Seewölfe 109 1
John Curtis 1.
Zehn Tage waren vergangen, seit die „Isabella VIII.“ der Packeishölle entronnen war. Vor...
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Seewölfe 109 1
John Curtis 1.
Zehn Tage waren vergangen, seit die „Isabella VIII.“ der Packeishölle entronnen war. Vor einem steifen Wind aus Südost segelte die Galeone etwa dreihundert Meilen querab der südamerikanischen Küste unter Vollzeug auf Kurs Nord. Eine achterliche lange Dünung hob und senkte Schiff und ließ den Bug manchmal tief in die grünblaue See eintauchen. Am wolkenlosen, blauen Himmel stand die Sonne. Mit jeder Meile, die die Galeone nordwärts segelte, wärmten ihre Strahlen mehr. Will Thorne, der sich erstaunlich rasch von seiner schweren Lungenentzündung erholte, saß zusammen mit Bill, den neuen Schiffsjungen der „Isabella“, auf den Planken der Kuhl und war damit beschäftigt, zwei Persenningbahnen zusammenzunähen. Bill half ihm dabei. Er hatte sich erstaunlich geschickt und gelehrig im Umgang mit der Segelnadel erwiesen. Kritisch verfolgte er jeden Stich des Segelmachers, während es hinter seiner glatten Jungenstirn sichtlich arbeitete. „Kaum zu glauben!“ hörte er den alten Segelmacher murmeln. „Noch vor ein paar Tagen dieses verdammte Packeis und die klirrende Kälte, die einen sogar unter Deck fast in der Koje festfrieren ließ, und heute eine Sonne, die einem die alten Knochen mal wieder so richtig durchwärmt!“ Wohlig dehnte er die Schultern, und gleichzeitig warf er einen nachdenklichen Blick auf den Jungen. So anstellig und geschickt wie Bill hatte sich bisher noch niemand gezeigt. Er beobachtete, wie der Junge Stich um Stich sauber und akkurat ausführte, nicht zu lang, nicht zu kurz, sondern genauso, wie sie sein mußten und wie er selbst sie nicht hätte besser ausführen können. Bill spürte den Blick des Segelmachers und sah den Alten an. Will Thorne hatte längst bemerkt, daß den Jungen irgendetwas beschäftigte, daß ihm irgendeine Frage auf den Lippen brannte. Er lächelte dem Jungen zu.
Arkana, die Schlangenpriesterin
„Nun, Bill, was möchtest du denn wissen?“ ermunterte er den Jungen. „Ich sehe doch schon die ganze Zeit, daß dir eine Frage auf der Seele brennt, also heraus damit. Was willst du wissen?“ Zürn Erstaunen des Alten lief Bill rot an. Verlegen blickte er zu Boden und schluckte ein paarmal. Will Thorne schüttelte den Kopf. So kannte er Bill gar nicht, der Junge hatte sich ganz im Gegenteil wirklich gemausert, er schien sich unter den Seewölfen sauwohl zu fühlen, und die „Isabella“ war nach dem Tod seines Vaters zu einer neuen Heimat für ihn geworden. „Los, heraus damit, Bill! Wenn ich kann, dann werde ich dir antworten. Also?“ Bill gab sich einen Ruck. „Ich habe gehört, daß diese Persenning für Siri-Tong sein soll, wenn -wenn sie sich morgens wäscht ... Wieder wurde Bill rot bis über beide Ohren, er wagte nicht, den alten Segelmacher anzusehen. Auch Will Thorne war erstaunt. Natürlich stimmte das, was der Junge da sagte, schließlich war Siri-Tong eine Frau, eine bildhübsche noch dazu. Sie konnte sich nicht einfach vor den Augen der Seewölfe splitternackt an Deck waschen, aber wie, zum Teufel, hatte der Junge schon Wind davon gekriegt? Gespannt wartete der Segelmacher auf die nächste Frage, obwohl er bereits ahnte, wie sie lauten würde. Bill, einmal entschlossen, überwand seine Verlegenheit und ließ nicht mehr locker. „Ich meine, also ich habe mir überlegt ...“; abermals gab er sich einen spürbaren Ruck, „also Warum muß Siri-Tong hinter einer Wand aus Segeltuch stehen, wenn sie sich wäscht? Wir waschen uns doch alle einfach an Deck! Und wer schüttet ihr denn nun eine Pütz Salzwasser drüber?“ Will Thorne mußte sich gewaltsam das Lachen verbeißen. Das war ja heiter, und jetzt saß er ganz hübsch in der Klemme. Himmel und Hölle, was sollte er diesem aufgeweckten Bürschchen bloß antworten? Mit einer Gegenfrage versuchte er Zeit zu gewinnen, und er konnte nicht ahnen, wie gut ihm das gelingen sollte.
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„He, Bill, sag mal, wie kommst du eigentlich auf so was?“ fragte er. „Wer hat dir gesteckt, wozu wir beide die Persenning nähen?“ Bill hatte seine anfängliche Verlegenheit überwunden. Zudem mochte er den alten Segelmacher von Herzen gern. Er rutschte ein wenig näher an Will Thorne heran, dann beugte er sich zu ihm hinüber. „Ich weiß mehr als du denkst. Neulich habe ich vom Großmars aus gesehen; wie Siri-Tong sich gewaschen hat. Der Profos hatte alle Männer nach vorn gejagt, nur mich hat -er nicht bemerkt. Ich konnte nicht mehr weg, da habe ich eben zugeschaut. Ist das denn eigentlich schlimm, daß sie anders aussieht als wir Männer? Ich finde sie hübsch, Wirklich, sie ist - ist - einfach - ach ich weiß auch nicht. Ich mag sie schrecklich gern, Will, ich finde es schade, daß sie sich jetzt hinter der blöden Persenning verstecken will. Vor dem Seewolf versteckt sie sich doch auch nicht.“ Will Thorne fuhr hoch. Und diesmal stand auf seiner Stirn eine steile Falte des Unmuts. „Hör mal, Junge, was weißt du vom Seewolf und Siri-Tong? Du hast doch nicht etwa auf dem Achterdeck, ich meine von der Heckgalerie aus ...“ Weiter gelangte er nicht. Siri-Tong, von den beiden unbemerkt, hatte an der Schmuckbalustrade gelehnt und alles gehört. Zuerst hatte sie sich köstlich über den Bengel amüsiert, nur die Wendung, die das Gespräch zuletzt genommen hatte, ging ihr verdammt gegen den Strich. Mit einem Satz war sie in der Kuhl. Und da alle anderen damit beschäftigt waren, Schäden auszubessern, die Decks zu klarieren, die gesamte Takelage, das laufende wie das stehende Gut zu überprüfen, wobei sie von der Donnerstimme des Profos Ed Carberry kräftig angetörnt wurden, nahm niemand von den dreien in der Kuhl sonderlich Notiz. Die Rote Korsarin fackelte nicht lange. Sie hockte sich kurzerhand neben Bill und griff sich sein rechtes Ohr.
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Schreckenstarr sah der Junge sie an, aber das half ihm gar nichts. „Hör mal, Bürschchen, wann hast du den Seewolf und mich belauscht?“ Der Zug an Bills Ohrläppchen verstärkte sich, die dunklen, leicht geschlitzten Augen der Roten Korsarin funkelten den Bengel an. Will Thorne registrierte den Ärger in SiriTongs Gesicht, und auch er selber war wütend. Aber dann mußte er über das Häufchen Elend, das da neben ihm und vor der Roten Korsarin auf der Kuhl hockte, innerlich lachen. „Siri-Tong, er ist noch ein Bengel, er hat es bestimmt nicht böse gemeint, er ...“ Die Rote Korsarin warf dem alten Segelmacher der „Isabella“ einen schrägen Blick aus ihren dunklen Augen zu, und innerlich mußte sie ebenfalls lachen. Aber sie ließ sich das nicht merken, der Junge mußte lernen, was erlaubt war und was nicht. „Bill, ab, marsch mit dir in die Kammer des Seewolfs. Dort Unterhalten wir beide uns weiter“, sagte sie streng. „Und rühr dich ja nicht vom Fleck, bis ich da bin, ich kriege dich, so oder so!“ Bill wurde blaß um die Nase. Er warf dem Profos, der eben ein paar Männer durch die Wanten jagte, einen ängstlichen Blick zu. Wenn bloß Carberry von dieser Sache nichts erfährt! dachte er voller Angst. Er hing sehr an dem Profos, Carberry war wie ein Vater zu ihm, er kümmerte sich rührend auf seine rauhe Weise um Bill, der Junge konnte mit jeder Frage zu ihm kommen. Aber es gab Dinge, da verstand der riesige Profos keinen Spaß. Bill ahnte, daß dies wohl dazu gehören würde. Er wartete eine zweite Ermahnung gar nicht erst ab, sondern flitzte los, verfolgt von den Blicken Siri-Tongs und Will Thornes. Siri-Tong stand auf, aber der Segelmacher hielt sie zurück. „Seien Sie nicht zu streng mit dem Bengel, Siri-Tong“, bat er. „Er hat ganz gewiß nichts Böses dabei gedacht, bestimmt nicht!“ Die Rote Korsarin sah den Segelmacher nachdenklich an. Wenn sie daran dachte,
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daß der Bengel sie und den Seewolf in der Kammer belauscht hatte, dann schoß ihr noch nachträglich die Schamröte ins Gesicht. Es war zwar ein offenes Geheimnis, daß der Seewolf und sie sich liebten, aber die Männer redeten nicht darüber, nie hatte irgend jemand aus der Crew auch nur einen zweideutigen Witz darüber gerissen. Die Männer respektierten sie und den Seewolf. Vielleicht spürten sie sogar, wie sehr der Seewolf sie brauchte, nachdem er auf so schreckliche Weise seine Frau und seine beiden Söhne verloren hatte. Nur zu oft hatte Siri-Tong bemerkt, wie stark ihm das alles auch heute noch zusetzte, auch wenn er sich nichts anmerken ließ. Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht der Roten Korsarin. „Das Bürschchen hat sich den besten Fürsprecher ausgesucht, den ich mir denken kann“, sagte sie. „Gut, ich will sehen, was ich mit ihm anstelle. Aber er wird heute lernen, daß er so etwas nie wieder tun darf. Herr des Himmels, Thorne, stellen Sie sich doch bloß mal vor, er hätte Hasard und mich ...“ Flammende Röte schoß ihr ins Gesicht. Ohne ein weiteres Wort lief sie weg. Will Thorne blickte hinter ihr her. „Na, Freundchen, in deiner Haut möchte ich jetzt auch nicht stecken“, murmelte er und griff wieder zur Segelnadel. * Bill hörte die Rote Korsarin bereits auf dem Gang, der durchs Achterkastell der „Isabella“ zur Kammer des Seewolfs führte. Himmel, dachte er voller Angst, wie soll ich ihr denn bloß erklären, daß ich wirklich nur einen kurzen Blick durch das geöffnete Fenster geworfen habe! Sein Magen krampfte sich zusammen. Weniger aus Furcht vor den Prügeln, mit denen er rechnete, die waren schon ganz in Ordnung. Aber aus Scham, und weil er sich wie ein Schuft fühlte. Dabei hatte er gar nicht lauschen wollen. Als er auf dem Achterdeck ein Tau klarierte, war es ihm
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aus der Hand gerutscht und auf die Heckgalerie gefallen, und er hatte es nur wieder heraufholen wollen. An diesem Punkt seiner Überlegungen betrat die Rote Korsarin die Kammer. Sie schloß die Tür hinter sich und blieb dann vor ihr stehen. In der Rechten hielt sie ihren breiten Ledergürtel, den sie bereits abgeschnallt hatte. Dann sah sie Bill schweigend an, und der Junge kroch unter ihrem Blick immer mehr in sich zusammen. „Her mit dir, Bill, oder muß ich dich erst holen?“ sagte sie schließlich. Bill ging mit weichen Knien zu Siri-Tong hinüber. Die Rote Korsarin packte Bill mit der freien Hand am Oberarm und zog ihn zu sich heran. Nie hätte der Junge vermutet, daß die Rote Korsarin über soviel Kraft verfügte. Bill duckte sich unwillkürlich, und ein Schluchzen drang aus seiner Kehle. Der Bengel tat Siri-Tong schon wieder leid, aber sie riß sich zusammen. Mit einem schnellen Griff hob sie sein Kinn an, so daß Bill ihr in die Augen sehen mußte. „Sieh mich an, Bill. Und sag mir die Wahrheit. Erwische ich dich bei einer einzigen Lüge, dann ergeht es dir schlecht. Hast du verstanden?“ Bill nickte. „Also, warum hast du den Seewolf und mich belauscht?“ Bill erzählte. Erst stockend, dann immer schneller. Wie er auf die Heckgalerie geklettert war, um das Tau zu holen, wie er einen Blick durch das Fenster geworfen und was er gesehen hatte. Siri-Tong spürte die Blutwelle, die in ihr hochschoß, aber sie rührte sich nicht. „Weiter, Bill!“ forderte sie. „Und was dann?“ „Ich bin abgehauen, Madame, so schnell ich konnte. Ich wußte genau, daß ich etwas Unrechtes getan hatte...“ Schließlich schwieg er, und auch Siri-Tong verhielt sich still. Sie spürte das glatte Leder ihres Riemens in der Hand, und ein paarmal stieg die Versuchung in ihr hoch, den Jungen übers Knie zu legen und
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durchzubläuen. Aber dann schüttelte sie den Kopf. Sie ließ den Jungen los. „Ich glaube dir, Bill“, sagte sie. „Dein Glück, daß Will Thorne für dich gebeten hat, daß du mich nicht angelogen und nicht versucht hast, dein lausiges Fell zu retten. Weißt du jetzt, wie schändlich es ist, einen Mann und eine Frau in einer solchen Situation zu belauschen, du verflixter Lausebengel?“ Bill nickte und schluckte. Wieder sah die Rote Korsarin ihn eine Weile an, dann zog sie ihn mit sich fort. „Setz dich Bill. ja. her zu mir. Hör mir jetzt gut zu, Junge. Du bist erwachsen genug, um zu erfahren, wie das zwischen einer Frau und einem Mann ist, wenn sie sich lieben. Und ich habe den Seewolf sehr lieb, verstehst du? Er hat seine Frau und seine beiden Söhne verloren, ich will ihm helfen, darüber hinwegzukommen. Er ist ein prächtiger Mann, und es ist nicht deine Schuld, daß du unter Männern aufwachsen mußt.“ In Siri-Tongs Gesicht trat ein weicher Zug. Sie zog Bill an sich und strich ihm übers Haar. Dann erklärte sie ihm alles, was sie für richtig hielt. Anschließend langte sie nach der Flasche Rum, die vor ihr auf dem Sohlentisch stand. Sie goß zwei Gläser ein und reichte eins davon Bill. „So Bill, du weißt jetzt Bescheid. Sei froh, daß ich es war, die dein Gespräch mit Will Thorne rein zufällig mithörte. Was glaubst du, hätte Carberry mit dir angestellt?“ Erschrocken fuhr sich Bill mit der freien Hand ans Hinterteil, und Siri-Tong fand diese entsetzte Gebärde so komisch, daß sie fast Tränen lachte. In diesem Moment betrat der Seewolf die Kammer. Er schloß die Tür hinter sich und blieb dann stehen. „Nanu, was sind denn das für neue Moden? Was ist denn so lustig, daß ihr beide vor Vergnügen am helllichten Tage auch gleich noch einen heben müßt?“ Bill warf Siri-Tong einen bittenden Blick zu, und die Rote Korsarin legte dem Jungen den Arm schützend und beruhigend um die Schulter.
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„Wir beide hatten ein kleines Problem miteinander, Hasard“, sagte sie dann. „Und es war nicht ganz klar, wie wir es aus der Welt schaffen sollten. Aber inzwischen ist wieder alles in Ordnung. So, und du, Bill, hilfst jetzt dem alten Thorne wieder, klar?“ Bill stand auf. Er sah den Seewolf an und kriegte abermals einen hochroten Kopf. Dann stürmte er aus der Kammer, froh, mit heiler Haut davongekommen zu sein. Aber für die Rote Korsarin würde er durchs Feuer gehen, und jeder, der sie auch nur schief ansah, würde sein persönlicher Feind sein, das war klar! Hasard sah Bill kopfschüttelnd nach. „Sag mal, Siri-Tong, da war doch was los mit euch? Was hat der Bengel angestellt? Warum wolltest du ihn durchhauen?“ Siri-Tong bemerkte plötzlich den schweren Ledergürtel, den sie noch immer in der Hand hielt und den sie abgeschnallt hatte, bevor sie die Kammer des Seewolfs betrat. Sie stand auf und legte ihn wieder um. Als sie die Schnalle schloß, sagte sie nur: „Es hat sich erledigt. Der Bengel hat Glück gehabt. Die erste Lüge, bei der ich ihn erwischt hätte, hätte seinen Hintern in Ed Carberrys berühmten gestreiften, na, du weißt schon, verwandelt!“ „Willst du mir endlich sagen, was ...“ Siri-Tong legte dem Seewolf die Arme um den Hals, dann küßte sie ihn lange und leidenschaftlich. „Es ist erledigt, Seewolf. Von mir erfährst du nichts, und den Jungen läßt du gefälligst auch in Ruhe, oder du kriegst es mit mir zu tun, klar?“ Der Seewolf grinste. „Na gut, wenn’s so ist. Auf so einflußreiche Fürsprecher muß sogar ich Rücksicht nehmen ...“ Abermals verschloß ihm ein Kuß der Roten Korsarin den Mund. Als sie sich schließlich wieder vom Seewolf löste, fiel ihr Blick rein zufällig auf den Schlangenreif, den der Seewolf seit geraumer Zeit am linken Handgelenk trug. Hasard entging der Blick der Roten Korsarin nicht. Aber er schwieg. Siri-Tong ließ jedoch nicht locker.
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„Du trägst den Armreif ständig, seit ich an Bord bin, Hasard. Warum? Es hat Zeiten gegeben, da hattest du den Schlangenreif nicht an deinem Arm!“ Ihre Augen waren noch dunkler geworden, und der Seewolf kannte das Feuer, das auf ihrem Grund loderte. Aber er schwieg noch immer. Siri-Tong schob sich noch dichter an ihn heran. Sie zwang ihn, in ihre Augen zu blicken. „Was bedeutet dir diese Arkana, Seewolf?“ fragte sie und beherrschte den plötzlich in sich aufsteigenden Zorn nur noch mühsam. „Ich will es wissen, verdammt, du sollst mich nicht belügen! Ich will endlich wissen, was ...“ Die Rote Korsarin verstummte plötzlich. Hasards eisblaue Augen hatten plötzlich einen völlig veränderten Ausdruck. Ihr Blick schien in eine Ferne zu gehen, die ihr, Siri-Tong, verschlossen war. Es geschah nur sehr selten, aber in diesem Moment begann die Rote Korsarin sich zu fürchten. Sie spürte, daß Gefahr auf den Seewolf, auf sie alle lauerte, und daß diese Gefahr mit jener fremden Schlangenpriesterin zu tun hatte, die sie nicht kannte, von der sie nicht einmal eine richtige Vorstellung hatte. „Hasard, was ist mit dir? Hasard ...“ Der Seewolf bewegte sich. Dann kehrte sein Blick aus der unheimlichen Ferne zurück. „Ich belüge dich nicht, Siri-Tong, ich werde dich nie belügen“, sagte er leise, und sogar seine Stimme hatte einen so fremden Klang, daß der Roten Korsarin ein eisiger Schauer über den Rücken lief. „Ich weiß nicht, was diese Arkana mir bedeutet, ich weiß nicht, warum ich sie aus meinem Denken und Fühlen nicht verdrängen kann. Sie hat irgendwie Macht über mich. Und ich glaube, sie hat schon damals gewußt, daß ich wieder zur Mocha-Insel zurückkehren würde. Irgendwann. Denk an die Schlangeninsel, Siri-Tong, denk daran, was wir in dem Gewölbe des Schlangengottes für unheimliche Erlebnisse hatten. Ich bin nicht abergläubisch, aber ich weiß, daß es Dinge
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gibt und Mächte, die sich mit dem normalen Menschenverstand nicht erfassen lassen.“ Er zog die Rote Korsarin plötzlich an sich, dann hob er ihren Kopf und sah sie an. „Ich trage das Armband, weil wir in das Gebiet des Schlangengottes segeln. Ich möchte es bei mir haben, wenn ich den Schutz des Schlangengottes brauche, und wir alle werden ihn brauchen. Das fühle ich.“ Er schwieg einen Moment, ließ Siri-Tong aber mit seinen Blicken nicht los. „Versprich mir nur eins, Siri-Tong: Was auch geschieht auf der Mocha-Insel, verlaß mich nicht, weder im Zorn noch aus sonst irgendeinem Grund!“ Wieder spürte die Rote Korsarin einen eisigen Schauer über ihren Rücken rinnen. Sie liebten sich, der Seewolf und sie, sie hatten gemeinsam gekämpft, und gemeinsam Todesgefahren bestanden. Aber so hatte er noch nie zu ihr gesprochen. Das war ein Seewolf, ein Mann, den sie nicht kannte, den keiner seiner Männer kannte. „Ich verspreche es, Hasard“, sagte SiriTong leise. „Ich werde dich nicht verlassen, ich werde vielleicht um dich kämpfen, wenn das nötig werden sollte. Ich will dich, Seewolf, keinen sonst!“ Sie löste sich aus seinen Armen und verließ die Kammer. Die Rote Korsarin brauchte plötzlich Luft, die See, den Wind, der in der Takelage sang, den hohen blauen Himmel. Aber das Gefühl drohenden Unheils ließ auch sie nicht mehr los, da half keine Sonne, und da halfen auch nicht die Flüche des Profos, wenn er die Männer in die Wanten oder über die Decks jagte. Aber sie zeigte es nicht, genauso wenig wie der Seewolf, der eine knappe halbe Stunde später das Achterdeck betrat und Pete Ballie wortlos am Ruder ablöste. Die Rote Korsarin bemerkte den fragenden Blick, den Ben Brighton, sein Stellvertreter und erster Offizier, ihm zuwarf, aber auch er erhielt an diesem Nachmittag vom Seewolf keine Antwort. Erst gegen Ende der Dämmerung ließ Hasard sich von Dan O’Flynn am Ruder
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ablösen und verschwand in seiner Kammer. Als Siri-Tong ein paar Stunden später zu ihm kam und neben ihm aufs Lager glitt, blickte er sie aus seinen eisblauen Augen an und zog sie wortlos in seine Arme. Später spürte die Rote Korsarin, wie er sich im Schlaf immer wieder voller Unruhe von einer Seite auf die andere wälzte, wie manchmal unverständliche Worte über seine Lippen drangen. Erst gegen Morgen, als sich schon die Dämmerung in den Scheiben der Bleiglasfenster abzeichnete, schlief der Seewolf tief und fest, die Arme um Siri-Tongs jungen Körper geschlungen, als wolle er sie nie wieder loslassen. 2. Am Nachmittag dieses Tages änderte die „Isabella“ in Höhe des 45. Breitengrades südlicher Breite ihren Kurs. Hasard wollte näher an die Küste heran. Bis zur MochaInsel waren es noch etwa vierhundert Meilen. Die „Isabella“ lief hervorragende Fahrt, runde acht Meilen die Stunde. Das ergab ein Etmal von 192 Meilen innerhalb vierundzwanzig Stunden. Sie würden sich also bereits am nächsten Abend in der Nähe der Mocha-Insel befinden. Die Stimmung unter der Crew an Bord war gut. Die Sonne wärmte die Decks, dem alten O’Flynn war es mehrfach gelungen, einen großen Fisch an den Haken zu kriegen, und aus der Kombüse des Kutschers stiegen den Männern höchst verlockende Düfte in die Nasen. Die Rote Korsarin, Ben Brighton und Smoky befanden sich auf dem Achterdeck. Ed Carberry und Ferris Tucker waren zusammen mit Big Old Shane, dem einstigen Waffenmeister auf Arwenack, damit beschäftigt, die Lafette eines Geschützes zu reparieren. Dan O’Flynn befand sich zusammen mit Bill im Großmars, Batuti lag faul auf der Back, und sein schwarzer Körper glänzte im hellen Licht der Sonne. Matt Davies und Jeff Bowie, die beiden Männer mit den stählernen Hakenprothesen, die sich auch im Kampf oft zu einem unüberwindlichen
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Team zusammenschlossen, klarierten eine Nagelbank an Steuerbord. Al Conroy, der Stückmeister der „Isabella“, überprüfte zusammen mit Luke Morgan die beiden Drehbassen auf der Back, Blacky, Stenmark, Sam Roskill und Bob Grey arbeiteten in der Takelage des Fockmastes. Gary Andrews, der hellblonde Mann mit der Narbe über der Brust, zerlegte einen der gefangenen Fische, um das Fleisch dann dem Kutscher in die Kombüse zu schaffen. Der Seewolf studierte an diesem Nachmittag die Seekarte, die er von der Küste um Valdivia einst erbeutet hatte. Carberry warf hin und wieder einen Blick zur Back hinauf. Er konnte von Batuti, dem riesigen Gambia-Neger, nur die Fußsohlen sehen. „Also dieser verdammte Faulpelz liegt doch wahrhaftig seit ein paar Stunden auf den Planken und lässt sich die Sonne auf den Bauch scheinen, während wir hier wie die Affen schuften! Man sollte dem Kerl doch glatt Big Old Shane unterbrach seinen Lieblingsspruch. „Gar nichts sollte man, du alter Affenarsch. Batuti hat die Nacht über am Ruder gestanden. Irgendwann muß er ja wohl auch mal pennen, oder?“ Ferris Tucker grinste schadenfroh. Er wußte nicht warum, aber Carberry war bereits seit dem Morgen ungenießbar, obwohl es dafür nicht den geringsten Grund gab. „He, Ed, du solltest uns ruhig mal sagen, welche Laus dir eigentlich über die Leber gelaufen ist. Du ziehst ein Gesicht, als hättest du zum Frühstück mindestens zehn Seeigel gefressen. Was ist los mit dir?“ Ferris Tucker sah ihn fragend an. Carberry grunzte unbehaglich vor sich hin. Verbissen arbeitete er weiter, und Tucker tauschte mit Old Shane nur einen vielsagenden Blick. Aber dann unterbrach Carberry plötzlich seine Arbeit und stemmte die Hände in die Hüften. „Also ihr wollt wissen, was mit mir los ist? Gut, ich will es euch sagen. Ich habe heute nacht nachgedacht, weil ich nicht schlafen
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konnte. Weiß der Teufel, warum, aber ich habe kein Auge zugekriegt.“ „Und über was hast du nachgedacht, Ed?“ fragte Ferris, während sich eine steile Falte auf seiner Stirn bildete. Er kannte Ed Carberry schon lange, und wenn der so etwas von sich gab, dann bedeutete das nie etwas Gutes. Carberry tat, als habe er die Frage des hünenhaften Schiffszimmermanns gar nicht gehört. „Morgen, irgendwann am Abend oder im Laufe der Nacht, erreichen wir die MochaInsel. Hasard hat mir das gesagt.“ Auch Big Old Shane hatte die Arbeit unterbrochen und blickte den Profos an. „Na und? Schließlich wollen wir da ja auch hin! Und deswegen ziehst du eine Fresse wie ein Salzhering, dem man die Lake geklaut hat?“ „Quatsch, nicht deswegen. Aber es wird Ärger geben, und zwar zwischen Hasard und Siri-Tong. Sie hat mich gestern, als ich mal nachts an Deck war, um ein bißchen Luft zu schnappen, über die Arkana ausgequetscht wie eine Zitrone. Ich werde das verdammte Gefühl nicht los, daß sich da was zusammenbraut. Auch der Seewolf ist seit ein paar Tagen recht seltsam. Er redet kaum, starrt immer irgendwelche Löcher in die Luft. Verflucht noch mal, ich wäre froh, wenn wir endlich einmal genügend Wasser zwischen uns und dieser Küste hier hätten!“ Big Old Shane und Ferris Tucker tauschten wieder einen Blick miteinander, unbemerkt von Carberry. Sie wußten um die Schwäche, die der bullige Mann für die Rote Korsarin hatte, selbstverständlich, ohne ihr jemals zu nahe zu treten. Aber wer Siri-Tong krumm kam, der mußte mit ihm rechnen, und zwar auf eine verdammt fatale Weise. Old Shane hinderte Carberry daran, wieder weiterzuarbeiten. „Hör mal zu, Ed. Ein paar Dinge hast du scheinbar vergessen. Ich will sie dir noch mal ins Gedächtnis rufen: Hasard hat Frau und Kinder verloren. Er hat erfahren, daß diese Arkana eine Tochter von ihm haben soll. Auch wenn das nur eine Weissagung
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ist, auf die man vielleicht nicht allzu viel geben sollte, wenn er nachsieht, dann ist das völlig in Ordnung. Andernfalls wäre er in meinen Augen keinen Heller wert, geht das jetzt endlich in deinen Dickschädel?“ Carberry funkelte Old Shane an. „Nichts hatte ich vergessen, absolut gar nichts, du triefäugiges Walroß. Aber das ist es ja gerade. Ich kenne Siri-Tong, die schluckt das nicht, die wird wild, sage ich euch ...“ Ferris Tucker hatte jetzt ebenfalls sein Werkzeug beiseite gelegt. „Du hast doch etwas vergessen, Ed: Arkana hat damals, als Hasard und Ben die ,Santa Magdalena’ in die Luft sprengten und damit die ;Golden Hind’ und ihre gesamte Besatzung vor der Vernichtung bewahrten, dem Seewolf und Ben das Leben gerettet. Ohne sie und ihre Schlangenkrieger gäbe es beide nicht mehr. Ich kann verstehen, daß Hasard sehen will, was aus ihr geworden und was denn nun eigentlich in diesem mysteriösen Schlangentempel wirklich passiert ist.“ Carberry kratzte sich unbehaglich an seinem Rammkinn. „Na ja, das stimmt schon“, gab er zu. „Aber trotzdem: Ich spüre den Ärger schon jetzt in allen Knochen. Und vergeßt nicht, die ganze Sache ist mehr als fünf Jahre her. Was kann da alles passiert sein, he? Was ist aus den Dons geworden? Wie stark sind sie inzwischen an dieser Küste? Gibt es überhaupt noch einen einzigen Araukaner auf Mocha, oder haben die Dons sie nach ihrer Niederlage damals durch eine zweite Strafexpedition ausgerottet? Außerdem sind wir allein, vom schwarzen Segler keine Spur. Mir wäre verdammt noch mal wohler, wenn wenigstens dieser Wikinger mit seinen Zwanzigpfündern in unserem Kielwasser segelte. Kapiert ihr Ochsen jetzt endlich, was ich meine?“ Ferris Tucker schüttelte irritiert den Kopf. So kannte er den Profos ja gar nicht. „Ho, Ed, seit wann hat ein Kerl wie du denn Nerven?“ fragte er verwundert. „Seit wann hast du etwas dagegen, daß wir den Dons gehörig einheizen, wenn sie unseren Kurs kreuzen?“
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Abermals schüttelte er den Kopf, und das brachte Carberry erst recht auf die Palme. Er sprang auf den Schiffszimmermann zu und packte ihn. „Sag noch einmal, daß ich mich vor irgendeinem Don fürchte, und ich ziehe dir die Haut in Streifen von deinem Affenarsch ab! Ich habe mich vor diesen behelmten Strolchen noch nie gefürchtet, so wahr ich Ed Carberry- bin. Aber manchmal soll man auch sein bißchen Grips benutzen, statt nur drauflos zu schlagen. Und ich spüre es: Es gibt jede Menge Ärger, auch mit den Doris ...“ Über ihnen, im Großmast erhob sich plötzlich ein gewaltiges Geschrei. „Affenarsch, Arwenack, alte Bilgenkakerlake!“ kreischte es über ihnen. Carberry fuhr herum und hob drohend die Faust. Und Sir John, der rote Papagei vom Amazonas, als neuestes Besatzungsmitglied von den Männern längst integriert, kreischte wie verrückt von der Rahnock herab. Und neben, ihm hockte Arwenack, der Schimpanse, und trommelte vor Vergnügen auf seinem Bauch herum, als der Profos abermals wütend mit der Faust nach oben drohte. Siri-Tong, die die drei Männer vom Achterdeck aus schon eine ganze Weile beobachtet hatte, stieg in die Kuhl hinunter. Bei Carberry blieb sie stehen. „Schwierigkeiten, Ed?“ fragte sie. Carberry schüttelte den Kopf. „Nein, Madame, wirklich nicht.’ Aber uns allen wäre lieber, wenn der Wikinger mit dem schwarzen Viermaster in unserem Kielwasser segelte. Schließlich müssen wir hier mit den Dons rechnen. Wir nähern uns der Küste, und Valdivia ist nicht mehr weit!“ Siri-Tong starrte den Profos aus schmalen Augen an. Sie spürte, daß dieser bullige Mann ihr etwas verschwieg, aber sie sagte nichts. „Thorfin hat es bestimmt geschafft. Er wird sich irgendwo hinter uns befinden, Ed. Ich kenne den Wikinger seit vielen Jahren — nein, um ihn und um ,Eiliger Drache über den Wassern’ sorge ich mich nicht. Aber mit den Dons, da haben Sie
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recht, verdammt recht sogar!“ fügte sie plötzlich hinzu, denn Dans Stimme aus dem Mastkorb ertönte soeben. „Schiff Steuerbord voraus. Führt keine Segel, der Eimer sieht verdammt merkwürdig aus, ich glaube, der treibt nur noch!“ Die Nachricht alarmierte die Besatzung. Der Seewolf erschien an Deck, er hatte Dan ebenfalls gehört. Ohne viel Zeit zu verlieren, enterte er auf. Und dann sah er es auch. Ein Schiff ohne Segel, das nach Steuerbord krängte und in der langen Dünung rollte. Eine Galeone, die Hasard auf etwa dreihundert Tonnen schätzte. Dickbauchig, ein älteres Schiff spanischer Bauart. „Dan, du bleibst hier oben. Halte die Augen auf. Wenn du irgendetwas erkennen kannst, sofort Meldung!“ Der Seewolf enterte ab und trat zu Smoky, der am Ruder stand. „Kurs zwei Strich Steuerbord, Smoky. Ferris, Al — Geschütze feuerbereit machen. Man kann nie wissen, ich will mich von den Dons nicht überraschen lassen.“ Carberrys Stimme dröhnte über die Decks, und die Männer spritzten nur so auf ihre Stationen. Noch ehe der Profos sein „an die Brassen, ihr Lahmärsche, oder soll ich euch den Hintern anlüften?“ herausgebrüllt hatte, schwangen die Rahen bereits herum, wurden die Persenninge von den Siebzehnpfündern mit den überlangen Rohren gezerrt. Dann schwang die ..Isabella“ herum und nahm Kurs auf den fremden Segler. * Eine halbe Stunde verging, dann konnten die Männer der „Isabella“ das fremde Schiff mit den bloßen Augen in allen Einzelheiten erkennen. Es trieb wahrhaftig in der langen Dünung. Bei jeder Woge, die unter seinem bauchigen Rumpf hindurchglitt, rollte es. Das laufende Gut schlug gegen die Rahen und Masten. Die Segel waren festgezurrt.
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Ben Brighton kniff die Augen unwillkürlich zusammen. „Verstehst du das, Hasard?“ fragte er. „Wie ist das Schiff überhaupt hierher geraten? Und warum hat man die Segel festgezurrt? Das ist doch Wahnsinn, so etwas!“ Der Seewolf versuchte durch sein Spektiv Einzelheiten zu erkennen, und dann zuckte er plötzlich zusammen. „Ben, nimm mal, was siehst du?“ fragte er. Ben Brighton sah lange durch das Glas, dann setzte er es ab und gab es Siri-Tong, die neben ihm und dem Seewolf am Schanzkleid stand. Auch die Rote Korsarin blickte eine Weile zu dem fremden Segler hinüber, und sie verlor merklich an Farbe. als sie das Glas zurückgab. „Da drüben hat ein entsetzliches Gemetzel stattgefunden. An Deck liegen Tote, Spanier und Indianermädchen. Letztere tragen zum Teil noch Ketten, wenn ich richtig gesehen habe.“ Sie reichte dem Seewolf das Spektiv, und Hasard blickte abermals zu dem unheimlichen Schiff hinüber. „Es stimmt, Siri-Tong, du hast richtig gesehen. Dort hat ein erbarmungsloser Kampf stattgefunden. Aber, verdammt, wie kommen die Indianerinnen an Bord des Spaniers, wie konnten sie die Besatzung überfallen? Und warum sind alle Segel festgezurrt?“ Fragen, auf die niemand eine Antwort wußte. Die „Isabella“ hielt jetzt auf den Spanier zu, dann drehte sie bei, und die Männer flitzten in die Takelage. um die Segel wegzunehmen. „Ed. das große Boot zu Wasser. Batuti, Ferris, Ed, Shane, Matt, Ben, ihr begleitet mich. Willst du auch mit, Siri-Tong?“ fragte er die Rote Korsarin. Sie nickte nur stumm. Bill drängelte sich plötzlich zwischen sie. Er warf Hasard einen bittenden Blick zu, aber der Seewolf schüttelte den Kopf. „Das da drüben ist nichts für deine Augen, Bill, nein, kommt nicht in Frage.“ Und dann plötzlich strenger: „Habe ich dich
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nicht zu Dan in den Mastkorb eingeteilt? Willst du wohl sofort wieder aufentern, Bürschchen?“ Er versetzte ihm einen derben Klaps auf das Hinterteil, und Bill flitzte los, als sei der Teufel persönlich hinter ihm her. Carberry starrte ihm düster nach. „Ich glaube, ich muß mir das Kerlchen mal wieder vornehmen. Wenn aus dem ein Seewolf werden soll, dann müssen wir ihn wohl etwas härter anfassen. Ich werde mich nachher gleich darum kümmern!“ Er warf noch einen drohenden Blick zum Mars hoch, was Bill blitzartig hinter die Segeltuchverkleidung tauchen ließ. Die Männer fierten das Boot ab, dann pullten sie los. Jeder hatte sein Entermesser bei sich, Batuti seinen Morgenstern, Ferris Tucker seine gewaltige Axt und Hasard die doppelläufige Radschloßpistole. Sie erreichten die spanische Galeone nach knapp zehn Minuten und vertäuten das Boot. Dann enterten sie auf. Erst Hasard, nach ihm Siri-Tong, dann Ben Brighton und anschließend die anderen. Als der Seewolf sich über das Schanzkleid schwang, blieb er für einen Moment wie erstarrt stehen. Er spürte, wie sein Magen sich zusammenkrampfte, nicht zuletzt durch den Verwesungsgestank, der vom Deck aufstieg und ihm entgegenwehte. Siri-Tong erging es nicht besser und den anderen genauso. Ed Carberry war der erste, der auf das Deck sprang. Sein Rammkinn hatte er weit nach vorn geschoben, die Hände zu Fäusten geballt. „Bei allen Teufeln der Hölle, das ist ja, das ist ja ...“ Er fand keine Worte, sie blieben ihm im Halse stecken. Und auch seine Gefährten. blieben stumm. * Es war tatsächlich ein Bild des Grauens, das sich ihren Blicken bot. Spanier und Indianerinnen bildeten ein wüstes Durcheinander auf dem Deck. Sie mußten sich einen erbarmungslosen Kampf geliefert haben.. Die Mädchen hatten ihre Peiniger zum Teil mit den Eisen
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erschlagen, die sie immer noch trugen, auch im Tode noch. Die Spanier mußten von dem Angriff völlig überrascht worden sein. Der Capitan, ein dicker, widerlicher Kerl mit pechschwarzem Bart und wulstigen Lippen, lag auf einem der Mädchen, das ihn mit ihren Handfesseln erdrosselt haben mußte. Das Gesicht des spanischen Kapitäns war blau angelaufen, die Zunge hing ihm heraus, seine Augen waren auch jetzt noch weit aus den Höhlen gequollen. Siri-Tong mußte sich abwenden. Die Indianerinnen waren im Durchschnitt nicht älter als zwanzig Jahre. Ihre Körper — soweit das noch erkennbar war — sahen trainiert aus, den Gesichtern nach zu schließen, wirkten sie intelligent. Eine wie die andere. Hasard hatte den Eindruck, vor einer Elite von Kriegerinnen zu stehen. Plötzlich stieß Ben Brighton einen unterdrückten Ruf aus. und sofort gingen Hasard und die anderen zu ihm. „Da, Hasard, sieh dir das an“, sagte er nur. Er hielt dem Seewolf einen Armreif hin. Er war aus purem Gold und wies einen Schlangenkopf auf, der den Verschluß bildete. Der Armreif selbst war als Schlangenkörper gearbeitet. Ed Carberry wurde blaß. „Schlangenkriegerinnen!“ stieß er hervor. „Die Spanier müssen die Mocha-Insel überfallen haben. Aber wohin wollten sie die Mädchen schaffen? Was ist mit Arkana geschehen? Was, zur Hölle, ist hier überhaupt los?“ Hasard antwortete nicht. Stattdessen zog er seine Pistole aus dem Gürtel und ging zum Achterkastell hinüber. Siri-Tong und Ben folgten ihm. Sie fanden die Kapitänskammer. Auch dort mußte gekämpft worden sein, denn alles lag durcheinander. Die Scheiben waren zum Teil zersplittert, und dann sah der Seewolf etwas, was ihn erstarren ließ. Auf dem Boden der Kammer, an ihrer rückwärtigen Wand, lagen Armreifen auf dem Boden. Alle gen Schlangenköpfe, alle waren aus Gold, manche wiesen dunkle Flecke auf.
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Siri-Tong starrte die Armreifen an, und sie spürte. wie sich ihr Magen umzudrehen begann. Denn in einem von ihnen steckte noch eine abgeschlagene Hand, eine Mädchenhand. „Diese Bestien!“ stieß sie voller Abscheu hervor. „Das sind doch keine Menschen, die so etwas tun!“ Der Seewolf antwortete nicht, er suchte nach einem Tage- oder Logbuch, aber er fand nichts, was irgendeinen Hinweis darauf gegeben hätte, was an Bord dieses Schiffes geschehen oder wie es zu dieser entsetzlichen Metzelei gekommen war. Er stand da und überlegte. Was sollte mit diesem Schiff geschehen? Sollten sie es versenken? Nein, auf keinen Fall. Und dann wußte er, was er tun würde. Er verließ die Kapitänskammer. Als er an Deck trat, starrte ihm der Profos entgegen, und so hatte er diesen eisenharten Mann noch nie gesehen. „Ich war im Laderaum, Hasard, da vorn“, sagte er heiser. „Die Kerle an Bord dieses Schiffes sind viel zu schnell gestorben. Sie sind über die Schlangenkriegerinnen hergefallen und haben sie, haben sie einfach ... und wenn eine nicht wollte, dann haben sie sie vor den Augen der anderen, ich meine, ich...“ Der Profos rannte plötzlich zum Schanzkleid und übergab sich. Dann kehrte er zum Seewolf. zurück, immer noch grün im Gesicht. „Hasard, wenn es nach mir ginge, dann würde ich Valdivia einen Besuch abstatten. Und wer mit dieser Sache hier zu tun hat, den würde ich hängen oder auch vierteilen. Ohne Verhandlung. Und verdummt, wir sollten es tun, egal, wie viele Dons wir gegen uns haben!“ Der Seewolf antwortete nicht, langsam ging er stattdessen zum Vorschiff. SiriTong, die ihm folgen wollte, hielt Carberry zurück. „Nein, Madame, ich lasse sie nicht dorthin, so wahr ich der Profos der ‚Isabella’ bin!“ Er hielt sie mit seinen Riesenpranken fest, und das Wunder geschah. Siri-Tong wehrte sich nicht.
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„So schlimm ist es dort, Profos?“ fragte sie nur. „Schlimmer als hier oben an Deck?“ Carberry nickte nur, und schon wieder spürte er das Würgen in der Kehle. Als der Seewolf zurückkehrte, war er ebenfalls grün im Gesicht, Ben Brighton und Ferris Tucker, die ihm gefolgt waren, ebenfalls. Selbst Batuti, der riesige Gambia-Neger, der ein paar Worte mit Ferris Tucker wechselte, wurde aschfahl im Gesicht. Es gab keine Überlebenden mehr. Sie konnten an Bord dieses Schiffes niemandem mehr helfen, und deshalb wollten sie zur „Isabella“ zurück. Sie enterten ab ins Boot neben der Bordwand. „Wir werden dieses Schiff versenken“, verkündete Carberry düster. „Die Toten sollen ihren Frieden haben, sie ...“ Der Seewolf stand hinter dem Schanzkleid. Er war der letzte, der sich noch an Bord des Totenschiffes befand. „Nein, Ed, wir werden es nicht versenken“, erwiderte er ruhig. Carberry starrte ihn ungläubig an. „Nicht versenken?“ fragte er dann entsetzt. „Sollen diese Toten bis in alle Ewigkeit über die Meere treiben?“ Auch die Rote Korsarin starrte den Seewolf an, den sie noch niemals so gesehen hatte wie in diesem Augenblick. „Nein, Männer, sie sollen nicht über die Meere treiben“, sagte Hasard nach einer Weile. „Wir werden dieses Schiff und seine Toten zur Mocha-Insel schleppen. Ich bleibe an Bord, ich übernehme das Ruder. Ben, das ist ein Befehl!“ Siri-Tong sprang auf. Wie eine Katze enterte sie auf. Ihre Augen glühten plötzlich. „Ich weiß, was du vorhast, Seewolf“, sagte sie. „Du willst diese Toten Arkana bringen, das willst du doch!“ Der Seewolf nickte. „Ja, genau das will ich. Und ich weiß, daß ich richtig handele.“ Die Rote Korsarin starrte den großen Mann mit den langen schwarzen Haaren und den eisblauen Augen an.
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„Und dann willst du zusammen mit Arkanas Schlangenkriegern die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen, ist es so?“ Wieder nickte der Seewolf, und die Männer unten im Boot hatten jedes Wort gehört. „Ich bleibe mit dir hier an Bord. Wir werden uns am Ruder ablösen. Nein, versuche nur nicht, mich wegzuschicken. Ich gehe nicht. Ich lasse dich mit diesen Toten und ihrem Schiff nicht allein.“ SiriTong beugte sich über das Schanzkleid. „Pullt zur ‚Isabella’, bringt die Schlepptrosse aus, los, beeilt euch, Männer!“ Batuti, immer noch aschgrau im Gesicht, bekreuzigte sich, die anderen folgten seinem Beispiel. Dann lösten sie den Tampen, an dem das Boot hing, und pullten davon. Als der alte O’Flynn hörte, was der Seewolf plante und was auf dem Schiff geschehen war, blieb er wie angewurzelt stehen. „Also, wenn ihr mich fragt, dann ...“ Ed Carberry trat auf ihn zu. Riesengroß und mit einer so finsteren Miene, daß der Alte entsetzt zurückprallte und dabei die Balance verloren hätte, wenn er nicht noch gerade eine Nagelbank zu fassen gekriegt hätte. „Keiner wird dich fragen, Mann!“ sagte Carberry drohend. „Und wenn du auch nur dein Maul aufreißt, um mir die Männer an Bord der ‚Isabella’ kopfscheu zu quasseln, dann lernst du mich kennen. Das ist mein Ernst, O’Flynn, richte dich danach. Es wird auch so schwierig genug werden, mit diesem Totenschiff da!“ Carberry ließ den Alten stehen und ging zum Achterkastell hinüber. Gleich darauf schallten seine Kommandos über Deck. Eine Stunde später war die Schlepptrosse ausgebracht und auf dem Spanier belegt. Schweigend starrte die „Isabella“-Crew auf das Totenschiff, das ihnen jetzt im Kielwasser folgte. Aber keiner wagte es, auch nur einen Muckser von sich zu geben, nicht einmal der jähzornige Luke Morgan. Denn, das Gesicht Carberrys verhieß nichts Gutes.
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Der Wind hielt sich, und trotz der Last in ihrem Kielwasser lief die „Isabella“ gute Fahrt. Als die Dämmerung hereinbrach und der bleiche Mond über der See aufging, hockten die Männer an Deck zusammen. Sie begannen zu tuscheln, verstummten jedoch sofort, sobald sie vom Profos Ed Carberry auch nur den Schatten in ihrer Nähe gewahrten. 3. Man schrieb mittlerweile das Jahr 1583. Valdivia hatte sich in den vergangenen fünf Jahren verändert. Es war von einer befestigten Siedlung zu einer spanischen Niederlassung herangewachsen, deren Befestigungen Respekt heischten. Im Hafen, den die Spanier inzwischen ausgebaut hatten, lagen mehrere Schiffe. Kriegsgaleonen und Transporter. Sie gehörten schon fast zum täglichen Bild des Hafens, denn Valdivia war einer jener Umschlagplätze, wo die zusammengeraubten Schätze der Spanier sortiert und dann wieder verladen wurden, um später in einem von Kriegsgaleonen gesicherten Geleit auf die Reise nach Spanien zu gehen. Valdivia hatte sich jedoch nur in seinem Äußeren verändert, zum Beispiel durch neu entstandene Bauwerke oder auch Plätze. In einem anderen Punkt war es der gleiche verschreckte Ort geblieben, der es vor fünf Jahren gewesen war, als die Spanier auf der Mocha-Insel eine ihrer schlimmsten Niederlagen gegen die Araukaner einstecken mußten und gegen Es Draque und seine Männer, zu denen auch damals schon die Seewölfe unter der Führung von Philip Hasard Killigrews gehörten. Die Spanier hatten sich von dieser Niederlage moralisch nie richtig erholt, besonders ihr Alkalde, Juan de Montoya, nicht. Er haßte die Araukaner, und er haßte die Engländer, obwohl er seitdem nie wieder einen gesehen hatte. Aber zugleich hatte sein Haß gegen die Araukaner auch einen sehr praktischen Grund: Er beutete die Indianer gnadenlos aus, wann immer
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das möglich war. Sein ganz besonders Vertrauter bei solchen Manipulationen war jener Senor Felipe Quiros, der, genau wie sein Herr, nicht besser, sondern schlimmer, skrupelloser und immer habgieriger geworden war. Im Wege stand den beiden lediglich der neue militärische Kommandant Valdivias, Capitan Alvarez, ein Ehrenmann durch und durch, bei seinen Soldaten beliebt, von den Araukanern respektiert, mutig und klug, wenn es zu kämpfen galt. Er war damals auf Mocha mit dem Leben davongekommen, weil die Araukaner ihn und seine Männer entwischen ließen, obwohl es für sie leicht gewesen wäre, auch diesen letzten Rest der spanischen Streitmacht zur Hölle zu schicken. Eine nicht unerhebliche Rolle bei alledem hatte eine gewisse Arkana gespielt. Eine junge Frau, über die unter den Dons die tollsten Gerüchte kursierten. Denn sie war die eigentliche Befehlshaberin der araukanischen Krieger, sie sollte eine Elitetruppe von sogenannten Schlangenkriegern unterhalten, die gefährlicher waren als alles, was die Spanier bisher an Gegnern kennengelernt hatten. Capitan Alvarez war es — sehr zum Ärger des Alkalden und Senor Felipe Quiros — nach zähen Verhandlungen gelungen, einen ehrenhaften Frieden mit diesem wehrhaften Stamm zu schließen. Die meisten Spanier in Valdivia waren froh darüber, und sie konnten wieder ruhig schlafen. Nur der Alkalde und Senor Quiros und ein paar Gleichgesinnte sahen das anders. Denn da kursierte das Gerücht über den Schlangentempel, der geradezu unvorstellbare Reichtümer bergen sollte, aber noch nie hatte irgendein Weißer in Erfahrung bringen können, wo dieses Heiligtum lag. Auf der Mocha-Insel, soviel stand fest, aber wo dort? Juan de Montoya und seine Spießgesellen brannten darauf, herauszufinden, wo sich dieser Tempel befand. Dabei verstanden sie es meisterhaft, die allmächtige Kirche vor ihren Karren zu spannen, der dieses Götzentum, dieser Schlangenkult, man
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sprach sogar von einem Schlangengott, schon längst ein Dorn im Auge war. Nur auf diese Weise war es dem Alkalden gelungen, sich heimlich eine eigene Streitmacht aufzubauen, von der Capitan Alvarez und seine Soldaten nicht die geringste Ahnung hatten, wie er glaubte. Noch etwas bereitete dem Alkalden Kopfzerbrechen: Er brauchte ständig junge Mädchen als Mätressen für die vornehmen .und vermögenden Spanier. Unglücklicherweise hatte auch der Gouverneur im fernen Valparaiso von jenen bildhübschen Araukanerinnen gehört und sofort eine Schiffsladung von ihnen angefordert. Natürlich nicht, ohne Juan de Montoya eine erhebliche Ausweitung seiner Kompetenzen und seines Machtbereiches zu versprechen, falls er ihm diesen Wunsch erfüllen könnte. Der Alkalde hatte verstanden. Ausweitung der Kompetenzen bedeutete, daß kein Hahn künftig danach krähen würde, was er im südlichen Chile anstellte und auf welche Weise er sich hemmungslos persönlich bereichern würde. Danach aber stand Juan de Montoya im Jahr 1583 mehr denn je der Sinn, denn irgendwann wollte er ins Mutterland Spanien zurückkehren, als unvorstellbar reicher Mann, als Mann von Einfluß bei Hof. Als jemand, auf dessen Erfahrungen man bei Hofe nicht verzichten konnte und wollte. Der Alkalde hatte deshalb in aller Heimlichkeit sein bestes Schiff ausrüsten lassen, das sein gerissenster und erfahrenster Kapitän kommandierte, der zudem über eine Mannschaft von wahren Teufeln verfügte. Daß er mit dieser Entscheidung und dem Auftrag, Araukanermädchen für den Gouverneur zu fangen, seinen folgenschwersten Fehler in den zwanzig Jahren, die er nun schon Valdivia regierte, begangen hatte, ahnte er nicht. Am Abend des Tages, an dem die Männer der „Isabella“ das Totenschiff entdeckt hatten, saß der Alkalde in seinem Palast und stopfte sich mit den teuersten und besten Dingen, die es in Valdivia gab, den Wanst voll.
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Er langte nach seinem goldenen Becher und schüttete blutroten, schweren Wein in sich hinein. Dann warf er aus seinen kleinen tückischen Augen, die hinter den dicken Fettwülsten fast verschwanden, einen Blick auf Felipe Quiros. Der war das glatte Gegenteil vom Alkalden. Klein, mickrig, dürr, aber ungeheuer verschlagen, schlimmer noch als sein Herr und Meister selbst. „Wir müßten eigentlich jede Stunde mit der Ankunft der ,Esmeralda’ rechnen können, Senor Quiros“, sagte er mit seiner fetten, unangenehmen Stimme, die manchmal an das Quieken eines übermästeten Schweines erinnerte. Felipe Quiros nickte eifrig und devot. „Selbstverständlich, Senor Montoya. Capitan Cervantes ist der beste und fähigste Mann, den wir mit dieser Aufgabe betrauen konnten. Er hat Erfahrung auf diesem Gebiet, er wird ganz bestimmt nicht an ein paar Indianerhuren scheitern. Im übrigen wußte er auch sofort, nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, wo er die gewünschten Mädchen finden würde. Dorthin, sagte er, würde er unverzüglich segeln.“ Der Alkalde nahm abermals einen Schluck und rülpste dann ungeniert. „Sagte er, wo dieser Ort ist?“ fragte er. Felipe Quiros schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein, das war aus ihm nicht herauszukriegen. Geschäftsgeheimnis, meinte er, als ich ihn fragte. Aber er würde liefern, und besser, als wir uns das erträumen könnten. Da ich Cervantes kenne, gab ich mich mit dieser Auskunft zufrieden.“ Der Alkalde überlegte. Wenn dieser Cervantes wieder im Hafen von Valdivia lag, würde er ihn sich vornehmen. Er mußte wissen, wo es Araukanerinnen zu fangen gab, ganz gleich, wie Capitan Cervantes über seine Geschäftsgeheimnisse dachte oder nicht. Aber das war nur eine der Überlegungen, die der verschlagene Alkalde in diesem Moment anstellte. Erfuhren die Araukaner von diesem Raub, dann würde es aus sein mit dem ehrenhaften Frieden zwischen
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ihnen und Capitan Alvarez. Man konnte dann endlich ein Exempel statuieren, aber nicht so stümperhaft wie damals vor fünf Jahren, als er die eigentliche Gefahr, die von diesen Wilden drohte, noch gar nicht richtig erkannt hatte, sondern lediglich einen höchst unbequemen Mann. loswerden wollte. Der Alkalde hatte vorgesorgt. Es waren schwerbewaffnete Schiffe von Spanien nach Valdivia unterwegs, eigens dafür bestimmt, die Araukaner endgültig zu vernichten. Vorher allerdings mußte er unbedingt noch erfahren, wo dieser Schlangentempel lag. Juan de Montoya richtete sich in seinem Sessel so weit auf, wie seine ungeheure Körperfülle ihm das erlaubte. „Senor Quiros“, quiekte er, und dabei rann ihm Wein über das Kinn, „ich hätte da, äh, noch eine delikate Aufgabe für Sie ...“ Quiros erhob sich und näherte sich erwartungsvoll dem Alkalden. Denn delikate Aufgaben und deren Erledigung verhießen grundsätzlich einen nicht unbeträchtlichen Gewinn. „Ich stehe ganz zu Ihren Diensten, Exzellenz!“ näselte er. „Sie wissen, ich tue alles für Sie!“ Der Alkalde nickte zufrieden. „Natürlich, lieber Quiros. Es wird außerdem Ihr Schade nicht sein. Es geht um folgendes: In Kürze wird dieser Alvarez wieder in Valdivia einlaufen. Ich muß mich dieses Mannes entledigen, er ist eine ständige Gefahr für unsere Pläne. Sie werden mit ein paar ausgesuchten Leuten seine ‚Hispaniola’ präparieren, so daß wir ihm Unterschlagungen am Eigentum seiner Allerkatholischsten Majestät, unseres geliebten Königs, nachzuweisen vermögen. Damit ist dieser Simpel aus dem Rennen, zumal um dieselbe Zeit wahrscheinlich auch die angeforderten Schiffe einlaufen werden. Vielleicht haben Sie auch eine bessere Idee, Senor Quiros, aber dieser Kerl muß weg. Und noch etwas, aber das ist schon bedeutend schwieriger: Diese verdammte Arkana soll eine etwa fünfjährige Tochter haben, an der sie mit
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abgöttischer Liebe hängt. Was wissen Sie darüber, Senor Quiros?“ In die Züge des Alkalden war ein lauernder Ausdruck getreten. Er beobachtete, wie Felipe Quiros erbleichte. „Also?“ drängte der Alkalde und fuhr sich mit der Zunge über die wulstigen Lippen. „Ja, Exzellenz, natürlich. Auch mir ist das bekannt, aber wieso fragen Sie ...” Der Alkalde richtete sich plötzlich in seinem Sessel auf. „Ich will es Ihnen sagen, Senor Quiros: Ich habe auch meine Leute, sogar unter den Soldaten dieses verfluchten Capitan Alvarez. Ich bin sehr gut über alles unterrichtet, was dort geschieht. Daher weiß ich auch, daß es diese Tochter der Schlangenpriesterin gibt. Wenn man das aber weiß, dann ist alles Weitere sehr einfach, Senor. Nun, was würden Sie denn an meiner Stelle tun? Diese Arkana ist für uns und Valdivia die größte Gefahr. Ohne sie werden wir mit den Araukanern spielend fertig. Sie ist es, die immer wieder meine Pläne durchkreuzt. Sie war klug genug, dem von Capitan Alvarez angestrebten Frieden zwischen ihren Araukanern und uns zuzustimmen, schlimmer noch, sie hält sich peinlich genau an alle Vereinbarungen.“ Felipe Quiros rang die Hände, er ahnte, was jetzt geschehen würde. Und er behielt recht. Der Alkalde de Montoya hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Seine Augen glitzerten hinter den dicken Fettwülsten, als er sich erneut an seinen Komplicen wendete: „Also, was würden Sie tun, Senor? Sie wissen es, ich sehe es Ihnen an. Trotzdem sage ich es Ihnen. Wir müssen diese Tochter haben, als Geisel. Haben wir sie, dann kriegen wir auch die Mutter, geben Sie mir recht?“ Felipe Quiros fuhr hoch wie von der Tarantel gebissen. „Senor, äh, ich meine natürlich Exzellenz, tun Sie das nicht. Diese Arkana ist eine Hohepriesterin der Araukaner. Sie gilt als unverletzlich. Geschieht ihr auch nur das geringste, dann fallen die Araukaner über uns her, und keiner in Valdivia wird
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überleben. Bei der Mutter Gottes, ich beschwöre Sie, Senor, lassen Sie diese Arkana und ihre Tochter in Ruhe, die dazu noch auf ganz geheimnisvolle Weise im Tempel des Schlangengottes von ihr empfangen worden sein soll. So jedenfalls wollen es die Indios wissen!“ Der Alkalde lächelte. Aber es war ein böses Lächeln, das seine fetten Züge überzog. „Zu spät, Senor Quiros, viel zu spät. Meine Häscher sind bereits unterwegs. Vielleicht haben sie diesen kleinen Indio-Bastard bereits. Und Sie werden sehen, meine Rechnung geht auf, ihre Mutter wird Valdivia nicht angreifen, sondern sie wird versuchen, ihren Bastard zu befreien. Ich bin vorbereitet, dabei fassen wir sie, und dann haben wir zwei Geiseln. Die Araukaner müssen dann stillhalten, und dann sind wir am Zuge. Lassen Sie mich nur machen!“ Er griff nach seinem Weinbecher und trank einen langen Schluck. „Und Sie, Senor, sie werden sich jetzt um ihre Aufgabe kümmern. Schalten Sie Capitan Alvarez aus, sobald er sich in Valdivia blicken läßt. Ich werde mich zu gegebener Zeit dann an das erinnern, was ich Ihnen versprochen habe!“ Eine Handbewegung zeigte Senor Quiros, daß die Unterredung beendet war. Auf weichen Knien schlich er aus dem Arbeitszimmer des Alkalden. Ihm schwante Böses. Hätte er gewußt, daß genau zu dieser Stunde jene Galeone Valdivia in rund hundert Meilen Abstand passierte, auf die der Alkalde so sehnsüchtig wartete, er hätte sich auf der Stelle bekreuzigt. Denn die „Esmeralda“ passierte Valdivia im Schlepp des Schiffes, das jener Mann befehligte, dem Juan de Montoya eine seiner empfindlichsten Niederlagen verdankte. Die beiden Gauner ahnten ebenfalls nicht, daß sich die Dinge ganz anders entwickeln würden, als sie hofften. *
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Capitan Alvarez stand auf dem Achterdeck seiner „Hispaniola“. Aus dem ehemaligen Landsoldaten war in den letzten fünf Jahren ein hervorragender Seemann geworden. Daß er trotzdem in kritischen Situationen auf seinen erfahrenen Kapitän hörte, sprach nur für den Capitan. Alvarez wanderte unruhig auf dem Achterdeck auf und ab. Er hatte beträchtliche Sorgen. Die geheimen Strömungen, die sich in Valdivia: gegen den Frieden mit den Araukanern richteten, waren ihm nicht verborgen geblieben. Aber was sollte er tun? Er hatte nicht die Spur eines Beweises. Und wenn — Juan de Montoya war ein mächtiger Mann, gegen den er auch in seiner Eigenschaft als militärischer Befehlshaber keine Chance hatte. Alvarez. wußte genau, daß dieser fette Alkalde Schlimmes im Schilde führte. Er rechnete auch damit, daß er ständig von Montoya bespitzelt wurde, denn dieser Kerl wollte ihn loswerden, weil er ihm lästig und hinderlich war. Der Capitan blieb stehen. Die „Hispaniola“ lief gute Fahrt. Ihre hohen Masten ragten in den mondhellen Himmel, die Segel der vier Masten’ standen prall. Die „Hispaniola“ war ein rank gebautes Schiff, ein schneller Segler, schwer bewaffnet. Fünfzehn Stückpforten an jeder Seite, einen Mörser auf der Back, Drehbassen auf dem Achterkastell. Dazu eine Besatzung, die ihre Sache verstand, außerdem eine hervorragend ausgebildete und erfahrene Truppe von Landsoldaten, ausgesuchte Männer, absolut zuverlässig. Alvarez wandte sich an den Kapitän. „Wann erreichen wir Mocha, Kapitän?“ fragte er höflich, aber bestimmt. „Bei gleichbleibendem Wind in drei Stunden, Capitan. Ich schlage vor, wir ankern in der Todesbucht am Nordende der Insel. Die ‚Hispaniola’ ist schwer beladen, sie hat zu großen Tiefgang für die anderen Buchten. Die Gefahr einer Strandung wäre zu groß, Capitan.“ Alvarez hatte nur halb hingehört. „Natürlich, veranlassen Sie alles Nötige, Kapitän“, sagte er nur. Das Wort
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Todesbucht hatte in ihm schlimme Erinnerungen aufsteigen lassen. Die Bucht hatte nach dem Massaker auf Mocha diesen Namen erhalten, und er war auch nie mehr geändert worden. Lediglich die Araukaner hatten ihr noch einen anderen Namen gegeben. Sie nannten sie „die Bucht der Wiederkehr“. Alvarez hatte nie herauskriegen können, warum. Immer wenn er Arkana darauf angesprochen hatte, hatte sie ihn nur aus ihren dunklen Kohleaugen angeblickt und geschwiegen. Merkwürdig war auch die kleine fünfjährige Tochter der Hohepriesterin der Araukaner. Sie war ein Ebenbild ihrer Mutter, aber im Gegensatz zu ihr hatte sie eisblaue Augen, die sehr seltsam blicken konnten. Nie war Capitan Alvarez das Gefühl losgeworden, schon einmal in solche Augen geblickt zu haben. Er war sogar sicher, aber er wußte nicht mehr, wann und wo. Wieder hörte er das Toben der Schlacht, den entsetzlichen Kanonendonner in der Bucht, dann den schmetternden, alles betäubenden Schlag, mit dem die „Santa Magdalena“ in die Luft geflogen war. Alvarez schüttelte die Gedanken ab. „Kapitän“, wandte er sich abermals an den großen, breitschultrigen Mann, der in einiger Entfernung von ihm bewegungslos auf dem Achterkastell der „Hispaniola“ stand. „Ja, Senor Capitan?“ „Bereiten Sie bitte alles für einen Marsch zum Dorf der Araukaner vor. Morgen früh, kurz nach Sonnenaufgang, breche ich mit zehn Männern auf. Ich muß noch einmal mit Arkana, der Hohepriesterin, sprechen. Ich muß wissen, ob auch ihre Späher etwas von dem bemerkt haben, was in Valdivia irgendwo unter der Asche und der trügerischen Sicherheit des mühsam erreichten Friedens schwelt. Ich habe Sorge, Kapitän, es stimmt etwas nicht. Denken Sie an den Tempelbezirk von Imperial, am See. Niemand zeigte sich uns dort, obwohl wir sonst von den Schlangenkriegerinnen immer sehr freundlich empfangen wurden. Sollte
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Arkana sie nach Mocha beordert haben, dann muß es dafür auch einen Grund geben, und den möchte ich erfahren.“ Der Kapitän sah seinen Kommandanten an. „Eins ist jedenfalls sicher, Senor Capitan“, sagte er dann, und jedes einzelne Wort stand überdeutlich im Singen des Windes und im Rauschen der See, „die Araukaner werden von sich aus den Frieden nicht brechen. Wenn das geschieht, dann nur von unserer Seite aus, was der Himmel verhüten möge.“ Alvarez nickte. „Wecken Sie mich, bitte, sobald wir Mocha erreichen, Kapitän. Ein wenig Schlaf wird mir gut tun. Es war in letzter Zeit ein wenig knapp damit.“ Alvarez verließ das Achterdeck und ging in seine Kammer. Angezogen legte. er sich zu einem kurzen Schlaf aufs Bett. Auch er ahnte nicht, was ihm diese Nacht noch bringen sollte. 4. Mit dem Totenschiff im Schlepp brauchte die „Isabella“ doch wesentlich länger zur Mocha-Insel als vorgesehen. Erst weit nach Mitternacht tauchte die Insel an der Kimm auf. Dan O’Flynns scharfe Augen erspähten ihre Silhouette in der mondbeschienenen See. Aber diesmal wagte er nicht, seine Entdeckung durch lauten Zuruf den Männern an Bord mitzuteilen. Stattdessen warf er einen scheuen Blick nach achtern, wo die Konturen des Totenschiffes dunkel und drohend aus der .See wuchsen. Dan enterte ab. Wie der Blitz sauste er die Wanten hinunter und stieß unten auf Bill, den Schiffsjungen der „Isabella“. „He Dan, was tust denn an Deck, du ...“ Dan, der sich sonst mit Bill ausgezeichnet verstand, schob den Jungen kurzerhand zur Seite. „Die Insel“, sagte er nur. „Steuerbord voraus!“ Damit lief er nach achtern, wo er Ben Brighton, Ferris Tucker und Ed Carberry wußte. Der Profos sah ihn zuerst. Er verfluchte diese ganze lausige Nacht mit dem Totenschiff im Schlepp, er verfluchte die
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Tatsache, daß sich der Seewolf und SiriTong an Bord des Totenschiffes befanden, und er wünschte alle Dons zur Hölle. Denn selbst der eisenharte Profos war mit dem, was er im vorderen Laderaum des Totenschiffes vorgefunden und gesehen hatte, beileibe nicht fertig. Seine Augen hatten schon vieles gesehen. Er selbst war gefoltert worden, er hatte Menschen in Seeschlachten sterben sehen, er wußte, wie grausam die Dons zum Teil gegen die Eingeborenen vorgingen, aber das, das war auch für ihn zuviel gewesen, das verkraftete nicht einmal er. Und schon gar nicht, weil sich diese Dreckskerle an junge hübsche Mädchen herangemacht hatten. Er schob sein Rammkinn ruckartig vor, als Dan das Achterdeck der „Isabella“ betrat. Drohend trat Carberry Dan entgegen und versperrte ihm den Weg zum Ruderhaus, wo Ben Brighton und Ferris Tucker sich aufhielten. „Warum, zum Teufel, bist du nicht im Mast, du lausiger Affenarsch?“ fuhr er Dan an. „Was ist los, du mußt heute und jetzt einen ganz verflucht guten Grund haben, deinen Posten unerlaubt zu verlassen, klar? Also?“ Dan wich instinktiv einen Schritt zurück, obwohl Furcht, gleich vor wem, für ihn eine völlig unbekannte Vokabel war. Aber der Profos war in -dieser Nacht anders als sonst, seine Stimme klang anders, und selbst wenn er sein Lieblingswort Affenarsch aussprach, klang das gar nicht zum Lachen. Außerdem konnte Dan im Mondlicht deutlich das narbige Gesicht Carberrys erkennen, und das verhieß in diesem Moment absolut nichts Gutes. „Ich höre, Dan. Verdammt, wie lange willst du hier noch ‘rumstehen und Maulaffen feil halten, was, wie?“ Dan wich noch ein Stück zurück, aber das half ihm gar nichts, denn der Profos packte blitzschnell zu und hatte Dan in seinen Pranken, die sich wie Eisenklammern um seine Arme schlossen. „Die Insel, Steuerbord voraus, Ed .“, würgte Dan hervor. „Ich wollte nicht rufen, weil — weil — die da hinten ...“
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Carberry ließ ihn ruckartig los. Er funkelte Dan wütend an, und diesmal war sein Zorn echt, das erkannte Dan sofort. „Und deswegen verläßt du den Ausguck? Deswegen segeln wir alle jetzt blind durch die Nacht? Mit einem Schiff voller Toten im Schlepp, die die Dons auf dem Gewissen haben, in der Nähe einer Insel, in deren Buchten Araukaner wie Dons auf uns lauern können? Glaubst du dämliche Bilgenratte eigentlich, daß die Araukaner von selber auf die Idee verfallen werden, daß es die ‚Isabella’ ist, die auf ihre Insel zusegelt? Was, wenn sie von der Entführung ihrer Schlangenmädchen schon gehört haben, du Narr? Ich habe diese Arkana und ihre Krieger erlebt. Und ich sage dir, die geben nicht auf. Die fackeln nicht, und ehe sie uns erkennen, sind schon eine ganze Menge von uns tot!“ Carberry hatte das alles nur so hervorgesprudelt. Er hatte seinem aufgestauten Zorn endlich Luft verschafft, und Dan war sein Opfer. „In den Mast mit dir, aber dalli!“ brüllte er, daß die Männer an Bord der „Isabella“ nur so zusammenzuckten und Bill instinktiv in Deckung ging. Später wußte keiner, wie alles geschah. Der Profos hielt plötzlich ein Tauende in der Hand. Dan war nicht schnell genug, und Carberry fetzte ihm eins über den Achtersteven, daß Dan vor Schreck einen gewaltigen Luftsprung vollführte. Er stieß dabei ebenfalls einen Schrei aus, der seinen Schmerz, seine Wut und seine Überraschung ausdrückte. Dann rannte er los, der Profos tampenschwingend hinter ihm her. Und ehe es Dan gelang, aufzuentern, zog er ihm noch eins über, daß Dan O’Flynn vor Schmerz das Wasser in die Augen schoß, während er verzweifelt nach Luft schnappte. „Dir ziehe ich die Haut in Streifen von deinem Affenarsch, wenn du noch einmal abenterst, ehe ich es dir befehle, du Kombüsenkakerlake!“ Ben Brighton und Ferris Tucker sausten zur Schmuckbalustrade. So hatten sie den Profos noch nie erlebt. Und durch die Männer ging es wie ein Aufatmen, denn
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mit einem Schlag war die ganze beklemmende Stille wie weggewischt. Aber die Erleichterung sollte nicht anhalten. Denn in den nächsten Minuten zeigte sich bereits, wie berechtigt der Wutausbruch Carberrys gewesen war. * Durch die „Isabella“ ging plötzlich ein Ruck. Das Schiff schoß vor, gleichzeitig knallte die schwere Schlepptrosse auf das Achterdeck, und Ben Brighton und der Schiffszimmermann konnten von Glück sägen, daß sie nicht mehr neben dem Ruderhaus standen. Sie hörten, wie Smoky einen wilden Fluch ausstieß, und spürten, wie die „Isabella“ aus dem Ruder lief. Wie der Blitz sausten Ferris Tucker und Ben Brighton zum Schanzkleid nach achtern. Sie kriegten gerade noch mit, wie das Totenschiff ebenfalls herumschwang und aus ihrem Kielwasser ausbrach. „Die Schlepptrosse, Ferris, sie ist gebrochen, sie ...“ „Gebrochen, Ben? Du spinnst wohl, bei dem Wetter bricht die nicht, niemals, die hat jemand gekappt, oder der Kahn da drüben ist so morsch, daß sie den ganzen Festmacher herausgerissen hat. Verdammter Mist, alle Mann an die Brassen, klar zur Wende!“ brüllte Tucker. Die Männer flitzten los, aber die „Isabella“, von ihrer Schlepplast endlich befreit, war schon weit von dem Totenschiff entfernt. Das würde eine Sauarbeit werden, bis sie den Kahn wieder am Haken hatten. Carberry war verstummt. Neben Matt Davies und Luke Morgan stand er auf dem Geschützdeck und starrte zu dem Schiff hinüber, auf dem er Hasard und die Rote Korsarin wußte. „Da stimmt was nicht, Ed!“ sagte Matt Davies. „So läuft der Kahn niemals aus dem Ruder, wenn Siri-Tong oder gar der Seewolf am Ruder steht. Ich fresse mein altes Hemd, daß da etwas nicht stimmt. Da können zehn Trossen auf einmal brechen,
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aber so verrückt würde sich ein Schiff, das Hasard steuert, nie benehmen!“ Matt Davies hatte verdammt recht, nur er wußte es noch nicht. * Siri-Tong und der Seewolf hörten den peitschenden Knall, mit dem die Schlepptrosse riß. Der Seewolf zuckte zusammen, mehr war für ihn nicht mehr drin. Er sah die Gestalten, die plötzlich über Deck huschten, dunkle, geschmeidige Wesen, die mit der Dunkelheit und den Schatten eins zu sein schienen. Woher sie plötzlich auftauchten, wußte später keiner mehr von ihnen. Siri-Tong gelang es nicht einmal mehr, ihren Degen zu ziehen. Eine der Gestalten zog ihr eins über den Schädel, und die Rote Korsarin krachte an Deck. Hasard ließ das Ruder sausen und wollte nach seinem Entermesser greifen, aber da umschlangen auch ihn schon braune, glatte Arme. In seinem Schädel explodierte etwas, dann wußte auch er nichts mehr. Die „Esmeralda“ mit ihrer grausigen Fracht lief aus dem Kurs. Sie schwang nach Backbord herum, während sich ihre Fahrt rapide verlangsamte. Nackte Fußsohlen tappten über Deck, zerrten die beiden Bewußtlosen hinter sich her und warfen sie in eins der Auslegerboote, wo sie geschickt aufgefangen wurden. Noch einmal starrten schwarze Augen an Deck der „Esmeralda“, an dem Siri-Tong und Hasard nichts verändert hatten. Sekunden später legte das Boot ab und verschwand in der Nacht. Ein Schatten nur, als es die glitzernde Bahn des kaltweißen Mondlichts durchquerte, die sich zwischen dem Totenschiff und der „Isabella“ spannte. Ein Spuk nur, aber Ben Brighton sah den Schatten doch. Ebenfalls Dan, anschließend schien sich alles in Luft aufzulösen. Kein Siegesgeschrei, kein Geräusch von Rudern, nichts. Das unheimliche Boot verschwand und mit ihm der Seewolf und die Rote Korsarin. Zurück blieb das in der
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See treibende Totenschiff, auf dem in diesem Moment die ersten Flammen emporzüngelten, schnell Nahrung fanden und schließlich an den Schanzkleidern und den Masten emporleckten, angefacht vom immer noch kräftig wehenden Wind. Schwarze Augen starrten die beiden Weißen voller Haß an, während zwei der Krieger ihnen Hände und Füße zusammenbanden. * Die Seewölfe bemerkten das Feuer, das auf dem Totenschiff emporleckte, sofort. Zunächst standen sie wie erstarrt, aber dann begannen sie zu brüllen. Sir John, der karmesinrote Papagei aus dem Amazonas, rutschte vor Schreck von seiner Rah und flatterte unter mordsmäßigem Gezeter an Deck. Arwenack sauste wie von Sinnen auf die Back und bleckte die langen gelben Zähne. Er spürte, daß ihnen allen jetzt Schlimmes bevorstand. Erst die Donnerstimme Carberrys schaffte wieder einigermaßen Ordnung. „An die Brassen mit euch, verdammte Bande!“ brüllte er. „Ein paar Mann nach Steuerbord, ein Boot abfieren. Und beeilt euch. Wenn der Seewolf und Siri-Tong noch an Bord von diesem - diesem Mistkahn da drüben sind, bewußtlos vielleicht, dann verbrennen sie. Himmelarschundsegelgarn — was ist das für eine lausige, verfluchte Nacht!“ Die „Isabella“ schwang herum, die Seewölfe schufteten wie verrückt, das Boot klatschte ins Wasser und wurde bemannt. Carberry, Batuti, Ferris Tucker, Matt Davies, Stenmark, Pete Ballie, der bei dem Lärm fast aus seiner Koje gefallen war, und Jeff Bowie sprangen hinein. Dann legte das Boot auch schon ab und hielt auf das brennende Totenschiff zu. Deutlich war das Prasseln der Flammen zu hören, die der Wind mehr und mehr anfachte. Der Fockmast stand bereits in Flammen, an Steuerbord brannte es überall, und das Schiff rollte in der langen Dünung, die den Männern das Pullen erheblich erschwerte.
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Keiner sprach ein Wort, aber alle fragten sich, wie es möglich gewesen war, daß sich der Seewolf und die Rote Korsarin so total hatten überrumpeln lassen. Sie konnten nicht wissen, wie und wozu Arkana die fünf Jahre genutzt hatte, die zwischen ihrer damaligen ersten Begegnung mit der Schlangenpriesterin und dieser Nacht lagen. Sie erreichten die „Esmeralda“, als die „Isabella“ erst langsam und in einem großen Bogen herumschwang und dann auf das Totenschiff zuglitt. Carberry sprang an Bord. „Ferris, Batuti, Pete — ihr begleitet mich. Die anderen bleiben im Boot“, stieß er noch hervor, dann schwang er sich auch schon übers Schanzkleid, das lange Entermesser in der Faust. Ferris Tucker folgte ihm mit seiner riesigen Axt, Batuti mit dem Morgenstern und Pete Ballie mit seinen beiden Fäusten, groß und schwer wie Ankerklüsen. Carberry und seine Gefährten blickten sich wild um. Sie kochten alle vor Zorn, alles, was sie in den vergangenen Stunden gedacht, gefühlt, unterdrückt hatten, brach sich jetzt Bahn. Aber da war niemand mehr. Nur die Toten. Kein Seewolf, keine Siri-Tong, nichts. Nur die Toten und die prasselnden Flammen. „Matt, Jeff!“ brüllte Tucker. „Rauf mit euch. Wir müssen den Kahn durchsuchen. Wenn Siri-Tong und Hasard da unten irgendwo stecken ...“ Ein eisiger Schauer lief ihm bei diesem Gedanken über den Rücken. Wie lange hatten sich die Unbekannten denn schon an Bord des Totenschiffes befunden? Hatten sie den Seewolf und die Rote Korsarin überwältigt, das Ruder übernommen und die beiden dann umgebracht? Vielleicht auf eine ähnliche Art, wie die Spanier die Indianermädchen? Der rothaarige Hüne spürte, wie sein Magen zu revoltieren begann. Er stoppte Carberry, der an ihm vorbei wollte. „Ed, das müssen Indianer gewesen sein, Schlangenkrieger vielleicht. Sie müssen uns schon länger beobachtet haben. Aber Arkana hätte den Seewolf doch nie ...“
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Ed starrte den Schiffszimmermann an. „Sie war’s bestimmt nicht. Und die anderen kennen den Seewolf nicht und Siri-Tong erst recht nicht. Los, suchen wir, dieser Kahn brennt uns sonst noch unter dem Hintern weg oder fliegt sogar in die Luft, falls er noch Pulver an Bord hat ...“ Carberry hatte das kaum ausgesprochen, da zerfetzte eine donnernde Explosion auch schon das Achterschiff. Ein Teil der Decksplanken wirbelten empor, eine riesige Stichflamme stieg in den Nachthimmel. Die Wucht der Explosion schleuderte die Männer an Deck, der Besan des Totenschiffes schoß wie eine riesige, brennende Lanze in die Nacht und klatschte ins Meer. Benommen richtete sich Ferris Tucker auf, stemmte sich auf die Ellenbogen hoch und griff nach seiner Axt. Er packte den neben ihm liegenden Carberry. „Weg, rasch, der Kasten kann jeden Moment auseinanderfliegen, das Feuer hat nur einen Teil des Pulvers gezündet, sonst ...“ Carberry stöhnte, sein Gesicht war blutverschmiert. Aber dann wurde ihm klar, in was für einer Lage sie sich befanden. „Batuti, Pete, Matt, Jeff, Stenmark!“ brüllte Ferris Tucker. Bis auf Pete Ballie meldeten sich alle, Stenmark unten aus dem Boot. „Leg ab, Stenmark!“ rief der Schiffszimmermann ihm zu. „Springt über Bord, verdammt, beeilt euch!“ „Und Pete?“ Matt Davies war es, der die Frage stellte. „Ich suche ihn, haut ab ihr anderen!“ Tucker sprang auf und jagte los. Carberry ließ sich nicht abschütteln und die anderen auch nicht. Sie stürmten über die Decks und verteilten sich, aber Pete Ballie fanden sie nicht. Die Flammen begannen das Schiff einzuhüllen. Rauch zog über die Decks, und auch aus dem Achterschiff leckten lange Flammenzungen empor.
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Die „Esmeralda“ begann, langsam, zunächst, dann jedoch immer schneller, über das Heck wegzusacken. Ferris Tucker blieb schweratmend stehen. Der Rauch trieb ihm das Wasser in die Augen, er begann zu husten. Verdammt, er mußte Pete finden, er... Matt Davies brüllte in diesem Moment auf. „Hier, im Niedergang! Ich hab ihn! Die Explosion muß ihn da reingehauen haben!“ Ferris rannte los, er stieß fast mit Batuti und dem Profos zusammen, die den Ruf ebenfalls vernommen hatten. „Los, hoch mit ihm!“ kommandierte Carberry, packte zu und riß ihn an Deck. Pete rührte sich nicht mehr. Es blieb ihnen auch keine Zeit, ihn zu untersuchen, sie mußten weg von den Flammen und dem sinkenden Schiff. Gemeinsam schleppten Tucker und Carberry Pete Ballie zum Schanzkleid. In einiger Entfernung sahen sie auch das Boot mit Stenmark. „Springen, Pete nicht loslassen!“ befahl Carberry wieder und sprang. Zwischen dem Schiffszimmermann und dem Profos klatschte Pete Ballie in die See, neben ihnen Batuti, Matt Davies, Jeff Bowie. Stenmark hatte eine Fackel entzündet, gleichzeitig bemühte er sich, das Boot auf seine Gefährten zuzupullen. Minuten später befanden sie sich wieder an Bord, und der Schiffszimmermann begann sofort, Pete Ballie zu untersuchen. „Er lebt, aber er ist bewußtlos, der Kutscher muß sich um ihn kümmern. Los, weg hier!“ Sie begannen zu pullen. In diesem Moment zerriß eine zweite Explosion die Nacht. Das Achterkastell des Totenschiffes zerbarst, die „Esmeralda“ sackte weg. Das Heck tauchte ein, während der Rumpf jetzt einer gigantischen Fackel glich. Der Bug richtete sich steil in den Himmel, gleich darauf war das Schiff verschwunden. Trümmer schossen an die Oberfläche, einmal glaubten die Seewölfe, eine der toten Schlangenkriegerinnen auftauchen zu sehen. Und ihnen war, als winke sie ihnen zu.
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Die Seewölfe pullten wie verrückt. Da begann sich Pete Ballie wieder zu regen. „Verdammter Dreckskahn!“. stieß er hervor und richtete sich auf. Er sah sich wild um. „Wo ist er, Ed, Ferris, Matt, wo ist dieses Drecksschiff? Und wo sind Hasard und Siri-Tong? He, wo sind die beiden?“ Tucker sah den Rudergänger an. „Das Totenschiff ist weg, auseinandergeflogen und abgesoffen, Pete“, sagte er rauh, und jedermann an Bord des Bootes hörte seiner Stimme an, was er dachte. „Wir mußten die Suche abbrechen, Fete, dich haben wir gerade noch gepackt. Die Explosion hatte dich in einen Niedergang gehauen. Mehr konnten wir nicht tun, Pete.“ Schweigen herrschte im Boot. Die „Isabella“ nahm sie eine halbe Stunde später wieder an Bord. Düstere, fragende Gesichter starrten sie an, als die Männer entdeckten, daß der Seewolf und Siri-Tong sich nicht unter den Geretteten befanden. Wo waren sie? Was war mit ihnen geschehen? Ben Brighton beriet sich mit Carberry, Big Old Shane, Smoky und Ferris Tucker. „Wenn es Araukaner waren, die das Schiff überfallen haben, dann sollten wir so schnell wie möglich zur. Mocha-Insel segeln. Denn dann kann uns nur noch Arkana oder der Häuptling der Araukaner helfen.“ „Sie müssen doch sehen, daß Hasard das Schlangenarmband trägt. Die müssen doch einfach erkennen, wen sie vor sich haben, Ben“, sagte Smoky. Old Shane sah ihn an. „Die Schlangenkriegerinnen an Bord des Spaniers hatten solche oder zumindest ähnliche Armreifen auch. Sie lagen an Bord herum. Nein, das wird Hasard wenig helfen, wenn ihr mich fragt, denn die Araukaner, wenn sie ihn gefangengenommen haben, werden ihm den Armreif abnehmen, weil sie glauben, daß er ihn einem der toten Mädchen gestohlen hat. Nein, ich glaube ...“ Batuti drängte sich zwischen sie.
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„Nein, sein falsch, Old Shane. Ganz falsch. Batuti haben gesehen - Armreif von Seewolf anders, größer, Schlangen grüne Augen, andere nicht, Batuti gesehen. Araukaner das merken, bestimmt, nix morden Hasard und Siri-Tong!“ Ben sah den Schwarzen eine Weile an. „Batuti hat recht, ich entsinne mich jetzt auch! Doch, er hat recht! Wir segeln zur Mocha-Insel. Sofort die englische Flagge setzen, die Araukaner müssen erkennen, daß wir keine Dons sind!“ Das Boot wurde an Bord gehievt, dann trieb Carberry die Männer unbarmherzig an die Brassen. Er selbst war sich gar nicht so sicher, daß Hasard und die Rote Korsarin noch lebten. Aber er schwieg. Und die anderen, die ähnliche Befürchtungen hegten, schwiegen ebenfalls. „Zur großen Bucht im Norden“, ordnete Ben Brighton an. Und im selben Moment kam es ihm vor, als habe er das Urteil über Schiff und Besatzung gesprochen. Der alte O’Flynn humpelte über Deck. Bei Will Thorne und Al Conroy blieb er stehen. „Jetzt werden uns die armen Seelen dieser toten Mädchen verfolgen“, sagte er. „Paßt auf, wenn ihr Irrlichter an Deck seht, berührt sie bloß nicht. Ich kenne das, damals auf der alten Lady Ann ...“ Al Conroy trat hart an ihn heran. „Hör zu, Old O’Flynn, vielleicht hast du in vielem recht, vielleicht weißt du wirklich mehr über diese Dinge als wir, aber jetzt, jetzt hältst du gefälligst dein verdammtes Maul wie jeder andere, hast du das kapiert?“ Old O’Flynn klappte den Mund auf und wieder zu. So hatte er den sonst so ruhigen Al Conroy, den Stückmeister der „Isabella“, noch nie reden gehört. „Ist ja schon gut, Al“, lenkte er sofort ein. „In einer Nacht wie dieser, da können einem alten Mann ja schon mal die Nerven durchgehen, oder nicht? Wäre Hasard doch nie an Bord dieses verfluchten Totenschiffes gegangen. Wir hätten den Kahn gleich versenken sollen, als wir wußten, was mit ihm los war. Totenschiffe nimmt man nicht in Schlepp, und schon
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gar nicht in einer Mondnacht wie dieser. Aber auf mich hört ja keiner!“ Der alte O’Flynn verschwand. Sein Holzbein klapperte im Takt über die Planken. Al Conroy wollte aufbrausen, aber Will Thorne hielt ihn zurück. „Laß ihn, das ist die Art des Alten, seinen eigenen Kummer zu. verbergen. Ich kenne ihn. Er sorgt sich um Hasard und die Korsarin. Er ist ein ganz famoser Bursche, genau wie Dan. Diese Nacht hat jeden von uns geschafft, jeden!“ Die „Isabella“ näherte sich der MochaInsel. Immer deutlicher trat die Insel aus der See hervor. In ein bis zwei Stunden würden sie die Bucht im Norden der Insel erreichen. Aber das alles interessierte jetzt keinen der Seewölfe. Stattdessen brannte allen die Frage auf der Seele: Wo waren Siri-Tong und der Seewolf? Lebten sie überhaupt noch? Bill hatte sich in die Back verkrochen, Tränen rannen ihm über die Wangen. Carberry fand ihn dort. So behutsam, wie man es dem bulligen, harten Profos niemals zugetraut hätte, nahm er den Jungen hoch. „Na, Bill, was ist denn das?“ fragte er leise. „Du bist doch inzwischen ein Mann, einer von uns Seewölfen! Also, ich will nichts gesehen haben, Junge. Den Seewolf finden wir wieder und Siri-Tong auch. Und nun hör auf zu weinen, los, in den Fockmars mit dir! Und halte mir ja die Augen auf, klar?“ Er strich dem Jungen mit seiner riesigen Pranke über das Haar, dann gab er ihm einen Klaps und scheuchte ihn in die Wanten des Fockmastes. An der Kimm erschien die erste Morgendämmerung. Die Konturen der Mocha-Insel hoben sich mit jeder Minute, die verstrich, immer schärfer gegen den Himmel ab. 5. Irgendetwas in dieser Nacht war anders als sonst. Capitan Alvarez spürte die Unruhe in sich ständig größer werden. Unruhig wanderte er auf dem Achterdeck auf und
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ab, seit die „Hispaniola“ in der Todesbucht Anker geworfen hatte. Capitan Alvarez hatte so etwas noch nie erlebt — und dann zuckte er plötzlich zusammen. Ruckartig blieb er stehen und horchte zur Insel hinüber. Der Himmel zeigte erste feine Streifen der beginnenden Morgendämmerung, „Trommeln!“ murmelte er. Wieder, lauschte er. Ganz deutlich vernahm er das rhythmische Trommeln, das von der Insel zu ihm herüberdrang. Der Kapitän der „Hispaniola“ erschien ebenfalls an Deck. Neben Alvarez blieb er stehen, und eine Weile lauschte auch er. „Das bedeutet nichts Gutes“, sagte er schließlich in die Stille hinein. „Ich fürchte, das sind Kriegstrommeln, Senor Capitan.“ Alvarez schwieg nach diesen Worten eine Weile. Kapitän Ortega war ein erfahrener Mann, auf dessen Urteil er viel gab. „Irgendeine Schweinerei muß da passiert sein. Ich habe schon lange die Befürchtung gehegt, daß dieser verdammte de Montoya eines Tages etwas tun würde, was den mühsam errungenen Frieden zwischen uns und den Araukanern wieder zerstört.“ Wieder schwieg er einen Moment und lauschte. Das Trommeln auf der Insel war lauter geworden, bedrohlicher. „Mir ist diese Stille im Tempelbezirk von Imperial schon so merkwürdig erschienen. Vielleicht hätten wir doch weiter vordringen und uns genauer umsehen sollen. Aber wer soll dort etwas angestellt haben? Schließlich ist mit den Schlangenkriegerinnen von Arkana nicht zu spaßen!“ Der Kapitän trat näher an Alvarez heran. „Das ist genau der Punkt, der mir Sorge bereitet, Senor. Sie wissen doch, wie verrückt der Gouverneur in Valparaise nach hübschen Indianerinnen ist. Ich habe auch gerüchtweise gehört, daß er sich an den Alkalden gewandt habe mit dem Wunsch, ihm derartige ‚Ware’ zu besorgen.“ Das Wort Ware betonte der Kapitän auf eine Weise, daß Alvarez zusammenzuckte. „Sie wissen aber, Senor, daß gerade die Schlangenkriegerinnen
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Arkanas ausgesucht hübsche und intelligente Indianerinnen sind. Es lag also nahe, diesen Versuch zu unternehmen.“ Capitan Alvarez krampfte die Hände zusammen. „Mein Gott, Madre de Dios, warum sagen Sie mir das erst jetzt, Kapitän? Wir hätten Arkana warnen müssen. Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet, wenn sich irgend so ein Dreckskerl an ihren Schlangenkriegerinnen vergriffen haben sollte? Und natürlich konnte er sie überlisten, denn es herrschte ja Friede zwischen uns und den Araukanerinnen.“ Alvarez atmete schwer. Seine hagere Gestalt straffte sich. „Wenn etwas Derartiges geschehen sein sollte, dann werde ich Montoya zur Verantwortung ziehen, Kapitän. Ich lasse ihn öffentlich hängen, gleichgültig, wie die spanische Krone dazu steht. Ich will nicht zu einem Haufen von Bestien gehören. Ich bin Spanier, Senor Ortega, aber weiß der Himmel, ich bin nicht mehr stolz darauf, einer zu sein.“ Wieder schwieg Capitan Alvarez eine Weile. Dann trat er ganz dicht an seinen Kapitän heran. „Ich weiß, daß der Alkalde sich eine geheime Streitmacht aufgebaut hat. Und ich weiß auch warum. Wenn er wirklich so wahnsinnig gewesen sein sollte, Hand an die Araukaner - oder schlimmer noch an die Schlangenkriegerinnen zu legen, dann herrscht Krieg zwischen uns und Arkana. Dann ist Valdivia verloren. Ich kann dann nur noch eins tun: mit Arkana verhandeln, daß sie die Frauen und Kinder in Valdivia verschont, ihr klarmachen, daß sie nicht alle Spanier über einen Kamm scheren darf. Aber ich weiß nicht, ob sie auf mich hören wird.“ Alvarez führ sich mit der Hand über die Stirn. Das Trommeln war noch lauter, noch bedrohlicher geworden. Er. sah Kapitän Ortega fest an. „Ich muß Sie etwas fragen, Senor Ortega: Werden Sie zu mir halten, oder werden Sie sich gegen mich stellen? Was ich tun werde und tun muß, falls der Alkalde ein Schweinerei angezettelt hat, ist im Sinne
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der spanischen Krone glatter Hochverrat. Sie sind der Kapitän dieses Schiffes, Senor, wie lautet Ihre Antwort?“ Der Kapitän atmete schwer. „Ich werde zu Ihnen halten, Senor Alvarez“, sagte er dann. „Ich stelle jedoch die Bedingung, daß wir gemeinsam eine strenge Untersuchung gegen den Alkalden durchführen, ehe das Urteil über ihn gefällt wird. Alles wird protokollarisch festgehalten. Ich werde später auch in Spanien vertreten, was ich getan habe. Ich habe die Araukaner kennengelernt, wir können auf Dauer in der Neuen Welt nur existieren, wenn wir friedlich mit den Eingeborenen leben. Ich werde mich nicht dazu hergeben, Krieg gegen ein kluges und intelligentes und mutiges Volk zu führen, nur damit sich ein paar Bonzen die Taschen weiterhin vollstopfen. Ich werde das auch unabhängig von Ihnen Arkana sagen, sobald ich sie zu Gesicht kriege.“ Capitan Alvarez streckte dem Kapitän die Hand hin. „Ich danke Ihnen, Senor. Ich wußte immer, daß Sie ein Mann sind, der zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden weiß. Sobald es hell ist, werden wir aufbrechen und versuchen, die Schlangenpriesterin zu finden, um zu erfahren, was geschehen ist. Es darf nicht zum Krieg kommen, das würde viel Blut kosten ...“ Die beiden Männer zuckten zusammen. Aus weit aufgerissenen Augen starrten sie auf die dunklen Gestalten, die plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihnen standen. Allen voran ein hochgewachsenes, schlankes Mädchen, das im Haar einen Schlangenreif trug, dessen Gold und Edelsteine im Mondlicht und der beginnenden Morgendämmerung funkelten. Lautlos, geschmeidig trat sie auf Alvarez und Ortega zu, während die anderen Krieger hinter ihr zurückblieben, ihre Waffen aber unmißverständlich bereithielten. Gleichzeitig sorgten sie dafür, daß kein Mann der spanischen Besatzung zum Achterdeck vordringen konnte, denn die Wachen hatten die Araukaner jetzt ebenfalls bemerkt und
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starrten unschlüssig zum Achterkastell hinüber. Sie wußten nicht, was sie von der ganzen Sache zu halten hatten. Besuche der Araukaner an Bord der. „Hispaniola“ hatte es schon oft gegeben, aber noch nie um diese Zeit und noch nie unter solchen Umständen. Arkana, die einen großen Bogen in der Hand hielt, auf dem schußbereit ein Pfeil lag, blieb vor Capitan Alvarez stehen. „Zu spät“, sagte sie, und ihre Stimme hatte einen dunklen Klang. „Zwischen uns und euch herrscht Krieg. Eins eurer Schiffe hat unseren Tempelbezirk hei Imperial überfallen und meine Schlangenkriegerinnen, die beim nächsten Mond die Kriegerweihe erhalten sollten, entführt, indem sie plötzlich über die arglosen und wehrlosen Mädchen herfielen.“ Die beiden Spanier erblaßten. „Arkana, weißt du das wirklich ganz genau, bist du ...“, würgte Alvarez hervor. Die Schlangenpriesterin nickte nur kurz. „Ich habe euer Gespräch belauscht, Capitan. Ich weiß daher, daß dich an diesem Überfall keine Schuld trifft. Wäre es anders, hätten wir euch alle längst getötet. Ihr hattet Glück, daß ich euer Gespräch belauschen und auch verstehen konnte, weißer Häuptling.“ Sie stand reglos vor den beiden Spaniern. „Und was ist aus den entführten Kriegerinnen geworden, Arkana?“ fragte der Kapitän der „Hispaniola“. Arkana sah ihn aus ihren dunklen Augen an. „Wir wissen es nicht, noch nicht. Denn das Schiff segelte mit den Mädchen an Bord davon. Aber drei Kriegerinnen hatten sich gewehrt, als man sie auf euer Schiff verschleppen wollte. Sie waren vorzeitig wieder aus ihrer Betäubung erwacht ...“ „Betäubung?“ fragte Alvarez und spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. „Sie hatten die Kriegerinnen zu einem Fest eingeladen. Wahrscheinlich haben eure Männer dem Wein ein Betäubungsmittel beigemischt, anders wäre es ihnen auch nie gelungen, meine Kriegerinnen zu überwältigen. Aber die drei, die sich wehrten, wurden getötet. Eine vierte
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entkam, schwer verwundet allerdings. Aber sie erreichte unser Dorf und berichtete, was geschehen war. Ich brach mit meinen Kriegern sogleich nach Imperial auf – wie ihr diesen Ort nennt. Zu spät, sie waren fort, die Tempel leer und geplündert, geplündert, weißer Häuptling!“ Tiefe Verbitterung schwang in der Stimme Arkanas mit, und ihre Krieger hoben drohend ihre Waffen, aber mit einer einzigen Handbewegung stoppte Arkana sie. Capitan Alvarez stand wie betäubt. Seine Gedanken und Empfindungen überschlugen sich in diesem Moment. Nur mühsam begriff er die ganze schreckliche Wirklichkeit, und Senor Ortega erging es nicht anders. „Hat eins der Mädchen, hat das Mädchen, das entkam, sich den Namen des Schiffes merken können, Arkana?“ fragte er schließlich. Die Schlangenpriesterin nickte. „Es heißt ,Esmeralda’, und der Kapitän nannte sich Senor Cervantes. Kennst du ihn?“ Capitan Alvarez verlor auch noch den Rest seiner Farbe. Totenbleich starrte er die Araukanerin an. „Ja, ich kenne ihn, Arkana. Ein wahrer Teufel, eine Bestie in Menschengestalt. Laß mich aus dieser Bucht auslaufen, ich werde diesen Kerl jagen, ich werde deine Kriegerinnen befreien. Aber wir müssen uns beeilen, wir ...“ Weiter gelangte er nicht. Denn in diesem Moment umrundete ein anderes Schiff die Landzunge der Todesbucht, die ein Stück ins Meer hinausragte. Es hatte schon einen Teil seiner Segel geborgen und schien in der Bucht ankern zu wollen. Alvarez behielt in diesem Moment klaren Kopf. Er wußte, daß die Wachen seine Männer an Deck pfeifen würden und gleich der Teufel los sein würde. „Kapitän, sorgen Sie dafür, daß unsere Männer sich ruhig verhalten. Zwischen den Araukanern und uns darf es zu keinerlei Mißverständnissen kommen. Trotzdem die Geschütze gefechtsklar machen lassen - ich hoffe, du wirst uns das nicht verweigern, Arkana?“ fragte er die Schlangenpriesterin.
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Arkana starrte dem einlaufenden Schiff entgegen. „Engländer!“ stieß sie dann plötzlich hervor. „Das sind Männer aus jenem Land, wie sie schon einmal auf Mocha waren und uns halfen! Weißer Häuptling, ich werde dir nicht erlauben,. auf sie schießen zu lassen!“ Alvarez kniff die Augen zusammen und erkannte ebenfalls die englische Flagge, die im Großtopp des fremden Seglers flatterte. Er stieß eine Verwünschung aus. „Du kannst uns nicht hindern, mit ihnen zu kämpfen, Arkana! Sie sind unsere Feinde! Wenn wir nicht schießen, dann werden sie uns vernichten!“ Gleichzeitig wurde Alvarez bewußt, in was für einer schlimmen Lage sich seine „Hispaniola“ befand, obwohl sie größer und wahrscheinlich auch besser bewaffnet war als der Engländer. Sie lagen vor Anker, den Bug auf die Einfahrt der Bucht gerichtet. Sie konnten nicht einmal feuern, bevor sie das Schiff gedreht hatten. Dann die Araukaner an Bord - zum Teufel, das war eine ganz verdammte Situation. Arkana bestätigte in diesem Moment seine schlimmsten Vermutungen. Sie rief einen Befehl in die Dämmerung, und plötzlich wimmelte es an Bord der „Hispaniola“ nur so von araukanischen Kriegern, die sofort alle wichtigen Punkte auf dem Schiff besetzten. Die Überrumpelung gelang vollständig, denn darauf war keiner der Spanier gefaßt gewesen. Die Araukaner mußten sich im Wasser irgendwo verborgen gehalten haben. Arkana sah Alvarez aus funkelnden Augen an. „Du siehst, weißer Häuptling, ich kann dich hindern, auf unsere Freunde zu schießen. Ich kann noch viel mehr, zwinge mich nicht, es dir zu beweisen! Aber ich werde auch die anderen daran hindern, dich und deine Männer zu vernichten. Verhaltet euch ruhig - oder ihr sterbt alle!“ Arkana wandte sich ab, rief abermals ein paar Worte in die Dämmerung und sprang dann über Bord. Capitan Alvarez und sein
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Kapitän sahen noch, wie sie tauchte, dann war sie verschwunden. Die beiden Spanier starrten sich an. Sie konnten es einfach noch nicht fassen. Und der Engländer glitt immer weiter in die Bucht. Er mußte sie jeden Moment entdecken. Und dann?“ Kapitän Ortega ermahnte seine Männer, die Ruhe zu bewahren - und dann sahen sie es. Der Engländer schwang plötzlich herum und drehte ihnen die Breitseite zu. „Verdammt, die Kerle werden uns in Grund und Boden schießen!“ stieß Kapitän Ortega erbittert hervor. Aber die Araukaner hoben nur drohend die Waffen, hielten die Niedergänge besetzt und ließen seine Männer nicht an Deck. * Die Seewölfe hatten das fremde Schiff sofort beim Einlaufen in die Bucht gesehen. Vorher war das nicht möglich gewesen, weil die Landzunge, die sich ziemlich hoch aus der See erhob, die Sicht auf die Bucht verdeckt hatte. Ben Brighton und Ed Carberry sagten es zur selben Zeit: „Verdammt, ein Don!“ Die beiden Männer starrten sich für ein paar Sekunden an. „Und was für einer!“ setzte Ben Brighton hinzu, während Ed Carberry bereits die Initiative ergriff. „Klar Schiff zum Gefecht!“ brüllte er, und die Männer sausten an die Geschütze. Ferris Tucker und Al Conroy übernahmen zusammen ganz automatisch den Befehl über das Geschützdeck, der eine an Backbord, der andere an Steuerbord. Smoky kommandierte die Männer an den Brassen, denn auf blitzschnelle Manöver kam es jetzt besonders an. Carberry stieß sein Rammkinn vor. „Die Kerle da drüben scheinen zu schlafen!“ Er sah Ben Brighton an. „Im Moment können die uns nicht gefährlich werden, die müssen ihren Kahn erst in Schußposition bringen!“ Ben Brighton hatte das auch bereits gesehen. Er zögerte. Es war einfach nicht seine Art, einen völlig wehrlosen Gegner,
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der zudem noch vor Anker lag, einfach zusammenzuschießen. Zudem war es bis jetzt auch nur eine Vermutung, daß sie es mit einem Spanier zu tun hatten. Eine Flagge führte das Schiff nicht. „Verdammt, Ben, auf was wartest du?“ fragte Ed Carberry. „Willst du den Kerlen da drüben erst Gelegenheit geben, uns ein paar Löcher in den Rumpf zu stanzen?“ „Das Schiff drüben bewegt sich nicht, Ed. Ehe ich nicht deutlich erkennen kann, daß die Mannschaft es in Schußposition bringt, eröffne ich nicht das Feuer! Vergiß nicht, daß wir uns im Gebiet der Araukaner befinden! Laß die ‚Isabella’ drehen und die Steuerbordgeschütze ausrennen! Drehbassen besetzen, dann werden wir sehen, was da drüben passiert!“ Carberry warf Ben Brighton einen schiefen Blick zu. Aber er begriff, was in dem ersten Offizier der „Isabella“ in diesem Moment vorging. Sie hatten das Auslegerboot gesehen, das von dem verdammten Totenschiff abgelegt hatte und dann in der Dunkelheit verschwunden war. Ed Carberry klammerte sich an diesen Strohhalm genauso wie die anderen Männer der „Isabella“. Immerhin bestand die Möglichkeit, daß die Angreifer Hasard und die Rote Korsarin überwältigt und dann mitgenommen hatten. Schließlich waren die beiden die einzigen lebenden Wesen an Bord der „Esmeralda“ gewesen. Wahrscheinlich wollte Ben Brighton keine unnötigen Konflikte heraufbeschwören. Wie allerdings das Verhältnis zwischen Spaniern und Araukanern sein mochte, das war ihm ein Rätsel. Das, was sie auf dem Totenschiff vorgefunden hatten, sprach absolut nicht für Frieden. Die in der Bucht arglos ankernde Galeone, falls es sich um ein spanisches Schiff handelte, hingegen doch. Ben hatte recht, sie mußten abwarten. Carberry wandte sich ab. „Ich enter mal in den Großtopp auf, Ben. Dan ist zwar mit Bill dort oben, und im Vortopp sitzt Gary Andrews, aber ich will selber sehen, was sich da drüben auf dem Spanier tut. Verflixt, es ist noch zu dunkel,
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sonst hätte Dan mit seinen Adleraugen bestimmt schon etwas gesehen!“ Ben Brighton nickte. Es war gut, wenn der Profos sich einen Überblick verschaffte. Er wandte sich an Pete Ballie, der inzwischen das Ruder wieder übernommen hatte. „Abfallen, Pete, wir holen uns den Kahn da drüben vor die Steuerbordgeschütze, sicher ist sicher!“ Pete Ballie nickte. „Beschissen das alles!“ sagte er dann mit Nachdruck. Wie allen, war ihm die Laune gründlich vergangen. Das ungewisse Schicksal des Seewolfs und der Roten Korsarin ging ihm an die Nieren. Die „Isabella“ schwang herum, Smokys Kommandos schallten über Deck, aber sie waren im Grunde genommen völlig überflüssig, denn die Männer an den Brassen wußten auch ohne sie genau, was sie zu tun hatten. Die brennenden Lunten glühten zu Ben Brighton hinauf. Ferris Tucker war mit dem Ausrichten der Geschütze beschäftigt, Al Conroy starrte Ben Brighton fragend an. „Steuerbordbatterie feuerbereit!“ ertönte die knappe Meldung Tuckers wenige Augenblicke später über Deck. „Feindliches Schiff liegt voll im Visier!“ „Nur auf mein ausdrückliches Kommando feuern!“ rief Ben Brighton. Dabei ließ er das fremde Schiff nicht aus den Augen. Aber da drüben rührte sich immer noch nichts. „Ed, Dan, was ist los mit den Kerlen da hinten?“ brüllte er zum Großtopp hoch. Trotzdem dauerte es einige Sekunden, ehe die gewaltige Stimme Carberrys ihm antwortete. „Weiß der Teufel, Ben. Wir können zwar ein paar Figuren erkennen, die an Deck stehen, aber niemand dort bewegt sich. Und wie Dons sehen die Burschen auch nicht aus. Aber es ist noch zu dunkel, nicht einmal Dan kann ...“ „Achtung Ed, da!“ unterbrach Dan O’Flynn den Profos. „Verflucht, da ist jemand an Bord geentert. Carberry beugte sich über die Segeltuchverkleidung. Und auch er sah die
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schlanke Gestalt, die in diesem Moment die Stufen zum Achterkastell hinaufjagte. „Ben, Achtung, es ...“ Ben zog seine Pistole. Er fragte nicht lange, sondern begriff, daß er in Gefahr war. Ein paar Seewölfe stürmten nach achtern, die Entermesser bereit zum tödlichen Hieb. Matt Davies’ Haken blinkte im Mondlicht, als er ihn hob. Aber dann trauten die Männer plötzlich ihren Augen nicht mehr. Denn die schlanke Gestalt richtete sich hoch auf, und jetzt sahen sie, daß es sich um ein Mädchen handelte, um eine Indianerin. Ben Brighton erkannte sie sofort. Er ließ die Waffe sinken. „Arkana!“ stieß er betroffen hervor. „Himmel und Hölle, Schlangenpriesterin, wie kommst du hierher?“ Er schüttelte verwirrt den Kopf, aber dann richtete er sich plötzlich hoch auf. „Waffen weg, Männer, es ist Arkana!“ brüllte er, um zu verhindern, daß die Seewölfe, die eben auf das Achterkastell stürmten, das Mädchen töteten. Die Männer blieben stehen. „Arkana?“ fragte Matt Davies. Der Profos war wieder abgeentert, er drängte sich durch die Männer. Seine Blicke fixierten die Schlangenpriesterin. „Arkana!“ stieß auch er betroffen hervor und konnte es kaum glauben. Wie hatte sie denn von ihrer Ankunft erfahren? Über die Züge der Schlangenpriesterin glitt ein Lächeln. Dann legte sie beide Hände gegen die Stirn und verneigte sich. „Der Schlangengott muß euch geschickt haben“, sagte sie. „Arkana hat euch nicht vergessen. Habt keine Furcht vor dem Schiff da drüben. Der weiße Häuptling dort ist zwar ein Spanier, aber Arkanas Freund. Meine Krieger haben das Schiff besetzt, es kann nicht auf euch feuern.“ Sie hatte diese Worte rasch und in leidlichem Spanisch hervorgestoßen. Ben Brighton und noch ein paar Männer, die Spanisch verstanden, übersetzten es rasch den anderen. Minuten später umringten die Seewölfe Arkana. Aber die Schlangenpriesterin blickte sich suchend um.
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„Wo ist er?“ fragte sie. „Warum begrüßt er Arkana nicht?“ Ihre Züge hatten sich verdunkelt. Jeder an Bord wußte, daß mit „er“ der Seewolf gemeint war. Ed Carberry sah Ben Brighton an. „Du sprichst von uns allen am besten Spanisch, Ben. Sag es ihr. Vielleicht weiß sie, was geschehen ist!“ Ben Brighton nickte, und dann begann er zu berichten. Er sprach absichtlich etwas langsamer, damit Arkana ihm folgen konnte. Als er darüber berichtete, was er und seine Gefährten auf der „Esmeralda“ vorgefunden hatten, begannen ihre dunklen Augen zu glühen. Und Ben Brighton verschwieg der Schlangenpriesterin nichts. „Dann wurde der Segler mit deinen toten Kriegerinnen und den toten Spaniern an Bord überfallen. Die Angreifer kappten die Schlepptrosse und steckten das Schiff in Brand. Wir ruderten sofort hinüber, mußten es aber wieder verlassen, weil das Feuer die Pulverkammer erreichte. Kurz darauf flog die ,Esmeralda’ in die Luft und sank. Von Hasard und Siri-Tong fanden wir keine Spur. Nur ein Auslegerboot verschwand in. der Nacht, wir konnten es nicht mehr einholen.“ Arkana hatte die Augen halb geschlossen, aber ihre Hände zuckten vor Erregung. „Siri-Tong - wer ist das?“ fragte sie. Ben Brighton erklärte es ihr. Wieder glühten ihre dunklen Augen auf, aber sie sagte nichts. „Du, du und du!“ sagte sie dann plötzlich und deutete auf Ben Brighton, Carberry und Dan, der sich herangeschoben hatte und an den sie sich noch ganz besonders gut erinnerte. „Ihr werdet mich begleiten und alles, was ihr mir berichtet habt, auch unserem Häuptling berichten. Der Alkalde und jeder, der mit diesem Verbrechen zu tun hat, wird sterben. Ich schwöre es beim Schlangengott! Aber erst müssen wir den Seewolf befreien, ich kann für sein Leben nicht garantieren, meine Schlangenkrieger sind jetzt voller Haß auf alle Weißen. Wenn er nicht Glück hat und sich einer an ihn erinnert ...“
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Sie trat an Ben Brighton ganz nahe heran und legte ihm die Rechte schwer auf die Schulter. „Bete zu eurem Gott, daß er uns rechtzeitig den Seewolf, finden läßt. Und wo ist jenes schwarze Schiff, daß dieser Siri-Tong gehört?“ „Es kann sich nicht weit von der MochaInsel entfernt befinden, Arkana. Aber warum ...“ Sie ließ Ben Brighton nicht ausreden. „Ich muß meinen Kriegern Bescheid sagen, daß sich auf diesem Schiff Freunde befinden, sonst greifen sie es an! Schnell jetzt, wir müssen mit dem weißen Häuptling reden, der sich Capitan Alvarez nennt. Er wird uns ebenfalls begleiten!“ „Warte!“ Ben Brighton winkte Big Old Shane heran, außerdem Ferris Tucker. „Paßt auf die ‚Isabella’ auf. Verlaßt die Bucht, wartet auf See. Hier sitzt ihr in der Falle, falls noch ein paar Spanier zur Mocha-Insel unterwegs sind. Bleibt mit der Insel in Sichtkontakt, aber paßt auf!“ Ferris Tucker nickte düster, dann warf er einen Blick zur spanischen Galeone hinüber. „Den nächsten Don, der mir vor die Rohre gerät, blase ich in die Luft, Ben. Das sind ja keine Menschen. Und sagt den Jungens da drüben, sie sollen nur ja hübsch artig weiterhin in der Bucht liegenbleiben, oder sie kriegen es mit den Seewölfen zu tun!“ Big Old Shane, der die ganzen Geschichten, die sich damals bei der ersten Weltumsegelung Sir Francis Drakes auf der Araukaner-Insel ereignet hatten, nur vom Hörensagen kannte, nickte ebenfalls. „Kann man dieser Arkana wirklich trauen, Ben?“ fragte er besorgt. „Keine Sorge, Shane. Solange sie bei uns ist, passiert uns nichts. Und wenn der Seewolf und Siri-Tong noch leben und sich auf dieser Insel befinden sollten, dann ist sie die einzige, die die beiden schnell genug aufzuspüren und zu retten vermag.“ Ein Boot wurde zu Wasser gefiert, und zusammen mit Arkana pullten die drei Männer zur „Hispaniola“ hinüber.
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Arkana hielt sich nicht lange mit Erklärungen auf. Ganz knapp unterrichtete sie Capitan Alvarez. Ed Carberry starrte den Spanier finster an. „Hör zu, Freund“, erklärte er in gebrochenem Spanisch, das er seinerzeit auf der Galeere „Tortuga“ gelernt hatte. „Du wirst tun, was Arkana sagt. Es geht um das Leben von zweien von uns. Und das ist genau der Punkt, wo mein Humor sein Ende hat, klar?“ Carberry reckte drohend sein Rammkinn vor, und seiner Miene entnahm Capitan Alvarez, daß dieser bärenstarke Mann zu allem entschlossen war, außerdem aber auch die volle Unterstützung der Araukaner besaß: Alvarez fügte sich ins Unvermeidliche. Er wollte und konnte sich außerdem nicht mit der Schlangenpriesterin anlegen. Er bebte im Innern vor Zorn über die Gemeinheiten, die der Alkalde und seine Helfershelfer im Namen Spaniens begangen hatten. Es galt jetzt, zu retten, was zu retten war. Außerdem kannte er die Seewölfe noch von der Schlacht um Mocha - er wußte, daß er ihnen vertrauen konnte. Alvarez wies seinen Kapitän, der schweigend dabeigestanden hatte, an, dafür zu sorgen. daß keiner der Männer an Bord der „Hispaniola“ irgendeine Unbedachtsamkeit beging. Arkana hatte inzwischen mit einigen Schlangenkriegern gesprochen. Die Männer nickten nur kurz, dann sprangen sie über Bord und schwammen in Richtung Ufer davon. Arkana drängte ungeduldig zum Aufbruch. „Schnell!“ mahnte sie immer wieder und trieb die Seewölfe und den Spanier erbarmungslos an. Unterdessen wendete die „Isabella“ und segelte dem offenen Meer entgegen, um dort Wartepositionen zu beziehen. 6. Der Seewolf wußte nicht, wie lange er bewußtlos gewesen war. Als er aufwachte, schmerzte sein Schädel höllisch. Aber sein Verstand wurde von Sekunde zu Sekunde klarer. Durch nur spaltbreit geöffnete
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Augenlider versuchte er sich ein Bild von seiner Umgebung zu verschaffen. Vorsichtig drehte er den Kopf. Siri-Tong lag unmittelbar neben ihm, aber sie rührte sich noch nicht. Der Seewolf erschrak. Hatte man sie etwa erschlagen? Eine Weile beobachtete er die Rote Korsarin, aber dann sah er, wie sich ihre Brust leicht hob und senkte. Sie lebte also! Erleichtert ließ Hasard seine Blicke weiterwandern. Er befand sich in einem ziemlich großen Boot mit einem Mattensegel. Es hob und senkte sich auf der Dünung. Hin und wieder nahm es etwas Wasser an Steuerbord. Etwa zehn Krieger saßen schweigend in dem Boot. Krieger? Hasard blickte genauer hin. Verdammt, das waren ja Indianerinnen! Und alle trugen den gleichen Schmuck, Armreifen, Stirnbänder. Außerdem hatten sie eine Tätowierung auf dem rechten Oberarm. Schlangenkriegerinnen! fuhr es Hasard durch den Kopf. Wenn die gesehen hatten, was an Bord der „Esmeralda“ los gewesen war, dann gab er für sein Leben keinen Penny mehr, falls sie ihn und Siri-Tong mit diesen bestialischen Gemeinheiten irgendwie in Zusammenhang brachten. Verflucht, hatten diese Schlangenkriegerinnen denn seinen Armreif nicht bemerkt, den ihm vor Jahren Arkana geschenkt hatte? Ganz vorsichtig wandte der Seewolf den Kopf. Seine Hände hatte man ihm vor dem Leib zusammengebunden, er konnte mit einiger Anstrengung sein linkes Handgelenk sehen. Der Armreif befand sich dort. Und dann fiel ihm noch etwas auf: Es war inzwischen schon fast hell. Er mußte also eine ganze Weile bewußtlos gewesen sein. Wo schleppte man sie hin? Hatten die Araukaner auch die „Isabella“ angegriffen? Wo war Arkana, oder lebte sie etwa nicht mehr? Denkbar war das, denn in den vergangenen fünf Jahren konnte eine Menge geschehen sein. Möglicherweise hatten die Spanier sie gejagt und gefangen. Wieder dachte er an die Alte, die ihm etwas von einer Tochter vorgefaselt hatte.
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Von einer Frau, deren Beschreibung exakt auf Arkana paßte. Hasard begann, nachdem er noch einen Blick auf Siri-Tong geworfen hatte, seine Handfesseln zu überprüfen. Aber die saßen fest. Wieder glitten seine Blicke über die Araukanerinnen. Alle waren sie hervorragend gewachsen. Da er ziemlich vorn im Boot lag mit Blickrichtung nach hinten, konnte er das Auslegerboot ganz gut übersehen. Die Oberkörper der Mädchen waren nackt. Ihre Lenden wurden von einer Schurz bedeckt, der ein kunstvoll gesticktes Schlangenemblem aufwies. Es stellte jenen Schlangengott dar, den er auf Mocha und auf der Schlangeninsel in der Karibik in jenem Gewölbe erblickt hatte, in dem sie ihre Schätze versteckt hatten. Die Gesichter der Indianerinnen waren ebenmäßig und gut geschnitten. Langes schwarzes Haar fiel bis auf ihre Schultern. Körper wie Oberarme wirkten außerordentlich muskulös. Hasard überlegte verzweifelt. Er mußte sich diesen Kriegerinnen verständlich machen, den Irrtum aufklären, ihnen irgendwie sagen, was geschehen war und wieso er und Siri-Tong sich an Bord des Totenschiffes befunden hatte. Wieder warf der Seewolf einen Blick auf Siri-Tong. Er sah, daß sich ihre Lippen bewegten. Kurz darauf schlug sie die Augen auf und blickte sich um. Eine der Kriegerinnen bemerkte das. Sie stand auf und ging zu den beiden Gefangenen hinüber. Sorgfältig untersuchte sie erst die Rote Korsarin, dann wandte sie sich dem Seewolf zu. Hasard richtete sich auf, soweit ihm das seine Fesseln erlaubten. Ganz bewußt verwendete er die englische Sprache, als er die Schlangenkriegerin ansprach. Sie stutzte — und auch die anderen wandten dem Seewolf ihre Gesichter zu. Das waren Laute, die sie nicht kannten. Wie spanisch klang, das wußten sie offenbar. Die Schlangenkriegerin starrte den Seewolf aus ihren dunklen Augen an. Dann
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schüttelte sie den Kopf und legte ihm plötzlich die Hand auf die Lippen. Der Seewolf gab nicht auf, er versuchte verzweifelt, sich verständlich zu machen, aber ihm waren die Hände gebunden, die Zeichensprache fiel damit aus. Er mußte die Aufmerksamkeit der Schlangenkriegerin auf seinen Armreif lenken. Noch einmal suchten seine Blicke den Armreif, und dann begriff er plötzlich; warum die Indianerin von ihm keine Notiz genommen hatte. Er hatte sich so gedreht, daß die Schlangenköpfe nach unten lagen, außerdem wurde er weitgehend von seinem Hemd verdeckt. In diesem Moment beging Siri-Tong, die dem Seewolf helfen wollte, einen schweren Fehler. Sie rief der Kriegerin ein paar spanische Worte zu. Sofort veränderte sich der Gesichtsausdruck der Schlangenkriegerin. Sie drehte sich blitzschnell zur Roten Korsarin herum und schlug ihr die flache Hand auf die Lippen. Dann rief sie ein paar Befehle ins Boot, und Sekunden später waren Hasard und die Rote Korsarin geknebelt. Eine knappe Viertelstunde später holten die Indianerinnen das Mattensegel ein. Anschließend griffen sie zu den Paddeln. Der Seewolf sah, daß das Boot in eine Art Felsenschlucht einbog. Die Sonne verschwand, es wurde dunkel, kühl und feucht. Niemand sprach mehr ein Wort. Schweigend paddelten die Kriegerinnen weiter. Ihre biegsamen Körper bewegten sich dabei im Takt. An der Geschwindigkeit, mit der die Felsen an dem Boot vorüberglitten, erkannte der Seewolf, daß sie ihr Handwerk aufs beste verstanden. * Eine halbe Stunde später spürten der Seewolf und Siri-Tong den Ruck, mit dem das Auslegerboot der Indianerinnen ans Ufer stieß. Die Schlangenkriegerin, die den Seewolf und die Rote Korsarin untersucht
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hatte, trennte Hasard und Siri-Tong mit einem raschen Schnitt die Fußfesseln auf. Auf Araukanisch sagte sie ein paar Worte, und zwei andere Kriegerinnen packten den Seewolf und stellten ihn auf die Füße. Eine Lanzenspitze, die sich in den Rücken Hasards bohrte, ließ ihn schnell begreifen, daß sie von nun an laufen mußten. Der Seewolf unterdrückte einen Fluch. Seine Füße waren eingeschlafen, die Fesseln hätten die Blutzufuhr unterbrochen. Er wankte durch das Boot, fiel der Länge nach hin und’ schlug sich dabei das Gesicht auf. Sofort war Siri-Tong bei ihm. Ihre dunklen Augen blitzten die beiden Schlangenkriegerinnen wütend an. Auf Spanisch schrie sie die beiden an. Aber die beiden Kriegerinnen reagierten nicht. Sie knieten kurzerhand beim Seewolf nieder und begannen, ihm die Füße und Unterschenkel zu massieren, während die anderen geduldig warteten. Siri-Tong sah zu. Ihre Hände ballten sich in ohnmächtiger Wut in den Fesseln zu Fäusten. „Verdammt, Hasard, was haben die mit uns vor?“ fragte die Rote Korsarin, und wieder wurde sie von den Kriegerinnen völlig ignoriert. „Wie können wir denen bloß erklären, daß wir es nicht waren, die die Mädchen so bestialisch umgebracht haben!“ Der Seewolf sah die Rote Korsarin an. „Vielleicht entdeckt irgendwann jemand meinen Schlangenreif. Dann müssen sie merken, daß sie die falschen Leute erwischt haben.“ Siri-Tong schüttelte wild den Kopf. „Der Armreif kann uns nicht helfen, Hasard“, sagte sie, „davon lagen an Bord der ,Esmeralda’ genügend herum, die man den Mädchen abgenommen hatte. Die Kriegerinnen Arkanas müssen im Gegenteil annehmen, daß du dir einen davon angeeignet hast, und das wird alles nur noch verschlimmern.“ Der Seewolf schüttelte energisch den Kopf. „Nein, Siri-Tong. Mein Armreif ist völlig anders. Die der Mädchen waren viel
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einfacher, außerdem hatten sie nur einen Schlangenkopf, der sich nicht öffnen ließ, wie das bei meinem möglich ist. Nein, wenn sie ihn sehen, dann werden sie etwas merken, und ich werde ihnen dann schon irgendwie begreiflich machen, daß ich diesen Armreif damals von Arkana erhalten habe, als Geschenk ...“ Die Anführerin der Kriegerinnen hatte bereits gestutzt, als die Rote Korsarin den Namen der Schlangenpriesterin erwähnte. Als Hasard ihn jetzt ebenfalls nannte, war sie mit einem Satz bei ihm. Aus ihren kohlschwarzen Augen starrte sie ihn an. „Arkana!“ stieß sie erregt hervor und tippte ihm dabei mit der Hand gegen die Brust. Dann nahm sie einen Pfeil und setzte seine Spitze auf den Hals des Seewolfs. „Arkana!“ sagte sie wieder, und diesmal klang es drohend. Hasard wich ihrem Blick nicht aus. „Führt mich zu Arkana“, sagte er, wieder auf englisch. „Ich will Arkana sprechen, hast du verstanden?“ Er hob seine gefesselten Hände an, und dabei verrutschte der Ärmel seines Hemdes. Siri-Tong begriff sofort die Chance, die sich ihnen bot. „Hasard, hält ihr den Armreif unter die Nase, wer weiß, ob sich eine solche Gelegenheit roch einmal bietet, wenn sie uns erst ins Innere der Insel verschleppt haben.“ Hasard, der in seinem aufsteigenden Zorn nicht darauf geachtet hatte, reagierte sofort. Er hob die gefesselten Hände an, soweit das die Fesseln erlaubten, und hielt sie der verdutzten Anführerin der Schlangenkriegerinnen unter die Nase. Zunächst prallte die Indianerin zurück, die Spitze ihres Pfeils zuckte vor und bohrte sich in Hasards Brust. Aber nicht tief genug, um ihm gefährlich zu werden. Aber dann fiel der Blick der Schlangenkriegerin auf den Armreif. Ihre Augen weiteten sich plötzlich, und sie ließ den Pfeil einfach fällen. Im nächsten Moment griffen ihre Hände nach dem Armreif und drehten ihn herum. Die anderen’ Kriegerinnen, die das beobachtet hatten, bildeten sofort einen
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dichten Ring um ihre Anführerin und die beiden Gefangenen. Die Schlangenkriegerin starrte den Armreif lange an. Dann drückte sie auf die geheime Stelle des Kopfes. Der Schlangenkopf öffnete sich und der lange Stachel, der wie ein überdimensionaler Giftzahn aussah, wurde sichtbar. Nur einen Moment starrte die Indianerin den Giftstachel an, dann schloß sie den Kopf und trat einen Schritt zurück. Sie deutete erregt auf den Armreif. „Arkana?“ fragte sie. „Du Seewolf?“ Hasard nickte. „Ja, ich bin der Seewolf. Ich suche Arkana, wo ist sie?“ Die Anführerin der Schlangenkriegerinnen stand wie erstarrt. Ihre Gefährtinnen genauso. Als sich ihre Erstarrung löste, trat sie an den Seewolf heran, blickte ihm in die Augen: Sekunden später trat sie wieder zurück, während der Zeigefinger ihrer Rechten auf Hasards Äugen deutete. Sie sagte ein paar Worte zu den anderen Mädchen, und auch die musterten den Seewolf jetzt sehr genau, besonders seine eisblauen Augen. Dann redeten sie eine Weile erregt aufeinander ein. Als Siri-Tong etwas sagen wollte, bat der Seewolf sie durch eine energische Handbewegung zu schweigen. Denn immer wieder tauchte in den Gesprächen ein Wort auf, das Hasard zwar nicht verstand, das er aber für einen Namen hielt. „Araua!“ sagte die Anführerin soeben wieder. Noch mal trat sie an Hasard heran und musterte seine Augen. Dann, wie in einem plötzlichen Entschluß, zog sie plötzlich ihr Messer und durchtrennte Hasards Randfesseln. Danach die von SiriTong. Anschließend verneigte sie sich vor den beiden und legte dabei ihre Hände gegen die Stirn. Hasard wollte etwas sägen; aber er kam nicht mehr dazu. Die Indianerin nahm seine Hand und zog ihn mit sich fort. Eine andere verfuhr genauso mit der Roten Korsarin. Sie erreichten einen steilen Pfad, der zwischen den Felsen in die Höhe führte.
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Die Schlangenkriegerinnen kletterten gewandt und schnell. Hasard und die Rote Korsarin hatten alle Mühe, mit ihnen Schritt zu halten. Einmal versuchte Siri-Tong, Hasard ein paar Worte zuzurufen, aber die Schlangenkriegerin, die sie führte, bedeutete ihr, zu schweigen. So kletterten sie fast eine Stunde lang. Dann öffnete sich vor ihnen der Dschungel, und ein ausgedehntes Felsplateau erstreckte sich vor ihnen. Die Indianerinnen überquerten es mit der gleichen Schnelligkeit und Hast, die sie schon während des Aufstiegs an den Tag gelegt hatten. Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel und sandte ihre sengenden Strahlen auf das Felsplateau. Jetzt endlich gelang es Siri-Tong, den Seewolf einzuholen. Sie faßte ihn am Arm. „Hasard, verstehst du das?“ fragte sie, und dabei atmete sie schwer. „Warum haben sie es so eilig? Sie hätten uns mit ihrem Auslegerboot zur ,Isabella’ zurückbringen sollen. Und immer bedeuten sie einem, zu schweigen. Himmel und Hölle, in was sind wir da eigentlich hineingeraten?“ Der Seewolf sah die Rote Korsarin nur kurz an. Aber in seinen Augen war ein Lächeln. „Seien wir erst mal froh, daß wir wieder frei sind. Ich denke, man wird uns zu Arkana bringen, vielleicht schaffen sie uns sogar in den Schlangentempel. Er liegt irgendwo im Innern der Insel. Reden wir jetzt lieber nicht miteinander, es kann leicht sein, daß wir uns schon im heiligen Bezirk befinden. Warten wir es ab!“ Die Rote Korsarin warf ihm einen schiefen Blick zu. Aber sie hatte über die damaligen Ereignisse auf der Mocha-Insel schon zuviel gehört, um Hasards Worte nicht ernst zu nehmen. Außerdem erinnerte sie sich in diesem Moment auch an die höchst seltsamen Erlebnisse im Schlangentempel im Innern ihrer Insel im Pazifik. „Gut, Hasard“, sagte sie deshalb leise. „Aber wir sollten trotzdem gut aufpassen, immerhin sind wir völlig unbewaffnet!“
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Stumm ging sie neben dem Seewolf her, solange der Weg das erlaubte. Als sie den jenseitigen Rand des Plateaus erreichten, mußte sie wieder hinter dem Seewolf bleiben. Und dann, knapp fünf Minuten später, blieb Hasard ruckartig stehen, so ruckartig, daß die Rote Korsarin gegen ihn prallte. * Während Hasard und die Rote Korsarin zum Felsplateau aufgestiegen waren, war eine Menge geschehen. Auch Arkana legte ein wahnsinniges Tempo vor, seit sie die „Hispaniola“ mit den drei Seewölfen und Capitan Alvarez verlassen hatte. Die Seewölfe hielten das Tempo der Schlangenpriesterin mit, aber Alvarez hatte Schwierigkeiten. Dan und Carberry wechselten einen Blick miteinander. „Der schafft es nicht mehr lange, Dan“, sagte der Profos und schlug einen Zweig zur Seite, der hinter Arkana wieder über den Pfad zum Dorf der Araukaner geschnellt war. „Dies verdammte Wohlleben, das die Dons hier in der neuen Welt führen, höhlt die Burschen alle aus. Helfen wir ihm, klar?“ Dan grinste. Vor sich sah er die schlanke, biegsame Figur der Schlangenpriesterin. Sie war wirklich verteufelt gut gewachsen, und es wäre Dan gar nicht angenehm gewesen. wenn Arkana seine Gedanken hätte lesen können. Als ob das doch der Fall war, gab sie plötzlich mit der Hand ein Haltzeichen und blieb stehen. Ein langer, unergründlicher Blick traf Dan aus ihren dunklen Augen, und der jüngste Seemann der „Isabella“ spürte ein unangenehmes Prickeln über seinen Rücken rinnen. Um die Lippen Arkanas spielte ein Lächeln, als sie Dans verlegenes Gesicht sah und auch sofort die richtigen Vermutungen anstellte. Aber sie schwieg. Capitan Alvarez holte sie ein. Sein Atem ging keuchend. Er warf dem Profos und Ben Brighton- einen entschuldigenden Blick zu.
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„Das Tempo war für mich zu hoch, Senores“, sagte er. „Unsereiner ist da nicht mehr so im Training. Haben Sie ein wenig Nachsicht mit mir, ja?“ Die Seewölfe grinsten. Sie fanden diesen Capitan Alvarez nett und mochten ihn auf Anhieb gern, obwohl er ein Spanier und eigentlich ihr Feind war. „Schon gut, Capitan. Schon gut!“ Carberry klopfte ihm auf die Schulter. „Wir nehmen Sie zwischen .uns, wenn’s gleich weitergeht. Hauptsache, Sie machen nicht schlapp. Es geht um den Seewolf und um Siri-Tong, klar?“ erwiderte Carberry und zog tatsächlich ein freundliches Gesicht. Dann wandte er den Blick nach vorn, wo Arkana stand. „Was gibt’s denn da?“ fragte er und sah Ben Brighton an, der ein bedenkliches Gesicht zog. „Ich weiß nicht, Ed. Ein paar Araukaner sind eben aufgetaucht und haben Arkana angehalten. Ich habe nur kurz ihr Gesicht gesehen, aber das verhieß nichts Gutes. So habe ich sie überhaupt noch nicht gesehen! Gehen wir mal zu ihr, ich sorge mich um den Seewolf und um Siri-Tong. Wenn die Araukaner sie gefangen und nicht erkannt haben, dann kann es verdammt leicht irgendeine Kurzschlußhandlung auf beiden Seiten geben, besonders bei der Roten Korsarin, ihr wißt alle, wie hitzig sie sein kann!“ Ben Brighton ging los. Als er Arkana fast erreicht hatte, drehte sie sich um, und ihr Gesicht war grau. Sie hatte alle Farbe verloren. Sie ließ Ben Brighton und die anderen herankommen. Dann traf ein Blick aus ihren schwarzen Augen, auf deren Grund ein unheilvolles Feuer loderte, den Spanier. „Meine Tochter wurde entführt. Drei meiner Krieger, die sie schützen wollten, wurden von deinen Soldaten erschossen, weißer Häuptling! Ist das euer Friede, den ihr uns bringt?“ Arkanas Züge glichen einer Maske. Sie sah, wie der Capitan erbleichte. „Deine Tochter? Die kleine Araua? Und drei deiner Krieger wurden ...“
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„…getötet von Spaniern. Hinterhältig in der Nähe unseres Dorfes überfallen. Was hast du dazu zu sagen, Spanier?“ Den drei Seewölfen liefen eiskalte Schauer über die Rücken, als sie die Schlangenpriesterin ansahen. Sie wirkte in diesem Moment wie eine Rachegöttin, die kein Erbarmen und keine Gnade kennt. Capitan Alvarez rang um Fassung. Er konnte nicht glauben, daß das wirklich geschehen war. „Kein Zweifel möglich, Arkana?“ fragte er, und seine Stimme zitterte ein wenig. „Nein, es ist so, wie ich sagte.“ Sie trat auf Capitan Alvarez zu. „Ich könnte dich jetzt als Geisel nehmen, aber ich werde das nicht tun. Ich könnte dich auch töten lassen, denn ihr habt den Frieden gebrochen und getötet. Aber ich werde auch das nicht tun. Du warst immer ein Freund, du hast uns nie betrogen. Trotzdem mußt du dich jetzt entscheiden, weißer Häuptling. Hör zu, was ich von dir verlange ...“ Arkana sagte es Capitan Alvarez in knappen Worten, und er wurde um noch einen Schein blasser. Die drei Seewölfe Ben Brighton, Ed Carberry und Dan starrten die Schlangenpriesterin an wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Der Plan Arkanas war ungeheuerlich, aber er war gut, er war sogar hervorragend. Er hatte nur den Fehler, daß der Spanier, wenn er einen Funken Ehre im Leib hatte, sich darauf nicht einlassen konnte. Die Krieger, die Arkana von der Entführung ihrer Tochter und der Ermordung ihrer drei Krieger unterrichtet hatten, näherten sich drohend dem Spanier, als er nicht antwortete. Aber die Schlangenpriesterin stoppte sie mit einer Handbewegung. „Wie hast du dich entschieden, Spanier?“ fragte sie. Capitan Alvarez schüttelte den Kopf. „Man hat dir Unrecht getan, euch allen, Arkana. Ich werde die Schuldigen ohne Rücksicht auf ihre Stellung und Persönlichkeit zur Rechenschaft ziehen. Aber ich bin spanischer Offizier und der militärische Kommandant von Valdivia. Ich wäre ein
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Verräter, wenn ich deinem Plan zustimmen würde.“ Arkana sah ihn schweigend an. Dann nickte sie. „Ich habe beim Schlangengott geschworen, die Schuldigen an der Ermordung meiner Schlangenkriegerin zu töten. Ich werde diesen Schwur halten. Von dir hatte ich keine andere Entscheidung erwartet, weißer Häuptling, denn du bist ein Mann von Ehre. Aber die Folgen mußt du jetzt tragen!“ Arkana schlug zu. Blitzschnell. Der Schlag fällte den Spanier auf der Stelle. Sie winkte die Krieger heran. „Bringt ihn ins Dorf und bereitet ein paar Hütten vor, die auch die anderen Spanier aufnehmen können. Aber schont sie, es soll ihnen nichts geschehen. Sie sollen nur nicht teilhaben an dem, was jetzt passiert!“ „Donnerwetter!“ Ed Carberry schüttelte den Kopf. „Ben, so eine Frau habe ich noch nicht gesehen. Von der kann sogar die Rote Korsarin noch etwas lernen. Das ist ja ungeheuer, und ich ahne bereits, was sie vorhat. Aber wo, bei allen Teufeln der Hölle, steckt der Seewolf?“ Die Krieger trugen den Capitan weg, nachdem sie ihn gefesselt hatten. Arkana, die durchaus verstanden hatte, was Carberry gesagt hatte, wandte sich ihm zu, nachdem sie abermals kurz mit einem der Krieger gesprochen hatte. „Ich habe vielleicht eine gute Nachricht für uns alle. Ein Auslegerboot mit einem weißen Mann, der der Seewolf sein könnte, und einer Frau, auf die eure Beschreibung von jener Siri-Tong paßt, ist auf unserer Insel gelandet. Wahrscheinlich haben meine Kriegerinnen die beiden ins Tal der Schlangen gebracht. Laßt uns eilen, dem Seewolf darf nichts passieren. Außerdem soll er mir helfen bei dem, was ich vorhabe. Genau wie damals vor fünf Jahren!“ Sie eilte davon, und wohl oder übel folgten ihr Ben Brighton, Carberry und Dan. Es ging durch die Insel, vorbei am Dorf der Araukaner, durch dichten Dschungel, über Felsen und durch einen fjordähnlichen Einschnitt, der sich quer durch die Insel zu
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ziehen schien. Arkana überwand ihn schwimmend, und die Seewölfe folgten ihr. Es folgte ein Tal, und jetzt hingen auch den Seewölfen die Zungen aus dem Hals, denn es war schwül und heiß. Gerieten sie auf freie Stellen, so trafen sie die sengenden Strahlen der Sonne. Endlich, am Ende eines Tals, das ganz und gar vom Dschungel überwuchert war, blieb Arkana einen Moment stehen. „Dort hinauf, sie sind noch nicht hier gewesen, oder einer unserer Wächter hätte mich verständigt. Wenn es der Seewolf war, den sie nach Mocha brachten, dann werden wir ihn gleich sehen!“ Wieder eilte sie davon. Dann ging es aus dem Tal heraus einen steilen Felshang hoch. „Also, das wäre allenfalls was für Arwenack“, fluchte der Profos, der den Schluß bildete. „Da fängt einem doch glatt der Affenarsch an zu kochen, was, wie?“ Allein die Aussicht, daß der Seewolf und Siri-Tong noch am Leben waren, hatte seine Laune erheblich gebessert. Sie erreichten das Plateau - und dann blieben sie, genau wie vorher Hasard und Siri-Tong ruckartig stehen. Nur daß der Profos Dan glatt über den Haufen rannte, was Dan mit ein paar saftigen Flüchen quittierte. * Der Seewolf faßte sich diesmal nicht so schnell wie sonst. Stumm starrte er die vier Menschen an, die vor ihnen auf dem Felsplateau standen. Er sah den Profos, er sah Dan und Ben Brighton. Aber vor allen Dingen sah er Arkana, die Schlangenpriesterin; Sie war reifer, aber schöner geworden in den vergangenen fünf Jahren. Ihre Gestalt war noch genauso schlank, muskulös und biegsam wie einst. Auch dies Brandnarbe an ihrem Oberschenkel war noch da. Um ihre Lippen, die eben noch eine harte Linie gebildet hatten, spielte für einen Moment ein weiches Lächeln. Sie schritt auf den Seewolf zu.
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„Du bist hier“, sagte sie nur. „Der Schlangengott hatte also recht, daß ich dich wiedersehen würde. Er hat mir Botschaften vor dir übermittelt, von einer Insel, weit weg von hier, die ihm gehört. Ich wußte die ganze Zeit, daß du lebst, Seewolf!“ Sie legte die Hände gegen die Stirn und verneigte sich vor Hasard. Siri-Tong stand seitwärts neben den beiden und sah der Begrüßung aus schmalen Augen zu. Sie mußte sich eingestehen, daß diese Arkana eine ungewöhnlich schöne Frau war, daß sie etwas ausstrahlte, was sie noch nie zuvor in ihrem Leben erlebt hatte. Eifersucht wollte in ihr hochsteigen, aber sie unterdrückte sie energisch und hielt Arkana stattdessen die Rechte hin. Arkana sah sie an, lange. Dann schlug sie ein. „Ich habe von dir gehört, sei willkommen, Siri-Tong!“ Sie verneigte sich auch vor der Roten Korsarin. Dann aber stürmten die Seewölfe heran und umringten die drei. Selbst der Profos vergaß sich und drückte erst den Seewolf, dann Siri-Tong mit seinen gewaltigen Pranken an sich. „He, Ed, laß wenigstens noch eine Rippe heil an mir!“ rief die Rote Korsarin lachend und entzog sich schließlich seiner Umarmung. Der Profos wurde plötzlich rot bis über beide Ohren. Er war sich gar nicht bewußt gewesen, Siri-Tong in seinen Pranken zu halten. „Verzeihung, Madame.“, murmelte er, aber Siri-Tong lachte nur und gab ihm einen Kuß. Einfach so. Ed Carberry lief an wie eine Tomate. Dann sah er, wie Dan ihn angrinste, schadenfroh, und gerade den Mund öffnen wollte, um zu lästern. Ed Carberry packte zu. „Schon mal was vom durchgeklopften Affenarsch gehört, Söhnchen?“ fragte er drohend. „Also, wenn ich du wäre, dann würde ich jetzt sofort das Maul wieder zuklappen, verstanden?“ Dan grinste zwar immer noch, aber er riskierte doch lieber nichts, bei diesem Carberry konnte man nie wissen, das hatte
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er kürzlich erst sehr schmerzhaft zur Kenntnis nehmen müssen. Arkana wurde plötzlich wieder ernst. Sie sah den Seewolf aus ihren kohlschwarzen Augen an. „Sie hat deine Augen, Seewolf“, sagte sie. „Es ist, als hätten die Götter in Araua dich noch einmal erschaffen, auch wenn sie ein Indianermädchen ist.“ Hasard spürte, wie ihm heiß und kalt wurde. Er zog Arkana etwas zur Seite. „Es stimmt also, was mir die Alte geweissagt hat?“ fragte er leise. „Du hast eine Tochter von mir? Arkana, wie ...“ Sie legte ihm schnell die Hand auf den Mund. „Nicht fragen, Seewolf“, sagte sie nur. „Der Schlangengott hat es gewollt, daß seine Priesterin ihm ein Kind von dir, gebar. Unter den züngelnden Flammen der Gottheit kam es zur Welt, und es wird mich dereinst ablösen, wenn die Zeit da ist.“ Hasard zog sie an sich. „Was sagst du da?“ fragte er. Gleichzeitig schoß ihm die Erinnerung an seine beiden Söhne Philip und Hasard und seine ertrunkene Frau Gwendolyn durch den Kopf. Der Schmerz, den er so lange verdrängt hatte, packte ihn. Und hier, auf dieser Insel, gab es also noch ein Kind, das seins war, das Fleisch von seinem Fleisch und Blut von seinem Blut war. Arkana entzog sich ihm. Ihre Miene verdüsterte sich. „Die verfluchten Spanier haben Araua entführt. Ihre Beschützer wurden von ihnen ermordet. Der Alkalde von Valdivia hat das angestiftet, Seewolf. Ich werde ihn und alle, die schuldig sind, töten. Wirst du mir helfen, Araua, unsere Tochter, zu befreien? Du kamst zur rechten Zeit, Seewolf!“ Hasard sah das Flackern auf dem Grund ihrer Augen, er sah ihre Not und ihre Angst, und er erinnerte sich, was er selber auf der Suche nach seinen beiden entführten Söhnen für Qualen durchlitten hatte, bis er von ihrem Tod erfuhr. Aber hatte dieselbe Alte, die ihm die Tochter
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Arkanas geweissagt hatte, nicht auch gesagt, daß seine beiden Söhne nicht tot seien, daß er drei Kinder habe? Der Seewolf spürte, wie der Zorn in ihm hochstieg. Seine eisblauen Augen blitzten. „Ich werde dir helfen, Arkana, darauf kannst du dich verlassen. Wir holen Araua heraus, und die Spanier werden die Entführung büßen!“ Arkana sah ihn nur an. „Ich wußte, daß du das sagen würdest, Seewolf. Dich haben die Jahre nicht verändert. Hört zu, ihr anderen kennt meinen Plan schon ...“ Sie winkte alle heran, nur Siri-Tong zögerte, und dem Seewolf entging das nicht. Er zog sie zu sich heran, und wußte gleichzeitig, daß er sich ab sofort in einer teuflischen Situation zwischen zwei Frauen befand. „Denk an das, um was ich dich an Bord der ‚Isabella’ gebeten habe, Siri-Tong“, sagte er leise. Aber die Rote Korsarin sah ihn nur aus schmalen Augen an. Unterdessen erklärte Arkana, was sie vorhatte. Der Seewolf hörte ihr wie gebannt zu. Der Plan war einfach hervorragend. „Und wie kriegen wir die ‚Hispaniola’ von Capitan Alvarez?“ fragte er. Arkanas Augen funkelten. „Wenn wir jetzt aufbrechen, dann haben wir sie bereits, wenn wir an der Bucht eintreffen. Ich kann mich auf meine Krieger verlassen. Sie müssen nicht töten, um zu überwinden. Der Schlangengott wird ihnen helfen“, erklärte sie dunkel, aber merkwürdigerweise hegte niemand den geringsten Zweifel an ihren Worten. Jeder traute dieser Schlangenkriegerin Dinge zu, die sich mit dem normalen Verstand nicht fassen ließen. „Junge, Junge, ich möchte jetzt nicht in der Haut dieses fetten Alkalden stecken“, sagte Dan vernehmlich. „Ich glaube, dem Burschen wird tatsächlich die Haut in Streifen abgezogen. Die Dons werden jedenfalls Augen machen, Ed, darauf kannst du Gift nehmen!“ Der Profos nickte. „Und ob, die werden noch lange an uns und Arkana denken.
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Was mir allerdings Sorge bereitet, Dan: Was geschieht, wenn wir fort sind? Die Dons werden sich rächen. Was soll dieser Capitan Alvarez tun? Er kann sich nicht auf die Seite Arkanas schlagen, völlig ausgeschlossen. Der Mann sitzt in einer verfluchten Patsche, aber er ist ein anständiger Kerl.“ Dan überlegte. Er teilte die Bedenken des Profos durchaus. „Wir müssen verhindern, daß es ein Massaker gibt. Die Araukaner dürfen nicht über Valdivia herfallen und alle umbringen, aber ich glaube, das hat Arkana auch nicht vor, das würde Hasard auch gar nicht dulden.“ Der Profos nickte. Gleichzeitig warf er einen Blick auf die Rote Korsarin, die neben Hasard und Arkana den Pfad entlangeilte. Hinter ihnen Ben Brighton, dann er und Dan. „Und was soll mit der Kleinen werden, mit Hasards Tochter? Wird er sie hierlassen oder an Bord nehmen wollen?“ fragte Carberry. Dan warf ihm einen raschen Blick zu, und er sah, daß der Profos sich ernstlich Gedanken über diese Frage machte. Der Pfad wurde schmaler, sie mußten hintereinander bleiben. Dan konnte dem Profos nicht mehr antworten, denn Arkana legte wieder ein höllisches Tempo vor. Dan war froh darüber, denn er wußte keine Antwort auf diese Frage. Er wandte sich einmal kurz um und sah, daß auch die zehn Schlangenkriegerinnen ihnen folgten, nachdem sie vorher offenbar noch irgendetwas erledigt hatten. Sie bewegten sich geschmeidig und beinahe mühelos durch den Dschungel. Und irgendwie glichen sie alle Arkana, ihrer Hohepriesterin. 7. Arkana behielt recht. Ihre Krieger überwältigten die Besatzung der „Hispaniola“ unblutig. Ehe Kapitän Ortega und seine Männer begriffen, was eigentlich geschah, wimmelte das Deck der Galeone von Araukanern und Schlangenkriegern.
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Die wenigen Seesoldaten, die sich an Deck befanden, ergaben sich angesichts der Übermacht. Die anderen konnten nicht herauf, weil die Araukaner die Niedergänge und alle an Deck führenden Bohlentüren besetzt hielten. Zwei ganz hartnäckige Abteilungen, die sich absolut nicht ins Unvermeidliche fügen wollten, betäubten sie mit den Dämpfen aus Räucherpfannen, deren Rauch sie ins Schiffsinnere leiteten. Die Proteste Kapitän Ortegas verhallten ungehört. Erst als Arkana ihn über das informierte, was geschehen war, verstummte er. Aber Erbitterung und tiefster Abscheu überzogen sein Gesicht. Hasard nahm Ortega beiseite. „Seien Sie froh, Kapitän“, sagte er auf Spanisch, „daß Arkana ein so ausgeprägtes Empfinden für Recht und Unrecht hat. Wäre das anders, hätte sie ihrem Zorn und ihrer Enttäuschung freien Lauf gelassen, dann lebten Sie und keiner Ihrer Männer mehr. Man wird sie gefangen halten, an allem, was nun geschieht trifft Sie, Capitan Alvarez und Ihre Soldaten keine Schuld, niemand wird Ihnen später den Prozeß machen können.“ Ortega blickte den Seewolf an. „Darauf kommt es mir nicht an, Senor. Ich fürchte den Tod nicht, und ich fürchte mich auch vor keinem Prozeß. Aber ich werde Spanien nicht länger dienen, ich gebe auf, und ich glaube, daß Capitan Alvarez genauso denkt wie ich.“ Der Seewolf nickte, er konnte Ortega verstehen. Aber er teilte seine Meinung nicht. Es war nicht seine Aufgabe, aber er dachte in diesem Moment daran, wie man ihn und seine Männer in England behandelt hatte. Was war er denn inzwischen anderes als ein Freibeuter mit einem widerrufenen Kaperbrief der englischen Königin? „Es mag aus meinem Munde seltsam klingen, Kapitän, wenn ich Ihnen sage, daß Sie nicht aufgeben sollten. Die Araukaner sind zum Frieden bereit, wenn dieser Alkalde und seine ganze verräterische Clique nicht mehr in Valdivia das Zepter schwingen. Männer wie Sie und Alvarez
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könnten hier vielleicht etwas aufbauen, das Bestand hat, Senor. Denken Sie darüber nach.“ Der Seewolf blickte ihm nach, als zwei Araukaner den Kapitän wegführten, seinen Männern nach, die sich streng bewacht längst auf dem Weg zum Dorf der Araukaner befanden. Der Seewolf spürte, daß auf Mocha für ihn irgendetwas endete, noch bevor es richtig begonnen hatte. Und in diesem Moment hatte er Sehnsucht nach der Weite des Meeres, das immer noch zwischen der „Isabella“ und jenem fernen Land lag, in dem Siri-Tong einst geboren worden war. * Der Seewolf hatte Arkana nicht bemerkt, die ihn seit einer Weile beobachtete. Jetzt trat sie neben ihn und nahm seine Hand. „Wenn dies alles vorbei ist, werden meine Schlangenkrieger und ich diese Insel verlassen. Wir gehen dorthin, wo wir in Frieden leben können und wo Araua in Frieden aufwachsen kann. Es werden immer neue Spanier aus der Weite des Meeres heransegeln, ihre Schiffe werden immer stärker sein, ich weiß, daß es für uns hier keine Hoffnung mehr gibt. Und auch du wirst fortsegeln, ich spüre es. Du gehörst jetzt jener Frau, die ihr die Rote Korsarin nennt, und das ist gut so. Ich wollte damals im Schlangentempel Araua von dir, und der Schlangengott hat meinen Wünschen zugestimmt, Seewolf. Hilf mir, sie zu retten, aber laß sie mir!“ Arkana wandte sich ab und ging mit ein paar Schritten zu Siri-Tong hinüber, die am Schanzkleid der „Hispaniola“ stand und sie aus schmalen Augenbeobachtet hatte. Dicht vor ihr blieb sie stehen. „Du sollst mich nicht hassen, Korsarin“, sagte sie. „Ich nehme dir nichts, was dir gehört. Und jener Mann dort, den sie den Seewolf nennen und den ich lange vor dir kannte, er liebt dich, Korsarin!“ Arkana berührte Siri-Tong mit den Fingerspitzen ihrer Rechten, dann war sie plötzlich verschwunden.
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Verblüfft starrte die Rote Korsarin ihr nach. Was war das für eine Frau, die nicht bereit war, um den Mann zu kämpfen, den sie doch ganz offenbar liebte? Sie, SiriTong, hatte sich schon vorgenommen, durch einen Zweikampf mit Arkana zu entscheiden, wer von ihnen die Stärkere war, denn Siri-Tong war nicht entgangen, wie sehr sich Hasard in den letzten Tagen verändert hatte. Aber jetzt? Siri-Tong schüttelte verwirrt den Kopf. Diese Schlangenpriesterin würde sich auf nichts dergleichen einlassen, das spürte sie in diesem Moment ganz deutlich. Plötzlich trafen sich ihre Blicke mit denen des Seewolfs. Und dann wußte Siri-Tong, daß Arkana ihr die Wahrheit gesagt hatte: Die Entscheidung war beim Seewolf längst gefallen. Langsam, mit brennenden Augen ging sie auf den großen Mann mit den rabenschwarzen Haaren und den eisblauen Augen zu. Und es war ihr in diesem Moment auch völlig gleichgültig, ob irgendjemand zusah, wie sie sich in die Arme fielen. Später, es war längst dunkel geworden in der Todesbucht, segelte die „Isabella“ von der offenen See herein. Siri-Tong dachte in diesem Moment an den Wikinger und den schwarzen Segler, der doch längst in ihrer Nähe sein mußte. Sie kannte Thorfin Njal lange genug, um zu wissen, daß er sich nicht irgendwo unnötigerweise aufhalten würde, wenn er genau wußte, daß die „Isabella“ ihn vielleicht dringend brauchte. Flüchtig dachte die Rote Korsarin in diesem Moment auch daran, wie lange sie diesen eigenartigen Mann schon kannte, und was er ihr all die Jahre gewesen war. Weit mehr als nur ein väterlicher Freund. Und irgendwann, das nahm sie sich in dieser Stunde vor, würde sie Hasard in das Geheimnis einweihen, daß sie und den Wikinger so fest miteinander verband. Die Ankunft der „Isabella“ und das laute Hallo, mit denen die Seewölfe Hasard und sie begrüßten, riß die Rote Korsarin aus ihren Gedanken. Sie löste sich von Hasard. „Ich glaube, wir sollten uns jetzt um das kümmern, was getan werden muß, Hasard“, sagte sie leise. „Aber eins wollte
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ich dir noch sagen. Diese Arkana ist die merkwürdigste Frau, die ich je kennengelernt habe. Laß ihr Araua, denn in ihr lebst du für Arkana weiter und wirst immer irgendwie bei ihr sein. Sie braucht dich auf diese Weise. Im übrigen glaube ich nicht, daß sie Araua überhaupt hergeben würde, auch wenn du sie mitnehmen wolltest.“ Sie ließ den Seewolf stehen und ging zum Schanzkleid hinüber, um zu beobachten, wie die Seewölfe Anker warfen. Im stillen fragte sich Siri-Tong, wie Arkana das wieder angestellt haben mochte, die weit draußen in der See kreuzende „Isabella“ in die Bucht zurückzuholen. Und sie mußte das getan haben, denn niemand anders kam dafür in Frage. * Am Morgen des nächsten Tages verließen zwei Schiffe die Todesbucht. Als erstes segelte die „Hispaniola“. Der Seewolf hatte das Kommando, außerdem befanden sich außer Ed Carberry noch acht Seewölfe an Bord. Unter Deck hatten es sich Arkanas Schlangenkrieger bequem gemacht, so gut es ging. Arkana selbst befand sich an Deck. Sie hielt sich in der Nähe Hasards und Siri-Tongs auf und ließ sich genau jedes einzelne Manöver und jeden einzelnen Handgriff erklären, der zur Führung eines solchen Schiffes notwendig war. Sinnend starrte sie in die grünblaue See. „Alvarez, der weiße Häuptling, ist mein Gefangener. Sein Kapitän auch. Ich werde mit ihnen reden, sie sollen meinen Kriegern beibringen, wie ein solches Schiff gesegelt wird. Ich muß Mocha verlassen, Seewolf, das sagte ich dir schon. Ich will nicht, daß mein Volk, daß der Stamm, zu dem ich gehöre, in einigen Jahren von den Dons, wie ihr sie nennt, ausgerottet wird. Und das würde geschehen. Doch, vielleicht ist das der Weg!“ Sie wandte sich an Siri-Tong, als sie den nachdenklichen Blick bemerkte, den der Seewolf ihr zuwarf.
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„Zeig mir das Schiff, Korsarin, erkläre es mir! Ich will alles wissen, wir haben noch viel Zeit, bis wir kämpfen müssen.“ Sie zog die Rote Korsarin einfach mit sich fort. Und was Siri-Tong noch nie in ihrem Leben passiert war, hier geschah es: Sie beantwortete jede Frage Arkanas. Sie erklärte ihr alles, sie enterte mit ihr in die Takelage auf, sie arbeitete mit der Schlangenpriesterin an den Brassen, denn die „Hispaniola“ mußte gegen den immer noch wehenden Südsüdost und die lange Dünung ankreuzen. Später stellte sie Arkana ans Ruder, erklärte ihr dann mit Hilfe Carberrys die Geschütze und zeigte ihr, wie man sie lud und richtete. Carberry traute seinen Augen nicht. Das hatte er noch nie erlebt, und auch die anderen Seewölfe, unter ihnen Dan, kriegten runde Augen, wie unermüdlich die beiden Frauen waren. Erst gegen Abend sank die Schlangenpriesterin erschöpft in eine der Taurollen und schlief sofort ein. Siri-Tong weckte sie auch erst wieder, als sie sich spät nachts Valdivia näherten. Die Stunde der Entscheidung stand bevor. Hasard und die übrigen Seewölfe legten die spanischen Uniformen an, die sie den Seesoldaten vorsorglich abgenommen hatten. Der Seewolf war sich völlig im klaren darüber, daß man die „Hispaniola“ sichten und sofort melden würde, sobald sie in den Hafenbereich einlief. Gerade. das aber war von ihm beabsichtigt. Die „Isabella“ befand sich hinter ihnen, hielt sich aber noch außerhalb der Sichtweite der Posten auf. Es ging gar nicht darum, Valdivia dem Erdboden gleichzumachen, zunächst mußten sie die kleine Araua finden oder zumindest herauskriegen, wohin man sie verschleppt hatte. Arkana und ihre Krieger blieben unter Deck. Sie durften sich jetzt auf keinen Fall mehr sehen lassen, auch wenn es unwahrscheinlich war, daß man sie im Mondlicht, das sich aus einem wolkenlosen Himmel über Valdivia und seinen Hafen ergoß, entdecken würde.
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Von einer anderen Gefahr allerdings, die sich ihnen von See her nahte, merkten sie nichts. Drei schwerbewaffnete spanische Galeonen segelten ebenfalls in dieser Nacht auf Valdivia zu - die Verstärkung, die der Alkalde vor langer Zeit vom Mutterland Spanien angefordert hatte. 8. Felipe Quiros wälzte sich unruhig in seinem breiten Bett hin und her. Er konnte nicht schlafen. Wenn er auch kein Gewissen hatte, so verspürte er doch die Angst, die immer stärker von ihm Besitz ergriff. Er hatte die kleine Tochter dieser verfluchten Arkana gesehen, und er hatte auch mit ansehen müssen, wie der fette Alkalde das Kind geschlagen hatte, als es ihm nicht antworten konnte. Die merkwürdigen eisblauen Augen, mit denen das Kind seinen Peiniger in einer Mischung von Nichtverstehen, Trotz und erstem kindlichem Haß angestarrt hatte, gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Die Entführung mußte längst bemerkt worden sein, vielleicht war Arkana mit ihren Schlangenkriegern schon auf dem Wege nach Valdivia. Vielleicht schlichen die Araukaner schon durch die Stadt, bereit zu töten. Felipe Quiros sprang aus dem Bett - und in diesem Moment klopfte es an seiner Tür. Er zuckte zusammen und griff nach seiner Pistole, die er neben seinem Bett auf dem Nachtkasten liegen hatte. „Wer da?“ rief er und versuchte, seiner Stimme einen energischen, scharfen Klang zu geben. „Rafael, Senor Quiros. Sie hatten befohlen, Sie zu wecken, sobald die ‚Hispaniola’ einlaufen würde. Sie hat soeben die Hafeneinfahrt passiert und wirft gerade Anker in der Bucht!“ Felipe Quiros atmete auf. Mit zitternden Fingern legte er seine Waffe fort. Er mußte sofort mit Capitan Alvarez sprechen. Was scherten ihn jetzt noch die Versprechungen und Befehle des Alkalden? Er wollte seine Haut, sein kostbares Leben retten, und das war in dieser Nacht und in den nächsten
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Tagen auf der „Hispaniola“ bestimmt am sichersten. Außerdem - wozu mußte er denn Alkalde werden, irgendwann? Jetzt, da Krieg herrschte zwischen Araukanern und Spaniern. Nein, er hatte diesen Ehrgeiz nicht, denn Reichtümer besaß er genug, um es bis an sein Lebensende aushalten, ja, um herrlich und in Freuden leben zu können. Felipe Quiros entschloß sich schnell. „Besorgen Sie mir sofort ein Boot. Man soll mich zur Hispaniola hinüberrudern, verstanden? Sofort! Es ist von allergrößter Wichtigkeit, eine geheime Mission im Namen Spaniens!“ Einen Moment herrschte Schweigen vor der Tür. „Jetzt, mitten in der Nacht, Senor?“ vergewisserte sich Rafael, der dienstbare Geist Felipe Quiros’ noch einmal. Quiros, immer noch von panischer Angst befallen, riß die Geduld. Er stieß die Tür auf und brüllte den völlig verdatterten Rafael an: „Führen Sie meinen Befehl aus, auf der Stelle, oder ich lasse Sie auspeitschen! In einer halben Stunde bin ich am Hafen, und dann wünsche ich das Boot vorzufinden, haben Sie mich jetzt verstanden?“ Rafael dienerte erschrocken nach rückwärts, und Felipe Quiros warf die Tür hinter sich zu. Hastig kleidete er sich an, dann verließ er das Haus. * Das Boot lag für ihn bereit, als er am Hafen eintraf. Zwar hatten die Männer der Hafenwache gemurrt, aber sie wußten, daß es besser war, sich nicht mit dem Günstling des Alkalden anzulegen. „Zur ,Hispaniola`!“ befahl Felipe Quiros, gleichzeitig zog er die Pelerine fester um seinen mageren Körper. So warm und so heiß die Tage in dieser Jahreszeit sein konnten, so kühl waren oft die Nächte. Die Männer pullten aus Leibeskräften, sie wollten so rasch wie möglich wieder in ihrer Unterkunft beim Wein und bei den Karten sein. „Fahren Sie zurück, Senor, oder bleiben Sie an Bord der ‚Hispaniola’, fragte ein
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schnauzbärtiger Soldat, der das Ruder führte. „Ich bleibe an Bord – und zu niemandem ein Wort, ich bin in geheimer Mission dort!“ schärfte er den Soldaten noch einmal ein. Die „Hispaniola“, ein großes, rank gebautes Schiff, wuchs aus dem mondbeschienenen Wasser hervor. Als das Boot längsseits schor, wurden die Männer von einer barschen Stimme angerufen. „Halt, wer da? Gebt euch zu erkennen, oder es wird gefeuert!“ Felipe Quiros erbleichte, zum zweitenmal an diesem Tage. „Ich bin’s, Felipe Quiros. Im Auftrag des Alkalden, ich wünsche sofort Capitan Alvarez zu sprechen, sofort!“ Ed Carberry, der neben dem Seewolf stand, rieb sich die mächtigen Pranken. „Kann er haben, der Junge! Na, dann ‘rauf mit ihm, was, wie?“ Der Seewolf grinste. „Besser konnte es gar nicht gehen, Ed!“ flüsterte er. „Dieser Kerl ist bestimmt ein Vertrauter des Alkalden. Sorg dafür, daß das Boot wieder ablegt und verschwindet. Außerdem hol Arkana, bring sie in die Kapitänskammer! Du weißt, ich verabscheue derartige Methoden, Ed, aber diesen Kerl quetsche ich aus wie eine Zitrone, wenn er nicht freiwillig redet. Für irgendwelche Rücksichtnahme ist jetzt keine Zeit mehr.“ Der Profos nickte nur kurz. „Sie können aufentern, ich werfe Ihnen eine Strickleiter zu. Das Boot soll dann sofort ablegen!“ Der Seewolf, um den sich auf leisen Sohlen neben Siri-Tong auch die anderen Seewölfe geschart hatten, warf eine Jakobsleiter aus. Ächzend stieg Felipe Quiros Sprosse um Sprosse hinauf und wurde dann von den Seewölfen übers Schanzkleid gezogen. ,“Willkommen an Bord, Senor“, sagte der Seewolf, und seine Stimme hatte dabei einen Klang, der Quiros aufhorchen ließ. Aber er hielt sich damit nicht auf. „Bringen, Sie mich zu Capitan Alvarez!“ schnarrte er. „Wieso empfängt er mich
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nicht persönlich? Unverschämtheit, ich werde das dem Alkalden melden!“ Der Seewolf ignorierte es. Er. vernahm, wie, das Boot ablegte, aber die Soldaten waren noch zu nah an der „Hispaniola“, es war nicht nötig, daß sie etwas hörten. „Wenn Sie mir bitte in die Kapitänskammer folgen wollen?“ sagte der Seewolf und ging voraus. Ihm war nicht entgangen, daß der Profos und Arkana soeben im Achterkastell der Galeone verschwunden waren. Quiros sah sich mißtrauisch um. „Wo sind denn Ihre Wachen? Sonst sind doch immer viel mehr Soldaten an Bord! Ist irgendetwas passiert?“ Auch der Seewolf blieb stehen. Ihn ritt in diesem Moment der Teufel. „Ach, Senor Quiros, Sie wissen gar nicht? Ich meine die Geschichte von der ‚Esmeralda’, die die Araukaner-Mädchen entführt hatte und dann von den Araukanern mit Mann und Maus vernichtet wurde? Wissen Sie etwa auch nicht, daß wir uns seitdem mit den Araukanern im Kriegszustand befinden? Wir konnten uns dieser braunhäutigen Teufel nur knapp in der Todesbucht erwehren. Arkanas Krieger wüteten wie die Bestien unter uns, die Hälfte meiner Männer wurde getötet. Es heißt, die Araukaner werden Valdivia angreifen und dem Erdboden gleichmachen. Und jetzt, wie ich hörte, hat man auch noch die Tochter der Hohepriesterin entführt und die drei Krieger, die das Kind zu bewachen hatten, getötet. Die Schlangenpriesterin ist wie von Sinnen, sie hat blutige Rache geschworen!“ Quiros taumelte vor Entsetzen. „Die Hälfte Ihrer Männer wurde getötet?“ fragte er atemlos. „In der Todesbucht?“ Hasard nickte nur. „Und jetzt, jetzt wollen diese braunen Teufel Valdivia überfallen? Nein, das darf nicht - das ...“ „Beruhigen Sie sich, Senor“, sagte der Seewolf und sah, wie seine Männer grinsten. „Folgen Sie mir jetzt bitte in die Kapitänskammer!“
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Er ging voran, und Felipe Quiros wankte hinter dem Seewolf her, dicken Angstschweiß auf der Stirn. Aber dieser verfluchte Alkalde hatte ja nicht auf ihn hören wollen. Er verschwand im Achterkastell. Er nahm sich vor, diesen Capitan Alvarez zu bestechen, daß er ihn sofort irgendwohin segelte, wo er sich in Sicherheit befand. Noch heute sollten seine gehorteten Reichtümer auf die „Hispaniola“ verladen werden ... * Der Seewolf öffnete die Tür zur Kapitänskammer und überließ Felipe Quiros den Vortritt. Dann trat er selber ein und schloß die Tür hinter sich. Quiros blickte sich um, den Capitan suchend. Da löste sich aus dem Halbdunkel der geräumigen Kammer eine dunkle Gestalt. Arkana trat in den Lichtkreis der Lampe und starrte den Spanier aus ihren dunklen Augen an. Aber ihr Gesicht wirkte hart in diesem Moment, und der Seewolf sah, daß sie keine Gnade gewähren würde. Felipe Quiros prallte zurück, aber Ed Carberry fing ihn auf und hielt ihn fest. Der Seewolf trat auf den Günstling des Alkalden zu. „Falls Sie es noch nicht begriffen haben sollten, Senor: Das ist Arkana, die Schlangenpriesterin. Sie hat ein paar Fragen, die Sie Ihnen stellen will, und ich rate Ihnen sehr, diese Fragen schnell und wahrheitsgemäß zu beantworten.“ Quiros quollen die Augen aus den Höhlen. „Arkana?“ krächzte er. „Wieso ist sie denn, was ...“ „Das ganze Schiff ist voller Araukaner. Capitan Alvarez und seine Männer sind gefangen, die Araukaner haben sie überwältigt. Ich sagte Ihnen doch, daß die Araukaner Valdivia angreifen und Rache nehmen würden. Sie sind schon da, das kann ich Ihnen sofort beweisen, wenn Sie wollen.“ Quiros begriff war nichts. „Und Sie, warum sind Sie noch frei? Wer sind Sie? Sie haben mit diesen braunen
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Bestien gemeinsame Sache gemacht! Das kostet Sie den Kopf, Senor, das ist ...“ Der Seewolf packte zu. „Man nennt mich den Seewolf!“ sagte er. „Ich bin keine von Ihren erbärmlichen Kreaturen. Und so wahr ich der Seewolf bin, ich werde den Araukanern und Arkana helfen. Arkana, ich überlasse dir jetzt dieses Subjekt, stelle deine Fragen!“ „Der Seewolf, der — der schon damals mit den Araukanern — der ...“ Arkana riß die Geduld. Sie packte den schlotternden Spanier mit hartem Griff, ihre Augen funkelten. „Wo ist Araua, meine Tochter?“ fragte sie. Gleichzeitig zog sie ihr Messer und setzte es Felipe Quiros an die Kehle. „Halt, nein — nicht!“ schrie der Spanier in Todesangst. „Wo ist sie?“ wiederholte Arkana ihre Frage, und in diesem Moment sah sie aus wie eine Rachegöttin, groß, schlank, muskulös. Der Schlangenreif in ihrem pechschwarzen Haar glitzerte, die Augen in den beiden Schlangenköpfen glühten. „Sie ist, der Alkalde hat sie im Palast, in seinem Verlies, er ...“ Arkana hielt den Spanier erbarmungslos fest. Ohne daß ein Muskel in ihrem Gesicht zuckte, stellte sie die nächste Frage. „Wer hat die Entführung meiner Schlangenkrieger befohlen?“ „Der Alkalde, ich habe ihn gewarnt. Ich habe ihn auch vor der Entführung von Ihrer Tochter gewarnt, ich habe ...“ Arkanas Augen wurden noch dunkler. „Du hast also davon gewußt. Dann bist du mitschuldig am Tod meiner Kriegerinnen. Weißt du, wie sie gestorben sind? Weißt du, was man ihnen angetan hat auf eurem Schiff, bevor es ihnen gelang, ihre Peiniger ebenfalls zu töten? Und niemand auf diesem Schiff blieb am Leben. Hier, dieser Mann dort, den man den Seewolf nennt, hat das Schiff mit den Toten gefunden!“ Arkana schleuderte ihm ihre Worte nur so ins Gesicht. Quiros kreischte vor Angst, aber die Schlangenpriesterin rührte das nicht.
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„Du bist mitschuldig, und deshalb wirst du sterben. Das habe ich beim Schlangengott geschworen. Wo ist das Verlies? Beschreibe es mir, genau!“ „Sterben? Ich will nicht sterben: ich ...“ Arkana verstärkte den Druck ihres Messers an seiner Kehle. „Wo ist es?“ fragte sie. „Im Keller, die Treppe in der Halle links. Die Tür ist verschlossen, der Alkalde bewahrt den Schlüssel in seinem Arbeitszimmer auf.“ Arkana lockerte ihren Griff etwas. „Willst du noch etwas von ihm wissen, Seewolf?“ fragte sie. „Arkana, mußt du ihn denn ...“ „Bitte nicht für ihn. Gerade du nicht, Seewolf. Frag diesen Mann da aus deiner Besatzung, den ihr den Profos nennt. Er hat mir erzählt, was er im vorderen Laderaum gesehen hat. Nein, dieser Mann wird sterben, wie ich es geschworen habe!“ Arkana packte Felipe Quiros am Genick und drängte ihn aus der Kammer. Quiros schrie, er gebärdete sich wie ein Wahnsinniger, aber das half ihm nichts. Arkana rief ihren Kriegern ein paar Befehle zu, wenige Augenblicke später hing Senor Quiros an einer Rah der Galeone. Mitleidlos starrte ihn die Schlangenpriesterin an. „Er starb schneller als meine Schlangenkriegerinnen“, sagte sie nur. „Wir werden jetzt Araua holen, und der Alkalde soll noch zur Rechenschaft gezogen werden.“ Sie wandte sich ab, Ed Carberry und der Seewolf folgten ihr. Das Gesicht des Profos war finster. Als Siri-Tong sich ihnen anschloß, blieb er stehen. „Madame, sie sollten an Bord bleiben. Man kann nicht wissen, was geschieht, aber das Schiff brauchen wir, wenn wir hier mit heiler Haut wieder ‘rauskommen wollen. Einer von uns muß an Bord bleiben!“ Siri-Tong atmete schwer, und Hasard legte ihr den Arm um die Schulter. „Ed hat recht. Er wird mich begleiten, sorge du dafür, daß alle Geschütze geladen
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werden, Arkana wird auch einen Teil ihrer Krieger an Bord lassen, die paar Seewölfe reichen nicht aus.“ Widerstrebend stimmte die Rote Korsarin zu. Sie warf einen Blick zu Felipe Quiros hinauf, dessen Körper im Wind hin und her schwang. „Paß auf dich auf, Seewolf“, sagte sie nur. Hasard erwiderte nichts, aber er lächelte ihr zu. Dann glitt er ins Boot hinunter, das die Seewölfe bereits vorsorglich abgefiert hatten. Arkana und sechs ihrer Krieger warteten schon voller Ungeduld. Als Carberry und der Seewolf Platz genommen hatten, stieß es sofort ab. * Juan de Montoya wälzte sich ebenfalls in dieser Nacht unruhig in seinem Bett herum. Alpträume plagten ihn. Schweißgebadet fuhr er hoch.. „Verdammt, was ist los mit mir?“ murmelte er. Und dann dachte er wieder an diese kleine Araukanerin, an diese seltsamen Augen, mit denen ihn das Kind angesehen hatte. Das waren niemals Indianeraugen, dachte er, während er nach der Karaffe Wein auf seinem Nachttisch griff. Er mußte mehr trinken, dann würde er schon wieder einschlafen. Mit zitternder Hand goß er sich einen Becher voll ein, dabei verschüttete er Wein, der einen großen roten Fleck auf dem Bett bildete. Entsetzt starrte er auf den Fleck. Das sieht ja aus wie Blut! schoß es ihm durch den Kopf. Dieser kleine Bastard — wer war ihr Vater? Hatte Quiros mit seiner Warnung vielleicht doch recht gehabt? Ob Arkana es wirklich wagen würde, Valdivia mit ihren Kriegern anzugreifen? Der Alkalde goß sich abermals einen Becher Wein ein und stürzte ihn hinunter. Er sah bereits Gespenster, er hatte soviel über diese Schlangenpriesterin gehört, daß er auch schon anfing, durchzudrehen. Ächzend wälzte er sich aus dem Bett. Er mußte ein Fenster öffnen, dann würden
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diese Beklemmungen, die er manchmal in der Brust verspürte und die ganz plötzlich einzusetzen pflegten, schon wieder vergehen. Er wankte zum Fenster und riß es. auf. Im selben Moment erstarrte er. Von See her rollte dumpfer Kanonendonner heran. Kanonendonner? Er lauschte angestrengt. Ja, da war er wieder. Lauter als zuvor. Das mußten gewaltige Schiffsgeschütze sein, die da feuerten! Der Alkalde griff zum Klingelzug. Man sollte ihm auf der Stelle Felipe Quiros holen, auf der Stelle! Er wollte. wissen, was da draußen auf der See los war. Er hatte schon die Hand ausgestreckt, um den Klingelzug zu betätigen, als die Tür seines Schlafzimmers aufflog. Er sah den großen Mann mit den eisblauen Augen und dem schulterlangen, schwarzen Haar. Der Alkalde ließ den Klingelzug fahren. Diese Augen! schoß es ihm durch den Kopf. Himmel und Hölle, wo hatte er diese Augen schon gesehen? Der Wein umnebelte seinen Verstand. Aber dann hatte er es: bei der Kleinen, bei diesem Bastard der Schlangenpriesterin! Ja, das war es, dieser Kerl da mußte der Vater sein, solche Augen gab es sonst nicht mehr, solche... Der Alkalde zuckte zusammen, er spürte, wie sein Herz ein paar Schläge lang aussetzte. Er rang nach Atem. War er wahnsinnig? Er sah Arkana und drei Schlangenkriegerinnen, die hinter dem Seewolf ins Zimmer stürmten. Der Seewolf war als erster bei ihm. „Den Schlüssel fürs Verlies, du Dreckskerl, oder ich drehe dir den Hals um!“ Noch ein Mann stürmte ins Zimmer, das Gesicht voller Narben, ein schwerer stämmiger, riesengroßer Kerl, der sich erstaunlich gewandt und rasch bewegte. Er war im Nu neben dem Alkalden. Seine Pranke packte zu, und der Alkalde stöhnte auf. Seine umnebelten Sinne begriffen nicht mehr, was um ihn herum vorging.
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Er hörte noch, wie Schubladen aufgerissen wurden, wie seine Sachen durch den Raum flogen, dann wurde er plötzlich von diesem Riesen vorwärtsgestoßen, durch die Halle und eine Treppe hinunter. Er glitt aus und stürzte schwer, aber die Riesenpranke war sofort wieder da. „Vorwärts, du Affenarsch!“ hörte er eine gewaltige, dröhnende Stimme hinter sich. Und wieder erschütterte das Dröhnen schwerer Schiffsgeschütze die Mauern seines Palastes. Dann standen sie vor der schweren Bohlentür, die zum Verlies führte. Der Seewolf sperrte sie auf, während der Profos den fetten Alkalden mit gehörigem Schwung hineinbeförderte. Am Seewolf vorbei stürzte Arkana, und gleich darauf riß sie die völlig verängstigte Araua in ihre Arme. Der Seewolf starrte das kleine Mädchen an. Dann ging er zu Arkana und streckte die Hände aus. „Gib sie mir, Arkana. Ich bringe sie zur ,Hispaniola’.“ Er drückte sie an sich, und Arkana ließ ihn gewähren. Araua kuschelte sich an den Seewolf, sie barg ihr Gesicht an seiner breiten Brust, während er beruhigend auf das Kind einredete. Arkana wandte sich dem Alkalden zu, der röchelnd an einer der dicken Felswände des Verlieses lehnte. Sein Gesicht war blau angelaufen. Er starrte die Schlangenpriesterin aus hervorquellenden Augen an, während sie auf ihn zuschritt. „Arkana!“ stieß er hervor. „Wie ist es dir gelungen ...“ Er stieß plötzlich einen Schrei aus, griff sich an die Brust und sackte in sich zusammen. Ein paarmal zuckte er noch, dann lag er still. Arkana stand vor ihm, Ed Carberry beugte sich zu ihm hinunter. „Tot“, sagte er. „Dieses verdammte Schwein ist schon vor Angst gestorben, ehe überhaupt jemand Hand an ihn legte! Nun gut, dann braucht sich von Uns niemand die Finger dreckig zu machen.
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Ein Kind hier in dieses Loch zu werfen, also das habe ich noch nicht erlebt!“ Carberry schwieg plötzlich und lauschte auf das Dröhnen der Schiffsgeschütze, das bis zu .ihnen in das Verlies drang. „Hasard, ich glaube, wir sollten hier verschwinden. Da draußen auf See ist der Teufel los, ich möchte bloß wissen, wer da herumballert!“ Der Seewolf nickte. Sie stürmten nach oben. Im Palast warfen sich ihnen ein paar aufgescheuchte Wachsoldaten entgegen. Carberry schlug ..,;den einen mit einem mörderischen Hieb zu Boden, den andern warf er quer durch die Halle. Dann waren sie draußen. Sie hetzten zum Hafen, und je mehr sie sich ihm näherten, desto lauter wurde das Dröhnen der schweren Schiffsgeschütze. Sie hatten das Boot noch nicht erreicht, da blitzte es auch auf der „Hispaniola“ auf. Im grellen Blitz des Mündungsfeuers zeichneten sich die Konturen der „Hispaniola“ deutlich ab. „Rasch!“ Der Seewolf trieb Carberry und die Araukanerinnen an. „Wir müssen ‘raus aus der Bucht, oder sie nageln uns hier fest!“ Sie sprangen ins Boot. Carberry griff zusammen mit den Araukanern zu den Riemen. Das Boot flog nur so über die Wellen. Und wieder dröhnten schwere Geschütze auf. Diesmal zuckte bereits das Mündungsfeuer der Breitseiten über die Bucht. Der Seewolf lauschte. „Das ist der schwarze Segler!“ rief er dann. „Thorfin ist da, und er ist auf ein paar Dons gestoßen. Wir müssen ihm helfen!“ Sie erreichten die „Hispaniola“ Die Rote Korsarin empfing sie am Schanzkleid. „Gott sei Dank, daß ihr da seid“, sagte sie nur. Sie erblickte die kleine Araua. Ein weiches Lächeln trat sekundenlang in ihre Züge. „Du kannst dich nicht verleugnen, Seewolf“, sagte sie. „Gib sie jetzt Arkana, sie soll sie in die Kapitänskammer bringen und bei ihr bleiben. Sonst ängstigt sich das arme Wurm ja zu Tode, denn sobald wir ausgelaufen sind, geht’s rund! Da draußen
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sind drei spanische Galeonen, die ‚Isabella’ tut, was sie kann, aber mit den paar Figuren, die sie an Bord hat, ist nicht viel zu machen. Thorfin ist gerade noch zur rechten Zeit eingetroffen, er setzt den Dons mächtig zu, da!“ Eine Breitseite dröhnte auf, der gleich darauf ein schmetternder Schlag folgte. Über die Bucht zuckte der Blitz einer gewaltigen Explosion. Etwas später rollte es wie ein nicht mehr endender Donner über die Bucht und Valdivia. Dan bekreuzigte sich. „Da lebt keiner mehr“, sagte er. „Den hat der Wikinger voll erwischt!“ Carberry trieb die Seewölfe in die Wanten, er selbst enterte auch mit auf, während die Araukaner unter dem Kommando der Roten Korsarin den Anker lichteten. Es war mit den wenigen Mann ein schwieriges Manöver, in der Bucht zu wenden, der günstige Wind half ihnen jedoch dabei. Dann holten die Seewölfe, unterstützt durch die Araukaner, die Brassen an. Die ‚Hispaniola’ nahm Fahrt auf und gewann die offene See. Als sie die Landzunge, die der Bucht v in Valdivia vorgelagert war, umrundeten, verstummten der Geschützdonner. Die Seewölfe erkannten auch sofort, warum. Von den drei spanischen Galeonen schwamm noch eine. Und die trieb brennend in der See. Im hellen Mondlicht hoben sich die schwarzen Konturen von „Eiliger Drache über den Wassern“ drohend ab. Das Schiff lief unter vollen Segeln auf die „Hispaniola“ zu. Ed Carberry verzog das Gesicht. „He, Siri-Tong, pfeif den Wikinger zurück! Der Kerl ist imstande und knallt uns eine Breitseite seiner Zwanzigpfünder in den Bauch! Oh, ich kenne dieses behelmte Rübenschwein: Wenn der erst mal so richtig am Zug ist, dann schießt der noch die ganze Neue Welt in Grund und Boden!“ „Eiliger Drache über den Wassern“ rauschte unter vollem Zeug mit schäumender Bugwelle heran. Das große, viermastige Schiff wirkte wie ein
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gigantisches Ungeheuer mit dem schwarzen Rumpf, den schwarzen Masten und den schwarzen Segeln. Der Wikinger hielt genau auf die „Hispaniola“ zu. Erst als Carberry bereits die wüstesten Drohungen von in der Hölle gesottenen Affenärschen, denen er persönlich die Haut in Streifen abziehen werde, ausstieß, schwang der schwarze Segler herum. Die brüllende, alles übertönende Stimme des Wikingers drang an ihre Ohren. „Ho, ihr lausigen Spanier! Ich sollte euch mal gehörig Feuer unter den Hintern machen, aber ich will nicht so sein. Segelt jetzt wieder brav zur Mocha-Insel zurück. Wir treffen uns in der Todesbucht! Ho, an die Brassen mit euch, ihr Lahmärsche, ich habe noch ein paar treffliche Fässer Rum, die wir uns mit den hübschen AraukanerMädchen in die Bäuche schütten werden. Beeilt euch, oder wir saufen das ganze Zeug allein!“ Der schwarze Segler lief unter Vollzeug davon, und Siri-Tong schickte ihm ein leises Lachen hinterher. Dieser Thorfin Njal war schon ein toller Hecht. Daß er eben noch .gegen eine gewaltige Übermacht von Spaniern gekämpft hatte, das schien ihm überhaupt nichts auszumachen. 9. Unangetastet erreichten die „Isabella“, die „Hispaniola“ und der schwarze Segler die Todesbucht gegen Abend des folgenden Tages. Der Wikinger hatte sein Versprechen gehalten: Er lag bereits vor Anker, und am Strand loderte ein riesiges Feuer. Als die Seewölfe mit Arkana und ihren Schlangenkriegerinnen an Land setzten, stampfte ihnen der Wikinger bereits entgegen. Als er die kleine Araua sah, die der Seewolf in seinen Armen hielt, neben sich Arkana und die Rote Korsarin, ging ein breites Grinsen über seine Züge, und er kratzte sich erst ausgiebig am Helm, dann im Bart. Carberry sah ihm irritiert zu und beschloß, dem Wikinger irgendwann einmal den Helm zu klauen. Das mußte, bei allen Göttern der Meere, doch möglich
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sein! Aber er ließ sich von diesen finsteren Vorsätzen noch nichts anmerken. „Ich habe es ja immer gewußt, Seewolf!“ röhrte der Wikinger in einer Lautstärke, daß ein paar der Schlangenkriegerinnen fast erschrocken zurückfuhren. „Du bist ein ganz durchtriebener Halunke, der auf jeder Insel und in jedem lausigen Hafen irgendein Weibsbild sitzen hat. Aber paß gut auf, mein Freund, Siri-Tong versteht in dieser Hinsicht keinen Spaß. Und wenn du es so weitertreibst, dann werden wir eines Tages deinen getrockneten und in Streifen geschnittenen Affenarsch aus dem Großtopp holen müssen!“ Er nahm einen gewaltigen Zug aus einem Rumfaß, das er einfach hochstemmte und an die Lippen setzte. Und dann reichte er es an Carberry weiter, und der gab es dem Seewolf. So ging es reihum, und der Wikinger registrierte mit tiefer Befriedigung, daß jeder der Seewölfe genügend Mumm in den Knochen hatte, um wie ein Mann zu saufen und die Rumprobe zu bestehen. Später brachten die Krieger Arkanas Fleisch in rauhen Mengen. Am Strand der einstigen Todesbucht loderten gewaltige Feuer. auf. Gesang brandete auf, dazwischen das dröhnende Gelächter des Wikingers, dessen fremdartige Erscheinung die Araukaner mit heimlichen Blicken bedachten. Allerdings nicht nur die Krieger. Das Fest dauerte bis zum Sonnenaufgang. Die meisten der Männer lagen am Strand, unfähig, sich zu rühren. Auch Hasard und Siri-Tong schliefen fest. Sie merkten nicht, wie Arkana sie lächelnd beobachtete und dann ein paar Kriegern einen Wink gab. Sofort brachten sie kostbare, bestickte Decken, mit denen sie die beiden zudeckten. Nach einem letzten Blick wandte die Schlangenpriesterin sich ab, nachdem sie Siri-Tong ein gleiches Armband umgelegt hatte, wie Hasard es seit ihrer ersten Begegnung trug. Dann ging sie langsam den Strand entlang und verschwand schließlich im grünen Vegetationsgürtel, der die Bucht säumte.
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Die Seewölfe blieben zwei volle Wochen auf der Mocha-Insel, mit ihnen der Wikinger, der sich sauwohl zu fühlen schien. An den Schiffen wurden alle Schäden behoben, und die Araukaner erwiesen sich als sehr geschickte Handwerker. Am zweiten Tag der dritten Woche erhob sich ein strahlender Morgen aus der See. Die beiden Schiffe, die „Isabella“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ lagen klar zum Auslaufen in der Bucht. Hasard stand mit Siri-Tong auf dem Achterkastell der „Isabella“. Die kleine Araua hielt’ er auf seinem Arm, und sie zog ihn an seinen langen schwarzen Haaren. Er sprach an diesem Tag nicht viel. Gegen Mittag, die Kleine tollte gerade mit Bill und dem Schimpansen Arwenack über die Decks, während Sir John mit schiefgelegtem Kopf in der Takelage sein mörderisches Gezeter anstimmte, stand plötzlich Siri-Tong neben dem Seewolf. Sie sah ihn an, dann lehnte sie sich an seine Brust, nur für einen Moment. „Geh zu ihr und nimm Araua mit, Hasard. Nimm Abschied von den beiden. Vielleicht siehst du sie nie wieder. Geh jetzt!“ Sie hauchte ihm einen Kuß auf die Lippen. „Ich werde hier auf dich warten.“ Hasard nahm sie wortlos in seine Arme. Dann stieg er langsam die Stufen zum Hauptdeck hinunter und hob die lachende und vor Vergnügen quietschende Araua hoch. Sofort schmiegte sie sich an ihn und sah ihn aus ihren eisblauen Augen an. Hasard verließ die „Isabella“. Zwei der Seewölfe ruderten ihn und Araua an den Strand. Er nahm Araua an die Hand und ging langsam mit ihr in Richtung auf das Araukanerdorf davon. Erst am nächsten Morgen kehrte er zurück. Allein. Seine Züge wirkten so gelöst und so weich, wie Siri-Tong ihn noch nie gesehen hatte. Sie lächelte ihm zu, und Hasard lächelte zurück.
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Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, liefen die beiden Schiffe mit prallen Segeln aus der Todesbucht in die offene See hinaus. Wieder, genau wie damals, stand Arkana auf der Landzunge und blickte der „Isabella“ nach. In ihren Armen hielt sie Araua, die dem Seewolf zuwinkte.
Arkana, die Schlangenpriesterin
Auch in Arkanas Zügen war ein weiches Lächeln, als sie der Kleinen übers Haar strich und sie an ihre Brüste drückte. Sie hatte den Schlangengott befragt, ob sie den Seewolf wiedersehen werde. Aber diesmal hatte der Schlangengott geschwiegen. Er wußte es offenbar so wenig wie Arkana, denn das Land, aus dem jene Frau stammte, die sich die Liebe des Seewolfs errungen hatte, lag weit, weit hinter dem Meer. Zu weit selbst für den Schlangengott.
ENDE