Red Geller Schlosstrio Band 15
Alarm in den Alpen
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Red Geller Schlosstrio Band 15
Alarm in den Alpen
scanned by Ginevra corrected by AnyBody Urlaub in Zell am See - in der Europa-Region! Herrlich, denn Dr. Ritter hatte seine Familie, und Randy zuliebe auch Ela Schröder, dazu eingeladen. Für ‡das Schloß-Trio" war die Welt total in Ordnung. Das änderte sich wenig später, als die Freunde den Mann mit dem Gewehr aus der Gondel steigen sahen. Kurz danach bei einer Bergwanderung - fanden sie den verletzten Drachenflieger mit einer Kugel in der Schulter. Die herrliche, unbeschwerte Zeit war dahin. Und für das Schloß-Trio begannen die Tage der Furcht.... ISBN 3-8144-1715-1 © 1990 by Pelikan AG • D 3000 Hannover l Umschlaggestaltung: strat + kon, Hamburg Innen-Illustrationen: Solveig Ullrich
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Inhalt 1. Der Anschlag.................................................................... 3
2. Noch einmal davongekommen ....................................... 26
3. Das Versteck im Wald.................................................... 36
4. Gefährliche Liftfahrt....................................................... 50
5. Ein heißes Foto............................................................... 70
6. Gefährliche Entdeckung ................................................. 80
7. Die Lage spitzt sich zu ................................................... 98
8. Ein Mörder will es wissen ............................................ 112
9. Warten auf den Mörder ................................................ 118
10. In letzter Sekunde....................................................... 132
1. Der Anschlag Ela Schröder, von den Freunden oft Möpschen genannt, was sie haßte, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, während ihre Blicke die Metalltreppe hochglitten, auf der eine lange Schlange von Ausflüglern anstand. Sie alle wollten noch in die Seilbahn, denn an diesem herrlich klaren Herbsttag hatte der liebe Gott es besonders gut gemeint und nicht nur den blauen, wolkenlosen Himmel geschickt, sondern auch einen leichten Wind, der für Drachen- und Segelflieger ideale Bedingungen schuf. ‡Was ist los?" fragte Turbo, der japanische Junge. ‡Mußt du zur Toilette? Dann aber schnell. Hier unten gibt es noch Klos, oder du mußt warten, bis wir oben sind." ‡Quatsch, Mensch." ‡Sieht aber so aus, wie du dich bewegst." Randy Ritter, der dritte im Bunde, grinste noch schiefer als gewöhnlich. Sein rechter Mundwinkel war nämlich leicht verzogen. Das hatte schon manchen Pauker irritiert; die fühlten sich dadurch gleich auf den Arm genommen. ‡Willst du auch etwas sagen?" fragte Ela. ‡Eigentlich wollte ich es nicht. Aber wenn ich dich so anschaue, habe ich das Gefühl, du hast Angst." ‡Ha?" Ela trat einen winzigen Schritt zurück. Weiter konnte sie nicht gehen, ohne jemand auf die Zehen zu treten. ‡Angst! Bist du irre? Wovor denn?" ‡Vor der Kabine." Ela pustete die Wangen auf. ‡Ich bin schon geflogen."
‡Von der Schule?" fragte Turbo.
Sie schob sich zwei Gummibärchen zwischen die Zähne.
‡Nein, von einem Baum zum anderen." -3-
Randy schlug gegen seine Stirn. ‡Klar, ich erinnere mich. Da haben die Leute gedacht, es wäre ein Affe im Lodenmantel." ‡Witzig, toll, total super. Macht es das Wetter?" ‡Nein, der Rucksack." ‡Den wirst du auch weiterhin tragen, Randy. So war es schließlich abgemacht." ‡Bis Turbo ihn nimmt." ‡Aber erst später." Während des Gesprächs war die Warteschlange weitergerückt, und auch die drei Freunde - sie nannten sich das Schloß-Trio und hatten schon viele aufregende Abenteuer bestanden -, waren bereits an der Metalltreppe angelangt. Im Winter, so hatten sie gehört, reichte die Schlange der Wartenden oft bis fast zur Haltestelle der Busse. Jetzt war nicht so viel Betrieb, aber es war ja noch früh am Morgen und es würden sicher noch viele Busse ankommen. Das Ziel der Ausflügler war die Schmittenhöhe, dieses gewaltige Bergwander- und Skigebiet oberhalb des Zeller Sees, einem der klarsten Alpenseen der Region. Unter den Gästen befanden sich auch zahlreiche Kinder und Jugendliche. Das hatte einen Grund: Die Herbstferien brachten noch einmal eine große Reisewelle, und wenn das Wetter so toll war wie in diesem Fall, da packten viele Leute einfach ihre Sachen und fuhren los. In den Bergen war es um diese Zeit am schönsten. So hatte es auch die Familie Ritter gehalten. Dr. Peter Ritter und seine Frau Marion waren Randys Eltern. Ihr Zuhause, das alte Schloß in der Nähe von Düsseldorf hatten sie für eine Woche mit einem Hotel in Zell am See vertauscht, um dort Ferien zumachen. Ela Schröder hatte mitfahren dürfen, was sie natürlich mehr als super fand; überhaupt waren sie, Randy und Turbo so -4-
ziemlich unzertrennlich. Im Laufe der Zeit hatten sie sich zu einer verschworenen Gemeinschaft entwickelt, kein Wunder bei den aufregenden Erlebnissen und Abenteuern, die hinter ihnen lagen. Aber in den nächsten Tagen wollten sie nur wandern, auf dem See Boot fahren, surfen oder schwimmen. Das hatten sie sich fest vorgenommen. Ob sie sich daran halten konnten, war fraglich. Irgendwie kam ihnen immer etwas dazwischen.
Die Ritters hatten sich entschlossen, im Hotel zu bleiben oder später nachzukommen, denn Dr. Ritter erwartete noch einen dringenden Anruf. So richtig ausspannen konnte er nie. Dr. Ritter war selbständiger Ingenieur und Wissenschaftler von Beruf. In einem Anbau des Schlosses hatte er sich ein Labor eingerichtet, in dem er ungestört arbeiten konnte. Hin und -5-
wieder stand er außerdem dem Geheimdienst zur Verfügung, wenn es darum ging, verzwickte Aufgaben zu lösen. Randy sah den Beruf seines Vaters oft als etwas zwielichtig an. Er sprach auch nicht gern darüber. ‡Wir fahren ja nicht nur heute den Berg hoch", sagte Ela plötzlich und schnickte mit den Fingern. ‡Kommt darauf an, wie du dich benimmst", meinte Turbo. ‡Du bist blöd. Du wirst sogar immer blöder und bist bald so wie der." Sie spreizte den rechten Daumen ab und deutete auf Randy, der noch immer grinste, oder schon wieder. ‡Was willst du dann machen?" ‡Meine Staffelei mitnehmen. Ich werde malen jawohl."
‡Pinseln?" fragte Randy. Sie trat dicht an ihn heran und starrte ihm scharf in die Augen.
‡Malen, habe ich gesagt, nicht pinseln. Das machst du vielleicht, aber nicht ich. Kapiert?" ‡Schon gut." Energisch schob Ela die beiden Jungen weiter. Sie hatten bereits den Unterstand erreicht, wo vor ihnen das metallene Drehkreuz schimmerte, durch das jeder Fahrgast schreiten mußte. Sobald er seine Eintrittskarte in einen Schlitz gesteckt hatte, löste sich die Sperre des Kreuzes. Man hatte hier alles im Griff. Rund um die Station waren große Parkplätze angelegt, standen schmucke Häuser, Hotels und Pensionen. Nur von der eigentlichen Natur war nicht mehr viel übriggeblieben. Die sogenannten Zivilisation fraß sich immer tiefer in die Bergwelt hinein. Randy und Turbo überwanden die Sperre als erste. Ela folgte ihnen und schaute zurück auf einen Zähler an der Wand, wo jeder, der die Sperre überwunden hatte, registriert wurde. Die große Gondel faßte genau 53 Personen. Plötzlich erhielt Ela einen Stoß in den Rücken. Unwillig -6-
drehte sie sich um. Ein etwa dreißigjähriger Mann starrte sie an. Er hatte dunkle Augen und ein scharfes, kantiges Gesicht. Er trug einen grüngelben Parka und hielt sein Haar unter einer Schirmmütze verborgen. Aus einer Tasche schaute das dunkle Glas einer Sonnenbrille hervor. ‡Ist was, Kleine?" ‡Nein. Sie haben mich angestoßen." ‡Geh schon weiter." Ela konterte: ‡Manche Leute sind so geizig, als hätten sie
Angst, für Freundlichkeit was zahlen zu müssen. Dazu scheinen Sie zu gehören." ‡Verschwinde." Der Mann drängte sich an Ela vorbei. Erst jetzt konnte sie erkennen, daß er einen Geigenkasten mit sich schleppte, zumindest sah der Kasten so aus. ‡Was wollte der denn?" fragte Randy. ‡Keine Ahnung. Jedenfalls scheinen seine Eltern Bulldoggen gewesen zu sein. Das ist ein richtiger Widerling." ‡Scheint mir auch so." ‡Dabei ist er doch Musiker", meinte Turbo. ‡Der steigt sogar mit einem Geigenkasten in die Berge." Randy strich über sein Kinn und sah auf die Spitzen seiner Bergschuhe. Sie waren aus weichem Leder gefertigt, besaßen aber eine sehr dicke, griffige Sohle. Auch Ela und Turbo waren mit ähnlichem Schuhwerk ausgerüstet; feste Schuhe, in denen man sicher stand und nicht so leicht ausrutschte. ‡Ein Geiger, der auf dem Gipfel sitzt und fidelt." Turbo schüttelte den Kopf. ‡Das kann ich nicht glauben." ‡Was glaubst du denn?" Ela schaute ihn neugierig an. ‡Ich hab mal einen Film gesehen, da hat jemand ein Gewehr in so einer Hülle versteckt." -7-
‡Fang nicht schon wieder an!" zischte Ela. ‡Du glaubst doch nicht, daß der Zeitgenosse da mit einem Gewehr hoch zum Gipfel fährt?" ‡Warum nicht? Möglich ist alles." Ihre Unterhaltung fand am Trenngitter statt, neben dem schon die Gondel wartete. Noch war die Tür geschlossen. Ein Mann im blauen Kittel kam und öffnete die Tür mit einem Spezialschlüssel. Er trug einen Vollbart, so daß von seinem Gesicht nur die Hälfte zu sehen war. ‡Nicht drängeln, Herrschaften, immer der Reihe nach." Er sprach den Satz ohne jede Betonung, und es war ihm anzumerken, daß er ihn zigmal am Tag runterleierte. Unter den ersten Fahrgästen, die die Gondel betraten, befand sich auch das Schloß-Trio. Weit über die Hälfte der Kabine bestand aus Glas, so daß man eine gute Sicht hatte. Die Sonne fiel durch das durchsichtige Dach und hatte den Innenraum schon recht aufgeheizt. Von der Decke hingen die Halteschlaufen wie Henkerschlingen herab. Sitzplätze gab es nur an der Vorder- und Hinterseite, die aber überließen die Freunde den älteren Fahrgästen. Eine buntgemischte Gesellschaft betrat die Kabine. Jeder war für die Berge gut gerüstet mit dicken Wanderschuhen, Kniebundhosen, bunten Hemden, Windjacken, Sonnenbrillen, Rucksäcken und Wanderstöcken. Alt und jung waren gleichermaßen vertreten, und zahlreiche Sprachen schwirrten durcheinander. Die meisten sprachen deutsch, aber auch englisch und niederländisch war zu hören. Ela verdrehte die Augen. ‡Allmählich wird es eng", flüsterte sie und machte sich so schmal wie möglich, denn ein glatzköpfiger, dicker, schwitzender Mann stellte sich neben sie. Er rammte seinen Wanderstock gegen den Boden und hätte dabei fast Elas linken Fuß getroffen. -8-
‡Endlich!" keuchte er und wischte mit einem großen Tuch über die Stirn. ‡Das wäre geschafft." Er nickte den Freunden zu, grinste mit drei Goldzähnen gleichzeitig und fragte: ‡Wollt ihr auch nach oben?" ‡Nein, nach unten." Der Dicke überlegte verdutzt und bekam Froschaugen. Als
Ela noch laut lachte, drehte er sich wütend um und zeigte den Freunden seinen Rücken, der auch nicht ohne war. ‡Der wird später nach unten gerollt", flüsterte Randy. ‡Ja, als Lawine", meinte Ela. ‡Und dann?" ‡Wie?" ‡Gibt es dann eine Überschwemmung?" Ela nickte. ‡Klar doch, der rollt bis zum See durch - und platsch." Der Vollbärtige schob die Tür zu und schloß von außen ab. Sein Kopf hinter der Scheibe glich dem eines Bären. ‡Auf zum Gipfel, wo die Stürmer warten", murmelte Randy. ‡Wer wartet da?" fragte Turbo. ‡Kennst du die Gipfelstürmer nicht?" ‡Nein." ‡Dann schau mal in den Spiegel. Aber du bist ja faul und läßt dich fahren." ‡Wie du." Sie schwebten bereits aus der Station. Schnell und ziemlich steil ging es in die Höhe. Zell, der Ort am See, blieb zurück. Die Häuser waren bald klein wie Spielzeug. Hinter dem Ort lag der See: breit, blaugrün, mit bunten Booten darauf, den Ausflugschiffen, die den See überquerten und am anderen Ufer anlegten. Auf einer Landzunge stand ihr Hotel. Ein hoher, weißer Kasten, der in der Sonne leuchtete. -9-
Die bunten Segel der Surfer stachen deutlich von der Wasserfläche ab. Hoch über ihnen dehnte sich der Himmel blau wie aus dem Bilderbuch, überflutet vom goldenen Licht der Sonne. Während Randy den Blick durch die Kabine gleiten ließ, bewunderten Ela und Turbo noch immer die schöne Aussicht. Der Mann mit dem harten Gesicht fiel Randy gleich auf. Er stand nicht weit entfernt von ihm. Mit der Linken hielt sich der Mann an der Schlinge fest, unter dem anderen Arm hatte er den Geigenkasten geklemmt. Er hatte Randy das Profil zugedreht. Es sah tatsächlich aus, als wäre es aus Stein gehauen worden. Da rührte sich kein Muskel, nicht einmal eine Wimper zuckte. Bei diesem Kerl war alles starr. Das wirkte auf Randy verkrampft. Dieser Typ kam ihm vor, als hätte der etwas zu verbergen.
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Der Mann schaute sich weder einmal um, noch interessierte ihn die Landschaft, die ruhig unter ihnen herglitt: die langen Hänge, die Wälder, die Almen, auf denen Kühe standen und Gras rupften und deren Glocken läuteten, wenn sie die Köpfe schüttelten. Auf schmalen Wegen, die sich in Serpentinen die Hänge hochzogen, sah man Wanderer talwärts oder den Berg hinangehen. Almgasthöfe grüßten auf halber Höhe. Ihre Fahnen flatterten im leichten Wind, und allmählich tauchten vor den Passagieren in der Gondel die mächtigen Bergmassive auf, die zu den Ausläufern des Großglockner-Massivs gehörten, dem höchsten Gipfel Österreichs. Der Mann rührte sich noch immer nicht, und in Randy wuchs das Mißtrauen. Wo war der Fremde in seinen Gedanken? Jedenfalls nicht bei dieser Fahrt mit der Gondel zum Gipfel. Die Reise dauerte ziemlich lange. Es gab keine Zwischenstation. Manchmal schwankte die Gondel etwas, dann holten einige Leute tief Luft und schauten besorgt zur Höhe, aber es ging alles gut. Einmal erweckte es den Anschein, als würde die Gondel gleich gegen eine schroffe Felswand prallen. Sie hatte etwas vorgestanden, und es sah riskant aus. Manche Passagiere waren etwas blaß geworden, und sie atmeten erleichtert auf, als endlich die Gipfelstation in Sicht kam. Mühelos wie eine Wolke schwebte die vollbesetzte Gondel darauf zu. Gleich einem Vogelnest klebte an der Außenwand des Berges die Station aus grauem Beton. Die Einfahrt stand offen wie ein gewaltiges Maul, dann schob sich die Gondel hinein und glitt weiter bis zum Halteplatz, wo wieder jemand erschien, der von außen die Tür öffnete. Der Mann hatte keinen Bart, sein Gesicht war so glatt wie ein Kinderpopo. -11-
Randy hörte nicht, was Ela ihm nachrief, er sah zu, daß er die Gondel dicht hinter dem Mann mit dem versteinerten Gesicht verlassen konnte und ihm auf den Fersen blieb. Ela holte ihn trotzdem schnell ein. Sie schlug Randy eine Hand auf die Schulter. ‡He, wo willst du hin?" ‡Hinter dem Kerl her!" ‡Der mit dem Geigenkasten?" ‡Wen sonst, Mensch?" Sie gingen eine Treppe hoch. Turbo hatte es nicht leicht, sich zu ihnen durchzudrängen. ‡Was ist denn los?" Ela gab ihm Antwort. ‡Randy hat Lunte gerochen. Er traut dem Versteinerten nicht." ‡Tatsächlich?" ‡Mal sehen." Sie blieben jetzt zusammen und waren schon bald draußen vor der Station, wo sie erstmal überwältigt stehenblieben, denn der Blick war einfach phänomenal. Man konnte von hier aus und begünstigt durch das herrliche Wetter mehr als hundert Alpengipfel sehen, viele von ihnen schneebedeckt oder mit einer Kruste aus schimmerndem Eis überzogen. ‡Pahhh..." flüsterte Ela. ‡Ist das eine Aussicht." Sie fummelte an Randys Rucksack herum, um die Sonnencreme hervorzuholen, die man in dieser Höhe unbedingt brauchte, um sich keinen Sonnenbrand zu holen. Sie setzten sich dafür auf eine Mauer, wo sie sich in Ruhe eincremen konnten. Auch die dunklen Brillen hatten sie bereitgelegt, ebenso wie die Lippenpflegestifte. ‡Jetzt ist er weg!" sagte Randy und ließ die Hand mit der Tube sinken. ‡So was Blödes." -12-
‡Wer?" fragte Ela. ‡Der Versteinerte?" ‡Ja." ‡Ist vielleicht ein Schnellwanderer", meinte Turbo grinsend. ‡Der will noch eine Seilbahn überholen." ‡Quatsch." Randy rutschte von der Mauer, ging einen Schritt weiter und blieb stehen. Um sich herum hörte er die Stimmen der Passagiere. Sie alle hatten jetzt die Kabine verlassen, schwärmten über den Ausblick, lachten, was Randy nicht kümmerte. Er hielt Ausschau nach dem Mann mit dem versteinerten Gesicht und der Mütze. Er sah ihn nicht.
Ela gesellte sich zu ihm, kleine Steine vor sich herstoßend.
‡Laß uns anfangen, ins Tal abzusteigen. Die Strecke zieht sich hin." ‡Moment noch", sagte Randy. ‡Wieso?" ‡Da ist..." Randy lachte, ‡tatsächlich eine kleine Kapelle. Das habe ich auch noch nicht gesehen." ‡Die Leute sind hier frömmer als du." Randy hörte Turbos Bemerkung nicht. Als er auf die Kapelle zuging, tat er es wie unter einem Zwang. Bevor er sie betreten konnte, verließ, zusammen mit anderen, der Mann mit den versteinerten Gesichtszügen die Kapelle. Er hielt noch immer krampfhaft seinen Geigenkasten fest. Vor der Kapelle verschwand der Mann nach rechts, nicht nach links wie die anderen. Mit wenigen Schritten war er hinter der Kapelle verschwunden. Randy drehte sich um. Er winkte seinen Freunden zu, ihm nicht zu folgen und schlich sich dicht an der Seitenwand der Kapelle bis zur Ecke vor. Dort blieb er zunächst stehen, als ob ihn eine innere Stimme davor warnte, weiterzugehen. -13-
Randy lauschte nach fremden Geräuschen. Er vernahm nichts; nur der Wind strich leise über die kahlen Bergrücken. Der Stimmenwirrwarr der Passagiere war so gut wie verschwunden, die Leute hatten sich allmählich verteilt und strebten in verschiedene Richtungen davon, je nach dem, welche Wanderwege sie einschlugen. Ela und Turbo waren zurückgeblieben. Aus sicherer Entfernung beobachteten sie ihren Freund. Schritte hatte Randy noch nicht gehört. Also hielt sich der Kerl noch in der Nähe auf. Vielleicht wartete er auf etwas, und hatte sich deshalb hinter der Kapelle versteckt. Aber auf was? Bestimmt nicht auf besseres Wetter, das konnte strahlender nicht werden. Randy brauchte sich nur ein paar Zentimeter vorzuschieben, um einmal rasch um die Ecke zu linsen. Wirklich, da stand der Mann, nicht einmal drei Schritte von ihm entfernt. Er drehte Randy den Rücken zu und war damit beschäftigt, seinen Geigenkasten zu öffnen. Hastig zerrte er einen dicken Reißverschluß auf; selbst Randy vernahm das dabei entstehende kratzende Geräusch. Wollte der Typ hier oben ein Geigensolo geben? Das war keineswegs der Fall. Sekunden später war Randy bleich geworden. Nun hatte er erkannt, was der Mann in dem Geigenkasten mit sich herumschleppte. Es war ein Gewehr! Plötzlich schlug Randy das Herz bis zum Halse. Seine Kehle war trocken geworden, und unter den Achseln begann er zu schwitzen. Am liebsten wäre er weggerannt, um seinen Freunden Bescheid zu geben, doch irgendein Zwang bannte ihn auf der Stelle. Außerdem schien der Mann mit den versteinerten Gesichtszügen überhaupt nicht auf seine Umgebung zu achten. -14-
Er fühlte sich scheinbar völlig sicher. Dann holte er aus einer kleinen Seitentasche des Geigenkastens noch etwas hervor.
Zunächst konnte Randy den Gegenstand nicht erkennen. Als sich der Mann jedoch etwas nach rechts drehte und auch das Gewehr in diese Richtung verlagerte, wußte Randy Bescheid. Es war ein Zielgerät, das der Fremde nun auf das Gewehr schraubte. -15-
Wer mit einer derartigen Waffe umherlief, hatte etwas vor, dachte Randy nach dem ersten Schrecken. Der würde sicherlich auf keine Tontauben schießen wollen; was hier ablief, mußte einen anderen Grund haben. Zunächst hatte Randy erst mal genug gesehen und zog sich so schnell wie möglich zurück. Nur keine unnötigen Geräusche verursachen, nicht an einen Stein stoßen, der kullernd wegrollen würde. Randy war sehr vorsichtig und hatte auch Glück. Da aber sah er, daß Ela und Turbo in seine Richtung liefen. Mit beiden Händen winkte er ihnen, nicht näher zu kommen. Dafür lief er rasch auf sie zu und zog sie an den Ärmeln zur Seite. Er achtete nicht auf ihre Proteste und schüttelte nur den Kopf. Die Freunde merkten jetzt, daß mit Randy etwas nicht stimmte. Ela starrte ihn an, Fragen standen auch in Turbos Augen, und Randy - er hatte wieder etwas mehr Farbe bekommen - nickte einige Male heftig. Dann gab er mit leise zischender Stimme eine kurze Erklärung. ‡Der Kerl trägt keine Geige bei sich, sondern ein Gewehr mit Zielfernrohr." Ela und Turbo sagten nichts. ‡Habt ihr nicht gehört?" ‡Klar!" flüsterte Ela. ‡Aber was will der denn hier oben mit einem Gewehr?" ‡Das frage ich mich auch." ‡Wer eine Waffe mitnimmt, will sie auch einsetzen!" sagte Turbo leise und schaute auf die Kapelle, hinter der sie den Mann vermuteten. Sie standen inzwischen fast allein hier oben, und die nächste Gondel würde auch noch auf sich warten lassen. ‡Was machen wir?" fragte Randy.
Im Grunde wußten alle drei die Antwort; Ela drückte es so
aus: ‡Wir werden ihn beobachten, ihm auf den Fersen bleiben, ist doch klar." -16-
‡Denk daran, daß er bewaffnet ist!" warnte Randy. ‡Dann müssen wir eben vorsichtig sein. Jedenfalls dürfen wir ihn nicht aus den Augen lassen." Der Meinung waren die Jungen auch. Aber sie mußten aufpassen; der Mann sollte ihnen auf keinen Fall auf die Schliche kommen. Randy schlug vor, noch einmal nachzuschauen. Er selbst wollte es übernehmen. Auf leisen Sohlen bewegten sie sich auf die Kapelle zu. Sie gingen wie auf rohen Eiern, schielten hin und wieder zur Seite, ob sie auch niemand beobachtete. Es blieb alles ruhig. Randy peilte kurz um die Ecke und entspannte sich dann wieder. Er drehte sich um. ‡Keiner mehr zu sehen, der Knabe ist verschwunden." Turbo drängte sich vor. ‡Ja, nichts zu sehen. Und wohin kann er gegangen sein?" Achselzucken. ‡Wir haben doch von hier aus einen guten Ausblick; weit kann er also nicht sein." Ela Schröder übernahm die Initiative. Sie ging an das Ende des flachen, steinigen Plateaus, auf dem die Kapelle stand. Ein Hang fiel hier sanft wie der Rand einer breiten Schüssel in eine Mulde ab, wo spärlich das Gras wuchs, aus dem graue Steine wie spitze Knochen hervorstachen. Dort unten sahen sie den Mann. Er hatte seine Waffe unter der Jacke verborgen, drehte den Freunden den Rücken zu und lief auf eine Stange mit mehreren Richtungsweisern zu. Man konnte von dort aus zu den verschiedensten Hütten und Stationen wandern, manchmal über mehrere Stunden. ‡Hinterher?" fragte Ela. Randy knetete sein Kinn. ‡Ja, schon, aber wir schlagen am besten einen Bogen." -17-
-18-
Alle waren einverstanden. Obwohl das Gelände frei von Baumwuchs war, bot es doch viele Verstecke. Hänge, kleine Bergrücken und weiter talwärts der dichte Baumbewuchs gaben eine gute Deckung. Sie mußten aufpassen, daß sie den Mann nicht verfehlten. Doch die Freunde wollten ihn nicht getrennt verfolgen. Es war besser, wenn sie zusammenblieben. ‡Links oder rechts?" fragte Turbo. ‡Rechts", entschied Randy, der den Mann mit dem Gewehr nicht aus den Augen ließ. Er hatte den Wegweiser erreicht und ging nun zügig den Wanderweg entlang, der geradeaus auf einer Ebene weiterführte. Die Freunde schlugen einen parallel dazu verlaufenden Weg ein, blieben zunächst höher, wobei sie sich öfter duckten, wenn der Mann sich umschaute, und rutschten dann einen Steinhang hinab. Ärgerlich beobachteten sie einige Steine, die sich vom lockeren Geröll abgelöst hatten und nun ihre Rutschpartie begleiteten. Dennoch kamen sie heil unten an. ‡Ein Hoch auf unsere Schuhe!" sagte Ela. Turbo meinte: ‡Dafür ist der Versteinerte weg."
Er hatte sich nicht geirrt. Der Mann mit dem Gewehr war
nicht mehr zu sehen. Ela schimpfte, und Randy ließ nachdenklich seine Blicke schweifen. Als er in den herrlich blauen Himmel schaute, entdeckte er einen farbigen Punkt hoch über ihnen. Das war ein Drachenflieger, der dort seine Runden zog. Er sah aus wie ein riesiger majestätischer Vogel. Er hatte wohl die günstigen Aufwinde genutzt und genoß nun das Gefühl der grenzenlosen Freiheit dort oben. ‡Starr nicht so, sag lieber was!" Ela stieß ihren Freund von der Seite an. Turbo war indessen ein Stück den nächsten Hang -19-
hochgestiegen. ‡Ich kann mir vorstellen, daß er in diese Richtung weitergegangen ist", rief er. ‡Der wird sich kaum noch länger auf dem normalen Weg gehalten haben. Da würde er mit seinem Gewehr zu stark auffallen." Da niemand widersprach, ging Turbo weiter. Ela und Randy folgten ihm. Sie kletterten gebückt und befanden sich bald auf einem kleinen Bergrücken, von dem aus sie in eine mit Steinen bedeckte Mulde hineinschauen konnten. Nicht weit entfernt klebten schmutzige Neuschneereste wie angepappt an der Erde. Es hatte vor einigen Tagen bei einem plötzlichen Kälteeinbruch heftig geschneit. Inzwischen war das meiste wieder weggetaut, aber in den Senken waren noch einige Reste geblieben. Für die herrliche Bergwelt mit den in der Sonne leuchtenden Gipfeln um sie herum hatten sie keinen Blick. Wichtiger war der Mann mit dem Gewehr, der tatsächlich dort unten die Mulde durchquerte. An deren Ende blieb er plötzlich stehen und betrachtete interessiert einige mächtige Felsbrocken, die wahllos verstreut in der Mulde lagen. Ehe sich die Freunde versahen, war der Kerl zwischen den Felsen verschwunden. Die drei starrten sich an. ‡Und?" fragte Randy. ‡Ist doch klar", flüsterte Ela. ‡Der wartet, der lauert." ‡Auf wen?"
Sie hob die Schultern.
Turbo dachte praktischer. ‡Wenn wir entsprechend vorsichtig
sind, können wir noch näher an ihn heran. Es ist nicht einmal schwierig, in seinen Rücken zu gelangen. Wir brauchen nur auf dieser Höhe bleiben und haben ihn vor uns." ‡Was machen wir dann?" fragte Ela. ‡Ihn beobachten?"
Auch Randy war einverstanden. ‡Die Wanderung werden wir
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wohl sausen lassen müssen. Mein großer Zeh am linken Fuß juckte. Das sagt mir, daß hier bald eine Schweinerei passieren wird." ‡Die wir verhindern können?" fragte Ela. ‡Da bin ich mir nicht so sicher. Oder willst du dich mit einem solchen Typen anlegen." ‡Nur nicht." ‡Egal, weiter." Turbo hielt es nicht mehr aus. Er war plötzlich zu einem Bündel an Energie geworden und riß die beiden Freunde mit. Trotz der Eile überstürzten sie nichts. Sie blieben vorsichtig, zwar nicht in Deckung, aber im toten Winkel. Nach einer Weile hörten sie in der Ferne die Stimmen der nächsten Wandergruppe, die mit der Gondel aus dem Tal hochbefördert worden war. Zum Glück verteilten sich die Menschen auf den Wegen. Keiner hatte Lust, querfeldein zu laufen, was ja auch nicht ungefährlich war. Zu leicht konnte man abrutschen, und die Steine waren an manchen Stellen doch recht locker. Hier oben wuchs kaum etwas. Bodendecker bildeten hin und wieder eine grüne Insel. Das spärliche Gras sah aus, als wollte es sich gewaltsam an der Erde festkrallen. Der Drachenflieger schwebte noch immer in der Luft. Er flog zwischen ihnen und der Sonne, nahm sekundenlang die Sicht auf den glühenden Ball und kippte plötzlich nach vorn, so daß es aussah, als würde er genau auf einen Berghang abdriften. Aber er bekam das Problem in den Griff und schwebte elegant weiter. Es sah toll aus. Randy hätte gern mit dem Mann getauscht. Doch zum Drachenfliegen brauchte man Übung. Vielleicht konnte er ja seinen Vater überreden, ihn an einem Kurs teilnehmen zu lassen, sie blieben ja fast eine Woche in Zell am See. Aber wichtiger war jetzt der Gewehrschütze. Sie standen nun direkt über ihm. Der Mann war in die Hocke gegangen und hatte sich einen Platz zwischen zwei Felsbrocken gesucht, der schon -21-
mehr einem Versteck glich. Das Gewehr lag griffbereit neben ihm. Außerdem hielt er ein Fernglas vor die Augen gepreßt und schaute in eine bestimmte Richtung. ‡Was sucht der denn?" fragte Ela leise. ‡Den da!" Turbo streckte den Arm aus und deutete auf das dreieckige rote Gebilde oben am Himmel. ‡Nein!" Ela hauchte entsetzt: ‡Meinst du den Flieger?" ‡Genau den." ‡Und er hat ein Gewehr", murmelte Randy. ‡Mit dem er bestimmt schießen wird."
Randy schielte Turbo an. ‡Auf den Drachenflieger?"
‡Ich sehe kein anderes Ziel. Bestimmt schießt er nicht auf irgendwelche Steine." Randy räusperte sich. Er wußte nicht, was sie unternehmen sollten. Wie konnten sie den Drachenflieger warnen, ohne selbst zur Zielscheibe zu werden? Ahnungslos drehte der Drachenflieger seine Runden; er holte dabei immer mehr aus und kam unweigerlich dem Platz näher, wo der Mann mit dem Gewehr lauerte. Es sah fast so aus, als wollte der Flieger auf der Bergkuppe nahe der Seilbahn-Station landen. Als die Freunde wieder zu dem Gewehrträger hinunterschauten, sahen sie, daß dieser jetzt seine Waffe in beide Hände genommen und den Schirm seiner Mütze etwas vorgedrückt hatte. Auch hatte er die Sonnenbrille abgesetzt; sie hätte ihm die perfekte Sicht genommen. Der Mann hob das Gewehr an. Zuerst zielte er direkt nach vorn, dann korrigierte er die Zielrichtung nach rechts, denn dort schwebte der Mann am Drachen. ‡Der... der wird schießen", flüsterte Ela. ‡Mein Gott, wir -22-
müssen etwas tun!" Jetzt, wo sich die Situation zuspitzte, waren die Freunde für einen Moment ratlos. Dann reagierten sie gemeinsam, als wäre ihnen im gleichen Moment die Idee gekommen. Sie bückten sich, hoben Steine auf, sahen aus den Augenwinkeln, daß der Drachenflieger schon ganz nahe war und ein perfektes Ziel für den Mann mit dem Gewehr bot. Jetzt kam es auf den Bruchteil einer Sekunde an... Wer von ihnen den ersten Stein geworfen hatte, war nicht mehr festzustellen. Aber die Steine erwischten den Mann in dem winzigen Augenblick, als er abdrückte. Eine Störung, die Folgen hatte. Der Mann verriß das Gewehr, die Kugel traf nicht dort, wo sie hatte treffen sollen. Der böse Fluch schallte bis an die Ohren der Freunde, die sich blitzschnell zurückgezogen hatten und nun wegliefen. Bis der Kerl den Muldenhang überwunden hatte, wollten sie in Deckung sein. Sie hetzten geduckt, rutschten und stolperten eine Halde hinab, rissen Steine mit, wirbelten Staub auf, der wolkenartig einen Schutzmantel über sie legte, und glitten auf den Hosenböden weiter, als es zu steil wurde. Eine Rinne fing sie auf. Sie war mit Gras bewachsen, aber hier und da lagen auch Steine. Ela hielt sich die rechte Pobacke, schimpfte dabei und Turbo kam humpelnd auf die Beine. Randy hatte sich abgerollt. Er stand auf und streckte sich. ‡Alles klar?" ‡Bis auf siebzehn Knochenbrüche fehlt mir nichts", kommentierte Turbo. Ela verzog das Gesicht. ‡Ich bekomme wohl an einer -23-
bestimmten Stelle blaue Flecken." Randy grinste. ‡Wo denn?" Sie kam nicht mehr dazu, auf die Frage des Freundes einzugehen, denn Turbo, der den Drachenflieger nicht aus den Augen gelassen hatte, rief aufgeregt: ‡Verflixt, seht euch das an!" Es sah gefährlich aus. Eine unsichtbare Hand schien über dem Flieger zu schweben und ihn die Tiefe zu drücken. Er packte es nicht mehr. Außerdem hielt er das Führungstrapez nur mit der linken Hand fest, die rechte umklammerte den Arm in Schulterhöhe. Er schwebte auch nicht mehr, es glich eher einem Torkeln und Trudeln. Der Stoff des Drachen beulte sich mal aus, mal zog er sich zusammen; der Wind trieb sein Spiel mit ihm, da er offensichtlich nicht mehr gesteuert werden konnte. Durch den Körper des Fliegers ging plötzlich ein Ruck, als er nach unten kippte. ‡Bitte nicht!" keuchte Ela. Der Mann hatte Glück. Mit einer Hand konnte er sich noch fangen, pendelte aber jetzt an der Stange. Eine Windbö kam von rechts. Sie schleifte ihn und den Drachen weiter, hob beide über einen kleinen Buckel hinweg und zog ihn dann in die Tiefe, wahrscheinlich in eine Mulde oder einen Graben. Ela war totenbleich. ‡Der... der ist vielleicht doch von der Kugel erwischt worden, glaube ich." Randy nickte. ‡Wir müssen ihm helfen!" sagte Turbo. ‡Ich habe mir gemerkt, wo er runtergekommen ist. Das ist nicht sehr weit von hier." ‡Das weiß auch der Schütze!" flüsterte Ela. ‡Wenn der nun kommt und seine fürchterliche Tat beenden will...?" ‡Nein, das nicht!" sagte Randy. Er hatte den Schützen gerade entdeckt. Der Mann war aus der Mulde geklettert und lief nun -24-
über einen Kamm in Richtung Station. In der rechten Hand trug er den zweckentfremdeten Geigenkasten. Es war ihm anzusehen, daß er den Ort des Geschehens so schnell wie möglich verlassen wollte. ‡Ich verfolge ihn!" Randy hatte sich innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde entschieden. ‡Und wir?" Er nickte Ela zu. ‡Kümmert euch um den Verletzten. Ich werde auch die Bergwacht alarmieren." ‡Der hat ein Gewehr", warnte Turbo. ‡Das weiß ich. Keine Sorge, ich werde achtgeben." Randy zählte es an den Fingern ab. ‡Bergwacht und Polizei. Hier läuft ein verflucht schmutziges Spiel ab." Keiner widersprach. ‡Bis spätestens unten im Hotel", sagte Randy und war in der nächsten Sekunde weg...
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2. Noch einmal davongekommen Ela und Turbo warteten, bis sie ihren Freund nicht mehr sahen. Dann atmete das Mädchen tief durch. Der Wind spielte mit ihrem Pferdeschwanz. Der Schrecken stand beiden noch ins Gesicht geschrieben. ‡Wir hätten ihn festhalten sollen", flüsterte Ela Turbo zu. ‡Hättest du das geschafft?" ‡Weiß nicht." ‡Was sich Randy in den Kopf gesetzt hat, führt er auch durch. Los, wir schauen nach dem Drachenflieger." ‡Haben nur wir das Ganze gesehen?" ‡Keine Ahnung." Turbo hob die Schultern. ‡Jedenfalls schien sich keiner der Wanderer auf den Flieger konzentriert zu haben. Du darfst nicht vergessen, daß Drachenflieger in dieser Gegend nichts Außergewöhnliches sind." ‡Stimmt schon." Turbo übernahm die Führung. Er hatte sich gemerkt, wo der Mann gelandet war. Bald schon mußten sie feststellen, daß Entfernungen auch täuschen können. Den Platz zu finden, bereitete ihnen Mühe. Wäre nicht der rote Drachen gewesen, hätten sie den Mann kaum gefunden. Der Drachenflieger war doch weit abgetrieben worden. Das Gebiet hier oben war zwar ideal für Skiläufer im Winter, aber die ursprüngliche Natur war zerstört. Es fehlte der Wald; dafür hatten sich lange, kahle Flächen wie gewaltige Zungen vorgeschoben und die Landschaft verödet und Karst zurückgelassen. An einem derartigen Hang hing der Drachenflieger fest. Es sah jedenfalls beim ersten Hinsehen so aus. Er war schräg -26-
aufgekommen und schien sich dort in irgendwelchen struppigen Büschen verfangen zu haben. An der Absturzstelle bewegte sich nichts, und Ela hatte die schlimmsten Befürchtungen. Turbo schüttelte den Kopf. ‡Laß uns erstmal näher herangehen, dann sehen wir weiter." Sie waren vorsichtshalber noch immer auf der Hut, aber von dem heimtückischen Schützen sahen sie nichts mehr. Der schien seine Pläne nicht geändert zu haben. Geschickt wie die Gemsen kletterten sie das steinige Gelände hinunter. Gegenüber, am anderen Rand der Höhe, zeichneten sich die Silhouetten dreier Wanderer ab. Die Leute schauten gar nicht zu ihnen herüber und waren nach wenigen Metern verschwunden. Ela und Turbo atmeten heftig; immer wieder balancierten sie, um das Gleichgewicht zu halten. Langsam erkannten sie jetzt Einzelheiten. Der rote Drachenstoff hatte sich wie eine Decke über die Absturzstelle gebreitet. Darunter lag fast verborgen der Mann. Man sah keinerlei Bewegung unter dem Drachen, so daß Ela und Turbo noch größere Angst um den Mann bekamen und nun fast mit dem Schlimmsten rechneten. Turbo kletterte als erster über einen letzten im Weg stehenden Felsen, ging noch zwei Schritte weiter und hatte das Ziel endlich erreicht. Dicht hinter ihm sprang Ela noch von dem Stein herunter, während Turbo schon den Stoff des Segels zur Seite zerrte, um den Verletzten freizulegen. Das Segel selbst bestand aus einem Kunstfasergewebe, dessen Haltbarkeit sehr wichtig für die Sicherheit des Fliegers war: Wenn ein Riß entsteht, so verzieht sich das gesamte Gewebe und die Belastung verteilt sich um den eigentlichen Riß. Man nahm bei diesem Material auch eine besondere Oberflächenverarbeitung vor, denn diese kreuzenden, verdrillten Garne mußten Hitze, Kälte und Druck aushärten. -27-
Ela half Turbo, den Mann unter dem Segel freizulegen. Er hatte sich beim Absturz glücklicherweise nicht an den Metallrohren verletzt, obwohl das linke Steigbügelrohr dicht neben ihm im Boden feststeckte. Da hatte er großes Glück gehabt. Der Mann lag auf dem Rücken, die Hacken seiner Stiefel gegen den Hang gestemmt. Sein Gesicht - sonnenbraun eigentlich - zeigte eine unnatürliche Blässe und war um den Mund herum schmerzverzerrt. Der weiße Sturzhelm saß schief. Dunkelbraunes Haar quoll hervor. Auf der Oberlippe des Mannes wuchs ein schmaler Bart, der ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Alfred, dem guten Geist des Hauses Ritter, gab. Und was das wichtigste war, der Mann hatte die Augen offen, die hilfesuchend auf die beiden Freunde gerichtet waren. Unwillkürlich fielen Elas und Turbos Blicke sofort auf die linke Schulter des Mannes. Dort war ein großer Blutfleck! Dem Verletzten entging nicht der erschreckte Ausdruck in ihren Augen. Er stieß ein krächzendes Lachen aus. ‡Ich habe Glück im Unglück gehabt. Nur ein Streifschuß." ‡Wir haben alles gesehen!" erzählte Ela schnell. ‡Wirklich alles, Herr..." ‡Ich heiße Heller, Richard Heller." Ela stellte Turbo und sich vor. ‡Wir haben alles gesehen", sagte sie dann, ‡auch den Mann, der auf Sie geschossen hat. Der... der hatte ein besonders gutes Gewehr." Heller stöhnte leicht auf. Er hatte sich falsch bewegt, durch seine verletzte Schulter zuckte ein Stich. ‡Es wundert mich nur, daß er mich nicht richtig traf." Etwas verlegen hob das Mädchen die Schultern. ‡Das ging ja nicht, wir kamen ihm in die Quere." -28-
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‡Ihr?" staunte Heller. ‡Ja - erklär du es ihm, Turbo." Turbo berichtete, wie es ihnen gelungen war, den Verbrecher bei seiner fürchterlichen Arbeit zu stören. Richard Heller wollte es kaum glauben, doch zum Schluß sagte er: ‡Dann habe ich euch ja mein Leben zu verdanken." Jetzt wurde auch Turbo verlegen. ‡Na, wir wissen nicht..." ‡Jedenfalls holt unser Freund Randy Hilfe. Er will die Bergwacht alarmieren." ‡Ja, das ist genau richtig." ‡Können wir denn was für Sie tun?" erkundigte sich Ela. ‡Ich meine, Sie sind verletzt und..." ‡Nein, nein, laßt das mal. Wenn die Bergwacht alarmiert wurde, werden die Freunde das machen." ‡Wir bleiben aber bei Ihnen." ‡Danke, das ist toll." ‡Leider hat unser Freund den Rucksack mit, sonst hätten wir Ihnen etwas zu trinken geben können." ‡Danke, Ela, das ist nett, aber ich brauche das nicht." Er schaute sie an, dann Turbo, und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. ‡Sicherlich platzt ihr bald vor Neugierde und wollt bestimmt wissen, weshalb auf mich geschossen wurde." Beide nickten. ‡Das ist nicht einfach zu erklären. Sagen wir mal so: Es gibt gewisse Leute, die wollen nicht, daß hier Umweltschützer auftauchen und dafür sorgen, daß nicht noch mehr Wald abgeholzt wird, keine weiteren Skihänge entstehen, keine neuen Seilbahnen und so weiter." Ela und Turbo nickten. ‡Dann gehören Sie zu den Umweltschützern." ‡Ja, zur Gruppe Rettet die Alpen. Es ist fast fünf vor zwölf -30-
Uhr für die Natur. Wir müssen höllisch achtgeben. Den sauren Regen haben wir nicht unter Kontrolle bekommen können. Er hat schon zu viel zerstört, aber der anderen Sache, dieser wilden Bauerei, der wollen wir einen Riegel vorschieben. Das müssen wir sogar, sonst geht die Natur völlig kaputt." ‡Stimmt." Ela nickte. ‡Wir denken auch so. Manchmal könnte man heulen, wenn man sieht, was die Menschen alles zerstören. Und nicht nur in den tropischen Regenwäldern." ‡Du weißt gut Bescheid, Ela." ‡Manchmal lese ich Zeitungen, und ich passe auch in der Schule auf. Aber wer, Herr Heller, ist denn gegen Sie?" ‡Das möchte ich auch wissen", sagte Turbo. ‡Ich weiß es nicht genau, Freunde. Es muß eine Gesellschaft oder ein Konzern sein. Jedenfalls eine mächtige Gruppe, die hier in der Region ihr Geschäft machen will. Die Schmittenhöhe ist schon kaputt genug. Es darf sich niemand wundern, wenn es irgendwann einmal zu einer Lawinenkatastrophe kommt. Zuviel Wald wurde abgeholzt, um Skipisten entstehen zu lassen. Wir meinen, daß es reicht." ‡Und wir ebenfalls", fügte Ela hinzu. ‡Macht ihr hier Ferien?"
Turbo nickte. ‡Ja, noch eine Woche. Wir wollten wandern
und auf dem See surfen oder Bootfahren. Aber jetzt sieht alles anders aus. Das ist uns vergangen." ‡Nein, nein, Freunde, bleibt dabei. Laßt euch durch so etwas nicht aus der Ruhe bringen." ‡Und ob wir uns das lassen", sagte Ela schnell. ‡Das ist eine Schweinerei. Wir hängen mit drin." ‡Es ist zu gefährlich." ‡Stimmt", gab Turbo zu. ‡Was ist, wenn uns der Mann doch gesehen hat?" ‡Dann seid ihr Zeugen." -31-
‡Genau." Richard Heller schluckte. ‡Da gibt es nur eines, Freunde. Abreisen, so schnell wie möglich weg von hier. Die Leute, die hinter dem Kerl stecken, kennen kein Pardon. Sie wollten an mir ein Exempel statuieren, das ist dank eures Eingreifens mißlungen, aber glaubt nur nicht, daß die aufgeben. Die nicht." Dann sagte Ela etwas, was Richard Heller zutiefst erschreckte. ‡Unser Freund Randy hat ja die Verfolgung des Mordschützen aufgenommen." Heller gab einen Laut von sich, als wäre ihm schlecht geworden. ‡Was habt ihr gemacht?" ‡Nicht wir - Randy. Er hat den Kerl verfolgt."
Der Verletzte verdrehte die Augen. ‡Ist der Junge denn
verrückt? Wißt ihr überhaupt, wie brutal und gnadenlos diese Leute vorgehen?" ‡Ja - schon." Ela wurde unbehaglich zumute. Sie wußte plötzlich nicht mehr, wo sie hinschauen sollte. ‡Jetzt wissen wir es, aber Randy wird sich schon nicht erwischen lassen. Der bleibt immer in guter Deckung." ‡Das wird ihm vielleicht etwas nützen." Heller atmete tief ein und verzog wieder das Gesicht, als eine erneute Schmerzwelle seinen Arm durchzuckte. ‡Menschen wie dieser Mann besitzen einen sechsten Sinn für Gefahren. Die merken genau, ob jemand hinter ihnen her ist oder nicht." Ela bekam das leichte Zittern. ‡Kennen Sie ihn denn?" ‡Nein, nicht namentlich. Aber ich habe Leute dieser Art kennengelernt. Die sind brandgefährlich. Professionelle Killer. Noch einmal, reist so schnell wie möglich ab. Erklärt euren Eltern, in was ihr da durch Zufall hineingeraten seid. Ich gebe der Polizei ebenfalls Bescheid. Möglicherweise wird man euch nach diesem Anschlag auf mich Personenschutz geben." Ela war bedrückt. ‡Was sagst du, Turbo?" -32-
‡Ich habe immer gedacht, wir hätten Ferien." ‡Ja, mit einem Killer." Richard Heller streckte die Beine etwas aus. Zwei Steine lösten sich unter seinen Füßen und kullerten wie Murmeln den Hang hinab. ‡Der Kerl wird natürlich so schnell wie möglich verschwinden. Dazu ist einzig und allein die Gondel geeignet. In welche Richtung ist er denn geflüchtet?" ‡Zur Station hin." ‡Dann nimmt er die Seilbahn." Der Mann versuchte ein Grinsen. ‡Vielleicht haben wir Glück. Hört mal zu, ihr müßt mir noch einen Gefallen tun. Lauft so schnell wie möglich zur Station Schmittenhöhe zurück und telefoniert von dort aus mit der Polizei in Zell. Die Männer werden dafür sorgen, daß die Seilbahn..." Er sprach nicht mehr weiter, denn mehrere Männer waren am Rand der Senke erschienen. Leute von der Bergwacht, die auch eine Trage bei sich hatten. ‡Das mit der Polizei wird bestimmt Randy erledigt haben", sagte Turbo. ‡Wir wollen es hoffen."
Die Männer von der Rettung waren schnell da. Sie kannten
Richard Heller und schüttelten die Köpfe. ‡Was ist denn mit dir? Du bist doch immer perfekt gewesen." ‡Klar doch, aber flieg du mal einer Kugel in die Schußbahn. Da ist es mit der Perfektion vorbei." ‡Ach du lieber mein Vater." Einer der Männer, ein Sanitäter, beugte sich über den Verletzten und schaute sich die Wunde an. ‡Streifschuß", murmelte er. ‡Du hast Glück gehabt." ‡Noch mehr als das." ‡Ich werde in der Kirche zehn Kerzen anzünden, für die nächsten Flüge gleich mit. Aber das erst Monate später." Der Sani winkte seinen Kollegen. ‡Los, Freunde, löst ihn mal vorsichtig aus den Gurten. Alles andere läuft dann wie -33-
geschmiert." ‡Brauchen Sie uns noch?" fragte Turbo. ‡Wer seid ihr überhaupt?" ‡Das sind meine Lebensretter", erklärte Herr Heller. ‡Ach?" Der Sani bekam große Augen. ‡Wie das denn?" ‡Das erzähle ich euch später." Zu Ela und Turbo gewandt, sagte der Drachenflieger: ‡Ihr wißt, was wir ausgemacht haben. Richtet euch bitte danach." ‡Okay." Beide nickten. Müde hob Richard Heller den Arm. ‡Dann vielleicht bis später in Zell. Ich jedenfalls werde mich erkundigen." ‡Okay und servus." Ela und Turbo machten sich auf den Weg. Ihre Gesichter hatten einen bedrückten Ausdruck angenommen, denn sie dachten über die Worte des Drachenfliegers nach. Daß sie jetzt in Gefahr schwebten, war nicht von der Hand zu weisen. Sie durften dem Mann keinesfalls über den Weg laufen, sonst sah es mehr als böse für sie aus. ‡Wir müssen so schnell wie möglich Randy finden", meinte Turbo. ‡Hoffentlich hat er keinen Fehler gemacht." ‡Da sagst du was." Ela hielt den Kopf gesenkt. Sie stieg die letzten Meter des Hangs mit großen Schritten hoch, erreichte die Kuppe und blieb dort stehen, den Blick auf ihre Füße gerichtet. ‡Was hast du?" Ela bückte sich. ‡Da liegt eine Kamera." Sie hob den Apparat auf. ‡Ob die Richard Heller gehört?" ‡Schon möglich."
‡Sollen wir sie ihm bringen?"
Turbo schüttelte den Kopf und deutete gleichzeitig zur Seite.
‡Nein, nicht nötig. Er ist schon weg." Sie sahen die Helfer der Bergwacht, wie sie den verletzten -34-
Drachenflieger davontrugen. Mit der Gondel würde es talwärts gehen. ‡Dann geben wir sie ihm später zurück."
Turbo grinste. ‡Mit entwickeltem Film. Da gibt es doch
Läden, die schaffen das in wenigen Stunden. Ich habe im Ort die Reklame gesehen." ‡Willst du dich doch in den Fall hineinhängen?" ‡Weiß ich noch nicht, kann aber sein." Er zwinkerte Ela zu. ‡Außerdem will ich mir noch einige Aufnahmen anschauen. Das ist doch nicht verboten - oder?" ‡Was hier verboten ist oder nicht, weiß ich bald selbst nicht mehr. Ich weiß nur eines. Hoffentlich finden wir Randy unten im Tal..."
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3. Das Versteck im Wald Randy hatte gehandelt wie ein Automat und alles erledigt: die Bergwacht alarmiert und der Polizei im Tal Bescheid gegeben. Die Beamten hatten ihm freilich kaum glauben wollen und den Alarm für einen dummen Scherz gehalten. Randy hoffte nur, daß sie den Ernst der Lage bald einsahen. Viel Zeit für Erklärungen hatte er nicht. Er wollte dem Mann mit den versteinerten Gesichtszügen auf den Fersen bleiben, den er während des Telefonats nicht beobachten hatte können. Doch der Junge hatte sich die Richtung gemerkt, in die der Mann verschwunden war. Der hielt sich offenbar weiterhin abseits der üblichen Wanderpfade. Randy konnte sich kaum vorstellen, daß der Kerl in dieser Höhe blieb. Sicher wollte er so schnell wie möglich hinab ins Tal. Dafür standen im - einige hundert Meter tiefer - noch einige Sessellifte zur Verfügung. Zu diesen Stationen führten mehrere Wanderwege. Die Hinweisschilder konnte man gar nicht übersehen. Randy hatte sich die Richtung gemerkt, nahm aber nicht den regulären Weg. Wieder lief er querfeldein, was einigen Spaziergängern nicht gefiel. Aus sicherer Entfernung schrien sie ihm zu und schimpften über ihn. Davon konnte Randy keine Notiz nehmen. Seine Aufgabe war wichtiger. Er mußte den Mordschützen finden und dabei einfach auf sein Glück vertrauen. Wenn er ihn entdeckt hatte, mußte er noch achtgeben, daß ihn der andere nicht bemerkte. Der Mann hatte den Blick eines Falken. Außerdem konnte er sich an die drei Freunde bestimmt noch erinnern. Und war nicht Ela mit ihm vor der Kabine an der Talstation zusammengestoßen? Randy wußte, daß er sich in Gefahr begab, aber er wollte auch nicht mehr zurück. Wenn er es schaffte, dem Kerl unbemerkt -36-
auf den Fersen zu bleiben, war schon viel gewonnen. Mehr als einmal verlor Randy auf seinem Weg querfeldein den Stand, rutschte aus, ärgerte sich über den Rucksack, dessen Gewicht in zu verstärktem Balancieren zwang, aber er konnte sich doch immer wieder fangen. Er dachte nicht daran, aufzugeben. Je tiefer er kam, desto mehr veränderte sich die Natur um ihn. Das Gras nahm an Farbe zu. Es wuchs in einem dichten Grün. Der Almabtrieb hatte noch nicht begonnen. Auf den Hängen standen die glockenbehängten Kühe und mampften, als wäre es das letzte Futter, das sie noch bekommen würden. Bäume reckten sich dem Himmel entgegen; Latschenkiefern, oft krumm und schief, wuchsen zwischen einzelnen Steinen, dazwischen war wildes Gestrüpp. Weiter unten begann der Wald aus Fichten und Tannen. Sie standen so dicht, daß der Waldsaum wie ein langgezogener Strich wirkte. Laut atmend blieb Randy stehen. Die Sonne meinte es noch immer mehr als gut. Der Junge wischte den Schweiß von der Stirn. Einen wunderbaren Blick hinab nach Zell hatte er von dieser Stelle aus. Flach und dunkelgrün schimmernd lag der See hinter dem Ort. Eines der größeren Boote durchpflügte die Fläche und zeichnete dünne Schaumstreifen auf die Wellen. Zell am See ‡kochte". Dort unten herrschte ein unwahrscheinlicher Trubel; das war selbst aus dieser Höhe zu erkennen. Randy hatte den Eindruck, in einen Ameisenhaufen zu schauen: solch ein Gewimmel und Gedränge war in den Gassen und besonders an der Uferpromenade des Sees. Gern hätte er ein Fernglas gehabt, ausgerechnet das hatten sie im Hotel vergessen. In der Nähe befand sich ein Steinbrunnen, in den aus einer Leitung Wasser plätscherte. Randy spürte Durst. Er hielt seinen Mund an die Röhre und schlürfte das klare Bergwasser. Dann -37-
wusch er auch sein Gesicht. Einigermaßen erfrischt, kam er sich plötzlich sehr allein vor. Vor ihm lag eine Alm; eine lange, grüne Fläche, die erst am Waldrand endete. Etwa auf gleicher Höhe, nur weiter entfernt, blitzten die Seile eines Lifts in der Sonne. Die Pfosten der Bahn ragten wie Finger aus dem Boden. Randy wußte, daß dort hinten eine Station lag, deren Namen er allerdings vergessen hatte. Irgendwas mit Sonne. Dort befand sich auch ein Sessellift, der hinunter nach Zell führte. Allmählich sank Randys Laune dem Nullpunkt entgegen. Er war sauer, noch immer hatte er nichts von dem Schützen gesehen. Wahrscheinlich kannte sich dieser Mann hier oben gut aus, hatte ihn genarrt und irgendwelche Schleichwege benutzt, um sich aus dem Staub zu machen. Randy wollte noch bis zur Mittelstation gehen und von dort aus talwärts fahren. Dann jedoch geschah etwas, das seine Pläne über den Haufen warf. Am Waldrand erschien eine Gestalt. Ob der Mann nun aus dem Wald gekommen war oder erst darin verschwinden wollte, es spielte keine Rolle, denn dieser Kerl war der Todesschütze, und er hatte den Geigenkasten noch bei sich. Blitzschnell duckte sich Randy hinter dem Trog. Der Mann war mißtrauisch. Er schaute sich öfter als normal um, blieb sogar stehen und setzte sein Fernglas an die Augen. Randy duckte sich noch tiefer und fluchte leise, denn mit einer Hand hatte er in einen Kuhfladen gefaßt. Er war schon verkrustet gewesen, so hatte ihn Randy nicht rechtzeitig genug erkennen können. Der Mann mit dem Gewehr ging weiter. Er hielt sich noch am Waldrand auf, dann drehte er ab und war weg. Randy Ritter hatte sich die Stelle genau gemerkt. Er reinigte seine Hand so gut wie möglich mit Gras und Wasser - trotzdem roch sie noch - dann lief er geduckt den Hang hoch und visierte -38-
dabei den Punkt an, wo der Kerl verschwunden war. Randy brauchte nicht sehr lange, dann war er am Waldrand. Er zögerte kürz und blieb an einem schmalen Weg stehen, der längs zum Hang in den Wald hineinführte. Von dem Schützen hörte und sah er nichts. Also beschloß Randy, es zu versuchen. Der dichte Wald schluckte ihn. Der weiche, mit dickem Humus bedeckte Boden dämpfte seine Schritte, so daß es ihm vorkam, als würde er auf einem Teppich laufen. Vogelgezwitscher umgab ihn. Mücken tanzten, zwischen den Zweigen mancher Büsche hingen Spinnweben wie dünne Silberfäden. Sie zeigten an, daß der Sommer sich verabschiedet und dem Herbst Platz geschaffen hatte. An manchen Bäumen war das Laub bereits verfärbt. Wunderbare tiefe Farben: vom flammenden Rot, über ein kräftiges Violett, bis hin zu einem strahlenden Gelb. Der Herbst malt die Natur am schönsten, sagt man. Das bekam Randy bestätigt. Ein Eichhörnchen hatte sich eine Eichel geholt und huschte nun mit der Beute blitzartig einen Baumstamm hoch. Der Wind trug den feinen Klang der Kuhglocken mit sich, und eigentlich hätte die Welt in Ordnung sein können. Aber sie war es nicht. Das wußte Randy genau. Vor sich hatte er stets das Bild des Mannes, der sich nicht gescheut hatte, auf einen wehrlosen Menschen zu schießen. Noch im nachhinein bekam Randy eine Gänsehaut. Er atmete erst auf, als er den querlaufenden breiten Spazierweg erreichte, der in langen Serpentinen den Berg hochführte. Wohin sollte er sich wenden? Nach rechts oder nach links. Zur linken Seite ging es wieder dem Gipfel entgegen, rechts würde ihn der Weg zur Station führen. Von rechts kamen Wanderer, ein älteres Ehepaar. Beide -39-
schwitzten und stützten sich auf ihren Wanderstöcken ab. Randy grüßte freundlich und sprach sie an. Der Mann wischte zunächst den Schweiß aus seinem hochroten Gesicht. ‡Wen meinst du, haben wir gesehen?" Noch einmal beschrieb Randy den Schützen. Der Wanderer wandte sich an seine Frau. ‡Hast du den gesehen, Helga?" ‡Ja, ich glaube. Der war plötzlich weg." ‡Wieso?" fragte Randy. ‡Als er uns sah, verschwand er im Wald. ‡Einfach so?" ‡Nein, da vorn ist eine Art Fahrstraße, und von der geht ein Weg den Hang hoch." ‡Wie weit entfernt?" ‡Hinter der nächsten Kurve, Junge." ‡Danke, ich danke Ihnen sehr." Randy nickte den beiden zu und lief los. Das Ehepaar schaute ihm kopfschüttelnd nach. Achselzuckend und stöhnend setzten sie ihren Weg fort. Randy hatte es eilig. Plötzlich wurde er ein bestimmtes Gefühl nicht los. Der Mann war nicht etwa geflüchtet, der mußte noch irgendeinen Job zu erledigen haben. Hinter der Kurve stieß Randy nicht nur auf die Wegkreuzung, sondern auch noch auf einen Wagen. Es war ein mausgrauer Mercedes mit einem Salzburger Kennzeichen. Der Fahrer hatte einen der Holzwege benutzt, die für den öffentlichen Verkehr eigentlich gesperrt waren. Instinktiv wußte der Junge, daß dieser Wagen etwas mit dem Mann zu tun hatte. Möglicherweise hatte er dessen Fluchtfahrzeug gefunden. Er vernahm die Stimmen von anderen Wanderern, die noch hinter der nächsten Biegung waren. Bevor sie kamen, war Randy schon verschwunden und stieg den -40-
schmalen Waldweg hoch. Wieder ging es steil bergauf. Das Sonnenlicht drang nur gefiltert auf den braungrünen Humusboden und breitete dort einen Teppich aus hellen und dunklen Flecken aus. Blätter und Zweige störten den Jungen. Er schob sie zur Seite. Als er auf den Boden blickte, sah er Spuren: Schuhabdrücke, die sich in dem weichen Erdreich deutlich abzeichneten. Nicht weit entfernt lichtete sich der Wald etwas. Die Stelle wirkte auf Randy wie eine Insel. Hell flutete das Sonnenlicht auf eine kleine Wiese, und auf ihr stand eine Hütte. Ein besseres Versteck im Wald gab es kaum. Es war keine Grillhütte, mehr ein Blockhaus, das allerdings recht baufällig war. Das Dach war morsch, und an der linken Seite der Hütte fehlten einige Bretter. Für Randy ein großer Vorteil. Er rechnete damit, durch die Lücke in das Innere schauen zu können. Das klappte nicht, denn eine Zwischenwand verwehrte ihm den Blick. Der Junge hatte um die Hütte erst einen Bogen geschlagen und sich ihr von hinten genähert. Kalter Schweiß bedeckte sein Gesicht. In der Nähe summten Mücken und führten ihre bizarren Tänze auf. Im Wald hatte sich die Feuchtigkeit gesammelt. Wenn Randy einatmete, hatte er das Gefühl, dabei zu trinken. Seine einzige Chance war nun das Fenster, das er an der Seite entdeckt hatte. Geduckt und sich an der Hüttenwand haltend, schlich er darauf zu. Er mußte mit blinden Scheiben rechnen und wunderte sich darüber, daß er doch einen guten Blick in den Raum werfen konnte. Der Mann mit den versteinerten Gesichtszügen saß an einem Tisch. Allerdings nicht allein: ihm gegenüber hockte eine Person, die Randy noch nie zuvor gesehen hatte.
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Sie kam ihm ungewöhnlich fremd vor. Zwar konnte er nur das Profil erkennen, aber er glaubte, einen Ausländer vor sich zu haben. Möglicherweise einen Araber, von denen es viele in Zell am See gab. Auch im Hotel der Ritters wohnten einige Araber mit ihren zahlreichen Familienangehörigen und den Kindermädchen. Die beiden Männer redeten miteinander. Sie hatten die Oberkörper vorgebeugt und die Köpfe zusammengesteckt. Da Randy nichts hörte, mußten sie wohl mit sehr leiser Stimme sprechen. Der Araber gestikulierte lebhaft, wenn er sprach. Er griff plötzlich in die Tasche und holte etwas hervor. Randy schaute genauer hin. Der flache Packen, den er über den Tisch schob, war ein Bündel Geldscheine. Sekunden später zählte sie der Mann mit dem Gewehr sorgfältig durch. Randy dachte nach. Er kam zu dem Schluß, daß er wahrscheinlich die Lösung des Rätsels gefunden hatte. Der Mann mit den versteinerten Gesichtszügen stand im Auftrag dieses Arabers; er wurde offensichtlich von diesem bezahlt. Er war ein Killer! Randy wurde es eiskalt auf seinem Lauscherposten. Was aber war das Motiv des Ausländers? Welches Interesse konnte der daran haben, daß jemand auf einen Drachenflieger schoß? Möglicherweise ging es um Grundstücksspekulationen. Da las man oft die tollsten Geschichten in den Zeitungen. Der Versteinerte hatte das Geld eingesteckt. Seine Mütze trug er immer noch. Er grinste hart und schob mit einem kratzenden Laut seinen Stuhl zurück. Für Randy wurde es Zeit, sich zu ducken und zu verschwinden. Zwischen dicken Baumstämmen und verborgen durch das Unterholz fand er die Deckung, die er brauchte. Er hatte sich einen guten Platz ausgesucht, von dieser Stelle aus -43-
konnte er die Tür der Hütte im Auge behalten. Schon bald schwang sie nach außen. Zuerst verließ der Kerl mit dem Gewehr die Hütte. Er blieb stehen, schaute sich um und witterte dabei wie ein Raubtier, das die Fährte seiner Beute aufgenommen hatte. Dann nickte er zufrieden, sagte etwas über die Schulter zurück, und der zweite Mann verließ die Hütte. Jetzt konnte ihn der Junge besser in Augenschein nehmen. Der Mann trug einen dunklen Anzug. Er hatte eine dunkle Haut, dunkle Augen, dazu einen Vollbart schwarz wie Schuhwichse. Er war klein, wirkte gedrungen, aber seine Haltung zeugte von einem gewissen Stolz. Gemeinsam gingen die beiden Männer den schmalen Weg hinab. Sie würden bestimmt zum Wagen laufen. Der Killer war noch immer auf der Hut. Er schaute sich noch einige Male um, und Randy, der sich ebenfalls auf den Weg gemacht hatte, mußte stets in Deckung bleiben. Obwohl er sich durch die Büsche schlug, war er schneller und erreichte das Ziel früher als die beiden anderen. Wieder nutzte er einen dicken Baumstamm als Deckung aus. Dort blieb er hocken und behielt die beiden Männer im Auge. Der Killer schaute sich aufmerksam um, während der Araber die Tür aufschloß. Bevor er einstieg, fragte er seinen Begleiter etwas über das Autodach hinweg. Der hob nur die Schultern, Randy aber spürte ein Kribbeln im Nacken. Sollte der Kerl mit der Waffe etwas bemerkt haben? Es gab ja Typen, die einen sechsten Sinn für Gefahren besaßen, vielleicht gehörte der Mann mit dem Gewehr dazu. Der Schütze ging einige Schritte in Randys Richtung. Den ‡Geigenkasten" trug er in der rechten Hand. Randy hielt den Atem an, seine Nerven waren aufs äußerste gespannt. Auf dem Rücken spürte er den Druck des Rucksacks. Zum Glück war der Baumstamm dick genug, und er selbst warf -44-
auch keinen Schatten. ‡Ja, komm endlich!" rief der Araber mit einem starken Akzent. ‡Man wartet unten auf mich." ‡Schon gut." Der Killer drehte ab, und dann sagt er etwas, was Randy sofort alarmierte. ‡Ich weiß nicht, aber ich werde den Eindruck nicht los, daß man mir auf den Fersen ist." ‡Die... die Kinder?"
Der andere lachte scharf. ‡Das sind keine Kinder mehr. Ich
habe sie flüchtig gesehen, und einer scheint mir auch gefolgt zu sein." ‡Nein, du bist nervös." ‡Ich habe dir die Spuren gezeigt, Ahmed. Die waren vorher noch nicht da und wiesen in Richtung Hütte." Der Araber hob die Schultern, während es Randy hinter dem Stamm heiß und kalt wurde. ‡Was willst du denn machen? Die Umgebung absuchen, ob du etwas findest?" ‡Das würde ich am liebsten, ist aber nicht möglich. Hier gibt es zu viele Wanderer, das sind Zeugen, und die kann ich nicht gebrauchen." Der Araber war schon eingestiegen. Bevor sich der Schütze in den Wagen setzte, warf er noch einen langen Blick zurück. Aber er sah nichts Verdächtiges, und so hämmerte er die Tür zu. Randy fiel ein Stein vom Herzen, als der Mercedes anfuhr. Seine Reifen hinterließen knirschende Geräusche auf dem mit Schotter bedeckten Weg. Dann verschwand der Wagen um die nächste Kurve. Er würde von hier aus hinunter in die Stadt fahren können. Der Holzweg traf irgendwann auf die Asphaltstraße, die in den Ort führte. Auch Randy wollte dorthin. Aber nicht zu Fuß. Von der Mittelstation ging der Sessellift hinab ins Tal. So schnell wie möglich schritt er seinem neuen Ziel entgegen. -45-
In Zell würde er dann weitersehen...
‡Fahr nicht so schnell, Ahmed!" Der Araber grunzte wütend. ‡Was hast du, Oskar? Was ist in dich gefahren?" ‡Die Besorgnis." ‡Immer noch die Spuren?" ‡Genau. Man ist uns auf den Fersen, und so etwas hasse ich, wie du genau weißt." ‡Ach, das ist nicht schlimm. Viel ärger ist etwas anderes. Du -46-
hast den Mann zwar erwischt, aber ist er tot?" ‡Kann sein." Der Araber verzog das Gesicht. Er schlug auf den Lenkradring. ‡Kann sein, kann sein! Ich muß es wissen, die Pläne gehen erst dann weiter, wenn sie sich vor Angst in die Hosen machen. Rettet die Alpen, heißt ihr Club. Sie sollen ja auch bleiben, aber wir wollen unsere Projekte durchziehen. Meine Gesellschaft und ich sind uns einig mit den Leuten, die hier etwas zu sagen haben. Was gehen mich die anderen an. Von der Gruppe Rettet die Alpen habe ich bisher nichts gehört." ‡Ich auch nicht." ‡Glaubst du denn, daß die drei Jugendlichen zu denen gehören?" ‡Nein, die sehen mir eher wie Urlauber aus." ‡Dann sind sie auch bald verschwunden." ‡Klar doch", gab Oskar zu. ‡Aber sie haben etwas gesehen. Es sind Zeugen, wenn du verstehst." ‡Na und?" ‡Nichts na und. Ich kann keine Zeugen gebrauchen. Bei meinen Aufträgen habe ich nie welche gehabt. Niemand konnte mir bisher etwas beweisen. Ich gehöre zu den Besten meines Fachs. Heute heiße ich Oskar, morgen vielleicht Willi oder Bill. Ich habe noch jeden Job gut durchgezogen. Alles war perfekt, bis heute." ‡Willst du etwas dagegen tun?" ‡Mal sehen." Der Araber lachte gurrend. ‡Dann müßtest du dreimal den Finger krumm machen." ‡Es würde meiner Sicherheit dienen." Der Mann aus Arabien sagte nichts. Sie hatten mittlerweile den Holzweg verlassen. Vor ihnen glänzte grau der Asphalt. -47-
Und nicht weit entfernt standen zahlreiche Fahrzeuge auf einem Parkplatz, der zur Mittelstation eines Sessellifts gehörte. ‡Halt mal an!" befahl der Killer. ‡Weshalb?" ‡Weil ich aussteigen will." Ahmed wunderte sich. ‡Weshalb willst du hier raus? Ich habe gedacht, daß wir gemeinsam nach Zell fahren." ‡Nicht mehr. Ich habe meine Pläne geändert." ‡Willst du mit dem Lift fahren?" ‡Was sonst?" Neben dem Parkplatz hielt der Wagen. Wanderer gingen vorbei und schauten ins Innere. Ahmed schielte Oskar von der Seite her an. ‡Langsam verstehe ich dich nicht mehr. Du... du bist so komisch geworden. Gar nicht mehr sicher." ‡Ich werde mir die Sicherheit zurückholen, keine Sorge." Er öffnete die Tür. ‡Wir treffen uns in Zell." Ohne noch ein Wort der Erklärung hinzuzufügen, verließ er den Wagen und ging rasch einige Schritte weiter, einen sehr erstaunten Ahmed zurücklassend, der einen Fluch in seiner Muttersprache zischte und wieder auf das Gaspedal drückte. Mit einem fast wütenden Satz sprang der graue Mercedes so heftig nach vorn, daß zwei Frauen und drei Männer zur Seite sprangen und empört hinter dem rücksichtslosen Fahrer herschimpften. Ahmed war obersauer, das aber ließ Oskar kalt. Er verließ sich mehr auf sein Gefühl. Im Laufe der Jahre hatte er einen regelrechten Instinkt entwickelt, nach dem er sich richtete. Dieser Instinkt sagte ihm, daß etwas in der Luft lag. Die Sache war noch nicht ausgestanden. In seiner Wanderkleidung fiel er nicht auf. Er schlenderte auf das Gebäude der Station zu und ließ das Lokal links liegen. Auf der Terrasse zitterten die bunten Sonnenschirme im leichten Wind. Fast alle Plätze waren besetzt, der Blick ins Tal war herrlich. Viele Urlauber fuhren hier hoch, -48-
tranken Kaffee und ließen sich wieder nach unten bringen. Zwischen den Betonaufbauten des Stationsgebäudes und dem Lokal wand sich ein schmaler Pfad talwärts, der irgendwann auf den breiteren Holzweg treffen würde. Der Schütze suchte sich einen Platz, von dem aus er das Gelände im Auge behalten konnte. Er fand ihn unterhalb der Terrasse. Eine halbe Stunde wollte er sich geben. Die Minuten verstrichen. Insekten schwirrten um ihn her und summten in seine Ohren. Oskar rauchte eine Zigarette. Den Mützenschirm hatte er tief in die Stirn gezogen, den Geigenkasten hielt er am Griff umklammert. Dreißig Minuten brauchte er nicht zu warten. Nach etwa der Hälfte der Zeit erschien die Person, auf die er gewartet hatte. Sofort stand er auf und hatte mit wenigen Schritten den schmalen Pfad erreicht. Den lief er so rasch wie möglich hinab, durchquerte die Mitte eines Hangs und hielt sich dann mehr nach rechts, denn dort führte der Lift in Richtung Tal. Die Stimmen der Menschen auf der Terrasse waren längst verklungen. Er hörte nur, wie das Seil über die Führungsrollen glitt. Hohe Nadelbäume streckten sich dem Himmel entgegen. Ihre dicht beieinander stehenden Stämme gaben Oskar den nötigen Schutz. Um seine Lippen huschte ein kaltes Lächeln, als er noch eine Anzahl großer grauer Steine entdeckte, die verstreut zwischen den Bäumen lagen. Da konnte er es sich sogar gemütlich machen. Der Schütze ließ sich nieder und öffnete seinen ‡Geigenkasten". Sorgfältig steckte er sein Gewehr zusammen. Schräg über ihm schwebten die Sessel des Lifts. Nach oben hin waren sie besetzt, in Richtung Tal schwebten sie meist leer. Oskar grinste noch einmal. Es machte ihm nichts aus, zu warten. Er war sich sicher, daß er Erfolg haben würde, da kam es auf die eine oder andere Minute nicht an... -49-
4. Gefährliche Liftfahrt Als Randy die Mittelstation erreichte, blieb er stehen und trocknete sein Gesicht vom Schweiß. Dann schritt er den Parkplatz ab, weil er nach dem Mercedes Ausschau hielt. Der Wagen stand nicht dort. Zwar ein ähnlicher, aber nicht der graue, was Randy nicht einmal so unrecht war. Die Männer waren also in Richtung Zell gefahren. Das wollte er auch, nur auf einem anderen Weg, mit dem Sessellift. Nach all den Aufregungen spürte er einen irren Durst. Die Getränke im Rucksack waren bestimmt warm geworden. So kaufte er sich eine Limonade am Stehausschank des Restaurants und trank das Glas auf einen Zug leer, ohne sich hinzusetzen. Er schaute sich immer wieder um, forschte, ob ihn jemand beobachtete. Aber er konnte niemand entdecken. ‡Die sind weg", sagte er sich. Was wohl seine Freunde Ela und Turbo machten? Bestimmt befanden sie sich längst im Ort und warteten. Randy schob sich noch eine Handvoll Gummibärchen in den Mund und ging zur Kasse, hinter der eine Frau saß, die ihn aus müden Augen anschaute. ‡Einmal Zell, bitte." Die Frau nickte, kassierte die Schillinge und schob Randy die Karte zu. Dort, wo man in die Lifte einsteigen mußte, hockte ein Helfer auf einem umgestülpten Eimer. Der Mann nuckelte an einer Zigarre und fragte Randy: ‡Willst du runter?" ‡Ja." ‡Dann nimm deinen Rucksack ab und stell dich dahin, wo die weißen Fußtritte eingezeichnet sind." -50-
‡Okay." ‡Und keinen Ärger. Nicht schaukeln, keine Klettertouren während der Fahrt." ‡So lange Arme habe ich nicht, um an die Brombeeren zu kommen." Der Mann verzog die Mundwinkel. ‡Komiker, wie?" ‡Immer, wenn ich Bergschrate sehe." Bevor Randy eine Erwiderung bekam, rollte der Sessel heran und stieß ihm in die Kniekehlen. Er setzte sich blitzschnell, packte den Rucksack auf seinen Schoß und schaffte es auch, den Sicherheitsbügel vorzulegen. Der Sessel schwang einmal tief durch, als müßte er erst Schwung holen, bevor die Reise losging. Es war ein herrliches Gefühl. Im ersten Moment fühlte sich Randy, als flöge er. Dieses sanfte Schweben, das ihn einlullte. Auch die Stimmen und Geräusche blieben zurück, so daß ihn schließlich eine tiefe Stille umgab, die nur vom Summen des Seils unterbrochen wurde, das monoton über die Rollen lief. Tief unter ihm lag der Ort Zell, dahinter der See und am anderen Ufer die Berge, die bis hoch zu den Gipfeln bewaldet waren. Das wunderbare Gefühl blieb Randy erhalten. Auf der linken Seite rollten die Sessellifte hoch, da war fast jeder von Urlaubern besetzt. Manche winkten Randy zu, und er winkte zurück. Seine Füße konnte er auf einem unter dem Lift befestigten Querbügel abstemmen. So hatte er nicht das Gefühl, einfach nur in der Luft zu hängen. Kinderweinen ließ ihn nach links schauen. Zwei Jungen fuhren wohl zum erstenmal, was ihnen nicht geheuer war. Die etwa Zehnjährigen hatten Angst und riefen nach ihren Eltern, die in den folgenden Sesseln hockten und mit ruhigen, aber lauten Stimmen auf ihre beiden Sprößlinge einsprachen. Unter Randy glitt der Berghang hinweg. Der Abstand zum -51-
Boden veränderte sich oft innerhalb von Sekunden, mal erschienen einzeln wachsende Bäume zum Greifen nahe, dann wiederum wuchsen sie in einer Senke, und Randy schwebte hoch über sie hinweg. Das Gras der Almen war längst gemäht worden. Randy stieg der Geruch von frischem Heu in die Nase. Die Sonne stand schräg als flimmernder heller Ball in der Bläue des Himmels. Um nicht geblendet zu werden, setzte Randy seine dunkle Brille auf. Er schwebte weiter talwärts. Ein großes Waldstück lag vor ihm. Aus dieser Höhe gesehen, wirkten die Bäume sehr dicht. Ihre Spitzen bewegten sich im lauen Wind, Vögel hockten auf den Zweigen und wippten im Takt. Es war alles so wunderbar, so ruhig, und an das Summen des Seils gewöhnte man sich schnell. Am liebsten hätte Randy die Augen geschlossen und etwas geschlafen, doch eine innere Unruhe ließ es nicht zu. Er hatte einfach das Gefühl, aufpassen zu müssen, um nur nichts zu versäumen. Ein Mast huschte vorbei. Dann befand sich Randy über dem Waldstück und richtete seinen Blick direkt in die Tiefe. Jetzt sah er schon die Lücken zwischen den Bäumen. Das Gras war sehr dicht, als hätte es jemand zu einem grünen, duftenden Teppich geflochten. Über sein Gesicht huschte ein Lächeln. In ihm war plötzlich eine stille Freude. Woher sie kam, wußte er selbst nicht zu sagen, ihm gefiel diese Fahrt. Der kleine Wald zog sich hin. Zwar veränderte er sich, wurde mal lichter, wuchs dann wieder mehr zusammen, aber er begleitete die ganze Liftstrecke. Leider hatte man für sie eine Schneise in den Wald roden müssen. Auf dem Boden lagen an einigen Stellen dicke, hellgraue -52-
Steine, und neben einem der Steine bewegte sich etwas. Zuerst dachte Randy, daß es sich um ein Tier handelte, bis er den Mann erkannte. Er lag hinter dem Stein, hatte sich für einen Moment auf die Knie gerichtet und war dann wieder verschwunden. In Randy schrillten alle Alarmglocken. Trotz der kurzen Zeitspanne hatte er den Mann erkannt. Es war der Kerl mit den versteinerten Gesichtszügen gewesen! Urplötzlich schoß die Angst in Randy hoch. Der Schweiß trat ihm aus allen Poren. Seine Lippen bewegten sich, ohne daß er sprach. Die Zähne klapperten aufeinander; ihm wurde heiß und kalt zugleich. Er schaute nach links, wo andere Fahrgäste hochfuhren. Zwei Mädchen winkten ihm zu. Das erkannte Randy nur verschwommen, sein Blick richtete sich auf die Steine, und er hatte das Gefühl, immer schneller auf die grauen Blöcke zuzuschweben. Oder hatte er sich doch getäuscht? Nein, nein, der Kerl war da. Und er hatte sein Gewehr mitgebracht. Er hatte den Lauf auf dem Stein abgestützt und wartete. Er wollte den unliebsamen Zeugen aus nächster Nähe erledigen. Wer von unten nach oben fuhr, konnte ihn nur schwer entdecken. Außerdem schauten die Leute woanders hin. Aber Randy sah ihn. Er erkannte die Mütze und für einen winzigen Augenblick das Gesicht. Er glaubte auch, ein kaltes Grinsen auf den Lippen des Mannes spielen zu sehen, und suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Sollte er einfach abspringen? Das würde ihm nur gebrochene Knochen einbringen. Er war kein Stuntman wie Alfred zu seiner Zeit. Und dennoch mußte er sich innerhalb der nächsten Sekunden entscheiden. -53-
Da hörte er die Stimme des Mannes, der sich seinen Triumph nicht verkneifen konnte. ‡Jetzt bist du dran, mein Freund!" Ela Schröder und Turbo hatten es geschafft. Der Betrieb und die Hektik des Ortes schluckten sie, und beide waren sofort zu einem der Fotohändler gegangen, um den Film so rasch wie möglich entwickeln zu lassen. Zwei Stunden sollte es dauern. Sie hatten eigentlich damit gerechnet, daß Polizisten die Stationen kontrollierten, aber niemand hatte sie oder die anderen Fahrgäste kontrolliert. Sie standen vor dem Geschäft, schauten sich an und zogen die Nasen hoch. Die Schlange der Fahrzeuge brachte einen Schwall stinkender Abgase mit sich, die wie Nebel über der Fahrbahn lagen, und Ela sagte: ‡Ein Hoch auf die gesunde klare Bergluft." Turbo hustete. ‡Willst du was essen?" ‡Weiß nicht." ‡Du und keinen Hunger?" Das Mädchen lachte. ‡Wo gibt es denn so etwas, mein Freund?" ‡Ich bin eben für jede Überraschung gut." ‡Oder hängt es mit Randy zusammen?"
Turbo nickte. ‡Auch. Verflixt, ich mache mir Sorgen. Wenn
der dem Gewehrschützen begegnet, ist es aus, kann ich dir sagen. Wir hätten ihn nicht allein lassen sollen." ‡Vielleicht hast du recht." Ela rieb ihr Kinn. ‡Was machen wir jetzt? Gehen wir zum Hotel zurück?" ‡Wäre gescheit." ‡Aber...?" begann sie und runzelte die Stirn. ‡Was sagen wir den Ritters?" Ela schaute einem amerikanischen Wagen nach, der lautlos an ihnen vorbeigeglitten war. ‡Genau das ist unser zweites -54-
Problem. Randys Eltern werden stocksauer sein. Das hier ist ein
Urlaub oder sollte es zumindest sein und keine Verbrecherjagd."
‡Konnten wir etwas dazu?" ‡Danach fragt keiner. Aber ich habe eine andere Idee." Turbo, der in Richtung Marktplatz schaute, wo eine kleine Fußgängerzone begann, in der es von Menschen wimmelte, bemerkte: ‡Was kann das schon Großartiges sein." ‡Hör mich mal an, du Ochse. Richard Heller hatte doch von der Vereinigung Rettet die Alpen gesprochen." ‡Ja." ‡Die müssen hier in Zell ein Büro haben." ‡Da willst du hin?" -55-
‡Richtig, du Schnellmerker." ‡Und wo finden wir das?" Ela deutete auf eine Zelle. ‡Da gibt es nicht nur ein Telefon, sondern auch ein Buch. Die Adresse..." ‡Ja, ja, ich weiß schon." Turbo setzte sich in Bewegung. Ela folgte ihm. Sie wartete, bis Turbo aus der Zelle kam und nickte. ‡Hast du die Anschrift?" ‡Klar." ‡Und wo?" ‡Keine Ahnung. Ich bin hier nicht geboren. Wir werden fragen, wo wir die Straße finden können." Auskunft gab ihnen ein Einheimischer. Jedenfalls sah er mit seinem Rauschebart und in seiner Tracht so aus. Seine Augen blitzten listig, und Ela mußte dreimal nachfragen, denn sein Dialekt war für Fremde nur schwer zu verstehen. ‡Wir müssen zum See hinunter und dann in Richtung Bahnhof." ‡Wie schön." Der Einheimische winkte ihnen noch zu. Ela fing an zu kichern. ‡Das ist ein richtiger Wurzelsepp." ‡Sei froh, daß er uns geholfen hat." ‡Bin ich auch." Sie nahmen eine der Straßen, die geradewegs zum See führten. Lokale, Andenkenbuden, Geschäfte... wohin das Auge reichte. Wenn hier die Fremden mal ausblieben, konnte Zell am See schließen. Ela schüttelte den Kopf. ‡Stell dir vor, im Winter soll es hier noch schlimmer sein." ‡Geht das denn?" ‡Das frage ich mich auch, Turbo."
Sie liefen direkt auf die Bahnlinie zu und damit auf ihr Hotel,
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einen großen, weißen Kasten, der aussah, als wäre er aus dem letzten Jahrhundert. Dabei war das Hotel erst vier Jahre alt; man hatte es nur in dem mondänen Grand-Hotel-Stil gebaut, der um die Jahrhundertwende in Mode war und sich zur Zeit einer Wiedergeburt erfreuen konnte. Da die Schranke heruntergelassen war, mußten Ela und Turbo noch eine Weile warten. ‡Wenn ich für jeden Zug, der am Tag hier vorbeifährt, einen Schein bekommen würde, brauchte ich nie arbeiten gehen", meinte Ela. ‡Das ist der absolute Wahnsinn ist das. Widerlich." Sie wußte, wovon sie sprach, denn auch in der Nacht fuhren die Züge. Schlief man im Hotel bei offenem Fenster, hatte man oft das Gefühl, der Zug würde mitten durch ein Zimmer fahren. Und es waren viele Güterzüge darunter, deren Rattern kaum ein Ende nehmen wollte. Auch jetzt rauschte einer vorbei. Der Windzug peitschte in ihre Gesichter und trieb ihnen die Haare in die Höhe. Alles hat ein Ende, so auch der Zug. Als die Schranke in die Höhe glitt, waren Ela und Turbo die ersten, die die Gleise überquerten. Turbo schielte zum Hoteleingang hin. Die Frontseite stand noch auf dem Uferstreifen, der Rest lag auf einer Halbinsel, die in den Zeller See hineinstach. Rechts führte die Uferpromenade entlang; gesperrt für Autos, frei für Fußgänger und Radfahrer. Der Trubel war enorm. Ela und Turbo konnten nicht einmal nebeneinander hergehen. Sie passierten die vollbesetzten Bänke und schritten unter dem schon bunten Blätterdach der Laubbäume entlang. Hin und wieder hielten sie nach den Ritters Ausschau, damit ihnen nicht zufällig Randys Eltern über den Weg liefen und Fragen stellten. Die Filiale der Vereinigung Rettet die Alpen fanden sie in einem kleinen Haus, das tatsächlich schon auf dem Gelände des Bahnhofs lag. An der Vorderseite hatte der barackenähnliche -57-
Bau drei Fenster. Ela schaute durch die Scheibe. ‡Siehst du was?" ‡Ja, ein Mann telefoniert." ‡Dann werden wir ihn mal stören." Die Haustür war nicht abgeschlossen. Sie stand sogar spaltbreit offen. Ela und Turbo betraten einen Flur, dessen Wände mit Umweltschutzplakaten vollgehängt waren. Auf einigen Plakaten war die Landschaft um Zell am See abgebildet, wie sie vor mehr als dreißig Jahren ausgesehen hatte. Da war noch alles in Ordnung gewesen. Der Vergleich mit den heutigen Verhältnissen erzeugte bei den Freunden eine Gänsehaut. Kaum die Hälfte des Waldes war noch vorhanden. Gewaltige Schneisen durchschnitten die Hänge. Man hatte Platz geschaffen für Skifahrer. ‡Schlimm", murmelte Ela, bevor sie sich nach links wandte und an eine Tür klopfte. Ein ‡Herein" klang nicht auf. Ela, immer sehr forsch, öffnete trotzdem. Sie sah den selben Mann, und er telefonierte noch. Er sprach mit schneller Stimme. Wegen seines Dialekts konnten sie nicht alles verstehen. ‡Ja, ich weiß, wir werden das alles regeln und schalten natürlich auch die Polizei ein..." Er hörte einen Moment zu und sagte dann: ‡Nein, er ist nicht tot und hat unwahrscheinliches Glück gehabt. Er hat rechtzeitig Hilfe bekommen. Wir können noch guten Mutes sein." Ela krauste die Stirn. Ein Zeichen dafür, daß sie stark nachdachte. Sie fand, daß der Mann Ähnlichkeit mit dem Drachenflieger hatte. Als sie Turbo darauf ansprach, nickte dieser. ‡Ja, das habe ich auch gemerkt." Der Mann trug ein kariertes Hemd, blaue Jeans, hatte dunkles Haar, das allerdings in Locken und Wirbeln wuchs, und die gleiche Augenfarbe wie Richard Heller. Nur der Oberlippenbart fehlte bei ihm. -58-
Ela ging auf den Schreibtisch zu. Sie senkte den Blick, um die Buchstaben auf einem kleinen Schildchen lesen zu können. ‡Harald Heller", flüsterte sie Turbo zu. ‡Das ist bestimmt der Bruder." ‡Glaube ich auch." ‡Ja, ich bin es!" Herr Heller hatte den Hörer aufgelegt, erhob sich und reichte den beiden die Hand, wobei er ihnen fest in die Augen schaute. ‡Laßt mich raten." ‡Bitte." Ela lächelte amüsiert. ‡Du bist Ela Schröder, du bist Turbo." ‡Genau", sagte der Junge. ‡Woher wissen Sie das?" ‡Mein Bruder Richard hat es mir gesagt. Ich telefonierte vor einer halben Stunde mit ihm." ‡Wo ist er denn?" ‡Im Krankenhaus, Ela - leider." Sie nickte. ‡Ja, das haben wir uns gedacht. Aber er wird es doch schaffen." ‡Klar, sie haben die Wunde genäht. Uns geht es darum, den Schützen zu finden. Die Polizei befindet sich in heller Aufregung." ‡Davon haben wir nichts bemerkt", meinte Turbo. ‡Man will den Kerl ja nicht warnen. Laß dir gesagt sein, die sind schon am Ball." ‡Die Beschreibung haben Sie ja, Herr Heller? " ‡Klar, aber sagt Harald zu mir." ‡Okay." ‡Setzt euch doch. Wollt ihr etwas trinken?" Turbo hob die Schultern. ‡Vielleicht eine Limo, wenn Sie haben." ‡Habe ich." Heller stand auf. ‡Wollten wir uns nicht duzen?" -59-
‡Sorry, haben wir vergessen." Wenig später hatten sie die Limo, tranken und konnten ihre Fragen stellen. ‡Worum geht es, Harald?"
Heller nickte. Sein Gesicht verfinsterte sich dabei. ‡Ganz
einfach: um die Zerstörung der Natur und gewaltige finanzielle Interessen. Das ist eigentlich alles." ‡Skipiste?" fragte Ela. ‡Auch, aber der Knüller soll ein riesiges Hotel in der Höhe werden. Ein gewaltiger Klotz, mit einem herrlichen Blick über Zell und den See auf der einen und einem noch schöneren Blick auf der anderen Seite, hin zum Großglockner." ‡Wie groß soll die Anlage denn werden?" flüsterte Ela. ‡Gewaltig, modern, eine Bettenburg mit über vierhundert Betten, einem Indoor- und Outdoor-Pool, Zufahrtsstraßen, drei Tennisplätzen und einer vom Hotel ausgehenden Bahn rauf auf die Schmittenhöhe. So sehen die Pläne aus. Ela und Turbo waren blaß geworden. Das Mädchen konnte es nicht fassen. ‡Das... das... haben die Leute hier einfach so zugelassen?" ‡Nicht alle." ‡Aber die wichtigen, wie?" fragte Turbo. ‡Ja, wir gehen davon aus, daß man sie geschmiert hat." ‡Wieso?" ‡Mit Geld. Leider sind viele Menschen korrupt, aber das werdet ihr auch noch erfahren." ‡Wer steckt denn dahinter?" Harald Heller legte seine Stirn in nachdenkliche Falten, was Ela auch oft machte. ‡Ich kann es nicht genau sagen. Alles läuft über Anwälte, aber man spricht davon, daß arabisches Geld im Spiel ist." -60-
‡Ja", sagte Ela. ‡Wir haben viele Araber hier gesehen." ‡Richtig, Mädchen. Sie haben sich bereits in andere Hotels eingekauft. Für sie ist das eine Geldanlage. Man kauft Zimmer oder Apartments, das Hotelmanagement vermietet sie, aber der Käufer hat das Erstwohnrecht. Deshalb machen hier so viele Orientalen Urlaub. Nichts gegen diese Familien, ich mag nur nicht die Leute, die noch ein Hotel errichten wollen und damit die Umwelt zerstören." Turbo nickte. ‡Ja, das stimmt. Es wäre eine Schande für die Bergwelt. Ist eure Gruppe denn stark genug?" ‡Mittlerweile ja. Wir haben auch die überzeugen können, die erst für den Bau waren." Ela setzte ihr Glas ab. ‡Wer war das denn?" ‡Viele Geschäftsleute aus dem Ort. Je mehr Touristen kommen, um so höher wird ihr Verdienst. Ist doch klar." ‡Dein Bruder war auch dagegen, nicht?" ‡Sicher, Turbo. Er hatte sich schon mit einigen Typen angelegt und ist sogar handgreiflich geworden. Man schickte ihm Drohungen, die er ignorierte. Dann machten sie mehr Druck, es gab sogar Morddrohungen. Ein Bestechungsversuch hatte auch nichts genutzt." Turbo nickte einige Male. ‡Da ist noch etwas", sagte er. ‡Wir haben eine Kamera gefunden." Harald starrte die beiden an. ‡Seine Kamera?" ‡Ja, vermutlich die deines Bruders." ‡Himmel, die hat er vermißt. Wo ist sie?" ‡Bei einem Fotohändler. Wir haben sie dort gelassen. Der Mann will den Film in zwei Stunden entwickelt haben." ‡Oh, das ist gut, das ist sogar hervorragend. Gratuliere." Harald Heller bekam vor Aufregung einen roten Kopf. ‡Was hat er denn für Aufnahmen geschossen?" erkundigte -61-
sich Ela. ‡Bestimmt hat er doch nicht einfach fotografiert." ‡Nein, meine Liebe. Er wollte einen letzten Beweis bringen. In drei Tagen findet die Abstimmung statt, ob das Projekt gebaut wird oder nicht. Richard hatte vor, noch einmal das Gelände zu zeigen. Mit einem Diavortrag wolle er dokumentieren, welche Umweltsünden schon begangen worden sind und daß es für die Natur tödlich wäre, wenn dieses Projekt tatsächlich durchgezogen würde." ‡Mann", sagte Ela, ‡das war ja eine Rede. Die hättest du vor Studenten halten können." ‡Tut mir leid, aber ich bin da wirklich eingefahren. Wichtig ist, daß ihr den Apparat mit dem Film gefunden habt. Wir hoffen, daß er die letzten Zweifler überzeugen wird. Wir werden die Aufnahmen auch mit früheren vergleichen. Habt ihr die Plakate im Flur gesehen?" ‡Ja." ‡So ähnlich wird mein Vortrag sein." Harald Heller schaute auf die Uhr. ‡Wann werden die Fotos fertig sein?" ‡Zwei Stunden, sagte man uns." Heller schaute Turbo fragend an. ‡Wieviel Zeit davon ist schon vergangen?" ‡Höchstens die Hälfte." ‡Wo war das?" Ela nannte den Namen des Geschäfts. ‡Ach ja, das kenne ich. Wir könnten uns dort treffen." ‡Einverstanden." ‡Leider habe ich noch etwas zu tun. Vertreibt euch die Zeit, fahrt mit dem Ruder- oder Elektroboot und..." ‡Nein", widersprach Ela. ‡Wir haben etwas ganz anderes vor. Wir suchen unseren Freund Randy." Heller schlug gegen seine Stirn. ‡Meine Güte, der wollte doch -62-
den Kerl verfolgen, wie mir mein Bruder sagte." ‡Richtig." Der Umweltschützer verlor etwas von seiner gesunden Gesichtsfarbe. ‡Wo kann er jetzt sein?" ‡Wir hoffen, daß wir ihn im Hotel treffen." ‡Dann schaut dort nach. Wo wohnt ihr?" ‡In dem weißen Kasten..." Heller winkte ab. ‡Ja, ich weiß schon. Auch so ein Projekt, bei dem man sich einkaufen konnte, was viele getan haben." ‡Auch Araber?" fragte Turbo. ‡So ist es." Er reichte beiden die Hand. ‡Wünschen wir uns allen Glück, auch eurem Freund." ‡Ja, das können wir gut gebrauchen", flüsterte Ela. Sie fühlte sich nicht mehr wohl. Am Morgen noch hatte niemand ahnen können, in was sie da hineingeraten waren... Es ging um Sekunden, die über Leben und Tod entschieden, das war Randy klargeworden. Er hatte die Warnung des Schützen gehört; er sah dieses verfluchte Gewehr und auch das aufgesetzte Zielgerät. Wie lange dauerte es noch, bis der Kerl durchzog? Zwei Sekunden, drei oder nicht mal eine. Randy reagierte aus dem Bauch heraus, in einer Art Reflex. Er schleuderte den dicken Rucksack in die Tiefe, und begann gleichzeitig heftig mit dem Sessel hin und her zu schwingen. Der Rucksack war prall gefüllt mit Obst, Getränkedosen, Toilettenpapier, Pflaster und Pullovern. So dick, daß der Rucksack jäh in die Tiefe schoß und den Schützen gerade noch an der Schulter erwischte. Der Schlag riß den Mann zur Seite und ließ ihn auf dem schrägen Hang das Gleichgewicht verlieren. Er rutschte aus, fiel hin, überschlug sich dabei und -63-
fluchte. Der Gewehrlauf ragte ziellos in den Himmel. Randy konnte es noch sehen, als er zurückschaute, denn der Sessel war bereits an der gefährlichen Stelle vorbeigeglitten. Dann aber hatte er Mühe, den gefährlich schaukelnden Sessel wieder in die Balance zu bringen. Von weiter hinten hörte er einige Passagiere schimpfen, denn Randys Manöver hatte über das Seil auch die anderen Sessel ins Schaukeln gebracht. Dem Jungen konnte es nur recht sein, daß er so viel Aufmerksamkeit erregte; das würde es dem Kerl unmöglich machen, ohne Zeugen zu schießen. Noch einmal wandte sich Randy um, sah, wie sich der Mann aufrappelte, dann begann bei ihm das große Zittern. Er konnte nicht anders. Er weinte, er bebte, er lachte, er klammerte sich am Haltebügel fest, das war ein Schock, wie er ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Die aus den Augen fließenden Tränen hatten nasse Spuren auf seinen Wangen hinterlassen. Er zog die Nase hoch, schneuzte, wischte über die Augen, wurde von anderen angemacht und kümmerte sich nicht um deren Worte. Im Magen saß der Druck wie ein Stein. Wenn er jetzt nach vorn schaute, sah er nichts mehr klar. Er starrte in eine verschwommene Welt, in der das helle Grün der Almen mit dem dunkleren der Wälder zu einem verschleierten Farbklecks verschmolz. Auch sein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Es schlug ihm bis zum Hals, wo die Sehnen zuckten, und plötzlich war er in Schweiß gebadet, als hätte man ihn mit Wasser übergossen. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder gefangen hatte und ruhig zurückblicken konnte. Er sah den Hang hoch, entdeckte aber nichts, was ihn beunruhigt hätte. Der Killer war im Wald verschwunden. Randy pulte ein Taschentuch hervor und putzte seine Nase. -64-
Auch Stirn und Wangen wischte er ab. Noch immer schnappte er nach Luft. Wenn ihn jetzt jemand etwas gefragt hätte, dann wäre er nicht in der Lage gewesen, eine Antwort zu geben. Allmählich ließ das Zittern seiner Beine nach. Völlig okay fühlte sich Randy noch nicht, aber er nahm wieder die Umgebung wahr. So hörte er das Summen des Seils, er bekam die leichten Schwingungen des Lifts mit, vernahm die Stimmen der anderen, hörte mal ein Lachen oder einen jubelnden Ruf und kam sich trotzdem so allein und hilflos vor. Dann kam die Station in Sicht. Sie lag an einer anderen Stelle in Zell als die Talstation der Gondelbahn, und zwar mitten im Ort, Die ersten Häuser der kleinen Stadt hatten sie längst erreicht. Manchmal glitt Randy zum Greifen nahe über Dächer hinweg. Ein Schild erinnerte ihn, den Sicherheitsbügel zurückzulegen. Dann mußte er aussteigen, und der Lift lief weiter, wurde in einen Kreis geführt, um die Station auf der anderen Seite in Richtung Berg wieder zu verlassen. Randy war dermaßen in Gedanken versunken, daß er fast den Absprung verpaßt hätte. Er kam aber noch raus, nur hatte der Helfer den Lift kurz anhalten müssen. ‡Kannst du nicht aufpassen?" grantelte ihn der Mann an. ‡Entschuldigung." Randy hastete auf den Ausgang zu. Vor der nach unten führenden Treppe blieb er erst einmal stehen. Ihm war plötzlich ganz schwindelig geworden. Die vielen Menschen verwirrten ihn. Am liebsten hätte er sich verkrochen und abgewartet, aber das ging nicht. Wo waren nur Ela und Turbo? Mit noch weichen Knien verließ Randy das Gelände der Station. An einem Kiosk trank er eine Limo, schaute sich nach Polizisten um, sah aber keine Uniform. Er dachte über den Mörder nach. Ja, für ihn stand fest, daß -65-
dieser Mann ein professioneller Mörder war. Der Kerl hatte es zweimal versucht, und Randy ging davon aus, daß er noch einen dritten Versuch starten würde. Er erinnerte sich daran, wie dieser Araber dem Mörder ein Bündel Geldscheine überreichte hatte; wenig war es bestimmt nicht gewesen. Es konnte sich durchaus um Tausender gehandelt haben. Er drückte den leeren Kunststoffbecher zusammen und ließ ihn in einen Papierkorb fallen. Dann ging er weiter, dem See entgegen, und kam sich vor, als würde er auf Eiern laufen. Das Gedränge und Geschiebe der Touristenmassen, die zahlreichen Autos, der Stimmenwirrwarr das nahm er zwar wahr, nur glaubte er, alles wie durch einen dünnen Schleier zu sehen, so unwirklich war die Umgebung für ihn geworden. An der verkehrsreichen Hauptstraße, die Zell von Osten nach Westen durchquerte, blieb er stehen. Die Ampel zeigte auf Rot, er mußte also noch warten. Wagen über Wagen brauste an ihm vorbei. Gegenüber leuchtete das Reklameschild einer bekannten Imbißkette. Es war später Mittag. Überall in den Lokalen herrschte Hochbetrieb. Endlich konnte er über die Straße. Er behielt die Richtung bei, die ihn zum See und damit auch zum Hotel führte, wo er mit seinen Eltern reden wollte. Möglicherweise würde er dort auch Ela und Turbo treffen. Die würden Augen machen. Dann wollte er sich nach dem angeschossenen Drachenflieger erkundigen und auch mit der Polizei reden, um sich nach dem Stand der Fahndung nach dem Killer zu erkundigen. Hunger verspürte er keinen, obwohl es aus manchen Gaststätten so richtig lecker roch. Er ließ die Hähnchen im Grill und ging auf die Bahnschranke zu. Nachdem er die Gleise überquert hatte, steuerte er geradewegs auf das Hotel mit seiner gläsernen Eingangstür zu. Rechts an der Straße befand sich ein Stand, wo Eis verkauft -66-
wurde. Er war umlagert. Hinter dem Stand führte ein Weg direkt zur Hotelterrasse. Sie war bis zum letzten Platz gefüllt. Die Ritters waren bestimmt dort. Randy ging schneller, da hörte er plötzlich den hellen Ruf einer Mädchenstimme. ‡Randy, endlich!" Er drehte sich nach links. Ela stürmte auf ihn zu. Sie warf sich
in seine Arme, während Turbo langsamer nachkam und abwartend stehenblieb. ‡Toll, daß du es geschafft hast." ‡Beinahe nicht." Ela stemmte Randy von sich. ‡Was sagst du da?"
Auch Turbo hatte staunende Augen bekommen. ‡Dann... dann
bist du auf den Gewehrschützen getroffen." Randy nickte. Er konnte plötzlich nicht mehr sprechen, ging zur Seite, atmete tief durch. Keiner sollte sehen, daß er nasse Augen bekommen hatte, aber Ela entdeckte es trotzdem. Sie streichelte sein Gesicht. ‡War es... war es so schlimm?" Er nickte stumm. Ela und Turbo nahmen Randy rechts und links in den Arm. Sie führten ihn an der Einfahrt zur Hoteltiefgarage vorbei zu einer Bank, wo sie ihn niederdrückten und sich neben ihn setzten. Vor ihnen lag der See, auf dem viele Surfer den Wind ausnutzten. Randy bewegte unruhig seine Hände. Mal ballte er sie zu Fäusten, mal rieb er die Flächen gegeneinander. ‡Wenn du nicht reden willst oder kannst", sagte Turbo. ‡Wir haben Zeit." ‡Ich will ja sprechen." Er wischte fahrig über seine Stirn und anschließend über sein Haar. ‡Das war einfach furchtbar, das habe ich noch nie erlebt." In den folgenden Minuten gab Randy mit stockender Stimme einen Bericht. Ela und Turbo lauschten schweigend, doch ihre -67-
Gesichter zeigten ebenfalls einen entsetzten Ausdruck. Es war unfaßbar, was Randy erlebt hatte. ‡Und der hätte dich tatsächlich erschossen?" fragte das Mädchen. ‡Garantiert, Ela. Der Rucksack hat mich gerettet, wenn ich den nicht gehabt hätte..." Randy redete nicht mehr weiter und beugte sich vor, das Gesicht verbarg er zwischen seinen Händen.
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‡Ja", sagte Turbo nach einer Weile, ‡hier geht es um viel, um sehr viel sogar." ‡Wißt ihr Neues?" fragte Randy. ‡Wir haben Richard Hellers Bruder Harald kennengelernt. Richard ist der Drachenflieger." Randy wischte sich die Augen trocken. ‡Was ist denn nun?" Diesmal berichteten Ela und Turbo. Sie erzählten auch von der Kamera, die sie gefunden hatten, und daß der Film in einer Viertelstunde abgeholt werden konnte. ‡Da gehe ich mit." ‡Willst du nicht erst zu deinen Eltern?" ‡Später, Ela." ‡Gut, wenn du willst."
Randy stand auf. ‡Sollen wir sofort los?"
‡Wäre am besten." Auch Turbo hatte sich erhoben. ‡Wir treffen uns vor dem Laden mit Harald Heller. Er ist ein toller Typ, mit dem kannst du reden." ‡Das glaube ich." ‡Dann komm." Ela hatte es eilig. Turbo blieb an Randys Seite. ‡Mal was anderes. Dieser Killer läuft ja noch frei herum, nicht?" ‡Und wie." ‡Denkst du das gleiche wie ich?" ‡Ich befürchte es, Turbo. Der wird nicht lockerlassen. Vielleicht sollten wir wirklich abreisen..."
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5. Ein heißes Foto
Das Geschäft lag dort, wo das Gewühl am größten war. Mitten in der Fußgängerzone von Zell. Vor dem Laden stand ein kleiner Container mit zahlreichen leeren Filmpatronen. Reklameschilder wiesen darauf hin, wie gut und preiswert man seine Aufnahmen innerhalb kürzester Zeit entwickeln lassen konnte. Harald Heller hatte sich noch nicht blicken lassen. So warteten die drei Freunde vor dem Laden und hielten die Augen offen. Ela kam auf den Mercedes zu sprechen, den Randy gesehen hatte. ‡Der Wagen war doch grau - oder?" ‡Ja." ‡Welche Marke und Typ war es genau?" ‡Ein 230er Mercedes. Weshalb fragst du?" Sie lachte. ‡Es mag komisch klingen, Randy, aber einen derartigen Wagen habe ich gesehen." ‡Wo?" ‡Der fuhr in die Hotelgarage. Ist noch nicht lange her." ‡Wer saß darin?" ‡Weiß ich nicht genau. Es ging alles so schnell, aber nur eine Person, da bin ich mir sicher." ‡Hast du erkennen können, ob es sich dabei um einen Araber gehandelt hat?" ‡Leider nicht." ‡Na ja", meinte Turbo. ‡Mercedes-Wagen fahren hier viele herum. Das sollte man nicht so tragisch nehmen." ‡Nehme ich aber doch", sagte Ela leise. ‡Harald hat uns erzählt, daß Araber sich in das Hotel eingekauft haben, in dem -70-
wir wohnen. Das darfst du nicht vergessen." ‡Dann gehst du davon aus, daß der Araber, den Randy in der Hütte gesehen hat, in unserem Hotel wohnt?" ‡Sagen wir so. Ich weise diese Möglichkeit nicht ganz von mir. Was sagst du, Randy?" ‡Kann sein." ‡Da kommt Harald!" rief Turbo. Er deutete in die Richtung einer Seitengasse. ,,'tschuldigung, daß ich mich verspätet habe, aber es ging nicht anders." Harald war noch ganz außer Atem, als er bei den Freunden ankam. ‡Gibt es schon etwas Neues von der Polizei? Hat sie den Mörder gefunden?" fragte'Ela. ‡Nein!" Harald schüttelte den Kopf, bevor er den Dritten im Bunde anschaute. ‡Du bist also Randy?" ‡Ja." Sie reichten sich die Hände. Heller zuckte zusammen, als Turbo sagte: ‡Fast hätte es ihn erwischt." ‡Wieso?" ‡Dieser Killer. Er hat auch versucht, auf Randy zu schießen." Harald ging einen Schritt zurück und hätte beinahe einen Fahrradständer umgeworfen. ‡Jetzt nehmt mich aber nicht auf den Arm, Freunde." ‡Das tun wir auch nicht." ‡Wie... wie war das genau?" Randy erzählte in Stichworten. Harald bekam eine Gänsehaut, obgleich die Sonne schien. Dann schüttelte er den Kopf und flüsterte: ‡Ich kann es nicht fassen, das ist einfach Wahnsinn, das darf man keinem erzählen. Aber wir hätten es voraussehen müssen. Diese Leute sind rücksichtslos. Selbst Menschenleben spielen keine Rolle. Mein Bruder steht übrigens unter -71-
Polizeischutz." ‡Das könnten wir auch gebrauchen", sagte Ela. ‡Ihr solltet abreisen." ‡Wir müssen erst mal mit meinen Eltern reden", sagte Randy. Harald war erstaunt. ‡Die wissen noch nichts?" ‡Nein, die vermuten uns auf der Wanderung. Das ist ja das Furchtbare." ‡Los, wir holen die Fotos", sagte Ela, die mal wieder praktischer dachte. ‡Okay, habe nichts dagegen." Auch im Laden herrschte Betrieb. Die Kunden standen an den kleinen Tischen und Verkaufstheken und schauten sich alles mögliche an. Manche umlagerten auch die Stände mit den bunten Ansichtskarten und Andenken. Der Besitzer, ein älterer Mann im weißen Kittel, sprach mit einer Kundin, die ein Fotoalbum kaufen wollte. Ela reichte ihm den Abholzettel. ‡Ist unser Film schon fertig?" fragte sie. ‡Moment, ich schaue gleich nach." Harald Heller mischte sich ein. ‡Kannst du das nicht sofort machen, Franz. Die Kundin hier hat sich noch nicht entschieden, wie ich sehe." Der Fotograf lachte. ‡Du gehörst dazu, Harald?" ‡Wie du siehst." ‡Okay, ich schaue nach." Er schob einen Vorhang zur Seite und verschwand in seinem Labor. ‡Finde ich ungehörig von Ihnen, sich vorzudrängeln", beschwerte sich die Kundin. ‡Ein Vorbild für die Jugend sind Sie gerade nicht, mein Herr." ‡Es ist sonst nicht meine Art, gnädige Frau, aber wir haben es wirklich eilig." Harald lächelte so nett, daß auch die Kundin -72-
lachen mußte. Da kehrte der Fotohändler aus seinem Labor zurück und reichte ihm eine Tüte und den Fotoapparat. ‡Alles klar." ‡Was muß ich zahlen, Franz?" Harald beglich die Rechnung, und alle vier verabschiedeten sich schnell. Turbo verzog das Gesicht, als er auf den Trubel in den Straßen schaute. ‡Jetzt brauchen wir ein ruhiges Plätzchen." Harald Heller lachte. ‡Die Idee ist gut, und ich weiß auch schon, wo wir das finden." Er wies mit seinem Kopf nach rechts. ‡Kommt mit, Kameraden." Nicht lange, und sie standen vor der alten Kirche von Zell. Aus grauen Steinen errichtet, wirkte sie wie ein Überbleibsel aus einer längst vergangenen Zeit. Eine hohe Steinmauer, die großräumig das Gebäude umfriedete, versperrte den Blick auf den Sockel. Heller öffnete eine schmale Pforte in der Mauer, schob die Freunde voraus und fragte dann scheinheilig besorgt: ‡Ist es hier ruhig genug?" Ela Schröder holte tief Luft. ‡Ein... ein Friedhof", flüsterte sie. ‡Sehe ich richtig?" ‡Ja, der älteste hier in Zell." Heller hieß die drei weitergehen und schloß die Pforte. Unwillkürlich bewegten sich die Freunde langsamer. Ein typisches Friedhofsgefühl beschlich sie. Da sprach man nicht laut, schrie nicht herum, da bekam man vor den Gräbern so etwas wie einen ehrfurchtsvollen Schauer. Es waren interessante Grabstellen; mit kunstvoll geschmiedeten oder geschnitzten Kreuzen verziert, mit blanken Steinen und viel Blumenschmuck. Außer ihnen befanden sich noch zwei ältere Frauen auf dem Gelände, die aus Gießkannen Wasser über Blumen verteilten. -73-
Sie schauten kaum auf, als das Schloß-Trio an ihnen vorüberging. Harald Heller saß bereits auf einer Bank, mit dem Rücken zur Kirchenmauer. Er hatte die Tüte geöffnet und kippte sie jetzt, damit die Fotos herausrutschen konnten. Die beiden Jungen nahmen ihn in die Mitte. Ela blickte über Randys Schulter. ‡Hoffentlich sind auch alle Aufnahmen etwas geworden. Ich habe einfach das Gefühl, daß sie wichtig sind." Heller nickte. ‡Das glaube ich auch." Er sortierte die Bilder. Sein Bruder hatte die ganze Gegend fotografiert, vor allem aber die Bergwelt oben auf der Schmittenhöhe. Aus der Vogelperspektive sah man die Almen, Gipfel, Grate und Bergsättel bis hin zum Eisfeld des Großglockners. Deutlich erkennbar waren aber auch die langen, breiten Schneisen, die als Skipisten dienten. Da hatte man an der Natur schlimmen Raubbau betrieben. Gerade diese Schneisen waren es, die Richard Heller öfter fotografiert hatte. Randy fragte nach dem Grund. ‡Ganz einfach", erwiderte Heller. ‡In wenigen Tagen findet die Versammlung der Interessengemeinschaft statt. Dort wird entschieden, ob das Hotel gebaut werden darf oder nicht. Diese Aufnahmen, vor allen Dingen von den breiten Skischneisen, gehören zu unseren Gegenargumenten." ‡Da habt ihr auch recht." Noch drei Bilder waren übriggeblieben, die aber hatten es in sich. Auf den vorherigen Aufnahmen waren Spaziergänger zu sehen gewesen, völlig normale, harmlose Wanderer, bis auf den Typen, der auf den letzten Fotos zu sehen war. ‡Der Killer!" rief Ela. ‡Das ist er." Über sich selbst erschrocken, schlug sie ihre Hand vor den Mund. Die beiden älteren Frauen drehten sich um, schauten etwas erstaunt, Heller nickte ihnen zu und winkte.
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‡Kennst du die?" ‡Ja, Turbo." Drei Fotos waren es, und auf allen drei Bildern sahen sie den Mann mit dem Gewehr. Er lag schußbereit zwischen den Felsen, als ihn das Auge der Kamera erwischt hatte. Richard Heller hatte eine Kamera mit einem starken Teleobjektiv benutzt. Deshalb konnte man den Mann schon darauf gut erkennen. ‡Wir haben ihn!" flüsterte Randy. Er tippte auf das Foto. ‡Wenn du das der Polizei übergibst, können die aus der Aufnahme noch etwas herausholen. Die ist ziemlich klar, man kann das Gesicht vergrößern, dann weiß jeder, wer der Mann ist. Ich glaube fest daran, daß er bei der Polizei registriert ist." ‡Klar, der hat einiges auf dem Kerbholz", meinte Ela. ‡Ob er wußte, daß mein Bruder ihn fotografiert hat?" sinnierte Harald Heller. ‡Keine Ahnung. Aber du hast das Bild, Harald." ‡Stimmt, Ela." ‡Willst du damit zur Polizei?" ‡Natürlich. Der Mann muß gefaßt werden. Denkt daran, daß er sich noch immer hier in Zell herumtreibt, und dann denkt weiter, daß noch jemand auf seiner Liste steht. Ihr seid Zeugen, Freunde, und Zeugen können sich Menschen mit derartigen Berufen nicht leisten." ‡Was würde er denn deiner Ansicht nach versuchen?" fragte Turbo. ‡Das ist schwer zu sagen." Heller schaute gedankenverloren über das Gräberfeld und verzog die Lippen. ‡Tja, was würde er machen?" ‡Sich nach unseren Namen erkundigen", sagte Randy. ‡Richtig. Und er würde sich überlegen, wo er euch finden kann. Das ist nicht schwer. Es gibt nicht so viele Hotels in Zell am See, als daß man sie nicht schnell durchhätte." -76-
‡Wir hätten uns auch ein Haus mieten können." ‡Stimmt. Aber auch dann müßt ihr euch anmelden. Ich glaube, daß er zunächst die Hotels durchforscht." ‡Das kann trotzdem dauern", sagte Randy. ‡Zumal er nicht davon ausgehen kann, daß wir in Zell am See wohnen. Nehmen wir an, wir haben uns in der Nachbarschaft einquartiert." Harald Heller lachte leise und pfiff anerkennend. ‡Wenn ich dich so höre, Randy, muß oder kann ich davon ausgehen, daß du noch länger hier im Ort bleiben willst?" ‡Ja." ‡Also nicht abreisen?" ‡Nein, heute bestimmt nicht." ‡Und die nächste Nacht überstehen wir auch", sagte Ela voller Optimismus. ‡Die Ritters haben ein großes Apartment gemietet. Die Räume gehen über zwei Stockwerke. Wir können uns also abwechseln und Wache halten." ‡Das tut mal." Harald packte die Bilder wieder in die Tüte und nickte ihnen zu. ‡Noch ein guter Rat. Haltet stets die Augen offen. Dieser Mann ist gefährlich." ‡O ja", murmelte Randy. ‡Das habe ich mitbekommen. Mir zittern jetzt noch die Knie." Heller stand auf, reckte sich und sagte: ‡Ihr hört wieder von mir. Wo ihr wohnt, weiß ich, und ich werde jetzt der Polizei einen genauen Bericht geben." ‡Na ja", meinte Randy. ‡Nichts gegen die Polizei, wirklich nicht. Aber die Dorfpolizisten hier..." ‡Das habe ich auch gedacht, Junge. Ich telefoniere mit Salzburg. Da bin ich an der richtigen Adresse, glaubt es mir." Er reichte jedem die Hand, wobei er mit Ela anfing. ‡Die junge Dame zuerst." ‡O danke." -77-
‡Schau mal, Turbo, wie stolz unser Möpschen ist", sagte Randy grinsend. ‡Möpschen?" wiederholte Harald. ‡Ja, so wird sie in Fankreisen genannt." Ela war rot angelaufen. ‡Sei froh, daß wir uns hier auf einem Friedhof befinden, sonst hättest du jetzt den dreifachen Salto üben können. Das kann ich dir versprechen." Heller trat zurück, hob die Hände. ‡He, was ist denn in dich gefahren, Ela?" ‡In mich nichts, in ihn. Ich hasse es, wenn er mich Möpschen nennt, dieser Hirnie." ‡Da würde ich mich auch beschweren." ‡Da hast du's", sagte Ela und bleckte Randy die Zunge. ‡Ja, ja, bau dir mal 'ne Lobby auf. Vielleicht kannst du sie noch gebrauchen." ‡Servus, dann!" Harald hob eine Hand zum Gruß. Er hatte es plötzlich eilig; die Freunde blieben noch zurück und beratschlagten. ‡Wer hat denn eine Idee, wie es weitergehen soll?" erkundigte sich Turbo. Randy zuckte die Achseln. ‡Nichts?" ‡Nein." ‡Das ist traurig." ‡Ich kann ja nicht immer super sein." Ela lachte glucksend. ‡Bist du schon jemals super gewesen, Randolph Ritter?" ‡Jeden Tag." ‡Das sehe ich anders." ‡Du bist eben blind." -78-
Plötzlich erstarrten die Gesichtszüge des Mädchens. ‡Ha!" rief sie laut. ‡Das ist es!" ‡Was soll es sein?" fragte Randy. ‡Ich habe die Erleuchtung, mir ist der Gedanke gekommen, die Idee, die zündet. Grell, irre." ‡Was kann das schon sein?" sagte Turbo gedehnt und verdrehte dabei die Augen. Ela strich blitzschnell über den dunklen Bürstenschnitt des Jungen. ‡Das ist eine affenstarke Idee, mein Junge. Und zwar folgendes. Mir ist gerade der Mercedes eingefallen, den Randy gesehen hat. Wir haben einen grauen Benz in die Tiefgarage unseres Hotels fahren sehen. Wie wäre es denn, wenn wir uns dort mal umschauen, ob das Auto da noch steht?" Die Jungen starrten Ela an. ‡Meinst du das im Ernst?" ‡Klar - Spaß kann ich nicht vertragen, Randy." ‡Die Idee ist super." ‡Ja, dann wollen wir doch mal", sagte Turbo. ‡Mal sehen, was uns die Garage so alles zu bieten hat..."
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6. Gefährliche Entdeckung Bevor sie in der Tiefgarage verschwanden, stieg Randy die Stufen zur Hotelrezeption hoch und erkundigte sich bei einer freundlich lächelnden jungen Dame, ob seine Eltern, das Ehepaar Ritter, im Hotel war. ‡Ich schaue mal nach - Moment." Die Angestellte ließ ihre Blicke über den Schlüsselkasten mit seinen zahlreichen Fächern kreisen. ‡Sie scheinen noch unterwegs zu sein. Der Schlüssel ist hier. Darf ich ihn dir geben?" ‡Nein, dann ist es gut. Bei Ihnen ist er besser aufgehoben." ‡Das stimmt."
Randy wandte sich ab und ging.
Ela und Turbo warteten vor dem Eingang. ‡Na und?" fragte
das Mädchen. ‡Wie sieht es aus?" ‡Nicht besonders, oder gut. Meine Eltern scheinen noch unterwegs zusein." ‡Wo wollten die denn hin?" fragte Turbo. Randy hob die Schultern. ‡Ich weiß nur, daß mein Vater auf einen Anruf wartete. Es kann durchaus sein, daß sie nach Salzburg gefahren sind, denn aus dieser Stadt sollte der Anruf kommen. Aber das ist Theorie, spielt auch keine Rolle, wir sehen uns in der Garage um." ‡Hast du einen Schlüssel?" wollte Ela wissen. Die Frage war berechtigt. Um das Tor öffnen zu können, mußte man einen Schlüssel in den Schlitz einer in der Nähe stehenden Säule stecken. Einmal drehen, dann schwang das Tor auf. ‡Nicht nötig, da fährt bestimmt einer raus. Wenn nicht, betreten wir die Garage vom Hotel aus." Sie mußten links an dem hohen weißen Kasten vorbei. Hinter ihnen ratterte ein Schnellzug über die Gleise, vor ihnen lag der -80-
See. Ein schmaler Weg führte direkt zum Ufer und zu einer Wiese, wo Surfbretter standen, die man sich leihen konnte. Auch die hoteleigenen Ruderboote lagen dort mit dem Kiel an Land. ‡Eine Bootsfahrt möchte ich aber auch mal machen", maulte Ela. ‡Wenn ich schon hier bin..." ‡Ja, ja, später." Bald schon standen sie auf der Rückseite des großen Hotels, wo sich die Ein- und Ausfahrt zur hoteleigenen Garage befand. Sie hörten ein leises Summen, und dann schwang das graugestrichene Rechteck des Garagentors in die Höhe. Da hatten sie Glück gehabt und nicht lange warten müssen. Die Öffnung gähnte ihnen wie ein Schlund entgegen. Aus ihm schob sich die Schnauze eines weißen Volvo 740 hervor, der ein schwedisches Kennzeichen hatte. Im Hotel wohnten sehr viele Schweden, denn eine schwedische Firma hatte sich auch an dem Bau beteiligt, wie Harald Heller ihnen erzählt hatte. Der Wagen rollte vorbei. Drei kleinere Kinder saßen auf dem Rücksitz, und streckten ihnen die Zungen heraus. Ela tippte gegen ihre Stirn und gab so den Gruß zurück. Bevor das Tor wieder zufallen konnte, waren die Freunde schon in der Garage. Zwischen den Wänden und der viel zu niedrigen Decke war die Luft zum Schneiden - ein scheußliches Gemisch aus Benzin-, Öl- und Gummigestank. An den Wänden brannten gelbe Lampen unter ihren Schutzgittern. Langsam gingen sie weiter in die unterirdische Welt der Garage hinein. Wer hier einen Parkplatz fand, mußte wirklich Auto fahren können. Alles drängte sich auf kleinstem Raum zusammen. Für große Autos waren die Parknischen sicher zu eng. An der rechten Seite sahen sie eine Stahltür. Dahinter führte eine Treppe zum Hotel hoch, wie sie der Aufschrift an der Tür entnehmen konnten. Ihr fast gegenüber lag die Werkstattbude -81-
des Hausmeisters oder des Garagenmeisters. Sie war erleuchtet, aber niemand befand sich darin. Ein Spind, ein Drehstuhl, auch zwei kleine Drehbänke und ein Werktisch bildeten die Einrichtung. ‡Da möchte ich nicht arbeiten", murmelte Ela. ‡Weshalb nicht." ‡Mensch, Turbo, denk mal an den Gestank. Der macht dich ja irre, wenn du hier unten wühlst." ‡Stimmt." Randy war schon vorgegangen. Er hatte eine leicht gebückte Haltung eingenommen, denn so konnte er die Nummernschilder der Fahrzeuge erkennen. Aus der Distanz war nicht einmal auszumachen, welche Farben die Autos besaßen. Da sah ein Grau fast ebenso aus wie ein Blau oder Schwarz. Am ersten Mercedes schritt Randy vorbei. Die beiden nächsten Wagen interessierten ihn auch nicht; ein Volvo, zwei Audi, ein Toyota folgten. Anschließend betrachtete er einen BMW der 7er-Serie. Dann stand da wieder ein Mercedes. Randy bückte sich tiefer, blieb stehen. Auch die Freunde waren nähergekommen. ‡Grau ist er wohl!" flüsterte Ela. ‡Richtig, aber es ist der falsche Wagen. Der hat nämlich ein deutsches Kennzeichen." ‡Und du bist dir hundertprozentig sicher, daß der andere Mercedes aus Salzburg kam?" ‡Ja, Turbo. Oder dem Salzburger Land. Das weiße S auf schwarzem Grund war einfach nicht zu übersehen." Randys Stimme hatte ungeduldig geklungen. ‡Okay, ich habe ja nur mal nachgefragt." Randy war schon weitergegangen. -82-
Fast am Ende der Tiefgarage standen die Wagen im rechten Winkel zu denen an der Seite. Hier schaute Randy noch einmal genauer nach, denn zwei Benz standen zur Auswahl. Beide stammten aus Österreich, und einer trug ein Salzburger Kennzeichen. Randy überprüfte es, kam wieder hoch und drehte sich nickend zu seinen beiden Freunden um. ‡Ist er das?" hauchte Ela. , ‡Ich glaube ja." Randy drückte sich in die Lücke neben den Mercedes, schaute in den Wagen und suchte nach irgendwelchen Beweisen. Um besser sehen zu können, hatte er seine Augen mit den Händen an den Schläfen abgeschirmt. ‡Der ist bestimmt leer", meinte Turbo. Randy richtete sich wieder auf. ‡Stimmt." ‡Und was machst du jetzt?" ‡Weiß ich noch nicht. Aber eins steht fest. Der Araber, den ich in der Hütte sah, wohnt hier im Hotel." Obwohl die Freunde damit gerechnet hatten, waren sie zunächst einmal sprachlos, bis Ela sich räusperte und einen Verdacht aussprach: ‡Könnte es dann sein, daß dieser Killer ebenfalls hier abgestiegen ist?" ‡Möglich." ‡Das wäre nicht gerade gut." Randy hob die Schultern. ‡Ich glaube nicht, daß er hier länger wohnen bleiben wird. Der ist erkannt worden. Wenn Heller die Polizei alarmiert, werden die Hotels überprüft. Das ist selbst für einen abgebrühten Typen wie ihn zu gefährlich." Turbo gab seinem Freund recht, während Ela am Schloß des Kofferraums herumspielte, den Kopf drückte - und erschreckt zurücksprang, als der Deckel in die Höhe schnellte. Auch Randy und Turbo waren überrascht. Damit hatten sie nun nicht gerechnet. ‡Die haben vergessen, den Kofferraum abzuschließen!" Turbo -83-
lachte. ‡Das gibt es doch nicht."
‡Wen interessiert schon der Koffer", meinte Randy und deutete auf das helle Gepäckstück. ‡Uns!" Ela bückte sich. ‡Ich würde gern nachschauen, was sich darin befindet." ‡Laß dich nur nicht erwischen." ‡Hör auf, Turbo. Es geht um mehr. Man hat auf Randy geschossen. Wen interessiert da schon ein blöder Koffer?" Ela hatte bereits nach den Schlössern getastet, drückte einmal und lachte leise, als sie aufsprangen. Jetzt beugten sich auch die beiden Jungen vor. Im Licht der Kofferraumbeleuchtung sahen sie den Inhalt, aber der brachte ihnen nicht viel. Akten, zwei Schnellhefter, Kugelschreiber, ein Füllfederhalter, zwei kleine Taschenrechner und bunte Prospekte, von denen Ela einen in die Hand nahm und hochhielt. Man konnte ihn auseinanderfalten. Sechs Augen starrten auf das Innenfoto. Es zeigte die Alpenlandschaft nahe der Schmittenhöhe und darin mit Filzstift eingezeichnet einen gewaltigen Komplex: einen riesigen Kasten, -84-
das künftige Hotel. Sogar die Tennisplätze und Sporthallen waren nicht vergessen worden. Als Alibi hatte man noch ein paar Bäume hingemalt. ‡Das also ist das Projekt", murmelte Turbo. ‡Scheußlich, einfach scheußlich." Ela schüttelte den Kopf. ‡Wie kann man sich so etwas antun?" ‡Wenn es um Geld geht, verlieren Menschen jede Moral. Nicht alle, aber viele." ‡Leider, Randy." ‡Falte ihn wieder zusammen", sagte Turbo und deutete auf den Koffer. ‡Wir wissen jedenfalls, daß eine arabische Gruppe dahintersteckt, die hier ihre Ölmillionen anlegen will." ‡Sauerei." Ela konnte sich nicht beruhigen. Der Prospekt lag wieder im Koffer, sie schloß ihn und hämmerte voller Wut den Deckel zu. Es hallte durch die Garage. ‡So, jetzt ab!" sagte Randy, drehte sich um - und starrte in die fremden Gesichter der beiden Männer, die vor ihm standen und ihn aus dunklen Augen böse anschauten... Sie hatten sie nicht kommen sehen und auch nicht kommen hören. Sie waren einfach da, und sie mußten zu dem Araber gehören, den Randy zusammen mit dem Killer in der Blockhütte gesehen hatte. Auch sie waren Orientalen. Die beiden Männer redeten nicht, aber ihre Blicke sprachen Bände. Es lag auf der Hand, daß sie das Schloß-Trio schon eine Weile beobachtet hatten. Ela fing sich als erste. Sie versuchte es auf die forsche Art und Weise. ‡Darf ich mal vorbei?" Sie ging einen Schritte vor. ‡Nein!" Der plötzliche Stoß ließ sie wieder zurücktaumeln. Mit den Kniekehlen stieß sie gegen den Benz und beschwerte sich sofort. ‡He, was soll das?" ‡Was habt ihr zu suchen gehabt?" radebrechte der links -85-
stehende der beiden dunkelhaarigen Typen, die beide helle Jacken und schwarze Hosen trugen. Sie sahen fast so aus wie Kellner. Auf ihren Oberlippen wuchsen dunkle Strichbärte, die Haare glänzten ölig. Sie schienen Brüder zu sein. ‡Wir wollten nur etwas nachschauen", sagte Randy. ‡In fremden Auto?" ‡Wieso fremd?"
Der Mann packte zu. Seine Hand hing plötzlich an Randys
Hals, dem die Luft knapp wurde. Der andere schüttelte ihn dazu noch heftig durch. ‡Das ist unser Wagen, verstehst du?" ‡Kommt ihr aus Salzburg?" fragte Ela frech. ‡Nein." ‡Dann ist es auch nicht..." ‡Wir haben geliehen." Der Mann ließ Randy wieder los. ‡Was habt ihr gesucht?" Turbo grinste breit. ‡Seine Mütze, die hat er verloren und glaubt, daß sie im..." ‡Hör auf!" bellte der andere. ‡Hör auf, sonst..." ‡Was ist sonst?" ‡Kennenlernen wirst du mich." Er nickte seinem Kumpan zu und redete in seiner Heimatsprache mit ihm. Die Freunde verstanden nichts, aber sie tippten auf Arabisch. Das plötzliche Grinsen auf den Gesichtern der beiden gefiel ihnen ganz und gar nicht. ‡Wer schnüffelt, wird es zu büßen haben!" wurde ihnen erklärt. ‡Wir werden euch aus dem Verkehr ziehen." ‡Ach ja?" ‡Sicher." ‡Was haben wir denn getan?" Der Araber starrte Randy wütend an. ‡Vielleicht genug, vielleicht auch nicht. Ich muß sicher sein." ‡Sie hätten den Kofferraum auch abschließen können", -86-
beschwerte sich Ela. Dabei schaute sie sich um, denn so ohne weiteres wollte auch sie sich nicht Angst einjagen lassen. Dann kam ihnen der Zufall zu Hilfe. Hinter ihnen erklang wieder das Summen. Von draußen war der Kontakt betätigt worden, der das Tor in Bewegung setzte. Es schwang hoch. Helles Sonnenlicht flutete in die Garage. Ein Wagen erschien. Es war die flache Schnauze eines BMW. Das paßte den beiden Arabern natürlich nicht. Als sie in die Taschen griffen, handelten die Freunde. ‡Jetzt!" schrie Turbo und sprang vor. Seine Faust erwischte den Kerl oberhalb des Hosengürtels. Der Mann bekam große Augen, würgte und taumelte zurück. Dem anderen hatte Randy einen gezielten Tritt versetzt. Plötzlich bekam der weiße Anzug Flecken, als sich der Mann auf dem Boden wiederfand. Scheinwerferlicht erfaßte sie und auch die beiden Araber. Der Fahrer des BMW bremste ab, verließ sein Fahrzeug und rief: ‡Was ist denn hier los?" ‡Nicht viel", schrie Ela zurück. ‡Die beiden Komiker haben die falsche Nummer abgezogen." Zusammen mit Turbo und Randy hetzte sie auf die Ausfahrt zu. Hinter ihnen hörten sie noch die Flüche der Araber und auch die Stimme des BMW-Fahrers. Ihnen aber war es gelungen zu entwischen. Sie gingen erst langsamer, als sie die Zufahrt hinter sich gelassen hatten und den Weg zur Seepromenade einschlugen. ‡Puh, das war knapp", flüsterte Ela, bevor sie sich an einen Baumstamm lehnte. ‡Sogar sehr knapp." ‡Jetzt wissen die Bescheid", meinte Turbo. ‡Wir aber auch", schränkte Randy ein. ‡Okay, was bringt uns das?" -87-
‡Wir könnten Harald Heller einschalten und ihm von unserer Entdeckung berichten." ‡Dann müßten wir auch zugeben, einen fremden Kofferraum geöffnet zu haben", wandte Ela ein. ‡Na und? Der war offen." ‡Schon, Randy, aber es ist nicht strafbar, irgendwelche Baupläne und Projekte mitzuführen." ‡Das stimmt allerdings", murmelte der Junge und spielte Schusser mit einer Kastanie, die vom Baum gefallen war. ‡Was also sollen wir tun?" ‡Abwarten." Ela lachte. ‡Und ins Zimmer einschließen? Ich wäre schon dafür, wenn wir Heller anrufen." ‡Okay, ich versuche es." Turbo hatte gesehen, daß eine nicht weit entfernt stehende Telefonzelle frei war. Er verschwand darin und suchte im Telefonbuch nach der Nummer. ‡Mist, wie?" meinte Ela. Randy schaute sich um. Von den beiden Arabern sah er nichts. ‡Kannst du wohl sagen." ‡Sind dir die Typen eigentlich schon vorher aufgefallen? Ich meine, beim Frühstück oder so." ‡Kaum. Bewußt habe ich sie ja nicht gesehen. Irgendwie kann ich die auch nicht so genau unterscheiden. Mit ihren Bärten sehen sie fast alle gleich aus, finde ich." ‡Das stimmt."
Turbo kehrte zurück. ‡Tja, ich habe Harald nicht erreicht."
‡Der ist bestimmt in Salzburg bei der Polizei", meinte Ela und strich zwei Haarsträhnen aus ihrer Stirn. Turbo nickte betrübt. ‡Und wir stehen hier herum." ‡Nicht mehr lange", sagte Ela. ‡Ich gehe aufs Zimmer. Wer von euch kommt mit?" -88-
Die Jungen schauten sich an, überlegten, nickten und waren einverstanden. Mit etwas weichen Knien und sich immer wieder umschauend gingen sie zurück zum Hotel. Von den beiden Arabern sahen sie nicht einen Jackenzipfel. Wahrscheinlich würden sie ihrem Boß Bericht erstatten. ‡Und daß die uns im Apartment überfallen werden, glaube ich nicht", meinte Ela, als sie den Hoteleingang betraten. ‡Stimmt." Randy flitzte los und holte den Zimmerschlüssel. Mit ihm winkend kehrte er zurück, und sie gingen langsam zum Fahrstuhl. ‡Das Schwimmbad habe ich noch nicht benutzt, Squash habe ich auch noch nicht gespielt", maulte Ela. ‡Das ist ein Urlaub. Wenn man schon mit euch fährt." ‡Du kannst ja wieder abdampfen." ‡Pah - und wer soll auf dich aufpassen, Randy?" ‡Das kann ich selbst." Er öffnete die Fahrstuhltür. Turbo und Ela stiegen ein, er betrat den Lift als letzter. Es roch stark nach feuchter Wäsche. Sie fuhren in die zweite Etage, wo sie einen langen Gang betraten. Alles sah normal aus. Zwei Mädchen saugten den Teppich, ein Mann im Kittel putzte Fenster; kein Verdächtiger trieb sich herum. Ihr Apartment lag ziemlich weit hinten. Das Lächeln auf Randys Lippen wirkte etwas unecht, als er den Schlüssel ins Schloß steckte und ihn drehte. Gespannt traten sie über die Schwelle. Sie erreichten den kleinen Flur, an dessen Ende die Tür zum Schlafraum der Eltern offenstand. Rechts an der Wand befand sich die erste Toilette, eine Tür weiter das Bad. Sie schauten nach, aber niemand hatte sich irgendwo versteckt. Über eine vierstufige Treppe erreichten sie den großen Wohnraum. Eine Sitzgarnitur war ebenso vorhanden wie eine -89-
Eßecke mit Tisch und fünf Stühlen. Kühlschrank, Einbauküche, ein Fernseher und die hohe schmale Balkontür neben dem Fenster gehörten auch dazu. Eine andere Treppe führte eine Etage höher, wo die Freunde schliefen. Zwei kleine Räume, eine winzige Sauna und ein Bad mit Whirlpool standen zu ihrer Verfügung. Nicht schlecht, dachten sie wieder einmal. Nur schade, daß die Bahnlinie so nahe daran vorbeiführte. Turbo war nach oben gegangen, hatte dort nachgeschaut. Als er wieder herunterkam, dröhnten seine Füße auf den Stufen der Holztreppe. ‡Da ist auch alles okay." ‡Hast du etwas anderes erwartet?" fragte Randy. ‡Man kann nie wissen." Ela schnappte sich die Fernbedienung des Fernsehers. Man war hier verkabelt und konnte zahlreiche Programme empfangen. ‡Willst du glotzen?" fragte Randy. ‡Warum nicht?" Ela ließ sich auf die Couch fallen. ‡Oder hast du eine bessere Idee?" ‡Wir könnten schwimmen gehen." ‡Im See?" ‡Wenn es nicht zu kalt ist." ‡Dann schlage ich das Hallenbad vor", meinte Ela." ‡Mal schauen." Randy ging auf die schmale, zweiflügelige Balkontür zu und öffnete sie. Warmer Wind schlug ihm ins Gesicht. Er lehnte sich über das weißlackierte Geländer und schaute in die Tiefe. Direkt unter ihm lag die Hotelterrasse mit den aufgestellten, bunten Sonnenschirmen. Zum Wasser hin grenzte eine Steinmauer das Gelände ab, davor wuchsen Laubbäume, Platanen und Ahorn. Alle -90-
leuchteten in herrlich bunten Herbstfarben. In der Ferne konnte man die Berge um das Großglocknergebiet erkennen, die wie überzuckert aussahen, so glänzten und blitzten Schnee und Eis unter dem Licht der Sonnenstrahlen. Es war ein wunderschöner Tag, doch Randy konnte sich nicht freuen. Der Druck blieb, das Wissen um die Gefahr und darum, daß irgendwo im Hintergrund jemand lauerte, der ihnen nicht gerade wohlgesonnen war, der sogar auf sie schießen würde. Er drehte sich nach links, um wieder in das Zimmer zurückzugehen. Dabei fiel sein Blick auf den Nachbarbalkon, der etwa zwei bis drei Meter entfernt war. Und da standen sie wie die Ölgötzen. Es waren die beiden Araber aus der Tiefgarage. Plötzlich schlug Randys Herz schneller. Sein Gesicht verlor an Farbe, in den Knien breitete sich eine gewisse Weichheit aus. Am liebsten hätte er sich auf den kleinen Bistrostuhl gesetzt, der auf dem Balkon stand. Doch er blieb stehen und starrte zu den beiden Arabern hinüber. Die hatten vielleicht ein widerliches Grinsen aufgesetzt. ‡Wir kriegen euch, keine Sorge." Der eine Mann hob den Arm und führte seine Hand quer über die Kehle. Diese Geste war deutlich genug. Mehr brauchte es nicht. Sie machten kehrt und verschwanden im dahinterliegenden Zimmer. Randy fiel zwar nicht gerade ein Stein vom Herzen, aber erleichtert war er zunächst mal schon. Dann erschien Turbo in der offenen Tür und schaute ihn fragend an. ‡War was? Du siehst so komisch aus. Wie faltig gebügelt." ‡Hör auf, Mann. Die beiden Araber wohnen nebenan!" zischelte Randy. ‡Ich habe sie auf dem Balkon gesehen." ‡Und?" -91-
‡Nichts und. Sie haben mir nur klargemacht, daß sie uns irgendwann ans Fell wollen." ‡Toll, die auch noch." Turbo betrat den Balkon und schielte nach links. Dort ließ sich jedoch keiner mehr blicken.
Der Junge hatte ein Fernglas mitgebracht, setzte es an die Augen und schaute über den See. Randy ließ ihn in Ruhe, als er sah, wie Turbo langsam und methodisch Stück für Stück die Fläche des Sees absuchte. In sein Blickfeld gerieten die Surfer, die Bootsfahrer, auch einige -92-
Schwimmer, ein Freibad am anderen Ufer und die bewaldeten Berghänge dahinter. ‡Was suchst du eigentlich?" fragte Randy. ‡Nichts, im Prinzip. Aber ich kann mir vorstellen, daß man vom See aus auch diese Fassade hier gut sehen müßte." Randy hatte seine Hände um den Handlauf der Brüstung geklammert. ‡Denkst du an den Killer?" ‡So ähnlich." ‡Dann wären wir ja richtige Zielscheiben." ‡So kann man es auch sehen", erwiderte Turbo, der eine leichte Gänsehaut bekommen hatte, ebenso wie Randy. ‡Laß uns verschwinden, Turbo." ‡Moment noch. Ich glaube, da habe ich was in der Optik." ‡Wo denn?" ‡Dieses gelbe Elektroboot, in dem nur eine Person sitzt. Das schaukelt auf dem Wasser, da blitzte auch was in der Sonne." ‡Was denn?" ‡Kann auch ein Fernglas sein." Randy schützte seine Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen ab und suchte ebenfalls nach dem Boot. Er sah es auch, konnte aber nicht erkennen, wer darin saß. Jedenfalls war es nur eine Person. ‡Randy, das ist er. Das ist der verfluchte Kerl." ‡Gib mal her!" Randy bekam das Fernglas, schaute kurz hindurch und zuckte zusammen. Die Mütze des Mannes war deutlich zu erkennen. Auch er hielt ein Fernglas vor die Augen gepreßt und beobachtete tatsächlich die Fassade. Bestimmt hatte er die Jungen auf dem Balkon entdeckt. Randy ließ das Glas sinken. ‡Ab", sagte er und verschwand im Raum. Turbo folgte ihm langsamer. Er schloß sorgfältig die -93-
Tür, während Ela kopfschüttelnd auf Randy schaute und wissen wollte, was los war. Er berichtete es ihr. Sie bekam einen Schreck, schluckte schwer und wurde etwas blaß im Gesicht. ‡Das darf doch nicht wahr sein, Mann." ‡Ist es aber." ‡Der gibt nicht auf, wie?" ‡Nein." ‡Sollen wir die Polizei informieren?" fragte Turbo. ‡Oder noch mal Harald Heller anrufen. Die Nummer habe ich mir gemerkt." ‡Okay, mach mal."
Das Tastentelefon stand neben dem Fernsehapparat. Turbo
drückte erst die Null, dann wählte er. Er wollte schon auflegen, als sich Harald Heller meldete. ‡Ein Glück, daß ich dich erreiche, Harald. Hier ist Turbo." ‡Wo brennt es denn?" ‡Der Killer ist da." ‡Was?" Heller sprach so laut, daß ihn selbst Ela und Turbo hören konnten. Turbo erzählte ihm die Geschichte mit den Männern aus der Garage. Dann kam er auf den Schützen zu sprechen. Heller ließ sich mit einer Antwort Zeit. Schließlich sagte er etwas, womit Turbo einverstanden war. Danach legte er auf. ‡Was hat er gesagt?" wollte Ela wissen. ‡Sie wollen versuchen, den Killer zu erwischen. Sie wissen sogar seinen Namen, das Bild war gut." ‡Wie heißt er denn?" ‡Er nennt sich Oskar!" Turbo gab die Antwort mit sehr ernstem Gesicht, konnte ein Lachen trotzdem nicht vermeiden, denn auch die anderen beiden grinsten. ‡Oskar, wie komisch", prustete Ela. -94-
‡Das ist ein Deckname. Unter dem ist er international bekannt." Er drehte sich um und ging wieder auf den Balkon. ‡Ich werde noch mal nachschauen, ob er weiterhin auf dem See herumgurkt." Zehn Sekunden später kehrte Turbo zurück. ‡Der Kerl muß einen sechsten Sinn für Gefahren haben. Der ist nicht mehr auf dem See, hat das Boot verlassen." ‡Vielleicht hat er euch auch gesehen", meinte Ela, ‡und die richtigen Schlüsse gezogen." ‡Ja, kann sein." Randy krauste die Stirn. ‡Die Polizei wird ins Leere fassen, vermute ich." ‡Bestimmt." Ela gab ihm recht. ‡Die Frage ist nur: Was machen wir jetzt? Uns verkriechen?" ‡Ich muß mit meinen Eltern reden." Randy klopfte auf den Fernseher. ‡Kann natürlich sein, daß wir dann sofort abreisen." ‡Und Oskar wird das zulassen?" ‡Das ist die Frage, Ela." ‡Nee, das Problem", meinte Turbo. ‡Wann kommen denn deine Eltern zurück?"
Randy hob die Achseln und schaute Ela dabei an. ‡Ich habe
keine Ahnung. Ich weiß ja nicht einmal, wo sie hin sind. Das ist alles ziemlich blöd, verflixt." ‡Zum Abendessen sind sie bestimmt da", meinte Turbo, ging zum Kühlschrank und holte eine Limoflasche heraus. ‡Und auch dieser Oskar." ‡Vergiß nicht die Araber, Ela." ‡Richtig, Randy. Weißt du, was das im Moment ist?" ‡Ja, eine große..." ‡Genau das, mein Lieber..." Zwei Sekunden später läutete das Telefon. Randy war mit einem Sprung am Apparat, hob ab und meldete sich. Er hörte die -95-
Stimme seines Vaters, der lachend meinte, daß er nicht damit gerechnet hätte, seinen Sohn im Zimmer zu finden. ‡Naja, wir..."
‡Hör zu, Randy, ich habe nicht viel Zeit. Es wird doch etwas später werden. Wir sind hier in Salzburg und haben noch einen Bekannten getroffen, mit dem wir essen gehen. Rechne damit, daß wir erst gegen Mitternacht wieder im Hotel eintreffen." -96-
‡Wirklich?" ‡Ja." Dr. Ritter lachte. ‡Ist das so schlimm?" ‡Im Prinzip nicht", murmelte Randy. ‡Aber da sind Dinge passiert, über die ich mit dir reden wollte." ‡Das kannst du auch später noch machen. Sorry, ich habe zu wenig Kleingeld. Bis später. Mutti läßt euch auch alle grüßen. Und macht uns keine Schande." ‡Bestimmt nicht, Vati." Randy sprach bereits in den toten Hörer. Schweiß stand auf seiner Stirn. Er legte langsam auf. Ela schaute ihn an. ‡Was hat dein Vater gesagt?" ‡Sie kommen später." ‡Wie spät?" ‡Mitternacht wird es schon werden." Ela Schröder bekam große Augen. ‡Oje", flüsterte sie, ‡dann müssen wir uns allein durchschlagen." ‡Darauf wird es hinauslaufen." Turbo hatte sich in einen Sessel gesetzt. Er trank seine Limo. Zwischen zwei Schlucken sagte er: ‡Ich bin der Meinung, daß wir unser Abendessen auf der Terrasse einnehmen. Da sind viele Zeugen. Hier im Zimmer fühlte ich mich isoliert." Keiner widersprach, aber wohl war ihnen nicht...
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7. Die Lage spitzt sich zu
Der Tag verabschiedet sich im Oktober schnell, die Dämmerung kommt und legt sanft ihr graues Tuch über das Land. Hier erreichte sie zuerst die Täler, wo sie die Häuser, die Wälder und auch den See in ihr feines Gespinst ein wob, während die Spitzen der Berge noch vom letzten Licht der verschwindenden Sonne angestrahlt wurden, die sie in einer kaum zu beschreibenden Farbenpracht erglühen ließ. An einigen Stellen leuchtete es dunkelrot, an anderen rosa und weiß. Die Eisgipfel aber brannten, als würden sie abgefackelt. Ein wunderbares Bild, etwas für Maler und Menschen, die sich an der Natur nicht sattsehen konnten. Normalerweise zählte das Schloß-Trio auch dazu, an diesem frühen Abend hatten sie jedoch für die Schönheiten der Natur keinen Blick. Sie wollten nach unten gehen, um sich auf die Terrasse zu setzen. Wie die Diebe schlichen sie durch den Flur, schauten sich vorsichtig um, immer darauf gefaßt, von irgendwelchen finsteren Gestalten beobachtet zu werden. ‡Nehmen wir den Lift oder die Treppe?" fragte Ela. ‡Die Treppe!" entschied Randy. Schnell hatten sie die beiden Stockwerke hinter sich gelassen. Aus dem Hallenbad kehrte eine Horde Kinder zurück. Noch naß, lachend und fröhlich enterten sie den Lift. Ela verzog das Gesicht. ‡So fröhlich möchte ich auch mal wieder sein", sagte sie sehnsüchtig. ‡Später bestimmt", murmelte Randy. Er dachte daran, wie sie vorhin noch einmal mit Harald Heller gesprochen hatten. Ihre Beobachtungen waren durch seine Aussage bestätigt worden. Der Polizei war es nicht gelungen, Oskar zu fassen. Der hatte schon das Weite gesucht. Aber Heller hatte ihnen versprochen, -98-
vorbeizuschauen und sie auf dem neuesten Stand zu halten. ‡SOS in den Alpen", hatte er ihnen gesagt. ‡Wir dürfen kein Bauwerk mehr zulassen." ‡Gehen wir außen herum?" fragte Turbo. ‡Okay." Der Wind war stärker geworden und hatte etwas aufgefrischt. Aber noch immer war es nicht so kalt, als daß man hätte draußen nicht mehr sitzen können. Die Dunkelheit war angebrochen, und überall leuchteten die Lichter. Als bunte Kette zogen sie sich am Rand der Terrasse dahin. Der Betrieb war abgeflaut. Zwar hatten die Geschäfte noch geöffnet, doch viele Touristen hatten sich jetzt in ihre Wohnungen, Hotels oder Pensionen zurückgezogen, um sich auf den Abend vorzubereiten. Aus den Supermärkten strömten die letzten mit Tüten vollbepackten Kunden, bevor auch diese Geschäfte schlossen. Am Eisstand vor dem Hotel wurde auch nichts mehr verkauft. Der See lag dunkel da. Nur in Ufernähe spiegelten sich zahlreiche Lichter, deren helle Kreise auf den Wellen zitterten und schwankten. Als ihnen drei Araber von der Bahnschranke her entgegenkamen, blieben sie in Deckung der Eisbude stehen. Es waren die falschen Leute. Sie verschwanden im Hotel, und die Freunde atmeten auf. ‡Manchmal sehe ich schon Gespenster", flüsterte Ela. ‡Ich auch", gab Randy zu. Turbo schaute auf seine Uhr. ‡Los, Freunde, setzen wir uns an den Tisch. Ich habe trotz allem etwas Hunger." ‡Etwas ist wohl untertrieben", meinte Randy.
‡Nun ja, Bergluft macht hungrig."
Es waren noch nicht viele Tische besetzt, als sie die Terrasse
betraten. Das Personal deckte noch. Neben dem Eingang zum Restaurant wurde ein kaltes Büffet aufgebaut, an dem sich die -99-
Gäste selbst bedienen konnten. Turbo bekam einen langen Hals. ‡Das wäre genau das Richtige für mich." Ela wunderte sich. ‡Was? Soviel kannst du vertilgen?" ‡Immer." ‡Ich nicht." ‡Du kannst ja etwas anderes nehmen." ‡Werde ich auch." Randy hatte inzwischen einen Tisch ausgesucht. Er stand fast in der Mitte der Terrasse, denn von dieser Stelle aus hatten sie einen guten Überblick in alle Richtungen. Sie konnten genau erkennen, wer sich näherte. Ela saß mit dem Rücken zum Wasser, Turbo schaute in Richtung des kalten Büffets, und Randy konnte den Restauranteingang unter Kontrolle halten. Als Turbo lachte, wunderten sich beide. ‡Was ist so lustig?" erkundigte sich Ela. ‡Ich habe nur an unsere Rheinfahrt von neulich gedacht. Da gab es auch ein kaltes Büffet." ‡Ja." Randy nickte heftig. ‡Und für mich fast ein nasses Grab, als Hauptgewinn gewissermaßen." Eine Kellnerin erschien, lächelte freundlich und erkundigte sich nach ihren Wünschen. ‡Ich gehe zum Büffet", erklärte Turbo mit fester Stimme. ‡Und wir hätten gern die Karte", bat Ela. ‡Gern, danke. Schon etwas zu trinken?" Sie bestellten Limo, doch Ela änderte ihren Wunsch und entschied sich für einen alkoholfreien Cocktail, aus mehreren Säften zusammengemixt. ‡Danke." Die Karte war reichhaltig. Es gab auch etwas für den kleinen
Appetit, was Ela wiederum sehr freute, denn viel essen konnte sie nicht. -100-
Man bot mehrere Salat-Variationen an, aber auch einen Spezial-Hamburger, für den sich Ela entschied. ‡Wäre das nicht auch was für dich?" Randy nickte. Er hatte zwar in die Karte geschaut, aber nichts mitgekriegt. Er war einfach zu unruhig, und irgendwie saß noch immer ein Kloß in seiner Kehle. Die Bedienung brachte die Getränke. Ela bestellte zweimal den Spezial-Hamburger. ‡Mit Ketchup extra?" ‡Ja." ‡Ist das Fleisch auch nur vom Rind?" fragte Randy.
Die Kellnerin lächelte. ‡Sogar von einheimischen Rindern."
‡Dann wird es uns schmecken." Turbo bekam noch zwei Bestecke extra, traute sich aber nicht aufzustehen. ‡Weshalb gehst du nicht los?" Unter dem Tisch stieß Ela den Freund an, während sie ihren roten Pullover glattzog, den sie wegen der abendlichen Kühle übergestreift hatte. ‡Ich... ich wäre der erste, das ist mir peinlich." ‡Einer muß es doch sein." Turbo nickte. ‡Stimmt auch wieder." Er stand auf, grinste und sagte: ‡Bis gleich dann." Randy stützte den Kopf auf. ‡Mann, der hat vielleicht Nerven. Die möchte ich auch mal haben." ‡Wirklich?" ‡Sicher." Ela bekam den Drink, nippte daran und verdrehte gleich entzückt die Augen. ‡Der schmeckt echt toll." Sie nahm noch einen Schluck. ‡Ehrlich, Randy, ich glaube, daß Turbo das gleiche Flattern hat wie wir auch. Er zeigt es nur nicht." ‡Kann sein. Allerdings würde ich mich wohler fühlen, wenn mein Vater oder Alfred hier wären." Er schlug mit der flachen -101-
Hand auf den Tisch. ‡Vati hatte kein Kleingeld mehr, als er anrief. Es ging vielleicht um zwei oder drei Schillinge, um mehr nicht. Meine Eltern könnten jetzt schon hier sein." ‡Ich glaube, daß wir es auch so packen, Randy." ‡Hoffentlich." Turbo kehrte zurück. Er hielt den Teller mit beiden Händen fest, denn er hatte ihn fürchterlich vollgehäuft. ‡Wahnsinn", flüsterte Ela, als Turbo seinen Platz einnahm. ‡Sag mal, bist du ausgehungert?" ‡So ähnlich." ‡Was ist das denn alles?"
Turbo tippte mit der Gabel die kleinen Leckerbissen an.
‡Fisch, Fleisch, Pastete..." Er hob die Schultern. ‡Na ja, was der Mensch eben halt so braucht. Das sind erst die Vorspeisen. Ich esse gleich noch warm. Da gibt es sogar Rouladen mit Kartoffelschnee." ‡Wo läßt du das eigentlich?" fragte Ela. ‡Notfalls im Klo." ‡Pfui, widerlich. Daß du dabei noch essen kannst, wenn du derartige Gedanken hast." ‡Du hast mich gefragt, ich habe dir geantwortet, das ist alles, Mädchen. Und jetzt werde ich zuschlagen." Turbo hatte nicht zuviel versprochen, er schlug tatsächlich zu. Und es mundete ihm ausgezeichnet. Randy ließ seine Blicke schweifen. In Gedanken war er bei Oskar und den Arabern. Die würden es sogar fertigbringen, sich hier im Hotel zu treffen. Noch sah es nicht danach aus, obwohl sich die Terrasse allmählich mit Gästen füllte. Turbo nahm noch ein Stück Weißbrot aus dem Korb und putzte auch den letzten Bissen vom Teller. ‡Holst du dir keinen Nachschlag?" hetzte Ela. -102-
‡Nein, aber das Hauptgericht. Ich kann da auch noch wählen. Ihr hättet es wirklich nehmen sollen." ‡Danke, wir sind nicht so verfressen." ‡Mich können nur Menschen beleidigen", konterte Turbo und stand auf. Zum zweiten Mal fiel er über das Büffet her. Ela reckte sich, wandte ihren Blick vom Wasser und drehte sich um. Endlich kam die Bedienung mit einem Tablett, auf dem ihre bestellten Hamburger waren. Zwischen den beiden Tellern ragte der Hals der Ketchup-Flasche in die Höhe. ‡So, da wären die Spezial-Hamburger", sagte sie und stellte die Teller ab. ‡Guten Appetit wünsche ich den Herrschaften." Sie bedankten sich. Die Hamburger sahen gut aus. Sie dufteten frisch. Auch die beiden Fleischscheiben, die zwischen den Brötchenhälften lagen, sahen gut aus. Ela griff zur Flasche und schaute zu, wie die rote Flüssigkeit sich über ihren Hamburger ergoß. ‡Du auch?" ‡Ja, etwas." Als Randy gerade das Ketchup verteilt hatte, erschien Turbo wieder. Der Kartoffelschnee bildete auf dem Teller einen Berg. Daneben lag eine Roulade - und zwei dünne Scheiben Fleisch. Darauf hatte er nicht verzichten können. ‡Willst du das auch noch essen?" fragte Ela interessiert. ‡Was dagegen?" ‡Nein..." Sie winkte ab und griff zu Messer und Gabel. Randy hatte schon den ersten Bissen probiert, nickte anerkennend, denn die Kellnerin hatte nicht übertrieben. Plötzlich klangen Schritte in seiner unmittelbaren Nähe auf. Ela hielt mit dem Essen inne, und selbst der gefräßige Turbo schaute hoch - und direkt in zwei grinsende dunkelhäutige Gesichter, die ein drittes einrahmten, das Turbo nicht kannte. Er war sich jedoch sicher, daß es dem Mann gehörte, den Randy in -103-
der Blockhütte gesehen hatte. Die beiden anderen mußten Leibwächter sein. Es waren nicht mehr viele Tische frei, ausgerechnet ihr rechter Nebentisch war nicht besetzt worden. Jetzt allerdings war es zu spät. Die drei Araber nahmen so Platz, daß sie die drei Freunde fest im Visier hatten... Turbo ließ seine Gabel sinken. ‡Die Roulade würde mir im Hals steckenbleiben", flüsterte er. ‡Und mir der Hamburger", murmelte Ela. Randy sagte nichts. Er spürte den Blick des Arabers aus der Hütte auf sich gerichtet. Verglichen mit ihm waren die beiden anderen Typen Waisenknaben. Der Mann mit dem schwarzen Bart in der Mitte war wesentlich kleiner als die beiden anderen, aber die Augen hielten Randy in ihrem Bann. Der Blick war so etwas von schlimm und kalt, daß Randy anfing zu frieren. ‡Ich bin Ahmed", sprach ihn der Araber an und lächelte dabei eisig. ‡Weshalb ißt du nicht weiter?" ‡Muß ich das?" ‡Hast du keinen Hunger?" ‡Wenn ich Sie sehe, nicht."
Ahmed lachte leise und bellend. ‡Gut gebrüllt, Löwe, wirklich
gut. Aber du solltest mehr Respekt vor den Mahlzeiten haben. Es kann immerhin deine letzte sein." ‡Glaube ich nicht." ‡Lassen Sie uns in Ruhe!" mischte sich Ela ein. ‡Du bist zu frech." Ela zeigte dem Mann einen Vogel, bekam aber trotzdem einen puterroten Kopf. Sie widmete sich wieder ihrem Hamburger, während sich die Bedienung nach den Wünschen der neuen Gäste erkundigte. ‡Rhizinusöl sollten die bekommen!" zischte Randy. ‡Dann -104-
kämen sie vom Topf nicht mehr weg." ‡Aber mit Handschellen", meinte Ela. ‡Denen ist doch nichts zu beweisen." Die Araber bestellten Lamm. Als Getränk hatten sie sich für Mineralwasser entschieden. Auch Turbo aß langsamer als sonst. Immer wieder schielte er zu den drei Männern hin, die miteinander redeten, aber dabei ihre Muttersprache benutzten, so daß die Freunde nichts verstanden. Die Blicke, die man ihnen zuwarf, reichten allerdings. Ahmed rückte seinen Stuhl etwas näher heran, so daß er beinahe schon zwischen Ela und Randy saß. ‡Ich wollte euch noch etwas sagen. Ich mag es nicht, wenn jemand in meinem Wagen schnüffelt. Das hättet ihr nicht tun sollen." ‡Hatten Sie denn etwas zu verbergen?" fragte Randy. ‡Nein." ‡Weshalb regen Sie sich dann auf?" ‡In unserem Land schlägt man Dieben, die erwischt werden, eine Hand ab." ‡Ich weiß." Randy nickte. ‡Zum Glück aber leben wir in Europa. Sie sollten sich an unsere Regeln halten." ‡Das habe ich bisher." ‡Dann ist es ja gut." Der Araber lächelte wieder. ‡Wer allerdings meine Pläne
stört, ärgert mich. Und ich will mich nicht ärgern. Es geht einfach um zuviel, falls ihr das begreifen könnt." ‡Um ein Hotel, wie?" zischte Ela. ‡Um die Verbauung und Zerstörung der Natur. Dem muß man einen Riegel vorschieben. Es ist eine Sauerei, wenn so etwas gemacht wird. Die Natur ist genug zerstört worden, da brauchen nicht noch solche Kästen hingestellt zu werden." -105-
‡Was verstehst du schon vom Geschäft?" Ahmed verzog die Lippen. Er sah arrogant aus. ‡Dazu noch als Mädchen." ‡Vielleicht nicht viel vom Geschäft, aber es geht nicht immer um Geld. Es gibt andere Werte. Klares Wasser, saubere Luft, ein nicht zerstörter Wald. Hier verändert sich einiges, das sollten Sie sich merken. Packen Sie Ihre Klamotten und hauen Sie ab. Bauen Sie Ihr komisches Hotel doch in der Wüste auf. Wenn da mal einer kommt und was trinken will, der hat dann Durst, kann ich Ihnen sagen." Der Araber sah sie eisig an. Was ihm hier am Tisch gesagt worden war, das mußte er zunächst einmal schlucken, und er verschluckte sich daran. Ela aß weiter. Sie war noch roter angelaufen, wunderte sich selbst über ihre Courage, aber das hatte sie gequält, und die Sätze hatten einfach rausgemußt.
‡Den hast du beleidigt", murmelte Turbo. Er saß vor seinem halbleeren Teller. -106-
‡Na und?" ‡Er wird es uns zurückzahlen." ‡Hier?" fragte Randy. ‡Denen traue ich alles zu."
Die Araber tuschelten wieder miteinander. Schließlich nickte
Ahmed und beugte sich zu Randy hinüber. ‡Ich hätte noch eine Frage, Junge." ‡Hören Sie auf, Mann." Der Araber ließ sich nicht beirren. ‡Wie bist du darauf gekommen, den Kofferraum meines Wagens zu durchsuchen?" ‡Ich sah ihn." ‡Wo?"
Randy verzog die Lippen in die Breite. ‡Das ist mein
Geheimnis, Sultan, ehrlich." Ahmeds Miene vereiste erneut. ‡Etwa bei der Hütte?" Randy mußte sich zusammenreißen, um nicht zu nicken. ‡Von welcher Hütte sprechen Sie?" ‡Das weißt du genau." ‡Nein." ‡Es war die im Wald." ‡Da gibt es viele." Ahmed nickte ihm zu. ‡Ja, es ist schade, daß er einen Fehlschlag hatte. Noch einmal wird das nicht vorkommen." ‡Sprechen Sie von Oskar?" fragte Turbo. Diesmal konnte Ahmed sich nicht beherrschen. Er zuckte zusammen. Wahrscheinlich hatte Turbo jetzt zuviel gesagt. Das gab ihnen auch der Araber zu verstehen. ‡Ihr wißt viel, sehr viel. Wissen ist Macht, aber manchmal tödlich." ‡Wir wissen sogar noch mehr", sagte Turbo. ‡Was denn?" -107-
‡Daß gleich euer Lammbraten serviert wird." Für Scherze dieser Art hatte keiner der Männer etwas übrig. Der Leibwächter an der linken Seite zog wieder seine Handkante quer über die Kehle, bevor er Turbo mit einem noch böseren Blick bedachte. Als das Essen kam, ließen es sich die drei Männer schmecken, ohne die Freunde aus den Augen zu lassen. ‡Sollen wir uns verabschieden?" fragte Randy. ‡Keine schlechte Idee." ‡Wie ist das mit dem Zahlen?" wollte Ela wissen. Randy winkte ab. ‡Das lassen wir auf die Rechnung setzen." Er drehte sich, um nach der Kellnerin Ausschau zu halten. Aber sie war zu weit weg. Dafür näherten sich ihnen zwei Männer. Einen davon kannten die Freunde. Es war Harald Heller. In seiner Begleitung befand sich ein Gendarm, und den dreien fiel ein Stein vom Herzen. ‡Jetzt bin ich mal gespannt", hauchte Ela. ‡Da seid ihr ja", begrüßte Heller die Freunde. ‡Auch gesund und munter?" Er zwinkerte ihnen zu. ‡Sicher", rief Ela so laut, daß ihre Worte noch am Nebentisch verstanden werden konnten. ‡Nur manchmal sind die Gäste nicht so, wie man sie sich eben vorstellt." ‡Aha. Sprichst du von den Freunden am Nebentisch?" ‡Genau." Ela nickte. ‡Das sind diejenigen, welche." Heller nickte Ahmed zu, was die Freunde verwunderte. ‡So sieht man sich wieder, Mister Ahmed. Ich glaube, Ihre Chancen sind gesunken. Sie haben nicht alle Menschen bestechen können." Der Araber sagte nichts. Er ballte nur die Faust, und seine Augen funkelten noch stärker. In seinem Innern mußte es kochen. Harald Heller beließ es vorerst bei dieser einen Bemerkung und stellte dem Schloß-Trio den Gendarmen als Oberwachtmeister Dernleitner vor. Der Mann machte vom -108-
Äußeren her einen gemütlichen Eindruck. Er brachte einige Pfunde zuviel auf die Waage, sein Gesicht war rund, der Mund klein. Jetzt aber blickte er böse. ‡Wollen Sie unsere Freunde da verhaften?" fragte Randy. ‡Das geht nicht ohne Beweise. Haben die euch etwas getan?" ‡Im Prinzip nicht", gab Randy zu. ‡Das kann ich mir denken", sagte Harald Heller. ‡Dazu sind sie zu schlau. Die schicken andere vor." ‡Wie Oskar", sagte Ela laut. Die Araber rührten sich nicht. Sie aßen auch nicht mehr. Plötzlich standen sie auf und gingen davon. ‡Halt sie doch auf!" rief Ela. ‡Kann ich nicht." Heller hob die Schultern. ‡Ich hätte es liebend gern getan, aber uns fehlen die Beweise. Ohne sie läuft nichts. Wir leben in einem Rechtsstaat." Er holte für sich und den Polizisten zwei Stühle heran. ‡So, und nun erzählt Herrn Dernleitner noch einmal, wo Ihr Oskar zuletzt gesehen habt." ‡Auf dem See", sagte Turbo. ‡Er war mit einem Boot draußen." ‡Und dann war er wieder verschwunden", erklärte Harald. ‡Leider sind wir zu spät gekommen. Habt ihr ihn am Abend schon einmal gesehen?" ‡Nein, nicht." Dernleitner hob einen Zeigefinger. ‡Der wird bestimmt noch hier sein und versuchen, die Scharte auszuwetzen. Ihr wißt, was das bedeuten kann?" Sie nickten synchron. ‡Deshalb habe ich schon", fuhr Dernleitner leise fort, ‡an eine Schutzhaft gedacht." ‡Wir im Knast?" fragte Ela. -109-
Der Oberwachtmeister schüttelte den Kopf. ‡So darfst du das nicht sehen. Es ist zu eurem eigenen Schutz. Wo sind denn deine Eltern, Randy?" ‡Die kommen erst gegen Mitternacht. Ich bin nicht einmal dazu gekommen, meinem Vater am Telefon einen Kurzbericht zu geben. Meine Eltern rechnen ja damit, daß wir heute eine tolle Wanderung gemacht haben." ‡Stimmt auch irgendwie", meinte Turbo. ‡Jedenfalls stecken die Araber und Oskar unter einer Decke!" faßte Harald zusammen. ‡Wir haben zufällig den Wagen gefunden und fanden dort Unterlagen über das Hotel." ‡Das ist nicht verboten, Turbo." Dernleitner nickte einige Male, bevor er sagte: ‡Ich kann euch nicht zwingen, euch bei uns in Schutzhaft zu begeben. Allerdings halten wir das Hotel unter Beobachtung. Wir wissen ja, wie Oskar aussieht. Sollte es ihm einfallen, euch einen Besuch abzustatten, haben wir ihn." ‡Wie sieht es denn auf dem See aus?" fragte Randy. ‡Da haben wir ein Boot mit zwei Leuten besetzt." Ela wiegte den Kopf. ‡Ich fürchte, daß der Typ schlauer ist als wir alle zusammen." ‡Ja, ein Profi", gab Harald zu. ‡Wie geht es deinem Bruder?" wollte Randy wissen. ‡Besser, der möchte am liebsten schon wieder mit seinem Drachenfliegen." ‡Lieber nicht." ‡Sage ich auch." ‡Wie dem auch sei, Freunde, gebt acht." ‡Wo finden wir Sie?" ‡Ich werde später auch ins Hotel kommen, habe aber noch -110-
einen dringenden Termin." ‡Die Araber wohnen übrigens links neben uns", bemerkte Ela. ‡Kein gutes Gefühl." ‡Das glaube ich euch." Heller stand auf und schaute sich um. ‡Die haben sich bestimmt zurückgezogen. Das sind Leute, die machen ihre Geschäfte nicht gern vor den Augen der Öffentlichkeit, und schon gar nicht, wenn Polizisten dabei sind." Er lächelte. ‡Na ja, ihr werdet es schon packen." Er und der Oberwachtmeister verabschiedeten sich. ‡Tja", sagte Turbo nach einer Weile und schaute auf sein Essen. ‡Ich komme mir trotzdem vor wie eine Zielscheibe." ‡Hör auf!" flüsterte Ela. ‡Hat es euch nicht geschmeckt?" Die Kellnerin stand neben ihnen und deutete auf die fast noch vollen Teller. ‡Bei mir war es zuviel", erklärte Turbo. ‡Und bei euch?" ‡Ich mußte immer an die armen Rinder denken", erklärte Ela. ‡Na ja, jeder ist eben anders." Schweigend räumte die Bedienung ab. Sie nahm es wohl als persönliche Beleidigung hin, daß die Teller nicht leergegessen waren. Auch die Freunde standen auf. ‡Und wohin jetzt?" fragte Ela. ‡Am besten auf den Mond", erwiderte Randy...
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8. Ein Mörder will es wissen ‡Schau nach, ob uns niemand folgt, Mustafa!" Einer der beiden Leibwächter drehte sich um, lief zurück und holte seinen Chef bald wieder ein. ‡Niemand da." ‡Das ist gut." Ahmed ballte die Hände zu Fäusten und fluchte in seiner Sprache. Dann sagte er: ‡Sie haben mich beleidigt, sie haben mich entehrt. So etwas hat noch niemand zu mir gesagt." ‡Ja, sie sollten bestraft werden."
Ahmed blieb stehen. ‡Wenn es Oskar nicht schafft, müßt ihr
es versuchen. Aber stellt euch nicht mehr so dumm an wie in der Tiefgarage. Da hat man ja nur lachen können." ‡Wir werden schon achtgeben." ‡Das hoffe ich für euch." Sie gingen weiter, denn sie hatten sich an einer bestimmten Stelle des Sees mit jemandem verabredet. Dort stand ein einsames Bootshaus, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Immerhin würden sie dort nicht von Spaziergängern gestört werden, denn an diesem Uferstreifen führte kein Weg entlang. Auch sie hatten die gepflegten Uferwege verlassen. Der Himmel über ihnen war sternenklar. Ein bleicher Halbmond hing dort oben wie eine gekippte Gondel. Dafür hatten die Araber keinen Blick. Sie wollten so rasch wie möglich ihr Ziel erreichen. Ahmed, der seine Lage realistisch einschätzen konnte, sagte sich, daß die Chancen für ihn vorüber waren. Er würde das Hotel nicht bauen können. Die Bewohner und vor allen Dingen diejenigen, auf die es ankam, waren gegen ihn, obwohl er einige von ihnen mit nicht gerade kleinen Summen geschmiert hatte. In diese Gegend verirrte sich auch bei Tageslicht kaum ein -112-
Mensch. Der Uferstreifen war öde und wirkte heruntergekommen. Man hatte den Platz zwar nicht gerade als Müllkippe benutzt, aber er war ungepflegt, voller Gestrüpp und Abfall. Vor ihnen hob sich als Schatten das Bootshaus ab. Es stand ungünstig. Wenn der See während der Schneeschmelze Hochwasser führte, dann spülten die Wellen bis in das Haus hinein. Dementsprechend feucht und faulig war das Holz geworden. Ahmed blieb stehen. ‡Ihr haltet hier draußen die Augen offen!" befahl er seinen Leibwächtern, die ihrem Chef wie Marionetten zunickten. Unter ihren Schuhen war der Boden weich. Manchmal sammelte sich Wasser in den Trittstellen. Am Ufer gegenüber schimmerten die Lichter eines kleinen Ortes über den See. Ahmed ging die Treppe zum Bootshaus hinauf. Es stand auf einer Plattform, so daß man wie auf einer Galerie um das Bootshaus herumgehen konnte. Ahmed wußte, daß Oskar oft überempfindlich reagierte, deshalb klopfte er sicherheitshalber an die Tür. ‡Ja?" ‡Ich bin da." ‡Komm rein!"
Ahmed öffnete die Tür vorsichtig. Noch vorsichtiger war
Oskar. Von der Seite her berührte eine kalte Gewehrmündung Ahmeds Hals und zwang den Araber, stehenzubleiben. ‡Nimm das weg!" ‡Okay, ich wollte mich nur überzeugen. Ohne mein Mißtrauen wäre ich nicht mehr am Leben." Der Araber zog die Nase hoch, als er zwei Schritte weiter in den Raum hineinging. ‡Wonach riecht es hier?" ‡Nach Hähnchen." -113-
‡Auch das noch." ‡Wieso?" ‡Du frißt und andere..." ‡Ich habe Hunger gehabt." Der Killer bewegte sich und riß ein Zündholz an. Eine Kerze flackerte auf. Oskar blieb hinter ihr stehen. Über die Flamme hinweg starrte er den Araber an. ‡Was ist los?" ‡Es läuft nichts mehr." ‡Meine Schuld?" ‡Auch." Oskar lachte. ‡Du hast den Fehler gemacht. Du darfst nicht
vergessen, daß wir Europäer anders denken als ihr. So bombensicher war die Sache gar nicht." ‡Der Komplex wird nicht gebaut. Die meisten sind abgesprungen." Oskar nickte. An der Kerze zündete er sich eine Zigarette an und blies Rauchwolken über die Flamme. ‡Okay, was habe ich damit zu tun?" ‡Auch du hast versagt." ‡Das gebe ich zu." Der Araber streckte seine rechte Hand aus. ‡Ich will mein Geld zurückhaben. Die Zwanzigtausend, die ich dir in einem Anfall von Wahnsinn gegeben habe." Mit dem Gewehrlauf kratzte sich Oskar am Kopf. Auch jetzt blieben seine Gesichtszüge unbewegt. ‡Zwanzigtausend?" ‡Ja, zum Teufel." ‡Daran müßte ich mich doch erinnern können. Tut mir leid, ich habe eine Lücke." Ahmed begann zu schwitzen, denn der Killer hatte sein Gewehr gesenkt und die Mündung direkt auf ihn gerichtet. ‡Sag mal, wo sind deine beiden Wachhunde geblieben?" -114-
‡Draußen." ‡Weit weg?" ‡Nein." ‡Das ist gut." Oskar ging einen Schritt vor und schob dabei mit der Fußspitze die aufgerissene Hähnchentüte zur Seite. ‡Das ist sogar sehr gut." Er lachte. ‡Zwanzigtausend, Mann, du hast einen Riß in der Hirnschale, wenn du denkst, daß ich dir den Kies zurückzahle. Alles kannst du verlangen, nur das nicht. Das gehört zu den Risiken, die man eingehen muß. Du hast verloren, ich habe verloren, wir haben gemeinsam verloren. Trotzdem gehört das Geld mir. Ich werde die Scheine behalten, ob es dir paßt oder nicht." ‡Gib das Geld zurück." Da stieß Oskar mit dem Gewehrlauf zu. Der Araber bekam eine grüne Gesichtsfarbe und wankte zurück. Die Holzwand hielt ihn auf. Oskar warf die Kippe durch einen Türspalt nach draußen, wo sie im See verzischte. Früher einmal hatte er geboxt, seine Linke war berüchtigt gewesen. Und schon flog sie auf den Araber zu. Ahmed wollte mit dem Kopf noch ausweichen, war aber viel zu langsam. Dann sah er zahlreiche Sterne vor seinem Gesicht zerplatzen und verabschiedete sich für die nächste Zeit. ‡Zwanzigtausend", murmelte Oskar. ‡So weit kommt es noch." Er rieb seine linke Faust an der Hosennaht ab und zerrte anschließend den leblosen Körper in eine Ecke. Blieben die beiden Leibwächter. Oskar ging zur Tür, öffnete sie spaltbreit und stieß einen leisen Pfiff aus. Als sich nichts rührte, rief er in die Dunkelheit: ‡He, kommt mal her, euer Chef hat was mit euch zu bereden." Die Typen trabten tatsächlich an wie zwei alte Ackergäule. Da hatte sich Oskar schon wieder zurückgezogen. Im Dunkeln wartete er ab. Nacheinander betraten sie das Bootshaus. -115-
Den ersten erwischte der Kolben einen Schritt hinter der Schwelle. Der zweite hörte zwar noch das Pfeifen, war aber zu langsam, verdrehte die Augen, und auch für ihn ging die Welt zunächst einmal unter. Oskar hatte diesen Erfolg gebraucht. Grinsend zerrte er die beiden Leibwächter tiefer in das Bootshaus, suchte im Licht einer Taschenlampe nach verdächtigen Spuren und war zufrieden, daß er außer Hähnchenknochen nichts zurückgelassen hatte. ‡Dann schlaft mal wohl!" sagte er zum Abschied. An der Tür blieb er stehen und schaute in die Nacht. Nichts war zu sehen. Ruhig lag der See vor ihm. Oskar packte sein Gewehr wieder ein. Der Geigenkasten hatte ihm bisher gute Dienste erwiesen. Er schlug die Tür zu und ging am Wasser entlang, bis er in einen Gestrüppgürtel eintauchte, dort in guter Deckung hockenblieb und nachdachte. Wenn er die Zweige zur Seite bog, konnte er in der Ferne das große Hotel auf der Landzunge erkennen. Es lag dort wie ein weißes, illuminiertes Schiff, denn über dem eigentlichen Dach wölbte sich eine Glaskuppel, in dem die Hotelbar untergebracht war. Einige hielten sie für die schönste Hotelbar in Zell am See; denn von dort oben war die Aussicht einfach super: Prächtig und weit über den See hinweg, bis hin zu den eisbedeckten Gletschern. In die Bar konnte jeder hinein; sie war nicht nur für die Hotelgäste bestimmt. Oskar war klar, daß man nach ihm fahndete. Sein Job war beendet. Was also hielt ihn noch in Zell am See? Daß man ihn erkannt hatte, stand fest. Wenn er jetzt versuchte, den Ort mit dem Zug zu verlassen, würde man ihn bestimmt am Bahnhof sehen. Es war also besser, wenn er noch die Nacht über blieb und sich am nächsten Morgen mit einem Taxi wegfahren ließ. -116-
Er hatte bewußt kein Zimmer genommen, das alte Bootshaus war sein Unterschlupf gewesen. Er war so professionell vorgegangen; um so mehr ärgerte es ihn, daß er sich von einem jungen Burschen hatte überlisten lassen. Sollte er nicht ihm und den beiden anderen einen Denkzettel verpassen? Vielleicht war es auch gut zu erfahren, was die Kameraden alles wußten. Dann lächelte er plötzlich, denn er dachte daran, daß sich die Halbwüchsigen auch als Geiseln eigneten. Ja, das war die Idee. Mit ihnen als Geisel kam er unbeschadet aus dem verfluchten Kaff heraus. Ein Wagen war schnell aufgebrochen, darin war er ein Meister. Das Lächeln blieb, als er zum Seeufer ging und sein Gewehr in hohem Bogen ins Wasser schleuderte. Beim nächsten Auftrag würde man ihm eine neue Waffe besorgen. Ganz ‡nackt" war er schließlich auch nicht. Immerhin steckte noch ein schwerer Revolver in seinem Gürtel...
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9. Warten auf den Mörder Schon seit einer Viertelstunde standen die Freunde in der Halle, waren ratlos und wußten nicht, wo sie sich verstecken sollten. ‡Müssen wir das überhaupt?" fragte Ela schließlich. Sie blätterte einige Prospekte durch, ohne recht auf den Inhalt zu achten. ‡Weiß ich auch nicht", erwiderte Turbo. ‡Und du, Randy?" ‡Keine Ahnung." Ela legte den Prospekt auf einen Tisch zurück. ‡Mich würde
mal interessieren, ob sich die Araber in ihren Zimmern aufhalten?" ‡Von draußen habe ich kein Licht gesehen", sagte Turbo. ‡Die wohnen direkt neben uns, Zimmer 224. Ich brauche nur die entsprechende Nummer von hier aus zu wählen..." ‡Vorausgesetzt, es hebt einer ab." ‡Das probiere ich." Ela ging zu einem der Telefone, hob den Hörer ab, wählte die Nummer, es läutete einige Male durch, aber niemand meldete sich. ‡Die scheinen nicht im Zimmer zu sein." ‡Oder heben nicht ab." ‡Kann auch sein, Turbo. Was machen wir jetzt?"
‡Ich habe Durst", sagte der Junge aus Japan.
‡Den du löschen willst." ‡Richtig, Ela."
‡Und wo?"
‡In der Hotelbar." Ela und Randy schauten Turbo an wie einen Fremden.
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‡Meinst du die unter dem Dach?" ‡Nein, Ela, die auf dem Dach." ‡Ja, die soll super sein." Das Mädchen stieß Randy an. ‡Wie wäre es, wenn du zustimmst." Randy hob die Schultern. ‡Wenn ihr schon dafür seid, bleibt mir nichts anderes übrig, als ebenfalls zuzustimmen. Außerdem ist das der richtige Ort für uns. Da kann der Kerl ruhig erscheinen, dort werden so viele Zeugen sein, daß er einfach keine Chance hat. Außerdem glaube ich nicht, daß er da raufkommt. Der hat bestimmt längst das Weite gesucht." ‡Die Straßen werden kontrolliert, glaube ich." ‡Okay, Turbo, wenn ich aus Zell herauskommen will, schaffe ich es auch so. Glaubt mir das. Und wenn es zu Fuß ist." ‡Ich meine, daß sich Oskar mit den Arabern getroffen hat", sagte Ela. ‡Die werden Kriegsrat halten." ‡Und den verlorenen Chancen nachjammern", fügte der Junge aus Japan hinzu. ‡Los, kommt, ich will endlich meinen Drink haben", quetschte er zwischen den Zähnen hervor und tat auf lässig. Einige Hotelgäste in der Nähe schauten die Freunde erstaunt an, sagten jedoch nichts. Zur Bar direkt führte der Lift nicht hoch. Sie mußten ihn ein Stockwerk tiefer verlassen und den Rest der Strecke eine schmale Treppe hochgehen. Am Treppenaufgang befanden sich auch die Toiletten. Ihre Türen waren in kleinen Nischen versteckt. Aus der Bar drang ihnen Klavierspiel entgegen. Seichte und sanfte Melodien, als Hintergrundmusik gedacht, nicht störend und auch nicht so laut, daß sie die Gespräche der Gäste übertönten. Hintereinander stiegen sie der Bar entgegen. Ela hatte Turbo vorgeschoben. ‡Du bist unser Scout", wisperte sie. -119-
‡Wieso ich?" ‡Weil es einer sein muß." ‡Ach wie toll." Das Licht im Flur war hell gewesen. Auf halber Treppe wechselte die Beleuchtung. Sanft und weich floß das Licht aus violetten Lampen. Die Freunde traten in die Bar ein. Rechts und links wuchsen die durchsichtigen Wände in die Höhe. Die Sicht war einfach enorm. Man sah über den Zeller See bis hin zu den mächtigen Schatten der Berge, wo an den Hängen hin und wieder ein Lichtpunkt flimmerte. Ein grandioses Bild, von dem sich auch die drei Freunde im ersten Augenblick gefangennehmen ließen. Der Raum war mehr lang als breit, und an einer der Längsseilen saß ein Klavierspieler vor einem Flügel. Er trug lockere Kleidung, sah aus wie ein Student, der sich ein paar Schillinge nebenbei verdiente. An den Glaswänden standen kleine runde Tische mit niedrigen Stühlen. Über den Boden huschten Lichtreflexe, so daß es aussah, als würde man sich auf einer Wasserfläche befinden. Von der Treppe aus gesehen rechts und etwa ein Drittel des Raumes einnehmend, befand sich die eigentliche Bar. Es war noch früh. Der Raum war nur spärlich besetzt. An den Tischen im Hintergrund saßen einige Pärchen. Sie wurden von einer aufgedonnert wirkenden Barmaid bedient, die ein Minikleid trug, durch dessen schwarzen Stoff Silberfäden gewoben waren. Ihr Haar war turmartig frisiert. Die Frau lächelte den Freunden zu, als sie, eingehüllt in eine Parfümwolke, an ihnen vorbeischwebte. Ela rümpfte die Nase. ‡Mann, die ist ja in ein Parfümfaß hineingefallen." -120-
‡Wohl fühlst du dich nicht, wie?" ‡Nee, Randy, ist nicht meine Welt." ‡Sollen wir gehen?" ‡Woher denn? Schauen will ich mal. Außerdem habe ich Durst bekommen." ‡Na gut." Sie fanden drei freie Hocker an der Theke. Hinter ihr hantierte ein junger Mann, der eine schwarze Jacke trug und wohl stolz auf seinen perfekt gestutzten Bart war, der sein Kinn markant umrahmte. Er lächelte sie an und erkundigte sich nach ihren Wünschen. ‡Haben Sie auch was Alkoholfreies? fragte Randy. ‡Aber sicher doch. Was darf es denn sein?" ‡Die Karte", sagte Turbo weltmännisch, während Ela anfing zu kichern. Sie hatte ihre Verlegenheit inzwischen überwunden. Man gab sie ihnen. Die Pappe glänzte wie schwarzer Lack. Randy klappte sie auf und drehte sie so, daß Ela auch mitlesen konnte. Außer der üblichen Limo gab es noch gemixte Drinks ohne Alkohol, auf die Ela sehr spitzte. ‡Traum der Karibik, den nehme ich."
Turbo hatte ebenfalls mitgelesen und verzog die Lippen.
‡Meinst du den mit Kokosmilch?" ‡Ja." ‡Ist mir zu süß."
‡Du brauchst ihn ja nicht zu trinken." Die Jungen bestellten beide Bitter Lemon, während Ela ihren
‡Traum der Karibik" gemixt bekam. ‡Der wird dir munden", sagte der Barkeeper und fragte weiter. ‡Seid ihr mit euren Eltern hier im Hotel?" ‡Klar." ‡Gefällt es euch?" -121-
‡Wir sind erst den zweiten Tag hier", erklärte Ela. ‡Das ist affenstark, besonders hier oben. Aber im Winter ist es noch besser. Da müßt ihr mal kommen." ‡Wieso?" fragte Randy, ‡fahren da keine Züge?"
Der Bärtige winkte ab. Mit der anderen Hand schüttete er die
Kokosmilch in das Longdrinkglas. ‡Das darf man nicht so eng sehen, Freunde. Man gewöhnt sich an alles." ‡Aber nicht an Züge, bei denen man in der Nacht das Gefühl hat, sie würden einem durchs Zimmer rollen." Der Keeper schüttete alles in einen Mixer und ließ das Gebräu gut durchrühren. ‡Die Fenster haben doch Doppelverglasung. Da kann das nicht so schlimm sein." ‡Wenn man sie schließt, nicht", meinte Turbo. ‡Nur schlafen wir gern bei offenem Fenster. Soll ja auch gesünder sein. Aber Lärm macht krank, so hält sich alles die Waage." Der Mixer merkte wohl, daß er gegen das Schloß-Trio nicht ankam und ließ das Thema bleiben. ‡So, hier sind eure Drinks." Er baute Gläser und Flaschen vor ihnen auf und schob auch eine Schale mit Erdnüssen in ihre Nähe. Ela, die eigentlich gern Erdnüsse aß, ließ die Finger davon. Sie sahen ihr schon zu weich aus. Der Drink aber schmeckte, wie sie ehrlich verkündete. ‡Na bitte", sagte der Mann hinter der Bar mit einem Lächeln. ‡Endlich etwas Positives hier im Hotel." ‡Kommen die Araber auch her?" fragte Turbo. Der Barkeeper runzelte die Stirn. ‡Habt ihr was gegen Araber?" ‡Bestimmt nicht, war nur eine Frage." ‡Ja, sie fühlen sich wohl bei uns. Die Leute haben sich hier eingekauft. Ihnen gehören die meisten der Apartments, mußt du wissen. Die sind ganz schön auf Draht." -122-
‡Ich habe auch nichts gegen sie gesagt. Nur hörte ich, daß in Zell ein neues Hotel in den Bergen gebaut werden soll." ‡Ja, stimmt."
‡Und?" Der Keeper hob die Schultern. ‡Viele sind dagegen. Das hat schon Ärger gegeben." ‡Auch mit den Arabern!" fügte Turbo hinzu. ‡Ist nicht mein Bier." Der Keeper hob beide Arme. ‡Ich mache nur meinen Job." Er mußte einen anderen Gast bedienen und ließ die drei Freunde allein. ‡Mist", sagte Ela. ‡So denken viele: Ist nicht mein Bier, ich mache nur meinen Job, laßt mich in Ruhe. Das ist doch alles irgendwie zum Heulen." -123-
Randy schlug ihr auf die Schultern. ‡Wenigstens haben wir einen kleinen Erfolg zu verbuchen. Hier werden neue Kästen nicht gebaut." ‡Auch nicht in zehn Jahren?" ‡Keine Ahnung." Randy rutschte vom Hocker. ‡Kannst du nicht sitzen?" fragte Turbo. ‡Ich muß mal für Königstiger." ‡Stolpere nicht", rief Ela ihm hinterher. ‡Und mach für mich mit", sagte Turbo noch. Die Barmaid grinste wieder, als Randy an ihr vorbeiging und eine erneute Parfümwolke seine Nase streifte. Die Luft hier oben war nicht gut. Er hatte beschlossen, in der Bar auf keinen Fall alt zu werden. Von unten kamen ihm neue Gäste entgegen, die lachten und sich gutgelaunt unterhielten. Randy ließ sie vorbei und lief den Rest der Stufen hinab. In der Bar war es zu warm gewesen. Er freute sich über die Kühle in den Toilettenräumen. Er wusch sich die Hände und schaute in den Spiegel, in dem er auch die Eingangstür hinter ihm sehen konnte. Randy war allein im Waschraum, aber ihn beschlich ohne rechten Grund ein ungutes Gefühl. Vielleicht lag es daran, daß er über die Ereignisse des Tages noch nachdachte und sich immer wieder im Sessellift sitzen und den Kerl mit den versteinerten Gesichtszügen hinter dem Stein hocken sah. Es waren schlimme, fürchterliche Sekunden gewesen, noch jetzt spürte er den Schock. Er hielt seine nassen Hände unter einen Trockner und schritt zur Tür. Randy trat hinaus und ging auf die Treppe zu. Er wollte schon die erste Stufe betreten, als er den Mann sah, der mit dem Rücken zu ihm auf halber Höhe die Treppe hinaufstieg. -124-
Er trug Jeans, seine Schuhe waren feucht und an den Seiten mit einer Lehmkruste verschmutzt. Die lange Parkajacke, deren Saum über die Oberschenkel hinwegreichte, kam Randy ebenfalls bekannt vor. Nur trug der Mann diesmal keine Mütze. Er war es, kein Zweifel: es war Oskar! Randy wollte weglaufen, sich verstecken und gleichzeitig seine Freunde warnen. Er stand jedoch wie gelähmt auf dem Fleck. Die Zeit schien viel langsamer zu vergehen als sonst. Er spürte eine Gänsehaut im Nacken, gleichzeitig auch einen Druck im Magen und Schweiß in seinen Handflächen. Der Kerl würde gleich die Bar betreten und Randys Freunde entdecken. Er hatte also noch nicht aufgegeben. Vielleicht wollte er seinen Job zu Ende bringen. Randy Ritter schossen die Gedanken durch den Kopf, ohne daß er in der Lage war, etwas unternehmen zu können. Oskar ging weiter. Noch zwei Stufen, dann mußte er das Ende der Treppe erreicht haben. Da drehte er sich plötzlich um. Sogar ziemlich schnell, aber Randy kam es vor, als würde er sich im Zeitlupentempo bewegen. Der Junge fühlte sich wie auf einer von dichter Watte umgebenen Insel. Er hörte das Klavierspiel zwar, nur kam es ihm so entfernt vor und irgendwie verfremdet. Vor ihm wuchs Oskar zu einem Riesen. Ein böser, gefährlicher Koloß. ‡Da bist du ja", sagte der Killer und grinste breit. Ein Schauer kroch über Randys Rücken, er wollte wegrennen; doch der einzige, der sich in Bewegung setzte, war Oskar. Er ging, obwohl es Randy vorkam, als würde ihm ein böser Geist entgegenschweben. Als sich der Junge wieder gefangen hatte, war es zu spät. Er -125-
kam nicht mehr weg, denn Oskar war schneller, und sein Griff besaß die Härte einer Metallklammer. Seine rechte Hand lag auf Randys Schulter. Oskar krümmte die Finger, der Griff verstärkte sich noch, und sein Gesicht kam drohend näher. ‡Hallo", sagte der Mann. ‡Lange nicht mehr gesehen, wie?" Darauf hätte ich auch verzichten können, wollte Randy sagen. Aber er schaffte es nicht, nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Nicht einmal einen Hilfeschrei konnte er ausstoßen. Er stand nur da, spürte den Druck der Hand und atmete heftig. ‡Irgendwann reißt jede Pechsträhne", höhnte Oskar. ‡Auch meine geht einmal zu Ende. Heute abend ist so eine Sternstunde. Ich habe wieder Glück, und du bist mein Pfand." Endlich schaffte es der Junge, eine Frage zu stellen. ‡Was... was wollen Sie denn von mir?" ‡Dich mitnehmen." ‡Nein!" Randy hatte zurückzucken wollen, aber der Mann verstärkte den Griff. ‡Nichts geht mehr, Junge, gar nichts. Ich habe das Sagen." Er stieß ihn zurück, tiefer in den schmalen Gang, in Richtung der Fahrstühle. ‡Wir beide werden eine abendliche Fahrt unternehmen, wie zwei alte Freunde, mein Junge, und wenn du dich irgendwie dumm benimmst, ist es aus." ‡Nein!" Randy holte tief Luft. ‡Ich werde..." ‡Mit mir fahren!" Es glich schon Zauberei, aber Oskar hatte es geschafft, einen Revolver zu ziehen. Der Junge schielte nach unten auf den matt glänzenden Lauf, dessen Mündung sich nur eine Fingerlänge von seinem Bauch entfernt befand. ‡Muß ich noch mehr sagen?"
Randy schüttelte den Kopf.
‡Dann ab in den Lift." -126-
Randy ließ sich herumdrehen. Bis zur Tür waren es nur zwei Schritte. Sie verschwamm vor seinen Augen. Das kleine, viereckige Fenster darin kam ihm vor wie ein grinsendes Auge.
Der Mann zerrte die Tür auf, und Randy bekam einen Stoß, der ihn in die Kabine katapultierte. ‡Wohin?" ‡Erdgeschoß, Junge. Los drück den Knopf." Randy nickte. Der Lift ruckte an, dann glitt er in die Tiefe.
Oskar grinste, und Randy war fahl vor Angst im Gesicht.
Wie sollte das enden?
‡Schmeckt das Zeug überhaupt?" fragte Turbo. Er schaute zu, wie Ela den dritten Schluck nahm. ‡Sonst würde ich es nicht trinken." Turbo schüttelte sich. ‡Irgendwie kommt mir das widerlich
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vor. Außerdem ist es mir hier oben zu warm." ‡Mir auch." ‡Alt werde ich hier nicht." ‡Wo willst du denn hin?" fragte Ela, ohne den Strohhalm aus dem Mund zu nehmen. ‡Das ist eine gute Frage." ‡Und die Antwort?" Turbo zuckte mit den Achseln. ‡Ich werde mal hören, was Randy zu der Sache sagt." ‡Nicht viel. Was bleibt uns denn?" ‡Das Hotel und die Abreise." ‡Darauf kannst du Gift nehmen." Ela nickte heftig. ‡Warte mal, wenn die Ritters hier sind. Von wegen, noch länger Ferien machen. Das kommt nicht in die Tüte." ‡Würde mir auch nicht gefallen. Dieser Oskar ist für mich kein Mensch. Ich habe Angst. ‡Ich auch, Turbo." Der Junge trank und drehte den Kopf, um zur Treppe zu schauen, über die Randy verschwunden war. Der Mann am Klavier hatte ein Bier bekommen, das Glas geleert und ging gerade mit frischen Kräften und flinken Fingern wieder ans Werk. Er intonierte Melodien aus bekannten Musicals und spielte auch jetzt angenehm leise. Ela stöhnte auf. ‡Was hast du? Gefällt dir die Musik nicht?" ‡Die ist mir egal. Aber ich frage mich, wo Randy bleibt? Der läßt sich aber lange Zeit." ‡Wird eben länger dauern." Turbo grinste und wollte noch etwas hinzufügen, aber Ela fuhr ihm rasch über den Mund. ‡Laß es lieber." ‡Soll ich mal nachschauen?" -128-
‡Klar, in zehn Minuten. Dann habe ich auch genug von dieser tollen Baratmosphäre." Sie streckte sich. ‡Außerdem finde ich die Hocker unbequem." ‡Du hast auch immer was zu meckern." ‡Ich meckere nicht, ich stelle nur fest." Ela saugte wieder an ihrem Drink. Sie schlürfte die letzten Reste aus dem Glas und saugte sogar die Schaumblasen mit dem Halm auf. ‡Streichkäse", sagte Turbo plötzlich. ‡Was ist?" ‡Ich könnte jetzt ein Brot mit Streichkäse essen." Ela schüttelte den Kopf. ‡Du hast vielleicht Gelüste - ehrlich. Wie kann man nur auf so etwas kommen?" Turbo stemmte seine Ellenbogen auf den Handlauf und meinte: ‡Ich bin eben anders." ‡Das habe ich gemerkt." Ela drehte sich nach rechts, der Hocker neben ihr war nicht besetzt. Sie wollte ihre Beine ausstrecken, und während sie sich zurechtsetzte, hatte sie einen guten Blick zum Bareingang und auf die Leute, die hereinkamen. So war es auch bei der Person, die eigentlich die Bar betreten wollte, allerdings noch auf der Treppe stehenblieb. Ela sah das Gesicht - und erbleichte! Plötzlich saß sie so regungslos und starr, daß es Turbo auffiel. ‡Was hast du denn?" ‡Das... das darf nicht wahr sein. Er ist da!" ‡Randy?" ‡Nein-Oskar!" ‡O Gott." Auch Turbo erbleichte, rückte dicht an Ela heran und warf ebenfalls einen Blick zum Eingang, wo das Gesicht genau in dem Augenblick verschwand. ‡Er ist wieder umgekehrt", flüstere Ela. -129-
‡Wieso?" ‡Weiß ich nicht." ‡Denkst du an Randy?" Ela starrte Turbo ins Gesicht. ‡Und wie ich an ihn denke.
Meine Güte, wenn er Oskar in die Quere läuft, dann ist alles verloren. Der wird kein Pardon kennen." ‡Möchtet ihr noch etwas trinken?" fragte der Keeper. ‡Nein, zahlen." Turbo reagierte schnell. Er warf einen Schein auf die Theke und wartete gar nicht auf das Wechselgeld, denn Ela war bereits auf dem Weg zur Treppe. Turbo folgte ihr. Einige Gäste sahen erstaunt auf, als die beiden vorüberhasteten. Als sie an der Treppe waren, zeigte sich, daß sie zu spät kamen. Turbo hetzte die Stufen hinab. Er wollte eigentlich in der Toilette nachsehen, schaute zufällig nach links und rief: ‡Komm!" Ela war wie der Blitz bei Turbo, der sie am Arm faßte und zum Fahrstuhl zog. ‡Ich habe Oskar und Randy gesehen." ‡Im Lift?"
Der Junge nickte.
‡Wir nehmen die Treppe", entschied Ela. Vor Aufregung und Furcht hatte sie feuchte Handflächen bekommen. Sie wäre fast die Treppe hinuntergefallen, so hektisch war sie. Zum Glück konnte sie sich am Geländer festhalten. In Rekordzeit erreichten die beiden die Hotelhalle. Viele Gäste saßen noch im Restaurant und tranken. Sie waren von der Terrasse hereingekommen, denn draußen war es inzwischen kühl und feucht geworden. ‡Wo können sie hin sein?" fragte Ela. -130-
‡Wahrscheinlich sind sie vorn hinaus." ‡Gut." Beide wandten sich nach rechts, liefen mit langen Schritten durch die Halle, bis sie den gläsernen Vorbau des Eingangs vor sich hatten. Er bestand aus zwei voneinander unabhängigen Türen, die durch eine Vitrine getrennt waren. Ela stürmte rechts hinaus, Turbo entschied sich für die linke Seite. Dann waren sie draußen. Da während des Tages vor dem Hotel ständig viel Trubel herrschte, kam ihnen der Platz in der Dunkelheit wie leergefegt vor. Es war niemand zu sehen. Erst hinter der Bahnschranke sahen sie einzelne Spaziergänger, die in die Auslagen der hellerleuchteten Schaufenster blickten. ‡Nichts", flüsterte Ela. Als sie gerade überlegten, wohin sie gehen sollten, hörten sie hinter sich eine bekannte Stimme. ‡Hallo Ela, Turbo, ihr seid hier?"
Erschreckt fuhren sie herum.
Frau Ritter kam ihnen entgegen. Hinter ihr zeichnete sich die
Gestalt ihres Mannes ab. Lachend trat sie auf die Freunde zu. ‡Wir sind schon etwas früher wieder zurückgekommen." Fragend sah sie die beiden an. ‡So, und jetzt sagt mir nur, wo Randy steckt?" Turbos Haut am Nacken spannte sich. Er hatte das Gefühl, als würde eine kalte Hand über die Nackenhaare streichen; rasch drehte er sich zur Seite. ‡Was ist passiert?" fragte Marion Ritter, die sofort etwas gemerkt hatte. Auch Ela konnte keine Antwort geben, dafür warf sie sich einfach in Frau Ritters Arme und weinte.. -131-
10. In letzter Sekunde
Es war kühler geworden, beinahe schon kalt. Trotzdem fror Randy nicht; er schwitzte. Sie hatten das Hotel verlassen, und Randy kam der Ort in seiner Leere gespenstisch vor, obgleich noch hinter vielen Fenstern Licht war.
Aber es waren kaum Leute unterwegs. Randys Blick glitt hoch in Richtung Schmittenhöhe, wo alles begonnen hatte. Jetzt lagen die Berge im Schatten der nächtlichen Finsternis; vereinzelte Lichter grüßten wie fremde Sterne. Oskar stand dicht neben ihm. Sein warmer Atem streifte Randys rechte Wange. ‡Das hätten wir geschafft, jetzt geht es weiter, mein Junge." ‡Wohin?" -132-
‡Zum See, ich will raus hier." ‡Haben Sie ein Auto?" ‡Das werde ich mir besorgen." Randy hob die Schultern. Er konnte nichts tun. Oskar hielt ihn mit dem Revolver unter der Jacke in Schach. Die Mündung war direkt auf die Brust des Jungen gerichtet. Randy setzte sich in Bewegung. Wieder ging er an der geschlossenen Eisbude vorbei, er passierte die Terrasse, wo nur noch wenige Gäste saßen und die bunten Glühbirnen irgendwie verloren zwischen den Bäumen hingen. Auf der den Fußgängern und Radfahrern vorbehaltenen Promenade am See brannten zwar Laternen, aber ihr Licht reichte gerade aus, um die unmittelbare Umgebung zu erhellen. Nur wenige Spaziergänger waren auf der Promenade unterwegs. Am Seeufer war es noch kühler als in der Stadt. ‡Wenn du dich nur einmal falsch bewegst oder anfängst zu schreien, drücke ich ab!" ‡Verstanden." Oskar hatte nicht ohne Grund diese Warnung ausgestoßen, denn gerade kam ihnen ein älteres Ehepaar entgegen, das sich eingehakt hatte. Sie grüßten freundlich, und Randy gab den Gruß zurück. Je weiter sie sich vom Hotel entfernten, desto einsamer wurde ihr Spaziergang. Randy fühlte sich sehr allein, die Angst hatte eine ständige Gänsehaut auf seinem Rücken entstehen lassen. Links von ihnen schimmerte der See, als wäre die Oberfläche dunkelgrau gestrichen. Fern am anderen Ufer funkelten Lichter. ‡Wie weit muß ich noch gehen?" fragte Randy. ‡Wir erreichen bald einen kleinen Parkplatz. Da organisiere ich mir einen Wagen." -133-
‡Kann ich dann gehen?"
Oskar lachte, und Randy warf ihm einen raschen Seitenblick
zu. Selbst jetzt wirkte das Gesicht des Mannes wie aus Stein gehauen. ‡Gehen kannst du nicht." ‡Was wollen Sie damit sagen?" ‡Ich werde dich mitnehmen. Ich muß sicher über die Grenze kommen. Vorher halten wir noch an, damit du über Telefon mit deinen Freunden sprechen kannst. Sie sollen dafür sorgen, daß sich uns an der Grenze keine Polizei in den Weg stellt. Du siehst, ich habe an alles gedacht." ‡Das scheint mir auch so." Oskar schob Randy weiter. Wieder spürte der Junge den Druck des Revolverlaufs in seinem Rücken. Der Mann wollte ihm klarmachen, daß es für ihn keine Chance gab, zu entwischen. Randy dachte an seine beiden Freunde. Sicherlich war es ihnen längst aufgefallen, daß er verschwunden war. Was konnten sie unternehmen? Wo sollten sie suchen? Die Einsamkeit nahm sie auf. Nicht einmal ein Zug ratterte vorbei. Es blieb still und irgendwie anders. Randy fröstelte in der kühlen Luft. Beim Einatmen kratzte es ihm in der Kehle. Wenn sie so weitergingen, würden sie bald den Bahnhof erreicht haben, der wohl auch Oskars Ziel war, denn dort befanden sich mehrere kleine Parkplätze, wo er sich einen Wagen ‡organisieren" konnte. Randy dachte daran, daß Harald Heller nicht weit entfernt sein Büro hatte. Er konnte ihm jetzt auch nicht helfen. ‡Achtzehn bist du noch nicht - oder?" ‡Nein." ‡Gut, dann werde ich fahren." Randy überlegte. War das eine Chance für ihn, dem Mann zu entwischen? Wenn er sich während der Fahrt einfach aus dem -134-
Auto warf... ‡Versuche es nicht", sagte Oskar. ‡Ich weiß, was du denkst. Versuche so etwas nicht", wiederholte er, ‡denn ich kenne einige Tricks. Denke erst gar nicht daran." Randy nickte und sah, wie der Mann nach rechts schaute, wo die Gleise vom See wegliefen, um in den Bahnhof zu münden. Zwischen den Schienen und der Promenade befand sich genügend freier Raum, der als Parkplatz genutzt werden konnte. ‡Da hinauf!" Oskars Stimme zitterte nicht einmal. Dieser Mensch hatte sich unheimlich in der Gewalt. Nach wenigen Schritten schon knirschte unter ihren Sohlen der graue Kies des Parkplatzes. Oskar konnte es sich aussuchen, welchen Wagen er nehmen wollte. Trübe brannte eine einzelne Laterne. Oskar steuerte auf eine dunkle Ecke des Parkplatzes zu. Randy schlug das Herz bis zum Hals. Die Karosserien der Fahrzeuge verschwammen vor seinen Augen. War das seine Chance, dem Mann doch noch zu entkommen? War es zu schaffen? Oskar blieb neben einem dunklen Opel Omega stehen. ‡Den nehmen wir."
Randy nickte nur.
‡Du bleibst an meiner Seite, Freundchen. Glaub nur nicht, daß ich nicht schießen werde, wenn ich das Ding hier knacke. Ich hatte eine gute Ausbildung." Mit zitternder Stimme fragte der Junge: ‡Haben Sie schon viele Menschen umgebracht?" ‡Ich war Söldner!" Die Antwort klang lakonisch. Dann lachte der Mann. Aus seiner Jackentasche hatte er einen Gegenstand geholt, den Randy nicht genau erkennen konnte. Es mußte ein Spezialwerkzeug sein. -135-
Noch war Zeit. Wenn Randy erst im Auto saß, sah es schlimmer aus. Oskar brummte wütend. Die Tür schien ihm mehr Schwierigkeiten zu machen, als er gedacht hatte. Randy rührte sich nicht. Er wollte nicht die Aufmerksamkeit des Killers auf sich lenken. Aber er blieb wachsam, er durfte seine Chance nicht verpassen. Oskar fluchte, er atmete schnell, und dann hatte er Pech. Plötzlich durchdrang ein lautes Heulen die Stille. Die Alarmanlage des Omega war losgegangen. Damit hatte Oskar nicht gerechnet; selbst er als Profi war für einen Moment erschrocken. Mit einem gewaltigen Satz sprang er zurück und fluchte laut. Als er sich wieder gefaßt hatte, suchte er nach Randy Ritter. Der aber war verschwunden! Randy hatte die Gunst des Augenblicks genutzt. Kaum war der Mann abgelenkt worden, hatte er sich zur Seite geworfen und war abgetaucht. Auf allen vieren kroch er durch die Lücke zwischen zwei Wagen. Die Sirene gellte in seinen Ohren. Er hoffte, daß auch Polizisten aufmerksam wurden, aber so lange konnte er nicht warten. Er mußte sofort verschwinden und sich irgendwo verstecken. Der Bahnhof war günstig. Dort brannten Lichter, dort war es hell. Als er vor sich eine Mauer sah, wußte er, daß er das Ende des Parkplatzes erreicht hatte. Noch immer jaulte die Sirene. Randy richtete sich auf, drehte sich um und schaute über den Parkplatz. Weiter hinten, wo die Straße lag und es heller war, kamen mehrere Gestalten näher. Sie liefen in Richtung Parkplatz und würden in wenigen Sekunden zwischen den Fahrzeugen auftauchen. Doch auch Oskar war da. Er irrte über den Platz, schaute sich um, bewegte dabei hektisch seinen Kopf hin und her. Und dann lief er ausgerechnet dorthin, wo Randy stand und sich mit dem -136-
Rücken gegen die Mauer gepreßt hatte. Was nun?
Wenn er fortlief, würde ihn Oskar sehen und bestimmt auf ihn schießen. Ein zweiter Mann tauchte plötzlich aus der Dunkelheit auf. Er kam von links, lief geduckt. Nur Randy konnte ihn sehen, Oskar nicht. Der Junge wollte erst fliehen, bis er die zischende Stimme des anderen hörte: ‡Bleib so, Randy!"
Es war Harald Heller, der gerufen hatte. Randy sah, wie er
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sich sofort zu Boden kauerte, als der Strahl eines Scheinwerfers über die Dächer der Autos zuckte. Oskar hatte nicht aufgegeben. Er ließ die Lampe über den Platz wandern, um den Flüchtenden einzufangen. ‡Rühr dich nicht, Randy!" Heller lag dicht neben Randy am Boden. Sein Gesicht glänzte hell in der Dunkelheit. Plötzlich stand Randy voll im Licht der Taschenlampe. Oskar lachte. ‡Okay, Junge, das war es!" Er kam näher, winkte dem Jungen. ‡Ich will nicht!" schrie Randy. ‡Ach ja?" Oskar kicherte schadenfroh.
Die Sirene wimmerte nicht mehr. Am anderen Ende des
Parkplatzes standen einige Leute, die nachschauten, ob ihre Autos aufgebrochen waren. ‡Willst du wirklich nicht?" flüsterte Oskar. ‡Ich hätte nicht gedacht, daß junge Menschen so lebensmüde sein können." Er ging noch näher an Randy heran. Darauf hatte Heller gewartet. Plötzlich schnellte er hoch und schlug zu. Er hatte mit der rechten Hand einen Stein umklammert, um dem Schlag mehr Härte zu geben. Mit dem ersten Hieb erwischte er schon den Waffenlauf. Damit hatte Oskar nicht gerechnet. Durch die Wucht des Aufpralls flog ihm der Revolver aus der Hand, der irgendwo in der Dunkelheit auf den Boden knallte. Heller setzte nach. Beide Fäuste rammte er vor. Wie eine Puppe flog der Killer zurück. Mit dem Rücken krachte er auf eine Kühlerhaube, es gab ein gongartiges Geräusch. Aber er richtete sich wieder auf. Ein Tritt erwischte Heller, hielt ihn aber nicht auf. Oskar lag noch halb auf der Kühlerhaube, als sich Heller über ihn warf. Randy, der nur Zuschauer war, hörte hastige Schritte, und dann -138-
sah er plötzlich Oberwachtmeister Dernleitner und auch das Blitzen von Handschellen. Mit vereinten Kräften überwältigten sie Oskar. Selbst als die stählerne Acht seine Gelenke umspannte, trat der Mann noch wild um sich. Randy ging zur Seite. Seine Knie waren weich wie Pudding. Er bekam nicht mit, wie man Oskar abführte. ‡Das war im letzten Augenblick, nicht wahr?" Harald Heller legte ihm seinen Arm um die Schultern. Der Junge drehte sich langsam um. ‡Woher wußtest du denn, daß ich mich mit diesem..." ‡Glück, die Nähe meines Büros und die Alarmsirene. Dernleitner war noch bei mir. Wir gingen letzte Einzelheiten durch, um an den Grenzen Bescheid zu geben. Du hast Glück gehabt, Junge, verdammtes Glück sogar. Dieser Oskar ist einer der gefährlichsten internationalen Killer, die herumlaufen. Wer ihn engagiert, für den geht es immer um eine große Sache." ‡Die jetzt geplatzt ist wie eine Seifenblase." ‡Gott sei Dank! Und dank eurer Hilfe. Soll ich dich zum Hotel bringen, Randy?" ‡Nein, den Weg finde ich schon. Ich bin nur müde und völlig durcheinander." ‡Das kann ich verstehen. Wir sehen uns morgen und grüße deine Freunde von mir." ‡Werde ich machen." Mit diesen Worten verabschiedete sich Randy. Später fiel ihm ein, daß er sich nicht einmal bedankt hatte, doch Harald Heller würde das verstehen. Er war jemand, den Randy als duften Typ bezeichnete... Sie sahen ihn alle kommen, und sie rannten ihm entgegen. Plötzlich tauchten vor Randys Augen seine Eltern, Ela und Turbo auf. Marion Ritter nahm ihn in die Arme, drückte ihn an sich, dann war der Vater an der Reihe, später Ela und Turbo. -139-
Frau Ritter wischte über ihre Augen, auch Randy spürte einen dicken Kloß im Hals sitzen, aber er lächelte. ‡Kannst du schon erzählen?" fragte Dr. Ritter, der einen Arm um die Schultern seines Sohnes gelegt hatte. ‡Ich versuche es." Seine Stimme zitterte. ‡Gehen wir hinein", schlug Frau Ritter vor. Sie fuhren auf ihre Zimmer, und dort redete Randy wie ein Wasserfall. Er mußte es einfach loswerden, diesen wahnsinnigen Druck, auch die Angst. Sie ließen ihn erzählen und stellten keine Fragen. ‡Sie haben ihn also", sagte Dr. Ritter später. ‡Ja, Oskar war gefährlich." ‡Und was ist mit den Arabern?" wollte Turbo wissen. ‡Keine Ahnung. Kann sein, daß sie abgereist sind." ‡Spielt auch keine Rolle für uns." Marion Ritter gab ihrem Sohn einen Kuß. ‡Gut, daß du wieder da bist." Ihr Mann stand an der Balkontür, schaute ins Zimmer, strich mehrmals durch sein dichtes Haar und schüttelte den Kopf. ‡Da glaubt man, in einen Ort zu fahren, wo man eigentlich nur Ferien machen und wandern kann, und schon passiert so etwas. Das ist der helle Wahnsinn, wirklich. Das ist einfach verrückt." ‡Oder Schicksal!" meldete sich Ela. ‡Auch." ‡Wart ihr schon in der Bar?" fragte Frau Ritter. ‡Von dort sind wir gekommen", erklärte Turbo. ‡Aber nicht mit uns." ‡Das stimmt." Sie nickte ihrem Mann zu. ‡Ich glaube, Peter, wir haben etwas zu feiern. Oder wie siehst du das?" ‡Frag mal unsere jungen Gäste, ob die wollen?" -140-
‡Klar!" rief Ela und sprang auf. ‡Ich will noch mal dahin." Sie verdrehte die Augen. ‡Da gibt es ein Getränk, Kokosmilch und..." Turbo fing an zu schreien: ‡Hör auf damit. Nicht dieses widerlichsüße Zeugs." Er sprang auf. ‡Kinder, wenn ihr das trinkt, klebt euch die Zunge am Gaumen." Lachend fragte Dr. Ritter. ‡Gibt es da noch etwas anderes als Kokosmilch oder so." ‡Da sagst du was, Vati." ‡Okay, worauf warten wir noch?"
Wenig später wunderten sich die Gäste, daß drei Jugendliche
und zwei Erwachsene ineinandergehakt die Bar auf dem Dach betraten und bis in den anderen Tag hinein feierten...
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