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Seewölfe 236 1
Roy Palmer 1.
Jetzt, zu Beginn des Monats März 1591, befand sich die „Isabella VIII.“ wieder in den Gewässern der nördlichen Erdhalbkugel und lief in einer warmen Tropennacht unweit des Äquators und des gewaltigen Deltas der AmazonasMündungen eine stille, geschützt liegende Inselbucht an. Die Insel hieß „Ilha de Maraca“ und gehörte zu einem kleinen Archipel nahe der Ostküste der „Tierra Firme“, wie die Spanier und die Portugiesen den südlichen Teil der Neuen Welt zu nennen pflegten. Es gab eine kleinere Insel weiter im Norden, die offenbar noch keinen Namen hatte, und vier bis fünf Meilen im Südosten der „Ilha de Maraca“ lag ein Eiland namens „Ilha Jipioca“, das allerdings nicht einmal halb so groß wie die Nordinsel war. Wieder etwas weiter südlich schließlich lag das „Cabo Norte“, das Nordkap, das in den Atlantik hinausragte. Der Seewolf bezog alle diese Daten aus seinem umfangreichen Kartenmaterial. Er hatte am Vortag mit Dan O’Flynn zusammen Berechnungen angestellt, und dank ihres navigatorischen Geschicks war es ihnen gelungen, die Insel in der Dunkelheit zu finden, indem sie sich am Mond und an den Sternbildern orientierten. Hier, wo der zweite nördliche Breitenkreis die „Ilha de Maraca“ in ihrer Mitte durchschnitt, wollte sich Philip Hasard Killigrew auf die Suche nach Frischfleisch und Trinkwasser begeben - nach jagdbarem Wild und einer Quelle also, die seiner Meinung nach auf der Insel anzutreffen sein mußten. Die erbarmungslose Hitze und die große Feuchtigkeit des Amazonasgebietes hatten die Vorräte an Bord der Galeone stark reduziert. Fleisch und Speckseiten waren verdorben, vom Frischgemüse und vom Obst ganz zu schweigen. Das Brot war zum größten Teil so stark angeschimmelt, daß es nicht mehr genießbar war, im Mehl krochen die Würmer, in der Fässern faulte das Süßwasser, und das Salz war zerflossen wie ein gärender Brei.
Archipel der braunen Teufel
Da sich auch keine lebenden Tiere mehr an Bord befanden, die man hätte schlachten können, sah sich der Seewolf vor die dringende Notwendigkeit gestellt, größere Mengen Nachschub für die Kombüse und die Vorratslasten der „Isabella“ zu beschaffen. Das Festland wollte er jedoch nicht mehr anlaufen, um nicht zuviel, Zeit zu verlieren, und so schien ihm die „Ilha de Maraca“ für seine Zwecke genau der richtige Platz zu sein. Vor Morgengrauen wählte er die Männer aus, die ihn als Landtrupp bei der Erkundung der Insel begleiten sollten. Es waren Ben Brighton, Big Old Shane, Ed Carberry, Ferris Tucker, Blacky, Dan O’Flynn und Smoky. Old Donegal Daniel O’Flynn übernahm auf Hasards Anweisung hin für die Zeit seiner Abwesenheit das Kommando an Bord der „Isabella“. Im Hereinbrechen des neuen Tages schickte Old O’Flynn einen argwöhnischen Blick zum Strand der Bucht hinüber. Er stand an der Backbordseite des Quarterdecks, hatte die Hände auf das Schanzkleid gelegt und schien angestrengt nachzudenken. Keiner der Männer, die in seiner Nähe waren, bezweifelte im geringsten, daß es wieder die üblichen düsteren Vorstellungen waren, die seinen Geist beschäftigten. Shane wollte den Alten ansprechen, aber Ferris Tucker hielt ihn zurück und gab ihm durch eine Geste zu verstehen, daß es besser wäre, Old Donegal in Ruhe zu lassen. In der Tat gerieten Old O’Flynn und der graubärtige Riese schon oft genug aneinander, besonders dann, wenn es um die „Gesichter“ und die üblen Ahnungen des Alten ging. Der Seewolf trat nun allerdings neben Old O’Flynn und sagte: „Nun rück schon heraus mit der Sprache, Donegal. Du kannst uns ruhig verraten, was uns erwartet, wenn wir die Insel betreten. Wir sind auf alles vorbereitet.“ Der Alte wandte den Kopf, und plötzlich hellten sich seine Züge auf. „Wie, du meinst, ich würde euch euren Untergang prophezeien und alle möglichen Fallen
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wittern? Nein, nein, diesmal täuschst du dich.“ Er lachte kurz auf. „Wenn du mich schon fragst, also, ich glaube, daß wir diesmal eine richtig schön gelegene Insel und eine nette freundliche Bucht erwischt haben.“ Hasard hob verblüfft die Augenbrauen. „Ist das dein Ernst?“ „Mein voller Ernst.“ „Und wir werden auch Wild und eine Quelle entdecken?“ „Bin ich ein Hellseher?“ fragte der Alte mit verschmitzter Miene zurück. „Bei der Vegetation, die ich von hier aus sehe, könnte das gut der Fall sein, aber es bleibt eben nur eine Vermutung.“ Big Old Shane trat einen Schritt näher und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Sag mal, willst du uns auf den Arm nehmen, Donegal?“ fragte er drohend. „Du bist doch sonst nicht so zimperlich mit deinen verdammten Voraussagen.“ Old O’Flynn musterte ihn angriffslustig. „Shane, paß auf, daß du an Land nicht hinfällst und dir die Ohren brichst. Ich sehe ein paar knorrige Wurzeln auf deinem Weg und eine giftige Schlange, die dir in den Hintern beißt, wenn du der Länge nach am Boden liegst. Genügt das?“ „Ja, mir reicht’s“, entgegnete der ehemalige Schmied von Arwenack. „Dir bringe ich einen Skorpion mit, du Witzbold, und den stecke ich dir heute abend in die Hosentasche. Mal sehen, was dann passiert.“ Höhnisch verzog Old O’Flynn seinen Mund. „Du findest ja doch keinen, du krummbeiniger Eisenbieger. Ich in meinem Alter sehe noch so gut wie ein Seeadler, aber du kannst auf eine Kabellänge Entfernung ja nicht mal einen Felsen von einer Jungfrau unterscheiden.“ Shane wollte ihm eine geharnischte Antwort geben, doch Hasard unterband den beginnenden Streit in seinem Ansatz. „Abentern an Bord der Jolle“, befahl er. „Wir setzen jetzt über und fangen mit der Erforschung der Insel an. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Das Boot war bereits abgefiert worden und dümpelte an der Bordwand des Schiffes.
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Hasard stieg aufs Hauptdeck hinunter, kletterte über das Schanzkleid und hangelte .an der Jakobsleiter nach unten. Die sieben Männer folgten ihm. Wenig später hatte sich die Jolle von der „Isabella“ gelöst und glitt unter gleichmäßigem Riemenschlag zum Strand der Bucht hinüber. Grau kroch das erste Licht des Tages von Osten her über die Insel und löste die milchigen Schleier auf, die sich vom Wasser der Bucht bis zu den flachen Kuppen der Hügel im Inneren der Insel emporzogen. Hasard, der die Ruderpinne der Jolle hielt, blickte zu den Hügeln auf und fragte sich im stillen, ob sich Old O’Flynn in seiner ausgesprochen optimistischen Äußerung über das, was sie auf der „Ilha de Maraca“ erwartete, diesmal nicht ein wenig geirrt hatte. Keiner konnte auch nur ahnen, was sich wirklich ereignen würde. * Die Ankerbucht der „Isabella“ befand sich am Ostufer der Insel, und von dort aus war es unmöglich, alles zu überblicken. So erhoben sich zwischen dem Ostufer und den sandigen kleinen Buchten der Südseite die Hügel, die auch Bill, dem Ausguck im Großmars, die Sicht bis dorthin versperrten. Folglich vermochten weder die an Bord der „Isabella“ zurückgebliebenen Männer noch Hasard und seine sieben Begleiter zu verfolgen, was sich um diese Zeit an einer der halbkreisförmigen, mit weißem Sand ausgefüllten Buchten im Süden tat. Als der Seewolf mit seinem kleinen Trupp gerade landete und das Boot verließ, stiegen fünf Mädchen von einem der mit Buschwerk und niedrigen Bäumen bewachsenen Hänge ab und liefen auf den Strand. Sie stießen kurze, entzückte Rufe aus, lachten und benahmen sich völlig unbeschwert. Sie hießen Ilana, Mileva, Ziora, Saila und Oruet, und sie gehörten dem kleinen
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Stamm von Indios an, der auf dieser Insel ein ziemlich sorgenfreies Leben führte. Ilana blieb stehen und streifte als erste ihren engen Rock ab. Danach öffnete sie ihr kunstvoll besticktes Hemd, das in seinen bunten Mustern an eine der Molas im Dorf erinnerte, Applikationsnähereien, wie sie vor allen Hütten hingen. Sie ließ das Hemd wie achtlos sinken und schritt auf die Brandung zu, mit anmutigen Bewegungen und leicht schwingenden Hüften, ihrer vollendeten Schönheit bewußt. Die anderen folgten ihrem Beispiel und gingen ihr nach. Sie waren unbekümmert in ihrer Nacktheit und benahmen sich so ausgelassen wie Kinder, als sie das Wasser erreichten. Sie liefen lachend durch die Brandung. Oruet geriet ins Stolpern und fiel, aber Ilana drehte sich sofort um und half ihr wieder auf. Die drei anderen kicherten. Mileva wollte Ilana und Oruet mit Wasser bespritzen, doch der zurechtweisende Blick Ilanas hielt sie zurück. Ilana und Oruet waren die besten Freundinnen, sie benahmen sich wie Schwestern, und stets war Ilana hilfreich um das etwas schwerfälligere Mädchen bemüht, als habe ihr das jemand besonders ans Herz gelegt. Als sie noch Kinder gewesen waren, hatte Ilana, die Kessere und Mutigere von beiden, bei einer ihrer Eskapaden nur hundert Schritte vom Dorf entfernt einmal eine höchst unliebsame Begegnung mit einer giftigen Schlange gehabt. Das Reptil hatte sich vor ihr aufgerichtet, um zuzustoßen, und Ilana war vor Schreck wie gelähmt gewesen. Oruet jedoch, die alles beobachtet hatte, hatte überraschend geistesgegenwärtig gehandelt und einen Stein aufgehoben, der so groß war, daß sie ihn kaum halten konnte. Diesen Stein hatte sie auf die Schlange geworfen -und Ilana hatte ihr dies nie vergessen. Oruet prustete und sagte: „Danke, Ilana. Ich bin aber auch zu ungeschickt. Ich glaube, ich bin ein richtiger Tollpatsch.“
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„Unsinn. Komm, ich will, daß du jetzt endlich richtig schwimmen lernst.“ „Das lerne ich nie.” „Du mußt dich dazu zwingen“, sagte Ilana. „Eines Tages könnte es lebenswichtig für uns alle sein, uns im Wasser fortzubewegen.“ „Du meinst, weil Surkuts Männer kommen könnten?“ „Ja.“ „Tubuago, dein Vater, sagt, daß Surkut es niemals wagen würde, uns zu überfallen. Surkut hält große Reden, aber im Grunde seines Herzens ist er ein Hasenfuß.“ „Das mag sein“, sagte Ilana. „Aber er versteht es, seine Männer gegen uns aufzuwiegeln. Bald wird ihr Haß gegen uns so groß sein, daß sie sich nur noch wünschen, uns alle totzuschlagen.“ Entsetzt riß Oruet die Augen auf. „Rede doch nicht so, Ilana. Ich kann es nicht ertragen, wenn du so etwas sagst.“ Ilanas Miene veränderte sich, sie lächelte plötzlich wieder. „Du hast wirklich recht. Wir sollten uns unser Morgenbad nicht verderben. Laß uns ins tiefere Wasser waten.“ „Ilana“, sagte Oruet. „Wenn Kewridi dich jetzt so sehen könnte — wenn er wüßte, daß du hier bist, würde er bestimmt dort drüben zwischen den Büschen hocken und dich beobachten.“ „Er weiß es aber nicht. Keiner von den jungen Burschen aus dem Dorf weiß, daß wir hier sind, und das ist auch gut so, denn sie sind alle viel zu stürmisch und können sich nicht zurückhalten.“ Ilana lachte, griff nach Oruets Arm und zog sie mit sich zu den anderen, die inzwischen schon bis zur Brust im Wasser standen und ihnen zuwinkten. Kewridi war ein junger Jäger und Fallensteller, der Ilana seit einiger Zeit den Hof machte, jedoch von Tubuago, dem Häuptling der Maraca-Indios, immer wieder energisch zurückgewiesen wurde. Ilana stand seinem Werben halb angetan, halb reserviert gegenüber, denn sie wußte selbst nicht genau, wie sie sich verhalten sollte.
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Die fünf Mädchen bewegten sich im klaren. türkisfarbenen Wasser und blickten zum Himmel auf, der sich über ihnen allmählich blau zu färben begann. Die Brise aus Südosten, die den herben Duft der See landeinwärts trug, spielte mit ihren schwarzen Haaren, und das Licht der Sonne setzte ihren Körpern einen bronzefarbenen Schimmer auf. Ilana bemühte sich darum, Oruet das Schwimmen in Rückenlage beizubringen. Sie tat das nicht zum erstenmal, aber ihre Geduld schien unerschütterlich zu sein. Immer wieder erklärte sie ihrer Freundin, daß man den Rücken durchdrücken und die Beine so ausgestreckt wie möglich halten müsse — und immer wieder ging Oruet unter. Die Vertrautheit mit dem nassen Element war bei den Inseln-Indios eine Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit, die meisten von ihnen waren gute Schwimmer und Bootsfahrer. Jede Mutter pflegte mit ihrem Neugeborenen zuallererst ein kaltes Bad zu nehmen, um es abzuhärten und an das Wasser zu gewöhnen. Auch den Mädchen brachte man das Schwimmen bei, und die größte Zahl von ihnen waren überdies hervorragende Taucherinnen, die Muscheln und Korallen aus der Tiefe holten. Nur bei Oruet waren bislang alle Versuche fehlgeschlagen, sie diese Fertigkeiten zu lehren. Ihre Eltern, ihre Brüder und alle anderen Verwandten hatten es schon aufgegeben, sie entsprechend zu unterrichten. Nur Ilana hielt nach wie vor fast starrsinnig an ihrem Vorhaben fest. Oruet tauchte wieder auf. Sie spuckte etwas Wasser aus und rieb sich die Augen. „Hör jetzt mal gut zu“, sagte Ilana. „Das Wasser trägt dich, du darfst nur keine Angst davor haben. Das Wasser ist dein Freund, wenn du die Furcht verlierst. Du kannst dich darauf ausruhen wie auf deiner Schlafmatte, du brauchst es nur zu wollen. Oruet — du bist ja schon wieder mit den Gedanken woanders!“
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„Sieh doch“, sagte Oruet. Sie blickte an Ilanas Schulter vorbei, und ihre Stimme hatte einen seltsam belegten Klang. Ilana wandte sich um. Jetzt sah sie die kleinen Wasserfahrzeuge, die das Südkap der Insel von Westen her gerundet haben mußten. Es waren Kanus und Piraguas, mehr als ein halbes Dutzend an der Zahl. Sie waren voll besetzt mit braunhäutigen Männern, die die Paddel wie große Messer ins Wasser stachen. „Da!“ rief jetzt auch Ziora. „Das sind bestimmt Surkuts Männer!“ „Ilana“, sagte Oruet. „Du hattest recht mit deinen Befürchtungen. Oh, wie recht du hattest.“ Ilana fuhr im Wasser zu ihr herum. „Fort!“ stieß sie aus. „Ans Ufer, ehe es zu spät ist. Ich gehe mit dir, Oruet.“ Sie beschrieb eine hastige Gebärde zu Mileva, Ziora und Saila hin und rief: „Ihr schwimmt dort hinüber— so schnell ihr könnt!“ Sie wies zum nordöstlichen Bereich des Strandes und fügte hinzu: „Sie dürfen uns nicht erwischen!“ Sie wagte nicht, sich auszumalen, was geschah, wenn die Flucht vor den Männern mißlang. Sie zerrte Oruet mit sich fort, gelangte in etwas flacheres Wasser und kam schneller voran. Bald hatten sie sich beide der Brandung so weit genähert, daß sie laufen konnten. Hoch spritzte das Naß auf. Hinter ihrem Rücken ertönten das Lachen und Grölen der Männer, die jetzt sehen konnten, daß die Mädchen völlig unbekleidet waren. Mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit schoben sich die Kanus und Piraguas auf den weißen Sandstrand zu. Die Distanz schrumpfte, und schon richteten sich einige der Indios in den Booten auf, um über die Bordwand zu springen und den Mädchen nachzuhetzen. Sie betrachteten die fünf Mädchen als ihre Beute, eine Beute, die es zu nehmen und zu unterwerfen galt. 2. Ilana hatte Oruets Arm losgelassen. Nebeneinander verließen sie das flache
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Wasser. Ilana wagte nicht, sich umzudrehen. Leicht geduckt lief sie über den Sand und hoffte, daß ihre Freundin mithalten würde, doch Oruet fiel zurück. Ilana drehte sich zu ihr um. Voll Panik gewahrte sie, daß die ersten Kanus die Brandung erreicht hatten. Vier, fünf, sechs und noch mehr Gestalten ließen sich ins Wasser fallen, richteten sich blitzschnell wieder auf und stürmten lachend ans Ufer. „Beeil dich!“ schrie Ilana. „Mach doch jetzt nicht schlapp!“ „Ich komme“, stieß Oruet hervor. „Lauf weiter. Kümmre dich nicht um mich!“ Mit einem Satz war Ilana bei ihr, griff ihre Hand und zog sie hinter sich her. Surkuts Männer waren jetzt ebenfalls auf dem Strand und nahmen die Verfolgung der Mädchen auf. Einer wollte eine Lanze schleudern, doch ein anderer hielt ihn zurück. „Nicht!“ brüllte er. „Wir wollen sie doch nicht verletzen! Für uns taugen sie nur, wenn sie gesund und kräftig sind!“ Die anderen lachten wieder. Mileva, Ziora und Saila versuchten, schwimmend und tauchend zur anderen Seite des Strandes zu fliehen, doch auch ihnen waren die Männer dicht auf den Fersen. Zwei Kanus und zwei Piraguas glitten ihnen nach, und schon forderten einige der Männer sie durch Zurufe auf, sich zu ergeben. Die Männer stammten von der Nordinsel. Surkut, ihr Anführer, hatte sie geschickt, und sie waren fast die ganze Nacht über unterwegs gewesen, um die Entfernung zwischen der Nordinsel und der Insel Maraca zu überbrücken und anschließend am Westufer der „Ilha de Maraca“ entlangzupaddeln. Sie sollten eigentlich nur auskundschaften, wie es um die Bewachung der Insel Tubuagos bestellt war, damit Surkut seinen Überfall auf die Insel Maraca - den er schon seit langer Zeit durchführen wollte entsprechend planen konnte. Jetzt aber hatten die Späher die fünf Mädchen ganz überraschend entdeckt und wollten sich ihr brutales Vergnügen nicht nehmen lassen.
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Oruet strauchelte und fiel. Sie wollte sich von Ilana losreißen, doch Ilana stürzte mit ihr, und ehe sie sich wieder aufrappeln konnten, waren die wild grölenden Kerle über ihnen. Die Mädchen wehrten sich mit Händen und Füßen, sie schlugen um sich, kratzten und bissen, doch die Übermacht war zu groß. Drei Angreifer packten Ilana, zwei andere hielten Oruet an den Armen und an den Beinen fest, ein sechster beugte sich über die Mädchen und betrachtete sie, als seine Kumpane sie derart fest im Griff hatten, daß sie sich nicht mehr regen konnten. „Borago!“ rief einer von den beiden, die die stöhnende Oruet auf den Boden preßten. „Auf was wartest du? Fällt dir die Auswahl so schwer? Ich an deiner Stelle würde die Schlanke, Langbeinige nehmen. Überlaß uns die Kleine hier mit den großen Brüsten, wir werden sie schon zähmen.“ Borago war ein großer Mann mit dichtem, schwarzem Haar, breiten Schultern und einem muskulösen Körper. Er zählte zu den besten Kriegern des Stammes der Nordinsel, und Surkut hatte ihn zum Führer der Bootspatrouille ernannt, die die Ufer der „Ilha de Maraca“ erkunden sollte. Er beugte sich über Ilana und las in ihren Zügen. Doch in ihren Augen war keine Angst, an der er sich weiden konnte. Zornig rief sie: „Laßt mich los! Ihr werdet es sonst schwer bereuen, was ihr tut!“ „Was tun wir denn?“ fragte Borago mit unverhohlenem Spott in der Stimme. „Bislang ist dir doch noch gar nichts geschehen, mein Täubchen. Vielleicht will ich dich nur beschützen, wer weiß?“ „Sag deinen Kerlen, daß sie mich freigeben sollen!“ „Ich gebe ihnen nur dann den Befehl dazu, wenn du mir versprichst, dich nicht vom Fleck zu rühren.“ „Ihr habt kein Recht, uns festzuhalten!“ stieß Ilana aus. „Ich bin die Tochter des Häuptlings Tubuago, und wenn ihr mir und meinen Freundinnen auch nur ein Haar krümmt, geschieht ein großen Unheil. Dann erklärt mein Vater euch den Krieg!“
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Die Kerle lachten, und Borago erklärte mit hämischer Miene: „Es wird mir eine besondere Ehre sein, die Tochter des Feiglings und Tagediebes Tubuago ein Stück über diesen schönen weißen Sand zu schieben.“ Wieder brüllten die Kerle vor Vergnügen. Ilana biß sich auf die Unterlippe. Sie wußte jetzt, daß sie einen Fehler begangen hatte. Der Hinweis auf ihren Vater und darauf, wer sie war, hatte die Strolche nicht im geringsten beeindruckt — im Gegenteil. Es würde ihnen jetzt eine doppelte Freude bereiten, sie zu entehren und zu erniedrigen. Sie begriff, daß sie wohl besser den Mund gehalten hätte, doch die Einsicht erfolgte zu spät. Im Wasser schrie eins der drei anderen Mädchen auf. Es war Mileva, die jetzt von einem der Kerle, die inzwischen von den Kanus und Piraguas in die Fluten gesprungen waren, gefaßt worden war. Er zog sie unter die Oberfläche, tauchte wieder mit ihr auf und lachte, als sie ihm die Faust ins Gesicht hieb. Ein paar andere stellten Ziora und Saila nach und holten sie ein, noch ehe sie durch die Brandung auf den Strand gelangen konnten. Auch sie setzten sich zur Wehr und schrien, doch jeder Widerstand, alle Schläge und Tritte, die sie austeilten, nutzten ihnen nichts. Borago kniete sich hin und streckte die Hände aus, um Ilanas Körper zu betasten. „Schrei, soviel du willst“, sagte er. „Ich glaube nicht, daß jemand aus eurem verfluchten Dorf euch hört, denn meines Wissens liegt es ziemlich weit im inneren der Insel.“ Ilana preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Sie war bleich unter ihrer braunen Gesichtsfarbe, und plötzlich verspürte sie Angst, doch sie zwang sich dazu, die Angst nicht zu zeigen. Oruet jedoch schrie auf, so verzweifelt und gellend, daß einer der Männer ihr fluchend den Mund zuhielt. Sein Kumpan richtete sich halb auf und traf Anstalten, sich seines Lendenschurzes zu entledigen.
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Hinter den ersten Hügeln begann die eigentliche tropische Vegetation der Insel: ein dichter Regenwald, wie ihn die Seewölfe zur Genüge kannten. Eine Laune der Natur hatte verhindert, daß die Mangroven und Lianen und all die anderen üppig wuchernden Pflanzen der „Selvas“ bis über die östlichen Hänge der Insel hinaus zum Ufer krochen. Hasard nahm an, daß dies mit der Beschaffenheit des Untergrundes zusammenhing, der ihm in Küstennähe härter und lehmiger erschien als hier, am Saum des Dschungels. Im Busch erwachte das Leben. Bunte Vögel flatterten zwischen den Baumriesen auf und ab und stießen empörte und warnende Schreie aus. Äffchen keckerten, Insekten tanzten im ersten Morgenlicht, und irgendwo verschwand ein scheues Reptil lautlos im verfilzten Unterholz. Neugierige Augen schienen die Männer zu beobachten. Sir John, der karmesinrote Aracanga, der mit Carberry die „Isabella“ verlassen hatte und bisher zahm und sittsam auf der Profos-Schulter gehockt hatte, erhob sich mit einem krächzenden Laut in die Luft und flog zu seinen Artgenossen. Hier fühlte er sich in seinem Element, hier war er ja praktisch zu Hause, denn Carberry hatte ihn seinerzeit bei einer Fahrt auf dem Amazonas aufgelesen. Der Seewolf beschloß, den Waldrand in südlicher Richtung abzuschreiten. Vorerst wollte er nicht in das Dickicht eindringen. Er hatte Glück mit seiner Strategie: Nicht sehr viel später trafen sie hart am Saum des Dschungels auf eine Quelle, die aus einem kleinen Gesträuch hervorsprudelte. Hasard bückte sich und untersuchte zunächst, ob sich in dem Gebüsch etwa Schlangen verborgen hielten. Aus Erfahrung wußte er, daß besonders die giftigen Exemplare mit Vorliebe in den frühen Morgen- und während der späten Nachmittagsstunden die Nähe des Wassers anstrebten, um ihren Durst zu löschen. Big Old Shane und Ben Brighton standen schon mit ihren Entermessern bereit, um
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nötigenfalls auf die Reptile einzuschlagen, aber ihre Vorsicht erwies sich in diesem Fall als übertrieben. „Die Quelle ist sauber“, sagte Hasard. „Umso besser, das erspart uns eine längere Säuberung und unliebsame Überraschungen. Mal sehen, wie das Wasser schmeckt.“ Er wollte beide Hände zu einer Art Schale formen, um etwas von dem Naß zu schöpfen, doch plötzlich hielt er inne und hob lauschend den Kopf. „Hört ihr das?“ fragte er. „Sicher, Sir“, erwiderte Ferris Tucker. „Der Dschungel ist voller merkwürdiger Geräusche, und man muß sich wundern, daß man bei dem Lärm überhaupt noch sein eigenes Wort versteht.“ „Unsinn, Ferris, das meine ich nicht. Ich habe ganz deutlich einen Schrei gehört.“ „Du meinst – den Schrei eines Raubtiers?“ fragte Smoky, der Decksälteste. Der Seewolf schüttelte den Kopf und richtete sich auf. „Nein. Das war der Ruf eines Menschen, und wenn mich nicht alles täuscht, befindet er sich in höchster Gefahr. Vorwärts, sehen wir mal nach, was da los ist. Der Laut kam von Süden.“ Er lief los und steuerte am Busch vorbei auf die sanften, nur mit Strauchwerk und niedrigen Bäumen bewachsenen Kuppen zu, die im Süden jetzt zu erkennen waren. Ben, Shane, der Profos, Ferris, Blacky, Dan und Smoky schlossen sich ihm an und hatten Mühe, nicht hinter ihm zurückzubleiben. Wieder einmal bewies der Seewolf, daß er nicht nur ausgezeichnete Seebeine hatte. Er lief sehr schnell, mit langen Sätzen, und wich geschickt Unebenheiten und anderen Hindernissen im Gelände aus. Big Old Shane, der neben Ben Brighton lief, entsann sich der Worte Old O’Flynns. Er hatte den Mahnungen und Prophezeiungen des Alten nie Glauben geschenkt, aber jetzt mußte er doch daran denken. Plötzlich hakte er mit dem rechten Fuß hinter eine Buschwurzel und geriet ins Taumeln. Um ein Haar wäre er hingefallen, nur durch rasche Beinarbeit
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und wildes Rudern mit den Armen konnte er sein Gleichgewicht halten. Fluchend lief er weiter. „Siehst du, Shane“, sagte Dan O’Flynn hinter ihm. „Mein Alter hat mal wieder recht gehabt. Paß bloß auf, daß du nicht noch hinfliegst und dir die Ohren brichst.“ „Der Teufel soll den Alten holen!“ rief Shane. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber der Seewolf drehte sich zu ihm um und gab ihm durch seinen Blick zu verstehen, daß er still sein sollte. Hasard hatte die letzte Kuppe fast erreicht, die ihn und seine Männer noch vom südlichen Ufer der Insel trennen mußte, und wieder vernahm er jetzt einen Schrei, diesmal erstickt, aber nicht minder verzweifelt als der vorherige. Er duckte sich zwischen die Büsche, verlangsamte seine Schritte und hielt nach dem Ausschau, was sich offenbar direkt am Ufer abspielte. Von dort war jetzt das rauhe Lachen von Männern zu hören, dann ein paar Worte, die Hasard nicht verstand. Als er seinen Kopf wieder etwas anhob, konnte er den halbkreisförmigen Streifen weißen Strandes erkennen, auf dem sich mehrere Gestalten bewegten - Männer und Frauen, man brauchte kein Spektiv, um sie unterscheiden zu können. Ben, Shane und der Profos waren neben ihrem Kapitän, und auch Ferris, Blacky, Smoky und Dan trafen in diesem Moment ein. Der Seewolf drehte sich zu ihnen um. „Wir müssen den Mädchen aus der Klemme helfen“, sagte er leise. „Es ist unsere verdammte Pflicht. Versuchen wir also, diese Kerle zu verjagen. Geschossen wird nur im äußersten Notfall, und auch mit den Blankwaffen haltet ihr euch zurück, verstanden? Ich will kein unnötiges Blutvergießen.“ „Aye, aye, Sir“, murmelten die sieben. * Borago blickte plötzlich auf, weil einer seiner Männer einen warnenden Laut ausgestoßen hatte. Borago kniff die Augen etwas zusammen, und seine Miene
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veränderte sich. Sie wurde hart und undurchdringlich, denn er sah jetzt die acht weißen Männer, die den Hang hinunterstürmten. Keinen Moment gab er sich Illusionen darüber hin, was ihre Absichten sein mochten. Er sprang auf und griff nach seiner Lanze, die einer der Kumpane ihm sofort zuwarf. Er lief los, zwischen Ilana und Oruet hindurch, hielt auf die Fremden zu und rief dabei seinen Leuten „Los, schlagen wir diese Hunde zurück, sie wollen uns nur den Spaß verderben!“ Im Voranstürmen ließ Borago die Fremden nicht aus den Augen und prägte sich ihre Physiognomien genau ein. Der Mann an der Spitze des kleinen Trupps hatte schwarze Haare, eisblaue Augen und ein verwegenes, von tausend Wettern geprägtes Gesicht, das zusätzlich durch eine Narbe gekennzeichnet war, die über seine Stirn und seine eine Wange verlief. Hinter diesem großen Mann liefen drei Riesen, von denen der eine durch seinen gewaltigen grauen Vollbart auffiel, der zweite durch seinen roten Haarschopf und der dritte durch sein narbiges Gesicht mit dem mächtigen Kinn. Die vier übrigen registrierte Borago als einen etwas untersetzten Mann mit lichtem Haar, einen ziemlich düster wirkenden Dunkelhaarigen, einen jungen Mann mit dunkelblondem Haar und einen Braunhaarigen, der der älteste von allen zu sein schien. Borago hatten von der „Viracocha“ gehört, von den bärtigen weißen Männern, die mit ihren Schiffen fast überall an der Festlandküste gelandet sein sollten und dort jetzt ihre Herrschaft immer mehr ausweiteten. Einmal hatten er und seine Stammesbrüder von der Nordinsel aus auch einen der großen, stolzen Segler gesichtet, mit denen die Eroberer über die See fuhren. Die Maraca-Inseln jedoch waren bislang von diesen Männern, von allen Indios gefürchtet wurden, nicht beachtet worden, und so wußte man hier wenig über ihre Bräuche, über ihre Religion, ihre Waffen und ihre Art.
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Vielleicht aber, so dachte Borage, sind sie heute erschienen, um auch uns zu unterwerfen, sowohl Tubuagos Stamm als auch den unseren, und es ist gut, ihnen gleich zu zeigen, mit wem sie es hier zu tun haben. Er hatte keine Furcht vor diesen seltsamen Männern. Außerdem waren er und seine Kumpane in der Überzahl, so daß er sich leichtes Spiel von einer Auseinandersetzung mit diesen acht Fremden versprach. Der Schwarzhaarige rief ihm etwas zu, das er nicht verstand. Borago wußte nicht, daß es die spanische Sprache war, und er kannte auch nicht den Indio-Dialekt, dessen der Seewolf sich gleich darauf bediente. Das Sprachengewirr in der Neuen Welt war groß, kein Indio verstand einen arideren Ureinwohner des Kontinents, wenn dieser auch nur hundert Meilen von ihm entfernt wohnte. „Laßt die Mädchen in Ruhe!“ rief Hasard noch einmal, diesmal wieder auf spanisch. „Haut ab! Verschwindet!“ Er hatte keine Hoffnung, daß die Indios auch nur eins seiner Worte begriffen. Mit seinen Kenntnissen der indianischen Sprachen haperte es, und im übrigen hatte er schon mehrfach einen Eindruck davon erhalten, wie vielfältig das Ketschua, Guarani, Araukanisch und die anderen Dialekt-Formen Südamerikas waren. Jede andere Form der Verständigung wurde durch Borago selbst verhindert. Er blieb abrupt stehen, hob seinen Speer und schleuderte ihn den Männern der „Isabella“ entgegen. „Zur Seite!“ rief der Seewolf. Sie wichen aus, und die Lanze flog mit surrendem Geräusch an ihnen vorbei. Sie blieb nicht weit vom Fuß des Hanges entfernt im Sand stecken. Hasard und seine Männer hoben die Waffen. Der Seewolf hatte seinen Radschloß-Drehling von Bord der „Isabella“ mitgenommen, Ben Brighton hielt den Schnapphahn-Revolverstutzen, in dessen Schloß er die Trommel mit acht Kammern eingesetzt hatte. Die anderen hatten Musketen und Tromblons.
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„Auf was warten wir?“ sagte Carberry. „Daß sie uns abstechen?“ Hasard blickte zu Borago und sprach kein Wort. Borago stieß einen wilden Schrei aus, nahm seinen Bogen zur Hand, riß einen Pfeil aus dem Köcher und legte dessen Schaftende an die Sehne. „Schießt!“ schrie Borago seinen Begleitern zu, die jetzt ebenfalls vorgerückt waren und die langsamer vorrückenden Fremden lauernd betrachteten. „Tötet sie!“ Drohend hoben sich die Lanzen, die Spitze von Boragos Pfeil wies auf Hasards Brust. Hasard legte mit dem Radschloß-Drehling an und gab einen Schuß in die Luft ab. Donnernd raste die Ladung hoch über die Köpfe der Indios weg, und eine weißliche Wolke Pulverqualm stieg in den Morgenhimmel auf. Die Indios zuckten unwillkürlich zusammen und blieben stehen. Sie hatten von Fischern, die einmal vom Festland aus zu ihnen herübergepaddelt waren, zwar vernommen, daß die „Viracocha“ über lärmende Feuerrohre verfügten, unter deren Gluthauch die Gegner reihenweise umfielen, doch hatten sie bisher keinen allzu genauen Begriff davon gehabt, wie diese Waffen wirklich aussahen und benutzt wurden. Wütend wandte sich Borago zu seiner Meute um. In den Gesichtern der Kerle spiegelten sich Verwirrung und Bestürzung, sie wußten nicht mehr, wie sie sich verhalten sollten. „Laßt euch nicht beirren!“ rief Borago ihnen zu. „Seht ihr, wir leben alle noch! Die Feuerrohre können keine Wunderdinge vollbringen, sie töten nicht! Ihr Krachen und Qualmen ist nur ein billiger Zauber!“ Ruckartig drehte er den Kopf, zielte wieder auf Hasard und ließ den Pfeil von der Bogensehne schwirren. Der Seewolf ließ sich auf den Strand fallen und entging auf diese Weise dem sicheren Tod. Ben, Shane, Carberry und die anderen fluchten, aber sie schossen immer noch nicht, weil sie nicht den Befehl dazu erhalten hatten. Die Indios stießen Schreie aus, die wie Siegesgeheul klangen. Sie schleuderten ihre Lanzen und schossen ihre Pfeile auf
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die Fremden ab, und einige von ihnen zückten die langen Hartholzmesser, die sie im Lendenschurz stecken hatten, um auch diese nach den weißen Männern zu schleudern. Hasards Gruppe löste sich auf. Die Männer ließen sich zu Boden gleiten oder wichen nach den Seiten aus. Blacky stöhnte jedoch plötzlich auf. Entsetzt blickten sich Hasard und die anderen nach ihm um. Sie sahen, daß Blacky einen Pfeil in der linken Schulter stecken hatte. Blut sickerte aus der Wunde. „Hölle und Teufel!“ begann Carberry zu fluchen. „Sir, diese Bande von braunen Bastarden will uns wirklich erledigen. He, sie wollen uns fertigmachen, diese Satansbraten, diese triefäugigen, verlausten Saftärsche – und das sollen wir uns gefallen lassen?“ „Feuer!“ schrie der Seewolf. Er drückte als erster ab, und der Drehling spuckte seine Kugel mit einer rotgelben Feuerzunge aus. Sofort darauf krachten die Musketen von Shane und von Smoky, dann donnerte Bens Stutzen los, und im Anschluß daran feuerten auch Carberry, Ferris Tucker und Dan O’Flynn. Blacky hatte sein Tromblon losgelassen, Er kniete auf dem Sand und hielt sich mit beiden Händen die Schulter. „Dan!“ rief der Seewolf. „Kümmre dich um Blacky!“ „Aye, Sir!“ Borago und seine Kumpane gerieten unter der Salve, die jetzt geballt über ihre Köpfe strich, wieder ins Stocken. Borago stand dem Seewolf inzwischen jedoch so nahe, daß er nur noch sein Messer zu ziehen brauchte und sich auf ihn werfen konnte, um ihn zu töten. Hasard ließ den Drehling sinken und sprang vom Boden auf, ehe Borago das Messer zur Hand nehmen oder einen neuen Pfeil anlegen konnte. Mit einem großen Satz flog er auf den Kerl zu, packte seine Schultern und riß ihn mit sich auf den Strand. Borago verlor seinen Bogen aus der Hand. Während sie sich zweimal überrollten, tastete er verzweifelt nach
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seinem Messer, doch in seiner Hast konnte er es nicht schnell genug finden. Dan hatte sich umgedreht, war jetzt neben Blacky und drückte ihn vorsichtig nach unten, bis er mit dem Rücken auf dem Sand lag. „Ganz ruhig, alter Junge“, sagte Dan. „Wenn du denkst, du kannst jetzt schon den Hintern zukneifen und der Welt einfach Lebewohl sagen, hast du dich getäuscht. So einfach ist das nun mal nicht.“ „Hab ich das vielleicht gesagt?“ zischte Blacky. „Mann, red nicht so viel. Zieh mir lieber den Pfeil ‘raus.“ „Blacky, das Ding hat Widerhaken.“ „Und wenn schon ...“ „Ich würde das lieber dem Kutscher überlassen“, sagte Dan. „Herrgott. ich wußte gar nicht, daß du so ein elender Jammerlappen bist, Mister O’Flynn“, brummte Blacky. „Laß mal, ich erledige das schon selbst.“ Er legte die Hand an den Pfeilschaft lind versuchte, die Spitze mit einem Ruck aus seiner Schulter zu reißen. Aber schon beim ersten Ansetzen war der Schmerz, der ihn durchzuckte, so stark, daß er wieder aufstöhnte und die Augen verdrehte. Ben, Big Old Shane, der Profos, Ferris Tucker und Smoky feuerten noch einmal über die Köpfe der Eingeborenen, dann erhoben auch sie sich vom Strand und stürmten auf die Meute zu. Sie nutzten die kurze Verwirrung aus, schlugen und rissen den Indios die Waffen aus den Händen und drangen dann mit den Fäusten auf sie ein. Im Nu war ein wildes Handgemenge entbrannt. Auch Ilana, Oruet und die drei anderen Mädchen, die sich inzwischen von ihrem schlimmsten Schrecken halbwegs erholt hatten, nahmen nun an dem Kampf teil, indem sie verlorengegangene Waffen einsammelten und damit gegen die Feinde von der Nordinsel vorgingen. Hasard wälzte sich immer noch mit Borago auf dem Boden. Rechtzeitig bemerkte er, daß der Indio jetzt doch das Hartholzmesser gezogen hatte, und sofort
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nahm er Boragos Handgelenk mit beiden Fäusten in einen Klammergriff. Schon einmal hatte Hasard Bekanntschaft mit solch einem Hartholzmesser geschlossen, und zwar auf höchst unliebsame Art. Der Vorfall lag zwar schon Jahre zurück, aber er konnte sich immer noch sä gut daran erinnern, als wäre das vor einer Woche geschehen. Mit einem Ruck drehte er Boragos Gelenk um. Der Indio gab nicht nach. Sein Gesicht war verzerrt, und der Seewolf glaubte, seine Zähne knirschen zu hören. Hasard lockerte seinen Griff, um es sofort darauf noch einmal zu versuchen. Borago nahm an, er habe jetzt die Oberhand gewonnen. Sie lagen nebeneinander, und er versuchte, sich über den Seewolf zu bringen, den Arm ganz freizukriegen und mit der Klinge zuzustoßen. Aber Hasard stoppte sein Vorhaben im Ansatz. Wieder packte er fest zu und bog das Handgelenk herum, und diesmal schmolz Boragos Widerstand. Mit einem Schmerzenslaut ließ er das Messer los. Hasard ließ ihm nicht die Chance, sich von der erlittenen Schlappe zu erholen und eine neue Attacke zu starten. Er nahm eine Hand von dem -Arm des Mannes, ballte sie und hieb sie ihm gegen die Kinnlade. Er schlug noch einmal zu und sah mit grimmiger Genugtuung, wie die Gestalt des Indios erschlaffte und von ihm wegsackte. Hasard sprang auf und eilte Ben zu Hilfe, der es gleich mit drei Gegnern zu tun hatte. Carberry hatte einen der Indios so kräftig verhauen, daß dieser entsetzt die Flucht vor ihm ergriff. Jetzt packte sich der Profos einen drohend anmarschierenden gedrungenen Kerl, der ihm mit dem Messer zu Leibe rücken wollte. Erstaunlich schnell schlug. er ihm die Waffe aus der Hand. Während der Eingeborene noch verwundert auf seine leeren Finger blickte, griff Carberry ihn bei den Schultern, stieß ihn vor sich her und beförderte ihn mit Schwung auf die Brandung zu. Erst kurz davor ließ er ihn wieder los. Der Indio taumelte von seiner eigenen Körperbewegung vorangetrieben - ins
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Wasser, stolperte und fiel der Länge nach hin. Borago erwachte aus seiner kurzen Bewußtlosigkeit, schlug die Augen auf und sah den Seewolf, Ben Brighton, Shane und Ferris Tucker ganz in seiner Nähe mit den Fäusten gegen die Indios kämpfen. Vorsichtig richtete er sich auf. Er entdeckte sein Messer auf dem Sand und wollte sich danach bücken. Sein Ziel war es, dem großen Schwarzhaarigen, den er am meisten von diesen acht Fremden haßte, die Klinge in den Rücken zu stoßen. Doch eine Stimme hinter ihm sagte plötzlich: „Halt! Hebe nicht das Messer auf, Borago! Ich töte dich, wenn du auch nur einen Schritt tust!“ Betroffen wandte er den Kopf. Hinter ihm stand Ilana. Sie hatte seinen Bogen aufgehoben und auch einen Pfeil gefunden, mit dem sie jetzt auf seinen Bauch zielte. Die Sehne hatte sie so stark gespannt, daß sie jeden Augenblick zu zerreißen schien. Es war erstaunlich, daß Ilana überhaupt die Kraft aufbrachte, den großen Bogen zu handhaben. „Sag deinen Männern, sie sollen aufgeben und verschwinden!“ rief Ilana. Borago wollte aufbegehren, doch es war etwas in Ilanas Augen, das ihn warnte und ihm verriet, daß sie tatsächlich den Pfeil loslassen würde, wenn er nicht sofort gehorchte. Er hatte in seiner momentanen Lage keine Chance gegen sie. Er wandte sich dem Wasser zu und schritt darauf zu. Plötzlich hob er die Hand und schrie: „Fort! Wir verlassen die Insel! In die Kanus, in die Piraguas! Wir kehren zurück zu Surkut, unserem großen Führer. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen!“ Sein Kommando galt: Die Indios ließen von den Männern der „Isabella“ ab und liefen ins flache Wasser. Sehr schnell hatten sie ihre Boote erreicht, kletterten hinein und griffen zu den Paddeln. Ein paar Nachzügler hasteten gestikulierend hinter ihnen her und schienen Angst zu haben, nicht mitgenommen zu werden.
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Carberry und Shane wollten ihnen nachlaufen, doch der Seewolf hielt sie zurück. „Laßt sie“, sagte er. „Es wäre nicht fair von uns, sie jetzt noch aufhalten zu wollen.“ „Sie haben Blacky angeschossen!“ stieß der Profos wutentbrannt aus. „Und überhaupt, warum hauen sie jetzt so plötzlich ab?“ Der Seewolf deutete auf das nackte Mädchen, das nur drei Schritte von ihm entfernt stand und immer noch mit Pfeil und Bogen auf Borago zielte. „Ich glaube, sie hat es diesem muskelbepackten Kerl befohlen“, sagte er. „Und wenn er nicht gehorcht hätte, hätte sie ihn bestimmt getötet, ohne mit der Wimper zu zucken.“ Carberry stand plötzlich da wie vom Donner gerührt. Erst jetzt wurde ihm richtig bewußt, daß das Mädchen splitterfasernackt war - eine echte Schönheit der Natur mit langen und geraden Beinen, einem prächtig gerundeten Gesäß, festen, prallen Brüsten und einem ebenmäßig geschnittenen Gesicht, das von schwarzen Haaren umrahmt war. Mileva, Ziora, Saila und Oruet liefen zu Ilana, umringten sie und sprachen aufgeregt auf sie ein. „Hol’s der Henker!“ ächzte der Profos. „Die sind ja auch nackt wie die -wie die Seehunde!“ „Mann, Mann“, sagte Big Old Shane. „Merkst du das jetzt erst?“ „Ich glaube, er hat Schlick auf den Augen“, sagte Ferris Tucker. Er rechnete fest damit, daß der Profos ihm dafür einen wilden Fluch an den Kopf schleudern würde, doch er hatte sich getäuscht. Carberry sah nach wie vor zu den fünf Mädchen und schien total vernagelt zu sein. 3. Sir John schwebte schon seit einiger Zeit über dem Strand, aber erst jetzt, als der Kampf vorbei war, ließ er sich kreisend
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sinken und landete auf der linken Schulter Carberrys. „Schockschwerenot“, sagte der Profos. „Kannst du mich nicht in Ruhe lassen, du alter Krakeeler?“ Er wandte den Kopf, gewahrte dabei die amüsierten Blicke, die die anderen ihm zuwarfen, und ließ ein etwas übertriebenes Räuspern vernehmen. „Also“, brummte er. „Das wäre geschafft. Ho, seht doch, wie sich diese Hundesöhne verholen.“ Er deutete mit dem Zeigefinger zum Wasser. Sehr rasch hatten sich die Kanus und Piraguas — insgesamt waren es acht—zu einem kleinen Verband formiert und traten die Flucht an. Als sie sich außerhalb der Reichweite aller Schußwaffen,- Speere und Pfeile befanden, richtete sich Borago in seinem Kanu auf, drehte sich noch einmal zu den Gegnern um und schüttelte die Faust gegen sie. Er rief mit hoher Stimme gut ein Dutzend Worte, von denen die Seewölfe kein einziges verstanden. Ilana trat zu Carberry, Ben, Shane und den anderen und sagte: „Ich weiß nicht, wie wir euch danken sollen. Wer seid ihr?“ Ben Brighton zwang sich, nur in ihr Gesicht zu sehen und seinen Blick nicht an ihrem wunderbaren Körper hinabwandern zu lassen. / „Ich verstehe dich nicht“, antwortete er. „Sprichst du Spanisch oder Portugiesisch?“ Ilana schaute ihre Freundinnen an. „Begreift ihr, was sie sagen?“ „Nein“, erwiderte Mileva. „Sie müssen von weit her sein. Sie sind über das große Wasser gesegelt.“ „Vielleicht sind sie Götter“, sagte Ziora. „Sie haben uns vor der größten Schande bewahrt, die uns widerfahren konnte.“ Saila schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, daß sie Götter sind. Aber sie sind gute, starke Männer, die es verdient haben, daß Tubuago, dein Vater, Ilana, sie reich beschenkt für das, was sie getan haben.“ Carberry kratzte sich am Kinn. „Verflucht noch mal — wo ist eigentlich Hasard?“ Er blickte sich um und sah seinen Kapitän bei Blacky knien. Blacky lag völlig reglos auf dem Rücken und hatte die Arme und Beine weit von sich gestreckt.
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„Heiliger Strohsack“, sagte der Profos, dann setzte er sich in Bewegung und eilte zu Hasard, Blacky und Dan hinüber, froh darüber, nicht mit den unbekleideten Inselschönen radebrechen zu müssen, entsetzt jedoch über Blackys Zustand. Auch Ben und die anderen drehten sich jetzt um und verfolgten mit sorgenvollen Mienen, wie sich der Seewolf und Dan O’Flynn um Blacky bemühten. Carberry langte bei den dreien an. „Hölle, Sir“, sagte er. „Dieser Himmelhund Blacky wird uns doch wohl keinen Streich spielen, was, wie?“ Hasard schüttelte den Kopf. „Nein. Er ist nur ohnmächtig. Er hat versucht, sich selbst den Pfeil aus der Schulter zu ziehen. Der Schmerz hat ihn übermannt.“ „Der Pfeil ist doch wohl nicht giftig, oder?“ „Ich will es nicht hoffen.“ Hasard sah auf und fixierte den Profos. „Wir müssen versuchen, aus den Mädchen herauszukriegen, ob es hierzulande üblich ist, die Waffenspitzen mit Gift zu präparieren.“ Ben Brighton war hinter Carberry getreten und sagte: „Ich übernehme das.“ Er wandte sich wieder um und kehrte zu den fünf Mädchen zurück, die jetzt ihre Kleidungsstücke vom Sand aufhoben und ihre Blößen damit bedeckten. Smoky hatte den davoneilenden Piraguas und Kanus der Indios noch einen Blick nachgeworfen. Als Ben in seiner unmittelbaren Nähe war, sagte er: „Die Kerle runden die Insel im Osten. Vielleicht fahren sie bis zu unserer Ankerbucht hinauf. Da kann man nur hoffen, daß Donegal und die anderen auf der Hut sind.“ „Ich schätze, sie sind es, denn sie haben ja unsere Schüsse gehört“, erwiderte Hasards Erster Offizier und Bootsmann. „Im übrigen nehme ich nicht an, daß den Indios nach einer neuen Auseinandersetzung zumute ist.“ Er trat zu Ilana, nickte ihr lächelnd zu und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Ich - Ben.“
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Sie lachte und sagte: „Ilana.“ Dabei legte sie sich die Hand auf den Oberkörper. „Gut, Ilana.“ Ben deutete zu dem Platz, an. dem sich inzwischen alle anderen Männer um den besinnungslosen Blacky versammelt hatten. „Mann verwundet. Pfeil in der Schulter. Verstehst du?“ Er bohrte sich den Finger in die linke Schulter. Ilana hob den Kopf, spähte zu Blacky und den anderen hinüber, sprach aufgeregt mit ihren Freundinnen und wandte sich dann wieder an Ben. „Wir können ihn in unser Dorf bringen. Dorf. Schamane. Du verstehst?“ Ben schüttelte den Kopf, und deshalb bückte das Mädchen sich jetzt und zeichnete mit der Spitze des Pfeiles, den sie vorher auf Borago gerichtet hatte, kleine, bucklige Hütten in den Sand. Ben kauerte sich neben sie hin und fragte: „Wo ist das Dorf? Dort? Oder dort?“ Er wies mit der Hand in verschiedene Richtungen. „Es steht gut dreitausend Schritte entfernt ganz in der Mitte unsere Insel“, sagte Ilana in ihrer Sprache, die ein wenig guttural und doch melodisch klang. „Zu weit“, meinte Ben. „Dann lieber auf unser Schiff.“ Er ließ sich von ihr den Pfeil aushändigen, kritzelte die Umrisse einer Bucht in den feinkörnigen Sand und malte ein Schiff mit drei Masten hinein. Er wies mit dem Finger darauf und sagte: „Dort ankern wir. Am Ostufer.“ „Seht ihr!“ rief Mileva, die den beiden über die Schultern geblickt hatte. „Sie haben also wirklich ein Schiff und sind über das große Wasser gesegelt!“ Ben fragte: „Der Pfeil - könnte er giftig sein?“ Die Mädchen verstanden ihn wieder nicht, und deshalb hob er den Pfeil an, den Ilana ihm gegeben hatte, faßte mit zwei Fingern die Spitze an und versuchte, den Mädchen durch Gesten zu erklären, was er wissen wollte. Blacky hatte unterdessen die Augen aufgeschlagen. Er blickte zum Profos auf, der ihn aus großen, besorgten Augen
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ansah, und mußte trotz seiner Schmerzen unwillkürlich grinsen. „Tja, Mister Carberry“, sagte er heiser. „Da hast du dich zu früh gefreut. Ich bin noch nicht abgesegelt, und ich werd’s vorläufig wohl auch nicht tun.“ „Halt doch die Luke, du Barsch!“ fuhr der Profos ihn an. „Wenn der Scheißpfeil vergiftet war, kratzt du doch ab, und wir armen Irren können dann zusehen, wo wir mit deiner verdammten Leiche abbleiben.“ Blacky erblaßte. „Hölle, daran hab ich noch gar nicht gedacht. Mann, wenn das wahr ist! Wenn da wirklich Gift dran war, dann ...“ Hasard legte ihm die Hand auf den Arm. „Nun halt mal die Luft an, Blacky. Pfeilgifte und alle anderen tödlichen Mittel, die wir bislang bei den Indianern kennengelernt haben, wirken unmittelbar und so schnell wie Schlangengift. Daß du noch am Leben bist und keine Lähmungen hast, ist das sicherste Zeichen dafür, daß die Pfeilspitze nicht irgendwie behandelt war.“ Er sah zu Carberry auf. „Und du, Ed, solltest dir manchmal besser überlegen, was du sagst. Das mit dem Gift hättest du Blacky gar nicht erst auf die Nase zu binden brauchen.“ „Aye, Sir“, sagte der Profos zerknirscht. Ben Brighton gesellte sich mit den fünf Mädchen zu ihnen und erklärte: „Nach allem, was ich aus den Gesten der Mädchen schließen konnte, verwenden die Indio-Krieger auf Maraca kein Pfeilgift. Die Kerle, die die fünf überfallen haben und sie vergewaltigen wollten, stammen offenbar von der Nordinsel. Zwischen ihnen und den Bewohnern dieser Insel herrscht Streit.“ „Wie das alles zusammenhängt, werden wir später noch klären“, sagte der Seewolf. „Jetzt bringen wir erst mal Blacky zurück an Bord der ‚Isabella’. Danach sehen wir weiter.“ „Achtung“, sagte Dan O’Flynn plötzlich. Er hatte die ganze Zeit über den Hang beobachtet, und diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich jetzt als richtig, denn zwischen den Büschen waren Gestalten aufgetaucht.
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Die Männer hoben ihre Waffen und hielten bereits nach Deckungsmöglichkeiten Ausschau, aber von oben her erklang jetzt der Ruf einer ihnen nur allzu bekannten Stimme: „Sir! Freunde! Ich bin’s — Jeff Bowie! Bob Grey ist bei mir!“ „Kommt ‘runter“, sagte Hasard. „Was gibt’s? Hat Old O’Flynn euch geschickt?“ Jeff und Bob richteten sich hinter den Sträuchern auf und stiegen zum Strand hinunter. „Wir haben die Schüsse gehört“, sagte Bob Grey. „Aus der Art, wie sie abgegeben wurden, ließ sich schließen, daß ihr aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf Wild gefeuert hattet. Das war ja ein richtiges Stakkato von Schüssen, und sie gingen ihrem Klang nach alle in die Luft.“ „Richtig, du Hering!“ rief Ferris Tucker. „Aber ihr beiden könnt froh sein, daß ihr euch rechtzeitig genug zu erkennen gegeben habt. Sonst hätten wir euch nämlich abgeknallt wie die Hasen.“ Jeff und Bob waren auf dem Strand angelangt und blickten betroffen zu Blacky. „Was ist passiert?“ fragte Jeff. „Ich erzähle euch alles, während wir zu unsrer alten Lady marschieren“, erwiderte Blacky, der sich jetzt mit Hasards Hilfe aufrichtete. „Jeff, es wäre ganz gut, wenn du neben mir bleiben könntest. Ich kann allein gehen, aber falls ich doch wieder umkippe, kannst du mich stützen.“ „Bob“, sagte der Seewolf. „Du läufst schon mal vor und unterrichtest Donegal, daß hier kriegerische Indios mit Kanus unterwegs sind, die uns auch in der Ankerbucht angreifen könnten.“ „Aye, Sir.“ „Und wir, Sir?“ fragte Big Old Shane. „Was tun wir? Bringen wir die Mädchen in ihr Dorf?“ „Ich glaube, das brauchen wir nicht mehr“, entgegnete Hasard. „Auch dort sind die Schüsse gehört worden, und natürlich ist man sofort aufgebrochen, um nach dem Rechten zu sehen.“ Er streckte die Hand aus und deutete auf die Gestalten der
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Männer, die sich an der westlichen Seite des Hanges erhoben hatten. Es waren nahezu zwei Dutzend braunhäutiger Männer, die alle nur mit Tüchern um die Lenden bekleidet waren und als Waffen Speere, Pfeil und Bogen und lange Messer trugen. Ihre Mienen waren so grimmig, als wollten sie sich jeden Augenblick auf die Männer der „Isabella“ stürzen. 4. „Deck!“ rief Bill, der Moses, aus dem Großmars. Er lehnte sich weit über die Segeltuchumrandung und legte die Hände als Schalltrichter an den Mund. „Boote in Sicht, wir erhalten Besuch! Es sind acht Kanus —Steuerbord achteraus!“ Die „Isabella“ lag mit dem Vorschiff nach Norden und mit dem Heck nach Süden in der Bucht. Ihre Backbordseite war also dem Ufer der Bucht zugewandt, die Steuerbordseite hingegen der Ausfahrt. Old O’Flynn hatte am Backbordschanzkleid des Achterdecks gestanden und Ausschau nach Jeff Bowie und Bob Grey gehalten, die seiner Schätzung nach bald mit Meldungen zurückkehren mußten. Sie waren mit der zweiten Jolle an Land gepullt, und das Boot lag jetzt neben dem ersten, das von Hasard und dessen Trupp benutzt worden war. Auf Bills Ruf hin wandte sich der Alte ruckartig um, überquerte das Achterdeck und spähte über das Steuerbordschanzkleid zur Öffnung der Bucht. Mit bloßem Auge waren die Kanus und Piraguas zu erkennen, die sich aus Südosten näherten. Augenscheinlich, hielten sie auf die Einfahrt der Bucht zu, eine Tatsache, die Old O’Flynn alarmierte. „Pete, Gary, Matt, Al, Sam, Stenmark und ihr anderen Tränentiere mal herhören!“ rief er. „Alle Mann auf Gefechtsstation und ‘raus mit den Kanonen! Wenn die Kerle es wagen, in die Bucht einzudringen, lichten wir vorsichtshalber den Anker, um manövrierfähig zu sein!“
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„Donegal“, sagte Pete Ballie, der Rudergänger, vom Quarterdeck her. „Glaubst du wirklich, daß die sich mit uns anlegen wollen?“ „Was ich glaube, spielt im Moment keine Rolle“, erwiderte der Alte schroff. Er hatte sein Spektiv zur Hand genommen, zog es auseinander und blickte hindurch. Was er sah, löste alles andere als Begeisterung bei ihm aus: Die Mienen der Indios in den Booten waren grimmig, ja, geradezu bösartig. Haßerfüllt sahen sie zur „Isabella“. „Die blicken so wild drein, als wollten sie uns fressen!“ rief Bill hoch über den Köpfen der Männer. „Haben wir denen etwas getan?“ „Blödsinn“, sagte Old O’Flynn. „Aber einige von ihnen haben blaue und rote Flecken im Gesicht und auf dem Leib. Was das zu bedeuten hat, können wir uns ja wohl an unseren zehn Fingern abzählen.“ Al Conroy enterte das Achterdeck, um die beiden hinteren Drehbassen auf Ladung und Feuerbereitschaft zu prüfen, und meinte: „Na, dann hätten wir wohl die Erklärung dafür, warum Hasard und die anderen geschossen haben. Und so friedlich, wie sie dir erschien, Donegal, ist diese Insel wohl doch nicht.“ Der Alte murmelte nur etwas Unverständliches vor sich hin und fuhr fort, die Eingeborenen durch sein Fernrohr zu beobachten. Anfangs schien es so, als wollten sie tatsächlich in die Bucht paddeln. Sie konnten sich ausmalen, daß das große Segelschiff mit den hohen Masten jenen Männern gehörte, mit denen sie am Strand des Südufers eine harte Auseinandersetzung gehabt hatten. Borago hatte Rache geschworen, und in diesem Augenblick überlegte er sich wirklich, ob er das Schiff nicht angreifen und zu kapern versuchen sollte. Doch seine Kumpane rieten ihm davon ab. Sie konnten die Stückpforten der „Isabella“ sehen, die sich jetzt geöffnet hatten, und ebenso deutlich waren die Geschützmündungen zu erkennen, die sich ihnen drohend entgegenreckten. Die Indios
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hatten keinen Zweifel daran, daß es sich bei diesen eisernen Giganten um Feuerrohre handelte, und sie glaubten ihrem Führer Borago nicht, daß die Flammen und Rauch spuckenden Ungetüme verhältnismäßig ungefährlich wären. So zogen die Kanus und Piraguas an der Buchteinfahrt vorbei und verschwanden hinter einer Landzunge. Old O’Flynn wagte es jedoch nicht, schon aufzuatmen. Er drehte sich um und blickte zu Al Conroy und Pete Ballie. „Das kann auch ein Trick sein“, sagte er. „Vielleicht gehen sie irgendwo an Land und versuchen, sich anzuschleichen, um dann vom Ufer aus gegen uns vorzudringen.“ Pete setzte eine zweifelnde Miene auf. „Ich halte es nicht für möglich, daß die braunhäutigen Burschen uns angreifen. Sie müssen sich doch ausrechnen, daß sie dabei den kürzeren ziehen, allein schon aus dem Grund, weil wir Feuerwaffen haben und sie nicht.“ Old Donegal Daniel O’Flynn hob die rechte Hand. „Augenblick mal. Wenn wir schon vom Rechnen sprechen, dann wollen wir uns eins vor Augen halten. In jedem dieser kleinen Kähne saßen acht oder neun Eingeborene. Acht Boote waren es, das haben wir ja alle gesehen. Also, Pete, Ballie, mit wie vielen Kerlen hätten wir es dann im Fall eines Angriffs zu tun?“ „Mit mehr als fünf Dutzend!“ „Das ist mir zu ungenau“, sagte der Alte grantig. „Bist du wirklich so schlecht im Kopfrechnen, Mann, oder tust du nur so?“ „Vierundsechzig bis zweiundsiebzig Eingeborene“, sagte jetzt Al Conroy. „Vielleicht holen sie von irgendwoher noch Verstärkung. Wir können ihre Kanus versenken und über die Hälfte von ihnen töten, wenn sie die ‚Isabella’ zu entern versuchen, aber dann sind sie immer noch in der Übermacht — was ihre Zahl betrifft.“ „Genau das meine ich“, brummte Old O’Flynn. „Und was die Schußwaffen betrifft, so scheinen sie ja nicht gerade großen Respekt davor zu haben. Obwohl
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Hasard und sein Trupp gefeuert haben, haben sich die Burschen trotzdem mit ihnen herumgeschlagen, das sieht man ihnen ja im wahrsten Sinne des Wortes an.“ „Na schön“, sagte Pete. „Wir dürfen sie also nicht unterschätzen, das sehe ich ein. Himmel, ob Hasard und die anderen etwa verletzt worden sind? Wo bleiben bloß Jeff und Bob?“ Old O’Flynn schickte einen Blick zum Ufer hinüber, aber Jeff Bowie und Bob Grey waren dort immer noch nicht aufgetaucht. Er ging bis zur Schmuckbalustrade, die den Querabschluß zum Hauptdeck hin bildete, stützte die Hände auf und rief: „Gary Andrews, du enterst in den Vormars auf und hältst mit Bill zusammen deine verdammten Augen auf, verstanden? Wir müssen von jetzt an höllisch auf der Hut sein!“ „Aye, aye, Sir“, sagte Gary. Er stand mit dem Kutscher an der Nagelbank vor dem Großmars, wandte sich jetzt aber sofort den Fockwanten zu und enterte darin auf. Als er den Vormars erreichte, fand er darin Arwenack, den Schimpansen, vor, der gerade genüßlich an einer geöffneten Kokosnuß knabberte. „Mach mal ein bißchen Platz, Kamerad“, sagte Gary. „Wir zwei werden uns von jetzt an Gesellschaft leisten.“ Er hatte kaum seinen Kieker auseinandergezogen, da ertönte aus dem Großmars wieder Bills Stimme. „Deck! Jeff und Bob treffen ein – und sie haben Blacky dabei!“ Auf Deck ruckten die Köpfe der Männer herum. Bob Grey lief über den Strand und erreichte als erster die Boote. Jeff und Blacky stiegen gerade die Anhöhe hinunter, und Jeff rief: „Bob, warte auf uns, sonst mußt du noch mal wieder an Land zurückpullen!“ „Verflixt“, sagte der Kutscher. „Blacky hat einen Pfeil in der Schulter stecken.“ Old O’Flynn war jetzt am Backbordschanzkleid und schrie: „He, Bob, was ist los? Braucht ihr Hilfe da drüben? Stecken Hasard und die anderen in
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der Klemme? Sind noch mehr Männer verwundet?“ „Das nicht, Sir“, gab Bob zurück. „Aber ich soll dir schleunigst Meldung erstatten, was vorgefallen ist. Eine Horde Indios hat am Südufer der Insel unsere Leute angegriffen und ...“ „Das wissen wir schon!“ rief der Alte. „Los, steigt in die Jolle und pullt her, damit wir Blacky verarzten können. Kutscher, he, Kutscher?“ „Sir?“ „Halte deine Mordinstrumente bereit, damit du Blacky den Pfeil aus der Schulter holen kannst.“ „Bin schon auf alles vorbereitet“, sagte der Kutscher und wies auf Philip junior und Hasard junior, die Söhne des Seewolfs, die ihm die Tasche mit seinen Feldschergeräten und den kleinen Koffer mit den Arzneien aus der Kombüse geholt hatten. Bob Grey drehte sich mit verblüffter Miene zu Jeff und Blacky um, die jetzt bei ihm eintrafen. „Wißt ihr was?“ sagte er. „Irgendwie muß Donegal doch so was wie hellseherische Fähigkeiten haben.“ „Quatsch“, sagte Blacky, der sich doch auf Jeff Bowie stützen mußte. „Er hat die Kanus der Indios gesehen, sie sind hier vorbeigezogen. Den Rest hat er sich leicht zusammenreimen können.“ Bob schob die Jolle vom Sand ins seichte Wasser und gab einen Seufzer von sich. „Mann, o Mann, ich glaube, ich hab heute meinen schlechten Tag. Ich blicke einfach nicht ganz durch. Und diese Scheißinsel mit ihren braunen Teufeln stinkt mir gewaltig. Hölle, hier stinkt’s so sehr, daß ich am liebsten gleich wieder abhauen möchte.“ * Ilana und Oruet hatten das Mißverständnis zwischen ihren Stammesbrüdern und den Seewölfen sehr schnell beseitigt. Die jungen Krieger, die von Tubuago zum Südufer geschickt worden waren, damit sie nach der Ursache der Schüsse forschten,
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.hatten Hasard und dessen Begleiter anfangs für Feinde gehalten. Jetzt aber, nach den Erklärungen der Mädchen, hatten sich ihre Mienen aufgehellt, und sie bezeugten durch Gesten ihren Dank dafür. daß die Seewölfe Ilana, Oruet, Saila, Mileva und Ziora vor dem Zugriff von Surkuts Männern gerettet hatten. Die Verständigung durch Gebärden und Zeichnungen im weißen Sand des Strandes funktionierte jetzt etwas besser. Die Eingeborenen setzten Hasard und seinen sechs Männern auseinander, daß Tubuago sie sicherlich in seinem Dorf willkommen heißen würde. Der Seewolf nahm das Angebot lächelnd an, und so schritten sie hinter den Indios her zu den Hügeln hoch und anschließend durch einen Pfad im Urwald zu der Siedlung, die aus etwa dreißig Holzhütten bestand. „Ich glaube, die Indios werden uns bei der Proviantbeschaffung behilflich sein“, sagte Hasard. „Uns käme das sehr gelegen, denn ich will nach Möglichkeit noch heute nachmittag wieder auslaufen.“ „Und das Trinkwasser?“ fragte Ben Brighton, der neben ihm ging. „Blacky wird Donegal und den anderen an Bord der ‚Isabella’ erklären, wo sich die Quelle befindet“, erwiderte der Seewolf. „Ich nehme an, Donegal wird vorsorglich schon Fässer an Land mannen und füllen lassen, zumindest erwarte ich das von ihm, wenn ich auch nicht den ausdrücklichen Befehl dazu gegeben habe.“ „Hoffen wir, daß dieser Muskelprotz und seine Bande uns dabei nicht wieder in die Quere geraten“, sagte Big Old Shane. „Das sollen sie mal versuchen“, sagte Carberry grimmig. „Dann können sie was erleben. Dann kriegen sie die Hucke so voll, daß sie nicht mal mehr nach Hause paddeln können.“ Weder er noch die anderen ahnten, daß es anders kommen sollte — ganz anders. Ilana und Oruet schritten neben Kewridi her, dem jungen Jäger und Fallensteller. Er stellte ihnen Fragen über Fragen, und sie mußten ihm genau berichten, wie sich die unerfreuliche Begebenheit am Strand zugetragen hatte.
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„Das war unverantwortlich von euch“, sagte er schließlich. „Ihr hättet euch ohne Schutz niemals vom Dorf entfernen dürfen, schon gar nicht so früh am Morgen.“ „Es war meine Idee“, sagte Ilana, und ihre Stimme nahm einen beinah trotzigen Klang an. „Aber mein Vater und meine Mutter wußten davon. Dies war nicht das erste Bad, das ich mit meinen Freundinnen genommen habe.“ „Du kennst die Gefahr, die von Surkut ausgeht, und jetzt hast du am eigenen Leib erfahren, wie grausam seine Männer sind.“ „Es wäre besser, überall auf der Insel Späher aufzustellen“, sagte Ilana. „Ich werde meinem Vater dazu raten.“ „Das brauchst du nicht, das übernehme ich“, sagte Kewridi. Während er sprach, warf er immer wieder Blicke zu den weißen Männern hinüber und hielt besonders den großen schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen unter Beobachtung. „Was hast du an diesen Fremden auszusetzen?“ fragte Ilana ihn plötzlich. Kewridi schien erstaunt zu sein. „Ich? Nichts. Gar nichts.“ „Doch. Du mißtraust ihnen.“ „Haben sie euch - nackt gesehen?“ „Ja“, erwiderte Oruet. „Und wenn schon.“ „Es gefällt mir nicht.“ „Sie sind anständig“, sagte Ilana. „Sie sind gute, aufrichtige Männer mit einem großen Herz.“ Kewridi verzog den Mund. „Gib es nur zu, du magst sie leiden.“ Ilana lachte so laut auf, daß sich die anderen erstaunt zu ihr umblickten. „Aber, aber!“ rief sie. „Du bist ja richtig eifersüchtig! Sei doch nicht kindisch, Kewridi.“ „Sei still“, stieß er gepreßt hervor. „Du weißt ja gar nicht, wie töricht es klingt, wenn du so sprichst.“ „Töricht?“ Sie sah ihn tadelnd von der Seite an. „Jetzt. beleidigst du mich. Und außerdem - von dir lasse ich mir nichts befehlen. Du kannst mir den Mund nicht verbieten.“
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„So keck bist du nur, weil du als Tochter des Häuptlings glaubst, dir besonders viel herausnehmen zu können.“ Ilana wollte ihm eine Antwort darauf geben, doch Oruet trat jetzt zwischen sie und den jungen Mann und sagte leise: „Hört doch auf, beiden. Was sollen die anderen von uns denken?“ Dan O’Flynn stieß Ferris Tucker mit dem Ellenbogen an und sagte: „Weißt du was? Der Bursche da vorn hat einen Zorn auf uns, weil er in die hübsche Ilana verknallt ist und wir ihr aus der Patsche geholfen haben. Viel lieber hätte er sich als rettender Held aufgespielt.“ „Na ja“, meinte der rothaarige Riese. „Ich kann ihn verstehen. Das Mädchen guckt dauernd zu Hasard, und ihre Blicke sprechen Bände.“ „Hör bloß auf“, sagte Smoky, der hinter ihnen schritt. „Das fehlte uns noch, daß sich da irgendwas anbahnt.“ „Unsinn“, sagte Dan. „Hasard ist viel zu reserviert und auf die allgemeine Disziplin bedacht. Er kann sich zurückhalten - und das gleiche erwartet er von uns.“ „Bleibt hart, Leute“, sagte Ferris Tucker. „Haltet durch und seid sittsame Menschen, wenn’s auch schwerfällt.“ Der Dschungel öffnete sich zu einer geräumigen Lichtung, in deren Zentrum die Hütten ringförmig zueinander geordnet waren. Zwei Krieger der Indios, die am Eingang Wache hielten, drehten sich beim Anblick der Ankömmlinge um und stießen Rufe aus. Daraufhin lief im Dorf alles zusammen, was Beine hatte: Männer, Frauen und Kinder, die miteinander zu schwatzen und zu tuscheln begannen und ungeniert auf die Fremden deuteten. Hasard fiel sofort ein drahtiger Mann auf, der jetzt mitten zwischen die Versammlung trat und beide Hände hob, um für Ruhe zu sorgen. Dieser Mann mochte fünfzig Jahre alt sein, vielleicht auch ein wenig älter, es ließ sich schwer schätzen. Er war mittelgroß und keine sonderlich imposante Erscheinung, doch von seinem ganzen Gebaren ging so viel Autorität aus, daß kein Zweifel daran bestehen konnte: Er
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war Tubuago, der Häuptling der Ilha de Maraca. 5. Borago und seine Männer begegneten dem großen Boot des Häuptlings Surkut ungefähr auf halber Strecke zwischen der Ilha de Maraca und der Nordinsel. Vier Kanus begleiteten die große Piragua, in deren Bugpartie Surkut mit erhobenem Haupt und vor der Brust verschränkten Armen stand. „Ich habe auf euch gewartet!“ rief Surkut seiner Patrouille zu. „Ich habe mir Sorgen um euch gemacht, weil ihr nicht so schnell zurückgekehrt seid, wie ich es mir gedacht hatte! Was ist geschehen?“ Er war ein verhältnismäßig großer Mann, zwar nicht so wuchtig gebaut wie Borago, jedoch gleichfalls kräftig, mit breiten Schultern und grobknochigen Hüften. Surkut trug einen Federschmuck auf dem Kopf und hatte sich einen blaßroten Umhang um die Schultern geschlungen, den er bei „besonderen Anlässen“ anzulegen pflegte. Die Stunde verlangte nach einem eindrucksvollen Auftritt, denn er rüstete zum Kampf gegen Tubuago und dessen Stamm, wollte die große Insel besetzen und alle Macht an sich reißen. Das Mienenspiel Surkuts war faszinierend und beunruhigend zugleich. Sein breiter Mund schien fast ständig in Bewegung zu sein. In seinen großen dunklen Augen glomm ein gefährliches Feuer. Von einen Moment auf den anderen konnte der Ausdruck seines Gesichts von Übellaunigkeit in Arroganz umschlagen, von Haß in vorgetäuschte Güte, von Feindseligkeit in Jovialität. Surkut empfand sich als charismatischer Führer seines kleinen Volkes. Er hatte die Schamanen, die dereinst auf der Nordinsel geherrscht hatten, verbannt und sich eine eigene Religion geschaffen. Seine geräumige Wohnhütte und den Dorfplatz hatte er mit grell bemalten Puppen und holzgeschnitzten Standbildern ausstaffiert. Überall hatte er geheimnisvolle Zeichen auf den Boden gemalt, die seinen
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Darstellungen zufolge den Hekura, den Geistern, den Weg wiesen, wenn sie das Dorf besuchten. Auf der Nordinsel gab es genau wie auf der Ilha de Maraca nur jeweils eine Siedlung, in der sich alles Leben konzentrierte, denn ein einziges Dorf war im Falle eines Angriffs von außen leichter zu verteidigen als viele Dörfer. Das Regime, das Surkut führte, war jedoch nicht von Menschlichkeit und Rücksichtnahme bestimmt wie das des Häuptlings Tubuago. Es beruhte vielmehr auf einem diktatorischen Prinzip, das eine ganze Reihe von schweren Strafen für die geringsten Vergehen bereithielt. Der Mythos, den Surkut mit sich selbst als der zentralen Figur geschaffen hatte, besagte, daß sich dereinst das Blut des Mondes auf die Erde ergossen hatte, um ein Volk von Männern zu gebären – Männer, die als das „grimmige Volk“ ewig Krieg führen sollten gegen alle anderen, irrgläubigen Menschen, ganz gleich, ob sie nun braunhäutig oder weiß waren. Seit Surkut sein totalitäres Reich errichtet hatte, gab es auf der Nordinsel immer weniger Frauen und Mädchen, denn die Neugeborenen wurden getötet, wenn sie weiblichen Geschlechts waren. Surkut wollte sein Volk von Männern zahlenmäßig stärken – und schien sich nicht der Tatsache bewußt zu sein, wie fatal sein Handeln war. Borago brachte sein Boot neben die Piragua des Häuptlings. Surkut blickte ihn an und nickte. „Gut. Ich sehe, ihr tragt Wunden. Ihr habt gekämpft, und ich hoffe, ihr habt möglichst viele der räudigen Hunde, die dem Gekläff des närrischen Tubuago folgen, umgebracht.“ Borago schüttelte den Kopf. „Es war anders.“ Surkuts Augen weiteten sich, sein Mund verzerrte sich, seine Miene wurde zu einer Grimasse der Wut und Bestürzung. „Wie? Ihr habt verloren? Ihr habt Prügel bezogen und habt euch fortjagen lassen? Ist es so?“ Borago sah betreten ins Wasser, doch Surkut schrie ihn an: „Berichte, oder ich
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steche dich mit dem Kaoba, dem Häuptlingsmesser!“ Borago begann zu sprechen. Wohl oder übel mußte er die Geschehnisse auf der Ilha de Maraca schildern. Aber er verschweig, daß sie wegen der fünf Mädchen am Südstrand gelandet waren, und seine Kumpane hüteten sich, auf die wahre Ursache, die schließlich zum Kampf mit den „Viracocha“ geführt hatte, hinzuweisen. Surkut hätte Borago getötet, wenn er dies erfahren hätte. So aber beruhigte er sich allmählich und sagte, als Borago geendet hatte: „Sie haben also ein großes Schiff, und ihr wolltet es ihnen wegnehmen. Aber sie haben auch die Feuerrohre, deren Brüllen selbst wir ganz schwach vernehmen konnten. Ihr habt euch tapfer verhalten, und es ehrt dich, Borago, daß du mir das Schiff holen wolltest.“ „Ich weiß, daß es schon lange dein Wunsch ist, ein solches Schiff zu besitzen“, sagte Borago. Surkut lächelte kalt. „Ja, denn damit werden wir zum Festland hinüberfahren und tun, was wir mit unseren Kanus und Piraguas nie und nimmer vermögen. Wir rotten die weiße Brut aus, die sich dort niedergelassen hat, wir töten sie alle und werfen sie ins Wasser. Dann ebnen wir den Weg für die Hekura, die Geister, und bauen ihnen ein riesengroßes Schabono, ein Dorf.“ „Ja!“ riefen die Männer in den anderen Booten. „Ein Schabono für die Hekura !“ Surkut hob in einem Gefühl grenzenloser Überlegenheit den Kopf. Er blickte zu Borago und sah, wie dieser ihm langsam zunickte. Die Zeit war reif für Surkuts Plan. Es war ratsam, auf der Ilha de Maraca zu landen, ehe Tubuago und die weißen Männer überall Wachen aufstellten und sich auf eine Nacht voller Gefahren vorbereiten. Der Angriff mußte zu einer Zeit stattfinden, in der die Gegenseite am wenigsten damit rechnete - bei Tag, möglichst noch um die Mittagsstunde. „Ein Kanu kehrt zur Nordinsel zurück und holt Verstärkung!“ gab Surkut nun seine
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Befehle. „Wir anderen warten hier. Dann sammeln wir uns, nehmen Kurs auf die Insel Maraca und erobern sie im Sturm. Unser wird auch das Schiff der ,Viracocha` sein, unser Sieg ist nicht mehr aufzuhalten. Wir sind die Grimmigen, die Starken, die Unüberwindlichen!“ Die braunhäutigen Kerle jubelten ihm zu. Ein Kanu löste sich von dem Verband -und glitt in nördlicher Richtung davon, zurück zur Nordinsel. Surkut bedeutete seinen Männern, sie sollten jetzt die Kriegsbemalung anlegen. Er selbst bückte sich und griff nach den Blätterbündel, die er im Bug der Piragua angehäuft hatte. Er begann, sie von Boot zu Boot zu verteilen, damit die Krieger sie sich in den Mund schieben und sie zerkauen konnten. Es handelte sich um Blätter des Kokastrauches und um Ebena, ein Mittel, das aus der Rinde und den Trieben des Nakona-Baumes gewonnen wurde - um Drogen, mit denen Surkut seine Krieger in regelmäßigen Zeitabständen zu versorgen pflegte. Der Gebrauch des Rauschgiftes machte die Männer ihm, Surkut, gegenüber gefügig und anderen Menschen gegenüber ungemein aggressiv. Mit Koka und Ebena hatte er seine Macht auf der Nordinsel gefestigt. Ohne sie wäre er vielleicht schon längst nicht mehr der Schoabe, der Häuptling und Dorfvater, gewesen. Die Drogen verblendeten den Geist, wer Koka kaute und sich Ebena in die Nase rieb, stellte kaum Fragen und zweifelte nicht an seiner Obrigkeit. * Die Begrüßung war ein langwieriges Zeremoniell. Hasard, Ben, Shane, der Profos, Ferris, Dan und Smoky mußten sich zwischen den Hütten’ unter ein offenes Schutzdach kauern. Als erstes wurde ihnen ein kühles Palmfruchtgetränk gereicht, das ihnen ganz gegen ihre Erwartung ausgezeichnet mundete. Im Anschluß daran hielt Tubuago - dem mittlerweile von Kewridi und den übrigen jungen Kriegern alles ausführlich berichtet
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worden war -eine Ansprache an seinen Stamm, wobei er immer wieder auf die Männer der „Isabella“ wies. Hasard und seine Männer verstanden kein Wort, aber selbstverständlich konnten sie sich ausmalen, welches der Inhalt von Tubuagos Rede war. Ilanas gestenreichen Erklärungen war es zu verdanken, daß sie inzwischen wenigstens die wichtigsten Namen kannten und wußten, wie sie den Häuptling, einige Krieger sowie die Mädchen, die sie vor einem häßlichen Schicksal bewahrt hatten, anreden konnten. Tubuago verstummte, und die Dorfbewohner bekundeten durch Ausrufe, die wie „Kaba ischu tao“ klangen, ihren Beifall. Jetzt trugen die Mädchen dampfende Bananensuppe in Kalebassen auf, brachten Kürbisse, Melonen und wilden Truthahn und breiteten das gesamte Mahl auf geflochtenen Matten vor den Gästen aus. Carberry versuchte zu grinsen, aber es gelang ihm nicht recht. „Na schön, der Trank war nicht schlecht“, erklärte er. „Aber wer sagt uns, wie dieses Zeug hier schmeckt?“ „Überwinde dich und greif zu“, entgegnete der Seewolf. „Wenn wir nicht essen, beleidigen wir diese Menschen, das weißt du genauso gut wie ich.“ „Aye, Sir.“ „Und anschließend sollten wir durch kräftiges Schmatzen zeigen, daß es uns geschmeckt hat“, meinte Ben Brighton. „Ich glaube, auch das gehört dazu.“ „Na, dann mal los“, sagte Big Old Shane. Er streckte die Hand aus und nahm sich einen Truthahnschenkel, den der Profos soeben hatte erhaschen wollen. Carberry murmelte einen Fluch, nahm sich ein anderes Stück und begann, darauf herumzukauen. Bald wurde seine Miene freundlicher, ja, am Ende grinste er sogar. „Donnerkeil!“ rief er. „Das ist ja wirklich gut! Hätte ich gar nicht gedacht, Sir!“ Sir John, der auf seiner linken Schulter saß, nickte aufgeregt, schlug ein paarmal mit den Flügeln und krächzte: „Backbrassen, ihr Rübenschweine, wir laufen auf Grund!“
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Die Indios lachten, als sie den Papagei sprechen hörten. Tubuago klatschte in die Hände, und nun erschienen auf dem Dorfplatz drei Schamanen, die eine Art Tanz aufführten und dabei merkwürdige Gesänge anstimmten. Als sie aufhörten und fortgingen, um sich zu den anderen Männern zu gesellen, gab Tubuago ein Handzeichen, und nun ließ sich der gesamte Stamm auf Matten nieder, um an dem Festmahl teilzunehmen. Hasard fiel es auf, daß Ilana und Kewridi immer wieder zu ihm blickten — aus recht unterschiedlichen Anlässen, wie ihm schien. Er mußte lächeln; Er wartete, bis das Mahl vorbei war, dann wandte er sich an den Häuptling und dessen Tochter und versuchte, ihnen zu erklären, was er an Bord der „Isabella“ dringend brauchte. Tubuago begann aufgeregt zu gestikulieren. Ilana lächelte. Der Seewolf hatte den Eindruck, daß sie ihn verstanden hatten. Tubuago klatschte wieder in die Hände, und sofort eilte ein halbes Dutzend Frauen herbei, lauschte seinen Anweisungen, ging wieder fort und verschwand in den Hütten. Wenig später tauchten die Frauen wieder auf. Sie trugen Kalebassen und Bananenbüschel, gerupfte Truthähne und ganze Bündel Urwaldgemüse. Hasard sah Ilana entsetzt an. „Nein, nein“, sagte er. „Das habe ich nicht gemeint. Ihr sollt uns zeigen, wo man am besten jagen kann, wo man Früchte und Gemüse pflücken und sammeln kann.“ Sie schüttelte lachend den Kopf. „No comprendo, nicht verstehen“, sagte sie. Diese Worte hatte sie von Ben Brighton gelernt. „Doch, du verstehst mich.“ Der Seewolf wies auf die Frauen. „Das —nicht gut.“ Er deutete auf Tubuago, auf das Mädchen, auf die umstehenden Krieger. „Es ist eure Nahrung.“ Tubuago legte ihm in einer freundlichen Geste die Hand auf die Schulter. „Waiterimou no modahawa“, sagte er. Erst später sollte Hasard erfahren, was dieser
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Satz bedeutete: „Dieses Geschenk dürft ihr nicht zurückweisen.“ Alle Bemühungen des Seewolfs, die Eingeborenen am Zusammentragen von Wild und Früchten, Pökelfleisch und Gemüse zu hindern, fruchteten nichts. Ilana gab ihm durch ihre Zeichen zu verstehen, daß die Vorräte an Bord der „Isabella VIII.“ gebracht werden sollten. „Also gut“, sagte er schließlich. „Ich nehme an.“ Er wandte sich wieder an den Häuptling und versuchte ihm zu erklären, daß er auf jeden Fall Doppelposten an verschiedenen strategischen Punkten der Insel aufstellen sollte, denn es war denkbar, daß die Indios von der Nordinsel bei Anbruch der Dunkelheit noch einmal auf der Ilha de Maraca landeten, um eine Racheaktion wegen der erlittenen Niederlage durchzuführen. Tubuago schien jedoch nicht zu begreifen, was der Seewolf meinte, und auch Ilana schüttelte immer nur den Kopf. Schließlich gesellte sich Kewridi zu ihnen. „Ich weiß, was der weiße Mann will“, sagte er zu Tubuago. „Wir sollen Wachen an die Ufer unserer Insel schicken. Surkut wird sich rächen, und wir müssen darauf vorbereitet sein.“ Tubuago blickte den jungen Mann lange an, dann endlich versetzte er: „Du bist stark und klug, Kewridi, und alle wissen, daß du auch ein guter Jäger bist. Aber dein Gemüt ist noch zu hitzig und unbeherrscht. Surkut hatte seine Krieger geschickt, um zu sehen, ob wir so schwach und so dumm sind, daß wir uns gegen seinen Überfall nicht wehren. Jetzt aber weiß er, daß er hier scheitern wird.“ „Aber - aber wir haben es doch nur den ,Viracocha’ zu verdanken, daß unseren Mädchen kein Leid zugefügt wurde und daß man sie nicht verschleppt hatte!“ rief Kewridi. „Wollen wir uns etwa hinter dem Mut dieser Männer verstecken?“ „Zügle deine Zunge“, sagte Tubuago scharf. Ilana schob sich zwischen ihren Vater und den jungen Mann.
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„Bitte, Vater“, sagte sie. „Nimm es Kewridi nicht übel, daß er so spricht. Er meint es doch nur gut.“ Der Häuptling seufzte, hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Also gut, dann teile ich die Wachtposten ein und schicke sie los. Aber ich sage euch, es ist überflüssig. Surkuts Bande von Buschteufeln wird es nicht wagen, zu uns zurückzukehren.“ Der Seewolf glaubte, in etwa verstanden zu haben, über was sie debattiert hatten. Er blickte zu Kewridi und las Erstaunen in dessen Miene. Kewridi hatte nicht damit gerechnet, daß Ilana nach dem Disput von vorhin Partei für ihn ergreifen würde. Tubuago erhob sich und begann die Männer einzuteilen, die ab sofort von verschiedenen Plätzen der Inselküste aus das Meer beobachten sollten. Kewridi und einige seiner Freunde hatten sich für diese Aufgabe freiwillig gemeldet. Sie eilten davon, um so schnell wie möglich ihre Posten zu beziehen. Auch Hasard stand auf und ging zu seinen Männern hinüber. „Es wird Zeit, daß wir zu ‚Isabella’ zurückkehren und nach Blacky sehen“, sagte er. „Außerdem muß ich wissen, ob Donegal bereits damit angefangen hat, das Trinkwasser an Bord zu mannen.“ „Ja, Sir“, sagte Ben Brighton. Er wies auf die Männer und Frauen, die eben auf Tubuagos Befehl hin die großen Packen und Bündel Proviant vom Boden des Dorfplatzes aufhoben und schulterten. „Aber was hat das zu bedeuten?“ „Die Leute begleiten uns. Das Wild, Obst und Gemüse sind ein Geschenk des Häuptlings an uns.“ „Das können wir doch nicht annehmen!“ rief Shane. „Wir müssen es tun“, sagte der Seewolf. „Und - um ganz ehrlich zu sein - ich bin auch sehr froh darüber, daß wir so schnell zu frischen Nahrungsmitteln gekommen sind.“ 6.
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Die Verstärkung von der Nordinsel war eingetroffen - Surkuts Verband aus Piraguas und Kanus war jetzt komplett. Zwanzig unterschiedlich große Boote bewegten sich auf die Ilha de Maraca zu, während sich die Sonne dem Zenit näherte. Die Indios hatten ihre Gesichter und Körper mit dem purpurnen Farbstoff bemalt, den sie „Nara“ nannten. Sie hatten Federhauben übergestülpt und sich zusätzlich zu den Lanzen, Pfeilen und Bogen, die sie bei sich führten, viele Hartholzmesser in die Lendenschurze gesteckt. Ihre Blicke waren starr und ihre Mienen fast ausdruckslos, denn sie hatten sich heftig am Koka und Ebena berauscht. In diesem Zustand waren sie zu allem bereit. Die innere Barriere, die einen Menschen im Normalzustand daran hindert, übergroße Risiken auf sich zu nehmen, war gefallen. Sie alle würden sich für ihren Anführer töten lassen, ohne auch nur einen Schritt vor dem erklärten Todfeind zurückzuweichen. Als die große Insel so nah war, daß man das Tiefgrün des Busches von dem hellen Strand unterscheiden konnte, gab Surkut ein Handzeichen. Der Verband löste sich in zwei Gruppen auf. Zehn Boote glitten nach Südwesten, die anderen nach Südosten. Diese letztere Einheit wurde von Surkut befehligt, während Borago das Kommando über die erste hatte. Borago hatte seine genauen Anweisungen, nach denen er rigoros verfahren würde. Die Stunde des Wahnwitzes hatte begonnen. Der Friede, der jetzt noch über der Ilha de Maraca lag, sollte bald der rohen Gewalt weichen. * Hasard, Ben Brighton, Shane, der Profos, Ferris Tucker, Dan O’Flynn und Smoky befanden sich wieder an Bord der „Isabella“. Die beiden Jollen pendelten zwischen der Galeone und dem Ufer der Ankerbucht hin und her. Sie wurden von Luke Morgan, Bob Grey, Stenmark und Batuti gepullt, die die Vorräte mit Hilfe der
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Eingeborenen einluden und dann an Bord schafften. „Blacky hat mir von der Quelle erzählt“, sagte Old O’Flynn, als der Seewolf ihm auf der Kuhl gegenübertrat. „Aber ich habe es für zu gefährlich gehalten, jetzt einen Trupp an Land zu schicken, der die Fässer füllt.“ „Ich hatte eigentlich damit gerechnet, daß du dich anders entscheiden würdest, Donegal.“ „Tut mir leid, aber irgendwie war mir die ganze Sache nicht geheuer. Wir haben uns auch um euch ziemlich viel Sorgen gemacht“, sagte der Alte. Hasard lächelte. „Dabei haben wir nur mit Tubuago und dessen Leuten gefeiert, mein Bester. Ben wird dir erzählen, wie es im Dorf zugegangen ist und was wir erfahren haben. Sag mir jetzt, wie es Blacky geht.“ „Dem? Der ist doch nicht kleinzukriegen. Ich habe ihm befohlen, das Logis nicht zu verlassen, aber er stöhnt dem Kutscher die Ohren voll, daß er’s da unten nicht aushält.“ Der Seewolf stieg ins Logis hinunter und sah Blacky im Halbdunkel des Raumes mit baumelnden Beinen in seiner Hängematte sitzen. Der Kutscher wollte gerade das Vorschiff verlassen, wartete aber ab, als er seinen Kapitän erkannte. „Melde mich zurück zum Dienst, Sir“, sagte Blacky. „Wie du siehst, bin ich weder krepiert, noch habe ich irgendwelche Lähmungen. Der Kutscher hat mir den Pfeil aus der Schulter gepult wie einen Nagel aus einem Stück Speck, ich hab’s kaum gemerkt.“ „Und du fühlst dich schon wieder obenauf, was?“ „Richtig, Sir.“ „Am liebsten würdest du gleich wieder an Deck herumspringen, oder?“ „Genau das. Hölle, es ist hier unten so verflucht heiß - nicht zum Aushalten.“ „Er hat eine Menge Blut verloren“, sagte der Kutscher. „Und er ist kreideweiß im Gesicht“, sagte der Seewolf. „Wieviel Rum oder Whisky hast du ihm gegeben, damit er dir bei der Operation nicht an den Hals sprang?“
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Der Kutscher lachte. „Nur zwei Schlucke, Sir, wirklich nicht mehr.“ „Es waren große Schlucke, zugegeben“, sagte Blacky. „Aber die werfen mich nicht aus dem Gleichgewicht.“ Hasard nickte. „Das glaube ich dir gern. Und ich weiß auch, daß du eine Menge einstecken kannst. Aber das ist für mich noch lange kein Grund, dich jetzt gleich wieder zum Decksdienst einzuteilen.“ Blacky riß verdattert die Augen auf. „He soll das heißen, daß ich hier unten in der Hitze schmachten soll?“ „Nein. Du darfst ‘raus, aber ich befehle dir, dich auf die Back zu setzen und dich von dort nicht wegzurühren.“ „Aye, Sir.“ „Jede Zuwiderhandlung wird von mir als Versuch der Meuterei bestraft“, sagte Hasard, dann drehte er sich um und verließ das Logis, gefolgt vom Kutscher. Auf dem Niedergang zur Kuhl blieb der Seewolf noch einmal kurz stehen und fragte seinen Koch und Feldscher halblaut: „Wie stehen die Dinge wirklich?“ „So, wie ich sie dir erklärt habe“, erwiderte der Kutscher leise. „Nur könnte es eben sein, daß Blacky noch Fieber kriegt. Er darf sich jetzt nicht überanstrengen.“ „Wenn er das auch nur versucht, kann er was erleben“, sagte Hasard. Er trat aufs Hauptdeck, ging zum Schanzkleid und blickte zu den Jollen. Der Ladevorgang war fast abgeschlossen, die letzte Fuhre kam gerade herüber. Er konnte jetzt die Männer einteilen, die die Wasserfässer an Land mannen, bis zur Quelle tragen und dort füllen sollten. * Leichtfüßig bewegten sich Kewridi und einer seiner Freunde, dessen Name Bisaasi lautete, durch den Inseldschungel. Es gab ein Netz von schmalen Pfaden, das nur die Indios kannten und das immer wieder, in Zeitabständen von rund zwei Wochen, dem Regenwald neu abgerungen werden mußte, da es sonst sehr schnell wieder zugewuchert wäre. Die geheimen Wege erlaubten es den Eingeborenen, sich relativ
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schnell von einem Ufer der Insel zum anderen zu bewegen. Alle Pfade trafen sich im Schabono, dem Dorf. Kewridi und Bisaasi sollten die nördliche Küste von einem Aussichtspunkt aus kontrollieren, der von den Maraca-Indios sonst als Kultstätte benutzt wurde. Hier opferten sie gegen Ende der Hitzeperiode ihren Göttern und beteten, daß die Regenzeit bald mit viel Wasser beginnen möge. Sie waren nicht nur Jäger und Fischer, sie bestellten euch Felder am Rande ihres Dorfes, deren Ertrag wesentlich vom pünktlichen Einsetzen des Regens abhing. Der Platz lag gut zehn Yards über dem dichten Mantel der Mangroven, die an dieser Seite der Insel mit ihren Wurzeln bis ins Wasser der See griffen. Kewridi und Bisaasi erreichten ihr Ziel und erblickten sofort die Kanus und Piraguas, die wie abwartend draußen in der Meeresstraße zwischen den beiden Inseln lagen. „Nun?“ knurrte Kewridi. „Was habe ich gesagt? Sie sind bereits da. Wahrscheinlich belauern sie uns bis zum Abend, und dann, im Schutz der Dunkelheit, tauchen sie wie die Schlangen auf, die ein großes Tier würgen und beißen wollen.“ „Wir müssen sofort Tubuago benachrichtigen“, sagte Bisaasi. „Er wird sämtliche Waffen verteilen und zum Kampf rüsten.“ „Lauf los.“ „Ja. Du behältst Surkuts Männer weiterhin im Auge?“ „Ich verfolge jede Bewegung, die sie unternehmen. Es sind acht Kanus und Piraguas.“ „Also immer noch Borago und die Meute, die über unsere Mädchen herfiel?“ fragte Bisaasi. „Ich weiß es nicht“, antwortete Kewridi. „Aber hat denn das jetzt noch Wichtigkeit?“ „Nein.“ Bisaasi wandte sich ab und ging. Er folgte dem Verlauf des Pfades, der von der kleinen Lichtung des Opferplatzes hinunter in den Busch führte, und wollte wie vorher am Ufer eines schmalen Flusses
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entlanggehen, um ins Innere der Insel zu gelangen. Plötzlich aber gewahrte er zwei Kanus, die mit Laubwerk und Lianen getarnt unter den Stelz- und Atemwurzeln der Mangroven verborgen lagen. Man mußte schon sehr genau hinsehen, um sie zu finden, und eigentlich war es eher ein Glücksfall, daß Bisaasi sie entdeckt hatte. Vorsichtig bewegte er sich auf die Kanus zu. Sie lagen am diesseitigen Ufer, also würde er keine Schwierigkeiten haben, sie einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Er fragte sich unwillkürlich, warum Kewridi und er die Boote nicht vorher schon erblickt hatten. Vier Augen sehen mehr als zwei, sagte er sich im stillen, seltsam. Dann aber begriff er, was die Ursache für diesen Umstand war. Erst, als sein Freund und er zum Aussichtspunkt hinaufgestiegen waren, hatten sich die Kanus von der See her nähernd in die Flußmündung geschoben. So hatten Kewridi und er sie von oben aus nicht mehr sehen können, und erst eben, vor wenigen Augenblicken, mußten die Insassen die Fahrzeuge vertäut, getarnt und verlassen haben. Demnach befanden sie sich noch in der Nähe! Bisaasi blieb geduckt stehen. War es nicht besser, Kewridi unverzüglich zu unterrichten und ihn zu Hilfe zu holen? Was war, wenn der Feind ihn aus einem Gebüsch beobachtete und bereits mit der Waffe auf ihn zielte? Bisaasi spürte, wie es ihm trotz der Hitze kalt über den Rücken rann. Er gab sein Vorhaben auf, ‚die Kanus eingehend zu untersuchen. Daß sie den Männern der Nordinsel gehörten, stand ohnehin außer Frage. Er drehte sich um - und sah sich einer braunen, bemalten Gestalt mit haßverzerrtem Gesicht gegenüber. „Borago“, flüsterte er entsetzt. Erst beim zweiten Hinsehen entdeckte er auch die anderen. Vier oder fünf Krieger waren es, die sich mit Borago zusammen an ihn herangepirscht hatten und sich jetzt
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hinter dessen Rücken befanden; gebückt, mit den Lanzen und Messern in den Fäusten, zum sofortigen Angriff bereit. Bisaasi wollte das Messer zücken und sich auf Borago werfen, wollte schreien, um Kewridi zu alarmieren, doch der andere war schneller. Borago schnellte katzengewandt vor, packte Bisaasi und riß ihn mit sich zu Boden. Sie wälzten sich im Uferschlamm. Bisaasi versuchte, dem Gegner das Messer in die Brust zu rammen, doch Borago entwand ihm die Waffe mit solcher Kraft, daß Bisaasi zu glauben begann, er sei von bösen Geistern besessen. Borago erkannte, daß sein Gegner schreien wollte, und preßte ihm die Hand auf den Mund. Die anderen Männer Surkuts waren jetzt auch heran und hielten Bisaasi an den Armen und den Beinen fest. Borago richtete sich halb auf, ließ Bisaasis Mund aber nicht los. Er drückte ihm die Spitze seines Hartholzmessers gegen die Gurgel und zischte: „Sprich! Sind noch mehr Wachen hier am Nordufer?“ Bisaasi schüttelte den Kopf. „Du lügst“, flüsterte Borago. „Sag mir die Wahrheit!“ Bisaasi gab einen würgenden Laut von sich. „Also gut“, sagte Borago. „Ich gebe deinen Mund frei. Aber wenn du deine Freunde rufst, steche ich dich tot.“ Er hob die Hand, die Bisaasis Lippen bedeckte. „Ich bin allein“, sagte Bisaasi. „Du kannst mich töten, aber du wirst nichts anderes von mir erfahren.“ Borago lächelte grausam. „Doch. Ich will die Wahrheit erfahren. Du wirst sie mir sagen. Ich kenne alle Mittel, um dich dazu zu bringen.“ Er verstärkte den Druck seines Messers, und die Spitze der Klinge bohrte sich langsam in Bisaasis Hals. * Kewridi nahm den Blick von den acht Booten, die nach wie vor draußen in der ruhigen See lagen. Er glaubte, einen schwachen Laut vernommen zu haben, ein Geräusch, das nicht von den Tieren des
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Urwaldes herrühren konnte. Mißtrauisch drehte er sich um und musterte seine Umgebung. ; Ein paar bunte Vögel schwirrten in den Baumkronen hin und her, aber sonst tat sich nichts. Heiß und feucht dehnte sich der Dschungel vor Kewridi aus. Die Hitze schien jegliche Form des Lebens ersticken zu wollen. Der junge Mann schritt zum Rand des Opferplatzes, drang ein Stück ins Dickicht vor und sagte: „Bisaasi? Bist du noch da?“ Er erhielt keine Antwort, deswegen versuchte er es noch einmal: „Bisaasi?“ „Hier“, tönte es jetzt schwach zurück. „Komm her. Ich habe Boote entdeckt.“ Kewridi hastete den Pfad hinunter, der in den Dschungel führte. Er entdeckte die beiden Kanus, wie Bisaasi sie vor ihm gesehen hatte, wußte aber nicht, wo Bisaasi war. Noch einmal rief er seinen Namen, erhielt aber wieder keine Antwort. Jetzt wußte Kewridi, daß es nur eine Falle sein konnte. Er begriff, Welchen unverzeihlichen Fehler er begangen hatte. Nur die Flucht konnte ihn vor Schlimmerem bewahren. Er mußte zum Dorf laufen und die anderen warnen. Im Unterholz raschelte es plötzlich. Kewridi fuhr herum. Er sah Bisaasi, der Anstalten zu treffen schien, auf ihn zuzumarschieren. Doch Bisaasis Körper neigte sich nach vorn und kippte ans Ufer des Flußlaufes. Dort blieb er reglos liegen. Kewridi sah das Messer, das aus seinem Hals aufragte. Sie haben ihn gezwungen, mich anzulocken, dann haben sie ihn umgebracht, dachte Kewridi. In einem jäh aufwallenden Gefühl unbändigen Zorns und Hasses riß er seinen Bogen von der Schulter, zog einen Pfeil aus dem Köcher und schoß ihn in das Gebüsch ab, wo der Feind lauern mußte, der den armen Bisaasi aufgerichtet und vorangestoßen hatte. Der Pfeil verschwand im dichten Gesträuch, aber kein Schmerzenslaut verkündete, daß Kewridi einen seiner Widersacher getroffen hatte. Stattdessen erklang rechts hinter seinem Rücken ein leises, verächtliches Lachen.
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Er fuhr herum und zückte einen zweiten Pfeil, doch Boragos Stimme warnte ihn: „Keine Bewegung mehr, oder du bist ein toter Mann! Wir haben dich eingekreist!“ Kewridi sah den großen, muskulösen Mann mit erhobener Lanze auf sich zusteuern, und er sah jetzt auch die anderen, die von allen Seiten aus dem Dickicht auftauchten. Der Weg zum Dorf war versperrt, es schien keine Möglichkeit mehr zu geben, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. „Geht fort!” stieß Kewridi mit vor Zorn fast überkippender Stimme aus. „Verschwindet, ehe es für euch zu spät ist. Meine Stammesbrüder werden euch von allen Seiten angreifen und euch vernichten.“ „Wo sind sie denn, deine lieben Brüder?“ erkundigte sich Borago höhnisch. „Hier, in der Nähe? Nein. Die Ratte, die dort tot am Boden liegt, hat es uns verraten: Am Nordufer halten sich keine weiteren Wachen auf. Du bist uns rettungslos ausgeliefert, und wir können hier mit unseren Booten landen, ohne daß Tubuago, dieser Narr und Schwächling, es überhaupt bemerkt.“ Kewridi bemerkte Boragos starren Blick und die leicht geröteten Augen. Er wußte jetzt, daß Borago unter dem Einfluß von Rauschmitteln stand. Kewridi nahm an, daß die Reaktionsschnelligkeit des anderen dadurch beeinträchtig war, und so unternahm er einen jähen Ausfall. Er wollte sich auf Borago werfen, doch dieser wich zwei Schritte zur Seite aus und schleuderte seine Lanze. Die Lanze ritzte Kewridis Körperseite, Kewridi wurde halb herumgerissen. Er taumelte, aber er hatte immer noch die Kraft, seinen Bogen hochzureißen, den zweiten Pfeil anzulegen und ihn auf Borago abzuschießen. Borago ließ sich fallen, und seine Kumpane fluchten und sandten nun ihrerseits ihre Pfeile auf den jungen Maraca-Indio ab. Kewridi versuchte, sich in Deckung zu bringen, aber es war sinnlos. Ein Pfeil bohrte sich in seinen rechten Arm, ein nächster in seinen linken Oberschenkel. Er wankte und drohte zu
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stürzen, und die Männer Surkuts lachten hämisch und sahen dabei zu, wie er gegen die Schmerzen und die drohende Ohnmacht ankämpfte. Kewridi stolperte zum Ufer des Flusses. Er erhoffte sich seine letzte Chance davon, das flache Gewässer zu durchqueren und sich im Busch, den er besser kannte als die Feinde, vor ihnen zu verstecken. Er glaubte, sich noch bis zum Dorf schleppen zu können, und so mobilisierte er seine letzten Kräfte für diesen Versuch. Doch er strauchelte und stürzte ins Wasser, daß es hoch aufspritzte. Er blieb mit dem Gesicht nach unten in, der bräunlichen Flüssigkeit liegen und regte sich nicht mehr. Borago richtete sich vom Untergrund auf. Kewridis Pfeil hatte ihn nicht getroffen. Er lachte und deutete auf die Gestalt des jungen Mannes im Wasser. „Der wäre auch erledigt. Sehr gut. Los, einer von euch läuft den Weg hinauf, den diese beiden Hunde benutzt haben. Ich nehme an, daß es weiter oben einen Platz gibt, von dem man auf das Meer blicken kann. Wir müssen unseren Brüdern ein Zeichen geben, daß sie jetzt landen können. Wir warten auf sie und stoßen mit ihnen ins Innere der Insel vor, wie es geplant ist.“ Er schloß unwillkürlich die Augen und dachte daran, wie reich Surkut ihn belohnen würde, wenn die Landung und der Überfall auf Tubuagos Stamm klappten. 7. Die Wasserfässer die Hügel hinaufzuschaffen, war nicht gerade eine leichte Arbeit. Es waren insgesamt sechs, zwei kleinere aus Edelkastanie und vier große aus Eiche, und die großen Fässer konnte man nur rollen, nicht tragen. Jetzt, in der größten Mittagshitze, war es für die acht Männer, die der Seewolf für das Wasserholen eingeteilt hatte, eine unangenehme, schweiß treibende Aufgabe, und sie fluchten dementsprechend. Big Old Shane und Batuti wuchteten die zwei kleinen Kastanienholzfässer auf den
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Schultern den Hang hoch. Luke Morgan, Bob Grey, Stenmark, Will Thorne, Matt Davies und Sam Roskill hatten alle Hände voll damit zu tun, die vier anderen Fässer voranzubringen. Als die Sonne auf ihren höchsten Punkt gestiegen war, erreichten die Männer die Quelle am Saum des Urwalds und begannen, das frische Naß mit den mitgebrachten Kellen in die Fässer zu schöpfen. „Verdammt noch mal“, sagte Luke Morgan. „Ich will ja nicht meutern, aber für diese Scheißarbeit hätte sich Hasard auch eine bessere Zeit aussuchen können.“ „Wann denn wohl?“ fragte Will Thorne. „Mir stinkt die Sache genauso wie dir, aber vergiß nicht, daß wir heute nachmittag auslaufen wollen. Je schneller und je weiter wir nach Norden kommen, desto besser ist es doch, oder?“ „Ja, das stimmt“, meinte Luke einlenkend. „Also los, sehen wir zu, daß wir es so rasch wie möglich hinter uns bringen.“ „Mir stinkt die ganze Insel“, sagte Bob Grey. „Hölle, ich fühl mich hier nicht wohl.“ „Das hast du heute schon mal gesagt. Jedenfalls hat Jeff das behauptet“, meinte Sam Roskill. „Hör lieber ganz auf mit dem Reden, es strengt ja doch viel zu sehr an.“ Matt Davies blickte sich immer wieder mißtrauisch um. „Es liegt was in der Luft. Wir kriegen hier noch ganz dicken Ärger, das schwöre ich euch.“ Shane, der den Trupp anführte, lachte. „Hört, hört! Wir haben schon einen Nachfolger für den alten Donegal, falls der mal abdankt. Matt, Kopf hoch, wir sind ja gleich fertig, und diesmal geht es mit den Fässern bergab.“ „Gott sei Dank“, brummte der Mann mit der Eisenhakenprothese. Er bückte sich mit seiner Kelle, ließ sie mit Wasser vollaufen, richtete sich wieder auf und entleerte sie in die obere Öffnung des einen Fasses. „He“, sagte er plötzlich. „Was ist eigentlich aus den Indios geworden? Sie waren verschwunden wie der Blitz. Die führen doch wohl nichts gegen uns im Schilde?“
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„Sie sind ins Dorf zurückgekehrt“, entgegnete Shane „Sie wollen sich auf jeden Fall auf einen Angriff dieses verrückten Surkut vorbereiten. Hast du nicht gehört, was Tubuago, Ilana und dieser Kewridi Hasard erklärt haben, ehe wir das Dorf verließen?“ „Wie konnte ich?“ sagte Matt. „Ich war doch nicht mit dabei.“ „Oh, verflixt“, sagte der graubärtige Riese. „Jetzt gerate ich langsam auch schon ins Schleudern. Muß an der Hitze liegen. Also: Surkut ist der Häuptling der Nordinsel - ein fanatischer Kriegshetzer, der die MaracaIndios allesamt unterwerfen und dann auch noch einen Zug zum Festland unternehmen will.“ „Das alles haben die Leute aus dem Dorf Hasard erzählt?“ fragte Stenmark verblüfft. „Ja, wie denn bloß?“ „Durch Gesten und Zeichnungen“, erwiderte Big Old Shane. „Tubuago, der Häuptling, der uns den ganzen Proviant geschenkt hat, scheint aber nicht ganz von der Angriffswut dieses Surkut überzeugt zu sein. In seinen Augen ist der Kerl wohl eher ein aufgeblasener Sack, den man bloß anzustechen braucht, damit er in sich zusammenfällt.“ „Achtung“, sagte Matt Davies plötzlich. „Da ist was — da, im Gebüsch!“ Sie fuhren herum und blickten in die Richtung, in die Matt mit dem Finger wies. Doch im nächsten Moment atmeten sie erleichtert auf, denn es war nur ein großer, fasanenähnlicher Vogel, der schwerfällig aus dem Dickicht aufstieg und sich zu einer der ausladenden Baumkronen emporarbeitete. „Mann“, sagte Batuti. „Matt, du machst mir ganz verrückt mit dein komisches Gerede.“ Matt seufzte. „Es heißt ‚mich’, und auch der Rest war nicht ganz richtig, aber du lernst es wohl nie, was?“ „Mister Davies“, sagte Shane betont scharf. „Ich muß feststellen, daß du heute ausgesprochen schlechte Laune hast. Halt mal ein bißchen die Luft an und mach die Schotten dicht, klar?“
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„Aye, Sir“, gab Matt mit griesgrämiger Miene zurück. Schweigend setzten sie ihr Werk fort. Erst Luke Morgan begann wieder zu sprechen, und zwar, als ein paar Minuten später wieder ein knackender Laut hinter ihnen im Unterholz des Urwald zu vernehmen war. „Du brauchst dich nicht aufzuregen, Matt“, sagte er. „Das ist wieder so ein merkwürdiger Vogel — oder eine Riesenschlange, weiter nichts.“ „Ihr Himmelhunde wollt euch wohl alle mit mir anlegen, wie?“ Matt grinste verkniffen. „Na, wartet, an mir beißt ihr euch die Zähne aus. Ich bin nicht so hitzig und jähzornig wie andere Leute.“ Luke wollte sofort etwas darauf erwidern, weil die Bemerkung natürlich ihn betraf, aber jetzt geschah etwas Unerwartetes, Ungeheuerliches, so schnell, daß er nicht einmal ansatzweise zu einer Reaktion gelangte. Hinter seinem Rücken war plötzlich ein verdächtiges Surren, etwa so, als steure ein großes Insekt auf ihn zu. Ein Schlag traf Luke zwischen die Schulterblätter, und ein heißer Dorn schien sich durch seine Haut in sein Fleisch zu bohren. Der Schmerz war eine tosende Woge, die in rasender Schnelligkeit durch seinen Körper raste und sein Bewußtsein ausschaltete. „Luke, verdammt!“ schrie Matt Davies. Er sah den Mann neben sich zusammenbrechen, ließ die Schöpfkelle los, griff nach seiner Muskete, die im Gras lag, und wirbelte gleichzeitig herum. Auch die sechs anderen Männer der „Isabella“ fuhren zum Busch herum und sahen die braunhäutigen Gestalten, die sich aus dem Dickicht aufrichteten und ihre Lanzen und Pfeile auf sie richteten. Boragos kompletter Trupp war am Nordufer gelandet, und auf dem Marsch zum Dorf des Häuptlings Tubuago hatten sie die Stimmen der Weißen vernommen. Daraufhin hatte Borago beschlossen, zuerst an den verhaßten „Viracocha“ Rache zu üben. Diesmal hatte er mehr Männer hinter sich, diesmal würde er nicht
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zurückweichen. Er hatte sich vorgenommen, lieber zu sterben, als noch einmal eine Niederlage hinzunehmen. „In Deckung!“ brüllte Big Old Shane, als jetzt ein ganzer Hagel von Pfeilen heranschwirrte. Die Männer duckten sich hinter die Wasserfässer. Stenmark entging um Haaresbreite einem der Pfeile, der auf seine Brust gezielt gewesen war. Wütend hob auch er seine Muskete -und er hätte wie Matt Davies und die anderen mitten in die Horde der Indios hineingehalten, wenn Shane nicht geschrien hätte: „Über ihre Köpfe zielen - gebt Warnschüsse ab!“ Die Musketen krachten, aber die Eingeborenen zogen sich nicht zurück. Mit schrillen Rufen stürmten sie aus dem Dickicht. Ein paar Lanzen bohrten sich mit pochenden Lauten in die Wasserfässer. aus den entstandenen Löchern spritzte zischend das Naß. „Feuer frei auf die Kerle!“ rief Big Old Shane. Nur Sam Roskill und Will Thorne hatten ihre Flinten noch nicht benutzt. Jetzt drückten sie mit grimmigen Mienen ab Sam mit einer Muskete, Will mit einem Tromblon, das auf diese kurze Entfernung die ideale Waffe gegen eine Übermacht von Feinden darstellte. Sams Kugel traf nur einen Indio, der auch sofort mit einem gurgelnden Laut zusammenbrach. Wills Ladung aus dem Tromblon mit der trichterförmig erweiterten Mündung jedoch - sie bestand aus gehacktem Eisen, Blei und Glas brachte vier oder fünf der braunen, grell bemalten Kerle zu Fall. Blutüberströmt blieben sie liegen. „Pistolen ‘raus!“ schrie Shane. Sehr schnell hatten die Seewölfe ihre Steinschloß -, Radschloßund Schnapphahnschloßpistolen gezückt und die Hähne gespannt, und genauso flink drückten sie wieder auf die Krieger Surkuts ab, die sich offensichtlich in keiner Weise einschüchtern ließen. Wieder blieben einige Eingeborene auf der Strecke, aber die anderen stürmten weiter,
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schrien wie wahnsinnig und warfen sich auf die Männer der „Isabella“. Unter normalen Bedingungen hätten die Indios jetzt doch die „Feuerrohre“ der weißen Männer respektiert. Aber Koka und Ebena taten ihre Wirkung und ließen nicht einmal einen Anflug von Furcht in ihnen entstehen. Shane schätzte die Zahl derer, die jetzt noch auf seinen kleinen Trupp zusprangen, auf mindestens fünfzig. Dem ersten, der ihm zu Leibe rücken wollte, hieb er mit aller Kraft den Kolben seiner Radschloßpistole über den Kopf, den nächsten schickte er mit einem Fausthieb zu Boden. Aber die anderen drängten nach und schwangen ihre Speere und Messer gegen ihn, immer mehr, die Flut der Leiber schien nicht mehr abreißen zu wollen. Da blieb keine Zeit, die Feuerwaffen nachzuladen und wieder damit auf die Angreifer abzudrücken. Im Nu tobte ein Handgemenge, das von den Indios derart wild und verwegen geführt wurde, daß die kleine Schar der Seewölfe unterzugehen drohte. Matt Davies schützte den verletzten Luke Morgan mit seinem Körper. Er stand breitbeinig und leicht geduckt da und schwang sein Entermesser mit der gesunden Linken, während er mit seinem Eisenhaken, einer ebenfalls gefährliche Waffe, immer wieder nach den heulenden Kerlen schlug. Batuti hatte zunächst seinen Bogen von der Schulter nehmen wollen, aber im Nahkampf konnte er damit doch nicht mehr viel ausrichten. Also zückte er seinen Morgenstern, sprang ein Stück zur Seite und schwang ihn hin und her, so, daß er der Meute der Gegner damit in die Flanke fiel, seine eigenen Kameraden jedoch nicht gefährden konnte. Bob Grey, Stenmark, Will Thorne und Sam Roskill hatten jetzt auch ihre schweren Schiffshauer aus den Gurten gezogen und kämpften erbittert. Sie zogen alle Register, die ihnen zur Verfügung standen, doch sie mußten schnell erkennen, daß sie gegen die wie wahnsinnig um sich
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stechenden und schlagenden Indios auf verlorenem Posten standen. Big Old Shane brachte sich mit ein paar heftigen Säbelhieben neben Matt Davies und schrie: „Rückzug zum Schiff! Matt, du läufst vor und alarmierst Hasard! Ich nehme Luke mit! Los, räumen wir das Feld, bevor es zu spät ist!“ Matt brachte sich mit einem Satz nach rechts. „Arwenack!“ brüllte er, dann versuchte er, eine Bresche in die Traube der Leiber zu treiben, die sie niederzuwalzen drohte. Er sah dicht vor sich das verzerrte Gesicht eines bulligen Indios auftauchen, riß den Eisenhaken hoch und setzte sich zur Wehr, aber obwohl er den Kerl traf, konnte er dessen vorschnellendem Hartholzmesser doch nicht mehr ganz ausweichen. Siedendheiß lief es ihm über den linken Arm. Er fluchte, spürte, wie die Kraft aus seinem Arm wich, ließ das Entermesser aber doch noch auf seine Widersacher niedersausen. Dann hielt er sich zwei Krieger vom Leib, die von rechts auf ihn zurückten, indem er mit dem spitzgeschliffenen Haken nach ihnen hackte. Er hörte sie aufschreien, sah sie zurückprallen und hatte den Weg frei. Er stürmte in Richtung Ankerbucht. Shane hatte unterdessen Luke Morgan vom Boden aufgehoben und ihn sich über die Schulter gelegt. Batuti hielt ihm den Rücken frei. Bob und der Schwede waren links und rechts neben ihm, um ihn ebenfalls zu schützen, während er Matt nacheilte. Will Thorne und Sam Roskill bildeten die Nachhut. Sie ließen die Wasserfässer und ihre leergeschossenen Musketen, die am Boden lagen, im Stich und trachteten, Abstand zwischen sich und die Indios zu bringen, doch diese gaben immer noch um keinen Deut nach — im Gegenteil, sie schienen jetzt noch mehr Energie darauf zu verwenden, die weißen Männer zu stoppen und niederzuschlagen. Sam Roskill fühlte sich plötzlich zurückgerissen: Ein Indio klammerte sich an seinem Arm fest und versuchte, ihm den Schiffshauer zu entwinden. Ein anderer
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sprang vor, hob seinen Speer und schickte sich an, die Spitze in Sams Brust zu jagen. 8. Einige der Männer an Bord der „Isabella“ zuckten wie von Peitschenhieben getroffen zusammen, als an Land die Schüsse und Schreie erklangen. „Verflucht und zugenäht!“ schrie Old O’Flynn. „Shane und die anderen sind in eine Falle geraten! Der Teufel soll diese Scheiß-Maraca-Insel holen!“ Hasard blickte zu Bill und zu Gary Andrews auf, die nach wie vor im Großund Vormars hockten. „Könnt ihr etwas sehen?“ rief er. „Gibt Shane uns vielleicht ein Zeichen?“ „Nein, Sir!“ schrie Gary Andrews. „Zwischen den Hügeln steigt nur Pulverrauch auf!“ rief Bill. Der Seewolf zögerte nicht. Eine der Jollen lag drüben am Strand, die zweite jedoch dümpelte an der Bordwand der „Isabella“. Er drehte sich um und sagte: „Los, Ferris, Smoky, Pete und Dan mit mir! Ferris, nimm so viele Höllenflaschen mit, wie du kannst!“ „Aye, Sir!“ schrien die vier. Hasard schwang sich über das Schanzkleid der Kuhl, enterte an der Jakobsleiter in die Jolle ab und nahm auf der Heckducht Platz. Den Radschloß-Drehling legte er vor sich auf den Bootsboden. Ungeduldig wartete er auf seine Begleiter, die jetzt ebenfalls auf den Sprossen der Leiter erschienen und in Windeseile nach unten sausten. Kaum hatten sie auf den Duchten Platz genommen, drückte Hasard die Jolle mit einem Bootshaken von der „Isabella“ ab. Er verstaute den Haken, griff nach der Ruderpinne und rief: „Ruder an! Pullt, was das Zeug hält, die Männer brauchen dringend unsere Hilfe! Hört euch das an!“ Das Gebrüll, das aus den Hügeln herüberdrang, sprach für sich. Hin und wieder waren die Stimmen der Seewölfe zu vernehmen, aber sie gingen in dem Geheul der Indios unter, die in großer Überzahl aufgetaucht sein mußten. .
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Hasard hatte es geahnt: Die braunhäutigen Teufel von der Nordinsel hatten nicht geruht, sie waren auf Rache aus und wollten jetzt, in einem kühnen Handstreich, hier alles an sich reißen. Ferris, Smoky, Dan .und Pete pullten, als säßen ihnen tausend Dämonen der Hölle im Nacken. Die Jolle glitt immer schneller voran. Hasard lenkte sie so, daß sie direkt neben dem anderen Beiboot auf dem Strand landen mußte. „Sir!“ schrie Bill plötzlich zu ihnen herüber. „Achtung! Jemand läuft den Hang hinunter - es ist Matt Davies!“ Der Seewolf hob den Kopf und entdeckte Matt, der wie von Furien gehetzt die Anhöhe hinunterstürmte. Sein linker Arm baumelte schlaff nach unten. Hasard konnte mit bloßem Auge die rote Blutspur erkennen, die sich daran entlangzog. Matt hielt zwar noch seinen Schiffshauer, drohte ihn aber jeden Moment zu verlieren. „Sir!“ brüllte er. „Es gibt Zunder! Diese Bastarde sind wieder gelandet! Luke hat einen Pfeil abgekriegt, und die anderen sind auch übel dran, wenn nicht ...“ „Wir kommen!“ unterbrach Hasard. „Wir haben. Flaschenbomben!“ „Verfluchte Scheiße!“ stieß der rothaarige Schiffszimmermann wutentbrannt aus. „Wie haben die Hunde bloß ungesehen auf der Insel landen können? Ich denke, Tubuago hat überall Wachtposten aufstellen lassen!“ „Dafür gibt es nur eine Erklärung“, sagte Hasard, während er sich bereits halb aufrichtete, um ins Wasser zu springen. „Surkuts Männer waren schneller als Tubuagos Krieger. Sie haben uns alle überrumpelt.“ „Wer hätte denn auch damit gerechnet, daß sie am helllichten Tag angreifen?“ fragte Pete Ballie. „Keiner, das ist es ja“, sagte Dan. „Mann, wir hätten noch viel vorsichtiger sein müssen.“ Hasard hatte keine Zeit, sich mit Selbstvorwürfen zu plagen, sonst hätte er sich jetzt gesagt, daß es leichtsinnig von ihm gewesen war, die acht Männer zum Wasserfassen an Land zu schicken. Doch
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hatte er diese Entwicklung voraussehen können? Er sprang in die Brandung, hetzte mit langen Sätzen zu Matt und schrie: „Was ist mit deinem Arm? Ist die Wunde tief?“ „Nein, Sir“, gab Matt zurück. „Nicht der Rede wert. Nur ein alberner Schnitt.“ Der Seewolf lief an ihm vorbei und hastete zu den Hügeln. Ferris, Dan, Pete und Smoky waren ebenfalls aus der Jolle heraus, zogen sie nur ein Stück auf den weißen Sand und stürmten dann ihrem Kapitän nach. Matt Davies drehte sich um und schloß sich ihnen an. Er brachte sich neben Ferris und wollte ihm etwas zurufen, doch der Schiffszimmermann schrie bereits: „Teufel, Matt, du bleibst besser hier!“ „Wegen des Arms? Du hast sie wohl nicht mehr alle!“ „Achtung!“ brüllte Gary Andrews vom Vormars der „Isabella“. „Da ist Shane!“ Die wuchtige Gestalt des grauhaarigen Schmieds von Arwenack erschien auf der Kuppe der Anhöhe. Er trug Luke und hielt ihn mit der linken Hand fest, mit rechts hob er den Säbel und winkte Hasard und dessen Gefolge zu. „Sie sind hinter uns!“ rief er. „Verflucht, sie sitzen uns auf den Fersen! Sie sind wie von Sinnen!“ „Flaschenbomben fertigmachen!“ schrie der Seewolf. „Gebt mir eine Pistole!“ stieß Matt Davies aus. Dan warf ihm eine Miqueletschloßpistole zu. Matt ließ den Schiffshauer fallen, fing die Waffe trotz seiner Verwundung mit der Linken aus der Luft auf und spannte den Hahn mit seiner Prothese. Er biß die Zähne zusammen und sagte: „Wenigstens einen Schuß will ich diesen Hunden noch verpassen.“ Ferris Tucker hatte die erste Höllenflasche zum Vorschein gebracht und versuchte, die Lunte mit Feuerstein und Feuerstahl zu zünden, was aber im Laufen nahezu unmöglich war. Pete war mit zwei Sätzen neben ihm und rief: „Gib her, ich helfe dir!“
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Sie langten auf der Kuppe an und konnten über die daran anschließende Senke hinweg sehen, wie die Indios auf dem gegenüberliegenden Hügel Batuti, Bob, Stenmark und Will verfolgten. „Shane, bring Luke zur ‚Isabella’!“ schrie der Seewolf. „Ihr anderen, mir nach!“ Er blieb stehen, legte mit dem RadschloßDrehling auf die Gegner an und gab den ersten Schuß ab. Er zielte weit nach rechts und holte einen der Indios aus der Flanke der Meute heraus, so daß er seine eigenen Leute nicht in Gefahr brachte. „So ein Dreck!“ rief Ferris Tucker. „Wohin soll ich die Flaschen werfen? Wenn ich nicht aufpasse, gehen unsere Kerls mit dabei drauf!“ „Wart, noch!“ erwiderte der Seewolf, dann lief er in die Senke hinunter. Er hielt immer wieder nach Sam Roskill Ausschau, konnte ihn jedoch nirgends entdecken. Eine eisige Hand schien nach seinem Herzen zu greifen. Was war mit Sam geschehen? Diesmal geht es nicht gut aus, dachte er entsetzt, diesmal gehen ein paar von uns über die Klinge - o Hölle, wie konnte das nur passieren? Von Bord der „Isabella“ ertönte wieder ein Ruf. Diesmal wurde er von Bill ausgestoßen. „Deck, Boote in Sicht! Sie laufen in die Bucht ein! Sie greifen uns an!“ Ben Brighton, der jetzt das Kommando über das Schiff hatte, sah nach Steuerbord und stieß eine üble Verwünschung aus. Wie ein Spuk hatten sich die Kanus und Piraguas hinter der nördlichen Landzunge hervorgeschoben und Kurs auf die Einfahrt der Ankerbucht genommen, während sich alles auf die Vorgänge an Land konzentriert hatte. So waren die Gegner jetzt schon bedrohlich nah heran, so nah, daß das Zusammentreffen mit ihnen unvermeidlich war. Der Verband bestand aus zehn Kanus und Piraguas. Ganz vorn, in der größten Piragua, stand aufrecht und mit verschränkten Armen ein breitschultriger Indio, der einen mächtigen Federschmuck
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auf dem Haupt trug. Ben glaubte sein triumphierendes Grinsen sehen zu können. „Das ist Surkut mit dem zweiten Teil seiner Bande!“ rief Ben. „Los, schnappt euch die Spaken und dann ‘ran an das Spill! Wir lichten den Anker, damit wir beweglicher sind! Die anderen - auf Gefechtsstation! Hölle, wir wollen den Hurensöhnen einen gebührenden Empfang bereiten! Gary, sofort abentern, jetzt wird jeder Mann an Deck gebraucht!“ Gary schwang sich über die Umrandung des Vormarses, als wolle er aus luftiger Höhe auf die Kuhl springen. Für einen Augenblick wirkte es tatsächlich so, als würde er abrutschen und stürzen, doch dann sah Bill, der ihn beobachtete, wie der Fockmastgast geschickt in den Wanten nach unten hangelte. Gary war sich der prekären Lage, in der sie sich befanden, genauso bewußt wie die anderen, und er tat das Menschenmögliche, um so schnell wie möglich an die Geschützbatterie zu gelangen. Die „Isabella“ war hoffnungslos unterbemannt. An Bord befanden sich jetzt nur noch Ben, der Profos, der Kutscher, Blacky, Gary, Al Conroy, Old O’Flynn, Jeff Bowie, Bill und die Zwillinge, also nur neun Männer - von denen der eine an der Schulter verletzt war - und zwei Kinder. Der einzige Vorteil, den sie in dieser Situation hatten, bestand darin, daß die „Isabella“ nach wie vor gefechtsbereit war, daß sie also die Kanonen nur noch zu zünden brauchten. Doch wie viele Schüsse konnten sie überhaupt abgeben? Mit beängstigender Geschwindigkeit schoben sich die Eingeborenen-Kanus heran. In jedem Boot saßen zehn vom Gesicht bis zu den Beinen bemalte Krieger - hundert Indios also gegen die winzige Besatzung der Galeone! * Jesus, schoß es Sam Roskill noch durch den Kopf, gütiger Herr im Himmel, einmal muß es ja aus sein! Allmächtiger, hast du denn wirklich geglaubt, du könntest deinen Hintern noch bis zur Schlangen-Insel
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tragen und eines Tages vielleicht sogar noch bis nach Old England? Mann, wie überheblich bist du eigentlich? Für einen Mann, der den Tod so dicht vor Augen hatte, waren das eine ganze Menge Überlegungen und im Grunde auch erstaunlich sachliche Erwägungen. Aber wie denn -hätte er vielleicht schreien und um sein Leben betteln sollen? Nein, diese Blöße gab sich ein Sam Roskill nicht. Sollte er denn tatsächlich auf dieser Insel verrecken, so wollte er seinen Mördern dabei allenfalls noch höhnisch ins Gesicht grinsen. Er versuchte zwar noch, den Kerl abzuschütteln, der ihm am Arm hing, aber der klammerte sich derart hartnäckig fest, daß es von vornherein aussichtslos war. Sam drohte zu Boden zu gehen, konnte seine Waffen nicht mehr einsetzen und sah die Spitze des Speeres in diesem Augenblick auf sich zuzucken. Er ließ sich fallen und hoffte, dadurch dem tödlichen Speer zu entgehen. Aber auch das war eine Illusion, wie er wußte. Nein, es ließ sich nicht mehr vermeiden. Dann aber geschah etwas wirklich merkwürdiges - nein, fast grotesk wirkte das schon, wie der Kerl mit dem Speer jetzt doch wie angenagelt stehenblieb und zu schwanken begann, als habe er eine halbe Gallone Whisky im Leib. Der Speer fiel zu Boden. Der Indio brach in den Knien zusammen und fiel aufs Gesicht, und Sam konnte gerade noch den Pfeilschaft sehen, der mitten im Rücken des Mannes steckte, ehe er sich mit seinem anderen Gegner auf dem Untergrund überrollte und ihm dabei die linke Faust gegen die Schläfe knallte. Der Indio wollte ihn immer noch nicht loslassen, aber Sam brachte sich in eine günstige Lage, hob seinen Rücken, kniete sich auf die Ellbogen des Eingeborenen und hieb noch einmal zu, auf dieselbe Stelle wie vorher und diesmal noch ein bißchen kräftiger. Der Indio stöhnte nur noch ein bißchen, dann lag er still. Sam erhob sich, packte seinen Schiffshauer und blickte sich um.
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Jetzt hatte er die Erklärung für die unverhoffte Hilfe: Aus dem Dschungel stürzten wieder braunhäutige Gestalten hervor, aber diesmal waren es nicht die Krieger Surkuts, sondern die Männer aus dem Dorf des Häuptlings Tubuago. Natürlich -auch sie hatten die Schüsse vernommen und waren aufgebrochen, um ihren weißen Freunden zu Hilfe zu eilen. Im Eifer des Gefechts hatten weder Shane oder Sam noch die anderen Männer des Landtrupps an diese Möglichkeit gedacht. Der Einsatz der Insulaner erfolgte spät, aber vielleicht doch immer noch rechtzeitig genug. Sam hetzte los und reihte sich in die vorderste Gruppe der Krieger ein. „Dort entlang!“ schrie er und wies mit der Hand den Weg zur Ankerbucht. „Wir müssen sie erwischen, diese Schweinebande!“ Obwohl er wußte, daß die Indios ihn nicht verstehen konnten, stieß er Verwünschungen gegen die Krieger Surkuts aus und wünschte sie alle zum Teufel, denn er mußte sich irgendwie Luft verschaffen. An der Spitze der Indios lief er durch eine Senke zur nächsten Hügelkuppe hinauf und traf gerade rechtzeitig genug ein, um Will Thorne, der in schwere Bedrängnis geraten war, Hilfe zu leisten. Drei Eingeborene hatten Will festgesetzt. Er schlug sich, so gut er konnte, aber er konnte sich nicht mehr lange halten. Sam ging mit einem Fluch dazwischen und schickte einen Gegner durch einen Entermesserhieb zu Boden. Er wollte sich den nächsten vornehmen, doch der fiel wie von selbst, weil ihn ein Pfeil getroffen hatte. Will tötete den dritten durch einen blitzschnellen Ausfall, dann sahen Sam und er, wer den Pfeil abgeschossen hatte. Es war Tubuago höchstpersönlich. Er stand inmitten seiner Krieger und schrie Befehle, legte einen neuen Pfeil an die Bogensehne und zielte auf Borago, den er in der Meute der Widersacher entdeckt hatte.
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„Gut so!“ schrie Sam Roskill. „Weiter so! Wir schaffen es, jetzt wendet sich das Blättchen!“ Borago wollte sich auf Stenmark stürzen, doch ein Schuß, vom Seewolf abgeben, traf seine Schulter. Borago vollführte eine heftige Drehung und ging in die Knie, um ihn herum schien alles zu verschwimmen. Im nächsten Moment ging auf dem Hügel die Flaschenbombe Ferris Tuckers hoch, dort, wo sich nur die Indios der Nordinsel befanden, die versuchten, einen Bogen zu schlagen und den Seewölfen den Fluchtweg zur Ankerbucht abzuschneiden. Ein greller Blitz stach himmelan, Leiber wirbelten durch die Luft, und unter dem fetten schwarzen Rauch, der sich nach allen Seiten ausbreitete, schrien Surkuts Männer auf. Die Meute geriet ins Stocken. Tatsächlich schien sich eine Wende abzuzeichnen, denn die Seewölfe und die Krieger Tubuagos nahmen den Feind jetzt in die Zange. Doch in der Bucht dröhnten die Kanonen der „Isabella“. Schwer rollte der Donner über das Wasser gegen die Hänge der Insel Maraca an. Ein neues Drama nahm seinen Lauf. 9. Der Anker war gelichtet, die „Isabella“ schwamm frei im Wasser der Bucht, aber die Kanus und Piraguas der Eingeborenen wimmelten bereits um sie herum wie Ameisen um den Leib einer großen Raupe. Al Conroy und Jeff Bowie zündeten die ersten beiden Geschütze der Steuerbordbatterie. Blacky verließ die Back und eilte ihnen - entgegen der Order des Seewolfs - zu Hilfe. Die Culverinen spien Feuer, Rauch und Eisen aus und rollten zurück. Al, Jeff und Blacky brüllten „Arwenack“, denn sie sahen die beiden am weitesten zurückliegenden Kanus der Gegner durch die Luft fliegen und in tausend Trümmer auseinanderfetzen. Doch es war eher eine Selbsttäuschung, an einen Sieg zu glauben. Die anderen Boote waren dicht neben der
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Bordwand, unerreichbar für die Schüsse der 17-Pfünder. „Al!“ schrie Ben Brighton. „An die vorderen Drehbassen! Die anderen — Musketenfeuer eröffnen!“ „Aye, Sir!“ brüllte Al Conroy, und bei diesen Worten befand er sich schon auf dem Weg zum Vordeck, um es zu entern und die Hinterlader zu zünden. Ben hatte die Kampanje betreten und schwenkte eine der beiden achteren Drehbassen herum. Die Gabellafette erlaubte es, das kleine Geschütz in einen Schußwinkel zu bringen, in die man die Culverinen der „Isabella“ niemals hätte hieven können. „Bewegt euch, ihr müden Säcke!“ schrie Carberry auf der Kuhl. „Die Hunde dürfen den Kahn nicht entern, ich will keine dieser Kanaillen hier auf unserem feinen sauberen Deck sehen, verdammt noch mal! He, Kutscher, schmeiß mir einen Blunderbuss ‘rüber, damit ich ihnen selbst eine Ladung Blei in ihre hohlen Schädel pusten kann!“ Mit schrillen Lauten kletterten die Indios bereits an den Bordwänden hoch. Sie benutzten dazu keine Taue. Sie sprangen von ihren Booten aus bis zu den Stückpforten und zu den Rüsten hoch, klammerten sich wie die Affen daran fest und versuchten, sich durch die Pforten zu zwängen oder über das Schanzkleid zu klettern. Al Conroy hatte die vordere linke Drehbasse so weit herumgedreht und gesenkt, daß sie auf ein Kanu zielte, dessen Insassen gerade die letzten Yards Distanz zum Schiff zurücklegten. Bevor sie sich unter der Galion und dem Vorsteven verstecken konnten, senkte Al die glimmende Lunte auf das Bodenstück der Basse. Es krachte und fauchte, und das Geschütz ruckte in seiner Lafette, als wolle es sich losreißen. Gellendes Geschrei aus dem Kanu verkündete Al, daß er getroffen hatte. Er wechselte zu der anderen Drehbasse hinüber und wollte sie ebenfalls abfeuern, fand aber kein Ziel für die Kugel. Deshalb bückte er sich, griff sich eine Muskete und
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eilte zum Steuerbordschanzkleid der Back. Er beugte sich darüber, streckte die Waffe nach unten und drückte auf einen Indio ab, der sich das Hartholzmesser zwischen die Zähne geklemmt hatte und eben Anstalten traf, sich auf die Kuhl zu schwingen. Im Krachen der Muskete ließ er seinen Halt los und stürzte in eine der Piraguas zurück. Carberry, der Kutscher, Gary, Old O’Flynn und Jeff waren neben Al an der rechten Schiffsseite, um mit Musketen und Tromblons die Flut der braunen Leiber zurückzuhalten. Blacky, Bill und die Zwillinge verteidigten das Backbordschanzkleid. Im Stakkato hallten jetzt die Schüsse, ihr Echo wurde von den Inselhügeln zurückgeworfen. Ben Brighton hatte die Bodenstücke der beiden achteren Drehbassen ganz hochgedrückt und visierte über die Läufe die Piragua des Häuptlings Surkut an. Sie lag unter der Heckgalerie, und einige der Eingeborenen befanden sich noch an Bord, während der Rest der Besatzung - allen voran Surkut - über das Ruder zum Hennegat hinaufhangelten. Eigentlich hätte Ben durch den Boden der Heckgalerie feuern müssen, um die Piragua zu treffen, aber er zögerte, es zu tun, denn er wollte nicht das eigene Schiff beschädigen. Dann half ihm ein Umstand, mit dem er nicht gerechnet hatte. Die Piragua war nicht am Heck der „Isabella“ vertäut worden, sie dümpelte auf den flachen Wellen der Bucht und trieb wieder ein Stück ab. Kaum war sie auch nur zur Hälfte in Sicht, zündete Ben die beiden Hinterlader kurz nacheinander. Sie donnerten und jagten ihre Ladung mitten in die Piragua. Die Todeslaute der Indios drangen zu Ben hoch, und er sah die Gestalten ins Wasser kippen. Er verfolgte auch noch, wie einer der Krieger das Ruder losließ und ebenfalls in die Fluten stürzte. Der heiße Feuerschweif, den die Bassen ausgespuckt hatten, mußte ihn erfaßt und von seinem Halt weggerissen haben. Ben bückte sich und nahm ein Tromblon auch Blunderbuss genannt - zur Hand. Er
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richtete sich auf, beugte sich wieder über die Heckreling und sah Surkut und zwei andere, die soeben die Galerie erklettert hatten. Ben richtete das Tromblon auf sie und zog den Stecher, doch es war schon zu spät. Sie verschwanden in der Kapitänskammer, deren äußere Tür leider nicht verriegelt war. Die Ladung des Tromblons erwischte nur einen vierten Indio, der gerade in diesem Augenblick seinen bemalten Kopf über die Galerie steckte. Das gehackte Blei und Eisen trafen ihn voll. Schreiend glitt er von der Galerie ab, prallte auf seinen nachfolgenden Kumpanen und riß diesen mit in die Tiefe. Ben drehte sich um und stürmte von der, Kampanje aufs Achterdeck. In größter Hast enterte er aufs Hauptdeck ab und rief: „Aufpassen! Sie sind in der Hütte - drei Mann!“ Er hatte kaum ausgesprochen, da flog das Schott des Achterkastells auf, und die Öffnung spuckte die drei dunklen Leiber aus, die speerschwingend auf die Kuhl stürzten. Carberry fuhr vom Steuerbordschanzkleid herum, tat zwei lange Schritte und riß seine Pistole aus dem Gurt. Eine Lanze, von Surkut geschleudert, raste auf ihn zu, aber er ließ sich so geistesgegenwärtig und behände fallen und rollte sich auf den Planken ab, wie Surkut es von einem Gegner dieser Größe nicht erwartet hatte. Der Speer flog über Carberry weg und blieb im Großmast stecken. Carberry richtete sich neben der Kuhlgräting halb auf, hielt die Pistole mit beiden Händen vorgestreckt und drückte ab. Die Kugel traf, aber sie schickte nicht Surkut, sondern einen von dessen Untertanen zu Boden. Ben Brighton wollte auch mit der Pistole auf Surkut und den anderen Indio schießen, aber er mußte sie jetzt gegen die Wilden einsetzen, die scharenweise über das Steuerbordschanzkleid kletterten. Der Schuß raffte einen Kerl weg und beförderte ihn zurück ins Wasser, doch die anderen rückten unbeirrt nach und enterten die „Isabella“. Das Unheil war nicht mehr
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aufzuhalten. Die Seewölfe wichen zurück, zum Großmast und zur Kuhlgräting, wo der Profos mit seinem Säbel gegen Surkut zu kämpfen begonnen hatte. Al Conroy hielt wutentbrannt den Luntenstock an eine der geladenen Steuerbord-Culverinen, denn zwei Indios klammerten sich von außen an deren Rohr fest und versuchten gleichzeitig, durch die Stückpforte aufs Hauptdeck vorzudringen. Sie gerieten sich dabei ins Gehege, und mitten in ihr Gezeter hinein donnerte der Schuß des Siebzehnpfünders. Al sah kaum noch, wie der eine in die Bucht hinauskatapultiert wurde und der andere schreiend das heiße Eisenrohr losließ. Er wandte sich um, zog sein Entermesser und stürmte zur Mitte der Kuhl, denn dort tobte jetzt ein furchtbarer Kampf. Philip junior und Hasard junior hatten noch zwei Musketen nachladen können. Sie feuerten sie auf die Indios ab, die ihnen am nächsten standen. Dann aber waren auch die letzten Schüsse verhallt, und jetzt galt es, sich mit allen Mitteln im Nahkampf zu behaupten. Auch Blacky schlug sich, so gut er konnte, und er dankte in diesem Moment dem Himmel, daß seine linke, nicht die rechte Schulter verwundet war, so daß er mit rechts immer noch einen Säbel führen konnte. Surkut hatte sein Kaoba, das lange Häuptlingsmesser, gezogen und hieb damit wild auf den Profos ein. Carberry hätte sich den Kerl ohne viel Mühe vom Leib halten können, wenn nicht die anderen Gegner gewesen wären, die von allen Seiten auf ihn und seine Kameraden eindrangen. Die Masse der braunen Leiber drohte die wenigen Seewölfe zu erdrücken. Immer dichter rückten sie zusammen, und bald war die Kuhlgräting die letzte rettende Insel im Meer des Grauens. Da nutzte es auch nichts mehr, daß Arwenack von den Fockwanten aus Kokosnußschalen auf die Köpfe der Feinde schleuderte. Jeder Versuch eines hilfreichen Einsatzes von außen schien von
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vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein, und es war nur noch eine Frage weniger Augenblicke, bis der Widerstand der elf von der „Isabella“ kläglich zusammenbrach. War das das Ende? * Ferris Tucker schleuderte noch zwei Flaschenbomben mitten zwischen die Krieger der Nordinsel, die jetzt verwirrt und unschlüssig geworden waren, und damit war der Kampf auf den Hügeln im wesentlichen entschieden. Der Boden bebte, die Explosionen rissen kleine Krater und hoben die Leiber der Gegner wie Strohpuppen in den Mittagshimmel — Boragos Männer glaubten, daß böse Geister eingegriffen und sich gegen sie gewendet hätten. Borago wollte versuchen, zur Bucht zu gelangen, um zu dem großen Schiff zu schwimmen, das augenscheinlich von Surkut und dessen Männern gekapert worden war. Siegesgeheul tönte von der Bucht zu den Anhöhen hoch. Aber die weißen Männer unter der Leitung des großen Schwarzhaarigen und die Krieger des Häuptlings Tubuago versperrten ihm den Weg. Kurz zuvor war Borago wie durch ein Wunder dem Pfeil entgangen, den Tubuago auf ihn abgeschossen hatte. Seine rechte Schulter brannte wie Feuer, ihm war elend zumute, seine Verwegenheit wich einem eher jämmerlichen Gefühl. Die Wirkung der Drogen ließ nach, und in Boragos Geist nahm die Gewißheit Gestalt an, daß er die Feuerrohre der „Viracocha“ unterschätzt hatte - und nicht nur die. Er hatte sich auch nicht ausgemalt, daß die Weißen und die Indios der Ilha de Maraca bei einem derart massiven Angriff so erbitterten Widerstand leisten würden. Ja, das Blatt hatte sich gewendet, und jetzt sah es bedrohlich aus für Borago und seine letzten zehn, fünfzehn Gefährten. Wenn sie nicht sterben wollten, dann gab es nur noch eine Möglichkeit: Sie mußten sich im Busch verstecken und trachten, ihre Kanus
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und Piraguas an der nördlichen Flußmündung zu erreichen. Borago wandte sich nach Westen und lief davon. Als seine Krieger bemerkten, daß er aufgab, ließen auch sie von ihren Gegnern ab und schlossen sich ihm an. „Sie hauen ab!“ schrie Smoky. „Ho, wir haben gewonnen, Freunde!“ „Sir!“ rief Ferris Tucker. „Soll ich ihnen noch eine Höllenflasche als Abschiedsgruß nachschicken?“ Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Nein. Spar sie dir für das auf, was jetzt folgt. Los, wir müssen schleunigst zurück zur ‚Isabella’ pullen. Verdammt, hört ihr, wie diese Teufel johlen?“ Ja, sie alle vernahmen es jetzt, und der Triumph über den Erfolg auf den Hügeln wich der Besorgnis um das Schicksal der Kameraden an Bord der Galeone. Tubuago sah die Bestürzung in den Mienen seiner weißen Freunde, und er faßte sehr schnell seinen Entschluß. „Zwanzig Männer folgen Boragos Bande!“ schrie er. „Paßt auf, daß sie nicht ins Schabono gelangen! Ihr anderen - mir nach!“ Er lief hinter Hasard, Ferris. Smoky, Pete, Dan und den anderen her, die jetzt schon unten in der Senke waren und gerade den nächsten Hang hinaufstürmten. Der Seewolf langte als erster bei den Jollen an und sah Big Old Shane, der beide Boote zu Wasser gebracht hatte und neben Luke Morgan auf der einen Ducht kauerte. Luke lag reglos in seinen Armen. Wieder spürte der Seewolf die eiskalte Hand, die nach seinem Herzen griff, und in seinem Hals war ein dicker, pelziger Klumpen. Er kletterte zu Shane ins Boot und sagte: „Was ist, Shane? Ist er - tot?“ Shane schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe ihm den Pfeil ‘rausziehen können, sehr tief steckte er nicht. Irgendwie hat unser alter Morgan, dieser Hitzkopf, mächtiges Glück gehabt, denn eine seiner Rippen scheint die Pfeilspitze aufgehalten zu haben. Das weiß ich aber noch nicht genau, Sir, das kann uns bloß der Kutscher bestätigen.“ „Los!“ rief Hasard. „Leg Luke hierher, zu mir, vor die Heckducht. Wenn wir uns
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nicht höllisch beeilen, sehen wir weder den Kutscher noch die anderen lebend wieder!“ Ferris, Smoky, Pete, Dan, Batuti, Bob, Stenmark, Will, Matt und Sam waren jetzt auch eingetroffen, warteten ins seichte Wasser und schwangen sich in die Jollen. Sofort packten sie die Riemen und pullten an. Tubuago und seine Krieger waren ebenfalls heran. In Ermangelung ihrer Kanus, die an einem ganz anderen Platz der Insel lagen, gingen sie ins Wasser, klemmten sich ihre Messer zwischen die Zähne und begannen zu schwimmen, erstaunlich gewandt und schnell und ohne größeren Kraftaufwand. Wie Fische glitten sie durchs Wasser und folgten den Jollen, die Kurs auf die „Isabella“ nahmen. „Ferris“, sagte der Seewolf. „Halte dich mit den Flaschen bereit. Lieber jage ich unser eigenes Schiff in die Luft, als daß ich es mir von diesen Hunden wegnehmen lasse. Lieber versenke ich den verdammten Kahn, als daß ich unsere Leute abschlachten lasse.“ 10. Ben Brighton, Carberry, der Kutscher, Blacky, Gary, Al, Old O’Flynn, Jeff, Bill und die Zwillinge verteidigten die Kuhlgräting wie eine Festung. Ringsum waren die braunen Leiber, waren quirlige Bewegung. und ohrenbetäubendes Geschrei, und wie Zähne hackten die Messer der Indios nach den Körpern der Gegner. „Wir können uns nicht mehr halten!“ brüllte Carberry. „Es gibt nur noch eine Möglichkeit, Ben!“ „Ja!“ schrie Ben zurück. „Einer von uns muß versuchen, sich bis zur Pulverkammer durchzukämpfen. Wir sprengen uns mit dem Schiff in die Luft. Wir gehen alle vor die Hunde, aber wenigstens nehmen wir diese Dreckskerle mit auf die Höllenreise!“ Old O’Flynn brach plötzlich mit einem Wehlaut zusammen. Ein Messerstich hatte ihn getroffen. Er preßte die Hand gegen die blutende Brust.
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Philip und Hasard packten seine Arme und zogen ihn ein Stück weiter zur Mitte der Gräting. Besorgt beugten sie sich über ihn, aber er grinste sie schief an und sagte: „Na, ihr Rübenschweinchen? Habt ihr noch nie einen alten Mann bluten sehen?“ „Ihr gesengten Säue, ihr Teufelsbraten, ihr Hurensöhne!“ schrie der Profos die Indios an. „Euch haue ich reihenweise die Schädel ein, wenn ihr nicht das Deck räumt!“ Aber selbst er, der wie ein Berserker kämpfte, mußte vor dem Ansturm der Leiber immer weiter zurückweichen. „Sorgt für Deckung!“ rief Ben. „Ich sehe jetzt zu, daß ich die Pulverkammer erreiche!“ Er wartete nicht länger, stieß sich von der Gräting ab, jumpte über die Köpfe und Rücken der Wilden und landete auf der Nagelbank. Hier ergriff er ein Fall, hangelte daran hoch und versuchte, die Fockwanten der Backbordseite zu erreichen, ehe Surkut und seine Kerle, die überall auf dem Hauptdeck zu sein schienen, ihn mit ihren Pfeilen herunterschießen konnten. Carberry, Blacky, Gary, Al und die anderen mit Ausnahme von Old O’Flynn brüllten wie verrückt und starteten eine heftige, verzweifelte Attacke auf die Indios, die sie wenigstens so lange ablenkte, wie Ben brauchte, um in die Webeleinen der Fockwanten zu gelangen. Er kletterte weiter nach oben. Ein paar Pfeile sirrten ihm nach, doch sie trafen ihn nicht. Er war jetzt beim Vormars und packte das Vormarsstag mit beiden Händen. Schon glitt er daran hinunter, in gezügelter Eile, nicht zu schnell, um sich nicht die Hände zu versengen. Die Indios quittierten es mit einem zornigen Geschrei, als er die Back erreichte. Von hier aus wollte Ben das Vordecksschott erreichen, nach unten in den Schiffsbauch steigen und in der Pulverkammer die Lunte entfachen, die ihrer aller Ende herbeiführen würde. Doch die Indios drohten ihm den Weg zum Schott abzuschneiden. Sie waren bereits auf beiden Niedergängen, die die Back mit
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der Kuhl verbanden und schoben sich mit gezückten Messern auf ihn zu. Ben schwenkte die eine Drehbasse herum, die Al Conroy vorher nicht mehr gezündet hatte. Er beugte sich zu dem Kupferbecken, in dem nach wie vor schwach die Holzkohle glomm, steckte das Luntenende hinein, richtete sich wieder auf und setzte das Zündkraut im Bodenstück des Geschützes in Brand. Er sprang zur Seite und wich so weit zurück, bis er an der vorderen Querbalustrade der Back war. Die Drehbasse wummerte, der Schuß fegte flach über die Back weg, lag aber immer noch so hoch über der Kuhl, daß er die Männer auf der Gräting nicht gefährden konnte. Ben hatte keine Zeit gehabt, die Basse sorgfältig zu justieren, aber der Schuß nahm immerhin zwei oder drei Gegner mit, und plötzlich war der Backbordniedergang wieder frei. Ben konnte, wenn er sehr schnell war, bis in die Kombüse gelangen und von dort aus zu der Pulverkammer der „Isabella“ gelangen. * Hasard und seine Begleiter enterten bereits an der Backbordseite der „Isabella“ auf unbemerkt von Surkut und seinen Indios, die sich alle an Bord der Galeone befanden -, als der Drehbassenschuß krachte. „Das können nur unsere Leute gewesen sein“, zischte Hasard Ferris Tucker zu, der gleich unter ihm an der Jakobsleiter hing. „Die Indios können unsere Geschütze nicht zünden, sie sind mit ihrem Umgang nicht vertraut.“ „Also gibt es doch noch eine Hoffnung?“ „Vielleicht. Warte mit den Höllenflaschen, bis ich dir den Befehl dazu gebe, sie einzusetzen.“ Vorsichtig schob er sich weiter hoch, verhielt über den Rüsten und spähte durch eine der Stückpforten. Zwischen dem Süll und dem bauchigen Rohr der Culverine konnte er gerade die Köpfe seiner Männer sehen, die auf der Gräting standen und sich erbittert gegen die Indios zur Wehr setzten. Surkuts Krieger tobten vor Wut, sie
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schienen zum entscheidenden Schlag auszuholen. Hasard kletterte höher und glitt über das Schanzkleid. Noch hatten die Indios ihn nicht bemerkt - weder ihn noch die anderen Männer, die jetzt behutsam auf das Hauptdeck stiegen. Auch Tubuago und dessen Leute hatten schwimmend das Schiff erreicht. Sie enterten von allen Seiten, schienen mit ihren Leibern an den Bordwänden zu kleben. Hasard sah, einen besonders großen Federbusch aus der Masse der braunen Leiber hervorragen, und er folgerte richtig, daß es sich bei dem Träger dieses Kopfputzes um den Häuptling der Nordinsel handeln mußte. Diesen Mann beschloß er, sich herauszugreifen. Plötzlich stürmte der Seewolf mit erhobenem Degen vor und warf sich in das Meer der Leiber. Sein Angriff erfolgte so überraschend für die Indios, daß sie nicht sofort auf die neue Gefahr reagierten, und diese wenigen Atemzüge genügten Hasard, bis Surkut zu gelangen. Er zog ihm die Spitze des Degens schräg von links nach rechts über die nackte Brust, und zu der roten Bemalung des Mannes fügte sich eine neue rote Spur, die nicht im Einklang mit den übrigen Kriegszeichnungen stand. Ungeachtet der tödlichen Gefahr, die neben und hinter ihm war, trieb der Seewolf den entsetzten Kerl vor sich her bis zum Steuerbordschanzkleid. Jetzt endlich erlangte Surkut die Fassung wieder. Heftig wechselte sein Mienenspiel, sein Mund zuckte, in seinen Augen glomm das Feuer des Wahnsinns. Er brüllte, hob das Kaoba und wollte damit auf Hasards Gesicht einstechen. Doch der Seewolf war auf der Hut. Er sprang ein Stück zurück. Der heimtückische Stoß mit dem Messer ging ins Leere. Hasard unternahm einen neuen Ausfall und drängte Surkut bis an eine der Culverinen zurück, so daß der Kerl jetzt in die Enge getrieben war und keinen Ausweg mehr hatte.
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„Arwenack!“ schrien die Männer auf der Gräting. „Arwenack - der Seewolf ist da!“ Ferris, Smoky, Shane und all die anderen fuhren jetzt ebenfalls zwischen die Eingeborenen der Nordinsel und holten sie mit Säbel- und Entermesserhieben von der Kuhlgräting fort. Tubuago und seine Krieger landeten an Deck und mischten sich in den erneut heftig entbrennenden Kampf ein, und jetzt war das Kräfteverhältnis zwischen beiden Parteien hergestellt. Das Gefecht hätte noch einige Zeit hin und her branden können, wenn Hasard nicht die Entscheidung herbeigeführt hätte. Er fintierte und täuschte Surkut Schwäche vor, um diesen aus der Reserve zu locken. Surkut ging darauf ein und versuchte, sich blitzschnell zu ducken, vorzuschnellen und dem Seewolf das Häuptlingsmesser in den Leib zu stoßen. Hasard jedoch ließ die Degenklinge durch die Luft pfeifen - und plötzlich segelte das Kaoba quer über die Kuhl. Surkut hielt sich die blutende rechte Hand. Seine Mundwinkel begannen zu flattern, seine Augen huschten in panischer Angst hin und her. „Spring!“ schrie Hasard ihn an. Er deutete auf das Wasser der Bucht. „Dort hinein, rasch - ehe ich mich vergesse !“ Surkut begriff, kletterte über das Schanzkleid, blieb jedoch auf den Rüsten der Hauptwanten stehen und blickte sich zögernd zu Hasard um. Der Seewolf vollführte eine heftige Bewegung mit dem Degen. Wieder pfiff die Klinge durch die Luft, diesmal im Zickzack und dicht vor Surkuts angstverzerrtem Gesicht. Da ließ sich der glorreiche Häuptling des „grimmigen Volkes“ ins Wasser fallen. „Surkut flieht!“ schrie Tubuago. „Seht doch, er ist genau der Hasenfuß, als den ich ihn immer eingeschätzt habe!“ Das verstanden natürlich alle Eingeborenen, auch die von der Nordinsel. Ihres Oberhauptes beraubt, begannen sie zu .zaudern und sich vor dem Gegner zurückzuziehen.
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Eine Piragua war von der Bordwand der „Isabella“ abgetrieben, sie dümpelte nicht weit von Surkut entfernt. Er versuchte, sie zu erreichen, doch plötzlich wirbelte etwas durch die Luft und landete mit einem polternden Laut in dem Boot. Eine von Ferris Tuckers Höllenflaschen! Hasard hatte den Befehl gegeben, so viele Kanus und Piraguas wie möglich zu versenken, damit der Gegner nur mit Mühe zur Nordinsel zurückgelangen konnte, denn so einfach sollte Surkut nicht davonkommen. Eine Feuerfaust zerschlug das Boot in hundert Trümmer, das Grollen der Explosion zog über die Bucht. Surkut tauchte entsetzt unter, seine Männer an Bord der „Isabella“ schrien auf. Ihre Panik wuchs, Sie gingen von Bord und folgten ihrem Anführer, dem jetzt weder Koka noch Ebena noch aufwieglerische Reden halfen, die Ordnung wiederherzustellen und eine Wende herbeizuführen. „Wir haben es geschafft“, sagte Hasard. Er drehte sich um und wollte schon aufatmen, weil offenbar keiner seiner Männer verwundet worden war. Auch Ben Brighton stieg mit erleichterter Miene von der Back. Die „Isabella“ hatte nicht geopfert zu werden brauchen, der Tod war um Haaresbreite an ihrer Besatzung vorbeigegangen. Dann aber sah Hasard O’Flynn verkrümmt auf der Kuhlgräting liegen, und er erstarrte vor Entsetzen. * Borago hatten den Pfad wiedergefunden, der zu den Kanus führte, und diesen Weg durch den heißen, stickigen Dschungel, in dem Gefahren lauerten und Krankheiten brüteten, schleppte er sich jetzt entlang. Seine Kumpane hatte er aus den Augen verloren. Er hatte die Laute vernommen, die hinter ihm im Dickicht ertönt waren. Sie gaben ihm Auskunft darüber, daß Tubuagos Männer ihnen folgten, daß sie Gegner um Gegner überwältigten - daß er, Borago, wahrscheinlich der einzige war, dem die Flucht glückte.
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Das Rufen seiner Feinde blieb hinter ihm zurück. Er traf auf den schmalen Flußlauf, der zwischen den Mangroven hindurch auf die See hinausführte, sah die versteckten Kanus friedlich daliegen und erkannte auch die Gestalt Bisaasis am Boden, den er mit seinem Messer ermordet hatte. Nach Kewridis Gestalt forschte Borago vergebens. Sie trieb nicht im Wasser. Er dachte nicht weiter darüber nach. Ein Krokodil oder eine Schlange hat seinen Leichnam fortgeschleppt, sagte er sich. Seine Schmerzen und die Übelkeit und Ohnmachtsgefühle, die ihn zu übermannen drohten, trieben ihn zur Eile. Er kletterte in eins der Kanus, griff nach einem Paddel und versuchte mit zusammengebissenen Zähnen, das Boot von den Wurzeln der Mangroven zu befreien, die wie Gespensterfinger nach ihm zu greifen schienen. Er bemerkte nicht die blutüberströmte Gestalt, die sich hinter ihm aus dem neben seinem Boot liegenden Kanu erhob und ein Hartholzmesser über dem Kopf schwang. „Borago!“ stieß die Gestalt kaum verständlich hervor. „Hier — bin ich — und dies — ist die Rache für Bisaasis — Tod ...“ Borago drehte sich um. „Kewridi! Du — nein, nicht!“ Kewridi beugte sich vor und fiel in das Nachbarkanu hinüber. Im Fallen rammte er Borago den Dolch in die Brust, ehe dieser eine Geste der Abwehr unternehmen konnte. Borago versuchte noch, nach Kewridis Hals zu greifen und ihn zu würgen, doch seine Kräfte ließen schnell nach, und er spürte, wie das Leben aus seinem Körper entwich, und zu den Hekura, den Geistern, floh, die den Kriegern der Nordinsel den Sieg hatten bringen sollen und sie doch so schmählich im Stich gelassen hatten. Kewridi verlor das Bewußtsein und blieb reglos über Boragos Leichnam liegen. *
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Luke Morgan kam zu sich und sah über sich das freundliche Gesicht eines ausgesprochen schönen Mädchens. „He, Moment“, sagte er heiser. „Wenn das hier die Hölle ist, dann bin ich aber verdammt gut aufgehoben. Wie heißt du, Täubchen?“ Das Mädchen kicherte und zog sich zurück. Ein anderes Gesicht erschien im diffusen Licht des zur Neige gehenden Tages über Luke. „Oh“, sagte Luke. „Verzeihung, Sir — ich, äh, nein, das hätte ich wirklich nicht gedacht —daß ich noch lebe, meine ich. Oder bist du auch tot und leistest mir hier Gesellschaft?“ „Sir“, sagte von rechts eine andere Stimme. „Ich bitte darum, an Bord unseres Schiffes zurückkehren zu dürfen, denn ich halte das dämliche Gefasel von Mister Morgan nicht mehr aus. Kaum hat er die Klüsen auf, der Stint, redet er nichts als Quark.“ „Du sollst dich nicht aufregen, Donegal“, warnte der Seewolf. „Das hält nur den Heilungsprozeß auf, hat der Kutscher gesagt.“ „Also gut. Aber dann legt mich wenigstens ein Stück weiter weg von diesem Strohkopf, möglichst so, daß ich Ilana, Oruet, Saila, Mileva und Ziora im Auge behalte — diese entzückenden Geschöpfe.“ „Das könnte dir so passen“, sagte Blacky, der jetzt zu ihnen trat. „Wir legen dir am besten ein Stück Segeltuch über die Augen, Donegal, sonst kriegst du beim Anblick der kleinen Ladys bloß einen Herzschlag.“ „Darf ich mal was fragen, Sir?“ sagte Luke. „Bitte.“ „Wo sind wir hier?“ „Im Schabono, dem Dorf der MaracaIndios.“ „Und wir sind alle Gefangene der Wilden, die uns überfallen haben?“ „Nein. Wir haben gesiegt“, sagte der Seewolf. „Und du hast mächtig Glück gehabt, wie Shane es richtig ausdrückte. Der Pfeil, den man dir in den Rücken gejagt hat, ist an einer Rippe abgeprallt. Bald geht’s dir wieder besser, und auch Donegal wird am Leben bleiben, denn der
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Messerstich, den er abgekriegt hat, hat nur eine Fleischwunde hervorgerufen.“ „Mister O’Flynn“, sagte Luke. „Darüber bin ich nicht unbedingt erfreut.“ „Ganz meinerseits“, gab der Alte zurück. „Eines Tages müssen wir ja wirklich in der Hölle braten, aber dann hoffe ich, daß wir zusammen bleiben, denn ich will dein krebsrotes Gesicht sehen, wenn du im Kessel hockst.“ Blacky und Matt Davies, der sich inzwischen ebenfalls zu ihnen gesellt hatte, grinsten. Matt trug den Arm in einer Schlinge, die der Kutscher ihm angelegt hatte. Hasard lächelte. „Ihr könnt nachher weiterstreiten, ihr beiden. Wir sind alle mit einem blauen Auge davongekommen, und jetzt bleiben wir doch noch ein paar Tage hier, damit die Verwundeten ihre Blessuren an der Sonne vernarben lassen können. Tubuago hat uns angeboten, die Verletzten von den Mädchen versorgen zu lassen, und das haben wir natürlich angenommen. Wir werden jetzt die Wasserfässer endlich an Bord der ‚Isabella’ schaffen, die Gefechtsschäden reparieren und dann Pläne für unsere Weiterreise schmieden.“ „Sir“, sagte Matt Davies. „Was ist eigentlich aus -diesem Kewridi geworden, der - wenn ich richtig verstanden habe Borago getötet hat?“
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„Der Kutscher hat ihn in seiner Hütte untersucht“, erwiderte Hasard. „Kewridi hat viel Blut verloren, und er wird sehr lange liegen müssen, aber er wird es überstehen, das hat der Kutscher mir versichert. Ilana wird ihm eine gute Krankenschwester sein.“ „Ilana - war das die Schönheit, die eben bei mir war?“ fragte Luke. „Ja.“ Luke seufzte. „Von der träume ich heute nacht. Ganz bestimmt. Sir, du kannst mich auch hier zurücklassen, wenn du auf mich verzichten kannst, meine ich.“ „Ilana ist schon in festen Händen“, erklärte der Seewolf. „Tubuago hat gesagt, daß er sie Kewridi zur Frau geben wird, und Ilana ist einverstanden.“ Luke seufzte noch einmal. „Sir, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als meine Wunden zu lecken und nach meiner Genesung auch weiterhin Menschen wie Mister O’Flynn zu ertragen.“ „Es sei denn, du willst abmustern”, sagte Hasard. „Willst du es tun? Es steht dir frei, Luke.“ Entsetzt blickte Luke Morgan zu seinem Kapitän auf. „Mann, Sir, ich hab doch bloß ein bißchen geunkt. Abmustern? Davor soll mich der Henker bewahren.“ „Dann ist es ja gut“, sagte Hasard und lächelte ...
ENDE