Zyklus der Nebelreiche
Band 1
Roman-Reihe von
Renate Steinbach Otto-Stabel-Str.2 67059 Ludwigshafen Alle Rechte vorbe...
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Zyklus der Nebelreiche
Band 1
Roman-Reihe von
Renate Steinbach Otto-Stabel-Str.2 67059 Ludwigshafen Alle Rechte vorbehalten © 1986 - 1997
S
chweißgebadet erwachte Cynesta durch den Ruf desMorgenvogels, dessen fröhlicher Laut die Priester und Priesterinnen im Tempel des Friedens zum Tagwerk rief. "Ich werde Zyrenis berichten müssen," murmelte das Mädchen, das ob seiner Träume Schuldgefühle empfand. Aber würde Zyrenis, ihre persönliche Leiterin auf dem Pfad zum Priestertum, denn verstehen? Sie blickte immer so ernst, duldete an sich selbst keinen Regelverstoß, erschien Cynesta in allem so vollkommen. Und wie konnte sie auch Verständnis erwarten? Als Priesterin im dritten Grad durfte sie doch keinen Groll mehr hegen wegen längst vergangener Dinge. In Gedanken versunken trat Cynesta zu dem kleinen Fenster, schaute blickleer hinab zu den Tempel gärten, wo die dünnen Nebelschleier des frühen Tages die Blüten befeuchteten. Ihr schien, als sei sie wieder das zehnjährige Mädchen, das vom eigenen Vater an die Tempel verkauft wurde. Sie erinnerte sich wohl an die Tränen der Mutter und den Kummer des Vaters, als man sie den fremden Priestern übergab. Ihr eigenes Flehen beachtete niemand. Das Geräusch rasch nahender Pferde rief die Priesterin in die Wirklichkeit zurück. Drei Reiter zügelten ihre Tiere am Portal. "Schwarztempler," entfuhr es Cynesta. Viel wußte sie nicht vom Schwarzen Tempel, doch galt er als verrufener Ort. Einst ein Tempel des Lichts, der den Vorzug besaß, die reifsten der Menschengeister des Nordrei ches zu erziehen und zu den Priesterweihen zu führen, war
er nun seit über dreissig Jahren als wirksamer Tempel nicht mehr anerkannt. Offiziell wurden dort keine Priester mehr ausgebildet, wenngleich der alte Stamm der Götterdiener dort noch leben sollte. Cynesta vergaß ihren Traum. Das Kommen der Schwarztempler erschien ihr wie eine persönliche Bedrohung. Eine fremde, unergründliche Furcht befiel sie. Wie unter einem Hieb zuckte das Mädchen zusammen, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie fuhr herum und starrte geradewegs in die undurchschaubaren dunklen Augen ihrer Leiterin. "Verzeiht mir, Zyrenis," murmelte Cynesta schuldbewußt, "ich war unaufmerksam." "Wie gewöhnlich," erwiderte die ältliche Frau, "kleide dich an, Tochter." Cynesta wollte sofort gehorchen, doch als sie nach ihrer braunen Tunika griff, schüttelte Zyrenis nachdrücklich den Kopf. "Gäste sind angekommen," erklärte sie, "die dich zu sehen wünschen." "Die Schwarztempler?" erkundigte sich Cynesta angstvoll. Sollte ihr Gefühl des Unbehagens doch nicht grundlos sein? "Ich habe mit dem Schwarzen Tempel nichts zu schaffen. Weiß die Falla davon?" "Die Falla`s wissen beide Bescheid," antwortete die Leite rin mit emotionsloser Stimme, "das muß dir genügen. Wähle deine besten Festtagsgewänder und eile dich." Hilflos schwankte Cynesta zwischen anerzogenem Gehorsam und seelischem Aufruhr. Vom Schwarzen Tempel konnte nichts Gutes kommen! Ihre Furcht wuchs. Ein leises
Zittern befiel sie, Tränen der Ohnmacht suchten ihren Weg. Da legte Zyrenis ihr beide Hände auf die Schultern, sah sie, wie immer, sehr ernst an und sagte leise, doch zugleich auch beruhigend: "Fürchte dich nicht, Tochter, du bist Priesterin, nicht Sklavin. Gegen deinen Willen kann nichts geschehen. Doch ist es deine Pflicht, die Gäste anzuhören. Deinetwillen unternahmen sie eine weite und beschwerliche Reise. Erinnere dich der Kraft deines Geistes und bezwinge deine Furcht. Auch sie sind Priester, auch sie dienen den Göttern." Cynesta zitterte noch immer. "Ich lasse dich allein," entschied Zyrenis da, "erwirb deine Ruhe, kleide dich festlich und komme dann in die Säulenhalle der Kraft."
M
it sich allein ließ sich Cynesta auf dem Boden ihrer Kammer nieder, verschränkte die Beine und kreuzte die Arme. Sie zwang sich, ruhig, langsam und bewußt zu Atmen und mit dem gesteuerten Atem zwang sie ihrem Körper Gelassenheit auf. Und die Gedanken, die tausend Befürchtungen malen wollten, konzentrierte sie auf einen Punkt. Amarra! Auf dieser kleinen Insel im Osten stand der Tempel des Priesterkönigs; dort herrschte der Than als oberster aller Priester und zugleich als Souverän der Könige aller sieben Reiche. Seltsam beruhigt fühlte sich die junge Priesterin beim Gedanken an Amarra. Es konnte ihr nichts geschehen. Welche Pläne immer die Schwarztempler hegen mochten, sie war ihnen nicht untertan. Wenn auch die Falla vom Tempel des Friedens sie dem Schwarzen Tempel ausliefern wollten, sie hatte die Macht, sich zu wehren. Als Priesterin des dritten Grades lag es in ihrem Bereich, Amarra selbst um Hilfe zu bitten. Das mochte man ihr, wenn es schlimm kam, vielleicht verwehren wollen. Doch wer konnte den telepathischen Hilferuf aufhalten; verhin
dern, daß er Amarra erreichte? Nein, was immer die Schwarz templer begehrten, sie konnte es ihnen verweigern. Cynesta kleidete sich in die hellgrüne Tunika und legte den bestickten Schulterkragen um. Die Schwarztempler sollten ihren Grad sofort erkennen. Intensiv bürstete sie das hüftlange, gelockte Haar, dessen helles Braun fast schon an sehr dunkles Gold erinnerte. Sie empfand Stolz auf ihr feines, doch fülliges Haar und wieder einmal wünschte sie, das Recht zu haben, es offen zu tragen. Doch dieses Recht blieb den Priestern der oberen Grade und den Herrschern vorbehalten. So flocht sie eben Zöpfe und legte sie als Haarkranz um ihr Haupt. Schmuck besaß sie keinen, doch im Bewußtsein ihrer gleichmäßigen Züge und ihres wohlge formten Leibes konnte sie darauf leichten Herzens verzichten.
R
uhigen Gemütes betrat Cynesta die lichte Halle der Kraft. Entfernt sah sie die Schwarztempler ins Ge spräch vertieft und ehe sie sich ihnen nahte, registrierte sie sehr genau die äußeren Zeichen. Zyrenis stand etwas abseits, woraus Cynesta schloß, daß diese Männer ihr überle gen waren. Eine für das Mädchen erstaunliche Tatsache, zeigte die Leiterin doch kaum den Falla des Tempels gegenüber größeren Respekt. Die Templer trugen die ihnen eigene schwarze Tunika, darüber lange, schwarze Capes. Zwei von ihnen hatten das lange Haar zum Zopf geflochten; der Dritte trug es offen. Auf ihn konzentrierte sich Cynesta, als sie sich langsam den Männern nahte und die vorgeschriebene Verbeugung vor Ranghöheren ausführte. Der Schwarztempler mit dem offenen Haar erfaßte rasch ihre Oberarme, richtete sie auf. Ein sanftes Lächeln spielte um seine schmalen Lippen, Freundlichkeit strahlte aus seinen braunen Augen. "Ich bin Kilmanaos," stellte er sich ruhig vor, während er seine Hände von ihr nahm, "Diener des Schwarzen Tempels und gekommen, mit dir zu sprechen. Fürchtest du dich,
Cynesta?" "Ich bin Dienerin im Tempel des Friedens," erwiderte sie mit erstaunlich ruhiger Stimme, "ich fürchte weder euch, Falla, noch einen andern Sterblichen." Sie hoffte, indem sie ihm die ehrenwerte Anrede gab, die sonst nur den obersten Führern der Tempel zustand, der Schärfe ihrer Aussage den Stachel zu nehmen. Der Schwarz templer reagierte mit einem leisen Lachen. "Mögen die Götter dir diese Kraft erhalten," sagte er dann aber sehr ernst, "mögen sie sie mehren und stärken." "Werde ich sie brauchen?" Cynesta wunderte sich über ihre eigene Ruhe und hoffte sehnlichst, sie würde für die Dauer des Gespräches nicht von ihr weichen. Statt einer Antwort ergriff Kilmanaos ihre Hand und führte sie wie ein kleines Mädchen zu den Steinbänken an den Wänden. Er setzte sich; forderte sie mit einer Handbewegung auf, es ihm gleich zu tun. "Was weißt du vom Schwarzen Tempel?" erkundigte er sich. "Genug, um dort nicht dienen zu wollen." Wieder ertönte sein leises Lachen, halb belustigt, halb spöt tisch. "Wenn ein Tempel des Lichts seine Klarheit verliert und zum dunklen Tempel wird," fuhr Cynesta ärgerlich fort, "wenn dies geschieht, was nie zuvor geschah, dann wäre es besser, einen solchen Tempel einzureißen." "Nun," erwiderte Kilmanaos ruhig, "diese Ansicht vertrat der einstige König des Nordens auch."
"Er hätte seine durchsetzen sollen."
Macht
benutzen
und seinen Willen
"Gegen die Intervention Amarras?" Cynesta ärgerte sich über den herablassenden Tonfall des Priesters. Er schien sie nicht ernst zu nehmen, ein kleines Kind in ihr zu sehen, keine Priesterin des dritten Grades. "Erstaunlich," entfuhr es ihr, "daß unser Than in Amarra gegen den Neubau eines anderen Tempel des Lichts nicht Einspruch erhob. Ein vergessener Tempel wäre besser zer stört." "Das Ziel Amarras ist Frieden," antwortete Kilmanaos mit einem Mal sehr ernst, "und damals war der Frieden in Gefahr. Der Nordkönig hätte jede weitere Einmischung zum Anlaß genommen, seine Armee gegen Amarra zu führen." Cynesta erschrak wider Willen. Allein die Vorstellung, bewaffnete Krieger könnten auf Amarra einfallen, bedeu tete ihr ein Sakrileg. Amarra galt nicht umsonst als der Ort absoluten Friedens. Sollte dort einmal Blut fließen, so mußte die bestehende Ordnung zerbrechen. "Die andern Könige der Reiche," sagte sie mehr hoffend als wissend, "würden in diesem Fall Amarra schützen. Sie haben doch alle Amarra die Treue gelobt." "Sie alle sind auch Priester," bestätigte Kilmanaos, "du vermutest richtig, wenn du ihnen diese Solidarität zuge stehst." "Dann hat Amarra keinen Grund, irgend Könige in Belangen der Tempel nachzugeben."
einem
der
"Es ist Grund genug," antwortete Kilmanaos hart, "wenn damit ein Krieg zwischen den Reichen verhindert werden
kann. Soll das Blut unzähliger Menschen fließen, nur, damit unser Tempel den Namen des Lichtes behält?" "Ich bin kein Kind mehr," fuhr Cynesta ihn jetzt an, "redet nicht so mit mir. Es geht nicht um Namen, es geht doch auch um Macht und um Recht. Nur ein Tempel des Lichts hat das Recht, den künftigen Herrscher zum Priester zu weihen." "Wohl gesprochen, Cynesta, doch was nützen Rechte, wenn niemand sie in Anspruch nimmt? Willst du wie eine Frau und nicht wie ein Kind behandelt werden, dann denke demgemäß. Ich bin nicht hier, um dich zu erziehen, sondern hoffe, daß Zyrenis nicht versagte." Unwillig sprang Cynesta auf. Sie war fest entschlossen, diese unangenehme Begegnung zu enden. Ohne Gruß, ohne Verbeugung strebte sie dem Ausgang zu. Doch mit unglaublich raschen Bewegungen kam einer der andern beiden Schwarztempler herbei, versperrte ihr den Weg. Cyne sta wandte sich Kilmanaos zu. "Bin ich eure Gefangene ?" herrschte sie ihn an, "Wer gibt euch Vollmacht über eine Priesterin?" Zyrenis hob zu einer Antwort an, doch eine kurze Geste des schwarzen Priesters ließ sie verstummen. Kilmanaos erhob sich, trat zu Cynesta und suchte ihren Blick. Doch die Priesterin wich ihm aus, heftete ihre Augen fest auf seine Nasenwurzel. "Nein, Kilmanaos," sagte sie fest, keine Beeinflußung meines Geistes."
"ich
erlaube
euch
"Also doch kein unmündiges Kind mehr," stellte der Prie ster fest und in seiner Stimme schwang so etwas wie Erleich terung.
"Wenn ihr gekommen seid, um mit mir zu reden, so tut es ohne weitere Umwege," verlangte Cynesta nun, "redet offen und klar." "Ich versuchte es, Cynesta." "Ihr habt vom Schwarzen Tempel gesprochen und ich nehme nicht an, daß ihr die weite Reise unternahmt, um mir dessen Geschichte zu erzählen." "Natürlich nicht, doch ist eben diese Geschichte der Anlaß all dessen, was dir geschehen wird." Cynesta unterdrückte die bei diesen Worten aufkeimende Furcht und verlangte: "Dann redet nun, aber macht es kurz." Kilmanaos sah nicht sehr glücklich aus, als er sich wieder zu den Bänken begab. Er wartete geduldig, bis Cynesta sich neben ihm niederließ, suchte dann fast mühsam nach Worten. "Als vor gut dreissig Jahren der einstige Nordkönig den Tempel verließ und seine Macht in Anspruch nahm, wählte er sich überraschend schnell ein Weib. Er nahm keine Priesterin zu sich, sondern zeugte seinen Erben, den heutigen König Ariston, mit einer Frau aus dem Volk. Kaum, daß der Knabe ihm geboren war, ordnete er den Bau eines neuen Tempels des Lichts an und verwehrte dem Schwarzen Tempel, wie er seither heißt, alle priesterlichen Befugnisse." "Er erhielt in diesem Tempel seine eigene Priesterweihe?" "Ja, Cynesta, doch wurde er nur zu den kleinen Weihen zugelassen, was seine Eitelkeit derart verletzte, daß er auf Rache wider den Tempel sann. Seinen Sohn ließ er nicht nach der Sitte im Tempel erziehen."
"Ariston ist kein Priester?" "Er wurde weder nach den Regeln der Tempel gezeugt noch erzogen, sondern allein nach der Willkür seines Vaters. So wird der Norden heute von einem Mann beherrscht, dem die Geheimnisse und der Willen der Götter fremd sind." "Ich wüßte nicht," sagte die junge Priesterin leise, "daß dies unserm Reich Schaden brachte. Man sagt, daß Ariston Nodher beliebt sei und auch gerecht." "Wer würde es wagen, offen etwas anderes zu behaup ten?" hielt ihr Kilmanaos entgegen. "Ich sehe noch immer nicht, was ich damit zu tun habe." Kilmanaos zögerte kurz, ehe er fortfuhr: "Wir haben zuverlässige Kunde erhalten, daß Ariston nun gewillt ist, wie sein Vater zu handeln und sich ein Weib zu nehmen, das ihm den Erben gebären soll. Die Priester des Lichts mahnten ihn zwar, die Gesetze zu achten und seinen Sohn in den Tempeln zu zeugen, doch er verlachte sie. So ist nun für uns die Zeit gekommen, endlich einzugreifen." Cynesta schwieg. Irgendeine Ahnung sagte ihr, daß diese Eröffnungen sie ganz direkt betrafen, daß ihr Leben vor einer entscheidenden Wende stand. Aber sie wollte nun nicht fragen, war sich sicher, daß der Schwarzpriester von selbst reden würde, ja, reden mußte. "Im Interesse aller Tempel," fuhr Kilmanaos leise fort, "muß verhindert werden, daß Ariston seinen Willen erfüllt. Jeder Sohn seiner rechtmäßigen Frau wäre Erbe seines Titels und seiner Macht. Darum wurde beschlossen,
daß du, Cynesta, das Opfer bringen sollst und dich Ariston vermählen." Seltsamerweise blieb die Priesterin ganz ruhig. Sie dachte an Amarra und ihr Recht, dort Schutz zu fordern. Niemand konnte sie zwingen und so erschien ihr dieses Ansinnen eher grotesk als bedrohend. "Du sagst nichts," wunderte sich Kilmanaos laut, "bist du also einverstanden?" "Braucht ihr mein Einverständnis?" spöttelte sie leise, "habt ihr nicht schon entschieden? Unter allen Priesterinnen des Reiches habt ihr mich erwählt, um dem König seinen Bastard zu gebären, nur, um euch später brüsten zu können, daß der Erbe des Nordens wenigstens von einer Priesterin geboren sei. Ihr vergeßt dabei nur, daß der Balg noch immer ein Sohn der Lust ist und kein selbstloses Opfer für das Reich. Erklärt euch, Kilmanaos. Weshalb ich?" "Weil du dazu gezeugt wurdest." Mit jeder Antwort hatte Cynesta rechnen können, nicht damit. Konnte Kilmanaos ihr dies beweisen, so würde sie schwerlich ausweichen können. Wer für einen bestimmten Dienst gezeugt wurde, schuldete den Göttern die Erfüllung dieses Dienstes. "Meine Eltern," stammelte sie darum, "sie waren einfache Leute. Sie verstanden sich auf das Färben der Stoffe. Ich war ihr drittes Kind und sie haben mich an den Tempel verkauft. Verkauft wie ein Stück Vieh." Kilmanaos entging nicht die Bitterkeit in ihrer Stimme. Er warf Zyrenis einen vorwurfsvollen Blick zu, ergriff dann Cynestas Hände und hielt sie mit einer zärtlichen Geste fest.
"Es wäre die Pflicht deiner Leiterin gewesen, diese Last von dir zu nehmen," erklärte er leise. "Ich wußte nichts von diesem Denken," mischte sich Zyrenis nun ein, wagte aber nicht, unter dem drohenden Blick des Priesters mehr zu sagen. "Du wurdest im Schwarzen Tempel gezeugt," erklärte Kilmanaos mit ruhiger, fast begütigender Stimme, "und du wurdest den Färbern als Kind auf eine gewisse Zeit anvertraut. Damals wurde der Schwarze Tempel vom König sehr genau überwacht. Das Zeugen und Erziehen von Kindern war uns verboten - ist es noch. Vor zehn Jahren forderten wir dich von deinen Zieheltern zurück." "Ihr gewiß nicht," stellte Cynesta fest, "ich habe den Schwarzen Tempel nie gesehen." "Das war nicht nötig. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt genug unserer Leute im Tempel des Friedens eingeschmuggelt, um gewährleisten zu können, daß deine Ausbildung unseren Regeln entspricht." Hilfesuchend starrte Cynesta auf Zyrenis, doch die senkte nur schweigend schuldbewußt das Haupt. Ihre sonst so strengen Züge wirkten schmerzvoll. "Ja," gab Kilmanaos zu, "auch Zyrenis ist Schwarztemple rin. Im Grunde bist du selbst es auch, denn deine Ausbildung hat nie den Regeln dieses Tempels entsprochen." "Aber ich habe die Weihen empfangen," entfuhr es Cynesta, "euer Betrug wäre dort entdeckt worden." "Deine Weihen empfingst du stets vom Falla des südlichen Lichttempels, der unseren Plan kannte und billigte. Dies war für uns der Hauptgrund, dich in diesen Tempel zu bringen. Da er genau zwischen den Quellen von Tiath und
Siath steht, bildet er wie diese Flüsse die Grenze zwischen den beiden Hauptreichen der Inseln. In diesem Tempel hier hat der Süden dasselbe Recht wie der Norden." "Dann sind meine Weihen eine Farce?" Ungläubig starrte sie den Schwarztempler an. "Keineswegs," wehrte der ernst ab, "sie sind wahrhaft und wirksam und in die Bücher eingetragen. Die Regeln unseres Tempels wurden nie aufgehoben und sind auch in Amarra anerkannt." "Wie dem auch sei," wehrte sich Cynesta, "ihr könnt keine Priesterin zwingen, ihre Weihen zu verleugnen und eines Mannes Weib zu werden. Die Behauptung, ich sei zu diesem Zweck gezeugt, erscheint mir nur Mittel zu sein. Wo ist der Beweis?" "Frag' deine Mutter," antwortete Kilmanaos knapp und deutete mit dem Kinn auf Zyrenis. Da brach die Alte förmlich zusammen. Sie warf sich vor Cynesta auf die Knie, umfaßte deren Beine und weinte haltlos; unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. "Rede schon," herrschte der Schwarztempler sie an. "Es stimmt alles so, wie er sagte," rang sich die Leiterin unter Schluchzen ab, "aber ich mußte heilige Eide schwören, dir die Wahrheit zu verbergen. Das war die einzige Möglichkeit, mit dir zusammen zu sein." "Torheit genug," murmelte Kilmanaos. "Ich wollte dich leiten," fuhr Zyrenis fort, seinen Einwurf überhörend, "ich wollte verhindern, daß du ganz ausgeliefert bist."
Bei diesen Worten packte Kilmanaos die Alte fast brutal am Haar, zerrte sie hoch und herrschte sie an: "Was hast du verhindert? Rede, Weib, oder du wirst es bereuen." Cynesta erhob sich rasch. Eingedenk ihrer eigenen Fähigkei ten legte sie die Rechte zwischen die Brüste, während sie mit der Linken des Schwarztemplers Unterarm berührte. Der verspürte den Kraftstrom wohl, denn er ließ Zyrenis los. "Hütet euch," warnte Cynesta mit Nachdruck, "meine Leiterin zu bedrohen, sondern bedenkt, daß ich als ihre Schülerin verpflichtet bin, sie auch zu schützen." "Schülerin?" forschte Kilmanaos aufmerksam, "nicht Toch ter?" "Was geht's euch an?" antwortete Cynesta mit einer Gegenfrage, "es steht euch nicht zu, eine anerkannte Leiterin über ihre Lehren auszuforschen. Hätten die Lehren den Regeln widersprochen, wären mir keine Weihen zuteil geworden. Und vor allem," fügte sie voll Selbstbewußtsein hinzu, "hütet euch davor, je wieder einer Frau mit rein körperlicher Überlegenheit zu drohen." Zu ihrer Überraschung wandte sich Kilmanaos fast ruhig ab und sprach, als er sich wieder setzte: "Ich nehme deinen Tadel hin, Cynesta, eingedenk der Tatsache, daß mir zwar deine priesterliche Macht unterle gen ist, du als meine künftige Königin aber meinem Tempel vergelten könntest, was ich fehle. Genügt das?" "Nein, aber mehr kann ich wohl nicht verlangen. Im Übrigen seid ihr mir zu sicher, daß ich diese Aufgabe anneh men werde."
"Daran allerdings gibt es keinen Zweifel,"antwortete der Templer, "es ist von Anfang an deine Bestimmung." "Ihr könnt mich nicht zwingen, Kilmanaos,"wehrte sie ab, "und so, wie es aussieht, könnt ihr mich auch nicht überzeu gen. Oder gibt es Argumente, die ihr mir bisher verschwie gen habt? Angenommen, ich stimme eurem Plan zu und weiter angenommen, der König ist aus irgendeinem Grund so töricht, eine Priesterin zu heiraten, was gewinnt ihr dadurch? Einen Thronerben, der eine Priesterin zur Mutter hat, der aber dennoch weder nach den Tempelregeln gezeugt ist noch in diesen unterrichtet, geschweige denn, daß er ein Priester wäre." "Deine Aufgabe," erklärte Kilmanaos, "erschöpft sich darin, das Weib des Königs zu werden und ihm kein Kind zu gebären." "Dann wollt ihr, daß der Thron verwaist?" "In gewisser Hinsicht, ja. Als Priesterin bist du wohlfähig, deine fruchtbaren Tage zu erkennen und zugleich deinen Gemahl daran zu hindern, an diesen Tagen in dich einzudringen." Wider Willen schlich Cynesta nun Schamröte ins Gesicht. Kilmanaos sah es, stutzte und starrte sie dann ungläubig an. "Du bist doch nicht etwa noch Jungfrau?" Er wandte sich Zyrenis zu und sagte leise: "Närrin, warum hast du ihr verwehrt, ihren Schoß zu öffnen? Glaubst du, es wird ihr dadurch leichter? O ja, ich kenne dich, Zyrenis. Du hast ihr eingeimpft, daß alle Männer, so sie nicht Priester sind, auf der Stufe der Tiere stehen und selbst die Priester nur ein notwendiges Übel sein können. Und so lieferst du sie Ariston aus."
"Ich wußte nicht, daß Zyrenis entschuldigend.
so
wenig
Zeit
ist," murmelte
"Zehn Jahre sind Zeit genug," lehnte Kilmanaos ab. Zu Cynesta aber sagte er: "Es steht dir frei, Zeit zu erbitten, um mit einem Mann deiner Wahl zusammen zu sein. Doch viel Zeit kann ich dir nicht gewähren, denn Ariston wird nur zwei Tage in Palt sein, wo du ihm begegnen kannst." "Ich will und werde ihm nicht begegnen," erinnerte ihn die Priesterin, "und ich öffne meinen Schoß, wann und wem ich will." "Das ist dein Recht," gab der Schwarztempler zu, "nur fürchte ich, daß Ariston wenig rücksichtsvoll sein wird. Und deinem eigenen Gemahl kannst du dich kaum auf Dauer verweigern, ohne dein Priestertum zu entdecken." "Er soll nicht wissen, wessen Standes ich bin?" "Nein, natürlich nicht. Er ist kein Narr und meidet alle Priesterinnen." "Dann verstehe ich alles nicht," murmelte Cynesta, "er soll unwissentlich eine Priesterin heiraten und unfruchtbar sein. Wozu das alles?" "Es wäre besser, du würdest nicht fragen," bat Kilmanaos sanft, "was du nicht weißt, kannst du Ariston nicht entdecken. Vertraue unserer Weitsicht." "Ich vertraue weder euch noch euren Mitwissern," spottete Cynesta, "und ich habe auch keinen Anlaß hierzu. Und nun erlaubt, daß ich mich entferne." Stolz warf sie den Kopf zurück und strebte dem Ausgang zu.
"Cynesta," rief Kilmanaos da mit scharfer Stimme, "du hast keine Wahl. Du gelobtest Amarra unbedingten Gehor sam. Brichst du den Eid, verlierst du deine Weihen. Die Kraftzentren in dir werden zerstört und das, was übrig bleibt, als Sklavin verkauft." Amarra! Cynesta begriff nicht, was der heilige Bezirk mit all dem zu tun hatte. Amarra war ihr Hort der Hoffnung, nicht Ausgangspunkt von Gefahr und Unterdrückung. Sollte esmöglich sein, daß selbst der Than, der Priesterkönig, in dieses schmutzige Spiel verwickelt war? Sie schwankte, beherrschte sich aber mit aller Kraft, um ihre Schwäche zuverbergen. Sie spürte einen fremden Geist in ihren Gedanken, fühlte, wie der sie abtastete und belauschte. Nur kurz blieb der Eindringling. Verwirrter denn zuvor fragte sie sich, woher Kilmanaos diese Macht nahm. Sie zweifelte nicht an seinem hohen Rang und auch nicht an seinen telepathischen Fähigkeiten, doch dieses Eindringen geschah so sanft, so unaufdringlich, fast unbemerkt, daß darin mehr als nur Außergewöhnliches verborgen lag. Nicht auszuschließen, daß sie in dieser Stunde schon mehrmals so überwacht wurde. Sie empfand fast Ekel bei dem Gedanken an diese geistige Vergewalti gung. Das stand Kilmanaos einfach nicht zu. Hilflosigkeit und Zorn herrschten in ihr, gepaart mit Ohnmacht. "Ihr droht nur," stammelte sie, hoffend, daß Kilmanaos die Pression entschärfen würde. Kalt kam seine Antwort: "Keineswegs. Du mußt dich fügen." Es fehlte nicht viel und Cynesta wäre in Tränen ausgebro chen und hätte ihre Beherrschung verloren. Doch da nahm das Gespräch einen unerwartet anderen Verlauf.
"Genug nun. Laßt uns allein." Die junge Priesterin wandte sich nach dem Besitzer dieser ruhigen, doch durch und durch selbst- und machtbewußten Stimme um. Überrascht starrte sie den Schwarztempler an. Bisher hatte sie ihm keinen Blick gegönnt. Er erschien ihr wie sein Begleiter als ein Vasall Kilmanaos, hielt er sich doch bisher im Hintergrund und sagte kein einziges Wort. Nun trat er einen knappen Schritt vor, richtete einen herausfor dernden Blick auf Kilmanaos. Und er, ranghoch in der Hierarchie der Tempel, verneigte sich tief vor seinem Begleiter und verließ gehorsam die Halle. Der andere Schwarztempler tat es ihm gleich und auch Zyrenis suchte unter mehreren unterwürfigen Verbeu gungen das Weite. Cynesta wußte sich diesem Schwarz templer ausgeliefert, der nun zum Zeichen seines Ranges sein Haar löste, das hell über seine Schultern fiel. Doch sie fühlte sich nun jetzt auf seltsame Art befreit und beschützt zugleich. "Komm zu mir," forderte der Templer sie freundlich auf. Sie gehorchte zögernd, aber willig. Er mochte etwa zwanzig Jahre älter sein als sie. Die Freundlichkeit im hellen Blau seiner Augen schien ehrlich, obgleich Cynesta dahin ter auch sehr viel Kraft und Ernsthaftigkeit erkannte. Sie stand nun einen Schritt von ihm entfernt und sah zu ihm, der sie um mehr als einen halben Kopf überragte, auf. "Ich bin Xalares, der Pala des Than," stellte er sich freundlich vor und öffnete zugleich seine Rechte, ihr so das Siegel aus Amarra zeigend. Cynesta erkannte das Zeichen des Siebensterns. Wie es der Sitte entsprach, ging sie auf die Knie. Dieser Mann gab sich den Titel des Pala, was soviel wie Bruder, wie inniger Freund bedeutete. Wenn er dem Priesterkönig so nahe stand,
galt sein Wort so viel, als sei es Amarras Weisung. Cynesta erkannte, daß dieser in ihren Geist eindrang. Das beruhigte sie. Wenn Amarra Macht ausübte, konnte nichts Übles darin sein. "Du bist recht wunderlich, Cynesta," stllte Xalares mit durchaus freundlicher Stimme fest, während er ihr die Hände reichte und sie aufhob, "stark bist du, doch ohne Mut. Du wehrst dich gegen Kilmanaos, doch ohne Kraft. Du stellst dich vor Zyrenis, doch ohne Liebe. Du verehrst Amarra, doch du rufst seine Hilfe nicht an." Sie erwiderte nichts, denn sie wußte keine Antwort. Sie fühlte sich durchschaut, aber nicht gedemütigt. Endlich flü sterte sie scheu: "Wenn ihr befehlt, Gebieter, werde ich gehorchen." Xalares lachte leise. Ein freundliches, sanftes Lachen voll Verständnis und Zuneigung. Er legte ihr in einer äußerst selbstverständlichen Geste den Arm um die Schul tern, führte sie quer durch die Halle, hinaus in die Gärten, wo er sich unter einem mächtigen Pejuk-Baum auf s dichte Moos lagerte. Auf seinen Wink hin kniete Cynesta an seiner Seite, hockte sich auf ihre Fersen und wartete schweigend auf seine Befehle.Sie empfand Dankbarkeit dafür, daß er sie aus der kalten, schmucklosen Halle führte. Die Gärten liebte sie, hier fühlte sie sich immer wohl. In diesem Moment kam die Falla des Tempels heran. "Sei ganz ruhig," mahnte innere Verkrampfung spürte.
Xalares,
der Cynestas
Er wartete die tiefe Verneigung der Falla ab und bat sie dann, etwas Speise und Trank bringen zu lassen, nannte sie dabei Schwester und schmeichelte ihr so.
"Es ist unklug," meinte er dann freundlich, "wichtige Gespräche in einem hungrigen Leib zu führen." "Ich hatte keine Zeit für ein Frühmahl. Es ist ohnehin unverzeihlich, daß ich euch warten ließ, Gebieter." Er nahm die Anrede eines Herrschers mit solchem Gleichmut und solcher Selbstverständlichkeit hin, daß Cynesta mehr und mehr in ihm einen Abgesandten des Than erblicken konnte. Eine Priesterin brachte auf einem Tablett ein kleines Mahl,stellte es ab und entfernte sich rasch. "Iß und trink," forderte Xalares die Priesterin an seiner Seite auf. "Das Mahl ist für euch gedacht," wandte sie ein, gehorchte aber doch gern. Xalares lehnte sich gegen den Stamm des Baumes, schloß die Augen und ließ ihr Zeit. Cynesta schirmte dennoch vorsichts halber ihren Geist ab, um sein telepathisches Eindringen zu verhindern. Er lächelte. "Ich spüre die Mauer auch dann, wenn ich sie nicht einreißen will," sagte er, ohne die Augen zu öffnen, "vergeude deine Kräfte nicht, Mädchen." Auf ihre Bitte um Vergebung reagierte er nicht. Nach geraumer Zeit erst öffnete Xalares die Augen, sah sie freundlich an und meinte: "Willst du dich nicht bequemer setzen? Wir haben ernsthaft miteinander zu reden und da solltest du keine körperliche Ablenkung dulden." Er wartete, bis Cynesta gehorchte,ehe er fortfuhr: "Kilmanaos hat dich im Namen Amarras bedroht und er hatte kein Recht dazu. Ich will, daß du ganz ohne Furcht bist."
"So hat meine Weigerung keine Folgen?" vergewisserte sich Cynesta hoffnungsvoll. "Keine, die in Kilmanaos' Macht stehen und auch keine, die Nymardos, der Than, anordnet. Aber Folgen hätte es gewiß, sowohl für das Reich als auch für dich." "Welche Strafe müßte ich hinnehmen?" "Die Verachtung, die du dir selbst erweisen würdest, Cynesta, indem du nicht bereit bist, dich einer größeren Angelegenheit zu opfern. Und die Verachtung einiger Menschen,die sich auf dich verlassen haben." "Würdet," erkundigte sie sich da zögernd und mit einem Male hing von dieser Antwort viel für sie ab, "würdet auchihr mich verachten, Gebieter?" "Ja." Cynesta senkte das Haupt. "Gebieter, könnt ihr euch denn überhaupt vorstellen, wases für mich bedeuten würde, mich den viehischen Instinkten dieses selbsternannten Königs auszuliefern?" Xalares sah sie ernst an. "Ariston hat sich nicht selbst ernannt," stellte er richtig, "er ist rechtmäßiger Herrscher des Nordens. Auch gilt er durchaus als Ehrenmann und mir ist nicht bekannt, daß sich je eine Frau über ihn beschwerte. Was du viehische Instinkte nennst, Cynesta, das ist genau derselbe Trieb, der Bauern und Sklaven, aber auch Priester zu den Weibern lockt. Wenn deine Mutter dich lehrte, daß nur Priester treffliche Liebhaber seien, so hat sie dich schlicht und einfach belogen. Deine Ängste sind in dieser Hinsicht also grundlos."
"Nur in dieser Hinsicht?" "Es ist nicht auszuschließen, daß Ariston deine vermeint liche Unfruchtbarkeit irgendwann nicht mehr ertragen kann. Da er einen Erben braucht und dich vielleicht nicht verstossen will, ist nicht auszuschließen, daß dein Leben einmal in Gefahr gerät. Aber es liegt an dir, wie lange dies dauert. Als Priesterin muß es dir möglich sein, seine Liebe zu erwecken und über einige Jahre hindurch konstant zu halten." "Und danach? Danach soll ich akzeptieren, daß ich nicht mehr gebraucht werde und mich töten lassen," murmelte Cynesta bitter, "ihr verlangt viel, mein edler Herr. Mein Leben scheint nicht viel zu bedeuten." Xalares ergriff ihre Hände, sah sie ernst an und erwiderte: "Wäre Amarra dein Leben nichts wert, hätte ich mich kaum auf die Reise begeben. Ich bin nicht nur gekommen, um dich für diese Aufgabe zu gewinnen, sondern auch, um die Verantwortung für die künftigen Schritte zu übernehmen. Halte du Ariston nur drei, längstens fünf Jahre hin und danach wird er seine Macht verlieren, ohne, daß der Frieden gefährdet werden kann." "Wie sollte das möglich sein?" "Verlangst du wirklich von mir darauf eine Antwort, Cynesta? Ich bin Pala des Than und gewohnt, daß mein Wort genügt. Sagtest du nicht, daß dir mein Befehl ausreichend sei? Halte meine Freundlichkeit nicht für Schwäche, Mädchen. Du gelobtest Amarra Gehorsam und nun ist Amarra hier, diesen zu fordern." Da traten Tränen in ihre Augen, denn obwohl seine Rede gleichbleibend freundlich blieb, fühlte sie sich doch getadelt, ja, angegriffen und verletzt.
Xalares schüttelte sacht das Haupt. "Närrin," sagte er sehr leise, "bist du nur stur oder jetzt auch stark? Du bist der erste Mensch, der mir widersteht. Aber vermutlich ist nur deine Angst größer als deine Treue zu Amarra." "Amarra," fauchte sie nun wütend, "Amarra und nichts als Amarra. Damit erpreßt ihr mich, damit wollt ihr alle mich zwingen. Ja, ich gelobte Treue und Gehorsam. Aber hat der Priesterkönig das Recht, dieses Opfer von mir zu verlangen? Steht nicht das Recht der Frau, ihren Gemahl frei und nach eigenem Willen zu wählen, dagegen? Hat nicht auch Amarra einst gelobt, neutral und ohne Eigennutz immer den von den Göttern eingeräumten Rechten zur Wirksamkeit zu verhelfen? Ich achte und ehre euch als den Pala des Than, mein Gebieter, aber ich verzichte nicht auf meine Rechte, die auch Amarra anerkennen muß. Mit Repressalien jeder Art verletzt sich Amarra selbst. Ich fürchte mich nun nicht mehr und mache von meinem Recht als Priesterin Gebrauch. Ich rufe die Götter an als..." "Halt," unterbrach Xalares sie scharf, dann aber sofort wieder mit gelassener Stimme weitersprechend: "Sei nicht voreilig, Cynesta. Die Götter anzurufen, das hieße den Dingen einen Gang aufzuzwingen, der niemandem nützt keinem, außer Ariston. Dir gebe ich mich nun geschlagen und erkläre mich für besiegt. Amarra wird es werten." Und traurig fügte er hinzu: "Nie zuvor mußte ich Amarra enttäu schen."
Cynesta war aufgesprungen und einige Schritte in den Garten hineingelaufen. Sie wollte allein sein, jedes bedrüc kende Gefühl und jedes Ansinnen abschütteln. Der betäu bende Duft der großen Blüten wirkte beruhigend, dennoch dauerte es, bis sie Fassung und Ruhe wieder erlangte. Endlich gelang es ihr, vernünftig zu überlegen.
Nein, im Grunde fürchtete sie das Triebleben der Männer nicht, auch, wenn es ihr persönlich nie begegnete und daher wie eine unbekannte Größe wirkte. Doch Zyrenis lehrte sie, ihren Körper nach Belieben zu verlassen und so konnte nichts ihre Seele verletzen oder ihren Geist beschmutzen, das ihrem Körper geschah. Bedrohlich erschien ihr das Ausgeliefertsein an einen Herrscher. Ob sein Weib oder seine Sklavin, das machte keinen großen Unterschied. Doch am Schlimmsten wirkte ihr der Verlust ihres fast kindlichen Vertrauens in Amarra. Sie fühlte sich verraten und ausgelie fert und darin auch unendlich einsam. Zu diesem Zweck gezeugt...; Cynesta hielt sich diese Behauptung immer wieder vor. Unsinnig erschien ihr dies keineswegs. Daß in den Tempeln Menschen ins Leben gerufen wurden, die einen bestimmten Platz einzunehmen hatten, war sinnvoll und gut. So konnten diese Menschen, ungeboren noch, eine Aufgabe wählen und bejahen. Aus diesem Grund mußten ja auch die Herrscher in den Tempeln gezeugt werden, frei von Liebe, Lust und Leidenschaft. Nicht menschliche Bande sollten die Mächtigen bestimmen, sondern allein ihr Werk. Bestand ihr Werk nun darin, Ariston an seinen Plänen zu hindern, so konnte niemand denn sie diese Aufgabe vollkommen lösen. Wenn sie aber so wichtig war, warum behandelten die Tem pler sie dann herablassend, ohne Achtung und Respekt? Cynesta dachte an Xalares und fragte sich, ob er ihr zürnte. Sie besaß nicht das Recht, so von ihm zu laufen. Er als Mann der Macht konnte sie bestrafen; war ihr Benehmmen doch nicht nur anmaßend, sondern auch unwürdig. Sie müßte ihn um Verzeihung bitten, doch sie konnte sich dazu nicht überwinden. Denn gerade von ihm fühlte sie sich verraten. Ein wenig fürchtete sie, er könne sie jetzt suchen lassen, denn damit wäre sie vor allen Tempeldienern bloßgestellt. Sie wollte nicht wie eine Verbrecherin vor den Mann aus Amarra gezerrt werden. 'Vielleicht,' dachte sie, 'ist es klug, wenn ich den Tempel heimlich verlasse. Ich besitze genug Kenntnisse und
Fähigkeiten, um draußen überleben zu können.' Und wäh rend sie noch überlegte, erschien ihr die Flucht mehr und mehr als einzige Möglichkeit, sich ihr Menschsein zu bewah ren, denn als Spielball der Mächtigen wollte sie nicht dienen. Auf Umwegen gelangte sie ungesehen in ihre Kammer. Doch wie erschrak die junge Priesterin, als sie Xalares erblickte, der auf einem Stuhl sitzend auf sie wartete. Sein forschender Blick ruhte auf ihr, während sie rasch ihren Geist abschirmte, um ihre Fluchtgedanken zu verbergen. Leise umspielte ein wissendes Lächeln seine Lippen. Trotzig stand sie im Türrahmen, unbewußt die Hände zu Fäusten geballt. "Ich verstehe deinen Zorn und deine Entrüstung," sagte Xalares da freundlich, "dennoch erwarte ich auch von dir den mir gebührenden Respekt." Erst jetzt kam ihr ihre sittenwidrige Körperhaltung zu Bewußtsein. Cynesta sank auf die Knie, doch sie empfand dabei weder Demut noch Ergebenheit. "Verzeiht, mein Gebieter," erwiderte sie, noch immer trot zig, "es lag nicht in meinem Bestreben, euch zu beleidigen Doch euer Hiersein überrascht mich." "Sollte ich dich wie eine entlaufene Sklavin suchen lassen?" erwiderte er, halb belustigt und halb betroffen, "erwartest du nur Übles von mir, Cynesta? Ich sehe, wie aufgewühlt du bist, wie verwirrt und wie verunsichert. Ariston wird in zwei Tagen in Palt eintreffen, darum mußt du dich morgen entscheiden. Ruhe dich aus, schlafe ein wenig, überdenke alles. Morgen bei Sonnenaufgang komm zu mir. Dann wollen wir wie vernünftige Menschen miteinander reden." Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern erhob sich und verließ mit großen Schritten ihren Raum. Rasch schloß Cyne
sta die Tür, lauschte, ob er nach Wäch tern rief. Doch Xalares dachte nicht daran, sie wie eine Gefangene zu behandeln.
Müde dehnten sich die Stunden. Cynesta, noch immer zur Flucht entschlossen, wartete auf die Dunkelheit. Sie trug nun eine sandfarbene Tunika, aber keinen Kragen. Draußen sollte sie niemand als Priesterin erkennen. Das Haar war gelöst, am Hinterkopf mit einem schmalen Band zusammen gehalten. Gepäck brauchte sie keines. Etwas Kleidung band sie zu einem Bündel, mehr gab es nicht mitzunehmen. Endlich paarte sich dichter Nebel mit undurchdring licher Dunkelheit. Leise floh die junge Priesterin aus dem Tempel des Friedens, der ihr zehn Jahre hindurch Heimstatt war. Die Feuchtigkeit der Nachtnebel drang durch ihr Cape; enger zog sie den groben, doch dichten Stoff um ihren schlanken Leib. Zu dieser Jahreszeit blieben die Nebel gleichbleibend warm, schadeten der Gesundheit nicht. Und sie störten auch nicht, denn in den Königreichen der Nebel kannte man keinen wirklich klaren Tag mit freiem Blick auf die Gestirne; so wenig, wie wirklicher Regen je geschah. Die Nebel spendeten die notwendige Feuchtigkeit und sie taten dies in solchem Übermaß, daß die Felder fruchtbar blieben. Cynesta hastete fort vom Tempel, ohne Ziel, ohne Plan. Sie suchte die Freiheit. Amarra mochte sich ein anderes Opfer wählen.
X
alares aber stand hinter einer Säule und beobach tete ihr Verschwinden. Mit einer einzigen Geste hin derte er Kilmanaos daran, Cynesta aufzuhalten. Der Schwarztempler gehorchte, doch stumm mochte er seine innere Rebellion nicht ertragen.
"Mein Gebieter möge mir verzeihen," forderte er mit leicht erhobener Stimme, "doch im Interesse Amarras müssen wir Cynesta zwingen, das Opfer zu tun." "Amarra braucht dich nicht, Kilmanaos," erwiderte Xalares und in seiner Stimme schwang eine Spur von Verachtung, "wenngleich wir einen etwas anderen Verlauf der Dinge begrüßt hätten. Wir haben deine diplomatischen Fähigkeiten überschätzt." "Cynestas Weigerung kann mir nicht angelastet werden," entfuhr es dem Schwarztempler, "hättet ihr mich gewähren lassen, so müßte sie gehorcht haben." "Erpressung, Priester, ist nicht Amarras Metier," wies ihn Xalares zurecht, "die Freiheit des menschlichen Willens wird vom Than nie angetastet." "Worte!" rief Kilmanaos aus, "nichts als Worte. Eben diese Freiheit muß beengt werden. Wie sonst sollte Ariston eine Frau unserer Wahl nehmen? Wir müssen Cynesta aufhalten." "Hütet euch," verlangte Xalares jetzt mit scharfer Stimme, "das Mädchen zu verfolgen. Ihr habt eure Chance gehabt und vertan. Morgen begebt ihr euch in euren Tempel. Wenn wir euch brauchen, werdet ihr Weisung erhalten. Handelt ihr aus eigenem Entschluß, wird Amarras Fluch euch treffen." Kilmanaos wurde bleich. Diese Drohung betaf ihn existenziell und er konnte nicht wagen, hier ein Risiko einzugehen. Innerlich gab er alle Schuld an seinem Versagen Zyrenis, doch noch ehe er sich seine Rache ausmalen konnte, sprach Xalares weiter: "Zyrenis wird in einem Tempel, den ich ihr anweise, Dienst tun, ebenso die anderen Schwarztempler, die bisher um Cynesta waren. Geht nun."
Mit dieser Aufforderung verhinderte er jede weitere Widerrede. Kilmanaos verneigte sich und ging. Zorn und Haß bebten in seinem Innern, doch er sah keine Möglichkeit, diesen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Xalares aber sah lächelnd in die Dunkelheit. "Geh deinen Weg, Mädchen," murmelte er leise, "mögen die Götter dich geleiten und dir deine schwere Aufgabe erleichtern."
A
riston Nodher, König des Nordreichs, Herr über Leben und Tod, befand sich mit seinem Gefolge auf dem Weg von den Ufern des Tiath nach Salis, der größten der Städte seines Reiches. Er wollte dort einige Dinge regeln, ehe er den Heimweg zu seiner Burg antrat. Sie kamen nur langsam vorwärts, doch gab es ja auch keinen Anlaß zur Eile. Ariston wandte sich auf seinem Pferd um, sah zurück. Fast am Ende des Zuges erkannte er die Sänfte, in der seine künftige Gemahlin die Reise genoß. Er lachte leise, ehe er sein Pferd mit kurzem Schenkeldruck zu schnellerer Gangart an spornte. Er konnte durchaus zufrieden sein. Der Gedanke an den Zorn der Priester amüsierte ihn. Mit voller Absicht war er, der Herrscher, den sie nicht anerkennen wollten, nach Palt geritten, um dort aus der Gruppe der unverheirateten Frauen und Mädchen seine Braut zu wählen. Denn in Palt wurde seine eigene Mutter geboren und indem er seine Königin dort nahm, bestätigte er den längst verstorbenen Vater. Was kümmerte es ihn, ob Kalara, seine Braut, ihn liebte; ob er sie je lieben würde. Sie sollte ihm den Erben gebären, mehr nicht. Ihre wirklich ungewöhnliche kör perliche Schönheit erleichterte seine Entscheidung, bewirkte sie aber nicht. Im Grunde blieb es ihm gleichgültig, wer ihm den Erben gebar, solange die Frau nur nie in einem Tempel Dienst leistete. Beritt, der Freund seines Herzens, lenkte sein Pferd neben ihn. "So eilig, mein Gebieter," meinte er in freundschaftlichem Ton, "könnt ihr es nicht erwarten, Kalara zu eurer Königin
zu machen? Oder ist sie es, die danach drängt, euch in ihrem Bett zu empfangen?" Ariston verlangsamte den Ritt und sah Beritt offen an. Keinem anderen Menschen erlaubte er solch offene, ja, unver frorene Rede und es kam auch vor, daß er manches Mal seinen Ärger beherrschen mußte, wenn Beritt sich zuviel erlaubte. Doch Ariston wußte sehr genau, wie wertvoll ein wahrer Freund blieb und wie selten ein solcher war. "Es wundert mich," fuhr Beritt fort, "daß ihr euch Kalara noch nicht nahtet. Ihr habt sie erwählt und seither, soweit ich weiß, nicht ein Wort mit ihr gesprochen. Dabei ist sie sehr schön." "Das ist sie," stimmte Ariston zu, "doch werde ich mich sehr wohl zu beherrschen wissen. Nichts käme den Tempeln gelegener, als wenn sie mir nachweisen könnten, daß ich meinen Erben vor der Ehe zeugte. Nein, ich gebe ihnen keine Gelegenheit, meinem Sohn die Macht zu rauben." Da wurde Beritt sehr ernst. "Verzeiht," bat er leise, "ich wollte euch nicht kränken. Und ich weiß, daß jeder Gedanke an Amarra euch schmerzt. Ich wünschte, der Than könnte erkennen, welch guten König das Reich in euch erhielt." "Kein Herrscher,"erwiderte Ariston ernst und auch ein wenig bitter, "wird von Amarra anerkannt, wenn er nicht Priester ist. Ein Tyrann darf er ein, ein Dummkopf, ein Idiot; alles ist verziehen dem Priestertum." Beritt bereute schon aufrichtig, dieses Thema auch nur angeschnitten zu haben und so versuchte er, den Freund mit einem Scherz aufzumuntern.
"Nun, wenn sich Kalara zu sollte vielleicht ich sie trösten."
einsam
fühlt
inzwischen,
"Ich schenke sie dir," erwiderte Ariston gutmütig, "doch erst, nachdem mein Erbe geboren ist. Solange mußt du dich gedulden. Ich weiß sehr wohl, wie sehr sie dir gefällt." Beritt schüttelte den Kopf, sagte jedoch nichts. Wie sollte er dem Freund auch entdecken, wie sehr ihm Kalara gefiel und wie wenig er sie ihm im Grunde gönnte. Es tröstete ihn nur, daß Kalara sich geehrt fühlte und sich freute auf Macht und Einfluß. Sie würde nicht leiden dabei und dies mußte ihm genug sein. Einer der Gardisten, die vorausritten, um ihrem Herrn den Weg frei zu halten, kam angesprengt. Er zügelte sein Pferd hart bei Ariston, legte ehrerbietig die Rechte auf sein Herz und senkte den Kopf. Ohne Aufforderung durfte niemand den Herrscher ansprechen. Er wartete. "Was gibt es, Hector?" Ariston kannte die Menschen seiner Nähe alle mit Namen und wenn es auch hin und wieder den Anscheinhaben mochte, als seien sie ihm gleichgültig, so fühlte er sich doch verantwortlich auch für ihr persönliches Wohlergehen. "Mein Gebieter," begann der Gardist, vom scharfen Ritt noch etwas außer Atem, "ich bitte euch, wählt einen andern Weg. Die Schwingungen des Todes liegen vor euch; kreuzt sie nicht." Aufmerksam hob der Herrscher den Kopf. 'Ich bin kein Priester,' dachte er, 'nicht sensitiv genug für solchen Unsinn.' Laut aber verlangte er Aufklärung. "Wir fanden eine Frau," erzählte Hector, "der wohl Gewalt angetan wurde. Sie liegt im Sterben."
"Zeige mir die Stelle," verlangte Ariston impulsiv und rief laut nach Moryn, dem Wundarzt, der im hinteren Teil des Gefolges ritt. "Gebieter," stammelte Hector, "jede Hilfe kommt ohnehin zu spät. Vielleicht könnten ihr die magischen Fähigkeiten eines Priesters noch helfen. Wenn ihr es wünscht, bringen wir sie in den Tempel der Kraft. Er ist weniger als einen Tagesritt entfernt." Ariston Nodher sah den Gardisten streng an. Er sagte nichts zu dem stummen Vorwurf, daß er eben kein Priester sei, doch Hector spürte durchaus den Zorn seines Herrn. Darum riß er sein Pferd herum und ritt dem Herrschenden voraus. Beritt hielt sich zurück, beschloß, Kalara alles zu erklären. Sie sollte sich nicht sorgen, weil ihr Bräutigam sie zurückließ.
E
s bereitete Ariston keine Pein, Blut sehen zu müssen. Zwar wurde im Alltag alles Negative von ihm ferngehal ten, doch hatte er bei den Kämpfen gegen die stets aufrührerischen Rebellen vom Stamm der Tarden, die in den östlichen Bergen des Reiches lebten, genug Schmerz, Blut und Tod gesehen. Er beugte sich über die verletzte Frau, tastete geschickt ihren Leib ab und atmete auf, als er keine Knochenbrüche feststellen konnte. Sie mochte zwanzig Jahre alt sein, jedenfalls nicht viel älter. "Ihr Blick ist leer, sie ist halb ohnmächtig," stellte Moryn fest, noch ehe er vom Pferd stieg. Den Soldaten, die in Anwesenheit ihres Herrschers jetzt knieten, murmelte er grollend zu: "Habt ihr Idioten nichts besseres zu tun gehabt, als den nackten Leib zu betrachten. Holt Wasser her." Mit dem Dolch zerschnitt er die Fetzen des Gewandes und legte auch die letzten Wunden bloß. Er hieß einen Gardisten, ein bestimmtes Kraut zu suchen, doch eilte der
erst, als er ob seines Zögern von Ariston angeherrscht wurde. "Wird sie überleben?" fragte der König. Moryn flößte der Frau einen schmerzstillenden Trank ein, während er antwortete: "Die Wunden stammen ausnahmslos von Peitschenhieben, Gebieter. In meiner Jugend sah ich hin und wieder Sklaven, die so zerfetzt wurden. Gestorben ist keiner daran, wenn ein Wundarzt ihm half. Vielleicht ist ein Dorf in der Nähe, wo man das Mädchen pflegen kann." "Es ist unter deiner Würde, ihr zu helfen," stellte Ariston fest, leicht erstaunt, war der alte Moryn doch bisher frei von Vorurteilen. "Vergebt, Gebieter," erwiderte der ernst, "doch bin ich euer Wundarzt und habe Pflicht, in eurer Nähe zu sein. Wir können das Mädchen nicht auf ein Pferd setzen." "Und ein Dorfarzt kann ihr helfen?" "Die Gefahr, daß die Wunden sich entzünden, ist groß, Gebieter. Es wäre besser, ihr würdet erlauben, daß sie zum Tempel gebracht wird." Das Mädchen stöhnte laut auf. "Kein Tempel," flüsterte sie kaum hörbar, "bitte kein Tem pel." Ariston nahm ihr Gesicht in beide Hände. "Hab' keine Furcht," bat er eindringlich, "sei ganz ruhig. Niemand wird dich in einen Tempel bringen. Ruhig, ruhig, es wird alles gut."
Inzwischen brachten Soldaten die verlangten Kräuter und Wasser, so daß Moryn beginnen konnte, die Wunden des Mädchens zu reinigen und mit heilendem Kräuterbrei zu bedecken. Er hatte seine Arbeit schon getan, als der Rest des Gefolges nahte. "Ich wage nicht," gestand der Arzt, "die Wunden zu verbinden. Es sollte viel Luft daran, damit die Kräuter dämpfe den Körper nicht vergiften. Wenn ihr erlaubt, Gebieter, so bitte ich eure künftige Gemahlin um ein Cape, um das Mädchen einzuhüllen." "Laß es," hielt ihn Ariston zurück, da er sich schon der Sänfte nahen wollte. Der Herrscher löste seinen bodenlangen Umhang von den Schultern und warf ihn Moryn zu. "Das ist gegen alle Regeln," wehrte sich der verblüfft, und doch wartete er keinen weiteren Befehl ab, sondern hüllte den verletzten Körper behutsam ein. Beritt half Kalara aus der Sänfte, die von zwei Pferden getragen wurde. Es mochte nicht die bequemste Reiseart sein, doch da Ariston Wege befahl, die kein Wagen nehmen konnte, mußte sie damit eben vorlieb nehmen. Sie reckte sich und genoß die bewundernden wie begehrlichen Blicke der Männer. Dann kam sie zu Ariston, neigte sich leicht und trat zu der Verletzten, etwas distinguiert auf sie herab blickend. Sie beugte sich nicht über sie, sondern betrachtete sie in der Art, in der ein seltsames Tier oder eine fremde Pflanze womöglich betrachtet wurden. Kalara spürte nicht, wie genau Ariston sie beobachtete. Er nahm ihr ihre flüchtige Verbeugung übel, mehr aber noch die Überheblich keit, die sie jetzt bewies. "O mein Gebieter," sagte sie übertrieben betroffen, "das da beschmutzt euren kostbaren Umhang. Ihr
solltet euch nicht herablassen, euch dem einfachen Pöbel zuzuwenden." Beritt begriff sofort, daß Kalara im Begriff stand, die Gunst Aristons zu verspielen. Er trat rasch herbei und suchte zu vermitteln. "Herrin," sagte er leise, "dankt Mildtätigkeit eures Gemahls."
den Göttern für die
Kalara erkannte ihren Fehler. "Gewiß, gewiß," beeilte sie sich, zu versichern, "ich befehle einer meiner Dienerinnen, bis zu ihrer Gesundung bei der Kranken zu bleiben." Ariston wandte sich halb ab. Kalara besaß keine Dienerin nen, noch nicht und nicht auf dieser Reise. Auf ihr Bitten hin hatte er erlaubt, daß einige ihrer Freundinnen sie begleiten sollten. Damals sprach sie von Liebe zu diesen Mädchen, nicht von Dienst und Abhängigkeit. Plötzlich kamen ihm Zweifel daran, ob er seinem Kind eine solche Mutter wünschte. "Moryn," befahl er nachdenklich, "laß die Verletzte in die Sänfte bringen. Wir nehmen sie mit uns. Du achte auf sie und heile ihren Leib." "Gebieter..." Beritt unterbrach Kalara, indem er hart ihr Handgelenk umfaßte. Nur Ariston und ihr verständlich flüsterte er rasch: "Herrin, Zeugen zu
es geziemt sich widersprechen."
"Es geziemt sich fast gleichmütig fest.
nicht,
überhaupt
dem
nicht,"
Herrscher vor
stellte
Ariston
Er ging zu der Quelle, die nahe des Pfades sprudelte, beugte sich über sie und trank aus seiner hohlen Handfläche. Er hörte das Nahen von Kalara und Beritt und seine Züge verhärteten sich. Kalara ging auf die Knie. "Mein edler Gebieter," sagte sie leise, "verlangt ihr wirklich von mir, die Sänfte mit diesem Mädchen zu teilen? Ich werde den Gestank des Blutes nicht ertragen können." Ariston hob sie nicht auf. Seine Antwort kam ruhig, fast kalt, und keinen Widerspruch duldend: "Die Sänfte ist reiten müssen."
zu
eng für zwei, Kalara. Du wirst also
"Ich kann nicht reiten, Gebieter." "Dann wird man dich auf dem Pferd festbinden." "Warum quält ihr mich? Bin ich nicht eure Frau?" "Noch nicht, Kalara. Wenn du es je sein willst, dann befleisige dich eines anderen Verhaltens. Ich erwarte einiges von der Königin des Reiches." "Einen Sohn erwartet ihr und den werdet ihr bekommen," erwiderte Kalara aufbegehrend, "was sonst noch?" "Wenn es dir genügt, Mutter meines Erben zu sein, nichts weiter mehr. Willst du aber Recht und Macht einer Königin, so benimm dich wie eine solche." "Indem ich wie ein Mann reite?" "Indem du dich nicht über die Menschen meines Volkes erhebst," stellte er richtig, "ein wenig Besorgnis deiner seits für die verletzte Frau hätte mich die Sorge um deine Bequemlichkeit nicht vergessen lassen. Forderst du mich
wieder heraus, gehst du vielleicht zu Fuß. Genug nun, geh." Sie wollte noch einmal aufbegehren, aber wieder trat Beritt schützend zwischen sie und den Herrscher. Indem er Ariston ins Gespräch verwickelte, blieb Kalara unbeachtet und so mußte sie sich entfernen. Kaum allein, erlaubte sich Beritt die gewohnt offene Rede. "Ihr seid zu streng mit ihr, Herr," klagte er, "sie ist ein Kind des Volkes und keinen Umgang mit Mächtigen gewohnt. Sie braucht Zeit, um zu lernen." "Und inzwischen soll die Fremde verbluten, Beritt?" "Ich rügte nicht eure Anordnungen," murrte der, "ich bat euch nur um Nachsicht und Milde für Kalara. Es würde ihr schon helfen, wenn ihr wenigstens die Reise langsamer fort setzen wolltet." Ariston lächelte. "Ich hoffe," meinte er versöhnt, "es macht dir nichts aus, im anderen Fall mit Kalara die Nachhut zu bilden." Beritt verstand die Anspielung wohl, aber er preßte die Lippen zusammen und schwieg.
A
riston hatte Orales zu sich gerufen. Als Teju befehligte der die gesamte Garde. Der König schätzte diesen Offizier, der voll Umsicht zu handeln vermochte und in schwierigen Situationen auch Weitsicht bewies. Überdies mißbrauchte er bisher seine Macht nicht und genoß das Vertrauen seiner Untergebenen. Orales war einer der wenigen Menschen, welche sich vor dem König nicht auf die Knie zu begeben hatten. Der Teju stand unverkrampft neben seinem Herrn. Nur die Rechte legte er, wie stets, auf sein Herz.
"Siehst du eine Möglichkeit, den oder die Männer zu finden, die dem Mädchen das antaten?" erkundigte sich Ariston. Orales zögerte. Er gehörte nicht zum Volk des Nordens, sondern stammte aus Moras, dem Königreich der Sümpfe. Dort galten Frauen nicht übermäßig viel. Zwar blieb auch in Moras Vergewaltigung nach dem Gesetz verboten, doch im Zweifelsfall standen die Richter doch auf der Seite des Mannes. Ariston besaß keine telepathischen Fähigkeiten, doch genug Einfühlungsvermögen, um den Grund des Zögern seines Offiziers zu erraten. "Soll ich die Sache in andere Hände legen?" bot er an. Das brachte den Teju zur Besinnung. "Vergebt mir, Gebieter, ich diene in allem eurem Willen." "Nun, dann rede." "Moryn sagte, daß die Wunden des Mädchens von Peit schen stammen. Das ist ein Hinweis, wenngleich es besser wäre, das Mädchen könnte seine Peiniger beschreiben." "Ich fürchte, es werden Tage vergehen, ehe sie so weit bei Besinnung ist." "Es gibt ja nicht viele Menschen, welche das Recht haben, eine Peitsche zu tragen," mutmaßte Orales, "und wir befinden uns in einer Gegend, die nicht sehr dicht besiedelt ist. Wenn ihr es wünscht, suchen wir die Täter. Die Sache muß in der vergangenen Nacht geschehen sein und bestimmt sind die Kleider der Schurken blutbeschmutzt." "Suche sie, Orales. Es wird dich etwas mehr zu einem Mann des Nordens machen."
Der Teju nickte zustimmend und entfernte sich. Ariston sah ihm nicht nach, sondern bestieg sein Pferd und setzte die Reise fort. Nur kurz überlegte er, ob es klug war, Orales nie danach zu fragen, weshalb er seine Heimat verließ. Es gab keinen Grund, an seiner Treue zu zweifeln und keinen Anlaß, wider seinen Willen in ihn zu dringen.
A
ls die Nacht hereinbrach, erreichte die Gruppe ein Dorf von etwa zwanzig Häusern. Ariston schickte Hector zum größten der Gebäude, ließ die Bewohner ausquartieren und entlohnte sie großzügig für ihre Unannehmlichkeiten. "Seit wann bezahlt ein König in solchem Fall," spöttelte Beritt, der sich doch nicht nur bei Kalara hielt, "es ist doch euer Recht, ein Haus zu requirieren." "Mein Recht wohl, nicht aber meine Pflicht," erwiderte Ariston gutgelaunt, "mir liegt wenig an der Furcht meines Volkes." In seinem Herzen aber dachte er, daß gerade darin seine beste und vielleicht auch einzige Waffe wider Amarra lag. Ohne die Treue und Zuneigung seines Volkes würden die Tempel ihn wohl zu entmachten wissen. Und doch entging ihm nicht, wie die Frauen und Mädchen den Dorfes sich vor ihm verbargen. Alte Männer begrüßten ihn linkisch und unbe holfen, aber kein weibliches Wesen wurde sichtbar. Er kannte dies. Zwar nahm er nie eine Frau mit Gewalt, hatte dies bisher auch nicht nötig, doch schienen die Weiber schon diese bloße Möglichkeit zu fürchten. Immerhin besaß er die Macht auch dazu. Als Priester wäre er weniger gefürchtet. Ariston wollte allein sein. Nach einem eher bescheidenen Mahl verließ er das Haus, heimlich, um von seinen Gardisten nicht begleitet zu werden, die immerhin für sein Leben Verantwortung trugen. Er spazierte auf einem schmalen Pfad entlang eines Baches und ließ seinen Gedan
ken freien Lauf. Mit freier Sicht könnte man den Tempel der Kraft schauen. Er wollte keinen Tempel sehen, hatte nie einen betreten. Ariston erinnerte sich seiner Kindheit. Darum suchte er diese Gedankenstille, um vor dem Schlaf sich zu erinnern. Er wollte die schweren Träume von sich fernhalten. Sieben Jahre zählte er, als sein Vater ihn und die Mutter mitnahm auf eine Reise. Es ging nach Amarra! Aber dort angekommen, verweigerten die Priester ihm und seiner Mutter das Betreten der Insel. Auf dem Schiff mußten sie warten, bis der Vater wiederkam. "Warum darf ich nicht an Land gehen, Mutter?" fragte der Knabe, "es ist eine so schöne Insel." "Nur Priester dürfen sie betreten, mein Sohn." "Ist Vater denn ein Priester, Mutter?" "Das ist er." "Dann will ich auch ernsthaft beschlossen.
ein
Priester werden," hatte er
Da umarmte ihn die Mutter und Tränen rannen über ihre Wangen. Leise sagte sie: "Du wirst nie Priester sein, Ariston, denn deine Mutter hat dich entweiht. Man wird dir nie verzeihen, daß du nicht in den Tempeln gezeugt und geboren wurdest." Er wollte das nicht glauben, damals noch nicht. Am andern Tag sprang er über Bord und schwamm nach Amarra. Er glaubte, nie zuvor fruchtbareres Land gesehen, größeren Frieden verspürt zu haben. Und dann entdeckten ihn einige Priester. Sie jagten ihn wie ein Tier, holten ihn ein. Sie zeigten sich nicht gerade unfreundlich, doch von so unpersönlicher
Art, daß das Kind sich gedemütigt fühlte. Sie ruderten ihn zum Schiff zurück, gaben ihm nicht einmal ein Wort des Abschieds. Nie vergaß er diese Demütigung, nie den Kummer, den er damals empfand. Jahre später eröffnete ihm der Vater, daß er damals nach Amarra reiste, um für seinen Sohn die Aufnahme in den Tempel des Lichts zu erbitten. Man bot ihm jeden anderen Tempel, nur diesen verwehrte man. Und so entstand die tiefe Kluft zwischen den Herrschern des Nordens und Amarra.
V
iele Tage später erreichte Ariston mit seinem Gefolge Salis. Vor dem Stadttor stieß Orales zu ihnen. Erschöpft, schmutzig und staubbedeckt hielt er sich abseits, denn sein Aufzug war ganz dazu angetan, das Auge seines Herrn zu beleidigen. Doch Ariston rief ihn herbei und achtete nicht auf solche Äußerlichkeiten. Zerknirscht erstat tete der Teju Bericht: "Ich habe die ganze Umgebung abgesucht, Gebieter, und auch unzählige Menschen befragt. Aber ich gestehe mein Versagen. Es gelang weder mir noch einem meiner Männer, auch nur einen Hinweis auf die Verbrecher zu erhalten." Er senkte den Blick. In seinen Zügen arbeitete es, doch er wußte einfach nicht, wie er seinen Gedanken Ausdruck geben sollte. Schließlich fügte er leise hinzu: "Ich schwöre euch, Herr, daß ich, trotz meiner Abstammung aus Moras, alles versucht habe." "Ich zweifle nicht an dir," beruhigte ihn Ariston, "und ich will nicht, daß du an dir zweifelst. Wir werden nun einige Tage in Salis bleiben und du hast Gelegenheit, dich auszuru hen." "Ich danke euch," erwiderte der Teju einfach und fügte hinzu: "Lebt das Mädchen noch?"
"Sie schwebt noch immer zwischen Leben und Tod," gab der Herrscher Auskunft, "aber deine Frage beweist, daß du lange nicht mehr nach Moras gehörst." "Und doch habe ich versagt, Gebieter." "Sprich nicht so, Orales," wehrte Ariston ab und legte die Rechte auf den Unterarm seines Offiziers, "ich habe keinen besseren Mann als dich." Der Statthalter von Salis kam nun seinem König entgegen und begrüßte ihn wortreich. Untertänigst huldige er Kalara, was diese geschmeichelt hinnahm. Wortreich bedanke sie sich für die Ehrung des Statthalters Taros. Endlich gelang es Ariston, Kalara mit einem Blick zum Schweigen zu bringen. Der kleine, eher wohlbeleibte Statthalter starrte Kalara so unverhohlen an, daß sie mit etwas weniger Eitelkeit seinen feisten Blick kaum als Huldigung empfunden hätte. Dabei wirkte Taros fast lächerlich, denn, von Natur aus haarlos, war ihm die Perücke etwas verrutscht. Taros führte seine Gäste in die besten Räume seines Domizils, stellte eine Unmenge Diener für sie ab und bot beständig neue Annehm lichkeiten und Ablenkungen an. "Genug nun," endete Ariston endlich seinen Wortschwall, "es ist uns heute nicht nach Vergnügungen zumute." "Nach der eintönigen Reise wäre etwas Unterhaltung aber sehr angenehm," widersprach Kalara, "ich bitte meinen Gebieter, mir die Freude zu machen." "Nun, dann soll entschied Ariston.
Beritt
heute
dein Begleiter sein,"
Ohne weiteres Wort verließ er den Raum. Kalara begriff zu spät, daß sie wieder einmal einen Fehler machte. Der König des Nordens schlief tief und fest, als Moryn Einlaß begehrte. Die von Taros abgstellten Diener weigerten sich energisch,
den Gebieter zu wecken und duldeten auch kein Eindringen des Arztes. Der Lärm des Disputs weckte endlich Orales, der wie immer im Zimmer neben dem König nächtigte. "Was gibt es für Lärm," fuhr er die Männer an, "ist euch der Schlaf unseren Herrn nicht heilig? Schert euch fort, alle." Schlaftrunken erkannte er nun erst Moryn. "Ist das Mädchen tot?" fragte er rasch. "Sie ist im Fieberwahn," erwiderte der alte Arzt, "und ich fürchte, sie stirbt. Ich nahm an, daß unser Gebieter dies wissen sollte." Orales seufzte. Es paßte ihm gar nicht, daß er Ariston stören sollte. Aber er glaubte, seinem Herrn so wenigstens beweisen zu können, daß er dessen Sorge um die Bürgerin ernst nahm. Leise betrat er das Gemach des Königs, kniete an dessen Lager nieder und legte ihm sanft die Hand auf die Stirn. Es dauerte nicht lange und Ariston erwachte. Der König lächelte. "Unbekleidet und kniend sehe ich dich selten, Orales," stellte er fest, "noch seltener aber so scheu. Bringst du schlechte Nachricht?" Der Teju nickte und erzählte, was Moryn befürchtete. "Dank dir für dein Kommen," lobte ihn Ariston, während er sich erhob, in seinen Umhang hüllte und den Raum verließ. Moryn erwartete ihn; führte ihn wortlos zu der Verwun deten, die stöhnend und schmerzgepeinigt auf ihrem Lager nicht zur Ruhe kam. Ariston vernahm Wortfetzen ihres Fieberwahns, verstand jedoch nicht. Jetzt wünschte er von ganzem Herzen, selbst ein ausgebildeter Priester zu sein, um wahrhaft helfen zu können. Er schickte mit einer Geste alle Menschen hinaus, denn auch er begriff, daß der Tod
nach dem Mädchen trachtete. Ohne Zeugen konnte er alle Würde vergessen. Er kniete am Lager des Mädchens nieder. Er fühlte sich für sie verantwortlich; warum sonst hätten die Götter ihrer beiden Wege gekreuzt? "Nein, nein," stammelte das Mädchen. Ariston ergriff ihre Hände, die bisher so ruhelos über ihren Körper glitten. Kraftvoll, doch sanft hielt er sie fest. Er kannte keine magischen Praktiken, doch in seiner Sorge ließ er unbewußt viel von sich auf das Mädchen übergleiten. Ganz langsam wurde sie ruhiger. "Nichts kann dir geschehen," sagte Ariston eindringlich. Er wußte, daß er ihr Bewußtsein durch das Fieber hindurch nicht erreichen konnte, doch er hoffte, daß ihr Geist verstand. Darum fuhr er fort, beruhigend zu sprechen. "Ich schütze dich," versprach er, "du bist unantastbar. Fürchte nichts, vertraue. Vertraue nur." Die Stunden vergingen, während er sprach, doch irgendwann lag sie ruhig. Noch immer im Fieber, wurde ihre Stimme doch klarer, wenn sie stöhnend um Nachsicht bat. "Wer hat dir das angetan?" fragte der König sanft, "vor wem muß ich dich schützen?" Angstvoll riß sie die Augen auf. Trübe blieb aber ihr Blick und ihr Geist verwirrt. "Templer,"stammelte sie, "nein, nein." Ein gellender Schrei schloß sich an, dann wieder leises Gestammel. Ariston versuchte, in sie zu dringen, doch stellte er seine Fragen behutsam und leise mit beruhigender Stimme.
"Der Pfeil, der den Pfeil teilt," flüsterte sie in verzweifelter Angst, "laßt mich gehen." Sie weinte nun hemmungslos. Da ließ Ariston ihre Hände los. Er setzte sich auf ihr Lager und nahm sie wie ein kleines Kind in die Arme, wiegte sie sanft hin und her, vermittelte ihrem verwirrten Geist so alle Geborgenheit. "Er kommt," rief das Mädchen angstvoll. "Niemand kann herein," versicherte der König, "wen fürchtest du, Mädchen? Ruhig, ich schütze dich." "Er ist stärker," stammelte sie ängstlich, "er ist so mäch tig." Und weiter hielt er sie umfangen. "Der Diener der Pfeile will mich töten," erklärte sie da, um danach wieder zu weinen. Aber endlich beruhigte sie sich doch. Ihr Kopf sank an seine Brust und ihr Fieber wich dem Schlaf. Als Ariston sie auf ihr Lager betten wollte, hielt sie seinen Umhang fest. "Bleib da," flüsterte sie im Schlaf, "laß mich nicht allein. Ich fürchte mich." So hielt er sie fest, Stunde um Stunde, bis der Ruf des Morgenvogels ertönte. Da endlich erreichte ihr Schlaf jene Tiefe, in die äußere Ängste nicht vordringen können. Leise verließ Ariston das Zimmer.
Z
u seiner eigenen Verwunderung empfand er keine Müdigkeit. Das Bewußtsein, dieses Mädchen den Klauen Raaki's, dem Gott des Todes, entrissen zu haben, gab ihm ein gutes Gefühl. Mehr, das wußte er, hätte auch ein
ausgebildeter Priester nicht erreichen können. Als ihn ein Bote des Stadthalters zum Frühmahl lud, sagte er darum zu. Orales kam, während er sich noch ankleiden ließ und den Bart scheren. "Du hast nicht geschlafen," stellte Ariston mit einem kurzen Blick fest, "habe ich dich nicht zur Ruhe gemahnt." Aber noch ehe der Teju sich entschuldigen konnte, fügte er hinzu: "Dank dir, Orales, daß du wachtest." "Lebt sie noch, Gebieter?" Es war einer der seltenen Augenblicke, in denen der Teju an der Seite seines Königs niederkniete - nicht demütig und unterwürfig, sondern voll Vertrauen und Zuneigung. Darum ließ ihn Ariston gewähren. "Raaki gab auf," beruhigte er seinen Offizier, "hättest du mich nicht geweckt, wäre es anders gekommen. Und vermutlich mußtest du mich die ganze Nacht hindurch vor Störern schützen." Orales sah ihn lächelnd an. "Sie schrie so schlimm, Herr. Ich wünschte, ich könnte ihre Peiniger entdecken. Gebt mir Vollmacht und ich werde sie doch noch finden." "Wir finden sie gemeinsam," versicherte Ariston ernst, "doch Eile schadet nur. Bist du müde oder willst du mich zum Frühmahl begleiten?" "Keine Müdigkeit könnte mich je hindern, an eurer Seite zu sein." Zu seiner Überraschung verlangte Ariston später, daß er mit am Tisch sitzen und mit ihnen speisen solle.
"Wodurch hat sich ein Soldat diese verdient," spottete der Statthalter Taros.
Auszeichnung
"Durch Treue und Dienst," erwiderte Ariston ernst, "was du mir noch schuldig bist, Statthalter." Es entging Ariston nicht, wie vorwurfsvoll Kalara ihn immer wieder ansah und er bemerkte auch, daß Beritt sie mehr als nur einmal am Reden hinderte. Gegen Ende des Mahl erinnerte er darum Taros an seine Pflichten und forderte ihn so indirekt auf, sich zu entfernen. Der begriff zwar nicht sofort, doch Beritts deutliche Sprache überzeugte ihn endlich doch. Jetzt konnte Kalara sich nicht mehr beherr schen. "Mein Gemahl geruhte, die Nacht bei seinem Schütz ling zu verbringen," stellte sie beleidigt fest, "hatte das arme Mädchen keine Schmerzen dabei?" Noch ehe Beritt ihre Worte entschärfen konnte, hatte Ariston schon ausgeholt und ihr kräftig die flache Hand ins Gesicht geschlagen. Kalara wollte aufspringen, doch mit eisernem Griff packte Ariston schmerzhaft ihr Handgelenk, ihr Wimmern ignorierend. "Hältst du mich für ein Tier," fragte Ariston mit gefährlich leiser Stimme, "daß du wähnst, ich fiele über verwundete Weiber her? Hüte dich, Kalara. Wenn du mich auch nur noch ein einziges Mal beleidigst, wenn du noch einmal Sitte, Anstand oder Regel vergißt, so werde ich nicht zögern, dir eine Strafe zuzumessen, wie du sie nicht ertragen kannst." Ohne seinen Griff zu lockern, sah er Beritt an, verhinderte so dessen Worte und sagte: "Und du, mein Freund, wirst auf Dauer wählen müssen, wem deine Liebe gilt. Ich weiß wohl," fügte er versöhnlicher
hinzu, "daß du nur zu vermitteln trachtest. Doch allmählich zweifle ich daran, ob sie den Aufwand wert ist." Beritt senkte schweigend den Kopf. Selten sah er den Freund so erzürnt. Er fürchtete sich nicht vor Ariston, der ihn nie gefährden würde, doch er wollte die Nähe und die Liebe seines Herrn nicht riskieren. Auch spürte er, daß Orales dem König gerade sehr nahestand. Er empfand keine Eifersucht darüber, nur ein Schuldgefühl, weil er nicht erreichbar blieb. Während er mit Kalara Zerstreuung genoß, brauchte Ariston einen Menschen. Orales war da, er nicht. "Ich habe meine Wahl vor Jahren getroffen," murmelte Beritt endlich, "ich bedauere, euch Anlaß gegeben zu haben, daran zu zweifeln, Gebieter." Kalara weinte lautlose Tränen körperlichen Schmerzes, so fest hielt Ariston ihr Handgelenk umfangen, während er nur Beritt ansah und sie ignorierte. Da überwand der Mann aus Moras seine Scheu. Zögernd nur legte er die Hand auf den Unterarm seines Herrn, ihn mit dieser Berührung ermah nend. Da ließ Ariston Kalara los. Sie wartete auf kein Wort, sondern sprang auf und flüchtete förmlich aus dem Zimmer. Orales erhob sich. "Laß sie," verlangte Ariston hart. "Vergebung, Gebieter," erwiderte der Teju ernst, "doch ich muß meiner Pflicht gehorchen." Überrascht sah Ariston ihm nach, als er den Raum verließ. Orales schloß nicht die Tür hinter sich und so hörte der König, wie er nach einem seiner Männer rief. Orales erteilte mit knappen Worten Befehle, kam dann zurück, wagte aber nicht, wieder Platz zu nehmen. Beritt trat zu ihm.
"Hier meine Hand, Mann," sagte er impulsiv, "ergreift sie als die eines Freundes." Als er Aristons überraschten Blick bemerkte, fügte er hinzu: "Ich fürchte, es war klug, dem verletzten Mädchen Leib wächter zu geben. Kalaras verletzte Eitelkeit könnte ziemlichen Schaden bewirken." "Kommt mir mir, beide," befahl Ariston. Er ging in die ihm zur Verfügung gestellten Gemächer. Den Dienern erteilte er Weisung, jede Störung fern zu halten. "Die Götter," erklärte er seinen Begleitern dann, "haben mir dieses Mädchen gesandt, damit ich es schütze. Seid ihr anderer Meinung?" "Gewiß nicht," versicherte Beritt rasch, "doch liegt alles in eurem Ermessen, Gebieter." "Und was schlägst du vor?" "Der Wundarzt des Stadthalters könnte sie doch heilen," erwiderte Beritt, "und mit entsprechenden Befehlen von eurer Seite würde Taros auch künftig um ihr Wohlergehen bemüht sein." "Nein," rief Orales da, zu seinem Herrn tretend und dessen Hände erfassend. Fest sah er Ariston an. "Nein, Gebieter, das genügt nicht. Ich habe ihre Schreie gehört, bin Zeuge ihrer Angst. Sie wird verfolgt. Jemand trachtet nach ihrem Leben. Ich bin sicher, daß nur die Vorhut eures Gefolges durch ihr Nahen verhinderte, daß sie totgeprügelt wurde. Es ist eure Pflicht, mehr zu tun." "Was redest du von Pflicht vor deinem Herrn," fuhr ihn Beritt an.
Orales blieb fest. "Es ist Herrscherpflicht, bedrohtes Leben zu bewahren. Ihr habt gegen Raaki gewonnen, Gebieter, nicht aber gegen diese feigen Meuchelmörder." "So ist es," stimmte Ariston zu, jeden weiteren Einwand Beritts verhindernd, "und während ich mit Raaki rang, erhielt ich wertvolle Hinweise auf die Täter." "Zu welchem Kreis gehören sie?" forschte Orales sofort, "was habe ich übersehen?" "Nichts, das du dir vorwerfen mußt, Teju. Das Mädchen fürchtet sich vor Templern." "Lächerlich," entfuhr es Beritt. Auch Orales sah recht ungläubig drein. "Es ist so," beharrte Ariston. Er erzählte von den Wortfetzen, die er vernahm. Ruhig schloß er: "Der Pfeil, der den Pfeil zerteilt, ist ein entscheidender Hinweis. Es ist bekannt, daß jeder Tempel ein geheimes Zeichen besitzt, mit dem sich die Priester untereinander ausweisen und einander ihre Herkunft entdecken. Wißt ihr, welcher Tempel einen Pfeil als geheimes Sigel trägt?" Sie wußten es nicht. Ariston ließ nach Taros schicken und fragte ihn, ob irgendwelche Priester in der Stadt seien. Der Statthalter besaß keine Information darüber. "Wenn es hier auch nur einen Priester gibt, finde ich ihn," gelobte Orales da und entfernte sich.
Ariston, der Anlaß genug hatte, mit der Arbeit des Statthalters unzufrieden zu sein, nützte die Stunden des Wartens, um dessen Werk zu überprüfen. Am späten Nachmittag erhielt er Kunde, daß eine Abordnung der Bürger um Gehör bitte und so widmete er sich den Sorgen und Nöten seines Volkes. Orales kam erst am späten Abend zurück und wurde sofort empfangen. Der König schickte alle Fremden hinaus, begrüßte den Teju mit einem einzigen Blick und wandte sich dann dem Mann zu, den er mit sich führte. "Ich bin Lorin, Priester vom Tempel des Schweigens und ich protestiere gegen meine Gefangennahme," sprach der, ohne dem König die Ehrbezeugung zu erweisen. "Du magst sein, was du willst," knurrte Orales düster, "wenn du aber weiter unsern Herrscher beleidigst, zerschlage ich deine Kniegelenke." Diese Drohung wirkte sofort. Der Priester ging auf die Knie, doch seine weitere Körperhaltung blieb abwehrend. Ariston verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg. Er sah den Priester nur an, nicht wissend, daß er dessen telepathisches Eindringen in seinen Geist durch eine Mauer von Macht- und Selbstbewußtsein verhinderte. Auch ohne Priester zu sein, war er doch stark genug, schwächere Geister abzuwehren. Als Lorin dies endlich begriff, senkte er, mit einem Mal furchtsam, den Blick. Ariston schwieg weiter und das Schweigen zermürbte den Knieenden, bis endlich dessen innerer Widerstand zerbrach. "Womit kann ich meinem Gebieter dienen?" fragte Lorin da leise. "Nenne mir die Siegel der Tempel," verlangte Ariston, in dessen Stimme keinerlei Emotion mitschwang.
"Niemals," entfuhr es Lorin, der den König verblüfft an starrte. "Bin ich dein König?" "Ihr seid es, Gebieter." "Und was befehlen betreffend? Rede!"
die
Regeln deines Tempels, mich
"Achtung, Gehorsam, Dienst," erwiderte Lorin widerwillig. Ariston schwieg wieder, hatte er doch schon erkannt, daß Lorin so am schnellsten zu besiegen war. Es dauerte auch nicht lange, bis dieser sprach: "Die Siegel sind geheime Zeichen, Gebieter, nur für eingeweihte Priester und - und Könige bestimmt." "Laßt uns allein," bat Ariston da Orales und Beritt, die nur widerwillig gehorchten. Lorin wollte sich erheben, doch der König erlaubte es nicht. "Nun rede," verlangte er, "rasch und offen, Lorin. Meine Geduld ist nicht unerschöpflich." Leise, als verriete er ein Geheimnis, sprach der Priester: "Das Siegel Amarras ist der Siebenstern, Symbol der Vereinigung der sieben Reiche. Die Priester des Lichts entdecken sich durch das Siegel der Sonne, dem Kreis mit dem Punkt in der Mitte." "Weiter!" "Der Tempel des Friedens Spitze zum Erdreich zeigt."
trägt das Schwert, dessen
"Weiter, Mann." "Das Siegel vom Tempel der Weisheit ist der erste Buchstabe des Alphabets; vom Tempel der Kraft das Zeichen geknickten Pfeiles und vom Tempel des Schweigens ein Kreis mit waagrechter Linie." "Weiter." "Es gibt nicht mehr Tempel, Gebieter," entrüstete sich Lorin, "jeder kleinere Tempel ist einem von diesen unter stellt." Ariston rief Orales. "Teju, laß dem Priester Geleit in die Stadt geben. Er diente willig seinem Herrn." Und kaum, daß Lorin den Raum verließ, lachte der König böse auf. Einen Tempel gab es noch, aber einen, der nicht mehr genannt wurde. "Immer und immer wieder ist es der verfluchte Schwarze Tempel, von dem Unheil ausgeht," murmelte er, "ein Wunder, daß Amarra ihn schützt."
A
ndern Tags ritt Ariston in Begleitung seiner gesamten Garde aus Salis. Sie übernachteten drei Mal unter freiem Himmel, ehe der Schwarze Tempel ins Blickfeld kam. Ariston zügelte sein Pferd, sprang ab. "Orales," rief er, "laß meine Flagge wehen und sende Boten in den Tempel, die mein Nahen künden sollen. Und ihr alle kleidet euch in eure besten Uniformen, legt Waffen und Schmuck an und seid eingedenk, daß ich auch Herr des Tempels bin."
Er selbst legte volles Ornat an, wählte den feinsten Umhang. Beritt band ihm den Turban und befestigte den großen Amethysten daran; Zeichen der Herrscherwürde. Ariston liebt die Zaddelärmel seines Wamses nicht, doch er kannte die Wirkung derselben. Keiner der Schwarzen Priester sollte auch nur einen Moment lang seine Macht in Frage stellen. Dann rief er seine Männer zu sich. "Wir begeben uns in einen Tempel und wir kommen nicht unbedingt als Freunde," erklärte er, "aus diesem Grund ist es ratsam, sich gegen eine geistige Beeinflußung, die auf priesterlicher Macht beruht, zu schützen. Ich will, daß jeder von euch unter seinem Band einen solchen Stein auf seiner Stirn befestigt." Mit diesen Worten gab er seinen Soldaten je einen Beryll, dessen Farbe gleich dem Auge der großen Katzen schillerte. "Ihr habt aber nichts fürchten," fuhr er fort, "eure Aufgabe erschöpft sich darin, mir Handlungsfreiheit zu sichern und notfalls körperliche Bedrohung abzuwenden."
G
ladurk, der Falla des Schwarzen Tempels, erkannte sofort das Banner des Königs. Niemand sonst trug die Welle, aus der sich, von einem Baum gekrönt, ein Berg erhob, auf gelbem Grund. Rasch gab er Anweisung, den König mit allen Ehren zu empfangen. Eines unangenehmen Gefühls konnte er sich freilich nicht erwehren. Wenn Ariston einen Tempel betrat, so mußte mit dem Schlimmsten gerech net werden. In der großen Halle des Lichts trat er seinem Herrscher entgegen. Er neigte sich tief, berührte aber, wie es seinem Rang zukam, nur mit einem Knie den Boden. Mit einem raschen Blick stellte Ariston fest, daß alle Schwar zen Priester sich neigten. Er hob Gladurk auf. "Ich bin," stellte er lächelnd fest, weniger freundlichen Empfang gewohnt."
"von Priestern
"Als mein Herrscher und Gebieter habt ihr Anspruch auf jede Ehrbezeugung," erwiderte Gladurk, "und ich hoffe, daß euer Kommen nur freundlich gemeint ist." Das Mädchen fürchtete einen Herrn der Pfeile und doch erschien es Ariston kaum glaubhaft, daß von diesem weißhaarigen Greis eine Bedrohung ausging. Mit einer verhaltenen Handbewegung schickte er die Gardisten etwas zurück. Er befand sich nun mit Gladurk allein in der Mitte der weiten Halle. Solange sie die Stimmen nicht erhoben, konnte niemand ihre Worte verstehen. Es war nicht anzunehmen, daß Gladurk seinen Leuten einen telepathischen Kontakt erlaubte. "Ich sehe jeden der Priester hier eine Peitsche tragen," bemerkte Ariston. "Ein rituelles Werkzeug," erwiderte Gladurk vorsichtig, "keine Waffe. Das Tragen von Waffen ist uns seit dreissig Jahren verwehrt." "Auch Peitschen können töten." Ehrlich entrüstet erwiderte der Falla: "Wir waren einst Priester des Lichts und sind es im Herzen noch immer, Gebieter. Wir schützen Leben, wir neh men es nicht." "Und es ist ausgeschlossen, daß einer deiner Männer anders denkt? Überlege genau, Gladurk, denn ich spaße nicht." "Sollte dies der Leben verwirkt."
Fall
sein,
hätte der Betreffende sein
"Du würdest ihn mir ausliefern?"
"Jederzeit, Gebieter, denn er wäre nicht länger ein Priester. Doch ist dies doch wohl nur eine hypothetische Frage." Lauernd standen sie einander gegenüber, mißtrauisch und vorsichtig. Ariston schüttelte langsam den Kopf. "Es ist eine Tatsache," widersprach er, "und ich bin gekommen, die Verbrecher zu fordern. Neunzehn Tage nach der Sonnwende wurde auf dem Weg zwischen den Tempeln des Friedens und der Kraft, nahe am Ufer des Tiath, eine junge Frau von Priestern dieses Tempels überfallen und fast zu Tode geprügelt mit Hilfe eurer rituellen Waffen. Nicht genug, daß es den Schwarztemplern verboten ist, sich weiter als eine Tagesreise von ihrem Tempel zu entfernen, sie nützen eine Reise anscheinend auch für blutrünstige Taten." Gladurk senkte den Blick. "Wenn es sich so verhält," sagte er leise, "so kann ich euch nur bitten, nicht dem Tempel anzulasten, was einzelne seiner Diener getan." "Wenn es sich so verhält? Zweifelst du an meinem Wort?" Der Falla des Tempels schüttelte das Haupt. Langsam ging er zu den rings an den Wänden knieenden Priestern, blieb kurz vor jedem Einzelnen stehen, stumm eine geistige Zwiesprache haltend. Es dauerte lange, bis er endlich zwei Priester aussonderte; junge Burschen von noch nicht einmal zwanzig Jahren. Mit einer einzigen Geste befahl er ihnen, sich vor ihrem König nieder zu werfen. Sie gehorchten ohne ein Zögern, doch mit unglaublicher Angst im Blick. Gladurk trat zu Ariston. "Sie waren ausgesandt," erklärte er, "um die Kranken der umliegenden Dörfer zu heilen. Von ihrem Verrat war mir nichts bekannt. Sie gehören euch, Gebieter."
Ariston entging der lauernde Blick des Alten nicht, doch er wußte, daß er sich zufrieden geben mußte. Auf seinen Wink hin ergriffen Gardisten die beiden Jungen. "Ein schlechter Falla, der sich so hintergehen läßt," urteilte der Herrscher hart, "höre ich erneut von Unheil, dessen Ausgangspunkt dieser Tempel ist, kehre ich zurück." "Amarra schützt den Tempel," erinnerte Gladurk. "Den Tempel, ja - die Priester, nein," antwortete Ariston leise, doch fest, "und ein Tempel ohne Priester mag Amarra dienen, wie er will." Ohne weiteres Wort wandte er sich um. Langsam, betont ruhig verließ er die Halle und den Tempel. Doch er atmete auf, als er das letzte Tempeltor passierte. Zufriedenheit empfand der König des Nordens nicht. Er spürte, daß er genarrt wurde; doch er vermochte nicht, den Anlaß dieses Gefühls zu ergründen. Während der Rückreise verhörte er die beiden jungen Priester mehrmals und er ging nicht sehr sanft mit ihnen um. Sie aber bestätigten Gladurks Aussage und behaupteten, allein und aus eigenem Antrieb die Grausamkeit begangen zu haben. Es war Orales, der bei seinem König Milde erwirkte für die Jünglinge und ihnen das Leben erhielt. Ariston verurteilte sie dazu, den Rest ihres Lebens auf der weit im Süden liegenden Insel der Läuterung zu verbringen, wo sie als rechtlose Sträflinge in den Kupferminen zu schuften hatten, bis Raaki kam, sie zu erlösen.
C
ynesta hatte einen Entschluß gefaßt. Sie wollte nach Salis ziehen, überzeugt davon, daßsie im Trubel der größten Stadt des Reiches am leichtesten untertauchen konnte. Der Weg mochte auch weit sein, nichts trieb sie zur Eile. Bis die Zeit der kalten Nebel kam, würde sie dort schon lange Unterkunft besitzen. Ihre Kenntnis der heilenden Kräuter sollte Grundlage ihres Auskommens bilden. Irgendwie fühlte sich die junge Priesterin sehr glücklich. Es war ihr Leben, das sie in die Hand nahm. Sie wollte die Verantwortung dafür schon tragen und nicht mehr anderen - Zyrenis, der Falla oder Amarra - überlassen. Auf der langen Wanderschaft gab es keinen Mangel, denn die Früchte der Wiesen, der Felder und der Wälder stillten allemal die Bedürfnisse ihres Leibes. Und lieber als Freie ein einfaches Mahl denn als Sklavin königliche Speisen genossen. Cynesta nächtigte auf dichten Moospolstern, als nahende Schritte und leise aufkeimende Stimmen ihr Furcht einflö sten. Sie lauschte, doch der dichte Nebel packte jedes Geräusch wie in Watte. Noch hoffte sie, nicht entdeckt zu werden, als der harte Tritt eines Schuhes sie in die Seite stieß. Hoch aufgerichtet stand Kilmanaos da. "Cynesta, Täubchen, habe ich dich gefunden," spottete er, "glaubtest du wirklich, mir entkommen zu können?" Sie sprang auf, doch derb stieß er sie wieder zu Boden. "Deinethalben verachtet mich Amarra," fuhr er sie an, "alle Pläne meines Lebens hast du zerstört."
"Wer gab euch ein Recht, über mein Leben zu bestimmen," wehrte sie sich, mühsam die Angst unterdrückend. "Es ist das angestammte Recht des Erzeugern," höhnte er. Cynesta schrie angewidert auf. "Ihr lügt." Zyrenis als Mutter war ja noch zu ertragen, doch Kilmanaos als Vater, das erschien ihr zuviel des Üblen. "Ihr lügt, Kilmanaos. Zyrenis haßt euch." "Ja," gab er überheblich zu, "doch nur, weil es ihr so verdammt viel Spaß gemacht hat. Zuerst empfand sie es als Ehre, auserwählt zu sein von Amarra, aber als sie dann bemerkte, daß ihr das keinen Vorteil brachte, grollte sie. Wie dem auch sei, auch sie hat versagt. Xalares wird sie richten." "Wie euch auch," triumphierte Cynesta, "gewonnen habe nur ich. Jetzt geht und bedroht mich nicht länger." Er lachte gemein, bückte sich nieder und zerriß ihre Tunika. Gier flammte in seinen Augen. "Schön bist du," murmelte er, "und wirklich zu schade für Ariston." "Wenn ihr mich anrührt," drohte sie hilflos, "entdecke ich dem König euren Plan." Sie hätte es besser nicht gesagt, denn Kilmanaos' Gier wich grenzenlosem Haß. Wie hingezaubert lag mit einem Mal die rituelle Peitsche in seiner Hand und unentwegt hieb er auf sie ein. Sein Begleiter unterstützte ihn. Cynesta empfand Schmerz und Todespein, doch sie wagte nicht,
jetzt ihren Körper zu verlassen, fürchtend, für immer dann der Ebene der Lebendigen zu entrücken. Zuerst schrie sie vor Schmerz, dann reichten die Kräfte dazu nicht mehr aus und es blieb nur ein Röcheln und Stöhnen. Wie aus weiter Ferne vernahm sie Hufschlag. Die rasche Flucht ihrer Peiniger bemerkte sie nicht mehr.
D
urch den Nebel von Schmerz und Fieber erinnerte sie sich an eine warme Stimme voll Geborgenheit; an eine Brust, an der sie lag. Ewigkeiten mochten seither vergangen sein. Und nun schlief sie Stunde um Stunde, Tag um Tag und schöpfte neue Kräfte. Hin und wieder sah ein alter Mann nach ihr, der sich als kundiger Arzt erwies und mit Namen Moryn vorstellte. Er brachte ihr Nahrung und Trank, kümmerte sich rührend um sie. An diesem Morgen fühlte sich Cynesta zum ersten Mal wieder wohl und klar. Sie fragte Moryn nach den Umständen ihrer Rettung und ihrem Aufenthalt. Der Alte lächelte sie gütig an. "Da du gerettet bist, Mädchen," sagte er sanft, "wäre es angebracht, alle Fragen deinem Retter zu stellen, der weit mehr für dich tat, als seine Pflicht ihm gebot." "Wer ist er und wo ist er? Ich will ihm gern danken." "Bald wird er kommen," versprach Moryn, "hab Geduld." Der Wundarzt wußte nichts vom Stand und der Vergangenheit des Mädchens und wollte sie nicht ängstigen mit der Eröffnung, daß sie dem König selbst begegnen sollte. Vielleicht wirkte es weniger wie ein Schock, wenn Ariston dies tat. Cynesta schlief bald wieder. Angenehme Träume hüllten sie ein; Träume, in denen eine warme Stimme ihr Schutz und Geborgenheit verhieß. Das leise Knarren der Tür weckte sie auf - oder gehörte das zu ihrem Traum? So mußte es sein, denn Antares selbst, die Göttin des Lichts, trat an ihr Lager. Cynesta sah erwartungsvoll in die
wunderschönen, von einer Fülle goldenen Haares gerahmten Züge. "Göttin," flüsterte befehlt ihr, Göttin."
sie ergeben, "ihr kommt zu mir? Was
Und Antares lächelte sie huldvoll strahlend an. "Ich bringe dir den Trank der Heilung," verhieß sie und reichte Cynesta einen Achatpokal, "trink und sei heil." Lautlos entschwand die Göttin. Cynesta setzte sich auf. Welch wundervoller Traum, welch herrliche Verheißung! Doch halt, es konnte kein Traum sein, denn sie hielt den Pokal in Händen, in dem eine goldgelbe Füssigkeit schimmerte. Das Gefäß war so herrlich gearbeitet, daß es nur von den Künstlern aus dem Königreich Thara oder eben von den Göttern stammen konnte. Cynesta trank noch nicht, sonnte sich noch in dem Gefühl, von der Göttin erwählt zu sein. Ganz langsam aber funktionierte der Verstand wieder. Wenn sie erwählt war, wozu? Sie stellte den Pokal beiseite, versuchte, sich zur Meditation zu zwingen. Doch da hörte sie Schritte und gleich darauf trat ein ihr fremder Mann bei ihr ein. "Erschrick nicht," bat er, "ich will dir nichts Übles." Sie erkannte die Stimme und lehnte sich entspannt auf ihrem Lager zurück. "Wie könnte ich vor meinem Retter erschrecken," erwiderte sie mit sanftem Lächeln, "gehört mein Leben dir nicht ohnehin, da du es erhieltest?" Ariston trug eine einfache Tunika, wie er sie zu Zeiten der Ruhe bevorzugte. Nichts an ihm verriet seinen Rang, abgesehen von dem offenen Haar. Er begriff, daß Cynesta, deren Namen ihm Moryn mitteilte, ihn nicht erkennen
konnte. Die Priesterin registrierte das offene Haar auch nicht, sonst würde sie diese Anrede nicht gewählt haben. Sie betrachtete ihn ohne Scheu und sie gestand sich durchaus ein, daß ihr dieser Mann gefiel. Er war anders, als die Priester, die sie kannte. Gewiß, auch bei ihnen gab es kräftige Männer von schlankem Wuchs und ebenmäßigen Zügen. Selbst die Farbe des Haares, dieses samten schimmernde Braun, stellte keine Besonderheit dar. Außergewöhnlich war offensichtlich nichts. Doch Gestik, Mimik und Haltung unterschieden den Fremden von anderen Männern und auch die offene Freundlichkeit seines Blickes. "Sagst du mir, wo ich mich befinde?" bat sie leise. "Moryn hat dir wohl nichts erzählt,"stellte Ariston fest, während er sich an ihre Seite setzte, "du bist in Salis im Haus des Statthalters Taros." Zögernd sah sie nun auf seine Haartracht. "Ihr seid der Statthalter?" erkundigte sie sich, mit einem Male sehr scheu. Leise lachend ergriff Ariston ihre Hände, beruhigend, wie in der Nacht ihres Fieberwahns. "Taros ist fett, klein und glatzköpfig," wehrte er ab. "Bitte, erzählt mir doch, wie ich gefunden wurde, welche glückliche Fügung euch zu mir führte," bat Cynesta, "ich spüre doch, daß Moryn mir etwas verschwieg. Er ist ein so ausgezeichneter Arzt, daßich fürchten muß, in einem Tempel zu sein." "Dorthin wollten wir dich bringen," gab Ariston voll Freundlichkeit zu, "doch selbst im Fieber hast du dich dagegen gewehrt. Nein, Mädchen, Moryn gehört zum
Gefolge Nodhers und warum sollte des Königs Wundarzt untauglich sein?" Verwundert stellte er fest, wie Cynesta erschrak bei seinen Worten und sich verkrampfte. "So dient auch ihr Ariston, dem Beherrscher des Nordreichs?" stammelte sie. "Oh, ich bitte euch, verhindert, daß ich ihm begegnen muß." "Kennst du ihn denn?" "Nein, mein Retter, aber ich fürchte ihn. Bitte fragt mich nicht, dringt nicht in mich." Ihr schmaler, von der langen Krankheit noch ausgezehr ter Leib zitterte so sehr, daß Ariston in Sorge um ihre eben erst erworbene Gesundheit geriet. "Still," bat er leise, "hab' keine Furcht. Du mußt keinem Menschen begegnen, den du nicht sehen willst." "Habt ihr die Macht, es zu verhindern?" forschte sie angstvoll und hoffend zugleich. Doch sein Lächeln beruhigte sie. "Ich falle euch sehr zur Last, nicht wahr?" stellte sie, schon wieder ruhig, fest, "dabei wißt ihr nichts von mir. Und ich kenne nicht einmal euren Namen." "Meine Mutter nannte mich Tonis," erwiderte Ariston wahrheitsgemäß, "so magst du mich auch nennen. Aber denke nicht, daß du mir beschwerlich seist. Ich bin sehr froh, dich so kräftig zu finden." Da fiel sein Blick auf den Pokal aus edlem Achat und seine Züge verhärteten. Cynesta entging die Veränderung nicht.
"Was ist euch, Tonis?" "Wer brachte diesen Trunk?" wollte er, eine Spur zu herrisch wissen und darum sofort sanfter hinzu fügend: "Sag' mir, wer bei dir war." Cynesta zögerte. Sie schämte sich, von der Göttin zu reden, aber sie wollte ihren Retter auch nicht belügen. "Vielleicht war es ein Traum," murmelte sie darum, "mir erschien sie wie die Göttin Antares. Sie befahl mir, zu trinken, um heil zu werden." "Hast du davon getrunken?" Besorgt sah er sie an, Unheil ahnend. "Ich wagte es nicht," gestand Cynesta, "denn ich bin keine Wohltat der Götter wert." Erleichtert gab Ariston seinem nächsten Impuls nach. Er führte die Hände Cynestas an seine Lippen und küßte sie. "Es wird kaum die Göttin selbst gewesen sein," meinte er lächelnd. "Sie sah so aus," zweifelte die Priesterin nun ihren eigenen Traum an, "ich dachte es im Halbschlaf." "Wie sah sie aus, Mädchen? Groß, schlank, bezaubernd schön, mit ganz, ganz hellem Haar und reich geschmückt?" "So habt ihr sie gesehen, erneuter Fieberwahn?"
Tonis?
Dann
war es kein
"Ein Fieberwahn bestimmt nicht, Cynesta. Denke nicht weiter darüber nach."
Ariston starrte den Pokal an, den er aus Cynestas Kammer mitgenommen hatte. Unruhig ging er in seinem Gemach auf und ab. Er tadelte sich selbst, weil er dem Mädchen seine Identität verbarg. Ihre Furcht vor seinem Rang erschien ihm nur natürlich, begegnete er ihr doch immer wieder in den Augen der jungen Frauen. Was ihn verwunderte, war sein eigenes Verhalten. Gewiß, er empfand eine zärtliche Zuneigung zu Cynesta; ein Gefühl, wie es ihm selbst neu und beglückend blieb. Doch rechtfer tigte dies keine Lüge. Sie verdankte ihm ihr Leben, nicht nur damals auf dem Pfad, als er sie fand, sondern auch und gerade durch jenen Kampf während der Krise ihrer Krank heit. In diesem Wissen müßte sie ihre Angst besiegen können. Ariston gab sich zu, daß er ihre Zurückweisung fürchtete. Denn erstaunte ihn, denn er begehrte nicht das Weib in ihr. Er wollte die Nähe bewahren, welche in jener Fiebernacht entstand, als er einen Menschen im Arm hielt, der ihm ganz vertraute, ohne um seine Macht zu wissen. Moryn war angewiesen, keinen Fremden zu Cynesta zu wissen und ihr seinen wahren Namen zu verbergen. Er mußte nun entscheiden, was mit Kalara geschehen sollte. Manche Unverschämtheit verzieh er ihr; doch nicht diesen Mordversuch. Und Beritt? Würde er das verkraften, es ihm verzeihen oder ungebührlich darunter leiden? Orales aus Moras beobachtete seinen Herrn besorgt. Endlich sagte er leise: "Verzeiht mein unverlangtes Reden, Gebieter. Ihr quält euch selbst, obwohl die Schuld bei andern liegt. Jedes Urteil aus eurem Mund ist gerecht." Ariston hielt inne. "Kannst du mir raten, Orales? Deine Führung ließ mich damals den Weg wählen, der Cynesta rettete. Deine Weitsicht bestellte ihr Leibwächter, ohne diese Kalara sie wohl schon vor Tagen tötete. Immer und überall bist du es, der mich leitet."
"Eure Worte ehren mich nicht nur," lenkte Orales beschei den ein, "denn ohne meinen Rat, Gebieter, währt ihr Kalara vielleicht schon glücklich vermählt." "Bedauerst du, mich vor einem Fehler bewahrt zu haben? Nein, Teju, mein Lob hat keine Einschränkung. Daß Kalara nie die Mutter meines Erben sein wird, weiß ich nun. Doch wie vergelte ich ihre Tat, ohne Beritt zu quälen?" "Euer Pala liebt Kalara sehr," gab Orales zu, "doch weiß er noch nichts von ihrer frevelhaften Tat, Gebieter." Ariston lachte leise, doch ohne Herzlichkeit. "Ich bin Beritt zugetan," berichtigte er, "doch den Titel Pala verlieh ich ihm nicht. Und ich bezweifle, daß er wissend nicht zu Kalara stünde." "Dann vergebt ihr, Gebieter," schlug Orales vor. Ariston schüttelte nur den Kopf. "Sie würde wieder versuchen, Cynesta zu töten," vermutete er. "Bald reisen wir zu eurer Burg," erinnerte ihn Orales, "das Mädchen ist nicht in Gefahr, wenn viele Tagesreisen zwischen ihr und Kalara liegen." "Es fragt sich nur, welche der beiden Frauen mich begleiten wird. Nein, Orales, so einfach darf ich's mir nicht machen. Rufe mir Beritt, denn er soll es von mir erfahren und noch ehe ich mich entschied." Der Teju verneigte sich knapp, ehe er gehorchte. Es befrie digte ihn sehr, daß sein Herr nicht mehr gewillt blieb, Kalara zur Königin zu erheben. Cynesta würde diesen Platz besser ausfüllen.
Beritt wurde bleich, als er von Kalaras Tat vernahm. Aber er stellte keine Forderung, sondern ergab sich seinem Herrn: "Es geschehe allein nach eurem Willen, Gebieter." Wenig später lag Kalara vor Ariston auf dem Boden. Sie versuchte, seine Knie zu umfassen, doch er wich einen knappen Schritt zurück; duldete keine Berührung. Sie suchte, sich wortreich zu entschuldigen, erklärte ihre Tat mit Liebe, die sie für empfand, mit Eifersucht, die sie quälte. Und fast wäre es ihr gelungen, Ariston zu erweichen. Doch wie so oft, zerstörte sie sich ihre Chancen durch törichte Worte, als nun sagte: "Ist es denn nicht das Recht einer Königin, für ihre Liebe zu kämpfen? Hat eine Königin nicht auch Macht über das Leben der Buhle ihres Gemahls?" "Genug," fuhr Ariston sie da an, "das Mädchen ist nicht meine Buhle und wäre sie es, so stünde sie über dir. Denn du bist nichts, Kalara, weder meine Geliebte noch meine Königin. Und niemals wirst du eines von Beidem sein." Flehend sah sie nun zu Beritt. Ariston staunte, daß sie ihn nicht um Hilfe bat. Ganz langsam begriff er, daß Kalara den Freund liebte und ihn darum nicht zwang, sich gegen ihn zu stellen. Er dachte noch darüber nach, als Kalara sich erhob und nach dem Pokal griff, bereit, sich selbst den Tod zu geben, den sie Cynesta zudachte. Beritt wandte sich entsetzt und ohnmächtig ab, während Tränen in seine Augen traten. Orales aber hielt Kalara auf, nahm ihr den Pokal ab. Fragend sah er zu Ariston, bereit, Kalara den giftigen Trunk erneut zu reichen. "Wenn Cynesta mir vergeben würde," stammelte Kalara die Formel des Aufschubs, "so dürfte das Recht gnädig verfahren."
Indem der Mörder sein Opfer zum Richter erhob, unter stellte er sich der Gnade und Ungnade des Geschädigten und dessen Familie. Zwar zwang diese Formel Ariston nicht bindend, Kalara nachzugeben, doch nickte er zustimmend. "Es sei, Kalara, doch ist Cynesta noch zu schwach, um in dieser Angelegenheit gehört zu werden. Muß ich dich binden lassen oder wirst du aus freiem Willen auf dein Urteil warten?" "Sie wartet," versprach verbürge mich dafür."
Beritt
an ihrer Stelle, "ich
T
onis war für Cynesta ein Rätsel. Sie schätzte seine Besuche über die Maßen, genoß seine Nähe, fühlte sich bei ihm geborgen und sicher. Aber nie nahte er ihr als Weib. Er versuchte nicht, sie für sich zu gewinnen. Und es wäre ihm wahrhaft leicht gewesen. "Seid ihr vermählt, mein Retter?" wollte sie darum einmal wissen. Da er verneinte, schossen ihr Tränen in die Augen. "Cynesta," rief er erschrocken, "was quält dich? Wäre es dir denn lieber, hätte ich ein Weib zu mir genommen?" "Nein, nein," wehrte sie ab, "nur muß ich jetzt glauben, daß ich euch nicht gefalle. Seid ihr nur bei mir, weil es Retterpflicht ist?" "Närrin," schalt er zärtlich, "weißt du es nicht besser? Und wenn du es nicht weißt, so mußt du es doch spüren." Er legte den Arm um sie, ging weiter mit ihr durch die Gärten. Seit fast drei Wochen trieb er das Spiel nun schon und noch immer weigerte sich Cynesta, über Ariston
zu sprechen. Es fiel ihr nicht auf, daß sie in den Stunden, die Tonis bei ihr verbrachte, nie einem Menschen begegnete. Ein Soldat, Orales, schien zwar immer in der Nähe zu sein, doch niemand sonst. So viele Stunden hatten sie schon im Gespräch verbracht, sich darin einander genaht und geöffnet. Doch das Ende jedes Beisammenseins blieb kurz, fast abrupt. Tonis sprach irgendwann bei jeder Begegnung von seinem König. Dann verkrampfte sich Cynesta, wurde ablehnend, ängst lich und kühl. Gleich darauf verließ er sie. Ariston litt darunter. Er liebte Cynesta inzwischen und begehrte sie auch. Doch die Lüge stand zwischen ihnen und ihre Furcht vor dem Herrscher verhinderte täglich sein Geständnis. Lange konnte es so nicht mehr gehen, denn sein Aufenthalt in Salis mußte enden. Er gehörte auf die Burg Nodher, dort lag seine Pflicht und seine Aufgabe, dort war sein Platz. Es half nicht, die Abreise jeden Tag zu verschieben. Cynestas Tränen bewiesen ihm, was er ohnehin wußte. Auch sie liebte ihn, wollte sich ihm ganz öffnen. Natürlich stand es in seiner Macht, ihr die Nähe auch zu dem König zu befehlen. Doch was nützte körperliche Nähe, wenn das Herz woanders weilte? Seine Liebe zu Cynesta überzeugte ihn davon, daß er sich von ihr trennen mußte. Tonis liebte sie wohl, doch Ariston würde sie stets ebenso fürchten wie verachten. "Ich darf dich nicht begehren," gestand er darum, "denn ich muß mit Ariston nach Nodher ziehen." "Wann?" fragte sie bang. "Bald schon, vielleicht morgen. Es gibt keinen Weg zwischen dir und mir, Cynesta." "Verbietet der König euch, eine Gemahlin zu wählen?" Ariston lächelte wehmütig. "Nicht einmal stellte er richtig.
seinen Sklaven verbietet er dergleichen,"
"Dann, dann ist es euch Auch um meinetwillen nicht?"
unmöglich, ihn zu verlassen?
Er nahm ihr Gesicht in die Hände, liebkoste sie mit Blicken. "Es ist unmöglich, Cynesta." "Ich verstehe," erwiderte sie, nur mühsam beherrscht, "ihr liebt den König mehr als mich." Ehe er etwas darauf entgegnen konnte, wandte sie sich ab und lief davon. Beritt weilte bei Kalara. Und wieder war es Orales, der schweigend, zuhörend und voll echter Teilnahme seinen Herrn mit seiner Anwesenheit tröstete.
A
m Abend suchte Orales Cynesta auf. Er fand sie, weinend auf ihrem Lager liegend, das Gesicht in den Kissen vergraben. Mit leisem Räuspern machte er sich be merkbar. "Wollt ihr mich anhören?" bat er, sich eine andere Anrede nicht zugestehend. Etwas ängstlich erkannte Cynesta an der Uniform den Dienst des Teju, dennoch nickte sie, unbewußt Hilfe erhoffend. "Ihr quält euch, Cynesta," sagte Orales mit nüchterner Stimme, "und ihr quält den Mann, den ihr liebt. Oder spielt ihr nur mit ihm?" "Ich liebe ihn," gestand sie leise, "er ist es, der nicht genug empfindet. Er liebt seinen König, ist ihm treu und bereit, mich deshalb zu verlassen." "Ich verstehe eure Furcht vor Ariston," erwiderte Orales, "wenngleich ich sie nicht billige, denn sie ist töricht, kindisch und beruht auf Vorurteilen."
"Was wißt ihr schon," flüsterte sie tränenerstickt, "wenn ich dem König begegne und er mich begehrt, was dann? Kann Tonis mich dann schützen?" Cynesta blieb überzeugt, daß Amarras Macht bis Nodher reichte. Ein einziger Blick zwischen ihr und dem König mußte Amarra zum Sieg verhelfen. Aber wie sollte sie dies jemandem erzählen? "Seit drei Jahren diene ich Ariston," erzählte Orales, "ich bin täglich um ihn und glaube, ihn zu kennen. Darum versi chere ich euch, daß er niemals eine Frau mit Gewalt nehmen wird. Nichts geschieht gegen euren Willen, Cynesta, ihr habt mein Wort darauf." Irgendwie traute sie dem Teju zu, sein Wort zu halten. Es ging etwas von ihm aus, das ihr Vertrauen einflöste. "Vorausgesetzt," fuhr Orales fort, "ihr liebt Tonis wirklich, dann muß eure Liebe stärker sein als eure kindische Furcht. Ist er einen Augenblick der Angst nicht wert, daß ihr euch weigert, dem Herrscher zu begegnen?" Sie schüttelte den Kopf. "Er ist alles wert, Teju, jedes Opfer. Gebt mir Zeit." Orales aber nutzte die Stunde. "Nein, Cynesta, ihr hattet Zeit genug. Ihr müßt euch jetzt, hier und heute entscheiden." "So beginnt der König morgen die Heimreise," vermutete sie leise, "dann habe ich wahrlich keine Zeit. Ich danke euch, Teju, für euer Kommen. Doch bitte helft mir nun. Ich kann doch nicht einfach bei Ariston eindringen und er wird keinen Anlaß haben, mich zu empfangen."
"Ihr wollt zu ihm?" Obgleich sie große Furcht verspürte, blieb sie fest. "Ich will's," bestätigte sie, "ich will ihn bitten, mich in seinem Gefolge mitreiten zu lassen und Tonis zu gestatten, sich mir zu vermählen." "Dann sorge ich dafür, daß Ariston euch empfängt. Haltet euch bereit, Cynesta. Man wird euch holen." "Wartet," hielt sie ihn zurück, "was muß ich tun, wie mich verhalten. Er ist ein Mann der Macht. Ich habe keine Erfahrung in solchem Umgang. Eine einzige falsche Geste könnte doch alles verderben." Orales lächelte nachsichtig. Sie erschien ihm wie ein kleines Kind, wie ein ängstliches Mädchen von acht Jahren. Ruhig versicherte er: "Ariston ist kein Tyrann, sondern nachsichtig und voll Verständnis. Stellt euch einfach vor, Cynesta, ihr wäret eine Priesterin und würdet auf Amarra dem Than begegnen. Diese Art von Respekt und Achtung erweist Ari ston und ihr begeht keinen Fehler." Damit ließ er sie allein.
C
ynesta wusch sich rasch das Gesicht, kleidete sich um. Wirklich festliche Gewänder besaß sie nicht, nur eben das, was Tonis ihr zukommen ließ. Doch als Bittstellerin ziemte ihr ohnehin eher einfache Kleidung. Voll Dankbar keit dachte sie an Orales. Dieser Soldat half ihr viel, mehr, als er selbst ahnen konnte. Der Vergleich zwischen Amarra und Ariston sagte ihr mehr, als Orales ahnen konnte. O ja, sie kannte jede Bewegung, die in einer Begegnnung mit dem Than vorgeschrieben war. Dieselbe Achtung für Ariston erschien ihr zwar übertrieben, doch
mochte es besser sein, dem König zu schmeicheln, statt ihn zu kränken. Sie würde sich erniedrigen und sie würde noch weitaus mehr tun, wenn sie nur Tonis nicht verlieren mußte.
O
rales aus Moras suchte inzwischen Ariston auf, fand Beritt bei ihm und fühlte seinen Plan gestört. Er wollte keinen Mitwisser und keinen Zeugen. Der König spürte bald die Unruhe seines Teju. "Was bedrückt dich, Orales?" "Vergebt," erwiderte der Teju rasch, "es ist nicht der Moment, darüber zu sprechen, Gebieter." Ariston lächelte. "Ich denke," stellte er gelassen fest, "du bist mir bisher zu treu gewesen, als daß ich deinen Kummer auch nur eine Stunde länger als nötig dulden sollte. Laß uns allein, Beritt, vielleicht fällt es meinem Teju dann leichter, sich seinem Herrn anzuvertrauen." Kaum, daß Beritt das Gemach verließ, kniete Orales an Aristons Seite nieder. Fest ergriff er dessen Hand, führte sie nach kurzem Zögern flüchtig an die Lippen. "Bist du ein Sklave?" tadelte Ariston liebevoll, "ich kenne dich nicht wieder. Was hast du angestellt, Orales? Ist es so schlimm, daß du dich erniedrigen mußt, ehe du offen sprechen kannst?" "Ich war bei Cynesta," gestand Orales, der nun doch etwas unsicher wurde. Ariston entzog ihm die Hand, sagte aber kein Wort. "Gebieter, hört mich an," bat Orales.
"Zuerst sage mir, ob du ihr meinen Namen entdecktest." "Nein, mein Herr, wie könnte ich das wagen! Doch ich ertrug eure Pein nicht länger, darum mußte ich handeln. Ich überzeugte sie davon, daß ihr die Liebe gebieten muß, mit dem König über Tonis zu sprechen." "Dazu ist sie bereit?" "Ja, Gebieter. Sie wartet auf einen Boten, der sie zu euch bringt." Ariston umfaßte die Schultern des Mannes aus Moras. "Wenn das wahr ist, Orales, dann bring' sie zu mir. Sofort," verlangte er mit bewegter Stimme. "Ich bitte wiederum um Verzeihung," wehrte Orales ab, "doch gebe ich zu Bedenken, daß sie Ariston, nicht Tonis sehen will." "Da ist kein Unterschied," rief Ariston aus. "Und doch, wenn ihr Cynesta die demütigende Begeg nung mit dem König erspart, dann wird stets eine Kluft zwischen euch sein, Gebieter. Ich fürchte, sie muß sich erniedrigen, um die Notwendigkeit eurer Täuschung zu verstehen." Offen sah er seinem Herrn in die Augen. Ehrlich besorgt wünschte Orales nichts mehr, als daß Ariston die Fülle des Glückes erfahren möge. Orales führte Cynesta zu Aristons Gemächern. Er spürte die Angst, die innere Aufgewühltheit der jungen Frau, empfand Mitleid, wußte aber nicht, wie er ihr helfen sollte. Orales aus Moras kannte die Menschen, wußte sie instinktiv richtig einzuschätzen und ihre Reaktio nen zu berechnen. Er zweifelte nicht daran, daß Cynesta dem Geliebten die Lüge nicht verzeihen würde, es sei denn,
sie erkannte selbst deren Notwendigkeit. Der Teju billigte allerdings die Täuschung seines Herrn nicht. In der ersten klaren Stunde der Kranken wäre es Aristons Pflicht gewesen, sich als Herrscher zu erkennen zu geben. Daß es ihm danach nicht mehr möglich sein konnte, war abzusehen. Ein leises Lächeln huschte über das gebräunte Gesicht des Solda ten, als er daran dachte, daß Cynesta immerhin nur deshalb den König zu lieben lernte, weil er ihr als Mensch nahte. Im andern Fall wäre allein Dankbarkeit von ihrer Seite aus vorherrschend gewesen und auch Ariston würde keine Chance haben, die Tiefe des Mädchen zu erfahren. Nur durch vertrauensvolle Offenheit konnte Liebe entstehen. Es blieb zu hoffen, daß Cynesta diese Liebe durchzutragen verstand. Vor der Tür zu Ariston blieb Cynesta stehen. "Ich kann nicht," flüsterte sie, "helft mir, Teju." Der Gardist ergriff fast zärtlich ihre Hand, führte sie ins Gemach und ließ sie erst los, nachdem sich die Tür leise hinter ihm schloß. Ariston stand am Fenster, wandte ihnen den Rücken zu. Während Orales sich gegen die Tür lehnte, trat Cynesta ein paar wenige hilflose Schritte vor. Sie starrte auf den bodenlangen glitzernden Umhang, auf den perfekt gebundenen Turban des Herrschers. Nach dem Willen Amar ras war dies ihr Gemahl. Sie verachtete Xalares, Kilmanaos, den Than und sie empfand Verachtung für den König, der scheinbar gleichgültig aus dem Fenster sah und sie nicht beachtete. Orales riet, diesem herzlosen Mann denselben Respekt zu erweisen, wie er dem Than in Amarra zukam. Um Tonis' Willen wollte sie auch dies erdulden. Und doch kostete es sie große Überwindung, sich lang auf dem Boden auszustrecken, die Arme ausgebreitet, das Gesicht nach unten. Die Stille quälte sie. Für Orales empfand sie Dankbarkeit und Zuneigung, als sie seine Stimme hörte: "Gebieter, Cynesta ist hier."
Kalt und abweisend kam die Antwort: "Sie soll reden." Sie spürte, wie der Herrscher zu ihr trat und dicht vor ihr stehen blieb. "Sprich," verlangte er knapp, "was begehrst du?" "Herr," erwiderte sie, obwohl es mehr ein Stammeln war, "ich bin eure gehorsame Dienerin, dankbar für die Gnade, empfangen zu werden, hoffend, ihr werdet mir meine unbe scheidene Bitte verzeihen." Ariston erwiderte nichts. So fuhr sie fort: "Ich bin eurem Gefolgsmann Tonis in Liebe zugetan und erbitte die Gnade, in Nodher aufgenommen zu werden." Sie konnte nicht sehen, wie Ariston sie aufheben wollte und wie Orales ihn mit nachdrücklichem Kopfschütteln davon abhielt. "Und warum, Cynesta, spricht Tonis selbst? Fürchtet er seinen Herrn so sehr?"
nicht
für
sich
"Nein," erwiderte sie erschrocken, fürchtet, ihr Kommen könne Tonis schaden, "nein, Gebieter. Er liebt euch und setzt sein ganzes Vertrauen in eure Person. Bitte, glaubt nicht, daß er mich sandte. Oft wollte er mit euch reden, doch meine Furcht vor eurer Macht hielt ihn zurück. Er wußte, daß er mich verlieren würde, wenn er mich zwang, euch zu begegnen." "Du also fürchtest mich? Warum?" Da begann sie lautlos zu weinen. Sie konnte Ariston nicht die Wahrheit sagen, nicht ihr Priestertum entdecken. Womög
lich entsprach der König nicht so sehr Kilmanaos' wenig schmeichelhafter Beschreibung und eher Xalares' freundliche rer Ansicht, dennoch blieb er ein Feind Amarras, dem sie sich opfern sollte. "Keine Antwort?" forschte Ariston, betroffen von der Tiefe ihrer Furcht, die aus ihren Tränen sprach, "so weißt du nicht, wer dir in der Stunde der Notbeistand?" "Ich bin Tonis auch denkbar," murmelte sie. "Tonis? Erzähle du, Teju, dem törichten Mädchen die Wahrheit," forderte Ariston Orales auf. Der kam dieser Aufforderung gern nach. Er berichtete ihr, wie Ariston eine Befleckung durch ihr Blut nicht fürch tete, wie er ihren Körper untersuchte, aufatmend, als er keine Knochenbrüche feststellen konnte. Er erzählte, wie er der Empörung anderer zum Trotz sie in seinen Umhang hüllte, wie er sie in der Sänfte reisen ließ und endlich auch, wie der König selbst um ihr Leben kämpfte in jener Nacht der Krise. Als Orales schwieg, fragte Ariston sanfter: "Liebst du Tonis nun weniger, da du weißt, daß nicht er all dies für dich tat?" Sie wagte noch immer nicht, den Herrscher anzusehen, doch sie erkannte schon, wie grundlos sie ihn verachtete. "Gebieter," flüsterte sie unter Tränen, "ich liebe Tonis nicht aus Dankbarkeit. Meine Liebe zu ihm wuchs in den vergangenen Wochen, in denen er mir seine Zeit widmete und in vielen Stunden offener Gespräche meinem Herzen näherkam. Daß ich aber so tief in eurer Schuld stehe, das wußte ich nicht. Verfahrt mit mir nach eurem Willen." "Wofür erwartest du Strafe, Mädchen?" forschte der König.
Er brauchte Orales' Rat nicht mehr, begriff nun selbst, wie tiefverwurzelt Cynestas Angst gründete. Wenn es ihm nicht jetzt gelang, die Ursache dieser Angst zu erkennen, würde immer etwas Trennendes zwischen ihnen sein. Sie hatte es Tonis nie erklärt, sie mußte sich also Ariston öffnen. "Ich habe euch beleidigt, indem ich euch fürchte," murmelte Cynesta schwach, "ich hielt es nie für möglich, daß ihr ein guter Mensch sein könntet, Herr. Aber ich sehe, daß ich es nicht wert bin, auf Nodher zu leben und erbitte nur die Gnade, Tonis meine Torheit nicht zu vergelten." Ariston schwieg und wie so oft zwang er im Schweigen sein Gegenüber, sich zu offenbaren. Auch Cynesta ertrug die Stille nicht lange, mußte sprechen, um das Unerträgliche der Situation zu entschärfen. Nicht ihre Demütigung quälte sie, nicht die unterwürfige Haltung, sondern das Herandämmern der Erkenntnis, daß Amarra Unrecht tat. Wenn aber Amarra fähig war, Fehler zu begehen, auf wen konnte dann noch Verlaß sein? "Meine Mutter," erzählte sie stammelnd, stockend und auch schuldbewußt, "sie lehrte mich, daß ein König, der kein Priester ist, von den Göttern verworfen sei. Ein solcher Herrscher ist abgrundtief schlecht, böse und verdorben. Ich hatte immer Angst vor euch, Gebieter, weil ich nicht glauben konnte, daß ein Mächtiger auch ohne Priesterweihe gerecht und gütig sein kann. Ich war überzeugt..." Da mußte sie die Worte enden, weil ihr Weinen sie erstickte. Haltloses Schluchzen schüttelte ihren schmalen Kör per und noch immer wagte sie nicht, aufzusehen. Jetzt rechnete sie wirklich mit Strafe, doch nun wußte sie sich auch schuldig. Orales stellte dabei betroffen fest, wieviel Schmerz sich in den Zügen seines Herrn spiegelte. Der Teju begriff, wie sehr Ariston selbst unter dem Mangel der Weihen litt. Kein anderer Vorwurf hätte den König so zu treffen vermocht. Leise verließ der Gardist den Raum.
Ariston ertrug kaum die Eröffnung der Geliebten. Jetzt begriff er, weshalb sie die Begegnung mit dem König fürch tete, weshalb sie nicht einmal über ihn reden wollte. Herrschte diese Ansicht bei seinem Volk vor? Bitterkeit stieg in ihm auf. Amarras Arm reichte wahrhaft weit. Dann aber gab es nur noch Cynesta für ihn. Was scherte ihn die ganze Priesterkaste, wenn er dieses Mädchen aus dem Volk für sich gewann? "Cynesta," sagte er leise, "weine nicht. Ist es so unerträg lich, in deinem König den Menschen zu erkennen?" Schluchzend umfaßte sie seine Füße. "Gebieter," hauchte sie, "wenn ihr mir vergeben könnt, so will ich eure willigste Dienerin sein. Ich schwöre euch jeden Eid der Treue, Herr. Nie würde ich dulden, daß jemand schlecht von euch spricht." Sie meinte das ehrlich. In dieser Stunde brach sie mit Amarra, das sie täuschte und belog. König Ariston mochte kein Priester sein, doch auch ohne Weihen blieb er allen anderen Herrschern der Nebelreiche ebenbürtig. Sie be zweifelte, daß ein Priesterkönig so selbstverständlich für eine verletzte Bürgerin sorgte und so nachsichtig grund lose Beschimpfung hinnahm. "Es ist gut, Cynesta," ertönte Aristons warme Stimme, die mit einem Male so sehr an Tonis erinnerte, "es geschieht dir kein Leid. Wenn wir morgen nach Nodher aufbrechen, wirst du an meiner Seite reiten. Du kannst doch reiten? Dann ist alles geregelt. Schlafe gut." Fast fluchtartig verließ er den Raum. Er konnte ihre Demüti gung und ihr Weinen nicht mehr ertragen und er fürchtete sich davor, sich nun zu erkennen zu geben. An der Grenze ihrer Kraft mochte das zuviel für sie sein.
C
ynesta schlief wirklich gut. Sie fühlte sich wie von einem Alpdruck befreit. Nichts würde sie nun von Tonis zu trennen vermögen und selbst seine Liebe zu Ariston konnte sie nun teilen. Früh am andern Tag brachte ihr eine Dienerin Reisekleidung. Cynesta wunderte sich über den feinen Stoff der Hosen, die sorgsamen Stickereien der Bluse und die edle Verarbeitung des Überkleides. Solch kostbare Bekleidung erschien ihr übertrieben und unverdient, doch wollte sie dies vor der Dienerin nicht zeigen. Das Mädchen bürstete ihr Haar sehr intensiv, band es aber nicht zusammen. Ein schmales Stirnband wand sie ihr um, in dessen Mitte ein großer Lasurstein strahlte. Während Cynesta dann allein ihr Frühmahl zu sich nahm, wunderte sie sich voll Sehnsucht darüber, daß Tonis nichts von sich hören ließ. Endlich trat Orales bei ihr ein und sie freute sich darüber, verdankte sie diesem Mann doch ihr neues, befreites Sein. Der König hatte seinem Teju erklärt, weshalb er Cynesta sich nicht entdecken konnte und ihm auch seine Sorge entdeckt, wie sie die Wahrheit nun vor Zeugen ertragen mochte. Immerhin hoffte er, daß die Gegenwart des ganzen Gefolges Cynestas Seelbstbeherrschung fördern mochte. "Alles ist bereit, Cynesta, und wartet auf euch," erklärte der Soldat. "Weiß Tonis, daß ich mitkomme?" Orales nickte nur. Er führte sie hinaus, half ihr aufs Pferd. Sie spürte die neugierigen Blicke der Menschen umher, aber ihr Auge suchte nur den Geliebten. Als sie ihn nicht entdecken konnte, empfand sie Furcht. Nur das freundlich beruhigende Lächeln des Mannes aus Moras signalisierte ihr die Abwesenheit allen Unheils. Vorn im Troß ritt der König an und der Zug setzte sich in Bewegung. Orales hielt sich an Cynestas Seite, plauderte freundlich mit ihr, erklärte ihr, wie die Kleidung der Menschen ihren Stand und ihre Aufgabe verriet.
"Wo ist Tonis, Teju?" wollte sie endlich wissen. "Eine Frage, die euch nur der König beantworten kann," erwiderte Orales. "Er würde mir kaum verzeihen, wenn ich zu ihm ritte und um Auskunft bäte," vermutete sie. "Gewiß will er nur testen, ob ich ihm wirklich vertraue. Sagt mir wenigstens, ob es Tonis gut geht." "Warum seid ihr nur so scheu, Cynesta? War unser Herr nicht freundlich zu euch? Wenn ihr es nicht wagt, mit ihm zu sprechen, beweist ihr nicht gerade dadurch euern Mangel an Vertrauen?" Beritt wollte sein Pferd heranlenken, doch schickte ihn Orales mit einer knappen Handbewegung fort. "Wer ist das?" erkundigte sich Cynesta, "er starrt mich schon die ganze Zeit an. Ist er mein Feind?" "Alles mag Beritt sein, dies aber nicht," antwortet Orales sofort, der wußte, daß Beritt eine Gelegenheit suchte, für Kalara zu bitten, der nicht erspart blieb, wiederum zu reiten. Er erzählte ein wenig von Beritt und damit gleichzeitig wieder von Ariston. Endlich fragte Cynesta: "Seid ihr sicher, daß mir der König ein unerlaubtes Nahen verzeihen wird? Ihr habt mir bisher immer gut geraten, Teju, helft mir nun auch." "Ich werde euch immer helfen," versprach Orales fest, "geht nur zu ihm. Aber vergeßt nicht, er ist der König. Er hat euch erhöht, indem er euch so einkleiden ließ, euch diesen Schmuckstein schenkte und verbot, euer Haar zu binden. Benehmt euch also in allem ganz wie eine Herrin und tadelt
seine Entscheidung nicht nur unbedachtes Verhalten." Cynesta begriff die Notwendigkeit dieser Mahnung nicht, versprach es aber. Sie trieb ihr Pferd vorwärts, lenkte es neben den Herrscher und wunderte sich, weil die an seiner Seite reitenden Soldaten sofort davonsprengten. Mit gesenk tem Haupt ritt sie neben ihm. "Noch immer voll Furcht?" erkundigte er sich freundlich. Diese Stimme! Cynesta erschrak bis ins Innerste, als sie die Stimme des Geliebten erkannte, doch mit eiserner Beherr schung verhinderte sie das Zügeln ihres Tieres. Sie starrte Ariston an, mit weit aufgerissenen Augen und sprachlos halb geöffnetem Mund. Ihr Herz drohte zu zerspringen, als sie im König den Geliebten erkannte. Ariston lenkte sein Pferd nahe neben ihr Tier, ergriff mit der Rechten ihre Hand, hielt sie mit sanftem Druck. "Ich wußte nicht, wie ich es dir sagen sollte," gestand er leise, "ich habe mich vor diesem Moment gefürchtet. Kannst du mir verzeihen, Cynesta? Ich habe nicht mit dir gespielt. Ich liebe dich und ich will mich dir vermählen. Aber du hast mich so verachtet und gefürchtet, daß ich dir die Wahrheit einfach nicht offenbaren konnte. Sag' doch etwas, Liebes, bitte." So flehend sah er sie, selbst nun furchtsam ihr Urteil erwartend. Leise erwiderte sie: "Tonis liebe ich." "Nicht aber Ariston," erkannte er traurig. "Zürnst du mir, weil ich dich gestern erniedrigte?" "Ich habe mich selbst erniedrigt," widersprach sie leise, "und ich fand darin Befreiung von Vorurteilen."
"Also bist du mir nicht böse?" hoffte er, ihre Hand noch immer festhaltend, "und doch so fremd jetzt, so scheu?" Sie sah ihn voll an Verwirrung und Zuneigung.
und ihrem Blick paarten sich
"Ihr seid zu groß für mich," flüsterte sie. Ariston lächelte befreit, froh erkennend, daß er sie nicht verlor. Er bewunderte ihre Selbstbeherrschung und dachte einen flüchtigen Augenblick an Kalara, die in solcher Situation die Aufmerksamkeit aller erweckte. Nicht so Cyne sta. Sie ritt neben dem Herrscher, als gäbe es keine Miß verständnisse, fast so, als sei dies ihr angestammter Platz. Und sie dachte wieder einmal an Amarra. Ja, ihre Liebe war ungebrochen. Sie fühlte sich schuldig, weil sie Ariston lange zwang, sich selbst vor ihr zu verleugnen. Doch durfte sie nun sein Weib werden? Wenn sie es tat, erwartete Amarra, daß ihm kein Sohn geboren wurde. Es mangelte ihr nicht an Mut zum Ungehorsam, doch sie fürchtete die Folgen. Ariston sprach leise mit ihr, erzählte von sich und seiner Arbeit; versicherte sie seiner Liebe und versprach, sie in Ehren zu halten und ihr die Achtung einer Königin zu gewähren. Mit keinem Wort erwähnte er den erwarteten Erben, nicht einmal sprach er von der Notwen digkeit eines Sohnes. Cynesta begriff, daß seine Liebe ihr galt, ihrer Person, nicht ihrer möglichen Mutterschaft. Er sprach auch von Kalara; nicht von deren Mordversuch, sondern von seiner Freude, sie nicht geheiratet zu haben. Er wollte keine Geheimnisse vor ihr.
S
ehr viel später ritt Orales heran, sah an ihr vorbei zu seinem Herrn und las in dessen Blick. Da neigte der Mann aus Moras das Haupt vor ihr. "Erlaubt, daß ich der Erste bin, der euch Treue schwört, Herrin."
"Ich danke euch," erwiderte sie nur. Ariston lachte leise. "Du bist nun Herrin und Gebieterin, Cynesta," sagte er ruhig, "es gibt wenige, denen du die Anrede der Höherstehen den gewähren mußt." Beschämt senkte sie den Blick. "Hab' keine Furcht," bat er da rasch, "bald wird alles wie selbstverständlich für dich sein."
W
ährend der Reise hielt Ariston alles von ihr fern, das auch nur im Geringsten geeignet schien, sie zu verwirren oder zu überfordern. Zwangen ihn die Umstände, sich von ihrer Seite zu lösen, so nahm Orales wortlos und ohne Verzögerung seinen Platz ein. Nicht einmal Beritt fand Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Cynesta lernte ihren künfti gen Gemahl während des Ritts erst richtig kennen. Sie sah, mit welchem Ernst er um die Belange des Volkes bemüht blieb, wie wenig Unterschied er zwischen den Ständen machte. Selbst Sklaven verhalf er zu ihrem Recht, ungeach tet, ob er sich dabei gegen Bürger oder gegen Adlige stellen mußte. Sie sah aber auch die Scheu und das Mißtrauen, das ihm, trotz einer gewissenen Verehrung zuteil wurde. Voll Achtung nahten sich die Männer des Reiches ihrem Herrn mit ihren Anliegen, doch die Weiber hielten sich im Hinter grund. Ihr Ritt führte durch die Stadt Surs, die schon nahe der Burg lag, und kaum, daß sie das Stadttor durchquerten, trat eine Abordnung der Bürger zu Ariston, um die Bitten der Stadt vorzutragen. Während er interessiert lauschte, wanderte Cynestas Blick über die Gesichter am Straßenrand. Verbittert stellte sie wieder einmal fest, daß kaum eine junge Frau darunter weilte. Die Alten drängten sich nach vorn, glotzten neugierig, und auch die Kinder zeigten sich ohne Scheu. Einige hielten sogar Blumen in Händen. Halb hinter einem Torpfosten verborgen entdeckte Cynesta da eine junge Frau. Sie konnte nur wenig unter zwanzig Jahren zählen. Obwohl sie sich gewaschen hatte, erkannte Cynesta die unzähligen Tränen der vergangenen Zeit. Diese Frau litt und doch wagte sie es nicht, ihren König
um Hilfe zu bitten. Sie kämpfte zwar mit sich, doch ohne Kraft. "Herrin?" Orales beugte sich auf seinem Pferd zu ihr. Wie stets, so hatte er sie auch jetzt sehr genau beobachtet und ihm entging nicht Cynestas aufkeimendes Interesse. "Ariston würde ihr bestimmt helfen," murmelte Cynesta. Sie sprach sehr leise, um den Geliebten nicht zu stören. "Gebieterin," mahnte Orales da, "manchmal muß eine Königin tun, was dem König verwehrt ist. Steht ihr dem Mädchen bei und gewinnt so die Weiberherzen für Ariston." "Was kann ich schon tun?" murmelte sie nur. Orales winkte einen seiner Männer herbei, bedeutete ihm, dieFrau hinter dem Torpfosten zu holen. Die begriff sofort, daß sie Aufmerksamkeit erregte, wandte sich zur Flucht um und wagte dann doch keinen Schritt. Der Gardist ergriff sie am Arm, führte sie durch die Menge. Er tat dies mit Nachdruck, doch so sanft als möglich. Und dann lag sie vor Cyneste auf den Knien und die mühsam beherrschten Tränen rollten über ihre Wangen. "Steh' auf," verlangte Cynesta. Vom Pferd aus sah sie auf das nun stehende Mädchen nieder. Innerlich herrschte Aufruhr in der Priesterin, doch sie ließ nichts davon erkennen. Sie fürchtete ein wenig Aristons Unwillen über ihren Alleingang, zugleich aber empfand sie tiefes Mitleid für die junge Frau. "Wie heißt du?"
"Ich werde Hedi gerufen, Herrin." Cynesta wartete, doch da Hedi schwieg, fuhr sie fort: "Ich sehe, daß du Kummer hast. Wenn du dein Leid nicht entdecken willst, magst du gehen. Erhoffst du aber gerechte Hilfe, oder auch nur Gnade, so sprich." Plötzlich herrschte Stille bei den Männern. Sie alle starrten Cynesta an und sie spürte, ohne sich umzuwenden, den stillen Vorwurf ihrer Anmaßung, der aber nicht von Ariston ausging. Einer der Stadtgesandten sprang zu Hedi, schlug sie ins Gesicht, stieß sie zu Boden. "Verschwinde, Tochter," herrschte er sie an. Kaum, daß sie wieder stand, wollte er erneut nach ihr schlagen, doch da trieb Cynesta ihr Pferd zwischen die Beiden. In unbeherrschtem Zorn packte sie den Mann am Haar, zerrte ihn herum und stieß ihm den Fuß vor die Brust. Der taumelte zurück, strauchelte und fiel. Er konnte sich nicht mehr erheben, denn Aristons Degenspitze deutete mit nur wenig Abstand auf seine Stirn. Der König sprach kein Wort, ließ Cynesta gewähren. Da er sie aber zumindest vor all diesen Zeugen unterstützte, war sie geradezu verpflichtet, nun nicht zu schweigen. Mochte er ihr im Herzen vielleicht zürnen, offiziell stand er zu ihr. Und es erschien Cynesta wichtig zu sein, wenn er sie auch als handelndes Wesen begriff. Er wußte so wenig von ihr und das Meiste durfte er ohnehin nicht erfahren. Sie winkte Hedi herbei. "Sei ohne Furcht," bat sie freundlich, "willst du dich mir anvertrauen?" Das Mädchen ergriff ihre Hand, küßte sie unter Tränen und erzählte endlich stammelnd und stockend, wie sehr sie den Gemahl fürchte, den der Vater ihr bestimmte. Zwar sei sie,
wie sie sagte, keinem Mann von Herzen zugetan, doch verabscheue sie den Bräutigam, ekle sich geradezu vor ihm und jeder seiner Berührungen. "Es ist das Recht jeder Frau," sagte Cynesta ernst, "den Gemahl selbst und aus freiem Willenn zu wählen. Was nützen euch aber alle Rechte, wenn ihr sie nicht in Anspruch nehmen wollt?" "Gebieterin," schluchzte das Mädchen, "was soll ich denn tun? Der Vater schlägt mich und in der Stadt ist keiner, der mich schützt." "Gibt es in Surs keinen Richter?" "Wohl, doch ist er ein Mann und denkt wie die Männer. Nie würde er einer Frau zu ihrem Recht verhelfen wider die Interessen seines Geschlechts." "Dann ist er ein schlechter Richter, seines Amtes nicht würdig," fauchte Cynesta, "du aber verdienst kaum Hilfe, da du nicht wagst, sie zu fordern. Ein schlechter König," fuhr sie die verzweifelte Hedi an, "da er dir Hilfe verwehrt, wie? Soll euer Herr in eure Herzen eindringen, weil ihr zu feige seid, sie ihm zu öffnen." Und mitleidsvoll fügte sie dann sanfter hinzu: "Niemand kann dich zwingen, Hedi. Und wenn du willst, so komm mit mir und bediene mich." Kaum gesagt, bereute sie dies Angebot schon. Würde Ariston es billigen? Hedi küßte dankbar ihren Fuß und da drängten sich andere Frauen heran, um des Königs Begleite rin Rat zu erbitten. Für Cynesta gab es in den kommenden Stunde kaum eine Atempause. Als Ariston seine Angelegen heiten längst regelte, schienen die ihren erst zu beginnen. Wohl oder übel mußte in Surs übernachtet werden, denn es dunkelte schon, als auch Cynesta endlich Ruhe fand.
A
riston stand ihr den Tag über nicht bei, ließ sie gar allein. Nur Orales blieb in ihrer Nähe und ein Schreiber, der ihren Willen notierte. Als sie nun den Geliebten zum Abendmahl aufsuchte, empfand sie wieder Scheu. Eben noch so stark und selbstbewußt, fürchtete sie nun sein Urteil. Er aber kam ihr entgegen. Es gab keine Zeugen; so nahm er sie herzlich in die Arme und küßte sie. "Kein Wort, Geliebte," bat er dann zärtlich, "du bist eine Königin und es ist gut, wenn du so handelst." "Es ist nicht üblich." "Natürlich nicht, wenn die andern Priesterkönige den Zorn der Götter fürchten und ihre Gemahlin nicht herrschen lassen. Ich bin heute sehr glücklich, Cynesta, weil du nicht nur meine Liebe, sondern auch stark bist." "Und Hedi?" "Ist es nicht dein Recht, dir deine Dienerinnen selbst zu wählen, wie auch deine Freundinnen - und Freunde? Bin ich dein Herr oder dein Gemahl?" "Beides doch wohl, Ariston." "Ich will nur dein Liebster sein," versicherte er ihr, "nicht dein Beherrscher. Willst du mir nicht vertrauen?" "Ich habe euer Urteil gefürchtet," gab sie offen zu, "doch als ihr um meinetwillen die Waffe nahmt, habe ich euch mehr denn je geliebt. Laßt mir ein wenig Zeit, Geliebter. Es ist alles so neu für mich." Und doch dachte sie daran, daß ihre Tempelerziehung eben dieser Aufgabe gewidmet war. Sie begriff, weshalb sie über die weltlichen Gesetze belehrt wurde, über Recht und Sitte; ein Wissen, das im Tempel keinen Nutzen brachte.
Und sie ahnte, daß nicht alles, was sie lernte, in Amarras Willen lag. Zyrenis erzog sie zu einer ebenbürtigen Partne rin des Königs und verhinderte auch auf diese Weise, daß sie sich ihm völlig ausliefern mußte. Sie konnte sie ihm anvertrauen, doch sie nötigte ihm zugleich auch Achtung ab.
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n Nodher angekommen, mußte sie Ariston dann teilen. Er konnte ihr nicht mehr so viel seiner Zeit widmen, was sie zwar akzeptiere, worunter sie sich aber dennoch etwas überflüssig vorkam. Der König ging auf solche Regung jedoch nicht ein, überspielte sie und wies ihr Möglichkeiten der eigenen sinnvollen Beschäftigung. So oft es ihm möglich war, suchte Ariston sie auf oder ließ sie zu sich rufen. Eines Tages wandelte sie, in Gedanken versunken, durch die Burg; kam in Bereiche, die ihr bisher fremd blieben. Sie liebte Ariston, doch sie schämte sich auch dafür, daß sie ihm ihre Vergangenheit nicht entdeckte. Die letzte Tiefe des Vertrauens brachte sie ihm nicht entgegen, denn sie fürch tete tatsächlich, daß er sie als Priesterin verstoßen würde. Das Schlimme daran war, daß sie Grund zu dieser Befürch tung hatte. Ariston mied die Gesellschaft der Priesterkaste. Nicht ein Templer befand sich auf Nodher; nicht ein Bote Amarras konnte ihm raten, ihn auch nur über den Willen der Götter informieren. Und Cynesta wußte nicht, ob dies ein gutes oder schlechtes Zeichen sein konnte. Die Menschen, die ihr begegneten, verneigten sich tief und entfernten sich eilig. Es war nicht so, daß man sie fürchtete, doch sie stand Ariston zu nahe, als daß sie nicht mit Scheu betrachtet worden wäre. Im Grunde war Cynesta sehr einsam. Zwar diente ihr Hedi fast hingebungsvoll und erwiesen ihr auch die anderen Dienerinnen größten Respekt, doch vertrauensvolle oder auch nur interessierte Gespräche konnte sie mit den Vasallen nicht führen. Und Orales, dem sie vertraute, sah sie kaum, hielt ihn sein Dienst doch stets in der Nähe seines Herrn.
Noch war sie Ariston nur anverlobt, doch würde auch die vollzogene Eheschließung keine Änderung bringen. Der Sitte entsprechend hatte der König die andern Beherr scher der Nebelreiche zu seiner Hochzeit geladen, allerdings nicht, ohne Cynesta darauf hinzuweisen, daß die Verach tung, der er ausgesetzt blieb, die Priesterkönige wohl kaum kommen ließ. Wer sich hier als Gast nahte, billigte dadurch seine Wahl und wie sollten Amarras Vasallen dies tun? Ihr wäre die große Tür zu ihrer Linken entgangen, hätte sich der Posten davor nicht so betont unauffällig vor den Griff geschoben. Was lag hier verborgen? Sie trat hinzu. "Vergebung, Herrin, doch der sagte der Posten, nicht weichend.
Raum
ist
verboten,"
Da warf sie stolz den Kopf zurück, sah den Mann herausfordernd an und erwiderte kalt: "So muß ich den König bitten, mir zu öffnen?" Weniger Neugierde begehrte nun Einlaß, sondern mehr Trotz. Wenn sie schon als Herrscherin hier leben sollte und die Nachteile dieses Amtes hinnehmen, so wollte sie doch wenigstens das Gefühl der Freiheit empfinden dürfen, daß ihr Wille etwas galt. War es nicht Ariston selbst gewesen, der ihr riet, Zerstreuung und Ablenkung zu suchen und der ihr alles zur Verfügung stellte? Der Türposten wurde unsi cher. Herrisch legte sie die Hand auf den Dolch an ihrem Gürtel. "Zur Seite, Mann!" Da gehorchte er, sich tief verneigend. Cynesta ließ die Waffe los. Fürchtete der Kerl tatsächlich, sie würde ihn tätlich angreifen? Zwar gab es weder in der Bekleidung noch in der Ausstattung sittenhafte Unterschiede zwischen den
Geschlechtern, doch blieben die Frauen selten, welche die Waffen, die zu tragen sie berechtigt waren, auch beherrsch ten. Cynesta konnte durchaus mit Dolch, Degen und Peitsche umgehen und vermochte auch, Pfeile ins Ziel zu lenken, doch war ihr dies ja nicht anzusehen. Sie vermutete eher, daß der Posten nicht wagen würde, sich gegen sie zu verteidigen und daß er darum nachgab. Wie dem auch sei, sie war nun gezwungen, diesen verboteten Raum zu betreten und sie tat es. Kaum, daß sie die Tür schloß, befand sie sich in ziemlicher Dunkelheit. Etwas entfernt brannte ein kleines Licht, doch so schwach, daß es den fensterlosen Raum nicht auszuleuchdem ten vermochte. Zaghaft ging sie hinzu und nahm das Tuch von dem Flammenden Kristall, der Lichtquelle der Nebelreiche. Der fast runde Raum wurde nun matt ausgeleuchtet. Die künftige Königin sah sich um. An den Wänden stapelten sich auf tiefen Regalen Schriftrol len und Bücher und als Cynesta die Schriften genauer besah, begriff sie, weshalb der Raum verboten blieb. Hier fand sie nicht nur das Wissen der Reiche festgehalten, sondern auch unzählige Werke, wie sie nur den Tempeln vorbehalten blieben. Es dauerte nicht lange, und die Prieste rin fand das System der Ablage. Die Regeln vom Tempel des Friedens waren von jenen der anderen Tempel getrennt, wie auch ansonsten jede Richtung ihr eigenes Regal abteil fand. Sie vergaß die Zeit. Das Wissen ihres eigenen Tempels nahm sie gefangen. Es entsetzte sie, hier bestätigt zu finden, was Kilmanaos sprach. Nein, sie war keine Priesterin des Friedens, wie sie bisher annahm. Die Lehren der Liara, der Göttin des Friedens, unterschieden sich von dem Wissen, das ihre Leiterin Zyrenis ihr vermittelte. Fast fieberhaft suchte sie jetzt die Quelle ihres Seins. Minosante, der Gott der Kraft, hatte sie ebenso unterrichtet wie Tabalke, der Gott des Schweigens, wie Antares, die Göttin des Lichts und Saake, die zweigeschlechtliche Gottheit der Weisheit. Das Wissen von Raaki, dem Gott des Todes, fand sie im Fach des Schwarzen Tempels. Auch Teile seiner Lehre gehörten zu ihrer Ausbildung, wie sie bald begriff. Die
Schriften hier deuteten ihr allerdings erst an, wie tief ihr Wissen und wie groß ihre priesterliche Macht sich gestaltete. Amarras Werk oder Zyrenis' Verdienst? Sie fand Lücken in den Schriften, Fehlinterpretationen, aber sie erkannte sehr wohl den unschätzbaren Reichtum dieser Bibliothek. Sie verlor sich darin.
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riston inzwischen befand sich in großer Sorge um die Geliebte. Er machte sich die heftigsten Vorwürfe, weil er sie so oft allein ließ. Seit Stunden suchten seine Männer auf Nodher nach Cynesta. Es gab keine Spur von ihrem Verbleib, niemand besaß Nachricht über sie. Der König machte sogar Hedi die heftigsten Vorwürfe, weil sie ihre Herrin nicht besser hütete. Erst Orales' sachte Berührung erinnerte ihn daran, daß er dem Mädchen Unrecht tat. Kaum mit dem Teju allein, bemühte er sich nicht weiter um Selbst beherrschung. Vor dem Mann aus Moras verbarg er seine Angst nicht. "Ich weiß nicht, was ich geschah," murmelte Ariston.
tue,
wenn
ihr
ein Leid
In diesem Moment vergaß Orales den Rang des anderen. Jetzt war er nichts mehr als ein geliebter Freund, der litt. Er umarmte den König wie einen Bruder, preßte ihn fest an sich und küßte seine Wange. "Beruhigt euch," sagte er leise, "ich bitte euch, Gebieter. Besser als Sorge ist Handeln. Kommt, wir wollen selbst nach Cynesta suchen." Er legte seinem Herrn den Arm um die Hüfte und führte ihn durch die Gänge, gab aber die vertrauensvolle Nähe sofort auf, als Diener der Burg ins Blickfeld gerieten. Unten im Burghof zögerte er. "Wohin, Orales?" fragte Ariston leise, "wo suchen wir?"
Der Mann aus Moras wirkte einen Moment lang abwesend, so, als sei er im Traum. Dann gab er sich einen inneren Ruck. Mit einem Male sehr zielsicher schlug er den Weg am Brunnen vorbei ein. Sie kamen an einen düsteren, schmucklo sen Gang, folgten ihm. Der Posten des verbotenen Raumes warf sich schon zu Boden, als er seinen König noch von Weitem nahen sah. Das sichtbar schlechte Gewissen des Mannes offenbarte Ariston die Entweihung seines Geheim nisses. Obwohl sein Siegel, der vom Baum gekrönte, aus einer Welle heraussteigende Berg auf gelbem Grund, an der Tür prangte, schien jemand hier eingedrungen zu sein. Diesen Frevel zu rächen war wichtiger als die Suche nach Cynesta. Der Herrscher trat ein. Er schloß nicht die Tür hinter sich, denn voll Überraschung sah er die Geliebte, selbstvergessen über eine Schrift geneigt. Um dies dem Teju zu sagen, wandte er sich um und sah, wie Orales bestürzt und verblüfft auf die Regale starrte. Nun, da er dieses Geheimnis schon sah, gab es für Ariston keinen Grund mehr, ihn auszusperren. Der am Boden liegende Po sten wußte nicht, welchen Schatz er bewachte und in seiner Furcht sah er auch jetzt nicht auf. Auch dies registrierte der König mit Befriedigung. "Komm rein," bat er Orales und schloß hinter dem Teju die Tür. Cynesta fühlte sich gestört, sah auf. Rasch erhob sie sich und trat zu dem Geliebten. In ihren Augen schimmerte ein ihm fremdes Licht. "Ariston," sagte sie leise, "ich wußte nicht, wie sehr euch auch nach solchem Wissen dürstet." Sie bemerkte seine innere Abwehr, da er nur vor ihr stand, sie nicht in die Arme schloß, sie anstarrte wie eine Verbreche rin. Kleinlaut fügte sie darum hinzu: "Sollte ich dies nicht sehen?"
"Niemand sollte es sehen," erwiderte er hart, "vergeßt ihr beide, daß es diesen Raum gibt. Wenn meine Posten nichts taugen, werde ich andere Maßnahmen ergreifen müssen." Da aber griff Orales ein, dem Posten zur Seite stehend: "Mein Gebieter mag verzeihen, doch der Mann draußen hätte unter Einsatz seines Lebens jedem den Zutritt verwehrt, wie es seine Pflicht und seine Aufgabe ist. Doch wie sollte er wagen, die Königin zu bedrohen?" "Schweig," fuhr ihn Ariston da an. Orles preßte die Lippen zusammen, legte die Rechte an sein Herz, neigte sich tief und blieb in dieser Haltung, seinem Herrn so schweigend den Zorn vorwerfend. Von ihm keine Unterwürfigkeit gewohnt, begriff Ariston den Inhalt dieser Geste und hob Orales mit sanfter Berührung auf. Zu Cynesta sagte er: "Mir war nicht bekannt, daß du belesen bist. Wenn du es willst, lasse ich dir die Schriften der beiden hinteren Regale zur Verfügung stellen. Sie betreffen die Reiche, ihre Macht, ihre Sitten, ihre Gestalt." "Aber die Schriften der Tempel soll ich nicht lesen, mein Gemahl? Ist es mir verwehrt, euer Wissen mit euch zu teilen? Oder fürchtet ihr, ich entdecke Amarra diesen Schatz?" "Ich bin Amarra nicht untertan," fauchte er sie da böse an, "geh in deine Gemächer und warte auf mich. Teju, begleite deine Herrin." Allein begann er, die von Cynesta eingesehenen Schriften an ihren alten Platz zu legen. Er überflog sie selbst dabei, weil er wissen wollte, was sie las, was sie interessierte. Dann bedeckte er den Flammenden Kristall, verharrte aber noch
lange in der Düsternis. Er überlegte: "Was bedeutet mir Cynesta? Ich behandle sie fast wie eine Vasallin, klammere sie aus meinem Alltag aus und verbiete ihr die innersten Kammern meiner Seele. Ich habe mich ihr genaht, weil sie mich nicht als Herrscher erkannte und darum so offen und natürlich war. Ich habe mich in sie verliebt, weil die vielen vertrauten Gespräche in Salis mir das Gefühl gaben, als Mensch vollwertig zu sein. Nur des halb? Begehrt habe ich sie nie, sonst hätte ich mich ihr längst genaht. Es ist nicht ihr Leib, es ist ihr Geist, der mich anzieht. Aber zieht sie mich nur an, oder liebe ich sie wirklich? Ich würde alles tun und auch alles opfern, um sie glücklich zu sehen. Aber das Wissen der Tempel bringt kein Glück. Es ist schwer zu tragen, so schwer. Wahrscheinlich fürchte ich nur, meine verwundete Seele zu offenbaren. Und so verletze ich die, die ich liebe auch Orales, der mir wahrhaftig mehr ein Freund als Beritt ist." Er verließ den Raum. Dem Türposten machte er die heftig sten Vorwürfe und bedrohte ihn mit Enthauptung, sollte er nochmals säumen.
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chweigend geleitete Orales die Priesterin in ihre Gemächer. Cynesta schickte ihre Mädchen hinaus, bot dem Teju einen Trunk an und eröffnete ihm endlich: "Es waren Tempelschriften." Der Teju ergriff ihre Hände, zog sie an seine Brust, sah sie ernst an und erwiderte: "Euer Gemahl, Herrin, leidet darunter, kein Priester zu sein. Er spricht nicht darüber, nie, und er wird auch keine Frage danach erlauben."
"Wenn ich ihm nur helfen könnte, Orales. Ich bin ja gar nicht gekränkt durch sein Verhalten, nur fühle ich mich hilflos und klein." "Eure Liebe hilft ihm," versicherte der Mann aus Moras. Er ließ sie los, als er nahende Schritte hörte und als Ariston den Raum betrat, hielt er schon gebührlichen Abstand. Jetzt schloß der König die Geliebte in die Arme. "Ich weiß, Cynesta, daß du dich langweilst," begann er, "für jede Aufgabe hier gibt es mindestens einen Bediensteten, sie zu erfüllen. Hab' ein wenig Geduld, Liebes. Sobald unsere Verbindung anerkannt ist, wirst du wirklich die Königin sein. Dann werden sich die Menschen aus dem Volk auch an dich wenden und deiner Hilfe bedürfen. Nütze die Zeit dahin, um dich mit allem vertraut zu machen." "Ich will es versuchen," erwiderte Cynesta, doch sie bedauerte, daß er nicht von den Tempelschriften sprach. Ariston küßte sie innig, wandte sich dann ab und ließ sie allein. Orales folgte ihm. Er blieb bei seinem König, als der sich den Berichten seiner Statthalter zuwandte und als er bemerkte, wie wenig Ariston sich zu konzentrieren ver mochte, wünschte er nichts mehr, als daß ihm offene Rede erlaubt sei. Ariston bemerkte bald seine Unruhe. "Wenn wir allein sind," sagte er darum, "gelten nicht alle Regeln für dich, Orales. Warum sprichst du nicht, wenn dir danach zumute ist?" "Es ist schwer," erwiderte der Teju, "den Wert der Zeit zu erkennen. Was ihr, Gebieter, mir zugesteht, das mag euch zu einer anderen Stunde erzürnen." Ariston lächelte etwas schwermütig.
"So launisch bin ich, so wankelmütig?" Orales senkte den Blick und schwieg. "Bist du des Dienstes an mir müde?" erkundigte sich Ariston da, nur Freundlichkeit in die Stimme legend. Rasch trat der Teju da zu ihm. Er wollte an seiner Seite niederknien, doch Ariston ließ es nicht zu. Er ergriff seine Schultern, erhob sich dabei zugleich und sah dem treuesten seiner Diener ins Gesicht. "Gab ich euch Anlaß, an mir zu zweifeln?" murmelte Orales bestürzt, "verzeiht mir, Herr, wenn ich mich falsch verhielt." Kein Wort erwähnte bisher die feste Umarmung zwischen den beiden Männern und der König sprach auch jetzt nicht davon, obwohl er wußte, daß Orales' Frage darauf abzielte. "Was beschäftigt dich?" wollte er statt dessen wissen, "ich habe deinen Unmut erregt, ohne aber zu wissen, wodurch. Bist du nachtragend wie ein altes Weib, wenn ich einmal zu streng mit dir bin? Muß ich dich um Verzeihung bitten, Orales?" "Nein, mein Herr," erwiderte der leise, doch fest, "nur fällt es manchmal schwer, euch zu verstehen." Er spürte aber nun, daß es besser war, nicht von den Schriften zu reden und hoffte, es ergäbe sich einmal eine bessere Stunde dafür.
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ynesta hatte das Angebot angenommen, in den Schriften der Reiche zu lesen und dieser Lernstoff befriedigte sie durchaus. Vieles erfuhr sie, das die Tempel sie in der
Kürze der Zeit nicht lehren konnten. Je mehr sie in diesem Studium so etwas wie Erfüllung erfuhr, desto näher kam sie Ariston wieder. Nicht nur, daß nur er Zutritt zur Bibliothek besaß und ihr immer wieder neue Schriften bringen mußte, sie besaßen nun auch viel Gesprächsstoff, der sie einander näherbrachte. Sie las gerade ein Buch, in dem die Grundlage des Schiffsbaues des Reiches Khyon beschrieben wurden, als auf dem Gang vor ihrem Zimmer Waffenlärm ertönte. Sie hörte den Klang sich kreuzender Klingen und eilte zur Tür. Cynesta erschrak, als sie Orales mit Beritt im Duell erblickte und seltsam erleichtert atmete sie auf, als sie die Überle genheit des Mannes aus Moras erkannte. Orales handhabte den Säbel, als sei er mit ihm verwachsen; als habe er nie anderes getan. Beritt wehrte sich mit der Kraft der Verzweiflung, wurde aber von Orales gegen die Wand getrieben. Er tauchte unter der Waffe des Teju hinweg, doch strauchelte er dabei, stolperte ein, zwei Schritte und ehe er sich zu erheben vermochte, trat Cynesta mit festem Tritt auf seine Waffe. "Genug," schimpfte sie, "oder wollt ihr euch einander den Tod geben. Steckt die Waffen ein." Orales neigte sich leicht vor ihr und gehorchte sofort, während Beritt sie noch anstarrte, die Waffe fest umkrampft. "Ich will euch sprechen, Cynesta," murrte er. Ein fast fremder Gedanke mahnte sie, solche Rede nicht zu dulden und so fuhr sie ihn wütend an: "Du willst, Mann? Du bittest nicht? Und du nennst mich beim Namen? Waffe weg, sofort!" Beritt regte sich nicht. Sein Blick fraß sich in Cynestas Augen fest; kalt, berechnend, entschlossen. In diesem Moment kam Ariston aus einem der Räume am andern Ende des Ganges. Sein Erscheinen enthob Orales eines
Eingreifens. Beritt bemerkte nicht einmal, wie sein Herr sich nahte. Er wurde völlig überrumpelt, als ein harter Hieb mit der Handkante seinen Hals von hinten traf, ihm fast gleichzeitig der Säbel entrissen wurde und ein brutaler Griff ins Haar ihn zu Boden schleuderte. Ariston trat ihm fest auf den Hals, hinderte seinen Atem dabei. Nie zuvor sah Beritt seinen Herrn so hart, so zornig. Er bangte jetzt um sein Leben. Vergessen die einstige Nähe, verloren die Zuneigung. Beritt wußte die Schuld daran bei sich, denn seit Wochen nahte er nicht mehr seinem König. Sein Herz, seine Gedan ken und seine Zeit gehörten Kalara. Nur ihr. Er keuchte mühsam, wähend Orales mit leiser Stimme Bericht erstat tete. Danach trat Ariston zurück. Fast traurig sah er Cynesta an, als er sagte: "Wir waren Freunde." "Wir sind es nicht mehr, Gebieter?" forschte Beritt, sich erhebend, "ich war nie mehr als euer Freund als heute." Ariston schüttelte den Kopf. "Niemand darf sich meinen Freund nennen, der meine Gemahlin bedroht und beleidigt." "Noch ist sie nicht Königin," erinnerte Beritt frech. "Sie wird es sein," fuhr ihn Ariston an, "wer wollte es hindern?" "Die Wahrheit, mein Herr," erwiderte Beritt, der sich in die Enge getrieben sah, "wenn ihr sie hören wollt." Im Grunde plante er nur, von Cynesta Kalaras Leben mit seinem Wissen zu erpressen, doch in der gewandelten Situation mußte er auch um sein Leben bangen. Er fühlte sich alles andere als wohl dabei, zumal ihn Orales und Cynesta so forschend anstarrten, als könnten sie in seinen Gedanken
lesen. Ariston ergriff Cynestas Hand. "Fort mit ihm, Orales," befahl er seinem Teju. "Nein," rief Beritt entsetzt, "hört mich an." Doch Ariston wandte sich ab. Es war Cynesta, die den König aufhielt mit den Worten: "Hat unsere Liebe eine Wahrheit zu fürchten, Gebieter? Schenkt ihm Gehör und erspart euch dadurch spätere Ge danken, die vielleicht Zweifel erregen könnten." Sie empfing Orales' warnenden Blick, mißdeutete ihn aber, indem sie annahm, er wolle sie ermahnen, Ariston nicht mit offenem Widerspruch zu kränken. Doch Ariston gab ihr nach. Er betrat mit Cynesta ihr Studierzimmer und winkte Orales, damit dieser Beritt mitführe. Der wand sich, als sein König ihn zum Reden aufforderte. Er verfluchte sein voreiliges Handeln und seine unbedachten Worte, war er doch nun gezwungen, sein einziges Druckmittel, das ihm Kalara erhalten konnte, aus der Hand zu geben. Doch vielleicht erwies ihm Ariston dann Dankbarkeit und schenkte ihm das Leben der Geliebten. Er kniete vor dem Herrscherpaar. Orales stand hinter ihm, breitbeinig, lauernd, hoffend, daß Beritt ihm Anlaß gab, getötet zu werden, noch ehe er redete. "Beritt," sagte Ariston streng, "ich habe dir manches nach gesehen und viel verziehen in den Jahren unserer Nähe. Aber baue nicht darauf, daß ich weiterhin milde mit dir bin. Sprich jetzt, es könnte deine letzte Gelegenheit dazu sein." Nach kurzem Zögern erzählte der: "Euer Interesse für Cynesta umnebelte eure Umsicht, mein Gebieter. Darum habe ich, schon von Salis aus, Nachforschungen anstellen lassen über sie. Zu meinem Erstaunen ist sie in allen Dörfern der Gegend, da wir sie
fanden, völlig unbekannt. Niemand hat sie je gesehen, niemand kennt ihren Namen. Meine Boten suchten selbst die einsamsten Hütten auf, ja, einige überquerten den Tiath und forschten im Südreich." Cynesta wollte etwas sagen, doch Ariston verbot es ihr mit einem Blick. Er selbst schwieg, starrte reglos auf Beritt nieder, der endlich fortfuhr: "Es gibt nur einen Ort, von dem sie stammen kann, Gebieter. Wir fanden sie nahe des Tempels der Kraft, dessen Priesterin sie sein muß." Ariston schwieg noch immer. Kein Muskel zuckte in seinem Antlitz und doch bemerkte Cynesta, wie er sich verkrampfte. "Gebieter," sagte Beritt nun mit fester Stimme, "die Tem pel haben euch eine Falle gestellt. Wenn ihr eine Priesterin heiratet, liefert ihr euch Amarra aus. Es tut mir nur leid, daß ich es sein muß, der euch diese schmerzliche Botschaft zu bringen genötigt ist." "War das alles?" fragte Ariston nach geraumer Pause. Seine Stimme verriet nicht den Aufruhr seines Herzens, er wirkte kühl und fest. "Nicht genug?" rief Beritt verzweifelt, "kann euch ein Freund mehr Liebe erweisen, als euch vor einem Fehler zu bewahren?" "Sprich nie wieder von Freundschaft," warnte Ariston kalt, "nicht du." Und doch nagte schon der Schatten eines Zweifels in ihm. Darum urteilte er milder als erwartet.
"Orales, laß ihm das Mal des Geächteten auf die Stirn brennen, ihn entkleiden und aus der Burg jagen. Dann komm' zu mir." Beritt schrie auf. Er fürchtete den Schmerz des Brandei sens, die Einsamkeit des Verstoßenen und mehr als dies die Trennung von Kalara. Er warf sich nach vorn, wollte Aristons Beine umfassen, doch Orales packte ihn mit festem Griff und stieß ihn aus dem Gemach. In wenigen Minuten erteilte er seine Befehle und kehrte dann sofort zurück. Cynesta stand etwas hilflos inmitten des Zimmers und starrte auf Aristons Rücken. Der Geliebte sah aus dem Fenster, regte sich nicht. Endlich fragte er sie, ohne sich jedoch umzuwenden: "Darf Orales bleiben?" Nie zuvor erkundigte er sich in dieser Hinsicht nach ihren Wünschen und indem er es jetzt tat, offenbarte er seine Furcht vor Einsamkeit. Sollte er sie verstoßen müssen, so wollte er wenigstens den Teju um sich haben. "Es ist mir lieb, wenn er bleibt," erwiderte sie ehrlich, denn auch sie empfand die Nähe des Soldaten als hilfreich und beruhigend. Und dann schwiegen sie beide in ihrer Hilflosigkeit, nicht wissend, wo sie beginnen sollten. Da sprach Orales das erste Wort: "Seid ihr aus dem Tempel der Kraft, Gebieterin?" "Das bin ich nicht," antwortete sie wahrheitsgemäß, worauf Ariston sich sofort umwandte und an ihre Seite trat. Lange sah er sie an, ehe er leise sagte:
"Ich liebe dich, Cynesta, wer immer du bist und wo immer du herkommst. Ich liebe dich und ich werde dich lieben, solange ich lebe. Wenn es aber etwas gibt, das ich wissen muß, so sage es mir. Ich kann dir alles verzeihen und es gibt keine Strafe, die du von mir befürchten mußt." Sie verstand. Er liebte sie und er würde ihr auch ihr Priestertum verzeihen, wenngleich er sie dennoch dann verstoßen mußte. Er würde darunter leiden und es ertra gen, so, wie es für sie Leid bedeuten mußte. Aber ein Leben ohne ihn mochte wahrhaftig sein, erträglich jedoch nicht. Sie wollte ihn nicht belügen und konnte ihm doch die Wahrheit nicht enthüllen. "Eine halbe Wahrheit mag eine ganze Lüge sein," schoß es ihr durch den Kopf, "wenn Ariston damit zufrieden ist, wird alles gut. Nicht jede Frau der Tempel ist Priesterin." Sie wollte seine Hand ergreifen, seine Nähe spüren, doch er entzog sich ihr. Sie ertrug kaum den Schmerz des Zweifels in seinen Augen. Leise erzählte sie die harmlosere Hälfte der Wahrheit: "Meine Mutter war Priesterin des Schwarzen Tempels." Er trat einen Schritt zurück. "Hört mich an, mein Gebieter," bat sie, als sie seine Ablehnung spürte, als sei schon alles gesagt. Doch ihre Worte erreichten ihn nicht und so war es wiederum Orales, der vermittelnd eingreifen mußte. Er trat zu seinem Herrn, legte die Rechte auf seinen Unterarm und drückte ihn sacht. "Verhärtet euer Herz nicht vorschnell, mein Gebieter," sagte er leise, doch mahnend, "und wenn ihr auch nicht vertrauen könnt, so seid doch gerecht. Ist sie weniger als
Beritt, dem ihr wenigstens Gehör schenktet?" Ariston legte wortlos die Hand auf Orales' Rechte und wartete, nun etwas offener, auf Cynestas weiteren Bericht. "Im Schwarzen Tempel ist es ein Verbrechen, ein Kind zu gebären, darum gab meine Mutter mich in fremde Hände. Ich lebte zehn Jahre im Haus eines Färbers und dessen Familie, wo ich wie eine Tochter gehalten wurde. Ich war glücklich dort," fügte sie wehmütig hinzu, "und ich liebte meine vermeintlichen Eltern und Geschwister. Vor zehn Jahren aber forderten mich die Priester zurück. Ich wurde in den Tempel des Friedens gebracht, wo ich zu dienen hatte. Als man mich zwingen wollte, einen mir fremden Mann zu heiraten, floh ich und auf dieser Flucht wurde ich von Schwarztemplern fast zu Tode geprügelt. Der Rest meiner Geschichte ist euch bekannt, mein Gebieter. Ich führte ein trauriges Leben und es ist schwer für mich, darüber zu sprechen. Wäre dem nicht so, ich erzählte es euch schon vor Wochen. Aber gefragt habt ihr nie danach." Sie schwieg. Ariston überprüfte im Geiste kurz ihre Worte. Er wußte es. In den Tempeln lebten viele Menschen, denen das Priestertum verschlossen blieb. Sie wurden gehalten wie rechtlose Wesen, waren teils wirklich Sklaven, teils aber auch nur geistig mißgestaltet und unfähig, außerhalb der Tempel ein Auskommen zu finden. Es war unmöglich, daß eine Priesterin verheiratet werden sollte. Wenn sie selbst danach verlangte, so mochte man es ihr gestatten, doch sie dazu gar zwingen, widersprach eines jeden Tempels Regel. Er zweifelte Cynestas Rede nicht an. Wenn sie floh, um einem ungeliebten Mann zu entkommen, dann konnte sie keine Priesterin sein. Trotzdem stellte er noch ein paar Fragen, nach der Stätte ihrer Kindheit, nach ihrem Tempeldienst. Sie antwortete rasch und ehrlich, denn während ihrer Ausbildung leistete sie auch körperlichen Arbeitsdienst und so mußte sie ihn wenigstens nicht direkt belügen.
Orales wußte die Situation entschärft und atmete auf. Er sah dieUnsicherheit seines Herrn, der nicht wußte, wie er sich verhalten sollte und gewahrte dasselbe bei Cynesta. Er kniete vor Cynesta und küßte den Saum ihres Gewandes; eine Huldigung, wie sie nur einem Menschen der Macht zustand. Da weinte sie, hob ihn auf dabei und barg das Gesicht an seiner Brust. "Ich wünschte," sagte sie dabei, "du wärest nicht Teju und von Pflichten bestimmt, sondern frei für den Dienst deines Herzens. Denn niemand kann mehr Freund sein als du." Plötzlich schloß Ariston sie beide in seine Arme. "Ich bin ein Narr," murmelte er bewegt, "daß ich den Reichtum der Liebe nicht erkenne, der mir zuteil wird. Verzeiht ihr beide mir, daß ich so oft nur Herr, so selten aber liebend bin."
E
s beunruhigte Cynesta, daß Orales am andern Tag die Burg verließ und nicht zurückkehrte. Bisher hatte sie kaum Zeit mit ihm verbracht und doch schätzte sie ihn als Helfer und liebte sie ihn als Freund. Nun fragte sie sich besorgt, ob Ariston vielleicht ihre Geste der Nähe mißdeutete, da sie ihr Haupt an seiner Brust barg. Immerhin gab es in der Vergangenheit Stunden des Alleinseins mit dem Mann aus Moras und der Geliebte mochte falsche Gedanken hegen und darum den Teju verbannen. Doch sie schalt solche Gedanken Torheit, vermochte aber nicht, sie zum Schweigen zu bringen. Als sie einige Tage später hörte, wie er im Burghof einem ihr fremden Mann ein "Berichte mir später, Teju" zurief, wurde ihre Sorge um Orales zu erdrückend, als sie diese weiter ignorieren konnte. Ja, sie glaubte, daß Eile geboten sei, um Orales vielleicht zu helfen. Zum ersten Mal sandte sie einen Boten zu Ariston mit der Bitte, daß er sie empfangen möge.
Sie wurde sehr rasch zu ihm vorgelassen. Allein mit ihm spürte sie seinen Unmut. "Cynesta," verlangte er fest, "erniedrige dich und mich nie wieder vor unserer Dienerschaft. Du bist meine Königin und hast dich nicht anzumelden wie ein Bote." Weicher fügte er dann hinzu: "Ich werde immer für dich Zeit haben." Dann nahm er sie in die Arme, küßte sie und atmete beglückt den Duft ihres Leibes ein. "Was bedrückt dich, Liebste?" "Orales aus Moras ist verschwunden und ihr habt einen neuen Teju erwählt," sagte sie zögernd, "geschah dies meinet wegen?" "Was meinst du?" "Bin ich ihm zu nahe gewesen, zu vertraut, Gebieter? Habt ihr vielleicht befürchtet, daß ich ihn lieben könnte?" Ariston lachte leise und freundlich. "Befürchtet nicht, eher gehofft. Ich weiß wohl, was du meinst, Cynesta. Aber seit wann ist Treue in den Reichen eine Sache der Körper? Könnte ich dir zürnen, wenn es dich danach verlangt, bei einem anderen Mann zu liegen? Ich bestimme bei meinen Stuten, welcher Hengst zu ihnen darf. Aber du bist nicht mein Eigentum, Geliebte. Du bist frei in deinem Wünschen und Handeln und wirst es immer sein, so, wie es die Götter bei der Erschaffung der Reiche bestimmten. Wenn dich also nach Orales verlangt, so ist dies dein Recht." "Mich sollte nach einem Mann verlangen, wenn ich mich noch nicht einmal meinem Geliebten öffnen durfte?"
Er hielt sie weiter fest, zärtlich und sanft. "Du weißt, warum ich mich dir bisher nicht nahte," hoffte er und fuhr, da er ihren Zweifel erkannte, fort: "Es ist mir nicht entgangen, daß das Siegel deines Schoßes noch nicht erbrochen ist. Ich liebe dich, Cynesta, darum bist du mir für rein körperliche Entspannung viel zu schade. Ich begehre dich auch, denn du bist schön. Aber solange du mir im Herzen nicht gleich bist, werde ich Abstand halten, denn ich will keine Frau, die sich mir unterordnet. Ja, ich habe gehofft, daß du schneller erstarkst, aber da ich nun weiß, daß du dich erst als Königin fühlen wirst, wenn du es anerkanntermaßen bist, habe ich Geduld. Nicht mehr lange, Cynesta, dann halten sich Tag und Nacht die Waage, sind gleich in ihrer Dauer. Dann werden wir unser Bündnis besiegeln, ob unsere Gäste erscheinen oder nicht." Er küßte sie, ließ sie aber los, als er erkannte, daß ihre Unruhe nicht wich. "Ich habe Orales nie begehrt," sagte sie leise, "ich daß ihr das wißt. Und ich gestehe auch, daß ich seine machtung nicht begreifen kann. War er euch nicht ergeben? Er war euch so treu und so vertraut, wie anderer Mensch, der euch seit eurer Kindheit dient."
will, Ent treu kein
"Seit meiner Kindheit? Ich sah Orales vor drei Jahren zum ersten Mal. Beim Tardenaufstand geriet ich während der Kämpfe in arge Bedrängnis, da ich von meinen Männern abgeschnitten wurde. Meine Gegner waren mir zahlenmäßig überlegen und mein Leben im Grunde verloren. Da sprang Orales von einem Felsblock herab und er säbelte so wild und entschlossen, daß wir beide die Gegner in die Flucht schlagen konnten. Er hat mir das Leben gerettet, Cynesta. Ich freute mich, als er in meinem Dienst blieb und ich konnte ihn aufgrund seiner hervorragenden Fähigkeiten schon ein Jahr später zum Teju ernennen. Es gibt nichts, das ich ihm vorwerfen kann, denn er verhielt sich stets korrekt." Er
unterbrach sich leise lachend, fuhr fort: "Fast immer jedenfalls und wo nicht, so handelte es sich um Situationen, wo seine Korrektheit mir eher schadete." "Und doch habt ihr einen anderen Teju ernannt? War das sein eigener Wunsch?" "Orales weiß es noch nicht," gab Ariston zu, "und es war dein Wunsch, Geliebte. Warst nicht du es, die in ihm nicht weiter einen Mann der Pflicht sehen wollte?" Überrascht sah sie ihn an. "Ihr habt mich mißverstanden, Gebieter," sagte sie leise, "denn nichts lag mir ferner, als ihm zu schaden. So ist er auf immer verbannt?" "Du verstehst nicht, Cynesta. Orales ist in meinem Auftrag unterwegs, mir einen Dienst zu tun. Er wird wieder kommen in einigen Tagen. Aber es freut mich, daß du mir deine Zweifel offenbarst. Wir müssen lernen, einander zu vertrauen." Und in Gedanken fügte er hinzu: "Vor allem ich muß es lernen."
W
ütend starrte Dorina die Priesterin vom Tempel der Kraft an, die mit kundigen Händen ihrer Schwägerin bei der Entbindung half. Es war keine leichte Geburt und die Hilfe der Priesterin mochte Mutter und Kind das Leben retten. Aber Dorina haßte die Templer und sie weigerte sich, der Hebamme jetzt zu helfen. Zornig schlug ihr Bruder sie da ins Gesicht, stieß sie aus dem Haus. Seit er heiratete, empfand er seine kleine Schwester nur noch als Last. Oft schlug er sie, doch selten mit Anlaß wie heute. Er fürchtete um das Leben seiner Frau und er nutzte die Chance, seiner Angst durch Brutalität Raum zu schaffen. Dorina floh aus dem Haus, doch der Bruder holte sie rasch ein und prügelte sie unbeherrscht. Ein paar Leute des Dorfes sahen herüber, doch sie wandten sich ab. Es erschien ihnen besser, sich nicht einzumischen. Außerdem liebte keiner die selbstbewußte Göre, die ihnen so offen ihre Charaktermängel nannte. Dorina war sechszehn Jahre alt, aber sie fühlte sich erwachsen. Immerhin arbeitete sie seit dem Tod der Eltern vor acht Jahren mit ganzer Kraft. Der Bruder verdankte ihr einiges, aber er hatte es vergessen. Er hielt nun einen ihrer langen, roten Zöpfe fest und ohrfeigte sie ohne Unterlaß. Aus einer kleinen Platzwunde an der Schläfe rann ein schmaler Blutstreifen über ihr sommer sprossiges Gesicht; stumme Tränen sammelten sich an der Stupsnase, ehe sie zu Boden tropften. Wehrlos der körperlichen Überlegenheit des starken Bruders ausgeliefert, hoffte sie nicht einmal auf Hilfe. Und doch hielt der Bruder plötzlich inne; seine Bewegungen schienen eingefroren. Sie begriff nicht sofort, doch dann erkannte sie durch den Schleier der Tränen hindurch ein gebräuntes, kantiges Gesicht mit dunklen Augen und schma
len Lippen. Sie sah den Säbel in der Hand des Fremden, dessen Spitze den Hals des Bruders berührte. "Loslassen," verlangte der Fremde mit herrischer Stimme. Der Bruder gab Dorinas Haar frei. "Was meinst du, "soll ich zustoßen?"
Mädchen?"
wollte ihr Retter wissen,
"Nein," rief sie entsetzt, "man würde euch vors Tribunal zerren. Der Kerl ist mein Bruder." "Das gibt ihm kaum das Recht, dich so zu verprügeln. Was hast du angestellt?" "Ich habe drinnen der Hebamme und ihren Helferinnen nicht assistiert. Wozu auch, wer kann es Priestern schon recht machen?" Der Fremde lachte auf eine seltsame Art, die sowohl Zustimmung als auch Tadel bedeuten konnte. "Du bist Dorina, die Färberin?" "Woher wißt ihr das?" "Ich habe mich erkundigt," bekannte er gelassen, "denn ich kam, um dir und deiner Familie den Lohn zu bringen, der euch für die Erziehung des Mädchens Cynesta zusteht." "Mir steht der Lohn zu," rief der Bruder dazwischen, "denn nach dem Tod der Eltern bin ich der Erbe." "Cynesta?" Dorina verbarg ihre Freude nicht. "Oh, sagt mir, ob es ihr gut ergeht? Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, je wieder von ihr zu hören."
Der Fremde steckte den Säbel ein. "Ich bin Orales aus Moras, Gesandter aus Nodher," stellte er sich, allerdings nur Dorina zugewandt, vor, "deine Ziehschwester lebt in der Burg." "Das ist so weit weg," murmelte das Mädchen traurig, "wie gern hätte ich sie gesehen." Ihr Bruder fragte nach dem Lohn, aber Orales übersah ihn so deutlich, daß er endlich schwieg. "Ich bringe dich zu ihr, Dorina," versprach Orales, "wie lange brauchst du, um zu packen?" "Nichts nimmt sie mit," fuhr jetzt ihr Bruder dazwischen, "sie lebt eh nur auf meine Kosten." Orales lachte schallend. Er schickte Dorina ins Haus, wo sie eilig ein wenig Kleidung zum Bündel band. Hier wegzukom men, fiel nicht schwer. Endlich, endlich fort aus diesem Haus, das seit Cynestas Fortgang dunkel schien. Die innige, kindliche Liebe der Schwestern wurde von Dorina nie vergessen. Noch immer zehrte sie von Cynestas Zuneigung und Zärtlichkeit, die sie danach von keinem Menschen mehr in diesem Maß erfuhr.
O
rales hatte ihr Bündel hinter seinem Sattel befestigt, war aufgestiegen und hob sie vor sich aufs Pferd. Er ritt an. Dorinas Bruder wußte kaum, wie ihm geschah. Nie zuvor hatte ihn ein Mensch so bedeutsam übersehen. Sie waren nicht weit, als sie den Schrei des Neugeborenen hör ten. Dorina sah nicht einmal zurück. Sie drang beredt in Orales, bis er endlich von Cynesta erzählte. Nur deren Rang verschwieg er noch, um das Kind nicht zu erschrecken. Kind? Im Laufe des Tages merkte er sehr wohl, daß dies kein Kind mehr war, auch wenn Dorina wild und ungestüm
wirkte und sich ohne Scheu in seine Arme schmiegte. Die Nebel fielen zu rasch und so waren sie gezwungen, im Freien zu übernachten. Dorina entzündete ein Feuer, während er die dicht beblätterten Zweige einiger Büsche zusammenband, dergestalt eine Höhle bauend, die sie vor der Feuchtigkeit schützen konnte. Dorina lag in seinem Arm, aber sie schlief noch nicht. Sie spürte seine Erregung und sie fürchtete sich ein wenig, auch vor sich selbst, denn sie fühlte sich wohl. "Ihr seid aus Moras?" fragte sie, nicht nur, um überhaupt etwas zu sagen, sondern weil auch sie Gerüchte von dort vernahm, die von Vergewaltigung und dergleichen erzählten. "Nenne mich beim Namen," bat er, alles andere als gelas sen, "ich stehe nicht über dir. Ja, ich bin aus Moras." "Man sagt, daß die Männer dort sehr triebhaft seien." Sie war es gewohnt, die Dinge beim Namen zu nennen. Orales amüsierte sich über ihre Wortwahl, doch er verstand auch ihre Furcht. "Man sagt es," gab er zu, "und es wird schon etwas daran sein." "Ich hab' Angst," gestand sie nach kurzer Pause, blieb aber an seine Seite gekuschelt. "Ich kann dir nichts tun," beruhigte er sie da rasch, "es wäre mein eigenes Verderben. Deine Ziehschwester Cyne sta ist die Braut unseres Herrschers und sie würde es mir übel vergelten, wollte ich dich verletzen." Dorina drehte sich auf den Rücken, wandte ihm ihr Gesicht zu und fragte offen, ob dies stimme. Orales bestätigte es und berichtete ihr, was er bisher verschwieg.
"Ich bin so froh, daß Cynesta glücklich ist. Und daß sie mich nicht vergaß, ist das Schönste überhaupt." Auch die folgende Nacht verbrachten sie im Schutz von Zweigen. Orales wollte in einem Dorf nächtigen, doch Dorina drängte vorwärts und so gab er ihr nach. "Ich hab' keine Angst mehr vor dir," versicherte sie ihm im Schutz der Dunkelheit, "und ich glaube, ich würde es auch wollen." "Was willst du?" Sie drängte sich an ihn, schlang die Arme um seinen kräftigen Körper, bot ihm die Lippen zum Kuß. "Nein," sprach er da hart, "nicht jetzt, nicht hier." Da weinte Dorina und er küßte die Tränen von ihren Wangen. "Verstehe," bat er, "es wäre nicht gut. Mein König vertraut mir ein Mädchen an und ich sollte sein Vertrauen mißbrauchen; weniger stark sein als er, der sich seit Wochen beherrscht? Sei mir nicht böse, Dorina, es fällt mir nicht leicht." Und wie um sie zu trösten, streichelte er ihren jungen Leib, liebkoste er ihre kleinen Brüste. Dorina lag still, die ihr fremde Regung in ihrem Körper genießend, leise erzitternd unter seinen streichelnden Bewegungen.
I
n Nodher angekommen, übergab er Dorina einer Zofe, damit sie das Mädchen neu einkleide. Auch Orales erfrischte sich und legte die Reisekleidung ab, ehe er Dorina holte, um sie zu Ariston zu bringen. Auf dem Weg zu dessen Räumen begegneten sie dem neuen Teju. Orales stand still, als sei alles Leben aus ihm gewichen. Er begriff nicht, wodurch
er sich des Königs Vertrauen verscherzte; welche Handlung ihn degradierte. Der Teju musterte seinen einstigen Vorgesetzten verlegen. Er empfand nichts wider Orales und bedauerte dessen vermeintlichen Sturz selbst. Endlich sagte der Mann aus Moras: "Unser Herrscher erwartet dieses Mädchen." Er wollte sich abwenden, fortgehen. Ohne Aristons Ver trauen hielt ihn nichts in der Burg und wenn er versagte, so blieb nur der Rückweg nach Moras. Doch der Teju hielt ihn zurück: "Unser Herrscher erwartet auch euch, Orales. Er sah euch in den Burghof reiten. Ich habe Befehl, euch zu ihm zu bringen. Bitte, leistet keinen Widerstand." "Widerstand?" entfuhr es Orales mit einem Anflug von Bitterkeit. "So bin ich euer Gefangener?" "Ich weiß es nicht," gestand der Teju hilflos. "Schon gut, Mann. Meldet uns dem Herrscher." Nicht lange danach kniete er vor Ariston, während sich Dorina an seiner Seite längs zu Boden warf. Sie zitterte ein wenig furchtsam, aber sie dachte auch, daß Cynesta den König wohl nicht lieben könne, wäre er nicht gut. Orales hielt den Blick fest gesenkt, sah den Herrscher nicht an. Wenn Ariston ihn stürzte, so wollte er keine Nähe dulden, auch nicht die des offenen Blickes. Sein Verhalten verwirrte den König zunächst, dann aber begriff er. Lächelnd hob er Orales auf. "Narr," sagte er so leise, daß Dorina es nicht verstehen konnte, "warte ein wenig."
Dann wandte er sich dem Mädchen zu, hieß es, aufzustehen, gab ihr ein paar freundliche Worte und erklärte ihr, daß sie Cynesta erst am Tage der Hochzeit begegnen solle als eine freudige Überraschung. Schließlich rief er schon wartende Frauen herbei, in deren Obhut er Dorina übergab mit deutlichem Befehl, daß es dem Mädchen an keiner Annehm lichkeit mangeln solle. Allein mit dem Mann aus Moras schenkte er mit eigener Hand zwei Becher voll Sajik-Wein, reichte einen Orales und sagte: "Du zögerst? Trinkst du nicht mit mir?" Rasch setzte Orales da den Becher an die Lippen, leerte ihn trotzig in einem Zug. "Ich gebe zu," meinte Ariston leichthin, "daß dein Nachfolger nicht die Spur deiner Qualitäten besitzt." "Trotzdem gefiel es euch, mich meines Ranges zu entheben," stellte Orales fest, "wünscht ihr, daß ich Nodher verlasse, Gebieter?" "Sollte ich denn, Orales?" "Euer Wille entscheidet, Herr. Ich bin mir keines Versäum nisses bewußt. Habt ihr etwas wider mich, so sagt es mir und wenn es Unrecht ist, will ich's beweisen. Gab ich euch Grund, an mir zu zweifeln, so laßt's mich wissen, mein Gebieter. Doch seid versichert, daß meine Liebe zu euch ungebrochen ist." Ariston trat nahe zu ihm. "Liebe? Bisher sprachst du nur von Treue, von Pflicht, von Dienst und von Gehorsam."
"Vergebung, Herr," antwortete Orales rasch, "von mehr zu sprechen ist auch jetzt mir nicht erlaubt. Mir wär' es besser, liebte ich euch weniger." Ariston ergriff seine Hände, hielt sie fest. "Auch in deiner Seele brennen Wunden, Freund," erkannte er in diesem Augenblick, "und wenn deine Liebe zu mir für dich Leid bedeutet, so weiß ich wahrlich nicht, was tun. Ist es dein Wunsch, aus meiner Nähe zu entkom men?" Orales entzog sich ihm, wandte sich halb ab. "Verstoßt mich, Herr," entfuhr es ihm rauh, "nennt mich nicht Freund. Ich bin kein Glück für euch." "Kein Glück? Was warst du bisher anderes als dies? Orales, sag' es mir. Bin ich dir unerträglich?" Orales kämpfte mit sich einen stummen Kampf. Erst nach einer langen Pause sprach er wieder, doch ruhiger nun und überlegt. "Ihr seid mir unerträglich, Herr," gestand er offen, "ihr seid es, weil ihr euer Herz ummauert habt. Und nun erlaubt mir, daß ich gehe, denn wenn ich weiter spreche, beleidige ich euch." "Sprich weiter," verlangte aber Ariston, den diese Worte nicht verletzten, "ich weiß um diese Mauer; weiß, daß ich mich nicht öffnen kann. Und trotzdem hast du dich in mich verliebt." "Vielleicht deshalb," schränkte Orales ein, "denn ich war zu oft Zeuge eures Leidens, hilflos dabei."
"Nein, Freund, denn immer, wenn du dessen Zeuge warst, gewährte deine Gegenwart mir Hilfe. Was weißt du denn, wie einsam ich einst war und wie verzweifelt, ehe ich dich kennenlernte. Die Stunden absoluter Nähe waren selten, Orales, doch habe ich sie nie gewehrt." Der Mann aus Moras wandte sich erneut dem Herrscher zu. "Warum verstoßt ihr mich, wenn dies die Wahrheit ist? Ist euch die Nähe eines Mannes unerträglich, der auch um eure Schwachheit weiß? Ich weiß davon, um darin an eurer Stelle stark zu sein, nicht, um die Wunden zu vertiefen. Gebieter, laßt mich bei euch bleiben, und sei es, daß ich euch wie ein Sklave diene." Er liebte Ariston, sah ihn fast flehend an. Nie wieder konnte Moras ihm die Heimat sein, erkannte er mit Schrecken. Er hatte sich an diesen Mann verloren und wenn sein Leben einen Sinn behalten sollte, mußte er in Nodher sein. "Verstehst du nicht, daß ich dich nicht verstoßen will," erwiderte ihm Ariston voll Zuneigung, "siehst du denn nicht, wie ich um deine Freundschaft werbe? Du bist der erste Mensch, den ich mit Freuden Pala nennen möchte und der vor allem Volk auch diesen Titel führen soll. Ein Teju ist immer austauschbar, ein Pala aber nicht. Orales, nie wollte ich dich erniedrigen. Ich habe dich erhöht, zu mir gezogen, und teile meine Macht mit dir in diesem Reich. Teile du mit mir zum Ausgleich deine Stärke. Wenn die zwei Menschen, die ich in diesen Welten liebe, du und Cynesta, zu mir stehen, so trotze ich den Göttern selbst, wenn es erforderlich." Fast fluchtartig wandte sich Orales da um und rannte förmlich aus dem Raum. Das war nicht nur mehr, als er erwarten konnte, das war sogar zuviel. Er mußte die Entschei dung treffen. Stellte er sich nun zu Ariston, so gab es keinen Weg zurück.
Der Teju trat zu ihm, den Säbel in der Hand. "Du läufst vor unserm Herrn davon, Orales? Wer gab dir das Recht zur Flucht? Zurück mit dir." Da lachte Orales aus Moras, laut und von Herzen. Der Teju stand ja vor der Tür, sah ihn nur fliehen, wußte nicht, was drinnen vor sich ging. Da er nun mit gezückter Waffe ihm den RUckweg gebot, erschien er Orales wie ein Bote der Götter, gekommen, ihm den Weg zu weisen. So war sein Lachen nur befreiend, weil er den eignen Weg erkannte. Der Teju deutete dies Lachen falsch. Er winkte seinen Männern, die ihre Säbel zogen. "Kerkert ihn ein," befahl er laut. Kurz erwog Orales, sich zu wehren, doch waren diese Männer seine Kameraden; ihm lieb geworden in den letzten Jahren. Er mochte nicht gegen sie kämpfen und ihr Blut nicht fliesen sehn. "Ariston!" Laut rief darum den Namen des Mannes, den er liebte und den er nie in dessen Gegenwart genannt. Der Herrscher kam sofort aus seinem Raum. Ehrerbietig traten die Soldaten zurück. "Verzeiht die Störung, Ariston," sprach Orales laut, viel Fröhlichkeit in seiner Stimme, "doch weiß die Garde nicht, wie euer Pala zu behandeln ist. Der Teju weist den Kerker mir zu als mein Quartier." "Er ist in deiner Hand," erwiderte Ariston ernst, den Teju ihm so ausliefernd. Der begriff und neigte sich, um Vergebung bittend, vor Orales, der diese ihm recht gern gewährte.
"Bringt ihr mich zu der Königin?" bat er danach den Herrscher, "oder soll sie es jetzt noch nicht erfahren?" Gemeinsam suchten sie Cynesta auf, die Orales bald voll Freude in die Arme schloß.
P
osaunenklänge kündeten das Nahen hoher Gäste an. Der König von Thara folgte Aristons Einladung und kam, Zeuge der Eheschließung zu sein. Er brachte kostbare Gaben aus Achat, dem Reichtum seines Landes. Dann kam der Beherrscher von Khyon, der eine kostbare Barke seiner Werft als Hochzeitsgabe brachte. Zwei Tage später kam Moras' Herr, bald darauf König Sion, der Herr des Südreichs; endlich der Beherrscher von Sarai und zuletzt auch jener von Wyla, dem Reich des Waldes, das an der Westküste der beiden großen Reiche des Nordens und des Südens lag. Ein jeder Priesterkönig war gekommen, mit, so vorhanden, Weib und Kind, in jeweils prächtigem Gefolge. Nur Amarra sandte keinen Boten, doch war der Than auch nicht geladen worden. "Schau sie dir an, Cynesta," spöttelte Ariston in einem unbemerkten Augenblick, "wie stolz sie auf die Kinder ihrer Liebe sind. Nur ihre Erben zeugen sie im Tempel und lassen sie dann dort wie eine Kostbarkeit. Siehst du die Königin des Südens dort? Fein hat sie sich geputzt, doch ungelenk sind ihre Schritte. Sie ist nicht Herrscherin, nur Gattin eines Herrschers. Und dort, die Königin von Moras. Sie senkt den Blick, sobald ein Mann ihr naht, eingedenk der eignen Minderwertigkeit. Schau Khyons Herrin an, sie ist die Mutter von des Königs Halbgeschwistern und fürchtet sich vor ihm. Thara hat keine Herrin jetzt. Ah, dort kommt Sarais Herrscher. Die Anmut seines Weibes ist bezaubernd. Er liebt sie noch und hält sie wert, doch hat sie sich ihm so weit ausgeliefert, daß eigenes Denken ihr schon fremd. Dort, Wyla, wild im Blick. Die Königin ist fast ein Mann in ihrem Wesen; sie wird geachtet und verehrt. Des Waldes Menschen
waren schon immer etwas freier. Sie ordnen sich Amarra unter, doch nur so weit, als es sich nicht vermeiden läßt. Es dauert nicht mehr lange, bis daß sich Tag und Nacht die Waage halten. Kümmere dich solange um die Weiber der Gefolge und sorge für ihr Wohlergehen. Vergiß nicht, Liebes, du bist ihnen allen überlegen. Laß sie es ruhig spüren, damit sie meine Wahl verstehn." Cynesta gehorchte ihm gern. Kaum blieb ihr eine freie Stunde, doch fühlte sie sich wohl dabei.
A
m Abend vor der Hochzeit ging sie im kühlen Nebel durch die Gärten. Zu Zeiten schätzte sie die Einsamkeit, den ungestörten Fluß ihrer Gedanken. Jäh wurde sie aus diesen gerissen, als dicht neben ihr ein Pfeil sich in den Stamm eines Baumes bohrte. Erschrocken wandte sie sich um. Da warf sich schon die Schützin vor ihr nieder und küßte ihres Kleides Saum. "Vergebt mir, Herrin," bat sie, "ich wollte euch nicht scha den." Cynesta schickte den Gardisten fort, der voll Entsetzen die Unglückliche ergreifen wollte. "Steh auf," verlangte sie. Die Frau vor ihr stammte aus Wyla, war groß und schlank, trug langes, schwarzes Haar, zum dicken Zopf geflochten. Sie zählte etwa fünfundzwanzig Jahre, trug Le derkleidung nach des Waldes Art. "Rosalla ist mein Name," sagte sie, "ich bitte euch um Gnade. Wenn meine Herrschaft dies erfährt, bin ich des Todes, Herrin."
"Das hättest du verdient," erwiderte Cynesta ernst, "im Nebel spielt man nicht mit Waffen." "Ich übte nur." "Auf jeden Fall zur falschen Zeit, am falschen Ort. Ist Nodher dir Bedrohung, daß du hier üben mußt?" "Nein, Herrin, ganz gewiß nicht. Doch ich langweilte mich allein. Was kann ich tun, um euch milde zu stimmen?" Aus dem Nebel tönte fester Schritt. Die Königin von Wyla kam heran. Bei ihrem Anblick warf Rosalla sich zu Boden. Die Herrin sah auf sie, den Pfeil, dann auf Cynesta. Bisher sprach sie kaum mit der geheimen Priesterin, doch nun trat ein Lächeln in ihr Gesicht. Ihre harten Züge wirkten nun sehr weich. "Hat dieses Unding euch erschreckt, Cynesta? Nehmt sie von mir an als Geschenk. Rosalla ist eine Sklavin, was sie nur manches Mal vergißt. Macht mit ihr, was ihr wollt. Doch kommt nun, die Nebel sind schon kühl. Ich freue mich für den Norden, daß er eine Frau, nicht bloß ein Weib zur Königin erhält. Amarras Zorn ist harmlos, denn Ariston beugt kein Recht. Seid ihr auf Morgen vorbereitet?" Bis spät in die Nacht plauderte sie mit Cynesta völlig unbefangen und die Jüngere fühlte sich geborgen wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr.
E
s war sehr spät geworden, doch Schlaf mied Cynesta noch. Gern spräche sie mit Aariston, doch wollte sie den Schlummer des Geliebten nicht stören. Auf Nodher herrschte noch Ruhe. Bald würde leise der Küchenlärm erklingen, bald der Morgenvogel rufen. Geräuschlos öffnete sich ihre Tür.
"Kann mein Gebieter auch nicht schlafen?" empfing sie Ariston erfreut. Er setzte sich zu ihr. "Wie sollte ich, Cynesta? Sag', wer ist das Mädchen, das vor deiner Tür schläft?" Sie lief und schaute nach, kam rasch zurück. "Sie heißt Rosalla," erklärte sie, "ist Sklavin von Wylas Herrscherin. Das heißt, sie war es, denn sie ist ein Geschenk an mich." "Willst du sie denn behalten?" "Behalten? Das klingt so kalt." Er legte den Arm um sie, genoß ihre Nähe. "Als Sklavin hat sie nicht viele Rechte. Wenn du es willst, muß sie dir dienen." "Ich weiß ja nicht einmal, wie ich mit einer Sklavin reden sollte, Gebieter. Ich glaube, ich will es auch nicht lernen." "Torheit," tadelte er sanft, "drei deiner Dienerinnen sind vom Stand der Sklaven. Und du hast es nicht bemerkt, den Kupferarmreif ihres Standes nicht gesehen? Ich fürchte, daß Wylas Herrscherin gekränkt ist, wenn du ihr Geschenk mißachtest. Es steht dir frei, Rosalla freundlich zu begegnen." "Dann soll es sein, Gebieter," gab sie nach. Ariston küßte sie sacht. Es schmerzte ihn die fremde Anrede, die sie ihm gab, aber er wußte, daß sie sich ihm nicht ebenbürtig fühlte.
Sie ordnete sich unter und er wußte nicht, ob dies aus Liebe oder Furcht geschah. Als sie ihn noch für Tonis hielt, sprach sie von Liebe. Seither kein Wort davon. Er wollte sie nicht zur Frau nehmen, solange es noch den geringsten Zweifel gab, daß sie ihn auch als König liebte. Die letzten Stunden sprach er mit Orales nur darüber, der ihn dann überzeugte, daß Antwort nur Cynesta geben konnte. Sie schmiegte sich an ihn. "Gebieter," bekannte sie, "ich bin sehr froh, die Priesterkö nige gesehen zu haben." "Weshalb dies? Weil ihr Kommen unsere Verbindung ehrt?" "Nicht deshalb," wehrte sie lächelnd ab, "sondern, weil ich jetzt noch mehr euren Wert erkenne. Sie mögen ihre Qualitäten haben und gute Menschen sein. Aber es gibt nichts, worin sie euch überlegen wären. Ich liebe euch heute mehr denn je." Er küßte sie stürmisch, um zu verbergen, wie er bestürzt erkannte, daß viel zu wenig seiner Zeit nur ihr gehörte. Es müßte keine Zweifel geben, wenn er nicht selbst die Mauern baute. "Schlaf' noch ein wenig, Liebes," bat er und wollte gehen; fuhr ihr noch einmal übers Haar. Schon bei der Tür, wurde er doch zurückgehalten. "Bleibt bei mir, Gebieter," flehte sie, "haltet mich fest." Er nahm sie wieder in die Arme und er spürte nun ihr Verlangen, fühlte, wie ihr Leib sich gegen den Seinen preßte. Fast krampfhaft preßte er sie fest an sich. Sie küßte ihn mit heißer Leidenschaft. "Geht nicht," bat sie wieder, "ich bitte euch. Ariston, stoßt mich jetzt nicht zurück."
Freudig erregt vernahm er seinen Namen, barg sein Gesicht an ihrer Brust. Wie im Fieber öffnete er ihr leichtes Nachtgewand. Seine Lippen liebkosten die Quellen künftiger Mutterschaft, seine Hände streichelten die Öffnung ihres Schoßes. Sie zog ihn aus, liebkoste seine Haut. Die Wellen der Erregung ergriffen beide. Cynesta öffnete die Schenkel. Sie kannte keine Furcht zu dieser Stunde, nur die unendliche Sehnsucht, dem Geliebten ganz nahe, ganz vereint zu sein. Ariston hielt sich sehr zurück. Nicht ungestüm wollte er in sie dringen, deren Siegel noch nicht erbrochen war. Sanft wollte er sein, zärtlich und ohne Hast. Erst, als ihre Lust begehrlich wurde, als ihres Körpers Ungeduld nach ihm verlangte, drang er ganz in sie ein. Beim ersten Schrei des Morgenvogels versanken beide in der Ekstase ihrer Wonnen. Für ihn trug sie in diesem Augenblick nun Raakis Züge, Antares Schönheit, Tabalkes Hoheit, Minosantes Macht. Sie verkörperte die Freundlichkeit Liaras und in ihren Augen erkannte er die Klugheit von Saake. Und sie erkannte in ihm Saake, die Gottheit, die weder Mann noch Frau allein; sah das ernste Wesen Raakis, ergab sich Minosantes Kraft. Sie küßte einer Göttin, Liaras, Lippen und tauchte in den schönen Blick Antares' ein. Es war Tabalke, der sich mit ihr vereinte. Sie stöhnte lustvoll auf. Still lagen sie beieinander, noch immer nah', noch immer fast vereint. "Was war das nur," murmelte Ariston verstört, "noch nie habe ich es so erlebt." Sie weinte leise. Es waren Tränen des Glückes. Dann sah sie Orales. Er stand vor der geschlossenen Tür und blickte auf sie beide mit frohem Lächeln. Wie lange stand er da? War er ganz Zeuge ihres Glücks gewesen? Cynesta hoffte es und auch der König wünschte es sich. Orales sah sich bemerkt und kam zu ihrem Lager, setzte sich an den Rand. Wortlos neigte er sich über das Paar, küßte Cynesta auf die Stirn.
Ariston entging das Zögern des Freundes nicht. Er half ihm, legte die Hand um dessen Haupt, zog ihn heran und küßte innig seinen Mund. Wie sehr Orales in ihrer beiden Einheit eingeschlossen wurde, das konnte nur er selbst erkennen. Und er fand keine Grenzen. "Du weinst, Freund," stellte Ariston erstaunt fest. Orales warf sich ganz aufs Lager, lag über beiden, hielt sie fest umarmt. Er küßte Cynesta, Ariston, dann wieder sie und wieder ihn. Er barg sein Gesicht im Kissen; die Wangen der Freunde preßten sich gegen die seinen. Endlich sprach er: "Ich bin verwirrt wie du, Ariston. Alle Gottheiten haben sich in Cynesta für dich vereint und in dir für sie. Die Götter haben euren Bund gesegnet. Und Amarra weiß es nicht." Cynesta öffnete den Gürtel seiner Tunika. "Nein, Herrin," bat Orales. "Doch, Freund," stand ihr der König bei, "wie sollst du fern sein, da die Götter nahe sind." Wer vereinte sich mit wem? Wer streichelte, liebkoste nun wessen Körper? Wer küßte welchen Mund? Es war egal. Die Woge der alles verschlingenden und alles vereinenden Glücksseligkeit brach über alle drei herein. Die Gottheiten vereinten sich in ihnen zu einem Gott, zu einem Sein. Alle Grenzen erloschen ins Nichts. Auf Ebenen, die keines Men schen Geist allein erringen kann, verschmolzen sie zu einer Einheit, deren Wesen göttlich war.
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ie Vögel des Tages schienen mit ihren Liedern in den Alltag rufen zu wollen, als sanft das tiefe Erleben der Freunde ausklang. Sie kleideten sich an, halfen dabei einander, denn keiner wollte jetzt Diener um sich sehen.
Dann aber mußten sie sich trennen, um sich für das nun bald beginnende Fest zu schmücken. Orales geleitete Ariston. "Gebieter," sprach er dabei leise, "verzeiht, wenn ich mit euch wie mit meinesgleichen sprach. Ich wollte euch nicht kränken." Ariston hielt inne, erfaßte fest den Freundes Hand und sah ihn an. "Still," bat er, "zerstöre nicht das Wunder. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich heil. Errichte du nicht Mauern, wo keine Schranken sind. Und rede immer mit mir, wie dein Herz befiehlt."
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er Akt der Eheschließung dauerte nicht lang. Festlich geschmückt trat zuerst Cynesta vor, erklärte mit fester Stimme vor den Gästen, daß sie aus freiem Willen ihren Gemahl erwählte. Sie lächelte Ariston befreit an, ehe sie jenen Satz anfügte, der zwar nicht vorgeschrieben war, der aber ihren Bund auch in den Büchern, wo er verzeichnet blieb, vertiefte. "Ich habe aus Liebe ihn gewählt und werde ihn in Liebe halten." Mit diesem Satz verzichtete sie auf das Recht der Scheidung. Von ihrer Seite gab es nun keinen Weg, den Bund zu lösen. Leises Gemurmel ertönte aus den Reihen der Gäste; weniger, weil diese Formel nicht erwartet wurde, sondern vielmehr, weil jedermann erkannte, daß Cynesta sie freiwillig sorach. Ariston trat nun neben sie, sprach ebenfalls die Worte der Verbindung betonend, daß er aus freiem Willen sich entschied und daß Cynestas Kinder als Seine gelten sollen. Und danach ehrte er sie, wie sie ihn. "Aus Liebe wählte ich sie aus, in Liebe werde ich sie halten."
Er ignorierte die Unruhe der hohen Gäste, sondern umarmte seine Frau und küßte sie. Die Ehe war geschlossen. Natürlich konnten die Herrscher der Nebelreiche ihren Unwillen kaum verbergen. Daß eine Königin, ein Weib, die Liebesformel sprach, war man gewohnt. Doch wo verzichtete ein Herrscher auf sein Recht zur Scheidung? "Sie sind böse auf euch," flüsterte Cynesta ihrem Gatten zu, "nur der König aus Wyla scheint fröhlich." "Wir schmeicheln ihm," erklärte Ariston, "denn auch er gelobte seinem Weib die Liebe öffentlich. Bei den Waldleuten sind Ehen selten, aber fest." Das Fest nahm seinen Lauf. Es wurde reich getafelt; Musikanten spielten auf, dazwischen zeigten Schausteller ein wenig ihrer Kunst. Die Atmosphäre entkrampfte sich, Fröh lichkeit gewann die Oberhand. "Ich habe ein Geschenk für dich," sagte Ariston zu Cynesta, deren unbeschwertes Glück ihn so erfreute. Er gab Orales einen Wink und der entfernte sich, kam bald zurück, mit sich ein junges Mädchen führend. Cynesta starrte ihr entgegen. Sie tastete nach der Hand ihres Gatten und drückte sie. "So rotes Haar sah ich nur einmal," erinnerte sie sich. "Es ist Dorina," nahm Ariston ihr jeden Zweifel. "Als Geschenk? Ist sie nicht frei?" Er zog sie an sich. "Närrin," schalt er, "ich bringe dir ihre Nähe zum Geschenk, nicht ihre Freiheit. Hast du mir nicht erzählt, wie glücklich durch sie deine Kindheit war? Freut es dich nicht,
sie hier zu sehen? Ich glaubte, daß du dich nach einer schwesterlichen Freundin sehnst." Orales legte des Arm um Dorinas Seite, führte und schützte sie sogleich. Er spürte ihre Unruhe, ihre Erregung. "Wie muß ich die Königin begrüßen?" fragte sie ihn leise. Doch Cynesta enthob ihn jeder Antwort, als sie nun zu Dorina trat und diese voll herzlicher Freude in die Arme schloß. "Schwesterchen," murmelte sie ihr ins Ohr, "hast du etwa Angst vor mir? Ich bin so froh, daß du da bist. Du mußt mir so viel erzählen." Sie zog Dorina beiseite, winkte einem Diener, damit er Wein bringe, reichte der Schwester dann den Becher. Sie stellte viele Fragen nach dem verlorenen Daheim, erfuhr vom Tod der Zieheltern und den Gemeinheiten des Bruders. "Muß ich wieder zurück?" fragte Dorina dann bang. "Es wäre schön, wenn erwiderte Cynesta sofort.
du
bei
mir
bleiben willst,"
"Aber wird der König euch das erlauben?" "Wie sprichst du denn mit mir?" rief da Cynesta aus, "hast du vergessen, wie wir als Kinder zusammen spielten? Wir waren uns so nahe, Dorina, und ich habe mich all die Jahre hindurch nach dir gesehnt. Willst du fremd sein, nur weil ich einem König mich vermählte? Und wie sprichst du von Ariston? Er ließ dich holen, will, daß ich glücklich bin. Hast du noch nicht mit ihm gesprochen?" "Doch, das schon. Aber nur sehr kurz, Cynesta. Ich glaube, er hat gemerkt, daß ich Angst vor ihm habe. Sei mir nicht
böse, ja? Woher sollte ich wissen, ob du mich noch lieb hast? Es ist so lange her. Ich habe oft an dich gedacht und mich nach dir gesehnt. Aber ich dachte, daß du für immer in einem Tempel verschwunden wärst." "Sprich nicht davon, Dorina," bat die Priesterin leise, "nur das Heute zählt jetzt noch. Bist du schon lange auf der Burg?" "Ein paar Tage, aber der König wollte nicht, daß ich dir begegne. Es ging mir aber sehr gut. Ich habe ein schönes, helles Zimmer erhalten und andere Mädchen waren da, mich zu zerstreuen. Manchmal kam auch Orales und sprach mit mir." Scheu brach sie ab. Cynesta wußte um die ungesprochenen Worte, spürte sie, ohne den Geist der Schwester zu belau schen. "Du hast ihn gern?" Dorina nickte nur. "Warum bist du dann traurig, Schwester?" "Er behandelt mich wie ein Kind," stieß sie da hervor, "er ist freundlich und lieb, aber er nimmt mich nicht ernst. Ich weiß, daß er zwanzig Jahre älter ist als ich, aber muß er deshalb nur wie ein Vater zu mir sein?" "Soll ich mit ihm reden?" "Bloß nicht," entfuhr es Dorina und rasch ergriff sie die Hände der Schwester, "du bist seine Königin. Wenn er be merkt, daß du etwas willst, gehorcht er dir doch sofort. So hatte ich es mir nicht vorgestellt. Laß nur, Cynesta, so schlimm ist es ja nicht für mich. Nicht wahr, jetzt muß ich mich nicht mehr verstecken und dauernd in meinem Zimmer
sein? Ich möchte doch so gern alles hier sehen." "Ich werde Ariston bitten, dir einen Raum in meiner Nähe zuzuweisen, Dorina. Wir werden viel Zeit füreinander haben."
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riston plauderte mit seinen Gästen. Hin und wieder sah er zu der Geliebten hin, erkannte das Glück, das ihr Dorinas Nähe bedeutete, und war's zufrieden. Cynesta hielt sich jetzt nicht an seiner Seite, doch er wußte, daß ihre Freude sie ihm noch tiefer verband. Vielleicht, so hoffte er, bewirkte Dorinas Anwesenheit, daß Cynesta die Burg als Heimat schätzen lernte. Spät in der Nacht fand er Gelegenheit, mit Orales vertraut zu reden. "Ich sehe, Freund," begann er unumwunden, "wie dein Sinnen bei Dorina ist. Bist du etwa verliebt?" Orales lächelte ihn offen an. "Ich weiß es nicht," gab er zu, "aber ich staune über euer Einfühlungsvermögen. Es ist sehr schwer, euch etwas zu verbergen." "War das denn deine Absicht?" "Gewiß nicht, Ariston. Nur plante ich auch nicht, über Dorina zu reden." "Ist es dir unangenehm?" "Das wieder nicht. Aber da ich mir über mein eigenes Wollen nicht im Klaren bin, fühle ich mich etwas hilflos. Sie ist ja noch ein Kind." "Ich glaube es nicht, Orales. Schau, wie sie mit Cynesta spricht. Sie ist ganz bei der Sache, ihr Körper redet, was die
Lippen formen. Dorina hat Temperament, doch auch Tiefe. Du wirst sie besser kennenlernen." "Nur ich? Und ihr?" "Mich fürchtet sie," stellte Ariston mit einem Anflug des Bedauerns fest, "ich denke, vorläufig wird sie meine Nähe fliehen. Also halte ich mich fern. Es genügt doch, daß Cynesta glücklich ist und daß die Schwestern beieinander sind. Und beide werden sich immer über deine Gesellschaft freuen."
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ls Tage später auch der letzte Gast die Burg verließ, um vor der Zeit der kalten Nebel noch daheim zu sein, bedauerte der König dies. Cynesta aber atmete auf. Sie war froh, nicht mehr im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen; nicht mehr lauernd beobachtet zu werden. Das Gleichmaß des Alltags zog sie vor. Ariston hatte, noch ehe sie ihn darum bat, Dorina zwei Zimmer zugewiesen, die ihren Räumen gegenüber lagen. Viel Zeit verbrachte Cynesta mit der Schwester, lehrte sie nun auch auf deren Bitten hin die Schrift. Rosalla, die Sklavin aus dem Waldreich, wurde ihr bald unentbehrlich. Zwar versah sie ihren Dienst mehr ungelenk, doch mit solcher Herzlichkeit, daß Cynesta ihr nichts übelnahm. Sie war nun wirklich Königin. Manchmal erreichte sie ein Bittschreiben aus dem Volk, worin eine Frau ihre Hilfe erflehte. Zwar blieb die Kenntnis der Schrift nicht allen offen, doch gab es in jedem größeren Ort mindestens einen Menschen, der des Schreibens kundig sich mit diesem Werk sein Brot verdiente. Wenn sie es konnte, erwirkte sie Gerechtigkeit und linderte die Not. Ariston gab in allem ihren Willen nach. Doch eines Tages sandte er ihr ein Urteil doch zurück. Wie stets, so hatte er auch hier ihre Entscheidung überprüft, noch ehe sie die Burg verließ. Cynesta empfand Traurigkeit bei der Zurückweisung. Dorina empörte sich darüber.
"Bist du Königin oder nicht?" schimpfte sie vor der Schwester, "Wieviel Macht hast du denn, wenn er dich immer überprüft? Ich denke doch, du solltest auch allein entschei den können. Ich würde mir von meinem Mann jedenfalls nichts vorschreiben lassen." "Ariston ist nicht nur mein Mann, sondern auch mein König," wehrte Cynesta ab, "und es ist der Herrscher, der mich überwacht, nicht der Gatte." "Kannst du das wirklich trennen? Wenn er dich liebt, dann zählt das doch nicht mehr. Würde er dich wirklich lieben, dann könnte er dich gar nicht mehr beherrschen wollen." "Still." "Ach was, Cynesta, es ist die Wahrheit." Sie bemerkte nicht, wie Ariston den Raum betrat, weshalb die Schwester sie zur Stille mahnte. "Denkst du wirklich, daß ein liebender Gemahl jede Entscheidung seiner Frau kontrollieren wird? Hast du dich ihm so weit ausgeliefert, daß dir deine eigene Freiheit nichts mehr bedeutet? Er ist kein Priester, also ist er ein Tyrann." Ariston lachte leise. Die Empörung des Kindes amüsierte ihn mehr, als ihre Worte ihn verletzten. Dorina fuhr herum, starrte ihn erschrocken an und verneigte sich endlich zaghaft. Als er einen Schritt auf sie zutrat, riß Dorina die Hände vors Gesicht. "Nicht schlagen," rief sie angstvoll, "bitte nicht." Betroffen ließ er die halb erhobenen Hände sinken, mit denen er sie doch nur sacht umfassen wollte. Cynesta hob Dorina auf, legte den Arm um ihre Schultern und sagte leise: "Laß uns allein. Wir beide reden später weiter."
Dorina fand nicht den Mut, zu gehen. So führte Cynesta ihre Schwester zur Tür und schob sie sanft hinaus. "Verzeiht ihr," bat sie Ariston, "sie redet oft, was sie im Herzen gar nicht denkt." "Von diesen Worten war Dorina überzeugt," wehrte er ab, "doch ist es unnötig, wenn du mich für sie bittest. Wie könnte ich einem Menschen schaden wollen, den du liebst?" Er küßte sie auf seine sanfte Art. Sie saßen beieinander; er hielt ihre Hände in den Seinen. "Ich hoffe, du zweifelst nicht an meiner Liebe," begann er, "obwohl ich dir dieses Mal nicht nachgeben darf. Dein Urteil ist falsch, Cynesta." "Ich habe Mitleid mit der Frau, die mich um Hilfe bat. Ihr Gemahl verprügelt sie und ich verstehe, daß sie die Scheidung will." "Ich weiß zwar nicht, warum der Mann die Frau ver prügelt, doch billige ich es keineswegs. Jedoch, aus freien Stücken hat sie bei der Eheschließung auf das Recht der Scheidung ganz verzichtet. Sie hat ihr Wort gegeben und kann es nun nicht zurücknehmen." "Damals liebte sie ihn sterben," murmelte Cynesta.
gewiß,
doch kann auch Liebe
"Eingedenk dieser Tatsache hält unser Recht die Schei dung jedem offen, der nicht bewußt darauf verzichtet," erinnerte sie Ariston, "auch du hast dies getan, auch ich. Wenn auch unsere Liebe stürbe, Cynesta, unser beiden Leben bliebe doch verflochten." "Dafür fürchte ich mich nicht," sagte sie lächelnd, "ich weiß, daß ihr mich nie quälen würdet. Aber diese Frau..."
Er schüttelte den Kopf. "Nein, Cynesta, das Recht läßt sich nicht beugen. Es steht dem Weib frei, den eigenen Gemahl vors Tribunal zu bringen; sogar, nicht weiter in einem Haus mit ihm zu wohnen. Aber sie kann sich nicht scheiden lassen und niemals einen anderen Gemahl sich wählen." Cynesta senkte den Kopf und schwieg. Versöhnlicher fuhr er da fort: "Die Götter selbst haben bestimmt, was Recht ist und was Recht bleiben muß. Wer herrscht, der ist verpflichtet, der Götter Ratschluß zu verteidigen. Dein Mitleid ehrt dich, Cynesta, aber nur davon bestimmt darfst du nicht sein." Sie zog seine Hände an ihre Lippen. "Ich beuge mich eurem Willen, Gebieter, und ich bin froh darüber, daß ihr mir helft. Nie wollte ich die Götter selbst beleidigen. Von dieser Warte aus hab' ich das Ganze nicht besehen. Doch müßt ihr nicht so viele Worte machen. Ich gehorche euch auch ohne die." Ariston schloß sie in seine Arme. "Geliebte, du sollst mir nicht gehorchen. Ich möchte, daß du mich verstehst. Im andern Fall würde Dorina Recht behal ten. Ich bin nur dann Tyrann, wenn du mich so empfindest." "Ich liebe euch." Sie fuhr ihm durchs Haar, nahm seinen Kopf in ihre Hände, küßte ihn, erst sanft, dann fordernd, gab sich ihm hin. Sie verschmolzen zu einer Einheit, wurden einander gleich. An ihn geschmiegt, sprach sie von früher, von jener Zeit, in der sie ihm begegnete. Jetzt erfuhr sie von den beiden jungen Schwarztemplern, die sich des Mordversuches schuldig be kannten und nun auf der Insel der Läuterung das Kupfer abbauen mußten.
"Was erschreckt dich daran?" Ariston spürte, wie sie sich anspannte. Doch sie gab keine Antwort, küßte ihn statt dessen innig. Sie wollte ihm nicht entdecken, daß sie den Täter, Kilmanaos, kannte. Da sie von dem nichts hörte, nahm sie an, daß sie vergessen sei. Ariston berichtete der Geliebten nun auch von Kalara, die noch immer auf ihr Urteil wartete. "Dich rief sie zur Richterin an," endete er, "sie ist in deiner Hand." "Das will ich nicht, Ariston. Versteht, daß ich nicht über Menschenleben entscheiden kann. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Wenn sie mich töten wollte, so nur, weil sie euch an mich verlor." "Sie konnte mich zu keiner Zeit verlieren, da sie mich nie besaß, Cynesta. Sie fürchtete nur um den Reichtum, um das angenehme Leben, das sie erwartete." "Sie begehrte wohl auch Macht." "Möglich, doch wußte sie von Anfang an, daß ich ihr niemals Macht einräumen würde. Vermutlich konnte sie nur die Erkenntnis nicht verkraften, daß ihre körperliche Schönheit mich nicht blendete. Beritt erlag ihr sofort, verlor sich ganz an sie. Ich bedauere dies sehr, denn er war kein übler Kerl. Als er sich gegen dich wandte, wollte er Kalara damit hel fen. Es liegt jetzt an dir, zu entscheiden, was aus Kalara werden soll." "Entscheidet ihr," bat sie, "mir ist es einerlei. Wenn ihr meint, daß sie sterben muß, soll es geschehen." "Du willst es aber nicht?"
"Wie könnte ich einem Menschen den Tod geben wollen, wenn sich in meinem Schoß gerade neues Leben regt?" Ariston richtete sich bei dieser Eröffnung halb auf. Kurze Zeit hindurch starrte er sie nur ungläubig an. Dann schloß er sie unglaublich zart in seine Arme. Er bettete ihr Haupt an seine Brust, streichelte ihr langes Haar. Er war keines Wortes fähig. Cynesta lag ganz still, genoß die warme Nähe seiner nackten Haut. "Ich weiß es erst seit gestern," sagte sie endlich leise, "und überlegte, wie ich es euch sagen soll. Es sollte nicht so plump geschehen. Vergebt ihr mir?" Da legte er die Hand unter ihr Kinn, hob ihr Gesicht. Sein Kuß war voll innerer Bewegung, ganz durchglüht von Dank barkeit.
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riston verbrachte nun sehr viel Zeit bei Cynesta. Er hielt auch alles von ihr fern, was sie erregen konnte. Kalara ließ er zu ihren Eltern senden, ohne Strafe. Er gab ihr sogar ein paar Geschenke mit, auf daß sie nicht wie eine Versagerin vor ihren Leuten erscheinen mußte. Auch sorgte er nun dafür, daß die Bittgesuche des Volkes zuerst von ihm eingesehen werden konnten. Er enthielt ihr zwar nicht ein Schriftstück vor, doch wo der Inhalt sie erregen konnte, wo ihre Entscheidung durch die Tragweite derselben sie beunru higen mochte, notierte er ihr im voraus manchen Rat. Viel spazierte er mit ihr durch die Gärten der Burg. "Warum," fragte sie ihn einmal dabei, "ist das Tor zum Tempelgarten von Nodher durch euer Siegel verschlos sen?" Im Bereich jeder Herrscherburg der Nebelreiche lag damals ein Garten, in dessen Mitte ein kleiner Tempel stand. Dort lebten auserwählte Priesterinnen und Priester, um dem König als Amarras Boten stets zur Verfügung zu sein. Nodhers Tempel war verwaist. "Der Garten ist verwildert," erwiderte er, "und mancherlei giftiges Getier haust dort. Das Siegel soll nicht den Tempel schützen, sondern die Menschen hier." "So zerfällt der Tempel?" "Vermutlich, doch was geht's mich an? Amarra rief die Tempeldiener vor zweiundzwanzig Jahren ab und seither war kein Priester mehr in diesen Gärten."
"Amarra rief die Priester ab?" murmelte sie erstaunt, "nicht euer Vater schickte sie fort?" "Mein Vater hat den Priestern die Burg verwehrt," erklärte Ariston, "aber ihre Tempel rührte er nie an. Natür lich waren sie so überflüssig, denn der kleine Tempel wirkte so nicht mehr wie Amarras Arm. Doch du wirst müde, gehen wir zurück." "Ich bin nicht müde," wehrte sie sich rasch, "seid nicht gar so besorgt um mich. Das Kind ist noch zu klein, um mich zu belasten." "Du mußt dich dennoch schonen," verlangte er zärtlich, "ich will nicht, daß dir etwas geschieht." "Mir ist nur kalt." Die Zeit der kalten Nebel herrschte und ihre Kühle durch drang auch dichten Stoff. Ariston führte seine Frau in die Burg zurück. In ihrem Gemach brannte nun Tag und Nacht ein kleines Feuer, das den Raum erwärmte. Aber wirklich geborgen fühlte sie sich durch seine Fürsorge. Seine Liebe erwärmte ihr Herz.
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orina beobachtete dies alles mit Eifersucht. Vorher hatte Cynesta so viel Zeit für sie. Doch jetzt konnte sie nur mit der Schwester reden, wenn Ariston gerade abwe send war und dies geschah ihr viel zu selten. Im Herzen nahm sie dem König übel, daß er die Schwester schwängerte. Wie konnte er es wagen, eine Frau, die er angeblich liebte, zu zwingen, ihren Körper zur Gebärmaschine zu degradie ren? War Cynesta denn ein Vieh? Sie hatte es ja erlebt. Der Bruder hielt sein Weib nur zu diesem Zweck. Dorina erinnerte sich mit Schaudern daran, daß der ganze Wert der Schwägerin sich im Austragen von Kindern erschöpfte. Dem Bruder war es egal, ob sie dabei ihre Schönheit verlor,
ob sie unbeweglich wurde und endlich stumpf. Und Dorina erinnerte sich an die Stunde der Geburt, an die Schreie der werdenden Mutter, an Schweiß und Blut und den ekelhaften Geruch, der die kleine Kammer erfüllte. Auch das kaltherzige Wesen der Hebamme vergaß Dorina nicht. Wie konnte Ariston also Cynesta all dies zumuten? Konnten Männer nicht wirklich lieben? War Orales etwa ebenso? Dorina sah mit Schrecken, wie sich der Schwester Bauch schon etwas wölbte und schrie leise auf. Sie weinte. "Cynesta," rief sie, die Schwester umarmend, "wie tust du mir leid. Das Ding in dir tut sicher furchtbar weh." Cynesta wollte die Jüngere beruhigen, beschwichtigen. Sie erzählte, wie sehr sie sich auf das Kind freute. Als sie Dorinas Hand zu ihrem Bauch führen wollte, damit die Schwester das nahende Leben erahnen könne, sprang die auf. "Das ist grausam," rief Dorina, jetzt nur böse, "und wenn es raus will, wird es fürchterlich." "Schwesterchen, das ist der Weg der Natur. Auch du bist so gekommen." "Ariston hätte dir das nicht antun dürfen," schimpfte Dorina aber, "es ist nicht fair. Ich wollte, ich könnte es verhindern." "Was verhindern?" "Daß es groß und geboren wird. Es müßte gleich raus, jetzt, wo es dir noch nicht weh tun kann." Ariston war wieder einmal bei einem ihrer Ausbrüche unbemerkt eingetreten. "Beherrsche dich, Dorina," verlangte er zwar leise, doch sehr nachdrücklich, "im andern Fall wirst du Cynesta meiden
müssen, bis ihre Stunde kam. Ich dulde nicht, daß du sie jetzt erregst." Sie rannte hinaus, bitterlich weinend.
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osalla hatte Cynesta die letzten Darreichungen des Tages getan, ihr den Schlaftrunk gebracht und gewartet, bis die Königin in sanftem Schlummer lag. Jetzt schlüpfte sie rasch aus dem Zimmer und eilte in die Gärten. Unten wartete irgendwo ein Mann auf sie. Als Sklavin durfte sie sich nicht ganz so frei entscheiden und sie zog es vor, heimlich bei einem Mann zu sein, als erst lange zu fragen. Dabei wußte sie, daß Cynesta es ihr ohnehin nicht verbieten würde. So befand sie sich im Rausch der wilden Lust, als in den Räumen der Königin ein entsetzter Schrei ertönte. Hedi, die Dienerin, kam sofort gelaufen; fand ihre Herrin mit irrem Blick aufrecht im Bett sitzend, mit gespreizten Beinen, die Arme abwehrend von sich gestreckt. Rasch lief sie, holte Moryn, den Arzt und Maranis, die Ärztin, die Ariston als Hebamme nach Nodher holte. Cynesta merkte kaum, was mit ihr geschah. Als Moryn endlich Hedi auffor derte, den König zu verständigen, war sie noch immer wie im Traum. Hedi weigerte sich, dem Herrscher die Bot schaft zu überbringen. Moryn schrie sie an, schlug sie ins Gesicht. Da lief sie hinaus. Sie fürchtete Aristons Zorn, überbrachte darum Orales die Nachricht, der sich sofort zu seinem Freund begab. Ariston schlief noch nicht. In Gedanken befand er sich wieder an der Küste Amarras. Er würde es nie vergessen! Orales legte ihm die Hand auf die Schulter und als Ariston sich umwandte und in seine Augen sah, begriff er sofort. Wieder wunderte sich Orales über das Einfühlungsvermögen des Freundes. "Ist Cynesta wohlauf?" rang Ariston sich endlich Worte ab, doch wartete er nicht auf Orales' Bericht.
Er eilte zu der Geliebten, fand sie im Trance. Besorgt kniete er an ihrem Bett, ergriff ihre kalten Hände. Fragend sah er Maranis an. "Sie hat das Kind verloren, Herr," sagte die Ärztin leise, "es muß sehr rasch gegangen sein. Doch ist die Königin unversehrt. Sie kann wieder schwanger werden, braucht nur ein wenig Zeit." Orales schickte alle hinaus, kniete an der anderen Seite von Cynestas Lager nieder. Gequält sah er das Leid in Ariston, den Schmerz und die Verzweiflung. Tränen standen in des Königs Augen, als er den Freund ansah. "Sie kann noch Kinder bekommen," murmelte Orales, "gebt die Hoffnung nicht so schnell auf." "Wie kann ich an Kinder denken, die ich nicht habe, wenn die Frau, die ich liebe, nicht bei Sinnen ist, Orales? Sieh Cynesta an! Wo ist ihr Geist?" Orales legte die Rechte auf die Stirn der Königin, vermit telte ihr seinen Lebenswillen. Cynesta seufzte tief und fiel in Schlaf.
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och früh am Morgen kam Dorina zur Schwester, um mit ihr das Frühmahl einzunehmen. Sie sah Ariston und Orales an ihrem Bett knien und erschrak. "Was ist passiert?" Orales hob den Kopf. "Sie hat das Kind verloren." Dorina starrte ihn traurig, so unendlich
bestürzt an. Das klang so maßlos tief betrübt. Liebte Orales Cynesta
denn auch? Dann traf ihr Blick auf den von Ariston. Der König sah fast durch sie hindurch. "Ich war's nicht," rief sie da, "ich hab' ihr nichts getan." "Verlaß die Burg," verlangte Ariston rauh und beachtete sie nicht weiter. All sein Sinnen galt Cynesta. Orales aus Moras ließ die Freunde allein. Bald mußte Cynesta erwachen. Er wollte nicht stören. Dorina fand er verzweifelt schluchzend auf dem Boden in einer Ecke ihrer Zimmer vor. Er hob sie auf, drückte sie in einen Sessel, wischte ihr die Tränen von den Wangen. "Was geschah?" König und dir?"
forschte er, "was gibt es zwischen dem
Dorina weinte nur, doch sie wollte sich ihm anvertrauen. Nur, wie sollte sie vergessen, daß er Cynesta liebte und nicht sie? Endlich überwand sie sich und erzählte von ihrem Wu tausbruch und ihrem bösen Wunsch. "Nicht wahr," schloß sie, "wäre es größer gewesen, dann hätte Cynesta mehr Schmerzen gehabt?" Fest packte Orales ihre Handgelenke, tat ihr fast weh dabei. "Kann das Wort 'Kind' nicht über deine Lippen kommen, Dorina? Ist es für dich nur ein Ding, ein Fremdkörper, der lästig ist? Begreifst du nicht, wie sehr Cynesta und Ariston das Kind schon liebten, noch ehe es geboren war? Kannst du dir eine geistige Verbindung nicht vorstellen, die schon vor der Geburt beginnt? Was bist du für ein Mensch!" Er stieß sie zurück, beherrschte nur mühsam seine Erregung. Dorina weinte nicht mehr. Sein Zorn überraschte sie, zugleich aber wuchs ihr Trotz.
"Was gibt euch Männern das Recht, uns Frauen zu zwingen, Kinder zu gebären?" rief sie böse, "Hatte Ariston Cynesta denn gefragt, ob sie es will? Natürlich nicht! Er ist ja der Herrscher. Er befiehlt und alles muß gehorchen." "Cynesta hat sich auf ihr Kind gefreut," erwiderte Orales nun sehr gefaßt, "sie liebt ihren Gemahl und dieses Kind war Ausdruck dieser Liebe. Aber du verstehst das nicht, Dorina. Du liebst nur dich selbst, siehst nur dich." Der Vorwurf traf sie hart. "Das ist nicht wahr, denn auch dich liebe ich," sagte sie so leise, daß er es kaum verstand. Orales schüttelte den Kopf. "Was du Liebe nennst, das ist nichts weiter als die Lust des Kindes an seinem Spielzeug." "Weiß Ariston, daß du Cynesta liebst?" Sie wollte ihn treffen, seine Ruhe zerstören. Wenn er sie verletzte, so sollte auch er Schmerzen spüren. Doch Orales läachelte nur. "Natürlich weiß er es, Dorina. Wie könnten wir Freunde sein, ohne auch die Liebe zu teilen. Ich liebe Cynesta, aber ich begehre sie nicht. Doch auch wenn es so wäre, könnte es nichts zerstören." "Der König tötet dich, wenn du mit der Königin zusammen bist," drohte Dorina, "das wagst du nie." "Ariston liebt Cynesta und betrachtet sie nicht als Eigen tum. Nur du verwechselst Liebe mit Besitz."
"Würde er sie lieben, dann könnte er mich nicht verban nen," rief Dorina da und weinte wieder. Nachdenklich sah der Mann aus Moras auf sie herab. Er mochte sie, doch er billigte nicht ihre Art. Und er liebte Ariston wirklich, trug den Titel des Pala zurecht. "Seit du auf Nodher bist, hetzt du gegen den Mann, der dich holen ließ," stellte Orales fest, "du versäumst keine Gelegenheit, um vor Cynesta an seiner Liebe zu zweifeln. Du mißachtest und beleidigst ihn und nun, da er die Schaden freude über seines Kindes Tod nicht hinnehmen willst, erhebst du auch deine Verbannung zu einer Frage der Liebe. Du sagst, daß du Cynesta nichts angetan hast. Aber kannst du das beweisen? Eben dieses Unheil hast du ihr doch zugedacht. Vielleicht war es dein Fluch, der wirksam wurde. Soll Ariston dich weiterhin auf Nodher dulden und das Wagnis eingehen, daß du ihm und Cynesta wieder schadest?" "Ich wollte ihr nichts Böses." "Ihr nicht, doch ihm," blieb Orales fest. "Wenn er ein Priesterkönig wäre ..." "Dann hättest du schon bei der ersten Beleidigung bezahlen müssen," unterbrach sie der Pala, "du weißt das ganz genau. Was hast du mit den Priestern auch zu schaffen? Du magst die Tempel nicht." "Bist du mir böse?" Einschmeichelnd sah sie ihn an, doch Orales wandte sich zur Seite. "In dieser Sache," sagte er fest, "bin ich des Königs Mann. Dein Verhalten heiße ich nicht gut."
"Und was soll ich jetzt machen? Muß ich wirklich gehen? Und wohin?" "Dein Weg steht dir frei, Dorina." "Ich will aber nicht fort. Ich will bei Cynesta bleiben." Ihr Trotz wich dem Kummer. Ganz leise sagte sie: "Orales, hilf mir doch. Der König hört auf dich. Wenn du für mich bittest, dann darf ich bestimmt bleiben. Ich verspreche dir, daß ich mich bessern werde." "Nein," kam hart seine Antwort, "ich stehe dir nicht bei. Wenn du den König bitten willst, so tue es selbst." "Soll ich wieder vor ihm auf dem Boden liegen?" Das klang nicht stolz, nur schüchtern, furchtsam. "Es ist keine Schande." "Aber demütigend, Orales. Ich will mich nicht erniedri gen. Du mußt das doch verstehen. Auch du beugst dich kaum einmal vor ihm." "Ich empfinde es nicht als Erniedrigung, wenn ich meinem König den Respekt erweise," erwiderte Orales ernst, "er ist es, der das von mir nicht will. Mir ist es einerlei, so oder so. Handle du nach deinem Belieben, Dorina. Doch klage nicht über die Folgen. Er erwies dir Freundlichkeit, die du ihm schlecht vergolten hast. Es wäre wirklich besser, du wolltest Nodher rasch verlassen." "Was wird aus Cynesta? Sie braucht mich doch." "Nein, du brauchst sie," berichtigte der Pala, "sie wird nicht ärmer, wenn sie dich verliert."
"Aber sie liebt mich," beharrte Dorina, mehr hoffend als gewiß. "Sie liebt Ariston," stellte Orales richtig, "und wenn du ihm unerträglich bist, will sie dich auch nicht halten. Hat es ihr etwa Freude gemacht, deine Beschimpfungen ihres Gatten anzuhören? Was hast du ihr je Gutes getan?" Dorina weinte wieder leise. "Es stimmt ja alles, was du sagst," gab sie zu, "ich tauge einfach nichts. Aber ich hab' Cynesta wirklich lieb. Ich wollte sie nie kränken und wenn ich über Ariston schimpfte, so nur, weil er sie beherrschen kann. Ich möchte nicht, daß meine Schwester jemandem dienen muß. Verstehe, Orales, für mich ist Cynesta der beste Mensch und ich will nur ihr eigenes Glück. Wenn du sagst, daß sie sich auf ihr Kind freute, dann will ich's dir glauben. Bestimmt habe ich ihr dann auch weh getan, wenn ich darüber schimpfte. Aber das wollte ich nie. Ich wollte ihr auch nicht weh tun, wenn ich Ariston beleidigte. Aber ich kann nicht glauben, daß sie ihn wirklich liebt. Er ist so stolz, so unnahbar. Wenn er es ihr befiehlt, dann muß sie ihm zu Willen sein. Und wenn er etwas verbie tet, muß sie gehorchen. Das hat doch nichts mit Liebe zu tun. Einen Herrscher kann man nicht lieben. Aber wenn es sie verletzt, daß ich die Wahrheit sage, dann bin ich eben still. Nur bei ihr bleiben will ich." So flehend sah sie ihn jetzt an, daß Orales sie am liebsten in die Arma nähme. Doch er beherrschte diese Regung, fürchtend, das Mädchen könne sie mißdeuten. "Ich kann dir nicht helfen," sagte er nur, "wenn du bleiben willst, mußt du Ariston darum bitten. Und es gibt keine Garantie, daß er dir diese Bitte erfüllt. Denke nach darüber, Dorina, und sei nicht unbedacht." "Aber er hat gesagt, daß ich sofort gehen muß."
"Du kannst bis morgen bleiben," entschied Orales nach kurzer Überlegung, "doch wehe dir, du nahst dich der Königin. Wenn du dieses Zimmer verläßt, so nur, um zu deinem König oder für immer fort zu gehen." Er ging zur Tür. "Nicht einmal zu Cynesta darf ich?" "Versuchst du es, bin ich es, der dafür sorgt, daß du nie wieder die Burg und deine Schwester siehst." "Wie hart du bist, Orales." Er ging hinaus. Mehr gab es nicht zu sagen.
C
ynesta kehrte aus dem Reich des Schlafs zurück. Erst Aristons besorgter Blick erinnerte sie an den Schrecken dieser Nacht. Sie warf sich zur Seite, vergrub ihr Gesicht in den Kissen und weinte. Er streichelte ihr Haar, küßte ihren Nacken. "Wenn ich dein Leid nur wirklich teilen könnte," flüsterte er, wollte sie zu sich umwenden, doch sie wehrte sich. Sie sah ihn nicht an, als sie endlich sprach: "Verachtet ihr mich nun?" Ehe er etwas erwidern konnte, sprudelten die Worte aus ihr heraus, stammelte sie ihre Seele in die Kissen: "Ich wollte euer Kind behalten, Ariston. Ich hatte mich darauf gefreut. Mein Leben gäbe ich, wenn es nur ungeschehen wäre. Was nützt euch eine Frau, die kein Kind gebären kann? Nie hättet ihr den Liebeseid mir schwören dürfen. Nun könnt ihr mich nicht einmal verstoßen. Ich
schäme mich, oh, wie ich mich schäme." Er warf sich über sie, drehte sie auf den Rücken, erstickte die Flut ihrer sinnlosen Selbstanklagen mit verzweifelt gequälten Küssen. "Ihr weint ja," stammelte sie, als sie es bemerkte. Fest hielt er sie im Arm. Sie weinten beide lange Zeit. "Ich liebe dich, Cynesta. Sprich nie wieder so mit mir, wenn du mich nicht quälen willst. Ich habe nie an dir gezweifelt, auch nicht an deiner Weiblichkeit." "Und wenn ich wirklich nie ein Kind bekomme?" "So bang, Geliebte? Was immer sein wird, nichts ist stärker als unsere Liebe. Versuche doch, mir zu vertrauen." Cynesta aber zermartete sich weiterhin mit Selbstvorwürfen. Sie war gezeugt, um ihm kein Kind zu schenken. Womöglich war sie unfruchtbar; unfähig, ein Kind zur Lebensreife hinzutragen. Doch diese Gedanken mußte sie vor ihm verbergen. Wie sollte sie ihm ihre Lebenslüge je gestehn?
D
orina kämpfte den ganzen Tag, die ganze Nacht mit sich. Nein, sie würde sich nicht demütigen können, nicht um Verzeihung bitten. Ehe sie Nodher verließ, hätte sie so gern noch einmal mit Cynesta geredet. Hilflos stand sie vor deren Tür. Sie wagte es nicht. Orales' Zorn war bestimmt fürchterlich. Sie zuckte leicht mit den Schultern. Dorina versuchte, aufrecht zu gehen, nur ja keine Träne zu erlauben. Im Burghof begegneten ihr Reiter. Ariston und Orales kehrten zurück vom Morgenritt, zügelten bei ihrem Anblick ihre Tiere.
"Hieß ich dich nicht gestern gehen?" fuhr der König das Mädchen an. "Ich gab ihr diesen Aufschub," gestand Orales rasch. "Dazu hattest du kein Recht," rief Ariston da unbe herrscht, doch rasch ergriff er, wortlos um Verzeihung bittend, des Freundes Hand. "Fort mit dir, Dorina." Diener führten die Pferde fort. Dorina stand noch unbewegt. Der Schreck lähmte sie, auch die Furcht. Ariston ging an ihr vorbei, übersah sie nun bewußt. "Närrin," schalt Orales bedauernd, ehe er dem Freund folgte. Es war so weit nicht bis zum nächsten Dorf. Dorina hoffte, noch vor Abend dort zu sein. Ihre Fertigkeit als Färberin mochte ihr helfen. Die Abendnebel senkten sich schon nieder, es herrschte trübes Dämmerlicht, als sich Dorina dem Dorf nahte. Sie ging sehr langsam, dachte nach. Ob Ariston ihr nachgegeben hätte? Ob sie die Schwester nur durch eigene Schuld verlor? Rechts von ihr in der Düsternis ertönten leise Weiberstimmen. Unwillkürlich blieb Dorina stehen. "Du hast deine Sache gut gemacht, Rosalla," sagte jemand, "hier ist dein Lohn." Dorina hörte, wie ein paar Solare klimperten. "Und wenn sie wieder schwanger wird, Kalara? Noch einmal kann ich diesen Trank bestimmt nicht verwenden. Das fiele auf. Und außerdem besteht auch die Gefahr, daß ich telepathisch überwacht und so entdeckt werde."
"Blödsinn. Es sind ja keine Priester in der Burg. Nein, wenn Cynesta jetzt noch nicht verstoßen wird, wenn sie wirklich nochmals schwanger wird, dann melde ich mich schon. Es gibt noch manches Mittelchen." Dorina zitterte und fürchtete Entdeckung. Reglos blieb sie in eine Mulde gekauert, bis die beiden Frauen sich entfernten. Was sie da hörte, mocht sie nicht glauben. Zwar hatte sie die Fehlgeburt gwünscht, doch niemals so, es nicht einmal wirklich ernst gemeint. Was sollte sie jetzt tun? Sie durfte doch nicht in die Burg. Und wem könnte sie es dort schon sagen? Cynesta? Nein, die war noch zu geschwächt. Doch Orales konnte sie vertrauen. Wenn sie sich also heimlich in die Burg begabg, würde er sie nicht verraten. Sie wollte ja auch nicht bleiben, sondern nur verhindern, daß Cynesta nochmals Leid geschah. Dorina begann in der Dunkelheit den Rückweg. Ein Fuhrwerk rumpelte vorbei, das Waren brachte nach Nodher. "Nehmt mich mit," rief sie dem Kutscher zu. Bald saß sie auf dem Kutschbock neben dem Alten, ließ sich manchen derben Spaß gefallen, machte gute Miene zum bösen Spiel und war froh, als das Burgtor aus dem Nebel aufragte.
A
riston stand am Fenster, sah auf den Burghof und gewahrte Dorina, wie sie vom Kutschbock sprang. Rasch erteilte er Befehl, das Mädchen zu ihm zu bringen. Zwei Gardisten packten sie grob, zerrten sie mit sich. Dorina wehrte sich mit aller Kraft. "Laßt mich los," fauchte sie kratzend und um sich tretend, "ich will nicht, nein." Sie wußte schon, wohin die Kerle sie bringen wollten.
"Bringt mich zum Pala," bettelte sie dann, doch die Soldaten blieben bei ihrem Flehen ebenso unbewegt wie bei ihrem Zorn. Die Gardisten stießen Dorina hart in eines der kleineren Privatgemächer des Königs. Sie wollte sich be stimmt nicht demütigen, aber sie stolperte über den Rand des Teppichs und fiel direkt vor Ariston nieder. Im ersten Impuls wollte aufspringen, aber da er nur abwartend die Beine leicht spreizte, wagte sie es doch nicht mehr. So blieb sie, halb knieend noch, liegen, auf den rechten Unterarm gestützt. Sie starrte auf die Spitze seines Schuhes und schwieg aus Trotz, doch nicht aus Höflichkeit. Als ihr klar wurde, daß ihr das erste Wort ohnehin nicht zustand, sprach sie: "Ich wollte zu Orales, nicht zu euch." Ob er ihr diese Frechheit übelnahm, wußte Dorina nicht. Doch sie fühlte sich bedroht durch sein Schweigen, und so entschuldigte sie sich: "Verzeiht, Gebieter." Aus ihrem Munde klang diese Anrede wie ein verachtungs volles Wort. Ariston dachte an Amarra. Als ihn die Priester damals dort fingen, beleidigte er sie. Es war der Ausdruck seiner kindlichen Angst gewesen, nicht mangelnder Respekt. Auch Dorina schien sich sehr zu fürchten. "Darf ich jetzt aufstehen?" verlangte sie trotzig. "Nein," antwortete er knapp, "nicht, ehe ich es dir erlaube." Er setzte sich an einen kleinen Tisch, ergriff die Schrift, in der er vorher las, vertiefte sich in sie und beachtete die liegende Dorina nicht mehr.
Ihre Haltung wurde unbequem. Als sie die zu verändern suchte, donnerte er sie an: "Bewege dich nicht." Sie zuckte förmlich zusammen, gehorchte aber. Dorina sah nicht, wie er sie aus den Augenwinkeln heraus genau beobachtete. Ariston registrierte jede Zuckung ihrer Mus keln. Es bereitete ihm kein Vergnügen, die kleine Ziehschwe ster der Geliebten so zu quälen. Viel lieber nähme er das Mädchen in die Arme, verzieh ihr alles um Cynestas Willen. Aber da Dorina ihn schon nicht ehren wollte, sollte sie ihn wenigstens achten und wo nötig, auch ein wenig fürchten. Natürlich dachte Ariston nicht daran, sie wirklich zu verbannen. Nach einer Zeit der Trennung hätte er nach Dorina geschickt. Da sie selbst kam, forderte sie ihn allerdings heraus; mehr aber noch durch ihren Trotz und ihre offene Ablehnung. Im Grunde war sie nicht wichtig. Aber da Cynesta durch ihre Fehlgeburt an sich selbst und auch an seiner Liebe zweifelte, mußte Ariston Dorinas lose Zunge zähmen. Dorina mochte jung und kindlich sein, schwach war sie keines wegs. Sie trotzte ihrem König. Verbissen schweigend blieb sie in der unbequemen Lage, obwohl der Arm schon schmerzte und die Beine fast gefühllos wurden. Es ärgerte sie maßlos, daß der König las und sie so einfach übersah. Und solange sie sich ärgerte, ertrug sie es. Aber die Schmerzen des so unnatürlich verspannten Körpers wurden stärker, übertönten ihren Ärger nun. Sie preßte die Lippen zusammen. Ariston schenkte sich einen Becher voll und trank. Dorina begriff, daß er das stundenlang ertragen konnte, sie aber bald zusammenbrechen würde. Er sollte sie nicht weinen sehen. "Darf ich reden, Gebieter?"
Jetzt klang ihre Stimme nur noch schwach, mühsam den eigenen Schmerz beherrschend. "Bist du jetzt sanfter?" "Es tut mir leid," murmelte sie und verwünschte die zwei Tränen, die sich aus ihren Augen stahlen. Ariston legte die Schrift weg, wandte sich ihr zu, erhob sich jedoch nicht. "Wenn du dich lang ausstreckst," sagte er fast freundlich, "wird dein Blut bald wie gewohnt fließen und die Schmerzen vergehen." Sie schüttelte nur den Kopf. Nein, diesen Triumph gönnte sie ihm wirklich nicht. Ariston lachte leise. "Gut, dann steh auf." Dorina fürchtete schon eine Falle. Wennn sie dies tat, konnte er darin eine Beleidigung sehen. Wahrscheinlich wartete er nur darauf, einen Grund zu finden, um sie zu bestrafen. Trotzdem war auch dies besser als die Erniedri gung. Sie wollte sich erheben, doch ihre Füße trugen ihren Körper nicht. Sie knickten einfach weg. Dorina weinte jetzt aus Zorn über ihre eigene Schwäche, als sie sich auf dem Boden ausstreckte. "Du wolltest reden," erinnerte sie Ariston. "Herr, glaubt ihr fragte Dorina leise.
wirklich, daß ich Cynesta Böses tat?"
"Natürlich nicht." "Warum habt ihr mich dann verstoßen?"
"Weil du ihr zu wenig Gutes getan hast, Dorina. Aber ich nehme nicht an, daß du deshalb in die Burg gekommen bist. Was ist der Grund dafür?" "Das sag' ich nur Orales." Auch das klang schon nicht mehr trotzig, eher furchtsam. Ariston griff wieder nach der Schrift. Er dachte nicht daran, mit diesem Kind zu streiten. Er hatte Zeit. Ehe er zu lesen beginnen konnte, sagte Dorina sehr rasch: "Ich weiß, wer Cynesta vergiftet hat. Ich bin bloß gekommen, um das Orales zu sagen, damit er ihr helfen kann." "Und warum soll ich das nicht wissen, Dorina?" "Euch ist es doch egal, was aus meiner Schwester wird," platzte es da aus ihr heraus, "wenn sie jetzt keine Kinder mehr bekommt, braucht ihr sie ja nicht mehr. Orales liebt Cynesta mehr als ihr." Ariston erhob sich, trat zu ihr. Dorina begriff, daß sie zu weit ging. Ihre Hände krallten sich in der Erwartung von Hieben in den Teppich. "Steh auf," verlangte Ariston aber. Er sprach nicht freundlich, eher unpersönlich und abwei send. Ganz langsam gehorchte sie. Als sie sich auf die Knie aufrichtete, ergriff er sie an den Oberarmen und zog sie hoch. Sein Gesicht befand sich nahe dem Ihren. Dorina bemerkte das zornige Funkeln in seinen Augen, während er mit unverändert beherrschter Stimme sprach: "Ich habe nicht die Absicht, dich von meiner Liebe zu Cynesta zu überzeugen, dumme Göre. Aber wenn ich dich noch einmal so sprechen höre, ich schwöre dir, bereust du es.
Jetzt geh' zu Orales und dann verschwinde." Er ließ sie los und drehte ihr den Rücken zu. "Darf ich Cynesta sehen?" "Sie schläft. Nein." "Und morgen?" "Morgen bist du nicht mehr hier. Du hast nur eine Stunde Zeit." Dorina ging zur Tür. Sie kämpfte mit sich einen stummen Kampf. Endlich sagte sie sehr leise: "Was muß ich tun, damit ich bleiben darf, Gebieter?" Ariston sah sie an. Diese Frage hatte erwartet. Langsam kniete Dorina nieder.
er nicht mehr
"Laßt mich bei Cynesta bleiben," bat sie, "ich werde auch versuchen, euch nicht mehr zu erzürnen." Ariston fand keine Worte. Dorina deutete sein Schweigen falsch, fuhr darum fort: "Die Sklavin Rosalla aus Wyla gab Cynesta einen Trank, der das Kind aus ihrem Körper trieb. Ich habe gehört, wie sie sich dafür bezahlen ließ von einer anderen Frau. Sie hieß Kalara, Herr." Hastig wischte sie zwei Tränen fort. "Bitte, schickt mich nicht fort, Gebieter." "Genug, Dorina, du kannst bleiben. Ich hoffe sehr, daß du mich nicht enttäuschst. Morgen darfst du Cynesta sehen. Doch verschweige ihr, wer ihr das angetan. Sie ist noch schwach und soll sich nicht erregen. Auch weiß sie nichts von unserm Zwist."
"Ich bitte euch, sagt es ihr nicht," bettelte Dorina, "sie würde es mir übelnehmen, daß ich euch erzürnte."
C
ynesta erholte sich rasch, doch war sie nun etwas ernster als zuvor. Erst, als Ariston ihr von Rosallas Verrat, von deren und Kalaras Tod erzählte, entschwand die Angst vor der Unfruchtbarkeit. Mit einem Male war sie sicher, daß sie dem Geliebten den Erben schenken würde. Ariston aber drängte nicht. Er hielt sich selbst zurück in den Tagen ihrer Fruchtbarkeit. Erst sollten alle Wunden heilen. Dorina ging ihm aus dem Weg, doch sie beherrschte sich und sprach nicht übel über ihn. Ansonsten aber blieb sie unverändert, laut, ungestüm und sehr direkt. Orales hatte sie gezwungen, mehrmals bei einer Entbindung zu assistieren und freute sich insgeheim, als Dorina zum ersten Mal das Neugeborene einer Dienerin freiwillig herzte. Als die Zeit der heißen Nebel nahte, begab sich Ariston wie jedes Jahr auf Reisen. Um die Zeit der Sonnenwende besuchte er stets eine Reihe von Städten und Dörfern, um sich vor Ort zu informieren. Er wollte nicht nur aus der Ferne herrschen, sondern seinem Volk bekannt sein. Cynesta mußte lange bitten, ehe er ihr erlaubte, ihn zu begleiten. Er wollte sie wie immer schonen, doch als er dann sah, wie glücklich sie an seiner Seite ritt, mit wieviel Freude sie all das Neue aufnahm und mit welcher Begeisterung sie manchmal galoppierte, freute er sich, überredet worden zu sein. Zwar vermißte sie Dorina, die auf Nodher bleiben mußte, da sie nicht so gut reiten konnte, doch blieb sie unbeschwert. Das Volk des Nordens begrüßte seinen König, wohin immer er auch kam, voll unverfälschter Herzlichkeit. Daß er vermählt war, machte ihn in den Augen der Leute menschlicher und daß seine Frau, wie sich herumsprach, von ihm nicht unterdrückt wurde, sondern geliebt und geachtet wurde und, wie er, wenn auch in Grenzen, herrschte, brachte ihm Sympathien ein. Auch sein Pala fand Gefallen und wer nicht wagte, sich dem König selbst zu nahen, der
suchte bei Orales offene Ohren. Meist nächtigten sie in festen Häusern, doch konnte es auch geschehen, daß Zelte aufgeschlagen wurden, um über Nacht Quartier zu sein. Dann trennte auch der Schlaf die Freunde nicht. In einer solchen Nacht schlief Cynesta schon lange tief an Aristons Seite, als sie vom Zucken seines Körpers erwachte. Sie schlug die Augen auf und sah Orales, der sein Lager schon verlassen hatte und sich besorgt über den Freund neigte. "Er träumt," erklärte der Mann aus Moras der Königin, "es scheint ein übler Traum zu sein." Ariston stöhnte, stammelte. Sie verstanden nur Wortfetzen: "Nein - auch Priester - Vater - Amarra." Plötzlich setzte er sich mit einem Ruck auf. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, doch klar blieb sein Blick. "Habe ich euch erschreckt?" nichts. Schlaft nur wieder."
fragte
er leise, "es war
Orales setzte sich zu ihm. "Wenn das nichts war, mein Freund, bin ich ein Tor. Der Traum kommt tief aus deinem Innern. Aber wenn du uns nicht vertrauen willst, verstehen wir's." "Es ist nicht alles eine Frage des Vertrauens, Orales," wehrte sich Ariston, "wenn du es aber so verstehst, muß ich ja wohl berichten. Ich träume diesen Traum nicht selten. Als Knabe von sieben Jahren begleitete ich meinen Vater auf eine Fahrt nach Amarra. Ich durfte die Insel des Than nicht betreten, da ich weder Priester noch Prie sterschüler bin. Heimlich schwamm ich an Land, doch die Priester dort fingen mich ein und brachten mich aufs Schiff zurück. Das ist schon alles, Freund."
"Ich wußte nicht, daß ihr je in Amarra wart," staunte Cynesta. "Nur sehr kurz, keine Stunde lang. Damals war ich wütend, aber ich fürchtete mich auch. Ich wollte zu der Zeit noch Priester werden und es war schlimm für mich, zu hören, daß mir das verboten blieb." "Ihr wolltet Priester werden?" Cynesta sah ihn zweifelnd an. Das hatte man ihr verschwiegen im Tempel des Friedens. Orales küßte Ariston auf die Stirn. "Im Herzen bist du es," sagte er fast feierlich.
C
ynesta dachte oft an diese Nacht. Sie konnte nicht verstehen, weshalb Ariston damals der Tempel verwehrt wurde. Sie grübelte darüber nach und kam zu keinem Ergebnis. "Was beschäftigt dich, Liebes?" wollte der Herrscher wissen, dem dies natürlich nicht entging. Nur zaghaft gab sie Antwort, fürchtend, ihn zu verletzen. "Seltsam, Orales denkt darüber nach wie du. Wie ihm, so will ich's dir auch sagen. Mein Vater reiste damals nach Amarra, um mich dem Tempel zu unterstellen. Doch hochmü tig wiesen ihn die Priester zurück. Mir stünde, hieß es, wie jedermann ein jeder Tempel offen. Nur der Tempel des Lichts sei mir verwehrt. Amarra denke nicht daran, meine unwürdige Geburt in dieser Art zu rechtfertigen. Es stünde meinem Vater schließlich frei, noch immer seinen Erben in den Tempeln zu zeugen. als Kind der Lust dürfe er mich ja behalten, ganz, wie es üblich ist."
"Das muß sehr schlimm gewesen sein." "Mein Vater war nicht sehr empfindlich. Er blieb zwar noch zum Fest der heißen Lichtwende, aber danach verließ er Amarra und kehrte nie mehr dorthin zurück. Er lobte sein Leben lang den guten Wein dort und er schimpfte auch lautstark über Amarras Arroganz. Ich glaube nicht, daß ihn das alles belastete." "Euch belastet es." "Jetzt nicht mehr so sehr, Cynesta. Durch deine Liebe und Orales' Treue bin ich weniger verletzlich nun. Ich habe dir ja schon gesagt, daß wir Amarra trotzen werden." Er nahm sie lächelnd in den Arm. "Als der alte Than seine Macht an seinen Nachfolger Nymardos in Amarra übergab," erzählte er, "da überlegte ich ernstlich, ob ich die alte Bitte wiederholen solle." "Ihr habt es nicht getan?" "Natürlich nicht, Cynesta. Wozu sollte ich eine weite Reise unternehmen, wenn ich die Insel nicht betreten darf. Außerdem wurde ich nicht eingeladen, die andern Herrn der Nebelreiche jedoch schon. Amarra gab mir so zu verstehen, daß ich verachtet bin." "Das ist nicht Recht." "Es ist Amarras Recht," widersprach er, "es ist nur nicht richtig. Im Grunde verstehe ich durchaus, warum Amarra hier so hart ist. Das Erbrecht der Herrschenden soll davor bewahrt werden, von Söhnen in Anspruch genommen zu werden, deren Geist nur schwach ist und die nicht lernten, sich selbst, wo nötig, zu besiegen. Darum soll der Erbe, frei von Lust, allein im Trance in den Tempeln
gezeugt werden, damit der Geist, der sich dann inkarniert, dies nicht aus Leidenschaft gezogen tut." Cynesta war entsetzt. "Glaubt ihr denn, weil ihr ein Kind der Lust seid, seid ihr deshalb weniger wert als Tempelkinder?" Er strich sanft über ihr Haar, küßte ihre Nasenspitze. "Es geht dabei doch nicht um Wert und Unwert," stellte er fest, "aber je größer die Leidenschaft, desto stärker der Wirbel, der den neuen Geist zur Erde zieht. Ein Herrscher soll, so meint Amarra, nicht gezogen sein, sondern aus freiem Willen inkarnieren. Ich heiße dies im Grunde gut. Nur bin ich überzeugt, daß Amarra Liebe und Lust verwechselt und bloße Leidenschaft der Liebe gleichstellt. Was liebend angezogen wird, muß aber immer denen, die da ziehen, auch entsprechen." "Und unser Kind, Ariston? Wenn wir je ein Kind haben, wird es Amarra trotzen können?" Er legte den Arm erneut um sie, führte sie zum Fenster des Hauses, in dem sie nächtigten. "Schau," sagte er sanft, "dies ist unser Volk. Wir beide mögen Amarra unterlegen sein. Doch diese Macht dort draußen ist nicht zu unterschätzen. Wäre es nicht so, würde Amarra schon lange versuchen, mich zu vertreiben." "Amarras Pläne sind rätselhaft," flüsterte sie und sie verspürte Furcht dabei.
C
ynesta wurde wieder schwanger und freute sich, als Dorina nicht aufbegehrte. Sie schien sich gar zu freuen, nahm ihr die kleinsten Wege ab und versuchte alles, um der Schwester hilfreich zu sein. Täglich kam die Ärztin Maranis. Sie hatte schon so vielen Schwangeren geholfen, daß sie alle unnötige Aufregung vermied. Cynesta sollte ihrer Meinung nach sich viel bewegen und beschäftigen. Die junge Königin war sehr gesund und auch kräftig. Es gab keinen Anlaß zur Sorge. Nur Orales schien davon nicht ganz überzeugt zu sein. Er beobachtete Cynesta sehr genau, blieb stets, sofern es möglich war, in ihrer Nähe, immer aufmerksam gespannt. Aber nach einigen Wochen ließ seine Sorge nach. Er fand keine Bedrohung für Cynesta. Alles ging seinen gewohnten Gang. Im sechsten Monat setzten die Wehen ein. Moryn und Maranis taten, was sie konnten. Dorina ließ es sich nicht nehmen, dabei zu helfen. Und Ariston hielt Cynesta fest und wußte, was geschah. Seine Tochter wurde tot geboren. Er weinte wie ein Kind, hielt dabei Cynesta fest umschlossen, deren Tränen ebenfalls kein Ende fanden. Zum ersten Mal schlich Dorina nicht fort. Daß Ariston so viel Verzweiflung zeigte, überraschte sie. Denn er weinte nicht um das Kind, sondern um Cynesta und ihr Leid. Zaghaft legte sie die Hand auf seine Schulter. Er bemerkte den schwachen Versuch des Trostes nicht einmal. Orales aus Moras aber sah mit wie versteinertem Gesicht auf die Szene. "Amarras Fluch," hämmerte es in ihm, "das ist Amarras Fluch. Ich ahnte es. Weit reicht der Arm Aamarras."
Waren das nun seine Gedanken oder nahm er auf, was ein anderer fühlte? Dachte Cynesta so, oder Ariston? Oder doch nur er? Oder dachten sie es alle drei? Orales erinnerte sich an jene Nacht der Einheit. Damals hatten sich die Götter selbst in ihnen zu einem Gott verwoben und er war überzeugt gewesen, daß sie den Bund der Freunde segneten. Konnte er sich so getäuscht haben? Ihn betrübte die Veränderung, die daraufhin mit Ariston geschah. Der Freund war niemals sehr ausgelassen ge wesen, immer mehr beherrscht. Doch nun fand er ihn nur noch bedrückt, von tiefem Ernst und auch ohne jene heitere Spur der Freundlichkeit, die er an ihm so liebte. Cynesta erholte sich weit besser, gewann die alte Festigkeit zurück. Ihre Liebe zu Ariston wuchs durch das gemeinsame Leiden. Solange er zu ihr stand, konnte sie alles ertragen. Die gemeinsamen Abende der vertrauten Gespräche belasteten Orales mehr als sie ihn bereicherten. Er wartete. Er spürte, wie in Ariston ein Plan zur Reife kam und endlich enthüllte der Freund: "Je mehr ich überlege, desto mehr erkenne ich, daß Amarras Arm bis Nodher reicht. Amarra ist es, das mir mein Glück mißgönnt und dich, Cynesta, so verwundet. Ich mag nicht weiter kämpfen. Ehe die Priester dein Leben noch gefährden, Cynesta, gebe ich lieber auf. Sie sollen Nodher haben. Ich weiß, daß du mit mir an jedem Ort der Reiche leben kannst." Cynesta sah ihn lange an. Er sprach aus, was sie befürchtete. Amarra hielt sie unfruchtbar. Doch aufgeben deshalb und feige fliehen? Sie wollte selbst nicht kämpfen. Nur durfte sie erlauben, daß Ariston alles aufgab, was bisher sein Leben bestimmte? "Nein, Ariston," sagte sie langsam, "du wirst das Nordreich nicht Amarra überliefern. Hast du mir nicht versprochen, den Göttern selbst zu trotzen? Ich liebe dich. Amarra
tastet mein Leben nicht an, denn mein Sterben wäre kein Gewinn. Da bist eher du bedroht." Der Herrscher hörte nicht, wie sie vertraut zum ersten Mal nun mit ihm sprach. Nur ihre Weigerung vernahm er. "Ich bin so müde," murmelte er nur. "Gib nicht vorschnell auf," bat da Orales, "wenn es einen Weg gibt, werden wir ihn finden. Wo nicht, wollen wir es Amarra wenigstens nicht zu leicht machen." Da betrat Dorina das Zimmer. Sie verbeugte sich tief vor Ariston und es war ihr anzusehen, wie sie sich über winden mußte, jetzt zu kommen. Sie hielt das rote Haar zu einem Zopf gebunden und hochgesteckt, wodurch sie sehr zerrechlich wirkte. Die großen, grünen Augen schauten bang. "Ich habe lange nachgedacht," begann sie stockend, "und ich verstehe jetzt vielleicht, weshalb ein Kind für euch so wichtig ist." Sie starrte nur Ariston an. "Wenn aber Cynesta es jetzt nicht kann, dann, vielleicht - ich bin wie ihre Schwester. Wenn ihr es wollt, ich könnte euch ein Kind gebären. Niemand würde je erfahren, daß nicht Cynesta seine Mutter ist." Angstvoll wartete sie auf seine Reaktion. Beleidigte sie ihn jetzt oder ging er darauf ein? Sie fürchtete im Grunde beides, doch wollte sie dies Opfer bringen. Cynesta wurde durch einen raschen Blick Orales' am Sprechen gehindert, während der König sich erhob und zu Dorina trat. Er faßte sie bei den Schultern, sah sie aufmerksam an. Dann zog er sie an sich, küßte ihre Stirn. "Ich weiß sehr wohl, was das für dich bedeutet," sagte er dann rauh, "und ich danke dir. Amarra aber wüßte sehr schnell, wer des Kindes Mutter ist. Nein, Dorina, das ist keine Lösung."
In diesem Augenblick begriff Orales, daß dieses Mädchen schon erwachsen war. Um ihres Mutes Willen liebte er sie nun. Da sie sich opfern konnte, war er entschlossen, ihrem Werben nachzugeben. Doch dann rief er sich zur Ordnung. Jetzt war nicht Zeit, an sich zu denken. Zuerst, das wußte er, mußte sein König Frieden finden. Ariston hieß Dorina, sich neben ihn zu setzen, ließ sie jetzt nicht gehen. Steif gehorchte sie. Begriff der Mann denn nicht, daß sie nur Cynesta helfen wollte? Er hatte keinen Anlaß, sich zu freuen oder nun freundlicher zu sein. Sie verzieh ihm nicht, wie er sie quälte, obwohl sie wußte, daß es nötig war. Da er ihre Scheu aber überspielte, kam sie nicht umhin, etwas lockerer zu werden. Als er so weinte, mochte sie ihn fast. Vielleicht, so dachte sie, ist er so übel nicht.
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ls Ariston viele Tage später seine geheime Bibliothek aufsuchte, fand er Orales vor, wie der gerade Tempel schriften einsortierte. "Was tust du hier?" fragte er streng. Nie erlaubte er das Betreten dieses Raumes. Der Vertrau ensbruch des Freundes schmerzte ihn. "Ich suche etwas," antwortete Orales geistesabwesend, ohne auch nur aufzusehen. "Du hast hier nichts zu suchen," schrie ihn Ariston da an, "hinaus mit dir, aber rasch! Geh' mir aus den Augen." Fast überrascht sah Orales nun auf. "Warum so zornig, Freund?" "Nenne mich nicht deinen Freund," fuhr ihn der König an, "wer mein Vertrauen so wie du mißbraucht, ist ein Verräter. Auf die Knie mit dir!"
Wütend starrte er Orales an, der zwar gehorchte, aber nicht begriff. Er wollte Ariston nicht reizen. "Darf ich's erklären?" fragte er ruhig. "Kein Wort, Mann aus Moras. Ich sollte dich blenden lassen, damit du nicht mehr in Versuchung kommst, zu lesen, was für dich nicht bestimmt ist. Hinaus jetzt, fort mit dir! Ich will dich nicht mehr sehen." Orales erhob sich. Nahe stand er vor dem König, sah ihn offen an. "Ihr tut mir Unrecht," stellte er dann fest. Da hieb ihm Ariston die Faust ins Gesicht. "Hinaus!" Vom Lärm gerufen kamen nun Wachen angelaufen. Orales zog es darum vor, zu gehen. Er deutete noch eine Vernei gung an, ehe er den Raum verließ. Die Lippe war vom Hieb ihm aufgesprungen, es tropfte Blut auf sein Gewand. Der Mann aus Moras wusch sich das Gesicht und kleidete sich um. Vermutlich würde Ariston sich schnell beruhigen. Er wartete auf den Freund, mit dessem Kommen er fest rechnete. Als seine Tür geöffnet wurde, stand jedoch der Teju da. "Unser Herr erwartet euch, Orales." Der Mann aus Moras stellte mit einem Blick fest, daß der Teju Bewaffnete mit sich führte. Also zürnte Ariston so sehr, daß er die Liebe, die Freundschaft vergaß. Orales stellte sich gehorsam, folgte dem Teju. Völlig überraschend warf er sich dann herum und lief davon. Er kannte die Burg gut genug, um sich zu verbergen und auch, um umgesehen durch das Tor zu kommen. Man suchte ihn. Der Mann aus Moras
aber stahl sich in der Dunkelheit ein Pferd und floh. Ariston bedauerte, wie stets, sehr schnell sein eigenes unbeherrschtes Wesen. Orales würde es verstehen. Sein ganzes Leben hindurch war sein Wille Gesetz. Kein Mensch wagte es, seine Wünsche nicht zu respektieren, sich ihm zu widersetzen, ihm zu widersprechen. Ja, die Mutter zügelte seinen Machtwillen und ordnete sich ihm auch nicht unter, obwohl der Vater oft genug darauf bestand. Dennoch begehrte sie gegen den Sohn auf und verlangte sogar Gehorsam von ihm. Ariston liebte diese Frau, die aus einfachsten Verhältnissen stammte, aber in ihrem Herzen eine Hoheit trug, die er erst nach ihrem frühen Tod erkannte. Ohne den erzieherischen Einfluß seiner Mutter wäre er vermutlich der Mann, den Amarra und die Priesterkaste in ihm sah. Und ausgerechnet den Stand der Mutter lastete man ihm an. Auch den Vater liebte er, doch in anderer Art. Er war ganz ein Herrscher gewesen und wollte, daß auch der Sohn wie er stark sei. Denn Stärke gehörte durchaus zu seinen Tugenden. Er vermochte auch, brutal zu sein und wehe dem Menschen, der sich ihm nicht völlig unterwarf. Nur von Ariston duldete er keine Ergebenheit. Er wollte in seinem Sohn das Bewußtsein züchten, daß nichts und niemand über ihm stände. Der König dachte mit gewissem Bedauern daran, denn diese Prägung verursachte seine Unbeherrschtheit. Er lächelte bei dem Gedanken, daß der Vater ihn loben würde für den Hieb, den er Orales gab. Er aber schämte sich. Orales aus Moras war ihm ein wirklich wahrer Freund und verdiente diese Härte nicht. Eine ruhige Zurechtweisung würde ihn ebenso daran erinnert haben, wie sehr dieser Raum der Schriften verboten blieb. Und er müßte sich nun nicht entschuldigen. Ariston war zwar noch erregt, als er seinen Teju zu Orales sandte, doch schon nicht mehr wütend. Er fürchtete nur, daß er die Nähe zwischen dem Freund und sich vielleicht zerstörte und hoffte, sein Pala könne ihn verstehen. Ariston bereitete sich innerlich auf die Begegnung vor. Er war
auch bereit, sich vor Orales zu erniedrigen. Unter Freunden blieben solche Gesten immer erlaubt. Als der Teju ihm dann von Orales' Flucht berichtete und er ihn herrisch zu ge nauerem Bericht aufforderte, geriet er in Sorge. Er ließ Orales vergeblich suchen und endlich begriff er, daß ihm der einzige Freund verloren war.
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uch Cynesta erfüllte das Verschwinden des Freundes mit Trauer, wenngleich sie es nicht zeigen durfte. Denn an ihr lag es nun, Dorina und Ariston über den Verlust hinweg zu trösten. Beiden mußte sie den Mann aus Moras ersetzen, obgleich sie diese Aufgabe nicht zu bewältigen vermochte. Ariston zermürbte sich mit Selbstvorwürfen und Dorina trauerte wie eine Witwe. Cynesta verstand den Freund nicht. Orales wußte doch, wie rasch Ariston sich stets versöhnlich zeigte; wie sehr er immer vor dem eigenen Zorn erschrak. Es blieb ihr unbegreiflich, wie der Mann aus Moras auch nur eine Stunde lang annehmen konnte, daß sein Freund ihn wirklich bedrohen könne. Unversöhnlich zeigte sich auch der Pala nie und doch ging er ohne Wort, ohne Nachricht; hielt sich gar verborgen vor des Königs Männern, die ihn suchten. So sehr sie diese Überlegungen auch beschäftigten, sie verdrängte damit nicht ihr eigentli ches Problem. Und dieses wurzelte in Amarra. Sie zweifelte nicht daran, daß Amarras Fluch ihre zweite Fehlgeburt primär bewirkte und an der ersten zumindest sekundär beteiligt war. Daß Ariston nicht um ihr Priestertum wußte, erschwerte ihre Situation, denn so durfte sie ihm ihre Gedanken nicht offenbaren. Und was zählte ihre Priester weihe jetzt noch? Selbst in ihrem Denken wirkten sie nicht mehr. Immer und immer wieder kam ihr der Gedanke, nach Amarra reisen zu müssen, um dort Frieden zu erflehen. Man würde den Fluch nicht von ihr nehmen, aber vielleicht, da Ariston ja sogar auf seine Macht verzichten wollte, ihr und dem Geliebten ein ruhiges Leben in Freiheit gewähren. Im Grunde wußte sie gar nicht, was sie von Amarra erhoffte. Doch ihre Gedanken zogen sie zu jener Insel der
Macht und mehr und mehr fürchtete sie Unheil, wenn sie diesem Denken nicht nachgab, so drängend und fordernd verlangte es danach. Ariston wollte sie natürlich nicht ziehen lassen, verbot ihr die sinnlose Reise. Von Amarra gab es nichts zu hoffen. Doch er sah, wie sie unter seiner Weigerung litt. Oft, wenn er sie in den Armen hielt, spürte er ihren mühsam verborge nen Kummer und mit einem Mal bekam er Angst, er könne sie verlieren. Dann vergrub er sein Gesicht an ihrer Brust, klammerte sich hilflos an sie und empfand nichts als Ohnmacht. Cynesta aber dachte an Amarra. Ariston entging nur selten eine Regung der Menschen seiner Umwelt. Doch für Cynesta blieb er geradezu sensibilisiert. Er spürte, wie wenig sie im Herzen noch auf Nodher verharrte und erkannte ihre Ferne. "Liebes," sagte er darum ernst in einer vertrauten Stunde der Zweisamkeit, "habe ich dich ganz verloren? Dein Denken und Sinnen zieht dich fort von mir, auch, wenn du mich nicht mehr um diese sinnlose Reise bittest. Die Nähe deines Körpers bedeutet mir gar nichts, wenn dein Herz nicht bei mir ist." "Ich kann nicht anders," gestand Cynesta leise mit schuldbewußt gesenktem Kopf, "es zieht mich fort von hier. Ariston, verzeih mir. Ich wünsche mir nichts mehr, als bei dir zu sein, aber ich weiß, daß wir auf Dauer unter Amarra zerbrechen werden. Ich fürchte um uns." Sie hob den Blick, sah ihn flehend an. "Wo immer mein Körper ist, Geliebter, meine Seele ist bei dir. Ich fürchte diese Reise wie du und ich kehre rasch zurück. Nur, bitte, halte mich nicht." Er schloß sie in die Arme, hielt sie fast verzweifelt fest. Mit ausdruckslosen Zügen gab er ihr nun nach. Die Einsam keit, in die er nun stürzen mußte, erschreckte ihn. Doch er hielt sie nicht weiter auf.
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ynesta ritt, als könne Eile ihr helfen. Ihre Begleitung, Soldaten, Dienerinnen und Helfer, kamen kaum nach. Es war schwer gewesen, Ariston davon zu überzeugen, daß Amarra sie anhören würde, obwohl sie keine Priesterin sei und nun trieb sie ihr Pferd zur Eile, als fürchte sie, der Geliebte könne sie zurück holen wollen. Innerhalb von zehn Stunden erreichte sie den kleinen Hafen am Ufer des Riatha, der nahe der Grenze zu Moras im Norden ins Meer mündete. Ein Schiff wartete schon auf sie. Der Rest der Reise konnte nicht mehr beschwerlich sein und bei gutem Wind erreichte sie Amarra in vier Tagen. Was dann geschah, blieb abzuwarten. Die Reise verlief eintönig. Die Menschen auf dem Schiff mieden Cynesta im hilflosen Bewußtsein, daß sie sich mit einer Königin nicht unterhalten konnten. In ihren Augen war Cynesta fast ein Übermensch und sie freuten sich, ihr dienen zu dürfen, blieben aber zugleich scheu und verschlos sen. Gegen Mittag des dritten Reisetages wurde der Tempel der Weisheit sichbar, der nahe der Steilküste des Reiches stand. Das Schiff steuerte die Küste an. Cynesta wollte so rasch als möglich nach Amarra und ärgerte sich über jede Verzögerung, jede Rast. Sie eilte zum Kapitän und verlangte gebieterisch das Nutzen des günstigen Windes. "Vergebt mir, Königin," sagte dieser jedoch unterwürfig, "der Tempel zog ein gelbes Banner auf." "Und ?" "Es ist das Zeichen für alle Schiffe nach Amarra, daß ein Tempeldiener dort erwartet wird. Ich habe Pflicht, zu ankern und diesen mitzunehmen. Wenn ihr, Herrin, es jedoch befehlt, so werde ich..." "Schon gut," unterbrach sie ihn ärgerlich, "ich hoffe, es wird nicht lange dauern."
Sie zog sich in ihre Kabine am Rumpf des Schiffes zurück und bekämpfte ihre Nervosität. Ein Priester oder eine Prie sterin aus dem Tempel als Reisegefährten, das gefiel ihr gar nicht. Die Gefahr, selbst als Priesterin entlarvt zu werden, war zu groß. Ein falsches Wort konnte sie entdec ken, ja, sogar ein falscher Gedanke, sofern der Abgesandte vom Tempel der Weisheit telepathisch erzogen war. Als bald darauf eine Dienerin ihr meldete, daß ein Priester sie zu sprechen wünsche, ließ sie sich mit Unwohlsein entschuldi gen, froh darüber, daß ihr Schiff schon wieder gut vor dem Wind lag.
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rales aus Moras wußte nun, was er zu tun hatte. Die Jahre des inneren Kampfes endeten und ein gewisses Maß an befreiender Erleichterung gab ihm Zuversicht. Daß Ariston ihn verstieß, schmerzte sehr, doch zugleich wies ihm dies auch den Weg. Er stahl in der Nacht ein Pferd und strebte seinem Ziel zu, sich dabei vor des Königs Männern verbergend. Endlich erreichte er den Tempel. Lauthals verlangte er Einlaß. Ein Priester des zweiten Grades mahnte ihn zur Ruhe und riet ihm, im nahen Dorf zu nächti gen. "Ich bin ein Priester des Lichts," fuhr Orales den Jüngeren an. Sein Fuß malte das geheime Zeichen des Lichtes in den weißen Sand, verwischte es aber sofort wieder. "Führe mich zu deinem Falla, oder ich sperre dir jede weitere Weihe." Diese Drohung wirkte. Wenn der Fremde wirklich die Weihen sperren konnte und also Macht über den Geist der Menschen besaß, war es besser, ihn nicht zu reizen. Der Priester führte Orales, der den Falla bald darauf freundlich, aber nur mit sehr leichter Verneigung begrüßte. Der sah den Pala ernst an, ehe er sprach:
"Da du mir die Achtung verweigerst, Fremder, muß ich annehmen, daß du unteren Grades bist. Hat man dich nicht gelehrt, vor einem Falla die Gedanken nicht abzuschirmen und auch, dich auf die Knie zu begeben?" Orales lachte leise. Er fühlte sich sehr wohl. Die Atmo sphäre der Tempel erschien ihm wie Atemluft. Zu lange mußte er darauf verzichten. "Ich verzeihe euren Zorn," sagte er schließlich, "und ich nehme an, daß dieser euren Geist verwirrt. Ich bin Falla des Lichts aus Moras und neige mich nur vor meinesgleichen. Ich hoffe, ihr seid im Rapport mit Amarra. Meldet dort, daß Orales aus Moras, Falla des Lichts und Gesandter des Than, bittet, gerufen zu werden." Als Orales dann später Cynestas Vorwand vernahm, unter dem sie ihn nicht empfangen wollte, schob er die Dienerin einfach beiseite. "Keine Zeit für mich?" fragte er mit leicht geneigtem Kopf. Seine Züge verrieten seine Freude über das Wiedersehen. Kaum mit der Königin allein, ergriff er ihre Hände, küßte ihren Mund, umarmte sie stürmisch. "Cynesta, wie froh bin ich, dich endlich zu sehen!" Rasch löste sie sich von ihm, wich erschreckt zurück. "Ein Priester," entfuhr es ihr, "bereit, seinen Freund und Herrn an Amarra zu verraten. War alles Täuschung, Orales? Ja, ich weiß es, Amarra ist mächtig. Du hattest also Order, dir Aristons Liebe zu erschleichen und wahrlich, du hast es gut gemacht. Jetzt nahst du mir wie einer Freundin. Doch du irrst dich, Mann aus Moras. Ich bin nicht unterwegs, um Ariston zu verraten."
Bis zur Wand war sie zurückgewichen, wo sie, von ihm unbemerkt, einen Dolch ertastete. Er kam auf sie zu und als er wieder nach ihr griff, riß sie die Waffe hoch. Mit einem raschen Sprung rettete Orales sein Leben, entwand ihr den Dolch und schleuderte ihn von sich. Surrend bohrte sich die Klinge ins Holz. "Närrin," schalt Orales, noch immer freundlich, wenn auch etwas erregt, "was laßt dich glauben, daß ich wider Ariston sei?" "Allein deine Rede beweist es mir," fuhr sie ihn an, "achtest du doch schon nicht mehr die Königin in mir. Wann hättest du dir je erlaubt, mich so beim Namen zu nennen?" "Das kränkt dich?" Orales lachte fröhlich. "Wenn du es willst, werde ich nach dieser Reise wieder fremd und unper sönlich sein. Doch hier und auf Amarra bist du nur Prieste rin, Cynesta. Nichts weiter mehr." Sie erschrak bis ins Mark. "Du weißt es?" "Ich habe es stets gewußt." "Also doch Amarras Arm! Du dienst dem Than, nicht Ariston. Und alles war Lüge." Orales setzte sich in Ermangelung eines Stuhles auf das an der Wand befestigte Lager. Er lächelte Cynesta an, die zwei Schritte entfernt ihn wütend anstarrte. "Ich gebe es zu," gestand er dann fast vergnügt, "denn es stimmt, daß ich von Amarra ausgewählt wurde, Aristons Vertrauen zu erschleichen, um ihn zu überwachen. Damals war ich Falla des Lichts in Moras. Es war nicht schwer, den König des Nordens zu gewinnen. Ariston machte es mir sehr
leicht, denn er dürstete geradezu nach einem Menschen, der ihn nicht vergöttlichte." "Das rechtfertigt gar nichts." "Vergiß nicht, daß auch du ausgewählt warst zu eben diesem Tun." "Ich hatte mich geweigert." Sie schrie es fast, noch überwältigt von dem, was Orales ihr gestand. "Ich floh aus dem Tempel, um nicht des Königs Frau zu werden." "Du wurdest es," stellte Orales trocken fest, "allein das zählt. Und bis heute weiß Ariston nicht, daß er eine Priesterin zur Frau hat." Cynesta zuckte zusammen. "Du wirst es ihm nicht sagen," hoffte sie. "Genau das werde ich tun," zerstörte Orales diese Hoffnung, "er wird erfahren, daß die beiden Menschen, die er am meisten liebt, ihn belogen haben; daß sie Priester sind." "Warum, Orales, willst du ihn quälen?" Cynesta trat auf ihn zu, nicht feindlich jetzt, nur verwirrt, entsetzt. "Wie soll Ariston das verkraften? Er hat Amarra doch angeboten, auf alle Rechte zu verzichten. Was wollt ihr mehr von ihm?" Sie stand ihm jetzt nahe genug, daß er ihre Hände ergreifen konnte. Orales zog Cynesta neben sich. "Höre mir zu," verlangte er eindringlich, doch sanft, "ich habe dich gerufen, um mit dir zu reden." "Gerufen? Du mich?"
"Wer sonst, Cynesta? Als du in jener Nacht meinen Gürtel öffnetest und mich in die Einheit mit dir zogst, wob ich einen Rapport zu dir. Deine Gedanken waren mir nie verborgen und ebenso habe ich mein Denken oft dir eingepflanzt. Der Ruf nach Amarra stammt von mir. Ich weiß, daß du dich widersetztest, aber als du Ariston dann doch begegnet bist, habe ich nicht gesäumt, euch einander zu verbinden." "Meine Liebe zu ihm..." "Deine Liebe ist rein und echt wie die Seine," beruhigte er sie rasch, "aber damals war sie noch nicht stark genug, um durchzutragen. Amarra vernahm mit Freude von eurem Bund und wirkte auch auf die andern Herrscher der Nebelreiche ein, damit die alle eure Gäste wurden." "Und dann hast du meine Schwangerschaften an Amarra verraten," vermutete sie bitter, "hast du sie auch geendet?" Orales schwieg. Er starrte sie jetzt so betroffen an, daß ihr selbst Zweifel kamen. Sie wußte nicht mehr, was sie glauben konnte, was sie denken sollte. "Verzeih," bat sie leise, "ich kann es mir nicht vorstellen. Aber du bist mir jetzt ein Rätsel." Orales aus Moras, Pala des Königs und Falla des Lichts, nickte langsam. "Ich versuche, es dir zu erklären," meinte er dann, "aber manches ist mir selbst noch rätselhaft. Ich bin jedoch sicher, daß Amarra mit dir in Rapport steht. Du hast deine Schwangerschaften selbst verraten. Überlege genau, ob du einem Priester des sechsten Grades aus Amarra einmal begegnet bist. Denke nach, Cynesta. Hast du einmal einem Boten von dort vertraut, dich ihm genug geöffnet, daß er unbemerkt diesen Rapport gründen konnte. Wenn du nichts
davon weißt, muß er sehr mächtig sein. Der Geist eines Mannes oder einer Frau kann dich jederzeit mühelos er reichen. Um wen handelt es sich dabei?" "Xalares!" entfuhr es ihr mit Schrecken. "Der Pala des Than? Wo bist du ihm begegnet?" "Im Tempel des Friedens war er es, der mich überreden wollte, Ariston zu hintergehen," erinnerte sich Cynesta mit Schaudern, "ist es denn möglich, daß er so mächtig ist?" Orales nickte und ein harter Zug erschien um seine Lippen. "Ich weiß keinen, der mächtiger ist," erwiderte er, "er leitete sogar den Than. Wir müssen den Rapport zerbrechen, Cynesta, und dann mußt du lernen, dich vor einem solchen künftig zu schützen." "Du hilfst mir, Orales? Warum? Bist du nicht Amarras Mann? Was beweist mir, daß du jetzt kein böses Spiel mit mir treibst?" Ihre Worte mißtrauten ihm, doch ihre Augen flehten ihn an, dieses Mißtrauen zu zerstreuen. "Es gibt keinen Beweis," schränkte er ein, "du mußt mir vertrauen. Ich liebe Ariston wie du, Cynesta. Ja, ich habe mit ihm gespielt, mir seine Liebe erschlichen. Doch ich bedachte dabei nicht, daß auch gestohlene Liebe wirksam wie Feuer das eigene Herz erwärmen kann. Die Liebe, die ich ihm spielen mußte, war ich zu leben und zu denken gezwungen. Das Denken eines Menschen bestimmt sein Sein und so wurde die Lüge der Liebe zur Wirklichkeit. Ich kann dir nicht sagen, wann es geschah. Aber eines Tages stllte ich fest, daß ich an Ariston verloren blieb. Ich wehrte mich noch, doch ich mußte mich ihm ergeben. Seit jener Stunde suche ich den Weg, der ihm vor Amarra helfen kann. Wäre er
so, wie ich erwartete, ich zögerte nicht, ihn Amarra auszulie fern. Doch ich kann es nicht tun. Ariston ist in seinem Herzen mehr ein Priester als es viele Menschen mit Weihen sind. Daß ihm der Tempel verwehrt wurde, begreife ich einfach nicht. Die Vorstellung, daß Amarra Fehler macht, erschreckt mich wie dich. Und doch ist es so. Am Schlimmsten aber..." Orales unterbrach sich abrupt. Er legte Cynesta den Arm um die Schulter, zog sie an sich. "Denke jetzt an Ariston, nur an ihn. Denke nichts anderes, schau sein Bild in dir an." Cynesta begriff sofort. Orales spürte das Eindringen eines geistigen Lauschers. Sie überlegte nicht lange. Ariston in seiner grenzenlosen Einsamkeit mußte sich sehr verloren fühlen. Sie betrachtete sein Gesicht, tastete es mit ihren geistigen Augen ab, nur Sehnsucht und Liebe empfindend. Sie wünschte, wieder bei ihm zu sein, seinen Duft einzuatmen, seine Nähe zu spüren. Die beglückendsten Szenen ihrer Ehe rief sie sich in Erinnerung, durchlebte sie noch einmal. "Er ist weg," stellte Orales nach sehr langer Zeit fest. "Wer?" "Xalares, wer sonst? Er war einmal mein Freund, darum habe ich ihn gespürt, noch ehe der Rapport zu dir vollendet wurde. Erinnerst du dich an sein Gesicht?" Cynesta überlegte. Das alles schien tausend Jahre alt zu sein. Orales beschrieb ihn mit leiser Stimme, sein helles Haar, die blauen Augen, die schmalen Lippen. Er malte förmlich das Bild des Priesters in sie hinein. "Ich sehe ihn," murmelte Cynesta.
"Ist das Bild lebendig? Verleihe ihm die Kraft deiner Imagination. Sieh, wie die Nasenflügel beim Atmen beben; schau, wie die Augenlider zucken. Er lächelt." "Ich sehe es." "Dann töte ihn." Sie erschrak und das Bild verschwamm. "Torheit," fuhr er sie an, "willst du ihn warnen? Entdeckt er dich, kannst keine Macht den Rapport mehr enden. Du tötest nicht ihn, nur sein Bild, nur die Verbindung, die zwischen euch besteht und doch muß es sein, als stürbe er. Also rufe ihn zurück und töte ihn!" Cynesta zitterte und es gelang ihr nicht, das Bild erneut zu beschwören. Sanft streichelte Orales ihres Rücken, massierte ihre Schläfen, redete ihr beschwörend zu. "Du kannst es, Cynesta. Tue es für Ariston." Er half ihr, das Gesicht Xalares' wieder hervor zu rufen, es mit Leben zu erfüllen. Sie starrte Xalares an. Seine Freundlichkeit, seine Sanftmut war nur Mittel gewesen, in ihren Geist einzudringen und diesen unheilvollen Rapport zu eröffnen, der ihm jedes ihrer Geheimnisse entdeckte. Sie haßte, verachtete, verabscheute ihn. Er schadete Ariston, er zwang ihm alle Leiden auf. Winzige Würmer durchfraßen von innen seine Wangen, eitrige Geschwüre bedeckten ihm Stirn und Augen, seine Lippen verfaulten. Cynesta steigerte sich in ihren Haß hinein, starrte mit Befriedigung auf den entsetzlich entstellten Klumpen Fleisch, der einmal ein Ge sicht gewesen war. Er wurde zur wabbernden Masse, zerfloß. Ein gelber Dampf blieb zurück, der sich verflüchtigte. Orales schüttelte sie sacht, rief sie in die Wirklichkeit zurück. Er wischte ihr den Schweiß von der Stirn, während er sagte:
"Du bist stark, Priesterin, sei stolz auf dich. Es ist nicht leicht, einen solchen Rapport zu zerreißen, doch dir gelang es." "Bist du ganz sicher?" Noch zweifelte sie. "Kann er nicht wiederkommen? Und was ist, wenn ich ihm begegne?" "Sei ohne Furcht," beruhigte sie Orales, "du bist jetzt ganz frei von ihm. Auch in einer Begegnung kann er einen solchen Rapport nicht mehr weben, denn du bist gewarnt. Du darfst dich ihm nur nicht wieder öffnen, ihm nicht mehr vertrauen." "Wie könnte ich. Er hat meine Kinder getötet." "Nein," wehrte der Mann aus Moras sofort ab, "deine erste Fehlgeburt war nicht seine Sache. Die zweite wohl, wie ich jetzt weiß. Doch jetzt höre weiter. Ich stehe noch in Rapport mit dir und will ihn auch nicht lösen, solange unsere Sache nicht zu Ende ist. Immerhin weißt du jetzt, wie du ihn lösen kannst. Aber dulde ihn noch, denn er kann uns helfen. Auf Amarra ist dies die einzige Möglichkeit, ohne Zeugen, unbelauscht zu sein. Sobald du dir mein Gesicht imaginativ vorstellst, bin ich bei dir, wo immer mein Körper auch sein mag." "Aber warum willst du, daß ich nach Amarra gehe?" Der Falla des Lichts legte wieder den Arm um sie, vermittelte Cynesta so Geborgenheit und entlockte ihr Ver trauen. "Hast du nie darüber nachgedacht, warum Amarra verhindert, daß Ariston einen Erben bekommt? Ich grüble darüber nach und finde keine Erklärung. Er kann im Tempel keinen Sohn zeugen, da er kein Priester ist. Und wenn der Thron verwaist, verstößt dies gegen göttliche Gesetze. Es muß einen Grund für Amarras Handeln geben."
"Xalares sagte mir," erinnerte sich Cynesta da, "daß Amarra nur drei, längstens fünf Jahre Zeit braucht, um Ariston zu stürzen. Bald sind zwei Jahre davon um." "Ich hoffe, daß wir auf Amarrra erfahren werden, welche Pläne dort geschmiedet sind, Cynesta." "Und doch kann ich nicht hingehen und um Aufklärung bitten, Orales. Ich wollte als Bittstellerin kommen, darum flehend, daß man uns in Ruhe läßt." "Du wolltest gar nicht kommen," berichtigte er, "ich habe dich gerufen. Es ist im Grunde gut, daß Xalares dich vorhin belauschte. So weiß er, daß deine Liebe zu Ariston echt und tief ist. Jetzt muß er dir glauben." "Was glauben? Bitte entdecke mir deinen Plan, Orales." Er zögerte. Es fiel ihm schwer, dvon zu sprechen. Zu ungeheuerlich erschien ihm jetzt sein Vorhaben. Doch mußte Cynesta es wissen. Von ihr hing alles ab. "Du wirst Amarra erklären, daß Ariston dich verstoßen will, da du kein Kind gebären kannst und das Recht der Frau und Priesterin verlangen. Man muß dir nachgeben und dir erlauben, im Tempel ein Kind zu empfangen, gezeugt von einem Priester." Er fürchtete, sie würde ihn hysterisch zurückweisen, doch Cynesta blieb erstaunlich ruhig. "Es gibt kein Opfer," sagte sie fast sachlich, "das ich für Ariston nicht bringen würde. Doch ist mein Körper jetzt noch nicht imstande, die Beschwernisse einer erneuten Schwan gerschaft zu verkraften. Es würde mich wenig stören, mich in Trance einem Priester zu öffnen, aber ich sehe, daß es nicht geht. Auch wäre ich außerstande, Ariston ein Kind zuzumuten, das so gezeugt wurde. Er ist ja gezwungen, es
anzuerkennen." "Es ist allein deine Entscheidung," gab ihr Orales nach, "doch bedenke wohl, daß wir Amarras Plan nur erfahren können, wenn dir vertraut wird. Noch bin ich der Pala des Königs und da wir beide offiziell Ariston betrügen, zugleich aber von ihm geduldet unsere Reise tun, brauchst du auch eine Erklärung für meine Begleitung. Amarra wird dir glauben, daß ich dir zu diesem Opfer riet. Welchen anderen Grund könnten wir nennen?" "Ich weiß keinen, der Amarra so gefallen könnte," räumte Cynesta nach langem Überlegen ein, "und ich gestehe dir auch zu, daß wir billiger das Geheimnis nicht erfahren werden. Bedenke aber, daß, wenn alles nach deinem Wunsch geschieht, Amarra mich auch überwachen wird. Sie lassen mich erst fort, wenn ich empfangen habe. Und ich fürchte sehr, daß eine Schwangerschaft mich töten könnte." "Ich habe auch dies bedacht. Nur wird es nicht möglich sein, eine Empfängnis festzustellen. Alles, was die Überwa cher erfahren, ist doch nur, ob männliche Kraft in dir strömt." "Strömt sie aber an einem fruchtbaren Tag, empfange ich," meinte Cynesta verbittert, "und nur an einem fruchtbaren Tag werden sie die Zeugung dulden." Mit einem Male schlang er beide Arme um sie, zog sie fest an sich. "Vertraust du mir, Cynesta?" Sie nickte nur. "Ich verspreche dir, daß du nicht empfangen wirst," sagte er da, "obwohl männliche Kraft dich durchströmt. Wenn du es duldest, werde ich es sein, der sich dir naht." Und dann, sehr leise und beschämt, fügte er hinzu: "Ich bin unfruchtbar.
Mein Same ist ohne Kraft." Cynesta erwiderte seine Umarmung. Jetzt war alles gut. Orales sich zu öffnen, war nicht schlimm. Ihn liebte sie und ihm wollte sie vertrauen.
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riston ertrug die Einsamkeit kaum. Er arbeitete mehr denn zuvor, versuchte, sich mit Studien abzulenken und doch gelang es ihm nicht, Cynesta und Orales aus seinen Gedanken zu verbannen. An Cynesta dachte er mit Sehn sucht und Erwartung; an Orales jedoch voll Schuldbewußt sein. Er verzieh sich seine Heftigkeit noch immer nicht. Längst war er entschlossen, dem Freund das Wissen der Tempel zu öffnen, sollte er ihn wiederfinden. Was immer Orales begehrte, er sollte es erhalten und mehr als dies. Und vor allem wollte er dann wieder neu um dessen Freundschaft und Vertrauen werben, wohl wissend, daß dies nicht einfach gehen mochte. Und indem Ariston solchen Gedanken nachhing, beschwerte er sich mehr und mehr. Er brauchte Orales, den Einzigen, mit dem er auch die Belange seines Alltags besprechen konnte und er sehnte sich mit Macht nach Cynesta, deren Liebe ihm Geborgenheit vermittelte. Ariston sorgte sich um sie. Ob Amarra ihr ein Leid antun würde? Er schalt sich wegen solcher Gedanken, doch er bezwang sie nicht. Oft verweilte er in Cynstas Gemächern, um den Hauch ihres Duftes einzuatmen; oft bei Orales, um sich mit der Erinnerung an den Freund zu quälen. Als Ariston eines Abends die Zimmer des verlorenen Freundes betrat, fand er Dorina vor. Das Mädchen saß still in einem Sessel, wirkte unendlich zerbrechlich und sehr traurig. Sie erschrak beim Eintritt ihres Königs, erhob sich rasch und verneigte sich tief. Ariston hob sie fast zärtlich auf, ließ sie aber rasch los, da er spürte, wie ihr seine Nähe mißfiel.
"Kannst du ihn auch nicht vergessen?" fragte er mit freundlicher Stimme. "Ich liebe ihn," erwiderte das Mädchen sehr leise, fürchtend, er könne sie dafür tadeln. Doch Ariston sagte nur sehr sanft ein "Ich auch" und trat zum Fenster, sah gedankenverloren hinaus. "Aber ihr habt ihn verstoßen, Gebieter," stammelte Dorina, "warum denn, wenn ihr ihn liebt?" Er wandte sich nach ihr um. Mit einem Blick erkannte er jetzt Dorinas Einsamkeit. Sie litt nicht weniger als er, nur, daß ihr die Schuld erspart blieb, die ihn marterte. Doch ohne Orales mußte sie sich verloren fühlen und ohne Cynesta gab es keinen Menschen, dem sie sich öffnen konnte. "Ich verstieß ihn nicht," erklärte der Herrscher sacht, "ein Mißverständnis ließ ihn fliehen. Meine Männer suchen ihn und ich hoffe sehr, daß Orales bald wieder bei uns ist." "Hoffentlich geht es ihm gut. Wenn ihm nur nichts gesche hen ist." Plötzlich weinte sie, stand schluchzend vor ihm, das Gesicht in den Händen vergraben. Voll Mitleid schloß sie Ariston da in seine Arme. Alle Scheu vergessend schmiegte sich Dorina an ihn, weinte sich an seiner Schulter aus. Jetzt war sie nicht so allein. Endlich ein Mensch, der ihr Nähe gab, nicht forderte, nicht mahnte, der einfach da war und sie in den Armen hielt. Ariston empfand seine Einsamkeit noch immer, sehnte sich nach Cynesta und dachte an sie. Doch zugleich fühlte er sich menschlich gebraucht. Daß ausgerechnet Dorina ihm das Gefühl gab, trotz aller Macht ein Mensch zu sein, erstaunte ihn. Doch er gab sich nicht der Illusion hin, daß dies von Dauer sei. Als Dorina nach langer Zeit den Strom ihrer Tränen besiegte, schämte sie sich und rückte
von ihm ab. Jetzt zeigte sie sich wieder ganz fremd, ganz steif. "Bitte verzeiht, daß ich die Fassung verlor, Gebieter. Es wird nicht wieder vorkommen." Und ehe er antworten konnte, verließ sie schon den Raum. Ariston fühlte sich ärmer als zuvor.
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marra kam in Sicht. Cynesta konnte nun ein gewisses Entzücken, nicht unterdrücken, als ihr Blick die Ufer der grünen Insel abtastete. Die Nebel hingen sehr hoch und Amarra zeigte sich im Glanz des hellen Tages. Sanfte Hügel, übersät mit großblumigen Blüten aller Farben; weite Strände voll weißem Sand; lichte Wälder in zartem Grün; vereinzelt stehende flache Häuser aus Stein; eingebettet in eine Atmosphäre des Friedens; all dies bewegte Cynesta, wäh rend sie noch an der Reeling lehnte und langsam erst die Bucht der Ankerung ins Blickfeld kam. "Laß dich nicht blenden," warnte Orales neben ihr, "der Zauber dieser Insel ist wundervoll. Und doch ist hier der Feind deines Gatten. Die Ruhe Amarras ist wahr, doch gib dich ihr nicht hin. Wir sind gekommen, ein Rätsel zu lösen und tun dies als Feinde Amarras. Als Freunde fänden wir hier Balsam für die Seele. Der Geist fände unbekannte Höhen. Nirgendwo reift ein Mensch so schnell zur Priesterschaft wie hier. Doch wir müssen wachsam sein." "Du kennst die Insel?" "Ich sagte dir, daß Xalares einst mein Freund gewesen ist," rief er ihr in Erinnerung, "zu jener Zeit weilte ich mehrmals auf Amarra, habe hier auch die letzte meiner Weihen empfangen, noch ehe ich ein Falla war." "Bist du dem Than begegnet?" "Ich sah ihn hin und wieder. Damals war er noch ein Knabe, geleitet von Xalares. Seit der alte Than seinen Rang an Nymardos übergab, sah ich ihn nicht wieder. Doch es
betrübt mich, gegen ihn zu sein." "Du warst ihm einmal nahe? Er hat dein Herz einmal berührt und dir etwas bedeutet?" "Cynesta, ich bin selbst ein Falla und auch ich erkannte ihn als Than. Nein, ich war ihm nie sehr nahe. Doch einmal, es ist fünfzehn Jahre her, sprach ich mit ihm. Ich hatte mich an einem scharfen Stein verletzt, vermochte nicht, zu gehen. Er, noch ein Knabe, trat zu mir, besah die Wunde. Du magst es glauben oder nicht, Cynesta, der Knabe heilte sie durch seines Geistes Kraft. Er lachte dann frei wie ein Kind und riet mir, Schuhe zu tragen, weil es in dieser Gegend Schlangen gäbe. Ich dankte ihm wie einem eingeweihten Priester, worauf er fröhlich mir versicherte, daß er den Gruß verdienen werde. Dann lief er zu den Kindern seines Alters und spielte, wie es natürlich ist. Und doch, ich habe sein Lachen nicht vergessen, nicht die Natürlichkeit, die ihn umgab. Als er als Than erkannt wurde, besaß er alle Weihen und etwas ernster zeigte sich auch sein Gemüt. Ich weiß, er ist ein guter Than; der beste, der zu denken ist. Darum betrübt mich mein Verrat." "Was er Ariston antut, ist aber nicht gerecht," mahnte Cynesta beherrscht, "darum ist unsere Sache gut." "Der Than regiert erst seit drei Jahren und darum ist es ihm nicht anzulasten, daß Ariston der Tempel verwehrt blieb. Schau nicht so betrübt, Cynesta. Auch der Zauber dieser Insel kann meine Freundestreue nicht zerbrechen." Das Schiff lief nun in der Bucht ein. Am Ufer warteten wenige Priester auf die gemeldeten Gäste. Cynesta zuckte zusammen. "Was ist dir?"
"Kilmanaos ist dort," murmelte sie einzige Mensch, den ich wirklich hasse."
erschrocken, "der
"Was tat er dir?" "Er ist der Mann, der mich zeugte, damit ich Ariston betrügen soll," murmelte Cynesta fast geistesabwesend, "er verzieh mir meine Weigerung nicht. Er ist es, der mich fast zu Tode peitschte, ehe Ariston des Weges kam. Wir sind verloren, Orales." "Welchen Grades ist er?" "Ich weiß es nicht." "Jedenfalls ist er kein Falla und damit mir nicht ebenbür tig. Er kann dich nur durchschauen, wenn du es duldest." "Nichts fällt mir leichter, als meinen Geist vor diesem Menschen abzuschirmen," entfuhr es ihr, fast zornig, "doch niemals kann ich freundlich vor ihm tun. Ich hasse ihn." Unbemerkt drückte Orales ihre Hand. "Dann ist es besser, wenn du ehrlich bist. Laß ihn deine Verachtung spüren; nur lenke seinen Sinn, daß er dies nur auf den feigen Überfall bezieht. Daß er dich zeugte, spielt jetzt keine Rolle. Er hat kein Recht an dir." "Aber er haßt mich auch. Er wird Xalares und Nymardos raten, mir zu schaden." "Kilmanaos besitzt hier keine Stimme," stellte Orales fast gelassen fest, "sein Gewand ist braun, sein Gürtel schmal. Selbst Kinder sind so eingekleidet. Ich vermute, du hast ihn entmachtet, als du ihm widerstandest." "Ich fürchte ihn."
"Still, Närrin. Haß und Furcht öffnen deinen Geist. Ist es in deinem Sinn, wenn jeder in dir lesen kann? Bewahre dir Gelassenheit. Versuche es für Ariston. Sieh ihn dir an. Kilmanaos haßt auch dich. Wenn du dich auf ihn konzen trierst, liegt dir jetzt sein Denken offen. Hat niemand dich darin belehrt?" "Ich habe nur den dritten Grad," entschuldigte sich Cyne sta, "ich bin keine Meisterin. Doch ich weiß, daß deine Worte wahr sind, Orales. Ich beherrsche mich." "Wenn es schwer wird, denke an Ariston und nur an ihn. Das beruhigt dich und schirmt zugleich deinen Geist ab."
E
in schmaler, meisterlich gepflegter Pfad führte durch Amarras sanfte Hügel hinauf zum Tempel. Einer der am Ufer wartenden Priester hatte Orales mit tiefer Ehrfurcht begrüßt und ging nun voraus. Cynesta hielt sich dicht neben dem Freund. Sie bewunderte die Landschaft, vor allem die herrlichen Blüten, doch sie öffnete ihren Geist nicht ganz, ließ sich nicht gefangen nehmen. Seit Kilmanaos ihrem böses Blick auswich und nun ganz hinten ging, fühlte sie sich wohler und stärker. Sie trug die hellblaue Tunika ihres priesterlichen Standes, dazu den breiten Brustkragen. Am schmalen Stirnband hielt sie den Lasurstein befestigt, den Ariston ihr einst schenkte. Sie bekannte sich so zu ihrer Priesterschaft, doch sie verleugnete auch nicht ihr König tum. Orales trug das weiße Gewand mit den Zaddelärmeln, das ihn als Falla des Lichts auswies; dessen symbolhafte Stickereien glitzerten. Die Berlocken seines Gürtels dienten nicht allein der Zierde, sondern bargen auch Zeichen seiner geistigen Macht. Der Weg zum Tempel gestaltete sich fast wie ein gemütliches Schlendern, denn Orales bestimmte das Tempo und demonstrierte so Sicherheit wie Gelassen heit zugleich.
Xalares empfing sie in seinem eigenen Haus, das nahe der Eingangssäulen des mächtigen Tempelrundbaues lag. Er übersah Cynesta förmlich, die sich vor ihm neigte und umarmte Orales trotz der Zeugen mit Herzlichkeit. "Es ist mir eine Freude, dich hier begrüßen zu können, mein Freund," sagte er sehr ernst, "unsere verschiedenen Aufgaben haben unsere Körper getrennt, doch die Herzen sind noch vereint. Setz dich zu mir, iß und trink und berichte mir von deinen Tagen." Er ließ die Gäste bewirten und schickte dann alle Anwesenden mit einer Handbewegung hinaus. "Als ich vernahm," fuhr er fort, "daß du gerufen werden willst, fürchtete ich zuerst, unser Plan sei gescheitert. Doch Cynesta in deiner Begleitung beruhigt mich. Respektiert sie dich als Falla?" "Inzwischen ja," bestätigte Orales, "wenngleich es dauerte, ihren Trotz zu überwinden. Es gab eine Zeit, da glaubte sie, durch die Liebe ihres Gatten Amarra zu überwinden." "Ich werde Ariston auch jetzt nicht verraten," fuhr Cyne sta auf, die zwar Orales' Spiel durchschaute, aber doch zu Ariston stehen wollte. "Schweige, Tochter, bis man dich reden heißt," wies sie Orales da zurecht. Seine Stimme klang scharf und da er ihr die Anrede eines Fallas gab, wagte sie kein Widerwort. Der Freund wirkte hier auf Amarra größer und mächtiger und sie fragte sich unwillkürlich, wie er seine eigene Macht solange verleugnen konnte. Doch ihren Geist hielt sie dabei abgeschirmt. Xalares plauderte zunächst von alten Zeiten, doch Orales durch schaute ihn sofort. Indem er locker sprach, blieb er doch lauernd und forschte, ob der Falla ein Geheimnis trug. Orales
gab sich offen, sprach freimütig und zerstreute so jeden Zweifel an seiner Integrität. Ohne jeden Zusammenhang des Gedankens wandte sich Xalares, der Pala des Than, da Cynesta zu und fragte nach deren Begehr. Es gelang ihr, Aristons Bild zu rufen und sich seine Verzweiflung bei ihrer zweiten Fehlgeburt zu vergegenwärtigen. Ihre Stimme schwankte, doch nicht aus Unsicherheit, sondern voll beweg tem Mitleid: "Ich liebe Ariston und ich ertrage es nicht, ihn leiden zu sehen, Xalares. Auch fürchte ich, daß er mich hassen wird, weil er den Erben nicht bekommt." "Darüber gab es keinen Zweifel," stellte Xalares ruhig fest, "du wußtest, daß du ihm kein Kind gebären darfst." "Ich wußte es," gab sie zerknirscht zu, "aber ich bin noch immer Priesterin. Es ist mein Recht, ein Tempelkind zu fordern." "Dein Recht?" Er sah sie freundlich an, nur seine Augen blickten lauernd. Xalares versuchte, den alten Rapport zu knüpfen und es mißfiel ihm sehr, da dies scheiterte. Cynesta bebte sacht. Sie fühlte sich nicht wohl, doch blieb der Ursprung ihrer Furcht verborgen. "Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll," flüsterte sie, "denn Ariston besteht auf einem Kind. Inzwischen ist es ihm gleichgültig, wer der Vater ist, solange er als solcher gilt. Darum fordere ich ein Tempelkind, gezeugt von einem Priester. Ich verliere ihn doch sonst." Ihre Augen schimmerten feucht, doch sie weinte nicht. Orales sandte ihr einen flüchtigen Gedanken der Aufmun terung, ehe er sich an Xalares wandte:
"Wenn Amarra noch Zeit braucht," begann er, "ist dies die Möglichkeit, sie zu beschaffen. Ariston wird sich sicher fühlen, Cynesta bei sich halten und das von ihm anerkannte Kind wie seinen Erben betrachten. Natürlich darf er nicht erfahren, daß es eines Priesters Kind sein wird. Er glaubt, Cynesta wäre hier, um Befreiung vom Fluch der Unfruchtbar keit zu erbitten; um mit dem Segen Amarras zu gesunden." "Das hast du ihm eingeredet?" staunte Xalares, schon halb überzeugt. "Schwer war es nicht," wies Orales lächelnd das Lob zurück, "der Herrscher vertraut mir in allen Dingen. Und wenn Amarras Zeit gekommen ist und er erfährt, daß er eines Priesters und einer Priesterins Kind wie sein eigenes hielt, so wird er zerbrechen. Es wird nicht nötig sein, ihn dann noch zu bekämpfen. Er ist besiegt." "Eine vortreffliche Idee," stimmte Xalares jetzt zu, "besser, als du ahnen magst. Und ich weiß auch schon, wer der Vater ist." Er grinste hämisch. Cynesta wurde blaß. Nur Orales hielt sich in der Gewalt, beherrschte sogar seine Neugier. "So wird es sein?" "Das wird es," bestätigte Xalares, "und es kommt uns sehr gelegen." Er rief eine Priesterin, die sofort kam und übergab ihr Cynesta. "Sie wird dich überprüfen," erklärte er der Königin, "und einen fruchtbaren Tag männlicher Prägung bestimmen. Denn ein Sohn soll es sein, den du gebären wirst." Cynesta senkte gehorsam das Haupt und folgte der Priesterin. Sie kannte den Rhythmus ihres Leibes selbst genau und wußte, daß ein solcher Tag bevorstand. Und sie fürchtete sich davor, nun doch empfangen zu müssen, da
nicht Orales es sein durfte, dem sie ihren Schoß öffnete. Der Falla des Lichts aus Moras blieb bei Xalares, dem Pala des Than und berichtete ihm ausführlich von Ariston. Klug beschrieb er dessen menschliche Qualitäten, setzte diese mit keinem Wort herab; zugleich aber erzählte er auch von den mangelnden geistigen Fähigkeiten des Herrschers, der nicht imstande war, die Wünsche der Götter zu erkennen. "Wir beide," meinte da Xalares mit feinem Lächeln, "wissen sehr genau, daß die Götter keine Wesen mit Willen sind." "Wir haben sie als Kraftströme erkannt," gab Orales ruhig zu, "doch wäre es müßig, dies anderen erklären zu wollen. Wer ihnen nicht durch die Weihen begegnete, wird es ohnehin nicht verstehen. Selbst die Priesterkaste hat in ihrer Gesamtheit dies nicht begriffen. Wenn ich also vom Willen der Götter spreche, so meine ich damit herrschende Kraftströme, die es zu erkennen und zu koordinieren gilt. Nichts anderes wollte ich dir erzählen, wenn ich von Aristons Mängeln sprach. Er ist ein guter Herrscher, doch er kann natürlich sein Volk in diesem größeren Zusammenhang nicht führen. Darum würde ich es begrü ßen, wenn Amarra endlich handeln wollte." "Uns sind die Hände noch gebunden," gestand Xalares ihm jetzt offen, "denn es ist ein Gesetz, daß ein Herrscher seinen Erben selbst ins Leben ruft." "Nach diesem Gesetz kam Ariston an die Macht," bejahte Orales, "und doch ist es nicht gut, wenn er es bleibt." Xalares lachte leise. "Weißt du, daß Ariston einmal auf Amarra war?"
Jetzt lachte Orales, nicht herzlich, eher auf sehr subtile, hintergründige Art. "Ich nähme meine Aufgabe sehr schlecht wahr, bliebe mir solches verborgen. Ich weiß es, Xalares." "Nun," fuhr dieser unbewegt fort,"damals lud Amarra seinen Vater zu einem Fest. Er sprach unserem Wein reichlich zu." Nach kurzer Pause fügte er befriedigt hinzu: "Er schwächte also seinen Körper und seinen Geist. Danach war er in unserer Hand. Er zeugte hier im Tempel, ohne es zu wissen, einen Sohn, der nach allem Recht und Gesetz der wirkliche Herrscher des Nordens ist - von einem Priester im Tempel in Trance ins Leben gerufen." Orales erschrak bei dieser Eröffnung bis ins Mark, doch meisterlich beherrschte er jeden Muskel. Xalares hielt ihn für entspannt, vielleicht sogar für freudig überrascht. "Dieses Kind müßte jetzt vierundzwanzig Jahre als sein," überlegte Orales laut, "warum fordert Amarra nicht dessen Recht? Nichts und niemand dürfte es ihm wehren." "Aristons Bruder, wir nennen ihn Sonte, ist selbst noch kein Priester. Die Weihen stehen ihm noch bevor und ehe diese nicht vollzogen sind, kann Sonte noch nicht herrschen." "Noch keine Weihe? Nicht eine?" Orales kleinen Gesetz mußte. zuteil.
zweifelte. Jeder halbwegs wache Geist erreichte die Weihen in wenigen Jahren der Vorbereitung und kein verlangte, daß ein Herrscher alle Weihen besitzen Auch Aristons Vater wurden nur die kleinen Weihen
"Nicht eine," bestätigte Xalares und in seiner Stimme schwang so etwas wie Verachtung für Sonte mit, "doch ist es nur eine Frage der Zeit. Ich nehme an, daß dies das erste
Leben ist, in dem Sonte die Priesterschaft erfährt und daß es darum etwas länger dauert. Sicher, wer schon in manchen Leben Priester war, erlangt dies heute schneller. Doch jeder beginnt einmal damit." "Du mußt Sonte nicht entschuldigen," lenkte Orales ein, "wichtig ist nur, daß es geschieht, nicht wann und wie. Nun verstehe ich vieles und begreife Amarras Plan." "Dann siehst du auch ein, daß Cynesta Sontes Kind empfan gen muß?" "Er ist kein Priester," lehnte Orales ab. "Er ist fähig, sich in Trance versetzen zu lassen und er ist körperlich gesund genug, ein Kind zu zeugen. Wir nehmen seine Weihe nur vorweg und wenn Ariston die Wahrheit erfährt, wird Sonte Priester sein. Dann kann er von seinem Bruder sein Recht, seine Macht und seinen Sohn fordern und es gibt keinen Weg für Ariston, ihm etwas zu verweigern. Gerade die Existenz des Kindes bindet ihm die Hände. Oder glaubst du, er ist imstande, seines Bruders Sohn als Erben zu betrachten?" "Wohl kaum. Er würde kampflos aufgeben, wie du es vermutest. Ja, indem er das Kind seines Bruders als Erben anerkennt, verzichtet er bereits auf seine Macht. Der Plan ist mehr als gut, er ist genial." "Und hältst du es für klug, Cynesta einzuweihen? Es steht ihr zu, zu wissen, wer der Vater ist. Wird sie uns nicht verraten?" "Ich verbürge mich nicht dafür," behauptete Orales, "denn mehr als Amarra liebt sie Ariston. Wenn sie nach dem Vater fragt, soll sie den Namen wissen, mehr nicht. Wenn die Zeit reif ist, erfährt sie alles früh genug."
Bis in die späte Nacht hinein schmiedeten die beiden Männer am Plan für Aristons Verderben. Ehe sich Orales zur Ruhe begab, schloß er den Rapport zu der Geliebten, fand sie wach und besorgt. Cynesta spürte seines Geistes Kommen und öffnete sich ihm. Mit wenigen Worten schilderte ihr Orales die Situation, mahnte sie zur Ruhe und zur Beherrschung. "Was wird geschehen?" wollte sie wissen, mühsam gefaßt. "Wenn sie kommen, um dich in Trance zu versetzen, weise die Priester zurück," riet er im Geist, "es steht dir zu, dies nur einen Höheren deines Vertrauens vornehmen zu lassen. Verlange mich und vertraue mir." "Ich bin dir ausgeliefert," stellte sie fest, "ich werde tun,was du mir rätst."
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och immer hatten Aristons Männer keine Spur des Freundes gefunden. Die Sorge des Königs wuchs und er fürchtete nun, daß Orales ein Unglück widerfahren sei. Er ließ weiter nach ihm forschen. Daß erst wenige Wochen vergangen waren, seit er Orales verlor, kam ihm kaum zu Bewußtsein. Es erschien ihm Jahre her, seit er dessen vertraute Stimme hörte. Die Tempelschriften verloren ihren ursprünglichen Wert für ihn, war es doch sein eifersüch tiges Wachen über sie gewesen, das ihn diese Freund schaft kostete. Diese Schriften symbolisierten seine Träume, seine Sehnsüchte und seine Ideale; Orales aber war Wirklichkeit gewesen. Und er tauschte den Reichtum, den er besaß, gegen einen, den er nie besitzen durfte. Je mehr er dies begriff, desto weniger kettete er sich an das Wissen der Tempel. Freilich verwarf er es nicht, doch band er seinen Geist nicht weiter daran. Er ließ sogar die gesamte Bibliothek aus dem fensterlosen Raum holen und in der Nähe seiner Privatgemächer unterbringen; brachte sie so ans
Licht. Es berührte ihn seltsam, daß er nun sogar unver krampfter lesen konnte und manches Wort, das ihm bisher verschlossen blieb, ergab nun einen Sinn. Er verstand nun die verschlüsselte Anleitung zur Imagination und fand Trost darin. Denn je leichter es ihm gelang, sich Orales vorzustellen, desto lebendiger erschien ihm der Freund. Ariston gewann die Gewißheit, daß Orales sich wohl befand. Und dann war es ihm, als schaue er in die Augen des Freundes; als gäbe es keine trennende Entfernung. Ariston dachte bedauernd an sein Versagen, bat, unbewußt, um Vergebung. Ganz klar empfing er da einen Gedankenstrahl, so rein, als höre er gesprochene Worte. "Fort mit dir, Ariston. Habe Geduld. Ich komme wieder." Die Imagination erlosch, doch dieses Mal blieb keine Leere zurück. Der Herrscher wußte mit letzter Sicherheit, daß er Orales erreichte; daß dieser Gedankenstrahl eine Art von geistiger Kommunikation darstellte. Er fühlte sich unbe schreiblich glücklich, wie von schwerer Last befreit. Er mußte sein Glück teilen, konnte es nicht allein tragen. Es gab auf Nodher nur Dorina, die ihn jetzt verstehen konnte. So eilte er zu ihr.
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riesterinnen führten Cynesta in einen geweihten Raum des Tempels. Ihre Bewegungen, ihre Sprache zeugten von der Heiligkeit der Stunde. Denn wo selbstlos, ohne jede Leidenschaft, neues Leben gerufen wurde, geschah ein Wunder. Ein ernster Mann trat auf Cynesta zu, hielt ihr den Pokal mit dem Trank des Vergessens entgegen. Cynesta schüttelte den Kopf. Leise, doch fest, lehnte sie ab. "Ich kenne euch nicht, auch wenn ich euren Rang anerkenne. Doch der mich in dieser Stunde leitet, soll auch sonst mein Führer sein. Moras' Falla des Lichts weise mich ein."
Der Priester verneigte sich leicht, entfernte sich. Man ließ Orales holen, der sich mit Xalares bei Sonte befand. Der junge Mann wies eine gewisse Ähnlichkeit mit Ariston auf, nicht nur äußerlich. Die Art seines Blickes bezeugte ein aufrechtes, offenes Wesen. Orales dachte daran, daß es ihm leichter wäre, könne er Sonte hassen oder wenigstens verach ten. Doch er empfand nur Bedauern für diesen jungen Men schen, der entgegen seinem innersten Sein zum Preister geweiht werden mußte. Sonte weigerte sich nicht, als Xalares von ihm das Opfer seines Samens verlangte. Fast anbetend sah er den Pala des Than an. "Ich freue mich," sagte er mit verblüffender Offenheit, "wenn ich einmal etwas zu tun vermag, das euch, Xalares, nicht enttäuschen wird." Nun wurde Cynestas Forderung Orales überbracht und er entfernte sich mit Xalares' Erlaubnis. Auf dem Weg zu ihr fühlte der Mann aus Moras, wie Ariston wieder einmal nach ihm verlangte. Die hilflos sehnsüchtigen Bemühen des Freundes blieben ihm ja nicht verborgen, doch die Klarheit, mit der nun ein wenn auch schwacher Rapport entstand, erstaunte ihn. Rasch sandte er einen Gedanken der Zurückweisung aus. Alles durfte geschehen, nur nicht, daß Aristons Geist auf Amarra entdeckt wurde. Innerlich atmete Orales auf, als der Rapport erlosch. Er mußte sich auf sein Werk konzentrieren, durfte jetzt auch keine Ablen kung dulden. Einer Berlocke entnahm er heimlich eine Prise von grauem Pulver, die er unbemerkt dem Trank Cynestas zufügte. "Trinke, Tochter," forderte er sie dann auf, "ziehe dich aus deinem Körper zurück und übergib ihn der Natur, damit neues Leben entstehen kann. Öffne einem wartenden Geist die Pforte zur Sterblichkeit, sei ihm der Pfad auf diese Ebene."
Wortlos ergriff Cynesta den Pokal. Nach kurzem Zögern trank sie ihn dann in einem Zuge aus. Orales aus Moras zog sich zurück. Die Priesterinnen entkleideten nun die Köni gin, salbten ihren Körper mit einer duftigen Essenz, betteten sie endlich aufs Lager. Sie verließen den Raum, als Sonte gebracht wurde, den man auf Cynesta legte. Dann blieben die Beiden sich selbst überlassen. Körperliche Reflexe würden sie vereinen, unbeteiligt von ihrem Geist, der wie im Halbschlaf nichts davon gewahrte.
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orina versuchte, sich nützlich zu machen, indem sie, inzwischen des Lesens kundig, schadhafte Schriften ausbesserte, die sich in Cynestas Zimmern befanden. Als Ariston ihr Gemach betrat, erschrak sie, legte rasch die Feder beiseite und wollte sich vor ihm neigen. Doch er umarmte sie voll Übermut. Seine Stimme überschlug sich fast vor Freude, als er Dorina von dem Rapport erzählte, dessen Wesen ihm freilich unerklärlich blieb. Doch daß Orales wieder kam, daran gab es für ihn keinen Zweifel. Dorina wurde mitgerissen von seinem Überschwang, ließ es sich noch einmal erzählen und noch einmal. Endlich begriff sie. Orales kam zurück! Nicht heute und wohl auch nicht morgen, doch irgendwann. Er vergaß die Freunde nicht, er wollte wie derkommen. Jubel erfaßte sie und ehe sie darüber nachdachte, preßte sie schon ihre Lippen auf Aristons Mund, küßte ihn mit aller Leidenschaft, die sie für Orales empfand. Und der Herrscher erwiderte ihren Kuß mit derselben Inbrunst, wenngleich seine Gefühle dabei nur Cyne sta galten. "Dorina," flüsterte er mit wachsender Erregung zwischen leidenschaftlichen Küssen, "schicke mich fort." Doch sie zog ihn fester an sich, bebend vor Verlangen. Wie im Wahn hob er sie auf, bettete sie auf ihr Lager, schob sich über sie. Dorina erschrak vor seinem leidenschaftlichen Begehren, schob ihn aber nicht zurück. Was Orales ihr ver
sagte, die ganze Zeit hindurch, was sich an Sehnsucht und Lust in ihr anstaute, das kam nun zum Ausbruch. Mit streichelnden, schmeichelnden, lockenden Berührung führte Ariston ihren jungen Leib zur Bereitschaft, sich zu öffnen. Es brauchte keiner Worte dabei, keines Geredes. Als er dann machtvoll in sie dringen wollte, begriff er endlich. Das Siegel von Dorinas Schoß war unerbrochen; Orales hatte sich ihr nie genaht. Dorina spürte sein Zögern, drängte ihm entgegen und er gab ihrem Begehren nach, doch sanfter nun, behutsam und beherrscht, bis beide sie in Leidenschaft und Rausch sich dann ergaben. Erschöpft und glücklich hielt Ariston danach den schmalen Körper der jungen Frau in seinen Armen. Dorina bettete ihr Haupt an seine Brust. Ein erlöstes Lächeln umspielte ihre Lippen. So schlief sie ein.
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ontes Leib lag noch reglos auf Cynestas Körper. Ganz langsam nur versteifte sich sein Glied, da keine Begierde unterstützend zur Eile drängte. Cynesta spürte es wohl, doch ging es sie nichts an. Dieser Körper mochte ihr gehören, doch nicht mehr als ein Gewand. Orales' Geist vereinte sich mit ihrem. "Steh auf." In ihrem Zustand besaß sie keine eigene Kraft, nicht einmal ein Bewußtsein. Was dieser Geist ihr befahl, mußte und wollte sie tun, als habe sie kein Leben. Sie erhob sich. Orales wies sie an, Sontes Hand zu nehmen und an sein Zeichen der Männlichkeit zu legen, sich danach neben ihn zu setzen und seinen Rücken sacht zu streicheln. Cynesta tat es, ohne es zu wissen. Mechanisch streichelte sie den Rücken des jungen Mannes, solange, bis Orales drängend befahl, sich unter ihn zu legen. Auch jetzt gehorchte Cynesta. Gleich darauf öffnete sich die Tür; Priester und Priesterinnen kamen herein. Die Männer führten Sonte weg, der ohne eigenes Bewußtsein sich ihnen fügsam zeigte. Und die Prie sterinnen brachten Cynesta in ihr Zimmer, wo Orales sie
erwartete. Er blieb und verhielt sich still, bis Cynestas geistloser Körper gewaschen und bekleidet war. Mit ihr allein, weckte er sie sofort auf. "Es bleibt uns nicht viel Zeit," mahnte er die Freundin, "denn nach Beendigung der Trance wirst du überprüft." "Sie ist doch beendet," staunte Cynesta. "Liebes," bat er, sie in die Arme nehmend, "ich werde dir später alles erklären. Ich wollte es dir ersparen, dich mir zu öffnen, doch ich vermochte nicht, dich in jenem Zustand zu zu vergewaltigen." Cynesta lächelte sacht, als wolle sie ihm versichern, daß sie ihm ohnehin alles erlauben würde. "Sonte hat sich nicht mit dir vereint," versprach Orales, "du mußt mir glauben, denn erinnern kannst du dich nicht. Willst du mir jetzt gestatten, daß..." Cynesta verstand. Sie hinderte seine weiteren Worte, indem sie sich zu ihm beugte und ihn küßte. Sie ergab sich dem Freund nicht nur in dem Wissen, daß Amarra getäuscht sein mußte, sondern auch in der frohen Bereitschaft, ihre Liebe zu beweisen. Orales' Nähe bereitete ihr Freude und auch die Vereinigung ihrer Körper war eine Wonne. Orales empfand dabei jedoch kaum Vergnügen. Aufmerksam lauschte sein Geist auf das Nahen von Priestern und erst im Augenblick der höchsten Lust vergaß er kurz die Außenwelt. Als die Priesterin zur Überprüfung kam, stand er am Fenster und hielt Cynesta einen dogmatischen Vortrag über den Sinn und Zweck der Tempelzeugung.
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ls Dorina erwachte, löste Ariston gerade ihre Zöpfe auf. Er lächelte sie an, küßte ihre Nasenspitze.
"Wart ihr mit mir zufrieden?" Betroffen starrte er sie an. Sein Lächeln erfror. "Zufrieden, Dorina? Glaubtest du denn, deinem König zu Willen sein zu müssen? Oh, dann vergib mir, Dorina. Ich konnte das nicht wissen." "Nein, Herr, nein," rief sie bewegt und schlang die Arme um seinen Hals, "so war es nicht gemeint, bestimmt nicht. Nur habe ich mir solange gewünscht, daß Orales zu mir käme und er behandelte mich immer wie ein Kind. Jetzt weiß ich nicht, ob alles richtig war. Ich meine, ich weiß nicht, ob ich..." "Du bist kein Kind mehr," half er ihr, "sondern eine hübsche, begehrenswerte Frau." Er küßte zart die Spitzen ihrer Brust. Gehemmt ließ sie es geschehen. "Was ist mit dir?" fragte er da. "Cynesta darf es nie erfahren," bat Dorina leise,"sie würde es mir nie verzeihen." "Was sollte sie dir denn verzeihen müssen? Du hast nichts getan, das einer Schuld gleichkäme, Dorina." "Doch, doch," wehrte sie ab, "kaum, daß Cynesta fort ist, gebe ich mich ihrem Gatten hin. Sie wird an unsrer Liebe und unsrer Treue zu ihr zweifeln." Ariston begriff dies Denken nicht. Er wußte wohl, daß es im Volk zum Teil vorherrschend blieb, doch sah er darin keinen Sinn. Er wollte Dorina beruhigen: "Glaubst du denn, ich sei Cynestas Eigentum und sie das Meine? Sollen wir eifersüchtig über einander wachen und
uns gegenseitig verbieten, wonach uns verlangt? Ist es in deinen Augen ein Beweis von Liebe, wenn ich Cynesta hindere, ihr Recht als Frau zu nehmen und sich zu öffnen, wem sie mag? Ich habe geschworen, ihre Kinder als die Meinen zu erkennen; aber kein Eid bindet mich, Bewacher ihres Schoßes zu sein. Und sie? Soll sie mich einengen, bevormunden und dies dann Liebe nennen? Nein, Dorina. Liebe ist Freiheit, die gewährt wird, kein Verlust derselben." Er fuhr ihr durchs Haar. "Ich weiß aber, was du meinst. Es beschäftigt und quält dich, daß Orales Cynesta liebt." "Das wißt ihr, Herr?" "Natürlich weiß ich es," gab er zu, "und es gefällt mir sehr. Sollte es mir mehr gefallen, wenn mein bester Freund meine eigene Frau nicht liebt? Ist es nicht das größere Glück für mich, wenn die Menschen, dich ich liebe, auch einander lieben?" "Aber wenn sie sich auch körperlich vereinen, dann ist es euch bestimmt nicht recht." "Wenn es beide danach verlangt und ein Ausdruck ihrer Liebe ist, was spricht dagegen? Würde sie sich, womöglich heimlich, einem meiner Feinde öffnen, so wäre dies vielleicht Verrat. Ist es aber ein Mann meiner Liebe, so verliere ich doch nichts. Nein, Dorina, Untreue ist Heimlichkeit und die Weigerung, zu teilen. Was du unter Treue verstehst, das ist eifersüchtiges Wachen über den anderen, ist ein Besitz ergrei fen und hat mit Liebe nichts gemein." "Denkt auch Orales so?" wollte sie da leise wissen. "Du denkst nicht so," stellte Ariston fest, "und darum bedauere ich, was geschehen ist. Nur darum, Dorina, aus keinem andern Grund." "Ich fürchte doch nur, daß Orales uns böse ist."
"Er hat Anlaß, mir zu zürnen," gab Ariston zu, "doch nicht wegen dir. Ich tat ihm Unrecht und, was schlimmer wiegt, ich vertraute ihm nicht. Was aber zwischen dir und mir geschah, das ist nichts anderes, als was jederzeit auch zwischen ihm und Cynesta geschehen dürfte. Warum sollte er uns deshalb zürnen? Muß er sich nicht vielmehr freuen, wenn wir einander trösten, einander nahe sind? Dich schmerzte es, läge er bei Cynesta und das beschäftigt dich. Du willst ihn für dich allein haben, mit keinem andern Menschen teilen. So geht es nicht, Dorina. Soll er um deinetwillen die ganze Welt verlieren? Wenn Liebe uns verarmen läßt, anstatt uns zu bereichern, ist sie nicht wahr, nicht gut, nicht hilfreich." "Priester denken so," murmelte sie erstaunt, "aber keine normalen Menschen. Gebieter, ich kann das so nicht akzeptie ren. So selbstlos bin ich nicht." "Auch ich bin nicht selbstlos," gestand er ihr lächelnd zu, "denn indem ich Cynesta die Freiheit gewähre, binde ich sie an mich; und umgekehrt. Menschen verlieren einander, weil sie besitzen wollen. Jeder Kerker reizt zur Flucht, auch der bequemste." Er löste sich von ihr, erhob sich und ergriff seine Kleider. "Wir wollen zusammen speisen und uns unterhalten, wo du dich freier fühlst. Nackt neben mir bist du befangen. Das ist betrüblich." Auch Dorina kleidete sich an. Als sie ihr rotes Haar binden wollte, sagte er: "Du hast sehr schöne Haare. Laß sie offen." "Das darf ich nicht." "Wenn ich's erlaube, wer will es dann hindern?"
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uf Xalares Bitten hin, die allerdings auch als Befehl verstanden werden konnten, begab sich Orales zu Sonte. Er sollte den jungen Mann davon überzeugen, daß Ariston ein mehr als nur schlechter Herrscher sei, dessen Entmachtung durchaus als Gottesdienst verstanden wer den durfte. Xalares hoffte, daß das Bemühen um die Weihe den jungen Mann dann mehr beflügelte, er ernster und forscher an diese Aufgabe ging. Da Sonte sich in seinem Zimmer etwas befangen zeigte vor dem Falla, lud Orales ihn zum Spaziergang ein. Das gemächliche Schreiten durch die herrliche Landschaft entspannte, zugleich lockerte es auch den Geist. Orales tat, wie ihm geheißen, obwohl er lieber anders sprach. Doch bald gab Sonte dem Gespräch eine neue Wendung. "Vergebt mir, Falla," sagte er voll Vertrauen, "ich weiß, daß man mit mir nicht zufrieden ist. Es ist nicht so, daß ich mich nicht bemühe. Ich kenne die Regeln auswendig und vermag im Geist jeden Schritt jeder Übung zu beschreiben. Doch auch wenn ich Stunden hindurch mich bemühe, es gelingt mir nicht einmal, meinen Geist vom Körper abzutrennen. Ja, natürlich, wenn ich in Trance versetzt werde, gelingt es mir schon. Doch willentlich kann ich es nicht erreichen." "Den eigenen Körper zu verlassen," erwiderte Orales behutsam, "ist nicht Vorbedingung der ersten Weihe." "Ich würde die Weihe bekommen, wenn ich auch nur eine Übung schaffte," behauptete Sonte, doch er freute sich nicht daran, "aber es geht nicht. Die erste kleine Weihe empfinge ich durch die Übung von Tabalke, dem Gott des Schweigens. Ich weiß das wohl, doch wie soll ich meine eigene Gedankenflut zum Schweigen bringen? Wie soll ich in mir diese Leere erzeugen? Ich fürchte mich davor!" Orales dachte nach. Die Furcht vor der Gedankenleere erschien ihm zunächst unverständlich, gab es doch keinen größeren Frieden, kein höheres Glück, keine tiefere Ent
spannung auf so leichtem Weg zu erreichen. Er zwang sich, an die von ihm geleiteten Schüler des Lichttempels in Moras zu denken. Sie alle empfanden zunächst diese Furcht. Es war die blanke Angst vor dem Nichts, die sich nur in einem Klima von unbedingtem Vertrauen überwinden ließ. Wenn der Schüler seinem Leiter nicht bedingungslos hingegeben war, konnte er diese Angst nicht überwinden. "Wer leitet dich, Sonte?" "Viele haben es schon versucht," gab der beschämt zu, "nun beginnt Xalares, der Pala des Than, damit. Aber er ist unzufrieden mit mir." Er blieb stehen, starrte zu Boden. Ein leises Stöhnen entrang sich seiner Brust, ehe er zaghaft sprach: "Würdet ihr mich leiten, Falla, dann gelänge es." Flehend sah er Orales an. "Ich bitte euch, helft mir. Ich bin sicher, daß ihr mich leiten könntet." Betroffen sah Orales den jungen Mann an. Wodurch ver diente er sein Vertrauen? Er machte ihm keine Vorwürfe, gewiß, und er erwartete auch nichts von ihm. Aber dieser Wunsch lag nicht in seinen Plänen. Er ergriff den Arm des Jüngeren und zog ihn mit sich. "Gehen wir weiter," sagte er endlich sanft, "so redet es sich leichter. Dein Vertrauen, Sonte, überrascht mich und es ehrt mich auch. Doch du weißt, daß ich in keinem Tempel lebe, sondern ein anderes Werk tue." "Ihr überwacht den König, ich weiß es. Doch das könnte jeder tun. Mir aber helfen könnt nur ihr. Xalares würde es gewiß verstehen und euch auf Amarra halten." Genau dies befürchtete Orales, doch er sprach es nicht aus. "Bist du denn sicher, daß du ein Priester werden willst?"
"Ich wurde dazu gezeugt,"erwiderte Sonte, als sei damit alles gesagt. 'Ja,' dachte Orales bitter, 'aber nicht als Opfer an die kosmischen Kräfte, sondern im Rausch. Du bist in Schwachheit gekommen und wirst jetzt überfordert.' Laut aber sagte er nur: "Ich fragte nicht nach deinem Ursprung, sondern nach deinem Willen." "Ich weiß nicht, was ihr meint, Falla." Orales ballte in ohnmächtiger Wut die Fäuste. Nein, der Junge wußte nichts von seinem eigenen Willen; er hatte keine Wahl. Als Falla lehnte er einst jeden Schüler ab, der nicht selbst das drängende Bedürfnis nach den Weihen in sich brennen spürte und dies geschah in allen Tempeln so. Wer die Berufung nicht empfand, der taugte nicht zu diesem Dienst. Nur Sonte fragte niemand, denn er bildete ein Mittel der Macht Amarras. Ob er litt, interessierte nicht. "Es gibt sicherlich Dinge, die dich sehr erfreuen," tastete er sich behutsam vorwärts, "Beschäftigungen, die dir gefallen, auch, wenn sie vielleicht sinnlos sind. Willst du mir davon erzählen?" "Xalares würde zürnen," zögerte Sonte. "Er hört uns nicht und wird es nicht erfahren, wenn du es nicht berichtest." "Ich liebe die Blumen," gestand Sonte kleinlaut. Als Orales ihn nicht tadelte dafür, sondern nur verständ nisvoll nickte, begann er, von den Blumen zu erzählen. Sein Herz gehörte nicht den heilsamen Blüten, sondern jenen, die Auge und Gemüt erfreuten. Er kannte ihren Bedarf an Wasser, Licht und Erdbeschaffenheit und berichtete davon mit glühender Begeisterung.
Als Orales ihm dann endlich begütigend die Hand auf den Arm legte, schwieg er beschämt. "Ihr tadelt mich?" "Keineswegs," erwiderte der Falla des Lichts ernst, "sind es doch die Gärtner, die so viel zur Freude der Menschen beitragen. Ein Tempel ohne Blütenmeer ist ein Unding und auch Amarra ist mit deshalb so mächtig, weil es ein Garten ist." "Aber Priester sind meist keine Gärtner." "So ist es, Sonte, denn jedermann muß tun, was er am Besten vermag. Es ist nützlicher, ein guter Gärtner als ein schlechter Priester zu sein." "Xalares denkt nicht so. Darum sollt ihr mich leiten." Orales schüttelte den Kopf. "Ich will es nicht," gab er zu, "denn ich würde dich zu einem Irrtum führen. Ich wäre ein schlechter Leiter, wollte ich aus einem guten Gärtner einen miserablen Priester machen und so weder dem Menschen noch den Göttern dienen." "Ich muß aber Priester werden," entfuhr es Sonte, "nur so kann das Volk des Nordens vor dem verderblichen Einfluß Aristons gerettet werden. Ich will es nicht, Falla, aber ich gehorche den Tempeln und Amarra. Warum helft ihr mir nicht?" Orales sah ihn nun sehr offen an. "Ich helfe dir," versprach er fest, "doch mußt du mir vertrauen. Ich verlasse Amarra schon morgen und ich kehre lange Zeit nicht zurück. Du lasse dich von Xalares leiten.
Wir werden einander wieder begegnen, Sonte, und dann löse ich mein Versprechen ein. Dein Leben wird sich erfüllen." "Ich will euch glauben," erwiderte Sonte enttäuscht, "doch ihr werdet mich vergessen, Falla. Ihr werdet mich verachten lernen, weil ich, ich weiß es nun, kein Priester bin, und sollte ich die Weihe auch empfangen." "Ich werde dich weder vergessen noch verachten," widersprach Orales und es klang wie ein Schwur, "ich werde mich dir im Gegenteil dankbar erweisen, wenn du meine Leitung nicht verlangst. Mehr kann ich dir nicht sagen. Doch wenn du mir vertraust, stehe ich dir bei, wenn niemand dir sonst helfen kann." Da nahm Sonte seine Hände und preßte sie gegen die eigene Brust zum Zeichen der Ergebenheit. "Ich traue euch, Falla," versprach er, "ihr seid der einzige Mensch, auf den ich zählen kann. Ich habe keine Freunde und keinen, der mich kennt. Enttäuscht mich nicht, ich bitte euch sehr."
O
bwohl die Schönheit Amarras Cynesta gefiel, atmete sie auf, als sie endlich wieder ihr Schiff betrat. Kaum, daß dieses das Blickfeld der Priester am Ufer verließ, lehnte sie entspannt den Kopf an Orales' Schultern. "Zehn Jahre hindurch dürstete es mich nach Amarra," sagte sie lächelnd, "heute verlangt es mich nur noch nach Nodher. Ich freue mich auf Ariston." "Vier Tage wirst du dich gedulden müssen," erwiderte Orales fröhlich, denn auch er freute sich, "in dieser Zeit mußt du entscheiden, ob ich dich wieder wie meine Königin halten soll."
"Ach, Orales, wie könnten wir verleugnen, was wir gemeinsam durchgestanden haben. Ariston wird nicht zür nen, wenn du mich beim Namen nennst, hat er dir dieses Recht doch schon seit langem eingeräumt. Es freut ihn nur, wenn wir einander gut sind. Heute wäre ich nicht traurig, wenn ich dein Kind empfangen hätte." "Du hast es nicht," stellte er trocken fest, "also denke nicht darüber nach." Zögernd stellte sie ihm da die Frage, die sie beschäftigte: "War auch Sonte in mir?" "Wäre ich es dann gewesen?" antwortete er mit einer Gegenfrage, erklärte aber sogleich: "Ich verfälschte deinen Trank des Vergessens, so daß deine Trance nur oberflächlich blieb. Du erinnerst dich zwar nicht, doch warst du immerhin so weit bewußt, daß du meinem Geist gehorchen konntest. Du hast Sonte zwar körperlich erregt, doch die Erleichterung verschaffte er sich selbst. Er weiß nichts davon, denn seine Trance war tief. Aber sprich von ihm nicht mit solchem Ekel. Er ist zu bedauern, nicht zu hassen." "Und doch wird er Ariston stürzen." "Nur," schränkte Orales ruhig ein, "wenn ich es nicht verhindern kann. Doch zunächst muß ich mich mit Ariston aussöhnen." "Gewiß bedauert er seinen Zorn schon," versicherte sie dem Freund, "vermutlich wird er dich um Verzeihung bitten." "Das ist nicht das Problem," stellte Orales richtig, "denn wir sind Freunde genug, um solchen Zwist zu überwinden. Nein, er muß mir verzeihen, daß ich Priester bin."
"Wenn du ihm das entdeckst," rief sie da erschrocken, "verstößt er dich. Dies darf er nie erfahren." Tags darauf fand sie Orales an der Reeling. Sie spürte seine Versenkung, störte ihn nicht, bis er selbst sich an sie wandte und lächelte. "Wo warst du?" fragte sie, "hast du Amarra überprüft?" "Nein, Cynesta. Ich habe versucht, Ariston zu erreichen, um ihm unser Kommen anzukünden." Cynesta lachte fröhlich. "Wie schön, daß auch ein Falla närrisch ist. Nur ein Priester vernähme den Ruf des Geistes und wo nicht, so könnte doch nur ein solcher ihn verstehen und deuten." "Wahrscheinlich hast du recht," lenkte Orales ein, Ariston hört mich nicht."
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orinas Anwesenheit bereicherte Ariston sehr, obwohl er ihr nicht mehr nahte. Sie verlor alle Scheu vor ihm und damit auch vor allen anderen Menschen auf Nodher, fegte wie ein Wirbelwind durch die Burg und erhellte mit ihrem Lachen die manchmal düster wirkenden Räume. Stets lud er sie ein, das Mahl mit ihm zu teilen und oft unterhielt er sich an den langen, ansonsten so einsamen Abenden mit ihr. Ritt er aus, begleitete sie ihn hin und wieder und erfreute mit ihrer Natürlichkeit sein Gemüt. Nun saß sie auf einem Schemel zu seinen Füßen und las ihm vor aus einer Schrift über die Gestaltung der Reiche. Er kannte den Inhalt, doch für sie war dies so neu und faszinierend, daß er dem Klang ihrer begeisterten Stimme lauschte. "Still," mahnte er plötzlich. Sie schwieg und sah zu ihm auf. Seine Züge wurden erst angespannt, dann ausdruckslos, doch bald darauf überzog ein strahlendes Lächeln sein Gesicht. "Orales kommt," offenbarte er ihr und erhob sich, "ich reite ihm entgegen." "Aber wohin?" "Keine Ahnung," gab er fröhlich zu, "doch ich glaube, daß die Ufer des Riatha die Richtung sind." "Darf ich euch begleiten, Gebieter? Bitte."
Der flehende Ausdruck ihrer Augen rührte ihn an. Lieber wäre es Ariston, könnte er dem Freund allein begegnen. Doch er gestattete es Dorina, um sie nicht zu verletzen. Wenige Soldaten ritten an seiner Seite, als der Herrscher sein Pferd eilig vorantrieb. Dorina hatte Mühe, ihm zu folgen. Doch konnte sie es selbst ja nicht erwarten, den Geliebten endlich wieder zu sehen. Ihr war der halb tadelnde, halb belustigte Blick nicht entgangen, den ihr Ariston angesichts ihres nun wieder gebundenen Haares zuwarf. Dorina hoffte sehr, daß der König Orales nicht erzählte, wie nahe sie ihm kam. Sie empfand ein schlechtes Gewissen dabei, doch kein Bedauern. Sie wollte diese schöne Stunde nicht missen, nur Orales und auch Cynesta sollten nichts davon erfahren. Endlich ritt der König langsamer, wohl begreifend, daß er sein genaues Ziel nicht kannte. "Schade um dein Haar," raunte er Dorina vergnügt zu, als sie an seine Seite ritt, "zuvor warst du viel schöner. Ich glaube, Orales würde dein offenes Haar auch besser gefallen." "Dann wüßte er alles," lehnte Dorina ab. "Willst du, daß ich ihn belüge?" "Wenn er nicht fragt, ist Schweigen keine Lüge," wehrte sie sich. Ariston lachte. "Da bin ich anderer Meinung," widersprach er freundlich, "ich fürchte, Dorina, deine Moral ist doppelter Natur und paßt sich deinen Wünschen zu sehr an." Sie schwieg, blieb aber bei ihm. Dorina kämpfte still mit sich.
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ynesta ritt neben Orales der Burg zu, gefolgt von der Dienerschaft, die während ihres Aufenthaltes auf der Insel das Schiff nicht verlassen durfte. "Ariston darf nicht erfahren, daß ich auf Amarra war," erklärte sie dem Freund, "er weiß, daß nur Priester das Recht dazu haben. Wir werden also zugeben müssen, daß unsere Reise keinen Erfolg brachte. Aber darauf hat ja auch niemand gehofft." "So erfolglos, wie du nun meinst," erwiderte Orales mit ernster Stimme, "war unsere Reise nicht, Cynesta. Auch weigere ich mich, Ariston die Unwahrheit zu sagen. Die Zeit der Lügen ist vorbei." "Was hilft die Wahrheit, wenn sie nur zerstört," murmelte sie bitter, "er erfährt noch früh genug, daß sein Vater so töricht war, einen Priester zu zeugen. Ariston hat keine Chance mehr gegen Amarra. Wir haben das Ge heimnis gelüftet, ja, doch es hilft uns nicht." "Einen Feind, den man kennt," antwortete Orales aber, "kann man auch besiegen. Solange wir nicht wußten, was Amarra plant, waren wir wehrlos. Nun nicht mehr." "Nun nicht mehr?" Aufmerksam sah sie ihn an, zaghaft hoffend. Er aber starrte freudig zu einem nahen Hügel, auf dessen Kamm soeben Reiter erschienen. "Ariston kommt," erkannte er erfreut, "nun mußt du dich entscheiden. Bleibt deine Priesterschaft unentdeckt, erschwerst du seinen Weg. Entdeckst du sie, enttäuschst du ihn nur kurz. Eure Liebe zueinander ist stark genug, die Wahrheit zu ertragen."
"Nein," entschied sie zweifelnd, "er darf es nie, niemals erfahren." Orales warf Cynesta einen mißbilligenden Blick zu, sagte jedoch nichts mehr zu diesem Thema. Seit vier Tagen versuchte er, die Freundin von der Notwendigkeit des Geständnisses zu überzeugen. Vergeblich. Nun gab er ihr wortlos nach. Für Reden blieb ohnehin keine Zeit mehr. Ariston galoppierte den Hügel herab, dicht gefolgt von Do rina, die das Band ihres Haares nun zerrend löste. Der Mann aus Moras sprang vom Pferd, half Cynesta beim Absteigen und sah seinem König entgegen, der sein Tier hart zügelte. Rasch ging Ariston auf die ersehnten Lieben zu. Etwas verlegen starrte er Orales an, fürchtend, dieser könne sich jetzt sehr tief neigen und ihm so die innere Ferne demonstrieren. Doch der Freund schob ihm nur die Gemahlin zu, wandte sich dann Dorina zu und überließ das Paar der Wiedersehensfreude. Er berührte die roten Locken Dorinas und wußte Bescheid, als sie schuldbewußt den Blick senkte. Freundlich umarmte er sie. Da löste sich Cynesta von Ariston, begrüßte die Schwester, deren Veränderung ihr nicht entging. "Hast du ihn getröstet?" fragte sie zärtlich, "wie lieb von dir, Dorina." "Du - du bist nicht böse?" Cynesta schloß sie zur Antwort in die Arme. Ariston, noch immer etwas verlegen, hielt Orales die Rechte entgegen. Der ergriff sie mit beiden Händen. "Genügt es dir, wenn wir später, ohne Zeugen, miteinander reden?" fragte Ariston da betreten. "Reden müssen wir," erwiderte Orales fest, "und es gut, wenn wir dann Zeit und Muße haben und vor Störung sicher sind. Ich habe viel zu berichten."
Da entschied der Herrscher, daß man sofort nach Nodher aufbrechen solle. Sie erreichten die Burg noch vor den Abendnebeln, speisten zusammen und Ariston hörte Cynesta zu, die von ihrer vergeblichen Reise nach Amarra berichtete, das sie angeblich nicht einmal betreten durfte. Sie fühlte sich nicht wohl bei diesen Worten und flehend sah sie mehr als einmal zu Orales, bittend, er möge sie nicht verraten. Mit ihrem Bericht wollte sie ja seine Beichte verhindern. Ariston, der nicht erwartete, Amarra könne anders rea gieren, wandte sich etwas verwundert an Orales, fragte, was der Freund auf dem Schiff und in Amarra wollte. "Auch dies," erwiderte der Falla des Lichts ruhig, "gehört zu den Dingen, die ich berichten muß. Doch nicht jetzt, nicht hier." "Du willst allein mit mir reden?" bot ihm der König an. Er erhob sich, verabschiedete sich geleitete den Freund durch die Gänge.
von den Frauen und
"Es ist kühl geworden," stellte er fest und führte Orales in ein kleineres Zimmer, in dessen Kamin das Feuer prasselte. Ariston rief einen Diener, hieß ihn einen Krug des milden, südlichen Weines bringen. Orales stand abwartend, bis sie bewirtet und vor Störung sicher waren. Ariston ließ sich auf dem dichten Teppich vor dem Feuer nieder, winkte den Freund an seine Seite. Ernst betrachtete er den Heimgekehr ten, ehe er bekannte: "Ich habe dich sehr vermißt, Orales, und ich gestehe dir gern meine Schuld. Meine Kränkung und mein Hieb werden nie ungeschehen sein, obwohl ich sehr vieles darum gäbe." "Kein Wort mehr," fiel Orales rasch ein, "es ist ungeschehen, sobald wir beide es vergessen. Ich bitte dich
von Herzen, Ariston, so nicht mit mir zu sprechen, denn ich habe wahrhaft Schlimmeres verdient." Der Freund atmete auf, als Orales ihn nach wie vor beim Namen nannte und so leicht verzieh. Doch er hakte nach: "Schlimmeres verdient? Du? Gibt es etwas, das du berich ten mußt, weil es zwischen uns steht? Dann schweige still. Was immer es ist, wenn es auch nur entfernt einem Schuldbe kenntnis ähnelt, will ich es nicht hören. Es gibt nichts, das ich dir verübeln würde, Freund." "Du bist vorschnell," warnte Orales, "vergib nie eine Schuld, die du nicht kennst." "So schlimm? Nun, dann vertraue dich mir an." Orales schwieg noch. Es fiel ihm sehr schwer, Ariston die Lüge zu gestehen und er fürchtete wahrlich um den Bestand der Freundschaft. Zugleich aber erinnerte er sich an die vielen Gelegenheiten, bei denen Ariston ihn überraschte durch tiefstes Verständnis und unerwartetes Verhalten. Er mußte das Risiko einer ernstlichen Auseinandersetzung eingehen und doch durfte er, was immer geschehen mochte, des Freundes Vertrauen nicht ganz verlieren. Zuviel hing davon ab, daß sie beide zusammen standen. Ihre Chance gegen Amarra blieb auch so gering genug. Er starrte ins Feuer, doch er ertastete auch die Hand des Freundes und hielt sie fest, als könne diese körperliche Berührung ein völliges Entfremden verhindern. "Du fragtest nie, weshalb ich Moras verließ," begann er dann entschlossen, "doch nun mußt du es erfahren. Ariston. Ich war dort Falla des Lichts und wurde von Amarra aus gewählt, dein Vertrauen zu erschleichen, damit du unter Kontrolle seist. Ich bin ein Priester."
Er wartete auf eine Reaktion. Der Herrscher hielt seine Hand noch fest, doch nicht mehr locker, sondern mit schmerz haftem Druck. "Alles Lüge?" fragte der König mit ausdruckslosem Gesicht und emotionsloser Stimme. "Nicht alles," schränkte Orales ein, "zumindest jetzt nicht mehr. Doch darüber zu reden, steht mir jetzt nicht zu. Ich kann nicht mehr sagen, ehe ich nicht weiß, ob du mich noch anhören willst." "Soll ich dich, den ich mehr liebe als jeden anderen Mann, als Geächteten brandmarken? Soll ich dich erdolchen?" fuhr Ariston ihn da wütend an, "Soll ich dich auspeitschen wie einen tollen Hund? Du willst nicht mehr sagen, wie? Ich aber sage dir, rede jetzt. Und wenn deine Rede nicht sehr gut ist, bei Raaki, wird es deine letzte sein." Orales hatte eine ähnlich heftige Reaktion erwartet, nicht aber, daß Ariston auch hier seinen Zorn so schnell zu beherrschen verstand. Denn noch ehe er etwas zu sagen vermochte, fragte der König, noch immer seine Hand schmerz haft fest umklammernd: "Ist es dein Werk, daß Cynesta die Kinder verlor?" Seine Stimme bewies seine mühsame Beherrschung. Ariston starrte nun selbst ins Feuer, wollte den Freund nicht sehen. "Es ist nicht mein Werk," erwiderte Orales fest. "Hast du meine Bibliothek an Amarra verraten?" "Nein." "Aber verraten hast du mich?"
"Nein." "Nein?" "Nein, Ariston, ich habe dich belogen. Das ist alles, was du mir anlasten kannst. Ich war bereit, ich gestehe es, alles zu tun, um an deiner Entmachtung mitzuwirken. Doch ehe mein Handeln gefordert war, liebte ich dich." "Gäbe es Beweise für Liebe, ich würde sie fordern," murmelte Ariston dumpf. "Laß mich allein." Er ließ Orales' Hand los, sah ihn aber nicht an. Der Mann aus Moras rührte sich nicht. "Erlaubst du mir noch ein Wort?" bat er. "Kann ein Wort diesen Schmerz heilen, diese Wunde ver schließen?" Da erhob sich Orales und ging zur Tür. Dabei horte er des Freundes leises Flehen: "Als ich dich demütigte und du geflohen bist, Orales, da zermarterte ich mich mit Selbstvorwürfen. Ich ließ dich suchen, bereit, mich zu erniedrigen, um dein Verzeihen zu erlangen. Ich fürchtete, dein Vertrauen in mich zerstört zu haben und blieb entschlossen, um unsere Liebe, um unsere Freundschaft zu kämpfen. Ich erwartete nicht, daß es leicht sei. Aber du warst mir jeden Kampf wert, auch den wider mich selbst." Ebenso leise erwiderte ihm Orales: "Uns trennt keine Priester und kann und bitten. Ohne meine Lüge Nähe gestattet und nie
Tat, sondern mein Sein. Ich bin will dafür nicht um Entschuldigung hättest du mir keine Stunde deine wäre Liebe zwischen uns gekeimt.
Zeitweise bedrückte dich deine Herrschermacht, doch du hast deine Königswürde nie abgelegt." "Wie sollte ich?" "Das war kein Vorwurf, Ariston. Du bist der König, dies ist dein Sein. Du hast mir erlaubt, dies zeitweilig zu vergessen, doch geblieben bist du es immer. Nun, ich bin Priester. Ich kann die Weihen nicht ablegen wie ein Gewand, nur, um dir gefälliger zu sein. Ich kann sie auch nicht abwerten, um dir eine Freude zu bereiten. Du bist ein König, ich ein Priester. Wenn dies zwei Welten sind, die sich nicht lieben dürfen, weil du es so willst, dann kann ich nicht kämpfen. Ich habe dir bisher nicht geschadet und werde es auch weiterhin nicht tun. Mehr gibt es wohl nicht zu sagen." Ariston starrte schweigend ins Feuer und da verließ ihn Orales fast geräuschlos.
U
nzufrieden mit sich und dem Lauf der Ereignisse suchte der Falla des Lichts aus Moras seine eigenen Räume auf. Im Grunde mußte er zufrieden sein. Ariston reagierte zwar abweisend, was zu erwarten war, doch weniger impulsiv, als zu befürchten stand. Als Falla kannte er genügend Wege, um einen Menschen auf seinenn Willen einzustimmen, und so erwog Orales eine Änderung seiner Pläne nicht einmal. Er hatte sich vorgenommen, Ariston zu helfen und genau das würde er tun, mit oder gegen dessen Willen. Nur andere Wege mußte er nun beschreiten. Orales gab sich einen inneren Ruck. Nein, noch war nichts verloren! Es lag bei ihm, Ariston auch zur Versöhnung zu verhelfen. Doch zuvor sollte der gekränkte Herrscher Zeit haben, seinen Kummer zu bewältigen. In ein paar Tagen sah man dann weiter.
Orales lag auf seinem Lager, starrte zur Decke und brachte durch die Übung der ersten Weihe seinen Gedankenstrom zum Schweigen. Und dann, frei von selbstischem Grübeln, gewahrte er Ariston. Der Geist des Freundes umgab ihn, grübelnd, zweifelnd. Jetzt wäre es ein Leichtes, die Gedanken des Königs nach eigenen Wünschen zu lenken. Mit einem Ruck setzte sich der Falla des Lichts auf. "Nein," wehrte er sich laut gegen sein eigenes Denken, "so nicht." Rasch erhob er sich. Er betrat wieder das Kaminzimmer, fand Ariston noch immer schweigsam am Boden sitzend ins Feuer starrend. Orales trat zu ihm, kniete hinter ihn und umarmte seine Brust. Sanft küßte er den Nacken des Freundes, der sich unter dieser Liebkosung versteifte. Orales ließ ihn los, setzte sich neben ihn. "Es gibt wirklich keinen Beweis für Liebe," sagte er mit fester Stimme, "wohl aber einen, der dir zeigen muß, daß ich dir und nicht Amarra ergeben bin." "Keine Lügen mehr," bat Ariston kraftlos. "Es ist deine Sache, mir zu glauben," hielt ihm Orales entgegen, "meine aber, dir die Wahrheit zu nennen. Ich war auf Amarra!" "Zog es dich zu deinen Leuten?" "Sprich nicht so ergeben," fuhr ihn Orales da an, "deinen Zorn ziehe ich vor. Nichts zog mich auf die Insel, das gegen deine Interessen wäre. Aber ich weiß, daß Amarra dich stürzen will und so suchte ich, das Wie zu erfahren. Du hast einen Bruder, der in etwa nach den Tempelgesetzen von deinem Vater gezeugt wurde, als er als Gast Amarras auf der Insel weilte. Du mußtest auf dem Schiff warten und durch das nun gezeugte Tempelkind wurde es unwichtig, ob
du Priester bist oder nicht. Denn dein Bruder, Sonte heißt er, soll künftig im Nordreich herrschen. Sobald er die erste Weihe empfängt, wird Amarra sein Recht fordern." "Habe ich nicht gesagt, daß ich verzichten will?" erinnerte ihn der Herrscher, "und ist es nicht unwichtig, wem ich mein Amt abtrete?" Orales packte ihn bei den Schultern. "Unwichtig, wem du dein Volk übergibst?" fuhr er ihn wieder an. "Aber ich verstehe, daß du von meiner Treue so wenig zu überzeugen bist wie von meiner Liebe. Was kann ich tun, Ariston? Ich bin, was ich bin." Er ließ ihn los, starrte gleich ihm ins Feuer. "Wenn du mir schon nicht verzeihen kannst, daß ich ein Priester bin, so vergib mir wenigstens die Lüge, die dich täuschte." "Ich kann dir alles vergeben und habe es bereits getan," erwiderte Ariston ernst und sah ihm nun in die Augen, nachdem er mit sanftem Druck das Gesicht des Freundes zu sich wandte, "doch ich weiß nicht, wie die alte Nähe, das vergangene Vertrauen wieder entstehen soll. Du hast nichts von mir zu befürchten und ich fordere auch nicht, daß du Nodher verläßt. Doch mehr verlange nun nicht von mir." "Ich bleibe auf Nodher, hoffend, daß du mir einmal mehr gewähren kannst," versprach Orales, ehe er Ariston verließ.
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orina litt unter der bedrückten Stimmung, die nun Ariston und auch Cynesta überwältigte. Daß Orales die gemeinsamen Stunden nicht teilte, tat ihr weh. Sie wußte nicht so genau, was geschehen war. Cynesta erklärte zwar, daß der König erfuhr, der Mann aus Moras sei Priester, doch begriff sie nicht, was daran schlimm sein sollte. Im Gegenteil erschien es ihr erfreulich, daß die ihr so unbekannten
Menschen der Tempel so freundlich und liebenswert zu sein vermochten. Um der Beklemmung in der Burg zu entflie hen, zog sie oft lange Streifzüge durch die Gärten vor. Sie liebte diese friedvollen Orte. Wieder starrte sie durch die Stäbe des Tores, das den verwilderten Garten des Burgtempels abschloß. Seit Tagen kam sie schon. Wenige Schritte hinter dem Tor wuchs ein prächtiger Mesa-Strauch, dessen Blätter angeblich Zauber kräfte enthielten. Dorina interessierte sich nur für die Knospe. Einmal im Jahr, an einem einzigen Tag blühte der Mesa und man sagte, daß seine Blüte die Königin der Schönheit sei. Dorina wartete. Vielleicht würde es Cynesta etwas aufmuntern, wenn sie ihr diese Blüte brach. Endlich war es soweit! Fast atemlos betrachtete das Mädchen die Schönheit der Mesa, die wirklich grenzenlos schien. Groß wie ein Kinderkopf leuchtete ihr das schillernde Farben spiel der ausgebreiteten Blütenkrone entgegen. Wenn Cyne sta dieses Wunder sah, dann mußte sie sich einfach freuen. Geschickt kletterte Dorina über die Gartenmauer. Sie kniete bei dem Strauch, um die Blüte mit einem lange Stiel brechen zu können. Da durchzuckte sie ein brennender Schmerz. Mit leisem Aufschrei faßte sie an die Wade, wäh rend sie mit entsetztem Blick der Onik-Viper nachstarrte, die sich eilig davon schlängelte. Sie besaß nicht einmal ein Messer, um die Wunde aufzuschneiden. Vergessen war die Mesa-Blüte. Dorina eilte zur Mauer und merkte sofort, wie jeder Schritt schwer fiel. Das Bein fühlte sich pelzig an, wie dick geschwollen und doch bewies nur die winzige Bißwunde der Schlange die Gefahr. Dorina fand nicht die Kraft, die Mauer zu erklimmen. Wimmernd kauerte sie auf dem Boden. Sie gab die Hoffnung auf, in diesem verlassenen Teil der Burg je gefunden zu werden.
C
ynesta stürmte voll Unruhe in Aristons Arbeitszim mer. Der Geliebte bemerkte ihre Erregung und schickte seine Besucher sofort hinaus.
"Dorina," stammelte Cynesta bleich, "ich spüre, daß sie in großer Gefahr ist." Er wollte etwas fragen, doch sie wiederholte schon: "Ich spüre es einfach, Ariston. Hilf ihr." "Wo ist sie?" "Ich weiß es nicht," rief Cynesta verzweifelt, "auch ihre Mädchen haben keine Ahnung." Nun weinte sie, von ahnendem Entsetzen geschüttelt. Ihre Angst rührte Ariston, der beim Gedanken an Dorina nun selbst Unheil spürte. "Wir werden sie suchen lassen," entschied er, doch Cynesta fiel ihm in die Arme. "Ich weiß, daß es eilt," stammelte sie. "Und was soll ich tun?" Voll Mitleid sah er sie an, bereit, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Cynesta sagte leise und widerstrebend: "Orales ist Falla. Er könnte Dorina telepathisch finden." Ariston sprach nicht mehr von dem Freund und darum fürchtete sie, er könne ihr diese Worte übelnehmen. Doch statt dessen staunte er nur: "Orales weiß es noch nicht?" Sofort eilte er zu dem Mann aus Moras. Cynesta folgte ihm. Sie wartete keine Begrüßung zwischen den Männern an, sondern bestürmte Orales sogleich, die Schwester zu ermitteln. Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle
Orales ablehnen. Doch innerlich schrie er nur. Cynesta war Priesterin, weshalb vergeudete sie kostbare Zeit, anstatt sich ihrer eigenen Kräfte zu bedienen? Zwar nur im dritten Grad mochte ihre telepathische Ausbildung unvollkommen sein, vorhanden war sie doch. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe der Falla des Lichts leise sagen konnte: "Ich sehe sie. Sie kauert an der Tempelmauer, innerhalb des wilden Gartens. Sie scheint verletzt zu sein. Ihre Signale sind sehr schwach." Ariston rannte schon hinaus, rief nach seinen Leuten.
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oryn flöste dem inzwischen bewußtlosen Mädchen einen Trank ein, während die Ärztin Maranis die winzige Beinwunde vertiefte, damit Blut das Gift auswasche. Doch sie murmelte dabei: "Es ist sinnlos. Niemand kann ihr mehr helfen." "Was redest du?" verlangte Ariston herrisch eine Erklärung. "Sie war bei dem Mesa-Strauch," erwiderte Maranis, ohne ihre Arbeit dabei zu unterbrechen, "zwei Blätter hingen an ihrem Gewand. Wer die Mesa-Blüte bricht, muß sterben." "Aberglauben," fuhr sie der König an, "Weibergeschwätz. Eine Schlange biß Dorina." Da hob Moryn, der alte Arzt, den Kopf. "Wie dem auch sei, Gebieter. Ich fürchte, daß das Mädchen aus diesem Schlaf nicht mehr erwachen wird." Cynesta sank schluchzend neben dem Lager der Schwester nieder, während sich Ariston über Dorina beugte. Ihr Atem ging sehr flach und dem König war, als befände sich
Raaki, der Gott des Todes, schon im Raum. Als Orales das kleine Zimmer betrat, fuhr er ihn an: "Hinaus!" Er konnte das salbungsvolle Geschwätz der Priesterschaft jetzt nicht ertragen. Doch kaum, daß Orales den Raum verließ, erinnerte sich Ariston an die Liebe, die Dorina für diesen Mann empfand. Es war ihr Recht, die letzte Stunde des jungen Lebens in seinem Arm zu verbringen. Leise verließ der Herrscher den Raum, suchte den verlorenen Freund auf und teilte ihm sein Denken mit. Orales fühlte die Fremdheit zwischen ihnen mit Bestürzen. "Dorinas Leben liegt in deiner Hand, Ariston," sagte er ernst, noch immer nicht bereit, die Anrede zu wählen, welche die Trennung als endgültig ausweisen mußte. "In meiner Hand?" nichts für sie tun."
Er schüttelte den Kopf. "Ich kann
Orales ergriff spontan seine Rechte. "Verzeih mir, wenn ich dich jetzt verletze," bat er, "doch vergiß nicht, ich bin Falla des Lichts. Dein Verbot verhindert auf Nodher jede priesterliche Tätigkeit. Laß mich Dorina beistehen, als Priester, als Falla. Es verpflichtet dich zu nichts, wenn du mir jetzt hilfst." "Wenn du ihr helfen kannst, als Mann, als Arzt, als Priester oder was auch immer, so zögere nicht," ersuchte ihn der König mit beschwörender Stimme, "wie sollte ich dich hindern können dabei?" "Ich brauche aber deine Hilfe!" "Verlange, was du willst."
"Dann komm mit mir." Orales hob nur kurz die Augenlider der Kranken an, ehe er sich umwandte und fast barsch verlangte: "Alle hinaus." Ariston unterstrich seinen Wunsch mit einer befehlenden Geste und so gehorchen die Ärzte, wenn auch verwirrt. "Du auch, Cynesta," forderte der Falla. Sie wehrte sich weinend, doch da hob Ariston sie auf und schob sie aus dem Zimmer. Rasch berichtete er von dem, das die Ärzte taten. "Das Gift nähert sich dem Herzen," erkannte Orales, der nun eher sachlich und kühl sprach, "ich kann es aufhalten, aber nicht zerstören, ehe ich weiß, von welcher Schlange es stammt. Es ist spät. Ariston, es wird schwer für dich, doch versuche, in Dorinas Geist einzudringen. Die Erinnerung an die Schlange muß sehr frisch, sehr wirksam sein. Spüre sie auf und wenn du das Tier erkennst, sage es mir. Vielleicht gelingt es, das Herz Dorinas solange zu schützen." Sprachlos starrte Ariston auf Orales. "Das kann ich nicht," murmelte er und er empfand es als Mangel, "ich bin kein Priester." "Du kannst es," widersprach Orales, während er seine Rechte auf Dorinas Brust legte und schon langsam einer geheimnnisvoll tiefen Konzentration verfiel, "du hast auch meinen Geist oft erreicht. Versuche es." Ariston starrte ihn weiter an, begriff, daß er Orales jetzt nicht mehr stören durfte. Das Gefühl der Ohnmacht er drückte ihn fast. Er wollte Dorina helfen, doch seine
Gedanken fanden keine Ruhe. Wie sollte er sich konzentrie ren? Die tiefe Zuneigung, die er für Dorina empfand, wühlte ihn nun eher auf. Mit feuchten, doch blickleeren Augen starrte er auf das schon vom Tode gezeichnete Gesicht des Mädchens. Ihre Züge verschwammen vor seinen Augen, lösten sich auf in einen Regen von bunten Funken, die bald zu rotieren begannen. Ein dumpfer Schmerz drohte ihm den Kopf zu zersprengen und er wünschte, die Augen bewegen zu dürfen. Doch er fürchtete, dann wieder klar zu sehen und damit vielleicht alles zu zerstören. Ariston hatte keine Ah nung, was Orales genau erwartete. Seine Schläfen pochten, ein stechender Schmerz hämmerte in seinem Hinterkopf. Es war ihm, als presse eine gewaltige Faust sein Gehirn, wolle es zerquetschen und zugleich zogen sich die rotierenden Farbflecke immer mehr zusammen, sich dabei schneller und schneller drehend. Winzig wurden sie, umgeben von Schwärze und mit einem Mal waren sie so klein, daß es nichts mehr zu sehen gab. Einen Sekunden bruchteil schaute Ariston das absolute Nichts, kurz darauf erkannte er eine grüne Schlange mit gelbem Zackenmuster, die den Farben ins Nichts folgte. "Onik," entwanden sich mühsam die Buchstaben seiner Kehle, was er nicht einmal bemerkte. Denn dieses schwarze Nichtsein, das er schaute, umschloß ihn. Ariston brach ohnmächtig zusammen. Er wurde nicht Zeuge, wie Orales um Dorina kämpfte und sah nicht das Aufatmen des Freundes, als ein winziger Blutstropfen die Wunde verließ.
A
ls Ariston wieder zu sich kam, fand er Orales neben seinem Lager sitzend warten. Verwirrt sah er sich um, erinnerte sich endlich. Orales hob seinen Kopf ein wenig an, flößte ihm kalten Tee ein, sprach dabei:
"Es tut mir sehr leid, Ariston, daß ich dir das zumuten mußte; vor allem, daß ich dich darin allein zu lassen gezwungen war. Doch ich mußte mich auf Dorina konzen trieren. Sei ruhig, Freund, sie schläft und wird gesunden." "Freund?" Freund?"
murmelte
Ariston
schwach,
"noch
immer
"Ich werde dir nie etwas anderes sein," versprach der Falla ernst, "doch das ist jetzt nicht wichtig." Ariston fühlte sich wie zerschlagen. Eine bleierne Müdigkeit lastete auf ihm. "Bleib bei mir," bat er noch, dann schlief er ein. Als Ariston erneut die Augen öffnete, wachte Cynesta bei ihm. Er lächelte, ließ sich ihren besorgten, sanften Kuß gern gefallen, fragte dann aber sofort nach Orales. Cynesta ging und sandte ihm den Freund. Fragend sah Ariston ihn an. "Was willst du wissen?" erkundigte sich Orales, sich zu ihm setzend und mit natürlichster Selbstverständlichkeit aus seinem Becher trinkend. "Ich verstehe nicht, was geschah," gestand Ariston nach denklich, "ich würde gern beschreiben, was ich sah, und wie, doch ich finde kaum die Worte dafür." "Ich weiß es," bekannte Orales ihm, "denn jener Ort ist mir bekannt." "Es war weniger ein wehrte der Herrscher ab.
Ort als vielmehr ein Zustand,"
"Dennoch ein Ort," versicherte ihm der Falla des Lichts.
"Wenn du es kannst, so erkläre es mir," bat Ariston, von den Ereignissen noch immer überwältigt. Orales sah ihn mit einem Blick voll Liebe an. "Du hast den Ort des Nichtseins erreicht, Freund, wo Tabalke, der Gott des Schweigens, wacht. Verwundere dich nicht über deine Schmerzen dabei, nicht über die harte Art der Rückkehr. So werden Eindringlinge ferngehal ten zu ihrem eigenen Schutz, weil längeres Verweilen dort ohne die entsprechenden Fähigkeiten gefährlich ist. Im Nichtsein bist du verbunden mit allem Sein - denn dies ist dasselbe, doch deine Konzentration auf Dorina bewirkte das Bild der Viper. Ich weiß keinen Menschen, der dies alles ohne Anleitung vermag. Denn," fügte er nach kurzem Zögern hinzu, "jener Ort ist die Ebene der ersten Weihe." Er fühlte die Ablehnung des Freundes, ließ seine Worte jedoch stehen. "Sprechen wir nicht mehr darüber," entschied Ariston nun, "auch nicht über deine Weihen. Wenn wir beide uns bemühen, Orales, werden wir wieder Freunde sein?" Der Falla überhörte die Werbung willentlich. "Glaubst du denn wirklich, du kannst deinen Wunsch nach den Weihen besiegen, indem du ihn verschweigst? Beweist nicht dein ganzes Leben das Gegenteil?" "Füge einer alten Wunde keinen neuen Schmerz hinzu," bat Ariston leise, "denn wenn du mir hier bedeutest, daß ich die Weihen erreichen könnte, daß mein geheimer Wunsch nicht unsinnig ist, so steigert er sich zur Qual. Ich habe oft überlegt, ob ich Amarra meine Macht im Tausch gegen die Weihen bieten soll."
"Amarra hätte abgelehnt," offenbarte Orales, "überdies sind die Weihen auch nicht zu kaufen, wie eine Sache zu erwerben. Du hast jenen Ort gesehen, Ariston. Nur der Mensch, der sich dort willentlich aufzuhalten vermag, kann jene Weihe empfangen. Das Erteilen derselben steht nicht in der Macht der Priester." "Ich weiß wohl, daß jede Weihe mehr ist als ihre Zeremonie im Tempel. Doch überlege, ehe du weiter sprichst, denn ich will dich nicht verführen, mir die Geheim nisse deines Standes zu enthüllen." "Du kannst sie tragen," entschied nun Orales mit fester Stimme, "Verrat gilt nur vor Unwürdigen. Ich ahne deine Fähigkeiten, Freund, denn ich verspürte hin und wieder deinen Geist. Sehr deutlich war es auf Amarra, als ich dich von mir wies. Hast du mich damals vernommen?" "Ich vernahm Worte im Geist, die mich zur Geduld mahnten und deine Wiederkehr versprachen," erinnerte sich Ariston, "doch ich war nie sicher, ob es deine Worte waren." "Gedanken, nicht Worte," schränkte Orales ein, "damals mußte ich dich vertreiben, denn dein ungeschützter Geist konnte zu leicht von anderen bemerkt und auch vernichtet werden. Daß du mich aber auch dort gefunden hast, bestä tigte meine Vermutung." "Was vermutest du?" "Nun, es ist schwer, dies auszusprechen," gab Orales ruhig zu, "auch gründet sie sich nicht nur auf diesen Rapport. Ich habe oft mit Staunen festgestellt, wie leicht du dich in die Seele eines anderen Menschen hinein versetzen kannst; wie du fast mühelos deinen leicht erregbaren Zorn besiegst; wie du deinen Stolz zu überwinden vermagst. Nach und nach begriff ich, daß du das Idealbild eines Priesterschülers bist. Erschrick nicht, Freund. Als Falla im Tempel des Lichts habe
ich die Schüler ausgewählt; die Unfähigen verstoßen und die Besten selbst geleitet. Ich weiß also, wovon ich rede." "Wovon gewiß, doch auch wozu?" Orales lächelte, ehe er antwortete: "Es gibt ein geistiges Gesetz, das mir verbietet, dir noch mehr zu sagen, Ariston. Nur eines sollst du noch wissen: dein Bruder Sonte hat bislang die Ebene des Nichtseins noch nicht einmal gesehen. Doch genug der Worte nun. Du liegst wie ein kranker Mann zu Bett, während draußen die hohen Nebel einen klaren Tag versprechen. Ein scharfer Ritt beflügelt oft den Geist." Damit ließ er den Freund allein, sehr befriedigt mit dem Verlauf der Dinge.
D
ie Freunde wichen einander nun wohl nicht mehr aus, doch lenkte Ariston jedes Gespräch, das auch nur ent fernt an die Tempel erinnern mochte, nachdrücklich auf andere Themen. Orales erkannte dies wohl und ließ ihm Zeit. Ihm genügte es zunächst, trotz seines Priestertums der verbundene Freund des Herrschers zu sein, ja, es erstaunte ihn sogar, daß Ariston ihm den Titel und damit auch die Macht des Pala ließ. Das alte Vertrauen entstand nun wieder, denn auch zuvor blieb es ja unmöglich, offen über priesterliche Angelegenheiten zu sprechen. Dorina genas rasch. Sie empfand tiefes Glück, sobald Orales ihr etwas Zuneigung zeigte, litt jedoch dabei, weil diese stets mehr brüderlicher Art blieb. Sie freute sich, als sie ihn nun auf einem seiner langen Spaziergänge durch die Gärten begleiten durfte. "Dort drüben muß der Mesa-Strauch wachsen," rief sie, in Richtung des vergessenen Tempels deutend, "ach, ich
wünschte, Cynesta hätte die Blüte gesehen." "Wünsche es nicht," erwiderte Orales ruhig, "denn auch ich würde dir dann nicht helfen können." "Es ist doch Unsinn, wenn Maranis behauptet, daß jeder sterben muß, der die Mesa-Blüte bricht." "Die Wahrheit nähert sich oft im Gewand der Torheit," antwortete Orales und lächelte dabei, "doch wird sie deshalb nicht zur Lüge, Dorina. Wer die Blüte des heiligen Mesa bricht, kommt nicht umhin, den Duft zu atmen, der aus der frischen Wunde des Strauches entströmt. Wie ein Gift wirkt dieser und langsam stirbt der Frevler in Siechtum dahin. Denn das Geheimnis des Mesa ist tief." "Puh," rief Dorina fröhlich, "jetzt redest du wie ein alter Zauberer. Aber ich bin froh, nur der Viper begegnet zu sein." "Sie ist die Freundin des Strauches," versicherte Orales fast nachsichtig, "wo immer ein Mesa erblüht, wohnt in seinen Wurzeln die Onik-Viper. Freunde stehen einander bei, nicht nur bei Menschen. Man sagt, daß magische Mittel den tödlichen Duft verhindern können und daß die Onik dann die Mesa räche. Es gibt viele Geheimnisse." "Ich bin froh, dich als Freund zu haben," sagte sie, mit einem Mal sehr ernst. Orales legte den Arm um ihre Schulter, ging aber weiter dabei. Nach kurzem Überlegen sagte er dann: "Als Freund darf ich dir dann entdecken, daß du empfan gen hast, Dorina?" Sie zuckte zusammen, als habe er sie geschlagen. Unfähig, auch nur einen Schritt zu gehen, starrte sie ihn voll Entgeisterung an, langsam den Kopf dabei ungläubig schüt
telnd und wie abwehrend die Hände ausstreckend. "Du wußtest es nicht?" staunte Orales, "hast du deine Tage nicht gezählt." Ihr Blick verriet ihm, daß es so war. Wieder legte er den Arm um sie. "Was ist so schlimm daran, Dorina? Dein Kind wird ebenso zu uns gehören wie du." "Ich kann den Vater nicht nennen!" rief sie da gequält. Dorina wandte sich um und lief davon, das Ganze kaum begreifend. In den Nebelreichen stand es wohl jeder Frau zu, nach Belieben bei einem Mann zu liegen und es galt auch nicht als Schande, unvermählt zu gebären. Es genügte doch, wenn der Name des Vaters in den Büchern festgehalten wurde, denn dieser Name gehörte zum Recht des Kindes auf das Wissen nach Herkunft und Abstammung. Schlimm wurde die Sache nur, wenn die Mutter den Namen des Vaters nicht wußte oder aus irgendwelchen Gründen nicht angeben konnte, denn es hieß, daß ein Weib, welches das Recht des Kindes schon bei der Zeugung schmälerte, unfähig sei, ein solches zu erziehen. Meist wurden solchen Frauen die Kinder weggenommen und ihnen das Recht versagt, künftig unvermählt zu empfangen. Dorinas Gedanken wirbelten im Kreis. Sie wußte ja, daß nur Ariston der Vater sein konnte, denn keinen anderen Mann hatte sie je geduldet. Und ausge rechnet seinen Namen durfte sie nicht nennen. Der Sitte entsprechend anerkannte auch der vermählte Mann die Kinder, die er außerhalb der Ehe zeugte und vermutlich würde Ariston dieser Pflicht durchaus nachkommen. Aber wie sollte sie Cynesta das antun? Litt die Schwester nicht genug darunter, schon zwei Fehlgeburten zu erdulden? Sollte nun sie, Dorina, das Glück beweisen, das Aristons Kind bedeuten konnte? Nimmermehr! Um Cynestas Willen mußte sie den Weg der Schande wählen, obwohl kein Mann der Ehre sie dann mehr betrachten würde. Sicher verachtete auch Orales sie nun.
Der Mann aus Moras fand das weinende Mädchen tief im Garten versteckt, schloß sie einfach in die Arme und küßte sie nun auch; nicht wie ein Bruder, sondern wie ein Mann. "Dorina," sprach er dabei sehr zärtlich, "wenn du willst, so magst du mich als Vater nennen." Mit tränennassen Augen sah sie ihn an. "Du, du verachtest mich nicht?" "Wie sollte ich, Kleines?" "Und fragst nicht nach dem Vater? Ich könnte es dir nicht sagen, Orales." Er hielt sie noch immer fest, als er anbot: "Wenn du willst, so kann ich dich überprüfen und es müßte möglich sein, den Vater zu ermitteln." Dorina erschrak, löste sich rasch von ihm. "Nein," sagte sie und ihre Stimme klang hart, "das will ich nicht. Eher ziehe ich die Schande vor und bitte den Herrscher und Cynesta, mich nicht ganz zu verstoßen." "Niemand verstößt dich," versprach Orales ruhig, "die dich lieben, werden dich verstehen. Soll ich mit Ariston darüber reden?" Sie schüttelte den Kopf, abwehrend die Hände erhoben. "Bitte, noch nicht. Wenn es sich nicht mehr verbergen läßt, ist es noch immer früh genug." "Wie du willst," gab Orales sofort nach, "nur glaube nicht, daß ich dich überwache. Als ich um dein Leben stritt, mußte
ich mich mit den Energien deines Körpers vereinen und nur dadurch habe ich dein Geheimnis erfahren. Das war unvermeidlich, doch nicht geplant. Vergiß es nicht, Dorina, wenn du es willst, werde ich dein Kind anerkennen. Und ich stelle dir keine Frage nach dem Woher und Warum. Jetzt aber komm' zurück. Die Nebel senken sich, es wird kühl." Als Orales sie in die Burg führte, grübelte er doch ein wenig. Daß sich Dorina Ariston öffnete, wußte er auch ohne Worte, doch daß auch andere Männer sich ihr nahten, verwunderte ihn. Denn wäre Ariston der Vater, so gab es ja keinen Anlaß, ihm diese Freude nicht zu gönnen.
A
uf Amarra mühte sich Sonte, der Bruder Aristons, mit verzweifelter Verbissenheit um die erste Weihe. Inzwischen leitete ihn ja Xalares, der Pala des Than und mit nach diesem der mächtigste Mann des Priesterstaates, zugleich auch ein großer Wissender und Teilhaber der höchsten Weihen. Es gab keinen Grund, Xalares zu fürchten, denn er erwies sich als geduldiger Lehrer. Und doch, Sonte spürte in allem eben jene Geduld heraus und empfand sich dadurch als minderwertig. Selbst die einfachsten Atemübungen fielen ihm schwer und wo seine Konzentration gefodert wurde, versagte er ganz. Xalares nahm ihn hart in die Schule, beschnitt seine freie Zeit mehr und mehr. Zu all seinen Schwierigkeiten mußte Sonte nun auch noch die Sehn sucht nach den einsamen Stunden inmitten von Amarras Blütenmeer ertragen. Und mehr als nur einmal erwog er den Gedanken, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen. Es erschien ihm besser, als sich bis ans Ende seiner Tage vergeblich zu mühen. Nur ein Gedanke gab ihm Kraft: der Mann aus Moras, Orales, Falla des Lichts hatte ihm Hilfe versprochen. Sonte klammerte sich an dieses Versprechen, inbrünstig hoffend, daß Orales es eines Tages einlösen würde.
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uf Nodher inzwischen bemerkte Cynesta wohl das Bemühen des Gatten, nicht über Tempeldinge zu reden. Sie wußte zwar nichts von jenem langen Gespräch zwischen ihm und Orales über die Weihen, doch sie ahnte dessen Inhalt. Daß sie es nicht wagte, Ariston die Wahrheit über ihr eigenes Priestertum zu gestehen, hielt sie sich als Versagen vor, zumal der Herrscher dem Freund doch verzieh. Doch die Furcht, Aristons Liebe zu verlieren, überwog. Orales sprach mit ihr nicht mehr darüber. Sie vertraute ihm Leib
und Leben an, nicht aber diese Liebe. Cynesta suchte den Mann aus Moras in dessen Räumen auf. Es drängte sie, mit ihm über Ariston zu reden, verspürte sie doch oft, um wieviel mehr er den Geliebten verstand. An diesem Verständnis wollte sie teilhaben. "Ich weiß schon," gab sie zu, "daß Ariston auch früher nicht über Priesterdinge redete, doch jetzt erscheint es mir fast krampfhaft. Ist sein Verzeihen für dich doch nicht ohne Vorbehalt?" "Mit mir hat dies nichts zu tun," versicherte ihr Orales rasch, "es geht dabei nur um ihn. Ariston weiß, wenn er mit mir das nächste Mal darüber redet, muß er sich entscheiden und das fürchtet er." "Entscheiden? Wofür?" "Er weiß nun manches, Cynesta, das sein Leben verändert hat. Er weiß, daß ich Falla bin; weiß, daß er fähig ist, die Weihen zu erlangen und er weiß, daß ich ihn leiten kann. Er weiß dies, obwohl wir nicht darüber sprachen." "Du ihn leiten? Aber, Orales, das darfst du nicht! Es wäre gefährlich für ihn." "Nein," erwiderte Orales fest und drückte ihr wie zur Bekräftigung die Hände, "es gibt keine Gefahr. Ich bin überzeugt, daß Ariston viele Leben hindurch bereits die Weihen erreichte und was ein Mensch sich geistig erwarb, verliert er durch Inkarnationen hindurch nicht, sondern erreicht es immer wieder fast mühelos. Ich bin Falla, Cyne sta. Ich kann ihn leiten." "Dann biete es ihm an," rief sie erregt und freudig, "so wird Amarra verlieren müssen. Du mußt es tun." Er hielt ihren Uberschwang zurück, umarmte sie herzlich.
"Cynesta, Geliebte," mahnte er, "überlege doch. Nichts garantiert einen Sieg über Amarra; nur einen fairen Kampf können wir, vielleicht, erreichen." "Alles ist besser," murmelte sie, sich an ihn schmiegend, "als Ariston wehrlos zu lassen. Hilf ihm doch." Orales streichelte ihr Haar, küßte tröstend ihre Stirn. "Nicht der Lehrer wählt den Schüler," erinnerte er, "der Schüler muß den Lehrer wählen und ihn um die Lehre bitten. Der Weg ist gefährlich nur für jene, denen es an innerer Sicherheit mangelt. Ich habe gute Männer ziehen lassen, weil sie ihre innere Berufung nicht erkannten und ich werde Ariston nicht drängen. Er muß seinen Weg selbst erkennen." Cynesta nickte ergeben. "Aber ein bißchen Hilfe schadet nicht," sagte sie leise. An diesem Abend lag sie bei Ariston, nahm seine Nähe in sich auf, fühlte sich dabei unendlich glücklich und geborgen. Leise raunte sie ihm zu: "Ich liebe dich, Ariston, ich werde dich immer lieben." "Zweifelte ich je daran?" Er lächelte erfreut. Noch immer bildeten die Stunden, in denen sie ihn duzte, die Ausnahme und immer registrierte er dies mit Wohlbehagen. Eines Tages, das wußte er dann, würde auch die letzte Schranke zwischen ihnen fallen. Bis dahin wollte er sich gedulden, Cynesta nicht drängen, behutsam auf sie warten. "Ich wollte es dir sagen," erklärte sie leise, dabei fest an ihn geschmiegt, "damit du weißt, daß ich alles verstehen
werde. Auch wenn du einmal sehr wenig Zeit für mich hättest, es könnte nichts Schlimmes bedeuten." "Was meinst du?" "Nichts Bestimmtes," versicherte sie eine Spur zu rasch, "ich wollte nur, daß du es weißt." Ariston küßte seine geliebte Frau innig. Als Cynesta fest schlief, glücklich im Traum an seiner Seite lächelnd, erhob sich Ariston leise. Es verlangte ihn nach einem vertrauten Gespräch mit dem Freund und die Stille der nebeldurchtränkten Nacht erleichterte oft das Öffnen der Seele. Ohne Vorsatz, ohne Plan suchte der Herrscher Orales auf. Sollte der Freund schlafen, so beabsichtigte er nicht, ihn zu wecken; wollte dann nur an seiner Seite sitzen, ihn still betrachten und sich an dessen Liebe erfreuen. Leise betrat er das Schlafgemach seines Pala. Trotz der fortgeschrittenen Stunde schlief Orales nicht. Er stand am Fenster und sah gedankenverloren hinaus, hörte jedoch das Geräusch des Eintretens und wandte sich um. Freudig lächelnd hielt er Ariston die Hände entgegen. "Findest du keine Ruhe, Freund," erkundigte er sich. "Du bist ein Teil meiner Ruhe," erwiderte Ariston, seine Hände zum festen Druck ergreifend, "habe ich dich gestört?" Auf den fragenden Blick Orales' hin fügte er hinzu: "Wenn ich dich bei einer Übung unterbrach, tut es mir leid. Ich versuche zu verstehen, daß du als Priester manches Mal andere Ebenen erstrebst und deinen Geist auf Reisen sen dest." "Du billigst es?"
"Ich bin dabei, zu lernen," gab Ariston freimütig zu, "dazu gehört auch, daß ich alles billige, was deinem Sein entspricht, mein Freund." "So behutsam?" Orales forschte zärtlich, ahnte die Stunde der Offenheit. Sie setzten sich nebeneinander auf das Lager, als könne die körperliche Nähe jene der Seele erleichtern. "Ich fürchte mich davor, dich zu verletzen," antwortete der Herrscher aufrichtig, "denn ich will nicht, daß unser unterschiedlich geschulter Geist uns trennen kann. Dabei bin ich im Nachteil, denn du kennst meine Art des Seins, ich nicht die Deine." Abwartend schwieg Orales, bis Ariston weitersprach: "Ich sehnte mich nach deiner Freiheit des Geistes, Freund, und litt darunter, daß ich sie nie erreichen kann. Heute leide ich, da ich sie erreichen könnte und es nicht darf. Es erscheint mir mehr denn je als Unrecht, daß Amarra einem Menschen dieses Ziel verwehrt." "Es ist Unrecht," bestätigte der Falla. "Empfinden viele Menschen gleich mir?" "Vermutlich nicht, Ariston, denn die Tempel stehen jedem offen, der Einlaß begehrt und niemand fragt nach Stand und Herkunft. Ich weiß sogar von einer Sklavin, die geleitet wurde, obwohl Unfreie sonst nicht diesen Drang verspüren." "Es wäre sinnlos, wolltest du den Than für mich bitten," stellte Ariston traurig fest. Amarra verwehrte ihm den daran gab es nichts zu ändern.
Eintritt in die Tempel und
"Mein lieber Freund, was fragst du nach Amarra?" Orales ergriff seine Hand. "Ziehen Priesterschüler auf die schöne Insel, erbitten sie dort Aufnahme?" "Sie suchen einen Tempel auf," wußte Ariston sehr wohl, "nur in diesem erreichen sie ihr Ziel. Ich aber gelte als ein Feind der Tempel." "Willst du es denn?" Orales mußte es nun hören, wollte sein Wissen endlich bestätigt sehn. Ein geistiges Gesetz verbot, die Hilfe anzubieten, was er verstand. Es lag am Suchenden, um Licht zu bitten. "Ob ich es will, Orales?" rief Ariston da aus. "Habe ich je etwas anderes gewollt? Ich habe oft den Eindruck, nicht ganz, nicht heil zu sein, gerade so, als läge ein Teil meines Selbst verborgen. Seit ich, wenn auch unter Schmerzen, den Ort des Nichtseins erreichte, kann ich diesen Wunsch nicht mehr vergessen. Ich habe es zuvor gewollt, doch nie mit solcher Macht." "Soll ich dich leiten," bot der Freund nun an. "Das darfst du nicht," wehrte sich Ariston nun voll Bitterkeit, "Amarras Feindschaft würde dich vernichten." "Der Kampf kommt ohnehin," offenbarte Orales mit fester Stimme, "denn ohne Kampf, und sei es nur mein Kampf, wirst du dich nicht unterwerfen. Ich zöge es vor, dich dabei an meiner Seite zu wissen. Darum sage es mir, ob ich dich leiten soll." "Du kannst es?" "Ich bin Falla des Lichts."
"Du willst es auch?" Ariston zweifelte noch. "Vielleicht bin ich dafür in diese Welt gekommen," erwiderte Orales fest, "denn nur durch dich bin ich heil geworden. Zuvor fehlte mir ein Teil. Es ist, als sei zwischen uns ein Band gewoben, das durch viele Leben reicht. Ja, ich will es, Ariston. Ich will es mehr als alles andere und doch ist es nicht wichtig, ob ich dich leite. Wichtig ist mir, daß du geleitet wirst." "Die Tempelschriften sprechen von Gefahren auf diesem Weg," erinnerte sich Ariston, "Gefahren aber teilt man nur einem Freund. Wenn du mich leitest, Orales, dann fürchte ich weder Gefahr noch Schwierigkeit und leiste willig jeden Dienst. Nur prüfe du genau, ob es für dich richtig ist." "Ich habe dich und mich geprüft, mein Freund." "Dann wird es sein? Du kannst zur ersten Weihe mir verhelfen?" "Niemand wird es jetzt noch hindern können." Ariston sah Orales an. Eine Welle von Zuneigung, von echter Liebe zu dem vertrauten Freund ergriff ihn. Er umarmte den Mann aus Moras und küßte ihn so leidenschaftlich innig auf den Mund, wie er nie zuvor getan. Fest hielt er den Falla umschlungen, die Wange auf dessen Schulter gebettet. Und Orales strich ihm zärtlich übers Haar. "Ich bin glücklicher denn je," gestand Ariston bewegt, "und ich werde dir ein guter Schüler sein."
F
rüh am andern Morgen stürmte Ariston zu Orales und rief:
"Ich bin bereit. Was wird die erste Übung sein." Der Falla lachte. "Die Übung der Geduld, mein Freund," tadelte er sanft, "niemand begibt sich auf eine Reise so ungestüm." Ariston schluckte den Tadel mit Lächeln, benahm er sich doch tatsächlich wie ein Kind in jubelnder Vorfreude. Er nahm mit Orales das Frühmahl ein und erbat dessen Weisun gen. "Der verwaiste Tempel in Nodher muß gereinigt werden und sein Garten neu gepflegt," entschied Orales, "denn die Tempel dienen als Schutzbarriere für den ungeübten Geist. Als du mich bei deinen Schriften fandest, suchte ich einen Hinweis, wem dieser Tempel hier geweiht wurde." "Warum fragtest du nicht mich?" wunderte sich Ariston, der schon vergaß, wie wenig er das Thema vorher liebte, "der Vater sagte mir, daß dies Tabalkes Tempel sei." "In diesem Glauben hielt ihn Amarra gern," erwiderte Orales ruhig, "nur habe ich mich da gefragt, warum Amarra dann später die Priester aus dem Tempel rief. Dein Vater besaß die Weihe des Tabalke und so stand ihm auch der Dienst von Tabalkes Priestern zu." "Worauf willst Aufmerksamkeit.
du
hinaus?"
Ariston
zeigte
gespannte
"Nun, Amarra rief die Priester zurück, nachdem Sonte geboren wurde. Durch diese zeitliche Folge kam ich erst darauf, daß Nodhers Tempel eigentlich den Sinn hatte, dich für das Priestertum zu gewinnen, was nun aber nicht mehr nötig blieb."
"Also hat mein Vater dadurch, daß er mich in den Tempeln wissen wollte, mir eben dies verwehrt," erkannte der König, doch es schmerzte jetzt nicht mehr, "doch den Sinn deiner Worte begreife ich noch nicht." "Wenn ein Tempel einen Erben der Reiche rufen soll, muß er zum Licht gehören, denn nur dort empfangen Herrscher ihre Weihen," offenbarte Orales, "und so ist es auch. Nodhers Tempel ist Antares geweiht, der Göttin des Lichts. Gut für uns, Ariston, denn nun müssen wir keine Grenzen mehr anerkennen. Wirst du den Tempel säubern lassen?" "In allen Dingen, die das Priestertum betreffen, bin ich dein Schüler und dir untertan," versicherte der Freund, "darum frage nicht, befiehl. Du willst es so, also wird es geschehen, und es ist unwichtig, ob ich jeweils den Sinn verstehe." "Das ist es nur bedingt," erwiderte Orales, "denn durch dein Verstehen gewinnen wir Zeit." "Es eilt?" "Xalares, der Pala des Than, leitet deinen Bruder und ich lege Wert darauf, daß du die Weihen empfängst, ehe Amarra dich fordert. Insofern eilt es, doch fühle du dich nicht gedrängt." "Mich drängt meine eigene Ungeduld mehr als die Furcht vor Amarra, das vielleicht gewinnen kann, mir aber doch keine Weihe nehmen. Mir ist die Freiheit des Geistes wichtiger als meine Macht, Orales. Ich hoffe, sie ist mir auch sicherer." Orales nickte zustimmend. "Wie lange wird es dauern? Ein Jahr oder zwei? Oder mehr?" Orales lachte herzlich.
"Ein schlechter Leiter wäre ich, wollte ich dich so lange aufhalten. Gib bitte auch Befehl, daß der Mesa-Strauch nicht belästigt wird. Du kannst, wenn du es willst, den Tempelgarten jedem öffnen, der darin den Frieden nicht stört. Doch den Tempel selbst verbiete jedem Menschen." "Auch Cynesta? Auch Dorina?" "Jedem, Ariston, bis daß unser Werk getan ist." "Und was mache ich solange? Wie bereite ich mich vor?" Nun wurde Orales sehr ernst. "Wenn du irgendwo Unrecht getan hast, suche, es zu beseitigen, Ariston. Verzeih, wenn ich so spreche, doch auf diesem Weg darf keine negative Kraft und kein negierender Gedanke in dir sein." Ariston ergriff seine Hand zum Beweis seiner Ruhe. "Bitte mich nie mehr um Verzeihung," sagte er nun sehr bestimmt, "ich vertraute mich deiner Leitung an, Falla." Diese Anrede der Priesterwürde gebrauchte zum ersten Mal. Orales verstand den Sinn dieser Namensgebung. Früher gab es mit den meisten der Schüler kurze Machtkämpfe. Ariston ordnete sich unter von Anfang an. Sein Wunsch nach den Weihen überwog seinen Stolz und sein Machtge fühl. In Orales' Augen ein guter Anfang. "Wenn du, Orales, etwas weißt, das ich berichtigen muß, sage es frei heraus," bat Ariston fast gelassen, "auch ich ziehe es vor, unbelastet den Weg zu beginnen." Der Mann aus Moras zögerte, sprach dann aber seinen Gedanken doch aus:
"Erinnerst du dich an die Schwarztempler, die dir ihr Falla Gladurk übergab?" "Du meinst die jungen Priester, die Cynesta töten wollten? Auf dein Einwirken hin habe ich ihr Leben geschont und sie nur auf die Insel der Läuterung verbannt. Sie haben ihre Tat gestanden, wo liegt das Unrecht?" "Sie sind unschuldig?" "Wie das?" "Damals konnte ich es dir nicht sagen," entdeckte Orales nun dem Freund, "doch ich schaltete mich natürlich in den Rapport zwischen Gladurk und den Jungen ein und wußte darum, daß sie unschuldig sind. Die Schuldigen hat Gladurk selbst verborgen." "Sie verwirkten mit ihrem Geständnis ihr Leben," staunte Ariston, "sind alle Priesterschüler ihrem Falla so ergeben?" Orales sah ihn nur sehr offen an, gab ihm stumm die Frage zurück. "Akzeptiert," gab Ariston da nach, "ich weiß nicht, ob ich anders handeln würde. Gut, ich hole die beiden Schwarz templer zurück." "Das wäre vorschnell," mahnte Orales rasch, "Gladurk würde es erfahren und auch Amarra. Nein. Es muß vorläufig genügen, wenn du, meinetwegen in Anbetracht ihrer Jugend, ihr Los auf der Insel dort erleichterst. Später magst du sie ganz begnadigen." Sie endeten das Frühmahl. Ariston erteilte seine Befehle bezüglich des Tempels der Burg und seines Gartens, widmete sich seinen Pflichten und suchte doch bald wieder das Gespräch mit Orales, dem er nun von manchem Urteil
berichtete, das ihm im Nachhinein zu hart erschien. Er setzte sich dabei so strenge Maßstäbe, daß Orales ihn oft hindern mußte, nun zu mild zu sein. "Endlich geschafft," freute sich der König am späten Abend, "ich denke, ich bin meine Schulden los." "Ich meine nicht," gestand ihm da der Falla, "und auch die müssen weg, damit wir beide frei sind." "Ich helfe dir," versprach Ariston sofort. "Es ist nur ein Geständnis," schränkte Orales ein, "denn ein paar Worte bin ich dir noch schuldig." "Nicht schon wieder," stöhnte der Freund mit komischem Ernst, "ich weiß, daß zwischen uns nichts mehr stehen kann." "Und Beritt?" Erstaunt hob Ariston die Brauen. "Es ist schon auch mein Werk," gab Orales zu, "daß er deine Nähe in dem Maß verlor, wie ich sie gewann. Ich habe ihn bewußt verdrängt." "Das freut mich heute." "Damit habe ich aber ihm geschadet," schränkte Orales ein, "ich zwang ihn so, Cynesta anzugreifen und deinen Zorn zu erwecken." "Beruhigt es dich, wenn ich ihn suchen lasse?" bot Ariston an, doch im Grunde war es ihm egal, "wenn du es willst, kann auch sein Leben als Geächteter erleichtert werden." "Beritt ist nicht geächtet," berichtigte Orales, "denn da mals gab ich Hector den Brändungsbefehl, wohl wissend,
daß er ihn nie ausführen würde. Wenn Hector ein Brandeisen führen muß, so bleibt kein Mal, nur eine Narbe. Ich war ja Teju, kannte meine Männer und wußte, daß Hector der Weichste ist. Das solltest du wissen, denn damals hinterging ich dich und schwächte eigenmächtig dein Urteil ab." "Nun, es ist jetzt geklärt. Noch etwas?" Ein paar Kleinigkeiten blieben auch für Orales noch zu regeln, ehe er praktisch mit dem Leiten beginnen konnte.
S
onte trieb Xalares fast zur Verzweiflung und der Pala des Than empfand Ungewißheit über seine eigene Leiter fähigkeit. Überwachte er den Geist des jungen Mannes, so stellte er erbittert dessen Versagen fest. Hart ging Xalares mit Sonte ins Gericht: "Deine Unfähigkeit ist eine Schande für Amarra und die Tempel. Ich gebe dir noch eine letzte Chance, Sonte. Und ich rate dir, nutze sie gut. Wenn du wieder versagst, bin ich gezwungen, dich dem Than zu melden." Aus Xalares Mund klang das wie eine Drohung und so verstand es Sonte auch. Und noch einmal raffte der junge Mann all seine Kraft zusammen und mühte sich verzweifelt darum, die Ebene des Schweigens zu erreichen.
A
riston inzwischen empfand die Übungen fast wie ein Spiel, als leicht und angenehm und ohne jeden Zwang, doch lobte ihn Orales, so oft er es verdiente. "Deine Konzentration ist erstaunlich," bestätigte Orales gern, "und deine Imagination gelingt dir täglich besser. Das Ziel der ersten Weihe ist die Hoheit. Du kennst das Siegel von Tabalke, dem Gott, den du erreichen willst?"
"Der Kreis, den bestätigte Ariston.
ein
waagrechter
Strich
teilt,"
"Nimm dieses Siegel und ergründe sein Geheimnis," verlangte der Falla. Er verschwieg dem Herrscher, daß diese Übung keineswegs zu seiner Weihe gehörte, sondern im Grunde einem weit späteren Schritt vorbehalten blieb. Normalerweise ergrün dete ein Schüler die Siegel, die er schon erbrach,nicht jene, die es zu erbrechen galt. Doch er beschritt nicht den normalen Weg und zog es vor, den Freund auf andere Art zu leiten. Ariston visualierte das Siegel fast ohne Unterlaß, fand es aber bald nur noch als schimmerndes Lichtzeichen vor jener Undurchdringlichkeit, welche die Ebene des Nichtseins ihm einmal zeigte. Obwohl die gestellte Aufgabe nicht leicht war, blieb Ariston unverkrampft. Nun, da er einem Ziel nahte, von dem er sein Leben hindurch nur träumen durfte, schien jeder einzelne Schritt, sogar der Stillstand, ein Genuß zu sein, die reine Freude. Daneben galt es weiterhin, sein Amt als Herrscher zu erfüllen. Ein harter Disput mit einem Statt halter, der ihm an Alter und Erfahrung überlegen war, kostete ihn fast jede Gelassenheit. Wie zur Entspannung betrachtete er das Siegel vor seinem geistigen Auge, das nun an der Schnittstelle des waagrechten Striches aufklappte, sich wie eine Muschel oder die Schale einer Nuß öffnete und langsam wieder schloß zu dem vertrauten Zeichen. Ohne dies Sinnblid bewußt zu begreifen, ergab sich Ariston dem Hinweis. Der Statthalter ordnete sich ihm bald freiwillig unter und lobte seine Weisheit. Orales gleich darauf fand den Freund in sich lauschend. "Du hast verstanden," stellte er erfreut fest.
"Ich denke es," erwiderte Ariston bescheiden, "wenn das Siegel Unerreichbarkeit bedeutet. Es erschien mir wie die Geschlossenheit einer Zweiheit, welche nichts in sich eindringen läßt, das ihr mißfällt. Unerreichbar sein, das deute ich als die Fähigkeit, in sich heil zu sein. Du nanntest das Ziel Hoheit, also irre ich mich." "Es ist dasselbe," lobte Orales ihn, "denn wahre Hoheit ist die Vollkommenheit des Seins, die keinen Einbruch in ihr Wesen duldet. Folge mir." Er führte Ariston durch die Gärten zum runden Tempel bau. In den Nebelreichen erhoben sich die Haupttempel pyramidenähnlich, immer rund, mit sechs Etagen. Die kleineren Tempel der Städte und Burgen zeigten zwar die runde Form, doch niemals mehr als zwei Stockwerke. Auf Nodher blieb der Bau nur ebenerdig, jedoch von einem über dachten Säulengang umbaut. Während Orales die weite Halle im Innern mit Kerzen erhellte, betrachtete Ariston zum ersten Mal den Ort. "Komm," unterbrach ihn der Freund und führte ihn zur Mitte der Halle, "deine Zeit ist da." "Jetzt schon?" "Höre," bat Orales, "auch ich weiß, daß es viel zu rasch gegangen ist. Ich kenne dich wie keinen andern Menschen und darum wage ich es so früh, dich weiter zu leiten. Es mag aber sein, daß dein Geist noch zu schwach ist. Fürchte dich nicht, Ariston, das Schlimmste, das geschehen kann, ist, daß du den Kontakt nach dort verlierst. Es wird weder schmerzhaft noch schlimm für dich sein. Glaubst du mir?" "Natürlich. Außerdem fürchte ich keinen Schmerz. Ich habe es ungeübt überlebt, ich werde es nun verkraften. Bist du spürbar dabei?"
"Nein," wehrte der Falla ab, "obwohl wir das sonst die Schüler Glauben machen, um ihre Furcht zu lindern. Meine Aufgabe besteht darin, dich zurück zu rufen, falls du dich dort verlieren solltest. Denn diese Gefahr besteht wirklich und mancher, der ohne Leitung eindrang, kehrte nicht zu rück." "Was muß ich sonst noch wissen?" erkundigte sich Ariston gefaßt. Nun, da also seine Stunde kam, empfand er keine Begeiste rung mehr, doch auch weder Furcht noch Gleichgültigkeit. Nur erschien ihm alles jetzt so richtig, so natürlich zu sein, daß tieferes Empfinden Kraftvergeudung wäre. Er ging seinen Weg und somit durfte der nächste Schritt keine Besonder heit darstellen. "Du kannst über die eingeübten Farbwirbel eindringen," beantwortete Orales seine Frage, "dies ist der leichteste Weg. Du kannst auch den Pfad der Erinnerung nehmen, denn du hast jenen Ort schon geschaut. Der dritte Weg führt durch das Siegel. Es ist deine Wahl. Gib deinem Körper eine ruhige Lage, entspanne dich." "Was wird geschehen?" "Niemand weiß es zuvor. Doch wisse, daß es keine Weihe ohne Prüfung gibt. Bedenke nur, Tabalke ist der Gott des Schweigens. Also schweige dort. Ich meine hiermit das Schweigen der Gedanken, denn Worte sind unmöglich. Nur wenn du ganz Hoheit, ganz unerreichbar bist, ganz unverrück bar in dir ruhst, bleibst du bestehen."
Z
u der Stunde, da sich Ariston auf den Weg begab, brach Xalares die Ausbildung seines Bruders ab. Sonte wurde angewiesen, im Vorhof des Tempels zu warten, bis der Than Nymardos ihn rufen ließ. Der junge Mann fürchtete
sich sehr, gab es doch keinen Zweifel, daß Xalares ihn hart verklagen würde.
A
riston erblickte das Siegel Tabalkes inmitten des Nichts eins. Er wußte nun, daß es keine Scheibe, sondern eine Kugel war und stellte sich kurz vor, in deren Mitte zu ruhen. Noch entspannte er sich ja, noch konnten die Wirbel warten, die jenes Dort ihm öffnen sollten. Inmitten dieser Kugel fühlte er sich wohl. Er empfand sie nicht als Fremdkörper, eher wie die Hülle seines Geistes. Leicht und heiter ruhte er, seine Körperlichkeit vergessend und auch die Aufgabe, die Orales ihm stellte. Kein Gedanke rührte sich in ihm, kein Gefühl, keine Vorstellung mehr. Wenn schon, dann war er ganz Gedanke, ganz Gefühl und doch auch wieder nicht, weil es nichts gab, das ihn erreichte; an dem er sich messen konnte oder wollte. So ruhte er zwischen den Zeiten, Ewigkeiten hindurch, jenseits allen Seins und doch nicht einsam, denn zugleich im Nichtsein war er allumfassend und somit seiend. Äonen hindurch ruhte Ariston. Da zerriß die schützende Kugel um ihn, wurde durchschei nend, verschwand. Körperlos und ohne Sinne fand er sich, noch immer im Nichts, dem Ansturm der Feinde ausgeliefert. Ohne Augen erkannte er die Gegner, ohne Ohren vernahm er ihre Schmähungen und sein ganzes Sein begriff die Gefahr. Amarras Armee stürmte auf ihn ein, unzählige Priester, wie er körperlos, doch gewaltig an Macht und durch bessere Schulung ihm immer überlegen. Ariston wußte sich als Schwert, das kämpfen konnte und dieses Wissen bildete seinen ersten bewußten Gedanken. Da erkannte er sein Versagen, wußte die Weihe verloren. Und doch kämpfte er nicht gegen die Gegner, sondern blieb, auch als Schwert, still stehen, die Spitze ins nicht vorhandene Darunter vergraben. Auch Orales war Priester und er wünschte es zu sein; wie sollte er gegen seinesgleichen kämpfen. Mit ausge breiteten Armen stand er, gleich dem Heft des Schwertes, bereit, auch die Feinde in sich aufzunehmen. Doch sie
stürmten auf ihn zu, rannten durch ihn hindurch und verschwanden. Ariston verstand, daß er noch immer im Nicht sein sich befand und keinen Körper hatte. Da fand er sich bei - oder in - einem Wesen, dessen Vollkommenheit aus seinem Sein strahlte, gerade so, als habe es alles in sich schon vereint. Dieses Wesen befragte ihn nach vielen Dingen und drohte, bei falscher Antwort ihn des Seins zu verweisen. Es sprach voll Freundlichkeit, wiewohl sein Sprechen kein Laut und doch ein Wissen war. Ariston schwieg auf alle Fragen, da sie zu hoch, zu allumfas send sich gestalteten, Begriffe wählend, die er nicht verstand. Je drängender die Fragen wurden, desto mehr erahnte Ariston die Antwort, bis er verstand, daß nicht er sich in jenem Sein, sondern dieses sich in ihm befand. Und da er dies verstand, verschwand die fremde Wesenheit, tauchte sie in ihn hinein gleich der Surre-Fliege in die großen Blüten des Pejuk-Baumes, um sich zu nähren und zu stärken und doch Fruchtbarkeit zu bringen. Da war ihm, als zöge ihn eine Macht, als trüge ihn ein sanfter Wind und wie schwebend fand er wieder Heimstatt in seinem Leib. An seiner Seite kniend, über ihn gebeugt, fand er Orales vor, der ihm den Finger auf die Lippen legte, um Schweigen bittend. So verharrte er, die Seele weit geöff net, damit der treue Freund die Bilder sehen möge, die die Erinnerung noch frisch bewahrte. Endlich neigte sich Orales vor und küßte seinen Mund. Er hob ihn auf, erlaubte ihm, zu sitzen. "Bist du erschöpft?" Ariston schüttelte das Haupt. "Ich bin, trotz alledem, sehr glücklich. Ein andermal wird es gelingen. Bist du enttäuscht?" "Enttäuscht worüber?"
"Ich konnte nicht gedankenleer, nicht schweigsam sein," gestand Ariston, doch empfand er keine Schuld, "es ging vielleicht zu schnell. Wahrscheinlich habe ich nicht intensiv genug geübt." Orales schloß ihn fest in seine Arme. "Weißt du, was geschah, oder soll ich berichten?" "Ich weiß es, Ariston, besser als du," erwiderte der Falla, "mir scheint, ich muß es dir erklären. Tabalke ist der Gott des Schweigens. Dich prüfte er durch Stille und du, obgleich du wußtest, daß eine Probe folgt, bliebst ruhig, hast absolut in ihm geruht als unversehrtes Sein." "Bis meine Hülle zerriß." "Tabalke gab dich frei. Der Weg ins Nichtsein stand dir offen und ich wollte dich schon holen, da erkannte ich ein Mehr. Liara, des Friedens Göttin, gab deiner tiefsten Angst Gestalt und konfrontierte dich mit deiner größter Furcht. Du aber widerstandest nicht, sondern warst bereit, was aus dir kam, in dich nun wieder aufzunehmen. Da erlosch die Furcht, da sie, erkannt, nicht seiend ist." "Doch keine Frage darauf konnte ich erwidern." "Der Weisheit Gottheit, Saake, prüfte dich und ihre Fragen nannten zugleich die unbekannten Grenzen deines Geistes, der wahrhaft grenzenlos geblieben ist. Für Liara bist du zum Friedensschwert geworden, für Saaka nun zu dessen Siegel. Denn wendest du sein Zeichen, den erstenn Buchstaben des Alphabeths, wird es zur stilisierten Blüte, in die Saake gleich der fruchtbringenden Fliege ein taucht. Verstehst du die Allegorie? Weisheit befruchtet dich, ist sie in dir. Doch außerhalb, das heißt, gezeigt, wird sie zum törichten Geschwätz."
"Dann habe ich nicht ganz versagt?" hoffte Ariston, "dann ist noch nichts verloren?" "Versagt? Begreifst du nicht, mein Freund? Du hast drei Weihen heute erlangt, drei Tore bist du durchschritten. Was du vermißt, ist die feierliche Bestätigung im Tempel, die ich dir nicht bieten kann. Doch alle Feste aller Reiche sind nur äußere Bestätigung des inneren Geschehens. Sie sind nicht wichtig." Ariston begriff noch immer nicht. Orales mußte es ihm durch Übungen beweisen, indem er ihn auf jene Ebenen sandte, von wo er willentlich wiederkehren mußte, um dann erneut zu gehen und zu kommen. Als Ariston endlich verstand, was mit ihm geschehen, weinte er Tränen der Freude und Bewegt heit.
C
ynesta erfuhr als Erste vom Anlaß seines Glückes. Sie teilte seine Freude, doch zugleich schirmte sie ihren Geist ab. Nie mehr durfte sie ihm nun ganz geöffnet nahen, denn als Priester erkannte er seinesgleichen jederzeit, so lange dies Gegenüber nicht eine Weihe mehr empfing. Doch diese kleine Einschränkung erhielt ihr seine Liebe und darauf allein kam es an. Die Zeit der kalten Nebel herrschte und mehr als sonst im Jahr verbrachte man die Tage in Gespräch und Spiel. Am Ziel aller Sehnsucht angelangt, widmete sich Ariston nun wieder mehr seiner Liebe. Auch Dorina, blaß und wieder scheu, lud er oft zu den freien Stunden. Cynesta endlich entdeckte ihm die Schwan gerschaft der Schwester und gestand, daß Dorina des Kindes Vater nicht nennen konnte. Zwar wolle Orales das Opfer bringen, doch Dorina schwankte, ob sie es annehmen dürfe. Erstaunt hörte Ariston der Geliebten zu. "Du weißt doch, daß es mein Kind ist?" fragte er dann.
"Ich dachte es," erwiderte Cynesta, "doch Dorina spricht dagegen. Ich würde ihr sehr gerne helfen." "Ich rufe sie." Cynesta hielt ihn zurück, bat ihn, die Schwester nicht mit Fragen zu quälen. Da besprach sich Ariston mit Orales. "Ich zweifle nicht, daß deine Weisheit die Wahrheit rasch erfährt," meinte der Freund, "doch Wahrheit ist nicht immer hilfreich. Wenn es dein Kind ist, Ariston, steht dir die Vaterschaft auch zu." "Es ist mein Kind!" "Ich zweifle dies ja gar nicht an. Was aber nützt es dir, Dorina jetzt zu belasten? Willst du sie und das Kind gefährden? Gedulde dich, es wird sich finden." Ariston seufzte. "Ich gebe dir, wie immer, nach. Aber ich werde nicht dulden, daß du mir das Opfer bringst und eine Vaterschaft bestätigst, die nicht die Deine ist." Dorina aber fürchtete den Tag, an dem der Herrscher ihre Fruchtbarkeit erkennen würde.
W
er immer auf Nodher mit Ariston zu tun hatte, dem fiel nun dessen Veränderung auf; wenngleich nur Cynesta und Orales wirklich wußten, was geschehen war. Die Bediensteten tuschelten zwar, doch gab es eigentlich kein Thema. Ariston verhielt sich wie zuvor, abgesehen von der Ausnahme, daß er sich fast täglich einige Zeit im Burg tempel befand. Was tatsächlich sich veränderte, war lediglich seine Wirkung, seine Ausstrahlung auf andere. Er wurde nicht nur weniger gefürchtet, sondern fand nun auch
mehr ehrliche Achtung. Seine innere Zerrissenheit, nach außen ohnehin verborgen, aber wich der Heilung. Ariston fühlte sich einfach wohl. Nie erschien ihm das Leben herrli cher, wichtiger und erst jetzt erkannte er selbst seinen eigenen Wert als Herrscher. Ihm wurde es nicht bewußt, wie er sich immer mehr innerlich weigerte, seinen Platz Amarra zu überlassen und sich nach und nach auf Kampf einstellte. Diese Veränderung erkannte Ariston erst, als er Orales über seinen jüngeren Bruder befragte. "Bisher hat dich Sonte nicht interessiert," stellte der Freund fest, "doch frage, was du willst, wenn ich antworten kann, werde ich es tun." "Du sagtest, daß er die erste Weihe noch nicht hat?" "Nicht hatte, als ich in Amarra weilte," berichtigte Orales, "was schließt du daraus? Fühlst du dich ihm nun überlegen?" "Ich will begreifen, wer er ist," wehrte Ariston ruhig ab, "nicht einen geistigen Stand werten. Ist es möglich, daß er nicht zum Priester - und damit nicht zum Herrscher berufen ist?" "So ist es." "Dann, Freund," entschied der König, "werden wir Amarra die Stirn bieten. Ich sagte, ich verzichte auf mein Reich. Das gilt nicht mehr." Orales lächelte zustimmend. Was ihn betraf, hatte es ja nie gegolten. "Berate mich," bat Ariston, nun mit einem Mal auf sanfte Weise ernst, "ist es gut, wenn ich mich jetzt Cynesta nahe? Ich mied sie bisher in den Tagen ihrer Fruchtbarkeit und doch wünsche ich mir einen Erben. Bringe ich sie in Gefahr dadurch; wird Amarra wieder eingreifen können?"
"Es ist nicht anzunehmen, doch auch nicht auszuschlies sen," erwiderte Orales in eben diesem Ton, "wobei dies jedoch nicht entscheidend ist. Bedenke, Ariston, daß Amarra siegen kann." "Ich weiß es wohl. Doch soll ich deshalb keine Kinder zeugen? Selbst als Verlierer bleibe ich ein freier Mann." "Richtig. Wie aber ist es, wenn du siegst? Willst du dann den ertrotzten Erben dein eigenes Schicksal wiederholen lassen? Soll er, vielleicht, vergeblich nach Weihen sehnend wie du leiden? Oder, wenn du dann dein Priesterrecht im Tempel ausübst und dort einen Erben zeugst, soll dann dein Erstgeborener der Aufgabe, wegen der er in dieses Leben kam, sich niemals stellen dürfen?" "Gesetzt den Fall, ich siege," zog Ariston zweifelnd das Resüme, "dann soll ich meinen Erben in den Tempeln zeugen und dort belassen; ihn nicht selber führen? Mein Kind in Tempelmauern eingesperrt mag ich mir nicht vorstellen, ge schweige denn, es dulden." "So grausam sind die Tempel nicht," wehrte Orales liebevoll ab, "die Kinder dort sind zumeist glücklich und finden leichter ihren Weg. Auch ich, Ariston, bin ein Sohn der Tempel und wollte nie etwas anderes sein." "Es lag mir fern, dich zu kränken," rief Ariston da aus und hastig ergriff er des Freundes Hand zu festem Druck, "halte mir zugute, daß ich die Tempel nie betrat, mit Ausnahme des Tages, da wir im Schwarzen Tempel weilten." "Wenn die warmen Nebel beginnen, solltest du dies nachholen," riet Orales, "es ist dein Herrscherrecht." "Es wäre wohl nicht gut, erführe Amarra von meinen Weihen, ehe sie in mir gefestigt sind."
"Ich werde dich lehren, deine Geheimnisse zu verbergen," versprach Orales, "es ist ohnehin nicht immer gut, den Geist stets ganz ungeschützt zu lassen. Und über meine andern Worte denke nach." Der Herrscher versprach es ihm. Obwohl er innerlich rebellierte, blieb er doch Cynesta in ihren fruchtbaren Tagen fern. Die Enthaltsamkeit fiel ihm nicht schwer, doch der Verzicht auf den ersehnten Sohn.
D
ie Zeit der kalten Nebel brach herein und mit ihr in Nodher wie überall im Reich die Zeit der Ruhe. In diesen Wochen gab es weder Handel noch Reisen und mit Ausnahme der Lichtwende, ab der die Tage wieder länger wurden, auch keine Feste. Im Land herrschte eine nasse Kälte, die Nebel hingen nicht sehr hoch und sie fielen gegen Abend so rasch, daß für Fremde keine Zeit blieb, Herberge zu suchen. Man fand sich dann allein in undurchdringlichem, eisigem Nebel und nur machtvolle Feuer vermochten im Freien ein Überleben zu sichern. In diesen Wochen genoß Ariston die Ruhe auf der Burg. Nun kam kein Besuch, keine neue Arbeit. Der Herrscher durfte sich uneingeschränkt sei nen Lieben und seinen Interessen widmen. Orales leitete ihn mit Bedacht, doch Konsequenz. Einmal erklärte er dem Freund: "Daß du die Weihen eimpfangen hast, bedeutet gar nichts. Im Gegenteil, es ist meine Schande, daß ich dies duldete, so früh zumindest. Denn nun kannst du Ebenen der Energie erreichen, die du nicht zu beherrschen vermagst. Wüßte Amarra um mein Tun, wäre ich vermutlich verloren." Ariston erschrak bei dieser Eröffnung. "Was könnte dir geschehen?" "Der Than ist stark genug, meinen Geist zu besiegen und mir die Tore jener Bereiche für immer zu verschließen," gab Orales zu, "darum ist es wichtig, daß du nun lernst, jene Energien auch zu beherrschen. Doch wichtiger ist es um deinetwillen, denn entweder du herrschst dort oder du wirst beherrscht."
"Ich lerne ja gern und freudig," versicherte Ariston fast feierlich, "doch ich verstehe nicht, wie du dem Than eine solche Macht einräumen kannst. Wie ich hörte, ist er noch sehr jung." Orales lächelte. "Das ist keine Frage des Alters," wies er den Freund zurecht, "sondern eine Frage des Geistes, der, wie du wissen solltest, kein Alter hat." Cynesta, die schweigend und interessiert zuhörte, mischte sich ein: "Sagtest du nicht, daß die Falla der Tempel den Than gewählt haben? Ich hörte damals davon, doch ich vernahm nichts vom Tod des vorigen Than. Alles um Amarra erscheint sehr geheimnisvoll." "Das ist es aber nicht," wehrte Orales ruhig ab, "denn im Grunde geschieht alles dort nach einer Regel und die besagt, daß der fähigste Mensch das Amt ausüben soll. Nein, Cynesta, der vorige Than ist nicht gestorben. Doch er verkündete eines Tages, daß ein stärkerer Geist denn der Seine zu seiner eigenen Kraft gefunden habe. Dann, wie stets zur kalten Lichtwende, forschten die Fallas nach und sie fanden Nymardos, einen jungen Priester, der sich weder für Macht noch für ein Amt interessierte, sondern nur die Vervollkommnung seines Geistes anstrebte. Er beugte sich der Pflicht, Than zu sein und er ist, bei allen Göttern, ein vortrefflicher Than. Ich bin davon überzeugt, daß er täglich forscht, ob nicht ein Stärkerer käme, damit er seine Last ablegen kann." "Das klingt unwahrscheinlich," murmelte Ariston. "Nur für dich," stellte Orales, noch immer ganz ruhig, fest, "weil dein Amt ein geistiges Weiterbilden nicht hindert.
Nymardos aber muß, wo er ist, verharren, um den Menschen zu dienen und wird, solange dies so ist, keine größere Freiheit des Geistes finden. Sei ehrlich, Ariston, und überlege, ob du deine Macht oder deine Weihe halten wolltest, müßtest du wählen." "Das muß ich aber nicht," erwiderte der Freund lächelnd. "Wenn du vom Than sprichst," staunte Cynesta, "dann tust du es mit Liebe und Achtung. Und doch ist er Aristons Feind. Wie geht das zusammen?" Orales schüttelte nur schweigend das Haupt. Wie sollte er darauf Antwort geben? Unerwartet kam ihm Ariston zu Hilfe, als er zu Cynesta sagte: "Unser Freund ist ein Falla. Er weiß um Dinge, die uns verborgen sind, Geliebte. Und ich fürchte, den Than und mich zugleich zu lieben, erleichtert ihm sein Leben nicht." "Aber verstehen könnt ihr Orales nicht," stellte Cynesta dabei fest. "Wenn dieser Than," erwiderte Ariston einschränkend, "wirklich ein so starker Geist ist, so teile ich zumindest Orales' Achtung."
F
ür den jungen Sonte schien die schrecklichste Stunde seines Lebens zu beginnen, als ihn zwei Priester in den Tempelraum führten, in dem er dem mächtigsten Mann Amarras, dem Than, begegnen sollte. Sonte wußte nicht viel von ihm, nur eben, daß Xalares sein Pala, sein brüderlicher Freund genannt wurde. Allein dies genügte, um ihm den kalten Angstschweiß auf die Stirn zu treiben. Er fürchtete Xalares, der ihn an den Than Nymardos verriet und er erwartete die empfindlichste Strafe für sein Versagen. Da er keine Weihe besaß, stand es Sonte nicht zu, eine der
heiligen Hallen zu betreten. Man brachte ihn in ein kleineres Zimmer. Durch die Muskovit-Scheiben der Fenster fiel milchi ges Licht, doch ein flammender Kristall auf einer Ziersäule verhinderte jedes Halbdunkel. Die Wände zeigten sich schmucklos, nur mit einfarbigem Stoff in lindgrüner Farbe bespannt; der Fußboden mit einem dicht gewobenen Teppich belegt. Sonte fand den Raum kahl, denn nur ein kleines Tischchen neben der Säule sowie ein bequemer Sessel befanden sich darin. Und doch wirkte dieses Zimmer entspannend. Seine fast hysterische Angst verebbte wenig stens so weit, daß er halbwegs die Beherrschung über sich behielt. Als sich eine Seitentür öffnete, warf sich Sonte vorschriftsmäßig zu Boden und blieb reglos liegen, die Arme ausgebreitet, das Gesicht nach unten. Kurze Zeit herrschte Stille, doch Sonte fühlte, wie er genau betrachtet wurde. Dann erklang die sonore, auf freundliche Art gelassene Stimme des Than: "Sonte, steh' auf." Der junge Mann erhob sich auf die Knie, hielt den Blick gesenkt. "Erhebe dich, denn Angesicht sprechen."
ich will mit dir von Angesicht zu
Sonte gehorchte, doch es bedurfte einer weiteren Aufforde rung, ehe er es wagte, den Than anzusehen. Er bemerkte die jugendlich glatten Züge seines Herrn nicht einmal, nicht das feine, glatte Haar, nicht den weich geschwungenen Mund. Nur die Augen registrierte er, denn sie schienen ihn aus einer Tiefe anzublicken, die er bisher nicht einmal erahnte. "Wer ist in Rapport mit dir?" Sonte beeilte sich mit der Antwort, wollte Nymardos auf keinen Fall erzürnen.
"Mein Leiter Xalares, Herr." Forschend sah ihm der Than nun in die Augen. Für einen Moment glaubte Sonte, sein Gegenüber blicke direkt in seine Seele, lese jeden Gedanken, erforsche selbst die ihm verborgenen Winkel seines Geistes. Doch schon änderte sich der aufmerksame Blick wieder in pure Freundlichkeit. "Warum willst du Priester werden, Sonte?" Jetzt senkte der Junge den Kopf. Fast traurig klang seine Antwort: "Weil ich dazu geboren wurde." "Dann muß es so sein." Für Sonte klang das wie ein Todesurteil. Er fiel wieder auf die Knie und berichtete, mehr stammelnd als sprechend, nun unaufgefordert von seiner völligen Unfähigkeit. Der Than hörte ihm schweigend zu, wartete reglos, bis Sonte unter Tränen verstummte. Wie Trost klang seine Botschaft: "Ich weiß." Der Than trat zu dem Flammenden Stein, fuhr sacht mit der linken Hand darüber. Die Aktivität des Steines ließ etwas nach und im Zimmer herrschte nun nicht mehr die harte Helligkeit, sondern ein mehr vertrauteres, wärmeres Licht. "Herr, vergebt mir," flüsterte Sonte nun, "ich bin es nicht wert, auf Amarra zu sein. Ich bin unfähig, mit geistigen Augen zu sehen. Nicht die kleinste Übung will mir gelingen." Gemeinhin wurden die Priesterschüler angehalten, sich nicht Gegenständliches zu visualisieren, doch der Than for derte Sonte mit freundlichem Lächeln nun auf, ihm eine
Tama-Blüte zu beschreiben. Sonte, erfreut, etwas tun zu können, das ihn nicht überforderte, gehorchte ohne Zögern. Bis ins kleinste Detäil beschrieb er seinem Herrn jene Blüte von samtig-roter Farbe, die auf Amarra in so reicher Zahl zu finden war. Er merkte nicht einmal, wie Nymardos die Hand auf seine Schulter legte, doch als er sich dessen bewußt wurde, schwieg er beschämt. "Ich habe zu viele Worte gemacht," klagte er sich an und bat um Verzeihung. "Deine Worte sind gut," vernichtete der Than die Selbst anklage, "woher stammen sie? Hast du aus einer Schrift zitiert? Du hast aus deinem Gedächnis gelesen, Sonte. Also sage mir nun, ob du die Blüte gesehen hast? War ihr Bild in dir, als du sie mir beschriebst?" Sonte nickte nur, begriff nicht. "Sind nicht alle Blüten lebendig in dir, sobald du an sie denkst, Sonte?" Der Junge nickte, fühlte sich dabei ertappt, durchschaut und zugleich gedemütigt. "Ich verurteile dich nicht," versprach ihm jedoch der Than mit noch immer sehr freundlicher Stimme, "gehe zu Xalares und sage ihm dies. Dann sage ihm, daß er von seiner Aufgabe, dich zu leiten, entbunden ist." "So ist es für mich unmöglich, eine Weihe zu empfangen." Das war keine Frage, sondern eine bittere Feststellung, die das Leben für nichtig erklärte. "Dem Geist ist nichts unmöglich," erwiderte aber Nymardos tröstend, "er kennt keine Grenzen. Auch dein Geist, Sonte, ist beheimatet in den Bereichen ohne Grenze,
ohne Beschränkung, ohne Schwäche. Fürchte nichts." Sonte wandte das Gesicht zur Seite und küßte die Hand auf seiner Schulter. Im Grunde war diese Geste eine Unverschämtheit, doch der Than lächelte nur und ließ es geschehen. "Zum ersten Mal habe ich keine Angst," erkannte Sonte da, doch er dachte kurz an Orales und wußte, daß dies zum zweiten Mal geschah. "Fürchte nichts," wiederholte der Than, "ich helfe dir." Der Junge hob das Gesicht, sah in die klaren Augen seines Herrn und gestand: "Ich habe bisher alle Menschen enttäuscht, Herr. Seid gnädig mit mir, denn euch zu enttäuschen wäre mein Ende. Verstoßt mich lieber, das ist erträglicher." Nymardos lächelte freundlich. "Nein, Sonte, ich helfe dir. Wenn Menschen von dir enttäuscht sind, so nur, weil sie sich in dir oder in sich selbst und ihren Fähigkeiten täuschten. Das ist nicht deine Verantwortung, sondern die Ihre. Du kannst mich nicht enttäuschen, Sonte, nicht du. Ich nenne dir eine Übung. Nimm sie mit dir und gestalte deine Tage nach deinem Wohlgefal len. Erlaube keinem, dir einen Dienst zu nennen. Wenn ich dich leite, bist du mein, nur mir Rechenschaft und Gehorsam schuldig. Willst du das?" Sonte nickte, obwohl er nicht verstand. Der Than entband ihn von all seinen Pflichten und erlaubte ihm, sich mit seinen geliebten Blumen zu beschäftigen. Diese Erlaubnis wog alles andere auf. Bisher mußte er sich die Stunden für die Gärten stehlen, nun sollte er frei sein dafür.
"Deine Übung besteht darin, dir sehr oft die Tama-Blüte zu betrachten und ihre Farbe in dich aufzunehmen. Sobald es dir gelingt, ihre Farbe in dir zu sehen, komme zu mir. Doch wohlgemerkt, ihre Farbe muß es sein, nicht ihre Form." "Wieviel Zeit habe ich?" fragte Sonte etwas kleinlaut, da er sein Versagen fürchtete. "Du hast keine Zeit," erwiderte Nymardos ernst, "denn dein Geist ist zeitlos. Niemand drängt dich, Sonte. Eines Tages wirst du feststellen, daß die Farbe in dir ist und es ist nicht wichtig, ob dies morgen geschieht oder in einem Jahr. Es wird geschehen, das genügt. Du aber halte dich daran, von nun an mein zu sein und dulde nicht, daß ein Mensch dich drängt oder bedrängt." "Xalares wird..." "Auch Xalares ist gemeint," kam die Antwort überra schend hart. Doch wieder sanft fuhr der Than fort: "Es ist deine Wahl, Sonte. Entweder unterwirfst du dich meinem Willen, dann aber ohne jeden Vorbehalt, oder du ordnest dich Xalares oder anderen unter. Ich teile dich nicht und ich werde es wissen, wenn du mir nicht gehorchst." "Wie könnte ich das wagen," flüsterte Sonte, dem nun nichts schlimmer erscheinen konnte, als der Verlust von des Thans Wohlwollen, "nur bin ich sehr schwach." "Dein Geist ist stark," erwiderte der Than, "und ich bin es auch. Weise jedes Annsinnen an dich in meinem Namen zurück und du wirst meine Stärke zu deinem Schutz haben. Nun gehe. Ich will dich wiedersehen, sobald das Tama-Rot in dir ist. Nicht eher, Sonte." Er drückte wie versiegelnd seinen Daumen auf die Stirn des Jungen. Sanft lächelnd nickte er ihm zu. Da stand Sonte
auf und verließ rückwärts gehend den Raum. Etwas Seltsames war mit ihm geschehen. Diese Berührung des Daumens erweckte die Sehnsucht nach Nähe in ihm und nun, da die Tür sich schloß, wünschte er nichts weiter, als dem Than wieder zu begegnen. Xalares wartete vor dem Tempel auf ihn, verlangte Bericht. Wie immer sprach er sehr knapp mit ihm, fordernd, fast feindlich. Sonte sah ihn halb erstaunt an. Die Strenge des Pala harmonierte so gar nicht mit der Freundlichkeit des Than. Ein träumerischer Ton schwang in seiner Stimme mit, als Sonte seinem bisherigen Leiter die Botschaft übermittelte, nach der dessen Aufgabe beendet war. Xalares fluchte, wollte jedes Wort der Unterhaltung wissen. Schon wollte Sonte kleinlaut gehorchen, doch er erinnerte sich daran, daß der Than jedes Versagen registrieren würde. Darum bemühte er sich um einen festen Klang in der Stimme: "Es ist nichts weiter zu sagen, Herr. Von nun an leitet mich der Than und nur ihm unterwerfe ich mich." Seine Muskeln spannten sich, denn er erwartete für die freche Antwort einen Hieb. Aber Xalares lächelte nur. "Ich wünsche dir Glück, Sonte. Möge unserem Herrn gelingen, deinen ausgetrockneten Geist zu befruchten." Verblüfft starrte ihm Sonte nach. Xalares schien ehrlich erfreut zu sein. Dann aber eilte er in die Gärten. In den Reichen mochten die kalten Nebel anbrechen, doch auf Amarra blieb es warm. Das Wasser des Meeres umher und die Luft kannte die Kälte nicht und Sonte schien es, als sei sie auch aus seiner Seele gewichen.
A
riston wunderte sich, als einer seiner Diener ihm mit teilte, daß Dorina vor der Tür warte und bitte, vorgelas sen zu werden. Kaum mit ihr allein, tadelte er freundlich:
"Warum läßt du dich melden wie eine Sklavin? Bist du nicht die Schwester meiner Frau?" Er umarmte sie herzlich, ließ sie jedoch sofort los, als er ihre innere Abwehr spürte. "Auch ich bin dir gut, Dorina. Warum fürchtest du mich? Habe ich versehentlich etwas getan oder gesagt, das dich verletzte? Oder wirfst du mir mein Kind vor, das du in dir trägst?" Er führte sie dabei zu den Sitzen, drückte sie sanft nieder, nahm neben ihr Platz. "Gebieter," begann Dorina, "ich bin gekommen, um euch zu bitten, mir einen Rat zu geben. Was kann ich tun, um das Kind behalten zu dürfen?" "Niemand nimmt es dir." "Aber ich werde keinen Vater nennen können." "Dorina, weshalb nicht? Es ist unser Kind und es ist sein Recht, seinen Vater zu wissen." Sie weinte leise. "Cynesta würde..." "Cynesta weiß es," fiel er ihr leise und voll Zuneigung ins Wort, "ich habe es ihr gesagt. Sie freute sich, als sie erkannte, daß wir einander nahe waren und sie freut sich nun, da sie um mein Kind weiß. Warum erschwerst du dein Leben ohne Grund?" Dorina schwieg unter Tränen. Wie sollte sie es ihm denn nur erklären? Auch wenn Cynesta wußte, wessen Kind sie trug, so erschien es ihr doch unmöglich, diesem Kind Ariston als Vater zu nennen. Für Dorina blieb dies Betrug und Untreue, auch wenn Cynesta und Ariston anders darüber dachten. Diesen inneren Verrat durch die wirkliche Vater
schaft laut kund zu tun, das wollte sie nicht. Aber der Herrscher würde das nie verstehen und es war sein Recht, die Vaterschaft zu fordern. Verzweifelt dachte sie an Orales. Es wäre besser gewesen, mit ihm zu reden. Während Ariston versuchte, ihre Zweifel zu zerstreuen, kam der Freund zu ihnen. Er hörte eine Weile schweigend zu. Schließlich kniete er vor den Beiden nieder, ergriff eine Hand Dorinas und eine Aristons. Freundlich betrachtete er den Freund, ehe er sagte: "Ist es ein zu großes Opfer für dich, mir das Kind zu schenken, Ariston?" Dorina wollte ihm die Hand entziehen, doch er hielt sie fest und verbot ihr mit sanftem Druck, jetzt ein ablehnendes Wort zu sagen. "Dir schenken, Orales?" sprach Ariston. "Du weißt, daß es nichts gibt, das ich dir nicht gern geben wollte. Doch ich nehme dein Opfer nicht an." "Es ist kein Opfer," entgegnete der Pala, "ich bitte dich um ein Geschenk. Ich selbst bin unfruchtbar, Ariston, und werde nie ein Kind haben, es sei denn, daß du mir eines deiner Kinder schenkst. Warum nicht dieses?" Irritiert sah Ariston zu Dorina, doch auch sie schaute verblüfft. Orales wandte sich an sie: "Es wäre auch ein Geschenk von dir," sagte er ernst, "und ich würde dir dankbar sein, Dorina." "Willst du sie heiraten?" erkundigte sich Ariston und damit stellte er die Frage, die Dorina auf den Lippen brannte. "Wenn sie es in einem Jahr noch will, dann gern und von Herzen," antwortete Orales ruhig.
"Warum in einem Jahr?" murmelte sie erstaunt. "Weil du bis dahin dem Mann begegnet sein wirst, für den du bestimmt bist," eröffnete der Falla des Lichts, "hast du ihn dann aber nicht erkannt, so ist es gut. Mehr fragt mich nun nicht, denn es steht mir nicht zu, davon zu reden. Nur entscheidet endlich, wer Vater des Kindes genannt werden soll." "Ich liebe dich und du weißt das," sagte nun Dorina, "wer immer mir begegnen mag, wird daran nichts ändern. Nun warte ich schon so lange auf dich, Orales. Ein weiteres Jahr bedeutet mir nichts. Ja, wenn du es willst, sollst du der Vater sein." Sie sah zu Ariston und fügte hinzu: "Mit eurer Erlaub nis, Gebieter." Der Herrscher zögerte noch. Nach dem Gesetz konnte er die Vaterschaft abtreten, verlor damit aber alle Rechte an dem Kind. Die Unfruchtbarkeit des Freundes verwirrte ihn. Orales sprach so ruhig und gelassen davon und doch galt es als Schande, wenn ein Mann kein Kind zeugte. Orales erriet oder las seine Gedanken. "Ich habe geistige Kinder, Ariston. Es ist eine Schande, solche nicht zu haben. Was die leiblichen Nachkommen betrifft, so ist ihre Überbewertung eine Profanisierung des Geistigen. Nein, ich leide nicht, weil ich unfruchtbar bin. Aber dieses Kind wünsche ich mir, weil es von der Frau getragen wird, die mich liebt und von dem Mann gezeugt ist, dessen Liebe mein größter Reichtum ist. Es wäre darum mein Kind, Ariston. Verstehst du das?" Der König nickte langsam. Endlich lächelte er. "Ich glaube, dies ist das einzig wirkliche Geschenk, das ich dir je werde machen können, Orales. Materieller Besitz bedeutet dir ebenso wenig wie Macht oder Ruhm. Ich verstehe das. Ja, wenn du es wirklich willst, dann sei der
Vater des Kindes." Zu aller Überraschung schlang Dorina wie erlöst die Arme um Ariston und küßte seinen Mund. "Danke, Gebieter," flüsterte sie dabei, "jetzt erst kann ich mich freuen."
I
n diesen kalten Tagen und Nächten zogen sich Orales und Ariston oft in den Burgtempel zurück. Zwar brannte dort nie ein Feuer, doch herrschte keine Kälte. Orales erklärte dies mit wenigen Worten, indem er sagte, daß die Wandverkleidungen aus speziell aktivierten Mineralien be stehe, welche so Wärme erzeugten. Ihm erschien das so einfach wie die Aktivierung der flammenden Steine, welche die Häuser erhellten. "Wenn du das Prinzip der Kraft verstanden hättest, wäre dir auch dies verständlich," sagte er zu Ariston. Der nahm sofort das Angebot der Belehrung an. "Minosante, der Gott der Kraft, siegelt mit dem geknickten Pfeil," erinnerte er sich, "und damit sagt er doch, daß Kraft nichts anderes ist als Überlegenheit. Der Pfeil des Feindes wird zerbrochen." "Das ist alles?" "Es verwundert mich manchmal," überlegte der König, "daß Minosante dennoch kein Kriegsgott ist. Er wird als ernst geschildert, als mächtig, doch eigentlich als freundlich und friedlich. Aber Frieden ist wohl nur dem Stärksten möglich." "So einfach?"
Orales genoß es, wie stets, den Freund durch kurze, gezielte Fragen in dessen Überlegungen anzuleiten. Was immer aber Ariston in Erwägung zog, Orales' fragte weiter und endlich schien für den Herrscher das Siegel Minosantes uner klärlich. "Es ist dem Leiter verboten, die Siegel aufzulösen," erklärte Orales, "dies ist eine der Aufgaben des Schülers. Aber wir sind bisher nicht den vorgeschriebenen Pfad gegan gen und ich denke nicht, daß es Schaden brachte. Darum will ich dir helfen. Was verstehst du unter Kraft?" Sie unterhielten sich und wieder führte Orales den Freund von einer Sackgasse in die andere, bis der endlich erkannte, daß ihm das Wesen der Kraft verborgen blieb. "Es gibt nur eine Kraft," erklärte dann Orales, "diese Kraft ist Geist. Wenn du darüber nachsinnst, wirst du erkennen, daß es letztendlich nichts gibt als Geist, als Kraft. Erinnerst du dich daran, daß wir über jenen Rapport sprachen, der dich im Geist zu mir nach Amarra führte? Du glaubtest damals, Worte zu hören und ich habe dir gesagt, daß es nicht Worte waren, sondern Gedanken. Worte sind begrenzt. Du hörst sie nicht sehr weit. Gedanken aber sind Kraft des Geistes, zielgerichtete Kraft." "Diese Kraft überwindet Entfernungen?" Ariston begriff nicht ganz, was Orales ihm erklären wollte. "Es gibt im Bereich des Geistes keine Entfernung, mein Freund. Als dein Geist zu mir kam, durchquerte er zuvor das Land, überfuhr er das Meer? Nein, er kam direkt. Der direkte Weg des Geistes führt durch seinen eigenen Bereich. Wenn du das Bild annehmen willst, so stelle dir vor, daß die geistige Ebene ein Punkt direkt über den Nebeln sei. Dieser Kraftpunkt ist durch Kraftlinien, die du dir meinetwegen als Schnüre vorstellen magst, mit allen Kraftpunkten in den
Reichen verbunden. Jeder einzelne Geist hier ist mit die sem Zentrum vereint." Ariston ahnte und nickte schweigend. "Es gibt für die Priester Möglichkeiten, jenes Zentrum willentlich zu erreichen. Dir gelang es durch Sehnsucht und deine Liebe zu mir hat jene Schnur, die zu mir führt, erkannt. Denke dir bunte Schnüre. Du hast also meine Farbe erkannt und berührt und dadurch die Verbin dung geschaffen. Das alles war nichts anderes als Kraft. Ich spürte die Berührung meiner Kraftlinie und antwortete mit einem Gedanken, also mit zielgerichteter Kraft. Bei alledem warst du nie von hier entfernt, nicht weiter jedenfalls als bis zu dem sehr nahen Zentrum der Kraft." "Ich verstehe das Siegel." Ariston schien sehr weit entfernt zu sein, ganz gefangen von dem Bild, das Orales ihm entwarf. Leise sagte er: "Der geknickte Pfeil bedeutet den Weg zum Kraftzen trum, das an der Knickstelle liegt und den Rückweg von dort. Dann bedeutet Kraft aber immer auch, daß zielgerichtet gedacht werden muß." "Übe das," schlug Orales lächelnd vor, "du wirst den Umgang mit Kraft noch nötig haben." "Was verbirgst du mir?" "Nichts, mein Freund. Doch ich weiß nun, daß Sonte auf dem Weg zur Weihe ist." "Dann ist Xalares ein besserer deinen Erzählungen schloß."
Leiter,
als
ich
aus
"Nymardos, der Than, leitet Sonte," stellte Orales richtig,
"und obwohl der Than das bisher nie tat, bin ich doch überzeugt davon, daß er jeden Menschen, also auch Sonte, leiten kann." "Liebe und Achtung für Nymardos, wie Cynesta es sagte," stellte Ariston fest, doch weder Bitterkeit noch Eifersucht sprachen aus ihm, "es muß ein besonderer Mann sein, dieser Than. Es waren keine Fremden in der Burg. Da du aber weißt, was mit Sonte geschieht, muß ich annehmen, daß du in Rapport mit ihm stehst." "So ist es," bestätigte Orales, "allerdings weiß dein Bruder nichts davon. Ich habe heimlich in einer vertauten Stunde 'die Farbe seiner Kraftlinie' ertastet und finde darum seine Gedanken immer und überall, wenn ich es will." Ariston lachte leise. "Gut, daß der Than nicht alles weiß." "Ich fürchte," weiß es genau."
erwiderte
Orales aber nachdenklich, "er
"Überschätzt du ihn nicht?" "Ich habe dir gesagt, wie ein Mann zum Than wird. Glaubst du wirklich, er ist zu überschätzen? Nein, Ariston, ich fürchte eher, wir unterschätzen ihn. Oft denke ich, es wäre klug gewesen, zu ihm zu gehen und seine Hilfe in deiner Sache zu erbitten." "Ich bin Amarras Feind," erwiderte der König und nun klang seine Stimme bitter, "was der eine Than verwehrt, wird der andere nicht gestatten. Nein, ich muß kämpfen. Wenn es so weit ist, Orales, bist du deiner Treue entbunden. Ich erkenne nach und nach, was es für dich bedeuten würde, gegen deinen Than anzutreten. Dieses Opfer kann ich nicht von dir verlangen."
"Du hättest allein keine Chance," mahnte Orales sanft, "und nur dein Sieg wird mich rechtfertigen." "Also doch ein Verbrechen, Ariston, sofort aufmerksam.
mich zu leiten?" forschte
"Nein," wehrte Orales ab, "nicht die Tat ist verwerflich, nur die Art. Ich habe es dir zu leicht gemacht. Unter anderen Umständen hätte ich dich von Tabalkes Ebene zurück geholt, ehe du Liara oder Saake finden konntest. Ich tat es nicht, habe deinen Geist dadurch gefährdet und das ist mein Verbrechen. Dich zu leiten aber stand stets in meinem Recht. Genug der ernsten Worte, Freund. Besser ist handeln als reden und du hast noch viel zu tun."
D
ie kalten Wochen nahten ihrem Ende und Orales drängte den Freund nun immer wieder, endlich die Tempel zu besuchen. Ariston wehrte sich heftig dagegen. "Ich bin ein Feind der Tempel, Orales. Warum sollte ich also eine weite und beschwerliche Reise unternehmen, nur, um festzustellen, daß ich verachtet bin?" "Du bist der König, Ariston, und darum wirst du auch willkommen sein." Ariston wollte dem Falla eben all die Bitterkeit entgegen schleudern, die er empfand, als eine erste, verirrte Surre-Fliege durchs geöffnete Fenster in den Raum kam. Gebannt verfolgte der Herrscher ihren zackigen Flug und sah dem kleinen Insekt nach, als es entschwand. Er erinnerte sich an die Weihe des Saake, der Gottheit der Weisheit. Wie eine Surre-Fliege mündete Saake in ihm, als er des Disputes müde wurde. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und mit ehrlicher Freundlichkeit wandte er sich wiederum Orales zu.
"Als mein Vater starb," sagte er sachlich, "sandten mir die Haupttempel der Reiche den Königsstein, der bisher über ihren Pforten hing. Ist es nicht so, daß dieser Stein Symbol der Verbindung zwischen Tempel und Herrscher macht darstellt? Muß ich die Rücksendung der Steine nicht als Zeichen verstehen, daß die Tempel mich verachten?" Verblüffung und Erstaunen spiegelte sich auf Orales' Zügen. "Ariston," mahnte er sehr sanft, "die Tempel haben dich mit dieser Geste anerkannt." Auf den fragenden Blick des Freundes hin fuhr er fort: "Diese Steine sind das von dir vermutete Symbol, aber auch mehr. Sie sind Träger der Kraft. Dein Vater, selbst ein Priester, erhielt sie geschickt, als er zum König wurde und er aktivierte die Kraft der Steine, sandte sie den Tempeln zurück, wo sie einen sanften Schimmer verbreiteten, dem Volk zum Zeichen, daß in den Tempel auch der König herrscht. Beim Tod deines Vater erlosch diese Kraft, denn sie war ein Teil seines Geistes. Darum sandten die Tempel die Steine zu dir, damit du sie neu aktivierst. Natürlich warst du dazu nicht imstande und doch bist nicht du der Beleidigte. Die Tempel wurden von dir zurückgewiesen, nicht du von ihnen." "Aber keiner der Tempel hätte mich geleitet." "Du hattest keine Leitung nötig," fuhr ihn nun Orales an und zum ersten wurde er wirklich zornig, "wann hörst du endlich auf, dich selbst zu bedauern? Bist du ein Kind, das heult, weil es sein Spielzeug nicht bekam? Du bist Geist, Ariston, und Geist ist immer unbeschränkt. Hättest du dich die ganzen Jahre hindurch weniger bedauert, so wären deine Weihen ein Jugenderlebnis gewesen!" Ariston war aufgesprungen. Er wollte Zorn mit Zorn erwi dern und die vermeintliche Beleidigung nicht dulden, doch schien Saake sich seiner anzunehmen, denn die SurreFliege kehrte wieder und er begriff das Gleichnis, zwang
sich zur Ruhe und sagte nur: "Ich habe mich mit den Tempelschriften befaßt und gelernt, was ich ohne Lehrer lernen konnte." Orales schüttelte den Kopf. streng, doch nicht mehr zornig:
Seine Stimme klang noch
"Nein, mein Freund. Du hast dich gequält mit diesen Schriften. Dein Lesen und Lernen war Selbstzerfleischung, war Wünschen und Sehnen, nicht mehr. Du wärest gern ein Priester gewesen, aber du wolltest es nicht sein. Wille ist zielgerichtete Kraft, Ariston. Wirklich zielgerichtetes Wollen und Denken hätte dir die Tore geöffnet und du würdest auf irgendeine Art die Ebene des Geistes erreicht haben." "Ohne Leitung?" "Nur geleitet von deinem eigenen Geist, Ariston. Es ist hilfreich, wenn Menschen einander leiten, aber es ist keine Vorbedingung der Götter." "Möglich," gab der Herrscher etwas kleinlaut zu, "aber was hätte es mir genützt? Eine Weihe, von der niemand weiß, wird von den Tempeln nicht anerkannt." "Urteile nicht vorschnell," bat Orales, nun versöhnt, "denn auf jener Ebene wärst du, ohne Leiter, sofort aufgefallen und jener Geist, der dich bemerkt, ist dann nach ewigem Gesetz verpflichtet, dir zu helfen. Denn wer erkennt, der ist berufen. Es ist darum Unrecht, den Tempeln ein Versa gen vorzuwerfen. Amarra hat versagt, aber nicht die Tem pel. Sie sandten dir die Herrschersteine und ich denke, es ist höchste Zeit, daß du diese Steine aktivierst und zu den Tempeln bringst." "Ich denke nicht daran, Orales. Ich brauche die Tempel nicht."
"Dein Volk braucht sie, Ariston." "Ich habe keinen Tempeldienst verboten." "Du bist stur wie ein junger Esel. Errege dich nicht. Soll ich dich um Verzeihung bitten, hm? Ich bin dein Freund und darum erlaube ich mir solch drastischen Vergleich. Ariston, du weißt gar nicht, wie groß die Kluft zwischen dem Volk und den Tempeln geworden ist." "Ich will es nicht wissen." Da erhob sich Orales. Seine Stimme klang etwas traurig, doch sehr ernst und bestimmt: "Ich bin dein Falla," sagte er, "und du hast mir in geistigen Dingen Gehorsam gelobt. Bist du nicht bereit, dieses Gelöbnis zu halten, kann ich nicht weiter dein Leiter sein." Er ging zur Tür. "Warte," hielt ihn Ariston zurück, "kannst du denn von mir verlangen, wider meine Überzeugung zu handeln? Den Göttern ist es doch egal, ob meine Steine an den Tempeltoren hängen oder nicht." Orales wandte sich nach ihm um. "Wenn ich dich nicht überzeugen kann, dann fordere nur von den Göttern den Beweis. Aber sei auch bereit, dich umstimmen zu lassen." "Da ich dich zu verlieren scheine, gehorche ich," murmelte Ariston, von der Konsequenz des Freundes betroffen, "doch gern geschieht es nicht." "Begib dich auf die Reise," verlangte Orales, "und da du
die Götter herausgefordert hast, begleite ich dich nicht. Sie werden dir entgegen treten. Reise mit großem Gefolge, unter Fanfarenklängen in deiner besten Kluft, oder geleitet von wenigen Getreuen, unerkannt in Lumpen, es ändert nichts. Doch nimm deine Herrschergewänder und die Steine mit. Du wirst beides brauchen. Mehr gibt es nicht zu sagen." Ariston starrte wortlos auf die Surre-Fliege, die inzwischen versuchte, in die Maserung eines Achat-Bechers einzutauchen. "Anscheinend fliegt meine Weisheit auch gegen Stein," murmelte er vor sich hin. Da streckte Orales die Hand aus. Die kleine Fliege schien irritiert, flog mehrmals um den Becher herum und dann zu Orales, wo sie sich auf der Kuppe seines Mittelfingers niederließ. Der Falla des Lichts trat zum Fenster, hob die Hand hinaus und die Surre-Fliege strebte nun den Gärten zu, wo die ersten Blüten auf Befruchtung warteten. Orales sah zu dem Freund, der fassungslos das Geschehen verfolgte. "Ich liebe dich," sagte er einfach, "wäre dem nicht so, ließe ich dich gewähren." In den folgenden Tagen ging Ariston dem Freund aus dem Weg, obwohl er alles für die befohlene Reise vorberei ten ließ. Erst am Vorabend der Abreise lud er Orales zum gemeinsamen Mahl, an dem auch Cynesta und Dorina teilnahmen. Ein lockeres Gespräch wollte nicht aufkommen. Es war Cynesta, die endlich von der Reise sprach. "Wie lange," wollte sie wissen, "wird Ariston unterwegs sein?" Meisterhaft gelang es ihr, ihren Kummer darüber zu verbergen, daß sie den Gemahl nicht begleiten durfte. Im Grunde ahnte sie auch, daß dabei ihre eigene, noch immer
verborgene Priesterschaft entdeckt würde. Orales machte eine leicht abwehrende Handbewegung. "Ich sende Ariston nur zu einem Tempel," meinte er, "es steht ihm frei, sein erstes Ziel zu bestimmen. Kommt er an und denkt noch immer, die Reise sei überflüssig, mag er umkehren. Dann wird er nur wenige Tage fort sein." "Aber du bist davon überzeugt, daß unser Gebieter alle Tempel aufsuchen wird," stellte Dorina fest. Der Mann aus Moras nickte lächelnd. "Alle, außer dem Schwarzen keinen Herrscherstein gibt."
Tempel,
für den es
"Nun, dann bin ich in wenigen Tagen zurück," entschied der König, "denn von der Notwendigkeit einer Aussöhnung mit den Tempeln wird mich nichts überzeugen können." "Dennoch," warf Orales ein, "solltest du mich in den Burgtempel begleiten, damit ich dir zeige, wie du die Steine aktivieren mußt." "Ich lasse mich belehren," gestand ihm Ariston zu, "doch das Wissen wende ich nicht an. Ein aktivierter Stein würde genügen, um Amarra mein Priestertum zu entdecken." "Es naht die Zeit, da Amarra es ohnehin erfahrn muß," erwiderte Orales ernst, "es naht auch die Zeit der Entschei dung. Wir bleiben in Rapport, Ariston, und wenn es nötig wird, rufe ich dich zurück. Dann eile nach Nodher." In dieser Nacht wies Orales den Freund in manches Ge heimnis der Steine ein und erklärte ihm auch, daß die Herrschersteine in den Tempeln notfalls als Rapportbrücke zu ihm dienen konnten. Mehr als nur ein Symbol, beinhalteten diese Steine wirkliche Kraft. Die reine Atmosphäre des klei
nen Burgtempels, der noch immer von niemandem außer den beiden Freunden betreten werden durfte, wirkte auf Ariston ein. Seine Reserviertheit gegenüber Orales schwand und zu später Stunde gestand er seine Betrübnis über den Streit. Doch der Falla ließ das nicht gelten. "Kein Streit und kein Zorn wird unsere Liebe füreinander auch nur schmälern," versprach er fest, "so ist es und so bleibt es. Du wirst erkennen, warum ich dir in geistigen Dingen nicht nachgeben darf, so, wie ich erkannte, warum du in den Dingen deines Amtes dich mir nicht unterordnen kannst. Mit unserer Freundschaft hat das nichts zu tun, Pala." Er gebrauchte das Wort Pala in seiner ursprünglichen Bedeutung, welche kein Amt einschloß, sondern nur die liebe vollste Zärtlichkeit für einen Menschen darstellte, der Bru der, der Freund, der mehr als dies war und nur als ein Teil der eigenen Seele verstanden werden konnte. "Die Trennung von Cynesta und dir fällt mir schwer," gestand Ariston leise, "es tröstet mich nur, daß ihr beide einander haben und nicht einsam sein werdet. Ich werde es sein." Orales schloß ihn in die Arme. "Die Übung der Einsamkeit," verhieß er ihm, "mündet in der Erfahrung der Einheit. Du wirst auf dieser Reise so viel erleben und erfahren, was ich dir nicht zeigen, dich nicht lehren kann. Ariston, Pala, Freund, es gibt keinen Ort in den Reichen, wo mein Geist nicht um dich ist." "Ich bin bald zurück," versprach Ariston, doch es klang im Moment mehr wie eine Hoffnung als wie eine Überzeugung.
S
onte glaubte, nie zuvor so glücklich gewesen zu sein. Bisher sorgte seine allseits bekannte Unfähigkeit für manchen gutmütigen Spott und manche Hänselei, was aber so schlimm sich nie gestaltete. Sonte, auf Amarra geboren und aufgewachsen, litt bisher immer unter Einsamkeit, da die Kameraden, ob Mann oder Frau, sich stets bald innerlich von ihm entfernten. Da lag keine böse Absicht dahinter, sondern die Entfremdung, die durch verschiedene Erfah rungswelten sich gern einstellt. Nun aber lernte Sonte unter Anleitung des Mannes, der in Amarra wie ein Gott verehrt und geachtet wurde. Kaum einer der Priesterschüler (und Schüler blieben sie, bis die Grenze ihres Wachstum erreicht wurde, unabhängig vom erreichten Grad) hatte den Than je gesehen, es sei denn von Ferne bei offiziellen Anläs sen. Sonte aber war ihm begegnet, durfte mit ihm sprechen und seine Leitung erfahren. Dadurch wuchs der Junge in der Achtung der Bürger Amarras. Niemand durfte ihm Arbeit abverlangen. Zunächst fiel es Sonte schwer, den gewohnten Gehorsam gegen die reiferen Priester zu verwei gern, aber er lernte es und gewann dadurch etwas an Selbstbewußtsein. Wie der Than es verlangte, widmete er sich sehr intensiv der Tama-Blüte. Kein Zeitdruck herrschte, keine Frist bedrängte ihn. In dieser Freiheit fiel ihm alles leichter. Als ihn dann der Müßiggang belästigte, bat er jene Priesterin um Einweisung, welche eben diese Blüten betreute. "Du bist Chela des Than," wies sie ihn zwar zuerst zurück, doch gelang es Sonte, sie davon zu überzeugen, daß er in diesem Dienst den Willen des Herrn erfüllte. So lernte er weitere Geheimnisse der Pflanzen, nicht mehr nur ihrer
Bedürfnisse, sondern auch ihrer Geheimnisse und Kraft ströme. Die Heilwirkung der Tama bezauberte ihn. Eine unverträgliche Speise nötigte ihn dann, zwei Tage das Lager nicht zu verlassen, um zu gesunden. In diesen beiden Tagen blieben ihm nur die eigenen Gedanken, aus deren Stoff er immer und immer wieder das Bild der Tama wob, bis er, selbst erstaunt, feststellte, daß es ihm gar nicht schwer fiel, nur die Farbe der Blüte zu rufen. Dieses bestimmte, samtige Rot einstand in ihm, noch ehe er es in die Form der Blütenblätter preßte. Sonte zitterte leicht vor freudiger Erregung, als er sofort versuchte, dieses Spiel mit anderen Farben und Blüten zu spielen. Hier versagte er, doch das Rot der Tama lebte in ihm. Seit vier Wochen wartete sein Meister auf ihn und Sonte überlegte, wie lange er wohl schon, unbewußt, die erste Übung beherrschte. Es erschien ihm nicht unwahrscheinlich, daß er bereits seit Tagen die ses Rot empfand. Kaum genesen, begab er sich zum Tempel und bat einen der Wächter vor der Pforte, dem Than zu melden, daß er gekommen sei. Verblüfft nahm er das durchaus freundliche Lächeln des Posten wahr, der ihn sofort ins Innere führte und in dem ihm schon bekannten Zimmer bat, daß er warten solle. Es dauerte sehr lange, bis der Than kam. Sonte vertrieb sich die Zeit, indem er in den Flammenden Kristall sah und dessen inneres Farben- und Feuerspiel bewunderte. Er meditierte nicht darüber, öffnete nicht ganz seinen Geist; nur kindliche Freude über diese Faszination beherrschte ihn. Solche Wunder nahm er ohne Neugier als gegeben hin; es bedeutete ihm keinen Unterschied, ob sich ein Wunder in Gestalt einer Blüte oder eines magischen Steines nahte. Endlich wurde ihm bewußt, daß der Than hinter ihm stand und ihn beobachtete. Fast beschämt drehte er sich um und ging auf die Knie. Sonte schwieg, denn das erste Wort stand ihm nicht zu. "Willst du mir berichten?" fragte sein Herr sanft. Sonte schüttelte leicht den Kopf.
"Es ist geschehen," erwiderte er leise, "doch ich weiß nicht, wie es geschah, Herr. Ich sehe das Rot, doch ich kann es euch nicht beweisen." Nymardos lächelte. "Du kannst es nicht vor mir verbergen," stellte er behutsam richtig. "Ich nenne dir nun den zweiten Schritt. Komm' wieder, wenn dir auch diese Übung gelingt." Er nannte Sonte eine andere Blüte, eine andere typische Farbe, die wiederum sehr rein blieb, keine Beimengungen, keine Lichterspiele aufwies. Danach siegelte er seinen Schüler wiederum mit dem Daumen, entließ ihn. Sonte ging in dem beglückenden Gefühl, daß er seinen Herrn nicht wieder so lange würde warten lassen. Tatsächlich gelang es ihm von nun an immer leichter, die geforderten Farben in sich zu entdecken. Fast verwunderte es ihn, daß er so viele Jahre ein Versager blieb. Er nahm all seinen Mut zusammen und bat bei einer späteren Begegnung den Than um eine Erklä rung. "Alle Dinge sind sehr einfach, wenn du sie verstehst," erwiderte der sofort, "und es ist gut, zu fragen, um zu lernen. Frage mich, wann immer du in dir selbst keine Antwort finden kannst. Das Versagen, das du dir vorwirfst, ist das Versagen deiner Leiter, die sich stur an ihre Regeln hielten. Die Regeln sind gut, doch bedarf es hin und wieder der Modifikation. Es ist erforderlich für den Schüler, ohne Form zu sehen. Dir gelang es nicht, eine Farbe oder etwas anderes ohne materielle Form in dir zu schauen, darum habe ich dich durch die Form hindurch geführt. Wenn ich zu dir nun von einer Farbe spreche, so siehst du diese, doch ohne die Form, die dir zunächst zum Sehen verhalf. Doch noch sind es tote Bilder. Kannst du dir eine gegenstandslose, lebendige Farbe vorstellen?" "Nein, Herr. Verzeiht, aber das ist zu schwer."
"Ruhig, Sonte, errege dich nicht. Du hast bisher gut gelernt, du wirst es weiter tun. Dein Geist hat keine Form und ist doch lebendig. Indem du übst, formlos Lebendes in dir zu sehen, nahst du deinem Geist." "Glaubt ihr denn, daß ich das kann?" "Ich leite dich und bin davon überzeugt." "Dann will ich es auch glauben, um euch nicht zum Lügner zu erklären, Herr," sagte Sonte da mit fester Stimme. Voll Vertrauen schaute er zum Than auf. "Ich will es," versprach er fest. Nymardos entließ ihn mit der Auflage, einen knospenden Mesa-Strauch aufzusuchen. "Erwarte seine Blüte und vertiefe dich in sie," verlangte er, "du hast einen ganzen Tag Zeit dafür. Wenn die Blüte am Abend verwelkt, ziehe dich zurück. Betrachte nicht ihr Vergehen, Sonte. Ist die Farbe der Mesa danach nicht in dir, suche einen anderen Strauch. Die Gärtner wissen, wo die Blüten erwartet werden. Vergiß aber nicht, dich demütig dem Strauch zu nähern und deine Absicht kund zu tun, damit die Onik dich als Freund erkennt."
A
riston zog es vor, unerkannt zu reisen. Begleitet von einigen wenigen seiner Gardisten ritt er als Kaufmann verkleidet durch sein Land zum Tempel der Weisheit. Der König beeilte sich, denn er wollte sehr bald zurück auf seine Burg. Er zweifelte nicht daran, daß diese Reise ihm keinen Gewinn, vor allem aber keine Aussöhnung mit den Tempeln bringen konnte. In Gedanken weilte er oft bei Cynesta. Sie schirmte ihren Geist ab vor ihm. Er wußte es wohl, doch er akzeptierte schweigend ihr Verhalten. Sie mochte Gründe haben, ihm nicht ganz zu vertrauen. Schmerzlich wäre es nur, bliebe auch Orales ausgeschlossen. Doch das stille Einverneh
men zwischen der Gattin und dem Freund genügte ihm, um sich selbst nicht ausgeschlossen zu fühlen. Die Nebel verdich teten sich an diesem Tag ungewöhnlich früh und ihre Feuch tigkeit drang schon langsam durch die dichte Kleidung. Bis zum nächsten Dorf, wo sie Herberge finden konnten, würde es noch Stunden dauern und eine Übernachtung im Freien mochte so früh im Jahr Gefahren für die Gesundheit bergen. Mißmutig trieb Ariston sein Pferd zu schnellerer Gangart an. Da ritt einer der Gardisten an seine Seite. Er hieß Gerrys, diente noch nicht lange auf Nodher. Das blonde Haar hielt er zum Zopf geflochten, doch manche Strähne löste sich daraus und gab ihm so ein unbegründet verwegenes Aussehen. Denn Gerrys zeigte sich still und zurückhaltend. Sein schmales Gesicht verriet eine entbehrungsreiche Jugend, doch seine hellen Augen schauten wach und freundlich. "Verzeiht, Gebieter," wandte er sich an Ariston, "es liegt mir fern, euch raten zu wollen." "Sprich nur," forderte Ariston ihn auf, der unter der Scheu seiner Männer ohnehin etwas litt, da ihm so seine einsame Macht mehr zu Bewußtsein kam. Ein freundliches Gespräch konnte ihn nur erfreuen. "Nicht weit von ihr steht das Haus eines Köhlers," berichtete Gerrys nun, "ich kenne die Gegend. Mit eurer Erlaubnis will ich den Mann bitten, uns in seinem Schuppen Nachtquartier zu gewähren." "Die Nebel fallen schnell," stimmte der Herrscher zu, "dein Vorschlag kommt mir gelegen. Doch achte darauf, daß niemand erfährt, wer ich bin." Da ritt Gerrys davon. Wenig später kehrte er zurück, lobte die Gastfreundschaft des Köhlers und führte seinen Herrn und seine Kameraden zu dem besagten Haus.
O
rales verbrachte viel Zeit bei Dorina, mehr aber bei Cynesta, die er noch immer davon überzeugen wollte, daß Ariston ihr Priestertum erfahren müsse. "Glaubst du denn, er könnte dir nicht verzeihen?" "Er könnte mir danach nicht mehr vertrauen," vermutete sie traurig, "ich habe ihn zu lange belogen. Ich freue mich, daß er die Weihen empfing, aber ich fürchte den Tag, an dem Amarra dafür Rache nimmt." "Es wäre dir lieber, Ariston müßte kampflos auf seine Macht verzichten?" Cynesta nickte. "Ich liebe den Mann, nicht den König," sagte sie fest, "und ich fürchte, es war ein Fehler, ihn zu den Tempeln zu schicken. Sobald er einen aktivierten Herrscherstein einem Falla überreicht, weiß Amarra, was geschehen ist. Und dann seien die Götter uns gnädig." "Es wird nicht mehr lange dauern, bis Sonte ein Priester ist," gestand Orales nachdenklich, "und danach kommt die Entscheidung ohnehin. Du wußtest von Anfang an, daß dieser Tag kommen wird." "Wirf mir nicht vor, dieses Wissen unterdrückt zu haben," bat sie leise, "ich kann nicht Jahre hindurch an eine nahende Gefahr denken und dabei trotzdem glücklich sein. Daß ich alles verlieren werde, weiß ich, Orales. Nur Ariston will ich behalten. Verstehst du das?" "Ich verstehe nicht, wie du Amarra den Sieg jetzt schon zugestehen kannst," gab er zu, "denke an Untergang und du empfängst Untergang. Wäre es aussichtslos, Cynesta, so würde ich Ariston einen anderen Weg leiten."
"Amarra ist unbesiegbar," murmelte sie nur. Orales ergriff ihre Hand, drückte sie sacht. "Amarra ist eine Insel," stellte er richtig, "nicht mehr und nicht weniger. Auf der Insel leben Menschen und Menschen sind nicht allmächtig." "Und der Than?" Orales seufzte. Eben dieser Mensch war die unbekannte Größe seiner Überlegungen, doch davon wollte er nicht spre chen. "Bisher hat der Than nicht gehandelt," sagte er darum, "warten wir also ab, was geschieht." "Weißt du," flüsterte Cynesta nach einer Zeit des Schweigens, "manchmal wünschte ich, ich könnte mich auf meine eigene Kraft besinnen. Aber ich habe fast vergessen, daß ich Priesterin bin. Auf Amarra habe ich mich zum letzten Mal stark gefühlt. Seither..." Sie brach ab. "Liebes," erwiderte Orales zärtlich, "alle Kraft ist in dir, deine eigene und die Aristons. Warum trägst du den Lasur stein nicht, den er dir schenkte? Ohne sein Wissen lud er diesen Stein mit seiner Kraft auf und darum bist du stark und selbstbewußt, sobald du ihn trägst. Die Kraft des Steines, aktiviert durch seine Liebe, wird deine Kraft er wecken. Wenn der Tag der Entscheidung kommt, braucht Ariston auch deine Hilfe." Cynesta schüttelte hoffnungslos den Kopf, aber sie nahm den Stein an sich und befestigte ihn an ihrem Stirnband.
G
errys führte die Männer in einen flachen Schuppen, wo sie sich behelfsmäßig einrichteten. Während zwei der
Gardisten sich um die Pferde kümmerten, nahmen andere die Vorräte an sich, um ein bescheidenes Mahl zu richten. Gerrys bereitete aus Decken für seinen Herrn das Lager, trat dann zu Ariston, der unter der offenen Tür durch den nun dichten Nebel zum Haus seines Gastgebers sah, das nur durch einen schwachen Lichtschein erkenntlich blieb. "Ich sagte dem Mann, daß er uns nicht bewirten muß," gestand der junge Gardist, "er ist nicht reich und mir schien, als sei er von Kummer bedrückt." Ariston nickte langsam. "Auch ich habe den Eindruck, als herrsche dort drüben das Leid," erwiderte er, "es ist recht, wenn wir der Familie nicht zur Last fallen." Gerrys zögerte. "Euer Lager ist bereitet, Gebieter," sagte er dann, doch er dachte an anderes. Ariston spürte förmlich, wie sehr der Gardist sich wünschte, der Könnig möge diesen fremden Menschen helfen. Ein ähnlicher Wunsch bewegte auch ihn und er nahm an, daß die Armut des Köhlers das Leid hervorrief. So trat er in den Nebel hinaus, schritt zum Haus hinüber, willens, die Gastfreundschaft mit ein paar Solaren zu honorieren. Niemand reagierte auf sein Klopfen, doch die Tür zeigte sich unverschlossen. Ariston trat ein. Im schwachen Schein der Kerze erblickte er den Köhler, einen von der Last der Arbeit gebeugten Mann, der stumm am Tisch saß, das Gesicht in die Hände gestützt, mit leerem Blick vor sich hinstarrend. Ein leises Schluchzen veranlaßte den Herrscher, das Gesicht zu wenden. In einer Zimmerecke sah er das Weib des Köhlers, neben einem Strohlager am Boden kniend. Er erkannte das fiebrig gerötete Gesicht eines halbwüchsigen Mädchens, das schwer atmend auf dem Lager um sein Leben
rang. Der Köhler hob den Blick, starrte auf den Gast. Wie zu sich selbst murmelte er: "Die kalten Nebel drohten den Meiler zu ersticken. Tessa half mir und nun verbrennt sie in der Hitze." Ariston trat zu der Kranken, hockte nieder, ergriff die heiße Hand. "Einer meiner entschied er dann.
Begleiter
wird
einen
Arzt holen,"
Das Weib weinte laut auf. "Das hilft nicht," brummte der Mann, "der Dorfarzt war hier, aber er kann nichts tun." "Laß uns im Tempel Hilfe holen," jammerte die Frau und warf ihrem Mann einen flehenden Blick zu. Der Alte schüttelte verzweifelt den Kopf. "Nein, Weib," wehrte er ab, "das wäre Verrat an unserem König. Wir können nicht beiden dienen." Erschüttert begriff Ariston da die Wahrheit. Sein Volk, auf dessen Liebe er baute, die ihn erfreute und ihn stärkte, brach um seinetwillen mit den Tempeln. Dieser Bruch reichte so tief, daß ein einfacher Mann wie dieser Köhler lieber sein eigenes Kind sterben sah, als von einem Ort Hilfe zu holen, der sich gegen seinen König stellte, und dies, obwohl die ärztliche Kunst der Tempel jener der Wanderärzte und Dorfheiler weit übertraf. Ariston preßte die Lippen zusammen. Orales hatte es ihm gesagt. Die Götter selbst würden ihn davon überzeugen, daß eine Aussöhnung mit den Tempeln um des Volkes willen notwendig war. Orales! Der Herrscher wünschte im Moment nichts mehr, als diesem kranken Kind zu helfen. Hatte der Freund nicht auch Dorina
gerettet, die dem Gift der Onik zu erliegen drohte? Sollte er nicht auch hier helfen können? Und hatte Orales nicht versprochen, in Rapport mit ihm zu bleiben? Ariston suchte in Gedanken die heimatliche Burg ab nach dem Freund, vergeb lich. Und er besann sich auf das Siegel der Kraft, auf den geknickten Pfeil, auf die Lehre des Freundes. Der kürzeste Weg führte nicht über Land, sondern durch den Geist! Er suchte Orales nicht mehr auf Nodher, sondern in sich selbst und ganz leicht stellte sich da die Wirkung des latenten Rapportes ein. Ungeübt in der Macht des zielgerichteten Gedankens wußte Ariston kaum, wie er Orales berichten sollte, und doch vernahm er den Freund. Er hörte und er dachte keine Worte, aber dennoch wußte er auf geheimnis volle Weise, was der Freund ihm mitteilen wollte. "Ich sehe mit deinen Augen, Freund." Ariston bestand nur noch aus Flehen um Hilfe. "Nimm beide Hände des Kindes," begriff er Orales' Wollen, "halte sie ohne Druck und sauge mit jeder Faser deines Seins ihre Hitze in dich hinein. Erschrick nicht, wenn du heiße Hände und Arme bekommst. Es wird dir Schmerzen bereiten und wenn die Schmerzen in deinen Schultern dröhnen, hast du das Leid des Kindes übernommen. Dann geh hinaus und schüttle deine Arme. Die Krankheit wird dich verlassen und zu den Nebeln gehen, aus denen sie kam. Sprich kein Wort. Worte sind vergeudete Kraft. Ich helfe dir." Ariston führte fast mechanisch die Anweisungen aus, wußte sich dabei von Orales unterstützt. Seine Unterarme wurden heiß, die Ellbeugen, die Oberarme. In den Schultergelenken bohrte der Schmerz; nein, nicht in den Gelenken, sondern wie vibrierend in jenem Bereich, doch nicht nur in seinem Körper, sondern auch einige Zentimeter um seine Schultern herum. Da brach der Rapport ab. Ariston erhob sich, verließ schweigend das Haus. Draußen schüttelte er die Arme aus, die Schmerzen ließen nach, erloschen. Er fühlte sich
unendlich müde, schwankte fast, als er den Schuppen erreichte. Unter Aufbietung aller Kräfte begab er sich zu seinem Lager und legte sich nieder. Gerrys betrachtete ihn besorgt, reichte ihm wortlos einen gefüllten Teller und einen Becher. Der König wehrte die Speise ab, trank aber den heißen Sajik-Wein gern. "Iß," schien er da Orales' Wollen zu verstehen, "wer dem Körper Kraft entzieht, muß sie ihm erneut zuführen." Gerrys lächelte erleichtert, als sein Herr die Speise zu sich nahm.
A
riston erwachte ungewöhnlich früh. Seine Männer schlie fen noch. Er betrachtete ihre Gesichter. Die meisten von ihnen kannte er seit Jahren und er schätzte ihren stillen Dienst. Sie und sein Volk verdienten es, daß zwischen ihm und den Tempeln Frieden herrschte. Sein Blick glitt hinüber zu Gerrys, der eben die Augen aufschlug. Ariston bedeutete ihm mit einer Geste, leise zu sein, um die Kameraden noch nicht zu wecken. Fast lautlos öffnete sich die Tür. Der Köhler tat ein, schaute unruhig umher, gewahrte Ariston auf seinem Lager sitzend, kam herbei, warf sich nieder und küßte dessen Füße. "Ihr müßt ein Bote der Götter sein," stammelte der Alte unter Tränen, "Tessa lebt. Die Hitze hat sie verlassen. Be fehlt, Herr, und ich gehorche. Wie kann ich mich dankbar erweisen?" Ariston beugte sich vor, hinderte den Alten daran, weiterhin seine Füße zu küssen. "Leise, Mann," mahnte er, "meine Begleiter schlafen noch. Deine Gastfreundschaft ist Dank genug." Verständnislos schaute der Alte auf seinen Gast.
"Warum?" Er begriff nicht, weshalb ihm und seiner Familie diese Hilfe zuteil wurde. Ariston sah ihn ernst an. "Dein Weib hat die Hilfe der Tempel gewollt." "Ihr seid Priester?" fragte der Alte nun in einer seltsamen Mischung aus Furcht und Verachtung. "Ja, Mann, das bin ich. Nun, du wolltest die Hilfe nur von deinem König, als schlössen sich diese beiden Möglichkeiten aus. Aber ich bin auch des Königs Mann." Gerrys richtete sich leise auf. Er merkte, wie die Dankbezeu gungen seinem Herrn unangenehm wurden. Darum ergriff er den Köhler, hob ihn auf. "Sei nun still," verlangte er, "was geschehen ist, geschah durch die Liebe deines Königs und die Macht deines Tempels. Danke den Göttern, nicht Menschen." Er schob den Köhler zur Tür, verabschiedete ihn mit freundlichen Worten. Danach aber sah er zu Ariston und in seinem hellen Blick stand pures Staunen. Ariston lächelte ihm zu. Da nun die anderen Gardisten erwachten, gab es keine Möglichkeit mehr, über das Geschehen zu reden. Während sie später weiterritten, rief Ariston Gerrys aber an seine Seite. Doch der junge Mann wagte es nicht, irgend welche Fragen zu stellen. Sie näherten sich dem Dorf. "Der Ort ruft unangenehme Erinnerungen in dir wach," bemerkte Ariston, dem nicht entging, wie sich die schmalen Züge seines Mannes verhärteten. "Ich wurde dort geboren." "Erzähle mir aus deinem Leben," forderte der König ihn
freundlich auf, jedoch bewußt einen befehlenden Unterton vermeidend. Gerrys schwieg. Erst, als das Dorf hinter ihnen lag, berich tete er mit leiser Stimme. Je weiter sie sich aber von den Häusern entfernten, desto entspannter wurde er. "Ich verlor früh meine Eltern," erzählte Gerrys, "und ich wurde danach im Dorf mehr geduldet als gehalten. Ich litt oft Hunger, war oft krank. Man verspottete mich beständig, denn jeder wußte, daß ich von einem Leben als euer Gardist träumte. Meinen Unterhalt verdiente ich mir durch das Sammeln und den Verkauf von wilden Früchten. Ich war zwölf Jahre alt, als ich Kresse aus einem kleinen Bach sammelte. Wir werden diesen Bach bald erreichen, Gebieter. Ich begegnete dort einer Priesterin aus dem Tempel der Weisheit. Sie sah mir eine Weile zu, half mir dann schweigend und gab mir, als meine Körbe voll waren, etwas von ihrer Nahrung ab. Obwohl sie mich nichts fragte, ver traute ich ihr mein ganzes Leben an, meine Probleme und meine Wünsche. Sie war es, die mir riet, das Dorf zu verlassen. 'Wenn du in Nodher dienen willst,' sagte sie, 'mußt du nach Nodher gehen. Solange du wirklich etwas willst, wirst du es immer erreichen.' Nun, ich dachte lange darüber nach, aber eines Tages machte ich mich auf den Weg." Gerrys lächelte versonnen. "Der Rat der Priesterin war gut. Als ich die Burg erreichte und Einlaß begehrte, traf mich zunächst der spottende Hohn der Wachsoldaten, die mich mit Hieben vertreiben wollten. Doch einer von ihnen stand mir bei, nahm mich bei sich auf. Er hielt mich bis zu seinem Tod wie einen eigenen Sohn, lehrte mich auch den Gebrauch der Waffen. Es sind erst wenige Wochen vergangen, seid euer Teju, Gebieter, mich in den Dienst der Garde rief." Ariston dachte an seinen Teju, Verletzung abgehalten wurde, ihn die Männer dieses Rittes auswählte. bestimmte, lag wohl daran, daß der
der durch eine kleinere zu begleiten, der aber Daß er auch Gerrys dazu junge Mann sich bisher
noch nicht bewähren konnte. Aber Ariston war schon sehr einverstanden mit dieser Wahl. Er schätzte bereits die Ge sellschaft des jungen Gardisten, hielt ihn aber nicht beständig in seiner Nähe fest. Der Umgang mit Seinesgleichen fiel Gerrys sichtbar leichter. Sie rasteten in Sichtweite des Tempels, kleideten sich um. Ariston trug nun die festlichen Gewänder seiner Würde. "Achte darauf, daß mich keiner stört," rief er Gerrys zu, ehe er sich von seinen Männern entfernte, um den Herrscherstein dieses Tempels zu aktivieren. Es kostete ihn keine Überwindung, denn er empfand es als schuldige Pflicht gegenüber den Göttern und seinem Volk, sich mit diesem Tempel auszusöhnen. Ein wenig bedauerte er zwar, daß sein Wort ihn nun zwang, nicht nach Nodher, sondern zum nächsten Tempel zu reisen, doch hielt er es noch für möglich, daß dort das überzeugende Zeichen ausblieb und er die Reise beenden konnte. Zwei Gardisten sandte er dann zum Tempel, um sein Kommen zu künden. Er wartete nicht lange, ehe er langsam dem Tempel zuritt. Priester und Priesterinnen kamen ihm entgegen, schweigend, mißtrauisch und scheu, doch geschmückt und ihn willkommen heißend. Seine Männer blieben vor dem Portal zurück, obwohl ihnen niemand den Eintritt verwehrte. Ariston wurde in eine weite Halle geführt, wo ihm die Falla mit dem Falla des Tempels entgegentrat. Beide neigten sich tief vor ihm, gingen aber nicht auf die Knie. "Es ist gut," versicherte Ariston sofort, um ihnen zu zeigen, daß er keine Demütigung von ihnen erwartete, "ich komme als Herrscher und hoffe, als Freund zu gehen." Mit diesen Worten nahm er den Herrscherstein aus seinem Tuch und reichte ihn auf den geöffneten Handflächen den Bewahrern des Tempels. Ein leises Glühen des Steines verriet sein Leben. Die umstehenden Templer murmelten
Laute des Erstaunens. Der Falla faßte das Geschehen nicht. Der Stein glühte, war also aktiviert und damit mußte der König Priester sein. Die Falla aber, eine schlanke, weißhaarige Greisin ergriff den Stein, preßte ihn kurz zum Zeichen ihrer Unterordnung gegen ihre Stirn und kniete dann nieder. Eine unerwartet klare Stimme strafte das faltige Gesicht, das Alter verriet, Lügen, als sie die vorge schriebenen Dankesworte sprach und ihren Herrscher nun mit anderen, ehrlicheren Worten willkommen hieß. Noch während sie sprach, kniete auch der Falla nieder und mit ihm alle Anwesenden. Ariston hob erst die Alte, dann den Falla auf. Mit kraftvoller Stimme versprach er den Templern seinen Schutz, versicherte ihnen seine Achtung, lobte er ihre Gottheit Saake. Es erstaunte ihn nicht einmal, als bei diesen Worten eine Surre-Fliege um seinen Kopf summte. Er lächelte. Nur für ihn nahm Saake diese Gestalt an; anderen Priesters offenbarte sich die Gottheit auf andere Art. Es war aber dieses Lächeln weit mehr als seine Worte, das die Templer von der Lauterkeit seiner Absicht über zeugte. Ariston blieb zwei Tage im Tempel, sandte von hier aus auch ein Schreiben an Orales, in dem er ausführlich berichtete. Zum ersten Mal sah der Herrscher nun auch Tempelkinder und erkannte, daß sie wirklich glücklich lebten. Daß Orales eine so behütete Kindheit erfahren durfte, erfüllte ihn mit Dankbarkeit. Als er aus dem Portal trat und einen Blick zurück warf, sah er den schimmernden Herrscherstein an dem ihm gebührenden Platz. Seine Männer standen wartend bereit, nur Gerrys befand sich abseits, mit einer Priesterin so ins Gespräch vertieft, daß ihm das Nahen seines Herrn entging. Erst die tiefe Verneigung der Priesterin machte ihn darauf aufmerksam. "Vergebt mir," bat er rasch, "ich habe gesäumt." Ariston nickte nur und Gerrys beeilte sich, sein Pferd zu erreichen.
Der Herrscher aber wandte sich an die Priesterin, erfuhr, daß sie es war, die Gerrys als Knaben nach Nodher sandte und dankte ihr. Ein wissender Blick traf ihn aus ihren dunklen Augen. "Gewährt ihm die Gunst eurer Nähe, Gebieter," sagte sie sehr ernst, "denn er ist bestimmt, euch von Nutzen zu sein. Seht es ihm nach, wenn er fehlt und eure Großmut wird euch vor Schaden bewahren." "Ich danke dir," erwiderte Ariston und verbarg sein Erstaunen, "doch ist Gerrys mir schon so lieb wie ein Verwandter. Ich sehe ihn gern um mich." Die Priesterin lächelte verhalten, ehe sie Antwort gab: "Saake ist in euch." Sie verneigte sich nochmals und ging dann davon.
D
er nächste Tempel wäre jener des Lichts gewesen, doch scheute sich Ariston, diesen Machtbereich aufzusuchen. So entschied er sich dafür, im Bogen um Nodher zu reisen und den Tempel des Schweigens zu suchen. Während der langen Reise sah er mit Vergnügen, wie Gerrys die Achtung seiner älteren Kameraden empfing und mehr und mehr in ihren Kreis aufgenommen wurde. Und er freute sich stets, wenn der junge Mann an seine Seite ritt und ein wenig, wenn auch etwas scheu, mit ihm plauderte. Ariston ließ ihn in allem gewähren. Er spürte die zwar verborgene, dennoch sehr starke Zuneigung des jungen Mannes und drängte ihn nicht, den gegebenen Standesunterschied zu leugnen. Nach und nach gewann Gerrys Natürlichkeit die Oberhand und als sie nahe des erstrebten Tempels rasteten, war es Gerrys schon selbstverständlich, seinen Herrn persönlich zu bedienen, obwohl dies eigentlich nicht zu seinen Aufgaben gehörte. Doch da kein ernannter Diener mit ihnen reiste,
nahm er freiwillig diesen Dienst an. Kein Zeichen hatte Ariston ermahnt, den Tempel aufzusuchen. Er wartete. Die Männer schlugen Zelte auf, um hier zu nächtigen. Der Herrscher aber bemerkte eine junge Frau, die, gedeckt von einigen Büschen, den Tempel betrachtete. Sie ging in der Dämmerung fort. Am Mittag des anderen Tages sah Ariston sie erneut. Gerrys folgte seinem Blick. "Das gibt es oft," sagte er ohne Aufforderung, "manche wünschen sich, in die Tempel zu gehen und dort zu lernen, aber sie wagen es nicht. Sie glauben, euch dadurch zu beleidigen." Ein etwas schiefes Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. "Das Volk liebt euch mehr als die Tempel, Gebieter, vielleicht mehr als die Götter." "Das wäre ein Unglück," stellte Ariston ruhig fest, "denn Liebe sollte nicht wählen müssen, sondern alles umschließen dürfen." Er dachte an Orales, der ihn und seinen Than liebte und er erinnerte sich betrübt an die innere Zerrissenheit des geliebten Freundes. Aber er nahm die Existenz dieser ihm unbekannten jungen Frau zum Zeichen, daß es seine Aufgabe war, sich auch mit diesem Tempel auszusöhnen und er beschloß, keine weiteren Zeichen zu fordern, son dern alle Haupttempel des Reiches aufzususchen, um den Herrscherstein zu bringen. Als er zwei Tage später den Tempel des Schweigens verließ, sah er, zurückblickend, wie die junge Frau, die ihm zum Zeichen wurde, Einlaß begehrte und fand.
Ü
ber Salis führte der Weg zum Tempel der Kraft und von dort an den Ufern des Tiath entlang zum Tempel des Friedens. Obwohl Ariston die Weihe des Minosante nicht empfing, war die Begrüßung durch die Kraft-Templer doch die herzlichste gewesen, die er bisher erhielt und zugleich wurde ihm dort auch ohne alle Vorbehalte die Huldigung
zuteil, die ihm als Herrscher zustand. Ohne es zu fordern war ihm vor den Tempeltoren wieder ein Zeichen sichtbar geworden, als er versehentlich Zeuge der verzweifelten Liebe zweier junger Menschen wurde, eines Landmannes und einer Priesterin, die ihre Liebe für ein Verbrechen hielten, weil eine Fehde das Volk und die Priester, den König und die Templer trennte. Sie rasteten am Tiath, schlugen die Zelte auf. Inzwischen blieben die Nächte warm und die Nebel ohne gefährdende Nässe. Ariston ruhte auf einem glatten Felsbrocken und genoß die Ruhe des Flusses, der Wyla und dem Meer zustrebte. Vor wenigen Tagen noch ein breiter Strom, zeigte er sich hier schon jung. Nicht weit konnte der Tempel des Friedens mehr sein, an der Quelle des Wassers errichtet. Ariston sehnte sich nach Nodher, nach Cynesta, nach Orales. Inzwischen mußte Dorina entbunden haben und er wußte nicht einmal, ob er dem Freund einen Sohn oder eine Tochter schenkte. Nodher lag so fern! Verhalten lächelte er beim Gedanken daran, daß nach dem Tempel des Friedens nur noch jener des Lichts besucht werden mußte. Er tadelte sich selbst ein wenig, weil er Orales zu harten Worten herausforderte, ehe er sich auf diese Reise begab, die ihm doch zum Gewinn wurde. Die Aussöhnung mit den Tem peln beruhigte ihn nicht so sehr im Hinblick auf die bevorstehende Auseinandersetzung mit Amarra, sondern erfüllte ihn mit einem durchaus realen und gegenwärtigen Frieden. Ein entsetzter, gellender Aufschrei Gerrys' riß ihn aus der Betrachtung. Ariston fuhr herum. Ein wahnsinniger Schmerz betäubte ihn kurz, als ein mordgieriger Säbel seinen Oberarm aufriß. Noch ehe der Herrscher etwas unternehmen konnte, schnellte Gerrys schon durch die Luft, riß den heimtücki schen Angreifer von den Beinen. Die Gardisten ließen dem Feind keine Zeit zur Gegenwehr. Noch ehe der wieder auf den Beinen war, berührten Säbelspitzen ihm Brust und Gesicht. Reglos blieb er im seichten Wasser liegen. Gerrys kümmerte sich nicht um ihn. Klatschnaß erklomm er den Fels, untersuchte die Wunde seines Herrn. Ariston glaubte
zuerst, das Wasser des Flusses liefe über sein Gesicht, doch dann begriff er die Tränen des Jungen, der sich heftig anklagte, weil er so unaufmerksam den Mörder nicht sah. "Still," mahnte Ariston, stöhnte dann aber, weil Gerrys sein Hemd zerriß, "dein Ruf hat mich vermutlich gerettet. Hilf mir auf, ich will den feigen Burschen sehen." Aber Gerrys gehorchte nicht. Er zerriß sein eigenes Hemd und wischte mit dem nassen Stoff das heftig fliesende Blut ab. Einer der Gardisten brachte einen Büschel von blutstillendem Kraut, kaute es, schmierte den Brei auf die Wunde; ein anderer kam mit sauberem Stoff und legte einen Verband an. Die Sorge der Männer tat Ariston gut, zugleich aber beruhigte er die Männer, da die Wunde weder tief noch gefährlich war. Sie schmerzte wohl, doch der Schmerz blieb durchaus erträglich. Auf einen kräftigen Gardisten gestützt kletterte der Herrscher vom Fels, ging er zu seinem Zelt. Einer der Kameraden brachte Tratta, einen starken, aromatischen Schnaps. Ariston nahm einen großen Schluck. "Jetzt trinkt ihr," verlangte er dann, "ihr seht alle blasser aus als ich. Und laßt mich einen Moment allein, damit ich mich sammeln kann." Sie gehorchten widerstrebend beiden Befehlen. Nur Hector blieb zurück, jener Gardist, der im Moment das Kommando führte, da der Teju abwesend war. "Ist es euer Wunsch, daß ich Ablösung von Nodher fordere und wir uns zur Burg begeben?" fragte er betreten. Es dauerte einen Moment, bis Ariston begriff. Als seine Leibgardisten oblag diesen Männern die Verantwor tung für sein körperliches Wohl. Nun war er verletzt. Sie hatten versagt und mußten sogar mit der Todesstrafe rechnen. Indem Hector bei ihm blieb, bot er so stillschwei gend an, stellvertretend für die Kameraden die Strafe zu
tragen. Ariston legte sich auf seinem Lager zurück. In seiner Wunde pochte es dumpf. "Ist der Fremde gefangen?" "Ja, Gebieter. Ihr kennt ihn, es ist Beritt." Ariston schloß die Augen. Beritt, einst sein Freund, trach tete ihm nun nach dem Leben. Er war nicht enttäuscht, nur betroffen und verwirrt. Hector ertrug sein Schweigen nicht. "Bitte, erteilt eure Befehle," flehte er fast. Ariston sah ihn an. "Unsere Reise ist noch nicht zu Ende, Hector," meinte er, "und es ist nichts geschehen, das für irgendeinen von euch Folgen hat." Der Gardist kniete überrascht an seiner Seite nieder. "Wir haben versagt, Gebieter." "Vergiß es," wehrte Ariston ab, "Gerrys sah oder spürte das Unheil und hat das Schlimmste verhindert. Meine Wunde ist verheilt, noch ehe wir auf Nodher sind und niemand muß von dieser Stunde erfahren. Nun geh, ich will schlafen." Hector gehorchte. Beim Anblick Gerrys' empfand er Eifer sucht, weil dieser Junge die Gunst des Herrschers besaß, doch er trat zu ihm und dankte ihm ehrlichen Herzens dafür, daß sein Ruf zur rechten Zeit erfolgte. Ariston schlief bis zum Mittag des anderen Tages, erwachte von den Schmerzen im Arm. Als er die Augen öffnete, fand er Gerrys an seiner Seite.
"Ihr müßt rasch zum Tempel," mahnte der junge Mann, "denn ich fürchte, eure Wunde könnte sich entzünden. Seid ihr imstande, zu reiten, Gebieter?" "Ich hoffe es." Ariston aß ein wenig, ehe er sein Zelt verließ. Sein Blick fiel auf Beritt, der fest verschnürt bäuchlings hinter einem der Gardisten auf einem Pferd lag. Für ihn mußte der Ritt Qual bedeuten. Hector stützte seinen Herrn, bis er auf seinem Pferd saß. Der Weg schien sich endlos zu dehnen. Ariston kämpfte gegen ein Schwindelgefühl an. Als sie nach einer Wegbiegung den Tempel sehen konnten, rutschte der König fast aus dem Sattel. Rasch trieb Gerrys sein Tier neben ihn. Im Ritt wechselte er die Pferde, setzte sich hinter seinen Herrn und hielt ihn fest. Die Templer des Friedens erkannten den König nicht, doch sie stellten auch keine Fragen. Ariston wurde sofort ins Innere des Tempels gebracht, wo kundige Heiler ihm den Schmerz nahmen und die Heilungsenergien seines Körpers zu der Wunde lenkten. Ariston schlief bei ihren Bemühungen ein. Als ein Priester ihm am andern Morgen Nahrung brachte, fand er Ariston am Fenster sthen. Der Herrscher sah hinaus und dachte daran, daß Cynesta einst hier lebte und arbeitete. Allein dieser Gedanke machte ihm den Tempel lieb. Dem Priester nannte er seinen Namen, denn er wollte nicht unerkannt hier sein. Und wieder empfing er die freudige Begrüßung der Templer, als er ihnen den Herrscherstein überreichte. Die Falla nötigten ihn, länger zu verweilen und gern nahm er an, um zu genesen, doch bat er, seine Männer gut zu versorgen. Ihnen war ein kleines Haus nahe der Gärten zugewiesen, wo sie alles für ihre Bequemlichkeit fanden. Nur Beritt wurde ihnen nicht gelassen. Die Templer wußten um sein Vergehen und führten ihn mit sich. Gerrys folgte ihnen heimlich. Wenn Beritt in den Tempel gebracht wurde, so wollte er nicht ausschließen, daß dieser Schurke noch einmal Gelegenheit fand, Ariston anzugreifen. Da war es besser, ihn sofort zu töten. Gerrys sah, wie Beritt in ein winziges Wandzimmer
gesperrt wurde. Dort gab es kein Fenster und nach dem Verschließen der Tür herrschte völlige Dunkelheit und Stille darin. Gerrys wartete, in einer Nische verborgen. Mit der Abenddämmerung kehrte Ruhe ein im Tempel. Leise verließ Gerrys sein Versteck. Fest entschlossen ergriff er seinen Dolch, ehe er den Riegel umlegte und die Tür öffnete. Beritt schien ihn zu erkennen, denn er schrie angstvoll laut auf. Gerrys hob den Arm, bereit, dem Feind den Tod zu geben. Aber eine unbekannte Macht schien sein Handgelenk zu umklammern, verhinderte ein Zustoßen. Jemand ergriff von hinten seinen Arm, entwand ihm die Waffe. Zornig sprang Gerrys beiseite, als der seltsame Bann von ihm wich. Wütend starrte er den Falla des Tempels an, der seinen Dolch hielt und ihm die Waffe mit einer Geste wieder anbot. "Ist es dein Amt, zu töten?" fragte der Falla mit ernster Stimme, doch lächelnden Augen. "Es ist mein Amt, meinen König zu schützen," fauchte Gerrys böse. "Hat er sein Urteil schon gesprochen? Wenn du, Gerrys, in seinem Namen Rache übst, trennst du dich von ihm." Gerrys starrte den Falla wortlos an. Woher wußte dieser Mann seinen Namen und wie kam er dazu, so selbstsicher von einer möglichen Zukunft zu reden? Der Falla winkte einem entfernt wartenden Priesterschüler und befahl ihm, Gerrys zu Ariston zu bringen. Der Gardist ließ sich nur widerwillig führen. Es behagte ihm nicht, daß der Falla ihm folgte und es mißfiel i hm, daß dieser nach ihm bei dem Herrscher eintrat. Obwohl der Falla kein Wort sprach und obwohl Ariston keine Frage stellte, sondern nur leicht verwundert, aber abwartend auf ihn sah, fühlte sich Gerrys genötigt, seinen Plan, seine Absicht und seine Tat zu geste hen.
Ariston hörte ihm ruhig zu und sagte, als er endete, zum Falla: "Ich danke euch für eure Umsicht, denn es liegt mir viel daran, daß kein Blut zwischen Gerrys und mir steht." "Aber Beritt wollte euch töten," rief Gerrys aus. "Das ist eine Sache zwischen ihm und mir," hielt ihm Ariston vor, "deine Sache ist es, dich nicht von Rache leiten zu lassen." "Das war nicht nur Haß," murmelte der Gardist, "ich habe einfach Angst, daß euch etwas geschieht." "Nicht hier," wehrte der Falla lächelnd ab, "in diesen Mauern ist dein Herrscher sicher, denn jeder wache Geist behütet ihn. Wenn Beritt sein Leben verwirkt hat, wird er es verlieren, doch nicht durch deine Hand." "Er hat es nicht verwirkt?" Fragend und zweifelt sah Gerrys von Ariston zum Falla und zurück. "Dein Herr sprach noch kein Urteil," erwiderte der Falla. "Beritt wird leben," entschied Ariston da impulsiv. "Nein," rief Gerrys, "ich bitte euch." "Es ist gesagt," beharrte der König. Der Falla nickte sacht. "Es ist dem Tempel eine Ehre, wenn ihr uns diesen Menschen anvertraut, Gebieter. Ihr werdet ihm nie wieder begegnen, denn unsere Fesseln sind stärker als jene
der Insel der Läuterung." Ariston ergriff die Hände des Templers. "Als euer Sklave, Falla, ist Beritt fast belohnt. Doch so sei es. Ich danke euch." Der Tempelleiter zog sich zurück. Ariston erklärte Gerrys, weshalb Beritt ihn haßte und gestand, daß ihm einmal Unrecht geschah. Behutsam wählte er seine Worte, vernich tete den besorgten Haß in dem jungen Mann und befreite seine Seele von jedem Rachegedanken. Endlich freute sich Gerrys, an seiner Tat gehindert zu sein. Alle Regeln miß achtend ergriff er die Hände seines Herrn, hielt sie vor seiner Brust fest. Reine Zuneigung sprach aus seinem Blick. "Mein Gebieter," sagte er bewegt, "ich gäbe mein Leben für euch hin." Die unerlaubte Berührung wurde ihm bewußt. Rasch ließ er Ariston los und trat einen Schritt zurück. Spitzbübisch lä chelnd bat er: "Nicht böse sein." Doch er ließ offen, ob er den Angriff auf Beritt oder diese Geste meinte. Ariston trat auf ihn zu, schloß ihn einfach wortlos wie einen Sohn in die Arme. Gerrys versteifte sich zuerst unter dieser unerwarteten Liebkosung, doch noch ehe Ariston sich von ihm lösen konnte, erwiderte der junge Mann seine Geste voll Herzlichkeit.
D
rei Mal sah Sonte inzwischen die Mesa-Blüte aufgehen; drei Tage verbrachte er, wenn auch mit einigem Zwischenraum, vor diesem Strauch und noch immer wollte es ihm nicht gelingen, diese buntschillernde Farbe in sich wach zu rufen. Er wußte, daß in drei Tagen erneut eine Knospe sich öffnen mußte und hoffte, es dann zu lernen. Doch da ließ der Than ihn rufen. Er mußte nicht warten, Nymardos empfing ihn sofort. Sonte warf sich nieder und gestand sein Versagen, bezichtigte sich erneut der Unfähig keit und bat um Gnade, weil er seinen Herrn enttäuschte. Er bammerte förmlich, fand kein Ende. Da verließ der Than wortlos das Zimmer. Viele Stunden hindurch blieb sich Sonte selbst überlassen. Er fürchtete sich, dachte sich selbst die schlimmsten Strafen aus. Als Nymardos wieder zu ihm kam, war er ausgebrannt, wie leer. Er ging auf die Knie und schwieg. Doch der Than betrachtete ihn ohne Zorn und freundlich klang seine Stimme: "Ich bin nicht bereit, nutzloses Geschwätz zu hören," er klärte er knapp, "wenn du jammern willst, belästige andere damit. Ich weiß, was in dir ist, Sonte. Und wo du dies nicht glauben willst, genügen wenige Worte, um dich zu offenba ren. Ich kenne dein Leid, doch ich dulde nicht, daß du es durch Selbstanklage vergrößerst." Er nahm in dem einzigen Sessel des Zimmers Platz, lehnte sich zurück und schloß die Augen. Bisher sprach er nur stehend mit Sonte, nun schien Neues zu kommen. "Beschreibe mir die Mesa-Blüte," verlangte er.
Sonte gehorchte sofort, sprach von Größe und Form, der Anordnung des Stempels und der Art der Staubgefäße. Selbst die Hüllblätter beschrieb er ausführlich und es mangelte ihm nicht an Worten, das Bild der Blüte aufzuzeich nen. "Die Farbe, Sonte," mahnte der Than, noch immer mit geschlossenen Augen. "Das geht nicht, Herr, versteht mich doch," flehte der Junge, "wie soll ich euch eine Farbe beschreiben, die es nicht gibt. Die Blüte schillert in allen bekannten Farben, doch diese verändern sich, sobald der Beschauer den Standort auch nur ein wenig verändert oder das Licht sich neu gestal tet. Nicht eine Minute lang bleibt die Farbe bestehen. Sie wechselt beständig, fließt ineinander über, schillert, flackert, verläuft." "Still," verlangte Nymardos da leise, "das Bild der Farbe ist in dir." "Aber ich kann es euch nicht beschreiben," murmelte Sonte und wieder überkam ihn ein Gefühl der Unzulänglich keit. "Darauf kommt es nicht an," wehrte der Than freundlich ab, "wichtig ist allein, daß alles in dir ist. Ich sehe es. Die Worte dienen nur, damit du weißt, was du siehst. Die Farbe ist in dir und es ist eine lebendige Farbe, pulsierend und kraftvoll. Ich schicke dich noch einmal fort, Sonte. Nun fordere ich eine schwere Übung von dir und ich erwarte deinen vollen Einsatz. Suche die Einsamkeit und konzentriere dich. Dein Geist ist nun stark genug, um ohne äußere Hilfe zu arbeiten. Nimm die Farbe der Mesa mit dir und lerne, sie zu bewegen nach deinem Willen. Sobald es dir gelingt, diese Farbe in Drehung zu versetzen, komm' unverzüglich zu mir. Es muß dir nur einmal gelingen und nur für kurze Zeit. Hast du mich verstanden?"
Sonte nickte, doch da der Than die Augen geschlossen hielt, sah er es nicht. "Ich verstehe, Herr." Der Than erwiderte nichts. Sonte spürte, daß sein Herr nicht bei ihm weilte, daß ernstes Denken ihn in andere Bereiche zog. Leise verließ er den Raum. Er begegnete Xalares. "Nun, machst du Fortschritte?" wollte der wissen. Sonte warf stolz den Kopf zurück. "Ich schulde euch keine Rechenschaft," erwiderte er fest, "befragt den Than, nicht mich." Eilig ging er weiter. Das zufriedene Lächeln Xalares' sah er nicht mehr.
F
ür Dorina bedeutete es eine Freude, daß Cynesta den wahren Vater ihrer Tochter kannte. Orales galt allge mein als der Erzeuger und so sorgte er auch für Mutter und Kind, doch Cynesta liebte Ariston in dem kleinen Mädchen. Was Dorina aber erschütterte, war die Art, wie Orales mit dem Säugling umging. Er herzte und küßte das kleine Wesen nicht, entlockte ihm kein freudiges Jauchzen. Still betrach tete er in unbeobachteten Momenten das Kind. Dorina wurde recht unheimlich dabei, denn es schien ihr, als herrsche eine stumme Zwiesprache zwischen ihrem Baby und dem großen Mann. Die Kleine wurde ganz still dabei, schien sich wohl zu fühlen. Schrie das Kind, nahm Dorina es wie jede Mutter auf den Arm, wog es, sang ihm Lieder. Trat dann aber Orales ein, verstummte das Kind, dem Orales den Namen Arisa gab. Dorina sprach mit Cynesta darüber, die sofort nach Orales sandte. "Mit ihm mußt du reden, Kleines," riet sie, "wie sollte ich
dir erklären, was da geschieht? Auch mir ist Orales oft rätselhaft, doch nie blieb er eine Antwort schuldig." Der Mann aus Moras lachte belustigt, als Dorina ihm ihre Sorge, ihr seltsames Gefühl der Abwehr bekannte. Er setzte sich zwischen die beiden Frauen, legte jeder einen Arm um die Seite und zeigte offen seine Heiterkeit. "Was erschreckt dich, Dorina? Arisa ist nach allem Recht meine Tochter und warum sollte ich sie nicht verstehen? Für dich ist sie ein Baby, ein Mensch im Werden. Doch du siehst nur ihren Körper." "Und was siehst du?" schimpfte Dorina ärgerlich. "Ich sehe ihren Geist," erwiderte Orales ernst und f fröhlich zugleich, "und mit ihm rede ich auch. Noch ist dieser Geist nicht in dem Körper gefangen. Arisa schreit so viel, weil sie sich gegen die Hilflosigkeit des Menschseins wehrt. Du hilfst ihr auf deine Art, indem du ihr deine Liebe und deine Fürsorge gibst. Ich helfe auf meine Weise." "Das ist töricht und dumm," wehrte sich Dorina, "das ist nichts als Priestergeschwätz. Im Grunde magst du mein Baby nicht und ekelst dich vor seinem Schmutz." "Sei nicht ungerecht," bat Cynesta, "ich glaube gern, daß es ein Band zwischen Arisa und Orales gibt." "Ja, du," rief Dorina aufspringend, "du redest manchmal selbst wie eine Priesterin." Sie lief hinaus. Cynesta wollte ihr folgen, doch Orales hielt sie zurück. "Schimpfe nicht mit ihr," bat er ruhig, "unser Verhalten muß für Dorina seltsam sein. Es ist gut, wenn du wieder wie eine Priesterin redest und denkst, Cynesta. Sonte ist
nahe daran, die Weihe zu empfangen." "Kannst du das nicht verhindern?" bat sie rasch, "du bist doch in heimlichem Rapport mit ihm, Orales. Es müßte dir ein Leichtes sein, die Weihe zu stören und damit zu hindern. Softe darf nicht Priester werden!" Orales erhob sich abrupt. Eine abweisende Härte tat auf sein Gesicht und sein Blick schimmerte fast vor Verachtung. "Sprich nie wieder so zu mir," verlangte er kalt, "ich würde eher alles tun, Sonte zu helfen. Ihn zu hindern, hieße seinem Geist zu schaden. Um diesen Preis wird nicht einmal Ariston siegen wollen." Sie bedauerte ihr Ansinnen schon, sagte es auch, doch Orales schüttelte abwehrend den Kopf. "Da du fähig bist, so zu denken, erkenne ich dich nicht mehr als Priesterin an, Cynesta. Wüßte Amarra davon, bei Raaki, man würde dich von erreichten Höhen stürzen und du wärest selbst Sonte unterlegen." Traurig sah er sie an. "Ich hoffte auf deine Hilfe. Nun stehe ich allein mit Ariston."
S
eit der Abreise vom Tempel des Friedens wich Gerrys seinem Herrn aus. Ariston bemerkte seine Befangenheit, ließ ihm aber Zeit. Erst nach zwei Tagen rief er den jungen Mann an seine Seite. "Bist du böse mit mir?" "Wie könnte ich Gerrys erschrocken.
das wagen, Gebieter," antwortete
"Also bist du es," stellte Ariston fest, "das tut mir leid. Als ich dich umarmte, fühlte ich mich dir sehr nahe. Es lag mir fern, dich damit zu kränken."
"Ich hatte kein Recht, diese erwidern," murmelte der Gardist.
gnädige
Geste so zu
"Dummkopf," schalt Ariston gutmütig, "es ist niemand Zeuge, der werten kann." "Euer Pala wird es wissen." "Du kennst Orales?" "Nein, Gebieter, ich bin ihm nie begegnet," gestand Gerrys, "doch man sagt, daß er alle Menschen durchschaut und alles weiß, was ihn interessiert. Er soll sehr unheimlich sein." Jetzt sah er offen in Aristons Augen. "Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß ihr einen Zauberer zu eurem Pala macht, Gebieter." Ariston lachte herzlich auf. "Orales ein Zauberer?", rief er vergnügt. "Freilich, das könnte man meinen. nein, Gerrys, mein Pala ist so gräßlich nicht. ich liebe ihn wie einen Bruder, mehr noch, wie einen Teil meines Selbstes. Orales aus Moras ist ein Priester hohen Grades. Das erklärt seine Macht, aber das sollte dich eigentlich nicht erschrecken." "Ein Priester? Herr, seid ihr denn sicher, daß alle Priester zu euch stehen? Ist es klug, einem Priester so zu vertrauen; ihm solche Macht zu geben?" "Kein Wort mehr wider Orales," verbot ihm nun Ariston ernst, "es wäre ein Wort wider mich. Gerrys, ich sorge dafür, daß du Orales begegnen wirst und ich bin sicher, du wirst ihn auch lieben." "Ich mag es nicht, wenn meine Liebe durch Zauberei gewonnen wird," brummte der junge Mann mißmutig.
"Manchmal," erwiderte der König nachdenklich, "ist auch das ein Gewinn. Aber sei ohne Sorge, niemand tastet deine Seele an. Du hast mein Wort. Nur kommst du nicht umhin, die Menschen, die ich liebe, wenigstens zu achten. Oder sollte dir nichts daran liegen, auch auf Nodher in meiner Nähe zu sein? Wird es dir dort genügen, mir, wie bisher, unbekannt zu dienen?" "Wahrscheinlich nicht," gestand Gerrys offen, "doch das liegt in eurer Hand, Gebieter." Er grinste. "Ich schätze, ich nehme es notfalls auch mit eurem Pala auf. Außerdem kann ich vermutlich manches, was er nicht kann." "Zum Beispiel?" "Nun, kämpfen." Ariston lachte. "Weißt du nicht, daß mein Pala zuerst Teju war?" "Ein Priester? Teju? Bei Minosantes Kraft, das macht ihn mir fast schon sympathisch."
S
onte dachte sich verschiedene Licht- und Farbenspiele aus und erfreute sich daran. Die Tatsache, Xalares so kalt begegnet zu sein, erfüllt ihn mit Kraft. Der Pala des Than zog ihn nicht zur Rechenschaft, also konnte er es nicht. Wenn er aber so beschützt lebte, wovor sollte er sich fürchten? Das Spiel mit den Gedankenbildern gefiel ihm, obwohl er dem Kern der Aufgabe auswich. Sonte wußte nur zu gut, daß er versagen mußte, solange er an ein Versagen dachte. Darum spielte er. Und eigentlich war es nicht mehr denn ein Spiel, als er die Farben rotieren ließ, sie in immer schnellerem Wirbel bewegte. Fast zu spät begriff er, wie sein Geist von diesem Wirbel erfaßt wurde. Ein winziger, flehender Gedanke, gleich einem Hilferuf,
suchte den Than. Das Bild erlosch. Schwer atmend, fast keuchend, fand Sonte in sich selbst zurück. Er ging zum Tempel und wunderte sich nicht einmal, daß er erwartet wurde und sofort zum Than gebracht. Ein kurzer Blick in dessen Augen verriet Sonte, daß dieser alles, alles wußte. Seit der ersten Begegnung vermied der Than jede Berüh rung mit Ausnahme jenes seltsamen Absiegelns durch Daumendruck, doch nun legte er Sonte die Hand wieder auf die Schulter, als der Junge kniete. Seine Stimme klang warm und verständnisvoll. "Schäme dich nicht, Sonte, denn die Gefahr der Wirbel ist real. Es ist meine Aufgabe als Leiter, dich davor zu bewahren und so ist dein geistiger Hilferuf eine sehr vernünf tige Reaktion gewesen." "Ihr wart dabei? Und ich habe euch durch einen Gedanken allein schon stören können?" "Eine Störung mag es gewesen sein," gab der Than zu, "sogar zu unwillkommener Zeit, doch dies bedeutet nichts. Solange ich dich leite, hast du Vorrang. Fürchtest du den Wirbel nun?" "Ja, Herr." "Und wenn ich verlange, daß du ihn erneut rufst?" "Ich werde gehorchen," versprach Sonte mit zitternder Stimme, "aber ich habe Angst." "Dann mußt du nun entscheiden, ob deine Angst vor dem Wirbel größer ist als dein Vertrauen in mich. Erforsche dich genau, Sonte." "Ihr wißt doch alles, was in mir ist," stammelte der junge Mann hilflos.
"Ich weiß es," stimmte der Than zu, "aber du mußt es auch tun." Sonte grübelte wirklich. Der Than trat dabei hinter ihn, legte die Hände auf seine Schultern und duldete den angelehnten Hinterkopf seines Schülers an seiner Leiste. "Wenn ihr bei mir seid, Herr," erkannte Sonte endlich, "kann mir nichts geschehen. Ich wünsche mir, euch das beweisen zu dürfen." "Dann rufe den Wirbel," sagte Nymardos leise und ernst, "er wird sehr stark sein. Ich halte deinen Geist zurück, damit dich nichts erfassen kann, solange, bis der Wirbel, kleiner werdend, dann verlischt. Wenn du ganz Vertrauen bist, nichts anderes, Sonte, dann wirst du Ruhe finden." Sonte nickte nur. Nein, er fürchtete nichts und niemanden, denn hinter ihm stand der mächtigste Mann der Reiche, hielt ihn fest, versprach ihm Schutz und Hilfe. Außer diesem Falla des Lichts aus Moras gab es für Sonte nur den Than, in dessen Nähe er sich geborgen fühlen konnte. Die MesaFarben stellten sich nicht ein, doch er zwang sie herbei, indem er gleich einer Stufenleiter alle andern Farben rief und diese mischte. Langsam drehte sich das Farbenrad in ihm, erreichte schwindelnde Fahrt, schien Funken zu sprü hen. Sonte merkte nicht, wie er seinen Kopf fester gegen den Than preßte, wie dieser sich ihm förmlich entgegenstemmen mußte; spürte auch nicht den festen Druck seiner Hände und noch weniger das Ringen seines Geistes. Nur die Wirbel sah er, wie sie vergeblich nach ihm griffen. Sie gaben auf. Kleiner wurden sie, immer kleiner und verschwanden endlich im Nichts. Nymardos ließ Sontes Geist los, den er bisher bewahrte und der junge Mann sank selbst ins Reich des Tabalke, umgeben von einer Welt des unsichtbaren Schweigens, das doch nur Grund des Vertrauens blieb.
Cynesta versuchte, sich mit Orales auszusöhnen. Er hörte ihr geduldig zu, bis zu dem Moment, da er sie an herrschte: "Still!" Sie wollte etwas sagen, doch sie erkannte, daß der Freund in einen Rapport gefallen war. Womöglich rief ihn Ariston. Auf alle Fälle blieb es gefährlich, ihn so zu stören. Still wartete sie auf die Rückkehr seines Geistes. Orales aber, der teilnahm an der Art, wie Sonte geführt wurde, gewahrte den macht- vollen Wirbel, der dessen Geist erfassen wollte, um ihn in eine Ferne ohne Widerkehr zu schleudern. Er wußte um den Kampf seines Than, der von dem beschwo renen Bild seines Chela fast selbst erfaßt wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde verschmolz Orales mit Nymardos, gab ihm seine Kraft. Der Mann aus Moras legte sich keine Beschränkung auf dabei, wiewohl dies in seiner Macht stand. Die Fülle seiner Kraft stärkte den jungen Than, floß durch diesen auf Sonte, der - vielleicht durch diese Hilfe - dem Wirbel widerstand. Orales aber brach ohnmächtig zusammen. Cynesta erschrak furchtbar dabei, fürchtete sie doch noch immer, Ariston seiin diesem Rapport. Laut rief sie nach Moryn, der den Pala auf sein Lager betten ließ und ihm langsam Tratta einflößte. Das scharfe Getränk brachte Orales zur Besinnung. "Schont euch etwas, Herr," verlangte geht die Schwäche bald vorüber."
Moryn,
"dann
Sobald er den Raum verließ, drängte Cynesta den Freund, ihr zu berichten. "Das hatte nichts mit Ariston zu tun," beruhigte sie der Falla, "jedenfalls nicht direkt. Doch Sonte empfing seine Weihe; ich hoffe es zumindest." "Du bist nicht sicher?"
"Ich war nicht lange genug in Rapport," erwiderte Orales ruhig, "doch habe ich kaum Zweifel." Er täuschte Müdigkeit vor, wartete, bis Cynesta ihn verließ und suchte erneut nach Sonte. Er fand ihn nicht. Ein anderer, fremder Geist nahm den Rapport auf, wies ihn zurück, betrachtete Sonte als unerreichbar. Da wußte Orales, daß sich Aristons Bruder in Tabalkes Bereichen befand. "Es ist unklug, Kraft nicht zu dosieren," vernahm er das Denken jenes Geistes, der sich so als der Than offenbarte, "dein Körper scheint schwach zu sein, da der Rapport dich erschöpft." "Ich war überrascht," öffnete Orales sein Denken, "ich wußte auch nicht, welches Maß an Kraft hilfreich ist. Ich hoffe, es hat dich nicht überschwemmt." Auf dieser Ebene trennendes Denken. auf ihre eigene Art. wenn seine Ansicht empfing er Antwort:
gab es keine formelle Anrede, kein Die Reinheit des Rapportes verbrüderte Orales hatte irgendwie das Gefühl, als den andern amüsierte - doch sachlich
"Es stärkte mich, wenngleich ich es nicht brauchte. Meine eigene Kraft genügte durchaus; doch verwundernd ist die Sorge, die dich dies nicht erkennen ließ. Ich hielt dich bisher für einen Feind." "Deinen Feind?" "Für Sontes Gegner, doch ich irrte mich. Ich will dich sehen und werde dir Botschaft senden." Orales erschrak fast. "Ich würde nicht kommen und mein Ungehorsam wäre mein Leid. Ich bitte darum, nicht gerufen zu sein."
"Weshalb? Sagst du dich los von mir?" "Ich habe ein Werk zu tun, ein Wort zu halten und eine Treue zu bewahren. Ist alles geschehen, unterwerfe ich mich deinem Willen." "Du weigerst dich?" "Ich bitte nur." Orales zögerte. "Du bist wahrhaft stark, denn ich spüre, wie dieser Rapport mich kräftigt." "Ich gebe nur zurück, was ich empfing. Bleibe noch - ich werde nicht gebraucht von Sonte und bin geöffnet für dich. Habe ich nicht als Kind eine Wunde deines Leibes verschlos sen? Eine Wunde in deiner Seele blutet." Fast hastig brach Orales den Rapport ab. Es lag ihm nicht daran, vom Than durchschaut zu werden. Der Mann aus Moras schalt sich leichtsinnig, weil er diese Verbindung überhaupt duldete. Es betrübte ihn, daß die nächste Begegnung, sei sie im Leibe oder nicht, Kampf bedeuten mußte. Ein vorsichtiges Tasten bewies ihm zu seiner eigenen Verwunderung, daß der Kanal zum Than nicht ver schlossen wurde. Weshalb zwang ihn der Mächtigere nicht erneut in den Rapport? Und weshalb hielt Nymardos die Möglichkeit des Rapports aufrecht? Um zur rechten Zeit den Kampf zu fordern? Das war unwahrscheinlich, denn der Rapport bildete eine sehr intime Verbindung. Offene Auseinandersetzung konnte auf leichteren Wegen verlangt werden. Orales zwang sich zur Ruhe. Der Than war ihm ein Rätsel und es war nicht die Zeit, das Rätsel nun zu lösen. Der Falla des Lichts suchte den Geist des Freundes und bat ihn, nach Nodher zu kommen. "Ich stehe vor den Toren des letzten Tempels meiner Reise und werde sie durchschreiten," lehnte Ariston ab, "ich komme, sobald ich kann."
Orales drängte ihn zur Eile, ließ ihn aber gewähren. Amarra würde kaum in den nächsten Tagen schon sein Recht fordern.
I
m Tempel des Lichts wurde Ariston zwar freundlich, doch sehr reserviert begrüßt und auch die Übergabe des Herrschersteines änderte nichts daran. Die Fallas neigten sich zwar, doch legten sie weder die Rechte aufs Herz noch gingen sie auf die Knie. "Ihr kommt spät," hielten sie Ariston vor. "Sollte ich euch tote Steine bringen?" erwiderte der König ernst, "mußte ich nicht zuerst lernen, ihr Feuer zu entfachen? Der Schutz, den ich euch biete, ist nicht nur materieller Art; er betrifft sehr wohl auch eure Lehre." "Wir brauchen euch nicht," wies ihn aber der Falla zurück. Hinter Ariston standen seine Männer, die er aufgrund der verhaltenen Begrüßung mit in den Tempel nahm. Gerrys zog nun seinen Säbel, trat einen Schritt vor und deutete mit der Waffe auf den Falla. "Mag sein, Mann," sagte er erbost, "doch wenn ihr weiter zögert, eurem Herrscher angemessen zu huldigen, lehre ich euch den schuldigen Respekt." Ariston legte die Linke auf die Waffenhand Gerrys' und schüttelte den Kopf. "So nicht," mahnte er, "du bist in einem Tempel. Steck' die Waffe ein, wir sind nicht unter Feinden." "Unter Freunden auch nicht," murrte Gerrys, doch er ge horchte.
Ariston hörte nicht hin, als der Falla nun mit Gerrys sprach, denn er dachte an das Siegel dieses Tempels, jenem Kreis mit dem Punkt in der Mitte. Bisher hielt er dieses Zeichen für ein stilisiertes Lichtsymbol, doch in diesem Moment wurde ihm ohne äußeren Anlaß klar, daß es das autonome Selbst, den wahrsten Geist bedeutete, der aus seiner eigenen Mitte heraus wirkt. Das Selbstbewußtsein des Falla erschien ihm nun mit einem Mal verständlich. "Ich fordere eure Demütigung nicht," sagte er und unterbrach damit die Verteidigungsrede des Templers, "wenn euer Geist sich mit dem Körper neigen muß, steht diese Ehrung mir nicht zu. Nur schwache Geister negien sich; starke lassen ihre Leiber handeln." Er wandte sich um und schritt aus der Halle. Ariston weigerte sich, im Tempel Quartier zu nehmen und zog es vor, im Gästehaus bei seinen Männern zu nächtigen. Im Tempel aber sann der Falla den Worten seines Herrschers nach, nicht sicher, ob sie ihn beleidigten oder erhöhten.
B
ehutsam holte der Than den jungen Sonte aus der Versenkung zurück, verknüpfte sanft dessen Geist und Bewußtsein. "Steh auf," verlange er und hob seinen Schüler auf die Beine, "von nun an hast du keinen Leiter mehr." "Also habe ich auch euch enttäuscht," murmelte Sonte betrübt, "es tut mir leid." Nymardos lächelte. Wie oft fand er, daß das sicherste Zeichen der echten Weihe die Unkenntnis des Geweihten blieb. kaum einer begriff, was ihm widerfuhr, wenn sein Geist heimatliche Bereiche erlangte. "Xalares!" rief er.
Sein Pala trat bald ein, verneigte sich kurz und wartete. "Ich übergebe Sonte deiner Obhut," entschied der Than, "sorge du, daß seine Weihe im Kreis der Brüder und Schwestern bestätigt wird und richte ein Fest für ihn aus." "Es sei, wie ihr wünscht," erwiderte Xalares zufrieden, während er ergeben das Haupt neigte. Sonte aber begriff kaum, fiel auf die Knie, umklammerte die Rechte seines Herrn und küßte sie unter Tränen. Xalares wollte ihn ergreifen, die unerlaubte Berührung enden, doch Nymardos hielt ihn mit einer Geste zurück. Wieder hob er Sonte auf. "Du konntest mich nicht enttäuschen," mahnte er freund lich, "ich habe es dir gesagt.! Und zu Xalares gewandt fügte er hinzu: "Sonte soll mir hinfort als Gärtner dienen. Sorge du dafür, daß er die entsprechende Ausbildung erhält." Noch einmal lächelte er seinen Schüler an, einen wissenden Blick auf ihn werfend. Dann verließ er das Zimmer. Nymardos suchte Ruhe, Erholung von der Erschöpfung seines Werkes. Als Priester wurde er geleitet, als Than gehörte das Leiten nicht zu seinen Aufgaben. Doch nicht die ungewohnte Anspannung erschöpfte ihn, denn er beherrschte seinen Geist durchaus. Doch die doppelte Belastung, ge geben durch die Verantwortung für Sonte und den gleichzei tig getragenen Rapport zu Orales strengte an. Irgendwie spürte er, daß ihm dabei eine winzige Kleinigkeit entgangen war.
C
ynesta war traurig und fühlte sicheinsam. Orales aner kannte sie nicht mehr als Priesterin und verbarg seine Gedanken vor ihr; Ariston weilte entfernt und Dorina ging ganz in ihren Mutterfreuden auf. zwar verstand sie sich gut
mit ihren Dienerinnen, doch verbot sie sich selbst intime Gespräche. natürlich verstand sie die harte Reaktion des Freundes. Cynesta konnte sich kein schlimmeres Vergehen vorstellen, als einen Menschen am Erringen einer Weihe zu hindern. Ihre Sorge um Ariston ließ sie so denken, wirklich wünschen konnte sie eine Handlung in dieser Sache nicht. Noch immer war sie Priesterin, auch wenn ihr Ansinnen, sollte es bekannt werden, zum Verlust der Weihen führen konnte. In ihrer Einsamkeit war Cynesta gezwungen, tiefer als sonst zu denken. Bewußt warf orales sie auf sich selbst zurück. Er liebte sie ja noch immer, wünschte ihr jeden Trost. Doch er ließ sie leiden, um sie zu stärken.So erreichte er immerhin, daß ihr die eigene Situation bewußt wurde. Sie liebte Ariston mehr als alles andere und wünschte nur sein Glück. Dafür wollte sie auch ihre Priesterschaft opfern; sie ihm also für immer verbergen. Nur, auch das erkannte sie nun, wenn es ihm half, daß sie als Priesterin an seiner Seite stritt, wollte sie es auch dann tun, wenn sie ihn dadurch verlor. Orales begriff es ohne ein Wort und verhielt sich wie zuvor, freundlich, liebevoll, ihr ganz zugetan.
A
riston fand keinen Schlaf in dieser Nacht, doch verhielt er sich ruhig, um seine Männer nicht zu stören, mit denen er das Zimmer teilte. Er lauschte ihren ruhigen Atemzügen. Es war gut, nicht allein zu sein. Gerrys kam leise zu ihm, setzte sich auf den Rand seines Lagers und ertastete nach kurzer Überwindung die Hand seines Herrn. "Reiten wir morgen heim?" erkundigte er sich leise. "Ich wünsche es auch," gab Ariston zu, "doch da ich einmal hier bin, will ich wenigstens versuchen, auch diesen Tempel für mich zu gewinnen." Er war froh, einem inneren Gefühl folgend diesen Tempel des Lichts an das Ende der Reise gestellt zu haben. Der kühle, ihn ablehnende Empfang würde ihm zuvor wohl jeden
weiteren Tempelbesuch unmöglich gemacht haben. "Ist es denn so wichtig für euch?" störte Gerrys flüsternd seine Gedanken. "Es ist möglich," erwiderte der Herrscher, "und es gehört zu meiner Aufgabe. Außerdem will ich es verstehen." Gerrys nickte nur. Daß sein Herr jetzt so betrübt wirkte, bedrückte ihn. "Haben die Fallas Angst vor euch?" fragte er leise, "das würde ihr Verhalten doch erklären." Geduldig antwortete ihm Ariston: "Sie haben keinen Grund, mich zu fürchten, obwohl ich bei der Ernennung eines Falla gehört werden müße; was aller dings bisher nie geschah." "Könntet ihr ihre Entmachtung verlangen?" "Nur bei grobem Regelverstoß, Gerrys. Und Unhöflichkeit zählt nicht dazu. Jetzt schlafe aber. Es ist spät." Gerrys zog sich zurück. Er überlegte und er wartete, bis auch Ariston in einen unruhigen Schlummer fiel. Dann verließ er leise das Gästehaus. Gerrys schlich sich zum Tempel, fand heimlich Einlaß. Er wußte nicht, was er suchen wollte, aber er wollte nicht untätig warten, bis sein Herr wieder gekränkt wurde. Leise schlich er durch die Gänge des Tempels, lauschte an Türen, horchte an Wänden. Stockwerk für Stockwerk ging er durch, bis er ganz oben einen schwachen Lichtschein fand, dem er folgte. Als er die leise Stimme des Falla vernahm, preßte er sich gegen eine Säule, verbarg sich im Dunkel und lauschte.
"Unser Herrscher ist auf einem geheimen Weg Priester geworden," hörte Gerrys die raunende Stimme des Falla, "nun besteht die Gefahr, daß er uns durchschaut. Es ist wichtig, daß er rasch abreist." "Trotzdem müssen wir ihm mit etwas mehr Freundlichkeit begegnen," erwiderte eine leise Frauenstimme, "es wäre gefährlich, seinen Argwohn zu erwecken." In der folgenden Stille wagte Gerrys einen Blick. Er sah den Falla, wie er die Frau küßte, erkannte sie aber erst, als die beiden sich voneinander lösten. Es war die Falla! Der Falla sagte etwas, worauf die Frau antwortete: "Und wenn er es doch bemerkt, was dann? Wirst du ihn töten?" "Natürlich nicht," kam die Antwort unerwartet laut. Mit leiserer Stimme fuhr der Falla fort: "Mir gefiel die Heimlich keit nie. Sollte sie wirklich entdeckt werden, beugen wir uns dem Urteil." "Aristons Urteil?" Das klang spöttisch. "Amarras Urteil," berichtigte der Falla. Die beiden Tempelherrscher verließen die Halle. Gerrys wartete noch einige Zeit, ehe er leise seinen Platz verließ. Fast erreichte er das Portal, doch da legte sich eine starke Hand auf seine Schulter. Mehrere Priester überwältigten ihn und sperrten den Gardisten in eine Kammer, ähnlich jener, in der Beritt gefangen wurde. Am frühen Morgen vermißte Ariston den jungen Gardisten. Seine Kameraden wußten nicht, wo er sich aufhalten konnte.
"Wir durchsuchen den Tempel," entschied der Herrscher rasch, denn er sorgte sich sehr, "benehmt euch wie Herren und ihr werdet so behandelt werden." Ariston staunte fast, als seine Männer wenig später die Templer wie Sklaven behandelten. Es ging um das Leben eines ihrer Kameraden und wehe dem, der ihm ein Haar krümmte. Obwohl die Gardisten sonst die Macht der Tem pler fürchteten, überwog nun ihr Zorn und unbewußt nötigten sie den Priestern so Achtung ab. Fast im Laufschritt nahte der Falla, eine Erklärung fordernd. "Mäßigt euren Ton," herrschte ihn Ariston wütend an, "ihr mögt Falla sein oder was auch sonst. Vergeßt nicht, daß ich euer Herrscher bin und meine Macht aus mir selbst, nicht aus einer entfernten Insel schöpfe." Der Falla zuckte förmlich zusammen, tastete nach einer Berlocke. Ariston packte mit hartem Griff seine Hand. "Keine Tricks," warnte er, "eure Magie bringt euch sonst den Tod. Wißt ihr, wo Gerrys ist, jener Gardist, der gestern die Waffe gegen euch zog?" "Ist er verschwunden?" Die Frage kam ehrlich. Ariston schleuderte den Mann grob beiseite, beteiligte sich an der Suche. Dann hielt er, beobachtet von den Templern, inne, besann sich auf seine eigenen Weihen. Wenn Gerrys Gefahr drohte, würde er zweifellos sehr intensiv an ihn denken und vielleicht gelang es, diese Gedankenkraft zu erspüren. Ariston konzentrierte sich, doch nicht auf Gerrys, denn dessen Weg konnte er nicht kennen. Er lauschte in sich hinein, quasi zum Knick des Pfeiles, dem Siegel der Kraft. Warum er dann so sicher wurde, wußte er selbst nicht, doch zielstrebig nahm er seinen Weg und fand die Mauerkammer, als sei sie ihm bekannt gewesen. Gerrys lächelte schwach.
"Ich wollte euch nicht beunruhigen," sagte er und seine Stimme verriet seine Erleichterung. "Ruft meine Männer," befahl der Herrscher den Temp lern, ehe er sich Gerrys zuwandte und eine Erklärung for derte. Der Gardist berichtete ihm sehr leise, um das Lauschen der Priester und Priesterinnen vergeblich zuheißen. "Hilft euch das?" endete er seinen Frage, Ariston dabei voll anblickend.
Bericht mit einer
Der Herrscher winkte den Falla herbei. "Wir haben miteinander zu reden," entschied er, "ruft auch die Falla hinzu. Wir sehen uns in der Halle des Lichts." Der Falla entfernte sich, Unheil ahnend. "Willst du mitkommen?" bot Ariston Gerrys an, der ihm sofort folgte. Sein Herr führte ihn in das oberste Stockwerk des Tempels, wo die Halle des Lichts sich im Morgenschein zeigte. In der Mitte der runden Halle erwartete Ariston die Fallas, unterhielt sich bis zu deren Eintreffen aber mit Gerrys, dem er für seine Tat dankte. "Ein ewiges Gesetz," erklärte er ihm, während die Fallas eben eintraten, "verbietet eine sexuelle Beziehung zwischen den Leitern eines Tempels." "Warum?" fragte Gerrys arglos, der die Fallas noch nicht bemerkte. "In den Tempeln werden Männer wie Frauen ausgebildet," erwiderte ihm Ariston, "es ist für ihren Frieden wichtig, daß
ihr Falla, was die geistige Ebene betrifft, nicht Teil des andern Falla ist." "Aber jeder Falla, ob Mann oder Frau, kann mit andern Menschen Kinder zeugen oder sich vermählen?" forschte Gerrys weiter. "Wer wollte in dieses Recht eingreifen? Daß den Tempeln ein Mann als Falla sowie eine Frau als Falla vorsteht, liegt darin begründet, daß beide Kraftströme wirken sollen, doch unabhängig voneinander. Ich fürchte, besser kann ich es dir nicht erklären." "Ich verstehe schon," meinte Gerrys, "denn wenn ich mich an eure Gemahlin wenden würde, könnte ich ebenso mit euch reden, nicht wahr? Vielleicht wollen die Götter, daß eine Priesterin in ihrer Falla nicht gleichzeitig den Falla anspricht. So jedenfalls stelle ich mir das vor." "So wird es sein," lobte ihn Ariston. Er wandte sich nun den Fallas zu, die sich verraten sahen und darum auf die Knie gingen.Gerrys wollte eine spöttische Bemerkung machen, doch Ariston brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. "Ich nehme an," wandte er sich den Fallas zu, "Amarra ist über euer Tun nicht informiert." Still ärgerte er sich jedoch ein wenig über seine eigenen Worte. Was interessierte ihn Amarra und dessen Gerichts barkeit? Immerhin erreichte er so, daß die Fallas ihn nun respektierten und was die inneren Angelegenheiten der Tempel betraf, galt ja auch ihm Amarra etwas. "Wir bekennen uns schuldig und beugen uns eurem Urteil," sagte die Falla leise.
Der Mann nickte dazu. "Meinem Urteil? steht euch zu."
Ihr ruft nicht Amarra an? Dies Recht
Der Falla hob den Kopf. "Nein, Gebieter, wir beugen uns euch, denn wir haben euch verkannt und beleidigt." "Und ihr habt die Priester und Priesterinnen des Tempels gegen mich aufgehetzt," ergänzte Ariston. Beide Fallas nickten schuldbewußt. Gerrys verstand das Problem zwar nicht, aber er sah, daß Ariston um eine Entscheidung rang. Die Spannung wurde ihm unerträglich. Darum zog er den Säbel. "Also gut, Gebieter," sagte er in fast komischem Ernst, "soll ich die beiden köpfen?" Anscheinend war dies ein schlechter Witz, denn die Knienden senkten das Haupt. Gerrys begriff kaum, daß sie mit einem solchen Urteil rechneten. Und wofür? Weil sie sich liebten. Immerhin war sein Herr aus dem dumpfen Grübeln gerissen, denn er blickte wieder klarer. Der Tadel in seinem Gesicht war ohne Kraft. "Laß es, Gerrys, so weit will ich nicht gehen." Zu den Fallas sagte er: "Ich hoffe, ihr seht selbst die Tiefe eurer Schuld. Wenn dem so ist, wißt ihr, was ihr zu tun habt. Wo nicht, kehre ich zurück und sage es euch." Ariston verließ die Halle. Gerrys steckte den Säbel ein und folgte ihm rasch. "Es war ein Scherz," murmelte er entschuldigend.
"Schlecht, aber zu guter Zeit," erwiderte sein Herr. "Nun können wir nach Hause, Gerrys. Ich freue mich darauf." "Was werden die Fallas tun?" "Wenn sie klug sind, geben sie ihr Amt zurück," erwiderte der König, "wenn nicht, müssen sie dazu gezwungen werden." "Die dachten wirklich,ich stellte Gerrys belustigt fest.
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ihnen
die
Köpfe ab,"
Ariston blieb kurz stehen, sah ihn ernst an. "Sie haben Amarras Gesetz verraten und dafür ist der Tod eine durchaus angemessene Strafe. Aber was hättest du getan, wenn ich dir diese Tat befähle? Kleinlaut nun, Gerrys? So ist es recht. Scherze nie mit Menschenleben. Sie sind allemal zu kostbar dafür."
A
uf Amarra aber bereitete Xalares für Sonte ein rauschendes Fest. Die Freude des Jungen, endlich aufgenommen zu sein in den Kreis der Priester, berührte ihn nicht. Sie erschien ihm kindisch und unangemessen. Zu viele Jahre lag es zurück, seit Xalares diese Freude erlebte. Er erinnerte sich nicht mehr daran. Einer der älteren Priester trat zu ihm. "Wie gut, daß der Junge sein Ziel erreichte," meinte er. "Es bedurfte immerhin der Kunst unseres Than hierzu," stellte Xalares sarkastisch fest. "Nicht in allem, Herrn ebenbürtig."
so
scheint
mir,
ist
ein Pala seinem
Ehe Xalares etwas erwidern konnte, ging er weg. Ein wenig ärgerte sich Xalares über diese Bemerkung. Ja, er versagte
bei Sonte als Leiter und dies traf ihn wohl. Vor sehr vielen Jahren einmal hatte Nymardos selbst unter seiner Leitung fast mühelos eine anstehende Weihe erreicht und irgendwie schmeichelte diese Mühelosigkeit Xalares, rechnete er sie seinen eigenen Fähigkeiten zu. Aber wichtig war ihm jetzt nur, daß der Norden wieder einen Priesterkönig erhalten konnte und damit alles wieder dem Willen der Götter entsprach.
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ls Orales aus Moras die Nachricht vom Kommen des Herrschers erhielt, eilte er dem Freund sofort entgegen. Ariston ritt eben im Burghof ein. Er sprang vom Pferd und umarmte seinen Pala herzlich. Orales' Blick schweifte über die Gardisten, blieb an Gerrys hängen. "Doch nicht so einsam gewesen, mein Freund?" stellte er zufrieden und lächelnd fest. Cynesta enthob Ariston einer Antwort, als sie ihm nun begrüßend entgegen kam. Sie bestürmte ihn mit Fragen, wollte alles auf einmal wissen und zog ihn mit sich. Ariston wandte sich zurück, wollte Gerrys dem Freund noch anbefehlen. Als er Orales sah, wie er zu Gerrys trat, widmete er sich lächelnd seiner Frau. Es war, wie meist, nicht nötig, dem Falla aus Moras einen Rat zu geben. Gerrys stieg vom Pferd, ergriff die Zügel des Tieres Aristons, wollte beide Tiere wegführen. Orales stand etwas abseits. Er verschränkte die Arme vor der Brust. "Hast du Angst vor mir?" Unschlüssig zögerte Gerrys, wehrte es aber nicht, als ihm Hector die Tiere abnahm und mit sich führte. Doch er fühlte sich keineswegs wohl, als er nun allein mit Orales im Burghof stand und er legte auch keinen Wert darauf, mit dem Pala seines Herrn zu plaudern. "Verzeiht, Herr," sagte er endlich steif, "die Reise war lang und anstrengend."
Er ließ Orales einfach stehen, überquerte den Hof. Doch noch ehe er eine Tür erreichte, schalt er sich in Gedanken. Bei Raaki, das war mehr als nur unhöflich gewesen. Der Mann aus Moras genoß nicht nur das Vertrauen seines Königs, sondern besaß auch weitreichende Macht. Für diese unver schämte Behandlung konnte er durchaus Genugtuung fordern. Gerrys verhielt den Schritt. Außerdem, so überlegte er, liebte der Herrscher diesen Mann und er wollte nicht glauben, daß Orales unverdient diese Liebe erhielt. Und hatte ihm der König nicht gesagt, daß er, Gerrys, nur dann in seiner Nähe dienen könne, wenn er gut stünde mit dem Pala? Früher oder später mußte er mit diesem Mann reden. Warum also nicht sofort? Gerrys wandte sich um. Doch Orales hatte den Burghof schon verlassen und war nicht mehr zu sehen. Gerrys aber ging in sein Zimmer, wusch sich den Staub vom Leib, aß und trank und wurde das unangenehme Gefühl nicht los, einen Fehler gemacht zu haben. Orales folgte gern der Einladung Aristons, mit ihm und Cynesta zu speisen. Der König hatte viel zu erzählen und ausführlich berichtete er von seinen Tempelbesuchen und den Geschehnissen der Reise. Orales stellte keine Fragen. Was Ariston verschwieg, erkannte er in dessen Denken und es gab keinen Grund, Cynesta zu beunruhigen, indem in etwa von Beritt gesprochen wurde. "Und ihr hattet geruhsame Tage?" wollte Ariston wissen, nachdem sein Bericht endete. "Weitgehend," erwiderte Orales einschränkend. "Sonte ist nun Priester geworden. Ich erwarte täglich eine Nachricht aus Amarra." "Natürlich kann dein Bruder es kaum erwarrten, an die Macht zu kommen," vermutete Cynesta. Sie
kannte
Sonte
nicht,
denn
die Begegnung im Trance
hinterließ keine Erinnerung. Aber sie mochte ihn auch nicht, weil er Ariston gefährdete. "Ich muß mich immer wieder daran erinnern, daß Sonte mein Bruder ist," sagte Ariston ruhig, "und ich denke, er ist nicht zu beneiden." "Habt ihr etwa Mitleid mit ihm?" entfuhr es Cynesta. Ariston nickte nachdenklich. "Ja, meine Liebe, so ist es wohl. Ich liebe mein Amt, aber Sonte wird daran zerbrechen. Er ist von anderer Art." "Noch haben wir nicht verloren," erinnerte Orales, wenn gleich er keineswegs vom Sieg überzeugt blieb, "schlimm ist, daß wir warten müssen, was Amarra entscheidet. So bleibt uns nur die Reaktion, nicht die Aktion. Deine Reise zu den Tempeln, mein Freund, hat dich als Priester entlarvt." "Wolltest du das nicht?" "Doch, ich wollte es, denn mehr als zuvor steht das Volk nun auf deiner Seite und, wie es scheint, auch ein großer Teil der Priesterschaft. Einen Herrscher, den man kennt, tauscht man nur ungern gegen einen Unbekannten ein; zumal niemand etwas gegen dich sagen kann. Also haben wir immerhin erreicht, daß Amarra keinen offenen Kampf wagen kann; heute weniger als vor vielen Jahren." "Kampf auf geistiger Ebene?" Cynesta erschauderte. "Ariston hat keine Chance gegen die Meister der oberen Grade!" "Man hat immer eine Chance," wehrte Orales ab, doch ganz überzeugt blieb er nicht, "ich hoffe darauf, daß der Than nicht einschreitet. Mit allen anderen nehmen wir es auf."
"Das ist absurd," wehrte sich die Priesterin, "der Than hat nicht über zwanzig Jahre gewartet, um aus Sonte einen Priester zu machen, hat ihn nicht selbst geführt, um dann die Entscheidung anderen zu überlassen. Du weißt, Orales, daß er handeln wird." "Streitet nicht um Dinge, die noch nicht gegeben sind," bat Ariston nachdenklich, "es wird sich finden. Wenn der Than selbst mein Recht fordert, gibt es keinen Kampf, das wißt ihr ebenso wie ich." "Ihr ordnet euch ihm unter?" forschte Cynesta. "Ich akzeptiere, daß er mir überlegen ist, das ist alles," schränkte der Herrscher ein, "und ich kann nicht dulden, daß sich Orales gegen den Than stellt." "Ich stehe auf deiner Seite," versprach der Mann aus Moras mit fester Stimme. "Das ist keine Frage von Freundschaft und Treue," wehrte Ariston ruhig ab, "sondern eine Frage der Priesterschaft. Ich weiß, daß du den Than liebst, Orales. Es mag eine andere Liebe sein als jene, die uns verbindet. Gleichwertig ist sie allemal. Und das wenige, das ich über den Than weiß, ist Anlaß genug, ihn als Leiter der Priesterschaft anzuerken nen. Nein, gegen ihn kämpfe ich nicht." Cynesta ergriff seine Hand. In ihren Augen las er echte Bestürzung. "Dann war alles umsonst, das ihr gelitten habt. Wozu habt ihr dann die Weihen erstrebt? Wozu habt ihr euch so lange widersetzt, wenn ihr nun aufgeben wollt?" Ariston lächelte sacht.
"Durch die Weihen lebe ich bewußter und kraftvoller," antwortete er endlich, "sie haben ihren Wert unabhängig eines äußeren Vorteiles." Er sah auf Orales. "Ich habe das Siegel des Lichts begriffen, Freund, und weiß, daß es nur ein Reich gibt, das jede Anstrengung wert ist. Die Freiheit des Geistes bedeutet mehr als die Macht eines Königs." "Eines schließt das andere nicht aus," mahnte Orales, doch dann schwieg er, weil es nicht mehr dazu zu sagen gab. "Ich fürchte mich," gestand Cynesta nach langer Pause, "ich fürchte um euch. Was, wenn dieser Gerrys, von dem ihr so viel erzähltet, ein Spion Amarras ist? Er hat euer Herz so leicht erobert." "Genug," fuhr sie da Orales überraschend grob an, "willst du in deinem Mann das Gift des Mißtrauens gegen alle Menschen senken? Du bist töricht, Cynesta. Ein starker Geist ruft vor der Not jene zu sich, deren Hilfe er bedarf. Ariston ist weit genug, um ebenso zu handeln." "Ich rief Gerrys nicht," berichtigte der König. "Du erkanntest ihn, das ist dasselbe," ließ Orales diesen Einwand aber nicht gelten, "du hast den Jungen in deine Nähe gezogen, nicht einen der älteren Männer, die dir schon lange bekannt sind." "Wenn wir auf geistiger Ebene kämpfen müssen, Freund, kann Gerrys mir kaum helfen. Doch ich habe solche Überlegungen auch nicht angestellt." Orales lächelte verstehend. "Es beruhigt mich jedenfalls, ihn um dich zu wissen," gab er zur Antwort. "Du hast mit ihm gesprochen?"
"Nein, er fürchtet mich und ließ mich stehen." Orales lachte leise. "Hast du ihm ein schreckliches Bild von mir gemalt?" Ariston berichtete von dem Gespräch mit Gerrys, als sie über Orales redeten und bat den Freund, dem jungen Mann die Vorbehalte zu zerstreuen. Cynesta hörte ihnen schwei gend zu und wünschte, ihre Priesterschaft wäre nicht unentdeckt geblieben. So war sie ausgeschlossen, trotz der Liebe, die sie mit diesen Männern verband.
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ls Orales viel später seine Räume aufsuchte, fand er Gerrys vor der Tür wartend. Der Gardist legte die Rechte auf sein Herz und neigte sich schweigend, erbot ihm so den Ehrengruß. Orales meisterte seine Überraschung, nahm Gerrys mit einem kurzen ‘Komm’ in seine Räume, schenkte ihm und sich Wein ein und bedeutete Gerrys, sich zu setzen. Gerrys lehnte beide Angebote ab. "Ich bin nicht euer Gast, Pala," stellte er stolz fest. "Ich habe euch beleidigt und kam, mich dafür zu entschuldi gen. Ich war unsicher, hatte aber nicht die Absicht, euch zu kränken." "Du bist noch immer unsicher," stellte Orales ruhig fest, "und du kränkst mich schon wieder. Setz dich und trink, denn ich entscheide, wer in meinen Räumen Gast ist und wer nicht. Du hast Ariston das Leben gerettet und allein diese Tat entschuldigt jedes Fehlverhalten." "Ihr zürnt mir nicht?" Als Orales nachdrücklich verneinte, nahm Gerrys Platz. Er trank auch ein wenig des herben Weines, ehe er wieder sprach: "Ihr wißt, daß ich meinem Herrn sehr nahe war?"
Obwohl er es nicht aussprach, dachte er an jene herzliche Umarmung, die er so frei erwiderte. Es störte ihn weniger das Ungewöhnliche dieser Herzlichkeit als er vielmehr die Eifersucht des Pala fürchtete. Orales verstand ihn, doch sah er auch, daß bloße Worte die Bedenken des jungen Mannes nicht zerstreuen konnten. Er setzte sich auf die Armlehne von Gerrys' Stuhl, faßte dessen Schultern und sah ihn ernst an, während er ruhig, doch nachdrücklich sagte: "Gerrys, die einzige Möglichkeit, mich zu verpflichten, besteht darin, Ariston ein treuer, aufrichtiger und liebevol ler Freund zu sein. Es zählt viel, daß du ihm das Leben gerettet hast; mehr aber, daß du die Einsamkeit seines Herzens besiegtest. Ich bin dir dankbar dafür und stehe da durch in deiner Schuld. Es steht dir frei, mich abzulehnen. Aber wenn es Aristons Wohl dient, daß wir zusammen arbeiten, dann solltest du Größe genug besitzen, deine Antipathie wider mich zu überwinden." "Wenn es dem Wohl meines Königs dient, versöhne ich mich sogar mit meinen Feinden," erwiderte Gerrys trotzig. Die körperliche Nähe des Pala war ihm unangenehm, aber er ertrug sie regungslos. "Ich bin nicht dein Feind," versprach ihm Orales. "Aber es wäre euch lieb, läge dem Herrscher weniger an mir," vermutete Gerrys, noch immer voll Abwehr. Orales lachte leise. Er ließ sein Gegenüber los, setzte sich in einen Sessel. Während er langsam trank, überlegte er. Dann blickte er auf. "Seit du ein Knabe warst, wolltest du nichts anderes sein als Gardist des Königs, nicht wahr?" Gerrys erbleichte.
"Ein Wort von euch, und ich bin Gardist gewesen," erkannte er mit Schrecken. "Ich bin Pala," erwiderte Orales nickend, "und ich werde dieses Recht wahrnehmen." "Dann bin ich also meinem Dienst als Gardist enthoben?" Die Frage kam tonlos, wie aus weiter Ferne. Gerrys erwartete keine Antwort. Er hatte verstanden. Orales zerstörte mit einem Wort sein Leben. Der junge Mann erhob sich, ging zur Tür. "Du bist ein Narr," hielt ihn Orales zurück, "manchmal muß ein Mensch einen Traum verlieren, um Besseres zu erringen. Ich enthebe dich des Gardistendienstes, damit du frei bist für einen anderen Dienst. Du wirst des Königs Adlatus sein." Gerys blieb stehen, den Türgriff in der Hand. Er traute seinen Ohren nicht, vermutete eher einen bösen Scherz. Ein Adlatus war mehr als ein Gardist, mehr als ein bloßer Leibwächter, obwohl sein Dienst diese Aufgabe auch einschloß. Zugleich aber diente ein Adlatus als Mann für alle Dinge; war gehalten, sich stets in der Nähe seines Herrn zu befinden und jeden Dienst zu leisten, der gerade erfoderlich war. Nur selten wurde ein Mann in dieses Amt berufen, denn es ähnelte fast schon jenem des Pala, wenn ihm auch dessen Macht ermangelte. Orales sah den Unglauben des jungen Mannes, rief nach einem seiner Diener und hieß ihn, den Teju zu senden. Bleich stand Gerrys neben der Tür. Seine schmalen Züge und sein helles Haar unterstrichen das Bild des Schreckens, das er abgab, gerade so, als sei er von schwerer Krankheit gezeichnet. Er sagte kein einziges Wort, schwieg auch, als der Teju eintrat und die Befehle Orales' entgegennahm.
"Meinen Glückwunsch," flüsterte ihm der Teju zu, ehe er wieder ging, um Anweisung zu geben, daß Gerrys ein Zimmer nahe den Räumen des Königs erhielt und dort auch die entsprechende Kleidung vorfand. "Ich hoffe," meinte Orales fast leichthin, "es fällt dir nicht zu schwer, den Säbel mit dem Degen, den du nun tragen mußt, zu tauschen." "Ich bin den Degen nicht gewohnt," murmelte Gerrys wie abwesend. Orales lachte. "Wir werden gemeinsam üben," versprach er, "es wird auch mir gut tun." "Ihr scherzt nicht?" Gerrys sah erst jetzt wieder zu dem Pala, langsam begreifend, wie wenig dieser ihm schaden wollte. "Worte haben wenig Wirkung auf dich," stellte der Falla des Lichts ruhig fest, "geh' nun und laß dich von den Tatsachen überzeugen. Dein Zimmer liegt am Ende des Ganges, die Tür steht offen. Du wirst dort alles finden, was du brauchst." Gerrys trat zu ihm, sagte nur ein Wort: "Warum?" Orales erhob sich, sah ihn fest an. "Ariston steht ein übler Kampf bevor," ofenbarte er nun, "und er muß seinen Körper verlassen, um diesen Kampf zu wagen. Du mußt das nicht verstehen, Gerrys. Aber es ist von größter Bedeutung, daß du in diesen Stunden oder Minuten
oder wie lange es auch dauern mag, verhinderst, daß sich ein Mensch dem Körper deines Herrn naht. Die geringste Stö rung könnte ihn töten. Denke aber nicht weiter darüber nach, es wird dir unbegreiflich bleiben. Doch wenn es an der Zeit ist, handle genau so, wie ich es dir sage." "Wo werdet ihr sein?" forschte Gerrys, der zwar wirklich nicht verstand, um was es ging, aber jede Gefahr von seinem Herrn abwenden wollte. "Bei Ariston selbstverständlich." "Heißt das, daß auch ihr euren Körper verlassen müßt?" Mißtrauisch sah er den Pala an. "So ist es." "Dann liegt euer Leben in meiner Hand? Ist das Risiko nicht zu groß für euch?" Flüchtig lächelte der Mann aus Moras, ehe er erwiderte: "Es ist kein Risiko, Gerrys, denn du wirst mich mit derselben Hingabe schützen. Und sei es nur, weil Ariston mich braucht." Gerrys senkte den Kopf. Er wollte nicht als Feind erscheinen und wünschte dem Pala des Königs kein Übel. "Ich schütze euch," versprach er leise, "aber nicht nur aus diesem Grund." Wieder sah er Orales an. "Es ist nicht meine Art, mißtrauisch zu sein, Herr. Ich bedauere, zwischen uns Schranken errichtet zu haben." Ehe Orales ihm Antwort geben konnte, ging Gerrys rasch hinaus. Der Falla des Lichts verwirrte ihn. Zuerst war er voll Abwehr und nach so kurzer Zeit empfand er fast schon
Sympathie. Gerrys ergab sich nicht gern seinen Gefühlen. Darum ging er, um eigene Klarheit zu erlangen. Er fand Ariston in seinem Zimmer, der eben vernahm, daß der Raum auf Befehl des Pala für seinen Adlatus gerichtet wurde. Der Herrscher wandte sich nachdenklich ab, beschloß, Orales zu befragen und stieß beim nächsten Schritt mit Gerrys zusam men. "War es euer Befehl, Gebieter?" wollte der junge Mann wissen, ohne zuerst eine Begrüßung zu nennen. Ariston sah ihn fragend an, da präzisierte Gerrys: "Hat euer Pala auf euren Wunsch hin mich zum Adlatus ernannt? Es wäre wichtig für mich, dies zu wissen." Ariston führte Gerrys beiseite, um den neugierig gewordenen Dienern keinen Gesprächsstoff zu liefern. "Ich hatte keine Ahnung davon," versicherte der Herr scher dann, "doch ist Orales mein Pala und hat die Macht, solche Entscheidungen zu treffen, ohne sich zuvor mit mir zu bereden. Ich bin ebenso erstaunt wie du, Gerrys, nur scheint es, als sei ich erfreuter." "Nein, mein Gebieter," wehrte Gerrys rasch ab, "ich bin verwirrt, aber ich freue mich sehr über die Möglichkeit, mehr in eurer Nähe zu sein. Ich erwartete von eurem Pala diese Freundlichkeit nicht." "Hast du noch immer Angst, daß er dich mit Zauberei für sich gewinnen will?" Gerrys schüttelte den Kopf. "Nein, Herr, das nicht. Ich bedauere schon, wider ihn gewesen zu sein und ich weiß nicht, wie das ungeschehen sein soll. Wenn es nicht unbescheiden ist, so bitte ich euch,
vor ihm gut von mir zu sprechen." Ariston legte ihm den Arm um die Schultern. Er fühlte für Gerrys wie für einen kleinen Bruder und er dachte flüchtig an Sonte, dem er nie begegnete. Der Herrscher wünschte, sein leiblicher Bruder besäße dieses direkte Wesen, diesen offenen Geist. Laut aber sagte er: "Das wird nicht nötig sein, Gerrys. Orales weiß, was in den Menschen ist und versteht dich sehr genau. Indem er dich erhöhte, hat er dir verziehen." "Er sprach von einem Kampf," murmelte Gerrys und berichtete von Orales' Worten. "Ich bin froh, Ariston nur.
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dich
an meiner Seite zu wissen," sagte
ie feierliche Anerkennung seiner Weihe bedeutete für Sonte weit mehr als die bloße Aufnahme in die Priesterschaft. Der Than hatte die Leitung abgelegt und ihm so bedeutet, daß sein Weg in dieser Hinsicht zu Ende war. Eine weitere Weihe, um die sich doch jeder Priester bemühte, blieb ihm verschlossen. Sonte lag auch nichts daran. Die Menschen, zwischen denen er aufwuchs, akzep tierten ihn nun, hielten ihn nicht weiter für einen Versager. Allein das besaß für ihn Bedeutung. Während des Festes behandelten sie ihn ganz wie ihresgleichen, wie einen Bruder, einen Freund. Sonte trank. Er wußte, daß er viel zuviel des süßen, starken Weines zu sich nahm, doch er wollte seine Gedanken betäuben. Die Freundlichkeit der Menschen hier erschien ihm jetzt sehr hohl. Sein Leben hindurch hatte er sich nach dieser Stunde gesehnt, sichum diese Weihe bemüht. Für ihn war die Anerkennung so wichtig gewesen. Und doch, nun, da er sie besaß, bedeutete sie nichts. Als Priester galt er hier etwas; aber er wollte nur ein Mensch sein, nichts weiter. So viele Monate lag die flüchtige
Begegnung mit dem Falla des Lichts aus Moras zurück und doch dachte Sonte immer wieder an diesen Mann, der ihn respektierte, wie er war; der keine Forderung stellte, nichts verlangte. Es gab in den Reichen nur zwei Menschen, deren Nähe ihm echtes Selbstwertgefühl vermittelte und beide waren ihm unerreichbar fern: der Than und Orales. Die anfängliche Freude über das Fest verlosch wie ein Strohfeuer. Sonte lachte noch, scherzte, doch im Herzen weinte er. Und dieser ihn beobachtende Xalares flößte ihm Unbehagen ein. Sonte trank. Besser im Rausch, als im Gespräch mit dem Pala des Than. Irgendwann schlief er ein. Am andern Tag hatte Sonte fürchterliche Kopfschmerzen. Sein Magen rebellierte, er fühlte sich elend und war froh, daß niemand nach ihm sah. Einige Tage hindurch blieb er sich selbst überlassen. Seine Ausbildung als Gärtner eilte nicht. Jedermann genoß nach seiner ersten Weihe Tage der Ruhe und der stillen Beschaulichkeit. Das Erlebnis sollte vertieft und verarbeitet werden und Grundlage für weiteres Bemühen bilden. Doch Sonte kannte kein anderes Ziel als die Gärten. Es überraschte ihn, daß Xalares ihn aufsuchte. Wenn der Pala des Than rief, so war das normal. Doch er kam zu ihm und das konnte nichts Gutes bedeuten. Sonte begrüßte ihn ehrerbietig, bot ihm alle Annehmlichkeiten des Gastes. "Werde ich nun in die Gärten gebracht?" erkundigte sich Sonte vorsichtig. "Was willst du dort?" wehrte Xalares spöttisch ab, "hat sich Amarra mit einem Gärtner diese Mühe gegeben? Besteht deine Dankbarkeit für deinen Than darin, dein privates Glück zu suchen und deiner Aufgabe auszuweichen?" Sonte erschrak. Was wollte dieser Mann von ihm? Zürnte er, weil er als Leiter versagte?
"Ich bin dem Than dankbar," murmelte er, "aber es gibt nichts, das ich für ihn tun könnte." "Gewinne ihm das Nordreich zurück," verlangte Xalares mit harter, befehlender Stimme. "Wie sollte ich das tun?" rief Sonte klagend. "Still," fuhr ihn Xalares an, "höre mir zu. Du bist der Sohn des einstigen Nordkönigs, nach den Regeln im Tempel gezeugt und darum nach allem Recht wahrer Herrscher des Nordens. Du bist ein König, Sonte. Dein Bruder Ariston, der Bastard einer Frau aus dem Volk, in wilder Lust gezeugt, beherrscht das Nordreich wider den Willen der Götter und regiert nach eigenem Gutdünken. Er ist ein Feind Amarras. Du bist es, der sein Recht fordern muß und diese Macht verlangen. Du bist Priester und niemand darf dir dein Geburtsrecht jetzt noch verwehren." "Ich will nicht," flüsterte Sonte, der diese Aufgabe nie wirklich bedachte, "ich will meine Ruhe haben." "Soll der Than den Norden verlieren?" herrschte ihn Xalares an und packte dabei grob sein Handgelenk. "Ist das deine Treue, deine Dankbarkeit? Du wurdest nicht nur ge zeugt, Priester zu sein, sondern auch, um als König zu herrschen. Fordere dein Recht, Sonte. Oder ist es dir so unangenehm, Amarra und meine Nähe zu verlassen? Ich versichere dir, es ist bedeutend unangenehmer, mich zum Feind zu haben. Entscheide dich." "Laßt mich los," bat Sonte, der die versteckte Drohung genau verstand, "ich kann nichts fordern, selbst, wenn ich es wollte. Der König des Nordens würde eine Armee gegen mich anführen." "Wir wollen keinen Krieg," erklärte Xalares, "wir wollen nur die Macht und wir bekommen sie. Ich weiß, daß du ein
Schwächling bist, Sonte. Aber ich biete dir an, in deinem Namen dein Recht zu erstreiten." "Warum wollt ihr etwas für mich tun?" "Für dich würde ich nicht einmal einen Finger bewegen," gab Xalares voll Verachtung zu, "es geht um Amarra, um den Than. Du bist unwichtig. Aber du bist auch der rechtmäßige Herrscher des Nordreichs und darum wirst du gebraucht. So einfach ist das. Reizt es dich nicht, ein König zu sein?" Sonte fand keine Worte, um Xalares zu sagen, wie wenig reizvoll ihm das erschien. Sein Leben gehörte der Schönheit und der Erbauung, den Blüten und Gärten. Er wollte nicht mehr, nichts anderes. Xalares erhob sich. "Denke darüber nach, Sonte. Ich erwarte deine Zustim mung. Auf Amarra ist kein Platz für dich. Du kannst im Norden regieren oder als Fremdling verstoßen sein." Er ließ Sonte in dessen Verzweiflung allein. Der junge Mann sah keinen Ausweg, keine Möglichkeit. Er konnte sich nicht gegen Xalares stellen, der ihm in allem überlegen war. Aber Sonte wußte auch, daß er nicht herrschen wollte. Er dachte an Orales. Hatte er ihm nicht Hilfe versprochen? Zu rasch verwarf der den Gedanken, als daß dessen Kraft den Mann aus Moras erreichen konnte. Sonte fühlte sich allein und verlassen, hilflos dem Mutwillen Xalares' preisgege ben. Er wehrte sich noch zwei Tage, ergab sich dann in sein Schicksal. Er suchte Xalares auf und gab ihm die Erlaubnis, um sein Recht zu streiten. Sofort wurde der Pala sehr freundlich. Fast tröstend sagte er: "Als König wird dir niemand Vorschriften machen, wie du zu leben hast, Sonte. Wenn du deine Tage in den Burggärten Nodhers verbringen willst, steht dir das frei. Du wirst dieses Leben genießen."
Sonte ging wortlos hinaus, davon ganz und gar nicht über zeugt. Xalares war sehr zufrieden. Das Nordreich mußte nun rasch und ohne Gegenwehr wieder von einem Priesterkönig regiert werden. Es galt lediglich, Orales von der Weihe des Sonte zu informieren, damit dieser Ariston dann zu dem nötigen Verzicht führte. Der König würde sich nicht wehren und man würde ihm Land und Sklaven geben, damit er in Ruhe, wenn auch ohne Macht, zu leben vermochte. Daß sein Rapport zu Cynesta zerrissen wurde, störte Xalares. Er wußte nicht einmal, an welchem Tag sie ihr Tempelkind gebar. Nun, er konnte Orales leichter erreichen als sie, da er auf einer anderen Ebene als die kleine Priesterin Bewußtsein hatte. Xalares befahl, nicht gestört zu werden und rief im Geist nach Orales. Es gab keinen Rapport zwischen ihnen, also besaß sein Ruf keine zwingende Macht. Doch Orales als Falla mußte ihn hören.
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er Mann aus Moras hielt Wort und übte mit Gerrys die Handhabung des Degens, wobei der Junge sich mehr als nur geschickt erwies. Die körperliche Anstrengung tat beiden gut. "Ihr seid ein hervorragender Kämpfer, Pala," rief Gerrys, der in dieser Stunde alle Scheu verlor, "ich bin froh, euch nicht zum Feind zu haben." Orales hob die Hand, gebot ihm Schweigen. Er vernahm den Ruf des Geistes. Besorgt nahte sich Gerrys. "Habe ich euch überanstrengt, Herr? Ruht euch aus, ihr scheint erschöpft zu sein." Er führte Orales zu einer Bank, drückte ihn nieder. "Ich hole Wein," entschied er.
"Bleib'," bat Orales freundlich, "es geht mir gut. Höre, Gerrys, du weißt, daß ich Priester bin. Es gibt da manches, was du nicht verstehen kannst und was sich nur schwer erklären läßt." Gerrys setzte sich zu ihm. "Ich brauche keine Erklärung," versprach er, "sagt mir einfach, was ich tun soll." Dankbar sah ihn Orales an. "Warte vor der Tür und verhindere jede Störung." Gerrys sah ihn verblüfft an, nickte dann aber und gehorchte wortlos. Es würde schon richtig sein, was der Pala tat und entschied. Orales wußte sich gerufen. Da er aber nur zu Sonte und dem Than und Ariston einen Rapport unterhielt, konnten diese der Rufer nicht sein, denn auf diesem Weg gab es keine Unklarheiten. Er öffnete seinen Geist, fand rasch den verlangten Kontakt und wußte augenblicklich, wessen Geist er berührte. Auf dieser Ebene blieb das Erkennen immer umfassend, sofern ein voriges Kennen dies bewirkte. "Sonte ist Priester." "Ich weiß." "Dann ist es nun deine Aufgabe, Ariston aus Nodher zu entfernen. Es ist Zeit, daß er erfährt, wer seinen Sohn zeugte; wer seine Gemahlin ist und wem die Macht gebührt." "Cynesta hat weder empfangen noch geboren." "Wie konnte das geschehen?"
"Sehr leicht. Ich habe es verhindert." "Du fällst mir in den Rücken? Bist du nicht mehr Amarras Mann? Willst du den Than verraten? Ich warne dich, Orales, du bist nicht unbesiegbar. Hast du irdische Macht geleckt und bist süchtig geworden? Du wirst nichts verlieren, denn Sonte ist Spielzeug in deiner Hand." "Ich hatte Order, die Liebe des Königs zu erschleichen und habe diese Aufgabe gemeistert. Amarra aber vergaß die Macht der Liebe, die immer wirksam ist. Heute bin ich Aristons Mann." "Dann sende ich Boten, die ihm die Wahrheit verkünden." "Unnütze Kraftvergeudung, Xalares. Die Wahrheit, die du meinst, bedeutet hier auf Nodher nichts. Denn im Norden herrscht ein Priester." "Deine Mitherrschaft kann Amarra nicht gelten lassen." "Die ist auch nicht gemeint. Ariston hat die ersten drei Weihen empfangen und befindet sich auf dem Weg zu Minosante, dem Herrn der Kraft. Hat Sonte mehr gefunden als Tabalke? Er wird nie mehr erreichen." "Du hast Ariston geleitet? Das kostet dich die Freiheit deines Geistes! Wie konntest du es wagen, einem Unwürdi gen die Pforten zu öffnen?" "Ich zeigte ihm offene Pforten, das ist ein Unterschied. Und ich verkünde dir, daß der Herr des Nordens seinen Platz nicht räumen wird. Durch Erbfolge ist er Herrscher und durch die Weihen ist er es auch vor den Göttern. Was willst du mehr, Xalares?" "Er ist kein Sohn der Tempel."
"Das läßt sich nicht mehr ändern. Gründet sich Sontes Anspruch allein auf die Tempelzeugung, so ist es gut, die Umstände, die dazu führten, näher zu betrachten. Ist Sonte wirklich ein Sohn der Götter oder nur ein Kind des Rausches? Nicht der Anlaß der Zeugung ist Grundlage unse rer Gesetze, sondern die Art des Geistes, der inkarniert. Die Zeugung soll helfen, diese Art zu bestimmen. Indem du sie aber zum eigenen Gesetz erhebst, profanisierst du göttliche Gebote." "Jeder Disput ist müßiger Natur, Orales. Ich fordere das Recht des wahren Königs. Rätst du Ariston zur Gegenwehr, finde ich Wege, ihn zu vernichten." "Geheime Wege der Hinterlist gibt es immer, Xalares. An seinen Körper gelangst du nicht, denn treue Männer schützen ihn. Und um seinen Geist zu vernichten, braucht es Anstrengungen, die dich überfordern könnten." "Ich verstehe wohl, daß du ihn hierin schützen wirst. Doch bedenke, daß ich dir überlegen bin." "Versuche nicht, mich negatives Denken zu lehren. Ich bin kein Chela mehr, der auf billige Tricks eingeht. Wenn du versuchen willst, Aristons Geist anzutasten, dann wage es. Du brichst damit Amarras Recht und schaffst dir eigene Vernichtung." "Denkt Ariston wie du?" "Ich werde dir jetzt kaum den Weg zu seinem Denken öffnen, Xalares. Du redest für den Than, ich für den König; das genügt. Ich sage dir, daß Ariston sein Recht nicht opfern wird und stelle dir anheim, Krieg zu beginnen." "Priester kämpfen nicht mit Waffen."
"Das habe ich auch nicht erwartet, Xalares. Ich biete dir den Kampf auf geistiger Ebene. Laß Ariston mit Sonte rechten." "Niemals!" "So hast du eben zugegeben, daß Sonte kraftlos ist." "Das ändert nichts an seinem Recht auf Herrschaft. Er hat mich aufgefordert, sein Recht zu erstreiten und so bin ich es, der Ariston begegnen wird." "Wer ist mit dir?" "Ein Freund, so, wie du als Freund an deines Königs Seite streiten wirst." "Es sei, Xalares. Zwei gegen zwei, das ist gerecht. Wir werden sehen, wer zuletzt noch auf der Ebene des Geistes ist. Wer unterliegt, verzichtet auf die Macht. Ist dies dein Plan?" "Billiger kann Ariston nicht herrschen. Gelingt es dir, ihn bis zur Ebene des Lichts zu bringen?" "Ich werde es nicht versuchen, Pala des Than. Ich setze seinen Geist keiner ihm unbekannten Schwingung aus. Wir werden dir in Minosantes Reich begegnen." "Du entdecktest doch, daß er diese Weihe nicht erlangte. Ich bin einverstanden, denn dort ist Ariston verloren. Wenn sich die Nacht dem Tag zuwendet, bin ich bereit." Tiefe Stille hüllte Orales ein. Er kehrte in sich selbst zurück und wartete, bis in ihm Ruhe herrschte. Xalares setzte diese kurze Frist, um zu verhindern, daß Ariston im Geist erstarkte. Nun gut, wenn jener Freund, von dem Xalares sprach, Nymardos war, entschied sich alles in Sekunden. Er
rief nach Gerrys. Der Adlatus kam sofort herein, gefolgt von Ariston. "Galt das Verbot der Störung auch für mich?" fragte der Herrscher lächelnd. Gerrys sah verlegen zu Boden, hatte er es doch gewagt, auch seinen König am Eintritt zu hindern. Diese Erkenntnis wirkte auf Orales fast erheiternd. Die Spannung fiel ab von ihm, er lachte schallend auf. Und dann umarmte er Gerrys, ehe dieser recht begriff, wie ihm geschah. "Bravo, Gerrys," lobte er freimütig, "ich sehe nun, wie gut es ist, sich in deine Hand zu begeben." "So habe ich recht getan?" Orales ließ ihn los, begrüßte Ariston. "Du hast so gehandelt, wie ich es erwarten mußte, Gerrys. Auch für dich, Ariston, galt das Verbot und wäre Gerrys etwas weniger pflichtbewußt, so hättest du mir wohl geschadet. Also sei ihm dankbar, auch wenn er sich nicht unterordnete. Wir brauchen ihn, so, wie er ist." "Du hattest also deinen Körper verlassen? War es klug, dies ohne weitere Vorkehrung zu tun?" "Nein, nein," wehrte Orales ab, "ich war nur tief in mir, nicht außerhalb. Ich habe Xalares berührt." "Dann ist es soweit?" "Um Mitternacht," bestätigte der Falla, "in Minosantes Reich." Gerrys starrte die Beiden an. Er sah, wie Ariston erbleichte, wie er sich setzte, wie Orales seine Hände ergriff und an
seiner Seite niederkniete. Da geschah etwas, das seinen Verstand überstieg. Minosante wußte er als Gott der Kraft, doch die Idee, dessen Reich aufzusuchen, erschien ihm mehr als nur suspekt. Immerhin verhielt er sich still, stellte keine Fragen, mischte sich nicht ein. "Der Ort der Kraft ist mir verschlossen," stellte Ariston leise fest, "ich kann nicht dulden, daß du allein den Kampf wagst, mein Freund." "Jeder Ort ist dir erreichbar," widersprach Orales fest, "und in jenem kannst du auch bestehen." "Bisher hoffte ich, daß der Kampf vielleicht zu umgehen sei," gestand der Herrscher. "Ich auch," gab Orales zu, "und es wäre so, wollten wir das Risiko eingehen, stets von körperlichem oder geistigem Meuchelmord bedroht zu sein. War es unklug, Xalares zum Kampf herauszufordern?" Da strafften sich Aristons Schultern, sein Blick wurde fest. "Alles ist besser als ständige Ungewißheit, Orales. Ich bin froh, zu wissen, daß morgen alles entschieden ist. Wie wird es geschehen?" "Wir beide stehen gegen Xalares und einen Freund, wobei ich hoffe, daß dieser nicht der Than ist. Das Ganze ist nicht mehr als ein geistiger Ringkampf, wobei der Verlierer in seinen Körper geschleudert wird. Das tut weh, ist aber nicht gefährlich." "Kann ich mich mit den Siegeln meiner Weihen wehren?" "Natürlich, doch bedenke, daß auf der Ebene der Kraft andere Gesetze gelten. Kurzfristig schützen dich diese Siegel gewiß, aber auf Dauer ist es sinnlos, der Kraft auszuweichen.
Du hast auch das Siegel Minosantes erkannt und wirst, wo nötig, es anzuwenden wissen. Da Xalares das nicht weiß, verschafft es dir einen Vorteil." "Und das Siegel des Lichts?" Orales zögerte mit der Antwort. "Mein Freund, diese Kraft ist auch gefährlich. Es liegt mir nichts daran, unsere Gegner zu töten. Du magst, wo nötig, dich in dieses Siegel zurückziehen, doch als Waffe verwende es bitte nicht." "Was muß ich noch wissen?" "Es ist alles sehr einfach, Ariston. Auf dieser Ebene ist jeder Gedanke eine zielgerichtete Kraft. Hüte dich vor Überlegungen, sie sind Kraftvergeudung und schwächen nur. Du mußt so unerschütterlich und fest in dir geschlossen sein wie in Tabalkes Reich; nur aktiv nun und nicht mehr passiv. Wir haben noch viele Stunden Zeit, uns zu bereden. Sorge dich nicht. Alles, was du wissen mußt, weißt du schon und alles, was du brauchst, ist in dir."
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riston verbrachte einige zärtliche Stunden bei Cynesta, entdeckte ihr aber den bevorstehenden Kampf nicht. Er wollte sie nicht beunruhigen. Auch bei Dorina und dem Kind blieb er einige Zeit. Doch dann zog er sich zurück. Er wollte sich verbieten, an die Möglichkeit des Unterliegens zu denken, aber er zog die Gefahr des Todes in Erwägung und ordnete seine Angelegenheiten. Es war ihm wichtig, daß in diesem Fall Cynesta und Dorina versorgt waren. Er schrieb sogar einen Brief an Sonte und einen weiteren an den Than; verbarg die Schreiben in den Falten seines Gewandes und hoffte, sie selbst vernichten zu können. Morgen! Morgen würde alles entschieden sein. Eine Stunde bis Mitternacht. Ariston verließ seine Räume, begab sich zum Burgtempel. Am Eingang zur Halle fand er Gerrys. Der Junge lag auf den Knien, ins Gebet versunken, merkte das Nahen seines Herrn nicht. "Ihr Götter," hörte Ariston seinen Adlatus leise reden, "ich weiß nicht, was hier geschieht. Aber mein Herr ist in Gefahr und ich bitte euch, euch alle, ihm zu helfen. Orales sagte, daß er nicht überlegen darf und darum bitte ich dich, Tabalke, seine Gedanken zum Schweigen zu bringen. Du, Liara, gewähre ihm den Frieden, der Furcht und Zorn ver hindert. Ich glaube, auch heftige Emotionen wirken schwächend. Saake, seltsame Gottheit der Weisheit, be wahre meinen Herrn vor falschem Handeln, hilf ihm, zur rechten Zeit das Rechte zu sein. Minosante, anscheinend geschieht das alles bei dir und in deiner Kraft. Stärke du meinen Herrn. Antares, erleuchte seinen Geist, damit die Gegner geblendet seien."
Gerrys schwieg. Schon wollte Ariston ihn anrühren, doch da fuhr der junge Mann fort, zu reden: "Ich weiß nicht, wie man mit dir spricht, Raaki, furchtbarer Gott des Todes, der du keinen Tempel hast. Ich will nicht glauben, daß du böse bist. Hilf auch du meinem Herrn, töte alles, das ihn vernichten will. Ich kenne kein Opfer für dich, kein Gebet und keine Gabe, aber gern wollte ich mich selbst opfern, wenn es meinem König helfen könnte. Ich will tun, was ich kann und ich weiß, auch mein Herr wird alles Mögliche tun. Tue du das Übrige, ich bitte dich." Er schien nun aber den Lauscher zu spüren, denn er hob den Kopf, wurde verlegen und stand auf. "Herr, ich..." Ariston ließ kein Wort zu. Er umarmte Gerrys, hielt ihn lange fest. "Ich danke dir," sagte er dann schlicht und trat in die Tempelhalle ein. Das Gebet Gerrys' berührte ihn seltsam. Der Junge beschwor alle Götter zu seinem Schutz, obwohl er vermutlich nicht wußte, daß auch ein Gebet magische Wirkung besaß und die Kraftströme der Götter aktivierte. Doch Gerrys pflanzte ihm so auch einen Gedanken ein und Ariston wollte damit zu Ende kommen, ehe ihm das freie Denken schaden konnte. Die Art, wie Gerrys mit Raaki sprach, die Unbe holfenheit, aber auch die Achtung, hoben diesen dunklen Gott in Aristons Bewußtsein. Ehe er es wollte, betete er schon selbst: "Sie nennen dich den Gott des Todes und vergessen, daß der Tod nur die Schwelle zu anderem Leben ist. Ich habe nie darüber nachgedacht, weshalb du keinen Tempel hast, Raaki, aber es ist wohl so, weil du weit mehr gefürchtet als
geliebt bist. Ich werde den Schwarzen Tempel reinigen und dir weihen lassen, Raaki, damit mein Volk deine scheinbare Dunkelheit als die andere Seite des Lichts verstehen lernt." Er hielt inne. Da schmiedete er Pläne, obwohl in wenig mehr als einer Stunde seine Macht ein Ende finden konnte. "Das ist keine Bestechung, Raaki," sagte er leise, "wir kämpfen nicht auf deiner Ebene. Es ist mein Wunsch. Vielleicht bin ich stärker, wenn ich in meinem Reich noch ein Ziel habe, noch eine Aufgabe bewältigen will."
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rales weihte inzwischen Cynesta ein. Er fürchtete, sie würde weinen, verzweifeln, angstvoll ihr stets bedrohtes Glück umklammern. Doch sie blieb ganz ruhig. "Was kann ich tun, euch zu helfen?" wollte sie wissen. "Habe ich die Möglichkeit, euch im Geist zu begleiten?" Der Falla sah sie aufmerksam an. Ja, erkannte er, in dieser Stunde fürchtete sie keine Entdeckung ihrer Priesterschaft. "Du mußt den Tempel abschirmen," bat er sie gefaßt, "sorge dafür, daß nicht einmal ein zufälliger Gedanke zu uns dringt, vor allem aber kein bewußter Geist. Traust du dir das zu?" "Nein, Orales, aber ich werde es tun und es wird mir gelingen," erwiderte sie fest, "mein Verstand wehrt sich, doch ich habe nicht ganz vergessen, was ich lernte. Denke nicht, daß ich schwach sei." "Du bist stark," versicherte er ihr, "du mußt dich nur darauf besinnen. Es bleibt nicht viel Zeit. Komm', ein paar Worte mit Gerrys sind noch nötig."
Er wies Gerrys an, unter keinen Umständen, wie immer diese auch aussehen mochten, einen Menschen in die Tempelhalle zu lassen. Er suchte förmlich nach einer Erklä rung der Dringlichkeit, doch Gerrys wehrte ab. "Ich sagte euch, daß ich nicht verstehen muß, Herr. Ich habe meine Weisung und befolge sie. Was ist mit der Königin? Darf sie hinein?" "Niemand darf es," erwiderte Orales eindringlich, "doch sie soll in deiner Nähe bleiben. Ich brauche auch ihre Unterstüt zung. Sie muß sich sehr konzentrieren. Wenn du es kannst, so bewahre auch sie vor Störung." Achselzuckend nahm Gerrys seinen Umhang ab, legte ihn auf eine der steinernen Bänke im Säulengang und bedeutete Cynesta, es sich bequem zu machen. Lächelnd, doch ohne Freude dabei, folgte sie seiner Einladung. Gerrys trat wieder zu Orales. "Ich denke," meinte er, "es ist alles gesagt. Unser Herr erwartet euch schon, Pala. Mögen die Götter mit euch sein." Orales reichte ihm die Hand, drückte sie fest. "Wir werden Gelegenheit haben, hoffte er, "ich danke dir sehr, Gerrys."
Freunde zu werden,"
Etwas betreten sah Gerrys zu Cynesta. Er hatte sie zwar schon gesehen, doch nie mit ihr gesprochen. Sie wirkte so ernst, so beschwert. "Herrin, verstht ihr, was da drin geschieht?" Sie hob den Kopf, sah ihn an. "Ich verstehe es, Adlatus. Der König und sein Pala treten mächtigen Feinden entgegen. Es ist ein Krieg auf
geistiger Ebene, aber er dennoch sehr wirklich. Du bist hier, ihren Körper zu schützen; ich versuche, ihre Seele zu bewahren. Für ihren Geist müssen sie selbst sorgen." Gerrys nickte. Schweigend stellte er sich als Wächter vor die Tür. Cynesta begriff, daß er in Gedanken betete und liebte ihn dafür. Ihr war diese Hilfe versagt, denn sie mußte jede Faser ihres Seins als Schutzwall um den Tempel legen.
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riston erwartete Orales, umarmte ihn.
"Du weißt, daß ich es verstehe, wenn du nicht mit mir kommen willst," sagte er leise. "Kein Wort davon," bat Orales rasch, "wir werden gemein sam gegen Xalares antreten." "Woran erkenne ich, ob sein Freund der Than sein wird?" "Du wirst es wissen," versprach der Falla, "denn du wirst spüren, daß ich Nymardos erkenne." "Ist eine Art von Gedankenaustausch mit Xalares möglich?" "Wir beide sind in Rapport, ich sagte es dir. Wir können uns mühelos verständigen. Ein Austausch der Gedanken mit der Gegenseite strengt aber an. Er ist möglich, doch er kostet Kraft. Laß dich auf keinen Disput ein, es wäre nur für Xalares ein Vorteil. Ich kann dir nichts weiter sagen, mein Freund, denn ich habe keine Ahnung, wie du dich auf dieser Ebene gestalten wirst. Die Schwingung dort ist deinem Geist neu, sie wird dich irritieren. Aber du bist stark genug dafür und Xalares wird dies erkennen. Bist du bereit?" "Nein, ich werde nie bereit sein," wehrte Ariston ab, doch er bettete seinen Körper schon in den exakten Mittel
punkt des Hallenrunds, "ich hätte dir noch so viel zu sagen, noch so viel zu fragen und vermutlich auch noch viel zu tun. Ich werde nie bereit sein, Orales, darum ist es gleichgültig, ob wir sofort beginnen oder nicht. Weise mir den Weg." Der Falla des Lichts legte sich neben ihn, ergriff die Hand des Freundes. "Durchbrich das Siegel des Schweigens," bat er Ariston, "von da aus leite ich dich."
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riston schien es, als werde sein Sein zerfetzt; als zerrissen ungeheure Kräfte seinen Geist. Zugleich aber schien ihn Orales einzuhüllen, mit sich zu führen und ihn in einer fremden Welt auszusetzen. Als er zu sich selbst fand, mußte er sich die eigene Körperlosigkeit erst vergegen wärtigen. Er besaß weder Organe noch Sinne und doch wußte er um die Realität seines und der anderen Seins. Er wußte Orales neben sich und die Gegner entfernt lauernd. Und er wußte, welcher der beiden Gegner Xalares war, so, wie er mit letzter Sicherheit wußte, daß der andere nicht Nymardos sein konnte. "Bei Xalares ist Kilmanaos, ein übler Mensch," empfing er Orales' Denken. Das Wissen um weitere Gegner tauchte auf. "Xalares plant Betrug, ruft von Amarra weitere Helfer," offenbarte Orales, "wir können so nicht widerste hen. Halte den Rapport aufrecht, ich führe dich." "Wir sind nicht allein," begriff Ariston. Tatsächlich kamen ihm die eigenen Tempel zu Hilfe, wußte er um die Fallas und die starken Priester seines Reiches. In der entstehenden Spannung wuchs Aristons Sicherheit. Wenn
dies wirklich die Ebene der Kraft war, so konnte er sich darin ohne Mühe halten. Er dachte nicht darüber nach, sondern projizierte ausschließlich Selbstbewußtsein, so die Tempel des Nordens stärkend. Er empfing die Signale der Wut, die Xalares aussandte, verstand Orales, der den Pala des Than warnte: "Ein geistiger Krieg dieses Ausmaßes wird Amarra vernichten. Verbanne deine Helfershelfer. Zwei gegen zwei, das ist unser Spiel." "Die Tempel des Nordens lösen sich von ihrem Than?" Ariston empfing Xalares' Botschaft über Orales, brauchte zum Verstehen keine Kraft. "Die Tempel stehen zu ihrem Priesterkönig, gemäß ihrem Eid und ihrer Pflicht." Diese Offenbarung kam vom Falla des Lichts. Ariston wußte es. Daß selbst dieser Tempel jetzt zu ihm stand, das verlieh i hm weit mehr Kraft, als er im Moment nötig hatte. Darum fiel es ihm leicht, mit Xalares in Kontakt zu treten: "Meine Tempel dienen mir und ihrem Than. Da Nymardos nicht bei uns ist, stehen sie wider dich, Xalares. Halte nun dein Wort oder es messen Heerscharen ihre Kraft." Als lösche jemand Lichter aus, so tauchten Xalares' Helfer aus der Ebene der Kraft. Auch die Tempel des Nordens verschwanden. Zwei gegen zwei; Kilmanaos und Xalares gegen Ariston und Orales. Feindliche Kräfte begegneten sich, suchten, einander durch reine Energie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ariston verteidigte sich nur, wäh rend Orales selbst angriff und machtvolle Energien aussandte. Es war ein ungleicher Kampf, denn Kilmanaos und Xalares konzentrierten sich beide auf Ariston. Orales' Störungen richteten nicht viel Schaden an. Der Nordkönig
aber wurde schwächer, verspürte gar jenes Ziehen, das zum Körper rief. Es war mehr ein verzweifelter Gedanke denn ein bewußtes Tun, als er sich in den Knick von Minosantes Pfeil dachte, eben an jenen Punkt, wo Energie gebündelt wurde. Tausend Erschütterungen explodierten in ihm und er wäre wahrlich in seinen Körper geflohen, wenn nicht Orales' Ruf in ihm erklänge: "Wahnsinn, Freund, doch halte aus." Da schien sein Geist undurchlich hart zu werden und jede Kraft, die auf ihn traf, prallte mit verheerender Wirkung ab, fiel auf den Absender zurück, traf diesen mit voller Wucht. Kilmanaos wurde durch seine eigene Kraft aus Minosantes Reich geschleudert. "Fliehe in das Siegel des Lichts," begriff Ariston den Wunsch des Freundes. Er gehorchte ohne Zögern, ohne Überlegung und wußte in dieser Sekunde, daß Xalares eine andere Energie sandte, die ihn sonst zerschmettert hätte. Für kurze Zeit war Ariston unerreichbar. "Der Schwarztempler ist draußen," offenbarte ihm Orales, "gehe nun zum Angriff über." Das Wissen, daß Kilmanaos ein Schwarztempler war, erin nerte Ariston an seinen Wunsch, diesen Tempel Raaki zu weihen und damit wurde das Zeichen des Schwarzen Tempels auch zum Siegel des dunklen Gottes. Der Pfeil, der den Pfeil zerteilt! Auf der Ebene des Geistes ist jeder Gedanke eine Tat, eine vollzogene Handlung, eine gelungene Schöpfung. Ariston dachte an Raaki, an dessen Siegel und befand sich darin. Die Energie Xalares', die ihn eben zerschmettern wollte, wurde von seinem Geist zerteilt, zunichte gemacht. Sie verlor sich im Nichts. Xalares wußte, daß seine Kraft den Gegner erreichte und verausgabte sich
darin, mehr und mehr seiner Kraft auf Ariston zu projizieren. Durch welche Kraft sein Gegner widerstand, konnte er nicht wissen und so glaubte er, ein größeres Maß an Energie müßte ihm zum Sieg verhelfen. Doch der Pala des Than verausgabte sich in diesem vergeblichen Bemühen. Er schöpfte seine Kraft ja aus sich selbst und war doch nicht unerschöpflich. Als er dies erkannte, griff er zum letzten Mittel, das ihm blieb. Xalares rief das Siegel des Lichts und schleuderte dessen unüberwindliche Mitte wider Ariston. Der Nordkönig erkannte noch kurz das verzweifelte Entsetzen des Freundes, wußte um dessen bestürztes Flehen nach Hilfe und wußte zugleich, daß soeben sein Ende, auch sein körperliches Sterben, nahte. Da warf sich eine ungeheure Energie dazwischen, gleich einem gebündelten Lichtstrahl, fing die Gefahr im eigenen Seins, absorbierte die tödliche Gewalt, erzitterte darin, schien zu erlöschen und blieb doch fest. Wie eine Welle verebbte die Gefahr. Ariston empfing keine Signale. Schweigen kam von Xalares, Stille von seinem Retter. Er tastete nach Orales, fand dessen Geist ungeschützt, ganz geöffnet, dieser rettenden Energie hingegeben. Da wußte der Herrscher, daß der Than selbst in Minosantes Reich eingedrungen war. Amarras Herr wandte sich weder an Xalares noch an Ariston, doch was er Orales bedeutete, empfing auch der Freund durch den noch immer bestehenden Rapport. "Kehrt in eure Leiber zurück und kommt zu mir. Was entschieden werden muß, erfahrt ihr auf Amarra." Es gab für Ariston keine Möglichkeit, den Geist des Than zu erreichen, jedenfalls nicht hier. Orales verließ ohne Mitteilung die Ebene der Kraft, zog den Freund mit sich.
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ie lagen nebeneinander auf dem Boden im Burgtempel, hielten sich noch an der Hand. Lange währte das Schweigen. Beide Männer mußten erst ihre eigene Erschüt terung überwinden, ehe sie zu Worten fähig waren. Doch auch dann schwiegen sie noch, umarmten und küßten sie sich. Orales sprang auf die Beine, als habe er keinen Kampf gefochten, half Ariston dann auf. Ein seltsames Strahlen lag in seinen Zügen. Er schien gestärkt, erfreut, er leichtert. Ariston hingegen fühlte sich weniger gut. "Wie hast du das gemacht?" wollte Orales jetzt wissen. "Was meinst du?" "Wie hast du Xalares' Energie zerschmettert? Welche Gedanke ist stark genug, diese Kraft zu erzeugen?" Ariston hielt das im Moment für nicht sehr wichtig, doch erzählte er dem Freund von dem Siegel, das Raaki hinfort bezeichnen würde; von seinem Wunsch, den Schwarzen Tempel zu weihen; auch von Gerrys Gebet, das diesen Gedanken gebar. "Was ich nicht verstehe," schloß er seine Worte, "ist die Tatsache, daß der Than mein Leben rettete. Nicht wahr, Xalares wollte mich töten?" "Er tat, was ich dich bat, nicht zu tun," gab Orales zu, "indem er das Siegel des Lichtes als Waffe verwandte. Ja, das wäre dein Tod gewesen, mein Freund. Ich wußte es kommen, doch die Angst überwältigte und lähmte mich." "Du hättest dich dazwischen gestellt?" "Niemand weiß, was geschieht, wenn keine Angst herrscht," bekannte Orales, "ich hoffe, ich hätte es getan. Doch kein wenn und aber wird uns je erklären, ob wir fähig sind, unser eigenes Leben zu opfern. Du warst ja Zeuge
davon, Ariston, wie diese Kraft fast den Than vernichtete. Ich weiß keinen Geist, der so stark ist wie dieser." "Der Than brachte sich also bewußt in Gefahr?" Orales nickte. "Wir müssen nach Amarra, Freund," erinnerte er dann, "es läßt sich nicht vermeiden. Ich fürchte, der Than wird deine Macht nun für sich und Sonte fordern." Ariston ergriff seine Hände. "Du fürchtest? Ich verdanke diesem Mann mein Leben, Orales. Deine Liebe zu ihm habe ich nie verstanden, doch habe ich nun seine Kraft gesehen und unterwerfe mich ihm gern. Ein solcher Geist mag von mir fordern, was er will, ich werde mich nicht widersetzen. Da er uns nach Amarra rief, werden wir nicht zögern, ihm zu folgen." "So hast du gewonnen und doch verloren," stellte Orales bitter fest. "Ich verliere nichts," erwiderte Ariston überzeugt, "denn was dieser machtvolle Geist von mir auch fordern mag, es wird keinen Verlust bedeuten. Was hier geschah, Orales, das enthebt mich jeden Wunsches nach irdischer Macht. Sei du nicht enttäuscht, Freund, da ich glücklich bin." Da lächelte der Mann aus Moras. "Jetzt bist du stärker als ich," stellte er fest, "und ich lerne von dir. Ja, Ariston, wir reisen nach Amarra und unterwerfen uns dem Than. Und ich schwöre dir, ich rechne mit Xalares ab." "Es hilft uns nicht, Feinde zu hassen, Orales. Das kann uns auch im Körper schwächen."
"Ich verachte ihn, aber ich hasse ihn nicht. Nur werde ich nicht dulden, daß ein Mann, der die Kraft des Lichtes zum Töten verwendet, weiterhin diese Kraft beherrscht. Das ist ein Sakrileg, das niemand dulden darf." Als sie die Halle verließen, stahl sich Cynesta rasch davon. Sie war erschöpft von der Anspannung dauernder Konzen tration, doch sie hatte die Rückkehr der Freunde bemerkt und ihre Bemühungen eingestellt. Ein wenig ruhte sie aus, ehe sie floh. Ariston sollte nicht wissen, daß auch sie ihren Teil beitrug am Kampf. Und wie dieser endete, würde sie ohnehin erfahren. Gerrys aber strahlte förmlich, als er seinen geliebten Herrn wohlauf sah. Als Ariston aber seine Hände ergriff, vor ihm niederkniete und die Stirn gegen seine Handrücken preßte, zitterte er. "Laß es geschehen," riet Orales freundlich. Auch er staunte jedoch, denn nie zuvor sah er, wie Ariston sich demütigte. Gerrys ertrug das nicht lange. "Bitte, steht auf, Gebieter," flehte er leise und zog Ariston hoch, "das dürft ihr nicht tun." Der Herrscher umarmte ihn, hielt ihn fest, als brauche er diesen Halt. Es dauerte einige Minuten, ehe er sich von Gerrys löste. "Verzeih," bat er dann, "wenn ich dich erschreckt habe. Daß ich Xalares nicht unterlag, verdanke ich dir, Gerrys. Dein Gebet an Raaki hat mich gerettet. Nun komme mit uns. Solange ich noch Herrscher bin, sollst du dein Haar offen tragen und wie ein Freund und Bruder in meiner Nähe sein." Um Hilfe heischend sah Gerrys zu Orales, doch der trat still zu ihm und löste das Band seines Haares.
"Du hast gehört," meinte er dann, "was dir geboten ist. Schlage die Freundschaft deines Herrn nicht aus." Ariston ging schon durch den Tempelgarten. "Ich verstehe nicht," stammelte Gerrys, "mein Gebet war unbeholfen und dumm. Zwar flehte ich die Zeit hindurch Raaki um Hilfe an, doch verdiene ich solche Ehrung nicht." "Sagtest du nicht, dein Verstehen sei unwichtig?" erin nerte ihn Orales. "Nimm es als gegeben hin, daß du uns mehr, als du je verstehen wirst, geholfen hast. Wo ist Cyne sta?" "Sie ging, als sich die Tür öffnete." "Dann verschweige, daß sie überhaupt hier gewesen ist," bat ihn Orales, "die Königin hat ihr Teil getan und damit ist es genug."
X
alares hatte sich total verausgabt, was sogar körperliche Rückwirkungen zeitigte. Er fühlte sich tage lang geschwächt, fast wie ein alter Mann. Auch sein Geist schien betäubt, fand nicht die Kraft, sich in höhere Regionen zu begeben. Ganz langsam übte er, so wie ein Chela, suchte Stufe um Stufe sein altes Sein. Bald gelangte er mühelos wieder in die gewohnten Bereiche des Geistes und endlich fühlte er sich stark genug, um Antares' Reich zu betreten und dort die Fülle seines Geistes wieder zu erreichen. Doch das Siegel des Lichtes stand machtvoll vor seinem Geist, duldete kein Eindringen, schmerzte ihn durch die hohe Vibration seiner Schwingung, warf ihn wieder und wieder zurück, bis er verstand, daß ein stärkerer Geist als der Seine ihn von dieser Ebene ausschloß. Xalares ergab sich. Er wagte es nicht, den Than um Erklärung, geschweige denn, um Öffnung der Pforte zu bitten. Ein Priesterschüler kam zu
ihm, überreichte ihm ein Schreiben des Than, worin dieser die Zeichen des Pala zurück forderte und ihm die ungerufene Nähe verbot. Drei Zeilen nur zerstörten Xalares' Macht. Da ihm nicht erlaubt wurde, mit Nymardos zu sprechen, hieß er den Priesterschüler warten. Er schrieb an seinen Herrn einen langen Brief, erklärte ihm darin sein Verhalten. Den Brief und die Zeichen der Macht sandte er dem Than. Kurze Zeit später erhielt er den Brief ungeöffnet zurück, ohne ein begleitendes Wort. Xalares wurde wütend. Er kannte den Than seit dessen Kindheit, leitete ihn gar lange Zeit. Nymardos schuldete es ihm, ihn anzuhören. Es gab doch so vieles, das sie verband. Entschlossen ging er in den Tempel. Priester suchten, ihn aufzuhalten, doch er verschaffte sich gewaltsam Zutritt zu den Räumen des Than. Er schüttelte die Priester wie lästige Fliegen ab, kniete nieder. "Hört mich an," verlangte er. Nymardos sah durch ihn hindurch. Kein Muskel seines Gesichtes zuckte, nicht einmal die Augenlider bewegten sich. Xalares fluchte. Da verschaffte er sich Zugang zu seinem Than, und dieser zog sich in sich selbst zurück, blieb völlig unerreichbar. Nicht ganz! Jahrelang standen sie in Rapport und wenn dieser auch von Seiten des Than nun erloschen war, mochte es doch Wege geben, dessen Geist zu erreichen. Ein glühender Schmerz durchfuhr Xalares schon beim ersten Versuch. Ein zorniges Feuer brannte nun in den Augen des Than. "Hinaus!" Er sagte nur dieses eine Wort, weder laut noch drohend, doch so zwingend, daß sich Xalares erhob und wie geprügelt den Tempel verließ.
K
ilmanaos kannte das Ende des Geschehens nicht. Xalares verweigerte ihm jede Auskunft. Nur daß
Ariston nach Amarra kommen würde, verriet er ihm. Der Schwarztempler sann auf Rache. Daß ein nicht von den Tempeln geleiteter Mann, noch dazu einer, der die Weihe der Kraft nicht besaß, ihn in diesem Bereich besiegte, das empfand er als persönliche Beleidigung. Er begegnete Sonte und da reifte sein Entschluß. Sollte der Bursche selbst etwas dazu beitragen, König zu werden. Er rief ihn herbei. Sonte kannte Kilmanaos nicht näher, wußte nur um dessen Verbundenheit mit Xalares. "Ariston kommt nach Amarra," erklärte Kilmanaos knapp, "es wird deine Aufgabe sein, ihm einen Dolch in die Rippen zu stoßen. Das ist alles. Jetzt verschwinde." Er ließ Sonte einfach stehen, ungerührt von dessen entsetztem Ausdruck. Der Junge mußte gehorchen, wenn ein älterer Priester befahl, zumindest, solange er nicht unter Leitung stand. Und Kilmanaos wußte ganz genau, daß kein Priester der Insel sich bereit fand, diesen unfähi gen Burschen zu hinfort zu leiten. Der Schwarztempler bedachte allerdings nicht, wie wenig Sonte ein Priester war. Jeder andere auf Amarra mochte bedingungslos gehor chen können; Sonte hingegen fühlte sich von keinem Priester wirklich angenommen und ordnete sich deshalb auch nicht unter. Der Befehl bedrückte ihn sehr und für bloßen Ungehorsam fehlte ihm der Mut. Aber wenn er schon ein Mörder sein sollte, dann mußte es der einzige Mann dieser Insel befehlen, den Sonte anerkannte. Vergeblich versuchte er jedoch, Zugang zum Tempel zu erhalten. Die Wächter ließen ihn nicht vor, weigerten sich auch, dem Than eine Botschaft zu überbringen. Sonte lauerte also vor dem Tempeltor, hoffend, den Than einmal zu erblicken. Beim ersten Schrei des Morgenvogel, er hatte die ganze Nacht gewartet, sah er einen Priester auf den Tempel zugehen, den er kannte. Der Mann hieß Caryll, führte ihn während seiner Ausbildung zum Than. Zaghaft rief er ihn an. Als Caryll ihn entdeckte, winkte er ihn herbei.
"Bist du nicht Sonte?" erkundigte er sich. "Du scheinst ein Problem zu haben." "Ich muß zum Than," stieß Sonte hervor. "Kann dir sonst keiner helfen?" Sonte schüttelte den Kopf, schwieg aber trotzig. "Seltsamer Kerl," stellte Caryll grinsend fest, "liegt eine Nacht in den Nebeln, anstatt seinen Lehrer im Geist zu suchen. Ich könnte dich schon zu deinem Than bringen, aber davor solltest du mich von der Dringlichkeit deines Anliegens überzeugen." Sonte schüttelte den Kopf. Nein, er wollte auch Caryll nicht vertrauen. Die Gefahr, daß der ihn schalt, weil er einem älteren Priester den Gehorsam verweigerte, war zu groß. Doch Caryll sah, wie die Angst den jungen Mann quälte. "Dann folge mir," entschied er da, "vielleicht kann ich dir helfen." Niemand hielt Sonte auf, als er in Begleitung dieses Mannes den Tempel betrat. Zwar empfing er verwunderte Blicke, doch hielt ihn kein Wort zurück. Caryll führte ihn in jenes Zimmer, in dem er auch früher dem Than begegnete. "Warte hier," verlangte der Priester mit freundlicher Stimme, "ich werde dem Than berichten. Wenn er dich sehen will, kommt er. Wenn nicht, nun, dann wirst du dich doch mir anvertrauen müssen." "Ich will euch nicht beleidigen," murmelte Sonte, doch mehr sagte er nicht. Er mußte lange warten. Erst gegen Abend öffnete sich die Seitentür. Der Than trat ein. Lächelnd sah er Sonte unter
dem Flammenden Kristall liegen, schlafend, doch in wirren Träumen der Furcht. Nymardos neigte sich über ihn, belauschte still seinen Traum. Kurz versteinerten seine Züge, ehe die alte Gelassenheit wieder durchschien. Der Than setzte sich in den Sessel. Wenig später wurde Sonte unruhig, spürte er die Gegenwart des anderen und erwachte. Rasch erhob er sich auf die Knie. "Vergebung, Herr," bat er, "ich wollte nicht unhöflich sein. Nur wußte ich nicht, ob und wann ihr kommt." "Unhöflich warst du nur zu Caryll," tadelte der Than sanft, "aber deine Not entschuldigt dich. Und doch weißt du, daß du nur König werden kannst, wenn du deinen Bruder tötest. Warum zögerst du?" "Mein Bruder." Sonte sagte es nachdenklich, lauschte dem Klang dieses Wortes. "Ich bin immer allein gewesen, Herr. Wenn ich wirklich einen Bruder habe, so will ich ihn lieben und nicht töten. Ihr wißt doch, daß ich kein König bin." "Weißt du es auch?" "Ich will nichts weiter, als das tun, was ich kann: Gärten zur Freude der Menschen pflegen. Ich wäre ein schlechter König, Herr. Mehr noch, als ich ein schlechter Priester bin. Verlangt ihr wirklich, daß ich meinen Bruder töte?" "Wer auf Amarra Blut vergißt, hat mich zum Feind," antwortete der Than ernst, "darum ist dein Zögern Beweis genug, daß du jede Freundlichkeit verdienst. Es ist richtig, daß du ein schlechter Priester bist und daß du wohl auch ein miserabler König wärst. Ein guter Gärtner wirst du allemal, Sonte. Aber auf Amarra bist du nicht glücklich." "Ihr schickt mich fort?" Er hob den Blick, bat still um Gnade. Nymardos lächelte.
"Ich weiß mehr um deine Seele als du selbst," stellte er fast erstaunt fest, "vertraue mir auch weiterhin und du wirst glücklich werden. Jeder Mensch hat das Anrecht auf ein erfülltes Leben." "So muß ich nicht König sein?" "Du warst nie dazu bestimmt," offenbarte ihm der Than. "Ich wurde doch dazu gezeugt," zweifelte Sonte noch. Der Than erhob sich, winkte ihn heran. "Schau mir in die Augen," verlangte er. Als Sonte zögernd gehorchte, fand er sich gefangen in der Macht des Blickes Nymardos', fand sich davon gehalten und zugleich durchdrungen. Wie das geschah, verstand Sonte nicht, doch er wußte, daß sein Than in die Tiefen seines Geistes stieg, ihn ganz durchleuchtete, jeden, auch den letzten Gedanken las und bis zur Quelle seiner Bestimmung drang. Diese Vergewaltigung hätte ihm Schmerzen berei ten müssen und würde ein anderer dies wagen, so empfinge Sonte darin bleibende Qual. Doch dem Than vertraute er. Er hielt nicht nur still, er öffnete sich auch, so weit er in der Lage dazu war. Diese Nähe bedeutete ihm mehr als eine Liebkosung. Sonte wußte sich erkannt und fühlte sich dabei grenzenlos geborgen und unendlich ange nommen. Was immer der Than in ihm entdeckte, er nahm es ohne Wertung zur Kenntnis. Für ihn bedeutete ein Mensch wie Sonte so viel wie ein Falla; jeder ein unendlicher Geist, jeder auf dem Weg zu völligem Bewußtsein. Als Nymardos' Blick sich wandelte, wieder klar wurde und jedes Erkennen erlosch, stand Sonte immer noch still und fühlte sich wohl. "Es ist gut."
Die Worte des Than rissen ihn aus der Bezauberung. Sonte kniete erneut nieder. "Du bist kein König," versprach ihm der Than, "was immer andere dir auch sagen; wohl aber eines Königs Bruder und auch ein Sohn der Tempel. Vielleicht werde ich dich fort schicken müssen. Aber dann sei nicht traurig, Sonte. Es gibt viele Gärten in den Nebelreichen." "Ich werde euch in allem gehorchen," versprach Sonte mit fester Stimme, "ich hätte auf euren Wunsch hin auch getötet, Herr." "Wenn das Schiff aus dem Nordreich eintrifft, ziehe dich zurück," verlangte der Than sanft, "achte darauf, daß auch weder Xalares noch dieser Kilmanaos dir begegnen. Wenn es dir hilft, gebe ich Anweisung, daß du diesen Raum betreten darfst." "Ich fühle mich hier wohl," gestand Sonte kleinlaut. "Gut, dann sei es so. Du wirst hier alles finden, das du brauchst. Aber verlasse den Raum nicht, bis ich dich rufe, Sonte. Es wäre schade um dich, wenn gewisse Kräfte dich beherrschen würden. Hier bist du sicher, bis auch außerhalb des Tempels kein Geist mehr stark ist, der dich mißbrau chen kann. Und wenn du Sorgen hast, vertraue Caryll." "Vertraut ihr ihm wie eurem Pala, Herr?" "Ich liebe ihn. Genügt dir das?" "Ja, Herr." Nymardos schickte ihn mit einer Handbewegung hinaus. Caryll erwartete Sonte, führte ihn durch den Tempel.
"Herr," murmelte der junge Mann, "vergebt ihr mir? Der Than sagte, daß ich euch vertrauen soll." "Es gibt nichts, weshalb ich dir böse wäre," erwiderte der Priester, "nur werde ich sicher sehr unangenehm, wenn du bei weiteren Sorgen nicht sofort zu mir kommst." Sie traten ins Freie und Caryll deutete auf ein flaches Gebäude. "Dort wohne ich, Sonte. Die Tür ist für dich offen." Betreten starrte Sonte erst zu dem Haus, dann auf seinen Weg und endlich zu Boden. Die Ruhe, die er im Tempel empfand, verebbte und neu keimte die Furcht in ihm. Ir gendwo auf seinem Weg mochte Xalares sein. Sonte schau derte, als träfe ihn ein kalter Nebelhauch. Caryll betrachtete ihn von der Seite, wohlwollend und freundlich, aber der junge Mann bemerkte es nicht. Mit hängenden Schultern ging er einige Schritte, blieb zögernd stehen, wagte aber kein Wort. "Sonte," mahnte Caryll ihn da mit leiser Stimme, "du bist kein Kind mehr. Warum erwartest du immer noch, so behandelt zu werden? Kindern nehmen wir gern jede Last ab; von erwachsenen Menschen erwarten wir aber, daß sie das ihre dazu tun. Ich sehe deine Angst. Weshalb ergibst du dich darin, anstatt einen Ausweg oder Hilfe zu suchen?" Sonte stürzte vor ihm nieder. "Ach, Herr," stammelte er, "was soll ich denn tun? Der Pala haßt mich und ich habe doch keine Möglichkeit, ihm zu entkommen." "Erhebe dich," verlangte Caryll ruhig und half ihm auf, "es gibt keinen Pala mehr." "Trotzdem ist Xalares stark. Ihr wißt ja nicht, wie böse er werden kann. Wenn ich ihn nur sehe, fühle ich mich schon wie zerstört. Ich wünschte, mit dem Schiff aus dem Norden käme auch der Falla aus Moras."
"Du meinst Orales?" Sonte nickte. "Er versprach mir Hilfe. Aber ich weiß nicht, ob ich darauf vertrauen darf. Er war ja nie hier. Ich habe gelitten, Herr, weil ich so unfähig bin. Ich dachte auch oft daran, mein Leben zu enden. Nur die Hoffnung, daß der Falla wirklich mein Freund sei, half mir. Ich weiß nicht, zu wem ich gehen könnte, wenn ich Amarra verlassen muß. Ich glaube, er ist stärker als Xalares. Er könnte mir helfen." "Ist es klug, von einem Menschen alles zu erwarten? Wäre es nicht klüger, diese Erwartung durch eigenes Handeln zu unterstützen? Soll Orales dich vor Xalares schützen, obwohl du diesem jede Macht über dich erlaubst?" "Was soll ich denn tun?" rief Sonte klagend aus. "Xalares will, daß ich König werde und ich habe keine Lust dazu. Ich kann es auch nicht. Aber er wird mich bestrafen dafür." "Du strafst dich selbst durch grundlose Angst," stellte Caryll fest, "denn Xalares wird dich nicht anrühren. Er hat andere Probleme." "Die vergißt er, wenn er mich sieht," vermutete Sonte, doch er hob nun den Blick. "Ich nehme euren Tadel hin, Herr. Ich bin ein Schwächling, ich weiß es. Doch wie sollte ich stark sein, da ich allein stehe? Verzeiht mein Jammern. Ich stehle euch die Zeit, anstatt euch für eure Freundlichkeit zu danken." Er wandte sich um und ging den Weg entlang, der zu den Häusern der einfachen Priester führte. Caryll sah ihm nach denklich hinterher.
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er Schock über die Unfähigkeit, die Lichtebene wieder zu erreichen und der Zorn über den Verlust der Macht
verebbten. Xalares faßte sich. Ihm konnte nichts geschehen, denn er handelte immerhin im Auftrag des Than. Daß er sich in der Wahl der Mittel vergriff, nun, das war nicht zu ändern. Die Folgen trug er schon und sie blieben erträglich. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Daß das Nordreich verloren schien, verschuldete Orales, der seine Weisungen vergaß und sich auf die Seite dessen stellte, den er verraten sollte. Xalares hielt es nur bedingt für wahrschein lich, daß Ariston sich dem Than unterwerfen würde. Der König besaß nun auch die Weihe der Kraft und die Tempel seines Reiches standen hinter ihm. Ein Schwächling wie Sonte mochte Wachs sein in Amarras Hand, aber gerade dadurch nicht unbedingt geeignet, Macht zu tragen. Eher würde sich der Than mit Ariston aussöhnen. Xalares lachte bitter auf. Nymardos ging gern den Weg des geringsten Widerstandes. Nun, daran war nichts zu ändern. Xalares interessierte sich nicht mehr für Nodher, nicht für Ariston und nicht für Sonte. Orales aus Moras trug die Verantwortung für seine Niederlage. Das schmerzte. Sie waren wie Freunde gewesen, enge Vertraute, ehe ihre Wege sich trennten. Dieser Verrat brannte in Xalares wie eine persönliche Beleidi gung. Wie einfach wäre alles gewesen, hätte Orales den Nordkönig nicht zu den Weihen geführt! Oder wenn er wenigstens nicht verhinderte, daß Cynesta Sontes Kind empfing! Es war geschehen und nicht mehr zu ändern. Xalares wußte, daß Orales mit Ariston nach Amarra kommen mußte. Sie würden sich begegnen. In Gedanken versunken ging der Priester durch die Gärten. Er bemerkte Sonte nicht einmal, als er wenige Schritte entfernt seinen Weg kreuzte. Sonte interessierte ihn nicht. Orales verriet ihn, Orales traf die Schuld an allem Geschehen und Orales sollte dafür bezahlen. In Gedanken versunken betrachtete Xalares den knospenden Mesa-Strauch. Ganz langsam reifte ein Plan.
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ynesta beherrschte kaum ihre überschwengliche Freude, als sie vom Verlauf und Ausgang des Kampfes vernahm. Ein wenig störte sie die Gegenwart Gerrys', dessen offenes Haar ihr Aristons Liebe zu ihm bewies. Trotzdem umarmte und küßte sie ihren Gemahl und Orales und zeigte unter Tränen ihre Erleichterung. "Nicht wahr, jetzt läßt Amarra uns in Ruhe?" Ariston hielt sie sanft fest und erinnerte sie an den Wunsch des Than, ihn auf seiner Insel zu sehen. "Nichts wird mich davon abhalten," sagte der Herrscher ernst, "diesem Ruf zu folgen." Cynesta wehrte sich dagegen; fürchtete, Ariston müsse trotz des gewonnenen Kampfes unterliegen; fürchtete auch, er könne dort ihre Priesterschaft entdecken. "Du mußt mich nicht begleiten," beendete der König etwas unwillig das Gespräch, "das Betreten der Insel wäre dir ohnehin verboten, Cynesta. Mich aber halte nicht auf. Der Than rettete mein Leben und warf dabei das Seine in die Waagschale. Ich bin begierig, ihm zu begegnen und werde ihm geben, was er verlangt." "Das ist zuviel an Dankbarkeit!" "Nein, Cynesta, das hat damit wenig zu tun. Ich habe seine Kraft gesehen und ergebe mich einem Geist, dessen Größe jede Forderung erlaubt. Ich bedauere, daß du das nicht
verstehen willst. Aber vielleicht bist du damit überfordert." "Kein normaler Mensch kann das verstehen," drängte sie Ariston weiter zur Verweigerung der Reise. Gerrys kam sich etwas deplaziert vor, doch er genoß es, stiller Zuhörer zu sein; freute sich, auf diese Art mehr von dem seltsamen Geschehen zu vernehmen. Das Vertrauen und die Nähe seines Königs und des Pala taten ihm schlicht und einfach gut. Bei Cynestas letzten Worten lachte er sehr leise, woraufhin sie ihn wütend anstarrte. "Verzeiht mir, Königin," sagte er sofort, doch in einem Tonfall, der jedes Schuldbekenntnis Lügen strafte, "es lag mir fern, euch zu kränken." "Und warum lachst du?" fragte Ariston gelassen. "Weil ich von allem, worüber ihr redet, wirklich nichts verstehe und mich auch gar nicht um ein Verständnis bemühe, Herr, weil es aussichtslos wäre. Nur, daß ihr bereit seid, euch einer Kraft, die euch durch Güte überwältigte, zu beugen, das leuchtet mir ein. Weniger eure Worte als vielmehr der Tonfall eurer Sprache bewegen mich, diesen Than zu lieben. Hätte ich die Möglichkeit, ich würde alles tun, um einem solchen Menschen einmal zu begegnen." Orales lächelte. "Ich fürchte, Gerrys, das würde dein Leben verändern." Der Adlatus zuckte nur mit den Achseln zum Zeichen dafür, daß dies gleichgültig war. Ariston entschied nun, daß er am übernächsten Tag aufbrechen werde und stellte es Cynesta anheim, ihn zu begleiten oder nicht. Danach verließ er sie, gefolgt von Gerrys, der nicht nur aus Dienstbeflissenheit in seiner Nähe blieb.
"Er wird alles erfahren, Orales," murmelte Cynesta, "und er wird mir nicht verzeihen, daß ich ihn täuschte. Was soll ich tun?" "Denke weniger an dich und mehr an ihn," riet der Falla mit liebevoller Stimme, "Ariston kann auf Amarra alles verlieren: seine Weihen, seine Macht, seinen Reichtum. Es wäre gut, wenn er wenigstens die Liebe der Menschen, die ihm etwas bedeuten, um sich wüßte." "Der Than wird die Weihen nicht zerstören." Cynesta behauptete es nicht, sie hoffte es nur. Orales legte den Arm um ihre Seite, küßte ihre Wange. "Du weißt, daß der Weg, den ich ihn leitete, nicht den Tempelnormen entspricht," stellte er fest, "und du weißt auch, daß ich kein Recht hatte, ihm die Weihe der Kraft auf diese Weise zu ermöglichen. Auf Amarra ist alles möglich. Ariston kann dort alles verlieren und vielleicht bist du alles, was er in einigen Tagen noch hat." "Nein," wehrte sie schwach ab, "auch du bleibst ja bei ihm, lieber Freund." Erschrocken bemerkte sie nun seine innere Qual. Leise zitierte er aus einem alten Lied: "Wehe dem Leiter, der den Chela auf Irrwegen führt, er muß verbrennen im Feuer des Lichts." Orales wartete nicht auf eine Reaktion der Königin, sondern verließ sie rasch. Da wußte Cynesta, daß sie bei Ariston bleiben und mit ihm reisen würde.
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marra! Auch Ariston erlag dem Zauber der Schönheit dieser Insel. Fasziniert betrachtete er die blühenden Hänge
und es kostete Orales Überredungskraft, ihn davon zu überzeugen, daß er sich umkleiden und auf den Empfang vorbereiten müsse. Der Falla riet ihm davon ab, königliche Gewänder anzulegen und reichte ihm die Gewänder eines Priesters, der die Weihe der Kraft empfing. "Ich habe nie darüber nachgedacht, daß ich in Minosan tes Reich bestand und so auch diese Weihe habe," sagte Ariston nachdenklich, "so wenig, wie ich überlegte, als was ich Amarra betreten werde. Bin ich nicht doch mehr König als Priester, Orales?" "Vielleicht bist du morgen schon keines von Beidem mehr," antwortete der Falla knapp, "doch deine Kleidung wird zeigen, woran dir mehr liegt." Er half Ariston, die priesterliche Gewandung anzulegen; er zählte ihm dabei ein wenig von Amarra. Er beschrieb den Weg zum Tempel, den sie, da es hier keine Pferde gab, zu Fuß gehen mußten, in Begleitung einiger ausgewählter Priester. "Man wird uns in einem der Häuser vor dem Tempel unterbringen, bis wir empfangen werden," vermutete er, "und wir werden vielleicht einige Tage warten müssen." "Eingesperrt?" "Nicht direkt," wehrte Orales ab, "wir sind trotz allem Gäste. Aber es wäre klug, sich nicht ungerufen dem Tempel zu nahen. Die Gärten stehen uns offen, auch die Quellberei che, die Brunnen und was es sonst an Schönem gibt. Nein, laß auch den Dolch liegen, Ariston. Wer auf Amarra Waffen trägt, setzt sich ins Unrecht." "Du bist ernst geworden," stellte Ariston, fast erstaunt, fest, "wo ist die Liebe geblieben, die du für deinen Than immer empfunden hast? Ist es so schlimm für dich, daß ich mich unterwerfen will?"
Forschend betrachtete er den Freund. "Orales," stellte er dann fast erschrocken fest, "du hast Angst. Wovor?" "Es ist nichts," wehrte der Falla zuerst ab, doch dann beschloß er, Ariston seine Befürchtungen doch zu sagen, da ihm das besser als jede Überraschung erschien: "Du weißt, daß der Than deine Macht und deinen Reichtum fordern kann." "Waren wir uns nicht einig, daß das nichts bedeutet?" "Der Than kann auch deine Weihen von dir nehmen, Ariston. Er ist fähig, dir den Zugang zu jeder Ebene des Geistes zu versperren. Es ist nicht so, daß deine Weihen nicht gültig wären, doch der Weg, den ich dich leitete, war nicht ganz korrekt. Es steht dem Than frei, deshalb alles zunichte zu machen und Sonte zu erheben." "Du hattest es einmal erwähnt," erinnerte der König sehr ruhig, "ich weiß, daß mein Weg etwas anders war und von den Tempeln nicht anerkannt werden muß. Es ist für mich ohne Bedeutung, ob Sonte erhoben wird oder nicht. Und ich werde es auch ertragen, wenn der Than meine Weihen zerstört." "Du meinst, was du sagst," staunte Orales da. "Die Erinnerung kann er nicht auslöschen," erwiderte Ariston, "was ich erlebte, behält dadurch Gültigkeit und Wert. Kann der Than dir etwas antun, Freund?" Nach kurzem Zögern nickte Orales. "Es liegt mir fern, dich gegen ihn einzunehmen," gestand er, "aber was mich betrifft, ist seine Macht unbegrenzt. Wenn er mich als Leiter verurteilt, bleibt von mir nicht viel übrig. Kennst du das Lied des Priesters, dessen Schüler bei einer voreiligen Weihe ums Leben kam?"
Der König nickte. "In den Tempelschriften habe ich es gelesen," erinnerte er sich, "es erschreckte mich sehr. Wehe dem Leiter, der den Chela auf Irrwegen führt, er muß verbrennen im Feuer des Lichts, das seinen Geist wie ein Hauch berührt, bis er erlöscht im Nichts. Orales, ich weigere mich, zu glauben, daß dir etwas Derartiges geschehen kann." Orales erwiderte nichts. Es gab diese Möglichkeit und damit mußte gerechnet werden. Verurteilte ihn der Than, blieb er ein schwachsinniger Idiot, hilfloser als ein kleines Kind, für unabsehbare Zeiten und Leben an jeder Entwicklung gehindert. Er war dieses Risiko bewußt einge gangen, weil ihn das Leid des Freundes, der sich verzweifelt nach Weihen sehnte, zu diesem Schritt trieb. Ariston um armte ihn herzlich, küßte ihn, hielt ihn fest. Doch sagen konnte er dazu kein Wort.
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as Schiff ankerte auch schon in der Bucht und sie mußten sich nach vorn orientieren. Sie durften die Prie ster nicht warten lassen. Der Herrscher verabschiedete sich von Cynesta, die sich in ihrer Kammer verbarg; von Gerrys, der neugierig zur Insel sah und dieser Schönheit erlag. Es war Caryll, der Ariston und Orales im Namen des Than willkommen hieß und zwischen ihnen den Pfad zum Tempel schritt. Er spürte die besorgte Bedrückung Orales' und das zwei felnde Grübeln Aristons. So gab er es auf, ihnen in freundli chem Plauderton den Weg zu verkürzen und überließ die Gäste ihren Gedanken. Erst am Ende des Pfades sprach er wieder, als er den Freunden das flache Haus zeigte, in dem sie wohnen sollten und ihnen zwei Tempelknaben vorstellte, die zu ihrem Dienst berufen wurden. Er bot ihnen seine Gesellschaft an, bereit, auf Fragen zu antworten und die Wartezeit zu verkürzen, doch zu Aristons Erstaunen über
hörte Orales diese freundliche Geste. Der Falla bedankte sich knapp und wies Caryll damit von sich. Ariston folgte dem Priester ins Freie. "Verzeiht," hielt er ihn auf, "diese Unhöflichkeit ist nicht die Art meines Freundes. Weder Orales noch ich hatten die Absicht, euch zu beleidigen." Caryll sah ihn offen an. "Euer Freund kann mich nicht kränken, Ariston," erwiderte er ruhig, "ich bin durchaus in der Lage, den Anlaß seines Verhaltens zu erkennen. Nun seid ihr verwirrt, weil ich euch mit Namen anrede. Doch auch darin liegt keine Kränkung. Auf Amarra gibt es nur einen Herrn, jeder andere ist Bruder. Es wird euch manches hier fremd erscheinen, doch seid gewiß, daß alles seine Ordnung hat und ihr willkommen seid." "Ich danke euch." Caryll nickte ihm lächelnd zu und ging. Ariston sah ihm lange nach. Dieser Priester erweckte Vertrauen und verlieh ohne Worte Zuversicht. Als er zu Orales ging, bat der Freund, etwas allein zu sein. Da beschloß Ariston, sich den umliegenden Garten zu betrachten. Er wünschte Orales von Herzen Ruhe, sehnte sich nach dessen Kraft. Vor allem aber hoffte er, daß die Sorge des Freundes unbegrün det blieb. Orales ruhte auf seinem Lager, starrte blicklos zur Zimmer decke. "Wehe dem Leiter..." erklang einem Mal anders, bekannter:
es
in ihm, dann aber mit
"Sei begrüßt auf Amarra, Falla des Lichts."
Reglos ließ er sich in den belebten Rapport gleiten. "Ich folgte deinem Ruf." "Warum verklagst du mich?" "Ich bin in deiner Hand, ohne Klage, ohne Vorwurf und ohne Erwartung. Nur für den Freund hoffe ich." "Die Tat, die du getan, die tat auch ich, Orales. Sei ohne Furcht. Wehe dem Leiter, der seinen Chela behindert, indem er die Regel zum Götzen erklärt. Vortrefflich ver stehst du, den suchenden Geist zu leiten." "Das Feuer des Lichts wird mich nicht berühren?" "Falla des Lichts, dies Feuer ist deine Kraft und nicht dein Verderben. Berühre du es selbst und erkenne darin dein eigenes Urteil. Bist du gestärkt, dann suche deinen Freund. Ich werde euch nicht sehen, solange ihr die Weihen selbst in Frage stellt." Der Rapport erlosch. Orales versuchte nicht einmal, von sich aus in den Kanal zu dringen. Er wußte, daß er den Than erreichen konnte, aber er hatte keinen Anlaß, die notwendige Begegnung auf einen geistigen Kontakt zu be schränken. Er zog sich in sich selbst zurück, weiter als zuvor, öffnete die göttlichen Siegel, durchquerte diese Reiche und fand zu Antares, der Göttin des Lichts. Der Than gebot ihm diesen Weg, doch nicht als Richter, sondern als Helfer. Frei von Furcht und Unbehagen tauchte Orales in das letzte Siegel ein, wo das Bewußtsein erlosch, weil alles Bewußtheit wurde. Er fand die verheißene Kraft darin.
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aryll fand Sonte in seinem Haus.
"Solltest du dich nicht im Tempel verbergen?" Sonte senkte den Kopf, schuldbewußt und etwas furcht sam, doch er faßte sich ein Herz und sagte: "Ich wollte es tun, Herr, aber mir ist, als dürfe das nicht sein. Bitte erlaubt mir, bei euch zu bleiben. Ich werde euch aufwarten, euch bedienen und versuchen, nicht lästig zu sein." "Du bist willkommen." Er ließ Sonte wie einen Gast bewirten und ordnete an, ihm ein Lager zu bereiten. Danach sagte er: "Du weißt, daß du niemandem begegnen sollst, nicht wahr? Bleibe also im Haus, bis du anderes hörst. Übrigens ist auch Orales aus Moras hier." Sonte wurde bleich. Er begann zu zittern und seine Pupillen weiteten sich immer mehr. Caryll faßte rasch nach seinen Händen, bezwang willentlich die aufkeimende Hysterie des jungen Priesters. "Was ist mit dir?" "Ich weiß es nicht, Herr," stammelte Sonte, "es ist, als würde etwas Furchtbares geschehen." "Komm', schau mich an." Caryll besaß nicht die Gabe, in den Tiefen anderer Menschen zu lesen, doch leicht versetzte er Sonte in schwache Trance. "Mesa," murmelte Sonte da benommen, "Orales stirbt." Caryll ließ ihn los und rannte aus seinem Haus. Im Lauf schritt eilte er zum Quartier der Gäste.
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rales kehrte von seinen Tiefen zurück. Wie es der Than ihm verhieß, fühlte er sich gestärkt und, mehr noch, in seinem Sein bestätigt. Es gab keine Furcht mehr, kein Unbehagen. Der Mann aus Moras erhob sich. Sein Blick fiel auf ein kleines Kästchen, reich verziert mit Schnitzerei und edlen Steinen. In den Deckel war ein kleiner flammender Kristall eingelassen, dessen schwaches Leuchten einen mäch tigen Absender verriet. Orales lächelte. Der Than legte anscheinend Wert darauf, seine Bedenken völlig zu zersteuen. Freudig ergriff er das Kästchen, um das Geschenk seines Herrn daraus zu entnehmen. "Halt." Caryll stieß die Tür auf, sprang vor und entriß Orales das Präsent. Fest preßte er die Rechte auf den Deckel. "Verzeiht," erklärte er schwer atmend, "doch mir scheint, das ist nicht für euch bestimmt. Ihr habt es doch noch nicht geöffnet?" "Nein," erwiderte Orales erstaunt, "doch scheint euer Verhalten, gelinde gesagt, etwas merkwürdig zu sein. Ich bitte um eine Erklärung." Caryll lachte leise und erleichtert. "Ich denke," wies er Orales zurück, "mein Verhalten ist weniger merkwürdig als das eure. Ihr habt meine Angebote, euch zur Seite zu stehen, sehr bestimmt zurück gewiesen. Nun, ihr hattet eure Gründe und schuldet mir keine Erklärung. Doch auch ich handle nicht grundlos, Orales. Was ihr wissen müßt, werdet ihr von unserm Herrn erfahren." Caryll grüßte noch knapp und ging, das Kästchen mit sich nehmend. Orales nahm den Verweis gleichmütig hin. Es stimmte durchaus, daß er Caryll, wenn auch ungewollt, ab lehnte. Doch er erkannte in ihm einen Freund des Than und
empfand deshalb Zuneigung, akzeptierte dadurch dies Ver halten. Außerdem war es ihm wichtiger, Ariston zu finden. Er sah ihn bald am Rand einer gefaßten Quelle sitzen. Tempelkinder umringten ihn, stellten neugierige Fragen nach seinem Reich und erzählten mit kindlicher Offenheit aus ihrem Leben. Orales betrachtete das Bild, störte nicht. Ariston schien sehr glücklich zu sein. Dann aber erblickte der König den Freund. Er erhob sich, verabschiedete die Kinder und kam zu ihm. "Du scheinst beruhigt," stellte er sofort fest. Orales berichtete ihm von dem Rapport, von seiner Begeg nung mit dem Licht. "Ich habe mich geirrt," gab er gern zu, "deine Weihen sind nicht in Gefahr, Ariston." Und dann erzählte er auch von Caryll und dessen seltsamen Benehmen.
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m Nachmittag des folgenden Tages suchte Caryll die Freunde auf. Er neigte grüßend das Haupt vor Orales, sah zu Ariston und bat: "Kommt mit mir, ich führe euch in den Tempel." Auch Orales erhob sich sofort. "Nach euch wird noch nicht verlangt," wies Caryll den Falla zurück, "ihr werdet gebeten, noch zu warten." "Ich lasse Ariston nicht allein," wehrte Orales fest ab. Caryll lächelte sacht. "Soll unser Than glauben, daß der König des Nordens zu schwach ist, ihm allein zu begegnen? Ich fürchte, Falla, ihr
habt keine Wahl." "Laß es gut sein, Orales," mischte sich Ariston rasch ein und verhinderte so ein weiteres Widerwort des Freundes, "es steht dem Than zu, mich allein zu sehen." Er gürtete seine Tunika, legte sein Stirnband um und bedeu tete stumm seine Bereitschaft, dem Priester zu folgen. Ariston warf Orales einen beruhigenden Blick zu und verließ mit Caryll das Haus. Der Priester führte ihn jedoch nicht zum Tempel, sondern entlang eines schmalen Pfades, der durch ein Meer der herrlichsten Blüten von phantasti scher Größe führte. "Sagtet ihr nicht, daß ich im Tempel erwartet werde?" erkundigte sich Ariston vorsichtig. Caryll legte ihm mit einer beruhigenden Geste die Hand auf den Unterarm, ging aber gemächlich weiter. "Ihr werdet erwartet," versicherte er ruhig, "doch mir scheint, ihr seid noch nicht ganz in der Verfassung, dem Than zu begegnen." "Durch Zögern wird meine Unruhe nicht geringer." "Ich hoffe doch," erwiderte der Priester freundlich, "denn es ist die Gelegenheit, eventuelle Fragen abzuklären." Ariston blieb stehen, sah seinen Begleiter an. "Ich danke euch," sagte er ruhig, "euer Wohlwollen tut mir gut. Es wäre mir wirklich lieb, wenn ich im voraus wüßte, was mich erwartet und welches Verhalten angemessen ist." Caryll nickte nur, schritt langsam weiter. Er wartete, bis Ariston neben ihm ging, ehe er ihm die Empfangshalle im Tempel beschrieb, in der der Than ihn thronend erwartete.
"Es wird euch nicht leicht fallen," vermutete Caryll, "doch ein Kniefall von eurer Seite wird nicht genügen. Es entspräche der Regel, wenn ihr euch ganz nieder- und damit rückhaltlos unterwerfen wolltet." "Das Verhalten eines Schwerverbrechers," konstatierte Ari ston und ein Hauch von Bitterkeit lag in seiner Stimme, "doch ich werde gehorchen." "So nicht, Ariston," wehrte Caryll sanft ab, "wenn es euch gefällt, bleibe ich an eurer Seite und grüße meinen Than wie ihr. Es ist keine Schande, sich vor ihm zu demütigen und wenn ihr um seine wahre Macht wüßtet, wäre euer Stolz erheblich geringer." Der Herrscher senkte beschämt den Kopf. "Ich weiß um seine Macht und um seine Größe," sagte er leise, "er rettete mich vor der Gewalt des Lichtes." Caryll tastete nach seiner Hand, drückte sie kurz. "Ich weiß es," offenbarte er, "sein Körper fiel ohnmäch tig in meine Arme, als ihn ein Hilferuf in jene Bereiche hob. Wußtet ihr nicht, daß Orales in Rapport steht mit dem Than? Euer Freund rief ihn zu Hilfe. Das kam so zwingend an, daß der Than aus seinem Leib fiel, ohne die geringste Vorkehrung für seine Rückkehr zu treffen. Ich wußte lange nicht, ob ihm die Rückkehr überhaupt gelingen wollte. Der Than kämpfte Stunden hindurch, ehe er die Gewalt der Erschütterung bezwang." "Dort wirkte er auch danach sehr stark," murmelte Ariston betroffen. "O ja, der Geist ist unverletzt," erwiiderte Caryll, "doch die Verbindung in den Körper kann überlastet, kann gefähr det sein. Ich habe euch davon jedoch nicht berichtet, um
euch dem Than zu verpflichten." "Das bin ich ohnehin." "So ist es," meinte Caryll leichthin, "und außerdem seid ihr ihm ausgeliefert. Doch nach Amarra gekommen seid ihr, weil schon der bloße Gedanke einer Zwietracht zwischen euch und ihm unerträglich ist. Ihr seid aus freien Stücken hier, nicht, weil er euch rief." "Er rief mich, doch ich freute mich darüber," bekannte Ariston, "ich hegte in Nodher keine Scheu vor irgendeiner Unterwerfung." Caryll führte ihn weiter durch das Meer der Blüten und es gelang ihm wirklich, Aristons Erregung zu besiegen. Schließlich riet er dem Herrscher, sich nun auf die eigenen Weihen zu besinnen; in die Tiefe des eigenen Geistes zu tauchen und von dort als bewußter Priester zu erscheinen. Er leitete Ariston dabei sacht, fast unbemerkt. Danach führte er Ariston zum Tempel, dessen Tore weit geöffnet standen und schon von weitem Einblick in die Halle gewährten. Ariston erkannte einen leicht erhöhten Stuhl, sah ihn aber leer. An den Wänden saßen auf den Bänken unzählige Priesterinnen und Priester, festlich gekleidet, doch ohne Schmuck. Neugierige, zum Teil auch abwertende Blicke trafen auf den Nordkönig. Er spürte fast körperlich den Vorwurf, sie so lange warten zu lassen. Am Eingang der Halle verhielt Caryll den Schritt. Sein Blick glitt über die Templer und er bewirkte es, daß die spürbare Abwehr der Priesterschaft verebbte. "Soll ich an eurer Seite bleiben," bot er Ariston noch einmal an. Ariston betrachtete ihn ernst.
"Ihr habt bereits mehr getan, als eure Pflicht euch hieß. Ich weiß weder euren Rang noch eure Stellung hier, Caryll, doch duldet bitte mit meinem Dank auch meine Ehrung." Er ergriff die Rechte des Priester, neigte ein Knie und berührte mit der Stirn den Handrücken Carylls. Der Priester ließ es geschehen, hob Ariston dann aber auf. Von Seiten der Templer ertönte unwilliges Gemurmel. "So ehrt man höchstens einen Pala," flüsterte jemand. Ariston verstand ein paar leise, abfällige Bemerkungen, doch er sah nur zu Caryll, dessen Lächeln seine Handlung billigte. Ohne den Blick von ihm zu wenden, sagte der Prie ster: "Es ist still geworden, Ariston. Ihr seid erwartet." Der Herrscher sah in die Halle, erblickte die weiß gekleidete Gestalt auf dem Thron und fragte sich unwillkür lich, ob der Than ihn schon länger beobachtete, ob er Zeuge seines Dankes an Caryll war. Während er nach vorne schritt, schlossen sich die Tore der Halle. Ariston beeilte sich nicht. Sein Blick hing fest im Antlitz des Than, traf dessen Augen und hielt deren Tiefe stand. Sie strafte die Jugend des Körpers Lügen. Weisheit und Macht eroberte Nymardos nicht allein in diesem Leben. Sein Geist kam und wirkte aus zeitlosen Bereichen. Wenige Schritte entfernt warf sich Ariston ganz nieder, breitete er die Arme aus und wartete auf ein Wort. Der Than erhob sich, trat zu ihm. Caryll nannte diese Geste das Zeichen, sich auf die Knie zu erheben und Ariston tat dies nur zu gern. Nymardos reichte ihm beide Hände. Der Herrscher ergriff sie zum Kuß, doch ein leichter Druck verbot dies, bedeutete ihm, aufzustehen. Ariston gehorchte, stand dann dem Than Auge in Auge gegenüber, noch immer dessen Hände haltend.
"Grüßt der Norden alle Boten so wie Caryll?" wollte der Than da mit ruhiger, doch sonorer Stimme wissen. Ariston verstand die Frage als Vorwurf, wenngleich der Blick des Than keine Verachtung zeigte. Gefaßt gab er Antwort: "Es ist im Norden üblich, jene zu ehren, die sich wie Freunde verhalten. Dankbarkeit gilt bei uns weder als Schande noch Vergehen." Wieder ertönte das fast feindselige, zumindest jedoch ablehnende Gemurmel der Priesterschaft. Ariston fürchtete, den Than beleidigt zu haben und wollte seine Hände aus den Seinen lösen, doch Nymardos hielt ihn fest. Mit einem kurzen Seitenblick sorgte er für völlige Ruhe. Eine leichte Bewe gung des Kopfes rief Caryll nach vorn. Nymardos lächelte, zersteute damit Aristons Besorgnis. "Es scheint," sagte er laut, "als seien die nordischen Sitten nicht so entartet, wie mancher glauben will. Ich betrachte es als Ehre, von dir beschämt zu sein." Er ließ Aristons Hände los. "Bleib' stehen," raunte er ihm zu, als er bemerkte, wie der Nordkönig sich wieder neigen wollte. Der Than wandte sich an Caryll, der nun neben Ariston trat, ergriff dessen Rechte und berührte, ohne sich dabei jedoch zu neigen, mit seiner Stirn den Handrücken des Priesters. So verharrte er einige Zeit, in der Ariston ihn in unverhohle ner Verblüffung anstarrte, aus den Augenwinkeln heraus aber auch die betretene Beschämung der Priesterschaft bemerkte. Ein fast seltsames Strahlen trat in die Augen des Than, als er Caryll losließ, der unbeweglich verharrte und ihn mit mehr als nur freundlichem Blick ansah.
"Führe unseren Gast, Caryll," sagte der Than danach und seine Stimme verlor jeden befehlenden Unterton. Caryll neigte leicht das Haupt, wartete, bis Ariston sich aus einer tiefen Verneigung erhob und geleitete den Herrscher aus der Halle. Während er Ariston durch die weiten Gänge des Tempels führte, vernahm der König die fast donnernde Stimme des Than, der zu der versammelten Priesterschaft sprach. Doch er konnte kein Wort verstehen. "War das alles?" Ariston bemerkte nicht einmal, daß Caryll ihn in einen grossen, prachtvoll geschmückten Raum mit behaglicher Einrichtung führte. Er hatte sich gedemütigt und sein Urteil erwartet, statt dessen reagierte der Than nur auf eine spontane Dankesbezeugung und entließ ihn. Irgendwie war er enttäuscht. Caryll hingegen schien recht heiter zu sein. Er schenkte sich und dem Gast Becher voll des berühmten Weines der Insel. "Wenn ihr hungrig seid, lasse ich euch gern bewirten," versprach er, doch Ariston lehnte ab. "Wenn es euch erlaubt ist, Caryll, so gebt mir eine Erklärung. Ich verstehe nicht, was geschah." Caryll lachte leise. "Ich wurde soeben zum Pala des Than erhoben." Der Herrscher sprang überrascht auf, starrte den Priester an, als sei er eine Erscheinung. "Setzt euch wieder," bat Caryll, "dann will ich es euch gern erklären. Seht, Xalares war Pala, noch ehe Nymardos als Than erkannt wurde und es ist nicht üblich, mit dem Than auch den Pala zu wechseln. Gewiß, Xalares und
Nymardos kannten sich und waren einander auch ver bunden. Doch die Liebe, die zwischen echten Freunden herrscht, gab es hierbei nie." "Es ist mir nicht entgangen, daß ihr dem Than in Liebe verbunden seid und es schien mir, als empfinde er ebenso." "Wir waren schon Freunde, als keiner von uns eine Weihe besaß," bestätigte Caryll, "aber das war kein Grund, Xalares zu entmachten. Er verlor seinen Rang erst durch den Mißbrauch geistiger Macht und ich denke, er wird noch mehr verlieren. Dennoch war meine Erhöhung nie ein Thema. Ich dachte nie daran und der Than wohl auch nicht. Wenn er sich also als von euch beschämt bezeichnet, so ist das keine Floskel. Und daß er euch danach so schnell entließ, sollte euch nicht kränken, Ariston." "So ist es nicht," wehrte der König des Nordens ab, "nur wäre es mir lieb gewesen, wenn alles überstanden wäre. Es bedrückt mich nicht, wenn ich mich erneut vor ihm demü tigen muß, Caryll. Daß die Bewohner Amarras dessen Zeuge sein und mich ihre Verachtung spüren lassen werden, das gefällt mir nicht." "Manches ist nicht so, wie es sein soll," erwiderte Caryll ernst, "doch die Fäden zu entwirren, ist nicht mein Recht. Ihr werdet jedoch keiner Verachtung mehr ausgesetzt, das verspreche ich euch. Indem der Than euch hierher führen ließ, sagt er euch, daß alles, was noch zu bereden ist, ohne Zeugen geschehen wird. Wenn ihr es wollt, lasse ich euch nun allein." "Eure Anwesenheit stört nicht," versicherte Ariston offen, "das Gegenteil ist gegeben, Pala des Than. Ich bitte euch herzlich um eure Nähe. Wären wir uns auf andere Weise begegnet, würden wir Freunde sein."
Caryll lächelte verhalten. Er nahm das Lob hin und die Art, wie er Ariston die Zeit vertrieb, bewies, wie wenig er sich von Umständen in der Wahl seiner Freunde beeinflussen ließ.
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rales empfand seine Zurückweisung als Zeichen, wie wenig gut die Aussichten auf eine freie Zukunft blieben. Da man ihm verbot, Ariston Beistand zu geben, schien die Ent- machtung des Nordkönigs beschlossen. Er stand vor der Tür, starrte in Richtung des Tempels und wartete auf die Rück- kehr des Freundes, als er die Belebung des Rapportes verspürte und sich fast automatisch diesem öffnete. "Du bist mir im Tempel willkommen, wenn es dir gelingt, dich verborgen zu halten und auch deinen Geist nicht dem Freund zu entdecken. Ich will ihm begegnen, nicht dir in ihm. Doch du sollst nicht ausgeschlossen sein." Kaum, daß er diese Botschaft vernommen, eilte er zum Tempel. Orales wunderte sich nicht einmal, daß ihn niemand aufhielt. In der Empfangshalle suchte er sich einen Platz, der durch eine Säule halb verborgen wurde. Er wunderte sich, wo der Than, vor allem aber, wo Ariston blieb. Aus den Gesprächsfetzen, die er vernahm, schloß er un schwer, wie ganz Amarra Aristons Verurteilung, seinen Sturz und Fall erwartete. Als Priester wurde er nicht anerkannt und somit nicht als Herrscher. Orales sah Ariston mit Caryll nahen, wurde Zeuge der erhöhenden Geste des Freundes und sah auch, wie der Than das Gesche hen betrachtete. Daß Caryll zum Pala erhoben wurde, gefiel dem Mann aus Moras durchaus, denn die zwischen ihnen herrschende Spannung besaß keinen feindlichen Charakter. Dennoch beunruhigte es ihn, daß Ariston so rasch entlassen wurde. Die Worte, mit denen der Than danach das Verhal ten, vor allem aber das Empfinden der Priesterschaft rügte, klangen wie das Grollen der Erde. Nymardos bestätigte die Weihen Aristons, nannte ihn einen Priester und ergebenen Freund der Götter und ließ deutlich durch
blicken, daß jede Verachtung, die Ariston traf, auch ihn, den Than betreffen würde. "Orales!" Der Mann aus Moras zuckte fast zusammen, als der Than ihn unerwartet rief, doch er erhob sich rasch und ging nach vorn, warf sich nieder und sagte mit deutlicher Stimme seinen Gruß: "Ich danke für den Ruf nach Amarra und für manches andere, mein Gebieter. Mein Leben gehört euch." "Steht auf." Eisige Stille herrschte. Der Than gab ihm die Anrede, die er allen anderen Menschen verweigerte; duzte ihn nicht wie Priester und Könige; erhob ihn so über die Priesterschaft. Orales glaubte noch an ein Versehen, doch als er vor Nymardos stand, sagte dieser laut und deutlich: "Als Leiter des Ariston aus Nodher habt ihr Amarra einen unschätzbaren Dienst erwiesen, Orales aus Moras, Falla des Lichts. Amarra ist nicht undankbar. Es steht euch frei, Beweis zu fordern." Damit erlaubte er Orales, einen Wunsch zu äußern, dessen Gewährung schon versprochen war. Doch zugleich traf den Falla ein kurzer Blick, ähnlich jenem, mit dem der Than als Knabe ihn betrachtete, als er ihm riet, Schuhe zu tragen, um sich vor Schlangen zu schützen. Dieser Blick bedeutete weder Warnung noch Einschränkung der Worte, eher die etwas freche Mahnung, sich selbst nicht ganz so wichtig zu nehmen. "Amarra schuldet mir keinen Dank," erwiderte Orales deshalb, obwohl es vieles gab, das er gern für Ariston verlan gen wollte, "ich habe meine Pflicht getan. Dafür gebührt mir
weder Dank noch Lob." Nymardos nickte. Er bedeutete Orales, ihm zu folgen, und verließ die Halle. "Das war großartig," lobte er fast unbekümmert, "du hast jeden einzelnen der Zeugen beschämt, Orales. Sei überzeugt, daß keiner von ihnen sich einen Wunsch verkniffen hätte bei einem ähnlichen Angebot." "Ihr mußtet aber damit rechnen, daß ich meine Wünsche nenne," erwiderte Orales, der sich neben dem Than hielt. "Du bist kein Narr," stellte der Than da fest, "du weißt, daß du nichts gewinnen kannst, wenn du mich zwingen willst. Ich kenne dich gut. Darum freute es mich, als man mich zum Than erkannte und mir sagte, daß du in Nodher seist. Das enthob mich jeden Eingreifens auf Aristons Weg und Sein. Warum blieb Aristons Gemahlin auf dem Schiff?" Orales lächelte bei dem Gedanken daran, daß der Than ihn auch jetzt noch, nach so vielen Jahren, an den unbekümmer ten Knaben erinnerte, der so leicht zwischen Ernst und Spiel zu wechseln verstand. Er bedauerte es nicht, diesen Mann zu lieben. "Ariston weiß nicht, daß Cynesta Priesterin ist," antwor tete er ehrlich, "als sie sich begegneten, herrschte Feind schaft zwischen den Tempeln und der Burg. Sie war bestimmt, ihm keine Kinder zu gebären, damit er, ohne Erben, alles Sonte übergeben muß." "Sie ist unfruchtbar?" Widerwillig blieb Orales stehen. "Ihr wißt genau, weshalb sie Fehlgeburten hatte," stieß er bitter hervor, "ich achte euch, Gebieter, doch was geschah,
vergesse ich euch nicht." Überrascht hob der Than den Blick, suchte die Augen des Falla. Doch Orales, bestrebt, die Bitterkeit und die flüchtige Spur der Verachtung zu verbergen, wandte sich um und floh förmlich aus dem Tempel. Nymardos ließ ihn gehen, hielt mit einer Geste die Priester zurück, die ihn verfolgen wollten.
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riston erhob sich sofort, als der Than eintrat, und wollte niederknien, doch Nymardos hinderte ihn fast leichthin daran. "Da es dir nichts bedeutet, ob du stehst, sitzt oder kniest, ist es bedeutungslos," sagte er, "nimm also Platz. Zumindest spricht es sich so leichter." Er nahm den gefüllten Becher, den Caryll ihm reichte, trank langsam und gab ihn zurück. Fragend sah er den Freund an. "Ich störe nicht," versprach Caryll und setzte sich in einen der großen, weichen Sessel. Da tat es ihm der Than gleich. "Ich bitte dich," wandte sich der Than an Ariston, "mir alles zu erzählen, was dein Leben prägte." Er formulierte diesen Wunsch zwar sehr höflich, doch es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß die Worte durchaus auch als Befehl verstanden werden durften. Trotzdem zögerte der König. Er war bereit, sich zu unterwerfen, wollte auf alles verzichten, doch seine Seele bloßlegen, das wollte er nicht. Nymardos beugte sich vor. Sacht berührten seine Fingerspitzen Aristons Hand. "Ich könnte dich zwingen," sagte der Than sehr freundlich, "aber ich tue es nicht gern. Hilft es dir, wenn ich dir sage, daß mich nicht Neugier treibt?"
"Ich kam nicht, um, was ich habe, zu behalten," erwiderte Ariston ruhig, "ich bin durchaus gewillt, euch meine Macht zu opfern. Euer Interesse an meiner Person dürfte damit erlö schen, Gebieter." Nymardos lächelte. "Ich habe nicht die Absicht, dich zu entmachten," versprach er dann, "dein Volk und deine Tempel lieben dich und als Priester wirst du, wo nötig, meine Weisung achten. Willst du dich mir nun anvertrauen?" Er lehnte sich zurück. "Hast du die Weihen gesucht, um herrschen zu können?" Diese Frage, die fast wie eine Unterstellung klang, bewirkte es, daß Ariston nun redete. Er erzählte zunächst nur von seinem Vater und dem demütigenden Erlebnis seines ersten Besuches auf Amarra, da er als Knabe nicht geduldet wurde. Doch ob von dem Fluß der eigenen Worte oder vom lockenden Geist des Than mitgerissen, beendete Ariston sein Erzählen erst nach dem Bericht des Kampfes mit Xala res. Er ließ nichts aus und versuchte auch nirgendwo eine Erklärung, sondern stellte nur objektive Tatsachen und subjektives Empfinden dar, ohne jedoch das eine mit dem anderen zu vermengen. Danach herrschte einfach Schweigen. Nicht die lastende, bedrückende Stille vor einer Entschei dung, auch nicht das unangenehme Erwarten eines Urteiles, sondern die teilnehmende Ruhe, die verbinden kann. Es war Nymardos, der das Wort ergriff und zu Ariston sprach: "Der vom Bogen geschnellte Pfeil sucht sein Ziel, auch wenn der Schütze seinen Platz verläßt. Die Entscheidungen über dein Leben wurden zu einer Zeit getroffen, da ich weder Macht noch Einfluß besaß. Das entschuldigt nichts, soll dir jedoch erklären, weshalb Xalares als der Arm Amarras handeln konnte. Als Pala standen ihm weitreichende Entscheidungen zu. Ich kann dir nicht sagen, in wie weit sein Planen mit dem Willen und Befehlen meines Vorgängers identisch war. Es ist auch nicht mehr wichtig.
Dir mache ich zum Vorwurf, daß du nicht nach Amarra kamst, als ich zum Than berufen wurde. Du hättest mich um Hilfe bitten können und dir viel Leid erspart." "Ihr hättet mich nicht angehört," widersprach Ariston aufsehend, doch als er dem Blick des Than begegnete, wiederrief er: "Ich sehe meinen Irrtum ein. Nur ist es müßig, über Vergangenes zu reden." "Das Künftige muß nicht besprochen werden," stellte der Than ruhig fest, "du..." Er unterbrach sich, erschauderte. Sofort hatte er sich aber wieder in der Gewalt, wandte sich ruhig an Caryll: "Auf Amarra ist ein Mord begangen worden. Achte darauf, daß der Mörder zu mir gelangt." Caryll erhob sich sofort und eilte hinaus. Nymardos sah den fragenden Blick Aristons und erklärte: "Wenn auf Amarra Leben gewaltsam endet, entgeht es mir nicht. Ich hoffe, Caryll verhindert, daß der Zorn der Priesterschaft diese in dasselbe Handeln zwingt." "Ihr tötet Mörder nicht?" "Wenn Rache das Leben, auch das eines Schuldigen, endet, ist sie nicht besser als die Schuld, aus der sie geboren wurde. Ein Urteil zu sprechen, ohne emotional beteiligt zu sein, ist dem nicht verwandt. Als Herrscher wirst auch du urteilen müssen, Ariston. Lenkt dich dann der Zorn? Du kennst also den Unterschied. Sei mein Gast, solange es dir gefällt, doch ehe du Amarra verläßt, zeuge mir den Tempel sohn." "Ich bin vermählt," wehrte Ariston ruhig ab, "meinen Erben erwarte ich von meiner Frau."
"Noch immer ein Feind der Tempel?" fragte Nymardos und lächelte, "noch immer besorgt, Tempelsöhne seien Unrecht? Ich bestätige dich als Priester und als König und ich erwarte vor dir, daß du die Regeln nicht brichst." Ariston wollte etwas erwidern, doch der Lärm vor dem Tempel irritierte ihn. Da Nymardos sich erhob und zum Fenster trat, folgte er ihm. Sein Blick fiel auf eine Gruppe zorniger Priester, die nur durch Caryll gehindert wurde, auf den Gefangenen einzuschlagen, den sie gebunden zum Tempel führten. Ariston erkannte das dünne, helle Haar und erbleichte. "Gerrys! Bei allen Göttern, er ist mein Freund."
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s gefiel Gerrys gar nicht, daß die Königin Stunde um Stunde schweigend nach Amarra starrte. Als er versuchte, sie ein wenig abzulenken und aufzumuntern, taf ihn ein so abweisender Blick, daß er es vorzog, ihr nicht mehr zu begegnen. Nahm sie es übel, daß er verstand, weshalb sein Herr die Reise wollte? Oder fürchtete sie, er könne dem König ihre Hilfe während des Kampfes entdec ken? Daß sie Priesterin sein mußte, erschien Gerrys ihrem Verhalten nach als sicher, doch er begriff nicht, weshalb sie es vor ihrem Mann verheimlichte. Und die Art, wie sie nach Amarra sah, schien auch nicht von Sehnsucht genährt; eher besorgt und zweifelnd. Aber Cynesta lehnte ihn und sein Hilfsangebot ab. Das war nicht so schlimm. Der König liebte diese Frau und deshalb wollte er auf sie achten. Und dann kamen Priester an Bord und verlangten von der Königin, das Schiff zu verlassen. Gerrys beobachtete all dies und er spürte, wie sie einen dieser Priester mit allen Fasern ihres Seins fürchtete. Ihre Angst war so stark, daß sie ihm fast sichtbar erschien. Gerrys wußte, daß er Amarra nicht betreten durfte, aber er dachte nicht einmal an dies Verbot. Heimlich folgte er Cyne sta. Kilmanaos schickte die andern Priester fort, erklärte, er selbst werde die Priesterin geleiten. Dann packte er Cynesta am Oberarm und zerrte sie mit sich. Als der Weg zwischen hohen Sträuchern hindurch führte, stieß Kilmanaos die Königin zur Seite. Sie strauchelte und stürzte. Er folgte ihr. Gerrys sah beide seinem Blick entschwinden und rannte los. Er hörte noch, wie Kilmanaos höhnisch rief: "Das ist meine Rache!"
Er schnellte sich vorwärts, riß Kilmanaos von den Beinen und hinderte ihn so, den schon erhobenen Dolch in den Körper der wie gelähmt liegenden Frau zu stoßen. Gerrys rang wütend mit Kilmanaos und er wünschte nichts mehr, als daß die Königin endlich um Hilfe riefe, anstatt nur entsetzt zuzuschauen. Gerrys wurde fast besiegt, als Kilma naos ihm den Griff des Dolches gegen die Schläfe rammte. Halb ohne Bewußtsein sah er, wie der Priester sich erneut anschickte, Cynesta zu erdolchen. Gerrys zog seinen Degen, wollte aufstehen und als seine Kräfte dafür nicht ausreichten, schleuderte er die Waffe in grenzenloser Angst um die Königin nach Kilmanaos. Der Degen durchbohrte dessen Hals. Ein wilder Schrei erklang noch, der mittendrin erstarb. Kilmanaos fiel nach vorn, fast noch auf Cynesta. Dann kamen von allen Seiten Priester gelaufen. Cynesta verbarg sich in grenzenloser Angst. Gerrys wurde gepackt, gezerrt, geschlagen und wäre Caryll nicht aufgetaucht, so hätten ihn die vielen Hände wohl zerrissen. Gerrys schnappte ein paar Wortfetzen auf, die ihm entdeckten, daß sein Helfer Pala des Than war, und so wunderte er sich nicht, als er diesem am Tempeltor überlassen wurde. "Kannst du gehen?" Gerrys versuchte es, doch ohne die rasche Stütze des Pala wäre er gestürzt. Er wollte etwas sagen, aber Caryll wies ihn zurück. "Ich bin weder dein Retter noch dein Richter." Er führte ihn in ein kleines, fensterloses Zimmer. "Wasche dich, Mann, und warte hier. Die Tür ist offen und nicht bewacht. Du kannst die Flucht versuchen. Aber ratsam ist es nicht." Damit ließ er ihn allein. Gerrys überprüfte sofort die Tur, fand sie wirklich unverschlossen und unbewacht. Kein
Mensch schien in der Nähe zu sein. Wenn der Pala sich seiner so sicher war, mußte er einen Grund dafür haben. Vermutlich bewachte ihn eine Magie. Gerrys tat in das dunkle Zimmer zurück, verschloß die Tür jedoch nicht, damit ein wenig Licht hereinfiel. Er wusch sich das Blut aus dem Gesicht und reinigte sich. Er spürte die Schmerzen der Hiebe. Sein Blick fiel auf ein sauberes Lager. Er konnte auch liegend warten. Er wurde müde. Gerrys dachte an Ariston. Sein Herr war hier, ihm konnte nichts geschehen. Er schlief ein.
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ynesta beobachtete, hinter den Büschen versteckt, wie Kilmanaos' Leiche von einigen Priestern geholt wurde. Das rituelle Benehmen der Männer überzeugte sie erst davon, daß der Schwarztempler wirklich tot war, sie nicht mehr bedrohen konnte. Ganz langsam kehrte das klare Den ken zurück. Die Woge des Hasses, die ihr von Kilmanaos entgegen schlug, mochte ihre panische Angst bewirken. Nun verebbte endlich das alles Denken überflutende Fühlen. Cynesta dachte an Gerrys. Er rettete ihr das Leben und wurde dafür wie ein Mörder behandelt, weil sie, die einzige Zeugin, sich verborgen hielt. Niemand würde Gerrys glauben, wenn er beteuerte, in Notwehr zu handeln. Als Nichtpriester stand ihm ein Betreten Amarras gar nicht zu und die Tatsache, daß er Waffen trug, mußte gegen ihn sprechen. Um ihm zu helfen, mußte sie zum Tempel. Es trieb sie nicht nur der Gedanke, daß Ariston ihr ein anderes Handeln nicht verzeihen würde, sondern auch das Bewußt sein, wie wenig Freundlichkeit sie Gerrys bisher erwies. Sie fürchtete sich noch immer, da sie in ihrem Handeln ja Amarras Befehle mißachtete, doch sie begab sich auf den Weg und strebte dem Tempel zu, hoffend, sie werde Einlaß finden und wenigstens für Gerrys sprechen dürfen.
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er Than hatte nach einem flüchtigen Blick aus dem Fenster seinen vorigen Platz wieder eingenommen. Er trank aus seinem Becher und schien zu sinnieren. Ariston aber starrte noch hinaus, obwohl der Freund schon lange nicht mehr zu sehen war. Dann wandte er sich entschlossen um. "Leben für Leben," bot er dem Than an, "ich gebe euch meinen Erben als Tempelsohn, und verlange dafür Gerrys für mich. Wenn er wirklich schuldig sein sollte, werde ich ihn bestrafen." Der Than erhob sich, trat zu ihm. Alle Freundlichkeit war aus seinen Zügen gewichen. Kalt und abweisend sah er auf Ariston und seine Stimme schien zum ersten Mal Nachhall seiner Macht zu sein, als er sprach: "Keine Geschäfte mit Amarra. Der Tempelsohn steht mir zu. Ich kaufe ihn nicht, ich fordere ihn. Versuche nie wieder, mich zu erpressen, Ariston aus Nodher." Da öffnete sich die Tür. Caryll trat ein und sofort wich alle Strenge von Nymardos. Er berührte kurz die Hand des Freundes. Mit Staunen bemerkte Ariston die Tiefe des Rapportes zwischen diesen Männern, da weder konzentrierte Stille noch gespannte Körperlichkeit notwendig war, um Gedanken auszutauschen. Und doch informierten sie sich gegenseitig. Der Than verließ danach den Raum.
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ynesta hatte das Tempeltor passiert und befand sich im Innenhof, als eine starke Hand sie grob packte. Xalares stand vor ihr, seine hellen Augen leuchteten in einer Mischung aus Wahnsinn und Hohn. Sein spöttisches Grinsen jagte ihr Angst ein. Sie wollte sich seinem Griff entwinden, doch er faßte sie nun mit beiden Händen an den Unterar men, zerrte sie nahe vor sein Gesicht.
"Willst du dem Than berichten, wie du alles zunichte machtest? Hättest du Sontes Sohn geboren, wäre nun alles in Ordnung. Du allein bist schuld daran, daß Amarra im Norden noch nicht herrscht." Er schüttelte sie in irrem Zorn und dann gefroren seine Bewegungen förmlich ein. Leises Rascheln ließ ihn gehetzt zur Seite schauen. Auch Cynesta sah das gelbe Zackenband auf hellgrünem Grund. "Onik," entfuhr es Xalares und der Schweiß der Angst trat auf seine Stirn. Die Viper näherte sich. Da stieß Xalares die Frau von sich, schleuderte sie brutal der Viper entgegen. Cynesta fiel und sah die Schlange nahen. "Nimm die da," heulte Xalares, noch immer unfähig, sich zur Flucht zu bewegen. Cynesta hielt den Atem an. Ein Biß der Onik brachte den Tod. Die Viper aber beachtete die Frau nicht, glitt über sie hinweg, erkannte in Xalares ihr Ziel. Da ertönte ein guttura ler Laut, der die Viper innehalten ließ. Sie züngelte nochmals in Richtung Xalares', dann verschwand sie fast geräuschlos in der Blumenwiese. Xalares warf sich auf die Knie und als Cynesta zu dem Sprecher sah, wußte sie, daß der Than die Onik-Viper aufhielt. Er gab ihr ein Zeichen, sich zu erheben, während er mit emotionsloser Stimme zu Xalares sagte: "Betritt nie wieder den Tempelbereich, oder du bekommst die Mesa, die du Orales zudachtest. Hinaus." Er beachtete den einstigen Pala nicht weiter, sondern ergriff Cynestas Hand und führte sie mit sich.
"Sorge dich nicht vor Xalares," riet er dabei freundlich, "er hat sein Urteil selbst gesprochen. Die Tage, die ihm bleiben, sind erfüllt von Furcht und, vielleicht, Reue. Er brach eine Mesa-Blüte im Schutz der Magie seiner Macht. Er weiß, daß auf Amarra eine Onik nach ihm sucht und er weiß, daß sie ihn finden wird." Er führte Cynesta in einen kleinen Raum, bot ihr Speise, Trank und Ruhe an, doch sie erbat nur einen Becher Wein. Ihr Haar hing wirr, ihre Haut war schmutzig und ihr Gewand zerfetzt und dreckig. So sah gewiß keine Königin und wohl auch keine Priesterin aus. Sie kniete vor dem Than. Den eben erlebten Schrecken noch nicht verwunden, drängte es sie doch, Gerrys zu helfen, ehe an ihm ein Urteil vollzogen wurde. Darum sagte sie: "Erlaubt mir, Gebieter, von Gerrys zu reden, dem Mann, der auf Amarra getötet hat." "Das ist nicht nötig," wehrte Nymardos ab und hob sie auf, reichte ihr den erbetenen Becher Wein, "Gerrys ist noch nicht verurteilt. Ich werde ihn später sehen." "Aber ihr wißt nicht, wie..." Er unterbrach sie mit einem Lächeln. "Ich werde alles wissen, das ich wissen muß," versprach er ruhig, "die Bilder frischer Erinnerung sind leicht zu lesen. Wie ich vernahm, ist dein Gatte über deine Priesterweihe nicht informiert." Sie senkte schuldbewußt den Kopf. "Die Kette von Irrtum, Mißtrauen und Versehen hat auch dich erfaßt," stellte Nymardos ruhig fest, "aber sei ohne Sorge, dein Geheimnis bleibt verwahrt."
"Was geschah mit Ariston?" fragte sie bang. Krampfhaft hielt Cynesta den Achatbecher fest. Sie hatte kein Recht, dem Than eine Frage zu stellen, doch die Ungewißheit bedrückte sie zu sehr. "Der Priesterkönig des Nordens ist mein Gast, bis er mir nach geltendem Gesetz den Tempelsohn zeugte," erwi derte der Than, in einem einzigen Satz so alles erzählend. "Er wird sich weigern," vermutete Cynesta mit leiser Stimme, "obwohl er seinem Erben nicht sein eigenes Schicksal wünscht. Ariston liebt Kinder und er möchte seinem Sohn selbst die Welt zeigen, die Schönheit des Lebens und die Weisheit der Götter." "Er wird lernen, seinem Than zu gehorchen," konstatierte Nymardos gelassen. "Ich hoffe es," murmelte Cynesta nur. "Du wirst es auch tun," stellte der Than da überraschend fest, "denn ich fordere von dir dasselbe Recht." Cynesta zuckte zusammen und die vielen Gedanken, die sie durchfuhren, erkannte der Than mit einem Blick. "Nein," beruhigte er sie mit einer Freundlichkeit, die jeden Zweifel erstickte, "es wird nicht Sonte sein, der dir naht. Ich erwarte von deinem Gatten den Tempelsohn und überantworte ihm ein anderes Tempelkind, damit er Gelegen heit hat, an gewisse Ereignisse stets erinnert zu sein. Wirst du gehorchen, Cynesta?" "Dann weiß er, daß ich Priesterin bin," wich sie aus. "Ich werde es ihm sagen, wenn ich nach Nodher komme," entschied der Than jetzt, "Ariston wird dir nicht zürnen."
"Ihr kommt nach Nodher?" Reisen des Than durch die Reiche waren recht ungewöhnlich, denn wenn er einen der Herrscher sprechen wollte, rief er diesen nach Amarra. "Der Schwarze Tempel muß Raaki geweiht werden," antwortete Nymardos gelassen, "wer sollte dies sonst tun? Der dunkle Gott hat das Wort deines Mannes." "Ariston wußte nicht, daß er mit seinem Wort auch euch band," sagte Cynesta leise, suchend, damit den Liebsten zu entschuldigen. Nymardos lächelte nur. Da senkte sie den Blick und ver sprach: "Ich gehorche euch und empfange euch ein Tempelkind." Nun übergab sie der Than einer freundlichen Priesterin, die sich in fast rührender Sorge um Cynesta kümmerte.
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errys träumte. Ein straff gespanntes Seil führte in unbekannte Höhen und er balancierte darauf, mühsam das Gleichgewicht haltend. Weiter und weiter ging es aufwärts. Da trat er neben das Seil, schien in die bodenlose Tiefe zu fallen, doch sofort fühlte er seine Hand ergriffen. Leicht wie auf einer Straße ging er weiter auf dem Seil. Der dunkle Begleiter an seiner Seite sprach kein Wort, ging neben dem Seil in der Luft und vermittelte ihm wortlos Geborgen heit. Da schossen aus der Höhe Pfeile auf Gerrys, suchten, sein Leben zu enden. Doch sein dunkler Begleiter schleuderte eigene Pfeile, die je einen der Feindlichen der Länge nach zerteilten. Doch der Weg schien endlos. Verwirrt schlug der Adlatus die Augen auf. Er fand einen Mann an seiner Seite knien, sah das Staunen in dessen Augen und fühlte sich seltsam berührt von der Ernsthaftigkeit, die aus diesen Zügen
strahlte. "Wer seid ihr?" fragte Gerrys, als er sich aufsetzte. Der andere sah ihn nur noch einmal mit einer Mischung aus Ernst und Staunen an, wandte sich dann an die draußen wartenden Priester und befahl ihnen: "Bringt Gerrys in die Halle des Todes." Gerrys leistete keine Gegenwehr. Er hatte einen Mann getötet und wenn die Priester hier meinten, daß er dafür sterben müsse, ohne zuvor gehört zu werden, so nützte kein Widerstand. Er war kein Feigling und fürchtete keinen Kampf, doch er ergab sich der Übermacht. Die Priester schoben ihn durch eine Tür und ließen ihn allein. Gerrys sah sich um. Immerhin sah ein Richtplatz anders aus. Wenn dies die Halle des Todes war, so schien es ihm unwahrschein lich, daß man ihn hier sterben ließ. Er betrachtete die gewölbte Decke der runden Halle, in die kleine Flammende Kristalle in Form eines Pentagramms eingelassen waren. Dasselbe Zeichen fand er am Boden, nur hier durch einen anderen Stein gebildet, dessen tief dunkelrote Farbe matt erglänzte. Um das Symbol an der Decke besser zu über schauen, trat Gerrys genau in die Mitte des Zeichens am Boden. Das Leuchten der Flammenden Kristalle nahm zu und nun schimmerte das Dunkelrot am Boden machtvoller. Gerrys fand sich danach eingeschlossen in einen Vorhang von dunkelroten Lichtstrahlen, so dicht, daß er nicht hindurch zu schauen vermochte. Er hörte, wie jemand seinen Namen rief, trat einen Schritt nach vorn. Er wagte nicht, dieses Licht zu durchqueren, doch kaum, daß er seinen Platz verließ, erlosch es auch schon. Vor ihm stand der Mann, der ihn hierher bringen ließ und Gerrys wußte nun, wer er war. Er neigte sich sehr tief, ehe er dem Than in die Augen sah. Ein leises Lächeln verzieh ihm wortlos die aufrechte Haltung und den eigentlich frechen Blick.
"Ich weiß, daß du getötet hast, um einen Mord zu verhindern," sagte der Than nun, "darum fürchte nichts." Gerrys schwieg. "Was überlegst du?" "Warum ist es verboten, Amarra zu betreten, wenn man kein Priester ist?" wollte Gerrys da sofort wissen, "ich habe nicht den Eindruck, als entweihe meine Anwesenheit den Tempel. Ich würde gern noch etwas bleiben, sofern das möglich ist, Gebieter." "Das Verbot ist erlassen, um Menschen vor Erlebnis sen zu schützen, wie du sie hattest - mit Träumen und Licht und Farben." "Ihr wißt davon?" "Es ist mein Amt, zu wissen, Gerrys. Du wirst als Adlatus nicht mehr glücklich sein und dein Weg wird kein Ende finden. Doch beunruhige dich nicht. Wenn du es willst, magst du, solange dein König mein Gast ist, auf Amarra bleiben. Es gibt vieles zu sehen hier." "Vor allem Priester, die mir ans Leben wollen," vermutete Gerrys ohne jede Scheu. Nymardos lachte leise. Er nahm Gerrys mit sich, ließ ihm Kleider bringen und versicherte ihm dann, daß er in dieser Kluft unantastbar sei. Gerrys mußte den Tempel verlassen, doch Amarra stand ihm offen und ein kleines Haus diente ihm, solange er es wollte, als Herberge.
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aryll brachte Ariston zu Orales zurück, ohne ein Wort über den erwarteten Tempelsohn zu sagen. Nur Orales mahnte er, auf Ariston einzuwirken. Er wollte sich entfer
nen, doch der König hielt ihn zurück. "Was wird aus Gerrys?" Orales wurde aufmerksam und auf seine Frage hin erfuhr er von Gerrys' Tat. Caryll sah ernst auf Ariston. "Ihr habt auf Amarra Freundlichkeit und Gerechtigkeit erfahren," sagte er, "und auch mehr Nachsicht, als euch zustand. Gerrys wird dasselbe empfangen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, Ariston. Ihr habt keine Möglichkeit, auf das Schicksal eures Freundes einzuwirken. Was immer der Than über ihn bestimmt, geschieht unabhängig von eurem Verhalten. Der Versuch der Erpressung aber war eine so grobe Beleidigung, daß eine weitere Begegnung zwischen euch und dem Than nicht mehr möglich ist." "Und jetzt bin Tempeln opfere."
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gefangen, bis ich meinen Erben den
"Nein, ihr seid frei. Wenn ihr Amarra verlassen wollt, wird euch niemand aufhalten. Weihe und Macht wurden euch bestätigt. Der Than läßt sich nicht erpressen, doch er erpreßt auch nicht, Ariston. Zeugt, wenn ihr wollt, auf Nodher euren Erben und erschwert ihm seinen Weg." Er wollte gehen, doch nun hielt ihn Orales zurück: "Wartet, Pala. Ihr wißt, daß auch ich den Than kränkte?" "Ich weiß, was ihr ihm wortlos unterstelltet." "Wollt ihr ihm sagen, wie sehr ich das bedauere?" bat Orales, "ich sollte fähig sein, ihm zu vertrauen, wo ich ihn nicht verstehen kann." Ariston senkte bei diesen Worten den Kopf.
"Ich sage es," versprach Caryll. "Was wird aus Xalares?" "Sein Urteil ist gefällt, von ihm herbei gerufen. Laßt euch nicht täuschen von der Freiheit, die er wahrhaftig nicht genießt." "Und Sonte?" "Weshalb fragt ihr nach ihm, Falla des Lichts? Was immer auch geschehen ist, Sonte hat keinen Teil daran." "Das weiß ich," lenkte Orales rasch ein, "ich bot ihm einmal Schutz und Hilfe an. Er ist nicht glücklich auf Amarra, darum frage ich. Wenn er Erlaubnis hat, die Insel zu verlassen und wenn er selbst es will, so wird er bei mir Heimat finden." "Das ehrt euch, Orales," erwiderte Caryll, nachdenklich werdend, "doch auf Nodher regiert Ariston." "Wem mein Freund Zuflucht bietet," sagte der Herrscher ernst, "der ist mir willkommen." "Wir werden es bedenken." Caryll ging zur Tür. Da raffte sich Ariston auf, überwand sich selbst und trat dem Priester entgegen. "Bestellt meinem Herrn und Than meine Grüße," sagte er mit fester Stimme, "ich gehorche seinem Ruf und zeuge ihm, wann immer er es will, den Tempelsohn." Forschend sah ihn Caryll an, erkannte die Ehrlichkeit der Worte und lächelte.
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age später gingen die Freunde wieder in die Bucht. Weder Ariston noch Orales hatten den Than noch einmal gesehen. Caryll begleitete sie und winkte am Ufer einen jungen Mann zu sich. Orales erkannte ihn sofort. "Sonte," rief er und ergriff die Hand des Mannes, "so kommst du mit uns nach Nodher? Ich freue mich." Sonte hielt seine Hand fast angstvoll umklammert und sah nur auf Ariston. Um Orales' Willen wollte er ins Nordreich, doch den Bruder fürchtete er sehr. Ariston lächelte ihm beruhigend zu und meinte dann: "Wir werden Zeit brauchen, einander zu verstehen. Doch ich verspreche dir, es wird alles zu deinem Wohl getan." Er sah Cynesta auf dem Schiff stehen und hatte es nun sehr eilig, Amarra zu verlassen. Doch Caryll verabschiedete die Freunde noch nicht. Er schien zu warten. Dann sahen sie den Than an der Wegbiegung und erkannten Gerrys an seiner Seite. Beim Nahen verstanden sie, was der Adlatus sagte: "Es waren für mich wundervolle Tage, mein Gebieter. Ich bin erfüllt von Dankbarkeit, aber auch von einer seltsa men Unruhe, die ich mir nicht erklären kann. Es zieht mich in die Heimat, doch ein Teil von mir bleibt hier." Nymardos sah zu Ariston, gab ihm ein paar formelle Gruß worte und wandte sich an Orales: "Der Burgtempel Nodhers hat einen Falla," entschied er, "der sich seine Priesterschaft selbst erwählen wird. Mögen die Götter mit dir sein." Zu Sonte sagte er:
"In zehn Wochen komme ich nach Nodher und hoffe, die Gärten dort wie in Amarra blühen zu sehen." Dann erst wandte er sich Gerrys zu. "Für dich habe ich ein Geschenk." Er reichte ihm einen Stein von dunkelroter Farbe, ähnlich jenen, die in der Halle des Todes das Pentagramm am Boden bildeten. "Verwahre ihn gut, Gerrys, doch sprich nie über das, was du gesehen hast." Gerrys nahm den Stein und sank auf die Knie. "Ist es mir erlaubt, euch auf Nodher zu sehen, Gebieter?" fragte er bittend. "Ich komme auch deinetwegen," bekannte der Than freimütig, "und hoffe sehr, daß der Adlatus des Königs für die Dauer meines Aufenthalts zu meinem Dienst befoh len wird." Da ergriff Gerrys die Hand des Than und küßte sie. Er wußte nicht, wie wenig es ihm zustand, von sich aus eine Berührung auch nur zu wollen und es kam ihm nur natürlich vor, daß er, als der Than ihn aufhob, diesen auch umarmte. Caryll zog ihn schließlich beiseite, doch ein rascher Blick des Than verhinderte jeden Tadel. "Das Schiff wartet," sagte der Pala darum nur, "und dein König auch." Dann eilte er dem Than nach, der schon den Pfad zum Tempel ging. Die Freunde aber gingen an Bord. Ariston begrüßte Cynesta liebevoll; Sonte bestürmte Orales mit unzähligen Fragen. Nur Gerrys stand an der Reeling und sah mit brennendem Blick auf das sich entfernende Amarra. Seine Faust hielt den Stein fest umklammert.
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uf Nodher gestand Ariston der Gattin, halb zerknirscht und halb verärgert, daß er auf Amarra seinen Erben zeugte. "Ich war in so tiefer Trance, daß ich nicht einmal weiß, ob die Mutter meines Kind häßlich und alt ist. Aus rituellen Gründen darf ich mich dir vorerst nicht nahen, Cynesta. Aber ich liebe dich und du sollst wissen, daß es mir nicht leicht gefallen ist, dich zu übergehen." Cynesta schmiegte sich an ihn. Sie wußte, daß kein Ritual ihre Einheit verbot. Aber Ariston sollte niemals daran zwei feln können, daß das Kind, das sie empfing, allein Amarra gehörte. Am liebsten hätte sie ihm alles erzählt, doch sie wagte es nicht. Manchmal zuckte sie ein wenig zusammen, wenn sie Gerrys bei Ariston sah und fürchtete, er könne sie entdecken. Doch der Adlatus sprach mit keinem Wort über das, was auf Amarra geschah und sowohl Ariston als auch Orales gaben es bald auf, ihm Fragen zu stellen. Sonte fühlte sich bald ausgesprochen wohl. Es freute ihn, daß er nicht gezwungen wurde, in Aristons Nähe zu sein, vor dem er eine ziemliche Scheu empfand. Er nahm seine Aufgabe als Gärtner mit allem Eifer wahr, zumal der Besuch des Than erwartet wurde und er beweisen wollte, daß er dieses Amt auffüllen konnte. Orales sah mit Zufriedenheit, wie Dorina mehr und mehr die Nähe des Sonte suchte. Sie begann, sich für Blüten zu interessieren und tat alles, um ihm zu gefallen. Im Tempelgarten sprach Orales Sonte darauf an. "Ach, Herr," wehrte der erschrocken ab, "bitte, bitte glaubt nicht, daß ich der Mutter eures Kindes zu nahe getreten sei." "Dummkopf," schalt Orales gutmütig und dann erklärte er Sonte einige Dinge, widerrief zwar seine Vaterschaft nicht, doch gab er Dorina frei für ihn.
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m Tempel fand er, wie schon des öfteren, Gerrys, der nachdenklich das Geschenk des Than betrachtete. Orales fragte sich, was in dem Freund vorging, doch er verlangte keine Erklärung und versuchte auch nicht, in dessen Geist zu dringen, um dort zu lesen. Gerrys bemerkte ihn, lächelte abwesend und ging zur Tür. "Du mußt nicht gehen," sagte Orales leise, "es kränkt mich, wenn mein Kommen dich jedes Mal vertreibt." Gerrys sah ihn freundlich an. "Ich fürchte eure Fragen, Falla." "Du schuldest mir keine Erklärung," stellte Orales fest, "außerdem hindert dich das Verbot des Than am Sprechen. Ich respektiere das." "Das war kein Verbot," erwiderte Gerrys mit Überzeu gung, doch manche Dinge müssen wirken, ohne durch Worte gehindert zu sein. Nein, ich werde euch nichts berich ten. Aber ich würde es begrüßen, wenn ich mir manches erzählen wolltet." "Was willst du wissen?" "Etwas mehr, als ein Mann des Volkes von den Göttern wissen kann, von den Tempeln, von Amarra, von den Weiten des Geistes. Ich habe unzählige Fragen, aber ich kann sie nicht formulieren, Orales." "Dann wird es dir nun doch wichtig, daß du verstehen kannst," stellte der Falla fest, "ich will dir helfen, so gut ich es vermag." Er erwartete keine Fragen, sondern erzählte Geschichte und Geschichten. Viel Zeit verbrachte er nun mit Gerrys, mehr, als ein Adlatus eigentlich erübrigen konnte. Doch
Ariston rief den Freund nicht in den Dienst, ließ ihm jede Freiheit. Einmal fand er Gerrys in seiner Bibliothek, über die Tempelschriften gebeugt. Dies gestand er jedem Priester zu, doch Gerrys mußte mit solchem Wissen überfordert sein. Als er ihm aber schweigend die Schrift aus der Hand nahm, kam eine ungewöhnlich verständige Frage: "Warum wird die Wahrheit hinter Symbolen verborgen, hinter Umschreibungen und Gleichnissen, Gebieter?" Ariston sah ihn erstaunt an. "Sind nicht diese Symbole schon die Wahrheit, Gerrys?" "Nein, Herr, sie sind nur undurchdringliche Schleier." "Nimm es hin," riet der Herrscher ruhig, "denn die Wissenden kennen die Wahrheit und denen, die nicht wissen, kann sie durch Worte nicht entschlüsselt werden. Es ist nicht gut, wenn du hier bist, mein Freund. Es beschwert deinen Sinn und verwirrt dein Denken." Gerrys hob den Blick und betrachtete seinen Herrn wie aus weiten Fernen. "Die Priesterin," erinnerte er sich der Worte, die Ariston ihm einst erzählte, "sie sagte, ich müsse in eurer Nähe sein, um euch vor Schaden zu bewahren. Habe ich diese Aufgabe erfüllt, Gebieter?" Ariston setzte sich nahe zu ihm, ergriff seine Hand. "Warum fragst du, mein Freund? Gab ich dir Anlaß, an dir zu zweifeln? Du hast mich vor Beritt gerettet und mir geholfen, im Kampf gegen Xalares zu bestehen. Deine Nähe hat mir mehr als nur Glück gebracht."
"Ist diese Aufgabe erfüllt?" beharrte Gerrys auf einer klaren Antwort. Ariston sah ihn ernst an. "Das ist sie, Gerrys. Wenn du mich verlassen willst, steht dir jeder Weg offen und, so viel ich es kann, werde ich dir behilflich sein. Doch eile nicht damit. In zehn Tagen kommt der Than nach Nodher und er hat verlangt, daß du ihm dienen sollst. Es wäre unklug, ihn zu kränken." "Nun seid ihr gekränkt, Herr," stellte Gerrys, fast erstaunt fest, "das war nicht meine Absicht, Gebieter." Er sprach nicht mehr davon und er versuchte auch nicht mehr, in den Tempelschriften zu lesen. Gerrys suchte nun die Einsamkeit, wich auch Orales aus. Ariston sorgte sich um ihn, doch der Falla des Lichts hielt ihn stets zurück, wenn er beschloß, auf Gerrys einzuwirken. "Er sucht seinen Weg," behauptete Orales, "hindere ihn nicht, Freund. Wer Amarra sah, ist dem Alltag verloren."
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er Than kam ohne großes Gefolge, ließ alle seine Begleiter auf dem Schiff zurück und folgte allein Ariston und seinen Leuten auf die Burg. Die formelle Begrüßung zwischen den beiden Männern fiel eher frostig aus und schweigend gestaltete sich der Ritt, bis die Burg sichtbar wurde. Da erst sprach Ariston: "Ich weiß sehr wohl, daß ich euch erzürnte, und ich be dauere dies auch. Wenn möglich, so weist mir den Weg, wie ich dies beweisen kann." Nymardos überhörte die Bitte. "Wo ist Gerrys?" fragte er nur.
"Ich habe ihn seit einigen Tagen nicht gesehen, Gebieter. Er zog sich von allen Menschen zurück. Doch er weiß, daß er euch zur Verfügung stehen soll." Der Than sah ihn an. "Was geschehen ist, Ariston aus Nodher, hat keine Bedeu tung mehr. Es herrscht kein Groll zwischen uns und deine Scheu ist nicht vonnöten. Du hast gelobt, den Schwarzen Tempel Raaki zu weihen und ich bin hier, um dein Wort zu halten. Schon morgen reise ich weiter, um diesen Tempel zu sehen. Es steht dir frei, mich zu begleiten." Ariston erwiderte nichts, denn er konnte nicht erkennen, ob dieses Angebot eine Einladung oder eine Anordnung war.
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ynesta fühlte das keimende Leben schon in sich, doch noch bewahrte sie das Geheimnis. Der Than versprach ja, Ariston einzuweihen und zu verhindern, daß sie seine Liebe verlor. Als nun aber neben Orales im Burghof den Than erwartete, hoffte sie fast schon, daß Ariston noch nichts erfahren habe. Sie wünschte sich die Kraft, selbst alles zu gestehen. Orales lächelte sie an, denn die Reiter kamen nun durchs Burgtor. Tief neigte er sich neben seiner Königin vor dem Beherrscher der Tempel. Sie erhoben sich erst auf Geheiß, tauschten mit dem Than ein paar nichtssagende Begrüßungsworte und geleiteten den Gast ins Innere der Burg, wo man schon alles für ein Festmahl und die gehörige Zerstreuung bereitet fand. Sie lauschten den alten Balladen der Reiche, als Ariston sich flüsternd zu Orales neigte und nach Gerrys fragte. Leise gab der Freund Auskunft: "Er wird in der ganzen Burg gesucht." "Kann er im Tempel sein?" wollte der Herrscher wissen.
Der Than wurde aufmerksam, sah zu ihnen. "Seit zehn Tagen war Gerrys nicht mehr dort," bekannte Orales, "ich weiß nicht, wo er steckt." "Sucht ihn nicht," verlangte Nymardos da ruhig, "es steht ihm frei, zu kommen oder nicht." Gerrys kam nicht. Spät in der Nacht endete das Fest. Ariston gab seinem Gast Diener zur Seite, die ihn in die für ihn bereiteten Gemächer führten, verabschiedete sich von Orales und zog sich mit Cynesta zurück. "Bleibt diese Nacht bei mir," bat Cynesta den Gatten, "ich muß euch so vieles erzählen." Ariston nahm die Einladung gern an, setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Seite. "Ich spüre seit langem, daß dich etwas quält," sagte er mit zärtlicher Stimme, "und ich habe gehofft, daß du dich mir offenbaren wirst. Was kann so schlimm sein, daß du es vor mir verbergen willst?" Cynesta lehnte den Kopf an seine Schulter, schloß die Augen. Nein, nicht vom Than sollte er alles erfahren, sondern von ihr. Was half es denn, wenn er auf Befehl Amarras verzieh? Konnte dann alles so bleiben wie bisher? "Ich bekomme ein Kind," stieß sie endlich hervor. Ariston zuckte nicht einmal zusammen, doch er küßte sie sehr sacht, ehe er fragte: "Orales?" Das klang erfreut. Sie aber schüttelte den Kopf.
"Du mußt mir nicht sagen, wer der Vater ist," verzichtete er auf jede Erklärung, "als meine Frau kannst du nur mein Kind gebären. Es ist gut, Cynesta." Da bemerkte er, wie sie weinte. "War es denn so schlimm, Liebes? Hast du geglaubt, ich mißgönne dir die Freiheit?" "Es ist ein Tempelkind!" Nun war es gesagt und nun gab es keinen Rückweg mehr. Jetzt mußte er alles erfahren und jetzt würde sich die Zukunft ihrer Liebe entscheiden. Sein Gesicht schien zu versteinern. Cynesta fürchtete, er könne in Zorn geraten oder, noch schlimmer, wortlos gehen und darum begann sie, hastig und schnell zu reden. Sie bemerkte nicht einmal, wie sie endlich von innerster Seele heraus zu dem vertraute ren Du überging, wie sie ihn so von nun an nur noch als Geliebten, als Vertrauten, als Freund, doch nicht mehr als Herrscher sah. Sie erzählte ihr Leben; auch ihre Furcht, ihn zu verlieren, gestand sie. Sie berichtete von ihrem ersten Besuch auf Amarra und von ihrem Versuch, den Burgtem pel während des Kampfes gegen eindringende Gedanken abzuschirmen. Cynesta ließ gar nichts aus, verschwieg keine Kleinigkeit. Bei allen Worten aber lagen ihre Hände wie schützend über den das neue Leben bergenden Leib gebreitet. Sie redete noch, erzählte von Gerrys, wie er ihr Leben vor Kilmanaos rettete, als Ariston sie wortlos in die Arme schloß. So hielt er sie schweigend fest. Cynesta sagte nichts mehr, weinte aber haltlos und es dauerte lange, ehe die Tränen unter leisem Schluchzen versiegten. "Ich muß sehr hart gewesen sein," gab er sich dann alle Schuld, "da ich dich zwang, deine eigenen Weihen zu verleug nen. Verzeih mir, Cynesta, daß ich meine Liebe zu dir nicht über alle Zweifel erhob." "Du bist nicht böse?"
"Ich liebe dich," erwiderte er, als sei damit alles gesagt; als könne es keine Fragen mehr geben. "Und das Kind, Ariston?" drängte sie dennoch, "wirst du es lieben können?" "Welcher Geist auch immer durch dich ins Leben will, ich werde ihn lieben," versprach er fast feierlich. "Der Than wollte mich mit deinem Kind an mein Versagen erinnern, doch er hat sich geirrt. Ich betrachte das Tempelkind als Geschenk und werde ihm meine Dankbarkeit zeigen." "Reize ihn nicht," bat Cynesta leise, "er durfte das Kind fordern." "Er durfte es von dir nicht fordern," widersprach Ariston ruhig, "das Recht der Frau gewährt ihr Selbstbestimmung. Von mir durfte er es verlangen, nicht von dir."
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rales und der Than nahmen das Frühmahl gemeinsam mit Ariston und Cynesta ein und der Herrscher hielt sich nicht zurück, von dem Tempelkind zu sprechen. "Ich betrachte es als Ehre, ein Kind der Tempel überant wortet zu bekommen," sagte er und sah dabei den Than fest an, "ich bin dankbar dafür und gelobe, dieses Kind nach seiner Veranlagung zu erziehen, damit es seinen Weg finden kann. Wenn ihr anderes erwartet habt, Gebieter, bedauere ich nicht, euch enttäuscht zu haben." Nymardos lächelte ihn freundlich an. "Ich habe anderes befürchtet," gab er offen zu, "doch ich hoffe, es fällt dir nun leichter, deinen Erben mir zu überlas sen."
"Das tut es nicht," widersprach Ariston hart, "und das könnt ihr auch nicht verlangen. Ich leistete den schuldigen Gehorsam, das ist alles. Freude darüber empfinde ich nicht." Der Than wollte etwas erwidern und es war ihm anzusehen, daß diese Antwort Schärfe beinhalten sollte, doch da öffnete sich die Tür. Gerrys trat ein. Er trug jenes Gewand, das er auf Amarra als Gast des Than erhielt. An seinem Gürtel hing keine Waffe; das Haar war zum festen Zopf geflochten. Verblüfft sah Ariston ihn an, doch er erhielt nur ein leichtes Neigen des Hauptes zum Gruß. Der Than ließ keinen Blick von ihm, als er mit einer Handbewegung alle Diener hinaus befahl, während Gerrys langsam zu ihm trat. Die Augen des Adlatus strahlten in freudigem Glanz, als er vor dem Than niederkniete und dessen Hände ergriff. "Verzeiht, daß ich euch warten ließ, mein Gebieter," bat er aufrichtig, "ich achte euch zu sehr, um halben Dienst zu bieten. Bin ich so spät dennoch willkommen?" "Iß mit uns," erwiderte der Than, in dessen Stimme eine seltsame Bewegtheit mitklang, "danach reite du mit mir zum Schwarzen Tempel. Willst du das?" Orales sah irritiert zu Ariston. Beide wunderten sich, daß der Than nach dem Willen des Adlatus fragte, anstatt zu bestimmen. Aber sie fanden keine Möglichkeit, danach zu fragen, denn der Than bestimmte nun durch fast alltägli che Fragen den Verlauf des weiteren Gespräches und verhinderte so, daß Gerrys um eine Auskunft gebeten werden konnte.
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ast ein Monat verging. Auf Nodher erwartete man den Than, der auf dem Rückweg vom Schwarzen Tempel hier nochmals rasten wollte. Ariston beunruhigte sich zuse hends, zumal der Than keine bewaffnete Begleitung mit sich nahm, nur Gerrys an seiner Seite duldete und so bei eventu
ellen Gefahren schutzlos schien, zumal weder er noch Gerrys Waffen trugen. Nur Orales blieb ruhig, wohl wissend, daß keine Bedrohung durch Menschen den Than antasten würde. Er erfreute sich an der neuen, freieren Liebe zwischen Cynesta und Ariston. Es gab keine Fremdheit mehr zwischen ihnen, kein Geheimnis, keine Furcht. Und nach wie vor blieb er ein Teil dieser Liebe. Das Kind, das erwartet wurde, war durch diese Liebe auch ein wenig sein Kind. Daß es aus den Tempeln kam, bedeutete für Orales nur Gewinn; auch Ariston sah darin keinen Nachteil. Nur seinen eigenen Erben, den mißgönnte er den Tempeln weiter hin.
Ein Ruf erklang, der das Nahen von Reitern kündete und wenig später wurde dem Herrscher die Ankunft des Than gemeldet. Nymardos bat die drei Freunde einige Zeit später zu sich. Sie fanden Gerrys bei ihm, der sie bewirtete und sich danach wie selbstverständlich zu ihnen setzte. "Der Schwarze Tempel ist gereinigt," versprach der Than, "ein Teil der Priesterschaft ist zu anderen Orten befohlen, ein Teil in seinem Dienst bestätigt worden. Ich will nun, daß die beiden Schwarztempler, die auf der Insel der Läuterung sind, nach Amarra gebracht werden. Sie wurden fehlgeleitet von ihrem Falla und sollen Hilfe finden." "Ich werde es veranlassen," versicherte Ariston sofort. "Ist der Falla Gladurk weiterhin Herr im Schwarzen Tempel?" erkundigte sich Orales. "Du kennst ihn?" Orales nickte nur. Da lächelte der Than. "Und dennoch fragst du? Gladurk ist weder Falla noch wird er jemals wieder Leiter sein. Genügt dir das?"
Orales nickte, wollte es aber dennoch wissen: "Wer ist Falla dort, Gebieter?" Nymardos warf einen fast flüchtigen Seitenblick auf Gerrys, ehe er antwortete: "Der Falla des dunklen Gottes kann noch nicht bestätigt werden, doch er ist auf dem Weg. Dich, Ariston, bitte ich, Gerrys aus seinem Dienst als Adlatus zu entlassen. Es ist sein Wunsch, mit mir zu kommen." "Nach Amarra?" entfuhr es Cynesta. "Wohin immer ich ihn sende," erwiderte der Than. "Er ist frei, zu tun, was ihm beliebt," entschied Ariston, "er ist es stets gewesen. Ich sagte es euch schon: er ist mein Freund." Da hob Gerrys den Kopf. Er zögerte, doch er überwand sich und sprach Ariston an: "Dann erlaubt mir, wie ein Freund zu reden, Herr. Wußtet ihr, was mich in den vergangenen Wochen beschäftigt hat?" "Du hattest dich nicht offenbart," erinnerte ihn Ariston. "Wußtet ihr es?" "Nein," bekam er die klare Antwort. "Er wußte es," sagte Gerrys da nur und sah mit einem Blick voll Liebe auf Nymardos, "er wußte es, noch ehe er mich wiedersah." Orales sah auf.
"Nein," wehrte der Than gelassen ab, "ich stehe nicht in Rapport mit Gerrys. Ich sah ihn auf Amarra, das genügte." Gerrys ließ Ariston nicht aus den Augen. "Ich konnte mich euch nicht offenbaren," sagte er ernst, "weil ich selbst nicht verstand, was in mir vorging. Ich war mir meiner Wünsche und meines Lebens sicher und diese Sicherheit geriet ins Wanken. Unser Than sah mich auf Amarra nur an und erkannte meinen Weg." "Und half dir, ihn zu erkennen," schloß Orales. Da legte Gerrys den dunkelroten Stein, den er erhielt, auf den Tisch. "Nein," wehrte er ab, "so war es nicht. Ihr, Orales, denkt, dies sei ein magischer Stein. Ich schenke ihn euch, denn es ist nur ein funkelnder Granat; ohne Weihe, ohne Macht und Wirkung. Mein Than erkannte meinen Weg und ließ mich dennoch allein, damit auch ich ihn erkenne." "So weißt du nun, wohin du gehen willst?" fragte Ariston sehr freundlich, "und auch, wie dein Ziel sich gestaltet?" Hilfesuchend sah Gerrys zu Nymardos. Freundlich meinte der Than: "Gerrys weiß, daß ich seinen Weg kenne und vertraut sich mir an, ohne Fragen, ohne Bedingung. Darum werde ich ihm helfen und ihn, wo nötig, leiten." Orales verstand endlich. Er ergriff Gerrys' Hand, drückte sie fest. "Mögen die Götter mit dir sein." Gerrys sah weiterhin Ariston an.
"Ihr nennt euch meinen Freund." "Zweifelst du?" "Nein, Herr. Wäre ich euer Sohn, in eurem eignen Haus..." Da unterbrach ihn der Than: "Schweig." Gerrys senkte den Kopf, doch Ariston bat Nymardos: "Laßt ihn reden, Gebieter." Als der Than nickte, fuhr Gerrys fort: "Wäre ich euer Sohn, besäße ich eure grenzenlose Liebe, wie es in Ansätzen der Fall sein mag, ihr würdet doch nicht erkennen, was mein Weg, meine Aufgabe und meine Bestim mung ist. Ist es so?" Ariston nickte beschämt. "Aber euren Erben wollt ihr nicht dort wissen, wo alles für ihn getan werden kann. Verzeiht, Herr, doch ist es nicht egoistisch, wie ihr denkt? Soll euer Sohn nur durch Versuch und Irrtum seinen Weg ertasten? Und dies, obwohl er schon in jungen Jahren alle Hilfe finden könnte? Vergebt mir meine Worte. Ihr habt mich Freund genannt und als solcher mußte ich die Wahrheit sagen." Ariston starrte vor sich hin. Seine Gedanken überschlugen sich, doch er fand keine Worte. "Es ist spät. Wir wollen ruhen," entschied da der Than und entließ damit die Freunde.
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m andern Morgen verabschiedete sich der Than mit freundlichen Worten. Da faßte Ariston nach seinen Händen. Es half ihm sehr, daß der Than die Seinen nun festhielt. "Gebieter," sagte der Herrscher sehr leise, "ich gab euch aus Gehorsam meinen Erben, doch in demütigem Vertrauen lasse ich ihn euch. Ich weiß jetzt, daß er in Amarra mehr an Gutem empfangen wird, als ich ihm je geben könnte. Verzeiht mir meine Vorbehalte, denn sie sind erloschen." "Bedingungslos?" kam leise die Frage. "Bedingungslos," bestätigte Ariston, "ich erkenne eure Weisheit und beuge mich vor ihr." Da löste der Than seine Hände von Ariston. Er griff in eine Falte seines Gewandes, entnahm ihr ein kleines Schmuckstück und reichte es Ariston. "So gib ihm dies und sende ihn, sobald er selbst es will oder Amarra ihn ruft." Danach wandte er sich um und ging zu dem wartenden Pferd. Ohne einen Blick zurück zu werfen, ritt er aus dem Burghof, nur von Gerrys begleitet.
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riston starrte auf das Schmuckstück; ein kleines Medail lon, aus Amethyst geschnitten, eingraviert Amarras Zeichen, den Siebenstern. Orales legte ihm die Hand auf die Schulter, fragte leise: "Verstehst du nicht?" Ariston schüttelte das Haupt, starrte noch immer auf das Schmuckstück von vortrefflicher Arbeit.
"Der Than schenkt dir deinen Erben, Freund," erklärte Orales sacht, "das Tempelkind, das Cynesta in sich trägt, ist dein Sohn, nach den Regeln gezeugt, von Priester und Priesterin ohne Leidenschaft gerufen. Es gibt kein Gesetz, das verlangt, daß ein Erbe in den Tempeln geboren wird oder dort aufwachsen muß." Ariston starrte ihn an, begriff langsam. "Wäre Gerrys nicht gewesen, würde ich es nie erfahren haben," ahnte er. "Du hast wirklich nicht verstanden," stellte Orales mit Erstaunen fest, "Gerrys ist auf dem Weg, mein Freund. Er wird Falla des dunklen Gottes sein. Du und ich, wir beide haben versagt, weil wir seine Berufung nicht erkannten." Ariston sah zu Cynesta. "Es ist wirklich mein Kind?" Ihre Augen schimmerten feucht vor Freude, doch sie be kannte: "Ich weiß es nicht." Ariston sah zu ihr, zu Orales, auf das Schmuckstück. "Es ist mein Sohn," rief er dann jubelnd aus und riß Cynesta in seine Arme. Dann verlangte er nach einem Pferd und jagte wenig später in scharfem Galopp dem Riatha zu. Bei Raaki, Gerrys verdiente zum Abschied eine herzliche Umarmung. Und, bei allen Göttern, der Than würde sich seine stürmische Dankbarkeit gefallen lassen müssen.
Wenn es schon unmöglich war, die ganze Welt in die Arme zu schließen, so sollten wenigstens die Männer umfangen sein, die diese Welt für ihn zur schönsten aller Welten machten.