Peter Kels Arbeitsvermögen und Berufsbiografie
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Peter Kels
Arbeitsvermögen und Berufsbiografie Karriere...
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Peter Kels Arbeitsvermögen und Berufsbiografie
VS RESEARCH
Peter Kels
Arbeitsvermögen und Berufsbiografie Karriereentwicklung im Spannungsfeld zwischen Flexibilisierung und Subjektivierung
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Rudi Schmiede
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Technische Universität Darmstadt, 2008 D 17
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Christina M. Brian / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16403-8
Geleitwort
Peter Kels hat sich mit der vorliegenden Arbeit zum Human ResourceManagement (künftig: HRM) einem von der Arbeits-, Industrie- und Organisationssoziologie seit langem vernachlässigten Themenbereich zugewandt, nämlich dem des strategischen Umgangs mit dem menschlichen Arbeitsvermögen, und zwar sowohl vonseiten der Arbeitgeber als auch von der Seite der Beschäftigten. Der strategische Umgang mit dem Arbeitsvermögen schließt notwendig die biografische Perspektive ein, und dies in zweierlei Hinsicht: Zum einen, was die Arbeitswelt angeht, im Hinblick auf die Karriere – in der vorliegenden Arbeit nicht notwendig als Aufstieg, sondern neutraler als Berufsbiografie definiert; zum anderen mit dem Blick auf das Verhältnis von Arbeit und Privatleben, d.h. die biografische Entwicklung der Vereinbarkeit dieser beiden Sphären. Indem Kels die Subjektivierung der Arbeit – ein durchaus modisches Thema – ins Zentrum seiner Arbeit stellt, zugleich aber durch den doppelten biografischen Blick und die Analyse der Strategien auf beiden Seiten des Beschäftigungsverhältnisses über die gängige Subjektivierungsdebatte hinausgeht, hat er eine ausgesprochen originelle, theoretisch wie empirisch fundierte Analyse vorgelegt. Ein kurzer Blick auf den Argumentationsgang macht dies deutlich. Der Verfasser grenzt sich gegen „Thesen einer durchgängigen Flexibilisierung und Ökonomisierung der Subjektivität und Lebensführung der Erwerbstätigen“ ab und will mit seiner Arbeit einen Beitrag leisten „zu einer tatsächlich subjektorientierten Forschung zur Flexibilisierung und Subjektivierung von Arbeit“, indem er das Wechselverhältnis zwischen betrieblichen Strategien und subjektiven Orientierungen und Gestaltungsmustern zu seinem zentralen Thema macht (S. 11). An einer späteren Stelle präzisiert Kels dieses Vorhaben noch als das Ziel, „die Formen subjektiver Auseinandersetzung mit veränderten betrieblichen Flexibilitäts- und Kompetenzanforderungen und der Anforderung eines biografischen Selbstmanagements am Gegenstand wissensbasierter, qualifizierter und hoch qualifizierter Angestelltentätigkeiten exemplarisch zu untersuchen und in Beziehung zu den betrieblichen Strategien der Arbeitskraftnutzung und -entwicklung zu setzen.“ (S. 71). Kels macht im Hinblick auf die gegenwärtigen Veränderungen in der Unternehmenslandschaft deutlich, dass Dezentralisierungstendenzen durchaus vereinbar seien mit weiter bestehenden, wenn auch angepassten bürokratischen 5
Strukturen (von Carsten Dose als „Flexible Bürokratie“ bezeichnet). Er weist auch auf die damit verbundenen erhöhten Qualifikationsanforderungen hin, aber auch darauf, dass die „Reprofessionalisierung“ der Produktionsarbeit bis heute umstritten ist. Der Verfasser operiert mit einem – an Autoren wie Polanyi, Willke, Gamm, Kocyba, auch die Darmstädter kairos-Gruppe anschließenden – differenzierten, die Erfahrungsbindung und personale Verwurzelung hervorhebenden Wissensbegriff. Besonderes Gewicht legt er auf die Flexibilisierung von Beschäftigung und Arbeitseinsatz (employment and work) und bei letzterem vor allem der Arbeitszeit sowie der Ausweitung der Formen der Projektarbeit. Der Kern seines Interesses liegt jedoch – wie es in einer Abschnittsüberschrift formuliert ist – auf „Alte und neue Passungen und Widersprüche im Verhältnis von Arbeit und Subjektivität“ (S. 41). In seiner Analyse des HRM weist Kels auf die allmähliche Substitution des Qualifikationsbegriffs als zentralen Bezugspunkts durch den – weiter gefassten – Kompetenzbegriff hin, in den ja selbst subjektive Konnotationen eingehen; personengebundene Kompetenzen rücken immer mehr ins Zentrum der Debatte (bis hin zu identitätstheoretischen Begründungen). Damit gewinnt auch arbeitsprozessbezogenes Lernen an Bedeutung, das wiederum von der Organisation gefördert und in Maßen gesteuert werden kann. Diese Entwicklung mündet in einer neuen Rollenverteilung zwischen den betrieblichen Akteuren in der Personalentwicklung, Weiterbildung und den Führungsaufgaben. Zu Ende gedacht, wird Bildung durch die Schaffung von „intellectual capital“ zum Wertschöpfungsprozess. Trotzdem bleibt sie Bildungsprozess und als solcher nur begrenzt kalkulierbar und steuerbar. Sie tendiert dadurch, wie schon erwähnt, dazu, bestehende Segmentationen noch zu verstärken. Der Autor fasst seine Stoßrichtung in diesem Kapitel als das Bestreben zusammen, „einer instrumentellen und verdinglichten Betrachtung des Menschen und der Annahme einer plastischen Formund Kontrollierbarkeit seiner Motivationen und Kompetenzen eine durch Sozialisationstheorie, Sozialpsychologie und Arbeitssoziologie informierte Perspektive entgegenzustellen, die der Komplexität der hier behandelten Fragestellung besser entspricht als gängige personalwirtschaftliche oder humankapitaltheoretische Ansätze.“ (S. 154) Man könne dieses Ziel allerdings nur mittels des Durchgangs durch die neuartigen Ansätze und Organisationsformen des HRM erreichen, nicht an ihnen vorbei. Kels hat zur Überprüfung dieser Überlegungen eine eigene empirische Fallstudie in einem internationalen Großunternehmen der Elektrotechnik und Elektronik unternommen. Die Basis für diese Fallstudie bilden 18 leitfadengestützte Experteninterviews mit Personalmanagern, -entwicklern, Führungskräften und Betriebsräten sowie weitere 18 problemzentrierte Interviews und 2 Gruppendiskussionen (mit 5 resp. 6 Teilnehmern) mit qualifizierten und hoch qualifizierten
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technischen und kaufmännischen Angestellten, die in globaler Projektarbeit, also in stark wissensbasierter und flexibler Weise, tätig sind. Die Auswertungsergebnisse wurden schließlich noch einmal den Befragten vorgestellt und mit ihnen diskutiert. Aus den Erhebungen wird zunächst klar, dass in diesem Konzern schon in den 90er Jahren ein grundlegender Umbruch der Unternehmenskultur von einem traditionell bürokratisch strukturierten Unternehmen hin zu einer dezentraleren, nach Geschäftssparten und Prozessen gegliederten und möglichst nahe am Markt orientierten Organisationsform begonnen hat. Dies ging einher mit veränderten Funktionen des Personalmanagements, das von einer zentralen Administration zum prozessbezogenen Dienstleister wurde. Dazu wurde ein unternehmensweit gültiges Konzept der Personalführung eingeführt, dessen Anwendung allerdings dezentralisiert erfolgt. Es enthält das Leitbild des Mitarbeiters als „Unternehmer seiner Selbst“ (so die Formulierung des Konzepts selbst). Zur begrifflichen Fassung dieser Konstellation hat Kels mit seinen Projektkollegen das Konzept der „Karrierepolitik“ entwickelt. „Kompetenzen, Erwerbsbiografien und Arbeitsorientierungen entstehen aus einer interaktionistischen Perspektive in aktiver Auseinandersetzung der Person mit der Arbeitsumgebung und Arbeitsaufgabe, der beruflichen Situation wie auch der Lebenssituation.“ (S. 217) Er hebt zunächst hervor, dass Karrieren unter heutigen Bedingungen nicht mehr Aufwärtsbewegungen sein müssen, sondern auch abwärts oder seitwärts führen können. Der Begriff fokussiert „auf typische Muster einer subjektiven Verarbeitung und Beeinflussung des eigenen Berufsweges. Mit Karrierepolitik wird hier das Ensemble individueller Interpretationen, Orientierungsmuster und Strategien erwerbsbiografischer Gestaltung in Auseinandersetzung mit den institutionell vorgefundenen Bedingungen des HRM und den Erfahrungen der Arbeit bezeichnet.“ (S. 214) Im Vordergrund steht mithin die „mikropolitische“ Perspektive. Allerdings sei deren soziale Strukturierung immer zu berücksichtigen. Dieses Konzept wird in der Interpretation des empirischen Materials durch die Ausarbeitung einer Typologie der Karrierepolitik weiter entfaltet. In seiner Gesamtinterpretation wendet sich Peter Kels zwar nicht gegen die Thesen der Ökonomisierung und Funktionalisierung der Subjektivität, kritisiert aber deren „wenig differenzierten, tragischen Grundtenor“ (S. 274f.), für den ihm so unterschiedliche Autoren wie Voß und Pongratz, Sennett sowie die an Foucault orientierten Arbeiten stehen. Die Beschäftigten würden hier vor allem als „Re-Akteure auf gesellschaftliche Veränderungen“, so ein Zitat von Jürgens, gesehen; Zielrichtung der Kritik ist dieses „oversocialized concept of man“ (S. 275) Weiterhin sieht der Autor zwar seine These der zentralen Rolle von HRM für die Subjektivierung der Arbeit durch die Untersuchung voll bestätigt, nicht dagegen die führende Rolle der zentralen Instanzen; vielmehr habe sich deren
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Funktionen auf dezentrale Ebenen differenziert, und zwar so weit, dass von einem Rückzug des HRM aus der Verantwortung für Personalentwicklung und betriebliche Weiterbildung gesprochen werden kann, denn die eigentlichen Kernaufgaben des HRD (HR Development) liegen nun bei den Führungskräften auf der fachlichen Ebene. Allerdings sei die Realisierung des Leitbilds „Unternehmer seiner Selbst“ dadurch begrenzt, „dass die mit den betrieblichen Strategien der Arbeitskraftnutzung verbundenen Anforderungen an globale Mobilität, Flexibilität und Leistungsvermögen den Möglichkeitsrahmen für eine ausgewogene individuelle Lebensführung und berufsbiografische Planbarkeit stark limitieren“ (S. 278). Das Unsicherheitspotential entgrenzter Flexibilisierung und der stark eingeschränkten Chancen einer gelingenden und sozial akzeptablen Lebensführung und kompetenzförderlicher Arbeit sei klar sichtbar. Daran werde „das Widerspruchsverhältnis hoch qualifizierter, subjektiverter und wissensbasierter Arbeit im Großunternehmen“ sichtbar (ebda.). Eine Bewältigungsstrategie dieser Paradoxie bestehe in der ständigen Suche nach Anschlussprojekten zur unablässigen Arbeit an der Karriere als Mittel zur Reduktion von Ungewissheit über die Zukunft. Eine Lösungskomponente sei ein Phasenmodell beruflicher und biografischer Entwicklung, in dem Höchstanforderungen auf eine Lebensphase beschränkt werden. Denn der „Unternehmer seiner Selbst“ täusche sich keinesfalls über seinen Status als abhängig Beschäftigter, es gebe keinen Abschied von der klassischen Arbeitnehmerrolle. Kels betont aber die subjektive Eigenleistung der Beschäftigten: „Die Offenheit und Adaptivität berufsbiografischer Gestaltung ist eine den betrieblichen Flexibilitätsanforderungen korrespondierende Bewältigungsstrategie fehlender Planbarkeit und Kontinuität innerhalb der beruflichen Laufbahn“ (S. 282); die Beschäftigten gestalteten ihren Karriere- und Lebensverlauf aktiv mit, reflektierten ihn, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, kritisch und versuchten auf vielfältige Weise, ihn positiv zu beeinflussen. Peter Kels hat eine insgesamt originelle, interessante, in einem breiten theoretischen Rahmen angesiedelte, sorgfältig recherchierte, empirisch fundierte und gut geschriebene Studie vorgelegt. Theoretisch weist vor allem die systematische Einbeziehung der bislang rein betriebswirtschaftlich geführten HRM-Diskussion seinen innovativen Beitrag aus. Seiner „Ehrenrettung“ des Subjekts ist völlig zuzustimmen: Viele soziologische Autoren neigen dazu, über den Strukturen und ihrer begrifflichen Fassung zu vergessen, dass Strukturen und Begriffe Konstrukte und Hilfsmittel der Beobachter sind, nicht aber Abbilder der Realität. Der komplizierte Prozesscharakter des Werdens der Realität zum Begriff, den schon Hegel darlegte, wird oft ignoriert oder vernachlässigt. Allerdings zeigen seine Untersuchungsergebnisse zugleich – anhand zweier insgesamt privilegierter Beschäftigtengruppen – die engen Grenzen der Gestaltbarkeit und die deutlich
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angewachsenen Unsicherheitspotentiale der modernen Arbeitsformen auf; die Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben ist prekärer geworden. Insgesamt stellt die vorliegende Studie sicherlich einen gewichtigen Beitrag zu einer erneuten und stärker differenzierten Diskussion des schwierigen Verhältnisses zwischen den Handlungsmöglichkeiten und dem tatsächlichen Handeln der Beschäftigten einerseits, den durch das Unternehmen, den Arbeitsmarkt und die globalisierten Handlungsräume gegebenen Grenzen und Zwängen andererseits dar.
Darmstadt, September 2008
Rudi Schmiede
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Vorwort und Dank
Den Ausgangspunkt dieser Dissertation bildet die Diskussion um Subjektivierung und Flexibilisierung der Arbeit im Zuge der tief greifenden Restrukturierungen der Unternehmensorganisation wie auch der wachsenden Bedeutung subjektgebundenen Wissens und Könnens für die betriebliche Wertschöpfung. Mein Interesse galt und gilt den Auswirkungen genannter Umbrüche auf den betrieblichen Umgang mit dem Arbeitsvermögen der Beschäftigten und, korrespondierend hierzu, den Formen subjektiver Ver- und Bearbeitung des Wandels. Es wurde das Wechselspiel zweier Instanzen untersucht, die die diachrone Entwicklung des individuellen Arbeitsvermögens entscheidend strukturieren: einerseits die Muster berufsbiografischer Orientierung und Gestaltung, andererseits die betrieblichen Strategien der Karriere- und Kompetenzentwicklung im Kontext des Human Resource-Managements. Das Wechselverhältnis zwischen Organisations- und Subjektperspektive, zwischen Arbeit und individueller Lebensführung, zwischen Karriereentwurf und den Flexibilisierungszwängen und -Möglichkeiten in seinen Implikationen und Widersprüchen theoretisch und empirisch auszuloten, war das zentrale Ziel der vorliegenden Arbeit. Zu Beginn dieses Vorhabens war zunächst offen, ob bzw. wie dieses Vorgaben umgesetzt werden könnte. Mit dem im Projektkontext (unter anderem anschließend an Hitzler/Pfadenhauer 2003) entwickelten Konzept der Karrierepolitik konnte ein auf Typenbildung zielendes, theoretisch gehaltvolles Interpretationsraster entwickelt werden, das sich empirisch bewährt hat. Karrierepolitik habe ich in der vorliegenden Arbeit definiert als „Ensemble individueller Interpretationen, Orientierungsmuster und Strategien erwerbsbiografischer Gestaltung in Auseinandersetzung mit den institutionell vorgefundenen Bedingungen des HRM und den Erfahrungen der Arbeit“ (S. 214). Aufbauend auf dieser Definition wurden die Spielräume und Gestaltungsmuster berufsbiografischen Handelns im Kontext des HRM am Gegenstand einer betrieblichen Intensivfallstudie in einem international tätigen Elektronikkonzern untersucht. Ich hoffe, mit dieser Arbeit einen wichtigen Impuls für die Erneuerung subjektorientierter Perspektiven auf die zahlreichen Spannungs- und Wechselverhältnisse von Arbeit, Organisation, Markt und Subjektivität zu liefern.
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An dieser Stelle möchte ich einigen Personen meinen aufrichtigen Dank aussprechen, die den Enstehungsprozess dieser Arbeit maßgeblich mit begleitet und unterstützt haben: Ich danke meinem Doktorvater Prof. Rudi Schmiede, Technische Universität Darmstadt, für die konstruktive, von Offenheit und Vertrauen geprägte Förderung meines Dissertationsprojekts am dort angesiedelten DFG-Graduiertenkolleg „Technisierung und Gesellschaft“. Auch den Angehörigen und Teilnehmern dieses Graduiertenkollegs gilt mein Dank für die intensive Zeit des wechselseitgen Austausches und Lernens. Dr. Uwe Vormbusch und Prof. Wilhelm Schumm, beide am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main, möchte ich herzlich danken für die außerordentlich fruchtbare und für mich prägende Zusammenarbeit im Rahmen eines DFG-Forschungsprojektes. Gemeinsam haben wir am Institut für Sozialforschung die Rolle des Human Resource-Managements für den Prozess der Subjektivierung von Arbeit empirisch untersucht. Für die gemeinsame Zusammenarbeit und wertvolle Anregungen danke ich den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Sozialforschung. Den zahlreichen Interviewpartnerinnen und -partnern, welche sich für die im Rahmen dieser Arbeit zentrale Fallstudie äußert engagiert und offen zur Verfügung stellten, möchte ich an dieser Stelle danken. Bedanken möchte ich mich bei meiner Frau Susanne für ihr Verständnis in manchen Phasen der Beanspruchung und ihren großen Rückhalt. Ihr ist dieses Buch gewidmet. Viel Kraft gegeben haben mir auch unsere beiden Kinder Lena und Merle, meine Eltern und gute Freunde, insbesondere Silvester, Reiner und Thomas. Schließlich gilt mein besonderer Dank Ludger Buse, der durch sein unermüdliches Engagement und seinen präzisen wie fachkundigen Blick auf das Manuskript maßgeblich den Entstehungsprozess und die Qualität dieser Publikation befördert hat.
Bern, September 2008
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Peter Kels
Inhalt
Einleitung…………………………………………………………………... 17 1
27 Arbeitskraft und Subjektivität im gesellschaftlichen und betrieblichen Wandel………........................................................
1.1
Restrukturierung der Unternehmens- und Arbeitsorganisation und qualifikatorischer Wandel………………………………………... Intensivierung betrieblicher Wissens- und Arbeitskraftnutzung: Aufwertung von Subjektivität?........................................................ Wissensbasierte und informatisierte Arbeit zwischen Formalisierung, Subjektgebundenheit und Kontrolle…………….. Flexibilisierung der Personal- und Arbeitszeitpolitik und des Arbeitseinsatzes…………………………………………………... Arbeit und Subjektivität: „alte“ und „neue“ Spannungsverhältnisse……………………………………………………….. Arbeitskraft und Subjektivität zwischen Normativität, Funktionalität und „neuer“ Steuerung……………………………. Ideologische Subjektivierung: Gegenwärtige Technologien der Führung und Aktivierung des Selbst……………………………... Erwerbsorientierungen im Umbruch: Vom verberuflichten Arbeitnehmer zum flexiblen Arbeitskraftunternehmer?................ Zwischenfazit……………………………………………………..
1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.3.1 1.2.3.2 1.3 1.4
27 36 36 46 52 53 63 73 80
2
Bildungs- und Personalarbeit im Kontext von Human Resource Management………………………………………….. 83
2.1
Konzeptionelle Einflüsse und historische Vorläufer des Human Resource Managements…………………………………………... Vom Scientific Management zur Human Relations-Bewegung….. Humankapitaltheorie……………………………………………... Resource-Based View……………………………………………..
2.1.1 2.1.2 2.1.3
86 86 88 90 13
2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3 2.3.1 2.3.1.1 2.3.1.2 2.3.1.3 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.2.1 2.4.2.2 2.4.2.3 2.4.2.4 2.4.2.5 2.5
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Entwicklungsphasen der Personalarbeit………………………….. Wissenschaftliche Ansätze des Human Resource Managements… Der Harvard-Ansatz………………………………………………. Der Michigan-Ansatz…………………………………………….. Harvard- und Michigan-Ansatz im Vergleich…...……………….. Der „evolutionary approach to Human Resource-Management“… Perspektiven und Rationalitäten des Managements von Personal und Arbeitsvermögen…………………………………………….. Ressourcenorientierung…………………………………………... Zur Lokalisierung des „Goldes in den Köpfen“: Identifizierung und Selektion von human resources……………………………… Aktivierung von Arbeitsvermögen, Steuerung von Subjektentwicklung: Human Resource Development……………. Auf der Suche nach einem neuen „psychomoralischen“ Kontrakt: Retention Management…………………………………………… Strategieorientierung: Personalmanagement als geschäftspolitischer Akteur………………………………………. Prozessorientierung………………………………………………. Gestaltungsmuster industrieller Beziehungen……………………. Personal- und Bildungsarbeit unter Veränderungsdruck…………. Klassische Aufgabenfelder und Funktionen betrieblicher Personalentwicklung und Weiterbildung………………………… Wandlungstendenzen betrieblicher Personal- und Weiterbildungsarbeit……………………………………………... Von der Weiterbildung zur Kompetenzentwicklung……………... Erfahrung statt Belehrung? Arbeitsprozessbezogenes und reflexives Lernen…………………………………………………. Neue Rollen für Personalentwickler, betriebliche Weiterbildner und Führungskräfte……………………………………………….. Personal- und Bildungsarbeit zwischen pädagogischer Professionalität und ökonomischer Legitimation………………… Alte und neue Segmentationslinien: Zielgruppen betrieblicher Weiterbildung und Personalentwicklung………………………… Zwischenfazit……………………………………………………...
92 95 95 96 97 98 102 103 104 106 109 114 117 118 121 122 130 130 138 144 148 159 166
3
Fallstudie: Human Resource-Management, Projektarbeit und Karrierepolitik…………………………………………………... 169
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2
Anlage der Untersuchung und methodisches Vorgehen………….. Experteninterviews……………………………………………….. Problemzentrierte Interviews……………………………………... Gruppendiskussion……………………………………………….. Human Resource-Management im global agierenden industriellen Mischkonzern…………………………………………………….. Restrukturierung und Rollenwandel des Personalmanagements: Vom zentralistischen Administrator zum prozessorientierten Dienstleister………………………………………………………. Handlungsebenen des Human Resource-Managements………….. Human Resource-Management auf der Ebene strategischer Unternehmensführung……………………………………………. Karriere- und Kompetenzentwicklung als Knotenpunkte strategischer und operativer Personalarbeit………………………. Operatives Human Resource-Management im Kontext globaler Projektleiharbeit………………………………………………….. „Karrierepolitik“ als reflexiver Modus berufsbiografischer Gestaltung…..……………………………………………………. Konzept der Karrierepolitik………………………………………. Methode der Rekonstruktion „subjektiver Karrierepolitiken“…… Karrierepolitiken im Kontext von Flexibilisierung und Subjektivierung…………………………………………………… Human Resource-Management und Karriere aus Mitarbeitersicht: Eine typenübergreifende Perspektive…………………………….. Attraktivität betrieblicher Karrierewege………………………….. Praxis der jährlichen Mitarbeitergespräche………………………. Der Mitarbeiter als „Unternehmer seiner Selbst“………………… Typen der Karrierepolitik………………………………………… Typus „situativ-adaptive Karrierepolitik“………………………... Typus „Krisenbewältigung“……………………………………… Typus „Strategische Karrierepolitik“…………………………….. Rekonstruktion normativer Vorstellungen und Verantwortungskonzepte beruflicher Entwicklung………………. Rekonstruktion Gruppendiskussion I: Mitarbeiter im Projektmanagement………………………………………………. Subjektive Definitionen einer gelungenen Berufslaufbahn……….
3.2.1
3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.4 3.4.1 3.4.1.1 3.4.1.2 3.4.1.3 3.4.2 3.4.2.1 3.4.2.2 3.4.2.3 3.5 3.5.1 3.5.1.1
170 173 181 184 187
188 193 193 195 211 226 226 232 238 238 238 240 244 248 248 257 262 271 272 273
15
3.5.1.2
3.5.3
Bewertung der betrieblichen Rahmenbedingungen beruflicher Entwicklung ……………………………………………………… Rekonstruktion Gruppendiskussion II: Technische Inbetriebsetzer Subjektive Definitionen einer gelungenen Berufslaufbahn………. Bewertung der betrieblichen Rahmenbedingungen beruflicher Entwicklung …………………………………………………….... Zusammenfassender Vergleich……………………………………
4
Fazit und Ausblick………………………………………………. 291
5
Literaturverzeichnis……………………………………….......... 303
6
Anhang…………………………………………………………… 333
3.5.2 3.5.2.1 3.5.2.2
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276 280 280 283 288
Einleitung
Wir befinden uns in einer Zeit tief greifender gesellschaftlicher, ökonomischer und sozialer Umbrüche, die sich am Gegenstand der Veränderungen der Arbeit und ihrer Organisation im Bereich großer Unternehmen par excellence beobachten lassen. Mit der enormen Beschleunigung und Intensivierung wirtschaftlicher Prozesse infolge der Deregulierung und Internationalisierung von Märkten, beständiger Unternehmensrestrukturierungen und einer ungebrochenen Informatisierung von Ökonomie und Arbeitswelt stehen Unternehmen seit vielen Jahren unter massivem Veränderungsdruck. Sie sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Produkte, Dienstleistungen, Organisationsstrukturen und Arbeitsprozesse immer schneller den sich wandelnden Marktanforderungen im Hinblick auf Kosten, Preise, Zeit, Flexibilität, Kundenwünsche, Qualität und Innovationskraft anzupassen (vgl. Sauer/Döhl 1996; Castells 2001; Sauer 2006).1 Insbesondere große Unternehmen befinden sich seit vielen Jahren in einem mehr oder weniger andauernden Prozess umfassender betriebs- und arbeitsorganisatorischer Restrukturierung und Rationalisierung und orientieren sich dabei an widersprüchlichen Leitbildern: einerseits an einer „flexiblen, lernfähigen Organisation“ (Schienstock 1998: 170), die ihre „human resources“ und Innovationspotenziale konsequent und umfassend nutzt, andererseits am Ideal eines schlanken und vermarktlichten Unternehmens, das über Personalabbau und beständige Kostensenkung in erster Linie die Interessen der Kapitalanleger zu befriedigen sucht. Aus heutiger Sicht scheint die historisch außergewöhnliche Phase der Nachkriegsprosperität des rheinischen Kapitalismus mit seinem vorherrschenden fordistischen Produktionsmodell und stabilen politisch-institutionellen Regulationsformen allmählich von einer Epoche sozioökonomischer Instabilität und Irritation abgelöst zu werden (vgl. Dörre 1997; Hirsch-Kreinsen 2000; Arbeitsgruppe SubAro 2005). Die anhaltend hohe strukturelle Massenarbeitslosigkeit und die wieder in das öffentliche Bewusstsein geratenen, seit Jahrzehnten unbewältigten Probleme des deutschen Bildungswesens (insbesondere die nach wie 1 Rückblickend bezeichnet Sauer (2006) die stark technikzentrierten Konzepte einer „systemischen Rationalisierung“ in den 1980er Jahren als „Inkubationszeit“ für die arbeits- und unternehmensorganisatorischen Umwälzungen in den 1990er Jahren; diese zielten im Kern auf die Durchsetzung eines synthetischen Modells zwischen Flexibilisierung und kostengünstiger Massenproduktion: die „flexible Massenproduktion“ (Sauer 2006: 84f.).
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vor enge Kopplung von Bildungs- und Erwerbschancen an die soziale Herkunft) fördern eine sozialstrukturell wie individuell gravierende „Spaltung in Inhaber und Nichtinhaber von Arbeitsplätzen“ (Kreher/Oehme 2003: 12). Das beträchtliche Ausmaß an erwerbsbiografischer Verunsicherung zeigt sich sehr deutlich bei jüngeren Erwachsenen, die sich in einer verschärften Konkurrenz um wenige Ausbildungs- und Arbeitsplätze befinden. Neuerdings sind selbst die Berufsperspektiven vieler Akademiker mehr denn je ungewiss: Die Hoffnung auf ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis als Basis materieller Absicherung und (berufs-)biografischer Planung erhält insbesondere bei jungen Akademikern, die sich oftmals zwischen unbezahlten Praktika und befristeten Anstellungen bewegen, tiefe Risse. Steuert also die Arbeitsgesellschaft ihrem Ende entgegen, wie dies in den 1980er Jahren Dahrendorf (1983) oder Offe (1984) prognostizierten? Im modernen Industriekapitalismus fungierte Erwerbsarbeit nicht nur als zentrales Medium sozialer Integration und gesamtgesellschaftlicher Stabilisierung, sondern konstituierte zugleich die Weisen der als normal betrachteten Lebensführung. Vieles deutet gegenwärtig darauf hin, dass trotz (oder vielleicht sogar aufgrund) der bisher gescheiterten gesellschaftlichen Versuche, das Problem sich verfestigender Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, die Bedeutung von Erwerbsarbeit als Ort gesellschaftlicher Würdigung für erbrachte Leistungen sowie als Sphäre der Identitätsbildung und sozialen Integration wächst: „Ein Arbeitsplatz oder ein bezahlter Arbeitsauftrag werden selbst zur Belohnung für zähe und langwierige Anstrengungen. Insofern ist Arbeit nicht mehr (nur) Mittel, um Leistungen – Entgelt oder Anerkennung – zu erhalten. In dem Maße, in dem Erwerbsarbeit nicht mehr nur als notwendiges Übel gilt, sondern zunehmend zu einem knappen und daher umkämpften Gut wird, setzen sich die Werte der ,Arbeitsgesellschaft‘ erst richtig durch“ (Voswinkel/Kocyba 2005: 73).
Diesen recht betrüblichen Einschätzungen des Status von Arbeit und Arbeitskraft in Zeiten des informationellen oder flexiblen Kapitalismus auf globaler Ebene steht allerdings ein vielfach postulierter Paradigmenwechsel, ein „neuer Geist“ innerhalb der ökonomischen Theorie wie auch im Bereich betrieblicher Arbeitsorganisation und Arbeitskraftnutzung, entgegen (vgl. Sennett 2000; Castells 2001; Boltanski/Chiapello 2003). Ausgehend vom sektoralen Wandel von Beschäftigungs- und Qualifikationsstrukturen, der seinen Ausdruck in einer bemerkenswerten quantitativen Ausweitung des tertiären Sektors und einer zunehmenden Wissensbasierung von Produktions- und Dienstleistungstätigkeiten findet, wird seit vielen Jahren auf breiter Basis die These vertreten, dass sich Gesellschaft und Wirtschaft in einem umfassenden Transformationsprozess vom Industriekapitalismus zur Wissensökonomie respektive zur Wissensgesellschaft befinden (vgl. Stehr 1994, 1999; Willke 1998; Deutschmann 2001a; Gorz 2004). Nicht mehr Boden, Maschinen oder Finanzkapital, sondern immaterielle Kapi18
talsorten wie Wissen und Humanressourcen seien heute die wichtigsten Produktivkräfte und bildeten die Grundlage der einzel- und gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit und damit auch des gesellschaftlichen Wohlstands. Gemessen an dem beschleunigten Wandel von Qualifikations- und Tätigkeitsanforderungen scheint sich die nicht unumstrittene Behauptung zunächst zu bestätigen: Arbeit wird zunehmend immateriell und erfordert in wachsendem Maße kaum formalisierbare Fähigkeiten wie Intelligenz, Urteilskraft, Motivation, Kommunikativität, Kooperation, Initiative und Erfahrungswissen, kurz: Humankapital, das hinsichtlich seiner Genese, seiner Eigenschaften und seines Einsatzes untrennbar mit der Alltagskultur und Subjektivität der Personen verbunden ist (vgl. Gorz 2004; Krömmelbein 2004; Moldaschl 2005). Der stark anwachsende Bereich wissensbasierter Arbeit wird – verglichen mit dem tayloristischen Produktionsmodell in der Ära des Fordismus – durch andere, stärker indirekte Kontrollmechanismen (wie Vertrauensarbeitszeit, Selbstorganisation, Kennziffern, Zielvereinbarungen) reguliert. Im Bereich wissensbasierter, immaterieller und subjektivierter Arbeit stoßen aber die Objektivierung und Formalisierung menschlicher Arbeit und Subjektivität immer wieder an immanente Grenzen (vgl. Böhle 1995; Gorz 2004: 9–18; Kratzer u.a. 2004; Moldaschl 2005: 15, 23ff.). Die Frage nach dem Verhältnis von Subjektivität und Arbeit prägte mit variierender Intensität und thematischer Ausrichtung die frühe arbeits- und industriesoziologische Forschung, etwa in Untersuchungen zur Wahrnehmung und Bewertung von Arbeitsbedingungen, den Formen des Arbeiterbewusstseins oder denBedingungen und Wirkungen beruflicher Sozialisation (vgl. Schmiede 1988; Schumm 1988).2 Mit einer umfassenden Restrukturierung der tayloristischen Arbeitsorganisation und des kapitalistischen Großunternehmens rückte das neuartige Verhältnis von Arbeit, Ökonomie und Subjektivität vor einigen Jahren in den Mittelpunkt betrieblicher Strategien und wissenschaftlicher Diskussionen. Neben einer Vielzahl poststrukturalistisch inspirierter Beiträge vor allem aus dem angelsächsischen Sprachraum, die sich mit den Wirkungen neuer Kontrollpraktiken und Machttechniken auf Subjektivität und Identität auseinandersetzen, werden auch in der deutschsprachigen Diskussion die Ambivalenzen einer „Subjektivierung von Arbeit“ erörtert. Im Rahmen aktueller Management- und Organisationskonzepte (z.B. Projektarbeit oder Zielvereinbarungen) werden die Handlungs-, Kreativitäts- und Entscheidungspotenziale von Beschäftigten nicht einfach als informell geduldete kompensatorische Momente des Arbeitshandelns 2
Seit Beginn der 1980er Jahre wurden in empirischen Studien zum Verhältnis von Arbeit und Subjektivität sowie speziell zur betrieblichen Sozialisation Konzepte aus Alltagssoziologie, Psychoanalyse, Biografie- und Identitätsforschung mit dem Ziel aufgegriffen, das Verhältnis von Eigenständigkeit und Abhängigkeit in der Arbeit zu untersuchen (vgl. Schumm 1988; Krömmelbein 2004).
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behandelt, sondern erhalten den Status einer betriebsorganisatorisch und ökonomisch wertvollen Ressource. Anfänglich verhältnismäßig optimistische Thesen, die den gesellschaftlichen Wertewandel mit der Hoffnung einer Vervielfältigung von Anerkennungs- und Selbstverwirklichungserfahrungen im Unternehmen verknüpften, sind seit einigen Jahren durch überwiegend skeptischere Stimmen abgelöst worden. Diese verweisen auf eine mögliche Instrumentalisierung von Anerkennungsverhältnissen, Gefahren entgrenzter Arbeitsverhältnisse für Gesundheit und Lebensführung oder den vornehmlich betriebsfunktionalen Charakter neuer Autonomiespielräume. Ein Großteil der neueren arbeits- und industriesoziologischen Diskussion um Subjektivierung und Flexibilisierung von Arbeit exponiert die These einer mehr oder weniger durchgängigen Ökonomisierung von Arbeit und Subjektivität. Sie begründet dies mit der neuen Logik der Arbeitskraftnutzung und behauptet – empirisch nicht immer ausreichend gedeckt – einen tief greifenden Wandel in den Erwerbsorientierungen und im beruflichen Selbstverständnis der Arbeitenden. Anstelle des auf Anweisung wartenden, auf Sicherheit und Beständigkeit bedachten und sich berufsbiografisch passiv verhaltenden verberuflichten Arbeitnehmers der taylor-fordistischen Ära – so die gängige Argumentation – tritt nun der unternehmerische Angestellte, der „Arbeitskraftunternehmer“ (vgl. Voß/Pongratz 1998; Kuda/Strauß 2002; Moldaschl 2002b; Pongratz/Voß 2003a). Voß und Pongratz (1998) haben vor dem Hintergrund des über Selbstorganisation ermöglichten Zugriffs auf erweiterte subjektive Leistungspotenziale die intensiv rezipierte These formuliert, dass sich mit dem strukturellen Wandel der betrieblichen Arbeitskraftnutzung auch das Selbstverhältnis der Arbeitskräfte, ihre Berufsorientierungen und Formen der Lebensführung einer radikalen Ökonomisierung auf historisch neuer Stufe unterzögen. Der diesen Transformationsprozess idealtypisch vollziehende Arbeitskraftunternehmer erscheint als ein bis in die tiefsten Poren der Identität und Lebensführung durch Effizienzkriterien diszipliniertes Subjekt, das die eigenen Talente und sozialen Ressourcen systematisch und grenzenlos bewirtschaftet, als eine radikalisierte Variante des Weberschen Berufsmenschen. Nachfolgende Zitate zeigen exemplarisch, wie verbreitet entsprechende subsumtionstheoretische Lesarten des Wandels in der Subjektivierungsdebatte sind: „Der Unterschied zwischen Subjekt und Unternehmen, zwischen Arbeitskraft und Kapital muss beseitigt werden. Die Person muss für sich selbst zum Unternehmen werden, sie muss sich selbst, als Arbeitskraft, als fixes Kapital betrachten, das seine ständige Reproduktion, Modernisierung, Erweiterung und Verwertung erfordert. [...] Kurz, die Lohnarbeit muss abgeschafft werden“ (Gorz 2004: 25; Hervorhebung im Original). „Diskurstheoretisch gesehen handelt es sich hier vielmehr um ein verselbstständigtes Bedeutungs- bzw. Sinnsystem, welches sich die Subjekte aneignet, sie konstituiert und bis hinein in das Selbstbild subjektiviert. [...] Dieser Diskurs macht nicht halt bei der – im Übrigen alten –
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Vorstellung, die abhängig Beschäftigten sollten bzw. müssten sich zwangsweise eine unternehmerische Haltung, Risikobereitschaft, Subjektivität aneignen. Viel weitergehend wird den Arbeitenden empfohlen, sich selbst als Firma zu begreifen“ (Moldaschl 2002b: 32).
Sennett (2000) zeichnet mit seiner Diagnose der Auswirkungen spätkapitalistischer Vergesellschaftung auf Biografie und Lebensführung ein ähnliches, jedoch tragischeres Bild des ökonomisierten Subjekts: Dem „flexiblen Menschen“ droht angesichts häufiger Arbeitsplatz- und Ortswechsel sowie der Erosion seiner kontinuierlichen beruflichen Karriere die Fähigkeit verloren zu gehen, die flüchtigen Erfahrungen der Arbeit zu einer kohärenten, Sinn vermittelnden Selbsterzählung verweben zu können. Sennett generalisiert dieses Gefühl des Drifts zu einem Signum des Lebens im „flexiblen Kapitalismus“ schlechthin: „Die Bedingungen der Zeit im neuen Kapitalismus haben einen Konflikt zwischen Charakter und Erfahrung geschaffen. Die Erfahrung einer zusammenhangslosen Zeit bedroht die Fähigkeit des Menschen, ihre Charaktere zu durchhaltbaren Erzählungen zu formen“ (ebd., 37).
Die Thesen einer durchgängigen Flexibilisierung und Ökonomisierung der Subjektivität und Lebensführung der Erwerbstätigen treffen den Nerv vieler an Sozialkritik interessierter Intellektueller, da sie die Veränderungen des Arbeits- und Wirtschaftslebens intuitiv stimmig abzubilden scheinen. Allerdings geben sie keine empirisch hinreichend fundierten bzw. generalisierbaren Antworten auf die Frage, wie Erwerbstätige faktisch mit den Anforderungen an Flexibilität, Selbstmanagement oder Selbstvermarktung im Kontext ihrer Arbeits- und Lebenssituation umgehen. Die Seite der subjektiven Ansprüche, Interessen und faktischen Orientierungs- und Gestaltungsmuster beruflicher Entwicklung bleibt in der Diskussion bislang unterbelichtet. Stattdessen folgen die meisten Vertreter der Ökonomisierungs- und Funktionalisierungsthese von Subjektivität mehr oder weniger explizit einer Subsumtionslogik: Aus neuen Strukturen und Strategien der Arbeitskraftnutzung wird – unter Zuhilfenahme einer aus sozialisationstheoretischer Sicht unhaltbaren Internalisierungsthese – nahezu unmittelbar auf subjektive Motivationen und Handlungsmuster geschlossen. Ausgehend von dieser Kritik beansprucht diese Arbeit, einen Beitrag zu einer tatsächlich subjektorientierten Forschung zur Flexibilisierung und Subjektivierung von Arbeit zu leisten, indem das Spannungsfeld zwischen den betrieblichen Strategien der Arbeitskraftnutzung und –entwicklung und den erwerbsbiografischen Orientierungs- und Gestaltungsmustern von Beschäftigten empirisch untersucht und theoretisch reflektiert wird. Im Zentrum steht das Wechselverhältnis zwischen einer durch Personalführung und -entwicklung angestrebten zielgerichteten Transformation des subjektiven Arbeitsvermögens (hoch) qualifizierter Angestellter und deren Form, sich mit den betrieblichen Anforderungen und Möglichkeiten beruflicher und persönlicher Weiterentwicklung und Bewäh21
rung auseinanderzusetzen. Mit dem Human Resource-Management (HRM) hat sich im Laufe der 1990er Jahre – weitgehend unbemerkt von der arbeits- und industriesoziologischen Diskussion und Forschung – ein neues Leitbild des betrieblichen Umgangs mit dem Personalvermögen etabliert, welches eine systematische Anpassung des betrieblichen Personalvermögens an den gegenwärtigen und antizipierten unternehmerischen Bedarf anstrebt (vgl. Weitbrecht/Braun 1999; Kels/Vormbusch 2005). Das HRM trägt dem Bedeutungsgewinn des Arbeitsvermögens und des beschleunigten Wissens- und Qualifikationswandels insofern Rechnung, als qualitative Personalfunktionen wie betriebliche Weiterbildung, Personalentwicklung oder Mitarbeiterführung – in den Fokus der strategischen Unternehmensführung rücken. Das HRM zielt auf eine aktiv und systematisch betriebene Entfaltung der Leistungsmöglichkeiten eines Individuums, die ohne die innere Beteiligung der Person an ihrem Bildungs- und Sozialisationsprozess unmöglich ist und deshalb für die Organisation beträchtliche Kontroll- und Steuerungsprobleme hinsichtlich seiner Planbarkeit und Resultate aufwirft. Die vorliegende Arbeit analysiert auf der Basis einer breiten Literaturstudie sowie einer umfangreichen empirischen Fallstudie das Verhältnis der Strategien und Ziele des HRM zu den normativen Vorstellungen und berufsbiografischen Gestaltungsmustern („Karrierepolitiken“) seitens der Mitarbeiter. Auf diese Weise kann ein Beitrag zur Beantwortung wichtiger Forschungsfragen geleistet werden: –
Unter welchen Voraussetzungen sind Beschäftigte bereit, sich neuartige Kompetenzen und Haltungen im Umgang mit veränderten Anforderungen an Arbeit, Lernfähigkeit und Flexibilität anzueignen?
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Wie stellen Unternehmen sicher, dass entsprechende Kompetenzen und Haltungen verfügbar bzw. nutzbar sind und die Organisationsmitglieder mit dem beschleunigten Wandel Schritt halten können?
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In welchem Verhältnis stehen die erwerbsbiografischen Strategien und beruflichen Kompetenzen der Beschäftigten zu den betrieblichen Zielen und Anforderungen?
Nicht nur im Hinblick auf Fragen beruflicher Sozialisation, sondern auch aus sozialstruktureller Sicht ist das HRM ein bedeutsamer Forschungsgegenstand. Entlang seiner Perzeptionsmuster und Instrumente im Prozess der Identifikation wettbewerbsrelevanter Mitarbeitergruppen sowie zielgruppenspezifischer Strategien der Personalentwicklung strukturiert es zu einem maßgeblichen Teil die Erwerbsverläufe der Beschäftigten und entscheidet über die Verteilung von Bil-
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dungs- und Karrierechancen im Betrieb. In dem Maße, in dem über formale Bildung hinaus die Fähigkeit und Bereitschaft lebenslangen Lernens und das am Arbeitsmarkt verwertbare Humankapital immer mehr zu einer notwendigen, wenngleich nicht immer hinreichenden Voraussetzung für den sozialen Aufstieg und die berufliche und materielle Absicherung werden, erhält das HRM den Status einer zentralen Instanz der betrieblichen Strukturierung von Arbeitsmarktund Karrierechancen im Großunternehmen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob das HRM die durch das öffentliche Bildungssystem erzeugten ungleichen Bildungs- und Aufstiegschancen verstärkt oder doch abzuschwächen vermag. Kommt es zu einer wachsenden Segmentierung zwischen hoch qualifizierten Angestelltengruppen mit lernförderlichen Arbeitsplätzen und Zugang zu betrieblichen Weiterbildungsangeboten und Personen mit geringerem Qualifikationsniveau? Oder finden sich Anzeichen dafür, dass Bildungs- und Aufstiegschancen im Betrieb aufgrund von Kompetenz oder Leistung anstelle von sozialer Herkunft vergeben werden (vgl. Reinberg 1999; Baethge/Baethge-Kinsky 2002)? Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in drei Hauptkapitel. Im 1. Kapitel werden zentrale Entwicklungstendenzen herausgearbeitet, denen die Restrukturierung der Arbeitsund Betriebsorganisation großer Unternehmen folgt. Vor dem Hintergrund der sich ausbreitenden Kapitalmarktorientierung der Unternehmen, der veränderten Formen zwischenbetrieblicher Kooperation und eines neuen Verhältnisses von Markt, Hierarchie und Organisation werden Wissensbasierung, Informatisierung und Subjektivierung der Arbeit sowie die voranschreitende Flexibilisierung der Arbeitszeit- und Beschäftigungspolitik als zentrale strukturelle Größen im Transformationsprozess qualifizierter und hoch qualifizierter Angestelltentätigkeiten identifiziert und hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit für das Verhältnis von Arbeit und Subjektivität reflektiert. Das Kapitel wirft zudem die bislang nur unzureichend untersuchte Frage auf, wie qualifizierte und hoch qualifizierte Beschäftigte mit veränderten Anforderungen an Leistung, Kompetenz und Flexibilität im Rahmen ihres Berufsalltags wie auch ihres Karriereverlaufs umgehen. Das 2. Kapitel rekonstruiert die konzeptionellen Grundlagen und Prägungen des HRM, arbeitet die Perspektiven und Rationalitäten des manageriellen Umgangs mit Personal- und Arbeitsvermögen aus und untersucht die wichtigsten Veränderungen in den Leitvorstellungen und in der Praxis betrieblicher Personalund Weiterbildungsarbeit unter der Ägide des HRM. Zunächst werden die den HRM-Ansatz prägenden Konzepte (Human Relations-Bewegung, Humankapital-
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theorie, Resource-Based View) sowie die Entwicklungsphasen der Personalarbeit skizziert. Im Anschluss an die Darstellung und den Vergleich pfadprägender Ansätze und theoretischer Konzepte des HRM werden zentrale Strategien und Perspektiven des Managements bzgl. des Personal- und Arbeitsvermögens identifiziert. Schließlich rekonstruiert Kapitel 2.4 die Rahmenbedingungen und Strategien betrieblicher Weiterbildung und PE im Kontext des HRM. Das 3. Kapitel, der empirische Teil dieser Arbeit, beginnt mit der Darstellung und Reflexion der Anlage und des methodischen Vorgehens der Betriebsfallstudie. Innerhalb eines traditionsreichen und global tätigen Technologiekonzerns mit Stammsitz in Deutschland wurden 18 Experteninterviews mit Personalentwicklern, Führungskräften und Betriebsräten geführt. Korrespondierend hierzu wurden 18 problemzentrierte Interviews sowie 2 Gruppendiskussionen mit Ingenieuren, technischen Spezialisten und Projektmanagern geführt, die in der Projektarbeit tätig sind. Diese explorativ angelegte Studie nimmt selbstverständlich keine Repräsentativität für sich in Anspruch. Sie verdeutlicht aber eine Reihe bedeutsamer Trends in der betrieblichen Arbeitskraftnutzung und –enticklung im Bereich qualifizierter und hoch qualifizierter Angestelltentätigkeiten, insbesondere im Bereich der Ingenieurarbeit. Die Auswertung und Interpretation des empirischen Materials erfolgt dabei in zwei Schritten: –
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Auf der Basis von Experteninterviews werden relevante Instrumente, Konzepte und Rahmenbedingungen des HRM (insbesondere Personalbeurteilungs- und Entwicklungsverfahren, Ansätze der Kompetenzentwicklung und Karrierewege) unter Hinzuziehung betriebsinterner Dokumente (z.B. Jobprofile, Foliensätze zu HR-Strategien und HR-Instrumenten, Abteilungszeitschriften) hinsichtlich der organisationalen Leitvorstellungen, ihres praktischen Einsatzes sowie ihrer Bedeutung für die berufliche Entwicklung der untersuchten Beschäftigtengruppen analysiert. Auf der Grundlage von problemzentrierten Interviews und Gruppendiskussionen werden typische erwerbsbiografische Orientierungs- und Gestaltungsmuster der befragten Mitarbeiter in Auseinandersetzung mit den betrieblichen Rahmenbedingungen beruflicher Bewährung und Entwicklung rekonstruiert.
Die Analyse konzentriert sich dabei zum einen auf die Formen des subjektiven Erlebens und Bewertens der Arbeitssituation, die Arbeitsmotive und das berufliche Selbstkonzept der Personen, zum anderen auf typische Orientierungs- und Gestaltungsmuster der Karriere im Kontext betriebsinterner Stellenmärkte, auch vor dem Hintergrund des gegenwärtigen und in Zukunft angestrebten Modells
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individueller Lebensführung. Diese Dimensionen verdichten sich zu voneinander unterscheidbaren Typen der Karrierepolitik. Eines der zentralen Ziele dieser Arbeit besteht darin, die bislang weitgehend unbeachtete Rolle des HRM innerhalb der arbeits- und industriesoziologischen Diskussion und Forschung für die Entwicklung von Arbeit und für die Gestaltung von Berufswegen qualifizierter und hoch qualifizierter Angestellter theoretisch wie empirisch zu reflektieren. Darüber hinaus greift die Arbeit die Thesen bezüglich des Arbeitskraftunternehmers, des flexiblen Menschen und der Entberuflichung von Erwerbsarbeit auf und diskutiert diese am Gegenstand der hier vorgelegten empirischen Befunde. Dabei zeigt sich, dass die Thesen insbesondere im Hinblick auf die Annahme eines unidirektionalen bzw. einheitlichen Aneignungsmusters einer deutlichen Differenzierung bedürfen. Im Rahmen dieser Untersuchung zeigen sich drei systematisch voneinander zu unterscheidende Muster des subjektiven Umgangs mit flexibilisierten, vermarktlichten und subjektivierten Formen der Arbeitsorganisation und Ressourcennutzung, die in Gestalt einer Typologie der Karrierepolitik3 verdichtet werden.
3 Das hier verwendete Konzept der „Karrierepolitik“ stellt eine Interpretationsheuristik dar, die im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes „Human Resource-Management und die Subjektivierung von Arbeit“ in Zusammenarbeit mit Prof. Wilhelm Schumm und Dr. Uwe Vormbusch am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main entwickelt wurde.
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1 Arbeitskraft und Subjektivität im gesellschaftlichen und betrieblichen Wandel
Dieses Kapitel analysiert den veränderten Stellenwert des subjektgebundenen Arbeitsvermögens im Bereich qualifizierter Angestelltentätigkeiten aus betriebsorganisatorischer wie erwerbsbiografischer Perspektive vor dem Hintergrund der Restrukturierung der Unternehmens- und Arbeitsorganisation seit den 1990er Jahren. Veränderungen auf der Ebene der Kapitalmärkte, des unternehmerischen Wettbewerbs, der Technologien und der Unternehmensstrukturen und -strategien bilden den Hintergrund für einen umfassenden qualifikatorischen Wandel vieler Tätigkeiten und Berufe, auf den die Unternehmen mit neuartigen Strategien der Mobilisierung und Weiterentwicklung des Arbeitsvermögens reagiert haben. Die zunehmende Wissensbasierung, Informatisierung und Subjektivierung von Arbeit sowie die voranschreitende Flexibilisierung der Arbeitszeit- und Beschäftigungspolitik werden als zentrale Entwicklungstendenzen im Bereich qualifizierter und hoch qualifizierter Angestelltentätigkeiten identifiziert und in Kapitel 1.2 hinsichtlich ihrer Implikationen auf das Verhältnis von Arbeit und Subjektivität beleuchtet. Im Mittelpunkt steht hierbei die Frage, inwieweit subjektive Ansprüche an Arbeit und die damit verbundenen Vorstellungen beruflicher Weiterentwicklung der Beschäftigten mit den neuen Strategien betrieblicher Arbeitskraftnutzung korrespondieren. Diese Fragestellung wird zunächst in Kapitel 1.3 entlang des gegenwärtigen Stands der Diskussion und Forschung zum Wandel erwerbsbiografischer Orientierungen und Strategien verfolgt und im dritten Kapitel entlang eigener empirischer Ergebnisse einer Intensivfallstudie vertieft.
1.1 Restrukturierung der Unternehmens- und Arbeitsorganisation und qualifikatorischer Wandel Im Folgenden werden wichtige Tendenzen der Unternehmensrestrukturierung und Arbeitsorganisation seit den 1990er Jahren erläutert, die – so eine zentrale These dieser Arbeit – einen umfassenden Wandel der Qualifikations- und Kompetenzanforderungen im Bereich qualifizierter und wissensbasierter Arbeit in Gang gesetzt haben. Ob und unter welchen Voraussetzungen mit dieser Entwick-
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lung auch ein grundsätzlicher Bedeutungsgewinn subjektgebundener Kompetenzen und Motivationen für die betriebliche Arbeitskraftnutzung respektive Steuerung des Kooperations- und Wertschöpfungsprozesses einhergeht, wird in Kapitel 1.2 ausführlich diskutiert. Treibendes Moment der Globalisierung der Finanzmärkte sind Veränderungen der Eigentumsstrukturen großer Kapitalgesellschaften, die als Abkehr vom korporatistischen Kontroll- und Finanzierungsmodell der Banken hin zum „institutionellen Kapitalismus“ bzw. „Finanzmarktkapitalismus“ betrachtet werden können (vgl. Hirsch-Kreinsen 1998; Windolf 2005). Anstelle der zuvor atomisierten Eigentümerstrukturen (eine Vielzahl von Kleinanlegern) oder einzelner Familien, die ihre Interessen faktisch kaum in eine Unternehmenskontrolle umsetzen konnten, treten in zunehmendem Maße große Privatinvestoren und institutionelle Anleger auf, insbesondere Investmentfonds, Pensionskassen, Versicherungen und Banken. Diese nehmen auf der Basis von Unternehmensbewertungen der Ratingagenturen und Analysten auf indirekte, aber sehr folgenschwere Weise Einfluss auf investitions-, organisations- und produktionsbezogene Entscheidungen des Managements. Die an den Börsen geführten Unternehmen müssen heute ihre manageriellen Strategien zu einem maßgeblichen Teil an den Eigentümerund Aktionärsinteressen und den hohen Erwartungen des Kapitalmarktes ausrichten, um eine entsprechende Refinanzierung des Unternehmens zu gewährleisten (vgl. Hirsch-Kreinsen 1998; Windolf 2005). Zeitgleich zum Wandel des Kapitalmarktes für Unternehmensfinanzierung haben kennziffernbasierte Controlling- und Bewertungsverfahren des ex- und internen Rechnungswesens innerhalb der Unternehmensführung großer Kapitalgesellschaften enorm an Bedeutung gewonnen (vgl. Sauer/Döhl 1997; Hirsch-Kreinsen 1998). Diefenbach und Vordank (2003: 4f.) unterscheiden diesbezüglich zwischen eindimensionalen Kennziffernsystemen, die rein monetäre bzw. finanzwirtschaftliche Unternehmenskennzahlen bündeln (z.B. Return on Investment oder Shareholder Value), und mehrdimensionalen, integrierten Kennziffernsystemen, die unterschiedliche Leistungsebenen (z.B. Organisationseinheiten, Mitarbeiter, Prozesse) unter Beachtung komplexer Wirkungszusammenhänge miteinbeziehen (z.B. Balanced Scorecard, erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse oder das EFQM-Modell). Als einflussreichstes eindimensionales Kennziffernsystem im Rahmen wertorientierter Unternehmensstrategien gilt der Ansatz des Shareholder Value, mit dem nahezu alle Managemententscheidungen direkt an die Bedingungen des Kapitalmarktes und an die Interessen der Anleger gebunden werden sollen. Dies hat für das Management von Kapitalgesellschaften zur Konsequenz, dass es Entscheidungsalternativen über Investitionen in Produktentwicklungen, Reorganisationen, Unternehmenszusammenschlüssen oder Verkäufen von Unternehmensanteilen danach beurteilen muss, welche Renditen sie innerhalb eines eng definier-
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ten Zeitrahmens abzuwerfen versprechen. Reale und produktive Möglichkeiten der Kapitalanlage treten in Konkurrenz zu den vielfältigen Optionen spekulativer Anlagen. Allgemein wird ein Machtzuwachs institutioneller Anleger beobachtet, die vermittelt über Investmentgesellschaften das Management unter Druck setzen, um ihre hohen Renditeerwartungen kurzfristig realisieren zu können (vgl. Hirsch-Kreinsen 1998; Sauer 2001). Schumann (1998) beschreibt die Rationalisierungssituation Ende der 1990er Jahre als Konkurrenz zwischen zwei diametral entgegengesetzten Verwertungskalkülen: einerseits eine über den Shareholder Value vermittelte Short-Terminism-Ökonomie, andererseits eine innovationsund humanressourcenorientierte Unternehmensstrategie, die darauf setzt, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmung mittel- bis langfristig durch Investitionen in Produktivitäts- und Innovationsressourcen, Arbeitsvermögen und Technologien zu sichern. Im Zuge der voranschreitenden internationalen Verflechtung der Nationalökonomien und Finanzmärkte wie auch der strategischen Neuordnung von Geschäftsfeldern, Funktionen und Beziehungen zu in- und externen Kooperationspartnern wird seit einigen Jahren ein Verschwimmen traditioneller Unternehmensgrenzen bzw. die Herausbildung unternehmensübergreifender Netzwerkstrukturen beobachtet (vgl. Dörre 1997; Sauer 2001). An die Stelle des vertikal integrierten Großunternehmens treten netzwerkförmige Organisationsstrukturen, in denen die inner- und zwischenbetriebliche Arbeitsteilung transnational verteilt wird. Mit der Neuausrichtung der Wertschöpfungsketten kommt es zu massiven Veränderungen auf der Ebene der Arbeitsorganisation und der Gestaltung industrieller Beziehungen (vgl. Minssen 1999; Modaschl/Sauer 2000; Lüthje u.a. 2002). Als repräsentative Branchen, in denen sich neue, netzwerkförmige Muster zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung bzw. Reorganisationen der Kontroll- und Steuerungsmechanismen entlang der Wertschöpfungskette vollziehen, werden im Produktionsbereich die Automobil- und Zuliefererindustrie und im Dienstleistungssektor die Service- und Entwicklungskooperationen in der IT-Branche angeführt (vgl. Sauer/Döhl 1997; Moldaschl/Sauer 2000; Lüthje u.a. 2002). Ein Unternehmen, das all seine Funktionen an räumlich optimalen Standorten platziert und seine weitgestreuten Aktivitäten innerhalb des Netzwerkes integriert, gilt innerhalb der aktuellen Debatte als angemessene organisatorische Antwort auf die Restrukturierung der Weltwirtschaft und stellt eine wirksamere Durchsetzung ökonomischer Ziele in Aussicht (vgl. Dörre 1997; Hirsch-Kreinsen 2000). Mit dieser Organisationsform geht jedoch keineswegs – wie oftmals suggeriert – ein Abbau hierarchischer und marktökonomischer Koordinationsmechanismen einher. Vielmehr werden die marktförmigen Beziehungen der Produktions- und Dienstleistungseinheiten zueinander in ein neues Verhältnis von Markt und Hierarchie, Kooperation und Wettbewerb gesetzt (vgl. Sauer/Döhl 1997; Hirsch-
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Kreinsen 2000; Moldaschl/Sauer 2000). Der Betrieb verliert damit als Ort interessenpolitischer Regulierung im Kontext der eingespielten industriellen Beziehungen an Gewicht. Spaltungstendenzen im Hinblick auf Belegschaftsstrukturen und Unternehmenskulturen werden forciert (vgl. Dörre 1997; Sauer/Döhl 1997; Müller-Jentsch 1998). Der Begriff „Vermarktlichung“ bezeichnet einen primär marktorientierten Steuerungs- und Kontrollmodus, mit dem die im Zuge von Dezentralisierung und Hierarchieabbau für operative Einheiten und Akteure geschaffenen Spielräume für Eigenverantwortung und Selbstorganisation an die Erreichung und Optimierung ökonomischer Ziele gebunden werden (vgl. Sauer/Döhl 1997; Moldaschl 1998; Moldaschl/Sauer 2000).4 Entsprechend dem Grad ökonomischer Selbstregulation unterscheiden die Autoren zwischen einer Internalisierung von Marktstrukturen und einer simulierten Vermarktlichung. Während im Falle simulierter Märkte die quasi-marktlichen Handlungsbedingungen vom Management festgelegt werden (z.B. durch interne Verrechnungspreise als Austauschrelation für gegenseitige Leistungen zwischen Organisationseinheiten, die als Cost-Center geführt werden), konkurrieren „echte“ strategische Geschäftseinheiten mit anderen in- oder externen Anbietern um Aufträge auf der Basis von Marktpreisen sowie internen Kunden-Lieferanten-Beziehungen mit Ausstiegsmöglichkeiten für den Auftraggeber. Moldaschl und Sauer betrachten die Verbindung von Prinzipien der Dezentralisierung und Vermarktlichung als neuen Vergesellschaftungsmodus kapitalistischer Ökonomie, der nicht zum Abbau betrieblich geronnener Macht- und Herrschaftsverhältnisse, sondern zu einer Umwandlung sichtbarer hierarchischer Kontrolle in eine zunehmend unsichtbare, da abstrakte Koordination und Steuerung durch den Markt führt (vgl. Moldaschl/Sauer 2000.). Der Begriff „Dezentralisierung“ bündelt unterschiedliche Managementkonzepte zur Restrukturierung der Unternehmens- und Arbeitsorganisation, die im Wesentlichen auf die Delegation zentralistisch gebündelter Kompetenzen an operative Bereiche, auf den Abbau ausdifferenzierter Hierarchien der bürokratischen Organisation mit ihren langen Kommunikationswegen und auf die Rückführung tayloristischer Zerlegung des Arbeitsprozesses zugunsten einer Reintegration planender und ausführender Tätigkeiten zielen (vgl. Hirsch-Kreinsen 1996; Moldaschl/Sauer 2000). Auf der Ebene der Unternehmensorganisation konzentrieren sich Maßnahmen der strategischen Dezentralisierung (z.B. die Umwandlung der Aufbauorganisation in Holding- und Matrixstrukturen) auf die Neudefinition und -gestaltung von Produktlinien und Geschäftsfeldern. Das Unternehmen wird in kleine, überschaubare, zum Teil wirtschaftlich selbststän4 Darunter fallen zum Beispiel Maßnahmen wie internes Benchmarking, Zielvereinbarungen, Profitoder Cost-Center, das Intrapreneur-Modell oder strategische Geschäftseinheiten (vgl. Moldaschl 2002c).
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dige Organisationseinheiten zerlegt, die sich hinsichtlich der zu erbringenden Produkte, Leistungen oder Technologien voneinander unterscheiden. Auf diese Weise sollen strategische Unternehmensziele wie Marktnähe, Flexibilität, Kosten- und Zeitersparnis optimiert werden (vgl. Faust u.a. 1994: 23; Dörre/Neubert 1995; Sauer/Döhl 1997). Im Produktionsbereich prägte das Konzept der „schlanken Fabrik“ – ein unmittelbar am Markt agierendes, flexibles, mit möglichst wenig Zeit-, Personal- und Materialpuffer agierendes Gebilde – zunächst die Reorganisationsprozesse im Bereich der Automobil- und Zuliefererindustrie und wurde dann stilbildend für andere Industriezweige zum neuen Leitbild betrieblicher Reorganisation. Die Wege zur schlanken Fabrik sollten mit einem dem Lean Management-Ansatz entsprechenden Instrumentarium operativer Dezentralisierung beschritten werden: z.B. durch Selbstorganisation, Aufgabenintegration und diskursive Unternehmenskulturen im Sinne einer kleinschrittigen und von den Beschäftigten mitgetragenen Optimierung von Organisationsabläufen und Arbeitsprozessen (vgl. Faust u.a. 1994: 23; Kleinschmidt/Pekruhl 1994; Kopp/Peter 1994; Dörre/ Neubert 1995). Auf der Ebene der Arbeitsorganisation werden im Kontext einer innovativen Arbeitspolitik planerische und dispositive Arbeitstätigkeiten, Qualifikationsanforderungen und Kompetenzen, die zuvor im Verantwortungsbereich der mittleren Führungsebenen der Leitungspositionen, Planungsabteilungen und sonstigen Stäbe lagen, auf die ausführenden Ebenen der Büros und der Fertigung verlagert (vgl. Hübner/Wachtveitl 2000: 5f.; Balzert u.a. 2003). Die Dezentralisierung fördert den Abbau von Führungs- und Hierarchieebenen, die Deligierung von Entscheidungs- und Verantwortungsspielräumen und macht die Neugestaltung der Mitarbeiterführung notwendig (vgl. Dörre/Neubert 1995; Sauer/Döhl 1997). Typische Reorganisationsaktivitäten auf der Ebene der Fabrik- und Arbeitsorganisation sind Gruppen- und Projektarbeit, selbstständige Dienstleistungs- und Fertigungsinseln oder Qualitätszirkel. Im Bereich industrieller Produktion (z.B. der Automobil- und Zuliefererbranche) und in manchen Angestelltenbereichen werden seit einigen Jahren allerdings auch gegenläufige Tendenzen im Sinne einer Rückkehr zu einem dem Taylorfordismus ähnelnden konventionellen Rationalisierungsmuster verzeichnet (vgl. Moldaschl 1998; Schumann 1998; Kurz 1999; Deutschmann 2001a). Dass es zu einem durchgängigen Paradigmenwechsel im Muster betrieblicher Arbeitskraftnutzung kommt, ist zu bezweifeln. Die Entwicklungstendenzen von Arbeit sind für die heutige Zeit weiter zu fassen; d.h. je nach Branche, Betrieb und Tätigkeitsbereich werden zum Teil recht unterschiedliche Wege der Rationalisierung und arbeitsorganisatorischen Gestaltung beschritten. Angesichts der heutigen Bedingungen des internationalen Wettbewerbs haben sich posttayloristische Formen der Arbeitsorganisation jedoch unzweifelhaft insbesondere im Kontext
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qualifizierter und wissensbasierter Produktions- und Dienstleistungstätigkeiten etabliert (vgl. Moldaschl 1998; Schumann 1998; Deutschmann 2001a; Kleemann u.a. 2002). Für diese Einschätzung sprechen nicht zuletzt Veränderungen der am Arbeitsmarkt und Arbeitsplatz nachgefragten Qualifikationen und Kompetenzen, die in ihrer Summe auf eine steigende Bedeutung formaler Qualifikationen wie auch fachübergreifender Fähigkeiten für die Arbeitsmarktchancen und den Personaleinsatz verweisen. Im Zeitraum von 1980 bis Anfang 2000 verzeichnet die Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für Westdeutschland einen eindeutiger Trend zur Höherqualifizierung und zu anspruchsvollen, sich inhaltlich rasch verändernden Tätigkeiten (vgl. Reinberg 1999; Dostal u.a. 2002: 554; Seyda 2004). Dieser Trend manifestiert sich zum einen in wachsenden Anteilen der Akademiker und Personen mit Hochschulreife an den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bei sinkenden Anteilen von gering qualifizierten Personen (insbesondere ohne Berufsausbildung), zum anderen in strukturellen Verschiebungen in den Berufsfeldern hin zu qualifizierten und hoch qualifizierten wissensintensiven Dienstleistungstätigkeiten. Während für primäre Dienstleistungen (z.B. Handels- und Bürotätigkeiten) moderate Zuwächse zu erwarten sind und produktionsnahe Tätigkeiten (z.B. Maschinenwartung) an quantitativem Gewicht verlieren, zeigen sich starke Wachstumsimpulse im Bereich der vorwiegend hoch qualifizierten sekundären Dienstleistungen wie „Beraten, Betreuen, Lehren, Publizieren“ (Dostal u.a. 2002: 553). Für diese sich auch in Zukunft sehr wahrscheinlich fortsetzende Entwicklungslinie zur Höherqualifizierung gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze: Je nach Perspektive wird sie als Folge des technischen und technologischen Fortschritts, der internationalen Arbeitsteilung im Rahmen der Globalisierung, des sektoralen Strukturwandels zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft5 oder auch als Konsequenz der durch den technisch-organisatorischen Wandel in den Unternehmen bedingten Komplexitätszunahme von Arbeitsaufgaben interpretiert (vgl. Dostal u.a. 2002; Seyda 2004). Die Auswirkungen des technischorganisatorischen Wandels auf Qualifikations- und Tätigkeitsanforderungen sind inzwischen recht gut belegt und werden im Folgenden an den Beispielen qualifizierter Fach- und Ingenieurarbeit in knapper Form referiert. Im Rahmen der Ingenieurarbeit waren Berufsrolle, innerbetrieblicher Status und Qualifikationsanforderungen bis weit in die 1980er Jahre aufgrund der bis dahin eher moderaten Organisationsveränderungen stabil um die Funktion des technischen Experten zentriert. Die Ingenieurtätigkeit gestattete ein hohes Maß an fachlicher Entscheidungsautonomie sowie privilegierte Einkommens- und 5
Dostal u.a. (2002) betonen auf der Grundlage ihrer Prognose der Tätigkeits- und Qualifikationsentwicklung bis 2010 eine enge Kopplung der Dienstleistungsgesellschaft und -branchen an den industriellen Sektor.
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Aufstiegsmöglichkeiten. Mit dem beschleunigten Wandel von Markt, Technik und Organisation kam es in den 1990er Jahren zu deutlichen Verschiebungen in den Anforderungs- und Qualifikationsprofilen von Ingenieuren (vgl. Kurz 2000a). Die enorme Verkürzung der Innovationszyklen neuer Technologien führte zu einer schnellen Veränderung der Tätigkeitsbereiche und Qualifikationsanforderungen in den technischen Berufen. Nach Kurz (2000a, 2000b) hat die Restrukturierung der zwischen- und innerbetrieblichen Austausch- und Kooperationsbeziehungen die Notwendigkeit eines bereichsübergreifenden Wissens- und Informationsaustausches zwischen Arbeitskräften in der Fertigung und Personen aus anderen Tätigkeitsbereichen enorm verstärkt. Angesichts einer Reduktion von Produktentwicklungszeiten sowie einer stärkeren Ausrichtung an Kundenbedürfnissen kommt es zu einer Parallelisierung von Produkt- und Produktionsgestaltung in Form von Simultaneous Engineering und Projektmanagement. Dies erfordert eine Mitwirkung der Ingenieure im Bereich des Fertigungsmanagements und der Produktentwicklung an neuen Steuerungs- und Koordinationsprozessen in querfunktionalen Projektgruppen. Zu den neuen Kompetenzanforderungen zählt Kurz den „kooperationsbasierten und praxisbezogenen Erwerb von Prozessverständnis“ (Kurz 2000b: 43), die sozialkommunikativen Kompetenzen und die Bereitschaft eines lebenslangen Lernens und beständigen Wechsels von Arbeitsaufgaben und -umfeld (vgl. Schumann 2003).6 Bolte (2000) konstatiert ein Auseinanderklaffen von auf rationaler Problemlösung ausgerichteter Wissens- und Methodenvermittlung in der universitären Ingenieurausbildung und den Qualifikationsanforderungen in der betrieblichen Praxis. Diese qualifikatorische Kluft führe zu einem entsprechenden Praxisschock der Ingenieure beim Eintritt ins Berufsleben. Heute beinhalten klassische Ingenieuraufgaben nur noch ungefähr die Hälfte aller Ingenieurtätigkeiten. Auch wenn ein breites naturwissenschaftliches und technologisches Grundlagenwissen nach wie vor die zentrale Erwartungshaltung der Unternehmen an einzustellende Absolventen bildet und neue, diversifizierte und spezialisierte Studiengänge (wie z.B. Mechatronik) angeboten werden, wird der durch den beschleunigten Wissenswandel erzeugte Reformbedarf traditioneller Curricula deutlich. Der VDI (2002) unterstreicht die Bedeutung von Weiterbildung und lebenslangem Lernen für den Erhalt der Innovationsfähigkeit und Aktualität des Wissens der Ingenieure und fordert eine Reformierung der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung an den Hochschulen in Richtung eines stärken Einbezugs gruppen- und projektbasierter Lernformen wie auch eine stärkere Integration fachübergreifender Qualifikationen. Das ingenieurwissenschaftliche Basiswissen, bestehend aus mathematisch-naturwissen6 Hinzu kommen Anforderungen an betriebswirtschaftliche Kenntnisse, Geschäftsverständnis und selbstständiges Handeln, die allesamt aus neuen Formen der Kostensteuerung resultieren (vgl. Kurz 2000a: 78).
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schaftlichen und technischen Grundlagen, bildet nach Angaben des VDI nach wie vor die wesentliche Grundlage des Arbeitsvermögens der Ingenieure, müsse aber durch die Vermittlung von Problemlösungsmethodiken sowie durch überfachliche Kompetenzen angereichert werden.7 Ähnliche Verschiebungen innerhalb der nachgefragten Qualifikationen und Tätigkeitsanforderungen lassen sich im Bereich qualifizierter Produktionsfacharbeit identifizieren, wenngleich die Befundlage zum Wandel der Konzepte der Arbeitsorganisation hier weniger eindeutig ist. Anfang der 1980er Jahre postulierten Kern und Schumann (1984) einen umfassenden Wandel des Rationalisierungsmusters in den industriellen Kernsektoren der bundesdeutschen Arbeitslandschaft hin zu neuen Produktionskonzepten, die gegensätzlich zum tayloristischen Rationalisierungsmodell durch eine umfassende Nutzung (und damit „Reprofessionalisierung“) der Qualifikationen und Produktivitätspotenziale der Arbeitskraft charakterisiert wurden. Für den Bereich der Produktionsfacharbeit wird im Rahmen einer prozessorientierten Betriebs- und Arbeitsorganisation aktuell ein Anstieg der Qualifikationsanforderungen im Sinne einer Erweiterung der Fach- und Expertenrolle um Momente wie „erhöhte Kommunikationsfähigkeit und Offenheit jenseits der eigenen Fach- und Statusgrenzen“ (Schumann 2003: 106), Lernbereitschaft, methodisch-organisatorische Kompetenzen und unternehmerische Orientierungen verzeichnet (vgl. Kocyba 1999). Die These bezüglich einer umfassenden Reprofessionalisierung der Produktionsarbeit ist jedoch bis heute umstritten. Während beispielsweise Voss und Warsewa sehr optimistisch von einer „flächendeckenden“ Verbreitung neuer Produktionskonzepte im Bereich qualifizierter Produktionsarbeit und einer insgesamt „ganzheitlicheren Nutzung von Arbeitsvermögen“ ausgehen und die Reprofessionalisierungsthese damit als bestätigt betrachten, lässt eine genauere Betrachtung des Verbreitungsgrades und der Praxis entsprechender Konzepte Skepsis an dieser Einschätzung aufkommen (Voss/Warsewa 2005: 6). Zwar konnte der Anteil aller Beschäftigten in Gruppenarbeit (als das mit am stärksten verbreitete Dezentralisierungskonzept) in den 1990er Jahren deutliche Zuwächse verzeichnen (von 6,9% auf 12%), jedoch arbeiteten im beobachteten Zeitraum insgesamt nur 3,2% der Beschäftigten in teilautonomer Gruppenarbeit, die ein hohes Maß an Eigenverantwortung im Hinblick auf Arbeitsplanung und -erledigung ermöglicht (vgl. Kleinschmidt/Prekruhl 1994; Nordhause-Janz/ Pe7 „Kundenorientierung, Managementkompetenz, Methodensicherheit, Innovationsfähigkeit und Teamfähigkeit gehören in den technischen Berufen zu den wichtigsten Schlüsselqualifikationen. Außerdem ist ein sicherer Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien erforderlich. Durch die voranschreitende Internationalisierung werden der Umgang mit fremden Kulturen, flexiblem Denken, eigener Mobilität und Sprachkompetenz immer wichtiger. Neue Arbeits- und Produktionsformen führen zu einer stärkeren Kooperationsfähigkeit in interdisziplinären Arbeitsteams und Kreativität im Denken und Handeln“ (VDI 2002: 19).
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kruhl 2000; Latniak 2003). Die Auswertung einer Unternehmensbefragung zu innovativen Arbeits- und Produktionskonzepten in der Investitionsgüterindustrie konnte für den Zeitraum 1997 bis 1999 schließlich belegen, dass Maßnahmen der strategischen Dezentralisierung (insbesondere die Restrukturierung und Verschlankung der Unternehmensorganisation durch Hierarchiebabbau oder Fertigungssegmentierung) in den Unternehmen wesentlich intensiver umgesetzt wurden als Maßnahmen der operativen Dezentralisierung. Laut dieser Untersuchung kam es gerade einmal in 10,8% der Fälle zu einem integrierten Vorgehen aus strategischer und operativer Dezentralisierung.8 Weiteren Anlass zur Skepsis bietet die sich in der Automobilbranche seit einigen Jahren vollziehende tendenzielle Abkehr von Konzepten der Gruppenarbeit hin zu flexibel-standardisierten Produktionssystemen, die durch Fließbandfertigung und Just-In-TimeProduktion, entsprechend des Vorbildes „Toyota“, organisiert sind (vgl. Springer 1999a, 1999b). Jüngst konnten allerdings Baethge-Kinsky und Tullius (2005) am Gegenstand zweier Intensivfallstudien aus der Automobilbranche nachweisen, dass es selbst unter den Bedingungen einer flexibel-standardisierten Produktionsweise keinesfalls zu einer Deprofessionalisierung der Facharbeit kommt, sondern zu ansteigenden Qualifikations- und Kompetenzanforderungen, die nur unter der Voraussetzung einer entsprechend modernisierten Aus- und Weiterbildung und einer lernförderlichen Gestaltung der Arbeitsorganisation von den Beschäftigten angemessen bewältigt werden können. Wie man sieht, sind die Chancen einer Reprofessionalisierung der Facharbeit an eine Reihe von Bedingungen geknüpft, die bestenfalls als partiell gegeben betrachtet werden können. Trotz des deutlichen Anstiegs und zugleich beschleunigten Wandels von Wissens-, Qualifikations- und Kompetenzanforderungen im Bereich qualifizierter Facharbeit, in den Ingenieurberufen und allgemein im Bereich wissensintensiver Dienstleistungstätigkeiten droht die Gefahr einer wachsenden Polarisierung zwischen Erwerbspersonen mit hohem Bildungs- und Qualifikationsniveau an lernförderlich gestalteten Arbeitsplätzen und solchen mit niedrigem Bildungsniveau und geringen Gestaltungs- und Lernmöglichkeiten in ihrer Arbeit (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 2002; Baethge 2003; Schumann 2003; Berthold/Stettes 2004). Die dargestellten Veränderungstendenzen auf der Ebene des Kapitalmarktes und der Unternehmensorganisation und -strategien bilden neben dem technisch-technologischen wie sektoralen Wandel hin zu wissensintensiven Dienstleistungstätigkeiten wichtige Grundlagen für Veränderungen der Organisation des Arbeitsprozesses und der Arbeitskraftnutzung, die im Folgenden vertiefend erläutert werden. 8 „Es zeigt sich damit, dass die Mehrzahl der Unternehmen gerade nicht die arbeitsgestalterisch weitergehenden Konzepte mit Aufgabenanreicherung und erweiterten Handlungs- und Dispositionsmöglichkeiten für die Beschäftigten in der Fertigung realisiert haben“ (Latniak 2003: 4).
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1.2 Intensivierung betrieblicher Wissens- und Arbeitskraftnutzung: Aufwertung von Subjektivität? Im Folgenden werden zentrale Thesen, Befunde und Diagnosen zum gegenwärtigen Wandel qualifizierter und wissensbasierter Arbeit entlang der arbeits- und industriesoziologischen Diskussion herausgearbeitet und reflektiert. Kapitel 1.2.1 beleuchtet zunächst die Veränderungen innerhalb der betrieblichen Nutzung von subjektgebundenem und organisationalem Wissen (Informatisierung von Arbeit, Wissensarbeit, Wissensmanagement). Daran schließt sich eine Rekonstruktion sozialwissenschaftlicher Befunde zur Flexibilisierung der Beschäftigungs- und Personalpolitik und deren Auswirkung auf die Arbeitszeiten und den Arbeitseinsatz an (Kapitel 1.2.2). Die These der Subjektivierung von Arbeit prägt seit vielen Jahren den arbeits- und industriesoziologischen Diskurs um Subjektivität, Arbeit und Organisation. Kapitel 1.2.3 rekonstruiert zentrale Stränge der Argumentation und Diskussion. Vor dem Hintergrund dieser drei Veränderungsdynamiken wird die Ausgangsfrage nach dem Status von Subjektivität im Kontext neuer Arbeits- und Organisationsformen aufgegriffen und in Kapitel 1.3 im Hinblick auf veränderte Erwerbsorientierungen im Bereich qualifizierter und hoch qualifizierter Angestelltenarbeit diskutiert.
1.2.1 Wissensbasierte und informatisierte Arbeit zwischen Formalisierung, Subjektgebundenheit und Kontrolle Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive werden die Auswirkungen des wirtschaftlich-technologischen Transformationsprozesses auf Erwerbsarbeit als Informatisierung von Arbeit (vgl. Schmiede 1996a, 1996b; Baukrowitz u.a. 2006; Schmiede/Schilcher 2008) bzw. als Wandel von der industriellen Gesellschaft zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft bzw. zur Wissensökonomie beschrieben (vgl. Stehr 1994, 1999; Willke 1998; Deutschmann 2001a; Bleicher/Berthel 2002; Schönberger/Springer 2003). Dostal (2006: 204f.) macht beispielsweise darauf aufmerksam, dass sich mit der Ausbreitung der Informationstechnik auf Organisationen und Arbeitsprozesse heute nur noch ca. 25% aller Erwerbstätigen in direkten Produktionsaufgaben im produzierenden Sektor finden, während rund 63% der Erwerbstätigen an Arbeitsplätzen mit Computerbezug eingesetzt werden. In der heutigen Zeit lässt sich Arbeit kaum noch entlang der traditionellen Unterscheidung zwischen Produktions- und Dienstleistungsarbeit klassifizieren, denn in beiden Bereichen wächst die Bedeutung von nicht oder nur begrenzt formalisierbarem Wissen und Humankapital, womit im Bereich von Arbeit und ihrer Organisation zugleich Momente des Nicht-Wissens,
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der Kontingenz und Unsicherheit an Bedeutung gewinnen (vgl. Schönberger/Springer 2003; Gorz 2004: 9; Strulik 2004): „Gefragt sind Erfahrungswissen, Urteilsvermögen, Koordinierungs-, Selbstorganisierungs- und Verständigungsfähigkeit, also Formen lebendigen Wissens, die im Alltagsverkehr erworben werden können, die zur Alltagskultur gehören“ (Gorz 2004: 9).
Berufsklassifikatorisch betrachtet, liegen die sich ausbreitenden geistigen und informatisierten Tätigkeiten quer zur Unterscheidung von Produktions- und Dienstleistungsarbeit und werden als „produktionsorientierte Dienstleistungsarbeit“ (Kleemann 2000: 1), Wissensarbeit oder auch immaterielle Arbeit bezeichnet (vgl. Gorz 2004). Im Folgenden werden Thesen und Diagnosen zur Wissensarbeit und Informatisierung von Arbeit hinsichtlich ihres Bezuges auf das Verhältnis von Arbeitskraft und Subjektivität skizziert und diskutiert. Die Begriffe „Wissensgesellschaft“ oder „Wissensökonomie“ sind nicht nur Leitformeln in der politökonomischen Debatte um den zukunftsfähigen und innovativen Wirtschafts- und Beschäftigungsstandort Deutschland, sondern beanspruchen auch die Deutungshoheit im Wettstreit um eine angemessene gesellschaftstheoretische Fassung des Transformationsprozesses von Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft (vgl. Schulz-Schaeffer/Böschen 2003: 9; kritisch hierzu: Konrad/Schumm 1999; Heidenreich 2003; Tänzler u.a. 2006). Ausgehend von einem evolutionären Konzept gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklung (vgl. Rammert 1999: 43), äußern die Vertreter der These der „Wissensgesellschaft“ (stellvertretend der Systemtheoretiker Willke sowie der Modernisierungstheoretiker Stehr) sehr weitreichende Aussagen über den Wandel gesellschaftlicher Arbeit und die Bedeutung menschlichen Wissens. Der Kerngehalt ihrer Thesen lässt sich vorab auf die Formel bringen, dass die Produktion und Verteilung der Ressource Wissen zunehmend eine strategische Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung, die wirtschaftliche Wertschöpfung und die Organisation von Erwerbsarbeit erhält, da das Wissen (als immaterielles Kapital) die Bedeutung klassischer Produktionsfaktoren wie Arbeit, Boden oder Kapital überhole und Arbeit somit immer stärker zur Wissensarbeit werde. In der USamerikanischen Diskussion um die Wissensgesellschaft und -ökonomie und deren deutscher Adaption wird Wissensarbeit als Sammelkategorie für primär reflexive, beratende und auf der Grundlage von Expertise operierende hoch qualifizierte Tätigkeit mit einem hohen Maß an Handlungs- und Entscheidungsspielräumen und sehr guten Verdienstmöglichkeiten beschrieben (vgl. Egloff 2000).9
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Die US-amerikanische Debatte unterscheidet dabei zwischen einer wissensintensiven und einer objektivierten Variante moderner Dienstleistungsarbeit: einerseits „professional work“, die sich durch eine hohe Relevanz der Expertise und Qualifikation der Beschäftigten auszeichnet, andererseits
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Dabei werden Softwareentwickler, Ingenieure, Unternehmensberater, Investmentbroker, Vermögensberater und auch sonstige hoch qualifizierte (betriebliche) Experten zum Kern der sogenannten Wissensarbeiter gezählt (vgl. Willke 1998; Paul 1999).10 Egloff ist von einem grundsätzlichen Bedeutungsverlust manueller, von Planungstätigkeiten bereinigter Produktionsarbeit überzeugt und sieht ebenso wie Willke in der Wissensarbeit den neuen Leittypus von Arbeit: „Auf der Grundlage der Definition von Wissen als der Fähigkeit zum sinnhaften Handeln durch Informationsgenerierung, Informationsverarbeitung und Informationsvermittlung kann Wissensarbeit als produktiver Umgang mit Information operationalisiert werden. Wissensarbeit bedeutet den Umgang mit abstrakter Form, die in sinnhaftes, produktives Handeln umgesetzt wird“ (Egloff 2000: 158; Hervorhebung im Original).
Wissen wird innerhalb der genannten Debatte weder im Hinblick auf seinen Wahrheits- oder Erkenntnisanspruch noch bezüglich seiner Deutungs- und Orientierungsfunktion auf gesellschaftlicher, sozialer oder individueller Ebene reflektiert, sondern als zentrale Ressource der Wertschöpfung aufgefasst, deren Vorzug zu anderen Produktionsfaktoren darin zu liegen scheint, dass sie durch ihre Nutzung und Verteilung nicht verbraucht wird (vgl. Stehr 1994, 1999; Böhme 1998; Willke 1998).11 Der modernisierungstheoretische Ansatz von Stehr (1994, 1999) behauptet beispielsweise, dass sich Wissen als treibende Kraft im ökonomischen Produktionsprozess im Zuge technologischer Fortschritte in Produktion und Wissensnutzung zunehmend von direkter und lebendiger Arbeit und damit auch dem Subjekt abkopple.12 Willke postuliert, ausgehend von seiner Diagnose einer „Morphogenese der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft“ und einer damit einhergehenden Zentralität des „intellectual capitals“ als primären volks- und betriebswirtschaftlichen Produktionsfaktor einen grundlegenden Wandel im organisationalen Umgang mit Wissen (Willke 1998: 161). Während sich beispielsweise im Kontext klassischer Professionen (Ärzte, Juristen, Lehrer oder Wissenschaftler) der Aufbau von Expertenwissen über einen „encounters“, die charakterisiert ist durch kurze, repetitive und standardisierte Interaktionen mit Kunden (Egloff 2000: 118). 10 Der deutsche Begriff „Wissensarbeiter“ korrespondiert in der US-amerikanischen Literatur mit den Kategorien „knowledge worker“ (Drucker 1993) und „symbol analyst“ (Reich 1991). 11 Kocyba kritisiert diesbezüglich, dass Wissen vornehmlich aus dem Blickwinkel seiner Verwaltung betrachtet werde und dabei „alle im engeren Sinne epistemologischen Aspekte des Wissensbegriffes wie etwa Wahrheits-, Begründungs- und Geltungsfragen durchgängig ausgeblendet bleiben“ (Kocyba 1999: 95). 12 Ähnlich argumentieren auch Schönberger und Springer: Mit zunehmender informationstechnischer Durchdringung von Arbeit und ihrer organisatorischen Vernetzung komme es zu einem „qualitativen Sprung in der Verarbeitung von Wissen. Der Gebrauch von Wissen entkoppelt sich so von der stofflich-manuellen Ebene und vollzieht sich zunehmend auf der abstrakteren Informationsebene“ (Schönberger/Springer 2003: 9).
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langfristigen Prozess der Ausbildung vollzieht und Fragen von Wahrheit und Erkenntnis untrennbar mit einschließt, zeichnet sich Wissensarbeit als neues Leitmodell von Arbeit nach Willke durch einen stärker reflexiv-instrumentellen Umgang mit Wissen ab, genauer der wettbewerbsentscheidenden Fähigkeit der Organisationen und Institutionen, organisationale Intelligenz zu generieren. Letzteres impliziert, dass „das relevante Wissen (1) kontinuierlich revidiert, (2) permanent als verbesserungsfähig angesehen, (3) prinzipiell nicht als Wahrheit, sondern als Ressource betrachtet wird und (4) untrennbar mit Nichtwissen gekoppelt ist“ (ebd.). Willke sieht die Hauptaufgabe intelligenter Organisationen darin, „Wissen und Expertise als Rohstoff umzuformen“, oder anders formuliert, „Wissen (zu) generieren, (zu) speichern und in systemisch organisierten Prozessen an(zu)wenden“ (ebd., 166). Er geht sogar so weit zu behaupten, dass sich die Steuerungslogik von Organisationen fundamental in dem Sinne wandle, dass „machtbasierte Entscheidungen und geldbasierte Transaktionen“ (ebd., 167) in ihrer Bedeutung gegenüber der Steuerung durch Expertise stark relativiert würden. Der Fokus organisationaler Wertschöpfung und Wissensnutzung verschiebe sich deutlich vom personengebundenen Wissen und dessen Vermittlung hin zur Identifizierung und Verwendung überindividuellen, in organisationalen Regeln und Routinen inkorporierten Wissens: „Organisationales oder institutionelles Wissen steckt in den personenunabhängigen, anonymisierten Regelsystemen, welche die Operationsweise eines Sozialsystems definieren. Vor allem sind dies Standardverfahren (‚standing operating procedures‘), Leitlinien, Kodifizierungen, Arbeitsprozess-Beschreibungen, etabliertes Rezeptwissen für bestimmte Situationen, Routinen, Traditionen, spezialisierte Datenbanken, kodiertes Produktions- und Projektwissen und die Merkmale der spezifischen Kultur einer Organisation“ (ebd., 166).
Sehr problematisch erscheint die sowohl von Stehr als auch von Willke geteilte Behauptung einer vor der Naturbearbeitung bereinigten Wissensarbeit, die vornehmlich neues wissenschaftliches Wissen, Expertise oder aber Organisationswissen erzeuge und aus sich heraus wertschöpfend sei und so den ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel bestimme. Die Bedeutung von anderen Produktionsfaktoren, von gesellschaftlicher Arbeitsteilung sowie von Kontroll- und Machtverhältnissen der betrieblichen Arbeitsorganisation werden dabei ausgeblendet (vgl. Schumm 1999). Emanzipatorischen Verheißungen einer von körperlichen Mühen, Kontrollen und Beschränkungen der Lohnarbeit befreiten Wissensarbeit hält Schumm entgegen: „Der Wissensarbeiter im restrukturierten Unternehmen oder Unternehmensnetzwerk wird aber keinesfalls in die Freiheit des selbstbestimmten reflexiven Umgangs mit Wissen entlassen, sondern sieht sich neuen Kontrollformen und veränderten, aber darum nicht weniger in sein Leben eingreifenden Arbeitsverhältnissen gegenüber“ (ebd., 181).
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Auch Bender (1999) und Kocyba (1999) distanzieren sich von der modernisierungstheoretischen Argumentation mit dem Hinweis, dass diese auf einem Modell konkurrierender Wertschöpfungsfaktoren beruht. Wettbewerbsvorteile entstünden nicht aus der Substitution, sondern aus einer kommerziell verwertbaren Kombination und Kontextualisierung immaterieller Unternehmenswerte (wissenschaftliches Wissen, Produktions-, Organisations- und Marktkenntnisse etc.) mit materiellen Faktoren (Arbeit, Kapital). Eine Zwischenposition vertritt Castells (2001: 97–103, 529ff.), der einerseits die Rolle technologischen Wissens für die einzelwirtschaftliche Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit hervorhebt, zugleich andererseits aber darauf hinweist, dass Produktivität erst dann entstehe, wenn relevantes Wissen in rentabilitätssichernden Formen der Arbeitsorganisation und Qualifizierung und durch Managementstrategien erzeugt und veredelt werde. Ob sich mit der Bedeutungszunahme von Wissen im Bereich der betrieblichen Strategie bzw. Arbeitsorganisation bereits ein umwälzender gesellschaftlicher Transformationsprozess ablesen lässt, wird innerhalb der Arbeits- und Industriesoziologie skeptisch beurteilt. Während Konrad und Schumm die Hauptfaktoren des Transformationsprozesses von Gesellschaft und Arbeit nach wie vor im „Wandel der sozialen Organisation von Arbeit aufgrund von Globalisierung, Veränderungen der Märkte, technologischer Innovationen, organisatorischer Restrukturierung und veränderter Ansprüche an Arbeit“ (Konrad/Schumm 1999: 7) sehen, bezweifelt Jürgens (1999) die Annahme einer linearen Zunahme von Wissensarbeit. Aus seiner Sicht resultiert das gestiegene Maß an Aufmerksamkeit gegenüber Wissen und Lernen auch aus den durch Restrukturierung entstandenen Verlusten an Wissensträgern.13 In noch grundlegenderer Weise stellt sich die Frage, inwieweit die Etikettierung der Gegenwartsgesellschaft als Wissensgesellschaft den gegenwärtigen fundamentalen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft tatsächlich eindeutig erfasst, sind doch Praxis und Kulturen des gesellschaftlichen Umgangs mit Wissen Kennzeichen aller modernen Gesellschaften und damit ein nicht hinreichend trennscharfes Kriterium (vgl. Heidenreich 2003; Tänzler u.a. 2006: 7f.). Trotz begründeter Skepsis an den Thesen von Stehr und Willke repräsentieren Ansätze des Wissensmanagements in der Tat einen wichtigen Teil technologiebasierter betrieblicher Strategien zur Identifizierung, Kodifizierung und Verbreitung organisationaler Wissensbestände (vgl. Jürgens 1999; Rammert 1999; Pawlowsky u.a. 2003). Ziel ist vor allem der Zugriff auf das implizite Wissen der Beschäftigten: unter anderem organisationspolitische, markt-, tech13 „Die These ist, daß der gegenwärtige Nachdruck auf Wissensmanagement und die Formalisierung von Wissensarbeit zum Teil eine Kompensation für neue Schnittstellenprobleme und Verluste von Wissen darstellt, die mit dem Übergang auf neue Systeme der Produktentstehung einhergehen“ (Jürgens 1999: 58).
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nik- und kundenbezogene Kenntnisse, Kontingenzwissen, tätigkeitsbezogenes Interdependenzwissen (vgl. Jürgens 1999; Schmiede 1999; Egloff 2000). Wissensmanagement konzentriert sich, wie Baecker (2002) bemerkt, gerade nicht auf eine in der Tradition der Aufklärung stehende, auf Wahrheit und Vernunft bedachte Rekonstruktion von Wirklichkeit in Gestalt eines objektivwissenschaftlich fundierten bzw. theoretisierten Wissens, sondern auf die Konstruktion von „Wissensartefakten“ (beispielsweise über Kundenbedürfnisse oder geeignete Formen der Mitarbeiterführung, aus denen praktische Konsequenzen und Gestaltungsmöglichkeiten abgeleitet werden können). Dabei ist es nach Baecker entscheidend, gerade die so konstruierten Wissensbestände nicht als selbstverständlichen Ausdruck fest stehender Tatsachen zu behandeln, sondern sie als prinzipiell revisionsbedürftige und für Entscheidungsprozesse zu rekontextualisierende Informationen aufzufassen. Ungeachtet dieser Erkenntnis, findet sich in der Literatur zum Wissensmanagement häufig die irreführende Vorstellung, auf menschliches Wissen wie auf einen Datenbestand zugreifen zu können bzw. es mittels technologiegestützter Informationssysteme exakt abbilden oder kodifizieren zu können (zur Kritik an dieser Vorstellung vgl. Weiß 1998; Staudt/Kriegesmann 2001; Baecker 2002: 104). Der Glaube, das implizite, erfahrungsgebundene Wissen (von Mitarbeitern, Experten, Management etc.) technisch von seinem Träger und konkreter Arbeit ablösen und in einen Rohstoff unternehmerischer Wertschöpfung umwandeln zu können, wird jedoch der Unbestimmtheit des Wissensbegriffs nicht gerecht. Gamm macht am Beispiel eines Versuchs zur Differenzierung der Wissensordnungen (zwischen prozeduralem und deklarativem Wissen und diskursivem und intuitive, explizitem und implizitem Erfahrungs- und Orientierungswissen) darauf aufmerksam, dass sich Wissen nie als Ganzes, sondern immer nur als ein „in Form von Teilmengen differenziertes Konstrukt darstellen lässt“ (Gamm 2000: 192) und sich damit einer vollständigen Repräsentierbarkeit strukturell entzieht. Er gelangt zu der Feststellung, dass im Wissen das Nichtwissen, „die Negativität des Wissens die größte Rolle“ spielt, „in der Information allenfalls eine andere Information“ (ebd.). Ausgehend von der Feststellung, „dass wir mehr wissen, als wir zu sagen wissen“ (Polanyi 1985: 14), entwickelt Polanyi in Auseinandersetzung mit gestalt- und wahrnehmungspsychologischen Experimenten und Theorien die These, dass explizites und implizites Wissen strukturell inkongruent sind. Lernprozesse beruhen ihm zufolge fundamental auf der aktiven Mitwirkung des Lernenden, der vermittelte Informationen in einem Akt der Interpretation und Aneignung in eigene Erkenntnis umwandeln muss, damit personales Wissen und Erfahrung („implizites Wissen“ oder „tacit knowledge“) erworben werden. Die Aneignung von theoretischem Wissen bzw. generell von Erkenntnisprozessen vollzieht sich demnach insbesondere im praktischen Handeln. Statt Dinge in ihrer vollständigen Kom-
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plexität, Vernetztheit und Detailliertheit wahrnehmen zu können, muss der Lernende seine Aufmerksamkeit mittels vereinfachender Wahrnehmung auf Sinnzusammenhänge (Semantik) richten, damit er sie geistig durchdringen und in einem Akt der „Verinnerlichung“ sich aneignen kann (vgl. ebd., 16–25). Daraus folgert er, dass „der Prozess der Formalisierung allen Wissens im Sinne einer Ausschließung jeglicher Elemente impliziten Wissens sich selbst zerstört“ (ebd., 27). Die von ihm verwendete und auch für diese Arbeit fruchtbare Kategorie „tacit knowledge“ umfasst subjektive Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in einem langwierigen, handlungsgeleiteten Lern- und Erfahrungsprozess erworben werden und vom Subjekt kaum expliziert werden können. Schilcher (2006: 135) grenzt Wissen von Information in Anlehnung an Polanyi dadurch ab, dass es sich in interaktiven und kommunikativen Prozessen durch eine aktiv-reflexive Auseinandersetzung des Subjekts mit Gegenständen, Informationen, Personen oder Erfahrungen herausbildet und dabei an den subjektiven Wissenshintergrund bzw. an das Vorwissen der Person gebunden ist. Folgt man dieser auf subjektive Erfahrung, Reflexivität und praktische Aneignungsprozesse abhebenden Wissensdefinition, büßt auch der Begriff „Wissensarbeit“ seinen exklusiven und historisch neuartigen Anstrich ein: „In dieser Perspektive bildet Wissensarbeit überwiegend eine Teilaufgabe neben koordinierenden, dispositiven, administrativen, operativen Tätigkeiten, die in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen für alle Tätigkeitsgruppen relevant ist. Nur für einen geringen Teil der Beschäftigten dürfte dabei Wissensarbeit die überwiegende Teilaufgabe selbst darstellen“ (Jürgens 1999: 59; Hervorhebung im Original).
Einer vollständigen Externalisierung, Objektivierung und Formalisierung impliziter Wissensbestände sind also – so viel kann an dieser Stelle bereits resümiert werden – deutliche Grenzen gesetzt (vgl. Kocyba 1999; Schmiede 1999). Subjektives Wissen ist im Hinblick auf aktuelle Tendenzen der Informations- und Wissensarbeit einerseits durch „machtvolle Objektivierungsprozesse“ geprägt, existiert aber andererseits nur „als aktiver Aneignungs- und Repräsentationsprozess in den Individuen“ (Schmiede 1999: 134f.). Wissen kann demzufolge nicht losgelöst von den subjektiven Leistungen einer Aneignung, Verarbeitung, Bewertung und Rekontextualisierung betrachtet werden, sondern schließt auch die subjektive Bereitschaft zur kooperativen Zusammenarbeit und Wissensteilung mit ein (vgl. ebd., 143f.). Angesichts der in kleinen und mittleren Unternehmen geringen Verbreitung des Wissensmanagements bzw. seiner recht traditionellen Umsetzung in großen Unternehmen (z.B. in Gestalt von Handbüchern und dem betrieblichen Vorschlagswesen) stellt Pawlowsky die Frage nach Nutzen und Einsatzfeldern von Wissensmanagement. Notwendig wird ein systematisches Wissensmanagement primär in „Unternehmen, die spezifische Wissensprobleme haben“ (Pawlowsky 42
2002: 109ff.): beispielsweise im Falle mangelnder Bereitschaft bzw. Unfähigkeit der Organisationsmitglieder, vorhandenes Wissen zu nutzen und zu teilen, oder bei Verlusten von Wissensträgern infolge von Abwanderungen. Ein adäquates Gestaltungskonzept von Wissensmanagement muss über die bisherigen, oftmals gescheiterten Versuche IT-basierter Tools hinausgehen und die drei Gestaltungsdimensionen Mensch, Technik und Organisationsstruktur berücksichtigen bzw. integrieren. Arbeiten zur „Informatisierung von Arbeit“ beleuchten den historischen Wandel von Arbeit, Organisation und Technik (vgl. Schmiede 1996a , 1996b, 1999). Der Begriff „Informatisierung“ beschränkt sich dabei keineswegs auf das zu beobachtende Phänomen einer wachsenden Durchdringung der Aufbauorganisation und des Wertschöpfungsprozesses mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien bzw. der Computerisierung (vgl. Kleemann 2000; Boes 2005). Vielmehr bezeichnet es den parallel zur Ausbreitung der kapitalistischen Produktions- und Distributionsweise bzw. der Wertökonomie im 19. Jahrhundert einsetzenden historischen und sozialen Prozess der Herausbildung von Informationssystemen und die damit verbundene Formalisierung und Abstraktifizierung von Arbeit und Produktion: „Die Verfügung über die relevanten Informationen zur Beschreibung der wichtigen Produktions- und Verteilungsvorgänge, der Organisation und der Geschäftsabläufe ist Grundlage und Mittel ihrer Kontrolle, die für eine Produktionsweise, die auf lohnabhängiger Arbeit basiert, von konstitutiver Bedeutung ist“ (Schmiede 1996a: 20).
Informatisierung bedeutet in diesem Zusammenhang zweierlei: Zum einen werden Aussagen zur Beschaffenheit realer Tatbestände subjektunabhängig formuliert und der soziale Gebrauch gewonnener (abstrakter) Informationen an materielle Medien gebunden (vgl. Boes 2005: 4); zum anderen hat die Herstellung und Verbreitung von Informationen im Kontext globaler sozio-technischer Systeme nicht mehr nur eine produktionsunterstützende Funktion, denn Informationen werden selbst zum Produkt (vgl. Boes/Pfeiffer 2006: 24; Schmiede u.a. 2008). Mit der Informatisierung von Arbeit und dem der kapitalistischen Produktionsweise inhärenten Kalkül einer „Erhöhung der Umschlagsgeschwindigkeit des Kapitals bzw. der Durchsatzgeschwindigkeit im Produktionsprozeß“ (Schmiede 1996a: 25) gehen zugleich eine Reihe von Problemen einher, die sich auf die Steuerung und Kontrolle maschineller, technisierter, aber auch subjektivitätsbasierter Produktionsabläufe und Arbeitsprozesse beziehen. Tendenzen der Formalisierung und Abstraktifizierung von Wissen und Arbeit und damit verbundene Gefahren einer „Entqualifizierung“ (verstanden als Verlust subjektiver Selbstbestimmung und stofflich-sozialer Erfahrungen, wie sie für klassische Handwerksund Industriearbeit typisch sind) bilden nach heutigem Kenntnisstand nur die
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eine Seite informatisierter Arbeit (Schmiede 1996b: 123f.). Sowohl empirische Untersuchungen als auch theoretisch formulierte Kritik am Informatisierungskonzept haben mittlerweile zu einer Modifikation und Weiterführung des Informatisierungsbegriffs geführt. Mit dem Voranschreiten der Technisierung und Flexibilisierung von Arbeit und dem zunehmenden Innovationsdruck14 im Bereich der Produktentwicklung stößt das auf natur- und ingenieurwissenschaftlichen Methoden beruhende und auf fortwährende Effizienzsteigerung zielende „objektivierende Arbeitshandeln“ auf systemimmanente Grenzen (Böhle 1995, 2002b). Mit zunehmender Komplexität und Flexibilität technischer Anlagen und Steuerungsprozesse werden Unsicherheiten und nicht kalkulierbare Wirkungen und Nebenwirkungen erzeugt, auf die die Arbeitskräfte mit veränderten Problemlösungsstrategien reagieren müssen. Erforderlich werden kompensatorische, korrigierende oder aktiv gestaltende Leistungen der Arbeitskräfte, die ihr implizites, an Erfahrung und Subjektivität gebundenes Wissen, ihre Intuition, ihre Routinen und ihr Gespür im Arbeitsprozess nutzen und zugleich weiterentwickeln. Diese Leistungen werden von Böhle (1995, 2002a, 2002b) als „subjektivierendes Arbeitshandeln“ bezeichnet. Sein Ansatz geht von einem erweiterten Verständnis des Erfahrungswissens aus und betont insbesondere für technische Innovationsprozesse grundlegende subjektive Fähigkeiten und Erkenntnisleistungen wie Imagination, intuitiv-assoziatives Denken oder emotional-sinnliche Wahrnehmungen und Abstraktionen. Anstelle einer Trennung von handelndem Subjekt und zu bearbeitendem Objekt setzt das Konzept deren Einheit voraus. Kognitive Prozesse des Erkennens, Wahrnehmens oder Interpretierens sind nicht lösgelöst, sondern nur in Verschränkung mit praktischem Handeln zu verstehen. „Ein für die folgenden Überlegungen wichtiger Befund der hierzu durchgeführten empirischen Untersuchungen ist, daß auch bei fortschreitender Technisierung der Produktion ein ,subjektivierendes Arbeitshandeln‘ unverzichtbar bleibt. Auf dieser Grundlage wird erkennbar, daß eine zentrale Leistung qualifizierter Fachkräfte gerade darin besteht, Prinzipien eines objektivierenden und subjektivierenden Handelns je nach Arbeitsanforderung und -gegebenheiten zu nutzen und zu verbinden“ (Böhle 1995: 93).
Diese an Subjektivität und Erfahrung der Person gebundenen Leistungen fungieren demzufolge als notwendiges Komplement technisierter und „verwissenschaftlichter“ Arbeit; zugleich spricht Böhle ihnen das Potenzial als „eigenstän14 „Betriebliche Innovationsprozesse sind damit gegenwärtig mit einem zweifachen Problem konfrontiert: Zum einen führen Veränderungen auf dem Absatzmarkt zu einer Verschärfung der Konkurrenz und zu neuen und höheren Anforderungen einer Differenzierung und Flexibilisierung der Produkte. Es ergibt sich hieraus ein ,Rationalisierungsdruck‘ zur Einsparung von Kosten und Entwicklungszeiten, ebenso aber auch ein besonderer ,Innovationsdruck‘, um mit neuen Entwicklungen auf dem Markt präsent zu sein bzw. zu bleiben“ (Böhle 1995: 71).
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dige Grundlage und Ressource für technische Innovationsprozesse“ (ebd., 89; vgl. auch Kleemann u.a. 2002) zu. Die vorangegangenen Ausführungen zum subjektiverenden Arbeitshandeln und zur Entstehung von Erfahrungswissen haben auf Grenzen der Formalisierund Kodifizierbarkeit subjektgebundenen Wissens und Könnens hingewiesen. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive sowie unter Hinweis auf wirtschaftsund techniksoziologische Untersuchungen unterstreicht Schumm (1999: 59), dass die Entstehung, Aneignung und Verwendung von Wissen nur im Zusammenhang mit subjektiver Arbeit betrachtet werden kann. Aus seiner Sicht muss die Analyse informatisierter oder wissensbasierter Arbeit über den Wissensbegriff hinaus zentrale subjektgebundene Momente wie Handlungsfähigkeit oder Motivation mit einbeziehen: „Die Kategorie des Wissens allein erscheint auch deshalb nicht ausreichend zur Analyse dieser Prozesse, weil sie den Blick stärker auf Bestände von Kenntnissen, auf kognitive Strukturen und durch sie konstituierte Handlungsfähigkeit richtet und die im Subjekt verankerten Elemente von Kommunikations- und Handlungsfähigkeit oder sinnliche Wahrnehmung vernachlässigt“ (ebd., 180).
Pfeiffers Konzept des Arbeitsvermögens stellt den Versuch dar, die konzeptionellen Verengungen des frühen Informatisierungskonzeptes aufzubrechen und um eben diese subjektiven Leistungen und Handlungspotenziale, die an das lebendige Arbeitsvermögen gebunden sind, zu erweitern. Ausgehend von ihrer Kritik an den Annahmen einer prinzipiellen Ablösbarkeit des Erfahrungswissens vom Subjekt und der Subsumtion menschlicher Subjektivität und Lebendigkeit unter die abstrakten Anforderungen des technisierten Arbeitsprozesses und der Wertökonomie, formuliert sie die These, dass die Informatisierung und Formalisierung des Erfahrungswissens „zwar die Autonomie und Kreativität der Beschäftigten einschränkt, gleichzeitig aber in einer neuen Qualität gerade auf diese Kompetenzen angewiesen ist“ (Pfeiffer 2003: 188).15 Vor dem Hintergrund der Subjektivierung von Arbeit wachsen nicht nur die Intensität der Arbeitskraftnutzung, sondern auch die Anforderungen an eine aktive und lebendige Aneignung von Arbeitsvermögen (Wissen, Kompetenzen, Verhaltensweisen etc.) im Kontext von Erwerbsarbeit und weiter gefasst auch im Rahmen der gesamten Lebenstätigkeit:
15 Jüngst betonen auch Schmiede u.a. den komplementären und zugleich widersprüchlichen Zusammenhang zwischen einer zunehmenden Durchdringung der Organisation und der Arbeitsprozesse durch wertökonomische Anforderungen und sozio-technische Informationssysteme, die trotz massiver Formalisierungstendenzen den Bedarf an subjektgebundenen Leistungen und Wissensbestandteilen im Arbeitsprozess deutlich erhöhen (vgl. Schmiede u.a. 2008: 3f.).
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„Denn Arbeitsvermögen bildet sich nicht nur aus durch Aneignungsprozesse innerhalb des Erwerbslebens oder der zu ihm hinführenden Sozialisationsprozesse, sondern in ihm konzentrieren sich die Aneignungsprozesse der gesamten (auch biografisch gedachten) Lebenswelt des Subjekts, es ist Produkt seiner Lebenstätigkeit. Damit umfasst das Arbeitsvermögen des Subjekts immer mehr, als ihm im Arbeitsprozess des Erwerbslebens je abverlangt wird“ (ebd., 198).
Vor dem Hintergrund des Wandels der Kontrolle und Steuerung von Arbeit und Organisation hin zu flexibleren, marktnäheren und dezentralen Formen erscheint die Informatisierung von Arbeit als „zentraler Transmissionsriemen der Ökonomisierung der Gesellschaft“ (Boes 2005: 7). Die betrieblichen Informationssysteme liefern nicht nur Kunden- und Zuliefererinformationen, sondern öffnen das Unternehmen auch für externe Märkte und erzeugen mit der zunehmenden Durchdringung der betrieblichen Leistungssteuerung und des Arbeitshandelns mit Kriterien der Absatz- und Finanzmärkte einen massiven Zeit-, Kosten- und Effizienzdruck (vgl. ebd.; Schmiede u.a. 2008). Das Aufeinanderprallen von tendenziell überzogenen Rentabilitätserwartungen der Finanzmärkte mit der Sphäre wissens- und innovationsbasierter Arbeit erzeugt sowohl auf der Ebene betrieblicher Leistungssteuerung als auch auf der Ebene des Arbeitsvollzugs enorm widersprüchliche Anforderungen. An der Schnittstelle zwischen Produktions- und Wertökonomie werden die widersprüchlichen Rationalitäten leidvoll spürbar: Permanente Restrukturierungen, wachsender Zeit-, Kosten- und Rationalisierungsdruck bei steigenden Anforderungen an Fach-, Problemlösekompetenz, Kommunikativität und Flexibilität führen das arbeitende Subjekt (z.B. in Team- oder Projektarbeit) tendenziell an den Rand psychischer und körperlicher Überforderung (vgl. ebd.). Wissensbasierte und informatisierte Arbeit bewegt sich demnach nicht außerhalb betrieblicher Kontroll-, Rationalisierungs- und Formalisierungsstrategien, sondern in einem historisch veränderlichen Spannungsfeld zwischen Formalisierung und Subjektgebundenheit. Angesichts der Persistenz tayloristischer Rationalisierungsprinzipien wird aktuell eine „Gleichzeitigkeit wissensintensiver und wissensarmer Arbeitsformen“ beobachtet (Baethge 2004: 12; vgl. Kurz 1999; Lüthje 2004).
1.2.2 Flexibilisierung der Personal- und Arbeitszeitpolitik und des Arbeitseinsatzes Im Folgenden werden bedeutsame Trends und Auswirkungen der Flexibilisierung der Personal- und Arbeitszeitpolitik und des Arbeitseinsatzes beschrieben. Diese Trends befördern in ihrem Zusammenspiel mit neuen Formen der Arbeitskraftnutzung eine Erosion des auf der Trennung von Arbeit und Leben basieren46
den institutionalisierten Zeitregimes und der bisherigen Rationalität der Leistungsregulation. Betrachtet man die Auswirkungen der Flexibilisierung der Arbeit und Arbeitszeiten für gesellschaftliche Zeitarrangements sowie individuelle Lebensweisen und Biografien, so ist es zunächst instruktiv, sich die grundsätzliche Bedeutung von Arbeitsregulierungen für die Lebensweisen und entwürfe der Individuen zu vergegenwärtigen. Arbeitszeit lässt sich allgemein als ein institutionalisiertes kulturelles Orientierungsmuster gesellschaftlicher, ökonomischer und individueller Zeitverwendung betrachten. Sie bringt nicht nur gesellschaftliche Wertvorstellungen, sondern auch sich historisch wandelnde und auf Machtasymmetrien basierende Aushandlungen von Interessenlagen zum Ausdruck, die in maßgeblicher Weise die als normal betrachteten Tagesabläufe, Lebensweisen und Biografien der Individuen prägen und strukturieren. Der Wandel von Arbeitszeit und Lebensweisen lässt sich in einem historischen Rückblick veranschaulichen. Im Rahmen der vorkapitalistischen Arbeit sowie während der frühindustriellen Phase existierte noch keine strikte zeitliche und räumliche Trennung, sondern eine Gleichzeitigkeit von Aktivitäten des „Arbeitens“ und „Lebens“. Mit voranschreitender Industrialisierung wurde durch Arbeitskämpfe ein auf kollektiver Regulierung, Normierung und Verkürzung von Arbeitszeiten aufsetzendes industrielles Zeitarrangement etabliert. Dieses ermöglichte erstmalig eine „sequentielle Teilung der Lebenszeit in Arbeitszeit und ‚Freizeit‘“ und damit eine „Rückaneignung von Zeitpotentialen“ durch lohnabhängig Beschäftigte (Hielscher 2000: 4, 7; vgl. Deutschmann 1985; Hörning u.a. 1990). Als Gegenleistung dieses sozialen Fortschritts wurde den Unternehmen das Recht übertragen, im Kontext zeitökonomischer Rationalisierung und unter Einforderung einer hohen Zeit- und Arbeitsdisziplin „die entlohnte Arbeitszeit möglichst vollständig als mehrwertproduzierende Zeit zu nutzen“ (Hielscher 2000: 4). Dies hatte zur Folge, dass lebensweltliche Bedürfnisse, Rhythmen und Aktivitäten in die zeit- und räumliche Sphäre außerhalb der Fabriktore verbannt wurden. Die für das Modell „Normalarbeitszeit“ konstitutiven institutionellen Arbeitszeitregelungen und kulturellen Orientierungsmuster der Zeitverwendung beziehen sich dabei auf das Verhältnis von Arbeitstag und Feierabend, Arbeitswoche und Wochenende, Arbeitsjahr und Urlaub sowie Erwerbsarbeitsphase und Ruhestand (vgl. ebd., 5f., in Anlehnung an Maurer 1992). Im Kontext der modernisierungstheoretischen Debatte und Forschung seit den 1990er Jahren wird die These einer Erosion dieses auf einer relativ klaren Trennung von Arbeit und Leben basierenden, lange Zeit dominanten gesellschaftlichen Zeitmusters formuliert und hierfür eine Reihe von Faktoren identifiziert. Im Rahmen sozialstruktureller, arbeitssoziologischer, arbeitsmarkttheoretischer oder familiensoziologischer Forschung wird insbesondere auf das wachsende Bildungsniveau und die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen, den
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Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen, Lebensstile sowie die wachsende Flexibilisierung und Deregulierung der Erwerbsverhältnisse hingewiesen (vgl. Hildebrandt/Linne 2000; Sill 2005; Jürgens 2006: 104ff., 144ff.). Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf den letztgenannten Punkt und unterscheiden hierbei vereinfachend drei Dimensionen der Flexibilisierung von Arbeit: die Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse und der Personalpolitik, die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Auswirkungen der Flexibilisierung von Arbeit auf die alltägliche Lebensführung und den biografischen Verlauf der Erwerbspersonen. Eine erste Dimension der Flexibilisierung betrifft die Gestaltung der Beschäftigungs- und Personalpolitik und der Arbeitsverträge. Diese externe Flexibilisierung bezeichnet eine quantitative Zunahme „atypischer“, d.h. vom klassischen unbefristeten Normalarbeitsverhältnis abweichender, zeitlich befristeter Beschäftigungsformen (z.B. Zeit- und Leiharbeit, Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung). Zudem zeichnet sich eine Tendenz zur variablen Anpassung der Zahl der Arbeitskräfte an den schwankenden betrieblichen Personalbedarf je nach Auslastungslage ab mit der Folge, dass der Anteil der Beschäftigten innerhalb der Kernbelegschaft sinkt, während Beschäftigte innerhalb der Randbelegschaft zuzunehmen scheinen. Unter dem Normalarbeitsverhältnis wird konkret ein zeitlich unbefristetes, arbeits- und sozialrechtlich abgesichertes Beschäftigungsverhältnis in Vollzeit gefasst, das als normatives Leitbild für die rechtliche Gestaltung von Erwerbsarbeitsverhältnissen sowie sozial- und familienrechtlichen Regelungen dient (vgl. Hielscher 2000). Das Normalarbeitsverhältnis hat als „ein sich in der individuellen Lebensgestaltung konkretisierendes gesamtgesellschaftliches Arrangement“ insofern eine konstitutive Bedeutung für die systemische und soziale Integration und die Biografieverläufe der Individuen, als es „vorsieht, dass die Existenzsicherung der Individuen, ihre private und gesellschaftliche Lebenssituation sich aus ihrer Rolle im Erwerbsleben herleitet und speist“ (Mückenberger 1985: 420). Mit der Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen kommt es nicht nur zu einer Diversifizierung von Beschäftigungsformen, sondern sie befördert auch eine Deregulierung arbeitsrechtlicher Standards und verändert den Status der Beschäftigten innerhalb der betrieblichen Beschäftigungs- und Personaleinsatzkalküle (vgl. Hielscher 2000; Wagner 2000a; Hildebrandt/Linne 2000). Boltanski und Chiapello (2003: 261f., 278) verzeichnen im Zuge der Flexibilisierung der großbetrieblichen Personal- und Beschäftigungspolitik einen breiten Trend zur verschärften Aufspaltung der Belegschaft in eine „Zweiklassengesellschaft“ mit massiven Auswirkungen auf Arbeitnehmerrechte und deren Absicherung: zum einen die als Leistungsträger betrachtete kleine Gruppe von Angestellten, die dauerhaft an den Betrieb gebunden werden soll und für die eine spezifische Anreizpolitik (Potenzialent-
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wicklung, Weiterbildung, Personalbindung) entworfen wird, und zum anderen eine quantitativ wachsende Randbelegschaft, die als unproduktiv und wenig anpassungsfähig wahrgenommen wird. Die Aufspaltung der Arbeitnehmerschaft bzw. Belegschaft dient nicht nur den Zielen einer Flexibilisierung, sondern auch der Umgehung arbeitsrechtlich verankerter Schutzrechte und monetärer Ansprüche und führt so zu einer Diversifizierung des Arbeitnehmerstatus. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass weder die numerische Flexibilisierung (also eine Anpassung von Personalkapazitäten an konjunkturelle Entwicklungen und Nachfrageschwankungen von Auftraggebern) noch die Nutzung von Flexibilitätspotenzialen im Rahmen betriebsinterner Arbeitsmärkte mit entsprechend ungleicher Behandlung von Beschäftigtengruppen ein grundsätzlich neuartiges Phänomen innerhalb der (groß-)betrieblichen Personalpolitik darstellt. Phänomene einer numerischen Flexibilisierung kennzeichneten nach Schienstock (1998) bereits das betriebliche Beschäftigungskalkül in den Hochzeiten fordistischer Produktion. Entsprechende Aufspaltungen des Arbeitskräftereservoirs in eine Rand- und Kernbelegschaft mit differenzierten Strategien der Personalbindung und Statusverteilung entlang des Qualifikationsniveaus oder der betrieblichen Loyalitätserwartungen wurden im kapitalistischen Großunternehmen bereits im Zuge der Herausbildung und Konsolidierung betriebsinterner Arbeitsmärkte im späten 19. Jahrhundert beobachtet (vgl. Schmiede 1997). Allerdings ist im Rahmen von Outsourcing oder Flexibilisierungskonzepten „atmender“ oder „virtueller“ Unternehmen eine neue Qualität betrieblicher Flexibilisierungsstrategien zu verzeichnen, die im Begriff sind, „den grundlegenden Widerspruch zwischen interner und externer, zwischen funktionaler und numerischer Flexibilität innerhalb einer Organisation aufzulösen“ (Flecker 1998: 211f.). Mit der Ausweitung bzw. Flexibilisierung wöchentlicher Arbeitszeiten muss die Stammbelegschaft, entsprechend der Auftragslage, die zuvor von der Randbelegschaft bewältigten Produktions- oder Nachfrageschwankungen bedarfsgerecht auffangen, was zu Leistungsverdichtung und Arbeitsintensivierung führt. Dies führt uns zur zweiten Dimension der Flexibilisierung von Arbeit: der Tendenz zur Variabilisierung von Arbeitszeit und -einsatz, die den Zusammenhang von betrieblicher Arbeitskraftnutzung, gesellschaftlicher Normalitätsannahmen der Zeitverwendung und -strukturierung wie auch Dimensionen der alltäglichen und biografischen Lebensführung rekonstituiert. Die Frage der Flexibilität innerhalb der Regulierung und Festlegung der Arbeitszeit bildet nicht erst seit der jüngeren Vergangenheit immer wieder einen Kristallisationspunkt für kontroverse politische Auseinandersetzungen und soziale Kämpfe, sie begleitet vielmehr, wie beispielsweise Pomberger (2005) in einer Rekonstruktion des historischen Verlaufs der Arbeitszeitpolitik und der entsprechenden Interessenlagen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern herausarbeitet, die Entwicklung der
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Erwerbsarbeit seit der frühen Industriegesellschaft bis in die heutige Zeit. Der Begriff „Flexibilisierung der Arbeitszeit“ hat dabei, wie die jüngere Geschichte der Arbeitszeitpolitik zeigt, in den vergangenen 35 Jahren eine Umdeutung erfahren. In den 1970er Jahren wurden mit diesem Begriff von gewerkschaftlicher Seite noch emanzipatorische Hoffnungen auf mehr Zeitsouveränität und damit mehr Lebensqualität für die Beschäftigten durch Arbeitszeitverkürzungen artikuliert und partiell realisiert (beispielsweise die 35-Stunden-Woche). Von einer flexiblen Umverteilung von Arbeit (z.B. durch Teilzeitarbeit) versprachen sich viele wissenschaftliche Beobachter und politische Akteure eine wirksame Bekämpfung der zu diesem Zeitpunkt sich manifestierenden strukturellen Massenarbeitslosigkeit. In den 1980er Jahren wurde die Flexibilisierung der Arbeitszeit von Arbeitgeberseite als Möglichkeit einer flexiblen Gestaltung von Beschäftigungspolitik und eines flexiblen Arbeitseinsatzes redefiniert und damit von einer politischen Forderung in ein Instrument ökonomischer Rationalisierung transformiert (vgl. Hörning u.a. 1990: 36ff.; Jurczyk u.a. 2000). Unter Verweis auf die Kosten- und Standortnachteile im internationalen Wettbewerb wie auch auf die anhaltende strukturelle Arbeitslosigkeit gehen die wesentlichen Impulse einer Flexibilisierung von Arbeit und Arbeitszeiten seit ca. zwanzig Jahren primär von Arbeitgeberseite aus und sind dabei im Wesentlichen auf drei zentrale Ziele ausgerichtet: „Verlängerung von Betriebsnutzungszeiten“, „Variation des Arbeitsvolumens entsprechend der Auslastung und Marktnachfrage“ und „Senkung von Flexibilitätskosten“ (Hielscher 2000: 13). Gegenstand der aktuellen politisch-öffentlichen Diskussion sind nicht mehr Arbeitszeitverkürzungen, sondern eine sich im Zuge massiver Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherungssysteme aktuell abzeichnende Verlängerung der Lebensarbeitszeit sowie eine durch die Anhebung wöchentlicher Regelarbeitszeiten intendierte Senkung von Arbeitskosten. Eine dritte Dimension innerhalb der Flexibilisierung der Arbeit bezieht sich auf die These eines tief greifenden historischen Wandels des Modus betrieblicher Arbeitskraftnutzung und des gesellschaftlichen Zeitarrangements (vgl. Wagner 2000; Kratzer u.a. 2004; Voswinkel/Kocyba 2005). Diese Umbruchdiagnose wird dabei in direktem Zusammenhang mit der These einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, des Normalarbeitstages oder auch einer Entgrenzung von Arbeit und alltäglicher Lebensführung gebracht (vgl. Jurczyk u.a. 2000; Kratzer 2002a). Im Zuge der betrieblichen Restrukturierung der Unternehmens- und Arbeitsorganisation und des durch moderne IuK-Technologien vermittelten technisch-organisatorischen Wandels ist die Tendenz einer weitreichenden Entstandardisierung und Variabilisierung von Dauer, Lage und Verteilung der Ar-
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beitszeit16 unbestritten (vgl. Hielscher 2000). Diese Tendenz zeigt sich im zunehmenden Einsatz von Arbeitszeitkonten, Gleitzeitregelungen und Vertrauensarbeitszeit, aber auch in der verstärkten Nutzung klassischer arbeitszeitpolitischer Instrumente wie Überstunden, Schicht-, Abend- oder Nachtarbeit. Die Variabilisierung und Ausdehnung von Arbeitszeiten bei hoch qualifizierten Angestellten orientiert sich dabei selten an den Flexibilitäts- und Reziprozitätsansprüchen der Beschäftigten bezüglich einer ausgewogenen Balance von Arbeit und Leben. Oft folgt sie den ökonomischen und marktbezogenen Rationalitäten der Betriebe: einer auf Marktschwankungen flexibel reagierenden, nach „Dauer und Zeitpunkt beliebig abrufbare(n) Nutzung der Arbeitskraft“ (Hielscher 2000: 37; vgl. Hildebrandt 2005; Welzmüller 2005). Die Erosion des industriellen Zeitarrangements mit seinen kollektiv regulierten und institutionalisierten klaren Grenzziehungen zwischen Erwerbsarbeit und privater Lebensführung verschiebt die Regelungsebene von den Tarifvertragsparteien auf betriebliche Akteure (vgl. Hielscher 2000; Jurczyk u.a. 2000; Kudera 2000a: 77ff.; Kratzer u.a. 2004). „Das bedeutet, dass im Zuge der Deregulierung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit die Beschäftigten bei der Aushandlung ihrer Arbeitszeiten, der Leistungsvorgaben und der Freizeitentnahme zunehmend auf sich gestellt sind. Zugleich haben die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu den zeitlichen Anforderungen und Vorgaben des Unternehmens ihre familiären Anforderungen und privaten Verpflichtungen in Beziehung zu setzen. Dies ist ein fortwährender Abwägungsprozeß, der die Kompetenz und die Durchsetzungskraft eines individuellen Zeitmanagements erfordert, mit dem die Beschäftigten die Flexibilitätsanforderungen des Betriebs, die Koordination des Privatlebens und die familiären Zeitvorgaben integrieren müssen“ (Hielscher 2000: 37).
Mit dem Rückzug institutioneller Arbeitszeitregelungen wird die Verantwortung einer aktiven und reflexiven Synchronisation und Koordination der unterschiedlichen zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen der Arbeits- und Lebenssphäre individualisiert (vgl. Kudera 2000a; Hildebrandt 2005: 5). Aus der Zunahme an Diskontinuität und Disponibilität von Arbeitszeitmustern und der gleichzeitigen Ausweitung faktischer Arbeitszeiten resultiert jedoch eine abnehmende Planund Berechenbarkeit der Arbeitszeit für das Individuum. Ähnliches gilt auch in diachroner Hinsicht: Auch hier scheint die Basis für Kontinuität und Planbarkeit im Sinne stabiler berufsbiografischer Arrangements und Planungen zunehmend brüchig zu werden, sodass es zu Veränderungen in den erwerbsbiografischen Kompetenzen und Orientierungsmustern kommt (vgl. Kapitel 1.3). Aus einer berufsbiografischen Perspektive stellt sich mit zunehmender Dringlichkeit die Frage, inwieweit auf betrieblicher und subjektiver Ebene Spielräume, Ressour16
Aktuell zeigt sich in Deutschland und Frankreich eine zunehmende Tendenz zur Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit und der Lebensarbeitszeit (vgl. Welzmüller 2005).
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cen und Kompetenzen einer reflexiven Lebensführung und eines nachhaltigen Umgangs mit dem Arbeits- und Leistungsvermögen der Beschäftigten existieren und diese aus Sicht des Managements tatsächlich als „ganze Personen“ angesehen werden oder inwieweit sich eine stärkere Ökonomisierung und Vereinnahmung von Lebenswelt und Person abzeichnet, die das Konflikt- und Überforderungspotenzial auf individueller Ebene erhöhen (Voß 2000a; vgl. Hildebrandt 2005).
1.2.3 Arbeit und Subjektivität: „alte“ und „neue“ Spannungsverhältnisse Die Frage zum Verhältnis von Arbeit und Subjektivität ist ein klassisches, aber nicht immer mit gleich hoher Aufmerksamkeit verfolgtes Thema der arbeits- und industriesoziologischen Diskussion und Forschung. Theoriegeschichtlich verschob sich die Analyseperspektive von zunächst objektivistischen Ansätzen hin zu Konzepten, die die zuvor getrennt betrachteten objektiven und subjektiven Faktoren interaktionistisch fassten, etwa aus sozialisations-, identitäts- oder biografietheoretischer Sicht (Schumm 1988; Krömmelbein 2004: 94). Den Beginn der Forschung markierten Arbeiten, die – vor dem Hintergrund der Industrialisierung und der sich durchsetzenden kapitalistischen Produktionsweise und inspiriert von den Marxschen Kategorien der sozialen Frage und der Entfremdung – die Arbeits- und Reproduktionsbedingungen und die Klassenlage der Produktionsarbeiter untersuchten (vgl. Krömmelbein 2004: 95ff.). Mit den HawthorneStudies (Mayo 1933; Roethlisberger/Dickson 1939) wurde die Bedeutung der Sanktionierung sozialer Normen im Kontext informeller Gruppen für die Leistungserbringung der Beschäftigten entdeckt und somit der subjektive Faktor in die Forschung eingeführt, dem fortan die Human-Relations-Bewegung hohes Interesse entgegenbrachte. Die späten 1960er Jahre waren geprägt von Untersuchungen, die Aspekte politischer und gewerkschaftlicher Orientierung und Teilhabe von Arbeitern, die Wahrnehmung und Bewertung ihrer Arbeitsbedingungen oder spezifische Formen des Arbeiterbewusstseins in den Vordergrund stellten (vgl. Schmiede 1988). Nach Schumm folgten auf wenig fruchtbare Versuche einer „Revitalisierung“ der Marxschen Klassentheorie für die Analyse von Bewusstseinsformen identitätstheoretische und sozialpsychologische Untersuchungen, die auf produktive Weise die Frage nach den „Konstitutionsbestimmungen von Subjektivität“ (Schumm 1988: 3f.) aufgriffen. Aus der intensiven Auseinandersetzung mit alltags- und kultursoziologischen Theorien und diversen Sozialisationstheorien und -forschungen resultierte ein weitgehend geteiltes Verständnis von Subjektivität:
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„Die größere Gruppe von subjektbezogenen Studien operationalisiert Subjektivität als biographisch, soziokulturell und durch aktuelle Erfahrungen vermittelte Deutungs-, Orientierungsoder Handlungsmuster. Mit dem erreichten Stand der Forschung ist die falsche Alternative zwischen Instrumentalismus und Sinngebung der Arbeit ebenso überwunden wie der einseitige Blickwinkel auf die Arbeitserfahrungen“ (ebd., 22).
Der Anfang der 1980er Jahre von Bolte und Treutner (1983) überzeugend vorgetragene Versuch einer Erneuerung der Aufmerksamkeit der arbeitssoziologischen Forschung für das Verhältnis von Arbeit und Subjektivität blieb – abgesehen von wenigen sehr produktiven Arbeiten aus dem Kontext der Münchener Forschung zum Verhältnis von Arbeits- und Lebensführung oder vom Bremer Sonderforschungsbereich „Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf“ – bis heute wenig prägend (vgl. Heinz u.a. 1998; Witzel/Kühn 1999; Kudera/Voß 2000; Schaeper u.a. 2000). Im Zentrum des Konzepts einer subjektorientierten Arbeitsund Berufssoziologie stand der Anspruch, die wechselseitigen Konstitutionsmechanismen und -leistungen von Individuum und Gesellschaft am Gegenstand gesellschaftlicher und sozialstruktureller Aspekte (Berufsarbeit, Arbeitsmarktstrukturen, spezifische Berufe) zu untersuchen. Erkenntnisleitend sollte dabei die Frage sein, wie diese Strukturen auf menschliches Handeln, Denken und Selbstverständnis einwirken und wie diese wiederum auf die Strukturbildung zurückwirken (vgl. Bolte 1983: 14ff.). Bolte argumentiert, dass aus Sicht einer subjektorientierten Soziologie keine einheitliche Prägewirkung auf die betroffenen Subjekte unterstellt werden könne, vielmehr müsse mit unterschiedlichen Handlungs- und Wahrnehmungsmustern gerechnet werden (ebd., 25–28). Letztere Einsicht spielt jedoch in der heutigen Debatte um die Subjektivierung von Arbeit, wie im Folgenden ausgeführt wird, keine herausragende Rolle.
1.2.3.1 Arbeitskraft und Subjektivität zwischen Normativität, Funktionalität und „neuer“ Steuerung Mit Baethges These einer zunehmenden normativen Subjektivierung der Arbeit geriet das Verhältnis von Arbeit und Subjektivität erneut ins Zentrum der arbeitsund industriesoziologischen Debatte (vgl. Baethge 1991). Vor dem Hintergrund der voranschreitenden gesellschaftlichen Modernisierung und wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung innerhalb der hoch entwickelten westlichen Arbeitsgesellschaften seit den 1970er Jahren wurde ein soziokultureller Transformationsprozess konstatiert, durch den ehemals dominante Pflicht- und Akzeptanzwerte durch Selbstentfaltungs- und Selbstbestimmungsansprüche relativiert bzw. erweitert wurden (vgl. Klages 1993; Heidenreich 1996). Im Kontext dieses Wertewandels wurde insbesondere bei den jüngeren Arbeitnehmergruppen mit ho-
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hem Bildungs- und Qualifikationsniveau ein individualistisches, auf persönliche Wertrealisierung, Selbstentfaltung und Qualifikationserwerb zielendes Arbeitsverständnis beobachtet. Baethge (1991) formulierte aus anerkennungstheoretischer Perspektive die These, dass es angesichts des beschriebenen Wandels des Moral- und Wertegefüges von Beschäftigten zu einer Stabilisierung lebensweltlicher Orientierungen und des Eigensinns im Beruf komme, sodass klassische Formen der Loyalitätsbindung und Leistungssicherung durch Karriere und Gehaltsentwicklung ihre traditionelle Prägekraft verlören. Mit zunehmender normativer Subjektivierung von Arbeit komme es zu einem neuen Modus der Identitätsbildung und Vergesellschaftung in und durch Arbeit. In dessen Mittelpunkt ständen nicht mehr ausschließlich materiell-reproduktionsbezogene Interessen, sondern erhöhte Sinn-, Selbstverwirklichungs- und Anerkennungsansprüche wie auch individualistische Identitätskonstruktionen: Arbeit soll Spaß machen, motivierend und kommunikativ sein, Autonomie, Kompetenzerwerb und persönliches Wachstum ermöglichen, Erfahrungen wechselseitiger Anerkennung vermitteln, inhaltlich abwechslungsreich und mit individuellen zeitlichen Bedürfnissen und Lebensstilen vereinbar sein (vgl. ebd.; Keupp u.a. 1999). Ging die These der normativen Subjektivierung und des postmodernen Wertepluralismus – getragen von emanzipatorischen Hoffungen gewachsener Möglichkeiten der Selbstverwirklichung in der Arbeit – von der optimistischen Annahme aus, dass sich mit dem soziokulturellen Wandel auch der Druck auf die Unternehmen erhöht, den gewachsenen Bedürfnissen der Beschäftigten nach Selbstentfaltung und Partizipation in der Arbeit mehr Raum einzugestehen (vgl. Bardmann/Franzpötter 1990; Baethge 1991; Heidenreich 1996), betonen aktuelle Beiträge den primär funktionalen Charakter subjektiver Ansprüche und Orientierungen im Kontext neuer Konzepte der Arbeitsorganisation und Arbeitskraftnutzung (vgl. Moldaschl/Sauer 2000; Moldaschl/Voß 2002; Schönberger/Springer 2003; SubAro 2005). Das auf Werterealisierung und Selbstentfaltung zielende Arbeitsverständnis offenbart nicht nur eine Wahlverwandtschaft mit posttayloristischen Arbeitsformen (vgl. Heidenreich 1996: 40), sondern steht auch für die Betriebe potenziell als entsprechendes Subjektivierungspotenzial der Arbeitskraftnutzung bereit (vgl. Kleemann u.a. 2002). So scheinen die subjektiven Ansprüche an Arbeit mittlerweile in eine Erwartungshaltung des Managements an die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten überführt worden zu sein mit dem Effekt, dass die auf das Marxsche Entfremdungstheorem zurückgreifende Kritik an der kapitalistischen Rationalisierung und an den tayloristischen Kontrollstrukturen samt ihrer normativen Grundlagen ins Leere zu laufen droht (vgl. Kocyba 2000, 2005; Schönberger/Springer 2003). Neben dieser Verkehrung normativer Ansprüche und Forderungen in Leistungsanforderungen an Beschäftigte seitens des Managements werden auch Veränderungen des funktionalen Status des an
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Subjektivität gebundenen Arbeitsvermögens im Arbeitsprozess diskutiert. Mit den Restrukturierungen des kapitalistischen Unternehmens gerieten nicht nur der tayloristisch-bürokratische Rationalisierungsmodus, sondern auch die fordistische Gesellschaftsformation mit ihren sozialstaatlichen Sicherungssystemen in eine tiefe Krise mit folgenreichen Konsequenzen für Funktion, Status und Reproduktion der Ware Arbeitskraft und des an Subjektivität gebundenen Arbeitsvermögens (vgl. SubAro 2005). Die neuere Subjektivierungsdebatte postuliert einen historischen Formwandel innerhalb der manageriellen Kontrolle und Steuerung des Arbeitsprozesses und des Zugriffs auf Arbeitskraft. Der auf Anweisung und Erledigung sowie auf engmaschigen Kontrollen basierende bürokratische Führungsmodus und das taylor-fordistische Rationalisierungsmodell fungieren hierbei als negative Referenzpunkte, um eine historisch neue Stufe der Nutzung von Arbeitskraft zu bestimmen (vgl. Voß/Pongratz 1998; Moldaschl 2002c; Kratzer u.a. 2004; Kocyba 2005). Sowohl das taylor-fordistische Modell der Arbeitskraftnutzung als auch das bürokratische Organisationsmodell zielten, so die gängige Argumentation, primär auf eine mehr oder weniger vollständige Fragmentierung und Standardisierung lebendiger Arbeit und eine damit einhergehende Ablösung des Arbeitsvermögens von der Person (vgl. Deutschmann 1989; Sauer 2005). Subjektivität, Erfahrungswissen oder auch intrinsischberufliche Motive galten während dieser Phase betriebsoffiziell als durch hierarchische Kontroll- und Anweisungsstrukturen beherrschbare oder in den Bereich der Lebenswelt zu verbannende Störgrößen (vgl. Voswinkel/Kocyba 2005). Betriebsinformell jedoch wurden kreative und eigenständige Leistungen der Mitarbeiter, die auf normabweichender „Selbsttätigkeit“ und Erfahrungswissen beruhen, aufgrund der Indeterminiertheit des Arbeitsprozesses als kompensatorisches oder aktiv strukturierendes Komplement technisierter Arbeit insgeheim geduldet (Wolf 1999: 78ff; vgl. Kocyba 1999; Kleemann u.a. 2002; Schönberger/Springer 2003; Wagner 2005). Typische Merkmale dieses Rationalisierungsmodus und der damit einhergehenden Gesellschaftsformation waren die strikte Trennung zwischen Person und Stelle, Arbeit und Leben, Arbeitskraft und Subjektivität sowie der nahezu „vollständige Ausschluss der Produzenten aus den Planungs-, Konstruktions-, Dispositions- und Kontrollfunktionen“ (Kocyba 2000: 127). Mit der Herausbildung eines postfordistischen Modells der Arbeitsund Unternehmensorganisation vollzieht sich nun, so die Argumentation eines Großteils der Beiträge, eine explizite Gegenbewegung zu dem bis dahin dominanten Führungs- und Rationalisierungsmodus. Die an menschliche Subjektivität gebundenen Fähigkeiten wie Einsatzflexibilität, kommunikative und reflexive Kompetenzen und Selbstorganisation werden nun nicht mehr bloß informell geduldet, sondern erhalten den Status einer explizit eingeforderten und betrieblich umfassend zu verwertenden Ressource arbeitsorganisatorischer Dezentrali-
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sierung, Vermarktlichung und Flexibilisierung (vgl. Flecker 1998: 217ff.; Bröckling 2000; Kocyba 2000; Moldaschl/Sauer 2000; Schönberger/Springer 2003; Sauer 2005: 53ff.). Die postulierte neue Rationalität der Arbeitskraftnutzung (im Bereich qualifizierter Arbeit) richtet sich zunehmend auf die ganze Person und ihr Subjektivitäts- und Flexibilitätspotenzial. Über die weitgehend selbstständige Organisation und Erledigung ihrer Arbeit werden neue, erweiterte Arbeitsanforderungen erzeugt, deren Bewältigung an die Mobilisierung bislang nicht ausgeschöpfter Leistungs- und Subjektivitätspotenziale (wie sozialkommunikative Kompetenzen, Begeisterungsfähigkeit, zeitlich-räumliche Flexibilität oder Kreativität) seitens des Beschäftigten gebunden ist (vgl. Moldaschl/Sauer 2000; Kleemann u.a. 2002: 67f.; Kratzer u.a. 2003). Subjektivität erscheint aber nicht nur als ein willkommener Beitrag im Rationalisierung- und Reorganisationsprozess (im Sinne der Steigerung von Effizienz- und Leistung), sondern weiterführend auch als wertvolle und wettbewerbsrelevante Ressource, die es im Kontext einer zunehmenden Entgrenzung betrieblicher Leistungs- und Flexibilitätsanforderung an Arbeitskräfte systematisch zu entfalten und zu nutzen gilt. Der vor diesem Hintergrund postulierte „historische Bedeutungsgewinn von Subjektivität“ im Kontext von Arbeitsorganisation und individuellem Arbeitshandeln führt zu einem begrifflichen Verständnis von Subjektivierung, das die Prozesse der Intensivierung und Synchronisierung des Wechselverhältnisses von „Person und Betrieb“ in den Blick nimmt (Kleemann u.a. 2002: 57f.). Subjektivierung kann folglich definiert werden „als wachsende Chance, aber auch als doppelter Zwang, nämlich erstens, mit ‚subjektiven‘ Beiträgen den Arbeitsprozess auch unter ‚entgrenzten‘ Bedingungen im Sinne der Betriebsziele aufrechtzuerhalten; und zweitens, die eigene Arbeit viel mehr als bisher aktiv zu strukturieren, selbst zu rationalisieren und zu ‚verwerten‘“ (Moldaschl/Voß 2002: 14). Die für den Taylorismus und Fordismus lange Zeit gültigen Grenzziehungen zwischen Arbeitskraft und Person, zwischen objektivem und subjektivem Arbeitsvermögen, zwischen Arbeitgeber und Unternehmer, zwischen Arbeit und Leben verwischen im Kontext moderner Organisationskonzepte zunehmend und erzeugen neuartige Ambivalenzen und Widersprüche, mit denen Beschäftigte heute unmittelbar konfrontiert sind (vgl. Voswinkel/Kocyba 2005). Aus einer identitäts- und anerkennungstheoretischen Perspektive auf die am Gegenstand moderner Arbeitsformen und Arbeitskraftnutzungsstrategien zu beobachtenden Inkorporierung subjektiver Ansprüche auf subjektive Entfaltung und Betätigung formuliert Wagner die instruktive Frage: „Welche Folgen für die Beschäftigten hat es eigentlich, wenn der selbstbewusst vorgetragene Anspruch auf Kreativität zu einer normativen Erwartung von Organisationen an ihre Mitglieder wird? Was bleibt von dem emanzipatorischen Kampf um Selbstbestimmung übrig, wenn Selbstbestimmung zur expliziten betrieblichen Anforderung wird, die sogar schon in Stellen-
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ausschreibungen nach dem Motto ‚Sie wissen, was sie zu tun haben!‘ und solchermaßen zur betrieblichen Standarderwartung wird?“ (Wagner 2005: 166).
Aufgrund der traditionell starken Fokussierung der Arbeits- und Industriesoziologie auf Produktionsarbeit und die Klasse der Arbeiter wird bis in die heutige Debatte um die Subjektivierung von Arbeit fast durchgängig übersehen, dass der taylor-fordistische Rationalisierungsmodus sowie bürokratisch rigide Kontrollformen keineswegs die gesamte Breite abhängiger Erwerbsarbeit prägten. Forschungen zu den Arbeitsbedingungen und -orientierungen hoch qualifizierter Angestellter konnten nachweisen, dass Dispositions- und Handlungsspielräume und ein privilegierter innerbetrieblicher Status mit guten Karriere- und Einkommenschancen bis in die 1990er Jahre hinein konstitutive Merkmale eines auf Vertrauen basierenden Austauschverhältnisses mit dem Management waren, das im Gegenzug Loyalität und eine entsprechend hohe Leistungs- und Flexibilitätsbereitschaft von seinen Angestellten erwartete (vgl. Friedman 1977; Littek/Heisig 1986; Baethge u.a. 1995; Kotthoff 1997; Kels 2002; Kalkowski 2004). Dieser Führungsmodus korrespondierte in hohem Maße mit dem professionellen Selbstverständnis und den normativen Ansprüchen der Angestellten (vgl. Kotthoff 1997). Übertragen auf die heutige Diskussion um die Subjektivierung von Arbeit bedeutet dies, dass die betriebsoffizielle Anerkennung und funktionale Aufwertung der Subjektivität im Bereich der Produktionsarbeit, nicht aber im Bereich hoch qualifizierter Angestelltenarbeit etwas historisch Neues darstellt. Allerdings sind gerade in den qualifizierten und hoch qualifizierten Tätigkeitsbereichen massive Tendenzen der Flexibilisierung, Intensivierung und Vermarktlichung wissensbasierter Arbeit zu verzeichnen (ablesbar am wachsenden Zeit-, Kosten- und Effizienzdruck), die einen entgrenzten Zugriff auf das Arbeitsvermögen der Beschäftigten in Aussicht stellen und zugleich zu einer erheblichen erwerbsbiografischen Verunsicherung dieser vormals privilegierten Gruppe beitragen. Im Folgenden werden die Veränderungen der Arbeitsbedingungen hoch qualifizierter Angestellter im Großunternehmen eingehender beleuchtet. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Wandel des Führungs- und Koordinationsmodus, wie er sich mit der Etablierung von Projektarbeit vollzogen hat, die ihrerseits als Paradebeispiel subjektivierter, flexibilisierter und vermarktlichter Arbeit gilt (vgl. Pongratz/Voß 2003a; Kalkowski 2004; Kratzer 2004). Die Restrukturierungen der Unternehmens- und Arbeitsorganisation sind nicht ohne Folgen für die im mittleren Management und als betriebliche Experten eingesetzten hoch qualifizierten Angestellten geblieben, denn sie haben einen tief greifenden Wandel des Status und der Rolle dieser lange Zeit als besonders privilegiert geltenden Gruppe bewirkt. Sowohl mit der Umsetzung von Strategien des Lean Management und Outsourcing als auch mit der zunehmenden Aus57
richtung von Organisationsstrukturen an Geschäftsprozessen wurden betriebliche Führungskräfte in ihrer Geschichte erstmalig Opfer eines breitflächigen betrieblichen Rationalisierungshandelns. Neben dem Personalabbau (z.B. durch Frührente, Entlassung, Aufhebungsvertrag) verengten sich im Zuge der Abflachung von Hierarchieebenen und der Neuordnung der funktionalen Organisation durch eine stärker prozess-, produkt- und geschäftsbezogene Organisation die Aufstiegswege deutlich. Die Knappheit adäquater, Status und Entwicklungsmöglichkeiten eröffnender Führungspositionen führte zu einer Krise des klassischen Karrieremodells. Dieses stiftete lange Zeit erwerbsbiografische Orientierung und Leistungsmotivation durch das latente Versprechen eines hierarchischen Aufstiegs (in Deutschland typischerweise in Gestalt einer „Kaminkarriere“17), das angesichts stabiler Laufbahnstrukturen glaubwürdig schien (vgl. Faust 2002). In der Folge stellten sich massive Verunsicherungen der hoch qualifizierten Angestellten bezüglich ihrer Zukunft im Betrieb ein (vgl. Dörre 1997; Kadritzke 1997; Kotthof 1997; Deutschmann 2001; Faust 2002).18 Lag die Aufgabe der mittleren Manager des funktional integrierten Unternehmens darin, als fachlicher und sozialer Puffer zwischen Management und Beschäftigten bzw. Organisation und Umwelt zu agieren und entsprechende in- und externe Störungen des Arbeitsprozesses abzufangen (vgl. Walgenbach 1993; Walgenbach/Kieser 1995), wurden im Zuge vom Lean Management entsprechende „slacks“ abgebaut bzw. entsprechende Aufgaben, Entscheidungsbefugnisse und Verantwortung an dezentrale Einheiten und Akteure verlagert. Damit gingen nicht nur eine Entbürokratisierung im Sinne eines Abbaus von Hierarchieebenen und Managementpersonals einher, sondern oftmals auch Wissensverluste sowie ein erhöhter Kommunikations- und Koordinationsbedarf auf der operativen Ebene (vgl. Jürgens 1999). Entstandene Verluste an Wissensträgern und Innovationskraft als auch die Kommunikations- und Kontrollfunktion des mittleren Managements sollen nun im Rahmen selbstorganisierter Teams und Arbeitsgruppen bzw. funktionsübergreifender Projekte kompensiert werden (vgl. Dörre 1997; Faust 2002). Deutschmann beschreibt in diesem Zusammenhang die Konsequenzen für die Rolle der mittleren und unteren Führungskräfte: 17 Walgenbach und Kieser (1995) haben Funktion und Karrierewege mittlerer Manager in Deutschland und Großbritannien verglichen. Ihre empirischen Untersuchungen zeigen, dass die deutschen Manager im Rahmen einer vertikal integrierten und funktional spezialisierten Organisation sehr lange in einzelnen Positionen verweilen und die Karriere fast ausnahmslos innerhalb eines Fach- und Funktionsbereiches verläuft (sogenannte Kaminkarriere), während britische Manager recht häufig ihre Position und den Fach- und Funktionsbereich wechseln. 18 Insgesamt verzeichnen Deutschmann (2001) und Faust (2002) eine zunehmende „soziale Differenzierung“ der mittleren Manager und Führungskräfte in Modernisierungsgewinner und -verlierer: So wurden zum Beispiel durch vorzeitige Pensionierungen älterer Führungskräfte für den Führungskräftenachwuchs neue Karriereoptionen eröffnet.
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„Das gesamte Managementgefüge wurde umgewälzt, indem Hierarchien verkürzt, Kompetenzen nach unten delegiert, indirekte Funktionen in die operativen Prozesse zurückverlagert wurden. Funktional integrierte traten an die Stelle der bisherigen funktional differenzierten Subsysteme. [...] Zahlreiche Führungspositionen wurden damit überflüssig“ (Deutschmann 2001: 71).
In diesem Prozess, der durch die zunehmende Kapitalmarktorientierung großer deutscher Unternehmen und den Bedeutungsgewinn der Unternehmensberater flankiert wurde (vgl. ebd.), veränderten sich insbesondere die Leitvorstellungen der Rolle des Managements grundlegend. Während der Top-Manager „international, kapitalmarktorientiert, kommunikationsstark und ‚unternehmerisch‘ sein (oder erscheinen)“ soll, wird vom oberen und mittleren Manager die Rolle des „internen Unternehmers“ erwartet (Faust 2002: 82). Mit dem Leitbild des internen Unternehmers, das insbesondere bei jüngeren Führungskräften mittlerweile eine hohe Identifikationskraft besitzt, scheint sich das deutsche Karrieremuster mit seinen spezifischen Anforderungen an die Fachkompetenz der Führungskräfte und an geringe organisationale Mobilität allmählich dem angelsächsischen Modell anzugleichen, für das der Erwerb unternehmerischer und generalistischer Kompetenzen im Rahmen einer Rotation zwischen Funktionen und Geschäftsbereichen typisch ist (vgl. Walgenbach 1993; Walgenbach/Kieser 1995; Faust 2002). Über das gestiegene Maß an unternehmerischer Verantwortung hinaus hat sich insbesondere das Verständnis von Personalführung massiv verändert: Die Führungskraft erscheint nun – bezogen auf den Arbeitsprozess – als sozial kompetenter „Moderator der Selbstorganisation“ (ebd., 82), der sich für eine lernförderliche Gestaltung von Arbeitssystemen verantwortlich fühlt, und zugleich als Coach, der die Bereitschaft zur Entwicklung selbstreflexiver Kompetenzen bei seinen Mitarbeitern fördert und damit einen Beitrag zum Aufbau einer von den Mitarbeitern akzeptierten Feedback- und Leistungskultur liefert (vgl. Baethge/Schiersmann 1998; Kühl 2001; Webers 2001; Berthel 2002; Touet 2002; Weißbach 2002). Dieser umfassende Rollenwandel der Führungskraft soll beschleunigt werden durch eine weit reichende Dezentralisierung der Verantwortung, Aufgaben und Kompetenzen für PE und Weiterbildung. Wie weit dieser Rollenwandel in den Unternehmen fortgeschritten ist bzw. ob die Führungskräfte über entsprechende soziale, kommunikative und pädagogische Kompetenzen verfügen, ist allerdings unklar und wird im Rahmen der in Kapitel 3 dargestellten Betriebsfallsstudie exemplarisch untersucht. Anstelle des für die hierarchisch-bürokratische Organisation klassischen Führungsmodells von Anweisung und Kontrolle setzt sich – komplementär zum beschriebenen Rollen- und Funktionswandel der Führungskraft – insbesondere in Arbeitsformen wie teilautonomer Gruppenarbeit und Team- und Projektarbeit ein neuartiger Kommunikations- und Koordinationsmechanismus durch, mit dem
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die Handlungspotenziale und Selbstorganisationsfähigkeiten der Arbeitskraft rehabilitiert und einer erweiterten betrieblichen Nutzung zugänglich gemacht werden sollen (vgl. Schumm 1999; weiterführend Kapitel 1.2.3.1). An die Stelle autoritativer und restriktiver Kontrolle tritt eine diskursive, partizipative und ergebnisorientierte Führung, die den Beschäftigten Spielräume einer selbstorganisierten Arbeitserledigung im Rahmen definierter Zielvorgaben oder der Orientierung an abstrakten ökonomischen Kennziffern einräumt (vgl. Kocyba 1999; Kocyba/Vormbusch 2000; Schönberger/Springer 2003). Die mit den Begriffen „Subjektivierung“, „Flexibilisierung“, „Vermarktlichung“, „Wissensbasierung“ und „Entgrenzung von Arbeit“ verbundenen Veränderungstendenzen innerhalb der Betriebs- und Arbeitsorganisation großer Unternehmen finden einen zentralen empirischen Bezugspunkt in projektförmig organisierter Arbeit. Die sich vor dem Hintergrund der Restrukturierung der Unternehmens- und Arbeitsorganisation rasch ausbreitende Projektarbeit ist ein Paradebeispiel hochgradig ambivalenter und widersprüchlicher Entwicklungstendenzen (hoch) qualifizierter und wissensbasierter Arbeit. Einerseits scheinen wichtige klassische Maßstäbe „guter Arbeit“ verwirklicht (wie z.B. eine Ausweitung von Handlungs-, Partizipationsund Entscheidungsspielräumen von Beschäftigten innerhalb der Arbeit), andererseits gehen diese Spielräume für Selbstorganisation oder Selbststeuerung mit neuen Mustern ökonomischer und organisatorischer Verantwortungszuschreibung und einer potenziell entgrenzten Leistungsverausgabung einher (vgl. Hielscher 2000; Kratzer u.a. 2003; Kalkowski 2004). Im Folgenden werden zentrale Elemente eines vor allem in der Projektarbeit identifizierbaren „neuen“ Führungs-, Kommunikations- und Rationalisierungsmodus benannt und in knapper Form besprochen. Zunächst einmal ist jedoch eine Klärung des Begriffs „Projektarbeit“ sinnvoll. Unter Projektarbeit werden im Rahmen dieser Arbeit Formen einer flexiblen und temporär befristeten Zusammenarbeit von Experten oder Spezialisten unterschiedlicher Aufgaben- und Fachgebiete verstanden, die ihre Kompetenzen und Kenntnisse in eine Gruppe einbringen, um komplexe, begrenzt routinierbare und hinsichtlich ihres Erfolgs risikoreiche Aufträge oder Probleme zu lösen. Projektmitarbeiter sind dabei oftmals in über formale Weisungsbeziehungen hinausgehende unternehmensinterne und -externe Abhängigkeits- und Kooperationsbeziehungen eingebunden (vgl. Kalkowski 2004; Gerlmaier/ Latniak 2005; Latniak u.a. 2005). Die Kernmerkmale dieses neuen Steuerungs- und Führungsmodus bestehen in der Komplementarität erweiterter Spielräume operativer Selbstorganisation und neuer Formen quasi-unternehmerischer Verantwortung. Sie zielen auf die Mobilisierung bislang unerschlossener bzw. betrieblich zuvor nur begrenzt nutzbarer Flexibilitäts- und Leistungspotenziale der Person.
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Mit der Modularisierung und Flexibilisierung betrieblicher Wertschöpfungsketten werden Entscheidungskompetenzen und Führungsverantwortung an operative Unternehmensbereiche, die in Gestalt von Profit- oder Cost-Centern ihrerseits managerielle Aufgaben (der Koordination, Innovierung und Rationalisierung der Arbeit) erbringen sollen, verstärkt auf die in Gruppen- und Projektarbeit tätigen Mitarbeiter übertragen (vgl. Moldaschl 1997; Wolf 1999: 143f.; Schumm 1999: 173; Krömmelbein 2004: 156f.). Die damit einhergehenden Tendenzen einer Reintegration planender und ausführender Aufgaben führen zu einer Ausweitung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen der Beschäftigten und zu einem Bedeutungsgewinn der für eine Selbstorganisation notwendigen sozialen, kommunikativen, organisatorischen und auf Erfahrungswissen basierenden Handlungskompetenzen (vgl. Kocyba 1999; Schumm 1999; Krömmelbein 2004: 9, 12). Anspruchsvolle Aspekte der Handlungskompetenz (z.B. intellektuell-analytische Fähigkeiten im Umgang mit Wissen, Unsicherheit und betrieblichen Problemstellungen, sozial-kommunikative, kooperationsbasierte und kalkulativ-methodische Kompetenzen) werden zu einer zentralen Voraussetzung für ein Funktionieren markt- und wissensbasierter Formen indirekter Selbststeuerung, wie sie für Projektarbeit typisch ist (vgl. Sauer/Döhl 1996; Jürgens 1999; Schmiede 1999; Schumm 1999; Kurz 2000; Vormbusch 2002a). Beruhte das taylor-fordistische Rationalisierungsmodell noch auf einer „weitgehenden Abschottung der Produktionsökonomie von der Marktökonomie“ (Kratzer u.a. 2003: 6), nutzt das dezentralisierte und vermarktlichte Unternehmen die neue Unmittelbarkeit des Marktes, deren Unbestimmtheiten und Kontingenzen als zentrales Organisationsprinzip. Mit der Einführung von Konzepten der indirekten Steuerung stehen die Beschäftigten unmittelbar vor der Aufgabe, diese Unbestimmtheit im Kontext individuellen und kollektiven Arbeitshandelns (z.B. im Rahmen von Gruppen- und Projektarbeit) zu bewältigen. Damit geht allerdings – wie innerhalb der Diskussion mit vielfältigen, paradox anmutenden Begriffen: „kontrollierte Autonomie“, „Herrschaft durch Selbstbeherrschung“, „fremdorganisierte Selbstorganisation“, belegt wird – keinesfalls ein Abbau managerieller Kontrolle, sondern ein transformierter Kommunikations-, Koordinations- und Führungsmodus von Arbeit einher (vgl. Wolf 1999; Moldaschl/Sauer 2000; Kühl 2001; Glißmann 2002; Kratzer 2003). Instrumente des New Management Accountings wie Zielvereinbarungen, Kennziffern, ABC- oder Target-Costing, Benchmarks und Budgetierungen zielen sowohl auf die „Steuerung und Kontrolle organisationsinterner Prozesse“ (Vormbusch 2006: 144) als auch auf die Konstruktion unternehmerisch handelnder Subjekte im Betrieb und sollen sicherstellen, dass die Akteure der Selbstorganisation betriebswirtschaftlich verantwortlich und effizient handeln (vgl. Glißmann 2001). Konzentrierte sich das klassische Accounting der taylor-
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fordistischen Ära primär auf engmaschige Kontrollen von Management und Beschäftigten zur Vermeidung opportunistischer Verhaltensweisen und einer Verbesserung organisationaler Effizienz, vollzieht sich mit dem Aufkommen des New Management Accountings in den 1980er Jahren ein Wandel im Kontrollverständnis sowie eine Ausweitung der Zielgruppen des Controllings. Im Zuge einer Demokratisierung des Accountings soll dem Anspruch nach „jeder Beschäftigte [...] sein eigener Controller werden“ und seinen eigenen Beitrag zur Steigerung des betrieblichen Wertschöpfungsprozesses kontinuierlich hinterfragen (Vormbusch 2006: 146–157). Die Instrumente des New Management Accountings sind nach Vormbusch nicht einfach reale Prozesse oder ökonomische Bewegungen in einem positivistischen Verständnis, sondern erzeugen eine hoch artifizielle „Realitätsebene eigener Art“: „Sie implizieren die sukzessive Transformation eines Handlungsfeldes im Lichte der durch die Kennziffern induzierten Optimalitäts- und Rationalitätsvorstellungen“ (ebd., 148; Hervorhebung im Original). Insbesondere auf der Ebene der Projektsteuerung, aber auch im Kontext von Personalführung und individueller Leistungsbewertung dienen dabei Zielvereinbarungen als zentrales Steuerungs- und Bewertungsinstrument: „Wissens- und Projektarbeit wird ergebnisorientiert koordiniert, kontrolliert und kontraktualisiert. Das zentrale Instrument dafür ist das Management by Objectives (MbO). Mit diesem auf Kennzahlensystemen beruhenden hochformalisierten Steuerungsinstrument werden die Kosten, Qualitäts- und Zeitziele der Projekte definiert, kommuniziert und kontrolliert“ (Kalkowski 2004: 104).
Innerhalb dieses neuartigen Modus zahlenbasierter Handlungskoordination und Leistungssteuerung lässt sich eine weitreichende Verlagerung eines Teils der vormals manageriellen Verantwortung für Kosten, Erträge, Einhaltung von Lieferterminen bzw. Erfüllung von Leistungs- und Zielvorgaben auf die Beschäftigten beobachten. Orientierte sich der klassische Arbeitsvertrag an einem Zeitmaß, innerhalb dessen der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Leistungsbereitschaft zur Verfügung stellt, erfolgt die Bewertung der Arbeitsleistung nun am Ergebnis, nicht mehr am zeitlichen Aufwand oder an individuell erbrachten Anstrengungen (vgl. Voswinkel 2000; Kalkowski 2004: 105). Von abhängig Beschäftigten wird heute in zunehmendem Maße die Übernahme von Kosten-, Prozess- und teilweise auch Ergebnisverantwortung erwartet. Erweiterte Handlungs- und Entscheidungsspielräume sollen dabei verantwortlich im Sinne vereinbarter Ziele genutzt werden. Vor dem Hintergrund ökonomischer, institutioneller, marktbezogener und mikropolitischer Anforderungen sollen Beschäftigte im Arbeitshandeln ihr subjektives Arbeitsvermögen „freiwillig“ und selbsttätig mobilisieren (vgl. u.a.
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Moldaschl 1998; Kocyba 1999; Schmiede 1999; Kocyba/Vormbusch 2000).19 Im Rahmen eines marktorientierten Leistungsmanagements sind Beschäftigte nicht mehr nur für die Sicherstellung des Gebrauchswerts (Funktionalität, Qualität) ihrer Arbeitsprodukte, sondern auch für den Verwertungsaspekt (Kosten einer Tätigkeit) zuständig, was zu einer massiven Ausweitung der Leistungsanforderungen führt (vgl. Ehlscheid 2001; Glißmann 2001; Latniak u.a. 2005). Im Kontext dieser indirekten Steuerung werden engmaschige Kontrollen und Steuerungsmechanismen zwar durch die Delegation von Spielräumen zur selbstorganisierten Arbeitserledigung und die Produktion unternehmerischer Verantwortung ersetzt, aber dies führt nicht zu einem Autonomiegewinn. Die zu einer termintreuen Leistungserbringung notwendigen zeitlichen, technischen, ökonomischen oder personellen Ressourcen sind durch die Projektmitarbeiter häufig kaum mobilisierbar, da diese im Rahmen in- oder externer Preis- oder Verrechnungsabsprachen vorab vertraglich fixiert werden und die Beschäftigten mit einem enormen Leistungs- und Termindruck konfrontieren. Der Arbeitnehmer in Projektarbeit ist demnach kein Unternehmer, sondern ein interner Auftragnehmer, der sich zunehmend mit entgrenzten Leistungsanforderungen des Betriebs oder der Kunden bei stagnierender bis abnehmender Ressourcenausstattung konfrontiert sieht und die daraus erwachsenden Unbestimmtheiten und Widersprüchliche durch improvisatorisches Handeln bewältigen muss (vgl. Kratzer 2003: 87ff., 112ff.; Latniak u.a. 2005).
1.2.3.2 Ideologische Subjektivierung: Gegenwärtige Technologien der Führung und Aktivierung des Selbst Ein weiterer Diskussionsstrang der Subjektivierungsthese unternimmt – ausgehend von Foucaults Arbeiten – den Versuch einer Analyse der historischkontingenten Formen einer Durchdringung sozialer Sphären durch ökonomische Prinzipien und der ideologischen Fabrikation von Individualität und Subjektivität im Kontext neoliberaler Diskurse und Machttechnologien. Insbesondere im angelsächsischen und deutschen Sprachraum finden sich zahlreiche Beiträge zu Erneuerung einer Kontroll- oder Herrschaftstheorie mit Mitteln der foucaultschen Machttheorie (vgl. Townley 1994, 1998; Bröckling u.a. 2000; Aleves19 Mit Konzepten arbeitsorganisatorischer Dezentralisierung geht sowohl eine Aufwertung von DVTechnologien als auch ein Wandel im Kommunikationsmodus einher: An die Stelle direkter Anweisung tritt die Übermittlung von Informationen „in Gestalt von Mitteilungen, Schaubildern, Kennziffern, Budgets“, die von den Mitarbeitern „vor dem Hintergrund von Zielvereinbarungen, Rahmenvorgaben, allgemeinen Betriebszielen oder bestimmten akzeptierten Werten der Firmenkultur“ durch eigene Interpretation in Handlungsaufforderungen übersetzt werden (Kocyba 1999: 102ff.).
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son/Wilmott 2002; Gerst 2002; Moldaschl 2002a; Vormbusch 2002b; Optiz 2004). In der Diskussion werden zeitgenössische Strategien und Techniken einer Lenkung unternehmerischer Bewusstseinsformen und identitätsrelevanter Anrufungspraktiken in der Produktion ökonomisch nützlich und profitabel handelnder Subjekte in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern (Medizin, Therapiewesen, Unternehmen, Arbeitsmarktpolitik etc.) untersucht. Bevor im Folgenden einige dieser Thesen exemplarisch vorgestellt werden, erfolgt zunächst eine knappe Einführung in zentrale Begriffe der foucaultschen Machtanalyse. Das foucaultsche Verständnis der Genese von Subjektivität und der Analyse von Machtverhältnissen unterscheidet sich in grundlegender Weise von den Konzeptionen des älteren arbeits- und industriesoziologischen Diskurses zum Verhältnis von Arbeit und Subjektivität wie beispielsweise kontrolltheoretische oder auch interaktionistische Arbeiten einer subjektorientierten Arbeits- und Berufssoziologie oder der beruflichen Sozialisationstheorie (vgl. Bolte/Treutner 1983; Schumm 1988; Hoff u.a. 1991; Heinz 1995; Lempert 2002). Im Gegensatz zur kontrolltheoretischen Debatte in der Arbeits- und Industriesoziologie (vgl. Hofbauer 1993; Schienstock 1993) konzipiert Foucault Macht nicht als dualistisch im Sinne einer Gegenüberstellung von Management und Beschäftigten als Herrscher und Beherrschte oder einer Polarisierung von Machtausübung und Widerstandspraktiken (vgl. Gerst 2002). Foucaults Verständnis des Subjekts steht einer interaktionistischen Sicht diametral entgegen und folgt einer Formungsthese. Das Subjekt wird nicht mehr als potenziell autonom, aus sich heraus seiend und kohärent, sondern als in performative Machtverhältnisse verstrickt gedacht. Erst durch die gesellschaftlichen und institutionellen Machtverhältnisse und -mechanismen wird das Subjekt als solches konstituiert (vgl. Foucault 1994; Butler 2001; Paulus 2001; Gehring 2002; Moldaschl 2002a; Rau 2005). Foucaults genealogisches Forschungsinteresse richtete sich ab den 1970er Jahren auf die kulturellen Praktiken, in denen Macht und Wissen ineinander verwoben sind und durch die „Menschen zu Subjekten gemacht werden“ (Foucault 1994: 243). Diskurs, Sexualität und Körper stellen dabei zentrale Topoi einer Macht dar, deren Wirkungsweise Fink-Eitel als „überschreitende Durchdringung – und nicht einfach Subsumtion, Repression oder Herrschaft“ (Fink-Eitel 1980: 43) beschreibt. Am Gegenstand der Disziplinen analysierte Foucault diverse kulturelle Praktiken, die das Subjekt zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung machen und so die Akkumulation von „Macht-Wissen“ über die Person ermöglichen. Wird dieses Macht-Wissen mit Techniken der Fremd- und Selbstdisziplinierung und Normalisierung (unter anderem Belohnungs- und Bestrafungsregelungen) kombiniert, ist nach Foucault eine weitreichende Formung des Subjekts im Hinblick auf dessen Nützlichkeit und Funktionalität möglich (vgl. Dreyfus/Rabinow 1994: 225ff.). Foucaults Analyse des Panoptikons in „Überwachen
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und Strafen“ (1977) hebt das Produktiv- und Unsichtbarwerden der Disziplinarmacht hervor: Ihre spezifische Rationalität besteht darin, indirekt auf das Handeln eines beobachteten Subjekts einzuwirken. Ein wesentlicher Aspekt moderner Machtausübung liegt dabei in der Umkehrung ihrer Sichtbarkeit: „Während in monarchischen Regimes dem Souverän die größte Sichtbarkeit zukam, werden in den Institutionen der Bio-Macht diejenigen, die es zu disziplinieren, zu beobachten und zu verstehen gilt, am stärksten sichtbar gemacht“ (Dreyfus/Rabinow 1994: 223).
Ziel der Machtausübung ist nun nicht mehr die Unterwerfung des Subjekts, sondern die Anerkennung und Erhaltung seiner Handlungsfähigkeit, die Steigerung seiner Nützlichkeit, die Entfaltung seiner Kräfte, ein sparsamer Einsatz von Machtmitteln etc. (vgl. Foucault 1977: 257ff., 1994; Dreyfus/Rabinow 1994; Vormbusch 2002b). Die „produktiven“ Techniken der Macht, die die Individualität des Subjekts konstituieren und dessen Verhaftetsein an seine Identität bewirken, nennt Foucault auch „Subjektivierung“ (Foucault 1994: 247). Einsatz und Wirkungsweise dieser Subjektivierungstechniken lassen sich nicht einfach aus gesellschaftlichen oder ökonomischen Strukturen und Prozessen (z.B. Produktivkräfte, Klassenkonflikte, ideologische Strukturen) ableiten, obgleich sie eng mit den Strukturen und Mechanismen der Herrschaft verkoppelt sind. Die individualisierende und zugleich totalisierende Macht des modernen Staates besteht nach Foucault in der Nutzung einer neuartigen Pastoralmacht. Im Zuge der Institutionalisierung des Christentums breitete sie sich über die Kirche hinaus auch auf andere gesellschaftliche Institutionen, wie z.B. Schulen, Betriebe oder Krankenhäuser, aus und richtete sich auf die Produktion von „Wahrheit“ im Sinne der Sammlung von Wissen über das Individuum: „Man kann diese Form von Macht nicht ausüben, ohne zu wissen, was in den Köpfen der Leute vor sich geht, ohne ihre Seelen zu erforschen, ohne sie zu veranlassen, ihre innersten Geheimnisse zu offenbaren. Sie impliziert eine Kenntnis des Gewissens und eine Fähigkeit, es zu steuern“ (Foucault 1994: 248).
Foucaults Begriff „Gouvernement“ (im Deutschen „Regierung“) belegt den Punkt, an dem sich Fremd- und Selbsttechnologien der Führung und Formung im Sinne einer Einflussnahme auf Motive und Ziele, Handlungsorientierungen und Selbstverständnis freier Subjekte20 ineinander verschränken (vgl. Lemke/Krasmann/Bröckling 2000: 29). Machtverhältnisse nehmen hier weder eine 20
Foucault hebt hervor, dass sich diese Form des „Regierens“ auf „freie“ Subjekte richtet, also solche, die über Handlungsspielräume verfügen und deren Verhalten nicht vollständig determinierbar ist. Folglich können diese Subjekte sich aufgrund ihres Willens widerständig, provozierend oder abweichend verhalten. Freiheit und Macht sind aus dieser Perspektive keine Gegensatzpaare, sondern bedingen sich gegenseitig (vgl. Foucault 1994: 255f.).
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einheitliche Gestalt bzw. Struktur an noch sind sie auf ein singuläres Prinzip zurückzuführen. Die „Formen und Orte des Gouvernements“ (Foucault 1994: 258f.) sind vielgestaltig, besser oder schlechter aufeinander abgestimmt und verändern ihre Gestalt und die verwendeten Verfahren, Instrumente und Prozeduren fortlaufend. Foucaults Machtanalytik hebt den „fundamentalen Dualismus von diskursiver und nichtdiskursiver Praktik, von Wissen und institutioneller Technologie“ auf und rückt den Begriff „Dispositiv“ in den Mittelpunkt seiner Analyse (Fink-Eitel 1980: 45). Mit Dispositiv bezeichnet Foucault ein Ensemble disparater Elemente (z.B. Diskurse, Praktiken, Techniken), die in einem flexibel angelegten Netzwerk auf mehr oder weniger kohärente Weise miteinander verflochten sind. Das Dispositiv „wirkt als Apparat, als Werkzeug, das Subjekte konstituiert und organisiert“ (Dreyfus/Rabinow 1994: 154). Ausgehend von Foucaults Machtanalytik, konzentrieren sich zahlreiche, meist diskursanalytische Untersuchungen auf die Rationalitäten und Effekte zeitgenössischer (neoliberaler, postfordistischer, individualisierender) Diskurse und Techniken, die das historisch kontingente Verhältnis von Ökonomie, Autonomie, Herrschaft und Subjektivität in spezifischer Weise zu reorganisieren beanspruchen. Rose identifiziert drei Dimensionen der Diffusion unternehmerischen Denkens:
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eine politische Dimension des Regierens mithilfe eines Komplexes von „Begriffen, Kalkülen, Strategien und Taktiken, mit denen diverse Autoritäten – politische, militärische, ökonomische, theologische, medizinische usw. – versucht haben, auf Leben und Verhalten von allen“ im Sinne einer „Autonomisierung des Selbst“ einzuwirken, beispielsweise die „aktivierenden Maßnahmen“ des Staates im Umgang mit Arbeitslosen oder der Armutsbekämpfung durch „Empowerment“ (Rose 2000: 10; vgl. Kocyba 2004: 17f.; Opitz 2004: 70ff.); eine institutionelle Dimension der in Feldern der Medizin, Psychologie oder Pädagogik entwickelten Humantechnologien, mit denen „eine kalkulierte Abstimmung menschlicher Aktivität unter der Ägide praktischer Rationalität verfolgt“ (Rose 2000: 10) wird, um bestimmte Fähigkeiten von Individuen zu maximieren und andere zu beschränken; eine kulturell-ethische Dimension von Techniken der Selbstbewertung und formung (bei Foucault „Technologien des Selbst“)‚ die es Individuen erlauben, mit ihren eigenen Mitteln oder der Hilfe anderer eine Reihe von Operationen auf ihre eigenen Körper und Seelen, Gedanken, Verhaltens- und Lebensweisen auszuüben, um sich zu ändern, um einen bestimmten Zustand des Glücks, der Reinheit, Weisheit, Perfektion oder Unsterblichkeit zu erlangen (ebd.).
Die sich diesen Technologien bedienende neoliberale Ideologie des Unternehmertums ist „mehr als ein Phänomen der politischen Philosophie“ (ebd., 12): Sie „konstituiert eine Mentalität des Regierens“ (ebd.), leitet an bei der Machtanwendung und Lenkung von Menschen und ihres Wesens, der Bestimmung und Verwirklichung politischer und ökonomischer Ziele, forciert die Restrukturierung und Neuausrichtung der in die Krise geratenen gesellschaftlichen und ökonomischen Institutionen und Organisationen. Rose nennt eine Reihe gesellschaftlicher Felder, in denen entsprechende Regierungs- und Subjektivierungstechnologien wirksam werden: unter anderem in der Arbeit von Organisationsberatern, Personalentwicklern, Therapeuten und Ärzten. Eine ganz ähnliche Argumentationslinie verfolgt Bröckling (2000), der Rationalitäten und Wirkungsweisen moderner Personalführungstechniken am Beispiel der Beurteilungstechnik des 360°Feedbacks im Rahmen von Total Quality Management schildert. Einzelne Mitarbeiter erhalten in schriftlicher Form eine Beurteilung (Feedback) des eigenen Verhaltens aus der Wahrnehmung von Kunden, Kollegen, unterstellten Mitarbeitern oder externen Kooperationspartnern. Über die Kenntnis darüber, was anonym bleibende Personen über den oder die Beurteilte denken, soll der Einzelne dazu angestoßen werden, unablässig an der eigenen Persönlichkeit, den eigenen Stärken und Schwächen zu arbeiten und so eine „Dynamik der Selbstoptimierung in Gang“ zu setzen.21 Auch in der neueren angelsächsischen Debatte über die Kontrolle des Arbeitsprozesses finden sich zahlreiche Beiträge, die die postbürokratischen bzw. postfordistischen manageriellen Strategien und Techniken thematisieren, mit denen auf einer normativen und kommunikativen Ebene Einfluss auf berufliche Selbstbilder, Arbeitsorientierungen und Verantwortungsmuster der Beschäftigten ausgeübt werden soll, um diese in Einklang mit gegenwärtig prägenden betrieblichen Zielsetzungen zu bringen. Alvesson und Willmott (2002) behaupten eine Ausweitung managerieller Kontrollstrategien auf diskursive und reflexive Prozesse der Identitätsbildung, die ihrerseits in einem Spannungsverhältnis zu den biografischen Prägungen, Orientierungen und Handlungsmustern der Beschäftigten stehen. Die Autoren distanzieren sich dabei von einer Interpretation im Sinne totalisierender und direkt wirkender Machtverhältnisse. Kernstück dieses neuen organisationalen Kontrollmodus sei der Versuch einer Identitätssteuerung („identity regulation“), des Versuchs des Managements, mit vielfältigen sozialen Praktiken mehr oder weniger intentional auf den Prozess der Identitätskonstruktion und -reproduktion einzuwirken. Maßnahmen organisationaler Sozialisation, betrieblicher Weiterbildung und (Be-)förderung werden nach Ansicht der Autoren in einer spezifischen Weise entwickelt, die sich auf die Formung und Aus21 Zur Rationalität und Praxis feedbackbasierter Personalführungsinstrumente, zum Mitarbeitergespräch und 360°-Feedback vgl. Busch 2000; Neuberger 2000.
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richtung des Selbstverhältnisses der Person auswirkt. Wird die Organisation zu einer wichtigen Quelle individueller Identifikation, dann fließt zum Beispiel corporate identity in den Prozess der Identitätsarbeit mit ein. Die Autoren beschreiben den Zusammenhang zwischen den drei Feldern „Identitätsregulation“, „Identitätsarbeit“ und „persönliche Identität“ wie folgt: „There, we indicate how self-identity, as a repertoire of structured narrations, is sustained through identity work in which regulation is accomplished by selectively, but not necessarily reflectively, adopting practices and discourses that are more or less intentionally targeted at the ,insides‘ of employees, including managers“ (Alvesson/Willmott 2002: 627).
Auch Townley (1994, 1998) nutzt zentrale Begriffe aus Foucaults Arbeiten – Macht-Wissen, Gouvernementalität, Disziplin, Teilungspraktiken, Technologien des Selbst – als analytisches Werkzeug zur Rekonstruktion der Personalpraktiken wie etwa Leistungsbeurteilungen oder Zielvereinbarungen, mit denen Mitarbeiter zum Gegenstand vergleichender und klassifizierender Messungen und Taxonomien werden (vgl. Townley 1994: 30ff.). Von diesen objektivierenden Techniken grenzt sie Verfahren ab, die auf die Kontrolle der Aktivität von Mitarbeitern zielen (Jobanalysen, Visualisierung von Managementkompetenzen, Überprüfung von Entwicklungsprozessen auf der Basis von Trainings- und PE-Maßnahmen), sowie individualisierende Techniken. Letztere umfassen Personalinstrumente wie Auswahlgespräche, Selbstevaluationen oder Mentoring, die das Wissen des Subjekts über sich selbst, seine Biografie und Identität als Informationsquelle und Selbstformungsinstrument nutzen (vgl. ebd., 52ff., 109ff. ). Zentrale Voraussetzung für das Regieren oder Managen bestimmter Bereiche oder Personen ist nach Townley das Herstellen von Sichtbarkeit und das Sammeln von MachtWissen. Dies geschieht durch die Disziplinen, die auf der Grundlage von Mikrotechnologien ein System des Wissens errichten, eine kalkulierbare Arena entwerfen und auf diese Weise die Regierungsfähigkeit erhöhen: „The practices of HR activity – job analysis, job evaluation, selection procedures and performance appraisal – so easily dismissed as merely technical procedures are implicated in strategies of power and knowledge. If we present the employment relationship as a ,space‘, the gap between promise and delievery, HRM represents one medium through which this space may be organized or disciplined. […] It represents the active creation or production of knowledge for the purposes of governance. It is a mechanism for the construction of a social order, the necessary prerequisite to coordinate and manage the ,rational‘ and ,efficient‘ deployment of a population“ (Townley 1998: 194).
Die beiden zentralen Technologien des Selbstprüfungen und Geständnispraktiken, die Foucault beschreibt, finden sich nach Townley in einer Reihe von HRPraktiken (z.B. Erfolgsmessung, Management-Training und PE). Vor dem Hintergrund einer intendierten Maximierung der Nützlichkeit der Humanressourcen
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wird das Individuum zum sichtbaren Objekt von Befragungen, Messungen und Beurteilungen, mit denen quasi-wissenschaftliche Unterschiede festgestellt, Normen und Standards von Verhalten und Leistung definiert und Rangordnungen zwischen den Beschäftigten erstellt werden können. Geständnispraktiken im Kontext des HRM bedienen sich der Autorin zufolge pastoraler Machttechniken und konstituieren den Einzelnen als Subjekt, indem das Individuum an seine Identität und innere Realität, seine innere Wahrheit gebunden wird (vgl. Townley 1998: 200). Ausgehend von einem vorab definierten Rollenmodell, das erwünschte bzw. zu entwickelnde Verhaltensweisen und Kompetenzen beinhaltet, sollen Selbst- und Fremdevaluationstechniken das subjektive Gefühl der Notwendigkeit einer Verhaltensänderung im Sinne einer Annäherung an das Idealbild stimulieren: „Technologies of the self are examples of the development of the subjective force of labour, capturing the individual within a form of visibility, a gaze, rendering the individuals’ action and thoughts knowable. The examination is not simply the neutral process of acquiring information, but provides the opportunity for establishing norms with which to measure difference. Neither is the confession simply a process of accessing knowledge of, or yielded up by a subject. It also acts to constitute the subject in terms of providing an aspect of identity. In both cases, knowledge of becomes knowledge over“ (ebd., 203; Hervorhebung im Original).
Die Machtwirkungen dieser Technologien beruhen nach Townley nicht auf Zwang, sondern auf der Aufrechterhaltung und Bestätigung einer bestimmten Identität, indem die Subjekte ihre Selbstwahrnehmung schärfen. Die Autorin weist in diesem Zusammenhang zugleich – mit Blick auf die Ambivalenzen dieser Macht – auf die Gefahr einer erhöhten Verletzlichkeit dieser Identitätsform hin: „However, there is an inherent ambiguity involved here. Identities which are constituted through power/knowledge are also made vulnerable. These technologies present an individual with a way of seeing themselves measured against a transitory ideal. Individuals face uncertainty and insecurity in the requirement to meet successful performance, instigating a search for constant reaffirmation of identity, to secure the acknowledgement, recognition and confirmation of self in practices confirmed by others as desirable“ (ebd., 203).
Eine für genannte Gouvernementalitätsstudien und Kontrolltheorien basale These ist die der „Aktivierung des Selbst“: seiner Initiative, seiner Autonomiebedürfnisse und seiner Handlungsfähigkeit zum Zwecke gesellschaftlicher und ökonomischer Passungsfähigkeit, Funktionalität und Nützlichkeit (vgl. Rose 2000a; Kocyba 2004; Rau 2005: 159f.). Kocyba verdeutlicht hierbei in Anlehnung an Arendts Unterscheidung der „vita activa“ und der „vita contemplativa“, dass Aktivität und Initiative anders als noch in der Antike und im Mittelalter Fundamentalnormen der modernen Lebensweise darstellen und somit in selbst-
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verständlicher, kaum hinterfragter Weise unsere modernen Lebensverhältnisse und Lebensweisen prägen: „Ob wir in einem Aktivurlaub Erholung suchen, ein Kommunikationstraining absolvieren oder Beziehungsarbeit leisten, wir leben in einer Gesellschaft, die weit über die Sphäre der Erwerbsarbeit von einem Kult der Aktivität beherrscht ist. Genuss ist in dem Maße legitim, in dem er als Ergebnis aktiver Anstrengung dargestellt werden kann. Noch das Nachdenken begreifen wir als Aktivität, die wir durch Techniken des Brainstormings und Mindmappings zu optimieren bestrebt sind“ (Kocyba 2004: 17).
Die Mobilisierung von bislang ungenutzten bzw. nicht vollständig genutzten Aktivitäts- und Verantwortungspotenzialen lässt sich Kocyba zufolge als paradoxer Prozess beschreiben: Auf der einen Seite wird dem Adressaten eine vermeintliche Passivität unterstellt, die es durch entsprechende Selbsthilfetechniken oder äußeren Druck zu überwinden gilt, während auf der anderen Seite Erfolg, aber auch Scheitern entsprechender Verantwortungsübernahmen individualisiert werden (ebd., 18–21). Worin nun besteht der Gehalt der foucaultschen Arbeiten, der an sie anschließenden Gouvernementalitätsstudien und der neuen Kontrolldebatte für die Diskussion um die Subjektivierung von Arbeit bzw. allgemeiner die Analyse der Wirkungsweise moderner Managementstrategien und -techniken? Moldaschl (2002a) wirft die Frage auf, inwieweit sich „Foucaults Brille“ für arbeits- und organisationssoziologische Untersuchungen fruchtbar machen lässt und kommt dabei insgesamt zu einer skeptischen Einschätzung. Zu Recht sieht er den großen Verdienst des foucaultschen Denkens darin, lange Zeit unhinterfragte Annahmen des humanistischen Denkens (z.B. eine rein emanzipative Betrachtung von Kategorien wie Identität, Subjektivität, Autonomie, Individualität oder Aufklärung) infrage gestellt zu haben, womit zweifellos eine kritische Reflexion eines aus heutiger Sicht naiv anmutenden Standpunktes, mehr Autonomie im Arbeitsprozess zu fordern oder die Individualität der Person gegen betriebliche und gesellschaftliche Machtverhältnisse zu verteidigen, angestoßen wurde. Die Stärke von Foucaults Machtbegriff liegt vor allem darin, Macht und Subjektivität als in soziale Beziehungen, institutionelle und organisationale Praktiken wie auch diskursive Techniken verflochten zu betrachten und deren produktive, handlungsbefähigende Seite herauszustellen (vgl. Moldaschl 2002a: 140; Vormbusch 2002b). Bedauerlicherweise wird jedoch in den allermeisten Beiträgen der Gouvernementalitätsstudien Macht (die man positiv auch als Ermächtigung oder Befähigung definieren kann) wiederum auf ihre rein repressive, subsumierende und negative Potenz reduziert. Die Abkehr vom „Kontrolle-WiderstandsParadigma“ (Gerst 2002: 94) in der arbeits- und industriesoziologischen Diskussion vollzog sich bereits im Vorfeld der durch Foucault angeregten neuen Kontrolltheorie im Kontext von Arbeiten, die betriebliche Sozialordnungen, Vertrau70
ensbeziehungen oder die Herstellung von Konsens untersuchten (vgl. Friedman 1977; Burawoy 1979; Hildebrandt/Seltz 1987; Minssen 1990; Kotthoff 1997). Ähnlich wie bereits Max Weber betonen auch Foucaults Analysen der Prozesse gesellschaftlicher Disziplinierung eine historisch zunehmende Verschränkung von Techniken der Rationalisierung im Lichte einer Theorie negativer Vergesellschaftung und Individualisierung (vgl. Honneth 1990; Schroer 2000). Während Max Weber jedoch in seiner Analyse der sozialen Begründung von Herrschaft als Verhältnis von Befehl und Gehorsam darauf hinwies, dass Herrschaftsverhältnisse Formen innerlicher Abstützung durch die Beherrschten in Gestalt eines Überzeugtseins von der Rechtmäßigkeit des Befehls und einer Anerkennung der Befehlsinstanz als Autorität bedürfen (vgl. Weber 1985; Schienstock 1990; Hofbauer 1993), scheinen Aspekte der Legitimierung von Herrschaft und Macht oder auch Prozesse der Konsens- und Vertrauensbildung bei Foucault keine hervorgehobene Rolle zu spielen. Honneth stellt in diesem Zusammenhang fest, dass Foucault seine ursprüngliche Absicht, neben den Techniken institutionalisierter Sozialkontrolle auch mikrosoziologischen Analysen einen angemessenen Stellenwert einzuräumen, nicht eingelöst hat. Damit habe er sich „um die Chance einer Korrektur der eigenen Theorie“ gebracht, nämlich um die Erkenntnis, dass die Prozesse des organisierten Ausbaus von sozialer Kontrolle und Disziplinierung „stets in einem lebensweltlichen Horizont von praktischen Konflikten um die Legitimität sozialer Machtansprüche verwurzelt sind“ (Honneth 1990: 24). Subjekte erscheinen bei Foucault wie bei seinen Adepten als Effekt unsichtbarer Konditionierungen, Habitualisierungen, denen sie, weil sie sie nicht zu durchschauen scheinen, nahezu hilflos und ohnmächtig ausgeliefert sind. Inwieweit Foucaults Technologien des Selbst als eine Relativierung oder Revision seines auf Unterwerfung zielenden Macht- und Subjektivierungsverständnisses gelesen werden können und damit Momente positiver Freiheit und Autonomie wieder eingeführt wurden, gilt als umstritten (vgl. ebd.; Gehring 2002). Im Hinblick auf Subjektivierungsprozesse haben die Sozialisations- und Identitätstheorie (auch wenn ihnen ein dezidierter Machtbegriff fehlt) weit mehr zu bieten als Foucaults Begriffsinstrumentarium, das sich zudem einer empirischen Operationalisierung konsequent entzieht (vgl. Moldaschl 2002a: 147, 162f.). Die gegenwärtige Rezeption von Foucaults Denken im Rahmen der Gouvernementalitätsstudien und der angelsächsischen Kontrolldebatte legt häufig die Vorstellung einer bruchlosen Verfertigung von Subjektivität nahe. Entweder wird unterstellt, dass es zu einer vollständigen Internalisierung der neuen Verhaltens-, Leistungs- und Persönlichkeitsanforderungen durch die Beschäftigten kommt, oder aber die Wirkung neuer Machttechniken wird in funktionalistischer Weise einfach aus der Logik von Handlungsspielräumen, Prozesszwängen und Kontrollpraktiken abgeleitet. Den arbeitenden Subjekten selbst und ihren indivi-
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duellen wie auch kollektiven Aneignungs- und Verarbeitungsformen, Handlungsrationalitäten und Orientierungsmustern wird dagegen zu wenig Beachtung geschenkt. In vielen gouvernementalen Untersuchungen (vgl. Alvesson/Willmott 2002; Townley 1994, 1998; Bröckling 2000) drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Personal- und Selbstführungsinstrumente auch ganz anders analysieren lassen und dass die vorgenommenen Analysen – kennt man die einschlägigen Publikationen Foucaults – wenig Überraschendes zu bieten haben bzw. selten wirklich über das hinausgehen, was bereits Foucault als Rationalität moderner Fremd- und Selbsttechnologien beschrieben hat. Zwar kommt hinzu, dass die Rationalität der Instrumente und Techniken auf theoretischer Ebene intuitiv einleuchtend beschrieben und der Managementdiskurs als neoliberal oder manipulativ entlarvt wird (sozusagen ein leichtes Opfer), aber man erfährt nichts über die empirische Verbreitung und Praxis dieser Instrumente (d.h. den Umgang der Akteure hiermit). Gibt es in den wenigen Fällen Empirisches zu berichten, fällt auf, dass hierbei entweder Ergebnisse berichtet werden, die die starke Formungsthese relativieren, oder aber Erkenntnisse erzielt werden, die man auch unter Verzicht auf das elaborierte Instrumentarium der foucaultschen Macht- und Subjektivierungsanalyse hätte gewinnen können (vgl. Knights/Vurdubakis 1994; Alvesson/Willmott 2002). Wichtige Ansatzpunkte für eine Weiterführung und zugleich Korrektur der foucaultschen Machtanalytik mit Mitteln der Handlungstheorie und der Cultural Studies liefert de Certeau (1980). Sein Anliegen ist es, den Sinn der Handlungsweisen und alltäglichen Praktiken der ähnlich wie bei Foucault nicht autonom gedachten, sondern in Machtverhältnisse verstrickten Subjekte (die er als Verbraucher oder Konsument bezeichnet) zu rekonstruieren. De Certeaus zentraler Begriff „Gebrauch“ bezeichnet vor diesem Hintergrund aktive und eigenwillige Leistungen der „Konsumenten“ im Umgang mit Produkten der herrschenden Ordnung. Die Gebrauchsweisen zielen darauf, gesellschaftlich oder institutionell dominante Regeln, Wissensformen und intendierte Handlungsmuster durch eine subjektive oder kollektive Praxis der Aneignung, der interpretierenden Rezeption und der performativen (Um-)Deutung in spielerischer Weise mit neuen, nicht-intendierten Bedeutungen und Handlungsweisen zu versehen, was dem Autor zufolge zu einer „Politisierung der Alltagspraktiken“ führt (ebd., 21).22 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass ein tieferes Verständ22 An einem historischen Beispiel, das die Umgangsweisen indianischer Völker mit der durch die spanischen Kolonisatoren herrschenden Ordnung beschreibt, illustriert de Certeau eine Praktik des Unterlaufens, die sich nur einer vordergründigen Betrachtung als Unterwerfung darstellt, in Wirklichkeit aber als ein trickreiches Spiel mit der Macht begriffen werden kann: „Unterwürfig und sogar bereitwillig machten diese Indianer aus den rituellen Handlungen, Vorstellungen oder Gesetzen, die ihnen aufgezwungen worden waren, oft etwas ganz anderes als der Eroberer bei ihnen erreicht zu haben glaubte; sie unterwanderten sie nicht, indem sie sie ablehnten oder veränderten, sondern durch die Art und Weise, wie sie sie zu Zwecken und mit Bezugspunkten gebrauchten, die dem System,
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nis der unhinterfragten alltäglichen Überzeugungen wie auch der postfordistischen oder gouvernementalen Fremd- und Selbstführungstechniken auf die (empirische) Analyse sozialer Praxis und der Aneignungs- und Gebrauchsweisen der Akteure angewiesen bleibt, denn ohne diese lassen sich die starken Thesen weder bestätigen oder falsifizieren noch in ihrer Relevanz im Hinblick auf soziales Handeln, Sozialisationsprozesse und individuelle Selbstthematisierungen untersuchen.
1.3 Erwerbsorientierungen im Umbruch: Vom verberuflichten Arbeitnehmer zum flexiblen Arbeitskraftunternehmer? Die vorangegangenen Kapitel 1.1 und 1.2 referierten Veränderungstendenzen im Bereich der Nutzung und des Status des subjektgebundenen Arbeitsvermögens im Kontext des aktuellen Transformationsprozesses der Unternehmen und der Organisation wissensbasierter und qualifizierter Angestelltentätigkeiten. Im Folgenden werden Thesen und Forschungsergebnisse diskutiert, die die Auswirkungen dieser Veränderungen auf der Ebene erwerbsbiografischer Orientierungsund Gestaltungsmuster thematisieren. Die arbeits- und industriesoziologische Diskussion und Forschung zur Flexibilisierung und Subjektivierung von Arbeit war zunächst durch stark funktionalistische und strukturalistische Thesen geprägt, die mit Verweis auf Veränderungstendenzen und -zwänge im Bereich der Erwerbsarbeit und ihrer Organisation (insbesondere einer Flexibilisierung, Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit) und unter Zuhilfenahme meist impliziter Internalisierungsthesen nahezu unvermittelt auf die Handlungs- und Orientierungsmuster der Subjekte schlossen: etwa in Gestalt der These einer „Herrschaft durch Selbstbeherrschung“ mit entsprechenden Formen der Selbstinstrumentalisierung, -ökonomisierung und -ausbeutung (vgl. Voß/Pongratz 1998; Moldaschl/Sauer 2000; Deutschmann 2001a; Glißmann 2001; Wolf 2001; Moldaschl 2002b). Im Lichte neuerer empirischer Befunde wird jedoch immer deutlicher, dass entsprechende Internalisierungsthesen, auch wenn sie beobachtbare Phänomene und Gefahren eines intensivierten Zugriffs auf Arbeitskraft und Arbeitsvermögen benennen, der empirischen Vielfalt erwerbsbiografischer Deutungs-, Bewältigungs- und Gestaltungsmuster nicht gerecht werden und eher die Anforderungs- als die Subjektseite des Wandels beleuchten. Vor dem Hintergrund des sozioökonomischen, sozialstrukturellen und betriebsorganisatorischen Wandels wird seit vielen Jahren die These einer zunehmenden Erosion des Berufsprinzips vertreten (so etwa Baethge/Baethge-Kinsky welchem sie nicht entfliehen konnten, fremd waren. [...] Die Kraft ihrer Differenz lag in der Art und Weise des ‚Konsums‘“ (de Certeau 1988: 14).
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1998; Voß/Pongratz 1998; Dehnborstel 2001; Severing 2001). Beruflichkeit ist in besonderer Weise mit der deutschen Industrie- und Arbeitsgesellschaft verbunden, gilt als fundamentaler Stützpfeiler der Betriebs- und Arbeitsorganisation und als Garant der sozialen Integration und der Zuweisung von Status und Einkommenschancen. Aus arbeitsmarkt- und sozialisationstheoretischer Sicht gilt der Ausgangsberuf als Schablone der Vermarktung und Entwicklung des Arbeitsvermögens wie auch des inneren Verhältnisses der Person zu ihrer Arbeitstätigkeit (vgl. Heinz 1995; Beck u.a. 1980; Dostal u.a. 1998; Kruse 2002). Die Berufsforschung beschreibt Berufe dabei als umfassende Qualifikationsbündelungen, die standardisierte, innerhalb einer gewissen Bandbreite von Aufgabengebieten einsetzbare fachliche und soziale Arbeitsfähigkeiten und Spezialwissensbestände umfassen. Aus der Kombination von betrieblichem Status, Aufgabengebiet und Arbeitsmilieu resultieren unterschiedliche, hierarchisch abgestufte Handlungsspielräume zur Arbeitserledigung und zur persönlichen Interessenverfolgung (vgl. Dostal u.a. 1998: 440). Mit der tendenziellen Ablösung der berufsund funktionsbezogenen Betriebs- und Arbeitsorganisation durch ein prozessorientiertes und flexibilisiertes Paradigma23 scheint der Beruf, so der Tenor der Diskussion, seine bislang fundamentale Bedeutung als ökonomischer und sozialer Orientierungsrahmen für betriebliche Ausbildung und Aufgabenprofile, soziale Absicherung und gesellschaftliche Integration des Individuums zu verlieren (vgl. stellvertretend und fundiert vorgetragen von Baethge/Baethge-Kinsky 1998: 461, 469f.). Durch die Neuordnung und Flexibilisierung der Muster der Arbeitsteilung, des Personaleinsatzes und der Statusverteilung entlang der Erfordernisse des Wertschöpfungsprozesses wie auch des beschleunigten Wissensverfalls verändern sich die Qualifikationsanforderungen nach Ansicht vieler Autoren so radikal, dass der Ausgangsberuf seine basale Bedeutung für die Bewältigung von Arbeitsplatzanforderungen und für die individuelle Gestaltung der Arbeitsbiografie und Lebensführung einbüsse. Die Erosion des „Lebensberufs“ (Kruse 2002: 23), die „Subjektivierung“ von Arbeit und die wachsende „DeInstitutionalisierung gesellschaftlicher Biografiemuster“ (Kleemann u.a. 2002: 75) deuten, so lässt sich vorab resümieren, auf einen historischen Umbruch in23
„Im Bereich der Arbeitsorganisation zielt eine prozeßorientierte Arbeitsteilung (mit ihrer Auflockerung berufstypischer Einsatzkonzepte und Aufgabenstellungen in Verbindung mit neuen Formen querfunktionaler Kooperation) auf die Erschließung von Produktivitäts- und Innovationspotentialen, die im Wertschöpfungsprozeß als ganzem bestehen und durch den Einbezug aller an ihm beteiligten Beschäftigungsgruppen (mit ihren jeweils unterschiedlichen Wissensbeständen) aktiviert werden können. Dieses Konzept findet seinen Niederschlag in den vielfältigen hierarchie- und fachübergreifenden Kooperationsformen, der Übertragung von Aufgaben der Prozeßsicherung und -optimierung an das Produktionspersonal, der Integration fach- und funktionsfremder Tätigkeitselemente sowie der allgemeinen Öffnung von Anforderungsprofilen, wie sie im Rahmen von ‚Projektorganisation‘, ‚Gruppenarbeit‘ oder ‚workshops‘ neu bestimmt werden“ (Baethge/ Baethge-Kinsky 1998: 465).
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nerhalb der beruflichen und betrieblichen Sozialisation des modernen Arbeitnehmers hin. An die Stelle der Internalisierung eindeutig definierter, stetiger Rollenanforderungen tritt die Anforderung einer aktiv-reflexiven und individualisierten Gestaltung der eigenen Berufsbiografie. Heutige Erwerbstätige sehen sich mit der dauerhaften Aufgabe konfrontiert, auf zunehmend diskontinuierliche Verläufe und Brüche ihrer Berufsbiografie infolge häufiger Tätigkeits-, Betriebsund Berufswechsel oder Arbeitslosigkeit angemessene Antworten zu finden (vgl. Heinz 1995: 104; Schaeper u.a. 2000; Kleemann u.a. 2002: 88f.). „Damit ergibt sich immer häufiger die Anforderung an biografische Flexibilität und wiederum ein Zwang zur Autonomie – nunmehr in der Weise, dass biografische Brüche bzw. Wechsel zwischen beruflichen Projekten mit unterschiedlichen Arbeitsinhalten, zwischen Organisationen, zwischen Beschäftigungsformen oder zwischen Phasen mit und ohne Erwerbsarbeit einerseits zum Teil extern erzwungen sind und andererseits im Sinne autonomer Weichenstellungen genutzt werden können und müssen“ (Hoff 2003: 2f.).
Mit der beschleunigten Entwertung erworbenen Wissens sowie der Erosion kontinuierlicher, Sicherheit und Berechenbarkeit stiftender Erwerbs- und Karriereverläufe wird ein Großteil der Verantwortung für die Vermarktung und Aufrechterhaltung des Arbeitsvermögens von den Unternehmen auf die Erwerbstätigen übertragen, die ihr berufliches Schicksal nun selbst in die Hand nehmen dürfen und zugleich müssen und sich mit anspruchsvollen wie riskanten Anforderungen des „Selbstmanagements“ konfrontiert sehen (vgl. Baukrowitz/Boes 1996; Voß 1998; Dehnborstel 2001; Kruse 2002; Voswinkel/Kocyba 2005). Der Bedeutungsgewinn von Autonomie- und Selbstverwirklichungsansprüchen an Arbeit und Leben und die gewachsenen Spielräume einer aktiven Mitgestaltung der eigenen Berufslaufbahn stehen dabei in einem ausgesprochen ambivalenten Verhältnis zu den Risiken des Arbeitsmarktes: „Heute sind die Einzelnen immer stärker genötigt, auf dem Arbeitsmarkt und im Betrieb weitgehend allein zurechtzukommen, ‚zu navigieren‘, ihre Interessen zu verfolgen, Entscheidungen zu treffen, ihre eigene Arbeitsbiographie zu ‚managen‘ (Stichwort: Individualisierung). Diese Anforderungen sind zwiespältig: Sie bedeuten nämlich auf der einen Seite mehr Freiheit, mehr Eigensinn, und auf der anderen Seite erhebliche Risiken des Scheiterns – und Scheitern ist dann immer ein persönliches Scheitern, weil immer weniger der Bezug auf ein Klassenschicksal als Entlastung zur Verfügung steht“ (Kruse 2002: 25; Hervorhebung im Original).
Der mit standardisierten Fachqualifikationen und einer festen Berufsidentität ausgestattete, auf Statussicherung bedachte verberuflichte Arbeitnehmer der fordistischen Ära erscheint vor diesem Hintergrund als Auslaufmodell – die habituell erneuerte Sozialfigur eines modernisierten und flexibilisierten Arbeitnehmers ist die des Arbeitskraftunternehmers. Der Arbeitskraftunternehmer zeichnet sich idealtypisch durch eine äußerst flexible Leistungserbringung unter Mobilisierung seiner ganzen Person (Selbstrationalisierung), eine aus berufsbio75
grafischer Perspektive strategische Entwicklung und Vermarktung individuell verwertbarer Arbeitsfähigkeiten (Selbstökonomisierung) und eine systematische Ausrichtung seiner privaten Lebensführung auf die sich wandelnden beruflichen und zeitlichen Flexibilitäts- und Leistungsanforderungen aus (vgl. Voß/Pongratz 1998: 139f.; Pongratz/Voß 2003a). Er gestaltet das Patchwork unterschiedlichster Arbeitserfahrungen, Projekte und Kompetenzen somit in biografisch höchst strategischer, flexibler und marktorientierter Weise und fügt sich scheinbar nahtlos in das Anforderungsprofil einer flexibilisierten und subjektivierten Arbeitskraftnutzung ein (vgl. Voß/Pongratz 1998; Geißler/Orthey 2002; Pongratz 2002). Die „Innenseite“ dieses Idealtypus des Arbeitnehmers erscheint als eine bis in die tiefsten Poren der Identität und Lebensführung durch Effizienzkriterien disziplinierte Subjektivität und Persönlichkeit, als eine radikalisierte Variante des Weberschen Berufsmenschen, dessen Selbstverhältnis nicht mehr durch Pflichtethik, sondern durch das selbstunternehmerische Kalkül einer systematischen und entgrenzten Bewirtschaftung eigener Talente und sozialer Ressourcen bestimmt ist: „Im Verhältnis der Arbeitskraftbesitzer zu sich selbst gewinnt immer mehr eine Ökonomie der Vermarktung die Oberhand über die Logik der gebrauchsorientierten Entwicklung von Arbeitsfähigkeiten. Die Ausrichtung und das Vertrauen der Arbeitskräfte auf ihre fachlichen Fähigkeiten und Leistungen weicht einer wachsenden Orientierung an abstrakten Markterfordernissen, d.h. der Möglichkeit, mit produktiver Tätigkeit nahezu beliebigen Inhalts inner- oder überbetrieblich Revenue zu erzielen“ (Voß/Pongratz 1998: 142f.).
Auch wenn die These bezüglich des Arbeitskraftunternehmers eine intensive Rezeption erfahren hat, ist die Frage nach einer empirischen Verbreitung entsprechend gewandelter Erwerbsorientierungen nur unzureichend geklärt. Einige Autoren gehen davon aus, dass die Arbeitskraftunternehmerthese insbesondere solche Erwerbstypen angemessen beschreibt, die sich in einem hochgradig flexibilisierten und durch Selbstorganisation geprägten Arbeitsumfeld bewegen und ein quasi-unternehmerisches berufliches Selbstverständnis aufweisen. Hierzu werden Vorreitergruppen wie Unternehmensgründer, Angestellte in der sogenannten new economy und IT-Industrie und auch Unternehmens- und Organisationsberater gezählt (vgl. Deutschmann 2001; Pongratz/Voß 2004: 22; Ewers u.a. 2004). Im Bereich qualifizierter oder hoch qualifizierter Angestelltenarbeit sowie bei Freiberuflern in modernen Kultur- und Medienberufe ist die Befundlage weniger eindeutig, denn hier verschränken sich hohe Leistungsorientierungen (als eine Dimension des Arbeitskraftunternehmers) und veränderte normative Ansprüche an Arbeit mit bislang weiterhin auf Absicherung und Anbindung zielenden Mustern der berufsbiografischen Gestaltung und individuellen Lebensführung. Erste Studien, die in methodisch und inhaltlich unterschiedlicher Weise den subjektiven Umgang mit flexibilisierten Formen der Arbeitsorganisation und 76
der Arbeitskraftnutzung untersuchen, unterstreichen die Bedeutung aktiver, subjektiver Leistungs- und Bewältigungsmechanismen wie auch Formen kritischer Distanzierung von entgrenzten Arbeitsbedingungen. Wie die im Folgenden zu skizzierenden Ergebnisse zeigen, deuten die bislang vorliegenden empirischen Befunde weder auf eine flächendeckende historische Entwertung von Beruflichkeit noch auf eine Abkehr vom Ideal eines ausbalancierten Verhältnisses von Arbeit und Leben, noch auf eine Generalisierbarkeit des Arbeitskraftunternehmers als neuen Leittypus des Arbeitsnehmers hin, sondern verweisen auf eine Vielfalt beruflicher Orientierungs- und Gestaltungsmuster (vgl. Kühn/Witzel 2004; Pongratz/Voß 2004; Gottschall/ Henniger 2005; Betzelt 2006). Kühn und Witzel (2004: 230) haben ihre in dem Zeitraum zwischen 1979 und 1997 erhobenen Längsschnittdaten von Berufswechslern noch einmal daraufhin überprüft, inwieweit die These zum Arbeitskraftunternehmer auch im Bereich traditioneller, nicht akademischer Berufe (wie Maschinenschlosser, KfzMechaniker, Büro- und Einzelhandelskaufleute) in der Art und Weise, wie sich Berufstätige berufsbiografisch mit den veränderten Marktbedingungen und Organisationsanforderungen, insbesondere diskontinuierlicher Erwerbsverläufe auseinandersetzen, Geltung beanspruchen kann. Ausgehend vom Konzept der Selbstsozialisation (Heinz 2000), das „die Eigenleistung des Akteurs bei der Biografiegestaltung betont, die auf Prozessen der individuellen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Bedingungen begründet ist“, und auf der Basis einer Typologie „berufsbiografischer Gestaltungsmodi“24 haben die Autoren ein breites Spektrum berufsbiografischer Orientierung und Gestaltung identifiziert. Sie unterscheiden grob vier Typen der Biografiegestaltung und Lebensführung: Arbeitskraftunternehmer, „selbstbewusste Grenzgänger und LebensbereichJongleure“, „Begrenzung von Entgrenzung durch Betonung gemeinschaftsorientierter Werte“, „Begrenzung eigener Perspektiven im Zuge einer erhöhten Sicherheitsorientierung und Personalisierung struktureller Effekte“ (Kühn/Witzel 2004: 232f., 249). Die Autoren distanzieren sich von der These einer historischen Ablösung der Erwerbsorientierungen und biografischen Gestaltungsmuster vom Muster der Beruflichkeit und resümieren, dass die „steigende Aktivität und Eigenleistung von Individuen als Reaktion auf sich wandelnde Arbeitsmärkte nicht zwangsläufig bedeuten, sich als Unternehmer der eigenen Arbeitskraft zu präsentieren“ (ebd., 248). Mit Blick auf die zukünftige empirische Forschung empfehlen die Autoren, den Blick für die vielfältigen biografischen Orientie24
„Berufsbiografische Gestaltungsmodi geben eine Antwort auf die Frage, mit welchen Orientierungs- und Handlungsmustern junge Erwachsene ihre beruflichen Statuspassagen und Karriereschritte gestalten und für deren Verlauf Verantwortung übernehmen“ (Kühn/Witzel 2004: 233; zu Konzept und Typen berufsbiografischer Gestaltungsmodi vgl. Witzel/Kühn 1999; Schaeper u.a. 2000).
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rungs- und Handlungsmuster zu öffnen, die sich nicht per se an einer Marktrationalität ausrichten müssen. Eine Untersuchung der erwerbsbiografischen Strategien und Gestaltungsleistungen des quantitativ expandierenden Sektors von Alleinselbstständigen in marktbezogenen und vermittelnden Kulturberufen (Journalisten, Übersetzer, Lektoren und Designer)25 unterstreicht für diesen Bereich „flexibler Wissensarbeit“ die große Bedeutung einer modernisierten Form von Beruflichkeit als zentrale Grundlage individueller Marktbehauptung und biografischer Orientierung (vgl. Betzelt 2006). Die von Betzelt rekonstruierten, zahlenmäßig am stärksten repräsentierten Typen erwerbsbiografischer Orientierung – „Beruf als Berufung“, „handwerkliches Selbstverständnis“ – verweisen auf ein primär wertrationales Berufsverständnis, das auf ausgeprägten formalen akademischen Qualifikationen sowie einer stark intrinsischen Motivation basiert und trotz einer diskontinuierlichen, flexibilisierten und zum Teil materiell prekären Erwerbssituation kein entgrenztes oder bruchlos ökonomisiertes Selbstverhältnis generiert: „Die hohen berufsfachlichen und überfachlichen Qualifikationen befähigen die Erwerbstätigen, individuelle Strategien im Umgang mit Marktrisiken zu entwickeln, reflexive Balanceleistungen zwischen beruflichen Standards, eigenen fachlich-künstlerischen Vorstellungen und den Markterfordernissen hervorzubringen und damit schließlich ein subjektiv kohärentes Berufsverständnis herauszubilden und aufrechtzuerhalten“ (ebd., 67).
Auch aktuelle Befunde zum Bereich der Internetdienstleistungsarbeit (Texter, Designer oder Softwareentwickler in Klein- und Kleinstunternehmen) sowie zur Arbeit von Freelancern im Bereich neuer Medien (Onlinejournalisten, Webdesigner und Softwareentwickler) unterstreichen sowohl die große objektive Bedeutung als auch die ausgeprägte subjektive Bindekraft erwerbsstrukturierender Institutionen wie Reputation, Familie und Beruflichkeit bei allerdings weiterhin recht prekären Aussichten auf ein Normalarbeitsverhältnis und einer damit einhergehenden Individualisierung erwerbsbiografischer Risiken (vgl. Gottschall/Henninger 2005; Mayer-Ahuja/Wolf 2005): „Vor dem Hintergrund von Medienberichten, aber auch von wissenschaftlichen Diskursen, die in der Boomphase der New Economy vor allem das Neue an dieser Erwerbsform hervorhoben, ist das erstaunlichste Ergebnis unserer Untersuchung das hohe Maß an erwerbsbiografischer Kontinuität bei unseren Untersuchungsgruppen. Freelancing ist für sie keineswegs nur ein Übergangsphänomen, das auf Berufseinsteiger/innen und ältere Arbeitskräfte mit schlechteren Arbeitsmarktaussichten beschränkt ist, und führt auch nicht zur Herausbildung von ‚Bastelexistenzen‘, bei denen Orientierungen und Gruppenzugehörigkeiten wechseln. Vielmehr gelingen 25 Aufgrund einer besseren Lesbarkeit wird bei Berufs- oder betrieblichen Funktionsbezeichnungen im Folgenden die männliche Form gewählt. Dies ist weder als Diskriminierung zu verstehen noch als Negation des Faktums einer ausgeprägten und stark zunehmenden Erwerbsbeteiligung von Frauen in qualifizierten und hoch qualifizierten Berufen und Tätigkeitsfeldern.
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den meisten Befragten eine nachhaltige Marktbehauptung sowie eine eigenständige Stabilisierung der Lebensführung“ (Gottschall/Henninger 2005: 178f.; Hervorhebung im Original).
Dass berufsbiografische Orientierungen und Gestaltungsmuster, die auf der Vorstellung eines ausbalancierten Verhältnisses von Arbeit und Leben und aktiven Grenzziehungen beruhen, auf zum Teil schwierige Realisierungsmöglichkeiten treffen, arbeiten die Untersuchungen von Eberling u.a. (2004) und Hildebrandt (2004) heraus. Mit der zunehmenden Erwerbsbeteiligung von Frauen, dem gesellschaftlichen Wertewandel und der Flexibilisierung von Arbeit gewinnt das Leitbild der „work-life-balance“ an Bedeutung. Aus Sicht von Hildebrandt ist work-life-balance mehr als eine plakative Formel moderner Managementkonzepte, denn mit dem Begriff lässt sich auch „das Spannungsverhältnis zwischen unternehmensgetriebener Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeit einerseits und [...] Anspruch auf ein eigenständiges und ‚ausgewogenes‘ Leben andererseits“ (ebd., 4) bezeichnen. Eine Untersuchung von Betrieben, in denen Arbeitszeitkonten26 eingeführt wurden, verweist auf die Persistenz von Zeitnot für die Beschäftigten und faktisch geringe individuelle Spielräume einer nachhaltigen Balance der zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen beider Sphären (vgl. Eberling u.a. 2004). Dieser Tatbestand deckt sich zwar grob mit den Befunden von Hochschild (2002), wird jedoch abweichend erklärt. Während Hochschildts Studie „Keine Zeit“ die geringe Nutzung von work-life-balance-Konzepten mit der Annahme einer zunehmenden affektiven Entwertung des Familienlebens und seiner Herausforderungen zugunsten einer stark arbeitszentrierten Lebensführung begründet, finden Eberling u.a. (2004) sowie Hildebrandt (2004) selbst für den Großteil der Personen in den IuK-Branchen, denen eine starke Affinität zu flexiblen Arbeitszeiten unterstellt wird, keine grundsätzliche Abkehr der Einstellung vom Leitbild eines ausbalancierten Lebens. Stattdessen unterstreicht die Studie eine „Dominanz von Einkommensmotiven, einseitig marktorientierten Managementpraktiken, Personalknappheit, fehlender Information und Angst vor beruflichen Nachteilen“ (ebd., 9) als Hauptursachen: „Die Verteilung der Muster der Zeitkontennutzung belegen, dass nur eine Minderheit der Beschäftigten eine Entgrenzung von Erwerbsarbeit und Privatleben zulässt oder aktiv mitträgt“ (ebd.). Angesichts der bislang vorliegenden aktuellen empirischen Befunde zum Wandel von Erwerbsorientierungen (vgl. Pongratz/Voß 2003a; Eichmann 2004; Kühn/Witzel 2004; Matuschek u.a. 2004) räumen auch Pongratz und Voß (2004) selbstkritisch ein, dass das Spektrum der subjektiven Auseinandersetzung mit 26 Arbeitszeitkonten ermöglichen aus Arbeitgebersicht eine flexible Anpassung des Personaleinsatzes an markt- bzw. auftragsbedingte Schwankungen. Für Arbeitnehmer bieten sie die Möglichkeit, über längere Zeiträume Überstunden anzusammeln und in Gestalt mehrwöchiger oder mehrmonatiger Freizeit auszugleichen, sodass potenziell Wahlmöglichkeiten der Zeitentnahme entstehen.
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den neuen Arbeitsbedingungen sehr viel breiter und uneindeutiger ist, als es mit der These bezüglich des Arbeitskraftunternehmers behauptet wurde. Pongratz und Voß haben ihre Annahme einer historisch linearen bzw. stufenförmig verlaufenden Ablösung des verberuflichten Arbeitnehmers durch den Arbeitskraftunternehmer mittlerweile revidiert und betonen, die heutige Situation sei vielmehr von „Inkonsistenzen, Ungleichzeitigkeiten und Widersprüchen geprägt“ (ebd., 27), sodass theoretische Analysen der Ergebnisse der Arbeitsforschung die Dynamiken und Bedingungen des Wandels der Arbeit und der Subjektivität stärker als bislang berücksichtigen müssten. Die Autoren plädieren zu Recht dafür, zwischen „Arbeitskrafttypus“ und „Subjekttypus“ klar zu unterscheiden. Der Arbeitskrafttypus verweise auf eine theoretisch-konzeptionelle Dimension veränderter struktureller Anforderungen der Verausgabung und Vermarktung von Arbeitskraft, wie sie in Gestalt der Arbeitskraftunternehmerthese idealtypisch zugespitzt worden ist. Im Gegensatz dazu bezeichnen sie mit Subjekttypus historisch-kontingente, empirisch zu rekonstruierende Formen der subjektiven Auseinandersetzung der Erwerbspersonen mit diesen Anforderungen (vgl. ebd., 15– 18). Die Autoren interessieren sich folglich für den empirischen unterschiedlichen Grad an Entsprechung oder Abweichung beider Aspekte und distanzieren sich damit von ihrer selbst genährten und vertretenen Lesart einer konsequenten Ökonomisierung des Arbeitshandelns, des biografischen Selbstverständnisses und der individuellen Lebensführung.
1.4 Zwischenfazit Mit der umfassenden Restrukturierung des kapitalistischen Großunternehmens in den vergangenen zwei Jahrzehnten und dem eindeutigen Trend ansteigender und sich rasch wandelnder Qualifikations-, Kompetenz- und Leistungsanforderungen haben die an Subjektivität gebundenen Momente des Arbeitsvermögens im Kontext qualifizierter, wissensbasierter Tätigkeiten an funktionaler Bedeutung gewonnen. Zwar existieren nach wie vor in Abhängigkeit von Branche, Tätigkeitstyp und Qualifikationsniveau große Areale konventioneller Arbeitskraftnutzung unter weitgehender Ausblendung der Handlungspotenziale und der Subjektivität der Beschäftigten sowie wenig lernförderliche Arbeitsbedingungen. Im Bereich wissensbasierter Produktions- und Dienstleistungstätigkeiten jedoch werden berufsfachliche Wissensanforderungen erweitert um fachübergreifende Kompetenzanforderungen (wie etwa sozial-kommunikative Fähigkeiten, unternehmerisches Denken oder eine weitreichende Flexibilitätsbereitschaft). Während Ansätze des betrieblichen Wissensmanagements in der Vergangenheit angesichts der Unbestimmtheit des Wissens und seiner prinzipiellen Kontext- und Subjektge-
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bundenheit an deutliche Grenzen der Externalisierung und Formalisierung dieses wertvollen und zugleich sperrigen „Rohstoffs“ stießen, scheint der mit subjektiven Ansprüchen an Autonomie, Partizipation und Kommunikativität vermeintlich kompatible indirekte Führungsmodus im Bereich qualifizierter Angestelltentätigkeiten eher in der Lage zu sein, bislang verborgene Aspekte des menschlichen Leistungsvermögens und Engagements einer umfassenden betrieblichen Nutzung zuzuführen. Projektarbeit als das vielleicht prägnanteste Beispiel subjektivierter und flexibilisierter Arbeit offenbart dabei ein enormes Spektrum an Ambivalenzen, mit denen sich dort tätige Beschäftigte konfrontiert sehen: Den Spielräumen einer selbstorganisierten Arbeitserledigung und den damit verbundenen Autonomie- und Selbstwirksamkeitserfahrungen stehen ein verschärfter Zeit- und Leistungsdruck, eine zunehmende psychische, soziale und gesundheitliche Belastung sowie deutliche Tendenzen der Entgrenzung von Arbeit und Leben gegenüber. Die Rationalisierung wissensbasierter Arbeit bewegt sich gegenwärtig im Spannungsfeld von kurzfristig ausgerichteter, kapitalmarktgetriebener Verwertungskalküle und dem Anspruch einer langfristigen und umfassenden Nutzung der Arbeitskraft- und Innovationspotenziale und den Formalisierungsversuchen und der Subjektgebundenheit des lebendigen Arbeitsvermögens. Vieles deutet darauf hin, dass sich die durch das öffentliche deutsche Bildungssystem maßgeblich mitproduzierten ungleichen Bildungs- und Arbeitsmarktchancen in den Betrieben nicht nur fortsetzen, sondern sogar verstärken. Der Zugang zu Arbeitsplätzen mit ausgeprägter Lernförderlichkeit, betrieblichen Weiterbildungsmöglichkeiten und hohem betrieblichen Status bleibt primär Erwerbspersonen mit hohem Bildungs- und Qualifikationsniveau und großer Flexibilitätsbereitschaft vorbehalten, während geringer qualifizierte Beschäftigte sich angesichts der Deregulierung arbeitsrechtlicher Standards und „atmender Unternehmen“ mit kaum lernförderlichen Arbeitsbedingungen sowie unsicheren und oftmals nicht hinreichend einträglichen Beschäftigungsbedingungen konfrontiert sehen. Die Restrukturierungen in den Großunternehmen seit den 1990er Jahren haben auch gezeigt, dass die Gruppe der hoch qualifizierten Angestellten und betrieblichen Experten einen Gutteil ihres privilegierten Status (im Hinblick auf Arbeitsplatzsicherheit, Aufstiegs- und Einkommensmöglichkeiten) einbüßen musste und heute unter hochgradig vermarktlichten, intensivierten und kaum noch erwerbsbiografische Orientierung stiftenden Arbeitsbedingungen tätig ist. Während die Logik posttayloristischer und -fordistischer Strategien der Arbeitskraftnutzung und betrieblichen Rationalisierung mittlerweile auf breiter Ebene diskutiert wird, sind deren langfristigen Auswirkungen auf die subjektive Seite, insbesondere im Hinblick auf erwerbsbiografische Strategien und Orientierungsmuster der davon betroffenen Menschen, bislang nicht hinreichend empirisch untersucht worden. Der bisherige Erkenntnisstand offenbart eine Kluft
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zwischen stark vereinfachenden Thesen und einer zu mehr Differenzierung und Nüchternheit Anlass gebenden, noch fragmentarischen empirischen Befundlage. So können sich die Thesen bezüglich des flexiblen Menschen (vgl. Sennett 2000) oder des Arbeitskraftunternehmers (vgl. Voß/Pongratz 1998; Moldaschl 2002b) bislang kaum auf empirisch Erhärtbares stützen. Ihr produktiver Gehalt liegt in ihrer Hypothesen generierenden Funktion und ihr gewichtigstes Defizit in der Neigung, von einer neuen Logik der Arbeitskraftnutzung oder der Annahme einer in sich kohärenten und singulären „Kultur des Kapitalismus“ mehr oder weniger direkt auf die Verfasstheit der handelnden Subjekte zu schließen. Im Kontext solcher subsumtionstheoretischen Lesarten wird den biografischen Orientierungen, Lebensumständen und Arbeitsmotiven meist keine oder im Falle Sennetts keine ausreichende Beachtung geschenkt. Ein wichtiges Ziel dieser Arbeit besteht darin, die Formen subjektiver Auseinandersetzung mit veränderten betrieblichen Flexibilitäts- und Kompetenzanforderungen und der Anforderung eines biografischen Selbstmanagements am Gegenstand wissensbasierter, qualifizierter und hoch qualifizierter Angestelltentätigkeiten exemplarisch zu untersuchen und in Beziehung zu den betrieblichen Strategien der Arbeitskraftnutzung und -entwicklung zu setzen. Angesichts des beschleunigten Wandels von Kompetenz- und Wissensanforderungen und des Bedeutungsgewinns subjektgebundener Handlungspotenziale und Motivationen stellt sich dabei die Frage nach den subjektgebundenen und organisationalen Voraussetzungen und Implikationen dieses Prozesses. Mit dem HRM hat sich im Laufe der 1990er Jahre – weitgehend unbemerkt von der arbeits- und industriesoziologischen Diskussion und Forschung – in den deutschen Großunternehmen ein neues Leitbild des betrieblichen Personalmanagements etabliert, das die betriebsökonomische und geschäftsstrategische Bedeutung subjektgebundener Fähigkeiten, Motivationen und Potenziale betont und qualitativen Personalfunktionen wie der betrieblichen Weiterbildung, Personalführung und -entwicklung eine zentrale Rolle in der Transformation des Personal- und Arbeitsvermögens in Richtung unternehmerisch-flexibler Orientierungen und Kompetenzen zuschreibt. Das HRM stellt vor diesem Hintergrund ein zentrales Feld der Subjektivierung von Arbeit dar, in dem nicht nur gegenwärtige, sondern auch und vor allem zukünftige Passungsverhältnisse betrieblicher Anforderungen und individueller Kompetenzen und Leistungsbereitschaften hergestellt werden sollen. Die folgenden beiden Kapitel dieser Arbeit widmen sich den Veränderungen betrieblicher Personalentwicklungs- und Weiterbildungspolitik im Kontext des HRM, zunächst auf Basis der Literatur und dann entlang der Ergebnisse einer Intensivfallstudie zum HRM und den „Karrierepolitiken“ der Beschäftigten in der Projektarbeit.
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2 Bildungs- und Personalarbeit im Kontext von Human Resource-Management
Das folgende Kapitel rekonstruiert zentrale Veränderungen in den Leitvorstellungen und in der Praxis betrieblicher Personal- und Weiterbildungsarbeit. Bereits im 1. Kapitel wurde deutlich, welche Bedeutung subjektgebundenen Kompetenzen im Rahmen (hoch) qualifizierter, wissensbasierter und projektförmiger Arbeit zukommt. Unternehmen in wissens-, technologie- und innovationsintensiven Branchen sind in besonderer Weise auf die systematische Nutzung und Weiterentwicklung des Wissens und der Handlungskompetenzen ihrer Mitarbeiter angewiesen. Letzteres lässt sich unter anderem an überdurchschnittlichen Investitionen dieser Unternehmen in das Humankapital ihrer Mitarbeiter ablesen – verglichen mit klein- und mittelständischen oder weniger technologie- und innovationsorientierten Unternehmen und Branchen (vgl. Dobischat/Lipsmeier 1991; Baetghe/Schiersmann 1998; Frieling u.a. 2000b; Berthold/Stettes 2004). Die betriebliche Weiterbildung und PE als wichtigste Säule des beruflichen Bildungswesens steht vor diesem Hintergrund vor gewaltigen Herausforderungen, denn ihr wird seit vielen Jahren eine Schlüsselrolle im Erhalt und Ausbau einzelund gesamtwirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung zugeschrieben (vgl. Kador 1995; Grünewald/Moraal 2001; Hofmann/Mohr 2001: 18f.; Meier 2001). In der Literatur wird ein seit den 1990er Jahren grundlegend verändertes Verständnis betrieblicher Personal- und Weiterbildungsarbeit – je nach Standpunkt – konstatiert oder eingefordert, das den heutigen Anforderungen einer beschleunigten, globalen Wissensökonomie Rechnung tragen soll, indem es eine konsequente Entfaltung und Weiterentwicklung der Humanressourcen der Organisation anstrebt. An die Stelle einer dem technischorganisatorischen Wandel nachgelagerten Qualifizierung der Mitarbeiter soll dem Ideal nach eine proaktive Entwicklung der Handlungskompetenzen insbesondere der Leistungs- und Wissensträger treten, um auf diese Weise die Innovations-, Anpassungs- und Lernfähigkeit der Organisation im intensivierten Wettbewerb zu stärken. Dieses Kapitel rekonstruiert den historischen und konzeptionellen Wandel des Verständnisses betrieblicher Personalentwicklungs- und Weiterbildungsarbeit und analysiert deren Konzepte, Leitvorstellungen und Ein-
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flussmöglichkeiten im Großbetrieb im Lichte des seit den 1990er Jahren auch in den deutschen Unternehmen etablierten HRM-Ansatzes. Die materiale Grundlage dieses Kapitels bilden disziplinübergreifende Diskussions- und Forschungsbeiträge aus dem angelsächsischen, USamerikanischen und deutschen Sprachraum, die sich mit dem Wandel der Organisation, der Konzepte, Strategien, Instrumente und Zielgruppen des betrieblichen Personalmanagements der vergangenen 15 Jahre auseinandersetzen. Das Personalmanagement und die mit ihm assoziierten Funktionen der betrieblichen Weiterbildung und PE waren bis in die späten 1980er Jahre hinein vornehmlich Gegenstand von Betriebswirtschaft und Managementliteratur (vgl. Staehle 1989; Sonntag 2002). Zeitgleich zur Etablierung des HRM-Ansatzes in deutschen Großunternehmen Anfang der 1990er Jahre wuchs auch das wissenschaftliche Interesse an der betrieblichen Weiterbildung und PE. Neben betriebswirtschaftlichen Beiträgen zur Unternehmensführung beteiligten sich nun auch die Arbeitsund Organisationspsychologie, die Berufs- und Wirtschaftspädagogik und die Arbeitsmarkt- und Berufsforschung an der Diskussion über die Veränderungstendenzen im Bereich betrieblicher Personal- und Bildungsarbeit.27 Trotz dieses breiteren Interesses unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen und der insgesamt stark expandierenden Literatur existiert bislang kein transdisziplinärer konzeptioneller und forschungsbezogener Rahmen (vgl. Baethge/Schiersmann 1998). Diese Arbeit leistet einen Beitrag zur Überwindung begrifflicher und empirischer Leerstellen und macht das Thema „Human Resource-Management“ einer arbeits- und industriesoziologischen Forschung und Diskussion zugänglich. Kapitel 2.1 rekonstruiert den historischen und konzeptionellen Wandel des Verständnisses und der Praxis des betrieblichen Personalwesens. Dabei werden drei konzeptionelle Strömungen identifiziert und vorgestellt, die für eine ressourcenorientierte Betrachtung der Organisation und ihres Umgangs mit dem Personal- und Arbeitsvermögen – idealtypisch repräsentiert durch das HRM – prägend waren: die Human Relations-Bewegung, die Humankapitaltheorie bzw. die Bildungsökonomie sowie der „Resource-Based View“ der strategischen Unternehmensführung. Im Anschluss daran werden historische Entwicklungsphasen des Personalwesens grob skizziert.
27 Die Arbeits- und Industriesoziologie, die sich seit vielen Jahren intensiv mit den Konsequenzen betrieblicher Restrukturierung von Arbeit, Qualifikation und Subjektivität auseinandersetzt, hat sich an dem Forschungsfeld Weiterbildung und PE bzw. HRM mit wenigen Ausnahmen bislang kaum beteiligt. Dies ist umso verwunderlicher, weil mit der Frage nach gegenwärtigen und zukünftigen Qualifikations-, Wissens- und Kompetenzanforderungen ein zentrales soziologisches Erkenntnisinteresse hinsichtlich der Entwicklung von Arbeit und Beschäftigung angesprochen ist. Entsprechende „Leerstellen“ werden im Kontext der aktuellen Diskussion zur Subjektivierung von Arbeit und innerhalb der Debatte um die Informations- und Wissensgesellschaft besonders deutlich.
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Kapitel 2.2 stellt die beiden pfadprägenden wissenschaftlichen Ansätze des an den Universitäten in Harvard und Michigan entwickelten HRM-Ansatzes vor und vergleicht sie im Hinblick auf das konzeptionelle Verhältnis des HRM zur Organisation, zu den Mitarbeitern und den industriellen Beziehungen. Im Anschluss wird ein aktuelles theoretisches Modell des HRM – der sogenannte evolutionary approach to Human Resource-Management – besprochen und diskutiert. Neben dem Harvard- und Michigan-Ansatz liefert er für die vorliegende Arbeit wichtige Hinweise hinsichtlich der Strategien und Techniken, mit denen das HRM eine systematische Bewertung und Formung des Personal- und Arbeitsvermögens anstrebt. Kapitel 2.3 vertieft die Erkenntnisse der Perspektiven und Rationalitäten des Managements von Personal und Arbeitsvermögen am Gegenstand der deutschsprachigen und angloamerikanischen Diskussion und Forschung zum HRM. Grundlegende Charakteristika des HRM-Ansatzes sind in seiner Ressourcen-, Strategie- und Prozessorientierung sowie seinem spezifischen Verständnis der Gestaltung industrieller Beziehungen zu sehen. Diese Orientierungsweisen werden ausführlich analysiert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf organisationalen Strategien und Konzepten, mit denen das menschliche Arbeitsvermögen identifiziert und ökonomisch bewertet (Human Resource Accounting), transformiert (Human Resource Development [HRD]) und durch die Reorganisation und Diversifizierung des psychomoralischen Kontrakts zwischen Unternehmen und Mitarbeitern (Retention Management) langfristig genutzt werden soll. Auf der Basis der vorangegangenen Ausführungen zu den historischen und konzeptionellen Grundlagen des HRM untersucht Kapitel 2.4 aktuelle Veränderungstendenzen in den Strukturen, den Aufgaben, der Organisationsweise, den Konzepten und der Finanzierung betrieblicher Weiterbildung und PE. Dabei zeigt sich, dass der Wandel betrieblicher Personal- und Bildungsarbeit keiner einheitlichen, in sich konsistenten Strategie des HRM folgt, sondern durch unterschiedliche Anspruchsgruppen mit zum Teil widersprüchlichen Erwartungen an deren Rolle, Selbstverständnis und Leistung geprägt ist. Es zeichnen sich jedoch pfadprägende, wenngleich zueinander nicht immer komplementäre Entwicklungstendenzen betrieblicher Weiterbildungs- und Personalarbeit ab, die hinsichtlich ihrer potenziellen Auswirkungen auf die Nutzung, Verwertung und Entwicklung des subjektiven Arbeitsvermögens der Beschäftigten kritisch reflektiert werden.
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2.1 Konzeptionelle Einflüsse und historische Vorläufer des Human Resource-Managements 2.1.1
Vom Scientific Management zur Human Relations-Bewegung
Erste Ansätze eines für das HRM konstitutiven systematischen Managements der industriellen Beziehungen wie auch einer Fokussierung auf die Qualifikationen und Leistungspotenziale der Arbeitskräfte lassen sich bis in die Hochphase der Industrialisierung zurückverfolgen. Frederick W. Taylor, der Begründer des Scientific Managements und Vaterfigur des Taylorismus, entwickelte unter anderem auf der Basis der „time and motion studies“ wie auch in seinen Publikationen „Scientific Management“ und „Shop Management“ dezidierte Verfahren einer systematischen Selektion von Mitarbeitern entlang von Qualifikationen und individuellem Arbeitsverhalten. Taylors Messverfahren zielten bereits auf die Erfassung, Bewertung, Weiterentwicklung und Verbesserung von Arbeitsergebnissen und Leistungspotenzialen der Arbeitskräfte in individueller und kollektiver Hinsicht (vgl. Montana/Charnov 2000: 205ff.; Diefenbach/Vordank 2003: 11ff.). Der Umgang des Managements mit dem Arbeitsvermögen stand allerdings in scharfem Widerspruch zu heutigen Managementmodellen, die vor allem auf eine Mobilisierung der Selbstorganisationspotenziale, die Aktivierung von Verantwortungsbereitschaft und die umfassende Nutzung der Qualifikation und Subjektivität der Arbeitenden zielen. Die tayloristische Nutzung menschlicher Arbeitskraft wurde von Braverman (1975) durch eine Ablösung der Arbeitsausführung von den Fähigkeiten und dem Wissen der Beschäftigten, durch eine Trennung von Planung und Ausführung (d.h. dispositiver und ausführender Arbeit) und durch eine Monopolisierung des Wissens durch das Management zwecks effektiverer Kontrolle des Arbeitsprozesses charakterisiert. Die Folgen für die Arbeitenden wurden unter anderem mit Begriffen wie Entfremdung, Entqualifizierung, Fragmentierung und Vereinheitlichung der Qualifikationen beschrieben (vgl. Schienstock 1993). Stern (1916) gilt als ein wichtiger Vordenker der Idee einer systematischen und planvollen Entwicklung und Verwertung humaner Ressourcen. Vor dem Hintergrund der Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges bezeichnete er die Frage, wie die Nation nach Kriegsende mit ihren Humanressourcen umgehe, als entscheidenden Faktor zum Erhalt und Ausbau der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Insbesondere eine pädagogisch kontrollierte Auslese, Mobilisierung und Entwicklung der Begabten erschien ihm hierbei als grundlegend, wobei dieser Prozess der Nutzung und Entwicklung der „Volkskraftökonomie“ in erster Linie sozial-ethischen Zwecken, nicht aber betriebsökonomischen Verwertungs-
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imperativen folgen solle (vgl. Veith 2003: 217).28 Während das Scientific Management jedoch in erster Linie auf eine objektivierende Zurichtung menschlicher Arbeitskraft zielte, wurden mit der Human Relations-Bewegung der 1930er Jahre erstmals empirische Evidenzen für die Relevanz sozialer Faktoren für die Produktivität der Unternehmung sichtbar. Insbesondere die Ergebnisse der in den 1920er bis 1930er Jahren bei Western Electric durchgeführten Hawthorne Studies hatten großen Einfluss auf die Herausbildung der sogenannten Human Relations-Bewegung. Dort wurden die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und Produktivität untersucht. Ein zentrales Ergebnis dieser Studie war, dass die monetären Leistungsanreize des Unternehmens deutlich weniger Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität hatten als die ungeschriebenen sozialen Regeln unterhalb der Ebene der offiziellen Arbeitsorganisation, vor allem in Gestalt informeller Leistungsabsprachen innerhalb der Arbeitsgruppe und der entsprechenden Sanktionierung dieser Normen durch die Gruppe (vgl. Roethlisberger/Dickson 1939). Die Human Relations-Bewegung betonte aber vor allem den Aspekt eines engen Zusammenhangs zwischen der Produktivität der Arbeitenden und ihrer subjektiven Arbeitszufriedenheit: Dieser Gedanke prägt bis heute das humanistische Moment des HRM (vgl. Kleimann/Barnett 2006: 359). Miles (1975) rekonstruiert den Wandel des manageriellen Zugriffs auf Arbeitskraft und das damit assoziierte Mitarbeiterbild in drei Modellen: Das traditionelle Modell beruht auf der pessimistischen Annahme, dass ein Großteil der Menschen zur Arbeit nur durch äußere Kontrollen und monetäre Anreize stimuliert werden muss und für Aufgaben mit großer Verantwortung und Kreativität ungeeignet ist. Personalführung bedeutet hier eine minutiöse und engmaschige Kontrolle des Arbeitsverhaltens und eine starke Zergliederung von Arbeitsaufgaben. Von diesem traditionellen (tayloristisch-bürokratischen) Kontrollmodus grenzt Miles sowohl das Human Relations-Modell als auch das Human Resource-Modell ab. Im Human Relations-Modell soll Personalführung – ausgehend von der Annahme, dass die soziale Aufmerksamkeit ein bedeutsamerer Motivationsfaktor ist als Geld – menschliche Bedürfnisse nach Anerkennung und Autonomie ernst nehmen, indem Mitarbeiter regelmäßig informiert werden, Möglichkeiten der Beteiligung geschaffen werden und Wertschätzung bewusst kommuniziert wird. Mit dem Human Resource-Modell erhalten das Menschenbild und die Techniken der Personalführung noch einmal eine neue Ausrichtung. Konträr zum traditionellen Modell und aufbauend auf dem Human Relations-Modell, 28 Diese eher funktionalistische Perspektive auf Bildung kennzeichnet auch die heutigen Diskurse um Humanressourcen, die Wissensgesellschaft bzw. die Wissensökonomie. Korrespondierend zur Begabtenauslese, findet sich im heutigen HRM eine Vielzahl von Instrumenten, Techniken und Strategien der Segmentation und Selektion von Begabten, die in der Managementsprache als Leistungsund Potenzialträger bezeichnet werden.
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geht das Human Resource-Modell davon aus, dass Menschen durch die Einräumung von Autonomie-, Partizipations- und Handlungsspielräumen in der Arbeit sowie durch eine konsequente Entfaltung ihrer Fähigkeiten und Potenziale nicht nur eine hohe Arbeitszufriedenheit entwickeln, sondern zugleich auch Produktivitätssteigerungen umsetzen (ebd., 1975: 35). Neben der Human Relations-Bewegung, den verhaltenswissenschaftlichen Konzepten der Personalführung und den Ansätzen der Organisationsentwicklung ist das HRM in Sprache und Denkmuster vor allem geprägt durch die Humankapitaltheorie und den Resource-Based View der Unternehmensführung (vgl. Felger/Paul-Kohlhoff 2004). Die beiden zuletzt genannten Ansätze haben einen starken Einfluss auf konzeptionelle Annahmen des HRM und werden deshalb an dieser Stelle ausführlicher dargestellt.
2.1.2
Humankapitaltheorie
Die Humankapitaltheorie entstand in den 1960er Jahren im Kontext ökonomischer Arbeiten, die sich mit der Frage nach den Ursachen wirtschaftlichen Wohlstands und Wachstums auseinandersetzten. Wurde wirtschaftliches Wachstum bis dahin allein auf die Ausstattung und Entwicklung einer Volkswirtschaft mit physischem Kapital zurückgeführt, stellten die Arbeiten von Schultz (1961, 1963) erstmals einen Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Bildung her. Bildung wurde als produktive Ressource und nicht mehr ausschließlich als Konsumgut bewertet. Schultz übertrug Investitionskalküle, die zuvor nur auf das Sachkapital (wie Maschinen oder Technologien) angewendet wurden, auf den Bereich der Bildung und sprach in diesem Zusammenhang von Humankapital (vgl. Krais 1983; Ammermüller/Dohmen 2004). Aus den mittlerweile als klassisch zu bezeichnenden Arbeiten von Becker (1964) und Mincer (1974), die die Humankapitaltheorie theoretisch und empirisch fundierten, entstand der Zweig der Bildungsökonomie.29 Nach Krais wendet der Humankapitalansatz die Kapitaltheorie auf menschliche Ressourcen an und ist damit „nichts anderes als eine kapitaltheoretische Fassung der Arbeitskraft“ (Krais 1983: 202): „Investitionen in Humankapital, insbesondere in Gestalt von Bildung, modifizieren die Qualifikationen, die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Menschen und daher die Produktivität seiner Arbeitskraft. Entsprechend den unterschiedlichen Aufwendungen/Investitionen der Menschen für ihre Qualifikationen erweist sich die Anwendung ihrer Arbeitskraft im Produktionsprozeß 29 Der Begriff „Humankapital“ hat heute weit über die ökonomische Theorie hinaus Eingang in den gesellschaftlichen Diskurs gefunden, z.B. im Kontext der Wettbewerbsfähigkeit des Bildungswesens und der Wirtschaft oder in Gestalt eines empörten Statements einiger Sprachwissenschaftler, die „Humankapital“ zum Unwort des Jahres 2004 gekürt haben.
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in unterschiedlichem Maße als produktiv, und diese unterschiedliche Produktivität wiederum hat, entsprechend der Annahme, daß Arbeit nach ihrer Grenzproduktivität entlohnt wird, Löhne unterschiedlicher Höhe zur Folge“ (ebd.).
Innerhalb des wirtschaftswissenschaftlichen Denkens wird der Begriff „Humankapital“ im Rahmen sowohl makro- als auch mikroökonomischer Betrachtungen verwendet. Grundlegend für beide Verwendungsweisen ist die Erwartung, dass durch hohe Anstrengungen (besonders zeitliche und finanzielle Aufwendungen) in Bildung, Qualifikation und Ausbildung die Produktivität der Arbeitskräfte steigt und damit zukünftige und länger anhaltende Erträge („Bildungsrenditen“) erwirtschaftet werden können, die diese Investitionen rechtfertigen. In der Makroökonomie bezieht sich der Begriff primär auf das Leistungsvermögen der Erwerbsbevölkerung, während mikroökonomische Ansätze den Fokus auf Investitionen in das individuelle Arbeitsvermögen wie z.B. Wissen, Fähigkeiten, Qualifikationen und Talente legen. Die mikroökonomisch ansetzende klassische Humankapitaltheorie erklärt die Bereitschaft von Individuen als auch des Arbeitgebers, in Bildung zu investieren, als Resultat einer rationalen, ökonomisch kalkulierten Entscheidung („rational choice“). Unterstellt wird das im betriebswirtschaftlichen Denken immer noch prägende Bild eines homo oeconomicus, der den von ihm zu erbringenden Aufwand (z.B. Anstrengung, Zeit, finanzielle Kosten, Einkommensverlust) ins Verhältnis zu den zu erwartenden Erträgen (z.B. steigendes Einkommen im Lebensverlauf) setzt und in dem Falle, dass die kalkulierte Bildungsrendite positiv ausfällt, in Bildung investiert. Eine Investition erfolgt idealtypisch dann, wenn eine Produktivitätssteigerung oder aber ein polyvalenter Personaleinsatz zu erwarten ist, wenn die erworbenen Wissensbestände und Kompetenzen eine bestimmte Zeit genutzt werden können, wenn Bildungskosten und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl. Krais 1983; Düll/Bellmann 2001). Die Humankapitaltheorie geht davon aus, dass Arbeitgeber primär unter der Voraussetzung, dass sich das zu erwerbende Humankapital betriebsspezifisch (d.h. arbeitsplatzrelevant) und dauerhaft verwerten lässt, eine Investition vornehmen, aber an der Erweiterung allgemeinen Humankapitals nicht so sehr interessiert sind (vgl. Kräkel 1999; Martin 2003a, 2003b). Eine differenzierte Kommentierung dieser These findet sich bei Düll und Bellmann: „Dieser Ressourcen- und Investitionscharakter von verfügbaren Qualifikationen trifft sowohl für das ‚allgemeine‘ als auch für das ‚(firmen)-spezifische‘ Humankapital zu, jedoch gelten für die Finanzierung, Absicherung und Verwertung dieser immateriellen Investitionen unterschiedliche Kalküle und asymmetrische Nutzenverteilungen. Während die Arbeitnehmer an allgemeiner (beruflicher Aus- und Weiter-)Bildung zur Wahrung ihrer Beschäftigungs- und Einkommenschancen interessiert sind, ist eine Finanzierung von ‚allgemeinem Humankapital‘ für die Arbeitgeber im strengen Sinne nicht sinnvoll, da die Grenzproduktivität des Arbeitnehmers auch für andere Unternehmen ansteigen würde und die Gefahr einer Abwanderung vor Amortisation der Bildungsinvestition bestehen könnte“ (Düll/Bellmann 2001: 206).
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2.1.3
Resource-Based View
Die Diskussion um organisationsinterne Fähigkeiten und Ressourcen im Kontext strategischer Unternehmensführung lässt sich bereits bis in die 1950er Jahre zurückverfolgen. So betrachtet Penrose (1959) Firmen als Bündel von Produktivressourcen und unterscheidet zwischen physischen bzw. materiellen Ressourcen (z.B. Gründstücke, Rohstoffe) und humanen Ressourcen (z.B. qualifizierte und unqualifizierte Arbeitskräfte, Personal in Verwaltung, Management oder technischen Funktionen). Entscheidend für die Erschließung von Wettbewerbsvorteilen ist aus dieser Perspektive nicht lediglich die Verfügbarkeit heterogener Ressourcen, sondern auch ihr produktiver Einsatz im Unternehmen. Das zentrale Moment unternehmerischen Erfolgs sieht Penrose in der Nutzung, Kombination und Transformation organisationsinterner Ressourcen in produktive Leistungen. Trotz dieser frühen Thematisierung humanressourcenorientierter Betrachtungen fanden diese erst Mitte der 1980er Jahre Eingang in die betriebswirtschaftliche Diskussion.30 Dominierten in diesem Kontext bis dahin branchenzentrierte Erklärungsansätze (z.B. der Ansatz der Industrieökonomik oder die Industrial Organization-Forschung), die das Wettbewerbsverhalten und den Unternehmenserfolg auf unternehmerexterne, vor allem markt- und branchenbezogene Aspekte zurückführten, setzte sich nun eine ressourcenorientierte Betrachtung der Organisation durch, die die Ursachen für Wettbewerbsvorteile in der unternehmensinternen Ressourcenausstattung und -nutzung verortet und die bis heute ihre Attraktivität noch weiter ausbauen konnte.31 Das Hauptaugenmerk des Resource-Based View liegt auf der Nutzung organisationsinterner immaterieller Ressourcen bzw. sogenannter intangible assets, die Barney (1991) als Oberbegriff für „organisationale Ressourcen“ und „Humanressourcen“ verwendet. Organisationale Ressourcen umfassen unter anderem die formalisierten und informellen Planungs-, Koordinations- und Kontrollsysteme, aber auch externe Beziehungen eines Unternehmens. Humanressourcen wie Erfahrung, Qualifikation, Intelligenz, Bezie-
30 Der 1984 im Management Journal veröffentlichte Aufsatz von Wernerfelt (1984) mit dem Titel „A resource-based view of the firm“ löste in der betriebswirtschaftlich geführten Diskussion um strategische Unternehmensführung einen grundlegenden Perspektivenwandel aus. Der bis dahin vorherrschende industrie- bzw. branchenorientierte Erklärungsansatz wurde allmählich durch eine Sichtweise abgelöst, die Unternehmenserfolge auf die Verfügbarkeit interner Ressourcen (tangible und intangible assets) zurückführt, die sich durch Wettbewerber schlecht substituieren oder erwerben lassen und dem Unternehmen eine monopolisierte Marktstellung ermöglichen. Aus dieser Sicht scheinen sowohl eine „geschickte Ressourcenauswahl“ als auch eine strategische Bindung der nur schwer imitierbaren Ressourcen entscheidend für die Erzielung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile (vgl. Fried 2003: 7–15). 31 Vgl. Rasche/Wolfrum 1993; vgl. auch die Beiträge in der management revue vol. 14, issue 1, 2004.
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hungsnetzwerke oder Urteilskraft hingegen bezeichnen die Qualitäten des Personals. Der Resource-Based View verfügt gegenwärtig weder über ein einheitlich verwendetes Begriffsinstrumentarium noch stellt er ein theoretisch elaboriertes und homogenes Konzept dar. Vielmehr lässt er sich als Sammelkategorie für eine Vielzahl von Arbeiten betrachten, die ihre Konsistenz vielleicht am ehesten aus dem Versuch beziehen, die markt- und branchenbezogene Perspektive um eine „Innenorientierung“ auf die Organisation zu erweitern. Fried (2003) hat den Versuch einer historischen Rekonstruktion der Diskussion um organisationsinterne Ressourcen unternommen und unterscheidet vier Phasen: Auf die Phase der Vorarbeiten (vgl. insbesondere Penrose 1959) folgt die Phase der Konstituierung, in der begriffliche Grundlagen geschaffen wurden. Darauf folgt Anfang der 1990er Jahre die Phase der Fähigkeits- und Kompetenzorientierung und später die Phase der Wissensorientierung. In der Phase der Kompetenzorientierung wird die bis dahin doch recht abstrakte Auseinandersetzung mit der Bedeutung von intangible assets insofern konkretisiert, als subjektgebundene Fähigkeiten und organisationale Lernprozesse nun als zentrale Erfolgsfaktoren thematisiert werden. Nach Fried erweitert Grant (1991) die bisherige Debatte um das Argument, dass neben einer geschickten Auswahl und geeigneten Nutzung interner Ressourcen vor allem eine aktive und permanente Weiterentwicklung dieser Ressourcen Erfolg versprechend sei. Er unterscheidet sechs Ressourcenkategorien: finanzielle, physische, humane, technologische und organisationale Ressourcen sowie Reputation und betrachtet Organisationen als ein Netzwerk routinisierter Handlungsmuster, die auf dem in organisationalen Lernprozessen erworbenen impliziten Wissen beruhen und veränderbar bzw. anpassungsfähig bleiben müssen. Während individuelle Fertigkeiten „über praktisches Anwenden im Zeitverlauf angeeignet werden, werden organisationale Fähigkeiten bzw. Routinen über Erfahrungen entwickelt und aufrechterhalten“ (Fried 2003: 20). Nachhaltige Wettbewerbsvorteile erschließen sich demzufolge aus den Charakteristika verfügbarer Ressourcen (Haltbarkeit, Transparenz, Transferierbarkeit und Imitierbarkeit) als auch aus der organisationalen Fähigkeit, sich die aus dem Ressourceneinsatz generierten Renten anzueignen, die zum Beispiel durch begrenzte Kontroll- und Zugriffsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Unklar bleibt nach Fried allerdings die Frage des Verlaufs von Lernprozessen und wie organisationale Fähigkeiten „erhalten, weiterentwickelt bzw. angepasst werden können“ (ebd., 20). Halls (1992) Ansatz sieht nach Wettbewerbsvorteile vor allem in den unterschiedlichen organisationalen Fähigkeiten begründet, die aus der Verfügung über bzw. der Nutzung von intangible resources (Wissen, Markenname, Organisationskultur, Copyright etc.) entstehen (vgl. Fried 2003: 20). Hall differenziert zwischen Fähigkeitsunterschieden, die aus Kompetenzen resultieren (funktional:
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Wissen, Erfahrungen, Kundenbeziehungen; kulturell: Einstellungen, Werte, Veränderungsfähigkeit), und solchen, die sich aus „Vermögensunterschieden“ ergeben (z.B. Kundenreputation, Vorteile des Produktionsstandortes). Die Kriterien zur Unterscheidung von Vermögenswerten und Kompetenzen bleiben jedoch unklar. Die vierte Phase des Resource-Based View zeichnet sich nach Fried durch ihre Wissensorientierung aus. Seit den 1990er Jahren wird Wissen selbst als eine zentrale Ressource zur Erzielung unternehmerischer Wettbewerbsvorteile betrachtet. Die Autorin zieht ein Resümee hinsichtlich der konzeptionellen Adäquatheit der kompetenz- und wissensorientierten Perspektive als jüngste Entwicklungsphase des Resource-Based View: „Ein wenig ausgearbeitetes Prozessverständnis der internen Generierung von Ressourcen, Fähigkeiten usw. bedingt in der Resource-Based View der Fähigkeits- und Kompetenzorientierung ein ebenfalls vage bleibendes Verständnis davon, was Unternehmen an qualitativ Neuem eigentlich hervorbringen können. [...] Dies ändert sich ebenfalls nicht grundlegend in der Phase der Wissensorientierung, in der organisationales resp. kollektives Wissen als zentraler strategischer Erfolgsfaktor dargestellt wird“ (Fried 2003: 32; Hervorhebung im Original).
In der aktuellen Diskussion wird der Begriff „immaterielle Ressourcen“ als Oberbegriff für zum Teil personengebundene, schwer transferierbare und substituierbare organisationale Faktoren wie Wissen, Kompetenzen oder die Lern- und Anpassungsfähigkeit der Organisation an veränderte Markt- oder Produktionsanforderungen verwendet. Zentral ist auch hierbei die Annahme, dass die Erzielung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile entscheidend von der Fähigkeit der Organisation abhängt, diese verborgenen Potenziale systematisch identifizieren, nutzen, entwickeln und an sich binden zu können (vgl. Pawlowsky u.a. 2003).
2.1.4
Entwicklungsphasen der Personalarbeit
Seit der Institutionalisierung des Personalwesens als eigenständigen großbetrieblichen Funktionsbereich ab Ende des 19. Jahrhunderts haben die Praxis der Personalfunktion wie auch ihre (betriebs-)wissenschaftliche Deutung und Theoriebildung immer wieder Neuerungen erfahren. Nach Staehle (1989) war das Verhältnis der Unternehmensführung zur Personalfunktion ebenso wie das des Personalwesens zu den Mitarbeitern von Beginn an instrumentell definiert: „Klassischerweise kommt dem Personalwesen in der Unternehmung die Aufgabe zu, den Faktor ‚Arbeit‘ an die zuvor personenunabhängig entworfenen Arbeitsstrukturen, die Organisation, anzupassen. Die einzelnen Unternehmensbereiche melden einen Personalbedarf, die Personalabteilung hat die personellen Ressourcen in der gewünschten Quantität und Qualität zur rechten Zeit und am rechten Ort bereitzustellen. Das benötigte Personal wird beschafft, ausgelesen,
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nach der Einstellung verwaltet und betreut; nicht (mehr) benötigtes Personal wird entlassen, verrentet, abgefunden“ (ebd., 388).
Dieser objektivistischen Perspektive steht ein vor ungefähr dreißig Jahren einsetzender Wandel in der Sichtweise auf die Mitarbeiter und ihre vielfältigen Leistungspotenziale und Bedürfnisse gegenüber. Oechsler (1997) unterscheidet vier Entwicklungsphasen der unternehmerischen Personalarbeit: Die administrative Phase bürokratisierter Personalarbeit begann mit der Institutionalisierung des Personalwesens als eigenständige betriebliche Funktion und dauerte bis in die frühen 1970er Jahre fort. Als Reaktion auf das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 und das Mitbestimmungsgesetz von 1976 folgte die Phase der Institutionalisierung, Spezialisierung und Professionalisierung der Personalarbeit im Zuge zahlreicher Projekte zur „Humanisierung durch Arbeit“. Qualitative Personalfunktionen wie Aus- und Weiterbildung, kooperative Mitarbeiterführung sowie Organisations- und Personalentwicklung werden zunehmend als Hauptaufgabe betrieblicher Personalarbeit wahrgenommen. Ebenso dominierte die Vorstellung, die Organisation müsse sich den Mitarbeiterinteressen anpassen. Dieser funktionale Bedeutungsgewinn qualitativer Personalfunktionen stärkte zugleich den Einfluss des bis dahin monopolistisch geführten Personalwesens, insbesondere im Großunternehmen, zumal die Personalfunktion durch den Wandel der Betriebs- und Unternehmensverfassung mit einem Arbeitsdirektor im Vorstand repräsentiert wurde (vgl. Staehle 1989; Weitbrecht 1998; Kotthoff/Matthäi 2001). Anfang der 1980er Jahre veränderten sich im Zuge von Dezentralisierung und Ökonomisierung nicht nur die Leitvorstellungen der Organisation und der Mitarbeiter, sondern auch die Stellung und das Selbstverständnis des Personalwesens: Personalarbeit wurde nun als ein zentrales, unterstützendes Instrument gesehen, um über Rationalisierungs- und Flexibilisierungskonzepte eine Anpassung der Organisation an sich wandelnde wirtschaftliche Rahmenbedingungen vorzunehmen. Die jüngste, vierte Entwicklungsphase (ab 1990) kennzeichnet nach Oechsler den Übergang zum HRM im Großbetrieb. Die wichtigste Aufgabe der Personalarbeit sei nun die Aktivierung und Entwicklung unternehmerischen Handelns und Denkens im Rahmen der betrieblichen Wertschöpfung. Nach Weitbrecht (1998: 15f.) vollzog sich mit der Etablierung des HRM-Ansatzes ein Wandel in Organisation und Rollenverständnis der Personalfunktion: An die Stelle eines in Fragen der Personalauswahl, -entwicklung und des Gehaltsmanagements zentralistisch agierenden Personalwesens tritt nun die Dezentralisierung von Management- und Personalführungskompetenzen. Im Bereich der Personalpolitik großer Unternehmen hat sich mit dem HRM in den 1990er Jahren ein neues Leitbild der ökonomischen Nutzung und Entwicklung des Personalvermögens als „Summe der Qualifikationen und Motivationen einschließlich deren Entwicklungspotentiale“ (Ortner 2000: 11f.) durchgesetzt. Das Konzept wird vor 93
allem in der betriebswirtschaftlichen Literatur zur strategischen Unternehmensund Personalführung intensiv behandelt, ist aber innerhalb der arbeits- und industriesoziologischen Diskussion bislang eher randständig vertreten.32 Der Begriff „Human Resource-Management“ wird häufig in unsystematischer und unscharfer Weise verwendet. Anstelle eines einheitlichen und homogenen Konzepts findet sich eine Vielzahl von vornehmlich aus der US-amerikanischen Literatur stammenden und im deutschsprachigen Raum rezipierten HRM-Konzepten (vgl. Becker/Wagner 1998; Weitbrecht 1998). Einerseits lässt sich das HRM als Sammelbegriff für Aktivitäten, Praktiken und Techniken betrachten, die innerhalb eines Teils der deutschsprachigen Literatur mit klassischen Begriffen des Personalmanagements oder der Personalwirtschaft bezeichnet werden (vgl. Felger/Paul-Kohlhoff 2004); andererseits hat das HRM auf konzeptioneller und zum Teil auch empirischer Ebene einen paradigmatischen Wandel der Aufgabenbeschreibung des Personalwesens, seiner Stellung im Unternehmen und der Rationalitäten im Umgang mit dem Personal- und Arbeitsvermögen induziert, die im Rahmen dieses Kapitels eingehender analysiert und diskutiert werden. Staehle nennt einige Aspekte dieser perspektivischen Verschiebungen und Erweiterungen auf konzeptioneller Ebene: „Während bis zu Beginn der 80er Jahre der Funktionsbereich Personal als ein betriebliches Aufgabenfeld neben anderen, wie Beschaffung, Produktion, Absatz behandelt wurde, hat seitdem eine Neuorientierung hin zu einer integrativen, proaktiven und strategischen Sichtweise des Faktors Arbeit in der Unternehmung stattgefunden. Personalarbeit reduziert sich nicht auf die bloße Anwendung von Personaltechniken, wie Personalplanung, -einsatz, -entwicklung oder -entlassung, deren kompetenter Einsatz hochspezialisierten Mitarbeitern in der Personalabteilung zugewiesen wird, sondern sie ist eine genuine Managementaufgabe. Alle mit dem Faktor Arbeit in Verbindung stehenden Handlungen/Entscheidungen werden als Human Resources Activities integrativ geplant und mit der Unternehmungsstrategie abgestimmt“ (Staehle 1989: 388).
Im Folgenden werden zunächst historische Vorläufer sowie pfadprägende Ansätze des HRM vorgestellt. Daran anschließend werden grundlegende konzeptionelle Ausrichtungen und Aufgabenbereiche des HRM rekonstruiert und daraus die These eines – zunächst auf konzeptioneller Ebene – durch das HRM beanspruchten neuartigen Zugriffs der Organisation auf subjektive Leistungspotenziale der Arbeitskräfte entwickelt. In diesem Zusammenhang wird die Frage eines Funktions- und Bedeutungswandels von Personalarbeit im Zuge der Etablierung des HRM aufgenommen und diskutiert.
32 Als Ausnahmen für die Arbeits- und Industriesoziologie sind hier zu nennen: Baetghe/Schiersmann 1998; Weitbrecht/Braun 1999; Moldaschl 2002a. Zur Rolle des HRM innerhalb der industriellen Beziehungen vgl. Fischer/Hedrich 1995.
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2.2 Wissenschaftliche Ansätze des Human Resource-Managements Das HRM entwickelte sich konzeptionell und auf Unternehmensebene aus dem Personalmanagement. Bereits Mitte der 1970er Jahre wurde die Funktion des personnel management in vielen US-amerikanischen Firmen in das HRM umgewandelt. Der Transformationsprozess beruhte auf dem Hintergrund einer zunehmenden Professionalisierung der Personalpraxis und der Erkenntnis seitens der Manager und Wissenschaftler, dass dem Faktor „Personal“ eine wachsende Bedeutung für den Erfolg einer Unternehmung zukommt (vgl. Schuler/Jackson 2005: 2). Anfang der 1980er Jahre wurden an den Universitäten in Harvard und Michigan die wissenschaftlichen Grundlagen des HRM-Ansatzes gelegt und später in der angelsächsischen Debatte weiterentwickelt. Im Laufe der 1990er Jahre etablierte sich das HRM als zentrales Leitbild des großbetrieblichen Personalmanagements (vgl. Becker/Wagner 1998; Felger/Paul-Kohlhoff 2004: 18). Im Folgenden werden die beiden wegweisenden und bekanntesten HRM-Ansätze aus Harvard und Michigan vorgestellt und vergleichend diskutiert. Im Anschluss erfolgt eine Darstellung des sogenannten evolutionary approach to Human Resource-Management, das die Strategien der Beeinflussung des Personalvermögens aus einer evolutionstheoretischen Perspektive zu rekonstruieren versucht (vgl. Klimecki/Litz 2004).
2.2.1
Der Harvard-Ansatz
Der Anfang der 1980er Jahre an der Harvard Graduate School of Business Administration von Beer u.a. (1984) ausgearbeitete Harvard-Ansatz konzipiert das HRM als ein ganzheitliches, inner- und außerorganisationale Einflussfaktoren berücksichtigendes Modell betrieblichen Personalmanagements. Es beinhaltet vier zentrale Aktions- und Gestaltungsfelder: Human Resource Flow (Personalrekrutierung, -beurteilung, -beförderung und -entlassung), Anreiz- und Entlohnungssysteme, Arbeitsorganisation und -strukturierung, Einfluss der Mitarbeiter durch direkte Partizipation. Als zentrale Aufgaben werden die „integrative Harmonisierung“ dieser vier Funktionsbereiche als auch deren Abstimmung mit den situativ variierenden Interessen der „Organisationsteilnehmer“ benannt.33 Der Ansatz betont die wertschöpfende Rolle des HRM, indem sein Beitrag zum Unternehmenserfolg hervorgehoben und Qualifizierung als zukunftsträchtige Inve33 „Organisationsteilnehmer sind die Anteilseigner, das Management, die Mitarbeiter, die Gewerkschaften sowie der Staat. Als situative Faktoren werden Beschäftigungsstruktur, Unternehmensstrategie, Managementphilosophie, Arbeitsmarktbedingungen, Gewerkschaftsforderungen, Technologie, Gesetze und gesellschaftliche Werte genannt“ (Liebel/Oechsler 1994: 1).
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stition betrachtet werden (vgl. Felger/Paul-Kohlhoff 2004: 19–24). Eine Abstimmung der HRM-Politiken auf die situativen Anforderungen und Interessenkonstellationen erhöht nach den Annahmen des Modells die Verbundenheit der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und wirkt sich positiv auf die nutzbare Wissens- und Kompetenzbasis und damit auch auf die Wirtschaftlichkeit der HRAktivitäten aus. Dieses Modell verspricht allerdings keine exakte Erklärung oder gar Quantifizierung der kausalen Beziehungen zwischen HRM-Politik und dem Erfolg der Unternehmung, sondern geht eher von indirekten und langfristigen Wechselwirkungen aus, von denen angenommen wird, dass sie die Anpassungsfähigkeit der Organisation an sich wandelnde wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Anforderungen und Interessenlagen erhalten bzw. erhöhen und eine Vereinbarkeit von Unternehmenserfolg und Wohlergehen von Mitarbeitern und Gesellschaft gewährleisten. Letzteres wird dabei weniger als lästiges Zugeständnis des Unternehmens an die Gesellschaft und Interessengruppen betrachtet, sondern vielmehr als ökonomisch rationales und sich lohnendes Vorgehen, das gesellschaftliche Verantwortung, umsichtiges Agieren und ökonomische Kalküle nicht als Gegenpole konzipiert (vgl. Liebel/Oechsler 1994: 3).
2.2.2 Der Michigan-Ansatz Der in den frühen 1980er Jahren von Devanna u.a. (1982, 1984) an der Universität von Michigan entwickelte Michigan-Ansatz unterscheidet sich vom HarvardAnsatz vor allem durch seine Betonung der strategieumsetzenden Funktion des HRM. Im Fokus des Michigan-Ansatzes steht der Zusammenhang von Unternehmensstrategie, Organisationsstruktur und HRM-Cycle. Letzterer setzt sich aus vier Funktionsbereichen zusammen: Personalrekrutierung, PE, Personalbeurteilung und Entgeltgestaltung. Der HRM-Cycle hat im Wesentlichen die Aufgabe, aus der Unternehmensstrategie bzw. -mission entsprechende Maßnahmen für das HRM abzuleiten, aufeinander abzustimmen und umzusetzen, sodass die vorgegebenen Leistungsziele des Gesamtunternehmens und der Mitarbeiter erreicht werden. Die Autoren unterscheiden dabei drei Ebenen des HRM: eine strategische, eine taktische und eine operative Ebene, die auf die Managementebenen der Unternehmensführung abgestimmt werden sollen. Die auf strategischer Ebene formulierten Ziele sollen von der taktischen Ebene unter Festlegung des dazu erforderlichen Ressourceneinsatzes umgesetzt werden. Die operative Ebene hingegen beschränkt sich auf das Tagesgeschäft der Personalbetreuung und -administration (vgl. auch Krauss 2002). Dem HRM wird dabei kein Einfluss auf die Formulierung der Unternehmensziele zugestanden. Wesentlich ist vielmehr die Verzahnung der als HRM-Cycle integrierten vier Personalfunktio-
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nen mit den unternehmerischen Zielvorgaben (vgl. Liebel/Oechsler 1994: 6ff.; Felger/Paul-Kohlhoff 2004). Als außerorganisationale Einflussfaktoren auf den Gestaltungsspielraum der HR-Politik werden grob das Wirtschaftssystem, die Kultur und die Politik genannt, als organisationale Faktoren Unternehmensstrategie und Organisationsstruktur. Problematisch an diesem Konzept ist die Ausblendung von Mitarbeiterinteressen bzw. deren Gleichsetzung mit dem unternehmerischen Verwertungsimperativ. So weisen Felger und Paul-Kohlhoff zu Recht darauf hin, „dass der Michigan-Ansatz mit seiner geradezu deterministischen Orientierung ‚structur and HRM follows strategy‘ dieses HRM – auch wenn es sich strategisch nennt – nicht als einen kontinuierlichen und integrativen Prozess von HRM als (gleichberechtigten) Beitrag im Rahmen der Unternehmensführung denkt: Personalmanagement bleibt eine abgeleitete Größe, Mitarbeiter/-innen-Potenziale werden instrumentalisiert, ihre Interessen ordnen sich dem Erreichen der Unternehmensziele unter. Konsequenterweise bleiben Fragen der Mitarbeiterbeteiligung, ihrer organisierten Interessenvertretung und die Interessenlage der Beschäftigten – anders als im Harvard-Ansatz – unberücksichtigt“ (ebd., 23).
2.2.3
Harvard- und Michigan-Ansatz im Vergleich
Wo sind substanzielle Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Harvard- und des Michigan-Ansatzes zu sehen? Beide Ansätze betrachten organisationale Aktivitäten der Qualifizierung und PE als wettbewerbsrelevante Investition in das Personalvermögen. Darüber hinaus unterstreichen beide Modelle die Notwendigkeit einer Bindung von Leistungsträgern an das Unternehmen. Sowohl der Harvardals auch der Michigan-Ansatz halten eine systematische Abstimmung der Instrumente des HRM mit sich wandelnden Organisations- und Umweltanforderungen für erforderlich. Schließlich schlagen beide Ansätze eine Brücke zwischen Personalarbeit und Unternehmensführung, indem sie die Bedeutsamkeit einer Verknüpfung von Personalpolitik und Unternehmensstrategie hervorheben, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung. Während das HRM im HarvardAnsatz eher vom Gedanken der Kooperation und konsensuellen Aushandlung organisationaler und individueller Interessen getragen ist, folgt der MichiganAnsatz einem hierarchieorientierten Modell, in dem Personalaktivitäten funktionalistisch und aus den Geschäftsstrategien abgeleitet werden bzw. sich diesen unterordnen müssen. Das HRM hat hier eine lediglich strategieumsetzende Funktion, ist aber an Entscheidungsprozessen bezüglich der Formulierung und Gestaltung von Geschäftsstrategien selbst nicht beteiligt. Beide Ansätze unterscheiden sich auch hinsichtlich der Spannweite der das HRM betreffenden Faktoren. Während der Michigan-Ansatz lediglich innerorganisationale Personalaufgaben beschreibt, öffnet sich der Harvard-Ansatz auch gegenüber gesellschaftli97
chen Entwicklungen, auch wenn diese nur als ein Einflussfaktor neben anderen für Personalarbeit konzipiert werden. Ein wesentliches weiteres Unterscheidungskriterium bezieht sich auf die Reichweite der Relevanz von Mitarbeiterinteressen, z.B. an Partizipation oder dem Verhältnis des HRM zu den Organen betrieblicher Mitbestimmung. Während der Michigan-Ansatz Mitarbeiterinteressen eindeutig subsidiär behandelt, finden sich innerhalb des Harvard-Ansatzes Elemente einer humanisierenden und partizipativen Arbeitsgestaltung: „Kommunikation, Teamarbeit und verbesserte Nutzung von Fähigkeiten und Talenten der Mitarbeiter/-innen stehen im Vordergrund. Die Personalpolitiken sollen auf das Individuum ausgerichtet sein und mit dem Einzelnen oder kleinen Mitarbeitergruppen ausgehandelt werden“ (ebd., 21).
Insgesamt bleibt beim Harvard-Ansatz jedoch unklar, inwieweit dieser für eine Stärkung der Stakeholder-Interessen eintritt und auf welche Weise das Verhältnis zu Gewerkschaften und Betriebsräten gestaltet werden soll. Liebel und Oechsler (1994: 4f.) kritisieren in diesem Zusammenhang die Ausblendung der industriellen Beziehungen (und ihrer Spezifität im europäischen Raum) und die damit einhergehende einseitige Fokussierung auf individuelle Formen der Interessenpolitik. Hiltrop (1996: 630) schließlich sieht einen wesentlichen Grund für die scheiternde Adaption des Michigan-Ansatzes in europäischen Unternehmenskulturen darin, nicht auf die eingespielten industriellen Beziehungen in Europa ausgerichtet zu sein und die Bedeutung der konkreten Formen der Arbeitsorganisation für die Umsetzung von HR-Strategien zu verkennen.
2.2.4
Der „evolutionary approach to Human Resource-Management“
Ein wesentliches Kriterium, mit dem sich das HRM von den vorherigen Entwicklungsphasen der Personalarbeit unterscheiden lässt, ist die beanspruchte Systematizität, mit der die Leistungs- und Entwicklungspotenziale von Mitarbeitern identifiziert, aktiviert und weiterentwickelt werden sollen. Mit der veränderten Sicht des Unternehmensmanagements auf den Mitarbeiter erfährt das Personalmanagement – zunächst auf konzeptioneller Ebene – eine funktionale Aufwertung. Administrative Aufgaben rücken gegenüber qualitativen Personalfunktionen, denen nun eine unternehmensstrategische Bedeutung zugesprochen wird, zunehmend in den Hintergrund. Im Gegensatz zur Phase der Professionalisierung des Personalwesens seit den 1970er Jahren wird mit der Personalfunktion allerdings nicht mehr der zuvor offensiv vorgetragene Anspruch einer Humanisierung von Arbeit und Organisation verbunden. Die zentrale Funktion des HRM wird vielmehr darin gesehen, die subjektiven und organisationalen Bedingungen für
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einen gegenwärtigen und zukünftigen Zugriff der Organisation auf die sichtbaren und latenten Leistungspotenziale der Mitarbeiter herzustellen. Dieses Ziel wirft einige Fragen auf, unter anderem: Mit welchen Verfahrensweisen, Instrumenten und Techniken soll dieser Zugriff auf bzw. die Formung der Humanressourcen organisiert werden? Welchen Vorstellungen folgen Vertreter des HRM-Ansatzes im Hinblick auf die Möglichkeiten und Modalitäten eines quasi-instrumentellen Zugriffs auf das Personal und die damit verbundenen Qualifikationen, Motivationen und Handlungskompetenzen? Angesichts der Fülle an präskriptiver Literatur und des gleichzeitigen Mangels an empirisch aussagekräftiger Forschung beschränkt sich die folgende Darstellung der Rationalität des HRM im Umgang mit Personal und Arbeitsvermögen zunächst auf theoretisch-konzeptionelle Aussagen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der „evolutionary approach to Human ResourceManagement“ von Klimecki und Litz (2004), eines der wenigen auf Theorien zurückgreifenden Modelle der Aufgaben und Praktiken des HRM. Ausgehend von klassischen Schriften der Evolutionstheorie (Darwin 1859; Spencer 1876) und dem Resource-Based View, entwickeln die Autoren die These, dass das in einer Organisation verfügbare Personal- und Arbeitsvermögen einem permanenten Transformationsprozess unterliegt, der durch das HRM gezielt beeinflusst werden kann. Den Ansatzpunkt entsprechender Interventionen sehen Klimecki und Litz in den Qualifikationen und Motivationen der Organisationsmitglieder: „Qualifications and motivations are the two main determinants of the action und problem solving capability of individual actors. In an abstract sense, motivations and qualifications of the workforce are the ,Human Resources‘. [...] Changing qualifications and motivations of individual actors imply always changes in the structure of the workforce. The portfolio of available qualifications and motivations for the organizational problem solving process will therefore change over time“ (Klimecki/Litz 2004: 4).
Ihre Kernthese lautet dabei, dass die zentrale Aufgabe des HRM darin zu sehen ist, diesen naturwüchsigen Prozess der Entwicklung und Veränderung des Personals und seines Arbeitsvermögens durch spezifische Interventionspraktiken gezielt zu beeinflussen. Die Autoren weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich die Wahl einer adäquaten HR-Strategie nach den organisationalen Anforderungen und Zielen, nach organisationaler Stabilität, Anpassungsfähigkeit und Problemlösefähigkeit richten sollte. Der Möglichkeitsrahmen zur Beeinflussung dieses Evolutionsprozesses ergibt sich demnach aus der Rolle und Position des HRM im Unternehmen, genauer aus seiner institutionalisierten Macht- und Einflussmöglichkeit auf Entscheidungen des Linienmanagements.34 Dieser zu34 Auch wenn Entscheidungen über Personalauswahl und Trainingsmaßnahmen in vielen Unternehmen in der Hand der Linienmanager liegen, sind es vor allem die großen Unternehmen, in denen das
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nächst nicht bewusst gesteuerte und wenig zielgerichtete Transformationsprozess der Humanressourcen setzt sich aus drei evolutionstheoretisch beschriebenen Momenten zusammen, die in der Regel simultan ablaufen:
Veränderungen in den Qualifikationen oder Karriereaspirationen von Mitarbeitern, z.B. ausgelöst durch den Besuch von Weiterbildungs- oder PEMaßnahmen oder den Eintritt neuer Organisationsmitglieder mit anderen Qualifikationen, Motivationen und Karriereorientierungen („variation“); quantitative und qualitative Strukturveränderungen des Personalvermögens infolge von Auswahl-, Rekrutierungs- und Beförderungsprozessen („selection“); positive Auslese von Organisationsmitgliedern mit erwünschten Qualifikationen und Motivationen, aber auch Personalabgänge („retention“) (vgl. ebd., 2–9).
Ausgehend von der Annahme, dass sich Humanressourcen in einem durch Umwelt-, organisationsinterne und individuelle Faktoren induzierten permanenten Veränderungsprozess befinden, sollen möglichst proaktive und intentionale Eingriffe und Steuerungsversuche angestrebt werden. Abgestimmt auf diese drei Einflussgrößen des personalen Evolutionsprozesses, schlagen Klimecki und Litz drei Interventionsstrategien des HRM vor:
„Activation“, verstanden als gezielte Einwirkung auf Qualifikationen und Motivationen des Personals durch Personalrekrutierung, Training, PE oder Personalversetzungen; „Directing“, verstanden als Beeinflussung und Steuerung des Prozesses interner Selektion, z.B. über die (Re-)definition von Auswahl- oder Beförderungskriterien entlang der als Erfolg versprechend geltenden Fähigkeiten und Motivationen; Binding“, verstanden als positive Beeinflussung des individuellen Wohlbefindens und Loyalitätsgefühls gegenüber der Organisation, stimuliert durch monetäre bzw. karrierebezogene Anreizsysteme (vgl. ebd., 9–14).
Die Autoren erweitern diese Sichtweise um ein reflexives Moment: die Möglichkeit der HR-Manager, die Angemessenheit der HR-Strategien des Activating, Directing und Bindung zu überprüfen und durch positive oder negative Rückkopplungen (feedback loops in Anlehnung an Weick 1979) entweder zu verstär-
HRM eine einflussreiche und erfolgskritische Rolle im Management der Qualifikationen und Motivationen spielt (vgl. ebd., 10).
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ken oder neu auszurichten.35 Sie beschreiben zwei unterschiedliche HRMStrategien,36 mit denen die einzelnen HR-Praktiken der Formung von Humanressourcen auf die organisationalen Anforderungen an Stabilität versus Flexibilität abgestimmt werden können. Die stabilitätsfördernde Variante der HRMStrategie zielt auf den Erhalt vorhandener Qualifikationen und Motivationen und auf die Bedingungen ihrer Reproduktion. Demzufolge zielt das Bündel aktivierender HR-Praktiken auf die Erhöhung der Generierung gleicher oder ähnlicher Qualifikationen und Motivationen. Directing konzentriert sich auf die Auswahl von Arbeitskräften mit geringer Variationsbreite, aber hoher Spezialisierung in den Qualifikationen und Motivationen, um eine möglichst hohe Homogenität innerhalb des Personalvermögens sicherzustellen. Letzteres wird auch durch Maßnahmen der Personalbindung unterstützt, die sich auf Personen mit ähnlichen, von der Organisation angestrebten Qualifikationen konzentrieren. Etablierte und routinisierte HRM-Praktiken werden durch positive Feedbackschleifen beibehalten und sorgen so für ein Höchstmaß an Stabilität innerhalb der Organisation. Ein wesentliches Risiko dieser auf Kontinuität, Homogenität und Stabilität zielenden HRM-Strategie sehen die Autoren darin, dass die Anpassungfähigkeit der Organisation und des Personal an umfangreiche oder schnelle Veränderungen der Markt- oder Wissensanforderungen sehr gering ist (vgl. ebd., 17ff.). Erfordert hingegen das Wettbewerbsumfeld der Organisation ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit an Veränderungen, empfehlen die Autoren eine Flexibilität fördernde HRM-Strategie. Aktivierende HR-Praktiken wie Weiterbildung und PE sollen die Fähigkeit der Organisation und ihrer Mitglieder erhöhen, sich rasch neue Qualifikationen und Motivationen anzueignen, während sich steuernde HRPraktiken auf die Konstruktion solcher Auswahl- und Förderkriterien beziehen, mit denen eine große Variationsbreite an Qualifikationen und Motivationen innerhalb der human resources erzielt werden kann. Strategien der Personalbindung „can foster the retention of individual actors who do possess not only a variety of qualifications or motivations but who are also able and willing to learn new capabilities“ (ebd., 18). Der evolutionary approach to Human Resource-Management bündelt die zahlreichen Aufgabenfelder, Praktiken und Instrumente hinsichtlich ihrer Rationalität eines weitreichenden Zugriffs auf Humanressourcen. Es finden sich (wenn auch eher implizite) Hinweise auf Grenzen der Steuerbarkeit und Formbarkeit des Personal- und Arbeitsvermögens durch das HRM, die die Literatur zum 35 „HR-Managers can learn from the impact of their decisions on the organizational portfolio of the ,Human Resources‘ and consider their experiences or decision-making in order to improve the design of the HRM-practices“ (ebd., 15). 36 „HRM-strategy can be defined as a concept which considers and integrates all HRM-practices in terms of ensuring an ‚internal fit‘ in order to achieve a certain goal“ (ebd., 17).
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Thema meist vollständig unterschlägt. Erfreulich ist auch, dass der Entwicklung des Arbeits- und Personalvermögens eine gewisse Eigengesetzlichkeit zugeschrieben wird, die sich den Rationalitäten und Reichweiten organisationaler Planung und Formung potenziell entziehen kann. Allerdings sind eine Reihe von Perspektiverweiterungen und Differenzierungen des Ansatzes notwendig, um ein angemessenes Verständnis der Rationalitäten des HRM zu gewinnen. Eine sozialwissenschaftliche Kritik an zahlreichen Engführungen sowohl des evolutionary approach to Human Resource-Management als auch anderer HRM-Modelle erfolgt am Ende von Kapitel 2. Zunächst werden die von Klimecki und Litz herausgearbeiteten drei Interventionspraktiken des HRM entlang der einschlägigen Literatur eingehend beschrieben und analysiert.
2.3 Perspektiven und Rationalitäten des Managements von Personal und Arbeitsvermögen Die im Harvard- und Michigan-Modell und dem evolutionary approach to Human Resource-Management in unterschiedlicher Weise systematisierten Aufgaben- und Handlungsfelder des HRM finden sich auch in der aktuellen Literatur wieder, ohne dass sich ein präskriptives oder theoretisches Modell durchsetzen konnte. Die beständig anwachsende Literatur zum Thema widmet sich vor allem Lösungsansätzen, Strategien und Techniken der Personalführung und entwicklung. Einen Überblick über den Stand der empirischen Forschung zur Verbreitung und Umsetzung des HRM in der betrieblichen Personalpolitik zu finden, ist bislang ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen, da es aufgrund eines multidisziplinären Zugangs an einer theoretischen Systematisierung fehlt. Allerdings lassen sich grundsätzliche Leitvorstellungen des HRM bezüglich der Aufgabengebiete und Rationalitäten des Umgangs mit Personal und den damit verbundenen Leistungspotenzialen identifizieren. Grundlegend ist die Zielsetzung, durch geeignete Strategien, Maßnahmen und Instrumente die im Unternehmen verfügbaren Humanressourcen so zu nutzen, zu entwickeln und anzupassen, dass daraus ein Wettbewerbsvorteil gegenüber den Mitbewerbern erwächst. Eine der wenigen pointierten Definitionen des HRM liefern Liebel und Oechsler: „Human Resource-Management (HRM) ist der Versuch, die Leistungspotenziale aller Organisationsmitglieder durch ein komplexes Geflecht aufeinander bezogener Methoden zur Partizipation der Mitarbeiter, zu Personalveränderungen, zur Lohn- und Gehaltsfindung sowie zur Arbeitsorganisation zu aktivieren, einschließlich des Versuchs, dabei die individuellen Bedürfnisse mit den Zielen der Organisation in höchstmöglichen Einklang zu bringen. Die wichtigsten Schlagworte lauten: Selektion, Qualifizierung, Motivierung und Strukturierung. Dies sind alles keine neuen Aufgaben einer Personalabteilung. Das eigentlich Innovative ist die Erkenntnis der Verflechtung der Komponenten untereinander und ihre Verbindung zu anderen Subsy-
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stemen der Organisation wie Produktion, Entwicklung, Vertrieb usw., deren Erfolg in unmittelbarem Zusammenhang mit den Personalmaßnahmen gesehen wird“ (Liebel/Oechsler 1994: 5).
Angestrebt wird eine durch das HRM zu erzielende systematische Verzahnung von Unternehmensstrategie und operativer Personalarbeit. Dies soll durch vier im Folgenden näher zu erläuternde Orientierungsweisen des HRM sichergestellt werden:
Fokussierung der Personalarbeit und -instrumente auf die Beschaffung und das Management der als wettbewerbskritisch wahrgenommenen Humanressourcen (Ressourcenorientierung), Ausrichtung der Personalarbeit auf die Unternehmensziele (Strategieorientierung), interne Abstimmung und prozessuale Integration der Personalfunktionen, verfahren und -instrumente (Prozessorientierung), systematische Gestaltung industrieller Beziehungen.
2.3.1
Ressourcenorientierung
Der betriebsökonomische Ansatz des HRM integriert sowohl das investive Denken der Humankapitaltheorie als auch die den Resource-Based View kennzeichnende Annahme, die Grundlagen unternehmerischer Wettbewerbsfähigkeit in den organisationsinternen Ressourcen, insbesondere in den menschlichen Leistungspotenzialen zu sehen. Der Fokus des Personalmanagements richtet sich demzufolge auf die immaterielle bzw. subjektive Seite organisationalen Handelns. Mitarbeiter erscheinen aus dieser Perspektive als eine wertvolle interne Ressource, die es umfassend und effizient zu gewinnen, einzusetzen, weiterzuentwickeln und zu erhalten gilt: „Es wird argumentiert, dass es darauf ankommt, wettbewerbsfähige Ressourcen zu akquirieren, zu entwickeln, diese Ressourcen auf die jeweilige Unternehmensstrategie zu konzentrieren und ihre Implementierung durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen“ (Felger/Paul-Kohlhoff 2004: 33).
Die im evolutionary approach to Human Resource-Management beschriebenen drei Praktiken – Activating, Directing und Binding – bieten eine gute Orientierungshilfe, um die Flut an Publikationen zum HRM im Hinblick auf seine Transformationsfunktion zu strukturieren. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf aktuelle Strategien und Programme der Personalidentifizierung und
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-selektion (directing), des Human Resource Developments (activating) und des Retention Managements (binding).
2.3.1.1
Zur Lokalisierung des „Goldes in den Köpfen“: Identifizierung und Selektion von human resources
Als Klassiker einer ressourcenorientierten Betrachtung des Personalmanagements aus der Perspektive des Human Resource Accountings gilt das Buch von Odiorne (1984) „Strategic Management of Human Resources“. Er plädiert für eine Neuausrichtung des Personalmanagements in Richtung einer schärferen Selektivität in der Behandlung von Mitarbeitern. Im Kern schlägt er eine konsequente Identifizierung und Sichtbarmachung der Leistungs- und Potenzialträger einer Organisation vor, indem eine systematische Bestimmung des ökonomischen und strategischen Wertes bestimmter Mitarbeitergruppen vorgenommen wird und darauf abgestimmte Trainings-, Karriere- und Arbeitsplatzmaßnahmen entwickelt werden. Das für die damalige Personaldiskussion neuartige und zugleich radikale Moment seines Ansatzes besteht darin, über die üblichen humankapitaltheoretischen Betrachtungen hinaus die Sprache, das Denken und auch die kalkulativ-visualisierenden Techniken der Börse auf das Personalmanagement anzuwenden. Odiorne überträgt die aus der finanzwirtschaftlichen Portfoliotechnik bekannte Segmentierung von Unternehmen entsprechend ihres Marktanteils und Wachstumspotenzials auf das Personal einer Unternehmung. Daraus leitet er neue Aufgaben des HR-Managers ab: Dieser sei nun verantwortlich dafür, das Leistungsvermögen und Entwicklungspotenzial von Mitarbeitern systematisch zu identifizieren, sein Personalportfolio durch Extrapolationen zukünftiger Wertsteigerungen und durch Kalkulation von Ertragsrisiken zu managen und seine Humankapitalinvestitionen und -aktivitäten somit äußerst differenziert und kalkuliert vorzunehmen: „The basic idea, however, is that the present value of an employee is a function of the discounted value of his or her expected income stream“ (ebd., 36). Das Personalportfolio von Odiorne (ebd., 63ff.) teilt die Mitarbeiter einer Organisation entlang der Kategorien „Performance“ und „Potenzial“ einem von vier Segmenten des Portfolios zu und leitet für jedes Segment spezifische Maßnahmen des organisationalen Umgangs mit diesen Gruppen ab. Das erste Segment umfasst Mitarbeiter mit geringer Arbeitsleistung und geringem Entwicklungspotenzial („Deadwood“), eine aus Odiornes Sicht meist kleine Gruppe inkompetenter und gering- oder unqualifizierter Mitarbeiter mit geringer Leistungsmotivation. Sie sind für die Organisation eher von peripherem Wert und stehen demzufolge auch nicht im unternehmerischen Interesse einer langfristigen Personalbindung und Qualifizierung. Als „Workhorses“ bezeichnet Odi-
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orne das zweite, quantitativ größte Segment von Mitarbeitern, die den Zenit ihrer Leistungsfähigkeit bereits erreicht haben. Aufgrund ihres begrenzten Entwicklungspotenzials empfiehlt er, die zumeist in Managementpositionen verweilenden Mitarbeiter durch Arbeitsanreicherung, Arbeitsplatzsicherheit und regelmäßige Gehaltserhöhungen zu motivieren und ihr Verantwortungsbewusstsein intakt zu halten. Das dritte Segment bezieht sich auf eine quantitativ kleinere Gruppe von Mitarbeitern, die Höchstleistungen erbringen und ein stark ausgeprägtes Potenzial zur Weiterentwicklung aufweisen („Stars“). Die Stars sind nach Odiornes Erfahrung oftmals junge, hoch motivierte „High Potentials“ sowie erfahrene Techniker und Linienmanager mit ausgewiesener Kompetenz in der Krisenbewältigung oder Sanierung angeschlagener Unternehmensbereiche. Da diese Gruppe aus Odiornes Sicht das strategisch wertvollste Gut eines Unternehmens repräsentiert, sollten sich Angebote der Karriereplanung und PE seiner Empfehlung nach vor allem auf die Stars konzentrieren. Das vierte Segment betrifft Mitarbeiter mit bislang unausgeschöpftem, hohem Entwicklungspotenzial, aber bislang für ihre Verhältnisse eher geringen Leistungen („Problem Employees“). Auch dieser Gruppe ist eine hohe Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Im Falle individuell bedingter Leistungsdefizite schlägt er eine Unterstützung der betroffenen Person durch Ratgeber oder Betriebspsychologen vor, im Falle einer problematischen Führungsbeziehung oder bei Schwierigkeiten im sozialen Arbeitsumfeld Tätigkeits- oder Vorgesetztenwechsel. Als informatorische Grundlage zur Identifizierung der Stars sollen neben allgemeinen sozialdemografischen Daten (Ausbildung, Alter, Geschlecht) auch persönliche Fähigkeiten und Qualitäten (Intelligenz, zeitliche Verfügbarkeit, Mobilität, Leidenschaft, Aufstiegswille, Begeisterung für komplexe Aufgabenstellungen) herangezogen werden. Diese Informationen können durch evaluative Praktiken wie Assessmentcenter, eignungsdiagnostisch fundierte Potenzialanalysen oder auch Leistungsbeurteilungen in Verbindung mit Zielvereinbarungen (Management by Objectives) gewonnen werden (vgl. ebd., 94–104). Der von Odiorne vorgeschlagene Ansatz einer über Personalportfolios zu erreichenden Segmentierung einer Belegschaft entlang leistungsrelevanter Kriterien hat sowohl die Denkhaltung innerhalb der Personalmanagementliteratur als auch die Entwicklung und Verfeinerung entsprechender Instrumente angeregt, obgleich bislang empirisch weitgehend ungeklärt ist, welche Verbreitung und Legitimität entsprechende Denkhaltungen und Instrumente in der betrieblichen Praxis genießen (vgl. Hummel 2001: 31ff.). Ein charakteristisches Merkmal vieler HRM-Ansätze besteht folglich darin, hoch selektive Strategien einer systematischen Bindung der wettbewerbsrelevanten Mitarbeiter an die Organisation vorzuschlagen als auch darauf abgestimmte Maßnahmenkataloge einer geziel-
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ten Weiterentwicklung ihrer Leistungs- und Entwicklungspotenziale zu entwickeln.
2.3.1.2
Aktivierung von Arbeitsvermögen, Steuerung von Subjektentwicklung: Human Resource Development
Die angelsächsische und US-amerikanische Literatur zum HRD behandelt eine Vielzahl von Maßnahmen und Strategien der Formung von Motivationen und Kompetenzen, die sich auf Individuen, Gruppen oder die Organisationsebene beziehen. Das Spektrum reicht von klassischen Formen organisierten Lernens (z.B. in Gestalt betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen) über PE bis hin zu neueren Ansätzen wie Team- und Organisationsentwicklung, Coaching oder auch career development (vgl. Holton 2002; Wang/Holton 2005; Andersson u.a. 2006; Egan u.a. 2006). Das HRD ist Bezugspunkt unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen, vor allem der Erwachsenenbildung, Organisationstheorie, Psychologie und Betriebswirtschaftslehre. Bislang hat das HRD weder eine theoretisch-konzeptionell einheitliche Gestalt noch ein dominantes Forschungsprogramm entwickelt (McGoldrick u.a. 2001). Eine intensiv rezipierte Definition bietet McLagan, der HRD als „integrated use of training and development, career development, and organization development to improve individual and organizational performance“ (McLagan, zitiert nach Egan u.a. 2006: 443) bezeichnet. Die seit Mitte der 1990er Jahre intensiv geführte US-amerikanische und angelsächsische Debatte um Ansätze des HRD bewegt sich im Spannungsfeld zwischen einer Fokussierung auf Lernprozesse und einem leistungs- und ergebnisorientierten Paradigma. Insbesondere das „performance paradigm“ ist seitens der Vertreter organisationaler und auf das Individuum abstellender Lerntheorien in massiver Weise kritisiert worden. Die Kritik bezieht sich im Wesentlichen auf den Vorwurf einer beabsichtigten Verhaltenskonditionierung und -kontrolle, einer insgesamt mechanistischen Konzeption individueller und organisationaler Lernprozesse sowie einer Opferung menschlicher Lerninteressen und basaler Bedürfnisse nach Selbstbestimmung durch eine marktzentrierte, auf Machtausübung und ideologische Infiltration zielende Interventionspraxis (vgl. Holton 2002). Holton hingegen betrachtet diese scharfe Kritik als unangemessen, da sie seiner Auffassung nach im Wesentlichen auf konzeptionellen Missverständnissen des performance paradigms beruht. Er betont, dass die Kluft zwischen beiden Perspektiven in Wirklichkeit nicht so groß sei, wie dies in der Debatte erscheine. Er führt eine Reihe von Argumenten für seine Position ins Feld, die im Wesentlichen – wie auch ein Großteil der Publikationen zum HRM – auf einer „winwin-Annahme“ beruhen: Erstens seien individuelle Leistungen die faktische
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Basis für persönliche Beschäftigungs- und Karrierechancen im Unternehmen; zweitens beruhe die zentrale Zwecksetzung des HRD darauf, die Leistungspotenziale der Arbeitskräfte und des Arbeitssystems zu verbessern; drittens habe das HRD keine Daseinsberechtigung, wenn es keinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit einer Organisation liefere. Innerhalb dieser Debatte um Ziele und Effekte des HRD spiegelt sich deutlich die sehr ambivalente Rolle des HRM wider: einerseits sich als Fürsprecher und Förderer von Mitarbeiterinteressen (nach beruflicher Weiterbildung und Karriere) zu definieren, andererseits als Agent der Geschäftsleitung kontinuierliche Leistungsoder gar Profitsteigerungen vorantreiben zu müssen. Das Übergewicht des performance paradigms hat einige empirische Untersuchungen dazu angeregt, die Effekte typischer HRM-Praktiken (Selektion, Training und Personalentwicklung) auf die Wettbewerbsfähigkeit und den finanziellen Erfolg von Unternehmungen empirisch zu untersuchen. Hiltrop (1996) zieht Bilanz aus einer Reihe von Evaluationsstudien eines ressourcenorientierten Personalmanagements und Trainings. Sein Resümee: HR-Praktiken wirken sich dann positiv auf die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und die organisationale Wettbewerbsfähigkeit aus, wenn sie mit Maßnahmen der Personalführung, Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung harmonieren. Eine basale Voraussetzung hierfür sei, dass Mitarbeiter die Möglichkeit erhalten, ihre neu erworbenen Fähigkeiten und Leistungspotenziale in die Arbeit einzubringen.37 Das bislang differenzierteste und sachlichste Bild des Diskurses um das HRD, seine Rationalitäten und Implikationen hinsichtlich der Formung des Arbeits- und Personalvermögens bietet eine Untersuchung von Garavan u.a. (2004). Die Autoren haben eine Reihe von Diskussionsbeiträgen aus den Disziplinen der Industrie- und Organisationspsychologie, Soziologie und Ökonomie zum HRD im englischsprachigen Raum verfolgt und auf ihre philosophischen, theoretischen und praktischen Implikationen hin untersucht. Ihre Untersuchung unterscheidet drei Diskurs- bzw. Analyseebenen38 und rekonstruiert die damit verbundenen unterschiedlichen philosophischen, lerntheoretischen und organisationspraktischen Annahmen und Zielvorstellungen wie auch deren internen und relationalen Widersprüche.
37 „Consequently, HRM practices can also create competitive advantage through provision of organisational structures, leadership und work conditions that encourage initiative und creativity among employees and allows them to find ways to improve how their jobs are performed. Delegation, crossfunctional teamwork and participative management are examples of such conditions“ (Hiltrop 1996: 633). 38 Die dritte Analyseebene bezieht sich auf den Beitrag des HRD zur Entwicklung nationaler Wettbewerbsfähigkeit, ein im Rahmen dieser Arbeit nicht behandeltes Themenfeld. Sie wird deshalb an dieser Stelle nicht eingehender diskutiert.
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Die individuelle Analyseebene des HRD konzentriert sich auf die subjektbezogenen Voraussetzungen und Implikationen individueller Lern- und Entwicklungsprozesse. Diskutiert werden Lernmotive und mögliche Lernpotenziale des HRD im Hinblick auf zentrale Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung wie Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung, Reflexionsvermögen und Aneignung arbeitsmarktrelevanter Kompetenzen. Mit anderen Worten: Im Zentrum stehen primär die Ressourcen des Individuums, nicht die der Organisation. Philosophisch-pädagogische Grundannahmen der Entwicklung des Subjekts und seiner Kompetenzen beziehen sich unter anderem auf die Vorstellung eines kritisch reflektierenden Subjekts, der Notwendigkeit einer ganzheitlichen Entwicklung von Geist, Körper und Seele, der Förderung des individuellen Strebens nach Autonomie oder einer Gleichverteilung von Bildungschancen. Sie strukturieren den Diskurs um geeignete Lernziele und -arrangements: Nicht das HRD, sondern der Lernende selbst mit seinen persönlichen Motivationen und -interessen wird als Auslöser von Lernprozessen betrachtet. Dabei werden berufliche Verwertungsinteressen (z.B. Karriereaspirationen) nicht zwingend als dominante Lernmotivation betrachtet. Insgesamt liegt der Schwerpunkt der Diskussion auf introspektiven Veränderungen der Persönlichkeit: Werthaltungen, Interessen, Einstellungen, Karriereorientierungen und generalistische Kompetenzen. Der Beitrag des HRD besteht in der Bereitstellung entsprechend vielfältiger Lernangebote, die in erster Linie auf die Bedürfnisse und Interessen der Lernenden abgestimmt sind (vgl. Garavan u.a. 2004: 419f., 428–432). Die Grundidee des Lernauftrags des HRD fassen die Autoren pointiert so zusammen: „Dominant metaphor ist gardener and plant: conditions must be fostered where individuals can participate in development“ (ebd., 433). Die auf der Ebene des Individuums diskutierten Beiträge des HRD sind somit konzeptionell getragen vom Gedanken der Humanisierung und einer „weichen“ Variante des HRM: Betrieblichen Lernarrangements und -angeboten wird eine quasi-emanzipative Funktion für die Subjektentwicklung und die Entfaltung von Reflexions- und Autonomiepotenzialen zugeschrieben. Der betriebliche Organisations- und Verwertungskontext, in dem sich HRD vollzieht, wie auch das damit einhergehende unternehmerische Verwertungsinteresse werden dabei meist nur unzureichend zur Kenntnis genommen. Die aus dem HRD erwachsenden Lernpotenziale für die Entwicklung von Subjektivität bilden auf der organisationalen Analyseebene des HRD keinen normativen Maßstab für Lern- und Entwicklungsprozesse. Letztere werden entweder aus einer funktionalistischen, ressourcenorientierten oder systemtheoretischen Perspektive konzipiert. Das HRD stellt aus dieser Managementperspektive sozusagen das Verbindungsglied her zwischen strategischen und finanziellen Zielen der Organisation und ihrer Kernkompetenzen, deren effizienten und mög-
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lichst wirksamen Zugriff es sicherzustellen gilt. Maßnahmen der Organisationsentwicklung, des Wissensmanagements und des Umgangs mit dem intellectual capital werden hierbei primär auf ihren Beitrag zur Steigerung individueller und organisationaler Leistungsfähigkeit reflektiert: „The purposes of HRD are therefor concerned with issues surrounding resource maximation, productivity enhancement and realizing the full potential of employees toward achieving organizational goals“ (ebd., 421).
Die erfolgreiche Gestaltung organisationaler, kollektiver und individueller Lernund Weiterentwicklungsprozesse richtet sich folglich aus dieser Perspektive nicht nach Lernmotivationen des Subjekts, sondern entlang der als wettbewerbsrelevant erachteten Fähigkeiten und Motivationen, die eine personelle und organisationale Basis für eine effiziente und konsequente Umsetzung unternehmerischer Strategien generieren bzw. sichern sollen. Employability, Teamarbeit oder Unternehmertum sind häufig aufgegriffene Schlagworte in einem Diskurs, in dem Nützlichkeitserwägungen und ökonomische Ziele im Vordergrund stehen: „The persistent message contained in the HRM literature is the need to develop an organizational environment in which learning and the desire to learn are second nature to all employees. If competitive advantage lies in the talent of employees, then it is necessary to create the circumstances in which those talents can blossom“ (Shipton 1999: 57).
Die meist impliziten philosophischen Grundannahmen dieser Beiträge sind konträr zur individuellen Analyseebene. Sehr deutlich tritt der Gedanke einer Steuerung organisationaler Sozialisations- und Lernprozesse hervor, mit deren Hilfe die individuellen und kollektiven Wertvorstellungen, Handlungsorientierungen und Kompetenzen in machtvoller und einheitlicher Weise auf die unternehmerischen Zwecke und Ziele wie auch auf die sich wandelnden Wettbewerbsanforderungen ausgerichtet werden sollen. Die Autonomie des HRD ist in diesem Ansatz stark eingeschränkt: Ihre Aktivitäten leiten sich in funktionalistischer Weise unmittelbar aus den organisationalen Zielen und den an der Organisationsspitze definierten Entwicklungsnotwendigkeiten ab (vgl. Garavan u.a.: 420–433). Ähnlichkeiten mit der hard version des HRM werden hier allzu deutlich.
2.3.1.3
Auf der Suche nach einem neuen „psychomoralischen“ Kontrakt: Retention Management
Ein noch recht junger Zweig der HRM-Literatur thematisiert die Frage nach wirksamen Strategien und Formen der Personalbindung. Entsprechende Überlegungen werden in der angelsächsischen und US-amerikanischen Diskussion
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unter dem Stichwort „Staff Retention“ oder „Rentention Management“ gebündelt. Personalbindungsmaßnahmen zielen auf die Erhöhung der Verweildauer bestimmter Beschäftigter im Unternehmen, genauer gesagt: Es geht um die Begrenzung opportunistischer Verhaltensweisen durch die Schaffung von Anreizen und die Errichtung von Mobilitätsbarrieren, um das als wertvoll identifizierte Humanvermögen einer Person möglichst lange nutzen zu können (vgl. Moser/Saxer 2002; Bröckermann 2004). Auch wenn die Diskussion um das Retention Management jüngeren Ursprungs ist, sind Ziele und Strategien der Personalbindung in Großbetrieben ein vor allem aus der Arbeitsmarkttheorie seit Langem bekanntes Phänomen. Historisch betrachtet, wurden bereits mit der Konsolidierung betriebsinterner Arbeitsmarktstrukturen im industriellen deutschen Großbetrieb in den 1920er bis 1930er Jahren zuvor eher vereinzelte Ansätze der Personalrekrutierung und -bindung (Stammbelegschaftspolitik) durch eine systematisch betriebene Personal- und Sozialpolitik abgelöst (vgl. Schmiede 1997). Aus kontrolltheoretischer und humankapitaltheoretischer Perspektive dienen betriebsinterne Arbeitsmärkte und die mit ihnen gekoppelten personalpolitischen Instrumente und Anreizstrukturen (z.B. betriebliche Weiterbildung, Gehaltsentwicklung, Karriere) der Errichtung von Mobilitätsbarrieren für die aufgrund ihrer Qualifikationen und Fähigkeiten wichtigen, da schwer ersetzbaren Arbeitskräfte als auch der Sicherstellung ihrer Leistungs-, Kooperations- und Flexibilitätsbereitschaft (vgl. Heinz 1995; Schmiede 1997; Kräkel 1999).39 Die Notwendigkeit einer dezidierten und ressourcenorientierten Personalbindungspolitik wird in der aktuellen Literatur zum HRM vor dem Hintergrund unterschiedlicher Szenarien begründet:
Aus einer auf organisationsinterne Ressourcen fokussierten Perspektive (die weitestgehend dem Resource-Based View entspricht) gilt die Verfügbarkeit vor allem wissensintensiver Organisationen über heterogene, knappe, nicht transferierbare und nicht substituierbare organisationale und subjektgebundene Ressourcen als zentrale Grundlage für Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit. Dies schließt neben Maßnahmen des Wissensmanagements auch die dauerhafte Bindung, systematische Pflege (im Sinne von Leistungsstimulierung, Kompetenzentwicklung und Karriereplanung) und das
39 „Für die Arbeitskräfte entsteht daraus eine relativ hohe Sicherheit der Beschäftigung und eine kalkulierbare Mobilität innerhalb des Unternehmens. In solchen Betrieben finden wir häufig eine Qualifizierungsprogression, die auf den jeweiligen Arbeitsplatz – im Gegensatz zu der betriebsübergreifenden beruflichen Ausbildung – zugeschnitten ist. Dies bedeutet, dass Arbeitskräfte im betriebsinternen Arbeitsmarkt auf betriebsspezifische Qualifikationen festgelegt werden, was sich für sie als Barriere gegenüber Betriebswechseln auswirkt. Andererseits wird die Arbeits- und Weiterbildungsbereitschaft und die Loyalität dem Unternehmen gegenüber durch Aufstiegsmöglichkeiten entlang der hierarchischen Stufung der Arbeitsplätze gefördert“ (Heinz 1995: 35).
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Risikomanagement des intellectual capitals mit ein. Eine eindeutige Definition der Zielgruppen des Retention Managements liegt bislang nicht vor: Das Spektrum reicht von der Gruppe der Nachwuchskräfte mit Managementpotenzial (High Potentials) und Leistungsträger einer Organisation über sogenannte Wissensarbeiter bis hin zur Gruppe der Arbeitskraftunternehmer (vgl. Sattelberger 1999a; Lehmann/Uepping 2001: 71; Moser/ Saxer 2002; Wilkens 2004). Infolge von Veränderungen des Arbeitskräfteangebots am externen Arbeitsmarkt (z.B. Fachkräftemangel im Bereich der Ingenieurabsolventen) steigt die Konkurrenz der Unternehmen um hoch qualifizierte Nachwuchskräfte. Aufgrund möglicher Einschränkungen in den Rekrutierungsspielräumen und einer nur mittelbaren Substituierbarkeit von Personen mit spezifischen Kompetenzen und Qualifikationen bzw. hoher Transaktions- und Opportunitätskosten im Falle des Weggangs von Leistungsträgern (Kosten der Vertragsbeendigung, der Stellenneubesetzung, der Einarbeitung des Stellennachfolgers, des Aufbaus von Erfahrungswissen, eine für das Unternehmen verminderte Produktivität) erscheint Personalbindung als kostengünstige und effektive Maßnahme zur Sicherung von Know-how und Kompetenz (vgl. Scholz/Stein 2002; Thom/Friedli 2002: 2; Bröckermann 2004). Die innerhalb der arbeits- und industriesoziologischen Forschung und Diskussion seit einigen Jahren beobachteten „Kollateralschäden“ der massiven, weiterhin anhaltenden bzw. sich in immer kürzeren Zyklen vollziehenden Restrukturierungen der Unternehmens- und Arbeitsorganisation werden nun auch seitens des Personalmanagements erkannt (vgl. Lombriser/Uepping 2001: 14–19). Mit der Aufkündigung des Prinzips lebenslanger Beschäftigung, der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und dem Abbau von Hierarchieebenen im Zuge umfassender und fast permanenter Restrukturierungen des Großunternehmens haben die etablierten, auf wechselseitigem Vertrauen gründende Formen der Beziehungen zwischen Top-Management und hoch qualifizierten Angestellten einen nicht mehr zu übersehenden Schaden genommen. Zum einen hat das implizite Aufstiegsversprechens einen enormen Glaubwürdigkeitsverlust erlitten und unterminiert damit wesentliche Grundlagen der Leistungsmotivation, zum anderen wurden das mittlere Management sowie betriebliche Experten selbst zum Gegenstand betrieblicher Rationalisierungs- und Personalabbaumaßnahmen (vgl. Kotthoff 1997; Jurczyk u.a. 2000; Deutschmann 2001b; Faust 2002; Kreher/Oehme 2003). Die damit einhergehende Verunsicherung insbesondere der klassischerweise als Unternehmensburgeoisie geltenden Gruppe der hoch qualifizierten Angestellten und betrieblichen Experten und Spezialisten (vgl. Kotthoff 1997) bezüglich ihres Status bzw. Werts für das Unter-
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nehmen als auch eine unterstellte Zunahme an opportunistischen Verhaltensweisen werfen für das HRM das Folgeproblem auf, nach neuen Formen sozialer Integration, nach Leistungsstimulierung und auch nach Sicherstellung von Loyalität zu suchen (vgl. Berthel 2002; Scholz/Stein 2002; Wilkens 2004: 55ff.). Der Mainstream der Personalmanagementliteratur lässt keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass sich mit zunehmender Ausrichtung der Unternehmensführung auf eine kurzfristige Erzielung ehrgeiziger Ertragsziele der Druck auf das HRM erhöht hat, von der traditionellen Stammbelegschafts- oder Mitarbeiterbindungspolitik abzukehren. Da das HRM heute in einem Spannungsfeld von Personalabbau und langfristiger Bindung von Leistungsträgern und Talenten steht, zeichnet sich als Kompromiss eine hochgradig segmentierte und diversifizierte Personalpolitik ab, die die Gestaltung von Vertragsarrangements und PE-Aktivitäten konsequent auf den Wert einzelner Zielgruppen und die Sicherung organisationaler Kernkompetenzen für das Unternehmen ausrichtet, statt pauschale Beschäftigungsgarantien oder Förderangebote in Aussicht zu stellen: „Die meisten Unternehmen favorisieren eine Kernbelegschaft entlang der organisationalen Kernkompetenzen, wobei allerdings die Anzahl der ‚Wissensarbeiter‘ bzw. der ‚Knowledge Worker‘ durch Outsourcing deutlich schrumpfen wird. Die Zulieferung von hoch spezialisiertem Know-How sowie von Beratungsleistungen wird immer mehr zunehmen. Dagegen wird die Bedeutung eines diversifizierten Pools mehr-optionaler Freelancer und Kurzzeitbeschäftigter im Sinne eines ‚just in time employment‘ an der Peripherie der Unternehmen exponentiell zunehmen. Diese sind nicht mehr mit dem klassischen Typ des Arbeitnehmers vergleichbar, sondern entsprechen vielmehr dem Bild eines Auftragnehmers, der durch leistungsorientierte Kontrakte temporär ‚eingekauft‘ wird (‚Portfolio-Worker‘)“ (Hauer u.a. 2002: 93).
Auf der Basis dieser je nach Quelle unterschiedlich ausfallenden Diversifizierung und Klassifizierung von Personalsegmenten soll sich das Management der Personalbindung auf die bewusste Gestaltung von ex- und impliziten Vertragsbeziehungen konzentrieren. Anstelle einer Systematisierung von Strategien und Instrumenten der Personalbindung existiert bislang eine eher unüberschaubare Ansammlung von Maßnahmen, die sich zum Teil kaum von klassischen Instrumenten des Personalmanagements unterscheiden. Prinzipiell setzen Strategien der Personalbindung auf vertragsrechtlicher, motivationaler, organisationskultureller, karriere- und entwicklungsbezogener oder ökonomischer Ebene an (vgl. Sattelberger 1999a; Bröckermann 2004). Aus der Literatur lässt sich eine erste, grobe Systematisierung von Personalbindungsstrategien wie folgt skizzieren:
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Mittels vertragsrechtlicher Personalbindungsstrategien errichten Arbeitgeber „vertragliche, ökonomische und funktionale Wechselbarrieren, die Be-
schäftigte daran hindern, überhaupt zu wechseln, oder ihnen einen Wechsel ungebührlich erschweren. Gemeint sind die juristische Verbindlichkeit von Abmachungen, die wirtschaftlichen Risiken des Wechsels und die zu beachtenden Kündigungs- wie auch Einstellungsfristen“ (Bröckermann 2004: 19). Motivationale Personalbindungsstrategien zielen auf die Sicherung von Berufs- und Arbeitszufriedenheit, zum Beispiel durch Berücksichtigung von Änderungen im Lebensumfeld in Gestalt flexibler Arbeitszeitmodelle, durch abwechslungsreiche Tätigkeiten mit entsprechenden Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, durch Ausräumung von Quellen für Unzufriedenheit am Arbeitsplatz oder durch ein möglichst gutes „Matching“ von Tätigkeitsanforderungen und persönlichen Interessen (vgl. Butler/ Waldroop 1999; Böck 2004; Pepels 2004: 52f.). Maßnahmen generalistischer und fachlicher Kompetenzentwicklung und Förderung informeller Lernkulturen und Personennetzwerke sollen insbesondere für die High Potentials und den Führungsnachwuchs entwickelt und angeboten werden (vgl. Sattelberger 1999b; Hauer u.a. 2002: 93f.). Eine potenzial- und kompetenzorientierte, langfristig ausgerichtete PE wie auch eine professionelle Beratung oder Planung beruflicher Karriere- und Weiterbildungsschritte werden als Basis für eine kontinuierliche Weiterentwicklung individueller Kompetenzen betrachtet (vgl. Berthel 2002; Böck 2004). Durch die Etablierung einer von Transparenz und Offenheit getragenen Verhandlungskultur sollen Kopplungen der Präferenzsysteme von Unternehmen und Mitarbeitern optimiert werden (vgl. Scholz/Stein 2002; Knoblauch 2004). Auch die klassische Gestaltung monetärer Anreize dient einer systematischen Bindung von Personal an das Unternehmen (z.B. leistungsabhängige Entlohnung, Gehaltserhöhungen, Erfolgsbeteiligungen, betriebliche Sozialleistungen) (vgl. Knoblauch 2004: 111f., 125–129). Die Konstruktion eines erneuerten „moral contract“ zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten zielt darauf, das lange Zeit für die Kernbelegschaft gültige betriebliche Versprechen eines sicheren Arbeitsplatzes bzw. des internen Aufstiegs als Belohnung für Loyalität und Betriebszugehörigkeit zu ersetzen durch Kompetenzentwicklungsangebote für Leistungs- und Wissensträger: „Das Belohnen von Seniorität wird ersetzt durch Belohnung für Performance, Wissen und Flexibilität“ (Lombriser/Uepping 2001: 35; vgl. auch Sattelberger 1999b; Wilkens 2004).
Bislang mangelt es vor allem an empirischem Wissen über die faktische Wirksamkeit von Personalbindungsstrategien und ihren Auswirkungen auf industrielle
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Beziehungen. Die vornehmlich präskriptiv argumentierende Personalmanagementliteratur votiert seit einigen Jahren eindeutig für eine nach unterschiedlichen Beschäftigtengruppen und ihrem „strategischen Wert“ differenzierte Qualifizierungs-, Weiterbildungs- und Personalbindungspolitik (vgl. Weiß 1998; Sattelberger 1999a; Meier 2001; Severing 2001; Staudt/Kriegesmann 2001; Berthel 2002; Hauer u.a. 2002). Mit der Umsetzung derartiger Leitvorstellungen könnte sich die Tendenz einer weitreichenden Segmentation der Kernbelegschaften mit entsprechender sozialer Schließung bzw. Marginalisierung von benachteiligten Gruppen – insbesondere gering qualifizierter Beschäftigter wie Un- und Angelernter, in Teilzeit oder befristet Beschäftigter – manifestieren (vgl. Baethge/Schiersmann 1998). Vieles deutet darauf hin, dass sich gegenwärtig die Grundlagen zur Aufrechterhaltung von Beschäftigungsfähigkeit, Arbeitsmarktwert und Aufstiegschancen im Betrieb in spezifischer Weise verändern (vgl. Grünewald/Moraal 2001; Severing 2001). Offen ist aber, wie weitreichend die ehemals dualistische Personalpolitik des taylor-fordistischen Unternehmens mit ihrer klaren Trennung von qualifizierten und unqualifizierten Tätigkeiten bzw. Kern-/Stamm- und Randbelegschaft durch eine zielgruppenspezifische Verteilung von betrieblichen Qualifikations-, Bildungs- und Aufstiegschancen differenziert wird. Die Frage nach einer durch das HRM induzierten neuen oder radikalisierten Selektivität im Zugang zu betrieblicher Weiterbildung und PE wird in Kapitel 2.4.2.5 weitergeführt und diskutiert.
2.3.2
Strategieorientierung: Personalmanagement als geschäftspolitischer Akteur
Ein Unterscheidungskriterium des HRM zu vorangegangenen Konzepten und Phasen des Personalmanagements besteht in der offensiven Artikulation des Anspruchs, als eigenständige Managementfunktion Einfluss auf unternehmenspolitische und -strategische Entscheidungen zu nehmen und damit zu einer Profilierung und Professionalisierung der Personalfunktion beizutragen. Die Notwendigkeit einer Konvergenz zwischen Geschäfts- und Personalstrategie auf inhaltlicher und prozessualer Ebene wird innerhalb der Literatur zu Unternehmensführung und Personalwirtschaft seit vielen Jahren gefordert und auf unterschiedliche Weise begründet. In der Diskussion vermischen sich zumeist ressourcen-, marktund evolutionstheoretische Perspektiven zum Personalmanagement. Liebel und Oechsler (1994: 12ff.) leiten die viel diskutierte Notwendigkeit eines strategischen HRM aus einer evolutionstheoretischen Perspektive der Organisation sowohl aus den Veränderungen der Unternehmensumwelt (des beschleunigten ökonomischen, technologischen, soziokulturellen wie politisch-rechtlichen Wan-
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dels) als auch aus den Veränderungen innerhalb der Aufbauorganisation ab. Eine verbreitete Argumentationsweise innerhalb der Literatur begründet die unternehmenspolitische Bedeutung des HRM mit der Annahme des Resource-Based View, dass die Verfügbarkeit über seltene, schwer imitierbare oder transferierbare organisationsinterne und subjektgebundene Ressourcen (als „immaterielles Vermögen“) wesentlich für die organisationale Anpassungs- und Wettbewerbsfähigkeit in einem intensivierten, globalisierten und beschleunigten Kampf der Unternehmen um Kunden und Markanteile sei (vgl. Krauss 2002: Felger/PaulKohlhoff 2004).40 „Ein Unternehmen kann nur so kreativ, innovativ und flexibel sein wie seine Mitarbeiter. Damit rückt der Mitarbeiter als Erfolgsfaktor immer mehr in den Fokus. Nicht das Verfügen über die technischen Mittel, sondern die Qualität des Humankapitals wird zum letztendlich ausschlaggebenden Unterscheidungsmittel der Unternehmen in der Konkurrenz“ (Hofmann/Mohr 2001: 18).
Um mit dem beschleunigten wirtschaftlich-technologischen Wandel Schritt halten zu können, bedarf es nach Hofmann und Mohr einer an der Gesamtstrategie des Unternehmens ausgerichteten PE, die eine „ständige Weiterentwicklung der Humanressourcen“ ermöglicht und so „Weiterbildung und Organisationsentwicklung immer stärker verzahnt“, damit nicht mehr nur der Wissens- und Könnensbedarf gedeckt, sondern darüber hinaus die „Gesamtperformance des Unternehmens“ erhöht wird (ebd., 18f.). Mit einer nachhaltigen, ganzheitlichen und potenzialorientierten Personalstrategie lassen sich nach Matthäi (2005: 11) die Interessen des Unternehmens mit denen der Mitarbeiter in Einklang bringen bzw. austarieren. Entgegen dieser recht harmonisch beschriebenen Konvergenz von Unternehmens- und Personalstrategie stellt sich aus einer kapitalmarktorientierten, hochgradig ökonomisierten Perspektive das Verhältnis von Unternehmensführung und Personalmanagement eher als ein hierarchisiertes dar: Finanzwirtschaftliche Termini und Denkmuster sind vor allem in jüngeren Beiträgen zum HRM eingeflossen (vgl. Wunderer 1992; Clark 2001; Hauer u.a. 2002). Die Strategieorientierung des Personalmanagements ist aus dieser Perspektive mit der Erwartung verknüpft, dass sich das HRM konsequent auf die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber anderen Unternehmen ausrichtet und seine Personalaktivitäten unmittelbar aus der Unternehmensstrategie ableitet (vgl. Hauer u.a. 2002; Krauss 2002; Schuler/Jackson 2005: 3). Eine Vermarktlichung 40
Im Falle multinationaler Unternehmen besteht eine maßgebliche Herausforderung des HRM darin, den Personalmanagementpraktiken und -prozessen einerseits eine für das Gesamtunternehmen notwendige kohärente Gestalt zu geben, andererseits ausreichend sensibel für die landes- und kulturspezifischen bzw. regional variierenden Wettbewerbsstrategien, industriellen Rahmenbedingungen und Mitarbeitergruppen zu sein (vgl. Schuler 2000: 251f.).
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des Personalmanagements bedeutet, dass sich die legitimatorische Basis des Personalmanagements primär auf den funktionalen und monetären Beitrag von Personalrekrutierung, -entwicklung und -bindung zur Umsetzung von Unternehmensstrategie bzw. auf den Erhalt oder die Steigerung organisationaler Wettbewerbsfähigkeit, Profitabilität und Flexibilität beschränkt (vgl. Schuler 2000: 243). „Personalentwicklung wird also immer mehr zum Partner einer strategiegeleiteten Unternehmensentwicklung. Dabei ist wesentlich, dass sie nicht nur eine strategieerfüllende, sondern zunehmend auch eine strategiegenerierende Funktion übernimmt. Verstärkt wird die Frage des Wertschöpfungsbeitrags der Personalentwicklung diskutiert, wie groß also der Beitrag bzw. der Einfluss der Personalentwicklung auf den Unternehmenserfolg ist. Personalentwicklung wird somit zu einem ‚Wertschöpfungscenter‘“ (Hauer u.a. 2002: 95).
Das Verhältnis von Personalmanagement und Unternehmensführung lässt sich aus theoretischer Perspektive in vier idealtypischen Ausprägungen beschreiben (vgl. Krauss 2002: 92ff.; Kaudela-Baum 2006: 116ff.):
die innerhalb der Literatur von einer Minderheit vertretene Auffassung eines nicht existenten Zusammenhangs zwischen Unternehmens- und Personalstrategie;41 eine Beschränkung der Rolle des HRM auf die Umsetzung von Unternehmensstrategien, auf deren Formulierung es selbst keinen Einfluss hat;42 die mit ressourcenorientierten Ansätzen konvergierende Konzeption des HRM, wonach Unternehmensstrategien vollständig oder teilweise aus der vorhandenen Personalausstattung abgeleitet werden sollen (strategiegenerierendes HRM); einer Beteiligung des HRM an der Formulierung von Unternehmensstrategien dadurch, dass Personal- und Geschäftsstrategien prozessual und inhaltlich aufeinander abgestimmt werden.43
41 Das HRM wird als eine weitgehend autonom operierende Einheit konzipiert, die die Personalstrategien und -programme ohne eindeutigen Bezug zur Unternehmensstrategie formuliert. 42 „Interne Faktoren der Unternehmung werden v.a. unter dem Aspekt der Strategieumsetzung betrachtet (z.B. bezogen auf ihren Beitrag zur Wertschöpfung), treten aber insgesamt zurück. Die Bedeutung von Fragen der Personalführung bleibt in dieser Perspektive eher nachgeordnet“ (Felger/Paul-Kohlhoff 2004: 30), da traditionell die Grundlagen für den Erfolg einer Unternehmung eher in den unternehmensexternen, marktbezogenen Faktoren gesucht werden. Diese dem MichiganApproach ähnelnde Definition des Verhältnisses von Unternehmens- und Personalstrategie folgt der Idee eines „vertikalen Fit“: Das HRM konzentriert sich demnach auf die Ableitung des Personalbedarfs aus der Unternehmensstrategie bzw. der Sicherstellung der zur Strategieumsetzung notwendigen Voraussetzungen (Krauss 2002: 23, 28ff., 83–87; vgl. auch Steinmann u.a. 1989: 398). 43 Vgl. Steinmann u.a. 1989: 402ff. Diese Sichtweise orientiert sich der Idee eines horizontalen „Fit“ zwischen Unternehmens- und Personalstrategie und zeigt deutliche Parallelen zum Harvard-Ansatz (integratives HRM).
116
Hinsichtlich der Praktikabilität und empirischen Verbreitung unterschiedlicher Strategievarianten halten Liebel und Oechsler (1994: 12ff.) eine strategiegenerierende Funktion des HRM („Unternehmensstrategie folgt Personalstrategie“) eher als Randerscheinung. Dominant sei eher die Ableitung der Personalstrategie aus der Unternehmensstrategie („strategieumsetzende Funktion oder derivatives Modell“), wünschenswert aber eine Integration von Unternehmens- und Personalstrategie. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Schuler: „In fact, linkages between human resource activities and business needs tend to be the exeption even during non-turbulent times. When such linkages do occur, they are usually driven by the organization’s effort to formulate and implement a particular strategy“ (Schuler 2000: 251).
Die Frage nach dem tatsächlichen Einfluss des HRM auf unternehmenspolitische Entscheidungen im Vergleich zu vorangegangenen Phasen des Personalwesens und seiner Rollendefinition im Unternehmen wird am Ende der Arbeit vor dem Hintergrund der empirischen Fallstudie noch einmal aufgegriffen und diskutiert.
2.3.3
Prozessorientierung
Ausgehend von der unübersichtlichen und heterogenen Darstellung von bestpractice-Beispielen des HRM, hat sich innerhalb der HRM-Forschung eine sogenannte Konfigurationsschule herausgebildet, die erfolgreiche HR-Praktiken im Hinblick auf ihre interne Konsistenz und ihre wechselseitige Abhängigkeit und Beeinflussung darzustellen versucht (vgl. Krauss 2002: 39; Kaudela-Baum 2006: 109). Das HRM und seine vielfältigen Praktiken und -aktivitäten werden aus einer prozessualen Perspektive analysiert und klassifiziert. Dabei kann der Anspruch des HRM, die Kernfunktionen des strategischen und ressourcenorientierten Personalmanagements aufeinander abzustimmen, als ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zur der klassischen Personalpolitik betrachtet werden (vgl. Weitbrecht 1998: 21ff.). Prozessorientierung meint in diesem Zusammenhang das zentrale Ziel der Herstellung einer „horizontalen Konsistenz“ der in einem Unternehmen vorhandenen Personalfunktionen, -verfahren, -maßnahmen und instrumente. HR-Praktiken sollen demnach möglichst widerspruchsfrei und prozessual in Gestalt eines „Human Resource Flow“ miteinander verknüpft werden, um das HRM möglichst konsequent auf die Unternehmensstrategie ausrichten zu können (vgl. Beer u.a. 1984; Krauss 2002). Schuler und Jackson liefern eine umfassende Definition der horizontal zu integrierenden HR-Praktiken: „Under the broad umbrella of Human Resource-Management we include the essential activities of resource planning, staffing, training and development, performance appraisal, compensation,
117
safety and health, and labour relations. We also include managing change and culture, work and organizational design and aligning HR activities – both externally and internally, as these activities follow naturally from the HR’s position as a strategic partner“ (Schuler/Jackson 2005: 2).
Mit dem Ziel einer prozessualen und konzeptionellen Integration von HRPraktiken geht die Erwartung einer Steigerung von Effizienz und Effektivität der Leistungsbeiträge des HRM zum Unternehmenserfolg einher (vgl. Krauss 2002: 40). Schuler und Jackson (2005: 5f.) illustrieren den Ansatz der prozessualen Integration von HR-Funktionen am Beispiel der Personalauswahl: Während im traditionellen Personalmanagement der Auswahlprozess als isolierte Teilfunktion gesehen wurde, stehen HR-Manager nun vor der Aufgabe, HR-Prinzipien und Praktiken aus einer generalistischen Perspektive zu betrachten und zu steuern. Neuberger (1997) geht mit Blick auf die betriebliche Praxis noch davon aus, dass das betriebliche HRM eher als Oberbegriff für weitgehend unverbundene Personalpraktiken und -prozesse fungiert denn als ein prozessual integriertes Personalmanagementsystem. Felger und Paul-Kohlhoff stimmen dieser Einschätzung insoweit zu, als nicht nachgewiesen sei, dass die „unternehmensspezifische Integration von diversen Funktionen, Verfahren und Instrumenten des Personalmanagements auch auf der Umsetzungsebene konsequent umgesetzt wird. Vielfach scheint sie eher auf eine allgemeine konzeptionelle (Grundsatz-) Ebene beschränkt, statt operativ folgenreich zu werden“ (Felger/Paul-Kohlhoff 2004: 63f.). Im Hinblick auf den präskriptiven und deskriptiven Anspruch von Konfigurationsansätzen zeigen sich vielfältige Defizite, die vor allem aus ihrer geringen konzeptionellen Komplexität und der Ausblendung der widersprüchlichen Rollenerwartungen an das HRM resultieren: „In der Unternehmenspraxis kommt deutlich zum Ausdruck, dass die Praktiken des HRM sich sowohl an den kurzfristigen als auch an den langfristigen Flexibilitätsanforderungen von Unternehmen ausrichten. Neben dem Aufbau einer ‚High Involvement‘-Kultur gilt es bspw. gleichzeitig ganze Mitarbeitergruppen abzubauen. [...] Die Konfigurationsansätze müssten heute also umgedeutet werden als Prozess, der diese Balance bzw. diese paradoxen Situationen im Spannungsfeld zwischen Strategie und Personal zum Ausgangspunkt der HRM-Strategie macht“ (Kaudela-Baum 2006: 111f.).
2.3.4
Gestaltungsmuster industrieller Beziehungen
Hinsichtlich der Frage, welchem Verständnis das HRM in Bezug auf die Gestaltung der industriellen Beziehungen auf konzeptioneller Ebene und innerhalb der Unternehmenspraxis folgt, sind einige Differenzierungen vorzunehmen. Fischer und Hedrich (1995) unterscheiden in Anlehnung an Storey (1989) grob zwischen einer harten und einer weichen HRM-Variante. Im Rahmen der harten Variante 118
sollen die Interessen von Arbeitgebern und -nehmern durch direkte Beziehungen unter Ausschluss von Gewerkschaften und Betriebsräten ausgehandelt werden, während weiche HRM-Ansätze anstelle eines Interessenantagonismus von einer friedlichen Koexistenz des Personalmanagements mit der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretung ausgehen. Becker und Wagner bezeichnen die sogenannte hard version des HRM als „Instrument zur Verbesserung der Einsatzmöglichkeiten der Arbeitnehmer/-innen und damit zur Umsetzung der Unternehmensstrategie“ (Becker/Wagner 1998: 35). Im Vordergrund stehe hier eine Betrachtung von HRM-Maßnahmen im Lichte ihres Wertschöpfungsbeitrages mit der Folge, dass „die Ware Arbeitskraft [...] damit weitgehend verdinglicht und instrumentalisiert“ (ebd.) werde. Weiche HRM-Ansätze sind geprägt durch Grundannahmen der Human Relations-Schule. Sie sehen den Beitrag des HRM in der Förderung von Kommunikation, Motivation und Führung, um auf diese Weise eine Organisationskultur zu etablieren, in der Mitarbeiterbedürfnisse respektiert werden (vgl. Fischer/Hedrich 1995; Becker/Wagner 1998; Felger/Paul-Kohlhoff 2004). In Zusammenarbeit mit dem Linienmanagement, der Geschäftsführung und den Mitarbeitern sollen Wege gefunden und beschritten werden, um den organisationalen Wandel im Sinne einer Sicherstellung oder Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Mitarbeiterzufriedenheit kooperativ zu bewältigen (vgl. Schuler 2000: 240f.). Mitarbeiter sollen über Maßnahmen der Bindung, Kompetenzentwicklung, Personalführung, Partizipation und Motivation für die Organisationsziele gewonnen bzw. in diese integriert werden (vgl. Becker/Wagner 1998: 35). Felger und Paul-Kohlhoff (2004: 35f.) sehen einerseits die konzeptionell bedeutsamen Unterschiede hinsichtlich des Menschenbzw. Mitarbeiterbildes und bei der Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen, kritisieren aber das insgesamt unklare Verhältnis beider HRM-Konzepte. Ihrer Ansicht nach müssen beide keine Gegensätze bilden, sondern lassen sich zu einem integrierten HRM-Gesamtkonzept kombinieren, denn die weiche Variante ist eher auf Fragen der Mitarbeiterführung und -entwicklung und damit auf die Umsetzung der Ziele fokussiert, die von der harten Variante benannt werden. Zudem erkennen sie eine Parallele der soft version zum Harvard-Ansatz und der hard version zum Instrumentalismus des Michigan-Ansatzes. Sie halten fest, dass sowohl die harte als auch die weiche Variante ein Mitwirken der Arbeitnehmervertretung bei der Entwicklung einer abgestimmten Personal- und Unternehmensstrategie entweder überhaupt nicht vorsehen oder nicht als relevantes Anliegen betrachten. Über diese Kategorisierung hinaus haben Kochan u.a. (1986) in Anbetracht der Herausbildung kooperativer Muster industrieller Beziehungen in den USA vorgeschlagen, ein für industrielle Beziehungen sensibles Modell des HRM zu entwickeln. Ihr konzeptionell auf die Regelungsebenen der industriellen Beziehungen in den USA zugeschnittener Strategic-Choice-Ansatz bildet
119
die Wechselwirkungen zwischen externen Einflussgrößen (wie Arbeits- und Produktmärkte) und der institutionellen Struktur industrieller Beziehungen auf Unternehmensebene (z.B. kollektivvertragliche Vereinbarungen oder Personalstrategien) als Drei-Ebenen-Modell ab. Ziel des Modells ist es, strategische Entscheidungen des HRM an der institutionellen Struktur industrieller Beziehungen und den damit verbundenen Interessenkonstellationen und Entscheidungsspielräumen der beteiligten Akteure (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Gewerkschaften, gesellschaftliche Akteure) auszurichten als auch deren Wechselwirkungen zu betrachten (Kochan 1986: 17; vgl. Liebel/Oechsler 1994: 18ff.). Der Forschungsstand zur Entwicklung der Arbeitsbeziehungen im Kontext des HRM in Deutschland ist gegenwärtig insgesamt als relativ dürftig einzuschätzen. Mit Blick auf die deutschen industriellen Beziehungen, die sich unter anderem durch einen hohen Grad an Institutionalisierung der Konfliktaustragung und durch gute Bedingungen für Kooperation auf betrieblicher Ebene auszeichnen, konstatiert Weitbrecht, dass sich der Wandel der klassischen Personalpolitik zum HRM „nicht mit der gleichen Intensität vollzogen“ hat wie das „in anglosächischen Ländern der Fall war“ (Weitbrecht 1998: 25f.). Der Einfluss des Betriebsrats auf klassische Themenfelder des HRM (PE, Stärkung der Linienverantwortung, Gestaltung von Unternehmenskultur) kann als eher gering eingestuft werden. Weitbrecht beruft sich auf Auer (1994), der die Rolle der institutionalisierten Mitbestimmung im Rahmen von PE untersucht hat, und resümiert die wesentlichen Ergebnisse seiner Studie: „Als Ursachen weist er u.a. hin auf das geringe Interesse von Betriebsräten an einem stärkeren Engagement und – damit zusammenhängend – die kaum vorhandenen Vertretungserwartungen der Beschäftigten in Fragen der Personalentwicklung, die teilweise vorhandenen Ausschließungsstrategien des Managements, den eher reaktiven Charakter von betriebsverfassungsrechtlichen Normen in diesem Bereich und den oft bestehenden erheblichen Qualifikations- und Informationsmangel von Betriebsräten. Diese Analyse kann sicherlich stellvertretend für die meisten Elemente des HRM stehen“ (Weitbrecht 1998: 27).
Sowohl für den anglo-amerikanischen Raum als auch für die Bundesrepublik werden anti-gewerkschaftliche Tendenzen des harten HRM identifiziert, die auf eine wachsende Individualisierung der Arbeitsbeziehungen hinweisen (vgl. Müller-Jentsch 1995). Im Gegensatz zu dieser Einschätzung stehen die Forschungsergebnisse von Fischer und Weitbrecht (1995), die auf der Grundlage schriftlicher Befragungen von Personalmanagern der chemischen Industrie in drei deutschen Bundesländern gewonnen wurden. Die Autoren untersuchten die Wechselwirkungen zwischen HRM-Konzepten und der Gestaltung der industriellen Beziehungen und kamen zu dem Ergebnis, dass sich das HRM im Kontext der deutschen industriellen Beziehungen positiv auf die Kooperationsbeziehungen innerhalb der Unternehmen ausgewirkt hat. Dabei sind Einflüsse auf individuel120
ler Verhandlungsebene (Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Management, Identifizierung mit dem Unternehmen) deutlicher ausgeprägt als auf kollektiver Ebene (Verhältnis zwischen Management und Betriebsrat, Intensität der Kommunikation beider Parteien). Ausgeprägte antikollektivistische Tendenzen des HRM in deutschen Unternehmen wurden im Gegensatz zur Einschätzung von Müller-Jentsch (1995) jedoch nicht identifiziert. Die kollektive Ebene industrieller Beziehungen scheint hier unter dem Einfluss des HRM – gegensätzlich zum angelsächsischen Sprachraum – eine Stabilisierung zu erfahren: „In Germany, we find the opposite development as in the U.S. and Great Britain. Here we find a stabilization of the traditional, collective-level industrial relations within the company trough HRM. The collective-level industrial relations become even more cooperative when a company practices HRM“ (Fischer/Weitbrecht 1995: 390).
2.4 Personal- und Bildungsarbeit unter Veränderungsdruck Im Folgenden werden für den Bereich der großbetrieblichen Weiterbildung und PE zentrale Entwicklungstrends herausgestellt, die in ihrer Summe auf eine neue Rationalität und Professionalität der Nutzung und Entwicklung des subjektiven Arbeitsvermögens qualifizierter Beschäftigter hindeuten. Vor dem Hintergrund des Bedeutungsgewinns der Wissensbestände und Kompetenzen der Mitarbeiter als strategische Wettbewerbsressource sollen PE, Weiterbildung und Führung die Voraussetzungen für eine umfassende und effiziente Nutzung des betrieblichen Humanpotenzials schaffen. Umfassende Restrukturierungen haben in den vergangenen Jahren die Organisation und das Selbstverständnis der betrieblichen Weiterbildung und PE in den großen Unternehmen nachhaltig verändert; gleichzeitig vollzieht sich eine zum Teil umfassende Neudefinition des Aufgaben- und Verantwortungsbereiches von Personalentwicklern, Weiterbildnern einerseits und Führungskräften und Mitarbeitern andererseits. Im Folgenden sollen wesentliche Entwicklungstrends in knapper Form zusammengefasst werden, die sich auf Veränderungen in der Konzeption, Organisation, Durchführung, Finanzierung, und Legitimation betrieblicher Weiterbildung beziehen. Dabei sind fünf Entwicklungstendenzen hervorzuheben: 1. Subjektorientierung und Kompetenzentwicklung, 2. Arbeitsprozessorientierung betrieblichen Lernens, 3. neue Aufgabenschwerpunkte und Rollen von Personalentwicklern, betrieblichen Weiterbildnern und Führungskräften, 4. Ökonomisierung der betrieblichen Weiterbildung und 5. eine verschärfte Selektivität im Zugang zu betrieblicher Weiterbildung und PE (vgl. dazu Kapitel 2.4.2).
121
2.4.1
Klassische Aufgabenfelder und Funktionen betrieblicher Personalentwicklung und Weiterbildung
Angesichts weitreichender struktureller Veränderungen innerhalb der Erwerbsarbeit (Tertiärisierung, Bedeutungsgewinn der Dienstleistungs- und Informationsökonomie) und einer damit einhergehenden Aufwertung qualifizierter und wissensintensiver Tätigkeitsprofile (vgl. Kapitel 1) steht ein Großteil der Beschäftigten – trotz einer Persistenz tayloristischer Formen der Arbeitsorganisation – vor der Herausforderung, tendenziell steigende und sich immer schneller verändernde Wissens- und Kompetenzanforderungen in der Arbeit bewältigen zu müssen (vgl. Deutschmann 2001a). Neben der Forderung nach mehr Flexibilität der Beschäftigten in der Arbeitswelt wird das lebenslange oder lebensbegleitende Lernen als zentrale Voraussetzung zur erfolgreichen gesellschaftlichen, einzelwirtschaftlichen und sogar individuellen Bewältigung des Strukturwandels zur Wissensgesellschaft betrachtet (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 2002; Baethge 2003).44 Eine repräsentative Befragung europäischer Unternehmen zeigt, dass die betriebliche Weiterbildung nicht nur als „eines der wichtigsten Teilsegmente im Rahmen von Lernprozessen Erwachsener“ (Grünewald/Moraal 2001: 8f.) betrachtet, sondern zugleich als von europäischen Unternehmen bevorzugte Maßnahme eingesetzt wird, um den wachsenden Qualifikations- und Wissensanforderungen in der Arbeit zu begegnen.45 Von den befragten europäischen Unternehmen betrachten 92% Weiterbildung als die „mit Abstand [...] wichtigste Maßnahme“, gefolgt von Veränderungen der Arbeitsorganisation (70%), Neueinstellungen (53%), während Maßnahmen zur Reduzierung des Personalstam-
44
„Mochte es für die Vergangenheit gereicht haben, sich über Bildungsangebote zu informieren und sie wahrzunehmen (was freilich auch keineswegs so selbstverständlich und mit vielerlei Barrieren verbunden war), so reicht ein solches Gegenüber von Individuum und Institution als Nutzungsverhältnis unter den gegenwärtigen Bedingungen lebenslangen Lernens nicht mehr. Vielmehr ist eine ständige Auseinandersetzung mit der eigenen Kompetenz in der Perspektive subjektiver beruflicher Optionen und struktureller Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt gefragt, um berufliche Lernerfordernisse selbstständig zu definieren und ihre Realisierung zu organisieren“ (Baethge/Baethge-Kinsky (2003: 74). 45 Grünewald und Moraal (2001) stellen die Ergebnisse einer durch das Bundesinstitut für Berufsbildung durchgeführten telefonischen Ergänzungsbefragung (n = 474) von weiterbildenden Unternehmen zu der im Jahre 2000 von der Europäischen Kommission in 25 europäischen Ländern durchgeführten Befragung zur betrieblichen Weiterbildung vor. Im Zentrum der Zusatzerhebung standen unter anderem die Frage nach den „Auswirkungen der Globalisierung und des strukturellen Wandels auf die betrieblichen Rekrutierungs- und Qualifizierungsstrategien, lebenslanges Lernen, andere Lernformen jenseits von Kursen und Seminaren in Unternehmen, die Frage der Eigenverantwortung der Bildungsteilnehmer für ihre Qualifizierung, Fragen der Kosten und Finanzierung der betrieblichen Weiterbildung sowie die Integration von Arbeitslosen in betriebliche Qualifizierungsprozesse“ (Grünewald/Moraal 2001: 4).
122
mes (z.B. durch Entlassungen) mit 16% und der Ausbau von Teilzeitmodellen mit 14% als wenig bedeutend eingestuft wurden (vgl. ebd., 6). Im Folgenden werden zunächst grundlegende Aufgaben und Funktionen betrieblicher Weiterbildung und PE in Abgrenzung von beruflicher Aus- und Fortbildung umrissen. Der Bereich der Weiterbildung gilt spätestens seit dem Strukturplan des Deutschen Bildungsrates von 1970 neben dem Elementar- und Primarbereich (Kindergärten, Vor- und Grundschule), dem Sekundarbereich (weiterführende und berufliche Schulen) und dem tertiären Bereich (Fachhochschulen und Universitäten) als vierte Säule des deutschen Bildungswesens.46 Die Aufgabe beruflicher Bildung ist es, „durch Fortbildung, Umschulung und Anpassungsqualifizierung zur Arbeitsplatzsicherheit und zum beruflichen Aufstieg beizutragen bzw. überhaupt den Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen. Zugleich soll sie aber auch die Deckung des Fachkräftebedarfs sichern“ (Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994: 713f.).
Die Bereiche Erwachsenenbildung und berufliche Fortbildung wurden bis zu Beginn der 1960er Jahre noch getrennt betrachtet, doch dann „setzte sich allmählich die Erkenntnis durch, dass beide Bereiche ineinander verzahnt sind, dass berufliche Fortbildung auch allgemeinbildende Akzente enthält wie umgekehrt allgemeine Bildungsinhalte berufliche Qualifikationen beeinflussen“ (Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994: 713). Die betriebliche Weiterbildung steht konstitutionell im Spannungsfeld von gesellschaftspolitischen, arbeitnehmer- und arbeitgeberbezogenen Interessenlagen. Aus gesellschaftspolitischer Sicht werden mit betrieblicher Weiterbildung zentrale Ansprüche des Rechtes auf Bildung, der Wahrung von Chancengleichheit im Zugang zu Bildung und der Anpassung der Qualifikation von Beschäftigten an veränderte betriebliche und arbeitsmarktrelevante Anforderungen berührt. Aus der Arbeitnehmerperspektive verspricht betriebliche Weiterbildung eine höhere Arbeitsmarktmobilität und -sicherheit, innerbetrieblichen Aufstieg, attraktivere Arbeitstätigkeiten sowie eine Weiterentwicklung von Fachwissen und Persönlichkeit. Unternehmen verbinden mit der betrieblichen Weiterbildung hingegen in erster Linie Ziele einer Steigerung der Leistungsmotivation und -fähigkeit und die Förderung von Nachwuchskräften (vgl. Pawlowsky/Bäumer 1996: 11ff.). Dabei können genannte Funktionen 46 Weiterbildung findet statt im Bereich der allgemeinen Bildung (die neben einer Vermittlung von Sachwissen insbesondere die Persönlichkeitsentwicklung Erwachsener fördern soll), der politischen Bildung (zur Förderung politischen Engagements und sachkompetenter politischer Urteilsfähigkeit der Bevölkerung), des nachträglichen Erwerbs eines schulischen Abschlusses (zwecks Korrekturmöglichkeiten von Bildungsbiografien) und der beruflichen Bildung (vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994: 713).
123
sowohl in einem komplementären als auch in einem konfliktreichen Verhältnis zueinander stehen: „So steht zum Beispiel das individuelle Interesse an höchstmöglicher Arbeitsmarktmobilität im Gegensatz zu den ökonomischen Verwertungszielen entwickelter Qualifikationen von Seiten des Unternehmens; Mitarbeiter, in deren Qualifikationen investiert wurde, sollen nach Möglichkeit im Unternehmen verbleiben. Ebenso mag das gesellschaftliche Interesse an Weiterbildung, nach dem die Weiterbildung u.a. benachteiligte Gruppen fördern und Ungleichheiten in der Erstausbildung kompensieren soll, in Konkurrenz zur selektiven Weiterbildungspraxis der Unternehmen stehen“ (ebd., 13f.).
Die Autoren präzisieren die generellen Funktionen der betrieblichen Weiterbildung aus Unternehmenssicht. Als Primärfunktion bezeichnen sie die mit dem Investitionsdenken verbundene ökonomische Erwartung, dass „die durch Weiterbildung entstehenden Kosten zukünftige Einnahmen auslösen oder zukünftige Ausgaben verringern müssen“ (ebd., 31f.). Aus dieser Primärfunktion leiten sie dann fünf Nebenfunktionen sowie eine Reihe von Durchführungszielen47 der betrieblichen Weiterbildung ab:
47
Weiterbildung trägt zur Versorgung des Unternehmens mit den für die Produktions- und Wertschöpfungsprozesse notwendigen personellen Qualifikationen bei, indem Arbeitskräfte nach technisch-organisatorischen Veränderungen entsprechend qualifiziert werden („Anpassungsqualifizierung“). Weiterbildung, die an den Interessen und Motivationen der Beschäftigten ansetzt, verspricht eine Erhöhung bzw. Aufrechterhaltung der allgemeinen Leistungs- und Identifikationsbereitschaft („Motivations- und Identifikationsfunktion“). Arbeitsplatzübergreifende Weiterbildungsmaßnahmen fördern die Ausschöpfung betrieblicher und personeller Flexibilitätspotenziale („Flexibilisierungsfunktion“).48 Weiterbildungsangebote wirken sich positiv auf das Unternehmensimage aus und ermöglichen, dass der Bedarf an qualifizierten und hoch qualifizierten Bewerbern vom externen Arbeitsmarkt durch Personalrekrutierung wirksam gedeckt werden kann („Akquisitions- und Imagefunktion“).
Zu den wichtigsten Durchführungszielen zählen: Förderung der Kundenorientierung, Erhöhung der Einsatzmöglichkeiten der Mitarbeiter, Anpassung an neue Arbeitsverfahren, Verbesserung der Mitarbeitermotivation, Persönlichkeitsförderung der Mitarbeiter, Integration von Mitarbeitern in das Unternehmen (vgl. ebd., 34f.). 48 „Im Kern können davon alle Formen betrieblicher Flexibilisierung betroffen sein: Mengenflexibilität (Anpassung an quantitative Bedarfsschwankungen), Teileflexibilität (Möglichkeit, mehrere Teile zur gleichen Zeit zu bearbeiten), Terminflexibilität (Möglichkeit, zum Beispiel bestimmte Teile vorziehen zu können) sowie Gestaltungsflexibilität (Möglichkeit zur raschen Anpassung an Konstruktionsänderungen)“ (ebd., 33).
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Weiterbildung kann einen proaktiven Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbs-, Entwicklungs- und Innovationsfähigkeit des Unternehmens leisten, indem Mitarbeiter befähigt werden, Produkte, Dienstleistungen oder organisatorische Prozesse zu verbessern (vgl. ebd., 32ff.).
Als gemeinsamer Referenzpunkt für Bildungspolitik und -forschung galt bis in die 1990er Jahre hinein die enge Weiterbildungsdefinition des Deutschen Bildungsrates von 1970, die unter Weiterbildung ausschließlich formal organisierte Lernformen verstand, die dem Schul- und Ausbildungssystem zeitlich nachgelagert und aus dem Arbeitsprozess ausgegliedert sind. So subsumieren Pawlowsky und Bäumer unter dem Begriff der betrieblichen Weiterbildung den Anteil an beruflicher Weiterbildung, „der vom Unternehmen durchgeführt und/oder veranlasst und finanziert wird“, und schließen dabei „nicht-organisierte Vorgänge der Wissens- und Qualifikationserweiterung am Arbeitsplatz aus, wie sie sich im alltäglichen Mischvollzug technischer, organisatorischer und geschäftspolitischer Veränderungen, aber auch im Zuge von Einarbeitungszeiten vollziehen“ (ebd., 9). Angesichts des Bedeutungsgewinns informeller, arbeitsprozessorientierter und auf die Entwicklung personaler Kompetenzen gerichteter Lernformen, die auf eine „Dezentralisierung von Bildungsmaßnahmen“ und auf eine „stärkere Verzahnung von Arbeits- und Lernprozessen“ zielen, basieren aktuelle Weiterbildungserhebungen in der Regel auf einem breiteren Verständnis von betrieblicher Weiterbildung (Kühnlein 1997: 269).49 Im Kontext des IAB-Betriebspanels, der Erhebung des Weiterbildungsverhaltens deutscher Unternehmen durch das Institut für Wirtschaft und der Befragung europäischer Unternehmen im „Continuing Vocational Training Survey“ (vgl. Grünewald/Moraal 2001) werden als betriebliche Weiterbildung nicht nur in- und externe Kurse und Seminare, sondern auch sogenannte weiche Lernformen (z.B. Weiterbildung am Arbeitsplatz, Teilnahme an Vorträgen, selbstgesteuertes Lernen mithilfe von Medien und Qualitätszirkeln) behandelt (vgl. Weiß 2000; Bellmann u.a. 2001; Grüne49 So zeigen zum Beispiel die Ergebnisse der IW-Erhebung, in deren Rahmen über eintausend kammerzugehörige Unternehmen zu ihrer Weiterbildungsaktivität befragt wurden, ein breites Spektrum an Weiterbildungsmaßnahmen. Am verbreitetsten ist das prozessintegrierte Lernen in der Arbeitssituation (dies trifft für 92,9% der Unternehmen zu und bezieht sich auf klassische Maßnahmen der Unterweisung und Schulung am Arbeitsplatz durch Kollegen oder Vorgesetzte, auf organisiertes Einarbeiten und Anlernen und neue Lernformen wie Coaching, arbeitsplatznahe Workshops, Lerninseln oder Qualitätszirkel). Danach folgen Informationsveranstaltungen (z.B. Fachmessen, -tagungen und -vorträge und Erfahrungsaustauschkreise) mit 91,8%, das selbstgesteuerte Lernen mit Medien (86,9% der Betriebe), wobei hier weiterhin die klassischen Medien wie Fachbücher und -zeitschriften den überragenden Anteil (mit 83,4%) gegenüber neuen Medien wie web based training (12,9%) ausmachen. Darauf folgen in- und externe Lehrveranstaltungen in Gestalt von ein- bis fünftägigen Seminaren mit 75,6%; das kleinste Segment betrieblicher Weiterbildung betrifft Umschulungsmaßnahmen mit 12,7% (vgl. Weiß 2003: 2–5).
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wald/Moraal 2001; Leber 2002). Betriebliche Weiterbildung umfasst demnach eine Pluralität an betrieblich organisierten bzw. finanzierten Maßnahmen zur Erhaltung, Anpassung, Erweiterung oder Verbesserung von Mitarbeiterkompetenzen (vgl. Harney 1998: 36f.). Der Bereich der Personalentwicklung (PE) wurde bis in die 1980er Jahre hinein primär innerhalb der betriebswirtschaftlichen Literatur behandelt und galt traditionell als Teilgebiet der betrieblichen Personalwirtschaft neben anderen personalbezogenen betrieblichen Funktionsbereichen wie Personalbedarfsermittlung, -beschaffung, -einsatz, -erhaltung und -beurteilung (vgl. Olesch 1992: 20ff.; Sonntag 2002: 59). Heute ist PE Gegenstand eines wachsenden Interesses zahlreicher wissenschaftlicher Disziplinen und Forschungen, vor allem aus den Bereichen Erwachsenenpädagogik, Arbeits- und Organisationspsychologie, Managementforschung, Unternehmensführung und Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Eine erste Annäherung an Gegenstand, Ziele und Maßnahmen der PE liefert folgende Begriffsdefinition: „Personalentwicklung hat die Aufgabe, die gegenwärtig und künftig erforderlichen Qualifikationen der Mitarbeiter, insbesondere der Fach- und Führungskräfte, je nach Aufgabenprofil zu vermitteln und langfristig sicherzustellen. Dabei gilt es [...], durch Qualifizierungsmaßnahmen die Laufbahn und Karriere vorhandener Mitarbeiter so zu gestalten, dass sie Schritt für Schritt die ihnen zugedachten und zugetrauten Positionen ausfüllen können“ (Berger u.a. 2004: 87).
Aus dieser Perspektive ist betriebliche Weiterbildung ein der PE untergeordnetes Instrument, das auf die Anforderungen von Stelle und antizipierten bzw. geplanten Karriere- bzw. Weiterentwicklungsschritten bedarfsgerecht zugeschnitten wird. Entsprechend dem Zeitpunkt innerhalb der beruflichen Laufbahn und dem Durchführungsort einer PE-Maßnahme, wird innerhalb der Literatur klassischerweise zwischen sechs unterschiedlichen Gruppen zielorientierter und geplanter PE-Maßnahmen unterschieden:
Maßnahmen der Hinführung zu einer neuen Tätigkeit, z.B. durch Ausbildung oder Training (PE „into the job“), qualifikationsförderliche Maßnahmen der Aufgabengestaltung wie Arbeitsanreicherung oder Projektarbeit (PE „on the job“), Laufbahn- bzw. Karriereplanung und -beratung (PE „along the job“), arbeitsplatznahe Trainingsmaßnahmen bzw. arbeitsprozessintegriertes Lernen (z.B. Lernstatt50, Qualitätszirkel) (PE „near the job“),
50 Die Lernstatt (zusammengesetzt aus Lernen und Werkstatt) ist eine Lerngruppe, deren Mitglieder aus demselben Arbeitsbereich stammen und die selbstgesteuert, unter Einsatz von Moderations- und Visualisierungstechniken, Probleme der Arbeitsgruppe und des Arbeitsumfeldes bespricht und zu lösen versucht. Neben der Neutralisierung von Wissens- und Könnensdefiziten dienen Lernstätten nicht nur der Qualifizierung oder systematischen Mitarbeiterentwicklung, sondern ebenso der Inte-
126
formalisierte Weiterbildung in Gestalt externer, nicht unmittelbar arbeitsplatzbezogener Seminare, Schulungen oder Konferenzen (PE „off the job“), Maßnahmen zur Vorbereitung des Ruhestands (PE „out of the job“) (vgl. Rosenstiel 1998; Breisig 2005; Zaugg 2007).
Umstritten zwischen der latent emanzipationsorientierten Perspektive der Erwachsenbildung und der primär verwertungsorientiert argumentierenden betriebswirtschaftlichen Literatur ist die Frage, welchen Zielen und Interessen die PE folgt oder folgen sollte. Aus einer stärker die Interessen von Mitarbeitern akzentuierenden Sicht definieren Heeg und Münch PE als „Inbegriff aller Maßnahmen, die der individuellen beruflichen Entwicklung der Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen die Aneignung der zur optimalen Wahrnehmung ihrer jetzigen und künftigen Aufgaben erforderlichen Qualifikationen ermöglichen“ (Heeg/Münch 1993: 74). Andere Autoren wie beispielsweise Thom (1987: 1ff.) betonen aus unternehmerischer Sicht den Steuerungs-, Verwertungs- und Kontrollaspekt von PE: Diese sei in der betrieblichen Praxis primär durch unternehmerische Flexibilitäts- und Verwertungsinteressen – als Alternative zur Personalbeschaffung vom außerbetrieblichen Arbeitsmarkt und als Instrument der Personalbindung und Steigerung des Leistungsvermögens – und erst sekundär durch Lern- und Entwicklungsinteressen und -motivationen des einzelnen Mitarbeiters geprägt.51 Auch Neuberger (1994: 3) spricht sich deutlich gegen eine personalisierende, auf die Betonung individueller Qualifikationen zielende und harmonisierende Beschreibung von PE aus: Ihr primäres Ziel sei weniger die Verwirklichung von Einzelinteressen (wie Weiterbildungs- und Entwicklungswünsche eines Arbeitnehmers), sondern vorrangig die Verwertung von Arbeitsvermögen als Produktivfaktor bzw. Investition zur Steigerung des betrieblichen Erfolgs. Ähnlich wie in der angloamerikanischen Diskussion zu Leitbildern und Wirkungen des HRD tauchen hier die alten, für PE und betriebliche Weiterbildung vermutlich konstitutionellen Gegensätze zwischen einer auf individuelle Entwicklungsinteressen, -prozesse und potenziale und einer auf Nützlichkeit, Verwertbarkeit und Effizienz ausgerichteten organisatorischen Perspektive auf betriebliche Lern- und Bildungsprozesse wieder auf (vgl. Kapitel 2.3.1.2). Rosenstiel vertritt eine zwischen beiden Extremen vermittelnde Auffassung. Er stellt heraus, dass unternehmerische Verwergration oder Sozialisation von Organisationsneulingen. Die Mitglieder einer natürlichen Arbeitsgruppe treffen sich während oder nach der Arbeitszeit, um selbst- oder fremddefinierte arbeitsbezogene Lernziele zu erreichen, wobei nach Baitsch „nebenbei und latent auch soziale Qualifikationen erworben und Arbeitshaltungen, Werte und Normen vermittelt“ (Baitsch 1998: 316) werden. 51 Gleichzeitig weist Thom darauf hin, dass der Erfolg von PE-Prozessen nur durch die Berücksichtigung von Mitarbeiterneigungen zu erreichen sei (vgl. ebd., 341).
127
tungsinteressen nicht prinzipiell gegensätzlich zu den Lern- und Entwicklungsinteressen der Mitarbeiter verlaufen müssen: „Gerade auf dem Feld der Personalentwicklung ist Zielkongruenz vermutlich häufig. Einerseits legt der Betrieb erheblichen Wert darauf, für die Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Anforderungen Mitarbeiter zu qualifizieren. Andererseits ist das Interesse der Mitarbeiter, diesen Anforderungen gewachsen zu sein, um bei der Arbeit höhere Befriedigung zu erleben, Erfolge zu haben, das eigene Ansehen und die eigenen Karrierechancen im Unternehmen zu verbessern und um gegebenenfalls auch im Falle eines Verlassens des Unternehmens die eigenen Arbeitsmarktchancen zu steigern“ (Rosenstiel 1998: 101).
Die Zielsetzung und der Einsatz von PE in der betrieblichen Praxis variieren unter anderem auch im Hinblick auf nationalkulturelle Faktoren. Aus der Perspektive der interkulturellen Managementforschung fasst Weißbach (2002) die Ergebnisse einer im Rahmen explorativer Fallstudien durchgeführten Expertenbefragung von europäischen Personalmanagern zum Einsatz von PEInstrumenten sowie entsprechende Zielsetzungen zusammen. Demnach können vier Haupteinsatztypen der PE unterscheiden werden: „PE als betriebliche Gratifikation für Leistungsträger (z.B. nach Aufstieg oder Beförderung in den USA), PE als Voraussetzung des Aufstiegs für sorgsam auszuwählende Mitarbeiter (z.B. in Italien, Portugal – während in Deutschland überwiegend noch die fachliche Leistung als Aufstiegsvoraussetzung gilt), PE als Vermittlungsleistung oder passgenaue Berufsvorbereitung durch ‚Upgrading‘ oder ‚Valorisation‘ vorhandener Qualifikationen, was als Aufwertung der Gesamtperson auch ohne zusätzliche materielle Anreize und ohne weiteren Aufstieg interpretiert wird, PE als Kompensation bei gering Qualifizierten (im Management nur verdeckt!)“ (Weißbach 2002: 33).52
Angesichts des Bedeutungsgewinns arbeitsprozessbezogener Lernformen, der Restrukturierungen im betrieblichen Personal- und Bildungswesen und seiner Integration unter dem Dach des HRM erscheint eine klare Unterscheidung zwischen betrieblicher Weiterbildung und PE wenig sinnvoll. Denn beide Begriffe beziehen sich auf Maßnahmen der Planung, Konzeption, Organisation, Durchführung und Evaluation personaler Bildungsprozesse von Mitarbeitern (vgl. Pawlowsky/Bäumer 1995: 8ff.). Zentrale Gemeinsamkeiten können darin gesehen werden, dass sie betrieblich organisierte und finanzierte Maßnahmen be52
Die Autorin hebt hinsichtlich der Interpretation dieser Typologie hervor, dass die Unterschiede zwischen Ländern mit ähnlichen Unternehmensstrukturen im Hinblick auf Personaleinsatz und PEKonzepte grundsätzlich beträchtlich sind: „Gründe dafür liegen zum Beispiel in gesetzlichen Rahmenbedingungen (weitgehender Kündigungsschutz in Italien zwingt zur sorgsamen Auswahl bei der Einstellung von Personal), in unterschiedlichen Regulierungsformen des Arbeitsmarkts und des Ausbildungssystems (das in Frankreich weitgehend staatlich bestimmt wird – bei gleichzeitiger Verpflichtung der Unternehmen durch die Verbände zur Weiterbildung) oder auch in kulturellen Differenzen (z.B. Aushebeln und Unterlaufen zentraler Vereinbarungen durch lokale Vereinbarungen in Italien)“ (ebd.).
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zeichnen, mit denen eine Anpassung, Erhaltung, Förderung und Modifikation der Wissensbestände, Qualifikationen und Kompetenzen von Organisationsmitgliedern auf individueller, gruppenbezogener oder organisationaler Ebene angestrebt werden. Mit anderen Worten: PE und Weiterbildung haben im Wesentlichen eine Transformationsfunktion, d.h. sie sollen den Transformationsprozess des Faktors Personal als „aggregiertes Arbeitsvermögen“ (Neuberger 1994: 6) in gezielter Weise beeinflussen (vgl. Klimecki/Litz 2004). Neuberger hat die betriebliche Rationalität der über PE beanspruchten Gestaltung oder Steuerung des personalen Entwicklungsprozesses wie folgt beschrieben:
PE als „systematischer und rationaler Problemlöseprozeß, der die Diskrepanz zwischen Ist- und Sollsituation überbrückt“ (Neuberger 1994: 8; dies äußert sich zum Beispiel im Wunsch, eine Übereinstimmung zwischen Anforderungs- bzw. Stellenprofil und individueller Qualifikation herbeizuführen); PE als „Vollzug eines vorgezeichneten immanenten Phasenablaufs“ (ebd.) (z.B. Laufbahnplanung); PE als „ungeplante Konsequenz selbsterzeugter vernetzter Handlungsfolgen in komplexen Systemen“ (ebd.) wie die Aneignung organisationskultureller, impliziter Wissensbestände (z.B. die informellen Regeln der Organisation zu verstehen und zu beachten).
Neubergers Verständnis von PE als einem zielgerichteten, geplanten und verwertungsgerichteten Transformationsprozess des Arbeitsvermögens unterstreicht den Aspekt des organisationalen Steuerungsanspruches für im Allgemeinen kontingente Bildungs-, Lern- und Sozialisationsprozesse. Aus einer sozialpsychologischen Perspektive zielt PE über Wissensvermittlung hinaus auch auf die Modifikation des Verhaltens und die Entwicklung der Persönlichkeit der Mitarbeiter. Dabei steht der „Aufbau und die Weiterentwicklung von Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmalen, die zur ‚Meisterung‘ beruflicher, aber auch alltäglicher Situationen befähigen“ (Sonntag 2002: 60), im Vordergrund. Damit ist aber nur die Seite des Sozialisations- und Bildungsprozesses angesprochen, die sich auf explizite betriebliche Maßnahmen der Planung, Konzeption, Durchführung und Evaluation von Qualifikationsmaßnahmen und Karrieren bezieht. Ihr gegenüberzustellen ist die Seite des Subjekts, der Arbeitsgestaltung wie auch der Arbeitsund Interaktionskultur, die sich selten als völlig konform zu den beschriebenen Steuerungsrationalitäten und -zielen verhält. Forschungsergebnisse zum Zusammenhang von Arbeits- und Organisationsbedingungen einerseits und Veränderungen von kognitiven und sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten, von Einstellungen und Werthaltungen der dort Arbeitenden andererseits wie auch aktuelle
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Befunde aus dem Bereich der angloamerikanischen und deutschen Forschung zum HRD bestätigen eine interaktionistische Sichtweise im Sinne einer komplexen Verschränkung von Arbeit und Subjektivität bzw. betrieblicher Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Bolte/Treutner 1983; Schumm 1988; Baitsch 1998; Frieling/Sonntag 1998; Schaarschmidt/Fischer 2001; Lempert 2002). Die Transformation von Arbeitsvermögen vollzieht sich weder direkt noch primär im Kontext organisierten Lernens, sondern im Prozess der Arbeit, vermittelt über die Persönlichkeit und Subjektivität der Mitarbeiter: „Damit wird eine Definition von Personalentwicklung zugrunde gelegt, die die Mittel zur Veränderung und persönlichkeitsförderlichen Weiterentwicklung des Mitarbeiters nicht nur in geplanten und systematischen (‚Bildungs‘-)Maßnahmen sieht, sondern auch in der Arbeitstätigkeit selbst mit ihrer jeweils spezifischen Struktur“ (Sonntag 2002: 61; vgl. auch Heinz 1995; Krömmelbein 2004, 2005; Kruse/Packebusch 2006).
Das Arbeitsvermögen und die Subjektivität der Organisationsmitglieder werden also durch ihre Auseinandersetzungen und Erfahrungen mit ihrer Arbeitsumgebung und -aufgabe geformt. Dieser Prozess ist aber nicht als passive Internalisierung vorgegebener Anforderungen zu verstehen, sondern schließt aktive Verarbeitungs-, Konstitutions- und Bewältigungsleistungen des Subjekts mit ein: „Personen gestalten als handelnde, realitätsverarbeitende Subjekte auch ihr berufliches Verhalten, ihre Arbeitsbiographien und auch ihre Arbeitsumwelten aktiv mit. Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung werden bei einem solchen Verständnis weitgehend synonym verwandt, da neben beruflicher Fremdsozialisation auch immer Prozesse der Selbstsozialisation mit angenommen werden“ (Frieling/Sonntag 1998: 154).
2.4.2
Wandlungstendenzen betrieblicher Personal- und Weiterbildungsarbeit
Ausgehend von der personalwirtschaftlichen und erwachsenenpädagogischen Literatur sowie empirischer Untersuchungen, werden im Folgenden zentrale Veränderungstendenzen großbetrieblicher Personalentwicklung und Weiterbildung seit Etablierung des HRM-Ansatzes nachgezeichnet. Im Fokus stehen konzeptionelle, organisatorische und finanzielle Veränderungen und ihre Konsequenzen für das professionelle Selbstverständnis, den Handlungsspielraum und die Inhalte betrieblicher Personalentwicklung und Weiterbildung.
2.4.2.1
Von der Weiterbildung zur Kompetenzentwicklung
Seit Anfang der 1990er Jahre lässt sich ein Paradigmenwechsel im Verständnis betrieblicher Lern- und Weiterbildungsprozesse und ihrer Voraussetzungen beo130
bachten. Sowohl im Rahmen ökonomischer Theorien (Resource-Based View, lernende Organisation) als auch in der berufspädagogischen und -soziologischen Literatur zur betrieblichen Weiterbildung und PE hat die Diskussion um Kompetenzen und Kompetenzentwicklung allmählich die Rede von Qualifikationen und betrieblicher Anpassungsqualifizierung verdrängt (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 1998; Dostal 1998; Severing 2001; Fried 2003). Die Hinwendung der betrieblichen Praxis und der wissenschaftlichen Diskussion zur Kompetenzlogik steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem tief greifenden Wandel in der Unternehmens- und Arbeitsorganisation und der damit implizierten Aufwertung fachübergreifender, personengebundener Fähigkeiten und Dispositionen im Rahmen des „neuen“ Modus flexibler Arbeitskraftnutzung (vgl. Kapitel 1). Trotz prinzipiell heterogener Argumentationslinien hat sich in genannten Diskursfeldern die Auffassung durchgesetzt, dass die im Bereich betrieblicher Weiterbildung lange Zeit vorherrschende Praxis der berufsbildbezogenen Anpassungsqualifizierung (d.h. eine erst nach Einführung neuer Technologien oder Produktionsverfahren einsetzende, hochgradig formalisierte Vermittlung berufsfachlicher Wissensbestände) kein den veränderten Wettbewerbs-, Flexibilitäts- und Wissensanforderungen gerecht werdendes Qualifizierungskonzept mehr darstellt (vgl. Baethge/Schiersmann 1998; Hübner/Wachtveitl 2000). Notwendig erscheint vielen Autoren nicht nur eine Rückbindung von Weiterbildungsmaßnahmen an strategische Unternehmensziele, sondern auch eine proaktive bzw. zumindest dem qualifikatorischen und organisatorischen Wandel gleichlaufende Entwicklung von Mitarbeiterkompetenzen, die als zentrale Engpass- und Potenzialfaktoren organisationaler Innovations- und Anpassungsfähigkeit betrachtet werden (vgl. Pawlowsky/Bäumer 1995; Sattelberger 1999b; Meier 2001; Staudt/Kriegesmann 2001). Die zunehmende Fokussierung der betrieblichen Weiterbildung auf „überfachliche und polyvalente Qualifikationen“ ist weniger Ausdruck einer grundsätzlichen „Entberuflichung“ der Erwerbsarbeit als vielmehr einer „Aufweichung starrer Berufsbildstrukturen“ (Hübner 2004: 4; vgl. Dostal 1998). Kompetenzen werden vor diesem Hintergrund als grundlegende generative Voraussetzungen subjektiver wie organisationaler Adaptions- und Bewältigungsfähigkeit an vielfältige neue Anforderungen betrachtet: „Bei der Analyse von Stellenausschreibungen fällt auf, dass Anforderungsprofile hinsichtlich formaler Qualifikationen wie Schulabschluss, Studium oder Berufsausbildung immer mehr in den Hintergrund treten, während das Aufführen von ‚soft skills‘ bzw. informell erworbenen Kompetenzen zentraler wird“ (Schröder/Meszléry 2003: 18).
Die Verdrängung der Qualifikationslogik durch die Kompetenzlogik entwickelte sich zeitgleich und in ursächlichem Zusammenhang mit der Etablierung eines ressourcenorientierten und strategischen Ansatzes der PE. Betriebliche Maß-
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nahmen der Personal- und Kompetenzentwicklung stellen im Kontext des HRM ein zentrales Instrument der Unternehmensstrategie zur Sicherung organisationaler Wettbewerbsfähigkeit dar, das zugleich Chancen zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit (employability) der Mitarbeiter bietet (vgl. Kruse u.a. 2002: 6f.).53 Ähnlich wie in der angloamerikanischen Diskussion um Ansätze und Strategien des HRD steht auch die deutsche Diskussion um Kompetenzentwicklung im Spannungsfeld einer funktionalistisch-ökonomistischen und einer auf Sozialisations- und Entwicklungsprozesse der Person abhebenden Position. Erstere stellt Kompetenzen explizit in den Kontext unternehmerischer Performanz und der Anpassungs- oder Innovationsfähigkeit: „Kompetenz ist ein zugleich initiierender und limitierender Faktor der Unternehmensentwicklung. [...] Damit bestätigen sich die Erkenntnisse, die Ende der 70er Jahre im Rahmen der angewandten Innovationsforschung zeigten, daß der zentrale Engpaß im technischen, wirtschaftlichen und strukturellen Wandel die Kompetenz ist“ (Staudt, in: Meier 2001: I).
Im Zuge der Ausrichtung des Personalmanagements auf organisationsinterne Ressourcen setzt sich im HRM zunehmend eine Sichtweise durch, die dafür plädiert, den Gegenstand der Personalbeurteilung um personengebundene Kompetenzen zu erweitern bzw. vielfältige betriebliche Mess- oder Beurteilungsverfahren um Kompetenzen zu erweitern. Diese Empfehlung wird durch frühe Ergebnisse der amerikanischen betriebspsychologischen Forschung der späten 1960er und frühen 1970er Jahre gestützt (vgl. McClelland 1973). Demnach lassen sich individuell erbrachte Arbeitsleistungen eindeutiger auf das Vorhandensein personengebundener Kompetenzen (Motive, Meinungen, Wertvorstellungen, Fachkenntnisse, Fähigkeiten und Verhaltensweisen) zurückführen als auf die Ergebnisse klassischer Eignungstests (Schulnoten, Zeugnisse). Heute richten sich die vielfältigen Instrumente des HRM methodisch auf die äußerst voraussetzungsvolle und keineswegs triviale Identifizierung, Beurteilung und Weiterentwicklung personaler Kompetenzen und auf eine Reorganisation und Integration der Personalfunktionen und -instrumente der Karriere- und Personalplanung, der Rekrutierung und des Leistungsmanagements entlang der Kompetenzlogik (vgl. Hooghiemstra 1992; Mitrani 1992; Erpenbeck 2003a). Als Verfahren zur Beurteilung und „Messung“ von Kompetenzen unterscheidet Meier (2001: 3) zwischen Verfahren der Personalauswahl (Abbildung und Bewertung personeller Profile), der Zertifizierung und Bilanzierung von subjektiven Kompetenzen (die 53 Kruse u.a. (2002) haben im Rahmen von zehn empirischen Fallstudien Betriebs- und Dienstvereinbarungen zur Weiterbildung in Betrieben mit mehr als 150 Beschäftigten untersucht. Im Zentrum standen Fragen zum gegenseitigen Nutzen von Weiterbildung für Unternehmen und Beschäftigte, zur Bedeutung von Weiterbildung für die Bewältigung neuer Anforderungen und zum Einsatz von Evaluationsinstrumenten.
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nicht durch formale Bildungsabschlüsse ausgewiesen werden), des Weiterbildungscontrollings54 und der Humanvermögensrechnung55. Die Voraussetzungen individuellen Kompetenzerwerbs und die damit verbundenen Motivationen und Interessen des lernenden Subjekts werden aus der Sicht dieser funktionalistischen Logik kaum thematisiert. Im Vordergrund stehen betriebliche Nützlichkeits- und Verwertungskalküle und die verkürzte Annahme einer weitreichenden Steuerbarkeit und Formbarkeit individueller, kollektiver und organisationaler Lern- und Bildungsprozesse (vgl. Kapitel 2.3.1.2, 2.4.1 und 2.4.2.4). Der andere Strang der Kompetenzdebatte speist sich vor allem aus arbeitswissenschaftlichen, berufspädagogischen, sozialpsychologischen und sozialisationstheoretischen Ansätzen und Forschungen zur Kompetenzentwicklung, die sich insgesamt an einem komplexeren Verständnis der Genese organisationaler und individueller Kompetenzen orientieren. In der betrieblichen Kompetenzentwicklung werden neben obligatorischen Nützlichkeits- und Verwertungserwägungen durchaus emanzipative Potenziale der Persönlichkeitsentwicklung gesehen, die sich am Leitbild eines kritisch reflektierenden und selbstverantwortlich handelnden Subjekts orientieren (vgl. Baitsch 1998; Meueler 2001; Severing 2001; Sonntag 2002). Kompetenzentwicklung bezeichnet aus dieser Perspektive eine zunehmende Subjekt- und Handlungsorientierung im Bereich der Erwachsenenbildung und lässt sich als Professionalisierungstendenz betrieblicher Weiterbildung interpretieren, die sich im Rahmen eines zunehmend konstruktivistischen Lernverständnisses vollzieht und eine sukzessive Abkehr vom Ansatz einer reaktiven Vermittlung formalisierten Wissens innerhalb pädagogisierter Lernsettings impliziert (vgl. Erpenbeck 2003b). Der Anspruch einer vollständigen Steuerbarkeit des Prozesses der Kompetenzentwicklung und der Kalkulation seiner Bildungseffekte wird zugunsten eines interaktionistischen Verständnisses „sehr spezifischer und unspezifischer Wechselwirkungen zwischen Betrieb, Person, Arbeitsorganisation und Gesellschaft“ (Frieling 2000a: 13) aufgegeben. Aus einer sozialisationstheoretischen Perspektive lässt sich Kompetenzentwicklung demnach als Bestandteil des lebenslangen Prozesses beruflicher Sozialisation rekonstruieren, in dessen Verlauf die Erwerbsperson nicht nur im Rahmen organisierter Bildungsprozesse, sondern vor allem im Rahmen der alltäglichen Arbeit Lernerfahrungen durchläuft und als Person in aktiver Auseinandersetzung mit den kognitiv-intellektuellen, fachlichen, sozialkommunikativen und 54 Ansätze des Bildungscontrollings zielen auf die Sicherstellung der ökonomischen und pädagogischen Effizienz und Qualität wie auch auf die Prozesssteuerung von Kompetenzentwicklungsmaßnahmen (vgl. Kapitel 2.4.2.4). 55 Mit Humanvermögensrechnung wird die finanzwirtschaftliche Betrachtungsweise auf die PE und Weiterbildung übertragen, um in Zahlen zu bestimmen, inwieweit sich Investitionen in Humankapital lohnen.
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organisatorischen Arbeitsanforderungen geprägt wird (vgl. Heinz 1995; Lempert 2002; Sonntag 2002: Krömmelbein 2004). Berufliche Sozialisation umfasst demnach die „Aneignung und Veränderung von Handlungsmustern, Fähigkeiten, Kenntnissen, Motiven, Orientierungen und Deutungsmustern, die im Erwerbsleben von Bedeutung sind“ (Heinz 1995: 12).56 Nach Krömmelbein können vier analytische Prozessebenen der Sozialisation und Identitätsentwicklung unterschieden werden:
Subjektebene (Deutungs- und Erfahrungsmuster, Einstellungen, Handlungskompetenzen, die sich Sozialisationsprozess ausbilden, stabilisieren oder verändern), Interaktionen und Tätigkeiten (kommunikative Beziehungen, Arbeitstätigkeiten, Arbeitskoordination und -kooperation), Institutionen (Wirtschaftsorganisationen: Ziele, Regeln, Rollen als Rechte und Pflichten, Organisationsstruktur, die allesamt die Handlungsmöglichkeiten und -grenzen der Person bestimmen und die soziale Interaktion prägen), gesamtgesellschaftliche Ebene (ökonomische, politische, soziale und kulturelle Bedingungen) (vgl. Krömmelbein 2004: 17f., angelehnt an Tillmann 1999).
Zunächst stellt sich die Frage, ob es klare Kriterien gibt, nach denen sich Qualifikationen und Kompetenzen unterscheiden lassen. Innerhalb der Arbeitsmarktund Berufssoziologie wird der Qualifikationsbegriff in engem Zusammenhang mit dem Berufskonzept verwendet. Die Berufsforschung beschreibt Berufe als umfassende Qualifikationsbündelungen,57 die im Rahmen organisierter, formalisierter und zertifizierter beruflicher Aus- und Weiterbildung erworben werden und innerhalb einer gewissen Bandbreite von Aufgabengebieten einsetzbare fachliche und soziale Arbeitsfähigkeiten und Spezialwissensbestände umfassen. Berufe sind somit einerseits Warenform zur Vermarktung von Qualifikationen der Arbeitskraft, andererseits stiften sie Identität, Sinn und soziale Integration (vgl. Beck 1980; Dostal 1998; Harney 1998). Aus der Kombination von betrieb56
Nach Heinz (1995: 7, 12) umfasst der Begriff der beruflichen Sozialisation sowohl die Lern- und Entwicklungserfahrungen im Rahmen der beruflichen Ausbildung als Vorbereitung auf die Arbeitstätigkeit („Sozialisation für den Beruf“) als auch die das gesamte Erwerbsleben umspannenden beruflichen Erfahrungen („Sozialisation durch den Beruf“). Sein Ansatz verbindet arbeits- und berufssoziologische und sozialpsychologische Konzepte. 57 Bolte (1983: 18f.) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Tätigkeits- und Fähigkeitsbündelungen, um die Diskrepanz zwischen ausgeübter Arbeit (Anforderungen am Arbeitsplatz) und erlerntem Beruf (Vermittlung von spezifischen Fähigkeiten im Rahmen beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen) zu kennzeichnen.
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lichem Status, Aufgabengebiet und Arbeitsmilieu resultieren unterschiedliche, hierarchisch abgestufte Handlungsspielräume zur Arbeitserledigung und persönlichen Interessenverfolgung (vgl. Dostal u.a. 1998: 440). Aus Sicht der Arbeitsmarkttheorie sind Personaleinsatz, Tätigkeitsanforderungen und innerbetrieblicher Status der fachzentrierten Kernbelegschaften stark durch die in der Berufsbildung erworbenen Qualifikationen, fachlich hochgradig spezialisierten Wissensbestände und Fähigkeiten geprägt. Die durch den Prozess der Personalrekrutierung vollzogene Gewinnung von Arbeitskräften mit berufsfachlichem, in Gestalt von Berufsausbildungen oder Studiengängen formalisiertem und zertifiziertem Wissen bildete dabei den Grundstock des Arbeits- und Personalvermögens, welches durch berufliche und betriebliche Qualifizierungsmaßnahmen den veränderten Anforderungen des Arbeitsplatzes angepasst wird (vgl. ebd.; Kräkel 1999). Der Kompetenzbegriff hat durchaus eine gewisse Nähe zum Qualifikationsbegriff, beinhaltet er doch Elemente des intensiv rezipierten Konzepts der Schlüsselqualifikationen von Mertens (1974) (vgl. Volkholz/Köchling 2001: 376f.). Der Begriff „Kompetenz“ stellt jedoch eine bessere kommunikative Anschlussfähigkeit an unterschiedliche Diskursfelder her, zum Beispiel Ansätze der ressourcenorientierten Unternehmensführung, der Personal- und Organisationsentwicklung, des informellen und lebenslangen Lernens sowie arbeitswissenschaftlicher und sozialpsychologischer Konzepte der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Schaarschmidt/Fischer 2001; Volkholz/Köchling 2001; Hardwig u.a. 2004). Geißler und Orthey grenzen den Kompetenzbegriff von dem der „Qualifikation“ ab, indem sie darauf verweisen, dass sich Qualifikationen an Systemrationalität orientieren, während Kompetenzen subjektorientiert sind (Geißler/Orthey 2002). Mit der vielfach konstatierten Trendwende „von der Weiterbildung zur Kompetenzentwicklung“ (Hof 2002: 80f.) richtet sich die Perspektive betrieblicher Lernkonzepte auf den Beschäftigten als aktiv handelndes und mit Wissen umgehendes Subjekt. Betriebliche Kompetenzentwicklungsmaßnahmen sollen subjektive Fähigkeiten und Bereitschaften zur reflexiven Problemlösung eines weitgehend selbstgesteuerten Lernens und Arbeitens sowie eines für ökonomische Zielerreichung verantwortlichen und professionellen Handelns stärken (vgl. Frieling u.a. 2000a; Veith 2003; Hardwig u.a. 2004). Beschränkt sich das Qualifizierungskonzept üblicherweise auf formalisierte und organisierte Formen der Vermittlung berufsförmiger Wissensbestände, vollzieht sich der Erwerb personengebundener Kompetenzen nicht nur im Rahmen organisierter beruflicher Aus- und Weiterbildung, sondern auch über eine erfolgreiche Bewältigung sehr unterschiedlichen Handlungsanforderungen innerhalb des Arbeits- und Lebensvollzugs. Kompetenzen stellen demnach wichtige individuelle Handlungsressourcen dar, um ein verantwortliches und problembewältigendes Handeln in
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unterschiedlichen Handlungskontexten und -situationen auch über den Bereich der Arbeit hinaus zu ermöglichen; zugleich wird ihnen ein salutogenetisches Potenzial zugeschrieben (vgl. Schaarschmidt/Fischer 2001; Dehnborstel 2001; Severing 2001; Geißler/Orthey 2002; Erpenbeck 2003b).58 Aus handlungstheoretischer Sicht (vgl. Habermas 1971) stellen Kompetenzen „eine Beziehung her zwischen den individuell vorhandenen Kenntnissen (deklaratives Wissen), den Fähigkeiten und Fertigkeiten (Können) und den Motiven und Interessen (Wollen) auf der einen Seite und den Möglichkeiten, Anforderungen und Restriktionen der Umwelt auf der anderen Seite. Das Ausmaß, in dem die Kompetenzrelationen dann in kontingenten Bedingungen realisiert werden, macht die Performanz aus“ (Hof 2002: 86). Kompetenzen sind anders als Qualifikationen stark an die Handlungsdispositionen, Haltungen und Interessen des Subjekts gebunden und zugleich „in Arbeitsaufgabe, Arbeits- und Betriebsorganisation sowie Unternehmenskultur“ einbettet (Volkholz/Köchling 2001: 377; vgl. auch Frieling u.a. 2000a; Staudt/Kriegesmann 2001; Hartwig u.a. 2004). Im Hinblick auf arbeitsrelevante Handlungsfähigkeiten wird in der Literatur üblicherweise zwischen Fach-, Methoden- und Sozialkompetenzen unterschieden: „Fachkompetenz beinhaltet fachliche und tätigkeitsbezogene Fähigkeiten zur eigentlichen Erledigung der Arbeitsaufgabe. Methodenkompetenz beinhaltet Fähigkeiten zur Analyse, Strukturierung und Lösungsfindung einer Aufgabe. Sozialkompetenz beinhaltet Fähigkeiten, die für die Zusammenarbeit mit anderen Personen notwendig sind“ (Meier 2001: 11).
Frieling u.a. (2000b) und Kauffeld (2000) ergänzen den Aspekt der Selbstkompetenz als Oberbegriff für persönliche Fähigkeiten, die die Qualität von Problemlösungen positiv beeinflussen. Gesellschaftlich oder betrieblich vermittelte Zwänge und mögliche Überforderungen, die aus den Anforderungen zur Flexibilität, Selbsttätigkeit, Eigenverantwortlichkeit oder dem lebenslangen Lernen erwachsen, werden in der gegenwärtigen Kompetenzdebatte selten diskutiert. Gleiches trifft auch für die Risiken des Arbeitsmarktes zu (Ausnahmen bilden z.B. Kruse 2002; Veith 2003). Stattdessen wird die Verantwortung für den Erfolg des eigenen beruflichen Handelns oftmals einseitig bei den Individuen ver58 „Die Förderung beruflicher Handlungskompetenz kann qualitative Überforderungssituationen beim Umgang mit Anforderungen vermeiden bzw. reduzieren, indem personale Ressourcen optimiert werden. Als Ressourcen werden allgemein Mechanismen, Hilfsmittel oder Schutzfaktoren bezeichnet, die dem Menschen helfen, Belastungen zu bewältigen. Sie können danach klassifiziert werden, ob sie in der Person liegen (personale Ressourcen) oder aus der Art der Arbeitsaufgabe oder -abläufe (organisationale Ressourcen) oder aus dem betrieblichen oder überbetrieblichen sozialen Umfeld (soziale Ressourcen) resultieren [...]. Ressourcen wird die Wirkung zugesprochen, die Bewältigungsmöglichkeiten von Aufgaben und Belastungen zu erhöhen und somit mögliche Stressreaktionen bzw. negative Auswirkungen auf die Gesundheit zu reduzieren oder zu verhindern. Insofern ist ein wesentlicher Gegenstand personaler Förderung und Entwicklung auch in der Stressprävention und Gesundheitsförderung zu sehen“ (Sonntag 2002: 61; Hervorhebung im Original).
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ortet im Sinne von Erfolgsfähigkeit, also dem individuellen Vermögen, sich immer schneller wandelnden beruflichen Anforderungen zu stellen bzw. diese zu antizipieren, strategische Pläne der Selbstvermarktung und Selbstformung zu entwerfen und erfolgreich zu realisieren. Konzepte wie Selbstmanagement, Employability, selbstorganisiertes Lernen oder auch Kompetenz für lebenslanges Lernen (vgl. Geldermann/Spieß 2001; Lombriser/Uepping 2001; Geißler/Orthey 2002; Kruse 2002; Baethge 2003) verweisen auf eine fundamentale Ausdehnung oder auch Entgrenzung der gesellschaftlichen und betrieblichen Performanz- und Verantwortlichkeitserwartungen an das Individuum, mit denen sich heutige Erwerbstätige vor dem Hintergrund zunehmend biografischer Diskontinuitäten, des weitreichenden betrieblichen Zugriffs auf die Subjektivitäts-, Flexibilitäts- und Leistungspotenziale der Person als auch der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses konfrontiert sehen. Die Vermittlung entsprechender Kompetenzen erscheint als Königsweg in der individuellen Bewältigung gesellschaftlicher Anforderungen und Erwartungen an ein initiatives, problembewältigendes und produktives Handeln in Arbeit und Leben (vgl. Voß/Pongratz 1998; Baethge/Baethge-Kinsky 2002; kritisch: Kreher/Oehme 2003; Veith 2003; Voswinkel/Kocyba 2005). „Um handlungsfähig zu sein, müssen die Einzelnen über generative Sinn erschließende und Sinn erzeugende Kompetenzen verfügen, die es ihnen ermöglichen, sich dynamisch auf kontinuierlich wechselnde Situationen einzustellen. Lernen wird dabei nicht nur zur wichtigsten Teilhabevoraussetzung am gesellschaftlichen Leben, sondern auch zur elementarsten individuellen Ressource. Insofern sind neben den kognitiven auch die sozialen und personalen Kompetenzen elementare Stützen einer auf kontinuierlichem Lernen basierenden Lebensführung“ (Veith 2003: 221).
Kruse (2002) weist zu Recht darauf hin, dass der Bedeutungsgewinn von Autonomie- und Selbstverwirklichungsansprüchen in Arbeit und Leben bzw. die aktive Mitgestaltung der eigenen Berufslaufbahn (Selbstmanagement) in einem höchst ambivalenten Verhältnis zu den Risiken des Arbeitsmarktes steht (beispielsweise in Gestalt einer Individualisierung der Verantwortung beim Scheitern mit entsprechend drohender Identitätskrise und sozialem Abstieg). Eine Verweigerungshaltung gegenüber den Zumutungen lebenslangen Lernens hat seiner Ansicht nach eine durchaus verständliche, wenngleich folgenreiche Seite: „Wandelwiderstand“ bedeutet aus identitätstheoretischer Sicht ein Festhalten der Person an prägenden Orientierungen und Gewissheiten, am Eingerichtetsein in Arbeitsrolle und Leben, allerdings um den hohen Preis einer Gefährdung der materiellen Absicherung oder neuer Überforderungen in der Arbeit. Kompetenzentwicklung innerhalb der Arbeits- und Lebenswelt kann sich, wie sich im weiteren Verlauf der Arbeit zeigen wird, entgegen manch emanzipatorischer Verheißung ebenso wenig von betrieblichen oder arbeitsmarktbezogenen Verwertungs137
imperativen befreien, wie dies für Qualifizierungsmaßnahmen gilt. Lebenslanges Lernen als informelle und organisierte Aktivität zur Aneignung von Wissen und Kompetenzen ist somit ein „permanentes Kompensationsvorhaben“, eine „bildungsgestützte Identitätsarbeit der Bastelbiografien“ (Geißler/Orthey 2002: 77f.; Hervorhebung im Original). Die Sozialfigur, die die auf Dauer gestellte Kompensations- und Selbstvermarktungsarbeit idealtypisch affirmiert und realisiert, ist der Arbeitskraftunternehmer (vgl. Voß/Pongratz 1998).
2.4.2.2
Erfahrung statt Belehrung? Arbeitsprozessbezogenes und reflexives Lernen
Mit der Ausbreitung querfunktionaler und prozessorientierter Konzepte der Arbeitsorganisation haben sich die Wissens- und Kompetenzanforderungen in qualifizierten und wissensbasierten Fertigungs- und Dienstleistungstätigkeiten stark verändert: Insbesondere in kooperativen, auf reflexive Optimierung und Selbststeuerung setzenden Arbeitszusammenhängen wie Gruppen- und Projektarbeit gewinnen Methoden-, Lern- und sozial-kommunikative Kompetenzen an zentraler Bedeutung für die Bewältigung von Arbeitsplatzanforderungen (vgl. Baethge/Schiersmann 1998; Bergmann 2000: 12ff.; Frieling u.a. 2000a; Dehnborstel 2001; Hof 2002). Die Betriebe experimentieren deshalb seit vielen Jahren mit Formen arbeitsprozessnaher Personal-, Team- und Organisationsentwicklung (z.B. Qualitätszirkel, Lerninseln, Patenschaftssysteme, Gruppen- und Projektarbeit), in denen sich die für die Optimierung der Kooperationsprozesse relevanten Wissensbestände und Kompetenzen herausbilden sollen (vgl. Baitsch 1998; Struck 1998: 108f.; Olesch/Paulus 2000: 17, 93ff.; Sonntag 2002). Genannte Maßnahmen sind in der Regel direkt auf die Flexibilisierung und Optimierung des Produktionsprozesses bezogen, entfalten jedoch oftmals kompetenzfördernde Wirkungen, „die als nicht-intendierte Nebenwirkung gerne in Kauf genommen werden“ (Baitsch 1998: 304; vgl. Struck 1998: 109). Auch im Bereich der Führungskräfteentwicklung verlieren klassische Weiterbildungsformen wie externe Seminare oder interne Schulungen an Bedeutung gegenüber projektförmigen und arbeitsprozessnahen Lernformen. Arbeitsplatznahe und -integrierte Lernformen lassen sich als Gegenentwurf zu klassischen Aus- und Weiterbildungskonzepten betrachten, die aufgrund ihrer Praxisferne, ihrer eher punktuellen Wirkung von Interventionen sowie ihrer Tendenz zu pädagogisierenden Lernsettings in der Kritik stehen (vgl. Bergmann 2000: 11). Eine sozialhistorisch ansetzende Erklärung für die erhöhte betriebliche und auch pädagogische Aufmerksamkeit für informelle und arbeitsprozessbezogene Lernformen und das lebenslange Lernen bietet Baethge (2003). Er analysiert die Bedeutung des lebenslangen Lernens für
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die Sphäre der Erwerbsarbeit vor dem Hintergrund des tief greifenden Wandels der Wirtschaft und Gesellschaft vom Industriekapitalismus zur Wissensgesellschaft. Die für das Zeitalter der Moderne typische institutionelle Trennung von Arbeiten und Lernen, die er aus einer modernisierungstheoretischen Perspektive als Ausdruck funktionaler Differenzierung der gesellschaftlichen Institutionen der Bildung und Erwerbsarbeit interpretiert, habe zu einer Entkopplung unterschiedlicher Funktionslogiken bzw. Rationalitäten geführt: „Die Institutionen der Erwerbsarbeit (folgen) den Grundsätzen ökonomischer Effizienz und Rationalisierung, die Bildungsstätten den Prinzipien der Wissensgenerierung und Persönlichkeitsentfaltung“ (ebd., 2003: 91). Diese institutionelle Ausdifferenzierung bzw. Verselbstständigung wirke insofern dysfunktional, als sie vor dem Hintergrund gewandelter Marktbedingungen und Arbeitsstrukturen, die zu steigenden Wissens- und Lernanforderungen führen, „die für die Industriegesellschaft typische Dialektik von bildungsferner Arbeit und arbeitsferner Bildung“ (ebd., 92) zementieren. Notwendig sei deshalb eine „zunehmende Integration von Arbeiten und Lernen“ im Sinne „enger Kopplungen“ unter Beibehaltung institutioneller Eigenständigkeit und Eigenrationalität (ebd.). Dies könne in Gestalt „lernintensiver Arbeit und nachfrageorientierter Weiterbildung“ (ebd.) geleistet werden, setze allerdings ein verändertes normatives Lernverständnis voraus, das Lernen nicht mehr primär auf den Erwerb von formalisierten Bildungszertifikaten innerhalb von Bildungsinstitutionen reduziere, die immer noch für die Stellenbesetzung maßgeblich sind. Der enge Zusammenhang von Berufsarbeit, informellen Lernprozessen und Persönlichkeitsentwicklung ist allerdings keine neue Erkenntnis, sondern bereits aus Untersuchungen englischer, deutscher und skandinavischer Unternehmen und Betriebe der 1970er und 1980er Jahre bekannt (vgl. Baitsch 1998; Ulich 1998). Berufliche und personale Kompetenzen entwickeln sich nur bedingt im Kontext formalisierter oder organisierter Weiterbildung. Die Entwicklung von Kompetenzen vollzieht sich primär im Prozess der Arbeit und ist somit maßgeblich durch subjektive Erfahrungen der Arbeitenden wie auch durch die Arbeitsorganisation geprägt (vgl. Ulich 1998: 123; Sonntag 2002). Innerhalb dieser arbeitswissenschaftlichen und sozialpsychologischen Perspektive ist Subjektivität selbst ein Produkt des Arbeitshandelns und der Fähigkeit, Anforderungen der Arbeit angemessen bewältigen zu können. Arbeitsprozessbezogenes Lernen kann nach Baitsch daher wie folgt definiert werden: „Die einschlägige Forschung versteht Lernen mehrheitlich als dauerhafte Veränderung des (arbeitsrelevanten) sichtbaren Handelns und der (nicht unmittelbar beobachtbaren) psychischen Regulationsgrundlagen sowie ihrer motivationalen Voraussetzungen. Arbeitsimmanentes Lernen resp. Lernen im Prozess der Arbeit bezieht sich auf Lernprozesse, die durch die Auseinandersetzung mit Arbeitsaufgaben und Organisationsbedingungen sowie mit internen und externen Kooperationspartnern angestoßen werden“ (Baitsch 1998: 276).
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Die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten im Rahmen arbeitsprozessorientierter Lernformen der Team- und Organisationsentwicklung berührt dabei nur einen geringen Teil der Lernprozesse. Im Zentrum steht neben der angestrebten Prozess- und Qualitätsverbesserung die Entfaltung der Gesamtpersönlichkeit im Sinne betrieblicher Verwertungs- und Nützlichkeitserwägungen (vgl. Struck 1998: 110ff.).59 Die kognitiv-intellektuelle und soziale Entwicklung Erwachsener wird nach dem Stand der arbeitswissenschaftlichen und sozialpsychologischen Forschung und der beruflichen und betrieblichen Sozialisationstheorie maßgeblich durch die Arbeitstätigkeit mit beeinflusst (vgl. Heinz 1995; Ulich 1998; Sonntag 2002; Krömmelbein 2004, 2005). Die Entwicklung sozialer Kompetenzen kann vor allem durch die eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen Arbeitssituation sowie durch die „Anforderungen an Kooperation und verantwortliche Interaktion“ (Baitsch 1998: 270) angestoßen werden. Arbeitsaufgaben werden aus arbeitswissenschaftlicher Sicht dann als persönlichkeits- und kompetenzförderlich bezeichnet, wenn die ausführende Person Arbeitsabläufe und dazu erforderliche Ressourcen bestimmen kann und die Aufgaben ganzheitlich bzw. vollständig gestaltet sind. Letzteres bedeutet unter anderem, dass das handelnde Individuum Zielsetzung, Handlungsvorbereitung, Mittelwahl und Handlungsergebnis maßgeblich mitbestimmen kann (vgl. Ulich 1998: 124–127). Formen partizipativer Arbeitsgestaltung können, sofern sie auf eine Veränderung von Arbeitstätigkeiten im Sinne einer Ausweitung subjektiver Handlungs- und Gestaltungsspielräume zielen und aus subjektiver Sicht eine Verbesserung der Arbeitssituation bewirken, als kompetenz- und persönlichkeitsförderlich betrachtet werden (vgl. Ulich 1998: 129ff.). Hinsichtlich der Frage nach dem Vermittlungsprozess zwischen Arbeitssituation und lernendem Individuum lässt sich festhalten, dass arbeitsprozessbezogener Kompetenzerwerb aus dem Wechselverhältnis organisational strukturierter Arbeitsaufgaben und ihrer Bewältigung durch die Person im alltäglichen Arbeitshandeln entsteht und sich im Rahmen des beruflichen Sozialisationsprozesses verfestigt (vgl. Baitsch 1998: 270f.). Eine von Baethge und Baethge-Kinsky (2002) durchgeführte repräsentative Untersuchung zur Weiterbildungskompetenz der deutschen Bevölkerung auf der Grundlage schriftlicher Befragungen zeigt, dass eine lernförderliche Gestaltung der Arbeit einen eigenständigen Prägefaktor für die Ausbildung von Kompetenzen für ein lebensbegleitendes Lernen darstellt: 59 „Arbeitsimmanentes Lernen betrifft nämlich auch grundlegende kognitive und soziale Fähigkeiten und Fertigkeiten und tangiert zentrale Persönlichkeitsmerkmale. Die Palette reicht somit von der trainierbaren Aneignung von Methoden, Kniffs und Tricks bis hin zum Aufbau von Normen, Werthaltungen und Identitätsstrukturen“ (Baitsch 1998: 269).
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„Die darin enthaltene gute Nachricht besteht darin, dass die Kompetenzen für lebenslanges Lernen eben nicht mit Abschluss der vorberuflichen Sozialisation in Familie und Schule determiniert sind, wie uns dies Kognitionspsychologen vielfach versichern. [...] Aber es heißt, dass die Arbeit einen eigenständigen Prägefaktor zur Entfaltung von Lernkompetenz im Erwachsenenalter darstellt, dass sie gleichsam eine ‚zweite Chance‘ für die Beschäftigten bietet, wenn die Betriebe die Arbeitsplätze organisatorisch und technisch lernförderlich gestalten – was nicht identisch sein muss damit, auch selbst viel Weiterbildung anzubieten“ (Baethge 2003: 97).
Wenn also Arbeit ein reiches Potenzial für die Persönlichkeitsentwicklung bietet – beispielsweise in Gestalt von sozialkommunikativen Fähigkeiten, von Lernund Problemlösungskompetenz oder Reflexivität –, stellt sich die Frage, inwieweit die betrieblich praktizierten arbeitsprozessnahen oder -integrierten Lernund Kooperationsformen ihrem emanzipativen Potenzial gerecht werden und dieses auch tatsächlich entfalten. Im Rahmen betrieblicher PE und Weiterbildung zählen vor gruppenbezogenen Lern- und Kooperationsformen aber auch Ansätze wie Mentoring oder Traineeausbildungen zu bevorzugten Formen situativ erfahrungsbezogenen Lernens im realen Anwendungskontext. Diese Ansätze zielen auf eine Nutzung und Ausweitung des Erfahrungswissens, der Problemlösungsfähigkeit, der Verhaltensmodifikation, des Wissensaustausches der beteiligten Mitarbeiter und die Verbesserung von Arbeitsabläufen und sollen im Folgenden hinsichtlich ihres Lernpotenzials kurz vorgestellt werden (vgl. Baitsch 1998; Sonntag 2002: 63–67). Im Rahmen von Qualitätszirkeln bearbeitet eine Gruppe von Mitarbeitern unter Anleitung einer in Moderationstechniken geschulten Person betriebliche Probleme und Schwachstellen. Dadurch sollen Verantwortungsbewusstsein und eine permanente Verbesserung des Arbeitsprozesses durch die Mitarbeiter stimuliert werden. Neben einer Erhöhung von Effizienz und Loyalität zum Unternehmen treten auch Effekte im Hinblick auf Qualifikation und Arbeitshaltungen auf: Durch Qualitätszirkel werden Selbstverantwortlichkeit, Kreativität und Kontrollbewusstsein erhöht (vgl. Baitsch 1998: 312f.). Innerhalb von Projektgruppen werden in der Regel komplexe, bereichsübergreifende Problemstellungen und Aufgaben von Mitarbeitern aus sehr unterschiedlichen Organisationseinheiten bearbeitet. Während sich die betrieblichen Absichten eines Einsatzes von Projektgruppen „überwiegend in den Aspekten Akzeptanzsicherung und Nutzung des Expertenwissens der Basis“ (ebd., 315) verorten, konnten empirische Studien positive Lerneffekte bezüglich sozialer Kompetenz nachweisen (z.B. die Förderung der individuellen Konfliktlösungs-, Kommunikations- und Präsentationsfähigkeit in sozialen Entscheidungssituationen) (vgl. ebd.). Am Beispiel von Gruppen- und Projektarbeit zeigt sich, dass der Erwerb sozialer Kompetenzen unausweichlich ist. Senghaas-Knobloch u.a. konnten nachweisen, dass sich hierdurch auch zentrale Aspekte der Persönlich141
keit wie Selbstbilder, Handlungsorientierungen und Sinnansprüche verändern können (vgl. Senghaas-Knobloch u.a. 1996). Im Rahmen von Traineeprogrammen durchlaufen hoch qualifizierte Berufseinsteiger, die in der Regel eine Managementkarriere einschlagen, in einem zeitlich eng definierten Rahmen unterschiedliche betriebliche Aufgaben- und Funktionsbereiche. Durch die Einsicht in unterschiedliche fachliche Aufgaben und Anforderungen und durch den Kontakt zu unterschiedlichen Mitarbeitergruppen im Unternehmen können fachliche und soziale Kompetenzen verbessert werden. Implizit tragen Traineeprogramme zur organisationalen Sozialisation, d.h. der Vermittlung unternehmensspezifischer Wertvorstellungen, Normen und Verhaltensweisen, bei (vgl. Rosenstiel 1998: 115f.). Eine Lernförderlichkeit arbeitsprozessbezogenen Lernens, speziell im Rahmen von Projekten, kann nicht per se unterstellt werden, sondern ist voraussetzungsvoll. Aus der Sicht eines vom Verfasser interviewten wissenschaftlichen Experten60 im Bereich der betrieblichen PE und Weiterbildung mit engem Kontakt zur betrieblichen Praxis setzt Kompetenzentwicklung im Kontext arbeitsprozessbezogener Lernformen eine neue Lernkultur voraus, die auf einem „konstruktivistischen Lernverständnis“ beruht und in der Lernangebote auf das Individuum zugeschnitten werden. Kompetenzen entstehen aus dieser Perspektive im Rahmen reflexiver Problemlösungsprozesse innerhalb der Arbeit oder in entsprechend „authentischen Kontexten“, d.h. möglichst realitätsnahen Kontexten wie Projektgruppen, Task Forces, Action Learning Groups oder sogenannten Communities of Practice.61 Dabei lassen sich zwei in ihrem Grundverständnis stark voneinander abweichende Varianten unterscheiden: „Es gibt eine sehr klassische Form, Projekte zu betreiben, und es gibt ’ne erkundende Form, wo ich sozusagen unterschiedliche Erfahrungsprozesse mit einbeziehe und über diese also ein reflexives Lernen in Projekten auch vorantreibe und auch das Projekt verstehe als ’ne gemeinsame Erkundung in bislang unbekanntem Terrain. Und es gibt eben Projekte, die sehr, sehr stark mechanistische Projektplanung machen und auch genau wissen, welches Wissen wo an welcher Stelle schon nötig ist“ (I 6: 407–414).
Die Lernförderlichkeit entsprechender Kooperationsformen ist dabei an die Möglichkeit gebunden, gemeinsam in der Gruppe Erfahrungen auszutauschen und diese strukturiert zu reflektieren. Anstelle enger Kontrollen bedarf es nach Ansicht des Experten eines entsprechenden Vertrauensvorschusses und der Einräu60
Vgl. Anhang 1. „Damit Lernende vielfältige und realitätsnahe Erfahrungen sammeln können, sind Aufgaben in realen Situationen zu stellen. Die Bewältigung realer Aufgaben und Probleme vermittelt dem Lernenden Spielräume, sich expertenähnlich zu verhalten und entsprechende Denk- und Handlungsmuster zu entwickeln bzw. zu übernehmen; natürlich in Abhängigkeit des individuellen Wissens- und Erfahrungsstandes“ (Sonntag 1997: 177). 61
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mung von Spielräumen des Experimentierens. Die Organisation überlässt Lernprozesse aber nicht dem Zufall, auch wenn Resultate aufgrund der hohen Kontingenz des Kooperationsprozesses kaum vorab definierbar bzw. steuerbar sind: „Genau das ist der Unterschied zwischen einer bedarfsorientierten Konzeption der Weiterbildung, wo sie eben das Ziel kennen und steuern können und sagen, das und das sind die Schritte, die Lernmodule, und das muss erarbeitet werden und das muss derjenige dann kennen. Also sie haben einen Lehrplan, Curriculum [...], wo die Ziele ja ausdefinierbar sind und strukturierbar sind. Und das sind eher erkundende Lernformen, wo sie die Ergebnisse ja gar nicht kennen, wo sie sich in Neuland bewegen. Und ich meine, beides ist wichtig, nur das Zweite ist tendenziell unterentwickelt, die Bereitschaft eben, diese Selbststeuerungsprozesse zuzulassen, weil (wir) einfach in ’ner anderen Managementkultur überwiegend noch verhaftet sind und andere Steuerungsprozesse haben, und insbesondere in Phasen, wo sozusagen Angstreflexe unsere betriebliche Kultur prägen, nicht in der Lage sind, solche Selbststeuerungsprozesse auch zuzulassen. Die kosten ja auch Geld, die kosten Ressourcen, die kosten Verantwortung [...], und da stoßen wir häufig an Grenzen dieser Kultur, dass eben so was nur in Teilen möglich ist“ (I 6: 450–464).
In der betrieblichen Praxis werden derartig große Spielräume reflexiven Lernens und Experimentierens in der Regel nur einer sehr kleinen Gruppe von Mitarbeitern zugestanden, um hochgradig innovative und strategisch bedeutsame Projekte voranzutreiben. Im Bereich der Führungskräfteentwicklung stehen solche projektförmig-reflexiven Lernformen unter einem hohen Erwartungsdruck hinsichtlich eines klar identifizier- und legitimierbaren Beitrags zum Geschäftserfolg der Unternehmung, „weil Führungskräfte jetzt auf einmal in Projekte, Nachwuchskräfte in Projekte eingebunden werden – und nicht nur fiktive Projekte, sondern reale Projekte im Unternehmen, und da muss am Ende ein Ergebnis stehen. Das Ergebnis muss intern vorgetragen werden, das muss intern kalkuliert werden, und da muss ein interner Nutzen für das Unternehmen verbunden sein. Also das ist nicht nur reiner Lernzweck, sondern da spielt die Performance fürs Unternehmen ’ne Rolle. Also [...] der Auftrag, die Notwendigkeit, da anzusetzen, ist auf allen Ebenen erkennbar“ (I 5: 588–595).
Projektförmige Lernformen werden im Bereich der Führungskräfteentwicklung nicht nur als Möglichkeit zur Verbesserung des Lerntransfers eingesetzt, sondern auch als Instrument zur Evaluation der Leistungen und Entwicklungspotenziale der teilnehmenden Personen. Sie lassen sich in Anlehnung an Boltanski und Chiapello (2003) als innerbetrieblich institutionalisierte „Bewährungsproben“ verstehen, die die Fähigkeit des Individuums, „Projekte zu organisieren und [...] zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen“ (I 5: 614–615), trainieren und zugleich überprüfen: „Hat auch was zu tun eben mit dieser [...] Kritik am mangelnden Transfer oder der Art und Weise der Organisation von Traineeprogrammen auch. Da hat man die Trainees mal so ein, zwei Jahre durchs Unternehmen durchgeschleust, die haben mal hier ’n bisschen zugeguckt,
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dort mal ’n bisschen was gemacht, waren aber nirgendwo richtig drin. Und heute kriegen sie Projekte, werden in bestimmten Abteilungen eingesetzt, und man guckt, wie bewähren sie sich in realen Aufgaben. Und das ist Teil eines [...] Nachwuchsförderungsprogramms“ (I 5: 605– 613).
Hinsichtlich der Lernförderlichkeit der bislang praktizierten und bekannten Formen arbeitsprozessbezogenen Lernens kann eine erste Zwischenbilanz gezogen werden. Ein großer Teil der von Unternehmensseite betriebenen Maßnahmen zur Stimulation und Förderung arbeitsprozessbezogenen Lernens beruht vermutlich nach wie vor auf einem konservativen Lernbegriff, „der zu überwiegend reaktiven und defensiven Maßnahmen und Interventionen führt“ (Baitsch 1998: 319; Hervorhebung im Original). Kurzfristige und zu enge Verwertungsabsichten, fehlende Freiräume für kollektives Lernen und dessen Reflexion und eine pädagogisierende Vorabdefinition und Kontrolle von Lernzielen stehen nicht nur dem Anspruch eines „selbstverantwortlich und kompetent handelnden Mitarbeiters“ im Wege, sondern verhindern auch die mit kollektiven Lernprozessen verbundenen Potenziale zur Neugenerierung von Wissen und Kompetenzen (ebd.). Über eine großzügige Delegation von Gestaltungsspielräumen und Verantwortung für Inhalt und Struktur des Lernens an die Lernenden können entsprechende Problemlösungskompetenzen entwickelt werden. Die Kontrollproblematik aus managerieller Sicht bleibt aber grundsätzlich erhalten: „Eine Garantie, dass sich diese Lernprozesse strikt auf die unmittelbaren Interessen des Unternehmens und nur auf diese beziehen, ist nicht gegeben. Die Sicherstellung von Loyalität bedarf weiterer Maßnahmen“ (ebd., 320).
2.4.2.3
Neue Rollen für Personalentwickler, betriebliche Weiterbildner und Führungskräfte
Die überwiegend präskriptive Literatur zum HRM folgt in ihren Themenkonjunkturen dem Wandel von Managementparadigmen und -konzepten. Angesichts des massiven Bedeutungsgewinns kapitalmarkt- bzw. wertorientierter Ansätze der Unternehmensführung (Shareholder Value, Wertschöpfungsorientierung) und den damit verknüpften hohen Rentabilitätserwartungen des Kapitalmarktes an die Unternehmen ist in den vergangenen zehn Jahren auch in der Personalmanagementliteratur mit zunehmender Dringlichkeit die Frage diskutiert worden, inwieweit das HRM seinen Beitrag zur Wertschöpfung eines Unternehmens und zur Realisierung von Geschäftsstrategien sichtbar machen und verbessern kann (vgl. Felger/Paul-Kohlhoff 2004). „Inzwischen wird in den Unternehmen kaum mehr die Shareholder-Value-Orientierung hinterfragt, und es erscheint als konsequent, dass Unternehmensbereiche ihren Beitrag zu diesem
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Wert bestimmen müssen – unabhängig davon, ob sie am Markt tätig sind oder nicht“ (Scherm 2004: 55).
Die Literatur schlägt vor diesem Hintergrund unterschiedliche Strategien vor, mit denen das Personalmanagement den Nutzen seiner Aktivitäten rechtfertigen kann:
Einführung eines Personal- und Bildungscontrollings, das eine Erhöhung der Transparenz und Wirtschaftlichkeit betrieblicher Personal- und Weiterbildungsarbeit in Aussicht stellt und den Transformationsprozess des Personal- und Arbeitsvermögens in Aufwands- und Ertragsrelationen abzubilden versucht; Konzepte zur Neuausrichtung der internen Organisation und Finanzierung der Personalfunktion – entweder als interner Dienstleister (vgl. Olesch 2003) oder als Profit- bzw. Wertschöpfungscenter (vgl. Scherm 1992; Wunderer 1992); Neudefinition der Kernaufgaben bzw. Rollen des Personalmanagements entlang strategisch bedeutsamer Anforderungen.62
Der Forschungsstand lässt gegenwärtig keine verlässlichen Aussagen zu, ob sich in der betrieblichen Praxis deutscher Unternehmen ein betriebsgrößen-, branchen- oder unternehmensübergreifendes einheitliches Rollenverständnis des HRM durchsetzen konnte. Auch aus der Literatur lässt sich kein konturscharfes und auf breite Akzeptanz stoßendes Leitbild der Rollen des HRM in deutschen Unternehmen gewinnen. Deller u.a. (2005) haben zahlreiche US-amerikanische Studien ausgewertet, in denen mithilfe sehr unterschiedlicher Methoden und stark variierender Stichprobengrößen Unternehmensbefragungen zu den relevanten Kompetenzen von HR-Managern vorgenommen wurden. Sie identifizieren insgesamt acht Kompetenzfacetten eines zeitgemäßen HRM:
62 Der in der Literatur intensiv rezipierte Ansatz einer normativen Neuausrichtung des Personalmanagements von Ulrich unterscheidet vier Rollen oder Aufgabengebiete eines ergebnisorientierten Personalwesens: Erstens sollte das Personalwesen das Top-Management bei der Formulierung von Geschäftsstrategien beraten und in deren Umsetzung eng mit dem operativen Linienmanagement zusammenarbeiten; zweitens gelte es, die administrative Kompetenz des Personalwesens durch interne Rationalisierungen und Qualitätsverbesserungen von Arbeitsprozessen sowie Restrukturierungen zu steigern; drittens müsse das Personalwesen das Linienmanagement hinsichtlich der Bedeutung von Arbeitsmoral und motivierenden Arbeits- und Entwicklungsbedingungen sensibilisieren; viertens müsse es als „Change Agent“ organisationale und mentale Barrieren eines notwendigen organisationskulturellen Wandels beseitigen (vgl. Ulrich 1999: 38ff.).
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Kenntnisse der relevanten Geschäftsprozesse und der darauf einwirkenden gesellschaftlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren (Geschäftswissen), Fähigkeit zur Verknüpfung von Personal- und Unternehmensstrategie (strategische Kompetenz), Kompetenz zur Begleitung individueller und organisationaler Veränderungsprozesse (Change Management), sozialkommunikative Fähigkeiten des aktiven Zuhörens, der Motivation und Verhandlungsführung mit in- und externen Kunden (Kommunikationsfähigkeit), Beratungskompetenz, Kundenorientierung, aktuelles Expertenwissen hinsichtlich der personalwirtschaftlichen Instrumente und ihrer Umsetzung, Integrität und Glaubwürdigkeit in der Repräsentation und Vermittlung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen (vgl. ebd.).
In der deutschen Diskussion zum Personal- und Weiterbildungswesen wird seit vielen Jahren eine deutliche Veränderung des Aufgabenspektrums und der Handlungs- und Entscheidungsspielräume betrieblicher Weiterbildner und Personalentwickler konstatiert, die neben allgemeinen Restrukturierungstendenzen und des Rollenwandels der Führungskräfte (vgl. Kapitel 1) auch auf die prozessintegrierende und -strukturierende Funktion des HRM zurückgeführt werden können. Waren die 1970er und 1980er Jahre noch „durch einen quantitativen und qualitativen Ausbau der Weiterbildung“ sowie durch eine damit einhergehende „hierarchische Aufwertung von Personal- und Bildungsfunktionen“ geprägt, hat in den 1990er Jahren – bedingt durch umfassende Reorganisationsprozesse – ein Stellenabbau im Personal- und Bildungsbereich stattgefunden (Weiß 1998: 106). Felger und Paul-Kohlhoff konstatieren seit den 1990er Jahren eine Verstärkung des „Trends zur Standardisierung, Automatisierung und zum Outsourcing einzelner Personalfunktionen“ sowie einen insgesamt geringeren personellen und ökonomischen Handlungsspielraum der Personalverantwortlichen und führen dies explizit auf die Rezeption von HRM-Konzepten zurück, „welche die Akzente in der Personalarbeit verschieben (wollen), ohne aber zumeist die zur Verfügung stehenden Ressourcen aufzustocken“ (Felger/Paul-Kohlhoff 2004: 83). Ein Experte für Arbeitsmarkt- und betriebliche Bildungsfragen schildert in einem vom Verfasser dieser Arbeit geführten Interview die Auswirkungen der Restrukturierungen im Personal- und Weiterbildungsbereich auf die Aufgabenprofile und den Status betrieblicher Personalentwickler und Trainer:
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„Meine Einschätzung ist die, dass im Personalbereich im weitesten Sinne inklusive Personalentwicklung, Weiterbildung, Ausbildung, dass da in erheblichem Maße auch Personal reduziert worden ist bzw. ausgelagert worden ist. Und Unternehmen hatten teilweise früher ’ne ganze Reihe von hauptamtlichen Weiterbildnern, Dozenten, die Weiterbildung gemacht haben. Ich sehe das heute so nicht mehr. Entweder die sind in entsprechende andere Servicefunktionen einge(gliedert) bzw. sind nicht nur rein Trainer, sondern Personalentwickler, machen interne Beratung oder machen internes Coaching oder betreuen Assessmentcenter oder machen irgendwas anders als nur reines Training. Oder die sind ausgesourct worden und kriegen dann ’nen Beratervertrag, sind dann immer noch zu einem erheblichen Teil für das Stammunternehmen tätig, aber müssen sehen, wie sie sich draußen auf dem Markt platzieren und wie [...] sie ihr Einkommensniveau sichern“ (I 5: 508–520).
Betriebliche Restrukturierungsprozesse haben also längst auch den Weiterbildungsbereich betroffen und verändert. Aufgrund des anhaltenden strukturellen Wandels ist von einer Flexibilisierung ehemals funktional ausgerichteter Strukturen auszugehen, was sich vor allem in folgenden Trends manifestiert:
Delegation der zentralen Verantwortung für PE auf den Vorgesetzten, zum Teil auch auf den Mitarbeiter; Neudefinition der Funktion des Personalbereichs als interner Dienstleister, Delegation klassischer Weiterbildungsfunktionen (Trainer, Dozent) in die operativen Einheiten (Fachabteilungen oder Fachbereiche) oder Outsourcing, Rollenwandel von Trainern und Dozenten zu internen Beratern, Coaches oder Moderatoren, Integration der zuvor eigenständigen Funktionen PE und Aus- und Weiterbildung (vgl. Weiß 1998).
Insgesamt ist heute von einer Mischform zentraler und dezentraler Organisationsformen auszugehen, wobei die fachbezogene Weiterbildung von kaufmännischen und gewerblich-technischen Fachkräften aufgrund des in Fachabteilungen vorhandenen Wissens und der „Nähe zu den Verwendungssituationen“ dezentral, die Ausbildung von Führungskräften hingegen nach einheitlichen Richtlinien zentral durchgeführt wird, „weil andernfalls eine einigermaßen einheitliche Unternehmensstrategie und Unternehmenskultur nicht mehr realisiert werden könnte“ (ebd., 102f.). Sowohl die Weiterbildung als auch die PE haben sich zu einer internen Dienstleistungsfunktion entwickelt, die sich auf einer nachfrageorientierten Bereitstellung von Seminaren konzentriert. Dabei ist „das hehre Ziel der Einbindung der Weiterbildungsverantwortlichen in unternehmerische Entscheidungsprozesse >...@ größtenteils eine Fiktion geblieben“ (ebd., 103ff.). Im Kontext der prozessualen und organisatorischen Veränderungen im betrieblichen Personal- und Bildungsbereich werden Personalentwickler und Weiterbildner immer stärker zu „Experten für die Gestaltung von Lern- und Veränderungspro147
zessen. Sie agieren nicht mehr allein als Trainer oder Dozenten, sondern entwickeln sich zu Moderatoren, Coaching-Partnern oder Projektorganisatoren“ (ebd., 106f.). Als Methodenprofis und Prozessberater sollen sie nun Führungskräfte, Arbeitsgruppen und einzelne Mitarbeiter dabei unterstützen, Probleme und Konflikte selbstständig und kompetent lösen zu lernen (vgl. Baethge/Schiersmann 1998; Weiß 1998; Sattelberger 1999b; Geldermann/Spieß 2001; Krauß 2001; Berthel 2002).
2.4.2.4
Personal- und Bildungsarbeit zwischen pädagogischer Professionalität und ökonomischer Legitimation
Von der kosten- und effizienzorientierten Betrachtung aller Unternehmensprozesse bleiben auch betriebliche Personal- und Weiterbildungsaktivitäten nicht unberührt. Die Rationalität des Kosten-Nutzen-Denkens durchdringt immer stärker den Handlungs- und Kommunikationsrahmen, innerhalb dessen Bildungsaktivitäten im Betrieb konzipiert, realisiert und gerechtfertigt werden können. In dem Maße, wie Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen als Wettbewerbsund Potenzialfaktoren erkannt werden, gewinnen bildungsökonomische Kalküle an Bedeutung. Das bildungsökonomische Denken verweilt allerdings nicht mehr auf der Ebene abstrakter Leitvorstellungen, sondern ist bereits in eine Vielzahl von Instrumenten und Techniken des Bildungscontrollings inkorporiert, die die Black Box des Bildungsprozesses systematisch zu durchleuchten versprechen und damit betriebliche Investitionsentscheidungen auf eine vermeintlich objektive Grundlage stellen. So geraten potenziell alle Personal- und Weiterbildungsaktivitäten, -entscheidungen und -prozesse auf den Prüfstand, sollen rationalisiert, evaluiert, restrukturiert und gesteuert werden. Prinzipiell stehen betrieblich organisierte Bildungsaktivitäten in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungen und Ansprüche. Kriterien und Standards einer professionellen Gestaltung von Lernarrangements und situationen, die der Rationalität einer „beruflichen Sinnhaftigkeit“ unterliegen, stehen dabei in Kontrast zum „einzelwirtschaftlichen Kostenkalkül und der betrieblichen Prozessgebundenheit von Arbeitsvollzügen“, also einer Rationalität „betrieblicher Sinnhaftigkeit“ (Harney 1998: 101f.). Die im Rahmen von pädagogischen Lehr- und Anleitungsprozessen stattfindende Arbeit mit der Person und die angestrebte Entwicklung oder Erweiterung personaler Qualifikationen und Kompetenzen sind demnach nicht wie in anderen Bildungskontexten als Selbstzweck darstellbar, sondern müssen an den Leistungserstellungsprozess zurückgebunden werden, der einer anderen Rationalität, nämlich der einer primär ökonomischen Verwertbarkeit des erworbenen Wissens und Könnens folgt:
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„Strukturell gesehen steht die betriebliche Weiterbildung also vor einem Integrationsproblem: Ihre Stellung im betrieblichen Reproduktionsprozeß ist nicht selbstverständlich gegeben, sondern sie muß das, was sie für Personen leistet, in einen Organisationszusammenhang integrieren, dessen Zweck nicht die Weiterbildung ist“ (ebd., 9).
Die betriebliche Weiterbildung stellt somit eine „Produktionssphäre eigener Art“ dar, deren spezifische Aufgabe darin besteht, „die Motive und Kompetenzen (‚Human Resources‘) zum Gegenstand der betrieblichen Handlungslogik“ zu machen (ebd., 118). Die Bedeutung betrieblicher Weiterbildung für die unternehmerische Wertschöpfung wie auch die Beschäftigungs- und Entwicklungsperspektiven von Erwerbstätigen läßt sich unter anderem auch daran ablesen, in welchem Umfang sie stattfindet und auf welche Weise sie finanziert wird. Von den späten 1970er Jahren an bis Anfang 2000 wurde ein deutlicher Anstieg der finanziellen und zeitlichen Aufwendungen in berufliche Weiterbildung beobachtet (vgl. Düll/Bellmann 2001; Kuwan u.a. 2003: 17–20; Berthold/Stettes 2004: 400). Seit einigen Jahren jedoch stehen die betrieblichen HR-Abteilungen vor der Aufgabe, bei stagnierenden bzw. leicht abgeschmolzenen Etats einen steigenden Weiterbildungsbedarf abdecken zu müssen. Dementsprechend sind in den Unternehmen unterschiedliche Versuche unternommen worden, um die Wirtschaftlichkeit und Effektivität betrieblicher Weiterbildungsarbeit zu erhöhen, also Weiterbildung zum einen kostengünstiger und effizienter zu organisieren und zum anderen den steigenden Qualifizierungsbedarf durch anforderungsgerechtere Weiterbildungskonzepte abzudecken. Der Druck auf die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit betrieblicher Bildungsmaßnahmen hat unter anderem dazu geführt, dass Weiterbildung heute kostengünstiger organisiert wird. Dies manifestiert sich nicht zuletzt in einer Senkung des Zeitaufwandes für betriebliche Weiterbildung, in zunehmend modular strukturierten Kursangeboten und in einer Verlagerung von Weiterbildung in die Freizeit: „Betriebliche Weiterbildung wird zunehmend unter Nutzung der Freizeit der Mitarbeiter, das heißt an arbeitsfreien Tagen, abends und an den Wochenenden organisiert. Zwar findet der größte Teil der Seminare und Lehrgänge nach wie vor innerhalb der Arbeitszeit statt oder wird zeitanteilig auf die Arbeitszeit angerechnet, dennoch ist der Trend zur Verlagerung in die Freizeit eindeutig. [...] Die veränderten betrieblichen Zeitmuster korrespondieren mit empirischen Befunden, nach denen bei den Arbeitnehmern eine hohe Bereitschaft besteht, sich in der Freizeit beruflich weiterzubilden“ (Weiß 1998: 95; vgl. Weiß 2003).
Die partielle Verlagerung von Weiterbildungsaktivitäten in die Freizeit wälzt zugleich einen Teil der Weiterbildungskosten vom Unternehmen auf die Mitarbeiter ab. Nach der Humankapitaltheorie sind Unternehmen nur im Falle arbeitsplatzrelevanten und betriebsspezifischen Wissens bereit, sich an den Kosten
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beruflicher Weiterbildung zu beteiligen (vgl. Düll/Bellmann 1999; Hummel 2001; Martin 2003b). Inwieweit diese Hypothese das tatsächliche Weiterbildungsverhalten von Unternehmen korrekt beschreibt, ist angesichts des steigenden Bedarfs an überfachlichen Kompetenzen fraglich. Gerade im Falle von Kompetenzentwicklung offenbart sich die Schwierigkeit einer eindeutigen Trennung zwischen allgemeinem und betriebsspezifischem Humankapital. Auf Grundlage der CVTS-Ergänzungserhebung von europäischen weiterbildungsaktiven Unternehmen interpretieren Grünewald und Moraal (2001: 18) die Haltung europäischer Unternehmen zur Beteiligung von Mitarbeitern an den Weiterbildungskosten als Ausdruck solidarischer Vorstellungen hinsichtlich des gegenseitigen Nutzens betrieblicher Qualifizierung.63 Die Untersuchung zeigt, dass 42% der Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht zur Beteiligung an Weiterbildungskosten verpflichten. Üblich ist eine Kostenbeteiligung erst dann, wenn ein Mitarbeiter im Falle aufwendiger Bildungsmaßnahmen das Unternehmen kurzfristig nach Abschluss der Maßnahme verlässt (38%). Eine teilweise oder vollständige Verlagerung von Weiterbildungsaktivitäten in die Freizeit erfolgt in 35% der Unternehmen. Eine direkte Kostenbeteiligung im Falle eines auch privaten Nutzens (beispielsweise bei Sprachkursen) erfolgt in 28% der Fälle (vgl. ebd.). Das großbetriebliche Personalwesen bzw. die interne Aus- und Weiterbildung sind heute in mehrfacher Hinsicht in einer schwierigen Lage. Mittlerweile werden auch klassische Personalfunktionen wie PE oder Aus- und Weiterbildung in der betrieblichen Praxis kaum noch über Gemeinkosten refinanziert, sondern müssen sich im Kontext interner Kunden-Lieferantenbeziehungen behaupten. Die veränderte Finanzierung und der allgemeine Kostendruck bewirken in vielen Unternehmen, dass „Qualifizierungsaktivitäten auch in einer ‚knowledge based economy‘ aus Sicht der Betriebe keine Selbstverständlichkeit“ (Düll/Bellmann 1998: 206) mehr darstellen. Konnte die Aus- und Weiterbildung lange Zeit relativ autonom über ihre von der Geschäftsleitung bewilligten Budgets verfügen, muss sie nun im Alltagsgeschäft vielerorts um ihre Existenzberechtigung kämpfen. Die Führungskräfte der Geschäftsbereiche, die als Entscheidungsträger entsprechende Maßnahmen finanzieren, treten als selbstbewusste interne Kunden auf und erwarten überzeugende Angaben zum voraussichtlichen Mehrwert einer Bildungsinvestition: „Der Druck ist, glaub ich, recht groß. Zum Beispiel bei der Frage, soll irgendein Geschäftsbereich ausbilden, Auszubildende übernehmen, [...] das war früher selbstverständlich, da hat das 63 „Eine große Mehrheit der Unternehmen hält es für sinnvoller, dass sich die Unternehmen und ihre Mitarbeiter entsprechend des jeweiligen Nutzens auch an der Finanzierung der Maßnahmen beteiligen (93%). Da es große Gemeinsamkeiten im Hinblick auf die Erwartungen an die am Arbeitsplatz erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen gibt, ergibt sich somit auch ein weites Feld für solidarische Finanzierungsmodelle“ (ebd., 18).
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Unternehmen, der Vorstand entschieden, wir haben ’ne bestimmte Ausbildungsquote oder in Anbetracht der demografischen oder auch der Personalentwicklung steigern wir das Angebot an Ausbildungsplätzen um x Prozent. Und heute sind die Entscheider in den Unternehmen aber dezentral, diejenigen, die sagen, okay, ich nehm einen, und die muss man überzeugen, und die haben nachher die Kosten an der Backe. Und die sagen sich, okay, die Kosten übernehmen wir, aber was kriege ich dafür. Und die müssen überzeugt werden. Und insofern sind Vergleichsrechnungen, die angestellt werden, also Opportunitätskostenrechnung, was kostet mich die Ausbildung, was kostet mich die Rekrutierung über den Arbeitsmarkt, dann die Frage, kann ich die Ausbildung eventuell wirtschaftlicher durchführen mit geringeren Kosten, mit geringeren Abwesenheitszeiten, wie kann ich den Output eines Auszubildenden erhöhen während der Ausbildung, das sind alles Dinge, die heute ’ne Rolle spielen und die genau damit was zu tun haben. Das gilt für die Weiterbildung, das gilt für jede Personalentwicklung“ (I 5: 552–568; vgl. Harney 1998; Immenroth 2001; van Buer/Seeber 2002: 253).
Da sich Weiterbildungsaktivitäten heute hinsichtlich ihres Beitrags zur Erreichung betrieblicher Ziele und wirtschaftlicher Effekte rechtfertigen müssen, ist in den vergangenen Jahren sowohl das wissenschaftliche als auch das betriebspraktische Interesse am Personal- und Bildungscontrolling stark gewachsen (vgl. Müller 2002). Die Vielfalt an Instrumenten und Ansätzen des Bildungscontrollings zielt darauf, betrieblichen Entscheidungsträgern „Informationen für Planungs-, Steuerungs- und Kontrollaufgaben von Prozessen der Qualifizierung“ (Hummel 2001: 14) zu liefern. Insbesondere in Großbetrieben scheint eine kostenorientierte Variante des Bildungscontrollings fest etabliert zu sein (vgl. ebd.). Im Folgenden werden einige grundlegende Konzepte der Erfolgsbewertung betrieblicher Bildungsmaßnahmen dargestellt. Entsprechend dem Zeithorizont der Betrachtung, kann mit Hummel zwischen einem operativen und einem strategischen Controllingansatz unterschieden werden. In der betrieblichen Praxis weit verbreitete operative Instrumente dienen vornehmlich der Analyse der gegenwärtigen Situation: des vorhandenen quantitativen und qualitativen Qualifikationsbedarfs, der Kosten von Bildungsmaßnahmen sowie der Lerntransfersicherung und Evaluation des Bildungserfolgs.64 Mithilfe strategischer Controllinginstrumente soll überprüft werden, inwieweit Bildungsmaßnahmen in Einklang mit Unternehmenszielen und -strategien stehen (vgl. auch Weiß 1998; Sattelberger 1999b). Das Erfolgs- und Effektivitätscontrolling als Instrument des strategischen Bildungscontrollings versteht „Bildungsarbeit als Investition“, von der „eine entsprechende Rendite im Sinne eines Returns on Investment“ ausgeht; der Erfolg von Bildungsmaßnahmen soll dabei
64 Des Weiteren ist eine Untergliederung des operativen Controllings in Kostencontrolling, Wirtschaftlichkeits-/Effizienzcontrolling und Erfolgs-/Effektivitätscontrolling üblich (vgl. Hummel 2001; Meirich 2002; Müller 2002). Das Wirtschaftlichkeits-/Effizienzcontrolling bzw. Inputcontrolling (vgl. van Buer/Seeber 2002) zielt in erster Linie auf die Vermeidung eines ineffizienten Ressourceneinsatzes und soll Bildungsprozessen nach Wirtschaftlichkeitskriterien steuern.
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durch den Einsatz „umfangreiche(r) Planungs-, Steuerungs- und Kontrollinstrumente sichergestellt werden“ (Meirich 2002: 304). Baethge und Schiersmann (1998) sprechen bereits von einem „irreversiblen“ Trend der Neuausrichtung in der Bewertung betrieblicher Weiterbildungsarbeit. Demnach verliert die lange Zeit prägende „Berufs- und Funktionsorientierung“ betrieblicher Weiterbildung (z.B. in Gestalt einer inhaltlichen Ausrichtung an den im Berufsbildungsgesetz formulierten Berufsstandards und Qualifikationsbündeln) gegenüber einer „prozessorientierten Weiterbildung“ zunehmend an Bedeutung. Eine prozessorientierte Weiterbildung geht über die bis dahin tradierte Praxis der Anwendung pädagogischer Standards hinaus, in deren Rahmen Lernkontrollen eher punktuell vorgenommen wurden. Das Bildungscontrolling stellt sowohl eine Denkart dar als auch diverse Techniken bereit, um alle Aktivitäten der PE, Organisationsentwicklung und Weiterbildung auf ihre Effektivität, ihre Effizienz und ihren Wertschöpfungsbeitrag hin zu durchleuchten und den gesamten PE-Prozess zu reorganisieren. Der Ansatz folgt dabei dem Anspruch, „weiche“ Erfolgsfaktoren „hart“, d.h. messbar zu machen. Dem Anspruch nach sollen alle Phasen des betrieblichen Bildungsprozesses, der in Analogie zum betrieblichen Produktionsprozess als Wertschöpfungsprozess bzw. Bildungsproduktionsmodell betrachtet wird, einer systematischen Steuerung und Kontrolle unterzogen werden: „Es soll ein permanenter Prozeß der Überwachung und Steuerung der Realisierung von Weiterbildung erzeugt und als strategisches Instrument der Unternehmensführung eingesetzt werden“ (Baethge/Schiersmann 1998: 49; vgl. Weiß 1998; van Buer/Seeber 2002).
Grundlage dieses weitreichenden Steuerungsanspruches ist ein umfassendes Konzept von Bildungscontrolling, das den Bildungsprozess in zeitlich aufeinander folgende Phasen zerlegt und an jeder dieser Phasen mithilfe unterschiedlicher Mess-, Bewertungs- und Steuerungsinstrumente ansetzt. Das integrative Modell von van Buer und Seeber (ebd., 255ff.) beispielsweise unterscheidet die folgenden Controllingkomponenten: Im Vorfeld von Bildungsmaßnahmen wird vor dem Hintergrund definierter Unternehmens- oder Organisationsentwicklungsziele (Zielcontrolling) der gegenwärtige und zukünftige Qualifikationsbedarf der Organisation ermittelt (Bedarfscontrolling). Der eigentliche Lern- bzw. Bildungsprozess soll mithilfe des Inputcontrollings hinsichtlich eines wirtschaftlichen Ressourceneinsatzes überprüft und auf seine pädagogische Effizienz gesteuert, über das Prozesscontrolling im Hinblick auf die definierten Ziele evaluiert und hinsichtlich des erzielten Lernerfolgs dokumentiert bzw. überprüft werden. Entscheidend für den Erfolg einer Bildungsmaßnahme ist jedoch erst die Umsetzbarkeit erworbenen Wissens und Könnens in der Arbeitspraxis. Dies soll durch adäquate Transfermodelle und -strategien sowie durch Instrumente der
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Lerntransferunterstützung (Transfercontrolling) sichergestellt werden. Empirisch nicht eindeutig belegt ist bislang, inwieweit sich Bildungscontrolling als ein den gesamten Bildungsprozess steuernder und bewertender Ansatz in der betrieblichen Praxis etabliert hat und wie sich vor diesem Hintergrund die Kriterien, Maßstäbe und Entscheidungsprämissen professioneller Bildungsarbeit verändern. Die Attraktivität entsprechender Konzepte für die betrieblichen Bildungsbereiche liegt in ihrem Versprechen, die offensichtlich grundlegende Legitimationsproblematik der Personal- und Bildungsbereiche durch vermeintlich harte Zahlen zu entschärfen. Demzufolge ist es wenig verwunderlich, aber umso problematischer, dass sich die Definition von Erfolg innerhalb des Bildungscontrollings primär an wirtschaftlichen Größen wie Kosten, Ertrag und Nutzen für das Unternehmen und nur noch peripher an den Interessen der Teilnehmer orientiert. Prozessorientierung innerhalb des Personal- und Weiterbildungswesens setzt ihrem Anspruch nach schon in der Planungsphase an. Eine Weiterbildungsplanung ist nach dem derzeitigen Forschungsstand lediglich in Großbetrieben systematisiert, während für kleine und mittelständische Unternehmen bislang von eher reaktiven Umgangsweisen der Organisation mit veränderten Qualifikationsanforderungen ausgegangen wird bzw. Qualifikationsbedarfe dort stärker über die Angebote des externen Weiterbildungsmarktes abgedeckt werden. Die in Großbetrieben lange Zeit vorherrschende angebotsorientierte Weiterbildungsplanung nach Veranstaltungskatalogen ist vielfach als unprofessionelles Vorgehen kritisiert worden (vgl. Baethge/Schiersmann 1998). In der großbetrieblichen Praxis deutet sich jedoch seit einigen Jahren eine Hinwendung zu einer nachfrageorientierten Planung an, die auf einer gezielten Bildungsbedarfsanalyse sowie Kundenorientierung basiert, wobei je nach Betrieb von unterschiedlich gewichteten „Mischstrategien für verschiedene Zielgruppen“ (ebd., 50f.) auszugehen ist. Die Ermittlung des Bildungsbedarfs bedient sich nach Hummel (2001) entweder direkter oder indirekter Methoden. Indirekte Methoden stützen sich auf die Auswertung betrieblicher Kennzahlen, Betriebsstatistiken, Revisionsberichte und Berufsbilder, um die Entwicklung des Qualifikationsbedarfs des Gesamtunternehmens einschätzen zu können. So können zwar Aussagen über Qualifikationstrends aufgrund betrieblicher Problemstellungen getroffen werden, aber strukturierte Aussagen über die Verteilung des Bildungsbedarfs auf Personen bzw. geeignete Qualifizierungsmaßnahmen sind auf diese Weise nicht möglich. Letzteres kann durch die Anwendung direkter, vor allem am Individuum ansetzender Methoden der Bildungsbedarfsanalyse realisiert werden. Direkte Methoden orientieren sich grundsätzlich an den gegenwärtigen oder zukünftigen Qualifikations-, Wissens- und Kompetenzanforderungen der im Unternehmen vorhandenen Aufgabenfelder (Anforderungsanalyse). Diese werden mit vorhandenen Mitarbeiterqualifikationen abgeglichen. Die identifizierten Defizite auf individueller
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oder organisationaler Ebene ergeben dann den Bildungsbedarf, aus dem dann entsprechende Lern- und Entwicklungsziele sowie konkrete Maßnahmen der Weiterbildung, PE oder Organisationsentwicklung abgeleitet werden (vgl. Kador 1995; van Buer/Seeber 2002; Müller 2002).65 Der Umstand, dass insbesondere Großbetriebe über interne PE- und Weiterbildungsabteilungen verfügen, führt nicht zwangsläufig dazu, dass Weiterbildungsmaßnahmen auch intern durchgeführt werden. Betriebliche Entscheidungsträger stehen grundsätzlich vor der Aufgabe abzuwägen, wie der Qualifikationsbedarf möglichst wirtschaftlich gedeckt werden kann. Dabei stehen neben interner PE alternative Optionen zur Wahl: die Rekrutierung externer Arbeitskräfte oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter, z.B. externe Trainer, Coaches oder Inhouse-Schulungen (vgl. Harney 1998; Hummel 2001; Müller 2002). Der Druck auf das HRM, eine Verbesserung der Effizienz und Effektivität von Bildungsaktivitäten herbeizuführen und deren Beitrag zur unternehmerischen Strategie und Wertschöpfung gegenüber dem Controlling bzw. der Unternehmensleitung zu plausibilisieren und zu dokumentieren, dürfte in der betrieblichen Praxis mittlerweile recht hoch sein. Werden Bildungs- und PE-Aktivitäten vornehmlich aus einer quantifizierenden, auf ökonomische Prozesssteuerung und -bewertung zielenden Perspektive betrachtet, verengt sich das Verständnis entsprechender Lern- und Entwicklungsprozesse und ihrer Voraussetzungen und Implikationen auf drastische Weise: „Dadurch dominiert die ökonomische Perspektive deutlich und verdrängt tendenziell andere Verständnisweisen, die z.B. stärker auf die Spezifität der (Aus- und Weiter-)Bildungsprozesse selbst (pädagogische/psychologische Perspektive) bzw. auf deren Funktion in der Entwicklung von gesellschaftlichen Subsystemen (soziologische Perspektive) gerichtet sind“ (van Buer/Seeber 2002: 255).
Sehr grundsätzlich stellt sich die Frage, inwieweit auf der Basis von Kennziffern und Kosten überhaupt profunde Aussagen über die Wirtschaftlichkeit bzw. weitergehender über den Lernerfolg durchgeführter oder geplanter Bildungsmaßnahmen getroffen werden können. Zahlreiche Weiterbildungs- und Personalspezialisten weisen auf die Defizite eines im betrieblichen Alltag stark verbreiteten, 65
„Instrumente hierfür sind unter anderem die Arbeitsplatzanalyse, Anforderungsprofile, Mitarbeiterbeurteilungen und Qualifikationspotentiale. [...] Diese Form der Qualifikationsbedarfsanalyse erlaubt die Beantwortung der Fragen nach der betroffenen Zielgruppe (Wer), nach den betrieblichen Zielen (Wofür) sowie nach den Inhalten (Was) und der zeitlichen Lage (Wann) der erforderlichen Qualifizierung. Sie führen damit zu treffsicheren Aussagen über den qualitativen und quantitativen Qualifizierungsbedarf. Sie können somit Grundlage für eine detaillierte Qualifizierungsplanung und ihre direkte Umsetzung in bedarfsgerechte, nachfrageorientierte und damit wirtschaftlich sinnvolle Qualifizierungsmaßnahmen sein. Der Nachteil einer solchen Methode zur Qualifikationsbedarfsanalyse ist jedoch der erhebliche Aufwand und die damit verbundenen Kosten“ (Hummel 2001: 61ff.).
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quantitativ-kostenorientierten Bildungscontrollings hin. Sattelberger (1999b) sieht eine fundamentale Schwäche dieser Ansätze darin, durch eine ausschließliche Fokussierung auf messbare Größen den Kosten einen zu hohen Stellenwert bei der Entscheidung von Weiterbildungsaktivitäten einzuräumen. In eine ähnliche Richtung zielt Kienbaums Kritik an einer primär quantifizierenden Bewertungspraxis: „Viele Versuche sind schon unternommen worden, Bildungsnutzen in Zahlen zu fassen und gegen die Kosten aufzurechnen. Ich denke hier an eine Aufschlüsselung der Kosten der Maßnahmen auf die Berechnung des Bildungseinflusses auf Umsatz, Produktionskosten, Qualitätsverbesserung, Fluktuation, Fehlzeiten usw. Aber meiner Ansicht nach muss der Versuch scheitern, ausschließlich quantitative Aspekte zu berücksichtigen. Eine eindeutige Zuordnung von Effekten zu Bildungsmaßnahmen ist wegen der Vielschichtigkeit der Einflußmöglichkeiten und der Wechselwirkung nur in den seltensten Fällen möglich“ (Kienbaum, zitiert nach: Hummel 2001: 79f.).
Bereits bei der Definition von Erfolgskriterien treten enorme methodischkonzeptionelle Schwierigkeiten auf. Insbesondere in den produktions- und vertriebsfernen Tätigkeitsarealen ist eine genaue Operationalisierung von Leistungsindikatoren kaum möglich (vgl. ebd.; Müller 2002). Neben der Schwierigkeit einer eindeutigen Messung der ökonomischen Ergebnisse von Bildungsmaßnahmen nach Effizienz- und Effektivitätskriterien stellen sich eine Reihe von Zurechnungsproblemen, etwa wenn die von einem Unternehmen getätigten Weiterbildungsinvestitionen in Verhältnis zum Unternehmenserfolg gesetzt werden: Wie übersetzt sich beispielsweise Sozialkompetenz in Wertschöpfung? Die Überführung von Bildungseffekten in Kosten-Nutzen-Kalküle erscheint hoch problematisch, denn sie birgt die „Gefahr von ‚Scheinsicherheiten‘ aufgrund stark unvollständiger Informationen bzw. schlechter Qualität der Informationen“ (van Buer/Seeber 2002: 253f.). Die Seriosität und Aussagekraft einer über ökonomische Kennziffern herbeigeführten Beurteilung der Effektivität von Kompetenzentwicklungsmaßnahmen ist somit äußerst fragwürdig. Bereits auf der Ebene der Messung bzw. Erfassung des Kompetenzerwerbs stellt sich das Problem, dass sich Kompetenzen als subjektgebundene Fähigkeiten und Potenziale erst über mittlere bis längere Zeiträume entwickeln und demzufolge nur zeitverzögert wirksam werden, während die etablierten Controllinginstrumente eher an kurzfristigen Messzeiträumen ansetzen.66 Eine exakte Quantifizierung 66 „Das in Form von Lehrgängen, Workshops, Seminaren, Schulungen etc. hergestellte ‚Weiterbildungsprodukt‘ ist – ganz im Gegensatz zur Logik der Produktion – nicht schon dann fertig, wenn die Weiterbildung fertig ist. Akzeptanzprobleme betrieblicher Weiterbildung beruhen auf diesem ‚timelag‘: Um ihre Produkte erfolgreich fertigzustellen, benötigen ausdifferenzierte Weiterbildungen eine Art ‚Co-Produktion‘, die durch Abteilungen bzw. Untereinheiten geleistet werden muß, auf die sich Weiterbildung richtet bzw. an die sie ihre Adressaten abliefert“ (Harney 1998: 147f.).
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der Effekte von betrieblichen Bildungsmaßnahmen ist umso schwieriger, „je näher die Weiterbildung an konkrete Arbeitsvollzüge und Prozesse des Organisierens heranreicht bzw. mit ihnen überlappt, je eher sie sich als entwicklungsorientiert begreift“ (Harney 1998: 137). Bildungsökonomische Kalküle gewinnen jedoch nicht allein auf der Ebene neuer Instrumente Geltung, sondern setzen sich als Denkhaltung wirksam im betrieblichen Alltag des Personalmanagements durch: „Kern des Bildungscontrollings ist vor allem eine Verständigung über die zu verfolgenden Ziele und eine ständige kommunikative Reflexion darüber, inwieweit die Ziele erreicht wurden, wo gegebenenfalls gegengesteuert werden muß und wo unter Umständen neue Ziele festgelegt werden müssen“ (Weiß 1998: 115; vgl. Harney 1998).
Der eigentliche Erfolg von Bildungsmaßnahmen geht über die Frage der kalkulativen Bewertung der Verwendung finanzieller Ressourcen weit hinaus. Er richtet sich aus bildungsökonomischer Sicht auf die „Qualität und Zuverlässigkeit des Transfers als entscheidende Schnittstelle zur Realisierung des ökonomischen Returns“ (van Buer/Seeber 2002: 258). Die wissenschaftliche Evaluations- und Transferforschung setzt sich seit einigen Jahren mit den Voraussetzungen und Möglichkeiten der Sicherung des Lerntransfers auseinander. Der Begriff „Lerntransfer“ bezeichnet dabei eine erfolgreiche Übertragung des in einer Lern- oder Trainingssituation angeeigneten Wissens, Könnens oder Verhaltens auf ein erwartetes Verhalten, das außerhalb dieses Lernfeldes liegt und sich auf Aufgabenoder Problemsituationen am Arbeitsplatz richtet (vgl. Bergmann/Sonntag 1999: 287f.; Patry 2000: 131ff.; van Buer/Seeber 2002: 158). Maßnahmen der Transfersicherung folgen ähnlich wie integrierte Bildungscontrollingansätze dem Ideal einer erfolgsrelevanten Steuerung des gesamten Bildungsprozesses und setzen bereits im Vorfeld betrieblicher Bildungsmaßnahmen an. Ausgehend von einer Feststellung des Bildungsbedarfs des Mitarbeiters durch die Führungskraft, sollen beide Akteure Qualifizierungsziele, geeignete Maßnahmen sowie Kriterien der Erfolgsbeurteilung vereinbaren. Auch die Analyse transferhemmender und fördernder Faktoren auf der Ebene der Technologie, der Personen, der Organisationsstrukturen und der Unternehmenspolitik wird als wichtiges Element der Lerntransfersicherung aufgefasst (vgl. Meirich 2002). Aus einer arbeitssoziologischen, berufsbiografischen und pädagogischen Perspektive ist die managerielle Kontrolle des sogenannten Lerntransfers weder trivial noch gewiss. So existieren eine Reihe von begrenzt kalkulier- und kontrollierbaren intervenierenden Variablen und Faktoren auf individueller, organisationaler und pädagogischer Ebene. Die Frage des Lerntransfers betrifft das Kernproblem der Transformation des nicht beliebig modellierbaren und aufgrund seiner Gebundenheit an Subjektivität strukturell eigenwilligen Arbeitsvermö-
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gens. Bereits auf der Ebene der Organisation betrieblicher Weiterbildungs- und Kompetenzentwicklungsmaßnahmen werden die Grenzen des betrieblichmanageriellen Steuerungs- und Kontrollvermögens deutlich. Zum einen vollzieht sich die Entwicklung sozialer und kommunikativer Kompetenzen primär im Rahmen informeller bzw. arbeitsplatznaher und damit durch den Betrieb nur begrenzt steuerbarer Lernkontexte: „Gerade die mittel- und langfristige Unersetzlichkeit erfahrungsgebundener Kompetenz, wie sie aus dem alltäglichen Umgang mit betrieblichen Arbeitsvollzügen erwächst, bedeutet Machtgewinn auf Seiten der Belegschaft. Denn im Unterschied zu organisierten Formen der Erstausbildung oder auch der Weiterbildung, die man auf regelmäßigen Absolventenoutput einstellen kann, ist diese Art der Kompetenzerzeugung nicht ohne weiteres wieder herstellbar – jedenfalls nicht in erwart- und planbaren Zyklen“ (Harney 1998: 189).
Zum anderen gibt es auch für organisierte Formen der Wissensvermittlung oder Verhaltensänderung (z.B. Trainings oder Seminare) keine Erfolgsgarantie. Das von Luhmann und Schorr (1988: 120ff.) für den Bereich schulischer Bildung und Erziehung beschriebene, aus einer doppelten Kontingenz des Lehr-LernGeschehens resultierende „Technologiedefizit“ lässt sich auf den Bereich betrieblich organisierter Lernprozesse, selbst bei Vorhandensein entsprechender Maßnahmen der Lerntransfersicherung, übertragen. Demnach lassen sich die in formalisierten Lernprozessen angestrebten Prozesse der Wissensvermittlung und Verhaltensänderung weder antizipieren noch konditionieren. Lernziele treffen potenziell auf mögliche kognitive und motivationale Widerstandsmomente seitens der Lernenden. Es besteht eine strukturelle Ungewissheit seitens des Lehrenden darüber, welches Lehrverhalten sowohl von den Individuen als auch vom interaktiven Sozialsystem der Lernenden angenommen wird. Die in LehrLernprozessen angewendeten Methoden bieten ein mehr oder minder breites Spektrum an Möglichkeiten, das Lernangebot auf „die eigene Selbstmodellierung als Lerner“ (Harney 1998: 158) zu übertragen. Damit erhöhen sie lediglich die Wahrscheinlichkeit gewünschter Verhaltensänderungen, können sie aber keinesfalls garantieren (vgl. Malmendier 2003). „Ein interaktives Sozialsystem dieser Art, in dem Zeithorizonte, Erwartungen und Erinnerungen der Beteiligten übereinandergreifen, ist nicht rational dekomponierbar. Das heißt: Es lässt sich nicht in Teile oder Teilschritte zerlegen, zwischen denen keine (oder so gut wie keine) Interdependenzen bestehen“ (Luhmann/ Schorr 1988: 121f.).
Entgegen des verbreiteten funktionalistisch, ökonomistisch und durch Kausalitätsannahmen geprägten Verständnisses der Kontrolle betrieblicher Bildungsund Lernprozesse ist auch eine Übertragung der zu vermittelnden Wissensbestände und Verhaltensweisen auf die Person ohne eine aktive Beteiligung des zu „bildenden“ Subjekts kaum denkbar. Die in unterschiedlichen Lernkontexten 157
angestrebte Vermittlung von Wissen, Haltungen und Fertigkeiten ist maßgeblich an die Bereitschaft, Fähigkeit und das Interesse des Subjekts geknüpft, sich zunächst fremde Denk- und Handlungsschemata und Wissensbestände aktiv anzueignen. Letzteres kann aus einer berufsbiografischen Perspektive, wie die von Kruse (2002) referierten Ergebnisse einer Untersuchung von Bolder und Henrich (2000) zu den Voraussetzungen lebenslanger Lernbereitschaft von Erwachsenen zeigen, keineswegs als gegeben vorausgesetzt werden. Bolder und Henrich erklären die empirisch beobachteten Phänomene wie Weiterbildungsabstinenz und Wandelwiderstand bestimmter Berufs- und Altersgruppen gegenüber wissensund verhaltensbezogenen Veränderungsanforderungen mithilfe der Identitätsund Sozialisationstheorie. Demnach lässt sich der Ausgangsberuf, der in der sozialisatorisch wichtigen Phase des Eintritts in das Arbeitsleben erworben wurde, als eine Art Subjektschablone bezeichnen, mittels derer Erwerbstätige eine Person, Biografie und Lebensführung enorm prägende berufliche Identität aufbauen. Kruse kommentiert dies wie folgt: „Je rigider diese berufliche Grund-Formung ausfällt – so möchte ich ihren Gedankengang fortsetzen – und je umfassender die Anforderungen an flexible eigenständige Gestaltung der beruflichen Entwicklung werden, desto schärfer wird der Widerspruch, den die Individuen aushalten müssen und oftmals dann als Überforderung erfahren. [... ] Erworben wurden in diesem Prozess ja nicht nur berufliche Kompetenzen als Basis für nachfolgende qualifizierte Arbeitstätigkeit, sondern auch arbeitsbezogene Lebenskonzepte, die bestimmte Vorstellungen über die Phasierungen der Arbeitsbiografie einschließen“ (Kruse 2002: 26f.).
Schließlich beruht der Transfer erworbenen Wissens und Könnens, neuer Einstellungen und Verfahrensweisen auf der Möglichkeit, dieses am Arbeitsplatz anwenden zu können und zu dürfen. Nach Patry (2000: 134, 143–148) stellt sich insbesondere der Lerntransfer sozialer und kommunikativer Kompetenzen gerade aufgrund der Situationsspezifität des Sozialverhaltens als besonders schwierig dar. Das Bildungssubjekt steht vor der Aufgabe einer situationsadäquaten und kreativen Interpretation prinzipiell unbestimmter sozialer Situationen und einer Steuerung des hierzu notwendigen bzw. erfolgreich erscheinenden Verhaltens. Aneignung und Transfer sozialkommunikativer Kompetenzen liegen primär im Bereich der subjektiven Selbststeuerung der Person, wodurch die Möglichkeiten einer organisationalen Verhaltensmodellierung durch Trainings deutlich begrenzt werden. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein Lerntransfer, der vom Arbeitsumfeld als Irritation wahrgenommen werden kann, überhaupt sozial erwünscht ist. Selbst bei entsprechender individueller Motivation, das Gelernte im alltäglichen Arbeitshandeln umzusetzen, können innerhalb sozialer und arbeitskultureller Beziehungsgefüge Widerstandsmomente auftreten, die den Lerntransfer maßgeblich stören oder gar verhindern können. Die idealtypische Vorstellung eines durch den Personal- und Weiterbildungsbereich oder durch Führungskräfte 158
weitgehend kalkulierbaren und steuerbaren Bildungsverlaufs bis hin zur Verhaltens- oder Persönlichkeitsänderung erscheint vor diesem Hintergrund als Wunschbild (vgl. Sonntag 2002). Der Lerntransfer beruht stattdessen in entscheidender Weise auf der individuellen Lern- und Veränderungsbereitschaft, erfolgreich verlaufenden subjektiven Lern- und Aneignungsprozessen und Selbstmodellierungsleistungen sowie der „Koproduktion“ durch die Organisation und ihre Arbeits-, Abteilungs- und Teamkulturen, in die neue Wissensbestände, Verhaltensweisen und Kompetenzen transferiert werden müssen.
2.4.2.5
Alte und neue Segmentationslinien: Zielgruppen betrieblicher Weiterbildung und Personalentwicklung
Die Fähigkeit und Bereitschaft zu lebenslangem Lernen wie auch der Zugang zu betrieblich finanzierter Weiterbildung und PE – sei es im Rahmen formalisierter oder stärker informeller, im Arbeitsprozess stattfindender Formen des Kompetenz- und Wissenserwerbs – haben angesichts der beschleunigten ökonomischen, organisatorischen und technologischen Transformationsprozesses heute stärker als je zuvor maßgeblichen Einfluss auf die berufliche Aufstiegs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die Arbeitsplatzsicherung und den Statuserhalt der Erwerbstätigen (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 2002). An die betriebliche Weiterbildung werden aus gesellschaftspolitischer Sicht Hoffnungen geknüpft, sie könne zum Abbau der Chancenungleichheit innerhalb des Bildungswesens beitragen (vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994: 713f.; Pawlowsky/Bäumer 1996: 11ff.). Auch wenn dieses auf Gerechtigkeit67 abhebende Motiv den unternehmerischen Erwartungen an betriebliche Weiterbildung und PE vermutlich strukturell äußerlich ist, lässt sich dennoch beobachten, dass entsprechende Ansprüche und Erwartungen der Beschäftigten spätestens seit der Etablierung betriebsinterner Arbeitsmärkte und einer damit einhergehenden, auf Motivationsund Leistungssteigerung und Personalbindung zielenden Personalpolitik immer wieder genährt wurden.68 Aus kontrolltheoretischer wie humankapitaltheoretischer Perspektive dienen betriebsinterne Arbeitsmärkte und die auf sie bezogenen personalpolitischen Instrumente und Anreizstrukturen der Errichtung von 67
„Und dieser Anspruch, der aus politischer, aus gesellschaftlicher, soziologischer Sicht an Betriebe rangetragen wird, gleiche Partizipationschancen, das findet in Betrieben so natürlich keinen Widerhall“ (I 5: 236–238). 68 Im Zuge der Herausbildung betriebsinterner Arbeitsmarktstrukturen im industriellen deutschen Großbetrieb Anfang des 20. Jahrhunderts und ihrer Konsolidierung in den 1920er bis 1930er Jahren wurden zuvor eher vereinzelte Ansätze der Personalrekrutierung und -bindung (Stammbelegschaftspolitik) durch eine systematisch betriebene Personal- und Sozialpolitik abgelöst (vgl. Schmiede 1997).
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Mobilitätsbarrieren für die aufgrund ihrer Qualifikationen und Fähigkeiten wichtigen, da schwer ersetzbaren Arbeitskräfte als auch der Sicherstellung ihrer Leistungs-, Kooperations- und Flexibilitätsbereitschaft (vgl. Heinz 1995; Schmiede 1997). Dabei steht die Personalpolitik des deutschen Großbetriebs aus historischer Perspektive konstitutionell im Spannungsfeld „Berufszentrismus“ – „Betriebszentrismus“ (Heinz 1995: 35f.). Die Wertigkeit eines Arbeitnehmers und die darauf abgestimmten Maßnahmen der PE und Anreizgestaltung leiten sich aus arbeitsmarkt- und humankapitaltheoretischer Sicht aus dessen Zugehörigkeit zu einem der beiden Segmente der Kernbelegschaft ab (vgl. Kräkel 1999).69 Diese wird aus Sicht der Segmentationstheorie unterteilt in ein unternehmenszentriertes und ein berufs- oder fachzentriertes Segment. Im Bereich der unternehmenszentrierten Kernbelegschaften sind betriebsspezifisch vermittelte Wissensbestände und extrafunktionale Kompetenzen von zentraler Bedeutung für die individuelle Bewältigung von Tätigkeitsanforderungen und für den Zugang zu innerbetrieblichen Aufstiegs- oder Fördermöglichkeiten. Im Gegensatz dazu sind Personaleinsatz, Tätigkeitsanforderungen und der innerbetriebliche Status der fachzentrierten Kernbelegschaften stark von den im Rahmen beruflicher Ausund Weiterbildung erworbenen Qualifikationen, fachlich hochgradig spezialisierten Wissensbeständen und Fähigkeiten geprägt (vgl. Dostal u.a. 1998; Kräkel 1999). Aus Sicht der Humankapitaltheorie lohnen sich betriebliche Investitionen in Weiterbildung bei Arbeitskräften mit wenig spezifischen Qualifikationen nicht, da diese mit geringem Kostenaufwand problemlos am Arbeitsmarkt rekrutiert werden können und bei konjunkturellen Schwankungen entsprechend schnell wieder entlassen werden. Können jedoch „Produktivitätsgewinne über einen längeren Verbleib der ausgebildeten Arbeitskräfte im Unternehmen und über eine Entlohnung, die unter dem aktuellen Grenzprodukt liegt, internalisiert werden“, erscheint eine betriebliche Förderung geboten (Hummel 2001: 41).70 Neben dieser auf humankapitaltheoretischen und arbeitsmarkt- bzw. institutionenökonomischen Überlegungen beruhenden Erklärung der Selektivität betrieblicher Weiterbildung und PE ist auch aus einer Reihe empirischer Studien 69 Die auf der neoklassischen Markttheorie basierende Arbeitsmarktökonomie unterstellt eine Segmentierung des Arbeitsmarktes in einen primären Sektor mit gut ausgebildeten Arbeitnehmern in stabilen Arbeitsverhältnissen, eine relativ gute Entlohnung sowie gute Aufstiegsmöglichkeiten und einen sekundären Arbeitsmarkt mit unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, geringer Entlohnung und schlechten Aufstiegschancen. 70 „Weiterbildung und karriereorientierte Personalrekrutierung und Personalpolitik von Unternehmen bedingen sich gegenseitig. Weiterbildung vermittelt die für den Wechsel beruflicher Positionen und für den Aufstieg in der beruflichen Hierarchie notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten, Weiterbildung wirkt als Mechanismus der Selektion und Legitimation für die Zuordnungsprozesse am internen Arbeitsmarkt, Weiterbildung erhält einen Optionswert, der tatsächliche Einkommens- und Positionsverbesserungen ersetzen kann, und wirkt als Leistungsanreiz im Hinblick auf das Aufstiegsversprechen der betrieblichen Personalpolitik“ (ebd., 42).
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bekannt, dass die Partizipationschancen an betrieblich finanzierten bzw. organisierten Bildungsmaßnahmen strukturell ungleich verteilt sind (vgl. Dobischat/Lipsmeier 1991: 345). Die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung lässt sich auf ein komplexes Zusammenspiel von motivationalen, sozialstrukturellen oder betrieblichen Faktoren zurückführen (vgl. Kuwan u.a. 2003; Martin 2003). Auf individueller und sozialstruktureller Ebene sind persönliche Einstellungen und Haltungen gegenüber Weiterbildung, die durch sozialisationswirksame Erfahrungen in Bildungsinstitutionen und Erwerbsarbeit geprägt wurden und sich zu generalisierenden Mustern im Umgang mit Weiterbildungsanforderungen verdichten können, von Bedeutung. Des Weiteren geben eine Reihe sozialdemografischer Faktoren (z.B. Lebensalter, Schulbildung, Beruf, Berufsstatus, Geschlecht, Nationalität) Aufschluss über die sozialstrukturelle Bedingtheit individueller Weiterbildungsaktivität. Qualifizierte und hoch qualifizierte Erwerbstätige mit relativ hohem betrieblichen Status partizipieren im Alter von 19 bis 49 Jahren in sehr viel höherem Ausmaß an organisierter betrieblicher Weiterbildung und PE als gering qualifizierte, ältere oder statusniedrigere Erwerbstätige. Der selektive Zugang zu betrieblich finanzierter bzw. organisierter Weiterbildung führt de facto dazu, dass sich die vorhandenen Privilegien- und Benachteiligungsstrukturen eher verfestigen als nivellieren (vgl. Düll/Bellmann 1999; Baethge/Baethge-Kinsky 2002; Kuwan 2003). Eine Repräsentativbefragung zum Weiterbildungsbewusstsein und -verhalten der bundesdeutschen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zeigt beispielsweise, dass insbesondere Gruppen mit geringen Möglichkeiten eines Zugangs zu formalisierter betrieblicher Weiterbildung und PE (z.B. Gewerbliche, Un- und Angelernte, Beschäftigte in Kleinbetrieben) überdurchschnittlich oft das informelle Lernen als wichtigsten (da oftmals der einzigste) Lernkontext bezeichnen (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 2002). 14% der Befragten, die das formalisierte Lernen als wichtigsten beruflichen Lernkontext nennen, stellen die privilegierte Gruppe dar, „die sowohl qua Ausbildung als auch qua betrieblicher Position oder Unternehmensgröße leichteren Zugang zu Lernumgebungen jenseits der alltäglichen Arbeit hat. Dies sind vor allem Beamte (21%), Führungskräfte/Akademiker (19%) und Mitarbeiter aus Großbetrieben (18%)“ (ebd., 115f.). Die individuelle Weiterbildungsaktivität von Erwerbspersonen steht insgesamt in einem starken Zusammenhang mit einer ganzen Reihe betrieblicher Faktoren, die die Angebotsstruktur, Organisation und Politik der betrieblichen Weiterbildung betreffen. Grundlegende Unterschiede in der Organisation und Intensität betrieblicher Weiterbildungsaktivitäten zeigen sich im Hinblick auf die Unternehmensgröße. Eine interne Weiterbildungsplanung ist in der Regel lediglich in Großbetrieben systematisiert, während in kleinen und mittelständischen Unternehmen technisch-organisatorische Entwicklung, konkrete Aufträge sowie Angebote des externen Weiterbildungsmarktes die Weiterbil-
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dungspraxis bestimmen (vgl. Baethge/Schiersmann 1998: 52; Weiß 1998). Nach Hofmann und Mohr (2001: 18ff.) stehen in kleinen und mittelständischen Unternehmen gegenwärtig weder personelle noch finanzielle Ressourcen für eine systematische Weiterbildungsplanung und -durchführung im Sinne von PE und Organisationsentwicklung bzw. eines professionell organisierten und besetzten HRM zur Verfügung. Vielen Personalverantwortlichen fehlt nicht nur das notwendige Umsetzungswissen, sondern grundlegender auch ein Bewusstsein für die Bedeutsamkeit der strategischen Entwicklung von Humanressourcen. Kleine und mittelständische Unternehmen investieren zwar in Relation zu Großbetrieben häufig einen wesentlich größeren Anteil ihres Investitionsbudgets in Ausund Weiterbildung, allerdings beziehen sich diese Investitionen primär auf den aktuellen Qualifikationsbedarf und die Gruppe des Managements. In Großbetrieben werden Weiterbildungsprogramme in der Regel durch das HRM entlang der Anforderungen der Abteilungsleiter und Führungskräfte entwickelt und angepasst. Das traditionell angebotsorientierte Planungsvorgehen nach Veranstaltungskatalogen wird mittlerweile als unprofessionell betrachtet. In der betrieblichen Praxis kündigt sich demzufolge allmählich eine Hinwendung zu einer nachfrageorientierten Planung an, die auf einer gezielten Bildungsbedarfsanalyse sowie Kundenorientierung basiert; je nach Betrieb ist von unterschiedlich gewichteten „Mischstrategien für verschiedene Zielgruppen“ (Baethge/Schiersmann 1998: 50f.) auszugehen. Dabei erfolgt „die Führungskräfteweiterbildung nach wie vor angebotsorientiert >...@, während in bezug auf Mitarbeiter unterer Hierarchieebenen nachfrageorientiert geplant wird“ (ebd., 52). Ergebnisse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB-Panel) deuten darauf hin, dass Weiterbildungsaktivitäten neben der Betriebsgröße auch mit dem Qualifikationsniveau der Beschäftigten und der Höhe der Investitionen in IuK-Technologien variieren (vgl. Weiß 1998: 93f.). Eine Untersuchung von Frieling u.a. (2000a) beleuchtet das Verhältnis von Unternehmens- und Mitarbeiterflexibilität einerseits und innovativen Formen betrieblicher Weiterbildung andererseits. Hinsichtlich des Qualifikationsverhaltens der untersuchten Betriebe zeigt sich, dass „offensiv-flexible“ Unternehmen Dezentralisierungsmaßnahmen wesentlich konsequenter umsetzen und durch umfassende Schulungen PEMaßnahmen begleiten als „wenig flexible“ Unternehmen. Im Bereich der Methodenkompetenzen ermöglichen offensiv-flexible Unternehmen einem größeren Teil der Mitarbeiter die Teilnahme an Schulungen und Trainings in Moderation, Problemlösungsmethoden oder Kommunikation (vgl. ebd.). Eine Untersuchung von 109 weiterbildungsaktiven mittelständischen und großen deutschen Unternehmen verdeutlicht die Zusammenhänge zwischen Geschäfts- und Personalstrategie (vgl. Pawlowsky/Bäumer 1997). Die Autoren konstatieren einen Trend zur
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Differenzierung betrieblicher Weiterbildungs- und Qualifizierungsstrategien und unterscheiden insgesamt vier Planungsstrategien:
die „ad-hoc“-Strategie (eine kurzfristige, ungeplante Entwicklung von Weiterbildungskonzepten erfolgt dann, wenn ein akuter Bedarf vorliegt; dies trifft für ca. 21% der untersuchten Unternehmen zu); die „anforderungsorientierte Planung“ von Weiterbildung als Resultat technisch-organisatorischer Anforderungen (sie bildet das Ende in der hierarchischen Kette und trifft für ca. 44% der untersuchten Unternehmen zu); die „synchronisierte Strategie“, die zeitgleich zu technischorganisatorischen Veränderungen erfolgt (aus den daraus resultierenden neuen Anforderungen wird eine Qualifizierungsstrategie entwickelt; dies trifft für ca. 18% der untersuchten Unternehmen zu); die „potenzialorientierte Strategie“ (Weiterbildung erfolgt im Hinblick auf das verfügbare oder noch zu entwickelnde Qualifikationspotential; dies trifft für ca. 18% der untersuchten Unternehmen zu) (vgl. ebd., 147–151).
Die Untersuchung liefert deutliche Hinweise auf einen engen Zusammenhang zwischen unternehmerischer Wettbewerbsstrategie und konzeptioneller und zeitlicher Weiterbildungsplanung, während die Kenntnis der Branchenzugehörigkeit oder Größe eines Unternehmens keine angemessenen Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Planungsstrategie eines Unternehmens zulässt (vgl. ebd., 160). Die empirische Erkenntnis, dass sich in einem lernförderlich gestalteten Arbeitsumfeld die Kompetenz eines lebenslangen Lernens deutlich besser entfaltet, weckt sozialpolitische Hoffnungen auf eine betriebliche Kompensation sozialstrukturell und bildungsinstitutionell produzierter ungleicher Bildungs-, Einkommens- und Entwicklungsmöglichkeiten (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 2002): Das die Phase der berufs- und funktionsorientierten Unternehmensorganisation prägende „hierarchisch gestufte Modell der Kompetenzentwicklung“, das „auf der einen Seite den Führungskräften breitgefächerte Lerngelegenheiten offerierte, die Un- und Angelernten und Teile der Fachkräfte auf der anderen Seite praktisch von formalisierter Weiterbildung und von arbeitsintegriertem Lernen ausschloss“ (ebd., 109f.), könnte bei konsequenter Nutzung arbeitsprozessintegrierter Lernformen sowie des Einbezugs breiterer Zielgruppen in formalisierte und informelle Kompetenzentwicklung den oft erhofften Beitrag zu mehr Chancengleichheit im Erwerbssystem führen. Allerdings sind die Autoren selbst skeptisch in Bezug auf die gegenwärtigen Realisierungschancen dieses Potenzials, denn sie befürchten eine wechselseitige Vertiefung der Segmentierungen zwischen unterschiedlichen Qualifikations- und Beschäftigtengruppen im Kon-
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text des gegenwärtigen Strukturwandels von Arbeit, Organisation und Personalpolitik: „Es könnte zu einer doppelten Privilegierung der Gruppen mit guter Ausbildung und lernförderlichen Arbeitsplätzen und einer doppelten Depravierung derjenigen kommen, die auf der Basis schlechter Ausbildung und wenig lernförderlicher Arbeitsumgebung die notwendigen Kompetenzen für lebenslanges Lernen nicht entwickeln bzw. nachholen können“ (ebd., 135f.; Hervorhebung im Original).
Diese Befürchtung scheint vor dem Hintergrund der im Rahmen dieser Arbeit bisher erarbeitete Erkenntnisse durchaus angebracht. Es kann vermutet werden, dass das HRM auf den wachsenden finanziellen und legitimatorischen Druck mit einer deutlich stärkeren Selektivität in der Vergabe betrieblich finanzierter Weiterbildung und Förderungsmöglichkeiten reagiert und damit die bestehenden ungleichen Chancen auf Arbeitsplatzsicherheit und Aufstieg vertieft. Ein diese These stützendes Indiz ist der Trend einer wachsenden Verkopplung von Leistungs- und Kompetenzbeurteilungsverfahren und personalpolitischen Entscheidungen, z.B. mithilfe sogenannter Personalportfoliotechniken71 im Kontext eines Human Resource Accountings. Aus Personalportfolios lassen sich entlang des unterschiedlichen „Wertes“ von Beschäftigten aus Unternehmenssicht spezifische Bildungsbedarfe und -strategien ableiten. Die kalkulatorische und informatorische Grundlage einer Zuschreibung von Wert oder Unwert soll dabei mittels outputorientierter Verfahren der Humanvermögensrechnung vorgenommen werden (vgl. Immenroth 2000): „Das mit der Humanvermögensrechnung verbundene Ziel besteht demzufolge darin, sowohl den Buchwert als auch das Leistungspotential bzw. die Leistung des Arbeitnehmers (sprich: seinen Beitrag zum Unternehmenserfolg) zu ermitteln, beide zueinander in (kausale, zumindest direkte) Beziehung zu setzen und somit hinreichende Grundlagen für Entscheidungen bezüglich des Humankapitals zu liefern“ (Diefenbach/Vordank 2003: 15).
Neben ethischen Bedenken gegenüber einer damit implizierten Behandlung von Menschen als „tote Anlagegüter“ (ebd.) stellen sich grundsätzliche Probleme bei der Erfassung, Messung und Zurechnung individueller Leistungspotenziale und Ertragswerte, die insgesamt eine seriöse Anwendung der Humanvermögensrechnung ausschließen.72 Nach Immenroth (2000) erfüllt das Human Resource Ac71 Zum Mechanismus der Finanzialisierung und Segmentierung der Belegschaft mittels Personalportfolios vgl. Kapitel 2.3.1.1. 72 „So ist es äußerst fraglich, das Humanvermögen eines Arbeitnehmers mit den Ausbildungskosten gleichzusetzen. Für das Leistungspotenzial ist nicht (so sehr) der formale Ausbildungsweg der Vergangenheit, sondern sind die gesammelte (berufliche) Erfahrung, das implizite Wissen, der Wille bzw. die Motivation des Einzelnen sowie die situativen und strukturellen Rahmenbedingungen entscheidend. Ebenso birgt der im Rahmen der Humanvermögensrechnung definierte Leistungsbegriff, der Barwert, grundsätzliche Probleme; für die meisten Tätigkeitsbereiche ist es sehr schwer bis
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counting für Bildungsverantwortliche bislang vor allem eine legitimatorische Funktion im Rahmen von Budgetverhandlungen. Als weiteres Indiz einer im Rahmen des HRM gezielt betriebenen Segmentierung der Belegschaft können Versuche zur Differenzierung und Vervielfältigung von Vertragsbeziehungen und damit implizierten höchst ungleichen Zugangschancen zu betrieblicher Weiterbildung, dauerhafter Beschäftigung und lernförderlichen Arbeitsplätzen angesehen werden: „Eine Fülle unterschiedlicher Vertragsarrangements zwischen Kapital und Arbeit – oder besser gesagt zwischen Strukturkapital und Wissenskapital – entwickelt sich. Gerade heraus gesagt: der Vollzeit – karrieresuchende, langzeitbeschäftigte und – vergütete Mitarbeiter wird über das Jahr 2000 hinaus eine gefährdete Spezies werden. Die meisten Wirtschaftsorganisationen entwickeln sich in Richtung einer Schlüsselbelegschaft mit Kompetenzen entlang der Kernkompetenzen, deutlich unterschieden von einem diversifizierten Pool unterschiedlich qualifizierter Mitarbeiter: Teilzeitarbeiter, befristet Beschäftigte, Selbstständige oder Mitarbeiter mit einer extrem niedrigen Verweildauer“ (Sattelberger 1999a: 62f.).
Im Kontext dieser Tendenz zur Diversifizierung und Flexibilisierung der Personalbindungspolitik der Großbetriebe sehen viele Personalspezialisten die Aufgabe des HRM in der Reorganisation der Vergabe qualifikatorischer Ressourcen entlang des Wertschöpfungsbeitrags einzelner Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen. Hauer u.a. (2002) halten es aus unternehmerischer Sicht für notwendig, Angebote der Kompetenzentwicklung an den Wert unterschiedlicher Beschäftigtengruppen zu binden. Sie empfehlen, den Freelancern die Aufrechterhaltung ihrer Markt- und Wettbewerbsfähigkeit durch eigene Investitionen in Kompetenzen sowie Selbstmarketing selbst zu überlassen. Die High Potentials als Träger der organisationalen Wissensbasis und Kernkompetenzen sollen durch vom Unternehmen finanzierte formelle Kompetenzentwicklung und durch die Bereitstellung von Ressourcen und Freiräumen informellen Lernens umfassend gefördert und auf diese Weise an das Unternehmen gebunden werden (vgl. ebd., 93f.). Welches Ausmaß die skizzierte Radikalisierung der Selektivität betrieblicher Personal- und Weiterbildungspolitik in großen Betrieben erreicht hat und an welchen Kriterien und Techniken sie sich in der betrieblichen Praxis orientiert, ist bislang empirisch ungeklärt. Ein im Rahmen dieser Arbeit geführtes Interview mit einem Personalmanagementexperten stützt die Radikalisierungsthese: „Ja, sie haben natürlich diese klassischen Linien der Doppelspirale der Benachteiligung nach wie vor sehr stark entlang der klassischen Linie, weil das Portfolio, das da zugrunde gelegt wird, einfach sehr viel breiter geworden ist. Also, sie haben Randbelegschaften, Kernbelegschaften, Frauen, Männer, alte, junge usw., aber das wird noch sehr viel feiner differenziert jetzt mittlerweile, weil wenn Sie sich das aus der Sicht des Personalers angucken oder des, saunmöglich, die langfristigen Ein- und Auszahlungswirkungen, vor allem aber den Beitrag zum Unternehmensergebnis ermitteln, bewerten und individuell zurechnen zu können“ (ebd., 16).
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gen wir mal, [...] des Wissensportfoliomanagers, dann muss der in Zukunft die Frage beantworten, vor dem Hintergrund welcher vertraglicher Konstellationen beziehe ich welche Kompetenzen in welchen Punkten meiner Wertschöpfungskette wie mit ein. Und da haben Sie ’ne sehr viel komplexere Fragestellung, die dann darauf hinausläuft, wo brauche ich im Grunde Kernkompetenz, die bei mir im Unternehmen ist, die gepflegt wird, die sozusagen unverzichtbar ist, wo ich also erheblich investiere auch in die Bindequalität dieser Mitarbeiter, und dann bis hin zu im Grunde Leiharbeitnehmern. Die gesamte Palette ist im Grunde neu zu strukturieren, und auch die arbeitsvertraglichen Konstellationen, mit denen dort diese Bindung geschaffen wird, sind sehr unterschiedlich, vom Leiharbeiter über den Wissensarbeiter bis zur Beratung, bis hin zum befristet Beschäftigten, bis hin zum Kernarbeitnehmer, den man binden möchte“ (I 6: 515–533).
Aus Sicht dieses Experten bilden die unternehmerische Entscheidung, welche Geschäftsfelder in Zukunft gehalten, aus- oder abgebaut werden, und generell die Anforderungen der Geschäftsprozesse letztendlich die Ultima Ratio dafür, ob in ausgewählten Unternehmensbereichen Kompetenzen aufgebaut werden oder ob man sich zum Beispiel zum Abbau von Personal bzw. Arbeitsplätzen veranlasst sieht. Aufgrund fehlender empirischer Untersuchungen kann die hier vertretene These bislang nicht sicher erhärtet oder gestützt werden. Nichtsdestotrotz ist der Einschätzung von Baethge und Baethge-Kinsky (2002: 103) zuzustimmen, dass auch Erwerbstätige in hochgradig subjektivierten Arbeitsformen auf die Bereitstellung entsprechender Lern- und Entwicklungsressourcen in Arbeit und organisierter Weiterbildung angewiesen bleiben.
2.5 Zwischenfazit Mit dem HRM hat sich nicht nur innerhalb der Literatur, sondern auch in der großbetrieblichen Praxis ein neues Leitbild des Personalmanagements durchgesetzt, dessen Auswirkungen auf die Praxis betrieblicher PE und Weiterbildung aus einer sozialwissenschaftlichen und kritischen Perspektive bislang allerdings nur unzureichend diskutiert und untersucht worden sind. Die Absicht dieses Kapitels war es zunächst, die historischen und konzeptionellen Einflüsse zu beleuchten, die für die Herausbildung einer ressourcenorientierten Betrachtung der Organisation und des Personalmanagements prägend waren, um darauf aufbauend ein Verständnis der Rationalitäten und Vorstellungen zu gewinnen, die auch den heutigen Diskurs um HRM, PE, Kompetenzentwicklung und betriebliches Lernen prägen: ein oftmals verkürztes bildungsökonomisches Denken, ein mit Begriffen wie „human resources“, „intangible assets“ oder „immaterielles Vermögen“ einhergehendes abstraktes, verdinglichendes Verständnis menschlicher Fähigkeiten unter weitgehender Ausblendung der erwerbsbiografischen Interessen, Orientierungsmuster und Gestaltungsleistungen der Beschäftigten (vgl. auch die Kritik von Martin 2003a). Die ökonomistische und funktionalisti166
sche Redefinition des Verständnisses und der Praxis betrieblicher Bildungsarbeit erzeugt, wie gezeigt wurde, ein einseitiges, manchmal sogar verzerrtes Verständnis der organisationalen und subjektgebundenen Voraussetzungen von PE und Weiterbildung. Dieses Kapitel hat den Versuch unternommen, einer instrumentellen und verdinglichten Betrachtung des Menschen und der Annahme einer plastischen Form- und Kontrollierbarkeit seiner Motivationen und Kompetenzen eine durch Sozialisationstheorie, Sozialpsychologie und Arbeitssoziologie informierte Perspektive entgegenzustellen, die der Komplexität der hier behandelten Fragestellung besser entspricht als gängige personalwirtschaftliche oder humankapitaltheoretische Ansätze. Ein weiteres Ziel des Kapitels bestand darin, die Frage nach dem Neuigkeitsgehalt des HRM gegenüber klassischen Ansätzen des Personalwesens zu beantworten. Deutlich wurde, dass sich die Ziele des HRM einer Erfassung, Bewertung, Weiterentwicklung und Verbesserung von Arbeitsergebnissen und Leistungspotenzialen der Arbeitskräfte nicht grundsätzlich von denen vorangegangener Ansätze des Personalmanagements unterscheiden, es aber bedeutende Veränderungen auf der Ebene der Instrumente, Verfahrensweisen und Strategien gibt, mit denen das HRM diese Ziele umzusetzen versucht. Auf konzeptioneller Ebene unterscheidet sich das HRM von vorangegangenen Phasen der Personalarbeit durch seinen weitreichenden Anspruch einer systematischen Reorganisation und Integration klassischer Personalfunktionen (Prozessorientierung), der Ausrichtung der operativen Personalarbeit entlang der Geschäftsstrategien bzw. einer Ausweitung des Einflussbereiches des Personalmanagements auf die Mitgestaltung der Geschäftspolitik (Strategieorientierung) als auch einer konsequenten Aufwertung und Fokussierung qualitativer Personalfunktionen wie PE, Weiterbildung und Karriereplanung auf das wettbewerbsrelevante Personalund Arbeitsvermögen. Der aktuelle Stand der Diskussion und Forschung zum HRM offenbart ein in sich widersprüchliches Bild des Status wie auch des professionellen Selbstverständnisses betrieblicher Weiterbildung und Personalentwicklung. Auf der einen Seite stärkt der Bedeutungsgewinn von Wissen, Lern- und Innovationsfähigkeit den betrieblichen Stellenwert qualitativer Personalfunktionen. Auf der anderen Seite stehen diese internen „Dienstleistungsfunktionen“ angesichts einer auf Quantifizierbarkeit und kurzfristige Bewertungshorizonte fixierten Ökonomie vor dem Problem, den zeitverzögert auftretenden bzw. selten eindeutig zurechenbaren ökonomischen Nutzen von Bildungsinvestitionen gegenüber unterschiedlichen Anspruchsgruppen legitimieren zu müssen. Inwieweit es dem HRM unter diesen Vorzeichen gelingt, seinen Einflussbereich auf die Unternehmenspolitik auszuweiten und die Mitarbeiterinteressen und Entwicklungsmöglichkeiten wirkmächtiger vertreten zu können, ist gegenwärtig mehr als fraglich (vgl.
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Liebel/Oechsler 1994; Weitbrecht/Braun 1999; Kotthoff/Matthäi 2001; Felger/Paul-Kohlhoff 2004). Ein enorm gestiegener Kosten- und Effizienzdruck, stagnierende Weiterbildungsbudgets, permanente Umorganisationen in den Unternehmen, personeller Abbau auch unter Mitarbeitern in den Personal- und Bildungsbereichen (im Zuge von Outsourcing, Downsizing oder Offshoaring) und eine mit bestimmten Bildungscontrollingansätzen verbundene Ökonomisierung und Monetarisierung betrieblicher Bildung nähren eine skeptische Haltung hinsichtlich der Stellung des Personalwesens im Großunternehmen und hinsichtlich der Chancen der Mitarbeiter, berufliche Interessen nach Statuserhalt und Weiterentwicklung nachhaltig absichern oder verbessern zu können (vgl. Weiß 1998; Gaugler 2001; Kotthoff/Matthäi 2001). Die in Kapitel 2 erarbeiteten Ergebnisse, Perspektiven und formulierten Thesen werfen eine Vielzahl von Fragen hinsichtlich der faktischen Bedeutung und Stellung des HRM im Großunternehmen, hinsichtlich seiner Strategien und Instrumente zur Beeinflussung des Transformationsprozesses des Personal- und Arbeitsvermögens und hinsichtlich seiner Wahrnehmung und Bewertung aus Beschäftigtensicht auf. Am Gegenstand einer empirischen Fallstudie zum HRM in einem international tätigen Technologiekonzern sollen wesentliche Fragestellungen, Thesen und theoretische Perspektiven der beiden Literaturkapitel dieser Arbeit aufgegriffen, diskutiert und weitergeführt werden.
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3 Fallstudie: Human Resource-Management, Projektarbeit und Karrierepolitik
Die in den ersten beiden Kapiteln dieser Arbeit diskutierten erkenntnisleitenden Fragestellungen und Thesen strukturieren den folgenden empirischen Teil, der die Ergebnisse einer betrieblichen Intensivfallstudie ausführlich entwickelt und reflektiert. Das empirische Material wurde in den Jahren 2005 und 2006 im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts „Human Resource-Management und die Subjektivierung von Arbeit“73 erhoben. Das Erkenntnisziel des Projekts bestand zum einen in der Analyse der organisatorischen Form und der Ziele des HRM als betriebliche Rationalisierungsarena und als Feld der Subjektivierung von Arbeit. Zum anderen sollten Subjektivierungs- und Flexibilisierungsprozesse im Spannungsfeld betrieblicher Anforderungen und des individuellen Arbeitsvermögens rekonstruiert und typisiert werden. Es wurde untersucht, wie neue berufliche Entwicklungsanforderungen und -möglichkeiten im Kontext wissensbasierter Tätigkeiten subjektiv wahrgenommen und berufsbiografisch angeeignet werden. Die Rekonstruktion der Betriebsfallstudie konzentriert sich zum einen auf die betrieblichen Strategien der Transformation des Arbeitsvermögens im Kontext von Projektarbeit und HRM, zum anderen auf die Formen alltäglicher und erwerbsbiografischer Auseinandersetzung mit stark flexibilisierten und subjektivierten Arbeitsbedingungen durch die Beschäftigten. Diese stehen seit vielen 73
Das mittlerweile abgeschlossene Forschungsprojekt wurde von November 2004 bis April 2007 am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main unter der Leitung von Professor Wilhelm Schumm von Dr. Uwe Vormbusch und dem Verfasser dieser Arbeit durchgeführt. In der Explorationsphase wurden 15 Experteninterviews in 12 Institutionen bzw. Unternehmen geführt. In 2 Hauptuntersuchungsfällen (ein international tätiger Finanzdienstleistungskonzern und ein industrieller Mischkonzern) wurden insgesamt 31 Experteninterviews mit Führungskräften, Personalmanagern und entwicklern, 48 problemzentrierte Interviews sowie 5 Gruppendiskussionen mit Beschäftigten geführt. Die Orientierungs- und Gestaltungsmuster in Bezug auf den individuellen Berufsweg wurden rekonstruiert und zu einer Typologie der Karrierepolitik verdichtet (vgl. Kapitel 3.4). Das Projekt konzentrierte sich in der Haupterhebungsphase aufgrund der ausgezeichneten empirischen Zugänge und der Kontrastivität der Fälle auf einen Vergleich von 2 Unternehmen und 6 Tätigkeitsfeldern. Durch die Konzentration auf zwei kontrastierende Intensivfallstudien gelang es, theoretisch aussagekräftige Felder der Subjektivierung von Arbeit zu untersuchen. Grundlegend für die Interpretation war das im Forschungsprozess entwickelte Untersuchungskonzept der „Karrierepolitik“ (vgl. Kapitel 3.3).
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Jahren vor der Anforderung, in weitreichender Weise Verantwortung für die Pflege und Verwertbarkeit ihres eigenen Kompetenzprofils innerhalb tendenziell volatiler Organisationsstrukturen und sich rasch wandelnder Tätigkeitsanforderungen zu übernehmen. Die Ausweitung der individuellen Verantwortung und Reflexivität berufsbiografischer Selbstsorge ist nicht zuletzt ein Resultat der tief greifenden Restrukturierungen seit den 1990er Jahren. In den meisten Unternehmen haben sich die Arbeitsanforderungen und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten derart umfassend gewandelt, dass sie – verglichen mit der Periode des Fordismus – keine stabile Grundlage mehr für einen kontinuierlichen und antizipierbaren Berufs- und Erwerbsverlauf bieten. Gleichlaufend hat sich mit dem HRM in den Großunternehmen eine ressourcen- und geschäftsprozessorientierte Variante des betrieblichen Personalmanagements durchgesetzt, die in systematischer Weise die Dynamik der Geschäftsprozess- und Organisationsentwicklung mit den qualifikatorischen Anforderungen und Ressourcen auf der Ebene der operativen Personalarbeit und -führung zu verknüpfen versucht. Das HRM strebt aus einer prozessorientierten Perspektive eine möglichst optimale Synchronisation entsprechender Praktiken und Instrumente der Personalführung, Kompetenzund Karriereentwicklung an. Kommt es hiermit zu einer reflexiven und proaktiven Gestaltung und Steuerung der Entwicklung und Vermarktung von Arbeitskraft im Unternehmen auf einer historisch neuartigen Stufe? Sind die Strategien und Interventionen des HRM und der operativen Personalführung anschlussfähig an das organisationskulturelle Umfeld wissensbasierter Arbeit und an die subjektiven Arbeitsansprüche und Vorstellungen beruflicher Entwicklung? Die Komplexität der Fragestellung und die Multipolarität der Interessen, Ziele und Ansprüche unterschiedlicher Akteure im Untersuchungsfeld erfordern – so viel dürfte bereits deutlich sein – eine qualitativ und rekonstruktiv angelegte Untersuchungsstrategie, die das Wechselverhältnis organisationaler und erwerbsbiografischer Strategien im Umgang mit dem subjektiven Arbeitsvermögen in den Blick nimmt. Hierzu wurden alle relevanten Akteursgruppen des Untersuchungsfeldes (Personalmanager und -entwickler, Führungskräfte, Betriebsräte und Mitarbeiter in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen) mithilfe triangulierender qualitativer Erhebungsmethoden befragt. Im Folgenden werden das Untersuchungsdesign und die verwendeten Erhebungs- und Auswertungsmethoden und -schritte im Einzelnen dargelegt.
3.1 Anlage der Untersuchung und methodisches Vorgehen Die Anlage der Untersuchung unterscheidet vier Phasen: die Pilotphase, die Haupterhebungsphase, die Auswertungsphase und die Feedbackphase.
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1. Pilotphase: Im Vorfeld der Fallerhebung wurden im Rahmen des Forschungsprojektes 15 explorative Interviews mit externen Personalmanagement- und Weiterbildungsexperten sowie betrieblichen Personal- und Weiterbildungsleitern in Unternehmen aus wissensintensiven Branchen (Metall- und Elektroindustrie, Banken, Automobil- und Zuliefererindustrie, Telekommunikationsindustrie) geführt. Dadurch konnte ein Überblick bezüglich der Strategien, Leitbilder, Konzepte, Instrumente und Problemwahrnehmungen im Feld des HRM, über seine organisatorische Verankerung und über relevante Zielgruppen gewonnen werden. Diese Datenbasis bildet mit Ausnahme zweier Experteninterviews einen eher impliziten Gegenstand dieser Arbeit (vgl. Anlage 1).74 In jedem Unternehmen wurden im Rahmen eines Betriebsbesuchs zwei Experteninterviews geführt und für die Auswertung Artikel aus der Fachpresse sowie innerbetriebliche Dokumente hinzugezogen. Gleichzeitig diente die Pilotphase einer Vertiefung von Unternehmenskontakten sowie der Sondierung und Auswahl der Unternehmen für die späteren Intensivfallstudien. 2. Haupterhebungsphase: In einem weltweit agierenden Konzern der Elektronikindustrie mit Stammsitz in Deutschland wurden 18 leitfadengestützte Experteninterviews mit Personalmanagern, -entwicklern, Führungskräften und Betriebsräten geführt (vgl. Anlage 2). Die ein- bis anderthalbstündigen Gespräche konzentrierten sich auf Leitbilder, Prozesse, Zielgruppen und Instrumente des betrieblichen HRM und ihre Praxis im Kontext der operativen Personalarbeit eines Konzerngeschäftsbereichs.75 Die Auswahl dieses Hightech-Konzerns war aus mehrfachen Gründen sinnvoll und aussichtsreich:
Die Untersuchung eines transnationalen Konzerns verspricht aufschlussreiche Erkenntnisse über die Strategie einer weltweiten Standardisierung von Personalführung und betrieblichem Kompetenzmanagement und die damit verbundenen Möglichkeiten und Probleme einer strategischen Verzahnung von PE und Unternehmensentwicklung. Der ausgewählte Konzern befindet sich seit einigen Jahren in einem umfassenden kulturellen und geschäftspolitischen Umbruch von einem hierarchisch-bürokratischen Großunternehmen zu einem stark dezentralisierten und wertorientierten Konzern. Die Ergebnisse der Pilotuntersuchung verdeutlichten bereits, dass der Konzern eine Vorreiterstellung in der Umsetzung einer ressourcen-, zielgrup-
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In methodischer Hinsicht diente die Pilotphase der Gewährleistung von Offenheit der Forschungsfragen gegenüber dem Forschungsgegenstand mit der Möglichkeit entsprechender Anpassungen. 75 Ergänzend zu den Interviews wurden interne Firmendokumente und -unterlagen zu Strukturen, Konzepten und Instrumenten des HRM ausgewertet.
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pen- und flexibilitätsorientierten Personalstrategie innehat und dass sich dementsprechend die in den Literaturkapiteln dargelegten Thesen der Arbeitskraftnutzung und -entwicklung in idealer Weise empirisch untersuchen lassen. Während der zweiten Haupterhebungsphase dieser Intensivfallstudie wurden insgesamt 18 problemzentrierte Interviews sowie 2 Gruppendiskussionen mit qualifizierten und hoch qualifizierten technischen und kaufmännischen Angestellten geführt, die im Kontext hochgradig wissensbasierter und flexibilisierter Arbeit (globale Projektarbeit) tätig sind (vgl. Anlagen 3 und 4).76 Die Auswahl der Tätigkeitsfelder Softwareentwicklung, technische Inbetriebnahme von Anlagen und kaufmännische Projektarbeit ermöglichte es, die Bedeutung des HRM für die Arbeit und berufliche Weiterentwicklung (hoch) qualifizierter Angestellter in einem breiteren Spektrum wissensintensiver Arbeitsformen zu untersuchen. Entsprechend dem Forschungsstand, waren insbesondere die Techniker und Ingenieure in ihrem Rollenverständnis in der Vergangenheit stark durch fachliche und berufliche Orientierungen geprägt. Infolge einer marktgetriebenen Parallelisierung von Produkt- und Produktionsgestaltung arbeiten sie seit vielen Jahren in funktionsübergreifenden Projektteams, die verstärkt sozialkommunikative Fähigkeiten, Prozesswissen sowie Methodenkompetenzen erfordern. Untersucht werden soll unter anderem, wie sich diese Berufsgruppen im Vergleich zu den kaufmännischen Angestellten mit den veränderten Kompetenzanforderungen der Projektarbeit auseinandersetzen, d.h. inwieweit sie sich entsprechende Kompetenzen aneignen und welche Auswirkungen dies auf ihr subjektives Berufs- und Karriereverständnis hat. Die Gespräche dauerten im Schnitt eineinhalb Stunden und orientierten sich an der Methode problemzentrierter Interviews von Witzel (1982, 1996, 2000). Die Interviewtranskripte dienten als Basis für die Rekonstruktion individueller berufsbiografischer Orientierungsund Gestaltungsmuster und für eine einzelfallübergreifende Typologisierung der subjektiven Karrierepolitiken der Beschäftigten.77 Im Vordergrund der Gespräche standen Kontinuität und Wandel von Tätigkeitsanforderungen und die betrieblichen Erwartungen an die individuelle Lern- und Entwicklungsfähigkeit und -bereitschaft. Intensiv erörtert wurden zudem die betrieblichen Karriere- und Förderangebote und die Praxis der Personalführung und -entwicklung. 76 Unter den interviewten Mitarbeitern finden sich 60% Diplomingenieure mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss, 30% Techniker mit abgeschlossener Berufsausbildung sowie eine kleine Gruppe von 10% mit kaufmännisch-technischer Qualifikation als Wirtschaftsingenieur oder Wirtschaftsinformatiker. 77 Zu Konzept und Dimensionen der Karrierepolitik vgl. Kapitel 3.3; zu den empirischen Typen der Karrierepolitiken vgl. Kapitel 3.4.
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3. Auswertungsphase: Die Auswertungsschritte der Experteninterviews, problemzentrierten Interviews und Gruppendiskussionen werden in den Kapiteln 3.1.1 bis 3.1.3 und 3.3 beschrieben. Insgesamt lassen sich zwei Phasen der Auswertung des erhobenen Materials unterscheiden. Zunächst erfolgte eine Rekonstruktion der Leitbilder und der Praxis des betrieblichen HRM auf der Ebene der strategischen Unternehmensführung, auf der intermediären Ebene der geschäftsbereichsspezifischen Karriere- und Kompetenzentwicklung und der operativen Ebene. Untersucht wurden die Aufbau- und Ablauforganisation des HRM, Konzepte und Verfahren einer leistungs- und kompetenzorientierten Personalbeurteilung, der Karriere- und Weiterbildungsplanung und der Gestaltung betrieblicher Karrierewege und Weiterbildungsmaßnahmen und damit verbundener Zugangskriterien und Zielgruppen. Des Weiteren wurde die Rolle operativer Personalentwicklungs- und Führungsarbeit im Rahmen eines ausgewählten Geschäftsbereichs mit spezifischen Anforderungen seitens des Geschäftsmodells, der Arbeitsorganisation, der Tätigkeitsstruktur und der Qualifikationsanforderungen aus Sicht dort ansässiger Führungskräfte und Personalmanager untersucht. Korrespondierend zu der zuvor genannten Phase werden Formen subjektiver und berufsbiografischer Auseinandersetzung mit den betrieblichen Möglichkeiten und Restriktionen beruflicher Weiterentwicklung und den veränderten Tätigkeits-, Weiterentwicklungs- und Selbstvermarktungsanforderungen analysiert und zu Typen der Karrierepolitik kondensiert. 4. Feedbackphase: Nach Abschluss der Fallstudie erfolgte ein Feedback der Forscher an die Untersuchungsteilnehmer über die wichtigsten Untersuchungsergebnisse mit anschließender Diskussion. Zentrale Ergebnisse der Fallstudie wurden vor einer Gruppe von zuvor befragten Personalentwicklern und Führungskräften des untersuchten Geschäftsbereiches mündlich und schriftlich präsentiert und gemeinsam diskutiert. Darüber hinaus wurden Ergebnisse aus der Fallstudie im Rahmen einer von der untersuchten Geschäftseinheit jährlich organisierten Mitarbeitertagung vorgestellt und mit den anwesenden Mitarbeitern und Führungskräften diskutiert. Im Folgenden werden zunächst die methodologischen und methodischen Grundlagen der Fallstudie erläutert und reflektiert.
3.1.1
Experteninterviews
Auf Basis der Methodenliteratur erfolgt zunächst eine allgemeine methodologische Verortung des Experteninterviews. Es werden Fragen nach geeigneten Kriterien der Auswahl der Befragungspersonen, der Spezifität des Expertenwissens,
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typischen Diskursverläufen sowie geeigneten Kommunikations- und Interaktionsstrategien des Interviewers erläutert. Im Anschluss wird das in dieser Arbeit angewandte Auswertungsverfahren in knapper Form beschrieben. Der Begriff „Experteninterview“ bezeichnet ein in der Forschungspraxis gängiges, methodologisch aber bislang eher randständig behandeltes, meistens im Rahmen qualitativer Forschung eingesetztes methodisches Erhebungsverfahren (vgl. Bogner/Menz 2002; Liebold/ Trinczek 2005). Die Anwendungsgebiete des Experteninterviews sind äußerst vielfältig und reichen von der arbeits- und industriesoziologischen Forschung über die Bildungs- und Evaluationsforschung bis hin zur Untersuchung von Sozialisations- und Selektionsprozessen (vgl. Meuser/Nagel 1997: 481f.). Aus methodologischer Sicht stellt sich das Experteninterview als „forschungspragmatisch begründete Mischform“ (Liebold/Trinczek 2002: 41) zwischen Offenheit und Geschlossenheit dar, die grob zwischen dem narrativen und dem standardisierten Interview verortet werden kann (vgl. auch Scholl 2004).78 Hinsichtlich der Stellung des zu gewinnenden Expertenwissens im Forschungsprozess unterscheiden Bogner und Menz (2002) drei Varianten des Experteninterviews:
das auf „Exploration“ zielende Experteninterview, das der Präzisierung forschungsleitender Hypothesen sowie der Erschließung forschungsrelevanter Kontakte für die weiteren Felderhebungen mithilfe des Experten (aufgrund seiner „feldpolitischen“ Stellung) dienen kann (vgl. auch Deeke 1995); das in der industriesoziologischen Forschungspraxis verbreitete „systematisierende Experteninterview“, das mithilfe eines stärker strukturierten Leitfadens Experten als Informationsquelle zur Gewinnung von schwer oder anderweitig nicht zugänglichen Fakten und Erfahrungen über ein Handlungsfeld nutzt; das „theoriegenerierende Experteninterview“, das von Bogner und Menz eindeutig dem interpretativen Paradigma zugeordnet wird, da hier die wissenssoziologische Erschließung und Rekonstruktion „subjektive(r) Handlungsorientierungen und implizite(r) Entscheidungsmaximen des Experten“ (Bogner/Menz 2002: 38) angestrebt wird, um auf dieser Grundlage zu theoretisch gehaltvollen Aussagen über die Funktionsweise sozialer Systeme im Einflussbereich des Experten zu gelangen.
78 Deeke (1995) weist darauf hin, dass in Abhängigkeit von der Stellung der Expertenbefragung im Forschungsprozess nicht nur mündliche und offene Befragungen, sondern auch stärker strukturierte schriftliche oder telefonische Befragungen praktiziert werden.
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Deeke (1995: 14f.) verweist auf eine insbesondere in der Industriesoziologie und Organisationsforschung etablierte weitere, zum Teil quer zur genannten Typologisierung stehende Variante, die im Rahmen von Fallstudien eingesetzt werden kann. Im Vordergrund der primär offen geführten, durch einen Gesprächsleitfaden unterstützten und mit anderen Erhebungsformen (z.B. Dokumentenanalyse, Beobachtungsverfahren, andere Interviewformen) kombinierbaren qualitativen Experteninterviews steht die Gewinnung und Rekonstruktion fallspezifischer Besonderheiten. Hinsichtlich des Status des aus Experteninterviews zu gewinnenden empirischen Materials im Forschungsprozess kann zwischen einer Zentral- und einer Randstellung unterschieden werden. Eine Randstellung liegt dann vor, wenn „ExpertInneninterviews z.B. explorativ-felderschließend eingesetzt werden, wo sie zusätzliche Informationen wie Hintergrundwissen und Augenzeugenberichte liefern und zur Illustrierung und Kommentierung der Aussagen der Forscherin zum Untersuchungsgegenstand dienen“ (Meuser/Nagel 2002: 75ff.). Nehmen die Experteninterviews hingegen eine zentrale Stellung im Forschungsprozess ein, lassen sich zwei verschiedene Untersuchungsstrategien unterscheiden: Experten fungieren entweder als Zielgruppe der Untersuchung, um etwas über deren Handlungsfeld zu erfahren, oder als komplementäre Handlungseinheit der Zielgruppe.79 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Experteninterviews mit ihren unterschiedlichen Varianten im Forschungsprozess von anderen Erhebungsformen nicht primär durch ein spezifisches bzw. zu vereinheitlichendes Erhebungsverfahren unterscheiden, sondern vielmehr durch die inhaltlich begründete Fokussierung der Befragung auf Personen, denen ein Expertenstatus zugeschrieben werden kann (vgl. Deeke 1995). Das Forschungsinteresse richtet sich nicht auf die Person und ihre privaten Lebensumstände, sondern auf ihre im Berufsalltag verankerten Erfahrungen und Wissensbestände als Funktionsträger (vgl. Scholl 2004). Zudem bleibt über das narrative Prinzip die Möglichkeit einer Bedeutungsstrukturierung und eigenen Relevanzsetzung durch den Befragten erhalten, wenn auch in eingeschränkter Form (vgl. Liebold/Trinczek 2005). Umstritten bleibt allerdings, inwieweit es sinnvoll ist, das Experteninterview eindeutig dem quantitativen oder qualitativen Methodeninstrumentarium zuzuordnen (vgl. Meuser/Nagel 1991; Deeke 1995; Trinczek 1995; Bogner/Menz 2002). In der einschlägigen Literatur finden sich vor dem Hintergrund variierender normativer und analytischer Annahmen und Forschungsinteressen unterschiedli79 In letzterem Fall stehen die Interviews neben anderen Datenquellen wie Interviews mit der Zielgruppe, teilnehmender Beobachtung oder Dokumenten- und Aktenanalysen: „Das Erfahrungswissen von ExpertInnen bezeichnen wir in Abhängigkeit von der Stellung und der Funktion innerhalb des Forschungsdesigns im ersten Fall als Betriebswissen, im zweiten Fall als Kontextwissen“ (Meuser/Nagel 2002: 75f.; Hervorhebung im Original).
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che Verwendungsweisen des Expertenbegriffes. Der voluntaristische Expertenbegriff von Mayring (1996) leitet sich im Wesentlichen aus der Annahme ab, dass prinzipiell jeder Mensch aufgrund seines Alltagswissens als Experte seines Lebens aufgefasst werden kann. Die mangelnde Spezifität der Definition begründet jedoch keine zwingende bzw. plausible Notwendigkeit, dieses Wissen in Gestalt eines Experteninterviews zu erheben (Bogner/Menz 2002: 39ff.). Die an die wissenssoziologische Perspektive von Schütz (1972) angelehnte Definition des Expertenwissens als spezialisiertes „Sonderwissen“80 oder „Insider-Wissen“ (zunächst Sprondel 1979; später Meuser/Nagel 1994; Pfadenhauer 2002) wird mit der funktionalen Autonomie des Experten begründet.81 Einen ähnlichen Zugang wählt die differenzierungstheoretische und konstruktivistische Perspektive, aus der heraus Experten als professionelle Sachverständige oder Fachleute bezeichnet werden, die im Gegensatz zu Laien über ein exklusives Fach- oder Ereigniswissen eines Forschungs- oder Handlungsfeldes verfügen (vgl. Deeke 1995; Liebold/Trinczek 2002). Ob die ausgewählten Befragungspersonen Expertenstatus haben, ist jedoch keine ausschließlich methodische Entscheidung, sondern muss sich auch daran orientieren, ob die als Experten bezeichneten Personen in der sozialen Realität tatsächlich Angehörige einer „Funktionselite“ sind und somit maßgeblichen Einfluss auf institutionelle, organisatorische oder öffentliche Entscheidungsprozesse haben (Meuser/Nagel 1994: 181f.). Da Experten in der Regel für Problemlösungen und Kontrollen Verantwortung tragen, verfügen sie nicht nur über einen „privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse“ (Meuser/Nagel 2002: 73), sondern innerhalb eines bestimmten Handlungsfeldes auch über soziale Einflussmöglichkeiten, die sich neben der fachlichen Autorität auch aus seiner sozialen Positionierung bzw. der Organisationsmacht ergeben (vgl. Deeke 1995; Bogner/Menz 2002: 66). Experten finden sich innerhalb von Organisationen zudem häufig nicht auf oberster, sondern auf der zweiten oder dritten Hierarchieebene, „weil hier in der Regel Entscheidungen vorbereitet und durchgesetzt werden und weil hier das meiste und das detaillierteste Wissen über interne Strukturen und Ereignisse vorhanden ist“ (Meuser und Nagel 2002: 73f.). In einer wissenssoziologischen und konstruktivistischen Forschungsperspektive lässt sich Expertenwissen als „analytische Konstruktion“ begreifen, die „quer zu der traditionellen Unterscheidung von Alltags- versus Expertenwissen liegt“ (Bogner/Menz 2002: 43) und neben technischem und prozessualem Wissen (z.B. über formelle und 80 Neben dem Zugang zu exklusiven Wissensbeständen verfügt der Experte als Spezialist auch über „aufgabenbezogenes, relativ genau umrissenes Teil-Wissen innerhalb eines Sonderwissensbereiches, das zur Erfüllung seiner Spezialistenfunktion erforderlich ist“ (Pfadenhauer 2002: 115f.). 81 Hitzler (1994) plädiert hinsichtlich des Grades an Kompetenz in der Verfügung und im Umgang mit Sonderwissen für eine weitere Unterscheidung zwischen Spezialisten, Generalisten und Experten.
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informelle Abläufe im professionellen Handlungsfeld des Experten) auch Deutungswissen über kollektive und soziale Orientierungs- und Deutungsmuster umfasst. Experteninterviews können demzufolge auch die Rekonstruktion überindividueller, handlungs- und funktionsspezifisch relevanter Wissensbestände ermöglichen. Ein Teil dieses Wissens ist impliziter Natur,82 d.h. beeinflusst auf der Ebene von Routinen das Denken, Handeln und Entscheiden des Experten in seinem Handlungsfeld und ist somit diskursiv schwer abrufbar, geschweige denn „abfragbar“ (vgl. Liebold/Trinczek 2002; Pfadenhauer 2002). Daraus folgt die Aufgabe der Forschenden, diese impliziten, handlungsleitenden Relevanzsysteme interpretativ zu rekonstruieren (vgl. Meuser/Nagel 1994, 1997). Experteninterviews werden mithilfe eines vom Forscherteam konstruierten Gesprächsleitfadens geführt, in dem forschungsleitende Annahmen sowie theoretisches Vorwissen in thematisch-inhaltlich vorstrukturierter Form eingeflossen sind. Eine leitfadengestützte Gesprächsführung unterstützt die Selbstpräsentation der Interviewer als kompetente Gesprächspartner, vermeidet ein mögliches Abgleiten in Nebensächliches und wird so dem thematisch begrenzten Interesse des Gegenübers gerecht. Die Leitfragen dienen dem Interviewer in erster Linie als Gedächtnisstütze und sollen den Interviewpartner zu einem „Gespräch mit eigenen Relevanzsetzungen“ (Liebold/Trinczek 2002: 43) im Rahmen des Erkenntnisinteresses und des relevanten Problembereichs motivieren (vgl. Meuser/Nagel 1994). Der Leitfaden sichert darüber hinaus die Vergleichbarkeit der Ergebnisse, indem wichtige Fragen vorformuliert und dann allen Befragten gestellt werden können (vgl. Friebertshäuser 1997: 375ff.). Innerhalb der einschlägigen Methodenliteratur wurde bereits früh auf die Gefahren einer unflexiblen bzw. restriktiven Handhabung des Leitfadens im Hinblick auf das für qualitative Forschung grundlegende Offenheitsprinzip hingewiesen (vgl. Hopf 1978, 1982). Ein zu umfangreicher Leitfaden oder auch ein Kleben an seiner Struktur können einen „bürokratischen“ Umgang mit diesem induzieren und damit die angestrebte alltagsnahe Gesprächssituation abschneiden. Vor diesem Hintergrund hat sich innerhalb der qualitativen Forschung ein Konsens hinsichtlich einer flexiblen Handhabung des Leitfadens durchgesetzt: Dies bedeutet im Einzelnen, dass die Anordnung der Themen und Fragen im Leitfaden nicht den Gesprächsablauf determiniert, sondern Themensprünge entlang der Äußerungen des Befragten produktiv sein können und dass – ausgehend vom Leitfaden – möglichst offene, kurze, alltagssprachliche und damit leicht verständliche Fragen formuliert werden sollten (vgl. Hopf 1978; Hermanns 2000; Liebold/Trinczek 2002; Meuser/Nagel 2002; Scholl 2004). 82
Zur Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen vgl. Polanyi 1985; zur Differenz zwischen diskursivem und praktischem Bewusstsein vgl. Giddens 1995: 29–33.
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Vor Beginn des Gesprächs wird der Befragte über das Thema, den Forschungshintergrund, den Projektträger und die Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse aufgeklärt, ohne dass der inhaltliche Verlauf des Gesprächs vorherbestimmt oder Forschungshypothesen benannt werden. Des Weiteren wird das Einverständnis des Befragten für einen Tonbandmitschnitt83 eingeholt und auf die Anonymisierung der Daten hingewiesen (vgl. Lamnek 1989; Hermanns 2000). Am Anfang des Interviews gilt es, eine möglichst vertraute, alltagsähnliche Kommunikationssituation herzustellen. Rollenwechsel müssen interaktiv ermöglicht werden, z.B. durch kleine Bemerkungen, Nachfragen oder Gesten (vgl. Hermanns 2000; Pfadenhauer 2002). Im Gesprächsverlauf wechselt der Interviewer zwischen einer „thematisch-kompetenten Gesprächsinitiierung und leitung sowie einer zurückhaltend-interessierten Haltung“ (Liebold/Trinczek 2002: 43). Scholl (2004: 68f.) nennt unterschiedliche Fragetechniken für das Experteninterview, mit denen der Interviewer den Leitfaden flexibel anwenden kann. Das Gespräch beginnt zunächst mit einführenden Fragen zum Thema. Folgefragen erhalten den Erzählfluss, ein Nachhaken ermöglicht ergänzende und ausweitende Ausführungen des Befragten, während Spezifizierungsfragen zu einer Konkretisierung und beispielhaften Schilderung des Sachverhaltes anregen.84 Diese idealtypischen Empfehlungen zum Interviewerverhalten sind in jüngerer Zeit innerhalb der Methodenliteratur kritisiert worden. Hintergrund der Kritik sind dabei sowohl die Erfahrung problematischer oder gar scheiternder Diskursverläufe85 als auch die Besonderheiten der Kommunikation mit bestimmten Zielgruppen. Bei Experteninterviews mit Managementvertretern etwa empfiehlt sich eine kontextspezifische Anpassung des Interviewerverhaltens an die Erwartungen dieser spezifischen Zielgruppe (vgl. Trinczek 1995; Liebold/Trinczek 2002). Gespräche mit Managern weisen nach Trinczek eine geringere narrative Grundstruktur auf und haben oftmals den Charakter eines fachlichen Dialogs. Die spezifische Erwartungsstruktur im betrieblichen Kontext erfordert sowohl hohe fachliche und soziale Kompetenzen des Interviewers als 83
„Für das Experteninterview ist – soweit dem nicht das explizite Interesse des Interviewpartners entgegensteht – eine Tonbandaufzeichnung zwingend. [...] Protokolle sind nur im Fall verweigerter Aufzeichnung angezeigt, sollten unmittelbar nach dem Interview angefertigt werden, und die Forscher sollten sich deren Status als Material von lediglich sekundärer Qualität bewusst sein“ (Liebold/Trinczek 2002: 47f.). 84 Wesentlich ist nach Scholl die Unterscheidung zwischen Schlüsselfragen (oder Leitfragen) und Eventualfragen. Schlüsselfragen werden aufgrund ihrer Zentralität für das Erkenntnisinteresse und zwecks Vergleichbarkeit allen befragten Experten gestellt, während Eventualfragen eher auf Ergänzungen der Schilderungen des jeweils Befragten zielen. 85 Zu den unterschiedlichen Typologisierungen gelingender und scheiternder Diskursverläufe vgl. Liebold/ Trinczek 2002; Meuser/Nagel 2002.
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auch den Einsatz geeigneter Strategien der Gesprächsführung (vgl. Trinczek 1995).86 Allerdings gibt es auch Risiken des Scheiterns von Gesprächen, die der Interviewer auch durch ein adäquates Interaktionsverhalten nicht ausschließen kann. Neben Geschlechts-, Milieu- und Generationszugehörigkeit können sich der formale Status und die Qualifikation des Interviewers (besonders bei Managern) auf die Gesprächssituation auswirken. Dabei sind widersprüchliche Reaktionen möglich: Es kann vorkommen, dass „unpromovierte Youngsters aus der Wissenschaft“ (Liebold/ Trinczek 2002: 46) nicht für voll genommen werden, oder der Interviewte öffnet sich gerade deshalb stärker gegenüber dem jungen Interviewer, da man ihm Harmlosigkeit unterstellt (vgl. Pfadenhauer 2002: 118ff.). Hinsichtlich der Datenerhebung in Gestalt des Experteninterviews herrscht immer noch ein „archäologisches Modell“ (Bogner/Menz 2002: 47), das die Existenz eines reinen, unverfälschten personalen Expertenwissens unterstellt, die Interventionen des Interviewers zur Hervorlockung desselben primär als Quelle von Störungen und Verzerrungen betrachtet und folglich für eine möglichst neutrale bzw. zurückhaltende Gesprächsführung als „best-practice“ (Trinczek 1995: 60f.) plädiert. Bogner und Menz hingegen heben den produktiven Gehalt solcher „Störungen“ hervor und entwickeln ein Interaktionsmodell, das in Abhängigkeit des Diskursverlaufs unterschiedliche kommunikative Strategien vorschlägt (vgl. Bogner/Menz 2002; Liebold/Trinczek 2002). Festzuhalten bleibt, dass Experteninterviews dem Interviewer selbst eine Fülle beträchtlicher Fähigkeiten abverlangen: ein aktives Zuhören, ein situationsflexibles und kontextspezifisches kommunikatives Verhalten, fachliche und feldbezogene Informiertheit (vgl. Scholl 2004: 69). Die Kurzformel „auf gleicher Augenhöhe reden“ (Pfadenhauer 2002: 125) bezeichnet angesichts zum Teil überraschender Diskursverläufe und nur bedingt kontrollierbarer Rollenzuschreibungen ein Ideal, das sich nicht in jedem Gespräch einlösen lässt. Die Auswertung der im Rahmen dieser Arbeit geführten Experteninterviews zielt in erster Linie auf die Rekonstruktion des für die Fallstudie relevanten Kontext- und Betriebswissens. Die befragten Experten sind sowohl in strategischen Personalfunktionen (in der Konzernzentrale), auf bereichsspezifischer Ebene (im Kompetenzmanagement, der Führungskräfteentwicklung und im konzerneigenen Trainingscenter) als auch in der operativen Personalarbeit (als Ressourcenmana86 „Nicht selten erwarten die Manager von Forschungsteams einen intellektuellen Gedankenaustausch zwischen Wissenschaft und Praxis, bei dem die betrieblichen Akteure ihre Lust am handlungsentlastenden intellektuellen Austausch, am Argumentieren und Diskutieren nachkommen können. Die Interviewer sind in einer solchen Situation dazu angehalten, bewusst Gegenpositionen zu formulieren, sodass der Interviewte seine subjektiven Relevanzsetzungen diskursiv entfalten kann“ (Liebold/Trinczek 2002: 45f.).
179
ger, Gruppen- oder Abteilungsleiter) tätig. Insgesamt wurden 15 leitfadengestützte Experteninterviews mit Personalmanagern und -entwicklern auf den Ebenen Konzernzentrale, Geschäftsbereich und operatives Personalmanagement sowie 3 Betriebsräteinterviews durchgeführt (vgl. Anhang 1 und 4). Diese Interviews dienten einer systematisierenden Erschließung schwer zugänglicher Fakten und Erfahrungen hinsichtlich der Konzepte und Verfahren betrieblicher Personalführung und -entwicklung im Kontext des HRM. Die an einer wissenssoziologischen Perspektive orientierte Auswertungsstrategie zielt auf die Rekonstruktion der überindividuell getroffenen, intersubjektiv relevanten Aussagen über „Repräsentatives, über gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster“ (Meuser/Nagel 2002: 80f.) innerhalb des institutionell-organisatorischen gemeinsamen Funktionskontextes. Die Auswertung der Experteninterviews orientierte sich an den Empfehlungen von Liebold und Trinczek (2002: 48ff.), die drei aufeinander folgende Phasen unterscheiden: erstens Datenaufbereitung, zweitens Interpretation und drittens Feedback an die Befragten. In der Phase der Datenaufbereitung erfolgt auf der Grundlage des Tonbandmitschnitts eine vollständige oder selektive Transkription und Paraphrasierung des Materials. Diese erste Phase ist bereits ein erster Interpretationsschritt, da inhaltliche Kondensierungen vorgenommen werden und das theoretische Vorwissen in die Paraphrasierung einfließt. Darauf folgt dann die inhaltliche Verschlagwortung (Kodierung) durch das Einfügen thematischer Überschriften entlang der Elemente des Leitfadens (deduktiv, vgl. Anlage 6) oder aus dem Text heraus (induktiv) sowie eine Vereinheitlichung der thematischen Überschriften in allen Interviews. Als nächster Schritt erfolgt die Erstellung einer „Fallgestalt“ durch eine entsprechende Verdichtung des Materials: Die Sequenzialität des Textes wird durch querdimensionale thematische Vergleiche einzelner Abschnitte aller vorliegenden Experteninterviews aufgebrochen. Diese Analyseschritte werden unterstützt durch „Atlas-Ti“, ein im Bereich qualitativer Forschung etabliertes Softwareprogramm, mit dem sich das empirische Material aufbereiten, kodieren und durch querdimensionale und thematische Vergleiche analysieren lässt. Ein Changieren zwischen Fallgestalt und querdimensionalem thematischem Vergleich wird dabei durch die Software unterstützt. Ob eher fallspezifisch oder fallübergreifend gearbeitet wird, richtet sich nach dem Erkenntnisinteresse bzw. der Analyseebene. Da im Rahmen der gewählten Untersuchungsstrategie nicht der Einzelfall des Experten, sondern die Rekonstruktion organisationaler Regeln und Prozesse interessierte, wurden nur die im Rahmen querdimensional-thematischer Vergleiche gewonnenen und damit intersubjektiv gültigen Einschätzungen der Experten berücksichtigt (vgl. ebd., 52).
180
3.1.2
Problemzentrierte Interviews
Witzel (2000: 3) charakterisiert das problemzentrierte Interview als „theoriegenerierendes Verfahren“ der qualitativen Datenerhebung und -auswertung. Es trägt dem für qualitative Forschung zentralen Prinzip der Offenheit dadurch Rechnung, dass „die spezifischen Relevanzsetzungen der untersuchten Subjekte insbesondere durch Narrationen angeregt werden“ (Witzel 1996: 53) und dass in der Datenanalyse induktive Elemente (Kodierungen aus dem Material heraus) und deduktive Elemente (theoretisches Vorwissen) miteinander verschränkt werden. Das problemzentrierte Interview zielt insgesamt auf die Explikation und Analyse individueller und kollektiver Handlungsstrukturen, Sinnkriterien und Verarbeitungsmuster gesellschaftlicher Problemstellungen „im Rahmen der Berufs- und Berufsfindungsbiographie“ (Witzel 1982: 67). Es gilt, „die objektiven Rahmenbedingungen zu untersuchen, von denen die betroffenen Individuen abhängig sind, die sie in ihrem Handeln berücksichtigen und für ihre Absichten interpretieren müssen“ (ebd., 68). Dabei werden die Befragten „als Experten ihrer Orientierungen und Handlungen“ (Witzel 2000: 13) betrachtet, da sie als Akteure ihrer biografischen Handlungen und Erfahrungen „die Fakten des individuellen Lebenslaufs durch reflexive Prozesse mit herstellen“ (Witzel 1996: 50f.) und hierüber insofern kompetent Auskunft geben können.87 Drei Prinzipien prägen die Programmatik des problemzentrierten Interviews:
die Thematisierung gesellschaftlich relevanter Problemstellungen und deren theoretische Formulierung unter Einbezug des Vorwissens des Forschers im Vorfeld der Untersuchung („Problemzentrierung“); die Auswahl oder Konstruktion mehrerer Forschungsmethoden, die für den zu untersuchenden Gegenstand geeignet erscheinen, wobei hier das Interview als zentrale Methode hervorgehoben wird („Gegenstandsorientierung“); der methodisch sensible Umgang mit dem Forschungsgegenstand, d.h. ein sich Offenhalten des Forschers gegenüber den schrittweise gewonnenen empirischen Ergebnissen („Prozessorientierung“).
87 Mit Witzel muss der Expertenbegriff aber vorsichtig verwendet werden, da Umdeutungsprozesse der biografischen Vergangenheit aus gegenwärtiger Sicht eine wahrheitsgetreue, objektive Auskunft natürlich einschränken können: „Biographien werden retrospektiv geglättet, weniger um sich dem Interviewer gegenüber ins rechte Licht zu rücken, vielmehr, um dem gegenwärtigen Stand des eigenen Erfahrungs- und Lernprozesses Gewicht zu verleihen bzw. die Vergangenheit umzudeuten, um die Gegenwart lebbar zu machen“ (ebd., 51).
181
Das problemzentrierte Interview folgt dem Prinzip der Methodentriangulation und erlaubt die Kombination unterschiedlicher Erhebungsverfahren: Kurzfragebogen88, leitfadengestütztes Interview89, biografische Methode und Gruppendiskussion. Sinnvoll ist auch der Einbezug von Expertenwissen in Form von Experteninterviews oder teilnehmenden Beobachtungen (vgl. Witzel 1982: 66ff., 2000: 7f.; Friebertshäuser 1997: 379ff.). In der Erhebungssituation soll eine Annäherung an Alltagsituationen erzielt werden, d.h. der Interviewer orientiert sich an der Reflexionsweise, den Sprachgewohnheiten und der Darstellungslogik des Gesprächspartners, wie sie im narrativen Erzählfluss zum Ausdruck kommen. Durch bestimmte Frageformen wird ein problemzentriertes Gespräch entwickelt. Hierbei geht es darum, „in einem Verstehensprozess die originäre Sichtweise des Befragten zu ermitteln und den Gesprächspartner durch Fragen [...] zu einer Problementwicklung in Form der Selbst- und Verhältnisreflexion“ (Witzel 1982: 78; Hervorhebung im Original) anzuregen. Durch entsprechend sensible und Vertrauen schaffende Kommunikationsstrategien können Reflexionsprozesse und Narrationen angeregt und die Entwicklung eines Problemhorizontes durch den Befragten unterstützt werden (vgl. Witzel 1982, 2000).90 Dabei kann zwischen erzählungs- und verständnisgenerierenden Kommunikationsstrategien unterschieden werden (vgl. Witzel 1996, 2000). Erzählungsgenerierende Gesprächstechniken, wie zum Beispiel die Formulierung einer offenen Einleitungsfrage oder Nachfragen, tragen zur „Offenlegung der subjektiven Problemsicht“ und dem „Hervorlocken konkreter Erfahrungsbeispiele“ bei, während verständnisgenerierende Kommunikationsstrategi-
88 Der Kurzfragebogen wird zur Ermittlung sozialdemografisch relevanter Daten der Person eingesetzt und bietet die Möglichkeit, sich im darauffolgenden Interview mithilfe offener Fragen auf die dort gemachten Angaben zum Zwecke einer Vertiefung oder Explikation beziehen zu können (vgl. Witzel 1982: 66ff.). 89 Witzel charakterisiert den Umgang mit dem Leitfaden im Interview überzeugend: „Im Leitfaden sind die Forschungsthemen als Gedächtnisstütze und Orientierungsrahmen zur Sicherung der Vergleichbarkeit der Interviews festgehalten. Darüber hinaus sind einige Frageideen zur Einleitung einzelner Themenbereiche und eine vorformulierte Frage zum Gesprächsbeginn enthalten. Im Idealfall begleitet der Leitfaden den Kommunikationsprozess als eine Art Hintergrundfolie, die zur Kontrolle dient, inwieweit seine einzelnen Elemente im Laufe des Gesprächs behandelt worden sind“ (Witzel 2000: 9; Hervorhebung im Original). 90 „Gerade die Erhebungssituation bekommt bei einer Betrachtung der Sozialisation als komplexen Interaktions- und Interpretationsprozeß einen besonderen Stellenwert zugewiesen. Die Vermittlung von Erfahrungen und Regeln kann nämlich kaum in actu beobachtet werden, sondern muß mit Hilfe der Untersuchten retrospektiv rekonstruiert, in ihrer aktuellen Problematik exploriert und auf antizipierte Handlungszusammenhänge bezogen werden. Daher müssen in der Untersuchungssituation selbst die in dem alltäglichen Umgang der Befragten als Selbstverständlichkeit eingebetteten Bewußtseinsstrukturen und Handlungsintentionen als sozialisatorischer Prozeß sichtbar gemacht werden“ (Witzel 1982: 115).
182
en dem Interviewer ermöglichen, die Angemessenheit seiner Interpretationen in Erfahrung zu bringen (Witzel 2000: 14–17).91 Die Auswertungsmethode der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten problemzentrierten Interviews orientiert sich an den allgemeinen Empfehlungen der Rekonstruktion qualitativer Interviews und Verfahren der Typenbildung (vgl. Witzel 1996; Schmidt 1997; Kelle/Kluge 1999; Kelle 2000). Die Rekonstruktion der Interviews strebt nicht die Erfassung der gesamten Lebenswelt der befragten Person an, sondern beschränkt sich auf Erzählungen, Schilderungen und Erläuterungen von Aspekten, die für die Arbeits- und Berufswelt relevant sind, wobei hierzu auch das gegenwärtige und zukünftig angestrebte Modell alltäglicher Lebensführung zu zählen ist (vgl. Witzel 1982: 75; Kudera/Voß 2000). Die Auswertung des Datenmaterials vollzieht sich über die Durchführung von gründlich angefertigten Einzelfallanalysen mit dem Ziel einer Typisierung bzw. Durchführung konstrastierender Fallvergleiche. Auf der Basis der Interviewtranskripte wird unter Zuhilfenahme des Gesprächsleitfadens (vgl. Anhang 6) sowie den vier Dimensionen der Karrierepolitik (vgl. Kapitel 3.3.2) jedes einzelne Interview als eigenständiger Fall rekonstruiert. Hierzu wird anhand des Transkriptes sowie eines vorab erhobenen kurzbiografischen Fragebogens (vgl. Anhang 5) eine deskriptive Falldarstellung der berufsbiografischen Entwicklung (Phase der Berufsfindung, des Berufsverlaufs bzw. der betrieblichen Karrierestationen) erstellt, die auch „die individuellen Situationsdeutungen sowie Verhaltens- und Entscheidungsbegründungen in unterschiedlichen Handlungskontexten“ sowie „nichtrealisierte Optionen und retrospektive Beurteilungen früherer Handlungsweisen und Deutungen“ enthält (Witzel 1996: 60). Die Rekonstruktion der Fallgestalt orientiert sich an den vier Dimensionen der Karrierepolitik (vgl. Kapitel 3.3.2). Sinn und Zweck dieses Konzeptes ist es in Übereinstimmung mit Witzels Vorgehen, auf der Grundlage vorliegender Daten die Formulierung „einer empirisch gehaltvollen Theorie mittlerer Reichweite“ (Witzel 1996: 64) zu ermöglichen.92 In einem ersten theoriegenerierenden Schritt erfolgt eine themenorientierte Auswertung für jedes Interview. Dabei fasst der Interpretierende die „in den narrativen und dialogförmigen Sequenzen des problemzentrierten Interviews häufiger auftauchenden Themen und Begründungsmuster zu 91
Nachfragen dürfen sich nach Witzel (1982) nicht lediglich darauf beschränken, den Erzählfluss in Gang zu setzen und zu halten (erzählgenerierende Funktion), sondern sie müssen dazu beitragen, dass der Interviewer die Erläuterungen des Befragten verstehend nachvollziehen kann (verständnisgenerierende Funktion). Entsprechende Nachfragen und Ad-hoc-Strategien des Interviewers sind somit keine störende, sondern eine positive Bedingung für eine Klärung subjektiver Sichtweisen. 92 „Die Konstruktion einer solchen Theorie erfolgt auf der Grundlage des Datenmaterials, indem die theoretische Achse mit empirischen Sachverhalten – d.h. den im Untersuchungsfeld anzutreffenden konkreten Handlungsbedingungen, Handlungsstrategien und Handlungsfolgen – ‚aufgefüllt‘ wird“ (ebd.).
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,zentralen Themen‘ zusammen; jedes ,zentrale Thema‘ wird vom Auswerter zu einer prägnanten Aussage verdichtet und verbindet Originaltextstellen, Paraphrasierungen und analytische Aussagen“ (ebd., 65f.; Hervorhebung im Original). Im Anschluss an diesen Schritt gilt es, die „subjektive Logik des Falls“ (ebd.) unter Zuhilfenahme des Konzeptes der Karrierepolitik zu ermitteln. Hierzu werden die individuellen Formen der Auseinandersetzungen und die Entwürfe beruflicher Entwicklung vor dem Hintergrund der „individuellen Aspirationen und wahrgenommenen institutionellen Erwartungen und Anforderungen“ (ebd.) rekonstruiert. Die bisher entwickelten theoretischen Aussagen werden einer Validierung am Text sowie diskursiv innerhalb des Forscherteams unterzogen. In einem systematisch kontrastierenden Fallvergleich werden die einzelnen Interviews in ihrer Spezifik nach dem Prinzip „maximaler und minimaler Kontrastierung“ (Gerhardt, zitiert nach ebd., 68) entlang der Kategorien der Karrierepolitik und ihrer jeweiligen Ausprägungen miteinander verglichen. Dies dient der Entwicklung fallübergreifender zentraler Themen und der Suche nach Querverbindungen. Die auf der Einzelfallebene gewonnenen Orientierungs- und Gestaltungsmuster beruflicher Entwicklung (respektive der Karrierepolitik) werden nun zu einem generalisierbaren und trennscharfen Set an Gestaltungsprinzipien der Karrierepolitik verdichtet und bilden somit die Grundlage für die Typenbildung.
3.1.3
Gruppendiskussion
Der Ursprung des Gruppendiskussionsverfahrens geht auf die von Lewin und seinen Schülern in den 1930er Jahren durchgeführten sozialpsychologischen „Gruppenexperimente“ zurück, in denen Gruppenprozesse und -dynamiken mithilfe eines quantitativ-hypothesenprüfenden Settings erklärt werden sollten (vgl. Lamnek 1998: 17).93 Mit der Anwendung des Gruppendiskussionsverfahrens durch Pollock (1955) am Institut für Sozialforschung in den 1950er Jahren verschiebt sich deren Einsatzbereich hin zu einem qualitativen Erhebungsverfahren. In Abgrenzung zur Markt- und Meinungsforschung betrachtete er öffentliche Meinungen und Einstellungen nicht als „Summenphänomen“ individueller, schon fertiger Meinungen, sondern als Produkt „ständiger Wechselbeziehung zwischen dem Einzelnen und der unmittelbar und mittelbar auf ihn einwirkenden Gesellschaft“ (Pollock 1955: 32). Mangold (1960) schließlich argumentiert, dass sich das Gruppendiskussionsverfahren (mit Ausnahme explorativer Zwecke) nicht für die Untersuchung von Einzelmeinungen, jedoch für die Rekonstruktion 93 Im Bereich der Markt- und Meinungsforschung sind Gruppendiskussionen seit Langem als quantifizierendes, auf Repräsentativität zielendes Instrument zur Erhebung öffentlicher Meinungen und Einstellungen etabliert.
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informeller Gruppenmeinungen sehr gut eignet, und begründet seine Position damit, dass die in Gruppendiskussionen vorgetragenen Einzelmeinungen erst im Rahmen der kollektiven Interaktionssituation evoziert würden und sich deshalb keine sinnvolle Aufspaltung dieses kollektiven Prozesses in individuelle Äußerungen vornehmen ließe (vgl. auch Bohnsack 2000: 125). Bohnsack hingegen hat das Instrument der Gruppendiskussion dadurch entscheidend weiterentwickelt, dass er – abweichend von Mangolds Konzeption der Gruppe als Realgruppe und anlehnend an Mannheims (1971) Konzept konjunktiver Erfahrungsräume – von einem gemeinsamen Erleben der Individuen im Rahmen unterschiedlicher sozialer Milieus ausgeht. Der Ansatz der Gruppendiskussion, wie er seit Bohnsack verstanden wird, zielt auf die Rekonstruktion kollektiver Deutungs-, Orientierungs- und Rechtfertigungsmuster sozialer Akteure in unterschiedlichen gesellschaftlichen und sozialen Handlungsfeldern. Gruppendiskussionen werden als Ort verstanden, an dem die Teilnehmer gemeinsame bzw. „strukturidentische“ Erfahrungen prägnant zum Ausdruck bringen können (vgl. Liebig/Nentwig-Gesemann 2002: 144). Die Durchführung und Auswertung der im Rahmen dieser Arbeit erhobenen zwei Gruppendiskussionen orientieren sich an der „dokumentarische(n) Methode“94, die methodologisch im Kontext rekonstruktiver, interpretativer bzw. offener Verfahren verortet werden kann. Durch den Verzicht auf eine weitgehende Strukturierung der Kommunikation soll den Befragten die Gelegenheit gegeben werden, ein eingegrenztes Thema entsprechend eigener Relevanzsetzungen zu gestalten. Diese Relevanzsetzungen gilt es in einem methodisch kontrollierten Prozess zu rekonstruieren. Gruppendiskussionen ermöglichen es, den Sinngehalt von Meinungsäußerungen Einzelner in einem sozialen und kommunikativen Kontext deutlicher zu rekonstruieren als mit anderen Verfahren (vgl. Bohnsack 2000: 20ff.). Dabei ist davon auszugehen, dass vom Einzelnen in der Gruppendiskussion vorgebrachte Darstellungen und Artikulationen im Diskursprozess nicht nur verändert, sondern auch konstituiert werden (ebd., 129). Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, durch geeignete Methoden im Rahmen der Rekonstruktion von Gruppenmeinungen diesen Prozesscharakter zu berücksichtigen. Die Rekonstruktion von Gruppendiskussionen zielt auf die Analyse solcher „Erlebnis- und Orientierungsmuster, in die der einzelne fraglos und selbstverständlich eingebunden ist“ (ebd., 141), und zwar aufgrund sozialer Zugehörigkeit und geteilter Muster der Erlebnisverarbeitung. Bohnsack (ebd., 75ff.) unterscheidet vier Phasen der Fallrekonstruktion: die „formulierende Interpretation“, die „reflektierende Interpretation“, die „Diskurs94
Bohnsack (2000: 64ff.) knüpft methodologisch unmittelbar an den ursprünglich von Karl Mannheim (1964) geprägten wissenssoziologischen Begriff der „dokumentarischen Methode der Interpretation“ an.
185
oder Fallbeschreibung“ und die „Typenbildung“. Die ersten beiden Schritte der Textinterpretation unterscheiden sich nicht nur durch die Frageperspektive (was versus wie), sondern markieren zugleich die methodologisch „zentrale Leitdifferenz von immanentem und dokumentarischem Sinngehalt“ (ebd., 75; Hervorhebung im Original). Dabei sind die Rekonstruktion und Deutung des Sinngehalts, nicht die Wahrheit und der normative Geltungsanspruch von vorrangigem Interesse. Im ersten Schritt der Fallrekonstruktion (formulierenden Interpretation) erfolgt eine Zusammenfassung der Themen und Unterthemen, die in der Gruppe während des gesamten Diskursverlaufes angesprochen wurden. Dabei ist nach Bohnsack zu vermerken, ob das Thema von der Gruppe oder dem Diskussionsleiter selbst initiiert wurde. Des Weiteren werden Passagen ausgewählt, die zum Gegenstand reflektierender Interpretation werden sollen. Bei der Auswahl orientiert man sich zum einen an der thematischen Relevanz der Passage für die Ausgangsfragestellung (beispielsweise die berufliche Zukunft), zum anderen an der thematischen Vergleichbarkeit mit anderen Passagen aus anderen Diskussionen. Als Nächstes wählt man eine Passage mit besonderer interaktiver und metaphorischer Dichte und einem hohen Engagement der Gruppe aus. Schließlich werden diese Passagen einer detaillierten formulierenden Interpretation unterzogen. Der von Bohnsack als „reflektierende Interpretation“ bezeichnete zweite Analyseschritt zielt auf die Interpretation der durch die Gruppe bei der Themenbehandlung vorgenommenen Weichen- und Problemstellung (Rahmen) und ihren kontrastiven Vergleich mit anderen Gruppen. Eine reflektierende Interpretation berücksichtigt dabei, „dass jene Bedeutungszusammenhänge, jene Orientierungsmuster, die Gegenstand der Interpretation sind, sich prozesshaft im Diskursverlauf entwickeln“ (ebd., 41). Der Interpretierende sucht nach Beschreibungen, Theoretisierungen oder Erzählungen äußernden „Propositionen“, die auf dahinter stehende Orientierungsmuster verweisen. Im Rahmen einer „komparativen Analyse“ benennt er auch Gegenhorizonte (durch den Vergleich mit außerhalb der Gruppe auffindbaren oder gedankenexperimentellen Vorstellungen). Insgesamt steht in diesem Schritt die Besonderheit und Gestalt des Falles im Vordergrund. Es werden sowohl fallübergreifende als auch fallinterne Vergleiche von geäußerten Positionen oder Passagen derselben Diskussion angestellt. In der Fallbeschreibung erfolgt eine knappe Nacherzählung des Diskursverlaufs mit Fokus auf die dramaturgischen Entwicklungen innerhalb der Diskussion, aber auch auf die nicht behandelten Themen. Bohnsack empfiehlt daher, nicht nur die thematisch relevanten Passagen für die Interpretation auszuwählen, sondern auch diejenigen, die im Hinblick auf das Engagement und die metaphorische Dichte einen Höhepunkt bilden. Bei der zusammenfassenden Charakterisierung der Gesamtgestalt des Falles erfolgt also eine Beschreibung der drama-
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turgischen Entwicklung der interpretierten Passagen und ansatzweise auch der Form des Diskurses („Diskursorganisation“). Bohnsack unterscheidet drei dramaturgische Phasen: Themeninitiierung, dramaturgische Steigerungen und Konklusion. An dieser Stelle sollten Zitate von ausgewählten Passagen angeführt werden, um positive oder negative Gegenhorizonte zu belegen und um Dramaturgie und Inhalt zu veranschaulichen (ebd., 155ff.). Im vierten und letzten Schritt der Rekonstruktion erfolgt die Typenbildung. Hier gilt es Zusammenhänge zwischen den subjektiven Orientierungsmustern der Teilnehmer und dem Erlebnis- oder sozialstrukturellen Hintergrund zu identifizieren, die die Konstruktion von Typen rechtfertigen (vgl. ebd., 158ff.).95
3.2 Human Resource-Management im global agierenden industriellen Mischkonzern Der ursprünglich aus einem Familienunternehmen hervorgegangene, Mitte des 19. Jahrhunderts gegründete industrielle Mischkonzern mit Stammsitz in Deutschland gehörte zu den ersten multinationalen Unternehmen Europas und zählt heute zu den weltweit führenden Firmen der Elektrotechnik und Elektronik. Der in mehr als 190 Ländern operierende Konzern wird seit 2001 an der New York Stock Exchange (NYSE) als Aktiengesellschaft geführt und seit Kurzem nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) bilanziert. Von den gegenwärtig weltweit rund 470.000 Mitarbeitern, davon ca. 160.000 in Deutschland, verfügt ungefähr jeweils ein Drittel über einen Hochschulabschluss, einen qualifizierten Berufsabschluss oder einen fachfremden bzw. keinen Berufsabschluss. Gegenwärtig gliedert sich das operative Konzerngeschäft in die Bereiche Automationstechnik, Energieerzeugung und Übertragung, Entwicklung von Verkehrs- und Logistiksystemen, Informations- und Kommunikationstechnologie und Licht- und Medizintechnik. Daneben finden sich vier konzernübergreifende Abteilungen: Finanzwesen, Personalwesen, Technologien und Entwicklungen. In den 1990er Jahren wurde seitens der Konzernführung ein umfassender unternehmenskultureller und geschäftspolitischer Umbruch von einem hierarchisch-bürokratischen Großunternehmen zu einem nach Geschäftssparten organisierten und dem Konzept des Shareholder Value sich verpflichtenden wertorientierten Konzern eingeleitet. Im Zuge dieses massiven unternehmensstrukturellen und -kulturellen Einschnitts veränderten sich nicht nur die Organisations-
95
Dieser Schritt wurde bei den beiden durchgeführten Gruppendiskussionen nicht realisiert, da sich aufgrund der hohen Homogenität der Aussagen der Teilnehmer keine signifikanten Typen rekonstruieren ließen.
187
strukturen des Personalwesens, sondern auch ihr Rollenverständnis und die operative Praxis der Personalführung und -entwicklung in bemerkenswerter Weise.
3.2.1
Restrukturierung und Rollenwandel des Personalmanagements: Vom zentralistischen Administrator zum prozessorientierten Dienstleister
Das Personalmanagement war in der Vergangenheit stark zentralisiert, sodass maßgebliche Entscheidungen bezüglich der Personalpolitik – Einstellung, Entlassung, Entwicklung und Beurteilung – von der Konzernzentrale aus gesteuert wurden. Das damals wie heute im Konzernvorstand vertretene Personalmanagement definierte sich über seine administrative Steuerungs- und Anweisungskompetenz, beispielsweise im Bereich der Besetzung von Führungspositionen: „Und schon haben wir total zentral diese Funktion überregional besetzt. Dann gab ’s sicherlich den regionalen Vorstand, der hat sich noch mal quergelegt, aber der hat zentral von uns die Mitarbeiter mit der passenden Performance gekriegt“ (I 8: 542–544). Dieser zentralistische Planungsansatz beruhte auf bis dahin verhältnismäßig stabilen Organisationsstrukturen und Stellenlandschaften, die die Basis für eine langfristige PE- und Karriereplanung bildeten, ging allerdings einher mit einem hohen bürokratischen Aufwand aufgrund des geringen Grades an Integration der einzelnen Personalprozesse: „Also wir hatten vorher zum Beispiel eine eigene Gehaltslesung, eine eigene Weiterbildungslesung, eine eigene Potenzialstrukturuntersuchung. Also wir haben den gleichen Menschen drei-, vier- oder fünfmal angefasst, immer zu ’nem anderen Aspekt“ (I 9: 814–817). „Man ist durch die Gegend gezogen, hat quasi nur Personalentwicklung gemacht, also für sich gesehen und nicht als Teil eines Ganzen, hat die Leute transparent (gehabt), hat mit den Leuten geredet, doch immer mehr über die Leute, manchmal auch mit diesen, hat dann die Zielvorstellung versucht zu erfragen und hat dann auch vollstreckt“ (I 8: 526–530).
Mit der für das Unternehmen historisch einmaligen Einführung des konzernweit gültigen Systems der Mitarbeiterführung und Personalentwicklung „EFA“ (Entwicklung, Förderung, Anerkennung) und des darauf bezogenen „Führungsrahmens“ im Jahre 1996 wurde ein Paradigmenwechsel im Rollenverständnis, in der Organisation und sukzessive auch in der Praxis der Führungs- und Personalarbeit eingeleitet. Forciert durch die Beschleunigung des Geschäftsprozesses infolge wachsender internationaler Konkurrenz und des voranschreitenden technologischen Wandels, wurde mit dem sogenannten EFA-Prozess ein Großteil der bislang verstreuten bzw. prozessual kaum aufeinander bezogenen Maßnahmen und Instrumente der Personalbeurteilung, der betrieblichen Weiterbildungs- und Karriereplanung, der Gehaltsentwicklung in einer Plattform und einer Systematik 188
vereinheitlicht. Die Einführung von EFA führte zur Dezentralisierung umfangreicher Personalfunktionen (Personalbesetzung, Personalführung und entwicklung, Weiterbildungs- und Karriereplanung) an die Personalreferenten und Führungskräfte in den operativen Geschäftsbereichen und hatte entsprechende personelle Einschnitte im Zentralbereich Personal sowie umfassende Rollenwandel des Personalmanagements zur Folge. Die Substitution des zentralistischbürokratischen Planungsmodus im Bereich der Personalführung und entwicklung durch eine dezentrale Steuerung hat dazu geführt, die Verantwortung für Arbeitsplatzsicherung, lebenslanges Lernen und Karriereplanung vom Personalwesen an Führungskräfte und Mitarbeiter zu übertragen. Der Verzicht auf eine zentralistische Verantwortung für essentielle Personalprozesse wird auch von den befragten Personalmanagern als alternativlos betrachtet, da mit dem beschleunigten Wandel von Markt, Technologie und interner Aufbau- und Ablauforganisation die Grundlagen langfristig kalkulierbarer Personal- und Karriereplanungen unwiederbringlich erodierten: „Weil zentrale Planung setzt ja voraus, [...] dass sie ’ne gewisse [...] Stabilität der Organisationsstrukturen haben. Wenn ich jetzt heute plane, ich würde Sie in drei, vier Jahren irgendwo hinsetzen, da weiß ich heute nicht mal mehr, ob ’s die Funktion noch gibt in drei Jahren“ (Personalmanager der Konzernzentrale, I 8: 324–329). „Und das ist durch die Marktveränderung heute, Global Player, ist dies einfach nicht mehr gegeben, dass wir ’ne Organisation so stark vorhalten können, nur damit die Personalentwicklung zentral funktioniert. Sie hat gut funktioniert, das muss (man) schon sagen, es ist nicht so, dass es nicht funktioniert hat, nur der Mitarbeiter hatte keine Transparenz über die interessanten Stellen, da waren wir als Personalleute unwahrscheinlich wichtig, im wahrsten Sinne des Wortes graue Eminenzen, wir waren die Einzigen, die genau wussten, wo was vakant war, haben auch die Besetzungshoheit gehabt, ist ja auch wichtig, dieses letztlich auch zu besetzen. Das ist heute völlig anders. Heute ist es, wir mussten damals ja aufpassen, da ist eine Gefahr darin, sondern heute ist es das genaue Gegenteil, wir sind nur noch Berater“ (I 8: 546–556).
Der Wandel der Organisationsform der Personalführung und -entwicklung und der beschleunigte qualifikatorische Wandel gehen zugleich einher mit einem grundlegend veränderten Bild des Mitarbeiters. War dieser zuvor primär das Objekt einer mächtigen, undurchsichtigen, aber auch schützenden Instanz in Gestalt der zentralen PE und Karriereplanung, soll er nun zum strategisch handelnden Subjekt seines beruflichen Erfolges und Schicksals im Unternehmen werden, das die Anforderungen volatiler Markt-, Organisations-, Wissens- und Lernanforderungen und die damit einhergehende hochgradige Ungewissheit der beruflichen und persönlichen Zukunft im Unternehmen als persönliche Herausforderung annimmt und eigeninitiativ meistert. An die Stelle des lange Zeit gültigen und bewährten zentralistischen Personalentwicklungs- und Personalpla-
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nungsansatzes tritt (mit Luhmann gesprochen) als funktionales Äquivalent das Leitbild des Mitarbeiters als „Unternehmer seiner Selbst“96. „Wir haben lange Jahre die Philosophie vertreten, jeder ist Unternehmer in eigener Sache und ist selbst dafür verantwortlich, sich weiterzuentwickeln und sich marktfähig zu halten. Und von daher denk ich, ist schon [...] so ’ne Grundeinstellung bei allen Mitarbeitern da, ich bin auch selbst für verantwortlich. Durch diese ganzen Prozesse, die wir etabliert haben, haben wir aber die Verantwortung so auf beide Schultern gelegt, also auf die des Mitarbeiters und die der Führungskraft, indem wir sagen, Führungskraft, du bist im Rahmen deines EFA-Gespräches, ja, verantwortlich, dass du ’n Soll- und ’n Ist-Abgleich machst und daraus auch Maßnahmen ableitest. Natürlich braucht ’s dazu aber auch ’n Mitarbeiter, der eigeninitiativ ist und sagt, ich möchte jetzt ganz gerne dieses tun. Also es ist [...] so ’n Spiel, was beide betrifft. Aber ich denke, so in den Köpfen der Mitarbeiter ist schon hinterlegt, ich bin auch für mich selbst verantwortlich, ich muss selbst sehen, dass ich up to date bleibe“ (I 2: 333–346).
Von den Konzernmitarbeitern wird erwartet, dass sie ein durchweg ökonomisches und aktiv-reflexives Verhältnis zum eigenen Arbeitsvermögen und zu ihrer beruflichen Karriere gewinnen. Über die gesamte Erwerbsbiografie hinweg sollen sie ihr Arbeitsvermögen dem antizipierten oder vollzogenen Wandel von Tätigkeitsanforderungen, Entwicklungswegen und Stellen anpassen. Führungskräfte und Personalentwickler treten nicht mehr als „graue Eminenzen“ (I 8: 335) auf, die von oben herab das berufliche Schicksal des Arbeitnehmers lenken, sondern als persönliche Berater oder Coachs, die die Selbstentwicklung und Selbstvermarktung der Person im Rahmen eines standortübergreifenden bis weltweiten Konzernarbeitsmarktes unterstützen und begleiten. Arbeitsplatzsicherheit und Karriere erscheinen nun nicht mehr so sehr als Resultat bürokratischer Planungsrationalität, sondern werden zu einem individuellen, tendenziell unabschließbaren arbeitsbiografischen Projekt: „Es ist vom Kompetenzaufbau heute so, dass wir sagen: ,Lieber Mitarbeiter, da musst du Unternehmer in eigener Sache sein.‘ Und das ist-, also das ist gravierend zu den Jahren zuvor, wo sich viele Mitarbeiter in bestimmten Geschäftssparten, sicher noch nie allen, wirklich auch sagen konnten: ,Okay, das Know-how hab ich, das reicht.‘ Und das-, das ist heute kaum noch zu finden. Also ich muss als Mitarbeiter eigentlich immer schauen, quasi dass ich mein Wissen aktuell halte, das ist ’ne Daueraufgabe heute, ja. Und das trifft jeden, ja, und auch ohne Aufforderung. Und die, die das im Moment verschlafen, die sind halt dann einfach stärker gefährdet, auch mal in ’ner bestimmten Situation dann getroffen zu sein, weil die das aktuelle Wissen nicht drauf haben, das der Markt grade braucht. Und da ist sehr viel Eigeninitiative eben gefragt, natürlich mit Unterstützung der Führungskräfte“ (I 9: 581–592). 96 Dieser bei den befragten HR-Managern des Konzerns weitverbreitete Begriff des Mitarbeiters als Unternehmer seiner Selbst weist verblüffende Ähnlichkeiten zum Idealtypus des Arbeitskraftunternehmers (oder auch entsprechenden Leitbildern aus der Personalmanagementliteratur, etwa dem Mitarbeiter als Mitunternehmer, vgl. Wunderer 1999) auf und erinnert zugleich an die foucaultorientierten Analysen der Konstruktion bzw. Aktivierung unternehmerischer Bewusstseinsformen (vgl. Kapitel 1.2.3.2 und 1.3).
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Inwieweit Führungskräfte und Mitarbeiter die ihnen zugeschriebenen Verantwortungsmuster und erweiterten Leistungsanforderungen annehmen, wurde im Rahmen der Fallstudie untersucht und ist Gegenstand späterer Erörterung und Diskussion. Welche Auswirkungen hatten die angesprochenen Restrukturierungen zunächst für den Einfluss und die Stellung des Personalwesens im Bereich der Unternehmensführung? Einerseits zeigt sich ein dem Ansatz des HRM entsprechendes hohes Maß an interner Prozessorientierung, die durchaus als Ausdruck einer Professionalisierungstendenz gewertet werden kann. Andererseits konnte der zentrale Personalbereich seinen intramanageriellen Stellenwert nur teilweise behaupten: Er verlor seine zentrale Rolle bei der Stellenbesetzung, behielt jedoch die Gestaltungs- und Richtlinienkompetenz im Hinblick auf die Anpassung und Weiterentwicklung vorhandener PE- und Führungsinstrumente und -prozesse in der Hand und ist nach wie vor im Unternehmensvorstand als gewichtige Stimme repräsentiert. Mit der stärkeren organisationalen Verankerung von Personalmanagementfunktionen in den Geschäftsbereichen vollzog sich ein Rollenwandel zum internen Dienstleister in der Beratung und Begleitung von Personal- und Organisationsentwicklungsprozessen. Da die Geschäftsbereiche und Führungskräfte als selbstbewusste interne Auftraggeber auftreten, entsteht für die PE und betriebliche Weiterbildung (respektive Kompetenzentwicklung) ein hoher Legitimationsdruck: Zwar gewinnen diese qualitativen Personalaufgaben an funktionaler Bedeutung, jedoch erwarten die Auftraggeber einen ökonomisch messbaren Nachweis oder zumindest die Plausibilisierung ihres Beitrags zum Geschäftsergebnis. Diesen Spagat versuchen die Personalbereiche und das konzerninterne Trainingscenter durch eine stärkere Geschäftsprozessorientierung bzw. eine Ökonomisierung der Weiterbildungsinhalte zu bewältigen. Eine Beurteilung des funktionalen und unternehmenspolitischen Stellenwertes und Einflusses des Personalwesens97 muss allerdings in Abhängigkeit von der 97
Zur Unterscheidung von funktionaler und unternehmenspolitischer Bedeutung entlang zweier empirischer Fallstudien zum Rollenwandel des Personalwesens im Restrukturierungsprozess resümieren Kotthof und Matthäi: „Diese Beobachtungen drängen uns zu der Erkenntnis, dass funktionale Bedeutung und (unternehmens-)politische Bedeutung zwei verschiedene Dinge sind, von denen das eine nicht umstandslos in das andere transformiert werden kann. Die Ressource Mensch mag funktional wichtiger geworden sein, das Personalwesen mag nützliche alte und neue Aufgaben lösen, der Verhaltensstil mag den neuen Organisationsstrukturen angemessen sein – all dies wird das Gewicht des Personalmanagements nicht mehren und sein Ansehen im Unternehmen nicht steigern, wenn sein Aktionshorizont sich auf die dezentrale lokale Perspektive einengt und es ihm nicht gelingt, ‚Politik zu machen im Sinne des gedachten Ganzen‘. Die Macht liegt auch im dezentralisierten Unternehmen in der Unternehmensspitze. Wenn das Personalwesen seinen Status erhöhen will, muss es sich doppelseitig orientieren: Es muss bei der Umsetzung von Strategien die Dienstleisterrolle übernehmen, aber es muss vor aller Umsetzung an der Formulierung des Konzernwillens beteiligt sein“ (Kotthof/Matthäi 2001: 65; Hervorhebung im Original).
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jeweiligen Organisations- bzw. Prozessebene wie auch der variierenden Reputation in den jeweiligen Geschäftsbereichen differenziert betrachtet werden. Somit kann pauschal weder eine Auf- noch Abwertung der unternehmenspolitischen Bedeutung der Personalfunktion behauptet werden. Konzernweit ist die Personalorganisation heute in drei Ebenen gegliedert:
Auf oberster Ebene findet sich ein in der Unternehmenszentrale angesiedeltes Personalmanagement („Corporate Personnel“), das konzernweit gültige Grundsätze, Standards und Instrumente der Personalführung, -entwicklung und -beurteilung entwickelt und formuliert. Auf intermediärer Ebene betrifft das geschäftsbereichsspezifisch angesiedelte Center of Competence, in dem Personalreferenten an den jeweiligen Standorten strategische Zielsetzungen des zentralen Personalmanagements in Zusammenarbeit mit den operativen Führungskräften und dem internen Trainingscenter, dem Learning Campus, umsetzen und neben der PE für die Beschäftigen in den Regionen auch Aufgaben wie Führungskräfteunterstützung vor Ort übernehmen. Die untere Ebene betrifft das lokal ansässige Personalwesen, das in Zusammenarbeit mit vier überregionalen Servicecentern neben Maßnahmen wie Personaleinstellungen oder -entlassungen stärker administrative Personalaufgaben im Stile einer Dienstleistungsfabrik übernimmt.
Das konzerninterne HRM, das insgesamt als „Support-Abteilung“ bzw. interner Dienstleister der Geschäftsbereiche agiert, unterscheidet zwischen globalen, regionalen und lokalen HR-Prozessen. Als globale Prozesse sind die Führungskräfteentwicklung und das Kompetenzmanagement definiert; sie werden von einem kleinen Team in der Konzernzentrale aus beschrieben, standardisiert und gesteuert. Die PE für gewerblich Beschäftigte hingegen orientiert sich stärker an den lokalen Bedingungen und Anforderungen des Geschäfts. Das konzernspezifische Konzept des HRM zielt insgesamt auf eine Verzahnung von Geschäftsstrategien und operativen Prozessen der Personal- bzw. Organisationsentwicklung, Personalführung und betrieblichen Weiterbildung: Auf strategischer Ebene werden allgemeine Standards und Prozesse der Personalführung und entwicklung konzipiert, die dann auf operativer Ebene mit dem Ziel einer kontinuierlichen Anpassung der Mitarbeiterkompetenzen an veränderte und zukünftige fachliche und überfachliche Kompetenzanforderungen umgesetzt werden. Ein Kernelement dieses Konzept ist, die Aufteilung der Verantwortlichkeit für Kompetenzentwicklung zwischen Personalmanagern und -referenten, Führungskräften und Mitarbeitern. Zahlreiche Instrumente, Techniken und Prozesse der Personalbeurteilung, Kompetenzentwicklung und Karriereplanung zielen, wie im
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Folgenden ausführlich dargelegt wird, auf eine umfassende Aktivierung der berufsbiografischen Selbstsorge für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und den Verlauf der eigenen beruflichen Karriere.
3.2.2
Handlungsebenen des Human Resource Managemenst
Im Folgenden werden zentrale Konzepte, Prozesse und Instrumente der Personalführung und -entwicklung, differenziert nach den organisationalen Ebenen und den jeweils beteiligten und verantwortlichen Akteuren, dargestellt und analysiert. Vereinfachend lässt sich dabei unterscheiden zwischen einer strategischen, einer intermediären und einer operativen Ebene des HRM.
3.2.2.1
Human Resource-Management auf der Ebene strategischer Unternehmensführung
Im Rahmen der Konzernstrategie werden die Leistungspotenziale und Kompetenzen der Mitarbeiter und insbesondere der Führungskräfte als zentrale Erfolgsfaktoren zur Erreichung der Geschäftsziele bezeichnet. Als allgemeine Geschäftsziele, die sich an den vier Dimensionen der „Balanced Scorecard“98 orientieren, gelten die Umsetzung technologischer Innovationen, die Erzielung hervorragender Finanzergebnisse, hohe Kundenzufriedenheit sowie die Etablierung effizienter Prozesse. In dem konzernweit gültigen Führungsrahmen werden Grundsätze und Leitlinien der Mitarbeiterführung und -entwicklung geregelt und in Beziehung zu den bestehenden PE-Instrumenten gesetzt. Hatten die Erwartungen der Konzernspitze an Führungskräfte vor 1996 noch eher den Charakter allgemeiner Verhaltensgrundsätze (z.B. eines kooperativen Umgangs mit Mitarbeitern), wurde mit der Einführung dieses Regelwerkes die Leistungs- und Führungskompetenz zu einem festen Bestandteil der Führungskräftebeurteilung. Maßnahmen und Instrumente der Kompetenzentwicklung und Zielvereinbarung etablierten sich als feste Bezugssysteme der individuellen Leistungsstimulierung: Dabei wurde die Beurteilung individueller Leistungen und Entwicklungspotenziale mit Einkommens- und Fördermaßnahmen eng gekoppelt.99 Im Zuge dieser 98 Die Balanced Scorecard stellt ein kennziffernbasiertes, mehrdimensionales Instrument der Unternehmensführung dar, das einen expliziten Bezug zu organisationalen Lern- und Entwicklungsprozessen aufweist (vgl. Kaplan/Norton 1997; Diefenbach/Vordank 2005: 201–204). 99 Das integrierte Führungssystem EFA ging aus den 1996 von der Konzernspitze formulierten Führungsleitlinien hervor, die die Aspekte erfolgreicher Führungskräfte im Rahmen von 18 Kompetenzfacetten operationalisierten. In den Jahren 2001 und 2002 wurde der bestehende Führungsrahmen um den Aspekt der Geschäftsorientierung ausgeweitet. Über die vier Ergebnisfelder der Balanced Score-
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konzernweit gültigen Regelungen wie auch der aktuellen Geschäftspolitik nehmen Aktivitäten der Weiterentwicklung und Bewertung der human resources eine wichtige Position im Kontext der Geschäftsstrategie ein. Zu den Kriterien, nach der jede Führungskraft jährlich beurteilt wird, zählen die Dimensionen „Drive“ (Dimension unternehmerischen und geschäftsorientierten Handelns), „Focus“ (analytisch-strategische bzw. problemlösungsbezogene Kompetenz), „Impact“ (personale sozialkommunikative Fähigkeiten, die als Voraussetzung eines erfolgreichen Networking mit in- und externen Geschäftspartnern betrachtet werden) und „Guide“ (Führungskompetenz im Umgang mit Mitarbeitern). Diese Beurteilungsdimensionen und die ihnen zugehörigen Kompetenzfacetten werden als personenbezogene Leistungsvoraussetzungen und Entwicklungsfaktoren in der Bewältigung gegenwärtiger Führungsaufgaben betrachtet. Diese Kompetenzen der Führungskraft sollen durch entsprechend anregende Aufgaben und begleitet durch organisierte Kompetenzentwicklung verbessert werden. Konzernweit existiert eine verpflichtende Vereinbarung, dass für alle außertariflichen Mitarbeiter sowie die obersten beiden Tarifgruppen einmal jährlich EFA-Gespräche stattfinden müssen, wobei das Personalmanagement eine Ausweitung auf die oberen drei Tarifgruppen anstrebt: „Ein FHAbsolvent wird bei uns normalerweise in der dritthöchsten Tarifgruppe eingestellt. Er ist im Endeffekt in diesem EFA-Prozess von Anfang an dabei“ (I 9: 508f.). Wesentliche Zielgruppen des elaborierten Systems der PE und Karriereplanung sind Führungskräfte, Projektmanager und technische Experten. Vertreter der zentralen Personalabteilung schätzen, dass EFA etwa 20% der Gesamtbelegschaft des Konzerns abdeckt, in vielen Geschäftsbereichen mit hohem Akademikergrad sogar wesentlich mehr. In der Konzernzentrale besitzt EFA einen Abdeckungsgrad von rund 75% der dort Beschäftigten (vgl. I 9: 498). Ein befragter Personalentwickler erklärt sich die Etablierung des EFA-Prozesses im Führungsalltag damit, dass seine Durchführung nicht nur verbindlichen Charakter hat, sondern zugleich im Interesse von Führungskraft und Mitarbeiter liegt, da Beförderungen oder gehaltliche Verbesserungen nur auf Grundlage des dokumentierten EFA-Gespräches erfolgen. Mit tariflich Beschäftigten unterhalb der beiden obersten Tarifgruppen finden jährliche Gespräche zwischen Vorgesetzten und ihren Mitarbeitern über Arbeitsergebnisse und Verbesserungsmöglichkeiten auf individueller oder organisationaler Ebene statt. Diese Mitarbeitergespräche sind bereits seit Ende der 1970er Jahre fester Bestandteil der Beurteilung und Kommunikation von betrieblichen Leistungserwartungen mit den Beschäftigten: Auch hier werden – über die Leistungsbeurteilung entlang vereinbarter Ziele und
card schließlich wurde ein Bezug zu individuellen und funktionsspezifischen Zielvereinbarungen hergestellt.
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Stellenanforderungen hinaus – Weiterbildungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten besprochen und dokumentiert.
3.2.2.2
Karriere- und Kompetenzentwicklung als Knotenpunkte strategischer und operativer Personalarbeit
Zu den Aufgabenschwerpunkten des bereichsspezifisch angesiedelten Kompetenzmanagements („Center of Competence“) zählen das „Recruiting“ (Auswahl von Personal und Auszubildenden), „Development“ (Entwicklung von Methoden und Instrumenten der PE und Laufbahnplanung), „Learning“ (Maßnahmen der Kompetenzentwicklung und betrieblichen Weiterbildung) und „Education“ (Ausbildung) mit weltweiter strategischer Ausrichtung. Das Center of Competence wird von einem bereichsspezifisch verantwortlichen „Competency Officer“ geleitet, der zentralen Kontaktperson zum konzerneigenen Trainingscenter und zu den Führungskräften des Geschäftsbereichs. Jedes Geschäftsgebiet verfügt darüber hinaus über einen Stab von Personalreferenten, die gemeinsam mit dem Competency Officer und den Führungskräften eine strategische Personalplanung für ihren Bereich durchführen und die Umsetzung von bereichsspezifischen Strategien begleiten. Die Referate Personal bzw. Center of Competence verstehen sich dabei als kundenorientierte Dienstleister, als „das Bindeglied zwischen der Zentrale auf der einen Seite, die den Rahmen setzt für den Gesamtkonzern, und den Umsetzungen bei unserem speziell uns zugeordneten Kunden“ (I 9: 5). Angestrebt wird dabei eine enge Verzahnung zwischen Geschäfts- und Personalstrategie. Kunden- und Geschäftsprozessorientierung bedeuten für das Kompetenzmanagement konkret, dass sich Strategien der Kompetenzentwicklung an den Anforderungen des jeweiligen Geschäftsprozesses (Märkte, Technologien, Innovationszyklen, interne Organisation) ausrichten müssen. Das durch lange Laufzeiten geprägte Geschäft der Errichtung oder Instandhaltung großtechnischer Anlagen der Energieerzeugung hat dabei ganz andere Anforderungen als beispielsweise das kurz- und schnelllebige Produktgeschäft im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. An der Schnittstelle zwischen regionalem Kompetenzmanagement und strategischem HRM entspinnt sich ein „ständiger Kampf [...] um die Globalprozesse“ (I 4: 322–323). Die Auseinandersetzungen resultieren aus der Kluft zwischen den auf strategischer Ebene definierten Standards und den regional und lokal variierenden Anforderungen des operativen Geschäfts. Aus Sicht der regionalen Personalreferenten und Kompetenzmanager offenbart sich dabei ein oftmals beträchtliches Maß an Unwissenheit der strategischen HR-Einheiten gegenüber dem operativen Alltagsgeschäft: „Aber die wissen überhaupt nicht, was bei uns jetzt lokal los ist“ (I 4:
195
332), und es ist „viel Kommunikation, viel Überzeugungskraft notwendig“ (I 4: 328), um zu einer Einigung zu kommen. Der Prozess des Kompetenzmanagements zielt auf eine flexible Anpassung des verfügbaren Personal- und Arbeitsvermögens an die Geschäftsstrategien. Einmal jährlich wird von der Bereichsleitung auf Basis des verfügbaren Budgets und der Entwicklung der Geschäftszahlen ein Geschäftsplan erstellt, in dem unter Mitwirkung der Personalreferenten Kompetenzen und Innovationsziele definiert werden, die zur Realisierung der Geschäftsstrategie der kommenden zwei bis fünf Jahre als notwendig erachtet werden. Diese quantitative und qualitative Bedarfsdefinition wirkt sich unmittelbar auf die Stellenlandschaft des Geschäftsbereichs und die Tätigkeitsprofile aus: Aus ihr leitet sich ab, welche Stellen und Tätigkeiten benötigt werden, wie sich die Kompetenz- und Wissensanforderungen an die Arbeitskräfte verändern und welche Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten sich dort eröffnen oder verschließen. Korrespondierend zu dieser Bedarfsdefinition wird mithilfe des EFA-Prozesses überprüft, was „wir momentan an Kompetenz, an Kernfunktionen, an Skills im Hause“ (I 4: 234) haben. Zur Realisierung der Unternehmensstrategie werden neben Maßnahmen der Personalrekrutierung oder der Personal- und Organisationsentwicklung auch alternative Wege offen diskutiert. Hierzu zählt beispielsweise auch, „dass wir [...] ein anderes Unternehmen kaufen, weil es halt billiger ist und diese Lücke zu groß ist, (um sie) mit Weiterbildungsmaßnahmen und anderen Entwicklungsmaßnahmen zu schließen“ (I 4: 236–238), sodass erwogen wird, „dass man sich auch trennt von bestimmten Einheiten“ (I 4: 240). Korrespondierend zur geschäftsstrategieorientierten Personal- und Kompetenzbedarfsplanung wird eine potenzialorientierte Kompetenzentwicklungsstrategie formuliert. Diese knüpft unmittelbar an den sogenannten EFA-Prozess an (neben dem EFA-Gespräch und sogenannten EFA-Runden, die einer Selektion von Nachwuchsführungskräften und sonstigen Potenzialträgern mit Förderbedarf dienen). Im Folgenden werden die Kernelemente des EFA-Prozesses rekonstruiert, der das Herzstück einer auf das Individuum bezogenen Kompetenz- und Karriereentwicklung für Führungskräfte, Projektmanager und -mitarbeiter sowie technischen Experten bildet. Zielgruppenspezifische Unterschiede der Personalbeurteilung, Karriere- und Kompetenzentwicklung werden in einem darauf folgenden Schritt dargelegt. Der Konzern verfügt über ein unternehmensinternes Trainingscenter (Learning Campus), das nach einer umfassenden Restrukturierung und Neufokussierung der Bildungsangebote heute den Status eines konzerninternen Servicedienstleisters für Kompetenzentwicklung und Weiterbildung hat. Sein Geschäftsauftrag lautet, bereichsübergreifend geschäftsprozessrelevante Wissensbestände und Kompetenzen zu bündeln, didaktisch und methodisch aufzubereiten
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und durch zielgruppenspezifisch zugeschnittene Seminare und Trainings zu vermitteln. Das bedeutet, dass mit Ausnahme hochgradig spezialisierter fachbezogener, aber nicht unternehmensspezifischer Produktschulungen, Seminare oder Informationsveranstaltungen (zu Themen wie Umweltschutz, Qualität oder Arbeitssicherheit) alle anderen Weiterbildungs- und Trainingsmaßnahmen innerbetrieblich konzipiert, durchgeführt und von den internen Auftraggebern gebucht werden.100 Das Trainingscenter bietet grundsätzlich zwei Formen der Kompetenzentwicklung an:
Aus strategischen Konzernzielen werden standardisierte Maßnahmen der Kompetenzentwicklung abgeleitet. Hierzu zählen Schulungen im Bereich Marketing, Vertrieb, Qualitätsmanagement, Problemlösungs- und Entscheidungstechniken, Methoden des Softwareengineerings, des betrieblichen Innovationsmanagements oder der Prozessoptimierung. Intern zertifizierte und modularisierte Trainings für den Führungskräfte- und Projektmanagementnachwuchs sollen eine Karriere- und Kompetenzentwicklung nach einheitlichen Bildungsinhalten gewährleisten (vgl. ausführlicher Kapitel 3.2.2.2). Entlang der Bedarfe der nachfragenden Geschäftsbereiche und Führungskräfte werden Maßnahmen zur Weiterentwicklung fach- und persönlichkeitsbezogener Kompetenzen entwickelt (Projektgeschäft). Grundsätzlich sollen diese einen klaren Bezug zu gegenwärtigen und künftigen Anforderungen der Arbeitsaufgabe haben. Die Maßnahmen der Kompetenzentwicklung und Wissensvermittlung orientieren sich dabei am jeweiligen Bildungsbedarf einer Organisationseinheit, Gruppe oder teilnehmenden Person.101
In beiden Angebotsformen zeigt sich ein Bedeutungsverlust der klassischen Vermittlung formalisierten Wissens im Rahmen von Präsenzunterricht zugunsten arbeitsprozessbezogener Lernformen und des Einsatzes elektronischer Kommunikationsmedien. In- und externe Trainer und Berater konzipieren Trainings entlang der praxisrelevanten Bedarfe der Geschäftsbereiche, Regionen und der Unternehmenszentrale. Die Trainings finden dabei überwiegend während der Arbeitszeit statt. Der zeitliche Anspruch auf Weiterbildung für tarifvertraglich 100
Für die Durchführung fachlicher Weiterbildungen (z.B. Produktschulungen, Technologieseminare oder Informationsveranstaltungen zu rechtlichen Themen) hingegen werden von den Geschäftsbereichen entweder externe Trainer beauftragt oder aber Experten der Fachabteilungen eingesetzt. 101 Im Rahmen von Seminaren, Einzel- und Teamcoachings, individueller Beratung, ChangeManagement-Teams oder Trainings werden betriebswirtschaftliche Themen (z.B. Strategie, Controlling, Logistik), Methoden der Personalführung und -entwicklung, der Kommunikation und Zusammenarbeit oder auch Sprachkurse angeboten.
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beschäftigte Mitarbeiter ist in manchen Geschäftsbereichen in einer Betriebsvereinbarung geregelt: Jeder Mitarbeiter hat dann in der Regel einen Anspruch auf fünfzig Stunden Weiterbildung pro Jahr. In den nicht durch den Servicetarifvertrag abgedeckten Bereichen hängt die Intensität der Investition in Mitarbeiterweiterbildung von der Förderbereitschaft der Führungskraft und dem finanziellen Spielraum des Geschäftsbereichs ab: Beide bilden sozusagen das institutionelle „Nadelöhr“ in der Weiterentwicklung und -vermarktung des Personal- und Arbeitsvermögens. Ein Thema der Interviews war auch die Frage nach dem Transfer entsprechender Wissensbestände und Kompetenzen in die betriebliche Praxis bzw. in das individuelle Arbeitshandeln. Damit angesprochen sind Fragen zum Lernverständnis der Organisation, aber auch Mechanismen der Evaluation und Legitimation betrieblicher Bildungsaktivitäten im Kontext des Bildungscontrollings (vgl. Kapitel 2.4.2.4). Die in Kapitel 2 entlang der Literatur formulierte These einer starken Ökonomisierung und gleichzeitiger Professionalisierung betrieblicher Personal- und Weiterbildungsarbeit im Kontext des HRM lässt sich anhand der Ergebnisse dieser Fallstudie bestätigen, obgleich hierzu einige Differenzierungen vorgenommen werden können. Eine quantitativ ausgerichtete Variante des Bildungscontrollings, die mithilfe von Kennziffern den ökonomischen Erfolg von Bildungsmaßnahmen nachzuweisen versucht, konnte sich bislang nicht etablieren. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Aussagekraft entsprechend quantifizierender Verfahren aus Sicht der Personalorganisation als gering eingeschätzt wird, obgleich einige Personalmanager daran Interesse zeigten. Entsprechende Versuche, das vorhandene „intellektuelle Kapital“ zu messen und in Bezug zur Entwicklung des Börsenwertes des Unternehmens zu bringen, scheiterten nicht zuletzt im Zuge des Zusammenbruchs der New Economy. Erfolgsmessungen anhand vermeintlich objektiver Kriterien werden aus Sicht der Personalorganisation darüber hinaus mit der gelebten Unternehmens- und Führungskultur als nicht vereinbar gesehen, da sie „zuviel Kontrolle zum Ausdruck bringen“ und einem „stressfreien Lernen“ nicht zuträglich sind (I 3: 1136–1137, 1139). Eine eindeutige Attribution der Ursachen von Verhaltensänderungen ist aufgrund der komplexen Interdependenzen zwischen Personen- und Umweltfaktoren zudem kaum möglich: „Es gab Versuche, eine Art Bildungscontrolling zu machen. Die Messbarkeit ist sehr schwer. Und man kann auch immer nur einen losen Zusammenhang vermuten zwischen einer Trainingsmaßnahme und dem Erfolg einer Handlung, denn die ist ja nicht nur durch das individuelle Bemühen und die Fähigkeiten bestimmt, sondern auch durch die Umstände. Hinzu kommt, dass Lernen in Seminaren, wie auch immer, ein Stück weit Laborsituation nutzt. Kann ich von einem Setting, das nun ganz anders ist als die Arbeitsumgebung, auch wenn es versucht, sie zu simulieren, das dort erworbene Wissen unmittelbar umsetzen? Lassen mich die anderen eigentlich anders werden, wenn ich von einem Seminar wiederkomme? Das sind ja alles Faktoren,
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die den Transfer von Wissen in Handlung und damit in veränderte Ergebnisse beeinflussen. Ich bin, was das Bildungscontrolling anbetrifft, sehr skeptisch“ (I 3: 1057–1068).
Evaluationen der Qualität der angebotenen Seminare und Trainings werden bislang auf der Grundlage von Feedback-Bögen der Teilnehmer durch Trainingscenter selbst durchgeführt. Da sowohl das Messniveau bzw. die Güte der abgefragten Daten insgesamt eher niedrig ist und keine externe Evaluation durchgeführt wird, erscheint der Personalorganisation der Erkenntniswert entsprechender Statistiken „etwas dürftig“ (I 3: 1156). Auch bei den vom jeweiligen Geschäftsbereich finanzierten Maßnahmen mit hoher Priorität (Führungskräfte- und Projektmanagementtrainings) wird auf strukturierte und elaborierte Evaluationsverfahren verzichtet. Stattdessen erfolgt ein mündliches und unstrukturiertes Feedback des Mitarbeiters an seinen Vorgesetzten über die Qualität und Praxisrelevanz der besuchten Maßnahme, insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit eines Lerntransfers. Anstelle von systematischen Lerntransferkontrolle oder kennziffernorientierten Bildungscontrollings äußert sich das bildungsökonomische Denken eher in dem Anspruch auf Kostentransparenz und Verbesserung des Anregungs- und Lerngehalts von Trainingsmaßnahmen. Durch die Aufnahme authentischer Trainingsmethoden (z.B. Action Learning, Business Labs) und Follow-up-Gespräche soll sich der Prozess der Wissensvermittlung möglichst real an den Anforderungen der Arbeitssituation orientieren, um auf diese Weise die Transferierbarkeit erworbenen Wissens und Könnens zu verbessern (vgl. I 3: 1121ff.).102 Anstelle minutiöser und objektivierender Lerntransferkontrollen setzt das Unternehmen auf professionelle und möglichst realitätsnahe Trainingsangebote und Lernformen. Dadurch soll produktives Lernen ermöglicht und die Übertragbarkeit des Gelernten in die Praxis verbessert werden. Da der Lerntransfer größtenteils von der Fähigkeit und Bereitschaft der Beschäftigten abhängt, sich neues 102
Im Rahmen von Action Learning werden die Teilnehmer aufgefordert, „möglichst reale Praxisfälle in die Seminare hineinzutragen“ (I 4:1278–1279). Der Lernprozess wird vom Trainer angeleitet und durch Phasen der gemeinsamen Reflexion des Handelns einer bewussten individuellen und kollektiven Auseinandersetzung zugänglich gemacht. Im Rahmen von Business Labs setzen die Teilnehmer nach entsprechender theoretischer Schulung einen interdisziplinär angelegten Teilschritt eines realen Projektes gemeinsam um. Follow-up-Gespräche sollen den Lerntransfer auf der persönlichen Verhaltensebene verbessern und bedienen sich dabei spezifischer Reflexionstechniken: „Es gibt im Verhaltensbereich zum Beispiel Follow-up-Gespräche. Die Mitarbeiter werden aufgefordert, in die Trainings persönliche Probleme aus der Praxis oder eben berufliche Probleme, Probleme im Umgang mit ihren zu führenden Mitarbeitern mitzubringen und im Seminar dann zum Problem zu machen, dann sprechen alle darüber. Es werden Situationen simuliert, wie man mit schwierigen Mitarbeitern Konfliktgespräche führen kann. Dann geht derjenige mit diesen Erfahrungen zurück in die Praxis, wendet das an und sechs oder acht Wochen später gibt es wieder ein Follow-up, wo die Trainingsteilnehmer dann darüber reflektieren. Also auch solche Methoden kommen zur Anwendung, und das trägt dann zur Verbesserung des Lerntransfers bei“ (I 4, 1125–1135).
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Wissen und veränderte Verhaltensweisen anzueignen und im Arbeitsumfeld umzusetzen, stößt das betriebliche Kompetenzmanagement hier auf deutliche Grenzen der Beeinflussung: „Hoffentlich dreht sich das Lernrad danach weiter, dass der Lernprozess sich fortsetzt und der Erkenntnis- [...] oder Bewusstseinsprozess sich im Zweifel weiterträgt“ (I 3: 1371, 1357–1359). Das HRM setzt voraus, dass die individuelle Bereitschaft zur konsequenten Anpassung und Weiterentwicklung des eigenen Arbeitsvermögens prinzipiell vorhanden ist bzw. durch entsprechende Trainingsmaßnahmen und Beurteilungs- und Entwicklungsgespräche „angeregt“ werden kann: „Wir können vonseiten der HR-Organisation uns nicht neben die Mitarbeiter stellen und sagen, lerne jetzt. Wir müssen voraussetzen, dass das ’ne innere Bereitschaft ist, die jeder mitbringt, natürlich auch ’ne gewisse Metafähigkeit, wenn Sie so wollen. Und wenn das nicht der Fall wäre, macht sich ein Unternehmen und damit die Mitarbeiter selber früher oder später wettbewerbsunfähig“ (I 3: 1405–1409).
Ein Großteil der Verantwortung für Lernerfolg, Entwicklung der Kompetenz eines lebenslangen Lernens und Karriere wurde im Zuge der bereits angesprochenen Reorganisationsprozesse und des Rollenwandels der Personalorganisation dezentralisiert und liegt heute bei den Führungskräften und Mitarbeitern. Im folgenden wird zunächst das konzernweit gültige Verfahren individueller Personalbeurteilung und –entwicklung dargelegt und analysiert. Im Anschluß werden dann die betrieblichen Strategien und Maßnahmen der Karriere- und Kompetenzentwicklung für den Führungs-, Projekt- und Fachnachwuchs beschrieben. Das jährlich stattfindende Verfahren individueller Personalbeurteilung und entwicklung (EFA-Prozess) vollzieht sich in drei aufeinander aufbauenden Stufen: „Selbstevaluation“ eigener Vorstellungen und Potenziale beruflicher Entwicklung; Quervergleich individueller Leistungen, Potenziale und Fördermaßnahmen im Rahmen von Personaldurchsprachen zwischen Führungskräften und regional ansässigen Personalreferenten (EFA-Runde); Beurteilungs- und Fördergespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter (EFA-Gespräch). Diese vormals personell, organisatorisch und datentechnisch getrennten Prozesse werden damit in einem einheitlichen informationellen und kommunikativen Raum zusammengefasst. Evaluationen personaler Fähigkeiten und Potenziale erfolgen dabei in der Regel mit diskursiven Verfahren. Der Maßstab zur Beurteilung individueller Leistungen und Kompetenzen wird aus zwei unterschiedlichen Bezugssystemen gewonnen: zum einen die im Führungsrahmen (Leadership Framework) definierten überfachlichen Fähigkeiten, zum anderen die funktionsspezifischen bzw. stellenbezogenen Aufgaben- und Verantwortungsbereiche, Wissensund Kompetenzanforderungen. Die in Jobprofilen fixierten tätigkeitsspezifischen Anforderungen an einen Stelleninhaber ergeben sich aus der Matrix200
Aufbauorganisation des jeweiligen Geschäftsbereiches und der damit verbundenen Stellenlandschaft. Für jeden Unternehmensbereich werden spezifische Funktionen aufgeführt (technische Aufgaben, Vertrieb, Forschung und Entwicklung, General Management etc.) und als „Job-Families“ klassifiziert. Diesen JobFamilies werden bestimmte Tätigkeitsprofile (Jobs) zugeordnet.103 In einer sogenannten Entwicklungslandkarte ist die Positionierung der Jobs dargestellt: Sie gibt dem einzelnen Beschäftigten Aufschluss über seine Karrieremöglichkeiten und die dazu erforderlichen Kompetenzen und Entwicklungsschritte. Die Kernsystematik des EFA-Prozesses besteht in einer sogenannten GapAnalyse, in der sich Fremd- und Selbstbeurteilung der Leistungen, Kompetenzen und Entwicklungspotenziale von Mitarbeitern auf komplexe Weise verschränken. Im Folgenden werden die drei Stufen dieses Prozesses näher beschrieben: 1. Stufe des EFA-Prozesses – Selbstevaluation des Mitarbeiters: Der Mitarbeiter bereitet sich intensiv auf das Gespräch vor, indem er sich selbst mithilfe eines Fragebogens dahingehend beurteilt, inwieweit er gegenwärtig die Tätigkeitsanforderungen erfüllt, wo er seinen Trainingsbedarf sieht und welche Schritte des persönlichen Kompetenzaufbaus angestrebt werden. Jedes Anforderungsprofil einer Tätigkeit im Konzern bezieht sich auf ein konzernweit einheitliches Kompetenzmodell und betrifft folgende Dimensionen und Kategorien:
die Kurzbeschreibung der Tätigkeit, der zuständigen Organisationseinheit, der Kooperationspartner wie auch der Kennziffern, an denen der Stelleninhaber gemessen wird (z.B. die Einhaltung von Terminen oder die Ablieferung funktionsfähiger Anlagen); den Verantwortungsbereich und die Aufgaben (z.B. Inbetriebnahme von Anlagen, Einweisung des Kundenpersonals, Führungsverantwortung), differenziert nach dem jeweiligen Grad der Verantwortung, der Aufgabenprioritäten und den Kriterien ihrer Messung; die für die Stellenausübung erforderlichen Kenntnisse bzw. Kompetenzen (fachlicher, organisatorischer und kommunikativer Art: z.B. Automatisierungstechnik, Projekt- und Qualitätsmanagement, Konfliktfähigkeit, Gesprächsführung); den zeitlichen Umfang beruflicher, projekt- und personalführungsbezogener und interkultureller Erfahrungen; die Auswahl der im Führungsrahmen definierten 17 personellen Fähigkeiten (z.B. Teamfähigkeit, Kundenorientierung, Analyse- und Lernfähigkeit);
103
Entsprechend der fachlichen Spezialisierung lässt sich beispielsweise zwischen einem Software Engineer und einem Hardware Engineer unterscheiden, hinsichtlich der Führungsverantwortung und erforderlichen Berufserfahrung zwischen einem Senior Engineer und einem Chief Engineer.
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die qualifikatorischen Eingangsvoraussetzungen (im Falle des Ingenieurs ein FH- oder Universitätsabschluss).
2. Stufe des EFA-Prozesses – Identifizierung von Potenzialträgern: In der EFARunde diskutieren und verhandeln Führungskräfte aus zwei Hierarchieebenen mit am Standort angesiedelten Personalreferenten und -beratern die Leistungen und Entwicklungspotenziale ausgewählter Mitarbeiter und definieren einen organisationalen und individuellen Rahmen für entsprechende Förder-, Karriereund Gehaltsmaßnahmen und eine einheitliche Entwicklungslandkarte für den jeweiligen Geschäftsbereich. Der EFA-Runde vorgelagert ist die Möglichkeit des Mitarbeiters, gegenüber der Führungskraft im Vorfeld seine Wünsche beruflicher Weiterentwicklung und Förderung zu artikulieren. Diese sind ihrerseits angehalten, sich umfassend auf die Personaldurchsprachen vorzubereiten, indem sie eine erste Beurteilung der Leistungen und Potenziale eines jeden Mitarbeiters vornehmen und auf dieser Grundlage Vorschläge für individuelle Fördermaßnahmen im Hinblick auf den Kompetenzaufbau und das Einkommen formulieren. Zur Unterstützung dieses Prozesses hat jede Führungskraft Zugriff auf ein intranetbasiertes Tool, mit dessen Hilfe entsprechende Quervergleiche der Leistungen und Entwicklungspotenziale vorgenommen werden können. In der EFA-Runde präsentiert dann die untere Ebene der Führungskräfte die ihrer Ansicht nach förderungsfähigen Mitarbeiter ihren Vorgesetzten auf Basis der Leistungs-, Kompetenz- und Potenzialbeurteilung. In großer Runde wird dann diskutiert und verhandelt, „wie die berufliche Entwicklung sich im Einzelfall gestalten kann, ob es überhaupt im Interesse des Mitarbeiters oder der Firma ist, hier einen Karrierepfad mit besonderer Richtung einzuschlagen. Und es werden dann alle Einkommensmaßnahmen besprochen, mit denen man praktisch die Zielerreichung belohnen möchte bzw. bestätigen möchte. Und die Personalabteilung hat hier eine beratende Funktion. Wir organisieren diese EFA-Runden, wir moderieren sie und beraten Führungskräfte auch hinsichtlich Potenzialeinschätzung oder aber auch bei Uneinigkeiten hinsichtlich einer adäquaten Gestaltung des individuellen Karrierepfades“ (I 3: 163–171).
Als Grundlage des Quervergleichs der Mitarbeiter dienen sogenannte Personalportfolios. Es erfolgt eine Klassifizierung und Positionierung der Mitarbeiter auf Basis einer Leistungs- und Potenzialbeurteilung der Führungskraft in einer VierFelder-Matrix.104 Mithilfe dieser Visualisierungstechnik werden die in der EFARunde zu besprechenden Mitarbeiter in Abhängigkeit ihrer Leistungen und Entwicklungspotenziale in drei unterschiedlich behandelte Gruppen aufgeteilt: „Mitarbeiter mit Verbesserungsbedarf“ – „Leistungsträger“ (die zahlenmäßig 104 Zu Konzept und Funktionsweise von Personalportfolios im Rahmen des strategischen HRM vgl. Kapitel 2.3.1.1.
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größte Gruppe) – „Spitzenkräfte“. Die Basis der kollektiven Zuordnung eines Mitarbeiters bildet der sich aus der Vorabbeurteilung durch die jeweilige Führungskraft ergebende Punktewert aus Zielerreichungsgrad und vorhandenen Fähigkeiten. Der Punktewert wird von der Runde entweder einvernehmlich übernommen, oder es kommt nach entsprechenden Diskussionen und Verhandlungen zu entsprechenden Korrekturen und damit zu Verschiebungen innerhalb der Matrix. Ziel des Diskussions- und Aushandlungsprozesses ist es, die unmittelbare Durchsetzung von Abteilungsegoismen und Patronage einzudämmen, die abteilungsübergreifende Allokation von Personal zu unterstützen und die Objektivität der Personalbeurteilung und der darauf bezogenen Fördermaßnahmen zu erhöhen: „Ja, aber es geht auch darum zu sehen, welche Mitarbeiter gibt es in anderen Abteilungen, der ist gut und der ist am Ende auch zum Austausch, den müsste ich weiterentwickeln, was kann man jetzt machen. Dann sagt der andere, gut, bei mir wäre es perfekt zum Weiterentwickeln. [...] Und die subjektive Betrachtung, die früher sehr, sehr stark verbreitet war von den Führungskräften zu den Mitarbeitern hin, dieser Nasenfaktor, der soll dadurch möglichst weitestgehend ausgeschlossen werden“ (I 37: 496–499, 814–816).
Der Diskussions- und Aushandlungsprozess soll wahrnehmungs- und persönlichkeitsbedingte sowie interessengeleitete Einflüsse auf die Leistungs- und Kompetenzbeurteilung relativieren. Die subjektive Bewertung Einzelner durch Einzelne soll mit der sozialen Rationalität eines kommunikativ und auf betriebliche Ziele wie auf individuelle Entwicklungsziele ausgerichteten Beurteilungsund Förderungsprozesses abgeglichen werden. Die mikropolitische Prägung dieser kollektiven Aushandlungen ist offensichtlich, soll jedoch durch die Herstellung eines Gruppenkonsenses und das korrigierende Eingreifen der Personalberater abgeschwächt. „Klar, die Führungskräfte möchten immer das Beste für ihre eigenen Mitarbeiter herausholen, aber letztendlich überwiegt dann eigentlich, dass so ein Ausgleich da ist. [...] Diese Argumente kommen, seit zwei Jahren, der Schulze von dem hat jedes Jahr und mein Meier hat seit zwei Jahren nichts, jetzt müssen wir doch dem auch noch was geben. Dann kommt es durchaus vor, dass wir sagen: ,Nein, es gibt nichts, keinen Cent.‘ Und das musst du gegenüber der Führungskraft vertreten und auch argumentieren (I 37: 500–502, 865–869).
In der Verhandlungspraxis hat sich dabei im Laufe der Jahre herausgestellt, dass Potenzialaussagen und daran geknüpfte Karriereplanungen, Förder- und Gehaltsmaßnahmen in erster Linie für die „best performer“ vorgenommen werden. Die breite Masse der Mitarbeiter, die sich im Spektrum der „Leistungsträger“ bewegt und für die keine Potenzialaussage formuliert wurde, wird zeitlich nur sehr knapp besprochen und verhandelt: Beurteilte Personen werden der Gruppe „Mitarbeiter mit Verbesserungsbedarf“ entweder dann zugeordnet, wenn sie
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aufgrund ihrer jetzigen Leistungen oder noch nicht genügend ausgebildeter Fähigkeiten unterhalb der betrieblichen Erwartungen liegen, ihnen aber grundsätzlich ein hohes Entwicklungspotenzial zugeschrieben wird oder aber man von einer insgesamt stabil bleibenden Leistungsfähigkeit und Kompetenz unterhalb der betrieblichen Erwartungen ausgeht. Für den letzten Fall liegen im Rahmen der Interviews keine klaren Aussagen vor. Es kann jedoch vermutet werden, dass dauerhafte „Underperformer“ über kurz oder lang das Unternehmen verlassen müssen. Hier ist es aus Sicht der Führungskräfte und Personalberater „natürlich schwieriger im Gespräch, aber es führt auch üblicherweise zu einer Verbesserung. Es heißt ja nicht, dass der hier immer da ist. Wo man sagt, ja, der war letztes Jahr schon da, der Verbesserungsmensch, den haben wir dieses Jahr wieder da. Sondern nee, es wird eigentlich, entgegen dem, was sie so suggeriert hatten, wird da Schwamm darüber gemacht, das war früher, jetzt haben wir neue Ziele, ein neues Jahr. Was ist passiert? Und das bewerten wir jetzt. Und darauf gibt es auch die Gehaltsentwicklung. Und nächstes Jahr fangen wir wieder von vorne an. Neues Spiel, neues Glück. Man kann also heute Spitzenkandidat sein, nächstes Jahr Verbesserungskandidat“ (I 38: 360–368).
3. Stufe des EFA-Prozesses – Ableitung von Maßnahmen der Kompetenz- und Karriereentwicklung auf Grundlage einer individuellen Leistungs- und Potenzialbeurteilung: Im Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter werden erst im Anschluss an die EFA-Runde der persönliche Weiterentwicklungsbedarf, die zukünftigen Aufgaben, Ziele und Entwicklungsschritte sowie gehaltliche Entwicklungsmöglichkeiten verhandelt und vereinbart. Die Selbsteinschätzung des Mitarbeiters (Schritt 1) bildet die Basis für den Gesprächseinstieg, in dem der Personalvorgesetzte seine Sicht auf die Leistungen und Entwicklungspotenziale des Mitarbeiters erläutert. Der Prozess der Beurteilung und Entwicklung individueller Kompetenzen wird durch ein DV-basiertes „Ressourcenmanagement-Tool“ unterstützt, das in Form eines komplexen individuellen Kompetenzprofils die Technologiefähigkeiten und DV-Kenntnisse, die Branchen- und Kundenkenntnisse sowie die Performance des Mitarbeiters abbildet. Aus diesem können dann entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen abgeleitet werden. Ziel ist es, in gegenseitigem Einvernehmen Selbst- und Fremdeinschätzung miteinander abzugleichen. Am Ende des Gesprächs werden erbrachte Leistungen beurteilt, zukünftige Leistungsziele definiert und Weiterbildungsmaßnahmen oder mögliche Karriereschritte schriftlich dokumentiert. Welche Maßnahmen der Kompetenzentwicklung und Karriereplanung formuliert und umgesetzt werden, hängt dabei nicht nur vom Einzelfall ab, sondern ist in maßgeblicher Weise durch betriebliche Strategien, Konzepte und Kriterien der Karriere- und Kompetenzentwicklung für unterschiedliche Zielgruppen und Laufbahnmuster bestimmt.
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Ausgehend von den Primärzielgruppen von EFA (Führungskräfte und Führungsnachwuchs, Projektmitarbeiter und -manager sowie betriebliche Experten mit Hochschulabschluss), kann grundsätzlich zwischen drei Laufbahnen unterschieden werden, mit denen jeweils unterschiedliche Strategien und Konzepte der Karriere- und Kompetenzentwicklung verbunden sind: 1. Management- bzw. Führungslaufbahn: Angehende und amtierende Führungskräfte105 bewegen sich innerhalb der Managementlaufbahn. Auf Basis der jährlichen Leistungs- und Potenzialeinschätzung106 identifiziert der jeweilige Geschäftsbereich in enger Zusammenarbeit mit den Personalreferenten Mitarbeiter mit entsprechendem Weiterentwicklungspotenzial. Wesentliche fachübergreifende Voraussetzungen dafür, dass Mitarbeiter als Potenzialträger eine Führungslaufbahn einschlagen können und ihnen entsprechende Aufstiegs- und Fördermöglichkeiten eröffnet werden, sind die individuelle Bereitschaft zu überregionaler bis hin zu weltweiter Mobilität und eine zeitlich flexible Einsatzbereitschaft. Die Beurteilung der Führungsperformance erfolgt dabei nicht nur durch den Vorgesetzten, sondern auch durch die der Führungskraft unterstellten Mitarbeiter. Dieses seit mehr als zehn Jahren etablierte „Aufwärtsfeedback“ findet einmal im Jahr statt und ist gemeinsam „mit den Betriebsräten entwickelt worden“ (I 9: 137). Von den Mitarbeitern wird erwartet, konkrete Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten, die dann Grundlage einer gegenseitigen Aushandlung von Maßnahmen wird, deren Umsetzung dann nach ungefähr drei Monaten überprüft wird. Das Aufwärtsfeedback wirkt sich auf die Formulierung des Weiterentwicklungsbedarfs der Führungskraft durch dessen Vorgesetzten sowie gehalts- und karrierebezogene Entwicklungsmöglichkeiten aus. Ziel des Feedbacks ist es nach Angabe der Personalorganisation, „gemeinsam zu sehen, was tut unserem Team gut, welchen Anteil hat natürlich die Führungskraft dabei“ (I 9: 143–144).107 Der 105
Der Begriff „Führungskraft“ darf dabei nicht zu eng ausgelegt werden. Hierunter fallen auch Personen, die nur temporär Führungsaufgaben übernehmen, oder tarifliche Mitarbeiter unmittelbar nach dem Berufseinstieg. Diese Zielgruppe ist somit keineswegs als quantitativ zu vernachlässigende Größe anzusehen. 106 Diese Potenzialeinschätzung wird im Rahmen eines zweitägigen Assessmentcenters noch einmal überprüft. Der jeweilige Potenzialträger muss dabei bestimmte Aufgaben einzeln und im Team lösen und hinsichtlich seines Verhaltens und der erzielten Resultate von Top-Führungskräften beobachtet und anschließend beurteilt werden. Die zu beurteilende Person erhält ein ausführliches Feedback, und es werden bei Bedarf individuelle Entwicklungsmaßnahmen eingeleitet. Das Votum der Führungskräfte entscheidet letztlich darüber, ob die Person den eingeschlagenen Weg innerhalb der Führungslaufbahn fortsetzen kann. 107 Das Feedback findet aus Gründen des Mitarbeiterschutzes nur im Team mit mehr als fünf Mitgliedern statt und erfolgt dabei entweder Face-to-Face – unterstützt durch einen neutralen Moderator (aus der Personalorganisation oder Sozialberatung oder durch einen externen Psychologen) – oder wird der Führungskraft sowie ihrem Vorgesetzten anonymisiert übermittelt.
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Zeithorizont der Karriereplanung und PE variiert dabei stark in Abhängigkeit von Position und Potenzialaussage. Auch wenn die jährlichen Personaldurchsprachen und Beurteilungsrunden im Rahmen des EFA-Prozesses auf Geschäftsbereichsebene stattfinden, beschränken sich die Karrieremöglichkeiten und entsprechenden Planungsinstrumente keineswegs auf den jeweiligen Geschäftsbereich, sondern schließen den konzernweiten und damit globalen internen Stellenmarkt mit ein. In Gestalt einer intranetbasierten virtuellen Personalakte werden die gegenwärtige Leistungsbeurteilung, die geplanten nächsten Entwicklungsschritte und das anvisierte Entwicklungsziel (z.B. General Manager) allen Personalverantwortlichen konzern- und weltweit zugänglich gemacht.108 Eines der dahinter stehenden Ziele ist die geschäftsbereichsübergreifende, globale Allokation der human resources, wobei der Fokus auf der obersten Tarifgruppe und den außertariflichen Mitarbeitern liegt. Allerdings wird von dieser Möglichkeit nach Angaben einiger Personalverantwortlicher bislang so gut wie kein Gebrauch gemacht, da Stellen nach wie vor primär über persönliche Kontakte oder interne Stellenausschreibungen besetzt werden. Die Umsetzung von Kompetenzentwicklungsmaßnahmen im Bereich der Führungskarriere hingegen ist insgesamt stark formalisiert und beruht auf den vom Learning Campus angebotenen Management Learning Programs und den bereichsspezifischen Entwicklungsprogrammen für den Führungsnachwuchs. Die Absolvierung der internen Führungskräfteseminare ist obligatorisch für die Ausübung einer Führungsposition. Entsprechend der Erfahrung und der Hierarchieebene des Teilnehmers existieren dazugehörige Trainingsmodule, die in Abhängigkeit vom individuellen Entwicklungsbedarf angeboten werden und entweder einzeln oder als Programm absolviert werden. Bei Absolvierung aller Module erhalten die Teilnehmer ein Bildungszertifikat, das Grundlage der Ausübung einer Führungsaufgabe auf der nächsthöheren Managementebene ist. Neben der Präsentation von konzernweit gültigen Richtlinien des HRM, des Führungsrahmens und des Gehaltssystems wird in den Seminaren insbesondere das individuelle Führungsverhalten trainiert und unter Anleitung durch den Trainer oder Mentor reflektiert. Die spezifischen Inhalte der insgesamt vier Programme leiten sich aus den strategischen Unternehmenszielen sowie den zielgruppenabhängigen Wissens- und Kompetenzanforderungen an Führungskräfte der jeweils angestrebten nächsthöheren Laufbahnstufe ab:
Mitarbeiter, denen ein Potenzial für eine Führungsaufgabe zugesprochen wird, durchlaufen ein Einführungsprogramm, in dem neben Grundlagenwis-
108 Im Rahmen dieser Datei, die als Tool der Stellenbesetzung und Karriereplanung dient, ist beispielsweise auch vermerkt, zu welchem Zeitpunkt die betreffende Person für die angestrebte Aufgabe bzw. Position zur Verfügung steht.
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sen in den Bereichen Personalführung, Projektmanagement, Finanzierung und Bilanzierung auch die Selbstmanagement- und Teamfähigkeiten der Person entwickelt werden. Hierzu erfolgt eine Einschätzung des persönlichen Entwicklungspotenzials und eine darauf aufbauende Karriereplanung. Mitarbeitern, die kurz vor oder nach der Übernahme der ersten Führungsaufgabe stehen, sollen im Rahmen des „Development Programs“ ihre Führungs- und Managementfähigkeiten ausbauen, indem sie sich mit Themen der strategischen Unternehmens- und Personalführung vertieft auseinandersetzen. Manager mit mehrjähriger Führungserfahrung in einer Funktion werden bei entsprechendem Potenzial auf eine funktionsübergreifende Managementaufgabe (General Management) oder die Einnahme einer wichtigen Stabsstelle vorbereitet. Das Managementprogramm zielt darauf, die unternehmerischen Kompetenzen der Person weiterzuentwickeln. Auf oberster Ebene existiert ein Entwicklungsprogramm für Manager, denen das Potenzial für die Übernahme einer herausgehobenen Funktion im Konzern zugesprochen wurde. Die Teilnehmer werden durch die Vermittlung spezifischer Wissensbestände im Bereich der strategischen Unternehmensführung mit den Anforderungen einer Leitungsfunktion über Bereichsund Ländergrenzen hinweg vorbereitet.
Alle vier Programme mit einer Laufzeit von jeweils einem Jahr beruhen auf einer engen Verzahnung von Arbeiten und Lernen. Zunächst vermitteln erfahrene Manager des Konzerns sowie renommierte Hochschullehrer internationaler Business Schools im Rahmen von Workshops Wissen zu geschäfts- und personalführungsrelevanten Themen. Im Kontext eines durch E-Learning-Tools unterstützten Selbststudiums oder in virtuellen Teams wird dann gemeinsam an der Lösung zielgruppenspezifischer Aufgaben gearbeitet. Im Rahmen bereichsübergreifender internationaler Projektteams schließlich bearbeiten die Teilnehmer konkrete Problemstellungen des Unternehmens. Von diesen Business Impacts wird erwartet, dass sie einen messbaren Erfolg für das Geschäft und die Zielerreichung der Unternehmensprogramme haben. Ergebnisse und Lernerfolge werden im Intranet veröffentlicht und sind somit für Konzernmitarbeiter abrufbar. Im Kern zielen alle Führungsseminare auf die „Erweiterung der Reflexionsfähigkeit“ als Grundlage eines erfolgreichen Führungsverhaltens und stehen bereits am Beginn des organisationalen Sozialisationsprozesses von Führungskräften: „Das beginnt mit einem Seminar, in dem zu einer Zeit, in der jemand noch gar keine Führungsaufgabe hat, das Bewusstsein sensibilisiert wird für das Erleben einer Führungssituation. Führungsfähigkeiten entwickeln und erfahren heißt das Seminar. Dort wird sehr viel mit Selbstreflexion gearbeitet, das steht ohnehin bei allen Seminaren im Vordergrund, also hier [...] be-
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leuchtet das eigene Verhaltensprogramm, inwieweit dies durch Persönlichkeitsmerkmale ein Stück weit gesteuert wird, welches also die natürlichen Verhaltenstendenzen sind, denen man so folgt. Und es wird das Bewusstsein geschaffen, dass es neben dem, was man persönlichkeitsbedingt so gerne tut und wie man sich verhält, auch noch andere Verhaltensoptionen gibt. Flexibilität im Führungsverhalten zu erzeugen und ein Bewusstsein über die Wirkung seines eigenen Verhaltens auf andere ist wesentliches Ziel dieser Führungstrainings“ (I 3: 195–206).
Entsprechende Personalführungs- und Verhaltenstrainings sind prinzipiell auch für Nicht-Führungskräfte zugänglich, konzentrieren sich aber auf die Gruppe der Führungskräfte, da der Konzern von diesen aufgrund ihrer Verantwortung ein besonders hohes Maß an Sensibilität und Kompetenz erwartet.109 Die Personalorganisation betont zugleich den prestigeträchtigen Charakter der Teilnahme an Management Learnings. Viele Mitarbeiter sehen darin eine persönliche Auszeichnung bzw. Belohnung für ihre erbrachten Leistungen und Potenziale und fühlen sich dementsprechend einem elitären Zirkel zugehörig. Im untersuchten Geschäftsbereich wird – ergänzend zum Management Learning Programm – für einen kleinen, handverlesenen Kreis von Potenzialträgern ein zweijähriges Entwicklungsprogramm durchgeführt. Die für eine General Management-Laufbahn oder eine gehobene Position im Projektmanagement vorgeschlagenen Personen absolvieren insgesamt fünf dreitätige, durch Mentoren begleitete PE-Module (Workshops, Präsentationen zu laufenden Projekte etc.) und treffen in regelmäßigen Zeitabständen die Top-Manager des Geschäftsbereichs. In informeller Runde werden Personalthemen (insbesondere Stellenbesetzungen) besprochen. Zukünftige Potenzialträger haben die Möglichkeit, sich dort den höheren und Top-Managern vorzustellen und können für die Besetzung internationaler Projekt- oder Managementstellen vorgeschlagen werden. Der Geschäftsbereich versucht auf diese Weise, den einseitigen Kaminkarrieren durch breitere, querfunktionale Karrieren zu begegnen und schätzt die Herstellung persönlicher Vertrautheit zwischen Top-Managern und den Nachwuchskräften, was insbesondere aufgrund der überwiegend internen Rekrutierung von großer Bedeutung ist. 2. Projektlaufbahn: Analog zur Führungskräftelaufbahn bzw. der Management Learning-Programme hat die Personalorganisation eine Projektlaufbahn etabliert. Sie richtet sich an in Projektfunktionen tätige Mitarbeiter mit oder ohne Führungsverantwortung, die in der Regel eine kaufmännische Ausbildung oder ein betriebswirtschaftliches Studium absolviert haben, an Absolventen der konzerneigenen Technikerakademie (im Rahmen der dualen Berufsausbildung) sowie an 109 „Dass die Führungskraft im Fokus des Interesses von Trainingsprogrammen steht, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass eine Führungskraft ja über mehr Macht verfügt und damit auch über mehr Verantwortung, Verantwortung als Korrelat von Macht. Und da ist man natürlich besonders dran interessiert, dass die Fähigkeiten in einer Weise ausgeprägt sind, dass mit dieser Macht auch verantwortungsvoll umgegangen wird, und dazu gehört Reflexionsvermögen“ (I 3: 349–355).
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geneigte und geeignete Ingenieure. Wurden Projektmitarbeiter in der jüngeren Vergangenheit noch per Ernennung durch den Vorgesetzten zum Projektmanager befördert, hat sich nun seit einigen Jahren eine stärkere Formalisierung der Förderkriterien im Rahmen der Projektlaufbahn durchgesetzt, die zu einheitlichen und verbindlichen Standards der Karriere- und Kompetenzentwicklung führte. Auf der untersten Stufe der Projektkarriere befinden sich Projektmitarbeiter, die z.B. als Termin-, Qualitäts- oder Claimmanager eng umrissene Teilaufgaben und -prozesse eines Projektes durchführen und überwachen und entlang markt- und ergebnisorientierter Kennziffern beurteilt werden. Die Aufgaben sind hier primär organisatorischer Art und erfordern neben der sicheren Beherrschung von Methoden des Projektmanagements fundierte betriebswirtschaftliche Kenntnisse sowie sozialkommunikative, auf Personalführung, Moderation und Konfliktmanagement bezogene Kompetenzen. Aspekte wie Durchsetzungs- und Entscheidungsfähigkeit, Ergebnis- und Kundenorientierung und Planungs- und Organisationsgeschick sind wesentliche subjektbezogene Kompetenzanforderungen im Rahmen der Projektkarriere. Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Projektlaufbahn (aufsteigend mit den Stufen Project Manager, Senior Project Manager und Project Director) sind nicht nur von den individuellen Leistungen, Kompetenzen und der Projekterfahrung abhängig, sondern auch von der Größe und den Risiken künftig zu verantwortender Projekte. Beförderungen bedingen zudem die erfolgreiche Absolvierung eines Projektmanagementprogramms, dessen Inhalte auf die Aufgaben und Verantwortungsbereiche der jeweiligen Laufbahnstufe abgestimmt sind und durch die internen Trainingscenter durchgeführt und zertifiziert werden. Bereits auf der untersten Stufe eines Projektmitarbeiters existiert ein auf die Kompetenz- und Wissensanforderungen der Position zugeschnittenes Curriculum. Bei erfolgreicher Absolvierung aller erforderlicher Module erhält der Mitarbeiter ein konzernweit anerkanntes Bildungszertifikat, dessen Besitz wiederum Voraussetzung für die Ausübung der nächsthöheren Stufe innerhalb der Projektkarriere ist.110 Die Entwicklungsprogramme erstrecken sich über einen Zeitraum von vier bis neun Monaten und vermitteln über Präsenztraining und arbeitsprozessintegrierte Lernformen, ergänzt um Coaching und Erfahrungsaustausch, relevante Instrumente, Methoden und interne Standards des Projektmanagements. Die Aneignung arbeitsprozessrelevanter Kenntnisse und Erfahrungen in der praktischen Arbeitstätigkeit wird auf diese Weise ergänzt um umfangreiche Methodenkenntnisse, technologisches Fachwissen sowie fachübergreifende Kompetenzen. Ziel dieser engen zeitlichen und inhaltlichen Kopplung der Kompetenz- und Karriereentwicklung im Bereich der Projektlaufbahn ist es, eine dem 110 Alternativ können auch einzelne Module eines Curriculums besucht werden, die die fachlichen, methodischen und sozialkommunikativen Kompetenzen eines Mitarbeiters erweitern, ohne eine entsprechende interne Zertifizierung zur Folge zu haben.
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quantitativen Personalbedarf entsprechend hohe Professionalität der Projektleiter sicherzustellen und deren Leistungen bereichsübergreifend vergleichen zu können. 3. Fachlaufbahn: Zum Zeitpunkt der Interviews arbeitete der Konzern an der Professionalisierung und symbolischen Aufwertung der Fach- bzw. Expertenlaufbahn, die bis dahin aus Sicht der Personalorganisation, vieler Führungskräfte und Mitarbeiter hinsichtlich der Systematizität ihrer Planung und ihres Prestiges nicht in dem Maße entwickelt war wie die Führungs- und Projektmanagementlaufbahn. Während Stellen im Kontext von Führungs- und Projektlaufbahnen überwiegend konzernintern besetzt werden, orientiert sich die Rekrutierung des technischen Spezialisten- und Expertennachwuchses stärker am Angebot des externen Arbeitsmarktes. Die Möglichkeit der technischen Mitarbeiter und Ingenieure, eine Expertenlaufbahn einzuschlagen, hängt dabei stark von der Organisationsstruktur der einzelnen Standorte ab. Die Fachlaufbahn zeichnet sich insgesamt durch einen deutlich geringeren Grad an Formalisierung und Planung in der Kompetenz- und Karriereentwicklung aus. Zwar sind auch hier Aufstiegswege bzw. Entwicklungsstufen definiert (vom Techniker zum Engineer, vom Ingenieur zum Senior Engineer oder Chief Engineer), jedoch sind Beförderungen primär an den Erwerb erfahrungs- und arbeitsprozessgebundener technologischer Fähigkeiten gekoppelt. Während der formalisierten Weiterbildung im Bereich der Führungskräfteentwicklung eine zentrale Rolle in der Vermittlung entsprechender Führungskompetenzen und konzernweiter Standards zukommt, dominieren in den technischen Bereichen der Ingenieurarbeit nur begrenzt formalisierbare, stark an die praktische Ausübung und Aneignung im Arbeitsprozess gebundene Wissens- und Kompetenzanforderungen: „Aber diese alten erfahrenen Hasen, die wirklich in ein Kraftwerk reinkommen und hören, da stimmt etwas nicht, da ist ein Störungsfall, das kann man nicht mit einem Kurs oder auch einem Seminar oder was auch immer kann man nicht lernen, das muss man erfahren“ (I 4: 555– 558).
Formalisierte Formen der Wissensvermittlung haben innerhalb der Fachlaufbahn eine ergänzende Funktion.111 Der Kompetenzerwerb vollzieht sich überwiegend in der Projektarbeit selbst und impliziert die Aneignung von Erfahrungswissen und praktischer Problemlösefähigkeit durch eine schrittweise Ausweitung von Kompetenz und Verantwortung über viele Berufsjahre hinweg. Die universitär vermittelten Kenntnisse und Wissensbestände im Ingenieurbereich werden dabei
111 „80% von was jemand lernt, findet im täglichen Geschäft statt und 20% über Weiterbildungsmaßnahmen“ (I 4: 524–526).
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als notwendige, aber keinesfalls hinreichende Wissensbasis zur Bewältigung der fachlichen Anforderungen innerhalb der Berufspraxis betrachtet: „Wenn jemand von der Uni kommt, ein Maschinenbauer oder Elektrotechniker, fängt hier an und weiß zuerst einmal gar nichts. Wir trösten die auch, also schöne Grundkenntnisse, aber letztendlich vom Geschäft wissen sie natürlich überhaupt nichts. Also da gibt es bestimmte auch, ja, Lerntrajekte, die dann aufgesetzt werden, wo so ein Neueinsteiger verschiedene Stationen durchläuft, also Job Rotation-Trajekte, Expertentrajekte, wo dem doch ein sehr breites Wissen von einem [...] Kraftwerk vermittelt wird. Erschrecken Sie sich nicht bei unserem Geschäft, ich wehre mich auch immer dagegen und hab das am Anfang auch nicht geglaubt, aber es dauert zehn bis fünfzehn Jahre, bevor man diese Schritte durchlaufen hat“ (I 4: 537–547).
Am Beginn dieser langjährigen, individuell höchst unterschiedlich verlaufenden Lerntrajekte stehen mehrwöchige theoretische Schulungen, die durch erfahrene Mitarbeiter (Paten, Mentoren) der jeweiligen Fachabteilung durchgeführt werden. Nach kurzer Zeit haben die Neueinsteiger Gelegenheit, ihr theoretisches Grundwissen in einem ersten Projekteinsatz zeitnah anzuwenden und zu erweitern. Durch Aufgaben- und Tätigkeitswechsel und eine schrittweise Ausweitung der technischen und organisatorischen Verantwortung vor Ort erfolgt dem Ideal nach ein stufenförmiger Ausbau des technisch-technologischen Erfahrungswissens und der relevanten Problemlösekompetenzen. Dies lässt sich exemplarisch an der Tätigkeitsbeschreibung eines Inbetriebsetzungsingenieurs nachvollziehen. Seine Aufgabe bezieht sich schwerpunktmäßig auf die Inbetriebsetzung von konzerninternen Anlagen, Geräten oder Systemen beim Kunden und auf die Betreuung der technischen Applikationen, die Beseitigung von Störungen und die Einweisung des Kundenpersonals. Zur kompetenten Ausführung dieser Aufgaben benötigt der Stelleninhaber fortgeschrittene Fachkenntnisse der Automatisierungs-, Elektro- oder Antriebstechnik, entsprechend tiefe Produktkenntnisse und Grundlagenkenntnisse in den Bereichen Arbeitssicherheit, Projektmanagementmethoden und Methoden der Gesprächsführung. Neben entsprechender Berufserfahrung werden personenbezogene Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Kundenorientierung oder Analysefähigkeit als zentrale stellenspezifische Kompetenzanforderungen aufgeführt.
3.2.2.3
Operatives Human Resource-Management im Kontext globaler Projektleiharbeit
Im Folgenden wird herausgearbeitet, wie die beschriebenen Strategien, Instrumente und Prozesse des HRM im Rahmen der operativen Personalarbeit interpretiert und den dortigen geschäfts- und personalpolitischen Anforderungen angepasst werden. Am Gegenstand der untersuchten Konzerneinheit lassen sich 211
die Möglichkeiten und Grenzen des Personalmanagements im Bereich hoch qualifizierter, wissensintensiver Leiharbeit und der globalen Projektarbeit idealtypisch analysieren. Auch das Tätigkeitsfeld ist für die arbeits- und industriesoziologische Diskussion um die Flexibilisierung, Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit ausgesprochen interessant. Die dort vorgefundenen Arbeitsbedingungen lassen sich nicht als Normalarbeit im klassischen Sinne charakterisieren, denn sie sind geradezu paradigmatisch durch einen entgrenzten Zugriff auf die Flexibilitätsbereitschaft und subjektgebundenen Leistungspotenziale der Beschäftigten geprägt. Techniker, Ingenieure und kaufmännische Angestellte werden hier im Kontext globaler Projektarbeit mit sehr hohen Kompetenz-, Flexibilitäts-, Mobilitäts- und Lernanforderungen konfrontiert und bewegen sich in äußerst unstetigen und vermarktlichten Organisationsstrukturen. Dieses Untersuchungsfeld ist aber weit weniger ungewöhnlich, als es zunächst anmutet, denn Flexibilisierungs- und Globalisierungstendenzen prägen die Arbeit und beruflichen Anforderungen vieler Ingenieure.112 Die Anforderungen an das operative Personalmanagement wie auch die Arbeit und Entwicklungsmöglichkeiten der untersuchten Beschäftigtengruppen werden in starkem Ausmaß durch die betrieblichen Organisationsstrukturen und das ihnen zugrundeliegende Geschäftsmodell bestimmt. Die untersuchte Geschäftseinheit ist Teil eines am größten Standort des Konzerns angesiedelten Geschäftsbereiches, der als weltweit tätiger Systemlieferant und Dienstleister für großtechnische Industrieanlagen und Infrastruktur in Branchen wie etwa Metallurgie, Wasseraufbereitung, Zellstoff und Papier, Öl und Gas oder auch der Logistik und Verkehrssysteme tätig ist. Sie fungiert als interner Personaldienstleister in der temporären Vermittlung von hoch qualifizierten und spezialisierten Projektmitarbeitern an die Verbundpartner des Konzerns (Body Leasing). Die technischen Dienstleistungen, die die Mitarbeiter dort globusumspannend erbringen, betreffen den „gesamten Lebenszyklus von Systemen und Anlagen“ und beziehen sich auf Aufgaben in der Energieerzeugung, -übertragung, verteilung und -infrastruktur, in der Informationstechnologie und in der Entwicklung von Verkehrs- und Logistiksystemen. Das Tätigkeitsspektrum der ca. 1.300 Mitarbeiter in den fünf Abteilungen umfasst dabei die gesamte Abwicklungskette großer Projekte im In- und Ausland mit Tätigkeiten als Projekt- oder Bauleiter in der Entwicklung, Inbetriebsetzung, Modernisierung und Wartung großtechnischer Industrieanlagen. Im Zuge einer Reorganisation im Jahre 2002 wurde das Geschäftsmodell neu ausgerichtet. Zuvor bestand die Möglichkeit, neben der internen Personalvermittlung auch Projektaufträge am externen Markt, d.h. di112 Vgl. Jansen/Riemer 2003; vgl. auch die Ergebnisse der Studie „In Search of Global Engineering Excellence. Educating the Next Generation of Engineers for the Global Workplace“ unter http://www.global-engineering-excellence.org/uuid/ 21bcd408cf1d47f8690f39a5e51bdf7e.
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rekt bei Endkunden und in Konkurrenz zu den internen Verbundkunden zu akquirieren. Aufgrund der daraus entstehenden Konflikte mit den internen Verbundkunden entschloss man sich aber, das Projektgeschäft abzugeben und sich künftig auf das interne Verleihgeschäft zu konzentrieren. Die Geschäftseinheit befindet sich heute in einer recht komfortablen Wettbewerbssituation aufgrund mangelnder Konkurrenz und gewisser Spielräume bei der Aushandlung von Verrechnungspreisen mit den internen Auftraggebern, insbesondere bei kurzfristig auftretenden technischen Problemen oder personellen Engpässen. Der konzerninterne Personaldienstleister verfügt über eine kritische Masse an überwiegend hoch qualifizierten, flexiblen und weltweit einsetzbaren Mitarbeitern, die mit den geschäftsbereichs- und konzernbezogenen Prozessen und Strukturen, den spezifischen Branchentechnologien und den firmenspezifischen Produkten vertraut sind und sich über die Mitarbeit an entsprechenden Neuentwicklungen im Konzern oder aber über technische Schulungen weitaus früher als externe Wettbewerber das entsprechende Fachwissen aneignen können. Der interne Dienstleister kann schnell und unbürokratisch für einen begrenzten Zeitraum Personal bereitstellen, das vom Kunden danach nicht weiterbeschäftigt werden muss: „Also wir haben immer den Vorteil, wenn es Abteilungen oder Bereichen relativ schlecht geht, die dürfen ja keinen externen Mitarbeiter einstellen, da geht gar nichts. Die haben jetzt irgendwelche Auftragsspitzen, aber es ist mehr oder weniger noch kein kontinuierlicher Auftragseingang festzustellen, und dann klingeln natürlich bei unsern Chefs die Telefone, und es heißt, habt ihr jemand, der den Anforderungen entspricht“ (I 19: 80–86).
Neben der Flexibilität des Personalpools ist das nur langfristig aufzubauende, stark personengebundene und hoch spezialisierte Erfahrungswissen der Mitarbeiter das zentrale Kapital der Abteilung. Aufgrund des hier vorhandenen breiten Angebotsspektrums an hoch spezialisierten technologischen, technischen und organisatorischen Kompetenzen gelingt es Mitbewerbern bislang kaum, sich selbst einen entsprechenden Pool an Know-how-Trägern aufzubauen.113 Die Aufbauorganisation der Geschäftseinheit unterscheidet folgende Funktionsbereiche: General Management und Managementsupport, Vertrieb, technische Aufgaben und Projektmanagementfunktionen. Den insgesamt fünf operativen Abteilungen sind jeweils rund 200 bis 300 Mitarbeiter zugeordnet. Die Hierarchie beginnt mit dem technischen und kaufmännischen Abteilungsleiter, dann den Gruppenleitern/Ressourcenmanagern (Führungskräfte mit einer Führungs113 Zwar gibt es eine Reihe kleinerer Ingenieurbüros, die unterhalb des hochgradig spezialisierten Dienstleistungsspektrums über entsprechend gut qualifizierte Mitarbeiter verfügen und zu einem geringeren Preis einzelne Aufgaben erfüllen können. Diese Wettbewerber kommen jedoch dort an eine Grenze, wo entsprechende Arbeiten im Ausland auszuführen sind, da sie aufgrund fehlender Logisitik nicht in der Lage sind, die für Auslandsentsendung geltenden anspruchsvollen gesetzlichen steuer-, sozialversicherungs- und arbeitsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen.
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spanne von 30 bis 40 Mitarbeitern pro Gruppe) und dann den Mitarbeitern. Entsprechend der drei Karrierewege innerhalb des Konzerns wird zwischen der Fachlaufbahn (mit technischer Verantwortung), der Führungslaufbahn (mit disziplinärer Verantwortung) und der Projektmanagementlaufbahn (mit Prozessverantwortung) unterschieden. Technische Laufbahnen können sowohl auf eine Spezialisierung als auch auf eine Verbreiterung des Qualifikationsprofils zielen. In beiden Fällen sind die im Arbeitsprozess erworbenen Kompetenzen und Kenntnisse ausschlaggebend für das berufliche Vorankommen. Die Mitarbeiter dieses „Ressourcenpools“ bewegen sich in einer tendenziell volatilen Stellenlandschaft, bestehend aus unterschiedlichen, hierarchisch gestuften Tätigkeiten (Jobs), deren adäquate Ausübung genau spezifizierte technische, methodische und überfunktionale Kompetenzen und Wissensbestände benötigt. Die Arbeit wird überwiegend projektförmig organisiert: Rund 60% der Mitarbeiter sind in internationalen Projekten, 40% am Standort oder in anderen deutschen Regionen tätig. Im Projektgeschäft wird entsprechend der Größe, Internationalität und dem Auftragsvolumen aufsteigend zwischen drei Projektkategorien unterschieden. Der übliche Karriereweg für Ingenieure und technische Angestellte ist die Fachlaufbahn. Der Einstieg erfolgt für Personen mit Hochschulabschluss als Engineer, Entwicklungsschritte sind der Senior Engineer (nach erfahrungsgemäß zwei bis drei Jahren) und der Chief Engineer. Letzterer befindet sich hierarchisch ungefähr auf einer Ebene mit den Gruppenleitern und Ressourcenmanagern und setzt eine Berufserfahrung von acht bis zehn Jahren voraus. Der Sprung zum Chief Engineer ist keineswegs ein Automatismus. Der Aufstieg zum Chief Engineer erfolgt keineswegs automatisch. Tatsächlich erreichen diese Position aufgrund der begrenzten Anzahl an vorhandenen Stellen nur Wenige, sodass die Anreizwirkung einer Fachkarriere für aufstiegsorientierte Ingenieure limitiert ist. Dazu kommt, dass die Position des Chief Engineers aus Sicht der Mitarbeiter und Führungskräfte organisational bedeutend weniger Prestige und Status einträgt als etwa die Position eines Gruppenleiters oder Ressourcenmanagers. Den Ingenieuren unterstellt sind Bauleiter, technische Spezialisten (Facharbeiter oder Absolventen einer technischen Fachschule) und qualifizierte Fachkräfte. Auf der untersten Hierarchieebene arbeiten schließlich angelernte Fachkräfte, die im Rahmen von Zeitarbeitsverträgen befristet eingesetzt werden und aufgrund der generell sehr hohen Qualifikationsanforderungen quantitativ eine untergeordnete Rolle spielen. Vor dem Hintergrund des Geschäftsauftrages, der Organisations- und Personalstruktur sowie der Laufbahnwege wird deutlich, dass ein effektives und effizientes HRM tatsächlich von fundamentaler Bedeutung für die Erreichung der Geschäftsziele ist. Das lokale HRM ist dabei mit hochgradig komplexen Aufgabenstellungen konfrontiert: Maßnahmen der Personalrekrutierung, -ver-
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mittlung, -führung, -entwicklung und bindung müssen nicht nur auf die konzerninternen Prozesse und Standards des HRM und Kompetenzmanagements abgestimmt werden, sondern auch den Besonderheiten und Schwierigkeiten des Bodyleasings im Rahmen weltweiter Projektarbeit gerecht werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Prozesse und Problemstellungen der operativen Personalarbeit dargestellt und analysiert. Die Rekrutierungsbemühungen konzentrieren sich primär auf Ingenieure, Techniker sowie Wirtschaftsingenieure und -informatiker am externen Arbeitsmarkt, da unter den Mitarbeitern der technischen Bereiche und Vertriebsfunktionen des Geschäftsbereichs bislang wenig Interesse besteht, unter den Bedingungen globaler Projektarbeit und des Bodyleasings dauerhaft zu arbeiten. Ehemalige Praktikanten, die man bereits während ihres Hauptstudiums zum Teil in Auslandseinsätzen ausbildete, Werksstudenten als auch Hochschulabsolventen, die im Kontext von Forschungskooperationen mit Hochschulen ausgewählt wurden, werden dabei als besonders attraktive Zielgruppen wahrgenommen. Zur Eingrenzung des Bewerberkreises dienen im Falle schriftlicher Bewerbungen auf externe Stellenausschreibungen Telefoninterviews und Face-to-Face-Interviews auf Recruiting-Messen. Der Einstieg in die Fachkarriere verläuft für Techniker und Ingenieure in der Regel über eine Tätigkeit bei der Inbetriebnahme großtechnischer Anlagen. Basisanforderungen sind hier die individuelle Bereitschaft zu weltweiten und zeitlich flexiblen Einsätzen sowie branchen-, produkt- und technologiespezifische Fachkenntnisse. Ebenso erforderlich sind Fähigkeiten der fachlichen Personalführung, kommunikativen Kompetenzen im Umgang mit und der Schulung von Kunden, betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse sowie methodische Kompetenzen des Qualitäts- und Projektmanagements. In der Tätigkeit der Inbetriebsetzer sind zudem personenbezogene Kompetenzen wie Entscheidungs-, Analyse- und Lernfähigkeit von Bedeutung – ein Hinweis auf die Öffnung der Stellenprofile für überfachliche Kompetenzen. Auch die Rekrutierungspraxis dieses Geschäftsbereichs verdeutlicht, dass der Ausgangsberuf und die mit ihm erworbenen berufsfachlichen Wissensbestände und Kompetenzen nach wie vor eine wichtige Basis für die Allokation und Weiterentwicklung des Arbeitsvermögens der Ingenieure bilden. Sozial-kommunikative und betriebswirtschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten stellen aus Sicht der Ressourcenmanager wichtige, aber im Prozess der Personalgewinnung eher sekundäre Auswahlkriterien dar. Aufgrund des gegenwärtig anhaltenden Mangels an Absolventen der Ingenieurstudiengänge und der sehr hohen Mobilitätsanforderungen gelingt es den Ressourcenmanagern trotz hoher Anstrengungen nur bedingt, den jährlichen Personalbedarf abzudecken. Aufgrund von Fluktuations- und Rekrutierungsproblemen verzichten Personalverantwortliche darauf, extrafunktionale Fähigkeiten (z.B. soziale Kompetenzen) als Basisanforderung im Rekrutierungs-
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prozess zu formulieren, da ansonsten der Anteil entsprechend interessierter und kompetenter Nachwuchskräfte noch geringer wäre als bisher. Die Führungskräfte geben auch solchen Bewerbern, die in der persönlichen Vorstellung eher den Eindruck gering ausgeprägter sozialer oder kommunikativer Kompetenzen vermittelten, einen Vertrauensvorschuss, sich in der Arbeit zu bewähren bzw. durch Schulungen entsprechende sozialkommunikative Kompetenzen aufzubauen. Im Zweifelsfall wird auch ein recht liberaler Umgang mit der Anforderung ausgeprägter sozialkommunikativer Fähigkeiten gepflegt, solange die fachlichen Qualifikationen überzeugen und entsprechende Arbeitsleistungen gezeigt werden: „Und es gibt auch Leute, also mehrere Leute in meiner Abteilung, die wären, also, die würde man eigentlich als nicht teamfähig bezeichnen. Nach klassischen Merkmalen wer in ein Team arbeiten soll oder muss, würden die durchfallen. Und trotzdem sind die prima Ergänzung, manchmal tatsächlich ein bisschen, aufgrund bestimmten persönlichen, wie soll ich sagen, ungewöhnlichen Eigenschaften vielleicht auch nicht so ganz integriert oder auch nicht so gern mitgenommen, aber trotzdem eine Verstärkung“ (I 12: 1011–1018).
Die Qualifikations- und Tätigkeitsanforderungen in den unterschiedlichen Projektmanagementfunktionen (als Termin-, Qualitäts-, Claimmanager, Projektleiter) unterscheiden sich in grundsätzlicher Weise von der zuvor beschriebenen Gruppe der Anlageninbetriebsetzer. Zwar werden auch in diesem Tätigkeitsfeld Techniker und Ingenieure eingesetzt, jedoch weiten sich die Rekrutierungs- und Personalbesetzungsstrategien zunehmend auf Personen mit kaufmännischer Ausbildung oder einem entsprechend kaufmännischen Hochschulabschluss aus. Die Tätigkeits- und Kompetenzanforderungen beziehen sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Aufgabe und Verantwortung im Wesentlichen auf die Überwachung und Erreichung markt- und ergebnisorientierter Kennziffern (bezogen auf vereinbarte Budgets, Qualitätsaspekte, Kundenzufriedenheit, Zeitrahmen). Die Aufgaben sind hier primär organisatorischer und methodischer Art und erfordern neben einer sicheren Beherrschung von Methoden des Projektmanagements und fundierten betriebswirtschaftlichen Kenntnissen ausgeprägte sozialkommunikative, auf Personalführung, Moderation oder Konfliktmanagement bezogene Kompetenzen. Aspekte wie Durchsetzungs- und Entscheidungsfähigkeit, Ergebnis- und Kundenorientierung, Planungs- und Organisationsgeschick und die Fähigkeit zur Motivation anderer sind wesentliche subjektbezogene Qualitäten, die von den Stelleninhabern erwartet werden. Diese vor allem auf das Verhalten und die Persönlichkeit abhebenden Kompetenz- und Wissensanforderungen prägen die Stellenprofile im Bereich des Projektmanagements wesentlich stärker als bei den Ingenieuren und Technikern und lassen sich als einen ersten Hinweis auf eine geringe Bedeutung berufsfachlicher Qualifikationen und Orientierungsmuster im Bereich kaufmännischer Projekttätigkeiten deuten.
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Die sich aus dem Geschäftsmodell weltweiter technischer Dienstleistungserbringung ergebende hohe Erwartung an Mitarbeiter, in wechselnden Projektzusammenhängen zeitlich und räumlich uneingeschränkt einsetzbar zu sein, konfrontiert das HRM und in besonderer Weise die Beschäftigten mit sehr schwierigen und anspruchsvollen Anforderungen. Trotz umfassender und professioneller Rekrutierungsbemühungen gelingt es den Personalmanagern aufgrund der anhaltend hohen Personalfluktuation von rund 10% jährlich nur zum Teil, den tatsächlichen und tendenziell wachsenden Personalbedarf zu decken. Zudem fallen hohe Aufwendungen für die Aus- und Weiterbildung neu eingestellter Mitarbeiter an. Vor diesem Hintergrund erhalten Strategien der Personalbindung und entwicklung der technischen Spezialisten, Erfahrungsträger oder „Wissensarbeiter“ einen zentralen Stellenwert innerhalb der HR-Strategie: „In einem derart personalintensiven Geschäft [...] sind Dreh- und Angelpunkt für den Geschäftserfolg die Mitarbeiter im richtigen Qualifikationsmix. Dieser und die erforderliche Mitarbeiterzahl ermitteln sich aus der Geschäftsstrategie,114 den mittel- und langfristigen Geschäftserwartungen und den davon abgeleiteten Umsatzzielen. Nun sind Abgänge aus Altersgründen recht gut prognostizierbar, nicht jedoch die Fluktuation aus dem Bestreben nach beruflicher Veränderung“ (Zitat aus einer internen Abteilungszeitschrift, 12/2004).
Aus der hohen Fluktuation haben die Ressourcenmanager für den Prozess der Personalrekrutierung die Konsequenz gezogen, innerhalb der Vorstellungsgespräche nicht nur die Vorzüge der Tätigkeit herauszustellen, sondern auch die sich aus der Außendiensttätigkeit ergebenden Schwierigkeiten der alltäglichen Lebensführung offen zu kommunizieren: „Der zweite Punkt, womit man natürlich schon sehr viele Leute von vornherein, ich sag ’s auch ruhig mal, verschreckt, die dann gar nicht zu uns kommen, sind diese Spezifiken der Tätigkeit, das Thema Außendienst. Wobei das Thema nicht nur Außendienst, sondern eigentlich nie mehr hier sein, das muss man sich schon genau überlegen und das muss ja jeder überlegen, ob das für ihn das Richtige ist. Es gehen, also viele sagen dann schon bald im Vorstellungsgespräch, dass sie sich das so nicht so wirklich vorstellen können und dann was anderes machen. Zu uns kommen schon Leute, die sich ’s vorstellen können und sich auch wünschen, unterwegs zu sein und raus in die Welt zu kommen“ (P 12: 37–47).
Die als Ressourcenmanager oder Gruppenleiter bezeichneten Führungskräfte sind dafür verantwortlich, die ihnen disziplinarisch unterstellten Mitarbeiter entsprechend ihrer Qualifikationen, Fähigkeiten und Erfahrungen an Projekte interner Verbundkunden zeitlich begrenzt zu vermitteln. Als Informationsquelle für Ressourcenmanager und auch für die nachfragenden Bereiche existiert eine Skilldatenbank, die es erlaubt, Kompetenzprofile einzelner Mitarbeiter in an114 Auf die Nennung der Abteilungsbezeichnung wurde in Zitaten aus Gründen der Anonymisierung verzichtet.
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onymisierter Form einzusehen und passende bzw. zeitlich verfügbare Kandidaten zur Projektbesetzung auszuwählen. Jedes Kompetenzprofil enthält Angaben zu den individuellen technischen und branchenspezifischen Fähigkeiten sowie ihrer Ausprägung (entlang der Kategorien Anfänger, Erfahrener oder Experte) als auch Zusatzinformationen, beispielsweise über Kundenkenntnisse und -beziehungen oder bestimmte sozialkommunikative Kompetenzen. In der Praxis des Verleihgeschäfts spielt die Skilldatenbank jedoch eine eher periphere Rolle. Das Vermittlungsgeschäft lebt primär von der personen- und erfahrungsgebundenen Reputation und Fachkompetenz der einzelnen Mitarbeiter und den im Zuge langfristiger Kooperation gewachsenen Vertrauensbeziehungen zwischen Ressourcenmanagern und internen Verbundkunden. Dieses Vertrauen der internen Kunden, die für das Projekt passenden Mitarbeiter vermittelt zu bekommen, gründet sich nicht auf eine durch die Skilldatenbank und Kompetenzprofile suggerierte Objektivität, die Fähigkeiten und Leistungen der Mitarbeiter exakt und neutral abbilden zu können, sondern der Fähigkeit des Ressourcenmanagers, den „passenden Mann“ zu finden: „Wenn unsere Kunden für bestimmte Aufgaben bestimmte Leute anfordern, dann fragen sie weniger, was der für eine Funktion oder Tätigkeitsbeschreibung hat, sondern es sind bestimmte Namen assoziiert. Das ist ein sehr persönliches Geschäft. [...] Unser Image beruht darauf, dass hier, ’ne, dass wir hier 57 Chefengineers und 120 Senior Engineers haben, sondern dass wir den Kessler haben und den Wirzer und den X und Y und den Z. Namen die bekannt sind. Namen, die schon Großes geleistet haben, sage ich jetzt mal. Und wenn das die Abteilung ist, wo der Kessler arbeitet, dann wird man wahrscheinlich auch einen weiteren Mann, wie den Kessler hier auch kriegen. Man fragt net nach jemanden, der das und das kann, sondern man fragt nach jemand, der muss das können, was der Reismüller kann, oder er muss das können, was der Schmidt kann“ (I 3: 846–850, 861–870).
Gerade Mitarbeiter mit breitem Kompetenzprofil und vielfältigen Projekterfahrungen, die dementsprechend über ein mitteltiefes Spezialisierungsniveau verfügen, werden aus Sicht des Ressourcenmanagements als besonders wertvolle Mitarbeiter wahrgenommen, da sie aufgrund ihrer flexiblen Einsetzbarkeit den sich schnell wandelnden Kunden- und Technologieanforderungen am ehesten entsprechen können und damit die Einsatzplanung deutlich erleichtern. Auf diese Gruppe scheint sich die Personalbindungsstrategie im Bereich der Fachkarriere zu konzentrieren, was sich unter anderem an der sprunghaften Gehaltsentwicklung dieser Mitarbeiter ablesen lässt. Vor dem Hintergrund des Wandels von Kundenanforderungen und Technologien der vergangenen zwanzig Jahre haben sich die Qualifikationsanforderungen und die Arbeitssituation der in der Entwicklung, Errichtung und Inbetriebsetzung von Kraftwerken eingesetzten Mitarbeiter deutlich verändert. Im Zuge verkürzter Innovationszyklen und eines intensivierten Zeit- und Kostendrucks
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reduzierten sich nicht nur die Projektlaufzeiten und der Anteil der fest angestellten Konzernmitarbeiter am Projektteam deutlich, sondern es wurden auch Tätigkeiten am unteren Qualifikationsniveau (insbesondere Montagetätigkeiten, angelernte Kabelzieher usw.) an externe Firmen outgesourct. Im Bereich der Automatisierungstechnik wurden auch manche qualifizierte Arbeiten der Inbetriebsetzung fremdvergeben, sodass die Qualifikationsanforderungen an Mitarbeiter zugleich beträchtlich gestiegen sind. Heute beschäftigt der untersuchte Bereich in erster Linie Mitarbeiter mit hohem Qualifikationsniveau (vor allem Ingenieure), die über ein langfristig aufzubauendes Erfahrungswissen verfügen und von denen man ein hohes Maß an Lernfähigkeit erwartet. Den internen Beschäftigungsund Aufstiegswegen aus dem gewerblichen Bereich wurden deutliche Grenzen gesetzt: „Es bleiben für uns die anspruchsvollen Arbeiten, die wo man wirklich eine Ausbildung haben muss und auch entsprechende Erfahrungen. [...] Also, lange Zeit war der klassische Beruf hier der Energieanlagenelektroniker. Aber auch solche Leute stellen wir so gut wie nicht mehr ein, weil wir die Befürchtung haben, dass viele von ihnen irgendwann an die Grenze ihres Knowhows kommen werden, das wird dann für eine Berufskarriere für vierzig Jahre nicht halten“ (I 12: 722–724, 740–745).
Im Fokus der internen Qualifizierungs- und Trainingsanstrengungen steht dementsprechend die Ausbildung und Erhaltung von „High-End-Kompetenzen“, womit insbesondere technisches, technologisches und projektmanagementbezogenes Spezialistenwissen bezeichnet wird. Angesichts der enorm flexibilisierten Geschäfts- und Personalstruktur und des Schwerpunktes auf hoch qualifizierten Dienstleistungen erhält die systematische Entwicklung, Bindung und Vermarktung des Arbeitsvermögens der dort angestellten Mitarbeiter eine zentrale Bedeutung für die Geschäfts- und Personalstrategie der Organisation. Aufgrund des spezifischen Geschäftsmodells unterscheiden sich die Rahmenbedingungen der Personalführung in der untersuchten Geschäftseinheit sehr deutlich von den im Konzern etablierten Formen. Da der Großteil der Mitarbeiter während des Kalenderjahres für längere Zeiträume im Außendienst tätig und somit nur selten am Standort erreichbar ist, wurde eine Trennung zwischen der fachlicher und der disziplinarischer Führung vollzogen. Die Verantwortung für die disziplinarische Führung liegt allerdings weiterhin bei den am Standort ansässigen Ressourcenmanagern, die neben der internen Personalvermittlung auch die -rekrutierung, -beurteilung und -entwicklungsplanung durchführen und zudem Ansprechpartner für personalrechtliche Angelegenheiten sind. Die fachliche Führung hingegen wird im Zuge der Abordnung der Mitarbeiter auf die Projektverantwortlichen (technische und kaufmännische Projektleiter) des auszuleihenden Bereichs übertragen. Die Festlegung von Arbeitszeiten, projekt- und abteilungsspezifischen Arbeitsplatzunterweisungen und die technische und kaufmän219
nische Führung erfolgen auf den Baustellen vor Ort. Faktisch resultieren aus der Trennung von fachlicher und disziplinarischer Führung sowohl für die Ressourcenmanager als auch für die Mitarbeiter eine Reihe von Problemstellungen. Viele Personalvorgesetzte berichteten, dass es ihnen oftmals gar nicht möglich ist, die Leistung der ihnen unterstellten Mitarbeiter angemessen zu beurteilen, da sie selbst nicht vor Ort sind. Die hoch qualifizierten Leihkräfte werden fachlich von den kaufmännischen und technischen Projekt- und Terminmanagern sowie Baustellenleitern geführt. Allerdings scheinen Letztere oftmals wenig Neigung zu verspüren, die an sie verliehenen Mitarbeiter zu beurteilen, vermutlich aufgrund des immensen Zeit- und Kostendrucks, aber auch aus dem Umstand heraus, dass man diese Mitarbeiter nach Ablauf des Projekts nicht weiterbeschäftigen und dementsprechend motivieren muss. Daraus ergibt sich für die disziplinären Vorgesetzten das Problem, Anerkennung für erbrachte Leistungen und Kompetenzen nicht aussagekräftig im Rahmen des Führungsgesprächs kommunizieren zu können, zumal der Kontakt zu den Mitarbeitern (insbesondere denen in Auslandsprojekten) eher lose und unregelmäßig stattfindet. Jährliche Personalbeurteilungsgespräche werden folglich sowohl von Mitarbeitern als auch seitens der Vorgesetzten oft als Formsache behandelt, sodass das Loyalitätsempfinden der Mitarbeiter gegenüber ihren Vorgesetzten und ihrem Geschäftsbereich zum Teil relativ schwach ausgeprägt ist. Folgende Kommentare von zwei Ressourcenmanagern artikulieren Ratlosigkeit und Bedauern über diesen Zustand: „Ich hoffe, dass den Mitarbeitern immer klar ist, wie sehr wir ihre technische Fähigkeit und vor allem ihre Mobilität anerkennen. Wir versuchen es ihnen zu sagen. Ich bin nicht sicher, ob das immer ankommt, muss ich ehrlich zugeben. Ähm, das ist ein sehr schwieriges Thema, ähm, liegt eben auch in der Tatsache drin, dass wir eben Außendienstabteilung sind, d.h. nicht unmittelbaren regelmäßigen Kontakt haben zu unseren Mitarbeitern. Ähm, es gibt bestimmt eine Menge Mitarbeiter, die sich nicht ausreichend anerkannt fühlen in ihrer Tätigkeit“ (P 16: 612– 619). „Und dadurch entsteht natürlich durch die tägliche Arbeit bedingt ein sehr enges Verhältnis zwischen Projektleitung und Mitarbeiter. Sodass dann auch sehr oft eine gewisse Identifikation des Mitarbeiters mit dem aufnehmenden Bereich entsteht. [...] Und dann, ja, und dann kommt halt das ganze Thema Beurteilung dazu. Wie beurteile ich die Arbeit von dem Mitarbeiter, wenn ich ihn eigentlich nie selber beobachte, bei dem was er arbeitet, sondern ich mich darauf verlasse, auf das, was ich an Rückmeldungen krieg so nach dem Motto: Nicht beschwert ist gelobt“ (P 31: 31–34, 47–51).
Dem im Rahmen der jährlichen Mitarbeitergespräche zentralen Element der Verschränkung von Fremd- und Selbstbeurteilung von Kompetenzen und Leistungen (als Motor für Weiterentwicklung, Motivation, Karriere) fehlt demzufolge häufig der „Treibstoff“, um über die Evaluation und Anerkennung erbrachter Leistungen oder vorhandener Entwicklungspotenziale eine leistungs- und karriereförderliche Wirkung entfalten zu können. Auch ist es den Mitarbeitern 220
mit ähnlichem Aufgabenspektrum kaum möglich, ihre technischen Kompetenzen und Fähigkeiten mit anderen Kollegen vergleichen zu können, denn aufgrund der relativ selbstständigen Arbeit vor Ort sowie der hochgradig spezialisierten Arbeitsteilung finden sich (trotz gewisser Schnittstellen und Kooperationserfahrungen) schlichtweg kaum Kollegen, die die eigene Arbeit fachlich beurteilen und damit honorieren können. Erfahrungen wechselseitiger Anerkennung für erbrachte Leistungen speisen sich primär aus den Arbeitsinteraktionen mit Projektkollegen oder Angestellten des Endkunden vor Ort. Sie bieten einen symbolischen Lohn für gelingende zwischenmenschliche Kooperation bzw. den Erfolg bei Abschluss eines Projektes, zu dem die disziplinarische Führung am Standort nur bedingt etwas beisteuern kann. Eine weitere für die Möglichkeit betrieblicher und individueller Karriereplanung sehr bedeutende Restriktion ergibt sich aus dem für langfristige Planungshorizonte nicht ausgelegten Geschäftsmodell und der ökonomischen Rationalität temporärer Personalvermittlung im Kontext globaler Projektarbeit. Da Personalbedarfe der internen Verbundkunden häufig sehr kurzfristig entstehen (insbesondere dann, wenn bestimmte Spezialisten mit dem eigenen Personalstamm nicht besetzt werden können), besteht gerade der Wettbewerbsvorteil der untersuchten Geschäftseinheit darin, entsprechend qualifizierte und zeitlich verfügbare Projektmitarbeiter sehr kurzfristig weltweit bereitstellen zu können. Aufgrund der Größe des Personalpools und der Tatsache, dass die Geschäftseinheit aus Sicht der Kosten- und Leistenrechnung nur dann etwas an einem Mitarbeiter verdient, wenn er im Kundeneinsatz ist, andererseits aber eine kontinuierliche und verhältnismäßig hohe Gehaltszahlung leistet, liegt das Interesse der Geschäftspolitik in einer möglichst hohen Personalauslastungsquote. In der Praxis steht dieses auf Optimierung gerichtete Vermarktungsinteresse häufig in Konflikt mit Zielen einer langfristig angelegten Weiterbildungs- und Karriereplanung sowie einer nachhaltigen Nutzung und Entwicklung des Arbeitsvermögens. Reservierte Zeiten für die Weiterbildung, den Aufbau von Kompetenzen, Erholungs- und Urlaubszeiten sowie anvisierte Karriereschritte werden dabei faktisch immer wieder durchkreuzt von kurzfristig entstehenden Opportunitäten der Personalvermittlung. Trotz dieser Restriktionen in der Umsetzung einer langfristig angelegten Karriere- und PE-Strategie wird von den Ressourcenmanagern nicht nur die Karriere innerhalb einer Laufbahn, sondern auch der Wechsel aus dem Fach-Kamin heraus unterstützt. Üblich ist insbesondere der Wechsel von einer technischen Funktion in eine Projektmanagementfunktion, der durch den Besuch entsprechender Projektmanagementseminare eingeleitet wird. Auch Laufbahnwechsel von einer Fach- oder Projektfunktion in eine Vertriebsaufgabe innerhalb des Geschäftsbereichs oder bei den Verbundpartnern ist nicht unüblich und wird meist auf Initiative des Mitarbeiters oder eines internen Kunden einge-
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leitet. Das operative HRM der Geschäftseinheit plant, Laufbahnwechsel zukünftig systematischer als bisher durch entsprechende PE-Maßnahmen und Karriereplanung zu begleiten. Darüber hinaus gibt es einen Entwicklungsweg von der Fachlaufbahn zu den „Technical-Management-Functions“. Dieser wird begleitet vom EFA-Prozess, in dem das Führungspotenzial der Person identifiziert wird und der Potenzialträger durch entsprechende Maßnahmen der Führungskräfteentwicklung auf eine technische Führungskarriere vorbereitet wird. Wurden eingestellte Hochschulabsolventen in der Vergangenheit im Anschluss an eine kurze theoretische Unterweisung während ihres ersten Projekteinsatzes (oftmals ohne Mentor vor Ort) „ins kalte Wasser geworfen“ (I 32: 88; I 33: 102), sieht das seit einigen Jahren praktizierte „Training-on-the-Job“Konzept vor, Neueinsteiger zielgerichteter und anforderungsbezogener als bisher an die Berufstätigkeit im Projektgeschäft heranzuführen. Über den bereits seit Langem etablierten Standardeinführungskurs in Kultur, Prozesse und Produkte des Konzerns und Geschäftsbereichs hinaus werden Berufsanfänger einer Abteilung und Gruppe zugeordnet und sollen dann durch diverse Maßnahmen über den Zeitraum eines Jahres hinweg systematisch an die Tätigkeit herangeführt werden. Begleitend zur Einarbeitung im Kontext von Projektarbeit beim jeweiligen Verbundpartner (manchmal unterstützt durch Paten oder Mentoren), existiert ein entsprechendes Angebot an primär technischen und technologischen Kursen, die vom Fachbereich intern durchgeführt werden. Diese sind heute stärker auf die Anforderungen des jeweiligen Jobprofils zugeschnitten als früher. Darüber hinaus nehmen die Personen an Simulationen und Systemtests technischer Anlagen teil, um die im Rahmen der Projektarbeit gesammelten Erfahrung anzureichern. Der Aufbau technischer, technologischer und methodischer Fach- und Problemlösungskompetenzen und Anlagenwissen vollzieht sich dabei, wie bereits im Abschnitt zur Fachkarriere dargestellt wurde, im Kontext langfristig angelegter Lerntrajekte. Aus den Interviews mit den als Ressourcenmanager bezeichneten Führungskräften geht eindeutig hervor, dass sie die ihnen zugewiesene Rolle als Forderer und Förderer ihrer Mitarbeiter angenommen haben. Gleichwohl sehen sie sich in ihrer Führungspraxis mit einer Reihe von Widersprüchen und Restriktionen konfrontiert. Ein zentrales Problem ergibt sich aus dem hohen Ausmaß an Personalabwanderung, vor allem während der ersten fünf bis acht Berufsjahre. Trotz ausgesprochen guter Lern- und Gehaltsaussichten für Neueinsteiger gelingt es der Organisation kaum, die über viele Jahre zu wertvollen Erfahrungsträgern herangereiften Mitarbeiter langfristig zu binden bzw. entsprechende Personalab-
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gänge quantitativ und zeitnah zu ersetzen.115 Die problemzentrierten Interviews und Gruppendiskussionen verdeutlichen, dass neben dem subjektiv wahrgenommenen Statusverlust der Fachkarriere gegenüber den anderen Karrierewegen insbesondere die aus den Rahmenbedingungen des Bodyleasings resultierenden Anforderungen und Belastungen – weltweite Einsetzbarkeit, entgrenzte Mehrarbeit, äußerst schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, kaum planbare Berufsbiografie und Lebensführung – maßgebliche Motive für Abteilungs- oder Unternehmenswechsel darstellen. Hinzu kommt, dass der Aufbau eines wechselseitigen Vertrauensverhältnisses zwischen Mitarbeiter und Führungskraft durch die lange Abwesenheit eines Großteils der Techniker und Ingenieure vom Standort massiv erschwert wird. Die Ressourcenmanager beobachten, dass Mitarbeiter informelle Kontakte zu den Verbundkunden und Auftraggebern vor Ort nutzen, um einen Abteilungswechsel anzubahnen, weil sie dort attraktivere Arbeitskonditionen vorfinden (z.B. geringere Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen). Die Möglichkeiten einer wirksamen Personalbindung haben sich infolge des Mangels an Absolventen der Ingenieurstudiengänge und aufgrund direkter Abwerbungsversuche interner Verbundkunden in den vergangenen Jahren insgesamt verschlechtert. Die Abwerbungsbemühungen der Verbundkunden beziehen sich insbesondere auf Mitarbeiter mit mindestens fünfjähriger Berufserfahrung, um sie für Innendienst, Entwicklungs- oder Projektabwicklungstätigkeiten zu gewinnen. Sofern sich die Kunden nicht von einer längerfristigen, aber temporär begrenzten Vermittlung des Mitarbeiters überzeugen lassen und zudem die Wechselbereitschaft des Mitarbeiters hoch ist, unterstützten Ressourcenmanager auf informeller Ebene einen entsprechenden Abteilungswechsel zum Verbundkunden. Dieses Vorgehen steht zwar in Konflikt zum eigentlichen Geschäftsauftrag und dem Ziel der Personalbindung, geht aber durchaus mit einen langfristigen Kalkül einher: „Da sag ich okay, da bin ich natürlich nicht mehr ganz so, so enthusiastisch, aber im Sinne der Kundenbindung fördern wir das auch, und da sprechen wir mit Mitarbeitern, die dafür in Frage kommen und die auch von sich aus gesagt haben, wir würden gerne uns mal verändern. Und meistens kriegen wir dann auch so eine vernünftige Lösung zusammen. Und das wiederum hat einen Langzeiteffekt, weil unser Auftraggeber ist zufrieden, wenn wir ihm die richtigen Leute dahin vermitteln und der anerkennt auch, dass wir uns damit ein bissel ins eigene Fleisch schneiden, von der finanziellen Seite her. Und an deren Stelle oder dort sitzt dann wieder jemand, der uns kennt und den wir auch kennen“ (I 12: 1129–1139). „Das ist bei uns durchaus ein üblicher Weg, dass Leute, wenn sie einige Jahre im Ausland waren, dann zu den Fachabteilungen unserer internen Kunden wechseln. Ähm, das ist ein Weg, 115
„Uneingeschränkte Mobilität als herausragende Qualifikation in unserer Abteilung ist bei Absolventen nur selten gegeben. Dementsprechend schwierig bleibt es auch weiterhin, geeigneten Nachwuchs zu finden“ (Zitat einer Führungskraft aus einer Abteilungszeitschrift).
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den wir auf gar keinen Fall verbauen, denn das sind ja unsere Kunden, wir freuen uns ja auch, wenn unsere ehemaligen Mitarbeiter bei unseren Kunden sitzen. Ähm, es ist etwas, was wir nicht puschen in dem Sinne, also wir sagen keinem Mitarbeiter, willst du nicht gehen, das ähm, das auch nicht. Ähm, wir zeigen aber diese Möglichkeit auf jeden Fall auf. Die Initiative zum eigentlichen Wechsel dann allerdings geht vom Mitarbeiter aus“ (I 16: 112–120).
Die zunehmende Personalfluktuation wird von der Geschäftsleitung und vielen Ressourcenmanagern sehr sorgenvoll beobachtet. Im Laufe der vergangenen Jahre wurde immer deutlicher, dass sich der wachsende Verlust von Wissensund Erfahrungsträgern angesichts der hohen Aus- und Weiterbildungsaufwendungen langfristig nachteilig auf die Geschäftsziele und das Investitionskalkül einer angestrebten Amortisation von Humankapital auswirkt. Darüber hinaus ist der Aus- und Weiterbildungsbedarf infolge der hohen Fluktuation sprunghaft angestiegen, da am externen Arbeitsmarkt rekrutierte Arbeitskräfte zunächst umfangreich geschult und eingearbeitet werden müssen.116 Das bildungsökonomische Kalkül des Personalmanagements besteht darin, aufgrund der hohen Ausund Weiterbildungsaufwendungen eine „Mindestverweildauer von fünf bis sieben Jahren“ (I 16: 384) für den einzelnen Mitarbeiter sicherzustellen, damit sich diese Aufwendungen in das Humankapital amortisieren. Der betriebliche Umgang mit der Personalfluktuation orientiert sich an dem Ziel, Know-how-Träger möglichst lange zu halten, da mit ihrem Weggang Störungsanfragen und Serviceleistungen, die sich zum Beispiel auf ältere Technologien und Kraftwerke beziehen, aufgrund der Laufzeiten (bei Kraftwerken 25 bis 30 Jahre) nicht mehr beantwortet bzw. erbracht werden können. Von der Geschäftsleitung und den Ressourcenmanagern wurde eine Reihe von Maßnahmen initiiert, beispielsweise zur Intensivierung der Rekrutierungsaktivitäten an den Hochschulen, zur symbolischen Aufwertung der Fachkarriere und zur Förderung der Durchlässigkeit zwischen den Laufbahnen, um der Fluktuation entgegenzuwirken. Während manche der befragten Personalmanager die Chance, im Rahmen des vorhandenen Geschäftsmodells eine langfristige Bindung der Leistungs- und Erfahrungsträger zu erreichen, als eher gering einschätzen, sehen andere darin optimistischer gefärbt ein betriebswirtschaftliches „Optimierungsproblem“: „Wenn Sie zu wenig Fluktuation haben, dann haben Sie das Problem, dass Sie eines Tages eine überalterte Abteilung haben, auch mit Leuten, die vielleicht mit neuen Techniken nicht mehr so gut klarkommen. Aber dann haben Sie auch ein Problem, sie zu beschäftigen. Wenn Sie zu viel Fluktuation haben, dann haben Sie das Problem, dass Sie nicht genug junge Leute, äh, nachkriegen können, also, die bleiben im Durchschnitt auch jung, aber Sie haben relativ viel Geld investiert in Ausbildung, das dann schon früh wieder weg ist. Da gibt man sich in eine Kostenüberlegung rein“ (I 12: 630–638).
116
Der Zeitanteil für Aus- und Weiterbildung pro Mitarbeiter wird von einem Personalverantwortlichen auf gegenwärtig 6% der Arbeitszeit beziffert und als überdurchschnittlich hoch bezeichnet.
224
„Das ist klar, in der Richtung haben wir sicherlich nicht unbedingt eine Riesenperspektive bei uns im Haus anzubieten. Da müssen wir uns eigentlich mehr so, hört sich vielleicht ein bisschen abfällig an, aber so ein bisschen als Ausbildungswerkstatt sehen. Dass die jungen Leute bei uns anfangen, da wird ihnen richtig was beigebracht, und dann sind sie eigentlich so weit, dass sie mit dem mehr als soliden Grundwissen eigentlich überall einsteigen können, und da stehen ihnen dann auch die Türen offen. Aber das bedeutet halt für uns, dass wir halt immer mit der Fluktuation leben“ (I 31: 440–447).
Trotz unterschiedlicher Bewertungen hat die steigende Fluktuation insgesamt die Einsicht der Ressourcenmanager in die Notwendigkeit einer zukünftig systematischeren und langfristiger angelegten Karriereplanung gefördert. Klammert man einmal die Gruppe der Potenzialträger und Übertariflichen aus, die grundsätzlich im Fokus betrieblicher Karriereplanung stehen, wurden für die Mehrzahl der im Rahmen der Fallstudie befragten Mitarbeiter bislang allerdings keine oder wenn dann primär kurzfristige Planungshorizonte beruflicher Entwicklung kommuniziert. Gab es entsprechende Absprachen, dann standen meist Fragen der Anpassungsqualifizierung im Hinblick auf das technische und technologische Wissen im Vordergrund. Auch wenn für viele der Mitarbeiter in der Fach- und Projektkarriere bislang keinerlei Zusagen beruflicher Entwicklung getroffen wurden, unterstreichen die Ressourcenmanager ihr aufrichtiges Interesse an einem offenen und fairen Dialog mit den von ihnen betreuten Mitarbeitern und geben an, in den Mitarbeitergesprächen vielfältige Optionen beruflicher Entwicklung im konzerninternen Arbeitsmarkt zu offerieren: „Wir sind uns in der Abteilung dessen durchaus bewusst, dass die wenigsten Mitarbeiter diesen Job bis zum Ruhestand machen werden. Das heißt, alle spielen, häufig in einem gewissen Alter, so Mitte dreißig, ähm, mit dem Gedanken, etwas anderes zu tun. Ähm, ich mache es so, ähm, dass ich die Leute frage, wie sie sich jetzt sehen und was sie sich für die Zukunft vorstellen. Ähm, ich sage ihnen dabei aber auch ganz konkret, dass das Ergebnis offen ist für diese Diskussion. Ne, ich habe für meine Mitarbeiter keinen festen Plan, auf den ich sie dann im Gespräch trimmen möchte – Nach dem Motto, ich hab mir jetzt das vorgestellt für dich, ich weiß nicht was. Ähm, ich versuche den Mitarbeitern die verschiedenen Perspektiven [...] aufzuzeigen, [...] versuche auch die Wechselmöglichkeiten zwischen den Laufbahnen zu zeigen und was da möglich ist. In der Regel äußern sich dann die Mitarbeiter sehr konkret schon, was für sie in Frage kommt an der Stelle und was nicht“ (I 16: 87–102).
So raten manche Ressourcenmanager und Abteilungsleiter ihren Mitarbeitern explizit dazu, sich mit 35, spätestens aber mit 40 Jahren zu entscheiden, ob sie dauerhaft unter den Bedingungen des Bodyleasings weiterarbeiten möchten oder einen Abteilungs- oder Tätigkeitswechsel zu einem der internen Verbundkunden anstreben, da zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der Berufsbiografie die Wechselmöglichkeiten innerhalb des internen Arbeitsmarktes deutlich abnehmen und man selbst keine dauerhaften Stellen mit begrenzten Mobilitätsanforderungen anbieten kann.
225
3.3 „Karrierepolitik“ als reflexiver Modus berufsbiografischer Gestaltung Im vorangegangenen Abschnitt wurde das betriebliche System des HRM auf der Basis von Experteninterviews mit betrieblichen Personalentwicklern, Führungskräften und Betriebsräten rekonstruiert und analysiert. Ausgehend von der Analyse dieses betrieblichen Rahmens für PE, Weiterbildung und Karriere wird in Kapitel 3.4 auf der Basis problemzentrierter Interviews (vgl. Witzel 1982, 1996, 2000) eingehend untersucht, wie sich Beschäftigte im Rahmen ihrer Arbeits- und Lebenssituation und vor dem Hintergrund ihrer Ansprüche und Vorstellungen beruflicher Weiterentwicklung mit den betrieblichen Möglichkeiten und Anforderungen des HRM auseinandersetzen. Als Heuristik der Rekonstruktion und Interpretation des empirischen Materials (der einzelnen Interviews) dient das auf eine Typenbildung zielende Konzept der Karrierepolitik. Die theoretischen Annahmen und der methodisch-praktische Umgang mit dieser Heuristik werden im Folgenden ausführlich erläutert.
3.3.1
Konzept der Karrierepolitik
Der traditionsreiche Begriff „Karriere“ wird etymologisch betrachtet aus dem lateinischen „carrus“ (für Karre) bzw. dem mittellateinischen Wort „carraria“ (für Fahrweg) abgeleitet. Im 18. Jahrhundert bezeichnete der Begriff „carrière“ im französischen Sprachraum den Lebensweg bzw. beruflichen Werdegang (vgl. Wachter 1998). Heute hingegen findet sich alltagsweltlich häufig ein verengtes Verständnis von Karriere im Sinne eines schnellen und sprunghaften beruflichen Aufstiegs; oder aber es die Rede von Karrieristen, der entsprechende Ziele bedingungs- und rücksichtslos verfolgt. Das vorliegende Konzept der Karrierepolitik knüpft begrifflich an die frühe und weite Begriffsverwendung an und bezeichnet mit Karriere den erwerbsbiografischen Verlauf einer Person, der aktuell durch berufliche Kontinuität oder Brüche, durch Auf- oder Abstiege oder auch durch Unterbrechungen gekennzeichnet sein kann und nach wie vor ein wesentliches Bestimmungsmoment sozialer Positionierung ist (vgl. Witzel/Kühn 1999; Hillmert 2003: 82ff.; Runia 2003).117 Berufliche Karrieren entstehen und verlaufen zumeist in einem Spannungsfeld zwischen institutionalisierten und gesellschaftskulturell geprägten Laufbahnstrukturen und normierten Fahrplänen auf der einen Seite und den Handlungs-, Aneignungs- und Erlebnismustern der Person auf der anderen Seite. Dabei werden Erfolge und Misserfolge innerhalb der beruflichen Laufbahn gesellschaftlich betrachtet stärker dem Individuum zuge117 Auch im Englischen wird unter „career“ nicht lediglich der rasche berufliche Aufstieg, sondern allgemeiner gefasst die berufliche Entwicklung im Sinne einer individuellen Laufbahn verstanden.
226
rechnet als dem Einfluss prägender institutioneller Rahmenbedingungen, was nicht immer gerechtfertigt erscheint (vgl. Fischer-Rosenthal 1995: 87; Hartmann 2003: 159). Das hier zugrunde gelegte Karriereverständnis beschränkt sich also weder auf die Gruppe der Führungskräfte noch auf das tradierte, an äußerlichen Merkmalen orientierte Verständnis von Karriere, das eine Aufstiegsbewegung infolge einer Beförderung mit entsprechendem Zugewinn an Status, Prestige, Führungsverantwortung und Einkommen bezeichnet (wie etwa bei Kräkel 1999 oder Hartmann 2003; vgl. auch Funken/Fohler 2003: 315). Mit der umfassenden Restrukturierung des Großunternehmens seit den 1990er Jahren sind ausdifferenzierte bürokratische Laufbahnstrukturen und Aufstiegswege massiv beschnitten worden. Die Aufstiegskarriere als bewährter Modus zur Sicherung von Loyalität und Leistung der Führungskräfte und betrieblichen Experten ist heute in Erosion begriffen (vgl. Kotthoff 1996, 1997; Wagner 2000a; Deutschmann 2001; Faust 2002; Schiffinger/Strunk 2003). Mit dem Wandel der Unternehmens- und Arbeitsorganisation und der Qualifikationsentwicklung verlaufen betriebliche Karrieren nicht mehr primär als Aufwärtsbewegung, sondern entlang der vertikalen Achse auch als „downward movement“ (Brehm 1998), als horizontale Mobilität (im Zuge von PE, Versetzungen in andere Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche), innerhalb alternativer Karrierepfade wie etwa Fach- oder Projektlaufbahnen oder aber als Ausweitung von Verantwortung ohne einen entsprechenden Positionswechsel (vgl. Domsch/Siemers 1994; Berthel 2000; Funken/Fohler 2003). Im Zeitalter des flexiblen Kapitalismus präsentiert sich die individuelle Laufbahn kaum noch als eine „lebenslange Kanalisierung für die ökonomischen Anstrengungen des einzelnen“ (Sennett 2000: 10) bzw. als linear verlaufende Lebensgeschichte. Wechsel von Arbeitstätigkeiten und -bereichen nehmen in ihrer Häufigkeit innerhalb der einzelnen Biografie zu, die ihrerseits in abnehmendem Maße einem längerfristigen individuellen Lebensplan zu folgen scheint. Der beschleunigte Wandel von Arbeitsanforderungen und die Destabilisierung erwartungssicherer Karriereverläufe stellen heutige Erwerbstätige vor die paradoxe Aufgabe, ihre berufliche Biografie, Karrierepläne und Lernanstrengungen systematisch und reflexiv auf eine kaum antizipierbare berufliche Zukunft hin zu gestalten, „Anschlüsse für weitere Karriereepisoden in dieser oder einer anderen Organisation herzustellen und dabei gleichzeitig die Schnittstellen zu ihrer privaten Lebensführung aktiv und kompetent mitzubetreuen“ (Wagner 2000b: 142). Der im Rahmen dieser Arbeit verwendete Begriff „Karrierepolitik“ konzentriert sich – ausgehend von den vorangegangenen Überlegungen wie auch den individuellen Karrierestationen und -verläufen – auf typische Muster einer subjektiven Verarbeitung und Beeinflussung des eigenen Berufsweges. Mit Karrierepolitik wird hier das Ensemble individueller Interpretationen, Orientierungs-
227
muster und Strategien erwerbsbiografischer Gestaltung in Auseinandersetzung mit den institutionell vorgefundenen Bedingungen des HRM und den Erfahrungen der Arbeit bezeichnet. Diese Definition überwindet die Einschränkungen eines verengten Karrierebegriffs wie auch die Schwächen einer den betrieblichen Handlungskontext nicht konsequent einbeziehenden erwerbs- oder berufsbiografischen Forschung und erlaubt es stattdessen, die Logik der subjektiven Gestaltung und Deutung des Erwerbsverlaufs vor dem Hintergrund des institutionellen Handlungskontextes nachzuvollziehen. Aus einer mikropolitischen Perspektive betrachtet, erscheinen Organisationen weniger als zweckrationale und an Effizienzkriterien orientierte Gebilde, sondern vielmehr als Arenen sozialer Aushandlungsprozesse und Kämpfe, in denen jeder „sein“ Spiel spielt; und das Ganze funktioniert nur, wenn dieses Spiel organisational günstig strukturiert und gegliedert ist. Auf Basis einer Theorie rationaler Wahl werden rekonstruier- und verstehbare Gründe für das Akteurshandeln beleuchtet (vgl. Ortmann u.a. 1990 in Anlehnung an Crozier/Friedberg 1979). Kräkel etwa konzipiert in seiner primär auf institutionelle und ökonomische Aspekte der betrieblichen Karrierepolitik abhebenden Analyse sowohl das Management als auch die Beschäftigten als Spieler, die kurz- oder langfristig divergente Absichten und Interessen verfolgen und sich dabei auf den strukturellen betrieblichen Handlungsrahmen mit seinen spezifischen Anreizund Allokationsmechanismen und ungleich verteilten karriererelevanten Ressourcen und Regeln beziehen müssen (vgl. ebd., 12ff.). Der mikropolitische Charakter von Karrierepolitik ergibt sich dabei aus dem Umstand, dass organisationale Akteure jeweils spezifische und nur begrenzt offengelegte Absichten, Strategien und Pläne verfolgen und dabei um knappe organisationale Ressourcen konkurrieren. Sie müssen bis zu einem gewissen Grad strategisch wie inszenatorisch mehr oder weniger taktisch und kalkuliert handeln, um im Sinne der eigenen Interessenrealisierung erfolgreich zu sein (vgl. Kräkel 1999; Hitzler/Pfadenhauer 2003: 11; Schiffinger/Strunk 2003). In der Debatte zur Unternehmensführung hat Moldaschl (2005a) den Versuch einer allgemeinen Klassifizierung von „immateriellen Ressourcen“ und Kapitalsorten unternommen. Aus einer potenzialorientierten Perspektive, die eine konzeptionelle Nähe zu Sozialtheorien – insbesondere zum Kapitalsortenansatz von Bourdieu (1983) und dem Strukturierungskonzept von Giddens (1995) – aufweist und sich somit von rein deterministischen und voluntaristischen Akteurskonzeptionen abhebt, werden humane, soziale und kulturelle Ressourcen als ermöglichende und restringierende Bedingungen individuellen und sozialen Handelns aufgefasst (Moldaschl 2005a: 21f., 2005b: 47ff.). Dabei wird der Ressourcenbegriff im Hinblick auf seine soziale Gebrauchsweise sowie die jeweilige Verwertungs- und Reproduktionslogik wie folgt spezifiziert:
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„Endliche Ressourcen“ wie etwa natürliche Rohstoffe, physische Unversehrtheit der Arbeitskraft oder Lebensraumbedingungen sind knapp und erschöpfen sich langfristig in ihrem Gebrauch. Aus der Perspektive nachhaltiger Ressourcennutzung ist ein maßvoller Umgang mit diesen Ressourcen geboten. „Regenerierbare Ressourcen“ wie etwa kodifiziertes Wissen oder kulturelle Vergegenständlichungen sind Handlungspotenziale, die einen effizienten und investiven Umgang erfordern. „Generative Ressourcen“ wie etwa personengebundene Kompetenzen, kollektive Expertisen oder soziale Anerkennung werden als Handlungsressourcen aufgefasst, die sich in ihrem Gebrauch potentiell vermehren. Aus ökonomischer Sicht erfordern sie keinen restriktiven, sondern einen expansiven Gebrauch (vgl. Moldaschl 2005b: 50–52).
Das HRM erhöht den mikropolitischen Charakter von Karrierepolitiken in mehrfacher Hinsicht: Mit der Zuspitzung und Verfeinerung der vielfältigen Selektionsmechanismen und -instrumente (vgl. Kapitel 2.3.1.1 und 2.4.2.5) wird der Zugang zu betrieblichen Förder- und Weiterbildungsangeboten, Aufstiegspositionen, Karrierefahrplänen oder der Erwerb von Zertifikaten immer stärker an eingeschätzte personengebundene Leistungsmerkmale und Potenziale geknüpft. Damit steigt die soziale Ungleichheit des Zugangs zu betrieblich finanzierter Weiterbildung und PE und forciert die (latente) Konkurrenzsituation unter den Organisationsmitgliedern hinsichtlich ihrer Möglichkeit, generative (humane) Ressourcen zu akkumulieren, zu entfalten, zu pflegen und zu transferieren, damit auch die individuellen Vorstellungen und Pläne beruflicher (Weiter)Entwicklung realisiert werden können. In dem Maße, in dem nun nicht nur Leistungen, sondern auch zu entwickelnde subjektgebundene Kompetenzen und antizipierte Karrierebewegungen zum Gegenstand individualisierter Aushandlungsprozesse und Planungen zwischen Mitarbeitern und Führungskräften werden, gewinnen Prozesse und Kompetenzen eines „Bargaining“ (im Sinne der Nutzung individueller Aushandlungsmacht, etwa unter Verweis auf den eigenen „internen Markwert“) an zentraler Bedeutung für berufliche Absicherung und Fortkommen. Die Grenzen des mikropolitischen Ansatzes liegen in der überpointierten Konzeption des Akteurs als eines primär rational, ökonomisch und kalkuliert handelnden Wesens. Mit der Reduktion organisationalen Handelns auf den Aspekt strategischer Interessenverfolgung gerät die Vielfalt und Komplexität beruflicher Orientierungs- und Gestaltungsmuster schnell aus dem Blick. Erwerbsbiografische Strategien und Deutungen gehen über Aspekte eines ökono-
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misch motivierten oder interessengeleiteten Handelns weit hinaus. Sie lassen sich ebenso wenig als ein aus betrieblichen Kontroll- und Sozialisationspraktiken ableitbares Resultat betrachten, denn sonst würden „unterschiedliche Sozialisationsverläufe und die subjektiven Umgangsweisen mit beruflichen Qualifikationen, betrieblichen Anforderungen und Arbeitsmarktstrukturen in ihren Auswirkungen auf die Persönlichkeit vorab funktionalistisch oder objektivistisch“ festgeschrieben (Heinz 1995: 43). Die empirische Rekonstruktion von Karrierepolitiken benötigt eine Analyseperspektive, die die soziale Strukturiertheit des Handelns als auch die Biografizität beruflicher Orientierungs- und Gestaltungsmuster berücksichtigt. Der Betrieb ist ein sozialer Handlungsraum, der nicht nur durch ökonomische Zielsetzungen und Strategien, Arbeitsorganisation und Führungspraktiken, sondern auch durch arbeits- und professionskulturell vermittelte Normen und Praktiken strukturiert wird (vgl. Seltz u.a. 1986; Wittel 1996; Kotthoff 1997). Die arbeits- und berufssoziologische Forschung und Theoriebildung der vergangenen zwanzig Jahre wie auch Ansätze der Sozialisations- und Identitätstheorie unterstreichen die Angemessenheit einer interaktionistischen Sichtweise auf Prozesse beruflicher Sozialisation und Biografiegestaltung. Das Verhältnis zwischen betrieblicher Sozialisation und subjektiver Gestaltung des individuellen Berufsweges vermittelt sich über einen komplexen Prozess der Interaktion der Person mit seiner konkreten materiellen, kulturellen und sozialen Umwelt. In dessen Verlauf formieren sich mehr oder weniger klare und ihrer Gestalt und Ausrichtung nach prinzipiell veränderliche Identitäts-, Karriere- und Lebensentwürfe. Diese individuellen Entwürfe sind das Produkt vergangener Erfahrungen als auch zukünftiger Vorstellungen und Ziele und können durch aktive (Aus)Handlungs-, Bewältigungs- und Behauptungsleistungen im Rahmen der betrieblich zugestandenen und subjektiv verfügbaren Möglichkeiten und Ressourcen in unterschiedlicher Weise und Reichweite realisiert werden (vgl. Bolte/Treutner 1983; Hurrelmann 1983; Schumm 1988; Heinz 1995; Geulen 1999; Keupp u.a. 1999; Lempert 2002). Dieses Verständnis von Subjektivität und Sozialisation lässt sowohl essentialistische, strukturalistische oder funktionalistische Konzeptionalisierungen von Subjektivität hinter sich, in denen der Sozialisationsprozess häufig auf die Vorstellung einer äußeren Formung oder Prägung passiv erscheinender Subjekte reduziert und folglich von einer mehr oder weniger bruchlosen Internalisierung objektiv vorgegebener Normen ausgegangen wird. Kompetenzen, Erwerbsbiografien und Arbeitsorientierungen entstehen aus einer interaktionistischen Perspektive in aktiver Auseinandersetzung der Person mit der Arbeitsumgebung und Arbeitsaufgabe, der beruflichen Situation wie auch der Lebenssituation. Erwerbspersonen versuchen dabei, ihre individuellen Interessen, Identitätskonzepte und Lebenspläne mit den Arbeitsbedingungen und den be-
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trieblichen Karrierelinien zu verbinden (vgl. Schumm/König 1986; Hoff u.a. 1991; Frieling/Sonntag 1998: 154; Heinz 2000; Lempert 2002). Mit der wachsenden Flexibilisierung und Subjektivierung von Arbeit sowie der Zunahme erwerbsbiografischer Diskontinuität stehen heutige Erwerbstätige deutlich stärker als in der Vergangenheit vor der Aufgabe, die eigene berufliche Entwicklung im Hinblick auf die Verwert- und Vermarktbarkeit des eigenen Arbeitsvermögens auf in- und externen Stellenmärkten hin zu gestalten. Aus einer identitätstheoretischen Sicht müssen dabei miteinander konkurrierende innere und äußere Anforderungen, Erfahrungen und Ansprüche fortlaufend in ein subjektiv aushaltbares und stimmiges, wenn auch konfliktbehaftetes Passungsverhältnis mit den Identitätsentwürfen, -projekten und -zuständen118 der Person gebracht werden (vgl. Keupp u.a. 1999: 30, 197; Hildebrandt 2000; Kudera/Voß 2000; Hurrelmann 2002; Hoff 2003; Hildebrandt 2005). Karrierepolitik bezeichnet vor diesem Hintergrund einen reflexiven Modus, mit dem Erwerbspersonen – aufbauend auf dem bisherigen Verlauf ihrer Berufsbiografie bzw. den favorisierten Identitätsprojekten – berufliche und private Pläne und Vorstellungen entwickeln und diese unter Mobilisierung personal und betrieblich verfügbarer Ressourcen (Kompetenzen, Qualifikationen, soziale Netzwerke etc.) mehr oder weniger konsequent in entsprechende Handlungsstrategien zu übersetzen versuchen. Diese Orientierungs- und Gestaltungsmuster beruflicher Entwicklung werden unterschiedlich klar und konsequent formuliert, verfolgt, ausgehandelt, bilanziert oder auch revidiert und können mithilfe der auf Narration und Sinnexplikation zielenden Methode des problemzentrierten Interviews und dem Konzept der Karrierepolitik rekonstruiert werden.
3.3.2
Methode der Rekonstruktion „subjektiver Karrierepolitiken“
Die materiale Grundlage für die Rekonstruktion subjektiver Karrierepolitiken bilden 18 auf der Basis vollständiger Tonbandmitschnitte exzerpierte problemzentrierte Interviews sowie ein von jedem Befragten vorab ausgefüllter kurzbiografischer Fragebogen (vgl. Anlage 2, 5 und 6). Die rekonstruktive Vorgehensweise erfolgt dabei in mehreren methodischen Schritten. Zunächst wird für jedes 118
Keupp u.a. (1999: 76ff., 118f., 127f.) haben auf der Grundlage einer empirischen Längsschnittuntersuchung der Identitätskonstruktionen junger Erwachsener in verschiedenen Lebensbereichen gezeigt, dass sich Arbeitsidentitäten nicht über langfristige Karriereplanungen, sondern eher über mittelfristige Projekte bilden. Erwerbsbiografische Entwürfe werden offengehalten für nicht vorhersehbare Ereignisse und Optionen; Identitätsprojekte unterschiedlicher Lebensbereiche (Arbeit, Familie, Freizeit) werden in ein reflexives Verhältnis zueinander gebracht und in Abhängigkeit von der Arbeits- und Lebenssituation sowie der subjektiven Prioritätensetzung in unterschiedlicher Weise und Modalität verfolgt.
231
Interview bzw. jede befragte Person eine biografische Fallskizze erstellt. Sie beginnt mit formalen Angaben zum (Aus-)Bildungshintergrund der Person (Schulbildung, erlernter Beruf, gegebenenfalls Studium, sonstige formale Bildungsabschlüsse, Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung), zu den Stationen beruflicher Entwicklung (Tätigkeiten, Arbeitgeber-, Abteilungs- oder Stellenwechsel), zur jetzigen Aufgabenstellung (und ihren Tätigkeitsanforderungen) wie auch zur familiären Situation. Entlang der im Folgenden zu erläuternden vier Dimensionen der Karrierepolitik werden wichtige Gesprächspassagen paraphrasiert (unter Anreicherung von Originaltextstellen), kodiert und den jeweiligen Untersuchungsdimensionen zugeordnet. Die Rekonstruktion des Materials folgt dabei den Grundzügen einer „gegenstandsorientierten“ Theoriebildung: im Sinne einer Synthese aus Theoriegeleitetheit und Offenheit erfolgt ein Oszillieren zwischen einer textnah-offenen Kategorienvergabe sowie konsensuellen Kodierungen unter Zuhilfenahme theoretisch sensitiver Konzepte119 (Witzel 1982; Schmidt 1997; Kelle/Kluge 1999). Nachdem alle Fälle auf diese Weise aufbereitet und eingehend interpretiert wurden, erfolgen querdimensionale Vergleiche zwischen den Fällen mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Ausprägungen der Untersuchungsdimensionen, -kategorien und Subkategorien zu identifizieren und diese zu Typen zu verdichten (vgl. Kelle/Kluge 1999: 67f., 72ff.). Das typenbildende Verfahren wurde gewählt, da es sowohl die Deskription der Ergebnisse als auch die spätere Hypothesen- und Theoriegenerierung unterstützt, denn durch die Bildung von Typen kann „eine komplexe soziale Realität auf wenige Gruppen bzw. Begriffe reduziert werden, um sie greifbar, und damit begreifbar zu machen“ (ebd., S. 9). Aufbauend auf dem zuvor dargelegten Konzept der Karrierepolitik, haben wir im Forschungsprojekt vier Untersuchungsdimensionen unterschieden: 1. 2. 3. 4. 119
Arbeitsmotive und berufliches Selbstkonzept, Karriereaspirationen, Umgang mit dem subjektiven Arbeitsvermögen: Strategien und Ressourcen, Modell der alltäglichen und biografischen Lebensführung.
Nach Kelle und Kluge resultiert die relative Vagheit sozialwissenschaftlicher Begriffsbildung aus dem Gegenstandsbereich selbst, ist aber nicht primär ein Hindernis, sondern eine Voraussetzung der Sozialforschung: „Diese benötigt gerade nicht definitive Konzepte, d.h. scharf umrissene, wohldefinierte und präzise operationalisierte Begriffe, sondern offene Konzepte, die den Untersucher oder die Untersucherin für die Wahrnehmung sozialer Bedeutungen in konkreten Handlungsfeldern sensibilisieren. [...] Sensibilisierende Konzepte dürfen also nicht vor einer empirischen Untersuchung (etwa durch eine genaue Definition und Operationalisierung) präzisiert werden, ihre Konkretisierung muß vielmehr in Auseinandersetzung mit der Realität einer sozialen Lebensform stattfinden“ (Kelle/Kluge 1999: 26f.; Hervorhebung im Original).
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Sowohl in den Gesprächen als auch in deren Rekonstruktion verschränken sich synchrone und diachrone Betrachtungen: synchron im Sinne der Auseinandersetzung der Personen mit aktuellen betrieblichen Anforderungen der Arbeit, diachron im Sinne retrospektiver und prospektiver berufsbiografischer Schilderungen. Im Fokus stehen dabei nicht vorberufliche oder außerberufliche Sozialisationserfahrungen, sondern Erzählungen zu Erlebnissen und Erfahrungen im betrieblichen Kontext und die Muster ihrer Verarbeitung im Rahmen der beruflichen Karriere und der alltäglichen Arbeit. 1. Arbeitsmotive und berufliches Selbstkonzept: Mit dieser Untersuchungsdimension werden relevante subjektive Bezugsgrößen und Maßstäbe bezeichnet, die die von uns befragten Arbeitnehmer mit ihrer alltäglichen Arbeit in Verbindung bringen bzw. die ihnen im Hinblick auf die Beurteilung der eigenen Arbeitstätigkeit wichtig erscheinen. Diese normativen Ansprüche an Arbeit beziehen sich auf Aspekte wie den Grad an Autonomie und Verantwortung innerhalb der Arbeit, die Güte des Arbeitsergebnisses, den kommunikativen Austausch, die Selbstwirksamkeitserfahrungen innerhalb der Arbeit und die Chance, für erbrachte Leistungen und Beiträge anerkannt zu werden (Keupp u.a. 1999: 198– 204; Voswinkel 2000, 2003; Pongratz/Voß 2003b: 229ff., 2003a; Krömmelbein 2004: 52ff.). Entsprechende subjektive Kriterien bilden sich in beruflichen Sozialisationsprozessen heraus, beispielsweise im Kontext von Interaktionserfahrungen mit Führungskräften, Kollegen oder Kunden, können aber auch prägenden Einflüssen anderer Lebenssphären unterliegen (vgl. Heinz 1995; Holtgrewe 2000: 63; Kruse 2002; Krömmelbein 2004).120 Hierbei lässt sich grob unterscheiden zwischen:
einem professionalistischen Selbstkonzept (die Arbeitsmotive und das subjektive Rollenverständnis speisen sich markant aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe und den damit verbundenen spezifischen Wissensbeständen, Wertorientierungen und gesellschaftlichen Statuszuweisungen) (vgl. Mieg/Woschnack 2002: 186f.); einer starken Identifikation mit der betrieblich zugewiesenen Arbeitsrolle oder Funktion im Sinne einer weitreichenden Internalisierung betrieblicher Anforderungen und Rollenkonzepte; einem individualistischen beruflichen Selbstkonzept (die normativen Maßstäbe an Arbeit orientieren sich primär an der eigenen Persönlichkeit, Bio-
120
Das Ausmaß an Identifikation mit bzw. Distanz zur Arbeitstätigkeit und Berufsrolle beeinflusst dabei den Umgang mit beruflichen Belastungen und Leistungsanforderungen (vgl. auch Schaarschmidt/Fischer 2001: 9ff., 18f.).
233
grafie und den in unterschiedlichen Handlungskontexten erworbenen Kompetenzen und Erfahrungen und sind dabei weniger stark an betrieblich bestimmte fachliche Arbeitsinhalte oder berufliche Rollenkonzepte gebunden (vgl. Baethge 1991; Keupp u.a. 1999: 128; Mieg/Woschnack 2002: 188f. in Anlehnung an Haußer 1995); einem primär instrumentellen beruflichen Selbstverständnis (die Arbeitstätigkeit wird primär nach Aspekten der Einkommenserzielung und materiellen Absicherung bewertet; ausgeprägte normative Ansprüche an die Berufstätigkeit oder den sinnhaften Beitrag beruflichen Handelns werden hingegen nicht formuliert) (vgl. Betzelt 2006: 36ff.).
2. Karriereaspirationen: Diese Dimension bezeichnet subjektive Pläne, Entwürfe und Ziele beruflicher Weiterentwicklung, die Erwerbstätige entwickeln, um den Verlauf ihrer beruflichen Karriere aktiv mitstrukturieren zu können. Die Aspirationen können unterschiedlich klar formuliert sein und sich in ihren Planungshorizonten (kurz-, mittel- oder langfristig) sowie den dahinter stehenden Orientierungsmustern beruflicher Tätigkeit und Entwicklung deutlich unterscheiden. Karriereziele haben in der Regel einen konkreten Bezug zu den betrieblichen Laufbahnstrukturen, -kriterien und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Sie können sich beispielsweise auf das Erreichen einer betrieblichen Position in einem bestimmten Zeitabschnitt, auf horizontale Tätigkeitswechsel, Aufgabenerweiterungen oder auf das Verweilen in der jetzigen Aufgabe beziehen (als Ausdruck von Statussicherung, hoher Zufriedenheit mit der gegenwärtigen Aufgabenstellung und Position oder fehlender Entwicklungsperspektiven und alternativen). Karriereaspirationen korrespondieren mehr oder weniger stark mit den im beruflichen Selbstkonzept der Person verankerten Motivlagen, Kompetenzen, Erfahrungen und Wertorientierungen.121 Karriereaspirationen umspannen „den Planungshorizont nicht einfach als eine idealistische Zusammenstellung von Wünschenswertem; vielmehr ist der Bezug auf die Handlungsbedingungen enthalten: Die Ziele werden ins Verhältnis gesetzt zu normativen Lebenslaufmustern, institutionellen Anforderungen, Steuerungs- und Kontrollmechanismen, zu den potentiell zur Verfügung stehenden Ressourcen und
121
Der Ansatz des Karriereankers stellt den Versuch einer Klassifikation von Karriereorientierungen dar (vgl. Schein 1994). Scheins Typologie unterscheidet acht im beruflichen Selbstkonzept der Person verankerte Orientierungsmuster mit jeweils unterschiedlich ausgeprägten Motivlagen, Fähigkeiten und Wertorientierungen, entlang derer Menschen ihre Berufslaufbahn mehr oder weniger intentional zu steuern versuchen. Sein Konzept des Karriereankers unterscheidet zwischen einer inneren und einer äußeren Karriere sowie unterschiedlichen Motivlagen. Die Annahme einer Zentralität bzw. erwerbsbiografischen Stabilität eines einzelnen Karriereankers erscheint dabei allerdings ebenso problematisch wie die Ausblendung der organisationalen, sozialen und lebensweltlichen Rahmenbedingungen, Ressourcen und Strategien der Karriere.
234
zur Wahrnehmung der Aufgabenstellung, die sich aus den strukturellen Anforderungen ergeben“ (Witzel 1996: 62).
Die von den Karriereaspirationen zu abstrahierenden Orientierungsmuster beruflicher Entwicklung lassen sich als generative Strukturierungsprinzipen der individuellen Gestaltung der beruflichen Biografie betrachten. Hierzu zählen unter anderem Motive wie Absicherung, Aufstieg, Zugewinn an fachlicher Professionalität oder auch Persönlichkeitsentfaltung. Sie fokussieren die erwerbsbiografischen Gestaltungsleistungen und Handlungsstrategien auf angestrebte Zustände, deren Erreichen ungewiss sein kann (beispielsweise konkrete Positionen oder Tätigkeiten in einem Unternehmen); alternativ können sie den Prozesscharakter beruflicher Weiterentwicklung als potenziell nicht abschließbaren Vorgang zum Ausdruck bringen. 3. Umgang mit dem subjektiven Arbeitsvermögen: Strategien und Ressourcen: Mit dieser Dimension werden konkrete Handlungsstrategien der Subjekte bezeichnet, die sich darauf konzentrieren, den Verlauf der eigenen beruflichen Karriere innerhalb und auch außerhalb des betrieblichen, durch interne Arbeitsmarkt- und Laufbahnstrukturen und HR-Strategien geprägten Rahmens positiv zu beeinflussen. Strategien im Umgang mit dem eigenen Arbeitsvermögen können sich beispielsweise auf den Erwerb tätigkeits- oder positionsbezogener Wissensgebiete, Erfahrungen und Kompetenzen (im Sinne von Spezialisierung bzw. Vertiefung versus einer breiten bis generalistischen Kompetenzentwicklung) oder auch den Erwerb formaler oder betriebsspezifischer Zertifikate beziehen. Die Realisierungschancen entsprechender Strategien hängen maßgeblich vom Zugang zu betrieblichen Ressourcen oder der personalen Fähigkeit zur Mobilisierung individueller oder sozialer Ressourcen im Arbeits- und Lebenszusammenhang ab. Bezogen auf das HRM sind insbesondere der Zugang zu betrieblich finanzierter Weiterbildung, die Darlegung beruflicher Entwicklungsoptionen oder auch konkrete Karrierefahrpläne wichtige betriebliche Ressourcen, die zur Absicherung und Weiterentwicklung der individuellen beruflichen Laufbahnen beitragen. Durch das Individuum mobilisierbare und transferierbare, dessen Handlungsfähigkeit wie auch den beruflichen Verlauf potenziell günstig beeinflussende Bewältigungs- und Gestaltungsressourcen können vielfältiger Art sein:
kognitiv-psychische Ressourcen (angemessener Umgang mit Belastungen der Arbeit, Selbstvertrauen, Kompetenz und Bereitschaft eines lebensbegleitenden Lernens), gesundheitliche Ressourcen (gesundheitsförderliche Gestaltung des Arbeitsplatzes, subjektive Erholungsfähigkeit),
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soziale Ressourcen (Fähigkeit und Möglichkeit zu Aufbau, Nutzung und Pflege sozialer Beziehungen und Netzwerke), kulturelle Ressourcen (soziale Herkunft/Habitus, Fertigkeiten und Kenntnisse, formalisierte Bildungsabschlüsse), symbolische Ressourcen (Reputation, Status, Einfluss), biografische Ressourcen (Fähigkeit eines reflektierten Umgangs mit Unsicherheit, Offenheit, Brüchen und Diskontinuitäten zur Aufrechterhaltung biografischer Handlungsfähigkeit) (vgl. Bourdieu 1983; Negt 1998: 34; Keupp u.a. 1999: 198ff.; Leu 1999; Schaarschmidt/Fischer 2001; Baethe/Baethge-Kinsky 2002; Hartmann 2003; Hoff 2003; Runia 2003).
Für die Strategien im Umgang mit dem eigenen Arbeitsvermögen ist ebenso wie im Kontext von „Identitätsarbeit“ (Keupp u.a. 1999) von einem komplexen Verhältnis zwischen Ressourcenverfügung und subjektiver Handlungsfähigkeit auszugehen: „Gerade der Mangel an bestimmten Ressourcen initiiert identitätsbezogene Entwicklungsprozesse. Selbst dann, wenn zur Umsetzung von Identitätszielen oder -projekten die entsprechenden Kompetenzen, Energien und Kontakte erst noch angeeignet werden müssen, wirken diese bereits als Zukunftsorientierungen und Entwicklungsressourcen. Und umgekehrt ist ein ‚üppiges‘ Reservoir an Ressourcen keinesfalls schon eine Garantie für eine gelingende Identitätsentwicklung“ (ebd., 198).
4. Modell der Lebensführung: Die letzte Untersuchungsdimension thematisiert das Verhältnis von Arbeitstätigkeit und außerberuflichem Lebensbereich. Sie bezieht sich dabei nicht auf die von Erwerbstätigen (sowie gegebenenfalls vorhandenen Familienangehörigen) im Lebensalltag zu erbringenden Synchronisations- und Koordinationsleistungen, sondern vielmehr auf den variierenden subjektiven Stellenwert lebensweltlicher Bedürfnisse und Anforderungen (Partnerschaft, Familie, Freizeit, gesellschaftliches Engagement etc.) gegenüber den eigenen normativen Ansprüchen an Arbeit und den betrieblichen Flexibilitäts-, Mobilitäts- und Leistungserwartungen an die Person. Hier lässt sich grob unterscheiden zwischen:
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einer „entgrenzt-arbeitszentrierten Lebensführung“ (in der der lebensweltliche Kontext den Flexibilitäts- und Verfügbarkeitsanforderungen der Arbeit oder auch den eigenen Leistungs- und Karriereansprüchen untergeordnet wird) (vgl. Ewers u.a. 2004); einer „Balanceorientierung“ (in der beide Sphären entweder als gleichberechtigt betrachtet werden oder vermieden werden soll, dass durch betriebliche Flexibilitätserfordernisse oder eigene Ansprüche an die Berufstätigkeit eine Beeinträchtigung des individuellen Lebenshintergrundes entsteht);
einer „pluralen Orientierung“ (als Kennzeichen eines stärker instrumentellen Verhältnisses zur Arbeitstätigkeit im Sinne der Existenzsicherung und einer herausgehobenen Bedeutung des außerberuflichen Lebens mit seinen Aktivitäts- und Partizipationsangeboten an Lebensführung und Identität) (vgl. Jurczyk u.a. 2000: 59f.).
Idealtypisch lassen sich, angelehnt an Voß (2000a: 274ff.), drei Funktionslogiken der Lebensführung, verstanden als zeitlich überdauernde Gestaltungsmuster bzw. Stile der Lebensplanung, unterscheiden:
„Traditionale Lebensführung“ bezeichnet einen nahezu selbstverständlichen Umgang der Person mit gesellschaftlichen Norm- und Wertvorstellungen bezüglich der Arbeits- und Lebensweise. Typisch hierfür ist ein hoher subjektiver Stellenwert der Berufstätigkeit für den Prozess der Identitätsbildung und Alltagsstrukturierung, moderate Karriereambitionen, ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einer berechenbaren und kontinuierlich verlaufenden Arbeits- und Lebenssituation sowie eine starke regional-soziale Einbettung der Person. „Strategische Lebensführung“ bezieht sich auf das individuelle Bestreben einer langfristig ausgerichteten und methodischen Planung der beruflichen Karriere und des Lebens. Neben einem ökonomisch kalkulierten Umgang mit Ressourcen der Lebensführung findet sich eine klare Segmentierung der Sphären Arbeit und Leben mit dem Ziel einer Optimierung beider Bereiche entsprechend ihrer Eigenrationalität. „Situative Lebensführung“ bezeichnet einen hochgradig flexiblen Modus der subjektiven Auseinandersetzung mit wechselnden Anforderungen, Optionen und Chancen in der Arbeit und dem außerberuflichen Leben. Anstelle langfristig ausgerichteter Karriere- oder Lebenspläne erfolgt eine spontane Reaktion auf ungeplante Optionen oder äußere Veränderungen. Nicht Planbarkeit oder eingespielte Abläufe sind feste biografische Orientierungsgrößen, sondern ein hohes Vertrauen in personale Fähigkeiten und Flexibilität.122
122
Voß (ebd.) unterscheidet hierbei zwischen einer privilegierten und einer deprivierten Variante: Entweder ist der Gewinn oder die Behauptung von Zeitsouveränität das Ziel eines quasi-spielerischen Umgangs mit Offenheit oder es findet sich gegenteilig ein atemloser, tendenziell richtungsloser Lebensstil, in dem auf eigensinnige Relevanzsetzungen weitgehend verzichtet wird, weil das Individuum keine Alternative sieht, als sich den äußeren Anforderungen und Gelegenheiten nahtlos anzupassen (vgl. auch Sennett 2000).
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3.4 Karrierepolitiken im Kontext von Flexibilisierung und Subjektivierung Die Rekonstruktion berufsbiografischer Orientierungs- und Gestaltungsmuster und deren Verdichtung zu Typen der Karrierepolitik wurden vor dem Hintergrund des betrieblichen HRM und den Arbeitsbedingungen und -anforderungen in der untersuchten Geschäftseinheit vorgenommen. Die Typen der Karrierepolitik verweisen auf am Einzelfall belegbare Formen subjektiver Auseinandersetzung mit den betrieblichen Rahmenbedingungen beruflicher Entwicklung und Bewährung, besitzen aber einen über die konkrete biografische Situation der Einzelperson hinausgehenden Erklärungsgehalt. Jeder Typus akzentuiert ein für eine Gruppe von Personen gültiges, klar unterscheidbares Muster der Interpretation und aktiven Gestaltung der beruflichen Karriere.
3.4.1
Human Resource-Management und Karriere aus Mitarbeitersicht: Eine typenübergreifende Perspektive
In den Interviews finden sich eine Reihe typenübergreifender, genereller Aussagen und Einschätzungen zu betrieblichen Möglichkeiten und Restriktionen beruflicher Entwicklung. Sie werden der Darstellung der Typologie zunächst vorangestellt und beziehen sich auf die Beurteilung der Attraktivität der betrieblichen Karrierewege, die Praxis der jährlichen Mitarbeitergespräche und die generelle Anforderung an eine hochgradig eigenverantwortliche, quasiunternehmerische Entwicklung und Vermarktung des individuellen Arbeitsvermögens.
3.4.1.1
Attraktivität betrieblicher Karrierewege
Nahezu alle von uns befragten Mitarbeiter geben in Übereinstimmung mit einigen Führungskräften und Ressourcenmanagern an, dass die Fachkarriere (d.h. eine Tätigkeit mit primär technischer Verantwortung als Inbetriebsetzer, Softwareentwickler oder technischer Spezialist) im Laufe der vergangenen Jahre vernachlässigt worden sei und heute an Attraktivität und Bindungskraft verloren habe. Diese Einschätzung bestätigt sich an dem objektiven Kriterium, dass die untersuchte Organisationseinheit seit vielen Jahren mit einer hohen Personalfluktuation zu kämpfen hat und zum Zeitpunkt der Erhebung eigene Befragungen zu den Ursachen und Gründen dieser Personalabwanderung angestellt hat. Auch wenn bereits in der Phase der Personalrekrutierung den Bewerbern gegenüber heute deutlich kommuniziert wird, dass die angebotenen Aufgabengebiete wenig
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Möglichkeiten einer klassischen Aufstiegskarriere bieten, sondern primär dem Erwerb technisch anspruchsvoller Kompetenzen dienen, sind einige der Befragten, die sich mehr oder weniger bewusst für eine Fachlaufbahn entschieden haben, mit ihrer beruflichen Status unzufrieden Als Begründung für diese Unzufriedenheit wird häufig angeführt, dass die Fachkarriere insgesamt weniger innerorganisationalen Status und Prestige vermittele als eine Projekt- oder GeneralManagementkarriere und sich dieses Statusgefälle in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren ausgeweitet habe. Die Abschaffung von Privilegien für Inbetriebsetzungsingenieure in Auslandsprojekten (automatische Beförderungen, regelmäßige Gehaltserhöhungen in Abhängigkeit der Betriebszugehörigkeitsdauer, Business-Class-Reisen, großzügige Spesenabrechnungen, Zuteilung von assistierenden Monteuren) wird als relativer Prestigeverlust gegenüber vergleichbaren betrieblichen Statusgruppen im General Management, Vertrieb oder Projektmanagement gewertet. Jedoch greift eine primär auf monetäre Aspekte und Privilegien abzielende Erklärung des Gefühls abnehmender betrieblicher Wertschätzung der Leistungen und Kompetenzen von Fachleuten und technischen Experten zu kurz. Da gehobene Positionen in der kaufmännischen und technischen Projektleitung seit einigen Jahren in der Regel durch Mitarbeiter der Verbundkunden besetzt werden, sind die Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten der hoch qualifizierten Leiharbeiter in der Fach- und Projektkarriere faktisch deutlich limitiert: „Na ja, dass man eben über diese-, wenn man erst mal in Projekte reinkommt, dass man schnell zum Projektleiter aufsteigen kann und dass man eben, wenn einem das nicht gefällt, in andere Bereiche reinkommt, z.B. von Energieleittechnik weg zu Unternehmensbereichen wie Medizintechnik oder sonst irgendwas. Gut, und das-, also er hat das sehr gut verkaufen können, muss ich sagen, das stellte sich nachher als ’n bisschen anders-, also als relativ dar, ganz klar, weil wenn ich keine Projekte habe, dann brauch ich auch nicht so viele Projektleiter. Und was man auch sehen muss, ist natürlich, dass die Projektleiter natürlich immer meistens aus den eigenen Reihen kommen, ist ganz klar“ (I 19: 351–360).
Insgesamt werden die Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich einer Vertriebsund Projektkarriere deutlich positiver eingeschätzt als in der Fachkarriere. Dies begründen viele der Befragten damit, dass Mitarbeiter in kaufmännischen und methodischen Aufgaben aufgrund ihrer häufigeren Präsenz am Standort sowie umfangreicher Förderungsangebote besser in der Lage seien, ihre Karriere voranzutreiben. Während sich die Projektkarriere durch eine enge Verzahnung von Kompetenz- und Karriereentwicklung auszeichnet, indem Beförderungen an den Erwerb betrieblich zertifizierter methodischer, kaufmännischer und kommunikativer Kompetenzen gekoppelt werden, sind die Aufstiegskriterien im Bereich der Fachkarriere weniger transparent und formalisiert, sondern an das Erfahrungswissen, die Problemlösungskompetenz und Flexibilitätsbereitschaft der Person
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gebunden. Die fehlende formale Zertifizierung entsprechender „Lerntrajekte“ hat allerdings zur Folge, dass es Mitarbeitern im Rahmen der Fachlaufbahn kaum möglich ist, ihre Beförderung als Resultat erfolgreicher eigener Bildungsanstrengungen gegenüber ihren Kollegen darzustellen, denn Beförderung erwecken hier unter manchen Kollegen den Eindruck willkürlicher Entscheidungen oder „Nasenprämien“. Ein erfahrener leitender Ingenieur verdeutlicht das dadurch forcierte Statusgefälle zwischen den Laufbahnen und die damit verbundenen ungleichen Förder- und Entwicklungsmöglichkeiten: „Früher war es eigentlich so, man wurde entsprechend gefördert auch, da war so ’n gewisser Automatismus auch drinne. Er wurde irgendwo gewürdigt als Inbetriebsetzer, man hat ’n gewisses Ansehen auch gehabt, genauso wie bei den Vertrieben. Heute hat sich das umgewandelt. Heute sitzen da in den Vertrieben Leute, die haben zwar ihre Projektmanagerkurse besucht und ihre Titel und meinen dadurch automatisch, sie stehen irgendwo höher. Und die werden auch mehr gefördert. Man kommt schneller voran, wenn man hier irgendwo im Büro sitzt und ’ne Arbeit macht. [...] Und wenn man hier im Büro sitzt, kann man doch mehr an seiner Karriere, sagen wir mal irgendwo selber basteln halt, ne“ (I 34: 266–273, 276–278).
3.4.1.2
Praxis der jährlichen Mitarbeitergespräche
Wie bereits ausführlich dargelegt, bilden die jährlichen EFA-Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeitern die Grundlage der Personalbeurteilung, PE und Karriereplanung auf operativer Ebene. Die Beurteilung dieses Instrumentes durch die beteiligten Akteure und ihr praktischer Umgang damit entscheidet darüber, inwieweit die personalpolitischen Ziele in den Geschäftsbereichen, aber auch in der übergeordneten Ebene erreicht werden können und welchen Einfluss das Kompetenzmanagement auf das Handeln der Führungskräfte und Mitarbeiter entfaltet. Die faktische Bedeutung der jährlichen Mitarbeitergespräche auf den Verlauf der beruflichen Karriere und die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen muss, vergleicht man die Äußerungen der befragten Mitarbeiter und Führungskräfte in der untersuchten Geschäftseinheit, insgesamt als gering eingestuft werden. Die überwiegend kritischen Stimmen resultieren weniger aus einer prinzipiellen Ablehnung dieses Personalbeurteilungs- und Entwicklungssystems und der damit verbundenen Ziele als vielmehr aus der Form seiner Anwendung im Rahmen der Führungspraxis.123 Ein von Mitarbeitern und Führungskräften her123 Es finden sich aber auch durchaus positive Einschätzungen mancher Mitarbeiter. Ein befragter Auslandsinbetriebsetzer hält das EFA-Gespräch für eine „sehr nützliche Sache“ und ein für beide Seiten „gleichberechtigtes Instrument“ (I 17: 1137–1138, 1226), um durch die Vereinbarung von Weiterbildungsmaßnahmen sicherzustellen, dass der betreffende Mitarbeiter die Tätigkeitsanforderungen seiner Stelle in einem definierten Zeitraum erfüllen kann. Zugleich biete es die Möglichkeit, auf einer sachlichen Grundlage eigene Interessen zu artikulieren und wirksamer durchzusetzen zu können: „Und dann eben zu sagen, hier, damit bin ich nicht zufrieden, ich bin mit der Entscheidung
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ausgestelltes Problem bezieht sich auf die aus der Trennung zwischen fachlicher und disziplinärer Führungsrolle resultierende Problematik einer angemessenen Leistungs- und Potenzialbeurteilung durch den disziplinarischen Vorgesetzten: „Mein Chef hier weiß nicht hundertprozentig, was ich da drüben arbeite. Der weiß, dass ich arbeite da drüben, und er weiß ganz grob, woran ich da arbeite, aber er weiß von der Arbeitssituation und von meiner Situation dort eigentlich gar nichts. I 1: Er könnte Sie auch eigentlich gar nicht beurteilen. B: Er kann mich nicht beurteilen. Auf gar keinen Fall“ (I 24: 539–544). „Das ist schon ’ne gute Frage, wie will man das überhaupt beurteilen? Fühlt man sich überhaupt kompetent genug, das zu machen. Also nein, ist man kompetent genug, um das zu machen. Ich meine, es gibt viele Leute, die fühlen sich zwar so, sind ’s aber nicht. Ähm, die andere Sache ist halt einfach die, es wird pro- [...] Papier produziert für letzten Endes die Personalabteilung und für den Betriebsrat, und was da drinne steht, ist eigentlich doch kompletter Käse“ (I 28: 960–965).
Die hoch qualifizierten Leihkräfte werden fachlich von den kaufmännischen und technischen Projekt- und Terminmanagern sowie Baustellenleitern geführt. Allerdings scheinen diese oftmals wenig Neigung zu verspüren, die an sie verliehenen Mitarbeiter zu beurteilen, einerseits aufgrund des immensen Zeit- und Kostendrucks, andererseits aufgrund des Umstands, diese nach Ablauf des Projekts nicht weiterbeschäftigen und dementsprechend motivieren zu müssen. Den disziplinarischen Vorgesetzten fällt es dementsprechend schwer, Anerkennung für erbrachte Leistungen und Kompetenzen glaubwürdig zu kommunizieren, zumal der Kontakt zu den Mitarbeitern (insbesondere denen in Auslandsprojekten) von vornherein eher unregelmäßig stattfindet und Loyalitätsbindungen seitens der Mitarbeiter relativ schwach ausgeprägt sind: „Ähm, das ja, also, wir, ich hoffe, dass den Mitarbeitern immer klar ist, wie sehr wir ihre technische Fähigkeit und vor allem ihre Mobilität anerkennen. Wir versuchen es ihnen zu sagen. Ich bin nicht sicher, ob das immer ankommt, muss ich ehrlich zugeben. Ähm, das ist ein sehr schwieriges Thema, ähm, liegt eben auch in der Tatsache drin, dass wir eben Außendienstabteilung sind, d.h. nicht unmittelbaren regelmäßigen Kontakt haben zu unseren Mitarbeitern. Ähm, es gibt bestimmt eine Menge Mitarbeiter, die sich nicht ausreichend anerkannt fühlen in ihrer Tätigkeit“ (I 16: 612–619).
Trotz aller elaborierten Instrumente der Personalbeurteilung ist der Beurteilungsprozess zu einem beträchtlichen Teil durch subjektive, methodisch kaum zu kontrollierende Wahrnehmungsschemata geprägt: „Also die Beurteilung an der Stelle ist sicherlich sehr stark auch durch die persönliche Wahrnehmung geprägt, wenn der Mitarbeiter im Büro ist, wenn man den nächsten Einsatz mit ihm von meinem Chef nicht zufrieden, hier stand das so und so festgeschrieben, ich möchte das jetzt einfordern, die Möglichkeit haben sie damit, und ich denke, das ist ’ne sehr gute Möglichkeit“ (I 17: 1147–1151).
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bespricht, wenn man mal anruft am Telefon, wie reagiert er, da muss man halt auch zwischen den Zeilen dann hören, wenn man so kurze Gesprächsmomente dann hat an der Stelle. [...] Und so muss man halt sicherlich vieles subjektiv aus dem Bauchgefühl raus, mit den entsprechenden Signalen aufnehmen und das dann so als Mosaik zusammensetzen“ (I 31: 71–75, 81–83).
Insbesondere die überwiegende Abwesenheit eines Großteils der Mitarbeiter vom Standort erschwert eine konsequent durchgeführte und aussagekräftige Personalbeurteilung, die die zentrale Basis für PE, Weiterbildung und Karriereplanung der Mitarbeiter bildet. Empirisch betrachtet, nahm die Häufigkeit von Baustellenbesuchen durch die Personalvorgesetzten infolge schrumpfender Projektteams und verkürzter Einsatzzyklen deutlich ab mit der Folge, dass die jährlichen Mitarbeitergespräche oftmals ganz entfielen oder in wenig aussagekräftiger Form durchgeführt wurden (z.B. ohne persönlichen Kontakt per E-Mail). Ein Großteil der befragten Mitarbeiter gab an, im Verlauf der bisherigen beruflichen Karriere wenig Rückmeldung über erbrachte Arbeitsleistungen und Entwicklungsmöglichkeiten zu erhalten. Individuelle Vereinbarungen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter über Weiterbildungsmaßnahmen wurden in vielen Fällen entweder gar nicht erst getroffen oder aber nicht umgesetzt, was auch auf die Praxis einer möglichst hohen Auslastungsquote im Personalvermittlungsgeschäft zurückgeführt werden kann: „Das war früher mal, da ist mein Chef, der ist nach Wien gereist, hat sich da mit den Leuten unterhalten, wie kommt der Herr Soundso, läuft das alles mit dem, sind Sie zufrieden, das gibt ’s heut nicht mehr. [...] Also heute wird man da hingeschickt, da soll man seinen Job machen und dann, wenn es fertig ist, dann [lacht] auf ein Neues“ (I 19: 468–471, 473–774).
Viele Mitarbeiter sind davon überzeugt, eigene berufliche Interessen durch informelle Kontakte oder aber direkte Verhandlungen mit dem Vorgesetzten wesentlich wirksamer durchsetzen zu können als im Rahmen der jährlichen Mitarbeitergespräche. Die Gründe hierfür stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der erwähnten Beurteilungsproblematik, dem geringen Engagement mancher älteren Führungskräfte, ihre Mitarbeiter umfassend zu beurteilen und über ihre fachlichen Kompetenzen hinaus systematisch weiterzuentwickeln, aber auch der abwehrenden Haltung einiger erfahrener Auslandsmitarbeiter gegenüber fachübergreifender Kompetenzentwicklung: „Das ganze Gespräch wird mehr als Pflichtübung empfunden. Weil die Leute halt, grad wenn sie länger mal dabei sind, so die Vierzig, Fünfzig überschritten haben dann auch, halt doch geprägt durch den Außendienst zum einen, sind sie sich sicherlich sehr stark über ihren eigenen, subjektiv empfundenen Marktwert sehr stark überzeugt, dass sie die Einzigen sind, die die Welt retten können. Und dementsprechend ist das Ganze, das so mit Sozialkompetenz und so tralala und was muss ich über Methodenkompetenz bewertet werden, ich habe (?) so nach dem Motto, da sind die sehr von sich überzeugt an der Stelle. Da wird ’s unheimlich schwer, verhal-
242
tensmaß- oder verhaltensbedingte Themen anzusprechen oder so was in der Art“ (I 31: 185– 194).
Diese Einschätzung ist nicht nur repräsentativ für die Einschätzungen der anderen befragten Führungskräfte, sondern korrespondiert auch mit den Aussagen einiger erfahrener Auslandsinbetriebsetzer in den Interviews. Entscheidend für den beruflichen Erfolg und gehaltlichen Aufstieg sind Eigeninitiative, Verhandlungsgeschick und der eigene Marktwert im Unternehmen; ob man dies innerhalb oder außerhalb des Rahmens der jährlichen Mitarbeitergespräche vollziehe, sei dabei zweitrangig. Auch die regional angesiedelten Personalberater werden nicht als Ansprechpartner für Mitarbeiterinteressen, beispielsweise im Hinblick auf Weiterbildung oder Karriereberatung, wahrgenommen. Vielmehr wird ihr Einfluss auf die eigene Karriere als nicht wahrnehmbar beschrieben. Selbst aus Sicht der befragten Führungskräfte nimmt die Personalorganisation ihre Zuständigkeit für „normale“ Tarifmitarbeiter kaum noch wahr: „Wenn ich ihnen sage, wenn du was werden willst oder wenn du dich in irgendeiner Form entwickeln willst und verändern willst, dann geh doch mal zur Personalabteilung. Dann kucken die mich groß an, ähm, im ersten Augenblick denken die wahrscheinlich, kann ich mir dann meine Papiere holen oder so was (lachen). Nein, also dass die Personalabteilung sich selbst für diese Aufgabe zuständig fühlt, ist, denke ich, den wenigsten Mitarbeitern bekannt. Vielleicht auf einem hohen Niveau im Führungskreis oder so was, Leute die, ne, Leute, die klassisch, sage ich mal so, Karriere machen, die, klar, die werden von der Personalabteilung gefördert, aber ein in den Augen des Mitarbeiters normaler Tarifmitarbeiter, was hat der denn mit der Personalabteilung zu suchen. Ich bin auch nicht ganz sicher, dass die Personalabteilung diesen Anspruch erfüllt. Wenn ich einen Mitarbeiter, der vier Jahre dabei ist, Tarifmitarbeiter ist, auch noch ein paar Jahre bleiben wird, zur Personalabteilung schicke und sage, mach doch mal ein Personalentwicklungsgespräch, dann würden die höchstwahrscheinlich sagen, sprechen sie mit ihrer Führungskraft. Doch, glaube ich schon, also, ich will den Kollegen da nicht zu nahe treten“ (I 16: 819–835).
An der geschilderten Praxis des EFA-Prozesses verdeutlicht sich die stärkere Selektivität der Zielgruppenbildung im Kontext des HRM: Das Personalmanagement fokussiert seine Aufmerksamkeit und Ressourcen primär auf die Gruppe der Führungskräfte und High Potentials, während die breite Masse der Mitarbeiter die Entwicklung und Vermarktung des eigenen Arbeitsvermögens sowie die Steuerung der eigenen Karriere weitgehend unberührt von dem direkten Einflussbereich der PE vollzieht. Auch mit dem elaborierten und prozessual hochgradig integrierten System der Personalbeurteilung und -entwicklung gelingt es dem Personalmanagement kaum, seinen schwindenden Einfluss auf die Karriereund Kompetenzentwicklung des Großteils der Mitarbeiter zu kompensieren.
243
3.4.1.3
Der Mitarbeiter als „Unternehmer seiner Selbst“
Wie verhalten sich nun die befragten Mitarbeiter zu dem vom Personalmanagement vertretenen Leitbild des Mitarbeiters als „Unternehmer seiner Selbst“ – wie weit reichen quasi-unternehmerische Orientierungen im Hinblick auf das berufliche Selbstverständnis, die Interessenlagen und den Umgang mit dem eigenen Arbeitsvermögen? Grundsätzlich betrachtet, nehmen nahezu alle Befragten die ihnen vom Unternehmen zugeschriebene Verantwortung für die Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen im Sinne individuellen Beschäftigungserhalts und einer eigeninitiativen Gestaltung der Karriere an. Dies scheint allerdings weniger durch die Präsenz personalmanagerieller Diskurse oder auch durch die Wirkmächtigkeit entsprechender Instrumente der Selbstevaluation und -optimierung im Rahmen des EFA-Prozesses bedingt zu sein als vielmehr durch die Arbeits-, Vermarktungs- und Entwicklungsbedingungen im Kontext globaler Projektarbeit und Bodyleasings. Diese Rahmenbedingungen konfrontieren die Beschäftigten mit einem enorm hohen Maß an Ungewissheit (im Hinblick auf die nächste Aufgabe, den Arbeitsort, das Projektteam, die Projektdauer, die Gestaltung der eigenen Karriere und die private Lebensführung), mit der alltäglich und berufsbiografisch aktiv und problembewältigend umgegangen werden muss. Die Mitarbeiter sind in Abhängigkeit ihrer Tätigkeit und ihres Einsatzortes mit variierenden Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen konfrontiert und verfügen somit auch über sehr unterschiedliche Spielräume, ihre berufliche Karriere und alltägliche Lebensführung entsprechend der persönlichen Vorstellungen und Anforderungen gestalten zu können. Bei überwiegend standortgebundenen Tätigkeiten (dies gilt insbesondere für die von uns befragten Softwareentwickler, Systemtester, Terminmanager und Projektleiter) existieren insgesamt hohe, aber individuell innerhalb gewisser Grenzen kalkulierbare Arbeitszeiten. Auslandseinsätze beschränken sich in diesen Tätigkeiten entweder auf wenige Wochen bzw. wechseln sich mit längeren Phasen am Standort ab. Insofern können diese Beschäftigtengruppen ein mehr oder weniger hohes Maß an Alltagsnormalität konstruieren, sodass sich eine gewisse Rhythmisierung und Routinisierung des Lebensführung einspielen kann. Wesentlich schwieriger stellt sich die Situation für die Inbetriebsetzer im Auslandseinsatz dar. Aufgrund der oftmals entgrenzten Wochenarbeitszeiten und der langwierigen Trennung von Familie und Wohnort ist es diesen oft kaum möglich, das eigene Privatleben entlang lebensweltlicher oder familiärer Bedürfnisse zu gestalten. Dauerhafte Arrangements im Sinne festgelegter, routinisierter und stabiler Elemente der Lebensführung sind hier oftmals nur um den Preis einer starken Unterordnung von familiären Interessen und Sozialzeiten zu erzielen. Die Tätigkeit im Auslandsprojektgeschäft erhöht die Notwendigkeit, sich biografisch in bewusster Weise mit der Frage auseinanderzusetzen,
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in welchem organisationalen Kontext die eigene Berufskarriere vor dem Hintergrund der individuellen Lebensführung mittel- bis langfristig verortet werden kann. Ein zentraler Aspekt des subjektiven Umgangs mit den Kontingenzen des Projektgeschäfts betrifft die Frage nach der Gestaltung von Projektübergängen. Im Bereich der Softwareentwicklung existieren oftmals keine klar anzugebenden Projektübergänge, da Mitarbeiter meistens in mehreren Projekten parallel arbeiten. Für Inbetriebsetzer und Projektverantwortliche hingegen stellen Projektübergänge wichtige Zeitfenster dar, um an Weiterbildung zu partizipieren, Erholungsurlaub zu nehmen oder aber entsprechende Weichen innerhalb der betrieblichen Karriere zu stellen. Die innerhalb der fünf Abteilungen organisational verankerten Ressourcenmanager spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Ihnen obliegt die disziplinarische Verantwortung für Personaleinsatzplanung, interne Vermarktung, Kompetenz- und auch Karriereentwicklung der ihnen zugeteilten Gruppe an Softwareentwicklern, Inbetriebsetzungsingenieuren und Projektmanagern. Sie fungieren als Makler für interne Kunden, die für die Besetzung von Projektteams Mitarbeiter mit spezifischen Qualifikationen, Kompetenzen und Erfahrungen suchen. An vielen Schilderungen der Mitarbeiter zu Projektübergängen wird deutlich, dass das an Prinzipien einer hohen Personalauslastung sowie einer schnellen Bereitstellung nachgefragter Fachkräfte und Experten orientierte Vermittlungsgeschäft in Widerspruch zum Wunsch nach einer langfristig kalkulierbaren Karriere- und Lebensplanung steht. Oftmals gestalten sich die Übergänge von einem Projekt in das nächste fließend, sodass für Erholungszeiten, Weiterbildung und Karriereplanung oder aber für die „Regenerierung des Privatlebens“ wenig Zeit und Gelegenheit bleibt: „Meistens geht ’s sehr schnell. Meistens ist es so, dass man von einem Tag auf den nächsten bufff ein Projekt am Hals hat. So wie ’s jetzt hier ist, weil ein Kollege wegfährt. Da muss man schon wieder, [...] da kommst nach Hause und hast schon ein nächstes Projekt in der Tasche und kannst im Prinzip schon wieder packen und im nächsten Flieger sitzen“ (I 29: 372–377).
Die Kontingenzen des Bodyleasing werden im Hinblick auf die zeitliche Dimension besonders deutlich. Aufgrund technischer Probleme oder kundenbezogener Anforderungen können sich laufende Projekte teilweise um viele Monate bzw. in extremen Fällen mehrere Jahre verlängern, sodass Planungen bezüglich nächster Schritte innerhalb der Karriere, Weiterbildungen oder auch private Vorhaben immer unter Vorbehalt stehen bzw. jederzeit durchkreuzt werden können. Der Zugang zu informellen Kanälen und Beziehungsnetzwerken bildet zugleich ein wichtiges soziales Kapital, das Beschäftigten ein bestimmtes Maß an Einfluss- oder Wahlmöglichkeiten bei der Gestaltung von Projektübergängen bzw. ihrer beruflichen Karriere eröffnen. Dieses soziale Kapital kann auf unter-
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schiedliche Weise erworben bzw. genutzt werden. Eine verbreitete Strategie besteht darin, Beziehungen zu ehemaligen Arbeitskollegen zu nutzen, indem man sich untereinander über etwaige Vakanzen in entstehenden bzw. geplanten Projektteams informiert: „Ich habe mir die Projekte zum Teil selber, natürlich kamen sie über meinen Vorgesetzten, aber teilweise gar nicht mal, ich habe sie mir herausgepickt. Zum Beispiel der zweite Beratungsjob in Dubai war das gewesen, auch für ein Flughafenprojekt. Da war ein Kumpel von mir hier gewesen, den ich damals, was ich erwähnt hab, in Nigeria kennengelernt habe. [...] Der kannte mich, der sagte, da gibt ’s ein Team, da bräuchten sie mich, haben mich gezielt angesprochen. Das haben wir dann, natürlich in Absprache mit einem Vorgesetzten, dann eingetütet. Das schlägt jetzt auch wieder den Bogen zu dem, was ich sagte, dass mein Vorgesetzter mir ziemlich freie Hand lässt. Natürlich muss ich ihm berichten, natürlich muss er zustimmen“ (I 26: 866–875).
Ein im Rahmen der Fach- und Projektlaufbahn typisches Muster erwerbsbiografischer Gestaltung und Absicherung besteht im Erwerb symbolischen Kapitals, zum Beispiel indem sich Beschäftigte eine Reputation als Spezialist oder als Problemlöser gezielt aufbauen. Der gute Ruf bei internen Verbundkunden eröffnet insbesondere erfahrenen Mitarbeitern Entscheidungsspielräume bei der Auswahl von Anschlussprojekten, da neben den Angeboten des Vorgesetzten auch informelle Anfragen der Verbundkunden zur Wahl stehen: „Ich muss es so sehen: Ich selber bin innerhalb des Unternehmens [...] durch meine Tätigkeit ja eigentlich am Ende des Tages mein eigener Unternehmer. Stimmt das irgendwo? Je nachdem, wie ich meine Tätigkeit verkaufe, wie ich sie mach und verkauft kriege, baue ich mir ’ne Reputation auf und werde entsprechend gefördert oder nicht, kann mir eventuell Anlagen aussuchen, kommt auf die Situation drauf an, und darauf basierend hab ich ’ne gewisse Flexibilität“ (I 23: 1041–1046). „Disziplinarische Vorgesetzte waren im Prinzip nur Verwaltungsvorgesetzte. Unsere Arbeit haben wir uns selber besorgt durch die engen Kontakte mit den Vertrieben und mit andern Abteilungen. Und durch unsern guten Ruf halt. Ja, wenn man mal ’n gewissen Ruf hat, dann [...] ja, dann kommen die Telefonanrufe von alleine, dann muss man sich da nicht mehr drum kümmern, ne?“ (I 32: 1029–1033).
Diese Form der eigeninitiativen und sich auf informellem Wege vollziehenden Selbstvermarktung korrespondiert in hohem Maße mit den Rationalitäten der betrieblichen HR-Strategie. Sie trägt auf operativer Ebene zur Entlastung des Vorgesetzten bzw. der Beschleunigung von Vermittlungsprozessen bei. Das innerhalb der Gruppe der befragten Inbetriebsetzer, Softwareentwickler und Projektmanager verbreitete unternehmerische Selbstverständnis erklärt sich allerdings nicht allein aus den betrieblichen Selbstvermarktungsanforderungen, sondern deckt sich bei vielen Befragten mit dem Wunsch nach Autonomie hinsichtlich eines selbstständigen Arbeitens. Einbindung in enge hierarchische
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Strukturen sowie Eingriffe des Vorgesetzten werden hochgradig abgelehnt; eine habituelle Distanz zum Management korrespondiert mit dem beruflichen Selbstverständnis insbesondere der Techniker und Ingenieure: „Und das Wichtigste, also für mich auch eins der wichtigsten Dinge ist, dass ich keinen Vorgesetzten habe, mit dem ich zusammenarbeiten muss. Das heißt, ich hab die Jahre immer [...] ich hab mich immer gefühlt wie ’n Ingenieurbüro, wie ’n Selbstständiger mit ’nem festen Gehalt am Monatsende. Ich hab sehr selbstständig gearbeitet, ich hab mich [...] ich hab niemandem gegenüber Rechenschaft abgelegt, außer natürlich, dass meine – meine Zahlen müssen stimmen am Monatsende, das ist ja klar“ (I 32: 909–915).
Das unternehmerische Selbstverständnis steht interessanterweise nicht in Kontrast zur Orientierung an beruflichen Standards bzw. der Strategie des Reputationsaufbaus (als Spezialist, als Problemlöser). Selbstunternehmerisches Agieren geht nur bedingt in betrieblichen HR-Strategien auf. So setzen einige der Befragten ihre Kompetenzen und ihre Reputation als Aushandlungsressourcen zur Realisierung von Arbeitnehmerinteressen gegenüber dem Vorgesetzten ein. Insbesondere erfahrene Mitarbeiter gehen zum Teil sehr selbstbewusst mit ihrem „internen Marktwert“ um und erwarten ein Entgegenkommen der Führungskraft im Hinblick auf eigene Standards und Ansprüche (z.B. bezogen auf die lokale Unterbringung, Weiterbildung, Einsatzregion) als Äquivalent für eine außerordentlich hohe Leistungsbereitschaft und Flexibilität. Nahezu alle Interviewten sehen ihre berufliche Zukunft innerhalb des Konzerns und zeigen dementsprechend kein ausgeprägtes Interesse am externen Arbeitsmarkt. Das hohe Maß an Unternehmensorientierung, Flexibilitäts- und Mobilitätsbereitschaft führt keineswegs zur Aspiration, sich in Zukunft als Selbstständiger zu vermarkten. Die institutionelle Anbindung und Absicherung an den Konzern bietet vielmehr erst den Möglichkeitsrahmen für eine hochgradig flexible und individualisierte Entwicklung und Vermarktung des Arbeitsvermögens. Allerdings ziehen sich seit vielen Jahren deutliche Risse durch das Systemvertrauen der Beschäftigten in die Stabilität und Sicherheit dieses institutionellen Rahmens für Beschäftigung, Weiterbildung und Karriere. Die Auswirkungen des intensivierten Wettbewerbs und der Globalisierung auf die Konzernpolitik und damit auch auf die Arbeitsplatzsicherheit werden im Rahmen der Projektarbeit unmittelbar spürbar und dementsprechend kritisch reflektiert. Angesichts der durch den EFA-Prozess angestoßenen Dezentralisierung der Verantwortung für Weiterbildung und Karriereentwicklung stellt sich die Frage, wie weitreichend sich diese neuartigen, quasi-unternehmerischen Verantwortungsmuster im berufsbiografischen Handeln der Akteure reflektieren. Nach Auswertung aller problemzentrierten Interviews lassen sich drei Typen subjektiver Karrierepolitik unterscheiden. Die Typenbildung wurde auf Grundlage der
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Interpretationsheuristik der Karrierepolitik mit ihren vier Untersuchungsdimensionen und zugehörigen Kategorien durchgeführt.
3.4.2 3.4.2.1
Typen der Karrierepolitik Typus „situativ-adaptive Karrierepolitik“
Der Typus „situativ-adaptive Karrierepolitik“ stellt mit fünf Interviewten die zahlenmäßig zweitstärkste Gruppe innerhalb der 17 typisierten Beschäftigteninterviews dar.124 Er bezeichnet ein biografisches Gestaltungsmuster, mittels dessen der Verlauf beruflicher Entwicklung als auch das Modell individueller Lebensführung kurzfristig den sich wechselnden Aufgabengebieten, Einsatzregionen und sozialen Kooperationsbezügen angepasst wird. Die hier zugeordneten Beschäftigten akzeptieren die aus der globalen Einsetzbarkeit (insbesondere bei häufigen oder längeren Auslandsprojekten) resultierenden Einschränkungen hinsichtlich einer regionalen Verwurzelung des Lebenszusammenhangs und einer Aufrechterhaltung befriedigender sozialer Kontakte außerhalb der Erwerbsarbeit. Selbst Personen mit Familie und Kindern verzichten weitgehend auf eigensinnige oder alternative lebensweltliche Relevanzsetzungen zugunsten einer stark entgrenzt-arbeitszentrierten bzw. situativen Lebensführung (vgl. Ewers u.a. 2004; Voß 2000: 274ff.). Die beständig zu leistende Adaption der individuellen Lebensführung und des Kompetenzprofils an betriebliche Erfordernisse führt zu einem Karriere- und Lebensentwurf „in der Schwebe“, der auf langfristige Planungen verzichtet. Wie lässt sich die subjektive Rationalität einer situativadaptiven Gestaltung der Erwerbsbiografie und Lebensführung erklären? Ist sie das Resultat einer bruchlosen und unreflektierten Internalisierung entgrenzter Flexibilitäts- und Mobilitätsansprüche des Betriebs an die Mitarbeiter? Befördert sie den Drift der Person und ihres Lebenszusammenhanges? Die diesem Typus zugeordneten Personen identifizieren sich stark mit ihrer Rolle als global einsetzbare hoch flexible Projektarbeiter und berichten fast ausnahmslos über ein hohes Ausmaß an subjektiver Arbeitszufriedenheit. Das Identitätskonzept der Personen ist untrennbar mit der Arbeitsrolle als Inbetriebsetzer, Softwareentwickler oder als kaufmännischer Projektmitarbeiter (respektive Projektmanager) verwoben und geht einher mit ausgeprägten Ansprüchen an die Autonomie und Professionalität des beruflichen Handelns. Professionalität umfasst dabei Aspekte wie eine sorgfältige Arbeitserledigung, Termintreue und eine fachlich-kompetente und erfolgreiche Problemlösung bzw. Aufgabenbewälti124 Von den insgesamt 18 problemzentrierten Interviews konnte eines keinem der drei entwickelten Typen eindeutig zugeordnet werden, weil der Befragte erst seit Kurzem im Unternehmen arbeitete und zudem seine Ausbildung gerade erst abgeschlossen hatte.
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gung. Diese subjektiven Standards des Arbeitshandelns sind ein deutliches Indiz dafür, dass die Arbeitsmotive und das berufliche Selbstkonzept dieses Typus nicht nur durch Übernahme der betrieblich zugewiesenen Arbeitsrolle, sondern auch durch die im Rahmen der Berufsausbildung bzw. des Hochschulstudiums erworbenen beruflichen Wissensbestände und Orientierungsmuster geprägt sind. Dieses professionalistische Moment wird überformt durch eine auf „Leistungsoptimierung“125 und Selbstwirksamkeit zielende Arbeitsorientierung. Die Möglichkeit, die im Rahmen des formalisierten und arbeitsprozessbezogenen Lernens erworbenen fachlichen und methodischen Kompetenzen unter hohem Zeit- und Kostendruck zur Lösung technisch komplexer Aufgabenstellungen einsetzen zu können und den Erfolg des eigenen und kollektiven Handelns unmittelbar und hautnah mitzuerleben, ist ein zentrales Element innerhalb des beruflichen Selbstverständnisses dieses Typus. Die Suche nach entsprechend intensiven Selbstwirksamkeitserfahrungen treibt die Personen (forciert durch beträchtlichen Kosten- und Termindruck innerhalb der Projekte, welcher sich oftmals in wechselseitigen „peer pressure“ zwischen den Projektkollegen übersetzt) immer wieder zu neuen Höchstleistungen an mit dem Effekt eines nahezu entgrenzten Umgangs mit dem eigenen Arbeitsvermögen. Überlange Wochenarbeitszeiten (bis zu siebzig Stunden über mehrere Monate hinweg) und Wochenendarbeit bis hin zur Grenze körperlicher Leistungsfähigkeit sowie ein Abgetrennt-Sein vom privaten Lebenskontext sind der Preis für entsprechend intensive Erfolgserlebnisse und Bestätigungen in der Arbeit: „Ich seh den Erfolg. Ich habe tausend Teile, die jetzt irgendwie von allen Leuten, von allen Nationalitäten zusammengebaut, hinterher einer drückt mal ’n Knopf, und das Ding funktioniert! Man hat den Erfolg direkt vor der Nase. Es ist das Traurige für die Kollegen, die sich hier im Büro den Kopf zermartert haben, [...] die sehen den Erfolg nicht und spüren den Erfolg nicht. [...] Wenn ich weiß, ich kann meine eigenen Ideen einbringen, und die werden systemtechnisch [...] im Team erarbeitet, und dann sagt man, okay, so machen wir ’s. Und hinterher [euphorisch ‚flüsternd‘:] Wahnsinn, es geht!“ (I 23: 721–726, 738–741)
Ein alle Tätigkeitsgruppen übergreifendes Motiv bezeichnet den Anspruch, die persönliche Autonomie und Verantwortlichkeit innerhalb der Arbeitsrolle im Berufsverlauf zu wahren bzw. auszuweiten. Die Kategorie der Autonomie be125
Mit Leistungsorientierung bezeichnen Pongratz und Voß eine für Arbeitskraftunternehmer typische Haltung der Leistungserbringung unter Nutzung von Handlungsspielräumen: „Die Haltung der Leistungsoptimierung drückt das Interesse aus, den eigenen Arbeitsbeitrag in einem permanenten, selbstgesteuerten Optimierungsprozess auf flexible Handlungserfordernisse abzustimmen“ (Pongratz/Voß 2003b: 229f.). Die Autoren heben hinsichtlich der Haltung von Leistungsoptimierung die zentrale Bedeutung der emotionalen Erlebnisqualität der Arbeit hervor. Dies umfasst die gemeinsame Bewältigung neuartiger Herausforderungen, das Erleben von Spaß, den Wunsch, das ‚Beste‘ herauszuholen, und führt oft „zur Verdichtung von Arbeit und zu zeitweise exzessiver Leistungsverausgabung“ (ebd.).
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zieht sich dabei auf die Möglichkeit, anspruchsvolle technische oder organisatorische Aufgaben und Probleme unter Nutzung und Weiterentwicklung des individuellen Erfahrungswissens weitgehend selbstorganisiert bearbeiten und lösen zu können: „Man ist in diesen Projekten auf jeden Fall autonomer, weil man ist zwangsläufig weit weg von der Heimat. Es gibt wenig Leute außer jetzt der Bauleitung, die einem reinreden können. Und dann kommt ’s eben drauf noch an, was für ’ne Art von Bauleiter sie haben. Wir hatten eigentlich immer Leute, die einfach darauf vertraut haben, dass die Mitarbeiter, die unten sind, schon gut sind, dass sie wissen, was sie tun. Und da hieß es eigentlich, na ja, heute müssen wir uns auf das konzentrieren und in der nächsten Woche muss das sein und bis dahin muss das fertiggestellt sein, und dann ist man losgelaufen, so wie man das für richtig gehalten hat“ (I 17: 363– 371).
Die Inbetriebsetzungsingenieure tragen diesen Autonomieanspruch besonders emphatisch vor. Er speist sich aus der großen und schwer zu ersetzenden Problemlösungskompetenz, den informellen Kooperationsstrukturen innerhalb kleiner Projektteams und einer habituellen Distinktion zum General Management. Dieser Autonomieanspruch ist im beruflichen Selbstverständnis der Inbetriebsetzer wie auch der informellen Arbeitskultur auf den Baustellen fest verankert. Die Mehrzahl der befragten Mitarbeiter in Auslandsprojekten unterscheidet hierbei zwischen zwei gegensätzlichen Arbeitskulturen: zum einen dem Projekt- und Anlagengeschäft (im Ausland), zum anderen dem klassischen „Bürojob“, d.h. einer Entwicklungs- oder Managementtätigkeit am Standort. Ein Softwareentwickler, der viele Jahre zuvor in der Auslandsinbetriebsetzung als Ingenieur eingesetzt war, stellt zentrale Unterscheidungsmerkmale dieser beiden „Kulturen“ heraus. Während seiner Tätigkeit im Anlagengeschäft hatte er die Möglichkeit, von Beginn an in Absprache mit Kunden und Vertriebspersonal konkrete technische Problemlösungen zu entwerfen, am Standort zu testen und dann vor Ort in Betrieb zu nehmen. Über die Tätigkeit im Anlagengeschäft berichtet er leidenschaftlich: „Gibt einem ’n gutes Gefühl, ja, das ist Projektgeschäft“ (I 32: 443–444). Er schätzte insbesondere die hohe Arbeitsautonomie und die unkomplizierten, unbürokratischen Kooperationsformen vor Ort. Autonomie bedeutet für ihn, selbstständig Projekt- oder Arbeitsaufträge von den Vertriebsfunktionen zu akquirieren, kurzfristig Teams für bestimmte Aufgaben zu formieren und die eigene Arbeitsplanung und -ausführung im Rahmen des Projektteams sehr selbstständig und ohne direkte hierarchische Eingriffe der Vorgesetzten umsetzen zu können. Seine jetzige Tätigkeit in der Softwareentwicklung betrachtet er hingegen als „’n typische(n) Bürojob“ mit geringer Verantwortlichkeit und wenig Einblick in die Relevanz und Wirksamkeit der eigenen Tätigkeit“ (I 32: 455). Viele der befragten Inbetriebsetzer, die lange Zeit im Ausland unter sehr ungewöhnlichen und zum Teil strapaziösen Arbeits- und Unterbringungsbedingungen
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tätig waren, berichten davon, dass sie nach einigen Jahren große Schwierigkeiten hatten, sich in einen „normalen“ Bürozusammenhang mit hochgradig formalisierten Anweisungs- und Kontrollstrukturen einfügen zu können: „Man war sein eigener Herr im Endeffekt. Keiner konnte einem was sagen. Ich war für meine Arbeit ganz persönlich verantwortlich. Und ja, wenn ich jetzt sehe, im Bürojob, jetzt hab ich da wieder jemanden vor mir, teilweise jüngere Leute, die absolut überhaupt keine Ahnung haben, zumindest nicht von der Technik, die haben aber schon irgendwelche Projektmanagerkurse besucht, sind hoch aufgehängt und die haben alle im Endeffekt was zu sagen. Das ist so ähnlich wie früher bei der Bundeswehr zum Beispiel auch, ne“ (I 34: 250–256). „Da brauchen Sie unheimlich viel Leute. Und deswegen bin ich jetzt in ’ne richtige SoftwareEntwicklungsabteilung gekommen mit ’ner klassischen Hierarchie, sag ich mal, ’n klassischer Bürojob. Ich sag gleich dazu, es gefällt mir überhaupt nicht. Darf man ja auch sagen. […] Weil ich muss auch sehen, dass ich hier schnell wieder raus komm. Hm, da gibt ’s ’n Softwaremanager, in – in – in irgendwelchen Projektleitungen, irgendwelche Gruppenleiter, Teamleiter, dann gibt ’s Featuregruppenmanager, ich hab nie so ’ne solche Hierarchien gesehen“ (P 32: 321–324, 326–328).
Das berufliche Selbstverständnis dieses Typus ist stark durch eine sich manageriellen Steuerungsversuchen weitgehend entziehende Arbeitskultur eines gemeinsamen Arbeitens und Lebens auf den Baustellen vor Ort gekennzeichnet. Zusammenhalt, wechselseitige Unterstützung bis hin zu Aufopferungsbereitschaft (im Sinne entgrenzter Mehrarbeit zwecks termingerechter Problemlösung) sind zentrale Arbeitstugenden, die innerhalb der informellen Gruppe honoriert und bei Nichterfüllung auch negativ sanktioniert werden. Auch wenn es auf der Baustelle manchmal rau zugeht: „Es gibt auch mal, dass man sich von ’ner Montage zu Inbetriebsetzung oder wie auch immer, dass man sich anschreit oder sagt: ‚Schneller geht nicht, blöd Arschloch!‘“ (I 23: 762–764), werden offene Kommunikation, Ehrlichkeit und die Fähigkeit, eigene Fehler zuzugeben, als zentrale Arbeitstugenden beschrieben. Da man vor Ort aufeinander angewiesen ist, spielen Statusunterschiede in Kooperation eine eher untergeordnete Rolle. Ein Inbetriebsetzer in leitender Funktion hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die körperlich sehr harte Arbeit rangniedriger Monteure innerhalb der Arbeitskultur anerkannt werde. Genannte Arbeitstugenden seien aufgrund der besonderen Arbeits- und Lebenssituation im Ausland eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche gemeinsame Bewältigung der definierten Aufgaben. Konflikte werden dementsprechend informell auf der Baustelle geklärt: „Man ist ’ne Schicksalsgemeinschaft, (in) der [...] – jüngere oder ältere – [...] relativ schnell erfahren, wo geht ’s lang, was kann ein Jeder, und das Wichtigste an allem ist, alle [...] eingeordnet zu kriegen und zu sagen: ‚Hier sind wir, da wollen wir hin. Und das machen wir so und so.‘ Wenn jemand Probleme hat, dann soll er ’n Finger heben. Entweder wir lösen die Probleme gemeinsam, oder jeder löst sein Problem allein. Das ist der schlechteste Fall. Es kann ja auch
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ein Schlosser einem Elektriker erklären, weshalb das bei ihm nicht funktioniert! [...] Warum nicht?!“ (I 23: 800–807)
Die Möglichkeit, durch Dienstreisen interkulturelle Erfahrungen und Kompetenzen zu sammeln, ist für viele Mitarbeiter eine wichtige Motivationsquelle in ihrer Arbeit. Die verhältnismäßige Exklusivität an Arbeitserfahrung gibt aus identitäts- und biografietheoretischer Sicht ein reichhaltiges narratives Reservoir126 für lebendig und unterhaltsam vorgetragene Erzählungen des Verlauf der eigenen beruflichen Karriere. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass diese Befragten sich aufgrund ihrer starken Identifikation mit ihrer Berufsrolle keineswegs im Drift (vgl. Sennett 2000) zu befinden scheinen. Der häufige Wechsel von Arbeitsorten und -regionen, -kollegen und -zusammenhängen erscheint den Interviewten nicht als Zumutung, sondern als Bereicherung für die eigene Lebenserfahrung um eine interkulturelle Komponente: „Was dann anders noch hinzukommt, ist halt die Schwierigkeit, dass man oftmals das Gefühl hat, grad mit diesen fremden Mentalitäten, ja, alles so ’n bisschen spinnert, in Deutschland wär das alles besser [lacht], was allerdings, wenn man dann-, also ich merk ’s halt jetzt nach der Zeit, wo ich wieder zurückgekommen bin, dass es doch nicht so viel besser ist, dass es auch sehr viel fragwürdige Dinge dann hier gibt. Das ist halt wieder ’n positiver Effekt auch an dem Job. Man lernt Vieles von dem, was einem eigentlich selbstverständlich erscheint oder erschienen ist, infrage zu stellen, das ist mit Sicherheit ’n ganz toller Mehrwert auch in diesem Bereich. Also auch wenn man eben jetzt diese ganze Situation Islamismus, Fundamentalismus ansieht, das kenne ich ja nun aus erster Hand und würde das vermutlich dann auch ’n bisschen anders sehen“ (I 17: 286–298).
Eine Softwareentwicklerin zeigt sich begeistert von der Möglichkeit, infolge mehrwöchiger Dienstreisen Abwechslung in ihren Arbeitsalltag zu bringen. Auslandseinsätze bieten aus ihrer Sicht die Möglichkeit, in Gesprächen mit lokalen Arbeitskräften des auftraggebenden Kunden einen authentischen und ungefilterten Zugang zur Lebensweise, Mentalität und Kultur von Menschen unterschiedlichster kultureller Herkunft zu erhalten. Diese interkulturellen Erfahrungen veranlassten sie dazu, die eigene Lebensweise zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen. „Wir leben hier in einer Überflussgesellschaft, ich versteh ’s nicht. Für was brauchen wir das alles?“ (I 25: 452–453). Es führt aber nicht zu einer veränderten, gelassenen bzw. weniger arbeitszentrierten Lebensweise: „Man 126 Zur Bedeutung von biografischen Narrationen für die Identitätsbildung schreiben Keupp u.a.: „Denn sie bieten Lesarten des eigenen Selbst (‚So will ich gesehen werden‘ bzw. ‚Ich bin so, weil ...‘) und dienen damit der Verständigung mit anderen. Neben dieser interaktiven Funktion haben biografische Kernnarrationen aber auch eine wichtige Rolle für das Subjekt selbst. Während sich im Identitätsgefühl das Vertrauen zu sich selbst ausdrückt, handelt es sich bei den biografischen Kernnarrationen um die Ideologie von sich selbst. Ein Subjekt bündelt seine Geschichte(n) nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst. Mit diesen erklärt das Subjekt sich selbst, welche Lesart seiner Identitätsentwicklung die derzeit dominierende ist“ (Keupp u.a. 1999: 232).
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kommt sehr schnell dann in den eigenen alten Trott wieder zurück“ (I 25: 454). Vielmehr sieht sie sich selbst in einer missionarisch-erzieherischen Rolle, indem sie betont, die dortigen lokalen Arbeitskräfte aufgrund des Termindrucks im Projekt an die notwendige Disziplin und Arbeitstugenden heranführen zu wollen. Die interkulturellen Erfahrungen sind aus ihrer Sicht eine angemessene sinnhafte Kompensation für überlange Arbeitszeiten, denn sie bieten den Stoff für einprägsame Gespräche und Erfahrungen zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen, wodurch die Identifikation mit der auf Flexibilität und Mobilität gründenden Berufsrolle aufrechterhalten wird: „Also ich sage mal, gerade durch diese vielen Erlebnisse schöpft man die Kraft dann auch wieder, sich in seine Struktur hier wieder einzuarbeiten. Man sagt, es macht Sinn, es bringt was, Überstunden jetzt hier zu machen und jetzt mal ein bisschen mehr zu arbeiten, weil man hat eben als Ausgleich dann auch solche Geschichten, die man dann wieder miterleben kann. […] Im Allgemeinen, für einen persönlich bringt ’s halt wirklich meiner Meinung nach wirklich sehr, sehr viel. Ich meine, jetzt auch mit Kanada oder Finnland, die lassen sich alle miteinander nicht vergleichen. Aber man nimmt persönlich immer, auch selbst wenn ’s nur ganz kleine Teile sind, die behält man auch bei sich“ (I 25: 523–527, 530–534).
Während insbesondere ältere und ehemalige Inbetriebsetzer im Rahmen ihrer Berufslaufbahn immer wieder die Möglichkeit hatten, auch nach der Arbeit sich mit den kulturellen Möglichkeiten der Region vertraut zu machen und Kontakt zur einheimischen Bevölkerung aufzunehmen, bleiben interkulturelle Erfahrungen der jüngeren Generation von Projektmitarbeitern häufig auf Arbeitskontakte beschränkt. Viele der befragten Personen führen dies einerseits auf den gestiegenen Zeit- und Kostendruck in den Projekten zurück (mit dem Resultat von überlangen Arbeitstagen und oftmals auch Wochenendarbeit), andererseits auf die im Laufe der Jahre etablierte Praxis der Ressourcenmanager, nur noch kleinere Teams bis hin zu einzelnen Spezialisten auf die Baustellen in den jeweiligen Ländern zu entsenden, sodass für Erkundungen vor Ort wenig Zeit bleibt. Die Karriereaspiration der hier vereinten Personen ist auf den Erhalt oder Ausbau des persönlichen Status als Fachexperte oder Problemlöser gerichtet. In Übereinstimmung mit dem HR-Konzept des Lerntrajektes orientieren die meisten Befragten ihre Strategie des Kompetenzerwerbs am Ziel einer Ausweitung der Aufgabenanforderungen und Kompetenzen mit jedem Projekt. Damit einhergehende Tätigkeitswechsel sollen den Aufbau eines breiten Kompetenzprofils unterstützen. Ein umfangreiches Portefeuille an berufsfachlichen Kompetenzen, eine Reputation als Experte oder Problemlöser und die ausgeprägte Bereitschaft eines weltweit und aufgabenbezogen flexiblen Einsatzes sind die Grundpfeiler der Selbstvermarktung. Die Strategien im Umgang mit dem eigenen Arbeitsvermögen beziehen sich vor diesem Hintergrund auf die Weiterentwicklung des vorhandenen Kompe-
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tenzprofils entlang der Anforderungen der Tätigkeit und des Geschäftsprozesses sowie auf eine aktive interne Selbstvermarktung. Dabei wird von der vom Personalmanagement eingerichteten Möglichkeit, im Rahmen einer DV-basierten Projektdatenbank („Human Resource Market“) das eigene Kompetenzprofil in anonymisierter Weise zu hinterlegen, kein nennenswerter Gebrauch gemacht. Die Selbstvermarktung auf dem internen Stellenmarkt konzentriert sich auf die Nutzung und Pflege vorhandener informeller Kanäle zu ehemaligen Kollegen und Vorgesetzten im bourdieuschen Sinne einer Akkumulation und Aktivierung des individuellen symbolischen und sozialen Kapitals (vgl. Bourdieu 1983). Die dem Typus situativ-adaptiver Karrierepolitik zugeordneten Erwerbspersonen haben ihre alltägliche Lebensführung den Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen des Projektgeschäfts weitgehend angepasst und beabsichtigen, auch künftig ihren privaten Lebenshintergrund über die gesamte Spanne der Erwerbsbiografie hinweg entsprechend flexibel arrangieren zu wollen. Für fast alle der diesem Typus zugeordneten Personen, selbst solche mit Familie und Kindern, gilt, dass die durch die Arbeitstätigkeit stark eingeschränkten Möglichkeiten einer festen regionalen Verwurzelung sowie intensiver und kontinuierlicher sozialer Bindungen und Aktivitäten außerhalb der Arbeit hingenommen werden. Nun ist es keineswegs der Fall, dass diese Personen sozialen Bindungen innerhalb der Lebenswelt prinzipiell keinen normativen Wert für ihr Leben zuschrieben. Allerdings scheinen die im Rahmen der Arbeitssphäre wahrgenommenen Autonomie-, Lern- und Selbstwirksamkeitserfahrungen den Prozess personaler und beruflicher Identitätsbildung stärker zu prägen als der private Lebenshintergrund. Die spannungsreiche und immer wieder aufs Neue zu leistende Adaption der individuellen Lebensführung an betriebliche Erfordernisse beschränkt sich allerdings nicht auf das Individuum mit seinen habituell oder in Alltagsroutinen inkorporierten Gewohnheiten und Neigungen, sondern betrifft insbesondere die Gestaltung von Familie, Partnerschaften und Freundschaftsbeziehungen. Paarbeziehungen stehen bedingt durch die hohen Arbeits- und Abwesenheitszeiten unter beträchtlichen Belastungen. Die überwiegend stationär eingesetzten Softwareentwickler und Projektmanager mit gelegentlichem Auslandsaufenthalt sind noch am ehesten in der Lage, innerhalb gewisser Grenzen mehr oder weniger stabile Alltagsstrukturen herzustellen und soziale Beziehungen zu pflegen. Aufgrund der langen Arbeitszeiten und mehrwöchigen bis mehrmonatigen Abwesenheitszeiten versuchen die Akteure, ihren Alltag, ihre Freizeitaktivitäten und ihre Sozialbeziehungen entsprechend zeit- und nutzenökonomischer Kalküle zu rationalisieren: „Es ist auch im privaten Umfeld eine große Umstellung. Weil es gibt dann halt auch zu Hause dann manchmal ein bisschen Meinungsverschiedenheiten. Also es ist schon schwierig, aber
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man versucht dann mit der Zeit, es ist für beide Seiten dann, man versucht dann die Zeit, die man hat, dann wirklich konzentriert zu genießen, dann halt auch auszunutzen. Und wenn man dann weg ist, ist es trotzdem, man telefoniert dann halt viel miteinander und die Freunde und alles. Und wenn man dann da ist, dann unternimmt man halt auch viel, und das ist dann halt, auf beiden Seiten war es ein sehr schwieriger Lernprozess anfänglich, aber es ist alles heutzutage machbar“ (P 25: 558–566).
Insbesondere die im Ausland eingesetzten Inbetriebsetzer sind konfrontiert mit einem sehr hohen Maß an Unbestimmtheit hinsichtlich ihrer alltäglichen und biografischen Lebensführung. Das klassische Rollenmodell der Versorgerehe sowie ein stärker instrumentelles Verhältnis zur Arbeit trugen lange Zeit zu stabilen, aus heutiger Sicht betrachtet sehr konservativen Arrangements in der Lebensführung und Biografiegestaltung bei. Mit dem gesellschaftlichen Wandel von Ansprüchen an die Arbeit, der Lockerung starrer Geschlechterrollen sowie der zunehmenden Erwerbsorientierung unter den meist gut ausgebildeten oder hoch qualifizierten Frauen gerät die Basis dieses Arrangements ins Wanken. Die tendenziell entgrenzten betrieblichen Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen stehen in deutlichem Widerspruch zur Notwendigkeit der Individuen, die Aktivitäten alltäglicher Lebensführung und Ansprüche auf Partnerschaft und Familie aufeinander abzustimmen. Daraus entstehende Konflikte lassen sich kaum noch durch das lange Zeit unhinterfragte Herrschaftsmonopol des männlichen Versorgers im Kontext eines „male breadwinner models“ (Lewis 2001) dämpfen. Die zeitlich und räumlich extrem flexibilisierten und schwer kalkulierbaren Projekteinsätze begrenzen in eklatanter Weise die Gestaltungsoptionen und -formen individueller Lebensführung. Wir konnten aus zahlreichen Schilderungen entnehmen, dass insbesondere die Personen, die sich sehr stark mit ihrer Tätigkeit als Inbetriebsetzer im Außendienst identifizieren und die diese Arbeit als entscheidendes Medium zur Realisierung persönlicher Autonomie-, Gestaltungsund Selbstverwirklichungsbedürfnisse wahrnehmen, innerhalb ihres Privatlebens entsprechende Zugeständnisse hinnehmen mussten. Viele der Mitarbeiter mussten im Rahmen ihrer langjährigen Auslandstätigkeit Trennungen oder Scheidungen vollziehen. Grundsätzlich betrachtet, haben sich diese Mitarbeiter eingerichtet in einem „Leben in der Schwebe“. Sie leben in dem Bewusstsein, dass biografisch bedeutsame Entscheidungen jederzeit von kurzfristig ausgerichteten Personalvermittlungsoptionen konterkariert werden können: „Ein Anruf, eine andere Anlage, und ich bin drei Jahre weg und nicht nur drei Monate. Oder die verkaufen ein Projekt mehr im Vertrieb, das ist eine Zusage von ’nem Einkäufer irgendwo, und ich bin weg. Also das kann man vorher nie sagen“ (I 32: 1422–1425).
Ein lange Jahre in der Auslandsinbetriebsetzung tätiger Ingenieur beobachtete an seiner Situation und der vieler seiner Arbeitskollegen, dass sich aufgrund der
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Auslandstätigkeit allmählich die Bindungen an Freunde, Verwandte und das Heimatland lockern oder in vielen Fällen sogar ganz abreißen. Sein biografisches Arrangement mit den Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen beruht auf der Strategie, sich für mehrjährige Auslandsprojekte zu verpflichten und seine aus Asien stammende Ehefrau mitzunehmen, um dort – je nach lokalen Gegebenheiten und Unterbringung – einen westlich und durch eigene Gewohnheiten geprägten Alltag zu rekonstruieren. Das Arbeiten und Leben im Ausland stellt er dabei als Bereicherung persönlicher Lebenserfahrung und Zugewinn an interkultureller Kompetenz dar. Die diesen Typus kennzeichnende entgrenzt arbeitszentrierte Lebensweise resultiert aus einem Zusammenspiel objektiver Zwänge und subjektiver Motivlagen. Sie ist Ausdruck der Bereitschaft, die Spielregeln des Bodyleasinggeschäfts mehr oder weniger unhinterfragt zu akzeptieren, da der eigene Einfluss auf eine Verbesserung beruflicher Arbeitsbedingungen als gering eingeschätzt wird: „Die Situation ist halt auch für Neue, die müssen lernen, in dem Moment, wo mein Chef mir sagt, da ist dein Ticket, das ist die Anlage, das und das sollst du tun, dass sie sich erst einmal von zu Hause verabschieden und sagen: ‚Ich steig in den Flieger, und wann ich zurück bin, weiß ich nicht.‘ Und das ist ein Problem!“ (I 23: 442–446) „Also, ich denk mal, wenn heutzutage noch jemand in der Art und Weise meint, dass er sein Arbeitsleben oder Arbeitswelt gestalten muss, dann ist der schneller draußen, als er glaubt. Weil es gibt, denk ich mal, immer wieder Leute, die das dann sagen. Okay, es ist halt heutzutage so, man muss mobil und auch flexibel sein von seiner Arbeitszeit oder von seiner Arbeitsgestaltung her“ (P 25: 1013–1018).
Den betrieblichen Erwartungen an Leistungsbereitschaft, Flexibilität und Mobilität der Mitarbeiter wird innerhalb dieses Typus in hohem Maße entsprochen aufgrund der Überzeugung, auf diese Weise den eigenen Arbeitsplatz absichern zu können. Zugleich entfaltet das Leitbild des rundum flexiblen und mobilen Menschen, der den Sinn seiner Existenz sowie die Anerkennung für erbrachte Leistungen primär innerhalb der Arbeitssphäre verortet, für den Großteil dieser Personen eine starke Bindungskraft. Die anfangs aufgeworfene Frage nach der subjektiven Rationalität dieses Typus der Karrierepolitik lässt sich zusammenfassend wie folgt beantworten: Die Bereitschaft, den eigenen Karriere- und Lebensentwurf dauerhaft offen für wenig kalkulierbare betriebliche Projektoptionen zu halten und damit auf eine mittel- bis langfristig angelegte Planung und aktive Steuerung der Berufskarriere zu verzichten, ist nicht als Ausdruck berufsbiografischer Passivität zu verstehen. Vielmehr korrespondieren die in der Arbeitssphäre wahrgenommenen Möglichkeiten zur Bestätigung und Weiterentwicklung berufsfachlicher, methodischer und organisatorischer Kompetenzen (als Experte, Spezialist, Problemlöser) wie auch interkultureller Erfahrungen aus sozialisationstheoretischer Sicht in hoher Weise mit dem um Arbeit zentrierten personalen 256
Identitätskonzept in dieser Gruppe. Die aus der Tätigkeit resultierenden Zugeständnisse und Einschnitte im privaten Leben werden in Kauf genommen, weil sich die individualistischen Ansprüche und Entfaltungsbedürfnisse ganz auf die flexibilisierte Berufsrolle mit ihren vielfältigen Erfahrungsmöglichkeiten konzentrieren. Im Zentrum hochgradig arbeitszentrierter individueller Lebensführung und Biografiegestaltung steht die Suche nach Autonomiespielräumen und Erfolgserlebnissen im Rahmen anspruchsvoller technischer und organisatorischer Aufgabenstellungen, die unter hohem Zeit- und Kostendruck bewältigt werden müssen. Die für diesen Typus kennzeichnenden flexiblen Orientierungsund Gestaltungsmuster sind aber auch ein deutlicher Ausdruck einer weitreichenden Selbstzurechnung von Verantwortung für den Erhalt der eigenen Beschäftigungsfähigkeit und des individuellen „Marktwertes“ im Unternehmen und korrespondieren mit dem im Rahmen von HRM und Bodyleasinggeschäft zugrunde gelegten Leitbild des aktivierten unternehmerischen Angestellten (vgl. Kocyba 1999).
3.4.2.2
Typus „Krisenbewältigung“
Den zweiten, mit insgesamt vier zugeordneten Interviews quantitativ am geringsten repräsentierten Typus bezeichnen wir als „Krisenbewältigung“. Die individuellen Arbeitsmotive und Vorstellungen beruflicher Entwicklung orientieren sich ebenso wie beim zuvor beschriebenen Typus an der betrieblichen Fach- und Projektkarriere und ihren Aufgabenprofilen. Im Rahmen der Projektarbeit, ergänzt durch entsprechend formalisierte Trainingsangebote, eignen sich diese Personen über viele Jahre hinweg betriebs- und technologiespezifische Kompetenzen und Wissensbestände an und bauen sich auf diese Weise eine interne Reputation als Experte oder Problemlöser auf. Beide Typen eint der Versuch, ihr berufliches Identitätskonzept sowie ihren Karriere- und Lebensentwurf situativ und variabel entlang der hohen Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen der Arbeitstätigkeit auszurichten. Die Entscheidung, die eigene berufsbiografische Entwicklung innerhalb des durch ein sehr geringes Maß an Planbarkeit geprägten Modells hoch qualifizierter Leiharbeit zu verorten, ist auch hier das Resultat eines starken Passungsverhältnisses zwischen den professionalistischen, auf Autonomie und Selbstwirksamkeit ausgerichteten Arbeitsmotiven und den Anforderungen und Möglichkeiten der Tätigkeit. Anstelle einer ausgeprägten Orientierung an organisationalem Aufstieg oder Laufbahnwechsel wird ein Zugewinn an fachlicher Professionalität innerhalb des eingeschlagenen Karrierepfades angestrebt. Typus 1 und 2 unterscheiden sich, wie im Folgenden ausführlich dargelegt wird, jedoch in deutlicher Weise hinsichtlich ihrer subjektiven Wahr-
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nehmung und Gestaltung des Verhältnisses von Arbeit und individueller Lebensführung. Während die Individuen des ersten Typus ihre lebensweltlichen bzw. familiären Bedürfnisse den betrieblichen Flexibilitätsanforderungen unterordnen und dies aufgrund der subjektiv hohen Bedeutung der Arbeit für die personale Identität als stimmig erleben, stellt sich die Situation für die dem Typus der „Krisenbewältigung“ zugeordneten Individuen als wesentlich konfliktreicher dar. Diese Befragten nehmen das Verhältnis zwischen eigenen Bedürfnissen und Anforderungen individueller Lebensführung und den Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen der Berufsrolle als strukturellen Konflikt wahr. Interessanterweise geht diese Wahrnehmung weder mit einer Orientierung am Normalarbeitstag noch mit einem instrumentellen Arbeitsverständnis einher: „Das kann sich aufschaukeln so, dass ich wirklich konzentriert auch 16 Stunden am Tag arbeiten kann“ (P 12: 292–294). Die betrieblichen Tätigkeitsanforderungen korrespondieren auch für die „Krisenbewältiger“ mit den hohen subjektiven Maßstäben an Güte, Professionalität und Ergebnis der eigenen Arbeit. Auch wird voller Stolz über die Erfahrung berichtet, als kompetenter Experte oder Problemlöser unter Kollegen und Vorgesetzten anerkannt zu sein und aus den Erfahrungen der Arbeit ein hohes Maß an innerer Befriedigung und Selbstwirksamkeit ziehen zu können. Allerdings wird die Arbeitssituation in ihrer Ambivalenz insgesamt wesentlich deutlicher wahrgenommen, unter anderem im Hinblick auf die langfristigen Auswirkungen beruflicher Beanspruchungen und Belastungen. Viele Auslandsinbetriebsetzer berichten davon, oftmals erst nach Beendigung eines Projektes zu realisieren, dass man die Grenzen der eigenen Belastungsfähigkeit längst überschritten hat: „Und, ähm, damit steigern Sie automatisch Ihre Arbeitsleistung, und dann ist das quasi auch von jetzt auf gleich wieder zu Ende, und dann fallen Sie erst mal in so ’n Loch rein, ja. Und das ist immer so der Moment, wo man dann merkt, oh, ich bin doch eigentlich ziemlich am Ende gewesen“ (P 28: 309–312). „Diese ganze Auslandstätigkeit über lange Zeit, die schlaucht halt sehr extrem. Ne, es wird halt noch wesentlich mehr gearbeitet wie in Deutschland, ist halt wirklich so, und das ist ja auf jeden Fall nicht nur körperlich, das geht auch wirklich ein bisschen an die geistige Substanz dann irgendwann“ (P 24: 772–776). „Das Projekt, da stand auch ’n Termin, den mussten wir halten, [...] und da haben wir auch die ersten zwei Monate sieben Tage die Woche gehabt, von morgens um sieben bis abends zehn, elf teilweise gearbeitet und wirklich nur irgendwo irgendwelchen Junkfood reingezogen zwischendurch mal, und – und wie gesagt, da hab ich auch, weiß ich noch, also unheimlich Gewicht verloren, war früher schon nicht dick oder so, aber ich weiß noch, als ich das erste Mal nach, ich glaub, anderthalb Jahren nach Hause kam und meine Mutter, die hat mich überhaupt nicht wiedererkannt, ne, die ist vom Glauben abgefallen, also wirklich. […] I: Also Sie waren anderthalb Jahre nicht zu Hause? Mhm. B: Mhm. Und wirklich gebuckelt“ (I 34: 773–784).
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Der an diesen Schilderungen deutlich werdende „vernutzende“ betriebliche wie individuelle Umgang mit dem Arbeitsvermögen ist das Ergebnis eines im Rahmen des Projektgeschäfts seit vielen Jahren verschärften Zeit- und Kostendrucks, von „peer pressure“ als auch einer geringen inneren Distanzierungsfähigkeit von den entgrenzten betrieblichen und eigenen Ansprüchen an Leistung. Im Laufe der Berufstätigkeit wurde insbesondere den erfahrenen Inbetriebsetzern im mittleren Lebensalter deutlich, dass die hohen beruflichen Belastungen mit voranschreitendem Lebensalter angesichts fehlender Bewältigungsmöglichkeiten zu hohen, teilweise irreversiblen körperlichen, seelischen und sozialen Folgen führen können. Die Diskrepanz zwischen der hohen Leistungs- und Flexibilitätsbereitschaft und dem Wunsch nach einer gesundheitserhaltenden und sozial befriedigenden Lebensführung wird von den Befragten als biografisch krisenhafte Situation beschrieben, aus der sie sich mithilfe unterschiedlicher Problembewältigungsstrategien zu befreien versuchen. Die Interviews verdeutlichen, dass bei allen ein klares Problembewusstsein für die langfristigen Auswirkungen der Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen auf die alltägliche Lebensführung und Gestaltung sozialer Beziehungen im Laufe der Berufsjahre vorhanden ist. Angesichts der massiven Gefährdung sozialer Bindungen (Familie, Partnerschaft, Freundeskreis) infolge langer Abwesenheitszeiten sehen sich die Personen dazu veranlasst, die Dominanz von Arbeit und beruflicher Karriere über den privaten Lebenszusammenhang zu überdenken und entsprechende Grenzziehungen vorzunehmen. Besonders markant ist hierbei, dass mit dem Bedeutungsgewinn lebensweltlicher, gesundheitlicher und sozialer Bedürfnisse die Arbeitsrolle ihre identitätsdefinierende Kraft zu verlieren scheint. Letzteres lässt sich an der Dämpfung persönlicher Karriereaspirationen und aktiven Formen der Grenzziehung an der Schnittstelle zwischen Arbeit und Privatleben verdeutlichen. Im Folgenden werden einige Beispiele für unterschiedlich gelingende Strategien der Grenzziehung und Aushandlung dargestellt: (1) Ein seit mehreren Jahren am Standort tätiger Techniker beobachtet rückblickend, dass sich seine Mobilitätsbereitschaft infolge der negativen Auswirkungen seiner Auslandstätigkeit auf sein Privatleben deutlich verringert hat. Die Pflege seiner sozialen Kontakte am Arbeitsort und in seiner Heimatregion ist ihm mittlerweile so wichtig geworden, dass er angibt, im Falle einer anstehenden Auslandsentsendung nur noch für kürzere Projekteinsätze bereitzustehen und seine veränderten Ansprüche zukünftig deutlicher gegenüber seinem Vorgesetzten vertreten zu wollen: „Ich hab ’s bei den ersten Auslandsaufenthalten gesehen, wie schwer es ist, die Kontakte am Leben zu erhalten. Es geht auch viel kaputt, und es ist auch schwer, dann wieder neu aufzubauen, und da hab ich ganz einfach keine Lust noch mal drauf. Ja? Und deswegen würde ich, wenn
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’s zum Beispiel wieder Langzeitaufenthalte werden, würde ich zum Beispiel sagen, dass ich gern was anderes machen möchte. Auf jeden Fall“ (I 24: 478–483).
(2) Ein Inbetriebsetzungsingenieur mit umfangreicher Auslandserfahrung nahm über mehrere Jahre hinweg seine Frau und das gemeinsame Kind mit auf Auslandseinsätze und konnte mit dem Vertrieb aufgrund seiner hohen internen Reputation und seines Verhandlungsgeschicks subjektiv akzeptable Bedingungen der Familienunterbringung aushandeln. Er lobt, dass sowohl seine Frau als auch sein Kind diese Zeit „super mitgemacht“ hätten, litt aber die vielen Jahre unter dem unerfüllt gebliebenen Wunsch, ausreichend für die Familie, Freizeit und Erholung da zu sein. Allmählich wurde ihm klar, dass sein lange Zeit praktiziertes Modell einer arbeitszentrierten und hochgradig flexibilisierten Lebensführung den familiären Anforderungen und Bedürfnissen nicht mehr gerecht wird und er sich um ein entsprechend verändertes Arrangement bemühen muss: „Man merkt es selber persönlich auch, vor allen Dingen, wie gesagt, ich hab inzwischen auch Familie und Kinder und so weiter, und dass [...] die Prioritäten verschieben sich da irgendwo, ne? Früher war es hauptsächlich nur Arbeit, Firma und so weiter. Und irgendwann merkt man, das ist nicht alles. Und ’n gewisser Freizeitwert muss auch da sein. Spielt sich irgendwo so ’n bisschen im Kopf ab. Man merkt, die Zeit läuft davon, man wird immer älter, man kann nicht mehr so viel Sachen machen. Und ja, man versucht auch wieder, auch irgendwo ’n bisschen was aufzuholen, was man die ganzen Jahre irgendwo versäumt hat“ (I 34: 131–138).
Das aus seiner Sicht nachlassende Prestige und die sich verschlechternden Karriere- und Aufstiegsbedingungen der Techniker gegenüber den Vertriebsleuten und Projektmanagern verstärkten seine berufliche Unzufriedenheit, sodass er beschloss, sich eigeninitiativ eine Projekttätigkeit am Standort zu suchen. Aufgrund seiner langjährigen Projekterfahrung und guter Kontakte zum Vertrieb konnte er sich eine zeitlich befristete Aufgabe in einer Entwicklungsabteilung am Standort sichern. Der von ihm initiierte Wechsel in den „Bürojob“ und die damit einhergehende Begrenzung der Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen führten zu einer deutlich verbesserten Vereinbarkeit beruflicher und privater Anforderungen. Aufgrund seiner ungebrochen hohen Identifikation mit seiner Tätigkeit der Auslandsinbetriebsetzung betrachtet er seine heutige Arbeits- und Lebenssituation jedoch als eine nur biografische Übergangsphase, in der das Familienleben temporär einen höheren Stellenwert erhält. Sollte seine Tochter erwachsen sein, dann plant er wieder seiner persönlichen Leidenschaft, der Auslandsinbetriebsetzung nachzugehen. (3) Ein leitender Ingenieur, der ausgesprochen hohe Ansprüche an die eigene Fachkompetenz, Selbstständigkeit und Leistungsbereitschaft und die seiner Mitarbeiter und Kollegen stellt, berichtete rückblickend auf den Übergang vom Studium in das Berufsleben. Aufgrund der damals schlechten Arbeitsmarktlage verliefen zahlreiche Bewerbungsversuche erfolglos, sodass er sich auf die Kondi260
tionen des Bodyleasinggeschäfts in der Auslandsinbetriebsetzung einließ, obwohl er eigentlich „schon auf die Hin- und Herfahrerei keine Lust, geschweige denn, wie lange im Ausland rumzuhängen“ hatte. Er berichtet von einem „Schlüsselerlebnis“ während eines Auslandsprojekts, das seine zunächst ablehnende Haltung gegenüber Auslandseinsätzen bzw. den hohen Mobilitätsanforderungen grundlegend veränderte. Ein Kollege überzeugte ihn davon, die positiven Seiten des Außendienstes zu sehen, und er kam zu der Auffassung, dass sein permanenter Ärger (nicht zu Hause zu sein) nutzlos sei und er stattdessen lieber versucht, die Situation zu akzeptieren („mach ’s Beste draus“: I 28: 517). Aufgrund der enormen Leistungsbereitschaft und seiner herausgehobenen Stellung als Problemlöser für komplexe und technisch ungewöhnliche Aufgaben ist er heute in der Lage, seinen „internen Marktwert“ in Verhandlungen mit seinem Vorgesetzten sehr selbstbewusst einzusetzen, um die eigenen Interessen wirksamer zu realisieren. Wenn es um Einsatzgebiete, Flugreisen oder Weiterbildungen geht, vertritt er offensiv und deutlich seine Interessen („mein eigenes Business“: I 28: 368). Trotz des hohes Ausmaßes an betrieblicher Wertschätzung und individueller Reputation („bin ich ’n wertvoller Mitarbeiter“: P 28: 1118–1119) und der unmittelbaren Befriedigung, die er aus seiner Tätigkeit zieht, haben sich die mit der Auslandstätigkeit verbundenen Konflikte innerhalb seines Privatlebens so weit verschärft, dass er gegenwärtig keine andere Wahl mehr sieht, als massiv gegenzusteuern: „Aber ich sehe ganz einfach, dass ich in meinem Privatleben keine Kontinuität reinkriege. Es ist halt immer wieder so, dass man für längere Zeit weg ist, ja, damit äh beschränken sich Freundschaften auch auf Telefonieren usw., und man – man kann diese nicht so irgendwie pflegen auch, wie man das möchte. Von der Beziehung wollen wir erst gar nicht reden, ’ne Beziehung auf Distanz ist immer Mist“ (P 28: 779–784).
Zum Zeitpunkt des Gesprächs befand sich der Befragte bereits in Verhandlungen mit einem anderen Arbeitgeber in der Nähe seines Wohnortes um eine Stelle mit deutlich geringeren Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen und geregelten Arbeitszeiten. Auch wenn ihm seine jetzige Tätigkeit, rückblickend betrachtet, „viel Spaß gemacht“ hat, „schon ’ne gute Zeit gewesen“, sieht er gerade wegen der geregelten Arbeitszeiten eine „gigantische Umstellung“ auf sich zukommen und will aufgrund fehlender Optionen eines betriebsinternen Stellenwechsels schnellstmöglich den Arbeitgeber wechseln. Davon erhofft er sich, seine angeschlagene Beziehung zur Lebenspartnerin und seinem Freundeskreis wieder in Ordnung zu bringen (I 28: 778–779, 1264, 767). Dass die Abnahme subjektiver „Bindungsorientierung“ (vgl. Wilkens 2004) an den eingeschlagenen Karrierepfad oder den Arbeitgeber (wie im letzten Beispiel sichtbar) keine Ausnahme bildet, verdeutlicht die über die Jahre hinweg hohe, tendenziell steigende Fluktuationsrate im untersuchten Arbeitsfeld. Viele der im 261
Kontext globaler Projektarbeit und des Bodyleasings tätigen Techniker, Ingenieure und Kaufleute wechseln in betriebsinterne oder -externe Funktionen, die im Hinblick auf Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen einen Normalarbeitstag ermöglichen, insbesondere in vertriebs- oder entwicklungsnahe Funktionen am Standort. Der Typus des Krisenbewältigers verdeutlicht, dass entgrenzten Fremd- und Selbstansprüchen an die Flexibilität und Leistungsbereitschaft der Arbeitskraft im Biografie- und Karriereverlauf mit subjektiven Strategien aktiver Begrenzung begegnet wird, um ein Stück Zeitsouveränität für die Gestaltung des Privatlebens zurückzugewinnen und dem rast- und richtungslosen Lebensstil entgegenzuwirken. Berufsbiografisch betrachtet, lässt sich dabei ein Übergang von einer „entgrenzt-arbeitszentrierten Lebensführung“ (vgl. Ewers u.a. 2004) zu einer mehr oder weniger ausgewogenen Balance zwischen Arbeit und Leben konstatieren. Mittlerweile hat auch der untersuchte Geschäftsbereich die Problematik erkannt und sucht nach Möglichkeiten, innerhalb der Grenzen des Geschäftsmodells die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben zu verbessern, um auf diese Weise eine effektivere Mitarbeiterbindung zu erzielen.
3.4.2.3
Typus „Strategische Karrierepolitik“
Der mit insgesamt acht Interviews zahlenmäßig am stärksten repräsentierte Typus der „strategischen Karrierepolitik“ unterscheidet sich in grundsätzlicher Weise von den anderen beiden Typen. Zentral ist der subjektive Anspruch, nicht nur den Verlauf der beruflichen Karriere, sondern auch die eigene Lebensführung entlang antizipierter Lebensphasen sowie identitätsrelevanter beruflicher und privater Pläne und Projekte aktiv zu gestalten. Persönliche Ziele, Projekte und Entwürfe werden klar artikuliert und deuten auf einen reflexiv-biografischen Umgang mit dem Verhältnis von Arbeit und Leben und dem Verlauf der beruflichen Karriere hin. Anstelle einer festen Identifikation mit der Berufsrolle werden die ersten Berufsjahre als biografische Übergangsphase konzipiert, innerhalb derer ein möglichst breites, zu einem späteren Zeitpunkt am in- oder externen Arbeitsmarkt gut verwertbares Arbeitsvermögen aufgebaut werden soll. Innerhalb dieses Typus lassen sich zwei Subtypen voneinander unterscheiden:
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der mit sechs Interviews größte Typus einer strategisch-integrativen Karrierepolitik (die diesem Typus zugeordneten Erwerbstätigen verknüpfen das Ziel einer Aufstiegskarriere oder eines Laufbahnwechsels mit dem Anspruch einer stärkeren Integration von Arbeit und Privatleben; im Laufe der Berufsbiografie gewinnen familienbezogene und lebensweltliche Wertorientierungen und Motivlagen an Bedeutung);
der mit zwei Interviews kleinere Subtypus einer strategischindividualistischen Karrierepolitik (die diesem Typus zugeordneten Personen charakterisieren sich durch eine ausgeprägte Erfolgs- und Aufstiegsorientierung, ein individualistisches berufliches Selbstkonzept und ein klar arbeitszentriertes Modell der Lebensführung.
Entlang einiger Fallbeispiele werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Subtypen hinsichtlich des strategisch-reflexiven Umgangs der Individuen mit ihrem Arbeitsvermögen, ihrer Lebensführung und ihrer beruflichen Karriere analysiert. Die dem Untertypus „strategisch-integrative Karrierepolitik“ zugeordneten Personen streben mittel- bis langfristig eine Verknüpfung beruflicher und privater Lebensziele an. Im klaren Bewusstsein und aus der Erfahrung, dass sich die tendenziell entgrenzten Mobilitäts-, Flexibilitäts- und Leistungsanforderungen der Arbeit dauerhaft nicht mit den individuellen Bedürfnissen und Zielen einer stärkeren lebensweltlichen Partizipation vereinbaren lassen, wird das arbeitszentrierte und hochgradig unbestimmte „Leben in der Schwebe“ nicht als dauerhaft tragfähiges Arrangement beschrieben. Sowohl die Erwerbsbiografie als auch das außerberufliche Leben werden mehr oder weniger bewusst als Phasenmodell mit unterschiedlichen Anforderungen und Arrangements konzipiert. Nahezu alle Befragten betonen, dass es wichtig sei, rechtzeitig den „Absprung“ in eine Tätigkeit oder einen Karriereweg zu schaffen, innerhalb dessen eine berufliche Weiterentwicklung über die jetzige Tätigkeit hinaus erkennbar werde und das Modell individueller Lebensführung sich stabil einrichten könne. Hierzu eine sehr typische Aussage eines Auslandsinbetriebsetzers: „Ich möchte nicht Ewigkeiten auf Baustellen Vollzeit tätig sein. Ich möchte das so lange machen, bis ich den Absprung schaffe, wo ich sage, okay, ich habe genug Erfahrung, ich denke jetzt nächster Schritt. Und ob das jetzt ein Leiter ist, draußen auf der Baustelle oder ein technischer Projektleiter im Hintergrund, äh, das habe ich mir jetzt noch nicht überlegt. [...] Es ging aber darum, dass ich nicht ewig rausfahren will, durchaus für Kurzeinsätze oder für irgendwelche Dinge fahre ich gerne überall hin. Aber eben nicht mehr vollzeitmäßig das ganze Jahr, zwecks Familienplanung und sonstigen Dingen macht man das sicher nicht ewig“ (I 21: 436– 445).
Viele der Befragten konstatieren im Laufe ihrer beruflichen Karriere im Auslandsprojektgeschäft, dass „man einfach keinen Lebensmittelpunkt bilden kann oder aufbauen kann. Und irgendwann mal fehlen einem dann schon irgendwie die festen Freunde und die Hobbys und so weiter“ (I 35: 331–333). Der Mangel an Zeit zur Pflege von Partnerschaft, außerberuflichen Aktivitäten und Freundschaften lässt sich aus Sicht dieser Personen dauerhaft nicht angemessen kompensieren, weder durch Geld noch durch eine inhaltlich anregende oder heraus-
263
fordernde Tätigkeit. Die aktive Auseinandersetzung mit eigenen privaten und beruflichen Vorstellungen und Zukunftsentwürfen findet ebenso wie beim Typus „reaktive Krisenbewältigung“ vor dem Hintergrund des wachsenden Bewusstseins einer strukturellen Unvereinbarkeit zwischen den tätigkeitsbedingten Flexibilitätsanforderungen und lebensweltlichen Bedürfnissen und Anforderungen statt,127 führt jedoch zu anderen Situationsbewertungen und Bewältigungsstrategien. Während im Falle der Krisenbewältiger sich Spannungen und Konflikte im privaten Bereich derart zuspitzen, dass Versuche einer raschen Begrenzung der Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen bzw. der Umorientierung auf andere Tätigkeitsumfelder erwogen bzw. initiiert werden, wird im Kontext der „strategischen Karrierepolitik“ das arbeitszentrierte und hochflexible Modell der Lebensführung zunächst aufrechterhalten, aber auf einen bestimmten Zeitabschnitt innerhalb der beruflichen Laufbahn biografisch-planerisch begrenzt. Ziel dieser Strategie ist es, durch den Erwerb vielfältiger Kompetenzen und Erfahrungen den Grundstock für eine Karriere am Standort zu legen und bei Erreichen des Karriereziels das gegenwärtig arbeitszentrierte Leben in ein ausgewogeneres Verhältnis von Beruf und Privatleben zu überführen: „Ich bin, also ich fand den Weg, den ich jetzt genommen habe, eigentlich gut. Und will ihn, glaube ich, auch nicht anders machen. [...] Wär natürlich im Fall, dass man alleine ist, besser. Ich hab jetzt leider ’ne Freundin, und die macht jetzt natürlich auch Druck. Und nicht nur sie, sondern eigentlich man selber macht sich auch Druck, weil man immer mal doch, äh, irgendwie ’n bisschen ruhiger werden will und – und auch mit den Leuten zusammen sein will, mit denen man lebt. Weil ich kenn Kollegen, die dann doch Frau und Kinder haben und die bei der Geburt dabei gewesen sind, und die – die die auch kaum sehen, und das ist eigentlich kein – kein erstrebenswertes Ziel fürs Leben. Und aber wie gesagt, äh, ja, ’n bisschen, die Arbeit kommt schon bisschen vor und erst mal ’n paar Jährchen Erfahrung können nicht schaden“ (I 35: 389–400).
Die anfänglich hohe Identifikation mit der beruflichen Rolle als technischer Spezialist oder Experte im Auslandsprojektgeschäft bildet – anders als im Falle der ersten beiden Typen – kein stabiles Fundament berufsbiografischer Entwicklung, sondern verblasst im Kontext einer veränderten privaten Lebenssituation oder aber eines angestrebten Wechsels der beruflichen Tätigkeit:128 127
„Und am besten, die Arbeit ist am besten wirklich zu machen, wenn man keine Ver-... keine Bindungen hat und nichts“ (I 35: 343–344). 128 Zunächst korrespondieren die Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten der Auslandstätigkeit mit der sozial meist ungebundenen Lebenssituation und den auf einen breiten Kompetenzaufbau gerichteten Aspirationen beruflicher Entwicklung in den Anfangsjahren nach dem Berufseinstieg. Eine veränderte Lebenssituation (Partnerschaft, Kinder) oder auch sich wandelnde Vorstellungen von Karriere und Lebensführung bewirken oftmals eine Relativierung der ursprünglich starken Identifikation mit der Tätigkeit, ihren Anforderungen und ihres Erfahrungs- und Lerngehaltes und führen zu dem Versuch, Karriere- und Lebensplanung enger aneinander zu koppeln und auf die wechselseitigen Anforderungen abzustimmen, auch wenn Arbeit und Karriere dabei meist ihre Vorrangstellung behalten.
264
„Also am Anfang war ich sicherlich stark motiviert. Da war mir das eigentlich ziemlich egal wo, da war es einfach, ich will mal raus, ich muss da mal was anderes sehen. [...] Da war die Flexibilität auch vielleicht wegen, ich mein’, da war ich fünfundzwanzig oder was, aber ist jetzt auch nicht so ewig her, aber da muss man schon sagen, hat sich das schon ein bisschen geändert, auch durch vielleicht die Erfahrungen, ich weiß es nicht, durchs Alter, keine Ahnung. [...] Und jetzt ist sicherlich, das Blatt hat sich sicherlich ein bisschen gewandelt. Ich brauch das jetzt so nicht mehr. Also diese Motivation habe ich so jetzt nicht mehr, das muss ich dann verbinden schon können mit meinen Vorstellungen, die ich jetzt hab. Damit ich mich da auch entsprechend einsetzen kann“ (I 29: 273–275, 277–280, 282–286).
Der hier zitierte, lange Zeit in der Anlageninbetriebsetzung tätige und heute mit Aufgaben im Projektmanagement eingesetzte Techniker beschloss bereits zu einem frühen Zeitpunkt seiner beruflichen Karriere, die Auslandstätigkeit auf wenige Berufsjahre zu begrenzen, um über einen rechtzeitigen Tätigkeitswechsel eine stabilere Lebenssituation herstellen zu können. Im Gespräch betonte er, dass sein Wunsch nach regionaler Verwurzelung wie auch der Suche nach Abwechslungsreichtum innerhalb der beruflichen Laufbahn maßgeblich dazu beigetragen haben, sich gegenüber seinem Vorgesetzten für einen Wechsel innerhalb des betrieblichen Karrierepfads einzusetzen. Er beobachtete, dass erfahrene Inbetriebsetzer vielen jüngeren Kollegen ausdrücklich dazu raten, sich rechtzeitig zu entscheiden, ob man das Tätigkeitsfeld zu verlassen gedenke, da Chancen eines Abteilungs- oder Laufbahnwechsels vom vierzigsten Lebensjahr an immer unwahrscheinlicher werden. Diese informell weitergegebene Empfehlung korrespondiert in hohem Maße mit den berufsbiografischen Orientierungs- und Gestaltungsmustern der Befragten: „Ich habe eher den Vorwärtsblick, d.h. was hinten ist, das hab ich, das hab ich sowieso mit mir und das kann mir auch keiner wegnehmen. Nee, es war einfach die Motivation, sicherlich auch mal was anderes zu machen und sich da, ich sag mal unter Anführungszeichen, weiterzuentwickeln, das ist für mich eine Weiterentwicklung eben von der Inbetriebnahme hin zur Projektabwicklung, zum Projektmanagement, zur Projektleitung. Das war damals am Anfang, da hat sich sehr viel ergeben. Aber schon mit dem Druck, dass ich sage okay, jetzt habe ich da, es gibt diesen Spruch [...] und den weiß man auch vorher schon, von Anfang an: dass wenn man zehn Jahre lang draußen war, so nach dem Motto, und die Inbetriebnahme gemacht hat, dann ist irgendwann mal die Grenze, und wenn man da den Absprung nicht schafft, schafft man ihn nie. Und ich wusste das sehr wohl. Hab auch mal von einem Kollegen so einen Tipp gekriegt, oder so ein bisschen wachgerüttelt worden, weil er gesagt hat, was willst du eigentlich in fünf Jahren machen? Und ich wusste es nicht. Was ich sicherlich wusste, ist, dass ich nicht ewig auf Baustellen rumhüpfen möchte. Obwohl ’s ein sehr interessanter Job ist, aber irgendwann wird ’s dann doch mühsam. Sei es Familie, sei es Sesshaftigkeit, das waren mir ein paar Themen, die mir irgendwann mal auch wichtig sind, sage ich, zu dem Zeitpunkt gesehen“ (I 29: 188– 205).
Die Passage verdeutlicht, dass Entscheidungskalküle im Hinblick auf die Gestaltung der individuellen Karriere recht komplexer Natur sein können. Neben ar-
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beitskulturell vermittelten Regeln werden lebensweltliche Projekte (Familie, Sesshaftigkeit) wie auch individuelle Vorstellungen beruflicher Weiterentwicklung mit in die Betrachtung einbezogen und bilden eine mehrdimensionale Motivkonstellation, die zu individuellen Plänen und Strategien karrierepolitischer Gestaltung führt. Ein noch recht junger Beschäftigter, der an der konzerneigenen Technikakademie als Industrietechnologe ausgebildet wurde und zum Erhebungszeitpunkt parallel zu seiner Tätigkeit am Standort ein Ingenieurstudium absolvierte, betont die hohe Bedeutung eines Hochschulabschlusses sowie regelmäßiger beruflicher und betrieblicher Weiterbildung für den Erhalt der eigenen Beschäftigungsfähigkeit in Zeiten einer intensivierten Globalisierung. Sein Wunsch, in den kommenden Jahren in eine Projektleitungsaufgabe hineinzuwachsen und dazu entsprechende betriebliche Förderungsangebote zu erhalten (in Gestalt von Projektmanagementseminaren), artikulierte er gegenüber seinem Vorgesetzten im Rahmen des vorletzten jährlichen Mitarbeitergesprächs klar, allerdings bislang ohne Erfolg. Aufgrund der bislang ausbleibenden betrieblichen Förderung hofft er, über den Erwerb des Ingenieurdiploms sein realistisch-temperiertes Aufstiegsziel zu erreichen. Dabei ist es ihm wie auch den anderen Befragten dieses Typus wichtig, mittelfristig in eine materielle Absicherung, berufsbiografische Kontinuität und kalkulierbare Arbeitszeiten bietende Position aufzusteigen: „Also, ich werde auf jeden Fall danach streben, Familie in Einklang miteinander zu vereinbaren, es sei denn, es würde wirklich jetzt auf dem Arbeitsmarkt so ein (Bruch?) passieren, wo wir froh sein müssen, Arbeit zu kriegen, und dann ist man vielleicht, dann hab ich keine andere Wahl. [...] Ich bin ein Familienmensch. [...] Und will auch die Vaterrolle bewusst auch auf mich nehmen, auch die Kinder bewusst erziehen, denn die Kollegen, die dann eben von Baustelle zu Baustelle hüpfen und mal für ’ne Woche oder zwei Tage vorbeikommen und dann ein halbes Jahr wieder weg sind oder für mehr oder weniger oder vier Monate oder wie auch immer; ich denke, dass die diese Vaterrolle nicht so bewusst wahrnehmen, diese [...] bewusste Erziehung der Kinder, das nehmen die sicherlich nicht wahr. Das wälzen die auf die Frau ab oder auf die Gesellschaft von der Schule oder wie auch immer“ (I 22: 1107–111, 1093–1100).
Kennzeichnend für den Typus der „strategischen Karrierepolitik“ ist ein im Vergleich zu den anderen beiden Typen gestaltungsoffeneres berufliches Selbstkonzept. Im Falle des Subtypus „strategisch-integrative Karrierepolitik“ richten sich die Karriereaspirationen auf innerbetriebliche Positions- und Laufbahnwechsel sowie den Aufstieg in leitende Funktionen. Diese Personen entwickeln ihr individuelles Arbeitsvermögen in gezielter Weise entlang mittel- bis langfristig formulierter Karriere- und Lebenspläne und heben sich damit deutlich von den anderen beiden Typen ab. Kennzeichnend für dieses Muster ist die Strategie, frühzeitig die Weiterentwicklung des individuellen Kompetenzprofils entlang eigener Präferenzen und Ziele zu steuern und dabei, wie das folgende Beispiel 266
zeigt, systematisch organisational relevante Ressourcen zu mobilisieren. Ein viele Jahre in der Auslandsinbetriebsetzung tätiger Ingenieur berichtete uns davon, dass er durch die hartnäckige Demonstration seiner Entschlossenheit eines beruflichen Wechsels gegenüber seinem Vorgesetzten diesen schließlich davon überzeugen konnte, einen Wechsel des Karrierepfads in das Projektmanagement einzuleiten. Der Laufbahnwechsel wurde allerdings nicht im Rahmen der jährlichen Führungsgespräche vereinbart, denn diese fanden in seinem Fall per E-Mail statt und hatten eher den Charakter einer Pflichtübung. Vielmehr suchte er von sich aus bei stationären Aufenthalten regelmäßig den Kontakt zu seinem Vorgesetzten und informierte diesen über Projektverlauf und -ergebnisse, eine seiner Erfahrung nach erfolgreiche Strategie der Beschleunigung der eigenen Karriere: „Ich glaub, [...] wenn man nicht – nicht direkt vor Ort ist, dann ist man immer schnell wieder vergessen. Also jetzt wenn man anruft, ja, ich glaub, die legen den Hörer auf und [lacht]. Das Gefühl hatte ich jetzt bei meinem Chef nicht, aber es ist, es ist, glaub ich, so, wenn die selbst nicht wissen, wann man zurückkommt, dann planen die auch nicht groß. Aber das – das Gute ist, oder das, was ich als Vorteil empfand, was andere Kollegen vielleicht nicht so betrieben haben. Ich bin jedes Mal, wenn ich im Urlaub war, mindestens einmal ins Büro gegangen, wenigstens um mich zu zeigen. Also es gibt, glaub ich, auch ’n paar Kollegen, die könnten hier durchs Büro laufen und würden gar nicht erkannt werden. Also von den Sekretärinnen. Ich war eigentlich immer denn da, hab Hallo gesagt und hatte mal so ’ne, äh, lockere halbe Stunde mit – mit den Vorgesetzten, einfach um – um ’n bisschen Feedback zu geben, wie es draußen läuft und – und was ich die nächsten halben Jahre, äh, das nächste halbe Jahr, für ’n Plan hätte oder was ich dann mache. Und das bringt, glaub ich, mehr als – als ’n E-Mail zu schreiben“ (I 33: 455–469).
Eigeninitiative und Hartnäckigkeit in der Verfolgung angestrebter persönlicher Karriereziele sind aus seiner Sicht wesentliche begünstigende individuelle Faktoren. Zugleich stellt er heraus, dass er auf seinem Karriereweg sowohl durch den Vorgesetzten als auch durch die Personalabteilung unterstützt worden sei. Zum einen lobt er das hohe Maß an Fairness seines ehemaligen Vorgesetzten, ihm gegenüber mit offenen Karten gespielt zu haben hinsichtlich fehlender Entwicklungsperspektiven in seiner Abteilung und für ihn einen Abteilungs- und Laufbahnwechsel eingeleitet zu haben. Dort findet der Befragte nun bessere Möglichkeiten vor, die von ihm angestrebte Projektkarriere zu verfolgen, insbesondere durch die Möglichkeit zur Teilnahme an einem intern zertifizierten und karriererelevanten Projektmanagementseminar wie auch einem Kompetenzerwerb im Rahmen seiner Tätigkeit als Gesamtprojektleiter. Darüber hinaus fanden Gespräche mit der regionalen Personalorganisation statt, die ihn als Kandidat für eine Führungskarriere einlud und ihm eine langfristige Karriere in Aussicht stellte. Resultat des Gesprächs war, die Option einer Führungskarriere auf einen späteren Zeitpunkt innerhalb der persönlichen Laufbahn zu verschieben, um dem persönlich geäußerten und von der Personalorganisation respektierten Wunsch,
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die eigene Laufbahn zunächst um eine Erfahrung im Projektmanagement zu bereichern, zu entsprechen: „Und dann hab ich relativ schnell eingelenkt und hab gesagt, das ist alles ganz nett, äh, aber ich möchte doch noch mal angewandte Projektleitertätigkeit machen zum Anfang, bin aber nicht abgeneigt, mir das als – als Nächstes auf die Fahne zu schreiben, weil ich ja nun mir auch nicht ausmalen kann, dass ich bis zu meinem Lebensende nur Projektleiter bin. Nicht, weil ich noch höher hinaus will, muss – muss ja gar nicht höher gehen, aber es muss noch mal irgendwie noch ’ne neue Herausforderung sein“ (I 33: 549–555).
Diesen Typus kennzeichnet insgesamt ein gestaltungsoffeneres, generalistisches berufliches Selbstkonzept, innerhalb dessen sich Ambitionen und Maßstäbe beruflicher Entwicklung weder auf den Ausgangsberuf, die zugewiesene Anfangstätigkeit noch eine fachliche Laufbahn beschränken. Von einer möglichst generalistisch angelegten Entwicklung eigener Kompetenzen fachlicher, methodischer, sozial-kommunikativer und personalführungsrelevanter Art versprechen sich die Personen, alternative Optionen und Wege beruflicher Entwicklung zu erschließen. Ein Befragter betont zum Beispiel die hohe Relevanz sozialkommunikativer Kompetenzen für einen professionellen Umgang mit Kollegen sowie für den Fall, dass er eine Führungslaufbahn einschlagen sollte: „Ich sag mal, grad was wichtig ist, ist der Umgang mit Kollegen. Wenn man später vielleicht ’ne Führungsposition anstrebt, ist es wichtig, dass man eine Grundkenntnis an Sachen wie menschlicher Umgang, wie ein bisschen Psychologie vielleicht, äh hat, um eben mit Mitarbeitern gut umzugehen, auch die Mitarbeiter gezielt zu motivieren wahrscheinlich; insofern stell ich mir das auch vor, dass ich das dann auch mache, wenn ich wieder zurück bin“(I 22: 673– 678).
Die kleine Gruppe von Personen, die eine „strategisch-individualistische Karrierepolitik“ verfolgt, unterscheidet sich vom zuvor beschriebenen Subtypus in mehrfacher Hinsicht. Gemeinsamkeiten bestehen insbesondere im Hinblick auf die Offenheit des beruflichen Selbstkonzeptes für unterschiedliche Aufgabengebiete sowie im Hinblick auf eine zeitlich ausgreifende persönliche Planung der Karriere- und Kompetenzentwicklung; Unterschiede zeigen sich im Stellenwert des angestrebten Aufstiegs für die Person. Der angestrebte rasche Aufstieg innerhalb der betrieblichen Statushierarchie geht einher mit dem Ziel einer expansiven Ausweitung vielfältiger beruflicher Kompetenzen. Die Zusammenarbeit mit Vorgesetzten, Kollegen oder lokalen Arbeitskräften folgt einer primär instrumentellen Logik, die sich darin äußert, von erfahrenen und professionell arbeitenden Kollegen und Vorgesetzten zu lernen, um die eigene Karriere- und Kompetenzentwicklung und „Selbstoptimierung“ zu beschleunigen. Im Zentrum personaler Entwicklung und alltäglicher Identitätskonstruktion steht die permanente Suche nach Herausforderungen innerhalb der Arbeit mit dem Ziel, die
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persönliche Leistungsfähigkeit und Kompetenz sprunghaft zu erweitern und verhältnismäßig schnelle Karriereschritte zu realisieren. Anspruchsvolle Aufgaben im technischen und kaufmännischen Projektmanagement bieten aus Sicht dieser Personen eine geeignete Ausgangsbasis, um sich entsprechend des individuellen Selbstverständnisses als interner Unternehmer innerhalb eines durch finanzielle Kennziffern, organisationale Richtlinien, technische und kundenbezogene Anforderungen abgesteckten Rahmens weitgehend „frei“, d.h. selbstorganisiert und eigenverantwortlich bewegen zu können: „Also das, was Sie erkannt haben, ja, das ist eine wirkliche Selbstständigkeit, die mir jetzt gelassen wird. Natürlich, ich mein Restriktionen, Limitierungen hat man immer, aber es ist nicht so, dass mir wirklich gesagt wird, du musst das, das und das Schritt für Schritt machen. Ich habe die Aufgaben selbstständig zu erfüllen, wie ich ’s mache, das ist mir auch überlassen. […] Wenn ich der Meinung bin, dass ich jetzt irgendwo auch zum Lieferant irgendwo nach Belgien fahren muss, dann fahre ich dort hin. Wenn ich der Meinung bin, dass ich nach Indien fahren muss, fahre ich dort hin. Am Ende muss das Ergebnis stimmen halt. Wir haben uns auf Kennzahlen geeinigt. Ich muss zwischendurch natürlich immer referieren, Bericht erstatten, auch detailliert, das ja, das ist klar. Aber ansonsten, wie gesagt, wie ich zu meinen Zahlen komme, wie ich das gestalte, das ist mir und dem technischen Projektleiter überlassen“ (I 26: 383–387, 390– 397).
Diesen Personen ist es ausgesprochen wichtig, sich ihren Karriereweg durch eigene Leistungen und Erfolge zu erarbeiten – mit diesem Anspruch korrespondiert ein außerordentlich großes Vertrauen in eigene Fähigkeiten. Dementsprechend erscheint soziale Anerkennung (z.B. von ihrem Vorgesetzten) nur dann glaubwürdig, wenn man sie für monetär messbare, d.h. vermeintlich objektive Ergebnisse oder exzellente Leistungen erhält. Dass infolge häufiger Wechsel der Aufgaben und des Arbeitsumfeldes die Herausbildung tragfähiger sozialer Netzwerke und Loyalitäten in der Arbeit erschwert wird, empfinden diese Personen keineswegs als belastend, sondern als Chance zur kontinuierlichen persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung: „Für mich ist es eine Bereicherung. Aber ich bin nicht scharf darauf, die ganze Zeit neue Leute kennenzulernen, so einer bin ich nicht. Aber ich halte das für interessanter, als ständig im gleichen Umfeld, im gleichen beruflichen Umfeld zu sein. […] Man ist da hingegangen, hat sich da vorgestellt, hat ein Bewerbungsgespräch, wie man das eben kennt, und dann hat man von Null beginnend bis auf heute eben alle Personen alle neu kennengelernt. Ein völlig neues Umfeld, ganz klar“ (I 27: 802–805, 811–814). „Ich bin Unternehmer, es wird ja immer gesagt, Projektmanager sind Unternehmer im Unternehmen, also ich bin es, weitestgehend sehe ich mich so. […] Also projektbezogenes Arbeiten, wenn ’s fertig ist, dann kommt man wieder woanders hin. Das heißt, ich seh viel und lern viel innerhalb von kurzer Zeit“ (I 26: 35–37, 40–42).
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Das Modell individueller Lebensführung steht nicht in einem Spannungsverhältnis zu den Flexibilitäts-, Mobilitäts- und Leistungsanforderungen der Tätigkeit, da sich die Karriere- und Lebensgestaltung ganz auf den beruflichen Aufstieg konzentriert. Das folgende Zitat verdeutlicht, dass Autonomie- und Selbstentfaltungsinteressen dezidiert innerhalb der Arbeit gesucht werden bzw. mit dem Anspruch und der Möglichkeit einer Weiterentwicklung der Persönlichkeit in engen Zusammenhang gebracht wird: „Also jemand, der im Ausland tätig ist, der hat ein, die Erfahrung, die ich gemacht hab, der hat einen anderen Erfahrungshorizont, der geht Probleme offener und konstruktiver an. So ein Mensch ist flexibler. Ich krieg von so einem mehr Feedback. Und wenn ’s nicht beruflich ist, dann war es unter anderem auch vielleicht in einer Nebenunterhaltung übern Tisch oder in der Kantine oder so. Gut, also ich mein’, im Ausland arbeiten, da ist man eh weniger unter Kontrolle. Da kommt man wieder mit einem Ergebnis und dann ist gut halt. Und dann kann man referieren, wie man dazu gekommen ist, aber währenddessen, da ist noch weniger ein Korrektiv vorhanden als hier“ (I 26: 671–680).
Im Unterschied zu den Typen „situativ-adaptiver Karrierepolitik“ und der „Krisenbewältigung“, für die eine erwerbsbiografisch weitgehend stabile Arbeitsmotivation und eine an berufsfachlich-methodischen Kompetenzen ausgerichtete Arbeitsidentität kennzeichnend ist, dominiert hier wie auch bei dem Subtypus „strategisch-integrative Karrierepolitik“ eine gestaltungsoffene Motivstruktur. Diese Personen konstruieren eine für vielfältige Karriereoptionen offene, aber keineswegs beliebige Arbeitsidentität. Sie entwickeln ihre fachlichen und persönlichen Kompetenzen mit dem Kalkül, sich beruflich nicht festzulegen und andere Tätigkeitsfelder mit hohem organisationalem Status, insbesondere in Managementfunktionen, anzusteuern. Dementsprechend verläuft die Aneignung beruflicher Kompetenzen entlang eines generalistischen Kalküls. Starke fachliche Spezialisierungen werden als hinderlich gegenüber den eigenen flexibilitätsorientierten Selbstvermarktungs- und -entwicklungsabsichten betrachtet: „Die Frage zielt wohl in die Richtung, dass man das, was ja ich anstrebe und bin und tue, eher mehr in die Richtung Generelles geht. Sprich, man kann dann in verschiedenen Branchen beispielsweise agieren. Wohingegen der Spezialist, nehmen wir wieder die Fachlaufbahn, der ist relativ eingefahren. Wenn ich denn mal zehn Jahre lang so einen Antrieb ausgelegt hab, dann fällt es mir schwer, wenn es einfach das Geschäftsgebiet nicht mehr gibt, da was Neues zu finden, weil ich eben spezialisiert bin auf diese Aufgabe. Dann ist es sicherlich schwieriger, etwas anderes zu machen und zu wechseln, als wenn man denn diesen generalistischen Ansatz verfolgt“ (I 27: 289–297).
Das berufliche Umfeld im Kontext des Bodyleasings wird als geeignetes Sprungbrett in eine gehobene Funktion im General Management betrachtet. Dass aufgrund des spezifischen Geschäftsmodells aus subjektiver Sicht keine dauerhaft attraktiven Karrierepositionen vorhanden sind, wird dementsprechend nüch-
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tern konstatiert. Diese Personen sind keine klassischen Karrieristen etwa im Sinne eines auf Konformität und Loyalität zum Unternehmen bedachten „organizational man“ (Whyte 1956). Das subjektive Karriereverständnis speist sich vielmehr aus der Vorstellung, einen äußerlich sichtbaren Statusgewinn mit der sukzessiven Weiterentwicklung der Person verbinden zu können. Dieser Typus will beides: den Aufstieg in prestigereiche, mit hohen Einkommenschancen versehene Positionen und den Ausbau individueller Professionalität. Dabei ist das Motiv, die persönliche Kreativität in die Arbeit einbringen zu können, beständig dazuzulernen und die eigene Kompetenz in einem international geprägten Arbeits- und Lebensumfeld sukzessiv ausbauen zu können, von zentraler Bedeutung: „Fachlich als auch von der Erfahrung her. Ist für mich beides wichtig. Ich meine, wenn nichts Neues hinzukommt, dann tritt Routine ein, und dann wird ’s ja langsam langweilig“ (I 26: 841–843).
3.5 Rekonstruktion normativer Vorstellungen und Verantwortungskonzepte beruflicher Entwicklung Auf Grundlage der dokumentarischen Methode von Bohnsack (2000) werden die in den beiden Gruppendiskussionen artikulierten Auffassungen bezüglich der individuellen und organisatorischen Voraussetzungen einer gelungenen Berufskarriere rekonstruiert. Die Frage nach den subjektiven Vorstellungen einer gelungenen Berufslaufbahn zielt auf die Anregung von Beschreibungen, Theoretisierungen und Erzählungen (sogenannte „Propositionen“: ebd., 151), aus denen sich dann in einem interpretativen Prozess normativ bedeutsame wie handlungsanleitende Orientierungsmuster rekonstruieren lassen. Finden sich Hinweise auf überindividuell gültige Orientierungsmuster, dann kann davon ausgegangen werden, dass diese innerhalb des arbeitskulturellen Milieus der Diskussionsteilnehmer eine normative Geltung besitzen. Die Ergebnisse der Gruppendiskussionen haben insgesamt einen ergänzenden bzw. differenzierenden Charakter, indem die kollektive Seite der Karrierepolitik beleuchtet wird. Durch den kontrastiven Vergleich der beiden Gruppendiskussionen können Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den kollektiven Einschätzungen und Deutungen der veränderten betrieblichen Realität identifiziert werden, insbesondere im Hinblick auf berufsoder tätigkeitsspezifische versus tätigkeitsübergreifende Aspekte der Karrierepolitik. Entsprechend dem Prinzip der Methodentriangulation sowie den Empfehlungen von Lamnek (1998: 52) für eine geeignete Gruppengröße, wurden zwei Gruppendiskussionen mit einmal fünf129 und einmal sechs Beschäftigten eines 129 In der Gruppendiskussion I fiel ein vorgesehener Teilnehmer aufgrund von Krankheit sehr kurzfristig aus und konnte nicht mehr rechtzeitig durch einen anderen Teilnehmer ersetzt werden.
271
Tätigkeitsbereichs durchgeführt (vgl. Anhang 3). An der ersten Gruppendiskussion nahmen insgesamt fünf Mitarbeiter mit unterschiedlichen Projektmanagementaufgaben teil, in der zweiten Gruppendiskussion insgesamt sechs Inbetriebsetzungsingenieure und technische Spezialisten.130 Den Kristallisationspunkt der Diskussion und auch des Erkenntnisinteresses bildete die Frage nach den subjektiven Vorstellungen eines „gelungenen Berufsweges“ und der dazu erforderlichen individuellen und organisationalen Beiträge und Voraussetzungen. Die Initiierung der Diskussion erfolgte durch eine schriftliche Präsentation einer Skizze, auf der vier unterschiedliche Berufsverläufe von Personen dargestellt sind (vgl. Anhang 8). Die dort aufgeführten Berufsverläufe bilden ein für die untersuchten Tätigkeitsbereiche typisches Spektrum ab, wobei die zuerst und die zuletzt genannten Personen („Herr Vogel“, „Herr Miller“) den Gegensatz zwischen einem verberuflichten Arbeitnehmer in einem stabilen Arbeits- und Lebensumfeld und einem Selbstständigen mit hohem Erwerbsrisiko und unternehmerischer Orientierung markieren. Die beiden mittleren Typen („Herr Bovier“ und „Herr Fichtner“) hingegen sind stärker an die subjektiven Orientierungen und Karriereverläufe im untersuchten Tätigkeitsfeld angelehnt. Mit der Darstellung konstrastierender Berufsverläufe können kommunikative Voraussetzungen für eine anregende und zugleich kontroverse Diskussion geschaffen werden. Nach einer kurzen Vorbereitungszeit zum Lesen der Skizze wurden der allgemeine Rahmen der Gruppendiskussion sowie die Aufgabenstellung der Diskussion erläutert: Zunächst einmal sollte auf Grundlage der Skizze und mit Bezug auf die dort aufgeführten vier Beispiele diskutiert werden, welche der Personen nach Ansicht der Teilnehmer auf einen gelungenen Berufsweg zurückblicken kann. In einer späteren Phase sollten sich die Teilnehmer in der Diskussion von den Fallbeispielen lösen und den durch das HRM und die globale Projektarbeit strukturierten betrieblichen Rahmen beruflicher Entwicklung nach seinen Möglichkeiten und Restriktionen für gelungene Berufswege bewerten.
3.5.1
Rekonstruktion Gruppendiskussion I: Mitarbeiter im Projektmanagement
Die Gruppendiskussion131 beginnt nach einer kurzen Vorstellungsrunde und den einleitenden Erläuterungen zur Aufgabenstellung mit dem Versuch, sich über 130
Das Altersspektrum der Teilnehmer lag zwischen 35 und 56 Jahren, das Spektrum der Betriebszugehörigkeit zwischen 6 und 25 Jahren. Entsprechend dem niedrigen Anteil an weiblichen Erwerbstätigen in den untersuchten Tätigkeitsfeldern konnte an der Diskussion nur eine weibliche Person teilnehmen. 131 Legende: A1 = Sprecher 1, A2 = Sprecher 2, A3 = Sprecher 3, A4 = Sprecher 4, A5 = Sprecher 5.
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den Kontext des Themas zu verständigen. Die von einem Teilnehmer bezweifelte Objektivierbarkeit der Frage eines gelungenen Berufsweges führt zu einem impliziten Arbeitskonsens, dass diese Frage subjektiv unterschiedlich beantwortet bzw. mit unterschiedlichen Vorstellungen gefüllt werden könne und es dabei sowohl auf die konkret-objektiven Rahmenbedingungen von betrieblicher Seite als auch auf die individuelle Initiative ankomme. Im weiteren Verlauf der Diskussion werden von den Teilnehmern immer wieder Vorschläge einer angemessenen Konzeptionalisierung des Themas unterbreitet. Als kollektiv geteilt wird dabei die Annahme angesehen, dass eine gelungene Berufslaufbahn auf dem Zusammenspiel individueller Vorstellungen beruflicher Entwicklung, dem privaten Lebenshintergrund und den betrieblichen Möglichkeiten beruflicher Entwicklung beruht. Die Teilnehmer sind sich einig darüber, dass nicht nur die heutigen betrieblichen Rahmenbedingungen für eine Karriere hochgradig veränderlich sind, sondern auch die individuellen Motivlagen und Interessen beruflicher Entwicklung sowie der persönliche Lebenshintergrund in ständiger Bewegung begriffen sind. Eine angemessene Bilanzierung einer Berufslaufbahn lässt sich aus Sicht der Gruppe nicht hinreichend in ökonomischen Kategorien (wie z.B. einer Maximierung persönlichen Einkommens) betrachten, sondern erfordere den Einbezug „seelischer“ Kategorien wie einer subjektiven Arbeitszufriedenheit oder einer guten Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie.132
3.5.1.1
Subjektive Definitionen einer gelungenen Berufslaufbahn
Das Fallbeispiel „Herr Vogel“ fordert die Teilnehmer zu einer intensiven Auseinandersetzung und Reflexion des stattgefundenen Wandels beruflicher Karrieren und der veränderten Anforderungen an Erwerbspersonen heraus. Die Diskussionsteilnehmer beurteilen den fiktiven Berufsverlauf des Fallbeispiels insgesamt als sehr ambivalent: Einerseits deute er auf eine hohe subjektive Zufriedenheit insbesondere vor dem Hintergrund der guten Vereinbarkeit zwischen Arbeit und dem Privatleben hin; andererseits seien die Realisierungs- und Anerkennungschancen eines solchen Karriereverlaufs aus heutiger Sicht sehr gering. Die Gruppe lässt keinen Zweifel an ihrer Überzeugung aufkommen, dass die Grundlagen für eine derart stabile Berufslaufbahn im Kontext einer globalen und hochflexiblen Ökonomie längst erodiert seien:
132 Die durch die Gruppe vorgenommene Konzeptionalisierung einer gelungenen Berufslaufbahn weist eine hohe strukturelle Ähnlichkeit zu den vier Untersuchungsdimensionen der Karrierepolitik auf. Insofern lassen sich gute Querbezüge zu den Ergebnissen der aus den problemzentrierten Interviews rekonstruierten Typologie der Karrierepolitik herstellen.
273
„Und ich wäre noch mal gern auf den Herrn Vogel zurückgekommen, weil irgendwie finde ich, der war glücklich, aber der hätte heute kaum noch eine Chance. Und das ist das, was ich manchmal vermisse, weil wenn er heute eingestellt würde, er müsste gleich klarmachen können, dass er unbedingt die Karriere machen möchte“ (A1). „Er würde das gar nicht wieder schaffen, das zu reproduzieren, über die vielen Jahre so ’nen ruhigen Job – in Anführungsstrichen – durchzubekommen, weil heute ist das Risiko, dass er trotz seiner gut gemachten, anerkannten Arbeit letztlich doch plötzlich mal vor einer Veränderung stehen würde, die er so gar nicht abgeschätzt hat, wo er meint, wieso jetzt eigentlich. [...] Also den ersten, den hätte es wahrscheinlich aus dem Rahmen gehauen“ (A2).
A3 bezeichnet diesen skizzierten Berufsweg vor dem Hintergrund der globalisierten, hochgradig wettbewerbsorientierten Berufswelt als „Unikum“, als „Überbleibsel von einer anderen Epoche“. Aus Sicht der Teilnehmer werden heute – rekurrierend auf den eigenen betrieblichen Kontext – veränderte Anforderungen an Angestellte gestellt. Die Entgrenzung betrieblicher Flexibilitäts- und Mobilitätsansprüche im Rahmen des Bodyleasings werden dabei als sachliche Notwendigkeit veränderter Wettbewerbsanforderungen interpretiert: „Die Entwicklung der Firma ist, es geht alles im Ausland, und wer nicht mobil ist, Pech gehabt, dann werden die Leute mobiler“ (A3). Als Mitarbeiter wisse man „worauf man sich einlässt“ (A4), sodass man aufgrund dieser Rahmenbedingungen „automatisch irgendwo nicht fix orientiert“ sei (A2). Auch wenn einige Teilnehmer der Figur des Herrn Vogel eine subjektiv große Lebenszufriedenheit unterstellen, grenzt sich die Gruppe (mit Ausnahme eines Teilnehmers) insgesamt von diesem Karriere- und Lebensentwurf ab. Momente von Eigensinn, Beharrlichkeit oder explizite Gegenstandpunkte zu den Anforderungen lebenslangen Lernens, eines kontinuierlichen Arbeitsplatzwechsels oder auch der Bereitschaft zu weltweiter Mobilität sind in den Äußerungen nicht enthalten. Stattdessen sehen die Teilnehmer im Zwang zur Flexibilität zugleich Chancen individueller Selbstverwirklichung und Selbstbehauptung, insbesondere vermittelt über die Suche nach neuen, abwechslungsreichen beruflichen Herausforderungen, deren Bewältigung Erfolgserlebnisse mit sich bringen. Die Möglichkeit, sich nicht fest an ein Tätigkeitsumfeld oder eine eng definierte Arbeitsaufgabe binden zu müssen, sondern den Karriereverlauf und die beruflichen Kompetenzen offen zu halten für den Wandel ist hierbei das zentrale berufsbiografische Motiv: „So hab ich alles offen. Ich kann mich wirklich flexibel entscheiden, kann von einem Bereich in den anderen gehen, andere Aufgaben machen, ob ich jetzt Qualitätsmanager mach, Projektmanager mach oder Teilprojektleiter oder sonst was, oder ob ich ins (Claim-)Management gehe, es bleibt mir alles offen“ (A2).
A5 betont, dass es für ihn wichtig sei, sich im Rahmen seiner Karriere immer wieder neue Ziele zu setzen, und A4 hebt in Abgrenzung zu den Karriereverläufen der Elterngeneration hervor, dass man heute als Beschäftigter wesentlich
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bessere Rahmenbedingungen vorfinde, um sich über Tätigkeits- und Abteilungswechsel immer wieder beruflich und gehaltlich weiterzuentwickeln. Das für alle Teilnehmer gültige Orientierungsmuster berufsbiografischer Entwicklung ist der bewusste Verzicht auf eine langfristig angelegte Karriereplanung. Nicht „Langsicht“ (Dröge/Somm 2005) oder feste Bindungen an ein Arbeitsumfeld oder einen Kollegenkreis werden gesucht, sondern Möglichkeiten, die berufliche Zukunft offen und im Hinblick auf die eigene Kompetenz und Erfahrung steigerungsfähig zu halten. Die Rahmenbedingungen für einen derartig offenen, auf berufliche Selbstentfaltung ausgerichteten Karriereentwurf werden grundsätzlich als positiv eingestuft: Sofern entsprechende Projekte da seien, könne man überall arbeiten und auf diese Weise sein „Potenzial“ verbessern. Die Rationalität einer derartigen Karrierepolitik ließe sich auf das Motto zuspitzen: „Niemals stehen bleiben, sondern beweglich bleiben“ oder, wie es A4 in impliziter Anlehnung an eine viel zitierte Managementfloskel formuliert: „Erfolg braucht Veränderungen“. Die Vorstellung von A2 bezüglich einer gelungenen Berufslaufbahn ist eng mit einem Konzept beruflicher Selbstbehauptung in einem flexibilisierten und vermarktlichten Arbeitsumfeld verknüpft. Er betont dabei das strategische Kalkül, die Entwicklung des eigenen Arbeitsvermögens gezielt auf den Aspekt der Verwertbarkeit des beruflichen Wissens hin zu gestalten: „In jungen Jahren versucht (man), sein Wissen aufzubauen, zum einen, um möglichst viel kennenzulernen, auch nicht zuviel, weil wenn ’s zuviel ist, ist es auch irgendwo nicht mehr verwertbar in dem Sinne, sondern dass man ein gewisses Fachwissen vielleicht dann anbieten kann, um sich dann in ’ne Firma dann einzubringen und zu sagen, also von mir könnt ihr jetzt auch eine gewisse Leistung erwarten.“
Lediglich A1 entdeckt – auch wenn er keine Alternative zur Notwendigkeit eines lebenslangen Lernens, einer weltweiten Mobilitätsbereitschaft und zu häufigen Aufgabenwechseln sieht – gewisse Sympathien für einen durch Stabilität und Kontinuität geprägten Berufsverlauf: „Wenn ich so an meine Situation denke, alle-, vielleicht alle drei Monate, alle sechs Monate, bestimmt aber jede anderthalb Jahre neue kaufmännische Aufgaben, ganz schnell ganz neues Wissen heranschaffen, das auch selbstsicher dem zwar internen Kunden gegenüber vertreten, aber vertreten, glaubwürdig, ja, vielleicht war das, denke ich, war dem sein Leben schon ’n bisschen-, dem seine Karriere schon ’n bisschen entspannter als jetzt meine Laufbahn. Ob ich mir das so fürs ganze Leben wünsche, weiß ich nicht, aber es gibt schon durchaus manchmal Situationen, wo ich denke, mir wär ’s eigentlich auch mal lieber, es würde mal zwei Jahre dasselbe weiterlaufen. Und das hat man aber heute selten.“
A2 führt im Hinblick auf die dargestellten vier Fälle eine pointierte Unterscheidung zwischen zwei Maßstäben in der Bewertung einer Berufslaufbahn ein, die man in Anlehnung an Witzel und Kühn (1999) auch als „Statussicherung“ und „Chancenoptimierung“ bezeichnen kann: 275
„Wenn ich sage, wer hat denn die Möglichkeiten ausgenutzt, die er bekommen hat, in dem Sinne flexibel zu sein, dann wären ’s die zwei in der Mitte, weil die ja auf ihre Situation reagiert haben, wobei der letzte natürlich eigentlich im gewissen Sinne auch. Aber ich sag mal, wenn man jetzt sagt, als Bewusstsein, dass man sagt, man hat was erreicht, was stabil ist und was haltbar ist, und wo ich sage, da hab ich meine Sachen im Trockenen, sind ’s im Prinzip der erste und der letzte, weil beim letzten ist das Risiko relativ gering, der scheint ja doch, auf das Risiko, was er da noch eingeht, kein eigentliches Risiko mehr zu haben, und der erste hat ’s ja erreicht im Prinzip.“
Verglichen mit diesen beiden Maßstäbe zeigt sich an den Äußerungen der Teilnehmer eine deutliche Präferenz zu flexiblen, entwicklungsoffenen Berufsverläufen.133 Zwar lassen sich die Äußerungen der Teilnehmer keinesfalls als postmaterialistisch kennzeichnen, denn eine „Absicherungsmentalität“ (vgl. Pongratz/Voß 2003a) bildet auch hier die Grundlage der Erwerbsorientierungen. Allerdings wird das berufliche „Identity Achievement“134 im Sinne eines Verfolgens selbstgesteckter, zeitlich klar umrissener Ziele (z.B. ein vorzeitiger Ruhestand bei materieller Absicherung) insgesamt nur von einem Teilnehmer (A4) als berufsbiografisch attraktive Strategie beschrieben. Insgesamt dominiert unter den Teilnehmern das Motiv, den Karriere- und Lebensentwurf offenzuhalten für unvorhergesehene Entwicklungen, Optionen und Aufgaben und sich auf diese Weise beständig weiterzuentwickeln. Flexibilität, Offenheit und Chancenoptimierung kennzeichnen somit die Konzeption des beruflichen Selbstverständnisses wie auch des Karriereentwurfs des kaufmännischen Projektmitarbeiters.
3.5.1.2
Bewertung der betrieblichen Rahmenbedingungen beruflicher Entwicklung
Die Gruppe diskutierte im weiteren Verlauf engagiert, inwieweit in ihrem betrieblichen Kontext adäquate Rahmenbedingungen und Möglichkeiten vorhanden sind, um individuelle Vorstellungen eines gelungenen Berufsweges realisieren zu können. Die Diskussion dieser Frage beginnt überraschenderweise, ohne dass seitens der Interviewer eine entsprechende Rahmung des Themas vorgenommen wurde, mit der Feststellung eines Teilnehmers (A3), dass innerhalb des Unternehmens bereits vor ungefähr zehn Jahren ein Wandel der Unternehmens133 In der Fallskizze sind dies Herr Bouvier, abgeschwächt auch Fichtner. Beide wurden bei der Konstruktion des Diskussionsstimulus bewusst an typische Berufsverläufe und Orientierungsmuster im untersuchten Tätigkeitsumfeld angelehnt. 134 Marcia 1980: 161 in Anlehnung an Erikson. Nach Marcia bezieht sich Eriksons Begriff „identity achievment“ auf Individuen, die nach einer Phase der persönlichen Orientierung und Entscheidungsfindung klar definierte Berufs- oder Lebensziele konsequent verfolgen.
276
kultur eingesetzt habe, der als Verschiebung der Verantwortung für Karriere und Weiterbildung vom Unternehmen auf die Mitarbeiter beschrieben wird. Umstritten in den Einschätzungen der Teilnehmer ist hierbei, inwieweit das Unternehmen im Zuge der Ablösung vom Modell der bürokratisch-fürsorglichen durch eine stärker flexibilisierte und marktorientierte Organisation die Mitarbeiterinteressen angemessen berücksichtigt hat. A3 äußert sich diesbezüglich sehr skeptisch und berichtet empört davon, dass während seines dreijährigen Auslandseinsatzes die zuständige Abteilung aufgelöst wurde und er in der Folge ohne festen Schreibtisch hin- und hergeschoben wurde, ohne dass die Situation von Vorgesetztenseite adäquat gelöst worden sei. Diese Erfahrung sei durchaus verbreitet. In der Gruppe herrscht Uneinigkeit dahingehend, wer für eine derartig schwierige Situation die Verantwortung tragen müsse (der Mitarbeiter oder der Vorgesetzte). Schließlich sind sich die Teilnehmer darüber einig, dass mit dem unternehmenskulturellen und personalpolitischen Wandel insgesamt doch eine starke Verunsicherung der zuvor stabilen Karriereverläufe einhergegangen sei. Die Gruppe sieht den Kern des Wandels des Verantwortungsmusters darin, dass das Unternehmen von seinen Mitarbeitern insgesamt mehr Initiative erwartete im Sinne einer übergreifenden Flexibilitätsbereitschaft: lebenslang zu lernen, immer wieder den Arbeitsplatz zu wechseln und die Karriere selbst in die Hand zu nehmen. Ein Teilnehmer erläutert den damit einhergehenden Einstellungswandel, der mit einer ausgeprägten subjektiven Aufmerksamkeit für die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Arbeitsplatzes bzw. Humanvermögens einhergeht, wie folgt: „Wenn ich mich da in mein Kämmerlein hocke und mach eben meine Aktivität so lange, bis sie gestorben ist, dann ist das natürlich schon ’ne große Passivität, also da gehört eigentlich auch schon ein bissel Innovationsgeist dazu, dass man sagt, was kommt denn als Nächstes“ (A2).
Lediglich A3 verteidigt eine in der Figur des Herrn Vogel angedeutete, auf die Stabilität des Großunternehmens und die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes vertrauende Erwerbsorientierung: Ein funktionierendes Unternehmen profitiere grundsätzlich nicht nur von kreativen und innovativen Mitarbeitern, sondern auch von solchen, die die „Kleinarbeit machen, Müll kehren und alles aufrechterhalten“. Seine Argumentation trifft bei den anderen Teilnehmern allerdings auf wenig Akzeptanz. So nehmen A1 und A2 eine Managementperspektive ein und unterstellen Herrn Vogel mangelnde Flexibilität, Leistungsbereitschaft und Innovativität. Sie stellen heraus, dass eine derartige Einstellung den heutigen Anforderungen und Erwartungen an Beschäftigte nicht mehr gerecht würde. Nichtsdestotrotz hat Herr Vogel auch aus Sicht von A2 seine Vorstellung von einer gelungenen Berufslaufbahn weitreichend realisieren können als die anderen
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geschilderten Personen, denn die „die haben alle irgendwo noch ’n bissel übrig von ihrem Plan“. Die Anforderung, aktiv Kontakt zum Vorgesetzten zu suchen bzw. sich außerhalb bürokratischer Regelungen eigenständig um die eigene berufliche Zukunft zu kümmern, betrachtet die Gruppe als legitim und sinnvoll, da die Rahmenbedingungen für Arbeitsplatzwechsel und betriebliche Weiterbildung insgesamt – verglichen mit Selbstständigen oder Mitarbeitern klein- und mittelständischer Unternehmen – als gut betrachtet werden. Das am Beispiel von Herrn Miller beschriebene hohe berufsbiografische Aktivitätsniveau scheint der Diskussion zufolge auch mit den Praxen der Diskussionsteilnehmer übereinzustimmen. A4 und A2 kritisieren jedoch im Hinblick auf das konzerneigene HRM, dass sich die umfangreichen betrieblichen Weiterbildungsmöglichkeiten in der Praxis primär auf die Vermittlung projektspezifischer, kurzfristig relevant werdender Kenntnisse und Fähigkeiten konzentrierten und dabei die Lern- und Entwicklungsinteressen der Mitarbeiter kaum berücksichtigten. Bei der langfristigen beruflichen Entwicklung hingegen ist aus Sicht von A2 „jeder Mitarbeiter selbst gefragt. Und ich meine, man kriegt im Prinzip die Möglichkeit geboten, man kriegt auch Impulse, wenn man nicht selber aktiv wird, aber man ist absolut frei, selber aktiv zu werden. Und man muss auch ehrlich sagen, da ist aber jeder verschieden in verschiedenen Abschnitten, wo er das begreift. Der eine macht ’s, der andere macht ’s nicht, der andere macht ’s später vielleicht, aber zu guter Letzt, auch wenn ’s Probleme gibt, ist es die Frage des Mitarbeiters, zu entscheiden, ob er jetzt den umständlichen Weg gehen will, dass er sagt, ich komm an meinem Chef nicht vorbei, es gibt aber auch andere Wege.“
Diese Einschätzung erfährt von den anderen Diskussionsteilnehmern prinzipiell keinen Widerspruch, jedoch eine Differenzierung durch A3 hinsichtlich der individuellen Entscheidungs- bzw. Wahlfreiheit, die aufgrund der tradierten Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt für diese nur sehr eingeschränkt gegeben sei. Im Folgenden wird die Bedeutung des Verhältnisses Mitarbeiter – Vorgesetzter für den Verlauf der Berufslaufbahn thematisiert. A2 sieht in dem jährlichen Beurteilungs- und Entwicklungsgespräch EFA einen progressiven und geeigneten Ansatz der Personalführung. A3 und A4 betonen im Hinblick auf die Praxis der jährlichen Beurteilungs- und Entwicklungsgespräche (EFA), dass diese nicht mehr als einen Rahmen abgeben würden und es bei der erfolgreichen Gestaltung einer Karriere nach wie vor entscheidend auf das Engagement von Mitarbeiter und Vorgesetztem ankomme. Problematisiert wird die spezifische Trennung zwischen disziplinarischer und fachlicher Führung innerhalb des durch Bodyleasing und Projektarbeit gesteckten Rahmens beruflicher Entwicklung, die die Fremd- und Selbstbeurteilung individueller Leistungen, Fähigkeiten und
278
Entwicklungspotenziale maßgeblich erschwere und damit auch die Karriereperspektiven limitiere: „Und die Entwicklung der Mitarbeiter wird wirklich, wie kann ich sagen, nicht direkt beim fachlichen Vorgesetzten oder disziplinarischen Vorgesetzten geschehen, sondern bei jemandem anderen. Dieser jemand andere aber ist nicht der, der direkt interessiert ist an dieser Entwicklung, weil er hat diese Person gemietet, er ist nur an den Ergebnissen interessiert. Und das ist eine Balance, ich glaube, für jüngere Kollegen, das kann manchmal hart sein, dass der Chef nicht weiß, was man auf die Waage bringt, und der, der es wissen könnte, behält es für sich, weil welches Interesse hat er, das weiterzukommunizieren“ (A3).
Umstritten innerhalb der Gruppe bleibt die Frage, inwieweit im Zuge der Transformation der Unternehmenskultur und Verantwortungsmuster die auf Reziprozität und langfristigem Interessenausgleich beruhenden Vertrauensbeziehungen nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen wurden bzw. man sich als Beschäftigter an einem derartigen Modell der Arbeitsbeziehungen noch orientieren könne. Die Erfahrungen und Einschätzungen, die die Teilnehmer diesbezüglich artikulieren, sind unterschiedlich. A2 betrachtet die von Reziprozität und gegenseitigem Verständnis geprägten langfristigen Kooperationsbeziehungen zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten als Voraussetzung für eine weitreichende Flexibilitäts-, Mobilitäts- und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. Flexibilität bildet aus seiner Sicht ein zentrales Tauschmedium eines gelungenen MitarbeiterVorgesetzten-Verhältnisses: Indem der Arbeitgeber dem Beschäftigten in kritischen Lebensphasen entgegenkomme, folge er einem ureigenen betriebsökonomischen Interesse, „denn jeder Mensch oder jeder Kollege, der bei uns im Unternehmen ist, der ist ’n Wertfaktor“, in den das Unternehmen im Hinblick auf Ausund Weiterbildung umfangreich investiert habe: „Familiär gesehen, ich krieg Nachwuchs, ich heirate oder sonst was, es verändern sich ja auch ganz andere Konstellationen, es ist ja nicht bloß der Job alleine. Und dann ist für mich eigentlich- und ist auch persönlich für mich wichtig, wie reagiert mein Arbeitgeber drauf, wie viele Möglichkeiten kann er mir einräumen, wie weit kommt er mir da auch entgegen, bestimmte Ruhephasen zum Beispiel auch wieder mal zu erreichen, wo ich sage, ich krieg jetzt mal ’ne Aufgabe, wo ich jetzt wieder mal ’n bissel auf ’nen Ruhepol komme, bevor ich wieder ’ne neue Aufgabe krieg, und mich auch systematisch an Sachen ranzubringen. Wenn das natürlich chaotisch irgendwo bloß hin- und herfloppt und so, dann sind die Leute auch irgendwo langfristig überfordert, weil sie haben ihre privaten Aspekte noch dazu. […] Und ich denke, da ist es wichtig, dass das begleitet ist. Das ist das, was ich am Anfang schon mal erwähnt habe, und wenn das zusammen funktioniert, das ist für mich entscheidend, ob dann mein Berufsweg auch wirklich erfolgreich sein kann oder gelungen ist. Wenn das ist nicht funktioniert, ist es chaotisch, dann kann ’s nicht gelungen sein, dann ist es nur ein Krampf“ (A2).
Während auf normativer Ebene diese geäußerte Vorstellung einer auf Reziprozität, gegenseitiger Rücksichtnahme und Vertrauen basierenden Kooperationsbeziehung als geteilt betrachtet werden kann, sind einige der Teilnehmer jedoch 279
skeptisch, inwieweit sich dieses Konzept in der betrieblichen Praxis realisieren lässt bzw. tatsächlich Geltung beanspruchen kann. A3 vertritt zum Beispiel den Standpunkt, dass der gemeinsame Arbeitgeber infolge der Kurzlebigkeit der Produkte und Projekte sowie der gewandelten Unternehmenskultur kaum noch Mitarbeiterinteressen angemessen berücksichtige. A3 plausibilisiert diese Einschätzung mit eigenen, bitter kommentierten Erfahrungen, trotz der Verantwortung für ein Kind keinerlei Unterstützung seitens des Arbeitgebers im Sinne einer Reduktion der Mobilitätsanforderungen, z.B. durch das Angebot eines Teleheimarbeitsplatzes oder einer Teilzeittätigkeit, erhalten zu haben. An einer anderen Stelle bringt A3 den Begriff einer „kaputten Existenz“ ins Spiel, die seiner Ansicht nach durch Herrn Fichtner repräsentiert werde und im Rahmen des eigenen Arbeitsumfeldes aufgrund der problematischen Vereinbarkeit zwischen den hohen Mobilitätsanforderungen der Arbeit und dem familiären Hintergrund häufiger anzutreffen sei. Die Gruppe distanziert sich zwar mehrheitlich von dieser Unterstellung, unterstreicht jedoch die Problematik einer geringen Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Anforderungen.
3.5.2
Rekonstruktion Gruppendiskussion II: Technische Inbetriebsetzer
Die Gruppendiskussion135 beginnt nach einer kurzen persönlichen Vorstellungsrunde mit knappen berufsbiografischen Stegreiferzählungen, die unterschiedliche Aspekte des Berufseinstiegs behandeln und die beruflichen Stationen bis zur heutigen Tätigkeit skizzieren. Nach Erläuterung der Aufgabenstellung beginnen die Teilnehmer, in Auseinandersetzung mit den vier Skizzen ihre Vorstellungen eines gelungenen Berufsweges zu erläutern.
3.5.2.1
Subjektive Definitionen einer gelungenen Berufslaufbahn
Aus den Beurteilungen der Figur des Herrn Vogel wird deutlich, dass die meisten Teilnehmer zwischen einer erfolgreichen Karriere und einem erfüllten bzw. glücklichen Leben unterscheiden. Aus dieser Perspektive betrachtet, habe Herr Vogel zwar keine Karriere gemacht (ein Teilnehmer kritisiert sein „Wirtschaftswunder-Sicherheitsdenken“), sei aber für seine konsequente höhere Gewichtung seines Privatlebens mit einem vorgezogenen Ruhestand sowie einer großen Lebenszufriedenheit belohnt worden. Bouvier repräsentiert aus Sicht der Gruppe die Person mit der erfolgreichsten Karriere, die ihren Beruf als „Berufung“ be135 Legende: B1 = Sprecher 1, B2 = Sprecher 2, B3 = Sprecher 3, B4 = Sprecher 4, B5 = Sprecher 5; B6 = Sprecher 6.
280
trachte und ihre Chancen am besten genutzt habe. Fichtners Situation betrachten die Teilnehmer als selbstverschuldet, denn er habe zu früh den „Kopf in den Sand“ gesteckt und sich gegenüber seinem Chef nicht richtig durchgesetzt. Der Berufsverlauf von Herrn Miller erscheint der Gruppe positiv, denn er habe als Aussteiger „alles richtig“ gemacht. So weist B5 darauf hin, dass er im Rahmen seiner Auslandstätigkeit als Inbetriebsetzer schon einige Herrn Miller sehr ähnelnde Freelancer kennengelernt habe, die ihm im Hinblick auf das Leben zufriedener vorkamen als er damals. „Ich habe auch schon so ein paar Leute getroffen irgendwo, wenn wir im Ausland waren. Ja, wo kommt ihr her, ja, ich habe mit Vierzig Schluss gemacht und ein bisschen krank gewesen, was weiß ich, meine kleine Firma, die habe ich an meinen Compagnon verkauft, die Hälfte auszahlen lassen, und jetzt lebe ich von meinen Ersparnissen. Das reicht so gerade. Und er ist zufrieden damit, natürlich nicht in Deutschland, da braucht man zuviel Kohle dafür. Habe ich öfters getroffen solche Leute, die waren rundum happy. Haben nicht die dicke Patte in der Tasche, aber die waren bestimmt zufriedener als ich zu der Zeit.“
Die Beurteilung der eigenen beruflichen Zufriedenheit orientiert sich an zwei unterschiedlichen Maßstäben: Der erste ist auf die Arbeitstätigkeit und die berufliche Karriere bezogen, der zweite auf die Chancen einer Vereinbarkeit beruflicher und privater Interessen. In der Beurteilung der Berufstätigkeit orientieren sich die Inbetriebsetzer stark an arbeitsinhaltlich relevanten Aspekten, die auf eine starke Identifikation mit der Tätigkeit und eine ausgeprägte intrinsische Motivation verweisen. Im Zentrum des beruflichen Selbstkonzeptes steht der Wunsch nach einer erfolgreichen Bewältigung technisch anspruchsvoller Aufgabenstellungen und Probleme in einem auf Selbstständigkeit und Leistungsfähigkeit des Einzelnen setzenden Kooperationsprozesses. Die Teilnehmer betonen, „wirklich gern“ zu arbeiten und aus der Erfahrung, die Technik trotz mancher technischer oder sozialer Schwierigkeiten vor Ort gemeinsam zum Laufen zu bringen, ein hohes Maß an innerer Befriedigung ziehen zu können: „Ich meine, die Leute arbeiten ja auch wesentlich mehr, als sie arbeiten müssten, das muss man ja auch sehen. Und das machen sie ja, weil sie anschließend einmal natürlich, weil man einen Zeitdruck hat, das ist ganz klar, aber man macht ’s auch, weil man das Ergebnis erreichen möchte, ja, man will, dass die Anlage läuft, und dann arbeitet man tagsüber oder nachts und so zu jeder Uhrzeit, dass man eben dem Ziel näherkommt. Und wenn dann hinterher das Ergebnis da ist und die Anlage läuft, ich glaube schon, dass das dann quasi einen so befriedigt, dass man das andere, was vorher war, mehr oder weniger vergisst“ (B1).
Einer der Teilnehmer schlägt der Gruppe vor, über die Frage einer Bilanzierung der bisherigen individuellen beruflichen Entwicklung zu diskutieren. Ab hier beginnt eine engagierte Diskussion, die zeigt, dass der eigene Berufsverlauf trotz einer allgemein relativ hohen Zufriedenheit mit der Arbeit als Auslandsinbetriebsetzer unter den Teilnehmern doch recht ambivalent bewertet wird. Extrinsische 281
Motive wie eine angemessene Entlohnung und materielle Absicherung stehen dabei nicht im Vordergrund, sondern eher die Kritik an den gegebenen, mit den eigenen Maßstäben beruflicher Entscheidungskompetenz, Autonomie und Entfaltung nur bedingt übereinstimmenden betrieblichen Karriere- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten und -angeboten. Anstelle einer ausgeprägten Aufstiegsorientierung äußert sich mehrheitlich Distanz zur Möglichkeit einer Managementkarriere. Wichtiger sei die Möglichkeit, eigene Vorstellungen einer professionellen, mit vielen Entscheidungs- und Handlungsspielräumen und breitem Kompetenzprofil ausgestatteten techniknahen Expertenrolle realisieren zu können. Die betrieblichen Rahmenbedingungen haben sich nach Ansicht der Teilnehmer in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert, sodass der eigene Karriereverlauf recht kritisch bilanziert wird: „Bei mir hat da immer so ein bisschen die übergreifende Perspektive gefehlt. Und der Job, den ich jetzt habe, ist gut bezahlt. Er ist sicher [...] aber ich frage mich, ob ich damit auf Dauer zufrieden sein kann. […] Deshalb ist das mit der Entscheidungsfreiheit heute, was haben wir heute zu entscheiden als Inbetriebsetzer, sieh zu, dass du fertig wirst, so ungefähr. Der Spielraum ist so klein, das war früher schon anders“ (B3).
Bemerkenswert an den individuellen Äußerungen der Vorstellungen eines gelungenen Berufsweges ist das hohe Maß an Übereinstimmung darin, den Verlauf der eigenen Karriere als auch des eigenen Lebensweges als Phasenmodell mit jeweils unterschiedlichen Anforderungen, Interessen und Arrangements zwischen der Lebenssituation und den betrieblichen Tätigkeitsanforderungen zu konzipieren: „Wenn man jung ist und flexibel und ungebunden ist, dann ist so eine Sache dauernd Aufenthalt im Ausland, dauernd Baustellenwechsel etwas Fantastisches. Man hat dauernd neue Aufgaben, man hat dauernd neue Herausforderungen, man ist selbstständig auf den Baustellen, das ist einfach super. Im Laufe der Jahre, wenn man dann allerdings heiratet und dann plötzlich Rücksicht nehmen muss auf den Partner, es ist irgendwann ein Kind da, laufen Verpflichtungen auf, die eigentlich auch sehr wichtig sind und die auch ihre Realitäten verlangen. Und dann muss man versuchen, die berufliche Karriere eventuell für die Familie zurückzustecken, hängt natürlich vom einzelnen Individuum ab“ (B1).
Der zweite Bewertungsmaßstab bezieht sich auf die Vereinbarkeit beruflicher und familiärer bzw. privater Bedürfnisse und Anforderungen. Hier überwiegen sehr skeptische Sichtweisen. Die mit der Tätigkeit des Inbetriebsetzers verbundenen Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen lassen sich aus Sicht der Teilnehmer durchaus mit den beruflichen Entfaltungsinteressen, insbesondere in der Phase privater Ungebundenheit vereinbaren, kaum jedoch mit der infolge von Heirat, Familiengründung oder Kindern im schulpflichtigen Alter veränderten persönlichen Situation:
282
„Ich habe eine Zeit lang eine Freundin gehabt, und ich hatte auch ernsthafte Heiratsabsichten. Wir waren drei Jahre zusammen. Und im ersten Jahr war ich eben ja, das war mit extrem großer Auslastung da wirklich von einer Anlage zur anderen gehetzt und ja sie hat es mitgemacht, ich weiß nicht, wie lange sie ’s mitgemacht hätte, hatte dann aber ein Jahr drauf das Glück praktisch bei Powergeneration einen längeren Einsatz hier am Standort zu haben und dadurch war das Problem gelöst. Die Beziehung ist dann später aus anderen Gründen auseinandergegangen. Aber wirklich das ganze Leben, wenn man ständig reist und die Familie ist zuhause, ich frage mich, welche Frau das mitmachen kann“ (B3).
Auch die von Arbeitgeberseite angebotene Möglichkeit einer Familienmitnahme im Falle längerfristiger Projekteinsätze bietet aus Sicht der Teilnehmer keine angemessene Lösung. Während B2 und B3 eine Familienmitnahme im Falle von noch nicht schulpflichtigen Kindern für praktikabel halten, äußert B4 grundsätzliche Bedenken, fürchtet er doch eine Entwurzelung des Kindes infolge der durch häufige Umzüge erschwerten Sozialisationsbedingungen. Die Unterstützung von Arbeitgeberseite wird innerhalb der Gruppe mehrheitlich als nicht ausreichend betrachtet. Bestehende Möglichkeiten wie Stellvertretungsregelungen oder familiäre Anforderungen berücksichtigende Gestaltung der Urlaubszeiten würden bei einigen Vorgesetzten nicht ausreichend angeboten bzw. ausgeschöpft. B4 formuliert die innerhalb der Gruppe wie auch unter den Teilnehmern von Gruppendiskussion I geteilten Erwartungen wechselseitiger Flexibilität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer: „Im Großen und Ganzen sollte man bei uns, die wir da im Ausland tätig sind, auch als Unternehmer flexibel sein und den Leuten halt bestimmte Spielräume gewähren, damit dort halt das private Umfeld und die eigene Zufriedenheit damit bestehen bleibt. Das ist ja leider so, es gibt Vorgesetzte, die machen sich da überhaupt keine Gedanken, die sehen, der kommt rein und da kann er gleich wieder raus.“
3.5.2.2
Bewertung der betrieblichen Rahmenbedingungen beruflicher Entwicklung
In der Gruppe wird intensiv über die Frage nach der Verantwortung für berufliche Entwicklung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern diskutiert. Zwei Teilnehmer äußern die Ansicht, dass es im Zuge der Etablierung des HRM zu einem Abbau der betrieblichen Unterstützung in Fragen der Weiterbildung und Karriereentwicklung kam. B1 berichtet davon, dass seine Anstrengungen, die eigene Karriere vor dem Hintergrund veränderter persönlicher Lebensverhältnisse (Partnerschaft) in andere Bahnen zu lenken (in seinem Fall in eine Innendiensttätigkeit mit geringeren Mobilitätsanforderungen), misslangen. Dieses Scheitern führt er einerseits auf die wegfallende Unterstützung durch das Unternehmen bzw. eine Verschiebung der Verantwortung für berufliche Entwicklung auf die
283
Mitarbeiter zurück, andererseits auf seine Chancenlosigkeit aufgrund von Alterdiskriminierung im betriebsinternen Stellenmarkt: „Früher war das so, dass Leute, die sieben Jahre oder so im Außendienst waren, von der Firma unterstützt wurden, dass sie irgendwo in den Innendienst gebracht wurden. Das ist heute nicht mehr so. Heute gibt es das Human Resource Market, da kann man sich bewerben, aber man ist auf sich allein gestellt [...]. Da muss man schon selber suchen oder versuchen, etwas zu finden. Bei mir persönlich hat es leider nicht mehr geklappt“ (B1).
Die von B1 artikulierte Enttäuschung über die mangelnde betriebliche Unterstützung scheint kein Einzelfall zu sein. B3 wertet die in seinem Arbeitsumfeld beobachtete hohe Fluktuation unter den Kollegen als Resultat einer auf kurzfristige ökonomische Erwägungen fokussierten Personalpolitik. Ähnlich wie unter den Teilnehmern der Gruppendiskussion I wird auch in dieser Gruppe eine Verschiebung der Verantwortung für berufliche Entwicklung auf den Mitarbeiter selbst konstatiert. Allerdings führt diese Wahrnehmung nicht zu einer Generalisierung bzw. sogar wie in Gruppe I zu einer sehr weitreichenden Affirmation der zugeschriebenen individuellen Verantwortlichkeit für die Gestaltung der Berufslaufbahn. Aufgrund des Festhaltens an einer für die Inbetriebsetzung typischen Form der Beruflichkeit und Arbeitsidentität haben alle Diskussionsteilnehmer (mit Ausnahme von B1) nach eigenen Angaben auf eine aktive Veränderung ihrer Berufslaufbahn (z.B. den Vollzug eines Laufbahn- oder Tätigkeitswechsels) verzichtet. Die Gruppe orientiert sich an einem hinsichtlich der Reichweite an Eigeninitiative und des Verständnisses beruflicher Weiterentwicklung von Gruppe 1 abweichenden Verantwortungskonzept. Wenn man als Inbetriebsetzer kein explizites Interesse an einem Aufstieg in eine Managementposition habe, könne man mit dem Berufsverlauf eigentlich zufrieden sein. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass der Karrierebegriff von den Teilnehmern in einem engen Sinne als Ausdruck hierarchischen Aufstiegs verwendet wird. „Wer ins obere Management oder so weiterkommen möchte, dann ist natürlich ganz klar, dass man von sich aus selber aktiv werden muss, um da die Weichen zu stellen. Weil von der Firma aus läuft da eigentlich wenig. Heutzutage muss man selber seinen Karriereweg planen, falls man einen Karriereweg überhaupt einschlagen will“ (B1).
Die Gruppe unterstreicht die hohe Bedeutung betrieblicher Weiterbildung für Arbeit und Berufskarriere und betont aber zugleich, dass die Möglichkeit, Weiterbildungsmaßnahmen zu besuchen, in Abhängigkeit der Einstellung des Vorgesetzten sehr unterschiedlich ausfielen. Die Initiative für Weiterbildung gehe dabei in der Realität nur selten vom Vorgesetzten aus. Den Erfahrungen der Teilnehmer zufolge gibt es eine starke Diskrepanz zwischen den im EFAProzess und im Führungsrahmen definierten Anforderungen an erfolgreiche Führungskräfte (die als Coach oder Bildungsberater ihrer Mitarbeiter agieren 284
sollen) und dem faktischen Führungsverhalten. Der Umgang des Unternehmens und der Führungskräfte mit dem Arbeitsvermögen der Mitarbeiter ist nach Ansicht der Teilnehmer weder proaktiv noch auf den Bildungsbedarf und die Interessen des Individuums bezogen, sondern durch das Ziel einer möglichst hohen Personalauslastungsquote und Kostenkontrolle geprägt: „Der Weiterbildungskatalog ist voll von schönen Kursen zum Fachlichen [...], aber der Chef muss es bezahlen wollen“ (B3). „Trotzdem, ich denke, je älter man wird, desto schwerer hat man es, dass man mit Weiterbildung und so zum Zuge kommt. […] Vorrang hat meistens immer ein Satz, Geld muss reinkommen. Wenn zwischendurch mal Zeit ist und zufällig ein Kurs frei ist, okay, dann. Aber da muss man schon Glück haben“ (B5). „Heutzutage wird das angeboten, das kann man im Intranet gucken, diese Kurse. Und man muss sich selber, man muss selber wirklich sich einen Kurs aussuchen und dauernd dem Vorgesetzten quasi auf der Tasche liegen, hier, das will ich machen. Und dann stimmt er vielleicht zu, wenn er nicht sofort zustimmt. Wenn man das nicht macht, dann kann man das sowieso alles vergessen“ (B1).
Innerhalb der Gruppe setzt sich die unumstrittene Einschätzung durch, dass die Verantwortung für die Weiterbildung und Gestaltung einer Karriere in der heutigen Zeit des HRM letztlich beim Mitarbeiter selbst liege. Ohne die unermüdliche Aktivität, ein gutes Verhältnis zum Vorgesetzten und eine hohe Reputation bei den auftraggebenden internen Kunden „gerät man so ein bisschen in Vergessenheit“ (B1). Zwar sieht die Gruppe in EFA ein im Hinblick auf individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und die betriebliche Steuerung einer Karriere für beide Seiten nützliches Instrument, bedauert aber, dass in der betrieblichen Praxis der jährliche Beurteilungsprozess von vielen Personalvorgesetzten als reine Pflichtveranstaltung begriffen werde: „Das Papier muss ausgefüllt werden. Wir müssen das machen, so ungefähr hört sich das immer an. Kommen sie mal vorbei, wir müssen das ja alle machen“ (B5). Aufgrund dieses geringen Engagements entstünden tendenziell wenig aussagekräftige Beurteilungen, und demzufolge würden auch wenig konkrete individuelle Weiterentwicklungsmaßnahmen vereinbart bzw. wirksam. B2 gewinnt dieser Praxis von EFA doch noch etwas Positives ab, sieht er darin doch immerhin „eine Möglichkeit, dass ich einmal im Jahr, da habe ich zwei Stunden Zeit mit meinem Vorgesetzten und man kann sich unterhalten. Sonst kriegt der kaum mit, was ich mache. Und dann haben wir zumindest da die Möglichkeit, uns irgendwie zu unterhalten und mal wieder auf den neuen Stand zu bringen und so.“ B4 hingegen hält das beschriebene geringe Engagement mancher Vorgesetzten im EFA-Prozess für insgesamt ungerechtfertigt und be-
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tont, dass man als Mitarbeiter unermüdlich für seine Weiterbildungs- und Entwicklungswünsche kämpfen müsse, um erfolgreich zu sein: „Ja, letztendlich musst du selber Druck machen. Musst wissen, was du möchtest, dann bringt das auch was. Wenn da drin steht, du machst das und das, du musst immer nachhaken, du musst bohren, bis es blutet, sonst passiert gar nichts. Ich denke schon, dass es was bringt mit diesen EFA-Gesprächen, aber man muss halt dahinterstehen und das nicht einfach als gegeben hinnehmen und warten, bis andere was machen, sondern man muss selbst die Initiative ergreifen. Und wenn ’s nicht klappt, muss man die Konsequenzen ziehen soweit möglich.“
Die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen und der Übernahme von Verantwortung für die Gestaltung und den Erfolg der eigenen Karriere erscheint allen Teilnehmern vor dem Hintergrund des veränderten betrieblichen Kontextes sowie den allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ohne Alternative: Permanente berufsbiografische Aktivität wird als individueller Beitrag dazu gedeutet, die Risiken eines Arbeitsplatzverlustes zu reduzieren und sich Einflussmöglichkeiten auf den eigenen Berufsverlauf zu sichern. Gerade weil die Vorgesetzten wenig Einblick in die Arbeit der Inbetriebsetzer hätten und folglich entsprechende individuelle Leistungen, Kompetenzen und Entwicklungspotenziale nicht adäquat beurteilen könnten, werden Hartnäckigkeit und die Bereitschaft zur Pflege sozialer Netzwerke als wichtige individuelle Tugenden und Kompetenzen betrachtet, um die berufliche Selbstbehauptung und Weiterentwicklung abzusichern. Im Gegensatz zu Gruppe I, die die Offenheit der beruflichen Zukunft als Ausdruck persönlicher Autonomie- und Selbstverwirklichung interpretiert, betont diese Gruppe eher die existenzielle Notwendigkeit entsprechender Aktivität. Hier geht es stärker um Absicherung der eigenen „Markt- und Wettbewerbsfähigkeit“ im Unternehmen und ein konsequentes „Bargaining“ eigener beruflicher Interessen: „Ich denke, heutzutage da muss man sich schon aufgrund der äußeren Umstände immer weiterentwickeln, man darf nicht stehen bleiben. Weil der Herr Vogel ist sicherlich ein glücklicher Mensch, aber das plätschert halt so vor sich hin, und irgendwann wird die Abteilung wegrationalisiert, oder aus irgendwelchen anderen Gründen ist der Posten überflüssig, und was ist dann noch, dann ist der nicht mehr vermittelbar. Währenddessen jemand, der sich jetzt weiterentwickelt, dem kann natürlich genau das Gleiche passieren, aber die Chancen, dass das nicht passiert, sind wahrscheinlich wesentlich größer“ (B4).
Welche objektive und subjektive Bedeutung besitzen nun Kontinuität, „Langsicht“ und Planbarkeit, die bislang als fundamentale Strukturierungsprinzipien des Lebenslaufs und der (Berufs-)Biografie betrachtet wurden (vgl. Kohli 1995; Senett 2000; Dröge/Somm 2005), für Beschäftigte in einem derart weitreichend flexibilisierten Kontext der Arbeit, des Lebens und der beruflichen Karriere? Kontinuität wird von den Teilnehmern in erster Linie mit einem festen Arbeitsplatz sowie dem Verankertsein in einem beruflichen Umfeld mit langfristi286
gen Kooperations- und Sozialbeziehungen unter Arbeitskollegen definiert. Dass diese Form einer sozialen und arbeitsplatzbezogenen Kontinuität im Rahmen hochflexibler Projektarbeit keinen Nährboden findet, nehmen die Teilnehmer nüchtern zur Kenntnis. Bis auf B5, der herausstellt, dass mit voranschreitendem Lebensalter anders als in jungen Jahren das Bedürfnis nach einem vertrauten sozialen Arbeitsumfeld „wieder eine Rolle“ spiele, artikuliert die Gruppe kein ausgeprägtes Bedürfnis nach Kontinuität und langfristigen sozialen Beziehungen innerhalb der Arbeit. Begründet wird diese Haltung damit, dass die vorhandenen Arbeitsbedingungen nicht den „Durchschnittsmenschen“ anziehen würden, sondern primär Erwerbstätige mit großer Flexibilität. Zudem werde man durch diese Arbeitsbedingungen derart geprägt, „dass wir uns das gar nicht vorstellen können, irgendwo lang zu sein“ (B2). Nach B3 lernt man als Inbetriebsetzter im Laufe seiner Berufstätigkeit „sehr viele Leute kennen, zu denen man später immer wieder Berührungspunkte hat, weil man einfach weiß, die sind fachlich gut, die kann ich was fragen, von denen kann ich Informationen bekommen, ein gewisser Kontakt wird da bleiben, so lange man in diesem technischen Umfeld arbeitet.“ Auch in der Frage nach der Bedeutung einer langfristigen Planbarkeit der beruflichen Karriere ist sich die Gruppe einig. Die Inbetriebsetzer sehen sich in der anhaltend paradoxen Situation, wesentlich stärker als in der Vergangenheit für die Gestaltung und „Erfolgszurechnung“ der eigenen Karriere verantwortlich zu sein, die Umsetzung eigener beruflicher Pläne und Strategien aber nur sehr begrenzt individuell beeinflussen zu können. Zunächst einmal müsse man selbst rechtzeitig eine klare Perspektive entwickeln, welche Tätigkeiten man in Zukunft anstrebe, entsprechende Wünsche gegenüber dem Vorgesetzten sehr deutlich artikulieren sowie durch eigene Aktivität auf dieses Ziel hinarbeiten. Die beständige Suche nach Optionen und das unablässige Arbeiten an der Karriere wird kollektiv als eine Art Mechanismus zur Reduktion von Zukunftsungewissheit aufgefasst. Es geht demnach um die berufsbiografische Kompetenz eines angemessenen Umgangs mit der paradoxen Anforderung, einerseits konkrete berufliche Pläne formulieren und konsequent verfolgen zu müssen, andererseits diese Pläne offen für sich rasch verändernde, nur sehr begrenzt antizipierbare Tätigkeitsanforderungen und Stellenlandschaften zu halten: „Ja, es ist eigentlich schwierig heutzutage, was zu planen, weil einfach die Bedingungen sich immer schneller ändern. Man muss ständig die Augen offenhalten, gäb ’s nicht eine Gelegenheit, was für mich passen könnte“ (B3). „Man muss ja wissen was man will, sagen wir, wenn man nicht weiß, was man will, kann man nichts planen, das ist ganz klar. So, aber ob das dann auch so eintrifft, das ist heute mehr ungewiss als je. Man kann zwar, nein, man muss dauernd daran arbeiten, dass es in die Richtung
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sich bewegt, aber das ist keine Garantie. Das ist keine Garantie. Man hat aber schon verloren, wenn man nicht dauernd aktiv ist, dann kann man schon alles vergessen“ (B1).
Die langfristigen Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten für High Potentials und Trainees im Managementnachwuchs sowie für das interne Projektpersonal der Verbundkunden werden von den Teilnehmern als wesentlich besser eingeschätzt werden als im Bereich ihres Expertenpools. Die ungleichen Karrierechancen werden von den Teilnehmern jedoch nicht weiter hinterfragt. Der Versuch von Interviewer 1, das Thema im Kontext von Dimensionen der Verteilungs- oder Chancengleichheit zu diskutieren, findet keinen Anklang. Stattdessen rechtfertigt ein Teilnehmer diese Situation mit dem Hinweis auf eine unterschiedliche Rationalität der Humanressourcennutzung. Ihre Aufgabe beschränke sich darauf, „zuverlässig mit einem Minimum der Zeit und einem Minimum der Kosten maximale Leistung zu bringen“ (B4). Daraus lasse sich kein gesteigertes Interesse der Organisation ableiten, das Leihpersonal auf leitende Positionen hin zu entwickeln, da entsprechende Positionen fehlen.
3.5.3
Zusammenfassender Vergleich
Die Frage nach normativen Maßstäben der Beurteilung beruflicher Karrieren wird von den Teilnehmern beider Gruppendiskussionen in ähnlicher Weise diskutiert. Beide Gruppen sehen in dem Zusammenspiel individueller Vorstellungen beruflicher Entwicklung, dem Modell persönlicher Lebensführung und den betrieblichen Rahmenbedingungen des HRM eine Grundvoraussetzung für das Gelingen beruflicher Karrieren. Eine bemerkenswerte Differenzierung nehmen die Auslandsinbetriebsetzer (Diskussion II) vor, indem sie berufliche Zufriedenheit und Lebenszufriedenheit explizit voneinander unterscheiden, während die Gruppe der kaufmännischen Projektmitarbeiter und -manager (Diskussion I) ihre Berufstätigkeit entlang der Kriterien Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung bewertet. Dass die Inbetriebsetzer sehr deutlich eine Unterscheidung zwischen Berufs- und Lebenszufriedenheit vornehmen, ist angesichts der (verglichen mit den häufiger am Standort tätigen Projektmanager) bedeutend schlechteren Möglichkeit, berufliche und lebensweltliche Anforderungen miteinander zu vereinbaren, verständlich. Die Bilanzierungen eigener Karriereverläufe wie auch die Bewertungen der betrieblichen Rahmenbedingungen für einen gelungenen Berufsweg fallen zwischen beiden Gruppen sehr unterschiedlich aus. Während die kaufmännischen Projektmitarbeiter die Flexibilität (des Arbeitsplatzes und Arbeitsortes), die Offenheit der beruflichen Karriere und die Notwendigkeit einer beständigen Vermarktung und Weiterentwicklung des individuellen Arbeitsvermögens als Medi288
um zur Entfaltung persönlicher Potenziale und Kompetenzen betrachten, sehen die Inbetriebsetzungsingenieure hierin primär den Zwang zur Absicherung der eigenen Arbeitsmarktfähigkeit im Unternehmen unter Wahrung gewisser Mitgestaltungsmöglichkeiten. Die geäußerten Vorstellungen beruflicher Entwicklung orientieren sich dabei in beiden Gruppen weder am Anspruch berufsbiografischer Planbarkeit und Berechenbarkeit noch am Wunsch nach kontinuierlichen und befriedigenden sozialen Beziehungen unter Arbeitskollegen, sondern dem Erhalt bzw. Ausbau beruflicher Kompetenz und Professionalität. Markante Unterschiede zwischen beiden Gruppen zeigen sich hinsichtlich der Arbeitsmotive und des beruflichen Selbstverständnisses. Die kaufmännischen Projektmitarbeiter erleben betrieblich bedingte häufige Tätigkeitswechsel als herausfordernd und persönlich wie beruflich bereichernd und zeichnen sich somit (in hoher Korrespondenz zum Typus „strategischer Karrierepolitik“) durch ein für vielfältige Erfahrungen und Tätigkeiten offenes Selbstkonzept aus. Die Arbeitsmotive der Inbetriebsetzer hingegen orientieren sich in deutlicher Übereinstimmung mit den Typen „situativ-adaptive Karrierepolitik und „Krisenbewältigung“ stark an arbeitsinhaltlichen Anforderungen, Kompetenzen und Erfahrungen, wie sie für eine technisch-professionelle Aufgabenstellung im Rahmen der Fachlaufbahn charakteristisch sind. Hinsichtlich des Aktivitätsgrades und der Gestaltungsmodalitäten im Umgang mit dem eigenen Arbeitsvermögen und dem Attributionsmuster von Verantwortung für berufliche Entwicklung und Absicherung zeigen sich weitere bemerkenswerte Unterschiede. Die kaufmännischen Projektmanager identifizieren sich nahezu bruchlos mit der ihnen zugeschriebenen Rolle als „Unternehmer seiner Selbst“ und den damit verbundenen betrieblichen Erwartungen an berufsbiografische Eigeninitiative und Selbstsorge. In der Anforderung lebensbegleitender Flexibilität und Lernaktivität sehen sie aus einer emanzipativen Grammatik heraus die Chance einer umfassenden Entfaltung der in der Person angelegten Potenziale und Kompetenzen im berufsbiografischen Verlauf. Ein gegensätzliches, kollektiv geteiltes Deutungsmuster hierzu findet sich bei der Gruppe der Inbetriebsetzer. Sie gehen auf kritische Distanz zur Individualisierung der Verantwortung für berufliche Absicherung, betriebliche Weiterbildung und der Folgen flexibilisierter Arbeit. Der unternehmerische Umgang mit dem eigenen Arbeitsvermögen resultiert hier nicht aus einer „freien Wahl“, sondern der mangelnden betrieblichen Unterstützung hinsichtlich der Weiterbildung, Karriere und Work-Life-Balance. Die Pflege informeller sozialer Netzwerke zu internen Auftraggebern, der Ausbau der persönlichen Reputation als Fachexperte und das konsequente und hartnäckige „Bargaining“ sind Elemente einer berufsbiografischen Absicherungsstrategie.
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4 Fazit und Ausblick
Auf Basis der arbeits- und industriesoziologischen Diskussion über die Umbrüche im Bereich der Unternehmens- und Arbeitsorganisation und der Erwerbsarbeit wurden zentrale Veränderungstendenzen wie auch Kontinuitäten in den Formen und Rationalitäten betrieblicher Arbeitskraftnutzung der letzten zwanzig Jahre identifiziert. Im Zuge des beschleunigten Wandels von Markt, Organisation, Technik und Wissen konzentrieren sich betriebliche Rationalisierungsstrategien insbesondere im Bereich qualifizierter und wissensbasierter Produktionsund Dienstleistungstätigkeiten auf eine umfassende und intensivierte Nutzung nicht nur berufsfachlicher, sondern auch fachübergreifender Arbeitskraftpotenziale wie Kreativität, Initiative, Kommunikationsfähigkeit oder soziale Kompetenz. Galten diese untrennbar mit der Subjektivität und Biografie von Erwerbspersonen verbundenen Aspekte des Arbeitsvermögens lange Zeit als systemfremde Elemente eines auf der konsequenten Trennung von Person und Stelle fußenden bürokratischen Organisationsmodells und einer autonomiefeindlichen Fabrikdisziplin im Zeitalter des Taylorfordismus, sind sie unlängst als wertvolle „Ressourcen“ organisationaler Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit entdeckt worden (vgl. Moldaschl/Sauer 2000; Schönberger/Springer 2003; SubAro 2005). Die mittlerweile breit diskutierten Entwicklungstendenzen der Flexibilisierung, Subjektivierung und Wissensbasierung von Arbeit, aber auch die Phänomene einer wachsenden Ökonomisierung, Informatisierung und Entgrenzung der Arbeit verweisen trotz ihrer Gegenläufigkeit insgesamt auf einen funktionalen Bedeutungsgewinn des subjektgebundenen Arbeitsvermögens im Arbeitsprozess. An die Stelle anfänglicher Hoffnungen einer damit einhergehenden Entfaltung emanzipativer Potenziale, beispielsweise der Öffnung der Unternehmen für lebensweltliche Belange oder die Stärkung der Aushandlungsmacht von Arbeitnehmerinteressen, sind skeptische bis pessimistische Einschätzungen getreten. Nicht unangebracht ist die Vermutung, dass die mit modernen Managementkonzepten, insbesondere die Projektarbeit, verbundene Semantik der Selbstverwirklichung, der Kommunikativität und der Initiative gerade in heutigen Zeiten sozialstruktureller Umbrüche, erodierender Arbeitnehmerrechte und zunehmend diskontinuierlich wie unsicherer Erwerbsverläufe eine entgrenzte Leistungsethik potenziert und dabei neue Formen der Selbstüberforderungen erzeugt (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 261f.; Ehrenberg 2004: 8f., 197f.; Voswinkel/ Kocyba 291
2005). Die Kritik an der Ökonomisierung, Funktionalisierung und Instrumentalisierung von Subjektivität ist somit angebracht, verfällt allerdings oftmals in einen wenig differenzierten, tragischen Grundtenor. Aus Sicht vieler Autoren scheint es für den modernen Erwerbstätigen, sofern er im Spiel bleiben will, keine Alternative zur systematischen Ökonomisierung des Arbeitsvermögens und der individuellen Lebensführung entlang der entgrenzten Verwertbarkeitsund Flexibilitätsprämissen der modernen Markt- und Wissensökonomie zu geben. Prototypisch für diese Deutung des Wandels von Arbeit, Arbeitskraftnutzung und Subjektentwicklung stehen die intensiv rezipierten Thesen bezüglich des Arbeitskraftunternehmers (Voß/Pongratz 1998) und des „flexiblen Menschen“ (Sennett 2000) sowie die an Foucault orientierten Arbeiten zur „Produktion“ unternehmerischer Bewusstseinsformen. Sie verabschieden die Vorstellung einer gelingenden Balance von Arbeit und Leben, einer in sich kohärenten und Orientierung stiftenden beruflichen und persönlichen Biografie und zeichnen das Bild eines sozial und biografisch entwurzelten und getriebenen Menschen, der den Zwängen zur Flexibilität und der Erosion langfristiger Berufs- und Lebensperspektiven nichts Eigenständiges mehr entgegenzusetzen hat. Bislang liegen nur wenige Untersuchungen vor, die dem in der Subjektivierungsdebatte postulierten Anspruch, die „Vielfalt und Widersprüchlichkeit der neuen Verhältnisse“ zwischen „Person und Betrieb“, zwischen normativen Ansprüchen und funktionalen Anforderungen empirisch in den Blick nehmen und „multiperspektivisch“ analysieren zu wollen, gerecht werden (Moldaschl/Voß 2002: 1f.; Kleemann u.a. 2002: 57). Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die stärker subjektorientierte berufsbiografische Forschung und die auf betriebliche Strukturen und Rationalisierungskonzepte fokussierte arbeits- und industriesoziologische Forschung heute weitgehend unvermittelt nebeneinander stehen. Die berufsbiografische Forschung betont zu Recht die strukturelle Eigenständigkeit erwerbsbiografischer Orientierungs- und Gestaltungsmuster, blendet aber die konkreten betrieblichen Rahmenbedingungen der Arbeit und beruflichen Entwicklung weitgehend aus, während die arbeits- und industriesoziologische Diskussion neue Konzepte der Betriebs- und Arbeitsorganisation thematisiert und aus ihrer Rationalität – unter Zuhilfenahme einer Internalisierungsthese – mehr oder minder unmittelbar auf die Verfasstheit von Subjektivität zu schließen versucht. Den Erwerbstätigen wird dabei „tendenziell ein adäquates Reflexions- und Handlungsvermögen abgesprochen“ (Betzelt 2007: 7) – sie erscheinen angesichts der Dominanz der Verhältnisse nicht als aktiv und potenziell eigensinnig handelnde Akteure, sondern als passive „Re-Akteure(e) auf gesellschaftliche Veränderungen“ (Jürgens 2006: 15). Diese Arbeit leistete einen Beitrag dazu, dieses „oversocialized concept of man“ wie auch die Unverbundenheit beider Forschungskontexte zu überwinden.
292
Um diesem Ziel gerecht zu werden, wurden die Vermittlungsprozesse zwischen neuen Anforderungen der Arbeit und den subjektiven Orientierungs- und Gestaltungsmustern beruflicher Entwicklung und Bewährung im Kontext des HRM ins Zentrum der Untersuchung gerückt. Angesichts der massiven Restrukturierungen der vergangenen Jahre sind in vielen Unternehmen und deren Geschäftsfeldern klassische Karrierewege und Entwicklungsmöglichkeiten erodiert. Gleichlaufend hat sich mit dem HRM in den Großunternehmen eine ökonomisierte Variante betrieblichen Personalmanagements durchgesetzt, die auf einen intensivierten Zugriff als auch auf eine erweiterte Entwicklung subjektgebundener und organisationaler Fähigkeiten, Bereitschaften und Wissensbestände zielt und die Erosion der Aufstiegskarriere in neuartiger Form zu bearbeiten verspricht. Das für die arbeits- und industriesoziologische Forschung weitgehend unbekannte Konzept des HRM, das sich im Laufe der 1990er Jahre auch in deutschen Großunternehmen als dominante Organisationsform des Personalmanagements etablierte, wurde im Rahmen dieser Arbeit im Lichte des betriebsorganisatorischen, qualifikatorischen und normativen Wandels untersucht. Die Ausgangshypothese, das HRM bilde ein wichtiges Untersuchungsfeld für Prozesse der Subjektivierung von Arbeit, wird durch die Ergebnisse der Fallstudie vollauf bestätigt. Allerdings hat sich die relativ zugespitzte Annahme, das HRM stelle eine zentralistisch agierende machtvolle organisatorische „Instanz“ der Subjektivierung von Arbeit dar, in dieser Form nicht bewährt. Vielmehr lässt sich mithilfe der Fallstudie verdeutlichen, dass zentral definierte Prozesse, Anforderungen und Ziele eines ressourcenorientierten Personalmanagements je nach Organisationsebene und Geschäftsfeld recht unterschiedlich interpretiert und umgesetzt werden können. Die in der Literatur diskutierte Tendenz einer weitreichenden Dezentralisierung qualitativer Funktionen des Personalmanagements (wie Personalentwicklung, -rekrutierung und -beurteilung) und der damit einhergehende Wandel des Rollenverständnisses betrieblicher Personalmanager, Führungskräfte und Mitarbeiter konnten in ihren vielfältigen Implikationen analysiert werden. Hierbei wurden drei miteinander verzahnte Ebenen des HRM identifiziert: während die Personalmanager der Konzernzentrale in erster Linie Instrumente und Prozesse des HRM den Veränderungen der Konzernstrategie anpassen, entwickeln sich die Personalreferenten der Geschäftsbereiche zu internen Beratern und Prozessbegleitern im Hinblick auf Fragen der Kompetenz- und Karriereentwicklung und des Change-Managements. Die eigentlichen Kernaufgaben des HRD – also die Evaluation des Weiterbildungsbedarfs, die Förderung von Potenzialträgern und die Karriereplanung – liegen nun bei den Führungskräften. In der widersprüchlichen Rolle als Beurteiler und zugleich Coach des Mitarbeiters sollen sie die Flexibilitäts- und Lernbereitschaft ihrer Mitarbeiter entlang der Veränderungen des Geschäftsprozesses anregen. In der Praxis von
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Personalführung und -entwicklung stehen die beteiligten Akteure vor einer Reihe von Problemen und Widersprüchen. Personengebundene Expertise und Erfahrungswissen, fachliche wie fachübergreifende Kompetenzen (wie Flexibilitätsund Mobilitätsbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit und Methodenwissen) sind faktisch von zentraler Bedeutung nicht nur für die Realisierung der unternehmerischen Ziele, sondern auch für die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten der Beschäftigten. Notwendig ist demzufolge ein systematisches und nachhaltiges Management betrieblicher Lern- und Entwicklungsprozesse mit entsprechenden betrieblichen Angeboten zur Absicherung und Planung beruflicher Karrieren. Trotz des hohen Ausmaßes an formaler Integration von Prozessen der Personalführung, Weiterbildungsplanung und Personalentwicklung werden die Grenzen der betrieblichen Einflussnahme auf die Karriere- und Kompetenzentwicklung von Beschäftigten deutlich. Im untersuchten Kontext globaler Projektleiharbeit stehen unternehmerische Interessen an einer möglichst hohen Personalauslastung und einer über Zeit- und Kostendruck sowie knappe Personalressourcen gesteuerten Rationalisierung der Arbeit in deutlichem Widerspruch zu den Interessen vieler Mitarbeiter an einer langfristigen beruflichen Entwicklungsperspektive und eines stabilen Systems alltäglicher und biografischer Lebensführung. Diese widersprüchliche Konstellation beeinträchtigt die Umsetzbarkeit mittel- bis langfristiger personalpolitischer Ziele, insbesondere eine wirksame Personalbindung und Kompetenzentwicklung sowie den Erhalt von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit im Kontext alternder Belegschaften. Für die Tatsache, dass nur sehr wenige der befragten Mitarbeiter in ihrer betrieblichen Laufbahn regelmäßig an den jährlichen Mitarbeitergesprächen und an betrieblich organisierter Weiterbildung teilgenommen und Karrierefahrpläne mit Vorgesetzten oder Personalreferenten vereinbart hatten, gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder ist sie Ausdruck eines (verglichen mit dem klassischen Personalwesen) abnehmenden Einflusses des HRM auf die operative Praxis der Personalführung und -entwicklung (vgl. Kotthoff/Matthäi 2001: 65f) oder aber Folge einer verschärften Selektivität betrieblicher Weiterbildung und Förderung im Kontext des HRM. Die Leitfigur des Mitarbeiters als „Unternehmer seiner Selbst“, der sein berufliches Schicksal selbst in die Hand nimmt und die Entwicklung und Vermarktung des eigenen Kompetenzprofils gezielt entlang steigender Flexibilitäts- und Wissensanforderungen vorantreibt, korrespondiert dabei in auffälliger Weise mit dem Rückzug des HRM aus der Verantwortung für Personalentwicklung und betriebliche Weiterbildung. Das HRM, das seine Hauptaufgabe nun in der Beratung und Moderation organisationaler Veränderungsprozesse sieht, wird folgerichtig vom überwiegenden Teil der befragten Mitarbeiter nicht mehr als relevanter Ansprechpartner in Fragen der Karriereplanung, Förderung oder eines innerbetrieblichen Stellenwechsels wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig
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verwunderlich, dass die Karrieren in diesem Feld weitaus stärker von den Flexibilitäts- und Vermarktungskalkülen des operativen Geschäfts und den Versuchen der Beschäftigten, ihrem berufsbiografischen Verlauf Richtung und Sinn zu geben, geprägt sind als von einer „top-down“ verordneten Personalstrategie. Welche Schlüsse lassen sich aus den Karrierepolitiken und normativen Orientierungen der Beschäftigten im Kontext globaler Projektarbeit und dem betrieblichen HRM vor dem Hintergrund der Diskussion um die Flexibilisierung und Subjektivierung von Arbeit ziehen? Sind sie Ausdruck einer bruchlosen Flexibilisierung und Ökonomisierung von Arbeit und Subjektivität, oder liefern sie Hinweise auf eine Persistenz beruflicher Absicherungs- und Identifikationsmuster bzw. die Verfolgung eigensinniger Interessen? Hat das HRM eine „erfolgreiche“ Arbeit geleistet hinsichtlich des Transformationsprozesses des klassischen Arbeitnehmers zum „Unternehmer seiner Selbst“? In welchem Verhältnis stehen die empirischen Befunde zu den Thesen der Entgrenzung von Arbeit, Person und Leben (Hielscher 2000; Sauer 2001; Kratzer 2003; Kratzer u.a. 2004) bzw. des biografischen Drifts (Sennett 2000)? Zunächst verdeutlichen die Ergebnisse der Fallstudie, dass die mit den betrieblichen Strategien der Arbeitskraftnutzung verbundenen Anforderungen an globale Mobilität, Flexibilität und Leistungsvermögen den Möglichkeitsrahmen für eine ausgewogene individuelle Lebensführung und berufsbiografische Planbarkeit stark limitieren. In der Folge stehen die Erwerbspersonen und ihre Familien vor anspruchsvollen und schwierigen Entscheidungen im Hinblick auf geeignete und lebbare Arrangements zwischen Berufstätigkeit und Lebensführung. Die Beschäftigten im konkreten Fall profitieren sicherlich davon, dass ihre Arbeit – wenn auch in extremer Weise flexibilisiert – in verhältnismäßig gute institutionelle Strukturen eingebettet ist. Alle Befragten standen in einem unbefristeten, vergleichsweise sicheren und hoch entlohnten Arbeitsverhältnis und verfügen somit über eine stabile institutionelle Basis berufsbiografischer Absicherung. Diese spezifische Mischung aus entgrenzter Flexibilisierung und stabiler institutioneller Einbettung, zwischen Prekarität im Hinblick auf die Chancen einer gelingenden und sozial verlässlichen Lebensführung und einer materiell verhältnismäßig privilegierten, erfahrungsreichen und kompetenzförderlichen Arbeit verdeutlicht das Widerspruchsverhältnis hoch qualifizierter, subjektivierter und wissensbasierter Arbeit im Großunternehmen. Die Typen der Karrierepolitik und die normativen Konzepte und Verantwortungsmuster beruflicher Entwicklung verweisen auf eigenständige und in sich konsistente Formen berufsbiografischer Bewältigung und Gestaltung im Kontext des betrieblichen Rahmens der Arbeit und beruflichen Entwicklung. Typen- und tätigkeitsübergreifend findet sich eine ausgeprägte subjektive Bereitschaft, Verantwortung für Entwicklung und Vermarktung des eigenen Arbeits-
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vermögens zu übernehmen. Neben dem hohen Ausmaß an berufsbiografischer Aktivität deutet die von „Leistungsoptimierung“ (Pongratz/Voß 2003b: 229f.) getragene Selbstrationalisierung zunächst auf eine Bestätigung der These bezüglich des Arbeitskraftunternehmers in diesem Beschäftigungssegment hin. Die „selbstunternehmerische“ Initiative der Beschäftigten, die die ihnen zugeschriebene Verantwortung für eine die gesamte Berufsbiografie umspannende Aktualisierung der beruflichen Kompetenzen annehmen und aktiv nach Anschlussmöglichkeiten in Folgeprojekten oder anderen Abteilungen des betriebsinternen Arbeitsmarktes suchen, ist aus betriebsökonomischer Sicht funktional. Sie entlastet Personalmanagement und Vorgesetzte davon, aufwendige und angesichts häufiger Restrukturierungen oft hinfällige Karriere- und Stellenplanungen vorzunehmen, und korrespondiert in hohem Maße mit dem von Personalmanagern propagierten Leitbild des Mitarbeiters als „Unternehmer seiner Selbst“. Für die befragten Techniker, Ingenieure und Kaufleute ist diese neue Form einer über die Arbeit hinaus auch nun „berufsbiografisch verantwortlichen Autonomie“ (als Erweiterung des von Friedman 1977: 78 geprägten Begriffs „responsible autonomy“ um eine berufsbiografische Dimension) jedoch hochgradig ambivalent. Sie konfrontiert das Individuum mit einem enormen Maß an Zukunftsoffenheit. Die Projektmitarbeiter sehen sich in der paradoxen Situation, als (hoch) qualifizierte Angestellte wesentlich stärker als noch in der Vergangenheit für die Gestaltung und die „Erfolgszurechnung“ der eigenen Karriere verantwortlich zu sein, die Umsetzung eigener beruflicher Pläne und Strategien aber nur sehr begrenzt individuell beeinflussen zu können. Eine Bewältigungsstrategie dieser Paradoxie besteht darin, beständig nach Optionen für Anschlussprojekte zu suchen sowie unablässig an der Karriere zu arbeiten – quasi als Mechanismus zur Reduktion von Zukunftsungewissheit: „Man muss ja wissen, was man will, sagen wir, wenn man nicht weiß was man will, kann man nichts planen, das ist ganz klar. So, aber ob das dann auch so eintrifft, das ist heute mehr ungewiss als je. Man kann zwar, nein, man muss dauernd daran arbeiten, dass es in die Richtung sich bewegt, aber das ist keine Garantie. Das ist keine Garantie. Man hat aber schon verloren, wenn man nicht dauernd aktiv ist, dann kann man schon alles vergessen.“
Ist das flexible und unternehmerische Selbstmanagement demnach die alternativlose berufsbiografische Antwort auf die Erosion von Kontinuität, langfristiger Planbarkeit und sozialer Verwurzelung als fundamentale Strukturierungsprinzipien des Lebenslaufs und der Identitätsbildung (vgl. Kohli 1995; Sennett 2000; Dröge/Somm 2005)? Die hier diskutierten Ergebnisse zeigen ein breites Spektrum an Aneignungs- und Bewältigungsmustern und bestätigen die anfänglich geäußerte Kritik an den Thesen einer durchgängigen Ökonomisierung und Funktionalisierung von Subjektivität. Ein Großteil der Beschäftigten verlässt dieses durch entgrenzte Flexibilitäts-, Mobilitäts- und Leistungsanforderungen struktu296
rierte Tätigkeitsfeld in den ersten Berufsjahren und orientiert sich mittel- bis langfristig an einem Arbeitsplatz mit geregelten Arbeitszeiten und begrenzter geografischer Mobilität. Insbesondere in den problemzentrierten Interviews wurde deutlich, dass die Mehrzahl der Befragten in berufsbiografisch strategischer Weise ihre Verweildauer in den durch globale Projektarbeit und Leiharbeit geprägten Tätigkeitsarealen auf wenige Berufsjahre zu begrenzen versucht mit dem Ziel, rechtzeitig den „Absprung“ in Unternehmensbereiche mit besseren Karriereoptionen und akzeptablen Bedingungen der „work-life-Balance“ zu schaffen. Diese an einem Phasenmodell beruflicher und biografischer Entwicklung orientierte Rationalität einer „strategischen Karrierepolitik“ könnte eine Erklärung für das hohe Ausmaß an Personalfluktuation im untersuchten Tätigkeitsfeld liefern. Die auf eine „Begrenzung von Entgrenzung“ und auf eine gezielte Steigerung des internen Arbeitsmarktwertes zielenden Karrierepolitiken der Typen „Krisenbewältigung“ und „strategische Karrierepolitik“ stehen in Widerspruch zum betrieblichen Ziel einer langfristigen Bindung von Personal mit hoher Einsatzflexibilität. Hieran wird – bezogen auf die Arbeitskraftunternehmerthese – deutlich, dass ein unternehmerisches Selbstverhältnis der Beschäftigten, empirisch betrachtet, keinesfalls zu einem innerlichen Abschied von der klassischen Arbeitnehmerrolle führt.136 Das beobachtete unternehmerische Verhältnis zur Weiterentwicklung und Vermarktung des eigenen Arbeitsvermögens führt nicht zu Selbsttäuschungen über den eigenen Status und die Interessenlage im Unternehmen. Die Gruppendiskussionen haben klar gezeigt, dass die Beschäftigten mit ihrer aktiven Selbstvermarktung eigene Arbeitnehmerinteressen verfolgen. Die Selbstvermarktungsstrategie der Mitarbeiter in den technischen Funktionen folgt in erster Linie dem Ziel einer Absicherung des Arbeitsplatzes und der Berufslaufbahn, während die kaufmännischen Projektmitarbeiter durch selbstinitiierte Tätigkeitswechsel eine expansive Ausweitung ihrer Kompetenzen und die Bestätigung ihrer beruflichen Flexibilität vorantreiben. Tätigkeitsübergreifend lässt sich beobachten, dass Beschäftigte ihr Kompetenzprofil und ihre Reputation im Unternehmen als Aushandlungsressource zur Realisierung von Arbeitnehmerinteressen gegenüber den Vorgesetzten nutzen. Insbesondere erfahrene Mitarbeiter gehen sehr selbstbewusst mit ihrem „internen Marktwert“ um und treten zum Teil recht erfolgreich in einen Aushandlungsprozess um persönliche Standards und Ansprüche (z.B. bezogen auf die lokale Unterbringung, Weiterbildung, die Einsatzregion usw.), in denen sie eine Kompensation für ihre Zugeständnisse im privaten Bereich und ihre hohe Leistungsbereitschaft und Flexibilität sehen. Der unternehmerische Angestellte ist somit weder grundsätzlich verunsichert über seine Interessenlage noch per se in einer schlechten Verhandlungsposition, so136
Vgl. auch die Einschätzung von Schumann (1998) im Hinblick auf berufliche Orientierungen von Facharbeitern.
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lange er über die entsprechenden knappen und wertvollen human resources verfügt, auf die sein Arbeitsumfeld angewiesen ist, und in der Lage ist, sein „Potenzial“ entsprechend wirkungsvoll zu vermarkten. Im Hinblick auf die Diskussion um die Entberuflichung der Erwerbsarbeit (vgl. Voß/Pongratz 1998; Baethge/Baethge-Kinsky 1998; Severing 2001) tragen die Ergebnisse zu einer differenzierten Beurteilung bei (ähnlich wie Schaeper u.a. 2000; Kühn/Witzel 2004; Betzelt 2007). In dem untersuchten hochgradig flexibilisierten und vermarktlichten Tätigkeitsfeld finden sich keine eindeutigen Anzeichen dafür, dass Beruflichkeit (genauer: berufsfachliche Kompetenzen und Orientierungsmuster) ihre prägende Rolle für Personalrekrutierung, individuelle Bewältigung von Arbeitsanforderungen und erwerbsbiografische Gestaltung verliert. Im Gegenteil: Fachlichkeit und berufliches Erfahrungswissen bilden nach wie vor die wesentliche Grundlage des individuellen Arbeitsvermögens in den technischen Aufgabengebieten, seiner Weiterentwicklung, internen Vermarktung und arbeitskulturellen Verankerung. Insbesondere die Ingenieure und Techniker zeichnen sich trotz ihrer selbstunternehmerischen Initiative durch eine weiterhin stark ausgeprägte Berufsorientierung aus, sichtbar insbesondere an den Typen „situativ-adaptive Karrierepolitik“ und „Krisenbewältigung“. Gleichwohl werden berufsfachliche Orientierungen des Typus der „strategischen Karrierepolitik“ überformt durch das Bedürfnis, das eigene Kompetenzprofil generalistischer zu gestalten und sich für Optionen betrieblichen Aufstiegs und Statusgewinns aktiv einzusetzen. Die meisten diesem Typus zugeordneten Beschäftigten betonen, auch in Zukunft „Technik machen“ zu wollen und betreiben einen gezielten Aufbau ihrer um fachlich-problemlösende Kompetenzen zentrierten Reputation als betrieblicher Experten. Von einer „Entberuflichung“ der Ingenieurtätigkeit kann insofern nicht die Rede sein. Die betriebliche Kompetenzentwicklung zielt zudem weniger auf die Auflösung der klassischen Ingenieurrolle als vielmehr auf die Verknüpfung berufsfachlicher und branchenspezifischer technologischer Wissensbestände mit betriebsspezifischen wie fachübergreifenden Kompetenzen (vgl. auch Hübner/Wachtveitl 2000 im Bereich der Facharbeit). Die subjektive Orientierung an berufsfachlichen Standards und Arbeitsmotiven in Verbindung mit einer hohen Leistungs- und Flexibilitätsbereitschaft zeigt, dass quasi-unternehmerische Leistungs- und Erwerbsorientierungen und berufliche Absicherungs- und Qualitätsansprüche sich keinesfalls ausschließen oder gar historisch stufenförmig aufeinander folgen. Im Bereich der kaufmännischen Projektmitarbeiter hingegen spielen weder feste Berufsorientierungen noch enge sozialräumliche Bindungen eine wesentliche identitätsstiftende und lebenslaufstrukturierende Rolle. Die gestaltungsoffene Motivstruktur und die Suche nach neuen beruflichen Herausforderungen sind subjektive Orientierungen, die mit den Stilisierungen der Arbeitskraftunterneh-
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merthese korrespondieren. Die kaufmännischen Mitarbeiter halten ihren Karriereverlauf und ihr Kompetenzprofil offen für kaum plan- bzw. antizipierbare Optionen und Gelegenheiten, in denen sie Chancen individueller Weiterentwicklung und Vervielfältigung sehen.137 Die Offenheit und Adaptivität berufsbiografischer Gestaltung ist eine den betrieblichen Flexibilitätsanforderungen korrespondierende Bewältigungsstrategie fehlender Planbarkeit und Kontinuität innerhalb der beruflichen Laufbahn, wobei häufig wechselnde Aufgabenfelder und Kooperationsbezüge als begünstigende Bedingungen beruflicher und persönlicher Selbstentfaltung und Weiterentwicklung betrachtet werden. Die Typen der Karrierepolitik zeigen, dass Beschäftigte auch (oder gerade) unter Bedingungen einer „Entgrenzung“ zwischen Arbeit und Leben ihren Karriere- und Lebensverlauf aktiv mitgestalten, in unterschiedlichem Ausmaß kritisch reflektieren und auf vielfältige Weise positiv zu beeinflussen versuchen. Gespiegelt an dem Material, beschreiben die Thesen einer durchgängigen Selbstökonomisierung von Arbeitskraft oder des Drifts die Seite berufsbiografischer Orientierung und Gestaltung nicht adäquat. Zwar sind Elemente eines ökonomisch-kalkulierten Umgangs mit dem eigenen Arbeitsvermögen, einer sehr hohen Flexibilitäts- und Mobilitätsbereitschaft oder einer systematischen Weiterentwicklung individueller Kompetenzen augenfällige Momente aller Typen. Jedoch zeigt sich an den Typen Krisenbewältigung und strategische Karrierepolitik, dass Beschäftigte den destruierenden Auswirkungen zeitlich und geografisch unbegrenzter Flexibilität Grenzen zu setzen versuchen, indem sie Richtungswechsel innerhalb ihrer beruflichen Karriere und Lebenssituation einleiten. Der Vorschlag von Hoff (2003), den beiden recht pessimistischen Szenarien des Arbeitskraftunternehmers und des flexiblen Menschen eine auf die alltäglichen und biografischen Handlungs- und Reflexionskompetenzen der Subjekte abstellende Perspektive entgegenzustellen, kann vor dem Hintergrund der hier diskutierten Ergebnisse nur bekräftigt werden. Entgegen den Thesen bezüglich des Drifts und der restlosen Ökonomisierung von Subjektivität unterstreichen diese Befunde die vielfältigen biografischen Gestaltungs- und Bewältigungsleistungen der Subjekte im Hinblick auf ihre Arbeit, Karriere, ihr Leben und das Arrangement dieser Sphären. Das gilt insbesondere für die empirisch sehr unterschiedlich erfolgreichen Strategien der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung einer biografischen Kohärenz und Selbstbestimmung unter Bedingungen einer extremen Flexibilisierung bzw. Entgrenzung von Arbeit und Leben. Aus diachroner Perspektive führt die Flexibilisierung von Arbeit, Leben und Karriere nicht un137 Deutliche Hinweise auf einen Bedeutungsgewinn flexibler, auf Offenheit und Diffusion bedachter Identitätsstrategien finden sich bereits in der Untersuchung der Identitätskonstruktionen junger ostund westdeutscher Erwachsener im Übergang von der Schule ins Berufsleben (vgl. Keupp u.a. 1999: 114ff.).
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mittelbar und zwingend zu einer Erosion subjektiver Handlungsfähigkeit und Identität, sondern intensiviert die individuellen Anstrengungen einer reflexiven Gestaltung dieser Bereiche. Reflexivität, lebenslanges Lernen und Flexibilitätsbereitschaft sind dabei notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingungen für einen kontinuierlichen, aus Sicht der Subjekte gelungenen Karriereverlauf. Neben berufsbiografischen Strategien und Bewältigungsleistungen auf individueller Ebene, wie sie im Rahmen des Konzepts der Karrierepolitik untersucht wurden, benötigen diese „high skilled and flexible workers“ den Zugang zu organisatorischen, sozialen und institutionellen Ressourcen.138 Offensichtlich an dem Fallbeispiel zum HRM und den subjektiven Karrierepolitiken wird, dass eine Öffnung der Organisation gegenüber den lebensweltlichen Bedürfnissen und Anforderungen der Mitarbeiter auch die Realisierung personalpolitischer Ziele einer nachhaltigen Nutzung und Weiterentwicklung personengebundener Expertise und Kompetenz entscheidend verbessern würde. Angebote einer temporären organisatorischen Begrenzung von Entgrenzung und ein erweitertes Verständnis von Flexibilität – nicht als einseitige Anforderung an Beschäftigte, sondern im Sinne von Personaleinsatz- und -entwicklungsstrategien, die den im Biografieverlauf sich wandelnden Ansprüchen, Interessen und Kompetenzen der Mitarbeiter Rechnung tragen – könnten zur Grundlage eines auf Reziprozität und Langfristigkeit beruhenden sozialen Austauschverhältnisses zwischen Betrieb und Beschäftigten werden und auf diese Weise flexible Karrieren sowohl betriebsökonomisch wie biografisch nachhaltig absichern und gestalten helfen. Der demografische Wandel und die Lebensarbeitszeitverlängerung implizieren auch aus einer gesamtgesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Perspektive die Abkehr von der auch im heutigen HRM vielerorts etablierten Praxis einer (alters)selektiven, kurzfristigen und wenig nachhaltigen Personalpolitik. Insbesondere in den qualifizierten und hoch qualifizierten Tätigkeitsbereichen (Fachkräfte, Ingenieure, IT) drohen ein wachsender Mangel an fachlichem Nachwuchs, massive Verschiebungen in den Altersstrukturen der Belegschaften sowie der anhaltend hohe Zeit-, Kosten- und Leistungsdruck das Ziel einer langfristigen Bindung und Entwicklung betrieblicher Leistungsträger zu konterkarieren. Vor diesem Hintergrund sind weitere Untersuchungen notwendig, die sich auf mögliche Formen des betrieblichen Umgangs mit dem Widerspruch zwischen dem Ziel einer nachhaltigen Nutzung und Entwicklung des Arbeitsvermögens (und seinen Dimensionen Kompetenz, Wissen, Motivation, Gesundheit und Work-Life-Balance) und den kurzfristig ausgerichteten, durch enge ökonomische Rationalitäten geprägten Personaleinsatzstrategien konzentrieren. Seit wenigen 138 Vgl. Hildebrandt 2005 zu den Ebenen der „Lebenslaufpolitik“ sowie die vorangegangenen Ausführungen zum HRM.
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Jahren experimentieren insbesondere große Unternehmen (unter anderem der in der Fallstudie untersuchte Geschäftsbereich) mit entsprechenden Konzepten veränderter Laufbahnplanung, Arbeitsgestaltung und betrieblicher Gesundheitsförderung. Unter welchen Voraussetzungen diese Ansätze sowohl mit den zunehmenden Flexibilitäts- und Leistungsanforderungen der Arbeit als auch mit den Karrierepolitiken unterschiedlicher Qualifikations- und Altersgruppen vereinbar sind und zu einer nachhaltigen und sozial verträglichen Entwicklung der human resources beitragen können, ist eine wichtige, in der Zukunft empirisch zu beantwortende Frage.
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331
6
Anhang
Anhang 1:
Liste Experteninterviews
Anhang 2:
Liste Mitarbeiterinterviews
Anhang 3:
Liste Teilnehmer Gruppendiskussion
Anhang 4:
Leitfaden Experteninterviews
Anhang 5:
Kurzbiografischer Fragebogen Mitarbeiterinterviews
Anhang 6:
Leitfaden Mitarbeiterinterviews
Anhang 7:
Zuordnung der Interviews zu den Typen der Karrierepolitik
Anhang 8:
Stimulus Gruppendiskussion
333
Anhang 1:
Liste Experteninterviews
Betriebsexterne Experteninterviews (explorative Phase) I 5: Professor Weiß, Institut für Wirtschaft, Köln I 6: Professor Pawlowsky, Technische Universität Chemnitz Betriebliche Experteninterviews I 1: Stellvertretender Leiter konzerneigenes Trainingscenter (kein Tonbandmitschnitt) I 2: Personalentwicklerin, Geschäftsbereich A I 3: Führungskräfteentwickler, Geschäftsbereich B I 4: Personalentwicklerin, Geschäftsbereich C I 7: Betriebsratsvorsitzender, Konzernzentrale I 8: Human Resource Manager x und y, Konzernzentrale I 9: Leitung Personalentwicklung, Konzernzentrale I 10: Stellvertretender Leiter konzerneigenes Trainingscenter (kein Tonbandmitschnitt) I 11: Ressourcenmanager Recruiting, Geschäftsbereich A (kein Tonbandmitschnitt) I 12: Abteilungsleiter Anhangninbetriebsetzung und Service, Geschäftsbereich A I 13: Ressourcenmanager Projektmanagement und –support, Geschäftsbereich A I 14: Vorsitzender des Betriebsrats Standort, Geschäftsbereich A I 15: Ressourcenmanager Anhangnerrichtung und –instandhaltung, Geschäftsbereich A
334
I 16: Ressourcenmanager Anhangninbetriebsetzung und Service, Geschäftsbereich A I 31: Ressourcenmanager Anhangninbetriebsetzung und Service, Geschäftsbereich A I 36: Betriebsrat Standort, Geschäftsbereich A I 37: Leiter Personal und Personalentwicklerin, Geschäftsbereich A I 38: Ressourcenmanager Anhangnerrichtung und –instandhaltung, Geschäftsbereich A
335
Anhang 2:
Liste Mitarbeitendeninterviews
I 17: Chief Engineer, Anhangnerrichtung und –instandhaltung I 18: Inbetriebsetzer, Anhangnerrichtung und -instandhaltung I 19: Teilprojektleiter, Anhangnerrichtung und -instandhaltung I 20: Inbetriebsetzer, Anhangnerrichtung und -instandhaltung I 21: Inbetriebsetzer, Anhangninbetriebsetzung und Service I 22: Projektplaner, Anhangninbetriebsetzung und Service I 23: Chief Engineer, Anhangninbetriebsetzung und Service I 24: Systemtester, Anhangninbetriebsetzung und Service I 25: Softwareinbetriebsetzerin, Anhangnerrichtung und -instandhaltung I 26: Kaufmännischer Projektleiter, Projektmanagement und -support I 27: Stellvertretender technischer Gesamtprojektleiter, Projektmanagement und -support I 28: Chief Engineer, Anhangninbetriebsetzung und Service I 29: Kaufmännischer Projektleiter, Projektmanagement und -support I 30: Projektplaner/-controller, Projektmanagement und -support I 32: Softwareentwickler, Projektmanagement und -support I 33: Kaufmännischer Gesamtprojektleiter, Projektmanagement und -support I 34: Technischer Teilprojektleiter, Anhangnerrichtung und -instandhaltung I 35: Inbetriebsetzer, Anhangnerrichtung und -instandhaltung
336
Anhang 3:
Liste Teilnehmer Gruppendiskussion
Gruppendiskussion A „Mitarbeiter im Projektmanagement“ (Februar 2006) A1 Projektmanager, Projektmanagement und -support A2 Projektmanager, Anhangnerrichtung und -instandhaltung A3 Chief Engineer, Anhangnerrichtung und -instandhaltung A4 Senior Consultant, Projektmanagement und -support A5 Projektmanager, Projektmanagement und -support
Gruppendiskussion B „Technische Inbetriebsetzer“ (Februar 2006) B1 Chief Engineer, Anhangnerrichtung und -instandhaltung B2 Senior Engineer, Anhangnerrichtung und -instandhaltung B3 Senior Engineer, Anhangninbetriebsetzung und Service B4 Chief Engineer, Anhangnerrichtung und -instandhaltung B5 Senior Engineer, Anhangninbetriebsetzung und Service B6 Senior Engineer, Anhangninbetriebsetzung und Service
337
Anhang 4:
Leitfaden Experteninterview HRM
1
Unternehmensstrategie und Status des HRM
Wie strategisch ist die PE: 1) Repräsentanz auf Vorstandsebene 2) Beteiligung an Strategiedefinition oder Strategieumsetzung? Frage der Strategiedurchsetzung: Unterschied zwischen funktionalem und unternehmenspolitischem Stellenwert? Sanktionsmöglichkeiten oder "Prinzip Hoffnung"? Was unterscheidet das HRM vom klassischen Personalmanagement? Wer sind die Promotoren für PE und Weiterbildung auf Betriebs- und Vorstandsebene? Welche Rolle spielt Wertorientierung für den Status des HRM? Welchen Stellenwert hat das subjektive Arbeitsvermögen (Wissen, Qualifikationen, Motivation, Kompetenzen) in der unternehmerischen Strategie?
2
Organisation und Legitimation des HRM
Wie weit gehen Trends einer Dezentralisierung von PE-Aufgaben an Führungskräfte und Mitarbeiter? Hat sich die Arbeits- und Organisationsweise von PE und Weiterbildung durch das HRM verändert? Was sind Kernbereiche der PE, was sind mögliche OutsourcingFunktionen? Beschreiben Sie Aufbau und Kernprozesse des HRM Inwieweit sind strategische und operative Aufgaben des HRM aufeinander bezogen?
3
Strategien, Leitbilder und Konzepte des HRM
Gegenwärtiges Leitbild der PE? Interner Dienstleister, Wertschöpfungscenter, Change Agent/Prozessbegleiter, Förderer des Mitarbeiters Ist Wertorientierung ein Maßstab der Bildungsarbeit? Welche anderen Leitvorstellungen sind relevant? (Bspw. Prozess-, Qualitäts- und Kundenorientierung)
338
Auswirkungen auf Finanzierung und Legitimation der PE-Aktivitäten? Gibt es Anzeichen für eine "nachhaltige" Entwicklung der Mitarbeiterfähigkeiten? Verhältnis / Kooperation mit Betriebsrat und Gewerkschaften? Verhältnis zwischen klassischer Anpassungsqualifizierung und potenzialorientierten, proaktiven Strategien? Leitbilder: Entwicklung des "ganzen Menschen", Behebung von individuellen "Defiziten" usw.? Wie viel "Eigeinitiative" wird von den Beschäftigten gefordert? (Stichworte: lebenslanges Lernen vs. Wandelwiderstand, flexible vs. starre berufliche Identitäten
4
Instrumente entwicklung
Konzepte und Instrumente der Personalbeurteilung, des Feedbacks und der (Selbst-)Entwicklung? (Bspw. Kompetenzprofile, Potenzialanalyse, MAGespräche, 360 Grad? Gibt es neue Rollen für Führungskräfte, Personalentwickler und Mitarbeiter? Wie umfassend/systematisch ist der Bildungsprozess mit den operativen Prozessen verzahnt (Stichwort: prozessorientierte Weiterbildung, Lerntransfer, Zielvereinbarungen? Werden Bildungsbedarfe eher kommunikativ und / oder evaluativ bestimmt? Aushandlung oder "Messung" von Zielen und Kompetenzen?
und
Maßnahmen
der
Mitarbeiterführung
und
-
5
Segmentationstendenzen
Zentrale Zielgruppen von PE und Weiterbildung? Bei welchen Gruppen bestehen welche Kompetenzbedarfe? Gering Qualifizierte, Facharbeiter, Experten, Wissensarbeiter, Managementnachwuchs? Verhältnis Kern- und Randbelegschaft? Gibt es neue Ausgrenzungsmechanismen und Segmentationslinien? Wodurch? Sind strategische PE und Personalabbau vereinbar bzw. legitimierbar?
339
6
Bildungscontrolling
Wie werden in der Praxis der Bildungsbedarf / vorhandene Kompetenzen ermittelt? Gibt es Ansätze der Lerntransfersicherung u. der Evaluation des Bildungserfolgs? Relevante Steuerungsmechanismen (Kennziffern, Budgets ...)? Welche genau? Wie wird mit Problemen der Quantifizierbarkeit des Erfolgs von PE umgegangen? Oder: Wie "hart" sind Kennzahlen wirklich? Verändert das Bildungscontrolling die Legitimation der PE / ihren Status: Auf- oder Abwertung?
340
Anhang 5:
Kurzbiografischer Fragebogen Mitarbeiterinterviews
Fragebogen zum beruflichen Hintergrund Der Inhalt des Fragebogens wird vertraulich behandelt und dient ausschließlich dem Forscherteam als Vorbereitung auf das Gespräch mit Ihnen.
1. Name und Alter _________________________________________________________________ 2. Familienstand / Kinder _________________________________________________________________ 3. Über welchen Schulabschluss verfügen Sie? _________________________________________________________________ 4. Beruf der Mutter und des Vaters? _________________________________________________________________ 5.
Welchen Beruf haben Sie erlernt und/oder welches Studium absolviert?
_________________________________________________________________ 6.
Seit wann sind Sie im Unternehmen beschäftigt?
_________________________________________________________________
341
7. In welcher Funktion sind Sie heute tätig? Schildern Sie bitte kurz Ihre Tätigkeit. _________________________________________________________________ _________________________________________________________________ _________________________________________________________________ _________________________________________________________________ _________________________________________________________________
8. Skizzieren Sie bitte in knapper Form die Stationen Ihres beruflichen Werdegangs. Berücksichtigen Sie dabei mögliche Unterbrechungen (Elternzeit, berufliche Fortbildung und Ähnliches). ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________
9. In welchem Umfang haben Sie in den vergangenen zwei Jahren an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen? Welche Themen waren das? ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ ______________________________________________________________ Vielen Dank für Ihre Unterstützung.
342
Anhang 6:
Leitfaden Mitarbeiterinterviews
Block A: Berufsbiografische Rekonstruktion
Warum haben Sie sich für Ihren Beruf bzw. Studium entschieden? Was ist Ihre jetzige Position im Unternehmen? Welche Kriterien haben Sie bewogen, diese einzunehmen, welche Meinungen waren Ihnen hierzu wichtig? [Familie, Kollegen, Vorgesetzte …] Nach Block B: Wie verlief Ihr Berufseinstieg/Ihr Einstieg in das Unternehmen? Wie haben Sie die Umstellung durch Auslandseinsätze erlebt? [veränderter Tagesablauf, wechselnde Einsatzorte, Privatleben: Freunde, Beziehung, Familie] Als Sie hier anfingen, was hat Sie gereizt, was abgeschreckt? [Einkommen, Reisen, Technik, Freiheit ...]
Block B: Arbeitssituation und -anforderungen
Was ist Ihre Aufgabe im Bereich/der Abteilung? Mit welchen Funktionen/Bereichen kooperieren Sie? [Kunden-, Marktbezug, Projektförmigkeit der Arbeit …] Schildern Sie doch bitte einen „normalen“ Arbeitstag …, damit wir uns das vorstellen können. Wenn Sie an die letzten Monate denken, wie häufig haben Einsatzort und Auftraggeber gewechselt? Wie lange arbeiten Sie durchschnittlich in einem Projekt? Worauf kommt es bei Ihrer Arbeit hauptsächlich an? Was muss man können? Hat sich der Schwerpunkt Ihrer Arbeit in den letzten Jahren verändert? Inwiefern? Worauf führen Sie das zurück?
343
Welcher Art sind die Anforderungen, die an Sie gestellt werden? Haben sich diese verändert? Von wem gehen diese aus? [Kollegen, Vorgesetzte, Kunden, „der Markt“, gestiegene Erfolgs- oder Wertorientierung, eigene Ansprüche an die Arbeit, sprachliche, interkulturelle Anforderungen] Resultieren daraus veränderte Weiterbildungs- oder Karriereanforderungen bzw. Chancen der eigenen Entwicklung? Ist Ihre Arbeit stärker durch Standards vorgegeben oder eher durch Ihre persönliche Erfahrung? Inwieweit hat sich dies geändert? [Prozesskontrolle, Kostenkontrolle, Autonomie] Wann ist Arbeit, die man tut, eine nach Ihren Maßstäben „gute“ Arbeit? [–> Kundenzufriedenheit, Anerkennung, Leistungsbeurteilung, „get things done“ …]
Block C: Umgang mit dem eigenen Arbeitsvermögen – Rolle der PE, Weiterbildung und Personalführung
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Welche Rolle spielt fachliches Wissen/die Erstausbildung/das Studium für Ihre jetzige Arbeit? Was prägt Ihr heutiges Arbeits- und Selbstverständnis am stärksten? Hat sich aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahren der Stellenwert von Wissen und Weiterbildung verändert? Auf gesellschaftlicher Ebene? Für die Wirtschaft? Für die Arbeitenden? Welche Rolle spielt die PE/Weiterbildung für Ihre Arbeit? Hat sich diese Rolle für Sie konkret bzw. hier im Unternehmen verändert? Hat sich die Intensität Ihrer Weiterbildungsaktivitäten verändert? Welche Förderungsmöglichkeiten sind für Sie besonders wichtig? Welche Erfahrungen haben Sie mit den Beurteilungs- und Entwicklungsgesprächen im Rahmen von EFA gemacht? Was sind Vor- und Nachteile dieses Instruments? Kann man im Kontext der Karriereplanung offen über persönliche Präferenzen und familiäre Erfordernisse sprechen? Was können Sie aus den angebotenen Maßnahmen „mitnehmen“ für ihre Arbeit? Gibt es einen dauerhaften Nutzen über Ihre jetzige Arbeit hinaus? Profitieren Sie hiervon auch persönlich? Was halten Sie von der Formel, als „Unternehmer seiner Selbst“ sich beständig weiterzuentwickeln, um so den eigenen Arbeitsplatz zu sichern? Passt dieses Bild auf alle Beschäftigten? Auf welche Gruppe besonders, auf welche nicht?
Gibt es aus Ihrer Sicht Grenzen dessen, was das Unternehmen an individueller Leistungs- und Veränderungsbereitschaft legitimer Weise erwarten kann? Wo würden Sie diese sehen?
Block D: Erwerbsorientierungen: Subjektive Theorien und Strategien einer „erfolgreichen“ Berufslaufbahn D1
Kontrollbewusstsein/Selbstwirksamkeitsüberzeugungen Können Sie in Ihrer Arbeit viel bewegen? Beispielsweise … Wo stoßen Sie auf Grenzen Ihres Gestaltungsspielraums? Hat sich das verändert? Wenn Sie an Ihre Kriterien „guter“ Arbeit denken, können Sie diese umsetzen? Was müsste getan werden, um das zu realisieren? [Akteure, Prozesse, Ressourcen, Fähigkeiten] Wird Ihre berufliche Kompetenz angemessen wertgeschätzt? Welche Charakteristika machen aus Ihrer Sicht einen gelungenen Karriereweg aus? Haben sich im Unternehmen die Rahmenbedingungen und Anforderungen für einen gelungenen Berufsweg verändert? Was kann man hierfür als Beschäftigter tun, was kann der Betrieb tun? Der Betriebsrat? Beispielsweise … Was muss man persönlich für einen gelungenen Karriereweg mitbringen? Wie sind die Aussichten momentan in der Abteilung/für Sie persönlich? Durch welche Ereignisse/Situationen könnte dieser gefährdet sein? Gibt es in der Arbeit ein Gemeinschaftsgefühl, oder ist man eher Einzelkämpfer? Worin äußert sich dies jeweils? Haben Sie das Gefühl, die Stationen Ihrer Karriere in angemessener Weise selbst planen zu können? Hat sich das Ihrer Meinung nach geändert, und woran liegt das? Wenn Sie an die nächsten 2, 3, 4 Jahre denken … wie sehen da für Sie die nächsten Stationen aus? Gibt es bereits Absprachen? Was wünschen Sie sich?
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D2:
D3:
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Normativer Wert von Arbeit und Karriere für die Subjekte Was erwarten Sie von Ihrer Arbeit? Was ist Ihnen an Ihrer Arbeit am wichtigsten? Wie wichtig ist die Stellung, die man in der Arbeit oder im Betrieb einnimmt, für das persönliche Ansehen in Ihrem privaten Umfeld? Woran kann man aus Ihrer Sicht erkennen, ob jemand „Karriere gemacht“ hat? In welcher Weise wird Ihr persönlicher Beitrag von den Kunden/Vorgesetzten/Kollegen gewürdigt/anerkannt? Wenn Sie an Ihre Entwicklung als Person denken … können Sie uns ein Beispiel für eine persönlichkeitsprägende Erfahrung in ihrem Berufsleben geben?
Gestaltung des Verhältnisses von Arbeit und Leben Sind Sie aus beruflichen Gründen häufiger umgezogen, evtl. auch ins Ausland? Beschreiben Sie bitte ihre typischen Arbeitszeiten? Bleibt neben Ihrer Arbeit Zeit für Freunde, Familie, Freizeit? War die Situation früher anders? Wenn Sie etwas an den Rahmenbedingungen verändern könnten, was wäre das? Könnten Sie sich stärker freizeit- bzw. familienorientiertes, geregeltes, ruhigeres Leben vorstellen? Bietet Ihnen Ihre Arbeit ausreichend Erholungsmöglichkeiten? Haben sich Ihre ursprünglichen Erwartungen an Ihre Arbeit und Ihr Leben aus heutiger Sicht erfüllt? Wer oder was hat dazu beigetragen?
Anhang 7:
1.
Zuordnung der Interviews zu den Typen der Karrierepolitik
Typus „Situativ-adaptive Karrierepolitik“
I 17 I 23 I 25 I 30 I 32
2.
Typus „Krisenbewältigung“
I 19 I 24 I 28 I 34
3.
Typus „Strategische Karrierepolitik“
3.1 Subtypus „Strategisch-integrative Karrierepolitik“ I 20 I 21 I 22 I 29 I 33 I 35 3.2 Subtypus „Strategisch-individualistische Karrierepolitik“ I 26 I 27
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Anhang 8:
Stimulus Gruppendiskussion
Was macht nach Ihrer Vorstellung einen gelingenden Berufsweg aus? Wir haben Ihnen hierzu vier Skizzen mitgebracht und möchten Sie bitten, diese zu diskutieren. Herr Vogel (57 Jahre, verheiratet, ein Kind) arbeitet seit über 30 Jahren in einem deutschen Großunternehmen als qualifizierter Angestellter. Seine verhältnismäßige, über die Jahre konstante Gehaltsentwicklung ist an kollektive Aushandlungen auf tarifpolitischer und betrieblicher Ebene gebunden. Sie hat ihm den Kauf eines Hauses in der Nähe der Firma ermöglicht. In seiner Abteilung kennt Herrn Vogel jeder, mit einigen Kollegen arbeitet er seit 20 Jahren zusammen. Nach der Arbeitszeit betreut er die C-Jugend der lokalen Fußballmannschaft, in der auch sein Sohn spielt. Sein Ausscheiden in den vorzeitigen Ruhestand wird von der Abteilung in angemessenem Rahmen gefeiert. Herr Bovier (36 Jahre, verheiratet, ein Kind) wurde nach Abschluss seines Ingenieurstudiums von einem großen deutschen Konzern als Anhangninbetriebsetzer eingestellt. Nach mehrjähriger Tätigkeit in technischen Aufgaben mit wachsender Selbstständigkeit und Verantwortung sucht er im Projektmanagement eine neue berufliche Herausforderung. Sein entschlossenes Auftreten und das gute Verhältnis zum Vorgesetzten ermöglichen ihm den Zugang zu umfangreichen internen Schulungen und den Einstieg in eine Projektmanagementlaufbahn. Vor Kurzem hatte Herr Bovier ein Gespräch mit der Personalentwicklung, in dem ein mehrjähriger Karrierefahrplan mit Perspektive gehobenes Management ausgearbeitet wurde. Es wurde eine außertarifliche Einstufung vereinbart, sobald die Gehaltsstruktur der Abteilung dies zulasse. Herr Fichtner (33 Jahre, geschieden, keine Kinder) arbeitet in der Inbetriebsetzung in wechselnden Projekten und Einsatzorten im Ausland. Auch nach mehreren Jahren empfindet er die selbstständige Lösung technischer Probleme als herausfordernd und befriedigend. Herr Fichtner hat sich als Fachmann auf sei-
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nem Gebiet eine Reputation über die Abteilungsgrenzen hinaus aufgebaut. Nach nunmehr 7 Jahren Auslandsinbetriebsetzung fühlt sich Herr Fichtner an einem Punkt, an dem er sein Privatleben nicht länger zurückstellen will. Er spricht mit seiner Führungskraft über Möglichkeiten, stärker regional eingesetzt zu werden. Diese akzeptiert seinen Wunsch, insbesondere vor dem Hintergrund seiner langjährigen Abteilungszugehörigkeit, aber „kann ihm nichts versprechen“. Nach einem weiteren Jahr kündigt Herr Fichtner. Herr Miller (45 Jahre, ledig, kinderlos) ist selbstständiger Berater im Bereich des Software-Engineering. Seine berufliche Laufbahn begann bei der SAP. Diese verließ er wegen für ihn unbefriedigender Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten 1994, um sich als Berater selbstständig zu machen. Seitdem führt er Projekte für renommierte Auftraggeber im In- und Ausland durch. Über die technische und kaufmännische Abwicklung hinaus betreibt Herr Miller eine kontinuierliche Projektakquise und aktualisiert sein berufliches Wissen nach den Anforderungen des Marktes. Nach erfolgreichem Abschluss zweier weiterer Projekte will sich Herr Miller mit dem Ersparten zur Ruhe setzen.
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