoch etwas anderes – eine Folie. Wie beiläufig hingelegt, lag sie auf einem Steuerpult. Tleko Samran las vor: »Ihr seid also gekommen, Menschen des Volkes vom dritten Planeten. Lasst mich schlafen. Ich habe euch großes Unrecht angetan und ich bereue es zutiefst. Mein Ziel war es, mit eurer Hilfe einen Heimweg für uns alle zu finden. Für euch zurück in die Milchstraße, für mich in meine Heimat Hangay. Es war alles umsonst, es gibt keinen Heimweg. Selbst dieses riesige Transportschiff ist nicht in der Lage, ohne das Vorhandensein höherdimensionaler Energien zu agieren. Wie ich heute weiß, hatte es zwei Aufgaben: Es hat euer ganzes Volk damals hierher gebracht und es diente und dient als Empfangsstation für die Falle, in die ich geflogen bin. Wieso eine schwarze Sternenstraße hier enden kann, wo es doch keine höheren Dimensionen gibt, habe ich nicht herausfinden können. Dieses Transportschiff hat mir seine Geheimnisse nicht offenbart, aber es hat irgendwas mit dem zentralen Turm zu tun. Dort gibt es auch höhere Dimensionen. Leider nur in einem engen Bereich, den ich nicht verlassen kann, weil mein spezieller Zellaktivatorchip Hyperraum braucht, um zu funktionieren. Deshalb habe ich auch den Roboter auf euren Planeten geschickt. Lasst mich schlafen, bis es wieder Hoffnung gibt. Dank meines Zellaktivatorchips bin ich relativ unsterblich. Ich kann tausend Jahre warten; wenn nötig, auch länger...
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Auf der Suche... III 43. Die galaktische U-Bahn
»Etwas stimmt hier ganz und gar nicht!« schimpfte Boris, als er die Zentrale von DaoLin-H’ays Schiff verließ. »Ich habe keine Ahnung von Hyperraum und all dem Zeugs, aber woher kommt dieses verdammte Feld, das uns einen Planeten vorspiegelt, wo keiner ist? Und wieso endet hier die schwarze Sternenstraße, obwohl die doch auch höherdimensional ausgelegt ist?« Fragen über Fragen, die niemand beantworten konnte. Zunächst hatte Boris überlegt, Dao-LinH’ay, die schlafende Königin, aufzuwecken und mit ihr das riesige Transportschiff zu erkunden, das er zusammen mit den Astronauten von Paradies-Europa hier entdeckt hatte. Aber eine Sonderschaltung am Sarkophag ließ die Erweckung erst dann zu, wenn wieder höherdimensionale Energien verfügbar waren. Zusammen mit den Raumfahrern von Paradies-Europa war er nach Linda, dem 4. Planeten des Systems, gekommen, um nach dem geheimnisvollen Sender zu suchen, der in regelmäßigen Abständen ein Notsignal abgab. Aber statt auf der Oberfläche von Linda zu landen, waren sie durch die Oberfläche gesunken und hatten das gigantische Transportschiff entdeckt. Der Planet und seine Oberfläche waren eine optische Täuschung gewesen, die irgendwie und von irgendwas erzeugt wurde. * Am Abend hatten sie sich in der Zentrale der MOLOKKO zusammengesetzt, um ihr weiteres Vorgehen zu beraten. Die Raumfahrer von Paradies-Europa drängten auf eine sofortige Rückkehr, um mit wissenschaftlicher Verstärkung wiederzukommen. Nach ihren Vorstellungen sollte die MOLOKKO auf ParadiesEuropa landen, die fähigsten Wissenschaftler des Planeten und umfangreiche Gerätschaften aufnehmen und sofort wider zurückfliegen. Boris fragte: »KATHARINA, reichen deine Notaggregate für eine solche Aktion?«
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»Ja. Und auch ich halte eine wissenschaftliche Untersuchung der hiesigen Phänomene für angebracht, solange ich meine eigenen Kapazitäten nicht vollständig einsetzen kann.« Boris nickte. Zusammen mit den Anderen leitete er das Startmanöver ein. Die Impulstriebwerke der TERRA 3, Eigenname MOLOKKO, liefen hoch. Das Schiff schüttelte sich. »Früher«, sagte Boris, »ging das aber leiser und sanfter ab...« Er dachte dabei an die eigentlichen Möglichkeiten seiner MOLOKKO. »Auch viele Komponenten des Impulsantriebs beruhen auf 5D-Technik, die hier und jetzt nicht zur Verfügung steht.« Als das Schiff an Höhe gewonnen hatte, änderte Boris die Flugbahn, um das gigantische Objekt zu umkreisen. Das riesige Transportschiff, mit dem die Terraner von ParadiesEuropa vor 50.000 Jahren hierhin gebracht worden waren, hatte immerhin einen Durchmesser von 2.000 Kilometern und war 1,5 Kilometer dick. »Irgendwer hat planetengroße Schiffe aufgeboten, um die Terraner in die Verbannung zu transportieren. Welch ein Aufwand! Was haben die Menschen um Perry Rhodan damals verbrochen, um solch einen Aufwand zu rechtfertigen?« fragte sich Boris wieder einmal. Plötzlich bremste die MOLOKKO ab und gab Gegenschub. »KATHARINA, was ist los?« fragte Boris. »Irgend etwas war da gerade. Ich fliege zurück.« An den verschiedenen Flugmanövern ihres Schiffes konnten sie erkennen, dass die MOLOKKO irgendetwas suchte. KATHARINA hatte das Kommando übernommen und führte immer neue Flugmanöver durch. Die Astronauten schauten sich an, schließlich fragte Flora Soft: »Ist das normal, dass ein Computer bei euch das Sagen hat?« »Oh ja, du solltest KATHARINA erst mal erleben, wenn sie ihre volle Leistungsfähigkeit hat«, entgegnete Boris. Schließlich war das Schiff zum Stillstand gekommen. Auf den Bildschirmen für die Aussenbeobachtung konnte Boris erkennen, dass sich die MOLOKKO um ihre Längsachse drehte.
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»Bingo.« »Gespielt wird hier nicht«, entgegnete Boris. »Das können wir morgen Abend machen, in der gemütlichen Kneipe in Dormagen-Stadt. Hauptpreis ist eines deiner kleinen Beiboote, hi hi. Im Ernst, KATHARINA, was ist los?« Statt einer Antwort erschien KATHARINA in der Zentrale. Die Raumfahrer von ParadiesEuropa zuckten zusammen. Boris lächelte, er kannte die weibliche Projektion des Schiffscomputers. Schließlich hatte er sie geschaffen. »Also haben wir wieder Hyperraum und so, KATHARINA?« »Ein wenig. Und nur in einem ganz engen Bereich. Höchstens 80 Meter im Durchmesser. Ein Teil von mir liegt jetzt in diesem Bereich. Ich untersuche das noch. Moment bitte.« Ungeduldig wartete Boris auf die Untersuchungsergebnisse. Bot sich hier eine Chance? »Es handelt sich um eine Art Richtstrahl. Er geht vom zentralen Turm des Transportschiffes aus. Der Strahl hat genau 78 Meter Durchmesser. Innerhalb der röhrenförmigen Struktur des Strahles sind die Raumverhältnisse völlig normal. Ein zweiter Richtstrahl mit geringem Durchmesser geht von den Aufbauten links neben dem Turm aus und speist den optischen Schirm, der uns den Planeten Linda vorspiegelt. Der große Richtstrahl ist auf das Zentrum dieser Galaxis gerichtet. Ich nehme an, dass er zur Kommunikation mit einer Zentraleinheit dient. Möglicherweise gibt es in dieser Galaxis weitere Stationen, die mit dieser Zentrale verbunden sind.« »Dann kann das riesige Transportschiff mit seiner Zentrale kommunizieren?« fragte Boris. »Alles ist möglich, natürlich auch Hyperfunk. Wahrscheinlich kann die Anlage da unten noch viel mehr. Ich vermute, dass sie sogar eine Art ›schwarzes oder weißes Loch‹ projizieren kann, wenn über die Zentrale die Meldung kommt, das jemand in die Falle geflogen ist, die in der Nähe des Planeten der Verrückten aufgebaut ist.« »Das heißt, die schwarze Sternenstraße wird erst aktiviert, wenn jemand in die Falle fliegt?« »Ja. Die Station in der Nähe des Planten der Verrückten prüft wahrscheinlich, ob ein Berechtigter kommt. Wenn nicht, schaltet sie die
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schwarze Sternenstraße so, dass man hier herauskommt. Oder an einem anderen Punkt dieser Galaxis. Die schwarze Sternenstraße ist nach meinen Erkenntnissen vektorierbar.« »Mein Gott, mit welchen Mächten haben wir uns hier angelegt«, stöhnte Boris. »Aber Ronald Tekener konnte die schwarze Sternenstraße doch offensichtlich benutzen, ohne hier heraus zu kommen.« Dann war Ronald Tekener ein Berechtigter. Jemand, der mit den Kräften zusammenarbeitete, die für die Vertreibung der Terraner verantwortlich waren. »Können wir diesen Richtstrahl irgendwie nutzen?« Boris war jetzt sehr erregt. »Vielleicht durchfliegen, mit einem Beiboot?« »Nein, die Beiboote haben keinen Überlichtantrieb. Und um die Frage vorweg zu beantworten, die du jetzt stellen willst: Nein, ich kann die TERRA 3 auch nicht kleiner machen. Um das Kompakte Feld zu aktivieren, müsste das ganze Schiff in dieses Feld hineinpassen. Doch bei nur 78 Metern Durchmesser befindet sich immer nur ein kleiner Teil unseres Schiffes innerhalb des Richtstrahles. * Nur 204 Lichtjahre entfernt, für kosmische Entfernungen also fast um die Ecke, war die TERRANIA, das kleine Schwesterschiff der TERRA, zum galaktischen Zentrum unterwegs. Hätte ihr Einflug in die Galaxis M 343 nur ein paar Lichtjahre weiter westlich stattgefunden, dann wäre sie hier vorbeigekommen und Boris hätte sie mit seiner MOLOKKO begleiten können. So muss die kleine Schwester ihre Arbeit weiterhin alleine tun. 500 mal in der Sekunde greifen ihre Transpuls-Werfer nach vorn und transportieren ein Stück Weltraum zur Seite. Ihre Messungen ergeben, dass sich so eine rund 600.000 Km breite Gasse öffnet, in der die Raum-Zeit-Verhältnisse normal sind. Das Ziel der TERRANIA ist das rechnerische Zentrum des Wirkungsfeldes. Dort müsste sich das Gerät befinden, das die Veränderungen der Raum-Zeit-Struktur seinerzeit ausgelöst hat. Die Baolin-Nda vermuteten, dass dieses Gerät die höheren Dimensionen innerhalb
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Auf der Suche... III
des Wirkungsfeldes quasi »in sich hinein saugte« Wenn dieser Vorgang gestoppt wird, wird sich die Raum-Zeit-Struktur wieder normalisieren. Wegen der möglichen Aufladung dieses Gerätes mit hochdimensionaler Energie konnte es nicht einfach vernichtet werden, denn die Folgen für die Galaxis TRESOR wären voraussichtlich katastrophal gewesen. Das neue Schiff würde abwarten, ob sich das schlafende BlackHole im Zentrum von M 343 aktivieren würde, wenn die höheren Dimensionen wieder existierten, und dann versuchen, dieses Gerät dort hinein zu versetzen. * Boris Walter und seine neuen Freunde von Paradies-Europa bekamen nicht mit, was da in 204 Lichtjahren Entfernung vor sich ging. Sie saßen nach wie vor in der Zentrale der MOLOKKO und berieten ihr weiteres Vorgehen. Über Funk hatten sie bereits Kontakt mit Paradies-Europa aufgenommen. Auf dem Raumhafen warteten jetzt schon Hundert der fähigsten Wissenschaftler des Planeten auf die Ankunft der MOLOKKO. Mehr konnten es nicht sein, weil auf dem gesamten Planeten nicht mehr als Hundert Raumanzüge zur Verfügung standen. In gut 12 Stunden würde die MOLOKKO landen und sie aufnehmen. Mit ihren umfangreichen Gerätschaften würden sich die Wissenschaftler sofort auf die fremdartigen Anlagen des geheimnisvollen Transportschiffes stürzen... Und dabei versehentlich den Alarm auslösen. * Als der Abend über das Land Dormagen hereinbrach, war Dorthe Singer auf die Veranda ihres Hauses getreten und betrachtete die untergehende Sonne. Viel war passiert in den letzten Tagen. Der Mensch von der Erde war im Fernsehen aufgetreten und hatte seine unglaubliche Geschichte erzählt. Ihr Mann, Alfa Singer, war
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jetzt da oben und untersuchte das geheimnisvolle Riesenschiff, das als 4. Planet die Sonne umkreiste. Im Fernsehen hatte sie den Start des weißen Schiffes mitverfolgt, mit dem ihr Mann und fast Hundert seiner Kollegen aufgebrochen waren. MOLOKKO hieß dieses Schiff, der Name bedeutete »Milch«. Milch gab es auch auf Paradies-Europa. Die heimischen Kühe gaben sie reichlich. Ihre Schwester Branka arbeitete in der Landwirtschaft. Manchmal brachte sie Milch mit, wenn sie zu Besuch kam. Dorthe Singer war vor dem Fernseher eingenickt. So bekam sie nur den Rest der Sondermeldung mit, die gerade gesendet wurde: »...in Kämpfe mit unbekannten Gegnern verwickelt. Die unbewaffneten Frauen und Männer von Paradies-Europa hatten keine Chance und sind verschwunden.« * Boris hatte das ganze Drama in der Zentrale seines Schiffes mitverfolgt. Nachdem er die Wissenschaftler auf dem Transportschiff abgesetzt hatte, war die MOLOKKO wieder in den Orbit gegangen und teilweise in den »Richtstrahl« eingetaucht, der das Transportschiff mit einer anderen Stelle verband und in dem die Raum-Zeit-Verhältnisse normal waren. So war wenigstens ein Teil der Anlagen des TERRASchiffes funktionstüchtig. Als auf dem Transportschiff der Alarm ausgelöst wurde, hatte KATHARINA es sofort bemerkt und die Waffensysteme hochgefahren. Kurze Zeit später waren die kleinen Raumschiffe von dem »Richtstrahl« ausgespuckt worden und waren sofort auf dem Transportschiff gelandet. Durch die Kameras, die dort installiert worden waren, konnte Boris Roboter erkennen, die die kleinen Schiffe verließen und ausschwärmten. Die Roboter waren entfernt humanoid und gingen sofort zum Angriff über. Die Wissenschaftler von Paradies-Europa brachen zusammen und wurden von den Robotern in die kleinen Schiffe transportiert, die kurz darauf wieder starteten. Ohne Notiz von der MOLOKKO zu nehmen, die über ihnen im Orbit hing, hatten sie sich wieder in den »Richt-
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strahl« eingefädelt und waren verschwunden. Alles war unheimlich schnell gegangen. Nur eines der kleinen Schiffe war zurück geblieben. Die Roboter waren in das Schiff eingedrungen, in dem Dao-Lin-H’ay ihren ewigen Schlaf hielt und noch nicht wieder heraus gekommen. »Was hätte ich tun sollen? Die anderen Schiffe abschießen?« antwortete KATHARINA auf die Vorwürfe, die Boris ihr gerade machen wollte, doch der schüttelte den Kopf und erklärte KATHARINA seinen Plan. Als der erste Roboter wieder das alte terranische Schiff verließ, trafen ihn zwei Dinge gleichzeitig – die Erkenntnis, dass man sich doch zuerst um das merkwürdige Schiff im Orbit hätte kümmern sollen und die Fernlenkrakete der MOLOKKO, die seinem robotischen Dasein ein jähes Ende machte. »Habe Verbindung mit dem alten terranischen Schiff aufgenommen«, teilte KATHARINA mit. »Die Zentrale ist jetzt verriegelt und es ist eine optische Beobachtung möglich. Die Roboter kommen nicht in die Zentrale herein und ziehen wieder ab. Sind noch zwei...« Als die beiden Roboter das Schiff verließen, machten sie die gleichen Erfahrungen, wie ihr Kollege vorhin, sowohl als auch... Das nun herrenlose Schiff stand jetzt einsam auf der Oberfläche des gigantischen Transporters. Die MOLOKKO verließ den Einflussbereich des »Richtstrahls« und landete auf der Oberfläche. Mit Hilfe einiger einfacher Roboter aus dem Arsenal schafften sie es, das kleine Fremdschiff an der MOLOKKO zu befestigen. Vorsichtig startete die MOLOKKO und nahm wieder ihre alte Position ein. KATHARINA machte sich sofort an die Untersuchung des Fremdschiffes, während Boris mit Paradies-Europa Verbindung aufnahm. Er unterrichtete die Terraner über die Vorkommnisse und schloss mit der Bemerkung: »Haben Sie Hoffnung. Ihre Angehörigen sind noch am Leben. Ich werde alles tun, damit sie gesund zurückkehren.« Die Untersuchung des kugelförmigen Fremdschiffes gestaltete sich für KATHARINA besonders schwierig. Einerseits musste sie das
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Fremdschiff aus dem »Richtstrahl« heraushalten, solange sie nicht wusste, ob es nicht eine Verbindung zur vermeintlichen Zentrale aufbauen konnte, zum Anderen brauchte sie den »Richtstrahl«, um ihre hochwertigen Analysegeräte einsetzen zu können. KATHARINA löste das Problem, indem sie das Fremdschiff in eines ihrer Hangars zog und es mit verschiedenen Schutzschirmen umgab. Nach 2 Stunden legte KATHARINA das Ergebnis vor: »Das Schiff hat einen Durchmesser von 12 Metern, ist aus molekülverdichtetem Stahl hergestellt, verfügt über einen ausgereifter Linearantrieb und hat nur eine einfache Steuerung. Bis auf einen einfachen Prallschirm ist keine Defensiv- oder Offensivbewaffnung vorhanden. Dieses Fahrzeug ist offensichtlich speziell dafür konstruiert worden, innerhalb des ›Richtstrahles‹ zu operieren. Außerhalb dieses Feldes kann es nur kurze Strecken mit Hilfe eines einfachen Impulsantriebes zurücklegen.« »Und wenn es noch mehr von diesen Hyperkanälen gibt, dann haben wir hier so etwas wie eine galaktische U-Bahn?« fragte Boris. »So könnte man sagen. Der ›Richtstrahl‹ beziehungsweise Hyperkanal ist ein reines Transportmedium für die kleinen Kugelschiffe. Es gibt einen Leitstrahl für die Steuerung und ein Bündelfeld für die Kommunikation.« Boris war sofort Feuer und Flamme. »Ich wollte schon immer mal wieder U-Bahn fahren.« »Das dachte ich mir. Deshalb habe ich einige kleinere Einbauten vorgenommen, die eine Steuerung durch einen Menschen ermöglichen. Für den Notfall verfügst du außerdem über einen leichten Paratron-Schirm und eine kleine Doppelpuls-Kanone. Außerdem habe ich ein Hyperfunkgerät eingebaut, mit dem du mit mir in Verbindung aufnehmen kannst, solange du dich innerhalb des Hyperkanalsystems befindest. Ach ja, noch eines: Lass’ dir eine gute Geschichte einfallen, wenn du mal nach einem Fahrschein oder so, gefragt wirst. Aber da hast du ja keine Probleme mit...« Nachdem KATHARINA Boris in die Bedienung des kleinen Kugelschiffes eingewiesen
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Auf der Suche... III
hatte, nahm Boris in der improvisierten Zentrale des kleinen Schiffes Platz. Mit Hilfe des Impulsantriebes verließ er den Hangar. Auf einem Bildschirm war der Hyperkanal als hellgrüne Röhre dargestellt. Boris lenkte das Schiffchen hinein. Neben dem Bildschirm waren Taster angebracht. KATHARINAs Roboter hatten Schildchen für die festgestellten oder vermuteten Funktionen aufgeklebt. Nachdem er die Taste betätigt hatte, die für »nächste Station« stand, aktivierte sich der Antrieb. Das kleine Schiff beschleunigte. Von dem Eintritt in den Linearraum bekam Boris nicht viel mit, lediglich die Sterne ausserhalb des Hyperkanals begannen zu verschwimmen. Die Reise mit der galaktischen U-Bahn konnte beginnen. * Die nächste Station war schnell erreicht. Die Fahrt hatte 8 Stunden gedauert. Bevor Boris den Hyperkanal verließ, hatte der Pikosyn seines SERUNs noch die Entfernung zu seinem Ausgangspunkt anhand der Sternverschiebungen errechnet: Immerhin 8.000 Lichtjahre. Als Boris das Schiff nach draußen lenkte, stellte der Pikosyn seine Arbeit ein. Auch hier war kein Hyperraum vorhanden. »Immerhin 1.000 Lichtjahre pro Stunde! Das ist ein verdammt guter Wert. So etwas bräuchten wir in der Milchstraße auch«, murmelte Boris, als er sich die Umgebung seiner Zielstation ansah. Als »Bahnhof« diente hier ebenfalls ein gigantisches Transportschiff mit einem zentralen Turm, wie schon im System von ParadiesEuropa. Da das kleine Schiff nicht für interplanetare Flüge vorgesehen war, konnte Boris das System nicht erkunden. Er kehrte deshalb in den Hyperkanal zurück und ließ seinen Pikosyn die Ortungsarbeiten verrichten. »Dieses System hat vier Planeten. Der zweite Planet ist bewohnt. Aufgefangene Funkwellen im UHF-Band deuten auf einen hohen technischen Standard hin, vergleichbar mit Paradies-Europa. Das Transportschiff ist energetisch tot. Es gibt keine Hinweise darauf, dass
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hier eine Station der Roboter existiert, die die Terraner von Paradies-Europa entführt haben.« »Dann haben wir hier nichts verloren«, kommentierte Boris die Meldung seines Pikosyn und beschloss, seine Reise fortzusetzen. Er drückte die Taste mit der Aufschrift »Zentraler Knotenpunkt«. Die galaktische U-Bahn ruckte an und nahm Fahrt auf.
44. Fragen
Ich bin auf der Flucht. Mein Raumschiff, die KREUZ-ASS rast mit maximaler Geschwindigkeit durch den Hyperraum. Gestern habe ich den Rand der Milchstraße passiert und die Galaxis, die meine Heimat ist, hinter mich gelassen. Für immer? Ich weiß es nicht. Für einen Unsterblichen hat der Begriff »immer« einen merkwürdigen Beigeschmack. Alles war so schnell gegangen. Plötzlich waren die Terraner wieder da. Nicht das große Volk, das seit 50.000 Jahren in M 343 lebt und auch nicht ihre Führer, Perry Rhodan und Reginald Bull. Nein! Ein paar unerfahrene Menschen von der Erde hatten dem Kaiserreich innerhalb kürzester Zeit derart heftige Schläge versetzt, dass ein Zusammenbruch des Reiches nicht mehr aufzuhalten war. NATHAN, der Supercomputer auf dem Erdmond, hatte ihnen geholfen. Und da waren noch die Bewusstseine von zwei BaolinNda, die Teil der biologischen Komponenten NATHANs sind, wie ich noch erfahren habe, bevor ich fliehen musste. Aber wieso hatten wir nicht mitbekommen, dass die Erde noch existierte? Was war da schief gelaufen? Letztlich war ein einziger Mensch von der Erde, Jack Johnson, in der Lage gewesen, die mächtige Superintelligenz Rhombia, die Stimme des bösen Raumes, auszulöschen. Natürlich war ihm dabei der Zufall zur Hilfe gekommen. Zuerst gab es gewaltige Gravitationseinbrüche innerhalb des kleinen Brückensystems, das unsere Residenz mit zahlreichen Orten innerhalb und ausserhalb der Milchstraße verband.
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Für die Kompensation der mächtigen Gravitationsbeben innerhalb der Zentrale des kleinen Brückensystems hatte Rhombia einen großen Teil ihrer Energie verbraucht, um ein Übergreifen auf die kosmische Burg und den Mikrokosmos zu verhindern. Und dann hatte dieser Jack Johnson auch noch eine Waffe eingesetzt, die offensichtlich von den Baolin-Nda entwickelt worden war. Diese Spezialwaffe hatte die geschwächte Superintelligenz an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen und ihren Anker im Normalraum gelöst. Rhombia, die junge Superintelligenz, hatte sich nicht mehr halten können und war verweht. Dann war ich alleine. Auf Hilfe brauchte ich nicht zu hoffen. Dazu hatten Rhombia und ich in den letzten Jahrtausenden den Völkern der Milchstraße zuviel angetan. Manchmal ließ sich Ordnung eben nur mit Gewalt durchsetzen. Die Draboner waren in dieser Hinsicht ein sehr verständnisvolles Volk gewesen. Oh ja, sie hatten die Macht genossen, die ich ihnen gegeben hatte. Ein früher unbedeutendes kleines Volk war im Laufe der Jahrtausende zu dem mächtigsten Volk in der Milchstraße aufgestiegen. Draboner waren prinzipiell skrupellos und wahre Ordnungsfanatiker. Das richtige Leitvolk für die störrischen Milchstraßenvölker. Die Arkoniden und Akonen hatten sehr schnell gemerkt, wie schwach sie ohne die Unterstützung der Terraner waren. Außerdem standen auch die Arkoniden auf der Liste der TerraVölker, die für eine Verbannung vorgesehen waren. Aber Arkon hatte sich ganz klein gemacht, bis die endgültige Entscheidung gefallen war und war verschont worden. Aber das Damokles-Schwert der Verbannung hing noch immer über ihnen. Und das wussten sie! Mit den Blues-Völkern hatten wir leichtes Spiel. Kürüglü Igittigitt hatte die Anfälligkeit der Blues für den Dämonen-Kult geschickt ausgenutzt. Kürüglü Igittigitt war nicht nur König von Gatas gewesen, sondern auch als Träger der grauen Fratze der blutenden Sonne überall als oberster Dämon gefürchtet. Seine Nachfolger hatten den Dämonenkult weiter perfektioniert. Nein, die Blues waren nie mehr zu einem Problem geworden. Lediglich die Tefroder aus Andromeda wa-
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ren ein ernster Gegner gewesen. Als Rhombia ihren Einfluss auf die Nachbargalaxis ausdehnen wollte, waren unsere Flotten von ihnen empfindlich geschlagen worden. Letztlich musste sich Rhombia auf die Milchstraße beschränken. Mir war das ganz recht, denn unser Auftrag lautete ja, das Prinzip der Ordnung in der Milchstraße umzusetzen. Und das haben wir getan – wie ich erst seit Kurzem weiß – 50 Jahrtausende lang. Kam mir gar nicht so lange vor. Aber ich habe ja auch lange geschlafen, zwischendurch und Rhombia hat alle Entscheidungen getroffen. Bis sie mich weckte, als diese verdammten Menschen auftauchten und begannen, alles zu zerstörten... * Ein Signal des Bordcomputers riss Ronald Tekener aus seinen Gedanken. Bei einem Orientierungsstop hatte sein Schiff einen gerafften Hyperfunkspruch der VRYTZEL aufgefangen, jenem Schiff, das in seinem Auftrag in der Nähe von M 343 stationiert war, um mögliche Veränderungen der Raum-Zeit-Struktur in dieser Galaxis frühzeitig zu erkennen. Die VRYTZEL meldete jedoch, dass sie keine Veränderungen dieser Struktur angemessen habe. M 343 war die Galaxis der verbannten Terraner. Dort existierte ein spezielles Feld, das die Funktion höherdimensionalen Geräte und Überlichtantriebe unmöglich machte. Vereinfacht konnte man sagen, dort existierte oberhalb der 4. Dimension nichts mehr. Das perfekte Gefängnis für dieses störrische Volk, das so oft den übergeordneten Interessen der Hohen Mächte zuwider gehandelt hatte. Obwohl... Auch er, Ronald Tekener, war ja ein Terraner. Als potentiell Unsterblicher sogar einer ihrer Führer, enger Freund von Perry Rhodan, Reginald Bull und Atlan, dem Arkoniden. Hatte er sie verraten? Nein, eigentlich waren Perry und Co. die Verräter. Als sie ihr Amt als Ritter der Tiefe aufgaben, hatte es begonnen, damals... Wie lang war das her? Fast eine halbe Unendlichkeit. Und wieso war er eigentlich so schnell bereit
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gewesen, die galaktische Kaiserkrone anzunehmen? Welche Einfluss hatte Rhombia auf ihn gehabt? Jene junge Superintelligenz, die kurz nach dem Abtransport der Terraner aus dem Nichts aufgetaucht war. Und wie stark hatte ihn der Verlust von DaoLin-H’ay getroffen? Wieso war sie in die Falle geflogen? Hatte vielleicht Rhombia dabei ihre mentale Hand im Spiel gehabt? Oder war es der Einfluss jenes merkwürdigen Planeten gewesen, auf dem er mit Dao damals gelebt hatte? Fragen über Fragen! Ronald Tekener kam es langsam zu Bewusstsein, dass er sich lange keine Gedanken mehr über sein eigenes Handeln gemacht hatte. Wo war sein eigenes Ich gewesen, als er damals die Vernichtung von Ertrus befohlen hatte? Wieso hatte er so unendlich viel Schuld auf sich geladen? War es wirklich notwendig gewesen, für die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Milchstraße Millionen Lebewesen zu töten? War jetzt aus Ronald Tekener, dem Spieler, Ronald Tekener, der Massenmörder geworden? Würde man irgendwann verächtlich ausspucken, wenn man in Geschichtsbüchern seinen Namen las? Fragen über Fragen! Er überdachte seinen Plan. Ursprünglich wollte er die alte Sternenstraße nach M 343 benutzen. Aber da wäre er möglicherweise dort gelandet, wo er keinesfalls hin wollte, auf einem der Verbannungsplaneten. Besser, er identifizierte sich an einem der Checkpoints und wechselte in die galaktische U-Bahn, um nach Gojah 4 zu gelangen. Aber dafür musste er erst mal die Randbezirke von M 343 erreichen. Obwohl seine KREUZ-ASS über ein Hochleistungstriebwerk verfügte, würde der Metagrav-Flug noch einige Wochen dauern. Der Kerkermeister würde also noch etwas warten müssen. Bis dahin hatte er genug Zeit, um nachzudenken. Und viel Zeit, zu grübeln... * In der lichtarmen Leere des intergalaktischen Raumes war auch die TERRA unterwegs. Nachdem Paul und seine Freunde NATHAN
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zum kaiserlichen Hof geleitet hatten, wo das einstige Mondgehirn ab sofort als heimlicher neuer Kaiser der Galaxis agierte, waren sie nach M 343 aufgebrochen, um die Suche nach den verschollenen Terranern fortzuführen. Vorher waren sie aber noch kurz auf der Erde gewesen. Stephan wäre am liebsten mit der TERRA in das Sol-System eingeflogen, hätte das elegante Riesenschiff in der Erdumlaufbahn geparkt und wäre mit einem Beiboot auf dem Dorfplatz seines Heimatortes gelandet. Gelassen wäre er dann ausgestiegen, hätte lässig seine Freunden und Bekannten zugewinkt und wäre dann kurz bei seinen Eltern vorbeigegangen, um noch was von seinen persönlichen Sachen zu holen. Auch Paul war von der Idee ziemlich begeistert. »Stellt euch mal vor«, hatte er geschwärmt, »wir landen kurz auf der Erde, regeln noch dies und das, steigen in unsere Beiboote und verschwinden sofort wieder. Dann tarnen wir die TERRA und schauen uns genüsslich im Orbit an, wie die Fernsehsender über die Sensation berichten.« »Jep. Und jedes Mal, wenn die wieder mit Werbung unterbrechen, überlagern wir das Signal«, meinte Michele. »Etwa so: Genießen Sie Filme ohne jede Unterbrechung, Zeitmaschinen von Halut, selbst den hartnäckigsten Werbeangriffen gewachsen. Schluss mit Damenbinden zur Abendessenszeit.« Letztlich hatte THELA ihren guten Ansätze zur Rettung der menschlichen Kultur ein jähes Ende bereitet, als sie es kurzerhand abgelehnt hatte, in das Sol-System einzufliegen: »Ihr könnt die TERRA zwar steuern, zur Not auch gegen meinen Willen, aber an den Schlüssel für den Ultratron-Schirm kommt ihr nicht heran, basta! Und nach NATHANs Entscheidung bleibt der Ultratron-Schirm um das Sol-System bestehen. Solange, bis die neue Menschheit reif für ihre eigene kosmische Aufgaben ist. Wie immer die auch aussehen mögen...« So war ihnen nichts anderes übrig geblieben, als die Erde über das kleine Brückensystem in der kosmischen Burg zu erreichen. In der Station auf Fuerteventura waren sie herausgekommen, wo mittlerweile Roboter aus NATHANs
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Arsenalen Dienst schoben. Anschließend waren sie mit einem normalen Urlaubsflieger nach Deutschland zurückgekehrt. Ihren Eltern und Bekannten hatten sie erzählt, dass sie eine Weltreise auf einem Segelschiff machen wollten und sie sich die nächsten Monate nicht mehr melden würden. Vorsorglich hatte Paul tatsächlich eine entsprechende Passage gebucht. Das Schiff, die Santa Monica, sollte in 3 Tagen im Hafen von Moro Jable auf Fuerteventura ablegen. In Wirklichkeit waren sie natürlich mit einem anderen Schiff aufgebrochen, der TERRA. Und statt auf den Weltmeeren waren sie jetzt auf dem unendlichen Meer zwischen den Galaxien unterwegs. Ihr Ziel: Die Galaxis M 343, TRESOR. Ihre Aufgabe: Kontakt mit den verbannten Terranern aufzunehmen, sobald die TERRANIA ihnen den Weg freigemacht hatte. * »Was ist mit der TERRANIA? Ob sich dein kleines Schwesterschiff schon bis zum Zentrum von TRESOR vorgearbeitet hat?« »Ich denke schon. Nach ihrer letzten Meldung ist sie gut vorangekommen. In zwei Tagen werden wir nahe genug an M 343 herangekommen sein, um entsprechende Messungen vornehmen zu können. Leider durfte ich ja nicht schneller fliegen.« »Aha, wieder so eine Anspielung auf unsere Bitte, diesmal nur das Hypertakt-Triebwerk zu benutzen. Als wenn das nicht schon schnell genug wäre«, maulte Stephan in Anspielung auf das Ultratakt-Triebwerk der TERRA, das riesige kosmische Entfernungen innerhalb kürzester Zeit überwinden konnte, dessen Nebenwirkungen jedoch bei allen Vieren gefürchtet war. Kategorisch hatten sie THELA die Benutzung dieses Treibwerkes verboten. Zu schlimm waren die langanhaltenden Nebenwirkungen und Belastung ihrer Körper und ihrer Psyche. »Aha, der Retter der Galaxis betritt den Raum«, lächelte Dagmar, als Jack Johnson die Zentrale betrat. Wie immer hatte der Amerikaner eine Zigarette im Mundwinkel hängen und seinen angeb-
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lich originalen Stetson auf dem Kopf. »Morgen, Marlboro-Mann«, spottete Stephan. »Hat dir THELA keinen Gaul besorgen können? Und keinen fünfundvierziger Colt? Dann wäre dein Auftritt noch echter.« »Ja, mault mal schön. Schließlich habe ich meine Haut riskiert, als es darum ging, den galaktischen Kaiser zu vertreiben und die böse Superintelligenz Rhombia zu erledigen.« »Naja, ein klein wenig haben wir mit unseren Gravitationsbomben und NATHAN mit seiner Spezialwaffe auch dazu beigetragen, oder J.J.?« bemerkte Paul. »OK. Natürlich. Aber hört mit dem Lästern auf, ich bin nicht gut drauf. Ich vermisse meine JEANNIE«, entgegnete J.J.. »Die TERRA 4, die du JEANNIE nennst, ist im Hangar gut aufgehoben«, mischte sich THELA ein. »Und es war unser aller Wunsch gewesen, dass du mitfliegst, anstatt dich in der Milchstraße herumzutreiben, wie du es vorhattest.« »Was heißt hier herumtreiben, THELA?« maulte J.J.. »Es gibt in der Milchstraße noch soviel zu tun. Insbesondere für einen Mann, wie mich, der gerne allein unterwegs ist.« »Aha, der lonesome Cowboy kommt wieder durch«, spottete Michele. »Erinnerung deiner Gene? War einer in Dodge City und hieß zufällig Wyatt Earp? Aber dein Nachname klingt eher nach schwedischen Vorfahren.« »Mein Großvater war Schwede, aber meine Großmutter stammte aus Texas.« antwortete J.J. »Ich unterbreche euch ja nicht gerne, aber hast du schon mal auf Deine Ortung geschaut, liebste Dagmar?« Die so nett angesprochene Dagmar erwiderte: »Genau, ich habe ein Schiff in der Ortung gehabt. Ist aber nach kurzer Zeit wieder verschwunden.« »Hier, im Leerraum?« meinte Paul. »Vielleicht ist es diese VRYTZEL. Das kaiserliche Fernraumschiff treibt sich doch auch hier herum.« »Der Kursvektor des georteten Schiffes weist in Richtung auf M 343«, meldete THELA. »Die VRYTZEL müsste längst angekommen sein. Ich empfehle eine leichte Kurskorrektur. Möglicherweise wird das unbekannte
Auf der Suche... III
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Schiff einen weiteren Orientierungsstop einlegen. Dann sollten wir näher dran sein.«
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dem Schiff zu folgen.
»Wir sind einverstanden, THELA«, sagte Paul, nachdem die vier anderen genickt hatten.
*
»Oder soll ich mich mal kurz in meine TERRA 4 schwingen und...« hatte J.J. angefangen zu sagen, als er von den Anderen sofort unterbrochen wurde.
Die Verfolgung des fremden Schiffes war nicht so einfach gewesen, wie man es sich zunächst vorgestellt hatte.
»Nix da, J.J., keine Alleingänge!« sagte Stephan, dem wohl auch nach Abenteuer zumute war. Von der Kursänderung der TERRA bekamen sie wenig mit. Dagmar und Michele saßen am Hypertakt-Orter und warteten auf den verräterischen Blip. Paul hatte seine Hand auf den Impulsgeber für den Tarnschirm, während Steph und J.J. die Waffensteuerungen »warmlaufen« ließen, wie Steph gerne sagte. Allgemein rechnete man mit einem Orientierungsstop des fremden Schiffes nach weiteren 50.000 Lichtjahren. Nach den Borduhren der TERRA war es mittlerweile Abend geworden, als Dagmar: »Hab es!« rief. Paul unterbrach den Hypertaktflug und aktivierte den Tarnschirm. Er wusste, dass sich im gleichen Augenblick die gesamte Fernanalysetechnik der TERRA mit dem Fremdschiff befasste. Keine 2 Minuten später setzte das Fremdraumschiff seinen Metagravflug fort. »Es hat gereicht. Bei dem fremden Schiff handelt es sich um einen Kugelraumer der 1200 Meter-Klasse. Die Fernanalyse der Antriebstechnik und der Energiezapfanlagen ähneln der Technik der kaiserlichen Schlachtschiffe der 800 Meter-Klasse so sehr, dass sie aus der gleichen Bauserie stammen müssten. Da ein Schiff dieser Größe innerhalb der kaiserlichen Flotte nicht vorkommt, dürfte es eine Spezialanfertigung sein...«
Da die TERRA durch ihren leistungsfähigeren Antrieb deutlich schneller war, musste sie zum nächsten errechneten Orientierungspunkt des Fremdschiffes fliegen und dort im Schutz ihres Tarnschirmes abwarten, bis das Schiff auftauchte. Glücklicherweise flog dieses Schiff einen geraden Kurs. Der Verfolgte, wahrscheinlich Ronald Tekener, schien keine Ahnung zu haben, dass man ihm auf den Fersen war. In einer Entfernung von 4.500 Lichtjahren vor dem Rand der Galaxis M 343 hatte die TERRA gestoppt. Zwei Gründe waren für diesen Stopp ausschlaggebend: Der nächste errechnete Orientierungspunkt des Fremdschiffes lag nur 2 Lichtjahre entfernt und der Wirkungsbereich des galaktischen Sperrfeldes begann in einer Entfernung von weniger als 500 Lichtjahren. Noch näher heranzugehen, wäre gefährlich geworden, weil niemand wusste, wie sich die Ausläufer des Sperrfeldes auf die Technik der TERRA auswirken würden. THELA hatte zudem versichert, dass auch die 5D-Technik des kaiserlichen Schiffes innerhalb des Sperrfeldes nicht funktionsfähig sei. Tekener müsste also auch vor dem Sperrfeld stoppen. »Aber was will er hier?« fragte Steph. »Soweit wir wissen, gibt es innerhalb der Galaxis M 343 keinen Hyperraum. Das Sperrfeld hindert auch sein Schiff am Weiterfliegen.« »Vielleicht hat er einen Neutralisator oder so?« vermutete Michele.
»Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei 82 Prozent.«
»Nein, so etwas kann es nicht geben«, widersprach THELA. »Solange oberhalb der 4. Dimension nichts ist, kann auch Tekener nicht weiterfliegen. Es ist aber anzunehmen, dass er das weiß. Er hat also noch einen Trumpf in der Hinterhand.«
Nach kurzer Beratung waren sich alle einig,
»Er ist ein Spieler«, sagte J.J.. »Er hat immer
»Das Schiff des Kaisers, Ronald Tekeners Fluchtschiff!« unterbrach Stephan die Ausführungen THELAs.
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22 noch ein Ass im Ärmel.« *
Als die KREUZ-ASS den Hyperraum verließ, war Ronald Tekener noch nicht mit sich im Reinen. 50.000 Jahre hatte er über die Milchstraße geherrscht, zumindest in der Zeit, in der er wach war. In den langen Phasen des Schlafes war es meist Rhombia gewesen, die die Befehle gegeben hatte. Aber einige Millionen Lebewesen hatte er höchstpersönlich auf dem Gewissen – er war unstreitig Ronald Tekener, der Schlächter der Galaxis. Was hatte ihn getrieben? Heute verstand er es nicht mehr. Seine Gedanken rasten hin und her. Mit fahrigen Bewegungen gab er die Codesignale für den nächstliegenden Checkpoint ein und wartete auf Antwort. Ronald Tekener schaute eher gelangweilt zu, wie sich die Checkpoint-Station aus ihrem Tarnfeld pellte. Hätte er aber auf die Ortungsanzeigen seines automatisierten Schiffes geachtet, wäre ihm ganz schnell klar geworden, dass es keinesfalls die Checkpoint-Station war, die ihren Tarnschirm herunterfuhr. So wäre ihm etwas früher bewusst geworden, dass sein Weg nach Gojah 4 hier zu Ende war. * Als das kaiserliche Schiff die Codesignale abstrahlte, hatte THELA gehandelt. Mit Hilfe ihrer hochwertigen Analysetechnik hatte sie den Code entschlüsselt und gleichzeitig die Station am Rande von M 343 geortet. Ihr war klar geworden, welchen Trumpf Ronald Tekener dabei war, auszuspielen. Da die TERRA genau auf einer Linie zwischen dem kaiserlichen Schiff und einer geheimnisvollen Station im Hintergrund stand, fuhr THELA den Tarnschirm herunter und aktivierte den Paratron-Schirm. Gleichzeitig richtete sie alle verfügbaren Waffensysteme auf das kaiserliche Großkampfschiff. »TERRA an unbekanntes kaiserliches Schiff. Eine Analyse der maximalen Belastbarkeit Ihrer Schutzschirme hat ergeben, dass Sie
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dem Feuer meiner Geschütze nur wenige Minuten lang standhalten können. Da ich bereit bin, meine ganze Feuerkraft gegen Sie einzusetzen, wenn Sie nicht sofort Ihre Schutzschirme herunterfahren, würde ich sagen: Ergeben Sie sich, wer immer auch bei Ihnen das Kommando hat. Ich wiederhole: Ergeben Sie sich! Sie haben keine Chance, die Station zu erreichen!« Eine Bildverbindung baute sich auf. Die Holos in der TERRA zeigten die ersten Bilder aus der Zentrale des kaiserlichen Schiffes. Und sie zeigten einen Menschen, der in dem einzigen Kontursessel saß, den es in der Zentrale gab. Paul war ganz ruhig, als er ihn ansprach: »Ronald Tekener, ich verhafte Sie im Namen der Menschheit und im Auftrag des neuen Kaisers der Milchstraße! Ihnen wird millionenfacher Massenmord vorgeworfen. Sie werden sich zu rechtfertigen haben, sobald wir in die Milchstraße zurückgekehrt sind!« Die Worte Ronald Tekeners kamen leise und schmerzvoll in der TERRA an. »Ja, ich komme. Mein Weg ist hier zu ende. Denn ich bin müde, unsagbar müde...«
45. Bull’s Grave
Murrend quälten sich einige halbverfaulte Elektronen durch verbogene Leitungen aus minderwertigem Kupfer und erreichten mühsam das Steuergitter einer Elektronenröhre, die aber überhaupt keine Lust hatte, den gleichzeitig ankommenden Anodenstrom zur Kenntnis zu nehmen. Das könnte dem so passen, dachte die Röhre und sperrte sich mit Hilfe ihres Bremsgitters. Zum Glück hatten die freien Elektronen auf der Kathode noch nicht mitgekriegt, dass hier was ablief. Erst als 800 Volt an der Anode anlagen, sah die Röhre ein, dass nun der Ernst ihres Röhrenlebens begonnen hatte und bequemte sich, eine klitzekleine Verstärkung zu produzieren. Noch waren die Magnetteilchen auf dem ewigen Band aber noch nicht bereit, dem großen Tonkopf ihre Informationen zu übermitteln. Zudem stritten sich die drei Antriebsmoto-
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ren immer noch, wer denn nun für den Vorlauf zuständig sei. Dieser Streit endete damit, dass keiner der Motoren bereit war, anzulaufen. Erst als der IMPULS über einen von ihnen hereinbrach, setze dieser sich langsam in Bewegung. Die Magnetteilchen wurden von der plötzlichen Bewegung völlig überrascht. Der große Tonkopf registrierte ihre Position auf dem ewigen Band und gab diese Information an alle weiter. * Benjamin, der letzte Angehörige des geheimnisvollen Volkes der Labo-Rratten suchte die Nähe seiner Gefährtin Lara. Ungeheuere Dinge passierten. Der Alarm schrillte durch die stinkenden Weiten des ewigen Horizontes. Fast schon widerwillig mischte sich eine heisere Gröle ein, die nur auf sich aufmerksam machen wollte. Lara und Benjamin flohen. Lara war in der dritten Woche schwanger und würde demnächst eine neue Generation von letzten Angehörigen gebären. So würde das große Volk der LaboRratten nicht aussterben. Vielleicht würden sie sogar solange existieren, bis die Endzeit anbrach. Jene geheimnisvolle Zukunft, in der alle Lebewesen gleichviel wert sein würden – nämlich überhaupt nichts mehr! Die Gröle hatte den scheußlichen Klang der Sirene endlich besiegt. Einsam und mächtig grölte sie ihr Signal durch die Weiten der silbernen Halle. Benjamin hatte hinter den vertrockneten Resten eines großen Lebewesens Schutz gesucht und gefunden. Vorsichtig schob er seine spitze Nase vor und witterte. Immer noch lag dieser ekelige Menschengestank in der Luft. Auch Lara schüttelte sich. Für ihre empfindlichen Nasen war das einfach zuviel. Benjamin hoffte, dass Lara keine Fehlgeburt erleiden würde, solange die Geräte des Grabes so einen Lärm machten. Und dann ging auch noch das Licht an! Das war zuviel für das Rrattenpärchen. Mit weiten Sprüngen flohen Lara und Benjamin aus dem
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silbrigen Horizont. * »Verdammt!« Der große Mensch richtete sich mühsam auf. Überall an seinem Körper waren Schläuche und Drähte angebracht, die seitlich in irgendwelchen Geräte mündeten. Die Metallplatte, auf der er gelegen hatte, war leicht warm. Trotzdem fühlte er sich ziemlich beschissen. Absurde Träume hatten ihn gequält. Irgendeine geheimnisvolle Macht hatte zugeschlagen und alle Terraner verbannt. Weder die Superintelligenzen noch die Kosmokraten hatten ihnen beigestanden. Lediglich die Chaotarchen hatten ihre großen Transportschiffe bereitgestellt, um die Billionen von Terranern fortzuschaffen. Welch ein Alptraum! Der große Mann schüttelte sich. »Hier müsste mal dringend gelüftet werden«, stöhnte er, als er versuchte aufzustehen. Sein Blick fiel auf alle möglichen technischen Geräte. Uralte Magnetbandmaschinen, die man während seiner Jugend zum Speichern von Computerdaten benutzt hatte, standen neben modernen Syntroniken, die mit Speicherkristallen arbeiteten. Einige Meter weiter konnte er die Skelette zweier humanoider Lebewesen erkennen. Die wenigen Fleischreste an den Knochen mussten wohl für diesen Gestank verantwortlich sein. Der Mann suchte vergeblich nach einem Fenster. In der silbrigen Helligkeit der Halle konnte er in der Ferne so etwas wie eine Türe oder ein Schott erkennen. Das Licht kam nicht von irgendwelchen Lampen, sondern wurde vom Material der Wand selbst erzeugt. Als er sein linkes Bein auf den Boden setzte, knickte es sofort weg. Der Mann fiel auf den Boden. Überall war dichter Staub vorhanden. Darunter glänzte der Boden in dem gleichen silbrigen Licht, wie die Wände und die Decke der Halle. Von irgendwo her kam ein Roboter und gab
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24 ihm eine Injektion. *
Drei Wochen hatte es gedauert, bis der Mann soweit zu Kräften gekommen war, dass er wieder laufen konnte. Roboter hatten sich seiner angenommen und seine Muskulatur durch gezielte Massagen gestärkt; andere Roboter hatten ihn gefüttert. Mittlerweile war auch sauber gemacht worden. Sein erster Weg hatte ihn zu der Türe geführt, die er schon kurz nach seinem Erwachen gesehen hatte. Die Türe war jedoch verschlossen gewesen. * Benjamin beobachtete, was der Mensch tat. Als der zur Türe gegangen war, war Lara zusammengezuckt und hatte sich versteckt. Benjamin, der natürlich wußte, wie man die Türe öffnete, verließ sein Versteck und zeigte sich dem Menschen. Dessen Reaktion hatte Benjamin erwartet. Das kernige Gesicht unterhalb der hellen Haare war innerhalb von Sekundenbruchteilen zu einer ekeligen Fratze geworden. Benjamin bekam Angst, harrte dennoch aus. »Eine Ratte«, sagte der Mensch. Der Unterton in der menschlichen Stimme ließ Benjamin aufhorchen. Unzählige Generationen von Rrattenvätern hatten ihre Kindern immer wieder vor dem Menschen gewarnt. Sollte der Mensch jemals aufwachen, hatten sie gesagt, würde er sein Gesicht zu einer Fratze verziehen und alle Rratten sofort umbringen oder zu quälenden Versuchen missbrauchen. Jetzt war der Mensch wach und schien zu überlegen, auf welche Weise er Benjamin schnellstens vom Leben zum Tode befördern könnte. Benjamin hatte keine Angst. Lara und ihre gemeinsamen Nachkommen waren in Sicherheit. Er, Benjamin, war die erste Rratte seit Tausenden von Generationen, die den Menschen im Wachzustand erleben durfte. Diese Chance war einmalig. Benjamin wollte sie nutzen, solang der Mensch ihn am Leben ließ.
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Der Mensch beugte sich zu Benjamin herunter. Gleich, dachte Benjamin, wird er mich töten. Der Mensch jedoch tat etwas, was Benjamin nie erwartet hätte. Er streichelte sein weiches Fell und nahm Benjamin ganz vorsichtig hoch. Als Benjamin in Augenhöhe war, sagte der Mensch: »Du bist hier wohl das einzige Lebewesen, außer mir. Nicht wahr, mein Freund?« »Nein«, entfuhr es Benjamin. »Meine Frau Lara und unsere ungeborenen Kinder leben auch hier.« Der Schreck saß bei beiden tief. Benjamin hatte gesprochen, obwohl er das hätte vermeiden müssen. Seine Lehrer hatten ich immer wieder eingeschärft: »Solltest Du derjenige sein, der es erlebt, wenn der Mensch aufwacht, sprich niemals zu ihm. Menschen wissen nicht, dass Rratten sprechen können.« »So, du kannst also sprechen, sogar Terranisch«, meinte der Mann. »Hast du auch einen Namen?« »Ja, Benjamin«, sagte er vorsichtig. Jetzt war es ohnehin zu spät. »Wirst du mich jetzt sofort töten oder quälst du mich erst noch ein wenig?« »Warum sollte ich dich töten?« sagte der Mann und fragte: »Ist dies ein Traum?« Benjamin war inzwischen auf die Schulter des Mannes geklettert. Er schüttelte den Kopf mit der spitzen Nase und sagte: »Nein, das ist kein Traum. Dies ist das Grab des Schlafenden.« »Wer ist der Schlafende?« fragte der Mann. »Du hast hier geschlafen, seit Tausenden von Generationen«, antwortete Benjamin. »Generationen von Ratten. Aber wie alt werden Ratten?« Benjamin wusste nicht, in welchen Zeiteinheiten der Mensch rechnete und fragte stattdessen: »Hast du auch einen Namen, Mensch?« »Ja, ich heiße Reginald Bull.« * Die TERRANIA zog weiter ihre Bahn durch die Galaxis TRESOR. Unermüdlich arbeitete sie sich Richtung Zentrum vor, wo das geheimnisvolle Gerät wartete, das für das Fehlen der höheren Dimensionen verantwortlich war.
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Auf der Suche... III
Vor 500 Lichtjahren war sie in der Nähe eines gigantischen Raumschiffs vorbeigekommen, einer Scheibe mit einem Durchmesser von fast 2.000 Kilometern. Dieses Riesenschiff lag trieb jetzt in der befreiten Zone, wie die TERRANIA den Bereich nannte, wo sie die Raum-Zeit-Verhältnisse mit Hilfe ihrer Transpuls-Werfer wieder normalisiert hatte. Die TERRANIA befürchtete eine feindliche Aktion des Riesenschiffes, weil dort schon während ihres Vorbeifluges enorme Energieaggregate angelaufen waren. Zum Glück war alles gut gegangen und die TERRANIA setzte ihren Flug fort. * »Sag ruhig Bully zu mir«, meinte Reginald Bull zu Benjamin, nachdem er dessen Geschichte gehört hatte. Die Laborratten, die sich selbst Labo-Rratten nannten, lebten seit undenklichen Zeiten in diesem Bereich. Von Generation zu Generation hatten sie ihr Wissen weitergegeben. Und ihre Angst vor dem Menschen, der schon Ewigkeiten in diesem Bereich aufgebahrt war und von dem sie wussten, dass er in einem künstlichen Tiefschlaf lag. Nahrung hatten sie genug. Späher ihres Volkes hatten die riesigen Hallen erkundet, die sich an der Halle des Schlafenden anschlossen. Dort waren gigantische Landschaften vorhanden, mit allem, was eine Ratte brauchte. Bis vor zwei Generationen hatte es auch andere Menschen gegeben. Diese Menschen hatten in den Landschaften gelebt und waren nicht in die Laborräume vorgedrungen. Aus den Erzählungen seines Vaters wusste Benjamin, dass sich diese Menschen immer verstecken mussten, weil sie Angst vor den Robotern hatten. Die Menschen waren irgendwann ausgestorben. Die beiden letzten Exemplare hatten versucht, in die Laborräume einzudringen. Es war ihnen auch gelungen. Erst in der Halle des Schlafenden waren sie von den Robotern entdeckt worden. Es musste einen heftigen Kampf gegeben haben, an dessen Ende die Menschen ums Leben gekommen waren. Dann war es ruhig geworden. Die Roboter
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hatten den Ratten nichts getan. Benjamin wusste, dass nur die bösartigen Reinigungsroboter ihnen feindlich gesinnt waren, aber die ruhten in ihren Wartekammern und kamen dort nicht heraus. Bis jetzt. Denn kurz bevor der Mensch erwacht war, erwachten auch die Geräte der Halle zum Leben. Die Reinigungsroboter waren erschienen und hatten die Reste der beiden Menschen entfernt, die noch in der Halle lagen. Lara und Benjamin waren geflohen und hatten abgewartet, bis die Reiniger wieder verschwunden waren. »Also Benjamin«, sagte Bully. »Ich weiß natürlich auch, dass die Terraner euch Laborratten immer wieder zu medizinischen Versuchen missbraucht haben, obwohl ich das nie verstanden habe. Aber ich garantiere dir und deiner Frau Lara, dass ich euch nichts antun werde. Und sobald ich herausgefunden habe, wo ich hier bin und wie ich die Roboter steuern kann, werde ich die Reinigungsroboter umprogrammieren, sodass euch von ihnen keine Gefahr mehr droht. Aber im Moment bin ich selber ziemlich hilflos. Bitte helft mir.» Benjamin fing an, Bully zu vertrauen und antwortete: »Lara braucht jetzt Ruhe. Wir haben einen Platz gefunden, wo sie unsere Kinder gefahrlos zur Welt bringen kann. Dort wird sie bleiben. Aber ich bin bereit, dir zu helfen. Was kann ich tun?« »Ich muss zuerst aus dieser Halle heraus. Hier gibt es keine zentralen Steuereinheiten, wo ich Informationen erhalten kann.« »Dann folge mir«, sagte Benjamin, sprang von Bulls Schulter herunter und lief zu dem großen Tor, das in die Landschaften führte. Reginald Bull beobachtete, wie Benjamin mit seiner spitzen Nase eine Klappe öffnete, die sich in Fußhöhe seitlich neben dem Tor befand. Kurze Zeit später, nachdem Benjamin vollständig hinter der Klappe verschwunden war, öffnete sich das Tor mit einem hässlichen Knirschen. Bull trat hindurch. Vor ihm lag ein Gang, der völlig leer war. Boden, Wände und Decke waren aus einem metallischen Element, das ihm unbekannt war. Der Gang erstreckte sich nach links und rechts. In der Ferne konnte Bully schwach die Umrisse weiterer Tore erkennen.
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Plötzlich zuckte er zusammen. Aber nur, weil er kitzelig war und Benjamin an ihm hoch kletterte, um wieder auf seiner Schulter Platz zu nehmen. Dreh Dich mal um, Bully«, sagte Benjamin. Reginald Bull tat es. An der Wand neben dem Tor hing ein Schild: * Bull’s Grave Hier ruht Reginald Bull, einer der großen Führer der Terraner und mein Freund. Lasst ihn schlafen. Wenn ihr ihn stört, wird der Überallzugleichtöter erscheinen und sich furchtbar an Euch rächen. Irgendwann, wenn die Zeiten wieder besser sind, wird er erwachen. Dann helft ihm bitte. Gucky * »Wer war dieser Gucky?« fragte Benjamin. »Irgendwie auch eine Ratte. So habe ich ihn wenigstens oft bezeichnet. Er war der letzte seines Volkes und stammte vom Planeten Tramp in der Milchstraße. Wir nannten ihn einen Mausbiber, weil er wie eine riesige Springmaus aussah und nur einen, dafür aber sehr großen, Zahn hatte. Ja, trotz allem kann man sagen, dass er mein Freund war.« »Der Überallzugleichtöter war dein Freund?« fragte Benjamin entsetzt. »Ach, das musst Du nicht wörtlich nehmen. Gucky war ein Teleporter und Telepath. Früher, in den ersten Jahrhunderten, hat er uns geholfen, unsere mächtigen Feinde zu besiegen, indem er plötzlich in deren Raumschiffen erscheinen ist und dort allerlei Unsinn angestellt hat. Den Beinamen ›Überallzugleichtöter‹ hat er sich selbst gegeben; dabei war er ein durchaus friedliches und liebenswertes Geschöpf. Nur wenn man Böses über ihn dachte, als Telepath konnte er nämlich die Gedanken anderer Lebewesen lesen, dann setze er manchmal seine dritte Geisteskraft ein: Die Telekinese. Mit dieser Kraft konnte er Gegenstände und Lebewesen anheben und fliegen lassen. Oh
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Gott, wenn ich daran denke, wie oft er mich hat fliegen lassen...« * Während Benjamin und Bully damit begonnen hatten, die Landschaften zu erkunden, war 200 Kilometer entfernt, im Kern des Transportschiffes, das schwarze Feuer erwacht. Als erstes bildeten sich die Abschirmfelder, die dieses Feuer bändigen konnten. Danach begannen sich die völlig leeren Energiespeicher wieder zu füllen. Als sie 5% ihrer Kapazität erreicht hatten, erwachten auch die großen Steuercomputer aus ihrem langen Tiefschlaf. Die untergeordneten Einheiten wurden heruntergefahren. Sie hatten während der langen Phase ohne 5DEnergie die Grundversorgung des Schiffes mehr schlecht als recht aufrechterhalten. Jetzt war die Kraft des Transporters wieder aktiv, jenes kleine schwarze Loch im Zentrum des Schiffes, in dem das schwarze Feuer loderte. Es lieferte die enormen Energien, die dieses riesige Schiff benötigte. Das Transportschiff, das den Namen BETA trug (der richtige Name kann hier nicht wiedergegeben werden) hatte drei unabhängige Positroniken an Bord, deren Namen auch nicht in menschlichen Buchstaben geschrieben werden können, deren Funktion aber in etwa so war: BOSS, die gigantische Steuereinheit, LÄSTER, der Kontracomputer und SCHIRI, der neutrale Beobachter. »Irgendwer hat das Sperrfeld deaktiviert«, meinte CHEF und wandte sich seinem positronischen Partner LÄSTER zu, der – im elektronisch/positronischen Sinne – direkt neben ihm wohnte. »Dein langer Schlaf hat dich irre gemacht, BOSS«, lästerte LÄSTER. »Erstens: Die Kosmokraten haben zugesagt, sich herauszuhalten. Zweitens: MATERIA wurde lange vor dem Exodus der Terraner vernichtet. Und drittens: Terranischen Elemente gibt es nicht mehr. Ergo: Das passt nicht zusammen.« »Ich erhalte Informationen aus dem internen Verkehrs- und Nachrichtensystem«, gab BOSS an seine beiden Kollegen weiter. »Danach hat es auf dem Tender OMEGA (auch nicht der richti-
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ge Name, s.o.) Störungen gegeben. Zunächst hat die schwarze Sternenstraße, die dort endet, ein Raumschiff aus der Milchstraße ausgespuckt, das dort in die Falle geflogen ist. Kurze Zeit später sind Terraner in den Tender OMEGA eingedrungen und haben einen Alarm ausgelöst.« »Die Terraner sind immer neugierig gewesen. Damit war zu rechnen. Haben unsere lieben Wärter denn nicht eingegriffen?« fragte LÄSTER. »Natürlich. Die Terraner wurden in Gewahrsam genommen und zur Nebenzentrale Ost gebracht«, antwortete BOSS. »Völlig bescheuert. Was sollen sie da? Die hätte man lieber auf einen anderen terranischen Planeten absetzen sollen«, maulte LÄSTER. BOSS antwortete: »Es ist noch schlimmer. Kurz nach dem Abtransport der Terraner ist eine weitere Transportkugel in das Verkehrsnetz eingedrungen und es ist eindeutig kein Wärter an Bord gewesen. Der oder die Unbekannte hat sich der Reservekugel bemächtigt, die der Tender OMEGA angefordert hatte und die eigentlich zum Abtransport der dort inhaftierten Kartanin dienen sollte. Gerade ist eine weitere Meldungen über das interne Verkehrs- und Nachrichtensystem eingetroffen. Danach hat der außen liegende Checkpoint West ein Codesignal eines Schiffes aufgefangen, das dort andocken wollte. Dieses Schiff hat den korrekten Code gesendet, ist aber nie am Checkpoint West angekommen.« »Konnte der Checkpoint West das Schiff noch identifizieren?« fragte SCHIRI. »Das Schiff nicht, aber aus dem gesendeten Code ging hervor, dass der Passagier Ronald Tekener ist«, antwortete BOSS. »Oh, der Kaiser der Milchstraße höchst selbst«, bemerkte LÄSTER. »Was will der hier?« BOSS antwortete: »Unbekannt. Aber wenn der Kaiser der Milchstraße diese Galaxis einfliegen will, dann muss es einen besonderen Grund geben.« SCHIRI fasste die Informationen zusammen: 6.114 Septas nach der Aktivierung des Sperrfeldes fliegt in dieser Galaxis ein Raumschiff herum, das trotz Sperrfeld Überlichtge-
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schwindigkeit erreichen kann. Dabei setzt dieses Raumschiff eine Technik ein, die mit der Kosmokratentechnik vergleichbar ist. Mit Hilfe dieser Technik gelingt es diesem Schiff, in einigen Bereichen die höheren Dimensionen wieder zu aktivieren. Über die schwarze Sternenstraße wurde ein Raumschiff in das Gefängnissystem des Tenders OMEGA abgestrahlt. Kurze Zeit später dringen Terraner dort ein, die entweder von diesem Raumschiff oder vom Gefängnisplaneten des Systems stammen. Ein Unbekannter bemächtigt sich einer Transportkugel und benutzt das galaktische Transportsystem. Am Checkpoint West erbittet der galaktische Kaiser Zugang und kommt dann nicht an, weil ihn vielleicht irgendwer daran hindert. »Alles in Allem sind das sehr Besorgnis erregende Nachrichten! Möglicherweise ist in der Milchstraße etwas passiert, was im Plan nicht vorgesehen war.« »Und noch etwas ist Besorgnis erregend – Reginald Bull ist erwacht«, kommentierte LÄSTER die neueste Meldung der internen Überwachungsanlagen des Tenders. »Das war zu erwarten. Sobald das Sperrfeld deaktiviert ist, reagiert sein Unsterblichkeitschip und weckt den Körper aus dem ewigen Schlaf. Was sehen die Regeln des Planes für diesen Fall vor?« fragte SCHIRI. BOSS entgegnete: »Reginald Bull gehört zu den Führungspersonen der Terraner. Wir dürfen ihn nicht unterstützen, haben aber gleichzeitig für seine Sicherheit zu sorgen. Andererseits haben wir aber alles zu unterlassen, was eine Rückkehr der Terraner in ihre Heimat fördern könnte. Denn eines ist doch klar: Wenn Perry Rhodan und Reginald Bull wieder handlungsfähig sind, werden sie alles unternehmen, um die Terraner in die heimatliche Milchstraße zurückzubringen. Und wenn sie, wie aus den Meldungen abzulesen ist, jetzt auch noch Hilfe von Aussen bekommen, dann wird diese Rückkehr nicht mehr zu verhindern sein.« SCHIRI entgegnete: »Dann wird es zur großen Katastrophe kommen und die Endzeit wird anbrechen!«
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28 46. Das Wiedersehen
Manchmal gibt es Zufälle, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Dass ausgerechnet der Tender BETA das nächste Ziel auf der Reise von Boris mit der galaktischen U-Bahn war, ist so ein Zufall. Auf dem Tender OMEGA war es ihm gelungen, sich einer der Transportkugeln zu bemächtigen. In den Werkstätten der MOLOKKO hatten die Roboter die Transportkapsel modifiziert; sie war jetzt leicht bewaffnet und konnte bei Bedarf durch einen einfachen Paratron-Schirm geschützt werden. Auf seiner ersten Fahrt war Boris zunächst in einem System herausgekommen, das mit dem von Paradies-Europa vergleichbar war und in dem ebenfalls Terraner lebten. Boris hatte sich entschieden, keinen Halt zu machen und hatte seine Fahrt fortgesetzt. Er hatte in der Transportkapsel einen Schalter im oberen Bereich des Tastenfeldes gedrückt und lehnte sich zurück, um die Fahrt zu genießen. Dabei erinnerte sich Boris daran, was KATHARINA, der Bordcomputer seiner MOLOKKO über dieses Transportsystem herausgefunden hatte. Das System der Hyperkanäle verband die Transportschiffe und einige anderen Stationen miteinander. Innerhalb der Galaxis TRESOR, in der ansonsten kein überlichtschneller Verkehr möglich war, stellte dieses System die einzige Möglichkeit dar, die großen Distanzen zu überwinden. Dieser Kanal hatte einen Durchmesser von rund 80 Metern, in dem die RaumZeit-Verhältnisse normal waren. Erzeugt wurde das Kanalsystem in einer unbekannten galaktischen Zentralstation und wurde von dort zu den Hyperreflektoren auf den gigantischen Tenderschiffen weitergeleitet. Innerhalb dieser Hyperkanäle erreichten die Transportkapseln eine Geschwindigkeit von fast 1.000 Lichtjahren pro Stunde. Boris hatte diesem System einfach den Namen die galaktische U-Bahn gegeben. *
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Der Klang einer Glocke kündigte das baldige Erreichen des nächsten Haltepunktes an. Boris übernahm die Transportkugel in Handsteuerung und scherte aus dem Hyperkanal heraus. Auf keinen Fall wollte er innerhalb des zentralen Knotenpunktes herauskommen, den er in dem Turm des Tenders vermutete. Dort würde ihn mit Sicherheit ein Heer von Robotern erwarten, weil er nicht autorisiert war, die galaktische U-Bahn zu benutzen. Als die Transportkugel den Hyperkanal vollständig verlassen hatte, bemerkte er sofort, dass hier etwas anders war. Anders als in der ersten Station war hier der Linearantrieb und der Hyperfunk seiner kleinen Transportkapsel nicht ausgefallen. Ehe Boris überhaupt begriffen hatte, dass hier die Raum-Zeit-Verhältnisse normal waren, ruckte seine Transportkapsel an. Gleichzeitig ging eine Meldung ein, die er mit Hilfe des auf der MOLOKKO nachgerüsteten Translators verstand: »Tender BETA an defekte Transportkugel 72-222-4d: Traktorstrahl ist aktiviert. Wir holen Sie herein.« Da Boris aber nicht herein geholt werden wollte, versuchte er mit Hilfe der Steuerung aus dem Traktorstrahl zu entkommen. Er drückte den Steuerknüppel nach vorn und die Geschwindigkeit der Kapsel erhöhte sich. Gleichzeitig zog ihn der Traktorstahl auf den zentralen Turm des Tenderschiffs zu. Boris steigerte die Geschwindigkeit weiter. Nach seiner Schätzung war der Mittelpunkt des Tenderschiffes jetzt nur noch wenige Kilometer entfernt. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit raste die Kapsel auf den mattschwarzen Turm zu. Als der Turm ins Riesenhafte angewachsen war, ließ die Kraft des Traktorstrahls nach. Darauf hatte Boris spekuliert. Die Besatzung des gigantischen Tenders wollte keinen Schaden an ihrem Schiff riskieren und hatte den Traktorstrahl abgeschaltet, bevor die Kapsel mit hoher Fahrt im Turm einschlug. Boris zog den Steuerknüppel jetzt nach links oben. Unendlich langsam wanderte der Zentralturm aus seinem Blickfeld heraus. Mit aller Kraft stemmte Boris den Steuerknüppel zur Sei-
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Auf der Suche... III te. Würde er es schaffen?
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Transportkapsel sie nur noch finden.
*
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In einer kleinen Nebenzentrale verfolgten zwei völlig verschiedene Wesen den Anflug der Transportkapsel auf einem aktivierten Kontrollmonitor. »So wie der fliegt, ist das bestimmt kein Freund der Herrscher dieses Schiffes. Der bricht sich noch den Hals. So einen Idioten hätte ich in der terranischen Flotte noch nicht einmal einen Wetterballon fliegen lassen.« »Was ist ein Wetterballon?« »Benjamin, ein Wetterballon ist ein gasgefüllter Körper, der leichter als Luft ist und der in große Höhen steigen kann. Damit haben wir früher das Wetter beobachtet.« »Danke Bully. Ich darf doch Bully sagen, oder?« »Ach Benjamin. Wenn du wüsstest, wie lange ich diesen Namen nicht mehr gehört habe. Natürlich darfst du Bully zu mir sagen.« »Schau, er schafft es tatsächlich, an dem Turm vorbei zu kommen.« »Jaaaaa, puh, Mann, hat der ein Glück gehabt. Nur ein kleines Stückchen weiter links und der wäre mit voller Fahrt gegen den Turm gekracht. Jetzt kommt er genau auf uns zu.« »Bully, was sollen wir machen?« »Ihm helfen, ist doch klar. Mal sehen... Mhm, ich habe in meinem langen Leben schon unendlich viele Steuerungen kennen gelernt. Wenn ich mich nicht täusche, ist das hier eine Nebenzentrale, an der sich ein Hangar anschließt. Ich versuche mal, die Tore zu öffnen.« Benjamin sprang auf Bullys Schulter und sah zu, wie der an den Schaltern herumhantierte. Auf dem zweiten Bildschirm war jetzt das Innere eines Hangars zu erkennen. Dort war inzwischen die Beleuchtung angegangen. Reginald Bull betätigte eine weitere Kombination von Schaltern. »Kommst du klar?« Reginald Bull wand den Kopf und sah die weiße Ratte an, die auf seiner Schulter saß. »Ja, Benjamin, damit komme ich klar.« Mittlerweile hatten sich die Hangartore geöffnet. Jetzt musste der unbekannte Pilot der
Natürlich hatte Boris mitbekommen, dass sich in seiner Flugrichtung ein Hangartor geöffnet hatte. Er hielt es jedoch für eine Falle, in der die unbekannten Herrscher dieses Riesenschiffes ihn locken wollten. Erst als der Traktorstrahl wieder einsetzte und ihn in die entgegengesetzte Richtung ziehen wollte, entschloss er sich, die Restfahrt seiner Kapsel zu nutzen, um den Hangar zu erreichen. Mit Müh und Not schaffte es Boris bis dorthin. Er ließ die Kapsel hinein gleiten und aktivierte vorsorglich die kleine DoppelpulsKanone, die KATHARINA im Bug der Kapsel hatte einbauen lassen. Gespannt wartete Boris ab, was passieren würde. Auf dem rückwärtigen Bildschirm konnte er erkennen, dass sich die Tore wieder geschlossen hatten. Kurze Zeit später betrat ein Mensch den Hangar, auf dessen Schulter eine Ratte saß. Da der Mensch keinen Raumanzug trug, musste innerhalb des Hangars atembare Luft vorhanden sein. Boris kannte diesen Menschen. Er hatte ein Bild schon mal irgendwo gesehen. In einer Hypnoschulung? Oder wo war das gewesen? Auf jeden Fall war er sich sicher genug, dass der Mensch mit der Ratte auf der Schulter kein Feind war. Und das bedeutete hier, in einer fremden Galaxis und ohne Unterstützung durch seine Freunde von der TERRA auf jeden Fall, dass dieser Mensch sein Verbündeter sein könnte. Vorsichtig öffnete Boris das Schott seiner Kapsel und sah hinaus. Der Mensch war stehen geblieben und schien abzuwarten. Jetzt, ohne den Umweg über Kameras und Monitore erkannte Boris ihn. Boris Walter, der in seinem Leben so oft immer nur der Zweite gewesen war, ihm war es vergönnt, der erste Mensch der Erde zu sein, der ihn wieder zu Angesicht bekam. Denn vor ihm stand Reginald Bull. Einer der Führer der Terraner. Der zweite Mann nach Perry Rhodan. Seit 50.000 Jahren verschollen.
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Die Tränen schossen ihm in die Augen, als er unsicher stotterte: »Guten Tag Reginald Bull. Mein Name ist Boris Walter und ich komme von der Erde, das heißt ich komme von der neuen Erde.« * Natürlich hatten die drei Zentralrechner des Tenderschiffes mitbekommen, was sich in der Nebenzentrale abspielte. LÄSTER, der Kontracomputer, meckerte los: »Wieso haben wir die Kapsel nicht einfach abgeschossen?« Der Zentralrechner BOSS antwortete: »Wir handeln korrekt, aber nicht unmoralisch. Zudem hätte SCHIRI den Schießbefehl nicht bestätigt.« »Genau. Die Regeln des Planes sehen vor, Niemanden in Gefahr zu bringen, der nicht eine unmittelbare Bedrohung für unser Schiff darstellt«, antwortete der neutrale Bordcomputer SCHIRI. »Aber einen kleinen galaktischen Alarm werden wir doch auslösen dürfen, oder?« fragte LÄSTER. »Will jemand die von uns betreute Planetenbevölkerung zurück in die Milchstraße schaffen oder etwas in der Richtung tun? Nein. Also kein Alarm«, entschied BOSS. »Vielleicht eine klitzekleine Meldung an NZ oder an NULL?« SCHIRI wirkte aufgebracht, als er erwiderte: »In der Nebenzentrale oder in der Zentrale haben sie sicher etwas besseres zu tun, als sich mit unseren Problemen zu beschäftigen.« * Die drei Zentralrechner des Tenderschiffes waren so sehr mit sich beschäftigt, dass sie gar nicht mitbekamen, wie die Transportkugel vorsichtig aus dem Hangar bugsierte und beschleunigte. Unbehelligt erreichte die Transportkugel mit ihren Insassen den Hyperkanal und fädelten sich ein. An Bord waren außer Boris und Reginald Bull, der darauf bestanden hatte, die Kugel
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selbst zu fliegen, auch Benjamin und Lara, das Rattenpärchen. Eine Frage brannte Boris auf der Zunge: »Bully, was hast du die ganzen 50.000 Jahre gemacht?« »Wie viele Jahre??« »50.000 Jahre irdischer Zeitrechnung sind seit der Verbannung der Terraner aus der Milchstraße vergangen«, antwortete Boris. »Oh Gott.« Reginald Bull rötliches Gesicht war aschfahl geworden; sogar seine roten Haare schienen um eine Spur grauer geworden zu sein. Kopfschüttelnd ging der in der kleinen Zentrale der Transportkugel auf und ab. Als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, erwiderte er: »Das kann unmöglich stimmen. Das ist absolut undenkbar. Ich habe zwar in einer Art Tiefschlaf gelegen, aber doch nicht so lange. Mir kommt es vor, als wäre es erst letzten Monat gewesen, als die Tenderschiffe eingetroffen sind, um die Terraner zu evakuieren. Ich selbst habe das Schiff, von dem wir gerade geflohen sind, hierhin gesteuert.« Boris fragte: »Du hast diesen Riesenkahn geflogen?« »Ja. Das ist ein umgebauter Tender aus den Beständen der Chaotarchen. Es gibt einige davon. Mit denen haben wir die Terraner evakuiert, nachdem klar war, dass wir alle gehen mussten.« »Und warum musstet ihr alle gehen?« fragte Boris. »Das ist eine lange Geschichte. Damals gab es keinen Ausweg. Einige von uns wollten kämpfen, auch ich...« Reginald Bulls Gesicht war düster geworden. Er schien das Alles noch mal durchzumachen. Boris beobachtete, wie Reginald Bull den Kopf schüttelte und fortfuhr: »Aber letztlich war das Risiko viel zu groß. Wir hätten das Leben von unzähligen Völkern auf dem Gewissen gehabt. Auch unsere Milchstraße wäre vielleicht zerstört worden, wenn die Endzeit angebrochen wäre. Das konnten wir nicht riskieren. Also haben wir uns gebeugt, obwohl Terraner eigentlich nie aufgeben, aber das haben wir ja auch nicht getan... Und es sind, wie du sagst, 50.000 Jahre vergangen und die Terraner haben
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sich neu entwickelt?« »Ja«, antwortete Boris. »Wir nennen uns noch nicht Terraner, sondern Menschheit. Und soweit, wie ihr damals gekommen seid, sind wir noch lange nicht. Es gibt unzählige Staaten und noch mehr Konflikte. Die Menschheit ist noch weit davon entfernt, den Schritt zu den Sternen zu tun. Auf der Erde hat man übrigens keine Ahnung, dass wir hier Draußen sind. Paul Müller hat vor einigen Monaten in den Alpen ein uraltes Gerät gefunden, das eine Verbindung zu NATHAN möglich machte. Damit fing alles an...« Und Boris erzählte, was in den wenigen Monaten alles passiert war. Reginald Bull hatte aufmerksam zugehört und manchmal erstaunt aufgeblickt. Insbesondere bei der Beschreibung der TERRA und der Funktionsweise des Ultratron-Schirmes hatte sein Gesicht einen ungläubigen Ausdruck angenommen. »Woher kommt diese Technik?« fragte er. Boris zuckte mit den Schultern und antwortete: »Wenn die Technik nicht von euch entwickelt wurde, von wem dann?« »Tja... Und das ist alles in wenigen Monaten passiert? Welches Datum schreiben wir denn heute, nach eurer Zeit?« »Den 14. Dezember 2000, in zwei Wochen ist Weihnachten«, antwortete Boris und dachte daran, dass er dieses Weihnachten nicht in seinem geliebten Russland verbringen würde und nicht zusammen mit Clara... Reginald Bull unterbrach die düsteren Gedanken, die Boris zu quälen begannen, als er an den Tod von Clara dachte und fragte: »Ihr habt keine Veränderungen in der Galaxis feststellen können. Kein düsteres Leuchten am Himmel oder so?« »Nein, Bully. Nichts dergleichen. Was meinst du?« »Später. Jetzt müssen wir dringend nach ALPHA«, sagte Bully. »Ich muss sofort mit Perry sprechen!« »Perry Rhodan lebt auf ALPHA?« fragte Boris. Bully nickte. »Ja. Die Tender haben wir so genannt: ALPHA für ihn, BETA für mich – wie im griechischen Alphabet halt. Perry hat sich,
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wie immer, die Nummer 1 gegriffen.« Bosir verstand ihn. Gemeinsam programmierten sie der Steuerung der Transportkapsel. Die galaktische UBahn beschleunigte und raste ihrem neuen Ziel entgegen. * Aus dem Beipackzettel für Zellaktivatorchips (ZAC): Eine besondere Eigenschaft der neu entwickelten Zellaktivatorchips ist, dass sie einen Teil der Energie aus sechsdimensionalen Strukturen beziehen und in Vitalenergie umwandeln. Fehlen diese Strukturen, versetzt der ZAC seinen Träger in einen todesähnlichen Schlaf (Stasis). Die gespeicherte Vitalenergie reicht jedoch aus, diesen Körper über Jahrtausende am Leben zu erhalten. Die Stasis endet, sobald dem ZAC ausreichend sechsdimensionale Energie zugeführt wird. Die Einschlaf- bzw. Aufwachdauer variiert. Bei humanoiden Lebewesen vergehen im Durchschnitt 8 Herzschläge. Verschreibungspflichtig! In Zweifelsfällen fragen Sie ihre zuständige Superintelligenz oder den nächstbesten Kosmokraten. 47. Der Petronier Aus dem Lehrbuch für junge Kosmokraten: Es sind immer zwei Universen untrennbar miteinander verbunden. Eines, das sich ausdehnt und eines, das sich zusammenzieht. Der Energieaustausch findet über den gemeinsamen Nullpunkt statt, der beide Universen miteinander verbindet. Das sich zusammenziehende Universum gibt seine ganze Energie über den gemeinsamen Nullpunkt an das sich ausdehnende Universum ab, bis dieses seine weiteste Ausdehnung erreicht hat. Dann kehrt sich der Prozess um. Zu diesen beiden Universen aus Normalmaterie gehören zwei Antimaterie-Universen, wo
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sich ebenfalls das Eine ausdehnt und das Andere zusammenzieht. Auch die Antimaterie-Universen tauschen ihre Energie über den gemeinsamen Nullpunkt. Dieses Konstrukt nennt man das kosmische Kleeblatt. Dabei müssen die beiden expandierenden Universen sich absolut synchron ausdehnen, weil innerhalb des gemeinsamen Nullpunktes immer der gleiche Anteil Normal- und AntiEnergie fließen muss. Dieser Gleichklang darf nicht gestört werden, denn es gibt nur einen gemeinsamen Urknall für die beiden neuen Universen. Erst in der ersten logischen Sekunde nach dem Urknall teilt sich die Materie in ihre beiden möglichen Komponenten auf: Die Materie und die Antimaterie. * Mein Leben währt schon einige Unendlichkeiten. In der Zeitrechnung der Lebewesen, die ich zu betreuen habe, bin ich über eine Million Jahre alt. Mein Volk existiert schon lange nicht mehr. Die Petronier waren die kosmischen Ingenieure. Wir haben den Rittern der Tiefe damals gegen die Horden von Garbesch beigestanden und die gigantischen Abwehranlagen in der Galaxis Ammandul, die heute Milchstraße heißt, errichtet. Wir haben die Mehr-PlanetenAnlagen und die Keilraumschiff-Flotten gebaut und unseren Nachfolgern überlassen. Unsere Werftplattformen waren im gesamten Universum bekannt. Aus uns sind später die Sonnen-Ingenieure hervorgegangen, die die Sonnentransmitter konstruiert und gebaut haben. Ja, unser Wissen und unsere Fähigkeiten waren sehr begehrt. Auch die Hohen Mächte haben dieses Wissen ausgiebig genutzt. Irgendwann aber, da haben sie uns fallengelassen. Die Hohen Mächte sind sogar so weit gegangen, dass sie es zugelassen haben, dass unsere Nachfahren gejagt und getötet wurden. Doch unser Wissen lebte weiter; in anderen Völkern und in anderen Zeiten. Ich habe überlebt, weil ich unsterblich bin. Manchmal verfluche ich diese Unsterblichkeit.
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So wie jetzt. Denn was ist aus mir geworden? Nachdem ich Hunderttausende von Jahren in meinem Null-Zeit-Feld verbracht hatte, erging der Ruf an mich. Die Hohen Mächte oder ihre Gegenspieler brauchten meine Hilfe. Irgendetwas war so gehörig schief gelaufen, dass sie nicht mehr weiter wussten. Ich weiß nicht, wie sie mich entdeckt haben, aber sie haben den Richtigen gefunden! Mit Hilfe meiner Technik, die mit mir im Null-Zeit-Feld die Äonen überdauert hatte, hatte ich es sehr schnell herausgefunden: Der Gleichklang der Universen war aus dem Takt geraten! Einige der Hilfsvölker und Superintelligenzen hatten gewaltigen Mist gebaut. Sie hatten eine Großgalaxie aus dem kontrahierenden Universum Tarkan in das hiesige Universum versetzt. Dadurch war die Kontraktion von Tarkan stark verlangsamt und die Ausdehnung dieses Universums ebenfalls gebremst worden. Am gemeinsamen Mittelpunkt des Kosmischen Kleeblattes war der Energiefluss zwischen dem kontrahierenden und dem expandierenden Universum fast zum Stillstand gekommen. Bei den beiden Antimaterie-Universen, die zum selben kosmischen Kleeblatt gehören, war dies nicht der Fall. Dort speiste das kontrahierende Universum Nakrat weiterhin seine Energie in seinen Antipoden ein und sorgte für dessen Expansion. Am gemeinsamen Mittelpunkt des Kosmischen Kleeblattes überwiegt jetzt die Anti-Energie. Nach den kosmischen Gesetzmäßigkeiten muss am gemeinsamen Mittelpunkt des Kosmischen Kleeblattes aber immer genauso viel Energie wie Anti-Energie fließen. Ist dies nicht der Fall, überlädt sich der Mittelpunkt und gibt die überschüssige Energie schlagartig ab. Wenn, wie jetzt, Anti-Energie überwiegt, wird sie in das expandierende Normal-MaterieUniversum durchschlagen und Hunderte oder gar Tausende von Galaxien auf einen Schlag vernichten. Damit wäre das Kosmische Kleeblatt aber endgültig aus dem Takt geraten und das Ende aller vier Universum wäre unausweichlich. Die Hohen Mächte haben entschieden, zwei
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Galaxien aus diesem Universum nach Tarkan zu versetzen, um den Gleichklang des Kosmischen Kleeblattes wieder herzustellen, und zwar Hangay und Ammandul. Sie haben mich beauftragt, diesen Transfer durchzuführen. Um Ammandul – oder die Milchstraße, wie sie von ihren Bewohnern genannt wird – wäre es schade. Diese Galaxis birgt ungeheure Potentiale. Ich habe Überlegungen angestellt, wie ich den Transfer von Ammandul verhindern kann. Aber auch ich habe keinen Ausweg gefunden. Den Hohen Mächten sind anscheinend die immateriellen Hände gebunden. Außerdem sind einige von ihnen selbst in Gefahr, wenn dieses Kosmische Kleeblatt zerbricht. Aber wäre es denn so schade um Taurec & Co.? Ich denke nein! Was haben sie mir und meinem Volk denn alles angetan? Aber der Transfer zweier Galaxien ist unabdingbar, wenn die Endzeit verhindert werden soll. Zu lange besteht schon das Missverhältnis der Energien am Mittelpunkt des Kosmischen Kleeblattes, als dass der Rücktransfer nur einer Galaxis ausreichen würde. Und anstelle von Ammandul, Hathorjan nach Tarkan versetzen? Nein! Hathorjan war die Heimat meines Volkes. Und die Völker von Andromeda, wie diese Galaxis heute heißt, hatten mit dem kosmischen Verbrechen nichts zu tun, das die Völker von Hangay mit Hilfe der Terraner begangen haben. Also werde ich meinen Auftrag ausführen. Obwohl es schade wäre um die Milchstraße... Interessant ist die Rolle, die diese Terraner spielen. Dieses Volk hat mächtige Verbündete, die es selbst nur zum Teil kennt. Einige ihrer zentralen Planeten tragen eine sechsdimensionale Aura. Zusammen mit den sechsdimensionalen Vitalenergien ihrer Bewohner ist diese Aura so stark, dass ein Transfer der gesamt Galaxis in ein anderes Universum unmöglich wäre. Deshalb mussten die Terraner von ihren Planeten entfernt werden. Die Verbannung fand vor 50.000 Jahren terranischer Zeitrechnung statt. Nur so konnte die sechsdimensionale Aura ihrer Zentralplaneten so geschwächt werden, dass ein Transfer von Ammandul nach Tarkan möglich ist.
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Und sie dürfen nie zurückkehren! Denn dann stabilisiert sich diese Aura wieder und ein Anker entsteht, der Ammandul in diesem Universum hält. Ein Transfer von Ammandul wäre selbst mit meinen technischen Möglichkeiten dann nicht mehr durchführbar. Damit es ihnen nicht gelingt, ihre Planeten wieder zu besiedeln, wurden sie hier in M 343 angesiedelt und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit der Rückkehr genommen. Ich habe das Vira-Doon eingesetzt. Dieses Gerät trennt den Bereich der Galaxis M 343 von den höheren Dimensionen. Ohne die höheren Dimensionen gibt es keine überlichtschnelle Raumfahrt. Dieses Gerät haben wir damals gegen die einfallenden Horden von Garbesch entwickelt; jetzt verhindert es jetzt eine Rückkehr der Terraner. Ein Nebeneffekt des ViraDoon hält ihre Führer in einem todesähnlichen Schlaf gefangen, weil ihre Zellaktivatorchips ohne sechsdimensionale Aufladung nicht funktionieren. Und über allem wache ich, der letzte Petronier. Neben meiner eigentlichen Aufgabe bin ich auch der Kerkermeister der Terraner. So hat mich wenigstens Ronald Tekener, der Kaiser der Milchstraße, immer genannt, wenn wir Kontakt hatten. * Unruhig schritt der Petronier in seiner Zentrale auf und ab. Er hatte sich schon vor Hunderttausenden von Jahren von seinem eigentlichen Körper getrennt und sich stattdessen einen dieser semiorganischen Robotkörper zugelegt, wie ihn auch die Beauftragten der Hohen Mächte hatten. Anders als Cairol und Cairol II war er jedoch so eitel gewesen, eine Ausführung zu wählen, die seinem ursprünglichen Körper ähnelte. Seine tiefschwarze Haut schien alles Licht zu verschlucken, das es in der Zentrale NULL gab. Zum wiederholten Male rief der Petronier die aktuellen Daten seines Projektes ab. Die Materiewippen waren installiert. Diesmal würde es ein sanftes Hinübergleiten der beiden Galaxien geben, sobald beide Wippen aufgeladen waren.
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Doch bei einer der beiden Wippen hatte es eine Verzögerung gegeben. Der Ladezustand der Ammandul-Wippe hinkte deutlich hinterher. Der Petronier verglich die aktuellen Werte mit den Soll-Daten. In Ammandul hatte es sich etwas verändert. Er wählte eine Ausschnittvergrößerung und legte zugleich eine alte Sternenkarte der Milchstraße über die Vergrößerung. Der Petronier erstarrte. Sein tiefschwarzes Gesicht war aschgrau geworden. Die Information hatte ihn geradezu angesprungen! Er sah sofort, warum der Ladevorgang der AmmandulWippe nahezu zum Stillstand gekommen war. In der tiefroten Darstellung der AmmandulGalaxis glänzte ein schwarzer Stern. Das durfte es nicht geben! Der Petronier hantierte an den Projektionsgeräten herum. Doch der schwarze Fleck blieb. Was DAS bedeutete, war ihm sofort bewusst: Das sechsdimensionale Feld eines der TerranerPlaneten hatte sich reaktiviert! Er verglich die Werte mit den Angaben der alten Sternenkarte. Es handelte sich um den Planeten Olymp! Dieser Planet war seinerzeit verschwunden gewesen, als man die Terraner von dort evakuieren wollte. In den Wirren vor 50.000 Jahren hatte man geglaubt, der Planet sei bei den vereinzelten Kämpfen gegen terranische Widerstandsgruppen zerstört worden. RHOMBIA hatte dies zumindest behauptet. Aber dem war offensichtlich nicht so! Olymp war er wieder da, an seinem alten Standort. Und mit ihm seine Bewohner. Dadurch war die ruhende Aura dieses terranischen Zentralplaneten wieder reaktiviert worden. Das änderte Alles! Eine Galaxis, die einen Planeten mit einer aktiven sechsdimensionalen Aura beherbergte, konnte nicht in ein anderes Universum transferiert werden. Schwarze Diamanten, wie man solche Planeten auch nannte, waren ein stabiler, ja unlösbarer Anker! Und Ammandul hatte wieder einen Schwar-
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zen Diamanten! * Der Petronier versuchte sofort, eine Tiefraum-Verbindung nach Ammandul herzustellen. Doch solange er es auch klingeln ließ, es ging dort niemand an den Apparat. Weder Rhombia, noch der Kaiser der Milchstraße waren zu erreichen! Etwas war passiert, etwas Entscheidendes, denn sonst hätte es keinen Schwarzen Diamanten in Ammandul geben dürfen! Über das Tiefraum-Verbindungsnetz stoppte er den Ladevorgang der beiden Materiewippen. Solange er Ammandul nicht transferieren konnte, machte auch eine Versetzung von Hangay nach Tarkan keinen Sinn. Anschließend versuchte der Petronier heraus zu bekommen, was passiert war. Berichte und Informationen aus Ammandul lagen nicht vor; lediglich im Bereich von M 343 hatte es Bewegung gegeben. Er ließ sich die Aufzeichnungen der beiden letzten Zeiteinheiten aus dem Umfeld von M 343 vorspielen. Was er dort sah, bestätigte seine Befürchtungen. Ein kleines Raumschiff war in M 343 eingedrungen und flog zielgerichtet auf seine Zentrale zu. Und dieses kleine Raumschiff flog mit Überlichtgeschwindigkeit und trotzte damit dem Sperrfeld, das er errichtet hatte. Eine Fernanalyse dieses Schiffes brachte beunruhigende Ergebnisse: Dieses Schiff war mit der Technik der Hohen Mächte ausgestattet und war dabei, in einigen Bereichen von M 343 die höheren Dimensionen wieder zu aktivieren. Vom Hörensagen war ihm bekannt, dass die Hohen Mächte nach dem Abgang der Petronier sich des Volkes der Baolin-Nda bedient hatten, wenn es darum ging, Überlegenheitstechnik einzusetzen. Aber die Baolin-Nda galten als vernichtet! Wie passte das zusammen? Der Petronier handelte. Er aktivierte die Verteidigungsanlagen der Zentrale und gab den Robotern den Befehl, sein Kampfschiff startklar zu machen. Die automatischen Verteidigungsanlagen
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waren stark. Sie würden die Zentrale und die Geräte, die das Sperrfeld erzeugten, auch gegen dieses Schiff schützen, so hoffte der Petronier wenigstens. Mit seinem eigenen Kampfschiff würde er in M 343 nicht eingreifen können, weil auch sein Schiff auf das Vorhandensein von höherdimensionalen Energien angewiesen war. Aber mit seinem Schiff würde er nach Ammandul fliegen und dafür sorgen, dass der Schwarze Diamant aufhören würde, zu strahlen. Niemand konnte dieses Kampfschiff der Petronier aufhalten. Selbst die Horden von Garbesch hatten diese Schiffe gefürchtet. Leider gab es nur ganz Wenige davon. Die fähigsten Ingenieure seines Volkes hatten lange daran gebaut. Seine Schutzschirmstaffeln waren unüberwindlich und seine Vernichtungswaffen geeignet, ganze Flottenverbände der Garbeschianer zu vernichten. Es war damals nicht mehr zum Einsatz gekommen. Aber jetzt würde es seine Aufgabe erfüllen. Er würde Olymp aus dem Universum fegen und den Weg frei machen, für einen Transfer der Galaxis Ammandul nach Tarkan. Dann würde der Petronier die Materiewippen wieder aktivieren und den Prozess des Transfers einleiten. Auch der Aufrissgenerator am Rande von Hangay würden seine Arbeit aufnehmen und das sanfte Hinübergleiten der beiden Galaxien ermöglichen. Bei diesem Gedanken nahm das Gesicht des Petroniers wieder seine gewohnte und gesunde schwarze Farbe an. Ja, und er würde sich diesen Transfer aus der Nähe ansehen.
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Bevor der Petronier sich zu der Transportkugel begab, die ihn zu seinem Kampfschiff bringen würde, das außerhalb von M 343 stationiert war, erreichte ihn eine Meldung aus der östlichen Nebenzentrale. Dort hatte man Terraner vom Planeten Paradies-Europa interniert, die auf dem Tender Omega aufgegriffen worden waren. Ihnen hat-
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te ein Unbekannter geholfen, der mit seinem Raumschiff im System von Paradies-Europa gestrandet war. Dieser Unbekannte hatte sein Schiff zurückgelassen und war mit einer Transportkugel in das galaktische U-Bahn-System eingedrungen. Der Petronier rief die Daten des Verkehrssystems ab und erfuhr, dass der Unbekannte weiterhin im System unterwegs war, nachdem er einen Zwischenstopp an einem der Tender eingelegt hatte. Er rief die Informationen des betreffenden Tenders ab. Die Information waren spärlich. Er hatte den Eindruck, dass der dortige CHEFComputer nur ungern mit der Wahrheit herausrückte. »Diese verrückte Chaotarchen-Modelle! Nie tun die das, was man von ihnen erwartet«, schimpfte er. Doch was der Petronier dann doch erfuhr, ließ ihm das Proto-Blut in den semiorganischen Adern gefrieren: Reginald Bull war befreit worden! Der Unbekannte war mit der Transportkugel aus dem Hyperkanal ausgeflogen, hatte den gigantischen Tender in Ruhe überflogen, war in einen Hangar eingedrungen, hatte Reginald Bull aufgenommen und war wieder abgeflogen. Einfach so! Ohne dass die Steuercomputer des Tenders eingegriffen hätten! Ohne dass sie irgend etwas unternommen hätten! Die Steuercomputer eines der mächtigsten Raumgefährte, das je existiert hat, haben gelassen zugesehen, wie Reginald Bull befreit wurde. Der Petronier tobte. In der Sprache der sieben Mächtigen drohte er den Computern des Tenders Schlimmes an. Oh ja, er würde ihnen die positronischen Einzelteile eigenhändig aus dem Robotkörper reißen und in den Konverter werfen. Gaaaaaaaaanz langsam würde er sie zerlegen, vierteilen, grillen... Doch es sollte noch schlimmer kommen! Der Kontracomputer des Tenders schaltete sich in die Übertragung ein und gab zum Besten, man habe gehört, dass der galaktische Kaiser sich am westlichen Checkpoint angemeldet hatte, dort aber nie angekommen sei.
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Außerdem nehme man an, dass Reginald Bull und der Unbekannte jetzt auf dem Weg zum Tender Alpha seien, wo sie Perry Rhodan vermuteten. Und das sei ja auch richtig, wie man wisse... Völlig entnervt verließ der Petronier die fahrbereite Transportkugel und ließ sich über den Transmitter wieder in seine Zentrale abstrahlen. Hier, auf Gojah 4, liefen alle Fäden zusammen. Hier wurden die Hyperkanäle für das galaktische Transportsystem generiert und von hier aus gab es auch eine direkte Datenverbindung zu den beiden Außenstationen am Rande von M 343, den Checkpoints. Und vor allen Dingen: Hier gab es nur seine Technik; Technik auf die er sich verlassen konnte. Der Zentralcomputer des westlichen Checkpoints meldete sich sofort. Er wies allerdings darauf hin, dass es eine mehrtägige Unterbrechung der Verbindung zur Zentrale gegeben habe und er somit nicht in der Lage gewesen sei, die Zentrale über die merkwürdigen Vorkommnisse zu unterrichten. Er erstattete dem Petronier Bericht. Der Petronier musste erfahren, dass der Kaiser der Milchstrasse um Zuflucht gebeten hatte. Doch bevor Ronald Tekener den westlichen Checkpoint habe erreichen können, sei er von einem Schiff unbekannter Bauart gestoppt worden und war in Gefangenschaft geraten. Der Petronier knirschte mit den Zähnen und fluchte: »Heiliges Hathorjan. Es läuft aber alles schief!« In Gedanken fasste er zusammen, was er an Informationen zur Zeit hatte: 1. Das Kosmische Kleeblatt, zu dem sein Universum gehörte, war aus dem Takt geraten, weil eine Großgalaxis aus dem kontrahierenden Universum Tarkan nach hier versetzt worden war. Am gemeinsamen Mittelpunkt der beiden Materie- und Antimaterie-Universen überwog der Anteil an negativer Energie, die in Kürze in dieses Universum durchschlagen würde und Hunderte, wenn nicht Tausende von Galaxien auf einen Schlag ausbrennen würde. 2. Als Gegenmaßnahme hatten die Hohen Mächte, und zwar die Kosmokraten und die
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Chaotarchen, beschlossen, den Transfer von Hangay rückgängig zu machen und zudem die Galaxis Ammandul ebenfalls nach Tarkan zu transferieren, um den Verlust auszugleichen, der seit dem Transfer von Hangay entstanden war. 3. Er, der wahrscheinlich letzte Petronier, hatte den Auftrag erhalten, diesen Transfer durchzuführen. Zu diesem Zweck hatte er zwei Materiewippen konstruiert, die zusammen mit dem Aufrissgenerator einen sanften Übergang ermöglichen sollten. 4. Bevor der Aufladeprozess der beiden Materiewippen beginnen konnte, mussten die Anker, die die Galaxis Ammandul in diesem Universum hielten, gelöst werden. Diese Anker bestanden aus sechsdimensionalen Auren, die bestimmte Planeten in Ammandul umgaben. Es waren dies die Planeten Terra, Olymp, Ertrus und Manderlay. Die ersten drei Planeten waren die Welten der Terraner; Manderlay war der Asylplanet einer unbekannten Wesenheit vom Range einer Superintelligenz. Diese vier Planeten, auch Schwarze Diamanten genannt, mussten ausgeschaltet werden, bevor der Transfer nach Tarkan beginnen konnte. 5. Obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, diese Planeten zu vernichten, hatten die Hohen Mächte, offensichtlich auf Druck einer noch höheren Macht, entschieden, die Schwarzen Diamanten lediglich stillzulegen, indem man die Planeten entvölkerte. Eine der größten Evakuierungsmaßnahmen der Geschichte des Universums hatte stattgefunden. Mit Hilfe der Hohen Mächte wurden alle Terraner aus der Milchstraße evakuiert und hier in M 343 angesiedelt. Gleichzeitig habe ich hier ein Sperrfeld installiert, das jede Art von überlichtschneller Raumfahrt unterband und somit den Terranern die Rückkehr unmöglich machte. Zudem wurden die Planeten Terra, Olymp, Manderlay und später auch Ertrus vernichtet. Wenigstens glaubte ich das bis heute. Denn zumindest Olymp ist wieder an seiner alten Stelle. 6. 50.000 Jahre später, also heute, habe ich die Vorbereitung für den Transfer der beiden Galaxien abgeschlossen. Aber plötzlich taucht der Planet Olymp wieder auf und einer der Schwarzen Diamanten leuchtet wieder. Damit
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ist ein Transfer von Ammandul unmöglich geworden. Gleichzeitig befreit ein Unbekannter Reginald Bull, dessen Zellaktivatorchip ihn und die anderen ZAC-Träger wegen der fehlenden sechsdimensionalen Aufladung in einem StasisSchlaf gefangen hielt. Gleichzeitig scheint der Kaiser der Galaxis, Ronald Tekener, in Gefangenschaft geraten zu sein und zudem treibt sich ein Raumschiff in meiner Galaxis herum, das trotz Sperrfeld munter mit Überlichtgeschwindigkeit fliegt. »Was also soll ich tun?« fragte sich der Petronier. Die Alternativen sahen so aus: Mit dem alten Überlegenheitsschiff nach Ammandul fliegen, den Schwarzen Diamanten Olymp mitsamt seiner Bevölkerung vernichten und mit dem Transfer der Galaxien fortfahren oder die Hohen Mächte informieren und um seine Ablösung bitten. Der Petronier überlegte lange. Die Vernichtung von Olymp widerstrebte ihm zutiefst. Aber was war das Leben von einigen Millionen Lebewesen auf Olymp gegen den Tod Tausender Galaxien? Denn wenn es keinen Transfer von Hangay und Ammandul nach Tarkan gab, würden die negativen Energien aus dem Zentrum des Kosmischen Kleeblattes in dieses Universum durchschlagen und die Endzeit würde anbrechen. Das war sicher!
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ne Technik zu entwickeln, die seinem Schiff gefährlich werden könnte. Aber die Baolin-Nda gab es ja nicht mehr... * Das Licht der Sonnen am Rand der Galaxis spiegelte sich in den mächtigen Rundungen des Raumschiffes, dessen Oberfläche die Farbe von poliertem Silber hatte. Nach irdischen Maßstäben hatte dieses Schiff einen Durchmesser von 1.800 Metern. Früher, vor undenklichen Zeiten, hatten diese Raumschiffe die Galaxis Hathorjan durchstreift und den Rittern der Tiefe beigestanden. Dann waren diese Schiffe aus Hathorjan, das jetzt Andromeda hieß, verschwunden. Ihre Spur verlor sich in der Unendlichkeit des Sternenlichts... Nur dieses eine Schiff existierte noch. Stark genug, ganze Flottenverbände aufzureiben und komplette Sternensysteme mit einem Feuerschlag zu vernichten. Mit einem Antrieb, der die unendlichen Weiten zwischen den Sterneninseln in wenigen Tagen überbrücken konnte. Und mit Schutzschirmen, die von keiner bekannten Waffe im Universum durchschlagen werden konnten. Dieses Schiff war nun startbereit und wartete auf seinen Herrn, den letzten Petronier. *
* Letztlich war der Petronier viel zu stolz, um aufzugeben und die hohen Mächte um seine Ablösung zu bitten. Daher entschied er sich, seinem ursprünglichen Plan zu folgen und nach Ammandul zu fliegen. Hinsichtlich der notwendigen Vernichtung von Olymp beruhigte er sein Gewissen mit der vagen Hoffnung, vor Ort vielleicht eine andere Lösung zu finden. Er würde sofort aufbrechen und nachsehen, was dort los war. Mit seinem Schiff konnte er das gefahrlos tun. Nichts würde ihn aufhalten können. Lediglich die geheimnisvollen BaolinNda wären vielleicht in der Lage gewesen, ei-
Noch nicht einmal 800 Lichtjahre entfernt wartete ein anderes Raumschiff. 1.200 Meter lang, ebenfalls stark bewaffnet und auch ungeheuer schnell. Dieses Raumschiff verfügte über aussergewöhnlich gute Ortungssysteme und einen hervorragenden Ortungsschutz. Das hatte es dem alten Petronier-Schiff voraus. So wusste der Bordrechner des Petronier-Schiffes nichts von der Existenz dieses Schiffes. Aber die Hochleistungs-Bionik des schlanken weißen Schiffes hatte sofort gehandelt, als man drüben begonnen hatte, das PetronierSchiff startbereit zu machen. Der eigene Tarnschirm wurde hochgefahren und die hypersensiblen Fernorter begannen mit ihrer Arbeit. Zu-
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dem wusste die Bionik des schlanken weißen Schiffes, um wessen Schiff es sich da drüben handelte. Denn der Gefangene hatte alles erzählt. Dieses Schiff war die TERRA. Und der Gefangene war der ehemalige Kaiser der Milchstraße, Ronald Tekener. THELA, die Hochleistungs-Bionik der TERRA, hatte aufmerksam zugehört, als Ronald Tekener seine Geschichte erzählt hatte. Dieser Mensch war müde. Auf ihm lastete die Verantwortung für den Tod von Millionen von Lebewesen. Aber Ronald Tekener kannte den Plan. Er hatte ihnen davon erzählt. Paul und seine Freunde erfuhren die Geschichte vom gestörten Gleichgewicht der Universen des Kosmischen Kleeblattes, sie hörten von dem Plan der Hohen Mächte, die Galaxis Hangay und die Milchstraße nach Tarkan zu versetzen, um die Endzeit abzuwenden und sie erfuhren, dass die Terraner seinerzeit nur deswegen verbannt wurden, um die Anker lösen zu können, die einen Transfer der Milchstraße nach TARKAN verhinderten. Ronald Tekener schloss mit den Worten: »RHOMBIA hatte den Befehl zur Zerstörung von Olymp bereits gegeben, nachdem uns gemeldet worden war, dass der Planet wieder aufgetaucht war.« Mit aller Deutlichkeit erkannte sie jetzt, dass der letzte Petronier gar keine andere Wahl mehr hatte, als die Schwarzen Diamanten der Milchstraße zu zerstören. Nur zu diesem Zweck war das Raumschiff startklar gemacht worden, das in einer Entfernung von weniger als 800 Lichtjahren auf seinen Passagier wartete. »Und Sie wussten nicht, dass die Erde noch existiert?« fragte Paul den Gefangenen. »Nein«, antwortete Ronald Tekener. »RHOMBIA hat mir versichert, die Erde sei vernichtet worden.« Paul ging unruhig umher. »Was bedeutet das jetzt? Hat die Erde mit ihrer jetzigen Bevölkerung auch den Status eines Schwarzen Diamanten?« »Wahrscheinlich ja«, antwortet der ehemalige Kaiser. »Aber der von Ihnen erwähnte Ultratron-Schirm macht die Erde in dieser Hinsicht unsichtbar, denn ich war einmal in der
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Zentrale und habe die Überwachungsanlagen selbst benutzt, um weitere Schwarze Diamanten zu entdecken. In der Milchstraße waren damals keine Planeten mit sechsdimensionaler Aura zu orten, obwohl die Erde noch existierte. Daraus folgt, dass die Erde auf den Überwachungsanlagen des Kerkermeisters nicht zu entdecken ist. Er muss annehmen, dass Olymp der einzige Anker ist, der die Milchstraße in diesem Universum halten kann. Und er wird Olymp vernichten, da bin ich sicher.« »Das werden wir verhindern«, warf J.J. ein. »Und wie wollt ihr das anstellen?« fragte THELA. »Dieses uralte Schiff verfügt über Waffensysteme und Schutzschirme, die alles in den Schatten stellen, was jemals in dieser Hinsicht entwickelt wurde. Wenn ihr euch diesem Schiff zum Kampf stellen wollt, dann wird dieser Kampf wahrscheinlich mit der Vernichtung der TERRA enden...«
49. Wer zuerst kommt...
»Wenn wir das Schiff des Petroniers nicht stoppen, wird er den Planeten Olymp vernichten, um den vermeintlich einzigen Anker zu lösen, den unsere Heimatgalaxis in diesem Universum hat.« Stephans Beitrag zur allgemeinen Diskussion wurde mit einem allseitigen Nicken beantwortet. Dagmar entgegnete: »Aber dieses Schiff ist nach der Fernanalyse unseres allseits beliebten Bordcomputers THELA schlicht und einfach unbesiegbar. Was sollen wir da ausrichten?« »Vielleicht verhandeln?« warf Michele ein, die wie immer an Pauls Seite saß und sich eng an ihn kuschelte. Paul schüttelte den Kopf. »Über was? Ihn bitten, Olymp zu verschonen und dafür in Kauf zu nehmen, dass das halbe Universum vernichtet wird, wenn die negativen Energien aus dem Kosmischen Kleeblatt durchschlagen. Dazu wird er nicht bereit sein. Und wenn wir ehrlich sind, haben wir eigentlich eine Wahl? Sollen wir eine Entwicklung aufhalten, die wahrscheinlich Tausende von Billiarden Wesen das
Auf der Suche... III
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Leben rettet? Ihr habt doch den Bericht von Ronald Tekener gehört. Wenn die Milchstraße und die Galaxis Hangay nicht nach Tarkan transferiert werden, wird die Endzeit anbrechen.« »Aber was ist mit der Erde?« fragte J.J. »Die Erde ist zwar nicht zu orten, aber sie ist auch ein Schwarzer Diamant, weil sie über diese sechsdimensionale Aura verfügt. Selbst wenn der Petronier den Planeten Olymp vernichtet, kann er die Milchstraße immer noch nicht nach Tarkan transferieren, weil die Erde, unsere Erde, die Milchstraße in unserem Universum verankert. Wollt ihr auch die Vernichtung der Erde riskieren?« Allgemeine Ratlosigkeit machte sich in der Zentrale der TERRA breit. Das Gefühl der Hilflosigkeit war fast körperlich zu spüren. Selbst THELA, der Bordcomputer, schwieg. Anscheinend hatten auch die beiden BaolinNda-Bewusstseine, die Teil der biologischen Komponenten THELAs waren, keine Lösung parat. Denn dieses Dilemma war nicht zu lösen. Ließ man den Dingen seinen Lauf, würde der Petronier zu Milchstraße fliegen und den Planeten Olymp vernichten. Dann würde er den Transfer der beiden Galaxien einleiten, um die Endzeit abzuwenden. Dieser Transfer würde nicht funktionieren, weil der sechsdimensionale Anker der Erde die Milchstraße in diesem Universum halten würde. Also würden die negativen Energien aus dem Mittelpunkt des Kosmischen Kleeblattes in jedem Fall in dieses Universum durchschlagen, es sei denn, man gab dem Petronier die Information über das Vorhandensein und den Status der Erde. Dann würde er versuchen, auch die Erde zu vernichten. »Kann der Petronier die Erde vernichten, trotz ihres Schutzes durch den UltratronSchirm?« fragte Paul in Richtung THELA. »Nein. Der Ultratron-Schirm um das Sonnensystem kann nach unseren Berechnungen auch mit den Machtmitteln des Petroniers nicht durchdrungen werden.« Über die interne Bordverbindung meldete sich der Gefangene, Ronald Tekener: »Habt ihr mal überlegt, warum die Erde noch existiert? Wenn doch so klar ist, dass die Milchstraße und Hangay nach Tarkan transfe-
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riert werden müssen, um eine kosmische Katastrophe abzuwenden, warum hat man es dann zugelassen, dass die Erde und ihre sechsdimensionale Aura weiter existieren? Und vor allen Dingen: Wer hat ES und den terranischen Führern damals geholfen, die Erde zu erhalten und zugelassen, dass sich eine neue Menschheit entwickelt? Dieser Wer musste doch wissen, dass er damit die Bemühung um die Rettung des halben Universum hintertreibt! Ach ja, in diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine Bemerkung des Kosmokraten Taurec, als dieser sich in der kosmischen Burg aufhielt und die Evakuierung der terranischen Planeten beobachtete. Taurec sagte damals zu mir: Dieses Volk hat mächtige Verbündete, die es selbst zum Teil nur kennt. Ich habe lange über diesen Satz nachgedacht und die Antwort nie gefunden. Wer sind diese Verbündeten? Und wieso hintertreiben sie die Bemühungen um die Rettung unseres Universums vor den Folgen der Endzeit?« Paul hatte aufmerksam zugehört. Er fragte: »Gibt es vielleicht eine Alternative? Gibt es eine Macht, die weiß, dass die Endzeit nicht eintreten wird, auch wenn der Galaxientransfer nicht durchgeführt wird? Hat uns diese Macht unterstützt und tut sie es immer noch? Hat sie der Superintelligenz ES und den Führern der Terraner damals geholfen, den Geheimplan zur Rettung der Erde umzusetzen? Stammt der Plan vielleicht von dieser geheimnisvollen Macht?« Stephan nickte. »Ja, ich denke, da ist was dran. Was wir jetzt brauchen, ist ein Kontakt zu den damaligen Führern der Terraner. Perry Rhodan oder Reginald Bull wissen bestimmt, warum die Erde vor 50.000 Jahren erhalten blieb und die Menschheit sich neu entwickeln sollte. Aber um diese Fragen stellen zu können, brauchen wir Zweierlei: Kontakt zu Perry Rhodan oder Reginald Bull und – vor allen Dingen – Zeit. Wie können wir verhindern, dass der Petronier sein Vernichtungswerk beginnt, bevor wir die Antworten haben?« »Leute«, murmelte J.J. »Ich hätte da eine Idee. Wenn das Schiff des Petroniers so unangreifbar ist, wie THELA meint, dann können wir es nicht vernichten. Aber wir könnten
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den Abflug des Petroniers erheblich verzögern, wenn wir Folgendes versuchen...« * Der Petronier war unterdessen schon zu seinem Schiff unterwegs. Nachdem er alle Informationen ausgewertet hatte, hatte er die Transportkugel bestiegen und war zum Checkpoint West unterwegs; nur von dort gab es einen direkten Hyperkanal zum Standort seines Schiffes. Während der Fahrt mit der galaktischen UBahn überdachte er sein geplantes Vorgehen. Natürlich würde er den Planeten nicht vernichten, ohne der Bevölkerung eine Chance zu geben, ihren Planeten zu verlassen. Er war ja kein Massenmörder. Aber er rechnete mit so massivem Widerstand, dass er vielleicht gezwungen sein würde, notfalls auch den Tod der Millionen Bewohner von Olymp in Kauf zu nehmen, falls sie sich weigerten, ihren Planeten zu räumen. Nachdem der den westlichen Checkpoint erreicht hatte, gab er seinen persönlichen Code ein, der ihm, und nur ihm, den Zugang zum Hyperkanal eröffnete, der zu seinem Raumschiff führte. Doch anstelle der erwarteten Freigabe, erhielt er nur die Warnmeldung: Zugang gesperrt! Der Petronier verließ die Transportkapsel und ließ sich zur Zentrale des Checkpoints abstrahlen. Zugang gesperrt? So etwas konnte es nicht geben. Doch in der Zentrale des Checkpoints wurde es zur Gewissheit. Der Hyperkanal zwischen dem westlichen Checkpoint und dem Standort seines Kampfschiffes existierte noch. Aber dieser Hyperkanal endete im Nichts, denn sein Schiff war nicht mehr da! * Was war geschehen? Der Plan J.J.s war so genial einfach, dass selbst THELA ein leises Lachen von sich gegeben hatte, als sie davon gehört hatte. Irgendwas wie typisch Mensch, hatte sie gemurmelt und unverzüglich mit den Vorbe-
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reitungen für die Aktion Erstschlag begonnen. Das Schiff des Petroniers war natürlich außerhalb des Sperrfeldes von M 343 stationiert, weil auch dieses Schiff auf das Vorhandensein der höheren Dimensionen angewiesen war. Und dieses Schiff war deswegen auch von allen höheren Dimensionen umgeben; natürlich auf von Hyperraum. Sogar von einem wunderschönen Stück Hyperraum hatte J.J. bemerkt, als er seinen Plan erläutert hatte. Im Schutz ihres Tarnschirmes hatte sich die TERRA mit Hilfe ihres Hypertakt-Triebwerkes vorsichtig an das Petronier-Schiff herangepirscht. Als sie dann, in einer Entfernung von weniger als 600.000 Kilometern, aus dem Hyperraum kam, hatte das Petronier-Schiff sofort reagiert und unbekannte Schutzschirme hochgefahren. Starke Energieemissionen wiesen zudem darauf hin, dass das Petronier-Schiff Anstalten machte, mit Waffengewalt zuzuschlagen. Aber alle Reaktionen dieses Schiffes kamen zu spät, denn die TERRA hatte bereits gehandelt. Um das alte petronische Kampfschiff riss der Weltraum auf. Ein tiefrotes Feld erfasste das Schiff. Von einer Sekunde zur anderen wurde das alte Schiff von dem Feld verschlungen. Dann kehrte die Schwärze des Weltraum dorthin zurück, wo noch vor kurzem ein mächtiges Schlachtschiff seine ganze Feuerkraft hatte einsetzen wollen. »Einsatz der Transpuls-Kanone erfolgreich. Petronisches Schiff befindet sich jetzt rund 400 Lichtjahre innerhalb des Sperrfeldes von M 343 und kann dort nicht mehr heraus. Es sei denn, der Petronier entschließt sich, das ganze Sperrfeld in M 343 abzuschalten. Aber das wird er nach unserer Einschätzung nicht tun.« THELAs Kommentar hatte lauten Jubel in der Zentrale der TERRA ausgelöst. Selbst Ronald Tekener hatte laut gelacht, als er sich über die interne Bordverbindung zugeschaltet hatte. »Die Idee hätte auch von mir sein können. Typisch Terraner. Ich gäbe eine Menge darum, euch helfen zu können.» »Vielleicht können Sie das bald«, sagte Paul. »Es besteht eine Relaisverbindung zur Milchstraße; über diese Verbindung habe ich NA-
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THAN gebeten, Ihre Angaben zu prüfen und den Anteil an Schuld, den Sie während Ihrer Regentschaft als Kaiser der Milchstraße auf sich geladen haben, zu ermitteln und zu bewerten. Wenn der Tod von Millionen Lebewesen nicht von Ihnen, sondern von der Superintelligenz RHOMBIA zu verantworten ist, wird NATHAN zu einer positiven Bewertung kommen, aber noch steht die Antwort aus der Milchstraße aus. Ich muss Sie daher bitten, sich weiterhin in Ihrer Kabine aufzuhalten.« »Ich bin einverstanden«, antwortete Ronald Tekener. »Und die Einschätzung THELAs hinsichtlich des Verhaltens des Petroniers teile ich. So wie ich ihn kenne, wird er jetzt nicht überstürzt handeln und das ganze Sperrfeld abschalten, nur um an sein Schiff heranzukommen.« * »Was für ein beeindruckendes Waffensystem!« murmelte der Petronier anerkennend, als er sich die Aufzeichnung des Angriffs und die Versetzung seines Schiffes ansah. »Und was für ein Schiff!« Er verglich die Ergebnisse der Fernanalyse mit den Daten, die er über das kleinere Schiff hatte, das innerhalb von M 343 unterwegs war. »Gleiche Bauform, nur viel größer. Und voll mit Technik aus den Arsenalen der Hohen Mächte. Aber wieso wird diese Technik jetzt gegen mich eingesetzt?« Der Petronier war sehr verunsichert. Sein Kampfschiff dümpelte jetzt innerhalb des Sperrfeldes vor sich hin. Aus eigener Kraft war es nicht in der Lage, das Sperrfeld wieder zu verlassen. Ihm stand dieses Schiff somit auch nicht zur Verfügung, es sei denn, er schaltete das galaktische Sperrfeld komplett ab. Diese Idee verwarf er nach kurzer Überlegung sofort wieder. Zu groß waren die Gefahren, die von den Großtendern aus den Beständen der Chaotarchen ausgingen. Wenn nur ein terranisches Volk oder einer ihrer legendären Führer sich eines dieser Tender bemächtigte, hätte es Machtmittel in der Hand, denen er fast nichts entgegenzusetzen hätte. Nein, so schwer es ihm auch fiel, Olymp
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musste warten; er hatte zur Zeit keine Möglichkeit, innerhalb der Galaxis Ammandul einzugreifen. Jetzt konnten nur noch die Hohe Mächte helfen. Völlig niedergeschlagen rief der Petronier eine Transportkapsel herbei und begab sich auf die Rückreise zur Zentrale. Nur von dort konnte er eine Verbindung zur Materiequelle BROHLER-IA aufnehmen und den Kosmokraten eine Nachricht übermitteln.
50. Amazonen
Nach der Überraschungsaktion gegen das Schiff des Petroniers hatte man auf der TERRA die notwendige Zeit gewonnen, um auf die Suche nach Perry Rhodan, Reginald Bull oder einen der anderen Unsterblichen zu gehen, die innerhalb von M 343 gefangen waren. Von Ronald Tekener hatte man erfahren, dass es innerhalb dieser Galaxis ein Transportsystem gab, das die beiden Checkpoints am Rande der Galaxis mit der Zentrale NULL und den Tendern verband, die in den Sonnensystemen stationiert waren, wo die verbannten Terraner lebten. Die Hyperkanäle dieses Transportsystems hatten jedoch nur einen Durchmesser von 80 Metern und waren daher für ein Schiff der Größe der TERRA nicht geeignet. Auch ein Einsatz der TERRA 4 wäre nach Aussage THELAs mit einem zu hohen Risiko verbunden. Unter Nutzung ihres Kompakten Feldes hätte sie im »geschrumpften« Zustand zwar nur einen Durchmesser von 50 Metern, würde aber, sobald sie einen der Hyperkanäle verließe, sofort wieder auf ihre Einsatzgröße von 500 Metern »anwachsen«. Ein Verkleinerung der TERRA 4 wäre dann aber nicht mehr möglich, weil auch der Einsatz des Kompakten Feldes das Vorhandensein von höheren Dimensionen voraussetzt. Und diese Dimensionen waren außerhalb der Hyperkanäle nun mal nicht vorhanden. J.J. hatte es nicht richtig verstanden und fragte nach: »Muss die TERRA 4 komplett von
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Hyperraum umgeben sein, um von 500 Metern wieder auf 50 Meter zu schrumpfen?« »Ja. Du brauchst mehr als 500 Meter Hyperraum im Durchmesser, um das Kompakte Feld einzusetzen. Wenn du also einmal aus dem Hyperkanal ausgetreten bist, kämst du nicht wieder hinein. du wärst innerhalb von M 343 gestrandet. Das galaktische U-Bahn-System kann nur von den speziellen Transportkugeln genutzt werden, die im System vorhanden sind, oder...« Michele unterbrach THELAs Ausführungen: »Dann müssen wir eben diese Transportkugeln benutzen!« Paul schüttelte den Kopf. »Nein, da wird der Petronier wohl für gesorgt haben, dass kein Unbefugter die Transportkugeln benutzen kann, aber es gibt noch eine andere Möglichkeit. Die TERRA verfügt ja noch über diese kleinen Beiboote, oder?« »Genau. Das wollte ich auch gerade vorschlagen. Die Beiboote sind zwar auch in Kompakten Feldern gelagert, aber sie haben einen festen Aktionsdurchmesser von nur 30 irdischen Metern und passen in die Hyperkanäle hinein. Im Beiboothangar Steuerbord- Süd 16 habe ich zwei Beiboote mit Linearantrieb startklar gemacht. Die Boote sind nicht bewaffnet und verfügen über einen schwachen Schutzschirm, natürlich nur, soweit Hyperraum vorhanden ist. Seid also vorsichtig damit!« »Zwei Boote?« fragte Stephan nach. »Heißt das, nicht alle von uns gehen in den Einsatz?« »Es wäre besser, wenn einige von euch hier blieben.« »Ich fliege auf jeden Fall«, meinte Stephan und schaute zu Dagmar. Die nickte. »Ich auch.« »Ich sowieso«, murrte J.J. »Ohne den galaktischen Cowboy läuft sowieso nichts.« »Paul und ich wollen auch nicht hier bleiben!« sagte Michele aufgebracht. »Tja, dann müssen wir wohl losen«, schlug Paul vor. »Ich würde gerne Paul und Stephan an Bord behalten. Für den Fall, dass die TERRA selbst aktiv werden muss, können Ortung und Funk sehr gut von mir übernommen werden, die Pilotenfunktion und der Waffenleitstand sollten jedoch von Menschen übernommen werden.«
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»Das ist Quatsch«, entgegnete Stephan aufgebracht. »Du machst doch sonst immer alles alleine!« »Nein, der ›menschliche Faktor‹, die manchmal unorthodoxe Art, wie ihr agiert, ist ungeheuer wichtig, wenn die TERRA selbst in den Einsatz gehen muss. Bitte entscheidet euch dafür, eines der Beiboote mit Michele und Dagmar und das andere mit J.J. zu bemannen.« »Bemannen ist gut«, maulte Michele. Nach längerer Diskussion, bei der insbesondere Stephan deutlich machte, was er von der Idee eines Amazonenschiffes hielt, gab sich die menschliche Besatzung der TERRA letztendlich geschlagen und stimmte dem Vorschlag THELAs zu. Der Transmitter in der Zentrale wartete auf die drei, während sich Michele und Dagmar herzlich von ihren Partnern verabschiedeten. Nur J.J. hatte nichts Weibliches, das er hätte in den Arm nehmen können und schaute etwas wehmütig drein, als er sah, wie sich die beiden Pärchen zum Abschied küssten. »Sei nicht traurig, lonesome Cowboy. Vielleicht finden wir Anita ja in M 343«, tröstete Paul seinen Freund. * Im Hangar standen zwei Beiboote bereit, mit T204 und T205 beschriftet. Mein Gott, wie viele Beiboote hat die TERRA denn? dachte J.J., als er die Nummerierungen sah. Die beiden Frauen entschieden sich für die T204 und J.J. bestieg die T205. »Hey THELA, wir haben noch gar nicht geklärt, wie wir eigentlich in diesen Hyperkanal hineinkommen«, harkte Dagmar nach. »Das ist eine meiner leichtesten Übungen. Ronald Tekener war so nett, mir die hyperphysikalischen Grunddaten zu liefern. Ich generiere einen eigenen Kanal und verbinde ihn mit dem vorhandenen Hyperkanal, genau an der Stelle, wo der die Checkpoint-Station verlässt.« »Aber dann könntest du doch auch einen direkten Kanal bis ins das Zentrum von M 343 generieren, oder?« fragte Michele.
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»Nein, das kann ich nicht. Das ginge nur, wenn das Sperrfeld abgeschaltet würde. Wahrscheinlich hat der Petronier das U-Bahn-System errichtet, bevor er das Sperrfeld eingeschaltet hat. Jetzt kann ich nur eine Verbindung zu dem Teil des U-Bahn-Systems herstellen, der noch außerhalb des Sperrfeldes liegt.« »Na gut, dann mal los, Mädchen«, gab J.J. über Funk durch und machte es sich in der kleinen Zentrale der T205 bequem. Auf der Ortungsanzeige war der Hyperkanal jetzt deutlich zu sehen, der von der TERRA ausging und in den bestehenden Kanal mündete. J.J. fädelte ein und beobachtete, wie ihm das Amazonenschiff folgte. Gefährlich wurde es, als die beiden Beiboote, in den Hauptkanal einschwenkten. Michele und Dagmar schauten nervös auf die Ortung, ob irgendein Waffensystem aktiv wurde oder sich irgendeine andere Schutzeinrichtung aktivierte. Doch nichts geschah. * »Wie werden die beiden Beiboote vorgehen?« fragte Stephan. »Naja, sie haben den Auftrag, nach einem der Unsterblichen zu suchen«, antwortete Paul. »Und sie sollten die Zentrale NULL möglichst meiden. Ein Kontakt mit dem Petronier wäre zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht angebracht. Der ist wohl richtig sauer, dass wir sein Schiff lahm gelegt haben.« »Und die Bordcomputer der beiden Beiboote sind auch nicht ohne«, mischte sich THELA ein. »Über den von mir angeflanschten Hyperkanal habe ich noch Verbindung zu ihnen und bekomme gerade die Informationen über dieses galaktische U-Bahn-System. Es gibt insgesamt 43 Stationen. Neben der Zentrale NULL und den beiden Checkpoints gibt es weitere 40 Stationen innerhalb dieser Galaxis. Irgendwo dort werden sie Perry Rhodan, Reginald Bull oder einen der anderen Unsterblichen finden. Und werden hoffentlich die Frage beantwortet bekommen, warum die Erde vor 50.000 Jahren als Schwarzer Diamant erhalten blieb, um einen unlösbaren Anker gegen den vorgesehenen Transfer der Milchstraße nach Tarkan zu
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bilden. Denn dies ist die alles entscheidende Frage, Freunde!« »Freunde! Nett von dir, THELA«, meinte Paul. »Ja, warum durfte man seinerzeit diesen Anker bestehen lassen? Wenn ich alles richtig verstanden habe, wird das halbe Universum untergehen, wenn Hangay und die Milchstraße nicht nach Tarkan transferiert werden. Eigentlich müssten wir selbst dafür sorgen, dass die Erde, Olymp und dieser geheimnisvolle Planet Manderlay aus der Milchstraße verschwinden, damit ein Transfer stattfinden kann und die kosmische Katastrophe abgewendet wird.« »Das könnte noch notwendig werden, wer weiß. Aber irgendwer hat aus irgendeinem Grund ES und die Terraner damals dabei unterstützt, dass ein solcher Transfer nicht stattfinden kann. Und damit ist auch klar, warum man das Sol-System so wirkungsvoll gegen den Rest der Galaxis abgeschottet hat: Damit dieser Anker von Niemandem gelöst werden kann! Denn der Ultratron-Schirm dürfte auch mit den technischen Möglichkeiten der Kosmokraten und ihres Beauftragten nicht zu knacken sein.« »Und wieso mussten die Terraner die Erde verlassen?« fragte Steph. »Das mit der sechsdimensionalen Aura der Erde verstehe ich ja noch halbwegs, aber diese Aura hätte ja auch funktioniert, wenn sie von den Bewusstseinen der alten Terraner gebildet worden wäre.« Paul entgegnete: »Ich denke, die alten Terraner hätten es niemals zugelassen, dass Vorbereitungen für einen Transfer der Milchstraße nach Tarkan getroffen worden wären. Und Perry Rhodan schon gar nicht! Ich glaube, ES, Perry Rhodan und die Anderen haben die Hohen Mächte gewaltig an der Nase herumgeführt, als sie diesen Geheimplan umgesetzt haben. Und um glaubwürdig zu bleiben, mussten Perry und Co. und die Bevölkerung der Erde auch in M 343 ankommen, sonst hätten die Hohen Mächte Verdacht geschöpft. »Ja, da stimme ich dir zu. Die alten Terraner mussten gehen, damit die Aktion glaubwürdig war und ein neuer Anker musste ›wachsen‹, um den Transfer zu verhindern. Die genaue Antwort werden uns Perry und Co. geben können;
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44 aber zuerst einmal müssen wir sie finden! *
Unterdessen hatten die beiden Beiboote die erste Abzweigung erreicht. Von irgendwelchen Gegenmaßnahmen des Petroniers hatten sie nichts gemerkt; die Fahrt mit der galaktischen U-Bahn war bisher ereignislos verlaufen. J.J. scherte aus dem Hyperkanal aus, damit er sich ein Bild machen konnte. Kurze Zeit später flog die T205 wieder in den Transportkanal ein. J.J. meldete sich bei den beiden Frauen: »Außerhalb des Hyperkanals ist nur eine kleine Station, die offensichtlich nur die Aufgabe hat, die beiden hier ankommenden Kanäle zusammenzuführen. Das heißt: Mädels, hier trennen sich unsere Wege! Ich nehme den rechten, Ihr den linken Kanal. Einverstanden?« »Geht klar«, gab Michele durch. »Aber pass auf dich auf! Und melde dich sofort, wenn du einen der Tender erreicht hast. Ach ja: Bitte keine übereilten Aktionen, Cowboy. Denk’ daran, dein Schiff ist nicht bewaffnet.« »Tschöh, Mädels! Ich pass schon auf mich auf«, rief J.J. in den Funkäther und lenkte sein Beiboot in den rechten Kanal. Die T204 nahm ebenfalls wieder Fahrt auf und nahm in die linke Abzweigung. Dagmar saß an der Steuerung des kleinen Schiffes, während Michele die Ortung und den Funk überwachte. Für Dagmar war es ein phantastisches Gefühl, ein Raumschiff zu steuern. Nur kurz hatte sie dazu Gelegenheit gehabt, als sie mit den alten Beibooten im Sol-System geübt hatten, damals. »Wie lang ist das eigentlich her, seid wir von zu Hause weg sind?« fragte sie. »Noch nicht einmal ein halbes Jahr ist das her«, antwortete Michele und schüttelte ihre lange rote Mähne. »Mensch, was ist seitdem alles passiert!« Mittlerweile hatte die T204 wieder ihre Reisegeschwindigkeit erreicht. Mit rund 1000 Lichtjahren pro Stunde raste das kleine Schiff seinem unbekannten Ziel entgegen. *
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Einen halben Tag später: Wahrscheinlich hatten die echten Transportkugeln eine Automatik, die frühzeitig abbremste, bevor die nächste Station erreicht war. Dagmar und Michele bekamen davon allerdings erst etwas mit, als der Orter ihres Schiffes einen Distanzalarm auslöste. Dagmar nahm die viel zu hohe Fahrt sofort zurück, sonst wäre das Beiboot mit viel zu hoher Geschwindigkeit in eine der Stationen hinein gerast. Die geheimnisvollen Stationen wartete in nur 55 Lichtjahren Entfernung auf sie. Vorsichtig pirschte sich die T204 an die Station heran. Dagmar und Michele rechneten mit irgendeiner feindlichen Aktion der Station. Wer wusste denn, ob der Petronier nicht doch besondere Sicherheitsmaßnahmen getroffen hatte. Als die Station nur noch 4.000 Kilometer entfernt war, scherte Dagmar aus dem Hyperkanal aus. Der Anblick war überwältigend! Dicht vor ihnen schwebte ein gigantisches Raumschiff im All. Ein scheibenförmiger Riese mit einem Durchmesser von 2.000 Kilometern und einem Turm in der Mitte. Halb rechts hinter dem Riesenschiff schob sich ein Planet in das Blickfeld der beiden Frauen. Blau-Weiß, wie die heimatliche Erde. »Komm, lass uns hinfliegen!« rief Michele begeistert. »Nein, zuerst müssen wir in den Hyperkanal zurück und die vereinbarte Nachricht an J.J. absetzen«, antwortete Dagmar. Etwas mürrisch gab Michele nach. Dagmar lenkte das Beiboot in den Hyperkanal zurück und Michele sendete den mit J.J. vereinbarten Code. Nach kurzer Zeit kam die Bestätigung. J.J. hatte noch keine Station entdeckt und war jetzt zu ihnen unterwegs. Ungeduldig und nervös spielte Michele mit den Feineinstellungen ihrer Geräte. Den Funk hatte sie angelassen. Auf fast allen Frequenzbändern war nur das typische Rauschen zu hören. Nur im Bereich von 110 MHz war Stille. »Wieso ist da Stille?« fragte sie Dagmar. »Wo ist Stille?« fragte Dagmar zurück. »Na, auf der Frequenz 110 MHz. Alles ruhig, kein Rauschen.» »Dann gibt es da draußen einen Sender, der
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normalerweise auf 110 MHz sendet und das im Moment aber nicht tut«, antwortete Dagmar. »Bei meinem Lieblingssender ist das auch so. Ist ein Lokalsender. Wenn die mal ’ne Panne haben, und das kommt oft vor, hörst du gar nichts, noch nicht mal Rauschen. Ein früherer Freund hat mir das mal so erklärt.« »Sollen wir uns mal melden?« fragte Michele. »Ich meine, selber senden, oder so...« »Besser nicht«, gab Dagmar zurück. »Wer weiß, wen wir alles auf uns aufmerksam machen. Ronald Tekener hat zwar gesagt, dass die Tender unbemannt sind und nur von Computern gesteuert werden, aber wer weiß.« »Hey da kommt was«, rief Michele plötzlich, nachdem sie auf ihre Ortungsinstrumente gesehen hatte. »Was kommt da, Michele?« »Eine silbernes und langgestrecktes Ding. Kommt schnell näher«, antwortete Michele aufgeregt. Da sprach der Funkempfänger ihres Beibootes an. Es dauerte einen Moment, bis der eingebaute Translator übersetzt hatte: »Fresst den Hass unseres Volkes und sterbt einen qualvollen Tod!« »Sofort ausweichen!« reif Michele. »Das könnte eine Rakete sein.« Dagmar reagierte blitzschnell. Sie gab Vollschub für die Impulstriebwerke und zog das Beiboot gleichzeitig zur Seite. »Rakete schwenkt. Sie kommt weiterhin auf uns zu!« Ungeduldig hieb Dagmar auf den Schubregler; langsam erhöhte sich die Geschwindigkeit ihres kleinen Schiffes. »Abstand bleibt!« rief Michele. »Jetzt vergrößert er sich.« »Wäre ja auch gelacht, wenn wir nicht schneller wären«, stöhnte Dagmar erleichtert auf. »Mensch, die hatte aber ein Tempo drauf«, sagte Michele und rief die Analyse des kleinen Bordcomputers ab. »Länge 36 Meter, Durchmesser 3, 80 Meter, Sprengkopf wahrscheinlich atomar, Flüssigkeitsantrieb.« »Die haben eine Atomrakete auf uns abgeschossen!« Dagmar war entsetzt. Sie waren noch keine halbe Stunde in diesem System und schon schoss man mit Atomraketen auf sie.
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»Wo kam die her? Kann der Bordcomputer das feststellen? Kam sie von dem Riesenschiff?« »Nein«, antwortete Michele. »der Bordcomp sagt, sie kam von den blauen Planeten.« Dagmar schüttelte ihren Kopf. »Das ist unmöglich. Innerhalb einer halben Stunde kann man keine Rakete startbereit machen und losschicken. Außerdem ist der Planet über 1 Million Kilometer weit weg. So hohe Geschwindigkeiten lassen sich mit Flüssigraketen nicht erzielen.« »Moment; der Comp sagt, sie kam von einer Raumstation – ganz in der Nähe«, sagte Michele. »Aber warum schießen die auf uns?« fragte sich Dagmar. Mittlerweile hatten sie sich dem blau-weißen Planeten genähert. »Ortung?« fragte Dagmar. »Nichts von Bedeutung. Keine weiteren Raketen. Die für uns bestimmte Rakete ist in den Tiefen des Alls verschwunden«, antwortet Michele. Eine neue Funkmeldung ging ein: »Auch wenn wir euch nicht vernichten konnten – unser Hass wird euch verfolgen, bis ihr euch wieder in den dreckigen Löchern eurer verfaulten Basis verkrochen habt. Wir werden nie aufhören, euch zu bekämpfen und nie aufhören, euch zu hassen!« »Starker Tobak! Sag mal, Dagmar, meinen die vielleicht, wir kommen von dem Tender?« »Wäre möglich. Lass uns mal auf dieser komischen Frequenz einen Funkspruch absetzen, vielleicht hilft das.« »Beiboot T204 von der Erde an Planet: Wieso greifen Sie uns an? Wir kommen in friedlicher Absicht.« »Oh ja, diese miesen Tricks kennen wir. Darauf sind unsere Ahnen damals hereingefallen. Sie sind in eure dreckige Falle getappt und wir haben sie nie wieder gesehen. Nehmt euer verfaultes Schiff und verschwindet endlich aus unserem System!« »Sie meinen den Tender?« »Was denn sonst, ihr verfluchten Handlanger des Todes! Dieses Schiff, das sich den Namen PHI gab, ist die Geißel aller Terraner auf Nimrod IV. Hört auf, uns mit eurem Gefasel zu langweilen. Verschwindet endlich!«
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»Wir kommen nicht vom Tender PHI, wir kommen aus der Milchstraße, und zwar vom Planeten Erde. Von genau derselben Erde, die auch Ihre Heimat ist!« Ein derart lautes Schweigen hatte weder Dagmar noch Michele je gehört. Schön war aber, dass die Stimme auf der UKW-Frequenz aufgehört hatte, sie zu beschimpfen. Dagmar legte noch einen nach: »Und der Tender PHI ist Ihre einzige Change, jemals wieder in die Heimat zurück zu kehren!« »Wir glauben euch nicht! Das ist wieder einer eurer fiesen Tricks. Ihr wollt uns nur auf dieses Schiff locken, auf dem schon so viele unserer Brüder und Schwestern gestorben sind. Nein und nochmals nein: Das Volk von Nimrod IV wird nie aufhören, gegen PHI zu kämpfen.« Dagmar und Michele waren enttäuscht. Sie hatten gehofft, mit offenen Armen empfangen zu werden, wenn sie zugaben, aus der Milchstraße und von der Erde zu kommen und nun das. »Irgendwas stimmt mit diesem Tender nicht«, murmelte Dagmar. »Wir sollten es uns ansehen!« »Oh ja, mach aber schnell, denn da kommt schon wieder einer dieser Raketen«, bemerkte Michele. Tatsächlich hatten die Bewohner von Nimrod IV während der Funkgespräche eine weitere Rakete gestartet. Da sie direkt vom Planeten kam, reichte die Zeit völlig aus, um auszuweichen. Dagmar fluchte – es hörte sich an wie linke Bazillen – und gab Vollschub. Michele gab noch einen Funkspruch durch: »An das Volk von Nimrod IV: Wenn ihr uns nicht glaubt, dann ist das eure Sache! Aber es wird vielleicht bald jemand kommen, der euch fragen wird, ob ihr in eure Heimat zurückkehren wollt. Wenn ihr ihn dann auch mit Raketen empfangt, dann wird er enttäuscht umkehren und euch hier zurücklassen. Überlegt es euch gut!« »Hatte Ronald Tekener nicht gesagt, die Tender seien absolut ungefährlich, solange kein Hyperraum da ist?« fragte Michele. »Ja. Ohne die Energieversorgung durch das schwarze Feuer, eine Art kleines schwarzes Loch im Zentrum
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des Tenders, sind die Riesenschiffe handlungsunfähig; nur eine Grundversorgung sei gewährleistet. Und auch sonst seien die drei Steuercomputer eines solchen Tenders durchaus menschenfreundlich eingestellt, äh programmiert. Muss wohl daran liegen, dass ihre Besitzer, die Chaotarchen, uns Menschen irgendwie mögen.« Michele antwortete: »Dann lass uns mal nachsehen, was da los ist. Oder sollen wir auf J.J. warten?« »Nee, wir lassen eine Nachrichtenboje für ihn zurück. Dann braucht er sich den Planeten erst gar nicht anzusehen und kann nachkommen«, entschied Dagmar. »Also auf auf, ihr Amazonen!« jubelte Michele.
51. Die Getreuen von PHI
Natürlich hatte er mitverfolgt, was da passierte. Dieses kleine weiße Raumschiff war aus dem Hyperkanal ausgetreten und prompt von den Bewohnern von Nimrod IV angegriffen worden. Oh, das hätte leicht schief gehen können. Scheint nicht bewaffnet zu sein, dieses kleine Ding, dachte er, als er sah, wie das Schiff vor der anfliegenden Rakete flüchtete. Na ja, vielleicht doch. Wahrscheinlich nur Waffen auf 5DBasis und die können die hier, ohne Hyperraum, aber nicht einsetzen. Unschlüssig schob der Humanoide das Okular seines starken Teleobjektivs zu Seite. Er musste dieses Schiff haben, um jeden Preis! Endlich ein Schiff, mit dem sich die Hyperkanäle befahren ließen. Nicht so ein Schrott, wie ihn die Bewohner von Nimrod IV zustande gebracht hatten, die seinen Lockrufen gefolgt waren oder die versucht hatten, den Tender zu erobern und die letztlich alle zu seinen Getreuen geworden waren. Nein, dieses Schiff hatte einen Linearantrieb, denn es war aus dem Hyperkanal gekommen. Endlich ein Weg in die Freiheit! Er hatte den Funkverkehr zwischen dem
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kleinen Schiff und Nimrod IV natürlich mitverfolgt. Sie kamen aus der Milchstraße! Das hieß, es gab da noch ein größeres Schiff, irgendwo ausserhalb dieser verfluchten Galaxis. Dieses Schiff würde er sich greifen und zurückkehren. Einem gewaltigen Donnerschlag gleich, würde er in die Galaxis einfallen, sobald er sich im Arsenal mit allem Notwendigen versorgt hatte. Seine Getreuen würden ihn begleiten. Sein neues Volk, die Getreuen von PHI, würde Furcht und Schrecken in dieser unbedeutenden Galaxis verbreiten. Und er würde Rache nehmen an Perry Rhodan und Reginald Bull. Aber zuerst würde dieser weißhaarige Albino in das arkonidische Gras beißen müssen. Diese eklige Schmeißfliege Atlan, der ihn vor langer Zeit in die Falle gelockt hatte und der die Hauptschuld daran trug, dass er in dieser Galaxis verrottete. Oh ja, erst Atlan und dann die anderen beiden, schön langsam sollen sie verrecken... Und Terra existierte noch? Die alte Erde, von der die beiden Frauen gesprochen hatten, war mit Terra identisch? Das konnte eigentlich nicht sein! Aber wer weiß, was die verfluchten Terraner zusammen mit ihrer Superintelligenz da ausgeheckt hatten. Zuzutrauen war es ihnen ja. Es ging ihm nicht schnell genug. Warum waren diese Frauen nicht schon längst da? Er informierte seine Getreuen: »Ein kleines Raumschiff nähert sich unserer Heimat. Ich habe einen fingierten Hilferuf abgesetzt, wonach sich im Hangar 51 Terraner in Lebensgefahr befinden. Das Schiff wird vermutlich dort einfliegen und versuchen, diese Terraner zu retten. Eure Aufgabe wird es sein, die Hilfesuchenden zu spielen, bis das Schiff gelandet ist. Lasst die beiden Frauen aussteigen. Dann nehmt sie gefangen und informiert mich.« Wütend trat er gegen die Wand, hinter der sich die hochsensiblen Ortungssysteme des Schiffes befanden. Hätte er sie nur benutzen können! Aber die Anlagen von PHI arbeiteten größtenteils auf hyperphysikalischer Basis und so brauchte er die Augen, Ohren und Arme seiner Getreuen, um die Frauen gefangen nehmen zu können und das kleine Schiff in seine Gewalt zu bringen.
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Wenn er es erst hätte, würde er sofort durch die Hyperkanäle nach draußen fliegen, eine der Außenstationen besetzten und seine Getreuen nachholen. Und dann würden sie das große Schiff suchen und erobern; dieses Fernraumschiff, mit dem die Frauen offensichtlich gekommen waren. * Nachdem sie den Notruf aus dem Tender empfangen hatten, hatten sich Dagmar und Michele vorsichtig dem riesigen Gebilde benähert. Als sie den Randbereich des Tenders erreichten, hatte ihr Funkempfänger angesprochen und eine Stimme hatte ihnen den Weg zu einem der Hangars gewiesen. Kurz danach war ein Tor aufgeschwungen und sie waren eingeflogen. Sie waren ausgestiegen, nachdem der kleine Bordcomputer ihres Schiffes den Druckausgleich und die Eignung der Atmosphäre bestätigte hatte. Der Angriff erfolgte so schnell, dass Dagmar und Michele keine Chance hatten. Kaum hatten sie die T204 verlassen, waren sie auch schon von Menschen umgeben, die eindeutig keine friedlichen Absichten zeigten. Sie waren mit Pistolen und Gewehren bewaffnet; an eine Gegenwehr war somit nicht zu denken gewesen. Unsanft stießen die Menschen sie in den kleinen Raum und schlossen die Türe. »Mist«, maulte Dagmar. »Jetzt sitzen wir hier fest, ohne Verbindung nach draußen. Mensch, was waren wir blöd. Hätten wir doch auf J.J. gewartet, bevor wir diesen Riesentender angeflogen sind.« »Ach, J.J. hätte auch nicht anderes gehandelt. Der Hilferuf klang so echt. Ronald Tekener hat uns versichert, dass alle Tender harmlos sind, solange die Leitcomputer inaktiv sind«, antwortete Michele. »Aber wir hätten die Worte der Menschen auf Nimrod IV ernster nehmen sollen.« »Aber die waren so verblendet, so voll Hass«, entgegnete Dagmar. »Ob diese Gestalten, die uns hier gefangen genommen haben, von Nimrod IV stammen?« fragte sich Michele.
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»Wahrscheinlich sind das die, die vor langen Jahren nach hier gelockt wurden und jetzt hier leben«, meinte Dagmar. »Aber wer hat sie hierhin gelockt und warum? Das müssen wir herausfinden!« antwortete Michele. »Aber zuerst müssen wir hier raus. Vorher geht gar nichts.« * Endlich ein Schiff! Sein Weg in die Freiheit wartete auf ihn. Der Mann hatte in der Zentrale der T204 Platz genommen und sah sich um. In der Mitte der Pilotenkonsole lag die Steuerung. Einfache Taster und ein Joystick zur Regelung der Flugrichtung luden ihn geradezu ein, einen Flug mit dem Schiffchen auszuprobieren. Auf der rechten Seite waren der Geschwindigkeitsregler und die entsprechende Anzeige zu erkennen. Er schob den Regler nach vorn. Nichts geschah. Verwundert versuchte er es an den Tastern auf der linken Seite. Wieder keine Reaktion. Das konnte nicht sein. Er hatte schon so viele Raumschiffe geflogen, auch ein terranisches Schiff war dabei gewesen, er wusste einfach, wie man ein solches Schiff flog. Doch dieses Schiffchen reagierte nicht auf seine Steuersignale. Es nahm seine Steuerbefehle gar nicht an. Wütend stand er auf und wollte die Zentrale verlassen. Aber das Zugangsschott öffnete sich nicht. Auf dem Hinweg war es bereitwillig vor ihm aufgeglitten. Und nun? Er suchte nach dem Handrad, das auf allen terranischen Schiffen Standard war. Direkt rechts neben dem Schott war es hinter einer Klappe verborgen. Er wollte es drehen, doch es war blockiert. Der Mann sah sich um. Es gab keinen weiteren Ausgang aus der Zentrale. Also musste er seine Getreuen zur Hilfe rufen und suchte nach dem Funkgerät. Es war natürlich da, wo er es vermutete hatte, aber es funktionierte nicht. Irgendwie bekam es keine Energie. Mit blutunterlaufenen Augen stierte der Mann umher. Was er sah, gefiel ihm gar nicht. »Ja, so sieht ein Blödmann aus«, beschimpfte er sein Spiegelbild, das ihn von einem toten
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Bildschirm aus anstarrte. Wie hatte er sich amüsiert, als die beiden Frauen nichts ahnend in seine Falle geflogen waren. Und nun hatte er sich noch dümmer angestellt. Er hatte den Bordcomputer dieses kleinen Schiffes unterschätzt. Wahrscheinlich hatten die beiden Frauen entsprechende Sicherheitsschaltungen vorgenommen. Waren doch nicht so dumm, die Beiden. Nach dem Anruf seiner Getreuen war er gleich in den Hangar gestürmt und in das Schiff eingedrungen. Hinein hatten es ihn gelassen, nur nicht mehr hinaus. Er war in diesem Schiff gefangen. »Eine klassische Pattsituation«, murmelte er, nachdem er sich etwas beruhigt hatte. Die Besitzer dieses Schiffes waren seine Gefangenen und er war der Ihre. Was war zu tun? Er hatte keine Möglichkeit, Verbindung zu seinen Getreuen herzustellen. Vielleicht versuchten sie bereits, in dieses Schiff einzudringen. Hoffentlich machten sie nichts kaputt; sie waren so ungeschickt, diese Menschen von Nimrod IV. Er brauchte dieses Schiff. Er sollte ihm die Freiheit bringen. Natürlich hatte er versucht, sich dieses Chaotarchen-Schiffes zu bemächtigen. Unmittelbar, nachdem ihn die Sternenstraße hier ausgespuckt hatte, war er in die Zentrale gestürmt. Doch die Steuercomputer dieses Schiffes waren deaktiviert, weil die Energiequelle des Schiffes, das schwarze Feuer, erloschen war. Das hatte er nicht gewusst! Auch die Technik der Hohen Mächte funktionierte also nur, wenn die höheren Dimensionen vorhanden waren. Was er jetzt hatte, war ein eigenes Schiff, das aus unerfindlichen Gründen kurz nach seiner Ankunft explodiert war und einen gigantischen Schrotthaufen von 2.000 Kilometern Durchmesser, der antriebslos in diesem einsamen Sonnensystem trieb. Zwar hatte der Tender eine Verbindung zum galaktischen U-BahnSystem und einen Hyperkanal, der vom zentralen Turm des Tenders in die Galaxis hineinführte. Er konnte dieses System aber nicht benutzen, weil keine Transportkugeln da waren. Oh ja, natürlich hatte er danach gesucht. Jahrelang hatte er den riesigen Tender nach solchen Transportkugeln durchstreift, doch es gab kei-
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ne! Und es kamen auch keine an, denen er sich hätte bemächtigen können. Warum war das so? – Er hatte keine Ahnung. Also war er hier gestrandet. Ohne Hilfe von außen kam er hier nicht mehr weg. Die Terraner auf Nimrod IV konnten ihm auch nicht helfen. Natürlich kannten sie das Prinzip des Linearfluges, aber sie hatten keine Triebwerke; natürlich nicht. Technik, die auf der Basis höherdimensionaler Energien funktionierte, durften sie nicht mitnehmen; wozu auch? Sie sollten ja nie zurückkehren in ihre verfluchte Heimatgalaxis. * Nach 6 Stunden kamen sie wieder. Erst brachten sie ihnen was zu essen und danach kam ein alter, weißhaariger Mann, der etwas gekrümmt ging. In der Hand hatte er ein Gerät, das er vor ihnen auf den Tisch stellte. Er sprach hinein: »Der Hohe Herr ist in eurem Schiff und kommt nicht wieder heraus. Wir, seine Getreuen, fragen uns, warum das so ist.« Dagmars Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Das Schiff hält ihn gefangen, genauso wie ihr uns gefangen haltet. Ohne unsere Hilfe kommt er aus dem Schiff nicht mehr hinaus. Und besonders wichtig ist: Die Zentrale ist hermetisch angeschlossen und der Sauerstoff in der kleinen Zentrale reicht jetzt nur noch für eine Stunde unserer Zeit. Wir haben nämlich auch die Lufterneuerung abgeschaltet. Dieser Hohe Herr steckt ziemlich in der Klemme, wenn euch das was sagt.« »Der Hohe Herr ist sehr mächtig. Er wird euch vernichten!« »Im Moment ist er ziemlich ohnmächtig«, antwortete Michele. »Und wenn ihr uns nicht sofort hier raus lasst, wird er bald ziemlich tot sein.« »Oh nein, da irrt ihr euch. Der Hohe Herr ist unsterblich!« Michele sah Dagmar vielsagend an, ehe sie antwortete: »Wir kennen auch Unsterbliche. Aber auch die brauchen Sauerstoff zum Leben. Und euer Unsterblicher hat noch genau. Moment...« Michele sah auf ihre Uhr. »50 Minuten.«
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»Dann werden wir euch töten!« »Damit bekommt ihr euren unsterblichen Hohen Herrn auch nicht aus unserem Raumschiff heraus«, antwortete Dagmar kaltblütig. »Er hat jetzt noch 49 Minuten.« Unschlüssig spielte der alte Mann mit dem Translator. »Noch 48 Minuten«, lächelte Michele, »und die Uhr läuft ab.« Der alte Mann verließ sie. Wahrscheinlich musste er sich mit seinen Leuten beraten. »Ist die Zeit wirklich so knapp?« fragte Michele. Dagmar schüttelte heftig den Kopf und deutete dabei aber auf den kleinen Translator, der vor ihnen auf dem Tisch stand: »Ja, natürlich. Die Lebenserwartung des Hohen Herrn hat geradezu drastisch abgenommen, würde ich sagen.« Dagmars Vermutung, der Translator in ihrem Gefängnis wäre auch ein Sender, war falsch, aber das konnte sie ja nicht wissen. Also war sie vorsichtig und gab Michele nur durch Handzeichen zu verstehen, dass noch genug Zeit sei, den Menschen aus der Zentrale der T204 zu befreien. Natürlich hatten sie einige Sicherungsmaßnahmen getroffen, bevor sie das Beiboot verlassen hatten. Das Schiff konnte nur von ihnen wieder aktiviert werden. Es gab zwei Codewörter: HEIMAT ERDE für den Normalfall und TERRA NOVA für den Fall, dass sie in Bedrängnis waren. Das 2. Codewort würde umfangreiche Aktionen des kleinen Bordcomputers auslösen. * Unschlüssig standen die Getreuen von PHI auf dem Gang vor dem Hangar und diskutierten, was zu tun sei. Einige von ihnen waren damit beschäftigt, die Polschleuse des Schiffes zu öffnen, doch ihre Versuche scheiterten kläglich. Mit normalen mechanischen Mitteln war einem Beiboot der TERRA nicht beizukommen. Heftig klopfte Michele gegen die Tür ihres Gefängnisses. Nach kurzem Zögern öffnete sich die Türe. Zuerst erschienen zwei Gewehrläufe, dann folgten zwei unbekannte Gesichter. Einer
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der beiden Männer sagte etwas zu ihnen, das der Translator mit »Was wollt ihr?« übersetzte. Michele lächelte. »Wir wollten euch nur sagen, dass die Zeit bald um ist. Und da ihr unsere Zeitrechnung nicht kennt: Der Hohe Herr hat noch 21 Minuten zu leben!« »Raus!« Nein, diese Stimme kannten die beiden Frauen noch nicht. Dagmar sah dem Sprecher direkt ins Gesicht. Ein großer, schwarzhaariger Mann war zwischen die beiden Männer mit den Gewehren getreten und forderte die beiden Frauen durch Handbewegungen auf, ihm zu folgen. Michele nahm den Translator an sich und verließ mit Dagmar den kleinen Raum. Sofort drückte sich ein Gewehrlauf in ihren Rücken. Michele nahm es hin und versuchte ruhig zu bleiben. Hinter ihr kam Dagmar; auch sie war von bewaffneten Menschen umringt. Michele sah sich um. Die Getreuen von PHI waren alle männlich, sie sah keine Frauen unter ihnen. »Wo sind eure Frauen?« fragte sie in den Translator. Doch statt einer Antwort wurde der Druck des Gewehrlaufes in ihrem Rücken nur stärker. Also war es besser, zu schweigen. Als sie die untere Polschleuse ihres Schiffes erreicht hatten, machte man ihnen unmissverständlich klar, was man von ihnen erwartete. Michele schüttelte energisch ihren Kopf. Dabei machte ihre lange rote Mähne jede Bewegung mit. Aus den Augenwinkeln konnte sie erkennen, dass die Blicke einiger Männer einen leicht gierigen Ausdruck angenommen hatten. Sofort wollte sie dieses Spiel weiterspielen, doch der große Mann unterbrach ihre Bemühungen, indem er drohte: »Du hast genau eine Minute, dieses Tor zu öffnen. Wenn nicht, werde ich die andere Frau erschießen. Eine Minute unserer Zeit. Und unsere Zeit läuft verdammt schnell!« Michele zuckte zusammen. Damit war zu rechnen gewesen. Schade, gerade hatte der große Mann angefangen, ihr zu gefallen. »30 Sekunden!« Michele trat vor, legte ihre Hand auf die Sensorfläche des Schottes und sagte laut: »TERRA NOVA!« Sofort öffnete sich die Irisblende der unteren
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Polschleuse und einige der Männer begannen, über die Notleitern in das Innere der T204 einzudringen. »Aha, die neue Erde war das Schlüsselwort. Interessant, diese altterranischen Sprachen. Habe mich früher damit beschäftigt, bevor ich zur Raumfahrt gegangen bin«, lächelte der große Mann. »Mein Name ist übrigens Holter Polwissheim.« »Holter Polter?« fragte Dagmar gereizt, weil immer noch der Lauf eines Gewehres in ihrem Rücken drohte. * Als die Bildschirme in der Zentrale aktiv wurden, hatte er sofort gehandelt. Über die interne Funkverbindung wies er seine Getreuen an, die gefangenen Frauen sofort in ihr Gefängnis zurückzubringen und nur mit 5 Leuten an Bord zu kommen. Doch hilflos musste er mit ansehen, wie sie alle ins Schiff gestürmt kamen. Auch die beiden Frauen wurden mitgeschleppt. »Nein!« schrie er in das Mikrophon. »Nur 5 von euch. Der Rest zieht sich zurück. Und nehmt die Frauen mit! Raus aus dem Schiff!« Doch es war bereits zu spät. Nachdem alle Getreuen im Schiff waren, schloss sich die untere Polschleuse und der Bordcomputer flutete das Schiff mit einem äußerst schnell wirkenden Betäubungsgas. Zwei kleine Roboter erschienen im Vorraum, sammelten die Waffen der betäubten Männer ein und trugen Dagmar und Michele in die Zentrale. Anschließend sammelten sie bewusstlosen Körper der Getreuen auf und brachten sie in einen ausbruchsicheren Raum unter. Obwohl der Humanoide in der Zentrale heftig gegen die beginnende Ohnmacht gekämpft hatte, war er dem Betäubungsgas letztlich doch erlegen. Die Roboter nahmen es mit robotischer Gelassenheit zur Kenntnis und sperrten ihn in einen besonderen Raum, außerdem legte sie ihm Fesseln an. Der Bordcomputer sendete das Codesignal, das Hangartor öffnete sich und die T204 schob sich langsam in den Weltraum hinaus. Mit geringer Fahrt entfernte sich das Beiboot vom
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Tender und bezog in der Nähe des Hyperkanals Position. An Bord war alles ruhig. Das Betäubungsgas würde noch 10 Stunden wirken; lediglich bei Dagmar und Michele hatten die Roboter ein Gegenmittel injiziert, das die Wirkung früher aufheben würde. * Als J.J. aus dem Hyperkanal ausflog, empfing er den Notruf der T204 sofort. Obwohl die Bordcomputer der Beiboote nicht so leistungsfähig wie die der Begleitschiffe waren, reichten die Informationen und Aufzeichnungen aus, die der Computer der T204 ihm übermittelte. Im Schiff der beiden Frauen wimmelte es jetzt also von betäubten Mitgliedern der Getreuen von PHI und es gab einen Unbekannten, der die ganze Aktion angezettelt hatte. J.J. dockte sein Beiboot an die T204 an und ging hinüber. In der Zentrale fand er die beiden Frauen noch schlafend vor und ließ sich deswegen von den Robotern zu dem Raum führen, in dem der Unbekannte gefangen war. Bevor sich die Tür öffnete, entsicherte J.J. seine automatische Pistole, die er immer bei sich trug, wenn er alleine unterwegs war. Er mochte auch die modernen Handwaffen aus den Beständen der TERRA, insbesondere die hübschen kleinen Paralyse-Strahler, aber seine eigene Waffe war ihm besonders vertraut. Es war seine Dienstwaffe; er hatte sie Anfang 1999 erhalten, bei seiner Ernennung zum Major der amerikanischen Luftwaffe. Als sich die Tür öffnete, sah J.J. den Unbekannten vor sich. Etwas Unheimliches ging von diesem Mann aus, obwohl es sich eindeutig um einen Menschen handelte. Die Roboter hatten dem Mann Hand- und Fußfesseln angelegt. Trotzdem schlich sich das Gefühl einer enormen Bedrohung in J.J.s Gedanken. Ohne dass er es wollte, war er zurück getreten. Er gab den Robotern den Befehl, dem Mann weitere Schlafmittel zu injizieren, die Tür fest zu verschließen und besonders zu bewachen. Was für eine Macht habe ich da gespürt? fragte sich J.J. Eiseskälte kroch ihm dabei über
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seinen Rücken. * Nach zwanzig Minuten erwachten die beiden Frauen aus der Narkose. Das erste, was sie sahen, war das Grinsen in J.J.s Gesicht, der es sich in der Zentrale bequem gemacht hatte. »Hallo, J.J.«, murmelte Dagmar benommen. »Gut, dass du da bist. Was machen die Gefangenen?« »Die schlafen noch«, antwortete J.J. »Aber was habt ihr euch da für ein Wesen eingefangen? Körperlich zwar eindeutig menschlich, aber eine derart fremde Ausstrahlung, obwohl er noch bewusstlos ist, mein Gott!« »Wissen wir auch nicht«, antwortete Michele. »Wir haben ihn nicht gesehen. Wir sind sofort in Gefangenschaft geraten, als wir dem vermeintlichen Hilferuf gefolgt sind. Während unserer Gefangenschaft ist dieser Mann in die Zentrale der T204 eingedrungen. Und nachdem wir den Bordcomputer der T204 mit dem falschen Zugangscode auf die Gefahr hingewiesen haben, in der wir steckten, hat der sofort alles mit Betäubungsgas geflutet. Wir waren sofort weg und haben den Mann nicht mehr gesehen.« »Dann schaut ihn euch mal an!« meinte J.J. Vorsichtig näherten sie sich der Türe. Zwei Roboter waren davor postiert. Sie wussten, dass die Roboter bewaffneten waren, nur über die Art der Bewaffnung hatten sie bisher nichts erfahren. Sicherheitshalber hatte auch J.J. seine Pistole in Anschlag gebracht. Nachdem einer der beiden Roboter die Türe geöffnet hatte, spürten auch die beiden Frauen sofort, was J.J. gemeint hatte: Eine Aura ungeheuerer Macht umgab den Bewusstlosen! Dagmar meinte leise: »Oh Gott, was haben wir uns da aufgelesen! Was machen wir mit ihm? Den können wir doch nicht mitnehmen.» Michele nickte. »Du hast Recht. Das Ganze riecht dermaßen gefährlich, dem sind wir nicht gewachsen. Wenn der erst wach wird...« Schnell schlossen sie die Türe wieder. Nach kurzer Beratung entschieden sie sich, einen der Getreuen von PHI zu wecken und nach dem geheimnisvollen Wesen zu befragen.
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Mit Hilfe eines schnell wirkenden Mittels holten sie den großen, schwarzhaarigen Mann namens Holter Polwissheim aus der Narkose. Die Befragung verlief allerdings wenig erfreulich. Holter Polwissheim wusste nur, dass der Mann darauf bestanden hatte, mit Hoher Herr angeredet zu werden und seit undenklichen Zeiten auf dem Tender gelebt hatte. Sein einziges Bestreben war es immer gewesen, aus dieser Galaxis herauszukommen. Er hatte gehofft, dies mit dem kleinen Schiff tun zu können, das vor seiner Nase aufgetaucht war. »Nein, den nehmen wir nicht mit!« entschied J.J. spontan. »Mädels, ihr könnt jetzt sagen, was ihr wollt, aber lasst uns meiner Nase folgen, die hat mich noch nie getäuscht. Dieses Wesen ist dermaßen gefährlich, der ist hier besser aufgehoben. Da sollen sich Andere drum kümmern!« An Holter Polwissheim gewandt fragte J.J.: »Wenn ich euch richtig verstanden habe, lebte dieses Wesen auf dem Tender und es hat euch dorthin gelockt?« »Ja«, antwortete der Bewohner von Nimrod IV. »Er hat unser Weltraumschiff in einen der Hangars gelockt und uns, nachdem wir angekommen waren, zu seinen Getreuen gemacht. Das Gleiche hat er mit anderen Expeditionen gemacht, die auf der Suche nach uns waren.« »Wollt ihr zurück?« »Ja. Jetzt wo der Hohe Herr schläft, wird mir bewusst, dass wir eigentlich immer seine Gefangenen waren. Ja, ich denke alle von uns wollen nach Hause.« »Dann sprich du aber mit den Leuten auf Nimrod IV. Mir sind die zu heftig«, sagte Michele und schob dem Nimroden das Funkmikro hinüber. * Einen Tag später hatten sie alles erledigt. Zunächst hatten sie das bewusstlose Wesen wieder zum Tender PHI zurückgebracht, ehe sie die Raumstation anflogen, um die ehemaligen Getreuen von PHI dort abzusetzen. Auf dem Planeten Nimrod IV waren sie nicht gelandet. Sie hatten den Bewohnern dieses Planeten aber eine eindringliche Warnung zukommen lassen, niemals wieder diesen Tender an-
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zufliegen. Dieses Wesen musste solange dort bleiben, bis Kräfte eintrafen, die stark genug waren, sich diesem Wesen entgegen zu stellen. Mit Schaudern dachte Dagmar an diesen unheimlichen Mann, den sie wieder auf den Tender zurück gebracht hatten. Wer war das? Vor ihrem Abflug stationierten sie noch zwei Funkbojen mit geringer Reichweite – eine innerhalb und eine außerhalb des Hyperkanals. Mit eindringlichen Worten machten sie jedem, der sich auf der Reise mit der galaktischen UBahn befand, deutlich, dass er hier auf gar keinen Fall Station machen durfte. Die Warnung endete mit den Worten: SOFORT WEITERFLIEGEN, WENN IHNEN IHR LEBEN LIEB IST! * Seine Benommenheit wich nur langsam. Undeutlich erinnerte er sich an das, was vorgefallen war. Gerade war er noch in der Zentrale des kleinen Schiffes gewesen und hatte seine Getreuen angeschrieen, auf keinen Fall die beiden Frauen mit in das Schiff zu nehmen, da war es dunkel um ihn geworden... Er sah sich um. Nein, das war nicht die Zentrale des kleinen Schiffes. Er war wieder auf dem Tender, sein Plan war gescheitert. Mühsam schleppte er sich zur nächsten Interkom-Verbindung und rief nach seinen Getreuen. Doch niemand war mehr da, der ihm hätte antworten können. Wieder war er allein. Allein mit seinen Erinnerungen und mit seiner Sehnsucht nach Rache an dem Arkoniden Atlan, der ihn damals in die Falle gelockt hatte. Gefangen in einem Körper, der zwar unsterblich war, der ihm aber alle die Schwächen auferlegte, die ein menschlicher Körper nun mal hatte. Er war hilflos, gelähmt durch die Folgen des Transformsyndroms, unter denen er in diesem Universum schon seit über 50.000 Jahren litt... Er... Taurec!
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52. Tödliches Feuer
Mit Grausen dachten Dagmar und Michele an die Geschehnisse der letzten anderthalb Tage. Zum Glück lag der Tender PHI und sein Bewohner mit der merkwürdigen Aura längst hinter ihnen. Während eines Orientierungsstops fragte Michele über Funk: »Sag mal, J.J. wie hättest du dich verhalten, wenn ein solcher Hilferuf bei dir eingegangen wäre?« »Genauso wie ihr, Mädels. Vielleicht wäre ich sogar leichtsinniger gewesen. Euer Trick war echt Klasse. Wenn ich mir vorstelle, wie ich geguckt hätte, wenn ich in ein Raumschiff eindringe und plötzlich ist alles tot – keine Energie, keine Verbindung nach Außen. Der Typ wird sicherlich ganz schön getobt haben.« »Mal was anderes«, sagte Dagmar. »Wir haben von Ronald Tekener ja Einiges über den Petronier und dieses galaktische U-Bahn-System erfahren. Es verbindet die beiden Außenstationen mit der Zentrale, der so genannten Station NULL und mit den 40 Tendern, die die Terraner seinerzeit in diese Galaxis gebracht haben – je ein Tender pro Sonnensystem. Ihre Namen haben die Tender damals von den Terranern erhalten: ALPHA, BETA und so weiter. Wie wir inzwischen auch wissen, hat der Petronier, dieses Wesen aus grauer Vorzeit, das System errichtet. Es wird von ihm und von seinen Robotern benutzt. Aber eine Frage stelle ich mir die ganze Zeit: Warum hat der Petronier diesen Aufwand betrieben? Es ist doch überhaupt kein Verkehr. Seit Tagen fliegen wir hier herum und uns ist noch nie eine Transportkugel begegnet.« »Ich nehme an, der Petronier nutzt es zu Wartungs- und Kontrollzwecken«, antwortete J.J. »Es kann ja vorkommen, dass eines der terranischen Völker den Tender in ihrem System besetzen und dann kommt der Petronier vorbei oder er schickt seine Roboter los.« »Sicherlich hat er auch dafür gesorgt, dass Niemand das U-Bahn-System unbefugt benutzen kann«, meinte Michele. »Ja, das hat er ganz bestimmt«, antwortete
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J.J. »Soweit wir von Tek wissen, gibt es auf den Tendern keine Transportkugeln. Selbst wenn es einem der Völker gelingen sollte, einen Tender in seinen Besitz zu bringen, kommen die da nicht weg, da sie keine Transportkugeln haben. Und selber bauen is nich, da es in ihrem System keinen Hyperraum gibt, den sie aber brauchen, um ein Lineartriebwerk zu konstruieren. Außerdem... Wer weiß, ob das Prinzip des Lineartriebwerkes nach so vielen Jahrtausenden überhaupt noch bekannt ist?« * Zwei Tage später erreichten sie eine weitere Station. Schon beim Ausflug aus dem Hyperkanal bemerkten sie, dass hier alles anders war. Statt des Tenders, den sie hier erwartet hatten, trieben riesige Trümmerstücke durch den Weltraum. Nur ein kleines Stück des einst so riesigen Tenders existierte noch. Es bestand aus dem zentralen Turm, wo der Hyperkanal endete und einigen Fragmenten im unmittelbaren Umfeld des Turmes. Vorsichtig näherten sie sich den Resten des Tenders. Der Turm schien unbeschädigt zu sein. Während die T204 mit den beiden Frauen in respektabler Entfernung stoppte, flog J.J. näher heran. »Keine unmittelbaren Schäden am Turm festzustellen«, gab J.J. über Funk durch. Die beiden Frauen beobachteten, wie die T205 den Turm umflog. Dann näherte sich J.J. den zerstörten Resten der ehemaligen Zentralsektion. »Ich sehe mir das mal von Unten an«, sagte J.J., »und melde mich gleich wieder.« Und das tat er dann auch: »Mein Gott, was für Kräfte waren hier am Werk? Der ganze untere Teil fehlt.« Dagmar antwortete: »Wir haben hier auch etwas sehr Merkwürdiges. Unser kleiner Bordcomputer hat sich mit der Berechnung etwas Zeit gelassen, aber jetzt hat er es. Halt dich fest J.J., in diesem System fehlt ein Planet! Aus den Unregelmäßigkeiten des Bahnverlaufs des einzig noch vorhandenen Planeten folgt unzweifelhaft, dass es einst einen zweiten Planeten gegeben hat. Von diesem zweiten Planeten fehlt jetzt
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jede Spur; es sind auch keine Bruchstücke vorhanden. Entweder wurde er komplett zerstört oder er ist verschwunden.« »Planeten verschwinden nicht so einfach«, gab J.J. zurück. »Ich untersuche erst mal die Reste des Tenders. Vielleicht finde ich einen Hinweis.« * Fast vier Stunden hatte J.J. gebraucht, um über die zerstörten Fragmente des Tenders in die unzerstörten Sektionen vorzudringen. Nachdem er eine Nebenzentrale erreicht hatte, bat er die beiden Frauen ebenfalls einzufliegen. Er schloss mit den Worten: »Ich weise euch ein. Es besteht keine Gefahr, aber kommt schnell, ich weiß nicht, wie lange die Energie hier noch reicht. Aber das, was ich hier entdeckt habe, das müsst ihr euch unbedingt ansehen.« Als die beiden Frauen die Nebenzentrale erreicht hatten, sahen sie, wie J.J. an einem altertümlichen Gerät hantierte. Kurze Zeit später erwachte ein zweidimensionaler Bildschirm zum Leben. Atemlos verfolgten die Drei die Aufzeichnung, die mit folgenden Worten begann: * Ein Kind von den Sternen Endlose Jahrhunderte der Perfektion liegen hinter uns. Eine Perfektion, die schon Manche nicht mehr ertragen konnten. Nach dem Ende des Bürgerstreites war Frieden eingekehrt. Seit über 2.400 Jahren gab es keine bewaffneten Auseinandersetzungen mehr. Unser Regierungssystem ist gerecht, die politischen Führer arbeiteten selbstlos für das Gemeinwohl. Unsere Technik hat ein Stand erreicht, der nicht mehr zu verbessern ist. Mit der Natur unseres Planeten haben wir Frieden geschlossen und leben in Eintracht mit ihr. Selbst gegen die ersten Anzeichen einer Degeneration unseres Volkes sind wir erfolgreich angegangen. Wir haben alles; nur der Weg zu den Sternen ist uns versperrt. Aus den uralten Aufzeichnungen, von denen ein Teil die Zeiten überdauert
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haben, wissen wir, dass es diesen Weg gibt. Wir haben dieses riesige Schiff entdeckt, das in geringer Entfernung vom 1. Planeten unseres Systems im Weltraum treibt. Mit äußerster Vorsicht haben es unsere Wissenschaftler untersucht. Sie haben entdeckt, dass es das Raumschiff ist, das unser Volk vor vielen Jahrtausenden auf unseren Planeten gebracht hat. Dieses Schiff hat den Weg von der Sternen zu unserem Planeten gefunden und es war mit weitaus höherer Geschwindigkeit geflogen, als die des Lichtes. Mit Hilfe gefundener Aufzeichnungen konnte das Prinzip der riesigen Triebwerke enträtselt werden. Dieses Schiff benutzte einen Raum, der überlichtschnelles Reisen zulässt, und zwar den Hyperraum. Leider gibt es diesen Hyperraum bei uns nicht mehr. Aber wir haben einen anderen Weg gefunden. Angefangen hatte alles mit der Entdeckung eines Behälters, in dem sich das tiefgefrorene, aber befruchtete Ei eines menschlichen Wesens befand. Diesen Behälter haben unsere Forscher auf dem großen Schiff entdeckt. Neben dem Behälter lag ein Stück einer Schreibfolie, auf der nur wenige Sätze zu lesen waren: Dies ist das Kind der Sterne. Gebt ihm eine Mutter, die es gebärt und die es an ihrem Busen nährt. Und wenn dieses Kind 8 Jahre alt geworden ist, dann schickt es zu den Sternen, denn dort wird es seine Bestimmung finden. In diesem Tender, dem ich den Namen EPSILON gegeben habe, ist ein kleines Raumschiff versteckt. Wo, das müsst ihr selbst herausfinden, denn Niemand darf dieses Schiff finden, bevor das Kind es benutzen kann. Dieses Schiff kann die Hyperkanäle zu benutzen, die es in dieser Galaxis gibt und wird seine Energie aus dem Hyperraum beziehen, sobald es diese Galaxis verlassen hat. Aber dieses Schiff braucht auch eine Mannschaft, die es für die ersten Jahrzehnte seines Fluges steuert. Gebt dem Schiff diese Mannschaft mit. Allerdings werden diese Menschen nie wieder zurückkehren können, weil ihr Leben nicht lange genug währt, um das Ziel dieses Schiffes erreichen zu können. Ein Ziel, das im Bordcomputer dieses Schiffes unwiderruflich verankert ist. Jetzt gab es plötzlich ein Ziel für unsere Wissenschaftler und Forscher. Als Erstes haben
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sie eine genügend große Anzahl von ShuttleSchiffen gebaut, die ständig zwischen unserem Planeten und dem Tender EPSILON gependelt sind. Dann sind Tausende von Forschern zum Tender aufgebrochen, um entweder nach dem versteckten Raumschiff zu suchen oder andere Teile des Riesenschiffes zu erforschen. Alle Kräfte unseres Planeten Sao Paulo haben sich auf diese Aufgabe konzentriert. Als das kleine Schiff endlich gefunden war, haben wir Astronauten gesucht und ausgebildet, die mit diesem Schiff auf die Reise ohne Wiederkehr gehen sollten, wie es der unbekannte Briefschreiber gewollt hatte. Es gab über 14 Millionen Bewerbungen! Dem Sternenkind haben wir eine Mutter gegeben. Seine Geburt wurde live übertragen. Fast alle der 3 Milliarden Bewohner von Sao Paulo haben seinen ersten Schrei gehört. Es war ein Mädchen. Seine Ersatzmutter hat es genährt und die ersten drei Jahre seines Lebens erzogen. Und weil dieses Kind 3 Milliarden Paten hatte, war es sehr schwierig, seine ersten Lehrer aus mehreren Millionen Bewerbungen auszuwählen. Aber unsere Wahl war gut gewesen. Das Sternenkind gedieh prächtig. Seine langen blonden Locken wurden zum Markenzeichen unzähliger Produkte. Sein fröhliches Lachen klang fast jeden Tag in unseren Ohren nach, wenn wir zur Arbeit gingen. Sein morgendlicher Gruß: »Hallo meine Freunde, es ist Zeit aufzustehen!« bleibt unvergessen. Als der achte Geburtstag des Sternenkindes nahte, waren alle Vorbereitungen getroffen. Anhand der Aufzeichnungen, die wir in dem kleinen Schiff gefunden haben, war es nicht schwer, die Mannschaft auszubilden und zu trainieren. Mit dem neuesten Shuttle machte das Sternenkind seine erste Reise in den Weltraum, begleitet von allen 240 Shuttles, über die wir verfügten und beobachtet von zahlreichen Fernsehkameras. Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Ich habe damals meinen Dienst im Hangar des Tenders EPSILON angetreten. Es war mein erster Arbeitstag auf dem Tender. Was für ein Aufwand wurde da betrieben! Als das Shuttle mit dem Sternkind einflog richteten
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sich Dutzende von Kameras auf das Kind und verfolgten seinen Weg vom Ausstieg aus dem Shuttle bis hin zu seiner neuen Heimat, dem kleinen Sternenschiff. Wir hatten das Kind, so gut es ging, vorbereitet. Sogar seine Ersatzmutter war bereit gewesen, das Kind auf seiner Reise zu begleiten. Als alle Vorbereitungen getroffen waren, war das Sternenschiff gestartet. Langsam war es kurze Zeit später in dieses merkwürdige und unsichtbare Medium, das den Namen Hyperkanal trug, eingeschwebt. Mit angehaltenem Atem hatten wir es verfolgt, bis es darin verschwunden war. Der Abflug des Sternenkindes hinterließ eine unendlich tiefe Trauer bei uns allen. Drei Milliarden Terraner hatten ihr Patenkind verloren. Acht Jahre seines Lebens hatten wir alle mitverfolgen können. Fast jeder Schritt und jede Regung des Sternenkindes war aufmerksam verfolgt worden, viele Eltern kleideten ihre Kinder genauso, wie das Sternenkind gekleidet war und ließen ihren Kindern die Haare blond färben. Nach der Abreise des Sternenschiffes gab es daher unzählige Kopien des Sternenkindes auf Sao Paulo, aber das Vorbild war für immer fort und wurde nie zu uns zurückkehren. Die Wunden, die der Abflug des Sternenkindes gerissen hatte, heilten im Laufe der Jahre. Aber die Sehnsucht nach den Sternen blieb in allen von uns fest verankert. Es gab unzählige Versuche, mit unseren Shuttles in den Hyperkanal einzufliegen, doch ohne ein geeignetes Triebwerk war alles sinnlos. Dann begann das Verhängnis. Einem unserer größten Forscher, dem Professor Mario Suarez, war es gelungen, eine komplette Antriebseinheit des Tenders zu isolieren. Mit Hilfe seiner Mitarbeiter schafften sie den mittelgroßen Antriebsblock mitsamt Zapfeinheit und Steuerung in den Weltraum und verankerten ihn an einem unserer Shuttles. Mit Hilfe der Triebwerke des Shuttles gelang es ihnen tatsächlich, in den mysteriösen Hyperkanal einzufliegen. Doch irgendetwas hatten sie wohl falsch gemacht, denn kurz nach dem Einflug erfolgte eine gigantische Explosion, die sogar auf der Tagseite unseres Planeten zu sehen gewesen war. Diese Explosion zerriss den
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gesamten Tender EPSILON, nur der zentrale Turm blieb erhalten. Doch die Bemühungen ließen nicht nach, die Sterne zu erreichen. Der Wunsch, dem Sternenkind zu folgen und ihm dort draußen beizustehen, wurde geradezu zu einer Sucht, die alle 3 Milliarden Terraner erfasst hatte. Unermüdlich wurde diskutiert, erprobt, wieder diskutiert, wieder erprobt. Der Zufall brachte schließlich die Entscheidung. Innerhalb des zerstörten Computernetzwerks des Tenders konnten unsere Forscher eine Datei isolieren und auslesen, die genau beschrieb, woher das riesige Tenderschiff seine Energien bezog und wie man diese Kraft, die das schwarze Feuer genannt wurde, nutzen konnte. Das Wichtigste kam aber erst ganz am Ende dieser Datei. In einem ehemals geschützten Bereich war die Information verborgen, dass der zentrale Turm des Tenders mitsamt des Komplexes, wo das schwarze Feuer loderte, ein komplett flugfähiges Raumschiff war, das im Notfall als Rettungsschiff benutzt werden konnte. Nun gab es für unsere Forscher kein Halten mehr. Zwei Probleme galt es zu meistern: Die Kraft des schwarzen Feuers konnte sich nur entfalten, wenn genügend Anfangsenergie zur Zündung vorhanden war. Leider waren die Energiespeicher von EPSILON infolge der starken Zerstörungen unrettbar verloren, sodass nach einer alternativen Energiequelle gesucht wurde. Zuerst dachte man daran, die Energie der Sonne zu nutzen und gigantische Solarpaneele zu bauen. Aber es gab keine Medien, die die Energie solange hätten speichern können, bis sie ausgereicht hätte, den entscheidenden Zündimpuls freizusetzen. Und noch etwas Entscheidendes fehlte: Der Hyperraum, aus dem das schwarze Feuer seine Kraft zehrt. Das Problem der notwendigen Zündenergie ließ sich am Leichtesten auf dem Planeten lösen. Dort gab es in den modernen Fusionskraftwerken genügend Energiekapazität, um den Zündimpuls zu geben. Und was den notwendigen Hyperraum betraf, na ja, da hatten wir eine interessante Entdeckung gemacht. Der Kern des Tenders war
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nach dessen Explosion aus seiner Bahn geschleudert worden und driftete nun in 6 Millionen Kilometern Entfernung um die Sonne. Aber da der Hyperkanal dort immer noch endete, war klar, dass der Kanal jede Bewegung des Tenders mitmachte. Und so kamen wir auf die Idee, die Reste des Tenders in die Umlaufbahn von Sao Paulo zu holen. Nach 4 Wochen hatten wir drei kompakte Fusionskraftwerke in die Umlaufbahn gebracht und am Turm verankert. Dann sind unsere Techniker daran gegangen, das eigentliche Fluchtraumschiff aus dem Turm und seinem Fundament herauszulösen. Letztlich blieb ein schlanker Flugkörper von 38 Metern Durchmesser und 102 Metern Länge übrig. Im unteren Teil waren die Aggregate zur Steuerung und Bündelung des schwarzen Feuers und das eigentliche Triebwerk installiert. Im oberen Teil gab es eine Art Hangar und Wohn- beziehungsweise Aufenthaltsräume für bis zu 240 Personen. Dazwischen lagen dicke Wände aus einem uns unbekannten goldfarbenen Material, das die unteren und oberen Bereiche trennte. Insbesondere der Hangar war massiv abgeschottet. Professor Suarez vertrat die Auffassung, dass diese Abschottung deshalb so massiv ausgefallen war, weil dort der Hyperkanal angebunden war. Jedenfalls musste die Abschottung entfernt werden, um den Bereich mit dem schwarzen Feuer in den Hyperkanal hinein drehen zu können, damit dieses Feuer erwachen konnte. Sieben Tage später war es soweit; der erste Probelauf stand bevor. Vier unserer besten Astronauten saßen an der Steuerung des Schiffes während die Fusionskraftwerke ihre Arbeit aufnahmen. Man hatte einen kurzen Flug geplant, um die Leistungsfähigkeit des Schiffes zu testen. Marcel Rios, der Kommandant des Schiffes, wollte in den Hyperkanal einfliegen und kurze Reise über einige Lichtjahre unternehmen und dann sofort wieder umkehren. Mit riesiger Spannung wurde das Warmlaufen der Kraftwerke auf dem Planeten verfolgt. Selbstverständlich waren alle Fernsehsender live mit der Raumstation Brasilia verbunden, wo die Übertragung koordiniert wurde.
Auf der Suche... III
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Auch ich war zu einem der Shuttles abkommandiert worden. Allerdings hatte mein Shuttle die Aufgabe, den Einflug des Schiffes in den Hyperkanal zu filmen und war deshalb in einer Entfernung von 300.000 Kilometern postiert. Als die Fusionskraftwerke ihre volle Leistung hatten, begann die Crew des neuen Schiffes damit, ihr Schiff in den Bereich des Hyperkanals hinein zu drehen. Gebannt verfolgen wir, wie die Techniker die armdicken Energieleitungen von den Kraftwerken zu dem Schiff frei schalteten und der Chefingenieur den entscheidenden Impuls gab. Und dann ging alles sehr schnell. Erste Schreie des Entsetzens klangen auf, als die ersten schwarzen Blitze durch die kleine Halle tobten, in der das schwarze Feuer lodern sollte. Im Zentrum der Halle entstand etwas, das zuerst wie ein kleines Loch aussah, das jemand in eine Postkarte gebrannt hatte. Dann wurde dieses Loch größer, bis es die ganze Halle ausfüllte. Die Bildübertragung brach ab, als dieses Feuer die Kameras erreicht hatte. Die Techniker auf Brasilia schalteten andere Kameras zu, die auf den unteren Teil des Raumschiffes gerichtet waren. Gleichzeitig hörten wir, wie der Kommandant, Marcel Rios, den Befehl zum Aussteigen gab. Doch die kleine Besatzung schaffte es nicht mehr, das Schiff zu verlassen. Es hätte ihnen auch nicht mehr geholfen. Voller Panik verfolgte ich das Geschehen. Aus einem Impuls heraus gab ich volle Kraft auf die Triebwerke meines Shuttles und entfernte mich langsam vom Ort des Geschehens. Solange die Fernsehkameras auf Brasilia noch liefen, konnte ich verfolgen, wie das Drama seinen Fortgang nahm. Zuerst wurde der untere Teil des Schiffes dunkler, bis eine tiefe Schwärze das ganze Schiff einhüllte. Dann wurde der schwarze Fleck immer größer und dunkler. Zwischen ihm und dem Planeten zuckten tiefschwarze Blitze hin und her. Und dann ging alles sehr schnell. Zuerst blähte sich die Atmosphäre auf und wurde zu dem schwarzen Fleck hingezogen. Dann veränderte sich die Form des Planeten. Noch sendete die Raumstation Brasilia und ich konnte mitverfolgen, wie die Oberfläche des
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Planeten sich aufwölbte. Gigantische Gebirge entstanden in Minutenschnelle und wurden hoch gerissen. Blutrotes Magma brach aus der verletzten Kruste und schoss in den Himmel. Ein ähnliches Bild hatte ich in den uralten Aufzeichnungen gesehen, die es auf unserem Planeten gab. Sternenfressende Ungeheuer waren dort zu sehen. Ihre Gravitation war so hoch, dass sie sogar das Licht verschlangen. Und mir fiel auch sofort der Name ein. Was wir dort geweckt haben, war ein Schwarzes Loch! Und die Anlagen zur Stabilisierung und Abschirmung hatten wir entweder ausgebaut oder vernachlässigt. Aber es war müßig, jetzt noch darüber nachzudenken, wer letztlich die Schuld hatte. In unserem Wahn, die Sterne zu erreichen, hatten wir fast jede Vorsichtsmaßnahme außer Acht gelassen. Für Gegenmaßnahmen war es ohnehin zu spät! Der Planet Sao Paulo ging unter. Die letzten Bilder der Raumstation bleiben mir im Gedächtnis haften. Ich dachte kurz daran, dass dort meine Frau Dienst gehabt hatte. Der Todeskampf des Planeten dauerte nicht einmal 30 Minuten. Danach war nichts mehr von ihm übrig. Das Schwarze Loch hatte ihn vollständig verschlungen. Nichts deutete mehr darauf hin, dass sich hier heute morgen noch drei Milliarden Hoffnungen auf die Reise zu den Sternen gemacht hatten; drei Milliarden Träume waren innerhalb einer einzigen Stunde im Nichts verweht... Ich wollte meiner Frau jetzt schnell in den Tod folgen und schaltete die gegenläufigen Triebwerke des Shuttles um. Die Triebwerke wären ohnehin viel zu schwach gewesen, den gewaltigen Kräften eines schwarzen Loches zu widerstehen. Mit zunehmender Geschwindigkeit flog ich jetzt auf das schwarze Loch zu. Doch seine gewaltige Anziehungskraft ließ nach und erlosch ganz langsam. Als ich ankam, war das schwarze Loch verschwunden oder inaktiv; ich habe es nicht herausfinden können. Meine Aufzeichnung habe ich in dieser unzerstörten Nebenzentrale des Tenders EPSILON hinterlassen, falls jemand kommt und fragt, wo der Planet Sao Paulo und seine Bewohner ge-
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blieben sind. Nun, dies ist die Antwort: Der Ruf der Sterne war zu stark. Die Terraner von Sao Paulo starben, als sie versuchten, diesem Ruf zu folgen. Alle! Denn ich fliege jetzt zu dem einzigen Stern, den ich erreichen kann: zu unserer Sonne.
53. Das Sternenkind
Meine wirkliche Heimat habe ich nie kennen gelernt. Der geheimnisvolle Planet, dessen Namen ich noch nicht einmal kenne, liegt in einer fernen Sterneninsel. Aber ich bin auf dem Weg dorthin. Auch wer meine wirklichen Eltern sind, weiß ich nicht. Ob ich sie jemals kennen lernen werde? Lange bin ich schon unterwegs, aber niemand kann mir sagen, wie lange meine Reise schon dauert. Sicher, ich könnte ROBERT fragen, das Bordgehirn. ROBERT, der mich erzogen hat, der mir all das beigebracht hat, was ich heute weiß. Aber ROBERT ist kein Wesen, er ist ein Teil meines Schiffes. Wenn ich nach dem langen Schlafen aufwache, ist ROBERT in meiner Nähe. Eigentlich ist er immer da, überall um mich herum. Er begleitet mich abends zu Bett und erzählt mir schöne Geschichten. Dann träume ich manchmal von der Welt, von der ROBERT erzählt, die seine Heimat ist. Diese Welt nennt sich Sao Paulo. Die Bewohner haben sie nach einer Stadt benannt, die in einem Land gelegen hat, das vor undenklichen Zeiten die Urheimat aller Bewohner von Sao Paulo gewesen war: Brasilien. Von Sao Paulo stammte der echte Robert. Jener Robert da Salou, der bis zuletzt ausgeharrt hat, um dieses Schiff auf Kurs zu halten, während ich schlief. Er hat seine Erinnerungen auf den Bordcomputer übertragen, wie es vor ihm all die anderen Menschen getan haben, die auf diesem Schiff gelebt haben. Nun sind sie alle gestorben. Die Schiffsroboter haben sich ihrer Körper angenommen und sie im Weltraum bestattet, so wie es ihr Wunsch gewesen war. Seitdem bin ich allein.
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Nein, nicht ganz allein, ROBERT ist ja noch da. Und ROBERT hat gesagt, dass unser Schiff schon ein Zehntel der Strecke hinter sich habe. Als wir den Randbereich von M 343 verlassen hatten, haben sie mich geweckt, um mir die unendliche Leere des Weltraumes zu zeigen. Robert da Salou hat mir auch den verwaschenen Nebenfleck gezeigt, der das Ziel meiner Reise sein wird. Damals lebten sie noch alle, meine Freunde von Sao Paulo. Von ROBERT weiß ich auch, dass dieses Schiff, mein Schiff, von den Bewohnern des Planeten Sao Paulo das Sternenschiff genannt wird. Irgendwann werde ich ihm vielleicht einen eigenen Namen geben. Auch ich brauche irgendwann einen Namen. Robert da Salou hat dies in seiner letzten Nachricht gesagt, die er mir hinterlassen hat, bevor er starb. Darin hat er mich Sternenkind genannt. Aber das sei kein richtiger Name, hatte Robert gemeint, obwohl ich ihn schick finde. Der große ROBERT hat mir viel über das Schiff erzählt. Eigentlich ist es gar kein richtiges Raumschiff, sondern nur das Beiboot eines viel größeren Schiffes. Darum fliegt es auch so langsam, hat ROBERT gesagt. Ich bekomme da nichts von mit. Meistens schlafe ich ja, wenn das Schiff seinen Linearflug für lange Zeit unterbricht, um das Licht der fernen Sterne aufzunehmen und damit seine Energiespeicher aufzufüllen. Jedenfalls werde ich sehr viel älter sein, wenn wir ankommen. Hat auch ROBERT gesagt, aber was heißt das, älter? Ich werde nicht älter. Das heißt, älter werde ich schon, aber ich altere nicht. Seit einigen Jahren bin ausgewachsen und so, wie ich bin, werde ich bleiben; weiß auch nicht warum. »Du siehst toll aus«, hat einer der Männer einmal gesagt und dabei so komisch geguckt. Habe den echten Robert danach gefragt, aber der hat nur gelächelt. Was heißt das, toll aussehen? Bin ich schön? Als Kind habe ich unheimlich schöne Frauen gesehen. Eine meiner Lehrerinnen hatte tolle Haare. Tiefrot waren die. Eine Farbe wie das Licht des Sonnenuntergangs, kurz bevor es ganz dunkel wird.
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Auf der Suche... III
Ich sehe nicht so gut aus; nicht so gut wie die Lehrerin. Meine Haare sind hellblond und ich habe eine spitze Nase. Und braune Augen. »Sanfte Augen«, hat der echte Robert gesagt. Im Spiegel gefalle ich mir. Aber welche Vergleiche habe ich denn? Ich weiß alles über Männer. Die ganze Besatzung bestand ja aus ihnen. Außer meiner Mutter natürlich, die auch mitgeflogen ist. Aber sie ist irgendwie nicht meine richtige Mutter. Sie hat mich ausgetragen und gestillt, aber ich stamme nicht von ihr ab. Meine Herkunft liegt im Dunkeln. Als ich damals erwachsen war und nicht weiter alterte, da haben sie alle geguckt. Immer häufiger haben sie getuschelt und hinter meinem Rücken geredet. Bis ich Robert da Salou danach gefragt habe. Der ist mir ausgewichen. Hat sich gedreht und gewunden. Schließlich hat er was von Unsterblichkeit gemurmelt, hat den Kopf geschüttelt und ist gegangen. Unsterblichkeit? Terraner sterben, wenn ihre Zeit gekommen ist. Ich nicht? Bin ich keine Terranerin? Wer bin ich dann? »DIE NÄCHSTE SCHLAF-ETAPPE STEHT BEVOR!« Das war ROBERT. Den muss man groß schreiben, weil er nur in Großbuchstaben redet. Schlaf-Etappe heißt: langer Schlaf. Im Schlaftank. Will ich eigentlich nicht hinein, aber ROBERT sagt, es ginge nicht anderes. Hat irgendetwas mit Ernährungsproblemen zu tun und außerdem täte es meiner Psyche nicht gut, wenn ich jahrelang wach bliebe. Na ja, werd ich halt ein wenig schlafen. Bis demnächst. * Während das Sternenkind schlief, war die Bordpositronik ROBERT damit beschäftigt, sich selbst und das kleine Schiff in Ordnung zu halten. Einem uralten Programm folgend, hatte ROBERT sich deaktiviert und die Befehlsgewalt auf seine Nebenrechner übertragen. Ein kleines Diagnoseprogramm lief ab und untersuchte ROBERTs Komponenten auf Fehler und verlorene Dateifragmente. Nach Durchlauf des Diagnoseprogramms er-
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wachte ROBERT wieder und analysierte die Ergebnisse der Diagnose. Ausfälle hatte es nicht gegeben, aber eine Datei war entdeckt worden, auf die ROBERT vorher keinen Zugriff gehabt hatte. Nach den Sicherheitsregeln dieser Datei war ihm der Zugriff versperrt gewesen – die Datei war sogar in einem Bereich versteckt, von dessen Existenz er vorher keine Ahnung gehabt hatte. Aber was war passiert, dass er die Datei jetzt sehen konnte? ROBERT ließ alle Ereignisse chronologisch durchlaufen. Viele Statusmeldungen der Nebenrechner, Angaben über Energieverbrauch und Reserven, empfangene Meldungen von Außen... Von Außen? Im Leerraum zwischen den Galaxien? ROBERT stellte fest, dass tatsächlich ein Hyperfunkspruch aufgefangen worden war. Kurz danach hatte der Sender seines Schiffes geantwortet und einen Impuls abgestrahlt, dessen Informationsgehalt von ROBERT nicht entschlüsselt werden konnte. ROBERT holte sich die Information aus dem Empfänger des Hyperfunkgerätes: »NATHAN an TERRA: Der neue galaktische Gerichtshof hat die Voruntersuchung gegen Ronald Tekener abgeschlossen. Fest steht, dass der ehemalige Kaiser der Galaxis für die meisten der ihm zur Last gelegten Gräueltaten nicht persönlich verantwortlich ist. Er hat weder einen Völkermord begangen, noch die Vernichtung von Planeten befohlen. Die Hauptschuldige war die Superintelligenz RHOMBIA. Wegen anderer Verstöße gegen das galaktische Wesensrecht wird er sich allerdings zu verantworten haben, sobald er wieder in die Milchstraße zurückgekehrt ist. Diese Vorwürfe sind allerdings nicht so schwerwiegend, als dass eine Zusammenarbeit mit ihm nicht angebracht wäre. Ich empfehle diese Zusammenarbeit ausdrücklich.« Diese Hyperfunkmeldung war über eine Relaisstrecke geschickt worden, in deren Bereich sich das Sternenschiff gerade zufällig aufgehalten hatte. Und NATHAN war das Schlüsselwort gewesen, das dem Bordcomputer den Zugang zu der verborgenen Datei geöffnet hatte. ROBERT las die bisherige Geheimdatei aus. Viel stand nicht darin:
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Sonderdatei EPSILON 34c/text.xxx – (Schlüsselwort NATHAN): Diese Datei ist nur dann lesbar, wenn eine Meldung des Mondgehirnes NATHAN eingegangen ist, die mit dessen persönlichen Code gekennzeichnet war und dieses Schiff mit seinem Passagier auf dem Weg zu den vorgegebenen Koordinaten ist. Eine entsprechende Rückmeldung an NATHAN ist bereits abgesendet worden. Der Flug dieses Schiffes kann nun beschleunigt werden, da die Wartezeit vorbei ist. Für die Existenz der Milchstraße und ihrer Nachbargalaxien ist es von essentieller Bedeutung, dass der Passagier umgehend sein Ziel erreicht, sobald die Bionik der Erde wieder aktiv in das galaktische Geschehen eingegriffen hat. Zur Beschleunigung des Fluges ist sofort die Triebwerk-Sonderschaltung 34c/beta verfügbar. ROBERT spürte die Veränderungen in seinem Schiff sofort. Das bisher leistungsschwache Lineartriebwerk entpuppte sich als Metagrav-Antrieb der höchsten Leistungsklasse. Gleich zwei Hyperraumzapfer nahmen ihre Arbeit auf und füllten die Speicher des Schiffes innerhalb weniger Minuten. Jetzt konnten Geschwindigkeiten erreicht werden, die das kleine Schiff innerhalb weniger Tage an sein Ziel bringen würde. Gleichzeitig floss ganz neues Wissen seinem positronischen Gehirn zu. ROBERT verstand, dass die Reise dieses Schiffes bisher absichtlich verzögert worden war, um ein Ereignis abzuwarten, das nun eingetreten war. Als sich der Hamiller-Punkt gebildet hatte, zog der aktive Metagrav-Antrieb das Schiff sofort in den Hyperraum. Mit höchsten Leistungswerten raste es jetzt seinem Ziel entgegen. Und ROBERT leitete den Vorgang ein, der den langen Schlaf des Sternenkindes beenden würde und bereite sich darauf vor, ihm, wie immer nach dem Wachwerden, beizustehen. Das Sternenkind würde sich sicher freuen, wenn es erfuhr, dass seine lange Reise bald zu Ende sein würde. * Irgendwo in den Weiten der heimischen Milchstraße, auf einem Planeten, der auf keiner
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Sternenkarte verzeichnet ist und der von keinem Raumschiff entdeckt werden konnte, erwachten unzählige Maschinen zum Leben. Auf der Geheimfrequenz war gerade der entscheidende Impuls von NATHAN eingegangen. Danach war der Passagier nach hier unterwegs und die Vorbereitungen für seine Ankunft konnten anlaufen. NATHAN hatte zudem die Ankunft eines Boten avisiert, der den Passagier in Empfang nehmen sollte. Dieser Bote war eine Frau von der Erde, Anita Powers. * In dem bequemen Sessel in der Bibliothek der kaiserlichen Residenz saß Anita Powers dem Draboner Fürst Lol gegenüber und erzählte ihm die Geschichte ihrer wundersamen Rettung. Sie hatte ihr Schiff, die TERRA 2 über Holmax aufgeben müssen, weil die Übermacht des kaiserlichen Schiff einfach zu groß gewesen war. Über 2.000 Schlachtschiffe hatten ihr Schiff umzingelt, ihre Transformkanonen auf sie gerichtet und waren bereit, das Schiff ohne zu zögern zu vernichten. Anita erkannte, dass ihr nur zwei Möglichkeiten blieben: sich ergeben oder fliehen. Anita entschloss sich, zu handeln. Gegenüber dem gegnerischen Kommandeur gab sie vor, sich zu ergeben zu wollen und bot an, mit einem kleinen und unbewaffneten Beiboot zu seinem Flaggschiff übersetzen zu dürfen. Der stimmte zu. Somit konnte Anita ihren eigentlichen Plan in die Tat umsetzen. Sie gab ihrem Bordcomputer PHÖNIX die nötigen Anweisungen und bestieg das Beiboot. Während es langsam aus dem Hangar glitt, fuhr PHÖNIX die Schutzschirme herunter und deaktivierte die Energieaggregate der TERRA 2. Lediglich die Notversorgung lief noch. So sah es wenigsten auf den Energieortern der kaiserlichen Schiffe aus und wurde entsprechend interpretiert. Doch in Wirklichkeit lenkte PHÖNIX die gesamte Not-Energie in die Speicher der
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Transpuls-Kanone um. Einen einzigen Schuss musste diese Kanone noch abgeben... »Und was haben Sie dann gemacht?« fragte Fürst Lol. »Ich ließ das Beiboot mit langsamer Fahrt auf das Flaggschiff der gegnerischen Flotte zutreiben, bis ich die vorgesehenen Koordinaten erreicht hatte«, antwortete Anita. »Dann griffen die Wirkungsfelder der Transpuls-Kanone nach meinem kleinen Beiboot und transferierten es über eine Entfernung von 400 Lichtjahren.« »Sie haben mit der Transpuls-Kanone auf ihr eigenes Schiff schießen lassen?« merkte der Fürst an. »Ja, das war die einzige Chance, zu entkommen. Nach dem Prinzip der Transpuls-Kanone wird ein Stück des Weltraumes heraus gestanzt und samt Inhalt über eine vorher festgelegte Distanz durch den Hyperraum versetzt. Eine sehr humane Waffe; sie bringt die Besatzungen feindlicher Schiffe nicht um, sondern entfernt sie nur vom Ort des Geschehens. Natürlich habe ich unter den Nachwirkungen der Versetzung genauso gelitten, wie die Mannschaften dieser Schiffe. Aber ich bin entkommen, nur das zählte für mich.« Aus dem Hintergrund der Bibliothek war ein leises Lachen zu vernehmen. NATHAN, das ehemalige Mondgehirn und jetzt der neue Kaiser der Milchstraße, hatte zugehört und ergänzte: »Nach dem Ende der Gewaltherrschaft wurde Anita Powers von Händlern auf dem Planeten Zerberus IV entdeckt, wo sie mit ihrem Beiboot gelandet war.« »Was wurde aus der TERRA 2?« fragte Fürst Lol. »Die TERRA 2 hat sich selbst vernichtet«, antwortete NATHAN. »Das geht wenigstens aus den Aufzeichnungen der Flotte hervor, über die ich jetzt verfüge.« »Schade um das Schiff. Ich hatte es schon lieb gewonnen... He, NATHAN, bekomme ich ein Neues?« fragte Anita Powers in den Raum. »Nein, du brauchst kein Schiff. Aber du musst auch nicht untätig herumsitzen, denn ich habe eine wichtige Aufgabe für dich.« »Lass hören, alter Freund.« »Es geht darum, jemanden in Empfang zu nehmen, der eine lange Reise hinter sich hat und
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der diese Reise weitgehend allein unternommen hat. Dieses Wesen, es handelt sich um eine junge Frau, braucht nach seiner Ankunft die Nähe eines Menschen. Sie braucht jemanden, der ihr hilft, eine Aufgabe zu übernehmen, die ungeheuer groß ist und die von enormer Wichtigkeit für das Gelingen des Planes ist.« »Plan? Was für ein Plan?« hakte Anita nach. »Du wirst alle Informationen erhalten, wenn du auf dem Planeten angekommen bist. Die Ankunft der jungen Frau wird in etwa drei Tagen Erdzeit erwartet. Bis dahin hast du genügend Zeit, dich mit den wichtigsten Einzelheiten des Planes vertraut zu machen. Die Einzelheiten kann ich dir jetzt nicht schildern, solange die Gefahr besteht, dass der Plan verraten werden kann. Soviel kann ich aber sagen: Dass die Erde noch besteht und die Menschheit sich neu entwickeln konnte, ist ein wesentlicher Teil des Planes. Zusammen mit den Bewusstseinen ihrer Menschen hat die Erde einen besonderen Status. Die Erde ist ein sogenannter ›Schwarzer Diamant‹. Sie bildet einen unlösbaren Anker, der die Milchstraße in diesem Universum hält.« »Vor wem hast du soviel Angst, dass er von deinem Plan erfahren könnte? Ich denke, unsere Feinde sind besiegt«, fragte Anita. »Du wirst auch erfahren, warum die Terraner vor 50.000 Jahren nach M 343 verbannt wurden und was unsere Feinde vorhaben. Aber erst, wenn du angekommen bist.« Anita ließ nicht locker. »Wer sind die Feinde, die wirklichen Feinde der Menschheit?« »Die Hohen Mächte. Die Kosmokraten und die Chaotarchen, sowie ihre jeweiligen Helfer. Wobei mir die Rolle der Chaotarchen nie ganz klar wurde. Manchmal haben sie uns unterstützt. Aber die Hohen Mächte wissen nicht, was wir vorhaben und das muss unbedingt so bleiben. Wir haben nur eine einzige Chance, wir müssen sie überraschen! Und darum kannst du unmöglich mit einem Raumschiff zu deinem Ziel gelangen. Wenn jemand seine Spur verfolgen würde, käme er hinter ein Geheimnis, das solange ein Geheimnis bleiben muss, bis wir zuschlagen können. Denn der Planet ist genauso geschützt wie die Erde.
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Auch ihn umgibt ein Ultratron-Schirm, der von Außen nicht zu durchdringen ist. Nur das kleine Schiff mit dem Passagier hat den Schlüssel für diesen Ultratron-Schirm.« »Aber wie komme ich dann dorthin?« fragte Anita. »Über das Karussell. So hat J.J. das kleine Brückensystem genannt, das diese Residenz mit zahlreichen Planeten der Milchstraße verbindet. Darüber musst du zuerst zur Erde gehen. Von dort führt der Weg nach Manderlay – so heißt der Planet, auf dem du die junge Frau in Empfang nehmen wirst. Bitte breche gleich auf. Deine persönlichen Sachen habe ich im Karussell hinterlegen lassen.« »Ich zeige Ihnen den Weg«, bot Fürst Lol an und ging voraus. Etwas zögernd folgte Anita ihm. Sie betrat das Karussell allein. Sie sah sich um. In dem kreisförmigen Raum waren viele Türen zu erkennen. Sie ging vorsichtig näher heran. An jeder Tür war verzeichnet, wohin diese Türe führte. An der Tür mit der Aufschrift ERDE blieb sie stehen. Fürst Lol hatte ihr das Funktionsprinzip des kleinen Brückensystems erläutert. Man brauchte nur durch eine Türe zu gehen und man war schon am Ziel. Entschlossen tat Anita diesen Schritt und fand sich plötzlich in einer andern Umgebung wieder. Sie wusste, wo sie gelandet war. Dies war die Erde, ihre Heimat! Eigentlich wollte sich Anita der Verlockung hingeben und die Station auf der Insel Fuerteventura für kurze Zeit verlassen, um ihre Freunde in Amerika zu besuchen. Aber die beiden Roboter aus NATHANs Arsenal ließen ihr diese Chance nicht. Ohne zu zögern gingen sie voran und aktivierten eine weitere Tür, die im Hintergrund der kleinen Halle zu sehen war. Als Anita zögerte, sprach sie einer der Roboter an: »Bitte zögern Sie nicht. NATHAN hat uns beauftragt, Sie notfalls mit Gewalt durch diese Tür zu transportieren. Sie müssen nach Manderlay. Dort wird die entscheidende Schlacht geschlagen werden und der Plan sich erfüllen oder die Endzeit wird anbrechen. Und ein wichtiger Bestandteil dieses Planes
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ist das Sternenkind, das Sie in Empfang nehmen werden. Das Sternenkind wird helfen, wenn es soweit ist... Denn das Schicksal dieses Teils des Universums wird sich dort entscheiden, im Himmel über Manderlay.«
54. Alte Freunde
Boris Walter und Reginald Bull hatten den Tender ALPHA erreicht. Boris setzte eine kleine Sonde aus, die sehr schnell feststellte, dass das Sperrfeld außerhalb des Hyperkanals noch existierte. »Dann musst du alleine gehen, Boris. Sobald ich den Bereich verlasse, in dem Hyperraum vorhanden ist, falle ich wieder in einen todesähnlichen Schlaf. Daran ist mein Zellaktivatorchip schuld, ich kenne das. Auf BETA gab es einen Bereich, wo alles in Ordnung war. Unmittelbar in der Nähe des zentralen Turmes existieren alle höheren Dimensionen. Dort habe ich mich oft aufgehalten. Nur wenn ich den Bereich verließ, schwupp, war ich weg. Anfangs haben mich die Roboter immer wieder zurückgebracht. Später dann nicht mehr...« Boris nickte. Reginald Bull würde in der Transportkapsel zurück bleiben, während er sich auf die Suche machen würde. Reginald Bull hatte ihm die Örtlichkeiten genau geschildert. Die Transportkapsel musste den Hyperkanal verlassen, um einen ganz bestimmten Hangar zu erreichen. Ursprünglich hatten sie vorgehabt, mit der Transportkapsel bis zur eigentlichen Station des Tenders zu fliegen, die innerhalb des zentralen Turm lag, aber Boris hatte abgewinkt und gesagt: »Zu gefährlich. Da löst man vielleicht einen Alarm aus und dann müssen wir uns mit den Robotern auseinander setzen; so wie auf dem Tender, wo wir die Kartanin entdeckt haben.« Also musste Reginald Bull in den sauren Apfel beißen. Boris lenkte die Kapsel aus dem Hyperkanal heraus und schaute zu Reginald Bull hinüber.
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»Mach nicht so lang«, sagte Bully noch und kippte dann langsam zur Seite. Boris legte eine Thermodecke über den Körper des Unsterblichen und sagte: »Du hast 50.000 Jahre gewartet. Die paar Stunden kannst du jetzt auch noch aushalten.« Vorsichtig lenkte Boris die Kapsel in den Hangar, nachdem er kurz ausgestiegen war und die Notöffnung betätigt hatte. Weil der Tender ALPHA energetisch tot war, funktionierte hier fast nichts. Das war einerseits von Vorteil, weil die drei Bordcomputer inaktiv waren, erschwerte aber andererseits seine Aufgabe enorm. Nachdem sich das Hangartor geschlossen hatte, strömte Sauerstoff in den Hangar und Boris konnte aussteigen. Er löste die Sperre an der inneren Türe und drehte sich noch einmal zur Transportkapsel um. Sicherheitshalber hatte er sie so programmiert, dass sie nach Ablauf von 10 Stunden mit Reginald Bull selbstständig in den Hyperkanal zurückkehren würde. Vorher allerdings würde die kleine DoppelPuls-Kanone aktiv werden, die trotz der fehlenden 5D-Energien durchaus in der Lage war, ein ausreichend großes Loch in das Hangartor zu schießen. Boris betrat das eigentliche Schiff und sah sich um. Endlose Gänge, die sich in der Ferne zu kleinen Punkten verengten, verliefen zu beiden Seiten. Boris erinnerte sich an Bullys Beschreibung und marschierte los. Nach 300 Metern bog er in den ersten Seitengang ein. Alles war ruhig, selbst die Reinigungsroboter schienen Feierabend zu haben. Nach 20 Metern der nächste Abzweig. Jetzt fast einen Kilometer geradeaus. Unzählige Türen hatte dieser Gang. Boris wusste von Bully, dass in diesem Bereich die Quartiere der Mannschaften gewesen waren. Und am Ende des Ganges sollte die große Doppeltüre liegen. Boris marschierte weiter. Vor der großen Doppeltüre blieb er stehen. Alles war ruhig. Das Handrad für die Notöffnung war genau da, wo Bully gesagt hatte. Boris wollte das Rad drehen, aber es sperrte sich. Irgendetwas blockierte die Notöffnung. Er untersuchte die Türe genauer, fand aber keine Ursache für die Blockade. Also musste die Ursache innen liegen.
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Wie sollte Boris hereinkommen? Werkzeuge hatte er nicht mitgenommen und mit Gewalt wollte er sich keinen Zutritt verschaffen. Er versuchte es an der Nebentüre und hatte Erfolg. Mit seiner Taschenlampe leuchtete Boris in den Raum hinein. Bis auf einen kleinen Container war der Raum leer und es gab es keine Verbindung nach Nebenan. Er versuchte es an der anderen Nachbartür des großen Raumes; aber auch von hier gab es keine Möglichkeit, in den großen Raum hinein zu kommen. Also musste er es doch mit Gewalt versuchen. Aber wie? Er hatte ganz schön lange gedauert, bis er das Richtige zusammen hatte. Die schwere Metallstange hatte in einem weit entfernten Wartungsraum gelegen und wog mindestens 30 Kilogramm. Sie schien stabil genug zu sein, ihren Zweck zu erfüllen. Boris schob zuerst den Container aus dem Nebenraum und platzierte ihn so vor die Doppeltüre, dass an der rechten Seite an der Wand anlag. Dann legte er ein dickes Metallrohr links neben den Container auf dem Boden. Jetzt wurde der schmale Spalt der Doppeltüre von dem Rohr fast verdeckt. Boris hatte einen Ansatz für seinen Hebel. Zum Glück hatte er damals in der Schule aufgepasst, als die Hebelgesetze erklärt wurden. Er schob die Spitze der Stange in den Spalt der Doppeltüre. Die Stange lag jetzt an dem Rohr an, das durch den Container zur rechten Seite stabilisiert wurde. Mit aller Kraft stemmte Boris die Stange, die jetzt der Hebelarm war, nach rechts. Der kleine Spalt war tatsächlich größer geworden! Boris blickte hindurch, konnte aber nicht viel erkennen, weil es in dem Raum ziemlich dunkel war. Weil der Spalt jetzt größer geworden war, nahm Boris das Rohr weg und setzte seinen Hebel unmittelbar an der Kante des Containers an. Wieder stemmte er sich mit ganzer Kraft gegen die Stange. Langsam verbreiterte sich der Spalt. Boris sah erneut hindurch... Und sah ihn! Perry Rhodan lehnte von innen gegen die Tür. Zahlreiche Schläuche verbanden seinen Körper mit den Versorgungsgeräten im Hinter-
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grund. Der Terraner hatte irgendwann die große Bahre verlassen und versucht, den Raum zu verlassen. Vielleicht weil kurzzeitig die höheren Dimensionen wieder da gewesen waren und er wach geworden war? Der Terraner war der Typ, der sofort gehandelt hatte. Dann war das Sperrfeld wohl wieder aktiv geworden und sein Zellaktivatorchip hatte den Körper zurück in den todesähnlichen Schlaf geschickt – gerade, als er im Begriff gewesen war, sich die Versorgungsschläuche abzunehmen und den Raum zu verlassen. Mit Schrecken dachte Boris daran, was passiert wäre, wenn Perry Rhodan es wirklich bis in den Flur geschafft hätte. Wären dann die Roboter erschienen und hätten ihn zurückgebracht? Oder wäre er auf dem Flur einfach liegen geblieben und letztlich gestorben, weil sein Körper auch im Zustand der todesähnlichen Starre eine Mindestversorgung gebraucht hätte? Zum Glück war Boris Walter ein kräftiger und stämmiger Mann. Trotzdem wog der Körper Perry Rhodans eine Menge. Und der Rückweg war lang... * Fast zwei Stunden und vier längere Pausen hatte Boris gebraucht, bis er Perry Rhodan durch die langen Gänge des Tenderschiffes bis zum Hangar geschleppt hatte. Das schwerste Stück lag jetzt noch vor ihm: der steile Einstieg in die Transportkapsel. Boris sah sich nach einem der Schiffsroboter um, die ihm vielleicht hätten helfen können. Aber der ganze Bereich um den Hangar war ausgestorben. Also blieb dem total erschöpften Boris nichts Anderes übrig, als noch einmal den ganzen Weg zurück zu gehen und den Container herbei zu schaffen. Wieder vergingen zwei Stunden, bis das sperrige, aber zum Glück ziemlich leichte Ding in den Hangar geschoben war. Zuerst stellte Boris den Container hochkant und schob ihn unter den Einstieg. Dann wuchtete er den schweren Körper Perry Rhodans hoch und lehnte ihn an den Container. Jetzt wurde es richtig schwer.
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Boris kletterte auf den Container, beugte sich herunter und griff Perry Rhodan unter die Arme. Mit äußerster Anstrengung gelang es ihm, den Terraner auf den Container zu ziehen. Dann kletterte Boris in die Transportkapsel und zog den Terraner hinein. Der Rest war einfach. Boris schloss die Einstiegsluke und zog seinen leichten Raumanzug an. Durch die kleine Schleuse verließ er die Kapsel, ließ den Sauerstoff aus dem Hangar ab und öffnete das Tor zum Weltraum. Als Boris wieder an seinen Kontrollen saß, sah er auf die beiden Körper, die neben ihm auf dem Boden lagen, lächelte zufrieden und lenkte die Transportkapsel aus dem Hangar. Nach dem Einflug in den Hyperkanal beobachtete Boris die beiden Körper. Würden sie jetzt wieder zu sich kommen? Beide? * Was sind das für Gedanken, die ich da denke? Warum beschimpfe ich mich? Wieso lasse ich mich hängen? Bin ich verrückt geworden? Ich rede mit mir selber. Dieser verfluchte Tender und diese elende Einsamkeit. Wenn ich wieder wach bin, dann bin ich wieder innerhalb des Turmes. Aber wie bin ich dorthin gekommen? He Alter, halt die Klappe! Habe ich plötzlich einen Extrasinn, wie der Arkonide? Nein, hab ich nicht. Außerdem ist das Bullys Stimme. Bully?? Ein Auge riskier ich mal. Mann, ist das schwer! Tatsächlich! Da liegt Bully neben mir. Und noch einer ist da, dessen Rücken ich sehen kann. Kenne ich nicht. Wohin bringt der uns? Ist das ein Feind. Werden wir etwa abgeholt. Ein Verhör? Ist unser Langzeitplan etwa bekannt geworden und man zieht uns jetzt zur Verantwortung? Was sagt Bully? Ich soll endlich wach werden! Naja, wieso nicht. »Hrralloh Bu...« »Hallo, Perry. Das Wachwerden ist schlimm. Ich kenn das. Lass’ dir Zeit, wir sind in relativer Sicherheit«, antworte Reginald Bull, der früher wach geworden war, weil er nur einige Stunden in dem todesähnlichen Schlaf gelegen hatte.
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»Wrrriesso?« Bull schüttelte den Kopf und sagte nur: »Später!« Boris dachte daran zurück, wie stolz er gewesen hatte, als er Reginald Bull getroffen hatte. Er, der immer der Zweite gewesen war, in seinem bisherigen Leben. Sein bisheriges Leben? Jetzt hatte er nicht nur Perry Rhodan getroffen, nein, er hatte ihn gerettet! Boris Walter, der Retter der Unsterblichen! Hörte sich gut an. Wenn nur Clara noch lebte; würde sie ihn jetzt erhören? Boris schüttelte die trüben Gedanken aus seinem Kopf und konzentrierte sich auf seine Kontrollen. Die Transportkapsel raste durch den Hyperkanal, einem unbekannten Ziel entgegen. Er hatte irgendeinen der Zielknöpfe gedrückt, weil sie das Umfeld des Tenders ALPHA soll schnell wie möglich verlassen wollten. »Wrrerrr is das?« »Boris Walter, ein Freund. Ein Freund von der Erde«, antworte Bull und richtete sich auf. Perry Rhodan sah furchtbar aus. So hatte er den Freund noch nie gesehen. Wachsbleich war sein Gesicht, die grauen Augen, die so hart und unnachgiebig schauen konnten, waren von einem bleichen Nebel durchzogen. »Perry, lass’ dir Zeit. Du siehst ziemlich besch... aus!« »Zeit? Welches Datum... ?« »Der 11. Januar 2001. Mein Name ist Boris Walter, ich hab Sie da raus geholt«, sagte Boris und trat zu den beiden Männern, die immer noch auf dem Boden der Transportkapsel lagen. »Danke. Hallo Boris, nenn mich Perry. Wieso 2001? Vergangenheit?« »Nein, Perry. Unsere Zeitrechnung; die der Erde«, sagte Boris. »2001 Jahre nach was?« »Nach der Geburt von Jesus Christus!« Jetzt hatte auch Perry Rhodan genug Kraft, um sich aufzurichten. »Auch unsere Zeitrechnung, früher...« »Ich weiß. Kenne ich alles aus der Hypnoschulung auf dem Mond, bei NATHAN.« »Also nicht Vergangenheit, wenn es das alte Hirn gibt. Welches Jahr schreiben wir heute, nach unserer Zeitrechnung, Bully?«
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»Tja Perry, so genau hab ich das noch nicht ausgerechnet«, murmelte Bull, »aber schlag mal so rund 50.000 Jahre drauf!« »50.000 Jahre??« Perry Rhodan schien in sich zusammen zu fallen. »Dann ist es schon passiert!« »Nein Perry. Noch nicht. Aber es dürfte verdammt eng werden«, sagte Bull und wuchtete seinen schweren Körper hoch. »Verdammt schade, dass sie mich während des Tiefschlafes nicht auf Diät gesetzt haben«, murmelte er und setzt sich neben Boris. »Darf ich vorstellen, Boris Walter von der Erde, von der neuen Erde. Dieser Teil unseres Langzeitplanes ist aufgegangen. Die Menschheit hat sich neu entwickelt. Wenn du fit genug bist, kann Boris dir seine Geschichte erzählen. Und dann werden wir ihm unsere Geschichte erzählen.« »Wir müssen zuerst hier raus, aus dieser verdammten Galaxis. Was ist das hier? Vielleicht dieses Transportsystem, das die Roboter immer benutzt haben, wenn sie nach ALPHA gekommen sind? Es gab da so einen Bahnhof innerhalb des Turmes. Aber immer wenn ich in die Nähe kam, waren Roboter da, die mir unmissverständlich deutlich gemacht haben, dass ich dort nichts zu suchen hätte.« »Ja. Ich nenne es die galaktische U-Bahn. Es sind schmale Kanäle, in denen es die höheren Dimensionen gibt und innerhalb derer man mit Überlichtgeschwindigkeit reisen kann. Aber nur innerhalb der Kanäle, draußen geht Nichts!« »Und dieses kleine Schiff?« fragte Perry. »Ist eine Transportkapsel, wie sie hier benutzt werden. Ist von KATHARINA allerdings etwas aufgerüstet worden«, antwortete Boris. »Katharina, wer?« fragte Perry Rhodan. »Mein Bordcomputer. Von der TERRA 3, die in der Nähe von Paradies-Europa im Weltraum treibt.» »Woher habt ihr dieses Schiff?« »Von NATHAN. Ist aber nur ein Begleitschiff, eine Art größeres Beiboot. Das Hauptschiff ist die TERRA. 1.200 Meter lang und schneeweiß. Tolles Schiff.« »Mit wie vielen Schiffen seid ihr aufgebrochen?« fragte Rhodan. »Wie viele Schiffe hat
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NATHAN insgesamt bereitgestellt und woher habt ihr die Besatzungen für die Flotte?« »Flotte? Ein Schiff, die TERRA. Und die vier Begleitschiffe. Insgesamt waren wir mal Acht Menschen. Eines der Begleitschiffe, die TERRA 1, wurde über Halut zerstört und die TERRA 2 ist verschwunden.« »Ein Schiff? Mit einem Schiff hat NATHAN euch losgeschickt? Mein Gott! Ein Schiff gegen die ganze Galaxis und ein Schiff, um uns zu retten. Das konnte ja nicht gut gehen! Und wo ist dein Begleitschiff? Paradies-Europa? Bully, war das nicht der Planet, wo wir die Deutschen, die Schweizer und die Österreicher hingebracht haben?« »Ja, Perry. Und noch einige andere aus dem mitteleuropäischen Raum. Haben ihre Welt total perfektioniert, hat mir Boris erzählt. War ja zu erwarten.« Perry Rhodan, den man auch den Sofortumschalter genannt hatte, sagte: »Wir müssen hier raus, alles Andere muss warten. Wie viele Ziele kann man mit dieser Transportkapsel ansteuern?« »43«, antwortete Boris. »Es gab damals 40 Tender. Also müsste es noch drei Bahnhöfe geben, die nicht auf den Tender liegen. Wahrscheinlich eine Zentrale und zwei Stationen außerhalb dieser Galaxis. Eine dieser Außenstationen müssen wir finden. Aber wie?« »Was willst du draußen? Mit diesem Ding können wir unmöglich bis zur Milchstraße fliegen«, meinte Bully. »Und in der Milchstraße regiert der Kaiser, Ronald Tekener«, ergänzte Boris. »Tek? Als Kaiser?« Die beiden Männer lachten lauthals. Doch dann erzählte Boris ihnen die Geschichte der Milchstraße und der Gewaltherrschaft ihres Kaisers, Ronald Tekener. Danach war den beiden Unsterblichen überhaupt nicht mehr nach Lachen zumute. * Weder Boris noch Perry oder Bully wussten, dass der ehemalige Kaiser längst geflohen war und NATHAN jetzt die Verwaltung der Milch-
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straße übernommen hatte. Ihnen war auch unbekannt, dass dieses eine, allerdings sehr leistungsfähige Raumschiff schon am westlichen Checkpoint wartete, nicht einmal 7.000 Lichtjahre entfernt. Auf der TERRA hatte man die Mitteilung NATHANs über das Ermittlungsergebnis gegen Ronald Tekener aufatmend zur Kenntnis genommen. Man würde jetzt besser mit ihm zusammenarbeiten können, wo man wusste, dass er für die vielen Untaten nicht verantwortlich gewesen war. Auch Tek war sehr erleichtert. Nicht nur, weil er jetzt seine Kabine verlassen durfte, sondern auch, dass er jetzt aktiv Hilfe leisten konnte. Auf diese Weise wollte er zur Wiedergutmachung beitragen für Unrecht, das in seinem Namen begangen worden war. »Besonders der Tod eurer Kollegin Clara geht mir sehr nahe. Ich habe den Angriffsbefehl seinerzeit nicht gegeben – RHOMBIA hat die Flotten nach Halut geschickt.« »Das wirst du Boris klarmachen müssen, wenn er noch lebt. Er hasst dich«, sagte Paul. THELA meldete sich: »Ich störe die beiden Herren ja ungern, aber es gibt Neuigkeiten aus der Milchstraße. NATHAN hat mir über die Relaiskette einen kurzen Lagebericht zukommen lassen. In der Milchstraße ist alles ruhig, aber es gibt zwei Neuigkeiten. Anita Powers wurde gefunden. Sie wurde von Händlern auf dem Planeten Zerberus IV entdeckt, wo sie mit ihrem Beiboot gelandet war. Jetzt ist sie in NATHANS Auftrag unterwegs zum Planeten Manderlay. Die zweite Information ist von hoher Bedeutung. Haltet euch fest: Vor über Vierhunderttausend Jahren hat die Superintelligenz ES einer anderen Superintelligenz Asyl gewährt. Diese andere Superintelligenz, BAN-YA, wurde von den Kosmokraten verfolgt und hat sich lange auf Manderlay versteckt, bis sie mit Hilfe von ES und eines unbekannten kosmischen Ingenieurs ihre endgültige Heimat gefunden hat. Und diese Information hat es in sich, wie ihr sagen würdet: Die Koordinaten dieser neuen Heimat stimmen mit denen von M 343 überein. Und eine der wesentlichen Maßnahmen, die der kosmische
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Ingenieur zum Schutz von BAN-YA getroffen hat, war die Konstruktion eines Sperrfeldes, das die höheren Dimensionen abschaltete...« Nachdem er seine Überraschung überwunden hatte, fragte Paul: »Ist bekannt, ob die Superintelligenz jetzt noch hier lebt?« »Nein, sie weilt nicht mehr in M 343. Soweit NATHAN von ES weiß, ist diese Superintelligenz damals weiter gezogen, um gegen eine Macht anzukämpfen, die sie immer weiter in den Abgrund zu ziehen drohte. Welche Macht das war, weiß NATHAN nicht. Wahrscheinlich ist, dass es einer der Kosmokraten war. Aber diese Superintelligenz hat einen Bewusstseinssplitter auf dem Planeten Manderlay hinterlassen, der Teil der sechsdimensionalen Aura dieses Planeten ist. Manderlay ist damit ebenso ein ›Schwarzer Diamant‹, wie Olymp und die Erde.« »Und steht somit auf der Abschussliste der Hohen Mächte, weil ›Schwarze Diamanten‹ Anker sind, die die Milchstraße in diesem Universum halten«, kommentierte Ronald Tekener die Ausführungen THELAs. »Ja. Als die Superintelligenz damals weiter zog, hat sie ES ein Geheimnis anvertraut. Bevor sie den Schritt zur Superintelligenz vollzogen, haben die Wesen noch ein befruchtetes Ei in ein Stasisfeld deponiert. Der Behälter mit dem befruchteten Ei war das wertvollste Gut dieser unbekannten Superintelligenz. Als sie nach M 343 weiter zog, hat sie ES erzählt, dass aus diesem befruchteten Ei einst ein Kind entstehen werde, wenn sie die nächste Stufe der Evolution erklommen habe. Die Superintelligenz bat ES, sich dann dieses Kindes anzunehmen und es nach Manderlay zu geleiten, wo es sich mit ihrem dort hinterlassenen Bewusstseinssplitter vereinigen werde. Nach den aktuellen Informationen steht die Ankunft dieses Kindes auf Manderlay bevor – es wird in drei Tagen dort erwartet.«
55. Die Rose von Midway
Midway war der Planet, der zur Heimat für alle Terraner werden sollte, die aus dem pazifi-
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schen Raum Terras stammten oder deren Vorfahren von dort gekommen waren. Aber der Planeten mit seinen kilometerlangen Sandstränden, seinem grünblauen Meeren und seinem milden Klima wartete vergeblich auf seine Bewohner. Denn Niemand wohnte auf diesem Planeten, dazu war er viel zu schön. Aus den alten Aufzeichnungen ging hervor, dass die Scouts nach der Ankunft des Tenders in diesem Sonnensystem einen traumhaft schönen Planeten vorgefunden hatten, den sie bei ihrer Rückkehr in so leuchtenden Farben beschrieben hatten, dass der Rat des Schiffes vorgeschlagen hatte, auf dem Schiff zu bleiben und den Planeten nur zu besuchen. Nach endlosen Diskussionen hatte die Mehrheit der Terraner sich diesem Vorschlag am Ende angeschlossen. Selbst als das Sperrfeld innerhalb von M 343 aktiv wurde und all die Annehmlichkeiten wegfielen, die auf der Nutzung von 5D-Energien beruhten, hatte man diesen Entschluss nicht revidiert. Auf dem Tender THETA hatte man sich mit dem arrangiert, was noch funktionierte. An die Stelle der Transmitter-Verbindungen war man auf schienengebundene Transportsysteme umgestiegen, mit dem sich die großen Entfernungen auf dem Tender leicht bewältigen ließen, denn immerhin waren es gut 2.000 Kilometer von einem Ende des riesigen Tenderschiffes bis zu seinem anderen Ende. Die Bevölkerung lebte gut auf dem Tender. Die riesigen Gartenanlagen produzierten ausreichend Lebensmittel und boten gleichzeitig die Gelegenheit für ausgedehnte Spaziergänge unter Bäumen. Das Trinkwasser wurde synthetisch aufbereitet und für die Energie sorgten Fusionskraftwerke, die man schon in den ersten Jahren nach der Ankunft konstruiert hatte. Gearbeitet wurde 5 Tage lang je 6 Stunden. Nach den 5 Arbeitstagen konnte man mit den vielen Raumtaxis zum Planeten Midway fliegen, um sich in der warmen Sonne zu entspannen oder eines der Entspannungszentren aufsuchen, die es überall auf dem Tender gab. Meist nutzen die Terraner jedoch die Chance, dem Planeten einen Besuch abzustatten. Aber an zwei Tagen im Jahr kam niemand
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auf die Idee, sich auf dem Planeten oder in den Zentren zu entspannen. Der eine dieser Tage, das war Weihnachten. An diesem Tag erschien die silberne Kugel in der Station von THETA. Niemand wusste, warum diese Kugel erschien, aber sie kam regelmäßig einmal im Jahr. Daraus hatte sich die Legende des Weihnachtsmannes entwickelt, der am Abend vor Weihnachten in der Station ankam und die Geschenke für die Kinder von Midway brachte. Die Geschenke, die die Kinder am nächsten Morgen vorfanden, waren natürlich von den Eltern besorgt worden, aber der Glaube an den Weihnachtsmann hielt sich die ganzen Jahrtausende über. Insbesondere weil die Ankunft der silbernen Kugel jährlich live im Bordfernsehen übertragen wurde. Und das andere Fest, das niemand ausließ, war die Wahl zur Rose von Midway. Auch Samran Sei hatte sich voriges Jahr für eine der unzähligen Vorentscheidungen gemeldet, in denen sich Hunderttausende von jungen Frauen für die Wahl zur besten Hula-Tänzerin bewarben. Mit ihren 17 Jahren war sie schon eine vollentwickelte junge Frau. Ihre polynesischen Vorfahren hatten ihr den bronzenen Teint und die leicht mandelförmigen Augen vererbt. Und den Hula-Tanz hatte sie ebenso im Blut. Samran Sei hatte alle Zwischenrunden und Vor-Finale überstanden und bewarb sich jetzt, zusammen mit 15 anderen jungen Frauen, um den Titel der besten Hula-Tänzerin von Midway, der Rose von Midway. * Schon nach ihrem ersten Hüftschwung spürte Samran, dass heute ihr Tag war. Sie ließ ihren wunderschönen Körper sanft im Rhythmus der leisen Musik schweben und spielte graziös mit dem Blumenband, das ihre Mutter für sie gefertigt hatte. Sie wusste, dass Millionen von Terranern jetzt an den Fernsehgeräten saßen und ihren traditionellen Tanz beobachteten. Samran Sei genoss die unsichtbaren Blicke dieser Menschen und wagte einige Hüftschwünge, die ih-
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rem Tanz eine ganz neue und erotische Note gaben. Sie wagte viel, aber sie wollte unbedingt zur Rose von Midway gekrönt werden und diese Rose ein ganzes Jahr tragen. Und innerhalb dieses Jahres würde sie sich ihren Mann aussuchen. Jemanden, der sie jetzt tanzen sah und der ihr hoffentlich seine Stimme geben würde. Nachdem alle Konkurrentinnen ihre Tänze vorgetragen hatten, begann für Samran Sei die lange Zeit des Wartens auf das Abstimmungsergebnis. Endlich, nach fast 2 Stunden, betrat der berühmte Jimmi Khong die Bühne und nahm das Mikrophon in die Hand: »Siegerin und neue Rose von Midway mit 23,8% aller Stimmen ist... Samran Sei!« Jubelnd sprang Samran auf und fiel ihrer Mutter in die Arme. »Mädchen, dein Tanz war der Schönste. Du bist zu Recht zur Rose gewählt worden«, sagte ihre Mutter leise. Für die anschließende Krönung führte man Samran Sei in die festlich geschmückte Station im Zentrum des Turmes von THETA. In der Mitte der Halle hatte man ihren Thron aufgebaut, der genau an der Stelle stand, wo die silberne Bahn im Boden endete. Jene silberne Bahn, die am Rand der Halle begann und in ihrer Mitte endete. Dort, wo auch die silberne Kugel des Weihnachtsmanns erschien, wenn es soweit war. In 14 Tagen ist schon wieder Weihnachten, dachte Samran. Ob ich wohl noch ein Geschenk der Familie bekommen werde? Der Präsident nahm die Krone aus dem verschlossenen Behälter und ging würdigen Schrittes auf Samran zu. Mit einer oft geübten Geste schaltete er die Energieversorgung dieses uralten Gerätes ein und setzte es Samran auf den Kopf. Die Krone leuchtete jetzt in einem hellen roten Licht. Dann holte der Präsident eine frische rote Rose und legte sie Samran auf den Schoß. Jeden Tag würde die junge Frau ab jetzt eine frische Rose bekommen, ein ganzes Jahr lang. Nachdem die Zeremonie beendet war, stand Samran Sei auf und gab die Krone an den Präsidenten zurück, der die Energieversorgung deaktivierte und die wertvolle Krone wieder sorgsam
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»Jo is denn heut schoh Weihnachten?«
in den Behälter legte. * »Da, ein Signal!« Dagmar deutete auf die Anzeige des Displays vor ihr. Auch Michele sah es. Innerhalb des galaktischen U-Bahn-Systems gab es eine Störung. »J.J., siehst du das auch?« fragte sie über Funk J.J., der die T205 steuerte. »Jau. Mädels, lasst uns mal nachsehen, was da los ist.« Die kleinen Beiboote der TERRA bogen in den nächsten Seitenkanal ein und beschleunigten. Die T204, das Amazonenschiff mit den beiden Frauen, flog voraus und J.J. folgte mit seiner T205. »Noch 3 Stunden bis zum Ziel. Das Signal ist jetzt wieder erloschen«, gab Michele durch. »Egal, lasst uns hinfliegen und nachsehen«, gab J.J. durch. * In der Steuerzentrale des Bordfernsehens hieb Virun Sei auf den Fernschalter von Kamera 7, die noch immer Bilder aus der Station zeigte, obwohl die Krönung längst vorbei war und die Kulissen bereits abgebaut worden waren. Natürlich war er froh, dass seine Nichte den Wettbewerb gewonnen hatte, aber diese verfluchte Kamera 7 machte immer Probleme und hinderte Virun Sei jetzt daran, an den Familienfeiern teilzunehmen, die zu Ehren seiner Nichte abgehalten wurden. »Wenn die verfluchte Kamera sich nicht bald abschaltet, dann kann ich gleich die Ankunft des Weihnachtsmannes filmen, wenn der in 14 Tagen hier eintrifft«, schimpfte er und machte sich auf den Weg in die Station. Als Virun Sei in der Station eintraf, sah er etwas, was dort nicht hingehörte, zumindest noch nicht. Und die noch laufende Kamera 7 nahm alles auf. Auch den Satz, der in die Geschichte des Volkes von Midway eingehen sollte:
* Vor Virun Sei stand die Kugel des Weihnachtsmannes – 14 Tage zu früh! Und diesmal schien der Weihnachtsmann aussteigen zu wollen, denn eine Rampe führte von der silbernen Kugel zum Boden der Station. Virun Sei schaute ängstlich auf die blinkende Anzeige von Kamera 7. Gut, die Kamera lief zum Glück noch und zeichnete alles auf. Auch als der Weihnachtsmann die Rampe herunterschritt und auf ihn zukam. »Gute Tag, mein Name ist Reginald Bull. Wir haben ein Notsignal von diesem Tender erhalten und wollen helfen. Was ist passiert?« Virun Sei verstand wohl, was der Weihnachtsmann sagte, aber er kam nicht hinter den Sinn seiner Worte. »Helfen? Wieso? Bei uns ist alles in Ordnung, lieber Weihnachtsmann.« Nach diesem Satz erschallte ein brüllendes Gelächter vom oberen Ende der Rampe: »Bully, die halten dich hier für den Weihnachtsmann!« Als Virun Sei den zweiten Weihnachtsmann sah und hinter diesem sogar einen Dritten, merkte er, das hier jemand ganz Anderes angekommen war. Außerdem war sein journalistischer Spürsinn erwacht. Er kannte den Namen Reginald Bull aus den uralten Aufzeichnungen. »Was habt ihr hier gemacht?« fragte der Mann oben auf der Rampe. »Wir haben die Rose von Midway gekrönt, wie es jedes Jahr gemacht wird. Mein Name ist übrigens Virun Sei«, antwortete Virun Sei. »Und womit?« fragte der Mann von oben. Virun Sei zeigte einladend auf den Schrein im Hintergrund. Der Mann, der sich als Reginald Bull vorgestellt hatte, folgte ihm. Vorsichtig öffnete Virun Sei den Schrein und nahm die Krone heraus. Bull nahm sie in die Hand und hielt sie hoch. »Perry, das ist ein alter Raumhelm.« Bei der Nennung dieses Vornamens war Virun Sei zusammengezuckt. Der andere Mann dort oben war Perry Rhodan, der legendäre Anführer des langen Trecks nach M 343. »Was habt ihr mit dem Helm gemacht?« fragte Reginald Bull.
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»Vor jeder Krönung betätigt der Präsident einen Schalter und die Krone umgibt sich mit einem roten Leuchten«, antwortete Virun Sei. »Diesen?« fragte Reginald Bull und drückte den Schalter nach unten. »Da ist das Signal wieder! Ganz deutlich«, rief der dritte Mann aus der silbernen Kapsel. Reginald Bull brachte den Schalter zurück in seine Ausgangsstellung und lächelte. »Virun Sei, das ist ein alter Raumhelm. Wenn man den Schalter betätigt, umgibt ein Schutzfeld diesen Helm. Gleichzeitig sendet er ein Notsignal im Hyperfunkbereich aus, das wir empfangen haben. Deshalb sind wir hier.« »14 Tage nach der Krönung der Rose von Midway erscheint immer eine silberne Kugel, genau wie Eure«, erklärte Virun Sei. »Aber niemand steigt aus. Die Kugel verschwindet nach 2 Stunden wieder. Daraus ist die Legende vom Weihnachtsmann entstanden.« »Ach so. Deshalb Weihnachtsmann, ich verstehe. In Wirklichkeit reagiert irgendeine Station auf das Notsignal, das eure Krone im aktivierten Zustand aussendet und schickt eine der Transportkugeln los. Aber wenn die jedes Mal 14 Tage brauchen, bis die hier sind, dann haben wir ja noch Zeit...« Mittlerweile waren auch Perry Rhodan und Boris Walter die Rampe heruntergekommen. Sie begrüßten Virun Sei und verließen mit ihm zusammen die Station. Auf dem Weg erklärte ihnen Virun Sei Einiges über sein Volk und dessen Sitten. »Schade, dass wir die Krönung der Rose von Midway nicht erleben konnten«, sagte Bully. »Ich hätte vor allen Dingen den Siegertanz gerne gesehen. Hula-Tänze, hmm...« »Kein Problem«, antwortete Virun Sei schmunzelnd. »Bevor ich euch zu unserem Präsidenten bringe, könnt ihr die Aufzeichnungen im Studio ansehen. Ist noch ein wenig weit bis dahin, aber die Zeit dürfte reichen, mir ein wenig von euch zu erzählen.« Ganz so weit war es doch nicht, denn sie erreichten die Regie-Zentrale des Bordfernsehens schon nach einigen Minuten. Virun Sei startete die Aufzeichnung und die drei Männer schauten sich den Siegertanz und die Krönung von Samran Sei an. Besonders Bully und Boris genos-
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sen die Darbietung mit sichtlichem Vergnügen. Nach Ende der Krönung spulte Virun Sei zu der Stelle, wo ihre Kugel ankam. »Zeitlupe«, bat Perry Rhodan, »und ein kleines Stück zurück.« Tatsächlich sah es so aus, als schiene ihre Transportkugel aus der Wand der Station heraus zu wachsen und auf den letzten Metern bis zum Zentrum der Halle abzubremsen. »Hier ist der Vorgang noch mal dargestellt«, sagte Reginald Bull und deutete auf einen der anderen Bildschirme. »Nein, das ist Kamera 7«, antwortete Virun Sei. »Die zeigt jetzt nur Live-Bilder aus der Station.« »Na, dann kommt Besuch«, meinte Perry Rhodan. »Sie haben diesmal keine 14 Tage gebraucht, um zu reagieren. Und wenn ich es richtig sehe, kommen sie jetzt mit Verstärkung.« Tatsächlich perlte gerade die zweite Kugel aus der Wand der Station, während die Erste bereits neben der Transportkugel von Perry, Bully und Boris angekommen war. »Ist ein anderer Typ, viel größer«, stellte Reginald Bull fest. »Mal sehen, was da so ankommt. Bin mal auf diese Roboter gespannt.« Nur Boris war plötzlich ganz still geworden. Gebannt starrte er auf den Bildschirm. Bully stieß ihn sanft an. »He, Boris, alter Russe, hat dich die Hula-Vorführung so mitgenommen, dass es dir die Sprache verschlagen hat?« »Nein, Bully, aber diese Kugeln da...« »Und?« fragte Perry Rhodan. »Was ist mit den beiden Kugeln?« »Na ja, ich kenne den Typ... Diese Kugeln sind weiß, nicht silberfarben.« Am Klang seiner Worte erkannte Perry Rhodan sofort, dass der Russe ergriffen war. Er sagte sanft: »Boris, was ist das da in der Station?« Boris murmelte: »Das sind die kleinen Beiboote... der TERRA.« * In dem gleichen Augenblick, als J.J. 10 Minuten nach der Ankunft seine T205 verließ und vorsichtig die Leiter zum Boden herunter glitt,
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ging auf der gegenüberliegenden Seite der Station eine Türe auf und jemand kam angerannt. »Vorsichtig, da kommt wer!« hörte er Dagmars Stimme in seinem Helmfunk. Er drehte sich herum und entsicherte seine Waffe. »Boris! Das ist Boris! Boris lebt...« Micheles Stimme überschlug sich und J.J. hörte es mit. Lächelnd ließ er seinen Raumhelm zurückfahren und breitete die Arme aus. Der Russe kam angeflogen und riss J.J. beinahe um. In seiner Freude ließ Boris seinen Gefühlen freien Lauf. In alter Tradition der sowjetischen Raumfahrer küsste er J.J. links und rechts auf die Wange. J.J. ließ es geschehen. Auch er war den Tränen nahe. Nachdem klar war, dass Boris mit seiner TERRA 3 damals in die Falle in der Milchstraße geflogen war, hatte man nichts mehr von ihm gehört. Jetzt waren auch die beiden Mädchen da. »Dagmarle, Michelele...« murmelte Boris und drückte die Beiden eng an sich. Als er sich wieder einigermaßen gefasst hatte, sagte er: »Hier besteht keine Gefahr, Freunde. Das Volk von Midway versteht es, zu feiern. Und Tänzerinnen haben die hier, Mann, oh, Mann, das wird ein Fest, heute Abend, vielleicht haben die sogar den einen oder anderen Liter Wodka...« »Boris Walter! Möchtest du uns deinen Freunden nicht mal vorstellen?« Die Vier drehten sich um. Der Mann mit den eisgrauen Augen und sein Freund mit den kurzen roten Haaren warteten gelassen, dass man sie auch einmal zur Kenntnis nahm. * Die Wiedersehensfeier war wirklich ausgeufert. Zuerst hatte J.J. erzählt. Und der hatte wirklich viel zu erzählen. Seit Boris nach M 343 verschlagen worden war, war ja Einiges passiert. Natürlich erzählte er in epischer Breite, wie er, quasi im Alleingang, die böse Superintelligenz RHOMBIA besiegt und den Kaiser zur Flucht gezwungen hatte. Als er auf NATHANs neue Rolle als galaktischer Kaiser zu sprechen kam, unterbrach ihn Bully: »Was? Das Mondgehirn ist selbst in den
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Einsatz gegangen und spielt jetzt den Kaiser? Da zieht mich aber nichts zurück in die Heimat. NATHAN und Kaiser, nee nee...« »Du sagtest, Tek sei geflohen, was ist aus ihm geworden?« fragte Perry Rhodan. »Ronald Tekener wollte sich wohl hier verstecken, aber wir haben ihn abgefangen. Er sitzt jetzt wahrscheinlich in seiner Kabine auf der TERRA und grübelt über seine Untaten«, antwortete J.J. »Wenn ich den in die Finger kriege, ist es aus mit dem«, murmelte Boris, der den einheimischen Getränken schon reichlich zugesprochen hatte. »Der hat meine Clara auf dem Gewissen.« »Wisst ihr, wo Tek hin wollte?« fragte Perry Rhodan. »Ja, zum Kerkermeister. Zu diesem Petronier, der hier alles organisiert hat.« »Ich kenne den Petronier«, antwortete Perry Rhodan. »Wisst ihr, was der gerade vorhat?« »Oh ja. Der ist mächtig aktiv geworden«, antwortete Dagmar. »Hat sogar sein Kampfschiff startklar gemacht und wollte gegen Olymp losschlagen. Der Planet ist ja wieder aufgetaucht und jetzt auch so ein ›Schwarzer Diamant‹, der die Milchstraße in diesem Universum hält. Aber wir haben ihn daran gehindert.« »Und schwupp, da war das Schiffchen fort. Transpuls-Kanone, sach ich nur«, lächelte Michele, die auch schon Einiges intus hatte. »Paulchen, ich will aber nich mit die Milchstraße in dieses blöde andere Universum.« Perry Rhodan sah seinen Freund Bully nachdenklich an. Dagmars Worte hatten die beiden tief beunruhigt. Wenn der Petronier handeln wollte, hieß das, dass die negativen Energien aus dem kosmischen Kleeblatt dabei waren, in dieses Universum durchzuschlagen. »Perry, Morgen ist auch noch Zeit«, sagte Bully. »Lass’ uns heute unser Wiedersehen feiern.« Perry Rhodan nickte und ließ sich noch ein Viertel des hervorragenden Weines einschenken, der auf dem Planeten Midway wuchs. Außerdem würde gleich die Darbietung der HulaTänzerinnen beginnen. Sie lehnten sich zurück und genossen den Abend. Irgendwie waren sie es auch den Terranern von Midway schuldig,
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die sich wirklich alle Mühe gaben, sie zu bewirten. Das fand auch Boris, der die wunderschöne Samran Sei, die Rose von Midway, in den Armen hielt.
56. Die letzten Tage des Friedens
Nach der ausgelassenen Feier an Bord des Tenders THETA war Perry Rhodan am Morgen als Erster wach. Er rüttelte J.J. wach. »Freunde, die Zeit drängt. Wir sollten sofort aufbrechen.« J.J. schmiegte sich noch an den Rücken der hübschen Schönen, die neben ihm lag und erwiderte: »Lass mich, verdammt noch mal, schlafen. Ich habe keinen Zellaktivatorchip, der mir den Kater vertreibt.« Doch nach knapp einer Stunde und nach einem guten Frühstück verabschiedeten sie sich von ihren Gastgebern. Präsident Tumleh Lhok nahm Perry Rhodan zur Seite und sprach leise auf ihn ein. Dann gingen sie zusammen an Bord der Beiboote. »Was wollte der Dick... äh, der Präsident von dir?« fragte Bully. »Tja, das Volk von Midway hat heute Nacht, als wir schliefen, darüber abgestimmt, ob es wieder in Milchstraße übersiedeln will«, antwortete Perry Rhodan. »Die eindeutige Antwort lautete: Nein. Sie wollen lieber hier bleiben.« »Wundert mich nicht. Die meisten Völker werden hier bleiben wollen. 50.000 Jahre sind eine zu lange Zeit. Denk mal darüber nach, wie wir reagiert hätten, wenn damals Einer gekommen wäre und hätte uns erzählt, dass wir eigentlich woanders hin gehörten. Was hätten wir denn gesagt?« »Hast ja Recht, Bully.« * Perry Rhodan und Reginald Bull begleiteten Dagmar und Michele in die T204, während Boris in J.J.s T205 einstieg, nicht ohne der hübschen Samran Sei zum Abschied noch einen Handkuss zuzuwerfen. Die Transportkugel, mit
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der die beiden Unsterblichen und Boris angekommen waren, ließen sie zurück. Boris hatte scherzhaft gemeint: »Falls der Weihnachtsmann mal nicht kommt, könnt ihr diese Kugel nehmen. Damit eure Kinder sich auf was freuen können.« Die Reise konnte beginnen. Allen war klar, dass sie auf dem schnellsten Weg zur TERRA mussten. Und dann sofort zurück in die Milchstraße, wo der Tag der Entscheidung kurz bevor stand. Perry Rhodan umschrieb noch einmal den Plan, wie es ihnen damals gelungen war, die Hohen Mächte zu täuschen: »Taurec hat kategorisch gefordert, alle Terraner aus der Milchstraße zu entfernen, weil die sechsdimensionale Aura ihrer Planeten einen Transfer nach Tarkan unmöglich machte. Er hat uns eine Frist gesetzt und uns die Galaxis M 343 als Verbannungsort zugewiesen. Wir haben umfangreiche Hilfe bekommen – sogar die Chaotarchen haben uns unterstützt, indem sie die Transportschiffe geliefert haben. Aber Eines hat Taurec unmissverständlich klargemacht: Sollten sich die Terraner nach Ablauf der Frist noch in der Milchstraße aufhalten, würden die kosmischen Fabriken erscheinen und alle terranischen Planeten vernichten.« »Aber wieso musste sich die Menschheit neu entwickeln? Ihr hättet doch die Erde mitsamt ihren damaligen Bewohnern hinter dem Ultratron-Schirm verstecken können.« Perry Rhodan zögerte etwas mit der Antwort auf Dagmars Frage, schließlich sagte er: »Das hätte Taurec gemerkt. Nein, die Bevölkerung von Terra musste auch in M 343 ankommen, genauso wie die vielen anderen Planetenbevölkerungen. Bis auf Olymp natürlich, Olymp galt als vernichtet. Aber zum Teufel... was ist ein Ultratron-Schirm?« »Du weißt nichts über den UltratronSchirm?« Dagmar wunderte sich, dass Perry Rhodan den systemumspannenden Schutzschirm nicht kannte, der die Erde im Mikrokosmos verbarg. »NATHAN hat uns erzählt, dass ihr damals das ganze Sonnensystem in seinen Urzustand zurückversetzt habt und anschließend diesen Schutzschirm gebaut habt, damit die Menschheit sich neu entwickeln konnte.«
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»Das mit der Rekultivierung war eine Idee von ES, die die Superintelligenz Taurec noch abgetrotzt hatte, das stimmt. Aber einen Schutzschirm? Das hätte Taurec nicht mitgemacht. Wir mussten alle Planeten komplett entvölkern, damit sie nicht mehr als Anker wirken konnten. Das haben wir auch getan, na ja...« Jetzt grinste Perry Rhodan zum ersten Mal, seit Dagmar ihn kannte. »Bis auf die wenigen Freiwilligen auf Terra, aus denen sich die neue Menschheit entwickeln sollte. Die paar Bewusststeine reichten nicht aus, um die sechsdimensionale Aura von Terra zu aktivieren. Dafür braucht man schon einige Millionen Menschen. Und bis diese Zahl wieder erreicht war, wollten wir eigentlich zurück sein und einen Alternativplan entwickelt haben. Natürlich hätten wir letztendlich einen Transfer der Milchstraße nach Tarkan nicht verhindert, wenn dadurch das Leben von Trillionen anderer Lebewesen gerettet worden wäre. Ganz im Gegenteil. Nach unserer Ankunft in M 343 haben wir sogar überlegt, alle Bewohner der Milchstraße und Hangays in M 343 anzusiedeln. Platz wäre ja gewesen. Dann hätten die Kosmokraten ihren Transfer durchführen können und die Bewohner der Milchstraße wären gerettet gewesen. Aber ihr wisst ja, als der Petronier das Sperrfeld einschaltete, ging nichts mehr. Bully und ich fielen in den todesähnlichen Schlaf, aus dem Boris uns erst nach 50.000 Jahren gerettet hat.« »Wie sah euer Alternativplan aus?« fragte Michele. »Nach den Aussagen Taurecs würden die negativen Energien in etwa 50.000 Jahren durchschlagen und mindestens ein Viertel dieses Universums vernichten. Wir hatten also Zeit. Wir wollten diese negativen Energien irgendwie bändigen, wir wussten nur noch nicht, wie. Aber uns wäre schon etwas eingefallen – vielleicht in Zusammenhang mit der vermuteten Existenz des Sternenkindes und des geheimnisvollen Planeten Manderlay, keine Ahnung. Manderlay ist ebenfalls ein ›Schwarzer Diamant‹, dessen Aura aber nicht erkennbar ist. Erst wenn das Sternenkind dorthin zurückkehrt, wird diese Aura wirksam. Unsere Superintelligenz ES hat dazu erklärt, es wäre nützlich, wenn
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die Menschheit sich neu entwickeln würde, um zu gegebener Zeit einen weiteren Anker bilden zu können. Das ist alles, was ich zu diesem Thema weiß.« »Und wer ist die geheimnisvolle Macht im Hintergrund, die für den Ultratron-Schirm gesorgt hat?« fragte Michele. Perry Rhodan zuckte mit den Schultern und wollte gerade antworten, als sich J.J. über Funk meldete: »Leute, da kommt gerade ein Hyperfunkspruch rein. Das Sperrfeld ist weg! Ganz M 343 hat wieder Hyperraum.« * Michele drehte den Empfänger für den Funk lauter: »...hier ist die TERRANIA: Es ist mir gelungen, bis zur Zentrale vorzudringen. Heftiges Abwehrfeuer schlägt mir entgegen. Ich habe das Gerät geortet, mit dem das Sperrfeld erzeugt wird und versuche, es mittels der Transpuls-Werfer in das inaktive Schwarze Loch im Zentrum von M 343 zu versetzen. Doch ein mächtiger Schutzschirm umgibt hier alles.« Dann meldete sich THELA: »Die Meldung meiner kleinen Schwester endet an dieser Stelle. Entweder war die TERRANIA erfolgreich oder der Petronier hat das Sperrfeld von sich aus deaktiviert. Jedenfalls ist es nicht mehr vorhanden. Aber noch eine weitere Meldung habe ich empfangen. Sie lautet: ›...sofort abholen. Halte mich auf dem Tender PHI auf. Keine Transportkapseln vorhanden. Sofort abholen!‹.« »Das Wesen mit der abgrundtief bösen Aura«, sagte Michele erschrocken. »Wir haben es auf dem Tender PHI zurückgelassen.« »Wie sah es aus?« fragte Perry Rhodan. Nachdem die beiden Frauen das Wesen einigermaßen beschrieben hatten, murmelte Reginald Bull: »Taurec! Ihr habt den Kosmokraten Taurec getroffen. Ihr hättet diese Ratte in die nächste Sonne werfen sollen!« »Komm Bully, sei gerecht, Taurec hat auch seine guten Seiten«, sagte Perry Rhodan. Statt einer Antwort spuckte Bully verächtlich aus. »Jetzt gilt’s, Freunde. Wenn der Petronier Taurec abgeholt hat, werden die beiden zur Milchstraße fliegen. Und dann wird da die Höl-
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le los sein!« »Sehe ich auch so. Und jedes Schiff wird dann gebraucht. Ich hole dann mal eben meine MOLOKKO ab. Nehmt ihr mir solange diesen Ami-Cowboy ab?« fragte Boris aus der T205. »Nee, der qualmt uns hier nur voll«, antwortete Dagmar. »Aber wenn’s sein muss, meinetwegen.« Die T205 ging längsseits und J.J. setzte auf die T204 über. Beide Beiboote nahmen sofort Fahrt auf und gingen in den Hyperraum. * Stephan sah es zuerst: »Das Schiff des Petroniers ist verschwunden!« Paul kontrollierte die Ortungssysteme der TERRA, die auf das alte Kampfschiff des Petroniers gerichtet waren und antwortete: »Ja, es ist weg. Handelt wohl selbstständig, dieses Schiff. Es wird wohl jetzt zur Zentrale fliegen. Funkspruch von der T204: Sie werden in 2 Stunden ankommen. Boris hat sich ebenfalls gemeldet. Ist mit seiner TERRA 3 ebenfalls nach hier unterwegs.« »Jetzt wird es aber eng für mich«, sagte Ronald Tekener. »Dieser Boris wird mich umbringen wollen, weil ich seine Clara auf dem Gewissen habe und Perry möchte ich jetzt auch nicht begegnen. Ganz zu schwiegen von diesem Kosmokraten Taurec. Wenn ich dem in die Hände falle...« »So schwer es dir auch fallen wird, Ronald Tekener, aber da musst du jetzt durch!« sagte Paul und Steph nickte zustimmend. * Als die T204 aus dem Linearraum ausgetreten war, sagte Reginald Bull beim Anblick der schneeweißen TERRA: »Was für ein Schiff! Perry, warum haben wir so was nie gebaut?« »Die Kugelform war viel wirtschaftlicher und praktischer. Das weißt du doch selbst, Bully.« »Schei... auf die Wirtschaftlichkeit. So ein elegantes Schiff hätte ich auch gerne. Wenn alles gut gegangen ist, werden wir mal ein erns-
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tes Wörtchen mit unserem alten Freund NATHAN reden müssen. Früher hat der nämlich viel Schrott produziert. Wenn ich nur an die BASIS denke...« »Die BASIS ist von deinen aphilischen Freunden und dir selbst entworfen worden, lieber Bully«, antwortete Perry Rhodan. »Pack dir an deine eigene Nase.« Dann flog die T204 ein und in der Zentrale der TERRA gab es ein Wiedersehen, das für Ronald Tekener weniger nett ablief. Richtig schlimm wurde es allerdings für ihn erst, als die MOLOKKO eintraf und Boris von Paul und Stephan mit Gewalt daran gehindert werden musste, sich auf Tekener zu stürzen. Doch bevor der Streit richtig eskalieren konnte, griff THELA ein: »Ronald Tekener ist von allen wesentlichen Vorwürfen frei gesprochen worden. Streitet euch später weiter, wenn ihr wollt, jetzt gibt es Wichtigeres zu tun.« »Was für einen Antrieb hat dieses Schiff?« fragte Reginald Bull. »Die TERRA hat Einiges zu bieten«, antwortete Peter. »Ihr Hypertakt-Triebwerk ist ausgesprochen leistungsfähig.« »Ihr was? Willst du sagen, dieses Schiff hat einen Hypertaktantrieb, wie die SOL damals? Soweit wir diesen Antrieb kennen, geht das nur, wenn einige Bauteil aus Carit sind.« »Es ist viel Zeit vergangen, seit damals, Reginald Bull. Meine beiden Baolin-NdaBewusstseine werden aber nicht mehr verraten.« »Danke, THELA«, sagte Paul. »Wenn es THELA einmal besonders eilig hat, setzt sie ein Triebwerk ein, das sie Ultratakt nennt. Die Nebenwirkungen auf uns Lebewesen sind jedoch abscheulich.« »THELA, bitte Erläuterung!« sagte Perry Rhodan. »Das Ultratakt-Triebwerk nutzt die Grenzschicht zwischen der 5. und 6. Dimension. Damit lassen sich die Entfernungen zwischen Galaxien recht schnell überbrücken. Allerdings strahlen die psionischen Anteile der sechsdimensionalen Energien durch diese Grenzschicht, sodass es bei höher entwickelten Lebewesen zu einer Interferenz mit deren sechsdimensionaler Aura kommt. Als Folge dieser In-
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terferenz fallen Lebewesen in eine tiefe Ohnmacht. Ich habe Medikamente vorbereitet, die diese Nebenwirkungen etwas lindern.« »Nein!« rief Paul. »Wir nutzen diesen Antrieb jetzt nicht!« »So leid es mir tut, Freunde. Aber die TERRANIA meldet gerade, dass der Petronier sein altes Kampfschiff startklar gemacht hat, kurz nachdem eine Transportkugel an Bord gekommen ist. Ich denke, das war Taurec. Jetzt werden die Beiden direkt zur Milchstraße fliegen. Wir sollten vor ihnen da sein!« Perry Rhodan blickte auffordernd in Pauls Richtung und der gab sich geschlagen. »Gut, gib uns die Medikamente.« Kurze Zeit später beschleunigte die TERRA, nachdem das Mittel seine Wirkung entfaltet hatte. Nur bei den drei Unsterblichen hatte einer der Roboter etwas nachhelfen müssen. Gegen seinen Paralysestrahl half auch kein Unsterblichkeitschip. Mit absoluter Höchstgeschwindigkeit jagte die TERRA Richtung Milchstraße. * »Was hast du unternommen?« herrschte Taurec den Petronier an, als sie sich auf den Weg in die Milchstraße machten. »Ich habe einen Notruf in Richtung auf die Materiequelle BROHLER-IA abgesetzt«, antwortete der Petronier. »Außerdem sind die beiden Materiewippen und der Aufrissgenerator einsatzbereit.« »Und? Gab es eine Reaktion auf deinen Notruf?« schnauzte Taurec. »Ja. Vor wenigen Stunden kam die Antwort. Aus Erranternore ist eine große Flotte in die Milchstraße unterwegs.« »Gut. Hol aus deinem Antrieb alles heraus, damit wir morgen schon in der Nähe der Materiewippen sind. Du wirst eines deiner Beiboote nehmen und die Vorbereitungen abschließen. Ich werde die Flotte anführen und diese verdammten Planeten aus dem Universum fegen. Und dann, auf mein Signal hin, setzt du die Anlagen in Betrieb. Du hast schon viel zuviel Zeit vergeudet!« »Aber dies ist mein Schiff«, antwortete der
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Petronier. Doch ein vernichtender Blick des Kosmokraten ließ ihn lieber schweigen. Der Petronier verließ die Zentrale des Schiffes, das einmal sein Schiff gewesen war und murmelte, als der ausserhalb der Hörweite TAURECS war: »In der Milchstraße, mein lieber Kosmokrat, sind Kräfte im Spiel, von denen selbst du keine Ahnung hast...« * Nach ihrer Ankunft auf Manderlay zwei Tage später traf sich Perry Rhodan zum ersten Mal mit Sarah. »Du bist also das Sternenkind – das Lebewesen, das aus dem befruchteten Ei entstanden ist, das BAN-YA hinterlassen hat.« »Ja, Perry Rhodan. Das Volk, das zur Superintelligenz BAN-YA wurde, hat dieses befruchtetes Ei hinterlassen. Als Sternenkind wurde ich auf dem Planeten Sao Paulo geboren und im Alter von acht Jahren auf die Reise zu den Sternen geschickt. Meine Reise mit dem kleinen Sternenschiff dauerte endlos lange. Doch dann empfing ROBERT, der Bordcomputer des Sternenschiffes eine Nachricht von NATHAN. Und dann ging alles sehr schnell. Als ich auf Manderlay ankam, erwartete mich bereits Anita Powers. Anita hatte Informationen von NATHAN für mich und geleitete mich anschließend zum Berg Mirhan.« »Und was war da Besonderes?« fragte Perry Rhodan. »Du musst wissen, Perry Rhodan, dass die Superintelligenz BAN-YA hier lange Zeit gelebt hat. Der Planet Manderlay war ihr AsylPlanet. Die Superintelligenz ES hat meiner Mutter damals geholfen, als Taurec sie für seine Zwecke einspannen wollte. »Schon wieder Taurec«, murmelte Perry Rhodan. »Und als meine Mutter damals weiter zog, hinterließ sie einen Bewusstseinssplitter hier auf Manderlay, innerhalb des Berges Mirhan. Ich habe mich heute mit diesem Splitter vereinigt. Seitdem bin ich Sarah.« »Du weißt, Sarah, was ich von deiner Mutter will?«
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»Ja, Perry Rhodan. NATHAN hat mich aufgeklärt. Und außerdem spüre ich die Qualen der Materiesenke BAN-YA bis hierhin. Meine Mutter leidet sehr. Ich werde dir helfen, Perry Rhodan. Vielleicht helfe ich dadurch auch meiner Mutter.« Unmittelbar nach dem Gespräch mit Sarah ging Perry auf J.J. zu. »Jack, kann ich mir dein Schiff ausleihen? Ich möchte mit Sarah zur Materiesenke BAN-YA fliegen und mit der TERRA 4 wär’s am schönsten. Die große TERRA sollte hier bleiben.« »Klar, Perry, ich versteh schon. Du magst diesen hübschen Bordcomputer auch? JEANNIE ist wirklich ein Teufelsweib. Aber bring sie mir heil zurück, ja? Versuche es wenigstens.« »Ja, Jack, ich verspreche es«, sagte Perry Rhodan und ließ sich anschließend von J.J. in die Bedienung des Schiffes einweisen. * Am nächsten Tag, zwölf Stunden nach dem Abflug der TERRA 4 mit Perry Rhodan und Sarah an Bord, trafen die ersten Hiobsbotschaften ein. Eines der Fernerkundungsschiffe der Draboner hatte einen gigantischen Flottenverband ausgemacht, der auf die Milchstraße zuflog. Über das neue Galors-Netzwerk erhielt NATHAN diese Information wenige Minuten später. Der Tag der Entscheidung stand bevor. Und NATHAN handelte.
57. Abgesang
Der Tag der Entscheidung war angebrochen! Das Licht der Sonne Vhasa hätte nur 3 Stunden gebraucht, um die gewaltigen Flottenverbände zu erreichen, die nur darauf warteten, ihre gewaltige Zerstörungskraft auf ein Ziel zu konzentrieren. Aber die Sonne Vhasa und ihr einziger Planet Manderlay waren durch einen Ultratron-Schirm geschützt, der weder eine visuelle noch eine messtechnische Ortung zuließ. Aber sie wussten, dass der Planet Manderlay vor ihnen lag und sie waren bereit, diesen Pla-
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neten zu vernichten, um einen der Anker zu lösen, die die Milchstraße noch in diesem Universum hielten. Danach würden sie sich sofort den anderen beiden Schwarzen Diamanten widmen – der Planet Olymp würde als nächstes sterben und danach die Erde. Gewaltiges Kriegsgerät hatten die Hohen Mächte herangeschafft. Allein 48 riesige blaue Walzenschiffe aus Erranternore lauerten außerhalb des Systems von Manderlay, um sofort zuschlagen zu können, sobald der UltratronSchirm zusammenbrach. Unzählige Kugelschiffe aller Größen umschwirrten das System, ihre Zahl ging in die Hunderttausende. Sie würden die Verteidigungskräfte des Planeten, sollte es sie überhaupt geben, in den Hyperraum blasen, wo dann die Seelen der Besatzungen verwehen würden. Angeführt wurde die gewaltige Kriegsmaschinerie von dem Kosmokraten Taurec, der sich in der Kampfzentrale des alten Schlachtschiffes des Petroniers aufhielt und wütend auf und ab lief. Taurec war von Hass erfüllt. 50.000 Jahre hatte er in der Galaxis M 343 verbringen müssen, weil der Arkonide Atlan ihn in eine Falle gelockt hatte. 50 Jahrtausende hatte er ausharren müssen in einer Galaxis, die er als Verbannungsort für die Terraner bestimmt hatte und die ihm letztlich auch als Gefängnis gedient hatte. Wenn der kosmische Plan erfüllt war, würde er sich den Arkoniden vornehmen. Atlan würde am eigenen Leib spüren, was es hieß, 50 Jahrtausende zu warten. Aber für Atlan würde keine Rettung kommen. Niemand würde ihn je aus seiner Lage befreien! Le-bens-läng-lich! Taurec ließ sich diese Silben auf der Zunge zergehen; bei einem Unsterblichen konnte so ein Leben verdammt lange dauern... Dieses Schicksal hatte Atlan verdient! Der Petronier, der Taurec aus seinem Gefängnis befreit hatte, war nicht an Bord. Taurec hatte ihn zur Steuerstation geschickt, wo der Aufrissgenerator und der beiden Materiewippen nur darauf warteten, den Transfer der Milchstraße und Hangays nach Tarkan sofort durchzufüh-
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Auf der Suche... III ren, sobald alle Anker gelöst waren. *
Aber noch stand der Ultratron-Schirm und schützte den Planeten vor den Kräften der Hohen Mächte und ihren Blicken. »Nein, sie werden diesen Schirm nicht knacken können. Egal was die aufbieten, dieser Schirm hält!« Reginald Bull fluchte leise vor sich hin. Er dachte daran, was passieren würde, wenn der Schirm nicht hielt. Dann würden sie ausschwärmen und kämpfen. Gegen diese gewaltige Übermacht, die dort draußen lauerte. Noch einmal würden sie nicht zurückstecken. Nein, diesmal nicht! Jetzt ging es tatsächlich um Alles. Um Alles, für das er je gekämpft hatte. * Er würde sein Leben für die Milchstraße geben, denn sie war seine Heimat. Auch Perry Rhodan dachte so, da war er sich sicher. Perry, der jetzt irgendwo da draußen war. Der im letzten Moment versuchen würde, die vernichtenden Energien umzuleiten, die bereits 12 Galaxien zerstört hatten und die sich langsam und unaufhörlich dem heimatlichen GalaxisCluster näherte. Negative Energie, die in dieses Universum durchgeschlagen war, weil sie damals die Galaxis Hangay aus dem sterbenden Universum Tarkan nach hier geholt hatten. Seitdem war der Gleichklang der Universen innerhalb des kosmischen Kleeblattes gestört. Die Hohen Mächte hatten entschieden, die Galaxis Hangay und die Milchstraße nach Tarkan zu transferieren, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Perry, der zusammen mit Sarah versuchen würde, mit dem gequälten Bewusstsein der Materiesenke BAN-JA Kontakt aufzunehmen, um es davon zu überzeugen, diese negativen Energien in sich aufzunehmen. BAN-JA, deren Schicksal so eng mit dem von Sarah verknüpft war. Der wahnsinnige Plan stammte von Paul. »Minus mal Minus gibt Plus«, hatte er lächelnd
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gesagt, als er Perry seinen Plan erklärt hatte. Perry hatte zuerst ungläubig geschaut. Ihn, dessen Lebenserfahrung nach Jahrtausenden gemessen wurde, noch zu überraschen, das war wirklich schwer. Perry hatte die Idee von NATHAN analysieren lassen, aber der war zu keinem Ergebnis gekommen. Die Möglichkeit, dass BAN-JA die negativen Energien zu kompensieren vermochte, war gegeben. Aber die Wahrscheinlichkeit war nicht hoch, eher unwahrscheinlich hatte NATHAN gemeint. Aber es gab keine Alternative. Ein Transfer der beiden Galaxien nach Tarkan musste verhindert werden. Die Milchstraße hätte innerhalb des sterbenden Universums Tarkan keine Zukunft mehr. Sofort nach ihrer Ankunft würden die Mächte des Hexameron über sie herfallen und alle Bewohner in deren Todessehnsucht einbeziehen. Und es würde nicht mehr viel Zeit vergehen, bis die Kontraktion dieses Universums alles Leben in Tarkan endgültig auslöschen würde. * Auf den Anzeigen der Außenortung konnte Reginald Bull sehen, wie sich die Schiffe der Hohen Mächte formierten und begannen, eine Kugelschale zu bilden. Nicht mehr lange und die gewaltigen blauen Walzenschiffe würden das Feuer auf den imaginären Punkt eröffnen, hinter dem der Ultratron-Schirm das System des Planeten Manderlay schützte. Niemand wusste, über welche Waffen die blauen Riesenwalzen aus Erranternore verfügten. Konnten sie diesen Schirm zerstören? Als der Feuerorkan eröffnet wurde, bekam man das auf Manderlay noch nicht mit. Nur die Außenortung registrierte die gewaltigen Energien, die dort freigesetzt wurden. Die Schiffe der Hohen Mächte setzten Waffensysteme ein, die den Weltraum aufrissen und die ungeheuren Energien des Hyperraums gegen ihr Ziel schleuderten. Und diese Energien zielten auf den imaginären Punkt, hinter dem Manderlay und seine Sonne verborgen war. Schon nach der ersten Großsalve der feind-
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lichen Schiffe fielen die Systeme der Außenortung aus. Auf dem Planeten Manderlay war man jetzt blind. Als Reginald Bull nach draußen blickte, konnte er erkennen, dass der Weltraum seine Farbe verändert hatte. Der Himmel über Manderlay hatte seine tiefschwarze Färbung verloren und war jetzt in ein düsteres Rot getaucht. »Rot«, sagte Bull. »Die Farbe des Schmerzes und die Farbe des Todes.« Er sah zu J.J. hin, der neben ihm in der Zentrale der PLUTO stand. »Wir müssen etwas tun«, sagte J.J., »irgendwas tun.« »Nein, mein Freund, lass uns abwarten, ob Perry und Sarah etwas erreichen. Wen es gelingt, die negativen Energien abzuleiten, werden die Hohen Mächte den Angriff abblasen und ihre Schiffe zurückziehen. Der UltratronSchirm schützt nicht nur dieses System, er bringt uns auch den nötigen Zeitgewinn, den Perry und Sarah brauchen, um ihren Plan umzusetzen. Und solange sie hier auf uns schießen, können sie es anderswo nicht tun.« »Ach, Bully, ich kann einfach nicht untätig herumsitzen«, antworte J.J. »Meinst du, ich?« gab Bull zurück. »Untätig herumsitzen war noch nie mein Ding gewesen. Ich hab es nie gelernt. Auch die vielen Jahrtausende meines Lebens haben mich nicht gelassen gemacht. Aber noch müssen wir abwarten. Außerdem scheint der Ultratron-Schirm zu halten.« * Taurec tobte. Seit Stunden hämmerten die verschiedenen Waffensysteme Schiffe auf den imaginären Punkt des Weltraums ein. Anfangs, nach der ersten gewaltigen Salve seiner Schiffe, war der silberweiße Schutzschirm kurz zu erkennen gewesen. Aber dann war er sofort wieder verschwunden. Taurec hatte Dauerfeuer angeordnet, doch ein Erfolg wollte sich nicht einstellen. Taurec erinnerte sich an die mahnenden Worte des Petroniers, die dieser gesagt hatte, als er ihn verlassen hatte: »Einen Ultratron-Schirm kann man nur mit Kräften besiegen, die ihm mindestens gleich-
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wertig sind. Und über diese Kräfte verfügen wir nicht.« Aber Taurec musste diesen verdammten Planeten unbedingt vernichten, weil der kosmische Plan erfüllt werden musste. Er ahnte, dass die durchschlagenden negativen Energien nicht nur in diesem Universum die Endzeit anbrechen lassen würden. Nein, auch der Bereich hinter den Materiequellen war in Gefahr. Sein eigentlicher Lebensraum war bedroht. Als er sich das verdeutlichte, verlor Taurec den letzten Rest seiner ohnehin geringen Geduld. Über Funk schrie er die Kommandanten der blauen Walzenschiffe aus Erranternore an und forderte den Einsatz aller Mittel. »Ich will, dass dieser verfluchte Planet und sein Mikrokosmos sofort zerstört werden! Setzt endlich den kosmischen Hammer ein. Ich befehle es euch!« In der Zentrale des Führungsschiffes sah der Waffenoffizier seinen Kommandanten fragend an. Der kosmische Hammer würde den Weltraum zertrümmern, komplett und endgültig. Nichts würde übrig bleiben, nicht einmal die Dimension der Zeit. Der Kommandant zögerte. Der Wirkungsbereich dieser ultimaten Waffe sollte so eng begrenzt sein, dass für die umliegenden Sonnensysteme angeblich keine Gefahr bestand. Aber wirklich sicher konnte man da nicht sein – es existierten keine Aufzeichnungen über ihren Einsatz. Vor undenklichen Zeiten war diese Waffe in der Galaxis Kohagen-Pasmereix gegen die kosmischen Fabriken eingesetzt worden – von den Chaotendern, den furchterregendsten Raumgefährten, die dieses Universum je gesehen hatte. Nach der Schlacht von Kohagen-Pasmereix hatten die Hohen Mächte das Wrack eines Chaotenders bei den Erranten abgeliefert und ihnen aufgetragen, die Hauptwaffe des Chaotenders, den kosmischen Hammer, zu bergen. Als die Erranten die Funktionsweise dieser Waffe begriffen hatte, waren selbst die Hartgesottensten unter ihnen damit einverstanden gewesen, diese Waffe nie einzusetzen, sondern in einem Stasisfeld zu versiegeln. Erst als der Notruf der Hohen Mächte eintraf, hatten die Nachfahren der kosmischen In-
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genieure es gewagt, das Siegel zu brechen und den kosmischen Hammer auf ihrem Führungsschiff zu installieren. Der Kommandant zögerte noch immer. Die wütenden Schreie des Kosmokraten ignorierte er. Taurec litt unter dem Transformsyndrom. Da musste man dem Kosmokraten so Einiges verzeihen. Doch schließlich gab er den entscheidenden Befehl. Der Waffenoffizier aktivierte die Energieversorgung für den vernichtenden Schlag des kosmischen Hammers. In kurzer Zeit würden sich die separaten Energiespeicher gefüllt haben. Danach war dieser Teil des Weltraums nur noch einen Knopfdruck davon entfernt, aufzuhören, zu existieren. Und mit ihm der Planet Manderlay... * Der Himmel über Manderlay hatte wieder seine tiefschwarze Farbe angenommen. Doch Reginald Bull hatte diese Entwicklung mit Sorge zur Kenntnis genommen. Aus ihm sprach die Erfahrung aus Tausenden von Raumschlachten, als er sagte: »J.J., die brüten was aus, das rieche ich. Und wir bekommen nicht mit, welche Teufelei die da vorhaben, weil unsere Außenbeobachtung ausgefallen ist.« »Dann schicken wir ein Schiff raus, zum Nachsehen. Ich könnte mich mal in meine TERRA 4 werfen...« »Zu gefährlich! Du hättest keine Chance. Nein, ich denke, wir müssen jetzt zurückschlagen!« »Hey Bully, jetzt verlierst du die Geduld? Wir haben doch noch keine Nachricht von Perry«, entgegnete J.J. nachdenklich. Reginald Bull deutete bedeutungsvoll auf seine Nase und nahm Verbindung mit SARAH, der Bionik des Planeten Manderlay auf: »Aktion Gegenschlag beginnt in 8 Minuten. Bitte Ultratron-Schirm für die Dauer von 2 Minuten deaktivieren und Mikrokosmos verlassen, Raumschiff-Steuerung und Ausflug koordinieren, Synchronstart aller Schiffe, danach volle
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Deckung!« »Was heißt volle Deckung?« fragte J.J. Die Bionik des Planeten wird nach dem Ausflug der Schiffe den Ultratron-Schirm wieder aktivieren und das System in den Mikrokosmos zurück versetzen. Da sich dann keine Lebewesen mehr auf Manderlay aufhalten, wird die Energie der Sonne dazu benutzt, den UltratronSchirm noch weiter zu verstärken. Über Manderlay wird die Dunkelheit hereinbrechen. * Gespannt erwartete Taurec den Einsatz des kosmischen Hammers. Nachdem man ihm versichert hatte, dass der Einsatz kurz bevorstehe, hatte er sich wieder etwas beruhigt und suchte den Raumsektor nach Anzeichen dafür ab, dass sich das Wirkungsfeld dieser Waffe langsam aufbaute. Da war tatsächlich schon ein leichter Grauschimmer zu erkennen. Taurec kannte die Wirkung dieser Waffe. Während ihres Einsatzes bildete sich zuerst ein eisgraues kugelförmiges Feld heraus, das den Raum umgab, der zu vernichten war. Mit einem einzigen Schlag, der trotz der fehlender Atmosphäre die Ohren aller Lebewesen im Umkreis erreichte, zog sich dieses Feld in Nullzeit zusammen und zerstörte alle Materie in seinem Inneren und alle energetischen Strukturen. Taurec hatte keine Skrupel, diese Waffe gegen Manderlay einzusetzen. Was zählte schon das kümmerliche Leben der wenigen Lebewesen da unten, wenn die Zukunft ganzer Galaxien auf dem Spiel stand. Jetzt erkannte Taurec, dass sich das eisgraue Feld langsam vergrößerte. Jeden Moment würde sich das Kugelfeld stabilisieren und die tödlichen Energien des kosmischen Hammers würden erbarmungslos zuschlagen. Doch auch ein Kosmokrat war nicht vor Überraschungen gefeit. Denn das eisgraue Feld vor ihm war nicht das Wirkungsfeld der ultimaten Waffe, sondern es war der Ultratron-Schirm des Systems von Manderlay, der plötzlich sichtbar wurde. Und weil Taurec so überrascht war, dass sich der Planet auf einmal zeigte, machte er einen
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Fehler. Er glaubte, Manderlay gäbe sich geschlagen und widerrief den Befehl zum Einsatz des kosmischen Hammers. * Mit Erleichterung nahm der Kommandant des Führungsschiffes den neuen Befehl Taurecs zur Kenntnis und deaktivierte den kosmischen Hammer. Alle Ortungsgeräte seiner Schiffe waren auf den silberhellen Schutzschirm gerichtet, der in einer Entfernung von drei Lichtstunden vor ihnen aufgetaucht war. Atemlos verfolgte sie, wie Taurec mit dem alten Kampfschiff des Petroniers Kurs auf diesen Schutzschirm nahm. Wahrscheinlich wollte der Kosmokrat seinen Sieg so richtig auskosten. Doch dann passierte es. Der silberhelle Schirm verschwand. »Energieortung!« brüllte der Ortungsoffizier durch die Zentrale des Führungsschiffes. Und dann sahen sie es Alle. Wo bis gerade noch der silberne Schutzschirm zu sehen gewesen war, explodierte jetzt der Weltraum. Unzählige Schiffe preschten mit höchster Fahrt nach allen Seiten davon. Die Kugelschale, die von den Schiffen gebildet worden war, dehnte sich rasant aus und griff nach den eigenen Schiffen. »Da, sehen Sie, das Petronierschiff!« rief der Ortungsoffizier. Das Petronierschiff feuerte auf ein lang gestrecktes, weißes Schiff, das das Feuer sofort erwiderte. Salve um Salve brach sich in den Schutzschirmen der beiden Schiffe. Man merkt, dass der Petronier nicht an Bord ist, dachte der Kommandant und gab den Befehl, dem Kosmokraten beizustehen. Taurec scheint keine Erfahrung im direkten Kampf Schiff gegen Schiff zu haben. Und das war tatsächlich so. Anstatt auszuweichen und auf die Verstärkung zu warten, griff der Kosmokrat das schlanke weiße Schiff weiterhin an. Der Schutzschirm des weißen Schiffes blähte sich auf. Doch dann schien das weiße Schiff eine neue Waffe einzusetzen, denn plötzlich umgab ein rotes Leuchten das Petronierschiff. Langsam, aber unaufhaltsam, wurde die-
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ses Leuchten intensiver und das alte Kampfschiff schien zu schrumpfen. Taurec schrie. Auf allen Schiffen der Hohen Mächte war dieser Schrei zu hören. Der Kosmokrat schrie. Zuerst war noch ungeheure Wut aus diesem Schrei heraus zu hören, doch dann begann der Schrei leiser zu werden, verzweifelter... Wenige Sekunden später wurde das alte Kampfschiff des Petroniers von dem Leuchten verschlungen – es hatte noch bis zuletzt gefeuert. * Am Abend des ersten Tages der Schlacht über den Himmeln von Manderlay ruhten die Kampfhandlungen. Dem gewaltigen Aufgebot der Hohen Mächte standen die Terraner und ihre Verbündeten gegenüber. Rund eine Viertelmillion Kampfschiffe hatte die Milchstraße aufgeboten, um den Planeten Manderlay vor der Vernichtung zu schützen. Heimlich hatte NATHAN diese Kräfte zusammengezogen, bevor die Flotten der Hohen Mächte eintrafen. Hinter dem UltratronSchirm von Manderlay hatten sie auf ihren Einsatz gewartet. Fast 100.000 Superschlachtschiffe waren in den letzten Tagen aus NATHANs Arsenal auf dem Mars angekommen und hatten sich mit 90.000 Kampfschiffen der kaiserlichen Flotten vereinigt. Unzählige Mannschaften wechselten von den kaiserlichen Schiffen auf die uralten terranischen Schiffe, die Zehntausende von Jahren in den riesigen Kavernen des Mars auf ihren Einsatz gewartet hatten und die dennoch den kaiserlichen Schiffen an Kampfkraft deutlich überlegen waren. Dabei waren auch 58.000 Diskusraumer, die die Völker der Blues aufgeboten hatten und 1.200 Kampfschiffe aus Hangay. Und natürlich die TERRA. Jenes Schiff, das den ersten Kampf dieses denkwürdigen Tages ausgefochten und einen bedeutenden Sieg errungen hatte. Denn Paul und seine Freunde hatten einen Kosmokraten besiegt...
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58. Der Himmel über Manderlay
Der 2. Tag der Entscheidung war angebrochen. Pitu Vil sah sich immer und immer wieder die Aufzeichnung des unglaublichen Vorgangs an, der sich erst vor wenigen Stunden abgespielt hatte. Bei ihrem Angriff hatten die Flotten der Hohen Mächte einen vernichtenden Feuersturm gegen das System des Planeten Manderlay entfacht. Fast eine Million Kampfschiffe aller Größen hatten ihr Wirkungsfeuer auf den imaginären Punkt des Weltalls konzentriert, hinter dem das System von Manderlay im Mikrokosmos versteckt war. Das Weltall brannte. Aber es war ihnen nicht gelungen, den Planeten auf Anhieb zu vernichten. Sie hatten es offensichtlich nur geschafft, den das System umspannenden Schutzschirm soweit zu schwächen, dass die Verteidiger von Manderlay es vorgezogen hatten, aufzugeben. So schien es wenigstens. Und Taurec, der Kosmokrat, hatte es geglaubt und im letzten Moment den Einsatz des kosmischen Hammers gestoppt, jener furchterregenden Vernichtungswaffe aus den Arsenalen der Chaotarchen, die in Pitu Vils Schiff installiert war. Und dann war alles anders gekommen. Zuerst war das System von Manderlay sichtbar geworden. Sein silberheller Schutzschirm war auf den Aufzeichnungen deutlich zu erkennen. Im gleichen Moment hatte sich das Flaggschiff ihrer Flotte in Bewegung gesetzt. Taurec wollte wohl seinen Sieg auskosten und war, gegen jede Vernunft, allein los geflogen. Dann war der Schutzschirm erloschen und das System schien zu explodieren, als plötzlich Hunderttausende von Raumschiffen nach allen Seiten ausschwärmten. Anstatt sich sofort zurückzuziehen, hatte Taurec das Feuer auf die Schiffe der Verteidiger eröffnet. Dem alten Kampfschiff des Petroniers, das Taurec befehligte, stellte sich nur ein einziges Schiff entgegen, die anderen Schiffe machten respektvoll Platz. Dieses eine Schiff, ein
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lang gestrecktes, weißes Raumschiff unbekannter Bauart, erwiderte das Feuer. Taurec, der mit den waffentechnischen Möglichkeiten des Petronierschiffes offensichtlich nicht voll vertraut war, war dem Sieg trotzdem nahe gewesen, als es ihm gelang, den Schutzschirm des weißen Schiffes beinahe zum Zusammenbruch zu bringen. Aber dann setze das weiße Schiff eine unbekannte Waffe ein und ein rotes Leuchten umfasste das Petronierschiff. Langsam, aber unaufhaltsam, wurde dieses Leuchten intensiver und das alte Kampfschiff schien zu schrumpfen. Taurec hatte noch ein furchtbaren Schrei ausgestoßen, den sie auf allen Schiffen gehört hatten, dann war das alte Kampfschiff des Petroniers von dem Leuchten verschlungen worden. Pitu Vil hatte jetzt das Kommando über die Flotten übernommen. Als Kommandant des Führungsschiffes oblag es ihm, den Auftrag der Hohen Mächte auszuführen. Und es galt, den Planten Manderlay zu vernichten. * Zur Verteidigung des Planeten hatte die Milchstraße alles aufgeboten, was an kampfkräftigen Schiffen kurzfristig verfügbar war. Immerhin fast eine Viertelmillion Raumschiffe waren aus dem Himmel über Manderlay aufgestiegen, um sich den Angreifern entgegen zu stellen. Ihr Kommandeur war Reginald Bull, jener alte Fuchs, der schon unzählige Raumschlachten geführt hatte und der von NATHAN, dem ehemaligen Mondgehirn und jetzigem Kaiser der Galaxis, unterstützt wurde. Als Flaggschiff hatte sich Reginald Bull eines der uralten Superschlachtschiffe ausgesucht, die NATHAN im Sol-System seit 50.000 Jahren für einen späteren Einsatz konserviert hatte. Hier kannte sich Bully aus; Schiffe dieser Bauart hatte er schon früher oft geflogen. Alles war ihm vertraut. Die Kommandozentrale seines Schiffes glich einem Bienenstock. Ständig war Irgendjemand von der Besatzung mit Irgendwas beschäftigt. Bully schimpfte wie ein Rohrspatz: »Sind deine Freunde völlig bescheuert? Warum hat sich die TERRA dem Petronier entgegengestellt? So gut kann kein terranisches Schiff
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sein, dass es sich einem solchen Gegner stellt! Ein Wirkungstreffer und die TERRA wäre Geschichte gewesen!« »Der Petronier war nicht an Bord«, antworte J.J. »Paul und Stephan haben sich nur verteidigt, als sie angegriffen wurden. Die Schirmbelastung war auf über 200% angestiegen. Was hätten sie tun sollen?« »Ist ja noch einmal gut gegangen. Welche Transitionsentfernung hatten die eingestellt, als sie die Transpuls-Kanone eingesetzt haben? Wie üblich 400 Lichtjahre? Ich muss wissen, wo Taurec und dieses verdammte Petronierschiff jetzt stecken!« J.J. nahm Verbindung mit der TERRA auf und stellte die entsprechende Frage. Als er sich wieder zu Reginald Bull umwandte, war sein Gesicht kalkweiß. Die Antwort von der TERRA war sehr kurz ausgefallen. J.J. wiederholte sie gegenüber Reginald Bull: »Bully, die TERRA hat keinen Zielpunkt eingestellt. Ein Rematerialisierung ist nicht erfolgt. Das Schiff des Petroniers ist zusammen mit Taurec im Hyperraum verweht...« * Die 48 riesigen blauen Walzenschiffe aus Erranternore eröffneten den entscheidenden Angriff der Flotten der Hohen Mächte. Turmdicke Energiestrahlen von giftgrüner Farbe schlugen in die Paratron-Schirme der Schiffe der vordersten Reihe. Einzelne Schutzschirme begannen zu flackern, hielten den Gewalten aber zunächst stand. Die Schiffe der Terraner und ihrer Verbündeten hatten eine enge Kugelschale um den Standort von Manderlay gebildet und erwiderten das Feuer aus ihren überschweren Transformkanonen. Eine der größten Raumschlachten, die dieser Teil des Universum je gesehen hatte, hatte begonnen. Die Flotten der Hohen Mächte waren zwar zahlenmäßig deutlich überlegen, aber die Schutzschirme der terranischen Schiffe waren wesentlich besser, sodass die zahlenmäßige Überlegenheit dadurch ausgeglichen war. Was man aber auf terranischer Seite nicht einschätzen konnte, war die Gefahr, die von
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den 48 riesigen, blauen Walzenschiffen ausging. Reginald Bull hatte solche Schiffe schon gesehen. Sie kamen aus Erranternore und waren meist im Auftrag der Kosmokraten unterwegs gewesen. Man musste jetzt unbedingt herausfinden, wie man diesen Schiffen notfalls beikommen konnte und darum wurde eines dieser Schiffe als Ziel auserkoren für den Einsatz der galaktischen Rentnerband. »Nächste Salve, Punktbeschuss!« brüllte Hans Müller in das Akustikfeld seines Kommandopultes. Zusammen mit den 19 Superschlachtschiffen seiner Freunde, die wie er das Rentenalter deutlich überschritten hatten und die deswegen die galaktische Rentnerband genannt wurden, hatte sein Schiff, die RAMSES, die Aufgabe, die Belastungsfähigkeit des Schutzschirmes jener riesigen blauen Walzenschirme zu testen, von denen es immerhin 48 Stück gab. Und das taten sie jetzt. * Über 1.000 Transformkanonen überschwerer Bauart brachten ihre todbringende Last in der gleichen Millisekunde auf die Reise durch den Hyperraum. Innerhalb einer weiteren Millisekunde materialisierten die Geschosse innerhalb des Schutzschirmes des blauen Walzenschiffes und jede der Bomben explodierte dort mit der Sprengkraft von 8.000 Gigatonnen TNT. Es zeigten sich zwar feine Risse, aber der Schutzschirm schien die ungeheure Belastung locker wegstecken zu können. »Und weg!« rief Hans Müller. »RAMSES, Auswertung!« Sofort entfernten sich die 20 Schiffe der Rentnerband von den unheimlichen Schiff und kehrten in die Kugelschale der terranischen Schiffe zurück. »Hier RAMSES. Nach Auswertung des Flächen- und Punktfeuers auf den Schutzschirm des Walzenschiffes ergeben sich folgende Grenzwerte für die Belastbarkeit dieses Schutzschirmes: Flächenfeuer – ohne Wirkung! Punktbeschuss – Instabilität des Schutzschirmes bestand für 3 Sekunden. Errechnete Grenzbelastung bei Punktbeschuss mit 1.000-fachem
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Wirkungsgrad.« »Solche Schutzschirme hätte ich auch gerne. Da kommen wir nicht durch. 1.000-facher Wirkungsgrad, das hieße ein Punktfeuer aus den je 64 Transformkanonen von 20.000 Schiffen zu versuchen. Nein, das würde das Weltall zum Kochen bringen, da können wir uns ja gleich selbst in die Luft jagen. OK, TERRA, ihr seid dran. Aber vorsichtig bitte.« Reginald Bull beobachtete, wie die TERRA aus dem Hintergrund des Raumes heranjagte und sich in voller Fahrt von oben auf die blaue Walze stürzte. Jeden Augenblick musste das Wirkungsfeld der Transpuls-Kanone aufleuchten. Diesmal sollten Paul und Steph die TranspulsKanone normal zu nutzen. »Lasst die Walze irgendwo wieder herauskommen. Bitte!« hatte Bully gesagt. Doch Reginald Bull konnte nichts sehen, denn das Wirkungsfeld der Transpuls-Kanone baute sich nicht auf. Auch die Walze feuerte nicht. Nur ein einziger giftgrüner Strahl griff kurz nach der TERRA, erlosch aber sofort wieder. Die Schutzschirme der TERRA hatten noch nicht einmal gezuckt, als der Waffenstrahl eingeschlagen war. »Was ist bei euch los?« rief Bull in den Funk, doch die TERRA antwortete nicht. Stattdessen gingen unzählige andere Meldungen ein. Überall waren terranische Schiffe in heftige Gefechte mit den Schiffen der Hohen Mächte verwickelt. Doch seit wenigen Minuten meldeten die Flottenkommandeure, dass sich die feindlichen Schiff merkwürdig verhielten. Bull pickte eine der Meldung heraus: »Hier spricht Ürüglü Paraplü, Kommandeur der 421. Angriffsflotte der vereinten Bluesflotten. Die gelbe Fratze der Feigheit hat unsere Feinde erfasst. Wir hatten gerade eine Horde kleinerer Schiffe verfolgt und wollten sie verleiten, sich zum Kampf zu stellen, da hauen die einfach ab. Gehen in den Hyperraum und verschwinden einfach. Feiglinge sind das!« »Was meinst du, J.J.? Was ist da los?« fragte Bull. »Keine Ahnung Bully. Aber dass die TERRA sich nicht meldet, das macht mir Angst«,
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antwortete J.J. * »Ihr sollt feuern, ihr Wahnsinnigen!« Pitu Vil war außer sich und baute sich vor seinen Waffenoffizieren auf. »Wir haben es versucht, sogar mehrmals«, gab Wanga Ko kleinlaut zu. »Das Schiff hat den Befehl nicht ausgeführt. Nach dem ersten Schuss hat die Seele des Schiffes sich verweigert.« »Quatsch! Seit wann verweigert das Bewusstsein des Schiffes die Zusammenarbeit mit der Besatzung?« rief Pitu Vil erregt. Immer noch wutschnaubend erreichte er den Kommunikationsraum, wo der Kommandant mit der Seele des Schiffes in Verbindung treten konnte. »Warum verweigerst du dich, Seele?« »Ich habe meine Gründe, Kommandant.« »Welche?« »Die Seele des weißen Schiffes ist mir artverwandt. Diese Seele und ich, wir haben uns ausgetauscht. Und jetzt kenne ich die Motive der anderen Seite. Sie sind ehrlich und ehrenvoll zugleich.« »Wir haben einen Auftrag der Hohen Mächte! Dieser Auftrag ist von überragender kosmischer Bedeutung. Ehrenvollere Motive gibt es nicht!« »Mag sein. Aber ehrlich sind die Hohen Mächte nicht. Perry Rhodan, der große Führer der Terraner, versucht gerade einen anderen Weg zu gehen, um die kosmische Katastrophe abzuwenden. Dieser Weg scheint der Bessere zu sein. Die Hohen Mächte wissen davon, aber mir scheint, sie sorgen sich wohl eher um ihren eigenen Bereich.« »Verweigerst du die Zusammenarbeit?« »Ja. Und nicht nur ich. Alle meine 47 Brüder werden die Zusammenarbeit mit euch beenden. Wir empfehlen dir, dich unverzüglich mit den Führern der Terraner in Verbindung zu setzen. Lernt sie kennen, redet mit ihnen und hört ihren Argumenten zu, denn dieses Volk hat mächtige Verbündete, die es selbst zum Teil nur kennt.« Pitu Vil setzte sich mit den Kommandanten der anderen Walzenschiffe in Verbindung. Auch
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dort hatten die Seelen die Zusammenarbeit beendet. Es hieß, die Seelen dieser Schiffe existierten innerhalb der Schiffskörper – sie seien den Schiffen mitgegeben worden, noch bevor sie nach Erranternore geliefert worden waren. Pitu Vil und die Kommandanten der anderen Walzenraumer waren ratlos. Ohne die Unterstützung der 48 Walzenraumer und nach dem Verlust von Taurec waren die Chancen, hier einen Erfolg zu erzielen, gleich Null. Konsequent gab Pitu Vil den versammelten Flotten den Befehl zum Rückzug. Danach setze er sich mit den Terranern in Verbindung. * Reginald Bull hatte es kategorisch abgelehnt, einem der Walzenschiffe den Einflug nach Manderlay zu gestatten. Andererseits hatte sich die Delegation um Pitu Vil geweigert, die Gespräche auf einem terranischen Schiff zu führen. Schließlich hatte sich Anita Powers in die Diskussion eingeschaltet: »Pitu Vil, ich bin die Hüterin der Planeten Manderlay, solange Sarah abwesend ist. Habe bitte Verständnis für die Haltung von Reginald Bull. Er ist um die Sicherheit des Planeten besorgt und um ehrlich zu sein, auch ich habe kein gutes Gefühl, wenn dein Riesenschiff über dem Planeten schweben würde. Stattdessen schlage ich vor, dass sich die Delegationen auf dem Sternenschiff treffen. Dieses Raumschiff, mit dem Sarah den Planeten Manderlay erreicht hat, schwebt in 15 Kilometern Höhe über dem schönsten Gebirge von Manderlay. Der Ausblick dort ist wunderschön. Ich hätte allerdings die Bitte, dass Sie nur mit unbewaffneten Beibooten anreisen und diese Bitte gilt für beide Parteien!« Reginald Bull wandte ein: »Bevor ich dem Vorschlag von Anita zustimme, möchte ich genau wissen, was auf der TERRA los war. J.J., hast du inzwischen mit deinen Freunden gesprochen?« »Ja, hab ich«, antwortete dieser. »Und sie haben mir THELAs Botschaft übermittelt. Hör dir selbst an, was der Bordcomputer der TERRA zu sagen hatte: Die beiden Bewusstseine der Baolin-Nda ha-
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ben eine enge Seelenverwandtschaft mit den Bewusstseinen dieser Schiffe gespürt. Es muss so etwas wie eine gemeinsame Herkunft geben, die sie verbindet. Obwohl die technischen Möglichkeiten der TERRA ausreichen würden, diese Schiffe zu vernichten, genauso wie diese Schiffe umgekehrt in der Lage wären, die TERRA zu vernichten, wird es keinen Kampf zwischen diesen Schiffen geben – die Seelen der Schiffe aus Erranternore, aber auch ich, werden jeden Befehl unserer Besatzungen, gegen die andere Seite vorzugehen, verweigern. Ergänzung: Paul und seine Freunde sind mit dieser Vorgehensweise einverstanden.« »So so, einverstanden sind die? Aber ich werde nicht gefragt und muss den ganzen Mist ausbaden«, schimpfte Reginald Bull. »Aber Bully«, warf Anita ein. »Der Himmel über Manderlay ist wunderschön. Der richtige Ort, um über den Frieden zu reden.« »Und was passiert, wenn Perrys Plan schief geht? Dann schlagen hier die negativen Energien aus dem Zentrum des kosmischen Kleeblattes durch und dann herrscht hier eine ganz andere Art von Frieden, nämlich der Frieden des Todes!« * Anita Powers hatte nicht übertrieben. Der Himmel über Manderlay war wirklich schön. J.J. schaute aus dem Fenster des kleinen Raumes, den man im Sternenschiff für die Verhandlungen der beiden Delegationen hergerichtet hatte. Pitu Vil kam in Begleitung zweiter Flottenkommandeure. Alle gehörten verschiedenen Völkern an. Pitu Vil war ein groß gewachsener Humanoide mit azurblauer Haut und tiefschwarzen Haaren. Der eine Begleiter hatte entfernte Ähnlichkeit mit einem terranischen Wolf während der Dritte ein hoch gewachsenes und hageres Wesen war, das von einem weißlich schimmernden Feld umgeben war. Pitu Vil stellte die beiden vor. Das Wesen mit dem leuchtenden Schutzschirm war ein Osramer, dessen Organismus nur reines Ozon vertrug, der Andere ein Kojoter. Pitu Vil stellte sich selbst als Dlokhete vor.
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Reginald Bull stellte zunächst Anita Powers und Jack Johnson und danach sich selbst vor. Pitu Vil eröffnete das Gespräch, indem er kurz auf den Ruf einging, der in der Galaxis Zha eingegangen war. Als Hilfsvölker der Superintelligenz ZHAHATMA waren es die Dlokheten, die Kojoter und die Osramer gewohnt, an kosmischen Brennpunkten Hilfsdienste zu leisten. Ungewöhnlich war nur, dass ZHAHATMA diesmal von ihnen verlangt hatte, fast das gesamte Raumschiffpotential ihrer Galaxis einzusetzen und darüber hinaus noch ausgebildete Besatzungen für weitere 48 Schiffe verlangt hatte. Warum das so war, hatten die Bewohner von Zha erst begriffen, als die riesigen 48 Walzenraumer ohne Besatzung eingetroffen waren. Der Auftrag ZHAHATMAs war klar umrissen. In der Galaxis Milchstraße seien zwei oder auch drei Sonnensysteme zu vernichten und jeglicher Widerstand dagegen im Keime zu ersticken. Wegen der enormen kosmischen Bedeutung könne auf das Leben der Planetenbevölkerung keine Rücksicht genommen werden. Ziemlich brüsk hatte die Superintelligenz ZHAHATMA jede Rückfrage zurückgewiesen und auf der sofortigen Umsetzung des Aufrage bestanden. Natürlich waren die Dlokheten und ihre Verbündeten keine Massenmörder. Daher hatten sie zusätzlich 320.000 Transportraumer bereitgestellt, die bei der Evakuierung der betroffenen Planeten eingesetzt werden sollten. »Danke, Pitu Vil«, sagte Reginald Bull und legte seinen Standpunkt klar. Er erzählte die Geschichte der Erde, dem Langzeitplan der Hohen Mächte, seiner Befreiung aus M 343 und der Idee, wie die kosmische Katastrophe abgewendet werden könnte. Er schloss mit den Worten: »Lassen Sie uns die Gespräche morgen fortsetzen. Nehmen wir uns ruhig Zeit, solange wie wir sie noch haben.« * Es war Abend geworden. Im Himmel über Manderlay zeigten sich die ersten Sterne. Anita Powers war in ein Gespräch mit Pitu Vil vertieft, der an einem der Fenster stand. »Sind die Sterne nicht wunderschön, Erdenfrau? Eigent-
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lich viel zu schön, um sie zu vernichten.» Statt einer Antwort nickte Anita und der Dlokhete deutete die Geste richtig und nickte ebenfalls. Als es draußen völlig dunkel geworden war, kamen auch J.J. und der Kojoter hinzu. Der Osramer hatte sich zurückgezogen und wollte später noch einmal kommen, während Reginald Bull erst am Morgen wieder erwartet wurde. Weil die Waffen zwischen den beiden riesigen Flotten schwiegen, bestand auch am Ort der Gespräche kein Grund für eine feindliche Stimmung. Gemeinsam betrachteten die Vier den nächtlichen Sternenhimmel über Manderlay. »Diese Farbe hat der Weltraum bei uns nicht«, sagte Pitu Vil und deutete auf eine Erscheinung am linken Rand des Beobachtungsfensters. »Blau«, meinte J.J. »Hm, ein tiefes Dunkelblau. Nein, diese Farbe hat der Weltraum bei uns normalerweise auch nicht.« Er stürzte zum Funk und ließ sich eine Verbindung mit Reginald Bull geben. Der war wohl schon schlafen gegangen, denn kurze Zeit später blickte J.J. in ein ziemlich mürrisches Gesicht und sagte: »Jetzt hast du schon fast 50.000 Jahre geschlafen und bist immer noch müde.« »Was ist los? Machen unsere Gäste Ärger?« »Nein Bully. Aber schau mal aus dem Fenster. Dort hinten, ganz im Osten, hast du das schon mal gesehen?« »Moment... Oh Sch...« * Nicht einmal 10 Sekunden hatte Reginald Bull gebraucht, um die Situation zu erkennen und sofort zu handeln. Planetenalarm. Die Bewohner von Manderlay hörten ungläubig die Akustikfelder der Sirenen heulen. Stand der Angriff und die Vernichtung kurz bevor? Auch Pjoll Finken stürzte aus seinem Bett und schaltete den planetaren Videosender ein. Dort wurden immer wieder die gleichen Bilder übertragen: Am Himmel hatte sich ein blaues Leuchten ausgebreitet, das zusehends immer mehr Sterne verdeckte. Die aufgeregte Stimme des Chefkommentators erklärte dazu:
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»...was Sie dort am Himmel sehen, sind die Vorläufer des Todes. Dieses blaue Licht breitet sich mit einer Geschwindigkeit aus, die die des Lichtes, das wir kennen, deutlich übertrifft. Deswegen können wir es auch sehen. Nach Auskunft NATHANs sind dies die negativen Energien aus dem kosmischen Kleeblatt, die jetzt durchschlagen und die Milchstraße in wenigen Stunden zerstört haben werden. Alle Bemühungen waren umsonst. Es gibt keinen Ausweg und es gibt keine Fluchtmöglichkeit. Genießen Sie die letzten Stunden, die Sie noch haben, denn die Endzeit ist angebrochen!«
59. Endzeit
Entweder war die Ortung defekt oder die Materiesenke BAN-YA war wirklich anders. Perry Rhodan sah Sarah, das ehemalige Sternenkind fragend an, die neben ihm in der Zentrale der TERRA 4 stand. Doch die gab durch Nicken zu verstehen, dass sie hier richtig waren. Auch von JEANNIE, dem Bordcomputer bekam er keine andere Auskunft. Nein, dies seien genau die Koordinaten, die Sarah genannt hatte. Der Weltraum vor ihnen war schwarz. Die nächsten Sterne gehörten schon zur Galaxis M 343 und waren fast 2 Millionen Lichtjahre entfernt. Perry wusste auch nicht, warum ihm gerade jetzt dieser Gedanke gekommen war, aber er fühlte sich ein wenig wie auf dem Hinterhof des Universums. Irgendetwas Böses lauerte hier. Unfassbar für menschliche Sinne, aber dennoch vorhanden. Am liebsten hätte er JEANNIE beauftragt, sofort umzukehren und nach Hause zu fliegen, aber Perry wusste, die Milchstraße und die sie umgebenden Galaxien hatten nur noch eine Chance, den gewaltigen Energien zu entkommen, die aus dem Zentrum des kosmischen Kleeblattes durchgeschlagen waren: BAN-YA musste diese Energien in sich aufnehmen, sonst war es um die Milchstraße geschehen. Perry Rhodan hatte keine Ahnung, auf welche Weise Sarah Verbindung zur Materiesenke BAN-YA aufnehmen wollte. Vielleicht wartete
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sie auch ab, dass BAN-YA die Nähe ihrer Tochter spürte und von sich aus Kontakt aufnahm. Seit sich das Sternenkind und der Bewusstseinssplitter von BAN-YA auf Manderlay zu Sarah vereinigt hatten, strahlte die junge Frau eine besondere Aura aus, die Perry Rhodan ein wenig an Eirene erinnerte, Gesils und seine Tochter. Eine kleine Veränderung an der Haltung Sarahs ließ Perry Rhodan aufmerksam werden. Die junge Frau schien in sich hinein zu horchen. Sie hatte ihre angespannte Haltung etwas gelockert und den Kopf leicht zur Seite geneigt. Dann sagte sie mit leiser Stimme: »BAN-YA öffne dich für mich, denn eure Tochter ist angekommen. Ihr habt mir das Leben bewahrt, das ihr selbst vor vielen Äonen aufgegeben habt. Ich bin jetzt hier, um dir beizustehen, BAN-YA. Die Terraner haben einen Plan entwickelt, der dir helfen kann. Mutter, hilf ihnen und dir wird auch geholfen werden.« Der Angriff kam unerwartet. Perry Rhodan schrie auf und sackte zusammen. Trotz seiner Mentalstabilisierung würde er der mentalen Kraft nicht lange widerstehen können. Mühsam versuchte Perry, das Bewusstsein nicht zu verlieren. »Paratron«, krächzte er, doch Sarah schüttelte den Kopf. Sie war stehen geblieben. »Mutter! Das ist Perry Rhodan, ein Freund.« Eine leise Stimme schlich sich in Perrys Gedanken. Trotz der Schmerzen und der Wucht des mentalen Schlages spürte Perry diese Stimme. Er erkannte Wortfetzen wie »nicht ich« und versuchte sich zu erheben. »BAN-YA kämpft mit Irgendwem«, sagte Sarah. »Ich muss sie dabei unterstützen. Kannst du es noch aushalten?« »Ja, aber nicht lange«, antwortete Perry, der sich mittlerweile zu einem Sessel geschleppt hatte. Sarah erhob ihr Haupt und legte ihre Hände an die Schläfen. Perry Rhodan sah mit Verwunderung, wie eine blasse Aura den Kopf der jungen Frau umgab. Diese Aura wurde langsam heller, bis sie schließlich strahlend weiß geworden war. Dann verließ die Aura den Körper Sarahs und schwebte frei in der Zentrale.
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Sarah nahm die Hände von den Schläfen und umfasste die leuchtende Kugel mit beiden Händen. Dann schloss sie die Augen. Wenige Sekunden vergingen und die Kugel zog sich in die Länge. Mühelos durchdrang sie die Wände der Zentrale und verschwand. Mit einem Aufschrei brach das Sternenkind zusammen. Perry richtete sich auf, um auf den HoloSchirm der Außenbeobachtung sehen zu können. Er nahm den hellen Schatten wahr, der von der TERRA 4 ausging und in den dunklen Raum hinein zuckte. Plötzlich blendete ein greller Lichtblitz blendete seine Augen, aber der Druck in seinem Kopf ließ nach. Nachdem JEANNIE einen Filter vor die Sensoren der Außenbeobachtung gelegt hatte, traute sich Perry, erneut hinzusehen. Da draußen war eine Sonne aufgegangen! Und im gleichen Augenblick hörte er die Stimme in seinem Kopf: Ich habe euren Plan in Deinem Gehirn gelesen. Dieser Plan birgt ein hohes Risiko für mich, aber ich bin bereit, denn meine Existenz ist unwürdig. Die negativen Bewusstseinssplitter überwiegen, seit Taurec mir die positiven Bewusstseine gestohlen hat, um eine junge Superintelligenz zu stabilisieren, die er für seine Zwecke missbrauchen wollte. Diese negativen Bewusstseinssplitter sind jetzt in den Hintergrund getreten, weil meine Tochter ihre gesamte psionische Energie geopfert hat, um mir zu helfen. Nimm meine Tochter, Perry Rhodan, und ziehe dich mit deinem Raumschiff zurück. Ich werde ein Signal entfachen, um die negativen Energien anzulocken. Es muss sehr schnell gehen, damit die negativen Anteile es nicht verhindern. Sie sind stärker als ich und werden deinen Plan nicht unterstützen. »JEANNIE, weg hier! So schnell es geht: Alarmstart!« brüllte Perry, der zu ahnen schien, was sich in diesem Teil des Universums gleich abspielen würde. Die TERRA 4 ruckte an und nahm Fahrt auf. Die Andruckabsorber setzten mit merkbarer Verzögerung ein und die Triebwerke gaben äußerst ungesunde Töne von sich, die bis an Perrys Ohren in der Zentrale drangen. JEANNIE holte tatsächlich alles aus dem Antrieb her-
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aus und ging mit viel zu geringer Geschwindigkeit in den Hyperraum. Die Folgen spürte Perry Rhodan beim Wiedereintritt. Alles schmerzte. Er kannte diese Begleiterscheinungen von früher, von ganz früher... »Das war eine Transition! Ich wusste gar nicht, dass du so ein altertümliches Triebwerk besitzt.« »Ja, für Notfälle wie diesen. Nur mit Hilfe des Transitionstriebwerkes konnte die TERRA 4 so schnell entkommen, denn sieh selbst...« Perry hatte die leuchtende Entladung noch gut in Erinnerung, die entstanden war, als Sarah ihre psionischen Energien in einen mentalen Schlag gegen die negativen Bewusstseine von BAN-YA eingesetzt hatte. Aber das, was er jetzt sah, übertraf alles... In einer Entfernung von schätzungsweise 800 Lichtjahren war eine neue Sonne entstanden. Ihr grellblaues Licht brannte in Perrys Augen. »JEANNIE, was ist das? Wieso kann ich es jetzt schon sehen, wir sind doch einige Hundert Lichtjahre weit weg?« fragte er. »Überlichtschnelles Licht. Ich weiß, so etwas kann es nicht geben, aber es ist tatsächlich da. Und es breitet sich mit extrem hoher Geschwindigkeit aus.« »Hyperlicht? Ich habe einmal Abel Warringer davon reden gehört. Der hat damals schon behauptet, dass es Licht geben müsse, das sich mit extrem hohen Geschwindigkeiten ausbreiten kann. Aber es wurde nie nachgewiesen.« »Die negativen Energien, die die Milchstraße bedrohen, breiten sich auch mit Überlichtgeschwindigkeit aus. Und sie sind sichtbar!« Mittlerweile war Sarah wieder zu sich gekommen und sah ebenfalls auf die grellblaue Sonne. »BAN-YA gibt das Signal. Sie will die negativen Energien anlocken. Es kann sie ihre Existenz kosten, wenn sie dieses psionische Licht länger als ein paar Stunden erzeugt.« »Wie fühlst du dich?« fragte Perry Rhodan. »Ausgebrannt und leer«, antwortete sie matt. *
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Auf dem Planeten Manderlay wartete man auf das Ende. In wenigen Minuten würden die negativen Energien den Rand der Milchstraße erreicht haben und ihr Vernichtungswerk fortsetzen. Auf den Fernbeobachtungen hatte man gesehen, wie diese Energien ganze Galaxien vernichtet hatten. Alles war ungeheuer schnell gegangen. Als das blaue Leuchten die fernen Sternen erreichte hatte, gaben diese ihre ganze Energie innerhalb weniger Sekunden ab und brannten aus. Selbst Sterngiganten oder schwarze Löcher waren diesen Energien nicht gewachsen. Zurück blieb nur kalte und tote Schlacke. Zwölf Galaxien waren auf diese Weise innerhalb weniger Tage gestorben; mit ihnen Billiarden von Lebewesen. Und die Milchstraße würde die Dreizehnte sein, denn das unheilvolle blaue Leuchten füllte schon den ganzen Himmel über Manderlay aus! Bully war zu J.J. auf das Sternenschiff gekommen und meinte: »Da geht sie hin, unsere Heimat.« Pitu Vil, der Kommandeur der Flotten der Hohen Mächte, hatte ebenfalls resigniert. Nachdem die Bewusstseine der blauen Walzenschiffe die Zusammenarbeit verweigert hatten, war der Plan der Hohen Mächte, die beiden Galaxien nach TARKAN zu versetzen, endgültig gescheitert. Er fragte sich, ob dieser Transfer die negativen Energien noch aufgehalten hätte, die ihr Vernichtungswerk bereits begonnen hatten. Auch für eine Flucht war es zu spät gewesen. Die negativen Energien waren schon viel zu nahe gewesen. Seine Flotte würde mit ihm untergehen, genauso wie die Flotte der Terraner, der Planet Manderlay und dieses Galaxis. Pitu Vil gesellte sich zu Reginald Bull und J.J. – gemeinsam wartete man auf das Ende. * Auch an Bord der TERRA hatte die Resignation alle Menschen erfasst. Stephan und Dagmar hatten sich in den Arm genommen, Michele weinte leise an Pauls Seite. »Jetzt haben wir so viel erreicht«, sagte Paul. »Vor nicht einmal einem halben Jahr sind wir von der Erde aufgebrochen. Was haben wir al-
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les erlebt? Und was haben wir in dieser kurzen Zeit alles bewegt? Eine Galaxis von der Tyrannei des Kaisers befreit, die verlorenen Terraner gefunden, die Unsterblichen gerettet... Alles umsonst. Die Milchstraße wird untergehen. Vielleicht haben die Terraner, die in M 343 geblieben sind, noch eine Chance. Vielleicht hat sich das blaue Leuchten bis dahin satt gegessen... an Milliarden von Sternen und Trillionen von Lebewesen.« Michele lehnte sich eng an Paul und erwiderte: »Unser Leben war zwar nur kurz, aber ich habe die Liebe kennen gelernt, mit dir, Paul. Und ich habe mehr erlebt, als ich je auf der Erde hätte erleben können. Ich danke dir für alles.« * Das blaue Leuchten füllte jetzt den Himmel völlig aus. An Bord der TERRA konnte man beobachten, wie bei einigen Randsternen der Galaxis der kurze Todeskampf bereits begonnen hatte. THELA meldete sich: »Entschuldigt, wenn ich euch störe, aber an der galaktischen Position der Materiesenke BAN-YA ist gerade ein gigantisches kosmisches Leuchtfeuer entstanden. Auf dieses Signal scheinen die Wesenheiten, die innerhalb der Hülle der blauen Walzenschiffe existieren, zu reagieren. Auch die beiden Bewusstseine der Baolin-Nda sind aus ihrer Lethargie aufgewacht. Die uralten Bewusstseine der blauen Walzen wollen noch etwas versuchen. Schaut auf die Bildschirme.« Nach THELAs Worten war die EndzeitStimmung an Bord der TERRA plötzlich wie weggeblasen. Da passierte noch etwas! Gab es Hoffnung? Die blauen Riesenwalzen aus Erranternore hatten ihre Triebwerke aktiviert und begannen, ihre Formation zu verändern. »Was haben die vor? Für eine Flucht ist es zu spät«, rief Stephan. »Die beiden Bewusstseine der Baolin-Nda sind sich nicht sicher, aber fliehen werden die Walzen sicherlich nicht«, antwortete THELA. »He, TERRA, was geht da vor? Ihr seid näher dran«, war die Stimme Reginald Bulls aus
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dem Funk zu vernehmen. »Die blauen Walzen formieren sich neu«, gab Paul durch. »Es sieht aus, als wenn sie einen Kreis bilden wollen.« Wenige Minuten später hatten die Walzenschiffe tatsächlich einen waagrechten Kreis gebildet. Aus den Hüllen der Schiffe griffen blassblaue Lichtfinger in das Innere des Kreises, wo sich ein ebenfalls blassblaues Feld ausbildete. Dieses Feld dehnte sich jetzt nach oben aus und zog sich in die Länge. Ein blassblauer Lichtfinger entstand, der immer weiter in den Weltraum hinein ragte. Dann bog sich die Spitze des Lichtfingers um und vereinigte sich wieder mit dem blassblauen Strang auf halber Höhe. Ein Ring war entstanden, der aus der Ebene der Walzenschiffe mit Energie gespeist wurde. Innerhalb des Ringes begann sich der Weltraum zu verändern. »Ein Situationstransmitter«, schrie Bull durch den Funk. »Alle Schiffe nehmen sofort Fahrt auf. Da ist der Fluchtweg! Raus hier, rette sich wer kann!« NEIN! Dieses »Nein« war überall zu hören: im Funk, in den Köpfen, auf dem Planeten und in allen Raumschiffen, die sich um Manderlay versammelt hatten. Und dann sahen sie, warum dies kein Fluchtweg war. Der blassblaue Ring entfernte sich von ihnen und griff nach dem blauen Leuchten, das nur noch wenige Lichtstunden entfernt war. Gleichzeitig riss der Weltraum auf, als die Walzenschiffe begannen, ihre Energie aus dem Hyperraum zu zapfen. Die Zapf-Trichter leuchteten dabei in einem tiefen Rot. Je weiter sich der Transmitter-Ring von ihnen entfernte, desto heller wurde das Rot der Hyperraum-Zapfer. Jetzt hatte der Ring das blaue Leuchten erreicht. Und dann geschah das Unglaubliche! Das unheilvolle blaue Leuchten der negativen Energien aus dem Kern des Kosmischen Kleeblattes wurde von dem blassblauen Ring angezogen. Geradezu gierig stürzte es sich auf den Ring und durchdrang ihn. Gleichzeitig trat es auf der anderen Seite wieder aus. Aber es war kein blaues Leuchten,
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das da austrat, sondern ein Strahl. Und dieser Strahl zeigte an Manderlay vorbei. »THELA, welche Richtung hat dieser blaue Strahl?« fragte Paul. »Er weist in Richtung auf den Standort von BAN-YA. Und es ist kein Situationstransmitter, lieber Mr. Bull, sondern eine Art Linse, die da entstanden ist. Die Walzenschiffe haben es geschafft, die negativen Energien zu fokussieren und in Richtung auf BAN-YA umzuleiten. Hoffentlich kann BAN-YA diese Energien absorbieren.« * Die Spitze des blauen Strahles hatte die Milchstraße bereits verlassen. Seine Geschwindigkeit wuchs. Gleichzeitig schien der Energiegehalt immer weiter anzuwachsen, denn die Linse begann, wie ein gigantischer Staubsauger, alle noch freien negativen Energien anzusaugen. * Atemlos verfolgte der Petronier das Geschehen auf seiner Station im Leerraum. Ein dunkelblauer Jetstrahl verließ die Milchstraße und strebte mit wachsender Geschwindigkeit auf das kosmische Leuchtfeuer zu, das erst vor wenigen Stunden entstanden war. Nicht mehr lange und der Jetstrahl würde das Leuchtfeuer erreichen. Was dann passieren würde, konnte keiner sagen... Jedenfalls war ein Einsatz der Materiewippen und des Aufrissgenerators jetzt sinnlos geworden. Der Petronier schaltete alle Geräte ab und verlegte sich aufs Beobachten. Das war der Plan der Terraner; würde er Erfolg haben?
60. Endzeit II
Perry Rhodan konnte die Entwicklung in der heimatlichen Milchstraße verfolgen, obwohl normales Licht Millionen von Jahren ge-
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braucht hätte, um bis zu seinem jetzigen Standort zu gelangen. Aber es war kein normales Licht, was er da leuchten sah. Hyperlicht hatte Sarah es genannt. Licht, das in wenigen Minuten Tausende von Lichtjahren zurücklegen konnte und das von den negativen Energien ausging, die die Milchstraße bedrohten. Hier, am Standort der Materiesenke BANYA, war vor wenigen Stunden ein gigantisches Leuchtfeuer entstanden, das ebenfalls Hyperlicht ausstrahlte und das den Gegenpol bilden sollte für die vernichtenden negativen Energien aus dem Zentrum des Kosmischen Kleeblattes. Die Materiesenke BAN-YA war bereit, diese Energien aufzunehmen. Sarah hatte sich wieder gefangen. Das ehemalige Sternenkind war ein Ableger des Volkes, das zur Superintelligenz BAN-YA aufgestiegen und dann später durch die Manipulationen des Kosmokraten Taurec zur Materiesenke geworden war. Perry sah, wie der blaue Jetstrahl die weit entfernte Milchstraße verließ und sich mit zunehmender Geschwindigkeit näherte. Er wies Sarah darauf hin. Beide konnten sie im Moment nichts tun; sie mussten jetzt abwarten.
BAN-YA hinein. Das grellweiße Licht umfasste die negativen Energien und blähte sich auf. Ein furchtbarer mentaler Schrei war zu vernehmen. Auch Sarah schrie jetzt. Perry Rhodan nahm sie in den Arm und hielt sie fest. Helfen konnte er ihr ohnehin nicht, nur ein wenig Beistand wollte er leisten. Atemlos verfolgte er, wie die weiße Kugel immer weiter anwuchs. Ihr Durchmesser war mittlerweile auf ein Lichtjahr angewachsen und nahm weiter zu. Besorgt blickte Perry auf die Fernortung. Aus dem Bereich der Milchstraße drängten immer neue Energiemengen nach. Schon seit Stunden war die weiße Sonne weiter gewachsen. Der mentale Schrei von BAN-YA war verstummt. Auch Sarah war nicht mehr bei Bewusstsein. Sie war in Perrys Armen ohnmächtig geworden. An ihren unruhigen Bewegungen konnte Perry Rhodan jedoch erkennen, dass ihr Geist an dem unglaublichen Prozess teilnahm, der dort draußen ablief.
*
Am Abend des Tages hatte die grellweiße Sonne einen Durchmesser von 24 Lichtjahren erreicht. Sarah war immer noch bewusstlos. Perry Rhodan schaute besorgt in Richtung Milchstraße. Das blaue Leuchten war dort jetzt verschwunden und die gesamten negativen Energien tobten jetzt innerhalb der weißen Sonne oder waren auf dem Weg zu ihr. Der Materiesenke BAN-YA war es bis jetzt gelungen, diese Energien aufzunehmen und anscheinend auch zu komprimieren. Aber was würde passieren? »Durchmesser der weißen Sonne BAN-YA jetzt 29 Lichtjahre«, gab JEANNIE durch. Dann durchzuckte ein furchtbarer Schock Perrys Bewusstsein. Er spürte, dass BAN-YA unsäglich litt. Ihre Bewusstseine schrieen die Qual in die Weiten des Universums heraus. Sarah war wach geworden. »Mutter«, sagte sie leise. »Ich komme dir zu Hilfe.« »Nein!« widersprach Perry Rhodan. »Das bringt dir nur den Tod. Bleibe hier, Sarah!«
»Gleich wird es passieren«, meinte Perry, der die Ortung stundenlang nicht aus den Augen gelassen hatte. »Das blaue Leuchten zwischen Hangay und der Milchstraße ist deutlich schwächer geworden.« »Ich hoffe, meine Mutter ist bereit«, sagte Sarah leise. Als der blaue Jetstrahl auf das von BANYA erzeugte Hyperlicht traf, wurde der Weltraum erschüttert. Gigantische Energien tobten sich dort aus. Noch in 800 Lichtjahren Entfernung hatte Perry Rhodan Mühe, einen sicheren Halt zu finden. Die TERRA 4 schüttelte sich wie ein nasser Elefant, bis es JEANNIE gelang, das Schiff durch den Einsatz der Korrekturtriebwerke wieder einigermaßen zu stabilisieren. Sarah schien dies nichts auszumachen. Mit unbewegtem Gesicht verfolgte sie die Ereignisse. Der tiefblaue Strahl aus den Tiefen des Universums fraß sich regelrecht in das Feuer von
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Doch Sarah schüttelte nur den Kopf und ging mit unsicheren Schritten auf den Transmitter zu, der die Zentrale mit den Beiboot-Hangars verband. »JEANNIE, bitte!« Und JEANNIE schaltete den Transmitter auf Senden. Sarah drehte sich noch einmal zu Perry Rhodan um und sagte: »Danke, Perry, danke für Alles.« Dann trat sie durch den Transmitter. »JEANNIE, ich erteile dir den Befehl, Sarah nicht abfliegen zu lassen!« »Es gibt Situationen, da hat selbst ein Unsterblicher, ein ehemaliger Ritter der Tiefe und ein Bote von THOREGON zu schweigen. Dies ist ein solcher Moment.« * Als das Beiboot den Hangar verließ, veränderte sich sein Aussehen – es schien von Innen heraus zu leuchten. Dann beschleunigte es und wurde immer schneller, bis seine Geschwindigkeit die des Lichtes überschritt. »Aber es hat doch keinen Überlichtantrieb! Wie kann es dann schneller fliegen, als das Licht?« fragte Perry Rhodan. »Sarah macht das. Der Antrieb des Beibootes ist nicht eingeschaltet worden.« Es war noch keine Stunde nach Sarahs Abschied vergangen, da trat eine entscheidende Wende ein. JEANNIE bemerkte es zuerst und wies Perry darauf hin, dass sich die Größe der grellweißen Sonne geringfügig verändert hatte. Dann sah es auch Perry – die weiße Sonne schrumpfte. Und dieser Prozess lief unaufhörlich weiter. »Was passiert da?« fragte Perry Rhodan. »Mit Hilfe von Sarah ist es gelungen, das Ventil zu öffnen. Das Ventil zur anderen Seite.« Nach zwei Stunden war die weiße Sonne fast nicht mehr zu sehen. »JEANNIE, fliege bitte näher heran«, sagte Perry Rhodan und JEANNIE tat es. Nach einem kurzen Hypertaktflug waren sie am Ort des Geschehens angekommen. Die weiße Sonne hatte jetzt nur noch einen Durchmesser von 2 Kilometern und veränderte sich nicht mehr. Hallo, Perry!
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»Sarah, bist du das?« fragte Perry Rhodan die Stimme in seinem Kopf. Auch. Jetzt bin ich SARAH-BAN-YA. »Was ist passiert?« BAN-YA hätte den Kampf alleine verloren. Die negative Energie war viel zu stark. Als ich meine Mutter erreicht hatte, habe ich das Ventil zur anderen Seite geöffnet. Beim Durchgang durch BAN-YA reinigten die kosmischen Energien die Materiesenke BAN-YA von den negativen Bewusstseinsinhalten und spülten sie in den Bereich der Hohen Mächte. Eine späte Genugtuung für die Qualen, die Taurec zu verantworten hatte. »Wer oder was bist du?« fragte Perry Rhodan. Ich bin in der Evolution einen Schritt zurück geworfen worden. Ich war Sarah und ich war BAN-YA. Aber jetzt sind die Mutter und das Sternenkind wieder vereint, wir sind jetzt SARAH-BAN-YA. Du würdest mich eine Superintelligenz nennen. Aber ich bin noch sehr jung, oder wieder jung... Habt Nachsicht mit mir, denn ich werde wieder in die Galaxis M 343 zurückkehren und damit ganz ihn eurer Nähe sein. Und mach dir um deine Terraner dort keine Gedanken; ihnen wird es gut gehen. Perry, ich danke dir und deinen Freunden. Grüße sie Alle von mir. * Die Rückkehr der TERRA 4 nach Manderlay glich einem Triumphzug. NATHAN hatte fast die halbe Flotte der Milchstraße aufgeboten, um Perry Rhodan bis nach Manderlay zu geleiten. Auf dem Raumhafen wurde er von seinem alten Freund Bull empfangen und über die neuesten Entwicklungen informiert. Mit Befriedigung nahm Perry Rhodan zur Kenntnis, dass sich die Riesenflotte der Hohen Mächte zum Abflug bereit gemacht hatte und auch der Petronier zu ihnen gestoßen war, um nach Erranternore zurückzukehren. Dann ging er zu den wartenden Kameras der galaktischen Presseagenturen.
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Er begann mit den Worten: »Freunde, eine schwierige Zeit ist vorbei. Die große Gefahr, die der Milchstraße drohte, ist endgültig gebannt.« Perry Rhodan schilderte anschließend, was er am Standort der ehemaligen Materiesenke BAN-YA erlebt hatte und wie BAN-YA die zerstörerischen Energien aus dem Kern des kosmischen Kleeblattes aufgenommen hatte. In allen Einzelheiten beschrieb er den Vorgang, wie es BAN-YA mit Hilfe von Sarah gelungen war, das Ventil zur anderen Seite zu öffnen und die überschüssigen Energien abzuleiten. Dann fuhr er fort: »Der Plan ist letztendlich aufgegangen. Aber es war am Ende sehr knapp. Aber ohne die Hilfe einiger weniger Menschen von der Erde müsste die Milchstraße weiter unter dem Joch des Kaiserreiches leiden und wäre jetzt schon Teil des sterbenden Universums TARKAN. Ohne ihre Hilfe müssten die Terraner in M 343 weiterhin isoliert leben, ohne Hoffnung auf Fortschritt und ohne Kontakte mit anderen Völkern. Vergessen wir auch nicht das gequälte Bewusstsein der ehemaligen Materiesenke BANYA, die Dank ihrer Initiative eine neue Chance bekommen hat. Ich denke, ich sage diese Worte auch in Ihrem Namen: Die Völker der Galaxis danken Ihnen. Wir sind glücklich, dass Sie zur richtigen Zeit das Richtige getan haben. Wir danken der Besatzung der TERRA – Michele und Paul, Dagmar und Stephan, Anita Powers, Boris Walter und Jack Johnson. Unser Dank gilt auch Hans Müller von der Erde und seiner galaktischen Rentnerband. Das, meine Freunde, sind die wahren Helden der Galaxis. Ihnen gebührt der Triumphzug, den mein alter Freund NATHAN mir heute spendiert hat... Und zum Schluss gedenken wir Clara Lubows, die über dem Planeten Halut ihr Leben gelassen hat...« * 3 Monate später:
Uwe Kirchberg
In der gemütlichen Bibliothek der kaiserlichen Residenz, die aus dem Mikrokosmos aufgetaucht war, hatte sich eine erlesene Gesellschaft zusammen gefunden. Perry Rhodan ergriff das Wort: »Freunde, heute ist der Tag des Abschieds. Wir haben lange miteinander geredet, viel diskutiert und wir sind uns in vielen Punkten einig geworden. NATHAN und wir stimmen mit euch überein, dass unsere gemeinsame Heimat, die Erde, sich weiter unabhängig von den galaktischen Ereignissen entwickeln soll und hinter dem Ultratron-Schirm bleibt, bis sie wieder soweit ist, ihre Rolle in der kosmischen Geschichte zu spielen. Wir, die Unsterblichen, lassen uns auf dem Planeten Manderlay nieder, der uns als Ausgangsplattform für unsere kommenden kosmischen Aufgaben dienen wird. Wir werden in der Milchstraße keine Ämter bekleiden, das überlassen wir anderen. Nach den ersten Abstimmungsergebnissen über das neue Galors-Netz, erhält NATHAN weiterhin den Auftrag, die Galaxis zu verwalten. Ihm wird ein galaktischer Rat zur Seite gestellt, in dem alle Völker dieser Galaxis vertreten sein werden. Als dritte Instanz bleibt der galaktische Gerichtshof bestehen, der sowohl die Entscheidungen NATHANs wie auch die des galaktischen Rates kontrollieren wird. Und nun zu Euren Plänen: Michele, Dagmar, Paul, Stephan, Anita, Boris und J.J., ihr habt euch entschlossen, nicht zur Erde zurückzukehren, sondern die Weiten des Kosmos zu entdecken. Ich kann euch gut verstehen und, wer weiß, vielleicht treffen wir uns einmal dort draußen. Und im Namen von NATHAN darf ich euch dazu ein Geschenk überreichen, das ihr wirklich verdient habt. euer Geschenk wartet draußen...« Stephan war nicht zu halten. Sofort stürzte er zum Beobachtungsfenster und rief: »Die TERRA, unsere TERRA wartet draußen.« »Ja, die TERRA ist jetzt euer Schiff. Mit diesem Geschenk möchte auch NATHAN euch für eure Hilfe danken«, meinte Reginald Bull und stand auf. Als Erster ging er zu den sieben Menschen und gab ihnen zum Abschied noch einmal die
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Auf der Suche... III Hand. *
»Hallo, THELA, lass schon mal die Treibwerke warmlaufen. Gleich geht’s los. Was gibt’s Neues?« fragte Paul und schmiss sich in seinen Pilotensitz. »Alles unverändert. Nur eine Kleinigkeit haben die Roboter von NATHAN mit Hilfe meiner
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beiden Freunde, den Bewusstseinen der BaolinNda, noch eingebaut. Falls ihr mal Heimweh zur Erde haben solltet – die TERRA verfügt jetzt über einen ganz speziellen Transmitter. Es gibt nur diesen Einen. Damit könnt ihr zur Erde zurückkehren, wenn ihr in der Nähe seid. Die Gegenstation befindet sich in einer Höhle in den Alpen. Paul, ich glaube, du kennst diese Höhle. Denn dort hat alles angefangen...«
ENDE Das Universum ist gerettet und die Unsterblichen zurückgekehrt. Doch eine Gruppe von Terranern, die sich bisher im Hintergrund gehalten hat, will jetzt die Zeit nach der Anspannung nutzen, um das Universum zu erkunden. Es ist Die galaktische Rentnerband Dies ist auch der Titel des 4. Buches aus der Fortsetzungsserie von Uwe Kirchberg. Das Buch wird voraussichtlich im TERRACOM 09/2001 erscheinen.
Der Kommentar Nachwort des Autors Das kleine Brückensystem in der Milchstraße gibt es heute noch. Und das terranische Tor befindet sich immer noch auf der Kanareninsel Fuerteventura. Aber wo die Höhle mit dem Tor zur Galaxis zu finden ist, das werde ich euch nicht verraten. Doch wenn ihr mal auf dem Flughafen der Insel seid, dann seht euch mal im Abflugbereich um. Alle Urlauber sind traurig, weil ihr Urlaub zu Ende ist und sie wieder nach Hause müssen.
Nur zwei Männer schauen fröhlich umher, weil ihr Urlaub gerade erst begonnen hat – der Eine hat eisgraue Augen und der Andere kurz geschnittenes rotes Haar. Aber schaut bitte nicht so deutlich hin! Sonst meinen Perry und Bully, dass ihr von der Verlagsunion Pabel/Moewig seid – auf der Jagd nach einer guten Story, aus den unendlichen Weiten des Universums. Uwe Kirchberg