G. F. Unger
Als Rudledge kam
Scanned by: crazy2001 Corrected by: mm
@ 01/04
Roman aus dem amerikanischen Westen D...
18 downloads
536 Views
719KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
G. F. Unger
Als Rudledge kam
Scanned by: crazy2001 Corrected by: mm
@ 01/04
Roman aus dem amerikanischen Westen Der Fremde tritt neben Sam Hutshinson an den Schanktisch. Sie betrachten ihn alle aufmerksam, denn er ist ein Mann, den man sich genauer ansehen muß. „Mister“, sagt er zu Sam Hutshinson, „Sie könnten mit mir ein Geschäft machen. Verkaufen Sie mir die ge stohlene Herde - sagen wir - für einen Dollar und wertvolle Dienstleistungen. Geben Sie mir eine Be scheinigung darüber. Wollen Sie das tun?“ Sam Hutshinson staunt, und auch alle anderen Männer im Raum staunen sehr. Sie sehen diesen Fremden auf merksam an, und sie alle bekommen irgendwie eine besondere Witterung in ihre Nasen. Es ergeht ihnen wie guten Jagdhunden, wenn sie einen Wolf oder Puma wittern. „Für einen Dollar und wertvolle Dienst leistungen?“ Dies dehnt Sam Hutshinson. „Was für Dienstleistungen?!“ Diese zweite Frage bellt er grimmig und bekommt funkelnde Augen. „Sie haben die Herde verloren gegeben“, erwidert der Fremde, „denn Sie haben keine Zeit, die Viehdiebe zu verfolgen. Nun, bei mir ist das anders. Ich habe Zeit. Und - 1 -
wenn mir die Herde gehören würde, so hätte ich einen guten Grund, die Rustler zu verfolgen und ihnen die Tiere wieder abzunehmen.“ Er verstummt sehr sanft und freundlich, ganz so wie ein guter Onkel, der einem kleinen Buben etwas mit großer Geduld und Milde erklärt hat. Die Spannung im Raum jedoch ist nun scharf wie ein beißender Geruch. Sam Hutshinson hat sehr wachsame Augen. „Fremder“, sagte er, „wie ist denn Ihr Name?“ „Ich heiße Rudledge, Bat Rudledge.“. Der dunkle hagere Fremde sagte es in seiner sanften und freundlichen Art. Doch als er es gesagt hat, weiß man hier im Saloon schon besser Bescheid. Und fast alle Männer atmen scharf ein. Einer von Sam Hutshinsons Reitern aber - ein noch junger Bursche - stößt hervor: „Revolver-Rudledge, der Kopfgeldjäger!“ Als es über seine Lippen ist, erschrickt er wie ein Mäuserich, der es wagte, den Kater am Schnurrbart zu zupfen. Aber Bat Rudledge beachtet ihn gar nicht. Rudledge sieht Sam Hutshinson an. In dessen Ledergesicht zuckt und arbeitet es. Dann nickt er plötzlich und sagte: „Ja, Mister Rudledge, dies wäre wohl ein gutes Geschäft für beide Seiten...“ *** Es ist noch keine halbe Stunde später und fast zwei Stunden nach Mitternacht, als Bat Rudledge die Stadt verläßt. Er reitet auf seinem großen, narbigen Rappen - 2 -
und hat ein nicht großes Bündel hinter dem Sattel festge schnallt. Als sie beide in der Nacht verschwinden, werden sich die Männer auf der Saloon-Veranda darüber klar, daß Rudledge dunkel gekleidet war und in der Nacht deshalb so dunkel ist wie sein Rappe. „Revolver-Rudledge war das“, sagte Sam Hutshinson nicht ohne grimmige Befriedigung. „Der wird die Burschen erwischen. Der hat bisher noch jeden erwischt, auf dessen Fährte er ritt. Für einen guten Preis holt der sich jeden Hundefloh. Und so muß es auch sein! Solche Burschen wie ihn muß es geben. Sie tun etwas Gutes!“ „Auf böse Weise“, sagte da Fair Charley. „Sie tun etwas Gutes auf böse Weise. Sie sind Kopfgeldjäger.“ „Dann soll doch die Regierung dafür sorgen, daß in jedem verlassenen Winkel des Territoriums Gesetzes männer vorhanden sind“, grollt Sam Hutshinson. „Solange wir nicht überall Gesetzesvertreter haben, ist es gut, wenigstens Burschen wie Rudledge zur Verfügung zu haben.“ „Nicht immer, Sam, nicht immer“,, murmelt Fair Charley. „Auch Rudledge könnte einmal einen Unschuldigen hetzen - oder ihn gar töten. Und auch Rud ledge könnte sich einmal dazu mißbrauchen lassen, Dinge zu tun, die vor dem Gesetz strafbar sind. Aber ich möchte nicht mit dir streiten, Sam. Du hast Rinder verloren, und einen deiner Cowboys hätten sie fast getötet. Für dich muß es jetzt ein Gefühl der grimmigen Befriedigung sein, daß Bat Rudledge sich in. diese Sache einkaufte.“ „Ha, das ist es“, sagte Sam Hutshinson, und seine vier Reiter nickten beifällig. Sie hätten die Viehdiebe sicher lich gerne bis ans Ende der Welt verfolgt, um ihre - 3 -
Kameraden zu rächen. *** Bat Rudledges riesiger Rappe ist unermüdlich. Da Rudledge weiß, wo Sam Hutshinson mit seinen Männern umkehrte, braucht er bis zu dieser Stelle keine Fährte zu verfolgen. Deshalb kann er schnell reiten. Bat Rudledge erreicht in etwa sechs Stunden diesen Ort, und jetzt erst gönnt er seinem Rappen eine längere Pause. Die Rinderdiebe haben mehr als vierundvierzig Stunden Vorsprung. Dies sind fast zwei Tage und zwei Nächte. Wie weit kann man eine kleine Rinderherde in diesem rauhen und unübersichtlichen Land treiben, wenn man solch einen Vorsprung hat? Diese Frage stellt Bat Rudledge sich und denkt darüber nach. Sie hatten die Rinder bis zu diesem Punkt hier ohnehin schon scharf und rücksichtslos getrieben. Vielleicht hat ten sie einen Beobachter zurückgelassen, wie es Viehdiebe zumeist tun. Dort von diesen Hügeln im Norden konnte der Beobachter dann gewiß sehen, wie die Verfolger umkehrten. Und so werden sie dann die gestohlene Herde sehr viel langsamer getrieben und ganz gewiß auch eine längere Rastpause eingelegt haben. Bat Rudledge kommt zu der Auffassung, daß sie zur Zeit kaum weiter als zwanzig Meilen von ihm entfernt sind. Bis er sie eingeholt hat, werden sie nur wenige Meilen weiter sein. Ihre erschöpften Rinder können sie in diesem rauhen Gelände im besten Fall zehn Meilen pro Tag treiben. Er kann sie heute Abend noch erwischen, spätestens - 4 -
jedoch morgen Abend überrumpeln. Es wird darauf ankommen, wie lange sie ihren erschöpften Rindern Ruhe gönnen mußten. *** Für einen Mann wie Bat Rudledge ist es nicht schwer, das Camp der Viehdiebe zu finden. Sie sind sorglos geworden und wähnen sich sicher vor Verfolgern. Jeder andere Mann würde das Camp beschlichen haben, um überraschend zu kommen, wäre vielleicht sogar in Deckung geblieben, bis die Viehdiebe auf Befehl ihre Waffen fortgeworfen hätten. Rudledge macht es jedoch anders, und es verrät so sehr viel über den Mann Bat Rudledge. Er umreitet das Camp und die kleine Herde, bis er sich von Nordwesten her dem Feuerschein nähern kann. Er hält in einiger Entfernung an und ruft: „Hooii, Feuer! Ich rieche euer Abendessen! Und ich komme euch besuchen, Freunde!“ Dann erst reitet er näher - völlig furchtlos und offen. Das Feuer brennt an einem kleinen See zwischen einigen Bäumen. Die Rinder sind rings um den See verteilt. Sie sind so sehr erschöpft, daß man sie gar nicht zu bewachen braucht. Die Pferde und ein Packpferd sind bei den Bäumen angebunden. Die drei Männer sind nicht mehr beim Feuer. Sie haben sich in den Schatten der Bäume zurückgezogen, sind bereit, in Gedankenschnelle hinter den Stämmen Deckung zu nehmen. Er aber sitzt groß und hager auf seinem riesigen - 5 -
Rappen, der sich dennoch so leicht und geschmeidig wie ein Wolf bewegt, und wartet. Da er so dunkel wie das Fell des Rappen gekleidet ist, kommt er den drei Männern gewiß etwas düster und vielleicht sogar irgend wie unheimlich vor. Aber vielleicht spüren sie auch den Anprall einer Gefahr. Ihr Instinkt warnt sie vielleicht schon bei seinem Anblick. Denn er wirkt so unheimlich selbstsicher, so völlig furchtlos und unaufhaltsam. „Nun“, sagte er, „mir ging der Kaffee aus. Ich trinke so gerne Kaffee. Habt ihr welchen für mich? Ich kann ein halbes Pfund oder mehr gebrauchen und zahle den doppelten Preis.“ Er will absitzen. Doch als er den Ansatz der typischen Bewegung macht, sagt einer der Männer: „Bleiben Sie im Sattel, Fremder! - Woher kommen Sie? Und warum reiten Sie hier in diesen unübersichtlichen Hügeln herum? Suchen Sie etwas?“ Die Stimme des Mannes klirrt bei diesen Fragen unmerklich; seine Nerven sind äußerst angespannt. Vielleicht fühlen sich diese Burschen umzingelt. Bat Rudledge lacht leise. „Ich komme von Laramie herüber“, sagt er. „Und ihr scheint mir etwas zu nervös zu sein.“ Er wittert in die Runde. „Ihr habt da Rinder. Seid ihr wegen der Rinder so nervös? - Habt ihr Angst vor mir? Ich bin allein.“ Er sitzt nun langsam ab, läßt hinter sich die Zügel fallen und tritt an das Feuer. Dort kauert sich nach Cow boyart auf die Absätze und greift nach dem Kaffeetopf, der in der warmen Asche steht. Er nimmt sich eine Kaffeetasse und schenkt sich ein. Es ist eine Blechtasse, und sie wird von dem heißen Kaffee sofort sehr heiß. - 6 -
Doch er hält sie ruhig in der Rechten und trinkt auch das heiße Zeug. „Kaffee könnt ihr kochen“, sagte er. „Dieser hier würde einen toten Indianer wieder in den Sattel bringen.“ Er läßt die Tasse fallen und erhebt sich. Seine langen Beine sind leicht gekrümmt. Der Schein des Feuers be leuchtet sein Gesicht, läßt es noch hagerer erscheinen und vertieft all die dunklen Linien darin. Er kann noch nicht älter als dreißig Jahre sein, und dennoch wirkt er sehr viel erfahrener. Die drei Männer traten indes langsam aus dem Schatten der Bäume und zum Feuer. Sie bleiben ziemlich weit auseinander und bilden ihm gegenüber eine Art Dreieck. Er sieht sie nun zum ersten Male richtig, und er nimmt sich Zeit, sie genau zu betrachten. Es ist, als versuchte er sie zu kennen. Einer ist geschmeidig wie ein Panther, gut proportioniert und indianerhaft. Er trägt zwei Revolver im Kreuzgurt, und es geht jene wilde und verwegene Rücksichtslosigkeit eines Piraten von ihm aus. Bat Rudledge kennt diese Sorte gut. Dieser Art von Burschen macht es Freude, gefährliche Dinge zu tun. Sie müssen immer gegen irgendwelche Dinge rebellieren und der menschlichen Gemeinschaft Schaden zufügen. Der zweite Bursche ist hagerer, und er wirkt irgendwie schief und verbogen. Doch Bat Rudledge hält ihn für gefährlicher. Solche hageren Wüstenwölfe können unheimlich schnell sein, zäh und hart. Und dieser Mann wird im Sattel eines Pferdes schon sehr viel anders wirken, verwegener und beachtlicher. Er trägt nur einen Colt - aber auch auf der linken Seite, fast sogar unauffällig. - 7 -
Ja, dieser zweite und so unscheinbar wirkende Viehdieb ist gefährlicher als der andere. Und der dritte Viehdieb? Oh, der ist noch ein Bengel!. Dieser magere Bursche, der gewiß nie auch nur einigermaßen satt werden konnte, mag etwa siebzehn Jahre alt sein. Er ist schlecht gekleidet wie ein Tramp, der von irgendwoher einige zu große Kleidungsstücke geschenkt bekam. Doch auch er trägt einen Colt. Und im Feuerschein erkennt man das nervöse Flackern in seinen Augen. Bat Rudledge kennt solche Burschen wie diesen. Er versteht sie so gut wie jemand sie nur verstehen kann. Denn einmal gab es eine Zeit, da war er selbst solch ein Bursche. Und dieser dort ist angespannt mit allen Fasern und hat Angst. Ja, dies kann man spüren, wenn man erfahren ist wie Bat Rudledge. „Nun können wir zur Sache kommen“, sagt Rudledge langsam. Er hört, wie sie scharf ihren Atem einsaugen. Dann murmelt der hagere und schiefe Bursche heiser: „Dachte ich es mir doch, daß Sie nicht nur Kaffee von uns wollen. Bruder. - Was soll's denn sein?“ Bat Rudledge tippt mit seinem Daumen gegen die Buschjacke. Er tut es mit der Rechten, und er tippt auf jene Stelle, wo sich innen die Tasche befindet. Seine Linke hängt nun hinter dem Revolverkolben, und diese Haltung allein schon sagt den drei Viehdieben mehr als hundert Worte. Bat Rudledges Stimme klingt noch eine Spur lässiger und trockener, als er nun spricht: „Ich habe da in meiner Tasche ein Papier. Es ist eine Besitzurkunde über jene - 8 -
Rinder, die ihr hier bei euch habt und einem Rancher mit Namen Samuel Hutshinson vor drei oder vier Tagen gestohlen habt. Dabei habt ihr einen seiner Reiter lebensgefährlich verletzt. Wenn der arme Bursche durch kommt, wird er wahrscheinlich sein ganzes Leben lang ein „Andenken“ behalten. - Nun, Freunde, ich bin gekommen, um meine Herde zu übernehmen. - Wie wollt ihr es haben?“ Sie geben ihm auf diese Frage nicht mit Worten eine Antwort. Dazu sind sie zu hart gesotten und verwegen. Sie fühlen sich wie gestellte Wölfe, denen ein anderer Wolf die mühsam erlegte Beute abnehmen möchte. Sie sind primitiv und suchen aus jeder gefährlichen Situation nur allein eine gewaltsame Lösung. Sie taugen nichts und werden nie etwas taugen. Und der Junge, den sie bei sich haben wird bald genauso sein wie sie. Als Bat Rudledges Frage verklingt, sehen sie sich nicht einmal an. Sie brauchen gar kein Zeichen, um sich zu verständigen. Sie schnappen nach den Revolvern. Oh, sie sind schnell! Dieses Ziehen haben sie schon hunderttausend Male geübt. Sie kennen sich aus in solchen Revolverkämpfen und trauen sich zu, auch mit diesem Fremden dort zurechtkommen zu können. Sie setzen bedenkenlos ihr eigenes Leben ein, wagen den Kampf um den Preis der gestohlenen Herde. Diesen Fatalismus besitzen nur jene Verlorenen. Bat Rudledge ist schneller. Er trifft den Hageren mitten ins Herz, bevor dieser die Mündung der Waffe auf ihn richten kann. Und er erwischt den zweiten Burschen, als dieser auf ihn abdrückt. Doch der Mann bekommt während des Abdrückens von der Kugel einen - 9 -
Stoß und trifft Rudledge deshalb nicht. Rudledge richtet seinen Revolver nun nach diesen beiden Sekundenbruchteilen auf den Jungen. Auch dieser zog seinen Revolver; er zog ihn sogar bemerkenswert sauber und schnell. Vielleicht hätte er einen Schuß abgeben können, indes Rudledge mit den beiden gefährlichen Burschen kämpfte. Doch er schoß nicht. Dieser Junge steht nun mit dem schußbereiten Colt in der Hand da. Diese Hand zittert leicht, und es kann nicht daran liegen, daß die Waffe zu schwer für ihn ist. Er drückt immer noch nicht ab, starrte Rudledge mit flackernden Augen an, hat ein zuckendes Gesicht und kreischt plötzlich, so als müßte er es loswerden: „Warum schießen Sie denn nicht, Mister?!“ Rudledge betrachtet ihn drei Sekunden lang fest. Dann streckt er langsam seine Rechte aus und spricht ruhig: „Wirf mir den Revolver herüber, Junge - los!“ Erst jenes „Los!“ ruft er scharf. Es wirkt wie ein Peitschenhieb. Der Junge, der noch völlig unter dem erschütternden Einfluß des Kampfes steht und den Pulverrauch immer noch riechen kann, zuckt auch zusammen wie unter einem Hieb - und gehorcht dann. Vielleicht bedauert er dies unmittelbar danach. Denn er zeigt nun böse seine Zähne. Dann blickt er zur Seite auf die leblosen Körper seiner Kumpane. „Sind - sind sie tot?“ Dies fragt er heiser. Er wendet sich mit einem Male ab, stolpert ein Stück zur Seite. Wahrscheinlich verspürt er ein Würgen im Hals und ihm ist übel. Rudledge steckt die Waffe des Jungen in seinen Hosenbund und lädt die eigene Waffe neu. - 10 -
Dann untersucht er die beiden Banditen, denen er wahrhaftig jede Chance gegeben hatte. Sie waren nicht nur in der Überzahl gegen ihn, sondern hatten auch die Wahl. Und als sie zuerst nach den Revolvern griffen, hatten sie sich für den Kampf entschieden und zogen mit der Absicht, ihn zu töten. Bat Rudledges Gesicht ist vom Feuerschein angeleuchtet, und es ist immer noch völlig ausdruckslos. Was in ihm auch sein mag, es bleibt tief in seinem Kern verborgen. Was für ein Mann ist Rudledge? Warum jagt er auf diese Art Banditen? Des Gewinnes wegen, mag es sich dabei um ausgesetzte Belohnungen oder um eine gestohlene Herde wie diese hier handeln? Oder aus Freude an der Jagd? Vielleicht aus Rache, die sich gegen alle Gesetzlosen richtet? *** Als Bat Rudledge dann mehr als eine Stunde später an das Feuer kommt, hockt der Junge dort und hat einen Ausdruck im Gesicht, der eine Mischung von Trotz, Verlorenheit und tiefer Erschütterung ist. Bat Rudledge hockt sich ihm gegenüber. Sie betrachten sich im Feuerschein. Rudledge deutet mit dem Daumen über die Schulter hinter sich in die blasse Mondnacht. „Ich habe sie in ihre Decken gewickelt und ordentlich beerdigt“, sagte er ruhig. „Wie waren ihre Namen?“ „Ed Moran und Bob Mallone“, murmelt der Junge und starrt Rudledge an. „Warum haben Sie nicht auch mich - 11 -
erschossen, Mister?“ Dies fragt er mit jäher Wildheit Rudledge gibt ihm nicht sogleich eine Antwort. Er betrachtet ihn auf eine nachdenkliche, sinnende und bittere Art. Dann fragt er: „Wer bist du, Junge?“ „Was geht Sie das an?“ „Ich kannte mal einen Jungen“, murmelt Rudledge, „der tat sich aus purem Trotz Salz statt Zucker in den Kaffee - und das war dumm. - Oder?“ Der Junge nickt plötzlich. „Ja, das war blöd“, murmelt er. „Und ich bin nicht blöd. Ed Moran und Bob Mallone nahmen mich als Partner auf. Sie waren keine kleinen Burschen.“ „Und weil du mit ihnen reiten durftest, fühltest du dich großartig und ganz wie ein mächtig harter Bursche“, nickt Bat Rudledge. „Sie hätten dich wahrhaftig ziemlich schnell zu einem Pilger von ihrer Sorte gemacht. Junge, sie waren Versager. Sie haßten die menschliche Gemein schaft und wurden von dieser gehaßt. - Nun gut, wie heißt du?“ „Joey Ringo“, erwidert der Junge, und dann preßt er seine schmalen Lippen zusammen, so als bedauerte er es, Rudledge geantwortet zu haben. „Was werden Sie mit mir tun, Mister?“ Er fragt es trotzig, und in seiner Stimme ist ein Klang, der deutlich sagt, daß ihm alles völlig gleichgültig ist. Er ist offenbar dazu bereit, alles, was auch kommen mag, zu ertragen und hinzunehmen. Doch er wird den Haß in sich aufspeichern wie ein Jungwolf in einem Käfig. „Ich brauche dich, um diese Herde treiben zu können“, sagte Rudledge ruhig, „Du solltest nicht den Versuch machen, mir davonzulaufen. Denn ich würde dich auf meinem Rappen schnell einholen. Und ich finde - 12 -
eine Fährte oder ein Versteck so leicht wie ein erfahrener Indianer. Verstehst du das, Junge? Versuche es also nicht erst.“ Der Junge, der sich Joey Ringo nannte, zeigt seine Zähne. Er hat ziemlich gute Zähne. Dies ist auffällig. Denn sonst haben diese mageren und unterernährten Burschen seiner Sorte zumeist sehr schlechte Zähne. „Yes, Sir“, sagt er. „Ich bin also Ihr Sklave. Aber vielleicht sollte ich Ihnen dankbar sein, daß sie mich nicht auch totschossen. Doch es hätte mir nichts aus gemacht, glauben Sie mir das. Diese verteufelte Welt ist gar nicht so schön, daß man seinen raschen Tod bedauern sollte. Diese Welt ist gemein, dreckig und ...“ Er bricht ab, denn er begriff wohl jäh, daß er schon fast dabei war, sein Herz auszuschütten. Er schließt die Lippen fast schnappend und blickt starr ins Feuer. Rudledge nickt leicht, so als verstünde er auch das sehr gut. Er zieht nun den Revolver des Jungen aus dem Hosenbund und sieht sich die Waffe im Feuerschein an. Des Jungen Kopf ruckt wieder hoch, und er wirkt sehr angespannt und aufmerksam. Rudledge braucht nur wenige Sekunden, um heraus zufinden, daß dieser Revolver unbrauchbar ist. Die Feder, die den Hammer hebt und dann zugleich auch die Trommel um eine Kammer weiterdreht, ist zerbrochen. Mit diesem Revolver konnte der Junge gar nicht schießen. „Bluffer“, sagte Rudledge und wirft ihm die wertlose Waffe zu. Der Junge fängt sie zwar auf, doch in einem Ausbruch von Zorn wirft er sie in den See. Es klatscht laut - und einige der erschöpften Kühe muhen erschrocken. „Ja, wenn die Waffe funktioniert hätte, würde ich - 13 -
meinen Mann gestanden und auf Sie geschossen haben“, sagt Joey Ringo heiser. „Ich hätte bestimmt nicht meine Partner im Stich gelassen, das können Sie mir glauben, Mister.“ „Ich bin Rudledge - Bat Rudledge“, murmelt dieser, und er hebt die Hand und wischt sich über das Gesicht. „Ich kenne dich jetzt, Joey“, spricht er weiter. „Seit du denken kannst, wurdest du herumgestoßen und wurdest du nie satt. Und immer wenn du einen Burschen sehen konntest, der sich nicht herumstoßen ließ, sondern andere herumstieß, da wolltest du so werden wie er. Eines Tages fühltest du dich alt und groß genug. Und da bist du einfach durchgegangen. Ich wette, daß du zuerst recht jämmerliche Diebstahle begangen hast. Und auch den unbrauchbaren Colt hast du sicherlich nur gefunden. Du hast nie genügend Geld besessen oder Gelegenheit gefunden, dir einen richtigen Colt zu beschaffen. Mit einem Colt an der Seite wurdest du etwas mutiger und frecher. Du glaubtest, daß man dich jetzt mit einem Revolver an der Seite für einen harten Burschen hielt. Und dann brachte dich das Schicksal mit diesen beiden Banditen zusammen. Oha, für solch einen Bur schen wie dich haben Kerle wie diese immer Ver wendung. Überdies bereitet es ihnen immer Befriedi gung, gewissermaßen Lehrmeister sein zu können. Die Sorte möchte möglichst viele Dummköpfe auf den gleichen Weg bringen, den sie selbst reiten. Nun gut, Joey, du hattest wahrhaftig Glück, daß du mit deinem unbrauchbaren Colt an keinen Mann geraten bist, der dich erschossen hätte. - Ich behalte dich jetzt als Treiber bei mir.“ Als er verstummt, starrt ihn der Junge an, und es scheint, als hätte er gar nicht zugehört. Denn er flüstert - 14 -
nun: „Bat Rudledge sind Sie? - Revolver-Rudledge? Der gefürchtete Kopfgeldjäger und Revolverkämpfer Bat Rudledge? Oje, jetzt brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen, Sir! Für Sie treibe ich diese Rinder überallhin. Gegen Sie waren meine bisherigen Partner nur ganz kleine ...“ Er bricht ab, denn er erkennt Rudledges drohenden Ausdruck. „Ich glaube wahrhaftig, Joey“, murmelt Rudledge, „daß du schon verdorben bist bis in deinen innersten Kern. Aber gut, wir werden sehen, mein Junge. Morgen früh treiben wir die Herde nach Nordwesten.“ *** Sie treiben die kleine Herde Tag für Tag nach Nordwesten. Bat Rudledge kann sich über seinen Helfer nicht beklagen. Der Junge führt willig jeden Befehl aus und erweist sich in vielen Dingen wohl recht unerfahren, doch intelligent und anstellig. Er gebraucht seinen Verstand, aber er hat in vielen Dingen auch den besten Lehrmeister, den er bekommen könnte. Bat Rudledge versteht es, eine Herde zu treiben, mit dem Lasso umzugehen und durch das rauheste Land einen guten Weg zu finden. Und doch kommen sie sich in diesen Tagen persönlich nicht näher. Rudledge scheint irgendwie tief in seinem Kern darüber verletzt zu sein, daß dieser verwilderte Junge sich ihm geradezu begeistert unterwarf und ihm eine Art Knappe sein will - nur allein weil er der berühmt-berüchtigte Revolver-Rudledge ist. Dies hat ihn offensichtlich tief getroffen. - 15 -
Es stört ihn, für diesen wilden Jungen, der mit Banditen ritt und diese sich zum Vorbild genommen hatte, nun das neue Vorbild zu sein. Wahrscheinlich stört es ihn auch, daß der Junge seine bisherigen Partner so leicht und schnell vergaß. Rudledge hält wahrhaftig nicht viel von Joey Ringo. Doch er braucht ihn als Helfer. Einmal fragt ihn Joey: „Wohin treiben wir diese Rinder eigentlich?“ „Irgendwohin, Joey, irgendwohin“, erwidert Rudledge, und es klingt irgendwie abweisend. Plötzlich stellt er die Frage: „Hast du noch Eltern, Joey?“ Dieser denkt eine Weile nach. „An meinen Vater erinnere ich mich nur schlecht“, sagt er dann. „Ich weiß jedoch, daß er immer betrunken war und uns der Reihe nach verprügelte - zuerst unsere Mutter, dann seine neun Kinder. Er war Zimmermann. Er fiel dann betrunken von einem Dachfirst und brach sich den Hals. Meine Mutter...“ Er bricht wieder genauso ab wie damals, als er spürte, daß er dabei war, sich das Herz auszuschütten. „Es geht Sie nichts an, Sir“, sagt er zu Rudledge. „Meine Mutter war gut zu uns. Doch sie hatte es schwer, neun Kinder zu ernähren. Wir alle waren nur ein Jahr auseinander. Als ich zehn war, ließ sie mich in einer Stadt bei einem Store-Besitzer zurück, der eine billige Arbeitskraft haben wollte. Als ich zwei Jahre dort war, stahl ich ihm hundert Dollar und lief fort. Aber ich war immer noch ein lächerlicher Junge. Eines Tages werde ich ein Mann sein - ein Mann wie Sie, Mister Rudledge. Ich werde furchtlos und selbstsicher sein, große Schritte machen - und niemand wird es wagen, mich herum zustoßen. Ich werde dieser Welt...“ - 16 -
Nun verstummt er endgültig. Rudledge nickt leicht. „Du kannst es nicht besser wissen, Joey“, murmelt er. „Was gut für einen Jungen ist und wie er es machen soll nun, dies weiß er immer erst später, sehr viel später. Wir wollen heute noch diese Hügel dort im Nordwesten erreichen. - Treibe die Biester schneller, Joey!“ *** Als sie zehn Tage unterwegs sind, weiß Joey Ringo immer noch nicht, wohin sie die Herde treiben. Sie begegneten während dieser zehn Tage keinem Menschen, denn sie trieben die Herde abseits aller Wege und Pfade. Manchmal ritt Rudledge einige Stunden fort, um all die kleinen Täler und Canyons zu durchforschen. Sucht er sich vielleicht ein Stück Weideland? Will er vielleicht ein Rinderzüchter werden, er, der berühmte Revolver-Rudledge? Diese Frage stellte Joey Ringo sich manchmal, und er kann es nicht glauben. Denn ein Mann wie Bat Rudledge kommt ihm wie ein König vor, der sich mit Hilfe seiner schnellen Hand jeden Wunsch erfüllen kann. Das Wetter blieb all die Tage warm und mild - viel zu mild für diese Jahreszeit. Doch dann, am Nachmittag des elften Tages, da wird es anders. Der Junge erkennt es nicht sogleich. Erst nach einer Weile fällt ihm das merkwürdige Benehmen der Rinder auf. Sie lassen sich nicht mehr in nördlicher Richtung über die Laramie-Prärie treiben. Sie möchten nach Südwesten abdrehen, drängen immerzu und sind unruhig und mit jeder Minute nervöser. - 17 -
Joey Ringo späht zur anderen Seite hinüber. Dort treibt Bat Rudledge nicht mehr, er hat vielmehr angehalten und späht nach Nordosten. Plötzlich wird sich der Junge darüber klar, daß der warme oder zumindest müde Südwind, der die ganzen Tage wehte, ausgesetzt hat. Es ist windstill. Und nun kommt Rudledge zu ihm geritten. „Joey“, sagt er ernst, „hast du eine warme Jacke in deinem Bündel?“ „Nein“, erwidert Joey. „Und mir ist auch nicht kalt.“ „Es wird gleich so kalt sein, daß die Hölle einfriert“, erwidert Rudledge ernst. „Bevor eine Stunde um ist, wirst du im Sattel fest gefroren sein. Nimm deine Decke und mache in ihre Mitte ein Loch, durch das du den Kopf stecken kannst. So bekommst du einen Poncho. Binde ihn dir um den Leib, damit er nicht im Sturm flattern kann. Da kommt ein North-Blizzard! - Hast du verstanden, Junge?“ Joey Ringo staunt. Doch jetzt spürt er selbst, daß etwas nicht stimmt. Es ist alles so still und leblos wie unter einer riesigen und sehr durchsichtigen Glocke. Das Büffelgras raschelt nicht mehr im Winde. Nur die Rinder, die nun nach Westen abgedreht sind und offenbar in der Ferne die schützenden Berge wittern, muhen und brüllen. Die Herde trottet nun schon sehr schnell. „Laß sie laufen, Joey“, sagt Rudledge, indes er herangeritten kommt. „Diese gehörnten Biester wissen genau, wohin sie vor einem Blizzard flüchten müssen. Da kommt ein Blaueis-Blizzard. Und weil das so ist, hält hier in diesem Bereich alles den Atem an.“ Er knöpft sich die Buschjacke zu und rollte dann eine - 18 -
Decke aus seinem Bündel hinter dem Sattel. Er zeigt Joey, wie man sich einen Poncho macht und streift ihn sich über. Mit seinem Halstuch bindet er sich wie eine Großmutter den Hut fest und macht unter dem Kinn einen guten Knoten. Das Halstuch bedeckt schützend seine Ohren. Joey Ringo macht ihm alles nach, und er verspürt ein dumpfes Gefühl der Angst. Es ist eine Angst, die instinktiv ist und die gewiß jetzt alle Lebewesen spüren. Als sie dann dicht beieinander der Herde folgen, trifft sie von hinten der erste Windstoß. Es ist ein eisiger Wind. Er kommt sofort mächtig wie aus einer riesengroßen Eisgruft, und er drückt die Halme des Büffelgrases nach Südwesten zu dicht auf den Boden. Es ist schon ein Stoß voll eisiger Kraft und schneidender Härte. Dann wird es wieder windstill. Doch es ist ein Atemholen. Der große Blizzard-Riese dort im Nordosten holt jetzt erst richtig tief Luft, wölbt seinen Brustkasten und wird sogleich die ganze Luft orgeln lassen. Die beiden so ungleichen Gefährten haben nun ihre Rinder wieder erreicht. Die kleine Herde hält sich dicht geschlossen und rast nun in Stampede nach Südwesten. Dort ist einige Meilen voraus der Einschnitt eines Canyons zu erkennen. Dort gibt es gewiß Schutz. Dann kommt der zweite Windstoß. Oh, es ist kein eisiger Hauch mehr. Dies da kommt mit einem wilden und fruchtbaren Orgeln herangebraust, ist noch sehr viel kälter und läßt unter der Kleidung der Männer deren Schweiß gefrieren. Die Herde rast nun noch schneller. - 19 -
Das Orgeln wird immer gewaltiger und wilder. Es zerrt an den Reitern, will sie aus den Satteln werfen, will die Pferde zum Wanken bringen. Der Junge blickt einmal über seine Schulter. Und da sieht er es kommen. Eine Wand ist das, eine grüne Wand. Sie kommt unheimlich schnell und lädt ab, was sie mitgebracht hat aus dem kalten Norden: Eis! Das da ist kein einfacher Schnee-Blizzard. Da kommt Eis, Blaueis! Dieser Temperatursturz war so gewaltig, daß jede Quecksilbersäule wie ein Stein gefallen wäre. Zuerst fallen die Hagelkörner nur erbsengroß, doch dann kommen sie wie Kieselsteine herunter, und nicht wenige dieser Eisstücke sind so groß wie Hühnereier. Sie zerschlagen jetzt alle kleineren Lebewesen, die keinen Schutz finden konnten. Und sie prügeln die beiden Reiter und deren Pferde, prügeln auch die kleine, sich in Stampede befindliche Herde, sind ein mitleidloser und unbarmherziger Steinregen, der von dem orgelnden und eisigen Orkan niedergepeitscht wird. Schon bald ist das Büffelgras der Laramie-Prärie fußhoch mit Eisstücken bedeckt. Die Tiere haben es nun schwer. Manchmal stolpern sie schlimm. Joey Ringo weiß schon längst nicht mehr, was alles um ihn herum geschieht. Er achtet nur darauf, daß er im Sattel bleibt und sein Pferd nicht stolpert. Er weiß nicht, daß er immer wieder vor Schmerzen und wilder Furcht laut brüllt. Denn die Eisstücke treffen ihn manchmal wie mit aller Kraft geworfene Kieselsteine. Dabei spürt er, wie der eisige Wind ihm bis ins Mark der Knochen dringt. Er weiß nicht zu sagen, wie lange es nun schon - 20 -
dauert - zehn Minuten oder gar schon eine halbe Stunde. Doch er spürt, wie er im Sattel festfriert und auch das Fell seines Pferdes zu einer Eiskruste wird, obwohl das Tier sich doch so heftig bewegt, daß es bei normalem Wetter vor Schweiß nur so schäumen würde. Doch plötzlich setzt der mitleidlose Eisregen aus. Auch das Orgeln verstummt für wenige Atemzüge lang. Es ist wieder wie am Anfang, als der grimmige Eisriese dort im Norden den Atem anhielt, um bald darauf mit noch gewaltigerer Kraft zu blasen. Joey Ringo hört plötzlich sein eigenes Gebrüll, und er verstummt erschrocken und beschämt. Er blickt zur Seite, und durch all das gefrorene Eis vor seinen Wimpern, da erkennt er Bat Rudledge dicht neben sich. Rudledges narbiger Rappe, ist jetzt grau vor Eis. Auch Rudledge ist mit diesem weißgrauen Eis bedeckt, so als wäre er selbst dieser Winterriese. Joey Ringo stößt einen seltsamen Schrei aus. Und in diesem Moment verspürt er zum ersten Male in seinem Leben, wie gut es ist, mit einem Gefährten zu rei ten, der wie Rudledge ist. Es ist in diesen wilden, harten und schrecklichen Minuten ein völlig neues Gefühl in Joey Ringo. Er hat es noch nie gespürt, aber er war ja auch noch nie in solch einer Situation. Denn es ist eine Situation, in der ein Junge wie Joey Ringo sich wünscht, nicht allein zu sein, in der er sich einen großen Bruder und Beschützer wünscht. Und wie er Rudledge so neben sich auf dem riesigen Wallach reiten sieht, da hat er plötzlich das feste Gefühl, daß Rudledge ihn beschützen wird und daß Rudledge sogar mit solch einem Blizzard kämpfen und gewinnen kann. Dies gibt dem Jungen neue Kraft und neuen Mut. - 21 -
Dann setzt das orgelnde Brausen wieder ein, trifft die beiden Reiter und die Herde mit all dem erbarmungs losen Kältehauch. Doch dann kommt der Schnee. Er kommt nicht senkrecht oder schräg. Nein, er kommt - vom Sturm gejagt - waagrecht oder fast waag recht heran. Er fällt über Reiter und Tiere her, will sie zuschütten, unter sich begraben. Schon bald reicht der Schnee den Tieren bis zu den Knien. Sie können nun nicht mehr schnell laufen. Besonders die kleineren Rinder, die immer noch von ihrem Herdentrieb eng beisammengehalten werden, verlangsamen ihren Lauf sehr. Aber sie kämpfen sich weiter. Ihr Instinkt sagt ihnen, daß sie hier auf der Prärie eingeschneit und zugedeckt werden und es dort in den Bergen vor ihnen Schutz und Sicherheit gibt. Nun wird alles ein Kampf um jeden Meter. Dazu kommt noch, daß nun das Gelände langsam ansteigt. Die beiden Reiter sind nun vor den Rindern. Ihre lang beinigen Pferde treten für die Rinder eine Spur, und es ist erstaunenswert, wie sie nun doch in der Not alle zusammenarbeiten. Dies alles geschieht in dem peitschenden, orgelnden und grausam eisigen Sturm. Joey Ringo begreift dumpf, daß er nicht mehr lange kann. Er spürt seine Füße nicht mehr, und diese Gefühl losigkeit steigt immer höher die Beine herauf. Auch seine Hände sind völlig gefühllos geworden und seine Arme werden es mehr und mehr. Joey Ringo begreift dumpf, daß er dabei ist, im Sattel und auf seinem Pferd zu erfrieren. Bald wird er nieder stürzen in Schnee und Eis, doch dies alles wird ihm merkwürdig gleichgültig. - 22 -
Plötzlich prallt sein Pferd gegen ein federndes Hindernis, wird zurückgeworfen, rutscht aus und fällt. Joey Ringo fliegt über den Kopf des Tieres, überschlägt sich dabei wie eine willenlose Puppe und prallt mit dem Rücken gegen das gleiche Hindernis. Er spürt den Schmerz nicht, denn sein Rücken und überhaupt sein ganzer Körper sind zu gefühllos. Doch er begreift noch mit einem letzten Funken von Denk vermögen, daß es sich um einen hohen und soliden Stacheldraht handelt, gegen den sein Pferd prallte und gegen den er dann selbst fiel, als er über den Pferdekopf hinweg sich überschlug. Er rollt in den Schnee und streckt sich aus. Er spürt und weiß nichts mehr. Dicht neben ihm rutscht Bat Rudledge aus dem Sattel. Sein Rappe rannte nicht gegen den Zaun. Dieses narbige Tier hatte mit einem besonderen Sinn den Stacheldraht geahnt. Es sind nun schlimme Minuten für Männer und Tiere. Hinter den Pferden drängen sich die Rinder heran. Joey Ringo liegt erledigt im Schnee, kein blutendes Pferd hat sich wieder erhoben. Doch es ist bestimmt schlimm verletzt. Es dauert eine Weile, bis Bat Rudledge begriffen hat, was für eine Schranke vor ihm den Weg versperrt. Dann zieht er seinen Revolver, hält die Mündung nacheinander an die vier Drähte und zerschießt sie. Das Krachen der Waffe, die selbst bei dieser Kälte noch funktioniert, obwohl sie sehr viel schwerer geht, ist im orgelnden Schneesturm nicht zu vernehmen. Doch die Drähte sind nun fort. Als sie zerrissen, sprangen sie zur Seite wie Gummifäden. Rechts und links drängen nun die Rinder vorbei und in - 23 -
den schützenden Canyon hinein. Einige Tiere treten auf Joey, der im Schnee schon fast verschwunden ist. Bat Rudledge hat Mühe, Joey zu finden. Und dann ist auch das Pferd des Jungen weg. Nur Rudledges Rappe steht da und wartet. Es kostet Rudledge eine Menge Anstrengung, den Jungen quer über das große Pferd zu legen und sich dann selbst hinaufzuschwingen. Doch irgendwie schafft er es, obwohl auch seine Beine und Arme fast völlig gefühllos wurden. Er folgt den Rindern in den Canyon hinein, der immer noch ansteigt. Bat Rudledge ist wie betäubt oder wie be trunken. Er und Joey Ringo müssen nun schon Stunden in dieser Hölle sein. Und plötzlich macht der Canyon eine scharfe Biegung und führt abwärts. Die Wucht des Blizzards geht nun über die Reiter und ihre Pferde hinweg. Die Sicht wird etwas besser. Doch dann führt auch schon der Weg durch dichten und hohen Wald, dessen Kronen von dem orgelnden Blizzard gepeitscht werden wie Grashalme. Da und dort bricht einer der Baumriesen nieder, reißt andere mit und bringt all die Tonnengewichte der lastenden Schneemassen in Bewegung. Und doch ist es hier auf diesem Wege, der inmitten des alten Waldes zu Tal führt, sehr viel besser, geschützter, wärmer - nicht mehr so unbarmherzig kalt und schneidend. Bat Rudledges Hirn beginnt wieder folgerichtig zu denken. Er erinnert sich an den Stacheldraht am Eingang des Canyons. Wahrscheinlich wurde dieser Draht gezogen, um Rindern und vielleicht auch Reitern den Canyon zu versperren. Also muß sich in der Nähe eine Ranch befinden. Vielleicht ist sogar eine Stadt in der Nähe. - 24 -
*** Im Run Bull Saloon ist es einigermaßen gemütlich. Denn Faro-Jack Spencer hat ihn so stark und solide bauen lassen, daß er im Sommer kühle und im Winter warm ist. Als der Blizzard losbricht, sind ein halbes Dutzend Gäste im Saloon, und sie haben nichts dagegen, sich einige Tage hier bei Whisky und Spiel aufzuhalten. Denn hier im Saloon ist es sehr viel unterhaltsamer als drüben im Hotel. Faro-Jack und sein halbes Dutzend Gäste vernehmen durch das Heulen des Blizzards ein dumpfes Schlagen. Zuerst können sie es nicht deuten. Doch allmählich begreifen sie, daß es von der Eingangstür kommt. Es ist eine große und starke Tür, die bei Anbruch der kalten Jahreszeit gegen die beiden Schwingtürflügel ausgetauscht wird. Auch diesmal hat Faro-Jack dies rechtzeitig getan. Er kommt nun hinter dem Schanktisch hervor und gibt seinen Gästen einen Wink. Er grollt bitter: „Da schlägt mir jemand die Tür in Stücke, wenn wir nicht öffnen. Doch ihr müßt mir helfen, diese Tür festzuhalten. Ich bekomme sie gegen den Sturm gewiß nicht allein zu.“ Faro-Jack ist schlank und hager, und er wirkt ganz und gar wie ein einstiger Berufsspieler. Irgendwann war er es wohl leid geworden, immerzu von einer Stadt zur anderen zu ziehen, sich in den Saloons Spieltische zu mieten oder an fremden Spieltischen sein Glück zu ver suchen. Und so hatte er sich hier niedergelassen. Er öffnet nun die große Eingangstür. - 25 -
Der Blizzard fährt tobend und fauchend herein, bringt Schnee und eine eisige Kälte mit. Und dann stoßen Faro-Jack und dessen Gäste einen mehrstimmigen Schrei aus. Denn ein Ungetüm schiebt seinen gesenkten Kopf herein und drängt sich schnaubend durch die Tür in den Saloon. Es ist ein mit Eis und Schnee bedecktes Ungetüm, unförmig und schrecklich für den ersten Augenblick anzusehen. Dies alles befindet sich in dem Schneewirbel, der unablässig mit dem eisigen Wind hereingefegt kommt. Faro-Jack und dessen Gäste fluchen bitter. Denn obwohl mitten im Saloon ein mächtiger Ofen rotbäckig glüht, ist es nun schon nach wenigen Sekunden mächtig kühl geworden. Und plötzlich fallen all die Schnee- und Eislasten von dem Ungetüm. Es ist ein Pferd, ein riesiger Rappe, auf dem ein Mann sitzt, der einen anderen Mann quer vor sich über den Schenkeln liegen hat. Der Mann stößt ein heiseres Krächzen aus. Es ist unverständlich. Doch Faro-Jack und dessen Gäste wissen jetzt, was zu tun ist. Zuerst schließen sie die Tür, sperren somit den Blizzard wieder aus. Dann holen sie die beiden Männer vom Pferd. „Zieht den Jungen aus - und - und reibt ihn mit Schnee ein. - Oder nehmt den besten Whisky für innen und außen!“ Dies krächzt Bat Rudledge kaum verständlich. Doch sie verstehen es nun. Er hätte es ihnen nicht zu sagen brauchen. Sie sind fast alle erfahrene Männer und wissen genau, wie man Menschen behandeln muß, die zu lange in einem Eis-Blizzard waren. - 26 -
Der große Fremde erholt sich schnell, hüllt sich in eine Decke, die man ihm gibt, und setzt sich ziemlich weit vom Ofen entfernt auf eine Bank. Er sieht zu, wie man seine Kleidungsstücke und auch die seines jungen Gefährten rings um den Ofen auf Stühle hängt, und trinkt dann und wann einen Schluck Whisky. Faro-Jack hat keine Sorge, daß diese beiden seltsamen Gäste nicht bezahlen können. Denn der große Fremde hatte einen Geldgürtel unter dem Hemd auf der bloßen Haut. Dieser Geldgürtel ist recht schwer. Arme Leute sind also nicht gekommen. Der Junge wird gar nicht richtig wach, obwohl sich allmählich durch die Massage mit Schnee und dann mit Whisky die Durchblutung wieder einstellt und es wahrscheinlich ist, daß ihm keine Glieder erfroren sind. Aber er wird nicht wach. Man bringt ihn in eine Kammer, die Faro-Jack bereitwillig zur Verfügung stellt. Auch die Wunden wurden versorgt, die der Junge hatte. Nun blicken sie alle das Pferd an. Man hat ihm schon einen halben Eimer mit warmem Wasser gegeben, in welches man zuvor eine halbe Flasche Whisky goß. Und das Tier leerte diesen „Punsch“ ganz selbstverständlich und als wäre es an nichts anderes gewöhnt. Nun ist es aufgetaut. Um seine Hufe hat sich eine Wasserlache gebildet. Es steht etwas breitbeinig da und läßt den Kopf sinken - und dann, wenn der Kopf fast am Boden angelangt ist, ruckt er wieder empor. Dieses Tier nickt also immer wieder ein, wie es oft auch die Menschen tun. „Das Pferd muß raus“, sagt Faro-Jack plötzlich. „Dies ist ein Saloon für Gentlemen und nicht für Pferde. Es wird nicht lange dauern, dann wird es hier nach - 27 -
Ammoniak und Pferdeäpfeln riechen. Dazu ist mein Saloon zu nobel. Dieser Bock muß raus! Der Mietstall ist nur hundert Schritte weiter. - Es muß doch möglich sein ...“ „Big Jim bleibt hier“, unterbricht ihn Bat Rudledge heiser. „Es ist ein nobles Pferd. Ich zerre ihn nicht noch einmal in den Blizzard hinaus.“ Faro-Jack erwidert noch nichts. Doch all seine Gäste sind jetzt sehr neugierig. Denn Faro-Jack, der sich stets wie ein Gentleman beherrscht und so undurchschaubar ist, wie es ein Spieler nur sein kann, ist messerscharf und gefährlich. Er meidet zwar körperliche Auseinandersetzungen, doch er kann es mit jedem Revolvermann aufnehmen. Dies hat er schon bewiesen. In seinem Saloon hat er bis jetzt stets seinen Willen als Hausherr durchsetzen können. Und dabei gibt es eine ganze Menge wilder und gefährlicher Burschen in diesem Lande. Faro-Jack bewegt sich. Er geht hinüber zu dem Tisch in der Ecke, hinter dem der in die Decke gehüllte Fremde sitzt. „He, Fremder, das Pferd muß aus meinem Saloon“, sagt er noch mal. „Es bleibt, bis es sich erholt und der Blizzard sich etwas gelegt hat“, erklärt Bat Rudledge, und er sagt es genauso ruhig und bestimmt wie Faro-Jack, der hier der Hausherr ist. Die Gäste sind nun noch gespannter darauf, was FaroJack tun wird. Sie sehen, wie er sich auf den Tisch stützt und sich etwas vorbeugt, um den Fremden noch besser betrachten zu können. Weil der Blizzard draußen die Welt verdunkelt hat, brennen im Saloon zwei Lampen. Im Schein dieser Lampen sehen sich Faro-Jack und der - 28 -
Fremde in die Augen. Dies können die Gäste beobachten. Und dann staunen sie. Denn Faro-Jack nickt plötzlich. „Nun gut“, sagt er, „der Gaul kann bleiben.“ „Danke“, sagte Rudledge daraufhin. „Wissen Sie, es ist wirklich ein nobles Tier. Der Junge und ich, wir würden ohne Big Jim nicht diese Stadt gefunden haben. Man konnte keine drei Yard weit sehen.“ Faro-Jack nickt wieder. Dann wendet er sich ab und kehrt zu der Runde am Pokertisch zurück. Er nimmt die Karten wieder auf, beginnt sie zu mischen und teilt aus. Plötzlich wendet er den Kopf und stellt die Frage, die jeder der Anwesenden gerne beantwortet haben möchte: „Sie sind fremd hier, Mister?“ „Mein Name ist Rudledge“, sagt dieser. „Und die Wunden des Jungen stammen von diesem Stachel drahtzaun, der den Canyon im Osten versperrt. Das Pferd des Jungen rannte dagegen und warf ihn ab. Er fiel gegen den Draht. Der Junge heißt Joey Ringo. Er half mir, meine Herde zu treiben.“ Nun vergessen die Männer am Tisch für einen Moment ihre Karten. „He, Sie hatten eine Herde bei sich?“ Dies fragt einer von ihnen staunend. „Ja, wie kamen Sie dann mit Ihren Rindern über den Zaun?“ Bat Rudledge spürt deutlich die Spannung. „Ich habe ihn zerstört“, sagte er, „damit meine Rinder durchkommen konnten. Wer baut hier Stacheldrahtzäune, wo doch ein Gatter genügen würde?“ Sie schweigen, und sie betrachten ihn witternd. Aber Faro-Jack, der ihm gegenüber vorhin so unvermutet nachgegeben hatte - wohl deshalb, weil er ihm aus nächster Nähe in die Augen sehen konnte -, sagt - 29 -
nun trocken: „Jeremy Philbrook errichtet hier Sta cheldrahtzäune. Und Sie werden mit ihm zu tun bekommen, Mister Rud ... Wie war doch der Name?“ „Rudledge - Bat Rudledge“, sagt dieser. Nun klingt seine Stimme noch deutlicher. Und jetzt erst verstehen sie seinen Namen richtig. Sie wissen jetzt, wer in ihre Stadt und in dieses Land gekommen ist. Eine Weile sitzen sie andächtig da, und es ist sicher, daß sie nun die verschiedensten Möglichkeiten überden ken. Sie begreifen nun auch Faro-Jacks Nachgeben. FaroJack ist ein erstklassiger Menschenkenner. Mit einem Male grinsen sie alle, und es ist ein schadenfrohes Grinsen. Doch es gilt nicht Rudledge. Einer der Männer sagt nun sehr sanft und vorsichtig: „Dieser Jeremy Philbrook ist ein ziemlich harter und un duldsamer Mensch, Mister Rudledge. Er hat geschworen, daß er jedem Burschen die Haut abziehen will, der sich an seinen Zäunen vergreift. Und Sie haben nicht nur das getan, sondern auch noch fremde Rinder auf seine Weide gebracht. Nun, dies wird auch für einen Bat Rudledge nicht ohne Kummer abgehen. Sie sollten sich darauf einstellen, Mister Rudledge.“ Dieser nickt. Er nippt wieder an seinem Whisky. Die Männer wenden sich ihrem Spiel zu, setzen es fort. Doch sie alle spielen unkonzentriert und lustlos. Jeder von ihnen ist mit bestimmten Gedanken beschäftigt. „Wie heißt diese Stadt?“ Dies fragt Rudledge nach einer Weile. Alle blicken sie ihn an. „Jennifer! - So heißt diese Stadt. - Jennifer City!“ Faro-Jack sagt es irgendwie ernster und feierlicher als er sonst spricht. - 30 -
„Ein Frauenname?“ fragt Rudledge, und er wirkt plötzlich angespannt und wachsam. „Jennifer? - Jennifer City?“ Sie nicken alle. „Diese Stadt wurde nach Jennifer Adams benannt“, sagt einer. „Und Jennifer Adams leitet das Hotel hier. Sie war damals die einzige Frau im ganzen Lande - ich meine, die erste weiße Frau. Eigentlich hat sie diese Stadt gegründet.“ Rudledge nickt, senkt den Kopf und sitzt eine Weile da. Sein Rappe legt sich nun bei der Tür auf die Dielen. Und dann legt auch Rudledge sich auf die Bank. Man hört bald, daß er eingeschlafen ist. *** Bat Rudledge schläft auf der harten Bank bis zum nächsten Morgen, und als er sich erhebt, sitzt die Pokerrunde immer noch beisammen. Sie haben das Pokerspiel jedoch unterbrochen, um das Frühstück einzunehmen, welches Faro-Jacks Chinese, der im Saloon „Mädchen für alles“ ist, ihnen vorsetzte. „Mir auch“, verlangt Rudledge. Er erhebt sich, holt sich seine Sachen von all den Stühlen rings um den Ofen und kleidet sich an. Im Saloon riecht es nun etwas nach Stall. Denn das ist nun mal so, wenn Pferde in einem Raum übernachten. Doch die Gäste sind an diese Gerüche mehr oder weniger gewöhnt. Sie sind fast alle Reiter, die selbst nach Pferd riechen, weil Pferdeschweiß immer wieder mit ihrer Kleidung in Berührung kommt. Der Blizzard ist offensichtlich dabei, etwas nachzulassen. Als Faro-Jack einmal fragend zu Bat - 31 -
Rudledge blickt, nickt dieser ihm zu und sagt: „Ich brin ge mein Pferd gleich hinaus.“ Da betrachten sie alle kauend den riesigen Rappen, der wieder auf allen vier Hufen steht, seinen Kopf über den Schanktisch schiebt und an all den Flaschen schnüffelt. „Dem hat der Whisky gestern gut geschmeckt“, sagt einer der kauenden Männer. „Ich kannte mal ein Pferd, das hatte sich angewöhnt, Damenhüte zu fressen - weil darauf zumeist immer solch nachgemachtes Grünzeug garniert war, hahaha!“ „Das tollste Pferd hatte Pete Higgs“, sagte ein anderer Mann. „Dieser Gaul konnte mit Pete Halma spielen. Sie saßen so manchen Abend auf der Veranda und spielten Halma.“ „Das war nicht Pete Higgs' Pferd, sondern seine Frau“, mischt sich ein dritter Mann ein. „Petes Pferd war in der Küche und wusch das Geschirr ab. Was du bei Pete auf der Veranda sahst, war seine Frau, denn sie war so groß und stark wie ein Pferd und band sich das Kopftuch immer auf eine besondere Art um.“ „Ich werde doch noch eine Frau von einem Pferd unterscheiden können! Und dann konnte Petes Pferd auch gar nicht Geschirr abwaschen. Das ist eine verdammte Lüge!“ Die beiden Männer, denen wohl die lange Wartezeit nicht gut bekam, springen nun streitsüchtig auf. Doch dann werden sie abgelenkt, denn sie alle sehen nun, wie der riesige Rappe eine Flasche geschickt entkorkt und sie dann zwischen die Lippen nimmt, um sie hochzuschwingen und den Boden gegen die Decke zu heben. Er trinkt wahrhaftig. „Hör auf, Big Jim“, sagt Rudledge grimmig. „Ich - 32 -
nehme dich nie wieder in eine Bar, wenn du dich nicht beherrschen kannst.“ Da stellt Big Jim wahrhaftig die Flasche hin und senkt zerknirscht und offenbar beschämt seinen Kopf. Der Chinese, der das Frühstück für Rudledge brachte, sah und hörte andächtig zu. Nun faltet er die Hände und sagte: „Das könnte meine Gloßmuttel sein, Mistel. Sie tlank auch so gelne Feuelwassel, und die Walsagelin sag te il, daß ile Seele in ein Pfeld falen wülde, weil Pfelde nicht tlinken können. - Doch jetzt tlinkt sie doch.“ Die Männer brüllen lachend los, und der Chinese erwacht aus seiner tiefen Nachdenklichkeit, verzerrt wütend das Gesicht und verschwindet wie ein Blitz im Nebenraum. Wie fast alle Chinesen konnte er kein R sprechen. Faro-Jack erhebt sich plötzlich und geht zu Rudledge hinüber. Er hat seine Kaffeetasse mitgenommen und setzt sich an Rudledges Tisch. „Kamen Sie zufällig mit einer Herde in unser Land, Mister Rudledge?“ fragt er sanft. „Nichts ist Zufall“, murmelt Rudledge. „Geben Sie auf den Jungen acht, Mister Spencer.“ Er legt Geld auf den Tisch. „Wird das reichen für alles, was wir benötigen und was er noch benötigen wird, bis er wieder aufstehen kann?“ „Sie können alles umsonst haben, Rudledge“, murmelt Faro-Jack langsam, und in seinen dunklen Augen ist ein seltsames Glühen. Nur dieses Glühen verrät etwas von den Dingen, die tief in ihm verborgen sind. Er lächelt sparsam, als er Rudledges fragenden Blick sieht, beugt sich weiter vor und sagt: „Sie haben in dieser Stadt alles frei, solange Sie hier bleiben und Jeremy Philbrook standhalten. Denn er wird - 33 -
auf sie losgehen. Er muß auf Sie losgehen - aus Prestigegründen. Und er wird es Ihnen schwer und sauer machen, die Rinder zurückzubekommen. Ein anderer Mann als Sie, Bat Rudledge, hätte gar keine Chance. Doch Sie sind ein Mann, dessen Pferd ich in meinem Sa loon duldete. Sie haben hier alles frei. Ich bin sicher, daß ich für die ganze Stadt spreche.“ „Auch für Jennifer Adams, nach der diese Stadt benannt wurde?“ Rudledge fragt es kritisch. Und Faro-Jack Spencer bekommt schmale Augen. „Kennen Sie Jennifer Adams?“ Dies fragt er plötzlich. Rudledge gibt ihm keine Antwort. Er erhebt sich, läßt das Geld liegen und zieht sich die Jacke an. Dann sattelt er das Pferd und wendet sich an die Männer. „Macht schnell die Tür hinter uns zu“, sagt er. *** Rudledge verläßt den Mietstall und geht zurück bis zum Hotel. Dort muß er klopfen, bis ihm ein riesiger Neger öffnet und ihn mit seinem Gepäck einläßt. Er bringt viel Schnee und Kälte in die Halle. Er tritt an das Anmeldepult und schlägt mit der Hand leicht auf die Tischglocke. Der Neger ist noch im Vor raum bei der Haustür damit beschäftigt, den Schnee aufzufegen und die Nässe wegzuwischen, die der tauende Schnee erzeugt hat. Es ist angenehm warm in der Halle. Ein Ofen glüht. Und dann kommt Jennifer Adams aus ihrem kleinen Büro hinter das Anmeldepult. Sie erkennt Bat Rudledge erst, als dieser den Hut abnimmt und sich den Schnee von seinem Gesicht und aus den Bartstoppeln wischt. Doch - 34 -
dann schreckt sie auf, bekommt weite Augen und verharrt einige Atemzüge lang regungslos. Ihre Hände hob sie instinktiv bis zum Hals, so als klopfte ihr das Herz plötzlich zu stark, daß sie meinte, es müßte ihr etwas aus dem Hals springen. „Nun, Jennifer“, sagt Bat Rudledge ruhig, „es läßt sich wohl nicht vermeiden, daß ich dein Gast bin, nicht wahr? Oder willst du mich in diesen Blizzard hinausschicken, der vielleicht nur noch einmal Atem holt und Tage dauern kann?“ Sie hat grüne Augen, eine sehr gebräunte Haut, ist kaum mittelgroß und gewiß nicht älter als sechsundzwanzig Jahre. Ihr Haar ist rot wie eine Kastanie, wenn man sie poliert hat. Diese Jennifer Adams ist mehr als nur hübsch. Sie gibt einem Mann immer wieder neue Dinge zu entdecken, Dinge, die erfreulich sind und die man auf den ersten Blick nicht erkennt. Da ist ihr ausdrucksvoller Mund, der nicht nur Energie und Lebenswillen, sondern auch Lebensfreude und jene Weichheit verrät, die in fast jeder Frau vorhanden ist, will oder muß sie auch noch so energisch und zielstrebig sein. Und da ist ein Grübchen am Kinn, sind Sommersprossen auf ihrer Nase, ist der Schwung ihrer Augenbrauen und ... Nun, es sind viele erfreuliche Dinge an ihr, die ein Mann nach und nach entdecken kann - und auch muß, will er herausfinden, warum diese Frau so begehrenswert ist. Sie findet nun endlich nach ihrer Überraschung die ersten Worte. „Bat“, sagt sie, „du hast dich doch wohl nicht von diesem Weidepiraten anwerben lassen, um ...“ - 35 -
Sie verstummt und schüttelt den Kopf. „Nein, von solchen Burschen hast du dich nie anwerben lassen. Dei nen Revolver hast du nie vermietet. Aber was geht mich das an? Wir hatten damals Schluß gemacht miteinander. Du bist hier Gast wie jeder andere auch. Wenn du zahlen kannst, so bekommst du ein Zimmer.“ „Ich kann zahlen“, sagt er schlicht und dreht das Anmeldebuch herum, um sich einzutragen. „Ich kann für alles“ fügt er hinzu. Als er sich nach der Eintragung wieder aufrichtet, sieht er in ihre Augen. Ganz tief in diesen Augen erkennt er ihre Verwirrung. Dann wendet sie sich mit einer fast heftigen Bewegung ab, nimmt vom Schlüsselbrett einen Schlüssel und legt ihn auf das Anmeldepult. „Zum Teufel“, sagt sie plötzlich, „warum bist du in diese Stadt gekommen, Bat? Ich muß es wissen!“ Der Neger kommt nun aus dem Vorraum. Er nimmt den Schlüssel und Rudledges Sattelrolle und Sattelta schen. „Ich heize den Ofen an, Mister“, sagt er mit seinem ruhigen Baß und geht nach oben. Jennifer Adams aber bückt Rudledge fordernd an. Sie will eine Antwort auf ihre Frage. Er lächelt etwas bitter - und auch etwas schief. „Du wirst es mir nicht glauben, Jennifer“, sagt er dann. „Ich kam mit einer kleinen Rinderherde. Sie gehört mir, und ich suche ein Stück Weideland für eine Ranch. Ich will eine kleine Ranch gründen.“ Sie staunt voller Ungläubigkeit. Sie schüttelt bald darauf heftig ihren Kopf, so daß ihre Haare fliegen. „Was ist dies wieder für ein Trick?“ So fragt sie heftig. „Man hat dich also angeworben, damit Jeremy - 36 -
Philbrook auf dich losgeht und sich an dir die Zähne ausbeißt. Bat, ich sehe, daß du dich immer noch nicht geändert hast. Du lebst immer noch von deinen Revol verkämpfen. Es war damals richtig von mir, daß ich mich von dir trennte. Und wenn der Blizzard sich gelegt hat, dann möchte ich dich nicht länger in meinem Hotel haben. Ich war damals fertig mit dir, richtig fertig! Und ich bin es immer noch!“ Er betrachtet sie ausdruckslos. „Es hat sich eine Menge geändert“, murmelt er. „Ich jage keine Banditen mehr. Ich bin kein Kopfgeldjäger mehr.“ „Ein Menschenjäger warst du“, erwidert sie heftig. „Als ich dies damals herausfand, machte ich Schluß mit dir. Und du hast die Jahre danach nichts anderes getan als Menschen wegen der ausgesetzten Kopfpreise gejagt. Oder gibt es andere Gründe?“ „Banditen, Mörder und Verbrecher waren es“, murmelt er. Doch er wendet sich plötzlich ab und folgt dem Neger, der längst den Ofen in seinem Zimmer angemacht hat. Jennifer Adams blickt ihm nach, und nun wirkt sie wieder irgendwie hilflos und verwirrt. Sie tritt dann wieder in ihr kleines Hotelbüro und setzt sich dort hinter den Schreibtisch. „Du lieber Gott, Bat ist gekommen“, murmelt sie. „Er hat mich also gesucht in all den Jahren und schließlich doch gefunden. Ich hätte nicht dulden dürfen, daß man einer Stadt meinen Namen gab. Er konnte mich bestimmt deshalb finden, weil diese Stadt meinen Namen trägt. Was soll nun werden?“ *** - 37 -
Der Blizzard hält noch drei Tage und Nächte durch. Dann ist es jäh still nach all dem ohrenbetäubenden Orgeln und Brausen. Die Sonne ist plötzlich da, und sie wärmt schon nach wenigen Stunden wieder viel zu kräftig für diese Jahreszeit. Der Wind hat noch einmal gedreht, und bringt zunehmend wärmere Luft heran. Es setzt Tauwetter ein, und das Land überall ist bald mit Wasser bedeckt. Der Schnee schmilzt so schnell, daß all die vielen kleinen und größeren Bäche zu tobenden Flüssen werden, die niemand durchschwimmen kann. Und so ist man überall im Land vorerst genau so von einander getrennt und abgeschnitten wie durch den tiefen Schnee. Bat Rudledge kam während der vergangenen drei Tage nur zu den Mahlzeiten herunter in den Speiseraum. Jennifer Adams, die sonst selbst ihre Gäste bediente, machte sich dann stets in der Küche zu schaffen und schickte ihren Negergehilfen. Bat Rudledge schien es gar nicht zu bemerken, wie sehr ihm die Hotelbesitzerin aus dem Weg ging. Am vierten Tage verläßt er dann das Hotel und spaziert durch die kleine Stadt. Ja, Jennifer City ist noch klein. Doch alles ist gut angelegt und für die Zukunft geplant. Die Hauptstraße ist breit, und obwohl es noch viele freie Bauplätze gibt, kann man erkennen, wie die zukünftigen Querstraßen und Gassen geplant sind. Alles ist ordentlich vermessen und abgesteckt worden. Bat Rudledge sieht sich alles an. Er betritt auch das Schulhaus und macht sich mit dem grauköpfigen und stelzbeinigen Lehrer und Gemeindeschreiber bekannt, der dabei ist, aus dem Gedächtnis, eine Europa-Karte auf - 38 -
die schwarze Wandtafel zu zeichnen. Bat Rudledge fragt, ob es eine Karte von diesem Land hier gibt. Der Lehrer hat eine. Sie ist zwar ebenfalls handgezeichnet, doch offenbar recht genau gemacht. Bat Rudledge verbringt eine volle halbe Stunde damit, sich diese Landkarte einzuprägen. Es ist auch die Lage jeder Ranch, jeder Farm und Siedlerstätte eingezeichnet. Es ist dies hier ein Gebiet von Tälern, die allesamt miteinander verbunden sind. Jener Canyon, dessen Drahtsperre Rudledge zerstörte und durch den er dann in ein Tal gelangte, ist einer der wenigen Zugänge von Osten oder Nordosten her. Das gesamte Tal ist als Weideland der Pim-KreisRanch eingezeichnet. Doch dieses Tal öffnet sich zu einem weiteren und sehr viel größeren Tal. Mitten in dieser Öffnung liegt die kleine Stadt. Und westlich dieser Stadt beginnt das größere Tal und dehnt sich mächtig aus. Dort sind mehr als ein halbes Dutzend Rancher eingetragen. Diese Eintragungen beziehen sich jeweils auf die Wasserrechte irgendwelcher Bäche oder Quellen. Das Land selbst ist noch Regierungsweide und kann nur nach Squatter-Recht in Besitz genommen werden. Ein Heimstättengesetz ist für dieses Territorium von der Regierung noch nicht erlassen worden, doch ist früher oder später damit zu rechnen. Dies alles ersieht Rudledge aus der Karte oder erfragt es. Als er dann das kleine Gemeindebüro verläßt, weiß er besser über das Land und die Verhältnisse Bescheid. Die Tür zum Saloon steht offen. Er tritt leicht und geschmeidig ein und macht keinerlei Geräusch. Doch er hält bald inne und hört zu, was dort drinnen - 39 -
Joey Ringo zu erzählen hat. Denn Joey Ringo steht wieder auf den Beinen. Es geht ihm offenbar schon wieder recht gut. Er ist der Mittelpunkt einiger Gäste, die ihm offensichtlich Drinks spendiert haben. Denn er hält ein noch halbvolles Glas in der Hand und erzählt mit schwerfälliger Stimme irgendwelche Abenteuer, die er zusammen mit Bat Rudledge erlebte. Als Rudledge eintritt, hört er den Jungen sagen: „... konnte er sich nun, da ich ihm den Rücken deckte, völlig auf die beiden gefährlichen Hennessys konzen trieren. Auf jeden waren zweitausend Dollar Belohnung ausgesetzt. Das war ein Geschäft! Er zog so sehr viel schneller als sie, daß er sie beide mit sauberen und glatten Herzschüssen erwischte, bevor sie ...“ Nun bricht er ab, denn er sah nun im Barspiegel endlich, wer in den Saloon getreten war. Es sieht einen Moment so aus, als würde er den Kopf einziehen und davonschleichen. Doch dann wird er trotzig. Er leert das Glas mit einem einzigen Zug, verschluckt sich fast dabei und wendet sich dann Bat Rudledge zu, der langsam näher tritt. „Nicht wahr, Bat? Dieser Kampf mit den beiden gefährlichen Hennessys war ein gutes und schnelles Geschäft. Und ich hatte eine Menge Mühe, dir den Rücken zu decken. Ich habe diese Sache gerade erzählt, denn die Gentlemen hier können gar nicht genug von deinen Kämpfen erzählt bekommen, Bat.“ Rudledge atmet langsam ein. Sein Gesicht mit all den dunklen Linien darin bleibt beherrscht und ruhig. Nur seine graugrünen Augen funkeln voll kaltem und bitterem Zorn. Es sieht einen Moment so aus, als wollte er ausholen und dem Jungen eine Maulschelle geben, daß dieser sich überschlägt. - 40 -
Doch dann nickt er leicht und sagt: „Ja, du warst großartig, Joey. Die Hennessys hatten den ganzen Saloon voller Freunde, und sie alle waren schwer bewaffnet, sogar mit Schrotflinten. Aber als du erst deinen Colt gezogen hattest, und es ihnen klar wurde, daß du mir den Rücken decktest, da wagte es keiner, meinen Kampf mit den Hennessys zu stören. - Wer waren denn eigentlich diese Hennessys?“ Er stellte die Frage als überraschenden Abschluß, und er stellt sie mitleidig und nachsichtig. Joey Ringo zuckt zusammen, schnappt nach Luft und wird dunkelrot im Gesicht. „Die - die Hennessys .. .“, so stammelt er. „Nun - nun - das waren doch die - die zwei Schufte, die ...“ Nun versagt ihm endlich die Stimme. Die Scham preßt ihm die Kehle zu, und er senkt den Kopf und will davonschleichen. Die Zuhörer aber brüllen nun lachend los. Sie hatten ihn schon von Anfang an nicht für voll genommen. Auch Faro-Jack Spencer, der hinter dem Schanktisch steht, lächelt spöttisch und verächtlich über den Jungen. Doch dann verstummen sie alle, denn Bat Rudledge lächelt nicht. Sein Gesicht drückt sogar Unmut aus, und er blickt die lachenden Männer auf eine Art an, die sie schnell verstummen läßt. Dabei streckt er seine Hand aus, legt sie dem Jungen auf die Schulter und hindert ihn so daran, fortzugehen. „Paßt auf!“ sagt er, als es still ist. „Dies ist ein Junge, der sich sein ganzes Leben wie eine kleine Maus fühlte. Und er hat immer nur den Wunsch gespürt, groß und wichtig zu werden. Dann habt ihr ihn betrunken gemacht. Plötzlich kam er sich sehr prächtig und großartig vor und wollte dies auch beweisen. Und so begann er euch - 41 -
Lügenmärchen zu erzählen. Das machte euch Spaß. Er bekam noch mehr Schnaps und ihr noch mehr Spaße. Doch damit ist nun Schluß für immer.“ Er macht eine Pause und blickt Faro-Jack Spencer an. „Dieser Junge bekommt hier keinen Schnaps mehr, Mister Spencer“, sagt er sanft. Faro-Jack erwidert nicht sogleich etwas. Er steht einige Atemzüge lang still hinter dem Schanktisch und betrachtet Rudledge mit schmal gewordenen Augen. Dann murmelt er: „In Ordnung. Er ist also noch ein Kind und darf keinen Schnaps trinken. Er bekommt hier nichts mehr.“ „Danke“, nickte Rudledge. „Sie sind ein sehr einsichtiger Mensch, Mister Spencer.“ Dann stößt er den Jungen vor sich her hinaus. Hinter ihm bleibt es still. Die Gäste betrachten FaroJack Spencer, dessen Gesicht nur etwas blasser wirkt als zuvor. „Du läßt dir von ihm allerhand bieten“, sagt einer der Männer endlich langsam in die Stille. „Ich bin ein einsichtiger Mensch“, wiederholt FaroJack die Worte Rudledges. „Aber wenn wir dabei sind, festzustellen, wer sich etwas bieten läßt, da muß ich euch doch mal fragen, was ihr euch alles von Jeremy Philbrook bieten laßt? - He?“ Und da schweigen sie betreten, blicken zu Boden, scharren in den Sägespänen, mit denen der Boden bestreut ist, und schweigen bedrückt. „Wir alle lassen uns eine Menge bieten“, fährt FaroJack fort. „Wir dulden Revolverhelden wie Mike Carreras und Ed Kovack in diesem Land und sehen zu, wie diese beiden Mörder ...“
- 42 -
***
Rudledge bringt Joey Ringo zum Mietstall, steckt dort Joeys Kopf in den Tränktrog und wiederholt diese Proze dur mehrmals, bis der Junge wieder etwas nüchtern ist. Dann sagt er zu ihm: „Wir reiten aus! Du wirst ein neues Pferd mit Sattel bekommen.“ Joey Ringo ist offenbar alles völlig gleich. Aber wenig später, als er im Sattel eines Pinto all den Schnaps wieder ausschwitzt, den er trank, da beginnt er langsam nüchtern zu werden. Er folgte Rudledge in einigem Abstand, und es sieht wirklich so aus, als wären sie Rittersmann und Knappe. Mehrmals müssen sie durch gefährlich schäumende Creeks und werden bis zu den Hüften naß. Doch der Junge stellt keine Fragen, wundert sich nur, daß Rudledge sich hier auszukeimen scheint und genau Weiß, wohin sie reiten. Denn sie haben offensichtlich ein bestimmtes Ziel, dies ist völlig klar. Als sie dann einen Kranz sanfter Hügel überreiten, erblicken sie eine große Ranch inmitten der geschützten Senke. Die Größe der Ranch ist nicht so sehr an den Gebäuden, sondern vielmehr an den Korrals zu erkennen, an den Heuschobern und dem langen Bunkhouse, dem Mannschaftsschlafraum. Es gibt kein großartiges Haupthaus. Es ist alles nur rein zweckmäßig errichtet. Das Haupthaus scheint eine dreiräumige Blockhütte zu sein, denn sie steht etwas abseits der Scheunen, Werkstätten, Ställe und des Bunk house. Es steht auch etwas höher und hat eine bescheidene Veranda, von der aus man nach Süden und Westen blicken und auch die gesamte Ranch übersehen - 43 -
kann. Leute sind nicht viele zu sehen. Doch in der Schmiede wird gehämmert. Ein Mann deckt das Dach einer Scheune an einigen Stellen neu. Und bei den Korrals werden Pferde zugeritten. Es gibt eine Art Einfahrt mit einem Querbalken, in dem deutlich erkennbar eingebrannt ist: „Pim-KreisRanch“. Auf der Veranda des Blockhauses sitzt ein Mann beim Mittagessen. Ein chinesischer Koch hatte ihm das Essen vom Küchenhaus über den schmutzigen Hof gebracht. Nun sitzt dieser Mann, wahrscheinlich der Boß dieser Ranch, in der Spätherbstsonne und ißt mit kräftigem Appetit. Er betrachtet die beiden Reiter unwillig und kaut dabei langsam und methodisch; es ist ein mahlendes und mal mendes Kauen, und es paßt so gut zu seiner Erscheinung. Denn er drückt Wucht, Masse, Beharrlichkeit, Ausdauer, unerschütterliches Selbstvertrauen und rücksichtslose Härte aus. Er ist gewiß nicht groß, doch wie er da so gedrungen sitzt, schätzt man sein Gewicht auf zweihundert Pfund. Er deutet mit der Gabel auf Rudledge und sagt mit einer grollend klingenden Stimme: „Sind Sie Rudledge?“ Dieser nickt. „Ich mußte Ihren Zaun zerstören“, sagt er. „Und meine Rinder sind nun auf Ihre Weide geraten. Es sind genau einhundertundzwanzig Tiere. Viele werden noch kalben. Mister Philbrook, ich bin gekommen, um Sie um Verständnis zu bitten.“ Philbrook grinst breit. „Verständnis?“ Er fragt es, als kenne er dieses Wort nicht und müßte erst darüber nachdenken. - 44 -
„O ja, Verständnis!“ Er ruft es plötzlich, als fiele ihm die Bedeutung dieses Wortes endlich ein. „Aber natürlich habe ich Verständnis“, spricht er kauend. Er hat etwas kleine Augen, die tief in den Höhlen und unter buschigen Brauen verborgen sind. Er ist nicht älter als Rudledge, also etwas zweiunddreißig Jahre. „Der Junge kann im Küchenhaus essen“, sagt er. „Sie können absteigen und zu mir an den Tisch kommen. Dann wollen wir uns mal über Verständnis unterhalten, Rudledge.“ Rudledge nickt dem Jungen zu, der sein Pferd wendet und zum Küchenhaus reitet, wo sich ein Speiseraum anschließt. Rudledge aber sitzt langsam ab. Er ist etwas verwirrt, denn es hat den Anschein, als könnte man mit Jeremy Philbrook reden. Das Problem ist nicht so sehr der zerrisene Zaun. Diesen haben Philbrooks Reiter gewiß schon repariert. Er hat viele Reiter. Auf dieser Ranch ist Platz für zwei Dutzend Reiter. Das Problem sind die hunderteinundzwanzig Rinder. Sie haben sich längst vermischt. Sicherlich kann man einige Dutzend herausfinden. Doch ein endgültiges Aussortieren wird erst beim Frühjahrs-Round-up möglich sein, wenn die Rinder wieder ins offene Tal kommen. Rudledge betritt die Veranda und zieht einen Stuhl zurück, um sich setzen zu können. Er hat seinen Hut ans Sattelhorn gehängt. Als er sich niedersetzt, beugt er sich etwas vor und über den Tisch. Und da schnellt Jeremy Philbrooks Hand vor, krallt sich in sein Haar und zieht ihn daran mit einem gewaltigen Ruck über den Tisch. Rudledge landet mit seinem Gesicht in einer noch halbvollen Schüssel mit - 45 -
Stew. Er kann nichts mehr sehen, und er will sich vom Tisch rollen. Doch Philbrook besitzt die Kraft eines Bullen. Er zerrt ihn an den Haaren noch weiter über den schwankenden Tisch, von dem nun fast alles Geschirr fällt. Und dann trifft er ihn mit gewaltigen Schlägen der anderen Hand. Es war ein heimtückischer Überfall. Rudledge ist schon halb betäubt und kann immer noch nicht viel sehen, als er sich endlich freikämpft, vom Tisch rollt und sich am Boden überschlägt. Doch als er aufspringt, ist Philbrook schon bei ihm und trifft ihn mit Schlägen, die wie Huftritte kommen. Noch nie bekam Rudledge von einem Mann solche Schläge. Seine Rippen schmerzen, und die Luft fehlt ihm. Er bekommt die Schläge sehr präzise auf Rippen, Herzspitze, Leber, in den Magen, und er begreift dumpf, daß Philbrook gewiß einmal Preiskämpfer war und jahrelang nichts anderes tat, als solche Schläge zu üben. Er muß zu Boden, und dann fällt Philbrook über ihn her wie ein Bulle. Er gibt dem so heimtückisch überfallenen Rudledge keine Chance mehr. Es sieht so aus, als wollte er Rudledge in Stücke schlagen. *** Als Rudledge wieder zu sich kommt, spürt er sofort die heftigen und gemeinen Schmerzen. Doch am schlimmsten schmerzt ihm die linke Hand. Seine Revolverhand! Als diese Erkenntnis dumpf und mühsam in seinen Verstand eingedrungen ist, wird er davon alarmiert wie durch einen scharfen Messerstich. - 46 -
Meine Revolverhand! Dieser Gedanke ist wie ein Alarmschrei. Und so wird er endlich richtig wach und wundert sich darüber, daß er nicht viel sehen kann. Doch auf seinem Gesicht liegt ein nasses Tuch. Als es verrutscht, sieht er Mond und Sterne. Und er liegt irgend wo auf dem feuchten Boden. Ihm ist kalt. Er fühlt sich krank und elend, so etwa wie ein verprügelter Hund. Bat Rudledge war das, was Joey Ringo einmal werden wollte. Nun liegt er hier zerschlagen in der Nacht auf dem feuchten Boden. Seine Revolverhand ist erledigt. Für Joey Ringo sieht es so aus, als hätte Bat Rudledge seinen Meister gefunden. Denn er sah ja nicht den An fang des Kampfes, weiß nicht, wie heimtückisch Jeremy Philbrook in Rudledges Haar griff und Rudledges Gesicht in die noch ziemlich gefüllt Schüssel mit Stew tauchte, so daß Rudledge für einige Sekunden blind war. Nein, dies weiß der Junge nicht. Er war im Küchen haus und kam erst heraus, um zu sehen, wie Rudledge schlimm zerschlagen wurde von dem massigen Rancher. Deshalb liegt all diese Hilflosigkeit und die Scham in des Jungen schriller Stimme. „Er hat Ihnen die Revolverhand immer wieder mit seinem Absatz zertreten!“ ruft er noch schriller und wilder, ganz so als wäre ihm dieses Unglück selber zugestoßen. „So ist es wohl, Junge“, ächzt Rudledge und setzte sich mühsam auf, wobei ihm der Junge hilft. „Er hat mir fast alle Knochen meiner Hand gebrochen, Joey.“ „Dann sind Sie nicht mehr der große Bat Rudledge“, keucht der Junge. „So ist es wohl, Joey.“ - 47 -
Bat Rudledges Stimme wird mit jedem Wort klarer und beherrschter, wenn sie auch gepreßt klingt und er kennen läßt, welche Not und Schmerzen in ihm sind. „Wie komme ich hier an diesen Ort, Joey?“ Er fragt es nach einigen Atemzügen. „Man hat Sie quer, über das Pferd gelegt“, erklärt Joey Ringo. „Hier fielen Sie mir herunter. Ich war nicht kräftig genug, Sie wieder auf das Pferd zu heben. Und so legte ich Sie auf den Rücken und wartete. Warum griffen Sie nicht zu Ihrem Colt, als Philbrook Sie angriff? Er hätte Sie gewiß nicht so zerschlagen können, würden Sie ihm Ihren Colt unter, die Nase gehalten haben.“ Bat Rudledge gab ihm keine Antwort. Er müht sich vielmehr, endlich auf die Beine zu kommen. Doch er schafft dies nur mit Joey Ringos Hilfe. „Er hat Sie zuletzt mit Fußtritten bearbeitet“, erklärt Joey. „Ich dachte, daß dieser Bulle Sie töten wollte.“ „Ja, ich wurde in meinem ganzen Leben noch nie so zerhämmert“, ächzt Rudledge. Er lehnt sich nun gegen seinen Rappen, der herbeikam, als wüßte er genau, daß sein Herr sich gegen ihn lehnen muß. Bat Rudledge schöpft Kraft und bekämpft die Schmerzen. Dann wendet er sich zur Seite und bringt seinen Fuß in den Steigbügel. Mit Joeys Hilfe kommt er beim zweiten Versuch in den Sattel. „Jetzt geht es mir schon besser“, ächzt er mühsam. „Joey, ich brauche deine Hilfe nicht länger mehr. Vielen Dank, Joey! - Wie weit ist es noch bis zur Stadt?“ „Etwa fünf Meilen. - Und Sie können doch nicht allein ...“ „Ja, Joey, ich muß jetzt allein reiten. Verschwinde du lieber aus diesem Land. Sieh zu, daß du einen ehrlichen Job bekommst. Denn die Winter sind hier in Wyoming - 48 -
sehr hart und kalt. Da muß ein Junge wie du ein Dach über den Kopf bekommen. Bei mir würde es dir wohl nicht besonders gut gefallen, denn ich bin doch ein geschlagener Mann, nicht wahr?“ „So ist es wohl“, murmelt Joey Ringo. „Ihre Revolver hand taugt weniger als Ihre Füße. Sie sind unwichtig geworden. Bat Rudledge. Es wird nur noch Legenden über Sie geben. Und gewiß werden Sie sich bald verkriechen müssen, denn Sie haben sich in all den Jah ren, da Sie Banditen jagten, um das ausgesetzte Kopfgeld kassieren zu können, eine Menge Feinde gemacht. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, Rudledge. Ja, ich will mir einen Job suchen. Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, kann ich wohl reiten, ja?“ „Junge, ich kann nicht mehr auf dich achten“, murmelt Rudledge. „Dich muß jetzt der Gott im Himmel behüten. Und hoffentlich führt er dich den rechten Weg. - Denn sonst.. .“ Er bricht ab und reitet langsam davon. Er hockt schief und vorgeneigt auf seinem Pferd, welches vorsichtig geht, so, als wüßte es genau, daß jeder Schritt dem Reiter Schmerzen zufügt. „Ich will immer auf der Seite des größten Mannes sein! Ich will herausfinden, wie man es machen muß, um ein großer Bursche zu sein! Und so werde ich bei Jeremy Philbrook um Arbeit bitten!“ Dies ruft ihm Joey Ringo nach. Aber Rudledge erwidert nichts, er verschwindet in der Nacht. *** Rudledge schafft es bis in den Mietstall, dessen Tor - 49 -
geöffnet ist. Er rutscht dann vom Pferd und fällt in das Stroh, von dem etwas hier im Vorraum aufgestapelt ist. Der alte Ex-Cowboy mit dem Stelzbein kommt langsam herbei und beugt sich im Scheine der Stallaterne über ihn. „Heiliger Rauch“, murmelt dieser Oldtimer. „Sie sind doch Rudledge, nicht wahr? Doch Ihre eigene Mam würde Sie nur schwer erkennen. Was ist Ihnen denn zugestoßen?“ „Jeremy Philbrook konnte mich mit den ersten Schlägen so schlimm erwischen, daß es ihm dann leicht war, mich in Stücke zu treten. Ich muß etwas ausruhen und ...“ „Was ist mit Ihrer Hand, Rudledge? Und Ihre Waffe ist nicht in der Halfter.“ „Ich weiß nicht, was mit der Hand ist“, ächzt Rudledge. „Aber bestimmt werde ich damit keinen Revolver mehr abfeuern können.“ Er öffnet seine zugeschwollenen Augen so weit er kann und blickt den Oldtimer der Rinderweide an. „Alter, Sie sehen einen erledigten Revolvermann“, sagt er. „Und nun lassen Sie mich mal eine Weile ausruhen.“ „Nicht hier“, sagt da der alte Cowboy. „In meinem Büroverschlag habe ich eine Schlafgelegenheit. Ich wohne ja mehr oder weniger völlig in meinem Mietstall. Er gehört mir, nicht der Schmiede, wie es vielleicht den Anschein hat. Kommen Sie, Rudledge. Ich helfe Ihnen. Und dann will ich mir Ihre Hand ansehen. Wenn die Knochen nicht so schlimm zerbrochen sind, bekomme ich das schon wieder hin. Auf Knochenbrüche und Kugelwunden verstehe ich mich fast wie ein Feldarzt. Kommen Sie, Rudledge. Es braucht Sie niemand so elend - 50 -
hier in der Ecke auf dem Stroh liegen zu sehen.“ Er bückt sich, faßt Rudledges rechten Arm und hilft ihm, noch einmal auf die Beine zu kommen. Mit der allerletzten Kraft schafft Rudledge es in den Büro- und Schlafverschlag des Stallmannes, der die gesamten Ersparnisse eines langen Cowboy-Lebens offensichtlich in diesen Mietstall steckte. Doch als Rudledge dann liegt, wird er bewußtlos. *** Als er erwacht, fühlt er sich schwach und elend. Doch die Schmerzen sind nicht mehr so schlimm. Was jetzt in ihm ist, ist eine schmerzende Steifheit. Er bewegt seine Rechte und wischt sich über das Gesicht. Die Schwellungen sind nicht mehr da. Der Stoppelbart ist nun einige Tage alt. Daran erkennt Bat Rudledge, daß er zumindest drei Tage ohnmächtig war oder im Fieber lag. Denn ein normaler Schlaf kann es nicht gewesen sein. Seine Linke fällt ihm nun schreckvoll wieder ein. Ja, was ist mit meiner linken Hand, meiner Revolverhand? Sie ist so schwer, so bewegungslos. Er wendet seinen Kopf - und da sieht er es. Sein Unterarm und die Hand sind geschient, fest auf ein Brett gebunden. Er spürt leichte Schmerzen in dieser Hand, doch es sind keine bösartigen Schmerzen mehr, dies wird ihm klar. Er denkt daran, was Jeremy Philbrook ihm antat, und er verspürt die Scham und Erniedrigung eines stolzen Mannes, der auf eine unfaire und hinterlistige Art geschlagen wurde. - 51 -
Was soll nun werden? Noch bevor er darüber nachdenken kann, hört er vor dem Verschlag Männerstimmen. Dann wird die Tür aufgestoßen. Zwei Männer kommen herein, gefolgt von dem alten, stelzbeinigen Stallmann. Dieser sagt nun verächtlich: „Das muß euch Jeremy Philbrook oder einer seiner Leute erzählt haben! Denn woher sonst könntet ihr erfahren haben, was Philbrook mit Rudledge tat?“ Doch sie gaben ihm keine Antwort. Sie treten näher und wirken ganz und gar wie zwei grinsende Wölfe. Ihre Augen funkeln seltsam. Einer ist schlank und geschmeidig, dunkel und auf eine wilde und gefährlich wirkende Art hübsch. Es ist eine verderbte Hübschheit. Zur Hälfte ist er mexikanischer Herkunft, dies sieht man ihm an. Der andere Mann ist farblos, hager, helläugig. „Das sind Mike Carreras und Ed Kovack“, sagt der Stallmann hinter ihnen zu Bat Rudledge hinüber. „Sie waren neugierig, und ich kann sie leider nicht zum Teufel jagen.“ Sie lachen leise. „Mut hast du ja, Opa“, sagt Carreras. „Aber eines Tages geben wir dir etwas aufs Maul. Du mußt nicht denken, daß ein alter Krüppel immer und ewig bei uns Narrenfreiheit hat und Dinge zu uns sagen kann, die uns nicht schmecken. - Paß auf, Opa!“ Der Stallmann erwidert nichts. Doch er bleibt stehen. Sie beachten ihn nicht mehr und betrachten Rudledge. Dieser hat ihre Namen schon gehört. Mike Carreras wird im Süden wegen Mordes und Straßenraub steckbrieflich gesucht. Auf seinen Kopf sind sogar von der Bundesregierung Belohnungen ausgesetzt, da er einmal einen Geldtransport der Bundesregierung überfal len hatte. - 52 -
Ed Kovack wird ebenfalls steckbrieflich gesucht. Er hat in El Paso einen Marshal getötet. Diese beiden Burschen gehören genau zu der Sorte, die Bad Rudledge bisher jagte. Und dies wissen sie. „Nun, Kopfgeldjäger“, sagt Carreras, „wie fühlt man sich so mit einer zerstampften Revolverhand? Wir haben schon viel von dir gehört. Der große Bat Rudledge! Oho! Manchmal dachte ich daran, daß die auf meinen Kopf ausgesetzte Prämie dich eines Tages auf meine Fährte locken könnte. Immer, wenn ich irgendwo etwas über dich hörte, dachte ich daran, daß ich nie sicher vor solchen Kopfgeldjägern war. Nun, zeige mal deinen linken Arm her!“ Er beugt sich nieder, nimmt Rudledges geschienten Arm und betastet die auf dem Brett fest aufgebundene Hand. Dann läßt er sie fallen, so daß Rudledge seine Muskeln anspannen muß. Die Hand schmerzt den Arm herauf bis ins Schulterblatt. „Wir brauchen uns an ihm nicht zu vergreifen“, sagt Ed Kovack indes. „Seine Revolverhand ist erledigt. Ein drittklassiger Bursche wird eines Tages kommen, um sich Ruhm einzukaufen. Er wird den großen Rudledge töten.“ Damit wendet sich Ed Kovack auch schon wieder ab und geht hinaus. Aber Mike Carreras geht nicht so schlicht davon. In ihm ist mehr Gemeinheit und Teufelei. Er faßt plötzlich das Bett an und kippt es mit einem Ruck um. Er wälzt es auf Rudledge, der herausgefallen ist und gegen die Wand rollte. Und dann lacht Carreras und geht - immer noch - 53 -
lachend - hinaus aus dem Stall. Der alte Stallmann rollt wortlos das Bett von Rudledge herunter und hilft ihm dann. Rudledge liegt eine Weile mit geschlossenen Augen da, und der Stall mann sitzt auf einem Schemel und betrachtet ihn. „Das ist wohl immer so, wenn ein gefürchteter Löwe plötzlich keine Zähne und keine Krallen mehr hat“, murmelt der alte Bursche plötzlich trocken. „Aber damit mußten Sie wohl immer rechnen, Rudledge.“ Dieser nickt mit geschlossenen Augen. Dann öffnet er sie und fragt: „Wie heißen Sie?“ „Sol Sabee ist mein Name, und zu meiner besten Zeit war ich auch ganz gut. Doch irgendwann ist es immer einmal vorbei - so oder so. Als ich mein Bein verlor, da sagte ich, daß es besser gewesen wäre, ich würde es nicht überlebt haben. Doch jetzt würde ich mich noch recht gerne viele Jahres dieses Lebens freuen. Wenn nur die Dinge im Land sich zum Guten wenden könnten. Hier ist es so, daß ein Großrancher alle kleinen Nachbarn zum Teufel jagen will. Und er wäre auch der einzige Mann im Land, der mit Hilfe seiner Mannschaft zwei Verbrecher wie Carreras und Kovack zum Teufel jagen könnte. Doch er duldet sie, und so kommen sie sogar in diese Stadt. Niemand wagt es, sie zu behelligen. Wir haben kein Gesetz hier. Carreras und Kovack wissen das. Sie werden bestimmt den Winter hier verbringen. Und bis zum Frühjahr tun sie Philbrook noch so manchen Gefallen. Das ist der Preis dafür, daß er sie in Frieden läßt. Man kann es eine Art besonderen Pakt nennen, den er mit die sen Verbrechern geschlossen hat. - Nicht wahr? „ Die bitteren Worte sprudeln dem Oldtimer nur so zwischen dem grauen Schnurrbart hervor. „Ich danke Ihnen, Sol“, murmelt Rudledge. „Und - 54 -
sagen Sie mir, was mit meiner Hand ist. Haben Sie das alles allein gemacht? Dann sind Sie ein guter Doc.“ „Sie werden mit dieser Linken sicherlich noch einmal die Gabel beim Essen halten können“, spricht Sol Sabee. „Aber geben Sie jede Hoffnung auf, daß es noch einmal wieder eine schnelle Hand sein könnte. Der Mittelhandknochen und zwei Finger sind gebrochen. Ob die Sehnen vollkommen zerrissen wurden, kann man noch nicht sagen. Sie müssen warten, bis die Brüche zu sammengewachsen sind. Ich habe mit Miß Jennifers Hilfe getan, was ich konnte.“ „Jennifer Adams war hier?“ Rudledge fragt es erschreckt. Die alten Falkenaugen Sol Sabees betrachten ihn scharf. „Ich konnte es nicht allein“, sagte er dann. „Ja, ich habe sie zu Hilfe geholt. Das war vor drei Tagen. Wir haben Ihnen ein Schlafmittel gegeben. Wenn Sie sich jetzt kräftig genug fühlen, könnten Sie in Ihr Hotel zimmer übersiedeln. Dort haben Sie es bequemer und kommen schneller zu Kräften, um bald das Land verlassen zu können.“ „Was hat Jennifer Adams gesagt, als sie mich so zerschlagen sah? Sol sagen Sie es mir.“ Der alte Cowboy zögert. Dann sagt er: „Sie sprach ziemlich bittere Worte, zum Beispiel, daß es ja eines Tages wohl irgendwann und irgendwo mit Ihnen so kommen mußte.“ Bat Rudledge nickt zu diesen Worten. Er setzt sich langsam auf. Sein ganzer Körper und all seine Glieder schmerzen ihn. Doch nun beißt er die Zähne zusammen. Sol Sabee hilft ihm beim Ankleiden. Dann verläßt Bat Rudledge den Stall. Vor dem Tor - 55 -
hält er inne und wendet sich halb. „Vielen Dank, Sol“, murmelt er. Dann geht er weiter. Sol Sabee aber sagt hinter ihm her: „Nichts zu danken, Rudledge.“ Es ist kurz vor Mittag. Überall rauchen die Kamine. Als Rudledge auf die Straße kommt, wird er sofort bemerkt. Fast alle Einwohner der kleinen Stadt treten aus ihren Häusern, aus den Geschäften und Lokalen - oder blicken zumindest aus den Fenstern. Es ist, als hätte die ganze Ortschaft nur darauf gewartet, Rudledge zu sehen. Es muß sich also im ganzen Lande und erst recht in der Stadt herumgesprochen haben, was mit ihm geschah. Auch vor dem Saloon stehen ein Dutzend Männer. Faro-Jack Spencer ist darunter, und als er Rudledge so krumm und schief zum Hotel stolpern sieht und dessen geschienten Revolverarm betrachtet hat, setzt er sich plötzlich in Bewegung. Vor der Hoteltür treffen sie sich. Faro-Jack Spencer sagt: „Vor Ihnen habe ich zweimal gekniffen. Rudledge. Ich duldete Ihr Pferd in meinem Saloon und ließ mir befehlen, dem Jungen keinen Whisky mehr zu geben. Rudledge, ich überschätzte Sie gewaltig. Das mußte ich Ihnen noch sagen.“ Er blickt Rudledge an, und dieser nickt leicht. „Natürlich, Jack“, murmelt er. „Sie haben mich überschätzt. Ich war Jeremy Philbrook nicht gewachsen. Wenn Sie sich gewünscht haben, daß Philbrook sich an mir die Zähne aus beißt, dann war das gewiß ein harter Schlag für Sie. Vielleicht versuchen Sie es mal selber.“ Er geht ins Hotel hinein. Sein Schlüssel hängt am Haken. Er nimmt ihn und sieht den Neger an, der aus dem Restaurant durch den Durchgang herüberkommt. - 56 -
„Bringe mir ein kräftiges Essen herauf“, sagt Rudledge und macht sich viel Mühe daran, die Treppe zu ersteigen. Er ist vollkommen steif und ungelenk. Seine Beinmuskeln wollen einfach nicht. Auch sie müssen schlimm getreten worden sein. Als er dann in seinem Zimmer ist und sich auf das Bett legt, atmet er stöhnend und erleichtert aus. Er muß fast eine halbe Stunde warten. Dann bringt man ihm das Mittagessen. Es ist Jennifer selbst. Er dreht sein Gesicht zur Wand und murmelt bitter: „Stell es auf den Tisch, Jennifer. Vielen Dank! - Doch ich möchte nicht, daß du mein Essen bringst.“ „Du möchtest nicht, daß ich dich so wie einen getretenen und verprügelten Hund liegen sehe, dich, den großen Kämpfer Bat Rudledge“, sagt sie herb. „Freut es dich, Jennifer? Verschafft es dir eine gewisse Genugtuung? Du hast es mir doch damals vorausgesagt, nicht wahr? Du sagtest mir damals, daß du dich an einen Revolverhelden nicht binden könntest, denn eines Tages würde es mich erwischen. Du stelltest mich vor die Wahl, den Revolver für immer abzulegen oder auf dich zu verzichten.“ „Ja, so war es“, bestätigte sie ruhig. „Und es ist so gekommen, wie ich es immer befürchtet hatte. Es war klug von mir, mich nicht an dich zu binden. Und dir war deine Banditenjagd stets wichtiger. Von all den ausgesetzten Belohnungen und Kopfgeldern, die du verdientest, mußt du wohlhabend geworden sein. Wenigstens wirst du also keine...“ „Ich bin nicht wohlhabend“, sagt er schroff. „Ich besitze etwa zweitausend Dollar und hunderteinund zwanzig Rinder, die auf Philbrooks Weide stehen und - 57 -
sich mit seinen Rindern vermischt haben. Das ist alles, was ich besitze.“ Jennifer Adams deckte inzwischen den kleinen Tisch. Nun hält sie inne, staunend und ungläubig. „Du lieber Gott“, sagt sie, „hat dir dein elendes Leben nicht mehr eingebracht?“ Er hat sich inzwischen aufgesetzt, hockt krumm auf der Bettkante und blickt Jennifer Adams an. Einen Mo ment zögert er. „Ich hatte einen Bruder“, sagt er. „Während des Krieges, als ich Soldat war, geriet er in schlechte Gesell schaft. Als sie nach einem Banküberfall verfolgt wurden, wurde das Pferd meines Bruders von einer Kugel getroffen. Es stürzte und wälzte sich auf ihn. Er blieb am Leben, doch er war fortan gelähmt. Er konnte nicht einmal mehr sitzen oder auch nur einen einzigen Finger bewegen. Natürlich setzte man seine Strafe aus, denn er hatte ja ohnehin die schlimmste Strafe bekommen. Nun, ich mußte für ihn sorgen. Er brauchte die besten Ärzte, eine gute Krankenschwester und eine Menge anderer notwendiger Dinge. Das alles kostete mich große Summen. Allein die erfolglosen Operationen, für die ich erstklassige Spezialisten und Kapazitäten kommen ließ, verschlangen ein Vermögen. Ich hätte schon General direktor oder Goldminenbesitzer sein müssen, um diese hohen Summen aufbringen zu können. Und ich haßte all diese Banditen und Revolverhelden, durch die immer wieder Burschen wie mein Bruder auf die schlimme Bahn gerieten. Und so jagte ich sie, wenn die ausgesetzten Belohnungen nur hoch genug waren. Ich verdiente mir durch Kopfgeldjagd das Geld für meinen so elend kranken Bruder. - Was war falsch daran?“ Er verstummt nach dieser Frage bitter. Und dann - 58 -
erhebt er sich mühsam und kommt an den Tisch. Er setzt sich und beginnt zu essen. Jennifer Adams aber hat sich auf den zweiten Stuhl gesetzt. Sie hat ihn immer nur angesehen und sieht ihn auch jetzt noch stumm und unverwandt an. „Warum hattest du mir das nicht gesagt?“ Dies fragt sie ruhig und beherrscht. „Es hätte nichts geändert“, murmelt er. „Ich hatte selbst erkannt, daß ich dich nicht an mich binden durfte. Du solltest deinen Grund haben, dich ohne jedes Bedauern von mir zu trennen.“ Er senkt den Kopf und nimmt die Gabel. Langsam beginnt er zu essen. Jennifer hat ihm alles zu mundgerechten Stücken geschnitten, so daß er nur allein mit der Gabel essen kann. „Oh, du Narr!“ sagt sie plötzlich. „Du hast dir alles sehr leicht gemacht. Dein Bruder war ein Versager und wurde durch eigenes Verschulden ein Krüppel. Du aber hattest einen guten Grund, für Geld auf Menschenjagd zu gehen.“ Er erwidert nichts. Sie betrachtet ihn bitter. „Warum bist du hier? Hast du mich gesucht? - Und warum?“ Er läßt die gefüllte Gabel wieder sinken und hebt den Blick zu Jennifer. Seine Augen sind nicht mehr so zuge schwollen. Man kann den seltsam gelassenen Ausdruck in seinen Augen erkennen. „Mein Bruder starb“, sagt er. „Ich war wieder frei. Ich brauchte nicht länger mehr die hohen Summen aufzu bringen. Deshalb wollte ich mein Leben endlich ändern. Ja, ich begann nach dir zu suchen. Ich hörte von einer kleinen Stadt in den Tälern der Medicin Bow Moun tains. Jennifer City hieß die Stadt. Man erzählte mir, daß - 59 -
sie nach einer Frau benannt wäre. Doch ich wagte nicht zu hoffen, daß du ...“ Er bricht ab und blickt auf seinen Teller. „Ich suchte Jennifer City“, spricht er dann. „Ich hoffte, daß man diese Stadt nach dir benannt hatte, daß du jene Frau wärst. Ich kam mit einer kleinen Herde und zweitausend Dollar und wollte mich hier niederlassen, um dir zu zeigen, daß ich auch anders kann - nämlich hart arbeiten, aufbauen? Und dies ohne Revolver! Doch als ich in dieses Land kam, brach ein Blizzard los. Es wurde alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte.“ Nach diesen Worten senkt er seinen Kopf und beginnt wieder zu essen. Da er länger als drei Tage keine Speise bekam, muß sein Hunger riesengroß sein. Jennifer betrachtet ihn lange, und sie muß das alles erst noch verarbeiten. Sie weiß, daß all die Dinge nicht so einfach und direkt sind, wie Bat Rudledge sie jetzt darstellte. Sie begreift allmählich, daß in Bat Rudledge immer wieder tiefe Probleme waren und Kämpfe statt fanden. „Haßt du Jeremy Philbrook jetzt? Würdest du ihn töten, bekämst du eine Gelegenheit? Ist es sehr erniedrigend für dich, jetzt bald schon geschlagen das Land zu verlassen?“ Sie stellt diese drei Fragen sehr ernst und langsam. Er hebt wieder den Kopf. „Hassen? - Philbrook hassen ? - Nun, ich hasse das System, welches er verkörpert. Er ist ein Bulle, der alles niedertrampelt, was sich ihm in den Weg stellt. Gäbe es irgendwo ein Gesetz, vor dem alle Menschen gleich sind, so gäbe es überall solche Bullen. Sie verkörpern das primitivste System der Gewalt. Nein, ich hasse ihn nicht so, daß ich ihn aus Rache für die erhaltene Prügel töten - 60 -
möchte. Aber ich würde es gerne noch einmal gegen ihn versuchen, wenn er mich nicht überrumpeln kann. Und er wird mich nie wieder überraschen können. Ich kenne ihn nun genau. Damit habe ich wohl deine beiden ersten Fragen beantwortet. Und deine letzte Frage verstehe ich nicht, Jennifer. Ich gehe nicht fort. Ich verlasse das Land nicht. Im Gegenteil, ich werde mich irgendwo in der Nähe dieser Stadt niederlassen.“ Er hebt die geschiente Linke. „Vielleicht heilt sie wieder so zusammen, daß sie meiner Rechten bei der Arbeit helfen kann. Ich bin zwar nicht mehr der schnelle und gefährliche Revolver-Rudledge. Doch deshalb werde ich mir noch längst nicht untreu oder laufe vor Burschen wie Philbrook davon.“ Sie erhebt sich nun vom Tisch und hat weitgeöffnete Augen. „Du - du willst bleiben und dich auf dem freien Land niederlassen? Du hast doch keine Chance! Niemand dort draußen im Tal hat eine Chance gegen Philbrook. Er wird im Frühjahr aus seinem Tal drängen und von dem großen Tal Besitz ergreifen.“ „Er wird mir beim Frühjahrs-Round-up meine Rinder zurückgeben und meine Grenzen respektieren“, erklärt Bat Rudledge. „Er wird dich töten oder du wirst von irgendwelchen anderen Männern getötet werden.“ „Darauf lasse ich es ankommen, Jennifer.“ „Willst du mir beweisen, daß du auch ohne deine schnelle Revolverhand ein Kämpfer bist?“ Er betrachtet sie nachdenklich. „Ich weiß nicht genau, ob ich etwas beweisen will und was. Ich weiß nur, daß ich nicht fortgehen kann.“ Ihre Augen sind immer noch weit geöffnet. - 61 -
Doch sie wendet sich plötzlich ab und geht hinaus. *** Eine ganze Woche lang geschieht nichts, was Bat Rudledge betrifft. Er verläßt sein Hotelzimmer nicht und läßt sich sogar das Essen auf sein Zimmer bringen. Die Leute in der kleinen Stadt warten eigentlich nur darauf, daß Bat Rudledge irgendwann mal reise- oder reitfähig ist und das Land verlassen wird. Dafür geschehen einige andere Dinge außerhalb der Stadt. Einer der kleinen Rancher wird erschossen in den Hügeln gefunden. Seine Frau verläßt mit den Kindern fluchtartig die Ranch und kommt in die Stadt, um auf die Beerdigung und dann auf die Postkutsche zu warten, die in der Woche nur einmal verkehrt. Am folgenden Tage kommen die beiden Revolver helden Mike Carreras und Ed Kovack aus ihrem verborgenen Camp mit einigen ihrer Freunde in die Stadt und jagen alle Rancher und Farmer aus dem Saloon. Sie feiern und trinken bis zum nächsten Morgen. Als FaroJack Spencer ihnen dann die Rechnung nennt, sagen sie ihm nur, daß er doch anschreiben möchte, weil sie gerade kein Kleingeld einstecken hätten. Sie gehen dann zum Frühstück ins Hotel-Restaurant und wünschen dort ziemlich lautstark, von der schönen Wirtin selbst bedient zu werden. Dies geschieht auch. Jennifer Adams bedient sie kühl und gelassen, und so schlecht sie sich im Saloon auch benahmen, jetzt fallen sie nicht aus dem Rahmen. Es ist offensichtlich etwas an Jennifer Adams, was in diesen beiden Banditen den Wunsch erweckt, nicht von - 62 -
ihr verachtet zu werden. Sie geben sich nur das Gehabe von harten und sehr männlichen Burschen, die jedoch genau wissen, wie man sich einer Frau gegenüber benimmt. Und sie zahlen auch. Als sie gehen, sagt Mike Carreras: „Madam, Sie sind der einzige erfreuliche Anblick in diesem verdamm ... äh, armseligen Ort hier.“ Und Ed Kovack murmelt kühl, indes seine sonst so kalten Augen einen heißen Ausdruck bekommen: „Nur sollten Sie nicht so unpersönlich und unnahbar zu uns sein, Schwester. Wenn wir wieder zu Ihnen kommen, möchten wir mehr Herzlichkeit. Sie werden sich an uns gewöhnen müssen; denn wenn der Winter erst richtig gekommen ist, suchen wir Nestwärme und werden oft bei Ihnen sein.“ Sie betrachtet ihn gerade und fest. „Solange Sie sich ordentlich benehmen und meine anderen Gäste nicht stören, können Sie dieses Hotel betreten.“ Da grinsen sie und lachen. Sie ziehen übertrieben galant ihre Hüte und verbeugen sich wie spanische Ritter - oder vielmehr wie sich ihrer Meinung nach spanische Ritter vor ihrer Königin verbeugt haben könnten. Dann gehen sie. Jennifer sieht ihnen nach. Und sie spürt Angst. Sie weiß genau, daß es im Winter hier schlimm werden wird. Denn dann sind fast alle Pässe und Canyons zugeschneit. Jeder Verkehr zu den anderen Städten erliegt Selbst von Fort Laramie kommt dann kein Mensch mehr durch. Dann werden sich diese Banditen sehr sicher fühlen und gewiß in der Stadt wohnen wollen, nicht mehr in ei - 63 -
nem verborgenen Camp. Ja, sie hat Angst. *** Am nächsten Tag endlich taucht Bat Rudledge auf der Straße auf. Er geht zum Store hinüber und sucht dort die Eisenwaren-Abteilung auf. Ben McLaglen, der Storebesitzer, bedient ihn selbst. Rudledge kauft einen gebrauchten Colt. Es ist eine erstklassige Waffe, gut ausgewogen und leichtgängig. Irgendein Revolverheld hatte diese Waffe in dieses Land gebracht. Vielleicht war er getötet worden - oder mußte sie einfach verkaufen. Wer weiß? Rudledge stellte keine Fragen. Er kauft sich zu dieser Waffe eine rechte Halfter. Der Storebesitzer betrachtet ihn kritisch. „Sind Sie denn mit der Rechten schnell genug, um einen Revolver tragen zu können?“ Dies fragt er plötzlich. Rudledge betrachtet ihn ruhig. Sein Gesicht ist bis auf einige frische Narben nun wieder vollkommen normal. Nur noch seine geschiente Linke erinnert an die schrecklichen Prügel, die er erhielt. „Es kommt manchmal nicht darauf an, wie schnell man die Waffe ziehen kann“, murmelt Rudledge. „Ist man weiter als zehn Schritte vom Ziel entfernt, so ist es besser, wenn man sauber zielen und präzise schießen kann; als schnell ziehen.“ Er lädt nun den Revolver mit einer Hand, und er legt sich auch mit einer Hand den Waffengürtel um. Der Storebesitzer sieht nur zu, hilft ihm nicht, so, als wüßte er genau, daß ein Mann wie Rudledge sich nicht helfen lassen will, weil er sich daran gewöhnen muß, für eine - 64 -
Weile nur mit einer Hand auszukommen. Der Revolver sitzt nun ziemlich hoch, so etwa wie man ihn ganz normal trägt. Rudledge läßt ihn so. „Jetzt möchte ich eine handliche Schrotflinte“, sagt er knapp. „Aaah!“ Dem Storebesitzer entfährt dieser Ausruf gegen seinen Willen. Dann bedient er Rudledge eifriger als zuvor. Und erst als Rudledge gewählt hat und bezahlt, fragt der Storehalter: „Wollen Sie denn in Jennifer City bleiben, Mister Rudledge?“ Dieser lächelt etwas schief. „Was würden Sie denn an meiner Stelle tun, Mister McLaglen?“ Aber er wartet nicht auf eine Antwort. Er verläßt den Store und begibt sich zur Schmiede. Vom Schmied läßt er sich den Doppellauf und den Kolben der Schrotflinte mit einer Eisensäge stark verkürzen und die scharfen Kanten und Grate, die vom Sägen entstanden, gut befeilen und abschleifen. Als er die nun sehr handliche und auch sehr viel leichter gewordene Waffe in der Rechten hält und den kurzen Kolben mit dem Ellenbogen und Unterarm gegen die Seite drückt, um so aus der Hüfte heraus zur Probe zu zielen, da brummt der wortkarge Schmied: „Ein gefährliches Ding ist das - wenn Sie damit zum Schuß kommen können, Rudledge. - Sie wollen wohl hier bleiben?“ Und auch dem Schmied gibt Rudledge die gleiche Antwort wie dem Storehalter: „Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?“ Als er die Schmiede verläßt, trägt er die Schrotflinte in - 65 -
der Rechten. Der Schmied starrt ihm nach und hat einen nachdenklichen Ausdruck in den Augen. Und dann murmelt er: „Der ist mit seiner gebrochenen Linken nicht besser als jeder durchschnittliche Mann in diesem Lande. Und dennoch läßt er sich nicht zum Teufel jagen. Mit einer Schrotflinte will er es wagen. Heiliger Rauch, das kann einigen Leuten zu denken geben.“ Der Schmied und alle anderen Menschen in Jennifer City sehen wenig später, wie Bat Rudledge auf seinem schwarzen Pferd die Stadt verläßt. *** Bat Rudledge bleibt den ganzen Tag weg. Doch als die Sonne sinkt, kehrt er in die Stadt zurück. Er nimmt zum ersten Male sein Essen wieder im Speiseraum ein und wird von einem Dutzend Gäste aufmerksam betrachtet. Doch es ist nur eine gelassene Ruhe an ihm zu erkennen. Seine geschiente Hand trägt er in einem schwarzen Tuch vor der Brust, und wenn man ihn so beobachtet, so stellt man fest, daß er sich sehr geschickt darauf eingestellt hat, eine längere Zeit einarmig auskommen zu müssen. Am nächsten Morgen verläßt er abermals die Stadt und bleibt bis zum späten Nachmittag fort. Es hat sich jedoch inzwischen herumgesprochen, daß Rudledge überall im Lande herumreitet, sich umsieht und fast alle Ranches und Siedlerstätten besucht, mit den Leuten redet und überhaupt ganz so tut, als wollte er sich über die beste Möglichkeit informieren, wo er sich niederlassen - 66 -
könnte. Als er an diesem Nachmittag in die Stadt zurückkommt, hält er vor dem Schulhaus an und betritt das kleine Gemeindebüro. Er verlangt vom Schulmeister und Gemeindeschreiber die Landkarte und deutet auf eine bestimmte Stelle. „Dort steht eine verlassene Blockhütte - wem gehört sie?“ Der Schulmeister zögert. „Die gehört jetzt Sol Sabee vom Mietstall. Er hat sie von seinem Neffen geerbt, der dort sein Glück als Rinderzüchter versuchen wollte. Er ist vor zwei Monaten erschossen worden, als er aus seiner Hütte trat, um Wasser zu holen.“ Rudledge geht hinaus und bringt sein Pferd in den Mietstall. Als er es mit Hilfe Sol Sabees versorgt hat, fragt er schlicht: „Sol, ich möchte die kleine Ranch Ihres Neffen haben. Ich sah mir alles genau an. Die kleine Hütte und die Korrals sind noch ganz gut. Auch der Creek und der kleine See sind günstig. Ich könnte sechshundert Dollar zahlen. Wäre das genug?“ Die Nasenflügel des alten Cowboys vibrieren. Er überlegt lange, und die ganze Zeit starrt er Rudledge an, forscht und wittert. Er spürt wohl all die unerschütterliche Ruhe und das felsenfeste Selbstvertrauen Rudledges. Er ahnt jetzt zum ersten Male etwas von der unerschütterlichen Kraft, die in Rudledge ruht. Und plötzlich weiß er genau, daß dieser Mann nicht nur auf seine Revolverhand angewiesen ist. Und so sagt er aus diesem Gefühl heraus: „Für einen Dollar übertrage ich die Squatterrechte auf Sie, Bat. Die Hütte und das Wasserrecht können Sie für einen Dollar bekommen.“ - 67 -
„Dann gehen wir zum Gemeindeschreiber, damit er es einträgt in das Grundbuch.“ Rudledge spricht es gelassen. *** Am nächsten Morgen kauft Bat Rudledge vom Schmied einen noch recht gut erhaltenen Wagen und von Sol Sabee zwei Wagenpferde. Er bindet seinen Big Jim hinter dem Wagen an und fährt vor den großen Store. Dies alles macht er mit der rechten Hand, doch hat er seine verkürzte Schrotflinte stets in Reichweite, was er auch tut und wohin er auch geht. Die ganze Stadt beobachtet ihn. Man weiß inzwischen auch schon, daß er von Sol Sabee das Wasserrecht und ein Stück Weideland und eine Blockhütte erwarb. Bevor er in den Store tritt, blickt er sich noch einmal um. Er spürt von überallher die vielen Blicke. Auch Jennifer Adams trat aus ihrem Hotel und blickt herüber. Vom Run Bull Saloon aber setzt sich nun Faro-Jack Spencer in Bewegung. Er winkt Rudledge leicht zu, zeigt ihm damit an, daß er ihn sprechen möchte. Rudledge wartet, bis der Spieler bei ihm angelangt ist. „Sie sind verrückt, Rudledge“, spricht Faro-Jack Spencer, doch er meint es nicht beleidigend, eher bedauernd und irgendwie mitleidig. „Wollen Sie sich und uns allen zeigen, daß Sie auch noch mit einem Arm und einer Hand der große Rudledge sind? Mann, wenn Sie sich da auf Cash Sabees verlassenem Landstück nieder lassen, sitzen Sie Philbrook genau vor der Nase. Wenn er aus seinem Tal in das große Gemeinschaftstal drängen will, muß er zuerst an Ihnen vorbei. Es ist eine Her ausforderung für ihn. Und für Sie ist das Selbstmord, Rudledge!“ - 68 -
„Warum sagen Sie mir das alles?“ Dies fragt Rudledge zurück. „Wollen Sie, daß ich aufgebe und davonlaufe, damit Sie und all die anderen Leute, die vor Philbrook sich ducken und alles von ihm hinnehmen, sich wegen ihrer Feigheit nicht mehr so sehr schämen müssen?“ Nach dieser harten Frage tritt er in den Store. *** Eine Woche vergeht ohne besondere Zwischenfälle. Bat Rudledge richtet sich für den langen Winter ein, und so manche Arbeit fällt ihm wegen der geschienten Linken sehr schwer. Doch diese Linke schmerzt nicht mehr so wie früher. Es sind jetzt andere Schmerzen in ihr, die durch die unbequeme Schienung entstehen. Doch er wagt es noch nicht, sie zu befreien oder gar zu bewegen. An einem Vormittag, als er einarmig Holz für den Winter spaltet, bekommt er Besuch. Es ist ein hagerer, großer und fast weißblonder Mann, der einen wunder schönen Fuchs mit dem Pim-Kreis-Brand reitet und zwei Revolver trägt. „Ich bin George Hathaway“, sagt dieser Mann vom Sattel zu Rudledge nieder. „Ich hatte eine Menge Arbeit und konnte mir deshalb den berühmten Rudledge noch nicht ansehen. Warum sind Sie so närrisch und setzen sich hier fest, obwohl Ihr bester „Flügel“ unbrauchbar wurde? Rudledge, mein Boß wird mir im Frühjahr den Befehl geben, mit den Herden über diesen Creek zu ziehen, um das große Tal zu besetzen. Ich werde diesen Befehl ausführen. Und wenn Sie dann noch hier sind, be kommen wir miteinander zu tun, Rudledge. Ich habe - 69 -
persönlich nichts gegen Sie. Doch ich bin der Vormann einer großen Ranch, deren Rinderherden sich ständig vermehren und deshalb jedes Jahr größere Weidegebiete benötigen. Ich muß für diese Rinder sorgen.“ Bat Rudledge nickt. Er geht auf die Worte dieses harten Vormanns gar nicht ein. Er bleibt jedoch beim Rinderthema. Denn er sagt: „Da wir gerade von Rindern sprechen, Hathaway, so möchte ich Ihnen in aller Form mitteilen, daß sich meine einhundertundzwanzig Rinder unter die Herden der Philbrook-Ranch gemischt haben. Welche Möglichkeit sehen Sie, Hathaway, daß ich meine Rinder zurückbekommen kann?“ Der weißblonde, kühläugige Texaner betrachtet ihn kalt. „Einhundertundzwanzig Rinder ...“ dehnt er. „Ein Dreck ist das, Rudledge! Was gehen uns Ihre Rinder an? Wir wollen sie nicht haben. Sie aber haben einen Zaun zerstört, Rudledge, so daß Ihnen diese Rinder entlaufen konnten. Sie haben sich mit unseren Rindern vermischt wie einige Regentropfen in einem Teich mit dem schon vorhandenen Wasser.“ „Aber beim Frühjahrs-Round-up..“, beginnt Rudledge. „... haben wir andere Dinge zu tun, als fremde Rinder auszusortieren. Rudledge, verschwinden Sie lieber. Ihr linker Flügel, mit dem Sie so gut schießen konnten, ist kaputt. Das macht Sie zu einem durchschnittlichen Mann. - Verschwinden Sie!“ Nach diesen Worten reitet er wieder in Richtung auf die Stadt. Bat Rudledge blickt ihm lange nach.
- 70 -
Seine rauchgrauen Augen blicken kühl, noch kühler als die des texanischen Vormannes. *** Es vergehen einige weitere Tage. An einem Donnerstag reitet Bat Rudledge in die Stadt, um einige Einkäufe zu machen. Als er sein Pferd im Hof des Miet stalles an den Tränktrog stellt, kommt Sol Sabee aus dem Stallbüro. Sie betrachten sich beide ernst und prüfend. „Wie geht es, Bat?“ Dies fragt Sol Sabee. Bat Rudledge zeigt ihm die geschiente Hand. „Wenn das nicht wäre“, sagt er. „Ob man sie endlich von dem Brett befreien kann? In mehr als zwei Wochen müßten doch meine Knochen zusammengewachsen sein.“ Sol Sabee wiegt den grauen Falkenkopf. „Man kann es ja mal versuchen“, sagt er. Sie gehen in das Stallbüro, und hier befreit Sol Sabee endlich Bat Rudledges Hand. Wie sie dann so auf dem Tisch liegt, mager, blaß und blutleer geworden, voller Narben - nun, da glaubt man einfach nicht, daß es einmal die so unheimliche schnelle Revolverhand von Bat Rudledge war. Rudledge bewegt sie noch nicht; er betrachtet sie nur, und sein Gesicht ist eine ausdruckslose Maske. Was er jetzt auch fühlen und denken mag, es bleibt tief in ihm verborgen. „Die Finger wuchsen einigermaßen gerade zusammen, nicht wahr?“ Dies fragt Sol Sabee mit einigem Stolz. „Und dieser Knoten dort am Mittelhandknochen wird gewiß noch etwas schwinden. Wenn nur die Sehnen in Ordnung sind. Bat, kannst du die Finger bewegen?“ - 71 -
Bat Rudledge schluckt mühsam. „Ich will es versuchen“, murmelt er. Und er versucht es, zuerst nur ganz wenig, dann energischer. Und es geht. Er kann seine Hand zur Hälfte schließen - mehr wagt er nicht zu tun. Das narbige Fleisch spannt sich noch zu sehr. Auch spürt er Schmerzen und hat das Gefühl, es müßten die kaum zusammengewachsenen Knochen wieder brechen oder die Sehnen würden bald reißen. Er atmet langsam ein. Eines steht fest, nämlich, daß er kein Krüppel sein wird. Und das ist schon mehr, als er erwarten konnte. Obwohl Jeremy Philbrook mehrmals mit seiner ganzen Kraft auf diese Hand stampfte, wird er eines Tages damit bestimmt wieder arbeiten können. Nur als schnelle Revolverhand wird sie nichts mehr taugen niemals wieder! Er wird sich dessen bewußt. Doch es ist keine Enttäuschung in ihm, nur mehr ein Gefühl von Erleichterung und der Erkenntnis, daß seine Tage als schneller Revolverkämpfer nun vorbei sind. In seiner Erinnerung sind diese Jahre wie ein böser und wilder Traum. Sol Sabee beobachtet ihn. Nun fragt er: „Was nun, Bat?“ „Ich werde zurechtkommen“, sagt dieser und legt dem alten Cowboy für einen Moment die Rechte auf die hage re Schulter. „Danke, Sol!“ Dann geht er hinaus. Er erledigt seine Einkäufe, bringt alles in einem Sack zu seinem Pferd und geht dann noch einmal zum Restaurant. Denn es wurde inzwischen Zeit für das Mittagessen. Es ist jedoch noch etwas früh, so daß er der erste Gast im Restaurant ist. - 72 -
Jennifer Adams kommt aus der Küche, betrachtet seine nun ungeschiente Hand. „Sie ist gut geheilt?“ Er nickt. „Ich kann nie wieder Revolver-Rudledge werden - selbst wenn ich wollte. Jennifer, dies müßte doch für dich eine Garantie sein, die mehr gilt als mein Wort. Und so ...“ „Sprich nicht weiter“, sagt sie. „Ich habe über dich und mich nachgedacht, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Bat, du brauchst mir nicht zu beweisen, daß du ohne Revolverlohn für die Gemeinschaft kämpfen kannst, um Jeremy Philbrook aufzuhalten und all die Kleinen, Furchtsamen und Schwachen zu beschützen. Ich will nicht, daß sie dich töten. Wenn du willst, können wir heute noch aus dem Land fahren. Ich kann mein Hotel an den Storebesitzer verkaufen - oder an Faro-Jack Spencer. Ich komme mit dir, Bat! Und wo deine Linke noch zu schwach ist, da werde ich dir mit meinen gesunden Händen helfen. - Wollen wir, Bat?“ Sie fragt es schlicht und ernst, und es ist ein sauberer, natürlicher und guter Stolz in ihr. Sie mußte in den vergangenen zehn Tagen erkennen, daß sie ihn noch liebt. Daß er sie gesucht hat, wurde ihr klar. Auch weiß sie nun, daß er nicht mehr RevolverRudledge sein wollte. Sein Bruder ist tot, und was er auch falsch gemacht haben mochte, um für den kranken Bruder sorgen zu können, es liegt alles zurück. Sie will nicht, daß er hier gegen Jeremy Philbrook standzuhalten versucht, ganz gleich aus welchen Gründen. Sie will mit ihm fort. Nun hat sie es ihm gesagt. Was sie ihm nicht mit Worten sagen konnte, sieht er in ihren Augen, erkennt er - 73 -
in ihrem Gesicht, liest er nicht zuletzt auch auf ihren zuckenden Lippen. Er sieht Jennifer an, und noch bevor er das erste Wort zu ihr spricht, liest sie in seinen Augen, was er ihr sagen wird. Sie erhebt sich und sagt schnell: „Ich sehe es dir an, daß du wieder den Kampf wählst, Bat, du wirst immer für etwas kämpfen - für irgendeine Sache. Wann wirst du endlich an dich denken?“ „Ich denke dabei an mich - und an dich“, murmelt er. „Ich kann nicht fort, bevor ich mit Philbrook fertig bin. Er fiel heimtückisch über mich her, zerstampfte mich förmlich. Er wird immer wieder auf die gleiche Art über alles herfallen, was ihm in den Weg gerät. Jennifer, es ist meine Aufgabe, die Menschen vor ihm zu beschützen.“ Er spricht es mit einem heiligen Ernst. Und Jennifer betrachtet ihn seltsam gefaßt. Es ist nicht wie damals, als sie sich von ihm trennte. Diesmal stellt sie ihn nicht vor die Wahl. Sie nickt langsam. „Ich kann warten“, murmelt sie. *** Als er seine Hütte in Sicht bekommt, sieht er, daß er Besuch hat. Zwei herrliche Sattelpferde stehen unter dem alten Nußbaum. Aus seiner Blockhütte kommen Mike Carreras und Ed Kovack. Sie sehen ganz so aus, als hätten sie sich ziemlich angestrengt - und dies nicht beim Reiten. Denn ihre Pferde sind kalt. Also waren sie schon sehr lange hier. Sie erwarten Bat Rudledge auf eine herausfordernd - 74 -
wirkende Art. Sie stehen nämlich vor dem Eingang der Blockhütte und haben ihre Daumen in die Waffengürtel gehängt oder die Hände dicht über den Waffen gegen die Hüfte gestützt. Mike Carreras lächelt blitzend. Ed Kovack verzieht nur seine schmalen Lippen. Doch in seinen hellen und etwas dreieckig wirkenden Augen sind böse wirkende Lichter. Rudledge bleibt im Sattel, blickt auf sie nieder. Seine verkürzte Schrotflinte hat er im Sattelschuh, und er hütet sich, mit seiner Rechten dem Revolver nahe zu kommen. Mit diesen beiden gefährlichen Revolverhelden, von denen jeder ihm auch dann mit dem Revolver ebenbürtig wäre, würde er seine Revolverhand noch gesund und schnell einsetzen können, kann er nur überraschend sein Glück versuchen. Und solch eine Möglichkeit ist jetzt nicht gegeben. „Nimm den Hut ab und sage uns guten Tag, RevolverRudledge“, verlangt Mike Carreras. „Ja, das paßt dir wohl nicht, Kopfpreisjäger?“ „Doch“, sagt Rudledge. „Ich habe mich darauf eingestellt, daß jetzt jeder einigermaßen mittelmäßige Revolverschwinger von mir verlangt, ihm die Stiefel zu küssen. Und ihr seid mehr als mittelmäßig, - ihr seid gewiß so schnell, wie ich es war, als meine Revolverhand noch sofort reagierte. - Nun gut!“ Er zieht seinen Hut und sagt: „Einen schönen guten Tag wünsche ich, Mister Carreras - und auch Ihnen, Mister Kovack. Haben Sie sonst noch Wünsche, Sir?“ Er sieht wieder Carreras an. Der zeigt voll böser Freude seine kräftigen, makel losen Zahnreihen. „Das ist ein Spaß“, sagt er. „Der große Banditenjäger - 75 -
muß Pfötchen geben wie ein dressierter Hund. Paß auf, Kopfjäger! Wir setzen dir eine Frist bis morgen mittag. Wenn du dann noch im Land bist, brennen wir dir ein Loch ins Fell. - Das ist alles!“ Er sagt die drei letzten Worte hart und schnappend. Dann setzt er sich in Bewegung und geht zu seinem Pferd. Ed Kovack aber bewegt sich noch nicht. Er sagt vielmehr: „Komm herunter, Rudledge!“ Da hält Carreras bei seinem Pferd inne und wendet sich um. „Was ist, Ed? Willst du ihn noch mehr zurechtstutzen? Soll er dir wirklich die Stiefel ablecken?“ Ed Kovack gibt ihm keine Antwort, wartet vielmehr scharfäugig und wachsam darauf, daß Rudledge absitzt. Als dies geschehen ist, sagt er hart: „Komm her, Rudledge! Komm her und zeige mir die Linke!“ Bat Rudledge zögert nur unmerklich. Er weiß, daß ihn diese beiden so sehr gefährlichen Burschen in der Klemme haben. Er gehorcht und zeigt Ed Kovack die Linke. Der betrachtet sie aufmerksam. Dann lächelt er geringschätzig und geht wortlos zu seinem Pferd. Carreras sitzt schon auf und fragt ungeduldig. „Was ist mit der Linken?“ „Damit kann er vielleicht mal wieder mit einem Stein nach einer Kröte werfen“, erwidert Kovack. Er sagt es geringschätzig. Dann reiten sie beide davon. Bat Rudledge blickt ihnen nach, und in seinem bisher so ausdruckslos wirkenden Gesicht zuckt es nun. Er ist blaß unter der gebräunten Haut. In seinen rauchgrauen Augen leuchtet ein kalter Zorn. Sie haben von Jeremy Philbrook oder von seinem - 76 -
Vormann gesagt bekommen, daß sie mich aus dem Land jagen sollen, denkt er. Und sie tun es, weil sie dann bis zum nächsten Frühjahr hier in diesem Land unbehelligt bleiben dürfen. Was werde ich tun? Er betritt nun seine Hütte und sieht ein schreckliches Durcheinander. Die beiden Revolverhelden haben alles zerschlagen, zerrissen, besudelt und zerstört. Sein ganzer Besitz liegt inmitten des Wohnraumes auf einem Haufen. Sogar das Bettzeug wurde zerfetzt. Und über all die Scherben, Trümmer und Fetzen schütteten sie sämtliche Vorräte aus. Da sind Mehl, Zucker, Kaffee, Rosinen, Salz, Bohnen und was sonst noch alles vorhanden war, einfach ausgekippt. Der Ofen ist umgestürzt. Jetzt weiß er, warum sie so aussahen, als hätten sie anstrengend gearbeitet. Er geht wieder vor die Hütte, versorgt sein Pferd und setzt sich dann auf die Bank an der Hauswand. Was soll er tun? Wenn er im Lande bleiben will, muß er mit Ed Kovack und Mike Carreras zurechtkommen. Er denkt an Jennifers Angebot. Oh, er braucht nur zurück in die Stadt zu reiten und ihr zu sagen, daß er es sich überlegt hätte und sie beide fortgehen sollten. Es wäre so einfach und leicht Er spürt die Versuchung immer stärker. Doch er kann sich vorerst zu nichts entschließen. Als er einmal den Kopf wendet und zum Weg hinüberblickt, der von der Philbrook-Ranch zur Stadt führt, sieht er dort Joey Ringo in Richtung zur Stadt reiten. Joey Ringo winkt ihm sogar zu und wirkt sehr stolz auf seinem Pferd und mit dem Revolver, den er sich inzwischen zulegte. Bat Rudledge wandert umher. Manchmal sitzt er vor - 77 -
der Hütte oder steht bei seinem Rappen am Korral. Und er kämpft mit sich und seinem Stolz - aber auch mit seinem Verantwortungsbewußtsein. Er kommt dann zu einem Entschluß, sattelt sein Pferd wieder und reitet in die Stadt zurück. *** Als Mike Carreras und Ed Kovack an diesem Nachmittag in die kleine Stadt kommen, benehmen sie sich zuerst ganz friedlich. Zuerst trinken sie im Saloon einige Gläser, kaufen sich Zigarren und lassen anschreiben. Dann gehen sie in den Store und wählen das beste Unterzeug, gute Socken und Reithemden. Sie kaufen Munition, Seife und andere Dinge. Ed Kovack sucht sich ein Paar erstklassige Stiefel aus, weich und von einem Künstler bestickt. Und dann lassen sie anschreiben. Der Storehalter fragt, wann sie denn bezahlen werden. Und da sagt Ed Kovack auf seine eiskalte und lässige Art zu ihm: „Wir sind echte Gentlemen, und echte Gentlemen fragt man nicht, wann sie bezahlen. Frage uns nur nicht noch einmal, Pfeffersack“ Damit nehmen sie all die ausgesuchten Sachen und gehen hinaus. Aber dann kommt Carreras noch einmal zurück und verlangt von dem besten Whisky. Er bekommt ihn. Was soll der Storehalter tun? Es sind Banditen, gefährliche Schießer! Der nächste Sheriff ist zweihundert Meilen entfernt in Laramie und hat dort mehr Arbeit, als er bewältigen kann. Hier in Jennifer City müssen sich die Bürger selber - 78 -
helfen. Aber wer will sich schon als erster Mann von den beiden Revolverhelden totschießen lassen? Carreras und Kovack gehen nun mit ihren Schätzen zum Hotel und verlangen das große Luxus-Zimmer mit Bad. Jennifer Adams zögert, und sie bekämpft alle Furcht und jene Ahnung, daß es heute Schwierigkeiten geben wird. Sie wirkt kühl, beherrscht und selbstsicher. Sie weiß genau, daß sie diese beiden Burschen nur auf diese Art dazu bringen kann, sich einigermaßen zu benehmen. Und so gibt sie ihnen das verlangte Zimmer und läßt von dem schwarzen Hausburschen heißes und kaltes Wasser hinauftragen. Als die beiden Revolverhelden hinaufgehen, wendet sich Mike Carreras noch einmal um und verdreht verhei ßungsvoll die Augen. „Wir machen uns schön für Sie, Jennifer! Wenn wir so richtig sauber sind, nach Fliederwasser riechen und rasiert sind, dann werden Sie doch nichts gegen uns einzuwenden haben, Mädel, nicht wahr? Wir werden nach dem Abendessen ein lustiges Fest feiern - Sie, Ed und ich. Und wir werden fröhlich sein, viel lachen und Spaß haben. Wir sind schon lange nicht in Gesellschaft einer schönen Frau gewesen. Wir haben uns heute überlegt, daß wir nicht länger Stiefkinder des Glücks sein wollen. Ziehen Sie sich nur Ihr schönstes Kleid an, Jenny - ein möglichst dünnes, wo die Schultern nackt bleiben, haha!“ Dann geht er hinter Kovack hinauf. Jennifer steht noch still und starr da, als Joey Ringo hereinkommt. Er zieht den Hut und sagt leise: „Mister Philbrook schickte mich hinter diesen beiden Burschen - 79 -
her. Ich muß sie beobachten, und ich hörte von draußen, was sie zu Ihnen sagten, Madam. Soll ich zu Mister Philbrook reiten und diesem melden, daß Sie Hilfe brauchen?“ Als Joey dies fragt, begreift Jennifer auch schon das ganze Spiel. Jeremy Philbrook will als der große Bursche in Erscheinung treten, der sie selbst gegen zwei solche Burschen wie Carreras und Kovack beschützen kann. Er will ihr imponieren, will ihr Macht und Größe zeigen. Sie soll erkennen, wie gut er für sie sorgen könnte. Und dies alles paßt zu seiner primitiven, und doch bauern-schlauen Art.. Ja, dies ist sein plumper Stil. In ihr sind Verachtung und Zorn. „Ich brauche keine Hilfe“, sagt sie zu Joey Ringo. „Ich werde mit diesen beiden Strolchen zurechtkommen. Und je schlimmer es sein wird, um so mehr werden sich alle Männer dieser Stadt schämen müssen.“ Joey Ringo staunt mit großen Augen. Er blickt Jennifer an, wird rot und will etwas sagen. Doch sie läßt ihn einfach stehen. *** Bat Rudledge kommt langsam in die Stadt geritten. Diese Stadt ist heute stiller und dunkler als sonst. Nur im Saloon und im Hotel, zu dem ja auch das Restaurant gehört, brennen noch Lampen. Vor dem Hotel stehen drei Sattelpferde, doch nicht beisammen. Eines dieser drei Sattelpferde steht dicht an der Ecke, hinter der eine Gasse mündet. Es ist Joey Ringos Pferd. Die beiden anderen Tiere stehen genau vor dem Eingang. Sie gehören Mike Carreras und Ed Kovack. - 80 -
Aus dem Restaurant hört man nun ihre Stimmen klingen. Sie singen zweistimmig ein Lied, welches bei jeder Strophe mit den Worten beginnt: „Als Billy Brown in Saint Louis war!“ Was dann an Versen kommt, kann hier nicht niedergeschrieben werden, denn es ist ein ekelhaft zotiges Lied, wie es nur von primitiven, enthemmten und betrunkenen Burschen gegrölt wird, denen nichts mehr heilig ist. Und der Schluß jeder Strophe lautet dann immer: „Dies alles erlebte Billy Brown in Saint Louis!“ Aber die beiden Revolverhelden singen diesen Schlußsatz nicht. Bat Rudledge zuckt zusammen, als er eine Frauenstimme diesen Schlußrefrain singen hört. Er sitzt bewegungslos auf seinem Pferd, welches er vor dem Hotel verhielt. Ein Mann kommt aus der Gasse und zu ihm auf die Fahrbahn. Es ist Joey Ringo. Er bleibt einen Schritt von Rudledges Steigbügel entfernt stehen und blickt zu Rudledge auf. „Das sind Mike Carreras und Ed Kovack“, sagt er. „Sie haben gut gegessen und veranstalten mit Miß Adams ein Fest. Sie sind betrunken und haben auch Miß Adams zum Trinken genötigt. Sie mußte mit ihnen singen und sich auch ihre Witze anhören. Sie muß mit ihnen tanzen und ihnen eine Gastgeberin und Gesellschafterin sein wie ein Flittchen aus dem Saloon. Und diese feige Stadt hier hat sich in ihr Bett verkrochen und läßt es geschehen. Joey Ringo spuckt verächtlich in den Staub. „Reiten Sie lieber wieder aus der Stadt, Mister“, sagt er zu Rudledge. „Denn wenn ...“ „Geh hinein zu ihnen, Joey! Und sage ihnen, daß ich - 81 -
hier draußen auf sie warte und sie ihre Revolver nicht vergessen sollen. Hast du verstanden, Joey?“ Der tritt einen Schritt zurück, staunt und atmet heftig ein. „Hooiii, Mister Rudledge, Sie wollen doch wohl nicht...“ „Geh hinein, mein Junge, und sage es ihnen! Sie sollen herauskommen, damit sie ihren Kampf bekommen können, den sie schon lange haben wollten.“ „Du lieber Gott“, sagt Joey Ringo, „das kann doch nicht gut gehen! Das ist doch Selbstmord! Mister Rudledge, was bedeutet Ihnen denn diese schöne Frau?“ „Darum geht es gar nicht, Junge! Jeder Mann in diesem lausigen Ort hat die Pflicht, einer bedrängten Frau gegen zwei solche Strolche beizustehen.“ Zwei Atemzüge lang denkt Joey Ringo über diese Worte nach. Dann wendet er sich um und verschwindet im Hotel. Bat Rudledge reitet auf die andere Straßenseite. Er sitzt ab und bindet das Pferd vor dem Sattlerladen an. Dann zieht er sich unter den überdachten Gehsteig zurück. Er ließ seine Schrotflinte in der Sattelhalfter. Er trägt nur seinen Colt in der Halfter - rechts. Er wartet scheinbar ruhig. Über dem Hoteleingang brennt eine Lampe. Bat Rudledge wartet. Nun, da er sich zum Kampf entschlossen hat, ist er ruhig und beherrscht. Er hat sich fest unter Kontrolle. Es ist wie immer, wenn er auf Banditenjagd war. ***
- 82 -
Mike Carreras und Ed Kovack sind betrunken, doch nicht sinnlos betrunken. Sie wissen noch ganz genau, was sie tun. Sie haben nur so viel Alkohol in sich, daß sie enthemmt und gefährlich sind wie zwei wilde Indianer. Als Joey Ringo hereinkommt, verlangen sie gerade von Jennifer Adams, daß diese ihr Glas auf einen Zug leeren möge. Jennifer Adams hält sich gut. Sie hat die Kontrolle noch nicht über sich und über sie verloren, und sie benimmt sich wie ein Cowgirl, welches unter Männern aufwuchs und deshalb lernte, mit ihnen umzugehen. Sie sagt: „Ich bin nur ein Mädel! Ihr seid Männer! Wenn ihr die doppelte Menge trinkt, will ich mithalten. Ich habe keine Angst, mit euch zu trinken, solange ihr fair seid.“ Da lachen sie, und während sie lachen, erblicken sie Joey Ringo. „He, du Regenwurm, was willst du?“ Dies fragt Ed Kovack, den der Alkohol gesprächiger werden ließ, als er sonst ist. „Einen schönen Gruß soll ich bestellen“, sagt Joey Ringo. „Draußen wartet Mister Rudledge. Er kam in die Stadt, um es mit euch aufzunehmen. Sie möchten doch so freundlich sein herauszukommen. Und Ihre Revolver sol len Sie nicht vergessen, Gentlemen.“ Sie starren ihn an, mißtrauisch, noch etwas trunken und staunend. Doch plötzlich begreifen sie es richtig. „Er ist gekommen, um mit uns zu kämpfen!“ Dies ruft Mike Carreras voller Freude - ja, es ist eine wilde, bösartige und trunkene Freude. „Da will ich doch gleich hinausgehen, ihn bedienen und bald wieder bei euch sein!“ - 83 -
Er rückt seine beiden Revolver zurecht und geht zur Tür. „Laß dich nur nicht von diesem Krüppel umschließen“, sagt Ed Kovack hinter ihm her. „Ich werde die Dame indes prächtig unterhalten. Jenny, Sie müssen wirklich noch mehr Feuerwasser trinken, damit auch Sie noch feuriger werden, haha!“ Er lacht wie über einen guten Witz und leert selbst sein Glas. Er beachtet seinen Partner Carreras gar nicht, auch den Jungen bei der Tür nicht. Er sieht Jennifer Adams an und will aufpassen, daß sie auch wirklich das Glas leert. Doch sie kann nun nicht mehr. Sie ist alarmiert worden von Joey Ringos Nachricht. Sie begriff schnell, daß Bat Rudledge draußen auf einen Kampf um Leben oder Tod wartet. Und so schüttet sie Ed Kovack mit einer raschen Bewegung den Inhalt ihres Glases ins Gesicht - das heißt, sie will es ihm ins Gesicht schütten. Doch er ist unheimlich reaktionsschnell und nimmt seinen Kopf zur Seite wie ein geübter Preisboxer. Dann lacht er, und nun ist ein kalter und böser Ausdruck in seinen Augen. Er wirkt mit einem Male ganz nüchtern, eiskalt und beherrscht. Seine trunkene Ausgelassenheit war also nur eine Maske. Seine Augen glitzern. „Es begann damals“, sagt er, „als meinem Rancher seine einzige Tochter für mich viel zu gut war. Ich war damals nur ein junger Cowboy. Er ließ mich mit Peitschenschlägen von der Ranch jagen. Ich erschoß ihn dafür. Und ich konnte nie ein anständiges Mädel be kommen. Für mich waren immer nur die Flittchen da. Deshalb hasse ich euch alle. Paß auf, dich breche ich heute noch ein. Und du wirst mir keinen Whisky ins - 84 -
Gesicht schütten, Stolze!“ Er geht langsam auf sie zu.... *** Joey Ringo hielt es nicht im Restaurant. Er mußte Mike Carreras folgen, der hinausgetreten war. Carreras steht draußen am Rand des Plankengehsteiges und sieht sich nach Bat Rudledge um, dessen Pferd drüben auf der anderen Seite steht. Als Joey Ringo aus dem Hotel kommt, sagt Carreras scharf: „Verschwinde, Junge! Verschwinde nur, bevor ich dich von den Beinen schieße.“ Joey Ringo gehorcht blitzschnell. Er verschwindet um die Ecke in die Gasse. Aber er schiebt seinen Kopf weit genug hervor, um alles sehen zu können. Carreras hat Rudledge inzwischen entdeckt. Denn nun klingt seine Stimme über die Fahrbahn: „Ay, Rudledge! Komm schon!“ „Ich komme! Nimm deinen Revolver in die Hand! Ich will nicht, daß ich einen Vorteil habe. Nimm deinen Revolver in die Hand, Carreras!“ Dieser zögert einen Sekundenbruchteil. Irgendwie paßt ihm diese Art nun nicht mehr. Er ist es als schneller Revolverheld gewöhnt, seine Gegner herauszufordern, bis sie nach der Waffe greifen. Dann spielt er seine Schnelligkeit aus und schießt sie nieder. Dies alles geschieht auf kurze Entfernung. Jetzt aber soll es anders sein. Er flucht leise, begreift, daß Rudledge ihm nun einen anderen Stil aufzwingt. Aber er ist kein Feigling. Er glaubt an seine „Schießkunst“ und an sein Glück. Solch - 85 -
ein Kampf ist für ihn erregend wie ein scharfes Pokerspiel, und bis jetzt konnte er sich immer wieder be weisen, daß er unbesiegbar war. Also zieht er den rechten Revolver. Obwohl er zwei Revolver trägt, ist er Rechtshänder. Er geht nach rechts, um nicht das erleuchtete Hotel hinter sich zu haben. Erst als er hinter sich ein dunkles Haus weiß, springt er vom Plankengehsteig auf die Fahrbahn, ganz und gar ein pantherhafter Bursche. Bat Rudledge war drüben auf der anderen Straßenseite mit ihm auf gleicher Höhe geblieben. Nun aber verläßt auch er den Gehsteig. Plötzlich bleibt er stehen. Mike Carreras aber will näher heran. Als Rudledge verhält, glaubt Carreras, daß Rudledge schon auf ihn zielt und im nächsten Moment abdrücken wird. Vielleicht verliert Carreras für einen Sekundenbruchteil die Nerven, als er im Laufen auf Rudledge abdrückt. Er gibt also den ersten Schuß ab. Sein Mündungsfeuer erhellt die Dunkelheit, und der Knall zeigt der Stadt an, daß ein Kampf begonnen hat. Doch diesem Knall folgt unmittelbar ein zweiter Knall. Obwohl Rudledge Carreras' Gestalt einigermaßen gut als Silhouette erkennen konnte, wartet er auf das Mün dungsfeuer, zielt instinktiv darauf und drückt ab. Die Bürger von Jennifer City hören in ihren Häusern also die beiden aufeinanderfolgenden Schüsse und dann einen wilden, heißen Schrei, der mit einem Fluch endet. Es ist der heiße Schrei eines getroffenen Mannes, voller Schrecken darüber, getroffen zu sein. Und weil es nach diesem Schrei so schrecklich still wird, hört man sogar den schweren Fall eines Körpers.
- 86 -
***
Ed Kovack, der langsam auf Jennifer Adams zugeht, hält inne, als nun die beiden Schüsse krachen. Dann hören sie den Schrei, und da zuckt Ed Kovack zusammen. „Das war doch wohl nicht Mike ...?“ flüstert er. Draußen bleibt es still. Jennifer Adams hat sich in die entfernteste Ecke zurückgezogen, doch Ed Kovack beachtet sie nicht mehr. Er hat jetzt andere Sorgen. Sein feiner Instinkt warnt ihn wohl nun. Denn jener wilde Schrei, der mit einem Fluch endete, war ganz nach Carreras Art. Aber er kann es nicht glauben. Er sah doch Rudledges Revolverhand, die noch vollkommen unbrauchbar war. Er weiß auch, daß Rudledge Linkshänder ist. Sollte er auch mit der Rechten ...? Viele Gedanken jagen sich in Ed Kovacks Kopf. Dann hört er draußen Rudledges Stimme rufen: „Nun, Kovack, worauf warten Sie noch? Carreras ist tot! Kom men Sie heraus, Kovack!“ Kovack wirbelt herum. Er sagt kein Wort, flucht nicht einmal. Doch er wirkt sehr entschlossen und handelt. Er läuft nicht zur Vordertür, sondern wendet sich zum Durchgang, der in die Hotelhalle führt. Von dort kann er die Hintertür des Hotels erreichen. Er braucht so nicht zur Straße hinaus, nicht in das Licht der Lampe und der goldenen Lichtbahnen, die aus den Fenstern fallen. Es ist Ed Kovack nun klar, daß er in Rudledge immer noch einen ebenbürtigen Gegner hat, denn Rudledge hat ihnen eine Kampfesweise aufzwingen können, bei der die Chancen besser verteilt sind. Er beeilt sich. - 87 -
Und als er die Hintertür auf stößt, da glaubt er, daß Rudledge ganz bestimmt nicht so schnell in den Hof des Hotels gelangt sein kann. Doch er täuscht sich. Nachdem Rudledge auf der Straße gerufen hatte, war er schnell durch die Gasse gelaufen. Als Ed Kovack hinter sich die Tür zuzieht und sich bemüht, seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen, ruft Rudledge ihn von der hinteren Hotelecke her an. Ed Kovack aber reagiert schon beim ersten Klang der Stimme. Er wartet gar nicht ab, was Rudledge zu sagen hat. Er will es gar nicht hören. Als Rudledges Stimme ihren ersteh Ton von sich gibt, wirbelt Kovack geduckt herum und beginnt zu schießen. Er bewegt sich dabei schnell, und er feuert nur, um das Mündungsfeuer des Gegners herauszulocken. Aber er sieht es nicht und feuert nochmals, bewegt sich dabei weiter in den Hof hinein. „Warum bist du so nervös, Kovack?“ Dies fragt Rudledge von der Hausecke her. Ed Kovack kann ihn nun schwach erkennen. Er feuert abermals. Und da bekommt er es. Es gibt keinen Zweifel mehr daran, daß Rudledge zwar nicht mehr schnell den Revolver ziehen, doch auch mit der langsamen Rechten unheimlich genau schießen kann. Sie hatten ihn unterschätzt. *** Jennifer Adams steht immer noch auf dem gleichen Platz, als er in das Restaurant tritt. Er kam durch die Hintertür, also auf jenem Wege, den Ed Kovack gegangen war. . - 88 -
Sein Reithemd ist in Höhe der linken Rippen zerfetzt von einer Kugel. Er blutet dort schwach. „Waren Sie schlimm zu dir, Jennifer?“ Er fragt es sanft, doch die Härte des Kampfes und die Bitterkeit des Erlebenmüssens sind noch in seinem Gesicht und in den Augen. Sie bewegt sich plötzlich, eilt zu ihm und drückt ihr Gesicht an seine Schulter. Sie hat ihn umfaßt und hält ihn fest, so als müßte sie spüren, daß er noch lebt und hätte Angst, er könnte sich in Luft auflösen. „Du lebst!“ flüstert sie. „Sie konnten dich nicht töten! Oh, Bat, du lebst!“ Sie lehnt sich nun zurück, hält ihn dabei an den Oberarmen fest und blickt zu ihm auf. „Wir verlassen morgen das Land, Bat! Wir bleiben keine Stunde mehr länger in dieser armseligen Stadt. Bat, diese jämmerlichen Menschen hier sind es; nicht wert, daß du ...“ Sie verstummt, denn sie erkennt, daß ihre Worte noch gar nicht in ihn eindringen können. Er hat soeben sein Leben eingesetzt, hat gekämpft und mußte töten. Dies alles lastet jetzt sehr viel stärker auf ihm, denn er durchlebt es noch einmal - nun bewußter. Es ist kein ra sender Ablauf mehr. Sie löst sich von ihm, tritt zurück. „Wir werden morgen oder in einigen Tagen noch einmal darüber sprechen“, sagt sie. „Ich weiß zu gut, daß du erst wieder mit dir selbst zurechtkommen mußt. Willst du dein Zimmer im Hotel?“ Sie wirkt nun sachlich und beherrscht. Und sie ist nicht überrascht oder fühlt sich gar zurückgewiesen, als er den Kopf schüttelt und leise sagt: „Verzeih mir, Jennifer, doch ich muß jetzt eine Weile mit mir allein - 89 -
sein. Es ist nicht so leicht, zwei Männer zu töten, selbst wenn es solche Burschen wie diese waren. - Ich komme wieder, Jennifer. Es ist schon eine große Hilfe für mich, wenn ich weiß, daß du auf mich wartest.“ Sie sagt nichts mehr. Doch sie küßt ihn auf die Wange. Dann geht er. Draußen steht Joey Ringo. „Das hätte ich nicht gedacht“, sagt Joey. „Wie haben Sie es nur geschafft, wo doch Ihre Revolverhand ...“ Bat Rudledge bleibt stehen. Er betrachtet Joey mit bitterem Ernst. „Junge, bleibe nicht bei Philbrook“, sagt er. „Und trage keinen Revolver, oder du wirst eines Tages die Hölle bekommen - hier drinnen, meine ich.“ Er deutet mit dem Daumen gegen seine Herzgegend. Und Joey Ringo sagt: „Wenn ich bei Philbrook kündige, kann ich dann wieder zu Ihnen kommen, Mister Rudledge?“ „Nein“, sagt dieser. „Du bist nicht zuverlässig, Joey. Ich glaube, du wirst immer zu jenem Mann überlaufen, den du für größer hältst. Du bist zwar noch ein dummer Junge, doch auch ein Junge muß schon gewisse Grund sätze haben. Ich habe dich durch den Blizzard gebracht, doch du suchtest dir Arbeit bei meinem schlimmsten Feind. Joey, du taugst nicht viel.“ Er geht weiter, muß über die Fahrbahn zu seinem Pferd. Dort, wo Mike Carreras im Staub liegt, versammelt sich eine Gruppe von Menschen. Sie alle sind vollständig angekleidet, ein Zeichen, daß in dieser Stadt kein Bürger in den Betten war. Sie hielten sich nur alle verborgen. Jetzt aber brennen in fast allen Häusern die Lampen. - 90 -
Durch die offenen Türen und aus den Fenstern fällt viel Licht. Die Straße ist merklich heller. Bat Rudledge streift die Menschengruppe mit einem verächtlichen Blick. Als er sein Pferd erreicht, trifft er dort auf Faro-Jack Spencer. „Ich möchte mich entschuldigen“, sagt Jack Spencer. „Ich habe Sie unterschätzt, Rudledge. „Was habe ich davon, wenn Sie sich entschuldigen? Jennifer Adams hatte Hilfe nötig, ihr feigen Kerle. Ich spucke auf die ganze Stadt. Sie ist weniger wert als ein Haufen Kuhmist.“ Er sagt es heftig. Es ist ein wilder Ausbruch. Dann sitzt er auf und reitet davon. Jack Spencer starrt ihm nach, und er hat sich noch nie so erbärmlich gefühlt und geschämt wie jetzt. *** Joey Ringo mußte in dieser Nacht noch weit reiten, bis er seinen großen Boß Jeremy Philbrook finden konnte. Denn Philbrook war nicht auf der Ranch. Er war zu einem Ritt aufgebrochen, um überall die Heuvorräte zu kontrollieren. Joey Ringo trifft seinen Boß bei Sonnenaufgang im Weidecamp bei den Two Sisters. Dies sind zwei riesige Blautannen. Bei ihnen steht eine fest Blockhütte mit einigen Korrals und einem großen Schuppen. Als Joey eintrifft, will Philbrook gerade aufsitzen und weiter. Er hat hier bei den beiden Grenzwächtern übernachtet und schon gefrühstückt. „Boß“, sagt Ringo etwas heiser und schrill, „ich brauchte den Jungens auf der Ranch nicht Bescheid zu sagen. Als Carreras und Kovack in der Stadt wild wurden und sogar Miß Jennifer Adams bedrängten, da wollte - 91 -
selbst sie keine Hilfe. Doch sie bekam dann welche - von Rudledge! Die ganze Stadt war still. Alle hatten sich feige verkrochen. Und im Restaurant feierten Carreras und Kovack mit Miß Adams ein wildes Fest, welches immer lauter und ausgelassener wurde. Sie mußte sogar mit ihnen Lieder singen. Aber als Rudledge kam, wurde alles anders. Er hat sie beide nacheinander im fairen Zweikampf getötet, nicht mit der Schrotflinte, Boß, dieser Rudledge ist immer noch riesengroß, ein Mann, wie es keinen zweiten gibt.“ Joey Ringo redete sich irgendwie in eine wilde Begeisterung. Jeremy Philbrook aber holt aus und gibt ihm eine gewaltige Maulschelle, so daß der Junge sich fast über schlägt. Joey Ringo faucht am Boden wie eine Katze, springt auf und greift nach dem Revolver. Doch die Waffe fiel ihm aus der Halfter. Er gewinnt nun auch wieder die Kontrolle über sich. „Warum schlagen Sie mich?“ Er fragt er mit schmalen Lippen. Philbrook grinst breit und böse. „Du bewunderst ihn wieder - nur weil er, obwohl er eine unbrauchbare Hand hat, zwei gefährliche Revolver helden töten konnte. Er ist für dich wieder der große Mann, nachdem du ihn verlassen hattest. Du trägst doch einen Revolver und kannst damit umgehen. Warum hast du nicht versucht, ihn aus dem Hinterhalt umzulegen? Du weißt doch, daß er mein Feind ist und Carreras und Kovack für mich wichtige Handlanger sind, auf die ich nicht verzichten konnte. Du hättest eingreifen können, Junge. Doch du bist eine Niete. Du bewunderst ihn schon wieder, so wie du mich bewundert hast. - Reite weiter, - 92 -
Junge! Suche meinen Vormann. Ich brauche ihn und ein Dutzend Männer.“ Joey Ringo staunt. Er hält sich die brennende Wange - nicht aus Schmerz, sondern aus Scham. „Sie haben mich geschlagen“, sagt er, „weil ich endlich begriff, wer der bessere Mann ist. Das konnten Sie nicht ertragen. Mister Philbrook, Sie sind ja eitel richtig eitel und selbstgefällig. Ich will nicht länger für Sie arbeiten. - Nein! Ich weiß nicht, wie Sie Rudledge beim ersten Zusammentreffen besiegen konnten. Doch jetzt wollen Sie mit einer ganzen Mannschaft auf ihn los. Ich will nicht auf Ihrer Seite dabeisein. Ich bin hier fertig.“ Philbrook betrachtete ihn stumm. Und die beiden Cowboys, die hier stationiert sind, ziehen sich unauffällig wieder zurück. Sie waren beim Korral und kamen zur Hüttenecke. Doch nun machen sie sich wieder unsichtbar. Jeremy Philbrook starrt den Jungen brütend an. „Du kleiner Wicht“, sagt er. „Warum verschwende ich nur Zeit mit dir? Es kann mir doch gleich sein, was du tust und was aus dir wird. Eine kurze Weile glaubte ich, du hättest mein Format und ich könnte aus dir einen jüngeren Jeremy Philbrook machen. Doch du bist nur ein kleiner schäbiger Kläffer, der immer wieder dorthin läuft, wo er glaubt, daß etwas für ihn abfällt. Verschwinde, Kleiner! Verschwinde, bevor ich dir noch eine Maulschelle gebe! Und den Revolver läßt du liegen. Den nimmst du nicht mit!“ Joey Ringo nickt. Er klettert auf seinen Pinto und reitet fort.
- 93 -
***
Rudledge hat bei seinem Nachbarn, dem Kleinrancher Cole Banner, etwas Proviant ausgeliehen. Als er zu seiner Hütte zurückkommt, findet er Joey Ringo vor. In der Abenddämmerung betrachten sich der Mann und der Junge. Dann fragt Rudledge: „Was willst du, Joey?“ „Ich bin gekommen, um Sie zu warnen“, murmelt der Junge. „Jeremy Philbrook hat nach seinem harten Vor mann und einem Dutzend rauher Burschen geschickt. Sie werden jetzt vielleicht schon bei ihm sein. Und dann werden sie kommen. Als er die Nachricht erhielt, daß Sie in der Stadt mit den beiden Revolverhelden ...“ „Schon gut, Joey, ich erwarte von Jeremy Philbrook nichts anderes.“ „Aber warum sind Sie dann noch hier?“ Der Junge fragt es staunend. „Hast du Hunger?“ Dies fragt Rudledge zurück. „Nein!“ Joey Ringo sagt es etwas zu schrill und trotzig. Rudledge sieht ihn zweifelnd an. „Den Ofen habe ich schon wieder repariert“, sagt er. „Und ich erhielt von meinem Nachbarn auch einen Topf und eine Kaffeekanne. Komm, Joey, wir wollen uns ein Abendbrot bereiten. -Was wird denn Jeremy Philbrook mit dir machen, wenn er herausbekommt, daß du mich vor ihm gewarnt hast?“ Joey Ringo denkt nach. „Das wird Philbrook sich wahrscheinlich ausrechnen können“, murmelt er. „Ich bin fort von ihm. Ich hatte ihm gesagt, daß ich bei ihm fertig wäre. Ich konnte nicht länger mehr bei ihm bleiben.“ „Und warum nicht, Joey?“ Rudledge fragt es sanft. - 94 -
Der Junge zögert. „Eben so“, murmelt er. „Ich hielt ihn zuerst für mächtig groß. Ich glaubte, daß er Sie fair besiegen konnte. Doch als er von mir verlangte, daß ich seine Vormann und ein Dutzend harter Burschen herbei holen sollte, da konnte ich es einfach nicht mitmachen. Er hat mich geschlagen. Ich bin froh, daß ich von ihm fort bin. Es war ein Irrtum von mir, zu glauben, ich müßte in seiner Nähe bleiben, um viel von ihm lernen zu können. Ich möchte nichts von ihm lernen. Ich habe mich in ihm getäuscht. Er ist kein großer Mann, nur ein wilder Bulle.“ Rudledge sagt nichts dazu. Er geht mit seinem Bündel in die Hütte hinein und zündet bald darauf eine Kerze an. Wenig später hat er den Ofen in Gang gebracht. Joey Ringo hilft ihm nun mit kleinen Handreichungen, holt Wasser und legt Holz nach. Sie sprechen kaum miteinander, doch es ist ein stillschweigendes Einverständnis zwischen ihnen. Es ist wieder so wie damals, als sie die Herde trieben. „Haben Sie keine Angst, daß Philbrook ...“, beginnt der Junge einmal, nachdem sie schon einige Bissen gegessen haben. „Der kommt nicht so früh am Abend“, erwidert Rudledge. „Der kommt später, sehr viel später, wenn er glaubt, daß meine Wachsamkeit nachlassen wird oder ich nicht mehr mit seinem Angriff rechne. Er wird im Mor gengrauen kommen. Und du wirst dann längst nicht mehr hier sein, Joey. Du reitest jetzt gleich nach dem Abend essen.“ „Sie schicken mich fort?“ „Ja, Joey.“ „Weil ich dumm und verrückt war? Weil ich eine Weile glaubte, Philbrook wäre ein - 95 -
wirklich großer Bursche, den ich mir zum Vorbild nehmen könnte?“ Joey Ringo fragt es bekümmert. „Du bist noch ein Junge“, sagt Rudledge. „Du könntest jetzt wieder mich zum Vorbild nehmen, und auch das wäre sicherlich falsch. Denn wenn du ein Mann sein wirst, werden völlig andere Maßstäbe gelten als jetzt. Ein Revolvermann wie ich, der ist dann unmöglich. Geh in die Stadt und suche dir eine ordentliche Arbeit. Hier! - Du bekommst noch Lohn von mir, da du mir dabei halfst, die Herde zu treiben. Das ist dein Lohn! Es ist kein Cent zuviel, so daß du dir von mir nichts schenken zu lassen brauchst. Diese zwanzig Dollar sind schwer und ehrlich verdient. Nimm sie und suche dir in den nächsten Tagen eine Arbeit.“ Joey Ringo sagt nichts. Er starrt vor sich hin, ißt seine Portion auf, nimmt dann das Zwanzigdollarstück, welches Rudledge vor ihm auf den Fußboden legte, auf dem sie beide beim Ofen und beim Kerzenschein hocken, und erhebt sich. „Danke für das Essen, Mister Rudledge“, sagt er von der Tür her und geht hinaus. Bald darauf hört man ihn fortreiten. *** Zwei Stunden nach Mitternacht erwacht Rudledge, erhebt sich und geht hinaus. Sein Rappe schnauft vorwurfsvoll, wahrscheinlich deshalb, weil er immer noch den Sattel trägt. Rudledge zieht den Sattelgurt stramm und lauscht dann in die Nacht. Es ist eine helle Nacht, doch immer wieder segeln - 96 -
große Wolken herbei und schieben sich vor den Mond. Dann wird er stets sehr viel dunkler. Rudledge nutzt solch eine dunkle Zeitspanne, um sich zu entfernen. Er reitet zu den Bäumen und Büschen beim Creek hinüber. Bis auf die Tannen haben sie schon fast ganz das Laub verloren, aber er findet zwischen einigen hohen Tannen genügend Deckung. Als der Mond wieder leuchtet, sind die Schatten hier zwischen den Tannen tief und dunkel, verbergen ihn und das schwarze Pferd. Es wird nun empfindlich kalt. Aus dem Creek steigen Nebel, wallen erst dicht über den Boden, breiten sich aus und steigen höher. Die bis jetzt so klare Nacht verschleiert sich. Bat Rudledge wartet geduldig. Er hockt am Fuß einer der großen Tannen und lauscht auf all die vielen Stimmen der Nacht. Stunden vergehen. Einmal heult ein Büffelwolf ganz in seiner Nähe, und Big Jim schnaubt sofort grimmig und dreht seine Hinter hand in Richtung des Wolfsrufes, um ausfeuern zu können. Doch der nächste Wolfsruf klingt dann entfernter. Bat Rudledge lauscht nun aufmerksamer. Und da hört er es. Es sind Reiter. Sie kommen sehr langsam und leise herangeritten, halten jenseits der flachen Creekfurt einen Moment an und kommen dann auf diese Seite. Einen Moment sieht es so aus, als würden sie genau zu Bat Rudledge zwischen die Tannen kommen. Doch dann halten sie wenig mehr als zehn Yard entfernt auf der anderen Seite zweier Riesentannen an. Rudledge steht bei seinem Rappen und hält ihm die Nase zu. Er hört dann Jeremy Philbrooks Stimme heiser sagen: - 97 -
„Also gut, umstellen wir die Hütte und sehen wir nach, ob er da ist. Es könnte sein, daß er uns hörte und mit seiner Schrotflinte auf der Lauer liegt. Hört, Jungens, ich will ihm keine Chance geben. Ich will ihn heute und hier erledigen. Bud, du bleibst bei den Pferden. Wir umstellen erst die Hütte und erschießen die Pferde im Korral, bevor wir nachsehen, ob er überhaupt in der Hütte ist.“ Sie entfernen sich nun. Bat Rudledge aber zögert keine Sekunde. Er kriecht unter den Tannen hindurch auf die andere Seite und erreicht bald einen Mann, der bei seinem Pferd steht und eine Flasche aus der Satteltasche nimmt. Er hebt den Boden der Flasche gen Himmel und trinkt schnaufend. Bat Rudledge trifft ihn mit dem Revolver von der Seite her über dem Ohr. Das Pferd erschrickt nicht sehr, als der Mann die Flasche fallen läßt und umfällt. Die meisten Tiere sind nicht angebunden. Sie stehen mit Zügeln da, deren Enden am Boden liegen. Bat Rudledge geht von Tier zu Tier. Die angebundenen Pferde bindet er los. Und von allen Tieren bindet er die Zügelenden an den Sattelhörnern fest. Er läuft dann schnell zu seinem Rappen, sitzt auf und reitet um die Tannen herum zurück. Als er die zwölf Sattelpferde zur Furt des Creek treibt, krachen bei der nur hundert Schritte entfernten Hütte die ersten Schüsse. Das Todeswiehern eines seiner beiden Wagenpferde tönt durch das nebelerfüllte Morgengrauen. Sie haben mir die beiden Pferde erschossen und dringen nun gegen die Hütte vor, denkt Rudledge. Auf der anderen Seite reitet er noch ein Stück und hält dann an. Er blickt zurück und sieht auch schon den Feuerschein durch den Nebel leuchten. - 98 -
Sie haben die Hütte leer vorgefunden und sie sofort in Brand gesetzt. Er hält sich nicht langer auf und treibt die Pferde weiter. Nach einigen Meilen jagt er die Sattelpferde auseinander und in die Hügel zur Rechten. Er hofft, daß man sie dort nicht so schnell finden und heraustreiben kann. Er zieht sein Pferd nach Norden zu herum und reitet in die Vorberge. Die kleine Stadt liegt etwa acht Meilen südwestlich hinter ihm. Die Philbrook-Ranch liegt etwa neun Meilen im Osten. Als er die Vorberge im Norden erreicht hat, wendet er sich in ihrem Schutz nach Osten, reitet also am nörd lichen Ende von Philbrooks Tal entlang in Richtung der Hauptranch. Die Sonne konnte immer noch nicht den Nebel auffressen. Die Sicht bleibt schlecht, und sogar der Hufschlag von Rudledges Rappen klingt sehr gedämpft. Als er sich damals mit Joey Ringo der Ranch näherte, um wegen seiner entlaufenen Rinder und dem zerstörten Zaun mit Philbrook zu reden, da näherten sie sich von Südwesten her. Nun aber kommt er von Norden. Eine große Scheune und halboffene Schutzdächer für riesige Heustapel geben ihm Deckung. Er läßt hier seinen Big Jim zurück und geht zu Fuß weiter. Es ist nun Mittagszeit. Die hier auf der Ranch stationierten Leute sind drüben im Speiseraum beim Küchenhaus. Er kann, als er über den Hof späht, ihr Gelächter hören. Wahrscheinlich hat dort drinnen jemand einen Witz erzählt. Bat Rudledge fragt sich, wie viele Männer wohl dort - 99 -
drüben sein könnten? Da sind der chinesische Koch, der Schmied und der Pferdepfleger. Dazu kommt vielleicht noch ein Zureiter. Denn auf einer so großen Ranch gibt es immerzu Pferde zuzureiten. Mehr Männer können zur Zeit nicht zugegen sein. Bat Rudledge entschließt sich. Er betritt das lange Gebäude durch die Außentür der Küche. In der Küche ist niemand. Doch die Tür zum Speiseraum ist offen. Und dort lachen wieder einige Männer. Als Rudledge vorsichtig in den anderen Raum blickt, da sieht er sie alle an dem großen Tisch hocken, an dem zwei Dutzend Männer zu gleicher Zeit essen könnten. Doch sie sind außer dem Chinesenkoch nur drei Männer. Rudledge hat also richtig geschätzt. Der Schmied ist bullig. Der Pferdepfleger ist schon alt. Nur der Zureiter ist drahtig und jung, gewiß auch gefährlich. Sie alle sehen dem Koch zu, der mit einem Kartenspiel die tollsten Zauberkunststücke zeigt. Ein Zauberkünstler auf der Bühne macht es nicht besser, und er nimmt die Aufmerksamkeit der Zuschauer so sehr in Anspruch, daß sie Rudledge nicht sogleich bemerken erst dann, als er mit schußbereitem Revolver an ihren Tisch tritt und ruhig sagt, daß die Vorstellung nun beendet sei und er einige Wünsche hätte. Sein Revolver unterstützt die freundliche Forderung. Die Männer wissen schon, daß er mit Carreras und Kovack zurechtkommen konnte und gehen kein Risiko ein. „Was wollen Sie?“ Dies fragt der Zureiter grob. Bat Rudledge deutet mit dem Revolverlauf auf eine Luke, die dicht bei der Küchentür ist und zu einem Keller - 100 -
führt, wo der Koch einer solch großen Ranch Faßbohnen, Salzfleisch und all die eingemachten Dinge aufbewahrt oder Lebensmittel vor der Sommerhitze schützt. „Klettert hinunter“, sagt er, „und macht es euch bequem.“ „Wenn Philbrook Sie erwischt“, sagt der Zureiter, „wird er Sie an den Ohren an ein Scheunentor nageln.“ Rudledge betrachtet den Zureiter. „Philbrook brannte meine Hütte nieder und erschoß meine Wagenpferde, als sie im Korral standen. Ich habe ihm und seinen tüchtigen Jungens die Pferde entführt, und so müssen sie nun zu Fuß laufen. Was glaubt ihr denn, warum ich hergekommen bin? Um mich von Drohungen über das, was Philbrook mit mir machen wird, einschüchtern zu lassen?“ Sie starren ihn an, und nun erkennen sie endlich seine ganze Härte und begreifen, daß er nicht spaßt und auch nicht lange mehr herumtändeln wird. Sie erkennen, daß es für ihn ums Leben geht und daß er dennoch nicht geflüchtet ist, sondern mitten in Philbrooks Hauptquartier kam, um zurückzugeben, was er erhielt. Der alte Pferdewärter öffnet die Kellerluke und klettert wortlos hinunter. Rudledge wirft einen Blick hinunter. Es ist ein kleiner Keller, vielleicht vier Schritte im Quadrat. Es sind einige Fässer und Tonkrüge zu sehen. Einen Ausgang gibt es nicht, nur diesen hier vom Eßraum aus. „Vorwärts!“ sagt er, „folgt ihm! Euer Boß will meinen Skalp und jagt mich mit einer starken Mannschaft. Erwartet ihr von mir vielleicht einen Bluff? - Ich bluffe nicht! - Vorwärts!“ In seiner Stimme ist eine kalte Entschlossenheit. Sie gehorchen. Sie begreifen jetzt, daß er immer noch - 101 -
Bat Rudledge ist, ein Mann, der schon immer kämpfen konnte und der nicht fortlaufen kann. Sie müssen seine Härte und seine Furchtlosigkeit bewundern, seine ganze Art, die ihm nicht gestattet, vor Philbrook zu fliehen. Und so klettern sie hinunter. Er wirft über ihnen den Lukendeckel zu und schiebt den Riegel vor, der durch ein Schloß gesichert werden kann. Dann geht er hinaus. Er pfeift seinen Rappen herbei und läßt ihn vor Philbrooks Haus stehen. Er geht hinein und macht genau das, was Philbrook bei ihm tat. Als er von der Ranch reitet, hat er eines von Philbrooks guten Gewehren und genügend Munition bei sich. Philbrook dreiräumiges Blockhaus brennt genau so, wie Bat Rudledges zweiräumige Blockhütte brannte. Jeremy Philbrook wird es diesen Winter etwas unbequem haben, doch nicht so unbequem wie Bat Rudledge. Rudledge hat zurückgeschlagen, hat deutlich gemacht, daß er jeden Angriff erwidert, zurückzahlt. Ob Philbrook dies eine Warnung und Lektion sein wird? Als Bat Rudledge sich diese Frage stellt, lächelt er schief und voll Bitterkeit. Philbrook wird ihn jetzt gewiß nicht nur mit einem Dutzend Reitern, sondern mit allen verfügbaren Männern jagen, und dies sind bedeutend mehr als zwei Dutzend harte Burschen, die mit den Waffen umgehen können. Bat Rudledge betrachtet seine Linke, versucht sie zu schließen. Doch er schafft es nicht - immer noch nicht. Sie schmerzt mehr als sonst. Er hat sie überanstrengt. Für einige Wochen muß ich verschwinden, denkt er. Es hat einfach keinen Sinn, daß ich im Land bleibe, solange ich meine Linke nicht wieder voll gebrauchen - 102 -
kann. Ich glaube, ich werde nach Laramie hinüberreiten und dort auf den Tag warten, da ich zurückreiten kann. Und so schlägt er jenen Weg ein, den er damals im Blizzard kam, als er Joey Ringo vor sich auf dem Pferd hatte und zuvor den Zaun zerschoß. Er reitet vorsichtig in jenen Canyon, der aus Philbrook Tal und zu jenem Stacheldrahtzaun führt. Er rechnet mit einem Grenz wächter, und er trifft ihn wahrhaftig inmitten des Canyons. Der Reiter will nach dem Colt greifen, doch Rudledge ruft scharf: „Laß stecken, du Narr!“ Der Grenzwächter, der am Canyon wahrscheinlich den Zaun kontrolliert hatte, gehorcht auch wirklich. Er behält den Colt in der Halfter, hat jedoch die Hand am Kolben. „Sie sind doch Rudledge?“ So fragt er etwas schrill und heiser. „Ich bin es“, sagt Rudledge. Und du solltest mit mir keinen Streit anfangen, Freund. Überdies lohnt es sich auch nicht, weil ich fortreite. Du aber kannst Philbrook von mir freundliche Grüße bestellen. Sage ihm, daß ich zurück nach Jennifer City komme, sobald meine Linke wieder hart genug ist, um ihm damit den Kopf von den Schultern stoßen zu können. Sage ihm, daß ich spätestens im Frühling wieder auftauchen werde, um meine Rinder zu holen.“ Der Revolver-Cowboy nickt ruckartig, schluckt schwer und sagt dann heiser wie vorhin: „Ich werde es ausrichten. Rudledge.“ „Dann verschwinde“, sagt dieser grob. Der Mann zuckt leicht zusammen. Er gehört zu der stolzen und leicht herauszufordernden Sorte. Doch er gehorcht wortlos. Er reitet an Rudledge vorbei, behält - 103 -
immer noch die Hand am Revolver und verschwindet bald um eine Biegung des Canyons. Rudledge reitet weiter. Als er den Zaun erreicht, wirft er sein Lasso über einen der Pfosten und läßt seinen Big Jim ziehen. Dann reitet er hinaus. *** Jeremy Philbrook wählte für sich und seine Männer den weiteren Weg zur Ranch, nicht den zur etwas näher gelegenen Stadt, denn er wollte den Leuten von Jennifer City die Freude nicht machen, ihn mitsamt einer starken Mannschaft zu Fuß laufen zu sehen. Er trottete Stunde um Stunde allein vor seinen Männern her und wirkte ganz und gar wie eine bissige Bulldogge. Hinter Jeremy Philbrook marschiert sein weißblonder und Chinesen bärtiger texanischer Vormann, wortlos und verschlossen. Auf seinem hageren Gesicht ist nichts zu erkennen. Doch seine schmalen, hellen Augen glitzern manchmal. Dieser kühläugige und harte Vormann empfindet es besonders schmachvoll, so reingelegt worden zu sein. Und so marschieren sie also Stunde um Stunde und Meile um Meile. Sie brauchen fast den ganzen Tag bis zum späten Nachmittag. Und als sie dann die Ranch erreichen, humpelnd und stolpernd in ihren zum Marschieren völlig ungeeigneten Cowboystiefeln, da stößt Jeremy Philbrook einen wilden Schrei aus. Die Reste seines Wohnhauses rauchen noch schwach - 104 -
und es ist allen Männern klar, daß Bat Rudledge zu rückgeschlagen hat. Als sie dann die Männer aus dem Keller lassen, sieht es so aus, als wollte Philbrook sich auf sie stürzen, um sie schlimm zu verprügeln. Doch er beherrscht sich und hört sich nun die Geschichte an, die sie zu erzählen haben. Indes trifft auch der Grenzwächter ein, der Bat Rudledge im Canyon begegnet war. Er berichtet, daß Rudledge aus dem Land geritten ist, und richtet die Bestellung aus, die Rudledge ihm auszurichten auftrug. Jeremy Philbrook lauscht mit gesenktem Kopf. Als der Mann fertig ist, hebt er den Kopf und sein Gesicht ist voll wilder Freude verzerrt. „So! Zurückkommen will er? Wenn seine Linke wieder hart genug ist, daß er mir damit den Kopf von den Schultern stoßen kann, dann will er zurück in mein Land kommen? Oho, dieser Narr! Denkt der vielleicht ...“ Er verstummt, schließt seinen Mund und starrt seine Männer der Reihe nach an. „Es ist gut“, sagt er. „Ruht euch aus.“ Er starrt auf die rauchenden Reste seines Hauses. „Er hat mir mein Haus abgebrannt, dieser Hundefloh“, sagt er rauh. „Ich werde bei euch im Bunkhouse wohnen müssen. Aber nicht sehr lange.“ Er blickt den Zureiter an. „Er hat auch dich ziemlich glatt reinlegen können, Pete, nicht wahr? Nimm dir ein gutes Pferd und rüste dich aus. Folge ihm! Vielleicht ist er nach Laramie geritten. Ich will wissen, wo er sich auf hält. Wenn er in Laramie oder sonst wo Quartier bezogen hat, so kommst du schnell zurück, um es mir zu melden. Vorwärts, Pete!“ Der Zureiter nickt. „Sie können sich auf mich verlassen, Boß!“ - 105 -
*** Als Rudledge in seinem Hotelzimmer erwacht, ist es Tag. Es ist ein trüber Morgen, und vereinzelte Schneeflocken fliegen an das Fenster, um dort sofort zu schmelzen. Bat Rudledge spürt den Drei-Tage-Ritt in den Gliedern. Es war ein harter und anstrengender Ritt, mit kalten Nächten an einsamen Feuern. Und die ganze Zeit dachte er an Jeremy Philbrook. Er holt seine Linke unter der Bettdecke hervor und betrachtet sie wieder wie schon so oft in diesen Tagen. Er kann sie nun schon richtig schließen, und er tut es immer wieder und wieder, denn er weiß, daß Bewegung zu einer rascheren Kräftigung führen muß, als zu vorsichtige Schonung. Nach einer Weile erhebt er sich, und nachdem er sich rasiert und gewaschen hat, knetet er mit der Linken noch eine Weile die etwas weich gewordene Seife. Ich sollte mir einen kleinen Ball besorgen, der ziemlich hart ist und den ich immerzu kneten könnte, denkt er und fragt sich, ob es in Laramie solch einen Ball geben könnte. Doch Laramie hat sich in den wenigen Jahren seit dem Bahnbau sehr verändert. Es wurde mehr und mehr das Ausfalltor durch das Indianerland nach Montana und Oregon. Laramie, welches im Schutz des alten Forts entstand, ist noch wild, rauh und hektisch. Ein Glück, daß ich dieses Hotelzimmer bekommen konnte, denkt Bat Rudledge, und er weiß, daß vor ihm ein Spieler in diesem Zimmer wohnte, der am Spieltisch - 106 -
erschossen worden war. Er geht nun hinunter. Als er wie zufällig über die Straße blickt, sich dann umsieht, ist sein Blick scharf und prüfend. Doch er kann nichts Beunruhigendes erkennen. Er macht einen kleinen Rundgang durch die Stadt, doch das Wetter ist unfreundlich und kalt. Sein Hunger ist nun gerade richtig für ein kräftiges Frühstück. Er kehrt in den Speiseraum seines Hotels zurück. Er weiß nicht, daß er von einem Mann beobachtet wurde, der nur wenige Stunden nach ihm in Laramie eintraf und seinen Rappen wortlos im Mietstall betrachtet hatte. Dieser Mann ist jener Zureiter Pete, den Philbrook ihm nachsandte. Pete O'Casey sitzt am Fenster eines dem Hotel gegenüberliegenden Saloons. Er ist müde und dennoch zufrieden. Am anderen Ende der Stadt wird er sich gleich ein Zimmer nehmen und schlafen. Morgen wird er noch einmal sehen, ob Bat Rudledge sich für länger in Laramie aufhalten will. Er wird dies irgendwie herausfinden können. Dann wird er zurückreiten und seinem Boß Meldung machen. Eigentlich hat Bat Rudledge von jetzt an nur noch sieben oder acht Tage für seine Faust Schonzeit. Denn dann wird Jeremy Philbrook hier sein.
***
- 107 -
Bat Rudledge konnte einen kleinen, festen Ball bekommen, und er hatte ihn von diesem Moment an fortwährend in der Linken. Am zweiten Tage begann die Hand schlimm zu schmerzen. Am vierten Tage wurde es besser. Und am fünften Tage war der Ball vom vielen Kneten und Drücken restlos zerstört. Rudledges alte Fingerkraft aber ist fast vollkommen wieder vorhanden. Er kann wieder zwischen Zeigefinger und Daumen große Walnüsse zerdrücken, so, als wären es Pflaumen. Die Kraft ist also wieder vorhanden. Doch an Schnelligkeit fehlt es noch sehr, und er wird sie gewiß nie wieder vollkommen zurückbekommen. Er konnte früher schon während des blitzschnellen Ziehens mit dem Daumen den Hammer der Waffe zurücklegen. Er hatte also die Waffe schußbereit, sobald er den Lauf hob, und er brauchte nicht am Abzug zu ziehen, sondern nur den Daumen zu heben, so daß der Hammer zurückschnappen konnte. Dieser schnelle Daumentrick beim Zugreifen ist ihm nun nicht mehr möglich. Damit verliert er jene winzige Zeitspanne, jenen Sekundenbruchteil, auf den es ankommt. Aber wenn Philbrook in die Stadt kommen sollte, so wird er keine schnelle Revolerhand brauchen, nur eine harte Faust, die gegen Stein schlagen kann, ohne zu zerbrechen. Wird diese wieder kräftig gewordene Hand einen solch harten und mit aller Kraft geführten Stoß aushalten? Werden die kaum verheilten Knochen nicht gleich beim ersten Schlag brechen? Es gibt nicht wenige Boxer, die das Preis-Kämpfen aufgeben mußten, weil ihnen immer wieder der Mittelhandknochen brach. Am sechsten Tag verspürt Bat Rudledge eine - 108 -
zunehmende Unruhe. Er weiß sie zu deuten. Es ist sein Instinkt, der ihn vor Dingen warnt, die unaufhaltsam auf ihn zukommen. Er hat all die langen Tage nachdenken können - über sich und Jeremy Philbrook. Und je länger er nachdachte, um so sicherer wurde er in der Überzeugung, daß Philbrook sich bestimmt nicht damit zufrieden gab, ihn für eine Weile fort zu wissen. Philbrook würde auch nicht seine Rückkehr abwarten. Nein, es paßt mehr zu Philbrook, daß er ihn suchen ließ, um ihn dann schnell finden zu können. Und dann würde Philbrook selber kommen. Nein, er wird es nicht noch einmal mit Hilfe einer starken Mann schaft versuchen. Als auch sein Haus brannte, wurde er beschämt, nachdem er zuvor schon durch den langen Fußmarsch lächerlich gemacht worden war. Ein einzelner Mann hatte ihm das angetan. Wenn Philbrook nicht den Glauben an sich selbst verlieren will, so muß er es mit Bat Rudledge selbst austragen. Rudledges zunehmende Unruhe kann nur allein bedeuten, daß Philbrook nicht mehr so weit sein kann. Er ist sich darin vollkommen sicher. Er wartet geduldig Stunde um Stunde, denn er kennt jetzt seinen Mann genau. Er geht in Laramie spazieren, hält sich oft bei seinem Pferd im Mietstall auf, schläft viel, ißt gut und macht in seinem Hotelzimmer am offenen Fenster Frei übungen, um sich Schnelligkeit und Geschmeidigkeit zu erhalten. Einige Male spaltet er im Hof des Hotels Holz für die Hotelküche. Er nimmt sich stets die größten Klötze und die schwerste Axt, arbeitet sich richtig in Schweiß, sehr zur Freude des Hausknechts, dem er damit eine schwere Arbeit abnimmt. So vergehen also die Tage. Es fällt nun immer wieder - 109 -
Schnee, doch nicht in solch großer Menge, daß er die Wege sperrt und jeden Verkehr lahmlegt. Auch der siebente Tag und die Nacht vergehen. Obwohl Bat Rudledge lange und ausgiebig schläft, ist sein Schlaf dennoch insgesamt unruhiger, nervöser. Er spürt es beim Rasieren und dann beim Frühstück mit all seinen Nerven, daß ihm irgendwelche erregende Dinge bevorstehen. Philbrook? - Ist Philbrook gekommen? Diese Frage wird immer größer und ungeduldiger. Er macht sich auf den Weg zum Mietstall. Obwohl es kalt ist und dann und wann Schneeflocken wirbeln, ist einer der beiden Torflügel offen. Der Stallmann ist nicht da. Vielleicht ist er einen Moment fort, um irgendwelche Besorgungen zu machen, hat ein Pferd zur Schmiede hinübergebracht oder ging sein Frühstück holen. Doch der Torflügel kann noch nicht lange geöffnet sein, denn aus dem Stall strömt noch die Wärme einer langen Nacht mit all den Gerüchen, die von mehr als drei Dutzend Pferden erzeugt wurden. Bat Rudledges Big Jim steht in der fünften Box links. Er durchquert den Vorraum und wirft einen prüfenden Blick zum geschlossenen Stallbüro. Der Hintergrund des langen Stalles ist recht dunkel. Was alles kann dort in diesem Halbdunkel verborgen sein - auch oben auf dem Heuboden, zu dem eine Treppeneiter führt? Die Spannung in Bat Rudledge ist nun riesengroß. Es ist fast ein Fiebern, welches ihn erregt. Ja, er spürt nun ganz klar, daß die Gefahr ganz dicht bei ihm ist. Langsam geht er den Stallgang entlang, betrachtet die Pferde rechts und links in den Boxen. Sein Big Jim - 110 -
schnaubt ihm ein Willkommen zu, doch Rudledge achtet nicht darauf. Und dann findet er das Pferd, welches er suchte. Es steht in einer der letzten Boxen. Es ist ein löwengelbes, starkes und gewiß sehr schnelles und ausdauerndes Tier. Es wurde zumindest drei Tage lang erbarmungslos geritten, hat sich jedoch inzwischen schon einige Stunden erholen können. Und es trägt Jeremy Philbrooks Brandzeichen. Er ist gekommen - schon vor Stunden, vielleicht gestern Abend schon. Dies denkt Bat Rudledge. Und nun ist plötzlich keine nervöse Unruhe und Anspannung mehr in ihm. Nun wird er ganz ruhig. Diese Ruhe ist immer ganz dicht vor einem Kampf in ihm. Wenn alles unumstößliche Gewißheit ist und er sich ausweglos den Dingen stellen muß. Ohne Hast wendet er sich um. Und da erblickt er Philbrook. Er steht dort, wo der Stallgang in den Vorraum mündet. Wahrscheinlich hatte er auf dem Bett des Stallmannes im Stallbüro übernachtet und hatte auch den Stallmann fortgeschickt, als Rudledge durch die Einfahrt in den Hof kam. Er wird dem Stallmann einen guten Preis bezahlt haben. Nun steht er dort also, gedrungen, massig, ganz und gar geballte Kraft und Rücksichtslosigkeit. Da er die Helligkeit des grauen Wintermorgens hinter sich hat, ist sein Gesicht nicht gut erkennbar. In seiner heiseren, kehligen und grimmigen Stimme ist ein böses Frohlocken. „Nun“, sagt er schwer, „hast du gespürt, daß ich kommen werde, Rudledge?“ „Ja“, sagt dieser und nähert sich ihm langsam durch den Stallgang. Er hält zwei Schritte vor Philbrook an und - 111 -
murmelt: „Alles, was ich wollte, war, daß meine Hand wieder heilen konnte.“ „Du wirst nie wieder in mein Land zurückkommen, Rudledge“, murmelt Philbrook. „Du hast mich mit meiner Mannschaft zu Fuß laufen lassen und mein Haus vernichtet. Und die kleinen Leute haben sich schon versammelt und warten nur darauf, daß du kommen und ihr Anführer würdest. Rudledge, du hast mir Niederlagen zugefügt, obwohl ich dich für eine Weile zu einem Einarmigen machte. Ich hätte dich von meiner Mann schaft hetzen und erledigen lassen können. Doch ich hätte mein ganzes Leben lang Zweifel gespürt, ob du nicht vielleicht doch der bessere Mann von uns warst, denn ich griff dich damals recht heimtückisch an, so daß du keine Chance hattest. Nun aber hast du eine! Schnalle deinen Waffengürtel ab, und dann greife mich an. Ich will dich diesmal ganz sauber und fair schlagen. Ich werde dich den ersten Schlag tun lassen.“ Damit hat er alles gesagt. Er senkt den Kopf mit einer so sehr für ihn typischen Bewegung. Er ist ohne Waffen, nur seine Fäuste hängen geballt an seinen Seiten nieder. Er hat die Füße etwas auseinandergesetzt und wirkt ganz so, als wollte er sich gegen alles, was auch kommen mag, behaupten. Bat Rudledge nickt langsam. Er löst seinen Waffen gurt und hängt ihn an den Pfosten einer Box. Auch den Hut nimmt er ab, und die Jacke zieht er aus. Philbrook wartet geduldig, hält den massigen Kopf gesenkt und bewegt sich kaum. „Wenn ich dich schlagen kann, Philbrook, dann bekomme ich meine Rinder nach dem Frühjahrs-Roundup zurück. Und du wirst dann auch darauf verzichten, deine Weidegebiete über den Creek auszudehnen. Das - 112 -
heißt, du wirst keinen Menschen mehr vertreiben wollen und dich mit jenem Tal zufrieden geben, welches du bis jetzt als Weide benutzt hast - kämpfen wir darum, Philbrook?“ „Und was ist dein Einsatz?“ Philbrook fragt es rauh. „Wenn du mich schlagen kannst, kehre ich nie wieder nach Jennifer City zurück und verzichte auf meine einhunderteinundzwanzig Rinder, von denen zumindest die Hälfte im Frühjahr Kälber bekommen werden. Also?“ „Abgemacht“, sagt Philbrook. „Ich verspreche. daß ich mich daran halten werde. Kannst du mich schlagen, will ich mich mit der Weide zufrieden geben, die ich bis jetzt besitze. Aber du kannst mich nicht schlagen. Komm her und versuche es!“ Er hat kaum ausgesprochen, als Bat Rudledge ihn anspringt und ihn mit einer rechten Geraden, die wie ein rammender Pfahl wirkt, mitten ins Gesicht trifft. Es ist eine Gerade, wie selbst Preisboxer sie nur ganz selten und mit viel Glück anbringen können. Es ist ein Stoß, der jeden Mann von den Beinen gebracht haben würde. Denn hinter Rudledges Kraft sitzt auch noch sein Gewicht von hundertachtzig Pfund. Doch Philbrook taumelt nur zwei Schritte zurück, schüttelt den Kopf wie ein Bär und ist nur zwei oder drei Atemzüge lang benommen. Bat Rudledge trifft ihn während dieser kurzen Zeitspanne mehrmals rechts und links. Er trifft ihn so hart er kann, und hat ganz vergessen, mit seiner Linken schonend umzugehen. Doch sie bricht nicht. Sie hält die harten Schläge und Stöße aus. Aber Philbrook auch! Sein Körper scheint aus Eisen und mit einer dicken Schicht Muskeln bedeckt. Obwohl - 113 -
Bat Rudledge ihn in die Magenpartie, auf die Leber, ans Kinn und auf Ohr und Schläfe trifft, geht Philbrook nicht zu Boden. Er stößt nur einen schnaufenden und zugleich rollenden Laut aus, dann gelingt es ihm, sich vorzuwerfen und die Arme um Rudledge zu legen. Er zieht Rudledge an sich, hält ihn fest, rammt ihm dabei den Kopf unter das Kinn. Und Rudledge kann nicht mehr schlagen, spürt die gewaltige Kraft der beiden Arme, die ihm die Rippen und das Rückgrat brechen wollen. Es ist schrecklich für ihn. Er konnte Philbrook mehrmals mit aller Kraft genau auf jene Stelle treffen, auf die es ankommt, will man einen Gegner boxerisch schlagen. Und es blieb erfolglos. Philbrooks physische Kraft ist unheimlich. In Bat Rudledge ist plötzlich eine wilde Panik. Sein Selbstvertrauen ist geschwunden, und eine wilde tastende Verzweiflung will von ihm Besitz ergreifen. In seiner Not läßt er sich nach hinten fallen, und er kann Philbrooks Griff dabei brechen und den schweren Mann über sich hinweg in den Stallgang schleudern. Sie rollen zu gleicher Zeit auf Hände und Knie und schnellen aus der kauernden Haltung gegeneinander. Doch der Anprall ist dann doch etwas anders, als sie es beide eigentlich wollten und erwarteten. Bat Rudledge rutscht mit einem Fuß beim Abstoßen aus, reagiert jedoch instinkthaft blitzschnell, rammt seine Schulter gegen Philbrooks Knie und umschlingt Philbrooks Waden. Er bringt ihn zu Fall, und diesmal fällt Philbrook hart, stöhnt er sogar. Diesmal hat er sich sehr verschätzt. Er wollte Rudledges Aufprall aufhalten, doch durch den Ausrutscher tauchte Rudledge unter ihm weg. - 114 -
Knurrend tritt Philbrook sich frei. Rudledge wird von diesen Tritten jedoch nur an Kopf und Schultern gestreift. Er wirft sich zurück, überschlägt sich nach hinten und kommt mitten im Vorraum auf die Füße. So erwartet er Philbrook. Als dieser aus dem Stallgang kommt, da erkennt Rudledge etwas, was ihm wieder etwas Mut macht und seine Panik etwas schwinden läßt. Denn Philbrook hinkt. Sein rechtes Knie wurde von Rudledges Schulter wohl zu hart getroffen. Vielleicht ist es nur eine vorübergehende Lähmung, vielleicht aber auch eine Zerrung, die sich mit jeder Sekunde, die er kämpfen muß, verschlimmert. „Gut gemacht, Freund Rudledge!“ Er keucht es scharf. Als er sich Rudledge nähert, weicht dieser langsam zurück und beobachtet dabei, daß dem ihm folgenden Philbrook jeder weitere Schritt schwerer fällt. Und nun weiß er, wie er zu kämpfen hat. Er muß hier im Vorraum des Stalles bleiben, wo er mehr Bewegungsfreiheit hat. Er muß die Schwäche des Geg ners ausnutzen - oder er kann ihn niemals schlagen. „Bleib stehen und kämpfe wie ein Mann!“ Philbrook stößt es grollend und verächtlich aus. Da springt Rudledge ihn zum Schein an, weicht jedoch rechtzeitig zur Seite, und Philbrook, der sich dem vermeintlichen Angriff entgegenwerfen will, stolpert ins Leere, fällt auf das verletzte Knie. Er stößt wieder das schmerzvolle Stöhnen aus. Als er sich erhebt, ist Rudledge bei ihm und trifft ihn wieder rechts und links. Es wird ein schrecklicher Kampf. Philbrook kann so unheimlich viel einstecken und geduldig darauf warten, einen vernichtenden Schlag anzubringen. Er trifft Rudledge dann und wann einmal, und immer schlägt er ihn von den Füßen. Doch er kann ihm nicht so schnell - 115 -
folgen, wenn Rudledge sich über den Boden rollt und dann wieder aufspringt. Er muß immer darauf warten, daß Rudledge ihn angreift, immer wieder und wieder. Es ist ein häßlicher Kampf. Philbrook wiegt zwar fast vierzig Pfund mehr als Rudledge, doch es ist nicht nur das Übergewicht, welches ihn so klotzig und scheinbar unempfindlich gegen all die harten Schläge macht. In Philbrook ist ein physisch so unheimlich und un wahrscheinlich harter Kern, der ihn unempfindlich gegen Hammerschläge zu machen scheint. Wie oft konnte ihn Rudledge schon treffen! Doch es fällt Philbrook nicht. Er ist wohl schlimm gezeichnet und wird diese Zeichen später als Narben sein ganzes Leben lang besitzen. Doch er lauert immer noch brummend auf seine Chance, bewegt sich kaum von seinem Platz und erwischt den angreifenden Rudledge immer wieder. Plötzlich wirft er sich vor, umklammert Rudledge abermals, zieht ihn an sich und wirft sich mit ihm zu Boden. Sie rollen übereinander bis in den Stallgang hinein. Dann aber kommt der Pferdehuf. Er trifft Jeremy Philbrook auf das Ohr. Er hätte auch Bat Rudledge treffen können, denn sie rollen oder rollten übereinander. Es ist ein Zufall, daß das Pferd, welches durch die kämpfenden und keuchenden Männer nervös wurde, gerade in diesem Moment mit der Hinterhand aus der Box feuerte, als Philbrook über Rudledge gerollt ist. Er fällt um wie von einer Steinkeule erschlagen. Rudledge erhebt sich keuchend. Als er sich umsieht, sind der Stallmann und noch einige andere Männer im Vorraum. Der Stallmann sagt trocken: „Da haben Sie aber Glück gehabt, Mister, daß Ihnen das Pferd half. Mit diesem Burschen kann kein - 116 -
Mann zurechtkommen - nie! Das ist der stärkste Bulle der Welt! Und ich gehe jede Wette ein, daß selbst der Pferdehuf seinem Eisenschädel nicht viel angetan haben wird. Wir werden ihn ins Hotel bringen und den Doc zu ihm schicken. Er sagte mir, daß er ein großer Rancher wäre.“ „Das stimmt“, erwidert Rudledge nach einer Weile keuchend, indes sie ihn betrachten. „Er soll mehr als zehntausend Rinder haben.“ Er geht langsam hinaus, und der Ausgang des Kampfes befriedigt ihn nicht. Fast wäre ihm lieber, er hätte verloren, als nun Zweifel zu spüren, ob ihm ein Sieg gelungen wäre. Er legt sich bald darauf in seinem Hotelzimmer auf sein Bett. Er ist sehr erschöpft und spürt überall Schmerzen. Doch es ist anders als damals, da Philbrook ihn so heimtückisch anfiel. Diesmal konnte er Philbrook einen zumindest gleichwertigen Kampf liefern. Zuletzt hatte er den Eindruck, als würde Philbrook bald seiner Atemnot erliegen, die sehr an seiner Substanz zehrte. Er wirkte nicht mehr so kräftig. *** Bat Rudledge bleibt den ganzen Tag und die Nacht liegen. Am anderen Morgen sucht er nach Jeremy Philbrook. Er findet ihn in einem Hotel und hört, daß der Arzt bei ihm ist. In der Halle wartet er geduldig, bis der Arzt herunterkommt. „Wie geht es ihm, Doc?“ So fragt er ihn.
- 117 -
Der grauköpfige Arzt betrachtet ihn. „Sind Sie der Mann, mit dem er sich schlug. Rudledge nickt. Nochmals betrachtet ihn der Arzt. „Das Pferd hat ihn schlimm getreten. Er ist immer noch bewußtlos, und ich bin nicht unfroh darüber, wenn diese Bewußtlosigkeit in einen längeren Schlaf übergeht. Ich werde diesen Schlaf mit Schlafmitteln verlängern. Er hat eine schlimme Gehirnerschütterung. In zwei Wochen wird er vielleicht wieder auf ein Pferd klettern können. Er hat einen Eisenschädel. Einem anderen Mann wäre dieser Schädel gebrochen. - Beruhigt Sie das, junger Mann?“ Bat Rudledge nickt. „Und was war mit seinem Knie?“ So fragt er zögernd. „Ausgerenkt“, sagt der Arzt. „Er hat eine schlimme Narbe dort am Knie. Das war seine verwundbare Stelle. Die Kniescheibe war ihm herausgesprungen, wie es ein Laie wohl sagen würde.“ Rudledge nickt. Er geht hinaus. Eine Stunde später verläßt er auf Big Jim die Stadt. Er reitet nach Jennifer City zurück. Es schneit mäßig. Es wird wieder ein harter Ritt werden, selbst wenn der große Schneefall noch etwas warten sollte. Doch er hat sich diesmal besser ausge rüstet. *** Am 4. Dezember trifft Bat Rudledge in Jennifer City ein, und es hat noch immer nicht besonders viel geschneit. Als er in die Hotelhalle tritt, steht Jennifer hinter dem Anmeldepult und füllt Petroleum in die Lampe. - 118 -
Als sie Rudledge erkennt, verharrt sie starr. Er tritt zu ihr an das Pult, und sie sehen sich eine Weile an. In seinem stoppelbärtigen Gesicht sind harte Linien. Sie kann noch die Zeichen seines Kampfes mit Philbrook erkennen. Es sind verschiedene Regungen in ihr. Sie sind in ihren Augen, in dem Zucken ihrer Lippen und im Ausdruck ihres Gesichtes zu erkennen. Sie möchte um das Pult eilen, sich in Bat Rudledges Arme werfen, seinen Nacken umschlingen und ihn küssen. Aber sie bewegt sich ganz langsam, als sie zu ihm geht und sich auf die Zehenspitzen stellt, um ihn auf die Wangen zu küssen. Seine Bartstoppeln kratzen, und er selbst ist müde, ausgebrannt und irgendwie verhärtet und verbittert. „Bist du gekommen, um mich zu holen?“ Sie fragt es langsam. Er schüttelt den Kopf. „Ich will in diesem Lande bleiben“, sagt er. „Sobald ich meine Ranch aufgebaut habe, kannst du dein Hotel verpachten und zu mir kommen. Wäre dir das recht so?“ Sie gibt ihm darauf keine Antwort. Aber sie sagt: „Wir wissen alle in diesem Land, daß Jeremy Philbrook dir gefolgt ist. Irgendwie hat es sich herumgesprochen, Bat, willst du mir nicht endlich erzählen, was geschehen ist?“ Sie kann nun erkennen, wie seine Augen sich vor Bitterkeit verdunkeln und wie seine tiefen Linien vor Müdigkeit - oder ist es gar Resignation, was sie sieht? vertiefen. „Wir haben uns nur geprügelt“, murmelt er. „Dieser Kampf endete unentschieden, denke ich. Philbrook wird in spätestens zwei Wochen wieder daheim sein. Und - 119 -
dann wird es noch einen Kampf geben. Ich baue nämlich mein Haus wieder auf - jetzt im Winter. Ich werde mir Handwerker aus der Stadt nehmen und auch meine Nachbarn bitten, mir zu helfen. Ich will mein Haus fertig haben, bevor Philbrook zurück ist.“ „Und dann?“ So fragt sie herbe. Er hebt die Hand und wischt sich über Augen und Stirn. „Philbrook wird mich angreifen - diesmal wieder mit der Mannschaft. Er wird an mir ein Exempel statuieren wollen, wird versuchen, mich auszuräuchern. Und er wird mich schließlich töten, wenn die Menschen in diesem Lande mir nicht zu Hilfe kommen. Vielleicht bin ich ein Narr. Doch ich habe es mir all die langen Meilen überlegt - immer wieder. Philbrook wird kommen, um mich zu vertreiben. Doch ich will ihm standhalten und auf die Hilfe meiner Nachbarn und Mitmenschen hoffen. Ich will sie dazu zwingen, gegen nackte Gewalt zu kämpfen, zusammenzuhalten, und eine Gemeinschaft zu werden. Es hätte keinen Sinn, wenn ich allein Jeremy Philbrook töte. Dies kann jeder Revolvermann tun. Es hat alles nur einen Sinn, wenn sich hier eine Gemeinschaft zusammenfindet. - Verstehst du das, Jennifer?“ Sie nickt langsam. „Morgen kannst du beginnen, Bat heute nicht. Dein Zimmer wartet auf dich. Es ist alles hergerichtet. Denn ich wußte immer und zweifelte niemals daran, daß du zurückkommst. Nur glaubte ich, daß du kommen würdest, um mich zu holen. - Nun, Bat, für irgendeine Sache mußt du immer kämpfen. Geh hinauf, ich komme mit heißem Wasser. Und ich will dir dann ein Essen bereiten.“ *** - 120 -
Drei Tage später fängt Bat Rudledge mit dem Hausbau an. Am ersten Tage ist er allein, schlägt in den nahen Hügeln Holz. Und er denkt dabei oft an Jennifer, die ihn die vergangenen drei Tage erfüllt hat mit ihrer ganzen Wärme und Liebe, so als ob sie nicht noch ein langes Leben in Zweisamkeit vor sich hätten, so als wenn es die letzten und einzigen drei Tage gewesen wären, die sie noch einmal zusammen erleben durften. Sie hat Angst, daß sie mich töten. Dies denkt er immer wieder, und er weiß, daß es Jennifers sehnlichster Wunsch ist, er würde aufgeben und mit ihr fortgehen. Doch sie bat ihn nicht darum, bedrängte ihn nicht. Sie überließ ihm die Entscheidung. Am zweiten Tage bekommt er dann Hilfe. Es ist Cole Banner, der immer noch nicht fort ist, obwohl Philbrook ihm ein Ultimatum setzte. Am dritten Tage kommt Jennifer selbst heraus, bringt Lebensrnittel, Gerät, Decken und allerlei Dinge, die nötig sind. Am vierten Tage kommen zwei weitere Nachbarn, ein Deutscher mit Namen Paul Frits und ein ehemaliger Cowboy Arch Mannen. Sie machen nicht viel Aufhebens, helfen wortlos. Sie haben Werkzeuge mitgebracht, und sie wissen ganz genau, was man tun muß, um ein festes Blockhaus zu bauen. Am fünften Tag kommen Faro-Jack Spencer und Joey Ringo. Und Joey sagt ruhig: „Es ist eine friedliche Arbeit, nicht wahr? Also darf ich wohl mitmachen? Ich bin jetzt elf Meilen westlich von hier bei John Wells beschäftigt. Er hat mir Urlaub gegeben.“ - 121 -
Bat Rudledge nickt nur. Und sie alle arbeiten auch noch nach Anbruch der Dunkelheit im Scheine und bei der Wärme von Feuern. Fast jeden Tag kommt Jennifer herausgefahren, sorgt für die Männer, so gut sie kann. Aber mehr Helfer kommen nicht. All die anderen Leute halten sich zurück, warten, zögern. Weitere Tage vergehen. Am achten Tage haben sie das Dach gedeckt. Es ist ein festes, zweiräumiges Blockhaus geworden, mit einem gemauerten Kamin, starken Fensterläden und einer starken Tür. Und von der Philbrook-Mannschaft waren nur Beobachter jenseits des Creeks zu sehen gewesen. *** Am Himmel kamen tiefe Schneewolken heran. Nun beginnt es plötzlich zu schneien. Bat Rudledge sagt zu seinen Helfern: „Jetzt kommt der große Schnee, und ich danke euch, daß ihr mir geholfen habt. Ich habe wieder ein festes Haus. Doch jetzt solltet ihr heimkehren. Ich komme jetzt allein weiter hier mit der Inneneinrichtung. Kehrt heim, bevor der Schnee für eine Weile jeden Verkehr lahm legt.“ Sie nicken, machten nicht viele Worte. Bat Rudledge sieht ihnen dann nach, bis sie im Schneetreiben verschwunden sind. Die drei Rancher wollen heim zu ihren Familien. Faro-Jack Spencer will wieder in seinen Saloon. Und Joey? Ja, Joey - er reitet mit den drei Ranchern. Doch als sie die zwei Meilen bis Cole Banners Ranch geritten sind, - 122 -
wendet sich Cole Banner an den Jungen: „Joey, du solltest eine Weile bei mir bleiben. Wir können uns dann miteinander abwechseln bei der Beobachtung von Bat Rudledge. Er hat dort Fuß gefaßt, damit ihn Jeremy Philbrook und dessen Mannschaft angreifen. Er rechnet dann, daß er sich lange genug halten kann, bis wir alle, die wir von Philbrook bedroht werden, ihm zu Hilfe kommen. Es wird also darauf ankommen, rechtzeitig zu wissen, daß er kämpft. Und dann müssen wir losreiten,, um alle Männer herbei zu holen. Dazu brauche ich dich, Joey Ringo. Du mußt dann in die Stadt zu Faro-Jack. Und ich muß von Gehöft zu Gehöft im Lande.“ „Ich bleibe bei Ihnen, Mister Banner“, sagt Joey Ringo schlicht. „Aber werden all die Leute auch zu Hilfe kommen?“ *** Die Tage vergehen, und der Schnee wird immer höher und höher. Bat Rudledge lebt wie ein Einsiedler. Er hat einen der Räume als Werkstatt eingerichtet, stellt allerlei nützliche Möbel her, legt den Fußboden und verkleidet die Wände. Sein Big Jim steht in dem kleinen Stall, an den später eine Scheune angebaut werden soll. Von Cole Banner er hielt Rudledge genügend Heu, Stroh und Hafer. Es ist alles eine ruhige, friedliche und nachdenkliche Zeit für Bat Rudledge. In die Stadt reitet er nicht. Der Schnee ist nun zu tief und noch zu locker. Er fragt sich manchmal, ob Jeremy Philbrook noch vor dem großen Schneefall heimgekommen ist. - 123 -
Nach einer Woche setzt der Schneefall endlich aus. Rudledge mußte sich einige Wege freischaufeln. Der Schnee ist nun so tief, daß er bis zu den Hüften darin watet, verläßt er die ausgeschaufelten Wege. Es folgen zwei klare und recht kalte Tage. Dann dreht der Wind. Es setzt noch einmal Tauwetter ein, und die Schneedecke fällt stark zusammen, wird zu einem kniehohen Matsch, der wie ein Brei das Land bedeckt. Und in der kommenden Nacht dreht das Wetter abermals und die Quecksilbersäule fällt wie ein Stein. Am anderen Morgen klirrt die Luft von Frost und der Matschbrei ist gefroren wie das Wasser der Flüsse und Seen. Man kann kaum gehen, ohne fortwährend zu gleiten und zu rutschen. Die Wege des Landes sind also immer noch unpassierbar. Gewiß umlagern nun all die Rinderherden die Heustapel oder haben sich tief in die Hügel, Schluchten und Waldstücke zurückgezogen. Bat Rudledge fragt sich oft, wie die Sache nun weitergehen wird. Es ist ganz einfach, wenn es etwas Schnee gibt, der gerade hoch genug fällt, um das Eis zu bedecken und Pferden den nötigen Halt unter den Hufen zu geben. Wenn Jeremy Philbrook inzwischen schon daheim ist, wird er dann gewiß mit seiner Mannschaft kommen. Das ist sicher. Bat Rudledge beginnt nun, sich auf eine Verteidigung vorzubereiten. Über seinem zweiräumigen Blockhaus gibt es noch einen Speicher-Raum, in dem er sich jedoch etwas gebückt halten muß, will er nicht mit dem Kopf gegen die hölzernen Dachschindeln stoßen. Es gibt kleine Luken nach allen Seiten. Rudledge schafft herauf, was - 124 -
ihm nützlich sein könnte. Oft fragt er sich, wie lange er sich hier wohl wird halten können? Stunden oder Tage“. Oder werden sie ihn überrumpeln und sofort erledigen können? Die Schüsse müssen bei günstigem Wind laut genug bei Cole Banners Ranch gehört werden können. Es wird also von Cole Banner abhängen, ob ... *** Zwei Tage vor dem Weihnachtsfest beginnt es wieder zu schneien, doch nicht sehr stark, nur zwei oder drei Handbreiten hoch während der Nacht. Nun wird es gefährlich für Rudledge. Er hat unten im Haus alle Fenster von innen mit starken Planken zugenagelt und verbarrikadiert. Auch die starke Tür - sie kann durch Querbalken gesichert werden - wird eine Menge aushalten. Doch er weiß genau, daß er verloren hat, wenn sich die Gegner bis an die Hauswände heran arbeiten können. Dann wird es nämlich nur eine Frage der Zeit sein, bis sie ihn erledigt haben. Seine Erwartungen bestätigen sich. Jeremy Philbrook war offenbar schon vor jenem großen Schneefall daheim angekommen und hatte nur auf eine Chance zum Angriff gewartet. Er kommt in der nächsten Nacht, sogar schon vor Mitternacht. Doch es ist eine recht helle Nacht. Da der Schnee im Licht der Sterne leuchtet, kann Bat Rudledge die Reiter durch eine der Speicherluken schon bald erkennen, bevor er sie hört. Der Schnee verschluckt viele Geräusche. Vielleicht, wenn Bat geschlafen hätte, wären sie dichter - 125 -
herangekommen. Er beobachtet sie, wie sie über den Creek kommen. Der Weg zur Stadt ist durch Stangen gekennzeichnet. Doch die Reiter verlassen diese Markierungen und kommen herüber zur Rudledge-Ranch. Er schießt mit Jeremy Philbrooks Gewehr. Seine Kugel peitscht einen Schritt vor Philbrooks Pferd den Schnee auf und dem Tier gegen die gesenkte Nase. Es erschrickt sehr, springt zur Seite und wirft Philbrook aus dem Sattel. Als Philbrook aus dem Schnee springt, brüllt er vor wilder Wut. Und dann ruft er zu Rudledge herüber: „Jetzt ist es aus mit dir, Rudledge! Heute hole ich mir deinen Skalp, mein Junge! Jetzt ist Schluß mit dir!“ Und dann erteilt er Befehle. Seine Reiter folgen ihm, als er einen Bogen schlägt, um in Deckung des kleinen Stalles zu gelangen. Doch Rudledge weiß, daß es nicht nur allein um sein Leben geht. Er schießt noch mehrmals und trifft zweimal. Einer der Reiter fällt zur Seite und vom Pferd in den Schnee. Und eines der Pferde bricht getroffen zur Seite aus. Sein Reiter wirft sich aus dem Sattel und rollte sich durch den Schnee in Deckung des Stalles. Nun sind alle hinter dem Stall verborgen. Doch sie können durch die Tür nicht herein. Sie müssen die Stallwand aufbrechen. Er hört deutlich wie sie es tun. Stumm und angespannt wartet er. Werden sie seinem Big Jim etwas antun? Er hätte bis jetzt nicht daran geglaubt. Doch Jeremy Philbrooks böses Brüllen verriet, daß dieser Kampf von Anfang an mit aller Härte und schrecklichem Vernichtungswillen geführt werden soll. - 126 -
Und dann sind sie wohl in den Stall eingedrungen, nachdem sie die Seitenwand aufbrechen konnten. Gewiß haben sie irgendwelche Werkzeuge, wie Brecheisen und Äxte, mitgebracht. Sie jagen Big Jim nun aus dem Stall. Wiehernd und auskeilend stürmt er heraus. Und dann schießen sie hinter ihm her, treffen ihn mit mehr als einem halben Dutzend Kugeln zu gleicher Zeit. überschlägt sich und ist tot, bevor er im Schnee liegen bleibt. Bat Rudledge stöhnt leise. Big Jim war mehr als nur ein Pferd für ihn. Dieser Rappe war ein vierbeiniger Freund, so wie ein Tier nur der Freund eines Mannes sein kann. Und nun haben sie ihn aus böser Rachsucht getötet. Sie werden wirklich keine Gnade kennen. „Rudledge, wir würden dich nicht einmal mehr laufen lassen, wenn du auf dem Bauche davon kriechen möchtest und uns allen zuvor die Füße küssen würdest!“ Dies brüllt Jeremy Philbrooks Stimme wieder. Er ist verrückt geworden, denkt Rudledge. Er kann nicht mehr normal sein. Er ist verrückt wie ein betrunkener Indianer beim Skalptanz am großen Feuer. Er muß all die langen Tage, da er wieder denken konnte, an nichts anderes mehr gedacht haben. Aber warum macht seine Mannschaft das mit? Selbst diese harten Burschen können sich doch nicht besonders wohl in ihrer Haut fühlen, wenn sie einem vor Haß und Rachsucht verrückten Boß helfen, mich zu töten. Was empfindet denn sein stolzer texanischer Vormann dabei? Dies alles denkt Bat Rudledge. Dann sieht er eine Bewegung an der Stallecke. Er schießt sofort, und ein getroffener Mann taumelt zur - 127 -
Seite, fällt in den Schnee. Jemand zieht ihn am Fuße wieder in Deckung. So können sie es von mir bekommen, wenn sie es nicht anders haben wollen, denkt Rudledge. Und er fragt sich, ob man bei Cole Banners Ranch die Schüsse hörte und was man nun im Land und in der Stadt in Gang bringen wird. Jeremy Philbrook hat angegriffen. Bat Rudledge kann ihn nur eine Weile aufhalten mehr nicht. *** Bat Rudledge braucht sich in einer Beziehung wirklich keine Sorgen zu machen. Joey Ringo und Cole Banner sind schon wenige Minuten nach den ersten Schüssen unterwegs. Im Run Bull Saloon sind außer Faro-Jack Spencer noch vier andere Männer zu dieser späten Stunde. Es sind der Schmied, der Storehalter, ein Siedler und ein neuer Bürger, der gekommen ist, um hier eine Saatgut- und Futtermittelhandlung zu eröffnen. Joey Ringo reitet mit einem schrillen Schrei in die Stadt und vor den Saloon. Er stürmt hinein und brüllt: „Rudledge kämpft! Sie haben ihn angegriffen, um ihn auszuräuchern! Und wenn er keine Hilfe bekommt, dann wird er bald ein toter Mann sein! - Habt ihr gehört? Er kämpft gegen die ganze Philbrook-Mannschaft, ganz allein vorerst für euch alle! Er kämpft für jeden Menschen in dieser Stadt und in diesem Land, für den Jeremy Philbrook nicht der große Halbgott ist! Wollt ihr hier sitzen und warten, bis sie ihn umgebracht haben?“ „Langsam, mein Junge, langsam“, sagt Faro-Jack - 128 -
Spencer. Er sieht seine drei Gäste an und sagt: „Der Saloon ist geschlossen. Ich nehme mein Gewehr und ein Pferd. Ich reite hinaus und helfe Rudledge. Habt ihr verstanden? Ich will keinen Whisky mehr ausschenken, wenn ich nicht jedem Mann dabei ins Gesicht sehen kann. Joey, ich komme mit! Warte nur zwei Minuten!“ „Zum Teufel, ich auch!“ Der Schmied ruft es und eilt hinaus. Ben McLaglen, der Storebesitzer, überlegt einige Atemzüge lang. Und dann kommen noch Leute von draußen herein. Da ist der Schulmeister und Ge meindeschreiber, stelzbeinig, doch unverkennbar noch energisch. Jennifer Adams und ihr schwarzer Hausknecht tauchen auf, dahinter der Brunnenbauer und Zimmer mann. Der Sattler kommt zuletzt. Joey Ringo sagt ihnen immer wieder die gleichen Worte: „Bat Rudledge kämpft mit der ganzen PhilbrookMannschaft und ist bald tot, bekommt er keine Hilfe. Bat Rudledge kämpft für euch alle gegen den Weidepiraten Jeremy Philbrook. Cole Banner ist unterwegs, um die Rancher und Siedler zu alarmieren. Wir alle müssen Rudledge zu Hilfe eilen. Oder ihr werdet nie wieder eine Gemeinschaft sein, die sich in Notzeiten einander hilft.“ *** Es steht schlecht für Bat Rudledge, als der Morgen graut. Denn er konnte nicht zu gleicher Zeit nach allen vier Seiten schießen. Sie konnten sich von Osten her an das Haus heranarbeiten, und sind nun dabei, die Tür aufzubrechen. - 129 -
Immer wieder tönt Jeremy Philbrooks böse und wilde Stimme. Er drängt und treibt seine harte Mannschaft dauernd an. Dabei hatten sie keine kleinen Verluste. Bat Rudledge ist auch mit einem Gewehr ein erstklassiger Schütze. Er erwischte zumindest vier der Angreifer und verwundete sie. Ein fünfter Mann liegt zwischen Stall und Blockhaus bewegungslos im Schnee, ist wahrscheinlich tot. Doch nun ... Bat Rudledge kauert bei der Luke, die zu ihm auf den Speicher führt. Er hat die Leiter gar nicht hochgezogen. Denn er weiß, daß sie so schnell nicht hochkönnen zu ihm. Sie werden dies gewiß auch bald erkennen und sich etwas ausdenken müssen. Er kauert auf dicken Brettern, die sie von unten nicht durchschießen können. Er hört nun auch, wie sie durch die vernagelten und verbarrikadierten Fenster hereinkommen wollen. Und so verharrt er. Neben sich hat er die Schrotflinte, und in der Hand hält er den Revolver. Als die Tür dann aufgebrochen ist, schießt er sofort schräg nach unten. Und die Männer, die hereindrängen wollen, weichen zurück. Er wirft sich der Länge nach an eine der kleinen Dachluken und er trifft wieder einen der Burschen, weil sich dieser zu weit von der Hauswand entfernte und somit den Schutz des toten Winkels verließ. „Wir bekommen dich! Wir bekommen dich bald!“ Dies brüllt Jeremy Philbrooks Stimme. Er holt hörbar Luft und brüllt wieder: „Jetzt ist es genug!! Jungens, wir räuchern ihn aus! Los, legt Feuer an! Ich lasse seine Hütte zum zweitenmal anzünden! Wir räuchern ihn aus wie einen einsamen Wolf in der Höhle!“ Noch bevor jemand diesen Befehl befolgen kann, tönt aus einiger Entfernung und aus Richtung des Stalles eine - 130 -
schrille Stimme herüber: „Achtung! Philbrook-Mannschaft! Da kommen Reiter! Von zwei Seiten her kommen Reiter! Sie kommen aus Richtung der Stadt und von Cole Banners Ranch! Da kommen die Leute aus der Stadt und alle Rancher und Siedler des Hinterlandes! Sie schwärmen aus! Sie wollen uns in die Zange nehmen!“ Nach diesen Warnrufen bleibt es drei Sekunden lang still. Dann aber brüllt Jeremy Philbrooks Stimme: „Denen werden wir es besorgen! Das wird jetzt mit einem Aufwaschen erledigt! Los, Jungens! In die Sättel! Macht Feuer hier in der Hütte, und dann in die Sättel mit euch! Wir jagen diese Narren einfach zum Teufel!“ Jeremy Philbrook stößt sich von der Hauswand ab, um zum Stall und zu den Sattelpferden dahinter zu laufen. Er kommt in Bat Rudledges Schußfeld. Bat Rudledge erkennt ihn sofort. Er zielt auf ihn, und er zögert einen Sekundenbruchteil. Doch dann stellt er sich vor, wie dieser wütende und offenbar verrückte Bursche seine harte Mannschaft gegen die Städter und Siedler führen würde und da drückt er ab. Jeremy Philbrook überschlägt sich, fällt hart und bleibt liegen. Einer seiner Männer erkennt es und brüllt: „Der Boß ist getroffen! Hathaway, er hat den Boß erledigt!“ Sie laufen nun alle in Richtung zum Stall, um zu den Pferden zu gelangen. Bat Rudledge läßt sie laufen. Und dann kommen sie beritten hinter dem Stall hervor. Sie sind noch mehr als zwei Dutzend Reiter, und obwohl sie es länger als sechs Stunden versuchten, konnten sie ihn nicht töten. Er fragt sich, was sie tun - 131 -
werden. Oh, er ist nun fast schon davon überzeugt, daß sie nicht mehr angreifen werden. Sie haben sich die ganze Zeit von einem Verrückten antreiben lassen. Jetzt aber klingt Philbrooks wilde, antreibende Stimme nicht mehr, zwingt sie nicht mehr. Gewiß halten sie ihn für tot. Und wahrhaftig, sie reiten über den Creek. Sie greifen weder die heranreitenden Städter noch die Rancher und Siedler an. Sie ziehen sich unter der Führung ihres Vormannes über den Creek zurück. Dieser Vormann will kein Blutvergießen mehr, nun da Philbrook wahr scheinlich tot ist. Bat Rudledge klettert die Treppe hinunter. Er löscht mit einigen Fußtritten den kümmerlichen Brand. Sie hatten ihn zu schnell und zu eilig angelegt. Dann geht er durch die zerschmettere Tür hinaus. Und da sieht er Philbrook im Schnee stehen und auf ihn zielen. Philbrook wurde von ihm nur verwundet. Nun zielt er auf Rudledge und sagt mit gepreßter Stimme: „Das hätte ich von Anfang an versuchen sollen. Rudledge. Als du nach Jennifer City kamst, hätte ich dich töten sollen. Na gut!“ Er will abdrücken. Doch es erschienen Reiter von allen Seiten. Philbrook beachtete sie gar nicht, sah nur allein Rudledge. Die Reiter schießen von allen Seiten auf ihn, um Rudledge beizustehen. Sie hätten es nicht gebraucht. Doch sie tun es. Sie geben Philbrook keine Chance. Er wird von mehreren Kugeln getötet. Als er fällt, wischt Rudledge sich über das pulvergeschwärzte Gesicht und blickt sich um. Er sieht, wer alles gekommen ist, um ihm beizustehen. - 132 -
Er erkennt sie alle - und sogar Fremde, die er noch niemals sah. Sie alle kamen als Gemeinschaft, um ihm, dem Angegriffenen, beizustehen, wie sie es von nun ab immer tun werden, wenn einer von ihnen angegriffen wird oder in Not gerät. Bat Rudledge sieht auch Jennifer. Und da weiß er, daß alles gut werden wird. Er hat die kleinen und furchtvollen Leute zu einer Gemeinschaft zwingen können. Er wird auch Jennifer bald hier bei sich auf der Ranch haben. Und im Frühjahr wird er sich seine Rinder holen. Ganz bestimmt wird ihn keine harte PhilbrookMannschaft daran hindern. ENDE
- 133 -