Auch du sollst glücklich sein Kathryn Ross Julia 1395 9 2/2000
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL Wie sagte sie es ihm am...
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Auch du sollst glücklich sein Kathryn Ross Julia 1395 9 2/2000
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL Wie sagte sie es ihm am besten? Diese Frage raubte Alicia seit Nächten den Schlaf und ging ihr selbst jetzt nicht aus dem Sinn, als das Telefon klingelte und sie den Hörer abnahm. "Rowland Computer Software, guten Tag", meldete sie sich mechanisch. "Was kann ich für Sie tun?" "Hi, Alicia, hier ist Maddie McDowell. Geben Sie mir Dex." Alicia musste über den Befehlston lächeln. Man könnte meinen, die Firma gehört ihr, dachte sie ironisch, bewunderte aber die kühle Selbstsicherheit der Anruferin. "Ich sehe nach, ob er frei ist", erwiderte sie ebenso kühl und drückte auf die interne Verbindungstaste zum anderen Büro. "Dex, Maddie ist am Apparat. Hast du Zeit, mit ihr zu sprechen?" "Natürlich. Stell sie durch." Beim Klang von Dexter Rowlands tiefer, sinnlicher Stimme überlief Alicia ein wohliger Schauer. Verflixt! dachte sie. Ich schmelze ja schon dahin, wenn ich ihn nur höre! Nachdem sie die Verbindung hergestellt hatte, blickte sie finster auf das Telefon, als würde es die Schuld an ihrem Gefühlsaufruhr tragen. Der Anruf schien eine Ewigkeit zu dauern. Möglicherweise kam es ihr aber auch nur so vor, weil sie unter psychischem Druck stand. Sie blickte auf die Uhr. Es war schon fast Mittag. Sobald Dex das Telefonat beendet hatte, würde sie zu ihm
hineingehen und mit ihm reden. Sie durfte dieses Gespräch nicht mehr länger hinausschieben. Das rote Lämpchen des Telefons erlosch, doch Alicia rührte sich nicht. Sie hatte plötzlich Zweifel, ob es klug war, hier im Büro mit der Nachricht herauszuplatzen. Sollte sie nicht besser auf eine günstigere Gelegenheit warten? Erschrocken fuhr sie zusammen, als plötzlich die Stimme ihres Chefs über die Gegensprechanlage zu vernehmen war: "Alicia, könntest du bitte mal kurz kommen?" Sie stand auf, strich ihr blaues Sommerkleid glatt und ging zur Tür. "Ich habe großartige Neuigkeiten!" empfing Dex sie lächelnd. Er hatte sich in seinem Lederstuhl entspannt zurückgelehnt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und war offenbar bester Laune. Wie attraktiv er ist! dachte Alicia unwillkürlich. Ihr Herz begann jedes Mal schneller zu schlagen, wenn sie in die dunklen Augen ihres Chefs blickte. Ohne sich dagegen wehren zu können, hatte sie sich in den vergangenen Monaten unsterblich in ihn verliebt. Er war siebenundzwanzig und hätte seinem blendenden Aussehen nach ein Filmstar sein können. Das dunkle Haar trug er modisch kurz geschnitten, und sein Gesicht war nicht einfach nur männlich-schön, sondern verriet Intelligenz und einen starken Charakter. Zudem war er groß und hatte eine athletische Statur, so dass viele Frauen sich auf der Straße nach ihm umdrehten. Er schien sich jedoch seiner Wirkung auf das andere Geschlecht nicht bewusst zu sein. Wahrscheinlich weil er ganz in seiner Arbeit aufging. Ob er wohl ahnte, wie sehr sie ihn liebte? "Maddie war von meinen Entwürfen begeistert." "Dessen bin ich sicher", meinte Alicia lächelnd. "Du bist ja auch ein Genie. Eines Tages wirst du mit einem deiner
Computerspiele den großen Coup landen und Millionär werden." Dex lächelte jungenhaft. "Ich mag es, wenn du so von mir schwärmst, Alicia Scott", neckte er sie. "Hast du noch mehr Schmeicheleien auf Lager?" "Nun ..." Sie stützte sich mit den Händen auf seinen Schreibtisch und beugte sich leicht vor, da sie zu diesem Thema noch einiges zu sagen hatte. Einen Moment lang musterte Dex sie nachdenklich. Sie hatte das lange blonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und obwohl sie ungeschminkt war, sah ihre Haut makellos klar und frisch aus, ihre Lippen schimmerten rosig, und ihre langen, dichten Wimpern waren von Natur aus dunkel. Trotzdem war sie nicht im herkömmlichen Sinne schön, sondern eher apart. In Dex' Heimat Amerika hätte man sie als "preppy" bezeichnet, denn sie hatte Klasse und erregte mit ihrer Erscheinung überall Aufmerksamkeit. Vielleicht lag es an ihren strahlend blauen Augen und den hohe« Wangenknochen, möglicherweise aber auch an ihrer überdurchschnittlichen Größe und der Anmut, mit der sie sich bewegte, "Henry Banks und George Mitton sind ganz wild darauf, mit dir ins Geschäft zu kommen. Ihre Briefe liegen in der Postmappe. Außerdem hat jeder der beiden heute schon zweimal angerufen und wollte dich sprechen." Dex lächelte ironisch. "Die Zeiten haben sich geändert, stimmt's?" "Allerdings." Noch vor wenigen Monaten war Dex' Name angesehenen Unternehmern wie Mitton oder Banks kein Begriff gewesen. Mittlerweile fand er jedoch in Geschäftskreisen respektvolle Beachtung. Das alles war recht vielversprechend. Alicia beugte sich noch weiter zu ihm hinüber. "Und für welchen von ihnen hast du dich entschieden?"
"Für keinen." Er ließ den Blick zu ihrem Ausschnitt schweifen, der den cremefarbenen Spitzenbesatz ihres BHs nicht ganz verbarg. "Maddie McDowell hat mir ein wesentlich interessanteres Angebot gemacht." "Tatsächlich?" Alicia richtete sich auf. Sie wusste selbst nicht, weshalb ihr die Neuigkeit missfiel. Schließlich ging es um geschäftliche Verhandlungen, und davon verstand Dex sehr viel. Sie hingegen war als seine Sekretärin nur für die Organisation des Büros zuständig. Mehr nicht, "Möchtest du, dass ich Mitton und Banks höfliche Absagen schicke, die dir für später noch eine Option offen halten?" "Nein." Sein Blick ruhte auf dem obersten Knopf ihres Kleides. Er streckte die Hand aus und umfasste ihr schmales Handgelenk. "Ich möchte von dir etwas anderes." Sanft streichelte er mit dem Daumen die Stelle, an der ihr Pulsschlag zu spüren war. Die zarte Liebkosung erregte Alicia. "Was dann?" fragte sie zögernd und ein wenig verlegen. Er zog sie um den Schreibtisch herum näher zu sich heran. "Ich glaube, das weißt du." "Mein Herr, Sie scheinen zu vergessen, dass wir uns im Büro befinden", tadelte sie ihn scherzhaft, wehrte sich jedoch nicht, als er sie auf seine Knie zog. "Das ist allein deine Schuld." Seine Stimme klang heiser. "Hatte ich dich nicht gebeten, dich zur Arbeit nicht so verdammt sexy anzuziehen? Du lenkst mich zu sehr ab." Alicia blickte an sich hinunter. Ihr knielanges und keineswegs figurbetontes Kleid war alles andere als aufreizend. "Damit lenke ich niemanden ab." "Nicht?" Sanft strich er ihr mit einem Finger über die Wange. Allein von dieser Berührung fühlte Alicia sich wie elektrisiert und spürte, wie ihr ganzer Körper darauf reagierte. "Dann waren es deine Lobeshymnen auf meinen beruflichen Erfolg." Dex ließ den Finger über ihren Hals und am Ausschnitt
des Kleides entlang gleiten. "So etwas steigt mir schnell zu Kopf." Seine Liebkosungen ließen Alicia erschauern. "Ich werde künftig daran denken", versprach sie atemlos und küsste ihn. Ihre Lippen waren weich und verrieten Unsicherheit, doch als Dex die Führung übernahm, wurde der Kuss leidenschaftlich und fordernd. Sie schob die Finger in sein dichtes schwarzes Haar und drängte sich an ihn. Ohne den Kuss zu unterbrechen, begann er ihr Kleid aufzuknöpfen, und sie spürte, wie er ihre Brust umschloss und mit sinnlichem Streicheln die Spitze reizte. Heißes Verlangen durchflutete Alicia. Das schrille Läuten des Telefons ließ beide jedoch plötzlich auseinander fahren. "Verdammt!" fluchte Dex leise. Am liebsten hätte Alicia ihn gebeten, weiterzumachen und das Klingeln zu ignorieren. Ihre Blicke trafen sich. "Ich ... ich kann jetzt... nicht abnehmen", sagte sie stockend. Dex griff nach dem Hörer. "Dex Rowland", meldete er sich in geschäftsmäßigem Ton. Er hatte sich bewundernswert schnell wieder gefangen. Kein Mensch hätte vermutet, dass er Sekunden zuvor ebenso wie sie die Kontrolle über sich verloren hatte. Oder hatte sie das nur irrtümlich angenommen? "Heute Nachmittag?" Er nahm seine Hand von ihrer Brust und blätterte in seinem Schreibtischkalender. "Nun, ich habe eine Verabredung zum Mittagessen, die ich jedoch absagen kann", sagte er. "Geht in Ordnung. Bis später." Als er auflegte, hatte Alicia bereits ihr Kleid zugeknöpft. "Tut mir Leid, Alli." "Schon gut." "Das war Maddie. Sie hat ein Treffen mit einem befreundeten Bankier arrangiert. Wir essen zusammen zu Mittag." Alicia zog die Brauen hoch. "Das ging ja schnell!" "Ja, sie ist eine erstaunliche Frau." Unwillkürlich verspürte Alicia einen Anflug von Eifersucht, den sie jedoch sofort als kindisch abtat. "Ich hoffe, deine
Bewunderung bezieht sich nur auf ihre beruflichen Qualitäten", meinte sie scherzhaft. "In dieser Hinsicht kannst du ganz beruhigt sein!" Er ließ die Hand zu ihrer Brust gleiten. "Wieso hast du dich so schnell wie* der angezogen?" Rhythmisch strich er über den dünnen Seidenstoff und lächelte zufrieden, als sich darunter die harte Brustspitze abzeichnete. "Ich schlage vor, wir machen heute Abend dort weiter, wo wir unterbrochen wurden." Sofort fühlte Alicia sich wieder besser. "Eine gute Idee! Weißt du eigentlich, dass heute unser Jahrestag ist?" Er machte ein betroffenes Gesicht. "Vor genau zwölf Monaten hast du mich bei MacDales abgeworben", meinte sie mit schalkhaftem Lächeln. "Hast du das etwa schon vergessen?" Nun lächelte auch er. "Offen gestanden, ja. Dafür erinnere ich mich umso genauer, dass es noch sechs Monate dauerte, bis ich dich erobert hatte." Sein Lächeln vertiefte sich, als er bemerkte, wie sie errötete. In ihren Augen spiegelte sich Unsicherheit wider. Unversehens wurde ihm bewusst, wie jung sie noch war. Gerade mal erst zwanzig. "Daran erinnerst du dich natürlich!" Liebevoll richtete sie ihm die Krawatte. "Wir sollten jetzt besser wieder arbeiten", sagte sie und stand auf. "Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich komme dann heute Abend gegen acht zu dir. Ist dir das recht?" Sie nickte. "Würdest du mir bitte die Bilanz vom vorigen Jahr heraussuchen und kopieren?" bat er, als sie zur Tür ging. "Vermutlich brauche ich die Zahlen für die Unterredung mit dem Bankier." "Mach ich." Sie schloss die Tür hinter sich und atmete tief durch. Vorhin, als er sie geküsst hatte, wäre die ideale
Gelegenheit gewesen, ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Weshalb hatte sie es nur nicht getan? Wie von Dex gebeten, suchte sie die Vorjahresbilanz heraus, kopierte sie und legte die Blätter in einen Schnellhefter. Dann setzte sie sich an ihren Schreibtisch und versuchte sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Eine halbe Stunde später kam Dex aus seinem Büro. Alicia entging nicht, dass er sein Jackett angezogen und sich gekämmt hatte. "Kann ich so gehen?" fragte er lächelnd, als er bemerkte, wie sie ihn musterte. "Du siehst sehr beeindruckend aus", versicherte sie mit mildem Spott. "Jedes Haar an seinem Platz. Ganz im Gegensatz zu vorhin." "Gut." Er ging zum Fenster und blickte auf die Straße hinunter. "Maddie ist schon da. Ich mach mich besser auf den Weg." "Viel Glück!" Alicia beobachtete, wie er zur Tür ging. "Dex?" Ein wenig ungeduldig drehte er sich zu ihr um. "Was ist?" "Du hast die Bilanz vergessen." "Danke, Alli. Was würde ich nur ohne dich anfangen?" Er lächelte charmant, als sie ihm den Schnellhefter reichte. "Gut möglich, dass es etwas länger dauert. Du kannst heute früher Feierabend machen, aber vergiss nicht, den Anrufbeantworter einzuschalten." Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Obwohl Alicia normalerweise nicht neugierig war, konnte sie es sich nicht verkneifen, aus dem Fenster zu sehen. Unten auf dem Parkplatz wartete Maddie in ihrem silberfarbenen Mercedes-Coupe, dessen Dach sie trotz der im tropischen Cairns unerträglichen Mittagshitze nach unten geklappt hatte. Ihr kurzes dunkles Haar glänzte seidig, und sie trug ein bonbon-farbenes Minikleid. Lächelnd blickte sie Dex entgegen, der soeben das Gebäude verließ.
Er stieg in den Wagen und wurde von Maddie mit einem Kuss auf die Wange begrüßt. Sie unterhielten sich noch kurz, ehe Maddie losfuhr. Dex zog sein Jackett aus und warf es auf den Rücksitz. Nachdem das elegante Sportcoupe im Straßenverkehr verschwunden war, ließ Alicia unwillkürlich den Blick zu Dex' altem Kombi unten auf dem Parkplatz schweifen. Kein Wunder, dass er lieber in Maddies Auto zu dem Treffen fuhr. Er hatte seine gesamten Ersparnisse in die Firma gesteckt und arbeitete hart, um Erfolg zu haben, denn er war sehr ehrgeizig. Abgesehen davon war er in seinem Beruf tatsächlich ein Genie. Mit seinem neuen Computerspiel würde er bald ein Vermögen verdienen, davon war Alicia fest überzeugt. Und wenn Maddie ihm dabei half, mit den richtigen Leuten ins Geschäft zu kommen, umso besser. Niemand würde sich mehr über seinen Erfolg freuen als sie, Alicia. Ob Dex allerdings ebenfalls in Jubel ausbrechen würde, wenn er erfuhr, dass er in knapp sieben Monaten Vater wurde, wagte sie zu bezweifeln.
2. KAPITEL In der Wohnung war die Klimaanlage ausgefallen. Seit einer Stunde versuchte Alicia, sie wieder in Gang zu setzen, leider vergeblich. Ihr war von der Hitze schon leicht übel, doch sie ließ sich nichts anmerken. "Bald kommt Dex", tröstete sie ihre Schwester. "Er bringt sie bestimmt wieder in Ordnung." "Das hoffe ich", sagte Victoria und seufzte. "Wie soll jemand in dieser brütenden Hitze Schularbeiten machen?" Alicia sah auf die Uhr. Es war kurz nach sieben. Vielleicht sollte sie Dex anrufen und ihn bitten, etwas früher zu kommen? Sie griff nach dem Telefon und wählte Dex' Nummer. Er meldete sich weder in seiner Wohnung noch im Büro. War er immer noch mit Maddie zusammen? "Ich hole uns Eiswasser", bot sie an, als sie den Hörer auflegte. Victoria verzog das Gesicht. "Noch lieber wäre es mir, wenn du mir bei dieser blöden Matheaufgabe helfen könntest." "Ansehen kann ich sie mir ja, aber in Mathe war ich auch kein Ass." Alicia ging zum Kühlschrank. Als sie ihn öffnete, strömte ihr herrlich kalte Luft entgegen, und sie hätte ihn am liebsten offen gelassen und sich davor gesetzt. Das Apartment war viel zu klein für sie beide. Es hatte zwei winzige Schlafzimmer, dazwischen lag das Bad, und sonst gab es nur noch das Wohnzimmer, in dem sich zugleich auch die
Küche befand. Eine größere Wohnung konnten sie sich nicht leisten, da Victoria noch zur Schule ging und sie beide von Alicias Gehalt lebten. Alicia wandte sich zu ihrer Schwester um, als diese den Kugelschreiber auf den Küchentisch warf und sich seufzend das lange blonde Haar aus dem Gesicht strich. "Ich kapier es einfach nicht!" "So schwierig kann es doch nicht sein." Alicia schenkte Eiswasser ein, stellte die Gläser auf den Tisch und setzte sich neben ihre Schwester. Obwohl sie nur drei Jahre älter als Vicky war, empfand sie für diese eher mütterliche als schwesterliche Gefühle. Das war so, seit ihre Eltern vor elf Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Schon ab der ersten gemeinsamen Nacht im Waisenhaus hatte Alicia sich für ihre Schwester verantwortlich gefühlt und sich um sie gekümmert. Sie hatte Vicky getröstet und gelernt, sich nicht anmerken zu lassen, wie ihr selbst zu Mute war. Schon bald erkannte sie, dass es den eigenen Schmerz lindern half, wenn man sich auf andere konzentrierte, und so war sie recht schnell erwachsen geworden. Als Alicia mit achtzehn das Waisenhaus verlassen durfte, hatte sie Vicky mitgenommen und war mit ihr in dieses Apartment gezogen. Eigentlich fühlten sie sich hier beide ganz wohl. Zumindest solange die Klimaanlage funktionierte und Alicia nicht wie jetzt aus einem speziellen Grund übel war. Sie versuchten nun gemeinsam, Vickys Mathematikaufgabe zu lösen, und waren noch immer damit beschäftigt, als Dex kam. "Tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe", entschuldigte er sich und küsste Alicia auf die Wange. Sie sah auf die Uhr und bemerkte erst jetzt, dass es schon kurz vor neun war, fragte jedoch nicht, was ihn aufgehalten hatte. "Du meine Güte, hier drinnen ist es ja kaum auszuhalten! Was habt ihr mit eurer Klimaanlage angestellt?"
"Nichts. Anscheinend ist sie kaputt." Alicia sah zu, wie Dex den Schaltkasten an der Wand öffnete, kurz hineinblickte, auf einige Knöpfe drückte und den Deckel wieder zuklappte. Gleich darauf war ein erster kalter Lufthauch zu spüren. "Deine Schwester ist zwar eine großartige Sekretärin, aber in technischen Dingen hoffnungslos unbegabt", erklärte er Vicky und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Sie lächelte. "Danke, Dex. Du bist doch so gut in Mathe. Könntest du mir erklären, was ich hier falsch gemacht habe?" "Mal sehen." Er setzte sich neben sie und las sich die Aufgabe durch. "Diese blöde Klimaanlage ist unberechenbar", meinte Alicia sich verteidigen zu müssen. Wieso gab Dex ihr stets das Gefühl, dass sie ohne ihn nur schwer zurechtkam? Sie war immer unabhängig von anderen gewesen - bis sie ihn kennen gelernt hatte. "Der Fehler liegt hier", sagte Dex zu Vicky und kreuzte mit dem Kugelschreiber eine Zahlenreihe an. "Im Grunde genommen ist alles ganz einfach", fuhr er fort und erklärte Vicky mit wenigen Worten, wo der Fehler lag. Verärgert rümpfte Alicia die Nase. "Kaffee, Dex?" "Danke, gern." "Für mich nicht, Alli", sagte Vicky. "Sobald ich hier fertig bin, gehe ich unter die Dusche und dann ins Bett. Ich bin völlig geschafft." Wenn wir allein sind, werde ich ihm als Erstes von dem Baby erzählen, nahm Alicia sich vor, während sie den Kaffee zubereitete. Sie schenkte zwei Tassen voll, reichte eine Dex und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. "Danke, Alli." Dex musterte sie kurz. Sie sieht müde aus, dachte er und schalt sich einen Egoisten, weil er ihr in der letzten Zeit die ganze Büroarbeit aufgebürdet hatte. Wenn er sie nicht entlastete, würde sie womöglich kündigen, und er wollte sie auf keinen Fall verlieren.
Er ließ den Blick zwischen den beiden Schwestern hin- und herschweifen. Sie sahen sich sehr ähnlich, waren beide blond und hatten dieselben feinen Gesichtszüge. In Shorts und T-Shirt wirkte Alicia keinen Tag älter als Vicky, und Vicky war mit ihren bald siebzehn Jahren fast noch ein Kind. "Geschafft!" Vicky klappte das Buch zu. "Du bist wirklich ein Schatz, Dex! Ich weiß nicht, was Alli und ich ohne dich anfangen würden." "Ihr würdet auch ohne mich bestens zurechtkommen", sagte er ruhig. Vielleicht müssen wir das, wenn er erfährt, dass ich schwanger bin, schoss es Alicia durch den Kopf, und es gab ihr einen Stich ins Herz. Dex liebte sie nicht. So aufregend und leidenschaftlich ihre Beziehung auch sein mochte, für ihn war sie nur eine weitere Geliebte, nichts Ernsthaftes. Er hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass für ihn eine feste Bindung erst infrage kam, wenn er sich auf seinen beruflichen Lorbeeren ausruhen könnte. "Heißt das, du heiratest erst, wenn du es dir leisten kannst, faul im Lehnstuhl zu sitzen und deine Pfeife zu rauchen?" hatte Alicia ihn aufgezogen, als sie zufällig einmal über dieses Thema gesprochen hatten. Er hatte gelacht. "So ähnlich." "War es dir mit keiner deiner Freundinnen jemals ernst?" Jäh hatte sich sein Gesichtsausdruck verändert. "Ich war einmal verlobt... vor Jahren." "Sie muss eine ganz besondere Frau gewesen sein." "O ja, das war sie." Dex schwieg einen Moment und schien auf einmal weit weg zu sein. "Clare und ich kannten uns von klein auf", erklärte er schließlich. "Wir waren gleich alt, besuchten dieselbe Schule und gingen später zusammen zur Universität. Für mich stand schon früh fest, dass ich sie und keine andere zur Frau haben wollte."
Alicia erinnerte sich noch gut, wie sehr seine Worte sie damals getroffen hatten. Als sie Dex kennen gelernt hatte, hatte es sie nicht weiter gestört, dass er sich nicht binden wollte, denn sie selbst musste ja ebenfalls auf Vicky Rücksicht nehmen. Doch als sie erfuhr, dass es eine Frau gab, die er über alles geliebt hatte und hatte heiraten wollen, war sie sehr niedergeschlagen, weil sie, Alicia, keine so starken Gefühle in ihm zu wecken vermochte. "Warum hast du sie dann doch nicht geheiratet? Was ist aus ihr geworden?" "Sie starb an ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag bei einem Autounfall. Am Morgen unseres Hochzeitstages." Seine Stimme klang ausdruckslos, doch in seinen Augen war ein so tiefer Schmerz zu lesen, dass sich Alicias Eifersucht sofort in Mitgefühl verwandelte. Sie wusste nur zu gut, wie schlimm es war, jemanden zu verlieren, den man liebte. "Jetzt ist mir nur noch meine Karriere wichtig", redete Dex rasch weiter, als würde ein Gespräch über seine Arbeit ihm helfen, die Schatten der Vergangenheit zu vertreiben. "Ich möchte einmal ganz oben sein und bin bereit, dafür alles einzusetzen. Als verheirateter Mann könnte ich ein solches Risiko niemals eingehen." "Ich kann das gut verstehen", pflichtete Alicia ihm bei. "Mich drängt es ebenfalls nicht, bald zu heiraten. Ich bin gerade mal zwanzig, Dex, und möchte erst einmal beruflich weiterkommen, mir die Welt ansehen und das Leben genießen." Damals hatte sie das durchaus ernst gemeint, doch jetzt klangen ihr die eigenen Worte wie Hohn in den Ohren. "Gute Nacht, ihr beiden", sagte Vicky und riss damit Alicia aus ihren Grübeleien. "Gute Nacht, Vicky." Nachdem ihre Schwester das Zimmer verlassen hatte, blickte Alicia zu Dex, der ihr gegenübersaß. Er trug noch denselben
Anzug wie im Büro. War er etwa direkt von der Besprechung mit Maddie hierher gekommen? Ihre Blicke trafen sich. "Ist dir eigentlich klar, dass du ein richtiger Schlauberger bist?" zog sie ihn auf. Er verdrehte die Augen. "Mir ist es lieber, wenn du mich als Genie bezeichnest." Sie lachte. "Dann berichte mir mal, du Genie, wie das Treffen mit Maddie und ihrem Bankier gelaufen ist." "Es hätte nicht besser sein können." "Willst du statt des Kaffees lieber ein Glas Wein, um auf deinen Erfolg anzustoßen?" "Nein, vielen Dank. Ich hatte bereits ein Glas Champagner und muss noch fahren." Alicia hätte ihm gern angeboten, bei ihr zu übernachten, ließ es dann aber sein. Er hatte nicht so geklungen, als wäre er gern geblieben. "Wenn ihr mit Champagner angestoßen habt, müsst ihr ja gut vorangekommen sein." "Noch ist nichts unterschrieben", entgegnete er bedächtig. "Ich bin jedoch recht zuversichtlich. In zwei Wochen fliege ich nach Perth und treffe mich dort mit Maddies Geschäftspartnern. Ich hoffe, dass dort ein Vertrag zu Stande kommt." "Tatsächlich?" Alicia versuchte, halbwegs erfreut zu klingen. Dex nickte. "Während ich weg bin, musst du hier für mich die Stellung halten." Da sie darauf nicht antwortete, runzelte er die Stirn. "Du siehst blass aus. Fühlst du dich nicht wohl?" "Ich bin nur ein wenig müde, weiter nichts." Sie stand auf, nahm ihre Tasse und schüttete den restlichen Kaffee in den Ausguss. Während sie Dex den Rücken zudrehte, überlegte sie, wie sie ihm beibringen sollte, dass sie schwanger war. Entschlossen drehte sie sich zu ihm um. "Dex, ich muss dir etwas sagen." Es hörte sich seltsam atemlos an. "Etwa, dass du vorhast, als Fotomodell zu arbeiten?"
Sie sah ihn verblüfft an. "Peter war heute Morgen bei mir im Büro, bevor du kamst." Alicia runzelte die Stirn. Peter Blake war einer ihrer engsten Freunde und so etwas wie ein Bruder für sie. Er war zwei Jahre älter und im selben Waisenhaus wie sie aufgewachsen. Inzwischen hatte er sich als Fotograf einen Namen gemacht, der über Australiens Grenzen hinausreichte. "Er hat mir die Fotos gezeigt, die er von dir gemacht hat", fuhr Dex fort. "Sie sind wunderschön. Ich war sehr beeindruckt." "Wirklich?" fragte sie lächelnd, von seinem bewundernden Blick sowohl verwirrt als geschmeichelt. "Außerdem hat er mir erzählt, dass er die Fotos an eine große Agentur in Sydney geschickt hat und man dort an dir interessiert sei. Er meinte, du hättest eine große Karriere vor dir und ich würde dir dabei im Weg stehen." Dex' Miene verfinsterte sich. "Ich habe ihm gesagt, dass ich von alldem nichts gewusst hätte, aber irgendwie scheint er mir nicht geglaubt zu haben." "Das ist doch völliger Unsinn!" rief Alicia verärgert und ging zum Tisch zurück. "Peter hatte kein Recht, so mit dir zu reden!" "Nimmst du das Angebot an und gehst nach Sydney?" "Nein!" Sie war wütend auf Peter, weil er hinter ihrem Rücken mit Dex darüber gesprochen hatte. Dabei hatte sie ihm vorige Woche klipp und klar erklärt, dass sie lieber hier in Cairns bleiben wolle und es ihr zu unsicher sei, als Fotomodell zu arbeiten. Nur wenigen Mädchen gelang der Durchbruch. Abgesehen davon gehörte sie mit zwanzig in diesem Beruf sowieso schon fast zum alten Eisen. "Warum nicht?" Sie zögerte. "Zum einen möchte ich Vicky nicht gerade jetzt, da die letzten Klassenarbeiten für das diesjährige Zeugnis geschrieben werden, aus ihrer gewohnten Umgebung reißen." "Andererseits gibt es in Sydney sehr gute Schulen und eine weltberühmte Universität", gab Dex zu bedenken.
"Möchtest du mich etwa loswerden?" Stumm blickten sie sich an. Unwillkürlich fragte Alicia sich, ob Dex etwa der Ansicht war, sie solle das Angebot annehmen. "Ich möchte einfach nur, dass du glücklich bist", sagte er sanft. "Wie du weißt, bin ich sehr ehrgeizig und konzentriere all meine Kräfte auf meine Karriere. Ich wäre ein Heuchler, wenn ich dir dasselbe verwehren würde. Jedenfalls werde ich dir nicht im Weg stehen, wenn du ... dein Glück in Sydney ..." Er ließ alles Weitere offen und zuckte nur die Schultern. Für Alicia lag das Glück nicht in Sydney. Sie liebte Dex über alles und wünschte sich nichts sehnlicher, als bei ihm bleiben zu können. "Wie es aussieht, eröffnen sich für uns beide jetzt neue berufliche Perspektiven", fuhr Dex fort, als sie nicht antwortete. Alicia wurde ganz weh ums Herz. Er war kein bisschen in sie verliebt. Es fiel ihr schwer, auf seinen lockeren Ton einzugehen. "Das Problem ist nur, dass diese neuen Wege uns in verschiedene Richtungen führen." Unvermittelt streckte er den Arm aus und zog sie auf seinen Schoß. "So ist es schon viel besser", sagte er rau. "Was gedenkst du also zu tun? Soweit ich Peter verstanden habe, bietet dir diese Agentur in Sydney eine einmalige Chance." "Scheint so." Alicia hätte mit ihm viel lieber über das Baby gesprochen. Doch zu wissen, dass er sie ohne weiteres ziehen lassen würde, erleichterte es ihr nicht gerade, dieses Thema anzuschneiden. "Um ehrlich zu sein, ich möchte nicht, dass du gehst", murmelte er. Vor Freude setzte ihr Herz einen Schlag aus, ihre Augen strahlten. "Warum nicht?" "Du würdest mir schrecklich fehlen." Er lächelte. "Eine so gute Sekretärin wie du ist schwer zu ersetzen." Natürlich war das nicht ganz ernst gemeint, und vor einigen Wochen hätte Alicia darüber sogar gelacht. Jetzt aber hatte sie
das Gefühl, überhaupt niemals wieder lachen zu können. "Keine Angst, ich kann jetzt sowieso nicht weg." Dex bemerkte in ihren Augen Tränen und fragte betroffen: "Alicia, was hast du?" "Ich bin schwanger", flüsterte sie. "In der siebten Woche, um genau zu sein." Es war nicht zu übersehen, wie geschockt er war. Kein Wunder. Alicia hatte regelmäßig die Pille genommen, da sie sich von Anfang an einig gewesen waren, kein Risiko einzugehen. "Schon gut", sagte sie schnell. "Du musst mich deshalb nicht heiraten oder dich irgendwie verpflichtet fühlen." Offensichtlich hatte es ihm die Sprache verschlagen, denn er schüttelte nur stumm den Kopf. Statt Entsetzen drückte seine Miene nun Schuldbewusstsein aus. "Natürlich werde ich das Baby bekommen", erklärte sie. "Ich meine, irgendeine ... andere Lösung kommt für mich nicht infrage." Er sagte noch immer nichts. Spannungsgeladenes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Alicia, die noch immer auf seinem Schoß saß, zerzauste Dex liebevoll das Haar. "Tut mir Leid." Ihre Stimme zitterte leicht. Dex schloss die Augen. "Sag doch nicht so etwas." "Wieso nicht? Ich fühle mich ..." "Ich bin dafür ebenso verantwortlich wie du", unterbrach er sie. "Du hättest es mir schon früher sagen sollen." "Warum?" "Weil es nun einiges zu klären gibt." Seine Stimme klang ruhig. "Was wäre dir am liebsten?" "Das weiß ich nicht." Sie sah ihn offen an. "Was schlägst du vor?" Er runzelte die Stirn und schien zu überlegen. Das Schweigen zerrte an Alicias Nerven. Alltägliche Geräusche, die sie sonst
gar nicht wahrnahm, wie das Ticken der Uhr und der tropfende Wasserhahn in der Küche, störten sie plötzlich. Hilflos fuhr Dex sich durch das dichte Haar. Was sollte er ihr sagen? Wahrscheinlich war es am besten, ihr gegenüber völlig ehrlich zu sein. "Du weißt, wie viel du mir bedeutest." Sanft streichelte er ihre Wange, doch Alicia wich vor ihm zurück, als hätten seine Worte sie gekränkt. Er ließ die Hand sinken. "Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich dich heiraten ..." "Das erwarte ich auch gar nicht von dir", fiel sie ihm schroff ins Wort. "Die Zeiten sind längst vorbei, in denen Leute geheiratet haben, weil ein Kind unterwegs war." Alicia stand auf. Sie konnte nicht klar denken, wenn sie ihm so nah war, denn während ihr Verstand sie zur Vernunft rief, sehnte sich ihr Körper nach Dex' Liebkosungen. "Schließlich leben wir nicht mehr im Mittelalter." "Nun ...ja." Drückte seine Stimme Erleichterung aus oder eher Erstaunen? Was er wirklich dachte, wusste Alicia nicht, da seine Miene völlig ausdruckslos war. Sie ging zur Spüle und drehte den Wasserhahn fester zu. Das bot ihr Gelegenheit, sich wieder ein wenig zu sammeln. Während der vergangenen Woche hatte sie sich in verschiedenen Variationen ausgemalt, wie Dex auf die Nachricht von ihrer Schwangerschaft reagieren würde. In ihrer Lieblingsversion hatte er ihr seine Liebe gestanden und sie gebeten, ihn zu heiraten. Aber so etwas kam wohl nur in Seifenopern vor. Im Grunde genommen hatte sie gewusst, dass dieses Gespräch keineswegs so romantisch verlaufen würde. Auf keinen Fall aber wollte sie Dex' Mitleid. Langsam drehte sie sich zu ihm um. "Vielleicht sollte ich einfach meine Sachen packen und für eine Weile nach Sydney ziehen", sagte sie. "In den ersten Monaten könnte ich mir als Fotomodell noch allerhand Geld verdienen und später
überlegen, was ich gern machen würde. In einer so großen Stadt findet man immer Arbeit..." "Red keinen Unsinn", unterbrach er sie barsch. "Wieso?" Wütend sah sie ihn an. "Ich kann mich sehr gut allein durchschlagen!" Dex kannte Alicia gut genug, um zu wissen, dass es ihr nicht an Mut oder Entschlossenheit fehlte. Aber allein die Vorstellung, wie sie in der Großstadt ums Überleben kämpfte, machte ihn ganz krank. Sein Kind würde ohne Vater aufwachsen oder, noch schlimmer, sie würde einen anderen Mann heiraten. Dex sprang auf. "Du bist nicht allein", sagte er entschlossen. "Du hast mich." Sie zog kaum wahrnehmbar die Brauen hoch. "Wir könnten zusammenziehen." Sein Vorschlag schien sie ebenso zu überraschen wie Dex selbst, der sich nicht erklären konnte, wie er plötzlich darauf gekommen war. "Ich würde in der Geburtsurkunde als Vater stehen, und wir könnten dem Kind meinen Namen geben." Dex erwärmte sich zusehends für diesen Gedanken. Alicia schüttelte den Kopf. "Nein!" Es klang schärfer als beabsichtigt. "Du solltest es dir zumindest überlegen." "Nein. Ich möchte nicht, dass mein Kind anders heißt als ich." "Weshalb denn nicht?" Er klang aufrichtig überrascht. "Heutzutage ist das doch nicht ungewöhnlich." "Vor einigen Minuten hast du mich noch gedrängt, mein Glück in Sydney zu suchen. Jetzt möchtest du auf einmal dem Baby deinen Namen geben. Was folgt als Nächstes? Gibst du mir nach der Geburt den Laufpass und behältst nur das Baby?" "So etwas würde ich nie tun, Alli, und das weißt du auch. Abgesehen davon wusste ich vor wenigen Minuten noch nichts von deiner Schwangerschaft."
"Gefällt es dir, Vater zu werden?" fragte sie unvermittelt. "Ja", antwortete er zu seiner Überraschung ganz spontan. "Ja, ich freue mich wirklich", bestätigte er und schien über sich selbst erstaunt zu sein. Alicia war über seine Reaktion gerührt, gleichzeitig aber auch traurig, denn seine Gefühle galten allein dem Baby. "Aber deshalb kannst du mir nicht unterstellen, ich würde dich austricksen wollen und das Sorgerecht für mein Kind ..." "Mein Kind", verbesserte sie ihn ruhig. "Das Sorgerecht werde ich allein haben." "Zum Teufel, Alli, du klingst, als würdest du die Scheidung einreichen! Dabei wir sind noch nicht einmal verheiratet." Sie zuckte die Schultern. "Ich möchte nur nicht, dass wir uns etwas vormachen." "Und weshalb machen wir uns etwas vor, wenn wir zusammenziehen und dem Kind meinen Namen geben?" fragte er sichtlich verärgert. "Ich habe nicht generell etwas dagegen, mit jemandem zusammenzuziehen. Aber in unserem Fall würden wir Gefühle vortäuschen, die wir füreinander nicht empfinden." Insgeheim hatte sie gehofft, er würde ihr widersprechen, doch er sah sie nur mit finsterer Miene an. Um sich wenigstens etwas Stolz zu bewahren, flüchtete Alicia sich in einen betont schnoddrigen Ton: "Da wir uns offenbar einig sind, dass wir nicht genügend füreinander empfinden, sollten wir unsere Beziehung am besten ganz beenden." Dex schien nun immerhin einigermaßen fassungslos zu sein. "Das schlägst du vor, obwohl wir bald Eltern werden?" "So würde ich mir zumindest nicht ausgenutzt vorkommen", sagte sie mit schiefem Lächeln. "Es ist vernünftiger, unsere intime Beziehung zu beenden, solange wir uns noch respektieren." "Wir waren doch immer gute Freunde, oder?"
"Die besten." Sie schluckte trocken. "Schade, dass wir uns nicht ineinander verlieben konnten." Er sah sie an, als hätte sie ihm aus der Seele gesprochen. Nun reichte es ihr endgültig. "Du solltest jetzt besser gehen", sagte sie würdevoll. Sie wollte endlich allein sein, um in aller Stille ihre Wunden zu lecken. "Ich bin müde und ..." "Ich möchte unsere Beziehung nicht beenden, Alicia!" "Dex, du bist zwar der Vater meines Babys, aber sonst..." "Heirate mich", sagte er unvermittelt. Sie war wie vom Donner gerührt und fragte sich, ob sie sich vielleicht verhört hatte. Blitzschnell war Dex bei ihr und legte die Arme um sie. Seine dunklen Augen blickten ernst. "Ich befürchte, wenn ich dich und das Baby jetzt gehen lasse, werde ich es mein Leben lang bereuen." "Dex, eine Ehe ist das Letzte, was du im Moment willst! Wir waren uns doch beide darüber einig, dass wir nicht wegen eines Babys heiraten ..." "Ich habe meine Meinung eben geändert." Er lächelte grimmig. "Nicht nur Frauen haben dieses Vorrecht." "Das ist doch Unsinn, Dex." Er schüttelte eigensinnig den Kopf. "Mir ist nur plötzlich klar geworden, wie sehr ich mir dieses Kind wünsche. Ich möchte ihm ein Zuhause geben, Geborgenheit, Liebe." "Sehr lobenswert, aber ich lehne dankend ab." Ihre Stimme zitterte vor Wut. Wie konnte er es wagen, ihr einen derart berechnenden Antrag zu machen, bei dem es ihm ganz offensichtlich nur um das Baby ging? "Ich kann meinem Kind auch allein die nötige Liebe und Geborgenheit geben." Es war immer noch besser als eine Ehe ohne Liebe. "Du gibst mir einen Korb?" Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Alicia über sein verblüfftes Gesicht laut gelacht. Dex war von sich selbst so überzeugt, dass es ihm wahrscheinlich gar nicht in den Sinn
gekommen war, dass eine Frau seinen Heiratsantrag ablehnen könnte. "Ja, ganz recht." Sie löste sich von ihm und trat mit hoch erhobenem Kopf zurück. Ihre Augen funkelten zornig. "Ich habe dir ja gesagt, dass ich nicht heiraten will." "Aber du willst doch nicht im Ernst unsere Beziehung beenden? Du brauchst mich." "Nein, das tue ich nicht", widersprach sie hitzig. Sosehr sie ihn auch liebte und begehrte, niemals würde sie sich so weit erniedrigen, seinen lieblosen Antrag anzunehmen. "Sei nicht kindisch. Du schaffst es nicht allein." "Hier geht es um unser restliches Leben, Dex. Darüber kann man nicht aus einer Laune heraus kurzfristig entscheiden. Und jetzt geh bitte." Sie wollte ihn loswerden, solange ihre Wut noch anhielt, damit sie nicht vor ihm in Tränen ausbrach. Er folgte ihr zur Tür. "Du hast Recht", stimmte er ihr ernst zu, "eine solche Entscheidung muss wohl überlegt sein." "Eben. Ohne Liebe zu heiraten würde uns beide nur unglücklich machen." Während sie das sagte, war sie sich nur allzu bewusst, dass er dicht hinter ihr stand, und als sie nun die Tür öffnete, drückte er sie wieder zu. Dann zog er Alicia sanft in seine Arme. "Nicht jeder verliebt sich mit Fanfaren und Trompeten", sagte er leise. "Vielleicht würde die Liebe zwischen uns allmählich wachsen." Jäh verflog Alicias Zorn. Dex war ein Realist und nüchtern denkender Geschäftsmann. Wahrscheinlich würde er sie für verrückt halten, wenn sie ihm gestand, dass sie sich schon bei ihrer ersten Begegnung Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. "Ich bin sogar der festen Überzeugung, dass man sich nicht frisch verliebt blindlings in eine Ehe stürzen sollte", fuhr er fort. "Solche Ehen scheitern meistens kläglich, sobald der erste Zauber verflogen ist und der Alltag beginnt. Wir beide hingegen kennen uns schon länger und haben vieles gemeinsam." "Findest du?" fragte Alicia mit ironischem Lächeln.
"Aber ja. Wir sind gute Freunde, und das ist doch die beste Basis für eine Ehe." "Als Nächstes wirst du noch ein entsprechendes Computerprogramm entwerfen", spottete sie. "Etwa ,Welcher Ehepartner passt zu mir?' oder 'Leitfaden für eine erfolgreiche Partnerwahl'." Dex lachte. "Vielleicht sollte ich deinen Vorschlag aufgreifen." "Allerdings können Computer keine Gefühle analysieren ..." "Oder sexuelle Übereinstimmung feststellen." Er blickte ihr tief in die Augen. "Ich denke, hier sollte ich mit meinen Studien beginnen." Ihre Lippen zitterten leicht, als er sie nun küsste. Doch dann schmiegte sie sich an ihn und erwiderte seinen Kuss leidenschaftlich. Vielleicht hatte Dex Recht, und eine Heirat war die beste Lösung. "An Letzterem hapert es bei uns jedenfalls nicht", sagte er heiser, als er sich schließlich von ihr löste. "Letzterem?" Sie hatte Mühe, wieder klar zu denken. "Sexueller Übereinstimmung." Er lächelte amüsiert, als sie leicht errötete. Sie befreite sich aus seinen Armen. "Zu einer Ehe gehört mehr als Sex, und das weißt du." Ihre Stimme klang unsicher. "Immerhin ist es eine gute Basis", beharrte Dex. "Du kannst eine Heirat nicht wie eine Geschäftskampagne planen. Ohne Liebe funktioniert keine Beziehung, egal, ob man zusammenlebt oder heiratet." Dex entdeckte einen feuchten Schimmer in ihren Augen. "Liebling, sieh mich nicht so an", sagte er zärtlich. "Du bedeutest mir sehr viel. Mehr als jede andere Frau seit langer Zeit." "Ich mag dich auch." Sie senkte den Blick, damit Dex nicht in ihren Augen las, was sie wirklich für ihn empfand. "Aber das reicht nicht."
"Sieh mal, wir sind jetzt beide müde. Lass uns darüber schlafen und das Gespräch morgen Abend bei einem Essen fortsetzen." Seine Stimme klang sehr sanft. "Ich werde im Romanio's einen Tisch bestellen." Seine Nähe verwirrte sie, aber sie wollte hart bleiben. "Es ist doch schon alles gesagt." Zart ließ er den Finger über ihre Lippen gleiten. "Ich bitte dich doch nur, mit mir zu essen, Alli. Gib deinem Herzen einen Stoß." Der dunkle, einschmeichelnde Klang seiner Stimme raubte ihr die Kraft, noch weiter mit ihm herumzustreiten. "Na schön, ich bin einverstanden," "Danke." Er neigte den Kopf und küsste sie flüchtig auf die Lippen. "Du erzählst doch niemandem, dass ich ein Baby bekomme, Dex?" fragte sie unvermittelt. "Ich möchte damit noch etwas warten." "Mir recht. Wir sehen uns dann morgen."
3. KAPITEL Alicia war wieder einmal ganz in ihrem Element. Während hinter ihr der Drucker lief, füllte sie mit dem Kugelschreiber ein Formular aus und versuchte gleichzeitig, am Telefon einen hartnäckigen Interessenten abzuwimmeln. Freundlich, aber bestimmt teilte sie ihm mit, dass ihr Chef sein neuestes Computerspiel diesmal selbst zu vermarkten gedachte. "Sehr diplomatisch", lobte Dex sie, der soeben mit Maddie McDowell aus seinem Büro gekommen war und noch gehört hatte, wie Alicia den Anrufer geschickt beschwichtigte und darauf vertröstete, beim nächsten Mal an ihn zu denken. Alicia legte auf und lächelte. "Solche Leute hält man besser bei Laune." Bewundernd sah Dex sie an. "Du bist wirklich Gold wert, Alli." Da er nicht allein war, enthielt Alicia sich einer Antwort und schob ihm stattdessen den soeben ausgedruckten Brief hin. "Würdest du den bitte unterschreiben?" "Mach ich." Er setzte seine schwungvolle Unterschrift unter das Schreiben, ohne es durchzulesen. "Solltest du den Brief nicht erst lesen?" mischte sich Maddie mit sanfter Stimme ein. Ehe Alicia etwas sagen konnte, entgegnete Dex: "Nicht bei einer so perfekten Sekretärin wie Alli. Ihr vertraue ich blind."
"Ach ja?" Maddie behielt ihr Lächeln bei, doch in ihrer Stimme schwang ein Hauch von Schärfe mit. "Dann ist diese Liste bei Ihnen sicher in besten Händen." Sie legte ein DIN-A4Blatt auf Alicias Schreibtisch. "Was ist das?" Alicia blickte flüchtig darauf und dann zu Maddie, die wieder einmal wie aus dem Ei gepellt aussah. Sie trug ein elegantes zartlila Kostüm, das geschäftsmäßig kühl und trotzdem auch sehr weiblich wirkte. Ihr rosafarbener Lippenstift passte zu dem schweren, nach Flieder duftenden Parfüm, das sie umwehte, und ihr kurzes dunkles Haar glänzte seidig wie immer. Anscheinend gibt es bei dieser Frau keine StumpfeHaare-Tage wie bei uns gewöhnlich Sterblichen, dachte Alicia boshaft. "Es ist eine Liste potentieller Großkunden", erklärte Dex. "Könntest du die entsprechenden Adressen für mich in den Computer eingeben?" Alicia nickte. "Erledige ich sofort." "Danke, du bist ein Schatz." Er drehte sich zu Maddie um. "Zwischen uns beiden ist alles klar, stimmt's? Wir treffen uns dann bei der Besprechung in Perth." "Ja." Maddie lächelte strahlend. "Ich freue mich schon darauf." Erneut läutete das Telefon. Alicia nahm ab. "Oh, hallo. Einen Moment bitte, ich sehe nach, ob er frei ist." Sie hielt die Sprechmuschel des Hörers zu. "Dein Steuerberater", sagte sie leise zu Dex. Er nickte. "Stell mir das Gespräch bitte in mein Büro durch. Wiedersehen, Maddie." Nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, lehnte Maddie sich an Alicias Schreibtisch. "Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben?" bat sie. "Ich habe schreckliche Kopfschmerzen. Sicher von der Hitze."
"Selbstverständlich." Alicia ging in die kleine Teeküche nebenan, schenkte ein Glas Mineralwasser ein und brachte es Maddie. Diese bedankte sich mit einem Lächeln. Sie nahm aus ihrer Handtasche eine Packung Kopfschmerztabletten, entnahm eine Tablette, steckte sie sich in den Mund und trank etwas Wasser. "Hoffen wir, dass es wirkt." Maddie stellte das Glas auf den Schreibtisch und streifte dabei mit der Hand einen Stapel Belege, der umfiel. Die Blätter verstreuten sich quer über den Boden. "O nein!" Sie bückte sich. "Lassen Sie alles liegen", sagte Alicia. "Ich kümmere mich schon darum." "Nun, wenn Sie meinen. Es tut mir wirklich sehr Leid." "Alles nur halb so schlimm", versicherte Alicia. "Ich habe alles bereits durchnummeriert." "Gut." Maddie richtete sich auf und verließ mit zuckersüßem Lächeln das Büro. Alicia benötigte dann doch länger als angenommen, um alles wieder einzusammeln. Sie war immer noch damit beschäftigt, als eine Weile später Dex aus seinem Büro kam. "Heute ist hier wieder der Teufel los", sagte er und seufzte. "Dabei hatte ich gehofft, wir könnten vielleicht vor dem Essen ein wenig früher Schluss machen." Alicia lächelte belustigt. "Wann bist du schon mal früher gegangen? Na ja, zumindest hast du heute eine Mittagspause eingelegt." Sie hob die letzten Blätter vom Boden auf und kehrte zum Schreibtisch zurück. "Hast du im Romanio's einen Tisch bestellt?" "Es war das Erste, was ich heute Morgen getan habe. Ich hole dich um acht zu Hause ab." Alicia sah auf und begegnete seinem Blick. Sie waren den ganzen Tag zu beschäftigt gewesen, um ein privates Wort zu wechseln. "Gut." Irgendwie fühlte sie sich plötzlich verlegen. "Ich tippe nur noch schnell die Kundenliste in den Computer",
wechselte sie rasch das Thema und wollte nach dem Blatt Papier greifen, das Maddie McDowell auf den Schreibtisch gelegt hatte, konnte es aber nicht finden. Suchend sah sie auf den Boden und unter ihren Schreibtisch, aber es war wie vom Erdboden verschluckt. "Was ist los?" fragte Dex. "Ich finde Maddies Kundenliste nicht mehr." "Sie muss hier sein." Alicia biss sich auf die Lippe. "Vielleicht ist sie unter den Stapel Belege gerutscht, den Maddie umgeworfen hat", überlegte sie laut. Dex ging darauf nicht ein. "Verdammt, Alicia, die Liste ist wichtig", schimpfte er. "Du musst doch wissen, wo du sie hingetan hast." "Sie lag hier auf meinem Schreibtisch. Ich habe sie nicht angerührt." "Vielleicht ist sie ja aus dem Fenster geflogen", sagte er sarkastisch und ging zurück in sein Büro. Eine Stunde später hatte Alicia die Liste noch immer nicht gefunden, obwohl sie die Belege Blatt für Blatt nochmals durchgegangen war. "Du solltest jetzt lieber Schluss machen", meinte Dex, als er aus seinem Büro kam und sah, dass sie noch immer am Suchen war. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Du meine Güte, es war bereits halb sieben! "Vielleicht ist es besser, wenn du den Tisch abbestellst. Ich finde ja doch keine Ruhe, solange ich diese verflixte Liste nicht gefunden habe." "Vergiss die Liste." Energisch machte er den Aktenschrank zu. "Ich möchte den Tisch nicht abbestellen." Als sie ihn ansah, entdeckte sie in seinen dunklen Augen einen sonderbaren Ausdruck, den sie nicht zu enträtseln vermochte. "Geh nach Hause, und versuch dich zu entspannen", sagte Dex sanft. "Ich hole dich um acht Uhr ab."
Sie zögerte, nickte dann aber. Es war ein anstrengender Tag gewesen, und sie sehnte sich nach einer erfrischenden Dusche und einigen Augenblicken der Entspannung. "Na schön, bis später." Die verflixte Liste ging Alicia nicht mehr aus dem Sinn. Der Gedanke daran verfolgte sie sogar noch unter der Dusche und auch später, als sie ihr Haar föhnte und sich schminkte. Ein Blatt Papier konnte sich doch nicht einfach in Luft auflösen! Pünktlich um acht kam Dex. Statt des Anzugs trug er jetzt eine beige Baumwollhose und ein khakifarbenes Hemd und sah entspannt aus. "Ich dachte, wir wären uns einig, diese idiotische Liste zu vergessen", sagte er, als Alicia im Auto nochmals darauf zu sprechen kam. "Das kann ich nicht, weil mir so etwas noch nie zuvor passiert ist." Dex zuckte die Schultern. "Du stehst momentan stark unter Druck. Da kann so etwas schon mal vorkommen. Mach dir darüber keine Gedanken mehr. Ich habe Maddie angerufen, und sie schickt uns eine Kopie." Alicia runzelte die Stirn. "Ich arbeite doch nicht schlechter, nur weil ich schwanger bin. Es ist mir einfach unerklärlich, wie etwas spurlos von meinem Schreibtisch verschwinden kann." "Vielleicht waren Außerirdische am Werk", neckte Dex sie. "Ein erster Fall von Industriespionage durch Marsmenschen." "Etwa ein Marsmensch namens Maddie?" erwiderte Alicia im selben scherzhaften Ton. Dex warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und sah dann wieder auf die Fahrbahn. "Warum sollte Maddie eine Liste klauen, die sie dir kurz zuvor gegeben hat?" "Was weiß ich." Mittlerweile war sie überzeugt, dass Maddie die Liste an sich genommen hatte, während sie ihr das Glas Wasser geholt hatte. Allerdings fiel ihr dafür kein plausibler Grund ein.
"Maddie fand das alles eher amüsant", erklärte Dex lachend. "Sie erinnerte mich, dass ich dich heute Nachmittag als perfekte Sekretärin bezeichnet habe, und meinte, man solle den Tag nicht vor dem Abend loben." "Ich bin durchaus eine gute Sekretärin!" widersprach Alicia hitzig. "Natürlich bist du das", sagte er besänftigend. "Lass uns nicht mehr davon reden. Wir haben jetzt wirklich an Wichtigeres zu denken." "Ja ... du hast Recht", stimmte Alicia ihm zögernd zu, und sie legten den Rest der Fahrt schweigend zurück. Das Romanio's lag direkt am Meer. Es war ein gemütliches, nach drei Seiten hin der warmen tropischen Nachtluft geöffnetes Restaurant mit romantischem Kerzenlicht an jedem Tisch. Der Ober führte sie zu einem ruhigen Tisch in der Ecke und überließ sie dem Studium der Speisekarte. Von ihrem Platz aus konnte Alicia das Rauschen des Meeres hören. Die Nacht war windstill, nur von den Ventilatoren über ihnen wehte ein leises Lüftchen zu ihr. "Habe ich dir schon gesagt, wie schön du heute Abend aussiehst?" fragte Dex unvermittelt. "Danke." Sie trug ein zartrosa Sommerkleid mit einem runden Ausschnitt und einem langen Rock. Wahrscheinlich sah sie darin sehr weiblich aus, aber bestimmt nicht schön. "Wie fühlst du dich?" "Erstaunlich gut", versicherte sie lächelnd. "Gestern Abend im Bett habe ich noch lange an dich denken müssen." "So?" Ihre Augen funkelten belustigt. "Das klingt nicht ganz jugendfrei. Vielleicht solltest du es mir lieber nicht erzählen." "Meinst du?" Er lachte. "Aber im Ernst, Alicia. Gestern habe ich mir vorgenommen, dich künftig im Büro ein wenig zu entlasten. Was aber habe ich stattdessen heute getan? Dich noch mehr als sonst mit Arbeit eingedeckt."
"Ich bin nicht krank, Dex." "Keine morgendliche Übelkeit?" Sie schüttelte den Kopf. "Keine abartigen Gelüste?" Sie zögerte einen Moment und lächelte dann schalkhaft. "Nichts, was ich hier in aller Öffentlichkeit bekennen möchte." Damit brachte sie ihn erneut zum Lachen. "Da wir gerade von Geständnissen sprechen", sagte er und beugte sich zu ihr über den Tisch. "Ich mag es, wenn du wie soeben die Lippen verziehst. Du hast einen sehr verführerischen Mund, weißt du das?" "Mit solch lockeren Reden hast du uns in den Schlamassel gebracht, in dem wir uns jetzt befinden", zog sie ihn auf, doch gleichzeitig fühlte sie sich von dem begehrlichen Funkeln in seinen Augen wie elektrisiert. Ausgerechnet in diesem Augenblick kam der Ober, um die Bestellung aufzunehmen. "Wenn ich mich recht erinnere, hast du mich bei unserer ersten wirklichen Verabredung auch hierher gebracht", sagte Alicia, als sie wieder allein waren. "Mit ,wirklicher Verabredung' meinst du offenbar meinen ersten schüchternen Annäherungsversuch." Seine dunklen Augen blitzten. "Du und schüchtern?" fragte sie ungläubig. "Du warst der größte Casanova, der mir je unter die Augen gekommen ist, Dexter Rowland! Als deine Sekretärin habe ich doch in den ersten Monaten fast nichts anderes getan, als dir deine zahlreichen Freundinnen vom Leib zu halten. ,Tut mir Leid, er befindet sich gerade in einer Konferenz' oder ,Er hat leider eine Besprechung' und ähnliche Redewendungen waren damals mein täglich Brot." "Ich bin zutiefst beschämt!" Dex lachte. "Aber ich hatte wirklich Hemmungen, dich zu bitten, mit mir auszugehen, Alli.
Wir haben uns immer so gut verstanden, und ich hatte Angst, eventuell unsere Freundschaft zu zerstören." "Ich weiß, was du meinst", erwiderte sie nachdenklich. "Erinnerst du dich noch, wie du mir, als wir beide noch bei MacDales gearbeitet haben, während der Mittagspause immer von deinen Zukunftsträumen vorschwärmtest, die alle darin gipfelten, dass du spätestens mit vierzig mehrfacher Millionär sein würdest?" Dex verzog das Gesicht. "Ich muss ja ein entsetzlicher Langweiler gewesen sein." "Du warst der begabteste und ehrgeizigste Mann, den ich je kennen gelernt hatte." "Und du die hübscheste und tüchtigste Sekretärin, die ich je getroffen hatte. Ich habe den alten Jim MacDales stets glühend um dich beneidet." "Und mich ihm abgeworben, als du dich selbstständig machtest." Dex' Miene wurde jäh ernst. "Bereust du es, bei mir angefangen zu haben?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Ich finde, wir arbeiten gut zusammen." "Das finde ich auch", bestätigte er und fragte ruhig: "Sollten wir da unser Verhältnis nicht längerfristig gestalten? Was ich gestern gesagt habe, war ernst gemeint. Heirate mich, Alli." Ihr Herzschlag beschleunigte sich. "Ich bin zwar eine gute Sekretärin, aber deshalb brauchst du mich nicht gleich zu heiraten, Dex", versuchte sie zu scherzen, um zu verbergen, wie verletzlich sie war. "Ich denke, doch", entgegnete er ernst. Zum Glück brachte der Ober jetzt das Essen und bewahrte Alicia davor, sofort antworten zu müssen. Doch Dex blieb hartnäckig. "Also?" fragte er, sobald sie wieder allein waren.
Alicia kämpfte mit sich. Nur zu gern hätte sie Ja gesagt, aber nicht immer war der Mann, den man am meisten wollte, der Richtige. "Du hast mir nie verheimlicht, dass du nicht ans Heiraten denkst, und wenn doch, vielleicht in zehn Jahren." "Ich habe meine Meinung eben geändert." "Aus den falschen Gründen." Lustlos stocherte sie in ihrem Essen herum. "Im Gegensatz zu dir hatte ich einige Wochen Zeit, die neue Situation zu überdenken, Dex. Zugegeben, wir beide kommen gut miteinander aus ..." "Sogar fantastisch", unterbrach er sie, und in seinen Augen blitzte es auf. Wenn er sie so ansah, war es schwer, vernünftig zu bleiben. "Aber mir genügt eine Ehe ohne Liebe nicht, Dex. Ich möchte mehr, einschließlich der Fanfaren und Trompeten, von denen du gestern gesprochen hast." "Reicht es, wenn ich vor dir auf die Knie falle?" Gegen ihren Willen musste sie lachen. "Das könnte bei meinem Zustand gefährlich sein." Er zog fragend eine Braue hoch. "Womöglich falle ich vor Schreck vom Stuhl." "Du hast wirklich einen eigenartigen Sinn für Humor, Alli", sagte er lächelnd, nahm aus seiner Hemdtasche ein blaues Samtkästchen und legte es vor sie auf den Tisch. "Vielleicht kann ich dich damit überreden." Da sie sich nicht rührte, fügte er hinzu: "Willst du es nicht aufmachen?" Sie legte das Besteck nieder und öffnete das Kästchen. Ihr stockte der Atem. Auf dem blauen Samt lag ein herrlich funkelnder Diamantring. "Der Juwelier sagte, wenn er dir nicht passt, kann er ihn ändern." "Er ist wunderschön, Dex. Wann hast du ihn gekauft?"
"Was glaubst du wohl, was ich heute in meiner Mittagspause gemacht habe?" fragte er scherzhaft. "Dachtest du etwa, ich hätte gegessen?" Lächelnd schloss sie das Kästchen. "Danke für diese nette Geste, Dex." Irgendwie gelang es ihr, dabei einigermaßen gelassen zu klingen. Er runzelte die Stirn. "Es ist keine Geste, sondern ein Antrag. Ein aufrichtiger, ernst gemeinter Heiratsantrag." "Aber nicht so aufrichtig wie bei deiner Verlobung mit... Wie hieß sie doch gleich? Clare?" Diesmal zitterte ihre Stimme leicht. Dex' Miene verfinsterte sich. "Das ist lange her. Ich war damals ein anderer Mensch." "Du hast sie geliebt. Dieses einzigartige Gefühl hast du sicher nicht vergessen, oder?" "Mir ist vor allem in Erinnerung geblieben, wie entsetzlich ich gelitten habe, als ich Clare verlor", gab er unverblümt zu. "Ihr Tod hat mich damals völlig aus der Bahn geworfen. Wenn Liebe derart zerstörerisch ist ..." Er schüttelte den Kopf. "Ich möchte solche Qualen nie mehr durchmachen." So offen hatte er über diesen Abschnitt seines Lebens noch nie gesprochen. Alicia war bestürzt über den Ausdruck tiefsten Schmerzes in seinen Augen. Sie hatte geglaubt, ihn gut zu kennen, bisher jedoch nur den hartgesottenen und pragmatischen Geschäftsmann in ihm gesehen, der sich stets unter Kontrolle hatte. War er vielleicht nur deshalb so zurückhaltend, wenn es um Gefühle ging, weil er erfahren hatte, wie verwundbar Liebe einen Menschen machte? Ein schwacher Hoffnungsschimmer keimte in ihr auf. Wenn sie ihn heiratete, mit ihm zusammenlebte und geduldig abwartete, würde er sie dann eines Tages vielleicht doch lieben? Eine innere Stimme drängte sie, sich über ihren Stolz hinwegzusetzen und Dex zu sagen, dass sie genug Liebe für sie beide habe. Sie räusperte sich, doch Dex kam ihr zuvor.
"Ich habe dich sehr gern, Alli, und werde mich um dich kümmern", sagte er und fügte mit bedauernder Miene hinzu. "Mehr kann ich dir nicht versprechen. Tut mir Leid." Der nüchterne Klang seiner Stimme versetzte Alicias romantischen Tagträumen jäh einen Dämpfer. "Ich brauche niemanden, der sich um mich kümmert", sagte sie leise. Man hatte sich im Waisenhaus auch um sie gekümmert, und doch war sie dort todunglücklich gewesen. "Nun, da wir ein Kind bekommen, können wir uns nicht länger den Luxus leisten, nur an uns selbst zu denken." Alicia war versucht, ihm zuzustimmen, sagte dann aber: "Das ändert nichts daran, dass wir nie ans Heiraten gedacht hätten, wenn ich nicht schwanger geworden wäre. Zwischen uns hat es zwar heftig geknistert, aber keinem von uns beiden war es jemals ernst." Sein Gesicht verfinsterte sich. "Im Klartext heißt das wohl, du hättest unsere Affäre - so aufregend sie auch sein mochte einfach beendet und wärst nach Sydney abgedampft?" Er hätte sich nicht mehr irren können, doch war Alicia zu stolz, das zuzugeben. Sie sah ihm direkt in die Augen und sagte mit vorgetäuschter Ruhe: "Wahrscheinlich hast du Recht." Immerhin hatte sie die Genugtuung, einen Anflug von Unsicherheit bei ihm wahrzunehmen, fand es dann aber dem Ernst der Lage nicht angemessen, solche kindischen Spielchen zu spielen. "Machen wir uns doch nichts vor, Dex. Bis gestern hast du nicht im Traum an Heirat gedacht." Alicia bemühte sich, sachlich zu argumentieren. Woher sie dazu die Kraft nahm, wusste sie selbst nicht. "Weshalb, um alles in der Welt, willst du dich ausgerechnet jetzt in eine Ehe stürzen, da deine Firma sich in einer schwierigen Aufbauphase befindet und deine finanzielle Lage angespannt ist?"
"Ich hatte keine Ahnung, dass Geld dir so viel bedeutet", sagte er frostig. "Das tut es auch nicht!" Finster betrachtete er ihre geröteten Wangen. "Mir scheint eher, dass Peter dir völlig den Kopf verdreht hat und du nun von einer Karriere als Fotomodell träumst, das ein Vermögen verdient." "Wie viele schaffen es in diesem Beruf schon bis an die Spitze?" Alicia zuckte gleichmütig die Schultern. "Abgesehen davon hat das nichts mit uns beiden zu tun." "Und ob! Du überlegst doch bereits, ob du das Baby überhaupt bekommen willst, stimmt's?" "Du könntest dich nicht mehr irren." Was für eine Unterstellung! "Warum weigerst du dich dann, mich zu heiraten?" "Das habe ich dir doch schon gesagt. Weil wir aus den falschen Gründen heiraten würden." "Meine finanzielle Lage wird sich schnell wieder bessern, Alicia", sagte er. "Meine beruflichen Chancen stehen sehr gut, und ich werde bald viel Geld verdienen." "Das weiß ich!" Sie blickte ihn ernst an. "Es geht hier nicht um Geld oder Erfolg, sondern um die Beziehung zwischen dir und mir." Dex schien davon keineswegs überzeugt zu sein, schwieg jedoch. Alicia legte das Besteck auf den Teller und schob ihn beiseite. Ihr war nun endgültig der Appetit vergangen. "Möchtest du lieber etwas anderes bestellen?" fragte Dex. Sie schüttelte den Kopf. "In deinem Zustand solltest du aber mehr essen." Alicia lächelte ironisch. "Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen, Dex. Ich kann auf mich selbst aufpassen." Er gab dem Ober ein Zeichen. "Dann bezahle ich jetzt wohl am besten."
Alicia hatte das Gefühl, als hätte er sich plötzlich hinter eine unsichtbare Mauer zurückgezogen. Sein Blick war abweisend, seine Miene ausdruckslos. Sie beobachtete, wie er die Rechnung bezahlte und dann das Samtkästchen mit dem Ring einsteckte. "Gehen wir?" Benommen folgte sie ihm nach draußen. Es war eine klare, mondhelle Nacht. Das Meer schimmerte silbrig, und die den Strand säumenden Palmen hoben sich dunkel gegen den Horizont ab. Auf dem Weg zum Auto kamen Dex und Alicia an einem Spielplatz vorbei. Ein junges Paar schaukelte ein kleines Mädchen hin und her, und das fröhliche Lachen der drei war weithin zu hören. "So könnte es auch bei uns einmal sein", sagte Dex zu Alicia, nachdem sie ins Auto gestiegen waren. "Aber du willst ja nicht." Was hätte sie ihm darauf noch antworten können? Ihr Herz zog sich zusammen. "Zugegeben, wir lieben uns nicht", fuhr Dex fort. "Aber wir sind Freunde ... verstehen uns gut im Bett..." "Zu gut", versuchte sie zu scherzen, obwohl ihr absolut nicht danach zu Mute war. "Ich möchte unser Baby, Alicia." "Das verstehe ich ja", erwiderte sie leise. Das Problem war, er wollte das Baby mehr als sie. "Was aber ist, wenn dich das Familienleben zu langweilen beginnt? Du hattest doch immer nur sehr kurzfristige Beziehungen zu Frauen, von Clare einmal abgesehen." "Es stimmt, dass ich nach Clares Tod eine feste Bindung scheute. Ich wusste ja nicht, wie aufregend es sein würde, Vater zu werden." Die Zärtlichkeit, mit der er es sagte, brachte Alicias Entschluss ins Wanken, und als er sie nun in die Arme zog, wehrte sie sich nicht. Seine Lippen fanden ihre in einem langen,
leidenschaftlichen Kuss, der Alicia so sehr erregte, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Sie spürte, wie Dex' Hände streichelnd und liebkosend über ihren Körper glitten. "Heirate mich, Alli", flüsterte er. "Ich verspreche dir, dich glücklich zu machen. Wir werden fantastischen Sex haben, Geld wie Heu und Kinder, so viel du willst!" Sie lachte unter Tränen. "Was für ein Antrag! Du bist total verrückt, Dexter!" "Ist das ein Ja?" Er löste sich von ihr und sah ihr forschend ins Gesicht. Im Wagen war es jedoch zu dunkel, so dass er nicht erkennen konnte, was sie dachte. "Ich glaube schon", gab sie nach. Wem wolltest du eigentlich etwas vormachen? fragte Alicia sich später daheim mit bitterer Selbstironie. Hatte sie mit ihrem Jawort nicht einfach nur gezögert, weil sie auf das Unmögliche gehofft hatte, nämlich dass Dex ihr letztendlich doch noch seine Liebe gestand?
4. KAPITEL "Ist er da?" Maddie McDowell hielt sich nicht lange mit Begrüßungsfloskeln auf, als sie Alicias Büro betrat. Sie sah sehr schick aus in ihrem eleganten zartgelben Kostüm, das einen wirkungsvollen Kontrast zu ihrem dunklen Haar bildete. "Ja..." "Gut." Ohne sich anmelden zu lassen, steuerte Maddie schnurstracks auf Dex' Tür zu, drehte sich dann aber nochmals zu Alicia um. "Ach ja, ich wollte Ihnen noch gratulieren." Ihr Blick fiel auf den Verlobungsring an Alicias Finger. "Danke." "Natürlich werden Sie es nicht leicht haben." Alicia zog die Brauen hoch. "Inwiefern?" "Nun ja, eine Ehe ist kein Honiglecken. Ich war selbst schon einmal verheiratet und habe höchst schlechte Erfahrungen gemacht." Maddie verzog spöttisch die Lippen. "Doch Sie sollten sich von mir alter Zynikerin nicht abschrecken lassen, denn Sie bekommen ja Dex. Ist Ihnen klar, dass jede unverheiratete Frau in der Stadt Sie um ihn beneidet?" "So?" Alicia rang sich ein Lächeln ab. "O ja. Dex sieht nicht nur blendend aus, er hat auch fantastische Zukunftsaussichten. Ich gehe jede Wette ein, dass er mit spätestens fünfunddreißig Millionär sein wird." "Vielleicht, vielleicht auch nicht." Alicia zuckte gleichmütig die Schultern. "Geld ist nicht alles. Ich heirate Dex, weil ich ihn
liebe." Wie kam sie dazu, einer Fremden die Wahrheit zu sagen, während sie bei Dex die Worte nicht über die Lippen brachte? Mein Stolz treibt manchmal wirklich seltsame Blüten, dachte sie verwundert. Maddie lachte. "Was für ein entzückend altmodischer Standpunkt in einer allein vom Geld regierten Welt!" "Mag sein, dass Sie die Welt so sehen, ich aber nicht", widersprach Alicia. "Und Dex ebenfalls nicht." "Auf die meisten Männer wirken Erfolg und Macht wie ein Aphrodisiakum. Dex ist da keine Ausnahme." Alicia runzelte die Stirn. "Er ist sehr ehrgeizig", erklärte Maddie. Dann schüttelte sie unvermittelt den Kopf und lächelte schuldbewusst. "Aber ich möchte Ihre Freude nicht mit meiner zynischen Weltsicht trüben. Bitte verzeihen Sie mir. Bestimmt werden Sie mit Dex sehr glücklich werden, und ich bin überzeugt, dass er ein pflichtbewusster Ehemann und guter Vater sein wird." Alicia spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Hatte Dex Maddie etwa von ihrer Schwangerschaft erzählt, obwohl sie ihn gebeten hatte, es nicht zu tun? Maddies Lächeln wurde zuckersüß. "Oh, beinah hätte ich es vergessen." Sie öffnete ihre Aktentasche und entnahm ihr ein Blatt Papier. "Hier ist eine Kopie der Liste, die Sie verschusselt haben. Ein wenig achtsamer hätten Sie damit schon umgehen können, zumal Dex Sie kurz zuvor noch in den höchsten Tönen gelobt hatte." Woher nimmt diese Frau das Recht, sich hier derart aufzuspielen? dachte Alicia empört, erwiderte jedoch gelassen: "Ich finde es eher merkwürdig, dass die Liste spurlos verschwunden ist. Fast so, als hätte sie jemand an sich genommen." "Tatsächlich?" Maddie zuckte die Schultern. "Dann sollten Sie künftig mehr auf der Hut sein. Man hört neuerdings so viel
von Industriespionage." Sie verschwand in Dex' Büro und schloss die Tür hinter sich. "Oder du wolltest mir eins auswischen", murmelte Alicia und fragte sich, ob sie allmählich paranoid zu werden begann. Hatte sie vorhin nicht sogar Dex verdächtigt, sein Versprechen gebrochen und Maddie erzählt zu haben, dass sie, Alicia, schwanger sei? Seufzend blickte sie auf den Bildschirm und versuchte sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Eine Stunde später kam Maddie mit Dex aus seinem Büro. "Dann sind wir uns also über die Zahlen einig?" fragte er. "Ja", bestätigte Maddie und blickte lächelnd zu ihm auf. "Alles Weitere besprechen wir morgen beim Lunch." "Gut." Maddie legte einen Stoß Papiere auf Alicias Schreibtisch. "Seien Sie so nett, meine Liebe, und machen Sie mir von allem eine Kopie", sagte sie und ging zur Tür, wo sie sich nochmals umdrehte. "Und gehen Sie bitte sorgsam damit um, damit nicht wieder etwas verschwindet." "Ich werde mich bemühen", erwiderte Alicia mit zusammengebissenen Zähnen. "Wunderbar. Ich hole mir die Sachen morgen ab." "Für wen hält sie sich eigentlich?" schimpfte Alicia, sobald sich die Tür hinter Maddie geschlossen hatte. "Es sind doch nur ein paar Kopien", versuchte Dex sie zu beschwichtigen. "Es passt mir nicht, dass sie tut, als wäre sie meine Chefin!" "Okay, ich habe verstanden." Einen Moment lang drückte Dex' Miene Unbehagen aus. Dann beugte er sich vor und blickte auf den Bildschirm. "Tippst du die Liste, die sie dir gegeben hat, in den Computer ein?" "Schon erledigt", erwiderte Alicia schroff. "Da wir gerade davon sprechen. Ich finde das Verschwinden dieser Liste höchst merkwürdig."
"Ja, aber lass uns nicht wieder davon anfangen." Er klopfte auf den Stoß Papiere, den Maddie auf den Schreibtisch gelegt hatte. "Könntest du mir diese Angaben alle auf einer Diskette speichern?" "Mach ich." "Prima;" Er bedankte sich mit einem Lächeln und ging zurück in sein Büro. Als er das nächste Mal herauskam, hatte Alicia inzwischen alle Aufträge erledigt. "Habe ich dir schon jemals gesagt, wie unentbehrlich du für mich geworden bist?" fragte er, während er beobachtete, wie sie die Diskette beschriftete und dann aufstand, um sie abzulegen. Näher werde ich einer Liebeserklärung wohl nicht kommen, dachte Alicia trocken. "Kann ich das schriftlich haben?" Er lachte. "Lieber nicht, sonst verlangst du gleich eine Gehaltserhöhung." "Du hast mich durchschaut." Bewundernd ließ er den Blick über sie schweifen, als sie sich über den Ablagekasten beugte. Sie trug ein türkisfarbenes Kleid, das ihre schlanke Figur umschmeichelte, und über die Schulter baumelte ihr der dicke blonde Zopf, zu dem sie ihr Haar heute geflochten hatte. "Klar, aber ich lasse mit mir handeln", sagte Dex sanft. "Dann schlage ich vor, die Verhandlung auf heute Abend zu verschieben", sagte sie und drehte sich zu ihm um, "Ich lade dich zu mir zum Essen ein." Er zögerte. "Ich würde gern kommen, aber ich ... muss leider zu einem Geschäftsessen." "Und hinterher?" Er runzelte die Stirn. "Da würde ich lieber gleich ins Bett gehen, da ich morgen früh bereits wieder eine Verabredung habe." Sie nickte und tat, als würde es ihr nichts ausmachen, was jedoch nicht stimmte. Seit sie ihm gesagt hatte, dass sie schwanger sei, hatten sie nicht mehr miteinander geschlafen.
Zwei Wochen war das nun schon her, und sie sehnte sich danach, wieder einmal eine Nacht in seinen Armen zu verbringen. Sie ging zu ihrem Schreibtisch zurück. "Dex, hast du Maddie etwa erzählt, dass ich ein Kind bekomme?" fragte sie in beiläufigem Ton. "Nein! Wie kommst du darauf?" "Ach, ich hatte nur plötzlich das Gefühl, als würde sie es wissen." "Ganz sicher nicht von mir!" Alicia runzelte die Stirn und blickte an sich hinunter. "Oder sieht man es mir schon an?" "Aber nein." Lächelnd zog er sie in die Arme und küsste sie zärtlich. "Du siehst zum Anbeißen aus." "Findest du?" Alicia schmiegte sich an ihn. Ihr Ärger war verflogen. "Ja, und ich kann es kaum mehr erwarten, bis du endlich meine Frau wirst." "O Dex!" Sie begann plötzlich zu weinen. "Was hast du?" Betroffen sah er sie an, suchte nach einem Taschentuch und tupfte ihr sanft die Tränen ab. "Warum weinst du?" "Wenn ich das wüsste." Sie blickte zu ihm auf und lächelte unter Tränen. "Neuerdings spielen meine Hormone völlig verrückt", jammerte sie. "Ich habe mich noch nie so ... so verwundbar gefühlt wie jetzt." Er drückte sie fest an sich. "Alles wird gut werden." Zwar fühlte sie sich schon wieder besser, aber ein Hauch von Unsicherheit blieb. Wie sollte alles gut werden, da er sie doch nicht liebte? "Weißt du was? Schalt deinen Computer aus und den Anrufbeantworter ein. Wir machen heute früher Feierabend. Ich möchte dir nämlich etwas zeigen." "Was denn?"
"Es ist eine Überraschung." Zwanzig Minuten später fuhren sie auf dem Cook Highway in Richtung Norden. Der Himmel über ihnen war tiefblau, und die saftig grünen Halme der Zuckerrohrfelder entlang der Straße wiegten sich im Wind, der vom Meer her blies. Dex bog vom Highway auf eine sich kurvenreich zum Meer hinunter windende Landstraße ab und hielt an einer stillen kleinen Bucht. "Was machen wir hier?" fragte Alicia beim Aussteigen. "Rate mal." "Jedenfalls ist es ein herrliches Fleckchen Erde." Sie blickte auf die weiße Linie der schaumgekrönten Wellen, die den feinen Sandstrand umspülten. Sie schmeckte Salz auf den Lippen und roch den würzigen Duft der das Ufer säumenden Eukalyptusbäume. "Du schaust in die falsche Richtung", sagte Dex. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie sanft vom Meer weg. Hinter ihnen führte ein schmaler Pfad zu einem wunderschönen Haus auf Pfählen. Es hatte eine durchgehende Veranda, weiß gestrichene Wände und leuchtend grüne Fensterläden. "Was sagst du dazu?" Dex sah ihr forschend ins Gesicht. "Ich? Wieso?" "Weil es uns gehört. Ich habe gestern den Kaufvertrag unterschrieben." Alicias Augen weiteten sich. "Ich musste sofort zugreifen, da es noch einen anderen Interessenten gab. Gefällt es dir nicht?" Aus seiner Stimme war ein Anflug von Unsicherheit herauszuhören. "O doch." Alicia atmete tief ein. "Aber mir wäre es lieber gewesen, wenn wir es gemeinsam ausgesucht hätten." "Es sollte eine Überraschung sein." Seine Miene drückte Enttäuschung aus. "Ich dachte, du würdest dich darüber freuen."
"Das tue ich ja." Alicia störte nur, dass er sie an einer so weit greifenden Entscheidung nicht beteiligt hatte. Aber war es andererseits nicht typisch Dex, so zu handeln? Er war sich seiner Sache immer so sicher. "Es ist eine wundervolle Überraschung, Dex", sagte sie und bemühte sich, fröhlich zu klingen. "Ich ... ich war nur nicht darauf gefasst, das ist alles." "Du hast mir einmal erzählt, dass dein Traumhaus eine durchgehende Veranda und eine atemberaubende Aussicht haben musste", erinnerte er sie und schien seine gute Laune wieder gefunden zu haben. "Hier hast du beides." Während er sprach, vermochte Alicia den Blick nicht von seinem Gesicht abzuwenden. Sie liebte diesen Mann so sehr, dass sie mit ihm auch in ein Zelt gezogen wäre. Er fing ihren Blick auf und lächelte. "Und es gibt hier drei Schlafzimmer. Eines für uns, eines für Vicky und eines für unseren Nachwuchs." Alicia erwiderte sein Lächeln. "Danke, Dex. Für Vicky und mich wird es das erste wirkliche Zuhause seit langem sein." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Seine Lippen schmeckten nach Salz und frischer Luft, und das Rauschen des Meeres bildete einen stimmungsvollen Hintergrund. Doch unvermittelt löste Dex sich von ihr. "Komm mit, wir wollen uns erst einmal alles ansehen." Er nahm sie an der Hand und zog sie zum Haus. Gemeinsam gingen sie die Treppe zur Veranda hinauf. Während Alicia wartete, bis Dex den passenden Schlüssel gefunden und die Tür aufgeschlossen hatte, fühlte sie sich plötzlich von ihm hochgehoben. "Ich finde, wir sollten alles vorschriftsmäßig machen", meinte er mit jungenhaftem Lächeln und trug sie über die Türschwelle. "Ich glaube, du verwechselst da etwas", wandte sie ein, schmiegte sich aber nichtsdestotrotz an ihn. "Der Bräutigam trägt die Braut erst am Hochzeitstag über die Schwelle."
"Mag sein. Aber wir haben uns ja auch sonst nicht strikt an die Reihenfolge gehalten." Er setzte sie ab. Neugierig sah sie sich um. Das Haus war leer, und wahrscheinlich kamen ihr die Räume deshalb riesig vor im Vergleich zu ihrem kleinen Apartment. Die Böden waren aus poliertem Zedernholz, und durch die Fenster hatte man einen herrlichen Blick auf die Bucht und das tiefblaue Korallenmeer des Great Barrier Reef. "Die Aussicht ist fantastisch." Alicia seufzte. "Können wir uns so etwas überhaupt leisten?" "Ich denke schon. Wir müssen anfangs den Gürtel eben etwas enger schnallen." "Bei mir wird es in den kommenden Monaten eher umgekehrt sein", scherzte sie und strich sich über den noch nicht vorhandenen Bauch. Dex lachte. "Wir schaffen es schon. Meine Geldgeber vertrauen auf mein Talent und meinen Geschäftssinn." "Dann bin ich also nicht mehr die Einzige, die dich für ein Genie hält?" "O nein", versicherte er selbstironisch. "Die Zahl meiner Bewunderer steigt ständig." Er fasste nach ihrer Hand. "Komm mit in unser künftiges Schlafzimmer. Es hat ein eigenes Bad." "Schade, dass noch das Bett fehlt", bemängelte Alicia, als sie den großen Raum betraten. "Sonst hätten wir unser Schlafzimmer gleich einweihen können." "Wir werden die Möbel nächste Woche gemeinsam kaufen", versprach Dex. Noch vor einigen Wochen hätte er mich hier auch ohne Bett genommen, kam es ihr unwillkürlich in den Sinn. Sie verdrängte diesen Gedanken sofort wieder und bemühte sich, die Dinge praktisch zu sehen. In knapp zwei Wochen sollte die Hochzeit sein, und wenn sie dann gleich hier einziehen wollten, gab es noch viel zu erledigen. "Wir sollten schon mal die Fenster für die Vorhänge ausmessen."
"Das habe ich bereits getan. Der Zettel liegt im Handschuhfach meines Autos." Dex öffnete einen Wandschrank und sah hinein. "Du denkst einfach an alles", bemerkte sie ein wenig spöttisch. "Für mich bleibt gar nichts mehr zu tun übrig." Er schloss den Wandschrank und drehte sich zu ihr um. "Keine Sorge, ich überlasse alles andere dir. Da ich übermorgen für eine Woche nach Perth fliege, hast du genügend Zeit, dich darum zu kümmern." "Du bist eine ganze Woche weg?" "Ja, ich treffe mich in Perth mit allen möglichen Leuten. Sieh mich nicht so entsetzt an. Du weißt doch schon seit längerem, dass ich fliege." "Ja, sicher." Alicia presste die Fingernägel in die Handfläche, bis es wehtat. "Kommt Maddie ebenfalls mit?" "Selbstverständlich." Er runzelte die Stirn. "Schließlich hat sie ja sämtliche Treffen mit ihren Geschäftspartnern arrangiert. Von dieser Reise hängt für mich sehr viel ab." "Ja, das ist mir schon klar." Alicia rang sich ein Lächeln ab. Sie wusste, wie wichtig diese Reise für Dex' Firma war, und vertraute ihm ja auch. Aber gleichzeitig war sie schrecklich eifersüchtig auf Maddie McDowell. Noch nie war ihr jemand auf Anhieb so unsympathisch gewesen. Andererseits schien Dex jedoch auf diese Frau angewiesen zu sein. Während er nun den Schließmechanismus eines Fensters überprüfte und ihr dabei den Rücken zuwandte, betrachtete Alicia ihn selbstvergessen. Wie attraktiv er in dem leichten Sommeranzug aussah mit seinen breiten Schultern und den schmalen Hüften! Sie verspürte plötzlich den Wunsch, hinter ihn zu treten und sich an ihn zu schmiegen. "Dex?" "Was ist?" Lächelnd drehte er sich zu ihr um. "Liebe mich." Ihre Stimme hallte in dem leeren Haus. "Jetzt? Hier?"
"Warum nicht?" fragte sie mit verführerischem Lächeln, ging zu ihm und ließ die Hände über seine Arme zu den Schultern gleiten. Ihre blauen Augen funkelten mutwillig. "Alli, ich..." Ohne ihn ausreden zu lassen, nahm sie seine Hand und legte sie auf ihre Brust. Dann löste sie den Knoten seiner Krawatte und begann ihm das Hemd aufzuknöpfen. "Zum Teufel, Alli", sagte er rau. "Manchmal bist du eine richtige Wildkatze." "Findest du das gut oder schlecht?" fragte sie unschuldig, küsste ihn auf den Hals und ließ die Fingerspitzen über seine nackte Brust gleiten. "Je nachdem." Er legte die Arme um sie und küsste ihre Lippen. "Im Moment eher schlecht, da ich in einer Stunde einen Termin habe." "Bis dahin bleibt uns noch viel Zeit", flüsterte sie und kam seinem Mund entgegen. Es folgte ein langer Kuss. "Vielleicht hast du Recht. ".Dex drängte sie an die Wand und küsste sie erneut hingebungsvoll, während er mit den Händen ihren Körper erforschte und liebkoste. Eine Weile war nur ihr heftiges Atmen und das durchs offene Fenster dringende Meeresrauschen zu hören. "Ich sollte das nicht tun", sagte Dex heiser. "Immerhin trage ich jetzt eine gewisse Verantwortung." Seine Hand glitt zu ihrem Bauch. "Das Treffen ist wichtig, damit es in der Firma vorangeht. Unserem Baby soll es einmal an nichts fehlen." "Ein sehr löblicher Vorsatz." Sie biss ihn spielerisch ins Ohrläppchen. "Glaubst du, ich übe einen schlechten Einfluss auf dich aus?" "Du bist zwar eine süße kleine Hexe, aber ich werde deiner Verführungskunst mannhaft widerstehen." Wieder küsste er sie verlangend, schob aber gleichzeitig die schmalen Träger ihres Kleides nach oben.
"Musst du wirklich zu diesem Treffen?" Sie war schon zu erregt, um jetzt einfach aufhören zu können. "Ich fürchte ja." Sanft entzog er sich ihren Armen. "Maddie hat es extra für mich arrangiert." "Dex!" Enttäuscht und verärgert beobachtete Alicia, wie er sich das Hemd zuknöpfte. Vielleicht hatte Maddie Recht gehabt, als sie behauptete, Erfolg und Macht würden Dex mehr reizen als alles andere. Dex gab ihr einen zärtlichen Kuss. "Ich werde es bei nächster Gelegenheit wieder gutmachen, Alli. Versprochen."
5. KAPITEL Kritisch musterte Alicia ihr Spiegelbild. Sie hatte sich gegen ein traditionelles Hochzeitskleid mit Schleier und für eines aus goldgelber thailändischer Seide entschieden. In den Stoff waren kleine weiße Gänseblümchen gewebt. Ein sehr ungewöhnliches Muster, das jedoch gut zu Alicias mädchenhafter Erscheinung passte. Ebenso wie der betont einfache Schnitt des Kleides, der ihre schlanke Figur besonders gut zur Geltung brachte. Noch sah man ihr die Schwangerschaft nicht an, wie Alicia sich mit einem letzten Blick in den Spiegel vergewisserte. Niemand würde erraten, dass sie schon in der elften Woche war. "Du siehst wunderschön aus", sagte hinter ihr Vicky mit fast ehrfürchtig klingender Stimme. Alicia drehte sich zu ihr um. "Du ebenfalls, kleine Schwester." Das war nicht gelogen, denn Vicky sah wirklich bezaubernd aus in ihrem weißen Brautjungfernkleid, zu dem sie eine Schärpe aus demselben Stoff wie das Brautkleid trug. "Ich bin so froh, dass du Dex heiratest", versicherte Vicky lächelnd. "Ihr beide seid füreinander wie geschaffen." "Hoffentlich hast du Recht." Alicia vermochte ihre Nervosität nicht zu verbergen. Alles war so schnell gegangen. Sie konnte kaum glauben, dass sie heute tatsächlich heiraten würde. "Ich habe schreckliche Angst", gestand sie nun ein.
Vicky sah sie voller Zuneigung an. "Das ist das erste Mal, dass du zugibst, dich vor etwas zu fürchten, Schwesterherz. Seit dem Tod von Mum und Dad warst immer du diejenige, die stark war, die mich getröstet und mir Mut gemacht hat." Alicia lächelte. "Ich bin ja auch die ältere von uns beiden. Am liebsten ist es mir natürlich, wenn ich dich herumkommandieren kann." "Das stimmt." Vicky lachte. "Aber ich bin dir wirklich sehr dankbar für alles, was du für mich getan hast, Schwesterherz. Bisher hast immer du dich um alles kümmern müssen. Deshalb bin ich besonders froh, dass du nun einen starken Mann an deiner Seite hast, an den du dich auch einmal anlehnen kannst. Dex liebt dich wirklich. Hab keine Angst, ihm zu vertrauen." Gerührt umarmte Alicia ihre Schwester, und eine Weile hielten sie sich schweigend umfasst. Bestimmt vermutete Vicky, ihrer großen Schwester würden nur ein wenig die Nerven flattern, wie das bei Bräuten üblich war. Leider liegen die Dinge bei mir anders, dachte Alicia traurig, war aber gleichzeitig froh, dass Vicky die Wahrheit nicht kannte. Ihre romantischen Illusionen wären zerstört worden, wenn sie erfahren hätte, dass Dex ihre Schwester keineswegs liebte, sondern nur aus reinen Vernunftgründen heiratete. Seine einzige und wahre Liebe war und blieb Clare. Keiner Frau würde es je gelingen, sie aus seinem Herzen zu verdrängen. Ich sollte nicht so pessimistisch in die Zukunft sehen, schalt sich Alicia. Behutsam löste sie sich aus Vickys Armen. "Du hast Recht", sagte sie heiter. "Ich brauche mir wirklich keine Sorgen zu machen." Sie tupfte sich mit einem Papiertaschentuch die Tränen ab. "Wie kommt es, dass du mit sechzehn schon so weise bist?" Vicky lachte. "Falls du es vergessen hast, Schwesterherz, ich werde nächste Woche siebzehn."
In diesem Moment läutete es an der Tür. Vicky sah auf ihre Uhr. "Das wird Peter sein. Ich mach ihm auf." Peter hatte sich bereit erklärt, als Brautführer zu fungieren. Außerdem übernahm er das Fotografieren. Die Bilder würden sein Hochzeitsgeschenk sein. Ehe sie sich Peters professionellem Fotografenauge stellte, überprüfte Alicia noch einmal im Spiegel ihr Make-up. Nur gut, dass ich wasserdichte Wimperntusche benutzt habe, dachte sie trocken. Tränen am Hochzeitstag waren zwar keine Seltenheit, doch bei ihr waren sie nur allzu berechtigt. Ihr blieb nur die Hoffnung, dass Dex sie im Lauf der Zeit lieben lernte. Allein deshalb hatte sie letztendlich einer Heirat zugestimmt. Vicky hatte ihr geraten, ihm zu vertrauen. Vielleicht hätte sie ihren dummen Stolz überwinden und Dex gestehen sollen, wie sehr sie ihn liebte, statt ihm gegenüber so zu tun, als würde nur das Baby sie noch in Cairns halten. Trotz allem konnte Alicia sich nicht zu einer solchen Offenheit durchringen, denn im Lauf ihres jungen Lebens war sie schon zu oft von anderen enttäuscht worden. Zuerst hatte sie sich von ihren Eltern im Stich gelassen gefühlt, als diese bei einem Unfall gestorben waren. Später dann, im Waisenhaus, hatte sie weitere schmerzliche Erfahrungen gemacht. Jedes Mal, wenn sie zu einem Menschen etwas Vertrauen gefasst hatte, war er plötzlich wieder verschwunden. Diese Verlustängste plagten sie nun auch bei Dex. Obwohl sie dagegen ankämpfte, hatte sie während seines Aufenthalts in Perth heftige Qualen der Eifersucht durchlitten. Hinzu kam noch, dass er ihr seit seiner Rückkehr sonderbar zurückhaltend begegnete. Doch natürlich war diese letzte Woche vor der Hochzeit auch besonders hektisch verlaufen und für ein vertrauliches Gespräch keine Zeit gewesen. "Alicia!" Vicky klopfte energisch an die Schlafzimmertür. "Wir müssen los!"
"Komme sofort!" Alicia griff nach dem Brautbukett. Denk positiv, ermahnte sie sich. Jedenfalls hatte sie sich vorgenommen, das Beste aus ihrer Ehe zu machen. Die kleine Kapelle stand inmitten von Palmen an einer malerischen Bucht zwischen Zuckerrohrfeldern und dem Meer. Es war sehr heiß an diesem Nachmittag, und Alicia war von der unbarmherzig brennenden Sonne schon leicht schwindlig. Peter aber fotografierte noch immer wie ein Besessener. "Sollten wir nicht allmählich hineingehen?" meinte sie und blickte durch die offene Tür. Sie fühlte sich etwas unbehaglich bei der Vorstellung, dass die Hochzeitsgäste bereits dort drinnen auf sie warteten. "Nur noch eine Minute." Peter grinste. "Je später die Braut erscheint, desto sehnsuchtsvoller wird sie vom Bräutigam erwartet." Alicia war sich dessen keineswegs sicher. Nur zu gern hätte sie gewusst, was Dex in diesem Moment dachte. War er nervös? Bereute er seinen Entschluss vielleicht sogar schon? "Gleich bin ich fertig", versicherte Peter, richtete erneut seine Profikamera auf sie und knipste einen weiteren Satz Bilder. "Du siehst atemberaubend aus, Schätzchen." Unwillkürlich war er wieder in seinen Berufsjargon verfallen. "Komm schon, Baby, wirf dein blondes Haar zurück, und schenk mir einen letzten schmachtenden Blick!" "Du fotografierst hier nicht für ein Modemagazin, sondern fürs Hochzeitsalbum." Alicia musste lachen und war ihm dankbar, dass er sie mit seinen Sprüchen aus ihrer trüben Stimmung gerissen hatte. "Tut mir Leid, aber du bist ein zu verführerisches Objekt." Peter reichte die Kamera seinem Assistenten und trat dann neben die Braut. Er sah ausgesprochen gut aus im dunklen Anzug, wenngleich etwas ungewohnt, da er normalerweise nur in Shorts und T-Shirt herumlief. Zur Feier des Tages hatte er sich sogar das blonde Haar um einiges kürzer schneiden lassen.
Alicia fühlte sich geschmeichelt, dass er sich ihretwegen einer solchen Prozedur unterzogen hatte. "Ich wünsche dir von Herzen alles Gute, Alli", sagte er jetzt liebevoll. "Du und Vicky seid für mich so etwas wie meine Familie. Ich werde immer für dich da sein, wenn du mich brauchst." "Danke, Peter." Er lächelte. "Nachdem wir nun den gefühlvollen Teil hinter uns gebracht haben, sollten wir uns dem Hauptereignis zuwenden." Er reichte ihr den Arm. "Bist du zum Einmarsch bereit?" "Ja." Alicias Herz klopfte wie wild, als sie sich bei Peter einhängte. "Gehen wir." An der Trauung nahmen nur die engsten Freunde des Brautpaares teil und Dex' Eltern, die erst morgens per Flugzeug aus den Staaten gekommen waren. Als Alicia unter den Klängen von Mendelssohns Hochzeitsmarsch die Kapelle betrat, erhoben sich alle von ihren Sitzen. Der Duft von Blumen und brennenden Kerzen erfüllte die Kirche. Alicia blickte nach vorn und sah Dex am Altar stehen. Als er sich nun zu ihr umdrehte und sie anlächelte, waren ihre Ängste und Zweifel auf einmal wie weggeblasen. Sie trat an seine Seite, und er nahm ihre Hand. Die Berührung wirkte auf Alicia elektrisierend, und als er nun. ihre Hand leicht drückte, verspürte sie ein erregendes Kribbeln im Bauch. Während der Trauungszeremonie vermochte Alicia kaum den Blick von Dex zu wenden. Beim Treueschwur klang ihre Stimme fest und entschlossen. "Gelobe ich, dir zu gehören mit Leib und..." Sie sah, wie es bei diesen Worten in Dex' dunklen Augen aufblitzte, und für einen Augenblick schwankte ihre Stimme leicht. Wenn sie heute Abend ihr Brautkleid auszog, würden sie und Dex sich zum ersten Mal seit Wochen wieder lieben. Sie
sehnte sich so sehr nach seinen Zärtlichkeiten, seinen Liebkosungen, danach, sich ihm hinzugeben und ... "Gelobe ich, dir zu gehören mit Leib und Seele ...", sagte Dex mit ruhiger und ernster Stimme. Forschend blickte Alicia ihm ins Gesicht und suchte nach einem Zeichen, einem noch 'so kleinen Hinweis, der ihr verriet, dass er sie nicht nur aus Pflichtbewusstsein heiratete. Er sah so ernst und entschlossen aus, aber was er wirklich dachte, blieb ihr verborgen. Der goldene Trauring, den er ihr über den Finger streifte, fühlte sich kalt an. "Kraft meines Amtes erkläre ich euch zu Mann und Frau." Mit zaghaftem Lächeln blickte Alicia zu ihrem frisch angetrauten Ehemann auf. Er erwiderte ihr Lächeln nicht. In seinen dunklen Augen lag ein Ausdruck, den sie nicht zu enträtseln vermochte. Dann aber neigte er den Kopf und küsste sie. Der Druck seiner Lippen war besitzergreifend und fordernd, und er küsste sie mit einer solchen Leidenschaft, dass Alicia vor Verlangen ganz schwindlig wurde. Als Dex sich schließlich sanft von ihr löste, lächelte er. Alicia vermochte es kaum zu glauben, aber in seinen Augen war so etwas wie Triumph zu lesen, als wäre er heilfroh, dass sie nun seine Frau war. Vor Freude setzte ihr Herz einen Schlag aus. Als sie aus der Kirche traten, regnete es von allen Seiten Konfetti auf das junge Paar. Dex küsste seine junge Frau erneut und flüsterte dicht an ihrem Ohr: "Danke, dass du Ja gesagt hast. Du hast mich zu einem sehr glücklichen Mann gemacht." Ihre Augen leuchteten auf. "O Dex!" Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss. "Ich kann es kaum mehr erwarten, endlich mit dir allein zu sein und dir dieses bezaubernde Kleid auszuziehen", flüsterte er,
während Peters Kamera unaufhörlich klickte, um ja jeden Moment einzufangen. Alicia errötete leicht. Der Gedanke an die bevorstehende Hochzeitsnacht machte sie ein wenig nervös, erfüllte sie jedoch gleichzeitig mit prickelnder Vorfreude. Als Erste gratulierten ihnen Dex' Eltern. Sein Vater war ein äußerst attraktiver schlanker Mittfünfziger mit aristokratischen Gesichtszügen, der seinem Sohn sehr ähnlich sah. Dex' Mutter war jünger, als Alicia angenommen hatte. Sie konnte höchstens Ende vierzig sein und war eine hübsche und lebhafte Frau, die ihre neue Schwiegertochter sofort herzlich in die Arme schloss. Alicia waren die beiden sofort sympathisch. Leider konnte sie sich nicht länger mit ihnen unterhalten, da Peter noch mehr Fotos machen wollte. Der Hochzeitsempfang fand im Bay Hotel statt, von wo aus man einen atemberaubenden Blick übers Meer hatte. Unter den Gästen herrschte eine entspannte und zwanglose Atmosphäre, und schließlich kam Alicia auch mit Dex' Eltern näher ins Gespräch. "Dann war er also nicht schon immer der durch nichts zu erschütternde und pragmatisch denkende Geschäftsmann?" fragte Alicia lachend, nachdem ihr seine Mutter verschiedene Episoden aus seinen wilden Studententagen erzählt hatte. "Er war eher das genaue Gegenteil", klärte seine Mutter sie auf. "Deshalb bin ich auch so froh, dass er sich endlich wieder verliebt hat und eine feste Bindung eingegangen ist. Clares Tod hat ihn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich hatte schon Angst, er würde sich davon nicht mehr erholen." "Es muss schrecklich für ihn gewesen sein." "Ja, aber wir sollten heute nicht von Clare reden", sagte seine Mutter schnell. "Schließlich feiern wir eure Hochzeit, und ihr seht beide so glücklich aus. Verzeih mir bitte, mein Kind. Es war sehr taktlos von mir, Clare überhaupt zu erwähnen."
"O nein, ich bin froh, dass du es getan hast, Barbara", beruhigte Alicia ihre Schwiegermutter. "Dex spricht nicht gern über seine Vergangenheit. Offenbar ist es zu schmerzlich für ihn. Aber ich habe mich schon oft gefragt, was Clare wohl für ein Mensch war." Dex' Mutter zögerte einen Augenblick. "Sie war wie eine Tochter für uns. Wir sahen sie praktisch aufwachsen, da wir mit ihren Eltern sehr befreundet waren und noch sind. Als sie starb, schien in Dex etwas zu erlöschen. Er war am Boden zerstört. Es dauerte lange, bis er wieder mit Mädchen auszugehen begann, und irgendwie sahen sie alle Clare ein wenig ähnlich und hatten wie sie dunkles Haar und grüne Augen. Wahrscheinlich hat er unbewusst nach einem Ersatz für sie gesucht. Ich denke, er wollte Abstand gewinnen und neu beginnen, als er Boston und die Staaten verließ und nach Australien ging." Barbara lächelte. "Und tatsächlich ist es ihm gelungen, die Vergangenheit zu vergessen und sich in ein wunderschönes Mädchen zu verlieben. Du ahnst nicht, wie glücklich ich darüber bin." "Ja ..." Alicias Lächeln fiel ein wenig zittrig aus. Wie um sich zu vergewissern, dass Dex wirklich zu ihr gehörte, blickte sie sich suchend nach ihm um und entdeckte ihn auf der anderen Seite des Raums im Gespräch mit Maddie. Es war Alicias Vorschlag gewesen, Maddie einzuladen. Sie hoffte, ihre kindische Eifersucht am besten dadurch zu bekämpfen, dass sie Dex' Geschäftspartnerin besser kennen lernte. "Wie habt du und Dex euch eigentlich kennen gelernt?" unterbrach Barbara Alicia in ihren Überlegungen. "Wir haben in derselben Firma gearbeitet. Ich als Sekretärin des Verkaufsleiters und Dex als Computerexperte. Es gab dort eine Kantine, und manchmal kam ich beim Mittagessen neben Dex zu sitzen. Wir haben uns gern miteinander unterhalten und darüber oft sogar die Zeit vergessen." Alicia lächelte ein wenig
wehmütig. "Aber wir waren nicht ineinander verliebt, sondern verstanden uns nur sehr gut." "Und als er sich dann selbstständig machte, hat er dich abgeworben?" fragte Barbara. "Klar", bestätigte Dex, der plötzlich neben Alicia auftauchte. "Sie war die beste Sekretärin in der ganzen Firma." Er legte seiner frisch angetrauten Frau einen Arm um die Taille und zog sie eng an sich. "Sobald ich es mir leisten konnte, habe ich Alicia dem alten MacDales abspenstig gemacht. Stimmt's, Mrs. Rowland?" "Allerdings." Alicia lächelte zu ihm auf. Es hatte ihr Spaß gemacht und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit in ihr geweckt, mit ihm gemeinsam die Firma aufzubauen. Seine Eltern wurden von jemand anders in ein Gespräch verwickelt, und so konnten Dex und Alicia endlich einige Worte allein wechseln. "Geht's dir gut?" fragte er leise. "Oder macht dich dieser ganze Trubel müde?" Zärtlich berührte er mit dem Finger ihre Wange. Eine Welle der Zuneigung und Liebe zu ihm durchflutete sie. "Ein wenig müde vielleicht, aber nicht zu müde." Ihre Augen funkelten mutwillig. Er lachte. "Sehr beruhigend. Dann habe ich die Flitterwochensuite ja nicht umsonst gebucht." "Du hast hier im Hotel eine Suite gebucht?" Bisher hatte sie angenommen, sie würden ein paar ruhige Tage in ihrem neuen Zuhause verbringen. Vicky hatte sich extra bei einer Schulfreundin einquartiert, damit sie das Haus für sich allein hatten. "Nicht hier", entgegnete er lächelnd. "Wo dann?" "Sei nicht so neugierig." Er genoss es sichtlich, sie ein wenig auf die Folter zu spannen. "Es soll eine Überraschung sein." "Aber ich habe nichts zum Übernachten eingepackt."
"Keine Angst, dafür ist gesorgt... Was nicht heißt..." Er senkte die Stimme. "... dass du ein Nachthemd benötigst." Sie wurden durch einen Freund von Dex unterbrochen, der Alicia fragte, ob er sich den Bräutigam kurz "ausleihen" dürfe. Alicia nickte zerstreut, während sie überlegte, wohin Dex sie heute Abend entführen würde. "Gratuliere", riss Maddie McDowells rauchige Stimme sie aus ihren Gedanken. Ehe Alicia wusste, wie ihr geschah, hatte Maddie sie theatralisch auf beide Wangen geküsst, als wären sie alte Freundinnen. "Danke." Alicia rang sich ein Lächeln ab. Warum fiel es ihr nur so schwer, zu Maddie nett zu sein? Immerhin unterstützte diese Frau Dex tatkräftig bei der Finanzierung seines neuen Projekts. "Wie gefällt Ihnen Ihr neues Haus?" erkundigte sich Maddie. "Es ist wundervoll!" erklärte Alicia begeistert. "Natürlich gibt es noch allerhand zu tun, aber das ist nicht weiter schlimm." Maddie verzog die perfekt geschminkten Lippen zu einem Lächeln. Sie sah sehr schick und elegant aus in ihrem hellen Seidenkostüm, zu dem sie einen breitkrempigen Hut trug. "Bei einer so fantastischen Aussicht sieht man über solche Kleinigkeiten hinweg", säuselte sie. Alicia runzelte die Stirn. "Kennen Sie das Haus?" "O ja." Maddies grüne Augen glitzerten. "Dex hat es mir gezeigt, ehe er den Kaufvertrag unterschrieben hat. Er wollte das Urteil einer Frau hören." Alicia gab es einen Stich. Wie hatte Dex ihr so etwas antun können? Er hatte eine andere Frau um ihre Meinung zu dem Haus gebeten, nicht aber sie, Alicia, mit der er dort wohnen würde. Sie riss sich zusammen, um sich vor Maddie keine Blöße zu geben. "Dex hat viele Leute zum Haus gebracht, ehe wir es gekauft haben", schwindelte sie und hoffte, ihre Stimme würde
überzeugend klingen. "Wenn man so viel Geld ausgibt, ist es immer gut, vorher verschiedene Ansichten zu hören." Alicia trank etwas Orangensaft und fuhr dann fort: "Dex ist ein solcher Schatz. Ich hatte ihm einmal beschrieben, wie mein Traumhaus aussehen müsste, und er hat keine Mühe gescheut, um ein solches Haus für mich" zu finden. Er ist so romantisch und verwöhnt mich, wo er nur kann." Vielleicht hatte sie ein wenig zu dick aufgetragen, aber Maddies süffisantes Lächeln war jedenfalls verschwunden. Da kehrte auch schon Dex zurück. "Worüber unterhaltet ihr euch beide so angeregt?" "Nur über euer Haus, Darling." Maddie strahlte ihn an, als wäre sie die Braut. "Ich habe dir noch gar nicht gratuliert." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. "Ich weiß, dass jetzt keine Zeit ist, um über Geschäftliches zu sprechen, doch wir brauchen möglichst bald die Zahlen für das neue Projekt." Es folgte ein Gespräch, dem Alicia nicht zu folgen vermochte, da Dex und Maddie sich über Leute unterhielten, die sie in Perth getroffen hatten. Unwillkürlich fragte Alicia sich, worüber die beiden vorhin geredet hatten, als sie allein beisammen gestanden hatten. Sosehr sie sich auch dagegen wehrte, aber es nagte an ihr, dass Dex seine Geschäftspartnerin zum Haus mitgenommen hatte. Dex stellte sein Glas ab und sah zu Alicia hin, die aus dem Fenster blickte. Ihre Augen blickten traurig. Er berührte sanft ihren Arm. "Alicia? Woran denkst du?" Da Maddie ebenfalls zuhörte, zuckte Alicia nur leicht die Schultern. "An nichts Bestimmtes." "Sie träumt vom künftigen häuslichen Glück", stichelte Maddie. "Von Kindern, Küche und Herd." "Falls Alicia überhaupt träumt, dann höchstens von einer Karriere als Fotomodell", mischte sich unversehens Peter ein, der Maddies Worte im Vorbeigehen gehört hatte. "Wenn Dex
und sie nicht so verliebt ineinander wären, würde sie jetzt in Sydney ..." "Schon gut, Peter", fiel Alicia ihm ins Wort, ehe er sich noch weiter über sein derzeitiges Lieblingsthema verbreiten konnte. Sie war ihm zwar für die moralische Unterstützung dankbar, wollte aber nicht daran erinnert werden, dass Dex sie nur allzu willig hätte gehen lassen, solange er von dem Baby nichts gewusst hatte. Sie betrachtete ihren Mann von der Seite. Er sah auf einmal sehr ernst aus. "Ladys und Gentlemen", rief in diesem Augenblick sein Trauzeuge. "Ehe Braut und Bräutigam nun in die Flitterwochen entschwinden, sollten wir nochmals unsere Gläser erheben und auf eine glückliche Zukunft der beiden trinken." Von allen Seiten gab es Hochrufe, und einige der Anwesenden verlangten, dass der Bräutigam ebenfalls einige Worte sagen müsse. Er blieb gelassen und musterte Alicia nachdenklich, bevor er sagte: "Im Namen meiner Frau und mir möchte ich mich bei euch allen recht herzlich für euer Kommen bedanken. Es war schön, dass ihr diesen besonderen Tag mit uns gefeiert habt." Während nun weitere Hochrufe folgten, lächelte er Alicia an und fuhr dann fort: "Am meisten aber danke ich dir, Alicia, denn mit deinem Ja hast du mich zu einem sehr glücklichen Mann gemacht." Als er sie nun küsste, gab es stürmischen Beifall. Sie schloss für einen Moment die Augen und wünschte sich sehnlichst, dass seine Worte ernst gemeint waren. Ihr blieb keine Zeit, darüber länger zu rätseln, denn alle drängten nun nach draußen. Überrascht folgte Alicia ihrem Mann, als er sie zum Anlegesteg des Hotels führte, wo ein Schnellboot auf sie wartete. Am Bug war ein breites Band festgemacht, auf dem "Frisch verheiratet!" stand. Lachend sah Alicia sich nach ihrer Schwester um. "Das warst sicher du."
"Wer sonst?" Vicky lächelte vergnügt. "Und um den Flitterwochenkoffer habe ich mich auch gekümmert." Die beiden Schwestern umarmten sich noch einmal herzlich. Mittlerweile war Dex bereits ins Boot geklettert. Alicia zog ihre hochhackigen Schuhe aus und reichte sie ihm. Dann raffte sie ihr langes Kleid hoch und sprang zu ihm ins Boot. Er hielt sie fest und half ihr, sich hinzusetzen, ehe er den Motor anwarf. Während sie langsam aufs offene Meer hinausfuhren, drehte Alicia sich nochmals um und winkte allen am Ufer fröhlich zu. Ein wenig abseits von den anderen stand seltsam verloren Maddie, die als Einzige nicht winkte. "Endlich allein!" rief Dex übermütig und lächelte Alicia so zärtlich an, dass sie keinen weiteren Gedanken mehr an die andere Frau verschwendete. Vielmehr genoss sie es, über das türkisfarbene Wasser zu brausen, den warmen Wind im Gesicht zu spüren und Salz auf den Lippen zu schmecken. Kurz bevor die Sonne unterging, drosselte Dex die Geschwindigkeit und lenkte das Boot langsam zu einer kleinen, von Palmen gesäumten Insel. Rotgoldene Streifen überzogen den Horizont und schienen die wie weiße Wattebäuschchen aussehenden Abendwolken von innen zu beleuchten. Dunkel hoben sich die Palmen gegen das in vielerlei Farbschattierungen glitzernde Meer ab. Dex schaltete den Motor aus und ließ das Boot ans Ufer treiben. Rings um sie her herrschte friedliche Stille. Außer dem Wellenschlag und vereinzeltem Vogelgeschrei war nichts zu hören. Dex zog Schuhe und Socken aus und stieg ins Wasser, gefolgt von Alicia, die ihren Rock hochgerafft hatte. Das warme Wasser umspülte ihre Knöchel, und sie spürten unter ihren Füßen feinen Sand. Gemeinsam zogen sie das Boot an Land und setzten sich dann zum Atemholen auf einen umgefallenen Baumstamm.
"Worüber lachst du?" fragte Dex, um dessen Lippen es ebenfalls zuckte. "Über uns." Tatsächlich bot er einen recht komischen Anblick in seinem dunklen Anzug, mit einer Blume im Knopfloch, aber barfuß. "Wir sehen aus wie Schiffbrüchige von der Titanic." "Findest du?" Er blickte an sich hinunter und begann ebenfalls zu lachen. "Wenigstens gibt es hier keine Eisberge." Er musterte Alicia von Kopf bis Fuß. "Aber im Gegensatz zu mir bist du eine bezaubernd aussehende Schiffbrüchige." Ihr Kleid glänzte im Schein der untergehenden Sonne wie pures Gold. Mit dem zerzausten blonden Haar und den bloßen Füßen bot sie einen geradezu exotischen Anblick, sehr sinnlich und verführerisch. Er blickte sie auf eine Weise an, die Alicias Puls höher schlagen ließ. Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen. "Es ist lange her, seit wir uns zuletzt geliebt haben", flüsterte sie. "Es war ziemlich hektisch in letzter Zeit." "Du warst mir gegenüber in den letzten Wochen so distanziert." "Findest du?" Er zog die Brauen zusammen. "Falls ja, geschah es unbeabsichtigt. Ich hatte einfach schrecklich viel um die Ohren." "Hattest du vielleicht Zweifel, ob wir das Richtige tun?" fragte sie, obwohl sie nicht sicher war, ob ihr die Antwort gefallen würde. "Nein, nicht einen Augenblick." Er neigte den Kopf und sah ihr forschend ins Gesicht. "Du etwa?" "Ein wenig Angst hatte ich schon", bekannte sie. Sanft berührte er ihre Wange. In seinem Blick lag eine solche Zärtlichkeit, dass Alicia neue Hoffnung schöpfte. "Wir werden eine gute Ehe führen, Alicia", versprach er.
Jäh fühlte sie sich wieder ernüchtert. "Du bist in allem so vernünftig und dir deiner so sicher, Dex." Erst jetzt bemerkte Alicia, dass inzwischen die ersten Sterne am Himmel zu sehen waren und das Meer sich verdunkelt hatte. Würde ihre Zukunft ebenso dunkel sein? "Glaub ja nicht, ich würde nie an mir zweifeln", bekannte Dex leise. "Gerade in letzter Zeit ist mir klar geworden, dass ich ein verdammter Narr war, weil ich unsere Beziehung für ... selbstverständlich genommen habe. Du bedeutest mir so unendlich viel, Alli. Als ich heute neben dir am Altar stand, war das der wichtigste Augenblick in meinem bisherigen Leben." Er fasste nach ihrer Hand und drückte sie fest. "Ich war überglücklich, dass du eingewilligt hattest, meine Frau zu werden und mit mir eine Familie zu gründen." "Mir hat dieser Augenblick auch viel bedeutet." Sie hatte plötzlich das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben. Lag Dex wirklich so viel an ihr, oder ging es ihm vor allem um das Kind? Unwillkürlich füllten sich ihre Augen mit Tränen. "Nicht weinen, Alli", sagte er sanft und fing mit der Fingerspitze eine Träne auf. "Ich weine nur, weil ich glücklich bin." In gewisser Weise stimmte das sogar, denn zumindest bereute Dex es nicht, sie geheiratet zu haben. Mochte sie auch nicht die große Liebe seines Lebens sein, so schien sie ihm doch viel zu bedeuten, und vielleicht entwickelte sich daraus irgendwann ein noch tieferes Gefühl. Sie bemerkte, dass er sie unverwandt anblickte, doch seine Miene war ausdruckslos. "Wieso siehst du mich so an?" "Weil ich weiß, wie dir zu Mute ist, nachdem du auf eine einmalige Chance verzichtet hast, in Sydney Karriere zu ..." "Du irrst dich", unterbrach sie ihn hastig. "Ich bin glücklich, mit dir hier zu sein." "Trotzdem grübelst du darüber nach, was du aufgegeben hast", beharrte er.
"Nein!" Sie schüttelte den Kopf. "Wahrscheinlich war man bei dieser Agentur nur deshalb an mir interessiert, weil die Bilder von Peter stammten. Er ist ein so großartiger Fotograf. Irgendwie sieht jeder gut aus, den er knipst." Dex lachte. "Was ist daran so komisch?" fragte sie erstaunt. "Peter hat mir prophezeit, du würdest genau das sagen." "Aber es stimmt." Sie zuckte gleichmütig die Schultern. "Nein", widersprach Dex. "Peter kennt sich in dieser Branche bestens aus. Wenn er dir Chancen einräumt, dann ist an der Sache wirklich etwas dran." "Wie auch immer, es ist sowieso egal." Alicia begann dieses Thema allmählich zu langweilen. "Niemand wird jetzt mehr an mir interessiert sein, es sei denn, jemand sucht ein Fotomodell für Umstandskleider", fügte sie scherzhaft hinzu. "Mir ist es keineswegs egal, da ich mich frage, ob du mir vielleicht später einmal vorwerfen wirst, ich hätte dir die Karriere vermasselt." "Dex!" Entsetzt sah sie ihn an. "Wie kannst du so etwas sagen oder auch nur denken?" "Als Peter heute auf dem Empfang davon sprach, wirktest du auf einmal so niedergeschlagen." Sie schüttelte energisch den Kopf. "Für mich gibt es jetzt nichts Wichtigeres als mein Baby." "Unser Baby", verbesserte er sie leise. Er rückte näher an sie heran, entzog ihr seine Hand und legte sie ihr auf den Bauch, dessen leichte Wölbung noch kaum wahrnehmbar war. "Ich werde mein Bestes tun, um dich glücklich zu machen, Alicia." "Und ich dich", versprach sie und sah ihn voller Liebe an. "Wie wollen wir ihn nennen?" fragte Dex unvermittelt. Sie lächelte. "Woher weißt du, dass es ein Er wird?" "Männliche Intuition."
"Ich bin sicher, es wird ein Mädchen." Verträumt lehnte Alicia den Kopf an Dex' Schulter und beobachtete, wie im Osten der Mond orangefarben aufging. "Wie findest du ,Katy'?" "Ich hatte eigentlich an ,Clark' gedacht." Sie hob den Kopf. "Wie Superman?" Dex grinste. "Genau." "Abgesehen davon, dass wir sowieso ein Mädchen bekommen, werde ich nicht zulassen, dass mein Sohn Clark genannt wird!" "Schon gut. Wenn es ein Mädchen wird, nennen wir es Katy, und falls wir einen Jungen bekommen, Sam. Einverstanden?" Alicia legte ihm die Arme um die Schultern und schmiegte sich an ihn. "Hörst du irgendwo Fanfaren und Trompeten, Dex?" flüsterte sie. "Ich glaube nämlich, ich habe mich verliebt." Er hob ihr Kinn an, um ihr ins Gesicht zu sehen. "Ich fühle mich sehr geschmeichelt, Alli, aber du brauchst mir nichts vorzuspielen", sagte er rau. "Mir ist lieber, du bist zu mir ganz ehrlich." Wortlos blickte sie ihn an. Verständlicherweise wollte er nichts von Liebe hören, da er ihr Geständnis nicht erwidern konnte. So schmerzlich es auch war, sie musste sich damit abfinden. Irgendwie schaffte sie es, ruhig zu antworten: "Ganz wie du meinst." Für einen Moment verhärteten sich seine Züge. "Es ist wichtig, dass wir beide völlig ehrlich zueinander sind", erklärte er leise. Dann neigte er den Kopf und küsste sie so sanft, als wäre es das erste Mal. Es war ein sehr gefühlvoller Kuss, den sie zögernd erwiderte und in dem sie gern so viel mehr gesehen hätte, was ihm einen bittersüßen Beigeschmack verlieh. Sehr bald wurde aus der zarten Liebkosung ein leidenschaftlicher Kuss, und Alicias Erregung stieg, als Dex sie mit seinen erfahrenen Händen aufreizend zu streicheln begann. Benommen fragte sie sich, ob sie einem unausgesprochenen Liebesgeständnis nicht zu viel Bedeutung beimaß. War die
starke Anziehungskraft zwischen ihnen nicht beredter als alle Worte? Schließlich löste Dex sich widerstrebend von ihr. "Wenn du nicht willst, dass ich dich gleich hier im Sand liebe, sollten wir uns auf die Suche nach unserer Unterkunft machen", sagte er heiser. Alicia nickte und legte ihre Hand in seine, als sie barfuß den menschenleeren Strand entlanggingen. Die warme Nachtluft war von Eukalyptusduft erfüllt, und das leise Rauschen des Meeres vermischte sich mit Froschgequake und Grillengezirpe. "Da sind wir schon." Dex wies auf ein einsames Holzhaus, das hinter einer Biegung vor ihnen auftauchte. Es lag nur wenige Meter vom Meer entfernt zwischen Palmen, und auf der Veranda leuchteten einladend Kerosinlampen. "Woher wusstest du von diesem kleinen Paradies?" fragte Alicia, als sie die Stufen zur Veranda hinaufgingen und dann ein sehr romantisch aussehendes Zimmer betraten. In der Mitte stand ein breites Himmelbett, das von einer Wolke aus weißem Musselin umgeben war. Der blaue Teppich auf dem matt polierten Holzfußboden bildete dazu einen wirkungsvollen Farbkontrast, und die über den ganzen Raum verteilten Kerzen tauchten alles in ein warmes Licht. "Es gehört zu einem Hotel auf der anderen Seite der Insel. Man nennt es das ,Flitterwochenversteck'", erklärte Dex mit schalkhaftem Lächeln. "Von außen sieht es zwar ein wenig primitiv aus, aber wir müssen auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation nicht verzichten." Er öffnete die Tür zu einem Bad mit in den Boden eingelassener Wanne und Duschkabine. "Trotz fehlenden Stroms gibt es sogar warmes Wasser. Boiler und Kühlschrank werden mit Propangas betrieben. Und wenn wir Hunger haben, brauchen wir nur per Handy im Hotel anzurufen, und das Essen wird uns per Boot geliefert." "Du hast wirklich an alles gedacht."
"Das hoffe ich. Unser Gepäck ist ebenfalls schon da." Er wies auf die beiden Koffer neben dem Bett. "Falls du nichts dagegen hast, gehe ich erst einmal unter die Dusche." "Einverstanden. Ich werde inzwischen nachsehen, was Vicky mir alles eingepackt hat." Fröhlich vor sich hin summend, öffnete Alicia ihren Koffer. Nach den heißen Küssen am Strand fühlte sie sich in Hochstimmung und von neuer Zuversicht für ihre Ehe erfüllt. Sie hörte Dex nebenan duschen und fand es wundervoll, fernab von Büro und Firma allein mit ihm zu sein, ohne Störungen befürchten zu müssen. Endlich würden sie Zeit finden, über ihre Gefühle zu sprechen und Zukunftspläne zu machen. Und vielleicht würde Dex ihr eines Tages sogar sagen, dass er sie liebte. Unwillkürlich musste sie lächeln, als sie ganz zuunterst im Koffer ein hauchdünnes Seidennachthemd mit durchgehender Knopfleiste entdeckte. Auf einem beigefügten Kärtchen stand in Vickys Handschrift: "Ein kleines Geschenk von mir". Meine Schwester ist eine unverbesserliche Romantikerin, dachte Alicia gerührt und breitete das Nachthemd auf dem Bett aus. Spontan beschloss sie, auch gleich Dex' Koffer mit auszupacken, und öffnete ihn. Obenauf lag eine Karte mit dem Bild einer roten Rose auf silbernem Grund. Ein etwas kitschiges Motiv, dachte Alicia. Neugierig klappte sie die Karte auf, um zu sehen, wer sie ihnen geschickt hatte, und wurde kreidebleich. Sie hatte plötzlich das Gefühl, in einen endlosen Abgrund zu stürzen. Liebster Dex, ich wollte dir nur noch einmal für die wunderbaren Tage in Perth danken. Ich weiß, sie bedeuten dir ebenso viel wie mir. Trotzdem verstehe ich deine Gründe für die Heirat mit Alicia und wünsche dir alles Gute. Du sollst jedoch wissen, dass ich dich liebe und stets für dich da sein werde, wenn du mich brauchst. Maddie
Obwohl Alicia hörte, wie nebenan das Wasser abgedreht wurde, stand sie noch immer reglos da, als gleich darauf Dex aus dem Bad kam. "Die Dusche ist frei", verkündete er gut gelaunt. Sie blickte zu ihm hin. Sein dunkles Haar war noch feucht. Er sah umwerfend männlich und sexy aus in dem kurzen weißen Hotelbademantel, der sich über seinen breiten Schultern spannte. Kein Wunder, dass Frauen - Maddie war da sicher nicht die einzige - ihn unwiderstehlich fanden. Auf einmal packte Alicia heftige Wut. Sein Gerede von vorhin, wie viel sie ihm bedeute und dass sie immer ehrlich zueinander sein sollten, war nur ein Lippenbekenntnis gewesen. Eine reine Hinhaltetaktik, um Zugriff auf das Baby zu haben. Ihre Heirat war nichts als eine Farce und sie selbst die größte Närrin unter der Sonne, weil sie ihm auch nur ein Wort geglaubt hatte. "Alicia?" Er musterte sie leicht irritiert. "Ist alles in Ordnung?" Ohne zu antworten, setzte sie sich aufs Bett. Vor Wut und Schmerz versagte ihr die Stimme. Sein Blick fiel auf die Karte in ihrer Hand. "Was ist das?" Sie zwang sich, ihm direkt ins Gesicht zu sehen, und plötzlich überkam sie eine merkwürdige Ruhe. "Ein Gruß an dich." Sie reichte ihm die Karte. "Er war in deinem Koffer." Sie ließ ihn nicht aus den Augen, während er las, und beobachtete, wie er verärgert die Brauen zusammenzog. Dann sah er sie bestürzt an. "Du glaubst doch nicht, was hier steht?" Sie schwieg, doch ihr Blick drückte nichts als Verachtung aus. "Alli, zwischen Maddie und mir ist absolut nichts passiert in Perth!" sagte er in fast beschwörendem Ton. Alicia stand auf. "Versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen, Dex." "Aber es ist die Wahrheit!"
Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich war es mit Alicias Beherrschung vorbei. "Du weißt ja gar nicht, was Wahrheit ist! Du hast mich belogen und betrogen, und dafür ... hasse ich dich!" "Sag bitte nicht so was, Alicia." Sein Gesicht war aschfahl geworden. "Wieso nicht? Du hast doch darauf bestanden, dass wir immer ehrlich zueinander sein sollen", sagte sie mit beißendem Hohn. Sie wollte ihm einfach nur wehtun. Er sollte sich genauso elend fühlen wie sie. "Ich habe nicht gelogen." Im Gegensatz zu ihrer klang seine Stimme ruhig, doch verriet sein finsterer Blick, wie mühsam er sich beherrschte. "Als Nächstes versuchst du mir noch weiszumachen, ich würde mir das alles nur einbilden." Sie wies auf die Karte, die er noch immer in der Hand hielt. "Jedes einzelne Wort, das darauf steht, ist Maddies Fantasie entsprungen", entgegnete er schroff. Alicia sah ihm zu, wie er die Karte in kleine Fetzen zerriss und diese zu Boden fallen ließ. "Das glaube ich dir nicht." Unvermittelt erinnerte sie sich wieder an ihre Unterhaltung mit Maddie während des Empfangs. "Du hast ihr ja sogar unser Haus gezeigt, bevor ich es gesehen hatte." "Nun ... ja. Aber nur, weil sie zufällig gerade aufkreuzte, als ich auf dem Weg dorthin war. Sie sagte, sie müsse dringend etwas mit mir besprechen..." "Dass es dringend war, glaube ich dir aufs Wort", unterbrach Alicia ihn spöttisch. "Habt ihr beide dann unser Schlafzimmer eingeweiht?" "Jetzt reicht es aber!" rief er aufbrausend. Er schien nun ebenfalls wütend zu werden. "Ich lasse mir von dir nicht den Mund verbieten!" schrie Alicia. "Du hast mich lange genug zum Narren gehalten." Es war sinnlos, sich noch irgendwelchen Illusionen hinzugeben.
"Zum Glück ist es noch nicht zu spät, unsere Ehe annullieren zu lassen." "Was?" Entsetzt sah er sie an. "Sieh mal..." "Erspar dir und mir weitere Lügen, Dex. Ich hätte mich mit einer Ehe ohne Liebe abfinden können, wenn sie auf beiderseitigem Respekt gegründet worden wäre, auf Freundschaft und all den anderen schönen Versprechen, mit denen du mich überhaupt dazu gebracht hast, einer Heirat zuzustimmen. Aber ich bin nicht bereit, mich von dir belügen und betrügen zu lassen." Seine braunen Augen wirkten plötzlich fast schwarz. "Das musst du auch nicht." Er legte ihr die Hand auf den Arm. "Ich war dir niemals untreu, Alicia. Zugegeben, Maddie und ich hatten einmal eine Beziehung ... eine flüchtige Affäre ..." "In Perth?" "Nein, nicht in Perth!" Zornig schüttelte Alicia seine Hand ab. "Du solltest jetzt besser gehen." "Gehen?" wiederholte er ungläubig. "Wir müssen uns zusammensetzen und alles in Ruhe besprechen, Alli. Deine ganze Aufregung steht in keinem Verhältnis zu ..." "Ach nein?" Ihre Augen blitzten zornig. "Du findest also, ich nehme deine Untreue zu ernst? Eine denkbar schlechte Voraussetzung für unsere Zukunft, Dex." Sie stand vom Bett auf und schnappte sich das Nachthemd. "Ich gehe jetzt unter die Dusche", sagte sie müde. "Hast du nicht etwas von einem Hotel auf der anderen Seite der Insel erwähnt? Ich schlage vor, du übernachtest dort." Hoch erhobenen Hauptes ging sie ins Bad und sperrte die Tür hinter sich ab. "Ich verstehe durchaus, dass du wütend bist", drang kühl und gelassen Dex' Stimme durch die geschlossene Tür. Traurig musterte Alicia ihr Spiegelbild. Der flackernde Schein der Lampe zauberte Lichtreflexe auf ihr Kleid und ließ
es besonders romantisch aussehen. Dex ahnte ja nicht, wie viel sie sich von ihrer Hochzeitsnacht erhofft, wie sehr sie ihr entgegengefiebert hatte. Und nun lag ihre Ehe bereits in Trümmern, noch ehe sie begonnen hatte. Alicia hätte sich gern durch Tränen Erleichterung verschafft. Im Moment war sie innerlich jedoch wie versteinert und vermochte nicht einmal zu weinen. "Alicia, gib mir wenigstens Gelegenheit, dir alles zu erklären. Zumindest das bist du mir schuldig." "Ich bin dir gar nichts schuldig." Mit zittrigen Händen zerrte sie am Reißverschluss ihres Kleides. "O doch. Immerhin bin ich dein Ehemann." "Nur auf dem Papier." "Wenn du..." Sie ging unter die Dusche und drehte den Wasserhahn voll auf. Dex' restliche Worte gingen im Rauschen des Wassers unter. Seit dem Tod ihrer Eltern hatte Alicia sich nicht mehr so einsam und verloren gefühlt wie jetzt, am Abend ihres Hochzeitstags. Trotzdem wollte sie ihr Kind lieber allein aufziehen, als sich mit Dex' Untreue abzufinden.
6. KAPITEL Als Alicia nach einer Weile aus dem Bad kam, war das Schlafzimmer leer, und sie empfand den Anblick des Hochzeitsbettes mit der einladend zurückgeschlagenen Decke fast als Hohn. Unwillkürlich ließ sie die Fingerspitzen über ihr seidenes Nachthemd gleiten. Es war richtig gewesen, Dex wegzuschicken, versuchte sie sich einzureden, vermochte aber leise Zweifel nicht ganz zu unterdrücken. Im Zimmer herrschte eine unerträgliche Stille, die an ihren Nerven zerrte, und sie setzte sich verzagt aufs Bett. Auf dem Boden lagen noch die Schnipsel der zerrissenen Karte. Zum hundertsten Mal an diesem Abend fragte Alicia sich, wie lange sein Verhältnis mit Maddie wohl schon dauerte. Ein Frösteln überlief sie, und trotz der tropischen Nachthitze hatte sie das Gefühl, innerlich vor Kälte wie erstarrt zu sein. Unversehens wurde die Tür geöffnet. Dex trat von der Veranda ins Zimmer, blieb aber an der Tür stehen. Statt des Bademantels trug er nun Jeans und ein weißes Polohemd. Seine Miene war ernst und betroffen. Er sieht so aus, wie ich mich fühle, dachte Alicia in einem Anflug von Galgenhumor. "Ich hatte dich doch gebeten, mich allein zu lassen", sagte sie, konnte sich aber eines heimlichen Gefühls der Erleichterung nicht ganz erwehren.
"Nun komm schon, Alli, das hast du doch nicht ernst gemeint." Seine Stimme klang sanft. "Oder willst du mir das Herz brechen?" "Ich bezweifle, dass du überhaupt eines hast", erwiderte sie giftig. "O doch", sagte er sanft und sah sie auf eine Weise an, die ihren Puls schneller schlagen ließ. Hast du denn keinen Stolz? schalt sie sich. Wie konnte sie einen Mann begehren, der sie nicht liebte? Nur weil für einen Sekundenbruchteil Verlangen in seinen Augen aufgeblitzt war, durfte sie doch nicht gleich nachgeben! "Wenn es um dich geht, ist mein Herz äußerst empfindsam." Alles nur leere Worte, dachte Alicia und schwieg. "Was uns beide betrifft, so habe ich einiges falsch gemacht, Alli. Aber ich habe dich niemals betrogen." Er schloss die Tür hinter sich und trat näher. "Ich würde dir gern glauben", sagte sie leise. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und ging neben dem Bett in die Knie. "Es ist die Wahrheit, Alicia." Sie wagte es nicht, ihn anzusehen, um nicht schwach zu werden. "Ja, Maddie und ich hatten vor Jahren ein ... Verhältnis." Er umfasste ihr Kinn, um zu verhindern, dass sie den Kopf wegdrehte. "Nein, Alli, sieh mich bitte an. Ich lernte Maddie kennen, als ich noch für MacDales arbeitete. Es war vor deiner Zeit dort. Wir hatten eine flüchtige Affäre, dann entdeckte ich, dass sie verheiratet war, und machte sofort Schluss mit ihr. Verheiratete Frauen waren für mich tabu, und ich war verärgert, dass Maddie mich diesbezüglich angelogen hatte. Ich habe sie dann ewig nicht mehr gesehen, bis sie mir kürzlich bei einer Tagung von Computerexperten hier in der Stadt über den Weg lief." Dex machte eine kurze Atempause, ehe er weitererzählte. "Wir tranken ein Glas Wein zusammen, und sie erzählte mir,
dass sie inzwischen geschieden sei. Außerdem entschuldigte sie sich für ihr Verhalten von damals und erklärte, sie sei in ihrer Ehe sehr unglücklich gewesen und hätte deshalb in einer Affäre Trost gesucht." Er zuckte die Schultern. "Dann sagte sie noch, sie hoffe, ich würde ihr nichts mehr nachtragen und dass sie an meinen beruflichen Plänen sehr interessiert sei." Alicia verdrehte die Augen. "Und du hast tatsächlich geglaubt, ihr Interesse an dir sei rein beruflich?" "Wieso denn nicht? Sie ist eine Frau von Welt, und unsere kleine Affäre von damals war doch längst vergessen. Es gab also keinen Grund, uns nicht geschäftlich zusammenzutun." Alicia schüttelte den Kopf. "Ich könnte dir auf Anhieb eine Reihe von Gründen nennen, die dagegen sprechen." "Rückblickend magst du vielleicht Recht haben, aber hinterher ist man immer klüger", erwiderte er gelassen. "Jedenfalls ging es nach jenem zufälligen Wiedersehen mit ihr bei allen weiteren Treffen stets nur ums Geschäft. Sie ist eine smarte Geschäftsfrau und hat die richtigen Kontakte. Ich hatte keinen Grund, anzunehmen, sie sei an mir persönlich interessiert." Dex runzelte die Stirn. "Doch kaum hatte ich in Perth den Vertrag unterschrieben, machte sie mir plötzlich Avancen." "Und du gingst mit ihr ins Bett?" "Nein!" widersprach er heftig. "Es ist nichts passiert. Sie hat mich geküsst..." "Und das nennst du nichts?" "Nun, man könnte sagen, dass dieser Kuss sehr aufschlussreich für mich war." Er klang nun sogar leicht amüsiert, was Alicia nur noch mehr in Rage brachte. "Aufschlussreich?" wiederholte sie, und ihre Augen sprühten Funken. "Mir wurde auf einmal klar, dass ich nicht mehr an ihr interessiert war, sondern nur dich wollte."
Seine warme Baritonstimme wirkte auf Alicia wie eine Liebkosung und besänftigte ihren Zorn, verunsicherte sie aber auch. "Bitte, Dex, lüg mich nicht schon wieder an", bat sie. "Es ist die reine Wahrheit." Wie gern hätte sie ihm geglaubt! Dir Verlangen nach ihm war so stark, dass sie ihren Argwohn gern verdrängt hätte, doch ein Rest an Vernunft erinnerte sie daran, wie überzeugend Dex sein konnte, wenn er etwas haben wollte, und ihm Moment schien ihm nichts wichtiger zu sein als sein Kind. "Wie ist diese Karte in deinen Koffer gekommen?" fragte sie unvermittelt. Er zögerte. "Keine Ahnung, aber unser Gepäck stand einige Zeit an der Hotelrezeption. Vielleicht hat Maddie sie da hineingeschmuggelt." Zweifelnd sah Alicia ihn an. Sie wollte von ihm nicht benutzt und zum Narren gehalten werden. Gleichzeitig aber liebte sie ihn, und was er sagte, klang ehrlich. "Alli, du kannst doch wegen dieser idiotischen Karte nicht alles aufgeben, was uns verbindet. Maddie bedeutet mir absolut nichts." Sanft zog er mit dem Daumen die Linie ihrer Lippen nach. Diese zarte Liebkosung ließ Alicia erschauern, und es fiel ihr immer schwerer, ihm noch länger zu widerstehen. "Du hättest mir schon früher von deiner Affäre mit Maddie erzählen sollen." Er nickte. "Das ist mir jetzt auch klar. Aber ich wollte alles Frühere vergessen und mich ganz aufs Geschäftliche konzentrieren. Und vielleicht befürchtete ich auch, du könntest alles falsch verstehen. Bitte verzeih mir, Alli", sagte er rau und küsste sie. Ihre Hände verkrampften sich in das Laken, und sie musste all ihre Willenskraft aufbieten, um den Kuss nicht zu erwidern. Dex lehnte sich zurück und sah sie verunsichert an. "Du hasst mich doch nicht wirklich?" "Nein ..." Sie seufzte. "Ich war vorhin nur so wütend ..."
"Glaubst du mir denn wenigstens jetzt?" "Ich frage mich, was du gemeint hast, als du sagtest, du hättest einiges falsch gemacht." Er lächelte sein unwiderstehliches Lächeln, bei dem sie immer förmlich dahinschmolz. "Ich hätte dich beinah einmal gehen lassen und damit den schwerwiegendsten Fehler meines Lebens begangen." Er neigte den Kopf und küsste sie erneut. Diesmal erwiderte Alicia den Kuss mit all der Leidenschaft, die sie für Dex empfand. Als sie sich schließlich voneinander lösten, rangen sie beide nach Atem. "Es tut mir Leid, dass ich dir nicht alles über Maddie erzählt habe", sagte er leise. "Was willst du ihretwegen unternehmen?" Alicia zog mit dem Finger seine Wangenlinie nach. "Sobald wir zurück sind, werde ich mit ihr reden. Sie wird bestimmt einsehen, dass sie sich in mir den Falschen ausgesucht hat. Abgesehen davon ist sie eine attraktive Frau und wird sich schnell mit einem anderen Mann trösten." Für Alicia war das keineswegs so sicher, da sie sich daran erinnerte, wie sonderbar Maddie ihnen nachgeblickt hatte, als sie mit dem Boot davongefahren waren. Dex umfasste Alicias Gesicht und sah sie so eindringlich an, als wollte er sich ihre Züge für immer einprägen. "Heute Morgen habe ich einen der schlimmsten Augenblicke meines Lebens durchgemacht." Er schien mehr mit sich selbst als mit ihr zu sprechen. "Wieso, was ist geschehen?" fragte sie bestürzt. "Nichts ... ich ... hatte nur so ein merkwürdiges Gefühl." Er bemerkte ihre Verwirrung und lächelte traurig. "Wahrscheinlich hältst du mich für verrückt, und ich sollte es dir gar nicht erzählen. Jedenfalls klingelte es heute Morgen an der Tür, und ich dachte, das sei mein Trauzeuge. Ich hatte schon die Hand auf der Türklinke, um zu öffnen, da überfiel mich urplötzlich die Erinnerung an den Tag, als ich Clare heiraten wollte."
Alicia erstarrte, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. "Vor meinem inneren Auge sah ich meinen besten Freund und damaligen Trauzeugen vor der Tür stehen, mit einem Ausdruck solchen Entsetzens im Gesicht, dass ich sofort wusste, Clare war etwas zugestoßen. Deshalb wagte ich heute Morgen sekundenlang nicht die Tür zu öffnen, sondern ... betete ... dass dir nichts passiert sei. Ich ... hätte es nicht... ertragen ..." "O Dex!" Alicias Augen füllten sich mit Tränen. Sie legte die Arme um ihn und schmiegte den Kopf an seine Schulter. Sie wusste, wie schwer es ihm fiel, über Clare zu sprechen, und empfand es als großen Vertrauensbeweis, dass er sich dazu überwunden hatte. "Es muss schrecklich für dich gewesen sein, Darling. Aber das gehört alles der Vergangenheit..." "Ich weiß, Alli", unterbrach er sie ernst und schob sie von sich, um sie anzusehen. "Andererseits hat mir dieses Erlebnis heute Morgen jäh die Augen geöffnet. Nur wegen Clare habe ich mich in den vergangen Wochen nicht wie ein normaler Bräutigam verhalten. Weder habe ich den Verlobungsring zusammen mit dir ausgesucht, noch bin ich gemeinsam mit dir auf Haussuche gegangen. Unbewusst habe ich jede Ähnlichkeit mit den Hochzeitsvorbereitungen von damals vermieden." Alicia schluckte hart. "Weil Clare einzigartig war und niemand sie dir je ersetzen kann?" "Selbstverständlich kann keiner sie ersetzen", sagte er in schroffem Ton. "Sie war eine unverwechselbare Persönlichkeit." Die Worte taten Alicia in der Seele weh, aber sie verstand sie. Niemand wusste besser als sie, was es hieß, einen geliebten Menschen zu verlieren. "Darum ging es jedoch nicht, Alli." Er streichelte ihre Wange und sah Alicia dabei tief in die leuchtenden blauen Augen. "Vielmehr hatte ich eine panische Angst, der Albtraum von damals könnte sich wiederholen. Nur deshalb habe ich mich bemüht, diesmal alles anders zu machen."
"Dex ..." Ihre Stimme war voller Mitgefühl, und ihr Blick drückte eine tiefe Zärtlichkeit aus. "O Alli", stöhnte er und küsste sie mit ungestümer Leidenschaft. "Ich verdiene dich gar nicht. Du bist so verständnisvoll... so einfühlsam ..." "Jeder verdient eine zweite Chance, Dex", sagte sie sanft. "Ich werde alles tun, damit du es nie bereust, mich geheiratet zu haben", flüsterte er und bedeckte ihr Gesicht und ihren Hals mit Küssen. "Wir passen perfekt zusammen." "Ja ..." Alicia verdrängte ihre Zweifel, wollte nur noch in Dex' Armen liegen, von ihm gehalten und geliebt werden. Das flackernde Kerzenlicht glitt über sein dunkles Haar und verlieh seiner gebräunten Haut einen warmen Goldton. Er sieht aus wie ein heidnischer Gott, dachte Alicia verliebt. Dann bemerkte sie, dass Dex sie mit der gleichen Intensität betrachtete. "Sehr sexy", sagte er heiser und musterte eingehend das durchsichtige weiße Nachthemd. Allein dieser Blick erregte Alicia so sehr, dass sie Dex am liebsten angefleht hätte, sie jetzt gleich zu nehmen. Er setzte sich zu ihr aufs Bett und drückte sie sanft in die Kissen zurück. Dann berührte er mit dem Finger ihr Gesicht und streichelte zart ihren Hals. Alicias Atem ging schneller, als er nun ihr Nachthemd aufzuknöpfen begann. Sachte öffnete er Knopf für Knopf und schob ungeduldig den Stoff beiseite. Dann ließ er den Blick aufreizend langsam über ihren nackten Körper schweifen. "Deine Brüste sind voller geworden", stellte er fest. Einen Augenblick lang fühlte sie sich befangen, dachte gar, er würde ihre Figur mit der von Clare vergleichen, und wollte nach dem Nachthemd greifen. "Nein." Sanft hielt er ihre Hand fest. "Du bist wunderschön, Alli", sagte er bewundernd, und als sie ihn ansah, glaubte sie in seinen Augen so etwas wie Belustigung zu entdecken.
"Dex, ich ... Oh!" Ihr versagte die Stimme, denn er hatte ihre Brüste umfasst und streichelte mit den Daumen die rosigen Spitzen, bis sie vor Erregung hart wurden und sich aufrichteten. Dann beugte er sich über sie, umschloss mit den Lippen eine steife Knospe, liebkoste und reizte sie mit der Zunge, bis Alicia vor Lust leise aufschrie und die Hände in sein Haar schob. Er beugte sich nun über ihre andere Brust, umspielte die rosige Knospe mit der Zunge und nahm sie dann zart zwischen die Zähne. Alicia hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen. Als Dex sich schließlich von ihr zurückzog, öffnete sie die Augen und flehte: "Bitte nicht aufhören." Er lächelte, als er das Verlangen in ihren Augen sah, und legte die Hand auf das blonde Dreieck zwischen ihren Beinen. Alicia stöhnte und biss sich auf die Lippe, als er sie erneut zu streicheln begann. "Bitte, Dex, komm zu mir", flüsterte sie. Er ließ die Finger nur noch tiefer gleiten und übte mit seinen Händen einen so starken erotischen Zauber aus, dass Alicia glaubte, vor Verlangen zu vergehen. Stöhnend berührte sie ihre Brüste und drehte den Kopf hin und her. Dex sah ihr mit glänzenden Augen zu. "Du bist eine wunderbare Geliebte, Alli. So sinnlich und leidenschaftlich und hingebungsvoll." Sie wurde rot und ließ die Hände sinken, doch Dex legte sie ihr wieder auf die Brüste. "Bitte nicht aufhören. Ich liebe es, dich so zusehen." Rasch zog er sich aus. Dann beugte er sich über sie und küsste sie, und ohne den Kuss zu unterbrechen, kam er zu ihr. Als Alicia erwachte, goss es in Strömen. Es war einer jener sintflutartigen tropischen Wolkenbrüche, die plötzlich losbrachen und ebenso unvermittelt wieder aufhörten. Sie lauschte dem auf das Dach prasselnden Regen und beobachtete durch das offene Fenster, wie es draußen langsam hell wurde.
Neben ihr lag Dex und hatte ihr im Schlaf einen Arm locker um die Taille gelegt. Obwohl die vergangene Nacht unglaublich schön gewesen war und sie sich bis in die frühen Morgenstunden geliebt hatten, plagten Alicia nun erneut Zweifel. Sexuell hatte es zwischen ihr und Dex immer bestens geklappt, doch hatte das nichts mit Liebe zu tun. Sie betrachtete ihn von der Seite. Was für lange, dichte Wimpern er hatte! Wenn er schlief, wirkte er viel verletzlicher. Es fehlten die arrogante Kopfhaltung und der unerschütterliches Selbstvertrauen ausdrückende Blick. Er liebt mich nicht wirklich, dachte sie traurig. Trotz seiner blumigen Worte, wie wichtig sie für ihn sei, würde sie nach Clare immer nur zweite Wahl für ihn bleiben. Letztendlich hatte er sie nur einzig und allein wegen des Babys geheiratet. Und obgleich er sich körperlich zu ihr hingezogen fühlte, hieß das keineswegs, dass andere Frauen ihn nicht ebenfalls reizten. Dass zwischen ihm und Maddie in Perth nichts passiert war, glaubte Alicia ihm. Musste es glauben, da ihre Ehe sonst von Anfang an eine Farce wäre. Wenn er allerdings behauptete, Maddies Kuss hätte ihn völlig kalt gelassen, so stand das auf einem anderen Blatt. Immerhin hatte seine Mutter ihr erzählt, bisher habe er ein Faible für Frauen gehabt, die wie Clare dunkelhaarig und grünäugig waren. Und Maddie hatte grüne Augen und dunkle Haare. Dex drehte sich im Schlaf um, und seine Hand glitt von ihrer Taille. Alicia nutzte die Gelegenheit, aus dem Bett zu schlüpfen. Sie streifte ihr Nachthemd über und ging zum Fenster. Es hatte zu regnen aufgehört, und wie ein purpurroter Ball tauchte die Sonne aus dem Meer auf. Unter ihren ersten Strahlen glitzerten die Regentropfen auf den saftig grünen Büschen wie Juwelen.
Fasziniert von dem Naturschauspiel, öffnete Alicia die Tür und trat auf die Veranda hinaus. Der Holzboden unter ihren Füßen war feucht und warm. Sie hörte Vogelgezwitscher und sah einen weißen Kakadu elegant auf einer Bananenstaude landen. Das Meer war spiegelglatt und schimmerte durchsichtig im Licht der aufgehenden Sonne. Ich könnte ins Boot steigen und davonfahren, schoss es ihr unvermittelt durch den Kopf. Noch hatte sie ihr Apartment nicht geräumt und konnte die Kündigung zurückziehen. Und Dex würde sie erklären, ihre Heirat sei ein Fehler gewesen. Sie vernahm Schritte hinter sich und drehte sich um. "Was machst du so früh hier draußen?" fragte Dex verschlafen. Er trug nur Shorts und sah mit seinem zerzausten Haar unwiderstehlich sexy aus. Wie hatte sie auch nur einen Moment lang erwägen können, ihn zu verlassen? Sie liebte ihn doch viel zu sehr. "Ich habe nur ein wenig nachgedacht." Ihre Stimme klang unnatürlich rau. "Komm zurück ins Bett." Sanft zog er sie an sich. Sie lehnte den Kopf an seine Brust und atmete seinen frischen, männlichen Duft ein. "Worüber hast du denn nachgedacht?" "Nur darüber, wie lange es uns vergönnt ist, in diesem Paradies zu bleiben und die Wirklichkeit auszuschließen." Es war nicht direkt gelogen. Wenn er sie wie jetzt in den Armen hielt, hätte sie tatsächlich am liebsten die Zeit angehalten. "Uns bleiben noch zwei volle Tage." An seiner Stimme hörte sie, dass er lächelte. "Wir sollten sie, so gut es geht, nutzen." Alicia lachte leise. "Das finde ich auch."
7. KAPITEL Es dauerte eine Weile, bis Alicia sich daran gewöhnt hatte, jeden Morgen zusammen mit Dex das Haus zu verlassen. In gewisser Weise bildeten sie nun eine Familie. Meistens wurde im Auto besprochen, was es abends zu essen geben sollte, dann setzten sie Vicky an der Schule ab und fuhren weiter zum Büro. Dort hatte sich durch die Heirat allerdings nichts geändert. Dex war der Boss und Alicia die Sekretärin. Seit den beiden unvergesslichen Tagen auf der paradiesischen Tropeninsel waren sechs Wochen vergangen, und obgleich Dex härter denn je arbeitete, lief im Büro alles seinen gewohnt ruhigen Gang. Zu Alicias Erleichterung ließ Maddie sich nicht mehr blicken. Dex hatte sie auf die Karte angesprochen, und sie hatte sich bei ihm entschuldigt. Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt. Alicia hatte ebenfalls Angenehmeres zu tun, als sich mit Maddie McDowell zu befassen. Sie war nun bereits in der siebzehnten Schwangerschaftswoche und beschäftigte sich in Gedanken vor allem mit ihrem Baby. Immer häufiger streifte sie neuerdings in ihrer Mittagspause durch Läden für Babyausstattung und konnte manchmal nicht widerstehen, ein winziges Strampelhöschen oder besonders niedliches Jäckchen zu kaufen. Um das Schicksal nicht herauszufordern, bewahrte sie die Sachen nicht zu Hause, sondern in der untersten Schublade ihres Schreibtisches auf. Dorthin legte sie nun auch
die kleinen gelben Schühchen, die sie in der Mittagspause erstanden hatte. Dex kam aus seinem Büro. "Wie sieht's aus bei dir?" fragte er. "Noch viel zu tun?" "Es geht." "Hast du den Brief an den Steuerberater weggeschickt?" "Ja, gleich heute Morgen." Alicia zog aus dem Ablagekorb ein Blatt Papier und reichte es ihm. "Hier ist die Kopie." "Danke." Er überflog das Schreiben und nickte zufrieden. Dann beobachtete er, wie sie im Kalender blätterte. Sie trug das blonde Haar heute offen und bot ein Bild strahlender Gesundheit. Ihre Haut war leicht gebräunt, die Augen leuchteten. Dex kannte keine Frau, der die Schwangerschaft so gut bekam wie ihr. Trotz der vielen Arbeit begleitete er Alicia zu jeder ärztlichen Untersuchung. Der Gedanke, bald Vater zu werden, gab seinem Leben einen neuen Sinn und spornte ihn an, noch härter als bisher zu arbeiten. "Du hast um zwei einen Termin mit dem Leiter deiner Bankfiliale", sagte sie. "Und um halb fünf kommt Robert Vaughn von der Werbeagentur hierher." Dex lächelte, als sie ihn ansah. "Welcher Mann hat schon das Glück wie ich, eine perfekte Ehefrau zu haben, die zugleich eine erstklassige Sekretärin ist?" "Du bist ein elender Süßholzraspler, Dex Rowland." Sie lachte und griff nach dem Stapel Post neben dem Computer. "Was ist damit?" Er wies auf einen Brief, den sie beiseite gelegt hatte. "Ach, das ist nur ein Schreiben der Agentur in Sydney, an die Peter meine Fotos geschickt hat", sagte sie gleichmütig. "Anscheinend passiert es nicht oft, dass jemand ein solches Angebot ablehnt. Die meisten Mädchen würden dafür ihre Seele verkaufen, meinte Peter gestern am Telefon." "Vermutlich hat er Recht."
Irgendetwas in seiner Stimme ließ Alicia aufhorchen, und sie musterte ihn scharf. Er sieht müde aus, dachte sie, als sie die Schatten um seine Augen bemerkte. Ich muss darauf achten, dass er vor lauter Arbeit nicht seine Gesundheit ruiniert. "Was hältst du davon, wenn ich Robert anrufe und den Termin absage?" schlug sie unvermittelt vor. "Wir beide könnten früher Schluss machen, und ich koche uns etwas Gutes zu essen, während du dich ein wenig ausruhst." "Das klingt wundervoll, Alli, ist aber leider unmöglich. Robert und ich wollen heute letzte Vorbereitungen für die Werbekampagne treffen. Wahrscheinlich wird es spät werden." Alicia runzelte die Stirn. In dieser Woche hatte Dex schon mehrmals bis spät in die Nacht gearbeitet. "Du darfst dich nicht ständig bis zur körperlichen Erschöpfung verausgaben", mahnte sie. "Das hältst du nicht lange durch, Dex." "Sobald die Werbekampagne läuft, werde ich es ruhiger angehen lassen." Er lehnte sich gegen den Schreibtisch und blickte lächelnd zu ihr hinunter. "Aber den Gedanken an ein romantisches Dinner mit dir finde ich sehr verlockend. Was hältst du davon, wenn wir morgen Abend essen gehen?" "Allzu begeistert scheinst du von meinen Kochkünsten nicht zu sein", beschwerte sie sich, konnte jedoch ihre Belustigung nicht verbergen. "Das ist für eine junge Ehefrau nicht sehr ermunternd." In seinen Augen blitzte es auf. "Ganz im Gegenteil, mich begeistert alles an dir", versicherte er ein wenig heiser und strich ihr sanft über die Wange. Die zarte Liebkosung ließ Alicia erschauern, und sie hätte sich am liebsten in seine Arme geworfen und ihn geküsst. "Du bist sogar eine exzellente Köchin, aber außerdem bist du jung und bezaubernd schön und hast es verdient, ein wenig Spaß zu haben. Ich werde dich in ein besonders schickes Restaurant führen." "Du überhäufst mich ja heute förmlich mit Komplimenten. Wären wir nicht verheiratet, würde ich glauben, du wolltest
mich in dein Bett locken, Mr. Rowland", zog sie ihn auf und lächelte amüsiert. "Ich würde da gern einhaken ..." Er beugte sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen, doch kaum hatten sich ihre Lippen berührt, klingelte das Telefon. Alicia seufzte. "Die Pflicht ruft. Aber ich freue mich schon auf morgen Abend. Nur sollte das Lokal nicht zu elegant sein. Ich habe nichts anzuziehen." "Nichts anzuziehen?" wiederholte er irritiert. Lächelnd klopfte sie auf ihren Bauch. "Auch wenn du zu höflich warst, es zu bemerken, ich habe in letzter Zeit einige Pfunde zugenommen." Gut gelaunt griff sie nach dem Hörer und meldete sich. "He, schau dir das mal an!" hörte Alicia ihre Schwester aufgeregt rufen, als sie abends das Haus betrat. "Was?" Neugierig folgte Alicia dem Klang von Vickys Stimme, die aus ihrem und Dex' Schlafzimmer kam. "Das hier." Vicky wies auf die in Plastikhüllen steckenden Kleider, die über den ganzen Raum verteilt waren. "Woher kommen die Sachen?" fragte Alicia verblüfft, während sie ein schwarzweiß gemustertes Kleid mit Spaghettiträgern einer genaueren Begutachtung unterzog. "Von dieser vornehmen Boutique am Pier Marketplace!" Vicky war vor Aufregung ganz aus dem Häuschen. "Kurz bevor du kamst, fuhr draußen ein Kleintransporter vor, und die Frau am Steuer sagte, ein Mr. Rowland habe sie beauftragt, eine kleine Auswahl ihrer Kleider für dich vorbeizubringen. Du sollst alles in Ruhe anprobieren, sie würde dann morgen früh die Sachen wieder abholen." "Aber das ist doch eine sündhaft teure Boutique!" "Eben, die Klamotten sind Spitze. Dex ist ein echter Schatz!" Vicky schob einige auf dem Bett ausgebreitete Kleider beiseite, setzte sich und sah ihre Schwester erwartungsvoll an. "Nun, mit welchem Fummel willst du anfangen?"
Für Alicia war die Versuchung groß, alles der Reihe nach anzuprobieren, da auch noch die entsprechenden Accessoires mitgeliefert worden waren. Doch dann seufzte sie. "Mit keinem. Sie sind einfach zu teuer. Im Moment kann Dex es sich nicht leisten, derart großzügig zu sein." "Wer sagt das?" Unbemerkt von beiden, hatte Dex das Haus betreten und lehnte lässig am Türrahmen. "Ich glaube, diese Entscheidung sollte man allein mir überlassen." Alicia fuhr herum. "Dex! Ich dachte, es würde heute spät bei dir werden. Wie schön, dass du schon da bist!" Er lächelte. "Ich bin nur auf einen Sprung vorbeigekommen, um mich zu vergewissern, dass alles geklappt hat." "Es ist wirklich sehr lieb von dir, aber ..." "Von lieb kann keine Rede sein. Ich möchte dir einfach eine Freude machen. Such dir ein paar hübsche Kleider aus und du auch eines, Vicky." Mit einem Schrei des Entzückens sprang Vicky vom Bett auf und begann sofort, ihre Auswahl zu treffen. "Dex..." "Ich muss wieder weg, Alli." Er sah auf seine Uhr. "Robert wartet im Büro auf mich, und wir haben noch viel zu besprechen." "Was ist mit dem Dinner?" fragte sie, während sie ihn nach draußen begleitete. "Ich werde mir etwas in der Stadt besorgen." "Gut." Alicia stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Lippen. "Danke für die Kleider", flüsterte sie. Er blickte sie mit liebevoller Nachsicht an. "Meine Gründe waren nicht ganz uneigennützig", erklärte er, und in seinen Augen blitzte es auf. "Ich hoffe nämlich auf eine ganz private Modenschau in unserem Schlafzimmer." Verträumt blickte Alicia ihm nach, als er die Verandatreppe hinuntereilte, in sein Auto stieg und davonfuhr.
"Findest du, dass mir das steht?" fragte Vicky, als Alicia zurück ins Schlafzimmer kam. Alicia musste lachen, weil ihre Schwester es so schnell geschafft hatte, in das königsblaue Kleid zu schlüpfen. "Du siehst fantastisch aus!" "Hoffentlich, es ist nämlich das einzige, das mir passt. Alle anderen sind zu groß. Offenbar kennt D ex deine Kleidergröße nicht." "Oder er weiß, dass ich in den kommenden Monaten etliche Pfunde zunehmen werde." Vicky sah ihre Schwester mit großen Augen an. "Du bist doch nicht etwa ...?" "Doch", bestätigte Alicia mit glücklichem Lächeln. "Ich bekomme ein Baby." "O Schwesterherz!" Vicky umarmte sie stürmisch. "Das ist ja wundervoll!" "So etwas sollten wir künftig öfter tun", sagte Dex am nächsten Abend, während er seine Frau über den Tisch hinweg musterte. Sie hatte das blonde Haar locker hochgesteckt, und der raffinierte Ausschnitt ihres neuen Kleides betonte den schlanken Hals und die schönen Schultern. Ihre Augen leuchteten tiefblau, und ihre samtige Haut schimmerte wie Elfenbein. "Das finde ich auch", stimmte Alicia ihm zu und blickte sich interessiert um. Das thailändische Edelrestaurant war erst vor kurzem eröffnet worden und hatte sich bereits zu einem wahren Renner entwickelt. Alicia war zum ersten Mal hier, hatte aber schon von anderen gehört, dass das Essen ausgezeichnet schmecke, was sie nur bestätigen konnte. "Wenn mein neues Computerspiel ein Erfolg wird, könnten wir ja auch einmal nach Thailand reisen", meinte Dex. "Es ist ein faszinierendes Land und würde dir sicher gefallen." "Du warst schon einmal dort?" Alicia bemühte sich, ihren Mann nicht wie ein verliebter Teenager hingerissen anzustarren,
so umwerfend attraktiv sah er in dem leichten hellen Leinenanzug aus. "Ja, als Student." "Zusammen mit Clare?" Er nickte. "Wir sind mehrere Wochen durchs ganze Land gereist." Alicia glaubte in seinen Augen so etwas wie Schmerz zu erkennen und bereute ihre Frage. Den ganzen Abend über hatte Dex so entspannt und glücklich gewirkt, und sie wollte nichts weniger, als seine gute Stimmung zu trüben. "Aber es kommt mir vor, als wäre es eine Ewigkeit her", fuhr er energisch fort, ehe sie das Thema wechseln konnte. "Ich würde gern noch einmal dorthin fliegen und dir die wunderbaren Tempelanlagen zeigen, die traumhaften Strande, die bunten Märkte und vieles andere." "Klingt sehr romantisch", sagte Alicia und konnte sich dann doch nicht beherrschen zu fragen: "Denkst du in letzter Zeit noch oft an sie?" Er zuckte die Schultern, dann lächelte er plötzlich. "Clare gehört zu meiner Vergangenheit. Mir ist im Moment die Zukunft wichtiger, und die gehört dir und meinem Kind." Lächelnd sah Alicia ihn an. Dex griff nach ihrer Hand. "Es tut mir Leid, dass ich ..." Was immer er hatte sagen wollen, er kam nicht dazu, sondern wurde von einer Alicia leider nur zu bekannten Frauenstimme unterbrochen. "Dex ... Alicia, was für eine nette Überraschung!" Jäh ließ Dex die Hand seiner Frau los, und die beiden schauten auf. Vor ihnen stand Maddie McDowell in einem langen weißen Kleid, das ihre dunkle Schönheit effektvoll unterstrich. Sie war in Begleitung eines jungen und sehr gut aussehenden Mannes. "Hallo, Maddie." Höflich stand Dex auf.
Maddie lächelte ihn strahlend an. "Ich glaube, du kennst John Monroe noch nicht", stellte sie ihren Begleiter stolz vor. "Er ist ein enger Freund von mir." "Nein, wir hatten noch nicht das Vergnügen." Dex reichte dem anderen Mann, der ungefähr in seinem Alter sein mochte, die Hand. "Nun, wir wollen euch nicht länger beim Essen stören", sagte Maddie, nachdem Alicia dem jungen Mann ebenfalls die Hand geschüttelt hatte. Die beiden wandten sich zum Gehen, doch dann drehte Maddie sich noch einmal um, als wäre ihr plötzlich etwas eingefallen. "Verzeih, Dex, wenn ich noch auf das Geschäft zu sprechen komme, aber ich habe die Liste mit den neuen Zahlen, die du mir gegeben hast, auf deinem Schreibtisch liegen lassen. Könntest du sie mir bei Gelegenheit vorbeibringen?" "Ich schicke dir ein Fax." "Prima. Ach ja, noch etwas. Hast du Alli schon von meiner Party erzählt?" Sie sah Alicia an. "Freitag in einer Woche. Es kommen hauptsächlich Leute, die an Dex' neuem Computerspiel interessiert sind. Es wäre gut, wenn er daran teil..." "Verstehe", fiel Alicia ihr ins Wort. "Ich werde im Kalender nachsehen, ob wir den Abend noch freihaben." Maddie nickte ihnen freundlich zu und eilte dann ihrem Begleiter nach. "Wieso hast du mir nicht erzählt, dass Maddie bei dir im Büro war?" Alicia zwang sich, ruhig zu sprechen. Natürlich war ihr klar, dass Dex aus beruflichen Gründen weiterhin mit Maddie in Kontakt bleiben musste, doch weshalb hatte er ihren Besuch mit keinem Wort erwähnt? "Sie platzte eines Nachmittags ins Büro, als du bereits gegangen warst. Es war nur ein kurzer Besuch. Sie wollte sich einen Überblick über die geplante Werbekampagne verschaffen." Er runzelte die Stirn. "Diese verdammte Party
hatte ich ganz vergessen. Wir müssen nicht hingehen, wenn du keine Lust hast." "Wenn es dem Geschäft nützt, komme ich selbstverständlich mit." "Wahrscheinlich schon." Er hörte sich ungewohnt vorsichtig an. "Aber genau weiß man das nie." Unwillkürlich ließ Alicia den Blick zu Maddie schweifen, die mit ihrem Begleiter an einem Tisch in der Ecke Platz genommen hatte. Der Mann sah Maddie mit einem Ausdruck verzückter Anbetung an. "Scheint, als hätte sie ein neues Liebesglück gefunden", bemerkte Dex, dessen Blick dem seiner Frau gefolgt war." Seine Miene war dabei ausdruckslos. Ist er etwa eifersüchtig? fragte sich Alicia. Sie fand diesen Gedanken keineswegs absurd, denn Maddie stellte mit ihrer strahlenden Schönheit alle anderen Frauen im Raum in den Schatten. Dex wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner Frau zu und lachte leise. "Dem Himmel sei Dank, dass ich diese Nervensäge jetzt los bin." Alicia fühlte sich unglaublich erleichtert und lächelte nun ebenfalls. "Wollen wir gehen?" fragte Dex. Sie nickte, und er bat den Ober um die Rechnung. Beim Verlassen des Lokals legte Dex seiner Frau den Arm um die Schultern und zog sie besitzergreifend an sich. "Es war ein schöner Abend, aber das Beste kommt jetzt erst", raunte er ihr auf dem Weg zum Ausgang ins Ohr. Sein warmer Atem kitzelte ihre Haut, und Alicia durchflutete ein lustvoller Schauer. Auf der Heimfahrt sprach Dex kein Wort. "Du bist seit einiger Zeit so still," sagte Alicia, als sie die Verandatreppe hinaufgingen.
"Tut mir Leid, ich war in Gedanken meilenweit weg", entschuldigte er sich. "Irgendwie lässt mich die verdammte Arbeit nie ganz los." "Du reibst dich noch auf, wenn du jeden Tag bis spätabends schuftest." "Nicht mehr lange." Es war eine schwüle und heiße Nacht. Aus dem Dschungel hinter dem Haus drangen alle möglichen Tierlaute und vermischten sich mit dem sanften Rauschen des Meeres. "Das hoffe ich." Alicia beobachtete, wie Dex die Tür aufschloss. Im Haus war es dunkel. Vicky übernachtete bei einer Freundin. "Es wird bestimmt bald ruhiger werden." Dex knipste das Licht an. "Ich denke, ab nächster Woche brauchst du nur noch vormittags zu arbeiten." "Versuchst du mich loszuwerden?" scherzte sie. "Nein, aber ich finde du solltest dich in deinem jetzigen Zustand nicht überanstrengen." "Das tue ich nicht, Dex. Ich fühle mich trotz der Schwangerschaft genauso leistungsfähig wie zuvor." "Trotzdem solltest du dich ein wenig schonen. Verdammt, ist das eine Hitze hier drinnen!" Er warf einen Blick auf das Schaltbrett der Klimaanlage und drückte auf einen Knopf. "Jemand muss sie versehentlich ausgeschaltet haben", stellte er fest, ging ins Wohnzimmer, schenkte sich ein Glas Whisky ein und trank es in einem Zug aus. "Ich werde erst einmal duschen." Voller Unbehagen beobachtete Alicia, wie er sich nachschenkte. Normalerweise trank Dex höchstens ein Glas Wein zum Essen. "Gut." Er sah sie nicht an, sondern begann in einer aus dem Büro mitgebrachten Akte zu blättern. Gegen ihren Willen fiel Alicia wieder Maddie ein, während sie sich im Bad auszog. Zwar hatte Dex behauptet, sich über Maddies neues Liebesglück zu freuen, aber weshalb war er dann
während der Heimfahrt so nachdenklich und schweigsam gewesen? Sie stellte sich unter die Dusche und drehte den Hahn weit auf. Mit geschlossenen Augen hielt sie ihr Gesicht dem Wasserstrahl entgegen und überließ sich der entspannenden und erfrischenden Wirkung des Wassers, verdrängte alle unangenehmen Gedanken. Plötzlich wurde die Tür aufgeklappt, und Dex trat zu ihr unter die Dusche. Sein kraftvoller, sonnengebräunter Körper drängte sich an sie, nackte Haut berührte nackte Haut. "Ich dachte, du wolltest noch arbeiten", sagte Alicia atemlos nach einem langen Kuss. "Zum Teufel mit der Arbeit!" erwiderte er heiser und nahm ihr die Seife aus der Hand. "Es gibt Wichtigeres im Leben eines Mannes." Sanft begann er ihre Brüste einzuseifen und zu massieren und setzte seine aufreizenden Liebkosungen fort, bis Alicia nicht mehr nur nach Atem rang, sondern vor Lust stöhnte.
8. KAPITEL Wie angekündigt kürzte Dex schon in der darauf folgenden Woche Alicias Arbeitszeit. Doch während Alicia nun bereits mittags Feierabend machte, verbrachte er immer mehr Zeit im Büro. Manchmal kam er sogar erst gegen Mitternacht heim. Um ihn zu entlasten, hatte sie ihm angeboten, abends mit ihm im Büro zu bleiben, aber er hatte davon nichts hören wollen. "Ein paar Überstunden machen mir nichts aus, Alli", hatte er fröhlich versichert und sie dann geküsst. "Der Nachteil dabei ist nur, dass ich dich vernachlässige. Weißt du was, lass uns am Wochenende nach Daintree fahren. Nur du und ich allein, Hand in Hand auf einsamen Spaziergängen ... Okay?" Als Alicia nun daran dachte, besserte sich ihre Stimmung sofort, während sie sich für Maddies Party fertig machte. "Vicky, bist du das?" rief sie, als sie im Flur Schritte hörte. Vicky steckte den Kopf zum Zimmer herein. "Wie gefällt dir mein Kleid?" Alicia drehte sich schwungvoll einmal im Kreis und sah dann ihre Schwester neugierig an. "Du siehst toll aus", sagte Vicky begeistert. Tatsächlich stand Alicia das lange rote Kleid ganz ausgezeichnet. Zudem war es so raffiniert geschnitten, dass man nichts von ihrer Schwangerschaft bemerkte. Ihr Haar ließ sie offen, so dass es ihr in schimmernden Wellen auf die Schultern fiel und ihr ein mädchenhaftes Aussehen verlieh.
"Sieht man bereits, dass ich zugenommen habe?" fragte Alicia ihre Schwester. "Nur wenn man es weiß", meinte Vicky und fügte scherzhaft hinzu: "Abgesehen davon hast du heute Nachmittag bestimmt wieder einige Pfunde verloren." Vickys Sommerferien hatten gerade begonnen, und so hatten die beiden Schwestern nachmittags zuerst gemeinsam sauber gemacht und hinterher noch in einem Anfall von Arbeitseifer die Abstellkammer gestrichen. Sie hatten sich dabei über alles Mögliche unterhalten und viel herumgealbert und gelacht. In diesem Augenblick läutete das Telefon. Vicky eilte in die Halle, um abzunehmen. "Ich verbringe das Wochenende bei Jenny", verkündete sie, als sie wenige Minuten später zurückkam. "Da du und Dex morgen nach Daintree fahren wollt, trifft sich das ja gut." "Wir setzen dich auf dem Weg zur Party bei Jenny ab." "Nicht nötig, sie holt mich gleich ab." "Dann sehen wir uns also erst Sonntagabend wieder. Nun, du und ich haben uns ein geruhsames Wochenende redlich verdient, stimmt's?" "Ganz meine Meinung, Schwesterherz. Ich pack schnell meine Sachen zusammen." Lächelnd sah Alicia ihr nach. Es war schön, Vicky so glücklich zu sehen. Sie verstand sich prächtig mit Dex und fühlte sich in der neuen Hausgemeinschaft sehr wohl. Das war vor allem Dex zu verdanken, der ihr von Anfang an das Gefühl gegeben hatte, willkommen zu sein. Alicia liebte ihn dafür umso mehr. Als er nach Hause kam, war Vicky bereits weg. "Ich habe mich schon gefragt, ob du Maddies Party vergessen hast", begrüßte Alicia ihn lächelnd, als er das Schlafzimmer betrat.
"Tut mir Leid, dass ich so spät komme, aber einige wichtige Anrufe haben mich aufgehalten." Er ließ den Blick bewundernd über sie schweifen. "Hübsch siehst du aus." "Danke." Sie legte ihm die Arme um die Schultern und gab ihm einen Kuss. "Soll ich nicht doch wieder nachmittags arbeiten, um dir beispielsweise Anrufe vom Leib zu halten?" "Nein, ich komme schon zurecht." Er löste sich von ihr und nahm die Krawatte ab. "Im Vorbeigehen habe ich gesehen, dass der Maler da war. Wurde ja auch Zeit. Hast du ihm einen Scheck gegeben?" "Ehrlich gesagt, er war gar nicht da", gestand Alicia. "Vicky und ich haben den Abstellraum gestrichen." "Du hast was?" Ungläubig sah Dex sie an. "Ich verkürze deine Arbeitszeit, damit du dich schonst, und du tänzelst auf irgendwelchen Leitern herum und riskierst einen Unfall und das Leben unseres Kindes." Er klang sehr verärgert. "Du verwechselst unsere Abstellkammer mit der Sixtinischen Kapelle", entgegnete Alicia scherzhaft. "Und im Übrigen hat Vicky die Decke gestrichen, und ich habe nur den unteren Teil verschönert." "Trotzdem hättest du dich lieber ausruhen sollen. Deshalb hatte ich ja auch einen Maler bestellt." "Ja, aber..." Sie hatte darauf hinweisen wollen, dass ein Maler nur unnötig Geld kosten würde, entsann sich dann aber, wie empfindlich Dex stets reagierte, wenn man auf seine angespannte Finanzlage hinwies. "Es langweilt mich, tatenlos daheim herumzusitzen", sagte sie stattdessen. "Ich bin schließlich nur schwanger und nicht krank." "Und um dir einen kleinen Nervenkitzel zu verschaffen, hast du das Leben unseres Kindes aufs Spiel gesetzt!" "Das habe ich nicht!" widersprach Alicia, von seinem Verhalten leicht irritiert.
"Mach so etwas nie mehr wieder." Unvermittelt drehte er sich um, ging ins Bad und warf mit lautem Knall die Tür hinter sich zu. Maddies Haus hätte einem Hollywoodfilm entstammen können. Durch eine elektronisch gesicherte Toreinfahrt gelangte man in einen großen, gepflegten Garten, in dessen Mitte ein Springbrunnen sprudelte. Die Party fand am Swimmingpool statt, der sich auf der Rückseite des modernen, zweistöckigen Gebäudes befand. Bunte Gartenlaternen und eine Unterwasserbeleuchtung tauchten alles in ein malerisches Licht. Neben dem Pool war ein großes kaltes Büfett aufgebaut, daneben brutzelte ein Koch Steaks und Würstchen am Grill. An die fünfzig Gäste standen oder saßen in kleinen Grüppchen zusammen, und zwei Kellner servierten auf einem Tablett Getränke. Im allgemeinen Trubel hatte Alicia ihren Mann in der Menge verloren. Während sie nun den Blick suchend über die Menge schweifen ließ, hörte sie zerstreut dem Paar neben ihr zu, das sich über die neusten Entwicklungen auf dem Computermarkt unterhielt. "Dex Rowlands neues Computerprogramm ist wirklich genial", sagte der Mann. "Ich habe Sie vorhin mit Dex gesehen", wandte er sich unvermittelt an Alicia. "Arbeiten Sie etwa mit ihm zusammen?" "So könnte man es nennen", erklärte sie lächelnd. "Ich bin seine Sekretärin." "Der Mann wird mit diesem Spiel ein Vermögen machen." Na und, hätte Alicia am liebsten geantwortet. Ihr ging es nicht um Geld, sondern um Dex' Liebe. Voller Unbehagen dachte sie an ihren Streit von vorhin. Sie hatte Dex doch nur sparen helfen wollen, doch er hatte sie richtiggehend hasserfüllt angesehen, als er ihr vorwarf, sie hätte das Leben des Kindes riskiert. Und auf der Fahrt hierher hatte er kaum mit ihr gesprochen.
"Obendrein ist er ein Bild von einem Mann", schwärmte die Frau. "Da könnte man als Frau schon schwach werden." "Mach dir keine Hoffnungen, er ist schon vergeben", bemerkte ihr Mann trocken. "Seine Frau ist ebenfalls eine Schönheit. Sie steht da drüben." Der Mann wies mit dem Kopf auf die gegenüberliegende Seite des Swimmingpools. Alicia folgte den Blicken des Paares und entdeckte hinter einer sich auflösenden kleinen Gruppe von Leuten Dex im Gespräch mit Maddie. Sie standen nah beieinander, und Maddie sah in ihrem hautengen, schulterfreien Kleid so rassig und sexy aus, dass Alicia sich im Vergleich mit ihr farblos und hausbacken vorkam. "Das ist nicht seine Frau", klärte sie den Mann neben sich auf. "Nicht?" Er runzelte die Stirn. "Nun ja, ich hatte bisher nur geschäftlich mit Maddie zu tun und weiß nichts über ihr Privatleben. Als ich ihr und Rowland vor einigen Tagen zufällig im Romanio's begegnet bin, hat sie ihn mir als ihren Partner vorgestellt und mich zur heutigen Party eingeladen." Konnte es sein, dass Dex sich auch weiterhin mit Maddie traf? Aber sie hat doch einen neuen Freund, überlegte Alicia und versuchte, ihre aufkeimende Eifersucht zu bekämpfen. Und hatte Dex ihr nicht versichert, er sei froh, die Nervensäge los zu sein? Vielleicht hatte er ihr, Alicia, aber auch nur etwas vorgespielt? Immerhin war er an jenem Abend auf der Heimfahrt sehr schweigsam gewesen und hatte sich beim Nachhausekommen ganz gegen seine Gewohnheit als Erstes ein Glas Whisky eingeschenkt. Hatte sie es der Wirkung des Alkohols zu verdanken, dass er ihr unter die Dusche gefolgt war und sie so leidenschaftlich geliebt hatte? Und woher sollte sie wissen, dass er sich dabei nicht vorgestellt hatte, statt seiner Frau Maddie in den Armen zu halten? Allein bei dem Gedanken hätte Alicia am liebsten laut geschrien, und sie presste die Fingernägel in die Handflächen.
Wo ist eigentlich Maddies neuer Freund? fragte sie sich unvermittelt und hielt Ausschau nach dem gut aussehenden jungen Mann, den sie in dem thailändischen Restaurant an Maddies Seite gesehen hatte. Während sie sich suchend umblickte, sah sie plötzlich Maddie und Dex durch eine der Glastüren ins Haus gehen. "Bitte entschuldigen Sie mich", sagte sie zu dem Ehepaar neben sich und schlängelte sich zum Haus durch. Drinnen war es kühl und still. Während sie noch unschlüssig in der riesigen Halle stand, vernahm sie plötzlich Stimmengewirr. Sie folgte dem Klang einen Flur entlang und bemerkte Licht in einem Zimmer, dessen Tür einen Spalt offen stand. "Wo hast du denn heute Abend deinen Freund gelassen?" hörte sie Dex in sarkastischem Ton fragen. "Ich denke, John hat seinen Zweck erfüllt, stimmt's?" Maddie lachte leise. "Er hat dein liebes Eheweib beruhigt und ..." "Maddie, ich ..." "Und dir vor Augen geführt, was Vorrang hat", fuhr Maddie unbeirrt fort und fügte mit einschmeichelnder Stimme hinzu: "Du solltest Alicia endlich sagen, wie sehr du mich brauchst, Dex. Diese ganze Heimlichtuerei macht mich krank." "Ja, ich brauche dich", gab er zu, "aber ..." "Aber du willst alles haben", unterbrach Maddie ihn verärgert. "Niemand kann alles haben, Dex." Alicia, die sich lautlos bis zur Tür geschlichen hatte, stockte der Atem, als sie das hörte. Sie spähte durch den Türspalt und sah Maddie neben einem Schreibtisch stehen. Sie hatte die Arme um Dex gelegt und sah zu ihm auf. Die beiden waren zu sehr miteinander beschäftigt, um Alicia zu bemerken. "Du willst dein Kind und hast deshalb Alicia geheiratet, obwohl du sie nicht liebst, das Wort Liebe nicht einmal über die Lippen bringst", warf Maddie ihm vor. "Sobald das Baby da ist und die ersten Gelder fließen, solltest du dich wegen des Kindes
mit Alicia einigen und sie finanziell großzügig abfinden, damit sie einer Scheidung zustimmt." Entsetzt wich Alicia zurück. Sie fand eine Tür mit der Aufschrift "Gästetoilette", schloss sie hinter sich und lehnte sich zitternd dagegen. Sie vermochte nicht mehr klar zu denken, sondern wollte einfach nur weinen und sich ihren Schmerz von der Seele schluchzen. "Obwohl du sie nicht liebst, das Wort Liebe nicht einmal über die Lippen bringst", hallten ihr Maddies Worte unaufhörlich in den Ohren. Maddie hatte ja so Recht, zumal Dex selbst zugegeben hatte, dass er sie brauchte. Etwas, das er zu Alicia noch nie gesagt hatte. Wie lange die Affäre der beiden wohl schon dauerte? Bestimmt schon Wochen. Allein dass er Maddie in dasselbe Restaurant ausgeführt hatte, in dem er ihr, Alicia, den Verlobungsring an den Finger gesteckt hatte, zeigte, wie wenig seine Frau ihm bedeutete. Nun verstand Alicia auch, weshalb er ihre Arbeitszeit verkürzt hatte und in letzter Zeit immer später heimgekommen war. Ihr wurde plötzlich übel. Nach einer Weile ging sie zum Waschbecken und wusch sich das Gesicht. Sorgfältig erneuerte sie das leichte Augen-Makeup, zog die Lippen nach und musterte sich kritisch im Spiegel. Da sie noch immer sehr blass aussah, kniff sie sich in die Wangen, um wieder etwas Farbe zu bekommen. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet, und sie musste nun handeln. Dex wollte nur das Baby. Er brauchte sie nicht, und sie würde ihm beweisen, dass sie ebenfalls nicht auf ihn angewiesen war. Als sie wenig später zur Party zurückkehrte, hatte sie sich wieder einigermaßen gefangen. Sie nahm sich vom Tablett eines vorbeigehenden Kellners ein Glas Mineralwasser und bahnte sich den Weg zu einer stillen Ecke. Auch Dex war wieder zurück. Sie entdeckte ihn im Gespräch mit Leuten, die sie nicht kannte. Maddie war nirgends zu sehen.
Als Dex den Kopf wandte, begegnete sein Blick Alicias. Sie beobachtete, wie er seinen Gesprächspartnern lächelnd zunickte und sich dann durch die Menge zu ihr durchkämpfte. "Ich habe mich schon gewundert, wo du abgeblieben bist", sagte er freundlich. Sie gab keine Antwort, konnte sich nicht einmal dazu durchringen, ihn anzusehen. "Hast du etwas gegessen?" Er hat schon wieder Angst ums Baby, dachte sie traurig. "Alli?" "Ja ... ich habe etwas gegessen." Nur mühsam wahrte sie die Beherrschung. "Möchtest du tanzen?" Er wies mit dem Kopf auf den hinteren Teil der Terrasse, wo einige Paare eng umschlungen zu romantischer Musik tanzten. Allein der Gedanke, ihm so nah zu sein, ließ ihren Puls schneller schlagen. Besaß sie denn überhaupt keinen Stolz? "Ich glaube nicht... danke." Er musterte sie scharf. "Bist du mir immer noch böse wegen unserer kleinen Auseinandersetzung?" Da sie schwieg, sagte er: "Versteh doch, Alli, ich war deinetwegen besorgt..." "Wegen des Babys", verbesserte sie ihn schroff. "Nun ... ja." Er zog die Brauen zusammen. "Du hättest das verdammte Streichen lassen sollen. Ich weiß, im Moment sind wir knapp bei Kasse, aber es wird bald besser werden." "So?" Noch nie hatte ihre Stimme so bitter geklungen. Alicia konnte sich schwer vorstellen, dass es je wieder besser werden könnte, denn ihr ging es ja nicht ums Geld. "Natürlich!" Er betrachtete ihr blasses Gesicht. "Du glaubst doch noch an mich, oder?" Wieder gab sie ihm keine Antwort, doch als sie aufblickte, verrieten ihr seine Augen, dass er verletzt war. Spontan wollte sie ihn umarmen und ihm versichern, Geld bedeute ihr nichts und sie wolle nur von ihm geliebt werden. Dann aber fiel ihr jäh wieder ein, dass er sie seit Wochen belog und betrog.
"In wenigen Monaten haben wir den finanziellen Engpass überwunden", sagte er leise und wirkte auf einmal sehr ernst. Alicia warf einen Blick auf ihre Uhr. "Ich fühle mich plötzlich sehr müde." "Lass mich nur noch schnell das Gespräch mit Grant Hay und seiner Frau beenden." Er wies auf die Leute, mit denen er sich vorhin unterhalten hatte, "Dann können wir fahren." "Ich nehme mir ein Taxi." Alicia hatte keine Lust, auch nur einen Moment länger hier herumzustehen. "Fühlst du dich nicht gut?" fragte er sofort besorgt. "Ich habe mich noch nie besser gefühlt", erwiderte sie kühl. "Aber ich bin müde und langweile mich hier zu Tode." Sie wusste, dass sie sich quengelig anhörte, doch es war ihr egal. Dex musterte sie mit zusammengezogenen Brauen. "Gut, dann fahren wir eben sofort." "Nein, kümmere du dich nur weiter um die Geschäfte", wehrte Alicia mit kalter Höflichkeit ab. "Ich würde sowieso gern ein wenig allein sein." Dex zögerte, dann holte er aus seiner Jackentasche die Autoschlüssel. "Ganz wie du meinst. Nimm du den Wagen. Ich werde im Taxi nachkommen." Wortlos nahm sie die Schlüssel und ging. Einen Moment lang blickte Dex ihr irritiert nach und bahnte sich dann einen Weg zurück zu den Hays. Um in den vorderen Teil des Gartens zu gelangen, musste Alicia durchs Haus gehen und stieß prompt auf Maddie. "Sie wollen doch nicht etwa schon gehen?" "Sieht ganz so aus", erwiderte Alicia und wollte weitergehen, doch Maddie versperrte ihr den Weg. "Ich habe Sie doch hoffentlich nicht durch irgendeine Bemerkung unwissentlich beleidigt?" erkundigte sie sich scheinheilig. Alicia musterte sie voller Abscheu. "Lassen Sie die Finger von meinem Mann", sagte sie leise.
Maddie zog spöttisch die Brauen hoch. "Ich weiß nicht, wovon Sie reden." "Ersparen wir uns weitere Lügen." Alicias Stimme klang ruhig. "Ich habe Sie vorhin mit Dex gesehen. Die Szene war eindeutig." "Dann sollten Sie darüber mit Dex sprechen, nicht mit mir", erwiderte Maddie. "Er kann nämlich seine Finger nicht von mir lassen." In ihren Augen blitzte Triumph auf, als sie sah, wie Alicia das Blut in die Wangen schoss. "Es tut mir Leid, Alicia." "Danach sehen Sie aber nicht aus." Maddie zuckte die Schultern. "Ob Sie es glauben oder nicht, mir liegt nichts daran, Sie zu verletzen. Und Dex geht es genauso. Er wird entsetzt sein, wenn er erfährt, dass Sie Bescheid wissen. Er wollte Sie auf keinen Fall aufregen." "Das hätte er sich früher überlegen müssen." Alicia fühlte sich zutiefst gedemütigt und ging in die Offensive. "Dex hat mir alles über Ihre einstige Affäre mit ihm erzählt und gesagt, Sie würden ihm nichts mehr bedeuten." Mit einer gewissen Genugtuung bemerkte sie, wie in Maddies Augen Zorn aufblitzte. "Das stimmt nur zur Hälfte. Damals war es nichts Ernstes, doch als wir uns jetzt nach Jahren wieder begegneten, hat es erst richtig zwischen uns gefunkt. Nachdem wir in Perth den Vertrag unterschrieben hatten, haben wir uns geküsst und ... Na ja, es war einfach überwältigend." "Für Sie vielleicht." Es widerstrebte Alicia, sich mit einer anderen Frau um einen Mann zu streiten, aber jetzt einfach zu gehen, brachte sie ebenfalls nicht fertig. "Mir hat er gesagt, Sie hätten sich ihm an den Hals geworfen und er wolle Sie nur schnellstens wieder loswerden." Maddies Augen wurden schmal. Dann lachte sie. Diesmal nicht so melodisch wie vorhin mit Dex, sondern leicht schrill. "Er ist wirklich unbezahlbar, nicht wahr? Mir hat er erzählt, Sie
würden ihm einfach nur Leid tun und er hätte Sie nie geheiratet, wenn Sie nicht schwanger geworden wären." Diese Beleidigung konnte Alicia nicht auf sich sitzen lassen. "Nun, was immer er behauptet hat, Sie sind für ihn jedenfalls auch nur ein flüchtiges Abenteuer, mehr nicht." "Das stört mich nicht", erwiderte Maddie süffisant. "Ich suche keine feste Beziehung. Nie habe ich mich so gelangweilt wie in meiner Ehe. Dex hingegen ist ein leidenschaftlicher und heißblütiger Liebhaber, und wir verstehen uns prächtig. Ich glaube, er ist mir sehr ähnlich und taugt nicht zum Ehemann." "Da wäre ich nicht so sicher. Er freut sich sehr auf das Kind." "Ja, das Baby möchte er unbedingt haben", räumte Maddie ein. "Aber ich würde Ihnen nicht empfehlen, Dex vor die Wahl zu stellen, entweder mit mir zu brechen oder das Baby zu verlieren." "Haben Sie etwa Angst, er könnte sich gegen Sie entscheiden?" fragte Alicia spöttisch. "In diesem Fall müsste höchstens er Angst haben, weil ich dann auch unsere geschäftliche Beziehung lösen würde." "Aber ... Sie haben doch einen Vertrag mit ihm geschlossen?" "Richtig", bestätigte Maddie ungerührt. "Es würde mich eine Stange Geld kosten, doch ich kann es mir leisten - ganz im Gegensatz zu Dex. Er würde Bankrott gehen." Fassungslos sah Alicia sie an. "Das wäre ein Verstoß gegen die guten Sitten." "Ja, nicht wahr?" Maddie lächelte selbstgefällig. Offenbar genoss sie es, durch ihr Vermögen Macht über andere auszuüben. "Deshalb würde ich Ihnen raten, den Mund zu halten und alles einfach so weiterlaufen zu lassen, Alicia. Wie Sie sehen, halte ich alle Trümpfe in der Hand." "Nicht alle", widersprach Alicia ruhig und legte sich die Hand auf den Bauch. "Ich glaube, das ASS habe ich." Sie ließ Maddie stehen und verließ mit hoch erhobenem Kopf das Haus.
Eigentlich hatte Alicia auf dem schnellsten Weg heimfahren wollen, doch nun graute ihr auf einmal davor, in ein leeres Haus zurückzukehren. Sie fühlte sich so erniedrigt, so verwirrt. Was sollte sie nur tun? Unvermittelt fiel ihr Peter ein. Hatte er nicht angeboten, sie könnte immer auf ihn zählen? Noch nie hatte sie so dringend einen guten Freund gebraucht wie jetzt.
9. KAPITEL "Alli, was für eine angenehme Überraschung!" Peter trat beiseite, um sie hereinzulassen. "Ist Dex auch mitgekommen?" "Nein, ich bin allein." Alicia bemühte sich um einen lockeren Ton, konnte jedoch das Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. "Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich noch so spät vorbeischaue." Sie blickte sich in der modern eingerichteten Wohnhalle um. Offenbar hatte er keinen Besuch. "Nein, du bist hier zu jeder Zeit willkommen. Ich habe noch ein wenig in der Dunkelkammer gearbeitet." Peter blickte ihr forschend ins Gesicht. "Ist mit dir alles in Ordnung?" "Um ehrlich zu sein, nein." Alicia atmete tief ein. Sie brauchte einige Minuten für sich, ehe sie in der Lage war, Peter alles zu erzählen, ohne dabei in einen Weinkrampf zu verfallen. "Weißt du was? Beende du deine Arbeit in der Dunkelkammer, und ich koche uns inzwischen Kaffee." "Einverstanden. Sag mir Bescheid, wenn er fertig ist." Alicia kannte sich bestens im Haus aus. Sie hatte hier schon viele Stunden verbracht und fühlte sich fast wie daheim. Es war eine hochmoderne Villa mit einer riesigen Terrasse, von der aus man einen herrlichen Blick über das Meer hatte. Dorthin trug sie das Tablett, ehe sie Peter Bescheid sagte. "Es macht dir doch nichts aus, wenn wir hier draußen unseren Kaffee trinken?" fragte sie ihn.
"Nein, ich sitze hier ebenfalls am liebsten." Er nahm ihr gegenüber Platz. "Übrigens, du siehst ganz bezaubernd aus", bemerkte er mit Blick auf ihr langes rotes Kleid. "Dabei bin ich gerade von der schlimmsten Party meines Lebens geflüchtet." Alicia legte den Kopf zurück und blickte nach oben. Die Nacht war klar, und der Himmel ähnelte einem dicht mit Diamanten besetzten Stück Samt. "Also, was ist los?" fragte Peter leise. "Dex hat ein Verhältnis. Vermutlich sollte ich vorausschicken, dass er mich nie wirklich geliebt hat." Sie schloss die Augen. So fiel es ihr leichter, Peter die ganze Geschichte zu erzählen. Nachdem sie fertig war, herrschte erst einmal Schweigen. Schließlich sah sie ihn an. "Wahrscheinlich hältst du mich jetzt für einen ausgemachten Dummkopf." "Aber nein, Alicia. Ganz und gar nicht." "Was soll ich jetzt nur tun, Peter?" Ihre Stimme klang flehentlich, und ihre Augen schimmerten feucht. "Du musst ihn verlassen." Peters ruhige Antwort bestürzte sie. "Das kann ich nicht." "Wieso denn nicht?" Alicia griff nach ihrer Tasse. "Peter, ich bin schwanger und von Dex sowohl beruflich als auch sonst abhängig. Wohin soll ich denn gehen?" Die Wahrheit war, dass sie ihn trotz allem noch immer liebte und nicht verlassen wollte. Gleichzeitig hasste sie sich für ihre Unentschlossenheit. "Maddie hat gedroht, Dex beruflich zu ruinieren, wenn ich von ihm verlange, die Affäre mit ihr zu beenden." "Das kann dir doch egal sein." Sie schüttelte den Kopf. "Es geht mir nicht nur um mich." "Zum Teufel, Alicia, du kannst doch diesen Kerl nach allem, was er dir angetan hat, nicht mehr lieben!" "Er verdient nicht, alles zu verlieren", beharrte sie leise. "Vielleicht hat Maddie ja auch nur geblufft."
"Möglich, aber ich traue ihr durchaus zu, dass sie es ernst gemeint hat." "Wahrscheinlich verdienen sie einander. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich schon seit längerem den Verdacht, dass die beiden etwas miteinander haben." Peter atmete tief durch. "Sie war am Hochzeitsmorgen in seiner Wohnung." Vor Schreck blieb Alicia fast das Herz stehen. "Woher weißt du das?" "Ich habe sie gesehen." Peter verzog das Gesicht. "Ich bin zu Dex gefahren, um einige Fotos von ihm und seinem Trauzeugen zu machen. Maddie war ebenfalls dort, und ..." "Und?" fragte Alicia scharf. "Ihr Lippenstift war verschmiert. Ganz offensichtlich hatten die beiden sich geküsst." Die Tasse entglitt Alicias Fingern, und der Kaffee ergoss sich über ihr Kleid. Auf dem roten Stoff erschienen hässliche braune Flecken. Als Peter aufsprang, um ihr zu helfen, winkte Alicia ab. "Wieso hast du mir davon nichts erzählt?" "Es war dein Hochzeitstag", verteidigte er sich. "Ich wusste doch auch nicht, was ich tun sollte." Alicia biss sich auf die Lippe, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Was war ich nur für eine verdammte Närrin!" murmelte sie und empfand neben dem Schmerz plötzlich heftige Wut auf Dex. "So ein Schuft!" "Du wohnst jetzt erst einmal bei mir", sagte Peter energisch. "Ich habe genügend Platz für dich und Vicky." Alicia schüttelte den Kopf. "Damit würde ich alles nur noch verschlimmern. Dex würde glauben, ich hätte was mit dir." "Lass ihn doch annehmen, was er will." "Ich ..." Alicia verstand ja selbst nicht, weshalb es sie noch immer kümmerte, was Dex dachte. "Ich möchte, es einfach nicht." "Na schön." Peter nickte verständnisvoll. "Dann zieh doch in mein Apartment in Sydney. Es hat fünf Zimmer, die fast immer
leer stehen. Ich wohne dort nur hin und wieder einige Tage, wenn ich in Sydney zu tun habe." "Und wovon soll ich leben, Peter?" Sie stand auf, um nach einem Tuch zu suchen, mit dem sie ihr Kleid säubern konnte. Peter folgte ihr ins Haus. "Ich habe viele gute Kontakte in Sydney und könnte dir einen Bürojob besorgen." "In meinem Zustand?" Sie fand in der Küche eine Haushaltsrolle, riss ein Stück Papier ab und begann damit den Kaffee aufzusaugen. "Wieso nicht?" Peter zuckte die Schultern. "In einer so großen Stadt findest du immer einen Job. Abgesehen davon ist Geld nicht das Problem. Ich habe mehr als genug." "Ich ..." Alicia schwirrte der Kopf. Wie sollte sie im Moment überhaupt noch einen klaren Gedanken fassen? "Auf keinen Fall möchte ich dir auf der Tasche liegen. Und ich muss ja auch auf Vicky Rücksicht nehmen." "Deine Schwester ist siebzehn und hat gerade ein Schuljahr abgeschlossen", meinte Peter. "Es wäre der ideale Zeitpunkt für einen Umzug." Mit gerunzelter Stirn verfolgte er Alicias fruchtlose Bemühungen, die braunen Flecken zu entfernen. Sie schwieg und beschäftigte sich weiter mit ihrem Kleid. "Ich habe nicht das Recht, Dex das Baby wegzunehmen", sagte sie schließlich. "Er freut sich schon so darauf, Vater zu werden." "Daran hätte er denken sollen, bevor er sich auf eine Affäre eingelassen hat." Während sie die gewundene Küstenstraße entlangfuhr, gingen Alicia Peters Worte nicht mehr aus dem Sinn. Er hatte Recht. Sosehr Dex das Baby auch wollte, es hatte ihn nicht daran gehindert, sich auf eine Affäre mit Maddie einzulassen. Sie musste Dex verlassen, um wenigstens noch etwas Selbstachtung zu retten. Die enge Straße war um diese Zeit verwaist, und der Mond hing wie ein silbern glänzendes Band über dem Regenwald.
Alicia fragte sich, ob Dex nun, da sie Bescheid wusste, seine Heuchelei aufgab und heute bei Maddie übernachtete. Offenbar ja, denn als sie von der Straße auf den schmalen Pfad abbog, der zum Haus führte, konnte sie nirgendwo Licht sehen. Sie parkte den Wagen und ging langsam die Stufen zur Veranda hinauf. Nach der Hitze der Nacht empfand sie die Kühle im Haus als reine Wohltat. Wenigstens funktionierte die Klimaanlage. Sie schenkte sich Mineralwasser ein und ging mit dem vollen Glas in der Hand ins Schlafzimmer. "Wo, «zum Teufel, warst du so lange?" Erschrocken blieb sie an der Tür stehen und schaltete das Licht an. Dex saß auf dem Bett. Er war noch im Anzug. "Ich ... ich dachte, du wärst noch ... bei Maddie", erwiderte Alicia stockend und völlig verwirrt. "Ich warte hier schon eine ganze Weile auf dich und hatte bereits befürchtet, dir sei etwas passiert." "Bitte erspar mir deine geheuchelte Fürsorge, Dex!" Alicia schleuderte die Sandaletten von den Füßen und stellte das Glas Wasser auf ihren Nachttisch. "Wo bist du gewesen?" fragte er erneut. "Wenn du es unbedingt wissen willst, ich habe noch bei Peter vorbeigeschaut." Sie setzte sich auf ihre Seite des Bettes und fasste nach dem Reißverschluss ihres Kleides. "Beim lieben alten Peter also", sagte Dex höhnisch. "Ist es ihm gelungen, dich von deiner Müdigkeit und Langeweile zu kurieren?" Wie konnte er es wagen, in diesem Ton mit ihr zu sprechen? "Allerdings!" Sie musterte ihn kalt. "Tu nicht so, als würde es dir etwas ausmachen. Wir führen keine Ehe, in der man eifersüchtig ist." Es folgte spannungsgeladenes Schweigen. "Nicht?" Dex' Stimme klang aufreizend ruhig. "Dann klär mich doch auf, was für eine Ehe wir führen."
"Soweit ich weiß, nennt man so etwas eine Vernunftehe. Wir haben doch nur geheiratet, weil ein Baby unterwegs war." Alicia geriet immer mehr in Rage und hätte ihn am liebsten geschlagen. "Eine Ehe ohne Liebe ..." "Ich wusste nicht, dass du so unglücklich bist", unterbrach er sie gelassen. Sie sah ihn an, und er hielt ihrem Blick ruhig stand, was sie nur noch mehr reizte. Wütend zerrte sie an dem Reißverschluss, der sich nicht öffnen ließ. Sanft schob Dex ihre Hände beiseite und zog den Reißverschluss auf. Sie spürte ein Prickeln auf der Haut, als seine Finger sie berührten. War sie von allen guten Geistern verlassen, dass sie ihn selbst jetzt noch begehrte? Hastig schüttelte sie seine Hände ab und stand auf. Sie schnappte sich ihr Nachthemd, ging ins Bad und sperrte geräuschvoll die Tür hinter sich ab. Bei ihrer fatalen Schwäche für Dex war sie sich nicht sicher, ob sie ihm widerstanden hätte, wenn er ihr nachgekommen wäre. Als sie nach geraumer Zeit ins Schlafzimmer zurückkehrte, lag er im Bett und hatte das Licht ausgeschaltet. Sie schlüpfte unter das Laken, rückte so weit wie nur möglich von Dex weg und blickte starr in die Dunkelheit. Keiner von beiden sprach. Das Schweigen lastete schwer auf Alicia. Sie hörte Dex regelmäßig atmen. Schlief er etwa schon? Sie schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen und nicht mehr daran zu denken, wie schön es wäre, jetzt in seinen Armen zu liegen. Erst in den frühen Morgenstunden fiel Alicia in einen unruhigen Schlaf. Als sie durch das Läuten des Telefons geweckt wurde, kam es ihr vor, als wäre sie erst vor wenigen Minuten eingenickt. Müde sah sie auf die Uhr und setzte sich unvermittelt auf. Es war schon zehn, sie hatten beide verschlafen! Dann fiel ihr ein, dass heute Samstag war. Sie griff nach dem schnurlosen Telefon
und meldete sich. "Hallo? Peter, du bist's! Hü" Sie strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Dex drehte sich um, und beim Anblick seines nackten Rückens wurde sie jäh wieder mit der rauen Wirklichkeit konfrontiert. Sie hatte nicht einfach nur schlecht geträumt. Dex hatte tatsächlich eine Geliebte. "Hi. Habe ich dich etwa geweckt?" fragte Peter, der schon wesentlich munterer klang als sie. "Das macht nichts." "Hör zu, ich habe heute Morgen einige Leute in Sydney angerufen und könnte dir einen Job für einen oder höchstens zwei Monate anbieten." "Einen Job? Als was?" "Fang jetzt nicht an zu lachen", warnte er sie, schien aber selbst zu schmunzeln. "Als Fotomodell für Umstandsmoden." "Als Fotomodell?" wiederholte Alicia ungläubig. "Ja, und du könntest dabei viel Geld verdienen. Ich habe einen Spitzendesigner an der Hand, der ernsthaft an dir interessiert ist. Dazu kämen Aufnahmen für Magazine ..." "O Peter, was hast du alles versprechen müssen, um einen solchen Job für mich an Land zu ziehen?" "Du wolltest es mir ja nie glauben, aber dein Gesicht ist sehr gefragt. Eine renommierte Agentur würde dich erst einmal probeweise für zwei Monate unter Vertrag nehmen. Du könntest in meiner Wohnung in Sydney wohnen und hättest genügend Abstand, um in Ruhe über alles nachzudenken. Und gleichzeitig könntest du dich finanziell etwas sanieren." Alicia war völlig durcheinander. Hilflos sah sie zu Dex, der nun ebenfalls wach war und starr zur Decke blickte. "Kann ich mir die Sache noch überlegen, Peter?" "Ja, aber nicht zu lange. Die Leute sind zwar scharf auf dich, doch die Konkurrenz in diesem Geschäft ist groß." "Ich verstehe." Alicias Stimme zitterte leicht. "Und nochmals vielen Dank für deine Hufe, Peter."
Kaum hatte sie aufgelegt, da fragte Dex auch schon: "Was ist denn los?" "Peter hat mir einen Job besorgt ... Ich soll Umstandsmoden vorführen ..." Sie beendete den Satz nicht, sondern blickte Dex etwas ratlos an. "Nicht zu fassen", entgegnete er trocken. "Deshalb bist du also gestern Abend noch zu ihm gefahren?" "Nein, ich ..." "Um ihm dein Herz auszuschütten und ihm von deiner lieblosen Ehe zu erzählen?" Seine Stimme triefte nur so vor Ironie. "Und der gute alte Peter hat die Fäden gezogen und dir einen Job besorgt, um dich von deinem jetzigen Elend zu erlösen. Es ist sehr hilfreich, wenn man die richtigen Leute kennt, stimmt's?" Alicia ging darauf nicht ein, denn natürlich war ihr klar, dass ohne Peter kein einziges Foto von ihr je in einer Agentur gelandet wäre. "Gehe ich recht in der Annahme, dass alles in Sydney stattfinden soll?" Sie nickte. "Peter hat mir sein Apartment angeboten." Dex' Miene verfinsterte sich. "Wie praktisch! Was verlangt er als Gegenleistung?" "Ich verstehe nicht ganz." "Muss ich es dir buchstabieren? Was springt für Peter dabei heraus, dass er dich umsonst bei sich wohnen lässt? Schläfst du mit ihm?" Alicias Gesicht rötete sich vor Zorn. "Wie kannst du es wagen, etwas so Abscheuliches zu behaupten? Peter ist ein durch und durch anständiger Mann und würde eine solche Lage nie ausnutzen!" Spöttisch sah Dex sie an. "Wie auch immer, ich erlaube dir sowieso nicht, nach Sydney zu gehen." Er setzte sich im Bett auf, und sein Laken glitt nach unten. Die Morgensonne schien auf seine nackten Schultern, die muskulöse Brust, den flachen
Bauch. Nicht einmal jetzt vermochte Alicia sich seiner sinnlichen Ausstrahlung zu entziehen, und das machte sie nur noch wütender. "Sag du mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe", warnte sie ihn. Plötzlich schien sein Ärger verflogen zu sein. "Ich möchte nicht, dass du gehst, Alli. Verdammt noch mal, du bist meine Frau, und wir bekommen ein Kind!" "Gerade weil wir ein Kind bekommen, versuche ich das zu tun, was für alle das Beste ist. Für dich, mich und das Baby." "Wir hatten uns doch entschlossen, eine Familie zu sein", wandte er ein und wollte ihr die Hand auf den Arm legen, doch Alicia rückte von ihm ab. "Leider hat es nicht funktioniert, Dex." Dir Herz klopfte zum Zerspringen. "Und deshalb willst du jetzt einfach davonlaufen?" fragte er sanft. "Lass uns noch einmal über alles sprechen, Alli. Ich weiß, du langweilst dich. Ich habe dich sträflich vernachlässigt." "Da hast du allerdings Recht", erwiderte sie giftig. Schon wollte sie ihn auf Maddie ansprechen, doch er redete zuerst. "Momentan bin ich einfach zu sehr von der Arbeit in Anspruch genommen, aber bald wird es besser werden." Wieder der alte Spruch, den Alicia allmählich nicht mehr hören konnte. Sie schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett. "Du bist ein elender Lügner, Dex. Nichts wird besser werden. Wenn du mir schon die Wahrheit vorenthältst, solltest du wenigstens dir selbst gegenüber ehrlich sein. Wir lieben uns nicht." Er schwieg, musterte sie nur mit einem unergründlichen Blick. "Nenn mir einen einzigen guten Grund, weshalb ich bleiben soll", sagte sie, den Tränen nahe. "Du bekommst unser Baby ..." Er verstummte, als sie sich brüsk abwandte. "Wir hatten doch abgemacht, zusammen ..."
"Ich bin jetzt nicht in der Stimmung, mit dir über irgendwelche Abmachungen zu sprechen." Nervös fuhr sie sich mit der Hand durch das vom Schlaf zerzauste Haar, ging zum Schrank und holte ein Kleid heraus. Sie spürte, dass Dex jede ihrer Bewegungen verfolgte, empfand seinen intensiven Blick wie eine Berührung. Als sie zum Bett ging, um ihre Haarbürste zu holen, fragte er plötzlich: "In welcher Stimmung bist du dann?" Es war eindeutig ironisch gemeint, doch der heisere Klang seiner Stimme erregte sie. "Vielleicht in der Stimmung für Sex?" fuhr er höhnisch fort. "Zumindest auf diesem Gebiet haben wir uns doch immer gut verstanden." Wie konnte er nur derart zynisch sein? "Ich denke, es hat wenig Sinn, unser Gespräch jetzt fortzusetzen", sagte sie leise. "Stimmt. Reden bringt uns im Moment nicht weiter." Blitzschnell packte er sie am Handgelenk und zog sie aufs Bett. "Dex, was soll das?" Sie ließ die Bürste fallen und versuchte sich seinem Griff zu entwinden, doch er hielt sie an den Handgelenken fest und drückte sie in die Kissen. "Hör auf!" Ehe sie den Kopf wegdrehen konnte, hatte er schon die Lippen auf ihre gesenkt und küsste sie hart, als wollte er sie bestrafen. Statt sich zu wehren, erwiderte sie den Kuss, hasste sich jedoch gleichzeitig wegen dieser Schwäche. Sie versuchte ihre Widerstandskraft zu mobilisieren, rief sich in Erinnerung, dass Dex gestern eine andere Frau in den Armen gehalten hatte, aber als er sie dann erneut küsste, empfand sie nur noch ein tiefes Verlangen nach Hingabe. Er ließ ihre Handgelenke los und zog an dem Bändchen, das ihr Nachthemd am Ausschnitt zusammenhielt. "So ist es schon besser" , stellte er zufrieden lächelnd fest. "Du gehörst zu mir, Alicia. Wir beide haben eine Abmachung, ob du nun darüber reden willst oder nicht."
Widerspruchslos ließ sie es geschehen, dass er ihr das Nachthemd abstreifte. Seine heißen Zärtlichkeiten forderten bei ihr eine ebenso heftige Reaktion heraus, und zusätzlich verlieh die Wut auf ihn allem eine bittere Süße. Noch nie hatte Dex sie mit einer so ungezügelten Leidenschaft geliebt, so besitzergreifend und fordernd. Es war aufregend, weckte unbeschreibliche Lustgefühle in ihr und versetzte sie in wilde Ekstase. Als sie schließlich den Höhepunkt erreichte und seinen Namen rief, mischte sich in ihrer Stimme Verzückung mit Verzweiflung. Schwer atmend rollte Dex sich von ihr weg. Alicias Herz klopfte wie wild, und ihre Haut brannte noch von seiner Berührung. Sie wand sich innerlich vor Scham, weil sie sich ihm so hemmungslos hingegeben hatte. Hatte sie denn keinen Funken Stolz mehr? "Damit hast du nur eines bewiesen", sagte sie mit bebender Stimme, wagte aber nicht, ihn dabei anzusehen. "Du bist stärker als ich." "Ach komm, Alli." Er setzte sich auf und schaute auf sie hinunter. "Vielleicht habe ich dich anfangs überrumpelt, doch später hättest du mich jederzeit stoppen können." "Ja ... mag sein", räumte sie ein, denn er hatte natürlich Recht. Sie setzte sich ebenfalls auf und streifte sich mit zittrigen Händen das Nachthemd über. "Ich habe dir doch nicht etwa wehgetan?" Diesmal sah sie ihn an und bemerkte, dass an seiner Wange ein Muskel zuckte. "Nein, zumindest nicht körperlich", erwiderte sie, verspürte aber sofort Gewissensbisse, als sie einen Ausdruck von Reue in seinen Augen entdeckte. "Alicia ... nichts wollte ich weniger, als dich in irgendeiner Weise verletzen, aber..." "Aber wenn wir noch länger zusammenbleiben, werden wir uns nur gegenseitig quälen", fiel sie ihm verzweifelt ins Wort. Zu wissen, dass Dex sie nicht liebte, sondern nur ihre sexuelle
Abhängigkeit von ihm hatte beweisen wollen, war mehr, als sie ertragen konnte. Da er nichts weiter sagte, stand sie auf und ging ins Bad. Während sie duschte und sich hinterher im mittlerweile leeren Schlafzimmer anzog, fühlte sie sich wie betäubt und nicht in der Lage, irgendeine Entscheidung zu treffen. Nachdem sie sich noch ein wenig zurechtgemacht hatte, machte sie sich auf die Suche nach ihrem Ehemann. In der Küche empfing sie der Duft frisch gebrühten Kaffees. Dex hatte die Tür zur Veranda geöffnet und lehnte lässig am Geländer, in der Hand eine Tasse Kaffee. Er machte einen entspannten Eindruck und sah in beigen Shorts und einem dünnen T-Shirt leider wieder einmal gefährlich gut aus, wie Alicia fand. Als er ihre Schritte hörte, drehte er sich um und musterte sie von Kopf bis Fuß. Nichts schien ihm zu entgehen, auch nicht, dass sie ihre Blässe mit Make-up zu überdecken versucht hatte. "Geht es dir wieder besser?" fragte er leise. "Ja, danke." Sie klangen beide wie höfliche Fremde. Nach dem leidenschaftlichen Intermezzo von vorhin war das geradezu absurd. "In der Kanne ist frischer Kaffee", teilte er ihr mit und vertiefte sich dann wieder in die Betrachtung des Regenwaldes hinter dem Haus. "Danke." Alicia schenkte sich Kaffee ein und blickte durch die offene Tür nach draußen. Dichter grüner Dschungel zog sich über einen langen Hügel bis zum Meer. Es war eine unberührte, wilde Landschaft, die einen atemberaubenden Blick bot und ihnen das Gefühl gab, allein auf der Welt zu sein. Alles in Alicia drängte danach, sich in Dex' Arme zu schmiegen und ihm ihre Liebe zu gestehen. Doch ihr Stolz ließ das nicht zu.
"Ich habe inzwischen nachgedacht", sagte Dex langsam, ohne sich zu ihr umzudrehen. "Wahrscheinlich ist es wirklich am besten, wenn du den Job in Sydney annimmst." So pervers es war, aber seine unerwartete Zustimmung löste bei ihr statt Erleichterung eher Enttäuschung aus. "Wir wollen uns ja beide nicht unglücklich machen", fuhr er fort. Sie schwieg und beobachtete, wie zwei weiße Kakadus sich um einen am Boden liegenden Ast stritten. Es war ein heißer Tag und der Himmel über ihnen tiefblau. Da sie nicht antwortete, wandte Dex sich zu ihr um und sah sie fragend an. "Es wäre erst einmal ein Vertrag für zwei Monate." Du musst jetzt hart bleiben, ermahnte sie sich. "Aber noch ist nichts unterschrieben. Wer weiß, ob ich den Job wirklich bekomme." "Dafür ist dir Peters Wohnung umso sicherer", spottete Dex. "Wirklich ein verlockendes Angebot." Sie ging auf seinen ironischen Ton nicht ein. "Bist du mit einer zweimonatigen probeweisen Trennung einverstanden?" "Ganz wie du meinst." Er wandte sich ab und vertiefte sich wieder in die Betrachtung des Regenwaldes. "Geh also nach Sydney, Alicia, und jage deinem Traum von der großen Karriere nach."
10. KAPITEL "Beweg deinen Kopf ganz leicht nach links, Alicia." Alicia befolgte den Befehl. Das grelle Scheinwerferlicht war unerträglich heiß und machte sie müde. "Noch ein wenig mehr, bitte", sagte der Fotograf. "Ja, so ist es gut... Bleib so ... Wundervoll." Sie fragte sich, wie lange sie noch in dieser unbequemen Stellung ausharren musste. Das Studio, in dem sie saß, war hypermodern eingerichtet und mit allen technischen Raffinessen ausgestattet. Um sie herum stand ein ganzes Team von Leuten, unter anderem der Visagist, die Friseurin, zwei Fotografen, Pat Malony von der Agentur und noch einige andere. Seit einem Monat arbeitete Alicia nun schon als Fotomodell, fand aber die Arbeit noch genauso anstrengend wie am ersten Tag. Es war ein unglaublich harter Job. Schon seit dem frühen Morgen saß sie im Studio und hatte seit Stunden kein Tageslicht mehr gesehen. Bei den Außenaufnahmen in der vergangenen Woche hatte sie - ungeachtet der Temperaturen - in völlig verrückten, teilweise aber auch wunderschönen Kleidern am Strand posiert. Das Einzige, was ihr an dem Job wirklich gefiel, waren die vielen Leute, die sie dabei kennen lernte. Sie hatte sich mit einigen Kolleginnen angefreundet und mit Pat, ihrer Betreuerin von der Agentur. Und natürlich war auch das viele Geld nicht zu
verachten. Bisher war sie immer ausgebucht gewesen, und bei jedem Anschlussauftrag bot man ihr eine höhere Summe. "Ja, behalte dieses melancholische Lächeln", sagte der Fotograf begeistert. Sie tat ihm den Gefallen und dachte an Dex. Sie vermisste ihn noch mehr, als sie angenommen hatte. Wie oft lag sie nachts wach und sehnte sich nach ihm und seinen Zärtlichkeiten. Und während der oft stundenlangen Sitzungen tagsüber war sie mit ihren Gedanken meistens zu Hause, denn auch Vicky fehlte ihr sehr. Sie waren zusammen nach Sydney gekommen. Nach zwei Wochen hatte Vicky jedoch angefangen, sich zu langweilen, und ihre Koffer gepackt. Zu sehr hatte sie ihre Freundinnen vermisst und noch mehr ihren neuen Freund Robbie. Alicia hatte sie nur schweren Herzens ziehen lassen. Dex hatte Vicky einen Ferienjob in seinem Büro gegeben und schien sehr zufrieden mit ihr zu sein. Alicia telefonierte mehrmals wöchentlich mit den beiden. Meistens rief sie abends an, und es war schon öfter vorgekommen, dass Dex noch gar nicht zu Hause war. Sie lächelte wehmütig. "Wunderbar!" schwärmte der Fotograf. "Was für ein Lächeln!" "Darf ich mich jetzt bewegen?" "Ja." Er klatschte in die Hände. "Meine Damen, wir machen für heute Schluss." Endlich! Alicia stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Pat trat zu ihr. Sie war eine Frau Anfang dreißig, hatte kurzes dunkles Haar und ein warmherziges Lächeln. "Das war fantastisch, Alli. Du bist ein echtes Naturtalent." "Du meinst wohl uns beide", sagte Alicia scherzhaft und strich sich über den leicht gewölbten Bauch. Sie war jetzt Mitte des sechsten Monats und konnte ihre zunehmende Leibesfülle nicht mehr verbergen.
"Was hältst du von einer Tasse Kaffee?" fragte Pat. "Die Mädchen und ich gehen noch in unser Stammcafe, um etwas zu trinken." Alicia nickte. "Ich komme gern mit." Wenig später verließen sie das mitten in der Altstadt gelegene Bürogebäude, in dem sich das Studio befand. Um sie her brodelte der Verkehr, und die Straßen waren voller Menschen. Regen lag in der Luft, und Alicia fröstelte leicht. "Sieh doch nur, Alicia." Eine ihrer Kolleginnen zog sie zu einem Zeitungsstand. "Das bist du." Sie deutete auf das Titelblatt eines Modejournals. Alicia betrachtete das Foto. Es war vor ungefähr zwei Wochen aufgenommen worden. Sie saß auf einem Stuhl, an ihr Knie schmiegte sich ein kleines Mädchen, und hinter ihr stand, die Hand auf ihrer Schulter, ein attraktiver dunkelhaariger Mann. "Tipps für Frauen, die auch während der Schwangerschaft hübsch und sexy aussehen wollen", stand unter dem Titelbild. Alicia lächelte. "Beinah hätte ich mich nicht wieder erkannt." "Mit dem Typ würde ich auch gern einmal Familie spielen", scherzte eines der Mädchen, und alle lachten. Sie betraten ein gemütliches Cafe, das als bevorzugter Treffpunkt der Studioleute galt. Sie setzten sich an einen Tisch am Fenster und gaben ihre Bestellung auf. "Pat hat mir erzählt, dass du von deinem Mann getrennt lebst, Alli", meinte Tara, die ebenfalls als Fotomodell arbeitete. "Genau wie ich. Wahrscheinlich werde ich demnächst die Scheidung einreichen", fügte sie in munterem Ton hinzu, ohne zu bemerken, wie blass Alicia plötzlich geworden war. In diesem Moment wurden die Getränke serviert, und Pat wechselte unauffällig das Thema. Doch Alicia vermochte sich nicht auf die Unterhaltung zu konzentrieren. Nichts wollte sie weniger als eine Scheidung, aber nun schien ihre Ehe darauf hinauszulaufen. Falls sie gehofft hatte, Dex
würde unter der Trennung leiden und sie bitten, zu ihm zurückzukehren, hatte sie sich getäuscht. Vielmehr schienen sie sich einander immer mehr zu entfremden, und er wirkte am Telefon von Mal zu Mal distanzierter. Am Abend zuvor hatte er beispielsweise nur kurz mit ihr gesprochen und den Hörer dann an Vicky weitergereicht. "Mach dir nichts draus", hatte diese sie getröstet. "Er hat schon die ganze Woche schlechte Laune. Wahrscheinlich arbeitet er einfach zu viel." Soll er doch zum Teufel gehen, dachte Alicia nun verärgert. Sie hatte es nicht nötig, ihm nachzulaufen. "Wie findest du ihn denn, Alicia?" riss Pats Stimme sie aus ihren Gedanken. "Ich? Wen?" fragte sie irritiert. Die anderen brachen in Gelächter aus. "Anscheinend hat sie überhaupt nichts mitbekommen", sagte Tara. "Wir haben gerade alle diesen tollen Typ da drüben bewundert." Sie wies mit dem Kopf durchs Fenster. Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite schloss ein Mann die Tür seines schicken roten Sportwagens ab. Er drehte ihnen den Rücken zu, war groß und dunkelhaarig und trug einen sehr teuer aussehenden Anzug. Hastig wandte Alicia den Blick von ihm ab, denn irgendwie erinnerte er sie an Dex, und das nervte sie. "Es ist ziemlich heiß hier drin", erklärte sie und sah sich nach einem Kellner um. Leider vergeblich. "Will noch jemand Mineralwasser?" Niemand am Tisch antwortete. Alle starrten wie gebannt aus dem Fenster. Seufzend stand Alicia auf. Vielleicht wurde sie ja an der Theke schneller bedient. Dort herrschte ebenfalls Hochbetrieb. Die hohen Barhocker waren fast alle besetzt von Leuten, die Cappuccino tranken oder eine der vielen exotischen Kaffeesorten probierten. Es duftete nach frisch gemahlenem Kaffee und Blätterteiggebäck. Als ein
junges Pärchen aufstand, setzte Alicia sich auf einen der frei gewordenen Stühle. "Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?" hörte sie eine bekannte Stimme fragen. Sie wandte den Kopf und entdeckte wenige Plätze weiter einen Fotografen, mit dem sie vorige Woche gearbeitet hatte. "Oh, du bist's, Andy", begrüßte sie ihn lächelnd. "Ich habe dich gar nicht gesehen. Danke für die Einladung, aber ich wollte mir nur ein Glas Mineralwasser holen. Ich sitze mit den Mädchen dort drüben am Fenster", erklärte sie, in der Hoffnung, ihn dadurch loszuwerden. "Okay. Aber vergiss nicht, dass wir morgen einen Termin haben. Ich erwarte dich Punkt neun." "Keine Angst, ich werde da sein." "Störe ich?" Beim Klang der tiefen Stimme dicht hinter ihr lief Alicia ein Prickeln über den Rücken. Sie wirbelte auf ihrem Stuhl herum und blickte direkt in Dex' Augen. Fassungslos sah sie ihn an und glaubte sekundenlang an eine Halluzination. Er war der Mann, den sie vorhin durchs Fenster beobachtet hatte. "Du?" Mehr brachte sie nicht heraus. Er lächelte belustigt. "Freut mich, dass du mich noch erkennst!" "Was machst du hier?" "Dich suchen. Zuerst war ich in der Agentur. Dort hat man mich zum Studio geschickt, und im Studio sagte man mir, ich könnte dich eventuell hier antreffen." Der Mann hinter der Theke erkundigte sich nach ihren Wünschen. "Für mich bitte einen Milchkaffee", sagte Dex und blickte Alicia fragend an. "Ich möchte nur ein Glas Mineralwasser." Dex setzte sich auf den Stuhl neben ihr und musterte dann kurz Andy, der soeben aufstand und Alicia nochmals kurz zunickte, ehe er ging.
"Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dich hier zu sehen", sagte Alicia, nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatte. "Ich wollte dich überraschen." Dex wandte seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu und betrachtete sie eingehend. Sein Blick verriet offene Bewunderung. "Beinah hätte ich dich nicht erkannt, als ich hereinkam." Sie trug eine weiße Hose und eine weite blaue Seidenbluse. "Ich habe einige Pfunde zugelegt." "Du siehst fabelhaft aus." In seinen Augen lag ein zärtlicher Ausdruck. "So ..." Er suchte nach dem richtigen Wort. "Mütterlich?" vollendete sie den Satz mit zaghaftem Lächeln. "Elegant", sagte er fest. "Der neue Haarschnitt steht dir gut." "Danke." Gleich in der ersten Woche war sie bei einem stadtbekannten Coiffeur gewesen. Ohne die Länge zu kürzen, hatte er ihrem Haar durch einen gestuften Schnitt mehr Schwung und Halt verliehen. "Ich bin froh, dass du es nicht hast abschneiden lassen." Dex beugte sich vor und strich ihr sanft eine honigblonde Strähne aus dem Gesicht. "Ich habe dein Haar schon immer sehr sexy gefunden." Dir Herzschlag beschleunigte sich, und sie lachte ein wenig atemlos. "Wie kann denn Haar sexy sein?" "Ich weiß auch nicht... aber deines ist so." Der Kellner an der Bar servierte ihnen die Getränke. Keiner der beiden nahm davon Notiz, sondern sie saßen nur da und sahen sich unverwandt an. Gleich werde ich erwachen und feststellen, dass alles nur ein schöner Traum war, dachte Alicia. Dex' Blick schweifte von ihrem Gesicht zu ihrer auf der Theke ruhenden linken Hand, an der sie ihren Verlobungs- und den Ehering trug. "Wer war der Mann, mit dem du dich unterhalten hast, als ich kam?" "Nur einer der Fotografen. Er macht morgen von mir Modeaufnahmen", berichtete sie und fragte dann leise: "Was,
um alles in der Welt, tust du hier, Dex? Wieso hast du gestern Abend am Telefon nicht erzählt, dass du kommst?" "Zum einen hatte ich noch viel zu erledigen und keine Zeit, mich länger mit dir zu unterhalten", erklärte er. "Und außerdem wollte ich dich, wie gesagt, überraschen. Ich hatte mich erst gestern Nachmittag spontan entschieden, nach Sydney zu fliegen und zu sehen, was du so treibst." Sie lächelte. "Nichts Besonderes, wie du siehst." "Immerhin scheinst du sehr erfolgreich zu sein. Ständig sehe ich dich in irgendwelchen Zeitschriften in verführerischen Posen abgebildet, jedes Mal mit einem anderen gut aussehenden jungen Mann." Dir Herz setzte einen Schlag aus und begann dann wie wild zu klopfen. War er eifersüchtig? Bitte lass ihn eifersüchtig sein, betete sie und fühlte sich wie ein alberner Teenager. "Es ist nicht so aufregend, wie du glaubst", berichtete sie wahrheitsgemäß. "Nun ja, ich wollte mich jedenfalls selber davon überzeugen, wie du so lebst." Er beugte sich ein wenig zu ihr hinüber. "Und ob es unserem Nachwuchs gut geht." Seine letzte Bemerkung brachte Alicia wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Er war also wegen des Babys gekommen. "Ihm geht es bestens", sagte sie kühl. "Das sehe ich. Du siehst fantastisch aus." Sie glaubte ihm kein Wort. Er versuchte sie nur wegen des Kindes bei Laune zu halten. "Sollen wir nicht lieber gehen?" fragte Dex, als jemand ihn von hinten versehentlich anrempelte. "Es wird immer voller." Alicia nickte und stand auf. Sie beobachtete, wie er Geld für die Getränke auf den Tisch legte. Dann bahnten sie sich einen Weg zum Ausgang. "Woher hast du den flotten Schlitten?" fragte sie, als er ihr die Beifahrertür des blitzenden roten Sportwagens aufhielt. "Am Flughafen gemietet."
"Wie ich sehe, hast du das Familienmodell genommen", scherzte sie, nachdem er neben ihr Platz genommen hatte. "Ich wollte wissen, ob Frauen tatsächlich auf solche Autos fliegen, wie immer behauptet wird." Er ließ den starken Motor aufheulen. "Du meinst, ehe der Babysitz auf dem Rücksitz das Image verdirbt?" Sie lachte. "So ähnlich. Bist du entsprechend beeindruckt?" "Nicht vom Auto", platzte sie heraus. Er zog belustigt die Brauen hoch. "Heißt das etwa, ich darf doch noch auf einen Begrüßungskuss hoffen?" "Dex, ich..." Weiter kam sie nicht, denn er beugte sich zu ihr hinüber und küsste sie auf die Lippen. Es war nur eine flüchtige Liebkosung, aber ein aufregend sinnlicher, besitzergreifender Kuss. Dex löste sich von ihr und sagte zufrieden: "So ist es schon besser." Sie rang nach Atem und brachte keinen Ton heraus. Bilde dir nicht ein, der Kuss hätte was mit Liebe zu tun, ermahnte sie sich. "Ich dachte, wir könnten irgendwo essen gehen", schlug er vor. "Was meinst du?" Sie nickte. "Gute Idee." Als ihr Blick zufällig das Cafe streifte, bemerkte sie, dass die Mädchen von der Agentur förmlich am Fenster klebten und völlig erstaunt zu ihr herübersahen. "O nein!" Alicia wurde rot. "Was ist?" fragte Dex sichtlich erschrocken. "Ich war mit einigen Freundinnen im Cafe und habe ganz vergessen, ihnen Bescheid zu sagen, dass ich gehe." "Ist das so schlimm? Wenn du willst, kannst du ihnen ja noch schnell sagen, dass du mit mir mitgegangen bist." "Das wissen sie bereits." Alicia wies mit dem Kopf auf das Fenster des Cafes. "Sie beobachten uns nämlich."
Dex folgte ihrem Blick. "Dann ist ja alles in Ordnung." Er winkte den jungen Frauen lächelnd zu und ordnete sich dann mit dem Wagen in den fließenden Verkehr ein. "Du kannst ihnen ja morgen alles Weitere erklären." Als Alicia noch einmal zurücksah und die verblüfften Gesichter ihrer Freundinnen bemerkte, begann sie zu lachen. "Was ist so komisch?" "Ach, nichts. Es amüsiert mich nur, weil sie ja nicht wissen, dass du mein Mann bist." "Du meinst, sie denken, du hättest dich von mir an der Theke abschleppen lassen?" zog er sie auf. "Wahrscheinlich. Und das in meinem Zustand." "Du warst noch nie so schön wie jetzt", sagte er mit verführerisch sanfter Stimme. Alicia verging das Lachen. "Glaub nicht, du kannst mich mit falschen Schmeicheleien zu etwas überreden", warnte sie ihn. Seine Miene verfinsterte sich. "Das hatte ich nicht vor." "Umso besser." Sie rückte, so weit es ging, von ihm ab und blickte starr geradeaus. Dex hatte sich jedes Recht auf sie verscherzt, als er mit Maddie ein Verhältnis begann. Falls er dachte, mal kurz nach Sydney zu fliegen und mit seiner Frau ins Bett springen zu können, weil ihm gerade danach war, hatte er sich getäuscht.
11. KAPITEL Sie stellten den Wagen in einem Parkhaus ab und schlenderten dann gemächlich zum Hafen. Die untergehende Sonne überzog den Himmel mit einem zarten Rosa. Nach einem kurzen Regen war die Luft frisch und klar, und vom Meer her wehte ein leichter Wind. Alicia und Dex blieben stehen, als eine Fähre aus dem Hafen auslief. Sie beobachteten, wie sie um den Bennelong Point bog, das Opernhaus passierte und dann in Richtung Manly davonfuhr. "Es ist eine herrliche Stadt", schwärmte Alicia, als sie weitergingen. "Nur manchmal ein wenig zu kalt." Dex lachte. "Du weißt ja gar nicht, was Kälte ist. In Cairns herrschen das ganze Jahr über tropische Temperaturen. Du müsstest mal einen Winter in Boston erleben, um eine Ahnung von Kälte zu bekommen." "Hast du manchmal noch Heimweh danach?" "Nicht nach den Wintern." Er lächelte. "Aber Boston ist eine schöne Stadt. Da wir gerade davon sprechen, vor einigen Tagen hat meine Mutter angerufen und nach dir gefragt. Sie freut sich sehr auf ihr erstes Enkelkind." "So?" Alicias Stimme klang schroff. "Ja. Sie war ein bisschen besorgt, als sie hörte, dass du allein in Sydney bist."
"Richte ihr aus, sie braucht sich keine Sorgen um mich zu machen", sagte Alicia fröhlich. "Mir könnte es nicht besser gehen. Ich liebe Sydney." "Das wird sie sicher beruhigen", entgegnete Dex ironisch. Alicia biss sich auf die Lippe. Sie mochte Dex' Mutter und wollte sie nicht beunruhigen. "Wenn du mir ihre Telefonnummer gibst, rufe ich sie selbst an." Er gab darauf keine Antwort. Auf dem Bürgersteig spielte ein Straßenmusikant Saxophon, und der Wind wehte ihnen die wehmütige Melodie hinterher. Menschen strömten auf das Opernhaus zu, manche in eleganter Abendgarderobe, andere in normaler Kleidung. Sie erreichten das von Alicia ausgewählte Restaurant und wurden von einem Kellner zu einem Tisch auf der Terrasse mit Blick über den Hafen geführt. "Das Essen ist hier ausgezeichnet", sagte Alicia, als sie die Speisekarte aufschlug. "Ich bin sicher, dass es dir schmeckt." Inzwischen war es dunkel geworden, und die Lichter der Hochhäuser erhellten den Abendhimmel. Das Opernhaus war blau beleuchtet. "Normalerweise wird es nicht so angestrahlt", klärte Alicia Dex auf, als er eine Bemerkung über die ungewöhnliche Farbe machte. "Aber im Moment findet dort ein Festival statt. Es ist ein sehr eindrucksvolles Gebäude. In der vergangenen Woche habe ich dort ein Musical gesehen und war begeistert." "Du scheinst ja oft auszugehen. Dinner, Musical. Bestimmt ist das Leben in dieser Stadt sehr aufregend." "Ja, ich genieße es in vollen Zügen", schwindelte Alicia. Er brauchte nicht zu wissen, wie einsam sie sich oft ohne ihn fühlte. Während er sich nun in die Speisekarte vertiefte, musterte sie ihn verstohlen. Was sie an ihm so faszinierte, wusste sie selbst nicht. Waren es die dunklen Augen? Die hohen
Wangenknochen? Die sinnlichen Lippen, die so jungenhaft lächeln konnten? Unvermittelt blickte er auf, und sie fühlte sich ertappt. "Wo ist Vicky heute Abend?" fragte sie hastig, um ihre Verlegenheit zu verbergen. "Sie übernachtet bei Jenny." "Als ich gestern mit ihr telefonierte, hat sie vermutlich bereits gewusst, dass du mich besuchen wolltest." "Ja. Sie war ebenfalls dafür, dass ich dir einen Überraschungsbesuch abstatte." Er lächelte. "Eine Schwägerin ganz nach meinem Geschmack." "Die Arbeit bei dir scheint ihr Spaß zu machen." Alicia ließ die Speisekarte sinken. "Sie ist dir doch nicht im Weg, Dex?" fragte sie unvermittelt. "Ich hätte sie lieber hier bei mir behalten, aber sie wollte unbedingt zurück." "Natürlich ist sie mir nicht im Weg! Wobei denn?" Er schien über die Frage ungehalten zu sein. "Und schließlich ist das Haus auch ihr Zuhause." "Trotzdem war es sehr nett von dir, ihr den Ferienjob zu geben und es mit ihr im Büro auszuhalten." "Ich war überhaupt nicht nett." Er schüttelte verärgert den Kopf. "Ich benötigte eine Aushilfe, und sie ist sehr vertrauenswürdig. Im Übrigen ist es eher umgekehrt. Vicky hält es mit mir aus. Ich bin in letzter Zeit oft schwer zu ertragen." "Wieso das?" fragte Alicia verwundert. Als launisch hatte sie ihn noch nie erlebt. Er zögerte, sah den erwartungsvollen Ausdruck in ihren Augen und wagte nicht, ihr die Wahrheit zu gestehen. Sie ist noch so jung, dachte er. So begeisterungsfähig und voller Neugier auf das Leben. Bestimmt wollte sie nicht hören, weshalb er sich im Moment so verdammt elend fühlte. "Nur das Übliche." "Du meinst wohl den Arbeitsdruck und Stress auf dem Weg zum Millionär?"
"So ähnlich." "Besteht die Geschäftsverbindung zu Maddie noch?" Sie bemühte sich um einen beiläufigen Ton. "Man könnte es so ausdrücken." Sein sarkastischer Unterton bestätigte Alicia, dass Maddie noch immer eine große Rolle in Dex' Leben spielte und ihm die einsamen Nächte versüßte. Und ich war so dumm, Maddie das Feld zu überlassen, dachte sie reumütig. Plötzlich brachte ein leichter Windstoß die Tischkerze fast zum Erlöschen. Unwillkürlich verglich Alicia die flackernde Flamme mit ihrer Beziehung zu Dex. War ihre Ehe nicht ebenso anfällig, und konnte sie nicht schon bei der nächsten kleinen Schwierigkeit zerbrechen? "Läuft die Werbekampagne zufriedenstellend?" fragte sie in dem Versuch, jeden weiteren Gedanken an Maddie zu vermeiden. "Ich bin nicht hier, um mit dir über die Firma zu reden, Alli", sagte er ernst. "Worüber dann?" "Über uns." "Das verheißt nichts Gutes." War er gekommen, um mit ihr über Maddie zu sprechen? Sie darauf vorzubereiten, dass er sich nach der Geburt des Kindes von ihr scheiden lassen wollte?" "Glaubst du?" Er wirkte plötzlich sehr ernst. "Seit du weg bist, habe ich viel nachgedacht und ..." Ausgerechnet in diesem Augenblick kam der Ober, um die Bestellung aufzunehmen. Dex bestellte ein Steak, und Alicia wählte das erste Gericht, auf das ihr Blick fiel. In diesem Fall Fisch. Ihr war der Appetit gründlich vergangen. Nachdem der Kellner gegangen war, prostete Dex ihr zu und betrachtete sie sinnend über den Rand seines Glases hinweg. "Und?" fragte sie ungeduldig. "Und ich vermisse dich", sagte er rau.
"Du vermisst mich?" wiederholte Alicia und spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Er nickte. "Mir gefällt es nicht, dich allein hier zu wissen, noch dazu in deinem Zustand." Sie fühlte sich jäh wieder ernüchtert. "Hättest du mich lieber barfuß und schwanger in deiner Küche?" fragte sie herausfordernd. "Nein, das nicht." Seine Augen funkelten zornig. "Versuch nicht, mich als Chauvi hinzustellen." "Wieso willst du dann, dass ich nach Hause komme?" "Weil du dort hingehörst." Diesmal klang seine Stimme sehr sanft. "Ich möchte mich um dich kümmern." "Ich komme sehr gut allein zurecht." Sie wollte seine Liebe, nicht seine Fürsorge, die zudem gar nicht ihr, sondern dem Baby galt. Alicia kochte vor Wut. "Abgesehen davon habe ich vertragliche Verpflichtungen." Sie zuckte die Schultern. "Und warum sollte ich dir in Cairns auf der Tasche liegen, wenn ich hier viel Geld verdienen kann?" "Zum Teufel, du liegst mir doch nicht auf der Tasche!" widersprach er gereizt. "Mag sein, dass du es nicht so siehst, aber ich bin lieber unabhängig." Seine Miene verfinsterte sich. "Dann bist du also hier glücklich?" Alicia zögerte mit der Antwort und verzog dann spöttisch die Lippen. "Was für eine Frage!" Der Ober servierte das Essen. Noch nie hatte Alicia so wenig Appetit gehabt. Dex wechselte das Thema. "Ich habe dich gestern auf dem Titelbild einer Zeitschrift gesehen. Du sahst toll aus." "Meinst du die Zeitschrift mit den Tipps für Schwangere?" Unwillkürlich musste sie lächeln. "Ein Bild, das allen Klischees gerecht wird."
Er zuckte die Schultern. "Sicher bist du stolz darauf, bereits in so kurzer Zeit derart erfolgreich zu sein." "Ich finde es nicht sonderlich aufregend, mein Bild auf einer Titelseite zu finden", gab sie zu. "Außerdem ist die Konkurrenz groß." "Was machst du als Nächstes?" "Modeaufnahmen für Rupert Williams." Durch den Themenwechsel entspannte sich die Atmosphäre zwischen ihnen etwas. Alicia atmete erleichtert auf. "Er ist ein ziemlich bekannter Designer." "Ja, ich habe schon von ihm gehört. Sehr beeindruckend." "Ich hätte mir nicht träumen lassen, mir je ein Kleid von ihm leisten zu können. Jetzt hängen sogar schon einige von ihm in meinem Schrank, leider allesamt Umstandskleider." "So, wie es im Moment bei dir läuft, kannst du dir sicher auch nach der Geburt des Babys Designermodelle leisten", sagte Dex betont locker. "Vielleicht." Ihre Blicke trafen sich. Anscheinend glaubt er, ich hätte eine große Karriere vor mir, dachte Alicia. "Ich bin stolz auf dich", sagte er sanft. "Aber gleichzeitig mache ich mir auch Sorgen um dich. Du bedeutest mir viel, Alicia." "Ich weiß." Tief in ihrem Innern wusste sie, dass er sie mochte. Sie aber wollte von ihm geliebt werden. "Und du hast natürlich das Recht auf beruflichen Erfolg und ein unabhängiges Leben. Nur ..." Er zögerte, schien nach den richtigen Worten zu suchen. "Du solltest nur nicht vergessen, dass ich der Vater deines Kindes bin", fügte er schließlich hinzu. "Keine Angst, das vergesse ich nicht, Dex", entgegnete sie kühl, legte das Besteck aus der Hand und lehnte sich zurück. Hatte ihn etwa das Titelbild, auf dem sie mit einem fremden Mann und einem fremden Kind eine glückliche Familie mimte, in Panik versetzt?
Soll er sich darüber ruhig Gedanken machen, überlegte sie ungewohnt rachsüchtig. Vielleicht spürte er dann am eigenen Leib, wie gedemütigt sie sich gefühlt hatte, als sie von seinem Verhältnis zu Maddie erfuhr. "Deine Sorge ist völlig unnötig, Dex", sagte sie fröhlich. "Ich bin glücklich hier, führe ein abwechslungsreiches Leben und habe eine viel versprechende Karriere vor mir." Sein Gesicht war ausdruckslos. Ob er sich von ihren Worten in irgendeiner Weise getroffen fühlte, war nicht zu erraten. Der Ober kam, um das Geschirr abzuräumen, und sie bestellten Kaffee. "Wie lange bleibst du?" fragte Alicia, nachdem sie sich eine Weile angeschwiegen hatten. "Ich fliege morgen früh mit der ersten Maschine zurück." Sie fragte sich, ob er etwa vorhatte, bei ihr in Peters Wohnung zu übernachten. Allein die Vorstellung ließ ihren Puls schneller schlagen, erregte sie, jagte ihr zugleich aber auch Angst ein. "Ich habe zwei Plätze gebucht", teilte er ihr ruhig mit und sah sie dabei unverwandt an. Wieder einmal hatte er über ihren Kopf hinweg entschieden. Typisch Dex. Er war so verdammt selbstherrlich und arrogant. "Wie gesagt, ich habe morgen früh einen Termin", entgegnete sie kühl. "Ich kann also nicht mit dir zurückfliegen." "Ich hatte gehofft..." Er zuckte die Schultern. Erneut kam ein jäher Windstoß, und diesmal blies er die Flamme aus. War das ein schlechtes Omen? Unwillkürlich begann Alicia zu frösteln. "Ist dir kalt?" erkundigte sich Dex sofort besorgt. "Entweder das, oder ich bin einfach nur müde. Macht es dir was aus, den Kaffee wieder abzubestellen? Ich würde gern nach Hause gehen." "Damit meinst du wohl Peters Wohnung", verbesserte Dex sie schroff.
"Ja, die meine ich", sagte sie, aber wenn sie ehrlich war, wusste sie überhaupt nichts mehr. Allzu widersprüchliche Gefühle tobten in ihr, denn wenngleich sie Dex' Vorschlag strikt abgelehnt hatte, kamen ihr plötzlich Zweifel, ob sie nicht doch etwas zu impulsiv gehandelt hatte.
12. KAPITEL "Hübsche Wohnung", stellte Dex fest, während Alicia für sie beide Kaffee zubereitete. "Kein Wunder, dass du dich hier so wohl fühlst. "Ja, nicht wahr?" stimmte sie ihm leicht zerstreut zu. Im Moment hatte sie wirklich anderes zu tun, als sich über Peters Apartment Gedanken zu machen. "Hat Peter dich schon mal hier besucht?" "Nein." Alicia trug das Tablett mit dem Kaffee ins Wohnzimmer und stellte es auf den Couchtisch. "Aber es wäre kein Problem. Es gibt drei Schlafzimmer." Dex stand mit dem Rücken zu ihr an dem großen Panoramafenster und sah auf den Hafen hinunter. Abends hatte man von hier einen herrlichen Blick auf die beleuchteten Boote und die glitzernde Skyline von Sydney. Dex drehte sich um und ließ den Blick über den spiegelnden Parkettboden, die hellbeigen Teppiche und weißen Lampen schweifen, die wirkungsvoll mit den blauen Sitzmöbeln kontrastierten. Alicia schenkte ihm und sich Kaffee ein und setzte sich dann auf ein Sofa. In dem eleganten dunklen Geschäftsanzug sah Dex so beeindruckend männlich und sexy aus. Wie gern hätte sie sich in seine Arme geschmiegt und ihn gebeten, sie zu lieben und die Nacht mit ihr zu verbringen. Aber zu wissen, dass er vielleicht
schon morgen wieder mit Maddie schlief, ließ sie lieber Abstand halten. Er kam zum Tisch und griff nach seiner Tasse. Spannungsgeladenes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Ihre Blicke trafen sich. "Weißt du schon, wo du heute übernachtest?" Alicia hatte mit dieser Frage Klarheit schaffen wollen, bereute sie aber, als Dex spöttisch die Brauen hochzog. "Wo möchtest du denn, dass ich schlafe?" Na prima. Er hatte die Entscheidung geschickt auf sie abgewälzt. "Ehrlich gesagt, ich bin hundemüde. Du kannst jedoch gern in einem der anderen Zimmer schlafen." Gelassenheit vortäuschend, blickte sie ihm kühl direkt in die Augen. "Wenn du das möchtest", gab er ebenso frostig zur Antwort. Natürlich wollte sie es nicht, aber ihr blieb ja nichts anderes übrig. Sie lehnte sich zurück und rieb sich den schmerzenden Nacken. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als würde ihr jeder einzelne Muskel wehtun. "Du willst nicht mit mir nach Hause kommen, ja, nicht einmal im selben Zimmer mit mir schlafen. Verzeih, wenn ich etwas schwer von Begriff bin, aber versuchst du mir klarzumachen, dass unsere ,Vernunftehe', wie du sie genannt hast, am Ende ist?" fragte er sarkastisch. "Ich versuche dir überhaupt nichts klarzumachen, Dex", redete sie sich heraus. "Ich bin einfach nur müde, und mir tut der Rücken weh. Ich bin seit heute Morgen um sieben Uhr auf." Er musterte sie mit einem grimmigen Blick. "Ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn du dich in deinem Zustand so verausgabst." "Dex, mir fehlt nichts. Ich gehe regelmäßig zur Untersuchung und..." "Schon gut, lassen wir das", unterbrach er sie scharf. "Im Übrigen habe ich keineswegs von dir erwartet, dass du mit mir
schläfst. Ich habe die Botschaft schon verstanden, als du dich davongemacht hast. Aber ich hatte gehofft, nach einigen Wochen der Trennung würde dir vielleicht bewusst werden, was du aufgegeben hast." "Ich habe nie beabsichtigt, für immer hier zu bleiben." "Wie sehen deine Pläne dann aus?" Er stellte seine leere Tasse auf den Tisch. "Ich werde meine Verpflichtungen hier in Sydney erfüllen." Etwas unbeholfen versuchte sie sich den verspannten Nacken zu massieren. Dex sah ihr zu, ging dann plötzlich zu ihr hin und setzte sich neben sie. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, begann er ihr mit gekonnten Griffen die Schultern zu massieren. Schon nach wenigen Augenblicken hatte sie das Gefühl, am ganzen Körper zu brennen. "Besser so?" fragte er sanft. Sie schloss die Augen und überließ sich ganz seinen kundigen Händen. Wie sehr sie ihn doch vermisst hatte! "Ja, es ... hilft." Es war nicht zu überhören, dass ihre Stimme leicht zitterte. "Ich verstehe ja, dass du deine Verpflichtungen einhalten musst", sagte er leise. "Aber seit du weg bist, fühle ich mich in unserem Bett sehr einsam." Der tiefe, sinnliche Klang seiner Stimme erregte Alicia noch mehr, aber gleichzeitig misstraute sie ihm. Er kannte seine Wirkung auf sie und versuchte jetzt ihre Schwäche auszunutzen, um sie nach Hause und das Kind unter sein Dach zu bekommen. Er strich ihr Haar zurück und küsste sie zart auf den Nacken. Alicia spürte, wie ihre Widerstandskraft ins Wanken geriet, und als er nun ihr Kinn anhob und den Mund auf ihre Lippen senkte, waren ihre guten Vorsätze schon fast vergessen. Sein Kuss war anfänglich sanft und verführerisch, dann wurde er leidenschaftlicher.
Wenn sie jetzt keinen Rückzieher machte, würde Dex sie bestimmt dazu bringen, morgen mit ihm zurückzufliegen. Sie befreite sich aus seiner Umarmung. "Bitte hör auf." Es kostete sie große Überwindung, hart zu bleiben. "Damit fühle ich mich momentan überfordert." Als sie ihn ansah, glänzten seine Augen dunkel, verrieten jedoch nicht, was in ihm vorging. Sie rückte von ihm weg. "Such dir eines der beiden Zimmer aus. In jedem ist das Bett frisch bezogen ..." Weiter kam sie nicht, denn plötzlich bewegte sich das Baby in ihrem Bauch. Ihr stockte der Atem. "Dex!" "Was ist los?" Er sprang auf und kniete sich vor ihr auf den Boden. "Es ist alles okay", beruhigte sie ihn. "Das Baby hat mir einen Stoß versetzt. Das kommt neuerdings öfter vor." "Seit wann?" Sie sahen sich an, und in seinen Augen lag ein Ausdruck von so unendlicher Traurigkeit, dass Alicia tief berührt war. "Schon seit einigen Wochen", bekannte sie, nahm seine Hand und legte sie sich auf den Bauch. Gleich darauf bewegte sich das Baby erneut. "Du lieber Himmel... ich kann es tatsächlich spüren", sagte er fast ehrfürchtig und presste die Hand noch fester auf ihren Bauch, als das Baby sich ein weiteres Mal bewegte. "Er scheint ein kleiner Fußballer zu sein." "So lebhaft wie heute war er noch nie", erklärte Alicia lächelnd. "Vielleicht spürt er ja, dass sein Dad hier ist, und möchte mir sagen, er hat mich vermisst?" Nicht er, sondern ich habe dich vermisst, dachte Alicia traurig. Dex runzelte die Stirn. "Alles in Ordnung mit dir?"
Sie nickte. "Er scheint sich beruhigt zu haben. Am besten lege ich mich jetzt hin." Sie stand auf und stellte die leeren Tassen auf das Tablett. "Überlass das mir", sagte Dex. "Geh du lieber schlafen." Sie nickte. "Danke." Als sie das Wohnzimmer verließ, spürte sie, wie Dex ihr nachblickte, und musste all ihre Willenskraft aufbieten, um nicht noch jetzt schwach zu werden und ihn in ihr Schlafzimmer einzuladen. Am nächsten Morgen wurde Alicia durch leises Klopfen an der Tür geweckt. "Darf ich hereinkommen, Alicia?" "Ja." Sie hatte schlecht geschlafen und fühlte sich wie gerädert. Die Tür ging auf, und Dex betrat mit einer Tasse Tee in der Hand das Zimmer. Alicia gab es einen Stich ins Herz, als sie sah, dass er bereits fertig angezogen war. "Willst du schon weg?" Er nickte und stellte den Tee auf den Nachttisch. "Danke." Sie setzte sich auf, fuhr sich nervös durchs Haar und beobachtete dann, wie er die Vorhänge aufzog. Draußen schien die Sonne. Als Alicia nach der Tasse griff, warf sie einen Blick auf die Uhr. Es war erst kurz nach halb sieben. Dex drehte sich zu ihr um. "Wann musst du heute zu arbeiten anfangen?" "Um neun." Sie trank etwas Tee. "Um wie viel Uhr geht dein Flug?" "Um acht Uhr." Verlegenes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Schließlich sagte Alicia: "Wenn du willst, komme ich mit zum Flughafen."
"Sieht so aus, als musste ich mich damit begnügen", meinte er mit einem etwas wehmütigen Lächeln und beobachtete, wie sie die Bettdecke zurückschlug und aufstand. Alicia war froh über ihr hübsches Seidennachthemd von Rupert Williams, das ihre sich rundende Gestalt hinter locker fallenden Falten geschickt verbarg. Vermutlich war Dex sogar erleichtert, weil er nicht mit ihr geschlafen hatte. Männer fanden schwangere Frauen sicher nicht sonderlich anziehend. "Es dauert nicht lange, bis ich geduscht und mich angezogen habe", versprach sie schnell. Er nickte. "Gut, ich warte im Wohnzimmer auf dich." Ihre Blicke trafen sich. Früher hatten sie sich oft unter der Dusche geliebt. Ob Dex sich jetzt wohl ebenfalls daran erinnerte? Er hatte es meisterhaft verstanden, sie mit seinen Liebkosungen zu erregen, aber damals hatte sie nicht gewusst, dass er womöglich Maddie vor Augen gehabt hatte, wenn er sie, Alicia, liebte. Der Gedanke hatte eine ernüchternde Wirkung auf Alicia. Sie lächelte Dex kühl zu und ging in das ans Schlafzimmer angrenzende Bad und riegelte vernehmlich die Tür hinter sich ab. Als sie zurückkam, war das Schlafzimmer leer. Nur mit einem Handtuch bekleidet, setzte sie sich vor den Toilettentisch und begann ihr Haar zu föhnen. Gleich darauf steckte Dex den Kopf zum Zimmer herein. "Ein Anruf für dich", sagte er kurz angebunden. "Oh!" Sie schaltete den Föhn aus. "Von wem?" "Peter." Sie legte Föhn und Bürste weg, stand auf und eilte zum Telefon, das sich im Flur befand. "Hallo, Peter", begrüßte sie ihren Freund erfreut. "Nein, ich war bereits auf. Wirklich? Ganz im Gegenteil, ich freue mich." Sie warf einen Blick zu Dex, der ihr gefolgt war und sie mit grimmiger Miene ansah. Befürchtete
er, sein Flugzeug zu verpassen? "Gut, Peter, wir sehen uns dann", sagte sie schnell. "Ich muss jetzt auflegen. Dex ist hier." "Tut mir Leid", entschuldigte sie sich, nachdem sie aufgelegt hatte. "Ich beeile mich beim Anziehen." Als sie an ihm vorbeiwollte, hielt er sie fest. "Was wollte Peter von dir?" Sie sah ihn erstaunt an. "Er wollte mich nur warnen, dass er am Wochenende nach Sydney kommt." "Warnen? Hat er Angst, ich würde ihm in die Quere kommen?" "Red keinen Unsinn, Dex. Peter ist nichts weiter als ein guter Freund von mir." "Läufst du in seiner Anwesenheit auch so aufreizend bekleidet herum?" Seine Augen funkelten zornig. "Ich habe dir doch gestern gesagt, dass er noch nie hier war", entgegnete sie, nun ebenfalls verärgert. "Willst du etwa behaupten, ich hätte dich angelogen?" "Nein, du warst immer brutal offen zu mir", sagte er bitter. "Aber ich fühle mich provoziert, wenn du halb nackt vor mir herumtänzelst und ich gleichzeitig in deinen schönen blauen Augen lese: Bitte nicht berühren!" "Ich ..." Fassungslos sah sie ihn an. "Du ... du bist verrückt!" "Allerdings, und daran bist nur du schuld." Er ließ den Finger gefährlich langsam am Rand des Handtuchs entlanggleiten. Erst jetzt wurde Alicia bewusst, dass sie darunter völlig nackt war. Und sie fühlte sich umso angreifbarer, weil Dex angezogen war. "Ich möchte nicht, dass du mit Peter allein in dieser Wohnung bleibst!" Sein Befehlston versetzte Alicia in Rage. "Bilde dir nicht ein, du könntest mir Vorschriften machen." Stolz sah sie ihn an. "Ich gehöre weder dir, Dex Rowland, noch irgendeinem anderen Mann. Ich kann tun und lassen, was ich will, bin finanziell unabhängig und ..."
"Die dickköpfigste Frau, die ich kenne", beendete er an ihrer Stelle den Satz. "Ich weiß, wie unabhängig du bist, Alicia. Aber ich brauche dich. Zum Teufel, ich bin dein Mann und habe das Recht, dich in meinem Haus und meinem Bett zu haben!" "Nein, das hast du nicht!" widersprach sie heftig. Durch seine Affäre mit Maddie hatte er sich alle Rechte verscherzt. "Du bist ein verdammter Heuchler, Dex." Alicia redete sich immer mehr in Rage. "Dir wäre es am liebsten, wenn ich nach der Geburt meine Karriere fortsetzen und dir das Kind überlassen würde." Entgeistert blickte er sie an. "Aber das stimmt nicht, Alli. Ich will dich." Wie zur Bestätigung schob er das Handtuch zurück und streichelte ihre Brust. "Am liebsten würde ich dich auf der Stelle lieben." "Bitte lass das." Ihr klopfte das Herz zum Zerspringen. Als sie seine Hand abschütteln wollte, glitt das Handtuch weiter nach unten. "Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich dich begehre, Alicia." Seine Stimme klang heiser vor Verlangen, und er liebkoste mit den Lippen ihr Ohr, küsste ihren Hals und ihre nackte Schulter. Alicia stöhnte leise. Dex war ein Meister der Verführung und kannte jede ihrer erotischen Schwachstellen. Sie wollte sich ihm entziehen, spürte jedoch im Rücken die Wand, und als sie das Handtuch festhalten wollte, umfasste er ihre Handgelenke und presste die Lippen auf die weiche Mulde zwischen ihren Brüsten. Alicias Widerstand schmolz dahin. Sie glühte am ganzen Körper und bog stöhnend den Kopf zurück, als Dex nun sanft ihre Brüste liebkoste. Dies war der Mann, den sie liebte und begehrte, und alles andere war ihr egal. Doch dann löste er sich unvermittelt von ihr und trat zurück. Sie bekam gerade noch den Zipfel des Handtuchs zu fassen und zog es sich über die Brust. "Tut mir Leid, Alli." Er schüttelte den Kopf. "Das hätte ... ich ... nicht tun dürfen." Mit einer fahrigen Geste strich er sich
durchs Haar und griff dann nach seiner neben der Tür stehenden Reisetasche. Alicia nutzte die Gelegenheit, ihr Handtuch wieder festzuknoten. "Dex, ich ..." "Bitte sag nichts. Du hattest völlig Recht. Ich hätte dich nicht zu dieser Ehe überreden dürfen, und natürlich ist es absurd, dir irgendwelche Vorschriften machen zu wollen. Es ist wohl am besten, ich verschwinde jetzt." Sie stand wie erstarrt da und brachte kein Wort heraus. Er hatte schon die Hand auf der Türklinke, drehte sich dann aber nochmals zu Alicia um. "Falls du dich entschließt, nach Cairns zurückzukehren, werde ich dich nicht mehr belästigen. Du kannst im Haus wohnen bleiben. Ich werde ausziehen. Aber bitte lass mich dich, Vicky und das Baby finanziell unterstützen. Einverstanden?" Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Wie konnte sie ihn zurückhalten? "Ich hoffe, du verzeihst mir irgendwann, was ich dir angetan habe", fuhr er leise fort. "Das Problem ist, dass ich dich über alles liebe, Alli, und nicht weiß, wie ich ohne dich leben soll." Sie hatte schon so lange auf diese Worte gewartet, dass sie im ersten Augenblick glaubte, sich verhört zu haben. Als ihr dann endlich bewusst wurde, was Dex da gesagt hatte, war er bereits gegangen. Sie riss die Tür auf und wollte ihm nachlaufen, doch der Gang war leer, und sie hörte, wie der Aufzug sich in diesem Moment in Bewegung setzte. Verzweifelt blickte sie an sich hinunter. Sie konnte Dex schwerlich im Handtuch folgen. Als sie in die Wohnung zurückkam, klingelte das Telefon. Peter war am Apparat. "Hast du vorhin gesagt, Dex sei bei dir?" fragte er. "Ja. Aber jetzt ist er weg." "Alles okay?"
"Ich denke schon." Sie atmete tief ein. "Wahrscheinlich bin ich nun doch nicht da, wenn du am Wochenende kommst. Falls möglich, möchte ich jetzt gleich nach Hause fliegen. Ich muss unbedingt mit Dex reden." "Aber du hast heute einen Fototermin. Den kannst du nicht einfach absagen." Alicia biss sich auf die Lippe. Peter hatte Recht. Sie musste ihren Vertrag einhalten. "Ich möchte dir natürlich keine Vorschriften machen, Alicia", sagte Peter. "Wenn dir das Gespräch mit Dex so wichtig ist, solltest ..." "Nein, du hast Recht. Erst muss ich meinen Verpflichtungen nachkommen."
13. KAPITEL Es begann schon dunkel zu werden, als Alicia den Flughafen von Cairns verließ und in ein Taxi stieg, das sie nach Hause bringen sollte. Der Himmel war von einem flammenden Rot überzogen, gegen das sich die schwarzen Silhouetten der Fahnen und Berge abhoben. Während sie den Cook Highway entlangfuhren, verwickelte der Taxifahrer sie in ein Gespräch. Sie war ihm für die Ablenkung dankbar. Erst als sie auf die schmale Straße abbogen, die zu ihrem Haus führte, vermochte Alicia sich nicht mehr auf die Unterhaltung zu konzentrieren. Das Haus war hell erleuchtet, und ihr Herz schlug schneller, als das Taxi hielt. Erwartungsvoll blickte sie zur Haustür, hoffte, Dex würde herauskommen und sie stürmisch begrüßen, doch die Tür blieb geschlossen. "Ich trage Ihnen das Gepäck auf die Veranda", bot der freundliche Taxifahrer an. "Danke." Alicia stieg aus und atmete in tiefen Zügen die warme Luft ein. Der Duft von Eukalyptus stieg ihr in die Nase, und vom Meer her wehte ein leichter Wind. Nachdem das Taxi weg war, durchsuchte Alicia ihre Handtasche nach dem Hausschlüssel und schloss die Tür auf.
Der Flur war leer, doch irgendwo spielte ein Radio. Auch im Wohnzimmer war niemand zu sehen. Wie schön, wieder zu Hause zu sein! dachte sie, während sie den Blick durch das ihr so vertraute Zimmer schweifen ließ. Etwas bang war ihr schon zumute. Sie konnte nur hoffen, dass Dex seine gestrigen Abschiedsworte wirklich ernst gemeint hatte. Nur wegen seines Geständnisses, er würde sie lieben, hatte sie in Sydney alle Brücken hinter sich abgebrochen. Hatte sie übereilt gehandelt? "Hallo?" rief sie unsicher. "Ist jemand da?" Da sich niemand meldete, folgte sie dem Klang des Radios und ging in die Küche. Vicky trank gerade Kaffee und hätte beinah ihre Tasse fallen lassen, als sie Alicia sah. "Was machst du hier?" rief sie überrascht, stellte ihre Tasse ab und fiel ihrer Schwester freudig um den Hals. "Ich habe es einfach nicht länger ohne euch ausgehalten." Alicia lächelte und fügte scherzhaft hinzu: "Außerdem wollte ich sicher sein, dass du den Schulanfang nicht versäumst." "Du wirst es nicht glauben, aber ich freue mich auf die Schule", erklärte Vicky lachend. "Nach den Wochen in Dex' Büro weiß ich erst, was es heißt, hart zu arbeiten." "Ich dachte, der Job hätte dir Spaß gemacht?" "Schon, aber es gab einige Schwierigkeiten." "Davon hast du am Telefon nie etwas erwähnt." "Dex ist damit fertig geworden." Vicky zuckte die Schultern. "Es hatte hauptsächlich mit Maddie McDowell zu tun. Nachdem du weg warst, kreuzte sie jeden Tag im Büro auf. Die Frau ist nicht ganz dicht. Eines Abends stand sie sogar hier vor der Tür. Sie hat den armen Dex regelrecht verfolgt." Alicia stockte der Atem. "Tatsächlich?" "Ja. Zum Glück ist er sie jetzt los. Er ist aus dem Vertrag mit ihr ausgestiegen. Ich habe ihn noch nie so wütend erlebt."
"Aus dem Vertrag ausgestiegen?" wiederholte Alicia fassungslos. "Das wird ihn ein Vermögen kosten." Vicky nickte. "Vorübergehend stand sogar die Existenz der Firma auf dem Spiel. Er hat mich gebeten, dir nichts zu erzählen, da er dich nicht beunruhigen wollte. Aber nun ist ja alles überstanden. Er hat sich mit einer Firma Banks zusammengetan. Heute Morgen haben wir die Zusage bekommen, dass Banks die Angelegenheit durch seine Anwälte regeln lässt und Maddie auszahlt." "Somit sind alle Schwierigkeiten überwunden?" "Mehr als das, denn Dex hat einen Masse Vertrag mit Banks ausgehandelt. Doch statt zu jubeln, schleicht er wie ein Gespenst durch die Gegend." "Wo ist er jetzt?" "Noch im Büro." Vicky runzelte die Stirn. "Wieso bist du eigentlich nicht schon gestern mit ihm zurückgekommen?" "Ich hatte heute noch einen Fototermin." Alicia nahm ihren Autoschlüssel vom Haken neben der Tür. "Ich fahre ins Büro und überrasche ihn." Vicky kicherte. "Ich würde nur zu gern sein Gesicht sehen, wenn du plötzlich vor ihm stehst." Alicias Wagen stand in der Garage. Er sprang erst nach einigen Versuchen an, und als sie von der Einfahrt auf die schmale Küstenstraße bog, gab der Motor noch immer seltsame Geräusche von sich. Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie umkehren sollte, verwarf den Gedanken jedoch wieder. Sie wollte Dex so schnell wie nur möglich sehen. Die Fensterscheibe war verschmiert, und so schaltete sie zuerst die Sprühanlage und dann die Scheibenwischer ein. Leider wurde alles nur schlimmer, und sie konnte fast gar nichts mehr sehen. Normalerweise hatte sie für solche Gelegenheiten immer ein altes Tuch auf dem Boden des Beifahrersitzes liegen, und so verlangsamte sie das Tempo, knipste die Innenbeleuchtung an und schaute nach, ob es noch da war.
Von einem Tuch war nichts zu sehen. Dafür entdeckte sie eine zusammengerollte Schlange auf dem Boden, die sich nun aufrichtete und langsam auf den Beifahrersitz glitt. Vor Schreck war Alicia sekundenlang wie gelähmt und starrte entsetzt auf die gespaltene und gefährlich züngelnde Zunge des Tieres. Als Alicia den Blick wieder auf die Straße richtete, bemerkte sie, dass sie auf die Gegenfahrbahn geraten war und ihr ein Auto entgegenkam. Sie riss das Steuer herum, verlor trotz des geringen Tempos die Kontrolle über ihren Wagen, kam von der Straße ab und landete im Graben. Sie bekam noch mit, wie ihr Kopf gegen das Seitenfenster schlug, dann wurde ihr schwarz vor Augen. "Alicia." Die Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. "Alicia, bist du in Ordnung?" Alicia glaubte, Dex' Stimme zu erkennen, versuchte die Augen zu öffnen, doch es ging nicht. Angst stieg in ihr hoch. Sie hörte, wie jemand sich an der Tür zu schaffen machte und sie aufriss. Dann fühlte Alicia sich von starken Armen umfangen und sanft aus dem Auto gehoben. Der Geruch von verbranntem Gummi, der ihr in die Nase stieg, verursachte ihr Übelkeit. Stöhnend barg sie ihr Gesicht in weichem Stoff und nahm den schwachen Duft von Dex' Rasierwasser wahr. Das Übelkeitsgefühl verschwand. Dafür verspürte sie nun ein unerträgliches Hämmern im Kopf. "Alicia, bist du okay?" Sie spürte, wie Dex ihren Körper nach Verletzungen abtastete, erinnerte sich plötzlich an die Schlange und begann am ganzen Leib zu zittern. "Alicia, bitte sag etwas. Wenn dir etwas passiert ist ..." Dex' angsterfüllte Stimme war das Letzte, was sie hörte, ehe sie erneut das Bewusstsein verlor.
Als Alicia wieder erwachte, lag ihr Kopf auf etwas Weichem. Sie blinzelte, erkannte schemenhaft ein Zimmer und einen dunklen Schatten neben dem Bett, in dem sie offenbar lag. Ihr Mund war wie ausgetrocknet. Sie wollte sagen, dass sie Durst habe, brachte jedoch kein Wort heraus. "Sie kommt zu sich", flüsterte eine ihr unbekannte weibliche Stimme. Erschöpft schloss Alicia wieder die Augen. Dann spürte sie, wie ihr etwas an die Lippen gehalten wurde, Wasser tropfte in ihren Mund, und sie schluckte dankbar. "Alicia? Darling?" Die besorgte Stimme ihres Mannes veranlasste sie, noch einmal die Augen zu öffnen. Jetzt erkannte sie, dass er der schwarze Schatten neben ihrem Bett war. "Wo bin ich?" flüsterte sie. "Im Krankenhaus. Aber es wird dir bald wieder besser gehen." Sein sanfter, beruhigender Tonfall passte nicht zu seinem blassen Gesicht und dem gequälten Ausdruck in seinen Augen. "Du siehst krank aus. Geht es dir nicht gut?" Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. "Ich bin vor Angst fast gestorben. Du hast mir einen entsetzlichen Schrecken eingejagt." "Ich?" Sie konnte sich nicht erinnern, was geschehen war. Sie fühlte sich irgendwie seltsam, als hätte sie keinen Körper. Langsam nahm alles um sie her Gestalt an. Sie lag in einem Krankenzimmer. Weiße Wände, weiße Möbel, weiße Bettwäsche. Mit seinem dunklen Haar und dem dunklen Anzug wirkte Dex in dieser Umgebung wie ein Fremdkörper. "Du hattest einen Autounfall", sagte er sanft. "Beinah wärst du mit mir zusammengestoßen. Kannst du dich daran erinnern?" Jäh fiel ihr wieder alles ein. Die Schlange, der Wagen, ihr Kopf, der gegen das Fenster schlug.
Sie stöhnte. "Was ist mit meinem Baby? Ist es okay?" Panische Angst erfasste sie, als er nicht sofort antwortete. "Dex, sag mir, was los ist." Sie tastete nach ihrem Bauch. "Beruhige dich, Alli." Er nahm ihre Hand. "Sie haben einige Tests gemacht und warten nur noch die Ergebnisse ab." Entsetzt sah sie ihn an. "Der Arzt war sehr zuversichtlich. Bestimmt ist alles in Ordnung." Dex drückte leicht ihre Hand. "Und wenn nicht?" Ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Alles wird gut, Liebling." Seine Stimme klang ruhig. "Die Hauptsache ist, du hast den Unfall gut überstanden. Ich hätte es nicht ertragen, wenn dir etwas passiert wäre." Sie schüttelte den Kopf. "Aber für dich war doch das Baby am wichtigsten. Dir ging es doch immer nur um dein Kind, nicht um mich." "Darling, das stimmt nicht!" Es war nicht zu übersehen, wie bestürzt er war. "Ich liebe dich über alles und werde dich immer lieben, was auch geschehen mag." "Ist das wahr?" Sie schien noch immer nicht ganz überzeugt zu sein. Als sie sich aufzusetzen versuchte, zog er sie in die Arme und drückte sie fest an sich. "Ich liebe dich auch, Dex", flüsterte Alicia. Er löste sich von ihr, um sie anzusehen. "Du ahnst nicht, wie sehr ich darauf gewartet habe, diese Worte von dir zu hören." "Ich habe sie schon einmal gesagt..." Er schüttelte den Kopf. "Gesagt ja, aber nicht so gemeint. Ich wusste, dass du viel lieber Karriere gemacht hättest, als mich zu heiraten." "Dex, das stimmt nicht", widersprach sie. "Die Liebe zu dir war mir immer wichtiger als alles andere." "Und wieso bist du dann weggegangen?" "Weil ich herausfand, dass du mit Maddie ein Verhältnis hattest. Aber du hast dich jetzt von ihr getrennt, stimmt's?"
Verständnislos sah er sie an. "Alli, ich schwöre dir, seit meiner kurzen Affäre mit ihr vor Jahren war nie mehr das Geringste zwischen ihr und mir." "Aber ich habe euch doch selbst gesehen." Alicia erzählte ihm nun etwas verlegen, wie sie Maddie und ihn damals auf der Party belauscht hatte. "Wenn du nur ein wenig länger geblieben wärst, hättest du gehört, wie ich ihr sagte, dass ich nur dich liebe, Alli. Diese Frau ist nicht normal. Was glaubst du, wie sehr ich es bereut habe, diesen unseligen Vertrag mit ihr je unterschrieben zu haben. Sie hat mich auf Schritt und Tritt verfolgt. An unserem Hochzeitstag ist sie plötzlich bei mir zu Hause aufgekreuzt und hat sich mir an den Hals geworfen. Ich war heilfroh, als gleich danach Peter bei mir klingelte. Von alldem habe ich dir gar nichts erzählt, weil du schon auf diese verdammte Karte so heftig reagiert hattest." "O Dex! Und ich dachte, du würdest dich zu ihr hingezogen fühlen, weil sie dich an Clare erinnert." "Du lieber Himmel, nein!" rief Dex entsetzt. "Als ich die Party vorzeitig verließ, hat sie mich abgefangen und mir erklärt, sie sei deine Geliebte. Und dann drohte sie mir noch, dich geschäftlich zu ruinieren, wenn ich von dir verlange, mit ihr Schluss zu machen. Deshalb habe ich kampflos das Feld geräumt." Dex fluchte unterdrückt. "Mich hat sie auf die gleiche Weise zu erpressen versucht, bis es mir schließlich zu dumm wurde. Letztendlich hat sie den Kürzeren gezogen, denn sie hatte nur das Geld, ich aber das Produkt. Bin ich froh, dass dieser Albtraum vorbei ist." "Auf der Party hat ein Mann mir erzählt, Maddie hätte dich als ihren Partner vorgestellt." "Geschäftspartner", verbesserte Dex seine Frau. "An jenem Abend habe ich mit Maddie im Romanio's Kaffee getrunken und
versucht, vernünftig mit ihr zu reden, aber es war umsonst, sie hat ihre Taktik nicht geändert." "O Dex!" sagte Alicia zerknirscht. "Hätte ich nur über alles mit dir gesprochen." In ihren Augen schimmerten Tränen. Sanft strich Dex ihr das Haar aus dem Gesicht. "Jetzt wird alles gut werden." Wie auf ein Stichwort betrat in diesem Augenblick der Arzt das Krankenzimmer. Er war noch jung, Ende zwanzig vielleicht, und lächelte aufmunternd. "Die Schwester hat mir erzählt, dass Sie aufgewacht sind. Wie fühlen Sie sich?" "Ich würde mich sehr viel besser fühlen, wenn ich wüsste, was mit meinem Baby ist." Alicia sah ihn angstvoll an. "Ich kann Sie beruhigen. Nach Auswertung aller Testergebnisse kann ich Ihnen versichern, dass Sie ein gesundes Kind zur Welt bringen werden. Dem Baby ist nichts passiert." Der Arzt beugte sich über Alicia, leuchtete ihr in die Augen und fühlte ihr den Puls. Dann nickte er zufrieden. "Wie fühlen Sie sich?" "Als hätte ich eine Nacht durchgemacht." Er lachte. "Das wird sich bald legen. Zu Ihrer eigenen Sicherheit behalten wir Sie einige Stunden zur Beobachtung hier. Aber spätestens heute Abend sind Sie wieder zu Hause. Sie sollten sich lediglich noch etwas schonen." Alicia sah Dex an, und er schaute ihr tief in die Augen. Als sie sich schließlich wieder dem Arzt zuwenden wollte, war dieser längst aus dem Zimmer gegangen. Dex stand auf. "Ich werde jetzt Vicky anrufen. Sie hat bei Jenny übernachtet und bestimmt kein Auge zugetan." "Gut." Alicia lächelte strahlend. "Aber sag mir vorher noch einmal, dass du mich liebst." "Das wirst du in Zukunft jeden Tag hören." Er setzte sich wieder aufs Bett, nahm sie in die Arme und küsste sie. "Tut mir Leid, dass ich dir wegen Maddie nicht geglaubt habe."
"An allem bin ich schuld", sagte Dex. "Ich hätte dir mehr vertrauen sollen." Er sah sie mit einer solchen Zärtlichkeit an, dass Alicia der Atem stockte. "Tut mir Leid, Alicia, aber ich habe dich unterschätzt. Erst in letzter Zeit ist mir bewusst geworden, wie viel Stärke du unter deinem so verführerischen weiblichen Äußeren verbirgst. Ich wusste von deiner schweren Kindheit und glaubte dir zu imponieren, wenn ich den starken Mann spielte, der alles im Griff hat. Dabei bist du in manchem lebenstüchtiger als ich." "Trotzdem brauche ich dich, Dex", gestand sie und küsste ihn. "Darling, du bedeutest alles für mich", flüsterte Dex nach einem langen, innigen Kuss. "Ich habe wegen Peter schreckliche Qualen der Eifersucht durchlitten." "Peter ist wie ein Bruder für mich, nicht mehr", versicherte Alicia. "Du hast doch nichts dagegen, wenn ich weiter mit ihm befreundet bleibe?" "Nein, eigentlich mag ich ihn ja auch. Und nun bin ich mir deiner Liebe ja sicher und habe außerdem aus meinen Fehlern gelernt. So mein Schatz, und jetzt küss mich noch einmal, ehe ich mich von dir losreiße, um Vicky anzurufen." Dex schloss den Aktenschrank und setzte sich dann wieder an seinen Schreibtisch. Er sah auf die Uhr. Gleich würde Alicia ihn abholen. Stolz betrachtete er die Entwürfe auf seinem Schreibtisch. Das neue Computerspiel würde ein noch größerer Erfolg als das letzte werden, davon war er überzeugt. Vielleicht konnte er noch einige Anrufe erledigen. Wo hatte er nur Joshs Brief hingelegt, der heute gekommen war? Die Tür ging auf, und Alicia kam herein. Wie jedes Mal, wenn er sie sah, begann sein Herz schneller zu schlagen. Wie schön sie war! Ihr Haar glänzte honigblond, die blauen Augen leuchteten. Sie trug ein elegantes
vanillefarbenes Kostüm, und obwohl sie hochschwanger war, sah sie sehr verführerisch und sexy aus. "Schluss für heute", sagte sie energisch. "Du weißt, wir treffen uns mit Vicky und Robbie in der Stadt zum Essen." Er lachte. "Sehr wohl, Ma'am." Dann sah er sie fragend an. "Weißt du vielleicht, wo Joshs Brief ist, der heute in der Post war?" "In Joshs Akte. Zweite Schublade von oben." Er zog die Schublade auf. Tatsächlich war der Brief schon abgeheftet. "Du bist wirklich einmalig", erklärte er. "Darf ich auf eine lebenslange Anstellung hoffen?" fragte sie belustigt lächelnd. Er blickte ihr tief in die Augen. "Darüber ließe sich reden." "Natürlich stelle ich höchste Ansprüche", verkündete sie kokett. Er lachte. "Könntest du mir das ein wenig ausführlicher erklären", sagte er mit verführerischer Stimme, zog sie auf seinen Schoß und küsste sie lange. Ein plötzlicher Lärm im Nebenzimmer ließ sie auseinander fahren. Durch die geöffnete Tür sahen sie ihren Sprössling mit einem kleinen Flugzeug spielen. "Brrr ..." Er hielt es sich über den Kopf und lief damit im Kreis herum. "Ich glaube, er will uns mitteilen, dass er abfahrbereit ist", meinte Alicia lächelnd. "Du könntest Recht haben." Dex lachte. "Sam, komm mal her." Der Kleine raste ins Zimmer und stürzte mit strahlendem Lächeln auf seine Eltern zu. Er war erst drei Jahre alt und ganz das Abbild seines Vaters. Dunkles Haar, dunkle Augen und ein richtiger Lausebengel, dachte Alicia zärtlich. Sie stand auf. Dex schaltete den Computer aus, hob seinen Sohn hoch und wirbelte ihn durch die Luft. Der Kleine kreischte vor Vergnügen.
Schließlich verließen sie zu dritt das moderne, villenähnliche Haus mit Swimmingpool und riesigem Garten, in das sie gezogen waren, nachdem Dex' erstes Computerspiel ihn tatsächlich zum Millionär gemacht hatte. Dex schloss seinen Jaguar auf, setzte Sam nach hinten in den Kindersitz und schnallte ihn fest. Als er losfahren wollte, legte sich Alicia plötzlich die Hand auf den Bauch. "Hat er dich wieder gestoßen?" fragte Dex. "Ja, ich habe eine Bewegung gespürt." Sie lächelte. "Aber ich bin sicher, diesmal wird es ein Mädchen." "Dann also eine Katy." Dex sah seine Frau voller Liebe und Zärtlichkeit an. "Ja, eine Katy", stimmte sie ihm zu. Im Rückspiegel sah Dex die beeindruckende Villa, die er nun sein Eigen nannte. Er hatte es weit gebracht, doch das Kostbarste, was er besaß, war hier bei ihm im Auto. Dex griff nach der Hand seiner Frau und drückte sie. Er war ein echter Glückspilz.
-ENDE-