Marion Zimmer Bradley
Asharas Rückkehr Roman
Aus dem Amerikanischen von Fred Kinzel
Knaur
Die amerikanische Origina...
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Marion Zimmer Bradley
Asharas Rückkehr Roman
Aus dem Amerikanischen von Fred Kinzel
Knaur
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »Exile's Song« bei DAW Books, New York. Der Verlag dankt Olaf Keith für die Unterstützung bei der Vorbereitung dieses Buchs. Für Adrienne Martine-Barnes, die die Figur der Margaret Alton schuf und an diesem Buch mitgearbeitet hat. Besuchen Sie uns im Internet: www.droemer-weltbild.de Vollständige Taschenbuchausgabe Oktober 2000 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur, Nachf., München Copyright ® 1996 by Marion Zimmer Bradley Copyright ® 2000 der deutschsprachigen Ausgabe bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Umschlaggestaltung: Agentur Zero, München Umschlagabbildung: ® Romus B. Kukalis via Agentur Schluck, Garbsen Satz: Ventura Publisher im Verlag Druck und Bindung: Clausen 6t Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-426-60971-1 2453
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1 Es muss eine Möglichkeit geben, wie ich von einem Stern zum anderen reisen kann, ohne dass mir schlecht wird -irgendein Medikament, auf das ich nicht überempfindlich reagiere. Wenn ich nur nicht gegen so vieles allergisch wäre. Hätte ich doch bloß eine Lauflahn als Agronom oder Journalist eingeschlagen. Die Frau auf der Schubkraftliege lächelte grimmig, ohne die Augen zu öffnen, und versuchte, Übelkeit und Schwindelgefühl zu ignorieren. Der Gedanke war nicht neu, und sie hatte ihn bereits viele Male durchgespielt. Jahre zuvor, als sie von zu Hause weggegangen war, um die Universität zu besuchen, hatte sie diese beiden Berufe tatsächlich ins Auge gefasst, zusammen mit Wirtschaftswissenschaft und verschiedenen anderen, an die sie sich nicht mehr erinnerte. Sie hatte weniger als ein Semester gebraucht, um herauszufinden, dass sie kein Händchen für Landwirtschaft besaß, und fand die Vorstellung abscheulich, über das Unglück anderer Leute zu berichten. Sie hatte kein Geschick im Umgang mit Worten, und Zahlen langweilten sie, obwohl sie sehr gut im Rechnen war und bestimmt eine ganz passable Veruntreuerin geworden wäre. Bei diesem Gedanken wurde ihr Lächeln zum breiten Grinsen, und die Spannung in ihrem Gesicht löste sich ein wenig. Unter dem türkisfarbenen Ärmelaufschlag ihrer schwarzen Gelehrtenuniform juckten die Pflaster auf ihrer Haut. Eines davon versorgte sie mit Hyperdrom, dem Medikament gegen Raumkrankheit, und das andere sollte ihrer Allergie gegen Hyperdrom entgegenwirken. Wirklich zu dumm, dass sie allergisch war. Ihr Vater war es auch, sie musste es wohl von ihm geerbt haben. Sie war eben doch seine Tochter, auch wenn sie die meiste Zeit nicht das Gefühl hatte.
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Sie bewegte ihren Kopf auf den übel riechenden Kissen ihrer Liege vor und zurück. Diesen Augenblick nutzte ihr feines, aber üppiges rotes Haar, um sich aus dem Knoten zu lösen, zu dem sie es aufgetürmt hatte, und ihr in den Nacken zu rutschen. Sie konnte ihre Anspannung fühlen und versuchte angestrengt, sich zu entspannen. Der schwache Desinfektionsmittelgeruch, der in der stickigen, trockenen Luft des Dritte-Klasse-Abteils hing, war widerlich. Solange sie die Augen geschlossen hielt, hatte sie die Illusion von Alleinsein und war sich der elf anderen Personen in dem überfüllten Quartier weniger bewusst. Die Nähe von anderen Menschen, Leuten, die genauso viel Angst hatten wie sie selbst, machte die schreckliche, zermürbende Übelkeit, die sie zu ignorieren versuchte, nur noch schlimmer. Es war immer so gewesen, seit jener ersten Abreise von dem Planeten, auf den sie nun zurückkehrte. Sie hatte nur wenige, undeutliche Erinnerungen an ihre Kindheit, die an jene erste Reise jedoch waren lebendiger und stärker als alle anderen. Die Gerüche und Geräusche eines Raumschiffs und eines Magens, in dem Dämonen zu tanzen schienen, waren mit etwas Furchtbarem verknüpft, an das sie sich jedoch nicht klar erinnerte. Sie wurde nie richtig krank, aber endlose Stunden kurz vor dem Erbrechen zu verbringen war genauso schlimm, wenn nicht schlimmer. Kaum jemand hätte vermutet, dass die Tochter eines Senators der Föderation dritter Klasse reiste. Man nahm eher an, dass solche Leute ein schillerndes Leben mit Festen und Abendgesellschaften in diplomatischen Kreisen führten. Aber sie war eine Stipendiatin der Universität, und Akademiker reisten selten anders. Sie war inzwischen eine erfahrene Reisende, mit zehn ausgedehnten Reisen und mehr als hundert Flügen, aber immer noch weigerte sich ihr Körper, sich an die Medikamente zu gewöhnen, und sie hatte sich mit dieser
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Unannehmlichkeit abgefunden. Zumindest musste sie nicht mehr die Qualen des Zwischendecks erdulden, wie bei ihrer ersten allein unternommenen Reise, einem Alptraum mit sechzehn Starts und Landungen zwischen Thetis und Coronis. Und erster Klasse zu reisen, wie sie es einmal getan hatte, war auch nicht viel besser - die Luft stank trotzdem, und die Medikamente trockneten ihren Mund ebenfalls aus. Ich bin wie ein guter Wein - Reisen bekommt mir gar nicht. Ich wünschte, diese Arznei würde einen wirklich einschlafen lassen, wie sie es angeblich tut. Professor Davidson schnarcht vor sich hin wie ein Baby, der Gute. Wie macht er das nur? Kommt nun die Durchsage für unseren Landeanßug? Ich habe nicht mehr mitgezählt. Ist das der sechste oder der siebte Flug? Mutter der Meere, lass es der siebte sein. Sie begann »das Spiel« zu spielen. Sie und ihre Stiefmutter Dio hatten es auf jener halb erinnerten, ersten Reise erfunden, als sie noch sehr klein war. Es bestand darin, dass man alle Göttinnen und Götter nannte, die einem einfielen. Als Dio es ihr beigebracht hatte, hatte sie nur wenige gekannt - Zandru und Aldones, Evanda und Avarra. Bis sie ihr Ziel erreicht hatten, konnte sie mehr als hundert aufzählen und kannte einige ihrer Geschichten. Die Liste war angewachsen, während sie älter wurde und lernte, bis sie Namen von Gottheiten enthielt, die bis auf die Zeit zurückgingen, als Terra noch wirklich ein Reich war. Sie hatte die Namen von Gottheiten hinzugefügt, die sie von Mitstudenten erfuhr, Götter von Planeten, die sie besucht hatte, und von Welten, auf denen sie nie gewesen war. Manchmal suchte sie nach Reimen in den Namen oder ordnete sie in alphabetischer Reihenfolge alles, was sie vom Aufruhr in ihrem Körper ablenkte. Die Namen waren ihr nie ausgegangen, aber sie wusste nicht genau, ob aufgrund der Wiederholungen oder etwas anderem. Jedenfalls war die Übung etwas, worauf sie sich konzentrieren konnte, anstatt
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auf das Geräusch des großen Schiffes um sie herum zu lauschen und den beißenden Geruch ihrer Mitreisenden zu riechen. Das Schlingern des Schiffes, bei dem sich einem der Magen umstülpte, begann nachzulassen. Das Triebwerk klang anders, irgendein Heulton hörte auf. Bei dem Geräusch wurde sie immer angespannt, denn es bedeutete, dass sie den leeren Raum zwischen den Sternen verließen und in das Gravitationsfeld einer Welt eintraten. Das anhaltende Dröhnen der Landungstriebwerke setzte ein - ein leicht verstimmtes As, bei dem sie zu zittern begann. Auf der Liege neben ihr schnaubte der Professor prustend, hustete und bewegte sich. Er war wach. Jahre der erzwungenen Nähe zu dem alten Mann hatten ihr jedes Ächzen und jede Geste vertraut werden lassen. Sie musste nicht die Augen aufmachen, um zu wissen, dass er nun die Finger über einer imaginären Tastatur öffnete und schloss. Wie sehr wir uns doch aneinander gewöhnt haben, dachte sie. Wahrscheinlich kennt er auch alle kleinen Gewohnheiten von mir. Es war sehr tröstlich, die vertraute Begleitung von Ivor Davidson zu spüren, ihrem Mentor und praktisch auch ihrem Pflegevater. Seine Frau Ida war wie eine Mutter zu ihr gewesen, und sie kam zu dem Schluss, dass sie trotz des grässlichen Gefühls in ihrer Magengegend eigentlich sehr viel Glück hatte. Sie tat die Arbeit, die sie liebte, in der Gesellschaft eines lieben und geachteten Freundes. Wer wollte mehr verlangen? Der Lautsprecher über ihrer Liege winselte und summte, und Margaret fuhr zusammen. Zum Teufel mit ihren besonders empfindlichen Ohren! Sie hatten ihre Studien, ihr Stipendium und ihre Karriere als Musikwissenschaftlerin ermöglicht. Aber dreimal zum Teufel mit dem saloppen Fernmeldeoffizier, der wahrscheinlich taub war und die letzten drei Lan-
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düngen zur reinsten Qual gemacht hatte. Nach einem leisen Klicken und einem scharfen Kreischen, bei dem sie vor Unbehagen bebte, begann eine näselnde Tonbandaufzeichnung mit dem Akzent irgendeines Hinterwäldlerplaneten loszudröhnen. Sie war alt und musste ersetzt werden. Margaret musste sich zwingen, dass sie zuhörte und das lärmende Ding nicht einfach ausmachte. Dann war die Tonbandaufzeichnung zu Ende, und es ertönte etwas, das an eine menschliche Stimme erinnerte und Stan-dard-Terranisch mit einem fürchterlichen Akzent sprach, bei dem die Worte in die Länge gezogen wurden. »Wir befinden uns im Landeanflug auf Cottman IV, von den Einheimischen Darkover genannt.« Das Wort hatte einen beinahe geringschätzigen Klang, als stellte sich der Sprecher die Darkovaner als nackte Wilde oder etwas Ähnliches vor. Typisch terranische Arroganz. »Die Passagiere werden gebeten, angeschnallt zu bleiben, bis das Entwarnungssignal ertönt. Für diejenigen Passagiere im Zwischendeck und in der dritten Klasse, die Hilfe benötigen, wird kurz nach der Landung ein Steward bereitstehen.« Nachdem die Stimme die Hinweise für die Passagiere in Standard gesagt hatte, wiederholte sie sie in einem dutzend anderer Sprachen, wobei sie diejenigen, die Margaret erkannte, schwer verhunzte. Darkover! Endlich am Ziel. Der Planet ihrer Geburt. Aber der Klang des Wortes löste die seltsame Vorahnung aus, die sie spürte, seit sie erfahren hatte, dass sie hierherkommen würde. Es war etwas Ähnliches wie Angst, und es war völlig unlogisch! Sie war im Zuge ihrer Arbeit mit Ivor schon auf anderen Planeten gewesen, und nie hatte sie so ein schleichendes Unbehagen gespürt. Margaret holte ein paar Mal tief Luft und zwang sich zur Ruhe. Ihre Schultermuskeln waren verspannt und lösten sich nur widerwillig. Aber ihre Entspannungsübungen funktio-
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nierten langsam, sie seufzte erleichtert und hörte nicht mehr auf den Lautsprecher. Ihre Gedanken wanderten. Sie war daran gewöhnt, dass man ihr alles ein dutzend Mal sagte. Als Bewohnerin einer Kolonie hatte sie eine gesunde Verachtung für die Reglementierungswut der Terranischen Föderation. Zwar schätzte sie die technischen Errungenschaften der Terraner, die es ihr erlaubten, die Musik eines Dutzends von Welten in einem einzigen Menschenleben zu studieren, doch sie ertrug ihre Arroganz nur wegen des Stipendiums und der Freiheit, das es ihr bot. Aber sie mochte sie nicht - und würde sie vermutlich nie mögen. Ihr Vater hätte sie liebend gerne auf eine ganze Reihe von Colleges der Siedler geschickt, aber die Universität von Coro-nis war nicht darunter gewesen. Sie erinnerte sich noch gut an den Streit, der ausgebrochen war, als sie zum ersten Mal diesen Vorschlag machte. Zu behaupten, ihr Vater habe nicht zugestimmt, wäre ein Meisterstück an Untertreibung, und was es noch schlimmer machte, er wollte nicht erklären, wieso. Dio, ihre Stiefmutter, hatte wie immer eingegriffen, um den Frieden zwischen Vater und Tochter, so gut es ihr möglich war, aufrechtzuerhalten, aber es hatte lange gedauert, eine Zeit voller Angst und brütendem Schweigen, bis der Senator seine Einwilligung gab. Sie wünschte, sie würde ihn besser verstehen - oder zumindest seine seltsame Mischung aus Distan-ziertheit und wildem Beschützergebaren, das er ihr gegenüber an den Tag legte. Der Alte (wie sie ihn nannte) und Dio waren meistens unterwegs, da sie gezwungen waren, Veranstaltungen des Senats zu besuchen oder Angelegenheiten der Föderation zu erledigen hatten. Wegen seiner eigenen Allergie auf Hyperdrom kam der Senator nicht sehr häufig nach Thetis zurück, und wenn er da war, ging er ihr nach Möglichkeit aus dem Weg. Es war fast, als würde er sie gleichzeitig lieben und hassen.
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Aus einem ihr nicht ersichtlichen Grund wurde Margaret plötzlich an die Zeit erinnert, als sie dreizehn oder vierzehn war. Dio hatte sie angetroffen, wie sie weinend am Meer saß. Sie wusste nicht mehr genau, weswegen sie geweint hatte, aber die Worte, die sie damals gesagt hatte, kamen ihr plötzlich in den Sinn. »Ich bin hässlich«, hatte sie geschluchzt, während ihre Stiefmutter sie zu trösten versuchte. »Vater nimmt mich nie in den Arm und lässt mich nie irgendwo hingehen, weil ich hässlich bin. Warum kann ich nicht so schönes Haar haben wie du? Warum wird meine Haut in der Sonne fleckig? Und du und Vater, ihr seid so viel unterwegs, und wenn ihr zu Hause seid, rührt er mich nie an oder redet mit mir oder irgendwas! Was stimmt nicht mit mir?« Sie schauderte bei dieser Erinnerung. Im selben Augenblick ließ das Schiff ein gewaltiges Dröhnen hören, gefolgt von einer Art metallischem Seufzen, fast als wäre es müde, und Margaret dankte der Göttin, dass sie nicht mehr dreizehn und den Schrecken der Pubertät ausgesetzt war. Jene Jahre, in denen sie überzeugt gewesen war, die Haltung des Alten ihr gegenüber rühre von etwas her, das sie falsch gemacht oder nicht gekonnt hatte, obwohl Dio ihr erklärte, dass es nichts mit ihr zu tun habe, sondern ausschließlich mit dem Senator selbst. Dio gab sich die größte Mühe, sie zu trösten, und sagte ihr, sie sei nicht hässlich. Sie beharrte darauf, dass der Senator sie auf seine düstere Art tatsächlich liebte. Aber sie hatte es irgendwie nie fertig gebracht, ihr zu erklären, warum er so distanziert war oder warum sie beiden so wenig ähnlich sah. Erst sehr viel später erfuhr sie, dass sie gar nicht Dios Kind war, sondern aus der ersten Ehe des Alten stammte. Margaret konnte sich noch gut an den Schock erinnern, den diese Enthüllung kurz vor ihrer Abreise zur Universität ausgelöst hatte. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass ihr Vater schon einmal verheiratet gewesen war. Es gab so vieles,
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was sie über ihre eigene Vergangenheit und die ihres Vaters nicht wusste. Sie schauderte und zwang sich, nicht weiter zu denken. Sie war schließlich nicht die Heldin eines Groschenromans, in dem dunkle Geheimnisse im Hintergrund lauern. Aber warum hatte sie dann das starke und schreckliche Gefühl, dass es nicht nur Dinge gab, die sie nicht wusste, sondern auch solche, die sie gar nicht wissen wollte? Unsinn! Sie war nur müde von der langen Reise und krank von der Weltraumarznei. Nein, es war mehr als das. Sie kehrte zu dem Planeten zurück, auf dem sie vor mehr als fünfundzwanzig terranischen Jahren zur Welt gekommen war. Margaret hatte nur äußerst undeutliche Erinnerungen an ihn, und doch löste allein der Gedanke ein leises Unbehagen, leichte Kopfschmerzen und ein Gefühl wie vor einem Gewitter aus. Vieles an der Sache war sehr verwirrend. Ihr Vater war der Senator für Darkover, aber er lebte nicht dort, und so viel sie wusste, hatte er nie wieder einen Fuß auf den Planeten gesetzt, seit er ihn vor über zwanzig Jahren verlassen hatte. Die Mutter, die sie den größten Teil ihres Lebens gekannt hatte, war in Wirklichkeit nicht ihre Mutter und weigerte sich hartnäckig, mehr als bloße Gemeinplätze über ihre richtige Mutter zu enthüllen. Einen Augenblick lang herrschte Stille, bis auf den glücklicherweise tonreinen Akkord des Entwarnungssignals. Dann folgte das Klappern, mit dem ein ungeschickter Techniker die Landedurchsage einschob, und das Geschnatter im Abteil, als sich die Passagiere gegenseitig von der offenkundigen Tatsache ihrer Ankunft unterrichteten. Es war fast, als würden sie erst dann etwas glauben, wenn sie es jemandem erzählt hatten. »Wir sind im Raumhafen Thendara auf Cottman IV gelandet. Passagiere mit diesem Zielort werden nun abgefertigt und können von Bord gehen. Wir halten hier nur kurz, deshalb
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werden Passagiere zur Weiterreise nach Wolf- Phi Coronis IV gebeten, nicht von Bord zu gehen, sondern angeschnallt zu bleiben. Passagiere nach Sagan's Star, Quital und Greenwich werden gebeten, hier von Bord zu gehen und einen uniformierten Angestellten des Raumfahrtunternehmens bezüglich des Transits zu ihrem Zielort zu befragen. Bitte machen Sie sich unverzüglich zum Ausstieg bereit. Ein Arzt wird sofort in Ihre Kabine kommen und allen weiterreisenden und neu hinzugekommenen Passagieren Hyperdrom verabreichen. Ich wiederhole: Wir sind auf dem Raumhafen Thendara gelandet; Passagiere nach ...« Die Stimme leierte immer weiter. Margaret ignorierte ihre schwachen Kopfschmerzen und das Verlangen, einen Lappen in den Lautsprecher zu stopfen. Sie ignorierte das Jucken der Hautpflaster an ihrem linken Handgelenk. Stattdessen begann sie die Gurte zu öffnen, die sie auf der Liege festhielten; sie konnte es kaum erwarten, dem Geruch und den Geräuschen des Raumschiffs zu entkommen. Allerdings hatte sie es nicht ganz so eilig wie sonst. Dieses Gefühl der Bedrohung blieb in ihrem Hinterkopf, und sie musste ihre Aufmerksamkeit zwanghaft davon ablenken. Sobald sie nicht mehr angeschnallt war, wandte sie sich ihrem Begleiter zu. Professor Davidson fummelte unbeholfen an seinen Haltegurten herum. Seine Augen waren ein bisschen glasig von den Medikamenten, und wie üblich war er leicht desorientiert. Sie sah ihn mit einer Schnalle kämpfen und biss sich auf die Lippen. Das Erste, was ihr aufgefallen war, als sie ihn kennen lernte, waren seine Hände gewesen wunderschöne Hände wie die eines Engels in einem alten Gemälde. Nun waren sie krumm und steif und kaum noch in der Lage, die einfachsten Griffe auf einer Gitarre zu bewältigen. Es schien über Nacht gekommen zu sein, aber wahrscheinlich war es langsamer gegangen. Davidson konnte beinahe jedes Instrument spielen,
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das für humanoide Lebensformen entwickelt worden war - und sogar ein paar für nichthumanoide -, aber er war immer schon ein Tollpatsch bei einfachen Dingen wie Verschlüssen und Schnallen gewesen, und er hasste es, wenn sie ihn auf seine Unbeholfenheit ansprach. Schließlich sah er sie Hilfe suchend an, besiegt von dem blöden Ding. Sie setzte sich auf - ein wenig benommen vom plötzlichen Blutdruckabfall -und kam ihm zu Hilfe. »Was würde ich nur ohne dich tun?«, fragte er, und sein zerfurchtes, nussbraunes Gesicht verzog sich zu diesem Lächeln, das nie ihre Wirkung auf sie verfehlte, auch wenn sie sich über ihn ärgerte. »Eine andere Assistentin einstellen, was sonst«, antwortete sie trocken. Seine zunehmende Abhängigkeit von ihr bedrückte sie mehr, als sie zugeben wollte. Es war, als hätte ihr einjähriger Aufenthalt auf Relegan ihm die letzte Lebenskraft entzogen und die vertrocknete Hülse eines Mannes zurückgelassen. Sie zwang sich dazu, sich ihre Hilflosigkeit und Wut über seinen raschen Verfall nicht anmerken zu lassen. Sie schuldete Ivor Davidson mehr, als sie je gutmachen konnte. Während ihres ersten, schrecklichen Jahrs auf der Universität, als sie sich abstrampelte, ein Studienfach zu finden, das sie nicht langweilte oder frustrierte, war sie Ivor in der Bibliothek begegnet. Sie hatte leise vor sich hin gesungen - sehr zum Verdruss von einigen Studenten, die in der Nähe saßen -, ohne dass es ihr bewusst gewesen wäre. Er hatte sie unter seine Fittiche genommen, sie mit einer Art wilder Gründlichkeit geprüft und dann bei sich zu Hause wohnen lassen. Ivor und Ida hatten sie sowohl als Musikerin als auch als Frau großgezogen und ihr ein Selbstbewusstsein vermittelt, das sie bei Dio und dem Alten nie erlangt hatte. Zuletzt hatte er ein unbeschränktes Forschungsstipendiat für sie herausgeholt und sie erst zu seinem Schützling und dann zu seiner Assistentin ge-
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macht. Eine solche Stellung war in Universitätskreisen hochangesehen, und sie wusste, dass sie sehr viel Glück gehabt hatte. Sie erschauerte leicht, als sie daran dachte, wie unsicher sie damals gewesen war. Es hatte sie einen großen Teil ihrer Energie gekostet, der unerklärlichen Kombination aus Distanz und übertriebener Fürsorge zu entkommen, die ihr Vater an den Tag legte. Die Davidsons hatten sie so freundlich aufgenommen wie Generationen von Studenten vor ihr. Ida hatte ihr die Umgangsformen der Universitätskultur beigebracht, und Ivor hatte sie Musikkunde und seine Leidenschaft für dieses Fach gelehrt. Beide hatten ihr eine bedingungslose Zuneigung entgegengebracht, die sie bisher nie kennen gelernt hatte und der sie zunächst misstraute. Aber die Beharrlichkeit der beiden hatte gesiegt, und irgendwann in diesem Prozess hatte Margaret aufgehört, ein wildes Siedlermädchen zu sein, und war eine geachtete Forscherin geworden. Sie hatte sich nichts dergleichen vorgestellt, als sie noch auf Thetis lebte, aber ihr gefiel die Arbeit, und sie mochte den alten Knaben. Mehr als ein Jahrzehnt waren die Davidsons ihre Familie gewesen, und sie fühlte sich als Glückskind, weil sie die beiden gefunden hatte. Thetis, ihre Heimatwelt, verdrängte sie in ein Hinterzimmer ihres Bewusstseins und erinnerte sich nur daran, wenn sie die verschiedenen Formulare ausfüllen musste, nach denen die terranische Bürokratie süchtig zu sein schien. Sie gab sich große Mühe, alle Erinnerungen an ihren Vater zu tilgen, diesen verbitterten, schweigsamen, einarmigen Mann, und selbst an ihre freundliche, lachende Stiefmutter, die so bereitwillig den Hintergrund für die Launen des Senators abgab. Wenn sie sich ihre Kindheit ins Gedächtnis rief, erinnerte sie sich für gewöhnlich nur an die angenehmen Dinge. Das Tosen der Wasser von Thetis an der Küste der Insel, auf der sie
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wohnten, und der Duft der Blumen, die im Frühjahr vor ihrer Haustür blühten; der Geschmack des ersten Delphina, den sie im Sommer fingen; das intensive Blau der Azurinen, der theti-schen Hochzeitsblumen, die sich im hellen Haar der Paare kringelten. Bei der Farbe von Azurinen schnürte sich ihr immer die Kehle zu, aus einem Grund, den sie nicht erklären konnte. Margaret hatte einen ziemlich großen Vorrat an solchen Bildern, denn sie war sehr viel allein gewesen in ihrer Kindheit. Der Senator war monatelang ohne Unterbrechung weg gewesen, sehr zu ihrer schuldbewussten Erleichterung. »Nein, das glaube ich nicht, meine Liebe.« Ivor Davidsons Stimme unterbrach ihre sorgenvolle Träumerei. »Ich glaube nicht, dass ich mich noch einmal an jemanden gewöhnen könnte. Ich hoffe, ich muss es auch nicht. Egoistisch von mir, ich weiß. Ich sollte an dich denken, an deine Zukunft, nicht an meine. Eine schöne junge Frau wie du sollte einen Liebhaber oder mehrere haben, sollte Kinder bekommen, statt die Marotten und Launen eines alten Mannes zu ertragen. Aber die Wahrheit ist, dass ich ohne dich nicht zurechtkäme - und ich bin sehr froh, dass du hier bei mir bist.« Margaret sah ihn mit jähem Unbehagen an. Ihr kam zu Bewusstsein, dass sie bisher absichtlich übersehen hatte, wie alt er geworden war, dass sie seine zunehmende Hinfälligkeit geleugnet hatte. Alt mit fünfundneunzig - wie zu prähistorischen Zeiten. Die letzte Verjüngungsbehandlung hatte nicht gegriffen, nicht funktioniert. Seine Hände, seine Engelshände wurden zu Stein, und sie konnte es kaum ertragen. Ivor, bitte, hör auf, alt zu werden ... »Unsinn!« Sie sprach forsch, um ihre Gefühle zu verbergen. »Dieses Dreckszeug von Hyperdrom macht Sie immer melancholisch. Sehen wir zu, dass wir aus diesem fliegenden Sarg hinauskommen.« Diese letzte Bemerkung, die sie unglücklicherweise in ihrer vollen Stimme, der ausgebildeten Stimme
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einer Sängerin, gemacht hatte, trug ihr einen bösen Blick von einem der Weiterreisenden ein. Sie spürte, wie sie bis in die Haarspitzen rot wurde, und senkte die Stimme, bevor sie weitersprach. »Nach einem Drink und einem Bad fühlen Sie sich besser.« Cottman IV wurde in der kleinen Informationsschrift, die sie aufgetrieben hatte, als primitiv beschrieben, aber Margaret wusste sehr gut, dass das in der terranischen Amtssprache nur das Fehlen einer Telekommunikationszelle an jeder Ecke und eines Videogeräts in jedem Heim bedeutete. Margaret war zu müde, um sich darüber aufzuregen. Sie hängte sich ihre Reisetasche um und die von Ivor dazu, dann griff sie nach den nur scheinbar zu engen Allwettermänteln. Das Einzige, worauf sie sich freute, war aus ihrer verhassten Gelehrtenuniform herauszukommen und das anzuziehen, was die Einheimischen trugen. An der Universität runzelte man die Stirn, wenn die Forschungsstipendiaten »verwilderten«, aber sie war erfahren genug, um zu wissen, dass man bei der Feldforschung, in diesem Fall dem Sammeln von Musikproben der Einheimischen, am weitesten kam, wenn man so normal wie möglich auftrat. Deshalb war sie hier, und die verstaubten Regeln sollte der Teufel holen. Sie gingen in den grünen Korridor. Er führte vor ihnen spiralförmig nach unten, und Margarets Übelkeit kehrte mit Macht zurück. Sie hielt die Mäntel fest in beiden Händen. Nach einer Ewigkeit auf Treppen und schrägen Rampen und in Korridoren, deren wechselnde Wandfarben nur für die Erbauer des Raumschiffs eine Bedeutung hatten, kamen sie an ein Tor, das auf eine breite Rollbahn führte. Ein plötzlicher eisiger Windstoß, in den ein paar Tropfen Feuchtigkeit gemischt waren, brannte ihnen in den Augen. Der Wind drang durch den Stoff ihrer Uniform und kühlte sie völlig aus. Margaret blieb stehen, ohne auf das Gemurmel einer Person hinter ihr zu achten, und legte Ivor den Mantel
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über die Schultern. Der ungeduldige Passagier, der hinter ihnen gegangen war, brummte und überholte sie. Sie sah ihm nach, wie er auf die Ansammlung von quadratischen und unheilvoll aussehenden, imperialen Gebäuden auf der anderen Seite des Rollfelds zuschritt. Hinter den Gebäuden erstreckte sich ein Horizont, der ihr auf unheimliche Weise vertraut war. Die große rote Sonne stand tief am Horizont, aber ob sie aufging oder unterging, konnte sie nicht sagen. Ihr normalerweise zuverlässiger Orientierungssinn schien nicht zu funktionieren. Sie wusste nicht, welche Ortszeit gerade war, obwohl sie es bei der Landedurchsage wahrscheinlich erwähnt hatten. Zu dumm. Sie hätte besser aufpassen sollen! Die Sonne war ein blutiger Klecks am Himmel und ätzte die nahen Gebäude karminrot. Margaret blinzelte in die Sonne, und das Dejä-vuGefühl ließ sie beinahe stolpern. Tränen traten ihr in die Augen; sie blinzelte sie rasch weg und redete sich ein, dass ihr nur der Wind in den Augen brannte. Wieso nicht? Immerhin bin ich hier zur Welt gekommen. Ich war zwar nicht mehr hier, seit ich vier oderfönf war, aber so merkwürdig ist es nun nicht, dass ich die Sonne wieder erkenne, auch wenn ich keine Reaktion erwartet habe. Mein Vater ist der Senator von Darkover. Wie sollte ich diese Sonne nicht kennen! Der dumpfe Kopfschmerz, ein Überbleibsel von dem Hyperdrom, nahm plötzlich zu. Sie flüsterte eine erstklassige Auswahl von Flüchen in dem Sprachengemisch, das sie beherrschte, und beeilte sich, um den Professor einzuholen. Jeder Schritt machte den stechenden Schmerz schlimmer, und sie warf einen Blick auf die Sonne zurück. Es schien ihr, als fürchtete sie sich tief im Innern vor dieser Sonne, weil sie Erinnerungen wecken könnte, die sie lieber ruhen lassen sollte. Sie fanden das Abfertigungsgebäude und stellten sich in
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die Schlange, die sich inzwischen gebildet hatte. Jetzt, da sie nicht mehr dem böigen Wind und der Sonne ausgesetzt war, ließ Margarets Kopfweh nach, und sie kam zu dem Schluss, dass sie noch müder sein musste, als sie gedacht hatte. Ein gelangweilter Angestellter stempelte ihre Papiere und Genehmigungen und deutete zu einem weiteren Korridor, der beinahe identisch mit denen war, die sie bereits durchschritten hatten. Schließlich sah sie ein Schild, das ihnen den Weg zur Gepäckhalle wies. Ihre spärlichen Gepäckstücke und die Schaumstoffkisten mit Ivors Gitarre und Margarets kleiner Harfe lagen auf einer Laufbühne. Sie brach die Siegel auf und zog Meter um Meter von dem biologisch abbaubaren, grauen Verpackungsband heraus. Es war ein fürchterliches Zeug, aber etwas anderes war auf einem Planeten der Kategorie D nicht erlaubt. Selbst in der verblassenden Sonne von Darkover würde es nach wenigen Stunden zu ein paar Gramm rückstandfrei verbrennendem Abfall schrumpfen. Sie warf es in den dafür bestimmten Container, löste die beiden medizinischen Pflaster von ihrem Handgelenk und warf sie ebenfalls hinein. Sie gab Ivor den Koffer mit seinem Instrument und hängte sich die Harfe in ihrer Stoffhülle über die Schulter. Dann hob sie die beiden Reisetaschen hoch. Ivor wechselte seine Gitarre von einer Hand in die andere, während sie einen Packesel aus sich machte. Sie wusste, dass ihm selbst das minimale Gewicht des Instruments Schmerzen bereitete, aber er bestand darauf, es selbst zu tragen. Die Gitarre war fast zweihundert Jahre alt und von der Hand eines längst verstorbenen Meisters gebaut worden, und Ivor hielt sie in Ehren, wie ein anderer Mann eine Frau lieben mochte. Sie folgten Gängen und Pfeilen, bis sie schließlich in eine kühle Abenddämmerung hinaustraten. Margaret fühlte sich geringfügig wohler, weil sie nun eine Vorstellung davon hatte, wie spät es war. Jetzt mussten sie nur noch das Haus in der
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Altstadt von Thendara finden, in dem sie wohnen sollten, bevor die Gehsteige für die Nacht hochgeklappt wurden. Vor ihnen war eine hohe Mauer aus terranischen Betonblöcken. Durch eine bogenförmige Öffnung sah sie einen gepflasterten Platz, der im Schein von Fackeln lag und einen scharfen Kontrast zu den grellen Flutlichtern bildete. Die beiden Lichtquellen überschnitten sich und erzeugten riesenhafte Schatten. Dann traf sie ein kalter Windstoß, und Margaret schluckte schwer; die Haare wehten ihr ins Gesicht. Sie setzte ihre Last ab und stopfte sich die Haare gewaltsam in den Kragen ihrer Uniform, wo sie ihren Hals kitzelten. Welche Erleichterung, etwas zu haben, worüber sie sich ärgern konnte! Dann nahm sie ihr Gepäck wieder auf und marschierte in Richtung Ausgang, während Ivor müde hinter ihr her trabte.
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Hinter dem Tor stellte Margaret die Taschen wieder ab und zog ihren Mantel an. Ivors Mantel schlang sie so gut wie möglich um die Gitarre. Sie wusste, nach Sonnenuntergang würde es noch viel kälter werden, und nach der tropischen Wärme von Relegan tat die Kälte beinahe weh. Ivor sah sie an, und aus jeder Furche seines Gesichts sprach das pure Elend. Noch nie hatte er so alt und müde und krank ausgesehen. Sie wandte ihren Blick rasch ab. Margaret hielt nach irgendeinem Transportmittel Ausschau, einem Karren oder einer Rikscha vielleicht. Bei den meisten Raumhäfen war hier der Taxistand, aber sie entdeckte nur ein paar Jünglinge mit lebhaften Augen, die mit Pullovern, Hosen und halblangen Mänteln bekleidet waren. Sie ertappte sich dabei, wie sie sowohl interessiert als auch argwöhnisch auf die Gruppe starrte. Die Jungen erwiderten ihren Blick mit offener Neugier. »Heh, gnädige Dame, brauchen Sie Hilfe mit Ihrem Zeug?«, rief einer im Kauderwelsch der Handelsstädte. Offenbar ging er davon aus, dass sie seine Sprache nicht kannte, und glaubte, die Lücke mit lauterem Sprechen schließen zu können. Sie verstand gerade noch, was er meinte, obwohl sein Akzent breiter war als auf ihren Tonbändern. Sein Begleiter packte ihn rau und flüsterte eindringlich etwas, dann trat er mit einer linkischen Verbeugung vor. »Darf ich Ihnen zu Diensten sein, Domna?« Das hörte sich eher nach dem an, was sie gehört hatte, und Margaret fühlte sich etwas weniger hilflos. Die Verbeugung irritierte sie, ebenso wie die plötzliche Verhaltensänderung, aber sie war zu müde, um jetzt darüber nachzudenken. »Ich hatte gehofft, eine Art Transportmittel zu finden«,
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stotterte sie. Der erste Junge, der größere, schien das sehr lustig zu finden. »Einen Wagen oder ein Pferd vielleicht.« »Hier kriegen Sie keins«, stellte er mit der Endgültigkeit von sehr jungen Leuten fest. Margaret kam sich lächerlich vor und war ein bisschen wütend. »Nein, natürlich nicht.« Der zweite Junge warf dem ersten einen finsteren Blick zu. »Ich könnte einen Pferdewagen holen, aber es ist einfacher zu Fuß. Das Rasthaus ist gleich da drüben.« Er zeigte zur Ecke des Platzes. Vielleicht hundert Meter entfernt gab es eine hässliche Ansammlung von Gebäuden, deren Architektur typisch terranisch war - festungsartig und abweisend. »Wir wohnen nicht im Rasthaus«, sagte sie langsam, wobei sie ihren Mund zu Mustern formte, die ihr auf der Zunge zu liegen schienen, aber schwer herauszubringen waren. Früher einmal musste sie die Sprache fließend beherrscht haben, soweit jedenfalls bei einer Fünfjährigen davon die Rede sein konnte, aber da weder der Alte noch Dio auf Thetis etwas anderes als Standard-Terranisch sprachen, hatte sie beinahe alles vergessen. Schlimmer noch: Als sie sich die Sprachkassetten anhörte, schien sich ihr Verstand dagegen zu sträuben, die Worte zu begreifen, und sie musste sich anstrengen wie noch nie. »Kennst du den Weg zur Musikstraße?« Sie war sich sicher, dass mit ihrer Formulierung etwas nicht stimmte, aber der Junge verstand offenbar, was sie meinte. Seine Augen weiteten sich ein wenig. Beinahe hörte sie ihn denken: Wieso wollen die dahin? Zum Teufel mit ihrer regen Phantasie. »Ja, Domna.« Die Antwort war höflich, aber sie sah dem Burschen an, dass er sehr neugierig war. »Ist es weit? Mein Begleiter ist sehr müde. Wir haben eine lange Reise hinter uns.« Wenn das keine Meisterleistung an Untertreibung war.
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»Nicht allzu weit, wenn es Ihnen nichts ausmacht, zu gehen. Für Terraner ist es ziemlich weit. Was wollen Sie denn in der Musikstraße?« Ein Windstoß fuhr ihr ins Genick, fing die losen Strähnen ihres Haars, und die letzten Haarnadeln hinter dem Ohr rutschten heraus. Seidene rote Strähnen wehten ihr vors Gesicht. Die Jungen schauten belustigt zu, wie Margaret die Taschen absetzte und nach ihren Haaren griff. Unter ein paar kleineren Flüchen, von denen sie hoffte, dass sie niemand verstand, packte sie die wehenden Strähnen und zog sie mit klammen Fingern nach hinten. Sie drehte sie zu einem Knoten zusammen, und einer der Burschen hob die zu Boden gefallenen Haarnadeln auf und reichte sie ihr. Zu den wenigen Dingen, die Margarets Stiefmutter ihr über ihren Heimatplaneten erzählt hatte, gehörte, dass offen getragenes Haar ein Zeichen für ein gewöhnliches Strichmädchen war, eine Einladung für Ärger. Komisch, dachte sie, dass Dio ihr ausgerechnet das erzählt hatte. »Wir wohnen in der Musikstraße bei Meister Eve-rard. Kennt ihr den Weg dorthin?« »Wir können Sie hinbringen.« Es war der zweite Junge, der sprach. Er war durchaus höflich, aber Margaret fühlte sich unwohl. Ihre Taschen enthielten nur wenig Kleidung, aber alle ihre Schallplatten und Aufnahmegeräte. Auf einem Low-tech-Planeten wie Darkover waren das unschätzbare Werte. Ganz zu schweigen davon, dass der Teufel los war, wenn sie gestohlen wurden. Sie und Ivor waren ersetzbar; um ihre Ausrüstung wiederzuerlangen, müssten sie jedoch einen Alptraum an Papierkrieg ausfechten. Bei dem Gedanken wurde sie, wie so oft, wütend über die terranische Arroganz und Bevormundung. Margaret wusste, dass sie zu müde war, um noch klar denken zu können, und ihr Angstgefühl hatte sie bestimmt dem Schlafentzug zu verdanken.
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Verwunderlich war das nicht. Sie hatte seit Tagen nicht richtig geschlafen. Der zweite Junge war dunkel und hatte ein ehrliches Gesicht, aber nach den vielen Monaten mit Nichthumanoiden traute sie ihrer Beurteilung von Gesichtern nicht mehr. Und Betrüger haben von Haus aus ein ehrliches Gesicht, das ist ihr Handwerkszeug. Es wurde mit jeder Minute kälter, und sie konnte nicht länger unentschlossen hier herumstehen. Ivor hielt es auf keinen Fall aus, selbst wenn sie es konnte. »Voran, MacDuff«, sagte sie energischer, als ihr zu Mute war. Sie hob die beiden Taschen selbst auf, immer noch auf der Hut, falls diese beiden scheinbar netten Jungen in Wirklichkeit Diebe waren. »Nö«, antwortete der Dunkelhaarige. »Ich kenn keine Mac-duffs. MacDoevid heiß ich. Kennst du irgendwelche Macduffs, Geremy?« »Ich nicht«, sagte Geremy und deutete auf Margarets Gepäck. »Sollen wir Ihnen helfen?« »MacDoevid, hm?« Margaret ignorierte sein Angebot aus reiner Sturheit. »Professor, ist das ein Verwandter von Ihnen?« Der alte Mann zwang sich zu einem schwachen Lächeln. Er hatte Schwierigkeiten, dem Wortwechsel zwischen Margaret und den Jungen zu folgen, und man sah es seinem Gesicht an. Ivor antwortete nicht sofort, aber dann schien er ihre Frage zu verstehen. Sie wusste, dass es immer einige Zeit dauerte, bis die Laute einen Sinn für ihn ergaben. »Vielleicht. Die Söhne Davids waren schon immer ein weit verstreuter Stamm«, sagte er mit einem ehrlichen Grinsen, als fände er die ganze Sache äußerst erheiternd. MacDoevid hielt den Kopf schräg und schaute den alten Mann an. »Was hat er gesagt?« Seine Augen glitzerten interessiert, Neugier und Intelligenz verband sich in ihnen.
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Margaret seufzte. Ivor tat sich am Anfang immer fürchterlich schwer, einen Dialekt der Einheimischen zu lernen. Margaret war unter anderem auch deshalb unschätzbar für ihn, weil sie neue Sprachen rasch begriff. Sie wusste, dass das, was sie gelernt hatte, nur grundlegend und stark vereinfachend war. Die Sprachkassetten hatten typische Sätze enthalten, die arrogante terranische Touristen für wichtig hielten: »Wo ist der Raumhafen? Wie viel kostet das?« Und andere ähnlich geistlose, aber universelle Sätze. Nichtsdestoweniger hatte sie eine elementare Kenntnis der darkovanischen Alltagssprache erhalten. Ivor hatte eine Diskette mit komplexen musikalischen Fachausdrücken bekommen, aber wegen ihrer überstürzten Abreise hatte sie noch keine Gelegenheit gehabt, sie anzuhören. Abgesehen davon hätten ihnen musikalische Fachausdrücke bei den Burschen hier wenig genützt. Margaret holte tief Luft und zwang sich, langsam zu gehen, obwohl sie sich wegen des kühlen Abendwinds lieber beeilt hätte. »Darf ich vorstellen«, sagte sie und wählte ihre Worte mit Bedacht. »Professor Davidson, das ist der kleine MacDoevid. Ihr seht, eure Namen sind verwandt.« Sie betonte die Vokale, so dass der junge Mann sie hören konnte, und wurde mit großen Augen und einem Kopfnicken belohnt. Er hatte verstanden. Offenbar ein heller Bursche. »Ha, wenn ich das meinem Vater erzähle«, antwortete er. »Aber was ist das, >Professor