Sir Henry Rider Haggard (1856–1925), einer der be deutendsten englischen Erzähler der Jahrhundert wende, gehört zu de...
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Sir Henry Rider Haggard (1856–1925), einer der be deutendsten englischen Erzähler der Jahrhundert wende, gehört zu den Klassikern des phantastischen Abenteuerromans. Seine exotischen und farben prächtigen Fantasy-Epen spielen vornehmlich im dunklen Herzen Afrikas, das zu jener Zeit noch weit gehend unerforscht und von wilden Völkerschaften bewohnt war und Raum bot für Spekulationen über geheimnisvolle unentdeckte Reiche und legendäre uralte Zivilisationen. In diesem Band sind die berühmten Jagdgeschichten von Henry Rider Haggard vereint, die sich um den legendären Großwildjäger Allan Quatermain ranken. Quatermain, unter anderem Held der bekannten und wiederholt verfilmten Bestseller »König Salomons Diamanten« und »Sie«, erzählt von seinen spannen den und phantastischen Abenteuern in den Savannen des dunklen Kontinents, von den magischen Fähig keiten der schwarzen Ureinwohner und den blutigen Auseinandersetzungen mit den ersten Siedlern.
Von Henry Rider Haggard erschienen in gleicher Ausstattung in der Reihe HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY: Sie · 06/4130 Allan Quatermain · 06/4131 Ayesha – Sie kehrt zurück · 06/4133 Sie und Allan · 06/4133 König Salomons Diamanten · 06/4134 Die heilige Blume · 06/4135 Das Halsband des Wanderers · 06/4136 Tochter der Weisheit · 06/4137 Das Sehnen der Welt · 06/4138 Morgenstern · 06/4146 Als die Welt erbebte · 06/4147 Das Nebelvolk · 06/4148 Das Herz der Welt · 06/4149 Kleopatra · 06/4310 Der Geist von Bambatse · 06/4311 Allan Quatermain der Jäger · 06/4367 Allan Quatermain und die Eisgötter · 06/4368 Das Elfenbeinkind · 06/4369 Der gelbe Gott · 06/4370 Weitere Ausgaben sind in Vorbereitung.
HENRY RIDER HAGGARD
Allan Quatermain
der Jäger
Fantasy
16. Band der Haggard-Ausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG � MÜNCHEN � Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!! �
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY � Band 06/4367 � Titel der englischen Ausgaben � MAIWA'S REVENGE und ALLAN'S WIFE � Deutsche Übersetzung von Hans Maeter � Das Umschlagbild schuf Vicente Segrelles/Norma � Redaktion: Wolfgang Jeschke � »Maiwa's Revenge« erschien als Vorabdruck � in »Harper's New Monthly Magazine« im Juli und August 1888 � (vol. LXXVII) und als selbständige Buchausgabe im Juli 1888 bei � Harper in New York und im August 1888 bei � Longmans, Green & Co in London. � Die Collection »Allan's Wife« erschien im Dezember 1889 bei � Spencer Blackett London, und im Dezember 1889 bei Frank F. Lovell � in New York. Sie enthielt die Erzählungen »Allan's Wife«, � »Hunter Quatermain's Story«, »A Tale of Three Lions« und »Long Odds«. � »Hunter Quatermain's Story« wurde 1885 erstmals abgedruckt in der � Zeitschrift »In A Good Cause«; erneut erschienen 1899 unter dem Titel � »The Spring of A Lion«. � »A Tale of Three Lions« war bereits im November 1887 � bei John W. Lovell in New York als selbständige Buchausgabe � erschienen und außerdem als Vorabdruck in der � Zeitschrift »Atalanta« von Oktober bis Dezember 1887 (vol. 1, nos 1–3); � 1898 erschien sie unter dem Titel »Allan the Hunter«. � Der Nachtrag »On Going Back« erlebte seine Erstveröffentlichung � November 1887 in »Longman's Magazine«. � »Long Odds« in »Macmillan's Magazine« im Februar 1886 (vol. LIII). � »Magepa the Buck« erschien ursprünglich in »Pears' Christmas Annual« � von 1912 und war später in der Collection � »Smith and the Pharaohs« enthalten, � die im November 1920 bei J. W. Arrowsmith � in Bristol und im August 1921 bei Longmans, � Green & Co in New York erschien. � Copyright © 1987 der deutschen Übersetzungen � by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München � Copyright © 1987 des Nachworts by Bernhard Heere � Printed in Germany 1986 � Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München � Satz: Schaber, Wels � Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin � ISBN 3-453-31371-2 �
Ich danke Roland Schmid
für seinen Rat und seine hilfreiche
Unterstützung bei der Entstehung
dieses Bandes.
INHALT
SCHLECHTE CHANCEN ................................ (LONG ODDS) �
9 �
EINE ERZÄHLUNG VON DREI LÖWEN ...... 33 � (A TALE OF THREE LIONS) � 1 Die Zinsen für zehn Schillinge .................. 33 � 2 Was in dem Bassin gefunden wurde ....... 47 � 3 Jim-Jim wird gerächt ................................. 61 � Nachtrag zu »Eine Erzählung von drei Löwen«:
Über das Zurückkehren (»On Going Back«) ... 78 � RACHE FÜR MAIWA ....................................... (MAIWA'S REVENGE) � Vorwort ....................................................... 1 Gobo weigert sich ...................................... 2 Eine morgendliche Jagd ............................ 3 Die erste Runde .......................................... 4 Die letzte Runde ......................................... 5 Die Botschaft Maiwas ................................ 6 Der Schlachtplan ........................................ 7 Der Angriff ................................................. 8 Maiwa wird gerächt ..................................
88 � 88 � 88 � 101 � 118 � 134 � 154 � 176 � 193 � 210 �
JÄGER QUATERMAINS STORY ..................... 227 � (HUNTER QUATERMAIN'S STORY) �
INHALT
STELLA UND HENDRIKA* ............................ (ALLAN'S WIFE) � Widmung .................................................... 1 Die frühen Tage .......................................... 2 Der Feuerkampf ......................................... 3 Nordwärts .................................................. 4 Das Zulu-Impi ............................................ 5 Das Ende des Lagers .................................. 6 Stella ............................................................ 7 Die Pavianfrau ........................................... 8 Die Marmorkraals ...................................... 9 »Laß uns hineingehen, Allan!« ................. 10 Hendrika plant Unheil .............................. 11 Verschwunden! .......................................... 12 Die Magie Indaba-zimbis .......................... 13 Was Stella geschah ..................................... 14 Fünfzehn Jahre später ................................
254 � 254 � 256 � 269 � 284 � 300 � 318 � 336 � 357 � 371 � 384 � 396 � 413 � 424 � 437 � 449 �
MAGEPA, DER BOCK ...................................... 461 � (MAGEPA THE BUCK) � Ein weißer Jäger im Zululand .......................... 482 � Nachwort von Bernhard Heere � * �
Die Erzählung »Allan's Wife« erschien 1898 in einer anderen Übersetzung unter dem Titel »Der Zauberer im Sululand« im Verlag Fr. E. Fehsenfeld in Freiburg i. Br.
Schlechte Chancen
Die Geschichte, die auf den folgenden Seiten wieder gegeben wird, wurde mir von meinem alten Freund Quatermain berichtet, oder Großwildjäger Quater main, wie wir ihn in Südafrika zu nennen pflegten. Er erzählte sie mir an einem Abend, als ich ihn in dem Haus bei Yorkshire, das er gekauft hatte, besuchte. Wenig später wurde er durch den Tod seines einzi gen Sohnes so erschüttert, daß er England verließ, begleitet von seinen alten Reisekameraden, Sir Henry Curtis und Captain Good, und jetzt ist er im schwar zen Herzen Afrikas spurlos verschwunden. Er machte sich auch auf diese Reise, weil es Gerüchte gab, daß ein weißes Volk, von dessen Existenz er im mer wieder gehört hatte, irgendwo auf der Hochebe ne des riesigen, noch unerforschten Innern des Konti nents leben sollte, und er den Ehrgeiz hatte, dieses Volk zu finden, bevor er starb. Es war ein wildes Abenteuer, zu dem er und seine Begleiter aufbrachen, und von dem er, wie ich annehme, nicht zurückkeh ren wird. Nur einen Brief habe ich von dem alten Gentleman erhalten, von einer Missionsstation hoch oben am Tara, einem Fluß an der Ostküste, etwa dreihundert Meilen nördlich von Sansibar. In diesem Brief sagte er, daß sie viele Strapazen und Abenteuer hinter sich gebracht hätten, aber am Leben und bei bester Gesundheit seien und Spuren gefunden hätten, welche ihnen Hoffnung machten, daß das Ergebnis ihrer abenteuerlichen Suche zu ›einer wunderbaren und unvorstellbaren Entdeckung‹ führen könnte. Ich fürchte jedoch, daß alles, was er entdeckt hat, der Tod
ist, denn dieser Brief ist vor einer geraumen Zeit ein getroffen, und seitdem hat niemand auch nur ein Wort von den dreien gehört. Sie sind spurlos ver schwunden. Es war am letzten Abend meines Aufenthaltes in seinem Hause, als er die folgende Geschichte mir und Captain Good erzählte, als wir mit ihm dinierten. Nach dem Essen hatte er zwei oder drei Gläser alten Portweins getrunken, nur um Good und mir zu hel fen, die zweite Flasche zu leeren. Das war sehr unge wöhnlich für ihn, da er ein sehr enthaltsamer Mensch war und, wie er es ausdrückte, das Trinken verab scheute, da er die Wirkung des Alkohols auf die Art von Männern – Jäger, Transportunternehmer und andere – erlebt hatte, unter denen er so viele Jahre seines Lebens verbracht hatte. Infolgedessen hatte der gute Wein eine größere Wirkung auf ihn, als er auf die meisten anderen Männer gehabt hätte, färbte sei ne faltigen Wangen ein wenig rosig und ließ ihn freier sprechen als dies sonst der Fall war. Lieber, alter Mann! Ich sehe ihn noch heute vor mir, wie er in dem Vestibül auf und ab hinkte, sein graues Haar bürstenartig gesträubt, mit seinem falti gen, gelben Gesicht, und mit seinen großen, dunklen Augen, die so scharf waren wie die eines Falken, und doch so sanft wie die eines Hirsches. Der ganze Raum hing voller Trophäen seiner zahllosen Jagdexpeditio nen, und für jede von ihnen hatte er eine Geschichte, wenn man ihn nur dazu bringen konnte, sie zu er zählen. Von allein tat er das gewöhnlich nie, da er nicht dazu neigte, seine eigenen Erlebnisse zu be richten, doch an diesem Abend hatte der Portwein seine Zunge gelöst.
»Ah, du Bestie!« sagte er und blieb unter dem Schädel eines ungewöhnlich großen Löwen stehen, der über dem Kaminsims hing, unter einer langen Reihe von Gewehren, seinen Rachen zu voller Weite aufgerissen. »Ah, du Bestie! Du hast mir die letzten Jahre eine Menge Schmerzen bereitet, und wirst es si cher bis zur Stunde meines Todes tun.« »Erzählen Sie uns die Geschichte, Quatermain«, sagte Good. »Sie haben es mir oft versprochen, und es nie getan.« »Sie sollten mich lieber nicht darum bitten, weil sie ziemlich lang ist.« »Das macht nichts«, sagte ich, »der Abend ist noch jung, und es ist noch mehr Portwein da.« Auf diese Weise überredet, füllte er seine Pfeife aus einem Topf mit grob geschnittenem Burentabak, der immer auf dem Kaminsims stand, und begann, noch immer auf und ab gehend, zu erzählen. »Es muß, wie ich glaube, im März '69 gewesen sein, als ich in Sikukunis' Reich war. Es war unmittelbar nach Sequatis Zeit, und Sikukunis war gerade an die Macht gelangt – ich habe vergessen, auf welche Wei se. Auf jeden Fall war ich dort. Ich hatte gehört, daß die Bapedis eine enorme Menge Elfenbein aus dem Landesinneren gebracht hätten, also brach ich mit ei ner Wagenladung Waren von Middleburg auf, um etwas von diesem Elfenbein einzuhandeln. Es war ziemlich riskant, so früh im Jahr in dieser Gegend zu reisen, wegen des Fiebers, doch wußte ich, daß noch zwei oder drei weitere Männer hinter dem Elfenbein her waren, also entschloß ich mich, es zu versuchen und das Risiko mit dem Fieber auf mich zu nehmen. Ich war inzwischen durch mein ständiges Umherzie
hen so unanfällig geworden, daß ich es nicht für sehr groß hielt. Nun, einige Zeit ging alles gut. Es ist ein wunder bares, schönes Stück Busch-Veldt, das von großen Bergketten durchzogen ist, und mit runden GranitHügeln da und dort, die wie Wachtposten über die endlose Weite des Busches blicken. Es war sehr heiß – so heiß, wie in einem Kochtopf – und als ich in jenem März dort war, wo natürlich in jenem Teil Afrikas Herbst ist, roch das ganze Land förmlich nach Fieber. An jenem Morgen, während ich den Oliphant-Fluß entlangtreckte, kroch ich bei der Dämmerung aus dem Wagen und blickte hinaus. Doch es war kein Fluß zu sehen, nur lange Wolken von etwas, das aus sah wie ein Hauch feinster Baumwolle. Es war der Fieber-Nebel. Und auch aus dem Busch kräuselten sich kleine Nebelspiralen, wie der Rauch von Hun derten winziger Feuer, die in ihm brannten – die Ausdünstungen von Tausenden von Tonnen faulen der Vegetation. Es war ein sehr schönes Land, doch war seine Schönheit die Schönheit des Todes; und alle diese Schwaden und Kringel von Nebel schrieben ein riesiges Wort auf den Boden des Landes, und das Wort war: FIEBER. Es war dies ein besonders schlimmes Krankheits jahr. Ich kam, wie ich mich erinnere, zu einem kleinen Kraal der Knobnoses*, wie der Stamm genannt wur de, und ging hinein, um zu sehen, ob ich dort etwas Maas, das ist geronnene Buttermilch, und Mais kau fen könnte. Als ich mich dem Kraal näherte, fiel mir die absolute Stille auf, die dort herrschte. Keine Kin *
Knollennasen
der schrien, keine Hunde bellten. Und ich konnte auch nirgends Schafe oder Rinder sehen. Der Kraal war zwar offensichtlich bis vor kurzem bewohnt ge wesen, lag jetzt jedoch still wie der Busch, von dem er umgeben war, nur ein paar Perlhühner stoben aus dem Gestrüpp von Feigenkakteen auf, das am Tor des Kraals wuchs. Ich erinnere mich, daß ich ein we nig zögerte, bevor ich hineinging, weil eine solche Atmosphäre der Verlassenheit über diesem Ort hing. Die Natur wirkt niemals verlassen, solange der Mensch noch nicht seine Hand auf sie gelegt hat; sie ist nur still. Doch dort, wo der Mensch gewesen und wieder fortgegangen ist, wirkt sie verlassen. Schließlich ging ich aber doch in diesen Kraal und trat zu seiner größten Hütte. Vor ihr lag etwas, über das ein altes Kaross aus Schaffell geworfen worden war. Ich bückte mich und zog ihn fort – und fuhr ent setzt zurück, denn unter ihm lag die Leiche einer jun gen Frau, die erst kürzlich gestorben sein konnte. Im ersten Augenblick wollte ich sofort kehrtmachen, doch dann siegte meine Neugier; also ging ich an der toten Frau vorbei, ließ mich auf Hände und Knie nie der und kroch in die Hütte. Es war dort so dunkel, daß ich überhaupt nichts sah, wohl aber recht viel riechen konnte. Ich riß ein Streichholz an. Es war ei nes dieser ›Tandstickor‹-Hölzer, die lange und lang sam brennen, und als sein Licht heller wurde, sah ich eine ganze Familie, Männer, Frauen und Kinder, im festen Schlaf liegen. Als das Streichholz voll aufge flammt war, erkannte ich, daß auch sie tot waren. Eins von ihnen war ein Baby. Ich ließ das Streichholz sofort fallen und wollte so schnell wie möglich von dort verschwinden, als ich zwei helle Augen ent
deckte, die mich aus einer Ecke heraus anstarrten. In der Annahme, daß es eine Wildkatze sei, oder ein ähnliches Tier, verdoppelte ich meine Eile, hinauszu kommen, als plötzlich eine Stimme bei den Augen zu murmeln begann und dann eine Reihe entsetzlicher Schreie ausstieß. Hastig riß ich ein zweites Streichholz an und sah, daß die Augen einer alten Frau gehörten, die in ein schmieriges Kleidungsstück aus Fell gewickelt war. Ich packte sie beim Arm und schleifte sie hinaus, da sie von sich aus nicht hinauskriechen konnte oder wollte, und der Gestank war betäubend. Sie bot einen entsetzlichen Anblick: ein mageres Gerippe, von schwarzer, pergamentartiger Haut überzogen. Das einzige Helle an ihr war die weiße Wolle auf ihrem Kopf, und sie schien tot zu sein, nur ihre Augen und ihre Stimme lebten noch. Sie glaubte, daß ich ein Teu fel sei, der gekommen war, um sie zu holen, und das war der Grund dafür, daß sie so schrie. Nun, ich schleppte sie zu meinem Wagen, gab ihr eine Pfeife Kap-Tabak, und flößte ihr anschließend, sobald sie dazu bereit war, eine Tasse Fleischbrühe ein, aus dem Fleisch eines Wildebeest gekocht, das ich am Vortag geschossen hatte; danach wurde sie erheblich munte rer. Sie konnte Zulu sprechen – es stellte sich sogar heraus, daß sie während T'Chakas Zeit aus Zululand geflohen war – und sie sagte mir, daß alle die Men schen, die ich gesehen hatte, am Fieber gestorben sei en. Als sie starben, hätten die anderen Bewohner des Kraals die Rinder zusammengetrieben und seien fortgezogen. Die arme alte Frau, die von Alter und Krankheit geschwächt war, hatten sie zurückgelassen, damit sie verhungere oder an der Krankheit stürbe,
wie immer es geschehen mochte. Drei Tage lang habe sie dort zwischen den Leichen gesessen, als ich sie ge funden hatte. Ich nahm sie mit zum nächsten Kraal, gab dem Ältesten eine Decke, damit er sich um sie kümmere, und versprach ihm eine zweite, wenn ich sie bei meiner Rückkehr lebend und gesund vorfin den würde. Ich erinnere mich, wie erstaunt er war, daß ich mich für ein so wertloses, altes Weib von zwei Decken trennen wollte. ›Warum hast du sie nicht im Busch gelassen?‹ fragte er. Sie müssen wis sen, daß diese Menschen die Doktrin des Überlebens der Stärkeren bis zum Extrem befolgten. Es war in der Nacht nach dem Tage, an dem ich die alte Frau losgeworden war, als ich meine erste Be kanntschaft mit jenem Freund machte«, und er deu tete mit einem Kopfnicken auf den Löwenkopf, der uns aus dem Schatten über dem breiten Kaminsims anzugrinsen schien. »Ich hatte vom Morgengrauen bis gegen elf Uhr getreckt – es war ein langer Treck – wollte jedoch weitermachen, hatte die Ochsen zum Grasen ausgespannt und den Voorloper beauftragt, sie zu hüten, um gegen sechs Uhr wieder anzuspan nen und im Licht des Mondes bis zehn Uhr weiter zutrecken. Dann kletterte ich in den Wagen und schlief bis gegen halb drei oder so, dann stand ich auf, briet mir ein Stück Fleisch, aß es und trank einen Becher schwarzen Kaffee – es war zu jener Zeit schwierig, Milchkonserven zu kaufen. Gerade als ich damit fertig war und mein Fahrer, ein Mann namens Tom, das Geschirr abwusch, erschien der junge Schurke von Voorloper und trieb einen Ochsen vor sich her. ›Wo sind die anderen Ochsen?‹ fragte ich.
›Koos!‹ antwortete er, ›Koos! Die anderen Ochsen sind verschwunden. Ich habe sie nur für eine Minute aus den Augen gelassen, und als ich wieder hinsah, waren sie alle fort, bis auf diesen, der seinen Rücken an einem Baum rieb.‹ ›Mit anderen Worten, du hast geschlafen und sie laufen lassen, du fauler Hund. Ich werde dir den Rücken mit einem Stock reiben‹, antwortete ich ziem lich wütend, da es keine angenehme Aussicht ist, eine Woche oder länger in einer Fieberfalle zu stecken, während wir die Ochsen suchten. ›Verschwinde! Und du auch, Tom! Und wagt ja nicht zurückzukommen, bevor ihr sie gefunden habt. Sie werden zur Straße nach Middleburg gelaufen und inzwischen ein Dut zend Meilen weit weg sein, wette ich. Keine Widerre de! Fort mit euch beiden!‹ Tom, der Fahrer, fluchte und gab dem anderen Burschen einen herzhaften Tritt, den dieser Kerl reichlich verdient hatte, und dann, nachdem sie den verbliebenen Ochsen an den Disselboom* gebunden hatten, nahmen sie ihre Assegais und Stöcke und zo gen los. Ich wäre am liebsten mit ihnen gegangen, doch mußte einer zurückbleiben und auf den Wagen aufpassen, und ich ließ ihn niemals zur Nachtzeit in der Obhut einer der beiden Boys zurück. Ich war in einer sehr schlechten Stimmung, obwohl ich an Zwi schenfälle dieser Art ziemlich gewöhnt war, und trö stete mich damit, daß ich mein Gewehr nahm, um etwas zu schießen. Zwei Stunden lang streifte ich umher, ohne etwas zu sehen, das zu erlegen sich lohnte, doch schließlich, als ich mich bereits wieder *
Deichsel
fast beim Wagen befand, sah ich einen alten ImpalaBock hinter einer Dornen-Mimose stehen. Er lief di rekt auf den Wagen zu, und erst als er nur noch we nige Fuß von ihm entfernt war, bekam ich ihn richtig vor den Lauf. Ich drückte ab und erwischte ihn im Rückgrat; er stürzte, tot wie eine Sargnagel – es war ein herrlicher Schuß, obwohl es nicht an mir ist, das zu sagen. Das besserte meine Stimmung ein wenig, besonders da der Bock direkt vor dem hinteren Teil des Wagens lag, so daß ich ihn nur ausweiden, einen Riemen um seine Hinterbeine binden und ihn hoch ziehen mußte. Als ich das getan hatte, war die Sonne untergegangen, und der Mond stand am Himmel, und es war ein herrlicher Mond. Und dann kam diese wunderbare Stille, die sich manchmal während der frühen Nachtstunden über den afrikanischen Busch senkt. Kein Tier regte sich, kein Vogel schrie. Kein Lufthauch bewegte die Bäume, und nicht einmal die Schatten zitterten, sie wuchsen nur. Es war sehr be drückend und sehr einsam, weil es keine Spur von den Ochsen und den Boys gab. Ich war sehr dankbar für die Gesellschaft des alten Kaptein*, der zufrieden neben dem Disselboom lag und gewissenhaft wie derkäute. Plötzlich jedoch begann Kaptein unruhig zu wer den. Zuerst schnaubte er, dann erhob er sich und schnaubte wieder. Ich verstand es nicht, also sprang ich wie ein Narr vom Wagen herab und blickte um her, in der Annahme, daß die verlorenen Ochsen zu rückkämen. Im nächsten Moment bedauerte ich diesen Leicht *
Leitochse
sinn, denn plötzlich hörte ich ein Brüllen und sah et was Gelbes an mir vorbeifliegen und auf dem armen Kaptein landen. Dann kam ein lauter Schmerzens schrei von dem Ochsen, und ich hörte ein Knirschen, als der Löwe seine Zähne in das Genick des armen Tieres schlug, und ich begann zu begreifen, was ge schehen war. Mein Gewehr befand sich im Wagen, und mein erster Gedanke war, es in die Hand zu be kommen, also warf ich mich herum und griff nach ihm. Ich bekam den Fuß auf das Rad und wollte mich in den Wagen schwingen, und dort erstarrte ich wie gelähmt, und das war auch kein Wunder, denn in diesem Moment hörte ich den Löwen hinter mir, und in der nächsten Sekunde fühlte ich ihn, ja, so deutlich, wie ich jetzt diesen Tisch vor mir sehe. Ich fühlte ihn, wie ich sagte, an meinem linken Bein, das herabhing, schnuppern. Sie können mir glauben, daß es ein sehr komisches Gefühl war! Ich glaube nicht, daß ich jemals zuvor ein so komisches Gefühl gehabt hatte. Ich wagte nicht, mich zu bewegen, und das Seltsame war, daß ich die Gewalt über mein Bein zu verlieren schien, das die unsinnige Bestrebung entwickelte, aus eigenem Wil len auszuschlagen – gerade so, wie hysterische Men schen lachen müssen, wenn sie besonders ernst sein wollen. Also, der Löwe schnupperte und schnupper te, zuerst an meinem Knöchel, und dann arbeitete er sich langsam zu meinem Oberschenkel hinauf. Als er dort angelangt war, war ich überzeugt, daß er jetzt zuschnappen würde, doch er tat es nicht. Er knurrte nur leise und ging dann zu dem Ochsen zurück. Ich drehte den Kopf ein wenig und bekam ihn voll zu Gesicht. Er war der größte Löwe, den ich jemals ge
sehen hatte, und ich habe recht viele gesehen; er hatte eine mächtige, schwarze Mähne. Wie seine Zähne aussahen, können Sie hier ja selbst sehen – ganz schön groß, nicht wahr? Alles in allem war er ein prächtiges Tier, und als ich dort ausgestreckt auf der Deichselgabel des Wagens lag, kam mir der Gedanke, daß er sich in einem Käfig außergewöhnlich gut aus nehmen mußte. Er stand neben dem Kadaver des ar men Kaptein und weidete ihn aus, so sauber, wie es ein Metzger nicht besser getan haben könnte. Ich wagte mich nicht zu rühren, denn während der gan zen Zeit hob er immer wieder den Kopf und behielt mich im Auge, wenn er mit der Zunge über seine blutigen Lefzen fuhr. Als er den Ochsen ausgeweidet hatte, riß er das Maul auf und brüllte, und ich über treibe nicht, wenn ich sage, daß dieses Brüllen den Wagen erzittern ließ. Sofort antwortete ein weiteres Brüllen ganz in der Nähe. Gütiger Himmel! dachte ich, da ist sein Weibchen! Kaum hatte ich das gesagt, als ich schon im Licht des Mondes eine Löwin durch das hohe Gras laufen sah, gefolgt von zwei Jungen, die die Größe von Dog gen hatten. Wenige Fuß von meinem Kopf entfernt hielt sie inne, peitschte mit dem Schwanz und starrte mich mit ihren glühenden gelben Augen an; doch ge rade als ich dachte, daß alles vorbei sei, wandte sie sich ab und begann am Kaptein zu fressen, und das taten auch die beiden Jungen. Jetzt waren also vier von ihnen nur etwa acht Fuß von mir entfernt, knur rend und streitend, reißend und zubeißend, und ich hörte, wie die Knochen des armen Kaptein zerkrach ten; und ich lag, zitternd vor Angst und naß von kal
tem Schweiß, und fühlte mich wie Daniel in der Lö wengrube. Schließlich hatten die Jungen genug ge fressen und wurden unruhig. Eins von ihnen trottete zum hinteren Teil des Wagens und riß an dem Impa la-Bock, der dort hing, das andere kam in meine Richtung und begann das Schnüffelspiel an meinen Beinen. Es ging sogar noch weiter; da meine Hose ein wenig hochgerutscht war, leckte es mit seiner rauhen Zunge über die bloße Haut. Je mehr es leckte, desto mehr Gefallen schien es daran zu finden, denn es tat es mit immer größerer Inbrunst und begann leise zu schnurren. Da wußte ich, daß mein Ende gekommen war, denn in wenigen Sekunden mußte seine feilenrauhe Zunge die Haut durchgescheuert haben, und wenn es erst Blut schmeckte, hatte ich keine Chance mehr. Also lag ich ergeben still, dachte über meine Sünden nach, betete zu Gott, dem Allmächtigen, und kam zu dem Schluß, daß das Leben eigentlich doch eine recht schöne Sache ist. Dann, plötzlich, hörte ich das Brechen von Busch werk, und das Rufen und Pfeifen von Männern, und da kamen die beiden Boys mit den Ochsen zurück, die bei ihrem Ausflug zusammengeblieben waren. Die Lö wen hoben den Kopf und lauschten, dann sprangen sie lautlos davon – und ich verlor das Bewußtsein. Die Löwen kamen in jener Nacht nicht zurück, und am nächsten Morgen waren meine Nerven wieder ei nigermaßen in Ordnung; doch ich kochte vor Wut, wenn ich an all das dachte, das ich durch die vier Be stien hatte durchmachen müssen, und an das Los meines Kaptein. Er war ein prächtiger Leitochse ge wesen, und ich hatte ihn sehr gemocht. So stark war ich von meiner Wut besessen, daß ich wie ein Narr
beschloß, die ganze Familie zu erschießen. Das war eines Grünhorns würdig, der den ersten Jagdausflug seines Lebens unternimmt, doch ich tat es trotzdem. Also brach ich nach dem Frühstück, und nachdem ich Öl auf mein Bein gerieben hatte, das von der Zunge des Löwenjungen ziemlich wundgerieben worden war, auf und nahm den Fahrer, Tom, mit mir, dem die Geschichte gar nicht gefiel, bewaffnet mit einem gewöhnlichen, doppelläufigen Nr. 12 Gewehr, dem ersten Hinterlader, den ich besaß. Ich hatte dieses Gewehr gewählt, weil seine glatten, nicht gezogenen Läufe sehr genau schossen; und ich hatte die Erfah rung gemacht, daß eine Rundkugel aus einem glatten Lauf bei einem Löwen genau so wirksam ist wie das Geschoß eines Expreß-Gewehrs. Das Fleisch des Lö wen ist weich, und es ist nicht schwer, ihn zu erlegen, wenn man ihn irgendwo in den Körper trifft. Eine Antilope zu töten, ist weitaus schwieriger. Also, ich brach auf, und das erste, das ich tat, war, mich umzusehen, wo die Löwen tagsüber lagerten. Etwa dreihundert Yards vom Wagen entfernt befand sich eine kleine Erhebung, auf der einzelne Mimosen bäume standen, fast wie in einem Park, und hinter ihr lag ein Stück offenen Landes, das zu einer Trocken pfanne, oder Wasserloch, führte, die etwa einen Acre Boden bedeckte und mit einem Dickicht von Schilf bestanden war. Auf der anderen Seite dieser Trok kenpfanne stieg der Boden wieder an zu einer zer klüfteten Anhöhe oder Nullah, die vom Wasser aus geschwemmt worden war und einen dichten Bestand von Buschwerk aufwies, aus dem eine Anzahl hoher Bäume ragten, an deren Art ich mich jedoch nicht mehr erinnern kann.
Ich erkannte sofort, daß diese Trockenpfanne ein Platz war, an dem ich meine Freunde sehr wahr scheinlich finden würde, denn nichts mag ein Löwe lieber, als im Röhricht zu liegen, durch das er alles sehen kann, ohne selbst gesehen zu werden. Also ging ich dorthin und begann die Senke zu erkunden. Bevor ich die Trockenpfanne halb umschritten hatte, entdeckte ich die Überreste von einem Wildebeest, das offensichtlich vor drei oder vier Tagen gerissen und zum Teil von Löwen gefressen worden war; das und einige weitere Anzeichen verrieten mir, daß die Familie, auch wenn sie jetzt nicht da sein sollte, doch einen großen Teil ihrer Freizeit dort verbrachte. Doch wenn die Löwen da sein sollten, so erhob sich die Frage, wie ich sie herauslocken konnte, denn es war nicht daran zu denken, hineinzugehen und nach ih nen zu suchen, wenn man nicht sehr lebensmüde war. Nun blies an diesem Tage ein ziemlich starker Wind aus der Richtung des Wagens durch die schilfbewachsene Trockenpfanne, und das brachte mich auf die Idee, das Schilf in Brand zu setzen, das, wie ich Ihnen erzählt zu haben glaube, recht trocken war. Also gab ich Tom eine Schachtel Streichhölzer, und er begann, auf der linken Seite kleine Feuer zu entfachen, und ich tat das gleiche von rechts. Doch die Schilfhalme waren noch ziemlich grün in den unteren Teilen, und wir hätten es bestimmt nicht ge schafft, wenn der Wind nicht gewesen wäre, der stär ker und stärker blies, als die Sonne höherkletterte, und die Flammen in das Schilf hineinzwang. Schließ lich, nach einer halben Stunde Arbeit, hatte das Feuer richtig gefaßt, und der Brand begann sich auszubrei ten wie ein Fächer, woraufhin ich um die Trocken
pfanne herum zu deren anderer Seite lief, um dort auf die Löwen zu warten. Ich stand ein gutes Stück von dem Schilf entfernt auf offenem Veldt, so wie wir heute vor dem Wald standen, als Sie die Waldschnep fe schossen. Es war eine ziemlich riskante Sache, doch war ich mir meiner Treffsicherheit bewußt und scheute zu jenen Tagen das Risiko nicht. Kaum hatte ich meine Position erreicht, da hörte ich auch schon das Schilf rauschen und brechen, als irgendein Tier vor den Flammen floh. Jetzt war es soweit! Es schoß heran. Ich sah, daß es ein gelbes Fell hatte und berei tete mich auf Aktion vor, doch anstatt eines Löwen brach ein wunderbarer Antilopenbock heraus, der im Schutz des Schilfes geruht hatte. Es mußte übrigens ein besonders vertrauensvoller Bock gewesen sein, daß er sich so in die Nähe von Löwen legte, wie das Lamm in der Bibel, doch vermute ich, daß das Schilf sehr dicht war, und daß er einen gehörigen Abstand gehalten hatte. Nun, ich ließ den Bock sausen, der wie der Wind davonschoß; und hielt meinen Blick weiter auf das Schilf gerichtet. Das Feuer brannte jetzt wie eine Höllenglut; die Flammen prasselten und fauchten, während sie sich durch das Schilf fraßen, und spien Feuerzungen von zwanzig Fuß Höhe oder mehr in die Luft, und die Luft über dem Feuer war so heiß, daß sie flimmerte. Doch die Schilfhalme waren noch halb grün und entwickelten dichte Rauchwolken, die auf mich zuwehten wie ein Vorhang, und wegen des Windes dicht über dem Boden hingen. Schließlich hörte ich durch das Prasseln des Feuers ein über raschtes Brüllen, und noch eines, und noch eines. Al so waren die Löwen doch zu Hause.
Jetzt begann ich aufgeregt zu werden, denn wie Sie wissen, gibt es nichts, das einem die Nerven so an wärmt, wie die Anwesenheit eines Löwen in unmit telbarer Nähe, es sei denn, die eines angeschossenen Büffels; und meine Aufregung steigerte sich noch, als ich durch die Rauchwolken sah, daß die Löwen sich am äußersten Rand des Schilfes bewegten. Hin und wieder reckten sie die Köpfe hervor, wie Kaninchen aus ihrem Bau, und zogen sie sofort wieder ein, als sie mich etwa fünfzig Yards entfernt stehen sahen. In all meinen Jahren der Jagderfahrung habe ich nie ein so herrliches Bild gesehen wie diese vier Löwen, die durch das Schilf liefen, überschattet von dem dichten Rauch, und vor dem Hintergrund des zum Himmel emporschlagenden Flammenmeeres. Ich rechnete damit, daß sie zu dem buschbewachse nen Hügel fliehen und in einer Entfernung zwischen fünf und zwanzig Fuß an mir vorbeikommen würden, also atmete ich tief durch, zog das Gewehr fest ein und zielte auf die Schulter des Löwen – des schwarzmäh nigen – so daß ich, wenn ich ein paar Zoll für seine Bewegung berücksichtigte, ins Herz treffen würde. Ich hatte ihn genau im Visier, und mein Finger be gann sich durchzukrümmen – als ich plötzlich blind war. Ein winziges Ascheflöckchen war mir vom Wind ins rechte Auge geblasen worden. Ich wandte den Kopf und rieb, und als ich es herausgerieben hatte, konnte ich gerade noch den Schwanz des letzten Lö wen im Gebüsch des Hügels verschwinden sehen. Wenn jemals ein Mann wütend gewesen war, so war ich dieser Mann. Es war zum Verrücktwerden! So ein sicherer Schuß in offenem Gelände! Doch gab ich mich noch nicht geschlagen, sondern wandte
mich um und marschierte zur Schlucht. Tom, der Fahrer, flehte mich an, es nicht zu tun, doch obwohl ich allgemein nicht vorgebe, besonders tapfer zu sein (was ich auch nicht bin), war ich fest entschlossen, entweder diese Löwen zu töten, oder von ihnen ge tötet zu werden. Also erklärte ich Tom, daß er nicht mitzukommen brauche, wenn er es nicht wolle, ich jedoch auf jeden Fall gehen würde, und da er ein tap ferer Bursche war, ein Swazi von Geburt, zuckte er nur die Achseln, murmelte, daß ich verrückt oder verhext sein müsse, und folgte mir. Kurz darauf erreichten wir den Hügel, der etwa dreihundert Yards lang sein mochte und mit dünner Vegetation bedeckt war, und jetzt begann der wirkli che Spaß. Hinter jedem Busch mochte ein Löwe stek ken – ganz bestimmt waren hier irgendwo vier Lö wen, und die entscheidende Frage war lediglich: wo? Ich blickte und stocherte in jede Richtung, während das Herz mir im Halse schlug, und wurde schließlich für meine Mühen belohnt, als ich etwas Gelbes sah, das sich hinter einem Busch bewegte. Im gleichen Augenblick brach aus einem anderen Busch mir ge genüber eines der Jungen heraus und lief zu dem brennenden Schilf zurück. Ich warf mich herum und drückte ab, und der nur flüchtig gezielte Schuß brach dem Löwen das Rückgrat dicht oberhalb der Schwanzwurzel, so daß er sich überschlug, und er lag nun da, hilflos, doch mit wütend starrenden Augen. Tom tötete ihn später mit seinem Assegai. Ich öffnete die Kammer des Gewehrs und entlud eilig die ver feuerte Patrone, die, nach allem, das späterhin ge schah, geplatzt sein mußte, so daß ein Teil von ihr im Lauf kleben geblieben war. Auf jeden Fall, als ich eine
neue Patrone in die Kammer schob, klemmte sie und ich bekam sie nur halb hinein, und – würden Sie es glauben? – gerade diesen Augenblick suchte die Lö win sich aus, um aufzutauchen, zweifellos vom Schreien ihres Jungen alarmiert. Dort stand sie also, nur zwanzig Schritte von mir entfernt, peitschte mit ihrem Schwanz und sah so bösartig aus, wie man es sich nur vorzustellen vermag. Langsam wich ich zu rück und versuchte, die neue Patrone hineinzudrük ken, und während ich das tat, folgte sie mir mit klei nen Sätzen und kauerte sich nach jedem sprungbereit zu Boden. Meine Lage war wirklich bedrohlich, und die Patrone wollte sich nicht hineindrücken lassen. In dieser Situation dachte ich an den Munitionsfabri kanten, dessen Namen ich nicht nennen möchte, und hoffte ernsthaft, daß, wenn der Löwe mich erwischen würde, irgendein passendes Unglück ihn erledigen sollte. Die Patrone wollte nicht hineingehen, also ver suchte ich, sie herauszuziehen. Doch auch das war mir nicht möglich, und so war mein Gewehr unnütz, da ich die Kammer nicht schließen konnte, um den anderen Lauf zu benutzen. Ich hätte genausogut gar keine Waffe bei mir haben können. Währenddessen wich ich immer weiter zurück und behielt die Löwin im Auge, die jetzt auf dem Bauch näherkroch, ohne einen Laut von sich zu geben, doch ständig mit ihrem Schwanz peitschte und keinen Blick von mir ließ; und in diesem Blick erkannte ich, daß sie in wenigen Sekunden losspringen würde. Ich schlug mit dem Handgelenk und mit dem Handbal len gegen den Messingrand der Patrone, bis sie blu teten – sehen Sie, die Narben davon trage ich bis zum heutigen Tage!«
Quatermain hielt seine rechte Hand ins Licht der Lampe und zeigte uns vier oder fünf weiße Narben am Ansatz der Hand. »Doch es war alles zwecklos«, fuhr er fort, »die Pa trone rückte und rührte sich nicht. Ich kann nur hof fen, daß niemals ein anderer Mann in eine so entsetz liche Lage gebracht wird. Die Löwin duckte sich zu sammen, und ich wußte, daß ich verloren war, als plötzlich Tom irgendwo hinter mir rief: ›Du trittst gleich auf das verwundete Junge; halte dich nach rechts!‹ Trotz meiner Benommenheit war ich klug genug, diesen Rat zu befolgen, bog im rechten Winkel ab und wich weiter zurück, ohne die Löwin für eine Se kunde aus den Augen zu lassen. Zu meiner unermeßlichen Erleichterung richtete sie sich leise knurrend auf, wandte sich um und lief ins Gebüsch zurück. ›Komm, Inkoos!‹ rief Tom. ›Laß uns zum Wagen zurückgehen!‹ ›Gut, Tom‹, antwortete ich. ›Aber erst, wenn ich die drei Löwen geschossen habe.‹ Denn jetzt war ich so entschlossen, sie zu erlegen, wie ich nie zuvor und auch nicht nachher darauf versessen war. ›Du kannst gehen, wenn du willst, oder du kannst auf einen Baum klettern.‹ Er überlegte ein wenig, und dann entschied er sich sehr weise dafür, auf einen Baum zu klettern. Ich wünschte, ich hätte es auch getan. Inzwischen hatte ich mein Messer herausgezogen, das einen Extraktor hatte, und mit einiger Mühe ge lang es mir schließlich, die Patrone herauszuziehen, die mich beinahe das Leben gekostet hatte, und den
störenden Patronenrest aus dem Lauf zu entfernen. Er war nur wenig stärker als eine Briefmarke, be stimmt nicht stärker als Briefpapier. Nachdem dies getan war, lud ich das Gewehr nach, band ein Ta schentuch um Handgelenk und Hand, um die Blu tung zu stillen, und war wieder bereit. Ich hatte bemerkt, daß die Löwin in einem dichten, grünen Gestrüpp verschwunden war, das beim Was ser stand, etwa fünfzig Yards höher, denn es rann ein kleiner Bach von den Felsen herab, und ich schritt auf dieses Gestrüpp zu. Als ich es erreichte, konnte ich jedoch nichts von ihr sehen, also nahm ich einen schweren Stein auf und warf ihn in die Büsche. Ich nehme an, daß es das andere Junge getroffen hat, denn es kam sofort herausgestürzt und wandte mir dabei seine Breitseite zu, eine Situation, die ich natür lich sofort nutzte, so daß es tot zu Boden stürzte. Doch im selben Moment kam auch die Löwin wie ein Blitz herausgeschossen, und so schnell sie auch war, gelang es mir doch, ihr eine Kugel zwischen die Rip pen zu setzen, so daß sie sich dreimal überschlug wie ein getroffenes Kaninchen. Sofort schob ich zwei neue Patronen in die Läufe, und während ich das tat, erhob sich die Löwin wieder und schleppte sich auf ihren Vorderpfoten auf mich zu, brüllend und stöhnend, und mit einem Ausdruck einer solchen teuflischen Wut in ihrem Blick, wie ich es noch nie gesehen hatte. Ich schoß sie in die Brust, und sie fiel auf die Seite, nun endgültig tot. Dies war das erste Mal, daß ich ein Paar Löwen mit Schüssen nach links und nach rechts erlegt hatte, und ich habe nie davon gehört, daß ein anderer es ge schafft hätte. Selbstverständlich war ich sehr zufrie
den mit mir, und nachdem ich nachgeladen hatte, ging ich weiter, um nach dem gewaltigen, schwarz mähnigen Löwen zu suchen, der den Kaptein geris sen hatte. Langsam und mit äußerster Vorsicht schritt ich den Hügel hinauf und blickte dabei in jeden Busch und in jeden Strauch. Es war wunderbar auf regend, da ich zu keiner Sekunde sicher sein konnte, ob er mich nicht aus einem Hinterhalt anspringen würde. Ich tröstete mich jedoch mit dem Gedanken, daß ein Löwe nur selten einen Menschen angreift – selten, sagte ich, denn manchmal tut er es, wie Sie gleich sehen werden – falls er nicht in die Enge ge trieben oder verwundet ist. Ich muß fast eine Stunde lang nach diesem Löwen gesucht haben. Einmal glaubte ich, eine Bewegung in einem Stand hohen Tamboukigrases zu sehen, doch war ich mir dessen nicht sicher, und als ich auf das Gras zutrat, konnte ich ihn dort nicht finden. Schließlich erreichte ich den Gipfel des Hügels, der einen cul-de-sac bildete. Er bestand aus einer etwa fünfzig Fuß hohen Felswand. Von dieser rann ein kleiner Wasserfall herab, und vor ihr, so um die sieb zig Fuß entfernt, befand sich eine aufeinanderge türmte Masse von riesigen Steinen, aus deren Spalten Farne, Gräser und verkrüppelte Büsche wucherten. Dieser Steinhaufen war etwa fünfundzwanzig Fuß hoch. Die Seiten des Hügels fielen hier auch sehr steil ab. Ich kam also zu dem Gipfel und blickte mich nach allen Seiten um. Keine Spur von dem Löwen. Entwe der hatte ich ihn weiter unten übersehen, oder aber er war entkommen. Es war zum Verzweifeln, doch drei Löwen waren schließlich auch keine schlechte Strek ke, und ich konnte zufrieden sein. Also machte ich
mich auf den Rückweg, um den Steinhaufen herum, und begann jetzt, die Aufregung und die Strapazen des Tages zu spüren. Ich wußte, daß ich mich noch müder fühlen würde, wenn ich die drei Löwen abge häutet hatte. Als ich, so weit ich es abschätzen konnte, etwa achtzehn Yards jenseits des Steinhaufens war, wandte ich mich um, und warf einen letzten Blick in die Runde. Ich habe zwar ein recht scharfes Auge, konnte jedoch nichts entdecken. Da, plötzlich, sah ich etwas, das mir den Schweiß aus den Poren trieb. Auf dem Gipfel des Steinhau fens, mir direkt gegenüber, stand der riesige Mäh nenlöwe. Er hatte dort niedergekauert gehockt und sich jetzt aufgerichtet. Dort stand er also und peitschte mit dem Schwanz, wie eine lebende Nach bildung des Löwen vor dem Tor des Northumber land House, das ich einmal auf einer Photographie gesehen hatte. Aber er stand nicht lange so. Bevor ich abdrücken konnte – ja noch bevor ich das Gewehr an meine Schulter gerissen hatte – schnellte er sich von dem Felsen ab und flog, getrieben von diesem mäch tigen Sprung, durch die Luft auf mich zu. Mein Gott! Wie großartig er aussah, und wie schrecklich! Hoch in die Luft schnellte er sich und be schrieb einen gewaltigen Bogen. Gerade, als er dessen höchsten Punkt erreichte, feuerte ich. Ich wagte nicht, abzuwarten, denn ich erkannte, daß er die Entfer nung überwinden und direkt auf mir landen würde. Ohne genau zu zielen, fast blindlings, feuerte ich noch einmal, so wie man einen raschen Schuß auf ei ne Sumpfschnepfe abfeuern mag. Die Kugel traf, denn ich hörte deutlich ihren dumpfen Einschlag durch das Rauschen, das der durch die Luft fliegende
Körper des Löwen verursachte. Im nächsten Augen blick wurde ich zu Boden gerissen (glücklicherweise fiel ich in einen niedrigen, von Lianen umrankten Busch, der den Aufprall milderte), und der Löwe war über mir, und seine riesigen, weißen Zähne gruben sich in meinen Oberschenkel – ich hörte, wie sie ge gen den Knochen knirschten. Ich schrie auf vor Schmerz, denn ich fühlte mich nicht im geringsten benommen und glücklich, wie Dr. Livingstone – den ich, nebenbei gesagt, recht gut kannte –, sondern be reitete mich auf den Tod vor. Doch plötzlich löste sich der Biß des Löwen um meinen Oberschenkel; das Tier stand über mich gebeugt, schwankte hin und her, und sein gewaltiges Maul, aus dem Blut strömte, war weit aufgerissen. Dann brüllte er, und sein Brüllen ließ die Felsen erbeben. Hin und her pendelte sein mächtiger Kopf, und plötzlich sank er auf mich herab, wobei er mir die Luft aus den Lungen prellte, und war tot. Meine Ku gel war ihm mitten in die Brust geschlagen und auf der rechten Seite, dicht neben dem Rückgrat, wieder ausgetreten. Die Schmerzen meiner Wunde bewahrten mich da vor, das Bewußtsein zu verlieren, und sobald ich wieder frei atmen konnte, kroch ich unter seinem Gewicht hervor. Gott sei Dank hatten die mächtigen Zähne nicht meinen Oberschenkelknochen zermalmt, doch blutete ich sehr stark, und wenn nicht Tom ge wesen wäre, der gerade zur rechten Zeit eintraf, und mit dessen Hilfe ich das Taschentuch von meinem Handgelenk losband, es um mein Bein schnürte und mit einem Stecken festzog, wäre ich sicher verblutet. Aber das war nicht mehr als der Lohn für die Tor
heit, allein auf eine Löwenfamilie loszugehen. Das Ri siko war zu groß. Seit jenem Tage hinke ich und wer de es bis zum Ende meiner Tage tun; vor allem im Monat März schmerzt die Wunde stark, und alle drei Jahre bricht sie auf. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß ich den Posten Elfenbein bei den Sikukuni nicht erhandelt habe. Ein anderer Mann hat ihn bekommen – ein Deutscher – und nach Abzug der Unkosten fünfhun dert Pfund daran verdient. Ich verbrachte den näch sten Monat auf dem Rücken liegend und war danach für sechs Monate ein Krüppel. So, jetzt habe ich Ihnen die Geschichte erzählt, werde noch einen Schluck Portwein trinken und dann zu Bett gehen. Gute Nacht, meine Freunde, gute Nacht!«
Eine Erzählung von drei Löwen
1
Die Zinsen für zehn Schillinge
Die meisten von Ihnen haben sicher von Allan Qua termain gehört, der zu jener Gruppe gehörte, die vor einiger Zeit die Diamantenminen Salomons entdeck te, und der später nach England kam, um in der Nähe seines Freundes Sir Henry Curtis zu leben. Er ging wieder in die Wildnis zurück, wie es diese alten Jäger unter dem einen Vorwand oder dem anderen fast immer tun.* Sie können die Zivilisation nicht für lan ge ertragen, ihren Lärm und ihre Unrast, und das ständige Gedränge aufgeputzter Menschen belasten ihre Nerven mehr, als die Gefahren der Wildnis. Ich vermute, daß sie sich hier einsamer fühlen, weil es zuwenig verstanden wird, obwohl es oft gesagt wor den ist, daß es keine größere Einsamkeit gibt, als die Einsamkeit in der Masse, ganz besonders für solche, die nicht an sie gewöhnt sind. »Was gibt es Einsame res auf der Welt«, pflegte der alte Quatermain oft zu sagen, »als auf der Straße einer großen Stadt zu ste hen, auf die Schritte zu lauschen, die fallen und fal len, so monoton wie ein Regen, und auf die weißen Gesichter zu starren, die vorübereilen, man weiß * �
Dies wurde natürlich vor Quatermains Bericht über seine Abenteuer in dem von ihm neu entdeckten Land Zu-Vendis ge schrieben, der Sir Henry Curtis und Captain John Good in Eng land erreichte – Der Herausgeber.
nicht, wohin, und man weiß nicht, woher? Sie kom men und gehen, ihre Augen treffen die deinen mit ei nem kalten Starren, für einen Augenblick sind ihre Gesichter einem ins Bewußtsein geprägt, und dann sind sie für immer verschwunden. Du wirst sie nie mals wiedersehen, und sie werden dich niemals wie dersehen; sie treten aus dem Unbekannten und ver schwinden kurz darauf wieder ins Unbekannte und nehmen ihre Geheimnisse mit sich. Ja, das ist Ein samkeit, rein und unverfälscht; doch für einen, der die Wildnis kennt und liebt, ist sie nicht einsam, da der Geist der Natur immer dort ist, um dem Wande rer Gesellschaft zu leisten. Er findet einen Gefährten im Wind – sonnige Bäche spielen wie die Kinder der Natur zu seinen Füßen; hoch über ihm, im purpurnen Licht des Sonnenuntergangs, sind Dome und Mina rette und Paläste, wie sie ein sterblicher Mensch noch niemals erbaut hat, durch deren flammende Portale die Engel der Sonne ständig ein- und auszufliegen scheinen. Und da sind auch die wilden Tiere, die in gewaltigen Armeen zu ihren Weideplätzen ziehen, umtanzt von Springböcken wie von Plänklern; dann Reihe um Reihe langgesichtiger Bleßböcke, die wie Infanterie marschieren und schwenken, und zuletzt die wildäugigen, zottelhaarigen Wildebeest, sozusa gen die Kosakenhorden, die Flankensicherung und Nachhut bilden.« »O nein«, pflegte er zu sagen, »in der Wildnis ist es nicht einsam, denn denke daran, mein Junge: je wei ter du dich von den Menschen entfernst, desto mehr näherst du dich Gott«, und obwohl dies ein Aus spruch ist, über den sich lange diskutieren ließe, ist es doch einer, den, wie ich glaube, jeder sofort verstehen
wird, der die Sonne auf grenzenlosen, verlassenen Ebenen hat auf- und untergehen sehen, der beobach tete, wie die Donnerwagen der Wolken majestätisch über die Weite eines unendlichen Himmels rollen. Nun, auf jeden Fall ist er wieder zurückgegangen, und jetzt haben wir schon seit vielen Monaten nichts mehr von ihm gehört, und, um ehrlich zu sein, be zweifle ich sehr, daß irgend jemand wieder von ihm hören wird. Ich befürchte, daß die Wildnis, die für so lange Jahre seine Mutter gewesen ist, jetzt für ihn auch zum Grab werden wird, für ihn und für jene, die ihn begleitet haben, denn das Abenteuer, zu dem er und sie aufgebrochen sind, ist wahrhaftig ein wag halsiges Unternehmen. Doch während er in England war, in jenen drei Jah ren oder so, zwischen seiner Entdeckung der vergra benen Schätze jenes weisen Königs und dem Tode seines einzigen Sohnes, habe ich den alten Allan Quatermain recht häufig gesehen. Ich hatte ihn zuvor schon viele Jahre in Afrika gekannt, und nachdem er nach Hause zurückgekehrt war, bin ich, wenn ich nichts anderes zu tun hatte, nach Yorkshire hinaufge fahren und für eine Weile bei ihm geblieben, und bei diesen Gelegenheiten hörte ich viele der Geschichten aus seinem langen Leben, von denen einige recht selt sam waren. Kein Mann kann all die Jahre draußen verbringen und das wilde Leben eines Elefantenjä gers führen, ohne viele seltsame Abenteuer zu beste hen, und auf die eine oder die andere Weise hatte der alte Quatermain seinen Anteil davon gehabt. Nun, die Geschichte, die ich Ihnen auf den folgenden Sei ten erzählen will, ist die eines seiner späteren Aben teuer, obwohl ich nicht sagen kann, in welchem Jahr
es sich ereignete. Auf jeden Fall weiß ich jedoch, daß es die einzige Reise war, bei der er seinen Sohn Harry (der inzwischen verstorben ist) mit sich nahm, und daß Harry damals etwa vierzehn Jahre alt war. Und nun zu der Geschichte, die ich, so gut mir das mög lich ist, genauso wiedergeben möchte, wie Jäger Quatermain sie mir eines Abends in dem eichegetä felten Vestibül seines Hauses in Yorkshire erzählt hat. Wir sprachen an jenem Abend über die Goldgräberei ... »Goldgräberei!« rief er sofort; »ah! Ja, einmal habe ich bei Pilgrims' Rest in Transvaal nach Gold gegra ben, und danach hatten wir diese Geschichte mit JimJim und den Löwen. Kennen Sie Pilgrims' Rest? Glauben Sie mir, es ist, oder war zumindest, einer der komischsten kleinen Nester, die es jemals gab. Der Ort selbst lag in einem Tal, auf allen Seiten von Ber gen umgeben, und inmitten einer Szenerie, wie man sie nicht oft zu Gesicht bekommt. Ich kann nicht sa gen, wie oft ich Hacke und Schaufel angewidert hin geworfen und meinen Claim verlassen habe und zwei Meilen oder so zum Gipfel eines Berges gewandert bin. Dort habe ich mich dann im Gras ausgestreckt und über dieses wunderbare Fleckchen Erde geblickt: die lächelnden Täler, die hohen, von Gold bedeckten Berge – mit dem echten Gold des Sonnenuntergangs bedeckt, und in die wallenden Roben des Busches ge kleidet – und in die Tiefe des blauen Himmels ge starrt; ja, und dem Himmel gedankt, daß ich den Flü chen und den groben Witzen der Goldgräber entron nen war, und den Stimmen jener Basutu-Kaffern, die in der sengenden Sonne arbeiteten, ein Anblick, den ich bis heute nicht vergessen habe.
Nun, einige Monate lang grub ich geduldig in mei nem Claim, bis allein der Anblick einer Spitzhacke oder einer Waschpfanne mir übel werden ließ. Hun dertmal pro Tag bereute ich meine Dummheit, acht hundert Pfund, was so ziemlich alles war, das ich zu der Zeit besaß, in diese Goldgräberei gesteckt zu ha ben. Doch wie andere, bessere Männer vor mir war ich vom Goldfieber gepackt worden und sah mich jetzt gezwungen, die Konsequenzen davon zu tragen. Ich hatte einen Claim gekauft, in dem ein Mann ein Vermögen gemacht hatte – fünf- oder sechstausend Pfund zumindest –, und ich hatte ihn billig bekom men, sehr billig; das heißt, ich hatte ihm eine Anzah lung von fünfhundert Pfund gemacht. Das war alles, was ich in einem harten Jahr der Elefantenjagd jen seits des Sambesi verdient hatte, und ich hatte tief und prophetisch geseufzt, als ich sah, wie mein er folgreicher Freund, der ein Yankee war, das Bündel Banknoten mit der überlegenen Art eines Mannes, der sein Glück gemacht hat, zusammenrollte und in die Hosentasche schob. ›Gut‹, sagte ich zu ihm, dem glücklichen Verkäufer, ›es ist ein guter Besitz, und ich hoffe, daß ich genauso viel Glück haben werde wie Sie.‹ Er lächelte, und meinen erregten Nerven kam es vor, als ob er unheilverkündend lächelte, als er mit diesem breiten Yankee-Englisch antwortete: ›Ich möchte sagen, Fremder, da ich kein Mann bin, der ei nem anderen das Essen streitig macht, besonders, wenn es keinen Nachschlag mehr gibt: was den Claim betrifft, so ist er mir ein guter Nigger gewesen; aber unter uns gesagt, Fremder, und von Mann zu Mann, jetzt, da keine schmutzigen Geldangelegen
heiten mehr zwischen uns stehen, die das Gesicht der Wahrheit verschleiern: ich bin der Meinung, daß er so ziemlich ausgebeutet ist!‹ Mir blieb die Luft weg; die Frechheit dieses Kerls war unbeschreiblich. Noch fünf Minuten vorher hatte er mir bei all seinen Göttern geschworen – und diese schienen so zahlreich wie vielfältig zu sein –, daß noch ein halbes Dutzend Vermögen in jenem Claim ruhten, und daß er ihn nur verkaufe, weil er es leid sei, das Gold herauszuschaufeln. ›Nun sehen Sie mich doch nicht so enttäuscht an‹, fuhr er fort. ›Vielleicht ist doch noch ein Rest übrig geblieben; auf jeden Fall sind Sie ein netter Kerl, also ehrlich, und deshalb werden Sie, wie ich glaube, eine wirklich erstklassige Chance haben, Ihr Glück zu ma chen. Auf jeden Fall werden Sie Ihre Armmuskeln stärken, da der Boden ungewöhnlich hart ist, und vor allem werden Sie im Lauf eines Jahres um mehr als diese zweitausend Dollar an Erfahrung reicher sein.‹ Dann ging er, und gerade rechtzeitig, da ich ein paar Sekunden später zugeschlagen hätte, und ich sah ihn nie wieder. Nun, ich machte mich also an die Arbeit an dem alten Claim, und mein Sohn Harry und ein halbes Dutzend Kaffern halfen mir dabei. Und wir schufte ten – mein Gott, wie wir schufteten! – von früh bis spät waren wir dabei –, doch niemals sahen wir auch nur ein Stückchen Gold, nein, nicht einmal ein Nug get, das groß genug war, um eine Krawattennadel daraus zu machen. Der amerikanische Gentleman hatte alles ausgeräumt und uns nur den Dreck hin terlassen. Drei Monate lang ging das so, bis ich schließlich
alles, oder doch so ziemlich alles, was von meinem kleinen Kapital übrig geblieben war, für Lohn und Essen der Kaffern ausgegeben hatte. Wenn ich Ihnen sage, daß Burenmehl manchmal bis zu vier Pfund pro Sack kostete, verstehen Sie vielleicht, daß es nicht lange dauerte, bis der letzte Penny verbraucht war. Schließlich kam es zur Krise. Eines Samstagabends hatte ich die Männer wie gewohnt ausbezahlt und ih nen für sechzig Schillinge einen Eimer Maismehl ge kauft, damit sie sich die Bäuche vollschlagen konnten, und setzte mich anschließend mit meinem Sohn Har ry an den Rand des riesigen Loches, das wir in den Berghang gegraben hatten, und das wir in bitterem Spott ›Eldorado‹ nannten. Dort saßen wir im Mond licht, ließen die Beine in die Grube baumeln und wa ren so melancholisch wie noch nie. Schließlich zog ich meine Geldbörse heraus und leerte ihren Inhalt in meine Hand. Er bestand aus einem halben Sovereign, zwei Florins, und neun Pence in Silber – keine Kup fermünzen, da Kupfermünzen in Afrika praktisch nicht im Umlauf sind, was eins der Dinge ist, die das Leben dort so verteuern –, alles in allem vierzehn Schillinge und neun Pence. ›Sieh her, Harry, mein Junge!‹ sagte ich. ›Das ist unser ganzer weltlicher Besitz; alles andere hat dieses Loch verschlungen.‹ ›Wahrhaftig!‹ sagte Harry. ›Hör zu, Vater, du und ich werden uns bald zusammen mit den Kaffern als Tagelöhner anstellen lassen und von Maispapp leben müssen.‹ Und er kicherte über seinen makabren klei nen Scherz. Doch ich war nicht in der Stimmung für Scherze, denn es ist alles andere als lustig, drei Monate lang wie
ein Sklave zu schuften und davon völlig ruiniert zu werden, besonders, wenn man das Graben haßt, und deshalb mißfiel mir Harrys leichtfertige Bemerkung. ›Halte den Mund, Junge!‹ sagte ich und hob die Hand, als ob ich ihm eine Ohrfeige geben wollte, mit dem Ergebnis, daß der halbe Sovereign aus ihr her ausglitt und in die tiefe Grube fiel. ›Verdammt‹, sagte ich, ›er ist weg.‹ ›Siehst du, Vater‹, sagte Harry, ›das kommt davon, wenn man sich nicht beherrschen kann. Jetzt haben wir nur noch vier Schillinge und neun Pence.‹ Ich antwortete auf diese weisen Worte nicht, son dern kletterte an der steilen Wand der Grube hinab, gefolgt von Harry, um nach meinem kleinen Vermö gen zu suchen. Nun, wir suchten und suchten, doch das Mondlicht ist nicht gerade die beste Beleuchtung, um nach einer Münze zu suchen, und der Boden war aufgewühlt, da die Kaffern gerade an dieser Stelle bis vor zwei Stunden gegraben hatte. Ich nahm eine Spitzhacke und schob mit ihr die Erdklumpen bei seite, in der Hoffnung, die Münze zu entdecken, doch war alles vergebens. Schließlich schlug ich aus reiner Wut die Hacke tief in den harten Boden. Zu meiner Verwunderung verschwand sie bis zum Stiel darin. ›Harry!‹ rief ich, ›hier muß schon mal gegraben worden sein!‹ ›Das glaube ich nicht, Vater‹, antwortete er, ›doch wir werden es ja gleich sehen.‹ Und er begann die Er de mit seinen Händen herauszuschaufeln. ›Oh‹, sagte er kurz darauf, ›es sind nur ein paar Steine; die Spitz hacke ist zwischen ihnen hindurchgefahren. Sieh!‹ und er begann, einen der Steine herauszuziehen. ›Höre, Vater‹, sagte er dann, fast flüsternd, ›er ist
unheimlich schwer. Fühle nur!‹ Er richtete sich auf und reichte mir einen runden, bräunlichen Klumpen, etwa von der Größe eines sehr großen Apfels, den er in beiden Händen hielt. Ich blickte ihn neugierig an und hielt ihn ins Licht. Er war wirklich sehr schwer. Das Mondlicht fiel auf seine rauhe und mit Erde ver klebte Oberfläche, und als ich ihn ansah, wurde ich von einer plötzlichen Erregung gepackt. ›Gib mir dein Messer, Harry‹, sagte ich. Er reichte es mir, und ich hielt den braunen Stein auf mein Knie und kratzte an ihm. Gütiger Himmel, er war weich! Und wenig später wußten wir es: wir hatten ein riesiges Nugget aus reinem Gold gefunden, das vier Pfund wiegen mochte, oder auch mehr. ›Es ist Gold, Junge‹, sagte ich. ›Ich wette darauf, daß es Gold ist!‹ Harry traten fast die Augen aus dem Kopf, als er auf den gelbglänzenden Kratzer starrte, den ich in das jungfräuliche Erz hineingeritzt hatte, und dann stieß er Jubelschreie aus, die laut über die stillen Claims hallten, als ob jemand ermordet würde. ›Sei ruhig!‹ ermahnte ich ihn. ›Oder willst du uns jeden Dieb dieser Felder auf den Hals locken?‹ Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als ich auch schon schleichende Schritte hörte, die sich uns näherten. Sofort legte ich das Nugget zu Boden und setzte mich darauf, was nicht gerade sehr bequem war. Im nächsten Moment beugte sich ein langes, dunkles Gesicht über den Rand des Claims, und ein Paar gieriger Augen starrte zu uns herab. Ich kannte das Gesicht; es gehörte einem Mann von sehr schlechtem Charakter, der als Knüppel-Tom bekannt war, und diesen Namen, wie ich gehört hatte, auf den
Diamanten-Feldern bekommen hatte, weil er dort seinen Partner mit einem Knüppel erschlagen hatte. Er schlich jetzt zweifellos umher wie eine menschli che Hyäne, um zu sehen, was er stehlen konnte. ›Sind Sie es, Jäger Quatermain?‹ fragte er. ›Ja, ich bin es, Mr. Tom‹, antwortete ich höflich. ›Und was war das für ein Schreien?‹ fragte er dann. ›Ich bin gerade ein bißchen spazierengegangen, um die Abendluft zu genießen und den Sternenhimmel zu betrachten, als ich plötzlich einen Schrei nach dem anderen hörte.‹ Ich antwortete nicht. ›Einen Schrei – nach dem anderen‹, wiederholte er mit Nachdruck, ›und ich bin stehengeblieben und ha be mir gesagt: Da geschieht ein Mord! Und dann habe ich weiter gelauscht und mir gedacht: Nein, das ist es nicht; die Schreie sind Freudenschreie; irgend jemand hat seine Finger in einen dicken, gelben Topf gesteckt, möchte ich wetten, und ist übergeschnappt, als er sie ableckte. Nun, Jäger Quatermain, habe ich recht? Sind es Nuggets? Oder gar ...‹ – und er schmatzte laut mit den Lippen – ›große, gelbe Klumpen? Ist es das, wor über Sie eben gestolpert sind?‹ ›Nein‹, sagte ich scharf, ›das ist es nicht‹ – der grausame Glanz in seinen Augen überwand meine Abneigung gegen jede Form der Lüge, denn ich wußte, sobald er herausfand, was es war, worauf ich saß – übrigens habe ich oft gehört, daß in Gold zu schwimmen sehr angenehm sein soll, doch möchte ich niemandem, der die Bequemlichkeit schätzt, emp fehlen, darauf zu sitzen –, alle Aussicht hatte, mit ei nem Knüppel erschlagen zu werden, bevor diese Nacht vorüber war.
›Wenn Sie wirklich wissen wollen, worum es ging, Mr. Tom‹, sagte ich mit größter Höflichkeit, obwohl das Nugget sich schmerzhaft in meinen Hintern drückte – denn ich halte es immer für das beste, ge genüber einem Mann höflich zu sein, der so gut mit einem Knüppel umzugehen versteht –, ›mein Junge und ich hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit, und ich habe ihm sehr deutlich meine Meinung ge sagt, das ist alles.‹ ›Ja, so war es, Mr. Tom‹, sagte Harry und begann zu schluchzen, denn Harry war ein sehr gescheiter Junge und erkannte die Schwierigkeit, in der wir steckten, ›so war es – ich habe geschrien, weil Vater mich geschlagen hat.‹ ›Hast du das, meine lieber Junge – hast du das? Nun, ich muß schon sagen, daß ein ausgeräumter, alter Claim ein recht seltsamer Ort ist, um dort um zehn Uhr nachts zu streiten, und außerdem, mein lie ber Junge, falls ich mich jemals mit dir streiten sollte‹ – und er grinste Harry auf eine widerwärtige Art an –, ›würdest du nicht auf eine so freudige Art schreien. Und jetzt sage ich gute Nacht, da ich eine Familien angelegenheit nicht stören möchte. Nein, die Art Mensch bin ich nicht. Gute Nacht, Jäger Quatermain – und auch dir gute Nacht, mein streitsüchtiger Junge.‹ Damit wandte Mr. Tom sich enttäuscht ab und schlich weiter, ein menschlicher Schakal, um woan ders zu sehen, was er stehlen oder töten könnte. ›Gott sei Dank!‹ stöhnte ich, als ich von dem Gold klumpen herunterglitt. ›Und jetzt, Harry, wirst du hinaufsteigen und nachsehen, ob dieser Erzschurke wirklich gegangen ist.‹ Harry tat es und berichtete mir, daß er in Richtung Pilgrims' Rest verschwunden
sei, und dann machten wir uns an die Arbeit und schaufelten sehr sorgsam, doch vor Erregung zit ternd, mit unseren Händen die ganze Stelle aus, in der die Spitzhacke steckengeblieben war. Ja, so wie ich es erhofft hatte, war dort ein richtiggehendes Nest von Nuggets, zwölf insgesamt, deren Größe von der einer Haselnuß bis zu der eines Hühnereis reichte, obwohl das erste natürlich weitaus größer gewesen war. Wie sie alle dorthin geraten waren, konnte nie mand sagen; es war dies eine dieser unerklärlichen Absonderlichkeiten, von denen alle Menschen, die mit der alluvialen Goldgräberei zu tun haben, ver traut sind. Später stellte sich heraus, daß der Ameri kaner, der mir den Claim verkauft hatte, sein Vermö gen auf dieselbe Art gemacht hatte – sein Fund war nur erheblich größer gewesen, als der unsere –, aus einer einzigen Ablagerung, und anschließend sechs Monate gearbeitet hatte, ohne auch nur einen Krümel Gold zu sehen, worauf er aufgab. Auf jeden Fall, dort waren die Nuggets, und sie hat ten, wie sich später ergab, einen Wert von etwa zwölf hundertfünfzig Pfund, so daß ich schließlich doch vier hundertfünfzig Pfund mehr aus dem Loch herausholte, als ich hineingesteckt hatte. Wir gruben die Nuggets also alle aus, wickelten sie in ein Taschentuch, und da wir Bedenken hatten, einen solchen Schatz nach Hau se zu tragen, besonders, da wir wußten, daß Knüppel-Tom umherschlich, beschlossen wir, die Nacht dort zu verbringen, wo wir waren – eine Notwendig keit, die, so unangenehm sie auch sein mochte, durch die Gegenwart jenes Taschentuches voller jungfräuli chen Goldes wunderbar versüßt wurde – den Zinsen für meinen verlorenen halben Sovereign.
Die Nacht verging sehr langsam, denn aus Furcht vor Knüppel-Tom wagte ich nicht zu schlafen, doch schließlich kam die Dämmerung. Ich erhob mich und sah ihrem Wachsen zu, bis sie schließlich wie eine Blume am östlichen Horizont aufging und die Strah len der Sonne in all ihrer Pracht von einem Berggipfel zum anderen sprangen. Ich sah dem Sonnenaufgang zu, und während ich das tat, kam mir die plötzliche Einsicht, mit einer so vollständigen Überzeugung, wie ich sie nie zuvor gefühlt hatte, daß ich für den Rest meines Lebens vom Goldgraben genug hatte, und ich faßte an Ort und Stelle den Entschluß, Pil grims' Rest zu verlassen und in die Gegend von De lagoa Bay zu gehen, um Büffel zu schießen. Dann wandte ich mich um, weckte Harry, und begann, ob wohl es Sonntag war, zu graben, um zu sehen, ob noch mehr Nuggets da waren. Wie ich vermutet hat te, fand ich jedoch keine mehr. Was wir gefunden hatten, hatte sich in einer Art Tasche befunden, die mit einem Boden angefüllt war, der sich völlig anders anfühlte, als das steinharte Zeug außerhalb dieser Ta sche. Wir entdeckten keine Spur von Gold mehr. Natürlich ist es durchaus möglich, daß es irgendwo in der Nähe noch weitere solcher Taschen voller Nuggets gab, doch hatte ich mich, wie gesagt, ent schlossen, daß nicht ich derjenige sein würde, der nach ihnen suchte; und, nebenbei bemerkt, habe ich gehört, daß dieser Claim inzwischen zwei oder drei Männer ruiniert hat, so wie er beinahe auch mich rui niert hatte. ›Harry‹, sagte ich nach einer Weile, ›ich werde in dieser Woche in die Gegend von Delagoa gehen, um Büffel zu schießen. Soll ich dich mitnehmen oder dich
nach Durban schicken?‹ ›Oh, nimm mich mit, Vater!‹ bat Harry. ›Ich möchte auch ein paar Büffel umbringen.‹ ›Und angenommen, daß der Büffel statt dessen dich umbringt?‹ fragte ich. ›Oh, das macht nichts‹, sagte er lachend, ›von mei ner Sorte gibt es doch jede Menge.‹ Ich wies ihn wegen dieser losen Bemerkung zu recht, erklärte mich schließlich jedoch bereit, ihn mit zunehmen.
2
Was in dem Bassin gefunden wurde
Etwa zwei Wochen waren vergangen seit jenem Abend, an dem ich den halben Sovereign verloren und bei der Suche nach ihm zwölfhundertfünfzig Pfund gefunden hatte, und statt der entsetzlichen Grube, für die sich ›Eldorado‹ schließlich doch nicht als ein so falscher Name erwiesen hatte, breitete sich jetzt vor uns eine andere Szenerie aus, die in das sil berne Licht des Mondes gekleidet war. Wir – Harry und ich, zwei Kaffern, ein Wagen und sechs Ochsen – lagerten an dem schwellenden Hang einer großen Welle buschbewachsenen Landes. An der Stelle, an der wir lagerten, war der Busch jedoch ziemlich dünn und wuchs nur in einzelstehenden Gruppen, wäh rend da und dort flachkronige Mimosenbäume stan den. Zu unserer Rechten floß ein kleiner Bach, der sich ein tiefes Bett in den Hang gegraben hatte, plät schernd zwischen grünen, mit Frauenhaar, wildem Spargel und vielen Arten wunderschöner Gräser be standenen Ufern. Die Felsen hier waren roter Granit, und das Wasser hatte in Jahrhunderten geduldigen Schleifens einige der in seinem Weg liegenden, ge waltigen Platten zu riesigen Trögen und Bassins aus gehöhlt, und diese benutzten wir als Bäder. Keine der römischen Damen mit ihren Bädern aus Porphyr und Alabaster konnte sie so genossen haben wie wir jene, die wir in einer Entfernung von fünfzig Yards von unserem Lager fanden, einer rohen Einfriedung aus Mimosendornen, die wir um den Wagen gezogen
hatten, um uns vor den Angriffen von Löwen zu schützen. Es waren mehrere dieser Tiere in der Nähe, wie ich aus ihren Spuren erkannte, obwohl wir noch keines gehört oder gesehen hatten. Unser Bad befand sich in einer kleinen Biegung des Baches, wo die Strömung das Ufer unterspült hatte, und an deren Ufer ein herrlicher Mimosenbaum stand. Unterhalb dieses Baums lag eine riesige Gra nitplatte, deren Ränder ringsherum mit Frauenhaar und anderen Farnen bewachsen waren, und die zu einem Bassin reinsten, klarsten Wassers abfiel, einer ausgewaschenen Granitschüssel, die etwa zehn Fuß weit und in ihrer Mitte fünf Fuß tief sein mochte. Dorthin gingen wir jeden Morgen, um zu baden, und dieses herrliche Bad gehört zu meinen schönsten Jag derinnerungen, und auch, aus Gründen, die ich spä ter erklären werde, zu meinen schmerzlichsten. Es war eine wunderbare Nacht. Harry und ich sa ßen an der Windseite des Feuers, an dem die beiden Kaffern gerade damit beschäftigt waren, die Steaks eines Impalabocks zu braten, den Harry, zu seinem großen Stolz, an jenem Vormittag erlegt hatte, und waren so rundum zufrieden mit uns selbst und der Welt um uns herum, wie es zwei Menschen nur sein können. Die Nacht war wunderbar, und es brauchte jemanden, der einen größeren Wortschatz besitzt, als ich ihn habe, um die strenge Majestät jener mondbe schienenen Wildnis zu beschreiben. Weiter und im mer weiter, dem geheimnisvollen Norden zu, rollte der große Busch-Ozean, über dem absolute Stille lag. Unterhalb von uns, etwa eine Meile oder so nach rechts, strömte der ungebändigte Oliphant-Fluß, und seine Wasser reflektierten wie ein Spiegel das Licht
des Mondes, dessen silberne Speere auf seiner Brust erzitterten und dann in weiten, breiten Bahnen von Licht auf die Berge und die Ebene zurückgeworfen wurden. Unten, an den Ufern des Flusses, wuchsen riesige Bäume, die in der Stille himmelwärts deute ten, und die Schönheit der Natur ruhte auf ihnen wie eine Wolke. Überall war Stille – Stille in der sternen übersäten Tiefe des Himmels, Stille am Busen der schlafenden Erde. Jetzt, wenn überhaupt, mochten große Gedanken aus dem Gehirn eines Menschen aufsteigen, und für einen kurzen Augenblick mochte er seine Kleinheit vergessen, in dem Sinne, daß er ein Teil der reinen Immensität um sich herum war. ›Höre! Was war das?‹ Aus der Ferne, vom Ufer des Flusses, erklang ein Brüllen, und dann noch eines, und noch eines. Es wa ren Löwen, die ihr Fleisch suchten. Ich sah, wie Harry erschauerte und ein wenig blaß wurde. Er war ein recht tapferer Junge, doch wenn man das Brüllen von Löwen im nächtlich-stillen Busch-Veldt zum ersten Male hört, kann das die Ner ven eines jeden Jungen erschüttern. ›Das sind Löwen, Harry‹, sagte ich; ›sie jagen dort unten beim Fluß, aber ich glaube nicht, daß du dich darüber beunruhigen mußt. Wir sind jetzt seit drei Nächten hier, und falls sie vorgehabt hätten, uns ei nen Besuch abzustatten, wären sie bestimmt längst hergekommen. Wir wollen jedoch für alle Fälle das Feuer warmhalten.‹ Ich wandte mich an die beiden Kaffern. ›Hört zu, Pharao und Jim-Jim! Holt noch mehr Holz, bevor ihr schlafen geht, sonst werden die Katzen um eure Häl se schnurren, bevor der Morgen graut!‹
Pharao, ein großer, muskulöser Swazi, der schon in Pilgrims' Rest bei mir gearbeitet hatte, lachte, stand auf und reckte sich, dann rief er Jim-Jim zu, eine Axt und einen Riemen zu bringen und ging durchs Mondlicht auf ein Dickicht von Zuckerbusch zu, in dem wir bisher unser Brennholz geschlagen hatten. Er war auf seine Art ein prächtiger Bursche, dieser Pharao, und ich vermute, daß er zu seinem Namen gekommen war, weil er einen ägyptischen Gesichts schnitt besaß und eine Art königliche Haltung. Doch war sein Verhalten ein wenig seltsam, wegen seiner unberechenbaren Stimmungen, und nur wenige Menschen konnten mit ihm auskommen; außerdem neigte er dazu, wenn er Alkohol fand, wie ein Fisch zu trinken, und wenn er betrunken war, wurde er er schreckend blutrünstig. Dieses waren seine schlech ten Eigenschaften; seine guten bestanden darin, daß er, wie die meisten Menschen von Zulu-Geblüt, wenn er sich einem Menschen überhaupt anschloß, absolut loyal war; er war ein hart arbeitender und intelligen ter Mann, und einer der mutigsten Burschen, die ich jemals kennengelernt habe. Er war etwa fünfunddrei ßig Jahre alt, jedoch kein ›Keshla‹, oder beringter Mann. Ich vermute, daß er in Swaziland irgendwie in Schwierigkeiten geraten war und die Oberen seines Stammes ihm nicht gestatteten, den Ring zu tragen, was sicher auch der Grund dafür war, daß er Arbeit auf den Goldfeldern gesucht hatte. Der andere Mann, oder Junge, besser gesagt, Jim-Jim, war ein MapochKaffer, oder Knollennase, und selbst im Licht der fol genden Ereignisse kann ich nicht viel Gutes über ihn sagen. Er war ein fauler und leichtsinniger junger Bursche, und erst an diesem Morgen hatte ich Pharao
befehlen müssen, ihn zu verprügeln, weil er die Och sen hatte weglaufen lassen, was Pharao mit größter Freude tat, obwohl er Jim-Jim sehr mochte. Tatsäch lich sah ich später, wie er Jim-Jim mit einer Prise Ta bak tröstete und ihm erklärte, daß er, wenn er wieder den Befehl erhielte, ihn zu verprügeln, die andere Hand benutzen würde, so daß er quer über die alten Striemen schlagen und ›hübsche Muster‹ auf seinem Rücken machen würde. Nun, sie zogen also los, obwohl es Jim-Jim gar nicht gefiel, das Lager um diese Stunde verlassen zu müs sen, selbst wenn der Mond so hell schien, und wenig später kehrten sie gesund und munter mit einem gro ßen Bündel Brennholz zurück. Ich lachte Jim-Jim aus und fragte ihn, ob er draußen irgend etwas gesehen hätte, und er sagte, ja, er habe zwei große, gelbe Augen gesehen, die ihn aus einem Busch hervor angestarrt hätten, und er habe irgend etwas schnarchen gehört. Da sich bei näherer Befragung jedoch herausstellte, daß die gelben Augen und das Schnarchen allein in Jim-Jims Phantasie existiert zu haben schien, war ich von seinem alarmierenden Bericht nicht allzu sehr beeindruckt, sondern ging mit Harry an meiner Seite ruhig schlafen, nachdem ich dafür gesorgt hatte, daß das Feuer neu angefacht worden war. Einige Stunden später fuhr ich erschrocken auf. Ich weiß nicht, was mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Der Mond war untergegangen und zumindest hinter dem Horizont aus Busch verborgen, so daß nur noch sein roter Rand hervorsah. Außerdem war ein Wind aufgekommen und trieb lange, eilige Wolken über den sternenbesäten Himmel, und die Stimmung des Lichts hatte sich völlig verändert. Nach dem Ausse
hen des Himmels schätzte ich, daß es etwa zwei Stunden vor Tagesanbruch sein mußte. Die Ochsen, die wie üblich an die Deichsel des Wa gens gebunden waren, zeigten starke Unruhe – sie schnaubten und bliesen, standen auf und zerrten an ihren Stricken, so daß ich sofort vermutete, daß sie etwas wittern mußten. Und dann wußte ich, was sie witterten, denn etwa fünfzig Yards von uns entfernt brüllte ein Löwe, nicht sehr laut, doch laut genug, um mein Herz im Halse schlagen zu lassen. Pharao schlief auf der anderen Seite des Wagens, und als ich zu ihm hinüberblickte, sah ich, wie er den Kopf hob und lauschte. ›Löwe, Inkoos‹, flüsterte er. ›Löwe.‹ Jim-Jim sprang auf, und selbst bei dem schwachen Licht konnte ich erkennen, daß er sehr große Angst hatte. Da ich der Meinung war, daß es gut wäre, für alle Fälle vorbereitet zu sein, befahl ich Pharao, mehr Holz aufs Feuer zu werfen und weckte Harry, der, wie ich glaube, noch friedlich geschlafen hätte, wenn die Welt untergegangen wäre. Er war anfangs ein wenig verängstigt, doch dann siegte die Spannung dieser erregenden Situation, und er war begierig, dem König der Tiere von Angesicht zu Angesicht ge genüberzustehen. Ich holte mir mein Gewehr und gab Harry das seine – ein Westly Richards mit Fall block-Verschluß, eine sehr gute Waffe für einen Jun gen, da sie leicht und doch recht wirkungsvoll ist – und dann warteten wir. Eine lange Zeit geschah nichts, und ich überlegte mir schon, ob wir nicht wieder schlafen gehen sollten, als ich plötzlich ein Geräusch hörte, das mehr wie ein
Husten klang als ein Brüllen, und in einer Entfernung von etwa zwanzig Yards von unserem Lager. Wir alle blickten in die Richtung, konnten jedoch nichts er kennen, und dann folgte eine weitere Periode ange spannten Wartens. Es war sehr belastend für unsere Nerven, dieses Warten auf einen Angriff, der aus je der Richtung erfolgen konnte – oder aber überhaupt nicht kommen mochte, und obwohl ich ein alter Hase in Situationen dieser Art bin, hatte ich doch Sorge um Harry, denn es ist sonderbar, wie sehr die Anwesen heit eines Menschen, an dem man hängt, einen in Augenblicken der Gefahr entnerven kann. Ich habe es damals erlebt, denn obwohl es recht kühl geworden war, konnte ich den Schweiß über meine Nase rinnen fühlen, und um mich von einer inneren Anspannung abzulenken, beschäftigte ich mich damit, einen Käfer zu beobachten, der anscheinend vom Licht des Feuers angelockt worden war und nun davor saß und nach denklich seine Fühler gegeneinander rieb. Plötzlich schienen die Ochsen, die für einen Mo ment stockstill gestanden hatten, den Löwen zu wit tern, und dann taten sie das, was ich befürchtete: sie ›skrekten‹, das heißt, sie versuchten, sich von ihren Stricken loszureißen und in panischer Angst in die Wildnis zu laufen. Löwen ist diese Verhaltensweise von Ochsen bekannt, die, wie ich glaube, die dümm sten Tiere unter der Sonne sind, und im Vergleich zu denen ein Schaf ein wahrer Salomon ist; und es ist durchaus nicht ungewöhnlich, daß ein Löwe sich in eine solche Position begibt, daß eine Herde oder ein Gespann von Ochsen ihn wittern muß, skrekt, die Haltestricke zerreißt, und in den Busch flüchtet. Na türlich sind sie dann in der Dunkelheit völlig hilflos,
und der Löwe sucht sich einen heraus, der ihm am besten gefällt und frißt ihn in aller Ruhe. Unsere sechs armen Ochsen fuhren in ihrer Panik herum und herum und rissen uns dabei beinahe zu Boden; in der Tat, wenn wir nicht eilig aus dem Weg gesprungen wären, hätten sie uns zertrampelt, oder doch zumindest schwer verletzt. Dennoch wurde Harry zu Boden gestoßen, und dem armen Jim-Jim geriet einer der Stricke unter den Arm, und als der sich straffte, wurde er quer durch das Lager ge schleudert und landete nur wenige Schritte neben mir auf dem Boden. Mit einem harten Krachen brach die Deichsel des Wagens unter der Belastung der gegeneinander wir kenden Kräfte. Wenn sie nicht gebrochen wäre, hätte es den Wagen umgerissen. Im nächsten Augenblick waren Ochsen, Wagen, Stricke, die gebrochene Deich sel und alles andere zu einem riesigen, wogenden, stoßenden, brüllenden und scheinbar unentwirrbaren Knäuel verstrickt. Für eine kurze Weile wurde meine Aufmerksam keit durch dieses Durcheinander von dem Löwen ab gelenkt, der es verursacht hatte, doch während ich mich fragte, was um alles in der Welt ich dabei tun konnte, und wie wir weiterkommen sollten, wenn die Ochsen sich losrissen, in den Busch rannten und ver loren gingen – denn Ochsen, die auf eine solche Wei se in Panik geraten, laufen weite Strecken –, wurde ich auf eine sehr schmerzhafte Weise wieder an den Löwen erinnert. Denn in diesem Augenblick sah ich im Licht der Flammen eine Art gelben Glanz, der durch die Luft auf uns zuschoß.
›Der Löwe! Der Löwe!‹ schrie Pharao, und in die sem Augenblick sprang er – oder vielmehr sie, denn es war eine riesige, hagere Löwin, die zweifellos vor Hunger wild geworden war – genau in die Mitte un seres Lagerplatzes und stand dort in dem rauchge schwängerten Dämmerlicht, peitschte mit ihrem Schwanz und brüllte. Ich riß mein Gewehr hoch und feuerte, doch in dem Durcheinander, meiner Aufre gung und bei dem unsicheren Licht verfehlte ich sie und hätte um ein Haar Pharao getroffen. Das Mün dungsfeuer des Gewehrs warf ein grelles Licht auf die Szene, und ich darf Ihnen sagen, daß es eine sehr wilde Szene war, mit der Masse der Ochsen, die um den Wagen tobten, so dicht ineinander verkeilt, daß es aussah, als ob ihre Köpfe aus Hintervierteln wüch sen, und ihre Hörner aus Rücken; das rauchende Feuer, das nur ein Lichtpunkt in dem dichten Qualm war, Jim-Jim auf dem Boden, wohin ihn die Ochsen in ihrer Panik geschleudert hatten, und wo er in seiner Panik liegengeblieben war, und im Zentrum dieses Bildes stand die große, hagere Löwin, starrte mit hungrigen, gelben Augen umher, und brüllte und knurrte, als ob sie sich nicht entscheiden könne, was sie tun sollte. Sie brauchte jedoch nicht lange dazu, nicht länger, als ein Blitz dazu braucht, im Dunkel zu erlöschen, denn bevor ich noch einmal feuern oder sonst etwas tun konnte, sprang sie den armen Jim-Jim an. Ich hörte den unglücklichen Jungen aufschreien, und fast im gleichen Augenblick sah ich, wie seine Beine in die Luft geworfen wurden. Die Löwin hatte ihn im Genick gepackt und mit einer heftigen Kopf bewegung seinen Körper über ihren Rücken gewor
fen, so daß seine Beine auf der anderen Seite herab hingen.* Dann, ohne das geringste Zögern, und an scheinend ohne jede Schwierigkeit, sprang sie mit ei nem einzigen Satz über den Dornenzaun und ver schwand mit dem armen Jim-Jim in der Dunkelheit, in Richtung des Badeplatzes, den ich bereits be schrieb. Wir waren alle wie gelähmt vor Entsetzen und Angst, rannten ihr nach und feuerten hinter ihr her, in der Hoffnung, daß sie sich erschrecken und ih re Beute fahren lassen würde, doch konnten wir nichts hören und nichts sehen. Die Löwin ver schwand in der Dunkelheit und nahm Jim-Jim mit sich, und jeder Versuch, sie vor Tagesanbruch zu ver folgen, wäre Irrsinn gewesen. Also krochen wir ängstlichen und schweren Her zens zurück und setzten uns, um auf die Morgen dämmerung zu warten, die jetzt nicht mehr als eine Stunde entfernt sein konnte. Bis dahin war es auch absolut unsinnig, die Ochsen auseinanderzuziehen und aus den Trümmern entwirren zu versuchen, also blieb uns nichts anderes übrig, als herumzusitzen und uns zu fragen, wie es kam, daß der eine genom men und der andere verschont geblieben war, und gegen alle Hoffnung zu hoffen, daß unser armer JimJim aus den Fängen der Löwin errettet werden mochte. Endlich stahl sich das erste Morgendämmern wie *
Ich habe selbst erlebt, wie ein Löwe einen zweijährigen Ochsen auf diese Weise über eine vier Fuß hohe Steinmauer gebracht und ihn dann eine Meile weit in den Busch geschleppt hat. Er wurde schließlich mit Strychnin vergiftet, das in den Kadaver dieses Ochsen gestreut wurde, und ich besitze noch immer sei ne Pranken. – Der Herausgeber.
ein Dieb über den langen, buschbewachsenen Hang, und glänzte auf den ineinander verkeilten Hörnern der Ochsen. Mit bleichen und ängstlichen Gesichtern standen wir auf, um Ochsen und Stricke zu entwir ren, bis es hell genug sein würde, um der Spur der Löwin folgen zu können, die Jim-Jim fortgeschleppt hatte. Und hier ergab sich für uns eine neue Schwie rigkeit, denn als es uns endlich gelungen war, das letzte der großen, hilflosen Tiere zu befreien, stellten wir fest, daß das beste von ihnen sehr krank war. Es war kein Irrtum möglich, als wir es so stehen sahen, die Beine weit gespreizt, und mit hängendem Kopf. Es war Blutharnen*, dessen war ich sicher. Von allen Schwierigkeiten, die mit dem Leben und dem Reisen in Südafrika verbunden sind, war dies vielleicht die schlimmste. Der Ochse ist das frustrierendste Tier auf der Welt (nur Neger können schlimmer sein). Er hat absolut keine Konstitution, und er läßt keine Gele genheit aus, irgendeiner mysteriösen Krankheit zum Opfer zu fallen. Ein Ochse magert bei dem geringsten Anlaß bis zum Skelett ab und stirbt aus Trotz an ›Unterernährung‹, während sein größter Spaß darin besteht, stehenzubleiben und das Ziehen zu verwei gern, wenn immer er sich in der Mitte eines Flusses befindet, oder wenn ein Wagenrad schön fest in ei nem Loch steckt. Wenn Sie ihn nur ein paar Meilen weit über rauhes Land treiben, fängt er an zu lahmen; lassen Sie ihn frei, damit er grasen kann, läuft er weg, oder wenn er nicht wegläuft, frißt er aus lauter Bös artigkeit irgendwelches Zeug, mit dem er sich ver giftet. Irgend etwas ist immer mit ihm nicht in Ord *
Piroplasmose
nung. Der Ochse ist eine Bestie. Es paßte genau zu seinem normalen Verhalten, daß dieser, wahrschein lich aus purem Trotz Blutharnen bekam, gerade als ein Löwe mit seinem Treiberjungen verschwunden war. Es war genau das, was ich erwartet hatte, und darum war ich weder enttäuscht, noch überrascht. Aber es hatte keinen Sinn, zu weinen, wie ich es fast getan hätte, denn wenn ein Ochse dieses Fieber hatte, war es mehr als wahrscheinlich, daß die ande ren es ebenfalls hatten, obwohl sie mir als ›gesalzen‹ verkauft worden waren, das heißt, gegen solche Übel wie Blutharnen und Lungenkrankheit gefeit. In Süd afrika gewöhnt man sich im Laufe der Zeit an diese Dinge, denn ich vermute, daß in keinem anderen Lande der Welt das Leben von Tieren so billig ist. Also nahm ich mein Gewehr und sagte Harry, daß er mir folgen solle (wir mußten Pharao zurücklassen, damit er sich um die Ochsen kümmerte – Pharaos schlanke Kühe, nannte ich sie) und brach auf, um zu sehen, ob irgend etwas entdeckt werden konnte, das sich auf den armen Jim-Jim bezog. Der Boden um un ser kleines Lager war hart und felsig, und wir konn ten keine Fährte der Löwin entdecken, fanden jedoch unmittelbar außerhalb unseres Dornenzauns ein paar Blutstropfen. Etwa dreihundert Yards vom Lager ent fernt und ein wenig nach rechts, stand ein Zucker buschdickicht, vermischt mit den üblichen Mimosen, und darauf ging ich zu, da ich glaubte, die Löwin könnte ihre Beute dorthin verschleppt haben, um sie zu fressen. Also schritten wir durch das hohe Gras, das von dem Gewicht des Taus niedergedrückt wur de. Innerhalb von zwei Minuten waren wir bis zu den Oberschenkeln durchnäßt, als ob wir durch Wasser
gegangen wären. Kurz darauf erreichten wir jedoch dieses Dickicht und drangen im grauen Licht des Morgens hinein. Es war sehr dunkel unter den Bäu men, denn die Sonne war noch nicht aufgegangen, und so drangen wir mit äußerster Vorsicht weiter vor und erwarteten in jeder Sekunde, auf die Löwin zu stoßen, die die Knochen des armen Jim-Jim ableckte. Doch sahen wir keine Löwin, und was Jim-Jim betraf, so fanden wir nicht einmal einen Fingerknöchel von ihm. Offensichtlich waren sie nicht hierhergekom men. Wir drängten uns weiter durch den Busch und suchten alle möglichen Stellen ab, doch mit dem glei chen Resultat. ›Ich nehme an, daß sie ihn ziemlich weit ver schleppt hat‹, sagte ich schließlich niedergedrückt. ›Auf jeden Fall ist er jetzt tot, also mag Gott seiner armen Seele gnädig sein, wir können ihm nicht mehr helfen. Was sollen wir jetzt tun?‹ ›Ich meine, wir sollten uns in dem Bassin waschen und dann etwas essen. Ich bin dreckig‹, erklärte Harry. Dies war ein äußerst praktischer, wenn auch etwas gefühlloser Vorschlag. Auf jeden Fall kam es mir recht gefühllos vor, vom Waschen zu sprechen, wenn der arme Jim-Jim gerade irgendwo in der Nähe ge fressen wurde. Doch ließ ich mich nicht von meinen Gefühlen überwältigen, und wir gingen zu dem herr lichen Platz, den ich beschrieben habe, um zu baden. Ich war der erste, der ihn erreichte, und stieg das farnbewachsene Ufer hinab. Doch plötzlich fuhr ich herum und schrie auf – und dazu hatte ich auch allen Grund, denn beinahe zu meinen Füßen ertönte ein wütendes Knurren.
Ich war um ein Haar der Löwin auf den Rücken getreten, die auf jener Felsplatte geschlafen hatte, auf der wir immer standen, wenn wir uns nach dem Ba den abtrockneten. Bevor ich irgend etwas tun konnte, bevor ich auch nur die Hähne meines Gewehrs span nen konnte, machte sie einen langen Satz über das kristallklare Bassin und verschwand am gegenüber liegenden Ufer. Alles geschah in einer einzigen Se kunde, so schnell wie ein Gedanke. Sie hatte auf der Steinplatte gelegen, und – o nein! – was war das, was neben ihr gelegen hatte? Es waren die Reste des armen Jim-Jim, die auf dem blutver schmierten Felsen lagen. ›Oh, Vater, Vater!‹ schrie Harry, ›sieh doch ins Wasser!‹ Ich tat es. Dort, mitten in dem herrlichen, stillen Bassin, trieb Jim-Jims Kopf. Die Löwin hatte ihn glatt abgebissen, und er war über die schräge Steinplatte ins Wasser gerollt.
3
Jim-Jim wird gerächt
Wir haben nie wieder in dem Bassin gebadet; es war mir unmöglich, auf dieses klare, von Farnen umwachsene Wasser zu schauen, ohne an den schrecklichen Anblick des abgebissenen Kopfes denken zu müssen, der durch das Wasser rollte, als wir versuchten, ihn zu ergreifen. Der arme Jim-Jim! Was von ihm übrig geblieben war – es war nicht viel – begruben wir in einem alten Brotsack, und obwohl seine Tugenden zu seinen Leb zeiten nicht gerade erhebend gewesen waren, jetzt, wo er tot war, hätten wir über ihn weinen mögen. Harry weinte tatsächlich, während Pharao auf Zulu vor sich hinfluchte, und ich schwor mir, daß ich das Tageslicht in diese Löwin hineinlassen würde, bevor ich achtundvierzig Stunden älter geworden war. Nun, wir begruben ihn, und dort liegt er nun in dem Brotsack (den ich ihm später etwas mißgönnte, da er der einzige war, den wir hatten), wo keine Lö wen ihm mehr etwas anhaben können – höchstens die Hyänen, da genügend von ihm übriggeblieben war, daß sich das Ausgraben lohnte. Doch das wird ihm nichts mehr ausmachen, und damit ist das Buch über Jim-Jim geschlossen. Die Frage war nun, wie wir seine Mörderin stellen konnten. Ich war sicher, daß sie zurückkommen würde, wenn sie wieder hungrig war, aber ich wußte nicht, wann sie wieder hungrig sein würde. Sie hatte genug von Jim-Jim gefressen, daß ich kaum erwarte te, sie in der kommenden Nacht wiederzusehen –
falls sie nicht Junge haben sollte. Trotzdem hielt ich es für klüger, mit ihrem Wiederkommen zu rechnen, al so machten wir uns daran, die nötigen Vorbereitun gen für ihren Empfang zu treffen. Als erstes ver stärkten wir den Schutzzaun um das Lager, indem wir eine ziemlich große Menge Kronen von Dorn bäumen heranschleppten, die wir auf eine solche Art nebeneinanderlegten, daß die Dornen nach außen wiesen. Dies schien mir nach den Erfahrungen der letzten Nacht und dem Tode Jim-Jims eine sehr not wendige Vorsichtsmaßnahme zu sein, denn wo eine Ziege hinüberspringen kann, können es auch andere, wie die Kaffern sagen, und um wieviel mehr ist das der Fall, wenn es um ein so aktives und kraftvolles Tier wie den Löwen geht! Und jetzt kam die nächste Frage: wie konnten wir die Löwin dazu bringen, wie der herzukommen? Löwen sind eigenartige Tiere und haben ein seltsames Talent dafür, immer dann zu er scheinen, wenn ihre Anwesenheit nicht erwünscht ist, sich aber niemals blicken zu lassen, wenn man auf sie wartet. Natürlich war es möglich, daß sie an Jim-Jim Gefallen gefunden hatte und zurückkommen würde, um zu sehen, ob noch mehr von seiner Sorte da wa ren, doch darauf konnte man sich nicht verlassen. Harry, der, wie ich bereits erwähnte, ein überaus praktisch veranlagter Bursche war, schlug Pharao vor, daß er hinausgehen und sich außerhalb des Zauns ins Mondlicht setzen sollte, als eine Art Köder, wobei er ihm versicherte, daß er nichts zu befürchten habe, denn ganz bestimmt würden wir die Löwin tö ten, bevor sie ihn töten könnte. Seltsamerweise schien Pharao dieser Vorschlag nicht sehr zu gefallen. Er stelzte beleidigt davon und war böse auf Harry, daß
er ihm so etwas zugemutet hatte. Ich kam durch ihn jedoch auf eine Idee. ›Bei Gott!‹ sagte ich, ›da ist doch dieser kranke Ochse. Früher oder später wird er ohnehin sterben, also kann er uns vorher noch nützlich sein.‹ Etwa dreißig Yards links von unserem Lager, han gabwärts in Richtung Fluß, stand der angekohlte Stumpf eines Baumes, der vor vielen Jahren vom Blitz getroffen worden war, und davor, etwa gleich weit von ihm und vom Lagerzaun entfernt, befanden sich zwei dichte Gebüsche. Das war eine ideale Stelle, um den Ochsen anzu binden, und so wurde das kranke Tier kurz vor Son nenuntergang von Pharao hinausgeführt und dort festgebunden, und wir begannen eine lange Wache, diesmal ohne ein Feuer, denn wir hatten ja vor, die Löwin anzulocken, und nicht, sie zu verjagen. Stunde um Stunde warteten wir und hielten uns wach, indem wir einander kniffen (es ist übrigens bemerkenswert, was für eine Meinungsverschieden heit bezüglich der notwendigen Stärke des Kneifens zwischen Kneifer und Gekniffenem besteht), aber keine Löwin ließ sich blicken. Schließlich ging der Mond unter, und die Dunkelheit verschlang die Welt, wie die Kaffern sagen, doch kein Löwe kam, um uns zu verschlingen. Wir warteten bis zum Morgengrau en, weil wir nicht wagten, schlafen zu gehen, und dann, schließlich, mit vielen schlechten Gedanken in unseren Herzen, versuchten wir, uns auszuruhen, so gut es eben ging, doch sehr gut ging es nicht. An jenem Vormittag gingen wir auf die Jagd, nicht, weil wir Lust dazu hatten, dazu waren wir viel zu niedergeschlagen und zu müde, sondern weil wir kein
Fleisch mehr hatten. Drei Stunden oder länger zogen wir in glühender Hitze umher und suchten nach etwas, das wir schießen konnten, aber ohne jedes Ergebnis. Aus irgendeinem unbekannten Grund war das Wild in diesem Gebiet selten geworden, obwohl es noch zwei Jahre zuvor, als ich dort gewesen war, alle nur vor stellbaren Wildarten gegeben hatte, mit Ausnahme von Nashörnern und Elefanten. Allein die Löwen waren ge blieben, und ich vermute, es war der Umstand, daß das Wild, von dem sie lebten, vorübergehend abgezogen war, der sie so mutig und angriffslustig gemacht hatte. Im allgemeinen ist der Löwe nämlich ein recht friedli ches Tier, solange man ihn in Ruhe läßt, doch ein hung riger Löwe ist fast so gefährlich wie ein hungriger Mensch. Man hört eine ganze Reihe unterschiedlicher Meinungen darüber, ob der Löwe ein besonders mu tiges Tier sei oder nicht, doch nach meiner Erfahrung hängt das vor allem vom Zustand seines Magens ab. Ein hungriger Löwe läßt sich nicht so leicht abschrek ken, während ein satter beim geringsten Anlaß flieht. Nun, wir suchten überall, fanden jedoch nichts, nicht einmal einen Duiker-, oder Buschbock, und schließlich, völlig ermüdet und mißgelaunt, machten wir uns auf den Rückweg zum Lager und mußten dazu die Kuppe eines recht steilen Hügels überstei gen. Und gerade, als ich ihren höchsten Punkt er reichte, blieb ich wie angewurzelt stehen, denn dort, etwa sechshundert Yards links von mir, seine wun derbaren, gekrümmten Hörner ein bizarres Muster von dem sanften Blau des Himmels, sah ich einen herrlichen Kudu-Bullen* stehen. Selbst auf diese Ent *
Strepsiceros kudu
fernung – denn wie Sie wissen, sind meine Augen sehr scharf – konnte ich deutlich die weißen Streifen auf seiner Flanke sehen, und seine langen, spitz zu laufenden Ohren, die zuckten, um die lästigen Flie gen zu verjagen. So weit, so gut; aber wie sollten wir an ihn heran kommen? Es war lächerlich, einen Schuß auf diese Entfernung zu versuchen, doch sowohl der Boden als auch der Wind waren sehr ungünstig zum Heranpir schen. Die einzige Möglichkeit schien mir darin zu bestehen, einen Bogen von mindestens einer Meile zu schlagen, um von der anderen Seite an das Kudu her anzukommen. Ich winkte Harry neben mich und er klärte ihm, was ich für das beste Vorgehen hielt, als das Kudu uns alle weiteren Mühen abnahm, indem es plötzlich den Hang hinabzurasen begann, wie eine gezündete Rakete. Ich weiß nicht, was es erschreckt hat, wir waren es auf jeden Fall nicht. Vielleicht war eine Hyäne oder ein Leopard – ein ›Tiger‹, wie wir ihn dort nennen – plötzlich aufgetaucht. Auf jeden Fall raste es los und lief dabei ein wenig in unsere Richtung, und noch nie hatte ich einen Bock schneller laufen sehen. Ich fürchte, daß ich Harrys Gegenwart vergessen und recht harte Worte gebraucht habe, und dafür gibt es wahrlich eine Entschuldigung. Was Harry anging, so stand er reglos und beobachtete das prächtige Tier. Kurz darauf verschwand es hinter ei nem dichten Gehölz, um wenige Sekunden später et wa fünfhundert Schritte von uns entfernt auf einem relativ ebenen, mit Felsblöcken bestreuten Gelände wieder aufzutauchen. Weiter lief es, setzte über die auf seinem Weg liegenden Felsen mit mächtigen Sprüngen hinweg, die herrlich anzusehen waren. Als
ich es bewundernd anblickte, wandte ich mich zufäl lig Harry zu und sah zu meiner Verblüffung, daß er sein Gewehr in die Schulter gezogen hatte. ›Du junger Esel!‹ sagte ich, ›du hast doch nicht et wa vor ...‹ – und in diesem Augenblick krachte der Schuß. Und nun sah ich etwas, das meiner Meinung nach auf seine Weise das Schönste war, was ich jemals in meinen langen Jahren der Jagd erlebte. Das Kudu be fand sich zu diesem Moment in der Luft, sprang mit unter den Körper gezogenen Vorderbeinen über ei nen Steinhaufen hinweg. Plötzlich streckten sich diese Beine krampfartig aus, es landete auf ihnen, und sie knickten unter ihm ein. Der edle Bock ging zu Boden, schien einen Moment auf seinen Hörnern zu stehen, die Hinterbeine in die Luft gestreckt, und dann rollte er auf die Seite und lag still. ›Gütiger Himmel!‹ rief ich, ›du hast ihn getroffen! Er ist tot.‹ Harry sagte nichts, sondern starrte nur ein wenig erschrocken vor sich hin, und dazu hatte er auch allen Grund, denn so einen wunderbaren Schuß zu erle ben, war mir noch nie beschieden gewesen. Ein Mann, ganz abgesehen von einem Jungen, hätte tau send solcher Schüsse abgeben können, ohne das Ziel auch nur zu berühren, das ja, wie Sie wissen, gut fünfhundert Yards entfernt über Felsblöcke sprang; und dieser Junge – der einen schnellen Schuß ris kierte, wobei er Geschwindigkeit und Höhenwinkel rein nach Instinkt einbezog, denn er hatte sein Visier nicht hochgestellt – hatte diesen Bullen mit einem Schuß erledigt. Ich enthielt mich weiterer Bemerkun gen, die Gelegenheit war zu feierlich, um viele Worte
zu machen, sondern ging Harry voraus auf die Stelle zu, an der das Kudu zusammengebrochen war. Hier lag es nun, herrlich und völlig still; und dort, etwa auf halber Höhe des Halses, war ein sauberes, rundes Loch. Die Kugel hatte das Rückgrat durchschlagen und war auf der anderen Seite wieder ausgetreten. Es war bereits Abend, als wir, nachdem wir von dem Bullen so viel Fleisch abgeschnitten hatten, wie wir tragen konnten, und ein rotes Taschentuch und ein paar Grasbüschel an seine spiralförmig geboge nen Hörner gebunden hatten, die, übrigens, fast fünf Fuß lang gewesen sein mochten, in der Hoffnung, dadurch die Schakale und Geier fernhalten zu kön nen, endlich das Lager erreichten, wo wir von Pharao, der sich wegen unseres langen Ausbleibens bereits Sorgen gemacht hatte, mit der erfreulichen Nachricht begrüßt wurden, daß ein zweiter Ochse krank ge worden sei. Doch selbst diese niederschmetternde Neuigkeit konnte Harrys Hochstimmung nicht bre chen; so unglaublich es auch erscheinen mag, bin ich doch überzeugt, daß er den Tod des Kudus auf sein waidmännisches Können zurückführte. Aber ob gleich der Junge ein recht guter Schütze war, war das natürlich lächerlich, und ich sagte ihm das auch sehr deutlich. Als wir unser Abendessen aus Kudu-Steaks been det hatten (die sicher zarter gewesen wären, hätte man das Kudu ein paar Jahre früher geschossen), war es an der Zeit, uns für Jim-Jims Mörderin bereit zu machen. Also beschlossen wir, den armen, kranken Ochsen erneut als Köder zu benutzen, da dieser kurz vor dem Ende war und sich kaum noch auf den Bei nen halten konnte. Den ganzen Nachmittag lang sei
er ununterbrochen im Kreis umhergegangen, hatte Pharao uns berichtet, wie es Ochsen im letzten Stadi um der Krankheit häufig tun. Jetzt war er zum Stehen gekommen, schwankte hin und her und ließ den Kopf hängen. Also banden wir ihn an den Baum stumpf, wie in der vorhergehenden Nacht, und wußten, wenn die Löwin ihn nicht tötete, würde er bis zum Morgen an der Krankheit sterben. Ich hatte sogar die Befürchtung, daß er gleich sterben würde, in welchem Falle er als Köder nur noch geringen Wert gehabt hätte, da der Löwe ein Jagdtier ist und es, wenn er nicht sehr hungrig ist, vorzieht, seine Mahlzeit selbst zu töten, obwohl er, wenn er sie ge tötet hat, immer wieder zu ihr zurückkehrt, um zu fressen. Dann wiederholte sich unsere Erfahrung der ver gangenen Nacht; wir saßen und warteten Stunde um Stunde, bis Harry schließlich fest einschlief, und selbst ich, der ich an solche Dinge gewöhnt war, kaum noch die Augen offen halten konnte. Ich war, ehrlich gesagt, gerade am Einnicken, als Pharao mich plötzlich anstieß. ›Horch!‹ flüsterte er. Ich war sofort hellwach und lauschte angespannt. Aus dem Gebüsch rechts von dem Baumstumpf, an den der kranke Ochse angebunden war, kam ein knackendes Geräusch. Jetzt wieder. Irgend etwas be wegte sich dort, sehr vorsichtig und behutsam, doch unverkennbar, denn in der absoluten Stille erschien jedes Geräusch überlaut. Ich weckte Harry, der sofort sagte: ›Wo ist sie? Wo ist sie?‹ und mit seinem Gewehr auf eine Art herum fuchtelte, die für uns und die Ochsen gefährlicher
war, als für eine vielleicht vorhandene Löwin. ›Sei still!‹ zischte ich; und während ich das tat, schoß ein gelber Schatten mit einem lauten Knurren aus dem Gebüsch, an dem Ochsen vorbei und in das andere Gebüsch. Das arme, kranke Tier stieß eine Art Stöh nen aus, kam taumelnd auf die Beine und begann zu zittern. Ich konnte das klar erkennen, da das Mond licht sehr hell war, und kam mir wie ein Barbar vor, weil ich das unglückliche Tier einer solchen Marter ausgesetzt hatte. Die Löwin, denn sie war es, war so rasch an uns vorbeigesprungen, daß wir nicht einmal ihre Bewegungen hatten erkennen können, ganz zu schweigen davon, einen Schuß auf sie abzufeuern. In der Nacht ist Schießen überhaupt nicht sehr wirksam, wenn das Ziel nicht sehr nahe ist und absolut still steht, und selbst dann ist das Licht trügerisch, und man hat Mühe, das Korn zu sehen, so daß selbst der beste Schütze öfter vorbeischießen als treffen wird. ›Sie wird gleich wieder zurückkommen‹, sagte ich, ›also halte die Augen offen, aber schieße um Him melswillen nicht, bevor ich es dir sage.‹ Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als sie auch schon zurückkam, und wieder an dem Ochsen vorbeisprang, ohne ihn anzufallen. ›Was, zum Teufel, treibt sie da?‹ flüsterte Harry. ›Sie spielt mit dem Ochsen wie eine Katze mit der Maus, vermute ich. Sie wird ihn gleich töten.‹ Und während ich das sagte, sprang die Löwin wie der aus dem Gebüsch heraus, und dieses Mal direkt über den zitternden Ochsen hinweg. Es war ein herr licher Anblick, wie sie im hellen Mondlicht über ihn hinwegschnellte, als ob es ein Trick wäre, den man ihr beigebracht hatte.
›Ich glaube, sie ist einem Zirkus entsprungen‹, flü sterte Harry, ›es ist wunderbar, sie springen zu se hen.‹ Ich sagte nichts dazu, mußte jedoch zugeben, daß er sehr recht hatte, obwohl er die Leistung nicht völlig zu würdigen verstand, doch wer konnte ihm das verübeln? Dann entstand eine längere Pause, und ich begann schon zu befürchten, daß die Löwin verschwunden sein mochte, als sie plötzlich wieder auftauchte, mit einem gewaltigen Satz direkt auf dem Ochsen landete und ihm einen furchtbaren Schlag mit ihrer Pranke versetzte. Der Ochse stürzte und lag schwach mit den Beinen zuckend auf dem Boden. Die Löwin senkte den Kopf, stieß ein befriedigtes Knurren aus und schlug ihre langen, weißen Zähne in die Kehle des sterbenden Tieres. Als sie das Maul wieder hob, war es blutver schmiert. Sie stand uns ein wenig schräg gegenüber, leckte das Blut von ihren Lefzen und machte eine Art schnurrendes Geräusch. ›Jetzt ist unsere Zeit gekommen‹, flüsterte ich, ›schieß auch du, wenn ich abdrücke!‹ Ich visierte sie an, so gut es mir möglich war, doch Harry wartete nicht, bis ich schoß, wie ich es ihm ge sagt hatte, sondern feuerte vor mir, was mich natür lich zur Eile antrieb. Doch als der Pulverrauch sich verzogen hatte, sah ich, daß die Löwin hinter dem Kadaver des Ochsen auf ihre Seite rollte, von dem sie jedoch so verdeckt wurde, daß wir nicht sehen konn ten, ob sie tödlich getroffen war. ›Sie ist erledigt! Sie ist tot, diese gelbe Teufelin!‹ schrie Pharao begeistert; und in diesem Moment ver schwand die Löwin, in einer irgendwie konvulsiven
Flucht, halb rollend, halb springend, in dem dichten Gebüsch rechts vor unserem Zaun. Ich feuerte ihr hinterher, doch, so weit ich es sehen konnte, ohne je den Erfolg; wahrscheinlich habe ich sie gar nicht ge troffen. Auf jeden Fall verschwand sie in dem Ge büsch und begann, sobald sie dort in Sicherheit war, einen solchen diabolischen Lärm zu machen, wie ich ihn noch nie gehört hatte. Sie winselte und schrie vor Schmerzen, und dann begann sie so laut zu brüllen, daß der Boden erzitterte. ›In Ordnung‹, sagte ich, ›wir müssen sie brüllen lassen; ihr jetzt nachzusteigen, wäre reiner Wahn sinn.‹ In diesem Augenblick kam, zu meiner Verwunde rung und meinem Schrecken, ein antwortendes Brül len aus der Richtung des Flusses, und ein weiteres aus dem Busch. Offenbar befanden sich drei Löwen in der Gegend. Die angeschossene Löwin brüllte noch lauter, in der Absicht, wie ich annehme, die anderen zu Hilfe zu holen. Jedenfalls kamen sie, und sehr schnell, denn innerhalb von fünf Minuten sahen wir, als wir vorsichtig durch den Dornenzaun spähten, ei nen prachtvollen Löwen, der durch das Tambouki gras lief und von graugoldener Farbe war wie reifen der Mais. Mit weiten Sprüngen kam er heran, und er war wunderbar anzusehen, wie er durch das Mond licht sprang. Als er sich auf etwa fünfzig Yards genä hert hatte, verhielt er auf einer offenen Stelle und brüllte. Die Löwin brüllte ebenfalls, und dann kam ein drittes Brüllen, und ein weiterer, ein schwarz mähniger Löwe kam majestätisch heran und verhielt neben Nummer zwei, und ich erkannte endlich, was der arme Ochse durchgemacht haben mußte.
›Hör zu, Harry‹, flüsterte ich, ›auf gar keinen Fall schießen, es ist zu riskant. Wenn sie uns in Ruhe las sen, werden wir es auch tun.‹ Die beiden Löwen liefen auf den Busch zu, wo die angeschossene Löwin nun mit doppelter Lautstärke brüllte, und alle drei begannen zu knurren und zu fauchen. Plötzlich jedoch hörte die Löwin auf zu brüllen, und die beiden Löwen kamen heraus, der schwarzmähnige zuerst – um zu kundschaften, wie ich vermute –, traten zu dem Kadaver des Ochsen und schnupperten an ihm. ›Oh, was für ein Schuß das wäre‹, flüsterte Harry, der vor Aufregung zitterte. ›Ja‹, sagte ich, ›aber halte dich zurück! Sie könnten beide gleichzeitig auf uns losgehen.‹ Harry sagte nichts, doch im nächsten Moment – sei es aus dem natürlichen Ungestüm der Jugend, oder weil er vor Erregung sein inneres Gleichgewicht ver loren hatte, oder sei es aus reinem Trotz, ich kann es nicht sagen, da ich nie eine zufriedenstellende Ant wort von ihm erhalten habe – riß er, ohne ein Wort zu sagen, ohne auf meine Warnung zu achten, sein Westley Richards hoch, feuerte auf den schwarzmäh nigen Löwen und traf ihn sogar in die Flanke. Der verwundete Löwe stieß ein furchtbares Gebrüll aus. Er starrte umher und brüllte vor Schmerz, denn er war schwer angeschossen; und dann, bevor ich überlegen konnte, was ich tun sollte, sprang das rie sige, schwarzmähnige Tier seinem Artgenossen an die Kehle, den es offenbar für seine Schmerzen ver antwortlich machte. Es war komisch, die Verwunde rung des anderen Löwen über diesen völlig unprovo zierten Angriff zu sehen. Mit einem wütenden Knur
ren rollte er sich ab, und der schwarzmähnige Löwe sprang auf ihn und begann ihn zu beißen. Dies schien dem gelbmähnigen Löwen die Situation endlich klar zumachen, und ich muß sagen, daß er sich ihr auf ei ne überzeugende Art gewachsen zeigte. Irgendwie gelang es ihm, auf die Füße zu kommen, und mit lautem Brüllen und Knurren sprang er seinen mäch tigen Gegner an. Es entwickelte sich eine überwältigende Szene. Sie wissen, was für ein schrecklicher Anblick es ist, wenn zwei große Hunde miteinander kämpfen. Glauben Sie mir, ein ganzes Hundert von Hunden hätten nicht so ein entsetzliches Bild bieten können, wie diese beiden gewaltigen Tiere, als sie in ihrer übermächtigen Wut brüllten und bissen und rissen. Sie packten einander, sie rissen einander an der Kehle, bis das Mähnenhaar in großen Büscheln herumflog und das Blut über ihre gelben Körper strömte. Es war ein grausiges und doch prächtiges Bild, diese beiden mit all der Energie ihrer wilden Kraft aufeinander losgehen zu sehen, und dabei die Erde über ihrem gewaltigen Brüllen er zittern zu spüren. Es war ein gewaltiger Kampf. Eini ge Minuten lang war es unmöglich, zu bestimmen, wer die Oberhand gewann, doch schließlich erkannte ich, daß die Kraft des schwarzmähnigen Löwen, ob wohl er ein wenig größer war, nachzulassen begann. Ich neige zu der Ansicht, daß die Wunde in seiner Flanke ihn geschwächt hatte. Auf jeden Fall bekam er jetzt das meiste ab, was ihm nur recht geschah, da er der Angreifer war. Trotzdem konnte ich mich eines gewissen Mitleids für ihn nicht erwehren, denn er hatte einen großartigen Kampf geliefert. Seinem Geg ner gelang es schließlich, ihn bei der Gurgel zu pak
ken und, so sehr er sich auch wehrte und sträubte, das Leben allmählich aus ihm herauszuschütteln. Über und über rollten sie, ineinander verbissen, ein entsetzliches und gewaltiges Bild, doch der gelbmäh nige Löwe lockerte seinen Griff nicht, und schließlich verließen den armen schwarzmähnigen Löwen die Kräfte, sein Atem ging in langsamen gurgelnden Schnarchern und schien in seinen Nüstern zu rasseln, dann riß er seinen gewaltigen Rachen auf, brüllte lei se, zitterte, und war tot. Als der gelbmähnige Löwe ganz sicher war, daß er den Sieg errungen hatte, gab er seinen toten Gegner frei und beschnupperte ihn. Dann fuhr er mit der Zunge über die Augen des toten Löwen, stellte sich mit den Vorderpranken auf den Kadaver und stieß ein Siegesgebrüll aus, das weit durch die dunkle Nacht hallte. An diesem Punkt griff ich ein. Ich zielte sorgfältig auf seine Körpermitte, um jeden Fehler ausgleichen zu können, feuerte und jagte ihm eine .570er Expreß-Kugel ins Herz, und er fiel tot auf den Kadaver seines besiegten Feindes. Danach schliefen wir, recht zufrieden mit unserer Leistung, bis zum Morgen, und ließen Pharao Wache halten, für den Fall, daß noch irgendwelche weiteren Löwen vorhaben sollten, in unsere Gegend zu kom men. Als wir erwachten, stand die Sonne schon ein gan zes Stück über dem Horizont, und wir gingen vor sichtig aus dem Lager – das heißt, Pharao und ich ta ten es, da ich Harry nicht erlaubte mitzukommen –, um zu sehen, ob wir irgendeine Spur der verwunde ten Löwin finden könnten. Ihr Brüllen war unmittel bar nach der Ankunft der beiden Löwen verstummt,
und sie hatte seitdem keinen Laut mehr von sich ge geben, woraus wir schlossen, daß sie wahrscheinlich tot war. Ich war mit meiner Expreß-Büchse bewaff net, während Pharao, in dessen Händen ein Gewehr eine höchst gefährliche Waffe darstellte – für seine Begleiter –, eine Axt mit sich führte. Auf unserem Wege blieben wir bei den beiden toten Löwen stehen. Es waren beides herrliche Tiere, doch ihre Felle wa ren völlig verdorben von dem Kampf, den sie mitein ander ausgetragen hatten, was sehr bedauerlich war. Kurz darauf folgten wir der Blutspur der verwun deten Löwin in den Busch, wohin sie sich geflüchtet hatte. Wir taten dies, wie ich sicher nicht besonders betonen muß, mit äußerster Vorsicht; offen gestanden gefiel mir diese Sache überhaupt nicht, und ich trö stete mich allein mit dem Gedanken, daß es notwen dig war, und daß der Busch nicht sehr dicht war. Nun, wir standen also dort, möglichst weit von allen Bäumen entfernt und blickten suchend umher, doch wir konnten keine Löwin entdecken, obwohl wir viel Blut sahen. ›Sie muß sich irgendwo verkrochen haben, um zu sterben, Pharao‹, sagte ich auf Zulu. ›Ja, Inkoos‹, antwortete er, ›auf jeden Fall ist sie verschwunden.‹ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als ich ein lautes Brüllen hörte, und als ich herumfuhr, sah ich die Löwin aus einem Gebüsch treten, in das sie sich verkrochen hatte, direkt hinter Pharao. Sie richtete sich auf ihre Hinterbeine auf, und als sie das tat, sah ich, daß einer ihrer Vorderläufe in der Nähe der Schulter gebrochen war, und die Pranke schlaff her abhing. Hoch aufgerichtet stand sie vor Pharao, den
sie weit überragte, und hob ihre unverletzte Pranke, um ihn zu Boden zu schlagen. Und dann, bevor ich mein Gewehr herumbringen und irgend etwas ande res tun konnte, um die kommende Katastrophe zu verhindern, zeigte der Zulu eine sehr tapfere und kluge Reaktion. Als er die unmittelbare Gefahr er kannte, in der er sich befand, sprang er zur Seite, schwang die schwere Axt über dem Kopf und schlug sie in den Rücken der Löwin, wodurch er ihr das Rückgrat durchtrennte und sie tötete. Es war ein überwältigender Anblick, sie zusammenbrechen zu sehen wie einen leeren Sack. ›Alle Achtung, Pharao‹, sagte ich, ›das war großar tig, und keinen Augenblick zu früh.‹ ›Ja, Inkoos‹, antwortete er mit einem kleinen La chen, ›das war ein guter Schlag. Jetzt wird Jim-Jim ruhiger schlafen.‹ Dann riefen wir Harry zu uns und untersuchten die Löwin. Sie war ziemlich alt, wie ihre abgenutzten Zähne bewiesen, und nicht sehr groß, doch ziemlich kräftig gebaut, und sie mußte eine ganz außerge wöhnliche Vitalität besessen haben, um so lange durchhalten zu können, trotz ihrer Verwundung, denn abgesehen von der zerschmetterten Schulter hatte meine Expreß-Kugel ihr ein Loch in die Kör permitte gerissen, in das man eine Faust stecken konnte. Nun, das war also die Geschichte vom Tod des ar men Jim-Jim, und wie wir ihn gerächt haben. Sie ist auf ihre Weise recht interessant, wegen des Kampfes zwischen zwei Löwen, wie ich ihn in all meinen Jah ren nie erlebt habe, und ich weiß einiges von Löwen und ihren Gepflogenheiten.«
»Und wie sind Sie nach Pilgrims' Rest zurückge kommen?« fragte ich Jäger Quatermain, als er zu En de gesprochen hatte. »Ah, das war eine ziemliche Plackerei«, antwortete er. »Der zweite Ochse ging ebenfalls ein, und wir mußten uns mit dreien behelfen, die wir hintereinan der spannten, und selbst mitschieben. So schafften wir etwa vier Meilen pro Tag und brauchten fast ei nen ganzen Monat, in dessen letzter Woche wir ziemlich hungrig waren.« »Ich habe den Eindruck, daß die meisten Ihrer Trecks in irgendeiner Art Katastrophe endeten, aber dennoch haben Sie immer wieder neue unternom men, was mir etwas seltsam vorkommt.« »Ja, das kann man wohl sagen; doch denken Sie daran, daß ich viele Jahre lang meinen Lebensunter halt mit Jagen verdient habe. Außerdem lag ja der Reiz dieser Unternehmungen in Gefahren und Kata strophen, obwohl sie im Moment des Erlebens ziem lich unangenehm waren. Außerdem waren keines wegs alle meine Trecks vom Unglück verfolgt. Ir gendwann werde ich Ihnen, wenn Sie Lust haben, die Geschichte einer Reise erzählen, bei der ganz das Ge genteil der Fall war, da ich einige tausend Pfund da bei verdiente. Bei dieser Reise traf ich die tapferste Eingeborenenfrau, die ich jemals kennengelernt habe; ihr Name war Maiwa. Doch es ist heute zu spät, und ich bin es müde, immer von mir zu erzählen. Reichen Sie mir, bitte, die Wasserkaraffe!«
Nachtrag zu � »Eine Erzählung von drei Löwen«: �
Über das Zurückkehren
Heute geschah es dem Verfasser dieser Zeilen, daß er einen Ort wieder aufgesucht hat, der ihm einst sehr vertraut war, den er jedoch seit seiner frühen Kind heit vor zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Zwanzig Jahre! – Zwei Drittel einer Generation. Es ist eine lange Zeit, wir erkennen kaum, wie lang sie ist, bis wir wieder auf dem halbvergessenen Boden stehen, der unseren Füßen einst so vertraut war, und alles verändert finden, außer den alten Häusern und den Bäumen, und dem unveränderlichen Gesicht der Landschaft. Wenn wir uns nähern, beginnen wir wiederzuer kennen: die Dinge kommen zu uns zurück wie die Visionen eines vergessenen Traumes, die uns bei sei ner Erfüllung wieder einfallen. Jener Weg – wir erin nern uns seiner jetzt –, einst haben wir vielleicht den Geistlichen begleitet, als er ihn an einem November nachmittag entlangschritt, um einem sterbenden Ge meindemitglied die letzte Ölung zu erteilen. Ja, der Schlamm lag knöcheltief, so tief, daß man gezwungen war, auf dem durchweichten Rand entlang der Hecke zu gehen. Und jenes graue, alte Bauernhaus – wie al les in die Erinnerung zurückkommt! –, es sollte eine Ulme hinter ihm stehen, und sie ist auch noch da – und so weiter. Der Ort, den ich so wieder aufsuchte, ist ein kleines Dorf im Herzen Englands. Das Land in seiner Umge
bung wirkt ein wenig eintönig, doch das Dorf selbst ist an einer hügeligen und gut bewaldeten Stelle ge legen, und man kann von dort aus viele schöne Aus sichten genießen. Es ist nichts Außergewöhnliches an diesem kleinen, weitläufigen Dorf. Es weist eine klei ne, sehr alte Kirche auf, deren Architektur wahr scheinlich normannisch ist, eine sauber gebaute Schule, und eine Reihe von Bauernhäusern. Eins da von ist auf seine Art sehr hübsch. Es hat ein wunder bares, mittelalterliches Tor, von dem der Zufahrtsweg durch einen schmalen Garten zu einem grauen, alten Haus führt. Zu beiden Seiten dieses Gartens stehen wunderbare Taxushecken, die schönsten, die ich je mals sah; denn diese Hecken sind gut dreißig Fuß hoch und von entsprechender Dicke. Taxus gedeiht prächtig in diesem Boden; auf dem Friedhof steht ein riesiger Baum, der angeblich aus der Zeit Heinrichs VIII. stammt. Seine beste Zeit ist jedoch vorüber. Die oberen Äste wirken kränklich, und er ist nicht mehr so voll und grün, wie er es vor zwanzig Jahren gewe sen ist. Als wir das Dorf erreichen, ist unsere erste Sorge, einen Ort zu finden, wo wir den Wagen abstellen können, also fahren wir zum Gasthof. Er hat zwar keinen Stall, doch der Wirt kommt heraus und sagt, daß einer der Jungen das Pferd versorgen wird. Es ist etwas Bekanntes in seinem Gesicht, und es kommt zu dem folgenden Gespräch: »Wir sind gekommen, um uns das Dorf anzuse hen.« »Ja, Sir; aber es gibt hier nicht viel zu sehen.« »Nein, aber ich habe es einst gut gekannt. Erinnern Sie sich an den Reverend Mr. ...«
»Aber natürlich, Sir. Ich habe damals sogar im Kir chenchor gesungen, aber das liegt schon eine ganze Weile zurück.« Nun erinnerte ich mich an ihn. Er ist jetzt grauhaa rig und in die Jahre gekommen, doch damals war er ein junger, frisch wirkender Mann. Ich habe mit ihm im Chor gesungen. »Erinnern Sie sich, daß er damals junge Gentlemen unterrichtete – Schüler?« »Ja, natürlich erinnere ich mich.« »Ah, ich war einer von denen.« »Wirklich, Sir? Nun, Sie werden hier nicht vieles verändert finden, außer daß sie das alte Pfarrhaus abgerissen haben, und, wenn Sie mich fragen, so hat es mir besser gefallen als das neue, wenn dieses auch zweckdienlicher sein mag.« »Lebt William Quatermain noch?« »William Quatermain? Der Schweinezüchter? Nein, der ist seit elf Jahren tot, und seine Frau auch; er ist an Krebs oder sowas gestorben – irgend etwas an sei nen Lippen.« Das war ein harter Schlag, denn William Quater main und seine Frau waren liebe Freunde des Autors gewesen. Wie oft habe ich bei ihm geweilt und habe ihm geholfen, seine Schweine zu füttern. Auf seiner Wiese stand ein großer Walnußbaum, der die größten Walnüsse trug, die ich jemals sah; er hat mir oft wel che gegeben, und ich habe Boote aus ihren Schalen gemacht. Er war ein gutaussehender Mann von etwa fünfzig Jahren, mit grauem Haar und aristokratischen Gesichtszügen, die wahrscheinlich von seinem nor mannischen Blut kamen, und er trug immer einen eleganten, langschößigen Rock. Seine Frau war eben
falls eine freundliche, großherzige Lady, und ich habe bei ihr oft Unmengen von Milch getrunken. Nun, sie sind den Weg allen Fleisches gegangen, und man er innert sich ihrer kaum noch in dem Dorf, in dem sie ihr ganzes Leben zugebracht haben. So bald schon werden wir von dem Vergessen eingeholt! Doch gibt es zumindest einen, der sich ihrer erinnert und sich ihrer immer erinnern wird. Dann gehen wir die obere Straße entlang zum Pfarrhaus, und dort erhalten wir einen neuen Schock. Das alte Pfarrhaus ist verschwunden. Auf seine Art war es sowohl schön als auch einmalig. Ursprünglich – vor mehr als drei Jahrhunderten – war es das Pest haus eines Oxford-College gewesen. Das heißt, es war als Asyl für die Mitglieder des College erbaut wor den, wenn in Oxford die Pest grassierte. Es war lang gestreckt und niedrig und grau gewesen, und einer seiner Räume, das Wohnzimmer, war von einmaliger Schönheit. Räume dieser Art kann man heute noch in einigen Colleges finden, und man hatte Blick auf ei nen Rasen, auf dem eine riesige Ulme wuchs. Im Garten befand sich ein großes, würfelförmiges Tau benhaus, bei dem wir uns bei Nacht oft herumtrieben und Tauben fingen, die wir dann in Pasteten gebak ken aßen. Doch jetzt ist es abgerissen, und nicht ein Stein von ihm oder dem Taubenhaus ist auf dem an deren geblieben. An seiner Stelle beleidigt jetzt ein scheußliches, ›zweckdienliches‹ Pfarrhaus des neun zehnten Jahrhunderts den Himmel. Doch ist nicht al les zerstört worden, obwohl dieser Platz, als Platz, absolut ruiniert ist. Ein Teil der alten Gartenmauer ist stehengeblieben, und auch der berühmte JargonelleBirnbaum. Man fragt sich, ob er auch heute noch sol
che Jargonellen trägt wie damals. Und da ist auch die Wiese mit ihren Apfelbäumen. Einige von ihnen sind umgesägt worden, doch andere sind uns erhalten ge blieben. Einer inbesonders. Wie gut erinnert sich der Autor noch an jenen Baum. Einst wurde ein Pony ge bracht, auf dem er reiten sollte. Das Pony war nervös und ging mit ihm durch. Es lief unter den Apfel baum, und der Kopf seines Reiters wurde heftig ge gen einen recht dicken Ast geschlagen. Doch erwies sich sein Kopf als härter, und der Reiter lebt, um von diesem Erlebnis zu berichten. Und noch etwas ist ge blieben. Genau am Rand des Feldes steht die Schale einer herrlichen, alten Ulme. Wie alt dieser Baum ist, vermag niemand zu sagen; er könnte sehr wohl aus normannischer Zeit stammen. Er hat einen Umfang von vielen – ich fürchte mich zu sagen, von wie vie len – Fuß und ist völlig hohl; nichts ist von ihm übrig als eine dünne Borke, aus deren Krone jedoch kräftige Äste sprießen. Innerhalb dieser Borkenhaut war reichlich Platz zum Sitzen, und aus ihr wuchsen ko mische Knollen, die abzuschlagen und aufzuheben mir damals großen Spaß bereitete. Ich habe heute wieder versucht, eine abzuschlagen, schaffte es je doch nicht mit meinem Regenschirm. Hier haben wir oft gesessen, und hier war es, daß der Autor und ein blondes Mädchen einander in die Grundlagen des Flirtens einführten. Es war eine Freude, an verschie denen Spuren feststellen zu können, daß dieser Baum, obwohl sich ein Müllhaufen an seinem uralten Stamm angesammelt hat, noch immer Kindern als Spielplatz dient. Vielleicht lehren auch sie einander jene unsterblichen Prinzipien in seiner Höhlung. Der alte Baum muß sehr viele Flirts gesehen haben.
Vom Pfarrhaus zur Kirche ist es nur ein kurzer Weg. Wir passieren das kleine Haus, in dem William Quatermain einst lebte – übrigens, der Walnußbaum steht noch, aber er wirkt nicht mehr so groß wie einst –, und gehen durch ein Tor auf den Kirchhofspfad, der von Büschen einer Zypressenart eingefaßt war. Die Kirche ist noch wie damals. Kirchen in diesem Lande verändern sich nicht. Dort ist das alte Grab. Mit der Inschrift: ›Wie eitel sind alle die Lobreden über die Toten!‹ beginnt sie, und dann folgt eine sehr lange Lobrede. Es stehen jetzt jedoch viele Grabsteine dort, unter ih nen zwei zur Erinnerung an William Quatermain und seine ›geliebte Frau‹. Irgend jemand hat einen Hage buttenstrauch auf die Gräber gepflanzt, und aus Sen timentalität pflücke ich einen kleinen Zweig davon. Einige der alten Gräber, die einst sehr gepflegt waren, sind verkommen; wahrscheinlich sind die Menschen, die sich um sie gekümmert haben, inzwischen ge storben. Dies trifft besonders auf eines zu, das Grab eines ehemaligen Vikars, dessen Grabsteininschrift jetzt von Moos überwuchert ist. Bei dem hohen Ta xusbaum öffnet sich ein Tor auf einen grasbewachse nen Hang, der von einer anderen, größeren Wiese durch eine Grenzmarkierung getrennt wird, die aus einem senkrecht aufgestellten Stein besteht. Plötzlich erinnere ich mich, daß ich einst oft einen Reifen die sen Pfad hinab getrieben habe. Wenn man ihm genü gend Geschwindigkeit gab, gelang es bei einigem Ge schick, ihn über den schmalen Steg sausen zu lassen,
der den Graben überspannt, und wenn er gegen den Sockel jenes Grenzsteines prallte, sprang er drei Fuß oder mehr in die Luft, über den Stein hinweg, und setzte dann seinen Weg auf der anderen Seite fort. Ich bezweifle, daß es mir heute noch gelingen würde, doch wenn ein Reifen zur Hand gewesen wäre, hätte ich es liebend gerne probiert. Gleich rechts von die sem Stein, in einer kleinen feuchten Senke, stand eine dickstämmige Weide, die von wuchernden Misteln fast erstickt wurde, an dem die größten Beeren wuch sen, die man sich vorstellen kann. Wir haben sie oft für Weihnachtsdekorationen abgeschnitten. Die Wei de ist noch da, und auch die Misteln, doch tragen sie zu dieser Jahreszeit keine Beeren. Bevor wir die Kir che betreten – denn heute ist Pfingstsonntag, und es findet ein Gottesdienst statt – bleiben wir vor ihr ste hen und blicken sie an, und als wir das tun, ersteht in mir eine Vision der Vergangenheit. Ich glaube sie wieder an einem düsteren Dezembernachmittag zu sehen, vor dem Hintergrund der feurigen Röte des Sonnenuntergangs. Dunkle, nebelige Wolken hängen um sie herum, das Gras ist fahl und naß, und ein kalter Wind schüttelt Tropfen von den feierlich ernst wirkenden Taxus- und Zypressenbäumen. Vor dem Kirchhofstor steht der Geistliche in weißem, wehen dem Gewand, und den Pfad entlang, gefolgt von schwarzgekleideten Trauernden, kommt langsam die Leichenprozession. »Ich bin die Auferstehung und das Leben, spricht der Herr: ein jeder, der an Mich glaubt, der wird leben, wenngleich er tot ist; und ein jeder, der lebt und an Mich glaubt, der wird das ewi ge Leben haben.« So sagt der Priester. Ich kann bei nahe seine Stimme über den weiten Raum der Jahre
hinweg hören; und der Trauerzug biegt ab und ver schwindet mit schweren Schritten wieder in der dunklen Stille der Vergangenheit. Wir betreten die kleine Kirche, unter den interes sierten Blicken der ländlichen Gemeinde, die mir – doch das kann Einbildung sein – kleiner vorkommt als ich sie in Erinnerung hatte. Ich kann keins der Ge sichter wiedererkennen. Eins oder zwei von ihnen kommen mir jedoch bekannt vor. Jene abgearbeitete Frau in den mittleren Jahren mag vor zwanzig Jahren die Dorfschönheit gewesen sein; und das Kind dort ist wahrscheinlich der Sohn eines anderen Kindes, das dort zu sitzen pflegte, wo es jetzt sitzt. Ansonsten ist alles so, wie es war; nur die Menschen haben ge wechselt. Jetzt hat man also wirklich eine gläserne Trennwand vor den Eingang des Glockenturms ge setzt, um die Zugluft fernzuhalten, die, wie man sich erinnert, während der Wintermonate äußerst unan genehm war, und ein paar Hängelampen pendeln von der Decke – doch das ist alles. Man hat nichts getan, um das Eindringen der Feuchtigkeit in die Nordwand zu verhindern. Ansonsten unterscheidet sie sich nicht von den anderen. Dort ist die kleine Chortür, durch die eines heißen Sommernachmittags ein Esel seinen Kopf hereinstreckte und sehr re spektlos zu schreien begann. Dort sind die Chorbän ke, auf denen ich einst saß und sang, oder vielmehr schrie, bis ich schließlich, zu meiner tiefen und bitte ren Beschämung, aus dem Chor entfernt wurde, da mir die für die Vokalmusik nötigen Qualifikationen mangelten. Der Chor ist heute genauso, wie er da mals war, weder besser noch schlechter, doch fällt mir auf, daß das Harmonium recht deutliche Ver
schleißerscheinungen zeigt, wie auch die alten, roten Vorhänge mit dem fleur-de-lis-Muster. Was alles an dere betrifft: zwei Dekaden hinterlassen kaum einen Eindruck auf Eiche und Stein, und die pausbackigen Engel entlang den Dachplanken spielen noch immer mit gewohntem Eifer auf ihren Musikinstrumenten. Doch wenn man dort sitzt und der gut erinnerli chen Pfingstpredigt zuhört, kommt alles wieder. Wie lebhaft erinnert man sich an die Hoffnungen und Ängste, die Freuden und Leiden, an die Zweifel und die eifrige Gläubigkeit der Jugendzeit! Wie stark man in jenen Tagen fühlte, viel stärker als heute! Zwischen damals und jetzt erstrecken sich zwanzig lange Jahre – zwanzig Jahre des Kämpfens, des aktiven Lebens, des ernsten Mühens, gekrönt einmal mit Niederlage und dann wieder mit Triumph, oder gefahrvollen Reisen über Land und Meer. Zwanzig Jahre der Er fahrung auch jenes inneren Lebens, das mit dem phy sischen Leben Schritt gehalten und es sogar überholt hat. Blick zurück auf sie und denk über sie nach! – niemand kann das ohne Trauer tun. Denk an die Menge von Gesichtern von Männern und Frauen, die du kennengelernt hast zwischen heute und jenen ver gangenen Tagen. Einige von ihnen sind bereits tot, andere fremd geworden, andere altern an unserer Seite. Und denk daran, daß vor all diesem du so warst, wie du es jetzt bist. Dieselben Gedanken haben deinen Geist bewegt, wenn auch vielleicht in einer etwas gröberen Form, und du warst immer von den gleichen Hoffnungen und Ängsten besessen, von de nen du auch heute besessen bist. Dasselbe dunkle Mysterium hat über dir gehangen; es wird mit zu nehmenden Jahren nur noch dunkler. Denk daran bei
den Worten des vertrauten Gebets, und erstaune über das Wunder der Identität, und erkenne die absolute Einsamkeit des Menschen. All diese Dinge, die einst ›gefühlt, angetan und bewiesen‹ wurden, haben diese Identität nicht mehr berührt, oder die Einsamkeit mehr gemildert, als Säuren die Substanz puren Gol des angreifen können. Sie mögen ein Muster auf die Oberfläche ätzen, doch die Bürste der Zeit kann aus löschen, was sie gezeichnet haben. Ob du ein Junge bist, der sich auf seine Mannesjahre freut, oder ein Mann, der dem Alter entgegensieht, du bist doch der gleiche, gleich keinem anderen Wesen, das je geschaf fen wurde, und so wenig in der Lage, jene einsame Identität zu verlieren, wie du deinen Schatten verlie ren kannst, bevor zur gegebenen Stunde die Nacht sich herabsenkt. Nun, wir verließen die Kirche gemeinsam mit der kleinen Gemeinde und fuhren dorthin zurück, woher wir gekommen waren. Wahrscheinlich werden wir den Ort nie wiedersehen. ›Zurückkehren‹ ist nicht ohne seine Freuden, im großen und ganzen jedoch trägt es nicht dazu bei, das Gemüt fröhlich zu stim men.
Rache für Maiwa
Vorwort
Es mag angezeigt sein, hier festzustellen, daß das ›Ding, das beißt‹, welches in dieser Geschichte erwähnt wird, keine Ausgeburt der Phantasie ist. Im Gegenteil, es ist ›plagiatiert‹ worden. Mandara, ein bekannter Häuptling an der Ostküste Afrikas, besitzt einen solchen Gegenstand, und benutzt ihn. Und auch die Grausamkeit, die Wambe zugeschrieben wird, ist nicht ohne Vorbild. T'Chaka, der ›Napoleon der Zulus‹, ließ keines seiner Kinder am Leben. Er ging sogar noch weiter, denn als er herausfand, daß seine Mutter, Unandi, einen seiner Söhne heimlich aufzog, tötete er sie wie Nero, und mit eigener Hand.
1
Gobo weigert sich
Eines Tages – es war etwa eine Woche, nachdem Al lan Quatermain mir seine Geschichte von den drei Löwen und dem bewegenden Tode Jim-Jims erzählt hatte – gingen er und ich nach einem Tage der Jagd zusammen nach Hause. Er war Eigentümer von etwa zweitausend Acres* Jagdgebiet im Umland der Lie genschaft, die er in Yorkshire gekauft hatte, und über einhundert davon waren Wald. Es war das zweite Jahr nach seinem Erwerb des Anwesens, und er hatte *
1 Acre = 40,47 Ar – Anm. d. Übers.
bereits eine Menge Fasane gezüchtet, denn er war ein begeisterter Jäger, der mit der Schrotflinte genau so sicher schoß wie mit dem Gewehr. Wir waren an je nem Tage zu dritt gewesen, Sir Henry Curtis, der alte Quatermain und ich; doch Sir Henry hatte uns am Nachmittag verlassen müssen, um seinen Agenten zu treffen und mit ihm eine außerhalb gelegene Farm zu inspizieren, auf der ein neuer Schuppen gebaut wer den mußte. Doch wollte er zum Abendessen zurück sein und Captain Good mitbringen, denn Brayley Hall war nicht mehr als zwei Meilen von dem kleinen Gut entfernt. Wir hatten eine recht annehmbare Strecke gehabt, wenn man bedenkt, daß wir lediglich die weiter ent fernt gelegenen Unterhölzer nach Hähnen abgesucht hatten. Ich glaube, daß es etwa siebenundzwanzig waren, eine Waldschnepfe und eine Kette Rebhühner, die wir aus einem Schwarm aufgescheuchter Vögel herausgeschossen hatten. Auf unserem Heimweg kamen wir an einem langen, schmalen Hain vorbei, der ein beliebter Standort von Waldschnepfen war und zumeist auch zwei oder drei Fasane erhielt. »Na, was meinen Sie?« fragte der alte Quatermain. »Wollen wir zum Abschluß hier hindurch treiben?« Ich war einverstanden, und er rief nach seinem Waldhüter, der uns mit einer kleinen Gruppe von Treibern folgte, und befahl ihm, durch den Hain zu treiben. »Sehr wohl, Sir«, antwortete der Mann, »aber es wird sehr dunkel, und der Wind frischt zum Sturm auf. Sie brauchten schon sehr viel Glück, um eine Waldschnepfe herunterzuholen, falls eine in dem Ge hölz stecken sollte.«
»Sie bringen die Waldschnepfe heraus, Jeffries«, erwiderte Quatermain scharf, da er keinen Wider spruch duldete, wenn es die Jagd betraf, »und wir werden uns darum kümmern, sie zu schießen.« Der Mann wandte sich um und ging ziemlich mür risch davon. Ich hörte, wie er zu den Treibern sagte: »Er ist wirklich gut, der Herr, ich würde niemals sa gen, daß er nicht gut ist, aber wenn er bei diesem Licht und diesem Sturm eine Waldschnepfe schießt, fresse ich einen Besen.« Ich vermute, daß Quatermain ihn auch hörte, ob wohl er nichts sagte. Der Wind wurde von Minute zu Minute stärker, und als das Treiben begann, war er zum heulenden Orkan angeschwollen. Ich stand an der rechten Ecke des Gehölzes, das einen leichten Bo gen beschrieb, und Quatermain an der linken, etwa vierzig Schritte von mir entfernt. Plötzlich schoß ein alter Fasanenhahn über mich hinweg, der aussah, als ob der Sturm ihm die Federn aus dem Schwanz risse. Mein erster Schuß ging daneben, und ich war über glücklich, als ich ihn mit der Schrotladung aus dem zweiten Lauf herunterholen konnte, denn der Schuß war alles andere als einfach. In dem schwachen Licht konnte ich gerade noch erkennen, wie Quatermain anerkennend nickte, als ich durch das Ächzen der Bäume die Rufe der Treiber hörte: »Hahn voraus! Hahn rechts!« Und dann eine ganze Salve von Rufen: »Waldschnepfe rechts! Hahn links! Hahn über Ih nen!« Ich blickte hinauf und sah eine der Waldschnepfen, die vom Sturm getrieben wie ein Geschoß auf mich zuraste. In dem unsicheren Licht konnte ich ihren Bewegungen nicht folgen, als sie im Zickzack durch
die nackten Baumwipfel flog: genaugenommen konnte ich sie nur sehen, wenn sie ihre Flügel nach oben schlug. Dann schoß sie an mir vorbei: peng! und ein Schwirren von Flügeln, ich hatte sie verfehlt; peng! krachte der zweite Lauf. Jetzt mußte ich sie getroffen haben; nein, sie strich nach links ab. »Hahn für Sie!« rief ich und trat ein Stück vor, um Quatermain zwischen mich und das schwache Licht des sinkenden Tages zu bringen, da ich sehen wollte, ob er mir ›das Auge wischen‹ würde. Ich wußte, daß er ein erstklassiger Schütze war, glaubte jedoch, daß dieser Hahn doch zu viel für ihn sei. Ich sah, wie er die Läufe seiner Flinte ein wenig höher hob und sich vorwärts neigte, und in diesem Moment schossen zwei Waldschnepfen aus dem Ge hölz heraus, die, welche ich verfehlt hatte, rechts von ihm, die andere zu seiner Linken. Gleichzeitig ertönte wieder ein Ruf: »Schnepfe über Ihnen!«, und als ich emporblickte, sah ich einen drit ten Vogel hoch in der Luft, der wie ein braunes, flat terndes Blatt direkt über Quatermains Kopf hinweg geweht wurde. Und jetzt folgte das beste Schießen, das ich jemals sah: Der Vogel zur Rechten flog tief, keine zehn Yards* von einer langen Hecke entfernt, und Quatermain nahm ihn als ersten, da er als erster von der Dunkelheit verschluckt werden würde. Ge nau genommen hätte niemand, der nicht sein Ha bichtsauge besaß, überhaupt noch Büchsenlicht ge habt. Doch er sah den Vogel so deutlich, daß er ihn abschießen konnte. Dann fuhr er herum, feuerte auf den zweiten Vogel, der etwa vierzig Yards entfernt *
1 Yard = 3 Feet = 0,9144 m
war, und holte ihn herunter. Inzwischen war der dritte Schnepfenhahn fast über ihm, und er flog ziemlich hoch mit dem Wind – hundert Fuß oder mehr, würde ich sagen. Ich sah ihn zu dem Vogel hinaufblicken, während er seine Flinte aufbrach, die rechte Patronenhülse hinauswarf, eine neue Patrone hineinschob, und sich dabei nach rechts drehte. In zwischen war der Hahn etwa fünfzig Yards von ihm entfernt und schoß durch die Luft wie ein Blitz. Qua termain hob die Flinte und jagte ihm die Schrotla dung hinterher; es war ein wunderbarer Schuß, und der Hahn fiel tot herab. Eine scharfe Bö packte den toten Vogel und riß ihn wie ein welkes Blatt mit sich fort, so daß er in einer Entfernung von hundertdrei ßig Yards oder mehr zu Boden fiel. »Sagen Sie, Quatermain«, wandte ich mich an ihn, als die Treiber herangekommen waren, »machen Sie so etwas öfter?« »Wissen Sie«, sagte er mit einem trockenen Lä cheln, »beim letzten Mal, als ich drei Schüsse so schnell hintereinander feuern mußte, ging es um et was größeres Wild. Es waren Elefanten. Ich habe alle drei so erwischt wie heute die Waldschnepfen; doch wäre es beinahe anders herum gekommen, kann ich Ihnen versichern; ich meine, daß sie um ein Haar mich erwischt hätten.« In diesem Moment trat der Waldhüter zu uns. »Haben Sie einen von den drei Hähnen herunterho len können, Sir?« fragte er mit dem Tonfall eines Menschen, der nicht damit rechnet, eine bejahende Antwort zu erhalten. »Habe ich, Jeffries«, erwiderte Quatermain; »Sie werden einen neben der Hecke finden, und einen
weiteren etwa fünfzig Yards entfernt bei dem Pflug dort.« Der Waldhüter wandte sich zum Gehen und wirkte ein wenig erstaunt, doch Quatermain rief ihn zurück. »Warten Sie noch etwas, Jeffries!« sagte er. »Sehen Sie den gekappten Baum dort, etwa hundertvierzig Yards von hier? Dort dürfte noch ein Hahn liegen, etwa sechzig Schritte im Feld.« »Also wenn das nicht das beste Schießen war, das ich je erlebt habe«, murmelte Jeffries und machte sich auf die Suche. Anschließend gingen wir nach Hause, und wenig später erschienen Sir Henry Curtis und Captain Good zum Abendessen, der letztere in der prachtvollsten Galauniform, die ich jemals sah. Ich erinnere mich, daß die Weste mit fünf roten Knöpfen aus Korallen geschlossen war. Es war ein sehr unterhaltsames Essen. Der alte Quatermain befand sich in ausgezeichneter Stim mung, welche, wie ich vermute, auf seinen Triumph über den zweifelnden Jeffries zurückzuführen war. Und auch Good war voller Anekdoten. Er erzählte uns eine höchst wunderbare Geschichte von einer Steinbockjagd in Kaschmir. Diesen Steinböcken war er, wie er berichtete, vier Tage lang auf der Spur ge blieben. Am Morgen des fünften war es ihm endlich gelungen, sich der Herde auf Schußweite zu nähern, die aus fünf oder sechs weiblichen Tieren und einem herrlichen Bock bestand, dessen Hörner so mächtig waren, daß ich mich scheue, ihre Ausmaße zu nen nen. Good hatte sich den Tieren kriechend genähert, jede Deckung hinter Felsen ausgenutzt, bis er auf et wa zweihundert Yards herangekommen war und
hatte dann den alten Bock genau ins Visier genom men. In diesem Augenblick war es jedoch zu einer Störung gekommen. Auf einem entfernten Berggipfel waren ein paar umherziehende Eingeborene aufge taucht. Die weiblichen Tiere hatten sich herumgewor fen und waren in der nächsten Sekunde hinter einem Felsen verschwunden. Der alte Bock war jedoch tap ferer. Vor ihm hatte sich eine mächtige Felsspalte er streckt, die mindestens dreißig Fuß breit war. Mit ei nem gewaltigen Sprung hatte er über sie hinwegset zen wollen. Während er in der Luft geschwebt war, hatte Good gefeuert und ihn erschossen. Der Bock hatte sich in der Luft überschlagen und war so gefal len, daß seine Hörner sich an einem Felsvorsprung der gegenüberliegenden Klippe verhakt hatten. Dort hatte er gehangen, bis es Good, nach einem langen, schwierigen Umweg zur anderen Seite der Schlucht, gelungen war, ein Lasso über ihn zu werfen und ihn heraufzuziehen. Die bewegende Geschichte dieses wilden Abenteu ers wurde mit unverdienter Ungläubigkeit aufge nommen. »Nun«, sagte Good, »wenn Sie meine Geschichte nicht glauben wollen – eine absolut wahre Geschich te, wie ich betonen möchte –, so kann einer von Ihnen uns vielleicht eine bessere erzählen; mich kümmert es nicht besonders, ob sie wahr ist oder nicht.« Damit verfiel er in würdevolles Schweigen. »Also, Quatermain«, sagte ich, »lassen Sie sich nicht von Good beschämen und erzählen Sie uns, wie Sie die Elefanten erlegt haben, die Sie vorhin er wähnten, kurz nachdem Sie die drei Waldschnepfen heruntergeholt hatten.«
»Nun«, sagte Quatermain trocken und mit einem leichten Zwinkern seiner braunen Augen, »es ist ein hartes Los, wenn ein Mann Goods ›Fährte‹ folgen muß. Ehrlich gesagt, wenn es nicht um die galoppie rende Giraffe wäre, die wir – Sie werden sich erin nern, Curtis – Good auf eine Entfernung von drei hundert Yards mit einem Martin-Gewehr abschießen sahen, wäre ich geneigt zu sagen, daß seine Ge schichte unmöglich ist.« Good blickte mit einem Ausdruck indignierter Un schuld auf. »Aber«, fuhr Quatermain fort, stand auf und zün dete sich die Pfeife an, »wenn Sie wollen, will ich Ih nen gerne ein Garn spinnen. Ich habe Ihnen vor eini gen Abenden von den drei Löwen berichtet, und wie die Löwin meinen unglückseligen Voorlooper* JimJim tötete, den Jungen, den wir im Brotsack begruben. Nun, nach diesem Erlebnis glaubte ich, ein wenig ruhiger zu werden, also ging ich eine Partnerschaft mit einem Manne ein, der von der spekulativen Sorte war und den Plan hatte, in Pretoria ein Geschäft zu gründen, das allein auf Barzahlungsbasis arbeitete. Die Abmachung sah vor, daß ich das Kapital beisteu ern sollte, und er seine Erfahrung. Unsere Partner schaft war nicht von langer Dauer. Die Buren wei gerten sich, bar zu zahlen, und nach Ablauf von etwa vier Monaten besaß mein Partner das Kapital und ich die Erfahrung. Aus diesem Erlebnis folgerte ich, daß das Führen eines Ladengeschäfts nicht auf meiner Li *
Aus dem Holländisch der Buren: Der Mann (oder Junge), der einem Ochsengespann beim Trecking vorausgeht. – Anm. d. Übers.
nie lag, und so schickte ich meinen Jungen, Harry, von den mir verbliebenen vierhundert Pfund auf eine Schule in Natal, kaufte mir von dem Rest des Geldes eine Ausrüstung und brach zu einem langen Treck auf. Dieses Mal wollte ich weiter hinausziehen als je mals zuvor, also kaufte ich mir für ein paar Pfund Passage auf einer Handels-Brigg, die zwischen Dur ban und Delagoa Bay verkehrte. Von Delagoa Bay marschierte ich in Begleitung von zwanzig Trägern landeinwärts, mit dem Plan, nach Norden vorzusto ßen, auf den Limpopo zu, parallel zur Küste, in einer Entfernung von einhundertfünfzig Meilen zu ihr. Während der ersten zwanzig Tage unserer Reise lit ten wir sehr an Fieber, das heißt, meine Träger litten darunter, da ich anscheinend gegen Fieber gefeit bin. Außerdem war es schwer, unser Lager mit Fleisch zu versorgen, denn obwohl das Land sich als nur dünn besiedelt erwies, war wenig Wild vorhanden. Wäh rend der ganzen Zeit konnte ich nichts Größeres als einen Wasserbock vor den Lauf bekommen, und, wie Sie wissen, ist dessen Fleisch nicht gerade wohl schmeckend. Am zwanzigsten Tag erreichten wir je doch das Ufer eines größeren Flusses, der Genooroo genannt wurde. Diesen durchquerten wir und zogen dann weiter landeinwärts auf die Gebirgskette zu, deren blaue Gipfel sich gegen den entfernten Hori zont wie Schatten abhoben, eine Fortsetzung der Drakensberg-Kette, welche entlang der Küste von Natal verläuft, wie ich glaube. Von diesem Haupt kamm zweigt eine gewaltige Kette ab, die etwa fünf zig Meilen lang ist, auf die Küste zuführt und durch einen mächtigen Berg abgeschlossen wird. Dieser
Höhenzug bildete, wie ich später erfuhr, die Grenze zwischen den Herrschaftsgebieten zweier Häuptlin ge, welche Nala und Wambe hießen; Wambes Terri torium lag nördlich davon, Nalas Gebiet im Süden. Nala herrschte über einen Stamm von Bastard-Zulus, die sich Butiana nannten, Wambe über einen erheb lich größeren, die Makutu, welche deutlich ButianaCharakteristiken aufwiesen. So haben, zum Beispiel, ihre Hütten Türen und Veranden, sind sie Meister in der Verarbeitung von Tierfellen und tragen Lenden tücher anstelle von Moochas. Zu jener Zeit waren die Butiana den Makutu mehr oder weniger unterworfen, nachdem sie vor mehr als zwanzig Jahren von ihnen überfallen und gnadenlos dezimiert worden waren. Jetzt jedoch erholte der Stamm sich wieder von die sem Massaker, und, wie Sie sich unschwer vorstellen können, waren diese Leute auf die Makutu nicht ge rade gut zu sprechen. Während ich weiterzog, hörte ich, daß es eine Menge Elefanten in den dichten Wäldern gab, die die Hänge und den Fuß der Berge bedecken, welche Wambes Territorium abgrenzten. Außerdem hörte ich einen recht bösen Bericht über diesen Stammes führer selbst, der in einem Kraal am Berghang lebte, welcher so stark befestigt war, daß er als uneinnehm bar galt. Es wurde gesagt, daß er der grausamste Häuptling in diesem Teil Afrikas sei, und daß er vor sieben Jahren eine Gruppe englischer Gentlemen er mordet habe, die in sein Land gekommen waren, um Elefanten zu jagen. Sie hatten einen alten Freund von mir als Führer mitgenommen, der John Every hieß, und ich habe seinen vorzeitigen Tod oft betrauert. Trotzdem, Wambe oder nicht, ich war entschlossen,
in seinem Lande Elefanten zu schießen. Ich hatte mich nie vor Eingeborenen gefürchtet und würde es auch jetzt nicht tun. Ich neige ein wenig zum Fatalis mus, wie Sie wissen, und kam deshalb zu der Schluß folgerung, daß ich, falls es vom Schicksal bestimmt war, meinen Freund John Every aufzusuchen, zu ihm würde gehen müssen, und dagegen war nichts zu machen. Doch bis es soweit war, würde ich mit fried vollem Herzen Elefanten jagen. Im dritten Tage nach jenem, an dem wir den gro ßen Berggipfel gesichtet hatten, fanden wir uns in seinem Schatten. Weiterhin dem Lauf des Flusses fol gend, der sich durch den am Fuße des Berges gelege nen Dschungel wand, betraten wir das Territorium des berüchtigten Wambe. Dies geschah jedoch nicht ohne eine gewisse Meinungsverschiedenheit zwi schen mir und meinen Trägern, denn als wir eine Stelle erreichten, an der angeblich die Grenze von Wambes Reich verlief, setzten die Träger sich auf den Boden und weigerten sich nachdrücklich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Ich setzte mich ebenfalls und redete mit ihnen, versuchte, ihnen meine fatali stische Einstellung klarzumachen, so weit mir das möglich war. Doch gelang es mir nicht, sie dazu zu bringen, die Sache in demselben Licht zu sehen. Zur Zeit, so sagten sie, seien ihre Häute ganz; wenn sie in Wambes Land eindringen würden, ohne vorher seine Erlaubnis dafür einzuholen, würden sie bald so voller Löcher sein wie ein vom Wasser zerfressenes Blatt. Es sei für mich gut und schön, so etwas für Schicksal zu halten, da das Schicksal zweifellos in Wambes Land umherginge, doch wenn sie draußen blieben, würden sie ihm nicht begegnen.
›Und was gedenkt ihr nun zu tun?‹ fragte ich Gobo, meinen Vormann. ›Wir gedenken, zur Küste zurückzukehren, Macu mazahn‹, antwortete er aufsässig. ›So? Wollt ihr das?‹ erwiderte ich, da mir die Galle überlief. ›Du und zwei oder drei andere werden sie jedenfalls nicht erreichen. Sieh, mein Freund‹ – ich nahm ein Repetiergewehr in die Hand und lehnte mich gegen einen Baumstamm – ›ich habe gerade ge frühstückt und kann den Tag genausogut hier ver bringen, wie irgendwo anders. Aber falls du oder ei ner der anderen Männer auch nur einen Schritt aus dem Lager tun und in Richtung Küste gehen solltet, werde ich auf euch schießen; und du weißt, daß ich mein Ziel nie verfehle.‹ Der Mann fingerte nervös an dem Speer herum, den er bei sich trug – glücklicherweise standen alle meine Gewehre an den Baum gelehnt – und wandte sich dann um, als ob er fortgehen wollte, während die anderen ihn gespannt anstarrten. Ich setzte mich auf und richtete die Mündung meines Gewehrs auf sei nen Rücken, und wenngleich er tapfer den Eindruck von Gleichmut zu erwecken versuchte, sah ich, daß er ständig nervös zu mir herüberblickte. Als er gute zwanzig Yards weit gegangen war, sagte ich sehr ru hig: ›Und jetzt, Gobo, komm zurück, oder ich schie ße!‹ Natürlich war das ein sehr riskanter Bluff; ich hatte keinerlei Recht, Gobo oder irgendeinen der anderen zu töten, nur weil sie sich weigerten, ihr Leben zu riskieren, indem sie in das Territorium eines feindse ligen Häuptlings eindrangen. Doch wußte ich, daß es absolut notwendig war, diese Sache durchzustehen,
wenn ich ihn auch nicht erschießen würde, um meine Autorität aufrechtzuerhalten. Also saß ich dort, blickte finster wie ein Löwe, und hielt die Mündung meines Gewehrs auf Gobos Rippen gerichtet. Jetzt hatte Gobo das Gefühl, daß die Situation zu ange spannt wurde und gab nach. ›Nicht schießen, Boß!‹ rief er und hob die Hände. ›Ich werde mit dir gehen.‹ ›Das hatte ich auch angenommen‹, antwortete ich ruhig; ›du siehst, daß das Schicksal ebenso außerhalb von Wambes Land umhergeht wie in ihm.‹ Danach hatte ich keine Schwierigkeiten mehr, denn Gobo war der Anführer der Unbotmäßigen, und als er zusammenbrach, brachen auch die anderen zu sammen. Der Friede war wieder hergestellt, wir über schritten die Grenzlinie von Wambes Reich, und am nächsten Morgen begann ich mit der Jagd.«
2
Eine morgendliche Jagd
»Nachdem wir fünf oder sechs Meilen am Fuß des mächtigen Berges, von dem ich sprach, entlanggezo gen waren, gelangten wir am gleichen Tage zu einem der schönsten Gebiete Afrikas, die ich außerhalb von Kukuanaland gesehen habe. An dieser Stelle bog sich die Bergkette, die im rechten Winkel von dem Hauptkamm abzweigte, dessen wolkengekröntes Massiv sich nach Norden und Süden erstreckte, so weit das Auge reichte, zu einem riesigen, majestäti schen Halbkreis. Dieser Halbkreis maß von einem Ende zum anderen etwa fünfunddreißig Meilen, und durch die von ihr umschlossene halbmondförmige Fläche schlängelte sich ein Fluß, eine silbrig schim mernde Lichtbahn. Auf der anderen Seite des Flusses lag eine unendliche Weite welligen Landes, eine na türliche Parklandschaft, die von großen Buschinseln übersät war, von denen manche einen Durchmesser von mehreren Meilen aufwiesen. Diese wurden durch grasbewachsene Lichtungen voneinander getrennt, auf denen da und dort große Baumgruppen standen, und aus denen an einigen Stellen seltsam isolierte Hügeln wuchsen, und sogar einzelne Granitfelsen, die in die Luft emporragten, als ob sie von Menschen geschaffene Monumente wären und nicht Grabmäler, die von der Natur auf das Grab vergangener Zeitalter gesetzt worden waren. Im Westen wurde diese wun derbare Ebene durch den gewaltigen Berg begrenzt, von dessen Fuß sie sich bis zur Fieberküste erstreckte;
doch wie weit sie nordwärts reichte, kann ich nicht sagen – acht Tagesmärsche weit, wie mir die Eingebo renen später erklärten, wo sie sich in einem von Men schen nie betretenen Moorgebiet verlor. Auf der Fläche an dieser Seite des Flusses sah es anders aus. Entlang dem Ufer, wo das Land flach war, lagen grüne Sumpfgebiete. Davor befand sich ein breiter Gürtel wunderbaren Graslandes, das von riesigen Wildherden bevölkert war und sich in sanf ter Steigung zum Rand des Waldes erhob, der in ei ner Hütte von etwa tausend Fuß oberhalb der Ebene begann und den Berghang fast bis zu seinem Gipfel bedeckte. In diesem Wald wuchsen hohe Bäume, zu meist von der Gelbholz-Spezies. Manche von ihnen wiesen eine solche Höhe auf, daß ein Vogel, der auf einem seiner obersten Äste säße, sich außerhalb der Reichweite einer Schrotflinte befinden würde. Eine andere Besonderheit dieser Bäume war, daß sie zum größten Teil von wucherndem Orachillamoos be wachsen waren, aus dem die Eingeborenen eine wunderbare Farbe von tiefem Purpur herstellen, mit welcher sie gegerbtes Leder einfärben, und auch Stof fe, wenn sie welche bekommen. Ich glaube nicht, je mals etwas so Außergewöhnliches gesehen zu haben wie einen dieser gewaltigen Bäume, die vom Wipfel bis zum Boden mit langen Bärten düsterfarbenen Mooses behangen waren, und durch die der Wind flüsterte, wenn er sich bewegte. Aus der Entfernung wirkten sie wie die grauen Locken eines Titanen, die von leuchtend grünem Blattwerk gekrönt wurden, und aus denen da und dort die Sterne üppiger Orchi deenblüten glänzten. Am Abend des Tages, an welchem ich meine kleine
Auseinandersetzung mit Gobo gehabt hatte, lagerten wir am Rande jenes großen Waldes, und am folgen den Morgen bei Tagesanbruch ging ich auf die Jagd. Da wir kaum noch Fleisch hatten, wollte ich zunächst einen der Büffel schießen, von denen es hier große Herden gab, bevor ich nach Spuren von Elefanten suchte. Nicht weiter als eine halbe Meile vom Lager entfernt stießen wir auf eine Masse von Büffelspuren, so breit wie ein Karrenweg, die augenscheinlich von einer großen Herde stammten, die im Morgengrauen von ihren Weidegründen bei den Marschen hier ent langgezogen waren, um den Tag in der Kühle des höher gelegenen Landes zu verbringen. Dieser Spur folgte ich ohne jede Vorsicht, da der leichte Wind vom Berghang herabwehte, aus der Richtung, die die Büffelherde genommen hatte, auf mich zu. Nach etwa einer Meile begann der Wald sehr dicht zu werden, und die Spuren verrieten mir, daß ich dem Wild schon sehr nahe war. Nach weiteren zweihundert Yards wurde der Busch so dicht, daß wir ihn nicht hätten durchdringen können, wenn der Trampelpfad der Büffel nicht gewesen wäre. Dennoch zeigten so wohl Gobo, der meine Elefantenbüchse trug (ich hielt das .570 Expreßgewehr in meiner Hand) als auch die anderen beiden Männer, die ich mitgenommen hatte, den größten Widerwillen, weiterzugehen und wiesen mich darauf hin, daß es ›keinen Raum zum Weglau fen‹ gäbe. Ich sagte ihnen, daß sie nicht mitzukom men brauchten, wenn sie Angst hätten, ich jedoch auf jeden Fall weitergehen würde; beschämt trotteten sie weiter. Nach weiteren fünfzig Yards öffnete sich der Wildwechsel zu einer kleinen Lichtung. Ich kniete
nieder und spähte vorsichtig hinaus, konnte jedoch nicht einen einzigen Büffel entdecken. Offensichtlich war die Herde hier auseinandergelaufen, wie ich an den Spuren erkannte, und in kleinen Gruppen in den gegenüberliegenden Waldrand eingedrungen. Ich überquerte die Lichtung, folgte einer der Fährten für etwa sechzig Yards und spürte, daß ich von Büffeln umgeben war; doch so dicht war das Unterholz, daß ich nicht einen entdecken konnte. Ein paar Yards rechts von mir hörte ich einen seine Hörner an einem Baumstamm reiben, während links von mir hin und wieder ein leises, kehliges Grunzen ertönte, das mir verriet, daß ich mich unangenehm nahe bei einem alten Bullen befand. Mein Herz schlug mir im Halse, als ich vorsichtig auf ihn zuschlich, so behutsam, als ob ich auf Eiern ginge, jedes kleinste Holzstückchen auf meinem Wege aufhob und es hinter mich legte, damit ich nicht darauftreten und den Bullen warnen mochte. Hinter mir kamen, einer nach dem anderen, meine drei Jagdgehilfen, und ich kann nicht sagen, welcher von ihnen mehr verängstigt wirkte. Schließ lich berührte Gobo mich am Bein; ich wandte den Kopf und sah ihn rechts voraus deuten. Ich richtete mich vorsichtig ein Stück auf und blickte über ein Li anengestrüpp hinweg. Hinter ihm befand sich ein dichtes Gestrüpp von Aloen der Art, deren Blätter waagrecht stehen, und jenseits dieser Aloen, keine fünfzehn Schritte von uns entfernt, sah ich die Hör ner, den Nacken und den Rücken eines gewaltigen alten Bullen. Ich ließ mich auf ein Knie nieder, hob mein Gewehr und zielte auf sein Genick, in der Hoff nung, ihm einen Wirbel zu durchtrennen. Ich hatte ihn schon im Visier, so gut es die Aloen zuließen, als
er eine Art Seufzer ausstieß und sich auf den Boden legte. Ich blickte enttäuscht umher. Was sollte ich jetzt tun? Ich konnte mich nicht dazu aufraffen, auf ein liegendes Tier zu schießen, selbst wenn meine Kugel das Aloendickicht durchschlagen hätte – was zwei felhaft war – und wenn ich aufstand, würde der Bulle entweder fliehen oder angreifen. Ich überlegte und kam zu dem Schluß, daß mir nichts anderes übrig blieb, als mich ebenfalls hinzulegen, da ich keine Lust hatte, in dem dichten Unterholz nach anderen Büffeln zu suchen. Wenn ein Büffel sich hinlegt, muß er sich irgendwann auch wieder erheben, also war es ledig lich eine Frage der Geduld – ›den Kampf des Sitzens zu kämpfen‹, wie die Zulus es nennen. Also setzte ich mich hin und zündete mir die Pfeife an, in der Hoffnung, daß der Geruch den Büffel errei chen und ihn zum Aufstehen bewegen würde. Doch der Wind stand falsch, und der Büffel rührte sich nicht; also füllte ich die Pfeife, als ich sie ausgeraucht hatte, erneut. Später sollte ich Grund dazu haben, diese zweite Pfeife zu bereuen. Wir saßen so für eine halbe oder dreiviertel Stunde, und ich wurde der Sache gründlich müde. Sie war so langweilig wie die letzte Stunde einer komischen Oper. Rings um uns herum konnte ich Büffel schnau ben und im Unterholz rascheln hören, sah die rot schnäbeligen Zeckenvögel von ihren Rücken aufflie gen, die dabei eine Art zischenden Laut ausstießen, ähnlich dem der englischen Drossel, konnte jedoch nicht einen einzigen Büffel sehen. Was meinen alten Bullen betraf, so schien er den Schlaf der Gerechten zu schlafen, denn er rührte sich nicht einmal.
Gerade als ich zu dem Entschluß kam, daß etwas getan werden mußte, um die Situation zu retten, wurde meine Aufmerksamkeit durch ein seltsames knirschendes Geräusch abgelenkt. Im ersten Moment glaubte ich, daß es vom Wiederkauen eines Büffels verursacht wurde, sah mich jedoch gezwungen, diese Erklärung zu verwerfen, da es zu laut dafür war. Ich drehte mich um und starrte durch die Lücken des Gebüsches in die Richtung, aus der das Geräusch zu kommen schien, und glaubte, in einer Entfernung von etwa fünfzig Yards etwas Graues zu sehen, das sich bewegte, war mir dessen jedoch nicht sicher. Obwohl das knirschende Geräusch weiter vernehm bar war, konnte ich nichts mehr sehen, also dachte ich nicht weiter daran und wandte meine Aufmerksam keit wieder dem Büffel zu. Doch dann geschah etwas. Plötzlich ertönte aus einer Entfernung von etwa vier zig Yards ein gewaltiges Schnauben, das eher wie das Puffen einer Lokomotive klang, die einen schweren Zug in Bewegung setzt, als alles andere. Bei Gott, dachte ich, als ich in die Richtung herum fuhr, aus der das Geräusch gekommen war, das muß ein Nashorn sein, und es hat uns gewittert. Denn, wie Sie wissen, meine Freunde, ist das Schnauben eines Rhinozerosses, das jemanden wittert, unverwechsel bar. Im nächsten Augenblick hörte ich ein lautes Kra chen. Bevor ich mir überlegen konnte, was ich tun sollte, barst das Gebüsch hinter mir auseinander, und keine acht Yards von uns entfernt erschienen das ge waltige Horn und die blinzelnden Augen eines an greifenden Nashorns. Es hatte uns gewittert oder den Rauch meiner Pfeife in die Nase bekommen, und griff
nun diesen fremden Geruch an, wie es die Art dieser Tiere ist. Ich konnte nicht aufspringen, ich konnte nicht einmal das Gewehr hochreißen, dazu war keine Zeit. Ich konnte nichts weiter tun, als mich so weit aus dem Weg des heranstürmenden Monsters zu rollen, wie das Gebüsch es erlaubte. Im nächsten Au genblick war es über mir, und ich schwöre, daß ich seinen Geruch eine ganze Woche lang nicht aus der Nase bekam. Die Umstände hatten ihn fest in meine Erinnerung geprägt, zumindest nehme ich das an. Sein heißer Atem fuhr mir ins Gesicht, einer seiner Vorderläufe verfehlte um eine Handbreite meinen Kopf, und sein hinterer trat auf den losen Teil meiner Hose und zwickte ein Stück Haut ein. Ich sah ihn über mich hinwegstampfen, während ich wehrlos auf dem Rücken lag, und im nächsten Augenblick sah ich noch etwas. Meine Männer lagen ein kurzes Stück von mir entfernt und genau in der Richtung des Bie stes. Einer von ihnen warf sich rücklings in das Ge büsch und entkam ihm auf diese Weise. Der zweite sprang mit einem wilden Schrei auf die Füße, schnellte sich wie ein Gummiball direkt in den Alo enbusch und landete zwischen dessen nadelspitzen Blättern. Doch der dritte, es war mein Freund Gobo, konnte nicht entkommen. Es gelang ihm zwar, auf die Füße zu springen, doch das war alles. Das Nashorn stürmte mit gesenktem Kopf auf ihn zu. Sein Horn fuhr zwischen Gobos Beine, und als es ein Gewicht auf seiner Nase spürte, riß es sie empor. Gobo wurde hoch in die Luft geschleudert. Auf dem Höhepunkt seiner Flugbahn schlug er einen kompletten Salto, und dabei sah ich sein Gesicht. Es war grau vor Ent setzen, sein Mund weit aufgerissen. Er kam herabge
segelt und landete direkt auf dem Rücken der Bestie. Zu seinem Glück zeigte das Vieh nicht die geringste Reaktion, sondern brach mitten durch den Aloe busch, wobei es den Mann, der in diesen rasch hin eingesprungen war, nur um einen knappen Yard ver fehlte. Dann kam es zu einer Komplikation. Der schlafen de Büffel auf der anderen Seite des Gebüsches sprang auf die Füße, als er das brechende Geräusch hörte, und da er nicht wußte, wie er reagieren sollte, blieb er einen Moment lang reglos stehen. In diesem Augen blick raste das riesige Nashorn in ihn hinein, stieß ihm sein Horn mit einer solchen Wucht in den Bauch, daß der Büffel auf den Rücken geworfen wurde, während sein Angreifer über den gewaltigen Körper stolperte und sich überschlug. Im nächsten Augen blick war das Nashorn jedoch wieder auf den Beinen, warf sich herum und brach hangabwärts durch das Unterholz, auf das offene Land zu. Im gleichen Moment hörte man aus allen Richtun gen erschreckte Geräusche. Überall brachen schnau bende Büffel wild vor Angst durch das Gehölz, und der verwundete Bulle auf der anderen Seite des Alo engestrüpps begann zu brüllen, als ob er verrückt geworden wäre. Ich lag für einen Moment stockstill und betete inbrünstig, daß keiner der fliehenden Büf fel in meine Richtung kommen würde. Dann, als die Gefahr geringer wurde, sprang ich auf die Füße, schüttelte mich und blickte umher. Einer meiner Boys – der, welcher sich rücklings in das Gebüsch gewor fen hatte – war bereits bis zur halben Höhe einen Baum hinaufgeklettert – wenn im Wipfel des Baumes der Himmel gelegen hätte, würde er nicht schneller
geklettert sein. Gobo lag unweit von mir auf dem Rücken, stöhnte erbärmlich, war jedoch, so weit ich sehen konnte, unverletzt; und aus dem Aloegebüsch, in den der dritte wie ein Tennisball gesprungen war, ertönten gellende Schreie. Ich trat näher und sah, daß der arme Bursche sich in einer recht ungemütlichen Lage befand. Eins der speerartigen Blätter der Aloe war in Höhe seiner Gürtellinie durch seine Haut gedrungen, zwar ohne sein Fleisch zu verletzen, doch auf eine solche Weise, daß er sich nicht bewegen konnte, während keine sechs Fuß vor ihm der Büffelbulle, welcher ihn an scheinend für seinen Angreifer hielt, brüllte und stampfte und versuchte, an ihn heranzukommen, wobei er die dicken Aloeblätter mit seinen Hörnern zerfetzte. Daß ich keine Sekunde verlieren durfte, wenn ich diesen Mann retten wollte, war mir augen blicklich klar. Also packte ich mein Gewehr, das zum Glück unbeschädigt geblieben war, trat einen Schritt zur Seite – denn das Nashorn hatte das Loch in dem Gebüsch vergrößert – und zielte auf einen Punkt an der Schulter des Büffels, da ich von meiner Position aus keinen sicheren Blattschuß anbringen konnte. Während ich zielte, sah ich, daß das Nashorn dem Büffel eine riesige Wunde in den Bauch gerissen hat te, und daß sein linkes Hinterbein durch die Wucht des Aufpralls aus dem Gelenk gerissen worden war. Ich feuerte, und die Kugel, die in die Schulter des Büffels fuhr, brach den Knochen und riß den Büffel zu Boden. Ich wußte, daß er nicht mehr auf die Beine kommen würde, da er jetzt an einem der vorderen, wie auch an einem der hinteren verletzt worden war, deshalb ließ ich mich durch sein wütendes Gebrüll
nicht davon abhalten, mich seitlich von dem Aloen gestrüpp durch das Unterholz zu drängen und an ihn heranzutreten. Er lag auf der Seite und wühlte mit seinen Hörnern wütend den Boden auf. Ich trat bis auf zwei Yards an ihn heran, zielte auf seine Nak kenwirbeln und feuerte. Die Kugel traf genau, der mächtige Kopf fiel mit dumpfem Aufschlag zu Bo den, er stöhnte einmal und war tot. Nachdem ich diese kleine Angelegenheit erledigt hatte, unter Mithilfe Gobos, der inzwischen wieder auf den Beinen stand, machte ich mich daran, unse ren unglücklichen Begleiter aus den Aloen zu befrei en. Dies erwies sich als eine sehr dornige Angelegen heit, doch gelang es uns schließlich, ihn unverletzt herauszuziehen, wenn auch in einem sehr frommen Gemütszustand. Sein ›Geist habe gewiß auf ihn ge blickt‹, versicherte er, denn sonst wäre er jetzt tot. Und da ich echter Frömmigkeit niemals widerspre che, sagte ich ihm nicht, daß sein Geist sich meines Gewehres bedient hatte, um seine Interessen zu wah ren. Nachdem ich diesen Boy zum Lager zurückgesandt hatte, mit dem Auftrag, die Träger herzuschicken, um den Büffel zu zerteilen, wurde ich mir bewußt, daß ich eine Wut auf das Nashorn hatte und mich an ihm rächen wollte. Ohne Gobo etwas von meinem Vorha ben zu sagen – er war inzwischen mehr denn je da von überzeugt, daß das Schicksal in Wambes Land einherginge – folgte ich also mit ihm und einem an deren Boy der Fährte des Tieres. Es war durch das Unterholz gebrochen und hatte die kleine Lichtung erreicht. Dort hatte es seinen Lauf etwas verlangsamt, als es über die Lichtung getrottet und dabei ein wenig
nach rechts abgebogen war, um durch den Waldgür tel in das offene Land zu gelangen, das zwischen dem Waldrand und dem Fluß lag. Nachdem ich der Fährte eine weitere Meile gefolgt war, befanden wir uns auf der freien Ebene. Ich nahm das Fernglas heraus und suchte die Ebene ab. Etwa eine Meile entfernt ent deckte ich eine braune Masse, die ich für das Nashorn hielt. Ich schritt etwa eine Viertelmeile näher und musterte sie erneut: es war nicht das Nashorn, son dern ein riesiger Termitenbau. Das war enttäuschend, doch gab ich nicht auf, da ich durch die Fährte wußte, daß das gesuchte Tier irgendwo voraus sein mußte. Doch da der Wind von mir in die Richtung wehte, in die es gezogen war, und da ein Nashorn einen Men schen auf eine Entfernung von fast einer Meile rie chen kann, hielt ich es nicht für sicher, seiner Fährte weiter zu folgen; also schlug ich einen weiten Bogen, bis ich mich seitlich des Ameisenhaufens befand, und suchte wieder die Ebene ab. Jedoch vergeblich; da ich nichts von ihm entdecken konnte, wollte ich schon aufgeben und mich einer Herde Antilopen zuwen den, die ich am Horizont entdeckte, als ich plötzlich etwa dreihundert Yards von dem Termitenbau ent fernt, auf seiner gegenüberliegenden Seite, mein Nas horn auf einer kleinen Grasfläche stehen sah. ›Himmel‹, murmelte ich leise, ›der Bursche zieht wieder weiter.‹ Aber nein, nachdem er etwa eine Mi nute so gestanden hatte, legte er sich wieder hin. Jetzt saß ich in der Klemme. Wie Sie wissen, ist das Nashorn ein sehr kurzsichtiges Tier, seine Augen sind genau so schlecht, wie seine Nase gut ist. Und dessen ist es sich auch sehr wohl bewußt, doch macht es das Beste aus seinen natürlichen Gaben. So legt es sich,
wenn es ruht, stets mit der Nase abwindig. Auf diese Weise kann es einen Feind, der in seine Windrichtung gerät, noch immer riechen und fliehen oder angreifen; und wenn sich ihm eine Gefahr gegen die Windrich tung nähert, hat er zumindest die Möglichkeit, sie zu sehen. Denn sonst würde man es mit einem Fußtritt aufscheuchen können, wie eine Wachtel, wenn man sich ihm nur gegen den Wind näherte. Es erhob sich also die Frage: wie, zum Teufel, sollte ich auf Schußentfernung an dieses Nashorn heran kommen? Nach langem Überlegen beschloß ich, mich ihm von der Seite zu nähern, da ich hoffte, aus dieser Richtung einen Schulterschuß anbringen zu können. Also gingen wir in gebückter Haltung los, ich voran, dann Gobo, der sich an meinen Rockschössen fest hielt, und als letzter der andere Boy, eine Hand an Gobos Moocha geklammert. Ich halte es immer so, wenn ich Wild beschleiche, da bei jeder anderen Me thode die Leute außer Kontrolle geraten. Wir gelang ten bis auf dreihundert Yards an das Nashorn heran, doch an diesem Punkt begannen die Schwierigkeiten. Das Gras war vom Wild so kurz abgeweidet worden, daß es uns kaum noch Deckung bot. Also mußten wir auf Händen und Knien weiterkriechen, was in mei nem Falle bedeutete, das schwere Gewehr bei jedem Schritt auf den Boden zu legen und dann wieder hochzuheben. Doch schaffte ich es irgendwie, recht zügig voranzukommen, und es wäre sicher alles gut gegangen, wenn es nicht um Gobo und seinen Freund gewesen wäre. Doch wie Sie alle sicher selbst beob achtet haben, beschleicht ein Eingeborener Wild auf die Art, die angeblich einem Strauß eigen sein soll: solange sein Kopf verborgen ist, scheint er anzuneh
men, daß auch sonst nichts von ihm gesehen werden kann. Und so war es auch in diesem Falle. Gobo und der andere Boy krochen auf Händen und Zehenspit zen, den Kopf tief am Boden, doch, wie ich leider erst zu spät entdeckte, den fundamentalen Teil ihres Kör pers hoch emporgereckt. Nun hegen Tiere diesem Teil der menschlichen Anatomie gegenüber ein ge nauso starkes Mißtrauen wie gegenüber seinem Ge sicht, eine Tatsache, die ich sehr bald bestätigt finden sollte. Gerade als wir uns dem Tier auf zweihundert Yards genähert hatten und ich mir dazu gratulierte, daß ich mich nicht umsonst gequält hatte mit diesem endlosen Kriechen in der glühenden Sonne, die mir wie ein Schmiedefeuer in den Nacken brannte, hörte ich das Zischen von Nashornvögeln, und vier oder fünf von ihnen flogen von dem Rücken des Tieres auf, wo sie in aller Seelenruhe damit beschäftigt ge wesen waren, nach Zecken zu picken. Nun ist dieses Verhalten für ein Nashorn ein Alarmsignal, das es so fort in den qui vive versetzt. Noch bevor die Vögel in der Luft waren, sah ich, wie das Gras sich bewegte. ›Hinlegen!‹ flüsterte ich den Boys zu, und während sie das taten, erhob sich das Nashorn und blickte mißtrauisch umher. Doch es bemerkte nichts, und ich bezweifle sogar, daß es uns auf diese Entfernung ge sehen hätte, wenn wir aufrecht gestanden wären; also schnaubte es nur zwei- oder dreimal und legte sich wieder hin, den Kopf wie vorher windabwärts ge wandt, und die Vögel ließen sich erneut auf seinem Rücken nieder. Mir war jedoch klar geworden, daß es beim Schla fen ein Augen offen hielt, da es allgemein von einem unchristlichen Mißtrauen erfüllt war, und daß es des
halb sinnlos war, zu versuchen mich ihm weiter zu nähern, also zogen wir uns lautlos zurück, um die Lage zu durchdenken und das Gelände zu sondieren. Das Ergebnis war nicht sehr ermutigend. Es gab nir gends eine Deckung, außer dem Termitenbau, und der befand sich etwa dreihundert Yards von ihm ent fernt, an der Windseite des Nashorns. Ich wußte, daß es mir nicht gelingen würde, mich von vorn heranzu schleichen, und wenn ich es von hinten versuchen sollte, würden es oder die Vögel mich bemerken; also gelangte ich zu dem Entschluß, aufrecht auf den Ameisenhaufen zuzugehen, wodurch es meine Witte rung in die Nase bekommen würde, und anstatt es anzugreifen, würde ich es mich angreifen lassen. Es war ein riskantes Unterfangen, das ich keinem Jäger raten möchte, doch hatte ich irgendwie das Gefühl, daß das Vieh und ich diese Sache durchstehen muß ten. Ich erklärte den Männern meine Absichten, und sie reckten entsetzt ihre Arme gen Himmel. Ihre Be fürchtungen um mein Wohlergehen legten sich je doch erheblich, als ich ihnen erklärte, daß sie nicht mit mir zu kommen brauchten. Gobo murmelte ein Gebet, daß ich nicht dem hier einherwandernden Schicksal begegnen mochte, und der andere hoffte ehrlich darauf, daß mein Geist in meine Richtung blicken möge, wenn das Nashorn angriff, und dann verzogen sie sich in sichere Entfer nung. Ich nahm meine schwere Büchse, steckte ein halbes Dutzend Patronen in die Tasche, näherte mich auf ei nem Umweg dem Termitenhügel, den ich auch un bemerkt erreichte, und legte mich dort zu Boden. Der
Wind war vorübergehend eingeschlafen, doch jetzt wehte eine leichte Brise über mich hinweg und trug meine Witterung dem Nashorn zu. Übrigens, ich fra ge mich, was es sein mag, das einen Menschen so stark riechen läßt? Ist es sein Körper, oder sein Atem? Es ist mir nie gelungen, das herauszufinden, doch ich sah vor einiger Zeit bei einer Entenjagd, daß der Mann, der die Lockvögel ins Wasser ließ, ein kleines Stück brennenden Grasbodens vor seinen Mund hielt, und daß die Enten ihn dadurch nicht riechen konn ten, was darauf schließen läßt, daß es der Atem ist. Aber was immer es sein mochte, das die Aufmerk samkeit des Nashorns auf mich zog, es roch mich, denn wenige Sekunden nachdem die kurze Brise über mich hinweggeweht war, stand es auf den Beinen und richtete seinen Kopf in den Wind. Eine Weile stand es so und schnupperte, und dann setzte es sich in Bewegung, zuerst in einen Trott, und dann, als der Geruch stärker wurde, in einen wütenden Galopp. Es kam auf mich zugeprescht, schnaubend wie eine durchgehende Lokomotive, den Schwanz steil aufge richtet; wenn es mich dort am Boden hätte liegen se hen, es hätte nicht zielstrebiger auf mich zustürmen können. Es war eine ziemlich ungemütliche Situation, kann ich Ihnen versichern, dort zu liegen und auf sei nen Angriff zu warten, denn es sah wie ein Berg von Fleisch aus. Ich beschloß jedoch, nicht eher zu feuern, bis ich klar sein Auge erkennen konnte, denn ich glaube, daß diese Regel einem immer die richtige Ent fernung zum Wild gibt, also stützte ich den Lauf meines Gewehrs auf den Termitenhügel und erwar tete den Angriff kniend. Schließlich, als das Nashorn nur noch etwa vierzig Yards entfernt war, sah ich,
daß die Zeit gekommen war, zielte auf die Mitte der Brust und drückte ab. Wumm machte es, als die schwere Kugel aus dem Lauf fuhr, und ihre Wucht warf das wild schnauben de Tier zu Boden wie einen von einer Schrotladung getroffenen Hasen. Doch wenn ich gedacht hätte, daß es erledigt war, so irrte ich mich gewaltig, denn im nächsten Augenblick war es wieder auf den Beinen und kam genau so wütend wie vorher auf mich zu geprescht, jetzt jedoch mit gesenktem Schädel. Ich wartete, bis es auf zehn Yards heran war, in der Hoffnung, daß es den Kopf heben und seine Brust freilegen würde, doch tat es nichts dergleichen, also mußte ich mit dem linken Lauf auf seine Stirn feuern und es darauf ankommen lassen. Wie das Glück es haben wollte, reckte das Tier sein Horn in die Schuß linie, das die Kugel etwa drei Zoll oberhalb des An satzes durchschlug und dann von ihm abgelenkt wurde. Jetzt wurde die Lage ziemlich ernst. Mein Gewehr war leergeschossen, und das Biest kam rasch näher, so rasch, daß es mir richtiger erschien, ihm Platz zu machen. Also sprang ich auf die Füße und lief so rasch wie ich konnte nach rechts. Während ich das tat, kam das Nashorn herangerast, stolperte über meinen freundlichen Termitenbau und ging zum dritten Mal an diesem Tag zu Boden. Das gab mir ein paar Sekunden Zeit, in den Wind zu laufen – und ich bin wahrhaftig gelaufen! Unglücklicherweise wurde meine Flucht jedoch bemerkt, und sowie das Nashorn wieder auf den Beinen stand, kam es hinter mir her. Nun kann kein Mensch auf dieser Erde so schnell lau fen, wie ein wütendes Nashorn galoppiert, und ich
wußte, daß es mich bald einholen würde. Da ich je doch glücklicherweise einige Erfahrungen auf diesem Gebiet hatte, behielt ich einen kühlen Kopf, riß die beiden Gewehrkammern auf, warf die abgefeuerten Patronen heraus und lud zwei neue nach. Um das zu tun, mußte ich meinen Schritt jedoch ein wenig ver langsamen, und als ich die Kammern zuschnappen ließ, hörte ich die Bestie nur wenige Schritte hinter mir schnauben und trampeln. Ich hielt inne in mei nem Lauf, fuhr auf dem Absatz herum und spannte dabei beide Hähne meines Gewehrs. Inzwischen war die Bestie auf sechs oder sieben Yards herangekom men, doch glücklicherweise hatte sie den Kopf wie der gehoben. Ich riß mein Gewehr hoch und feuerte. Es war ein fast ungezielter Schuß, doch die Kugel schlug in die Brust des Tieres, wenige Zoll von dem ersten Einschuß entfernt, und traf die Lunge. Der Treffer konnte es jedoch nicht stoppen, also blieb mir nichts anderes übrig, als zur Seite zu springen, was ich mit überraschender Schnelligkeit tat, und als es dicht an mir vorbeistürmte, feuerte ich ihm die Kugel aus dem zweiten Lauf in die Seite. Sie traf es dicht hinter der Schulter und durchbohrte das Herz. Es stürzte auf die Seite, stieß einen entsetzlichen Schrei aus – ein Dutzend Schweine hätten diesen Laut nicht hervorbringen können und starb, wobei seine tücki schen Augen ständig offen blieben. Was mich betraf, so schnaubte ich mir die Nase, trat zu dem Nashorn, setzte mich auf seinen Kopf und überlegte, daß die Jagd dieses Vormittags recht beachtlich gewesen war.
3
Die erste Runde
Anschließend – es war inzwischen Mittag geworden, und ich hatte genügend Fleisch geschossen – mar schierten wir triumphierend zum Lager zurück, wo ich sofort damit begann, einen Stew aus Büffelfleisch und Trockengemüse zu kochen. Als er fertig war, aßen wir ihn, und anschließend machte ich einen Mittagsschlaf. Gegen vier Uhr weckte mich Gobo je doch und teilte mir mit, daß der Älteste aus einem von Wambes Kraals gekommen sei und mich zu sprechen wünsche. Ich befahl, ihn zu mir zu bringen, und kurz darauf stand er vor mir, ein kleiner, grau haariger, gesprächiger, alter Mann, mit einem Hüft tuch um seine Leibesmitte und einem verschmierten, ausgefransten Kaross* aus den Fellen von Bergkanin chen auf seinen Schultern. Ich forderte ihn auf, sich zu setzen, und begann dann, ihn gehörig abzukanzeln. Wie er dazu käme, fragte ich ihn, mich auf eine so grobe Art zu stören? Wie er es wagen könnte, einen Mann meines Standes und meiner klar erkennbaren Bedeutung wecken zu lassen, damit ein so verachtenswürdiger Mensch wie er mit ihm reden könne? So sprach ich, weil ich wußte, daß das bei ihm Ein druck hervorrufen würde. Niemand, außer einem wirklich bedeutenden Mann, würde er folgern, konnte es wagen, auf eine solche Weise mit ihm zu *
Kaross: ärmelloses Gewand
sprechen. Die meisten Wilden sind im Innern ihres Herzens Tyrannen und betrachten Unverschämtheit als ein Zeichen von Macht. Der alte Mann brach sofort zusammen. Er sei völlig überwältigt, sagte er; sein Herz sei in zwei Teile zer rissen, und das Ausmaß seiner Unbotmäßigkeit sei ihm wohl bewußt. Doch sei sein Anliegen von äußer ster Dringlichkeit. Er habe gehört, daß ein gewaltiger Jäger sich in der Gegend aufhalte, ein schöner, weißer Mann, von einer solchen Schönheit, die er für un möglich gehalten hätte, wenn er sie nicht selbst vor sich sehen würde (dies zu mir!), und er sei gekom men, um die Hilfe dieses großen Jägers zu erbitten. Tatsache sei daß drei Elefantenbullen von einer Grö ße, wie sie ein Mensch nie zuvor gesehen hatte, seit Jahren der Schrecken seines Kraals seien, der nur ge ringe Ausmaße habe – eines Rinder-Kraals des gro ßen Häuptlings Wambe, in dem sie lebten, um das Vieh zu hüten. Schon seit geraumer Zeit hätten die Elefanten ihnen großen Schaden zugefügt; doch wäh rend der vergangenen Nacht sei von ihnen ein großer Teil der Maisanpflanzungen zerstört worden, und wenn sie noch einmal kommen würden, stünde zu befürchten, daß er und seine Leute während der nächsten Zeit hungern müßten. Ob der mächtige weiße Mann deshalb die Güte haben würde, zu ihnen zu kommen und die Elefanten zu töten? Es müßte dem weißen Mann doch ein Leichtes sein, oh, nur ei ne Kleinigkeit! Er brauchte sich doch nur in einem Baum zu verstecken, denn es sei ja Vollmond, und dann, wenn die Elefanten erschienen, könnte er mit seinem Gewehr zu ihnen sprechen, und sie würden tot umfallen, und das sei das Ende ihres Kummers.
Natürlich fand ich eine Menge Ausflüchte und Einwände, bevor ich mich endlich bereit erklärte, sei ner Bitte zu willfahren, obwohl ich innerlich begei stert war, daß sich mir eine solche Gelegenheit bot. Eine der Bedingungen, die ich stellte, bestand darin, daß sofort ein Bote zu Wambe entsandt würde, des sen Kraal sich etwa zwei Tagesmärsche von unserem Standpunkt entfernt befand, und ihm meldete, daß ich unterwegs sei, um ihm in einigen Tagen meine Hochachtung zu erweisen und seine formelle Erlaub nis zu erbitten, in seinem Lande jagen zu dürfen. Au ßerdem ließ ich durchblicken, daß ich bereit sei, ihm ein größeres ›Hongo‹ zu übergeben, ein Bestechungs geschenk, und daß ich hoffte, mit ihm ein paar Ge schäfte in Elfenbein abschließen zu können, von dem er, wie ich gehört hätte, eine erhebliche Menge besä ße. Diese Nachricht versprach der alte Mann sofort auf den Weg zu bringen, doch war da etwas in seinem Verhalten, das mir zeigte, daß er starke Zweifel daran hegte, ob sie wohlwollend aufgenommen werden würde. Anschließend brachen wir unser Lager ab und zogen zu dem Kraal, den wir etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichten. Dieser Kraal war ei ne Ansammlung von Hütten, die von einem leichten Dornenzaun umgeben waren; es mochten etwa zehn Hütten gewesen sein. Sie standen in einem Einschnitt des Berges, durch den ein Bach floß. Dieser Einschnitt war von dichtem Wald bestanden, doch hatte man oberhalb des Kraals eine Fläche von Bäumen und Buschwerk befreit, und hier, auf dem fruchtbaren Boden, der von dem Bach angeschwemmt worden war, befand sich das bebaute Land, das einen Um
fang von zwanzig oder fünfundzwanzig Acres hatte. An dem an den Kraal grenzenden Rand dieses Lan des stand eine einzelne Hütte, die als Maislager diente, zur Zeit jedoch der Wohnort einer alten Frau war, der ersten Ehefrau unseres Freundes, des Dor fältesten. Es hatte den Anschein, als ob diese Dame mit ih rem Gemahl gewisse Meinungsverschiedenheiten über das Ausmaß der Autorität hätte, welche er sei ner jüngeren und liebenswürdigeren Frau zugestand, und sich, um ihr Mißfallen darüber auszudrücken weigerte, länger im Kraal zu leben und ihre Woh nung am Rand der Felder genommen hatte. Wie es sich bald zeigen sollte, hatte sie damit selbst den Ast abgesägt, auf dem sie saß. Nahe dieser Hütte stand ein großer Baobab-Baum. Ein Blick auf die Maisfelder zeigte mir, daß der alte Mann nicht übertrieben hatte, als er mir den Schaden schilderte, den die Elefanten bei dem Getreide ange richtet hatten, das jetzt gerade reif wurde. Fast die Hälfte der Felder war zertrampelt. Die Tiere hatten so viel gefressen, wie sie fressen konnten, und dabei große Flächen niedergetreten. Ich ging zu ihrer Fährte und starrte sie verwundert an. Noch nie zuvor hatte ich so gewaltige Fußabdrücke gesehen. Sie waren ein fach überwältigend, besonders die eines alten Bullen, der, wie die Eingeborenen behaupteten, nur einen Stoßzahn besaß. Jeden der tiefen Eindrücke hätte man für ein Sitzbad verwenden können. Nachdem ich die Lage erkundet hatte, war meine nächste Aufgabe, die Vorbereitungen für den Kampf zu treffen. Die drei Bullen waren nach Aussage der Eingeborenen, die ihre Spur verfolgt hatten, in das
Dickicht oberhalb des Einschnitts gezogen. Das ließ es mir als sehr wahrscheinlich erscheinen, daß sie heute nacht zurückkehren würden, um sich an den verblie benen reifenden Maisstauden gütlich zu tun. Wenn dem so sein sollte, glaubte ich im hellen Licht des Mondes bei einigem Geschick einen oder auch zwei von ihnen erlegen zu können, ohne mich in irgend welche Gefahr bringen zu müssen, was mir, der ich großen Respekt für die Kraft von wütenden Elefan tenbullen habe, überaus wichtig war. Dieses war mein Plan: Zur Rechten der Hütten, in Richtung des Einschnitts gesehen, und mit einem guten Blick über die Maisfelder stand der BaobabBaum, den ich bereits erwähnte. Auf diesem Baum wollte ich Posten beziehen. Von dort würde ich, wenn die Elefanten erschienen, gutes Schußfeld ha ben. Ich erklärte diese Absicht dem Dorfältesten, der davon begeistert war. Jetzt würden seine Leute wie der ruhig schlafen können, meinte er, denn wenn der mächtige weiße Jäger wie ein Geist dort oben säße, und über seinen Kraal wachte, was gab es da noch zu fürchten? Ich erklärte ihm, daß er ein ganz undankbarer Bur sche sei, der nur daran dächte, in Frieden zu schlafen, während ich wie ein verwundeter Geier in dem Geäst des Baumes hockend wachsam sein Wohlergehen be hütete; und wieder brach er zusammen und gab zu, daß meine Worte ›scharf, doch gerechtfertigt‹ seien. Jedoch wurde die Vertrauensbasis rasch wieder hergestellt, und an diesem Abend ging jeder, ein schließlich der durch ihre Eifersucht abgesonderten Frau in der kleinen Hütte, wo die Maiskolben gela gert wurden, mit dem Bewußtsein beruhigender Si
cherheit vor Elefanten und anderen Tieren, die bei Nacht auf Beutesuche gehen, zu Bett. Was mich betraf, so schlug ich mein Lager unter halb des Kraals auf, ließ mir von dem Dorfältesten ei nen Holzbalken geben – der sich, nebenbei gesagt, als recht morsch erwies – und legte ihn über zwei Äste, die in einer Höhe von etwa fünfundzwanzig Fuß waagrecht aus dem Stamm des Baobab herauswuch sen, so daß ich und ein zweiter Mann darauf sitzen konnten, die Beine herabbaumelnd und den Rücken an den Stamm gelehnt. Als dieses getan war, ging ich zum Lager zurück und aß mein Abendbrot. Gegen neun Uhr, eine halbe Stunde vor Mondaufgang, rief ich Gobo, der offensichtlich der Meinung war, daß er für diesen Tag genug der Freuden der Großwildjagd gehabt hätte, und dem der neue Auftrag ganz und gar nicht gefiel, und gab ihm trotz all seiner Einwän de meine schwere Büchse zu tragen, während ich das .570 Expreßgewehr mitnahm. Dann machten wir uns auf den Weg zum Baum. Es war sehr dunkel, doch fanden wir ihn ohne Schwierigkeit; auf ihn hinaufzu kommen hingegen war eine andere Sache. Schließlich jedoch waren wir oben und setzten uns auf den Bal ken, wie zwei kleine Jungen auf einer Schaukel, die zu hoch für sie ist, und warteten. Ich wagte nicht zu rauchen, weil ich mich an das Nashorn erinnerte und fürchtete, daß die Elefanten den Tabak riechen mochten, wenn sie in meine Richtung kamen, und das machte die Sache noch langweiliger; also hing ich meinen Gedanken nach und meiner Verwunderung über die Tiefe der uns umgebenen Stille. Schließlich stieg der Mond auf, und mit ihm kam ein seufzender Wind, mit dessen Atem die Stille ge
heimnisvoll zu wispern begann. Sehr verlassen wirkte das Licht in der Weite des Berges, der Ebene und des Waldes, eher wie die Vision eines Traums, irgendeine Spiegelung einer wunderbaren Welt jen seits unseres Horizonts, als nur das Antlitz der häßli chen Erde, das im Schlaf sanft wirkte. Wenn ich den Balken, auf dem ich saß, nicht sehr hart gefunden hätte, würde der wundervolle Anblick mich sehr sentimental gestimmt haben; doch glaube ich nicht, daß irgend jemand sentimental werden kann, wenn er in feuchter Luft auf einem sehr harten Holzbalken in halber Höhe eines Baumes sitzt. Also registrierte ich lediglich, daß es eine besonders schöne Nacht war, und wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Jagd auf Elefanten zu, doch ließen sich keine Elefan ten sehen, und nachdem ich etwa eine weitere Stunde gewartet hatte, mußte ich, wahrscheinlich aus Mü digkeit und Enttäuschung, eingeschlummert sein. Plötzlich fuhr ich erschrocken aus dem Schlaf. Gobo, der neben mir hockte, jedoch so weit von mir entfernt wie der Balken es zuließ – denn weder weiße noch schwarze Menschen mögen den Geruch, von dem je der behauptet, daß er die besondere und unange nehme Eigenschaft des anderen sei – schnippte leise, kaum hörbar, mit den Fingern. Dieses Signal, das bei eingeborenen Jägern und Gewehrträgern sehr beliebt ist, sagte mir, daß er irgend etwas gesehen und ge hört haben mußte. Ich blickte auf sein Gesicht und sah, daß er angespannt auf den vage erkennbaren Waldrand jenseits der grünen Maisfelder starrte, blickte ebenfalls in diese Richtung und lauschte. Kurz darauf hörte ich ein leises Geräusch, als ob ein Riese behutsam seine Hand ausstreckte und mit ihr die
Halme eines Maisfeldes zurückdrückte. Dann kam eine Pause, und dann trat der mächtigste Elefant, den ich jemals gesehen habe und auch jemals sehen wer de, majestätisch zwischen den Bäumen hervor. Mein Gott! Was für ein Monstrum das war! Wie wunderbar sein einziger Stoßzahn im Licht des Mondes schim merte – denn der zweite fehlte ihm – als er zwischen den Maisstauden stand, seine riesigen Ohren vor und zurück bewegte und mit seinem Rüssel den Wind prüfte. Während ich noch über seine gewaltige Größe staunte und das Gewicht des riesigen Stoßzahns ab zuschätzen versuchte, der, wie ich mir schwor, bald mir gehören sollte, trat ein zweiter Bulle heraus und stellte sich neben ihn. Er war nicht ganz so hoch, schien jedoch fast einen noch größeren Leibesumfang zu haben als er erste, und selbst bei diesem schwa chen Licht konnte ich erkennen, daß seine beiden Stoßzähne in perfektem Zustand waren. Wieder eine kurze Pause, und dann trat ein dritter hervor. Er war kürzer als die beiden anderen, jedoch von größerer Schulterhöhe als Nummer zwei, und wenn ich Ihnen sage, daß der kleinste dieser drei mächtigen Bullen, wie ich später durch genaues Messen feststellte, an der Schulter zwölf Fuß und einen halben Zoll maß, mag Ihnen das eine gewisse Vorstellung von ihrer Größe geben. Die drei standen nebeneinander und verhielten sich für eine Weile völlig still, nur der mit dem einzelnen Stoßzahn streichelte das Tier zu seiner Linken mit dem Rüssel. Dann begannen sie zu fressen, schritten langsam voran und ein wenig nach rechts, wobei sie große Bu schen von dem Mais ausrissen und sie in ihr Maul stopften. Während all dieser Zeit waren sie mehr als
einhundertzwanzig Yards von mir entfernt (ich wußte das, weil ich die Entfernungen verschiedener Punkte von meinem Baum abgeschritten hatte), also viel zu weit, als daß ich bei diesem schwachen Licht einen sicheren Schuß anbringen konnte. Sie näherten sich in einem Halbkreis und kamen dabei auf die ein zelstehende Hütte zu, in der der Mais aufbewahrt wurde, und in dem die alte Frau schlief. Dieses ging zwischen einer und anderthalb Stun den so weiter, bis ich, zwischen Aufregung und Hoffnung, die das Herz krank machen, so müde wurde, daß ich tatsächlich daran dachte, vom Baum herabzuklettern und mich im Mondlicht an sie heran zuschleichen. Ein solches Unternehmen in einem der artig offenen Gelände wäre natürlich heller Wahnsinn gewesen, und allein die Tatsache, daß ich so etwas überhaupt in Erwägung zog, mag Ihnen meine geisti ge Verfassung schildern. Doch kommt alles zu dem, welcher warten kann, und manchmal auch zu dem, der es nicht kann, und so kamen die Elefanten, oder, richtiger gesagt, einer von ihnen, schließlich zu mir. Nachdem sie ihre Leiber gefüllt hatten, wozu eine gewaltige Menge Mais nötig war, standen diese drei wieder in einer Reihe, ein Stück links von der Hütte am Rand des bebauten Landes und etwa fünfund achtzig Yards von dem Baum entfernt, in dessen Ge äst ich hockte. Dann gab der mit dem einzelnen Stoß zahn ein seltsames rasselndes Geräusch von sich, das klang, als ob er seinen Rüssel freischnaubte, und be gann langsam auf die Hütte loszugehen, in der die alte Frau schlief. Ich entsicherte mein Gewehr und warf einen Blick zum Mond empor, nur um zu ent decken, daß eine neue Komplikation in der unmittel
baren Zukunft lauerte. Ich habe bereits erwähnt, daß sich mit dem Aufsteigen des Mondes ein Wind erho ben hatte. Nun, dieser Wind brachte Regenwolken heran. Ein paar leichte von ihnen hatten das Licht be reits für eine Weile verdunkelt, ohne es jedoch ganz zu verfinstern, und jetzt trieben zwei weitere heran, beide sehr dunkel und dicht. Die erste Wolke war schmal und lang, die andere groß und breit. Ich erin nere mich, daß dieses Paar eine komische Ähnlichkeit mit einem Wagen und einem sehr knochigen Pferd aufwies. Wie es mein Glück wollte, schob sich der Kopf dieses Pferdes in dem Moment vor den Mond, als der Elefant sich auf eine Entfernung von fünfund zwanzig Yards oder so genähert hatte, so daß es mir unmöglich war, auf ihn zu schießen. In dem schwa chen Licht konnte ich jedoch gerade noch erkennen, daß die riesige Masse des Tieres sich weiter der Hütte näherte. Dann wurde es völlig dunkel, und ich mußte mich ganz auf meine Ohren verlassen. Ich hörte ihn mit seinem Rüssel umherfummeln, wahrscheinlich am Dach der Hütte; als nächstes kam ein Geräusch, als ob Stroh herausgezerrt würde, und dann war vollkommene Stille. Die Wolke zog vorbei; ich konnte die Umrisse des Elefanten wieder erkennen; er stand vor der Hütte, seinen Kopf über ihr Dach gereckt. Doch ich konnte seinen Rüssel nicht sehen, und das war auch kein Wunder, denn er befand sich im Innern der Hütte. Er hatte ihn durch das Strohdach gebohrt und tastete mit ihm, zweifellos durch den Geruch des Maises an gezogen, darin umher. Es wurde jetzt wieder hell, und ich hob mein Gewehr, als plötzlich ein entsetzli cher Schrei ertönte, und dann sah ich den Rüssel
auftauchen, und in seinem gewaltigen Griff hielt er die alte Frau, die in der Hütte geschlafen hatte. Sie tauchte aus dem Loch im Dach auf wie ein Kasten männchen, noch immer in ihre Decke gewickelt, ihre hageren Arme und Beine nach allen vier Himmels richtungen gestreckt, und sie schrie gellend. Ich kann wirklich nicht sagen, wer mehr Angst hatte, sie, oder ich, oder der Elefant. Zumindest war der letztere sehr verblüfft; er hatte nach Maiskolben gefischt – daß er die alte Frau erwischt hatte, war reiner Zufall gewe sen, und einer, der ihm sehr an die Nerven ging. Er stieß einen trompetenartigen Laut aus und schleu derte sie fort, direkt in die Krone eines niedrigen Mi mosenbaums, wo sie hängenblieb und kreischte wie die Dampfpfeife einer Lokomotive. Der alte Bulle hob seinen Schwanz, wedelte mit seinen großen Ohren und machte sich zur Flucht bereit. Ich legte mein Ge wehr an, zielte hastig auf einen Punkt seiner Schulter (weil er breitseits zu mir stand) und feuerte. Der Knall des Schusses dröhnte wie ein Donnerschlag und hallte als tausendfaches Echo von den stillen Bergen wider. Ich sah den Bullen zu Boden stürzen, als ob er tot sei. Und dann – ob durch den Rückschlag der schweren Waffe, oder durch das aufgeregte Strampeln dieses idiotischen Gobo, oder durch beides zusammen, oder lediglich durch einen unglücklichen Zufall – brach der morsche Balken, und auch ich stürzte zu Boden und landete am Fuße des Baums auf dem hinteren Teil des menschlichen Körpers. Der Aufprall war so hart, daß ich das Gefühl hatte, meine Zähne würden mir durch den Gaumen schießen, doch obwohl ich ein paar Sekunden lang wie betäubt saß, war ich glücklicherweise unverletzt geblieben.
Der Elefant hatte inzwischen vor Angst und Wut zu trompeten begonnen, und von seinem Getöse alarmiert kamen die anderen beiden herangestürmt. Ich tastete nach meinem Gewehr; es war nicht da. Dann erinnerte ich mich, daß ich es zum Schießen auf eine Astgabel abgestützt hatte, und dort war es zwei fellos verblieben. Meine Lage war jetzt äußerst unbe haglich. Ich wagte nicht, wieder auf den Baum zu klettern, was, angeschlagen wie ich war, einigerma ßen schwierig gewesen wäre, da die Elefanten mich zweifellos erblickt hätten, und auch Gobo, der sich an einem Ast festgeklammert hatte und noch immer mit dem anderen Gewehr dort oben saß. Ich konnte auch nicht weglaufen, da es keinerlei Schutz in der Nähe gab. Also tat ich das einzige, das unter diesen Um ständen möglich war, schlich so leise wie möglich um den Baumstamm herum, behielt die Elefanten im Au ge, flüsterte Gobo zu, mir das Gewehr herunterzu bringen, und wartete die weitere Entwicklung der Dinge ab. Wenn die Elefanten mich nicht bemerken würden – wozu sie glücklicherweise zu wütend wa ren –, war ich gerettet, denn riechen konnten sie mich nicht, da ich abwindig von ihnen stand. Gobo jedoch hörte mich nicht oder wollte mich nicht hören, da er es vorzog, in der Sicherheit seines luftigen Baumsit zes zu bleiben. Er sagte mir später, daß ersteres der Fall gewesen sei, doch ich glaube, daß es das Letztere war, da ich wußte, daß sein Jagdeifer nicht so groß war, um Freude daran zu haben, Elefanten bei Mondlicht in offenem Gelände zu schießen. Also stand ich hinter meinem Baum, enttäuscht, unbe waffnet, doch höchst interessiert, denn ich wurde Zeuge einer höchst bemerkenswerten Szene.
Als die beiden anderen Bullen den verwundeten Elefanten erreichten, hörte dieser auf zu schreien und begann leise, stöhnende Laute auszustoßen und mit seinem Rüssel vorsichtig die Wunde nahe seiner Schulter zu berühren, aus der das Blut in dickem Strahl hervorschoß. Die anderen beiden schienen ihn zu verstehen, jedenfalls taten sie dieses: sie knieten sich zu beiden Seiten des angeschossenen Bullen, schoben ihre Rüssel und ihre Stoßzähne unter seinen Leib und stemmten ihn, von seiner eigenen Anstren gung unterstützt, mit einem einzigen Ruck auf die Beine. Dann lehnten sie sich von beiden Seiten an ihn, um ihn zu stützen, und marschierten in langsamem Schritt auf das Dorf zu.* Es war ein jammervoller An blick, der mir das Gefühl gab, ein Barbar zu sein. Kurz darauf, als der verwundete Elefant sich ein wenig erholt zu haben schien, gingen sie vom Schritt in einen langsamen Trott über, und danach konnte ich ihnen nicht mehr mit meinen Blicken folgen, da sich die zweite, schwarze Wolke vor den Mond schob und ihn bedeckte, so wie ein Kerzenlöscher ein Licht erstickt. Ich sagte, ›mit meinen Blicken‹, doch meine Ohren ließen mich ziemlich gut erraten, was geschah. Als die Wolke heraufzog, trotteten die drei Tiere di rekt auf den Kraal zu, wahrscheinlich, weil der Weg dorthin offen und eben war. Ich glaube, daß sie durch die Dunkelheit verwirrt waren, denn als sie zur Dor nenhecke des Kraals gelangten, umgingen sie diese nicht, sondern brachen hindurch. Nachdem sie die * �
Der Herausgeber wäre geneigt zu glauben, daß Mr. Quatermain sich mit dieser Schilderung auf Kosten der Wahrheit interessant zu machen versuchte, wenn ihm nicht ein ähnlicher Fall zu Kenntnis gekommen wäre.
Hecke überwunden hatten, glaubten sie wohl, daß sie mit dem Kraal genau so gut fertig werden würden, also trampelten sie hindurch. Eine der bienen korbförmigen Hütten wurde von ihnen umgeworfen und stand auf ihrem Kopf, und als ich den Schauplatz erreichte, summten die Menschen, die darin geschla fen hatten, wie Bienen, die in der Nacht gestört wer den, während zwei weitere Hütten flachgetreten worden waren und eine weitere zerfetzt auf dem Bo den lag. Seltsamerweise war jedoch niemand verletzt worden, obwohl mehrere Menschen um ein Haar zu Tode getrampelt worden wären. Als ich dort eintraf, fand ich den Dorfältesten in ei nem Zustand, der mich schmerzlich an den von der griechischen Kunst bevorzugten erinnerte; er tanzte zwischen seinen zerstörten Behausungen umher, als ob er gerade von einem Skorpion gestochen worden wäre. Ich fragte ihn, was ihm fehle, und er stieß eine Flut von Verwünschungen aus. Er nannte mich einen Zauberer, einen Betrüger, einen Unglücksbringer. Ich hätte versprochen, die Elefanten zu töten und es so eingerichtet, daß die Elefanten beinahe ihn getötet hätten, und so weiter. Dies war in meinem Zustand – mir schmerzten noch alle Glieder von dem harten Sturz – zu viel für meine Gefühle, also stürzte ich auf meinen Freund zu, packte ihn bei den Ohren und schlug seinen Kopf gegen den Türrahmen seiner Hütte, der alles war, was von ihr noch stand. ›Du verdammter, alter Halunke!‹ schrie ich ihn an, ›du wagst es, dich über deine lächerlichen Ungele genheiten zu beklagen, wenn du mir einen verrotte
ten Balken als Sitz gabst und mich dadurch der Wut der Elefanten ausliefertest? (bumm! bumm! bumm!) Wenn deine eigene Frau (bumm!) gerade aus ihrer Hütte herausgezerrt wurde (bumm!) wie eine Schnek ke aus ihrem Haus, und der Erd-Erschütterer sie in einen Baum geworfen hat? (bumm! bumm!)‹ ›Gnade, mein Vater, Gnade!‹ keuchte der alte Kna be. ›Wahrlich, ich habe Unrecht getan – mein Herz verrät es mir.‹ ›Das kann man wohl sagen, du alter Schurke.‹ (bumm!) ›Gnade, großer weißer Mann! Ich glaubte, das Holz sei in Ordnung. Doch was sagt der überragende Häuptling – ist die alte Frau, die mir gehört, wirklich tot? Ah, wenn sie tot sein sollte, mag alles doch noch sein Gutes gehabt haben.‹ Er faltete seine Hände und blickte fromm zum Himmel auf, von dem der Mond nun wieder hell herabschien. Ich ließ seine Ohren los und lachte schallend. Die ganze Szene, und seine fromme Hoffnung auf das Ableben des Partners seiner Freuden – oder besser: seiner Leiden – waren absolut lächerlich. ›Nein, du alter Bock‹, erwiderte ich; ›sie hängt in der Krone eines Dornenbaumes und schreit wie tau send Elstern. Der Elefant hat sie dort deponiert.‹ ›Oh, oh‹, sagte er, ›der Rücken des Ochsen ist für seine Lasten geformt. Zweifellos, mein Vater, wird sie herabkommen, wenn sie müde geworden ist.‹ Und ohne sich weiter um diese Angelegenheit zu küm mern, begann er, die Glut des Kochfeuers anzublasen. Und sie erschien auch wenig später, erheblich zer kratzt und durcheinander, doch sonst unbeschädigt. Ich ging danach in mein kleines Lager zurück, wel
ches glücklicherweise nicht von den Elefanten zer trampelt worden war, rollte mich in eine Decke und war bald fest eingeschlafen. So endete meine erste Runde mit jenen drei Ele fanten.«
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Die letzte Runde
»Am nächsten Morgen erwachte ich voller schmerz hafter Erinnerungen und nicht ohne ein gewisses Ge fühl der Dankbarkeit, daß ich noch da war, um auf zuwachen. Der vorhergehende Tag war stürmisch gewesen; mit den Büffeln, dem Nashorn und den Ele fanten sogar sehr stürmisch. Nachdem ich diese Tat sache erkannt hatte, dachte ich wieder an die herrli chen Stoßzähne, und sofort, obwohl es noch so früh am Morgen war, brach ich das zehnte Gebot. Ich be gehrte meines Nächsten Stoßzähne, falls man einen Elefanten de jure als Nächsten auffassen konnte, was er erst in der vergangenen Nacht de facto gewiß gewe sen war – ein sehr viel näherer Nächster als es mir wünschenswert erschienen war, um ehrlich zu sein. Wenn man nun das Gut seines Nächsten begehrt, ist es das beste, wenn auch nicht das moralischste, als kräftiger, bewaffneter Mann in sein Haus zu treten und es sich zu nehmen. Ich war kein sehr kräftiger Mann, doch nachdem ich meine schwere Büchse wie der hatte, war ich bewaffnet, genau wie mein starker Gegner, der Elefant mit seinen Stoßzähnen. Also be reitete ich mich auf einen Kampf bis zum Tode vor. Mit anderen Worten, ich rief meine treuen Diener zu sammen und verkündete ihnen, daß ich jetzt diesen Elefanten folgen würde, bis zum Ende der Welt, wenn es sich als notwendig erweisen sollte. Sie schie nen nicht gerade begeistert von meinem Vorhaben, doch widersprachen sie mir nicht, da sie das nicht
wagten. Seitdem ich mit allem Ernst angedroht hatte, den rebellischen Gobo zu erschießen, waren sie mir gegenüber äußerst respektvoll geworden. Also ging ich zu dem alten Dorfältesten, um mich von ihm zu verabschieden. Er war gerade dabei, ab wechselnd die Trümmer seines Kraals zu betrachten, und, mit der fähigen Mithilfe seiner zweiten Frau, die eifersüchtige Dame zu verdreschen, die in der Mais hütte geschlafen hatte, da nur sie, wie er erklärte, die Quelle all seines Kummers sei. Ich überließ sie der Regelung ihrer häuslichen Mei nungsverschiedenheiten, erhob eine Steuer in Form von Mais und Gemüse von dem Kraal – als Bezah lung für geleistete Dienste – und verließ ihn mit mei nen besten Segenswünschen. Ich weiß nicht, wie der häusliche Streit beigelegt wurde, da ich seither nicht wieder dortgewesen bin. Dann setzte ich mich auf die Fährte der drei Bullen. Auf einer Strecke von zwei Meilen oder so – genau genommen bis zu dem Sumpfgürtel, der am Ufer des Flusses liegt – war der Boden ziemlich steinig und von verstreut stehendem Buschwerk bedeckt. Bei Morgengrauen hatte es geregnet, und dieser Um stand, zusammen mit der Natur des Bodens, machte die Verfolgung der Spuren zu einem schwierigen Unternehmen. Der angeschossene Bulle hatte zwar stark geschweißt, doch der Regen hatte das Blut von Blättern und Gräsern gewaschen, und da der Boden sehr hart war, zeichneten sich die Fußabdrücke in ihm nicht so deutlich ab, wie es wünschenswert ge wesen wäre. Wir konnten der Fährte jedoch folgen, wenn auch recht langsam, teils durch die Spuren im Boden, teils, indem wir vorsichtig Blätter und Gras
halme anhoben und unter ihnen nach Blut suchten, denn das Blut, das aus der Wunde eines angeschos senen Tieres quillt, haftet häufig auf der Unterseite und kann dort natürlich nicht fortgewaschen werden, falls der Regen nicht sehr heftig ist. Wir brauchten etwas mehr als eine Stunde, um den Rand des Sump fes zu erreichen, doch von dort an wurde unsere Aufgabe erheblich leichter, denn der weiche Boden zeigte zahllose Spuren der riesigen Tiere. Nachdem wir unseren Weg durch den Sumpf erzwungen hat ten, gelangten wir schließlich ans Flußufer und zu ei ner Furt, und hier konnten wir sehen, daß das arme, verwundete Tier sich in Schlamm und Wasser nie dergelegt hatte, in der Hoffnung, so seine Schmerzen lindern zu können, und wir sahen auch, daß seine beiden Gefährten ihm wieder auf die Beine geholfen hatten. Wir durchquerten den Fluß bei der Furt, nahmen am anderen Ufer die Fährte wieder auf und folgten ihr durch die Marschen, die jenseits davon la gen. Auf dieser Seite des Flusses war kein Regen ge fallen, und deshalb waren die Schweißspuren häufi ger und stärker. Den ganzen Tag über folgten wir den drei Bullen, einmal über offene Ebenen, und dann durch Inseln von Wald und Dickicht. Sie schienen fast ohne Auf enthalt marschiert zu sein, und ich bemerkte, daß der verwundete Bulle im Laufe der Zeit wieder etwas zu Kräften gekommen zu sein schien. Ich erkannte das an seiner Fährte, deren Tritte fester geworden waren, und auch an dem Umstand, daß die beiden anderen ihn nicht mehr stützten. Schließlich wurde es Abend, und nachdem wir achtzehn Meilen marschiert waren, schlugen wir das Lager auf.
Schon vor Sonnenaufgang des folgenden Tages wa ren wir aufgestanden, und das erste Sonnenlicht sah uns wieder auf der Spur. Etwa gegen halb sechs er reichten wir die Stelle, wo die Elefanten gefressen und geschlafen hatten. Die beiden unverletzten Bul len hatten sich den Magen gefüllt, wie der Zustand der Büsche der Umgebung verriet, doch der verwun dete hatte nichts gefressen. Er hatte die Nacht an den Stamm eines recht ansehnlichen Baumes gelehnt ver bracht, der von seinem Gewicht aus der Senkrechten gedrückt worden war. Sie hatten diese Stelle noch nicht lange verlassen und konnten inzwischen nicht weit gekommen sein, besonders, da der verwundete Bulle nach der Ruhe der Nacht so steif geworden war, daß die anderen beiden ihn erneut stützen mußten. Doch kommen Elefanten recht schnell voran, selbst wenn sie langsam zu gehen scheinen, da Gebüsch und Schlingpflanzen, die einem Menschen jedes Weiterkommen fast unmöglich machen, für sie keine Hindernisse darstellen. Die drei hatten sich inzwi schen nach links gewandt und zogen in einem halben Kreisbogen auf die Berge zu, wahrscheinlich in der Absicht auf der anderen Seite des Flusses zurückzu kehren. Uns blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen, und das taten wir auch, so schnell es uns möglich war. Während dieses ganzen, heißen Tages mar schierten wir, sahen große Herden aller möglichen Wildarten und trafen sogar auf die Fährten weiterer Elefanten. Doch trotz aller Bitten meiner Männer ließ ich mich nicht dazu überreden, diesen zu folgen. Ich wollte jene mächtigen Stoßzähne haben oder gar kei ne.
Gegen Abend waren wir den drei Bullen recht nahe gekommen, schätzungsweise auf eine Viertelmeile, doch der Busch war so dicht, daß wir nichts von ih nen sehen konnten, also mußten wir noch einmal la gern, sehr enttäuscht von unserem Pech. In jener Nacht, als der Mond aufgegangen war und ich an ei nen Baumstamm gelehnt am Feuer saß und meine Pfeife rauchte, hörte ich einen Elefanten trompeten, als ob er durch irgend etwas aufgeschreckt worden wäre, und er konnte nicht mehr als dreihundert Yards entfernt sein. Ich war todmüde, doch meine Neugier war stärker als meine Erschöpfung, also nahm ich, ohne die Männer zu stören, die allesamt fest schliefen, meine schwere Büchse auf, steckte ein paar Reservepatronen ein und ging in die Richtung, aus welcher das Trompeten gekommen war. Der Wildwechsel, dem wir den ganzen Tag über gefolgt waren, verlief geradewegs in jene Richtung. Er war schmal, doch tief ausgetreten, und das Licht fiel in ei ner geraden, weißen Bahn hinein. Ich schlich ihn vor sichtig entlang, und nach etwa zweihundert Yards öffnete er sich auf eine wunderbare Lichtung, die ei nen Durchmesser von über hundert Yards aufwies und mit hohem Gras und mehreren einzelstehenden, flachkronigen Bäumen bestanden war. Mit einer aus langer Erfahrung geborenen Vorsicht beobachtete ich für eine Weile, bevor ich auf die Lichtung trat, und dann sah ich, warum der Elefant trompetet hatte. Dort, in der Mitte der Lichtung, stand ein großer Mähnenlöwe. Er stand völlig reglos, gab ein leises, schnurrendes Geräusch von sich und peitschte mit dem Schwanz hin und her. Dann bewegte sich das Gras etwa vierzig Yards diesseits des Löwen, und ei
ne Löwin schoß wie ein Blitz daraus hervor und auf den Löwen zu. Als sie ihn erreichte, verhielt die große Katze und rieb ihren Kopf an seiner Schulter. Dann begannen sie beide laut zu schnurren, so laut, daß man sie, wie ich glaube, in jener Stille mindestens zweihundert Yards weit gehört haben mußte. Nach einer Weile, während ich mich noch immer fragte, was ich tun sollte, entdeckten sie entweder meine Witterung, oder sie wurden es müde, still auf einem Fleck zu stehen, und beschlossen, nach Wild zu jagen. Jedenfalls liefen sie, wie durch einen ge meinsamen Impuls bewegt, plötzlich davon und ver schwanden in der Tiefe des Unterholzes zu meiner Linken. Ich wartete noch ein wenig länger, um zu se hen, ob noch mehr dieser Katzen in der Gegend wa ren, sah jedoch keine und kam zu dem Schluß, daß die beiden meine Elefanten in die Flucht geschlagen hatten und deshalb mein Ausflug umsonst gewesen war. Doch als ich mich gerade umwandte, um zu rückzugehen, glaubte ich auf der anderen Seite der Lichtung einen Ast brechen zu hören, und wenn es auch mehr als leichtfertig war, folgte ich sofort die sem Geräusch. Lautlos wie ein Schatten überquerte ich die Lichtung. Auf ihrer anderen Seite führte der Wildwechsel weiter. Trotz vieler Bedenken folgte ich ihm. Die Dschungelvegetation war hier so dicht, daß sie über dem Pfad fast zusammenwuchs und nur so wenig Licht hindurchließ, daß ich kaum in der Lage war, mich voranzutasten. Schließlich jedoch wurde er breiter und mündete auf eine zweite Lichtung, die ein wenig kleiner war als die erste, und dort, auf ihrer anderen Seite, etwa achtzig Yards von mir entfernt, standen die drei gewaltigen Elefanten.
Sie standen so: direkt mir gegenüber und mir zu gewandt stand der angeschossene Bulle mit dem ein zelnen Stoßzahn. Er lehnte sich an einen abgestorbe nen Dornenbaum, den einzigen Baum, der sich auf der Lichtung befand, und er wirkte sehr geschwächt. In seiner Nähe stand einer der anderen Bullen, so als ob er bei ihm Wache hielte. Der dritte Elefant stand ein gutes Stück näher und breitseits zu mir. Während ich die Szene beobachtete, setzte dieser Elefant sich plötzlich in Bewegung und verschwand auf einem Wildwechsel im Busch zur Rechten. Ich hatte jetzt zwei Möglichkeiten: ich konnte ent weder zum Lager zurückgehen und in der Morgen dämmerung zurückkommen, oder ich konnte sie so fort angreifen. Die erste Möglichkeit war natürlich die weitaus klügere und sichere. Einen Elefanten bei Mondlicht und im Alleingang anzugehen ist schon mehr als verwegen; auf drei loszugehen war heller Wahnsinn. Andererseits war mir klar, daß sie vor Hellwerden wieder auf dem Marsch sein würden, und daß es mich einen weiteren Tag mühseliger Ver folgung kosten mochte, bevor ich sie wieder eingeholt hatte, oder sie konnten mir auch entwischen. Nein, überlegte ich, ein schwaches Herz gewinnt niemals einen schönen Stoßzahn. Ich will es riskieren und ihnen eins aufbrennen. Aber wie? Ich konnte nicht über die offene Lichtung vorgehen, denn dann würden sie mich sehen; es blieb mir nichts anderes übrig, als im Schatten des Unterholzes herumzukrie chen und auf diese Weise an sie heranzukommen. Al so ging ich los. Nach sieben oder acht Minuten vor sichtigen Anschleichens gelangte ich zur Einmün dung des Wildwechsels, in dem der dritte Elefant
verschwunden war. Die anderen beiden standen jetzt etwa fünfzig Yards von mir entfernt, und das Busch werk war von solcher Art, daß ich keine Möglichkeit sah, mich ihnen zu nähern, ohne entdeckt zu werden. Ich zögerte und starrte den Wildwechsel entlang, in dem ich den Elefanten hatte verschwinden sehen. In einer Entfernung von etwa fünf Yards machte er ei nen Bogen um ein dichtes Gestrüpp. Ich wollte einen Blick dahinter werfen und ging weiter, in der Hoff nung, den Schwanz des Elefanten zu Gesicht zu be kommen. Doch sah ich mich seinem Rüssel gegen über, als ich die Biegung umrundete. Es ist sehr ver wirrend, den Rüssel eines Elefanten vor sich zu se hen, wenn man erwartet, seinen Schwanz zu erblik ken, und für einen Moment stand ich wie gelähmt fast unterhalb des Kopfes dieses mächtigen Tiers, denn es war keine fünf Yards von mir entfernt. Auch der Elefant blieb stehen, da er mich gesehen oder ge rochen hatte, wahrscheinlich letzteres, und dann warf er den Rüssel empor und trompetete in Vorbereitung eines Angriffs. Ich war verloren, da ich weder nach rechts noch nach links ausweichen konnte wegen des dichten Unterholzes zu beiden Seiten des Wechsels, und ich wagte nicht zurückzulaufen. Also tat ich das einzige, das mir übrigblieb: ich riß das Gewehr hoch und feuerte auf die dunkle Masse seiner Brust. Es war zu dunkel, um zu zielen; ich mußte mich auf mein Glück verlassen. Der Schuß dröhnte wie ein Donnerschlag durch die Stille, und der Elefant beantwortete ihn mit einem schrillen Schrei; dann ließ er den Rüssel sinken und stand ein paar Sekunden so reglos, als ob er aus Stein gemeißelt wäre. Ich gebe zu, daß ich meine Nerven
verlor; ich hätte meinen zweiten Lauf abfeuern sollen, tat es jedoch nicht. Statt dessen brach ich die Büchse auf, warf die verschossene Patrone heraus und schob eine neue in die Kammer. Doch bevor ich sie schlie ßen konnte, war der Bulle über mir. Ich sah seinen mächtigen Rüssel wie einen Balken emporschwingen, und da wartete ich nicht mehr länger. Ich warf mich herum und rannte um mein Leben, verfolgt von den dröhnenden Schritten des Elefanten. Ich lief auf die Lichtung, und dort – dem Himmel sei Dank! – gera de, als er mich einholte, zeigte die Kugel endlich Wir kung. Ich hatte ihn ins Herz oder in die Lunge getrof fen, und er stürzte dröhnend zu Boden, tot wie ein Stein. Doch wenn ich Scylla entronnen war, so geriet ich jetzt an die Zähne von Charybdis. Ich hörte den Ele fanten fallen und blickte umher. Direkt vor mir, keine fünfzehn Schritte entfernt, standen die beiden ande ren Bullen. Sie starrten umher und entdeckten mich. Dann kamen sie heran, alle beide – wie Blitze schos sen sie auf mich zu, und aus verschiedenen Richtun gen. Ich hatte nur Zeit, meine Büchse zuschnappen zu lassen, sie emporzureißen und fast ungezielt auf den Kopf des nächsten, des unverwundeten Bullen zu feuern. Wie Sie wissen, ist dies bei einem afrikanischen Ele fanten, dessen Schädel konvex ist, und nicht konkav, wie der des indischen, immer ein sehr riskanter und häufig völlig wirkungsloser Schuß. Die Kugel verliert sich in der Knochenmasse, das ist alles. Doch gibt es eine kleine tödliche Stelle, und wenn die Kugel dort einschlagen sollte, folgt sie dem Nüsternkanal – zu mindest glaube ich, daß es der ist – und dringt ins
Gehirn ein. Und das war es, was in diesem Falle ge schah: die Kugel traf die tödliche Stelle in der Augen region und drang ins Gehirn vor. Der riesige Bulle brach zusammen und rollte auf die Seite, so tot wie ein Stein. Ich fuhr im gleichen Moment herum und wandte mich dem dritten zu, dem Monster-Bullen, mit dem einen Stoßzahn, den ich vor zwei Tagen an geschossen hatte. Er war fast über mir und erschien mir in dem matten Mondlicht so gewaltig wie ein Haus. Ich riß mein Gewehr hoch und zielte auf seinen Hals. Doch der Schuß löste sich nicht! Und dann er innerte ich mich, daß ich den Hahn nur halb gespannt hatte. Das Schloß dieses Laufes war ein wenig schwach, und erst vor wenigen Tagen, als ich auf eine Antilopenkuh geschossen hatte, hatte sich beim Ab feuern des rechten Laufes durch die Erschütterung auch die Ladung des linken gelöst, und ich war durch den Rückstoß fast zu Boden geschleudert worden; aus diesem Grunde hatte ich den Hahn des linken Laufes immer nur halb gespannt, bis ich ihn abfeuern wollte. Ich machte einen verzweifelten Satz nach rechts, und trotz meines lahmen Beines glaube ich, daß nur wenige Männer jemals weiter gesprungen sind. Und es war nicht eine Sekunde zu früh, denn noch wäh rend des Sprunges spürte ich den Luftzug, den der gewaltige Rüssel hervorrief, als das Monster mit ihm zuschlug. Dann lief ich los. Ich rannte wie ein gehetztes Wild, hielt jedoch mein Gewehr fest umklammert. Mein Vorhaben – so weit man bei mir von einem festen Vorhaben sprechen konnte – bestand darin, in dem Wildwechsel zu lau fen, durch den ich gekommen war, so wie ein Kanin
chen in seinen Bau hinabschießt, in der Hoffnung, daß der Bulle mich bei dem unsicheren Licht aus den Augen verlieren würde. Ich hetzte über die Lichtung. Zu meinem Glück konnte der Bulle durch seine Ver wundung mir nicht mit voller Geschwindigkeit fol gen; doch verwundet oder nicht lief er doch genau so schnell wie ich. Es gelang mir nicht, meinen Vor sprung auch nur um einen Zoll zu vergrößern, und so rannten wir weiter, mit einem Abstand von nur drei Fuß zwischen uns. Wir waren jetzt auf der anderen Seite, und ein Blick belehrte mich, daß ich mich ver kalkuliert hatte und an der Öffnung des Wechsels vorbeigerannt war. Jetzt war es hoffnungslos, ihn zu erreichen; ich wäre dabei direkt in den Elefanten hin eingelaufen. Also tat ich das einzige, das zu tun mir übrig blieb: ich schlug einen Haken wie ein flüchten der Hase und lief am Rande der Lichtung entlang, in der Hoffnung, irgendeine Öffnung zu finden, in die ich hineinstürmen konnte. Der Hakenschlag hatte mir einen winzigen Vorsprung eingebracht, da der Ele fant nicht so schnell die Richtung wechseln konnte wie ich, und ich nutzte ihn, so gut es mir möglich war. Doch konnte ich nirgends eine Öffnung entdek ken; der Busch stand so dicht wie eine Mauer. Wir hetzten um die Lichtung herum, und der Elefant holte wieder auf. Er hatte den Abstand auf etwa sechs Fuß verringert, und als er jetzt trompetete, oder schrie, besser gesagt, konnte ich seinen heißen Atem an meinem Kopf spüren. Himmel! Was für eine Angst ich hatte! Wir hatten die Lichtung zu drei Vierteln umrundet, und etwa fünfzig Yards voraus stand der einzelne, große, abgestorbene Dornenbaum, an dem der Bulle
vorher gelehnt hatte. Ich spurtete auf ihn zu, denn er war meine letzte Chance. Doch so sehr ich auch spurten mochte, es schien Stunden zu dauern, bevor ich den Baum erreichte. Ich packte den Stamm mit meiner rechten Hand und schwang mich um ihn her um, so daß ich den Elefanten nun vor mir hatte. Mir blieb keine Zeit, das Gewehr abzufeuern, sie reichte gerade, um den Hahn zu spannen und nach links zu rückzuweichen, als er auch schon über mir war. Krach! Er rammte den Baumstamm voll mit seiner Stirn. Der Stamm brach wie eine Karotte etwa vierzig Zoll über dem Boden ab. Glücklicherweise stand ich nicht in seiner Fallrichtung, doch einer der toten Äste schlug mir gegen die Brust und schleuderte mich zu Boden. Ich stürzte auf den Rücken, und der Elefant stürmte an mir vorbei. Mehr aus Instinkt als aus Überlegung hob ich mit einer Hand das Gewehr und drückte ab. Der Schuß krachte, und die Kugel traf ihn, wie ich später feststellte, in die Rippen. Doch der Rückstoß der schweren Waffe, auf diese Weise ge halten, war ungeheuer; er riß meinen Arm zurück, schlug mir den Kolben des Gewehrs gegen Schulter knochen und Hals, wodurch ich momentan betäubt wurde, und schleuderte mir die Waffe aus der Hand. Der Bulle war währenddessen weitergestürmt. Er lief etwa zwanzig Schritte und blieb dann plötzlich ste hen. Benommen überlegte ich, daß er jetzt wohl zu rückkommen würde, um mich zu erledigen, doch selbst die Aussicht auf einen unmittelbar bevorste henden, grausamen Tod konnte mich nicht aus mei ner Betäubung reißen. Ich war völlig ausgebrannt; ich hatte keine Kraft mehr, mich zu rühren. Ruhig, fast unbeteiligt, beobachtete ich seinen Be
wegungen: er trompetete schrill, und dann kniete er sich langsam, mit großer Würde, nieder. In diesem Augenblick verlor ich die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, sah ich am Stand des Mondes, daß ich gute zwei Stunden lang bewußtlos gewesen sein mußte. Mein Körper war mit Morgen tau bedeckt, und ich zitterte. Im ersten Moment wußte ich nicht, wo ich war, bis ich den Kopf hob und in einer Entfernung von etwa fünfundzwanzig Schritten die Umrisse des Elefantenbullen mit dem einen Stoßzahn erblickte, der noch immer kniete. Da kam mir die Erinnerung zurück. Langsam richtete ich mich auf und wurde augenblicklich von einem star ken Schwindelgefühl gepackt – das Resultat meiner völligen Erschöpfung – ich hätte beinahe zum zwei ten Mal die Besinnung verloren. Wenig später fühlte ich mich jedoch wieder besser und überdachte die Situation. Zwei Elefanten waren, wie ich wußte, tot; doch was war mit Nummer drei? Dort kniete er in majestätischer Einsamkeit im Mondlicht. Die Frage war: ruhte er sich aus, oder war er tot? Ich erhob mich auf Hände und Knie, lud mein Gewehr und kroch vorsichtig, mit schmerzenden Gliedern einige Schritte näher. Jetzt konnte ich eins seiner Augen sehen, da das Mondlicht voll darauf fiel; es war offen und schien ein wenig vorzustehen. Ich duckte mich auf den Boden und beobachtete. Das Augenlid bewegte sich nicht, und auch nicht der massige, braune Kör per, weder der Rüssel, noch das Ohr, noch der Schwanz – nichts bewegte sich. Da wußte ich, daß er tot sein mußte. Ich kroch auf ihn zu, das Gewehr noch immer vor mir und auf ihn gerichtet, und stieß ihn mit dem Lauf
an, wobei ich mir überlegte, wie nahe daran ich ge wesen war, von ihm angestoßen zu werden. Er rührte sich nicht; er war tot, doch bis zum heutigen Tage weiß ich nicht, ob es mein ungezielter Schuß war, der ihn tötete, oder ob er an einer Gehirnerschütterung gestorben ist, die er erlitten hatte, als er seinen Schä del gegen den mächtigen, toten Baum rammte. Auf jeden Fall war er tot. Kalt und schön lag er, oder kniete er, richtiger gesagt. Ich glaube nicht, daß ich jemals einen auf seine Art imposanteren Anblick ge sehen habe, als den dieses mächtigen Tieres, das in majestätischem Tode auf der Lichtung kauerte und vom Licht des einsamen Mondes beleuchtet wurde. Während ich so stand und die Szene bewunderte, und mir erneut von Herzen zu meinem Entkommen gratulierte, wurde mir wieder übel. Ohne mir die Zeit zu nehmen, die beiden anderen Bullen zu examinie ren, taumelte ich zum Lager zurück, das ich auch si cher erreichte. Dort lag alles in tiefem Schlaf. Ich weckte keinen der Männer, sondern genehmigte mir einen guten Schluck Brandy, rollte mich in eine Decke und war kurz darauf fest eingeschlafen. Als ich erwachte, war es bereits Tag, und im ersten Moment dachte ich, wie weiland Joseph, daß ich nur einen Traum geträumt hätte. Als ich jedoch meinen Kopf wandte, merkte ich sofort, daß es kein Traum gewesen war, denn meine Schulter und mein Hals waren so steif von dem Rückstoß des Gewehrs, daß jede Bewegung höllisch schmerzte. Ich ließ den Kopf wieder sinken und blieb eine Minute oder länger reglos liegen. Gobo und ein weiterer Mann, in ihre Decken gewickelt, da der Morgen kühl und feucht war, saßen an einem kleinen Feuer, das sie entzündet
hatten, und unterhielten sich leise. Gobo sagte, daß er es müde sei, hinter Elefanten herzulaufen, die sie niemals fingen. Macumazahn (damit meinte er mich) sei zweifellos ein großer Herr, und auch ein recht guter Schütze, doch auch ein gro ßer Narr. Nur ein Narr würde so schnell und so weit hinter Elefanten herlaufen, die man unmöglich erwi schen könnte, wenn er die Spur von frischen kreuzte. Ja, er sei ganz gewiß ein Narr, doch dürfe man ihm nicht gestatten, seine Narretei fortzusetzen, und er, Gobo, sei entschlossen, dem ein Ende zu machen. Er würde sich weigern, den Macumazahn weiter auf ei ner so verrückten Jagd zu begleiten. ›Ja‹, antwortete der andere, ›der arme Mann hat ganz sicher den Verstand verloren, und es wird Zeit, daß wir ihm diese Flausen austreiben, solange wir noch einen Fetzen Haut an unseren Füßen haben. Außerdem mag ich dieses Land Wambes nicht, das wahrhaftig voller Geister ist. Erst in der vergangenen Nacht habe ich sie bei der Arbeit hören können – sie waren auf der Jagd und haben geschossen, zumindest hat es so geklungen. Es ist alles sehr seltsam, aber vielleicht hat der Irrsinn des Macumazahn ...‹ ›Gobo, du Schurke!‹ rief ich und setzte mich auf meiner Decke kerzengerade auf. ›Sitz nicht faul her um, sondern mach mir einen Kaffee!‹ Sofort sprangen Gobo und sein Freund auf und eilten respektvoll hin und her auf eine Art, die in starkem Kontrast zu der Überheblichkeit ihrer voran gegangenen Worte stand. Doch was sie über die wei tere Jagd auf die drei Elefanten gesagt hatten, war ih nen durchaus ernst gewesen, denn noch bevor ich meinen Kaffee ausgetrunken hatte, traten alle Boys
geschlossen vor mich hin und erklärten, falls ich die Absicht haben sollte, den Elefanten weiter zu folgen, so müßte ich das alleine tun, denn sie würden nicht mehr mitkommen. Ich redete auf sie ein, bat sie, mich nicht im Stich zu lassen und tat, als ob ich über ihre Weigerung sehr betroffen wäre. Die Elefanten befänden sich in un mittelbarer Nähe, erklärte ich ihnen, dessen sei ich absolut sicher, da ich sie während der Nacht trompe ten gehört hätte. ›Ja‹, antworteten die Männer gewichtig, ›auch wir haben in der Nacht Geräusche gehört, Geräusche, die nicht angenehm zu hören waren; wir haben Geister gehört, die zum Schießen umherzogen, und wir wol len nicht länger in einem Land bleiben, in dem es so unheimlich spukt.‹ ›Das ist Unsinn‹, antwortete ich, ›wenn Geister umherzögen und schössen, würden sie Luftgewehre benutzen, und nicht Schwarzpulverpatronen abfeu ern, und ein Luftgewehr kann niemand hören. Aber wenn ihr Feiglinge seid und nicht mitkommen wollt, kann ich euch natürlich nicht dazu zwingen, doch möchte ich euch einen Vorschlag machen. Wir wollen diese Elefanten noch eine halbe Stunde länger verfol gen. Wenn wir sie dann nicht finden, werden wir die Jagd abbrechen und geradewegs zu Wambe gehen, dem Häuptling der Matuku, und ihm unsere Auf wartung machen.‹ Diesem Kompromißvorschlag stimmten die Män ner sofort zu. Also brachen wir etwa eine halbe Stun de darauf unser Lager ab und machten uns auf den Weg, und trotz meiner Kratzer, Blutergüsse und Schmerzen habe ich mich wahrscheinlich niemals
besser gefühlt als während dieses Marsches. Es ist schließlich etwas, am Morgen aufzuwachen und sich daran zu erinnern, in der vergangenen Nacht ganz allein gegen drei der größten Elefanten Afrikas ge kämpft und sie besiegt zu haben, sie mit drei Kugeln getötet zu haben. Das ist meines Wissens noch nie zuvor jemandem gelungen, und an jenem Morgen kam ich mir wahrlich wie ein Riese vor. Ich fürchtete nur, daß niemand mir diese Geschichte glauben wür de, wenn ich Gelegenheit finden sollte, sie zu erzäh len, denn wenn eine außergewöhnliche Geschichte von einem Jäger erzählt wird, nehmen die Menschen an, daß sie bestimmt erlogen ist, und nicht nur wahr scheinlicherweise.* Wir zogen also weiter, bis wir die erste Lichtung erreichten, auf der ich die Löwen gesehen hatte, und gelangten zu dem Buschstreifen, welcher sie von der zweiten trennte, auf der die toten Elefanten lagen. Und hier begann ich, ausgedehnte Vorsichtsmaß nahmen zu ergreifen; so befahl ich Gobo, einige Yards vorauszugehen und die Augen offen zu halten, da ich vermute, daß die Elefanten sich in diesem Gebiet auf hielten. Er befolgte meine Anordnung mit einem überlegenen Lächeln und ging los. Kurz darauf sah *
Um jene zu befriedigen, die einen solchen Standpunkt gegen über Mr. Quatermains Geschichte einnehmen mögen, darf der Herausgeber bestätigen, daß ein Gentleman, mit dem er gut be kannt ist, und dessen Glaubwürdigkeit nach seinem Dafürhal ten über jeden Zweifel erhaben ist, ihm vor noch nicht lange zu rückliegender Zeit schilderte, wie es ihm gelungen war, vier afrikanische Elefanten mit vier Kugeln zu töten. Zwei dieser Elefanten hatten ihn gleichzeitig angegriffen, und von den vie ren wurden zwei durch Kopfschuß getötet, was bei afrikani schen Elefanten nur selten gelingt. – Der Herausgeber.
ich, wie er so plötzlich stehenblieb, als ob er von einer Kugel getroffen worden wäre, und dann begann er kaum hörbar mit den Fingern zu schnippen. ›Was gibt's?‹ flüsterte ich. ›Der Elefant, der große Elefant mit dem einen Stoß zahn kniet dort vorn!‹ Ich kroch neben ihn. Dort kniete der Bulle, so, wie ich ihn in der vergangenen Nacht zurückgelassen hatte, und unweit von ihm lagen die beiden anderen Bullen. ›Schlafen diese Elefanten?‹ flüsterte ich dem ver blüfften Gobo zu. ›Ja, Macumazahn, sie schlafen.‹ ›Nein, Gobo, sie sind tot.‹ ›Tot? Wie können sie denn nur tot sein? Wer hat sie getötet?‹ ›Wie nennen die Menschen mich, Gobo?‹ ›Sie nennen dich Macumazahn.‹ ›Und was bedeutet Macumazahn?‹ ›Es ist der Name für den Mann, der seine Augen of fen hält, den Mann, der in der Nacht wach ist.‹ ›Ja, Gobo, und der Mann bin ich. Seht, ihr faulen, nichtsnutzigen Feiglinge, während ihr in der vergan genen Nacht schlieft, stand ich auf, verfolgte allein diese großen Elefanten und tötete sie beim Licht des Mondes. Jedem von ihnen gab ich eine Kugel, und nur eine einzige, und er sank tot zu Boden. Seht‹, fuhr ich fort und trat auf die Lichtung, ›hier ist meine Spur, und dort die Spur des großen Bullen, der mich angriff, und hier ist der Baum, hinter dem ich mich in Sicherheit brachte; seht, der Elefant hat ihn bei seinem Ansturm abgebrochen. Oh, ihr Feiglinge, die ihr die Jagd aufgeben wolltet, während die Schweißspur vor
euren Nüstern dampfte, seht, was ich ganz allein ge tan habe, während ihr schliefet, und verkriecht euch vor Scham!‹ ›Ou!‹, sagten die Männer, ›ou! Koos y umcool!‹ (Häuptling, großer Häuptling!) Und dann verfielen sie in Schweigen, traten zu den drei toten Tieren und starrten sie wortlos an. Danach jedoch behandelten diese Männer mich mit einem Respekt, als ob ich mehr als menschlich wäre. Kein Sterblicher, so sagten sie, hätte jene drei Elefan ten allein und in der Nacht töten können. Von da an hatte ich nie wieder irgendwelche Schwierigkeiten mit ihnen. Ich glaube, wenn ich ihnen befohlen hätte, von einer hohen Klippe hinabzuspringen, mit der Versicherung, daß ihnen dabei nichts geschehen würde, sie hätten es getan. Nun trat ich zu den drei Bullen und prüfte sie. Sol che Stoßzähne, wie sie sie aufwiesen, hatte ich noch nie zuvor gesehen und werde ich auch niemals mehr sehen. Wir brauchten den ganzen Tag dazu, sie her auszuschneiden, und als sie schließlich nach Delagoa Bay gelangten, wenn auch nicht mehr in meinem Be sitz, drückte der einzelne Stoßzahn des großen Bullen die Waage auf einhundertsechzig Pfund, und die an deren vier Stoßzähne hatten ein Durchschnittsge wicht von neunundneunzig Pfund – eine herrliche, eine fast einmalig große Menge Elfenbein.* Unglück licherweise war ich gezwungen, den großen Stoßzahn in zwei Teile zu zersägen, da wir ihn sonst nicht hät ten tragen können.« *
Der größte Stoßzahn eines Elefanten, von dem der Herausgeber erfahren hat wog einhundertfünfzig Pfund. – Der Herausgeber.
»Oh, Quatermain, Sie Barbar!« unterbrach ich an dieser Stelle seine Erzählung. »Wie konnten Sie einen solchen Stoßzahn zerstören! Also, ich würde ihn ganz gelassen haben, und wenn ich ihn allein hätte über den Boden schleifen müssen.« »O ja, junger Mann«, antwortete er, »Sie haben gut reden, doch wenn Sie sich in der Lage befunden hät ten, die mir ein paar Stunden später beschieden war, würden Sie wahrscheinlich die Stoßzähne auf der Stelle weggeworfen haben und so schnell wie mög lich fortgelaufen sein.« »Oh«, sagte Good, »ist das das Ende Ihrer Ge schichte? Eine sehr gute Geschichte übrigens, Qua termain – ich hätte mir keine bessere ausdenken kön nen.« Der alte Mann blickte Good mißbilligend an, denn es irritierte ihn, wenn jemand abfällige Bemerkungen über seine Geschichten machte. »Ich weiß nicht, was das heißen soll, Good. Ich kann keinen Zusammenhang erkennen zwischen der wahrheitsgemäßen Schilderung eines Abenteuers und den unglaubhaften Schilderungen von Steinbök ken, die an ihren Hörnern hängen, die Sie uns auf tischten. Nein, es ist nicht das Ende der Geschichte, der aufregendste Teil steht noch bevor. Doch für die sen Abend habe ich genug geredet, und wenn Sie so weitermachen, Good, mag es eine geraume Zeit dau ern, bis ich weitererzähle.« »Es tut mir leid, daß ich unhöflich gewesen bin«, sagte Good zerknirscht. »Trinken wir zum Zeichen dafür, daß Sie es mir nicht übel nehmen.« Und das taten sie.
5
Die Botschaft Maiwas
Am darauffolgenden Abend speisten wir wieder zu sammen, und Quatermain erklärte sich nach einigem Zureden dazu bereit, mit seiner Geschichte fortzufah ren – denn Goods Bemerkung wurmte ihn noch immer. »Endlich«, begann er, »ein paar Minuten vor Son nenuntergang war die Arbeit geschafft. Wir hatten den ganzen Tag lang geschuftet und uns lediglich ei ne kurze Mittagspause gegönnt, denn es ist keine leichte Aufgabe, fünf solche Stoßzähne herauszubre chen, wie sie nun in einer weißen, schimmernden Reihe vor mir lagen. Das Abendessen war sehr be merkenswert, kann ich Ihnen versichern, denn es be stand aus dem Herzen des gewaltigen Elefantenbul len mit dem einen Stoßzahn, und es war so riesig, daß der Mann, den ich in den Kadaver hineingeschickt hatte, um danach zu suchen, es nur in zwei Teile zer legt herausbringen konnte. Wir schnitten es in Schei ben und brieten es in Fett, und ich habe nie ein Herz gegessen, das so gut geschmeckt hat wie dieses, denn das Fleisch schien einem auf der Zunge zu zergehen. Übrigens habe ich das Maul dieses Bullen untersucht: er hatte nie einen zweiten Stoßzahn gehabt; der ande re war also nicht abgebrochen und auch nicht in ru dimentärer Form vorhanden. Nun, da lagen sie also, die fünf Prachtstücke, oder vielmehr vier von ihnen, denn Gobo und ein anderer Mann waren damit beschäftigt, den Stoßzahn des gro ßen Bullen in zwei Teile zu sägen. Schweren Herzens
hatte ich ihnen den Auftrag dazu erteilt, jedoch nicht, bevor ich mich davon überzeugt hatte, daß es in der Tat unmöglich war, ihn in einem Stück zu transportieren. Einhundertundsechzig Pfund soliden Elfenbeins sind einfach zu viel, um von zwei Männern über längere Strecken unwegsamen Landes getragen zu werden. Ich sah ihnen bei der Arbeit zu und rauchte meine Pfeife, als sich plötzlich die Dschungelwand auftat und ein sehr hübsches und vornehm wirkendes Eingebore nenmädchen, etwa zwanzig Jahre alt, heraustrat, mit einem Korb grüner Maiskolben auf dem Kopf. Obwohl ich ziemlich überrascht war, ein Eingebo renenmädchen in einer so unwirtlichen Gegend und, soweit ich wußte, weitab von jedem Kraal, anzutref fen, habe ich dieser Angelegenheit keine große Be deutung beigemessen; ich rief lediglich einen der Männer heran und befahl ihm, der Frau die Maiskol ben abzukaufen und sie zu fragen, ob man noch mehr davon in dieser Gegend erwerben könnte. Dann wandte ich mich wieder um und überwachte weiter das Zersägen des Stoßzahns. Plötzlich fiel ein Schat ten auf mich. Ich blickte auf und sah, daß das Mäd chen direkt vor mir stand, den Korb mit den Mais kolben noch immer auf dem Kopf. ›Marême, Marême‹, sagte sie leise und klatschte in die Hände. Das Wort ›Marême‹ hat bei diesen Matu ku (sie war selbst keine Matuku, wie sich heraus stellte) die gleiche Bedeutung wie bei den Zulus ›Koos‹, und das Händeklatschen ist eine ehrfürchtige Grußform, die bei den Stämmen der Basutu sehr ver breitet ist. ›Was ist, Mädchen?‹ fragte ich sie auf Sisutu. ›Sind diese Maiskolben zu kaufen?‹
›Nein, großer weißer Jäger‹, antwortete sie auf Zulu, ›ich bringe sie als Geschenk.‹ ›Gut‹, sagte ich, ›dann stell sie dorthin!‹ ›Ein Geschenk für ein Geschenk, weißer Mann.‹ ›Ah‹, knurrte ich, ›die alte Geschichte – es gibt nichts für nichts in dieser sündigen Welt. Was willst du – Glasperlen?‹ Sie nickte, und ich wollte gerade einem der Männer sagen, daß er welche aus den Traglasten holen sollte, als sie abwinkte. ›Ein Geschenk aus der Hand des Gebers ist eine doppelte Gabe‹, sagte sie, und ich hatte den Eindruck, als ob sie das ernst meinte. ›Du meinst damit, daß ich sie dir selbst geben soll?‹ ›Ja.‹ Ich erhob mich, um mit ihr zu gehen. ›Wie kommt es, daß du, die du eine Matuku bist, die Sprache der Zulus sprichst?‹ fragte ich mißtrauisch. ›Ich bin nicht von den Matuku‹, antwortete sie, so bald wir außer Hörweite der Männer waren. ›Ich ge höre zum Volke Nala, dessen Stamm der ButianaStamm ist und das hier lebt.‹ Sie deutete über die Berge hinweg. ›Und ich bin auch eine der Frauen von Wambe‹, setzte sie hinzu, und ihre Augen funkelten, als sie den Namen aussprach. ›Wie bist du hierhergekommen?‹ ›Auf meinen Füßen‹, antwortete sie lakonisch. Wir hatten die Traglasten erreicht, ich öffnete eine von ihnen und nahm eine Handvoll Glasperlen her aus. ›Jetzt‹, sagte ich, ›eine Gabe für die andere. Gib mir die Maiskolben.‹ Sie nahm die Glasperlen, ohne sie auch nur anzu sehen, was mich sehr verwunderte, dann stellte sie
den Korb auf die Erde und leerte ihn aus. Auf dem Boden des Korbes befanden sich einige seltsame grüne Blätter, die in ihrer Form eine gewisse Ähnlichkeit mit den Blättern des Guttaperchabaums aufwiesen, jedoch etwas dicker waren, und viel flei schiger. Wie nebenbei nahm das Mädchen eins dieser Blätter aus dem Korb und roch daran. Dann reichte sie es mir. Ich nahm das Blatt, und da ich annahm, sie wollte, daß ich ebenfalls daran röche, wollte ich dies gerade tun, als mein Blick auf seltsame rote Kratzer in der grünen Oberfläche des Blattes fiel. ›Ah‹, sagte das Mädchen (dessen Name übrigens Maiwa war) flüsternd, ›lies die Zeichen, weißer Mann! Lies die Zeichen!‹ Ohne ihr zu antworten, starrte ich weiter auf das Blatt. Es war mit einem scharfen Instrument geritzt oder vielmehr beschriftet worden, mit etwas wie ei nem Nagel, und wo immer dieses Instrument es be rührt hatte, war der säurehaltige Saft durch die äuße re Schicht gequollen und hatte sie rostrot verfärbt. Schließlich fand ich den Anfang dieses Gekritzels, das auf englisch abgefaßt war und die ganze Oberfläche des Blattes bedeckte, und auch noch die zweier weite rer, die sich in dem Korb befanden. Ich habe gehört, daß ein weißer Mann im Land der Matuku jagt. Dies ist eine Warnung an ihn, nicht über die Berge zu kommen. Wambe hat bei Tagesanbruch ein Impi* ausgesandt, um ihn zu töten, weil er gejagt hat, bevor er ihm Hongo** brachte. Um Gottes willen, wer immer Sie sein mögen, versuchen Sie, mir zu helfen! Ich * **
Ein Trupp Krieger Tribut
bin seit fast sieben Jahren der Sklave dieses Teufels Wambe, und ich werde ständig geschlagen und gefoltert. Er hat alle anderen von uns ermordet, mich jedoch am Leben gelassen, da ich Eisen gießen und schmieden kann. Maiwa, seine Frau, bringt diese Nachricht zu Ihnen; sie ist auf der Flucht zu Nala, ihrem Vater, weil Wambe ihr Kind getötet hat. Versuchen Sie, Nala dazu zu bringen, Wambe anzugreifen! Maiwa kann Sie über die Berge führen. Sie werden es nicht umsonst tun, denn der Zaun von Wambes privatem Kraal besteht aus Elefantenstoßzähnen. Um Gottes willen, lassen Sie mich nicht im Stich, denn sonst werde ich mich töten. Ich kann dieses Leben nicht länger ertragen. John Every. ›Gott im Himmel‹, flüsterte ich. ›Every! – das muß doch mein alter Freund sein.‹ Das Mädchen – oder vielmehr die junge Frau – Maiwa, bedeutete mir, das Blatt umzudrehen, da dort noch mehr geschrieben stünde. Die Inschrift lautete: Eben habe ich erfahren, daß der weiße Mann Macumazahn genannt wird. Wenn dem so ist, so muß es mein Freund Quatermain sein. Ich flehe zum Himmel, daß er es ist, denn ich weiß, daß er einen alten Freund, der in einer solchen Lage ist, wie ich es bin, nicht im Stich lassen wird. Es ist nicht so, daß ich mich vor dem Tod fürchten würde, mir ist es gleich, ob ich lebe oder sterbe, aber ich will vorher eine Chance haben, mir Wambe vorzunehmen. Nein, alter Junge, dachte ich mir, ich denke nicht dar an, dich hier stecken zu lassen, wenn ich die Mög
lichkeit habe, dich herauszuholen. Ich habe schon früher den Fuchs gespielt – und ich habe mir noch ein paar Tricks davon aufgehoben. Ich muß jetzt einen Plan machen, das ist alles. Und dann ist da auch noch dieser Zaun aus Stoßzähnen. Den werde ich auch nicht im Stich lassen. Ich wandte mich wieder an die Frau. ›Du heißt Maiwa?‹ ›So ist es.‹ ›Und du fliehst von Wambe zu Nala?‹ ›Das tue ich.‹ ›Warum fliehst du? Warte, ich werde gleich die nötigen Befehle geben.‹ Ich rief nach Gobo und befahl ihm, alles für einen sofortigen Aufbruch vorzuberei ten. Die Frau, die, wie ich bereits sagte, sehr jung und ausnehmend hübsch war, fuhr mit der Hand in eine Tasche aus Antilopenfell, die sie an ihrem Gürtel trug, und zog zu meinem Entsetzen die verdorrte Hand eines Kindes heraus, die offensichtlich sorgfäl tig im Rauch getrocknet worden war. ›Das ist der Grund für meine Flucht‹, antwortete sie und streckte mir die winzige Hand entgegen. ›Sieh, ich habe ein Kind geboren. Wambe war sein Vater, und achtzehn Monde hat das Kind gelebt, und ich habe es geliebt. Doch Wambe liebt seine Kinder nicht; er tötet sie alle. Er fürchtet, daß sie aufwachsen und einen, der so furchtbar ist, töten könnten, und er würde dieses Kind auch sofort nach seiner Geburt getötet haben, doch habe ich um sein Leben gefleht. Eines Tages aber kamen ein paar Krieger an der Hütte vorbei, sahen das Kind, salutierten und spra chen den Jungen als ‚Häuptling, der bald sein wird‘ an. Wambe hörte das und wurde wütend. Er prügelte
das Kind, und es weinte. Da sagte er, daß er ihm ei nen wirklichen Grund zum weinen geben würde. Unter den Dingen, die er den weißen Männern ge raubt hatte, die er tötete, befindet sich eine Löwen falle. Sie ist so stark, daß vier Männer sich darauf stellen müssen, zwei auf jeder Seite, um sie zu span nen.‹« Hier brach der alte Quatermain plötzlich ab. »Hören Sie, meine Freunde«, sagte er. »Ich kann diesen Teil der Geschichte nicht erzählen, weil ich es nie ertragen kann, Kinder leiden zu sehen oder von dem Leiden von Kindern zu sprechen. Sie können sich vorstellen, was dieser Teufel getan hat, und was diese arme Mutter gezwungen war, mit anzusehen. Ob Sie es glauben oder nicht, sie hat mir die Ge schichte ohne das geringste Zittern in ihrer Stimme berichtet, auf eine unvorstellbar sachliche Art. Ich bemerkte lediglich, daß ihre Augenlider dabei stän dig zitterten. ›Nun‹, sagte ich so unbeteiligt, wie es mir möglich war, als ob sie mir nur von dem Tod eines Lammes erzählt hätte, obwohl ich innerlich krank vor Entset zen war und vor Wut kochte, ›und was gedenkst du jetzt zu tun, Maiwa, Frau von Wambe?‹ ›Ich gedenke dieses zu tun, weißer Mann‹, ant wortete sie, richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und sprach mit einer Stimme, die so hart wie Stahl war, und so kalt wie Eis – ›ich gedenke daran zu ar beiten, und zu arbeiten, und zu arbeiten, um dieses zu erreichen, und um jenes zu erreichen, bis endlich der Tag kommt, an dem diese meine Augen Wambe den Tod sterben sehen, den er seinem Kind und mei nem Kind gegeben hat.‹
›Gut gesprochen‹, antwortete ich. ›Ja, gut gesprochen, Macumazahn, gut gesprochen, und nicht leicht vergessen. Wer könnte auch verges sen, oh, wer könnte vergessen? Sieh, so wie diese verdorrte Hand jetzt an meiner Seite liegt, ruhte sie einst auf ihr, als sie noch lebte. Und jetzt, obwohl sie tot ist, kriecht sie Nacht für Nacht aus ihrem Nest und streichelt mein Haar und umschließt meine Fin ger mit ihren winzigen. Jede Nacht tut sie das, aus Furcht, daß ich vergessen könnte. Oh, mein Kind! Mein Kind! Noch vor zehn Tagen hielt ich dich an meiner Brust, und jetzt ist mir dies allein von dir ge blieben.‹ Und sie küßte die kleine tote Hand und er schauerte, doch kein Schluchzen drang aus ihrer Brust. ›Höre‹, fuhr sie fort, ›der weiße Mann, der Gefan gene in Wambes Kraal, er war gut zu mir. Er liebte das Kind, das jetzt tot ist, ja, er weinte, als sein Vater es umbrachte, und sagte unter Riskierung seines Le bens Wambe, meinem Ehegemahl – ah, ja, meinem Ehegemahl! – seine Meinung. Er war es auch, der den Plan gemacht hat. Er sagte zu mir: ‚Geh, Maiwa, wie es der Brauch deines Volkes ist, geh, um dich allein im Busch zu reinigen, nachdem du einen Toten be rührt hast. Sag Wambe, daß du für fünfzehn Tage al lein in den Busch gehen wirst, um dich zu reinigen, wie es der Brauch deines Volkes ist. Dann fliehe zu deinem Vater, Nala, und stachle ihn gegen Wambe auf, wegen deines Kindes, das tot ist.‘ Dies sagte er zu mir, und seine Worte klangen gut in meinen Ohren, und noch in jener Nacht, bevor ich fortging, um mich zu reinigen, kam die Nachricht, daß ein weißer Mann im Lande jage, und Wambe, der vom Trunk wütend
war, begann zu toben und befahl, daß ein Impi aus ziehen solle, um den weißen Mann und seine Diener zu töten und seine Habe zu rauben. Dann war es, daß der ‚Hämmerer des Eisens‘ (Every) die Botschaft auf die grünen Blätter schrieb und mir befahl, dich aufzu finden und dir alles zu sagen, so daß du dich durch die Flucht retten könntest; und siehe, dies habe ich nun getan, Macumazahn, der Jäger, der Elefantentö ter.‹ ›Ah‹, sagte ich, ›und dafür danke ich dir. Und wie viele Männer umfaßt dieses Impi Wambes?‹ ›Ein Hundert Männer, und ein halbes Hundert.‹ ›Und wo ist dieses Impi jetzt?‹ ›Dort im Norden. Es folgt deiner Spur. Ich sah es gestern vorbeiziehen, dachte mir jedoch, daß du nä her den Bergen sein würdest und kam diesen Weg und fand dich. Morgen bei Tagesanbruch werden die Krieger, die dich töten sollen, hier sein.‹ ›Sehr wahrscheinlich‹, murmelte ich. Aber sie wer den Macumazahn hier nicht finden, setzte ich in Ge danken hinzu. Ich überlegte mir jedoch ernsthaft, eine Dosis Strychnin in die Kadaver der Elefanten zu ver teilen, als besondere Aufmerksamkeit. Ich wußte, daß sie hier eine Rast einlegen würden, um von den Ele fanten zu essen, und das taten sie auch, zu unserem großen Glück, doch verwarf ich die Idee, sie zu ver giften wieder, da ich nicht mehr viel Strychnin hatte.« »Oder weil es Ihnen nicht gefiel, sie so hereinzule gen, Quatermain?« sagte ich lachend. »Ich sagte, weil ich nicht mehr genug Strychnin be saß. Es hätte eine Menge Strychnin erfordert, um drei Elefantenkadaver damit wirksam zu vergiften«, ant wortete der alte Gentleman scharf.
Ich sagte nichts weiter, lächelte vor mich hin, da ich wußte, daß der alte Allan sich niemals hätte dazu überwinden können, zu einem solchen Mittel zu grei fen, ganz gleich, wie schwierig seine Lage auch sein mochte. Doch das war so seine Art: er gefiel sich darin, sich als kalten, gnadenlosen Mann hinzustel len. »In diesem Augenblick«, fuhr er in seiner Erzäh lung fort, »trat Gobo zu mir und verkündete, daß al les zum Aufbruch vorbereitet sei. ›Ich bin froh, daß ihr marschbereit seid‹, sagte ich zu ihm, ›denn wenn ihr jetzt nicht marschiert, und zwar sehr schnell, wer det ihr nie wieder marschieren. Das ist alles. Wambe hat nämlich ein Impi ausgesandt, um uns zu töten, und es wird sehr bald hier sein.‹ Gobo wurde wahrhaftig grün im Gesicht, und seine Knie schlotterten. ›Ah! Was habe ich gesagt?‹ schrie er. ›Das Schicksal ist in Wambes Land losgelassen!‹ ›Sehr richtig; aber ihr braucht jetzt nichts weiter zu tun, als euch ein wenig schneller zu bewegen als das Schicksal. Nein, nein, ihr werdet die Elefantenzähne nicht zurücklassen – die gebe ich auf gar keinen Fall auf!‹ Gobo sagte nichts mehr, sondern befahl den Män nern hastig, ihre Lasten aufzunehmen und fragte mich dann, in welche Richtung wir fortlaufen wür den. ›Ja, richtig‹, sagte ich zu Maiwa, ›in welche Rich tung?‹ ›Dorthin‹, sagte sie und deutete auf die hohe, vom Hauptmassiv abführende Bergkette, die etwa vierzig Meilen entfernt zum Himmel emporragte und die Herrschaftsgebiete von Wambe und Nala trennte.
›Dort, unterhalb jenes kleinen Gipfels, gibt es eine Stelle, die Menschen passieren können, aber nur einer nach dem anderen. Sie kann auch leicht von oben blockiert werden. Wenn man nicht die Schlucht be nutzt, muß man um den hohen Gipfel herumgehen, und das ist ein Marsch von zwei Tagen und einem halben.‹ ›Und wie weit ist dieser Gipfel von uns entfernt?‹ ›Die ganze Nacht durch müßt ihr marschieren und den ganzen morgigen Tag, und wenn ihr schnell mar schiert, werdet ihr bei Sonnenuntergang auf dem Gipfel dieses Berges stehen.‹ Ich stieß einen leisen Pfiff aus, denn das bedeutete eine Plackerei von fünfundvierzig Meilen ohne Schlaf. Ich befahl den Männern, daß jeder von ihnen so viel gebratenes Elefantenfleisch mitnehmen sollte, wie er ohne Schwierigkeit tragen konnte. Ich tat das gleiche und zwang die junge Frau dazu, etwas davon zu essen, während wir marschierten. Dies gelang mir aber nur unter großen Schwierigkeiten, denn sie schien zu der Zeit weder Nahrung, noch Schlaf, noch Ruhe zu brauchen, so fanatisch war sie entschlossen, Rache zu nehmen. Wir brachen auf, und Maiwa führte uns. Nachdem wir etwa eine halbe Stunde über allmählich anstei gendes Gelände gegangen waren, erreichten wir den jenseitigen Rand einer großen, buschbewachsenen Senke, die wie der Grund eines ausgetrockneten Sees wirkte. Diese Senke, die wir durchschritten hatten, war mit sehr dichtem Busch bestanden, ja, fast von ihm bedeckt, mit Ausnahme der Stellen, an denen sich Lichtungen befanden, wie jene, auf denen ich die Elefanten geschossen hatte.
Auf der Höhe dieses Hanges blieb Maiwa stehen, legte die Hand über die Augen und blickte zurück. Dann berührte sie mich am Arm und deutete über das Meer von Wald zu einem relativ freien Teil des Landes, der etwa sechs oder sieben Meilen entfernt war. Ich blickte in die Richtung, und plötzlich sah ich in den roten Strahlen der untergehenden Sonne etwas aufblitzen. ›Was ist es?‹ fragte ich. ›Das sind die Speere von Wambes Impi, und sie kommen rasch näher‹, antwortete sie kühl. Ich nehme an, daß mein Gesicht verriet, wie wenig mir diese Mitteilung gefiel, denn sie fuhr fort: ›Keine Angst, sie werden bleiben, um sich an den Elefanten zu mästen. Und während sie sich mästen, marschie ren wir. Wir können ihnen sicher entkommen.‹ Danach zogen wir weiter, bis es schließlich dunkel wurde und wir eine Rast einlegen mußten, bis der Mond aufgehen würde, was zwar Zeit kostete, uns jedoch auch bitter benötigte Ruhe schenkte. Glückli cherweise hatte keiner der Männer das unheildro hende Aufblitzen der Speere bemerkt, denn wenn das der Fall gewesen wäre, hätten wir sie, wie ich glaube, kaum im Zaum halten können. So wie die Dinge la gen, marschierten sie schneller, als ich es bei lasten tragenden Eingeborenen jemals erlebt hatte, so ge waltig war ihr Bestreben, Wambes Land hinter sich zu lassen. Ich traf jedoch die Vorsichtsmaßnahme, als letzter zu marschieren, da ich befürchtete, daß sie ihre Lasten wegwerfen könnten, um sich das Marschieren zu erleichtern, oder, noch schlimmer, die Stoßzähne; denn diese Burschen würden alles wegwerfen, wenn ihr Fell in Gefahr war. Wenn der fromme Äneas, des
sen Geschichte Sie mir neulich vorlasen, ein bastardi sierter Eingeborener von Delagoa Bay gewesen wäre, hätte Anchises kaum eine Chance gehabt, aus Troja zu entkommen, das heißt, wenn bekannt geworden wäre, daß er ein zufriedenstellendes Testament auf gesetzt hatte. Bei Mondaufgang brachen wir wieder auf und marschierten mit nur wenigen, kurzen Unterbre chungen bis zum Morgengrauen, wo wir gezwungen waren, uns auszuruhen und zu essen. Etwa gegen halb sechs brachen wir wieder auf und erreichten um die Mittagszeit den Fluß. Dann begann der lange, mühsame Aufstieg durch dichten Busch, derselbe, in dem ich den Büffel geschossen hatte, nur etwa zwan zig Meilen westlich von jener Stelle, und nicht mehr als fünfundzwanzig Meilen von der diesseitigen Grenze von Wambes Kraal entfernt. Sechs oder sie ben Meilen dieses dichten Busches waren zu über winden, und es war eine sehr harte Arbeit, hindurch zukommen. Anschließend kam ein Gürtel dünneren Waldes, wo wir es leichter hatten, obwohl der Boden hier steiler anstieg, wie um die Erleichterung auszu gleichen. Dieses Stück war etwa zwei Meilen breit, und gegen vier Uhr nachmittags hatten wir es hinter uns gebracht. Hinter diesem Waldgürtel befand sich ein langer, steiler, mit Felsblöcken übersäter Hang, der sich bis zu dem etwa drei Meilen entfernten Fuß des Berggipfels erstreckte. Als wir aus dem Wald heraustraten, mit schmerzenden Füßen und völlig er schöpft, und diesen unfreundlichen Berghang vor uns liegen sahen, blickten ein paar der Männer zurück und entdeckten die Speere des heranrückenden Impis, das von Wambe ausgeschickt worden war, und das
sich jetzt nicht mehr als eine Meile hinter uns befand. Die erste Reaktion war Panik; die Träger wollten augenblicklich ihre Lasten abwerfen und weglaufen, doch ich schrie sie an und drohte, jeden Mann zu er schießen, der das täte, und daß ich sie aus dieser Si tuation herausbringen würde, wenn sie mir nur ver trauten. Nun hatte ich seit der Zeit, als ich allein die drei Elefantenbullen getötet hatte, einen großen Ein fluß auf diese Männer, und deshalb hörten sie auf mich. Also marschierten wir weiter, so schnell, wie es uns möglich war – die Männer des Alpen-Clubs hät ten sicher nicht mit uns Schritt halten können. Wir lie fen uns die Schuhsohlen heiß, wie man so sagt. Als wir etwa eine Meile hinter uns gebracht hatten, begannen die Speere aus dem Waldgürtel aufzutau chen, und wir hörten die wilden Schreie ihrer Träger, als sie uns entdeckten. So schnell unser Tempo auch bisher gewesen sein mochte, beschleunigte es sich nun noch mehr, denn die Angst verlieh meiner tapfe ren Mannschaft geradezu Flügel. Doch waren die Männer wirklich am Ende ihrer Kraft, und die Lasten wogen schwer, so daß, wir mochten so rasch mar schieren, oder vielmehr steigen, wie wir konnten, Wambes Männer, ein verkommen wirkender Haufen, mit langen Speeren und kleinen Schilden bewaffnet, unaufhaltsam näher kamen. Die letzte Meile dieser Verfolgung war wie eine Fuchsjagd, wobei wir der Fuchs waren und immer in Sichtweite der Jäger blie ben. Was mich in Erstaunen setzte, war die unge wöhnliche Ausdauer und Energie Maiwas. Sie zeigte zu keinem Zeitpunkt ein Nachlassen ihrer Kräfte. Die Muskeln dieses Mädchens mußten aus Stahl sein, oder vielleicht war es die Stärke ihres Willens, der sie
aufrecht hielt. Auf jeden Fall war sie die zweite, die den Fuß des Gipfels erreichte; der arme Gobo, der immer vornean war, wenn es ums Weglaufen ging, war natürlich als erster dort. Schließlich erreichte auch ich keuchend den Fuß des Gipfels und blickte an ihm hinauf. Vor uns erhob sich eine Felswand von etwa einhundertfünfzig Fuß Höhe, deren Schichten so lagen, daß sie eine Reihe von Vorsprüngen bildeten, die eine gewisse Ähnlich keit mit Treppenstufen aufwiesen, wodurch der An stieg erleichtert wurde, so weit man diesen Begriff überhaupt anwenden konnte, mit Ausnahme einer Stelle, wo man gezwungen war, einen Überhang zu erklimmen und dabei nach links zu steigen. Es war keine wirklich schwierige Stelle; was sie gefährlich machte, war, daß unmittelbar unterhalb der vor springenden Klippe eine tiefe Schlucht, oder Donga, klaffte, an deren Rand wir jetzt standen, und die wohl einst von herabstürzendem Wasser ausgewaschen worden war. Dieser Abgrund unter ihnen würde wahrscheinlich die Nerven der weniger mutigen Männer bis zum Zerreißen anspannen, und so sollte es auch kommen. Wenn der Überhang überwunden war, bot der weitere Aufstieg keinerlei Schwierigkei ten mehr. Am Gipfel hing der Fels ebenfalls über und wurde lediglich von einer engen Schneise durchbro chen, die vom Wasser eingeschnitten war, und die durch einen einzigen Felsblock, von oben in ihn hin eingerollt, so wirksam versperrt werden konnte, daß sie für Männer ohne Kletterseile unpassierbar war. In diesem Augenblick waren Wambes Krieger nur noch etwa tausend Yards von uns entfernt, also hat ten wir keine Zeit zu verlieren. Ich befahl den Män
nern, sofort mit dem Aufstieg zu beginnen. Das Mäd chen Maiwa, das den Paß gut kannte, übernahm die Führung. Also begannen sie, hinaufzuklettern, wobei sie ihre Lasten vor sich her schoben und hoben. Als die ersten von ihnen, von Maiwa geführt, den über hängenden Felsen erreichten, legten sie ihre Lasten auf einem Felssims ab und kletterten hinauf. Oben angelangt, konnten sie, auf dem Bauch liegend, mit ihren Händen die Lasten erreichen, die von den unten stehenden Männern hochgestemmt wurden, und sie so über die schwierige Stelle heben, von wo aus sie dann leicht zum Gipfel weitergebracht werden konnten. Doch dies alles erforderte Zeit, und inzwischen wa ren die Krieger Wambes rasch näher gekommen, und sie schrien triumphierend und stießen ihre Speere in die Luft. Sie waren jetzt auf etwa vierhundert Yards heran, und noch immer mußten mehrere Lasten, vor allem alle Stoßzähne, über die hervorragende Klippe geschafft werden. Ich stand noch immer am Fuß des Gipfels und schrie den Männern oben Anweisungen zu, doch erkannte ich, daß es auch für mich bald an der Zeit sein würde, mich in Bewegung zu setzen. Bevor ich das tat, wollte ich jedoch den heranrücken den Feinden eine kleine Lektion erteilen. Ich hielt das Winchester-Repetiergewehr in der Hand, doch war die Entfernung noch zu groß, um es wirkungsvoll einsetzen zu können, also wandte ich mich an Gobo, der vor Angst schlotternd neben mir stand, reichte ihm das Gewehr und nahm ihm die schwere Expreßbüchse aus der Hand. Wambes Krieger waren inzwischen auf etwa drei hundertfünfzig Yards herangekommen, und das Vi
sier der Expreßbüchse war nur bis auf dreihundert Yards einstellbar. Trotzdem wußte ich, daß sie auf die zusätzlichen fünfzig Yards verläßlich war. An der Spitze von Wambes Kriegern liefen zwei Männer – ihre Anführer, vermutete ich –, von denen einer un gewöhnlich groß war. Ich regulierte das Visier auf dreihundert Yards ein, setzte mich mit dem Rücken an seinen Felsen gelehnt, atmete tief durch, um ruhig zu werden, und richtete dann die Mündung auf den großen Mann, wobei ich den Abkommpunkt etwas höher legte. Als ich das Gefühl hatte, genau richtig zu halten, drückte ich ab, und bevor das Geräusch der einschlagenden Kugel meine Ohren erreichen konnte, sah ich, wie der Mann die Arme hochriß und zu Bo den stürzte. Sein Gefährte hielt mitten im Lauf inne, wodurch er mir eine unverhoffte Chance gab. Ich zielte kurz und feuerte den linken Lauf ab. Der Mann drehte sich einmal um die eigene Achse und brach zusammen. Die anderen Krieger verhielten zögernd – sie hatten noch nie erlebt, daß ein Mann auf diese Entfernung getötet worden war, und fanden diese Vorstellung ziemlich unheimlich. Ich nutzte diese Atempause aus, gab die Expreßbüchse an Gobo zu rück, hängte das Winchester-Repetiergewehr über die Schulter und begann, die Bergwand emporzusteigen. Als wir die überhängende Platte erreichten, waren alle Lasten nach oben gewuchtet worden, doch die Stoßzähne lagen noch immer auf dem darunter be findlichen Felssims: weil sie so schwer waren und weil sie eine so glatte Oberfläche hatten. Natürlich hätte ich die Stoßzähne aufgeben sollen; wie oft habe ich mir nicht seither bittere Vorwürfe gemacht! Offen gesagt bin ich heute der Meinung, daß meine Hart
näckigkeit, sie um jeden Preis mitzunehmen, nichts weniger als sündhaft war, doch ich bin nun mal von jeher ein überaus hartnäckiger Bursche gewesen und konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, diese herrlichen Elfenbeinzähne zu verlieren, die zu errin gen mich so viele Mühe und Gefahren gekostet hatte. Nun, kurz gesagt, beinahe hätten sie mich auch mein Leben gekostet, und das des armen Gobo haben sie genommen, wie man gleich sehen wird, gar nicht zu sprechen von den Verlusten, die unsere Feinde durch mein Gewehr erlitten. Als ich den Überhang erreich te, sah ich, daß die Männer in ihrer gewohnten Unge schicklichkeit, die Stoßzähne mit der Spitze voran hinaufzuschieben versuchten. Das Resultat war na türlich, daß die oben liegenden Männer keine andere Grifffläche hatten, als die runde, glatt polierte Ober fläche des Elfenbeins, die ihnen in der Position, in der sie sich befanden, nicht genügend Halt gab, um das schwere Gewicht hochzuziehen. Ich rief ihnen zu, die Stoßzähne umzudrehen, damit die oben liegenden Männer in ihren Hohlraum greifen könnten. Dies ta ten sie, und die ersten beiden Stoßzähne wurden in Sicherheit gebracht. Als ich mich darauf umwandte, sah ich die Matu kus in einer losen, auseinandergezogenen Schlacht ordnung, den Hang heraufschwärmen – und keine hundert Yards entfernt. Ich entsicherte die Winche ster und legte an, um das Feuer auf sie zu eröffnen. Ich kann nicht genau sagen, wie viele meiner Schüsse danebengegangen sind, doch weiß ich, daß ich noch nie in meinem Leben besser geschossen habe. Ich mußte mein Ziel von einem Feind zum anderen wechseln und fast ohne ihn richtig ins Visier zu be
kommen abdrücken, das heißt, allein nach Sicht, nach der Art, wie Varietékünstler Glaskugeln zerschießen. Doch so hastig ich auch feuern mußte, fielen doch Feinde in Haufen zu Boden, und als ich das Magazin von zwölf Schuß geleert hatte, war der Angriff für den Moment zum Stehen gebracht worden. In aller Eile lud ich nach, und kaum war das getan, als der Feind, der merkte, daß ich zu entkommen drohte, wieder mit einem mörderischen Geschrei voran stürmte. Inzwischen waren die beiden Hälften des gewaltigen Stoßzahns des großen Bullen allein übrig geblieben, um hinaufgewuchtet zu werden. Ich feu erte so schnell und so wirksam wie zuvor, doch eini ge Männer entkamen meinem Kugelhagel und be gannen die Klippe emporzusteigen. Und dann war mein Gewehr leergeschossen. Ich schlang es über meinen Rücken, zog den Revolver, warf mich herum und ergriff die Flucht, da die Angreifer jetzt sehr na he herangekommen waren. In diesem Moment fuhr ein Speer unmittelbar neben meinem Kopf in den Fels. Die zweite Hälfte des großen Stoßzahns wurde jetzt emporgezogen, und ich rief Gobo und dem Mann, der ihm geholfen hatte sie emporzuwuchten, zu, jetzt hinaufzuklettern und sich in Sicherheit zu bringen. Gobo, der arme Kerl, brauchte keine zweite Einladung dazu; genaugenommen war seine Eile sein Verhängnis. Mit einem Satz sprang er zu dem über hängenden Felsen hinauf. Das Ende des letzten hin aufgestemmten Stoßzahnes ragte noch immer dar über hinaus, und anstatt Halt an dem Felsen zu fin den, ergriffen seine Hände das Elfenbein. Es glitt ihm aus der Hand – er verlor den Halt – er fiel; mit einem
Entsetzensschrei verschwand er in der darunter lie genden Felsspalte, und sein Körper berührte mich, während er stürzte. Einen Augenblick standen wir wie gelähmt, und dann drang das Geräusch des dumpfen Aufschlags seines Körpers zu uns herauf. Der arme Kerl, er war dem Schicksal begegnet, das, wie er immer wieder behauptet hatte, in Wambes Land umherging. Der andere Mann sprang jetzt mit neuer Energie und einem lauten Fluch auf und klet terte in Sicherheit. Entsetzt über das Grauenhafte, das geschehen war, stand ich reglos, bis ich die breite Klinge eines Makutu-Speers zwischen meinen Füßen gegen den Fels fahren sah. Das brachte mich zur Be sinnung, und ich begann wie eine Katze den Fels hin aufzuklettern. Ich hatte es fast geschafft. Ich hatte be reits die Hand des tapferen Mädchens ergriffen, das herabgestiegen war, um mir zu helfen, nachdem die Männer mit den Lasten und dem Elfenbein weiterge stiegen waren, als ich spürte, wie jemand mein linkes Fußgelenk umklammerte. ›Zieh, Maiwa, zieh!‹ keuchte ich, und sie zog mit aller Kraft. Maiwa war ein sehr kräftiges Mädchen, und noch nie zuvor habe ich die Vorteile guter kör perlicher Entwicklung bei einer Frau mehr geschätzt, als in dieser Situation. Sie zog an meinem rechten Arm, und der Wilde unter mir zog an meinen rechten Bein, bis mir klar zu werden begann, daß früher oder später irgend etwas würde nachgeben müssen. Glücklicherweise behielt ich meine Nerven, wie jener Mann, der, als im Haus Feuer ausbrach, seine Schwiegermutter aus dem Fenster warf, und die Ma tratze sorgfältig hinaustrug. Meine rechte Hand war noch immer frei, und in ihr hielt ich den Revolver,
der mit einer Lederschnur an meinem Handgelenk befestigt war. Der Hahn des Revolvers war gespannt, und ich brauchte ihn nur nach unten zu richten und abzudrücken. Die Wirkung war plötzlich und – so weit sie mich betraf – sehr befriedigend. Die Kugel traf den Mann unter mir irgendwo, doch kann ich nicht sagen, an welcher Stelle; auf jeden Fall ließ er mein Bein sofort los und stürzte kopfüber in den Fels spalt, um Gobo Gesellschaft zu leisten. Im nächsten Augenblick war ich auf dem Felsüberhang und klet terte die restlichen Stufen empor wie ein Laternenan zünder. Ein einziger der Krieger setzte meine Verfol gung weiter fort, doch einer meiner Boys auf dem Gipfel schoß mit der Elefantenbüchse nach ihm. Ich weiß nicht, ob er ihn auch getroffen hat, oder ihm le diglich einen Schreck einjagte, auf jeden Fall ver schwand er sehr eilig dorthin, von wo er gekommen war. Ich weiß jedoch, daß der Schütze um ein Haar mich getroffen hätte, denn ich spürte den Luftzug der Kugel. Dreißig Sekunden später waren Maiwa und ich auf dem Gipfel des Berges, atemlos, aber in Sicherheit. Meine Männer, von Maiwa entsprechend angewie sen, hatten inzwischen einige riesige Steine herange rollt, von denen dort viele herumlagen, und mit die sen gelang es uns in kurzer Zeit den engen Durchlaß zwischen den überhängenden Felsklippen so zu blok kieren, daß die Krieger auf keinen Fall hindurchge langen konnten. Und so weit ich es beobachten konnte, haben sie nicht einmal den Versuch gemacht – ihr Herz hatte sich in Fett verwandelt, wie die Zulus zu sagen pflegen. Dann, nachdem wir uns ein wenig ausgeruht hat
ten, nahmen wir die Lasten wieder auf, darunter auch die Stoßzähne, die einen so hohen Preis gefordert hatten, und marschierten schweigend eine Meile oder so, bis wir in dichten Busch gelangten. Und hier schlugen wir das Lager für die Nacht auf, da wir völ lig erschöpft waren, trafen jedoch die Vorsichtsmaß nahme, Wachen aufzustellen, um vor Überraschun gen sicher zu sein.«
6
Der Schlachtplan
»Ungeachtet dessen, was wir durchgemacht hatten, oder vielleicht gerade deswegen, denn ich war abso lut erledigt, schlief ich in jener Nacht so tief und fest wie der arme Gobo, um dessen zerschellten Körper jetzt die Hyänen schlichen. Wir standen am nächsten Morgen erfrischt und ausgeruht auf und marschier ten weiter auf Nalas Kraal zu, den wir bei Sonnen untergang erreichten. Er lag nach Zulu-Art auf einer offenen Fläche und bestand aus einer ringförmigen Dornenhecke und bienenkorbartigen Hütten. Der Rinderkraal lag hinter ihm und ein wenig nach links versetzt. Sowohl an den Gewohnheiten, als auch an der Sprache dieser Leute war klar zu erkennen, daß diese Butiana zu jener Gruppe der Bantu-Völker ge hörten, die seit den Tagen T'Chakas als die ZuluRasse bekannt ist. Den Häuptling Nala sahen wir an jenem Abend nicht. Seine Tochter Maiwa ging sofort nach unserer Ankunft zu seinen Hütten, und wenig später erschien einer seiner Männer bei uns und brachte uns ein Schaf und Maiskolben und Milch. ›Der Häuptling entbietet dir seinen Gruß und wird morgen mit dir sprechen‹, erklärte er. Inzwischen solle er uns auf Befehl des Häuptlings zu einem Rast platz bringen, wo wir und unsere Habe sicher und ungestört sein würden. Damit führte er uns zu meh reren sehr guten Hütten in unmittelbarer Nähe der Nalas, und dort schliefen wir ruhig und bequem. Am nächsten Morgen gegen acht Uhr erschien die
ser Mann wieder und erklärte, daß Nala mich zu sprechen wünsche. Ich folgte ihm zu den Hütten Nalas und wurde dem Häuptling vorgestellt, einem gut aussehenden Mann von etwa fünfzig, mit sehr fein geformten Händen und Füßen und einem etwas nervös wirkenden Mund. Der Häuptling saß auf ei nem gegerbten Ochsenfell vor seiner Hütte. Neben ihm stand seine Tochter Maiwa, und um ihn herum hockten etwa zwanzig Dorfälteste oder Indunas, de ren Zahl durch Neuankömmlinge ständig größer wurde. Diese Männer grüßten mich, als ich auf sie zutrat, und der Häuptling erhob sich, gab mir die Hand und befahl, einen Hocker zu bringen, auf den ich mich setzen konnte. Als dies getan war und ich Platz genommen hatte, dankte er mir wortreich und mit viel Eingeborenenhöflichkeit für den Schutz, den ich seiner Tochter in deren schmerzlicher und gefahr voller Lage, in der sie sich befunden habe, hätte an gedeihen lassen, und komplimentierte mich weidlich für das, was er meine Tapferkeit zu nennen beliebte, mit der ich den Paß gegen die Feinde verteidigt habe. Ich antwortete ihm mit passenden Worten und be tonte, daß der Dank Maiwa gebühre, denn wenn nicht ihre Warnung und ihre Kenntnis des Landes gewesen wäre, würden wir heute nicht mehr unter den Lebenden sein; und was meine Verteidigung des Passes beträfe, so kämpfte ich um mein Leben, und das habe mir Mut verliehen. Nachdem diese Höflichkeiten ausgetauscht worden waren, forderte Nala seine Tochter auf, ihre Ge schichte den Ältesten des Stammes zu erzählen, und dies tat sie sehr einfach und sehr wirkungsvoll. Sie rief ihnen ins Gedächtnis zurück, daß sie mit großem
Widerwillen Wambes Ehefrau geworden sei, und daß keine Rinder für sie bezahlt worden seien, da Wambe Krieg angedroht habe, wenn man sie ihm nicht ohne Bezahlung geben würde. Seit dem Tage, an dem sie in Wambes Kraal gebracht worden war, seien ihre Tage voller Leid und ihre Nächte voller Tränen gewesen. Sie sei geschlagen worden, sie sei vernachlässigt worden, und man habe sie gezwungen, die Arbeit ei ner niedrig geborenen Frau zu verrichten – sie, die sie die Tochter eines Häuptlings sei. Sie habe ihm ein Kind geboren, und dies sei die Geschichte jenes Kin des. Und bei absoluter Stille berichtete sie ihnen von den Entsetzlichkeiten, die sie mir bereits erzählt hatte. Als sie zu Ende gekommen war, schrien ihre Zuhörer entsetzt auf. ›Ou!‹ riefen sie, ›ou! Maiwa, Tochter Nalas!‹ ›So war es‹, fuhr sie mit blitzenden Augen fort, ›und es ist wahr; mein Mund ist so voller Wahrheit, wie eine Blume voller Honig ist, und meine Augen sind so voller Tränen, wie das Gras voller Tau ist, wenn der Morgen dämmert. Es ist wahr, denn ich sah das Kind sterben – und hier ist der Beweis dafür!‹ Und sie zog die winzige, tote Hand hervor und hielt sie ihnen vor Augen. ›Ou!‹ riefen sie wieder, ›ou! Es ist die tote Hand!‹ ›Ja‹, fuhr sie fort, ›es ist die tote Hand meines toten Kindes, und ich trage sie bei mir, auf daß ich nie ver gessen möge, selbst nicht für eine kurze Stunde, daß ich lebe, damit ich Wambe sterben sehen möge, und meine Rache habe. Wirst du es zulassen, mein Vater, daß deine Tochter und deiner Tochter Kind von den Matuku so behandelt werden? Werdet ihr es zulas sen, Männer meines Volkes?‹
›Niemals!‹ sagte ein alter Induna und erhob sich, ›das können wir nicht ertragen. Mehr als genug ha ben wir schon von diesen Matuku-Hunden erleiden müssen, und von ihrem prahlerischen Häuptling. Laßt uns handeln!‹ ›Es ist wahrlich nicht zu ertragen‹, sagte Nala, ›doch wie können wir uns gegen ein so mächtiges Volk stellen?‹ ›Frage ihn – frage Macumazahn, den weisen, wei ßen Mann!‹ sagte Maiwa und deutete auf mich. ›Wie können wir Wambe besiegen, Macumazahn, der Jäger?‹ ›Wie besiegt der Schakal den Löwen, Nala?‹ ›Durch Schläue, Macumazahn.‹ ›Und durch Schläue sollt ihr auch Wambe besiegen, Nala.‹ In diesem Augenblick kam es zu einer Unterbre chung. Ein Mann trat auf Nala zu und sagte, daß Bot schafter von Wambe eingetroffen seien. ›Was ist ihre Botschaft?‹ fragte Nala. ›Sie sind gekommen, um zu verlangen, daß deine Tochter Maiwa zu ihm zurückgebracht werde, und mit ihr der weiße Jäger.‹ ›Welche Antwort soll ich ihnen darauf geben, Macumazahn?‹ fragte Nala, als der Mann wieder ge gangen war. ›Dieses sollst du ihm antworten‹, sagte ich nach ei nigem Überlegen: ›Sage, daß die Frau ihm gesandt werden wird, und ich mit ihr, und dann befehle den Boten, daß sie gehen.‹ Ich erhob mich. ›Bleib hier, ich werde mich in der Hütte verbergen, so daß die Män ner mich nicht sehen.‹ Und dies tat ich. Wenig später sah ich durch einen Spalt in der
Wand der Hütte die Botschafter Wambes eintreffen. Es waren riesige, wild aussehende Kerle. Sie waren zu viert und offensichtlich Tag und Nacht unterwegs gewesen. Mit arroganter Haltung traten sie auf Nala zu und hockten sich vor ihm auf den Boden. ›Was ist euer Begehr?‹ fragte Nala und runzelte die Stirn. ›Wir kommen von Wambe und überbringen Wam bes Befehle an Nala, seinen Diener‹, antwortete der Sprecher der vier. ›Sprich!‹ sagte Nala mit einem nervösen Zucken seines Mundes. ›Dies sind die Worte Wambes: ‚Schick die Frau zu rück, meine Gemahlin, die aus meinem Kraal entflo hen ist, und mit ihr den weißen Mann, der es gewagt hat, ohne meine Erlaubnis in meinem Lande zu jagen, und der meine Krieger getötet hat.‘‹ ›Und wenn ich sage, daß ich sie ihm nicht schicken werde?‹ fragte Nala. ›Dann werden wir dir im Namen Wambes den Krieg erklären. Wambe wird dich auffressen. Er wird dein Volk vernichten, eure Kraals werden dem Erd boden gleichgemacht werden – so!‹ und mit einer ausdrucksvollen Geste fuhr er mit der Hand über sei nen Mund, um zu demonstrieren, wie vollständig die Vernichtung des Häuptlings sein würde, der es wag te, sich Wambe zu widersetzen. ›Das sind schwerwiegende Worte‹, sagte Nala. ›Laßt uns beraten, bevor ich euch meine Antwort gebe!‹ Nun folgte ein Schauspiel, das für darin ungeübte Wilde wirklich eine Leistung war. Die Boten gingen außer Hörweite, und Nala tat so, als ob er sich ernst haft mit seinen Indunas beriete. Das Mädchen Maiwa
spielte ebenfalls mit, warf sich ihm zu Füßen und schien zu weinen und ihn um Schutz anzuflehen, und er rang die Hände, als ob er von inneren Kämpfen zerrissen würde. Schließlich winkte er den Boten, wieder näherzutreten und sprach zu ihnen, während Maiwa äußerst überzeugend schluchzend neben ihm stand. ›Wambe ist ein großer Häuptling‹, sagte Nala, ›und diese Frau ist seine rechtmäßige Gemahlin, deren Herausgabe er verlangen kann. Sie muß deshalb zu ihm zurückkehren, doch sind ihre Füße aufgeschun den von ihrem langen Marsch hierher, und sie kann nicht sofort zu ihm gehen. In acht Tagen, von heute an gezählt, wird sie im Kraal Wambes abgeliefert werden; ich werde sie mit einem Trupp meiner Män ner losschicken. Was jedoch den weißen Jäger und seine Diener betrifft, so habe ich nichts mit ihnen zu tun und kann nicht für ihre Missetaten verantwortlich gemacht werden. Sie sind ungebeten zu mir gekom men, aber ich werde sie dorthin zurückbringen las sen, woher sie gekommen sind, auf daß Wambe sie nach seinen Gesetzen verurteilen möge; sie sollen zu sammen mit dem Mädchen in sein Land gebracht werden. Und nun geht eures Weges. Man wird euch außerhalb des Kraals Nahrung bringen und ein Ge schenk für Wambe, zur Sühne für die Missetaten meiner Tochter. Ich habe gesprochen.‹ Zunächst schienen Wambes Männer darauf beste hen zu wollen, Maiwa sofort mitzunehmen, doch nachdem man ihnen die zerschundenen Füße des Mädchens gezeigt hatte, gaben sie schließlich nach und gingen. Als sie sich weit genug entfernt hatten, kroch ich
aus der Hütte, und wir begannen die Situation durchzusprechen und Pläne zu schmieden. Als erstes erklärte ich Nala, daß er meine Erfahrung und meine Dienste nicht umsonst bekommen würde. Ich habe gehört, daß Wambe um seinen Kraal einen Zaun ha be, der aus Elefantenstoßzähnen bestünde. Diese Stoßzähne würde ich, wenn unser Vorhaben erfolg reich verlaufen würde, für mich beanspruchen, und daß Nala dann verpflichtet sei, mir Männer zu stellen, um sie zur Küste zu bringen. Diese bescheidene Bitte beantworteten Nala und seine Indunas mit freudiger Zustimmung, die um so williger ausfiel, da sie niemals erwarten konnten, das Elfenbein für sich zu bekommen. Die nächste Bedingung, die ich stellte, war, daß im Falle eines Erfolges der weiße Mann John Every, mir übergeben werden solle, zusammen mit allen Gütern, die er für sich beanspruchen mochte. Seine grausame Gefangenschaft war, wie ich sicher nicht zu betonen brauche, der einzige Grund, der mich dazu veran laßte, mich einem so idiotischen Unternehmen anzu schließen, doch schien es mir klüger, diese Tatsache nicht zu enthüllen. Nala nahm auch diese Bedingung an. Meine dritte Forderung war, daß keine Frauen und Kinder getötet werden dürften. Auch damit er klärte man sich einverstanden, und nun machten wir uns daran, Mittel und Wege zu besprechen. Wambe war, wie es schien, ein recht mächtiger Häuptling, das heißt, er konnte zumindest sechstausend Krieger ins Feld schicken, von denen er ständig drei- bis viertausend um seinen Kraal gesammelt hielt, der als uneinnehmbar galt. Nala dagegen konnte in so kurzer Zeit lediglich zwölf- bis dreizehnhundert Krieger zu
sammenbringen, obwohl diese, da von den Zulus ab stammend, erheblich bessere Kämpfer waren, als Wambes Matukus. Diese Überlegenheit war zwar groß, doch nicht überwältigend. Die wirkliche Schwierigkeit unseres Vorhabens lag darin, daß es uns unmöglich schien, einen erfolgreichen Sturm auf Wambes Festung zu unternehmen. Diese war, wie es schien, ringsrum von Schanzen und Steinmauern umgeben und wies zahl reiche natürliche Höhlen und Schluchten auf, sowohl in dem Hügel, auf dem sie stand, als auch am Fuße des Berges, und noch nie war es jemandem gelungen, sie zu erobern. Es wurde behauptet, daß zu Zeiten des großen Zulu-Königs Dingaan ein starkes Impi je nes Königs in das Gebiet vorgestoßen sei und einen Sturm auf den Kraal unternommen habe, der damals einem Vorvater Wambes gehörte, der jedoch mit ei nem Verlust von mehr als tausend Mann zurückge schlagen worden sei. Nachdem ich über dieses Problem nachgedacht hatte, befragte ich Maiwa eingehend über die Befesti gungen und die topographischen Gegebenheiten des Kraals, und nicht ohne Erfolg. Ich fand heraus, daß der Kraal in der Tat durch einen Frontalangriff nicht einzunehmen war, er jedoch an seiner Rückseite nur schwer verteidigt werden konnte, da diese auf dem Berghang verlief und lediglich durch zwei Reihen von Steinmauern geschützt war. Der Grund dafür lag darin, daß dieser Berghang unpassierbar war, mit Ausnahme eines geheimen Pfades, der vermeintlich allein dem Häuptling und seinen Räten bekannt war, und man es aus diesem Grunde nicht für nötig hielt, ihn besonders zu schützen.
›Nun‹, sagte ich, als sie zu Ende gesprochen hatte, ›was ist mit diesem geheimen Pfad? – Weißt du etwas davon?‹ ›Ja‹, antwortete sie. ›Denn ich bin nicht dumm, Macumazahn. Erlerntes Wissen ist verdiente Macht. Ich habe das Geheimnis dieses Pfades herausgefun den.‹ ›Und kannst du auch ein Impi zu ihm führen, so daß es den Kraal von hinten angreifen kann?‹ ›Ja, das kann ich tun, wenn nur Wambes Krieger nicht wissen, daß ein Impi kommt, denn wenn sie es wissen, können sie den Pfad sperren.‹ ›Dann ist dies mein Plan: Höre, Nala, und sage mir, ob er gut ist, oder wenn du einen besseren haben solltest, so bringe ihn vor. Laß Boten ausziehen und dein ganzes Impi zusammenrufen, damit es sich am dritten Tag von diesem hier versammelt. Wenn das getan ist, laß dieses Impi, geführt von Maiwa, am Morgen des vierten Tages aufbrechen, und, nachdem es die Berge überschritten hat, auf deren anderer Seite weiterziehen, bis es dort zu jenem Ort gelangt, wel cher der Kraal Wambes ist. Dies sollte alles in allem ein Marsch von drei Tagen sein.* Dann, in der Nacht des dritten Tages dieses Marsches, laß das Impi un bemerkt von Maiwa den geheimen Pfad hinauffüh ren, so daß es auf den Gipfel jenes Berges gelangt, der oberhalb der Festung liegt, und dort sollen die Krie ger sich zwischen den Felsen verbergen. Währenddessen, am sechsten Tag von heute, Nala, laß einen deiner Indunas mich und meine Männer von zweihundert Kriegern, die Gewehre haben, als *
Etwa einhundertzwanzig Meilen. – Der Herausgeber.
Gefangene fortführen, und auch ein Mädchen des Butiana-Volkes, das in Gestalt und Größe Maiwa ähnlich ist, und ihre Hände binden, und uns den Weg entlangführen, auf dem wir hierhergekommen sind, und durch den Paß am Gipfel, und zum Kraal Wam bes. Doch sollen diese Krieger keine Schilde und kei ne Schmuckfedern tragen, lediglich ihre Gewehre und einen kurzen Speer, und wenn sie Männer von Wambe begegnen, sollen sie sagen, daß sie kommen, um die Frau und den weißen Mann und seine Leute Wambe zu übergeben und Wambe Sühne zu erwei sen. Dann wird man sie in Frieden gehen lassen. Und auf diese Weise werden wir am Abend des siebten Tages zu den Toren von Wambes Kraal gelangen, und in der Nähe dieses Tores befindet sich, wie Mai wa sagt, ein zerklüfteter Hügel, der voller Felsen und Höhlen ist, doch niemals von Kriegern gesichert wird, außer zu Kriegszeiten, oder schlimmstenfalls von einigen wenigen, die leicht überwältigt werden können. Nachdem dies getan ist, muß das Impi, das sich hinter dem Kraal auf dem Berge befindet, beim Grau en des Morgens ein Feuer entzünden und feuchtes Gras darauf tun, so daß Rauch emporsteigt. Wenn wir auf dem Hügel diesen Rauch sehen, werden wir beginnen, auf den Kraal Wambes zu feuern, und alle Krieger werden hervorstürzen, um uns zu töten. Doch werden wir uns halten, und während wir kämpfen, wird das Impi den Berg herabstürmen, und die Schanzen überwinden, und alle, die sie verteidi gen, dem Assegai* übergeben. Wenn sie dann über *
Speer
den Kraal herfallen, können sie ihn überraschen und die Krieger Wambes zurücktreiben, wie der Wind tote Blätter vor sich her treibt. Dies ist mein Plan. Ich habe gesprochen.‹ ›Ou!‹ sagte Nala; ›er ist gut, er ist sehr gut. Der weiße Mann ist so schlau wie ein Schakal. Ja, so soll es sein; und möge die Schlange des Volkes der Butia na sich aufrichten und sich für den Krieg stärken, denn so werden wir uns von Wambe und der Tyran nei Wambes befreien.‹ Danach erhob sich das Mädchen Maiwa, zog erneut die schreckliche kleine verdorrte Hand hervor und ließ ihren Vater und seine obersten Indunas darauf schwören, daß sie den Rachekrieg bis zu seinem bitte ren Ende durchführen würden. Es war ein unbe schreibliches Bild. Und, übrigens, der Krieg, der dar aus entstand, wurde später bei den Stämmen jenes Gebietes als der ›Krieg der Kleinen Hand‹ bekannt. Die nächsten zwei Tage waren für uns äußerst ge schäftig. Boten wurden ausgesandt, und jeder kriegs fähige Mann des Butiana-Stammes wurde zu einem ›großen Tanz‹ befohlen. Das Land war nur klein, und am Abend des zweiten Tages hatten sich um die zwölfhundertundfünfzig Männer mit ihren Assegais und ihren Schilden versammelt, und es waren wun derbare Krieger. Beim Morgengrauen des folgenden Tages, vier Tage nach der Ankunft von Wambes Bo ten, wurde das Haupt-Impi, nachdem es von den Me dizinmännern auf die übliche Art für den Kampf vorbereitet worden war, unter dem Kommando von Nala selbst in Marsch gesetzt, da dieser, der sehr wohl wußte, daß sein Leben und seine Häuptlings würde vom Ausgang dieses Kampfes abhingen, klu
gerweise beschloß, ihn selbst zu leiten. Mit ihnen ging Maiwa, die sie über den geheimen Pfad führen sollte. Natürlich waren wir gezwungen, dem Impi einen Vorsprung von zwei Tagen zu geben, da es einen Weg von über hundert Meilen durch unwegsames Land hinter sich zu bringen hatte, darunter das Über queren der Großen Bergkette, die in nord-südlicher Richtung verlief, da das Impi einen großen Umweg machen mußte, um nicht entdeckt zu werden. Schließlich jedoch, bei der Morgendämmerung des sechsten Tages, brach auch ich auf, begleitet von mei nen höchst unwilligen Trägern, denen die Vorstel lung, ihren Kopf in den Rachen des Löwen zu stek ken, nicht im geringsten gefiel. Ehrlich gesagt war es allein die Angst vor Nalas Kriegern, zusammen mit einem vagen Vertrauen in mich, das sie dazu brachte, sich diesem Abenteuer zu ergeben. Außer ihnen hatte ich auch etwa zweihundert Butianas bei mir, alle mit Gewehren unterschiedlichster Art bewaffnet, denn viele dieser Leute besaßen Gewehre, obwohl sie nicht sehr gut mit ihnen umzugehen wußten. Doch trugen sie keine Schilde, und auch keine Ärmlinge und kei nen Kopfschmuck; jede kriegerische Ausstattung war sorgfältig vermieden worden. Bei uns war auch eine Schwester Maiwas, obwohl von einer anderen Mut ter, die ihr in Gestalt und Gesicht sehr ähnlich war, und deren Aufgabe darin bestand, die entflohene Ehefrau Wambes darzustellen. An jenem Abend lagerten wir auf dem Gipfel, von dem ich mit so knapper Not entkommen war, und am nächsten Morgen, beim ersten Licht der Dämmerung, rollten wir die Steine beiseite, mit denen wir vor we nigen Tagen die Passage blockiert hatten, und stiegen
den darunterliegenden Hang hinab. Hier lagen noch immer die Leichen, oder, richtiger gesagt, die Skelet te, der Männer herum, die meine Schüsse zu Boden gestreckt hatten. Die Matuke-Krieger hatten ihre Ka meraden zurückgelassen, damit sie von den Geiern begraben wurden. Ich stieg in den Felsspalt hinab, in den Gobo gestürzt war, und suchte nach seiner Lei che, jedoch vergeblich, denn obwohl ich die Stelle fand, an der er und der andere Mann aufgeschlagen waren, entdeckte ich lediglich die Knochen des letzte ren, zusammen mit einem Lendentuch. Entweder hatte irgendein Raubtier Gobo fortgeschleppt, oder aber die Matukus hatten seine Leiche fortgebracht, und auch mein Expreßgewehr, das er bei sich gehabt hatte. Auf jeden Fall habe ich nie wieder etwas von ihm gesehen oder gehört. Sobald wir uns in Wambes Land befanden, nahmen wir eine andere Marschordnung an. Etwa fünfzig Männer gingen in loser Ordnung als Vorhut voraus, um uns vor Überraschungen zu sichern, und etwa genau so viele folgten als Nachhut. Die restlichen hundert marschierten in dichter Formation zwischen beiden, und in der Mitte von ihnen marschierte ich, zusammen mit dem Mädchen, das Maiwa darstellen sollte, gefolgt von allen meinen Trägern. Wir waren entwaffnet, und einige meiner Männer waren anein andergefesselt, um zu zeigen, daß wir Gefangene wa ren, während dem Mädchen eine Decke über den Kopf geworfen war und sie in einer Haltung größter Niedergeschlagenheit zwischen den Kriegern ging. Wir marschierten auf geradem Weg auf Wambes Kraal zu, der in einer Entfernung von etwa fünfund zwanzig Meilen von dem Paß entfernt lag.
Als wir um die fünf Meilen zurückgelegt hatten, begegneten wir einer Gruppe von etwa fünfund zwanzig Kriegern Wambes, die uns ganz offensicht lich entgegengeschickt worden waren. Sie hielten uns an, und ihr Anführer fragte uns, wohin wir gingen. Der Induna unserer Truppe erklärte ihm, daß wir Maiwa zurückbrächten, Wambes entflohene Frau, zu sammen mit dem weißen Jäger und seinen Männern, die alle Wambe übergeben werden sollten, so wie er es befohlen habe. Nun wollte der Anführer wissen, warum wir so viele seien, worauf unser Induna erwi derte, daß ich und meine Männer gefährlich seien und man befürchte, daß wir entfliehen könnten, wenn man uns mit einer geringeren Bewachung los geschickt hätte, wodurch Schande und der Zorn Wambes auf ihren Stamm geladen würde. Daraufhin begann dieser Gentleman, der Anführer der Matukus, sich über mich lustig zu machen und erklärte, daß Wambe mich teuer für die Krieger bezahlen lassen würde, die ich getötet hatte. Er würde mich in ›das Ding, das beißt‹ werfen, mit anderen Worten, in die Löwenfalle, und mich darin lassen, bis ich stürbe wie ein Schakal. Und das war keine leere Drohung, und ich wurde von Furcht gepackt. Ich konnte nicht ab streiten, daß wir uns auf ein äußerst riskantes Unter nehmen eingelassen hatten, und es sehr gut möglich war, daß ich die Bekanntschaft jener Löwenfalle ma chen mochte, bevor ich viele Tage älter war. Es war mir jedoch nicht möglich, den armen Every in seiner Notlage im Stich zu lassen, also mußte ich weiterma chen und der Vorsehung vertrauen, wozu ich sowohl vorher als auch später häufig gezwungen war. Und nun ergab sich eine neue Schwierigkeit.
Wambes Krieger bestanden darauf, uns zu begleiten, und taten alles, um uns rascher voranzutreiben, da sie natürlich darauf bedacht waren, vor Anbruch der Nacht zum Kraal ihres Häuptlings zu gelangen. Wir dagegen hatten sehr zwingende Gründe, nicht vor Dunkelwerden dort einzutreffen, da wir sie brauch ten, um ungesehen zu dem Hügel zu gelangen, der vor dem Kraal lag und seinen Zugang beherrschte. Schließlich wurden sie so aufdringlich, daß wir uns offen weigern mußten, rascher zu gehen, unter dem Vorwand, daß das Mädchen müde sei. Sie nahmen diese Entschuldigung jedoch nicht an, und zu einem Zeitpunkt fürchtete ich, daß es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kommen würde, da zwischen Butianas und Matukus keine große Sympathie herrschte. Schließlich jedoch, entweder aus Gründen der Vernunft, oder aber, weil sie zahlenmäßig so weit unterlegen waren, gaben sie nach und ließen uns in dem Tempo marschieren, das wir für richtig hielten. Ich wünschte mir ernsthaft, daß sie auch so freund lich gewesen wären, das ihre einzuhalten, doch dachten sie nicht daran. Im Gegenteil, die blieben dicht bei uns und reizten uns durch ständige spötti sche Hinweise auf ›das Ding, das beißt‹, was an mei nen Nerven zerrte, und manchmal drohte ich fast die Selbstbeherrschung zu verlieren. Um etwa halb vier Uhr nachmittags erreichten wir eine felsige Erhebung, von der aus wir Wambes Kraal in einer Entfernung von sechs oder sieben Meilen, und etwa dreitausend Fuß unterhalb von uns deut lich erkennen konnten. Der Kraal lag in einem Tal, mit Ausnahme von Wambes privatem Komplex, der vor den Eingängen mehrerer Höhlen am Hang jenes
Berges angelegt war, auf dem ich beim morgigen Frühlicht die Speere unseres Impis blitzen zu sehen hoffte. Selbst aus dieser Entfernung konnte man klar erkennen, wie stark der Kraal durch Schanzen und Mauern befestigt war, und wie schwierig es sein würde, ihn zu stürmen. Ehrlich gestanden erschien er mir uneinnehmbar für eine Truppe, die keine Kano nen besaß, und selbst Kanonen würden an den Felsen und in den steinigen, mit Höhlen durchsetzten Schluchten keine allzugroße Wirkung erzielen. Dann kam der Abstieg vom Paß, der sich als eine Strapaze erwies, denn dieser Pfad – falls man ihn einen Pfad nennen konnte – bestand fast ausschließlich aus von Wasser abgeschliffenen, riesigen Steinen, und wir mußten vom einen zum anderen springen wie Gras hüpfer. Wir brauchten zwei Stunden für den Abstieg, und als wir, von der glühenden Sonne fast gebraten, endlich die Talsohle erreichten, war zumindest ich völ lig erledigt. Wenig später, als es gerade zu dunkeln be gann, gelangten wir zu der vordersten Befestigungs linie, die aus einer dreifachen Steinmauer bestand, von einem Einlaß durchbrochen, der so eng war, daß ein Mann sich kaum hindurchzwängen konnte. Wir pas sierten ihn, ohne aufgehalten zu werden, da wir ja von Wambes Kriegern begleitet wurden. Hinter den Mau ern lag ein Streifen Land, der etwa dreihundert Yards tief sein mochte, sehr steinig und rauh war, und kei nerlei Hütten aufwies. Hierher, in diesen Gürtel zwi schen Außen- und Innenmauer des Kraals, wurden bei Gefahr die Rinder getrieben. Hinter ihm lagen die inneren Befestigungen, durchbrochen von einem Einlaß, der wie ein V geformt war, und durch ihn sah ich den Felsenhügel, den zu nehmen wir gekommen
waren, vor dem Hintergrund der Bergkette aufragen. Während wir weitergingen, flüsterte ich dem Füh rer unserer Truppe meine Anweisungen zu, mit dem Ergebnis, daß er unsere Kavalkade bei dem zweiten Durchgang anhielt und dem Anführer von Wambes Krieger erklärte, daß wir hier warten wollten, bis Wambe uns die Genehmigung erteilen würde, den Kraal zu betreten. Der Mann sagte, es sei gut so, doch müsse er ihm die Gefangenen sofort übergeben, da mit er sie zum Haus des Häuptlings bringe, denn Wambe sei ›hungrig, mit ihnen zu beginnen‹, und ›sein Herz wünsche, den weißen Mann tot zu sehen, bevor er seine Augen zum Schlaf schlösse‹, und was seine Frau anginge, so würde er sie ›gebührend emp fangen‹. Unser Führer erwiderte, daß er dies nicht tun könne, da er den Befehl habe, die Gefangenen per sönlich zu übergeben, und er diesen Befehl nicht bre chen dürfe. Wie könne er die Verantwortung für die Gefangenen übernehmen, wenn er sie aus der Hand gäbe? Nein, sie würden hier warten, bis ihm der Be fehl Wambes überbracht würde. Nach einigen Einwänden erklärte sich der Anfüh rer damit einverstanden und ging fort, mit der Be merkung, daß er bald zurück sein würde. Als er an mir vorbeikam, rief er mich an, deutete auf das ver gehende Abendrot am westlichen Himmel und sagte grinsend: ›Sieh dir zum letzten Mal das Licht an, wei ßer Mann, denn ‚das Ding, das beißt‘ lebt im Dunkel.‹ Am nächsten Tag kam es so, daß ich diesen Mann erschoß, und ich kann Ihnen versichern, daß er der einzige durch meine Hand getötete Mensch war, für den ich nicht die geringste Trauer und bis zu einem gewissen Grad auch keine Reue empfand.«
7
Der Angriff
»An der Stelle, an welcher wir hielten, floß ein schmaler Bach. Ich blickte auf ihn, und dabei kam mir ein Gedanke: Wahrscheinlich würde es kein Wasser auf dem Hügel geben. Ich teilte diese Vermutung dem Induna mit, und er wies alle Männer an, soviel Wasser wie möglich zu trinken, und auch die sieben oder acht Kochtöpfe, die wir mit uns führten, mit Wasser zu füllen. Dann kam der entscheidende Mo ment. Wie konnten wir den Hügel in Besitz nehmen? Als der Induna mich das fragte, sagte ich, daß wir einfach losmarschieren und ihn nehmen sollten, und mit diesem Vorsatz brachen wir dann auf. Als wir den engen Durchlaß erreichten, wurden wir, wie er wartet, von den zwei Kriegern, die dort Wache stan den, aufgehalten und gefragt, was wir wollten. Der Induna antwortete, daß wir unsere Meinung geändert hätten und doch gleich zu Wambes Kraal gehen wollten. Die Posten erwiderten, daß wir warten müßten. Darauf stießen wir sie einfach beiseite und mar schierten, einer hinter dem anderen, durch den Ein laß, der kaum mehr als hundert Yards von dem Hü gel entfernt lag. Während wir uns hindurchdrängten, liefen die beiden Posten, die wir beiseite gestoßen hatten, auf den Kraal zu und schrien um Hilfe, ein Ruf, der sofort beantwortet wurde, denn eine Minute später sahen wir über hundert bewaffnete Männer auf uns zulaufen. Also liefen wir ebenfalls auf den
Hügel zu. Sobald die anderen erkannten, was wir vorhatten, was wegen des schwachen Lichts nicht gleich der Fall war, taten sie ihr bestes, ihn vor uns zu erreichen. Doch wir hatten einen guten Vorsprung ihnen gegenüber, und mit Ausnahme eines unglück seligen Mannes, der stolperte und hinfiel, waren wir alle bereits auf dem Hügel, als sie ihn erreichten. Die sen Mann nahmen sie gefangen, und als am folgen den Morgen der Kampf begann und er sich weigerte, irgendwelche Informationen zu geben, töteten sie ihn. Glücklicherweise hatten sie keine Zeit, ihn zu foltern, was sie sonst zweifellos getan hätten, denn diese Matukus haben Freude daran, ihre Feinde zu quälen. Als wir den Hügel erreichten, dessen Basis etwa ei nen halben Acre bedeckte, blieben die Krieger, die versucht hatten, uns den Weg abzuschneiden, un schlüssig stehen, da sie die Stärke unserer Position erkannten. Das gab uns mehrere Minuten vor dem völligen Erlöschen des Lichts, um uns umzusehen. Wir stellten fest, daß der Hügel nicht besetzt war, je doch durch ein wahres Labyrinth von Steinmauern zu einer Festung gemacht wurde, und sich in ihm drei größere Höhlen und einige kleinere befanden. Als nächstes mußten wir unsere Krieger an den gün stigsten Stellen plazieren, so weit die Zeit uns das er laubte. Meine Männer ließ ich vorsichtshalber oben auf dem Gipfel Stellung beziehen. Sie waren derart verängstigt, daß sie zu nichts zu gebrauchen waren, und ich fürchtete, daß sie zu fliehen versuchen könnten, um unsere Pläne an Wambe zu verraten. Al so hütete ich sie wie meine Augäpfel und drohte, sie zu erschießen, falls sie es wagen sollten, sich von der Stelle zu rühren.
Inzwischen war es völlig dunkel geworden, und aus dem Dunkel hörte ich eine Stimme – es war die des Anführers der Krieger, die uns begleitet hatten – rufen, daß wir herabkommen sollten. Wir riefen zu rück, daß es zu dunkel sei und wir uns die Füße an den rauhen Felsen verletzen würden. Er bestand dar auf, daß wir herabkämen, und wir weigerten uns of fen und drohten, daß wir schießen würden, falls man versuchen sollte, uns mit Gewalt zu vertreiben. Dar aufhin zogen sie sich zurück, da sie nicht wirklich die Absicht hatten, uns im Dunkeln anzugreifen, doch erkannten wir an den Feuern, die rings um den Hügel aufflammten, daß sie unsere Stellung genau beob achteten. Jene Nacht wurde uns sehr lang, da wir niemals wußten, in welche Richtung die Dinge sich entwik keln mochten. Zum Glück hatten wir bereits zube reitete Nahrung bei uns, so daß wir nicht hungern mußten. Es war jedoch gut, daß wir viel getrunken hatten, bevor wir heraufgekommen waren, denn, wie ich es erwartet hatte, gab es nicht einen Tropfen Was ser auf dem Hügel. Schließlich ging diese Nacht zu Ende, und im er sten Licht des Morgens begann ich meine Runde zu machen, stolperte die steinigen Pfade entlang und be reitete alles, so gut es mir möglich war, auf den An griff vor, der, wie ich sicher war, erfolgen würde, be vor wir zwei Stunden älter geworden waren. Die Männer waren steif vor Kälte und deshalb nicht ge rade sehr munter, doch ermutigte ich sie, so gut es mir möglich war, und forderte sie auf, sich daran zu erinnern, welcher Rasse sie entstammten, und sich vor einer Bande von Matuku-Hunden nicht feige zu
zeigen. Schließlich wurde es hell, und wenig später sah ich lange Kolonnen von Männern auf den Hügel vorrücken. In einer Entfernung von etwa einhundert fünfzig Yards machten sie Halt und gingen in Dek kung, und gerade als die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont krochen, trat ein Herold vor und rief uns an. Unser Induna stieg auf einen Felsblock und antwortete ihm. ›Dieses sind die Worte Wambes‹, verkündete der Herold. ›Kommt von diesem Hügel herab und über gebt die Übeltäter, und geht hin in Frieden, oder bleibt auf dem Hügel und sterbt!‹ ›Es ist noch zu früh, um herabzusteigen‹, antwor tete unser Mann sehr diplomatisch. ›Wenn die Sonne den Nebel vertrieben hat, werden wir herabkommen. Unsere Glieder sind steif vor Kälte.‹ ›Kommt sofort herab!‹ rief der Herold. ›Wir denken nicht daran, mein Junge‹, murmelte ich; und der Induna antwortete, daß wir herabkom men würden, wenn wir es für richtig hielten, und nicht vorher. ›Dann bereitet euch auf den Tod vor‹, sagte der He rold, wie der Schurke in einem Schmierendrama, und schritt majestätisch zu den Kriegern zurück. Ich traf meine letzten Vorbereitungen und blickte angespannt zum Gipfel des Berges hinüber, der etwa zwei Meilen entfernt lag, und auf dem sich jetzt der Nebel zu heben begann, doch konnte ich dort keine Rauchfahne entdecken. Ich stieß erregt den Atem zwischen den Zähnen hervor, denn wenn unsere An griffstruppe sich verspätet oder irgendeinen Fehler begangen hatte, würde unsere Lage ziemlich unge mütlich werden. Wir hatten kaum genügend Wasser,
um uns den Mund anzufeuchten, und wenn das auf gebraucht war, würden wir unsere Stellung in der glühenden Hitze nicht lange halten können. Schließlich, gerade als die Sonne in ihrer ganzen Pracht hinter uns über den Horizont stieg, begannen die Matuku-Krieger, von denen sich inzwischen gut fünfzehnhundert versammelt haben mochten, ein seltsames, pfeifendes Geräusch auszustoßen, das mit einem Singen endete. Dann wurden mehrere Schüsse abgefeuert – denn die Matuku besaßen ein paar Ge wehre –, die jedoch unwirksam blieben, wenngleich eine Kugel dicht an dem Kopf eines Mannes vorbei fuhr. ›Jetzt geht es los‹, flüsterte ich, und ich sollte mich nicht irren, denn kaum eine Minute später teilte die Masse der Krieger sich in drei Einheiten, von denen jede etwa fünfhundert Mann stark sein mochte, die uns dann, im Laufen feuernd, von drei Seiten angrif fen. Unsere Leute waren inzwischen jedoch alle in Deckung, so daß das Feuer keinen Schaden anrichte te. Ich kletterte auf einen Felsen, damit ich einen möglichst weiten Blick auf den ganzen Hügel und auf die Ebene hatte, und schrie unseren Männern zu, ihr Feuer zurückzuhalten, bis ich den Befehl dazu geben würde, und dann tief zu halten und so schnell wie möglich nachzuladen. Ich wußte, daß sie, wie alle Eingeborenen, entsetzlich schlechte Schützen waren, und daß ihre Waffen aus alten Gasrohren bestanden; also bestand die einzige Möglichkeit für ein wirksa mes Feuer darin, die Feinde sehr nahe herankommen zu lassen. Sie stürmten den Berghang herauf; sie hatten sich uns jetzt auf achtzig Yards genähert, und ich sah, daß
sie sich in Vorbereitung des Sturms auf unsere Stel lungen näher zusammendrängten, was sehr viel gün stiger für uns war. ›Sollten wir jetzt nicht feuern, mein Vater?‹ rief der Induna zu mir herüber. ›Nein, verdammt noch mal!‹ schrie ich zurück. Ich murmelte die Entfernungen vor mich hin. ›Sechzig Yards – fünfzig – vierzig – dreißig – Feuert, ihr Hunde!‹ schrie ich und gab ihnen ein Beispiel, in dem ich beide Läufe meiner Elefantenbüchse in das dichteste Gewühl der Feinde abfeuerte. Sofort erdröhnte der Hügel von den Schüssen von über zweihundert Gewehren, und die Luft wurde von Geschossen aller möglichen Arten zerrissen, von eisernen Topfstützen und Rundkugeln bis zu blei überzogenen Kieselsteinen. Das Ergebnis war prompt und beeindruckend. Die Matukus waren so nahe ge kommen, daß wir sie unmöglich verfehlen konnten, und auf eine Entfernung von dreißig Yards ist ein aus einem Gasrohr gefeuerter, bleiüberzogener Kiesel stein genauso wirkungsvoll wie die Kugel aus einem Martin-Gewehr, vielleicht noch wirkungsvoller. Zu Dutzenden gingen die angreifenden Krieger zu Bo den, während die Überlebenden, in heller Panik, die Flucht ergriffen. Wir feuerten ihnen nach, bis sie au ßer Reichweite waren – und ich heizte ihnen mit mei ner Elefantenbüchse gehörig ein, darf ich behaupten –, dann luden wir nach und waren recht fröhlich da bei, da wir nicht einen einzigen Mann verloren hat ten, während ich mehr als fünfzig tote und verwun dete Matukus zählen konnte. Das einzige, das meine Freude dämpfte, war der Umstand, daß ich, so sehr ich auch zu dem Berg hinüberstarren mochte, dort
auch nicht die Spur einer Rauchwolke zu entdecken vermochte. Eine halbe Stunde verstrich, bevor der nächste Schritt gegen uns unternommen wurde. Nun wand ten die Angreifer eine andere Taktik an. Aus der Er kenntnis heraus, daß es äußerst riskant war, uns in dichtgedrängten Massen anzugreifen, gingen sie nun in weit auseinandergezogener Linie vor und liefen in kleinen Gruppen von fünf oder sechs Mann über das offene Gelände. Am Fuße des Hügels fiel der Grund steil ab, so daß es uns fast unmöglich war, ihn unter Beschuß zu halten. Auf der uns zugekehrten Seite dieses Knicks sammelten sich jetzt Wambes Krieger in ständig wachsender Zahl. Natürlich fügten wir ih nen soviel Schaden zu, wie wir es konnten, wenn sie herüberliefen, doch muß man für diese Art Tätigkeit schon ein guter Schütze sein, und davon hatten wir keine. Außerdem hatten es sich viele unserer Leute in den Kopf gesetzt, mit den Dingern, die sie Gewehre nannten, auf jede kleine Gruppe von Feinden zu bal lern, die herüberliefen. Auf diese Weise wurden zwar die ersten von ihnen niedergemäht, doch die folgen den gelangten so gut wie ungeschoren auf diese Seite, da es lange Zeit dauerte, bis die Gasrohre und alten Steinschloß-Musketen wieder geladen waren. Was mich betraf, so feuerte ich pausenlos mit meinem Winchester-Repetiergewehr, bis es fast zu heiß war, um es in den Händen halten zu können, doch war ich allein nicht in der Lage, einen solchen Ansturm auf zuhalten oder die Zahl unserer Angreifer spürbar zu verringern. Schließlich drängten sich zumindest tausend Mann in der Senke, die nur wenige Yards von uns entfernt
lag, und aus der solche, die Gewehre besaßen, nun ein Dauerfeuer auf den Hügel eröffneten. Sie töteten zwei meiner Träger auf diese Weise und verwunde ten einen dritten, da diese Männer auf der Kuppe des Hügels dem Feuer aus der Senke an seinem Fuß am meisten ausgesetzt waren. Da ich erkannte, daß unse re Lage sehr ernst wurde, konnte ich die meisten un serer Leute durch Drohungen und Bitten dazu bewe gen, nicht unnütz zu feuern, neu zu laden, und sich auf einen Ausfall vorzubereiten. Kaum hatte ich das getan, als die Feinde brüllend zum Sturm ansetzten. Ich muß zugeben, daß ich Matukus nie für fähig ge halten hätte, einen solchen entschlossenen Angriff durchzuführen. Ein starker Trupp lief um den Fuß des Berges herum und griff uns aus der Flanke an, während die anderen heraufschwärmten, wo immer ihre Füße einen Halt fanden, so daß wir von allen Seiten umzingelt waren. ›Feuer!‹ brüllte ich, und wir schossen, mit einer durchschlagenden Wirkung. Viele ihrer Männer fie len, doch obwohl wir sie aufhalten konnten, gelang es uns doch nicht, den Angriff abzuschlagen. Sie schlo ssen ihre Reihen und stürmten die ersten Befestigun gen, wobei sie viele ihrer Verteidiger töteten. Es war jetzt fast ausschließlich ein Kampf mit blankem Stahl, da wir keine Zeit zum Nachladen mehr hatten, und das paßte ausgezeichnet zu der Kampfesweise der Butianas, denn der zustoßende Assegai war eine Waf fe, die sie beherrschten. Diejenigen unserer Männer, die dem Anschlag auf die vordersten Verteidigungs mauern entronnen waren, nahmen Zuflucht hinter der nächsten, wo auch ich stand und sie anfeuerte, und hier tobte der Kampf am stärksten. Hin und wie
der gelang es einer Gruppe von Feinden, einzubre chen, nur um auf dieser Seite unter den Speeren der Butianas zu sterben. Doch es kamen immer neue, und ich erkannte, daß wir, so tapfer wir uns auch wehren mochten, verloren waren. Die zahlenmäßige Überle genheit der Feinde war einfach zu groß, und um un sere Lage noch zu verschlechtern, kamen neue Mas sen von Kriegern über die Ebene gezogen, um den Angreifern beizustehen. Also beschloß ich, daß wir uns in die Höhlen zurückziehen sollten, um dort zu sterben, so würdig, wie es die Umstände uns erlaub ten; und während ich im Geiste mein hartes Schicksal beweinte und an meine Sünden dachte, kämpfte ich wie ein Teufel. Zu diesem Zeitpunkt geschah es, wenn ich mich recht erinnere, daß ich meinen beson deren Freund, den Anführer des Trupps, der uns am Vortage so hartnäckig begleitet hatte, erschoß. Er hatte mich entdeckt, und während er mit seinem Speer nach mir stieß (dem ich ausweichen konnte) schrie er, oder vielmehr begann er zu schreien: ›das Ding, das ...‹ Er kam nicht mehr dazu, ›beißt‹ zu sa gen, weil ich ihn nach dem ›das‹ erschoß. Nun, es war so gut wie vorbei. Ich sah, wie ein Mann bereits seinen Speer zu Boden warf, zum Zei chen der Ergebung – ein Akt der Feigheit, der ihn das Leben kostete, nebenbei gesagt – als plötzlich ein Ge schrei ertönte. ›Seht auf den Berg!‹ schrien sie. ›Da ist ein Impi auf dem Hang des Berges!‹ Ich blickte auf, und tatsächlich, etwa auf halber Höhe des Berges, dicht vor den ersten Befestigungen, stürmte eine Doppellinie von Nalas Kriegern in die Schlacht, und die Strahlen der Morgensonne wurden
von den Spitzen ihrer Speere reflektiert. Später sollten wir herausfinden, daß der Grund für ihr verspätetes Eingreifen darin lag, daß sie von einem angeschwol lenen Fluß aufgehalten worden waren und deshalb den Berggipfel nicht bei Morgengrauen erreichen konnten. Als sie ihn erreichten, erkannten sie jedoch sofort, daß der Kampf bereits begonnen hatte – ›in voller Blüte stand‹, wie sie es nannten –, und griffen sofort an, ohne sich damit aufzuhalten, Signalfeuer anzuzünden. Inzwischen waren sie vom Kraal aus entdeckt worden, und Kolonnen von Kriegern stürmten die steile Flanke des Berghanges hinauf, um die Schanzen zu bemannen, und auch die zweite Befestigungslinie hinter ihnen. Die vorderen Schanzen versuchten sie nicht einmal zu erreichen, dafür war Nala ihnen zu nahe auf den Pelz gerückt, doch gelangten sie zu ei ner zweiten Linie von Schanzen oder Gruben, die von Steinmauern geschützt wurden, formten dort Vertei digungsgruppen von zwölf bis fünfzehn Mann und begannen aus ihnen, oder von verstreuten Felsen, zu feuern. Ich wandte mich um und blickte zu den Toren des Kraals, die an Nord- und Südseite lagen. Vor ih nen drängten sich bereits Hunderte von Frauen und Kindern, die zu den Felsen und Höhlen flohen, um sich vor dem Feind in Sicherheit zu bringen. Was uns selbst betraf, so war Nalas Erscheinen in unserer Lage eine wunderbare Wende zum Besseren. Die Krieger, die uns angriffen, liefen zurück, als sie erkannten, daß der Kraal von der anderen Seite be droht wurde und stiegen von dem Hügel hinab, um ihre Hütten gegen den neuen Feind zu verteidigen. Innerhalb von fünf Minuten befand sich kein Mann
mehr auf dem Hügel, mit Ausnahme derer, die sich nie wieder bewegen würden oder zu schwer ver wundet waren, um zu fliehen. ›Gerettet!‹ wollte ich rufen wie die Gentlemen in dem berühmten Schau spiel, tat es jedoch nicht, da die Situation zu ernst da zu war. Ich beschränkte mich darauf, nach den Män nern zu sehen und unsere Verluste zu zählen. Es er gab sich, daß einundfünfzig von ihnen getötet oder verwundet worden waren. Anschließend schickte ich ein paar Männer zum Bach, um unsere Kochtöpfe aufzufüllen, und wir tranken. Danach befahl ich mei nen Trägern, die als Kämpfer absolut unbrauchbar waren, sich um die Verwundeten zu kümmern, dann wandte ich mich um und beobachtete den Kampf. Währenddessen hatte Nalas Impi die vordere Ver teidigungslinie ohne jeden Widerstand genommen und ging in weit auseinandergezogener Formation auf die Schanzen und Gruben zu, welche sich zwi schen ihr und der nächsten Befestigung befanden, und sie brüllten einen Kriegsgesang, während sie vorrückten. Kurz darauf zeigten sich Pulverwolken auf den Schanzen, und durch mein Fernglas sah ich, daß mehrere unserer Männer fielen. Doch als sie eine der Schanzen erreichten, ballte sich diese Linie von Kriegern zu einem dichten Haufen zusammen, und sie griffen in einem wilden Vorstoß an. Ich sah, wie sie an der Mauer emporsprangen und hinter ihr ver schwanden, wobei jedes Mal einige von ihnen herab fielen, von Kugeln oder Speeren getroffen. Nun begann der nächste Akt der Tragödie. Von diesseits der Schanzen flohen solche Verteidiger, die noch am Leben waren, in Gruppen von vier oder fünf, oder vielleicht einem Dutzend, und die um ihr
Leben rannten, verfolgt von Nalas Kriegern. Einer nach dem anderen wurden sie gefangen, und dann blitzte ein Speer auf und sie stürzten zu Boden – tot. Ich sah zehn unserer Männer in eine der letzten Schanzen springen, doch so sehr ich auch starrte, nicht einer von ihnen tauchte wieder auf. Später, als wir diese Stelle untersuchten, fanden wir diese Män ner alle tot auf, zusammen mit zwanzig Matukus. Keine Seite hatte aufgeben wollen und es bis zum bitteren Ende durchgekämpft. Schließlich näherten sie sich der zweiten Befesti gungslinie, hinter welcher die gesamte, verbliebene Streitmacht der Matukus, die jetzt noch zweitausend Mann betragen mochte, zusammenströmte. Nala gönnte seinen Männern eine kurze Verschnaufpause, dann kamen sie herangestürmt, mit dem wilden Schrei ›Bulala Matuku!‹ (tötet die Matuku!) der mir durch Mark und Bein drang und jeden Nerv er schütterte. Dann kamen das Antwortgebrüll, und der Lärm heftigen Feuers, und schließlich sah ich, wie unsere Männer den Rückzug antraten, und es waren erheblich weniger, als vorgerückt waren. Ihr Emp fang war überaus herzlich gewesen, denn die Matuku sind recht gute Kämpfer, wenn sie von Mauern ge schützt sind. Diese Erkenntnis machte mir klar, daß wir ein Ablenkungsmanöver unternehmen mußten, denn wenn wir es nicht taten, mochten wir, so wie die Dinge lagen, trotz allem den kürzeren ziehen. Ich rief also den Führer unserer kleinen Streitmacht zu mir und erklärte ihm die Lage. Da er die Dringlichkeit der Situation erkannte, sah er ein, daß wir dieses Risiko auf uns nehmen mußten, und zwei Minuten darauf trabten wir alle, mit Aus
nahme meiner Männer, die ich zur Bewachung der Verwundeten zurückließ, über das freie Feld und durch den menschenleeren Kraal zu der Stelle, wo die Schlacht tobte, etwa siebenhundert Yards entfernt. Nach sechs oder sieben Minuten erreichten wir eine Gruppe von Hütten – es war der Kraal eines Induna – die etwa hundert oder hundertzwanzig Fuß hinter der Mauer lagen, und nahmen sie, ohne bemerkt zu werden, in Besitz. Die Makutu waren so mit den An greifern beschäftigt, daß sie keine Notiz von uns nahmen, und außerdem lag eine kleine Erhebung, wie ein Schweinerücken geformt, zwischen ihnen und uns. Dort warteten wir eine Minute lang oder zwei, um wieder zu Atem zu kommen, und ich er teilte meine Anweisungen. So bald wir das ButianaImpi erneut angreifen hörten, würden wir auf die Kuppe des Schweinerückens laufen und von dort auf die Masse der Verteidiger hinter der Mauer feuern. Dann sollten die Männer die Gewehre fallen lassen und mit dem Assegai angreifen. Sie hatten zwar keine Schilde, doch dem war nicht abzuhelfen; es würde nicht genug Zeit bleiben, die Gewehre neu zu laden, und es war absolut notwendig, den Feind abzulen ken, wenn der Hauptangriff erfolgte. Die Männer, so tapfere Burschen, wie sie mir selten begegnet waren, und deren Blut jetzt aufgewühlt war, erklärten sich mit dem Plan einverstanden, ob wohl sie ihn, wie ich erkannte, für eine starke Anfor derung hielten – was er ja auch tatsächlich war. Doch war mir eines klar: Falls das Impi ein zweites Mal zu rückgeschlagen werden sollte, war das Spiel zu Ende, und zumindest für mich würde es dann ein Fall für ›das Ding, das beißt‹, werden, und dieses Wissen er
füllte mich mit Mut. Wir brauchten nicht lange zu warten. Wenig später hörten wir das Kriegsgeschrei der Butiana; sie hatten ihren zweiten Angriff begonnen. Ich gab das Zeichen, und die hundertfünfzig Männer, von mir angeführt, stürzten aus dem Kraal und liefen in auseinanderge zogenen Linien über die fünfzig oder sechzig Yards, die sich zwischen dem Kraal und der schweinerük kenförmigen Erhebung befanden. In dreißig Sekun den hatten wir sie erreicht, und direkt vor uns lag die Hauptmacht der Matuku, die mit Gewehren und Speeren den Angriff des Impi erwarteten. Ich gab meinen Männern ein Zeichen, sorgfältig zu zielen, dann gab ich den Feuerbefehl, und in ihrem Kugel hagel fielen dreißig oder vierzig Matukus. ›Angriff!‹ schrie ich, warf mein rauchendes Gewehr zu Boden und riß den Revolver heraus, ein Beispiel, dem sie folgten, indem sie ihre Speere vom Boden aufgriffen, wo sie sie abgelegt hatten, um beide Hän de zum Schießen freizuhaben. Die Männer stießen wilde Schreie aus, und wir stürmten los. Ich sah, wie Hunderte von Matuku-Kriegern herumfuhren, völlig überrascht von der neuen Entwicklung der Lage. Und bevor wir zwanzig Yards vorgestürmt waren, sah ich, über sie hinwegblickend, noch etwas: Plötzlich, wie aus dem Erdboden gewachsen, tauchten jenseits der Mauer Hunderte langer Speere auf, gefolgt von Hun derten wilder Gesichter unter wippenden Federbü schen. Mit wilden Schreien sprangen sie auf die Mau er, und mit wilden Schreien sprangen sie von dort mitten unter die verblüfften Feinde. Peng! Jetzt hatten wir sie erreicht und fielen wie Dämonen kämpfend von der anderen Seite über sie
her. Nalas Impi war an der Arbeit, und immer mehr Speere und Federbüsche erschienen vor dem braunen Hintergrund des Berges, sprangen herab und fielen wie ein Sturmwind über die Feinde her. Die gewalti ge Masse von Männern wandte sich nach dieser Seite um, dann nach jener, verwundert, verwirrt, überwäl tigt von Zweifeln und Angst. Und der Tod hielt reiche Ernte; auf beiden Seiten blitzten Speere auf und wilde Triumphschreie gellten zum Himmel empor. Und auf der Mauer stand Mai wa, in einem fließenden, weißen Gewand, einen Assegai in der Hand, mit wogender Brust und fun kelnden Augen. Durch den ganzen Schlachtenlärm konnte ich ihre klare Stimme hören, die die Krieger zum Sieg anfeuerte. Doch der Sieg war noch nicht in Sicht. Wambes Krieger hatten sich wieder gesammelt und begannen, unsere Männer, allein durch ihre zahlenmäßige Überlegenheit, zurückzudrängen. Sie wichen zurück, konnten jedoch bald wieder stand halten, und der Ausgang der Schlacht hing in der Schwebe. ›Tötet, ihr Kriegs-Welpen!‹ rief Maiwa von der Krone der Mauer. ›Habt ihr Angst, ihr Weiber, ihr Weiber mit Hennenherzen? Schlagt zu, oder sterbt wie Hunde! Was? Ihr weicht zurück? Folgt mir, ihr Kinder Nalas!‹ Und mit einem lauten Schrei sprang sie von der Mauer herab wie eine Antilope und stürzte sich, mit über dem Kopf geschwungenem Speer in das dichteste Schlachtgewühl. Die Krieger sahen es, und stießen ein Gebrüll aus, das wie Don nerhall von den Bergwänden zurückgeworfen wurde. Sie strömten zusammen und warfen sich, dem we henden weißen Gewand folgend, in das Herz der
feindlichen Streitmacht. Die Matukus sanken vor ih nen zu Boden wie Bäume vor einem Wirbelsturm. Nichts konnte einem solchen Ansturm standhalten. Es war wie ein mächtiger Sturzbach, der seine Ufer sprengt. Die ganze Front entlang raste die wilde, ver zweifelte Angriffswut, und dort, noch vor den voran stürmenden Kriegern, wehte das weiße Gewand Maiwas. Wambes Kriegern war das Rückgrat gebrochen. Sie stoben nach allen Seiten auseinander wie eine in Pa nik geratene Rinderherde, und hinter ihnen dröhnten die Schritte der Sieger. Die Schlacht war geschlagen, und der Sieg war un ser. Was mich betraf, so setzte ich mich auf einen Stein, wischte mir den Schweiß von der Stirn und dankte der Vorsehung, daß ich ihr Ende erleben durfte. Zwanzig Minuten später begannen Nalas Krieger zurückzukehren. ›Wambes Männer haben sich im Busch und in den Höhlen verkrochen‹, be richteten sie keuchend, ›wo sie sicher sein können, daß wir ihnen nicht folgen würden.‹ Und sie fügten hinzu, daß viele von ihnen auf der Strecke geblieben waren. Ich war wie benommen, und jetzt, da der Kampf vorüber war, schienen alle meine Kräfte mich verlas sen zu haben, so daß ich kaum darauf achtete, was um mich herum vorging, bis jemand mich bei mei nem Namen rief. Ich blickte auf und sah, daß es der Häuptling Nala war, der aus einer Fleischwunde an seinem Arm blutete. Neben ihm stand Maiwa, atem los, doch unverletzt, und ihr Gesicht war stolz und zeigte einen schrecklichen Ausdruck. ›Sie sind fort, Macumazahn‹, sagte der Häuptling,
›und wir haben kaum noch etwas von ihnen zu be fürchten, denn ihr Herz ist zerbrochen. Aber wo ist Wambe, der Häuptling? – Und wo ist der weiße Mann, den zu retten du gekommen bist?‹ ›Das weiß ich nicht‹, antwortete ich. In unserer Nähe lag ein Matuku, ein junger Mann, der einen Schuß durch die Muskelpartie des Unter schenkels erhalten hatte. Es war eine geringfügige Wunde, doch hatte sie ihn daran gehindert, davon zulaufen. ›Sage, du Hund!‹ fuhr Nala ihn an, trat auf ihn zu und schüttelte seinen Speer vor dem Gesicht des Mannes. ›Sage mir: wo ist Wambe? Sprich, oder ich töte dich! War er bei seinen Kriegern?‹ ›Nein, o Herr, ich weiß es nicht‹, sagte der veräng stigte Mann, ›er hat nicht mit uns gekämpft. Wambe liebt den Kampf nicht. Vielleicht ist er in jenem Kraal dort drüben, oder in der Höhle hinter dem Kraal.‹ Er deutete auf eine kleine Einfriedung am Hang des Berges, etwa vierhundert Yards rechts von uns. ›Laßt uns gehen und nachsehen!‹ sagte Nala und rief nach seinen Kriegern.
8
Maiwa wird gerächt
Das Impi formierte sich; ach, vor einer Stunde war es um ein Drittel stärker gewesen als jetzt. Nala teilte zweihundert Mann ab, welche die Verwundeten ein sammeln und versorgen sollten, und erteilte ihnen auf meine Veranlassung hin den strikten Befehl, daß keiner der feindlichen Verwundeten getötet werden dürfe, und vor allem keine Frauen und Kinder, wie es der Brauch bei afrikanischen Wilden ist. Im Gegenteil, ordnete ich an, sollten die Verwundeten ihren Frauen Nachricht zukommen lassen, daß sie zurückkehren sollten, um sie zu pflegen, und daß sie keine Furcht zu haben brauchten, da Nala nur gegen den Tyran nen Wambe Krieg führe, nicht aber gegen das Volk der Matuku. Dann marschierten wir mit etwa vierhundert Krie gern auf den Kraal des Häuptlings zu. Kurz darauf waren wir dort. Er war, wie ich bereits sagte, an den Berghang gebaut und stark befestigt, bedeckte jedoch nicht mehr als anderthalb Acres Grund. Wir stießen zunächst auf einen sorgsam geflochtenen Zaun aus Schilfrohr, hinter welchem, in einem Halbkreis ange ordnet, die Hütten der Hauptfrauen des Häuptlings standen. Maiwa kannte natürlich jeden Quadratfuß dieses Kraals, da sie schließlich in ihm gelebt hatte, und führte uns direkt zu seinem Eingang. Wir blick ten vorsichtig hindurch – keine Menschenseele war zu erblicken. Dort standen die Hütten, und dort war der freie Platz aus festgestampftem Kalkstein, auf den
die Sonne sengend herniederbrannte, doch konnten wir niemanden sehen oder hören. ›Der Schakal hat sich verkrochen‹, sagte Maiwa. ›Er wird in der Höhle hinter seiner Hütte stecken.‹ Sie deutete mit ihrem Speer auf eine zweite, halbkreis förmige Einfriedung, hinter der eine große Hütte sichtbar war, die direkt an den Felsen gebaut war. Ich starrte auf die Umzäunung. Wahrhaftig! Es stimmte! Sie bestand ausschließlich aus Stoßzähnen, die mit nach außen gerichteten Spitzen in den Boden ge rammt waren. Die kleinsten von ihnen – obwohl kei ner wirklich klein war – befanden sich vor der Berg klippe, und die anderen standen der Größe nach ge ordnet und kulminierten in zwei gewaltigen Stoß zähnen, die so aufgestellt waren, daß ihre Spitzen zu sammenstießen und das zu der Hütte führende Tor bildeten. Ich war sprachlos vor Freude; und welcher Elefantenjäger wäre das nicht, wenn er plötzlich fünf bis sechshundert Stoßzähne in einer Reihe vor sich stehen sähe, die nur darauf warteten, von ihm mitge nommen zu werden? Natürlich war es ›schwarzes‹ Elfenbein, das heißt, die Außenseite der Stoßzähne war im Laufe der Jahre, oder vielleicht Jahrhunderte, in denen sie Wind und Wetter ausgesetzt gewesen waren, schwarz geworden, doch war ich sicher, daß ihnen das keinen Abbruch getan hatte. Jede Gefahr mißachtend lief ich in meiner Begeisterung sofort über die offene Fläche, zog mein Taschenmesser her aus und begann fieberhaft an einem der großen Stoß zähne zu schaben, um zu sehen, wie tief die Verwitte rung ging. Wie ich es mir gedacht hatte, war es nicht der Rede wert; unter einer dünnen, schwarzen Schicht glänzte pures, weißes Elfenbein. Ich hätte vor
Freude Purzelbäume schlagen können, da ich, wie ich fürchte, im Innern meines Herzens recht gierig bin, als ich plötzlich von irgendwoher einen leisen Schrei hörte. ›Hilfe!‹ rief eine Stimme von irgendwoher hin ter der Hütte im Sisutu-Dialekt; ›Hilfe, sie ermorden mich!‹ Ich kannte diese Stimme; es war John Every. Oh, was für ein selbstsüchtiger Barbar ich doch war! Der An blick des Elfenbeins hatte mich für einen Moment sein Schicksal vergessen lassen – und jetzt war es vielleicht zu spät! Inzwischen waren Nala, Maiwa und die Krieger herangekommen. Auch sie hörten jetzt die Stimme und interpretierten ihren Ton, wenn sie auch die Worte nicht verstehen konnten. ›Hier entlang!‹ rief Maiwa, und wir liefen um die Hütte Wambes herum. Hinter ihr befand sich der en ge Eingang zu einer Höhle. Wir stürzten hinein, ohne der Gefahr eines Hinterhalts zu achten, und dieses ist es, was wir sahen, obwohl zuerst sehr undeutlich, wegen des in der Höhle herrschenden Halbdunkels: In der Mitte der Höhle, mit kräftigen Pflöcken im Boden verankert, stand eine riesige, von einer Dop pelfeder gespannte Löwenfalle, deren scharfe Zähne uns angrinsten. Ihr Rachen war geöffnet, und hinter dieser Falle, fast unmittelbar auf ihr, fand ein entsetz licher Kampf statt. Ein nackter oder fast nackter wei ßer Mann, dem ein langer Bart über die Brust hing, wurde trotz seiner heftigen Gegenwehr von sechs oder acht Frauen langsam in die Falle gezerrt. Nur ein Mann war dabei, ein fetter, grausam wirkender Kerl mit kleinen Augen und einer hängenden Unterlippe. Es war der Häuptling Wambe, und er stand neben
der Falle, bereit, das Opfer in sie hineinzudrücken, sobald die Frauen ihn in die richtige Position ge bracht hatten. In dem Augenblick, als sie unserer ansichtig wur den, verhielten sie für einen Augenblick, und dann, bevor ich wußte, was geschah, riß Maiwa den Assegai empor, den sie noch immer in der Hand hielt, und schleuderte ihn nach Wambes Kopf. Ich sah den auf blitzenden Stahl auf ihn zufliegen, und er sah es auch, denn er sprang zurück, um ihm auszuweichen – und taumelte dabei rücklings in die Falle. Er schrie auf vor Schmerzen, als ›das Ding, das beißt‹ mit einem ras selnden Krachen zuschnappte und die scharfen Zäh ne sich in seinen Leib schlugen – es war ein Schrei wie ich ihn nicht oft gehört habe. Jetzt endlich bekam er selbst eine Kostprobe der Tortur, unter der er so viele hatte leiden lassen, und obwohl ich von mir be haupten möchte, ein guter Christ zu sein, kann ich nicht sagen, daß er mir leid tat. Der Assegai, der ihn verfehlt hatte, traf eine der Frauen, die den unglücklichen Every gepackt hatten, und durchschlug ihren Arm. Deshalb mußte sie ihn loslassen, ein Beispiel, dem die anderen Frauen so gleich folgten, so daß Every zu Boden fiel, wo er nach Atem ringend liegen blieb. ›Tötet die Hexen!‹ rief Nala mit Donnerstimme und deutete auf die Frauen. ›Nein‹, keuchte Every, ›verschont sie! Er hat sie da zu gezwungen.‹ Er deutete auf den menschlichen Satan, der in der Löwenfalle steckte. Dann winkte Maiwa uns zurück, denn der Augenblick ihrer Rache war gekommen. Wir taten es, und sie trat zu ihrem ehemaligen Herrn, warf ihr weißes Gewand von sich
und stand mit nackter Brust vor ihm, das schöne Ge sicht wie aus Stein gemeißelt. ›Wer bin ich?‹ rief sie mit einer so schrecklichen Stimme, daß er zu schreien aufhörte. ›Bin ich jene Frau, die dir gegeben wurde, und deren Kind du ge tötet hast? Oder bin ich ein Racheengel, der gekom men ist, um dich sterben zu sehen? Was ist dies?‹ fuhr sie fort und zog die verdorrte Kinderhand aus dem Beutel an ihrem Gürtel. ›Ist dies die Hand eines Kindes? Wie kommt es dann, daß diese Hand so allein ist? Was hat sie dem Kind abgeschnitten? Und wo ist dieses Kind? Ist dies eine Hand? Oder ist es nur die Vision einer Hand, die jetzt deine Kehle zerreißen wird? Wo sind deine Krieger, Wambe? Schlafen und es sen sie gerade, um dann wieder deinen Befehlen zu gehorchen? Oder sind sie vielleicht tot und verstreut wie Herbstlaub?‹ Er stöhnte und rollte mit den Augen, während die von Rachedurst erfüllte Frau weitersprach. ›Bist du noch ein Häuptling, Wambe? Oder hat ein anderer deine Macht übernommen und sagt: was hast du hier zu suchen? Und was hat die Sklavenfessel um deinen Körper zu bedeuten? Ist es ein Traum, Wambe, du großer Herr und Häuptling? Oder ...‹ – und sie hob ihre geballten Fäu ste und schüttelte sie vor seinem Gesicht – ›hat die Rache einer Frau dich gefunden und der Verstand ei ner Frau deine tyrannische Kraft besiegt? Und bist du jetzt dazu verurteilt, langsam zu sterben, so grauen voll, daß man nicht einmal daran zu denken vermag, du verfluchter Mörder von kleinen Kindern?‹ Mit einem wilden Schrei warf sie ihm die tote Hand
des Kindes ins Gesicht und fiel dann bewußtlos zu Bo den. Was den Dämon in seiner Falle anging, so sank er zurück, so weit seine eiserne Fessel das zuließ, sei ne gelben Augen quollen ihm vor Schmerz und Angst aus dem Kopf, und er begann wieder zu schreien. Es war mehr, als ich ertragen konnte. ›Nala‹, sagte ich, ›dies muß aufhören. Dieser Mann ist zwar ein Satan, doch dürfen wir ihn nicht so ster ben lassen. Kümmere dich darum!‹ ›Nein‹, antwortete Nala, ›er soll von dem Essen ko sten, mit dem er so viele gefüttert hat; laß ihn hier zu rück, bis der Tod ihn findet.‹ ›Das werde ich nicht tun‹, antwortete ich. ›Mach dem ein rasches Ende! Kümmere dich darum!‹ ›Wie du willst, Macumazahn‹, antwortete der Häuptling mit einem Achselzucken. ›Doch erst bringe den weißen Mann und Maiwa hinaus.‹ Also traten einige Krieger heran und trugen Every und die Frau an die frische Luft. Als Every an seinem Folterer vorbeigetragen wurde, flehte dieser ihn an – so feige war sein sündiges Herz – für ihn zu sprechen, ihn vor einem Tode zu erretten, der ohne unser Er scheinen dessen eigener gewesen wäre. Also gingen wir hinaus, und wenige Sekunden später war die Erde von einem ihrer größten Schur ken erlöst. Sobald Every in der frischen Luft war, er holte er sich rasch. Ich sah ihn an, und Entsetzen und Mitleid packten mich bei seinem Anblick. Sein Ge sicht war das eines Mannes von sechzig Jahren, ob wohl er noch nicht einmal vierzig war, und sein ab gezehrter Körper war von Schwielen und Narben übersät, und mit anderen Zeichen der Foltern, denen Wambe ihn zu seinem Vergnügen unterworfen hatte.
Sobald er sich ein wenig erholt hatte, richtete er sich auf die Knie auf, brach in hemmungsloses Schluchzen aus, und umklammerte meine Beine mit seinen abgemagerten Armen, und versuchte sogar, meine Füße zu küssen. ›Was machst du da, alter Junge?‹ fuhr ich ihn an, da ich an so etwas nicht gewöhnt bin und es mir peinlich war. ›Oh, Gott segne dich‹, stöhnte er, ›Gott segne dich! Wenn du wüßtest, was ich durchgemacht habe; und wenn ich daran denke, daß gerade du mir zu Hilfe kommen würdest, und das unter höchster Gefahr für dein eigenes Leben! Aber du bist schon immer ein echter Freund gewesen – ja, ja, ein echter Freund.‹ ›Unsinn!‹ erwiderte ich hart, ›ich bin ein Händler, und ich bin allein wegen des Elfenbeins hergekom men.‹ Ich deutete auf die Einfriedung aus Stoßzäh nen. ›Hast du schon jemals von einem Elefantenjäger gehört, der nicht dafür seine unsterbliche Seele ris kiert hätte – von seinem Leib ganz zu schweigen?‹ Doch er hörte nicht auf mich, sondern beschwor immer wieder Gottes Segen auf mich herab, bis ich mich schließlich darauf besann, daß ein Schluck Brandy, wovon ich eine Flasche bei mir hatte, seine Nerven beruhigen mochte. Ich gab ihm einen, und das Resultat war nicht enttäuschend, denn er wurde sofort sehr viel munterer. Dann sah ich mich in Wambes Hütte um und fand ein Kaross für ihn, den er über seine knochigen, zerschundenen Schultern le gen konnte, und danach war er wieder ein Mensch. ›Und jetzt‹, sagte ich, ›erkläre mir, warum dich der verblichene, schmerzlich beklagte Wambe in die Falle stecken wollte.‹
›Weil er, sobald er hörte, daß die Schlacht zu seinen Ungunsten ausging und daß Maiwa an der Spitze von Nalas Impi stand, von einer der Frauen erfuhr, daß sie gesehen habe, wie ich etwas auf Blätter ge schrieben und diese Maiwa gegeben hätte, bevor sie fortging, um sich zu reinigen. Da wußte er natürlich, daß ich etwas damit zu tun hatte, daß ihr den Hügel einnahmt und ihn hieltet, während ein Impi vom Berghang aus angriff. Also beschloß er, mich zu Tode zu foltern, bevor ich gerettet werden konnte. Oh, Himmel, was für ein Segen, endlich wieder die engli sche Sprache zu hören.‹ ›Wie lange bist du hier gefangen gewesen, John?‹ fragte ich. ›Sechs Jahre und einige Monate; ich habe das Ge fühl für die Zeit verloren. Ich bin mit Major Adley und drei anderen Gentlemen und vierzig Trägern hergekommen. Dieser Teufel Wambe hat uns in einen Hinterhalt gelockt und alle anderen töten lassen, um ihre Gewehre zu rauben. Er konnte nicht viel mit ih nen anfangen, weil es Hinterlader waren, denn diese Narren hatten innerhalb eines Monats oder so die ganze Munition verballert. Doch die Waffen sind noch in Ordnung und dort in der Hütte aufgehängt. Mich haben sie nicht getötet, weil einer von ihnen mich beobachtet hatte, wie ich ein Gewehr reparierte, und sie mich deshalb für eine Art Waffenschmied hielten. Zweimal habe ich versucht, ihnen zu entflie hen, wurde jedoch immer erwischt. Beim letzten Mal hat Wambe mich fast zu Tode geprügelt – du kannst die Narben auf meinem Rücken sehen. Und ich wäre bestimmt gestorben, wenn nicht das Mädchen Maiwa gewesen wäre, das mich heimlich gepflegt hat. Unter
vielen anderen Dingen, die er von uns erbeutete, be fand sich auch die Löwenfalle, und ich schätze, daß er zwischen ein- und zweihundert Menschen mit ihr zu Tode gefoltert hat. Es war sein beliebtester Zeitver treib, und er ist jeden Tag in die Höhle gegangen, um sich sein Opfer anzusehen, bis es endlich starb. Manchmal gab er ihm auch zu essen und Wasser, um es länger am Leben zu erhalten, und versprach ihm, es gehen zu lassen, wenn es bis zu einem bestimmten Tage leben würde. Doch hat er das nie getan. Sie sind alle hier gestorben, und ich kann dir ihre Knochen zeigen, die hinter dem Fels vergraben sind.‹ ›Dieser Teufel!‹ sagte ich zwischen zusammenge bissenen Zähnen. ›Ich wünschte fast, ich hätte mich nicht eingemischt; ich wünschte, ich hätte ihn dem gleichen Schicksal überlassen.‹ ›Nun, immerhin hat er einen Vorgeschmack davon bekommen‹, sagte Every, ›und darüber bin ich froh. Es liegt Gerechtigkeit darin, und jetzt ist er in die Hölle hinabgefahren, und ich hoffe, daß dort eine zweite Falle für ihn bereitsteht. Bei Gott! Ich würde sie liebend gern mit meinen eigenen Händen span nen!‹ Und so sprach er weiter, und ich saß und hörte ihm zu und fragte mich, wie es ihm gelungen sein mochte, über so viele Jahre seinen klaren Verstand zu bewah ren. Doch sprach er nicht, so wie ich es hier wieder gegeben habe, in flüssigem Englisch, sondern so, als ob er etwas im Munde hätte, und er gebrauchte im mer wieder Worte der Eingeborenen, weil die engli schen ihm entfallen waren. Schließlich trat Nala heran und sagte uns, daß das Essen bereit sei, und wir waren sehr dankbar, etwas
zu essen zu bekommen, das darf ich Ihnen versi chern, Gentlemen. Nachdem wir gegessen hatten, hielten wir eine Besprechung ab. Über tausend von Wambes Kriegern waren hors de combat gesetzt wor den, doch mindestens zweitausend weitere hatten sich im Busch und zwischen den Felsen versteckt, und diese Männer, zusammen mit denen von außer halb gelegenen Kraals, stellten eine potentielle Gefahr dar. Daher erhob sich die Frage, was zu tun sei: Soll ten wir ihnen folgen, oder sie in Ruhe lassen? Ich wartete, bis alle anderen gesprochen hatten, wobei die einen dieser Möglichkeit den Vorzug gaben, die anderen jener, und dann in mich drangen, meine Meinung zu äußern. Sie ging dahin, daß Nala ein Blatt aus dem großen Zulu T'Chaka-Buch nehmen und den Stamm dem seinen angliedern sollte, anstatt ihn zu vernichten. Unter den Gefangenen befand sich eine große Anzahl von Frauen. Sie sollte man, schlug ich vor, zu den Verstecken der Krieger schicken, um ihnen das Angebot zu unterbreiten. Wenn die Män ner herauskommen, ihre Waffen niederlegen und Nala Loyalität schwören würden, sollten sie und ihr Kraal und ihre Rinder verschont bleiben. Allein Wambes Rinder sollten als Kriegsbeute beschlag nahmt werden. Außerdem sollte, da Wambe keine Nachkommen hinterlassen habe, seine Ehefrau Mai wa Häuptling des Stammes werden. Falls sie dieses Angebot nicht bis zum Morgen des zweiten Tages angenommen hätten, würde man das als dahinge hend auslegen, daß Sie die Fortsetzung des Krieges wollten. Dann würde man ihren Kraal niederbrennen, ihre Rinder, die von unseren Männern bereits in gro ßen Zahlen zusammengetrieben und zum Kraal ge
bracht wurden, als Beute nehmen, und sie selbst von unseren Kriegern zu Tode hetzen lassen. Dieser Rat wurde als weise erklärt und angenom men. Die Frauen wurden losgeschickt, und ich sah ih ren Gesichtern an, daß sie nicht erwartet hatten, ein so gutes Angebot unterbreitet zu bekommen, und sie waren überzeugt, daß auch die Männer das erkennen würden. Trotzdem verbrachten wir den Nachmittag damit, Vorbereitungen für mögliche Überraschungen zu treffen. Die Verwundeten beider Seiten wurden in einige Hütten gebracht, die wir zu einer Art Behelfs lazarett gemacht hatten, und dort nach besten Kräften versorgt. An jenem Abend rauchte Every zum ersten Mal nach über sechs Jahren wieder eine Pfeife Tabak. Der arme Bursche weinte beinahe vor Freude. Die Nacht verging ohne irgendein Zeichen feindlicher Aktivität, und am nächsten Morgen sahen wir die Auswirkung unseres Plans, denn Frauen, Kinder, und ein paar Männer kamen in kleinen Gruppen zurück und nah men ihre Hütten in Besitz. Es war natürlich etwas schwierig, unsere Männer daran zu hindern, zu plündern und sich andere Freiheiten herauszuneh men, da dies nun einmal die Art der Eingeborenen nach einem Sieg ist – und die weißer Männer eben falls. Doch wurde ein Mann, der trotz einer Verwar nung eine Frau vergewaltigte, ergriffen und auf Be fehl Nalas hingerichtet, und obwohl dies einige Pro teste hervorrief, setzte es den Übergriffen ein Ende. Am zweiten Morgen kehrten Wambes Indunas und eine große Zahl ihrer Gefolgsleute gruppenweise zu rück, und gegen Mittag trat eine Delegation von In dunas ohne Waffen vor uns. Sie seien besiegt, erklär
ten sie, und Wambe sei tot, also seien sie gekommen, um die Worte des großen Löwen zu hören, der sie ge fressen habe, und die des schlauen weißen Mannes, des Schakals, welcher die Grube gegraben habe, in die sie gestürzt seien, und die Maiwas, der Kriegsfür stin, welche den Angriff angeführt und den Ausgang der Schlacht entschieden habe. Also ließen wir sie die Worte hören, und als wir das getan hatten, erhob sich ein alter Mann und sagte, daß er im Namen des Volkes das Joch annehme, das auf ihre Schultern gelegt würde, und das um so lie ber, als selbst die Herrschaft einer Frau nicht schlim mer sein könne als die Wambes. Außerdem kannten sie Maiwa, die Kriegsfürstin, und fürchteten sie nicht, obwohl sie eine Hexe sei, und schrecklich anzusehen in der Schlacht. Dann fragte Nala seine Tochter, ob sie willens sei, unter ihm Häuptling dieses Stammes zu werden. Maiwa, die sehr still geworden war, seit sie ihre Rache vollzogen hatte, antwortete, daß sie dazu bereit sei, und daß ihre Herrschaft gut und freundlich sein würde für alle, die gut und freundlich zu ihr seien, die Schlechten und Rebellischen jedoch von ihr mit einem Stab aus Eisen erschlagen werden würden; was sie bei meiner Kenntnis ihres Charakters auch sehr wohl tun mochte. Der Induna erklärte, daß dies gute Worte seien und sie sich nicht über sie beklagen könnten, und damit war das Treffen beendet. Den nächsten Tag verbrachten wir mit den Vorbe reitungen unseres Aufbruchs. Die meinen bestanden hauptsächlich darin, den Zaun aus Elefantenstoßzäh nen ausgraben zu lassen, was ich mit großer Befriedi
gung tat. Es waren insgesamt etwa fünfhundert. Ich erkundigte mich bei Every nach ihrer Herkunft, und dieser sagte mir, daß der Zaun bereits seit so langer Zeit dort gestanden habe, daß niemand genau wisse, wer diese Stoßzähne zusammengetragen habe. Es gä be jedoch eine Art abergläubischer Furcht um sie, welche die Generationen von Häuptlingen stets daran gehindert habe, diese große Menge Elfenbein zu ver kaufen. Every und ich untersuchten die Stoßzähne sehr sorgfältig und stellten fest, daß sie trotz ihres Alters in bestem Zustand waren. Anfangs hatte ich die leise Befürchtung, daß Nala jetzt, wo ich meinen Dienst geleistet hatte, sich nicht leicht von diesem wertvollen Schatz trennen könnte, doch dem war nicht so. Als ich mit ihm über dieses Thema sprach, sagte er lediglich: ›Nimm sie dir, Macumazahn, nimm sie, du hast sie dir redlich verdient‹, und, um ehrlich zu sein, war ich ebenfalls dieser Ansicht. Also zwangen wir mehrere hundert MatukuTräger in unseren Dienst und marschierten am näch sten Tage mit der Beute los. Bevor wir aufbrachen, verabschiedete ich mich von Maiwa, die wir mit einer Leibwache von dreihundert Mann zurückließen, welche ihr helfen sollten, das Land zu befrieden. Sie reichte mir auf eine fast kö nigliche Art ihre Hand zum Kuß. ›Macumazahn‹, sagte sie, ›du bist ein tapferer Mann und warst mir ein Freund in der Not. Falls du jemals Hilfe oder Obdach brauchen solltest, denk daran, daß Maiwa ein gutes Gedächtnis für Freunde und für Feinde hat. Alles, das ich besitze, gehört dir.‹ Ich dankte ihr und ging. Sie war wirklich eine höchst bemerkenswerte Frau. Vor etwa zwei Jahren
hörte ich, daß Nala, ihr Vater, gestorben sei und sie als seine Nachfolgerin die Herrschaft über beide Stämme übernommen habe, die sie mit großer Ge rechtigkeit und fester Hand führe. Ich kann Ihnen versichern, daß wir den Paß, der zu Wambes Kraal führt, mit völlig anderen Gefühlen hinaufstiegen, als wir ihn vor wenigen Tagen herab gekommen waren. Doch wenn ich schon für den Verlauf der Dinge dankbar war, so können Sie sich bestimmt vorstellen, was der arme Every empfunden haben mußte. Als wir die Höhe des Passes erreichten, warf er sich in Gegenwart des ganzen Impis auf die Knie und dankte dem Himmel für seine Errettung, und Tränen rannen dabei über sein Gesicht. Doch, wie bereits gesagt, war er mit seinen Nerven am Ende – obwohl er jetzt seinen Bart getrimmt und er eine Art Bekleidung auf seinem Körper trug, und Hoffnung im Herzen, ja überhaupt ein ganz anderer Mensch war als jener armer Kerl, den wir vor dem Foltertod gerettet hatten. Auf der anderen Seite des Passes trennten wir uns von Nala. Every und ich und das Elfenbein reisten weiter zum Fluß, auf dem ich vor einigen Wochen heraufgekommen war, und der Häuptling kehrte zu seinem Kraal auf der anderen Seite der Berge zurück. Er gab uns eine Eskorte von hundertfünfzig Männern mit, die den Befehl hatten, uns sechs Tage lang zu be gleiten und die Matuku-Träger zu bewachen, und dann zurückzukehren. Ich wußte, daß wir in sechs Tagen eine Gegend erreichen konnten, in der wir jede Menge von Trägern finden würden, und von wo wir das Elfenbein ohne Schwierigkeit zur Delagoa Bay schaffen konnten.«
»Und haben Sie es sicher dorthin schaffen kön nen?« fragte ich. »Nein«, antwortete Quatermain. »Etwa ein Drittel davon ging verloren, als wir einen Fluß durchquer ten. Die Wasser schwollen plötzlich an, gerade, als die Männer hindurchwateten, und viele von ihnen mußten ihre Lasten abwerfen, um ihr Leben zu retten. Wir besaßen keinerlei Hilfsmittel, um die Stoßzähne suchen und bergen zu können, und waren deshalb gezwungen, sie aufzugeben, was sehr bitter war. Die verbliebenen haben wir jedoch für fast siebentausend Pfund verkaufen können, was nicht so schlecht war. Damit will ich jedoch nicht sagen, daß ich siebentau send Pfund damit verdient habe, denn, sehen Sie, ich bestand darauf, daß Every die Hälfte davon annahm. Der arme Teufel hatte es ehrlich verdient. Er verwen dete das Geld dazu, in der alten Kolonie einen Laden zu eröffnen, der sehr gut florierte.« »Und was haben Sie mit der Löwenfalle getan?« wollte Sir Henry wissen. »Oh, die habe ich natürlich auch mitgenommen und als ich Durban erreichte, in mein Haus gebracht. Aber ich konnte es wirklich nicht ertragen, ihr gegen überzusitzen, wenn ich meine Pfeife rauchte. Visio nen von jener armen Frau und der Hand ihres toten Kindes stiegen dann in mir auf, und von allen ande ren Grausamkeiten, für die sie benutzt worden war. Schließlich begann ich sogar zu träumen, daß sie mich an einem Bein gepackt hatte und festhielt. Das war zu viel für meine Nerven, also ließ ich sie einfach einpacken und sie zu ihrer Herstellerfirma nach England zurückschicken, deren Name in den Stahl eingraviert war, und gleichzeitig sandte ich ihr einen
Brief, in dem ich beschrieb, zu welch teuflischen Zwecken ihr Gerät benutzt worden war. Ich glaube, daß sie inzwischen irgendeinem Museum vermacht worden ist.« »Und was ist aus den Stoßzähnen jener drei Bullen geworden, die Sie erlegt haben? Die haben Sie wahr scheinlich in Nalas Kraal zurückgelassen.« Das Gesicht des alten Gentleman verzog sich schmerzlich bei dieser Frage. »Ach ja«, sagte er, »das ist eine sehr traurige Ge schichte. Nala versprach mir, sie zusammen mit mei nem anderen Besitz meinem Agenten in Delagoa zu zuschicken, und das tat er auch. Doch die Männer, die er aussandte, waren unbewaffnet, und gerieten in die Fänge einer Sklavenkarawane unter dem Befehl eines Mulatten von halb-portugiesischem Blut, der die Stoßzähne raubte und, was noch schlimmer war, den Männern drohte, daß er sie erschießen würde. Ich habe sie später natürlich ausgelöst«, fügte er mit ei nem befriedigten Lächeln hinzu, »aber meine Stoß zähne hat er mir nicht zurückgegeben, und die sind inzwischen sicher längst zu Haarbürsten verarbeitet worden.« Er seufzte. »Also«, sagte Good, »das war wirklich ein schönes Garn, das Sie da gesponnen haben, Quatermain, aber ...« »Aber was?« fragte er scharf, da er das Patt voraus sah. »Aber ich glaube nicht, daß es sich mit dem meinen über die Steinböcke messen kann – es hatte nicht ein so schönes Ende.« Mr. Quatermain antwortete nicht. Good enthielt sich eines Kommentars.
»Wissen Sie, Gentlemen«, sagte er schließlich, »es ist halb drei Uhr morgens, und wenn wir morgen im Wald jagen wollen, sollten wir spätestens um neun Uhr dreißig von hier aufbrechen.« »Oh, und wenn Sie noch hundert Jahre lang schie ßen, werden sie niemals den Rekord von den drei Waldschnepfen brechen«, sagte ich. »Oder den von den drei Elefanten«, setzte Sir Hen ry hinzu. Und dann gingen wir alle zu Bett, und ich träumte, daß mich Maiwa geheiratet hätte, und ich hatte nicht wenig Angst vor dieser attraktiven und dominieren den Dame.
Jäger Quatermains Story
Sir Henry Curtis ist, wie jeder, der ihn kennt, weiß, einer der gastfreundlichsten Menschen auf Erden. Es war zu einer Zeit, als ich seine Gastfreundschaft auf seinem Besitz in Yorkshire genoß, daß ich die Jagdge schichte hörte, die ich jetzt aufzeichnen will. Viele von denen, die sie lesen werden, haben zweifellos ei nige der seltsamen Gerüchte gehört, die sich in Um lauf befinden und behaupten, daß Sir Henry Curtis und sein Freund, Captain Good, kürzlich im Herzen Afrikas einen riesigen Schatz an Diamanten gefunden hätten, der dort von den Ägyptern oder von König Salomon oder von irgendeinem anderen Menschen der Antike vergraben worden sein soll. Den ersten Hinweis darauf fand ich in einem Artikel einer der Gesellschaftszeitungen am Vortag meiner Abreise nach Yorkshire zu einem Besuch bei Curtis, und traf dort, wie man sich vorstellen kann, brennend vor Neugier ein, denn es liegt etwas Faszinierendes in der Vorstellung eines vergrabenen Schatzes. Als ich in Curtis' Haus eintraf, fragte ich ihn sofort danach, und er stritt die Wahrheit der Geschichte auch nicht ab, doch als ich ihn drängte, sie mir zu erzählen, weigerte er sich, genau wie Captain Good, der zu jener Zeit ebenfalls im Haus weilte. »Sie würden sie mir ja doch nicht glauben«, sagte Sir Henry mit seinem herzlichen Lachen, das direkt aus seinen mächtigenLungen zu kommen schien. »Sie müs sen schon warten, bis Jäger Quatermain eintrifft; er kommt heute abend von Afrika zurück, und ich wer de nicht ein einziges Wort über diese Sache verlieren,
und Good ebenfalls nicht, bevor er hier ist. Quater main war während der ganzen Reise bei uns; er hatte von dem Schatz seit vielen Jahren gewußt, und wenn er nicht gewesen wäre, so säßen wir heute nicht hier. Ich werde gleich losfahren, um ihn abzuholen.« Ich brachte kein einziges Wort mehr aus ihm her aus, und auch die anderen nicht, obwohl wir alle vor Neugier platzten, besonders die Damen. Ich werde niemals den Ausdruck ihrer Gesichter vergessen, als Captain Good ihnen vor dem Abendessen im Wohn zimmer einen großen Rohdiamanten zeigte, der fünf zig Karat oder mehr wiegen mochte, und ihnen sagte, daß er viele habe, die noch größer seien. Falls ich je mals Neugier und Neid auf hübschen Gesichtern ge sehen habe, so dort. Gerade in diesem Moment war es, daß die Tür geöff net und Mr. Allan Quatermain angekündigt wurde, woraufhin Good den Diamanten in die Tasche steckte und auf den kleinen Mann zueilte, der in Begleitung von Sir Henry Curtis etwas scheu in den Raum hinkte. »Hier ist er, heil und gesund«, sagte Sir Henry tri umphierend. »Ladies und Gentlemen, lassen Sie mich Ihnen einen der ältesten Jäger und den allerbesten Schützen von ganz Afrika vorstellen, der mehr Ele fanten und Löwen erlegt hat, als irgendein anderer Mann unserer Zeit.« Alle Anwesenden wandten sich um und blickten den lahmen kleinen Mann mit höflicher Neugier an, und obwohl seine Größe unerheblich war, bot er doch ei nen beachtenswerten Anblick. Er hatte kurzgeschnit tenes, graues Haar, das sich auf seinem Kopf sträubte wie die Borsten eines Igels, freundliche, braune Au gen, die alles zu sehen schienen, und ein zerfurchtes
Gesicht, das von Wind und Sonne zur Farbe von Ma hagoni gegerbt war. Und er sprach, als er Goods en thusiastische Begrüßung erwiderte, mit einem selt samen, kleinen Akzent, der seine Worte unterstrich. Der Zufall wollte es, daß ich beim Abendessen ne ben Mr. Allan Quatermain saß und natürlich mein Bestes tat, um ihn auszuhorchen; doch er ließ sich nicht aushorchen. Er gab zwar zu, kürzlich mit Sir Henry Curtis und Captain Good eine lange Reise ins Innere Afrikas unternommen zu haben, und daß sie dort einen Schatz gefunden hätten, dann aber wech selte er höflich das Thema und begann mir Fragen über England zu stellen, wo er noch nie zuvor gewe sen war – jedenfalls nicht in seinen erwachsenen Jah ren. Natürlich fand ich das nicht sehr interessant und suchte deshalb nach einer Möglichkeit, das Gespräch wieder auf ihn zurückzubringen. Nun dinierten wir in einem eichengetäfelten Vesti bül, und an der mir gegenüberliegenden Wand hin gen zwei gewaltige Elefanten-Stoßzähne, und unter diesen die Hörner eines Büffels, sehr abgestoßen und knotig, was zeigte, daß sie von einem alten Bullen stammten, und die Spitze eines der Hörner war auf gesplittert und teilweise abgebrochen. Ich bemerkte, daß Jäger Quatermains Blicke immer wieder zu die sen Trophäen wanderten und nahm diese Gelegen heit wahr, ihn zu fragen, ob er etwas von ihnen wisse. »Das sollte ich«, antwortete er mit einem kleinen Lachen; »der Elefant, dem diese Stoßzähne gehörten, hat vor etwa achtzehn Monaten einen unserer Leute in zwei Teile zerrissen, und was das Büffelgehörn betrifft, so hätte es mir beinahe den Tod gebracht und hat einen meiner Diener durchbohrt, an dem ich sehr
hing. Ich habe die Trophäen Sir Henry geschenkt, als er vor einigen Monaten Natal verließ.« Mr. Quater main seufzte und wandte sich ab, um eine Frage sei ner Tischdame zu beantworten, die natürlich auch versuchte, ihn wegen der Diamanten auszuhorchen. Genaugenommen brannten alle, die um die Tafel saßen, vor unterdrückter Neugier, die wir, sobald die Dienerschaft den Raum verlassen hatte, nicht länger zurückhalten konnten. »Jetzt, Mr. Quatermain«, sagte dessen Tischdame, »sind wir von Sir Henry und Captain Good lange ge nug auf die Folter gespannt worden, die sich strikt geweigert haben, uns auch nur ein Wort von der Ge schichte des verborgenen Schatzes zu erzählen, bevor Sie kämen, und wir können es einfach nicht mehr länger ertragen; also, bitte, fangen Sie sofort an!« »Ja«, griffen alle anderen den Vorschlag auf. »Er zählen Sie!« Jäger Quatermain blickte unsicher umher; es schien ihm offensichtlich unangenehm zu sein, sich im Mit telpunkt so großen Interesses zu finden. »Ladies und Gentlemen«, sagte er schließlich mit einem Schütteln seines grauhaarigen Kopfes. »Es tut mir sehr leid, Sie enttäuschen zu müssen, doch ich kann es nicht tun. Es ist nämlich so: Auf ausdrückli ches Bitten von Sir Henry und Captain Good hin habe ich einen wahrheitsgetreuen, ausführlichen Bericht über König Salomons Minen, und wie wir diese ent deckt haben, geschrieben*, also können Sie später alle *
König Salomons Diamanten, 5. Band der Henry Rider HaggardAusgabe im Wilhelm Heyne Verlag (HEYNE-BUCH Nr. 06/4134)
selbst über dieses wunderbare Abenteuer nachlesen, und bis dahin möchte ich nichts darüber sagen, nicht, weil ich Ihre Neugier enttäuschen will, oder um mich wichtig zu machen, sondern einfach, weil diese Ge schichte so viel des Wunderbaren enthält, so daß ich Angst habe, sie auf eine verstümmelte, hastige Art zu erzählen, da ich befürchte, man könnte mich dann für einen dieser Burschen halten, von denen es recht viele in meinem Beruf gibt, die sich nicht schämen, von Dingen zu berichten, die sie gar nicht erlebt haben, und abenteuerliche Geschichten über Tiere erzählen, die sie nicht erlegt haben. Und ich glaube, daß meine Gefährten dieses Erlebnisses, Sir Henry Curtis und Captain Good, mir darin recht geben werden.« »Ja, Quatermain, ich stimme Ihnen da völlig zu«, sagte Sir Henry. »Eben diese Überlegung hat auch Good und mich dazu veranlaßt, den Mund zu halten. Wir wollten einfach vermeiden, mit ... ah ... nun, mit gewissen anderen berühmten Reisenden in einen Topf geworfen zu werden.« Enttäuschtes Gemurmel quittierte diese Erklärun gen. »Ich glaube, Sie führen uns alle an der Nase her um«, sagte die junge Dame, die neben Mr. Quater main saß, ziemlich scharf. »Glauben Sie mir«, antwortete der alte Jäger mit ei nem höflichen Neigen seines grauhaarigen Kopfes, »obwohl ich mein ganzes Leben in der Wildnis ver bracht habe, und unter Wilden, würde ich es doch niemals über mich bringen, oder so schlechte Manie ren haben, eine so entzückende junge Dame zu täu schen.« Daraufhin war die junge Dame, die übrigens sehr
hübsch war, etwas besänftigt. »Das ist entsetzlich«, erklärte ich. »Wir bitten um Brot, und Sie geben uns einen Stein, Mr. Quatermain. Zumindest müssen Sie uns die Geschichte jener Stoß zähne und des darunter hängenden Büffelgehörns er zählen. Mit weniger kommen Sie uns nicht davon.« »Ich bin ein sehr schlechter Erzähler«, antwortete der alte Jäger, »doch wenn Sie mir diese Schwäche nachsehen wollen, bin ich gerne bereit, Ihnen eine Geschichte zu erzählen, nicht die der Stoßzähne, da sie Teil der Geschichte unserer Reise zu König Salo mons Minen sind, doch die der Büffelhörner, die dar unter hängen, und die jetzt zehn Jahre alt ist.« »Bravo, Quatermain!« sagte Sir Henry. »Wir sind alle begierig, sie zu hören. Schießen Sie los! Aber fül len Sie vorher Ihr Glas auf!« Der kleine Mann tat, was ihm befohlen worden war, nahm einen Schluck Claret und begann: »Vor etwa zehn Jahren jagte ich tief im Innern Afri kas, in einer Gegend, die Gatgarra genannt wird, und die nicht weit vom Chobe-Fluß entfernt liegt. Ich hatte vier eingeborene Diener bei mir, nämlich einen Fahrer und einen Voorloper oder Führer, beides Männer aus Matabeland, einen Hottentotten, der Hans genannt wurde und vorher der Sklave eines Bu ren in Transvaal gewesen war, und einen Zulu-Jäger, der mich seit fünf Jahren auf meinen Reisen begleitet hatte und Mashune hieß. In der Nähe von Gatgarra entdeckte ich ein wunderbares, gesundes, parkartiges Land, wo sehr gutes Gras wuchs, wenn man die Jah reszeit bedachte; und hier schlug ich ein kleines Lager oder Hauptquartier auf, von wo aus ich nach allen Richtungen auf die Suche nach Wild ging, vor allem
nach Elefanten. Ich hatte jedoch kein Glück; ich konnte nur wenig Elfenbein erbeuten. Deshalb war ich sehr glücklich, als ein paar Eingeborene mir die Nachricht brachten, daß eine große Elefantenherde bei einem etwa dreißig Meilen entfernten Dorf äse. Im ersten Moment dachte ich daran, sofort zu diesem Tal zu trecken, mit Wagen und allem, gab diese Idee jedoch sofort wieder auf, als ich hörte, daß es von der TsetseFliege verseucht sei, die für alle Lebewesen, außer Eseln und Wildtieren den sicheren Tod bedeutet. Al so entschied ich mich widerwillig dafür, den Wagen in der Obhut des Matabele-Voorlopers und des Fah rers zurückzulassen und zu Fuß durch das dornen reiche Land zu marschieren, begleitet von Hans, dem Hottentotten, und Mashune. Also brachen wir am folgenden Morgen auf, und am Abend des nächsten Tages erreichten wir die Stelle, an der die Elefanten angeblich stehen sollten. Doch wieder hatte ich kein Glück. Daß die Elefanten hier gewesen waren, bewiesen ihre unübersehbaren Fährten, und auch andere Spure, wie aus dem Boden gerissene Mimosenbäume, die umgedreht auf ihre Kronen geworfen waren, damit die großen Tiere sich an ihren süßen Wurzeln delektieren konnten; doch von den Elefanten selbst war nichts zu entdecken. Of fensichtlich waren sie weitergezogen. Unter diesen Umständen blieb uns nichts anderes übrig, als ihnen nachzuziehen, was wir auch taten, und das führte uns auf eine böse Jagd. Zwei Wochen lang oder mehr zo gen wir hinter diesen Elefanten her, konnten sie auch zweimal einholen, und es war wirklich eine pracht volle Herde – doch wir verloren sie wieder. Schließ lich holten wir sie ein drittes Mal ein, und es gelang
mir, einen Bullen zu schießen, und dann liefen sie wieder weiter, in ein Gebiet, wo es sinnlos war, ihnen weiter zu folgen. Also gaben wir es auf und machten uns, nicht gerade in rosigster Stimmung, auf den Rückweg zum Lager, wobei wir die Stoßzähne des einen Elefanten, den ich geschossen hatte, mit uns schleppten. Es war am Nachmittag des fünften Tages unseres Rückmarsches, daß wir den kleinen Hügel erreichten, der vor dem Tal lag, in dem unser Wagen stand, und ich muß gestehen, daß ich ihn mit dem angenehmen Gefühl des Heimkommens erstieg, denn der Wagen ist das Heim des Jägers, genauso wie es das Haus für einen zivilisierten Menschen ist. Ich erreichte die Kuppe des Hügels und blickte in die Richtung, in der die freundliche, weiße Plane des Wagens schimmern sollte, doch war kein Wagen da, nur schwarze, ver brannte Ebene erstreckte sich, so weit das Auge reichte. Ich rieb mir die Augen, sah wieder hin und erkannte die Stelle des Lagers, nicht meinen Wagen, sondern nur einige verkohlte Holzteile. Halb von Sinnen vor Trauer und Sorge lief ich, gefolgt von Hans und Mashune, den Hang des Hügels hinab und über die Ebene zu der Quelle, an der mein Lager ge standen hatte. Ich hatte sie bald erreicht, doch nur, um meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu finden. Der Wagen und sein ganzer Inhalt, einschließlich meiner Reservegewehre und der Munition, waren durch ein Buschfeuer vernichtet worden. Nun hatte ich, bevor ich aufgebrochen war, dem Fahrer befohlen, das Gras im Umkreis des Lagers ab zubrennen, eben, um es vor Unfällen dieser Art zu
schützen, und hier hatte ich die Quittung für meine Torheit: eine sehr drastische Demonstration dafür, daß man alles selbst tun muß, wenn man etwas getan haben will, und nichts ohne Aufsicht Eingeborenen überlassen darf. Offensichtlich hatten die faulen Hunde das Feuer nicht um den Wagen herum ange legt, sondern wahrscheinlich das hohe und kienige Tamboukigras in der Nähe in Brand gesteckt; der Wind hatte die Flammen auf die Wagenplane zuge trieben, und das war das Ende der Angelegenheit gewesen. Was den Fahrer und den Voorloper anging, so wußte ich nicht, wo sie abgeblieben waren; wahr scheinlich hatten sie, meinen Zorn fürchtend, die Flucht ergriffen und die Ochsen mitgenommen. Ich habe bis heute nie wieder etwas von ihnen gehört. Ich setzte mich auf das verbrannte Veldt neben der Quelle und starrte auf die verkohlten Reste von Ach sen und Deichsel meines Wagens, und ich kann Ihnen versichern, Ladies und Gentlemen, daß mir zum Heulen zumute war. Was Mashune und Hans betraf, so fluchten sie kräftig vor sich hin, der eine auf Zulu, der andere auf Holländisch. Wir befanden uns auch in keiner beneidenswerten Lage. Wir waren fast 300 Meilen von Bamangwato entfernt, der Hauptstadt des Khama-Landes, welches der nächste Ort war, wo wir irgendwelche Hilfe erhalten konnten, und unsere Munition, Reservegewehre, Kleidung, Nahrung, und alles andere, war zerstört. Ich besaß nur noch das, was ich am Leibe trug, nämlich ein Flanellhemd, ein Paar ›Veldt-Schoons‹, oder Stiefel aus rohem Fell, mein schweres Gewehr, und eine Handvoll Patronen. Hans und Mashune hatten jeder ein Martin-Gewehr mit ein paar Schuß Munition, jedoch nicht sehr vielen.
Und so ausgerüstet sollten wir einen Marsch von 300 Meilen durch ein ödes und zum größten Teil men schenleeres Land bewältigen? Ich darf Ihnen versi chern, daß ich selten in meinem Leben in einer schlimmeren Lage gewesen bin, und ich habe auf dem Gebiet einiges erlebt. Doch sind solche Dinge die natürlichen Vorkommnisse im Leben eines Jägers, und man konnte nichts weiter tun als zu versuchen, das beste aus ihnen zu machen. Nachdem wir also eine recht unbequeme Nacht neben den Resten meines Wagens zugebracht hatten, brachen wir am nächsten Morgen zu unserer Reise in die Zivilisation auf. Falls ich Ihnen jetzt alle die Schwierigkeiten und Zwischenfälle dieser Reise er zählen wollte, würde ich Sie bis Mitternacht damit aufhalten; also werde ich, mit Ihrer Erlaubnis, gleich zu dem Abenteuer kommen, von dem das Büffelge hörn an der gegenüberliegenden Wand ein trauriges Memento ist. Wir waren etwa einen Monat lang so getreckt, hat ten uns, so gut es ging, durchgeschlagen, als wir eines Abends etwa vierzig Meilen vor Bamangwato lager ten. Zu dieser Zeit befanden wir uns wirklich in ei nem bedauernswerten Zustand, mit wundgelaufenen Füßen, halb verhungert und völlig ausgepumpt; au ßerdem litt ich an einem scheußlichen Fieberanfall, von dem ich halb blind wurde, und so schwach wie ein Kind. Auch unsere Munition ging zu Ende; für meine schwere Büchse hatte ich nur noch eine einzige Patrone, und Hans und Mashune, die mit Martin Henry-Gewehren bewaffnet waren, besaßen gemein sam nur noch drei. Es war etwa eine Stunde vor Son nenuntergang, als wir haltmachten und ein Feuer an
zündeten – glücklicherweise besaßen wir noch einige Streichhölzer. Es war ein hübscher Platz zum Lagern, wie ich mich erinnere. Unmittelbar neben dem Wild wechsel, dem wir folgten, befand sich eine kleine Senke, die von flachkronigen Mimosenbäumen einge rahmt war, und auf dem Boden dieser Senke spru delte eine Quelle klaren Wassers aus dem Boden und formte einen kleinen Teich, an dessen Ufer ein dichter Teppich aus Wasserkresse wuchs, etwa von der Art, wie sie uns eben bei Tisch gereicht wurde. Nun hat ten wir überhaupt keine Nahrung mehr, nachdem wir an jenem Morgen die letzten Reste einer kleinen Oribé-Antilope verzehrt hatten, die ich zwei Tage zu vor geschossen hatte. Also nahm Hans, der ein besse rer Schütze war als Mashune, zwei der verbliebenen Martin-Patronen und ging los, um zu sehen, ob er nicht irgend etwas für unser Abendessen erlegen könne. Ich war zu schwach, um es selbst zu tun. Mashune machte sich währenddessen nützlich, in dem er dürre Äste von Mimosenbäumen heran schleppte, um etwa vierzig Fuß vom Wasser entfernt einen Schutzzaun zu errichten, hinter dem wir schla fen wollten. Im Verlauf unseres langen Trecks waren wir häufig von Löwen belästigt und erst in der ver gangenen Nacht von ihnen angegriffen worden, was mich nervös machte, besonders wegen meines ge schwächten Zustandes. Gerade als wir diesen recht notdürftigen Zaun fertiggestellt hatten, hörten Mas hune und ich den Knall eines Schusses, der in einer Entfernung von etwa einer Meile abgefeuert wurde. ›Horch!‹ rief Mashune auf Zulu, wahrscheinlich eher, um seine Lebensgeister aufrechtzuerhalten, als aus irgendeinem anderen Grund – denn er konnte in
schwierigen Situationen recht aufmunternd sein. ›Horche auf den wunderbaren Klang, mit dem die Maboona (Buren) unsere Väter in der Schlacht am Blutigen Fluß zu Boden warfen. Wir sind jetzt hung rig, mein Vater, unsere Mägen sind klein und ver dorrt wie eine Tasche aus getrocknetem Ochsenfell, doch werden sie bald wieder mit gutem Fleisch ge füllt sein. Hans ist zwar nur ein Hottentotte und ein Umfagozan*, aber er kann schießen – ah! Er kann wahrlich schießen! Sei also frohen Mutes, mein Vater, denn bald wird Fleisch auf diesem Feuer braten, und wir werden wieder Männer sein.‹ Und er fuhr fort, Unsinn zu reden, bis ich ihm be fahl, den Mund zu halten, weil mir der Kopf von sei nem leeren Geschwätz dröhnte. Kurz nachdem wir den Schuß gehört hatten, ging die Sonne in ihrer roten Pracht unter, und die große Stille der afrikanischen Wildnis breitete sich über Er de und Himmel. Die Löwen waren noch nicht auf, sie warteten wahrscheinlich auf den Mond, und die Vö gel und die anderen Tiere waren zur Ruhe gegangen. Ich kann die Intensität der Stille jener Nacht nicht mit Worten beschreiben; mir erschien sie in meinem ge schwächten Zustand und in meiner Sorge um das Ausbleiben des Hottentotten Hans fast unheilver kündend – als ob die Natur über irgendeine Tragödie nachgrübelte, die sich vor ihren Augen abspielte. Es war still – so still wie der Tod, und so einsam wie in einem Grab. ›Mashune‹, sagte ich schließlich, ›wo bleibt Hans? Mein Herz ist schwer für ihn.‹ *
Ein niedriggeborener Bursche
›Ich weiß es nicht, mein Vater; vielleicht ist er mü de und schläft, oder er mag sich verirrt haben.‹ ›Mashune, bin ich ein Kind, daß du so zu mir sprichst?‹ erwiderte ich. ›Sag mir, hast du in all den Jahren, die du mit mir gejagt hast, jemals erlebt, daß ein Hottentotte sich auf dem Weg zum Lager verlau fen hat oder eingeschlafen ist?‹ ›Nein, Macumazahn, (das, meine Ladies, ist mein Eingeborenenname; er bezeichnet einen Mann, der ‚bei Nacht aufsteht‘, oder der ‚immer wach ist‘) ich kann nicht sagen, wo er sein mag.‹ Doch obwohl wir so sprachen, wagte keiner von uns das anzudeuten, was wir beide dachten, nämlich, daß dem armen Hottentotten ein Unglück zugestoßen sein mochte. ›Mashune‹, sagte ich schließlich, ›geh zum Wasser und hol mir etwas von den grünen Kräutern, die dort wachsen! Ich bin hungrig und muß etwas essen.‹ ›Nein, mein Vater, sicher sind dort Geister; sie stei gen nachts aus dem Wasser und sitzen am Ufer, um sich zu trocknen. Ein Isanusi* hat mir das gesagt.‹ Mashune war, wie ich glaube, einer der tapfersten Männer, die ich jemals gekannt habe – bei Tageslicht, doch hatte er eine furchtbare Angst vor dem Über natürlichen. ›Muß ich wirklich selbst gehen, du Narr?‹ sagte ich scharf. ›Nein, Macumazahn, wenn dein Herz sich nach seltsamen Dingen sehnt, wie das einer kranken Frau, gehe ich, selbst wenn die Geister mich verschlingen sollten.‹ *
Hexensucher
Also ging er und kehrte bald darauf mit einem großen Bund Wasserkresse zurück, die ich gierig aß. ›Bist du nicht hungrig?‹ fragte ich dann den kräfti gen Zulu, der mir schweigend beim Essen zusah. ›Noch nie in meinem Leben war ich hungriger, mein Vater.‹ ›Dann iß!‹ Ich deutete auf die Wasserkresse. ›Nein, Macumazahn, diese Kräuter kann ich nicht essen.‹ ›Wenn du nicht ißt, wirst du verhungern. Iß, Mas hune!‹ Er starrte eine Weile zweifelnd auf die Wasserkres se, packte schließlich eine Handvoll und stopfte sie sich in den Mund, und dabei schrie er: ›Oh, warum bin ich geboren worden, da ich mich von grünen Kräutern nähren muß, wie ein Ochse? Wenn meine Mutter das gewußt hätte, als sie mich gebar, hätte sie mich gewiß sofort getötet!‹, und so lamentierte er weiter zwischen den Handvoll Wasserkresse, die er sich in den Mund stopfte, bis nichts mehr da war; dann erklärte er, daß das Zeug seinen Magen rand voll gefüllt habe, es jedoch so kalt in ihm liege, ›wie der Schnee auf einem Berggipfel.‹ Zu jeder anderen Zeit hätte ich darüber gelacht, denn man muß zuge ben, daß er eine komische Art besaß, Dinge zu be schreiben. Zulus mögen kein Grünzeug. Kurz nachdem Mashune die Wasserkresse geges sen hatte, hörten wir das laute ›Wuff-Wuff!‹ eines Lö wen, der offensichtlich erheblich näher von unserem Lager spazierenging, als es uns angenehm war. Und während ich in das Dunkel starrte und aufmerksam lauschte, konnte ich seinen schnarchenden Atem hö ren und sah die Spiegelung des Feuers in seinen gel
ben Augen. Wir schrien ihn mit lauter Stimme an, und Mashune warf ein paar Knüppel ins Feuer, um ihn zu verscheuchen, was scheinbar auch die ge wünschte Wirkung erzielte, denn für eine Weile sa hen und hörten wir nichts mehr von ihm. Kurz nachdem dieser Löwe uns auf diese Weise er schreckt hatte, stieg der Mond in seiner ganzen Pracht über den Horizont und breitete eine Robe sil bernen Lichts über die Erde. Selten habe ich einen schöneren Mondaufgang erlebt. Ich erinnere mich, daß ich, als ich in unserem Lager saß, ohne jede Schwierigkeit schwach mit Bleistift geschriebene Eintragungen in meinem Notizbuch lesen konnte. So bald der Mond aufgegangen war, begann Wild zu der dicht unterhalb unseres Lagers gelegenen Wasser stelle zu ziehen. Ich konnte alle möglichen Arten über die kleine Anhöhe, die rechts von uns lag, kommen und zur Tränke gehen sehen. Ein Bock – ein großes Eland – kam sogar bis auf zwanzig Fuß an den Dor nenzaun heran, blieb stehen und starrte ihn mißtrau isch an, wobei sein wunderbares, spiralförmiges Ge hörn sich klar gegen den Himmel abhob. Ich hatte, wie ich mich erinnere, durchaus vor, einen Schuß auf ihn zu riskieren, und die Chance wahrzunehmen, uns vielleicht mit gutem Fleisch zu versorgen, doch schließlich entschied ich mich dagegen, als ich be dachte, daß wir nur noch zwei Patronen besaßen und ein Schuß im Mondlicht reichlich unsicher war. Das Eland zog kurz darauf weiter zur Tränke, und nach einer Minute oder so hörte man das Geräusch auf schäumenden Wassers, gefolgt von dem Trappeln ei liger Hufe. ›Was ist das, Mashune?‹ fragte ich.
›Es ist dieser verdammte Löwe; der Bock hat ihn gewittert‹, antwortete der Zulu auf englisch, von dem er ein paar sehr oberflächliche Kenntnisse besaß. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als wir eine Art Winseln von der anderen Seite des Wassers hörten, das sofort von einem hustenden Brüllen ganz in unserer Nähe beantwortet wurde. ›Mein Gott!‹ sagte ich, ›da sind zwei von der Sorte. Sie haben den Bock verloren; jetzt müssen wir auf passen, daß sie nicht uns erwischen.‹ Und wieder warfen wir mehr Holz in das Feuer und schrien, mit dem Ergebnis, daß die Löwen sich verzogen. ›Mashune‹, sagte ich, ›du wirst jetzt wachen, bis der Mond über jenem Baum steht, das um die Mitte der Nacht der Fall sein wird; und dann weckst du mich. Paß gut auf, oder die Löwen werden deinen nutzlosen Knochen abnagen, bevor du drei Stunden älter bist. Ich muß jetzt ein wenig ruhen, oder ich sterbe.‹ ›Koos!‹* antwortete der Zulu. ›Schlafe mein Vater, schlafe in Frieden; meine Augen werden so offen sein wie die Sterne; und wie die Sterne werden sie über dich wachen.‹ Obwohl ich so schwach und müde war, konnte ich doch seinem Rat nicht sofort folgen. Einmal schmerzte mein Kopf vor Fieber, und zum anderen wurde ich von der Sorge um den Hottentotten Hans zerrissen; und auch von der um unser eigenes Schick sal, die wir mit wunden Füßen, leeren Bäuchen und nur noch zwei Patronen hier saßen, um unseren Weg nach Bamangwato zu finden, das vierzig Meilen ent *
Häuptling
fernt lag. Und auch allein das Gefühl, daß zwei oder mehr hungrige Löwen irgendwo im Dunkel um einen herumschleichen, ist irgendwie beunruhigend, so sehr man auch daran gewöhnt sein mag, und auch die über eine lange Zeit andauernde Nervenanspan nung trägt dazu bei, daß man keinen Schlaf finden kann. Außerdem wurde ich, wie ich mich erinnere, von einem starken Verlangen nach einer Pfeife Tabak gepackt, und das unter Umständen, wo ich genauso gut den Mond begehrt haben könnte. Schließlich verfiel ich in einen unruhigen Schlaf, der so voller Alpträume war wie ein Kaktus voller Stacheln, und von denen einer war, wie ich mich er innere, daß ich meinen nackten Fuß einer Kobra ent gegenhielt, die sich aufrichtete und mir meinen Na men ›Macumazahn‹ ins Ohr zischte. Und die Kobra zischte ihn so hartnäckig, daß ich schließlich auf wachte. ›Macumazahn, nanzia, nanzia!‹* flüsterte die Stimme Mashunes in mein verschlafenes Ohr. Ich richtete mich auf, öffnete die Augen und sah Mashune neben mir knien und zum Wasser deuten. Als ich der Rich tung seines ausgestreckten Armes mit meinen Blicken folgte, bot sich meinen Augen ein Anblick, der mich zusammenfahren ließ, obwohl ich schon in jenen Ta gen ein alter, erfahrener Jäger war. Etwa zwanzig Schritte von unserer jämmerlichen Dornenhecke ent fernt befand sich ein großer Termitenbau, und auf dem Gipfel dieses Termitenbaus hockte, die vier Pranken eng beisammen, um Halt zu finden, die Ge stalt einer riesigen Löwin. Ihr Blick war uns zuge *
Dort, dort!
wandt, und im Licht des Mondes sah ich, wie sie den Kopf senkte und sich die Pranken leckte. Mashune drückte mir das Martin-Gewehr in die Hände und flüsterte mir zu, daß es geladen sei. Ich zog es in die Schulter und richtete es auf die Löwin, erkannte jedoch, daß ich nicht einmal in dem hellen Mondlicht das Korn des Gewehrs sehen konnte. Da es unter diesen Umständen reiner Irrsinn war, zu feu ern, weil ich wahrscheinlich die Löwin lediglich ver wundet hätte, falls der Schuß nicht ganz vorbeigehen mochte, ließ ich das Gewehr sinken; dann riß ich ein winziges Stück Papier von einem Blatt meines Notiz buchs, in dem ich geblättert hatte, bevor ich schlafen gegangen war, und befestigte es an dem Korn des Gewehrs. Doch nahm dies alles einige Zeit in An spruch, und bevor das Papierstück richtig befestigt war, packte Mashune mich am Arm und deutete auf einen dunklen Haufen im Schatten eines kleinen Mi mosenbaumes, der nicht mehr als zehn Schritte von unserem Zaun entfernt war. ›Nun, was ist?‹ flüsterte ich. ›Ich kann nichts er kennen.‹ ›Da ist ein zweiter Löwe‹, antwortete er. ›Unsinn! Dein Herz ist vor Angst gestorben, und du siehst doppelt.‹ Ich beugte mich über die Dornen hecke und starrte auf den Haufen. Und noch während ich dies sagte, erhob sich die dunkle Masse und trat ins Mondlicht. Vor mir stand ein herrlicher, schwarzmähniger Löwe, einer der mächtigsten, die ich jemals gesehen hatte. Als er zwei oder drei Schritte getan hatte, wurde er meiner an sichtig, blieb stehen und starrte zu uns herüber – er war so nahe, daß ich den Widerschein der Flammen
unseres Feuers in seinen grausamen, gelblichen Au gen sehen konnte. ›Schieß, schieß!‹ sagte Mashune. ›Der Teufel kommt! – er wird uns gleich anspringen!‹ Ich hob das Gewehr und richtete das Papierstück chen auf den kleinen weißen Haarfleck an der Stelle, wo seine Kehle in Brust und Schultern überging. Während ich das tat, wandte der Löwe den Kopf und blickte über seine Schulter, was Löwen, nach meiner Erfahrung, immer tun, bevor sie springen. Dann senkte sich sein Körper ein wenig, und ich sah, daß seine großen Pranken sich auf dem Boden spreizten, als er sein Gewicht auf sie verteilte, um Halt zu fin den. Hastig zog ich den Abzug des Martin-Gewehrs durch, und nicht einen Moment zu früh, denn als ich es tat, duckte er sich zum Sprung. Das Krachen des Schusses klang scharf und klar durch die absolute Stille der Nacht, und in der nächsten Sekunde landete die riesige Bestie nur vier Fuß vor uns auf ihrem Kopf, rollte auf uns zu und zerfetzte die Büsche, aus denen unsere lächerliche Hecke bestand, durch kon vulsive Schläge seiner mächtigen Pranken. Wir sprangen sofort zur anderen Seite des ›Zaunes‹ hin über, und er rollte durch ihn hindurch und noch weiter, bis ins Feuer. Dann sprang er auf, setzte sich auf seine Keulen wie ein riesiger Hund, und begann zu brüllen. Mein Gott! Wie er brüllte! So etwas habe ich weder zuvor noch seither gehört. Er füllte seine Lungen immer wieder mit Luft und stieß sie dann mit einem gewaltigen Lautvolumen wieder aus. Plötzlich, mitten in einem der lautesten Brüllen, rollte er auf die Seite und lag still, und ich wußte, daß er tot war. Ein Löwe stirbt meist auf der Seite liegend.
Mit einem erleichterten Seufzer wandte ich meinen Blick wieder seinem Weibchen zu, das auf dem Ter mitenbau saß. Die Löwin hockte dort, anscheinend versteinert vor Erstaunen, blickte über ihre Schultern und peitschte mit dem Schwanz; doch zu unserer immensen Erleichterung wandte sie sich ab, als der sterbende Löwe zu brüllen aufhörte, und verschwand mit einem riesigen Satz in der Nacht. Dann traten wir vorsichtig auf den reglos am Bo den liegenden Löwen zu, wobei Mashune leise einen Zulu-Gesang improvisierte, der davon handelte, wie Macumazahn, der Jäger aller Jäger, dessen Augen so wohl bei Nacht als auch tagsüber offen sind, seine Hand durch den Rachen des Löwen zu dessen Magen hinabstreckte, als er kam, um uns zu verschlingen, und sein Herz mit den Wurzeln herausriß, und so weiter, und so weiter, um damit auf seine hyperbolische Zulu-Art seine Befriedigung darüber auszudrücken, welche Wendung die Dinge genommen hatten. Es bestand nun kein Grund mehr zur Vorsicht. Der Löwe war so tot, als ob er bereits ausgestopft wäre. Die Martin-Kugel war einen Zoll neben dem weißen Fleck eingeschlagen, auf den ich gezielt hatte, durch seinen ganzen Körper gedrungen und in seinem rechten Hinterteil, dicht neben der Schwanzwurzel ausgetreten. Das Martin-Gewehr hat eine unglaubli che Durchschlagskraft, obwohl sein Rückstoß relativ gering ist, da es ein kleines Kaliber hat. Aber glückli cherweise ist der Löwe ein leicht zu tötendes Tier. Ich verbrachte den Rest dieser Nacht in tiefem Schlummer, den Kopf auf die Flanke des toten Löwen gebettet, eine Position, die nicht ganz ohne eine Spur von Ironie war, obwohl der Geruch seiner versengten
Haare mir unangenehm in die Nase drang. Als ich wieder erwachte, stieg das erste, blaßrosa Licht der Dämmerung über den östlichen Horizont. Im ersten Moment konnte ich nicht das kalte Gefühl einer Be unruhigung verstehen, das wie ein Eisklumpen auf meinem Herzen lag, bis der Geruch und das Gefühl des toten Löwen unter meinem Kopf mir die Situati on in Erinnerung zurückrief, in der wir uns befanden. Ich erhob mich und blickte suchend umher, in der Hoffnung, irgendein Zeichen von Hans zu entdecken, der, falls ihm kein Unglück zugestoßen sein sollte, bestimmt im ersten Morgengrauen zurückgekehrt sein würde, doch er tauchte nicht auf. Da erlosch meine Hoffnung, und mich überkam das Gefühl, daß es nicht gut stand um den armen Burschen. Nachdem ich Mashune befohlen hatte, mehr Holz aufs Feuer zu legen, zog ich eilig das Fell des Löwen ab, der wirk lich ein herrliches Tier war, und schnitt ein paar Fleischstücke heraus, die wir brieten und gierig ver schlangen. Löwenfleisch ist, so seltsam es klingen mag, äußerst schmackhaft und ähnelt mehr Wild als irgend etwas anderem. Als wir unser so dringend benötigtes Mahl beendet hatten, ging die Sonne auf, und nach einem Trunk Wasser und dem Waschen im Teich brachen wir auf und versuchten, Hans zu finden; den Löwen überlie ßen wir der Fürsorge der Hyänen. Sowohl Mashune als auch ich waren aufgrund langer Praxis recht gute Fährtensucher, und so hatten wir keine Mühe, der Spur des Hottentotten zu folgen, so schwach sie auch sein mochte. Wir waren auf diese Weise etwa eine halbe Stunde lang gegangen und, wie ich schätzte, ungefähr eine Meile von unserem Lager entfernt, als
wir die Fährte eines einzelnen Büffels entdeckten, die sich mit der von Hans vermischte, und aus verschie denen Anzeichen konnten wir erkennen, daß Hans den Büffel verfolgt hatte. Schließlich gelangten wir auf eine kleine Lichtung, auf der ein alter verkrüp pelter Dornmimosenbaum stand, dessen Wurzelwerk eine Art Höhlung bildete, in der ein Stachelschwein, oder ein Ameisenbär, oder ein anderes Tier dieser Art, sich einen tiefen Bau gegraben hatte. Etwa zehn oder fünfzehn Schritte von dem Dornenbaum ent fernt, befand sich ein umfangreiches Dickicht. ›Sieh, Macumazahn! Sieh!‹ sagte Mashune aufge regt, als wir uns der Dornenmimose näherten, ›der Büffel hat ihn angegriffen. Sieh, hier hat er gestanden, und auf ihn gefeuert; du siehst, wie fest er seine Füße in den Boden gestemmt hat; hier ist der Eindruck sei ner komischen Zehe (Hans hatte eine verbogene Ze he). Sieh! Hier ist der Büffel wie ein Sturmwind den Hang herabgerast, seine Hufe haben den Boden wie Hacken aufgerissen. Hans hat ihn getroffen; er hat geblutet, als er den Hang herab kam; dort sind Blut spritzer. Alles ist hier niedergeschrieben, mein Vater – hier auf der Erde.‹ ›Ja‹, sagte ich, ›ja, aber wo ist Hans?‹ Und noch während ich das sagte, packte Mashune meinen Arm und deutete auf die verkrüppelte Dor nenmimose direkt vor uns. Und selbst jetzt noch, Gentlemen, wird mir übel, wenn ich daran denke, was ich dort sah. Denn in einer starken Astgabel des Baums, etwa acht Fuß über dem Boden, hing Hans, oder vielmehr, sein Körper, der offensichtlich von dem wütenden Büffel dort hinaufgeschleudert worden war. Eins sei
ner Beine war um die Astgabel geschlungen, offenbar im Todeskampf. In seiner Lende, dicht unterhalb der Rippen, klaffte ein großes Loch, aus dem die Einge weide heraushingen. Und dies war nicht alles. Das andere Bein hing bis auf fünf Fuß über dem Boden herab, und es bestand fast nur noch aus blanken Kno chen. Einen Moment lang stand ich wie versteinert und starrte auf dieses entsetzliche Bild. Dann begriff ich, was geschehen war. Der Büffel hatte, mit der teuflischen Grausamkeit, die diesem Tiere eigen ist, sich unter seinen toten Feind gestellt und mit seiner feilenscharfen Zunge das Fleisch von dem herabhän genden Bein geleckt. Ich hatte schon vorher von so etwas gehört, es jedoch immer für Jägerlatein gehal ten; jetzt jedoch hatte ich keinerlei Zweifel mehr. Der skelettierte Fuß und Knöchel des armen Hans waren Beweis genug. Wir standen schweigend vor dem Baum und starrten und starrten auf diesen entsetzlichen An blick, als unsere Gedanken plötzlich auf eine überaus schmerzhafte Weise unterbrochen wurden. Das dichte Gebüsch, etwa fünfzehn Schritte von uns ent fernt, barst plötzlich krachend auseinander, und mit einem wütenden, schweineartigen Grunzen stürmte der Büffelbulle direkt auf uns zu. Deutlich erkannte ich die Blutspur an seiner Flanke, wo die Kugel des armen Hans ihn getroffen hatte, und auch, wie es oft bei besonders wilden Büffeln der Fall ist, daß seine Flanken kürzlich bei einem Kampf mit einem Löwen furchtbar zerrissen worden waren. Weiter stürmte er heran, den Kopf stolz erhoben (ein Büffel senkt seinen Kopf erst kurz vor dem Zu stoßen); und diese gewaltigen, schwarzen Hörner –
wenn ich sie jetzt so vor mir sehe, Gentlemen, schei nen sie wie damals, vor zehn Jahren, auf mich zuzu kommen, eine scharfe Silhouette vor dem hellen Grün des Dickichts. Weiter – weiter! Mit einem Schrei sprang Mashune auf das Gebüsch zu. Ich hatte instinktiv mein Gewehr hochgerissen, das ich in meiner Hand hielt. Es war absolut sinnlos, auf die Stirn des Büffels zu schießen, denn der dichte Hornpanzer würde die Kugel ablenken, doch als Mashune lossprang, stockte der Büffel für eine Se kunde, als ob er beabsichtigte, ihn zu verfolgen, und da mir das eine geringfügige Chance gab, ließ ich meine letzte Kugel fliegen. Sie traf ihn in das Schul terblatt und zertrümmerte es, und fuhr dann weiter in seine Flanke; doch konnte sie ihn nicht stoppen, obwohl er eine Sekunde lang taumelte. Mit der Energie der Verzweiflung warf ich mich zu Boden, rollte mich in die Deckung der hervorstehen den Wurzeln der Dornenmimose und quetschte mich so tief wie möglich in das Ameisenbärenloch. In der nächsten Sekunde war der Büffel hinter mir her. Er kniete sich auf sein unverletztes Vorderbein – denn das, dessen Schulterblatt ich zerschossen hatte, bau melte kraftlos hin und her – und machte sich daran, mich mit seinen gebogenen Hörnern auszugraben. Anfangs stieß er mit aller Gewalt nach mir, und es war einer der Stöße gegen den Stamm des Baumes, welcher die Spitze eines der Hörner auf die Weise aufgesplittert hat, wie Sie es dort sehen. Dann aber wurde er gewitzter, schob sein Gehörn so weit wie möglich unter die Wurzeln und machte weite, halb kreisförmige Stöße mit ihnen, wobei er furchtbar grunzte, und Speichel und heißen, feuchten Atem
über mich versprühte. Ich befand mich knapp außer halb der Reichweite des Gehörns, obwohl es mit je dem Stoß, der ja die Öffnung erweiterte und mehr Raum für seinen Kopf schuf, mir näher rückte und ich immer wieder schwere Schläge von seiner Schnauze erhielt. Da ich das Gefühl hatte, auf diese Weise ausgeknockt zu werden, griff ich in meiner Verzweiflung nach seiner Zunge, die aus seinem Maul hing, und riß sie mit aller Kraft zur Seite. Die riesige Bestie brüllte auf vor Schmerz und Wut, und fuhr mit einer solchen Gewalt zurück, daß sie mich ein kleines Stück aus dem Loch riß, stieß dann wieder nach mir und erwischte mich dieses Mal mit der Krümmung ihres Horns an der Schulter. Ich wußte, daß mein Ende gekommen war und be gann laut zu schreien. ›Er hat mich erwischt!‹ schrie ich in meiner Todes angst. ›Gwasa, Mashune, gwasa!‹* Der riesige Kopf fuhr hoch, und wie ein Stehauf männchen kam ich aus meinem Loch herausgeschos sen. Und während ich das tat, sah ich den tapferen Mashune vorspringen, seinen ›Bangwang‹, den brei ten Assegai, über dem Kopf schwingend. Eine Vier telsekunde später fiel ich von dem Horn herab und hörte den Einschlag des Speeres, gefolgt von dem nicht beschreibbaren Geräusch von Stahl, der sich ei nen Weg durch Fleisch bohrt. Ich war auf den Rücken gefallen, und als ich aufblickte, sah ich, daß der tapfe re Mashune seinen Assegai einen Fuß oder tiefer in den Körper des Büffels gejagt hatte und sich gerade herumwarf, um zu fliehen. *
Stech zu, Mashune, stech zu!
Aber es war zu spät! Mit wütendem Brüllen und aus Maul und Nüstern blutend stürzte die teuflische Bestie sich auf ihn, warf ihn wie eine Feder in die Luft und durchbohrte ihn zweimal mit ihren Hörnern, als er am Boden lag. Ich versuchte verzweifelt, auf die Beine zu kommen, als er hilflos dort lag, mit der wil den Vorstellung, daß ich ihm helfen könnte, doch noch bevor ich mich aufstemmen konnte, stieß der Büffel ein langes, seufzendes Keuchen aus und fiel neben seinem Opfer tot zu Boden. Mashune lebte noch, doch ein einziger Blick sagte mir, daß seine Stunde geschlagen hatte. Das Horn des Büffels hatte ein riesiges Loch in seine linke Lunge gebohrt und ihm auch noch andere Verletzungen zu gefügt. Ich kniete mich neben ihn und nahm seine Hand in die meine. ›Ist er tot, Macumazahn?‹ flüsterte er. ›Meine Au gen sind blind, ich kann nicht sehen.‹ ›Ja, er ist tot.‹ ›Hat der schwarze Teufel dich verletzt, Macuma zahn?‹ ›Nein, mein armer Freund, ich bin nicht sehr ver wundet.‹ ›Ou! Da bin ich froh!‹ Dann folgte eine lange Stille, unterbrochen nur von dem Geräusch der Luft, die durch das Loch in seiner Lunge rasselte, wenn er atmete. ›Macumazahn, bist du da? Ich kann dich nicht fühlen.‹ ›Ich bin hier, Mashune.‹ ›Ich sterbe, Macumazahn – die Welt dreht und dreht sich. Ich gehe – ich gehe in das Dunkel! Ich hof
fe, mein Vater, daß du manchmal, an kommenden Tagen – an Mashune denken wirst, der dir zur Seite stand –, wenn du Elefanten geschossen hast, als wir damals ... als wir damals ...‹ Das waren seine letzten Worte, und sein tapferer Geist ging mit ihnen davon. Ich schleppte seinen Körper zu dem Loch unter dem Baum und drückte ihn hinein, und legte seinen breiten Assegai ihm zur Seite, wie es der Brauch ist bei seinem Volke, damit er nicht ohne Waffe auf seine lange Reise gehen mußte; und dann, Ladies, das schäme ich mich nicht, zu ge stehen, stand ich vor diesem Grab und weinte.«
Stella und Hendrika
Widmung
Mein lieber Macumazahn,
Es war Ihr Eingeborenenname, den ich mir bei der Taufe jenes Allan auslieh, der mir so vertraut geworden ist, wie kein anderer Freund: Deshalb ist es nicht mehr als recht, daß ich diese, seine letzte Geschichte, Ihnen widme – die Geschichte seiner Frau, und die einiger weiterer Abenteuer, die ihm zugestoßen sind. Sie werden Sie an so manche andere afrikanische Geschichte gemahnen – die von den Pavianen mag Sie an ein eigenes Erlebnis erinnern, das ich nicht mit Ihnen geteilt habe. Und vielleicht werden sie noch mehr tun. Vielleicht werden sie in Ihnen die Romantik einer Zeit wachrufen, die uns verloren gegangen ist. Das Land, von dem Allan Quatermain in seinen Geschichten berichtet, ist jetzt zum größten Teil so bekannt und so gründlich erforscht wie die Felder von Norfolk. Dort, wo wir einst schossen und treckten und galoppierten, und nur selten das Gesicht eines zivilisierten Menschen erblickten, errichten die Goldsucher heute ihre Städte. Der Schatten der britischen Flagge hat vorübergehend aufgehört auf die weiten Ebenen Transvaals zu fallen; das Wild ist verschwunden; der nebelige Charme des Morgens ist zum grellen Licht des Tages geworden. Alles ist verändert. Die Setzlinge der blauen Gummibäume, die wir im Garten des ›Palatial‹ gepflanzt haben, müssen jetzt hohe Bäume sein, und das ›Palatial‹ gibt es nicht mehr. In ihm hat Jess gesessen und auf ihren Geliebten gewartet. Dort hat sie ihn gesundgepflegt. Doch Jess ist tot, und Fremde leben jetzt dort, oder vielleicht ist es nur noch eine Ruine.
Und auch für uns, Macumazahn, genau wie für das Land, das wir liebten, sind das Mysterium und das Versprechen des Morgens vergangen; die Mittagssonne brennt auf uns herab und zeitweise ist unser Weg mühsam. Nur wenige derer, die wir kannten, sind übriggeblieben. Manche von ihnen wurden Opfer von Krieg und Mord, und ihre Knochen liegen über das Veldt verstreut; andere hat der Tod sich auf eine friedlichere Art genommen; manche sind unseren Blicken verborgen, wir wissen nicht, wo. Mit Recht fürchten wir uns vor einer Rückkehr in jenes Land, da wir Angst haben, Geistern zu begegnen. Doch mögen wir jetzt auch verschiedene Wege gehen, die Vergangenheit blickt uns mit ihren unergründlichen Augen an. Aber wir erinnern uns noch an so manches jungenhafte Unternehmen und Abenteuer, in das wir uns leichtherzig gestürzt haben, und das uns heute als äußerst gefährlich erscheinen würde. Wir erinnern uns noch an die vertraute Gestalt des Pretoria-Pferdes, an Krieg und Panik, an die Müdigkeit auf mitternächtlichen Patrouillenritten; ja, und wir hören noch immer das Dröhnen der Kanonen, deren Echo vom Shameful Hill zurückgeworfen wurde. Ihnen also, Macumazahn, widme ich diese Aufzeichnung zur bleibenden Erinnerung an jene ereignisreichen Jahre der Jugend, die wir gemeinsam in den afrikanischen Städten und auf dem afrikanischen Veldt verbracht haben, und unterzeichne jetzt, wie immer, als Ihr aufrichtiger Freund, INDANDA 1889
An Arthur H. D. Cochrane, Esqu.
1
Die frühen Tage
Es mag erinnerlich sein, daß Allan Quatermain auf den letzten Seiten seines Tagebuches*, die er kurz vor seinem Tode schrieb, Andeutungen über seine seit langen Jahren verstorbene Frau machte und erklärte, an anderer Stelle ausführlich über sie geschrieben zu haben. Als sein Tod bekannt wurde, sind alle seine Schrif ten mir als seinem literarischen Testamentsvollstrek ker übergeben worden. Unter ihnen entdeckte ich zwei Manuskripte, von denen das vorliegende eines ist. Das andere ist einfach ein Bericht über Ereignisse, an denen Mr. Quatermain nicht persönlich beteiligt war – ein Zulu-Roman, dessen zugrundeliegenden Fakten ihm von dem Helden der Geschehnisse viele Jahre nach diesem tragischen Geschehen berichtet wurden. Doch damit haben wir an dieser Stelle nichts zu tun. Ich habe mir oft vorgenommen (so beginnt Mr. Qua termains Manuskript), die Ereignisse, die mit meiner Heirat und mit dem Verlust meiner geliebten Frau zusammenhängen, zu Papier zu bringen. Viele Jahre sind nun seither vergangen, und zu einem gewissen Grade hat die Zeit diese alten Wunden heilen können, obwohl der Himmel weiß, daß sie noch immer *
Allan Quatermain, 2. Band der Henry Rider Haggard-Ausgabe im Wilhelm Heyne Verlag (HEYNE-BUCH 06/4131), Seite 391.
schmerzen. Zwei- oder dreimal habe ich sogar mit der Niederschrift begonnen. Beim ersten Mal gab ich es wieder auf, da mich das Schreiben darüber auf un erträgliche Weise niederdrückte, beim zweiten, weil ich plötzlich zu einer Reise abgerufen wurde, und beim dritten Mal, weil ein Kaffern-Diener mein Ma nuskript dazu geeignet fand, das Herdfeuer anzufa chen. Doch jetzt, da ich ruhig und ungestört in England sitze, will ich einen vierten Versuch unternehmen. Falls es mir gelingen sollte, mag die Geschichte viel leicht das Interesse einiger Menschen finden, wenn ich tot und begraben bin, denn vorher soll sie nicht veröffentlicht werden. Es ist eine recht abenteuerliche Schilderung, die zu seltsamen Betrachtungen führen mag. Ich bin der Sohn eines Missionars. Mein Vater war Kurat einer kleinen Gemeinde in Oxfordshire. Er war bereits einige Jahre mit meiner lieben Mutter verhei ratet, als er dorthin versetzt wurde, und er hatte vier Kinder, von denen ich das jüngste bin. Ich erinnere mich noch vage an das Haus, in dem wir lebten. Es war ein alter Bau aus grauen Steinen und lag an der Straße. In seinem Garten wuchs ein hoher Baum. Sein Stamm war ausgehöhlt, und wir Kinder spielten oft darin und schlugen Stücke seiner dicken, rauhen Rinde ab. Wir schliefen alle vier in einer Art Dach kammer, und meine Mutter kam jeden Abend herauf und küßte uns, wenn wir zu Bett gegangen waren. Ich wachte häufig auf und sah sie über mich gebeugt, eine Kerze in der Hand. Über meinem Bett ragte ein seltsames Balkenstück aus der Wand. Einmal hatte ich entsetzliche Angst, da mein ältester Bruder mich
emporhob und, an dieses Holzstück geklammert, dort hängen ließ. Das ist alles, was mir von meinem alten Heim in der Erinnerung geblieben ist. Es ist längst abgerissen worden, denn sonst wäre ich schon einmal dorthin gereist, um es wiederzusehen. Ein Stück von ihm entfernt und ebenfalls an der Straße stand ein großes Haus, dessen Zufahrt durch ein schmiedeeisernes Tor verschlossen war, mit aus Stein gemeißelten Löwen auf den mächtigen Torpfo sten; diese Löwen waren so gräßlich, daß ich Angst vor ihnen hatte. Vielleicht war dieses Gefühl prophe tisch. Wenn man durch die Gitterstäbe des Tores blickte, konnte man das Haus sehen. Es war ein dü ster wirkendes Gebäude, das von einer hohen Hecke umgeben war; doch im Sommer wuchsen Blumen über die Sonnenuhr, die in den Rasen eingelassen war. Dieses Haus wurde ›Die Halle‹ genannt, und Squire Carson wohnte dort. An einem Weihnachtstag – es muß das letzte Weihnachten vor der Auswande rung meines Vaters gewesen sein, denn sonst würde ich mich nicht so lebhaft daran erinnern – gingen wir Kinder zu einer Weihnachtsfeier in dieses Haus. Es waren viele Menschen dort versammelt, und Diener in roten Schoßröcken standen bei der Tür. Im Speise saal, der mit dunkler Eiche getäfelt war, stand der Weihnachtsbaum, und Squire Carson stand vor ihm. Er war ein großer, dunkelhaariger Mann, sehr ruhig und höflich in seiner Art, und er trug eine Goldkette über seiner Weste. Wir hielten ihn für alt, doch war er zu jener Zeit nicht älter als vierzig. Er hatte, wie ich später erfuhr, in seiner Jugend viele großen Reisen unternommen, und sechs oder sieben Jahre vor die sem Tag eine Dame geheiratet, die zur Hälfte Spanie
rin war – eine Papistin, nannte mein Vater sie. Ich kann mich gut an sie erinnern. Sie war klein und aus nehmend hübsch, mit einer gerundeten Gestalt, gro ßen, schwarzen Augen und blendend weißen Zäh nen. Sie sprach englisch mit einem seltsamen Akzent. Ich muß damals wohl ein sehr komisch wirkendes Kind gewesen sein; ich weiß, daß mein Haar sich wie eine Bürste auf meinem Kopf sträubte, wie es das noch heute tut, denn ich besitze noch eine von meiner Mutter angefertigte Skizze von mir, auf der diese Ei genheit besonders stark zum Ausdruck kommt. Bei dieser Weihnachtsfeier, erinnere ich mich, wandte sich Mrs. Carson an einen hochgewachsenen, auslän disch wirkenden Gentleman, der neben ihr stand, tippte ihm vertraulich mit ihrer goldgefaßten Lorg nette auf die Schulter und sagte: »Sieh doch, Cousin – sieh dir nur diesen komischen kleinen Jungen mit den großen braunen Augen an; sein Haar wirkt wie eine – wie nennt man das noch? – Scheuerbürste. Oh, was für ein drolliger kleiner Junge!« Der hochgewachsene Gentleman zupfte an seinem Schnurrbart, nahm Mrs. Carsons Hand in die seine und fuhr damit über mein Haar, bis ich sie flüstern hörte: »Laß meine Hand los, Cousin! Thomas macht ein Gesicht wie ... wie ein Gewitter.« Thomas war der Name Mr. Carsons, ihres Ehe manns. Danach versteckte ich mich, so gut es mir möglich war, hinter einem Sessel und sah der kleinen Stella Carson zu, dem einzigen Kind des Squire, die Ge schenke vom Weihnachtsbaum nahm und sie an die Kinder verteilte. Sie war als Weihnachtsmann ver kleidet, mit irgendeinem weichen, weißen Zeug um
ihr hübsches, kleines Gesicht, und sie hatte große, dunkle Augen, die mir als das Schönste erschienen, das ich jemals gesehen hatte. Schließlich war ich an der Reihe, ein Geschenk zu erhalten – es war, seltsa merweise im Hinblick auf zukünftige Ereignisse, ein großer Plüschaffe. Stella nahm ihn von einem der unteren Äste des Weihnachtsbaums und reichte ihn mir. »Das ist mein Weihnachtsgeschenk für dich, kleiner Allan Quatermain«, sagte sie dabei. Während sie das tat, berührte ihr Ärmel, der mit Watteflocken bestreut war, und mit irgendeinem Glitzerzeug, eine Kerzenflamme und fing Feuer, und die Flamme raste an ihrem Arm empor zum Hals. Sie stand völlig reglos. Ich nehme an, daß sie vor Schreck gelähmt war; und die Damen, die in der Nähe stan den, schrien laut auf, unternahmen jedoch nichts. Ich wurde von einem Entschluß gepackt – Impuls wäre vielleicht der richtigere Ausdruck, wenn man mein Alter berücksichtigt. Ich warf mich über das Kind, schlug mit den Händen auf die Flammen ein und konnte sie glücklicherweise ersticken, bevor sie rich tig Halt gefunden hatten. Meine Handgelenke waren davon so stark angesengt, daß ich sie lange verbun den tragen mußte, doch Stella Carson war bis auf eine kleine Brandblase an ihrem Hals unverletzt geblie ben. Das ist alles, was mir von dieser Weihnachtsfeier in der Erinnerung geblieben ist. Was nach diesem Zwi schenfall geschah, weiß ich nicht mehr, doch sehe ich bis zum heutigen Tage manchmal im Schlaf Stellas liebliches Gesicht vor mir, und den Ausdruck von Entsetzen in ihren Augen, als die Flammen an ihrem
Arm emporzüngelten. Das ist jedoch nicht verwun derlich, denn ich hatte an jenem Abend das Leben des Mädchens gerettet, das dazu bestimmt war, meine Frau zu werden. Das nächste Ereignis, an das ich mich deutlich er innern kann, war, daß meine Mutter und meine drei Brüder plötzlich an einem schweren Fieber erkrank ten, das, wie wir später feststellten, darauf zurückzu führen war, daß ein uns übel gesonnener Mensch un seren Brunnen vergiftet hatte, indem er ein totes Schaf, mit Steinen beschwert, auf den Grund des Schachtes warf. Es muß während ihrer Krankheit gewesen sein, daß Squire Carson eines Tages zum Pfarrhaus kam. Es war noch immer kalt, denn der Wohnzimmerka min brannte, und ich saß davor und schrieb etwas mit Bleistift auf ein Stück Papier, während mein Vater im Zimmer auf und ab schritt und leise Selbstgespräche führte. Später erfuhr ich, daß er für das Leben seiner Frau und seiner Kinder gebetet hatte. Kurz darauf trat das Dienstmädchen ein und meldete, daß jemand gekommen sei, um mit ihm zu sprechen. »Es ist der Squire«, sagte das Dienstmädchen, »und er sagt, daß es sehr dringend sei.« »Führen Sie ihn herein!« sagte mein Vater müde, und kurz darauf trat Squire Carson ins Zimmer. Sein Gesicht war bleich und hager, und seine Augen glänzten so furchtbar, daß ich Angst vor ihm bekam. »Verzeihen Sie mir, daß ich Sie zu so einer Zeit be lästige, Quatermain«, sagte er mit heiserer Stimme, »doch morgen werde ich für immer von hier fortge hen, und bevor ich gehe, möchte ich mit Ihnen spre chen – muß ich mit Ihnen sprechen.«
»Soll ich Allan hinausschicken?« fragte mein Vater und deutete auf mich. »Nein, lassen Sie ihn bleiben! Er wird es nicht be greifen.« Ich begriff das damals auch nicht, behielt je doch jedes der Worte im Gedächtnis und erkannte in späteren Jahren ihre Bedeutung. »Zuerst sagen Sie mir bitte, wie geht es ihnen?« Er deutete mit dem Daumen nach oben. »Für meine Frau und zwei der Jungen besteht keine Hoffnung mehr«, antwortete mein Vater mit einem gequälten Stöhnen. »Wie es mit dem dritten ausgehen wird, weiß ich nicht. Der Wille des Herrn geschehe!« »Der Wille des Herrn geschehe«, wiederholte der Squire feierlich. »Und jetzt hören Sie, Quatermain: meine Frau ist durchgebrannt.« »Durchgebrannt!« sagte mein Vater. »Mit wem?« »Mit diesem ausländischen Cousin von ihr. Aus ei nem zurückgelassenen Brief geht hervor, daß sie im mer nur ihn geliebt hat, und nicht mich. Sie hat mich nur geheiratet, weil sie mich für einen steinreichen englischen Edelmann hielt. Jetzt hat sie mein Vermö gen durchgebracht, oder zumindest den größten Teil davon, und ist fort. Ich habe keine Ahnung, wohin. Zum Glück hatte sie keine Lust, ihr neues Leben mit einem Kind zu belasten; Stella hat sie also mir über lassen.« »Das kommt davon, wenn man eine Papistin hei ratet, Carson«, sagte mein Vater. Das war seine Schwäche: Er war einer der besten und mitfühlend sten Menschen, die jemals lebten, doch er war absolut bigott. »Was werden Sie jetzt tun – sie suchen?« Carson lachte bitter auf. »Sie suchen? Warum sollte ich sie suchen? Wenn ich sie finden sollte, würde ich
sie vielleicht töten – oder ihn, oder beide, wegen der Schande, die sie auf den Namen meines Kindes ge bracht haben. Nein, ich will sie niemals wiedersehen. Ich habe ihr vertraut, und sie hat mich betrogen. Soll sie gehen und ihr Schicksal finden. Aber ich werde ebenfalls gehen; ich bin meines Lebens müde.« »Carson!« sagte mein Vater erschrocken, »Sie ha ben doch nicht etwa vor ...« »Nein, nein, nicht das. Der Tod kommt bald genug. Aber ich will diese zivilisierte Welt verlassen, die durch und durch verlogen ist. Wir werden in die Wildnis gehen, ich und mein Kind, und dort unsere Schande verstecken. Wohin? Ich weiß nicht, wohin. Es ist auch egal, solange es dort keine weißen Ge sichter gibt, keine glatten, gebildeten Zungen.« »Sie sind verrückt, Carson«, sagte mein Vater. »Wovon wollen Sie leben? Wie wollen Sie Stella er ziehen? Seien Sie ein Mann und kommen Sie darüber hinweg!« »Ich werde ein Mann sein, und ich werde darüber hinwegkommen, aber nicht hier, Quatermain. Erzie hung! Hatte nicht sie – jene Frau, die ich geheiratet habe – hatte nicht sie die beste Erziehung genossen? – war sie nicht, Gott behüte, die klügste Frau weit und breit? Zu klug für mich, Quatermain – viel zu klug! Nein, nein, Stella soll in einer anderen Schule auf wachsen; wenn möglich, soll sie sogar ihren Namen vergessen. Leben Sie wohl, mein Freund, ich sage Ih nen für immer Lebewohl. Versuchen Sie bitte nicht, mich zu finden, von dieser Stunde an bin ich für Sie gestorben, für Sie und für alle anderen, die ich kann te.« Damit ging er. »Verrückt«, sagte mein Vater mit einem schweren
Seufzer. »Sein Kummer hat ihm den Verstand ver wirrt. Aber er wird schon wieder zur Besinnung kommen.« In diesem Augenblick kam die Krankenschwester hereingestürzt und flüsterte meinem Vater etwas ins Ohr. Seine Hände umklammerten den Rand des Ti sches, um sich zu stützen, dann ging er taumelnd aus dem Zimmer. Meine Mutter lag im Sterben! Es war einige Tage später, ich kann nicht mehr ge nau sagen, wie viele, als mein Vater mich bei der Hand nahm und in das große Schlafzimmer führte, welches das Krankenzimmer meiner Mutter gewesen war. Dort lag sie tot in ihrem Sarg, mit Blumen in den Händen. Entlang den Wänden standen drei weiße Betten, und auf jedem lag einer meiner Brüder. Alle drei sahen aus, als ob sie schliefen, und alle drei hiel ten Blumen in ihren Händen. Mein Vater sagte mir, daß ich sie küssen solle, und ich tat es, obwohl ich große Angst dabei hatte. Ich weiß nicht, warum. Dann schloß er mich in die Arme und küßte mich. »Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen«, sagte er, »der Name des Herrn sei gelobt.« Ich begann zu weinen, und er brachte mich wieder hinunter, und von dem, was danach geschah, habe ich nur eine konfuse Erinnerung an Männer in Schwarz, die schwere Lasten zum grauen Friedhof trugen. Das nächste ist das Bild eines großen Schiffes, und weitem, sturmgepeitschtem Meer. Nach dem Verlust, der ihn befallen hatte, ertrug mein Vater es nicht län ger, in England zu leben, und so hatte er beschlossen, nach Südafrika auszuwandern. Wir müssen zu jener Zeit arm gewesen sein – ich vermute, daß ein großer
Teil der Ersparnisse meines Vaters durch Krankheit und Tod seiner Familie verbraucht worden waren. Auf jeden Fall reisten wir im Zwischendeck, und die Unbequemlichkeiten dieser Reise, vor allem die rau hen Sitten unserer Mitreisenden sind mir noch heute in Erinnerung. Schließlich aber ging sie zu Ende, und wir erreichten Afrika, das ich für viele, viele Jahre nicht wieder verlassen sollte. In jenen Tagen hatte die Zivilisation in Südafrika noch nicht richtig Fuß gefaßt. Mein Vater ging ins Landesinnere und wurde Missionar bei den Kaffern, in der Gegend, wo heute die Stadt Cradock liegt, und dort bin ich zum Manne herangewachsen. Es lebten ein paar Burenfamilien in unserer Nachbarschaft, und nach und nach entstand eine kleine Siedlung von Weißen um unsere Missionsstation – ein alkohol süchtiger schottischer Huf- und Wagenschmied war der interessanteste Typ unter ihnen, der, wenn er mal nüchtern war, den schottischen Lyriker Burns und die ›Ingoldsby Legends‹ zitieren konnte, die damals ge rade veröffentlicht worden waren, und zwar fast wortgetreu und Seite für Seite. Von ihm habe ich meine Vorliebe für die amüsanten Formulierungen der letzteren, die mich nie mehr verlassen hat. Burns habe ich nicht so gemocht, wahrscheinlich wegen des schottischen Dialekts, der mich abstieß. Das bißchen Bildung, das mir zuteil wurde, bekam ich von mei nem Vater, doch entwickelte ich niemals eine Nei gung zu Büchern, und er hatte auch nicht genug Zeit, sie mir nahe zu bringen. Andererseits aber entwik kelte ich mich zu einem aufmerksamen Beobachter von Mensch und Natur. Als ich zwanzig Jahre alt war, sprach ich fließend Holländisch und drei oder
vier Kafferndialekte, und ich bezweifle, ob es in ganz Südafrika einen Menschen gab, der Denken und Han deln der Eingeborenen besser verstand als ich. Au ßerdem war ich ein wirklich guter Schütze und Reiter geworden, und war – wie es meine folgende Karriere hinreichend bewies – erheblich widerstandsfähiger als die meisten anderen Männer. Obwohl ich damals, wie auch heute, klein und schlank war, schien nichts mich ermüden zu können. Ich konnte jede Menge Strapazen und Entbehrungen ertragen und habe kei nen Eingeborenen getroffen, der mir an Ausdauer überlegen gewesen wäre. Natürlich ist das inzwi schen anders geworden, ich spreche von meinen frü hesten Mannesjahren. Man mag sich wundern, daß ich unter solchen Um ständen nicht völlig verwilderte, doch davor be wahrte mich die Gesellschaft meines Vaters. Er war einer der nettesten und gütigsten Menschen, die ich jemals gekannt habe; selbst der wildeste Kaffer liebte ihn, und sein Einfluß auf mich war ein Segen. Er pflegte sich als eine der Fehlschöpfungen der Natur zu bezeichnen. Ich wünschte, es gäbe mehr solcher Fehlschöpfungen. An jedem Abend, wenn die Arbeit des Tages getan war, nahm er sein Gebetbuch, setzte sich auf die kleine Veranda unserer Station und las mit lauter Stimme die Abend-Psalmen. Manchmal war es schon zu dunkel geworden, um sie lesen zu können, doch das machte nichts da er sie alle aus wendig kannte. Wenn er damit fertig war, blickte er lange auf das bebaute Land hinaus, auf dem die Hütten der Missionskaffern standen. Doch ich wußte, daß es nicht sie waren, die er sah, sondern die graue, englische Kirche, und die Gräber,
die nebeneinander in der Nähe des Friedhoftores la gen. Es war dort, auf der Veranda, als er starb. Er hatte sich seit einiger Zeit nicht wohl gefühlt, und eines Abends, als ich mit ihm sprach, gingen seine Gedan ken zurück nach Oxfordshire und zu meiner Mutter. Er sprach sehr lange von ihr und erklärte mir, daß er sie während all dieser Jahre nicht einen einzigen Tag lang vergessen habe, und daß er glücklich sei, nun bald in jenes Land hinübergehen zu können, in das sie vorausgegangen sei. Dann fragte er mich, ob ich mich an jenen Abend erinnern könne, an dem Squire Carson ins Pfarrhaus gekommen sei und ihm berich tet habe, daß seine Frau durchgebrannt sei, und daß er seinen Namen vergessen und sich in einem fernen Land verkriechen wolle. Ich antwortete, daß ich mich sehr genau daran er innere. »Ich frage mich, wohin er gegangen sein mag, und ob er und seine Tochter Stella noch leben. Nun ja, ich werde sie nicht wiedersehen. Doch das Leben geht seltsame Wege, Allan, und dir mag es vielleicht ver gönnt sein. Falls das wirklich der Fall sein sollte, so übermittle ihnen meine herzlichsten Wünsche.« Danach ließ ich ihn allein. Wir hatten in letzter Zeit mehr als gewöhnlich unter Kafferndieben zu leiden gehabt, die nachts unsere Schafe stahlen, und wie zu vor, und nicht ohne Erfolg, wollte ich auch jetzt unse ren Viehkraal bewachen und versuchen, sie zu erwi schen. Es war diese Gewohnheit, nachts zu wachen, die mir meinen Eingeborenennamen ›Macumazahn‹ eintrug, der roh übersetzt bedeutet: ›er, der schläft und mit einem Auge wacht‹. Also nahm ich mein
Gewehr und erhob mich, um zu gehen. Doch er rief mich zurück, küßte mich auf die Stirn und sagte: »Gott segne dich, Allan. Ich hoffe, daß du hin und wieder an deinen alten Vater denken und ein gutes und glückliches Leben führen wirst.« Ich weiß noch, daß mir sein Ton seltsam vorkam, führte ihn jedoch auf die Depressionen zurück, unter denen er hin und wieder litt, als er in die Jahre kam. Ich ging zum Viehkraal hinab und wachte dort bis zur Stunde des Sonnenaufgangs, und da sich keine Viehdiebe hatten blicken lassen, kehrte ich zur Station zurück. Als ich mich ihr näherte, war ich erstaunt, ei nen Mann auf dem Stuhl meines Vaters sitzen zu se hen. Zunächst nahm ich an, daß es ein betrunkener Kaffer sei, dann, daß mein Vater dort eingeschlafen sein mochte. Und das war auch der Fall – denn er war tot!
2
Der Feuerkampf
Als ich meinen Vater begraben und dafür gesorgt hatte, daß ein Nachfolger an seiner statt eingesetzt wurde – denn die Station gehörte einer Missionsgesellschaft –, machte ich mich an die Durchführung eines Plans, den ich seit langem gehegt und ihn nur nicht ausge führt hatte, weil er die Trennung von meinem Vater erfordert hätte. Um es kurz zu sagen: ich wollte eine Handels- und Forschungsreise durch die Länder un ternehmen, die heute als der Freistaat und Transvaal bekannt sind, und von dort aus so weit nach Norden vordringen, wie es mir möglich sein würde. Es war dies ein sehr abenteuerliches Vorhaben, denn obwohl die eingewanderten Buren einige Stellen dieser Län der zu besiedeln begonnen hatten, waren sie zum größten Teil nach wie vor unerforscht. Doch ich stand jetzt allein auf der Welt, und es spielte kaum noch ei ne Rolle, was aus mir wurde; also war ich, von mei ner Abenteuerlust getrieben, die, so alt ich jetzt auch sein mag, noch immer zu meinem Tode führen mag, entschlossen, diese Reise zu unternehmen. Also verkaufte ich alles, was wir auf der Station be saßen, und behielt lediglich die beiden besten Wagen und zwei Ochsengespanne. Den Erlös investierte ich in solche Handelswaren, wie sie zu jener Zeit begehrt waren, und in Gewehre und Munition. Diese Geweh re würden bei jedem modernen Forschungsreisenden einen Lachanfall provozieren, aber dennoch konnte ich mit ihnen eine große Zahl von Opfern auf der
Strecke zurücklassen. Eins von ihnen war ein einläu figer, ungezogener Vorderlader, der eine Dreiunzen kugel verschoß und mit einer Handvoll groben Schwarzpulvers geladen wurde. Groß ist die Zahl der Elefanten, die ich mit diesem Gewehr erlegt habe, obwohl sein Rückstoß mich meistens auf den Hintern warf und ich es nur abfeuerte, wenn es unumgänglich war. Die beste von allen war vielleicht eine doppel läufige Nr. 12 Schrotflinte, die jedoch ein Steinschloß besaß. Außerdem hatte ich noch ein paar alte TowerMusketen, die auf eine Entfernung von siebzig Yards einigermaßen zuverlässig waren – oder auch nicht. Ich nahm sechs Kaffern mit mir, und drei gute Pferde, die angeblich ›gesalzen‹, das heißt, gegen Krankhei ten immun waren. Unter den Kaffern befand sich ein alter Bursche namens Indaba-zimbi, das übersetzt ›Eisenzunge‹ bedeutet. Ich nehme an, daß er seinen Namen seiner lauten Stimme und seiner unermüdli chen Redseligkeit verdankte. Dieser Mann war auf seine Art einmalig. Er war einst ein berühmter Medi zinmann bei einigen benachbarten Stämmen gewesen und unter den folgenden Umständen zur Station ge kommen, welche, da er bei den Ereignissen dieser Aufzeichnungen eine wesentliche Rolle spielt, sicher verdienen, erwähnt zu werden. Zwei Jahre vor dem Tode meines Vaters hatte ich Gelegenheit, mich ein wenig im Lande umzusehen, da ich nach entlaufenen Ochsen suchen mußte. Nach einer langen und erfolglosen Suche fiel mir ein, daß ich vielleicht zu jenem Kraal gehen sollte, wo diese Ochsen von einem Kaffernhäuptling gezüchtet wor den waren, dessen Namen ich zwar vergessen habe, dessen Kraal jedoch etwa fünfzig Meilen von unserer
Station entfernt lag. Dorthin zog ich also und dort fand ich auch unsere Ochsen. Der Häuptling bewir tete mich äußerst großzügig, und am folgenden Mor gen suchte ich ihn auf, um mich von ihm zu verab schieden, und war einigermaßen überrascht, mehrere hundert Männer und Frauen um ihn herum sitzen zu sehen, die alle wie gebannt zum Himmel empor starrten, an dem sich unheilverkündende Gewitter wolken zusammenballten. »Du solltest lieber bleiben, weißer Mann«, sagte der Häuptling, »und zusehen, wie die Regen-Doktoren die Blitze bekämpfen.« Ich fragte ihn, was er damit sagen wolle, und er fuhr, daß dieser Mann, Indaba-zimbi, seit mehreren Jahren die Stellung des Haupt-Medizinmannes jenes Stammes innehatte, obwohl er nicht zu ihm gehörte, da er in einem Lande geboren war, das wir heute als das Zulu-Land kennen. Doch ein Sohn des Häupt lings, ein Mann von etwa dreißig Jahren, hatte sich kürzlich als Rivale in übernatürlichen Kräften aufge stellt. Dieses reizte Indaba-zimbi überaus, und daraus ergab sich ein Streit zwischen den beiden Medizin männern, der zu einer Herausforderung zu einem Kampf mit Blitzen führte. Dieses waren die Bedin gungen: Die Rivalen sollten auf das Aufziehen eines schweren Unwetters warten, denn kein normales Gewitter würde für ihre Zwecke ausreichen. Dann mußten sie, ihre Assegais in der Hand, in einer Ent fernung von fünfzig Schritten voneinander Aufstel lung nehmen, und zwar auf einem bestimmten Stück Grund, in den man die Blitze immer wieder hatte ein schlagen sehen, und durch ihre Zauberkräfte den Tod von sich fernzuhalten und auf ihren Gegner zu len
ken versuchen. Die Bedingungen dieses einmaligen Duells waren bereits einen Monat zuvor festgelegt worden, doch hatte sich noch nie ein Unwetter, das dieses Anlasses wert gewesen wäre, gezeigt. Jetzt je doch schien es, wie die örtlichen Wetterpropheten voraussagten, unmittelbar bevorzustehen. Ich fragte, was geschehen würde, wenn keiner der beiden Männer von einem Blitzschlag getroffen wer den würde, und erfuhr, daß man dann eben auf das nächste Unwetter warten müßte. Falls sie jedoch auch beim zweiten Mal beide entkommen sollten, würde man sie als an Macht gleichwertig akzeptieren und sich bei wichtigen Stammesangelegenheiten von ih nen gemeinsam beraten lassen. Die Aussicht, bei einem so außergewöhnlichen Schauspiel dabeisein zu können, war stärker als mein Wunsch, wieder nach Hause zu kommen, also nahm ich die Einladung des Häuptlings, diesem Zweikampf beizuwohnen, an. Doch noch bevor es Mittag gewor den war, bedauerte ich diesen Entschluß, denn der westliche Himmel verdunkelte sich zwar mehr und mehr, und die Luft roch noch immer nach einem her aufziehenden Unwetter, doch wollte es nicht losbre chen. Gegen vier Uhr nachmittags jedoch wurde es klar, daß dies bald der Fall sein würde – gegen Son nenuntergang erklärte der alte Häuptling, und so zog ich mit der ganzen Gesellschaft auf die Walstatt. Der Kraal war auf der Kuppe eines Hügels errichtet, und unter ihm senkte sich das Land allmählich zum Ufer eines Flusses ab, der etwa eine halbe Meile entfernt lag. Diesseits des Flusses lag jenes Land, das, wie die Eingeborenen es ausdrückten, ›von den Blitzen ge liebt wurde‹. Hier nahmen die beiden Zauberer Auf
stellung, und die Zuschauer versammelten sich in etwa zweihundert Yards Entfernung auf dem Hang, was, für meinen Geschmack, etwas zu nahe an dem Geschehen war. Als wir eine Weile dort gesessen hatten, obsiegte jedoch meine Neugier, und ich bat den Häuptling um seine Erlaubnis, hinabzugehen und die Zweikampfarena untersuchen zu dürfen. Er erklärte, ich könne dies nur auf eigene Verantwor tung tun. Ich sagte ihm, daß das Feuer vom Himmel einem weißen Manne nichts anhaben könne, ging hinab und stellte fest, daß die Stelle ein Eisenbett war, auf dem eine dünne Grasschicht wuchs, was natür lich die Erklärung dafür war, daß die Blitze der Ge witter angezogen wurden, die den Lauf des Flusses entlangzogen. An jedem Ende dieses Eisenerzbettes hatten nun die Kombattanten Aufstellung genom men, Indaba-zimbi mit Blick nach Osten, sein Rivale mit Blick nach Westen, und vor jedem brannte ein kleines Feuer aus dem Holz einer aromatischen Wur zel. Sie waren mit der ganzen Ausstattung ihres Ge werbes behangen, mit Schlangenhäuten, Fischblasen und ich weiß nicht, was sonst noch, und um ihren Hals hingen Ketten aus Pavianzähnen und menschli chen Handknöchelchen. Als erstes ging ich zum westlichen Ende, wo der Sohn des Häuptlings stand. Er deutete mit seinem Assegai zu den sich auftür menden Gewitterwolken hinauf und rief mit tiefbe wegter Stimme: »Komme, o Feuer, und lecke Indaba-zimbi mit dei ner Zunge auf! Höre mich, Sturm-Teufel, und verschlinge Indaba zimbi mit deinem feurigen Rachen!
Spucke deinen Regen auf ihn! Schleudere ihn mit deinem Atem fort! Mache ihn zu nichts – zerschmelze das Mark in seinen Knochen! Zeig dem Volke, wer der wahre Hexen-Sucher ist! Beschäme mich nicht vor den Augen des weißen Mannes!« So sprach oder vielmehr intonierte er, und dabei rieb er ununterbrochen seine breite Brust – denn er war ein sehr kräftiger Mann – mit irgendeiner stinkenden Flüssigkeit, einer Mouti, ein. Nach einer Weile, als ich seines Gesanges müde geworden war, schritt ich über das Erzlager zu des sen anderem Ende, wo Indaba-zimbi bei seinem Feu er hockte. Er sang nicht, doch war seine Vorstellung weitaus eindrucksvoller. Sie bestand darin, den östli chen Himmel anzustarren, der völlig wolkenlos war, und immer wieder winkte er ihm lockend mit dem Zeigefinger, wandte sich dann um und deutete mit dem Assegai auf seinen Rivalen. Er war ein seltsam zerknittert wirkender Mann, offensichtlich über fünf zig Jahre alt, mit schmalen Händen, die so sehnig wie Drahtseile wirkten. Seine Nase war weitaus gerader, als es sonst bei Angehörigen dieser Rassen der Fall war, und er hatte die seltsame Angewohnheit, seinen Kopf schief zu legen, wenn er sprach, wie ein Vogel, was ihm, neben dem Humor, der sich in seinem Auge verbarg, ein recht amüsantes Aussehen verlieh. Eine andere Besonderheit war, daß er eine einzelne weiße Haarlocke in seiner schwarzen Wolle hatte. Schließlich sprach ich ihn an. »Indaba-zimbi, mein Freund«, sagte ich, »du magst zwar ein guter Medi
zinmann sein, doch ganz bestimmt bist du ein Narr. Es nützt dir nämlich nichts, dem blauen Himmel mit dem Zeigefinger zu winken, während dein Feind dem Unwetter gegenübersteht.« »Du magst sehr klug sein, doch weißt du nicht al les, weißer Mann«, antwortete der alte Bursche mit einer hohen, spröden Stimme und etwas wie einem Grinsen. »Man nennt dich ›Eisenzunge‹«, fuhr ich fort, »und die solltest du jetzt besser benutzen, denn sonst hört der Sturmteufel dich nicht.« »Das Feuer vom Himmel sucht sich das Eisen«, antwortete er, »und deshalb halte ich meine eiserne Zunge still. O ja, laß ihn nur fluchen, ich werde ihn gleich erledigen. Sieh, weißer Mann!« Ich blickte auf und sah, daß eine Wolke am östli chen Horizont wuchs. Anfangs war sie nur klein, wenn auch sehr schwarz, doch wuchs sie mit außer gewöhnlicher Schnelligkeit. Das war recht seltsam, doch da ich so etwas schon öfters gesehen hatte, war ich nicht besonders er staunt. Es ist in Afrika nicht selten, daß zwei Gewitter gleichzeitig aus verschiedenen Himmelsrichtungen aufziehen. »Du solltest dich beeilen, Indaba-zimbi«, sagte ich, »das Unwetter zieht schnell herauf und wird dein Baby bald auffressen.« Ich deutete nach Westen. »Babies wachsen manchmal zu Riesen heran, wei ßer Mann«, sagte Indaba-zimbi und winkte weiterhin energisch mit dem Zeigefinger. »Sieh dir doch mein Wolkenkind an!« Ich blickte auf; das östliche Gewitter breitete sich jetzt von der Erde bis zum Himmel aus, und die Form
der Wolken erinnerte an einen riesigen Mann. Dort war sein Kopf, darunter seine Schultern, seine Beine; ja, es war, als ob ein gewaltiger Riese über den Him mel zöge. Das Licht der untergehenden Sonne, das unter dem Rand des westlichen Gewitters hervor drang, schoß über das Land, erleuchtete die heran ziehende Wolkenformation und hüllte ihre Mitte in Farben, die zu wunderbar waren, um sie beschreiben zu können; doch unter und über diesem glühenden Gürtel waren Kopf und Beine des Giganten so schwarz wie Pech. Und dann schoß ein greller Blitz aus dem Kopf dieser Wolke, fuhr um ihn herum wie eine Krone lebenden Feuers und erlosch. »Aha«, kicherte der alte Indaba-zimbi, »mein klei ner Junge setzte sich den Männerring auf.« Dabei tippte er an den Guttapercharing, der auf seinem Kopf saß, und den Eingeborene aufsetzen, wenn sie das mannbare Alter erreichen. »Jetzt, weißer Mann, solltest du lieber gehen, falls du nicht ein besserer Feuerkämpfer sein solltest, als jeder von uns.« Ich hielt das für einen sehr guten Rat. »Viel Glück, mein schwarzer Onkel«, sagte ich. »Ich hoffe, daß die Sünden eines vergeudeten Lebens dich nicht endlich einholen.« »Kümmere dich um dich selbst, und um deine ei genen Sünden, junger Mann«, antwortete er mit ei nem finsteren Lächeln und nahm eine Prise Tabak, während im gleichen Augenblick ein Blitzschlag – ich weiß nicht, von welchem der beiden Gewitter – drei ßig Schritte von mir entfernt in den Boden fuhr. Das reichte mir, und so nahm ich meine Beine in die Hand, und Indaba-zimbis trockenes Lachen folgte mir, als ich fortlief.
Ich stieg den Hang hinauf, bis ich die Stelle er reichte, an welcher der Häuptling mit seinen Indunas, den Ältesten des Stammes, saß, und hockte mich in seiner Nähe auf den Boden. Ich blickte in das Gesicht dieses Mannes und sah, daß er sich große Sorgen um das Leben seines Sohnes machte und keinesfalls si cher war, daß die Kräfte des jungen Mannes der Ma gie Indaba-zimbis standhalten würden. Er sprach mit leiser Stimme auf den neben ihm sitzenden Induna ein. Ich tat, als ob ich es nicht bemerkte, sondern mei ne Aufmerksamkeit völlig auf die für mich neue Sze ne vor mir konzentrierte; doch hatte ich in jenen Zei ten sehr scharfe Ohren und bekam so das wichtigste dieses Gespräches mit. »Höre!« sagte der Häuptling, »wenn die Magie von Indaba-zimbi meinen Sohn besiegen sollte, werde ich ihn nicht länger ertragen. Dessen bin ich sicher: Wenn er meinen Sohn tötet, wird er auch mich töten und sich an meiner statt zum Häuptling machen. Ich fürchte Indaba-zimbi. Ou!« »Schwarzer«, antwortete der Induna, »Zauberer sterben, wie Hunde sterben, und wenn sie einmal tot sind, bellen sie nicht mehr.« »Und wenn sie einmal tot sind«, sagte der Häupt ling, »können sie auch keinen Zauber mehr ausüben.« Und er beugte sich dem Induna zu, blickte auf dessen Assegai und flüsterte. »Gut, mein Vater, gut!« sagte der Induna darauf. »Noch heute nacht soll es geschehen, falls die Blitze ihn nicht vorher erledigen sollten.« Schlechte Aussichten für den alten Indaba-zimbi, dachte ich mir. Sie wollen ihn umbringen. Und dann dachte ich für eine Weile nicht mehr an diese Angele
genheit, weil die Szene, die sich vor meinen Augen entwickelte, zu gewaltig war. Die beiden Gewitter schoben sich aufeinander zu. Zwischen ihnen befand sich ein Stück blauen Him mels, und von Zeit zu Zeit zuckten grelle Blitze über diesen Golf, sprangen von einer Wolke zur anderen. Ich erinnere mich, daß sie mich an den heidnischen Gott Jupiter und seine Donnerkeile erinnerten. Die Gewitterwolken, wie ein Riese geformt, und von den Strahlen der sinkenden Sonne umrahmt, gaben einen ausgezeichneten Jupiter ab, und ich bin sicher, daß die Blitze, die aus ihnen hervorzuckten, selbst zu mythologischen Zeiten nicht übertroffen worden wa ren. Eigenartigerweise erfolgte auf diese Blitze kein Donner. Eine tödliche Stille lag über dem Land, die Rinder standen reglos auf dem Hang, und selbst die Eingeborenen bewahrten ehrfürchtiges Schweigen. Dunkle Schatten krochen über den Busen des Hanges und verdunkelten den Fluß zur Rechten und zur Lin ken; vor uns jedoch und jenseits der beiden Kombat tanten, fiel silbriges Licht aus dem immer schmaler werdenden Stück offenen Himmels herab. Jetzt zuckten bizarre Linien unerträglich grellen Lichts über die Wolken des westlichen Gewitters, während der schwarze Kopf des Wolken-Giganten im Osten von einem weißen, tödlichen Glühen erleuchtet wur de, das langsam pulsierte, als ob flammendes Blut von dem Herzen des Unwetters in ihn hineinge pumpt würde. Die Stille wurde tiefer und tiefer, und Schatten wurden schwärzer und schwärzer, und dann begann die ganze Natur unter dem Atem eines eisigen Win des zu erbeben. Schärfer und schärfer wehte der
Wind; die glatte Oberfläche des Flusses wurde zu kleinen Wellen aufgewühlt, das lange Gras neigte sich vor seiner Gewalt, und in seinem Gefolge kam das zischende Geräusch heftigen Regens. Ah! Die beiden Gewitter waren aufeinanderge prallt. Aus jedem schlug eine gewaltige Flamme pras selnden Feuers, und der Hügel, auf dem wir saßen, erbebte unter dem Dröhnen des nachfolgenden Don nerschlages. Das Licht am Himmel erlosch, und Dun kelheit fiel über das Land, doch nicht für lange. Plötzlich wurde die Landschaft von einem Gewirr greller Blitze erhellt, erschien und verschwand in ih rem zuckenden Licht, jetzt war über Meilen hinweg jede Einzelheit klar zu erkennen, und jetzt ver schwanden selbst die Männer, die neben mir saßen, in absoluter Finsternis. Der Donner dröhnte, und prasselte und rollte, wie der Vorbote eines Weltun tergangs, böige Wirbelwinde jagten herum, rissen Sand, und sogar Steine, hoch in die Luft, und wie ein stetiger, monotoner Begleitgesang ertönte das Zi schen des niederströmenden Regens. Ich legte die Hand über die Augen, um sie vor dem schmerzhaft grellen Licht zu schützen, und blickte unter ihr auf die Fläche aus Eisen-Stein. Während ein Blitz auf den anderen folgte, sah ich hin und wieder für einen kurzen Moment die beiden Zauberer. Sie schritten langsam aufeinander zu, wobei jeder seinen Assegai auf den anderen gerichtet hielt. Ich konnte jede ihrer Bewegungen verfolgen und hatte den Ein druck, daß die ununterbrochene Folge von Blitzen rings um sie herum in den Eisen-Stein einschlug. Plötzlich setzten Blitz und Donner aus; alles wurde dunkel und, abgesehen vom Rauschen des Regens, still.
»Es ist vorbei, so oder so, Häuptling!« rief ich in das Dunkel. »Warte, weißer Mann, warte!« antwortete der Häuptling mit einer Stimme, die vor Sorge und Angst bebte. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als der Himmel wieder hell wurde und regelrecht in Flam men zu stehen schien. Und dort waren die beiden Männer, jetzt weniger als zehn Schritte voneinander entfernt. Ein gewaltiger Blitz fuhr zwischen ihnen in den Boden, und ich sah sie unter seiner Wucht tau meln. Indaba-zimbi erholte sich als erster davon – je denfalls sah ich ihn, als der nächste Blitz herabzuckte, gerade aufgerichtet stehen und mit dem Assegai auf seinen Feind deuten. Der Sohn des Häuptlings war noch auf den Beinen, taumelte jedoch wie ein Betrun kener, und der Assegai war ihm aus der Hand gefal len. Dunkelheit! Dann wieder ein Blitzschlag, noch ge waltiger, so das möglich war, als alle vorangegange nen. Mir erschien es, als ob er aus dem Osten nieder gefahren sei, direkt über dem Kopf von Indaba-zimbi. Und dann sah ich den Sohn des Häuptlings in diesen Blitz sozusagen eingewickelt. Ein gewaltiger Donner schlag ließ den Boden erbeben, und dann ergoß sich der Regen über uns wie ein Wasserfall. Das Schlimmste des Unwetters war überstanden, doch für eine Weile war die Finsternis so tief, daß wir uns nicht rühren konnten, und ich war auch nicht gewillt, die Sicherheit des Hügels zu verlassen, auf welchem, wie ich erfahren hatte, noch nie ein Blitz eingeschlagen war, und mich auf die Erzplatte hinab zuwagen. Hin und wieder zuckten noch immer Blitze
herab, doch so angespannt wir auch hinabblicken mochten, konnten wir nirgends einen der beiden Zauberer entdecken. Was mich betrifft, so hielt ich beide für tot. Jetzt zogen die Wolken langsam weiter, dem Lauf des Flusses folgend, und mit ihnen auch der Regen: und dann traten die Sterne wieder hervor. »Laßt uns hinabgehen und nachsehen«, sagte der alte Häuptling, stand auf und schüttelte das Regen wasser aus seinem Haar. »Der Feuerkampf ist zu En de, und nun wollen wir sehen, wer ihn gewonnen hat.« Ich erhob mich und folgte ihm, so tropfnaß, als ob ich in voller Kleidung hundert Yards geschwommen wäre, und nach mir kamen alle Bewohner des Kraals. Wir erreichten die Stelle; selbst in dem schwachen Licht der Sterne konnte ich sehen, wo der Eisen-Stein von Blitzen aufgerissen und geschmolzen worden war. Während ich umherblickte, hörte ich plötzlich den Häuptling, der links von mir ging, leise aufstöh nen, und sah, wie die Menschen sich um ihn dräng ten. Ich trat zu ihm. Dort, vor ihm, lag der Leichnam seines Sohnes, und er sah entsetzlich aus. Das Haar war ihm vom Kopf gebrannt worden, die Kupferrei fen um seinen Armen waren miteinander ver schweißt, der Schaft des Assegai, der in seiner Nähe lag, war zu kleinen Splittern zerfasert, und als ich nach seinem Arm griff, schien es mir, als ob jeder Knochen darin zerbrochen sei. Die Männer um den Häuptling starrten schwei gend auf den Toten, und die Frauen begannen laut zu wehklagen. »Groß ist die Magie von Indaba-zimbi!« sagte einer der Männer schließlich. Der Häuptling fuhr herum
und schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht. »Groß oder nicht, du Hund, er soll sterben!« rief er. »Und du wirst ebenfalls sterben, wenn du seinen Ruhm so laut singst.« Ich sagte nichts, doch da ich es für wahrscheinlich hielt, daß Indaba-zimbi das Los seines Feindes geteilt hatte, begann ich mich nach ihm umzusehen. Doch konnte ich nirgends eine Spur von ihm entdecken und machte mich schließlich, völlig durchdrungen von der Nässe, auf den Rückweg zu meinem Wagen, um mich umzuziehen. Als ich ihn erreichte, sah ich zu meinem Erstaunen auf dem Bock einen fremden Kaffer sitzen, der sich in eine Decke gewickelt hatte. »He! Komm sofort da herunter!« rief ich. Der Mann auf dem Fahrersitz schälte sich langsam aus der Decke und nahm eine Prise Schnupftabak. »Das war doch ein guter Feuerkampf, weißer Mann, nicht wahr?« sagte Indaba-zimbi mit seiner hohen, raspelnden Stimme. »Aber er hat von Anfang an keine Chance gegen mich gehabt, der arme Junge. Er wußte überhaupt nichts darüber. Du siehst, weißer Mann, was die Hoffahrt der Jugend anrichten kann. Es ist traurig, sehr traurig, aber ich habe die Blitze fliegen lassen, nicht wahr?« »Du alter Scharlatan«, sagte ich, »wenn du nicht sehr vorsichtig bist, wirst du bald erfahren, was die Hoffahrt der Alten anrichten kann, denn dein Häupt ling ist mit dem Assegai hinter dir her, und du wirst all deine Magie brauchen, um dem zu entkommen.« »Ist das wahr?« sagte Indaba-zimbi und kam eilig vom Wagen herabgeklettert. »Und alles nur wegen dieses jämmerlichen Gernegroß! Da hast du Dank barkeit! Ich stelle ihn bloß, und sie wollen mich dafür
töten! Ich danke dir für die Warnung. Wir werden uns bald wiedersehen.« Er verschwand in der Dun kelheit. Und nicht eine Sekunde zu früh, denn schon kamen einige Männer des Häuptlings auf den Wagen zu. Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Heimweg. Das erste Gesicht, das ich bei meinem Eintreffen auf der Station sah, war das von Indaba zimbi. »Wie geht es dir, Macumazahn?« sagte er, legte den Kopf schief und nickte mit seiner weißen Locke. »Ich habe gehört, daß ihr hier Christen seid, und ich möchte mal eine neue Religion ausprobieren. Die meine muß eine schlechte Religion sein, wenn man bedenkt, daß meine Leute mich töten wollten, weil ich einen Betrüger entlarvt habe.«
3
Nordwärts
Ich entschuldige mich nicht, weder mir selbst noch jenen gegenüber, die diese Zeilen in der Zukunft le sen mögen, daß ich mein Kennenlernen Indaba zimbis so eingehend beschrieben habe, einmal, weil es wirklich seltsam war, und außerdem, weil er bei den folgenden Ereignissen eine wichtige Rolle spielte. Wenn dieser alte Mann ein Schwindler gewesen sein sollte, so ein sehr schlauer. Welcher Wahrheitsgehalt in seiner Vorgabe übernatürlicher Kräfte steckte, kann ich nicht sagen, obwohl ich meine eigene Mei nung darüber habe. Doch gab es keinerlei Zweifel daran, daß er einen außerordentlichen Einfluß auf andere Eingeborene besaß. Außerdem kam er sehr gut mit meinem Vater aus. Anfangs wollte der alte Gentleman ihn nicht auf der Station haben, denn er hatte eine unüberwindliche Abscheu gegenüber die sen Kaffer-Zauberern und -Hexensuchern. Doch ge lang es Indaba-zimbi, ihn davon zu überzeugen, daß er begierig sei, die Wahrheiten des Christentums zu ergründen, und forderte ihn zu einer Diskussion auf. Diese Diskussion dauerte zwei Jahre – bis zum Tode meines Vaters. Bei Abschluß jeder Sitzung bemerkte Indaba-zimbi, mit den Worten des römischen Statt halters: »Beinahe, Betender Weißer Mann, hättest du mich überredet, Christ zu werden«, doch wurde er das nie – und ich glaube auch nicht, daß er es jemals beabsichtigte. Er war es, an den mein Vater seine ›Briefe an einen eingeborenen Zweifler‹ richtete. Die
se Arbeit, die bedauerlicherweise nie veröffentlicht wurde, ist voller weiser Beobachtungen und kluger Bemerkungen. Sie hätte zusammen mit einem précis der Antworten des Zweiflers herausgegeben werden sollen, die jedoch nur verbal waren. Also ging der Dialog weiter und weiter, und wenn mein Vater nicht gestorben wäre, würde er noch jetzt andauern, da beide Disputanten über eine uner schöpfliche Ausdauer verfügten. Natürlich war Inda ba-zimbi nun erlaubt, auf der Station zu leben unter der Bedingung, daß er keinerlei Zauberei praktizierte, an die mein Vater fest glaubte und sie für eine Laune des Teufels hielt. Er versprach hoch und heilig, es nicht zu tun, doch gab es keinen Verlust eines Och sen, oder einen plötzlichen Tod, bei dem er nicht von den Betroffenen konsultiert worden wäre. Als er etwa ein Jahr bei uns war, erschien eine De putation des Stammes, den er verlassen hatte, bei ihm und bat ihn, zurückzukommen. Seit seinem Fortgang seien die Dinge nicht gut gelaufen, sagten sie, und jetzt sei der alte Häuptling, sein Feind, gestorben. In daba-zimbi hörte ihnen schweigend zu, bis sie ausge sprochen hatten, und während er zuhörte, scharrte er mit seinen Zehen Sand zu einem kleinen Haufen zu sammen. »Das ist euer Stamm heute«, sagte er und deutete auf den kleinen Sandhaufen. Dann hob er den Fuß und trat ihn zusammen. »Und das ist euer Stamm, bevor drei Monde vorüber sein werden. Nichts ist mehr davon übrig. Ihr habt mich vertrie ben. Ich will nichts mehr von euch wissen. Aber wenn ihr getötet werdet, denkt an meine Worte.« Die Boten gingen. Drei Monate später hörte ich, daß der ganze Stamm von einem Impi kriegerischer
Pondos ausgelöscht worden sei. Als ich endlich bereit war, zu meiner Expedition aufzubrechen, suchte ich den alten Indaba-zimbi auf, um mich von ihm zu verabschieden, und war ziem lich überrascht, als ich dazukam, wie er seine Medi zin, Assegais und andere Dinge in seine Decke rollte. »Auf Wiedersehen, Indaba-zimbi«, sagte ich, »ich werde jetzt nordwärts trecken.« »Ja, Macumazahn«, antwortete er, den Kopf, wie immer, schiefgelegt, »und ich auch – ich möchte das Land kennenlernen. Wir werden zusammen gehen.« »Meinst du?« sagte ich. »Warte wenigstens ab, bis ich dich dazu auffordere, du alter Schwindler.« »Du solltest mich lieber dazu auffordern, Macuma zahn, denn wenn du das nicht tust, wirst du nicht le bend zurückkommen. Jetzt, wo der alte Häuptling dorthin gegangen ist, woher die Gewitter kommen« – er deutete zum Himmel empor – »fühle ich, wie ich wieder in meine schlechten Gewohnheiten verfalle. Also habe ich gestern Nacht mit den Knöcheln ge würfelt, um etwas über deine Reise zu erfahren, und ich kann dir dieses sagen: Wenn du mich nicht mit nimmst, wirst du sterben, und, was noch mehr ist, wirst du einen Menschen verlieren, der dir auf eine seltsame Weise wertvoller ist als das Leben. Und nur, weil du mich damals, vor zwei Jahren, gewarnt hast, habe ich beschlossen, mit dir zu gehen.« »Rede doch keinen Unsinn!« sagte ich. »Nun gut, Macumazahn, nun gut. Aber denke dar an, was meinem eigenen Stamm vor sechs Monden geschah, und was ich den Boten damals vorausgesagt habe! Sie haben mich vertrieben, und sie sind tot. Wenn jetzt du mich vertreibst, wirst auch du bald tot
sein.« Er nickte mit seiner weißen Locke und lächelte mich an. Ich bin wirklich nicht abergläubischer als andere Menschen, doch irgendwie beeindruckte der alte Indaba-zimbi mich. Außerdem kannte ich seinen außergewöhnlichen Einfluß auf alle Arten von Einge borenen und überlegte mir, daß er auf diese Weise recht nützlich sein konnte. »In Ordnung«, sagte ich schließlich. »Ich ernenne dich hiermit zum Hexensucher der Expedition, aber ohne Bezahlung.« »Erst diene, dann frage nach Lohn«, antwortete er. »Ich bin glücklich zu sehen, daß du nicht ein völliger Narr bist, wie die meisten weißen Männer, Macuma zahn. Ja, ja, es ist der Mangel an Phantasie, der Men schen zu Narren macht; sie wollen nicht glauben, was sie nicht verstehen können. Du kannst meine Prophe zeiungen nicht mehr verstehen als der Narr des Kraals verstehen konnte, daß ich mit den Blitzen sein Herr war. Nun, es wird Zeit aufzubrechen, Macuma zahn, doch wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich nur einen Wagen nehmen, und nicht zwei.« »Warum?« fragte ich. »Weil du deine Wagen verlieren wirst und es bes ser ist, nur einen zu verlieren als zwei.« »Ach, Unsinn!« sagte ich. »Wie du willst, Macumazahn, wer nicht hören will, muß fühlen.« Ohne ein weiteres Wort ging er zu dem vordersten Wagen, warf sein Bündel hinein und setzte sich auf den Bock. Nachdem ich mich sehr herzlich von meinen wei ßen Freunden verabschiedet hatte, besonders von dem Schotten, der sich zur Feier des Tages betrank und Burns zitierte, wobei ihm Tränen über das Ge
sicht liefen, brach ich schließlich auf und zog langsam nordwärts. Während der ersten drei Wochen geschah nichts Außergewöhnliches. Die Kaffern, mit denen wir in Berührung kamen, waren sehr freundlich, und Wild gab es massenhaft. Niemand, der heute in jener Gegend Südafrikas lebt, vermag sich eine Vorstellung davon zu machen, wie es dort selbst noch vor dreißig Jahren ausgesehen hat. Oft kroch ich vor Kälte zitternd aus dem Wagen, wenn die Sonne über den Horizont stieg, und blickte hinaus. Zuerst konnte ich nichts sehen als ein unend liches Meer weißen Nebels, das im Osten von einem zitternden goldenen Schein durchglüht war, und aus dem die Gipfel felsiger Berge wie gewaltige Leucht türme hervorragten. Aus diesem dichten Nebel er klangen seltsame Laute: Schnauben, Grunzen, Bellen, und das Donnern unzähliger Hufe. Dann wurde der Vorhang dünner und dünner, so wie der Rauch aus einer Pfeife in der Luft verfliegt, und Meilen über Meilen unendlichen, welligen Landes unterbrochen von Busch, kamen in den Blick. Doch war es damals nicht leer, wie es heute ist, denn soweit mein Auge reichte, war es buchstäblich schwarz von Wild. Zur Rechten mochte eine Herde von Wildebeest stehen, die nicht weniger als tausend Köpfe zählte. Einige von ihnen grasten vielleicht, die anderen tobten her um und peitschten ihre weißen Schwänze, während um sie herum die alten Bullen auf den Hügeln stan den und ihre Nüstern sichernd in den Wind hielten. Dort, direkt vor mir, etwa tausend Yards entfernt, obwohl es dem unerfahrenen Auge wegen der blen dend klaren Atmosphäre viel näher erscheinen mochte, war eine riesige Herde von Springböcken,
die einer hinter dem anderen über das Veldt zogen. Ah, jetzt hatten sie die Wagenspur erreicht und wur den mißtrauisch. Was würden sie tun? Zurückgehen? Sie dachten nicht daran. Er ist fast dreißig Fuß weit, doch ist das nichts für einen Springbock. Sieh! Der er ste von ihnen fliegt durch die Luft wie ein Geschoß. Wie wunderbar das Sonnenlicht auf seinem goldenen Fell glänzt! Er hat es geschafft, und die anderen tun es ihm nach, in unzähliger Reihenfolge, alle, bis auf die Lämmer, die nicht so weit springen können und mit einem ängstlichen bah! über diesen unheimlichen Pfad trotten müssen. Und was ist das dort, das sich über den flachen Kronen der Mimosen in der kleinen Senke am Fuß jenes Hügels bewegt? Wahrhaftig, Gi raffen! Drei Stück! Wir werden heute Markknochen zum Abendessen haben. Horch! Der Boden hinter uns erzittert, und über die Kuppe des Hügels kommt eine riesige Herde von Bleßböcken gestürmt. Sie kommen in vollem Galopp, die langen Köpfe gesenkt, so daß sie wie bärtige Ziegen wirken. Dachte ich es mir doch; ihnen nach hetzt ein Rudel von Wildhunden, mit ge sträubtem Fell und heraushängender Zunge, auch sie in vollem Galopp. Jetzt haben die Giraffen sie ent deckt und stieben davon, verschwinden hinter dem Hügel, rollend, wie Schiffe in schwerer See. Also kei ne Markknochen heute abend. Sieh! Die vordersten der Hunde haben einen Bock eingeholt. Er ist lange galoppiert und am Ende seiner Kraft. Einer der Hun de springt ihn an, verfehlt ihn jedoch. Der Bock stößt eine Art Grunzen aus, starrt wild umher und sieht den Wagen. Er scheint für einen Augenblick zu zö gern, dann läuft er darauf zu und läßt sich erschöpft zwischen den Ochsen zu Boden fallen. Jetzt die Waf
fe, Boy – nein, nicht das Gewehr, die mit Grobschrot geladene Flinte. Peng! Peng! So, meine Freunde, zwei von euch werden nicht mehr jagen. Nein, laßt den Bock in Ru he, der hat bei uns Zuflucht gesucht und soll sie ha ben! Ah, wie wunderbar die Natur ist, bevor der Mensch sie verdirbt! Ein Bild wie dieses habe ich viele hundert Male ge sehen, und ich hoffe es wieder zu sehen, bevor ich sterbe. Das erste wirkliche Abenteuer, das ich auf dieser Reise erlebte, war mit Elefanten, und ich will es we gen seines ungewöhnlichen Abschlusses hier wieder geben. Kurz bevor wir den Orangefluß überquerten, gelangten wir in ein Waldgebiet, das gute zwanzig Meilen breit war. Unsere erste Nacht in diesem Wald verbrachten wir auf einer wunderbaren, großen Lichtung. Wenige Yards vor unserem Lager stand Tambouki-Gras von Mannshöhe, oder, besser gesagt, es hatte dort gestanden; jetzt war es, mit Ausnahme weniger Halme, flachgetrampelt. Es dunkelte bereits, als wir unser Lager aufschlugen, doch nachdem der Mond aufgegangen war, erhob ich mich vom Feuer, um zu sehen, wie dies geschehen war. Ein Blick reichte mir; offensichtlich war erst vor wenigen Stun den eine große Herde Elefanten durch das hohe Gras gezogen. Die Entdeckung ihrer Fährte versetzte mich in einen Zustand starker Erregung, denn obwohl ich bereits wilden Elefanten begegnet war, hatte ich da mals doch noch keinen erlegt. Außerdem ist der An blick einer Elefantenspur für den Afrika-Jäger das, was ›die Farbe in der Pfanne‹ für den Goldwäscher
ist. Er lebt von dem Elfenbein, und es zu erlegen oder einzuhandeln ist sein Lebensziel. Mein Entschluß stand bald fest. Ich würde den Wagen für eine Weile auf der Lichtung stehen lassen, und zu Pferd den Ele fanten folgen. Ich teilte meinen Entschluß Indaba-zimbi und den anderen Kaffern mit. Die letzteren hatten nichts da gegen, denn der Kaffer liebt die Jagd, die für ihn eine Menge Fleisch und eine angenehme Beschäftigung bedeutet, doch Indaba-zimbi wollte sich dazu nicht äußern. Ich sah ihn zu einem kleinen Feuer zurück gehen, das er allein für sich angezündet hatte, und einige geheimnisvolle Rituale mit Knochen und mit einem Gemisch von Sand und Asche vollziehen, die von den anderen Kaffern mit größtem Interesse ver folgt wurden. Schließlich erhob er sich und erklärte, daß ich gut daran täte, diese Elefanten zu jagen, da ich dabei viel Elfenbein erbeuten würde; doch riet er mir, zu Fuß zu gehen. Ich sagte ihm, daß ich nicht daran dächte, sondern reiten würde. Jetzt bin ich klü ger; es war dies das erste und letzte Mal, daß ich ver suchte, Elefanten vom Sattel aus zu jagen. Also brachen wir am folgenden Morgen auf, ich, Indaba-zimbi und drei weitere Männer; die anderen ließ ich beim Wagen zurück. Ich war beritten, und auch mein Fahrer, der ein guter Reiter und auch ein ganz brauchbarer Schütze war für einen Kaffer, doch Indaba-zimbi und die anderen gingen zu Fuß. Vom Morgen bis zum Mittag folgten wir der Fährte der Elefanten, die so unübersehbar war wie eine Straße. Dann sattelten wir ab, ließen die Pferde ruhen und grasen, und brachen gegen drei Uhr wieder auf. Eine weitere Stunde verging und noch immer kein Zeichen
von den Elefanten. Offensichtlich lief die Herde sehr schnell und hatte ein weites Ziel vor Augen, und ich begann schon zu überlegen, ob wir nicht aufgeben sollten, als ich plötzlich einer braunen Masse ansich tig wurde, die sich etwa eine Viertelmeile entfernt durch die Dornbäume eines Berghanges bewegte. Mein Herz schien mir in den Hals zu springen. Wo ist der Jäger, dem es beim Anblick seines ersten Elefan ten nicht so ergangen ist? Ich ließ anhalten, und da der Wind richtig stand, begannen wir uns an den Bullen heranzupirschen. Sehr langsam ritt ich den Hang hinab, bis wir die Tal sohle erreichten, die mit dichtem Busch bewachsen war. Hier entdeckte ich, daß die Elefanten gefressen hatten, denn überall lagen abgerissene Äste und aus gerissene Büsche. Ich nahm davon jedoch kaum No tiz, da sich mein ganzes Interesse auf den Bullen kon zentrierte, den ich haben wollte, als plötzlich mein Pferd so heftig zusammenfuhr, daß es mich fast aus dem Sattel geworfen hätte, und der Busch unmittel bar vor mir in heftige Bewegung geriet. Ich blickte hin: dort war das Hinterteil eines zweiten Elefanten bullen, keine vier Yards von mir entfernt. Ich konnte seine nach beiden Seiten ausgeklappten Ohren sehen. Ich hatte ihn beim Schlafen aufgestört, und er rannte fort. Natürlich wäre es das beste gewesen, ihn laufen zu lassen, doch ich war jung und unerfahren in jenen Tagen, also riß ich meine Elefantenbüchse hoch und feuerte über den Kopf meines Pferdes hinweg auf das Tier. Der Rückstoß der schweren Waffe hätte mich beinahe aus dem Sattel geworfen. Ich fing mich je doch wieder und sah den Bullen vorwärtstaumeln,
denn die Wucht einer Drei-Unzen-Kugel in die Flan ke beschleunigt selbst die Bewegungen eines Elefan ten. Inzwischen hatte ich die Torheit dieses Schusses erkannt und hoffte inbrünstig, daß der Bulle keine weitere Notiz davon nehmen möge. Doch sah er die Sache anders. Mit mehreren Sprüngen gewann er sein Gleichgewicht wieder, dann warf er sich herum und kam brüllend, mit gestreckten Ohren und emporge schwungenem Rüssel auf mich zu. Ich war wehrlos, denn mein Gewehr war leergeschossen, und ich dachte nur noch an Flucht. Ich schlug die Absätze in die Flanken meines Pferdes, doch es wollte sich nicht von der Stelle rühren. Das arme Tier war vor Entset zen gelähmt und stand einfach still, die Vorderbeine gegrätscht, und zitterte am ganzen Körper wie Es penlaub. Der Elefant kam herangestürmt, und es war ein schrecklicher Anblick. Ich machte noch einen Ver such, das Pferd in Bewegung zu bringen: vergeblich. Jetzt schwang der Rüssel des mächtigen Bullen über meinem Kopf. Mir kam ein rettender Einfall. Ich rollte mich aus dem Sattel. Neben dem Pferd lag ein umge stürzter Baum, dessen Stamm etwa so dick wie der Körper eines Mannes war. Der Baumstamm ruhte in einigem Abstand vom Boden auf seinen abgebroche nen Ästen, und mit einer fließenden Bewegung – so aktiv kann man sein, wenn es notwendig ist – warf ich mich unter ihn. Im gleichen Moment hörte ich den Rüssel des Elefanten mit einem mächtigen Krachen auf den Rücken meines armen Pferdes niederfallen, und dann wurde es dunkel um mich, denn das Pferd, dessen Rückgrat gebrochen war, fiel quer über den Baumstamm, unter dem ich lag. Doch blieb es nicht
lange dort liegen. Zehn Sekunden später hatte der Bulle seinen Rüssel um den Hals des toten Gauls ge schlungen und schleuderte ihn fort. Ich kroch, so weit es mir möglich war, zu den Wurzeln des Baums zu rück, denn ich wußte, worauf er aus war. Und dann sah ich die rosigen Nüstern des Elefantenrüssels vor mir, als er nach mir tastete. In der Position, in der ich mich befand, gab es kaum etwas, das ich tun konnte, obwohl er sich niederkniete, um sich die Arbeit zu erleichtern. Immer näher schob sich die Spitze des Rüssels, und er öffnete und schloß sich wie der Ra chen einer riesigen Schlange; er schloß sich um mei nen Hut, der verschwand. Wieder senkte er sich her ab, und ein wütendes Trompeten ertönte nur vier Zoll von meinem Kopf entfernt. Jetzt schien er sich auszudehnen. Gütiger Himmel! Jetzt packte er mich bei den Haaren, die glücklicherweise nicht sehr lang waren. Und dann war es an mir, zu brüllen, denn im nächsten Augenblick riß er mir ein Quadratzoll gro ßes Stück Haar aus der Kopfhaut. Ich wurde bei le bendigem Leibe gerupft! Wie ich es grausame Kaffern-Boys bei Geflügel tun gesehen hatte. Der Elefant schien jedoch von diesem kläglichen Ergebnis enttäuscht zu sein und änderte seine Taktik. Er schlang seinen Rüssel um den Baumstamm und zog. Der Baum bewegte sich ein wenig, doch glückli cherweise war er durch seine abgebrochenen Äste fest in dem schwammigen Boden verankert, und ein paar seiner Wurzeln, die noch hielten, verhinderten, daß er umgeworfen werden konnte, obwohl er ihn doch so weit anhob, daß er, wäre es ihm eingefallen, mich ohne weiteres mit seinem Rüssel unter ihm her vorziehen hätte können. Wieder zerrte er mit all sei
ner Kraft an dem Baum, und ich sah, daß er sich hob und schrie laut um Hilfe. Zur Antwort wurden ganz in der Nähe ein paar Schüsse abgefeuert, doch falls sie den Bullen getroffen haben sollten, so mit dem einzigen Ergebnis, seine Energien noch mehr zu akti vieren. In wenigen Sekunden würde er die Deckung von mir reißen, und dann war mein Ende gekommen. Kalter Schweiß brach mir aus, als ich erkannte, daß ich verloren war. Dann, plötzlich, fiel mir ein, daß ich ja meine Pistole im Gürtel stecken hatte, die ich oft dazu benutzte, verwundetem Wild den Gnadenschuß zu geben. Sie war geladen und mit einem Zündhüt chen versehen. Mittlerweile hatte der Elefant den Baumstamm so weit angehoben, daß ich meinen Arm bewegen und die Pistole ziehen konnte. Ich zog und spannte sie. Jetzt rollte der Baumstamm zur Seite, und dort, nur drei Fuß vor meinem Gesicht, war der große, braune Rüssel des Elefanten. Ich brachte die Mündung der Pistole bis auf einen Zoll an ihn heran und drückte ab. Die Wirkung zeigte sich augenblick lich. Der Baumstamm sank wieder herab und quetschte meine Beine erheblich zusammen, und in der nächsten Sekunde hörte ich lautes Krachen. Der Elefant war geflohen. Inzwischen, hin und her gerissen zwischen Furcht und Kampf, war ich ziemlich ermüdet. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich unter dem umgestürzten Baumstamm herausgekommen bin, oder an sonst et was, bis ich auf dem Boden hockte, Aprikosen schnaps aus einer Flasche trank, und der alte Indaba zimbi, der mir gegenüber saß, weise mit seiner wei ßen Locke nickte, während er sich lang und breit dar über ausließ, wie knapp ich dem Tode entronnen sei,
und wie dumm es von mir gewesen sei, seinen Rat nicht angenommen zu haben und zu Fuß aufgebro chen zu sein. Das erinnerte mich an mein Pferd; ich stand auf und suchte nach ihm. Es war tot; der Schlag des Elefantenrüssels hatte den Sattel getroffen, sein Rahmenwerk zerschlagen und ihn absolut ruiniert. Ich überlegte, daß der nächste Schlag mich getroffen haben würde. Dann rief ich Indaba-zimbi zu mir und fragte ihn, ihn welche Richtung die Elefanten gezo gen seien. »Dorthin!« antwortete er und deutete das Tal ent lang, »und wir sollten ihnen jetzt folgen, Macuma zahn. Eben haben wir Pech gehabt, jetzt kommt das Glück.« Es lag eine gewisse Philosophie darin, um der Wahrheit die Ehre zu geben, doch hatte ich im Mo ment nicht gerade das Bedürfnis, mich mit Elefanten anzulegen. Ich hatte genug von ihnen. Doch da es nicht klug war, vor den Boys den Schwanz einzu klemmen, stimmte ich scheinbar begeistert zu, und so brachen wir auf, ich auf dem zweiten Pferd, und die anderen zu Fuß. Als wir fast eine Stunde lang durch das Tal gezogen waren, sahen wir plötzlich die ganze Herde vor uns, die etwa achtzig Tiere umfassen mochte. Der Busch unmittelbar vor ihnen war so dicht, daß sie zu zögern schienen, hineinzugehen, und die Seiten des Tals waren an dieser Stelle so fel sig und steil, daß sie sie nicht ersteigen konnten. Sie sahen uns im gleichen Moment, als wir sie sa hen, und insgeheim befürchtete ich, daß sie es sich in den Kopf setzen mochten, kehrt zu machen und durch das Tal zurückzustürmen. Doch das taten sie nicht; laut trompetend stürzten sie sich in den dichten
Busch, der unter ihren Tritten zusammensank wie Korn unter dem Schnitt einer Sense. Ich glaube nicht, daß ich in meinem ganzen Leben ein Geräusch gehört habe, das dem glich, als sie Büsche und Bäume knickten und zerbrachen. Vor ihnen lag ein Gürtel dichten Busches, der etwa hundert oder hundertfünf zig Fuß tief war. Als sie durch ihn hindurchbrachen, fiel er zusammen, und hinter ihnen blieb nichts zu rück als eine breite Straße umgestürzter Bäume, zer brochener Äste, und da und dort ein Baum, der selbst für sie zu stark war und inmitten des Feldes der Ver wüstung einsam stehengeblieben war. Weiter zogen sie, und trotz der Schwierigkeiten des Landes, über das sie ziehen mußten, hielten sie ihren Abstand von uns. Dieses Spiel dauerte eine Meile oder so, und dann sah ich, daß das Tal sich vor den Elefanten auf eine mit Schilf und Gras bestandene Lichtung öffnete – sie mochte eine Größe von fünf oder sechs Acres gehabt haben –, hinter der das enge Tal sich fortsetz te. Die Herde erreichte den Rand dieser Lichtung und verhielt für einen Moment – da sie ihr offenbar miß traute. Meine Männer schrien so laut, wie es nur Kaf fern können, und das brachte die Entscheidung. An geführt von dem verwundeten Bullen, dessen Kamp feslust ziemlich abgekühlt war, genau wie die meine, zog die Herde sich auseinander und stürmte in den Sumpf – denn das war es, obwohl zu jener Zeit kein Wasser zu sehen war. Ein paar Yards weit ging alles gut, wenn auch das Vorwärtskommen sichtlich an strengend war, doch plötzlich versank der Bulle bis zum Bauch in dem morastigen Boden und wurde von ihm festgehalten. Die anderen Tiere nahmen in ihrer
panischen Angst keine Notiz von seinem verzweifel ten Kämpfen und Trompeten, sondern stürmten weiter, dem gleichen Los entgegen. Innerhalb von fünf Minuten steckte die ganze Herde hoffnungslos in dem zähen Schlamm fest, und je mehr die Tiere kämpften, um sich zu befreien, desto tiefer versanken sie. Mit einer Ausnahme: einer Elefantenkuh gelang es, auf festen Boden zurückzukommen, und als wir näherkamen, hob sie den Rüssel, um uns anzugreifen. Doch in diesem Augenblick hörte sie das Schreien ih res Kalbes und lief zurück, um ihm zu helfen, nur um mit den anderen im Sumpf steckenzubleiben. Es war ein Bild, wie ich es weder zuvor noch später je gesehen habe. Der Sumpf war buchstäblich mit den riesigen Körpern der Elefanten gespickt, und die Luft erzitterte von ihren Angst- und Wutschreien, wäh rend sie ihre Rüssel wild umherschwangen. Hin und wieder gelang es einem der Monster, sich durch eine gewaltige Anstrengung aus seinem morastigen Bett zu befreien, nur um beim nächsten Schritt wieder festzusitzen. Es war ein jammervolles Bild, das mei nen Männern jedoch das Herz erfreute. Selbst die be sten Eingeborenen haben nur wenig Gefühl für das Leiden von Tieren. Nun, der Rest ist rasch erzählt. Der Sumpf, der das Gewicht der Elefanten nicht trug, war für uns fest ge nug. Bis Mitternacht waren sie alle tot; wir erschossen sie beim Licht des Mondes. Ich hätte liebend gern die Kälber am Leben gelassen, und auch einige der Kühe, doch hätte das bedeutet, sie zum Hungertode zu ver urteilen; also war es besser, sie sofort zu töten. Den verwundeten Bullen erschoß ich selbst, und ich darf sagen, daß ich dabei kaum Bedauern empfand. Er er
kannte mich wieder und machte einen verzweifelten Versuch, mich zu packen, doch zu meinem Glück hielt der zähe Morast ihn fest. Am folgenden Morgen bot der kleine Talkessel ein seltsames Bild. Nur wenige der fest im Morast stek kenden Elefanten waren umgesunken, sie standen reglos da, als ob sie schliefen. Ich ließ die Wagen holen, und als die Männer am nächsten Morgen mit ihnen eintrafen, schlugen wir etwa eine Meile vom Sumpf entfernt das Lager auf. Dann begann die Arbeit, die Stoßzähne der Elefanten herauszuschneiden; das dauerte eine gute Woche und war aus offensichtlichen Gründen eine widerliche Angelegenheit. Ehrlich gestanden glaube ich nicht, daß wir es geschafft hätten, wenn wir nicht die Hilfe einiger umherziehender Buschmänner gehabt hätten, die ihren Lohn in Elefantenfleisch nahmen. Schließlich war es geschafft. Das Elfenbein war viel zu schwer und zu sperrig, um es verladen zu können, also vergruben wir es, doch erst, nachdem wir unsere Buschmann-Helfer wieder losgeworden waren. Mei ne Männer redeten mir zu, sofort zum Kap zurückzu fahren und es zu verkaufen, doch ich war viel zu ver sessen darauf, meine Reise durchzuführen, um das zu tun. Die Stoßzähne lagen fünf Jahre lang dort. Dann erst kam ich zurück und grub sie aus. Sie hatten nur wenig Schaden genommen. Ich erlöste etwas über zwölfhundert Pfund für das Elfenbein – keine schlechte Bezahlung für einen Jagdtag. Dies war der Beginn meiner Karriere als Elefan tenjäger. Ich habe seither viele Hunderte von ihnen erlegt, jedoch nie wieder versucht, es zu Pferde zu tun.
4
Das Zulu-Impi
Nachdem wir die Elefantenstoßzähne vergraben und uns die Kontur und die Besonderheiten der Landschaft genau aufgezeichnet hatten, damit ich die Stelle spä ter wiederfinden würde, setzten wir unsere Reise fort. Einen Monat oder länger zogen wir entlang der Linie, die heute den Orange Freistaat von Griqualand West, und den Transvaal von Bechuanaland trennt. Die ein zigen Schwierigkeiten, denen wir begegneten, waren solche, wie ein Afrika-Reisender sie auch heute noch antrifft: gelegentlich Wasserknappheit, und Plackerei beim Durchqueren von Morästen und Flüssen. Ich erinnere mich, daß ich eines Abends an der Stelle ausgespannt habe, wo heute Kimberley liegt, und sehr bald und eilig weiterziehen mußte, da es kein Wasser gab. Ich hätte mir nicht träumen lassen, Kim berley noch als große Stadt zu erleben, in der alljähr lich für mehrere Millionen Pfund Diamanten ge schürft werden, und mit der Magie des alten Indaba zimbi kann es nicht so weit hergewesen sein, denn sonst hätte er mir das damals gesagt. Ich fand das Land fast völlig menschenleer. Nicht lange zuvor war Mosilikatze, der Löwe, Chakas Heer führer, auf seinem Weg zu dem Gebiet, das heute Matabeland ist, hier durchgezogen, und die Spuren seiner Füße waren unverkennbar. Immer wieder ge langte ich zu Stellen, an denen offensichtlich KaffernKraals gestanden hatten. Jetzt waren diese Kraals nur noch Asche und umgeworfene Steine, und zwischen
dem dichten Gras verstreut lagen die Knochen Hun derter von Männern, Frauen und Kindern, die alle den Zulu-Assegai geküßt hatten. Ich erinnere mich, daß ich in einem dieser verwüsteten Kraals den Schä del eines Kindes fand, in dem eine Feldlerche ihr Nest gebaut hatte. Es war das Zwitschern der jungen Vögel aus der Schädelhöhlung, das meine Aufmerksamkeit auf ihn zog. Wenig später erlebten wir unser zweites großes Abenteuer, das sehr viel ernster und tragi scher war als das erste. Wir treckten parallel zum Kolong-Fluß, als eine Herde von Bleßböcken unseren Weg kreuzte. Ich feu erte auf einen von ihnen und traf ihn ins Hintervier tel. Er galoppierte mit den anderen Tieren der Herde noch etwa tausend Yards, dann legte er sich hin. Da wir dringend Fleisch brauchten – wir hatten seit meh reren Tagen kein Wild angetroffen –, sprang ich auf mein Pferd, rief Indaba-zimbi zu, daß ich die Wagen einholen würde, oder sie mich auf der anderen Seite einer Anhöhe, die etwa eine Treckstunde entfernt war, erwarten sollten, und ritt auf den angeschosse nen Bock zu. Sobald ich mich ihm jedoch auf etwa hundert Yards genähert hatte, sprang er auf und ga loppierte davon, so schnell, als ob er völlig unverletzt sei, legte sich jedoch in einiger Entfernung wieder hin. Ich folgte ihm, weil ich glaubte, daß seine Kraft bald erlahmen würde. Dies geschah dreimal, beim dritten Mal verschwand er hinter einer Anhöhe, und obwohl ich inzwischen mit meiner Geduld am Ende war, dachte ich mir, daß ich doch noch hinaufreiten sollte, um zu sehen, ob ich ihn von dort aus mit ei nem zweiten Schuß erledigen konnte. Ich erreichte den Hügelrücken, der mit großen
Steinen übersät war, blickte über ihn hinweg, und sah – ein Zulu-Impi! Ich rieb mir die Augen und blickte noch einmal. Ja, es gab keinerlei Zweifel daran. Die Männer rasteten etwa tausend Yards entfernt am Fluß; einige lagen auf dem Boden, andere kochten etwas auf den Feu ern, andere gingen hin und her, Speer und Schild in ihren Händen. Es mochten zweitausend oder mehr Krieger sein. Während ich mich fragte – und das mit ziemlicher Beunruhigung – was, um alles in der Welt, sie hier suchen mochten, hörte ich plötzlich von rechts und von links wilde Schreie. Ich warf einen ra schen Blick in die eine Richtung, und dann in die an dere. Von jeder Seite kam ein riesiger Zulu auf mich losgestürmt, den Assegai über dem Kopf geschwun gen, den schwarzen Schild am linken Unterarm. Der Mann zur Rechten war etwa fünfzehn Yards entfernt, der links von mir nicht mehr als zehn. Sie stürzten auf mich zu, ihre grausamen Augen quollen ihnen fast aus dem Kopf, und ich wußte, daß in drei Sekun den die breiten Klingen dieser ›Bangwans‹ sich in meinen Leib bohren mochten. Bei solchen Gelegen heiten handeln wir, wie ich vermute, rein instinktiv – es ist keine Zeit mehr zum Denken. Auf jeden Fall ließ ich die Zügel fahren und feuerte aus kürzester Entfernung auf den Mann links von mir. Die Kugel traf in die Mitte seines Schildes, durchschlug es, fuhr in seinen Körper und riß ihn zu Boden. Ich fuhr im Sattel herum; glücklicherweise war mein Pferd daran gewöhnt, ruhig zu bleiben, wenn ich von seinem Rücken aus feuerte, außerdem war es wohl auch so verwirrt, daß es nicht wußte, in welche Richtung es scheuen sollte. Der andere Wilde war jetzt fast über
mir; sein vorgestreckter Schild berührte die Mündung meines Gewehrs, als ich abdrückte und den linken Lauf abfeuerte. Der Schuß krachte, der Wilde sprang hoch in die Luft und fiel tot gegen mein Pferd; sein Speer fuhr dicht an meinem Gesicht vorbei. Ohne mich mit Nachladen aufzuhalten oder auch nur zu sehen, ob die Zulus etwas vom Tod ihrer bei den Späher bemerkt hatten, riß ich mein Pferd herum und hämmerte ihm die Absätze in die Flanken. Als ich den Fuß der Anhöhe erreichte, lenkte ich es ein wenig nach rechts, um die Wagen aufzuhalten, bevor sie von den Zulus entdeckt wurden. Ich war noch keine dreihundert Yards in diese Richtung geritten, als ich zu meiner Überraschung auf die Spur von Wagenrädern und den Hufen von Ochsen stieß. Es mußten mindestens acht Wagen gewesen sein, und mehrere hundert Rinder. Und sie waren vor höch stens zwölf Stunden hier entlanggezogen, wie ich an der Fährte erkannte. Jetzt begriff ich: das Impi ver folgte die Spur der Wagen, die wahrscheinlich einer Gruppe eingewanderter Buren gehörten. Die Spur der Wagen führte in die Richtung, in die ich wollte, also folgte ich ihr. Etwa eine Meile ent fernt, kam ich auf eine kleine Anhöhe, und dort, in einer Entfernung von etwa fünf Furlongs* sah ich die Wagen, zu einer Art Lager aufgefahren, am Ufer des Flusses stehen. Und dort waren auch meine beiden Wagen, die den Hang hinab auf sie zufuhren. Fünf Minuten später war ich dort. Die Buren – denn es waren welche – standen in einer Gruppe zu sammen und blickten den näherkommenden zwei *
1 Furlong = 201,17 m – Anm. d. Übers.
Wagen entgegen. Ich rief sie an, und sie wandten sich um und sahen mich. Der erste Mann, auf den mein Blick fiel, war ein Bure namens Hans Botha, den ich vor Jahren in der Kapkolonie recht gut gekannt hatte. Er war ein annehmbarer Vertreter seiner Gattung, doch ein sehr ruheloser Mensch, mit einem starken Widerwillen gegen jede Form von Autorität, oder, wie er es nannte, von einem ›starken Freiheitsdrang‹. Er hatte sich vor Jahren einer Gruppe eingewanderter Buren angeschlossen, jedoch, wie ich kurz darauf er fuhr, Streit mit ihrem Führer bekommen und treckte jetzt in die Wildnis, um eine eigene kleine Kolonie zu gründen. Der arme Kerl! Es sollte sein letzter Treck werden. »Wie geht es Ihnen, Meinheer Botha?« sagte ich auf holländisch zu ihm. Der Mann sah mich an, noch einmal, und dann, aus seinem holländischen Gleichmut aufgerüttelt, rief er nach seiner Frau, die auf dem Bock eines der Wagen saß. »Komm her, Frau, komm her! Dies ist Allan Qua termain, der Engländer, der Sohn des ›Predikanten‹. Wie geht es Ihnen, Heer Quatermain, und was gibt es Neues am Kap?« »Ich weiß nicht, was es am Kap Neues gibt, Hans«, antwortete ich ernst, »aber ich kann Ihnen sagen, was es hier an Neuigkeiten gibt. Ein Zulu-Impi ist euch auf der Spur und lagert keine zwei Meilen von hier ent fernt. Das weiß ich, da ich gerade zwei ihrer Posten erschossen habe.« Ich wies ihm mein leergeschosse nes Gewehr vor. Einen Augenblick herrschte erschrockenes Schwei gen, und ich sah, wie die sonnengebräunten Gesichter
der Männer blaß wurden; einige der Frauen stießen einen kleinen Schrei aus, und die Kinder drängten sich an ihre Mütter. »Allmächtiger!« rief Hans, »das muß das UmtetwaImpi sein, das Dingaan gegen die Basutas ausgesandt hat, das sie jedoch nicht stellen konnte, wegen der Sümpfe, und das deshalb Angst hat, nach Zululand zurückzukehren und nordwärts zieht, um sich Mosi likatze anzuschließen.« Er fuhr herum. »Macht eine Wagenburg, Charles! Macht eine Wagenburg, wenn euer Leben euch lieb ist, und einer von euch springt auf ein Pferd und treibt die Rinder zusammen!« In diesem Augenblick trafen meine Wagen ein. In daba-zimbi saß auf dem Bock des ersten, in eine Dek ke gewickelt. Ich rief ihn zu mir und erklärte ihm die Lage. »Schlimme Nachrichten, Macumazahn«, sagte er; »morgen früh werden hier tote Buren liegen; sie wer den nicht vor dem Hellwerden angreifen, aber dann werden sie das Lager so auslöschen!« Er fuhr mit der Hand über seinen Mund. »Hör mit deiner Unkerei auf, du weißschöpfige Krähe«, sagte ich, obwohl ich wußte, daß er recht hatte. Was für eine Chance hatte eine Burg aus zehn Wagen gegen mindestens zweitausend der tapfersten Wilden der Welt? »Macumazahn, wirst du diesmal meinen Rat an nehmen?« sagte Indaba-zimbi jetzt. »Was ist er?« fragte ich. »Dieser: Laß deine Wagen hier zurück, spring auf dein Pferd, und laß uns beide fliehen, so schnell wir können. Die Zulus werden uns nicht verfolgen, ihnen
sind die Buren wichtiger.« »Ich werde die anderen Weißen nicht im Stich las sen«, sagte ich; »das wäre feige. Wenn ich sterben soll, so sterbe ich eben.« »Wie du willst, Macumazahn, dann bleibe und werde getötet«, antwortete er und nahm eine Prise Tabak. »Komm, wir wollen nach den Wagen sehen.« Wir gingen auf das Lager zu. Dort herrschte eine heillose Verwirrung, doch ge lang es mir, Hans Botha beiseitezuziehen und ihm zu sagen, daß es vielleicht besser wäre, die Wagen zu rückzulassen und zu fliehen. »Wie denn?« sagte er. »Zwei der Frauen sind so fett, daß sie nicht einmal eine Meile weit zu Fuß ge hen könnten, eine andere liegt im Kindbett, und wir haben nicht mehr als sechs Pferde. Außerdem wür den wir in der Wüste verhungern, wenn wir das tä ten. Nein, Heer Allan, wir müssen gegen diese Wil den kämpfen, und Gott stehe uns bei!« »Das muß er wirklich. Denken Sie doch an die klei nen Kinder, Hans!« »Den Gedanken kann ich nicht ertragen«, sagte er mit gebrochener Stimme und sah seine Tochter an, ein niedliches, blondlockiges, blauäugiges Mädchen von sechs Jahren, das Tota hieß, und das ich als Baby oft auf meinem Schoß gehalten hatte. »Oh, Heer Al lan, Ihr Vater, der Predikant, hat mich oft davor ge warnt, nordwärts zu trecken, doch habe ich nie auf ihn gehört, weil ich in ihm nur einen verdammten Engländer sah; jetzt erkenne ich meine Torheit. Heer Allan, wenn es Ihnen möglich ist, so retten Sie mein Kind vor diesen schwarzen Teufeln; oder, wenn Sie Tota nicht retten können und Sie länger leben sollten
als ich, töten Sie sie.« Er umklammerte meine Hand. »Soweit ist es noch nicht, Hans«, sagte ich. Dann begannen wir, die Wagenburg zu errichten. Die Wagen – zusammen mit den meinen waren es zehn – wurden im Karree zusammengeschoben und die Deichsel des einen jeweils mit Zügeln fest an die Achse des nächsten gelascht. Die Räder wurden blok kiert, und der Raum zwischen Wagenunterseite und Boden mit Dornengestrüpp ausgefüllt, das glückli cherweise in großen Mengen dort wucherte. Auf die se Weise entstand eine Sperre, die recht widerstands fähig war, besonders gegenüber einem Feind, der keine Feuerwaffen besaß. In etwas mehr als einer Stunde war alles getan, was getan werden konnte, und jetzt erhob sich eine Diskussion darüber, was man mit den Rindern tun sollte, die inzwischen zum Lager getrieben worden waren. Einige der Buren be standen darauf, sie in die Wagenburg zu bringen, so klein sie auch sein mochte, oder zumindest so viele von ihnen, wie hineinpaßten. Ich war absolut dage gen und wies darauf hin, daß die Tiere wahrschein lich in Panik geraten würden, wenn das Schießen be gann, und die Verteidiger zertrampeln könnten. Als Alternativplan schlug ich vor, daß einige der einge borenen Diener die Herde das Flußtal entlang treiben sollten, bis sie auf einen freundlichen Stamm stießen oder an einen anderen sicheren Ort gelangten. Na türlich würden die Zulus sie als Beute nehmen, wenn sie sie sahen, doch war die Struktur der Landschaft günstig, und es bestand durchaus die Möglichkeit, daß sie entkommen konnten, wenn sie sofort aufbrä chen. Der Vorschlag wurde ohne Widerspruch ange nommen, und es wurde sogar beschlossen, daß einer
der Holländer und alle Frauen und Kinder, die marschfähig waren, mit ihnen gehen sollten. Auch drei meiner Männer gingen mit ihnen, während In daba-zimbi und die drei anderen bei mir blieben. Der Abschied war eine herzzerreißende Szene, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Die Frauen weinten, die Männer stöhnten, und die Kinder blick ten mit verstörten Augen umher. Schließlich aber wa ren sie fort, und ich war sehr froh darüber. In der Wagenburg verblieben siebzehn weiße Männer, vier Eingeborene, die beiden holländischen Frauen, die zu dick waren, um marschieren zu können, die Frau im Kindbett und ihr neugeborenes Baby, und Hans Bothas kleine Tochter Tota, von der er sich nicht zu trennen vermochte. Glücklicherweise war ihre Mutter bereits tot. Und hier möchte ich gleich einfügen, daß den zehn Frauen und den Kindern, zusammen mit der Hälfte der Rinder, die Flucht gelang. Das ZuluImpi hat sie nicht bemerkt, und am dritten Tag nach ihrem Aufbruch erreichten sie den befestigten Kraal eines Griqua-Häuptlings, der ihnen Asyl bot und da für die Hälfte der Rinder erhielt. Von dort aus zogen sie in kurzen Märschen in Richtung Kap-Kolonie und erreichten nach etwas mehr als einem Jahr eine zivili sierte Region. Der Nachmittag neigte sich dem Abend zu, doch noch immer war von dem Impi nichts zu sehen. In uns keimte die wilde Hoffnung auf, daß die Zulus weitergezogen sein mochten. Seit dem Zeitpunkt, wo Indaba-zimbi gehört hatte, daß das Impi zum Umtet wa-Stamm gehörte, war er, wie ich bemerkte, tief in Gedanken versunken. Jetzt kam er zu mir und er klärte, daß er hinausgehen wolle, um zu sehen, was
sie trieben. Anfangs war Hans Botha strikt dagegen und sagte, daß der ›verdomde Swarzte‹ uns nur ver raten wolle. Ich wies ihn darauf hin, daß es nichts zu verraten gäbe. Die Zulus wüßten sicher längst, wo die Wagen standen, für uns sei es jedoch wichtig, etwas über ihre Bewegungen in Erfahrung zu bringen. Also wurde beschlossen, daß Indaba-zimbi gehen sollte. Ich teilte es ihm mit. Er nickte mit seiner weißen Lok ke, sagte ›in Ordnung, Macumazahn‹, und brach auf. Ich stellte mit einiger Überraschung fest, daß er vor her zum Wagen ging und sein ›Mouti‹, seine Medizin, herausholte, die er, zusammen mit seinem anderen magischen Krimskrams immer in einem Fellbeutel mit sich führte. Ich fragte ihn, warum er das täte. Er antwortete, daß er sich dadurch für die Speere der Zulus unverwundbar mache. Ich glaubte natürlich kein Wort dieser Erklärung, denn im Innersten mei nes Herzens war ich überzeugt, daß er diese Gele genheit wahrnehmen würde, um sich abzusetzen und mich meinem Schicksal zu überlassen. Ich tat jedoch nichts, um das zu verhindern, da ich den alten Bur schen irgendwie mochte und ehrlich hoffte, daß er dem Verhängnis entkommen würde, dessen Schatten über uns hing. Also trabte Indaba-zimbi los, und als ich ihm nach blickte, dachte ich, daß ich ihn nie wiedersehen wür de. Doch da sollte ich mich irren, und ich ahnte nicht, daß er sein Leben riskieren würde, nicht für die Bu ren, die er allesamt haßte, sondern für mich, den er auf seine seltsame Weise liebte. Als er gegangen war, führten wir unsere Verteidi gungsvorbereitungen zu Ende, indem wir die Wagen und die Dornengestrüppe unter ihnen mit Erde und
Steinen verstärkten. Als die Sonne sank, aßen und tranken wir so herzhaft, wie es uns unter den Um ständen möglich war, und danach sprach Hans Botha, der Führer der Gruppe, ein Gebet, in dem er Gott um unsere Errettung anflehte. Es war rührend zu sehen, wie dieser stämmige Holländer, mit ent blößtem Kopf, das breite Gesicht von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtet, laut mit schlichten, hausbackenen Worten zu Ihm betete, der allein uns vor den Speeren eines grausamen Feindes erretten konnte. Ich erinnere mich, daß die letzten Worte seines Gebetes lauteten: »Allmächtiger, wenn wir jedoch getötet werden sollen, so bewahre die Frauen und Kinder und meine kleine Tochter Tota vor den verfluchten Zulus, und laß uns nicht ge foltert werden.« Ich wiederholte diese Bitte sehr ernsthaft in mei nem Herzen, denn genau wie die anderen hatte ich entsetzliche Angst, und, wie ich zugeben muß, nicht ohne Grund. Dann brach die Dunkelheit herein, und wir nah men unsere vereinbarten Positionen ein, jeder das Gewehr in seinen Händen, und starrten schweigend in die Nacht hinaus. Hin und wieder steckte einer der Buren seine Pfeife mit einem Brand aus dem Feuer an, und sein Licht beleuchtete für einen Augenblick ein bleiches, sorgenvolles Gesicht. Hinter mir lag eine der dicken Frauen auf dem Bo den. Selbst der Schrecken unserer Lage konnte sie nicht von ihrem gewohnten Schlaf abhalten, und sie schnarchte vernehmlich. An ihrer anderen Seite, dicht neben dem Feuer, lag die kleine Tota, in eine Decke gewickelt. Auch sie schlief, einen Daumen im Mund,
und von Zeit zu Zeit trat ihr Vater zu ihr und blickte sie an. So vergingen die Stunden, während wir auf die Zulus warteten. Durch meine gründlichen Kenntnisse über die Gewohnheiten der Eingeborenen wußte ich jedoch, daß wir während der Nacht kaum einen An griff zu befürchten brauchten, obwohl sie in einem solchen Fall unsere Vernichtung bei sehr geringen Kosten für sich selbst erreicht haben könnten. Aber das liegt diesem Volke nicht, sie kämpfen lieber bei Tageslicht – wenn möglich in den frühen Morgen stunden. Gegen elf Uhr, als ich gerade ein wenig einnickte, hörte ich einen leisen Pfiff von außerhalb der Wagen burg. Sofort war ich hellwach, und von rechts und von links hörte ich das Klicken von Metall, als die Bu ren ihre Gewehrhähne spannten. »Macumazahn«, sagte eine Stimme, die Stimme In daba-zimbis, »bist du da?« »Ja«, antwortete ich. »Dann halte ein Licht empor, damit ich sehe, wie ich hineinklettern kann«, sagte er. »Ja, ja! Halten Sie ein Licht empor!« rief einer der Buren. »Ich traue Ihrem schwarzen Halunken nicht, Heer Quatermain; er könnte ein paar seiner Lands leute mitgebracht haben.« Also wurde eine Laterne gebracht und zu der Stimme hinausgestreckt. Indaba zimbi war allein. Wir ließen ihn in die Wagenburg herein und fragten ihn, was er zu berichten habe. »Dieses, weiße Männer«, sagte er. »Ich habe ge wartet, bis es dunkel geworden war, dann bin ich zu der Stelle gekrochen, an der die Zulus lagern, habe mich hinter einem Stein versteckt und gelauscht. Es
ist ein großes Impi von Umtetwas, so wie Baas Botha es angenommen hat. Vor drei Tagen sind sie auf die Spur der Wagen gestoßen und ihr seitdem gefolgt. Heute nacht schlafen sie auf ihren Speeren, morgen, bei Anbruch der Dämmerung, wollen sie angreifen und alle töten. Sie haben einen großen Haß auf die Buren, wegen der Schlacht am Blood River und der anderen Kämpfe, das ist der Grund, warum sie den Wagen gefolgt sind, anstatt direkt nach Norden zu Mosilikatze zu ziehen.« Die zuhörenden Holländer stöhnten leise auf. »Ich will Ihnen sagen, was wir tun sollten, Heeren«, sagte ich. »Anstatt hier zu warten, bis wir abge schlachtet werden wie Wild in einer Fallgrube, lassen Sie uns jetzt hinausziehen und über sie herfallen, während sie schlafen.« Dieser Vorschlag löste eine erregte Debatte aus, doch am Ende war nur einer der Männer bereit, für ihn zu stimmen. Buren fehlt es allgemein an der Por tion Wagemut, die den guten Soldaten auszeichnet; solche riskanten Unternehmen liegen ihnen nicht, und statt sich auf so etwas einzulassen, ziehen sie es vor, ihre Chance in einer Wagenburg wahrzunehmen, auch wenn diese Chance noch so gering sein mag. Was mich betrifft, so bin ich sicher, daß es uns gelungen wäre, die Zulus davonzujagen, wenn mein Vorschlag angenommen worden wäre. Siebzehn verzweifelte, weiße Männer, mit Gewehren bewaffnet, hätten auf ein Lager schlafender Wilder einen recht wirkungsvollen Angriff vortragen können. Doch er wurde nicht an genommen, also ist es sinnlos, darüber zu reden. Danach gingen wir auf unsere Posten zurück, und langsam verstrichen die Stunden dieser bedrücken
den Nacht dem Morgen entgegen. Nur Menschen, die schon selbst unter ähnlichen Umständen gewacht und auf die Stunde eines fast sicheren und grausa men Todes gewartet haben, können die quälende An spannung jener bedrückenden Stunden ermessen. Doch vergingen sie schließlich irgendwie, und end lich zeigte sich die erste Helligkeit am östlichen Hori zont, während der kalte Atem der Morgendämme rung durch die Wagenburg fuhr und mich bis aufs Mark durchkühlte. Die fette Holländerin hinter mir erwachte mit einem herzhaften Gähnen und begann dann, als sie sich wieder an unsere Lage erinnerte, laut zu stöhnen, und ihre Zähne klapperten vor Kälte und Angst. Hans Botha trat zu seinem Wagen, holte eine Flasche Pfirsichschnaps, füllte einen Becher da mit und gab jedem von uns einen kräftigen Schluck, wobei er sich bemühte, zuversichtlich zu erscheinen. Doch seine gespielte Fröhlichkeit drückte die Stim mung seiner Gefährten nur noch mehr. Bei mir zu mindest war das der Fall. Inzwischen hatte die Helligkeit zugenommen, und wir konnten ein Stück weit in den Nebel hineinsehen, der noch immer in dichten Schwaden über dem Fluß hing, und jetzt – ah! Da war es! Von der anderen Seite der Anhöhe, etwa tausend oder mehr Yards vom La ger entfernt, kam ein leises, summendes Geräusch. Es schwoll an und schwoll an, bis es zu einem Gesang wurde: dem furchtbaren Kriegsgesang der Zulus. Bald schon konnte ich seine Worte verstehen. Sie wa ren recht simpel: »Wir werden töten, wir werden töten! Ist es nicht so, meine Brüder?
Unsere Speere erröten blutig. Ist es nicht so, meine Brüder? Denn wir sind die Säuglinge Chakas, und Blut ist unsere Milch, Brüder. Erwacht, ihr Kinder der Umtetwa, erwacht! Der Geier kreist, der Schakal schnüffelt die Luft; Erwacht, ihr Kinder der Umtetwa – schreit laut, ihr beringten Männer! Dort sind die Feinde; wir werden sie töten. Ist es nicht so, meine Brüder? S'gee! S'gee! S'gee!« So etwa lautet die grobe Übersetzung jenes verhaßten Gesanges, den ich bis auf den heutigen Tag oft zu hö ren vermeine. Auf dem Papier mag er nicht sonder lich imponierend wirken, doch wenn der Leser ihn durch die Stille des Morgens aus den Kehlen von fast dreitausend Kriegern erschallen hört, während er darauf wartet, von ihnen getötet zu werden, würde er ihn schon recht beeindruckend finden. Jetzt begannen die Schilde über dem Kamm der Anhöhe zu erscheinen. Sie kamen in Abteilungen, je de Abteilung etwa neunzig Mann stark. Insgesamt waren es einunddreißig Abteilungen. Ich habe sie ge zählt. Als sie alle sich zu einer dreifachen Linie for miert hatten, trabten sie den Hang herab auf uns zu. In einer Entfernung von einhundertfünfzig Yards, oder gerade außerhalb der Reichweite solcher Ge wehre, wie wir sie damals besaßen, verhielten sie und begannen wieder zu singen: »Dort liegt der Kraal des weißen Mannes – ein kleiner Kraal, meine Brüder;
Wir werden ihn verschlingen, wir werden ihn nie dertrampeln, meine Brüder. Doch wo sind die Rinder des weißen Mannes – wo sind seine Ochsen, meine Brüder?« Diese Frage schien sie ziemlich zu verwirren, denn sie sangen sie wieder und wieder. Schließlich trat ein Herold auf uns zu, ein riesiger Mann, der Elfenbein ringe um seine Arme trug, legte seine Hände an den Mund und rief uns die Frage zu, wo unsere Rinder seien. Hans Botha kletterte auf den Bock eines Wagens und schrie, daß sie die Antwort darauf gefälligst selbst suchen sollten. Nun rief der Herold wieder und sagte, er sähe, daß die Rinder fortgeschickt worden seien. »Wir werden die Rinder finden«, schrie er, »und dann werden wir kommen und euch töten, denn oh ne Rinder müßt ihr bleiben, wo ihr seid, doch wenn wir uns damit aufhalten, euch zu töten, bevor wir die Rinder haben, könnten sie so weit getreckt sein, daß wir ihnen nicht mehr folgen können. Doch wenn ihr wegzulaufen versuchen solltet, so können wir euch weiße Männer leicht einholen.« Das kam mir recht merkwürdig vor, denn die Zu lus greifen gewöhnlich erst den Feind an und nehmen sich seine Rinder anschließend; trotzdem lag ein ge wisser Grad von Logik darin. Während ich mich noch fragte, was das alles zu bedeuten haben mochte, be gannen die Zulus kolonnenweise an uns vorbei zum Fluß zu laufen. Plötzlich ertönte lautes Rufen, und wir wußten, daß sie die Fährte der Rinder entdeckt hatten, und nun setzte sich das ganze Impi in Bewe
gung, lief zum Fluß hinab und verschwand schließ lich hinter einer etwa eine Viertelmeile entfernt lie genden Anhöhe. Wir warteten eine halbe Stunde oder länger, doch ließen sie sich nicht wieder blicken. »Ich frage mich, ob die Teufel wirklich fort sind«, sagte Hans Botha zu mir. »Das ist alles sehr merk würdig.« »Ich werde gehen und nachsehen«, sagte Indaba zimbi, »wenn du mit mir kommst, Macumazahn. Wir können den Hang des Hügels hinaufsteigen und über ihn hinwegblicken.« Anfangs zögerte ich, doch dann siegte meine Neu gier. Ich war sehr jung in jenen Tagen, und des ta tenlosen Wartens müde. »Gut«, sagte ich, »wir werden gehen.« Also brachen wir auf. Ich hatte meine Elefanten büchse und Munition bei mir, Indaba-zimbi seinen Medizin-Beutel und seinen Assegai. Wir krochen den Kamm der Anhöhe hinauf wie Jäger, die ein Wild an pirschen. Der Hang auf der anderen Seite war mit Felsen übersät, zwischen denen Büsche und hohes Gras wuchsen. »Sie müssen das Flußtal entlanggezogen sein«, sagte ich zu Indaba-zimbi, »ich kann nichts von ihnen entdecken.« Während ich das sagte, erschallte rings um mich herum lautes Brüllen von Männern. Hinter jedem Fel sen, aus jedem Gebüsch und jedem Grasbüschel sprangen Zulu-Krieger hervor. Bevor ich mich um wenden konnte, bevor ich das Gewehr hochreißen konnte, wurde ich gepackt und zu Boden geworfen. »Haltet ihn! Haltet den Weißen Geist fest!« schrie
eine Stimme. »Haltet ihn fest, denn sonst gleitet er euch aus den Fingern wie eine Schlange! Verletzt ihn nicht, aber haltet ihn fest! Laßt Indaba-zimbi an seiner Seite gehen!« Ich wandte mich Indaba-zimbi zu. »Du schwarzer Teufel, du hast mich verraten!« schrie ich. »Warte nur ab Macumazahn, warte nur ab!« ant wortete er kühl. »Denn jetzt geht der Kampf los.«
5
Das Ende des Lagers
Ich erstarrte vor Verwunderung und Wut. Was meinte dieser Schurke Indaba-zimbi damit? Warum war ich aus dem Lager gelockt und gefangengenom men worden, und warum wurde ich, einmal gefan gengenommen, nicht auf der Stelle getötet? Sie nen nen mich den ›Weißen Geist‹. Konnte es sein, daß sie mich am Leben erhalten wollten, um Medizin aus mir zu machen? Ich hatte gehört, daß so etwas von Zulus und ihnen verwandten Stämmen getan wurde, und mein Blut gefror bei dem Gedanken. Was für ein En de! Geröstet, zu Pulver zerstampft, zu Medizin verar beitet und gegessen zu werden! Zu weiteren Überlegungen blieb mir jedoch keine Zeit, denn jetzt kam das ganze Impi aus dem Tal und vom Flußufer zurückgeströmt, wo es verborgen gele gen hatte, während die Falle zuschnappte, und formier te sich erneut auf dem Hang der Anhöhe. Ich wurde auf ihren Kamm gebracht und der Reserve-Abteilung übergeben, i n die besondere Obhut eines riesigen Z u lus namens Bombyane, desselben Mannes, der zuvor als Herold auf uns zugetreten war. Der Kerl schien mich m i t wohlmeinender Neugier z u betrachten. Im mer wieder stieß er mir den Schaft seines Assegais leicht in die Rippen, wie um sich zu versichern, daß ich aus festem Fleisch war, und mehrmals bat er mich, die Güte zu haben und ihm zu sagen, wie viele Zulus getötet werden würden, bevor die ›Amaboona‹, wie er die Buren nannte, ›aufgefressen‹ worden seien.
Anfangs nahm ich keinerlei Notiz von ihm und runzelte nur die Stirn, doch dann, zur Wut gereizt, prophezeite ich ihm, daß er in einer Stunde tot sein würde. Er lachte nur schallend »Oh! Weißer Geist«, sagte er, »meinst du? Nun, ich habe einen langen Weg hin ter mir von Zululand und wäre glücklich über die Ruhe.« Und die bekam er wenig später auch, wie man se hen wird. Jetzt begannen die Zulus wieder zu singen: »Wir haben den Weißen Geist gefangen, meine Brüder, meine Brüder! Eisenzunge flüsterte von ihm, er schnüffelte ihn aus, meine Brüder. Jetzt sind die Amaboonas unser – sie sind schon so gut wie tot, meine Brüder.« Also hatte der hinterlistige Schurke Indaba-zimbi mich tatsächlich verraten. Plötzlich hob der Führer des Impi, ein grauhaariger Mann namens Sususa, ei nen Assegai empor, und augenblicklich war Ruhe. Dann sprach er zu einigen Indunas, die in seiner Nä he standen. Sofort liefen diese nach links und nach rechts die Linie entlang und riefen dem Führer jeder Abteilung ein Wort zu, wenn sie an ihm vorbeika men. Kurz darauf erreichten sie die beiden Enden der Linie und stießen gleichzeitig ihre Speere in die Luft. Als sie dies taten, setzten sich alle vorderen Abteilun gen, die zusammen aus fast tausend Mann bestanden, im Laufschritt in Bewegung und stürmten mit ent setzlichem Brüllen, »Bulala Amaboona!« – Tötet die
Buren! – den Hang hinab auf die kleine Wagenburg zu. Es war ein unvergeßlicher Anblick: Die in der Sonne blitzenden Assegais, die sich über ihren schwarzen Schilden hoben und senkten, ihre Kriegs federn, die vom Wind zurückgebogen wurden, und ihre wilden Gesichter, die unverwandt dem Feind zugewandt waren, während die Erde unter dem Trampeln ihrer Füße erzitterte. Ich dachte an meine armen Freunde, die Holländer, und zitterte ebenfalls. Was für eine Chance hatten sie gegen so viele? Jetzt waren die Zulus, die ihre Linie im Laufen zu einem Bogen formiert hatten, um das Lager von drei Seiten zu umfassen, auf siebzig Yards herangekom men, und nun schossen aus jedem Wagen Feuerzun gen hervor. Eine Anzahl der Umtetwa ging zu Boden, doch die anderen kümmerte das nicht. Weiter stürmten sie, direkt auf das Lager zu, um sich ihren Zugang zu erzwingen. Die Buren feuerten Salve um Salve, und da die Zulus in dichtgedrängten Haufen angriffen, richteten die mit Grobschrot und Kugeln geladenen Elefantenbüchsen ein verheerendes Blut bad an. Nur einem einzigen Krieger gelang es, auch nur bis zu den Wagen heranzukommen, und als er sie erreichte, sah ich, wie eine Burenfrau ihm den Kopf mit einer Axt spaltete. Er stürzte zu Boden, und die Angreifer zogen sich, unter dem höhnischen Geläch ter der auf dem Hang verbliebenen zwei Linien zu rück. »Laß uns gehen, Vater!« riefen die Soldaten auf dem Hang, zwischen denen ich mich befand, ihrem Häuptling zu. »Du hast die kleinen Mädchen zum Kämpfen ausgeschickt, und sie haben Angst. Laß uns ihnen zeigen, wie man es macht.«
»Nein, nein«, antwortete Häuptling Sususa la chend. »Wartet ein wenig, und die kleinen Mädchen werden zu Frauen heranwachsen, und Frauen sind gut genug, um gegen Buren zu kämpfen!« Die angreifenden Zulus hörten die verächtlichen Bemerkungen der anderen und stürmten erneut laut brüllend vor. Doch die Buren in dem Lager hatten in zwischen Zeit zum Nachladen gefunden, und so wurde ihnen wieder ein heißer Empfang bereitet. Die Verteidiger hielten ihr Feuer zurück, bis die Zulus sich drängten wie Schafe in einem Kraal, dann krachten ihre schweren Büchsen, und ich sah die Krieger in Haufen zu Boden stürzen. Doch ich sah auch, daß das Blut der Umtetwas jetzt in Wallung ge kommen war; sie hatten nicht die Absicht, sich noch einmal zurückschlagen zu lassen, und das Ende war nahe. Seht! Sechs Männer waren auf einen der Wagen gesprungen, haben den Mann, der hinter ihm stand, getötet und waren im Lager. Sie wurden dort zwar getötet, doch andere folgten ihnen, und dann wandte ich den Kopf ab. Doch ich konnte nicht meine Ohren verschließen vor den Schreien von Wut und Tod, und vor dem schrecklichen S'gee! S'gee! der Wilden, als sie ihr mörderisches Werk vollbrachten. Einmal, als ich aufblickte, sah ich den armen Hans Botha auf einem der Wagen stehen und mit dem Gewehrkolben auf die Zulus einschlagen. Die Assegais fuhren zu ihm empor wie Stahlzungen, und als ich wieder hinblick te, war er verschwunden. Mir wurde übel vor Furcht und Wut. Aber was konnte ich tun? Sie waren alle tot, und wahrschein lich würde die Reihe bald an mich kommen, und mein Tod dürfte nicht so schnell sein.
Der Kampf war zu Ende, und die Krieger auf dem Hang strömten jetzt ebenfalls zum Lager hinab. We nig später waren wir dort, und es bot sich uns ein entsetzlicher Anblick. Viele der Zulu-Angreifer waren tot – mehr als fünfzig, möchte ich sagen, und minde stens hundertfünfzig waren verwundet, einige von ihnen tödlich. Häuptling Sususa gab einen Befehl, und die Toten wurden zusammengetragen und auf einen Haufen geworfen, während die Männer, die nur leicht verwundet waren, davongingen, um je manden zu finden, der sie verband. Den schwerer Verwundeten wurde jedoch eine andere Behandlung zuteil. Der Häuptling oder einer seiner Indunas be gutachtete jeden Fall, und wenn er ihn auf irgendeine Art für schwer hielt, wurde der Mann gepackt und in den Fluß geworfen, der hier vorbeiströmte. Keiner von ihnen protestierte dagegen, obwohl einer der ar men Kerle zum Ufer zurückschwamm. Das half ihm jedoch nichts, denn es liefen einige herbei, die drück ten ihn unter Wasser und ertränkten ihn. Der seltsamste Fall von allen war der des Bruders vom Häuptling. Er war Führer einer Abteilung gewe sen, und sein Fußknöchel war von einer Kugel zer trümmert worden. Sususa trat zu ihm, und nachdem er die Wunde untersucht hatte, machte er ihm harte Vorwürfe dafür, daß der erste Angriff zurückge schlagen worden war. Der arme Bursche versuchte zu erklären, daß es nicht seine Schuld gewesen sei, da die Buren ihn schon beim ersten Ansturm getroffen hätten. Sein Bruder erkannte dies als Entschuldigung an und un terhielt sich eine Weile freundschaftlich mit ihm. »Aber«, sagte er schließlich und bot ihm eine Prise
Schnupftabak an. »Du wirst nie wieder gehen kön nen.« »Nein, Häuptling«, sagte der Mann und blickte auf seinen zerschossenen Knöchel. »Und morgen müssen wir weit gehen«, setzte Su susa hinzu. »Ja, Häuptling.« »Sage also, willst du hier auf dem Veldt sitzen blei ben, oder ...?« Er wies mit einem Kopfnicken auf den Fluß. Der Mann senkte für einen Moment den Kopf auf die Brust, als ob er nachdächte. Dann hob er ihn wie der und blickte Sususa in die Augen. »Mein Knöchel schmerzt mich, mein Bruder«, sagte er; »ich denke, daß ich nach Zululand zurückgehen werde, denn dort ist der einzige Kraal, den ich wie dersehen möchte, selbst wenn ich dort umherkrie chen muß wie eine Schlange.«* »Es ist gut, mein Bruder«, sagte der Häuptling. »Ruhe sanft.« Nachdem er ihm die Hand geschüttelt hatte, gab er einem der Indunas einen Befehl und wandte sich ab. Nun traten mehrere Männer heran und stützten den Verwundeten, während sie ihn zum Flußufer hinabführten. Dort banden sie ihm, auf seine Auffor derung hin, einen schweren Stein um den Hals und warfen ihn ins tiefe Wasser. Ich sah die ganze Szene und kann beschwören, daß der Mann nicht einmal das Gesicht verzog. Es ist mir unmöglich, nicht seinen *
Die Zulus glauben, daß ihre Seelen nach dem Tode in die Kör per großer, grüner Schlangen eintreten, die häufig in den Kraals leben. Diese Schlangen zu töten gilt als Sakrileg. – Der Herausgeber.
unglaublichen Mut zu bewundern, oder nicht von der kaltblütigen Grausamkeit seines Bruders, des Häupt lings, betroffen zu sein. Und doch war diese Hand lung von seinem Standpunkt aus gesehen, absolut richtig. Der Mann mußte entweder rasch sterben, oder aber zurückgelassen werden, um elend zu ver hungern, denn keine Zulu-Streitmacht belastet sich mit Verwundeten. Jahre gnadenloser Kriege hatten diese Männer so hart gemacht, daß der Tod ihnen nichts bedeutete, und sie, um ihnen gerecht zu wer den, genauso willens waren, ihn zu erleiden, wie ihn anderen zu geben. Als dieses Impi vom dem ZuluKönig Dingaan ausgesandt worden war, hatte seine Stärke über neuntausend Mann betragen. Jetzt zählte es weniger als dreitausend, alle anderen waren tot. Und auch diese würden wahrscheinlich bald tot sein. Doch was kam es darauf an? Sie lebten durch den Krieg, und um einen blutigen Tod zu sterben. Das war ihr natürliches Ende. ›Töte, bis du getötet wirst‹, ist das Motto des Zulu-Kriegers. Es hat die Durch schlagskraft der Einfachheit. Inzwischen hatten die Krieger damit begonnen, die Wagen auszuplündern, darunter auch die meinen, nachdem sie vorher die toten Buren auf einen Haufen geworfen hatten. Ich blickte den Haufen an; sie waren alle da, einschließlich der beiden dicken Frauen. Eine Leiche aber vermißte ich, die von Hans Bothas Toch ter, der kleinen Tota. Ich wurde von der wilden Hoff nung gepackt, daß sie entflohen sein mochte; aber nein, das war unmöglich. Ich konnte nur darum be ten, daß auch sie tot war. In diesem Augenblick kam der riesige Zulu, Bom byane, der meine Seite verlassen hatte, um sich der
angenehmen Beschäftigung des Plünderns zu wid men, aus einem der Wagen und schrie, das er ›die kleine Weiße‹ erwischt habe. Ich blickte zu ihm hin über; er hatte das Kind Tota, hielt es an ihrem Kleid in einer seiner riesigen, schwarzen Hände. Er trat auf uns zu und streckte das Kind dem Häuptling entge gen. »Ist es tot, Vater?« fragte er lachend. Nun erkannte ich sofort, daß das Kind nicht tot war, sondern daß es sich versteckt hatte und jetzt vor Angst ohnmächtig geworden war. Der Häuptling warf nur einen flüchtigen Blick dar auf und sagte: »Stell das doch mit deinem Kerrie fest!« Auf diese Aufforderung hin hielt der schwarze Teufel das Kind hoch und schwang seinen Knoten stock empor, um es zu töten. Das war mehr, als ich ertragen konnte. Ich sprang ihn an und schlug ihm mit aller Kraft die Faust ins Gesicht, ohne mir dar über Gedanken zu machen, ob ich gespeert würde oder nicht. Er ließ Tota zu Boden fallen. »Ou!« sagte er und preßte die Hand auf seine blu tende Nase, »der Weiße Geist hat eine harte Faust. Komm, Geist, ich werde mit dir um das Kind kämp fen.« Die Krieger johlten und lachten. »Ja! Ja!« riefen sie. »Laßt Bombyana mit dem Weißen Geist um das Kind kämpfen. Laß sie mit Assegais kämpfen!« Einen Moment zögerte ich. Welche Chance hatte ich gegen diesen schwarzen Riesen? Aber ich hatte dem armen Hans versprochen, seine Tochter zu ret ten, wenn mir das möglich sein sollte, und was ris kierte ich schon dabei? Ich konnte genauso gut jetzt wie später sterben. Doch besaß ich noch Verstand ge
nug, so zu tun, als ob ich den anderen damit einen Gefallen erwiese und ließ dem Häuptling durch In daba-zimbi sagen, daß ich mich gerne dazu bereit finden würde, Bombyane zu töten, unter der Bedin gung, daß danach das Leben des Kindes mir gehören würde. Indaba-zimbi übersetzte meine Worte, doch sah er mich nicht an, als er sprach, sondern verdeckte sein Gesicht mit den Händen und sprach von mir als ›dem Geist‹, oder dem ›Sohn des Geistes‹. Aus ir gendwelchen Gründen, die ich nie ganz verstanden habe, erklärte der Häuptling sich mit dem Duell ein verstanden. Ich glaube, es lag daran, daß er mich für mehr als nur menschlich hielt und Bombyane liebend gerne los sein wollte. »Laßt sie kämpfen!« sagte er. »Gebt ihnen Assegais, aber keine Schilde! Das Kind soll dem gehören, der den Kampf gewinnt.« »Ja! Ja!« schrien die Krieger. »Laßt sie kämpfen! Habe keine Angst, Bombyane; wenn er wirklich ein Geist ist, so nur ein sehr kleiner.« »Ich habe noch nie Angst gehabt, weder vor Men schen, noch vor Tieren, und ich werde auch nicht vor einem Weißen Geist davonlaufen«, antwortete der gewaltige Bombyane, während er die Klinge seines großen Bangwan, oder Stoß-Assegais, prüfte. Dann bildeten die anderen einen Ring um uns, ga ben mir ebenfalls einen Assegai und stellten uns zehn Schritte voneinander entfernt auf. Ich zwang mich, so ruhig wie möglich zu wirken und kein Anzeichen von Furcht zu zeigen, obwohl ich entsetzliche Angst hatte. Mir war klar, daß das Verhängnis mich einge holt hatte. Der gewaltige Krieger, der vor mir stand, hatte den Assegai von Kindheit an benutzt – mir
fehlte jede Erfahrung mit dieser Waffe. Und obwohl ich damals schnell und wendig war, mußte er zu mindest doppelt so viel Kraft haben wie ich. Doch das ließ sich nun nicht mehr ändern, deshalb packte ich meinen großen Speer, schickte ein Stoßgebet zum Himmel empor und wartete. Der Riese blickte mich eine Weile an, und während er so stand, ging Indaba-zimbi hinter mir vorbei und murmelte: »Bleibe ruhig, Macumazahn, und warte auf ihn. Ich sorge dafür, daß es gut ausgeht.« Da ich nicht die geringste Absicht hatte, den Kampf zu beginnen, hielt ich das für einen guten Rat, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wie Indaba-zimbi ›da für sorgen wollte, daß es gut ausginge.‹ Himmel! Wie lange eine halbe Minute sich hinzie hen konnte! Dies alles geschah vor vielen Jahren, doch steht mir die Szene wieder deutlich vor Augen, während ich sie beschreibe. Dort, in unserem Rücken, war das blutverschmierte Lager, und neben ihm türmten sich die Berge der Toten; um uns herum drängten sich Reihen um Reihen von Wilden in Fe derschmuck, die schweigend auf den Ausgang des Duells warteten, und im Mittelpunkt stand der grau haarige Häuptling und Heerführer Sususa in voller Kriegsausrüstung, mit einem Umhang aus Leopar denfellen um seine Schultern. Zu seinen Füßen lag der bewußtlose Körper der kleinen Tota, und zu mei ner Linken hockte Indaba-zimbi, der mit seiner wei ßen Locke nickte und etwas vor sich hinmurmelte, wahrscheinlich Zaubersprüche, während vor mir mein gewaltiger Gegner stand, den Speer emporge schwungen, mit dem in der leichten Brise wehenden Federbusch. Und über allem, über dem grasbewach
senen Hang, über Fluß und Hügel, über den Wagen des Lagers, über den Haufen von Toten, über der dichtgedrängten Masse der Lebenden, über dem ohnmächtigen Kind, über allem schien die grelle, un beteiligte Sonne, die wie das gleichgültige Auge des Himmels auf die Schönheit der Natur und auf die Grausamkeit der Menschen herabblickte. Unten am Flußufer wuchsen Dornenbäume, und von ihnen wehte der süße Duft von Mimosenblüten herüber und tönte das Gurren von Turteltauben. Ich kann nie mehr das eine riechen oder das andere hören, ohne daß mir diese Szene wieder durch mein Gedächtnis zuckt, mit allen Einzelheiten. Plötzlich, ohne einen Laut, schüttelte Bombyane seinen Assegai und stürmte auf mich los. Ich sah sei nen riesigen Körper herankommen, wie ein Mann in einem Traum, ich sah die breite Speerklinge empor zucken, und jetzt war er über mir! In dieser Sekunde – von einem Impuls der Vorsehung dazu getrieben, oder hatten die Zaubersprüche Indaba-zimbis etwas damit zu tun? – ließ ich mich auf ein Knie fallen und streckte, schnell wie ein Blitz, meinen Speer vor. Er stieß nach mir; die Klinge fuhr über meinen Kopf hinweg. Ich spürte ein schweres Gewicht auf meinem Assegai; er wurde mir aus der Hand gerissen; die gewaltigen Glieder des Riesen prallten gegen mich. Ich blickte mich um. Bombyane taumelte umher, mit zurückgelegtem Kopf und ausgestreckten Händen, denen der Speer entfallen war. Sein Speer war zu Bo den gefallen, doch die Klinge meines Speers ragte zwischen seinen Schultern hervor – ich hatte ihn auf gespießt. Er blieb stehen, drehte sich langsam herum, als ob er mich erstaunt ansehen wollte, dann sank der
Gigant aufstöhnend zu Boden – tot. Für einen Augenblick herrschte absolute Stille, dann brach ein Geschrei los. »Bombyane ist tot!« schrien sie. »Der Weiße Geist hat Bombyane getötet. Erschlagt den Zauberer, erschlagt den Geist, der Bombyane durch Hexerei getötet hat!« Sofort war ich von wilden, wütenden Gesichtern umringt, und Speere blitzten vor meinen Augen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ru hig auf das Ende. Es wäre auch wenige Augenblicke später gekommen, denn die Krieger waren wütend, daß ihr Champion so leicht besiegt worden war. Doch dann hörte ich durch den Tumult die hohe, raspelnde Stimme von Indaba-zimbi. »Bleibt zurück, ihr Narren!« rief die Stimme. »Kann ein Geist getötet werden?« »Speert ihn! Speert ihn!« brüllten sie in rasender Wut. »Laßt uns sehen, ob er ein Geist ist. Wie kann ein Geist Bombyane mit einem Assegai töten? Speere ihn, Regenmacher, dann werden wir sehen.« »Bleibt zurück«, rief Indaba-zimbi wieder, »und ich werde euch beweisen, daß er nicht getötet werden kann. Ich werde ihn selbst töten und ihn dann vor eu ren Augen ins Leben zurückrufen.« »Vertraue mir, Macumazahn«, flüsterte er mir in der Sisutu-Sprache, die die Zulus nicht verstanden, ins Ohr. »Vertraue mir; knie dich vor mir ins Gras, und wenn ich dich mit dem Speer treffe, stürze nie der, als ob du tot seist. Dann, wenn du wieder meine Stimme hörst, erhebe dich. Vertraue mir – es ist deine einzige Hoffnung.« Da mir keine andere Wahl blieb, nickte ich zu stimmend, obwohl ich nicht die geringste Vorstellung
davon hatte, was er vorhaben mochte. Der Lärm legte sich ein wenig, und die Krieger traten wieder zurück. »Großer Weißer Geist – Geist des Sieges«, sagte In daba-zimbi mit lauter Stimme zu mir und bedeckte seine Augen mit der Hand, »höre mich und vergib mir. Diese Kinder sind blind vor Torheit und halten dich für sterblich, weil du einen Sterblichen getötet hast, der es wagte, sich gegen dich zu stellen. Laß dich dazu herab, dich vor mich zu knien, und laß mich dein Herz mit diesem Speer durchbohren, und dann, wenn ich dich rufe, erhebe dich unversehrt.« Ich kniete nieder, nicht, weil ich es wollte, sondern weil ich es mußte. Ich setzte kein allzu großes Ver trauen in Indaba-zimbi und hielt es durchaus für möglich, daß er in Wahrheit vorhatte, mir ein Ende zu bereiten. Doch war ich von den Ängsten und den Schrecken jener Nacht und jenes Tages mit meinen Nerven am Ende, so daß es mich nicht groß küm merte, was aus mir wurde. Als ich etwa eine halbe Minute so gekniet hatte, sprach Indaba-zimbi. »Volk der Umtetwa, Kinder T'Chakas«, sagte er, »weicht ein wenig zurück, damit kein Übel über euch komme, denn jetzt ist die Luft dick von Geistern!« Sie zogen sich ein wenig zurück und beließen uns einen Kreis von etwa zwölf Yards Durchmesser. »Seht ihn an, der hier vor euch kniet«, fuhr Indaba zimbi fort, »und hört auf meine Worte, auf die Worte des Hexenfinders, auf die Worte des Regenmachers Indaba-zimbi, dessen Ruhm euch bekannt ist. Er scheint nur ein junger Mann zu sein, nicht wahr? Aber ich sage euch, Kinder der Umtetwa, er ist kein Mann. Er ist der Geist, der den weißen Männern den Sieg verleiht, er ist es, der ihnen Assegais gegeben
hat, die donnern, und der sie gelehrt hat, zu töten. Warum sind die Impis Dingaans am Blood River zu rückgeworfen worden? Weil er dort war. Warum ha ben die Amaboona die Krieger Mosilikatzes zu Tau senden getötet? Weil er dort war. Und deshalb sage ich euch: wenn ich ihn nicht vor erst drei Stunden durch meine Magie aus dem Lager geholt hätte, wä ret ihr besiegt worden – ja, ihr wäret hinweggeblasen worden, wie der Staub von dem Wind; ihr wäret ver brannt worden, wie das trockene Gras im Winter, wenn das Feuer zwischen seinen Halmen erwacht. Ja, wenn er dort gewesen wäre, wären viele eurer Tap fersten getötet worden, um ein paar wenige zu besie gen – und übriggeblieben wären nur ein paar, die man an den Fingern einer Hand hätte abzählen kön nen. Aber weil ich euch liebe, weil euer Häuptling Sususa mein Halbbruder ist – denn hatten wir nicht einen Vater? –, bin ich zu euch gekommen, um euch zu warnen. Dann habt ihr mich angefleht, und ich habe den Geist hervorgeholt. Doch wart ihr nicht zu frieden, als der Sieg euer war, als der Geist von allem, das ihr genommen habt, nur eine Kleinigkeit für sich verlangte: ein weißes Kind, das er mitnehmen und sich selbst zum Opfer darbringen will, um Medizin für seine Magie daraus zu ...« Hier konnte ich mich kaum noch beherrschen und wollte ihn unterbrechen, überlegte es mir dann je doch anders. »Ihr sagtet ihm ›nein‹; ihr sagtet: ›Laßt es ihn mit unserem tapfersten Mann ausfechten, laßt ihn mit Bombyane, dem Riesen, kämpfen.‹ Und als er sich dazu herabließ, Bombyane zu töten, wie ihr gesehen habt, schreit ihr jetzt: ›Töte ihn, denn er ist kein
Geist.‹ Ich werde euch jetzt jedoch beweisen, daß er ein Geist ist, denn ich werde ihn vor euren Augen töten, und ihn wieder ins Leben zurückrufen. Doch habt ihr euch alles, was geschieht, nur selbst zuzu schreiben. Wenn ihr geglaubt hättet, wenn ihr den Geist nicht beleidigt hättet, wäre er bei euch geblie ben, und ihr wäret unbesiegbar geworden. Jetzt aber wird er sich erheben und euch verlassen, und wehe euch, wenn ihr versuchen solltet, ihn aufzuhalten. Nun blickt alle«, fuhr er fort, »auf den Assegai, den ich jetzt emporhalte.« Bei diesen Worten hob er den großen Bangwan des hingegangenen Bombyane hoch über seinen Kopf, so daß jeder in der Menge ihn se hen konnte. Aller Augen waren auf die breite, glän zende Klinge des Speeres gerichtet. Eine Weile hielt er ihn still, dann bewegte er ihn im Kreis, wieder und wieder, und noch immer waren aller Blicke darauf gerichtet. Was mich betraf, so verfolgte ich seine Be wegungen mit größter Unruhe. Dieser Assegai war mir schon einmal näher gekommen, als ich es für wünschenswert gehalten hatte, und ich hatte nicht die geringste Sehnsucht, diese Bekanntschaft fortzu setzen. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob Inda ba-zimbi mich nicht wirklich töten wollte. Ich wußte nichts von seinem Vorhaben, verstand nicht, was er wollte, und es gefiel mir gar nicht, bestenfalls den corpus vile bei seinem magischen Experiment abzuge ben. »Seht! Seht! Seht!« schrie er. Plötzlich fuhr der große Speer herab und auf meine Brust zu. Ich spürte nicht das geringste, doch meine Augen hatten den Eindruck, als ob er glatt durch mich hindurchgefahren wäre.
»Seht!« brüllten die Zulus. »Indaba-zimbi hat ihn gespeert; der blutige Assegai ragt aus seinem Rük ken.« »Fall um, Macumazahn!« zischte Indaba-zimbi mir ins Ohr. »Fall um und tue so, als ob du sterben wür dest – rasch! Rasch!« Ich verlor keine Zeit, dieser seltsamen Anweisung nachzukommen, sank zur Seite, warf meine Arme nach links und rechts, zuckte mit den Beinen und starb so bühnenreif, wie es mir möglich war. Dann ließ ich meinen Körper erzittern und lag still. »Seht!« riefen die Zulus, »er ist tot! Der Geist ist tot! Seht das Blut auf dem Assegai!« »Bleibt zurück! Bleibt zurück!« rief Indaba-zimbi, »oder der Geist wird euch holen! Ja, er ist tot, und jetzt werde ich ihn wieder ins Leben zurückrufen. Seht!« Er beugte sich herab, zog den Speer dort her aus, wo immer er gesteckt haben mochte, und hielt ihn empor. »Der Speer ist rot von Blut, nicht wahr? Seht ihn an, Männer, seht ihn an! Er wird hell!« »Ja, er wird hell!« riefen sie. »Ou! Er wird hell!« »Er wird hell, weil das Blut wieder dorthin zurück kehrt, woher es kam«, sagte Indaba-zimbi. »Nun, großer Geist, höre mich! Du bist tot, der Atem ist aus deinem Munde gewichen. Trotzdem höre mich und erhebe dich! Erwache, Weißer Geist, erwache und zeige deine Macht! Erwache! Erhebe dich unver sehrt!« Auf diese imponierende Geisterbeschwörung rea gierte ich mit großem Vergnügen. »Nicht so schnell, Macumazahn«, flüsterte Indaba zimbi. Ich folgte ihm, streckte erst einen Arm aus, hob
dann den Kopf und ließ ihn wieder sinken. »Er lebt! Beim Haupte T'Chakas, er lebt!« brüllten die Krieger, von tödlicher Angst gepackt. Ganz langsam, mit allergrößter Würde, erhob ich mich nun, reckte die Arme, gähnte wie jemand, der gerade aus tiefem Schlaf erwacht, wandte mich um und blickte sie gleichmütig an. Dabei bemerkte ich, daß der alte Indaba-zimbi vor Erschöpfung fast zu sammenbrach. Dicke Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, seine Arme und Beine zitterten, und sein Atem ging in keuchenden Stößen. Was die Zulus anging, so warteten sie nicht länger. Mit entsetztem Heulen warf das ganze Impi sich her um und floh über die Anhöhe hinweg, so daß wir al lein zurückblieben, allein mit den Toten und dem bewußtlosen Kind. »Wie, um alles in der Welt, hast du das fertigge bracht, Indaba-zimbi?« sagte ich verwirrt. »Frage mich nicht, Macumazahn«, keuchte er. »Ihr weißen Männer seid sehr klug, doch wißt ihr nicht alles. Es gibt Menschen auf dieser Welt, die andere Menschen glauben machen können, Dinge zu sehen, die sie gar nicht sehen. Und jetzt laß uns gehen, so lange wir noch Gelegenheit dazu haben, denn wenn diese Umtetwas sich von ihrem Schrecken erholen, werden sie zurückkommen, um die Wagen zu plün dern, und dann könnten sie mir vielleicht Fragen stellen, die ich nicht beantworten kann.« Und hier sollte ich vielleicht gleich anmerken, daß ich von Indaba-zimbi niemals irgendwelche weiteren Informationen zu diesem Thema erhalten habe, doch ich habe da eine gewisse Theorie, die ich gerne wie dergeben will. Ich glaube, daß der alte Indaba-zimbi
die ganze Menge der Zuschauer mesmensiert hat, mich selbst eingeschlossen, und sie glauben ließ, den Assegai in mein Herz fahren gesehen zu haben, und auch das Blut an der Klinge. Der Leser mag jetzt lä cheln und sagen: das ist unmöglich, doch dann möchte ich ihn fragen, wie die indischen Zauber künstler ihre Tricks vollführen, wenn sie es nicht durch Mesmerismus erreichen. Die Zuschauer scheinen den Jungen in den Korb kriechen zu sehen und dort von Dolchen durchbohrt zu werden; sie scheinen die Frau im Zustand der Trance mitten in der Luft auf einer einzigen Säbelspitze ruhen zu sehen. Alle diese Dinge sind unmöglich, da sie gegen die Naturgesetze verstoßen, und da diese Gesetze uns bekannt sind, muß es also Illusion sein. Deshalb schien jenes ZuluImpi, durch die Vorspiegelungen, die Indaba-zimbis Wille über sie geworfen hatte, mich von dem Assegai durchbohrt zu sehen, der mich in Wahrheit nicht be rührt hatte. Das, zumindest, ist meine Theorie; falls jemand eine bessere haben sollte, kann er gerne an sie glauben. Die Erklärung liegt zwischen Illusion und einer Magie von äußerst eindrucksvoller Art, und ich ziehe es vor, die erste Möglichkeit zu akzeptieren.
6
Stella
Ich brauchte nicht lange, um Indaba-zimbis Rat zu befolgen. Etwa einhundertfünfzig Yards links des La gers befand sich eine kleine Senke, in der ich mein Pferd versteckt hatte, zusammen mit einem anderen, das einem der Buren gehörte, und auch meinen Sattel und Zaumzeug. Dorthin gingen wir jetzt, ich mit der ohnmächtigen Tota auf meinen Armen. Zu unserer Freude fanden wir die beiden Pferde gesund und munter vor, da die Zulus sie nicht entdeckt hatten. Jetzt waren sie für uns das einzige Fortbewegungs mittel, da die Ochsen ja fortgetrieben worden waren, und selbst wenn sie hier gewesen wären, hätten wir nicht die Zeit gehabt, sie anzuschirren. Ich legte Tota auf den Boden, fing mein Pferd ein, löste die Kniefes sel und sattelte auf. Während ich das tat, kam mir ein Gedanke, und ich sagte Indaba-zimbi, er solle zum Lager zurücklaufen und sehen, ob er mein doppelläu figes Gewehr finden könnte, und Pulver und Schrot dazu, da ich nur meine Elefantenbüchse bei mir hatte, mit nur wenig Pulver und Kugeln: Er trabte los, und während er fort war, erwachte die kleine Tota aus ihrer Ohnmacht und begann zu weinen, und sie beruhigte sich erst, als sie mein Ge sicht sah. »Ah, ich hatte einen so bösen Traum«, sagte sie auf Holländisch. »Mir träumte, daß die schwarzen Kaf fern mich töten wollten. Wo ist mein Papa?« Ich zuckte bei der Frage zusammen. »Dein Papa ist
auf eine Reise gegangen, Liebes«, sagte ich, »und hat mich zurückgelassen, damit ich mich um dich küm mere. Es macht dir doch nichts aus, mit Heer Allan zu gehen, nicht wahr?« »Nein«, sagte sie, ein wenig zweifelnd, und begann wieder zu weinen. Dann fiel ihr ein, daß sie durstig sei, und bat mich um Wasser. Ich führte sie zum Fluß, und sie trank. »Warum ist meine Hand so rot, Heer Allan?« fragte sie und deutete auf eine Spur von Bombyanes blutbesudelten Fingern. In diesem Augenblick war ich sehr froh, daß ich Bombyane getötet hatte. »Das ist nur Farbe, Liebling«, sagte ich. »Warte, ich wasche sie gleich ab, und von deinem Gesicht auch.« Während ich das tat, kehrte Indaba-zimbi zurück. Die Gewehre seien alle fort, berichtete er; die Zulus hätten sie mitgenommen, und auch das Pulver. Doch er hatte einige andere Dinge zusammengesucht und sie in einem Sack mitgebracht. Da war eine dicke Decke, etwa zwanzig Pfund Biltong*, ein paar Hand voll Hartbrot, zwei Wasserflaschen, ein Zinnbecher, Streichhölzer und ähnliches. »Und jetzt, Macumazahn«, sagte er, »müssen wir uns beeilen, denn die Umtetwas kommen bereits zu rück. Ich sah einen von ihnen auf dem Rücken der Anhöhe.« Das war genug für mich. Ich hob die kleine Tota in den Sattel, schwang mich hinter sie und ritt los. Inda ba-zimbi drückte einen Strick in das Maul des BurenPferdes, warf den Sack über seine Kruppe und schwang sich auf seinen bloßen Rücken, die Elefan *
Sonnengetrocknetes Fleisch
tenbüchse in der Hand. Acht- oder neunhundert Yards weit ritten wir schweigend, bis wir sicher außer Hör- und Sichtweite der Wagen waren. Dann zügelte ich mein Pferd mit einem so großen Gefühl von Dankbarkeit in meinem Herzen, das es sich nicht be schreiben läßt, denn erst jetzt war ich völlig sicher, daß diese schwarzen Dämonen uns, die wir nun be ritten waren, nicht mehr erwischen würden. Doch wohin sollten wir reiten? Ich stellte diese Frage Inda ba-zimbi und schlug vor, daß wir vielleicht am besten der Fährte der Rinder folgen sollten, die wir in der vergangenen Nacht mit den Kaffern und den Frauen fortgeschickt hatten. Er schüttelte den Kopf. »Die Umtetwas werden sie bald verfolgen«, sagte er, »und von ihnen haben wir genug.« »Mehr als genug«, antwortete ich nachdrücklich; »ich möchte nie wieder einen von ihnen sehen. Aber wohin sollen wir gehen? Wir sind allein auf dem un endlichen Veldt mit einem Gewehr und einem klei nen Mädchen. In welche Richtung sollen wir uns wenden?« »Unsere Gesichter waren nordwärts gewandt, be vor wir auf die Zulus stießen«, antwortete Indaba zimbi; »laß sie uns weiter nach Norden richten. Reite weiter, Macumazahn! Heute abend, wenn wir absat teln, werden wir uns mit dieser Frage beschäftigen.« Also ritten wir den ganzen Nachmittag lang nach Norden, dem Lauf des Flusses folgend. Der schwere Boden ließ uns nur langsam vorankommen, doch als die Sonne sich senkte, hatte ich die beruhigende Ge wißheit, daß mindestens fünfundzwanzig Meilen zwischen uns und den verfluchten Zulus liegen mußten. Die kleine Tota schlief die meiste Zeit, die
Bewegungen des Pferdes waren weich, und sie war todmüde. Schließlich versank die Sonne, und in einer kleinen Senke am Flußufer sattelten wir ab. Es war nicht viel zu essen da, doch ich weichte für Tota etwas Hartbrot in Wasser ein, und Indaba-zimbi und ich aßen ein karges Mahl von Biltong. Als wir damit fertig waren, zog ich Tota das Kleid aus, wickelte sie in eine Decke, bettete sie neben das Feuer, das wir angemacht hat ten, und zündete mir die Pfeife an. So saß ich neben dem schlafenden, verwaisten Kind und dankte der Vorsehung aus ganzem Herzen dafür, daß sie Tota und mich vor dem Schlachten dieses Tages verschont hatte. Was für ein furchtbarer Tag dies gewesen war! Rückblickend kam er mir wie ein Alptraum vor, und doch war er eine nüchterne Tatsache, eine der vielen Tragödien, die den Weg der einwandernden Buren mit den Knochen von Männern, Frauen und Kindern markierten. Diese Schrecken sind heutzutage fast vergessen; die Menschen, die jetzt in Natal leben, können sich zum Beispiel kaum vorstellen, daß noch vor vierzig Jahren sechshundert Weiße, viele davon Frauen und Kinder, von den Impis Dingaans abge schlachtet worden sind. Doch es war so, und der Name dieser Stelle, Weenen, oder Ort des Weinens, wird für immer an sie gemahnen. Dann dachte ich über die außergewöhnlichen Fä higkeiten des alten Indaba-zimbis nach, die dieser ge zeigt hatte, als er mein Leben rettete. Es hatte den An schein, als ob er in seinen frühen Mannesjahren bei den Umtetwa-Zulus gelebt und einen Ruf als Regen macher und Hexensucher erworben hatte. Als jedoch T'Chaka, Dingaans Bruder, ein allgemeines Massaker
unter den Hexensuchern anrichtete, war es ihm als einzigen gelungen, durch seine Magie sein Leben zu retten, und anschließend war er nach Süden geflohen, aus Gründen, die zu kompliziert sind, um sie hier wiedergeben zu können. Als er also hörte, daß es sich bei dem Impi um Umtetwas handelte, die, unter Zu rücklassung von Frauen und Kindern von Zululand ausgebrochen waren, um den Grausamkeiten Dinga ans zu entfliehen, hatte er, unter dem Vorwand, zu spionieren, den geraden Weg gewählt, war direkt zu ihrem Häuptling Sususa gegangen und hatte ihn als seinen Bruder angesprochen, der er auch war. Der Häuptling hatte ihn sofort erkannt, und auch die Krieger, da sein Ruhm noch immer groß unter ihnen war. Dann hatte er ihnen eine wilde Geschichte er zählt, daß ich ein Geist sei dessen Anwesenheit das Lager der Buren uneinnehmbar machen würde, und um mein Leben in dem Abschlachten zu retten, das, wie er wußte, unweigerlich folgen würde, hatte er sich bereiterklärt, mich aus dem Lager zu locken und ihnen in die Hände zu geben. Auf welche Weise die ser Plan zum Erfolg geführt wurde, ist bereits ge schildert worden; trotzdem: ohne ihn würde ich jetzt aller Sorgen ledig sein. Also lag ich nun im Gras, das Herz voller Dank barkeit, und der alte Indaba-zimbi hockte beim Feuer und vollzog mit einigen Knochen, die er aus seinem Beutel gezogen hatte, und etwas mit Wasser ver mischter Asche geheimnisvolle Rituale. Ich sprach ihn an und fragte, was er da triebe. Er antwortete, daß er die Route zu ergründen suche, welche wir nehmen müßten. Ich war geneigt, »Unsinn!« zu sagen, erin nerte mich jedoch an sehr beeindruckende Beweise
seiner okkulten Fähigkeiten und hielt meine Zunge im Zaum. Dann nahm ich die kleine Tota in die Arme und fiel, ausgelaugt von Anstrengungen, Gefahren und Emotionen, in tiefen Schlaf. Ich erwachte, als gerade die ersten rosa und golde nen Flammen der Morgendämmerung über den Ho rizont zuckten, oder vielmehr war es die kleine Tota, die mich mit einem Kuß weckte und mich ›Papa‹ nannte. Es zerriß mir das Herz, als ich das arme, ver waiste Kind das sagen hörte. Ich stand auf, wusch sie und zog sie an, so gut es mir möglich war, und wir hatten zum Frühstück das gleiche, das wir zum Abendessen gehabt hatten, nämlich nur Biltong und Hartbrot. Tota fragte nach Milch, doch die konnte ich ihr nicht geben. Dann fingen wir die Pferde ein, und ich sattelte das meine. »Nun, Indaba-zimbi«, sagte ich, »in welche Rich tung haben deine Knochen gewiesen?« »Genau nordwärts«, sagte er. »Die Reise wird hart werden, doch in vier Tagen werden wir den Kraal ei nes weißen Mannes erreichen, eines Engländers, nicht eines Buren. Sein Kraal ist sehr schön, und hinter ihm erhebt sich ein hoher Berg, auf dem es viele Paviane gibt.« Ich blickte ihn an. »Das ist doch Unsinn, Indaba zimbi«, sagte ich. »Wer hat jemals gehört, daß ein Engländer sich in dieser Wildnis ein Haus baut, und wie kannst du irgend etwas darüber wissen? Nein, ich denke, wir sollten lieber ostwärts reiten und ver suchen, Port Natal zu erreichen.« »Wie du willst, Macumazahn«, antwortete er, »aber es ist eine Reise von drei Monaten bis Port Natal, falls wir es jemals erreichen sollten, und das Kind wird
unterwegs sterben. Sage, Macumazahn, haben sich meine Worte bisher nicht immer als wahr erwiesen? Habe ich dich nicht davor gewarnt, den Elefanten zu Pferde zu jagen? Habe ich dir nicht gesagt, daß du nur einen Wagen mitnehmen solltest, und nicht zwei, weil es besser ist, einen zu verlieren, als zwei?« »All dies hast du mir gesagt«, antwortete ich. »Und deshalb sage ich dir heute, daß du nach Nor den reiten sollst, Macumazahn, denn dort wirst du großes Glück finden – ja, und auch großes Leid. Aber kein Mann sollte seinem Glück entfliehen, weil er das Leid fürchtet. Aber wie du willst, wie du willst!« Wieder blickte ich ihn an. An seine hellseherischen Fähigkeiten glaubte ich nicht, dennoch kam ich zu dem Schluß, daß er das sagte, was er für die Wahrheit hielt. Es war durchaus möglich, daß er von irgendei nem weißen Mann gehört hatte, der wie ein Einsied ler in der Wildnis hauste, es jedoch, um seinen pro phetischen Nimbus zu bewahren, vorzog, dies nicht zu sagen. »Also gut, Indaba-zimbi«, sagte ich, »laß uns nach Norden reiten!« Kurz nachdem wir aufgebrochen waren, bog der Fluß, dessen Lauf wir bisher gefolgt waren, nach We sten ab, also verließen wir ihn. Den ganzen Tag über ritten wir über gewelltes Land und hielten etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang bei einem Bach, der von einer vor uns liegenden Hügelkette herabströmte. Das Biltong war mir inzwischen sehr zuwider ge worden, also nahm ich meine Elefantenbüchse – da ich keine andere Waffe hatte –, ließ Tota bei Indaba zimbi zurück und ging los, um zu sehen, ob ich uns etwas schießen konnte. Seltsamerweise hatten wir
den ganzen Tag über keinerlei Wild gesehen, noch sahen wir etwas an den folgenden Tagen. Aus ir gendeinem geheimnisvollen Grunde hatten die Tiere das Gebiet vorübergehend verlassen. Ich überquerte den kleinen Bach und drang in den Gürtel von Dor nenbäumen ein, denn dort hoffte ich Wild zu finden. Ich wurde ein wenig beunruhigt, als ich die Fährten von zwei Löwen im weichen Sand am Ufer des Ge wässers entdeckte. Ich betete lautlos, daß sie sich nicht mehr in der Gegend aufhalten würden, und drang in den Gürtel weit auseinanderstehender Dor nenbäume ein. Eine ganze Weile pirschte ich dort herum, ohne irgend etwas zu sehen, mit Ausnahme eines Duiker-Bocks, der auf der anderen Seite eines Felsens stand und sofort davonstürmte, so daß ich keine Gelegenheit für einen Schuß bekam. Endlich, als es gerade zu dunkeln begann, entdeckte ich eine Petie, ein niedliches, kleines Tier, nur wenig größer als ein Hase, das in einer Entfernung von etwa vierzig Yards auf einem Stein stand. Unter normalen Um ständen wäre es mir nicht einmal im Traum eingefal len, auf so etwas zu schießen, und schon gar nicht mit einer Elefantenbüchse, aber wir hatten Hunger. Also setzte ich mich, den Rücken an einen Felsen gelehnt, und zielte sehr sorgfältig auf den Kopf. Das mußte ich tun, denn wenn ich ihm eine Drei-Unzen-Kugel in den Körper schießen würde, wäre es in Fetzen geris sen worden. Schließlich drückte ich ab, das Gewehr dröhnte wie eine kleine Kanone, und die Gazelle ver schwand. Ich lief zu dem Felsen hin, mit größerer Spannung, als ich sie normalerweise bei einem Kudu oder einer Eland-Antilope empfunden hätte. Zu mei ner großen Freude lag das Tier hinter dem Felsen auf
dem Boden: die schwere Kugel hatte es glatt ent hauptet. Unter Berücksichtigung aller Umstände wa ge ich zu behaupten, daß ich nicht oft einen besseren Schuß abgegeben habe, und falls irgend jemand dar an zweifeln sollte, so möge er doch mal versuchen, einen Kaninchenkopf auf fünfzig Yards Entfernung mit einer Elefantenbüchse und einer Drei-UnzenKugel zu treffen. Triumphierend hob ich das Tier auf und kehrte zum Lager zurück. Wir zogen es ab und brieten sein Fleisch über dem Feuer. Es reichte gerade für eine gute Mahlzeit. Plötzlich erinnerte ich mich wieder an die Löwenspuren und meinte, daß wir die Pferde lie ber ganz in unserer Nähe anbinden sollten; wir konnten sie jedoch nirgends entdecken, obwohl wir wußten, daß sie in einem Umkreis von fünfzig Yards grasten. Da sich das nicht ändern ließ, konnten wir nichts weiter tun, als das Feuer anzuschüren und das Beste zu hoffen. Wenig später ging ich schlafen, die kleine Tota in meinen Armen. Ich schreckte hoch, als ich jenen besonders schmerzlich klingenden Laut hörte; den Schrei eines Pferdes. Es schien nicht weit vom Feuer entfernt zu sein, das noch immer hell brannte. In der nächsten Sekunde kam das Geräusch galoppierender Hufe, und noch bevor ich aufstehen konnte, preschte mein armes Pferd in den Lichtkreis des Feuers. Wie in dem Licht eines Blitzes sah ich sei ne starrenden Augen, seine weit geblähten Nüstern, und die zerrissenen Riemen des Zaumzeugs, mit de nen ich es am Knie gefesselt hatte. Und noch etwas sah ich: auf seinem Rücken hockte ein dunkler Schatten mit glühenden Augen, und von ihm kam ein knurrender Laut. Es war ein Löwe.
Das Pferd raste weiter. Es galoppierte durch die Flammen des Feuers, zu dem es in seiner panischen Angst geflohen war, glücklicherweise, ohne auf uns zu treten, und verschwand in der Nacht. Wir konnten seine galoppierenden Hufe noch kurze Zeit hören, dann war Stille, die nur hin und wieder von leisem Knurren unterbrochen wurde. Wie man sich vorstel len kann, haben wir in jener Nacht nicht mehr ge schlafen, sondern angstvoll auf den Morgen gewartet, der zwei Stunden später anbrach. Sobald es hell genug geworden war, standen wir auf – Tota ließen wir weiterschlafen – und gingen vorsichtig in die Richtung, in der das Pferd ver schwunden war. Als wir etwa fünfzig Yards weit ge gangen waren, entdeckten wir seine Überreste auf dem Veldt und sahen in dem grauen Licht zwei gro ße, katzenartige Schatten davonschleichen. Weiterzugehen war sinnlos; wir wußten, was pas siert war, also machten wir kehrt, um nach dem an deren Pferd zu suchen. Doch unser Leidensbecher war noch nicht voll; das Pferd war nirgends zu sehen. Wenig später stießen wir jedoch auf seine Fährte, und nun erkannten wir, was geschehen war. In panischer Angst durch Anblick und Geruch der Löwen hatte es mit einer verzweifelten Kraftanstrengung ebenfalls den Riemen zerrissen, mit dem es gefesselt gewesen war, und war davongaloppiert. Ich hockte mich auf den Boden nieder und hätte heulen können. Denn jetzt saßen wir ganz verlassen in dieser riesigen Ein öde, ohne ein Pferd, um uns zu tragen, und mit einem Kind, das noch nicht alt genug war, um mehr als nur kurze Strecken gehen zu können. Aber Selbstmitleid brachte uns nicht weiter, also
gingen wir, ohne viel zu sprechen, zum Lager zurück, wo wir Tota weinend vorfanden, weil sie sich beim Aufwachen allein gefunden hatte. Dann aßen wir ein wenig und machten uns marschbereit. Als erstes teil ten wir alles, das wir unbedingt mitnehmen mußten, in zwei gleiche Teile, und warfen alles weg, worauf wir möglicherweise verzichten konnten. Dann füllten wir die Wasserflaschen – obwohl ich anfangs sehr dagegen war, wegen des zusätzlichen Gewichts. Doch Indaba-zimbi setzte seinen Willen durch, zum Glück für uns alle drei. Auf der ersten Etappe des Marsches wollte ich mich um Tota kümmern und übergab die Elefantenbüchse Indaba-zimbi. Schließ lich waren wir bereit und marschierten los. Mit gele gentlicher Hilfe an schwierigen Stellen schaffte es Tota, den Hang des Hügels hinaufzukommen, auf dem ich das Petie geschossen hatte. Schließlich stan den wir auf seiner Höhe, und als ich auf das hinter ihm liegende Land blickte, stöhnte ich enttäuscht auf. Es als Wüste zu bezeichnen, wäre übertrieben; es wirkte eher wie das Karroo der Kap-Provinz: eine rie sige, sandige Fläche, auf der da und dort Büsche und Felsen verstreut waren, doch war es eine riesige Flä che öden Landes, die sich weiter erstreckte, als das Auge reichte, und die in der Ferne durch eine Kette purpurfarbener Berge begrenzt wurde, aus deren Mitte ein gewaltiger, einsamer Gipfel zum Himmel emporragte. »Indaba-zimbi«, sagte ich, »die können wir nie durchqueren, nicht einmal in sechs Tagen.« »Wie du willst, Macumazahn«, antwortete er, »doch ich sage dir, daß dort ...« – und er deutete auf den Gipfel – »der weiße Mann lebt. Geh in jede
Richtung, die dir paßt, doch wenn du das tust, wirst du sterben.« Ich dachte einen Moment lang nach. Unsere Lage war, genau genommen, fast hoffnungslos. Es kam al so kaum darauf an, in welche Richtung wir gingen. Wir waren allein, fast ohne Nahrung, ohne ein Trans portmittel, und mit einem Kind belastet, das wir würden tragen müssen. Es war doch völlig gleich, ob wir in dieser sandigen Einöde starben, oder auf einem gewellten Veldt, oder zwischen den Bäumen eines Berghangs. Die Vorsehung allein konnte uns retten, und wir mußten der Vorsehung vertrauen. »Komm!« sagte ich und hob Tota auf den Rücken, da sie bereits ermüdet war. »Alle Straßen führen zur ewigen Ruhe.« Wie soll ich das Elend der folgenden vier Tage be schreiben? Wie kann ich einem Menschen schildern, wie wir uns durch jene entsetzliche Wüstenei schleppten, fast ohne Nahrung, und gänzlich ohne Wasser, da es dort keine Bäche gab, und wir auch keine Quellen entdecken konnten? Als uns das klar geworden war, bewahrten wir fast alles Wasser in unseren Flaschen für das Kind auf. Rückblickend er scheint es mir wie ein Alptraum. Ich kann es kaum ertragen, mich weiter darüber zu ergehen. Tag für Tag trugen wir abwechselnd das Kind durch den schweren Sand, und Nacht für Nacht lagen wir er mattet in einem Gebüsch, kauten Blätter und leckten am Morgen die wenigen Tautropfen von dem spärli chen Gras. Keine Quelle, kein Wasserloch, nicht ein Stück Wild! Es war die dritte Nacht; wir waren fast wahnsinnig vor Durst. Tota war bewußtlos vor Er schöpfung. Indaba-zimbi hatte noch einen Rest Was
ser in seiner Flasche – vielleicht gerade genug, um ein Weinglas zu füllen. Damit befeuchteten wir unsere Lippen und geschwärzten Zungen. Den Rest flößten wir dem Kind ein. Tota erwachte aus ihrer Bewußtlo sigkeit und schlief sofort ein. Sieh, der Morgen dämmert. Die Berge waren jetzt nicht mehr als acht oder neun Meilen entfernt, und sie waren grün. Es mußte dort also Wasser geben. »Komm!« sagte ich. Indaba-zimbi hob Tota in eine Art Schlinge, die wir aus Streifen der Decke gefertigt hatten, um sie auf un serem Rücken tragen zu können, und wir taumelten eine Stunde lang durch den Sand. Sie erwachte und bettelte um Wasser, aber wir hatten keins mehr; unse re Zungen waren geschwollen, und wir konnten kaum noch sprechen. Wir rasteten eine Weile, und Tota wurde glückli cherweise wieder ohnmächtig. Dann trug Indaba zimbi sie. Obwohl er zaundürr war, verfügte der Bur sche doch über unwahrscheinliche Kräfte. Wieder eine Stunde; der Fuß des riesigen Berges konnte inzwischen nicht mehr als zwei Meilen ent fernt sein. Zweihundert Yards weiter wuchs ein mächtiger Baobab*. Konnten wir seinen Schatten er reichen? Wir hatten die Hälfte der Strecke geschafft, als Indaba-zimbi entkräftet zusammenbrach. Wir wa ren jetzt so schwach, daß keiner von uns mehr in der Lage war, Tota auf dem Rücken zu tragen. Indaba zimbi kam wieder auf die Beine, und wir nahmen je der eine Hand des Kindes und schleiften es über den Boden. Fünfzig Yards – sie kamen uns wie fünfzig *
Affenbrotbaum
Meilen vor. Ah, endlich hatten wir den Baum er reicht; im Vergleich mit der glühenden Sonnenhitze kam uns der Schatten unter dem dichten Blätterdach wie das Dämmerlicht und die Kühle eines Grabge wölbes vor. Ich erinnere mich, mir überlegt zu haben, daß hier ein guter Platz zum Sterben sei. Und dann dachte ich nichts mehr. Ich erwachte mit dem Gefühl, daß gesegnetes Regen wasser auf mein Gesicht fiel. Langsam, und mit gro ßer Schwierigkeit, öffnete ich die Augen, und schloß sie sofort wieder, da ich eine Vision gesehen hatte. Eine Weile lag ich so, während der Regen weiter auf mein Gesicht fiel; ich wußte jetzt, daß ich träumen mußte, oder vor Durst und Fieber den Verstand ver loren hatte. Wenn ich nicht den Verstand verloren hatte, wie kam es dann, daß ich mir einbildete, ein wunderschönes, schwarzhaariges Mädchen zu sehen, das sich über mich beugte und Wasser auf mein Ge sicht sprühte? Und auch noch ein weißes Mädchen, keine Kaffernfrau. Doch der Traum ging weiter. »Hendrika«, sagte eine Stimme auf Englisch, die lieblichste Stimme, die ich jemals hörte; irgendwie erinnerte sie mich an Wind, der nachts im Laub der Bäume flüstert. »Hendrika, ich fürchte, er stirbt; in meiner Satteltasche ist eine kleine Flasche Brandy; hole sie!« »Ah! Ah!« grunzte eine harte Stimme, »laß ihn sterben, Miß Stella. Er wird dir nur Unglück bringen – laß ihn sterben, sage ich.« Ich spürte einen Luftzug über mir, als ob die Frau meiner Vision rasch herum gefahren wäre, und öffnete wieder die Augen. Sie stand aufgerichtet vor mir, diese Frau meines Trau
mes. Jetzt sah ich, daß sie hochgewachsen war, und so schlank und biegsam wie ein Schilfrohr. Und sie war wütend; ihre dunklen Augen funkelten, und sie deutete mit der Hand auf ein weibliches Wesen, das vor ihr stand, in unbestimmbarer Kleidung, wie sie sowohl von einem Mann als auch von einer Frau ge tragen werden konnte. Die Frau war jung und sehr klein; sie hatte weißblondes Haar, krumme Beine und mächtige Schultern. Ihr Gesicht war nicht ausgespro chen häßlich, doch hatte sie eine fliehende Stirn, ein vorspringendes Kinn und große, abstehende Ohren; kurz gesagt, sie erinnerte mich an nichts so sehr wie an einen sehr hübschen Affen. Sie hätte das missing link in der Theorie der Darwinisten sein können. Die Dame wies mit der Hand auf sie. »Wie kannst du es wagen!« sagte sie zornig. »Willst du etwa wie der ungehorsam sein? Hast du vergessen, was ich dir gesagt habe, Bybyan?«* »Ah, ah!« grunzte die Frau, die unter diesen Wor ten buchstäblich zusammenzufallen schien. »Sei nicht zornig auf mich, Miß Stella, denn das kann ich nicht ertragen. Ich habe es nur gesagt, weil es wahr ist. Ich hole den Brandy.« Dann, Traum oder nicht Traum, beschloß ich zu sprechen. »Keinen Brandy«, keuchte ich auf Englisch, so gut es meine geschwollene Zunge mir erlaubte. »Gebt mir Wasser!« »Ah, er lebt!« rief das schöne Mädchen. »Und er spricht englisch. Sehen Sie, Sir, hier ist Wasser, und in Ihrer eigenen Flasche; Sie sind hier dicht neben einer *
Pavian – Der Herausgeber.
Quelle; sie befindet sich auf der anderen Seite des Baumes.« Ich stemmte mich in eine sitzende Position, hob die Flasche an meine Lippen und trank. Oh! Dieser Trunk reinen, klaren Wassers! Nie habe ich etwas so Köstli ches getrunken. Mit dem ersten Schluck fühlte ich das Leben in mich zurückkehren. Klugerweise ließ sie mich jedoch nicht zuviel trinken. »Nicht mehr! Nicht mehr!« sagte sie und nahm mir die Flasche beinahe mit Gewalt aus den Händen. »Das Kind«, sagte ich, »ist das Kind tot?« »Das weiß ich noch nicht«, antwortete sie. »Wir ha ben euch eben erst gefunden, und ich wollte zuerst Sie ins Bewußtsein zurückholen.« Ich wandte mich um und kroch zu Tota und Inda ba-zimbi, die Seite an Seite lagen. Es war nicht zu er kennen, ob sie tot oder nur bewußtlos waren. Die Dame besprengte Totas Gesicht mit Wasser, was ich mit gierigen Blicken beobachtete, denn mein Durst war noch immer entsetzlich, und die Frau Hendrika tat das gleiche bei Indaba-zimbi. Kurz darauf öffnete Tota zu meiner großen Freude die Augen und wollte schreien, was dem armen Kind jedoch nicht gelang, da seine Zunge und Lippen so geschwollen waren. Doch konnte es ein wenig Wasser herunterbringen, und genau wie bei mir war die Wirkung fast magisch. Wir erlaubten Tota, etwa eine Viertel Pint* zu trinken, nicht mehr, obwohl sie weinend darum bettelte. In diesem Augenblick kam Indaba-zimbi laut stöhnend zu sich. Er öffnete die Augen, blickte umher und er faßte die Situation. *
1 pint = 0,568 Liter – Anm. d. Übers.
»Was habe ich dir gesagt, Macumazahn?« keuchte er, griff nach der Flasche und nahm einen langen Zug. Währenddessen hatte ich mich an den Baumstamm gesetzt und versuchte, die Situation zu erkennen. Links von mir sah ich zwei gute Pferde stehen – das eine ungesattelt, das andere mit einem roh zusam mengenähten Damensattel auf dem Rücken. Bei den Pferden saßen zwei Hunde einer kräftigen Windhun drasse, die uns aufmerksam beobachteten, und neben den Hunden lag ein erlegter Oribé-Bock, den sie of fensichtlich gejagt hatten. »Hendrika«, sagte die Dame jetzt, »sie dürfen noch kein Fleisch essen. Sieh nach, ob reife Früchte an die sem Baum sind.« Die Frau lief sofort ein Stück fort und kam dem Be fehl nach. Kurz darauf war sie wieder da. »Ich sehe eine reife Frucht«, sagte sie, »aber sie hängt sehr hoch, fast im Wipfel.« »Hole sie!« sagte die Dame. Leichter gesagt als getan, dachte ich, doch da sollte ich mich sehr irren. Die Frau sprang plötzlich minde stens drei Fuß in die Luft und packte einen der ausla denden Äste mit ihren großen, flachen Händen; dann kam ein Aufschwung, der jeden Trapezkünstler mit Neid erfüllt hätte, und sie saß auf ihm. Aber weiter geht es nicht, dachte ich, denn der nächste Ast war außerhalb ihrer Reichweite. Doch wieder irrte ich mich. Sie stellte sich auf den Ast, um klammerte ihn mit ihren nackten Füßen, sprang zu dem oberen hinauf, packte ihn und schwang sich empor. Ich nehme an, daß die Dame meinen verwunderten
Gesichtsausdruck bemerkte. »Machen Sie sich keine Sorgen, Sir«, sagte sie. »Hendrika ist nicht wie andere Menschen. Sie wird nicht herunterfallen.« Ich antwortete nicht, sondern beobachtete den Auf stieg dieser außergewöhnlichen Frau mit atemlosem Interesse. Weiter und weiter kletterte sie, schwang sich von einem Ast zum anderen und lief auf ihnen entlang wie ein Affe. Schließlich erreichte sie den Wipfel und begann, einen dünnen Ast hinaufzuklet tern, an dem die reife Frucht hing. Ein lautes Knacken – ein Krachen – er brach. Ich schloß die Augen und erwartete, ihren zerschmetterten Körper vor mir auf dem Boden liegen zu sehen. »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte die Dame wieder und lachte leise. »Sehen Sie, es ist alles in Ordnung.« Ich blickte hinauf, und so war es. Sie hatte im Fal len einen Ast gepackt, sich an ihm festgeklammert und ließ sich jetzt gemächlich zum nächsten hinab fallen. Der alte Indaba-zimbi verfolgte die Vorstel lung ebenfalls sehr interessiert, doch schien sie ihn nicht allzusehr zu erstaunen. »Pavian-Frau«, sagte er, als ob solche Leute selbstverständlich seien, und dann begann er Tota zu trösten, die wieder nach Wasser jammerte. Währenddessen kam Hendrika mit un wahrscheinlicher Schnelligkeit den Baum herab, sprang auf einen der unteren Äste, schwang mit einer Hand an ihm hin und her, und ließ sich aus etwa acht Fuß Höhe zu Boden fallen. Zwei Minuten später kauten wir an der fleischigen Frucht. Normalerweise hätten wir ihren Geschmack recht fad gefunden, doch damals kam es mir vor, als ob ich noch nie etwas so Köstliches gegessen hätte.
Aber wenn man drei Tage ohne Nahrung und Wasser in der Wüste verbracht hat, ist das schließlich kein Wunder. Während wir die Frucht aßen, befahl die Dame meiner Vision ihrer Gefährtin, das Oribé, das von ihren Hunden getötet worden war, abzuhäuten und teilweise zu zerlegen, und machte ein Feuer aus trockenem Astwerk. Sobald es richtig brannte, nahm sie Streifen von Oribéfleisch, briet sie von beiden Sei ten an und reichte sie uns auf Blättern. Wir aßen, und nun durften wir etwas mehr Wasser trinken. An schließend nahm sie Tota zur Quelle und wusch sie, was das arme Kind auch sehr nötig hatte. Dann wa ren wir an der Reihe, uns zu waschen, und oh! was für eine Wohltat das war! Ich kam zum Baum zurück, mit langsamen, schleppenden Schritten, doch ein ganz anderer Mensch. Dort saß das wunderbare Mädchen und hielt Tota auf ihren Knien. Sie wiegte sie in den Schlaf und hob die Hand, um mich um Stille zu bitten. Schließ lich sank das Kind in einen tiefen, natürlichen Schlummer – ein Beispiel, dem ich gerne gefolgt wä re, hätte mich nicht eine brennende Neugier geplagt. »Darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen?« sagte ich. »Stella«, antwortete sie. »Stella was?« »Stella und sonst nichts«, antwortete sie, ein wenig gereizt. »Meine Name ist Stella; er ist kurz und leicht zu merken. Der Name meines Vaters ist Thomas, und wir leben dort oben.« Sie deutete auf den Fuß des gewaltigen Berges. Ich blickte sie erstaunt an. »Leben Sie schon lange dort?« »Seit ich sieben Jahre alt war. Wir sind mit einem Ochsenwagen hergekommen. Davor waren wir in
England – in Oxfordshire; ich kann Ihnen den Ort auf der großen Karte zeigen. Er heißt Garsingham.« Wieder war mir, als ob ich träumte. »Wissen Sie, Miß Stella«, sagte ich, »es ist sehr seltsam – so selt sam, daß es eigentlich nicht wahr sein kann – doch auch ich bin vor vielen Jahren von Garsingham in Ox fordshire nach Afrika gekommen.« Sie fuhr auf. »Dann sind Sie also ein englischer Gentleman?« sagte sie. »Ah, ich habe mich immer danach gesehnt, einen englischen Gentleman zu tref fen. Seit wir hier leben, habe ich nur einen einzigen Engländer gesehen, und der war alles andere als ein Gentleman – überhaupt keine weißen Menschen, mit Ausnahme einiger umherziehender Buren. Wir leben unter Schwarzen und Pavianen – aber ich habe viel über englische Menschen gelesen – viele Bücher – Gedichte und Romane. Doch sagen Sie mir Ihren Namen. Macumazahn hat der schwarze Mann Sie ge nannt, aber Sie müssen doch auch einen englischen Namen haben.« »Ich heiße Allan Quatermain«, sagte ich. Ihr Gesicht wurde schneeweiß, ihre rosigen Lippen öffneten sich ein wenig, und ihre wunderbaren, dunklen Augen blickten mich starr an. »Es ist eigenartig«, sagte sie, »aber ich habe diesen Namen oft gehört. Mein Vater hat mir erzählt, daß ein kleiner Junge, der Allan Quatermain hieß, mir einmal das Leben rettete, indem er die Flammen erstickte, als mein Kleid Feuer gefangen hatte – sehen Sie!« – sie deutete auf ein blaßrosa Mal an ihrer Hand – »hier ist noch die Narbe von der Brandwunde.« »Ich erinnere mich daran«, sagte ich. »Sie waren als Weihnachtsmann verkleidet. Ich war es, der die
Flamme erstickt hat; und ich habe mir dabei die Handgelenke verbrannt.« Wir saßen eine Weile schweigend und blickten ein ander an, während Stella sich mit ihrem breiten Filz hut Luft zufächelte, an dem weiße Straußenfedern steckten. »Dies ist Gottes Ratschluß«, sagte sie schließlich. »Sie haben mein Leben gerettet, als ich ein Kind war, und nun habe ich das Ihre und das des kleinen Mäd chens gerettet. Ist sie Ihre Tochter?« setzte sie rasch hinzu. »Nein«, antwortete ich; »aber davon werde ich Ih nen später erzählen.« »Ja«, sagte sie. »Das sollen Sie mir auf dem Weg nach Hause erzählen. Es ist an der Zeit aufzubrechen. Wir brauchen drei Stunden, bis wir dort sind. Hen drika, bringe die Pferde!«
7
Die Pavianfrau
Hendrika brachte die Pferde neben den Baum. � »Jetzt, Mr. Allan«, sagte Stella, »müssen Sie auf meinem Pferd reiten, und der alte, schwarze Mann soll auf dem anderen reiten. Ich werde zu Fuß gehen, und Hendrika wird das Kind tragen. Oh, machen Sie sich keine Sorgen, sie ist sehr kräftig; sie könnte sogar mich oder Sie tragen.« Hendrika grunzte zustimmend. Es tut mir leid, zu geben zu müssen, daß ich ihre Sprechweise nicht mit einem höflicheren Ausdruck beschreiben kann. Manchmal grunzte sie wie ein Affe, manchmal schnalzte sie wie ein Buschmann, und manchmal tat sie beides gleichzeitig, wodurch sie völlig unver ständlich wurde. Ich protestierte gegen dieses Arrangement und er klärte, daß wir zu Fuß gehen könnten, was eine Lüge war, da ich nicht glaube, mehr als eine Meile ge schafft zu haben, doch Stella wollte nicht auf mich hören, sie ließ mich nicht einmal meine Elefanten büchse umhängen, sondern trug sie selbst. Also stie gen wir mit einiger Schwierigkeit auf, und Hendrika nahm die schlafende Tota auf ihre langen, sehnigen Arme. »Paß auf, daß die Pavianfrau nicht mit dem weißen Kind in die Berge läuft und verschwindet«, sagte In daba-zimbi auf Kaffer zu mir, als er sich auf das Pferd schwang. Unglücklicherweise verstand Hendrika diese Spra
che. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Wut und wurde krebsrot. Sie legte Tota auf den Boden und sprang In daba-zimbi an, so wie ein Affe springt. Doch so müde und ausgepumpt der alte Knabe auch sein mochte, war er doch zu schnell für sie. Mit einem Ausruf echten Entsetzens warf er sich nach der anderen Seite vom Pferd, mit dem etwas lächerlichen Ergebnis, daß innerhalb einer Sekunde Hendrika auf dem Platz hockte, den er freigegeben hatte. In diesem Moment erkannte Stella die Situation. »Komm herunter, du Wilde! Komm sofort herun ter!« rief sie und stampfte mit dem Fuß auf. Die außergewöhnliche Kreatur warf sich vom Pferd, kroch wahrhaftig vor ihrer Herrin auf dem Bo den und brach in Tränen aus. »Verzeih mir, Miß Stella«, schnalzte und grunzte sie in einem entsetzlichen Englisch, »aber er hat mich Pavianfrau genannt.« »Sagen Sie Ihrem Diener, daß er nie wieder solche Ausdrücke gegenüber Hendrika gebrauchen soll, Mr. Allan«, sagte Stella zu mir. »Wenn er es doch tut«, setzte sie flüsternd hinzu, »wird Hendrika ihn ir gendwann töten.« Ich erklärte das Indaba-zimbi, der so verstört war, daß er sich sogar zu einer Entschuldigung herabließ. Aber von Stund an herrschte Krieg zwischen den beiden. Nachdem die Harmonie auf diese Weise einiger maßen wiederhergestellt war, brachen wir auf, ge folgt von den Hunden. Ein schmaler Wüstenstreifen lag zwischen uns und dem Fuß des Berges – vielleicht zwei Meilen tief. Wir durchquerten ihn und gelang ten in ein Gebiet saftiger Wiesen, denn hier sammel
ten die vom Berg herabströmenden Wasser sich zu einem recht ansehnlichen Fluß; doch floß er nicht durch das öde Land, sondern verlief an ihm vorbei am Fuß des Berges entlang. Diesen Fluß mußten wir bei einer Furt durchqueren. Hendrika schritt einfach durch die Fluten, Tota fest auf ihren Armen. Stella hüpfte, von einem Stein zum anderen springend, zum anderen Ufer wie ein Reh, und ich dachte mir, daß sie das schönste Geschöpf sei, daß ich jemals gesehen hatte. Am anderen Ufer des Flusses verlief der Weg um einen sanft gerundeten Hügel, der, wie ich erfuhr, Babyan-Kap, oder Pavian-Kopf genannt wurde. Na türlich konnten wir uns nur mit Schrittgeschwindig keit vorwärtsbewegen, und kamen deshalb nur lang sam voran. Stella ging eine Weile schweigend neben mir her, dann sagte sie: »Wie kam es eigentlich dazu, Mr. Allan, daß ich Sie halbtot in der Wüste gefunden habe?« Also erzählte ich ihr alles. Ich brauchte eine Stunde oder mehr dazu; sie hörte mir aufmerksam zu und stellte hin und wieder Zwischenfragen. »Es ist alles sehr seltsam«, sagte sie, als ich fertig war, »wirklich sehr seltsam. Wissen Sie, ich bin heute morgen mit Hendrika und den Hunden nur ein we nig ausgeritten und wollte gegen Mittag wieder zu Hause sein, da mein Vater krank ist und ich ihn nicht für längere Zeit allein lassen mochte. Doch gerade als ich umkehren wollte – es war etwa an dieser Stelle – ja, bei jenem Busch war es, als ein Oribé aufsprang und davonstob, und die Hunde hinter ihm herhetz ten. Ich folgte ihnen, um ein Stück galoppieren zu können, und als wir zum Fluß kamen, wich der Bock nicht nach links aus, wie diese Tiere es normalerweise
tun, sondern schwamm hindurch und rannte in die dahinterliegende Wüste. Ich folgte ihm, und etwa hundert Yards von dem großen Baum entfernt wurde er von den Hunden gefaßt und gerissen. Hendrika wollte sofort zurückreiten, doch ich sagte ihr, daß wir uns im Schatten des Baumes ein wenig ausruhen wollten, denn ich wußte, daß eine Quelle in seiner Nähe war; doch Hendrika, die auf eine gewisse Weise recht klug ist, sagte nein – und den Rest kennen Sie. Ja, es ist sehr, sehr seltsam.« »Das ist es wirklich«, sagte ich. »Aber jetzt sagen Sie mir, Miß Stella, wer ist Hendrika?« Sie blickte umher, bevor sie antwortete, um sich zu vergewissern, daß die Frau nicht in der Nähe war. »Ihre Geschichte ist sehr eigenartig, Mr. Allan«, sagte sie. »Ich werde sie Ihnen erzählen. Sie müssen wissen, daß alle diese Berge und das hinter ihnen lie gende Land voller Paviane sind. Als ich ein kleines Mädchen von etwa zehn Jahren war, bin ich oft allein über die Hügel und in die Täler dahinter gezogen und habe die Paviane beobachtet, die zwischen den Felsen spielten. Es gab da eine Pavianfamilie, die ich besonders gern beobachtete – sie lebte in einer schmalen Schlucht, etwa eine Meile vom Haus ent fernt. Das alte Männchen war ein sehr großes Tier, und eins der Weibchen hatte ein graues Gesicht. Der Grund dafür, daß ich sie so besonders aufmerksam beobachtete, lag darin, daß sie eine Kreatur bei sich hatten, die wie ein kleines Mädchen aussah, denn ihre Haut war sehr weiß, und außerdem wurde sie, wenn es kalt war, vor der Witterung durch eine Art Fell schal geschützt, der ihr um den Hals gebunden wur de. Die alten Paviane schienen sie besonders gern zu
haben und hielten sie oft in ihren Armen. Fast einen ganzen Sommer lang beobachtete ich dieses hellhäu tige Paviankind, bis meine Neugier schließlich über mächtig wurde. Ich hatte gesehen, daß es zwar mit den anderen Affen auf den Felsen umherkletterte, zu einer bestimmten Sunde vor Sonnenuntergang jedoch von den Alten zusammen mit einem oder zwei weit aus kleineren Jungen in eine kleine Höhle gebracht wurde, während die Familie ausrückte, um irgendwo Nahrung zu besorgen, auf den Maisfeldern, vermute ich. Da kam mir die Idee, diesen kleinen weißen Pa vian zu fangen und mit zu mir nach Hause zu neh men. Natürlich konnte ich das nicht allein schaffen, also zog ich einen Hottentotten – einen sehr klugen Mann, wenn er nicht betrunken war –, der bei uns lebte, ins Vertrauen. Er wurde Hendrik genannt und hatte mich sehr gern. Doch wollte er lange von die sem Plan nichts wissen, weil er meinte, die Babyans würden uns töten. Schließlich aber bestach ich ihn mit einem Taschenmesser, das vier Klingen hatte, und ei nes Nachmittags brachen wir auf. Hendrik trug einen aus derbem Leder gefertigten Sack, dessen Öffnung eine Zugschnur aufwies, die festgezurrt werden konnte. Nun, wir erreichten die Stelle, verbargen uns sorg sam in den Büschen am Fuße der Schlucht und sahen den Pavianen zu, die umhertollten und einander an grunzten, bis sie schließlich, wie üblich, das weiße Junge und drei erheblich kleinere ergriffen und in die Höhle brachten. Dann trat der alte Pavian wieder heraus, sah sich sichernd nach allen Seiten um, rief seine Familie zusammen und verschwand mit ihr über den Rand der Schlucht. Jetzt krochen wir sehr
langsam und vorsichtig über die Felsen zum Eingang der Höhle und blickten hinein. Alle vier kleinen Pa viane lagen in festem Schlaf, die Rücken uns zuge kehrt und ihre Arme umeinander geschlungen; der weiße lag in ihrer Mitte. Nichts konnte besser in un seren Plan passen. Hendrik, der jetzt von Abenteu erlust gepackt war, kroch wie eine Schlange in die Höhle und stülpte plötzlich die Öffnung des Leder sackes über den Kopf des weißen Pavians. Das arme, kleine Ding fuhr schreiend auf und machte einen wilden Satz, direkt in den Ledersack hinein. Nun zog Hendrik die Schnur fest, die wir anschließend ge meinsam verknoteten, so daß es für unseren Gefan genen unmöglich war, zu entkommen. Inzwischen waren die anderen Pavianjungen schreiend aus der Höhle geflohen, und als wir hinausgekrochen waren, konnten wir sie nirgends entdecken. ›Komm schnell, Missie‹, sagte Hendrik, ›die Baby ans werden gleich zurück sein.‹ Er hatte sich den Sack über die Schulter geworfen, und der kleine, weiße Pavian stieß und tobte darin herum und schrie wie ein Kind. Es war schrecklich, diese Schreie zu hören. Wir kletterten eilig die Felswand der Schlucht hin ab und liefen dann so schnell wir konnten auf das Haus zu. Als wir in der Nähe des Wasserfalls waren und nur noch dreihundert Yards von der Gartenmau er entfernt, hörten wir Stimmen hinter uns, und dort, von einem Felsen zum anderen springend und über das Gras laufend, war die ganze Pavianfamilie, mit dem alten Leittier an der Spitze. ›Lauf, Missie, lauf!‹ keuchte Hendrik, und ich lief wie der Wind, so daß er weit zurückfiel. Ich stürmte in den Garten, wo mehrere Kaffern arbeiteten, und
schrie: ›Die Babyans! Die Babyans!‹ Glücklicherweise hatten die Männer ihre Stöcke und Speere bei sich und schafften es gerade noch, Hendrik zu retten, der von den Pavianen fast eingeholt worden war. Doch gaben die Paviane nicht kampflos auf und liefen erst fort, als das alte Leittier mit einem Assegai getötet worden war. In unserem Kraal steht eine Steinhütte, in die mein Vater manchmal Eingeborene einsperrt, die faul oder aufsässig waren. Sie hat sehr starke Mauern und ein vergittertes Fenster. In diese Hütte trug Hendrik nun den Ledersack, stellte ihn zu Boden, löste die Ver schnürung, lief hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Sekunden später war das arme kleine Ding heraus und tobte in der Steinhütte herum, als ob es verrückt geworden wäre. Es sprang an die Gitterstäbe des Fen sters, klammerte sich an ihnen fest und schlug seinen Kopf gegen sie, bis die Stirn blutete. Dann fiel es zu Boden, hockte dort, weinte wie ein Kind und schwang seinen Körper pendelnd vor und zurück. Es war ein so trauriger Anblick, daß ich auch zu weinen begann. Gerade in diesem Moment trat mein Vater hinzu und fragte, was hier los sei. Ich sagte ihm, daß wir ei nen jungen weißen Pavian gefangen hätten, und er wurde sehr böse und sagte, ich müsse ihn sofort wie der freilassen. Doch als er durch die Fenstergitter in die Hütte blickte, wäre er vor Überraschung beinahe heruntergefallen. ›Mein Gott!‹ sagte er, ›das ist kein Pavian, das ist ein weißes Kind, das die Paviane gestohlen und großgezogen haben!‹ Nun, Mr. Allan, ob mein Vater recht hat oder nicht,
müssen Sie selbst beurteilen. Sie haben Hendrika ge sehen – wir haben sie nach Hendrik benannt, der sie damals eingefangen hat – und sie ist eine Frau, kein Affe, und doch besitzt sie viele Eigenschaften der Af fen, und sieht auch wie einer aus. Sie haben gesehen, wie sie klettern kann, zum Beispiel, und gehört, wie sie spricht. Außerdem ist sie sehr wild, und wenn sie wütend oder eifersüchtig wird, scheint sie wahnsin nig zu werden, obwohl sie genauso klug ist wie jeder andere. Ich vermute, daß sie als Säugling von den Pa vianen geraubt und von ihnen aufgezogen worden ist; das wäre die Erklärung für die vielen Ähnlich keiten, die sie mit ihnen hat. Doch um fortzufahren: Mein Vater sagte, daß es unsere Pflicht sei, Hendrika aufzuziehen. Das Schlimmste war, daß sie drei Tage lang überhaupt nichts aß und die ganze Zeit am Boden hockte und weinte, und ich Angst hatte, daß sie sterben würde. Am Abend des dritten Tages trat ich zu dem Fenster gitter und hielt ihr einen Becher mit Milch und eine Frucht entgegen. Sie blickte beides lange Zeit an, dann kletterte sie stöhnend herauf, nahm den Milch becher aus meiner Hand und leerte ihn gierig und aß dann auch die Frucht. Von der Stunde an nahm sie Nahrung bereitwillig an, doch nur, wenn ich sie ihr gab. Aber ich muß Ihnen von dem schrecklichen Ende Hendriks erzählen. Seit dem Tage, an dem wir Hen drika gefangen hatten, begannen ganze Horden von Pavianen in der Gegend herumzustreunen, die offen bar den Auftrag hatten, die Kraals zu beobachten. Ei nes Tages ging Hendrik allein in die Berge, um Kräuter für eine Medizin zu sammeln. Er kam nicht
zurück, also wurde am folgenden Tage nach ihm ge sucht. Bei einem großen Felsblock, den ich Ihnen noch zeigen werde, fand man seine zerbrochenen und verstreuten Knochen, die Fragmente seines Assegais und vier tote Paviane. Sie hatten ihn angefallen und in Stücke gerissen. Mein Vater war darüber sehr beunruhigt, aber trotzdem wollte er Hendrika nicht freilassen, weil sie ein Mensch sei, wie er sagte, und weil wir die Pflicht hätten, Sie in die menschliche Gesellschaft zurückzu führen. Also haben wir es getan – bis zu einem gewis sen Grade zumindest. Nach der Ermordung Hendriks verschwanden die Paviane aus dieser Gegend und sind erst vor kurzer Zeit wieder zurückgekehrt. Also wagten wir es schließlich, Hendrika hinauszulassen. Inzwischen hatte sie sich mir sehr angeschlossen; trotzdem nahm sie die erste sich bietende Gelegenheit wahr, um wegzulaufen. Am Abend jedoch war sie wieder zurück. Sie hatte die Paviane gesucht und sie nicht finden können. Kurze Zeit später begann sie zu sprechen – ich lehrte es sie –, und von der Zeit an liebte sie mich so, daß sie mich nie aus den Augen läßt. Ich glaube, es würde sie töten, wenn ich sie ver ließe. Sie beobachtet mich den ganzen Tag über, und nachts schläft sie auf dem Boden meiner Hütte. Ein mal hat sie mir das Leben gerettet, als ich vom Flut wasser des Flusses mitgerissen wurde. Aber sie ist entsetzlich eifersüchtig und haßt alle anderen Men schen. Sehen Sie, wie sie jetzt Sie anstarrt, weil ich mit Ihnen spreche!« Ich wandte den Kopf. Hendrika trottete einige Yards hinter uns, das Kind auf den Armen, und starrte mich finster aus den Augenwinkeln heraus an.
Während ich über die seltsame Geschichte der Pavian-Frau nachdachte und überlegte, was für ein au ßergewöhnlich schwieriger Typ sie war, machte der Weg eine plötzliche Biegung. »Sehen Sie!« sagte Stella, »dort ist unser Heim. Ist es nicht schön?« Es war wirklich schön. Hier, auf der Westseite des gewaltigen Gipfels befand sich eine Art Bucht in sei nem Felsmassiv, die etwa achthundert oder tausend Yards breit und eine Dreiviertelmeile tief sein mochte. Hinter dieser Bucht erhob sich eine glatte Felswand von mehreren hundert Fuß Höhe, und hinter und über ihr ragte der riesige Babyan-Gipfel zum Himmel empor. Dieses Gelände, das auf diese Weise von den Armen des Berges umschlossen wurde, war in drei übereinanderliegende Terrassen gegliedert, wie von Menschenhand. Am rechten und linken Ende der ober sten Terrasse waren Schluchten in der Felswand, und durch jede von ihnen rauschte ein Wasserfall herab, wohl nicht von sehr großer Höhe, doch von beachtli chem Volumen. Das Wasser floß an beiden Seiten des eingeschlossenen Raumes ab, der eine Fluß nach Nor den, der andere, dem wir gefolgt waren, um den Fuß des Berges herum. Bei jeder der Terrassen fielen Kas kaden herab, so daß man aus einiger Entfernung den Anblick von vier gleichzeitig herabstürzenden Wasser fällen hatte. Entlang dem Ufer des Flusses zu unserer Linken standen Kaffern-Kraals, die auf die ordentliche Art der Basutus errichtet waren und Veranden auf wiesen, und ein großer Teil des Landes war bebaut. All dies erfaßte ich mit einem Blick, und ich bemerkte auch die außergewöhnliche Tiefe und Fruchtbarkeit der Bodenkrume, die seit unvordenklicher Zeit von
den Höhen des Berges herabgewaschen worden war. Wir folgten nun einem ausgezeichneten Karrenweg, auf den wir gestoßen waren, und während wir auf seinen Kurven von einer Terrasse zur anderen ge langten, erblickten meine Augen das krönende Wun der dieser Szene. Denn in der Mitte der obersten Plattform oder Terrasse, die etwa acht bis zehn Acres messen mochte und umgeben war von Orangenhai nen, erhoben sich Gebäude, wie ich sie noch nie gese hen hatte. Sie standen in drei Gruppen, eine in der Mitte, und je eine zu deren Seiten und ein wenig zu rückversetzt, jedoch alle, wie ich später entdeckte, nach demselben Plan erbaut. In der Mitte befand sich ein Bauwerk, das wie eine gewöhnliche Zulu-Hütte aussah, das heißt, die Form eines Bienenkorbes hatte, jedoch mindestens fünfmal so groß war wie jede Hütte, die ich jemals gesehen habe, und aus glatten, weißen Marmorblöcken bestand, welche mit einem außergewöhnlichen Wissen um die Prinzipien und Techniken des Bogenbaues zusammengefügt waren, und mit einer solchen Präzision, daß es oft schwer war, die Stoßkanten der massiven Blöcke zu entdek ken. Von dieser zentralen Hütte aus führten drei ge deckte Passagen zu den anderen von exakt gleicher Bauart, und jeder dieser Komplexe wurde von einer etwa vier Fuß hohen Marmormauer umschlossen. Natürlich waren wir noch zu weit entfernt, um all diese Einzelheiten erkennen zu können, doch die grundlegende Struktur war mir sofort bewußt und setzte mich in nicht geringes Erstaunen. Sogar der alte Indaba-zimbi, der selbst von der Pavian-Frau nicht erschüttert werden konnte, ließ sich zu Zeichen der Verwunderung herab.
»Ou!« sagte er, »dies ist ein Ort der Wunder. Wer hat jemals Kraals aus weißem Stein gesehen?« Stella blickte uns mit einem Ausdruck großer Belu stigung an, sagte jedoch nichts. »Hat Ihr Vater diese Kraals erbaut?« brachte ich schließlich heraus. »Mein Vater? Nein, natürlich nicht«, antwortete sie. »Wie hätte ein einzelner, weißer Mann das auch schaffen können, oder wie wäre es ihm möglich ge wesen, diese Straße zu bauen? Er hat alles so vorge funden, wie Sie es hier sehen.« »Aber wer hat es erbaut?« fragte ich weiter. »Das weiß ich nicht. Mein Vater glaubt, daß es sehr alt sein muß, denn die Leute, die jetzt hier leben, sind nicht einmal in der Lage, einen Stein auf den anderen zu schichten, und diese Hütten sind so wunderbar gebaut, daß sich nicht ein Stein aus ihnen gelöst hat, obwohl sie seit unendlich langer Zeit hier stehen müssen.* Aber ich kann Ihnen den Steinbruch zeigen, *
Kraals von einer recht ähnlichen Art wie die von Mr. Quater main beschriebenen, sind im Marico-Distrikt von Transvaal entdeckt worden, und eine Darstellung von ihnen kann in Mr. Andersons Buch »Fünfundzwanzig Jahre in einem Wagen« – Band II, Seite 55, gefunden werden. Mr. Anderson schreibt: ›In die sem Distrikt befinden sich die uralten Stein-Kraals, welche in einem früheren Kapitel erwähnt wurden; doch bedarf es einer genaueren Beschreibung, um zu zeigen, daß diese großen Kraals von einer weißen Rasse erbaut worden sein müssen, die mit der Steinbauweise und dem Mauern im rechten Winkel vertraut waren, mit Türpfosten, Fensterstürzen und Gesimsen, da es mehr als das Geschick von Kaffern erfordert hätte, um diese Steinhütten zu errichten, mit ihren kreisförmigen Steindä chern, die wunderbar geformt und auf eine so solide Art erbaut sind, daß sie tausend Jahre lang halten können, wenn sie nicht zerstört werden.‹ – Der Herausgeber.
von dem der Marmor stammt; er liegt ganz in der Nähe, und dahinter befindet sich der Eingang zu ur alten Stollen, die mein Vater für eine Silbermine hält. Vielleicht sind die Marmorhütten von den Menschen erbaut worden, die die Mine ausgebeutet haben. Die Welt ist alt, und zweifellos haben viele Völker in ihr gelebt, die später vergessen wurden.« Wir ritten schweigend weiter. Ich habe in Afrika schon viele herrliche Anblicke genossen, und bei die sen und bei anderen Dingen sind Vergleiche unzu verlässig und wertlos, doch glaube ich noch nie eine schönere Szenerie gesehen zu haben. Sie war die Kombination aus dem mächtigen Berggipfel, der auf die unendlich weiten Ebenen hinabblickte, den steilen Felswänden, den Wasserfällen die durch Regenbogen herabschäumten, den Flüssen, die das reiche, bebaute Land umschlangen, dem goldgefleckten Grün der Orangenhaine, den gleißenden Domen der Marmor hütten, und aus tausend anderen Dingen. Und über allem lagen der Friede des Abends, und die unbe schreibliche Pracht des Sonnenuntergangs, der den Himmel mit ständig wechselnden, glühenden Farben erfüllte, welche den Berg und die Klippen in purpurne und goldene Roben kleidete und auf der Oberflä che des Wassers lag wie das Lächeln eines Gottes. Vielleicht trugen der Kontrast, und die Erinnerung an die drei vergangenen Tage und Nächte in der Hoff nungslosigkeit der Wüste sehr dazu bei, diesen Charme zu verstärken, und vielleicht wurde er durch die Schönheit des Mädchens, das neben mir schritt, zur Vollendung gebracht. Denn dessen bin ich mir sicher: von alldem Schönen und Wunderbaren, das ich damals erblickte, war sie das Schönste und Wunderbarste.
Ah, ich hatte nicht lange gebraucht, um meinem Schicksal zu begegnen. Wie lange wird es dauern, bis ich es wiederfinde?
8
Die Marmorkraals
Endlich erreichten wir die oberste der Terrassen und hielten vor der Mauer, welche die Zentralgruppe von Marmorhütten umschloß – so muß ich sie nennen, da mir keine bessere Bezeichnung einfällt. Unsere Annä herung war von einer Menge Eingeborener beobach tet worden, deren Rassenzugehörigkeit ich niemals genau festzustellen vermochte; sie schienen jedoch zu den friedlichen Basutu-Stämmen der Bantus zu gehö ren, und nicht zu den kriegerischen Zulus. Einige von diesen kamen auf uns zugelaufen, um sich der Pferde anzunehmen, und starrten uns voller Verwunderung an, die nicht frei von Furcht war. Wir stiegen ab, was, soweit es mich betraf, nicht ohne Schwierigkeiten ge schah, und wenn Stella mich nicht gestützt hätte, wä re ich wohl zu Boden gesunken. »Kommen Sie. Sie müssen meinen Vater kennen lernen«, sagte sie. »Ich bin gespannt, was er dazu sa gen wird, weil doch alles so seltsam ist. Hendrika, bring das Kind in meine Hütte, gib ihm Milch und leg es dann ins Bett. Ich werde gleich nachkommen.« Hendrika trottete mit einem ziemlich finsteren Ge sicht fort, um den Befehl ihrer Herrin zu befolgen, und Stella führte mich durch den engen Zugang in der Marmormauer, die etwa ein halbes Erf, das ist ein Dreiviertel Acre, Grund umschloß. Es war herrlich bebaut, wie ein Garten angelegt, und ich sah viele eu ropäische Gemüse und Blumen, die darin wuchsen, neben anderen, die mir unbekannt waren. Schließlich
gelangten wir zu der Zentral-Hütte, und an dieser war es, an der ich die außergewöhnliche Schönheit und Vollkommenheit der Marmorkonstruktion fest stellte. In der Hütte befand sich eine moderne Tür, die dem Mauertor gegenüberlag und auf eine etwas grobe Art aus Buckenhout gefertigt war, einem wun derbaren, rötlichen Holz, das aussah, als ob seine Oberfläche mit unzähligen Nadelstichen bedeckt wä re. Stella öffnete sie, und wir traten hinein. Die Hütte hatte die Größe eines weitläufigen und hohen Raums, dessen Wände aus poliertem Marmor bestanden. Er wurde ein wenig matt, doch recht wirkungsvoll durch eigenartig geformte Öffnungen in seinem Dach erhellt, die durch überstehende Traufen vor Regen geschützt waren. Auf dem Boden lagen Tierfelle und Eingeborenenmatten verstreut. Büchergefüllte Regale standen entlang der Wände, in der Mitte war ein Tisch, umgeben von Stühlen, deren Sitze und Lehnen aus Rimpi, das sind Fellstreifen, bestanden, und hin ter dem Tisch befand sich eine Couch, auf der ein Mann lag und las. »Bist du es, Stella?« sagte eine Stimme, die mir selbst nach so vielen Jahren vertraut schien. »Wo warst du so lange, mein Liebes? Ich befürchtete schon, daß du dich wieder verirrt haben könntest.« »Nein, lieber Vater, ich habe mich nicht verirrt, aber ich habe jemanden gefunden.« In diesem Moment trat ich vor, so daß das Licht auf mich fiel. Der alte Gentleman auf der Couch erhob sich mit einiger Schwierigkeit und verneigte sich höf lich. Er war ein gutaussehender Mann, mit tiefliegen den, dunklen Augen, einem blassen Gesicht, das von den Spuren körperlichen und seelischen Leidens ge
zeichnet war, und einem langen, weißen Bart. »Seien Sie willkommen, Sir«, sagte er. »Es ist lange her, daß wir in dieser Wildnis ein weißes Gesicht er blickt haben, und das Ihre ist, wenn ich mich nicht sehr irre, das eines Engländers. Seit zwölf Jahren ist nur ein Engländer hier gewesen, und der war, wie ich leider sagen muß, ein Flüchtling vor dem Gesetz.« Er verneigte sich wieder und streckte mir seine Hand entgegen. Ich sah ihn an, und plötzlich erinnerte ich mich wieder seines Namens. »Guten Tag, Mr. Carson«, sagte ich. Er zuckte zusammen, als ob er gestochen worden wäre. »Wer hat Ihnen diesen Namen genannt?« fragte er zornig. »Das ist ein Name, den es nicht mehr gibt. Stella, warst du das? Ich habe dir strikt verboten, die sen Namen jemals über deine Lippen zu bringen.« »Ich habe ihn nicht genannt, Vater. Ich habe ihn nie genannt«, antwortete sie. »Sir«, unterbrach ich, »wenn Sie es mir erlauben, werde ich Ihnen erklären, woher ich Ihren Namen kenne. Erinnern Sie sich noch, daß Sie vor vielen Jah ren in Oxfordshire in das Studio eines Geistlichen ge kommen sind und ihm erklärt haben, daß Sie Eng land für immer verlassen wollten?« Er nickte. »Und erinnern Sie sich auch an den kleinen Jungen, der vor dem Kamin saß und mit seinem Bleistift schrieb?« »Ich erinnere mich an ihn.« »Sir, ich war jener Junge, und mein Name ist Allan Quatermain. Die Kinder, die damals krank lagen,
sind gestorben, und auch ihre Mutter. Mein Vater, Ihr alter Freund, ist ebenfalls tot. Genau wie Sie ist er nach Afrika ausgewandert und starb vor einem Jahr am Kap. Doch ist das noch nicht die ganze Geschich te. Nach vielen Abenteuern lagen ich, ein kleines Mädchen und ein Kaffer bewußtlos und sterbend am Rande der Wüste, den wir nach tagelanger Wande rung ohne Wasser erreicht hatten, und dort wären wir sicher elend umgekommen, wenn nicht Ihre Tochter, Miß ...« »Nennen Sie sie Stella«, unterbrach er mich hastig. »Ich kann es nicht ertragen, jenen Namen zu hören. Ich habe ihm abgeschworen.« »Miß Stella hat uns durch einen Zufall gefunden und uns das Leben gerettet.« »Durch einen Zufall sagen Sie, Mr. Quatermain?« antwortete er. »Es liegt wenig Zufälligkeit darin; sol che Begebenheiten entspringen einem höheren Willen als dem unseren, Willkommen, Allan, Sohn meines alten Freundes. Wir leben hier, wie Sie sehen, in einer Einsiedelei, mit der Natur als unserem einzigen Freund, doch das, was wir besitzen, soll auch Ihnen gehören, und für so lange, wie Sie es haben wollen. Aber Sie müssen hungrig sein; also reden Sie nicht weiter. Stella, es ist Essenszeit. Morgen werden wir miteinander sprechen.« Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nur vage an die weiteren Geschehnisse jenes Abends. Ich wurde von einer Art Schwindel totaler Erschöpfung über wältigt. Ich weiß, daß ich neben Stella am Tisch ge sessen und mit gutem Appetit gegessen habe, doch sonst an nichts. Ich erwachte in einem bequemen Bett in einer
Hütte, die nach demselben Muster gebaut war wie die Zentralhütte. Während ich mich noch fragte, wie spät es sein mochte, trat ein Eingeborener herein, der frische Kleidung über dem Arm trug, und – welch ein Luxus! – einen Badezuber aus einem ausgehöhlten Baumstamm hereinschob. Ich badete und fühlte mich wie neugeboren, da meine Kräfte zurückgekehrt wa ren; dann kleidete ich mich an und gelangte durch ei ne überdachte Passage in die Zentralhütte. Hier war der Tisch zum Frühstück mit allen möglichen guten Sachen gedeckt, wie ich sie seit Monaten nicht zu Ge sicht bekommen hatte, und die ich mit nicht geringer Befriedigung betrachtete. Als ich aufblickte, bot sich mir ein noch schönerer Anblick, denn durch eine der Türen, die zu den Schlafhütten führten, trat Stella herein, die die kleine Tota bei der Hand führte. Stella war in ein einfaches, weites, blaues Gewand gekleidet, das einen breiten Kragen aufwies und mit einem schmalen Lederriemen gegürtet wurde. Im Ausschnitt des Kleides steckte eine Rispe Orangen blüten, und ihr lockiges Haar war im Nacken zu ei nem Knoten aufgesteckt. Sie begrüßte mich mit einem Lächeln und fragte mich, wie ich geschlafen hätte, hob Tota hoch, damit ich sie küßte. Unter ihrer liebe vollen Pflege hatte das Kind sich völlig verändert. Es trug jetzt ein Kleid aus dem gleichen blauen Stoff, aus dem Stellas Kleid bestand, und ihr blondes Haar war sorgfältig gebürstet: wenn der Sonnenbrand auf Ge sicht und Händen nicht gewesen wären, hätte man kaum glauben können, daß dies dasselbe Kind war, das Indaba-zimbi und ich Stunde um Stunde durch die glühende, wasserlose Wüste geschleppt hatten. »Wir müssen allein frühstücken, Mr. Allan«, sagte
sie. »Meinen Vater hat Ihre Ankunft so aufgeregt, daß er noch ganz erschöpft ist und nicht aufstehen kann. Oh, sie können sich nicht vorstellen, wie dankbar ich bin, daß Sie gekommen sind. Ich habe mir in letzter Zeit große Sorgen um ihn gemacht. Er wird zuneh mend schwächer; mir scheint, als ob seine Kräfte nach und nach schwinden. Er verläßt nur noch selten den Kraal, und ich muß mich um die Farm und alles an dere kümmern. Er macht kaum noch etwas anderes, als lesen und grübeln.« In diesem Augenblick trat Hendrika herein, eine Kaffeekanne in der einen Hand, und einen Topf Milch in der anderen, die sie auf den Tisch stellte, wobei sie mir einen Blick zuwarf, der alles andere als liebevoll war. »Sei vorsichtig, Hendrika; du verschüttest den Kaf fee«, mahnte Stella. »Fragen Sie sich nicht, wie es kommt, daß wir hier Kaffee haben, Mr. Allan? Ganz einfach: wir bauen ihn an. Das war meine Idee. Oh, es gibt hier so viele Dinge, die ich Ihnen zeigen muß. Sie können sich nicht vorstellen, was wir alles geschaffen haben in der kurzen Zeit, die wir hiergewesen sind. Sie sehen, daß wir viele Arbeitskräfte haben, denn diese Menschen betrachten meinen Vater als ihren Häuptling.« »Ich verstehe«, sagte ich, »aber wie haben Sie sich alle diese Luxusgüter der Zivilisation beschaffen können?« Ich deutete auf die Bücher, auf das Ge schirr, auf die Messer und Gabeln. »Sehr einfach. Die meisten der Bücher hat mein Vater mitgebracht, als wir damals in die Wildnis zo gen; es war fast eine ganze Wagenladung. Und alle paar Jahre schicken wir eine Expedition von drei Wa
gen nach Port Natal. Die Wagen werden mit Elfen bein und anderen Waren beladen und bringen alle möglichen Sachen zurück, die von England an uns geschickt werden. Sie sehen also: obwohl wir in der Wildnis leben, sind wir doch nicht ganz von der Welt abgeschnitten. Wir können Läufer innerhalb von drei Monaten nach Natal und zurück schicken, und die Wagen sind nach einem Jahr wieder da. Die letzte Sendung ist erst vor etwa drei Monaten sicher bei uns eingetroffen. Unsere Diener sind sehr treu, und ein paar von ihnen sprechen fließend Holländisch.« »Sind Sie jemals mit diesen Wagen nach Natal ge fahren?« fragte ich. »Seit meiner Kindheit war ich nie mehr als dreißig Meilen von hier fort«, antwortete sie. »Wissen Sie, Mr. Allan, daß Sie, mit einer Ausnahme, der erste Engländer sind, den ich kennenlerne – abgesehen von jenen in den Büchern? Wahrscheinlich wirke ich sehr wild und hinterwäldlerisch auf Sie, Mr. Allan; doch habe ich gegenüber den Eingeborenen einen großen Vorzug gehabt: eine gute Bildung. Mein Vater war zwar mein einziger Lehrer, aber vielleicht weiß ich einiges, das Sie nicht wissen. Zum Beispiel kann ich deutsch und Französisch lesen. Ich vermute, daß mein Vater anfangs die Vorstellung hatte, mich völlig wild aufwachsen zu lassen, sie jedoch wieder auf gab.« »Und Sie haben nicht den Wunsch, wieder in die Zivilisation zurückzugehen?« fragte ich. »Manchmal«, antwortete sie, »wenn ich mich ein sam fühle. Aber vielleicht hat mein Vater recht: viel leicht würde sie mich nur ängstigen und verwirren. Er jedenfalls will niemals in die Zivilisation zurück
kehren. Das ist sein fester Vorsatz, obwohl ich mir nicht denken kann, warum er ihn gefaßt hat, genauso wenig, wie den Grund dafür, daß er es nicht ertragen kann, unseren richtigen Namen zu hören. Kurz ge sagt, Mr. Allan: wir gestalten unser Leben nicht, son dern müssen es so nehmen, wie es kommt. Haben Sie fertig gefrühstückt? Dann lassen Sie uns gehen, ich möchte Ihnen unser Heim zeigen.« Ich erhob mich und ging zu meiner Schlafhütte, um meinen Hut zu holen. Als ich zurückkehrte, war Mr. Carson – denn das war nun einmal sein Name, ob wohl er nicht zuließ, daß jemand ihn aussprach – in die Hütte gekommen. Er fühle sich jetzt besser, er klärte er, und würde uns gerne begleiten, wenn Stella ihm ihren Arm als Stütze gäbe. Also brachen wir auf, gefolgt von Hendrika mit Tota, und dem alten Indaba-zimbi, den ich frisch wie neue Farbe vor der Tür sitzend fand. Nichts konnte diesen alten Mann ermüden. Der Ausblick von der Plattform war fast so schön wie der vom tieferen Grund zum Gipfel hinauf. Die Marmor-Kraals waren, wie ich bereits sagte, nach Westen gewandt, und deshalb lag die ganze obere Terrasse bis gegen elf Uhr vormittags im Schatten, ein gewaltiger Vorteil in jenen heißen Breiten. Zunächst schritten wir durch den Garten, der wunderbar ge pflegt war, und einer der fruchtbarsten, die ich jemals sah. Drei oder vier Eingeborene arbeiteten dort, und alle salutierten meinen Gastgeber als ›Baba‹, oder Vater. Dann suchten wir die beiden anderen Gruppen von Marmorhütten auf. Eine davon wurde als Stal lung und für sonstige Zwecke genutzt, die andere als Vorratslager; doch war deren mittlere zu einer Ka
pelle umgestaltet worden. Mr. Carson war zwar nicht ordiniert, hatte sich jedoch ernsthaft bemüht, die Ein geborenen zu bekehren, von denen die meisten Flüchtlinge waren, die bei ihm um Asyl nachgesucht hatten, und er hatte die elementaren Riten der Kirche so lange praktiziert, daß er, wie ich vermute, zu glau ben begann, wirklich Geistlicher zu sein. So traute er, zum Beispiel, diejenigen seiner Leute, die sich bereit erklärten, miteinander in einer monogamen Gemein schaft zu leben, und taufte ihre Kinder. Nachdem wir diese wunderbaren Reste einer anti ken Kultur, die Marmorhütten, besichtigt und die Orangenbäume bewundert hatten, deren Zweige und Früchte in diesem wunderbaren Boden und Klima wie Unkraut wucherten, gingen wir zur nächsten Terrasse hinab, auf der die Farmarbeit in vollem Gange war. Ich möchte sagen, daß es die beste Farm war, die ich jemals in Afrika gesehen habe. Es gab reichlich Wasser für die Felder, die tiefer gelegenen Grasflächen ergaben Weideland für Hunderte von Rindern und Pferden, und die Menschen waren, nach Eingeborenenstandard, recht fleißig. Alles wurde üb rigens von Mr. Carson nach dem Kooperativ-System geführt; er beanspruchte lediglich ein Zehntel der Produkte für sich – und was sollte er in diesem Land des Überflusses auch mit mehr anfangen? Also waren die Eingeborenen – die sich übrigens ›Die Kinder Thomas‹ nannten – in der Lage, erhebliche Reichtü mer anzusammeln. Jegliche Meinungsverschiedenheit wurde ihrem ›Vater‹ zur Entscheidung vorgebracht, der auch der Richter für Vergehen und Verbrechen war. Einige der Übeltäter wurden mit Gefängnis, Prü gel oder dem Verlust von Gütern bestraft, andere, die
ernsthaftere Sünden auf sich geladen hatten, durch Ausstoß aus der Gemeinschaft, ein Richtspruch, der diesen bevorzugten Eingeborenen genauso schlimm erschienen sein muß, wie das Dekret, das Adam und Eva aus dem Paradies vertrieb. Der alte Mr. Carson stützte sich auf den Arm seiner Tochter und blickte voller Stolz auf dieses Bild. »Dies alles ist mein Werk, Allan Quatermain«, sagte er. »Als ich der Zivilisation den Rücken kehrte, hat der Zufall mich hierher geführt; auf meiner Suche nach einem neuen Heim in den entlegendsten Win keln der Welt fand ich diesen herrlichen Ort als ver lassene Wildnis vor. Nichts davon war zu sehen, au ßer den Kuppeln der Marmorhütten und den Wasser fällen. Ich nahm die Hütten in Besitz. Ich rodete ein kleines Stück Land und pflanzte die Orangenbäume. Anfangs hatte ich nur sechs Eingeborene bei mir, doch nach und nach kamen weitere, und jetzt umfaßt mein Stamm tausend Köpfe. Hier leben wir in tief stem Frieden und in Überfluß. Ich habe alles, was ich brauche, und verlange nicht nach mehr. Der Himmel hat sich mir bisher gewogen gezeigt – möge er es bis zum Ende tun, das für mich näherrückt. Und jetzt bin ich müde und werde zurückgehen. Ich möchte, daß Sie sich auch den Steinbruch und die alte Mine anse hen. Stella wird sie Ihnen zeigen. Nein, Liebes, du brauchst mich nicht zu begleiten, ich schaffe es schon allein. Sieh, da sind einige der Indunas, die mich zu sprechen wünschen.« Also verließ er uns, und wir gingen, noch immer gefolgt von Hendrika und Indaba-zimbi, ein Stück zurück, folgten dem Ufer des einen Flusses, bis wir hinter die Marmor-Kraals gelangten, und erreichten
so den Steinbruch, aus dem in irgendeiner lange zu rückliegenden Zeit das Material für die Bauten ge wonnen worden war. Die offene Grube legte eine sehr mächtige Lage schneeweißen, herrlichen Mar mors frei. Ich hatte einmal einen ähnlichen Marmor bruch in Natal gesehen, kann jedoch nicht sagen, wer ihn angelegt hat; jedenfalls waren es keine Eingebo renen gewesen, das ist sicher, selbst wenn die Erbau er dieses Kraals sich bereitgefunden hatten, die Form von Eingeborenen-Hütten zu übernehmen. Übrigens, das einzige Zeugnis jener Erbauer, das ich jemals zu Gesicht bekam, war eine überaus sorgfältig gearbei tete Kreuzhacke aus Bronze, die Stella eines Tages im Steinbruch fand. Nachdem wir den Steinbruch besichtigt hatten, stiegen wir den Hang des Berges hinauf, bis wir die Stollen der uralten Mine erreichten, die in einer Schlucht gelegen waren. Ich bin der Meinung, daß es tatsächlich eine Silbermine gewesen ist. Die Schlucht war lang und eng, und als wir hineintraten, erhob sich von allen Seiten ein Grunzen und Bellen, das laut genug war, um uns fast zu betäuben. Ich wußte so fort, was es war: die ganze Schlucht wimmelte von Pavianen, die jetzt aus jeder Richtung über die Felsen zu uns herunterkletterten, und sich auf eine Art nä herten, die mir als absolut furchtlos erschien. Stella wurde ein wenig blaß und umklammerte meinen Arm. »Ich weiß, daß es albern ist«, flüsterte sie. »Ich bin sonst wirklich nicht ängstlich, aber seit diese Tiere Hendrik getötet haben, kann ich ihren Anblick nicht mehr ertragen. Ich glaube immer, daß irgend etwas Menschliches an ihnen ist.«
Näher und näher kamen die Paviane und sprachen miteinander dabei. Tota begann zu weinen und klammerte sich an Stella. Stella klammerte sich an mich, während Indaba-zimbi und ich uns alle Mühe gaben, kühl und ruhig zu erscheinen. Nur Hendrika stand unberührt und blickte die Paviane mit einem kalten Lächeln an. Als die großen Tiere ziemlich nahe herangekommen waren, stieß sie plötzlich einen lau ten Schrei aus. Sofort brachen die entsetzlichen Laute ab, wie auf ein Kommando. Dann hielt Hendrika eine Ansprache – anders kann ich es nicht beschreiben. Ich will damit sagen, daß sie Geräusche auszustoßen be gann, wie sie Paviane von sich geben, wenn sie mit einander reden. Ich habe Hottentotten und Busch männer gekannt, die behaupteten, daß sie mit Pavia nen reden und ihre Sprache verstehen könnten, doch muß ich zugeben, daß ich weder zuvor noch nachher jemanden gehört habe, der es tatsächlich vermochte. Aus dem Munde Hendrikas ertönte eine Folge von Grunzen, Stöhnen, Kreischen, Schnalzen und jede andere Art häßlicher Geräusche, die man sich vorzu stellen vermag, und die auf mich irgendwie den Ein druck einer Strafpredigt machten. Auf jeden Fall hörten die Paviane zu. Dann grunzte einer von ihnen so etwas wie eine Antwort, und die ganze Meute zog sich wieder in die Felsen zurück. Ich stand zutiefst erschüttert, und ohne ein Wort gingen wir wieder zum Kraal zurück, denn Hendrika war zu nahe hinter mir, als daß ich sprechen konnte. Als wir die zentrale Hütte erreichten, ging Stella hin ein, gefolgt von Hendrika. Mich hielt Indaba-zimbi zurück, indem er mich am Ärmel ergriff. »Macumazahn«, sagte er. »Pavianfrau – Teufels
frau. Sieh dich vor, Macumazahn! Sie liebt den Stern (die Eingeborenen nannten Stella sehr passend den Stern) und ist eifersüchtig. Sieh dich vor, Macuma zahn, oder der Stern wird untergehen!«
9
»Laß uns hineingehen, Allan!«
Es ist für mich sehr schwierig, die Zeitspanne zu be schreiben, die zwischen meiner Ankunft in BabyansKraals und meiner Hochzeit mit Stella liegt. Wenn ich zu ihr zurückblicke, so erscheint sie mir süß mit dem Duft von Blumen, und erfüllt von dem sanften Licht glücklicher Sommerabende, und durch diese Süße dringt der Laut von Stellas Stimme hervor, und aus dem sanften Licht scheinen die Sterne ihrer Augen. Ich glaube, daß wir uns von Anbeginn an geliebt ha ben, obwohl für eine Weile kein Wort von Liebe fiel. Tag für Tag begleitete ich sie, nur von der kleinen Tota und Hendrika begleitet, wenn sie sich um die tausenderlei Angelegenheiten kümmerte, die die im mer weiter zunehmende Schwäche ihres Vaters ihr auferlegte; das heißt, später, als einige Zeit vergangen war, kümmerte ich mich darum, und sie begleitete mich. Den ganzen Tag über waren wir zusammen, und nach dem Abendessen, wenn es dunkel gewor den war, gingen wir im Garten spazieren, und wenn wir wieder zurückkamen, las ihr Vater häufig etwas vor, manchmal aus dem Werk eines Dichters, manchmal aus einem geschichtlichen Buch. Oder, wenn er sich nicht sehr wohl fühlte, las Stella vor; an schließend sprach Mr. Carson ein kurzes Gebet, und dann trennten wir uns, bis der Morgen uns die glückliche Stunde unseres Wiedersehens brachte. So vergingen die Wochen, und in jeder Woche lernte ich meine Geliebte besser kennen. Oft frage ich
mich heute, ob meine liebevolle Erinnerung die Tat sachen verklärt, oder ob es wirklich keine andere Frau auf der Welt gibt, die so zauberhaft und liebe voll war wie sie. War es die Einsamkeit, die ihr eine solche Gefühlstiefe verliehen hat? Waren es die lan gen Jahre der Kommunikation mit der Natur, die ihr jene besondere, zarte Schönheit gaben, wie wir sie in sich öffnenden Blüten und anknospenden Bäumen finden? Hatte sie den wunderbaren Klang ihrer Stimme von dem Rauschen der Wasserfälle, die stän dig um ihr Felsenheim flossen? War es die Zartheit des Abendhimmels, unter dem sie sich so gerne er ging, die wie ein Schatten auf ihrem Gesicht lag, und war es das Licht der abendlichen Sterne, das aus ih ren ruhigen Augen schien? Mir zumindest kam sie wie die Verwirklichung jenes Traumes vor, der die Nächte sündenbeladener Männer heimsucht; so je denfalls sieht sie meine Erinnerung, und so hoffe ich sie wiederzufinden, wenn endlich der Schlaf vorbei ist und die fiebrigen Träume zu Ende gehen. Schließlich kam der Tag – der schönste Tag meines Lebens – an dem wir einander unsere Liebe gestan den. Wir waren den ganzen Vormittag über zusam men gewesen, doch nach dem Essen fühlte Mr. Car son sich so schlecht, daß Stella bei ihm blieb. Wir sa hen uns erst beim Abendessen wieder, und nach dem Essen, als Stella die kleine Tota, an der sie jetzt sehr hing, zu Bett gebracht hatte, gingen wir hinaus und ließen Mr. Carson schlafend auf der Couch zurück. Die Nacht war warm und wunderbar; wir gingen schweigend durch den Garten zu dem Orangenhain und setzten uns auf einen Stein. Eine leichte Brise war aufgekommen, ließ die Blätter der Orangenblüten in
Schauern auf uns herabregnen und trug ihren Duft weit über das Land. Stille herrschte ringsumher, durchbrochen nur von dem Rauschen der Wasserfäl le, das jetzt nur ein sanftes Murmeln war, und dann, wenn der Wind umsprang, laut in unsere Ohren dröhnte. Der Mond war noch nicht aufgegangen, doch zeigten die dunklen Wolken, die über uns hin wegzogen – denn es hatte geregnet – bereits einen silbrigen Glanz, der uns sagte, daß er hinter dem Berggipfel bereits schien. Stella begann mit ihrer lei sen, sanften Stimme zu sprechen, erzählte mir von ih rem Leben in der Wildnis und wie sie es zu lieben gelernt habe, wie ihre Gedanken von einer Idee zur anderen gewandert seien, und wie sie sich die große unruhige Welt, die sie niemals wirklich gesehen hat te, nach Darstellungen in Büchern vorgestellt habe. Es war eine seltsame Vision des Lebens, die sie in sich trug; die Dinge darin waren alle außer jeder Propor tion; es war eher ein Traum als eine Realität – mehr Fata Morgana als ein wirkliches Bild der Dinge. Die Vorstellung großer Städte, und besonders Londons, besaß eine Art Faszination für sie; sie konnte sich kaum den Lärm und die Hektik vorstellen, die riesi gen Massen von Männern und Frauen, Fremde für einander, die unter einem trüben Himmel fieberhaft nach Reichtum und Vergnügen jagten, und einander in ihrer Rivalität blindlings zu Boden trampelten. »Wozu das alles?« fragte sie. »Was suchen sie? Sie haben doch nur wenige Jahre auf Erden; warum ver geuden sie sie so?« Ich erklärte ihr, daß es in der Mehrzahl der Fälle harte Notwendigkeit sei, von der sie getrieben wür den, doch konnte sie mich nicht verstehen. Inmitten
der Überfülle einer fruchtbaren Erde aufgewachsen, war es ihr unvorstellbar, daß es Millionen von Men schen gab, die nicht wußten, wie sie von einem Tag zum anderen ihren Hunger stillen sollten. »Niemals möchte ich dorthin gehen«, fuhr sie fort. »Ich würde zu Tode verwirrt und verängstigt sein. Es ist nicht natürlich, so zu leben. Gott hat Adam und Eva in einen Garten gesetzt, und so sollten seinem Willen nach auch ihre Kinder leben; in Frieden, und immer angesichts schöner Dinge. Dies hier ist meine Vorstellung eines vollkommenen Lebens. Ich will kein anderes.« »Haben Sie mir gegenüber nicht einmal erwähnt, daß Sie es einsam fänden?« fragte ich. »Ja, das stimmt«, antwortete sie in aller Unschuld, »aber das war, bevor Sie kamen. Jetzt bin ich nicht mehr einsam, und das Leben ist vollkommen – so vollkommen wie diese Nacht.« Gerade in diesem Augenblick trat der Mond hinter der Schulter des Berges hervor, und sein Licht ergoß sich weit über das nebelverhangene Tal, schimmerte auf dem Wasser, lagerte auf der Ebene, kroch in die versteckten Nischen der Felsen, hüllte die schöne Ge stalt der Natur in einen silbernen Brautschleier, durch den ihre Reize geheimnisvoll schimmerten. Stella blickte auf die unteren Terrassen hinab; sie wandte den Kopf und blickte zum narbigen Gesicht des goldenen Mondes hinauf; und dann sah sie mich an. Die Schönheit der Nacht umspielte ihr Gesicht, der Duft der Nacht lag in ihrem Haar, das Mysterium der Nacht leuchtete aus ihren dunklen Augen. Sie sah mich an, ich sah sie an, und unsere Herzen erblühten in uns. Wir sprachen kein Wort – wir konnten keine
Worte finden – kamen jedoch näher und näher auf einander zu, bis sich Lippen auf Lippen preßten und wir so unsere Liebe besiegelten. Sie war es, die jene heilige Stille brach, und sie sprach mit einer veränderten Stimme, die tief und sanft klang und mich wie die tiefsten Akkorde einer Harfe durchbebten. »Ah, jetzt begreife ich«, sagte sie, »jetzt weiß ich, warum wir einsam sind, und wie wir uns von dieser Einsamkeit befreien können. Jetzt weiß ich, was es ist, das uns so aufwühlt an der Schönheit des Himmels, an dem Rauschen des Wassers, und an dem Duft der Blumen. Es ist die Liebe, die aus allem spricht, ob wohl wir nichts davon verstehen können, bevor wir ihre Stimme hören. Doch wenn wir sie hören, dann ist das Rätsel gelöst, und die Pforten unseres Herzens sind geöffnet, und, Allan, wir sehen den Weg, der durch den Tod zum Himmel führt, und sich verliert in der Pracht, von der unsere Liebe nicht mehr als ein Schatten ist. Laß uns hineingehen, Allan. Laß uns hineingehen, bevor der Zauberbann gebrochen wird, so daß wir, ganz gleich, was uns auch bevorstehen sollte, Leid, Tod oder Trennung, immer diese vollkommene Erin nerung haben, um uns zu trösten. Komm, Geliebter, laß uns hineingehen!« Ich erhob mich wie in einem Traum befangen, ohne ihre Hand loszulassen. Doch als ich mich erhob, fiel mein Blick auf etwas, das weiß zwischen den Zwei gen des Orangenbaums neben mir hervorschien. Ich sagte nichts, blickte es jedoch weiter an. Die Brise be wegte die Blätter des Orangenbaums, und das Mond licht fiel für eine Sekunde voll auf das weiße Objekt.
Es war das Gesicht Hendrikas, der Pavianfrau, wie Indaba-zimbi sie genannt hatte, und auf diesem Ge sicht stand ein solcher Ausdruck von Haß, daß ich er schauerte. Ich sagte nichts; das Gesicht verschwand, und ge rade in diesem Augenblick hörte ich das Bellen eines Pavians aus den Felsen hinter uns. Wir schlenderten durch den Garten, und Stella trat in die Zentral-Hütte. Ich sah Hendrika im tiefen Schatten neben der Tür stehen und trat zu ihr. »Hendrika«, sagte ich, »warum hast du Stella und mich im Garten belauscht?« Sie zog die Lippen zurück, bis ihre Zähne im Mondlicht glänzten. »Habe ich sie nicht während all dieser Jahre be wacht, Macumazahn? Soll ich aufhören, sie zu bewa chen, nur weil ein umherziehender weißer Mann ge kommen ist, um sie zu stehlen? Warum hast du sie dort im Garten geküßt, Macumazahn? Wie kannst du es wagen, eine zu küssen, die ein Stern ist?« »Ich habe sie geküßt, weil ich sie liebe, und weil sie mich liebt«, antwortete ich. »Was hat das mit dir zu tun, Hendrika?« »Weil du sie liebst«, zischte sie zurück. »Und liebe nicht auch ich sie, die mich von den Babyans errettet hat? Ich bin eine Frau, wie sie es ist, und du bist ein Mann, und in den Kraals sagen sie, daß Männer Frauen mehr lieben als Frauen Frauen lieben. Doch das ist eine Lüge, obwohl es wahr ist, daß eine Frau, wenn sie einen Mann liebt, alle andere Liebe vergißt. Hast du es nicht selbst gesehen? Ich sammle Blumen für sie – wunderschöne Blumen; ich klettere für sie über Felsen, wo du nicht einmal wagen würdest, nach
ihnen zu suchen; du pflückst nur eine Orangenblüte im Garten und gibst sie ihr. Und was tut sie? Sie nimmt die Orangenblüte, sie steckt sie an ihren Bu sen, und läßt meine Blumen verdorren. Ich rufe nach ihr – sie hört mich nicht – sie denkt. Du flüsterst, wenn sie Meilen weit entfernt ist, und sie hört es und lächelt. Früher hat sie mich manchmal geküßt; jetzt küßt sie das weiße Gör, das du gebracht hast – weil du es warst, der es brachte. Oh, ich kann alles deut lich erkennen; ich habe es von Anfang an erkannt: du stiehlst sie von uns, du stiehlst sie für dich, und sol che, die sie vor dir geliebt haben, sind vergessen. Doch sei vorsichtig, Macumazahn, sei vorsichtig, da mit ich nicht Rache an dir nehme! Du hassest mich! Du denkst, daß ich ein Halbaffe bin; dieser Diener, den du hast, nennt mich Pavianfrau. Nun, ich habe mit Pavianen gelebt, und sie sind sehr klug – ja, sie kennen Tricks und wissen Dinge, die dir unbekannt sind, Macumazahn, und ich bin noch klüger als sie, denn ich habe auch die Weisheit der weißen Men schen erlernt, und deshalb sage ich dir: sei vorsichtig, Macumazahn, denn sonst fällst du in eine Grube!« Und mit einem letzten drohenden Blick war sie ver schwunden. Ich blieb eine Weile nachdenklich stehen. Ich fürchtete diese seltsame Kreatur, die die Schläue der großen Affen, von denen sie aufgezogen worden war, mit den Leidenschaften und dem Wissen der Men schen zu verbinden schien. Ich ahnte, daß Unglück aus ihren Händen kommen würde. Und doch lag et was beinahe Rührendes in der Heftigkeit ihrer Eifer sucht. Es wird allgemein angenommen, daß diese Leidenschaft nur dann auftritt, wenn der Gegenstand
der Liebe von anderem Geschlecht ist als der Lieben de, doch muß ich feststellen, daß ich sowohl hier als auch bei anderen Gelegenheiten gegenteilige Erfah rungen gemacht habe. Ich habe Männer gekannt, und besonders unzivilisierte Männer, die genauso eifer süchtig auf die Zuneigung ihres Freundes oder ihres Herrn waren, wie es jeder Liebhaber auf die seiner Geliebten sein konnte; und wer hat noch nicht das gleiche zwischen Eltern und Kindern erlebt? Und je weiter man hinabsteigt auf der Leiter der Menschheit, desto wilder wuchert diese Leidenschaft; ja, man kann sogar sagen, daß sie unter Wilden zu ihrer in tensivsten Form gelangt. Frauen sind eifersüchtiger als Männer, kleinherzige Männer sind eifersüchtiger als solche mit einem größeren Verstand und größe rem Verständnis, und Tiere sind die eifersüchtigsten von allen. Nun war Hendrika auf eine gewisse Weise nicht allzu weit vom Tier entfernt, was vielleicht die Heftigkeit ihrer Eifersucht auf die Zuneigung ihrer Herrin erklärte. Ich schüttelte meine Vorahnung kommenden Un heils ab und trat in die Zentral-Hütte. Mr. Carson ruhte auf dem Sofa, und vor ihm kniete Stella, die seine Hand in der ihren hielt und ihren Kopf an seine Brust gelegt hatte. Ich erkannte sofort, daß sie ihm be richtet hatte, was zwischen uns geschehen war, und ich war sehr froh darüber, denn das ist eine Aufgabe, die ein angehender Schwiegersohn gerne einem Stell vertreter überläßt. »Kommen Sie her, Allan Quatermain!« sagte er, fast streng, und mein Herz machte einen Satz, denn ich fürchtete, daß er mich auffordern würde, sein Haus zu verlassen. Doch ich trat zu ihm.
»Stella hat mir gesagt«, fuhr er fort, »daß ihr beide euch verlobt habt. Sie hat mir auch gesagt, daß sie Sie liebt, und daß Sie behaupten, sie zu lieben.« »Das tue ich wirklich, Sir«, antwortete ich; »ich lie be sie ehrlich. Wenn jemals eine Frau in dieser Welt geliebt wurde, so ist sie es.« »Dem Himmel sei Dank dafür«, sagte der alte Mann. »Hört zu, meine Kinder! Vor vielen Jahren sind großes Leid und große Schande über mich ge kommen, ein so großes Leid, daß ich manchmal fürchtete, es könnte mir den Verstand nehmen. Jeden falls beschloß ich, etwas zu tun, was die meisten Menschen für Wahnsinn halten würden: ich wollte mit meinem einzigen Kind in die Wildnis gehen, um dort, weit entfernt von der Zivilisation und ihren Übeln, zu leben. Das habe ich auch getan; ich habe diesen Ort gefunden, und wir haben lange Jahre hier verbracht, sehr glücklich, und vielleicht auch nicht ohne Gutes zu tun, aber dennoch auf eine Weise, die für unsere Rasse und unseren Stand unnatürlich ist. Anfangs hatte ich vor, meine Tochter in einem Zu stand völliger Unwissenheit aufwachsen zu lassen, so daß sie ein Kind der Natur würde. Doch je mehr Zeit verging, desto mehr erkannte ich die Torheit und Sündhaftigkeit dieses Plans. Ich hatte kein Recht, sie auf das Niveau der Wilden zu degradieren, von de nen ich umgeben war, denn auch wenn die Frucht vom Baum des Wissens eine bittere Frucht ist, so lehrt sie doch, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Also habe ich sie so weit erzogen, wie es mir möglich war, bis ich schließlich zu der Überzeugung gelangte, daß sie sowohl geistig als auch körperlich auf keine Weise ihren Schwestern unterlegen war, den Kindern der
zivilisierten Welt. Sie wuchs zur Frau heran, und da wurde mir klar, daß ich ihr bitteres Unrecht antat, da ich sie von Menschen ihrer Art isolierte und sie in der Wildnis festhielt, wo sie weder einen Gatten noch Ge fährten finden konnte. Doch obwohl mir dies bewußt war, konnte ich mich doch nicht entschließen, wieder ins zivilisierte Leben zurückzukehren; dieser Ort war mir zur Heimat geworden. Ich fürchtete mich davor, in die Welt zurückzukehren, der ich abgeschworen hatte. Immer wieder schob ich die Entscheidung auf. Dann, zu Beginn dieses Jahres, wurde ich krank. Für eine Weile hatte ich die Hoffnung, daß ich wieder ge sund werden würde, doch schließlich sah ich ein, daß ich mich von dieser Krankheit nie wieder erholen würde, daß die Hand des Todes auf mir lag.« »Nein, Vater! Sag, daß es nicht wahr ist!« sagte Stella mit einem Aufschrei. »Ja, mein Liebes, es ist wahr. Doch jetzt kannst du unsere Trennung in dem Glück einer neuen Begeg nung vergessen.« Er blickte mich an und lächelte. »Nun, als ich das begriffen hatte, faßte ich den Ent schluß, diesen Ort sofort zu verlassen und zur Küste zu trecken, obwohl mir völlig klar war, daß diese Rei se mich töten würde, daß ich nicht einmal lange ge nug leben würde, um die Küste zu erreichen. Doch Stella würde es tun, und das wäre auf jeden Fall bes ser, als sie mit Wilden hier allein zurückzulassen. Doch just an dem Tage, an dem ich mich zu diesem Schritt entschlossen hatte, fand Stella dich sterbend am Rand der Wüste, Allan Quatermain, und brachte dich hierher. Dich brachte sie her, von allen Männern auf dieser Welt, dich, dessen Vater mein lieber Freund war, und der einst mit seinen Kinderhänden
sie vor dem Feuer errettet hat, damit einst sie dich vor dem Verdursten erretten könne. Damals sagte ich nicht viel dazu, doch erkannte ich sofort die Hand des Schicksals darin und beschloß, abzuwarten, was sich zwischen euch entwickeln mochte. Im schlimm sten Falle, falls sich nichts entwickeln sollte, wußte ich doch bald, daß ich dir vertrauen konnte, sie sicher zur Küste zu bringen, wenn ich gestorben war. Doch schon vor vielen Tagen merkte ich, wie es zwischen euch stand, und jetzt ist es so gekommen, wie ich ge betet habe, daß es kommen möge. Gott segne euch beide, meine Kinder! Möget ihr glücklich werden in eurer Liebe. Möge sie andauern bis zum Tode, und über den Tod hinaus! Gott segne euch beide!« Und er streckte mir seine Hand entgegen. Ich nahm sie, und Stella küßte ihn. Kurz darauf fuhr er fort: »Es ist meine Absicht, wenn ihr damit einverstanden seid, euch am kom menden Sonntag zu trauen. Ich möchte es sehr bald tun, da ich nicht weiß, wieviel Zeit mir noch gegeben sein mag. Ich nehme an, daß eine solche Zeremonie, in der vorgeschriebenen Form und in Gegenwart von Zeugen abgehalten, unter den gegebenen Umständen absolut rechtsgültig ist, aber ihr werdet sie mit aller Formalität wiederholen, sowie ihr die Gelegenheit dazu habt. Und nun noch etwas: Als ich England verließ, war meine Vermögenslage desolat; im Laufe der Jahre hat sie sich jedoch wieder erholt; die akku mulierte Pacht war ausreichend, wie ich erst kürzlich erfuhr, als die letzten Wagen von Natal zurückkehr ten, um alle Schulden zu begleichen, und es ist sogar eine erhebliche Summe übriggeblieben. Also werdet ihr nicht mittellos dastehen, denn natürlich bist du,
Stella, meine Erbin. Doch möchte ich eine Bedingung daran knüpfen, und zwar diese: daß ihr sofort nach meinem Tod diesen Ort verlaßt und die erste Gele genheit wahrnehmt, nach England zurückzukehren. Ich verlange von euch nicht, für immer dort zu leben; das mag zu viel sein für Menschen, die in der Wildnis aufgewachsen sind, wie es bei euch beiden der Fall ist; aber ich erwarte, daß ihr es zu eurem festen Wohnsitz macht. Versprecht ihr mir das?« »Ich verspreche es«, antwortete ich. »Ich ebenfalls«, sagte Stella. »Gut«, sagte er. »Und jetzt bin ich sehr müde. Noch einmal: Gott segne euch beide, und gute Nacht.«
10
Hendrika plant Unheil
Am folgenden Morgen hatte ich ein Gespräch mit In daba-zimbi. Als erstes sagte ich ihm, daß ich Stella heiraten würde. »Oh!« sagte er, »das habe ich mir gedacht, Macu mazahn. Habe ich dir nicht prophezeit, daß du auf dieser Reise dein Glück finden würdest? Die meisten Männer müssen sich damit zufrieden geben, einen Stern nur aus weiter Ferne sehen zu können, dir aber ist es vergönnt, einen Stern an deinem Herzen zu tra gen. Doch denke daran, Macumazahn, denke daran, daß Sterne untergehen!« »Kannst du deine Unkerei nicht einmal für einen Tag lassen?« sagte ich verärgert, denn seine Worte ließen mich vor unbestimmter Furcht erschauern. »Ein wahrer Prophet muß sowohl das Schlechte als auch das Gute berichten, Macumazahn. Ich sage le diglich, was ich denke. Doch was macht das? Was ist denn das Leben anderes als Verlust, ein Verlust um den anderen, bis das Leben selbst verloren wird? Nur im Tode mögen wir alle die Dinge wiederfinden, die wir verloren haben. So hat es dein Vater mich gelehrt, Macumazahn, und es lag Weisheit in seiner Sanftmut. Ou! Ich glaube nicht an den Tod; er ist eine Verände rung, das ist alles, Macumazahn. Sieh mal, der Regen fällt herab, und die Regentropfen, die einst ein Was ser in der Wolke waren, fallen nebeneinander. Sie versinken in den Boden, und dann kommt die Sonne heraus, die Erde wird trocken, die Tropfen sind ver
schwunden. Ein Narr blickt auf die Erde und sagt: die Tropfen sind tot, sie werden nie wieder eins sein, und sie werden nie wieder Seite an Seite fallen. Aber ich bin ein Regenmacher und kenne mich mit dem Regen aus. Es ist nicht wahr. Die Tropfen rinnen auf vielerlei Wegen in den Fluß und werden dort wieder zu einem Wasser. Sie steigen wieder zu den Wolken hinauf, und in die Morgennebel, und dort werden sie wieder sein, wie sie waren. Wir sind diese Regentropfen, Macumazahn. Wenn wir herabfallen, das ist unser Leben. Wenn wir im Erdboden versinken, das ist un ser Tod, und wenn wir wieder zum Himmel empor gezogen werden, was ist das, Macumazahn? Nein, nein! Wenn wir finden, verlieren wir, und wenn wir zu verlieren scheinen, dann werden wir wirklich fin den. Ich bin kein Christ, Macumazahn, aber ich bin alt, und ich habe Dinge gesehen, die Christen viel leicht nicht sehen. So, ich habe gesprochen. Sei glück lich mit deinem Stern, und wenn er untergeht, so warte, Macumazahn, warte, bis er wieder aufgeht. Es wird nicht lange dauern; eines Tages wirst du ein schlafen, und deine Augen werden sich in einem an deren Himmel öffnen, und dort wird dein Stern strahlen, Macumazahn.« Dieses Mal antwortete ich nicht. Ich konnte es nicht ertragen, von so etwas zu sprechen. Doch habe ich in späteren Jahren oft an Indaba-zimbi und sein wun derbares Gleichnis gedacht und Trost darin gefun den. Er war ein seltsamer Mann, dieser alte, regenma chende Wilde, und es steckte mehr Weisheit in ihm als in manchem gelehrten Atheisten, jenen geistigen Zerstörern, die im Namen des Fortschritts und der Humanität dem Leben jede Hoffnung zu nehmen
versuchen und uns in einer einsamen, selbstgeschaf fenen Hölle umherirren lassen wollen. »Indaba-zimbi«, sagte ich und wechselte das The ma. »Ich habe dir etwas zu sagen.« Und ich berichtete ihm von den Drohungen Hendrikas. »Macumazahn«, sagte er nach einer Pause, »ich ha be dir gleich gesagt, daß dies eine böse Frau ist. Sie ist mit Pavianmilch großgezogen worden, und die Art der Paviane ist in ihrem Blut. Solche Kreaturen soll ten getötet werden, und nicht gehalten. Sie wird dir Schaden bringen, wenn sie es kann. Aber ich behalte sie im Auge, Macumazahn. Sieh, der Stern wartet auf dich; geh rasch, oder sie wird mich so hassen, wie Hendrika dich haßt!« Also ging ich, und nicht ungern, denn so tiefgrün dig die Weisheit Indaba-zimbis auch sein mochte, fand ich doch eine tiefere Bedeutung in Stellas ein fachsten Worten. Den ganzen Tag verbrachten wir zusammen, und auch den größten Teil der beiden folgenden. Schließlich wurde es Samstag abend, der Vorabend unserer Hochzeit. Es regnete an jenem Abend, also gingen wir nicht hinaus, sondern blieben in der Hütte. Wir saßen Hand in Hand und sprachen nur wenig, doch Mr. Carson redete sehr viel, berich tete uns von seiner Jugend, und von den Ländern, die er bereist hatte. Dann las er laut aus der Bibel vor und wünschte uns eine gute Nacht. Ich küßte Stella und ging zu Bett. Ich erreichte meine Hütte durch den überdachten Gang, und bevor ich schlafen ging, öff nete ich die Tür, um nach dem Wetter zu sehen. Es war sehr dunkel, und es regnete noch immer, doch als Lichtschein in das Dunkel fiel, glaubte ich, eine schattenhafte Gestalt fortschleichen zu sehen. Sofort
fiel mir Hendrika ein; ob sie dort draußen gelauert hatte? Nun hatte ich weder zu Stella, noch zu Mr. Carson etwas über Hendrikas Drohungen gesagt, weil ich sie nicht beunruhigen wollte. Außerdem wußte ich, daß Stella an diesem seltsamen Wesen hing, und wollte ihr Vertrauen in Hendrika nicht er schüttern, falls es nicht unbedingt notwendig sein würde. Eine Minute oder so stand ich zögernd, dann überlegte ich mir: wenn Hendrika dort draußen war, so sollte sie auch draußen bleiben, ging hinein und legte den schweren Holzbalken vor, der dazu da war, die Tür zu sichern. Seit einigen Nächten hatte der alte Indaba-zimbi es sich zur Angewohnheit gemacht, in der überdachten Passage zu schlafen, welche der ein zige andere Zugang war. Als ich jetzt zu Bett gehen wollte, trat ich fast auf ihn, der in seine Decke einge rollt dort lag, allem Anschein nach in tiefem Schlaf. Da ich also offensichtlich nichts zu befürchten hatte, schob ich die ganze Angelegenheit sofort aus meinen Gedanken, die, wie man sich vorstellen kann, mit an deren Dingen beschäftigt waren. Ich ging also zu Bett und lag eine Weile wach, dachte an das große Glück, das mir bevorstand, und an die schicksalhafte Wendung, die die Dinge ge nommen hatten, um es in meine Reichweite zu brin gen. Vor wenigen Wochen erst war ich in der Wüste umhergeirrt, ein sterbender Mann, mit einem ster benden Kind auf seinen Armen, und fast ohne jeden Besitz auf der Welt, mit Ausnahme eines Postens ver grabenen Elfenbeins, den wiederzusehen ich nicht hoffen konnte. Und jetzt stand ich kurz davor, eine der wunderbarsten und schönsten Frauen der ganzen Welt zu heiraten, eine Frau, die ich mehr liebte, als
ich es für möglich gehalten hätte, und die mich wie derliebte. Und als wenn das noch nicht des Glücks genug sei, würde ich mit ihr gemeinsam auch in den Genuß ihrer vielfältigen Besitztümer gelangen, die mehr als ausreichend waren, um uns jeden Lebens weg zu öffnen, für den wir uns entscheiden mochten. Während ich so lag und über all dies nachdachte, er faßte mich Angst um mein Glück. Die düsteren Pro phezeiungen des alten Indaba-zimbi fielen mir wie der ein. Bis jetzt waren seine Voraussagen immer ein getroffen. Was war, wenn auch diese sich als wahr erweisen sollte? Mir wurde kalt, als ich daran dachte, und ich betete zu der Macht im Himmel, uns beide zu bewahren, uns zusammen leben und lieben zu lassen. Und noch nie war ein Gebet so notwendig gewesen wie dieses. Während seine Worte noch auf meinen Lippen waren, schlief ich ein und hatte einen entsetz lichen Traum. Mir träumte, daß Stella und ich nebeneinander stünden, um getraut zu werden. Sie war ganz in Weiß gekleidet und strahlte vor Schönheit, doch war es ei ne wilde, vergeistigte Schönheit, die mir Angst machte. Ihre Augen glänzten wie Sterne, eine fahle Flamme umzuckte ihr Gesicht, und der Wind, der wehte, bewegte ihr Haar nicht. Und das war noch nicht alles, denn ihr weißes Gewand war ein Lei chentuch, und der Altar, vor dem wir standen, war die ausgehobene Erde eines Grabes, das zwischen uns klaffte. So standen wir und warteten auf einen, der uns trauen sollte, doch niemand kam. Plötzlich sprang Hendrika aus der offenen Grube. In ihrer Hand war ein Messer, mit dem sie nach mir stach, doch traf sie das Herz Stellas, die lautlos in das offene
Grab sank und noch im Fallen mich anblickte. Da sprang Hendrika ihr in die Grube nach. Ich hörte den harten Aufprall ihrer Füße. »Wach auf, Macumazahn! Wach auf?« rief die Stimme von Indaba-zimbi. Ich fuhr auf und sprang aus dem Bett, und kalter Schweiß rann über meinen Körper. Aus der Dunkel heit auf der anderen Seite der Hütte hörte ich die Ge räusche eines wütenden Kampfes. Glücklicherweise behielt ich die Nerven. Neben dem Bett stand ein Stuhl, auf dem Streichhölzer und ein trockener Schilfhalm lagen. Ich riß ein Streichholz an und hielt es an den Schilfhalm. In dem aufflammenden Licht sah ich zwei Gestalten, die über- und untereinander auf dem Boden herumrollten, und zwischen ihnen blitzte ein Messer. Jetzt loderte der Schilfhalm hell auf. Es waren Indaba-zimbi und Hendrika, die mit einander rangen, und die Frau schien den Mann zu besiegen, kräftig wie sie war. Jetzt lag sie auf ihm, jetzt hatte sie sich aus seinem kraftvollen Griff befreit, und jetzt blitzte das lange Messer auf, das sie in der Hand hielt. Doch da war ich schon hinter ihr, stieß meine Hän de unter ihre Arme und riß mit aller Kraft. Sie stürzte rücklings zu Boden und ließ glücklicherweise, um sich abstützen zu können, das Messer fallen. Dann warfen wir beide uns auf sie. Himmel! Was für eine Kraft in dieser Teufelin steckte! Niemand, der das nicht selbst erfahren hat, würde es für möglich halten. Sie schlug und kratzte und biß und hätte um ein Haar uns beide besiegt. Auf alle Fälle gelang es ihr, sich loszureißen. Sie sprang auf das Bett und schnellte sich von dort zur Decke der Hütte hinauf. Noch nie hatte
ich einen solchen Sprung gesehen und konnte mir nicht denken, was sie vorhatte. In der Decke befan den sich seltsam geformte Öffnungen, die ich bereits beschrieben habe. Sie waren dazu gedacht, Licht her einzulassen und wurden von überhängenden Traufen geschützt. Sie sprang senkrecht und zielsicher wie ein Affe, packte den Rand der Öffnung mit beiden Hän den und versuchte, sich hinaufzuziehen. Doch jetzt verließen sie ihre durch den langen Kampf ge schwächten Kräfte. Ein paar Sekunden lang pendelte sie dort oben hin und her, dann fiel sie herab und lag bewußtlos am Boden. »Ou!« keuchte Indaba-zimbi. »Laß uns diese Teufels-Frau binden, bevor sie wieder zu sich kommt!« Ich hielt das für einen guten Vorschlag, also nah men wir einen Riemen, der in einer Ecke des Raumes lag, und fesselten ihre Hände und Füße auf eine Wei se zusammen, daß selbst sie nicht entkommen konn te. Dann trugen wir sie in die Passage, und Indaba zimbi bewachte sie, das Messer in der Hand, da ich zu dieser Nachtstunde keinen Alarm auslösen wollte. »Weißt du, wie ich sie erwischt habe, Macuma zahn?« sagte er. »Seit mehreren Nächten schlafe ich hier, mit einem offenen Auge, weil ich mir dachte, daß sie etwas plante. Heute nacht habe ich beide Au gen offen gelassen, obwohl ich so tat, als ob ich schlie fe. Eine Stunde nachdem du in die Decken gekrochen warst, ging der Mond auf, und ich sah durch das Loch im Dach einen Lichtstrahl in die Hütte fallen. Doch dann sah ich den Lichtstrahl plötzlich ver schwinden. Im ersten Moment dachte ich, daß eine Wolke vor den Mond gezogen sei, doch als ich lauschte, hörte ich ein Geräusch, als ob jemand sich
durch ein enges Loch zwängte. Und dann war dieser Jemand hindurch, und hing an seinen Händen dort oben. Dann fiel das Licht wieder herein, und mitten in seinem Strahl sah ich die Babyan-Frau unter dem Dach hin und her schwingen, um sich in die Hütte fallen zu lassen. Sie hing an beiden Händen, und zwi schen den Zähnen hielt sie ein langes Messer. Sie ließ sich fallen, und während sie fiel, rannte ich los und packte sie. Doch sie hörte mich kommen, fuhr herum, packte das Messer, stach im Dunkel nach mir und traf mich nicht. Dann rangen wir miteinander, und den Rest weißt du. Sehr nahe warst du dem Tod heute nacht, Macumazahn.« »Wahrlich sehr nahe«, antwortete ich, noch immer keuchend, und ordnete die Fetzen meiner Nachtbe kleidung so gut es mir möglich war. Dann, plötzlich, zuckte die Erinnerung an meinen entsetzlichen Traum durch mein Gehirn. Wahrscheinlich war er durch den Aufprall von Hendrikas Füßen ausgelöst worden, als sie sich hatte herabfallen lassen – in mei nem Traum war es das Grab gewesen, in das sie sprang. Alles hatte ich also in dieser einen Sekunde erlebt. Nun, Träume sind schnell, und vielleicht ist die Zeit nichts anderes als ein Traum, und vielleicht finden Ereignisse, die in großem Abstand voneinan der zu geschehen scheinen, in Wirklichkeit gleichzei tig statt. Wir verbrachten den Rest der Nachtstunden damit, Hendrika zu beobachten. Schließlich kam sie zu sich und kämpfte verbissen, um sich von den Fesseln zu befreien. Doch die Streifen aus ungegerbtem Büffel fell erwiesen sich für sie als zu kräftig, und außerdem setzte Indaba-zimbi sich einfach auf ihren Bauch, um
sie ruhig zu halten. Schließlich gab sie es auf. Nach einiger Zeit wurde es Tag – mein Hochzeits tag. Ich ließ Indaba-zimbi zurück, um die Frau, die beinahe meine Mörderin geworden wäre, zu bewa chen, holte ein paar Eingeborene von den Ställen und trug mit ihrer Hilfe Hendrika zur Gefängnis-Hütte, derselben Hütte, in die sie gesperrt worden war, nachdem Stella sie als Pavian-Kind aus der Höhle ge holt hatte. Hier schlossen wir sie ein, und nachdem ich Indaba-zimbi als Wache zurückgelassen hatte, kehrte ich in meine Hütte zurück und zog mir die be ste Kleidung an, die sich in den Babyan-Kraals auf treiben ließ. Doch als ich mein Spiegelbild ansah, fuhr ich entsetzt zurück. Mein Gesicht war von Kratz wunden bedeckt, die Hendrika mit ihren Nägeln ge rissen hatte. Ich versorgte sie, so gut es mir möglich war, und machte dann einen kleinen Spaziergang, um meine Nerven zu beruhigen, die durch die Aufre gungen der vergangenen Nacht und derer, die mir an diesem Tag noch bevorstanden, ein wenig durchein ander geraten waren. Als ich zurückkehrte, war Frühstückszeit. Ich trat in die Zentralhütte, und dort wartete Stella auf mich, in einem einfachen weißen Kleid und mit einem Strauß Orangenblüten an ihrem Busen. Sie trat lä chelnd auf mich zu, doch dann, als sie den Zustand meines Gesichts sah, fuhr sie zurück. »Allan! Wie ist das geschehen?« rief sie entsetzt. Als ich ihr antworten wollte, trat ihr Vater, auf sei nen Stock gestützt herein, und als er meiner ansichtig wurde, stellte er mir die gleiche Frage. Nun berichtete ich ihnen über alles, sowohl über Hendrikas Drohung, als auch über ihren wilden Ver
such, sie in die Tat umzusetzen. Doch sagte ich nichts über meinen entsetzlichen Traum. Stellas Gesicht wurde so weiß wie die Blüten an ih rem Busen, doch das ihres Vaters wurde sehr hart. »Du hättest schon früher darüber sprechen sollen, Allan«, sagte er. »Jetzt sehe ich ein, daß es unrecht von mir war, diese bösartige und rachsüchtige Krea tur zu zivilisieren zu versuchen, die, wenn sie menschlich sein sollte, all die üblen Sünden der Be stien angenommen hat, die sie aufgezogen haben. Nun, ich werde dem ein Ende setzen, und zwar noch heute.« »Oh, Vater«, flehte Stella, »laß sie nicht töten. Es ist schon so furchtbar genug, aber das würde es noch furchtbarer machen. Ich mag sie sehr gern, und mag sie auch schlecht sein, so liebt sie mich doch. Laß sie nicht töten an meinem Hochzeitstage.« »Nein«, antwortete ihr Vater, »sie soll nicht getötet werden, denn wenn sie auch verdient hat, zu sterben, will ich nicht ihr Blut an meinen Händen haben. Sie ist ein Tier und ist ihrer tierischen Natur gefolgt. Soll sie dorthin zurückgehen, wo sie hergekommen ist.« Mehr wurde zu der Zeit nicht gesprochen, doch nach dem Frühstück – das zur Farce wurde – schickte Carson nach dem obersten Induna und gab ihm be stimmte Befehle. Wir sollten nach dem Gottesdienst getraut werden, den Mr. Carson an jedem Sonntag vormittag in der Marmorhütte abhielt, die für diesen Zweck einge richtet worden war. Der Gottesdienst begann um zehn Uhr, doch schon lange vor dieser Zeit kamen die Eingeborenen singend herbei um die Hochzeit des ›Sterns‹ mitzuerleben. Es war ein schönes Bild, sie so
heraufkommen zu sehen, die Männer in ihrem vollen Schmuck, mit Schilden und Stöcken in ihren Händen, und die Frauen und Kinder mit grünen Zweigen, Farnen und Blumen. Schließlich, gegen halb zehn, er hob sich Stella, drückte mir die Hand und überließ mich meinen Gedanken. Wenige Minuten vor zehn Uhr kam sie in Begleitung ihres Vaters zurück, jetzt mit einem weißen Schleier, einem Kranz Orangen blüten auf ihren dunklen Locken und mit einem Bou quet aus Orangenblüten in der Hand. Mir kam sie wie ein Traum von Schönheit vor. An ihrer Seite lief die kleine Tota, außer sich vor Freude und Erregung. Sie war Stellas einzige Brautjungfer. Dann traten wir alle hinaus und gingen auf die Kapellen-Hütte zu. Der freie Platz vor ihr war mit Hunderten von Einge borenen gefüllt, die einen Gesang anstimmten, als wir uns näherten. Wir gingen zwischen ihnen hindurch in die Kapelle, in der sich alle jene Eingeborenen drängten, die regelmäßig die Gottesdienste besuch ten. Hier hielt Mr. Carson, wie üblich, die Predigt, obwohl er sich dazu setzen mußte. Als dies vorbei war – und es kam mir unendlich lange vor – flüsterte Mr. Carson uns zu, daß er uns draußen, vor der Hüt te, trauen wolle, im Angesicht aller Bewohner. Also traten wir hinaus und stellten uns in den Schatten ei nes großen Baumes, der bei der Hütte wuchs, vor dem freien Platz, auf dem sich die Eingeborenen ver sammelt hatten. Mr. Carson hob die Hand, um Ruhe zu fordern. Dann erklärte er den Leuten, im hier üblichen Dialekt sprechend, daß er uns nach christlichem Brauch zu Mann und Frau machen werde, und vor dem Ange sicht aller Menschen. Als das getan war, begann er
die Trauungszeremonie über uns abzuhalten, und er machte das sehr feierlich und sehr schön. Wir spra chen unser ›Ja‹, ich schob den Ring – es war der Sie gelring ihres Vaters, da wir keinen anderen besaßen – auf Stellas Finger, und damit war unsere Verbindung vollzogen. Dann sagte Mr. Carson zu uns: »Allan und Stella, ich glaube, daß die Zeremonie, die ich eben vollzogen habe, euch vor Gott und den Menschen zu Mann und Frau macht, denn alles, was erforderlich ist, um eine Trauung bindend zu machen, besteht darin, sie nach dem Brauch des Landes abzuhalten, in dem die Part ner dieser Trauung leben. Es geschah in Überein stimmung mit den Bräuchen, die hier seit fünfzehn oder mehr Jahren gelten, daß ihr im Angesicht aller Menschen getraut wurdet, und zum Zeichen dafür werdet ihr euch nun beide in das Register eintragen, das ich für die Trauungen solcher meiner Leute an gelegt habe, die zum christlichen Glauben übergetre ten sind. Trotzdem, für den Fall, daß irgendein lega ler Fehler darin stecken sollte, fordere ich von euch nochmals das feierliche Versprechen, daß ihr diese Zeremonie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit in einem zivilisierten Lande wiederholen laßt. Schwört ihr mir das?« »Wir schwören es«, antworteten wir. Dann wurde das Buch herausgebracht, und wir trugen unsere Namen ein. Meine Frau unterschrieb lediglich mit ›Stella‹, doch ihr Vater befahl ihr, zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben, Stella Carson zu schreiben. Anschließend setzten einige der Indu nas, und auch der alte Indaba-zimbi, ihre Zeichen als Zeugen darunter. Indaba-zimbi machte das seine in
Form eines kleinen Sterns, ein humorvoller Hinweis auf Stellas Eingeborenen-Namen. Dieses Register liegt jetzt vor mir, während ich schreibe. Es ist, zu sammen mit einer Haarlocke meines Lieblings, die zwischen seinen Seiten liegt, mein kostbarster Besitz. Dort sind all die Namen und Zeichen, wie sie vor vielen Jahren im Schatten des Baumes im BabyanKraal in der Wildnis geschrieben wurden, aber ach! ach! Wo sind sie alle, die sie geschrieben haben? »Mein Volk«, sagte Mr. Carson, als die Unterzeich nung beendet war und wir uns vor allen Versam melten geküßt hatten. »Mein Volk, Macumazahn und der Stern, meine Tochter, sind jetzt Mann und Frau, um von nun an in einem Kraal zu leben, aus einer Schüssel zu essen, um ihre Leben miteinander zu tei len, bis sie ins Grab sinken. Hört nun, mein Volk, ihr kennt jene Frau.« Dabei wandte er sich um und deu tete auf Hendrika, die, von uns ungesehen, aus der Gefängnishütte gebracht worden war. »Ja, ja, wir kennen sie«, sagten die Indunas, welche den primitiven Gerichtshof bildeten und sich nach Art der Eingeborenen in einem kleinen Kreis vor uns auf den Boden gehockt hatten. »Wir kennen sie, sie ist die weiße Babyan-Frau, sie ist Hendrika, die Leibdie nerin des Sterns.« »Ihr kennt sie«, sagte Mr. Carson, »doch kennt ihr sie nicht ganz. Tritt vor, Indaba-zimbi, und berichte dem Volke, was in der letzten Nacht in der Hütte von Macumazahn geschah!« Also trat der alte Indaba-zimbi vor, hockte sich nieder und erzählte seine bewegende Geschichte mit großer Dramatik und vielen Gesten, und brachte sie zu Ende, indem er das lange Messer hervorzog, vor
dem seine Wachsamkeit mich gerettet hatte. Danach wurde ich aufgerufen und bestätigte mit kurzen Worten seine Aussage. Nun wandte Mr. Carson sich an Hendrika, die in finsterem Schweigen seitlich von uns stand und zu Boden starrte, und fragte sie, ob sie irgend etwas zu sagen habe. Sie warf den Kopf zurück und antwortete scharf: »Macumazahn hat mir die Liebe meiner Herrin ge raubt, also wollte ich ihm das Leben rauben, was nur geringen Wert hat gegenüber dem, was ich durch ihn verloren habe. Ich habe versagt, und das ist das ein zige, was mir leid tut, denn wenn es mir gelungen wäre, ihn zu töten und keinerlei Spur zu hinterlassen, so hätte der Stern ihn vergessen und wieder auf mich herabgeschienen.« »Niemals!« murmelte Stella in mein Ohr; doch Mr. Carson wurde bleich vor Wut. »Mein Volk«, sagte er, »ihr habt die Worte dieser Frau vernommen. Ihr habt gehört, auf welche Weise sie unsere Zuneigung vergilt, die meine, und die Lie be meiner Tochter, die zu lieben sie vorgibt. Sie gibt zu, daß sie einen Mann ermorden wollte, der ihr nichts Böses getan hat, den Mann, der jetzt der Gatte ihrer Herrin ist. Wir haben sie von den Babyans er rettet, wir haben sie gezähmt, wir haben sie ernährt, wir haben sie alles gelehrt, was sie weiß, und so dankt sie es uns. Sagt, mein Volk, welche Strafe hat sie dafür verdient?« »Den Tod!« rief der Kreis der Indunas, und sie richteten ihre Daumen nach unten, und die ganze Menge hinter ihnen rief: »Den Tod!« »Den Tod«, wiederholte der oberste der Indunas,
und fügte hinzu: »Wenn du sie verschonst, mein Va ter, werden wir sie mit unseren eigenen Händen tö ten. Sie ist eine Babyan-Frau, eine Teufels-Frau; ah, ja! Von solchen haben wir schon früher gehört; laß ihr das Gehirn aus dem Schädel schlagen, bevor sie noch mehr Unheil anrichten kann.« Jetzt trat Stella vor und bat mit bewegenden Wor ten um Hendrikas Leben. Sie sprach von der Wildheit der Natur dieser Frau, von den langen Jahren des Dienstes, und von der Liebe, die sie ihr immer gezeigt habe. Sie sagte, daß ich, dessen Leben zu nehmen sie versucht habe, ihr vergäbe, und sie, mein Frau, die fast zur Witwe geworden wäre, bevor sie zur Ehefrau wurde, ihr ebenfalls vergäbe, daß also auch sie ihr vergeben und sich damit einverstanden erklären sollten, daß sie in die Verbannung geschickt und nicht getötet würde, damit ihr Hochzeitstag nicht mit Blut besudelt würde. Ihr Vater hörte ihren Worten sehr aufmerksam zu, da er nicht die geringste Absicht hatte, Hendrika tö ten zu lassen – das hatte er ja bereits versprochen. Doch die Eingeborenen waren anderer Meinung; sie sahen Hendrika jetzt erst recht als eine Teufelin, und würden sie auf der Stelle zerrissen haben, wenn es nach ihnen gegangen wäre. Und ihre Stimmung wurde auch nicht durch Indaba-zimbis Auftritt ver bessert, der bereits einen großen Ruf als Weiser und Zauberer errungen hatte, als dieser sich plötzlich er hob und sie mit leidenschaftlichen Worten drängte, Hendrika auf der Stelle zu töten, da sie sonst großes Unheil anrichten würde. Die Situation spitzte sich zu, als zwei der Indunas vortraten, um sie zur Exekution zu führen, und erst
als Stella in Tränen ausbrach, wurden sie durch die ses Zeichen der Trauer, das durch Mr. Carsons Be fehle und auch durch meine Ermahnungen unter stützt wurde, zum Nachgeben gezwungen. Während all dieser Zeit hatte Hendrika völlig un bewegt dagestanden. Schließlich legte sich der Tu mult, und der oberste Induna befahl ihr, fortzugehen, und schwor ihr, daß man sie, sollte sie sich noch ein mal in der Nähe der Kraals blicken lassen, aufspeeren würde wie einen Schakal. Nun sagte Hendrika mit leiser Stimme zu Stella: »Du solltest mich lieber töten lassen, Herrin, das wäre für alle besser. Denn ohne deine Liebe werde ich wahnsinnig und wieder zum Kind.« Stella antwortete nicht, und sie lösten ihre Bande. Sie trat einen Schritt vor und starrte die Eingeborenen mit einem haßerfüllten Ausdruck an. Dann wandte sie sich um und schritt an mir vorbei, und dabei murmelte sie eine Eingeborenen-Redensart in mein Ohr, die, wörtlich übersetzt, lautet: ›Bis zum nächsten Mond‹, dem Sinne nach jedoch dieselbe Bedeutung hat wie das französische ›au revoir‹. Es jagte mir einen Schauer über den Rücken, denn ich begriff, daß sie mir damit sagen wollte, sie sei noch nicht fertig mit mir, und erkannte, daß unser Mitleid vergeudet war. Als sie sah, wie mein Ge sichtsausdruck sich veränderte, lief sie rasch von mir fort, und als sie an Indaba-zimbi vorbeikam, riß sie ihm mit einer plötzlichen Bewegung ihr langes Mes ser aus der Hand. Als sie etwa zwanzig Schritte ent fernt war, blieb sie stehen, blickte Stella lange und ernst an, stieß einen lauten Schrei aus, wie in uner träglichem Schmerz, und rannte davon. Wenige Mi
nuten später sahen wir sie weit entfernt eine fast senkrechte Klippe hinaufeilen – eine Klippe, die nie mand außer ihr und den Pavianen erklimmen konnte. »Sieh!« sagte Indaba-zimbi in mein Ohr, »sieh, Macumazahn, dort geht sie fort, die Babyan-Frau. Aber, Macumazahn, sie wird zurückkommen! Ah, war um hast du nicht auf meine Worte gehört? Sind es nicht immer Worte der Wahrheit gewesen, Macuma zahn?«, und er zuckte die Achseln und wandte sich ab. Für eine Weile war ich sehr verstört, doch jeden falls war Hendrika jetzt fort, und Stella, meine ge liebte und schöne Frau, war hier, an meiner Seite, und ihr Lächeln ließ mich meine Ängste vergessen. Was den Rest dieses Tages anbetrifft, warum sollte ich darüber schreiben? – es gibt Dinge, die zu glück lich und zu heilig sind, um beschrieben zu werden. Endlich hatte ich, wenn auch nur für kurze Zeit, je ne Ruhe gefunden, jenes vollkommene Glück, das wir ständig suchen und so selten umfangen können.
11
Verschwunden!
Ich frage mich, ob viele Ehepaare so glücklich sind, wie wir es waren. Zyniker, eine Spezies, deren Zahl ständig zunimmt, erklären, daß nur wenige Illusio nen die Flitterwochen überleben können. Nun, ich will mich dazu nicht äußern, denn ich habe nur ein mal geheiratet und kann deshalb nur eine sehr be schränkte Erfahrung nachweisen. Unsere Illusion je denfalls, oder vielmehr die große Wahrheit, deren Schatten sie ist, hat überlebt, so wie sie in meinem Herzen bis auf den heutigen Tag überlebt hat, durch all die Jahre absoluter Trennung, und über einen un beschreiblichen Golf der Finsternis hinweg. Doch vollkommenes Glück duldet diese Welt nicht einmal für eine Stunde. So wie unser Hochzeitstag von der eben beschriebenen Szene überschattet wor den war, wurde auch unsere Ehe von ihrem eigenen Leid überschattet. Drei Tage nach unserer Hochzeit erlitt Mr. Carson einen Schlaganfall. Er hatte ihn seit langem erwartet, und nun war er eingetreten. Als wir zum Abendessen in die Zentral-Hütte kamen, lag er bewegungsunfähig auf der Couch. Im ersten Moment glaubte ich, daß er sterben würde, doch dem war nicht so. Im Gegenteil, im Laufe von vier Tagen erlangte er einige Gewalt über seine Glieder wieder und konnte auch ein wenig sprechen. Doch hatte er alles, was seine Vergangen heit betraf, vergessen, obwohl er nach wie vor Stella erkannte, und manchmal auch mich. Seltsamerweise
erinnerte er sich am besten von allen an die kleine Tota, obwohl er sie manchmal für seine eigene Toch ter in ihren Kindertagen zu halten schien und sie fragte, wo denn ihre Mutter sei. Dieser Zustand dau erte fast sieben Monate lang. Der alte Mann wurde zunehmend schwächer, starb jedoch nicht. Natürlich schloß sein Zustand jeden Gedanken daran, BabyanKraal zu verlassen, aus, bis es vorbei sein würde. Dies war für mich äußerst belastend, da ich die beunruhi gende Vorahnung hatte, daß Stella sich in Gefahr be fand, solange sie hier war, und auch, weil ihr Ge sundheitszustand es als wünschenswert erscheinen ließ, sie so bald wie möglich in zivilisierte Gebiete zu bringen. Doch war dem nicht abzuhelfen. Das Ende kam dann jedoch sehr plötzlich. Wir sa ßen eines Abends an Mr. Carsons Bett, als er sich zu unserem Erstaunen plötzlich aufrichtete und mit kräftiger, klarer Stimme sagte: »Ja, ich höre dich – Ja, ja, ich vergebe dir. Du arme Frau! Auch du hast also gelitten.« Dann fiel er tot zurück. Ich hege keinen Zweifel daran, daß er zu seiner verschwundenen Frau gesprochen hatte, deren Vision vor seinem sterbenden Bewußtsein erstanden war. Stella war natürlich todunglücklich über ihren Ver lust. Bis zu meiner Ankunft war ihr Vater ihr einziger Gefährte gewesen, und deshalb war die Verbindung zwischen ihnen, wie man sich vorstellen kann, viel enger, als es sonst zwischen Vater und Tochter üblich ist. So tief war ihre Trauer um ihn, daß ich ernstlich um ihre Gesundheit zu fürchten begann. Und wir waren nicht die einzigen, die um ihn trauerten; alle Eingeborenen der Siedlung hatten Mr. Carson ›Vater‹ genannt, und wie um einen Vater wehklagten sie jetzt
um ihn. Die Luft hallte wider von dem Jammern der Frauen, und die Männer gingen mit gesenktem Kopf einher und sagten: »Die Sonne ist vom Himmel ver schwunden, und allein der Stern ist uns geblieben.« Nur Indaba-zimbi trauerte nicht. Er sagte, es sei gut, daß der Inkoos gestorben sei, denn was sei das Leben noch wert, wenn man herumläge wie ein Stück Holz? – außerdem wäre es für alle besser gewesen, wenn er schon eher gestorben wäre. Am folgenden Tage begruben wir ihn auf dem kleinen Friedhof neben dem Wasserfall. Es war ein trauriger Abschied, und Stella weinte und war un tröstlich, trotz aller meiner Bemühungen, sie zu beru higen. An jenem Abend, als ich vor der Hütte saß und ei ne Pfeife rauchte – es war sehr heiß, und Stella hatte sich drinnen hingelegt – trat der alte Indaba-zimbi auf mich zu und hockte sich zu meinen Füßen nieder. »Was gibt es, Indaba-zimbi?« fragte ich. »Dieses, Macumazahn: Wann wirst du zur Küste trecken?« »Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Der Stern ist jetzt nicht imstande, zu reisen. Wir müssen eine Weile warten.« »Nein, Macumazahn, du darfst nicht warten, du mußt sofort gehen, und der Stern muß das Risiko auf sich nehmen! Sie ist kräftig. Es ist nichts. Alles wird gut werden.« »Warum sagst du das? Warum müssen wir ge hen?« »Aus diesem Grunde, Macumazahn«, sagte er, blickte vorsichtig in die Runde und fuhr dann leise fort: »Die Paviane sind zurückgekehrt, zu Tausenden.
Der ganze Berg ist voll von ihnen.« »Ich wußte nicht, daß sie verschwunden waren«, sagte ich. »Ja«, antwortete er, »nach der Heirat sind sie alle fortgegangen, bis auf einen oder zwei; doch jetzt sind sie zurück, alle Paviane der Welt, glaube ich. Ich habe gesehen, daß eine ganze Klippe schwarz von ihnen war.« »Ist das alles?« fragte ich, denn ich wußte, daß er noch etwas zurückhielt. »Ich habe keine Furcht vor Pavianen.« »Nein, Macumazahn, das ist nicht alles. Die Babyan-Frau, Hendrika, ist bei ihnen.« Seit ihrer Vertreibung hatten wir von Hendrika nichts mehr gesehen oder gehört, und obwohl ihre Drohungen mich immer irgendwie beunruhigt hat ten, war sie nach und nach aus meinen Gedanken entschwunden, die völlig mit Stella und der Krank heit ihres Vaters beschäftigt gewesen waren. Ich fuhr zusammen. »Woher weißt du das?« herrschte ich ihn an. »Ich weiß es, weil ich sie gesehen habe, Macuma zahn. Sie hat sich verkleidet, sie trägt Pavian-Felle und hat ihr Gesicht dunkel gefärbt. Doch obwohl sie ziemlich weit entfernt war, habe ich sie doch an ihrer Größe erkannt und das weiße Aufblitzen ihres Armes gesehen, als die Felle herabglitten. Sie ist zurückge kommen, Macumazahn, mit allen Pavianen, die es auf der Welt gibt, und sie ist zurückgekommen, um Böses zu tun. Verstehst du jetzt, warum du sofort trecken mußt?« »Ja«, sagte ich, »obwohl ich nicht einsehen kann, wie sie und die Paviane uns etwas anhaben könnten,
sollten wir doch lieber aufbrechen. Wenn es sich als notwendig erweisen sollte, könnten wir ja unterwegs für einige Zeit haltmachen. Hör zu, Indaba-zimbi: Sag dem Stern nichts davon; ich will nicht, daß sie sich ängstigt. Und hör noch einmal: Sprich mit den Indu nas und sorge dafür, daß überall um die Hütten und um den Garten Wachen aufgestellt werden, bei Tag und bei Nacht. Morgen sollen sie die Wagen bereit machen, und übermorgen werden wir trecken.« Er nickte, daß seine weiße Locke wippte, und ging, um zu tun, was ich ihm befohlen hatte. Er ließ mich sehr verstört zurück – unbegründet verstört. Es war alles sehr seltsam. Daß diese Frau die Fähigkeit besaß, sich mit Pavianen zu verständigen, war mir bekannt. Das war nicht so verwunderlich, da die Buschmänner behaupten, dasselbe zu können*, und sie war schließ lich von ihnen aufgezogen worden. Doch daß sie im stande sein sollte, sie zusammenzurufen, und sie mittels der Kraft ihres menschlichen Willens und menschlicher Intelligenz zu mobilisieren, um ihre Ra che durchführen zu können, schien mir so unglaub lich, daß meine Befürchtungen nach einigem Überle gen verblaßten. Trotzdem war ich entschlossen, zu trecken. Schließlich war eine Reise in einem Ochsen wagen keine so große Strapaze für eine kräftige Frau, die es gewohnt war, in der Wildnis zu leben, ganz gleich, wie ihr Gesundheitszustand sein mochte. Und, alles in allem genommen, gefiel mir diese Geschichte von der Anwesenheit Hendrikas und einem Heer un zähliger Paviane nicht im geringsten. *
Als Beispiel dafür siehe Andersons ›Twenty-five Years in a Waggon‹, Band 1, Seite 262. – Der Herausgeber.
Also ging ich zu Stella, und erklärte ihr, ohne auch nur ein Wort über die Pavian-Geschichte zu verlieren, daß ich mir unsere Situation überlegt habe und zu dem Schluß gekommen sei, daß es unsere Pflicht wä re, das ihrem Vater gegebene Versprechen einzulösen und Babyan-Kraal zu verlassen. Es ist unnötig, den ganzen Verlauf unseres Gespräches wiederzugeben, doch schließlich willigte sie ein und erklärte, daß sie die Reise sehr gut durchhalten könne, und fügte hin zu, daß sie jetzt, da ihr lieber Vater tot war, froh sei, von hier fortzukommen. In jener Nacht geschah nichts, das uns störte, und am folgenden Morgen war ich früh auf den Beinen, um die Vorbereitungen für unseren Aufbruch zu tref fen. Die Verzweiflung der Menschen, als sie erfuhren, daß wir sie verlassen würden, war ein bejammerns werter Anblick. Ich konnte sie nur trösten, indem ich ihnen erklärte, daß wir uns lediglich auf eine Reise begäben und im kommenden Jahr zurück sein wür den. »Wir haben im Schatten unseres Vaters gelebt, der jetzt tot ist«, erklärten sie. »Seit wir klein waren, ha ben wir in seinem Schatten gelebt. Er hat uns aufge nommen, als wir Ausgestoßene und Wanderer wa ren, und keine Matte hatten, auf der wir liegen konnten, und keine Decke, um uns zuzudecken, und wir sind in seinem Schatten fett geworden. Dann ist er gestorben, und seine Tochter hat dich, Macuma zahn, geheiratet, und wir glaubten, daß du den Platz ihres Vaters einnehmen würdest, auf daß wir in dei nem Schatten leben könnten. Was sollen wir tun, wenn niemand mehr da ist, um uns zu beschützen? Die Stämme sind nur aus Furcht vor dem weißen
Mann davor zurückgehalten worden, uns anzugrei fen. Wenn ihr fortgeht, werden wir verschlungen«, und so weiter. Leider waren diese Befürchtungen nur zu berechtigt. Gegen Mittag kehrte ich zu den Hütten zurück, um zu essen. Stella sagte mir, daß sie am Nachmittag packen würde, also hielt ich es nicht für notwendig, sie zu warnen, nicht allein hinauszugehen, da ich vermeiden wollte, ihr etwas von Hendrika und den Pavianen zu sagen, so lange ich nicht dazu gezwun gen war. Ich sagte ihr jedoch, daß ich zurückkommen und ihr helfen würde, sobald ich mich freimachen könne. Dann ging ich zu den Kraals der Eingebore nen hinab, um die Rinder, die Mr. Carson gehört hatten, von denen auszusortieren, die Eigentum der Kaffern waren, da ich sie auf den Treck mitnehmen wollte. Es war eine riesige Herde, und ich brauchte eine sehr lange Zeit dazu. Schließlich jedoch, kurz vor Sonnenuntergang, gab ich es auf, überließ es Indaba zimbi, die Sache zu Ende zu führen, stieg auf mein Pferd und ritt nach Hause. Als ich dort eintraf, übergab ich das Pferd einem der Stalljungen und ging in die Zentral-Hütte. Stella war nirgends zu sehen, obwohl ihre Sachen, die sie einpacken wollte, auf dem Boden verstreut lagen. Ich ging als erstes in die Schlafhütte, und dann in die an deren, doch auch dort konnte ich keine Spur von Stella entdecken. Dann ging ich hinaus und fragte ei nen der Kaffern im Garten, ob er seine Herrin gese hen habe. »Ja«, antwortete er. Er habe sie gesehen, als sie Blumen zum Friedhof gebracht habe, das kleine, wei ße Mädchen – meine Tochter, nannte er sie – an der
Hand haltend, als die Sonne ›dort‹ gestanden habe, und er deutete auf eine Stelle des Himmels, wo sie vor eineinhalb Stunden gestanden hatte. »Die beiden Hunde waren bei ihnen«, setzte er hinzu. Ich fuhr herum und lief zum Friedhof, der etwa eine Viertel meile von den Hütten entfernt lag. Natürlich gab es keinerlei Grund, beunruhigt zu sein – offensichtlich hatte sie nur noch einmal das Grab ihres Vaters auf suchen wollen. Und doch war ich beunruhigt. Als ich mich dem Friedhof näherte, traf ich einen der Eingeborenen, die auf meinen Befehl hin als Wa chen um die Kraale aufgestellt worden waren, und ich sah, daß er sich die Augen rieb und gähnte. Of fensichtlich hatte er geschlafen. Ich fragte ihn, ob er seine Herrin gesehen habe, und er antwortete, daß er sie nicht gesehen hätte, was unter den gegebenen Umständen nicht gerade verwunderlich war. Ohne mich damit aufzuhalten, diesen Mann zurechtzuwei sen, befahl ich ihm, mir zu folgen, und ging weiter zum Friedhof. Dort, auf Mr. Carsons Grab, lagen die Blumen, die Stella getragen hatte, und dort, in der fri schen Erde, waren die Abdrücke von Totas Veld schoon, den Fellschuhen. Aber wo waren Stella und die Kleine? Ich lief aus dem Friedhof und rief nach ihnen, so laut ich konnte, erhielt jedoch keine Antwort. Wäh renddessen befaßte der Eingeborene sich etwas gründlicher mit der Fährte. Er folgte ihr für etwa hundert Yards, bis zu einem Mimosengebüsch, das zwischen dem Fluß und dem alten Steinbruch lag, über dem Wasserfall, am Eingang der Schlucht. Hier blieb er stehen, und ich hörte, wie er einen über raschten Schrei ausstieß. Ich lief zu ihm, drängte mich
durch die Bäume und sah dies: Die kleine, offene Lichtung war offenbar Schauplatz eines Kampfes ge wesen. In dem weichen Boden zeichneten sich die Spuren von drei Paaren menschlicher Füße ab: zwei Paar beschuhte, und ein Paar nackte – Stellas, Totas und ... Hendrikas! Und das war nicht alles. Dort, di rekt vor uns, lagen die Fetzen der beiden Hunde – mehr war von ihnen nicht übriggeblieben – und ein Pavian, der noch nicht ganz tot war, und dem die Hunde den Hals zerrissen hatten. Und überall un zählige Pavianspuren. Die ganze Entsetzlichkeit des sen, was geschehen war, zuckte durch mein Gehirn. Meine Frau und Tota waren von den Pavianen ver schleppt worden. Bis jetzt hatten sie sie noch nicht getötet, denn sonst würden ihre Überreste bei denen der Hunde liegen. Sie waren verschleppt worden. Die Tiere hatten sie unter Anleitung dieser Affenfrau Hendrika in irgendeinen geheimen Bau gebracht, um sie dort festzuhalten, bis sie starben – oder um sie zu töten! Im ersten Moment taumelte ich unter dem Schock dieser entsetzlichen Erkenntnis. Dann schüttelte ich meine Verzweiflung ab. Ich befahl dem Eingebore nen, zum Kraal zurückzulaufen und die Bewohner zu alarmieren, ihnen zu sagen, daß sie bewaffnet her kommen sollten, und mir Gewehre und Munition zu bringen. Er schoß davon wie der Wind, und ich wandte mich ab, um der Spur zu folgen. Für einige Yards war sie sehr deutlich: Stella war geschleppt worden. Ich sah, wo ihre Absätze über den Boden ge schleift worden waren; das Kind hatte Hendrika vermutlich getragen – zumindest konnte ich keine Fußspuren von Tota entdecken. Am Flußufer ver
schwand die Fährte. Das Wasser war flach, und sie waren darin entlang gewatet, zumindest Hendrika und ihre Opfer hatten das getan, um die Fährte zu verwischen. Ich sah im Wasser einen moosbewachse nen Stein, der erst kürzlich umgedreht worden war. Ich lief am Ufer entlang ein Stück in die Schlucht hin ein, in der verzweifelten Hoffnung, sie dort entdek ken zu können. Plötzlich hörte ich ein Bellen in den Klippen über mir, das sofort von einem anderen be antwortet wurde, und dann sah ich, daß Dutzende von Pavianen in den Klippen zu beiden Seiten lauer ten und langsam herabkletterten, um mir den Weg zu verlegen. Weiterzugehen, unbewaffnet wie ich war, wäre unsinnig gewesen. Ich wäre in Stücke gerissen worden wie die beiden Hunde. Also machte ich kehrt und floh zu den Hütten zurück. Als ich mich ihnen näherte, sah ich, daß mein Bote die Männer der Siedlung bereits alarmiert hatte, denn sie eilten mit Speeren und Kerries* in den Händen auf die Kraals zu. Vor der Zentral-Hütte traf ich den alten Indaba zimbi, der ein sehr ernstes Gesicht machte. »Also ist das Übel herabgefallen, Macumazahn«, sagte er. »Es ist herabgefallen«, antwortete ich. »Sei guten Mutes, Macumazahn«, ermunterte er mich. »Sie ist nicht tot, und auch das kleine Mädchen nicht, und bevor sie sterben, werden wir sie finden. Denk daran: Hendrika liebt sie! Sie wird ihr nichts tun, und auch nicht zulassen, daß die Paviane ihr et was tun. Sie wird versuchen, sie vor dir zu verstek ken, das ist alles.« *
Schlagstöcke
»Gott gebe, daß wir sie finden«, stöhnte ich. »Es wird rasch dunkel.« »Der Mond geht in drei Stunden auf«, antwortete er. »Wir werden bei Mondlicht suchen. Es wäre sinnlos, jetzt aufzubrechen. Sieh, die Sonne sinkt. Laß uns die Männer zusammenrufen, essen und alles vorbereiten. Hamba gachle. Eile mit Weile, Macuma zahn.« Da mir keine andere Wahl blieb, nahm ich seinen Rat an. Ich konnte zwar nichts essen, packte jedoch etwas Nahrung zusammen, die wir mit uns nehmen wollten, und ließ eine Art Trage herrichten. Wenn wir sie fanden, würde sie bestimmt nicht in der Lage sein, zu gehen. Ah! Wenn wir sie fanden! Wie langsam die Zeit verstrich! Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Mond aufging. Doch endlich stieg er über den Horizont. Nun brachen wir auf. Alles in allem waren wir vielleicht hundert Männer, und wir hatten fünf Ge wehre, meine Elefantenbüchse und vier Waffen, die Mr. Carson gehört hatten.
12
Die Magie Indaba-zimbis
Wir erreichten die Stelle des Flußufers, wohin Stella gebracht worden war. Die Eingeborenen blickten auf die zerfetzten Reste der Hunde, und auf die Spuren von Gewaltanwendung, und ich hörte sie schwören, daß sie, ganz egal, ob der Stern lebe oder tot sei, nicht eher ruhen würden, bevor sie nicht den letzten Pavi an auf dem Babyan-Gipfel erschlagen hätten. Ich schloß mich diesem Schwur an, und, wie sich zeigen wird, haben wir ihn gehalten. Wir gingen den Fluß entlang, folgten den Fährten der Paviane so gut wir konnten. Doch das Wasser hielt keine Fährte fest, und das harte, felsige Ufer nur sehr geringe. Trotzdem zogen wir weiter. Die ganze Nacht hindurch wanderten wir durch die einsamen, mondbeschienenen Täler und zerrissen die Stille mit den Echos unserer Rufe. Doch erhielten wir keine Antwort. Vergebens suchten unsere Augen die Flan ken der Klippen ab, die aus rundgewaschenen, auf eine phantastische Weise übereinandergetürmten Fel sen bestanden; vergeblich suchten wir durch endlose Senken und farnbekleidete Nischen. Wir fanden nichts. Wie konnten wir auch erwarten, zwei menschliche Wesen zu finden, die irgendwo in den Klüften dieses riesigen Felsengebietes versteckt wa ren, das noch kein Mensch erforscht hatte? Sie waren verloren, und aller Wahrscheinlichkeit nach für im mer verloren. Hin und her zogen wir mit schwindender Hoff
nung, bis der Morgen uns mit wundgelaufenen Fü ßen und völlig am Ende unserer Kräfte fast an der gleichen Stelle fand, von der wir aufgebrochen waren. Wir setzten uns und warteten auf den Sonnenauf gang, und die Männer aßen das, was sie mit sich ge bracht hatten, und schickten einige in die Kraals, da mit die ihnen mehr brachten. Ich saß gebrochenen Herzens auf einem Stein. Ich kann meine Gefühle nicht beschreiben. Der Leser möge sich in meine Lage versetzen, dann kann er sie sich vielleicht vorstellen. Nahe bei mir hockte der alte Indaba-zimbi, der vor sich hinstarrte, als ob er in den leeren Raum blickte und verfolgte, was dort geschah. Mir kam eine Idee. Dieser Mann verfügte über ok kulte Kräfte. Mehrere Male während unserer Reise hatte er prophezeit, und immer waren seine Voraus sagen eingetroffen. Er war es gewesen, der mir gera ten hatte, nach Norden zu reiten, als wir dem ZuluImpi entkommen waren, weil wir dort das Haus eines weißen Mannes finden würden, der im Schatten eines gewaltigen Berggipfels wohnte, welcher von Pavia nen wimmelte. Vielleicht konnte er auch in dieser Notlage helfen – zumindest war es einen Versuch wert. »Indaba-zimbi«, sagte ich, »du hast gesagt, daß du deinen Geist durch die Tore des Raumes schicken und ihn sehen lassen kannst, was wir nicht sehen können. Zumindest aber kannst du seltsame Dinge vollbringen. Kannst du mir jetzt helfen? Wenn du es kannst, und sie rettest, will ich dir die Hälfte der Rin der geben, die wir hier haben.« »Ich habe niemals so etwas behauptet, Macuma zahn«, antwortete er. »Ich tue gewisse Dinge, aber ich
spreche nicht darüber. Und ich suche auch keine Be lohnung dafür, was ich tue als gewöhnlicher Medi zinmann. Doch ist es gut, daß du mich gebeten hast, meine Weisheit zu gebrauchen, Macumazahn, denn ich hätte sie nie wieder gebraucht, ohne dazu aufge fordert worden zu sein – nein, nicht einmal um dei netwillen und um des Sterns willen, obwohl ich euch beide liebe, denn wenn ich es getan hätte, wäre mein Geist böse geworden. An all den anderen Sachen hatte ich einen Anteil, denn mein Leben war von ih nen genauso betroffen wie das deine; doch an dieser Angelegenheit habe ich keinen Anteil, und deshalb darf ich meine Weisheit nicht gebrauchen, falls du es dir nicht sehr gründlich überlegt haben solltest, mei nen Geist anzurufen. Doch hätte es keinen Sinn ge habt, mich vorher darum zu bitten, denn ich habe erst eben das Kraut gefunden, das du brauchst.« Mit die sen Worten streckte er mir eine Handvoll Blätter einer Pflanze entgegen, die mir unbekannt war. Es waren stachelbesetzte Blätter, nicht unähnlich denen der gewöhnlichen englischen Nessel. »Und nun, Macumazahn«, fuhr er fort, »befehle den Männern, uns allein zu lassen, und folge mir dann zu der kleinen Lichtung dort unten beim Was ser.« Dies tat ich. Als ich auf die Lichtung trat, fand ich Indaba-zimbi im Schatten eines Baumes am Ufer des Flusses hocken, wo er ein kleines Feuer anfachte. »Setz dich dorthin, Macumazahn!« sagte er und deutete auf einen Stein nahe dem Feuer, »und sei nicht überrascht oder furchtsam über irgend etwas, das du sehen magst: Wenn du dich bewegst oder sprichst, werden wir nichts erfahren.«
Ich setzte mich und sah ihm zu. Als das Feuer hell brannte, zog der alte Bursche sich völlig nackt aus, trat zum Flußufer und tauchte kurz im Wasser unter. Dann kam er zurück, vor Kälte zitternd, beugte sich über das Feuer, stopfte sich einige der Blätter, die ich eben erwähnte, in den Mund und begann sie zu kau en, wobei er leise vor sich hinmurmelte. Die meisten der übriggebliebenen Blätter warf er ins Feuer. Dichte Rauchwolken stiegen von ihnen auf, und er hielt sein Gesicht in diesen Rauch und zog ihn tief in seine Lungen, bis ich bei ihm Anzeichen des Erstickens zu bemerken begann. Die Adern an seinem Hals und seiner Brust schwollen an, er begann zu keuchen, und seine Augen, aus denen Tränen strömten, schienen ihm aus dem Kopf treten zu wollen. Kurz darauf sank er um und lag bewußtlos. Ich war natürlich sehr auf geregt und wollte ihm zu Hilfe eilen, doch erinnerte ich mich glücklicherweise an seine Ermahnung und blieb ruhig sitzen. Indaba-zimbi lag auf dem Boden wie ein Toter. Seine Glieder zeigten die völlige Gelöstheit des To des. Doch dann wurden sie steif, als ob die rigor mortis eingesetzt hätte. Kurz darauf sah ich zu meinem Erstaunen, wie sie wieder erschlafften, und jetzt er schien auf seiner Brust ein Totenfleck. Er breitete sich rasch aus, und drei Minuten darauf war der Mann, allen Anzeichen nach, ein faulender Leichnam. Ich saß reglos, starrte auf dieses unheimliche Schauspiel und fragte mich, ob noch weiterer Verfall dargestellt werden würde. Vielleicht würde Indaba zimbi vor meinen Augen zu Staub zerfallen. Wäh rend ich ihn anblickte, sah ich, daß die Verfärbung zu verblassen begann. Zuerst verschwand sie von den
Extremitäten, dann von Armen und Beinen, und schließlich vom Körper. Dann trat eine dritte Phase völliger Erschlaffung ein, eine zweite der Starre oder rigor mortis, und dann das erste Stadium des Zusam menbrechens unmittelbar nach dem Tode. Als all dies rasch hintereinander abgelaufen war, wachte Indaba zimbi auf. Ich war zu erstaunt, um sprechen zu können; ich blickte ihn nur mit offenem Mund an. »Gut, Macumazahn«, sagte er, neigte den Kopf auf die Seite wie ein Vogel und nickte mit seiner weißen Locke. »Es ist alles in Ordnung; ich habe sie gesehen.« »Wen hast du gesehen?« fragte ich. »Den Stern, deine Frau, und auch das kleine Mäd chen. Sie sind sehr verängstigt, doch unverletzt. Die Babyan-Frau wacht über sie. Sie ist verrückt, aber die Paviane gehorchen ihr und tun ihnen nichts. Der Stern war vor Ermattung eingeschlafen, also habe ich ihr ins Ohr geflüstert und ihr gesagt, daß sie keine Furcht zu haben brauche, da du sie bald erretten würdest, und daß sie bis dahin so tun müsse, als ob sie glücklich sei, Hendrika bei sich zu haben.« »Du hast ihr ins Ohr geflüstert?« fragte ich. »Wie konntest du ihr ins Ohr flüstern?« »Bah! Macumazahn. Wie konnte ich vor deinen Augen sterben und verfaulen? Du weißt es nicht, nicht wahr? Nun, ich will dir eines sagen: ich mußte sterben, um die Tore des Raumes passieren zu kön nen, wie man sie nennt. Ich mußte sämtliche Kräfte meines Körpers mobilisieren, um die Macht zu sam meln, mit dem Stern sprechen zu können. Es war eine gefährliche Angelegenheit, Macumazahn, denn wenn die Dinge ein wenig weiter gegangen wären, dann
wären sie so geblieben, und das hätte das Ende von Indaba-zimbi sein können. Ah, ihr Weißen, ihr wißt so viel, daß ihr glaubt, alles zu wissen. Doch das ist nicht der Fall! Ihr starrt immer nur zu den Wolken hinauf und seht nicht die Dinge, die zu euren Füßen liegen. Du glaubst mir sicher nicht, habe ich recht, Macumazahn? Gut, ich werde es dir beweisen. Hast du irgend etwas bei dir, das der Stern berührt oder getragen hat?« Ich dachte einen Augenblick lang nach, dann sagte ich ihm, daß ich eine Locke ihres Haares in meinem Notizbuch hätte. Er forderte mich auf, sie ihm zu ge ben. Ich tat es. Er beugte sich über das Feuer und hielt die Haarlocke in die Flammen, so daß sie zu Asche verbrannte, die er mit seiner linken Hand auffing. Diese Asche vermengte er mit dem Saft von einem der Blätter, die ich vorhin beschrieb, zu einer Paste. »Jetzt, Macumazahn, schließ die Augen!« sagte er. Ich tat es, und er rieb die Paste auf meine Augenli der. Zuerst brannte sie mich, dann begann mein Kopf auf eigenartige Art zu schwimmen. Kurz darauf war auch diese Wirkung vorbei, und mein Kopf war wie der völlig klar, doch konnte ich nicht den Boden un ter meinen Füßen fühlen. Indaba-zimbi führte mich zum Ufer des Flusses. Direkt unter uns befand sich eine kleine Bucht mit wunderbar klarem Wasser. »Blick ins Wasser, Macumazahn!« sagte Indaba zimbi, und seine Stimme klang hohl und weit entfernt in meinen Ohren. Ich blickte ins Wasser. Es wurde dunkel; es wurde wieder klar, und in ihm formte sich ein Bild. Ich sah eine Höhle, in der ein Feuer brannte. An die Wand der Höhle gelehnt ruhte Stella. Ihr Kleid hing in Fet
zen, sie sah entsetzlich bleich und erschöpft aus, und ihre Augenlider waren vom Weinen gerötet. Doch sie schlief, und ich glaubte fast, bemerken zu können, wie ihre Lippen im Schlaf meinen Namen formten. Neben ihr, den Kopf auf Stellas Brust gebettet, lag die kleine Tota. Man hatte sie mit einem Fell bedeckt, um sie vor der Nachtkälte zu schützen. Das Kind war wach und schien vor Angst zu stöhnen. Beim Feuer, in einer Position, daß das Licht voll auf ihr Gesicht fiel, und damit beschäftigt, etwas in einem aus Holz gefertigten Topf zu kochen, saß die Pavianfrau Hen drika. Sie war in Pavianfelle gekleidet, und ihr Ge sicht war mit irgendeinem Mittel dunkel gefärbt, das jetzt jedoch allmählich seine Wirkung verlor. Hin und wieder wandte sie den Kopf und starrte Stella mit wilden Augen, in denen klar erkennbar der Irrsinn glänzte, und einem Ausdruck von Zärtlichkeit an, der an Anbetung grenzte. Dann starrte sie das arme Kind an und knirschte mit den Zähnen. Ganz offensichtlich war sie eifersüchtig auf Tota. Rund um den Eingang der Höhle sah ich unzählige Gesichter von Pavianen, die neugierig hereinstierten. Schließlich gab Hendrika einem von ihnen ein Zeichen; offenbar sprach oder vielmehr grunzte sie nicht, um Stella nicht zu wek ken. Der Affe lief zu ihr, und sie gab ihm einen zwei ten, roh geschnitzten Holztopf, der neben ihr auf dem Boden stand. Der Pavian nahm ihn und lief hinaus. Das letzte, was ich sah, während das Bild im Wasser allmählich verblaßte, war der schwache Schatten des Pavians, der den mit Wasser gefüllten Topf zurück brachte. Und dann war das Bild verschwunden. Ich fühlte mich auch nicht mehr schwindlig. Dort, unter mir,
war das Wasser, und neben mir stand Indaba-zimbi und grinste. »Du hast Dinge gesehen«, sagte er. »Das habe ich«, antwortete ich, ließ mich jedoch nicht weiter darüber aus. Was hätte ich auch sagen können?* »Kennst du den Weg zu jener Höhle?« setzte ich hinzu. Er nickte. »Ich bin ihm nicht in seiner ganzen Länge gefolgt, weil er sehr gewunden ist«, sagte er. »Aber ich kenne ihn. Wir werden die Seile brauchen.« »Dann laß uns aufbrechen; die Männer haben ge gessen.« Er nickte wieder, ging dann zu den Männern, be fahl ihnen, sich marschbereit zu machen und fügte hinzu, daß Indaba-zimbi den Weg wüßte. Sie sagten, dann sei alles in Ordnung, denn wenn Indaba-zimbi sie ›ausgeschnüffelt‹ habe, würden sie den Stern bald finden. Also waren wir recht zuversichtlich, als wir aufbrachen, und meine Stimmung hatte sich so geho ben, daß ich unterwegs einen gekochten Maiskolben essen konnte. Wir gingen das Tal hinauf und folgten für etwa ei ne Meile dem Lauf des Flusses; dann bog Indaba zimbi plötzlich nach rechts ab, durch eine andere Schlucht, von der es eine Unzahl am Fuße des riesi gen Berges gab. Weiter gingen wir, durch eine Schlucht nach der an deren. Indaba-zimbi, der uns führte, war niemals un sicher, schritt durch Täler und überquerte Höhen mit *
Für ähnlich erstaunliche Beispiele von Kaffernmagie möchte ich den Leser auf eine Arbeit mit dem Titel ›Among the Zulus‹ von David Leslie hinweisen. – Der Herausgeber.
der Sicherheit eines Hundes auf einer frischen Fährte. Schließlich, nach einem Marsch von etwa drei Stun den, gelangten wir in ein stilles Tal am Nordhang des gewaltigen Gipfels. Auf einer Seite dieses Tales be fand sich eine Reihe felsiger Schluchten, auf der an deren erhob sich eine etwa zwei Meilen lange, glatte Felswand. Hier blieb Indaba-zimbi plötzlich stehen. »Dort ist es«, sagte er und deutete auf eine Öffnung in der Felswand. Die Öffnung befand sich etwa vier zig Fuß über dem Boden und war ellipsenförmig. Sie konnte nicht mehr als zwanzig Fuß hoch und zehn Fuß breit sein und war teilweise durch Farne und Bü sche verdeckt, die aus dem Felsen wucherten. So scharf meine Augen auch sein mochten, zweifle ich doch daran, daß ich sie entdeckt hätte, da es viele sol cher Vertiefungen und Nischen in der Felswand gab. Wir traten an sie heran und betrachteten sie kri tisch. Das erste, was ich bemerkte, war, daß sie nicht völlig senkrecht verlief und daß sie von den Füßen ungezählter Pavian-Generationen abgeschliffen war; das zweite, daß etwas Weißes an einem Busch nahe dem Höhleneingang hing. Es war ein Taschentuch. Jetzt bestand keinerlei Zweifel mehr. Mit klopfen dem Herzen begann ich den Aufstieg. Die ersten zwanzig Fuß waren relativ einfach, denn der Fels war rissig; die nächsten zehn Fuß waren schwierig, jedoch für einen sportlichen Mann durchaus zu schaffen, und ich überwand sie, gefolgt von Indaba-zimbi. Die letzten zwölf oder fünfzehn Fuß aber waren nur zu überwinden, wenn man ein Seil über den Stamm ei nes Krüppelbaumes warf, der am unteren Rand des Höhleneingangs wuchs. Dieses gelang uns unter ei
nigen Schwierigkeiten, und der Rest war einfach. Ei nen Fuß oder so über mir flatterte das Taschentuch, und ich packte es, als ich am Seil hing. Es gehörte meiner Frau. Während ich dies tat, bemerkte ich das Gesicht eines Pavians, der über den Rand der Öffnung auf mich herabstarrte, der erste Pavian, den wir an diesem Vormittag sahen. Er stieß einen bellen den Laut aus und verschwand. Ich steckte das Ta schentuch ein, stemmte meine Füße gegen den Fels und hangelte mich hinauf, so schnell es mir möglich war. Ich wußte, daß wir keine Zeit zu verlieren hat ten, denn dieser Pavian würde die anderen alarmie ren. Ich erreichte die Öffnung. Sie war lediglich eine Art Gewölbegang, der vom Wasser ausgewaschen war und in eine Schlucht mündete, die zu einer Art freiem Platz führte. Ich blickte durch den Gewölbe gang und sah, daß die Schlucht schwarz von Pavia nen war. Zu Hunderten kamen sie herangestürmt. Ich schlang die Elefantenbüchse vom Rücken, rief den unten stehenden Männern zu, so schnell wie möglich heraufzukommen, und wartete. Die Bestien stürmten durch den dunklen Tunnel auf mich zu, bellend, grunzend, und ihre riesigen Zähne fletschend. Ich wartete, bis sie auf fünfzehn Yards herangekommen waren. Dann feuerte ich die Elefantenbüchse, die mit gröbsten Schrot geladen war, in das Gewühl hinein. In dem engen Raum dröhnte der Abschußknall wie Kanonendonner, doch wurde er bald von dem wil den, fast menschlich klingenden Stöhnen und Schrei en übertönt, das ihm folgte. Die Ladung schwerer Schrotkugeln war wie eine Sense durch die Masse von Pavianen gefahren, von denen mindestens ein Dutzend tot oder sterbend in der Passage lagen. Ei
nen Augenblick zögerten sie, dann kamen sie wieder mit ohrenbetäubendem Geschrei herangestürmt. Glücklicherweise stand jetzt Indaba-zimbi, der eben falls ein Gewehr hatte, neben mir, denn sonst wäre ich wohl in Stücke gerissen worden, bevor ich hätte nachladen können. Er feuerte beide Läufe in sie hin ein und konnte dadurch den Angriff erneut aufhal ten. Doch wieder stürmten sie heran, und obwohl zwei weitere Eingeborene erschienen, die Gewehre hatten, die sie mit mehr oder weniger Wirkung ab feuerten, wären wir von den großen, wütenden Affen überwältigt worden, wenn es mir nicht inzwischen gelungen wäre, meine Elefantenbüchse nachzuladen. Als sie uns fast erreicht hatten, feuerte ich, mit noch verheerenderer Wirkung als zuvor, denn auf diese kurze Entfernung riß jedes Schrotkorn ein Opfer aus ihrer dichten Masse. Ihr Heulen und Schreien vor Schmerz und Wut waren unvorstellbar. Man mochte glauben, daß wir gegen eine Heerschar von Dämonen kämpften; und in dem Licht – die überhängenden Felsen machten es sehr schwach – sahen die aufgeris senen Rachen und glühenden Augen der Affen wie die von Teufeln aus, wie sie sich mönchische Phanta sie vorstellen mag. Doch dieser letzte Schuß war zu viel für sie; sie flohen zurück und schleppten einige ihrer Verwundeten mit sich, wodurch wir soviel Zeit gewannen, um den Rest unserer Männer die Klippe heraufzubringen. Nach wenigen Minuten waren sie alle oben, und wir gingen durch den Tunnel vor, der kurz darauf in eine felsige Schlucht mit schroffen, ris sigen Seitenwänden mündete, auf deren Grund ein Bach floß. Die Schlucht war etwa hundert Yards lang, und die Hänge zu beiden Seiten waren von steilen
Klippen gekrönt. Ich blickte diese Hänge hinauf; sie wimmelten förmlich von Pavianen, und sie grunzten, bellten, schrien und trommelten in ihrer Wut mit ih ren Fäusten auf die Brust. Ich blickte den Bach ent lang; an seinem Ufer, in der Mitte einer Horde, oder, besser gesagt, einer Leibwache von Pavianen, lief Hendrika, mit wehenden Haaren, den Ausdruck von Irrsinn auf ihrem Gesicht, und auf ihren Armen die bewußtlose kleine Tota. Sie sah uns, und Schaum der Wut quoll aus ihrem Mund. Sie stieß einen lauten Schrei aus. Das heißt, für mich war dieser Laut weiter nichts als ein unartiku lierter Schrei, doch die Paviane verstanden ihn offen sichtlich, denn sie begannen, Steine auf uns herabzu stürzen. Einer dieser Felsblöcke sprang an mir vorbei und riß einen Kaffer, der hinter mir ging, zu Boden; ein anderer fiel einem Mann auf den Kopf und tötete ihn. Indaba-zimbi riß sein Gewehr hoch, um Hendri ka zu erschießen; ich schlug den Lauf hoch, so daß der Schuß über sie hinwegging, und rief, daß er das Kind töten würde. Dann rief ich den Männern zu, sich auseinanderzuziehen und sich von einer Weite der Schlucht zur anderen zu einer Kette zu formieren. Wütend über den Tod ihrer beiden Gefährten, ge horchten sie sofort. Ich selbst nahm, zusammen mit Indaba-zimbi und den anderen Gewehrschützen, Po sition im Bachlauf und gab den Angriffsbefehl. Und jetzt begann die wirkliche Schlacht. Es ist schwer zu sagen, wer wilder kämpfte, die Eingebore nen oder die Paviane. Die Kaffern griffen entlang den Wänden der Schlucht an, und die Affen, angefeuert von den Schreien Hendrikas, die ständig hin und her lief und die unglückselige Tota wie einen Schild vor
sich hielt, stürzten sich in wilder Wut auf sie. Dut zende von ihnen wurden durch die Assegais getötet, und viele fielen unter den Schüssen unserer Gewehre, doch immer wieder griffen sie an. Und es ging auch für uns nicht ohne Verluste ab. Immer wieder glitt ein Mann aus oder wurde von einem Pavian zu Boden gerissen. Dann stürzten sich die anderen auf ihn, wie Hunde auf eine Ratte und bissen ihn tot. Wir verloren fünf Männer auf diese Weise, und ich selbst wurde von einem Pavian in den linken Oberarm gebissen, doch glücklicherweise speerte einer der Eingeborenen das Tier, bevor es mich zu Boden reißen konnte. Schließlich, und von einer Sekunde zur anderen, gaben die Paviane auf. Sie schienen von Panik ge packt zu werden. Hendrika mochte schreien, soviel sie wollte, sie dachten nicht mehr ans Kämpfen, son dern nur noch an Flucht; manche von ihnen versuch ten nicht einmal, den Assegais der Kaffern zu ent kommen, sondern bedeckten nur ihre Gesichter mit den Pfoten, stöhnten erbärmlich und warteten darauf, getötet zu werden. Hendrika sah, daß die Schlacht verloren war. Sie ließ das Kind fallen und stürmte direkt auf uns zu, ein Bild absoluten Wahnsinns. Ich riß mein Gewehr an die Schulter, brachte es jedoch nicht über mich, abzudrücken. Schließlich war sie doch nichts weiter, als eine arme Irre, halb Affe, halb Frau. Deshalb sprang ich zur Seite, und sie landete mit voller Wucht auf Indaba-zimbi, den sie zu Boden riß. Doch blieb sie nicht, um noch mehr Unheil anzurichten. Mit jam mernden Schreien raste sie die Schlucht entlang und durch die Tunnel-Passage, gefolgt von einigen der überlebenden Paviane, und verschwand.
13
Was Stella geschah
Der Kampf war vorbei. Alles in allem waren sieben Männer getötet worden, einige weitere hatten schwe re Bißwunden davongetragen, und nur wenigen war es gelungen, ohne irgendwelche Souvenirs von den Zähnen und Krallen der Paviane davonzukommen. Wie viele dieser Bestien getötet wurden, kann ich nicht sagen, weil wir sie nicht gezählt haben, doch war es eine gewaltige Menge. Ich könnte mir denken, daß die Bevölkerungszahl auf dem Babyan-Gipfel auf Jahre hinaus ziemlich reduziert gewesen sein muß. Von jenem Tage an bis heute habe ich jedoch immer einen weiten Bogen um Paviane gemacht und mich mehr vor ihnen gefürchtet, als vor jedem anderen Tier, das auf dieser Erde lebt. Der Weg war frei, und wir gingen den Bach ent lang. Als erstes hoben wir jedoch die kleine Tota auf. Das Kind war nicht ohnmächtig, wie ich angenom men hatte, sondern vor Angst erstarrt; es konnte kaum sprechen. Körperlich war Tota unverletzt, doch dauerte es viele Wochen, bis ihre Nerven wieder in Ordnung waren. Wenn sie älter gewesen wäre und Hendrika nicht gekannt hätte, hätte sie sich, wie ich glaube, nie wieder von dem Schock erholt. Sie er kannte mich sofort wieder, schlang ihre kleinen Arme um meinen Nacken und klammerte sich so fest an mich, daß ich nicht wagte, sie irgend jemand ande rem zu tragen zu geben, aus Furcht, daß ich ihr damit einen zusätzlichen Schock versetzen würde. Also
ging ich mit ihr auf den Armen weiter. Die Ängste, die mein Herz durchbohrten, kann man sich gewiß vorstellen. Würde ich Stella lebend oder tot finden? Würde ich sie überhaupt finden? Aber das würde sich bald herausstellen. Wir stolperten weiter, den steinigen Bachlauf entlang; trotz des Gewichts von Tota ging ich in Führung, denn die Angst verlieh mir ungeahnte Kräfte. Dann hatten wir das Ende der Schlucht erreicht, und es bot sich uns ein unglaubli cher Anblick. Wir befanden uns in einem großen, natürlichen Amphitheater, das jedoch die dreifache Größe jedes Amphitheaters aufwies, das jemals von Menschenhand geschaffen wurde. Seine Wände be standen aus steilen Klippen, deren Höhe einhundert bis zweihundert Fuß betrug. Der auf diese Weise ein geschlossene Raum war eben, mit einzelstehenden Bäumen bestanden wie ein Park, mit einem Teppich bunter Blumen bedeckt, und wurde von einem Bach durchflossen, der, wie ich später feststellte, aus einer Quelle an der anderen Seite des Amphitheaters ent sprang. Wir schwärmten zu einer Linie aus und suchten die ganze Senke ab, denn Tota war zu benommen, um uns sagen zu können, wo Stella versteckt worden war. Fast eine halbe Stunde lang suchten und suchten wir, klopften die Felswände nach irgendwelchen Zu gängen zu einer Höhle ab. Doch es war vergebens, wir konnten nichts entdecken. Ich flehte Indaba-zimbi an, uns zu helfen, doch seine Kunst versagte hier. Alles, was er mir sagen konnte, war, daß dies der Ort sei und daß der ›Stern‹ irgendwo hier in einer Höhle versteckt sei, doch wo diese Höhle sich befand, wußte er nicht. Schließlich gelangten wir zur anderen Seite
des Amphitheaters. Vor uns erhob sich eine glatte Felswand, auf deren unterem Teil da und dort Gräser, Flechten und Schlingpflanzen wuchsen. Ich schritt an ihr entlang und rief mit lauter Stimme den Namen Stellas. Plötzlich schien mein Herz stillzustehen, da ich ei ne leise Antwort zu hören vermeinte. Ich trat näher zu der Stelle, von der der Laut zu kommen schien, und rief wieder. Ja, da war die Antwort! Es war die Stimme meiner Frau! Sie schien aus dem Felsen zu kommen. Ich trat an die Felswand heran und suchte zwischen den Schlingpflanzen, konnte jedoch keine Öffnung entdecken. »Schieb den Stein beiseite!« rief Stellas Stimme. »Die Höhle ist mit einem Stein verschlossen!« Ich nahm einen Speer und stocherte mit ihm an der Stelle der Felswand herum, von der die Stimme kam. Plötzlich versank der Speer durch eine Masse von Flechten. Ich fegte sie beiseite und legte einen Fels block frei, der in die Öffnung im Felsen gerollt wor den war, in die er so genau hineinpaßte, daß er, mit Flechten bedeckt, wie es der Fall war, selbst dem schärfsten Auge entgehen konnte. Wir zogen den Felsblock heraus; es war eine Arbeit für zwei Männer. Hinter ihm befand sich eine enge, vom Wasser aus gehöhlte Passage, der ich klopfenden Herzens folgte. Plötzlich öffnete sich diese Passage zu einer kleinen Höhle, die wie eine dickbauchige Flasche geformt war, deren enger Hals in die entgegengesetzte Rich tung wies. Wir gingen durch ihn hindurch und ge langten in eine zweite, weitaus größere Höhle, die ich sofort als jene erkannte, die Indaba-zimbi mir im Wasser des Flusses gezeigt hatte. Licht fiel von oben
herein – auf welche Weise, kann ich nicht sagen – und ich sah am oberen Ende der Höhle eine Gestalt in ei ner halb sitzenden, halb liegenden Position auf einem Haufen von Fellen hocken. Ich lief auf sie zu. Es war Stella! Stella, die Füße mit Fellstreifen gebunden, von Kratzwunden und Blutergüssen bedeckt, aber doch Stella, und lebend! Sie sah mich, stieß einen kleinen Schrei aus, und dann, als ich sie in meine Arme nahm, wurde sie ohnmächtig. Ich war überglücklich, daß sie nicht vor her in Ohnmacht gefallen war, denn ohne ihr Rufen hätten wir, wie ich glaube, diese so schlau versteckte Höhle niemals gefunden, falls nicht Indaba-zimbis Magie uns zu Hilfe gekommen sein mochte. Wir trugen sie in die frische Luft hinaus, legten sie in den Schatten eines Baumes und zerschnitten ihre Fesseln. Beim Hinausgehen hatte ich mich kurz in der Höhle umgesehen. Sie war genau so, wie ich sie in der Vision gesehen hatte. Da brannte das Feuer, dort waren die grobgeschnitzten hölzernen Töpfe, von de nen einer noch immer halb mit dem Wasser gefüllt war, das ich den Pavian hatte hereinbringen sehen. Ich fühlte einen Schauer, als ich das sah, und war voller Verwunderung über die Macht, die ein Wilder besaß, der nicht einmal lesen und schreiben konnte. Jetzt sah ich Stella im hellen Licht. Ihr Gesicht war zerkratzt und eingefallen vor Angst und Weinen, ihre Kleider hingen in Fetzen, und ihr wunderbares Haar war offen und zerzaust. Ich ließ Wasser holen, und wir besprengten ihr Gesicht. Dann flößte ich ihr ein wenig von dem Brandy ein, der in den Kraals aus Pfirsichen destilliert wurde, und sie schlug die Augen auf, schlang ihre Arme um meinen Hals und klam
merte sich an mich, wie es die kleine Tota getan hatte. »Gott sei Dank! Gott sei Dank!« schluchzte sie. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, zwang ich sie und Tota, etwas von den Nahrungsmitteln zu essen, die wir mit uns gebracht hatten. Auch ich aß, und war dankbar für die Stärkung, denn mit Aus nahme des Maiskolbens hatte ich seit vierundzwan zig Stunden nichts in den Magen bekommen. Dann wusch sie ihr Gesicht und ordnete die Fetzen ihres Kleides, so gut es ihr möglich war, und während sie das tat, holte ich nach und nach ihre Geschichte aus ihr heraus. Sie war am vorhergehenden Nachmittag, des Pak kens müde, hinausgegangen, um das Grab ihres Va ters aufzusuchen, hatte Tota mitgenommen und die beiden Hunde folgten ihr. Sie wollte ein paar Blumen auf das Grab legen und von dem Staub, den es be deckte, Abschied nehmen, da wir uns vorgenommen hatten, früh am Morgen zu unserem Treck aufzubre chen, und sie nicht wußte, ob sie später noch eine Gelegenheit dazu finden würde. Sie gingen durch den Garten, pflückten ein paar Orangenblüten und andere Blumen, und schritten weiter zu dem kleinen Friedhof. Dort legte sie die Blumen aufs Grab, so wie wir sie später vorfanden, setzte sich dann und verfiel in tiefe, traurige Erinnerungen, wie ein solcher Anlaß sie natürlich hervorruft. Während sie so saß, ver schwand die kleine Tota, die ein sehr lebhaftes Kind war, und so aktiv wie eine junge Katze, ohne daß Stella es bemerkte. Mit ihr liefen auch die beiden Hunde fort, die ebenfalls des Nichtstuns müde ge worden waren. Einige Zeit verging, und dann hörte sie plötzlich aus einer Entfernung von etwa hundert
fünfzig Yards das wütende Gebell der Hunde. Dann hörte sie Tota aufschreien, und die Hunde vor Angst und Schmerz aufheulen. Sie sprang auf und lief so schnell sie konnte zu der Stelle, von der die Laute kamen. Vor ihr, auf der Lichtung, stand eine Gestalt, die die schreiende Tota in ihren Armen hielt, und die sie trotz ihrer rohen Verkleidung durch Pavianfelle und Färbemittel sofort als Hendrika erkannte, und um sie herum waren zahllose Paviane, die in zwei gräßlichen Haufen umhersprangen und -rollten, de ren Zentren die unglückseligen Hunde waren, die von Zähnen und Klauen in Fetzen gerissen wurden. »Hendrika!« schrie Stella. »Was hat das zu bedeu ten? Was tust du mit Tota und den beiden Tieren?« Die Frau hörte sie und blickte auf. In diesem Mo ment erkannte Stella, daß Hendrika wahnsinnig war: der Wahnsinn glänzte in ihren Augen. Sie ließ das Kind fallen, das sofort schutzsuchend zu Stella lief. Stella riß es an sich, wurde jedoch im gleichen Au genblick von Hendrika umklammert. Sie wehrte sich verzweifelt, doch es war sinnlos: die Babyan-Frau hatte Kraft für zehn. Sie riß sie und Tota empor, als ob sie nichts seien, und lief mit ihnen fort, im Fluß entlang, um keine Spur zu hinterlassen. Nur die Pa viane, die mit ihr kamen, wollten nicht ins Wasser gehen, sondern hielten sich auf gleicher Höhe mit ihr am Ufer. Stella erklärte, daß die Nacht, die nun folgte, eher ein entsetzlicher Alptraum gewesen sei, denn Wirk lichkeit. Sie war niemals imstande, mir alles zu be richten, was in dieser Nacht geschah. Sie hatte nur ei ne vage Erinnerung, über Felsen und durch Schluch ten getragen worden zu sein, während um sie herum
das entsetzliche Grunzen, Bellen und Schnalzen der Paviane ertönte. Sie sprach zu Hendrika auf Englisch und auf Kaffer, flehte sie an, sie gehen zu lassen; doch schien diese Frau – falls ich sie als das bezeichnen darf – diese Sprache völlig vergessen zu haben. Wenn Stella sprach, küßte sie sie und strich ihr übers Haar, schien jedoch kein Wort von dem zu verstehen, was sie sagte. Andererseits konnte sie – und tat es auch – zu den Pavianen sprechen, die ihr aufs Wort zu ge horchen schienen. Außerdem ließ sie nicht zu, daß sie Stella berührten, oder auch das Kind, das sie auf ih ren Armen trug. Als es einer von ihnen einmal ver suchte, ergriff sie einen toten Ast und schlug ihm damit so hart auf den Kopf, daß er bewußtlos zu sammenbrach. Dreimal versuchte Stella, zu fliehen, denn hin und wieder ließen sogar Hendrikas gewal tige Kräfte nach, und sie mußte sie absetzen. Doch je des Mal fing sie sie wieder ein, und bei diesen Kämp fen war es, daß Stellas Kleidung so zerrissen wurde. Schließlich, kurz vor Tagesanbruch, erreichten sie die Felswand, und beim ersten Tageslicht begann der Aufstieg. Hendrika schleppte sie das erste Stück hin auf, doch als sie zu der steilen Stelle gelangten, kno tete sie Fellstreifen, von denen sie einige um ihre Taille geschlungen hatte, unter Stellas Armen fest. So steil und glatt der Fels hier auch sein mochte, über wanden die Paviane ihn doch ohne jede Schwierig keit, sprangen von einem Vorsprung zum Stamm des Baumes, der auf dem unteren Rand des Eingangs wuchs. Hendrika folgte ihnen, hielt das Ende des Fellstreifens zwischen ihren Zähnen, und einer der Paviane hing von dem Baum herab, um ihr beim Auf stieg zu helfen. Es geschah während dieses Aufstiegs,
daß Stella auf den Gedanken kam, ihr Taschentuch fallen zu lassen, in der vagen Hoffnung, daß irgend jemand, der nach ihr suchen würde, es sehen mochte. Inzwischen hatte Hendrika den Baumstamm erreicht und grunzte den Pavianen, die sich unterhalb von ihr gesammelt hatten, Befehle zu. Plötzlich packten diese Stella und die kleine Tota, die sie auf ihren Armen hielt, und hoben sie auf. Dann sammelte Hendrika all ihre Kräfte und zog, unterstützt von den Pavianen, die beiden an der Felswand hinauf. Zweimal schlug Stellas Körper heftig gegen die Klippe. Nach dem zweiten Schlag fühlte sie ihre Sinne schwinden und wurde von der Angst verzehrt, daß sie Tota fallen lassen könnte. Doch gelang es ihr, sie festzuhalten, und zusammen erreichten sie den Höhleneingang. »Von diesem Zeitpunkt an«, fuhr Stella fort, »erin nere ich mich an nichts mehr, bis zu dem Moment, als ich in einer düsteren Höhle auf einem Bündel Fell lie gend wieder zu mir kam. Meine Beine waren gefes selt, und Hendrika saß in meiner Nähe und beob achtete mich, während im Höhleneingang die Ge sichter dieser teuflischen Paviane hereinstarrten. Tota lag noch immer in meinen Armen, halb tot vor Angst; ihr Stöhnen und Weinen zerrissen mir das Herz. Ich sprach zu Hendrika, flehte sie an, uns freizulassen, doch entweder hatte sie die menschliche Sprache verlernt, oder aber sie tat, als ob dem so wäre. Sie reagierte nur, indem sie mich streichelte und sogar meine Hände und mein Kleid mit allen Zeichen tiefer Zuneigung küßte. Als sie das tat, drängte Tota sich noch enger an mich. Hendrika bemerkte dies und starrte das Kind so haßerfüllt an, daß ich fürchtete, sie würde es töten. Ich lenkte ihre Aufmerksamkeit von
Tota ab, indem ich ihr durch Zeichen zu verstehen gab, daß ich Wasser haben wolle, und sie reichte es mir in einem hölzernen Napf. Wie du gesehen hast, war diese Höhle Hendrikas Behausung. Es befand sich ein Vorrat von Früchten dort, und auch einige Streifen von luftgetrocknetem Fleisch. Sie gab mir ei nige von den Früchten, und ich brachte Tota dazu, etwas davon zu essen. Du wirst niemals erahnen können, was ich durchgemacht habe, Allan. Ich er kannte jetzt, daß Hendrika absolut wahnsinnig war und sich nur noch geringfügig von den Tieren unter schied, mit denen sie beisammen war, und über die sie eine so unheilige Macht besaß. Die einzige Spur von Menschlichkeit, die in ihr verblieben war, war ih re Zuneigung zu mir. Offensichtlich hatte sie vor, mich hier bei sich zu behalten, mich von dir zu tren nen, und um dieses Vorhaben durchführen zu kön nen, entwickelte sie eine unglaubliche Schläue und Raffinesse. In dieser Hinsicht funktionierte ihr Ver stand ausgezeichnet, doch ansonsten war sie völlig ir re. Außerdem war ihr auch ihre entsetzliche Eifer sucht im Gedächtnis haften geblieben. Ich sah sie immer wieder Tota anstarren und wußte, daß die Ermordung des armen Kindes lediglich eine Frage der Zeit war. Wahrscheinlich würde sie innerhalb weniger Stunden vor meinen Augen getötet werden. Zur Flucht bestand nicht die geringste Möglichkeit, selbst, wenn ich die Kraft dazu besessen hätte, und die Chance, jemals entdeckt zu werden, war äußerst gering. Nein, wir würden hier bleiben müssen, be wacht von einer wahnsinnigen Kreatur, die halb Affe, halb Frau war, bis wir elendiglich umkommen wür den. Dann dachte ich an dich, und daran, wie sehr du
unter allem leiden mußtest, und es zerbrach mir bei nahe das Herz. Ich konnte nur zu Gott beten, daß ich entweder gerettet werden oder einen schnellen Tod finden würde. Während ich betete, verfiel ich aus völliger Er schöpfung in eine Art Halbschlaf, und dabei kam mir ein seltsamer Traum. Ich träumte, daß Indaba-zimbi über mich gebeugt stünde, mit seiner weißen Locke nickte und mir in der Kaffernsprache sagte, ich solle keine Angst haben, denn du würdest bald bei mir sein, und daß ich bis dahin Hendrika besänftigen müsse, indem ich vorgäbe, glücklich zu sein, sie bei mir zu haben. Dieser Traum war so lebhaft, als ob ich ihn tatsächlich leibhaftig sähe und hörte, so wie ich ihn jetzt sehe und höre.« Ich blickte auf und sah den alten Indaba-zimbi an, der in der Nähe hockte. Doch erst später erklärte ich Stella, auf welche Weise ihre Vision hervorgerufen worden war. »Auf jeden Fall«, fuhr sie fort, »war ich, als ich er wachte, entschlossen, nach diesem Traum zu han deln. Ich nahm Hendrikas Hand und drückte sie. Sie lachte auf eine wilde Art vor Glück darüber und legte ihren Kopf auf meine Knie. Dann gab ich ihr durch Zeichen zu verstehen, daß ich hungrig sei, und sie warf mehr Holz ins Feuer – ich vergaß, dir zu erzäh len, daß eins in der Höhle brannte – und begann eine Brühe zu machen, die sie früher sehr gut gekocht hatte, und deren Zubereitung sie nicht vergessen zu haben schien. Auf jeden Fall war diese Brühe nicht schlecht, obwohl weder Tota noch ich viel davon hin unterbrachten. Angst und Müdigkeit hatten uns den Appetit genommen.
Als wir mit diesem sogenannten Essen fertig waren – das ich so lange wie möglich ausgedehnt hatte –, bemerkte ich, daß in Hendrika wieder die Eifersucht auf Tota erwachte. Sie starrte sie an, und blickte dann auf das Messer, das in einem um ihre Taille ge schlungenen Fellstreifen steckte. Ich erkannte das Messer wieder, es war das, mit dem sie dich hatte ermorden wollen, Liebster. Schließlich ging sie sogar so weit, das Messer zu ziehen. Ich war gelähmt vor Angst, doch plötzlich erinnerte ich mich daran, daß ich sie früher, als sie meine Dienerin war, immer be sänftigen konnte, indem ich ihr etwas vorsang, wenn sie ihre Wut- und Trotzanfälle bekam. Also begann ich, einen Choral zu singen. Sofort vergaß sie ihre Ei fersucht und steckte das Messer wieder in den Gürtel zurück. Sie erinnerte sich an den Klang des Singens und lauschte mit verklärtem Gesicht. Und auch die Paviane drängten sich um den Höhleneingang, um zuzuhören. Ich muß eine Stunde oder länger gesun gen haben, sämtliche Choräle und Psalmen, an die ich mich erinnern konnte. Es war so überaus seltsam und grauenvoll, dort zu sitzen und der wahnsinnigen Hendrika und diesen entsetzlichen Affen vorzusin gen, die die Augen geschlossen hatten und ihre gro ßen Köpfe hin und her bewegten, während ich sang; doch glaube ich, daß Paviane beinahe so menschlich sind wie die Buschmänner. Ich sang weiter und weiter, und meine Kraft ging rasch zu Ende, als ich plötzlich die Paviane vor der Höhle laut kreischen hörte, wie sie es tun, wenn sie sehr wütend sind. Und dann, Liebster, hörte ich das Dröhnen deiner Elefantenbüchse, und es war wohl der schönste Laut, der jemals meine Ohren erreichte.
Hendrika hörte es ebenfalls. Sie sprang auf, stand ei nen Moment reglos, dann riß sie zu meinem Entset zen Tota in ihre Arme und rannte zum Ausgang der Höhle. Natürlich war ich nicht in der Lage, ihr zu fol gen, da meine Füße gefesselt waren. Kurz darauf hörte ich ein lautes Knirschen, als ob ein schwerer Steinblock bewegt würde, und dann verriet mir das trüber werdende Licht, daß ich eingeschlossen wor den war. Jetzt erreichte mich selbst das Dröhnen der Elefantenbüchse kaum noch, und dann konnte ich gar nichts mehr hören, so angespannt ich auch lauschen mochte. Schließlich drang durch die Felswand leises Rufen an meine Ohren. Ich antwortete, so laut ich konnte. Alles andere weißt du; und oh, mein Geliebter, Gott sei gedankt, Gott sei gedankt!« Und sie sank weinend in meine Arme.
14
Fünfzehn Jahre später
Sowohl Stella als auch Tota waren zu erschöpft, um be wegt werden zu können, also lagerten wir in dieser Nacht im Heim der Paviane, wurden jedoch von ihnen nicht belästigt. Stella weigerte sich, in der Höhle zu schlafen, da sie dort zu viel Angst habe, also bereitete ich ihr ein Lager unter einem Dornenbaum. Da dieses Felsental einer der heißesten Orte war, die ich je ken nengelernt hatte, glaubte ich, daß es nicht gefährlich sei, sie im Freien schlafen zu lassen, doch als ich beim Grauen des folgenden Morgens einen Schleier mias matischen Nebels über dem Boden der Schlucht hän gen sah, wurde ich eines Besseren belehrt. Aber we der Stella, noch Tota schienen irgendeine Wirkung zu verspüren, also machten wir uns sobald wie möglich auf den Heimweg. Bereits am Vorabend hatte ich einige der Männer zu den Kraals zurückgeschickt, um eine lange Leiter zu holen, und als wir den Ausgang an der Klippe erreichten, warteten sie bereits unten auf uns. Mit Hilfe der Leiter war der Abstieg leicht. Stella verließ einfach ihre primitive Bahre – denn ich hatte es für richtig gehalten, sie tragen zu lassen –, stieg die Leiter hinab und legte sich unten wieder darauf. Wir erreichten die Kraals ohne Schwierigkeiten, und ohne etwas von Hendrika zu sehen, und wenn dies eine Geschichte wäre, würde sie hier sicher en den mit den Worten: ›und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.‹ Doch dem war nicht so. Wie soll ich darüber schreiben?
Nachdem nun die Gefahr überstanden war, schie nen meine geliebte Frau ihre Kräfte zu verlassen, und innerhalb von zwölf Stunden nach unserer Rückkehr erkannte ich, daß ihr Zustand das Verlassen von Ba byan-Kraal vorerst unmöglich machte. Die körperli che Erschöpfung, die seelische Belastung, und der Terror, den sie während dieser entsetzlichen Nacht hatte erdulden müssen, hatte bei ihrer zarten Kon stitution einen Zusammenbruch bewirkt. Um es noch schlimmer zu machen, bekam sie Fieber, das sie sich zweifellos in der ungesunden Atmosphäre jenes ver fluchten Tales zugezogen hatte. Nach einiger Zeit konnte sie dieses Fieber überwinden, doch ließ es sie furchtbar geschwächt zurück, und sie war unmöglich in der Lage, die Strapazen zu ertragen, die ihr bei ei nem Treck bevorstanden. Ich glaube, sie wußte, daß sie sterben würde; sie sprach immer nur von meiner Zukunft, niemals von unserer Zukunft. Es ist mir unmöglich zu beschreiben, wie wunderbar sie war, wie sanft, wie geduldig und ergeben. Und ich will es auch nicht beschreiben, da es zu traurig ist. Dies jedoch möchte ich sagen: wenn es jemals eine Frau gegeben hat, der es noch zu ihren Lebzeiten auf Erden gelang, der Vollkommenheit na hezukommen, so war es Stella Quatermain. Die entscheidende Stunde nahte. Mein Sohn Harry wurde geboren, und seine Mutter lebte eben noch lange genug, um ihn küssen und segnen zu können. Dann sank sie zusammen. Wir taten alles, was wir tun konnten, wenn auch mit wenig Können, doch gelang es uns nicht, sie von der Schwelle des Todes zurückzureißen. Und eine ganze Nacht hindurch saß ich mit brechendem Herzen an ihrer Seite.
Der Morgen kam, und die Sonne stieg im Osten auf. Ihre auf den Gipfel fallenden Strahlen wurden von dem Busen des westlichen Himmels in ihrer gan zen Pracht reflektiert. Stella erwachte aus ihrer Be wußtlosigkeit und sah das Licht. Sie flüsterte mir zu, die Tür der Hütte zu öffnen. Ich tat es, und sie rich tete den erlöschenden Blick ihrer Augen auf das strahlende Licht des Morgenhimmels. Sie sah mich an und lächelte, wie ein Engel lächeln mag. Dann hob sie mit einer letzten Anstrengung ihre Hand, deutete auf die Pracht des Himmels und flüsterte: »Dort, Allan, dort!« Es war vorbei, und mein Herz war gebrochen, und mit gebrochenem Herzen mußte ich meinen Weg zu Ende gehen. Nur diejenigen, die jene Tage miterlebt haben, können mein Leid ermessen; niedergeschrie ben werden kann es nicht. Ich wünsche mir nur, daß auch ich zu einer solchen Stunde und in einem sol chen Frieden sterben möge. Ja, es ist eine traurige Geschichte, und wohin ich auch wandern mag, werde ich nie aus dem Bereich der Totenglocke gelangen. Für mich, wie für meinen Vater vor mir, und für Millionen Menschen, die ge wesen sind, und die sein werden, gibt es nur ein Wort des Trostes; ›Der Herr hat gegeben, der Herr hat ge nommen.‹ Lasset uns also unsere Köpfe in Hoffnung neigen und demütigen Herzens hinzufügen: ›Der Name des Herrn sei gelobt.‹ Ich begrub sie an der Seite ihres Vaters, und das Wei nen der Menschen, die sie geliebt hatten, stieg zum Himmel empor. Selbst Indaba-zimbi weinte; ich hatte keine Tränen mehr.
In der zweiten Nacht nach ihrem Begräbnis konnte ich nicht schlafen. Ich stand auf, zog mich an und trat in die Nacht hinaus. Der Mond schien hell, und bei seinem Licht suchte ich mir meinen Weg zum Fried hof. Schweigend ging ich darauf zu, und als ich mich ihm näherte, glaubte ich, ein Stöhnen von der ande ren Seite der Mauer zu hören. Ich blickte hinüber. Vor Stellas Grab kauerte und mit den Händen Erdklum pen herausreißend, als ob sie ausgraben wollte, was darin lag, saß Hendrika. Ihr Gesicht war wild und ein gefallen, und ihr Körper so abgemagert, daß an den Stellen, wo die Pavianfelle beiseite geglitten waren, die Schulterblätter fast durch die Haut zu treten schienen. Plötzlich blickte sie auf und sah mich. Sie stieß ein irres Lachen aus, und griff an ihren Gürtel und riß das lange Messer heraus. Ich glaubte, daß sie mich angreifen würde, und bereitete mich darauf vor, mich zu verteidigen, so gut es mir möglich war, denn ich war unbewaffnet! Doch traf sie keinerlei Anstalten dazu. Sie hob das Messer hoch empor, hielt es einen Moment glitzernd im Licht des Mondes, stach es sich dann in die Brust und sank zu Boden. Ich sprang über die Mauer und lief zu ihr. Sie war noch nicht tot. Sie schlug die Augen auf, und ich sah, daß der Ausdruck des Irrsinns aus ihnen verschwun den war. »Macumazahn«, sagte sie auf englisch, mühsam und mit schwerer Zunge, wie jemand, der das Spre chen halb verlernt hat, und halb sich erinnerte – »Macumazahn, jetzt erinnere ich mich wieder. Ich bin wahnsinnig gewesen. Ist sie wirklich tot, Macuma zahn?« »Ja«, sagte ich, »sie ist tot, und du hast sie getötet.«
»Ich habe sie getötet!« sagte die Frau entsetzt, »und dabei habe ich sie doch geliebt. Ja, ja – ich weiß es jetzt wieder. Ich bin wieder zum Tier geworden und habe sie zu den Tieren verschleppt, und jetzt bin ich wieder eine Frau, und sie ist tot, und ich habe sie ge tötet, die mein Leben vor jenen Bestien gerettet hat. Ich bin noch nicht tot, Macumazahn, nimm mich und foltere mich zu Tode, langsam, sehr langsam. Es war die Eifersucht auf dich, die mich zum Wahnsinn ge trieben hat, und ich habe sie getötet, und nun kann sie mir nie vergeben.« »Erbitte die Vergebung vom Himmel«, sagte ich, denn Hendrika war Christin, und die Qual ihrer Reue rührte mich. »Ich bitte nicht um Vergebung«, sagte sie. »Möge Gott mich in alle Ewigkeit foltern, weil ich sie getötet habe; möge ich für immer zum Tier werden, bis sie zu mir kommt und mir vergibt! Nur ihre Vergebung will ich.« Und mit einem Wehklagen über ein Leid des Herzens, das so unerträglich war, daß ihre körperli chen Leiden vergessen zu sein schienen, starb Hen drika, die Pavianfrau. Ich ging zu den Kraals zurück, weckte Indaba zimbi, berichtete ihm, was geschehen war, und gebot ihm, jemanden auszuschicken, um den Leichnam zu bewachen, da ich ihn christlich bestatten wollte. Doch am nächsten Morgen war er verschwunden, und ich stellte fest, daß die Eingeborenen, als sie von dem Vorfall hörten, die Leiche fortgeschleppt und sie in ihrem Haß den Geiern zum Fraß vorgeworfen hatten. So also war das Ende Hendrikas. Eine Woche nach Hendrikas Tod verließ ich Babyan
Kraal. Ich haßte diesen Ort jetzt; es gab zu viele Gei ster dort. Ich schickte nach dem alten Indaba-zimbi und sagte ihm, daß ich fortgehen wolle. Er antworte te, daß es gut sei. »Dieser Ort hat für dich seinen Zweck erfüllt«, sagte er; »hier hast du das Glück ge funden, das dir vom Schicksal vorbestimmt war, und hier hast du das Leid erlitten, welches das Schicksal danach für dich bestimmt hatte. Ja, und obwohl du es noch nicht weißt, sind das Glück und das Leid ein und dasselbe, genau wie der Sonnenschein und das Gewitter, und sie werden alle in demselben Himmel ruhen, in dem Himmel, aus dem sie gekommen sind. Also geh jetzt, Macumazahn!« Ich fragte ihn, ob er mich begleiten würde. »Nein«, antwortete er, »hier trennen sich unsere Wege, Macumazahn. Wir sind einander zu bestimm ten Zwecken begegnet. Diese Zwecke sind jetzt er füllt, also gehen wir wieder unsere eigenen Wege. Du hast noch viele Jahre vor dir, Macumazahn, doch die meinen sind gezählt. Wenn wir uns hier die Hand reichen, so ist es zum letzten Male. Vielleicht werden wir einander wiederbegegnen, doch wird es nicht in dieser Welt sein. Von nun an haben wir beide einen Freund weniger.« »Das sind schwere Worte«, sagte ich. »Wahre Worte«, antwortete er. Über das, was weiterhin geschah, mag ich nicht schreiben. Ich verließ Babyan-Kraal, das ich unter der Obhut von Indaba-zimbi zurückließ, dem ich alle Rinder und andere Habe schenkte, die ich nicht mit nehmen wollte. Tota nahm ich natürlich mit mir. Glücklicherweise hatten ihre Nerven sich mittlerweile einigermaßen
von dem Schock erholt. Das Baby – es wurde später auf den Namen Harry getauft – war ein prachtvolles, gesundes Kind, und ich hatte das Glück, eine zuver lässige Eingeborenenfrau, deren Ehemann im Kampf mit den Pavianen getötet worden war, als Amme für ihn mitnehmen zu können. Langsam, und von allen Einwohnern der BabyanKraals für eine Weile gefolgt, verließ ich diesen Ort. Mein Treck nach Natal war lang und führte am Ran de der Wüste entlang, und mein erstes Lager schlug ich bei jenem Baum auf, unter dem Stella, meine ver storbene Frau, uns fast verdurstet aufgefunden hatte. Ich fand nicht viel Schlaf in jener Nacht. Und doch war ich froh, daß ich vor elf Monaten nicht in der Wüste umgekommen war. Ich hatte damals das Ge fühl, das ich auch Jahr um Jahr spürte, als ich durch die einsame Wildnis meines Lebens wanderte, daß ich für einen bestimmten Zweck aufgespart worden war. Ich hatte die Liebe meiner geliebten Stella errun gen, und für eine Weile waren wir sehr glücklich mit einander gewesen. Doch war unser Glück zu voll kommen, um andauern zu können. Sie ist mir jetzt verloren, doch ist sie verloren, um wiedergefunden zu werden. Hier, unter dem riesigen Baobab-Baum sagte ich am folgenden Morgen Indaba-zimbi Lebewohl. »Lebe wohl, Macumazahn«, sagte er und nickte mit seiner weißen Locke. »Lebe wohl für eine Weile. Ich bin kein Christ; dazu hat dein Vater mich nicht ma chen können. Doch war er ein weiser Mann, und als er mir sagte, daß solche, die einander lieben, sich wiedersehen würden, hat er nicht gelogen. Und auch ich bin auf meine Art ein weiser Mann, Macumazahn,
und ich sage dir, es ist wahr, daß wir uns wiederse hen werden. Alle meine Prophezeiungen, die ich für dich gemacht habe, sind erfüllt worden, Macuma zahn, und auch diese wird sich erfüllen. Ich sage dir, daß du eines Tages nach Babyan-Kraal zurückkehren und mich dort nicht mehr finden wirst. Lebe wohl!« Er nahm eine Prise Schnupftabak, wandte sich um und ging. Von meiner Reise nach Natal gibt es kaum etwas zu berichten. Ich begegnete vielen Abenteuern, doch wa ren sie von der unerheblichen Art, und traf schließ lich in Port Durban ein, das ich da zum ersten Mal besuchte. Sowohl Tota als auch mein Baby hatten die Reise gut überstanden. Und an dieser Stelle sollte ich vielleicht das weitere Schicksal Totas aufzeichnen. Ein Jahr blieb sie unter meiner Obhut. Dann wurde sie von einer Dame adoptiert, welche die Frau eines am Kap stationierten britischen Colonels war. Sie wurde von ihren Adoptiveltern nach England ge bracht, wo sie zu einem reizenden und hübschen Mädchen heranwuchs und schließlich einen Geistli chen von Norfolk heiratete. Doch ich sah sie nie wie der, obwohl wir einander oft schrieben. Bevor ich ins Land meiner Geburt zurückkehrte, war auch sie ins Reich der Schatten gegangen und ließ drei Kinder zurück. Ach! All dies ist vor so langer Zeit geschehen, als ich, der ich jetzt alt bin, noch jung war. Vielleicht mag es den Leser interessieren zu erfah ren, was mit Mr. Carsons Vermögen geschah, das natürlich auf seinen Enkel Harry übergehen sollte. Ich habe nach England geschrieben, um das Erbe für ihn
zu beanspruchen, doch schrieb mir der Notar, der mit der Abwicklung betraut war, zurück, daß meine Hei rat mit Stella nach britischem Gesetz ungültig sei, da sie nicht von einem geweihten Priester vollzogen wurde, und Harry deshalb nicht erbberechtigt sei. Tö richterweise fand ich mich damit ab, und das Vermö gen fiel an einen Cousin meines Schwiegervaters. Doch seit ich wieder in England lebe, bin ich darüber belehrt worden, daß diese Ansicht äußerst zweifelhaft sei und eine große Wahrscheinlichkeit bestünde, daß die Gerichte die Ehe für legal erklärt hätten, da die Trauung nach den Bräuchen des Landes erfolgt sei, in dem sie vollzogen wurde. Doch ich bin inzwischen so reich geworden, daß es mich nicht interessiert, in die ser Richtung irgend etwas zu unternehmen. Der Cou sin ist inzwischen verstorben, und sein Sohn ist im Besitz des Erbes, also mag er es behalten. Einmal, und nur einmal, habe ich Babyan-Kraal wieder aufgesucht. Etwa fünfzehn Jahre nach dem Tod meines Lieblings, als ich ein Mann in der Mitte meiner Jahre war, unternahm ich eine Expedition an den Sambesi, und eines Abends lauerte ich an der Mündung des wohlbekannten Tals unter dem Schat ten des gewaltigen Gipfels. Ich stieg auf mein Pferd, und als ich allein das Tal hinaufritt, bemerkte ich mit einer seltsamen Vorahnung von Unheil, daß die Stra ße von Pflanzen überwuchert und der Ort, mit Aus nahme der Musik der Wasserfälle, so still wie ein Grab war. Die Kraale, die links und rechts der Straße beim Fluß gestanden hatten, waren verschwunden; die Maisfelder waren von Unkraut bedeckt, die Pfade waren grün von Gras. Dann erreichte ich den Ort. Dort, vor mir, sah ich die von Gras überwucherte
Asche der Kraals, und in der Asche, im Mondlicht schimmernd, lagen die Knochen von Menschen. Jetzt war mir alles klar: die Siedlung war von einem mächtigen Feind überfallen und seine Bewohner dem Assegai überantwortet worden. Die düsteren Vorah nungen der Eingeborenen hatten sich also erfüllt Ba byan-Kraal wurde nur noch von Erinnerungen bevöl kert. Ich schritt zu den Terrassen hinauf. Dort glänzten die Kuppeln der Marmorhütten im Mondlicht. Sie konnten nicht verbrannt werden und waren zu solide gebaut, um niedergerissen zu werden. Ich trat in eine von ihnen hinein – es war unsere Schlafhütte gewe sen – und steckte die Kerze an, die ich mitgebracht hatte. Die Hütten waren ausgeplündert worden; zer fetzte Buchseiten und die faulenden Trümmer ver trauter Möbelstücke lagen umher. Dann erinnerte ich mich daran, daß es in dem Boden eine von einem Stein verdeckte Aushöhlung gab, in der Stella ihre kleinen Schätze zu verbergen pflegte. Ich trat zu der Stelle und hob den Stein hoch. Es lag ein kleines Bün del darin, das in ein schimmeliges Eingeborenentuch gewickelt war. Ich schlug es auseinander. Es enthielt das Hochzeitskleid meiner Frau. In ihm lag der ver welkte Blumenkranz, den sie bei unserer Trauung getragen hatte, und bei ihm ein zusammengefaltetes Papier. Ich öffnete es; es enthielt eine Strähne meines Haares. Ich erinnerte mich jetzt, daß ich vor meinem Auf bruch nach diesem Kleid gesucht hatte, es jedoch nicht hatte finden können, da ich Stellas kleines Ge heimversteck im Boden vergessen hatte. Ich nahm das Kleid mit mir und verließ die Hütte
zum letzten Mal. Ich band mein Pferd an einen Baum und ging durch den unkrautüberwucherten Garten zum Friedhof. Auch das Grab meines Lieblings war mit Unkraut bedeckt, doch wuchs auf ihm ein selbst ausgesäter Orangenbaum, dessen duftende Blüten blätter auf den Hügel fielen. Als ich mich ihm näher te, hörte ich ein Brechen und ein Knacken. Ein riesi ger Pavian floh aus dem Friedhof und verschwand in den Bäumen. Ich mochte fast glauben, daß es der Geist Hendrikas war, dazu verurteilt, ewige Wache über den Gebeinen der Frau zu halten, die durch ihre wahnsinnige Eifersucht zu Tode gekommen war. Ich blieb eine Weile dort, versunken in Gedanken, die nicht niedergeschrieben werden können. Dann überließ ich meine Frau dem ewigen Schlaf bei der melancholischen Musik der Wasserfälle im Schatten des Berges und ging zu der Stelle, an der wir uns einst unsere Liebe gestanden hatten. Der Orangen hain war nichts mehr als ein verwachsenes Dickicht; viele der Bäume waren tot, von Lianen erstickt, doch einige von ihnen lebten noch. Dort war der, unter dem wir damals gestanden hatten, dort war der Stein, der unsere Bank gewesen war, und dort, auf jenem Stein, saß jetzt der Geist Stellas, jener Stella, die ich geheiratet hatte! Ja! Dort saß sie, und auf ihrem mir entgegengehobenen Gesicht war derselbe durchgei stigte Ausdruck, den ich auf ihm in dem Augenblick gesehen hatte, als wir uns zum ersten Mal küßten. Das Mondlicht fiel in ihre dunklen Augen, die Brise spielte in ihrem lockigen Haar, ihr Busen hob und senkte sich, und ein liebevolles Lächeln stand auf ih ren leicht geöffneten Lippen. Ich stand wie gelähmt vor Verwunderung und Freude, und starrte auf die
verlorene Lieblichkeit, die einst mein gewesen war. Ich konnte nicht sprechen, und auch sie sprach kein Wort; sie schien mich nicht einmal zu sehen. Dann senkte sich ihr Blick. Für einen Augenblick traf er den meinen, und die Botschaft ihrer Augen trat in mich ein. Dann war sie verschwunden. Sie war verschwun den; nichts von ihr war zurückgeblieben als zittern des Mondlicht, das auf die Stelle fiel, an der sie gewe sen war, die melancholische Melodie des Wassers, der Schatten des ewigen Berges, und, in meinem Her zen, die Trauer und die Hoffnung.
Magepa, der Bock
In dem Vorwort zu einer Geschichte des verstorbenen Allan Quatermain, der in Afrika als Macumazahn be kannt war, und die unter dem Titel ›Marie‹ veröffent licht wurde, berichtet Mr. Curtis, der Bruder von Sir Henry Curtis, daß er eine Anzahl von Manuskripten auffand, die von Mr. Quatermain in seinem Haus in Yorkshire zurückgelassen worden waren. Von diesen Manuskripten war ›Marie‹ eines, doch zusätzlich zu ihm und einer ganzen Anzahl weiterer abgeschlosse ner Berichte, habe ich, der Herausgeber, dem diese Manuskripte zur Veröffentlichung übergeben werden sollten, auch eine gewisse Anzahl unvollständiger Notizen und Papiere gefunden. Einige von ihnen be fassen sich mit Jagd und Wild betreffenden Dingen, oder mit historischen Ereignissen, und andere sind Memoranden von Ereignissen, die den Lebenslauf des Autors betreffen, oder bemerkenswerte Begeben heiten, die er erlebt hat, und von denen er nicht an anderer Stelle spricht. Eine dieser Notizen – sie ist in einem sehr abgegrif fenen und verschmutzten Tagebuch enthalten, das sein Besitzer offensichtlich jahrelang bei sich getragen hat – erinnert mich an ein Gespräch, das ich vor vie len Jahren mit Mr. Quatermain geführt habe, als ich sein Gast in Yorkshire war. Die Notiz selbst ist nur kurz; ich vermute, daß sie innerhalb einer Stunde nach dem Ereignis niedergeschrieben wurde, auf das es sich bezieht. Sie lautet folgendermaßen: »Ich frage mich ernsthaft, ob in dem ›Jenseitigen Land‹ Anerkennung für Taten des Mutes und der
selbstlosen Aufopferung gewährt wird – eine Art gei stiges Viktoria-Kreuz also. Wenn ja, so sollte es mei ner Meinung nach dem armen, alten Wilden Magepa gewährt werden, und das würde es auch, wenn ich in dieser Angelegenheit irgend etwas zu sagen hätte. Ich schwöre Ihnen, daß er mich auf die Menschheit stolz gemacht hat. Obwohl er nicht mehr war, als ein ›Nig ger‹, wie viele die Kaffern nennen.« Für eine Weile habe ich, der Herausgeber, mich ernsthaft gefragt, was diese Bemerkung bedeuten mochte. Doch dann, plötzlich, kam mir alles in die Erinnerung. Ich sah mich als jungen Mann eines Abends nach dem Diner in der Halle von Mr. Qua termains Haus sitzen. Bei mir waren Sir Henry Curtis und Captain Good. Wir rauchten, und das Gespräch hatte sich besonderen Heldentaten zugewandt. Jeder von uns brachte Beispiele solcher Taten vor, an die er sich erinnern konnte, und die ihn am meisten beein druckt hatten. Als ich zu Ende gesprochen hatte, sagte der alte Allan: »Mit Ihrer gütigen Erlaubnis möchte ich Ihnen die Geschichte dessen erzählen, was meiner Meinung nach eine der tapfersten Taten war, die ich jemals sah. Es war zu Beginn der Zulu-Kriege, als die Truppen in Zululand einmarschierten. Wie Sie wissen, verdiente ich mir damals einen ehrlichen Penny damit, als Transportführer der Regierung zu arbeiten, oder, ge nauer, für die Militärbehörden. Ich heuerte für sie drei Wagen an, mit den nötigen Voorloopers und Fahrern, und sechzehn guten, gesalzenen Ochsen für jeden Wagen. Sie bezahlten mich gut, fragen Sie mich nicht, wieviel – ich schäme mich ein wenig, die Sum me zu nennen. Die Wahrheit ist, daß die Offiziere des
Imperiums während dieses Zulu-Krieges auf einem teuren Markt einkauften; außerdem ging es nicht immer korrekt zu. Ich könnte Ihnen Geschichten von Männern erzählen, und es waren nicht immer Kolo niale, die in sehr kurzer Zeit sehr reich wurden – Pro visionen und solche Sachen. Doch vielleicht sollte man so etwas lieber vergessen. Was mich betraf, so verlangte ich einen anständigen Preis für meine Wa gen, oder vielmehr für deren Einsatz, von einem jun gen Gentleman in Uniform, der seit genau drei Wo chen im Lande war, und bekam ihn zu meiner Über raschung auch. Doch als ich zu den kommandieren den Offizieren der Truppe ging und sie warnte, was geschehen könnte, wenn sie ihren Vormarsch auf die se Art fortführen würden, ließ ihr Stolz es nicht zu, auf einen alten Jäger und Transportführer zu hören, und sie wiesen mir höflich die Tür. Wenn sie meinen Rat angenommen hätten, hätte es das Isandhlwana Desaster nicht gegeben.« Er blickte eine Weile grübelnd vor sich hin, da dies, wie ich wußte, ein Reizthema für ihn war, über das er nur selten sprach. Obwohl es ihm selbst gelungen war, dem Gemetzel zu entrinnen, hatte er doch Freunde in dieser tödlichen Schlacht verloren. Er fuhr fort: »Doch kehren wir zu dem alten Mage pa zurück. Ich kannte ihn damals schon seit vielen Jahren. Zum ersten Mal trafen wir uns bei der Schlacht der Tugela. Ich kämpfte auf seiten des Soh nes von König Umbelazi dem Schönen, in den Reihen des Tulwana-Impis – ich möchte diese Geschichte einmal niederschreiben, denn warum sollte sie verlo rengehen? Nun, wie ich Ihnen früher einmal bereits sagte,
wurden die Tulwana vernichtet; von den etwa drei tausend Mann waren gerade noch fünfzig am Leben, nachdem sie die drei Impis zerschlagen hatten, die Cetywayo auf sie angesetzt hatte. Doch befand sich Magepa unter den Überlebenden. Ich traf ihn später im Kraal des alten Königs Panda und erkannte ihn wieder als jenen, der an meiner Seite gekämpft hatte. Während ich mit ihm sprach, kam Prinz Cetywayo vorbei; mir gegenüber verhielt er sich sehr höflich, denn er wußte, durch welche Umstände ich in die Schlacht geraten war, doch Ma gepa starrte er finster an und sagte: ›Höre, Macumazahn, ist dieser Mann nicht einer von den Hunden, mit denen du mich vor noch gar nicht so langer Zeit durch die Tugela beißen lassen wolltest? Er muß auch ein schlauer Hund sein, und einer, der schnell laufen kann, denn wie käme es sonst, daß er noch lebt und knurrt, wo so viele von ihnen nie wieder bellen werden? Ou! Wenn ich so könnte, wie ich wollte, würde ich nach einem Fell strick suchen, der um seinen Hals paßt.‹ ›Das wirst du nicht‹, antwortete ich, ›denn er hat das Geleit des Königs und ist ein tapferer Mann, tap ferer als ich es bin auf jeden Fall, Prinz, denn ich bin aus den Reihen der Tulwana geflohen, während er an seinem Platz ausgeharrt hat.‹ ›Du willst damit sagen, daß dein Pferd dir durch gegangen ist, Macumazahn. Nun, da du diesen Hund zu mögen scheinst, werde ich ihm nichts tun.‹ Er zuckte die Achseln und ging seines Weges. ›Doch irgendwann wird er mir etwas tun‹, sagte Magepa, als der Prinz außer Hörweite war. ›U'Cety wayo hat ein Gedächtnis, das so lang ist wie der
Schatten, den ein Baum bei Sonnenuntergang wirft. Außerdem weiß er, daß ich weggelaufen bin, Macu mazahn, wenn auch erst, als alles vorbei war und ich nichts mehr erreichen konnte, wenn ich stehen ge blieben wäre. Du erinnerst dich, wie wir, nachdem wir das erste Impi aufgefressen hatten, von dem zweiten angegriffen wurden und wir es ebenfalls auf fraßen. Nun, bei diesem Kampf erhielt ich einen Schlag auf den Kopf mit einem Kerrie. Er traf mich auf meinen Mannbarkeitsring, den ich gerade erhal ten hatte, denn ich war sicher der jüngste Krieger in jenem Impi von Veteranen. Der Ring rettete mir das Leben; trotzdem wurde ich bewußtlos und lag da wie ein Toter. Als ich wieder zu mir kam, war die Schlacht vorbei und Cetywayos Männer suchten nach unseren Verwundeten, um sie zu töten. Schließlich entdeckten sie mich und sahen, daß keine Wunde an mir war. ‚Hier ist einer, der sich tot stellt, wie eine Stinkkat ze‘, sagte ein riesiger Kerl und hob seinen Speer. Das war der Augenblick, an dem ich aufsprang und fortlief, da ich gerade geheiratet hatte und leben wollte. Er stieß nach mir, doch ich sprang über den Speer hinweg, und die anderen Speere, die sie nach mir warfen, gingen vorbei. Darauf begannen sie mich zu jagen, aber, Macumazahn, ich, den man ‚den Bock‘ nennt, weil ich schneller auf den Füßen bin als jeder andere Mann im Zululand, ließ sie weit hinter mir und entkam ihnen.‹ ›Gut gemacht, Magepa‹, sagte ich. ›Aber erinnere dich an das Sprichwort deines Volkes: ‚Zuletzt wird auch der stärkste Schwimmer vom Fluß mitgerissen, und der schnellste Läufer wird eingeholt.‘‹
›Ich kenne es, Macumazahn‹, antwortete er mit ei nem Nicken, ›und vielleicht werde ich es bald noch besser kennen.‹ Damals maß ich seinen Worten keine besondere Bedeutung bei, doch mehr als dreißig Jahre später fielen sie mir wieder ein. So kam es zu meiner ersten Bekanntschaft mit Ma gepa. Und nun, Freunde, will ich Ihnen erzählen, auf welche Weise sie zur Zeit des Zulu-Krieges erneuert wurde. Wie Sie wissen, gehörte ich der mittleren Kolonne an, die über Rorke's Drift am Buffalo River ins Zulu land vorstieß. Bevor der Krieg erklärt worden war, oder zumindest bevor der Vorstoß unternommen wurde, als er noch zu verhindern gewesen wäre und viele glaubten, daß er auch verhindert werden wür de, war ich angeworben worden, Nachschubgüter zu der kleinen Station von Rorke's Drift zu transportie ren, die später so berühmt werden sollte, und neben bei alle Informationen über Cetywayos Absichten zu sammeln, derer ich habhaft werden konnte. Als ich hörte, daß sich auf der anderen Seite des Flusses, in einer Entfernung von etwa einer Meile, ein Kraal be fände, dessen Bewohner sehr englischfreundlich sei en, beschloß ich, ihn aufzusuchen. Sie mögen glau ben, daß dies ein recht leichtfertiger Entschluß war, doch war ich im Zululand, wo ich mich seit vielen Jahren, mit besonderer Erlaubnis des Königs, genauer gesagt, sogar unter dessen Schutz, völlig frei und un gestört bewegen konnte, so gut bekannt, daß ich kei ne Furcht hatte, so lange ich allein ging. Also durchquerte ich eines Abends den Fluß und ritt auf eine Schlucht zu, in der, wie man mir gesagt
hatte, der Kraal stand. Ein Ritt von zehn Minuten brachte ihn in Sichtweite. Es war kein großer Kraal; er bestand aus sechs bis acht Hütten und einem Rin derpferch, der wie üblich von einem Zaun umschlos sen war. Seine Lage war jedoch sehr schön: der Kraal lag auf einer Anhöhe vor den bewaldeten Hängen der Schlucht. Als ich mich näherte, sah ich Frauen und Kinder zum Kraal laufen, um sich dort zu verstecken, und als ich das Gattertor erreichte, kam lange Zeit niemand heraus, um mich zu begrüßen. Schließlich jedoch erschien ein kleiner Junge und erklärte mir, daß der Kraal ›so leer wie eine Kalebasse‹ sei. ›Ich verstehe‹, antwortete ich, ›trotzdem gehe jetzt zu eurem Häuptling und sage ihm, daß Macumazahn mit ihm zu sprechen wünscht.‹ Der Junge verschwand, und kurz darauf sah ich ein Gesicht, das mir bekannt vorkam, hinter einer Hütte hervorlugen. Nachdem es mich sorgfältig gemustert hatte, erschien der Mann, zu dem es gehörte. Er war groß, schlank und von unbestimmbarem Alter, irgendwo zwischen vierzig und sechzig Jahren, mit einem gut geschnittenen Gesicht, einem kurzen, grauen Bart, freundlichen Augen und sehr gut ge formten Händen und Füßen, und seine Finger, die ständig nervös zuckten, waren außergewöhnlich lang. ›Sei gegrüßt, Macumazahn‹, sagte er. ›Ich sehe, daß du dich meiner nicht mehr erinnerst. Nun, denke an die Schlacht der Tugela, und den letzten Widerstand der Tulwana, und an ein bestimmtes Gespräch im Kraal unseres Vaters-der-tot-ist, (das ist König Panda) und wie jener, der jetzt auf seinem Platz sitzt (er meinte Cetywayo) dir sagte, daß er, wenn es nach
ihm ginge, einen Fellstrick suchen würde, der um den Hals eines gewissen Mannes paßt.‹ ›Ah!‹ sagte ich, ›jetzt erkenne ich dich wieder. Du bist Magepa, der Bock. Also ist der Läufer noch nicht eingeholt worden.‹ ›Nein, Macumazahn, noch nicht, doch ist noch im mer Zeit dazu, und ich glaube, daß bald viele schnelle Füße unterwegs sein werden.‹ ›Wie ist es dir ergangen?‹ fragte ich ihn. ›Recht gut, Macumazahn, auf jede Weise bis auf ei ne. Ich habe drei Frauen, doch Kinder gebaren sie mir wenige, und sie sind alle tot, mit Ausnahme einer Tochter, die verheiratet war und jetzt wieder bei mir lebt, denn auch ihr Mann ist tot. Er ist von einem Büf fel getötet worden, und sie hat noch nicht wieder ge heiratet. Aber komm herein und sieh dich um!‹ Also trat ich in die Hütte und sah Magepas Frauen, alle drei recht alt. Dann gebot er seiner Tochter, deren Name Gita war, mir Maas, das ist geronnene Milch, zu bringen. Sie war eine gutaussehende Frau und ih rem Vater sehr ähnlich, doch zeigte ihr Gesicht einen Ausdruck von Trauer, vielleicht durch eine Vorah nung kommenden Unheils. An ihre Hand klammerte sich ein sehr hübscher Junge von kaum zwei Jahren, der, als er Magepas ansichtig wurde, zu ihm lief und mit seinen kleinen Armen die Beine seines Großvaters umklammerte. Der alte Mann hob das Kind auf und gab ihm einen zärtlichen Kuß. ›Es ist gut, daß dieser Kleine und ich einander lie ben, Macumazahn‹, sagte er, ›da er der letzte meines Blutes ist. Alle anderen Kinder, die du hier siehst, sind die jener Menschen, die hergekommen sind, um in meinem Schatten zu leben.‹
›Wo sind ihre Väter?‹ fragte ich und tätschelte den kleinen Jungen, der, wie seine Mutter mir gesagt hatte, Sinala hieß, auf die Wange, eine Aufmerksam keit, die ihm alles andere als angenehm schien. ›Sie sind abberufen worden‹, antwortete Magepa knapp, und ich wechselte sofort das Thema. Wir begannen über die alten Zeiten zu sprechen, und ich fragte ihn, ob er vielleicht ein paar Ochsen zu verkaufen hätte, wobei ich vorgab, daß dies der ei gentliche Grund für den Besuch dieses Kraals sei. ›Nein, Macumazahn‹, antwortete er mit bedeu tungsschwerer Stimme. ›In diesem Jahr gehören alle Rinder dem König.‹ Ich nickte und antwortete, wenn dem so sei, sollte ich wohl besser wieder gehen, woraufhin Magepa, wie ich es fast erwartet hatte, mir anbot, mich bis zur Furt zu begleiten. Also verabschiedete ich mich von seinen Frauen und seiner verwitweten Tochter, und wir brachen auf. Sobald wir uns außerhalb des Kraals befanden, schüttete Magepa mir sein Herz aus. ›Macumazahn‹, sagte er und blickte ernst zu mir auf, denn ich war zu Pferde, und er ging neben mir her, ›es wird Krieg geben. Cetywayo wird sich den Forderungen des Großen Weißen Häuptlings vom Kap – er meinte damit Sir Bartle Frere – nicht unter werfen und gegen die Engländer kämpfen; doch wird er sie den Krieg beginnen lassen. Er wird sie tief ins Zululand hinein ziehen und sie dann mit seinen Impis überwältigen, sie tottrampeln und auffressen: und ich, der ich die Engländer liebe, bin sehr traurig. Ja, mein Herz blutet für sie. Wenn es Buren wären, wür de ich nur lachen, denn wir Zulus hassen die Buren;
doch die Engländer hassen wir nicht: selbst Cetywayo mag sie; trotzdem wird er sie auffressen, wenn sie ihn angreifen.‹ ›So?‹ sagte ich, und dann versuchte ich, wie es meine Pflicht war, aus ihm herauszuholen, was ich herausholen konnte, und das war nicht wenig. Na türlich schluckte ich nicht alles, da ich den Verdacht hegte, daß Magepa mich mit Informationen fütterte, die zu verbreiten er den Auftrag hatte. Wir erreichten den Ausgang der Schlucht, in wel cher der Kraal stand, und hier verhielten wir, um in aller Ruhe miteinander sprechen zu können, weil ich es für richtig hielt, daß wir nicht im Gespräch mitein ander auf der dahinterliegenden offenen Ebene gese hen werden sollten. Der Pfad verlief hier, sollte ich vielleicht hinzusetzen, an einem dichten Gebüsch vorbei; ich erinnere mich, daß es weiße Blüten hatte, die sehr intensiv dufteten, und daß hinter ihm hohes Gras wuchs, Elefantengras war es, wie ich glaube, aus dem Mimosenbäume aufragten. ›Magepa‹, sagte ich, ›wenn es wirklich zum Krieg kommen sollte, warum gehst du dann nicht eines Nachts mit allen deinen Leuten und allen Rindern über den Fluß und ziehst nach Natal?‹ ›Das würde ich auch tun, wenn ich es könnte, Macumazahn, da ich kein Herz habe, um gegen die Engländer zu kämpfen. Doch auch dort würde ich nicht sicher sein, denn der König wird auch nach Natal kommen und dreißigtausend Assegais als seine Boten dorthin schicken. Und was wird dann denen geschehen, die ihn verlassen haben?‹ ›Oh! Wenn du so denkst, solltest du wirklich blei ben, wo du bist‹, sagte ich lachend.
›Außerdem, Macumazahn, sind die Männer der Frauen meines Kraals zu ihren Impis gerufen worden, und wenn ihre Frauen zu den Engländern flüchten, würden sie getötet werden. Und der König hat auch fast alle unsere Rinder holen lassen, um sie ‚sicher aufzubewahren‘. Er befürchtet, daß wir wie GrenzZulus uns den Menschen Natals anschließen könnten, das ist der Grund dafür, unsere Rinder ‚sicher aufzu bewahren‘.‹ ›Das Leben ist mehr als Rinder, Magepa‹, antwor tete ich. ›Zumindest du könntest entkommen.‹ ›Was! Und meine Leute zurücklassen, damit sie getötet werden? Macumazahn, früher hast du nicht so gesprochen. Doch höre trotzdem zu! Wirst du mir einen Gefallen tun, Macumazahn? Ich werde dich gut dafür bezahlen. Ich möchte meine Tochter Gita und meinen Enkelsohn Sinala in Sicherheit wissen. Wenn ich und meine Frauen ermordet werden, so spielt das keine Rolle, denn wir sind alt. Doch sie will ich retten, und den Jungen will ich retten, damit einer am Leben bleibt, der sich meines Namens erinnert. Wenn ich sie nun bei der Morgendämmerung durch die Furt schickte, nicht morgen, und auch nicht übermorgen, sondern am Tag darauf, würdest du sie in deinem Wagen aufnehmen und zu einem sicheren Ort in Natal bringen? Ich habe Geld versteckt, fünfzig Gold stücke, und du sollst die Hälfte davon haben, und auch die Hälfte der Rinder, falls ich sie jemals aus der ‚Verwahrung‘ des Königs zurückerhalten sollte.‹ ›Laß das Gerede von Geld, und über die Rinder können wir später sprechen‹, sagte ich. ›Wenn ich dich richtig verstanden habe, willst du also deine Tochter und deinen kleinen Enkelsohn aus der Ge
fahrenzone bringen, und das halte ich für klug, für sehr klug. Denn wenn der Vormarsch beginnt – falls er beginnen sollte –, wer weiß, was geschehen mag? Krieg ist ein hartes Spiel, Magepa. Es ist nicht Brauch bei euch Schwarzen, Frauen und Kinder zu verscho nen, und es werden Zulus auf unserer Seite kämpfen, wie auch auf der euren; verstehst du mich?‹ ›Ou! Ich verstehe, Macumazahn. Ich habe das Ge sicht des Krieges kennengelernt und gesehen, daß viele Kleine wie mein Enkelsohn Sinala auf dem Rük ken ihrer Mütter gespeert wurden.‹ ›Ja. Doch wenn ich dies für dich tue, mußt du auch etwas für mich tun. Sage, Magepa, will Cetywayo wirklich den Krieg? Und wenn ja, wie? O ja, ich weiß, daß du mir vieles gesagt hast, aber ich will keine Worte, sondern die Wahrheit aus seinem Herzen her aus.‹ ›Du bittest mich um Geheimnisse‹, sagte der alte Mann und blickte in die herabsinkende Dämmerung hinter sich. ›Dennoch: ein Speer für einen Speer, und einen Schild für einen Schild, wie unser Sprichwort sagt. Ich habe keine Lüge gesprochen. Der König will den Krieg, nicht weil er ihn sich wünschte, sondern weil seine Impis schwören, ihre Assegais zu waschen; es sind jene, die seit der Schlacht gegen die Tugela, in welcher wir beide eine Rolle spielten, kein Blut mehr gesehen haben. Und wenn wir es zulassen, wird es bald sehr viel mehr von dieser Sorte geben! Er hat vor, diesen Krieg so zu führen‹ – und er gab mir sehr nützliche Informationen, das heißt, Informationen, die nützlich gewesen wären, wenn jene, die die Be fehlsgewalt besaßen, sich dazu herabgelassen hätten, auf sie zu hören, als ich sie ihnen übermittelte.
Als er gerade zu Ende gesprochen hatte, glaubte ich ein Geräusch in dem dichten Gebüsch hinter uns gehört zu haben. Es hörte sich an, als ob jemand ver suchte, ein Husten zu unterdrücken, und mir lief ein Schauer über den Rücken, denn wenn wir von einem Spion belauscht worden waren, war Magepa so gut wie tot, und je eher ich auf die andere Seite des Flus ses kam, desto besser. ›Was ist das?‹ fragte ich. ›Ein Buschbock, Macumazahn. Davon gibt es eine Menge hier.‹ Da mich die Antwort nicht befriedigte, obwohl es stimmt, daß Buschböcke auf diese Art husten, wandte ich mein Pferd und suchte nach einer Öffnung in dem Gestrüpp. Woraufhin etwas krachend durch den Busch brach und in dem langen Gras verschwand. Ich konnte nicht erkennen, was es war, doch das letzte Licht des Tages spiegelte sich auf etwas, das das glänzende Horn einer Antilope gewesen sein mochte – oder ein Assegai. ›Ich habe dir doch gesagt, daß es ein Buschbock war, Macumazahn‹, sagte Magepa. ›Aber wenn du noch immer Gefahr witterst, so laß uns von dem Ge büsch fortgehen, obwohl Befehl gegeben wurde, daß noch kein weißer Mann angegriffen werden darf.‹ Dann, als wir zur Furt gingen, setzte er mir in allen Einzelheiten, wie es die Art der Kaffern ist, auseinan der, welche Maßnahmen er zu treffen gedenke, um seine Tochter und deren Kind in meine Obhut zu ge ben. Ich erinnere mich, ihn gefragt zu haben, warum er sie nicht schon am nächsten Morgen zu mir schik ken wolle, sondern erst in zwei Tagen. Er antwortete, weil er in dieser Nacht Späher von einem der Impis in
seinem Kraal erwarte, die wahrscheinlich bis zum nächsten Morgen bleiben würden, vielleicht auch länger. So lange sie da wären, sei es für ihn schwierig, wenn nicht unmöglich, Gita und ihren Sohn fortzu bringen, ohne Verdacht zu erwecken. In der Nähe der Furt trennten wir uns, und ich kehrte zu meinem provisorischen Lager zurück, von wo ich einen herrlichen Bericht über alles schrieb, was ich erfahren hatte, von dem jedoch, wie ich hin zufügen möchte, niemand auch nur die geringste Notiz nahm. Ich glaube, es war an dem Morgen vor jenem, an dem ich Gita und den kleinen Jungen treffen sollte, als ich beim ersten Licht der Dämmerung an den Fluß ging, um mich zu waschen. Nachdem ich das getan hatte, kletterte ich auf einen flachen Felsen, um mich anzuziehen, blickte auf die Schwaden des wunderba ren, perlfarbenen Nebels, der über dem Fluß lag, und genoß die absolute Stille, denn noch rührte sich kein lebendes Wesen. Ah! Wenn ich geahnt hätte, welch grausige Anblik ke und Laute den Frieden dieses vollkommenen Or tes zerstören sollten, bevor viel Zeit verstrichen war! Doch bekam ich an jenem Morgen eine Art Vorge schmack davon, denn plötzlich gellte der marker schütternde Schrei einer Frau durch die Stille. Er wurde von weiteren Schreien und Rufen gefolgt, ent fernt, und doch deutlich zu hören. Dann senkte sich wieder Stille herab. Ich überlegte mir, daß dieses Schreien aus der Richtung von Magepas Kraal gekommen sein konnte, aber bei Nebel kann man sich da leicht täuschen. Ich blieb auf dem Stein sitzen, bis die Sonne auf
ging. Das erste, worauf ihre hellen Strahlen fielen, war eine gewaltige, schwarze Rauchwolke, die an der Stelle, wo Magepas Kraal gestanden hatte, zum Himmel emporstieg. Ich war sehr traurig, als ich zu meinem Wagen zu rückging, so traurig, daß ich kaum mein Frühstück hinunterbrachte. Ich fragte mich jetzt sehr ernsthaft, ob das Licht wirklich von dem Horn einer Antilope reflektiert worden war, als wir an jenem Abend bei dem Gebüsch mit den duftenden, weißen Blüten ge standen hatten, oder vielleicht von der Spitze des Assegai irgendeines Spions, der mich beobachten sollte. In diesem Falle wären die Rauchwolke und die vorausgegangenen Schreie leicht zu erklären. Denn hatten Magepa und ich nicht über geheime Dinge ge sprochen, und das auch noch auf Zulu? Am folgenden Morgen bei Anbruch der Dämme rung wartete ich bei der Furt in der vagen Hoffnung, daß Gita und ihr Junge wie verabredet eintreffen würden. Doch niemand kam, was auch nicht ver wunderlich war, da Gita von unzähligen Stichen durchbohrt tot im Kraal lag, wie ich später sah, (sie hatte tapfer um ihr Kind gekämpft) und ihr Geist dorthin gegangen war, wo immer die Seelen der Mu tigen, seien sie schwarz oder weiß, hingehen mögen. Am anderen Ufer des Flusses sah ich lediglich ein paar Zulu-Späher, die jedoch von meinem Auftrag zu wissen schienen, denn sie riefen mich an und fragten spöttisch, wo die hübsche Frau sei, mit der ich mich verabredet habe. Danach versuchte ich, die Angelegenheit zu ver gessen, da ich wahrlich genug mit anderen Dingen beschäftigt war, denn inzwischen waren die letzten
Befehle für den Vormarsch eingetroffen, und mit die sen viele Soldaten und Offiziere. Es war in diesem Augenblick, als die Zulus auf sol che unserer Männer zu feuern begannen, die sich am Ufer sehen ließen. Auf diese zielten sie und trafen folglich niemanden. Ein Kaffer mit einem Gewehr ist nach meiner Erfahrung nur dann gefährlich, wenn er auf nichts zielt, denn dann sucht sich die Kugel selbst ihren Weg und mag dich erwischen. Um dieser Belä stigung ein Ende zu machen, wurde ein Trupp ver bündeter Eingeborener – es mochten einige hundert sein – zum anderen Flußufer hinübergeschickt, um die Schluchten und Felsen von diesen Plänklern zu säubern, die sich dort versteckt hielten. Ich sah sie in recht guter Ordnung durch die Furt gehen, und am Nachmittag hörte man eine Menge Schreien und das Knallen von Schüssen auf der anderen Seite des Flus ses. Gegen Abend berichtete mir jemand, daß unser Impi, wie er es hochtrabend nannte, siegreich zurück kehre. Da ich im Augenblick nichts anderes zu tun hatte, ging ich zum Fluß hinab, zu einer Stelle, wo die Ufer steil und das Wasser tief waren. Hier stieg ich auf einen Haufen großer Steinblöcke, von wo aus ich durch meinen Feldstecher einen großen Teil der Ebe ne überblicken konnte, die sich auf der ZululandSeite des Flusses erstreckte, und in weiter Ferne von Bergen und Busch begrenzt wurde. Kurz darauf sah ich einige unserer Eingeborenen in aufgelöster Ordnung heimwärts ziehen, und sie schienen sehr stolz auf sich zu sein, denn sie schwan gen ihre Assegais und sangen Kriegslieder. Wenige Minuten später entdeckte ich, eine Meile oder so ent
fernt, einen Mann, der in diese Richtung lief. Als ich ihn durch das Fernglas beobachtete, er kannte ich dreierlei: erstens, daß er groß war; zwei tens, daß er außerordentlich schnell lief; und drittens, daß er etwas auf seinen Rücken gebunden trug. Und ich sah auch, daß er guten Grund hatte, so zu laufen, denn er wurde von einer Anzahl unserer Kaffern ver folgt, von denen sich immer mehr der Hetzjagd an schlossen. Von allen Seiten strömten sie auf ihn zu, versuchten, ihm den Weg abzuschneiden und ihn zu töten, denn als sie ihm näher kamen, sah ich die Assegais, die sie nach ihm warfen, in der Sonne blit zen. Sehr bald begriff ich, daß der Mann einen be stimmten Zweck verfolgte und ein bestimmtes Ziel hatte: er versuchte den Fluß zu erreichen. Ich fand den Anblick erbarmungswürdig: diese arme Kreatur, die von so vielen verfolgt wurde. Außerdem fragte ich mich, warum er das Bündel, das er auf seinem Rücken trug, nicht abwarf, und kam zu der Ansicht, daß er ein Medizinmann sein müsse, und das Bündel seine kostbaren Zaubermittel und anderes Zubehör seines Gewerbes enthielte. Das war, als er noch ein ganzes Stück entfernt war, doch als er näherkam, auf dreihundert oder vierhun dert Yards, sah ich plötzlich sein Profil vor einem hellen Hintergrund und erkannte, daß es Magepa war. ›Mein Gott‹, murmelte ich, ›es ist der alte Magepa, der Bock, und das Bündel auf seinem Rücken ist si cher sein Enkelsohn, Sinala!‹ Ja, schon da war ich überzeugt, daß er sein Enkel kind auf dem Rücken trug.
Was konnte ich tun? An jener Stelle war es mir unmöglich, den Fluß zu durchqueren, und bevor ich die Furt erreichen konnte, würde alles vorbei sein. Ich stand auf dem Felsen und schrie den Kaffern-Bestien zu, den Mann in Ruhe zu lassen. Doch sie waren so erregt, daß sie meine Worte nicht verstanden; jeden falls schworen sie später, sie hätten angenommen, daß ich sie anfeuern wollte, ihn zur Strecke zu bringen. Magepa hörte mich. Er war am Ende seiner Kräfte, doch mein Anblick schien ihm neue zu verleihen. Er riß sich zusammen und lief mit überraschendem Tempo weiter. Jetzt war das Flußufer nur noch drei hundert Yards entfernt, und auf den ersten zweihun dert ließ er seine Verfolger weit hinter sich, obwohl die meisten von ihnen junge Männer und relativ frisch waren. Doch dann verließen ihn seine Kräfte. Durch mein Glas konnte ich erkennen, daß sein Mund weit aufgerissen war, und daß roter Schaum auf seinen Lippen stand. Das Bündel auf seinem Rük ken nahm ihm die Kraft. Er hob die Hände, als ob er es lösen und abwerfen wollte, doch dann ließ er sie mit einer entschlossenen Geste wieder sinken. Zwei der Verfolger, die die anderen hinter sich ge lassen hatten, kamen allmählich näher: kräftige, schlanke Männer von nicht mehr als dreißig Jahren. Sie trugen Stoßspeere in den Händen, wie sie für den Nahkampf verwendet werden, und die werden na türlich nicht geworfen. Einer von ihnen gewann einen kleinen Vorsprung vor dem anderen. Magepa war jetzt nicht mehr als fünfzig Yards vom Ufer entfernt, doch der vorderste der Verfolger hatte ihn bis auf zehn Schritte eingeholt und kam rasch nä her. Magepa warf einen Blick über die Schulter und
riß dann seine letzten Kräfte zusammen. Vierzig Yards weit schnellte er voran wie ein Pfeil, und ver größerte den Abstand zu seinen Verfolgern, bis er nur noch wenige Fuß vom Ufer entfernt war, wo er stol perte und stürzte. Jetzt ist er erledigt, dachte ich, und ich schwöre: wenn ich ein Gewehr in der Hand gehabt hätte, ich hätte einen oder beide dieser Bluthunde über den Haufen geschossen und die Konsequenzen auf mich genommen. Aber nein! Als der erste Mann seinen Speer hob, um ihn Magepa in den Rücken zu stoßen, auf wel chem das Bündel festgebunden war, sprang Magepa auf und fuhr herum, um den Stich in die Brust zu empfangen. Offensichtlich wollte er nicht in den Rük ken gespeert werden – und aus gutem Grund. Der Speer fuhr in seine Brust und wurde dem Angreifer aus der Hand gerissen. Doch da Magepa rückwärts getaumelt war, durchbohrte er ihn nicht, hatte viel leicht einen Knochen getroffen. Magepa riß den Speer heraus, warf ihn nach dem Mann und verwundete ihn. Dann taumelte er rückwärts weiter und weiter, auf den Rand der niedrigen Klippe zu. Er erreichte sie, wandte sich um, und rief: ›Hilf mir, Macumazahn!‹ Und bevor der andere Verfolger ihn speeren konnte, sprang er in das tiefe Wasser. Er tauchte wieder auf. Ja, der tapfere Kerl tauchte auf und schwamm auf das andere Ufer zu, wobei er eine dünne, rote Spur im Wasser hinter sich herzog. Ich lief, oder vielmehr sprang und rutschte das Ufer hinab zu einer Stelle, wo eine flache Felsplatte in den Fluß hineinragte. Auf dieser lief ich entlang, und weiter, bis das Wasser mir fast bis zur Brust reichte.
Magepa wurde von der Strömung an mir vorüberge tragen. Ich packte seine ausgestreckte Hand und zog ihn ans Ufer. ›Der Junge‹, keuchte er, ›der Junge. Ist er tot?‹ Ich zerschnitt die Verschnürung der Matte, die sich tief in seine Schultern gegraben hatte. In ihr befand sich der kleine Sinala, der Wasser spuckte, doch of fensichtlich lebendig und unverletzt war, denn er be gann auf der Stelle kräftig zu schreien. ›Nein‹, sagte ich, ›er lebt und wird auch am Leben bleiben.‹ ›Dann ist alles gut, Macumazahn.‹ (Eine Pause.) ›Es war doch ein Spion in dem Gebüsch, und keine An tilope. Er hat unser Gespräch belauscht. Die Mörder des Königs kamen. Gita verteidigte die Tür der Hütte, während ich das Kind nahm, mit meinem Assegai ein Loch durch die Rückwand schnitt und hinauskroch. Sie war voller Speere, als sie starb, doch ich konnte mit dem Kind entkommen. Bis eure Kaffern kamen und mich entdeckten, habe ich mich in einem Ge büsch versteckt und hoffte, nach Natal entkommen zu können. Dann lief ich zum Fluß und sah dich am anderen Ufer stehen. Allein hätte ich ihnen entkom men können, aber das Kind ist schwer.‹ (Eine Pause.) ›Gib ihm zu essen, Macumazahn, er muß hungrig sein!‹ (Eine Pause.) ›Das war ein guter Ausspruch: auch der schnelle Läufer wird schließlich eingeholt. Ah! Aber ich bin nicht vergebens gelaufen.‹ (Noch eine Pause, die letzte.) Dann stützte er sich mit einem Arm auf und salutierte mit dem anderen, zuerst dem Jun gen Sinala, und dann mir. Dabei murmelte er: ›Denke an dein Versprechen, Macumazahn!‹
So starb Magepa, der Bock. Ich habe nie einen Men schen gekannt, der mit einem Gewicht auf dem Rük ken so laufen konnte wie er«, sagte Quatermain und wandte den Kopf ab, als ob die Erinnerung an dieses Erlebnis ihn stark berührte. »Was ist aus dem Kind Sinala geworden?« fragte ich nach einer Weile. »Oh! Ich habe den Jungen auf eine Schule in Natal geschickt und konnte später einiges von seinem Be sitz für ihn zurückholen. Soweit ich weiß, wird er jetzt zum Dolmetscher ausgebildet.«
Ein weißer Jäger im Zululand
Nachwort von Bernhard Heere In der vorliegenden Novellensammlung, in der unter dem Titel »Allan Quatermain der Jäger« verschiedene Jagd- und Abenteuergeschichten dieses wohlbekann ten Helden Rider Haggards gesammelt sind, wird ein wildes, unzivilisiertes und oft genug auch blutiges Afrika lebendig, wie es Rider Haggard in seinen zahllo sen Romanen und Erzählungen so eindrucksvoll be schrieben hat. Zu jener Zeit, am Ende des 19. Jahrhunderts, als man in Südafrika auf Gold und Diamanten stieß, strömten unzählige weiße Schatzgräber, Jäger und Siedler nach Natal, Transvaal oder in die Kapkolonie, damals noch überseeische Provinzen, die unter briti schem Protektorat standen. Nicht jeder weiße Ein wanderer fand hier jedoch das gelobte Land oder das erhoffte Glück, und gerade die Geschichten Henry Rider Haggards führen es oft drastisch vor Augen, wie tragisch mancher dieser Träume an der unbarm herzigen Wirklichkeit des afrikanischen Kontinents scheiterte. Da gab es unbekannte und tödliche Gefah ren, die auf jenen lauerten, der in die unbekannte Wildnis Afrikas vordrang: tückische Fiebersümpfe, giftige Schlangen, gefährliche wilde Tiere und nicht zuletzt blutrünstige Eingeborene, die sich erbittert gegen die verhaßten weißen Eindringlinge zur Wehr setzten. Allein dem Jäger, der die Gefahren der Wild nis nicht scheute, bot sich zu dieser Zeit in Afrika eine reichbestückte Tierfauna. Man stieß auf riesige Ele fantenherden, auf Nashörner, Löwen, Wasserbüffel
und Antilopen, die dann auch zu Tausenden und Aber tausenden von verantwortungslosen Jägern abge knallt wurden und heute soweit dezimiert sind, daß sie in Naturschutzparks geschützt werden müssen. Zu Zeiten Rider Haggards schien jedoch die bedin gungslose Ablehnung, die man heute den blutigen Exzessen der damaligen Großwildjäger entgegen bringt, kaum irgendwelche Gemüter bewegt zu ha ben. Man war wohl der Meinung, in Afrika seien die Jagdgründe grenzenlos und die Tierbestände unbe schränkt. Von Skrupeln oder Vorbehalten gegenüber der Großwildjagd kann man deshalb in den vorlie genden Erzählungen Rider Haggards nichts erken nen. Es ist ganz im Gegenteil der weiße Jäger Allan Quatermain, der hier zu einer alles beherrschenden Figur gemacht wird und eine solche Stilisierung ins Positive erfährt, daß man sich heute mit einem gewis sen Recht dagegen wehren könnte. Besonders dann wird man bei diesem Helden skeptisch, wenn seine Begeisterung für die Jagd etwas Manisches bekommt, und er nicht eher ruhen kann, bis er jede Menge Ele fanten, Nashörner oder Löwen zur Strecke gebracht hat. Dennoch wäre es billig und auch nicht richtig, auf grund der heutigen veränderten Einstellung zu Tier und Umwelt diese Geschichten Rider Haggards ein seitig aburteilen zu wollen; Natur als schützenswerte Umwelt, als gefährdeter Lebensraum, die schützens werte Kreatur – dies sind Einstellungen, die bis vor zwei, drei Jahrzehnten unbekannt waren. Das zeigt welch einen Umbruch die Arbeit von Leuten wie et wa Bernhard Grzimek weltweit bewirkt hat. Rider Haggard war ein Kind seiner Zeit, und die betrach
tete die Jagd nicht mit den Augen unserer heutigen Tierschützer, sondern sah darin den Reiz von Gefahr und Abenteuer. Dementsprechend schildert Rider Haggard in seinen Geschichten die Jagd auch als et was Heroisches und Archetypisches, als eine echte Herausforderung an den Jäger, den die Wildnis Afri kas oft auf eine harte Bewährungsprobe stellte. Ähn liche Auffassungen finden sich bei einem weiteren berühmten Autor der Weltliteratur, bei Ernest He mingway nämlich, der ein begeisterter Jäger war und immer wieder zu ausgedehnten Jagdaufenthalten in den afrikanischen Busch aufbrach, was er u.a. in sei nem Erzählwerk »Die grünen Hügel Afrikas« sehr le bendig beschrieben hat. Liest man diese Jagderinnerungen Hemingways, so erkennt man erst etwas von der Faszination, die weit bis in unser Jahrhundert hinein eine Safari in Afrika auf alle Beteiligten ausgeübt haben muß und versteht auch, warum der schwarze Kontinent so viele Schrift steller über mehrere Generationen hinweg in seinen Bann geschlagen hat. Besonders die vielfältige, wilde Tierwelt, auf die die ersten Jäger in Afrika gestoßen sind, muß auf viele Zeitgenossen Rider Haggards wie eine Sensati on gewirkt haben, und Rider Haggard hat in diesen Erzählungen alles getan, um einen solchen Eindruck beim Leser noch zu verstärken. Freilich ist er bei den oft haarsträubenden Abenteuern, die sein Held hier zu bestehen hat, als wirklich populärer Autor, der er zu seiner Zeit ja war, da und dort in eine etwas arge phantastische Effekthascherei geraten, bei der die Grenzen der Glaubwürdigkeit erreicht sind. So sind es immer nur die wildesten und reißendsten Bestien,
auf die Allan Quatermain trifft, und oft ist es schon reinstes Jägerlatein, das hier bemüht wird. Auf einem nächtlichen Streifzug werden von diesem Jäger gleich drei Elefantenbullen auf einmal erlegt, mit seiner letzten Kugel streckt er ein wütend herantrabendes Nashorn nieder und in buchstäblich letzter Sekunde entgeht Quatermain dem Angriff eines schon ange schossenen Löwen, der gerade noch rechtzeitig ver endet, bevor er den tödlichen Prankenhieb anbringen kann. Trotz aller oberflächlicher Effekte und Konstruiert heiten, die den Geschichten Rider Haggards häufig etwas anhängen, erkennt man eigentlich bei jeder hier versammelten Erzählung, wie wenig sie das Produkt einer reinen Erfindung und wie sehr sie einer genau en Kenntnis des damaligen Afrika entsprungen ist. In der Tat verbrachte Rider Haggard, der 1856 im englischen Bradenham, in der Grafschaft Norfolk, ge boren wurde, als junger Mann mehrere Jahre in Süd afrika. Er kam 1874 als Privatsekretär eines höheren Gerichtsbeamten nach Pretoria, machte hier schnell Karriere, zog sich dann aber völlig überraschend von seinem sicheren Regierungsposten zurück, um eine Zeitlang in Natal als Straußenfarmer zu leben. Schließlich kehrte er im Jahre 1881, als sich die Aus einandersetzungen mit den militanten Buren immer mehr zuspitzten, wieder ins heimatliche Norfolk zu rück und begann hier, seine berühmten phantasti schen Afrika-Romane zu schreiben. Die Zeit, die Ri der Haggard in Afrika verbrachte, hat sein Schreiben nachhaltig beeinflußt. Hier konnte er diese wilde und kriegerische Welt, der zeitlebens seine ganze Leiden schaft gehörte, aus eigener Anschauung studieren
und seine zahlreichen Erlebnisse und Eindrücke als Stoff für seine Abenteuerromane verarbeiten. Besonders in den längeren, episch ausgemalten Novellen dieses Erzählbandes, in ›Maiwa's Revenge‹ und ›Allan's Wife‹, erkennt man etwas von der grau samen Realität, die den Weißen zu Zeiten Rider Hag gards in Afrika entgegenschlug. Die Eingeborenen völker stellten sich zu jener Zeit mit ungeheuerer Mi litanz dem unaufhaltsamen Vordringen der weißen Siedler, Goldsucher und Kolonisten entgegen und konnten oft erst nach blutigen Kämpfen unterworfen werden. Im Landesinneren waren es die Matabele und Basutos, die sich ständig Schlachten mit den ein gewanderten Buren oder den Kolonialtruppen Cecil Rhodes lieferten, an der Ostküste waren es die XhosaBantus und vor allem die Zulus, die den Weißen er bitterten Widerstand leisteten. Man fürchtete besonders die Zulus wegen ihrer blutrünstigen Grausamkeit, die nicht nur die Buren und die Engländer, sondern auch manche Eingebore nen zu spüren bekamen. Zu Beginn des 19. Jahrhun derts entwickelten sich die Zulus zu der bedeutend sten schwarzafrikanischen Militärmacht in Südafrika und unterwarfen das ganze Land dem Terror ihrer Raub- und Eroberungszüge. Das ging in erster Linie auf das Konto des damaligen Zulu-Generals Chaka, eines ungemein grausamen schwarzen KriegerKönigs, der durch die von ihm entfesselten Kriege für die Zerstreuung und Ausrottung ganzer Völker schaften verantwortlich war. Man schätzt die Zahl seiner Opfer auf beinahe eine Million, und dieser ›schwarze Napoleon‹, wie man ihn nannte, prakti zierte auch eine besondere Form von Vernichtungs
politik, die ihm einen ständigen Zuwachs an Macht, Menschen und Gütern sicherte. War nämlich ein feindliches Volk erst einmal besiegt, so wurden alle männlichen erwachsenen Feinde niedergemacht, während man Frauen und Kinder am Leben ließ und zusammen mit dem Vieh in den eigenen Clan ein gliederte. In ›Maiwa's Revenge‹ schildert Rider Haggard, wie er in seinem Vorspann anmerkt, den Fall eines ähnli chen grausamen schwarzen Diktators, des MatukuHäuptlings Wambe nämlich, der das schwächere und friedliebende Volk der Butiana ständig mit seinen Terrorakten heimsucht. Auf einem seiner Raubzüge hat er sich die schöne Maiwa, Tochter des Herrschers dieses Volkes, als eine seiner zahlreichen Frauen an geeignet. Ein besonders unmenschlicher Zug dieses Despoten ist es, jedes Kind, das ihm geboren wird, auf der Stelle umbringen zu lassen. So verfährt er auch mit dem Neugeborenen Maiwas, die seither als makaberen Beweis für diese Schandtat die abgehackte getrocknete Hand ihres getöteten Kindes mit sich führt. Auch für diese pervertierte Form barbarischer Grausamkeit fand Rider Haggard eine Entsprechung in der Wirklichkeit. Der besagte Chaka ließ, von grenzenlosem Mißtrauen besessen, kein von ihm ge zeugtes Kind am Leben, er ging sogar soweit, die Mütter während der Schwangerschaft umbringen zu lassen. In der Erzählung Rider Haggards kann sich jedoch Maiwa durch die Flucht vor dem Zugriff Wambes retten, was keinem der Opfer Chakas jemals gelang. Sie trifft auf den weißen Elefantenjäger Allan Qua termain, kann ihn gerade noch rechtzeitig vor einem
drohenden Angriff Wambes warnen und für ihren Rachefeldzug gegen diesen schwarzen Teufel gewin nen. Die darauffolgende Entscheidungsschlacht zwi schen den Matuku und den Butiana, bei der zu guter Letzt die Feuerwaffen Quatermains für das Volk Maiwas entscheiden, wird als ein erbitterter und er barmungsloser Kampf beschrieben, bei dem, wie so oft bei Rider Haggard, das Blut in Strömen fließt. Solche und ähnliche Szenen haben Rider Haggard den Vorwurf eingebracht, ein übertrieben blutrünsti ger Autor zu sein und ›auf jede nur denkbare unap petitliche Art‹ den Leser mit ›abgeschlachteten Men schen‹ zu konfrontieren, wie einmal ein Kritiker sei ner Zeit geschrieben hat. »Sie werden aufgespießt, er schlagen, in Löwenfallen gefangen, von Elefanten in Stücke gerissen und so weiter«, schreibt jener Kritiker über die mannigfaltigen Todesarten, die sich Rider Haggard in seinen Geschichten ersonnen hat, wie es etwa die Löwenfalle ist, mit der Wambe in dieser Er zählung seine Gefangenen genüßlich zu Tode zu quälen pflegt. Aber, um solchen Vorwürfen vorzu bauen, wird das besagte, von einem schwarzen Wüstling so zweckentfremdete Gerät am Ende der Geschichte von Allan Quatermain in die verantwor tungsvollen Hände seines englischen Erzeugers zu rückgegeben. Und darüber hinaus beeilt sich Rider Haggard bei diesem ›Ding, das beißt‹, wie es die Ein geborenen in rührender Bildlichkeit auszudrücken pflegen, darauf hinzuweisen, daß so etwas tatsächlich einmal in Gebrauch gewesen sein soll, und zwar bei einem ›wohlbekannten‹ Eingeborenenhäuptling an der Ostküste, worauf er in seiner Vorbemerkung aus drücklich aufmerksam macht.
Es ist heute müßig, darüber zu streiten, ob Rider Haggard ein ›blutrünstiger‹ Autor gewesen ist oder nicht. Seit den Tagen Rider Haggards kennt man aus Film und Literatur die ungeschminkte Darstellung von Krieg, Tod und Gewalt, haben doch die blutigen Realitäten der Neuzeit – unzählige Welt- und Kolo nialkriege, Vernichtungslager, Terrorregime und Na palmbomben – das ihrige zu dieser Entwicklung bei getragen. Heute wird deshalb auch kein Kritiker mehr einem Autor wegen solcher ›unappetitlicher‹ Themen einen Vorwurf machen, sofern es sich dabei um Tatsachen handelt. Und wenn man die von den heutigen Massenmedien betriebene Berieselungspra xis betrachtet, bei der die Greueltaten aus aller Welt frei Haus geliefert werden, nehmen sich die Gemetzel und reißenden Bestien in Rider Haggards Werk son derbar harmlos aus und haben für den reizüberflute ten Leser heutiger Tage kaum mehr etwas von den blutigen Sensationen, über die sich vielleicht noch das viktorianische England entsetzen konnte. Auch in ›Allan's Wife‹ wird ein Massaker beschrie ben, wie so oft in Haggards Werk. Diesmal aber ver steht es der Autor, glaubwürdig zu erzählen und im Bereich der Tatsachen zu bleiben, so dramatisch sich die hier beschriebene Szene auch abspielt. Ein Bu rentreck unter ihrem Anführer Hans Botha – derselbe Familienname, den der heutige Anführer einer rassi stischen Minderheit in Südafrika trägt – wird von ei ner Zulu-Armee umzingelt und nach erbitterter Ge genwehr der Weißen von den Zulus bis auf den letz ten Mann niedergemetzelt. Die Zulus werden dabei als ungeheuer grausame und hartnäckige Krieger ge schildert, die sich in Kamikaze-Manier, ohne auch
nur im geringsten auf ihr Leben zu achten, in den Kampf stürzen und nicht eher ruhen, bis sie den Feind total vernichtet haben. Aber auch mit den eige nen Leuten gehen jene finsteren, schwarzen Zeitge nossen Rider Haggards nicht gerade sanft um. Alle Verwundeten, die nicht mehr in der Lage sind, zu marschieren, werden nämlich, um die übrige Armee nicht unnötig aufzuhalten, in einem naheliegenden Fluß ertränkt, ein Schicksal, das selbst dem verwun deten Bruder des Zulu-Befehlshabers in dieser Ge schichte nicht erspart bleibt. Ohne jeden Zweifel waren die Zulus zu jener Zeit furchteinflößende schwarze Krieger, die ständig wei ße Siedler überfielen und den Buren wie den Englän dern immer wieder blutige Niederlagen bereiteten. Vor allem der Zulu-Napoleon Chaka machte aus die sen Kriegern straff geführte militärische Formationen, die sogenannten ›Impis‹, fanatisch gehorchende Re gimenter von Schwarzen, die ausschließlich für den Krieg und durch den Krieg lebten. Jener Chaka führte auch als einheitliche Waffe den Assegai ein, einen kurzstieligen Speer, der immer in der Hand blieb und für den Nahkampf weit besser geeignet war als der bisherige Wurfspeer, der meist aus zu großer Entfer nung geschleudert wurde und oft sein Ziel verfehlte. Konnte ein Krieger diesen Assegai nach der Schlacht nicht mehr vorweisen, so wurde er auf der Stelle ge tötet und suchte deshalb seinen Tod lieber im Kampf. Aber auch die Ära des gefürchteten Chaka dauerte nicht ewig, wurde er doch nach mehreren Rückschlä gen von seinen eigenen Brüdern ermordet, wobei sein Halbbruder Dingaan die Nachfolge als Zuluherrscher antrat.
Dieser Dingaan, der auch bei Rider Haggard als oberster Feldherr der Zulus seine Erwähnung findet, unterschied sich jedoch durch nichts von seinem er mordeten Bruder Chaka, ganz im Gegenteil, er stürzte die Zulus in neue Kriege, vor allem gegen die Buren, die den Zulu-Armeen jedoch große Niederla gen und Verluste einbrachten. Sein letzter entschei dender Schlag war die Vernichtung des Burenführers Pieter Retief, den er zusammen mit einer sechshun dertköpfigen Gesandtschaft umbringen ließ, als die ser mit ihm in Verhandlungen treten wollte. Obwohl bei dieser Tat Verrat im Spiel war, wird bis heute von den unterdrückten Schwarzen Südafrikas jener Tag, an dem dieses blutige Gemetzel stattfand, als Tag der Befreiung von der verhaßten Herrschaft der Weißen, als ›Dingaan's Day‹ gefeiert. Zuletzt fand auch Din gaan ein trauriges Ende, und zwar wurde er unter Andries Pretorius, dem Nachfolger Retiefs, von einer neu aufgestellten Burenarmee vernichtend geschla gen und auf der Flucht getötet, wobei sich auch hier sein eigener Halbbruder Mpande gegen ihn gestellt und sich auf die Seite der Buren geschlagen hatte. In ›Maiwa's Revenge‹ geht es jedoch nicht nur um die kriegerische Kultur und die blutigen Exzesse der Zulus, es wird auch manches Detail aus der fremdar tigen und wunderbaren Welt des damaligen Afrikas geschildert. Da ist zunächst die faszinierende Figur des schwarzen Medizinmanns Indaba-zimbi, der über magische Wunderkräfte verfügt und Allan Quater main immer wieder aus der Patsche hilft, wenn er in Gefahr geraten ist. Dieser Zauberer kann aus heite rem Himmel Blitz und Donner erzeugen, er verfügt über die Gabe des Hellsehens und der Geistwande
rung und kennt die Praxis von Hypnose und Mesme rismus. Bereits in seinem Roman ›Der Geist von Bambatse‹ (Band 15 der Henry Rider HaggardAusgabe im Wilhelm Heyne Verlag, HEYNE-BUCH Nr. 06/4311) hat Rider Haggard in der Gestalt Jacob Meyers den Fall eines jüdischen Okkulisten darge stellt, der die Praktiken des Mesmerismus mit Erfolg anwendet, und auch in dieser Geschichte zeigte es sich, welche Macht Haggard in jener geheimen Kunst vermutete. Als Indaba-zimbi nämlich gezwungen wird, Allan Quatermain erst zu töten und dann wie derzuerwecken, um seine Existenz als ›weißer Geist‹ unter Beweis zu stellen, gelingt das diesem schwar zen Zauberer mit einer Art von Massenhypnose der Gegner, die er dadurch zu täuschen versteht. Obwohl Rider Haggard über die genauen Praktiken, die Inda ba-zimbi hier ins Spiel gebracht hat, nichts Genaues sagt, scheint er sich jedoch ernsthaft mit dem Mesme rismus auseinandergesetzt zu haben. Gerade im aus gehenden 19. Jahrhundert wurden die Lehren des deutschen Arztes Franz Anton Mesmer (1734–1815) wieder neu erprobt. Man versuchte damals, mit Hilfe von Hypnose und künstlich erzeugtem Schlaf be stimmte Heilwirkungen zu erzielen und auch bei be sonders mediumbegabten Menschen außersinnliche Wahrnehmungen hervorzurufen. Fremdartiges und Erstaunliches weiß Rider Hag gard in dieser Geschichte auch über jenen Kraal zu berichten, in dem er dem nach Afrika ausgewander ten Mr. Carson und dessen Tochter Stella wiederbe gegnet. Der hier beschriebene Kraal ist durch die un ermüdliche Mühe des redlichen Mr. Carson zu einer blühenden Oase voll von Frieden, Eintracht und un
getrübtem Eingeborenenglück geworden. Aber man findet hier auch Reste von geheimnisvollen Marmor bauten, die auf eine recht rätselhafte Herkunft hin deuten und nicht das Werk von Eingeborenen sein sollen, wie Rider Haggard anmerkt, sondern auf eine unbekannte alte Rasse zurückgehen. Auffassungen solcher oder ähnlicher Art, auf die man in den Roma nen Rider Haggards immer wieder stößt, sind nicht nur die reinen phantastischen Spekulationen, als die sie vielleicht von mancher Seite betrachtet werden, denn bei archäologischen Funden und Ausgrabungen stieß man in ganz Südafrika auf Reste von ehemali gen Siedlungen, Festungsanlagen und Goldbergwer ken, die nur schwer mit den schwarzafrikanischen Eingeborenenkulturen in Einklang zu bringen sind, dagegen auf semitische, ägyptische oder sonstige un bekannte frühe Kolonisatoren hinweisen. In ›Allan's Wife‹ gibt es neben der Vernichtung des Burentrecks durch eine Zulu-Armee ein weiteres blu tiges Gemetzel, und zwar ist es der Kampf mit den Pavianhorden, gegen die Allan Quatermain zum er bitterten Gegenschlag ausholt, um seine von den Af fen entführte Frau Stella wiederzugewinnen. In die sen und den folgenden Szenen kann Rider Haggard unter Beweis stellen, daß er jenseits aller vordergrün diger Effekte nicht zu Unrecht als ein Meister des Fantasy-Genres gilt, als ein Autor mit ›einer unglaub lichen, unheimlichen Einbildungskraft‹, wie es Robert Louis Stevenson treffend ausgedrückt hat. In der Tat gehört schon einiges an unheimlicher Phantasie und dichterischer Ausdruckskraft dazu, um eine Gestalt wie die ›Pavianfrau‹ Hendrika, ein Zwitterwesen zwischen Mensch und Tier, mit ihrer ganzen Wild
heit, Zerrissenheit und Tragik in Szene zu setzen, was Rider Haggard in der vorliegenden Geschichte ein drucksvoll gelungen ist. In seiner kurzen Erzählung ›Magepa The Buck‹ schließlich ist es noch einmal ein Stück Zeit- und Ko lonialgeschichte, das Rider Haggard hier verarbeitet hat. Magepa ist ein altgewordener Eingeborenenkrie ger, der schon einmal zusammen mit Allan Quater main im Kampf gegen die Zulu-Armeen Cetywayos gestanden hat und damals nur dadurch sein Leben retten konnte, weil er schnell wie ein Bock fliehen und dadurch seinen Verfolgern entkommen konnte. Als es nun zum zweiten Mal zum Krieg mit Cety wayo kommt, diesmal gegen die Kolonialtruppen der Engländer, schlägt sich Magepa insgeheim auf die Seite der Weißen und verrät seinem Freund Quater main einiges von den Angriffsplänen der Zulus – was ihm teuer zu stehen kommt. Sein Kraal wird von dem erbosten Zulu-König dem Erdboden gleichgemacht, nur Magepa gelingt die Flucht. Seinen geliebten Enkel in einem Bündel auf dem Rücken tragend, beginnt er wieder zu laufen wie ein Bock, um aus dem Zululand zu entkommen und das rettende andere Ufer des Flusses zu erreichen, wo Quatermain auf ihn wartet. Magepa kommt schließlich auf unglückliche Art und Weise ums Leben, seinen Enkel kann er jedoch noch retten und in die sichere Obhut seines weißen Freun des geben. Mit dieser Geschichte hat Rider Haggard einem Eingeborenen ein Denkmal setzen wollen, der inmitten blutiger Kriegswirren einen wahren Beweis an Menschlichkeit und Heldenhaftigkeit an den Tag legte, dessen ungeachtet, daß man zu Zeiten Rider Haggards einen solchen Schwarzen eben ›nur‹ als
›Nigger‹ oder ›Kaffer‹ betrachtet hätte, wie er in sei ner Geschichte schreibt. Diese Erzählung ist, so glaube ich, der beste Beweis für die Achtung und Wertschätzung, die Rider Hag gard der Welt der Eingeborenen in seinem Werk ent gegengebracht hat, das frei ist von jeder Art von Ras sismus oder Herabwürdigung der Schwarzen, wie dies bis heute von einer unbelehrbaren weißen Min derheit in Südafrika praktiziert wird. Jenem Teil Afrikas, in dem auch heute wieder blutige Rassenun ruhen aufflackern, ist es wirklich zu wünschen, daß nach soviel Krieg, Gewalt und Elend, das bisher seine Geschichte bestimmte, endlich friedliche Zeiten an brechen, in denen für alle dort lebenden Rassen eine akzeptable Lösung gefunden wird. Freilich geht das nicht so, wie es sich eine starrsinnige weiße Ober schicht vorstellt, die trotz zahlloser Proteste aus aller Welt an einer unmenschlichen Apartheitspolitik fest hält und damit nur Lösungen provozieren kann, wie sie in schwarzen Diktatoren vom Schlage eines Cha ka, Bokassa oder Idi Amin in Afrika immer wieder schreckliche Wirklichkeit werden. Copyright © 1986 by Bernhard Heere