AE-Manual der Endoprothetik
Lutz Claes€•Â€Peter Kirschner€€ Carsten Perka€•Â€Maximilian Rudert Herausgeber
AE-Manual Â� der Endoprothetik Hüfte und Hüftrevision
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Herausgeber Prof. Dr. Lutz Claes Universität Ulm Inst. für Unfallchirurgie, Forschung und Biomechanik Helmholtzstraße 14 89081 Ulm Deutschland
[email protected] Prof. Dr. Peter Kirschner Katholisches Klinikum Mainz St. Vinzenz- und Elisabeth-Hospital An der Goldgrube 11 55131 Mainz Deutschland
[email protected] Prof. Dr. Carsten Perka Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie Campus Charité Mitte (CCM) Charitéplatz 1 10117 Berlin Deutschland
[email protected] Prof. Dr. Maximilian Rudert Orthopädische Klinik König Ludwig Haus Julius-Maximilians-Universität Würzburg Brettreichstraße 11 97074 Würzburg Deutschland
[email protected] Projektkoordinator Prof. Dr. Ulrich Holz Don Carlosstraße 23 70563 Stuttgart Deutschland
[email protected] ISBN 978-3-642-14645-9â•…â•…â•…â•… e-ISBN 978-3-642-14646-6 DOI 10.1007/978-3-642-14646-6 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik 2012 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: deblik, Berlin Zeichnungen: Reinhold Henkel, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Geleitwort
Der endoprothetische Ersatz von Gelenken, insbesondere großer Gelenke, gilt heute zu Recht als eine der erfolgreichsten operativen Prozeduren des gesamten chirurgischen Fachgebiets. Dies gilt nicht nur für kurz- und mittelfristige Heilungsaussichten, sondern auch für mehr als 15-jährige Langzeitperspektiven unter dem Aspekt der gewonnenen Lebensqualität. Gesundheitsökonomen haben errechnet, dass die durch einen Gelenkersatz gewonnenen Jahre an Lebensqualität, verglichen mit anderen medizinischen Prozeduren besonders kostengünstig sind. Die Zahl der allein in der Bundesrepublik Deutschland jährlich implantierten Hüft- und Kniegelenksendoprothesen zeigt, dass die Behandlung von Verschleißerkrankungen und Verletzungen der Gelenke einen beträchtlichen volkswirtschaftlichen Faktor darstellt, dessen Bedeutung angesichts der demographischen Entwicklung weltweit ohne jeden Zweifel rasch zunehmen wird. Folgerichtig ist für viele Krankenhäuser inzwischen die GelenkEndoprothetik von herausragendem bis überlebensentscheidendem ökonomischem Gewicht. Die große Zahl von Anbietern wundert also nicht. Ebenso wenig wundern die Ergebnisse der kurz-, mittel- und langfristigen Ergebnisforschung, die zeigen, dass trotz der national und international enormen Erfahrung auf dem Gebiet der Gelenkendoprothetik eine Menge kleiner und großer Fehler mit kleinen und großen Konsequenzen gemacht werden können. Der auch von Patienten immer wieder geäußerten Einschätzung, bei Gelenkersatzoperationen handele es sich um „Routineeingriffe“, muss energisch widersprochen werden. Jeder dieser häufig durchgeführten Eingriffe hat seinen individuellen Aspekt, muss auf das Sorgfältigste vorgeplant und ebenso sorgfältig – in Kenntnis und unter potentieller Beherrschung sämtlicher denkbarer Komplikationen – durchgeführt werden. Kein Eingriff ohne gründliche Schulung, keine Verwendung von Implantaten ohne vorheriges Training. Selbstüberschätzung ist auch hier die Saat für viele Fehlschläge. Der endoprothetische Gelenkersatz duldet auch keine kleinen Fehler, auch sie können große Folgen für die Langzeitprognose haben. Präzision ist gefragt, der Patient erwartet zu Recht ein perfektes Ergebnis. Dies ist das Umfeld, in welchem nach mehr als 10 Jahren gegenseitigem Erfahrungsaustausch aus den Reihen der Arbeitsgemeinschaft für Endoprothetik die Idee eines AE-Manuals geboren wurde. Inspiriert durch das erfolgreiche Konzept des AOManuals haben sich aus dem Kreise der AE-Mitglieder Editoren und Autoren mit großem Enthusiasmus an die Arbeit gemacht, ein oder besser das Standardlehrbuch zu erstellen, welches auf alle Fragen aus dem Gebiet der Gelenkendoprothetik und dessen Umfeld erschöpfend auf aktuellem Stand Auskunft gibt, ohne die Praxisnähe zu verlieren und durch Theorielastigkeit für Operateure in Aus- und Weiterbildung „unlesbar“ zu werden. Nach ihrem Leitbild sieht die AE ihre Hauptaufgabe in der v
Geleitwort
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kontinuierlichen Gestaltung einer umfassenden Fort- und Weiterbildung für Ärzte und OP-Personal, der Nachwuchsförderung, der klinischen Forschung, der Patienteninformation und dem internationalen Austausch. Als neutrale und unabhängige Vereinigung sieht sich die Arbeitsgemeinschaft für Endoprothetik geradezu prädestiniert, ein solches Standardwerk herauszugeben. Dass dies ein großes, ein schwieriges Werk werden würde, war allen klar. Umso mehr freuen wir uns, dass es nun tatsächlich Stück für Stück vollendet werden konnte. Zu danken ist dies der Energie und der Expertise aller aktiv Beteiligten, die ihren speziellen Erfahrungsschatz hier weitergeben. Das vorliegende Manual und die regelmäßigen Kurse und Kongresse der Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik sind Teil eines sich stets aktualisierenden Gesamtkonzepts. AE-Manual und AE-Kurse ergänzen sich gegenseitig. Die Herausgabe eines solchen mehrbändigen Buchprojektes bedarf einer ganz besonderen Koordinationsleistung. Der AE stand in Professor Dr. Ulrich Holz ein Koordinator zur Verfügung, der mit Erfahrung, Weitblick und energischer Tatkraft für Fortgang und Abschluss des Projektes Sorge trug. Ihm sei an dieser Stelle besonders gedankt. Ebenso sei Klaus Hug als dem ursprünglichen Projektinitiator Dank gesagt. Ohne seinen Impuls wäre das AE-Manual nicht aus den Startblöcken gekommen. Viele geduldige und ungeduldige Autoren können nun aufatmen, nach langen Mühen dürfen sie jetzt ihr Werk in der Hand halten. Wesentlichen Anteil daran hatten die verantwortlichen Mitarbeiter des Springer Verlages, denen an dieser Stelle für ihre freundliche und sehr gute Zusammenarbeit gedankt sei. Unseren Lesern wünschen wir im Namen der AE eine Informationsquelle, die ihren Bedürfnissen entspricht. Eine große Gruppe von Experten hat sich bemüht, dieses Ziel zu erreichen. Prof. Dr. Volker Ewerbeck Past Präsident der AE Prof. Dr. Klaus-Peter Günther, Präsident
Vorwort
Die Hüftgelenksendoprothetik hat sich zu einem Routineverfahren entwickelt, das aus dem Alltag einer orthopädischen und unfallchirurgischen Klinik nicht mehr wegzudenken ist. Jede Klinik benutzt ein anderes System, einen unterschiedlichen Zugang und hat je nach der Anzahl der endoprothetischen Eingriffe einen unterschiedlichen Ausbildungsstandard. Die Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Informationen über die Endoprothetik im Rahmen ihrer Kurse zu vermitteln. Dieses Programm wird durch den Band Hüfte und Hüftrevision ergänzt und erweitert. Dadurch werden dem Leser Hintergrundinformationen vermittelt, die er sich sonst, wenn überhaupt, nur mühsam zusammen tragen müsste. So ist in diesem Buch über die Geschichte der Endoprothetik, die unterschiedlichen Endoprothesen-Designs, die Biomechanik, die verschiedenen operativen Techniken in Abhängigkeit von der Grunderkrankung sowie die Revisionseingriffe alles enthalten, was ein junger Assistent vor der ersten Operation und in der Weiterbildung lernen sollte. Für den erfahrenen Facharzt wird sich dieses Buch als nützliches Nachschlagewerk erweisen, in dem auch Tipps und Tricks für besondere Situationen aufgezeigt werden. Es wird Information in komprimierter Form bereitgestellt. Komplexe diagnostische und operative Algorithmen lassen sich ebenso nachlesen wie ein Beitrag über mittel- und langfristige Ergebnisse aus nationalen und internationalen Endoprothesenregistern, an denen sich die deutsche Endoprothetik mit dem internationalen Standard messen lassen muss. Erfahrene Autoren, die einigen Kollegen aus den Kursen bereits bekannt sein dürften, haben ihr Wissen zusammengetragen und damit ein einzigartiges Werk geschaffen, um die Endoprothetik in Deutschland voranzubringen und allen Orthopäden und Unfallchirurgen einen hohen Ausbildungsstand zu vermitteln. Würzburg Berlin Mainz Ulm
Maximilian Rudert Carsten Perka Peter Kirschner Lutz Claes
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Inhalt
1â•… Historie und Epidemiologie ����������������������������������尓������������������������������������尓� ╅╇ 1 A. M. Halder, M. Stiehler und K.-P. Günther 2â•… Funktionelle Anatomie und Biomechanik ����������������������������������尓������������� ╇╇ 21 R. Putz, U. Simon, L. Claes, H. P. Nötzli und T. F. Wyss 3â•… Implantate ����������������������������������尓������������������������������������尓����������������������������� ╇╇ 47 R. Willi, C. Rieker, M. Thomsen und P. Thomas 4â•… Biomechanik der prothetisch versorgten Hüfte ����������������������������������尓���� ╇╇ 83 R. Decking und L. Claes 5â•… Untersuchung und Indikationsstellung ����������������������������������尓������������������ ╇╇ 91 C. Heisel, K. Bohndorf, D. Parsch, M. Rickert, G. Zeiler, B. M. Holzapfel, H. Rechl und M. Rudert 6â•… Präoperative Vorbereitung ����������������������������������尓������������������������������������尓�� ╇ 129 J. Winckelmann, P. Geiger, R. Decking, T. Mattes, H. Reichel und N. H. Müller 7â•… Operation ����������������������������������尓������������������������������������尓������������������������������ ╇ 161 M. Wagner, S. J. Breusch, V. Ewerbeck, P. R. Aldinger, M. Rudert, B. M. Holzapfel, K.-P. Günther, T. Gotterbarm, P. Kirschner, A. M. Halder, P. A. Grützner, F. Gebhard, G. Krischak, O. Niggemeyer, W. Rüther, U. Nöth, L. Rackwitz, M. Fürst, C. H. Lohmann, A. Niemeier, G. Zeiler und R. Gradinger 8â•… Besonderheiten, Komplikationen und Komplikationsmanagement ����� ╇ 325 G. von Foerster, G. Hundt und M. Schmidt 9â•… Postoperative Maßnahmen ����������������������������������尓������������������������������������尓� ╇ 353 P. Kirschner, S. Goebel, M. Rudert und J. Heisel 10â•… Spätfolgen – Diagnose und Therapie ����������������������������������尓���������������������� ╇ 373 ╇C. Perka, K. Thiele, G. Matziolis und T. Gehrke 11â•… Individuelle Ergebniskontrolle ����������������������������������尓������������������������������� ╇ 401 ╇ J. Mettelsiefen 12â•… Begutachtung ����������������������������������尓������������������������������������尓������������������������ ╇ 411 ╇ K. Weise 13â•… Prothesenregister und Langzeitergebnisse ����������������������������������尓������������ ╇ 419 ╇ H. Kienapfel und A. Becker ix
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14â•… Revisionsendoprothetik ����������������������������������尓������������������������������������尓������ ╇ 441 ╇C. Perka, B. Fink, M. Millrose, U. Sentürk, M. Wagner, J. Schröder, H. Bail, R. Ascherl, A. Pruss, K. Thiele und C. Götze Sachverzeichnis ����������������������������������尓������������������������������������尓��������������������������� ╇ 589
Inhalt
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. habil Peter Aldinger╇ Orthopädische Klinik Paulinenhilfe, Diakonieklinikum Stuttgart, Rosenbergstraße 38, 70176 Stuttgart, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Rudolf Ascherl╇ Zentrum für Spezial- und Wechselendoprothetik und chirurg. Infektiologie, Zeisigwaldkliniken Bethanien Chemnitz, Zeisigwaldstr. 101, 09130 Chemnitz, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Hermann Josef Bail╇ Klinik für Unfall- und Orthopädische Chirurgie, Klinikum Nürnberg Süd, Breslauer Straße 201, 90471 Nürnberg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Andreas Becker╇ Klinik für Spezielle Orthopädische Chirurgie und Unfallchirurgie, Auguste-Viktoria-Klinikum, Rubensstraße 125, 12157 Berlin, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Klaus Bohndorf╇ Klinik für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie, Klinikum Augsburg, Stenglinstraße 2, 86156 Augsburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Steffen Breusch╇ Orthopaedic Department, University of Edinburgh, Little France, EH16 4SU Edinburgh, Scotland E-Mail:
[email protected] Prof. em. Dr. biol. hum. Lutz Claes╇ Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik, Universität Ulm, Helmholtzstraße 14, 89081 Ulm, Deutschland E-Mail:
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Ralf Decking╇ Klinik für Orthopädie, St. Franziskus-Hospital, Schönsteinstraße 63, 50825 Köln-Ehrenfeld, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Volker Ewerbeck╇ Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg, Schlierbacher Landstraße 200A, 69118 Heidelberg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Bernd Fink╇ Klinik für Endoprothetik, Allgemeine und Rheumaorthopädie, Orthopädische Klinik Markgröningen gGmbH, Kurt-Lindemann-Weg 10, 71706 Markgröningen, Deutschland E-Mail:
[email protected] xi
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Dr. med. Götz von Foerster╇ Orthopädische Abteilung, Tabea GmbH im ArtemedKlinikverbund, Kösterbergstraße 32, 22587 Hamburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Martin Fürst╇ Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Orthopädische Rheumatologie, Wittorfer Str. 89, 24539 Neumünster, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Florian Gebhard╇ Klinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Ulm, Steinhövelstr. 9, 89075 Ulm, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Thorsten Gehrke╇ ENDO-Klinik Hamburg GmbH, Holstenstraße 2, 22767 Hamburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Peter M. Geiger╇ Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerzmedizin im RKU, Oberer Eselsberg 45, 89081 Ulm, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Sascha Goebel╇ Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Brettreichstraße 11, 97074 Würzburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Tobias Gotterbarm╇ Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg, Schlierbacher Landstraße 200A, 69118 Heidelberg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Christian Götze╇ Klinik für Allgemeine Orthopädie, Rheumaorthopädie und Endoprothetik, Auguste-Viktoria-Klinik, Am Kokturkanal 2, 32545 Bad Oeynhausen, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Reiner Gradinger╇ Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Rechts der Isar, Ismaninger Straße 22, 81675 München, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Paul Alfred Grützner╇ Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, BG Klinik Ludwigshafen, Ludwig-Guttmann-Straße 13, 67071 Ludwigshafen, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther╇ Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Fetscherstraße 74, Haus 29, 01307 Dresden, Deutschland E-Mail:
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Andreas M. Halder╇ Klinik für Endoprothetik, Waldhausstraße 1, 16766 Sommerfeld/Kremmen, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Christian Heisel╇ ARCUS-Sportklinik, Rastatter Str. 17–19, 75179 Pforzheim, Deutschland E-Mail:
[email protected] Autorenverzeichnis
Autorenverzeichnis
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Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Jürgen Heisel╇ Orthopädische Abteilung der Fachkliniken Hohenurach, 72574 Bad Urach, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Boris Michael Holzapfel╇ Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Brettreichstr. 11, 97074 Würzburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Guido Hundt╇ Sektion Anästhesie und Intensivtherapie, Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg, Schlierbacher Landstraße 200a, 69118 Heidelberg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Heino Kienapfel╇ Klinik für Spezielle Orthopädische Chirurgie und Unfallchirurgie, Auguste-Viktoria-Klinikum, Rubensstraße 125, 12157 Berlin, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. em. Dr. med. Peter Kirschner╇ Katholisches Klinikum Mainz, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, St. Vincenz und Elisabeth Hospital, An der Goldgrube 11, 55131 Mainz, Deutschland E-Mail:
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Gert Krischak╇ Leiter d. Forschungsinstituts, Forschungszentrum für Rehabilitationsmedizin an der Universität Ulm, Therapiezentrum Federsee Wuhrstraße 2/1, 88422 Bad Buchau, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Christoph Hubertus Lohmann╇ Orthopädische Universitätsklinik, Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R., Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Thomas Mattes╇ Orthopädische Klinik, Klinik am Eichert, Eichertstr. 3, 73035 Göppingen, Deutschland E-Mail:
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Georg Matziolis╇ Klinik für Orthopädie, Centrum für MuskuloSkeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Jan Mettelsiefen╇ Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Fetscherstraße 74, Haus 29, 01307 Dresden, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Michael Millrose╇ Klinik für Orthopädie Centrum für Muskulo-Skeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Charité Mitte (CCM) Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Deutschland E-Mail:
[email protected] Norbert H. Müller╇ Kanzlei Klostermann, Schmidt und Partner, Kortumstraße 100, 44787 Bochum, Deutschland E-Mail:
[email protected] xiv
Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Niemeier╇ Orthopaedic Department, University of Edinburgh, Little France, EH16 4SU Edinburgh, Scotland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Oliver Niggemeyer╇ Zentrum für Operative Medizin, Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistraße 52, 20246 Hamburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Ulrich Nöth╇ Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Brettreichstraße 11, 97074 Würzburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Hubert P Nötzli╇ Orthopädische Klinik, Spital Netz Bern-Ziegler, Morillonstrasse 75–91, 3001 Bern, Schweiz E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Dominik Parsch╇ Karl-Olga-Krankenhaus, Hackstraße 61, 70190 Stuttgart, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Carsten Perka╇ Centrum für MuskuloSkeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Charité Mitte (CCM) Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Axel Pruss╇ Gewebebank, Institut für Transfusionsmedizin, Charité –Universitätsmedizin Berlin, Campus Charité Mitte, Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Deutschland E-Mail:
[email protected],
[email protected] Prof. Dr. med. Reinhard Putz╇ Institut für Anatomie und Zellbiologie, Pettenkoferstraße 11, 80336 München, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Lars Rackwitz╇ Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Brettreichstraße 11, 97074 Würzburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Dr. vet. Hans Rechl╇ Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Rechts der Isar, Ismaninger Straße 22, 81675 München, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Heiko Reichel╇ Orthopädische Universitätsklinik Ulm am RKU, Oberer Eselsberg 45, 89081 Ulm, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Markus Rickert╇ Klinik u. Poliklinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, Univ.-Klinik Gießen und Marburg GmbH, Paul-Meimburg-Str. 3, 35392 Gießen, Deutschland E-Mail:
[email protected] Claude Rieker╇ Zimmer GmbH, Sulzer-Allee 8, 8404 Winterthur, Schweiz E-Mail:
[email protected] Autorenverzeichnis
Autorenverzeichnis
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Prof. Dr. med. Maximilian Rudert╇ Orthopädische Klinik König Ludwig Haus, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Brettreichstraße 11, 97074 Würzburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Wolfgang Rüther╇ Zentrum für Operative Medizin Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistraße 52, 20246 Hamburg, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Michael Schmidt╇ Abteilung Innere Medizin, Klinik Bad Bergzabern, Danziger Straße 25, 76887 Bad Bergzabern, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Jörg Schröder╇ Klinik für Orthopädie und Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Ufuk Sentürk╇ Klinik für Orthopädie Centrum für Muskulo-Skeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Charité Mitte (CCM) Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr.-Ing. Ulrich Simon╇ Ulmer Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen, Helmholzstraße 20, 89081 Ulm, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Maik Stiehler╇ Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Fetscherstraße 74, Haus 29, 01307 Dresden, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Kathi Thiele╇ Klinik für Orthopädie Centrum für Muskulo-Skeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Charité Mitte (CCM) Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Peter Thomas╇ Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie, Ludwigs-Maximilians-Universität München, Frauenlobstraße 9–11, 80337 München, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Marc Thomsen╇ Fachabteilung für Orthopädie, DRK-Klinik BadenBaden, Lilienmattstraße 5, 76530 Baden-Baden, Deutschland E-Mail: Orthopä
[email protected] Prof. Dr. med. Michael Wagner╇ Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Katholisches Klinikum Mainz, St. Vincenz und Elisabeth Hospital, An der Goldgrube 11, 55131 Mainz, Deutschland E-Mail:
[email protected] Prof. em. Dr. med. Kuno Weise╇ Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen, Schnarrenbergstraße 95, 72076 Tübingen, Deutschland E-Mail:
[email protected] xvi
Roland Willi╇ Zimmer GmbH, Sulzer-Allee 8, 8404 Winterthur, Schweiz E-Mail:
[email protected] Dr. med. Jörg Winckelmann╇ Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin am RKU, Oberer Eselsberg 45, 89081 Ulm, Deutschland E-Mail:
[email protected] Dr. med. Tobias F. Wyss╇ Orthopädische Klinik, Spital Netz Bern-Ziegler, Morillonstrasse 75–91, 3001 Bern, Schweiz E-Mail:
[email protected] Prof. em. Dr. med. Günther Zeiler╇ Orthopädisch-unfallchirurgische Klinik, Wichernhaus am Krankenhaus Rummelsberg, Rummelsberg 71, 90592 Schwarzenbruck, Deutschland E-Mail:
[email protected] Autorenverzeichnis
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Historie und Epidemiologie A. M. Halder, M. Stiehler und K.-P. Günther
1.1 G eschichte der Endoprothetik des Hüftgelenks A. M. Halder
1.1.1 Resektionsarthroplastik Die Geschichte der Arthroplastik reicht bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. Im Jahr 1768 führte der schottische Chirurg Charles White den wegweisenden Eingriff durch: Bei einem 14-jährigen Jungen, dessen Schultergelenk in Folge einer Osteomyelitis gebrauchsunfähig war, entfernte er den Oberarmkopf. Der Arm blieb im Schultergelenk beweglich und war lediglich kürzer als der gesunde (White 1770) (Abb.€ 1.1(a), (b)). Damit war die erste Resektionsarthroplastik ein durchschlagender Erfolg und hob sich von der bis dahin üblichen Therapie ab, das zerstörte Gelenk zu versteifen oder die Gliedmaße zu amputieren. Französische Wissenschaftler erforschten daraufhin die Veränderungen nach Gelenkresektion gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Tierversuchen. Die Ergebnisse waren allerdings so entmutigend, dass man die Remobilisierung zerstörter Gelenke weiterhin für unmöglich hielt (Reimers 1970). Insofern war es erneut ein Wagnis, als der Londoner Chirurg Anthony White im Jahre 1821 ein Gelenk durch Resektion mobilisierte. Bei einem 19-jährigen Mann, der durch einen Sturz eine Hüftgelenksluxation erlitten hatte und gehunfähig war, entfernte er den A. M. Halder () Klinik für Endoprothetik, Waldhausstraße 1, 16766 Sommerfeld/Kremmen, Deutschland E-Mail:
[email protected] Hüftkopf und Schenkelhals und stellte den verbliebenen Knochenstumpf in die Gelenkpfanne ein. Damit erzielte er ein belastungsfähiges Gelenk mit begrenzter Beweglichkeit (nach Blauth und Donner 1979). Der Eingriff war in mehrfacher Hinsicht heroisch, zumal erst 1844 die Äthernarkose durch Jackson und Morton eingeführt und 1867 die Prinzipien der Asepsis und Antisepsis durch Lister etabliert worden sind. In Amerika durchtrennte Barton aus Philadelphia im Jahr 1826 bei einem 21-jährigen Seemann, dessen Hüftgelenk nach Fraktur in Flexions-Adduktions-Stellung ankylosiert war, den Schenkelhals mit einer Stichsäge. Nach der Operation, die ganze 7€min dauerte, ließ er den Patienten Bewegungen machen, damit die Fragmente nicht konsolidierten, wodurch er ein gut funktionsfähiges Gelenk erlangte (Barton 1827; Abb.€1.2). In Deutschland wurde das Verfahren durch Heine aus Würzburg aufgegriffen, der 1831 die „subperiostale Gelenkresektion“ mit einem „Osteotom“ beschrieb. Die Resektionsarthroplastik fand so weite Verbreitung, dass Syme sie 1839 zum Standardverfahren erklärte. Der amerikanische Chirurg Sayre entwickelte 1863 die Operationstechnik weiter. Er resezierte das Femur subtrochantär, rundete die proximale Osteotomiefläche ab und bildete so die anatomische Gelenkform nach (Sayre 1855).
1.1.2 Interpositionsarthroplastik Mit zunehmender Erfahrung traten die Probleme der Methode zutage: Eine zu ausgedehnte Resektion der Gelenkenden führte zum Schlottergelenk mit Verlust der Muskelwirkung, eine zu sparsame Entfernung zur fibrösen Versteifung oder Ankylose. So schlug Ver-
L. Claes et al. (Hrsg.), AE-Manual der Endoprothetik, DOI 10.1007/978-3-642-14646-6_1, ©Â€Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik 2012
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A. M. Halder
2 Abb. 1.1(a), (b)↜ Erste Resektionsarthroplastik
neuil im Jahr 1863 vor, die zugerichteten Knochenflächen mit Gewebe zu separieren, um Verwachsungen zu verhindern (Verneuil 1863). Doch erst 1874 gelang es Helferich, ein Gelenk dauerhaft zu remobilisieren, indem er Muskellappen zwischen die durchtrennten Knochenenden legte. 1894 beschrieb er die Wiederherstellung der Funktion eines Kiefergelenks durch Resektion der Gelenkenden und Interposition des M. temporalis (Helferich 1894). Murphy entwickelte die Methode für die untere Extremität weiter (Blauth und Donner 1979). Misserfolge führte man nun auf die Art des Interponats zurück. In der Folgezeit wurden die unterschiedlichsten körpereigenen Gewebe wie Haut, Periost und Sehnen sowie körperfremdes Material (Schweinsblasen oder Rinderbauchfell), aber auch Metallplättchen, Gummi, Kollodium und Holz verwendet (Reimers 1970; Abb.€1.3(a), (b)). Schließlich erkannte man, dass selbst die gut verträglichen körpereigenen Gewebe an den Gelenken der unteren Extremität der Belastung auf Dauer nicht standhalten konnten. Lediglich an den Gelenken der oberen Extremität war aufgrund der geringeren Beanspruchung mit guten Resultaten zu rechnen.
1.1.3 Endoprothese (Alloarthroplastik) Der revolutionäre Gedanke des vollständigen Gelenkersatzes wurde erst um die vorletzte Jahrhundertwende geboren. Der Berliner Chirurg Themistocles Gluck (Abb.€1.4) glaubte an die Idee des einheilbaren Apparates zum Organersatz und wählte Elfenbein
als Material für ein künstliches Scharniergelenk, um das Einwachsen durch „Substitutionssynostose“ zu ermöglichen. Er implantierte die ersten Endoprothesen Patienten, deren Kniegelenke durch Tuberkulose zerstört waren (Abb.€1.5). Die Zapfen fixierte er in der Markhöhle mit einem Gemisch aus Kolophonium mit Bimsstein- oder Gipszusatz, dem ersten Knochenzement. Anhand eines Skeletts mit Gelenkersatzapparaten stellte er seine Idee am 12. April 1890 auf dem XIX. Congress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin vor (Gluck 1891). Damit war er seiner Zeit weit voraus, stieß jedoch auf Unverständnis und Ablehnung. Auch klinisch scheiterte er damals. Die Infektionen der implantierten Kniegelenke waren nicht beherrschbar und das Material versagte. Hey-Groves verwendete 1922 ebenfalls Elfenbein als Ersatz für einen Hüftkopf, wobei sich das Material als untauglich bestätigte.
1.1.4 Gelenktransplantation Eine andere Möglichkeit des Gelenkersatzes war die Verpflanzung eines ganzen menschlichen Gelenks. Während Tietze und Nicoladoni schon 1897 über die Transplantation kleiner Gelenke an der oberen Extremität berichteten (Nicoladoni 1900), wagte Erich Lexer (Professor für Chirurgie in Königsberg, später München) 1907 die Verpflanzung ganzer Kniegelenke. Am 3. November ersetzte er den von einer Geschwulst zerstörten Schienbeinkopf einer 38-jährigen Patientin durch ein Gelenkstück, das er einem frisch amputier-
Historie und Epidemiologie 1â•…
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Abb. 1.2↜ Resektionsarthroplastik des Hüftgelenks nach Barton (1827)
ten Unterschenkel entnommen hatte. Am gleichen Tag transplantierte er ein ganzes Kniegelenk eines Amputierten einer 18-jährigen Patientin, die infolge einer Osteomyelitis des Kniegelenks unter einer Ankylose in Beugestellung litt (Lexer 1908). Auch andere Chirurgen und Orthopäden wie Axhausen (1908), Biesalski (1910), Buchmann (1908) und Deutschländer (1912)
experimentierten auf diesem Gebiet, doch ihre Ergebnisse blieben unbefriedigend. Neben hohen Infektionsraten kam es zu Ab- und Umbauerscheinungen an den Transplantaten mit daraus resultierender Fehlstellung sowie Gelenkinstabilität, die zum Scheitern dieser Methode führten.
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A. M. Halder
Abb. 1.3(a), (b)↜ Interpositionsarthroplastik des Hüftgelenks mit Faszienlappen nach Lange (1950)
dann in einer zweiten Operation wieder zu entfernen. Materialbruch und Unverträglichkeit führten zu Verwendung anderer Kunststoffe wie Viscaloid, Pyrex und Bakelit. Um die Hüftkappe permanent belassen zu können und so der Wiedereinsteifung vorzubeugen, verwendete er ab 1938 schließlich Vitallium, eine Chrom-Kobalt-Molybdän-Legierung (Smith-Petersen 1939; Abb.€1.6).
1.1.6 Hemiprothesen aus Plexiglas
Abb. 1.4↜ Themistokles Gluck
1.1.5 Hüftkappe Nach dem ersten Scheitern der Totalendoprothese kehrte man zur Interpositionsarthroplastik zurück. Smith-Petersen aus Boston entwickelte 1923 eine Kappe aus Glas, die er als „Mould Arthoplastik“ unfixiert auf den Hüftkopf setzte, um der Natur die Reparatur des zerstörten Gelenks zu erlauben und sie
Doch die Überlastung des natürlichen Gelenkanteils durch den einseitigen Ersatz führte zu Osteolysen, Nekrosen und Frakturen des Azetabulums. Dies beobachteten auch die Brüder Jean und Robert Judet, die 1950 den Femurkopf durch eine Prothese aus Plexiglas ersetzten, die mit einem Stiel im Schenkelhals fixiert wurde (Judet und Judet 1950; Abb.€ 1.7(a), (b)). Die Prothese fand zunächst große Akzeptanz, doch trotz größerer Primärstabilität kam es schnell zu Lockerungen, Materialversagen und Gewebereaktionen auf das Fremdmaterial. Ein ähnliches Schicksal ereilte die Femurkopfprothesen aus Plexiglas von Merle d’Aubigne, Lange und Rettig (Merle d’Aubigné und Postel 1954).
Historie und Epidemiologie 1╅ Abb. 1.5↜ Erste Endoprothese aus Elfenbein nach Gluck
Abb. 1.6↜ Mould-Arthroplastik aus Glas, Viscaloid, Pyrex, Bakelit und Vitallium nach Smith-Petersen
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Abb. 1.7(a), (b)↜ Femurkopfprothese aus Plexiglas nach Judet
1.1.7 Hemiprothesen aus Metall Um die Verankerung im Femur zu verbessern und das Materialversagen zu vermeiden, entwickelten Moore und Bohlmann (1943) eine Femurkopfprothese, die aus einer Chrom-Kobalt-Legierung bestand (Moore 1952; Abb.€ 1.8). Nach Resektion des Schenkelhalses wurde sie mit einem langen Metallstiel intramedullär im Femur verankert. Trotz materialtechnischer Vorteile kam es zur Überlastung der knöchernen Pfanne mit Ausdünnung des Azetabulums bis hin zur Penetration des Metallkopfes ins kleine Becken und zu Lockerungen der Prothesen.
1.1.8 Totalendoprothesen Um das Problem der Kraftübertragung bei unterschiedlicher Festigkeit von Prothesenmaterial und Knochen zu lösen, entwickelte Wiles schon 1938 in London die erste Totalendoprothese der Hüfte. Dabei verankerte er die Hüftpfanne aus Metall mit Schrauben im Azetabulum und den Hüftkopf aus Metall mit einem Bolzen im Schenkelhals (Wiles 1957; Abb.€1.9). Die Resultate waren ermutigend, doch der 2. Weltkrieg unterbrach die Entwicklung. Nach dem Krieg stellte McKee 1951 ebenfalls eine Hüfttotalendoprothese aus Metall vor. Die Metallpfanne wurde mit Stiften im knöchernen Azetabulum
Abb. 1.8↜ Femurkopfprothese aus Metall nach Moore
verankert, der Metallkopf von einem intramedullär im Femur verankerten Stiel gehalten (McKee 1951; Abb.€ 1.10(a), (b)). Nach den frühen Versuchen von Philipp Wiles handelte es sich hierbei um die erste Metall-Metall-Gleitpaarung in der Hüftendoprothetik. Aufgrund der damals noch wenig präzisen Fertigungstechnik kam es zu vermehrtem Metallabrieb und so zu frühzeitiger Lockerung sowohl der Schaft- als auch der Pfannenkomponente.
Historie und Epidemiologie 1â•…
Abb. 1.9↜ Erste Hüftkopfprothese nach Wiles
Zur Verbesserung der Verankerung im Knochen verwendete Haboush 1953 erstmals das aus der Zahnheilkunde bekannte Polymethylmetacrylat bei der Implantation von Hüftendoprothesen. Doch erst durch John Charnley kam es zur weltweiten Anwendung von Knochenzement zur Verankerung von Hüftendoprothesen. Er beschrieb 1960 die Fixierung einer KopfHals-Prothese mit diesem Material, ging aber bald dazu über beide Prothesenkomponenten einzuzementieren (Charnley 1961, 1979, 1981; Abb.€1.11). Damit erreichte er eine primär belastungsstabile Fixation der Endoprothese und eine gleichmäßige Krafteinleitung in den Knochen. Die anfänglich hohen Misserfolgsraten durch Infektionen konnten durch Verbesserung der OP-Hygiene mit Einführung von Reinraumkabinen, antibiotikahaltigem Knochenzement und perioperativer Antibiotikaprophylaxe auf unter ein Prozent gesenkt werden. Ab 1960 verwendeten auch McKee und Watson-Farrar (1966) Polymethylmetacrylat als Knochenzement zur Implantation ihrer Hüftendoprothesen. Doch neben der Verankerung im Knochen bestand das Problem der Reibung bei der Metall-MetallGleitpaarung der Hüftendoprothese von McKee und Watson-Farrar. Auch auf diesem Gebiet gelang John Charnley der entscheidende Durchbruch. Er reduzierte den Reibungswiderstand, indem er eine Pfanne
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aus Teflon (Polytetrafluorethylen, das aus der Herzklappenchirurgie bekannt war) verwendete und den Prothesenkopfdurchmesser auf 22,2€ mm verringerte. Dieses System nannte er Low-Friction-Arthroplasty. Bald wurde klar, dass Teflon durch Creeping und ColdFlow bei Überschreiten eines materialspezifischen Drucks zur Dauerverformung neigte und zu erhöhtem Abrieb führte (Abb.€1.12). Deshalb ersetzte Charnley 1963 Teflon durch das hochverdichtete Polyethylen, das einen wesentlich geringeren Cold-Flow-Effekt besitzt. Um die Druckbelastung pro Flächeneinheit des Polyethylens herabzusetzen, entwickelte Müller 1964 eine Totalendoprothese mit einem Kopfdurchmesser von 32€mm (Müller 1970). Buchholz vergrößerte 1966 nochmals den Durchmesser auf 38€ mm, wodurch er zusätzlich die Luxationsneigung herabsetzte (Buchholz 1973). Weber entwickelte 1968 die erste dreiteilige und damit modulare Hüftendoprothese. Der bananenförmige Schaft und die Pfanne wurden aus einer ChromKobalt-Legierung gefertigt. Der Prothesenkopf bestand aus Polyester und wurde mit Hilfe eines Rotationsbolzens, der in verschiedenen Längen verfügbar war, auf den Schaft gesteckt. Durch die Modularität konnte die korrekte Beinlänge eingestellt werden (Weber 1970). Die Polyesterköpfe wiesen jedoch einen starken Abrieb auf, so dass ab 1971 ein Metallkopf und eine Polyethylenpfanne verwendet wurden (Weber 1995; Abb.€ 1.13). Ab 1974 wurde Aluminiumoxidkeramik als Material für den Prothesenkopf eingeführt, um so die Reibung und damit den Abrieb zwischen Hüftkopf und Pfanne weiter zu verringern. Mit der Einführung des Knochenzements und der daraus resultierenden Primärstabilität setzte sich die Hüftendoprothetik weltweit als Standardverfahren durch. In Langzeitbeobachtungen fiel allerdings eine relativ hohe Rate aseptischer Lockerungen auf, die nach 5 bis 10 Jahren bis zu 19€ % betrugen. Schon 1956 hatte Mittelmeier auf die mangelnde Dauerschwingfestigkeit des Polymethylmetacrylats hingewiesen und so wurde die aseptische Lockerung der mechanischen Zerrüttung des Knochenzementes angelastet (Mittelmeier und Singer 1956). Zusätzlich spielen abriebbedingte Fremdkörpergranulome an der Knochenzementgrenze eine Rolle, wie Willert und Puls (1972) dargelegt hatten. Vor dem Hintergrund der begrenzten Standzeit der Hüftendoprothese hatte Charnley (1979) die Beschränkung der Indikation auf ältere Patienten empfohlen. Damit war jedoch
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Abb. 1.10(a), (b)↜ Erste Metall-Metall-Gleitpaarung nach McKee
Abb. 1.11↜ John Charnley
das Problem der Versorgung jüngerer Patienten mit vorzeitig verschlissenem oder zerstörtem Hüftgelenk nicht gelöst. Schon 1964 begann Ring in England wieder mit der zementfreien Implantation von Hüftendoprothesen. Die Metallpfanne verankerte er mit einer langen Schraube im Becken unter Zuhilfenahme eines Zielgeräts (Ring 1968; Abb.€ 1.14). Siwash entwickelte 1967 eine Hüftendoprothese, bei der erstmals der Stiel aus Titan gefertigt wurde. Kopf und Pfanne waren mit einem Sprengring verbunden. Während die Pfanne in das knöcherne Azetabulum geschraubt wurde, wurde der Prothesenstiel mit einem Stift rotationsstabil im Femur verankert (Siwash 1968).
Doch die ossäre Integration dieser zementfreien Prothesenmodelle blieb vielfach aus. Schon Charnley führte den Erfolg der zementierten Hüftendoprothesen nicht nur auf die hohe Primärstabilität, sondern auch auf die verbesserte Krafteinleitung in den Knochen über die große Oberfläche des Zementmantels zurück. Deshalb zielte die Weiterentwicklung zementfreier Hüftendoprothesen auf die Vergrößerung der Oberfläche ab, um eine ossäre Integration zu ermöglichen. So implantierte Judet erstmals eine Porometallprothese, die aus einer Kobalt-Chrom-Nickel-Verbindung bestand und eine makrostrukturierte poröse Oberfläche aufwies. Die Pfanne war zylinderförmig und der schlanke gebogene Schaft hatte einen lateralen Flügel für die Rotationsstabilität (Judet 1975; Abb.€ 1.15). Lord führte 1973 die „madrepore“ (korallenartige) Prothese ein, deren Oberfläche durch angegossene Kügelchen dreifach vergrößert wurde (Lord und Bancel 1983). 1974 stellte Mittelmeier die Tragrippenprothese vor, deren Entwicklung schon 1969 begann. Der Prothesenkopf und die Pfanne bestanden aus Aluminiumoxidkeramik, wobei die Pfanne in das knöcherne Azetabulum geschraubt wurde. Der konische Schaft war leicht gebogen und wies in der ersten Version zirkuläre Tragrippen auf (Mittelmeier 1974). Diese erbrachten jedoch keine ausreichende Rotationsstabilität, so dass der zweite Schafttyp untereinander angeordnete, runde und ovale Mulden aufwies, von denen die beiden oberen durchstoßen waren. Der dritte Schafttyp zeichnete sich durch eine zusätzliche Oberflächenstrukturierung aus (Abb.€1.16). Doch Aluminiumoxidkeramik konnte sich als Material für die Pfanne nicht durchsetzen, da es im
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Abb. 1.12↜ Low-Friction-Arthroplastik nach Charnley
Abb. 1.13↜ Zementierte modulare Hüftendoprothese nach Weber
Gegensatz zum Knochen völlig unelastisch ist und die Oberfläche keine Möglichkeit zur Osteointegration bietet. Das Prinzip der Oberflächenvergrößerung hat
sich jedoch als erfolgreich erwiesen. 1982 erfolgte die Implantation der ersten konischen Schraubpfanne mit Polyethyleneinsatz durch Mittelmeier (1984). Schütt
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Abb. 1.14↜ Zementfreie Hüftendoprothese nach Ring
Abb. 1.15↜ Zementfreie Porometallprothese nach Judet
und Grundei entwickelten 1983 einen anatomischen Prothesenschaft, der über eine makrostrukturierte metallspongiöse Oberfläche verfügte. Die ebenso beschichtete Pfanne wies zusätzliche Anker zur Fixation auf (Henssge et€al. 1985; Abb.€1.17). Wie die Oberflächenstruktur wurde auch die Form des Prothesenstiels optimiert. Ziel war es zum einen, eine primärstabile Verankerung zu erreichen und zum anderen, eine weitgehend physiologische Krafteinlei-
tung zu erzielen. Bereits 1970 ersetzte Maurice Müller die bestehende gerade Stielform durch eine gebogene, die über einen Kragen verfügt (Abb.€1.18). So sollte die Auflagefläche der Prothese vergrößert werden, um eine bessere Krafteinleitung zu erzielen. Weller übernahm dieses Konzept und stellte 1978 den Stiel in biomechanisch optimierter Form vor. Zweymüller entwickelte 1980 einen Prothesenstiel aus Titan mit distaler Press-fit-Verankerung (Abb.€ 1.19). Zunächst
Historie und Epidemiologie 1â•… Abb. 1.16↜ Zementfreie Hüftprothese nach Mittelmeier
Abb. 1.17↜ Zementfreie Hüftendoprothese nach Schütt und Grundei (1983)
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Abb. 1.18↜ Zementierte Hüftendoprothese nach Müller (1970)
Abb. 1.20↜ Zementfreier Hüftprothesenstiel nach Spotorno
wurde Polyethylen als Fertigungsmaterial für eine zugehörige konische Schraubpfanne verwendet, das sich allerdings aufgrund seiner großen Elastizität und der Oberfläche, die keine Möglichkeit der OsteointegÂ� ration bietet, nicht durchsetzen konnte (Zweymüller
A. M. Halder
Abb. 1.19↜ Zementfreier Hüftprothesenstiel nach Zweymüller
et€al. 1995). 1983 dann führte Spotorno eine elastische Spreizpfanne und einen geraden Prothesenstiel ein, der sich durch ein konisches Design auszeichnet. Die daraus resultierende proximale Krafteinleitung soll eine periprothetische Knochenatrophie verringern (Spotorno et€al. 1993; Abb.€1.20). Die aseptische Prothesenlockerung durch ausbleibende Sekundärstabilität hat ihre Ursache einerseits in einer für die Osteointegration ungeeigneten Prothesenoberfläche, andererseits in den unterschiedlichen Elastizitätsmodulen von Prothese und Knochen. Vor diesem Hintergrund entwickelte Morscher 1974 den ersten isoelastischen Prothesenstiel. Dabei handelte es sich um einen metallarmierten elastischen Polyazetalstiel, der zusammen mit einer sphärischen Polyethylenpfanne mit Verankerungszapfen verwendet wurde (Morscher und Dick 1983). Aufgrund materialtechnischer Schwierigkeiten erbrachte der Prothesenstiel nicht den erhofften Erfolg. Um eine weitgehend physiologische Krafteinleitung in das proximale Femur zu gewährleisten, Knochensubstanz zu schonen und somit jüngere Patienten endoprothetisch versorgen zu können, wurden in der Folgezeit zahlreiche verschiedene Prothesentypen entwickelt. Huggler konzipierte 1976 die Druckscheibenprothese. Die Druckscheibe, die auf den Schenkelhals gesteckt wird, weist eine zentrale
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Abb. 1.21↜ Druckscheibenprothese nach Huggler
Abb. 1.22↜ Oberflächenersatz nach Freeman Abb. 1.23↜ Oberflächenersatz nach Wagner
Öffnung auf, durch die ein Dorn zur Aufnahme des Prothesenkopfes gesteckt wird. Der Dorn wiederum wird mit einer Lasche an der äußeren Femurkortikalis befestigt (Huggler und Jakob 1995; Abb.€ 1.21). Dadurch wird eine Krafteinleitung auf die starke mediale Femurkortikalis erreicht, wobei es allerdings an der Prothesen-Knochen-Grenze zur Überlastung und damit zur Knochenresorption und Lockerung kommen kann. Zur Knochen sparenden Implantation und Wiederherstellung der Biomechanik wurde schon in den fünfziger Jahren die Idee der Interpositionsarthroplastik weiterverfolgt. So experimentierte Charnley mit dünnwandigen Teflonkappen, die er zwischen das knöcherne Azetabulum und den gerundeten Hüftkopf platzierte (Charnley 1961). Doch nach anfänglicher Schmerzfreiheit und guter Beweglichkeit kam es zu Abrieb und Implantatbruch. In den sechziger Jahren berichtete Müller und Boltzy (1968) von zementfrei implantierten Metallkappen und -pfannen, die jedoch einen hohen Reibungswiderstand zeigten und bald lockerten. 1970 implantierte Gerard in Frankreich dann eine Doppelkappe aus Metall, die theoretisch sowohl Bewegungen zwischen den Komponenten als auch zwischen den Komponenten und dem Knochen erlaubte. Doch auch dieses Konzept erbrachte nicht
den erhofften klinischen Durchbruch und man übernahm das erfolgreiche Prinzip der Zementverankerung aus der Totalendoprothetik. Zuerst verwendete Paltrinieri und Trentani 1971 Knochenzement zur Fixation einer Polyethylenpfanne und einer Metallkappe. Nach kurzfristig erfolgversprechenden klinischen Ergebnissen stieg die Revisionsrate jedoch an. Demgegenüber verwendeten Freeman et€ al. (1975) in England und Furuya et€ al. (1978) in Japan Metallpfannen und Polyethylenkappen, die jedoch schon nach kurzer Zeit starken Abrieb und Implantatversagen aufwiesen (Abb.€ 1.22). So wechselten Wagner (1978) und Amstutz et€al. (1986) wieder zu Metallkappen und Polyethylenpfannen, die mit Knochenzement fixiert wurden (Abb.€1.23). Kurzund mittelfristig waren die klinischen Resultate ermutigend, langfristig wurden aber Revisionsraten bis zu 50€ % berichtet. Ursachen waren der starke Abrieb der dünnwandigen Polyethylenpfannen mit Bildung von Fremdkörpergranulomen und Osteolysen sowie Osteonekrosen des Femurkopfes. Nach diesen Erfahrungen verfolgte McMinn Anfang der neunziger Jahre die Entwicklung des Oberflächenersatzes weiter und griff die Idee der abriebarmen Metall-Metall-Gleitpaarung wieder auf. Er entwickelte eine Metallkappe, die mit einem zentralen Stift im Schenkelhals auf
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Abb. 1.24↜ Oberflächenersatz nach McMinn
dem Femurkopf fixiert wird und mit einer Metallpfanne artikuliert, die zementfrei implantiert wird (McMinn et€ al. 1996; Abb.€ 1.24). Seitdem McMinn über gute mittel- und langfristige klinische Ergebnisse berichtete, findet der Oberflächenersatz weltweite Anwendung. Moderne Kurzstielprothesen basieren auf dem Prinzip der intramedullären Verankerung im proximalen Femur bei sparsamer Knochenresektion und proximaler Krafteinleitung. Ein Vorteil dieser Prothesen ist die Möglichkeit der gewebeschonenden Implantation, die eine schnelle Mobilisation des Patienten ermöglichen soll. Goldstandard ist jedoch noch immer der im proximalen Femur verankerte gerade oder anatomische Prothesenstiel, zementfrei oder zementiert implantiert, in Kombination mit einer Press-fit- oder Schraubpfanne oder einer zementierten Polyethylenpfanne.
1.2 E pidemiologie des Hüftgelenkersatzes M. Stiehler und K.-P. Günther
1.2.1 I nzidenz des endoprothetischen Gelenkersatzes am Hüftgelenk Aufgrund der zunehmend verbesserten Prothesenstandzeiten (Malchau et€al. 2002), hoher Patientenzufriedenheit (Nilsdotter et€al. 2003; Fender et€al. 1999) und Kosteneffektivität (Katz 2001; Faulkner et€ al. 1998; Rorabeck et€ al. 1994) hat die Gesamtzahl an endoprothetischen Hüftgelenkseingriffen in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen. Eine exakte Aussage zur aktuellen Entwicklung der Behandlungszahlen – insbesondere auch im internationalen Vergleich – ist allerdings relativ schwierig. Als Basis
M. Stiehler und K.-P. Günther
dafür kämen wissenschaftliche Untersuchungen, Statistiken der Kostenträger bzw. nationaler Gesundheitssysteme und Verkaufszahlen der Implantathersteller in Frage. Aber die Zahl von Publikationen zu dieser Thematik ist noch begrenzt und Daten von Kostenträgern, Politik oder Industrie sind lückenhaft und nicht gut vergleichbar. Die Inzidenz des endoprothetischen Gelenkersatzes ist definiert als die Anzahl neu operierter Patienten in einem definierten Zeitraum und wird in Längsschnittuntersuchungen erhoben. Da die Ermittlung der Inzidenz in der Regel die Erstellung eines gebietsbezogenen Registers umfasst und daher sehr aufwendig ist, können von ihr wertvolle Angaben zu Wirksamkeit und möglichen unerwünschten Wirkungen der Behandlung abgeleitet werden. Merx und Mitarbeitern zufolge variierte die jährliche, einwohnerbezogene Hüftendoprothesenimplantationsrate im internationalen Vergleich der zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gehörenden Länder zwischen 60 und 200 pro 100.000 Einwohner in den späten neunziger Jahren (Merx et€ al. 2003). Die in der Arbeit zusammengefassten Versorgungszahlen nationaler Gesundheitsbehörden und Kostenträger zeigen zwar in allen Ländern eine Zunahme der Inzidenz in den letzten zwei Jahrzehnten, doch ist die Geschwindigkeit des Anstiegs sehr unterschiedlich. Während die Anzahl an Hüftendoprothesenimplantationen in diesem Zeitraum in Schweden nur um 10€% zugenommen hat, wurde sie in Finnland verdoppelt. Zahlen zur Situation in Deutschland stammen aus einer weiteren Publikation der Arbeitsgruppe um Merx et al. (2007). Danach wurden hier im Jahr 2001 insgesamt 171.300 Endoprothesen am Hüftgelenk implantiert. Dies entspricht einer Gesamt-TEP-Rate von 210 Hüft-Endoprothesen pro 100.000 Einwohner. Dabei steigt die TEP-Rate kontinuierlich bis in die Altersgruppe der über 85-Jährigen an. Der Eingriff zählt zu den 20 häufigsten Operationen in deutschen Kliniken und ist im Hinblick auf die Gesamtvergütung aller Prozeduren im aktuellen DRG-System die führende stationäre Behandlungsmaßnahme. In Deutschland ist allein zwischen 1998 und 2001 eine Zunahme der Eingriffszahl von 10€% zu beobachten. Derzeit kann man davon ausgehen, dass in Deutschland etwa 200 Hüfttotalendoprothesen je 100.000 Einwohner implantiert werden. In etwas mehr als der Hälfte aller Fälle ist dabei eine Arthrose Ursache für die Versorgung,
Historie und Epidemiologie 1â•…
was einer arthrosebedingten TEP-Rate von 110 bis 120 Hüftendoprothesen pro 100.000 Einwohner entspricht. Auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet werden vermutlich etwas mehr als 120.000 endoprothetische Eingriffe an der Hüfte (inklusive Wechseloperationen) aufgrund arthrosebedingter Beschwerden durchgeführt. Zu den Wechseleingriffen ist die Datenlage spärlicher. Nach Merx et€ al. (2007) wurden im Jahr 2001 etwa 23.600 Wechsel- und Austauschoperationen an der Hüfte durchgeführt. Derzeit kommt auf sieben neu implantierte Hüftendoprothesen eine Austauschoperation. Aufgrund der demographischen Veränderungen mit zunehmender Alterung der Bevölkerung ist mit einem weiteren Anstieg der Zahl sowohl an endoprothetischen Primärversorgungen als auch Wechseloperationen in den industrialisierten Ländern zu rechnen. Im internationalen Vergleich bestehen erhebliche Unterschiede in den Implantationsraten. Es ist kaum anzunehmen und in den entsprechenden Registerdaten auch nicht nachweisbar, dass die Ursache dafür in einer unterschiedlichen Prävalenz bzw. Inzidenz von Koxarthrosen und Schenkelhalsfrakturen liegt. Also müssen andere Faktoren für diese Differenzen verantwortlich sein. Dazu gehören möglicherweise Barrieren in der Entscheidung zum künstlichen Gelenkersatz auf Seiten der betroffenen Patienten mit Koxarthrose (z.€ B. unterschiedliches Schmerzempfinden und Erwartungshaltung), der betreuenden Ärzte (unterschiedliche Indikationsstellung) und der jeweiligen Gesundheitssysteme (ökonomische Rahmenbedingungen). Auch wenn vergleichende Daten zu dieser sozialmedizinisch bedeutsamen Thematik noch spärlich sind, ist mittlerweile eine sehr heterogene Indikationsstellung im europäischen Raum nachgewiesen (Dreinhofer et€al. 2006; Sturmer et€al. 2005).
1.2.2 I ndikationsstellung der Hüftendoprothetik Die häufigste zur endoprothetischen Versorgung führende Erkrankung stellt die ätiologisch multifaktorielle Koxarthrose dar. Gemäß den Daten des schwedischen Hüftregisters werden drei von vier aller jährlich verwendeten Hüftendoprothesen aufgrund einer Koxarthrose implantiert (Malchau et€ al. 2002). Die Prävalenz der symptomatischen Hüftge-
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lenksarthrose beträgt in der westlichen Welt ca. 10€% der Patienten jenseits des sechzigsten Lebensjahres (Sun et€al. 1997). Bei Patienten mit mittel- bis hochgradig symptomatischer Arthrose des Hüftgelenks führt die erfolgreiche Implantation eines künstlichen Hüftgelenkersatzes zu Schmerzlinderung und Wiedererlangung einer guten Funktionalität und damit zur Verbesserung der Lebensqualität (Murray 1998). Zusätzlich ist der künstliche Hüftgelenkersatz eine Behandlungsoption für Patienten mit rheumatischentzündlichen Erkrankungen. Bei entsprechender Gelenkdestruktion und Versagen konservativer Therapiemaßnahmen stellt die Endoprothesenimplantation eine hervorragende Maßnahme dar. Aufgrund der mittlerweile deutlich verbesserten medikamentösen antirheumatischen Therapiekonzepte ist jedoch ein Rückgang in der Gesamthäufigkeit von operativen Eingriffen bei Rheumatikern zu verzeichnen (Malchau et€al. 2002). Im Gegensatz dazu nimmt der endoprothetische Gelenkersatz aufgrund von hüftnahen Frakturen weltweit zu. Vor allem ältere Patienten mit Schenkelhalsfrakturen werden primär endoprothetisch versorgt. So spiegelt der in Schweden beobachtete Anstieg von Frakturen als Indikation zum Gelenkersatz den zunehmenden Übergang von der primären Ostesynthese zur Implantation einer Hüfttotalendoprothese bei dislozierten Schenkelhalsfrakturen wider (Malchau et€al. 2002). Aus diesem Grund ist vor allem im höheren Lebensalter (>â•›90 Jahre) die proximale Femurfraktur mittlerweile die häufigste Indikation zum künstlichen Hüftgelenkersatz geworden. Weitere Indikationen für den Hüftgelenkersatz sind aseptische Femurkopfnekrosen mit irreversibler Zerstörung des Hüftkopfes und therapieresistenten Schmerzen sowie Kontrakturen oder gelenknahe Deformitäten. Auch bei bereits eingetretenen oder drohenden Frakturen (Osteolysen) des proximalen Femur und Azetabulum aufgrund von pathologischen Knochenveränderungen (primärer Knochentumor, Metastase, Osteoporose) werden Endoprothesen implantiert. Bei der Koxarthrose als häufigster Ursache für den Hüftgelenkersatz gibt es keine einheitlichen Empfehlungen zum Zeitpunkt der Operation. Die in der internationalen Literatur verfügbaren Angaben weisen sehr unterschiedliche Einschätzungen auf (Naylor und Williams 1996; Hadorn und Holmes 1997; NIH Consensus Conference 1995; British Orthopaedic Association 1999). Sie basieren zwar meist auf Schmerzen und Funktionseinschränkungen, aber bereits die Not-
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wendigkeit des Vorliegens radiologischer Kriterien wird unterschiedlich beurteilt. Auch die Berücksichtigung von Ruheschmerzen und Belastungsschmerzen bei Alltagstätigkeiten sowie von Einschränkungen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit und der körperlichen Pflege ist sehr heterogen. Eine pragmatische Empfehlung hat sich im neuseeländischen Gesundheitssystem durchgesetzt. Definierte Prioritätskriterien für die Indikation zur Hüftendoprothetik setzen eine Kombination von Schmerzen (Ausmaß, Häufigkeit, maximale Gehstrecke), funktioneller Aktivität (Schuhe anziehen, Treppensteigen, Aufstehen aus dem Sitzen, sexuelle Aktivität, Freizeitaktivitäten, Verwendung von Gehhilfen) sowie Beweglichkeit und Deformität (schmerzhafte und/oder eingeschränkte Beweglichkeit, Hinken, Instabilität, radiologischer Befund) voraus (Hadorn und Holmes 1997). Gemäß den Empfehlungen der US-amerikanischen National Institute of Health von 1995, auf denen auch die Richtlinien der britischen orthopädischen Gesellschaft aus dem Jahre 1999 basieren, ist ein künstlicher Hüftgelenkersatz dann indiziert, wenn eine radiologisch nachweisbare Gelenkschädigung besteht und mittel- bis hochgradige, anhaltende Hüftschmerzen und/oder funktionelle Einschränkungen vorliegen, die nicht wesentlich durch ausgedehnte konservative Maßnahmen zu lindern sind. Im Rahmen des EUROHIP1-Projekts wurde erstmals in einer Multicenter-Studie gezeigt, dass innerhalb Europas bei einweisenden Ärzten und Operateuren unterschiedliche Auffassungen bezüglich des angemessenen Ausmaßes an Schmerzen, funktioneller Beeinträchtigung und radiologischer Veränderungen als Indikationskriterien zum künstlichen Hüftgelenkersatz bestehen (Dreinhöfer et€al. 2006; Sturmer et€al. 2005). Einweisende Ärzte sahen im Vergleich zu Operateuren ein höheres Ausmaß an Schmerzen, eine geringere maximale schmerzfreie Gehstrecke und ausgeprägtere radiologische Veränderungen als Voraussetzung zum Gelenkersatz (Dreinhöfer et€ al. 2006; Sturmer et€ al. 2005). Ruhe- oder Nacht- und Bewegungsschmerzen sowie funktionelle Einschränkungen wurden von beiden Arztgruppen als wichtige Voraussetzungen bezeichnet. Radiologische Veränderungen und die Beeinträchtigung im sozialen Kontakt scheinen jedoch 1
European collaborative database of cost and practice pattern of total hip replacement.
M. Stiehler und K.-P. Günther
untergeordnete Entscheidungskriterien zu sein. Die Autoren schlussfolgern, dass aufgrund der beobachteten Unterschiede bezüglich der Indikationsstellung zum hüftendoprothetischen Ersatz im internationalen Vergleich verstärkte Aktivitäten einer Leitlinienentwicklung zu fordern sind. Neben einer Richtschnur für individuelle Entscheidungen sind diese anscheinend vor allem erforderlich, um betroffenen Patienten auch in unterschiedlichen Ländern eine von gesundheitsökonomischen Überlegungen unabhängige Chance auf den Gelenkersatz zu geben. Bis entsprechende Leitlinien vorliegen, kann man versuchen, aus der aktuellen Literatur eine pragmatisch orientierte Handlungsempfehlung abzuleiten. Danach sollte der endoprothetische Hüftgelenkersatz dann erwogen werden, wenn • die Lebensqualität aufgrund von Schmerzen (Ruhe- oder Belastungsschmerzen) oder/und Funktionseinschränkungen in erheblichem Umfang beeinträchtigt ist, • evidenzbasierte Alternativen der konservativen Therapie (insbesondere Analgetika und Antiphlogistika, Entlastung, Schuhzurichtung, Krankengymnastik, physikalische Therapie) nicht ausreichend wirksam sind, • radiologische Veränderungen vorliegen, die eine morphologische Gelenkschädigung (Arthrose oder Hüftkopfnekrose) als Ursache der Beschwerden wahrscheinlich machen und nicht mit gelenkerhaltenden Eingriffen behandelbar sind. Weiterhin bestehen Indikationen zum Gelenkersatz dann, wenn • bei einer traumatischen Schenkelhalsfraktur jenseits des 60. Lebensjahres die Fragmentdislokation den Erfolg einer kopferhaltenden osteosynthetischen Versorgung unwahrscheinlich macht, • aufgrund einer pathologischen Knochenerkrankung (z.€ B. Metastase, primärer Knochentumor, Osteoporose) eine Fraktur im Bereich des proximalen Femur bzw. Azetabulum eingetreten ist oder eine Fraktur droht und nicht sinnvoll mit anderen Maßnahmen behandelt werden kann.
1.2.3 Implantat- und Zugangswahl Nicht nur bezüglich des Implantationszeitpunkts, sondern auch bezüglich der Implantatwahl und der opera-
Historie und Epidemiologie 1â•…
tiven Zugangswege bestehen sowohl national als auch international sehr große Unterschiede.
1.2.3.1 Implantatwahl Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Endoprothesenmodellen und Designtypen, die zementiert, teilzementiert oder zementfrei verankerbar sind. In der Frakturversorgung wird neben der Totalendoprothese häufig nur der Ersatz im proximalen Femur ohne Azetabulumkomponente (z.€ B. Duokopfprothese) eingesetzt. In der Arthroseversorgung konkurrieren konventionelle schaftbasierte Modelle mit sog. Kurzschaftprothesen und Oberflächenersatzprothesen sowie die verschiedenen Verankerungstechnologien (zementiert, teilzementiert, zementfrei). So werden nach Angaben des Schwedischen Endoprothesenregisters derzeit 93€% der primär implantierten Hüftendoprothesen zementiert und es gibt nur eine sehr geringe Zahl von zementfreien Prothesen bzw. Kurzschäften oder Oberflächenersatzimplantaten. Im australischen Register dagegen sind über die letzten Jahre konstant etwa 20€% der Primärimplantationen als Oberflächenersatz erfolgt (http://www.aoa.org.au/jointregistry_ pub.asp). In Deutschland gibt es aktuelle Daten aus einem fragebogenbasierten Survey in 240 orthopädischen und unfallchirurgischen Kliniken, den Sendtner et€al. im Jahr 2006 durchführten (Sendtner et€al. 2007). Danach erfolgten 65€ % aller Hüftendoprothesenimplantationen zementfrei, 12,6€ % waren Kurzschäfte und 4,1€% Oberflächenersätze. 1.2.3.2 Operative Zugänge Bezüglich des Operationszugangs hat sich aktuell ein Trend hin zu weniger invasiven Zugängen entwickelt. Aus dem Survey von Sendtner et€al. (2007) ergibt sich, dass im Jahr 2006 insgesamt 77€% der Hüftoperateure in Deutschland minimal-invasive Zugänge anwenden und die meisten etwa ein Drittel ihrer Patienten in dieser Technik versorgen. Offensichtlich bestehen jedoch Unterschiede in der Auffassung darüber, wie „minimal-invasive“ Zugänge definiert werden, denn nur etwa 50€ % der Befragten verstehen darunter ein Weichteil schonendes Vorgehen und die Verbleibenden geben allenfalls eine Reduktion der Inzisionslänge an. Damit reduziert sich die Rate der tatsächlich minimal-invasiv versorgten Patienten in Deutschland erheblich. Betrachtet man die aktuell publizierte internationale Literatur zu minimal-invasiver Technik, fällt noch ein Missverhältnis von wenigen kontrollierten –
17
insbesondere auch randomisierten – Studien und dem weitaus überwiegenden Anteil von nichtkontrollierten Untersuchungen auf. Zwischen 1989 und 2007 sind insgesamt 76 Arbeiten mit der Thematik „minimal invasive hip arthroplasty“ erschienen. In 60€ % sind dies Fallberichte und Reviews, in 30€% nichtkontrollierte Studien und nur in 10€% kontrollierte oder randomisierte Studien. Damit ist eine aktuelle Wertung der Verfahren noch nicht möglich. Interessant ist dennoch ein Vergleich zwischen der prozentualen Verteilung international publizierter Zugangswege und der in Deutschland aktuell genutzten Zugänge. Die weitaus überwiegende Studienzahl in der aktuell verfügbaren Literatur befasst sich mit anterioren und posterioren Zugängen. Im Gegensatz dazu wird in Deutschland zurzeit insbesondere der anterolaterale Zugang in weniger invasiver Technik propagiert.
1.2.3.3 Navigation Basierend auf den relativ guten Ergebnissen der navigationsgestützten Implantation von Knieendoprothesen wird diese Thematik auch in der Hüftendoprothetik diskutiert. In Deutschland wenden jedoch aktuell nur sehr wenige Operateure die Navigation bei der Implantation von Hüftendoprothesen an (Sendtner et€al. 2007). Ob die guten Ergebnisse experimenteller und erster klinischer Arbeiten sowie die Weiterentwicklung der Technologie hier zu einer Veränderung führt, muss abgewartet werden. Die Befürworter argumentieren, dass gerade bei der Anwendung von minimal-invasiven Operationsverfahren und auch bei der Implantation von Oberflächenersatzprothesen die Genauigkeit der Komponentenplatzierung erhöht und damit das radiologische – und möglicherweise auch klinische – Ergebnis noch verbessert werden könnte.
1.2.4 Implantatverweildauer Zu den Standzeiten von Endoprothesen gibt es mittlerweile aus Endoprothesenregistern und publizierten Kohortenstudien umfangreiche Daten. Nachdem in Schweden 1979 das erste staatliche Register zur systematischen Dokumentation von Hüftendoprothesenimplantationen initiiert wurde, folgten Finnland (1980), Norwegen (1987), Dänemark (1994), Neuseeland (1997), Ungarn (1998), Australien (2000) und Kanada (2001). Das Hauptziel nationaler Hüftregister ist die frühestmögliche Erkennung von Implan-
A. M. Halder et al.
18
taten, Zementtypen und Zementiertechniken mit schlechtem klinischem Ergebnis (Furnes et€al. 2003). In Schweden konnte eine Verbesserung der 10-Jahres-Implantatstandzeit bei Patienten mit Koxarthrose von 80€ % (1979–1990) auf 94,8€ % (1991–2000) berechnet auf den Endpunkt aseptische Prothesenlockerung durch moderne Zementiertechniken erreicht werden (Malchau et€al. 2002). Zum Vergleich wiesen nur 80,0€% der in der Zeit von 1979 bis 2000 zementiert hüftendoprothetisch versorgten Patienten nach 10 Jahren noch fest implantierte Prothesenkomponenten auf. Initial enttäuschende Standzeiten zementfreier Implantate konnten durch eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Pfannen- und Schaftmodelle verbessert werden. Im schwedischen Register beträgt die 10-Jahres-Standzeit der zwischen 1990 und 2000 implantierten Modelle 87,7€% (Malchau et€al. 2002). Mittlerweile werden in Langzeituntersuchungen an entsprechenden Kohorten mit zementfreien Implantaten auch regelhaft 10-Jahres-Überlebensraten von mehr als 90€% berichtet. In einer Übersichtsarbeit von Ziegler et€ al. (2007) sind entsprechende Publikationen zusammengefasst. Obwohl es sich dabei häufig um Studien aus spezialisierten Zentren handelt, deren Ergebnisse nicht immer verallgemeinert werden können, zeigen auch registerbasierte Daten schon gute Langzeitergebnisse bei jüngeren Patienten. So weist beispielsweise das finnische Endoprothesenregister 10-Jahres-Überlebensraten von 93–98€% für zementfreie Pfannen und 99€% für proximal porös beschichtete Schäfte auf, wenn als Revisionsgrund die aseptische Lockerung gezählt wird (Eskelinen et€ al. 2005). Bei jüngeren Patienten besteht generell eine höhere Quote an Implantatversagen als bei älteren, was vermutlich auf die höhere Beanspruchung zurückzuführen ist. Ob die Weiterentwicklungen von Gleitpaarungen oder gerade die für jüngere Patienten propagierten Oberflächenersatzprothesen oder Kurzschaftprothesen zu zusätzlich verbesserten Standzeiten führen, muss noch abgewartet werden. Hybridsysteme (zementfreie Pfanne und zementierte femorale Komponente) nehmen eine Mittelstellung bezüglich der Rate aseptischer Lockerungen ein und weisen im schwedischen Register eine aktuelle 10-Jahres-Standzeit von 92,7€ % auf (Malchau et€ al. 2002). Malchau et€ al. (2002) berichten von einer durchschnittlichen primären Revisionsrate von 7,4€ % bei Hüfttotalendoprothesen, die zwischen 1979 und 2000
implantiert wurden. Indikationen für den Eingriff sind aseptische Lockerung (75,3€ %), tiefer Wundinfekt (6,7€%), Dislokation (5,8€%), periprothetische Fraktur (5,1€ %), technisches Versagen (3€ %) und Implantatbruch (1,5€%).
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2
Funktionelle Anatomie und Biomechanik R. Putz, U. Simon, L. Claes, H. P. Nötzli und T. F. Wyss
2.1 F unktionelle Anatomie des Hüftgelenks
2.1.1 P roximales Femurende, Caput femoris
R. Putz
Das Caput femoris besitzt einen Durchmesser von etwa 3,5–5,5€ cm und ist aus dichter Spongiosa aufgebaut. Je nach Durchmesser kann die funktionelle Oberfläche des Caput femoris bis etwa 30€cm2 betragen. An seiner proximalen, medialen Fläche findet sich eine kleine Einziehung, Fovea capitis femoris, an der das Lig. capitis femoris inseriert. Die Knorpelbedeckung erreicht ihre maximale Dicke von etwa 3€ mm knapp kranial lateral der Fovea. Die Knochenbälkchen des Caput femoris sind zur subchondralen Knochenplatte jeweils exakt senkrecht eingestellt und konvergieren zum Mittelpunkt des Hüftgelenkkopfes (Abb.€2.2). Das Trabekelwerk geht einerseits in das zur medialen Kortikalis des Schenkelhalses ziehende Druckbündel über und andererseits in das entlang des oberen Bereichs des Schenkelhalses bis hin zum Trochanter major ziehende Zugbündel. Als Folge der Verdichtung der Trabekel zu diesen beiden zur Aufnahme der Biegebeanspruchung ausgerichteten Spongiosabündel entsteht an der Basis des Schenkelhalses eine Zone mit relativ geringerer Trabekeldichte (Ward-Dreieck). Als Ausdruck einer Anpassung an die Biegebeanspruchung im Bereich des Schenkelhalswinkels findet sich hier – allerdings sehr unterschiedlich ausgebildet – eine halbmondförmige Verstärkungsplatte, die wegen ihres Querschnittsbildes als Merkelscher Schenkelsporn bezeichnet wird. Sie ist ungefähr in der Frontalebene, eigentlich in der Ebene des Torsionswinkels des Schenkelhalses ausgerichtet (Abb.€2.3). Die Anpassung an die Torsionsbeanspruchung des proximalen Femurendes gegenüber dem Femurschaft
Das Hüftgelenk des menschlichen Körpers erscheint nur auf den ersten Blick als ein ideales Kugelgelenk. Einem nur im Prinzip sphärischen Gelenkkörper, dem Caput femoris, steht das Segment einer Hohlkugel, die Facies lunata, gegenüber. Überraschend dabei ist, dass die Fläche der Gelenkpfanne nur etwa 50€% der Gelenkfläche des Kopfes entspricht. In der im frontalen Röntgenbild eindrucksvoll darstellbaren Hüftgelenkpfanne steht also nur ein kleiner Teil zur Lastübertragung zur Verfügung (Abb.€2.1). Ein zweiter, ebenso irritierender Aspekt besteht darin, dass sowohl Caput femoris als auch Facies lunata keine, auch nur annähernd gleichmäßige Verteilung der subchondralen Mineralisierung aufweisen. Daraus leitet sich wiederum ab, dass über die Zeit dementsprechend offenbar auch keine gleichmäßige Druckübertragung stattfindet. Dies kann auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden. Einer ist, dass die beiden Gelenkkörper grundsätzlich minimal inkongruent sind, ein anderer, dass sich Richtung und Lage des Durchstoßpunktes der resultierenden Hüftgelenkkraft im Ablauf von Gehen und Laufen gravierend ändern. Auf diese Weise wird garantiert, dass die Gelenkkörper unter normalen Umständen breit in den Kraftfluss einbezogen werden und der Materialaufwand minimiert wird. R. Putz () Institut für Anatomie und Zellbiologie, Pettenkoferstraße 11, 80336 München, Deutschland E-Mail:
[email protected] L. Claes et al. (Hrsg.), AE-Manual der Endoprothetik, DOI 10.1007/978-3-642-14646-6_2, ©Â€Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik 2012
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R. Putz
22 Abb. 2.1↜ Knöcherne Elemente des Hüftgelenks. (a) Os coxae mit Azetabulum von lateral kaudal, (b) Femur von medial
spiegelt sich auch in der Ausrichtung der Spongiosa wider. Von der distalen Kortikalis der Basis des vorderen und des hinteren Umfanges des Schenkelhalses bildet sich ebenso eine Spitzbogenstruktur aus (Abb.€2.4).
2.1.2 Facies lunata
Abb. 2.2↜ Trabekelarchitektur des Schenkelhalses in der Frontalebene; von ventral
Die Facies lunata stellt ein nur schmales, annähernd in der Sagittalebene ausgerichtetes Segment von etwa 30€ % einer Hohlkugel dar (Abb.€ 2.5). Die Außenkante der Facies lunata folgt dem markanten Rand der Hüftgelenkspfanne, die Innenkante setzt sich medial scharf von der Fossa acetabuli ab. Das vordere Horn der Facies lunata erstreckt sich flach auf der Innenseite des dem Corpus ossis pubis zuzurechnenden Teils des Azetabulum, während das dorsale Horn dem Corpus ossis ischii aufsitzend frei die Incisura acetabuli überragt. Die geringe Breite der Gelenkfläche erklärt sich aus der Lage des Durchstoßpunktes der resultierenden
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•…
23
Abb. 2.3↜ Merkel’scher Schenkelsporn. (a) Schrägschnitt unterhalb des Schenkelhalses; von distal, (b) Eröffnung des Markraumes des Femur im Übergangsbereich von Schenkelhals zum Schaft; von lateral
Abb. 2.4↜ Trabekelarchitektur des Schenkelhalses in der Transversalebene. Schräger Flachschnitt durch den Schenkelhals; von kranial. Die spitzbogenartige Anordnung weist darauf hin, dass der Schenkelhals auch in sagittaler Richtung als Ausdruck der Torquierung einer Biegebeanspruchung unterliegt
Hüftgelenkkraft in Bezug zum Pfannenrand. Pauwels (u.€a. 1973) und Kummer (u.€a. 2005) haben dies zum Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gemacht und auf die Rolle einer ausreichenden Ausbildung des
Pfannendacherkers hingewiesen. Abgeleitet von der Lage des Durchstoßpunktes der resultierenden Hüftgelenkkraft in Bezug zum Pfannenrand kann nach medial hin Last eben nur über eine begrenzte Fläche übertragen werden. Die Knorpelfreiheit der Fossa acetabuli beruht demnach darauf, dass hier einfach kein Bedarf für Druck aufnehmendes Gewebe besteht. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich die große Variabilität der inneren Kontur der Facies lunata wie auch deren mit dem Alter meist zunehmende Verbreiterung (Abb.€2.5(a), (b)). Die Knorpelbedeckung der Facies lunata ist am dicksten entlang des äußeren Randes kranial ventral und nimmt von dort gleichmäßig nach medial sowie nach ventral und dorsal ab. Sie ist gleichmäßiger verteilt als beim Caput femoris und setzt sich mit einer scharfen Rinne gegen das Labrum acetabuli ab. Im Bereich der beiden Hörner geht sie ohne erkennbare Kontur in die knorpelige innere Bedeckung des Lig. transversum acetabuli über. Die subartikuläre Spongiosa weist charakteristischerweise Verdickungen im Bereich des Pfannen-
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R. Putz
Abb. 2.5↜ Formen der Facies lunata. (a) Beim jüngeren Individuum ist die Facies lunata schmaler und erscheint etwas eingezogen segmentiert, (b) Beim älteren Individuum verbreitert sich die Facies lunata vor allem im Zenit. Auch tritt sie etwas tiefer bis auf das Niveau der Fossa acetabuli
Abb. 2.6↜ Kontaktradiographie eines 3€ mm dicken Schnittes durch das hintere Horn der Facies lunata
dachs sowie entlang des Limbus auf. Allerdings handelt es sich nicht primär um kompakte Knochenvolumina, es finden sich vielmehr schichtenartig der Kugelform entsprechend angeordnete Platten, die durch kleine Zwischenbälkchen verstärkt sind. Mit zunehmendem Alter verdickt sich die subchondrale Platte (Abb.€2.6). Außerhalb der Verdichtungszonen sind die Spongiosabälkchen vorwiegend radiär zur Facies lunata ausgerichtet und divergieren zur gegenüber liegenden
Kompakta der Beckeninnenseite. Nicht überraschend ist der Befund, dass sich das Pfannendach sehr massiv gegen die Hinterfläche der Eminentia iliopubica abstützt. Gelegentlich ist hier sogar eine durchgehende Sklerosierungszone vorhanden. Der Pfannendacherker ist immer eher homogen, kompakt ausgebildet. Im Bereich des Zentrums der Hüftpfanne kommen sich die äußere dünnere und die innere, etwas dickere Kortikalis des unteren Bereichs der Beckenschaufel am nächsten. Hier bildet der Pfannenboden mit der Kortikalis der Innenfläche des Os coxae eine sandwichartige Formation mit einem dichten Maschenwerk aus. Gegen die Basis des Os ilium hin formieren sich die vom Pfannendach ausstrahlenden Spongiosazüge zu Spitzbögen, die einerseits in die innere und andererseits in die äußere Kortikalis der Darmbeinschaufel übergehen (Abb.€2.7). Die subartikuläre Spongiosa ist gegen den Rand der Gelenkfläche hin generell verdichtet, während sie sich gegen den Innenrand der Facies lunata hin auflockert. Dies spricht dafür, dass der Rand des Azetabulum einer höheren Beanspruchung unterliegt als dessen Tiefe. Entlang der Randzone ist dementsprechend ggf. mehr Material für eine sichere Verankerung einer Prothesenpfanne vorhanden. Die freie Kante des Azetabulum wird von einer Gelenklippe, dem Labrum acetabuli besetzt, die innen von einer dünnen Schicht von hyalinem Knorpel bedeckt ist. Seine Grundlage bilden sehr dicht gepackte Bündel kollagener Fasern, die unter Einbeziehung des Lig. transversum acetabuli einen geschlossenen Ring um die Hüftgelenkpfanne bilden. Auf den ersten Blick wird damit lediglich die knorpelbedeckte Gelenkflä-
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•…
Abb. 2.7↜ Abstützung des Azetabulum zum Os ilium
che der Facies lunata vergrößert, der Faserring scheint aber eine wesentliche Rolle bei der Erhaltung des Kraftschlusses des Hüftgelenks unter Belastung zu spielen (Löhe et€al. 1996). Bei offensichtlicher Fehlbelastung des Hüftgelenks, wenn also das Pfannendach des Hüftgelenks offenbar stärker belastet ist als die vorderen und die hinteren Anteile der Facies lunata und evtl. bereits Abnutzungserscheinungen zeigt, ist das Labrum acetabuli in diesem Bereich häufig ausgedehnt und deformiert. In diesen Fällen ist meist kein freier Rand mehr zu sehen, seine Außenfläche verschmilzt mit der hier über den Gelenkkopf gespannten Gelenkkapsel.
2.1.3 Bänder des Hüftgelenks Das Hüftgelenk ist durch einen derben Bandapparat gekennzeichnet, der nur wenige dünne Stellen aufweist. Proximal entspringen die Bänder knapp außerhalb des Labrum acetabuli, distal erstrecken sie sich unterschiedlich breit auf das Femur. Der äußeren Fläche des Labrum liegt die Membrana synovialis der Gelenkkapsel an, die hier eine flache Rinne bis zur Außenkante der Basis hin bildet. Verursacht wird dies dadurch, dass die Membrana fibrosa, aus der die
25
Ligamenta hervorgehen, klar außerhalb des Labrum ihren Ursprung nimmt. Auf diese Weise entsteht ein ringförmiger Spalt, der das Labrum rundum so umgibt, dass dessen Rand frei in den Gelenkinnenraum vorragt (Putz und Schrank 1998). Der stärkste, mehrere Millimeter dicke Faserzug ist das Lig. iliofemorale, dessen Hauptteil, Pars descendens, breit knapp unterhalb der Spina iliaca anterior inferior und der Eminentia iliopubica vom Vorderrand des Azetabulum entspringend, etwas schraubig verdreht, bis zur Innenseite des Übergangs des Schenkelhalses zum Femurschaft zieht. Der Ansatz dieses Bandes wird in etwa von der Linea intertrochanterica markiert. Ein kleinerer Anteil, Pars transversa, zieht vom lateralen Rand des Azetabulum zur Basis des Trochanter major (Abb.€2.8). Indem es die Extension im Hüftgelenk auf maximal 5° beschränkt, beeinflusst das Lig. iliofemorale mit seinen absteigenden Fasern maßgeblich das Gangmuster. Gerade beim schnelleren Gehen wird durch seine dynamische Spannung eine Rotation des Beckens eingeleitet, die wiederum eine gegenläufige Rotation des Oberkörpers auslöst. Durch diese Torquierung des Rumpfes wird Energie erhalten und die Kontrolle über die Rumpfbewegung erleichtert. Die quer verlaufenden Fasern begrenzen die Adduktion des Beins, was für das bequeme, nachlässige Stehen benützt wird. Die übrigen in die Kapsel eingewobenen Bänder des Hüftgelenks sind vergleichsweise dünn. Das Lig. pubofemorale zieht vom Unterrand des Azetabulum nach schräg dorsal zum Schenkelhals und wird bei Außenrotation gespannt. Das Lig. ischiofemorale verläuft vergleichbar quer eingestellt vom Hinterrand des Azetabulum auf die Unterseite des Schenkelhalses. Es wirkt mit bei der Begrenzung der Innenrotation und der Flexion. Außerhalb der oben genannten Bänder ist die Gelenkkapsel sehr dünn. An der Vorderfläche, wo die Sehne des M. iliopsoas über die vordere Kante des Azetabulum hinweg zum Trochanter minor nach kaudal zieht, ist sie in vielen Fällen dehiszent, so dass eine direkte Kommunikation der Bursa m.€ iliopsoas mit dem Innenraum des Gelenks besteht. Entlang des Unterrands des Lig.€ ischiofemorale am hinteren Umfang des Schenkelhalses bis vor die Fossa trochanterica verdünnt sich die Kapsel bis auf die Membrana synovialis (Abb.€2.8b).
R. Putz
26
Labrum acetabulare Lig. iliofemorale
Lig. pubofemorale
Lig. iliofemorale
a
- Pars descendens - Pars transversa
Lig. capitis femoris
Lig. ischiofemorale
b
Lig. pubofemorale
Membrana synovialis
c
Abb. 2.8↜ Bänder des Hüftgelenks, (a) von ventral, (b) von dorsal, (c) Frontalschnitt
Abb. 2.9↜ Vertikalschnitt durch das Hüftgelenk in der Ebene des Schenkelhalses. Die den Trochanter major bedeckende Sehnenplatte ist mit einem * gekennzeichnet. An ihr entspringt der M. vastus lateralis. Von kranial her strahlen die Sehnen der kleinen Glutealmuskeln ein
Zur Gänze innerhalb des Gelenkraums verläuft das Lig. capitis femoris. Es entspringt aus der Tiefe der Fossa acetabuli, wo es von einigen synovialen Fettfalten umgeben ist (Abb.€ 2.8c). Nach kurzem gestrecktem Verlauf erreicht es die Fovea capitis femoris. Bekanntermaßen enthält das Lig. capitis femoris die A. ligamentum capitis femoris, die als kleiner Ast der
A. obturatoria den proximalen, ursprünglich epiphysären Teil des Caput femoris versorgt. Die Relevanz dieses Versorgungsanteils ist allerdings etwas umstritten. Am ehesten ist ihre Bedeutung während der Wachstumsperiode nachzuvollziehen, bei der die Kopfepiphyse durch eine breite epiphysäre Knorpelplatte von der Femurdiaphyse getrennt ist. Parallel zur Verknöcherung der Epiphysenfuge entwickeln sich offenbar in ausreichender Weise arterielle Anastomosen zur Versorgung des Femurkopfes über die Gefäße der Diaphyse sowie über die periostalen Blutgefäße des Schenkelhalses, die beiden Aa. circumflexae femoris (Putz und Kaiser 1999). Interessant ist, dass sich dabei bei vielen älteren Individuen kein Lig. capitis femoris mehr nachweisen lässt. Am wenigsten befasst man sich im Allgemeinen mit dem Lig. transversum acetabuli. Es entspringt breitflächig von der Kante des hinteren Horns der Facies lunata und konvergiert zum äußeren Rand des frei vorragenden vorderen Horns (Abb.€2.10). Es ist ein sehr straffes Band, das einer Deformation der Hüftpfanne unter hoher Belastung und in den Endphasen der Rotation entgegenwirkt (Löhe et€al. 1996). Das Band bildet die Grundlage für die Kontinuität des Labrums rund um das Azetabulum. Bei einer funktionellen Betrachtung der Morphologie des Hüftgelenks darf die den Trochanter major deckende Sehnenplatte nicht außer Acht gelassen werden (s. Abb.€2.9; Heimkes et€al. 1993). Sie dient einerseits dem M. vastus lateralis als Ursprung und geht
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•…
Abb. 2.10↜ Das Lig. transversum acetabuli (*) verbindet die beiden Hörner der Facies lunata über die Incisura acetabuli hinweg
andererseits am Oberrand des Trochanter major direkt in die hier einstrahlenden Ansatzsehnen der kleinen Glutealmuskeln über. Die Rolle dieser Sehnenplatte für die Minimierung der Biegebeanspruchung des proximalen Femurendes ist nicht zu übersehen (Heimkes et€al. 1992, 1993). Besonders augenfällig wird dies bei der Betrachtung der Ausrichtung der lateralen Trabekel des Trochanter major, die exakt senkrecht gegen die Sehnenauflage dieser Sehnenplatte eingestellt sind.
2.1.4 A npassung der Knochen- und Gelenkstrukturen an die Beanspruchung Im Kapitel über die Biomechanik des Hüftgelenks wurde der Zusammenhang von Schenkelhalswinkel und Biegebeanspruchung des Schenkelhalses einerseits sowie Größe der Resultierenden andererseits herausgearbeitet. Dies ist nicht nur ein plausibles Kräftemodell, sondern spiegelt sich auch in der Materialverteilung der beteiligten Skelettteile wider. Die Größe der Gelenkkraft und der Schenkelhalswinkel müssen demnach in ihrer Bedeutung für das Hüftgelenk gemeinsam betrachtet werden. Spürt man dabei etwas den Mechanismen der Evolution nach, so wird klar, dass es sich hier um ein über die Zeitläufe selbst optimierendes System handelt. Letztlich ist davon auszugehen, dass sich der Schenkelhalswinkel bis zu einem Wert verringert, der – abgesehen von osteoporotischen Veränderungen – über einen weiten Teil des Lebens eine ausreichende Biegefestigkeit besitzt. Dadurch kann andererseits die Beanspruchung im Hüftgelenk auf einen Wert herabgesetzt werden, der die Leistungsfähigkeit der beteiligten Gewebe des Gelenks nicht überfordert.
27
Wie empfindlich das Knochengewebe auf die vorherrschende Beanspruchung reagiert, kann eindrucksvoll an der Kortikalis der Basis des Schenkelhalses im Bereich des Überganges zum Femurschaft beobachtet werden. Je kleiner der CCD-Winkel, umso höher ist die Dichte des Knochengewebes in diesem Bereich (Putz 1993). Die Spannung im Hüftgelenk, also die Verteilung der Gelenkkraft auf die beteiligten Gelenkflächen, hängt entscheidend von der Lage des Durchstoßpunktes der resultierenden Hüftgelenkkraft ab. Darauf hat insbesondere Kummer (u.€ a. 2005) hingewiesen und eine Formel zur Berechnung der maximalen Tragfläche vorgelegt. Dies entspricht der Form einer schmalen Ellipse (Kugelzweieck nach Legal 1985), die im Bewegungsablauf über die Facies lunata wandert. Durch die Wanderung der unterschiedlichen Spannungen im Bewegungsablauf ergibt sich eine charakteristische intermittierende hydrostatische Druckbelastung der beteiligten Gelenkflächen, was wiederum als Erhaltungsreiz für den lokalen Gelenkknorpel angesehen werden kann (Tillmann 1969). Diese Ellipse ist umso breiter, je weiter der Durchstoßpunkt der resultierenden Hüftgelenkkraft vom Rand der Hüftgelenkpfanne entfernt ist. Da die maximale Ausnützbarkeit der Facies lunata nach medial nur etwa dem 2,4 fachen des Abstands des Durchstoßpunktes der resultierenden Hüftgelenkkraft vom Pfannenrand entspricht, bedeutet dies, dass die Ausbildung des Pfannendacherkers eine entscheidende Voraussetzung für die Spannungsverteilung im Hüftgelenk ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt in Bezug auf den Kraftfluss im Hüftgelenk betrifft die physiologische Inkongruenz der Gelenkkörper. Ausgehend von der Tatsache, dass weder der Femurkopf noch die Hüftpfanne geometrisch exakte Kugelsegmente darstellen, wird verständlich, dass in vielen Fällen zwei Spannungsmaxima auftreten (Eckstein et€ al. 1997). Dies manifestiert sich in der Verteilung der subchondralen Mineralisierung, die ebenfalls ein ventrales und ein dorsales Maximum aufweist. In der zitierten Untersuchung konnte gezeigt werden, dass die Spannungsmaxima bei zunehmender Gelenkkraft in Richtung des Zenits des Azetabulum zusammenfließen. An einer großen Anzahl von Fällen konnte Müller-Gerbl zeigen, dass zwei Dichtemaxima vorzugsweise beim jüngeren Menschen auftreten, während jenseits des 50. Lebensjahres eine zunehmende Ten-
U. Simon und L. Claes
28 Abb. 2.11↜ Subchondrale Mineralisierung der Facies lunata. Hohe Dichtewerte sind rot, niedrige Dichtewerte blau dargestellt (Abbildung zur Verfügung gestellt von Univ.-Prof. Dr. Magdalena Müller-Gerbl, Anatomisches Institut der Universität Basel). (a) Beim jüngeren Individuum findet sich je ein Maximum im dorsalen und im ventralen Bereich der Facies lunata, (b) Beim älteren Individuum konzentriert sich die höchste subchondrale Dichte in den Zenit der Facies lunata
denz zur Zentralisierung eines Dichtemaximums in der Kuppel der Facies lunata nachzuweisen ist (Müller-Gerbl 1998). Eine dem Lebensalter gewissermaßen vorauseilende Zentrierung des Dichtemaximums in der Kuppel der Hüftgelenkpfanne muss demnach als Zeichen einer ungünstigen Belastung und als präarthrotische Veränderung angesehen werden (Abb.€2.11). Die subchondrale Mineralisierung des Caput femoris besitzt ihr Maximum im oberen Bereich mit einem nach ventral und einem nach dorsal ziehenden ovalen Ausläufer. Daraus lässt sich schließen, dass die Lastübertragung im Caput femoris im Wesentlichen unabhängig von der Position des Hüftgelenkes und relativ konstant jeweils in etwa in der Längsachse des Schenkelhalses ausgerichtet ist. Dass die Verteilungsmuster der subchondralen Mineralisierung der beiden Gelenkkörper nicht korrespondieren, erklärt sich aus der Positionsverschiebung von Femurkopf zu Hüftpfanne im Bewegungsablauf.
2.2 Mechanische Grundlagen U. Simon und L. Claes Zur Beschreibung biomechanischer Aspekte der Endoprothetik sind mechanische Grundlagen unverzichtbar. Die wichtigsten Begriffe (Kraft, Moment, Spannung,
Dehnung) und Konzepte (Schnittprinzip, Gleichgewicht) werden im Folgenden erklärt.
2.2.1 Kraft Zunächst wird der zentrale Begriff der Mechanik eingeführt, die Kraft (engl. „force“). Aus der Kraft werden später das Moment und die Spannung abgeleitet. Der Begriff Kraft wird aus der Erfahrung gewonnen. Bekannt sind z.€B. Muskelkräfte, Gewichtskräfte oder Druckkräfte aus unmittelbarem, körperlichem Empfinden. Tatsächlich allerdings wird die Kraft in der Mechanik nicht streng definiert, sondern per Axiom eingeführt (Axiomâ•›=â•›Grundsatz ohne Definition und Beweis). Die Kraft kann nur indirekt über ihre Wirkung auf Körper (Beschleunigung, Verformungen) definiert werden; so auch beim zweiten Newton’schen Axiom. Zweites Newton’sches Axiom: Kraft = Masse × Beschleunigung Bei der Messung von Kräften spiegelt sich diese Tatsache ebenfalls wider. Kräfte können nicht unmittelbar gemessen oder beobachtet werden. Kraftaufnehmer messen primär keine Kräfte, sondern stets nur die tatsächlich beobachtbaren Wirkungen der Kräfte: z.€ B. Dehnungen (bei einer Federwaage), Widerstandsänderungen (beim Kraftaufnehmer mit Dehnungs-
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•…
messstreifen), Ladungsverschiebungen Piezo-Kraftaufnehmer).
29
(beim Wirkungslinie
2.2.1.1 Einheit der Kraft Die Einheit der Kraft ist – passend zum Newton’schen Axiom – die Einheit der Masse mal die Einheit der Beschleunigung. Dies wird mit N (Newton) abgekürzt: Newton: N = kg ×
Schraube
m/s2
Ein Newton entspricht der Gewichtskraft einer Tafel Schokolade (100€g).
2.2.1.2 Darstellung von Kräften Kräfte sind vektorielle Größen, d.€h. sie besitzen eine Richtungseigenschaft im Gegensatz zu den so genannten skalaren Größen, wie z.€ B. der Masse oder der Temperatur. Ihre Darstellung in Skizzen erfolgt daher mit (Vektor-)Pfeilen (Abb.€2.12). 2.2.1.3 Das Schnittprinzip Kräfte (und Momente) treten nicht offen zu Tage. Sie sind immer Wechselwirkungen zwischen zwei Körpern oder zwischen zwei Teilen eines Körpers. Um sie für eine Analyse zugänglich, also sichtbar zu machen, führt man einen gedanklichen Schnitt durch und trennt die beiden Teilsysteme voneinander. An den Schnittufern müssen Schnittkräfte (und ggf. Schnittmomente) eingetragen werden, um die Wechselwirkungen zwischen den Körpern äquivalent zu ersetzen. Im Beispiel (Abb.€ 2.13) muss am unteren Seilstumpf eine Kraft F nach oben ziehen, damit das Gewicht nicht nach unten fällt. Diese Kraft, ersetzt die Wirkung vom oberen auf den unteren Teil des Seils. Die Kraft am oberen Schnittufer dagegen zieht nach unten und strafft damit das oben verbliebene Seilstück; sie ersetzt damit die Wirkung des abgeschnittenen Gewichts. Die Schnittkräfte an den beiden Schnittufern sind gleich groß und einander entgegengesetzt (Newton’sches Axiom: actio╛╛=╛╛reactio). Fügt man die Teile am Schnitt (gedanklich) wieder zusammen, so heben sich die Schnittkräfte der beiden Ufer gerade auf. Das Gesamtsystem, das beide Teile enthält, bleibt durch die Schnittkräfte unbeeinflusst. Alle Kräfte (und Momente) sind letztlich Schnittgrößen, auch Gewichts- und Trägheitskräfte, bei denen man sich vorstellen kann, dass die Masse aus den Körpern herausgeschnitten wurde und die Wirkung auf die
5N
Abb. 2.12↜ Darstellung einer Kraft, die an einer Schraube angreift: Vektorpfeil (rot) mit Betrag (Wert mal Einheit) und Richtung (Wirkungslinie und Orientierung der Pfeilspitze)
FKB
⇔
F F
10 N
Abb. 2.13↜ Schnittprinzip: An den beiden Schnittufern werden gleich große, einander entgegengesetzt wirkende Schnittkräfte F eingetragen. Sie ersetzen die jeweils abgeschnittenen Teile des Systems. Die Gewichtskraft 10€ N ersetzt die „herausgeschnittene“ Masse. Freikörperbild (FKB): Vollständig von der Umgebung freigeschnittenes Teilsystem (innerhalb der blauen Linie)
masselose Struktur nun durch entsprechende Kräfte (im beschriebenen Fall die Gewichtskraft von 10€ N) ersetzt werden muss.
2.2.1.4 Freikörperbild Ein Freikörperbild (FKB) ist ein völlig freigeschnittenes Teilsystem. Zur Kontrolle legt man eine geschlossene Hüllfläche – bei ebenen Problemen eine geschlossene Linie – (vgl. blaue Linie in Abb.€2.13) um das Teilsystem. Dies ist der Bilanzraum. Alle Kräfte
U. Simon und L. Claes
30 Schraube
Schlitzschraube F
F2 α
h
⇔
F1
M = F·h
FR ≈ 7 N
F
⇔ Kräftepaar
Moment
Abb. 2.14↜ Vektoraddition von zwei Kräften F1 und F2 zu einer resultierenden Kraft FR
Abb. 2.16↜ Das Moment Mâ•›=â•›Fâ•›⋅â•›h ist äquivalent zum Kräftepaar (F, h). Es versucht, den Schraubenkopf im Uhrzeigersinn zu drehen
Flängs
Oft interessiert man sich nur für eine der beiden Komponenten. Im Beispiel könnte man sich fragen, welcher Anteil von F die Schraube auf Zug beansprucht, also versucht herauszureißen. Die Komponenten einer Kraft sind stets kleiner als die ursprüngliche Kraft.
längs α quer
F
⇔ Fquer
Abb. 2.15↜ Zerlegung einer Kraft F in zwei Komponenten Flängs und Fquer
und Momente, die von der Umgebung auf die Struktur im Inneren der Hüllfläche wirken, müssen berücksichtigt werden. Gewichtskräfte nicht vergessen!
2.2.1.5 Z usammenfassen und Zerlegen von Kräften Zwei Kräfte, die in einem gemeinsamen Punkt angreifen, können zu einer „resultierenden“ Kraft addiert werden. Haben beide Kräfte die gleiche Wirkungslinie, dann werden einfach ihre Beträge addiert. Besitzen die Kräfte unterschiedliche Richtungen, dann kann die resultierende Kraft FR z.€B. zeichnerisch ermittelt werden (Abb.€2.14). Eine Kraft kann auch umgekehrt in zwei vorgegebene Richtungen zerlegt werden. Man erhält eine gleichwertige Darstellung mit zwei Kräften, den so genannten „Komponenten“ (Abb.€ 2.15). Im Beispiel wird die Kraft F in eine Komponente quer und eine längs zur Schraubenachse zerlegt. Die Beträge der Komponenten können zeichnerisch oder mit Hilfe trigonometrischer Beziehungen ermittelt werden. Mit dem Winkel α zwischen der Kraft F und der Längsrichtung gilt: Flängs = F cos α, Fquer = F sin α
2.2.2 Das Moment Das folgende einführende Beispiel zeigt den Kopf einer Schlitzschraube von oben (Abb.€ 2.16). Mit einem Schraubenzieher wird versucht, die festsitzende Schraube zu drehen. Die Klinge des Schraubenziehers wurde herausgeschnitten (ihre Lage ist daher nur gestrichelt angedeutet). Es erscheinen die beiden Druckkräfte F als Wirkung von der Klinge auf den Schraubenkopf. Die beiden Kräfte F sind (wenn man den Schraubenzieher vernünftig bedient) entgegengesetzt gleich groß und ihre parallelen Wirkungslinien weisen den Abstand h auf. Zusammen bilden sie ein so genanntes Kräftepaar (↜F, h). Die Wirkung eines Kräftepaares kann nicht mit einer resultierenden Kraft allein (diese ist nämlich Null) zusammengefasst werden. Stattdessen beschreibt man die drehende Wirkung mit dem Begriff Moment. Für den Betrag des Moments gilt: Moment gleich Kraft mal Hebelarm M =F × h
2.2.2.1 Einheit des Moments Die Einheit des Moments ist (passend zum Produkt aus Kraft mal Weg) Newton mal Meter: Newton-Meter: Nm = kg × m2/s2
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•…
2.2.2.2 Darstellung von Momenten Momente können durch Drehpfeile dargestellt werden (s. Abb.€ 2.16). Sie sind so wie die Kräfte vektorielle Größen. Die Richtung des Moments ist die Achse, um die das Moment dreht.
2.2.3 Statisches Gleichgewicht Für einen Körper, der in Ruhe ist oder zumindest seinen Bewegungszustand nicht ändert, gilt, dass alle an ihm angreifenden Kräfte und Momente im Gleichgewicht miteinander sein müssen. Diese Gleichgewichtsbedingungen sind das wichtigste Werkzeug der Statik. Mit ihrer Hilfe können mathematische Gleichungen z.€B. für noch unbekannte Kräfte gewonnen werden. In der Ebene (zweidimensional) können für ein Freikörperbild höchstens drei (skalare, linear unabhängige) Gleichgewichtsbedingungen aufgestellt werden. Dies sind zum Beispiel zwei Kräftegleichgewichte und ein Momentengleichgewicht: Summe aller Kräfte in x-Richtung gleich Null: F1,x + F2,x + . . . = 0
Summe aller Kräfte in y-Richtung gleich Null: F1,y + F2,y + . . . = 0
Summe aller Momente bzgl. Punkt P gleich Null: M1,z + M2,z + . . . + F1 × h1 . . . = 0
Die Momentensumme enthält dabei alle eingeprägten Momente Mi selbst als auch alle Produkte von Kräften mit entsprechenden Hebelarmen hi (╛╛=╛╛senkrechter Abstand zwischen Wirkungslinie der Kraft und Bezugspunkt P). Damit können bis zu drei Unbekannte (Komponenten von Kräften und/oder Momenten) berechnet werden. Die Kräftegleichgewichte können durch Momentengleichgewichte bezüglich anderer Punkte ersetzt werden. Bei drei Momentengleichgewichten dürfen die drei Bezugspunkte nicht auf einer Geraden liegen. Im Raum (dreidimensional) können für ein Freikörperbild dagegen bis zu sechs (skalare, linear unabhängige) Gleichungen aufgestellt werden. Dies sind
31
FM
FR
P
Abb. 2.17↜ Mechanisches Ersatzmodell des proximalen Femur, belastet durch Hüftkontaktkraft FR und Muskelkraft FM. Gesucht ist die Beanspruchung am Punkt P
z.€ B. bis zu drei Kräftegleichgewichte und der Rest Momentengleichgewichte.
2.2.4 K räfte und Momente im Schenkelhals Im Folgenden sollen die Schnittkräfte und Momente im Schenkelhals in vereinfachter (zweidimensionaler) Weise betrachtet werden. Das proximale Femur (Abb.€ 2.17) wird durch die Hüftkontaktkraft FR und eine Muskelkraft FM belastet. Gesucht ist die innere Beanspruchung des physiologisch belasteten Schenkelhalses. Dazu sollen die Schnittgrößen (Normalkraft N, Querkraft Q und Biegemoment M) im Querschnitt an der Stelle P berechnet werden. Zunächst müssen unwichtige Dinge (das sind eigentlich unendlich viele!) weggelassen werden, hier z.€ B. das Eigengewicht und die Nachgiebigkeit des Knochens. Es entsteht ein Ersatzmodell, z.€ B. eine Skizze (s. Abb.€ 2.17) mit Geometrie, Lasten, Einspannungen. Dann wird das System so geschnitten, dass Kräfte und Momente an der interessierenden Stelle (hier im Punkt P) auftauchen. Als mögliche Wechselwirkungen zwischen proximalem und distalem Teil müssen Normalkräfte N, Querkräfte Q und Biegemomente M an beiden Schnittufern eingetragen werden (Abb.€2.18).
U. Simon und L. Claes
32
α FR
h FRy
FM
M Q
y
N N
y x
M
Q
FRx
N x
P Q
Abb. 2.19↜ Freikörperbild. Die Kraft FR kann ohne Einfluss auf das statische Gleichgewicht längs ihrer Wirkungslinie verschoben und dann in ihre Komponenten bezüglich der x- und y-Richtung zerlegt werden
M CCD
Abb. 2.18↜ Schnittkräfte N und Q sowie Schnittmoment M an beiden Schnittufern. Nur der rechte, proximale Teil ist vollständig von der Umgebung freigeschnitten und daher ein Freikörperbild
Hinweis: Im dreidimensionalen wären es bei diesem Schnitt sechs Reaktionen gewesen: eine Normalkraft, zwei Querkräfte, ein Torsionsmoment und zwei Biegemomente. Der rechte proximale Teil ist völlig freigeschnitten, also ein Freikörperbild. Für dieses Teilsystem werden Kräfte- und Momentengleichgewichte formuliert. Zur Vereinfachung kann zuvor die Hüftkontaktkraft FR längs ihrer Wirkungslinie verschoben und in Komponenten senkrecht (x) und parallel (y) zum Schnitt zerlegt werden (Abb.€2.19, vgl. auch Abb.€2.15). Es ergeben sich folgende Gleichungen: Summe aller Kräfte in x-Richtung gleich Null:╇ FRx bekommt ein Minuszeichen, weil es gegen die x-Richtung zeigt: N − FRx = 0
Summe aller Kräfte in y-Richtung gleich Null:╇ Q − FRy = 0
Summe aller Momente um den Punkt P gleich Null. Die Kraftkomponente FRy besitzt den Hebelarm h (senkrechter Abstand) zum Bezugspunkt P und bildet ein Moment das gegen das Biegemoment M dreht (Minuszeichen): M − FRy × h = 0
Aus diesen drei Gleichungen können höchstens drei Unbekannte berechnet werden. Hier werden Normalkraft N, Querkraft Q und Biegemoment M bestimmt: ⇒ N = FRx =FR × sin α ⇒ Q = FRy = FR × cos α ⇒ M = FRy × h = FR × cos α × h
Alle drei Schnittgrößen hängen direkt (linear) von der Hüftkontaktkraft FR ab. Das ist plausibel. Weiter interessant ist, dass die Normalkraft N (eine Druckkraft) mit wachsendem Winkel α zunimmt. Der Winkel α wiederum wächst mit zunehmendem CCD-Winkel (vgl.€ Kap.€ 2.3, Abb.€ 2.30). Querkraft und Biegemoment dagegen nehmen mit wachsendem Winkel α, also mit wachsendem CCD-Winkel ab (vgl. Kap.€2.3, Abb.€2.31).
2.2.5 Spannungen Empfindliche Fußböden leiden unter Pfennigabsätzen, auch wenn die Person nicht sehr schwer ist (Abb.€2.20). Die äußere Belastung, die ein Körper erfährt, sagt noch nichts über seine innere Beanspruchung aus. Um zu beurteilen, wie stark das Material beansprucht wird, ob es versagt oder nicht, muss auch die Fläche berücksichtigt werden, über die eine Kraft übertragen wird. Diese, auf die Fläche bezogene Kraft, ist die Spannung (engl. „stress“). Wie bei den Kräften muss man schneiden, um die Spannungen „sichtbar“ zu machen (→â•›Schnittprinzip). Eine einzelne Schnittkraft würde dann nur in einem Punkt der Schnittfläche angreifen. Um diese grobe Vereinfachung zu verbessern, kann man Teilkräfte an unterschiedlichen Punkten auf der Schnittfläche verteilen. Im Grenzübergang gegen unendlich viele Teilkräfte
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•…
33
F
500 N
A1
Kräfte
σ1 = F/A1
Spannungen
⇔ Abb. 2.20↜ Die Kraft allein ist kein vernünftiges Maß für die Beanspruchung von Körpern, denn die Beanspruchung ist dann besonders groß, wenn die Fläche, auf der die Kraft übertragen wird, besonders klein ist A2
verteilt man gedanklich die Kraft über der gesamten Fläche und erhält eine Spannung (Abb.€2.21). Spannung gleich Kraft pro Fläche σ = F/A
Auch dabei gilt actioâ•›=â•›reactio, d.€ h. die Spannungen an gegenüber liegenden Stellen der beiden Schnittufer sind gleich groß, aber entgegengesetzt orientiert. Spannungen sind, wie die Kräfte, von denen sie abgeleitet werden, vektorielle Größen. Sie besitzen eine Richtungseigenschaft und werden daher ebenfalls mit Pfeilen dargestellt.
F σ2 = F/A2
Abb. 2.21↜ Das Gewebe am dünneren Muskelansatz erfährt eine viel größere Spannung, besitzt aber auch eine entsprechend höhere Festigkeit als am Muskelbauch FM Q
τQ N M
2.2.5.1 Einheit der Spannung Die Einheit der Spannung ist (passend zum Quotienten Kraft/Fläche): Pascal: 1€Paâ•›=â•›1€N/m2 Mega-Pascal: 1€MPaâ•›=â•›1€N/mm2 2.2.5.2 Zugspannung in Muskel und Sehne In allen Querschnitten eines aktivierten Muskels (s. Abb.€2.21) wirkt die gleiche Zugkraft F, wenn man die Reibung zu benachbarten Geweben und das Eigengewicht des Muskels vernachlässigen kann. Nimmt man weiter an, dass die Spannungen innerhalb der Querschnittsflächen konstant seien, so lassen sich diese einfach als Quotient der Kraft durch die Fläche berechnen. Dabei ergibt sich eine deutlich größere Spannung am kleineren Querschnitt unten. Das ist unproblematisch, denn das Gewebe des sehnigen Muskelansatzes kann entsprechend eine größere Zugspannungen ertragen
⇔
P
σN
σM
σN+M
Abb. 2.22↜ Schnittkräfte und korrespondierende Schnittspannungen am Schenkelhals
als das Muskelgewebe am Muskelbauch (→â•›funktionelle Anpassung).
2.2.6 K omplexer Spannungszustand im Schenkelhals Die Spannungsverhältnisse im Schenkelhals sind etwas komplizierter. Man betrachte dazu eines der beiden Schnittufer, z.€B. den distalen Teil (Abb.€2.22, vgl. auch Abb.€2.18).
U. Simon und L. Claes
34
Die Normalkraft N (eine Druckkraft) kann zu einer Druckspannung σN =
N A
A, I1
A, I2
(2.1)
auf der Querschnittsfläche A (nährungsweise konstant) verteilt werden. Die Quer- (oder Scher-)kraft Q resultiert in einer Schub- (oder auch Scher-)spannung τQ =
Q , A
(2.2)
die im Gegensatz zu den Normalspannungen σ (Zugoder Druckspannungen) parallel und nicht senkrecht zur Schnittfläche wirkt. Das Biegemoment M kann nur durch eine spezielle nicht konstante Verteilung einer Normalspannung (manchmal als Biegespannung bezeichnet) σM (y) =
M · y, I
I − Flächenmoment
(2.3)
repräsentiert werden, bei der ja insgesamt eine drehende Wirkung und kein Zug oder Druck auf die Schnittfläche wirken soll. Von einer Druckspannung an der Unterseite bis hin zu einer betragsgleichen Zugspannung an der Oberseite ändert sich die Spannung linear. In der Mitte beim Nulldurchgang verläuft die so genannte „neutrale Faser“ (s. Abb.€2.22). Die beiden Normalspannungen σN und σM können einfach addiert werden. Es ergibt sich wieder ein linearer Spannungsverlauf, allerdings mit nach oben verschobenem Nulldurchgang (s. Abb.€2.22) und einer verminderten Zugspannung an der Oberseite. Zusammen mit den Erkenntnissen aus Kap.€2.2.4 zeigt sich, dass die für den Knochen gefährlichen Zugsspannungen durch einen größeren CCD-Winkel vermindert werden können (vgl. Kap.€2.3, Abb.€2.31).
2.2.6.1 Flächenmoment 2. Grades I Bei gleichem Flächeninhalt besitzt ein innen hohles Rohr (es hat dann einen größeren Außendurchmesser) eine deutlich größere Biegesteifigkeit und -festigkeit als ein massiver Stab (gilt auch bei Torsion). Bei Röhrenknochen wirkt dieses Prinzip. Dieser Einfluss der Querschnittsflächenform auf die Biegesteifigkeit wird durch das „axiale Flächenmoment 2. Grades“ I (früher: Flächenträgheitsmoment, engl.: „second moment of area“), einer rein geometrischen Größe mit der Einheit m4, erfasst (Abb.€2.23).
Abb. 2.23↜ Zwei Querschnitte mit gleichem Flächeninhalt A, aber stark unterschiedlichen Flächenmomenten I2 = 3·I1. Das Rohr (Wandstärke so wie im Bild) ist bei Biegung und Torsion dreimal steifer (und fester) als der gleich schwere Stab links
2.2.6.2 D reidimensionaler Spannungszustand Legt man den Schnitt unter einem anderen Winkel durch den Punkt P, so ergeben sich andere Spannungen. Will man den Spannungszustand in einem Punkt vollständig erfassen, so muss man drei (z.€ B. zueinander senkrechte) Schnitte untersuchen. Insgesamt erhält man dann sechs Spannungskomponenten (drei Normal- σx, σy, σz und drei Schubspannungen σxy, σyz, σzx), die den dreidimensionalen Spannungszustand in diesem Punkt vollständig charakterisieren.
2.2.7 Dehnungen Alle belasteten Körper erfahren eine Änderung ihrer Form. Diese Formänderung misst man im Vergleich zu einem Referenzzustand, meistens dem unbelasteten Zustand. So kann die Dehnung (engl.: „strain“) z.€ B. eines Gummibands (Abb.€2.24) wie folgt bestimmt werden: Längenänderung Ursprungslänge L ε= L0
Dehnung =
(2.4)
2.2.7.1 Querdehnung Auch quer zur Lastrichtung kommt es zur Dehnung. Der Durchmesser des Gummibandes (s. Abb.€ 2.24) verringert sich um den Betrag ∆D. Für die Querdehnung gilt analog: εquer =
−D D0
(2.5)
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•…
35
Abb. 2.24↜ Die Kraft F dehnt das Gummiband
ϕ y
y + ∆y
D0
L0
D0 - ∆D
ϕ + ∆ϕ
x
x + ∆x
unverformt
verformt
Abb. 2.25↜ Definition des lokalen Dehnungszustands
ten. Aus den Längenänderungen Δx, und Δy sowie aus der Winkeländerung Δφ können drei unabhängige Dehnungsgrößen für die betrachtete Ebene abgeleitet werden: ∆L
F
Die Querkontraktionszahl ν (für die meisten Werkstoffe etwa 0,3) beschreibt das Verhältnis zwischen Quer- und Längsdehnung: εquer ν=− ε
(2.6)
2.2.7.2 Einheit der Dehnung Die Dehnung ist passend zum Quotienten Länge/ Länge ohne Einheit, also schlicht eine Zahl. Als Einheit kann aber auch jede Zahl dienen, z.€B. 1 (ohne Einheit) 1/100 =╛╛% 1/1.000.000 =╛╛1€µε (micro strain) Man unterscheidet die •â•‡globale, äußere Dehnung, die Verformung eines Körpers von den •â•‡lokalen, inneren Dehnungen, den Verzerrungen im Körper. 2.2.7.3 Lokaler Dehnungszustand Um die lokalen Dehnungen zu definieren, betrachten wir drei Punkte in einem infinitesimal (╛╛=╛╛unendlich kleinen) Element eines Körpers (Abb.€2.25). Die Punkte spannen die Abstände x und y sowie den Winkel φ auf. Im belasteten und dadurch verformten Zustand ändern sich Abstände und Winkel zwischen den Punk-
εx =
x x
Normaldehnung in x − Richtung (2.7)
εy =
y y
Normaldehnung in y − Richtung
εxy =
1 ϕ 2
(2.8)
Schubdehnung in x − y − Ebene (2.9)
2.2.7.4 Dreidimensionaler Dehnungszustand Im Raum (dreidimensional) erhält man in gleicher Weise noch eine weitere Normaldehnung εz und zwei weitere Schubdehnungen εyz und εzx. Also – wie bei den Spannungen – insgesamt sechs Komponenten.
2.2.8 Materialgesetze Materialgesetze beschreiben das mechanische Verhalten der Stoffe. Sie liefern eine Beziehung zwischen dem lokalen Spannungszustand und dem lokalen Dehnungszustand innerhalb eines Körpers (Abb.€2.26). Werkstoff Spannung ⇔ Dehnung
2.2.8.1 Das einfachste Materialgesetz Das einfachste Materialgesetz beschreibt ein linearelastisches, isotropes Verhalten (Hook’sches Gesetz, Abb.€2.27) mit zwei Werkstoffparametern: • Elastizitätsmodul E (engl. „Young’s modulus“) und • Querkontraktionszahl v (engl. „Poisson’s ratio“).
L. Claes
36 Spannung σ
σ σ
Belastung Entlastung steif
weich
Abb. 2.26↜ Ein steifer Werkstoff zeigt bei gleicher Spannung eine geringere Dehnung als ein weicher Werkstoff
plastische Dehnung Dehnung ε
Spannung σ
Abb. 2.28↜ Plastisches Materialverhalten: Nach der Entlastung verbleibt die plastische Dehnung Linear: σ = Ε⋅ε
Dehnung ε
Abb. 2.27↜ Lineares Materialverhalten (Hook’sches Gesetz)
Linear heißt, eine doppelt so große Spannung führt zu einer doppelt so großen Dehnung. Elastisch heißt, der Werkstoff verformt sich reversibel. Nimmt man die Spannungen weg verschwinden auch die Dehnungen wieder vollständig und die ursprüngliche Form stellt sich wieder ein. Isotrop heißt richtungsunabhängig. Dann ist z.€B. die Steifigkeit in allen Richtungen gleich groß.
2.2.8.2 Komplexe Materialgesetze Gerade biologische Gewebe zeigen jedoch oft ein deutlich komplexeres mechanisches Verhalten. Das einfachste Materialgesetz kann dann nicht mehr verwendet werden. • Nichtlineares Materialverhalten: Spannung und Dehnung sind nicht mehr proportional zueinander. Die Materialsteifigkeit ist lastabhängig. Fibröses Bindegewebe z.€B. zeigt zunächst bei relativ geringen Spannungen relativ große Dehnungen. Wenn dann die Fasern gestreckt sind, wird das Gewebe steifer. Weitere Spannungssteigerungen führen nur zu geringen Dehnungszunahmen. Dieses Verhalten ist aber immer noch elastisch, also voll reversibel.
• Ein nichtelastisches (╛╛=╛╛plastisches) Verhalten tritt in der Regel bei großen Spannungen in allen Geweben und Werkstoffen auf. Es kommt zu lokalen, irreversiblen Schädigungen. Diese sind oft mit plastischen (also bleibenden) Verformungen verbunden (Abb.€2.28). • Anisotrop heißt richtungsabhängig. Kortikaler Knochen z.€ B. zeigt in longitudinaler Richtung eine fast doppelt so große Steifigkeit wie in transversaler Richtung. Bei einem anisotropen (linearem) Werkstoff werden die sechs Spannungs- mit den sechs Dehnungskomponenten (s. oben) verknüpft. Dazu sind bis zu 21 Werkstoffparameter erforderlich. • Mit einem viskoelastischen Materialgesetzt können zeitabhängige Effekte wie z.€ B. Kriechen beschrieben werden. Gelenkknorpel z.€B. zeigt bei konstanter Drucklast eine mit der Zeit abnehmende Dicke. Es gibt noch viele weitere „unangenehme“ Materialeigenschaften, die bei biologischen Geweben auch gern kombiniert auftreten.
2.3 Biomechanik des Hüftgelenks L. Claes
2.3.1 B iomechanische Prinzipien des Aufbaus und der Beanspruchung des Hüftgelenks Das Hüftgelenk hat die biomechanische Funktion, Bewegungen zwischen Becken und Femur zu erlauben
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•…
37
Abb. 2.29↜ Anatomie und biomechanisch wichtige Strukturen des Hüftgelenks. (a) Anatomie des Hüftgelenks, (b) röntgenologisch sichtbare Strukturen, (c) biomechanisch bedeutende Trabekelverteilung
und gleichzeitig auftretende Kräfte zwischen beiden Knochen zu übertragen (Abb.€2.29). Es erlaubt einen großen Bewegungsumfang mit Drehungen um alle Raumachsen. Die Synovialflüssigkeit zusammen mit den sehr glatten Knorpeloberflächen sorgt für eine sehr reibungsarme Bewegung zwischen beiden Gelenkflächen. Gelenküberbrückende Muskeln verbinden Femur und Becken. Die Anatomie und die knöchernen Substrukturen haben sich den biomechanischen Beanspruchungen durch eine Optimierung der Knochenstrukturen angepasst. Im Bereich des proximalen Femur und des Azetabelum hat die Evolution (Wolff 1892) durch Ausbildung von filigranen Trabekelstrukturen eine hohe mechanische Belastbarkeit des Hüftgelenks mit einer relativ geringen Knochenmasse erreicht (Abb.€2.29(b), (c)). Die Muskeln haben drei biomechanische Funktionen, sie erzeugen aktive Bewegungen, können Gelenke stabilisieren und die mechanische Beanspruchung der Knochen günstig beeinflussen. Das Hüftgelenk ist von mehreren Muskeln überspannt, von denen die Abduktionsmuskulatur nicht nur für die Abduktionsbewegung der Extremität, sondern auch für die Stabilisierung des Beckens sorgt und die größte Bedeutung für die Belastung der Hüfte hat. Ein sehr vereinfachtes biomechanisches Modell des Hüftgelenks macht die Prinzipien der Gelenkmechanik deutlich (Abb.€2.30). Für den Fall des Einbeinstan-
des wirkt das partielle Körpergewicht (Körpergewicht minus Standbeingewicht, FK) mit seinem Hebelarm (hk) als Drehmoment (Mk = FK × hk) auf das Hüftgelenk und versucht, das Becken zu kippen. Um das Becken in der Horizontalen zu stabilisieren, muss ein gleich großes, aber entgegengerichtetes Drehmoment erzeugt werden. Dies geschieht durch ein Drehmoment, das durch die Abduktorenmuskelkräfte (FM) und ihren Hebelarm (hm) zum Hüftgelenksdrehzentrum gebildet wird (MM = FM × hM; Pauwels 1973). Der Trochantor major sorgt dabei für einen großen Abstand (Hebelarm) der Abduktorenmuskulatur zum Hüftkopfdrehzentrum und reduziert damit die zur Stabilisierung des Hüftgelenks erforderlichen Muskelkräfte und die Beanspruchung des Femur. Tatsächlich wird das Hüftgelenk jedoch von einer viel größeren Zahl von Muskeln überbrückt, die Belastungen des Hüftgelenks beschränken sich nicht auf den Einbeinstand und die Frontalebene und die Belastungen treten meistens als dynamische Beanspruchungen auf, die mit statischen Berechnungen nur begrenzt beschrieben werden können. Seit den ersten grundlegenden Arbeiten von Pauwels (1973) zur Biomechanik der Hüfte hat es eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten zur Biomechanik der Hüfte gegeben, die unsere Kenntnis verbessert hat. Die prinzipiellen Analysen von Pauwels sind jedoch trotz einer vereinfachten Betrachtung im
L. Claes
38
FM
FR
FK hM
hK
CCD
Abb. 2.30↜ Vereinfachte Darstellung der wichtigsten Kräfte am Hüftgelenk (mod. nach Pauwels 1973) im Einbeinstand. FK: Partielles Körpergewicht, FM: Muskelkraft der Abduktoren, FR: Hüftgelenksresultierende Kontaktkraft auf Femurkopf und Azetabelum
Wesentlichen auch durch die komplexeren Methoden der neueren wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt worden und sind dem biomechanisch interessierten Arzt einfacher zugänglich.
2.3.2 A natomie und Beanspruchung des proximalen Femur Das proximale Femur besteht aus dem Hüftkopf, dem Schenkelhals, dem Trochantor major und dem Femurschaft. Der Femurkopf hat eine nahezu sphärische Form und ist mit hyalinem Knorpel überzogen. Die Knorpelschicht ist medial-zentral am dichtesten und wird zur Peripherie hin dünner (Kempson 1971). Unter der Knorpelschicht liegt eine subchondrale Knochenschicht mit hoher Dichte, während das Innere des Hüftkopfes von Spongiosa geringerer Dichte gebildet wird (s. Abb.€2.29b). Der Schenkelhals ist gegenüber dem Femurkopf im Durchmesser kleiner, was für den Bewegungsumfang des Gelenks von erheblicher Bedeutung ist.
Ein großer Schenkelhalsdurchmesser schränkt den Bewegungsumfang ein. Die Längsachse des Schenkelhalses bildet zur Längsachse des Femurschafts den CCD-Winkel. Dieser beträgt normalerweise ca. 125°. Es gibt jedoch erhebliche anatomische Variationen zwischen 90° und 135°. Winkel größer als 125° werden als Coxa valga und Winkel kleiner als 125° als Coxa vara bezeichnet. Der CCD-Winkel hat einen direkten Einfluss auf die Kräfte am Hüftgelenk. Für gleiche Schenkelhalslängen ist der Trochantor major aus seiner physiologischen Lage nach oben, bei Coxa valga nach unten verlagert (Abb.€ 2.31). Hierdurch erhält die Muskelkraft FM eine abnormale Lage und Richtung. Der Hebelarm (hm) der Muskelkraft (FM) nimmt bei Coxa valga (Abb.€ 2.31c) ab und bei Coxa vara zu (Abb.€ 2.31b). Dies erfordert eine größere Muskelkraft bei Coxa valga und eine kleinere Muskelkraft bei Coxa vara, um das Becken im Drehmomentgleichgewicht zu halten. Die größere Muskelkraft führt zu einer größeren Hüftgelenksresultierenden (FR) bei Coxa valga und einer kleineren Hüftgelenksresultierenden bei Coxa vara (Abb.€2.31). Die höheren Kräfte der Hüftgelenksresultierenden bei Coxa valga erzeugen jedoch für das proximale Femur eine geringere Beanspruchung (Spannung) als die niedrigeren Kräfte bei Coxa vara (Abb.€2.31). Die Richtung der Hüftgelenksresultierenden FR steht bei Coxa valga annähernd senkrecht zur Schenkelhalsachse und erzeugt dort eine relativ geringe Druckspannung über den gesamten Schenkelhalsquerschnitt (Abb.€ 2.31c). Bei einem normalen CCD-Winkel und insbesondere bei einer Coxa vara läuft die Wirkungslinie der Hüftgelenksresultierenden FR medial der Achse des Schenkelhalses und des proximalen Femurschafts. Daraus resultieren Zugspannungen am proximalen Schenkelhals und Druckspannungen am distalen Schenkelhals, die in ihren Maximalwerten vor allem bei der Coxa vara erheblich größer sind als bei der Coxa valga (Abb.€2.31; Pauwels 1973). Röntgenaufnahmen des proximalen Femur zeigen die Anpassung der Trabekelstruktur an diese biomechanische Beanspruchung mit besonderer Ausprägung der Trabekel im Bereich der auftretenden Zugspannungen (proximal) und der Druckspannungen (distal), während im Bereich geringer Spannungen (Schenkelhalsmitte) auch eine geringe Knochendichte vorhanden ist (s. Abb.€2.29b).
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•… Abb. 2.31↜ Einfluss des CCD-Winkels auf die Beanspruchung des proximalen Femurs (mod. nach Pauwels 1973). (a) Normales Femur, überwiegend Druckspannungen (↜medial) und kleine Zugspannungen (↜lateral) im Schenkelhals; (b) kleiner CCD-Winkel (varus); große Druckspannungen (↜medial) und Zugspannungen (↜lateral); (c) großer CCD-Winkel (valgus), nur Druckspannungen im Schenkelhals
39
FR
FR FM FM
hM
2.3.3 B eanspruchungen des Hüftgelenks bei verschiedenen Aktivitäten Die biomechanisch-analytischen Betrachtungen zur Beanspruchung des Hüftgelenks lassen nur begrenzte Vorraussagen über die unter täglichen Aktivitäten auftauchenden Beanspruchungen zu. Die neuere biomechanische Forschung hat Hüftgelenkprothesen mit Messsensoren ausgerüstet und war damit in der Lage, bei Patienten mit einem Hüftgelenkersatz, die tatsächlich auftretenden Hüftkontaktkräfte bei verschiedenen Aktivitäten zu messen. Die Arbeitsgruppe um Bergmann (2001) hat solche Analysen bei mehreren Patienten durchgeführt. Beim beidbeinigen Stehen liegen die Hüftkontaktkräfte bei 80–120€% des Körpergewichts. Beim einbeinigen Stehen und beim langsamen Gehen steigen die Belastungen auf maximal 250–350€% des Körpergewichts. Die Richtung der Hüftkontaktkraft (der Kraftvektor) hängt dabei von der Stellung des Femur zum Becken und von den Muskelaktivitäten ab (Abb.€2.32). Für den Einbeinstand und die Standbeinphase beim Gehen liegt der Winkel zwischen Femurachse und Hüftkontaktkraft
hM
hM
FR FM
in der Frontalebene bei 15–30°. Dieser Winkelbereich schließt damit auch den von Pauwels (1973) in seinen vereinfachten biomechanischen Analysen gefundenen Winkel von 27° mit ein (s. Abb.€2.30). Beim schnellen Gehen und beim Joggen steigen die Hüftkontaktkräfte auf bis zu 500€% an. Neben den äußeren Kräften, die bei den verschiedenen Aktivitäten unterschiedliche Größen erreichen können, sind für Beanspruchung des Hüftgelenks jedoch vor allem die Muskelkräfte von herausragender Bedeutung. Die Muskelkräfte können die Hüftkontaktkraft erhöhen, schützen jedoch gleichzeitig vor Überlastung der Gelenke und der Knochen. Dies wird deutlich, wenn eine koordinierte Muskelreaktion nicht mehr möglich ist. So hat Bergmann (2001) bei Patienten, die gestolpert sind, maximale Hüftkontaktkräfte bis zu 870€% des Körpergewichts gemessen. In der postoperativen Rehabilitation wird die Bedeutung der Muskelkräfte für die Kräfte im Hüftgelenk unterschätzt. So führte das Aufstehen vom Bett zu Maximalbelastungen von 270€% und beim Anheben
H. P. Nötzli und T. F. Wyss
40 330% Körpergewicht Max. Kraft
2.4 K inematik und Bewegungsumfang des Hüftgelenks H. P. Nötzli und T. F. Wyss
Gehen 4km/h Patient EBL 51 Monate postoperativ
medial anterior
Abb. 2.32↜ Gemessene Kraftvektoren an der Hüftprothese eines Patienten beim Gehen mit 4€ km/h. In Abhängigkeit von der Gehphase variiert die Größe und Richtung der Hüftgelenkskontaktkraft erheblich. (Mit freundlicher Genehmigung von G. Bergmann)
des gestreckten Beines in Rückenlage wurden 410€% des Körpergewichts gemessen. Da die Hüftgelenkskraft asymmetrisch zum Schaft verläuft, erzeugt sie über ihren Abstand zur Schaftachse Biegemomente und Torsionsmomente. Die Größe der Momente ergibt sich aus der Multiplikation der auf das Körpergewicht normierten Hüftkontaktkraft (% Körpergewicht in N) und dem wirksamen Hebelarm (Metern). Für das Gehen und Treppensteigen wurden Biegemomente von ca. 10€ % Körpergewichtâ•›×â•›Meter und für die Torsionsmomente ca. 2–5€% Körpergewichtâ•›×â•›Meter gemessen (Bergmann 2001). Vor allem die Torsionsmomente sind im Hinblick auf eine Prothesenlockerung von großer Bedeutung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Messwerte individuelle patientenspezifische Ergebnisse wiedergeben, die von der Prothesenhalslänge und dem Anteversionswinkel abhängen. Entsprechend hängen auch die Biegemomente und Torsionsmomente des normalen proximalen Femur von der individuellen Schenkelhalslänge und dem Anteversionswinkel ab. Abweichungen von physiologischen Anteversionswinkeln (7–10°) sowohl zu wesentlich größeren als auch zu wesentlich kleineren Winkeln führen zu einer erhöhten Torsionsbelastung des proximalen Femur.
Der Bewegungsumfang eines Gelenks im Rahmen der täglichen Aktivitäten interessiert nicht zuletzt im Hinblick auf den künstlichen Gelenkersatz, der nicht nur die Schmerzen reduzieren, sondern auch wieder die Teilnahme an den sozialen Aktivitäten des Umfelds erlauben sollte. Die Ansprüche, die an ein Gelenk gestellt werden, sind dabei soziokulturell bedingt höchst unterschiedlich. Während in der westlichen Gesellschaft Kniesitz, Hockerstellung oder der Schneidersitz bei Erwachsenen selten gemacht werden, gehören diese Positionen in asiatischen und afrikanischen Kulturen zum normalen Positionsmuster, teilweise auch erfordert bei religiösen Zeremonien. Da das Hüftgelenk im Wesentlichen als Kugelgelenk angesehen werden kann, erlaubt es Bewegungen in allen drei Ebenen: Flexion und Extension in der Sagittalebene, Abduktion und Adduktion in der Frontalebene sowie Außenrotation und Innenrotation in der Transversalebene. Die Messung erfolgt bei Verwendung der Neutral-0-Methode, die international am häufigsten Anwendung findet, in Winkelgraden und von einer anatomischen Normal- respektive Neutralstellung ausgehend. Es ist dies eine aufrecht stehende respektive gestreckt liegende Haltung mit den Armen und Händen am Körper anliegend (Debrunner 2002). Es stellt sich die Frage, welcher Bewegungsumfang für eine Hüfte erforderlich ist, um normal funktionieren zu können. Arbeiten, in denen die Beweglichkeit des Hüftgelenks allein gemessen wurde, sind rar (Gore et€al. 1984; Hemmerich et€al. 2006). Aus vielen Publikationen wird klar, dass Mitbewegungen von Becken und Wirbelsäule nicht in Abzug gebracht wurden, was entsprechend höhere Werte ergibt (Preiser 1911). Gestützt vor allem auf die Arbeit von Gore und Mitarbeitern (Gore et al. 1984), die ein großes Kollektiv mit großer Altersspanne untersucht haben, kommt man für tägliche Aktivitäten zu folgenden Bewegungsumfängen in der Hüfte: Beim normalen Gehen ist eine Flexion von 30° und eine Extension von 15° notwendig. Die Abduktion erreicht dabei maximal 10° und die Adduktion weniger als 5°. Gehen ist aber auch mit Rotation verbunden. Bei Männern erreicht diese eine Außenrotation um die 10° ohne in der Schrittabfolge in Innenrotation zu gelangen. Bei Frauen ist die Außenrotation tendenziell etwas weniger ausgeprägt
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•… Abb. 2.33↜ (a) Bestimmung des Winkels α als Maß für die Taille zwischen Femurkopf und Schenkelhals. (b) Bestimmung des Freiraums zwischen vorderem Pfannenrand und Schenkelhals in Form des Winkels β
41
A α M
A
Z
a und kann auch in eine geringgradige Innenrotation übergehen. Beim Treppensteigen ist eine Flexion bis gut 40° erforderlich mit Reduktion der Extension auf weniger als 5°. Auch eine Abduktion von gut 10° sollte möglich sein. Die Rotation ist dabei unbeeinflusst. Beim Treppenhinabgehen reduzieren sich die Ansprüche an die Gelenksbeweglichkeit erheblich. Nur eine Flexion von knapp 20° ist notwendig. Extension ist nicht erforderlich, wie auch die Rotation um 5° Außenrotation linear verläuft. Beim Sichhinsetzen, Sitzen und Aufstehen ist nur eine Flexion von maximal 60° vonnöten. Stehen selbst erfordert aber eine geringe Extension. Je nachdem, ob man sich mit geschlossenen Knien oder mit leicht gespreizten Beinen hinsetzt, fallen Außen- und Innenrotation unterschiedlich aus. Größte Ansprüche an die Hüftbeweglichkeit müssen vor allem, was die Flexion anbetrifft erfüllt werden, wenn eine Hockerstellung mit den Fersen am Boden eingenommen wird. Hier erreicht die Flexion bis 95°, die Abduktion gut 30° und die Außenrotation gegen 20°. Der Schneidersitz erfordert mit weniger als 85° Flexion deutlich weniger Beugung aber mit 35° mehr Abduktion und mit knapp 40° mehr Außenrotation. Innenrotation ist bis zu 15° notwendig, um aus der Hockerstellung aufzustehen (Hemmerich et€al. 2006). Andere Autoren geben für die Flexion in Hockerstellung Werte von 130° und mehr Grad an, wobei die Messtechniken der verschiedenen erwähnten Studien meist unklar sind (Mulholland und Wyss 2001). Eine Hüfte, die auch hohen Ansprüchen im Alltag genügen könnte, müsste also eine Flexion von 100°, eine Abduktion von 35°, eine Außenrotation von 40° und eine Innenrotation von 15° erreichen. Der Bewegungsumfang, wie er auch in neueren Lehrbüchern angegeben wird (Debrunner 2002; Miller
β Z
b 2004), übersteigt in erheblichem Maße den erforderlichen Bewegungsumfang selbst für Extrempositionen. Es ist anzunehmen, dass die hohen Werte für die Flexion vor allem dadurch zustande kamen, dass die Mitbewegung der Nachbargelenke, wie die Aufhebung der Lordose und der Beckenkippung in das Bewegungsmaß miteinbezogen wurden. Eine weitere Frage stellt sich: Was bestimmt den Bewegungsumfang des Hüftgelenks? Sind es die Weichteile oder ist es der Knochen? Im Rahmen von Untersuchungen zur Quantifizierung des Impingements (schmerzhaftes Anschlagen zwischen Schenkelhals und Pfannenrand im Rahmen physiologischer Bewegungen) zeigte sich, dass sich das proximale Femur von Patienten mit einer Impingement-Symptomatik klar von demjenigen Normaler unterscheidet. Die vordere Taille am Übergang vom Femurkopf zum Schenkelhals ist aufgrund eines asphärischen oder in Retrotorsion stehenden Kopfes oder aufgrund anteriorer Weichteil- und Knochenauflagerungen bzw. eigentlicher Osteophyten weniger tief ausgebildet oder fehlend. Zur Ausmessung der Tiefe dieser Taille wurde der Winkel α geschaffen (Abb.€ 2.33a). Dazu wird ein Kreis um den Knorpel tragenden Teil des Femurkopfes gelegt und derjenige Punkt bestimmt, an welchem ventral die knöcherne Kontur erstmals diesen Kreis gegen außen verlässt (Punkt A). Der Winkel wird dann zwischen der Schenkelhalsachse und einer Linie, die das Femurkopfzentrum (Z) mit dem Punkt€A verbindet, gemessen. Die Schenkelhalsachse selbst ist als Verbindung zwischen der Schenkelhalsmitte (M) an der engsten Stelle am Hals und dem Femurkopfzentrum definiert (Nötzli et€al. 2002). Obwohl dieser Winkel die Gruppe von Impingement-Patienten und Normalen sehr gut zu unterscheiden vermochte, fand sich keine Korrelation zu der klinisch gemessenen Innenrotation, die bei Impinge-
42
ment-Patienten auffällig häufig eingeschränkt ist. Eine zweite Untersuchung (Wyss et€ al. 2007), bei der im offenen MRI bei 90° flektierter Hüfte der Freiraum zwischen vorderem Pfannenrand und Schenkelhals in Form eines Winkels β (Abb.€2.33b) bestimmt wurde, zeigte dann eine hervorragende Korrelation zwischen β und der klinisch gemessenen Innenrotation in 90°-Flexion und zwar unabhängig davon, ob der Proband gelenkgesund war oder nicht. Diese Untersuchung zeigt, dass das Maß der Innenrotation bei nichtentzündlich veränderten Gelenken nicht – wie häufig vermutet – durch die Anatomie der Weichteile, sondern durch diejenige des Knochens bestimmt wird. Die Innenrotation, die in der klinischen Abschätzung eines Risikos für ein Impingement als Schlüsselbefund anzusehen ist und die bereits in der alten Literatur als erstes Zeichen einer beginnenden Arthrose beschrieben wurde (Preiser 1911), fiel in dieser Studie im Vergleich zu den Angaben in den Lehrbüchern nicht nur bei den Impingement-Patienten, sondern auch bei den Normalen deutlich geringer aus. Sie betrug im Normalkollektiv durchschnittlich 28° (10–40°). In der Kontrollgruppe einer zweiten Studie fand sich ein noch tieferer Wert mit durchschnittlich 23,5° (10–35°). Die Flexion betrug im Schnitt 100° mit einem absoluten Maximum von 123°, die Extension 26°. Es gilt also, vor allem für Rotationsbewegungen, aber auch für die Flexion, die Werte nach unten zu korrigieren. An reiner Hüftgelenksbeweglichkeit dürfen beim Gesunden im Durchschnitt folgende Werte erwartet werden: Flexion/Extension 100°–0°–30° Außenrotation/Innenrotation 35°–0°–25° Abduktion/Adduktion 30°–0–15° Liegen die Werte bei der klinischen Untersuchung deutlich darüber, so muss eine Dysplasie vermutet werden. Bei weniger Beweglichkeit vor allem für Innenrotation und/oder Flexion ist von einer Hüfte „at risk“ für ein Impingement auszugehen.
2.5 B iomechanische Ursachen der Coxarthrose H. P. Nötzli und T. F. Wyss Bereits 1911 hat Preiser (1911) in seinem Werk über „Statische Gelenkerkrankungen“ aufgezeigt, dass die Ausbildung der Hüftpfanne, deren Ausrichtung
H. P. Nötzli und T. F. Wyss
und die Form des proximalen Femur einen entscheidenden Einfluss auf die mögliche Ausbildung einer Coxarthrose haben. Interessanterweise fand er, dass die „rachitische“ Pfanne, für die wir heute den Begriff der Dysplasie verwenden, zwar fraglos mit der Ausbildung der Coxarthrose in Verbindung zu bringen ist, dass dies aber bei der nach lateral und hinten ausgerichteten Pfanne in noch höherem Maße der Fall ist. Dass der Begriff der „primären Coxarthrose“ eigentlich keine Berechtigung hat, haben verschiedenste Autoren gezeigt, indem sie bei genauer Analyse wenig auffälliger Röntgenbilder, Deformitäten sichtund messbar machen konnten, die mit dem Auftreten von frühdegenerativen Veränderungen einhergingen (Murray 1965, 1971; Preiser 1911; Solomon 1976; Stulberg 1975). Sowohl Murray (1971), der die Stellung des Femurkopfes in Relation zum Schenkelhals ausmaß, als auch Stulberg (1975), der den Begriff der „pistol grip deformity“ prägte, kamen zum Schluss, dass die sog. primären Arthrosen in bis zu zwei Dritteln der Fälle auf eine stumm verlaufene Epiphysiolysis capitis femoris zurückzuführen sein dürften. Goodman et€ al. (1997) wiesen dann darauf hin, dass bei früh degenerativen Veränderungen die Hauptdeformation am proximalen Femur nicht in der frontalen Ebene, sondern in der sagittalen Ebene liegt. Aufgrund von Beobachtungen nach Epiphysiolysis capitis femoris war Ganz (Leunig et€al. 2000) bereits einige Jahre zuvor zur Überzeugung gelangt, dass Labrum- und Knorpelschädigungen in hohem Maße auf Deformationen am proximalen Femur und/oder auf eine Retroversion des Azetabulum zurückzuführen sind. Er führte auch die Begriffe „Impingement“ respektive „Impingement-Symptomatik“ an der Hüfte ein, wobei Impingement für das schmerzhafte Anschlagen des Femurkopf-Schenkelhals-Übergangs am (meist vorderen) Pfannenrand im physiologischen Bewegungssegment steht.
2.5.1 M echanische Ursachen für die Ausbildung einer Arthrose • Azetabulär: − ungenügendes und/oder zu steil gestelltes Pfannendach, − Retroversion des Azetabulum, − Protrusio acetabuli, coxa profunda.
Funktionelle Anatomie und Biomechanik 2â•…
• Femoral: − Coxa valga mit Fovea alta, − fehlende Taille am Femurkopf/Schenkelhalsübergang, − Retrotorsion des proximalen Femur. Übernutzung der Hüfte, meist im Rahmen sportlicher (Stop-and-go-Sportarten) oder beruflicher (Ballett) Aktivitäten.
43
einhergehen muss, spielt wohl die Überlastung des Knorpels der Hauptbelastungszone die entscheidende Rolle. Hier kommt die vermehrte Belastung dadurch zustande, dass die Fovea, die keinen gelenktragenden Knorpel hat, mit dem Knorpel der azetabulären Belastungszone artikuliert, was die gemeinsame belastete Kontaktfläche reduziert und damit zu einer Überbelastung der entsprechenden Knorpelareale führt.
2.5.2 Dysplasie 2.5.3 Impingement Beim ungenügenden und/oder zu steil gestellten Pfannendach wie es für die Dysplasie typisch ist, ist es die fehlende ventrokraniolaterale Tragfläche, die aus einer horizontalen eine schräge Belastungszone macht. Während bei Belastung einer horizontalen Belastungsfläche die Kraft orthograd in die Tragzone eingeleitet wird, kommt es bei der dysplastischen Hüfte zu einer exzentrischen Einleitung der Belastung näher am Pfannenerker mit entsprechender Erhöhung des Drucks (Pauwels 1965). Gleichzeitig kommt es zur Ausbildung einer Tangentialkomponente (Tschauner und Hoffmann 2004) entsprechend der Steilheit des Pfannendachs, die den Hüftkopf in den Bereich des knöchernen Defizits drängt. Je steiler die Belastungsfläche ist, desto größer ist bei Belastung die Tendenz, den Hüftkopf nach ventrokraniolateral zu verschieben, was die Überlastung des entsprechenden Azetabulumecks zur Folge hat. Vor allem wird damit auch das Labrum, das im Wesentlichen nicht zum lasttragenden System gehört, sondern vielmehr als Dichtungsring zu betrachten ist (Furgeson 2006), mechanisch überbelastet. Es reagiert typischerweise mit einer Hypertrophie. Letztere ist verbunden mit degenerativen Veränderungen (mukoide Degeneration). Mit der Zeit kann das Labrum der chronisch repetitiven Überbelastung nicht mehr widerstehen und reißt ein. Mit dem Labrum werden ungünstigerweise häufig auch größere Anteile des benachbarten Knorpels abgerissen. Der früher potentiell instabile Femurkopf ist jetzt definitiv instabil und dezentriert zunehmend, was zu einer punktuellen Belastung des Femurkopfes und des ventrokraniolateralen Ecks mit entsprechender mechanischer Überlastung und Zerstörung des Knorpels führt. Auch bei der hohen Fovea (Nötzli et€ al. 2001), die bei femoral betonter Hüftdysplasie nicht notwendigerweise mit einer azetabulären Dysplasie
Der Mechanismus der Arthroseentstehung durch Fehlform oder Fehlausrichtung von Anteilen des Gelenks ohne defizitäre Anteile unterscheidet sich von dem bei Dysplasie grundsätzlich, wobei bei dysplastischen Hüften durch Retroversion des Azetabulum oder fehlende Taillierung am Femurkopf-Schenkelhals-Übergang auch die heute mit dem Begriff Impingement umschriebenen Mechanismen eine Rolle in der Arthroseentstehung spielen können. Prinzipiell werden zwei Mechanismen unterschieden, die für die Schädigung des Gelenks verantwortlich gemacht werden können: • der Nockenwelleneffekt und • der Beißzangeneffekt. Beim Nockenwelleneffekt (Beck 2003; Ito et€ al. 2001), der vor allem bei den asphärischen Köpfen eine Rolle spielt, führt der – anstelle eines gleichbleibenden Radius – zunehmende Radius zum Schenkelhalsübergang zu Scherkräften im azetabulären Knorpel, zu einem vermehrten Druck auf das Labrum und zu einem Hebeln am Pfannenrand (Abb.€ 2.34). Es sind die Scherkräfte, die am Pfannenrand auf den Knorpel einwirken, die die hauptsächliche Schädigung bewirken. Sie führen zu einer Ablösung des Knorpels an der Grenze zwischen kalzifiziertem und unkalzifiziertem Knorpel (Abb.€2.35a) begleitet von Ausdünnung desselben durch Nachwachsen der ossifizierten Zone gegen das Gelenk, Veränderung der Knorpelstruktur oder sogar vollständiges Verschwinden des Knorpels in mechanisch geschädigten Arealen. Weiteres Resultat der repetitiven Mikrotraumen sind Labrumablösung und -degeneration zum Teil direkt in die Knorpelablösung übergehend. Ulzerationen finden sich im gegenüberliegenden Azetabulumteil wahrscheinlich durch das Hebeln verursacht. Da Labrum- und Knorpelablösung meist azetabulär anterosuperior zu finden sind,
44
Abb. 2.34↜ Schema zum Schädigungsmechanismus beim Nockenwellen-Impingement. Durch den gegen den Schenkelhals wachsenden Radius bei der Nockenwellendeformation wirken bei Flexion und Innenrotation Scherkräfte auf den pfan-
H. P. Nötzli und T. F. Wyss
nenrandnahen Knorpel, was zu Ablösung desselben führen kann. Auch kommt das Labrum unter vermehrten Druck gefolgt von Degeneration und Ablösung
Abb. 2.35(a), (b)↜ Anterosuperiore azetabuläre Knorpelablösung und -destruktion bei 16-jährigem Patienten infolge mechanisch ungünstiger Femurkopfform
liegen die Ulzerationen vor allem im Hinterhornbereich (Beck 2006). Außer randständigen Irritationszonen zeigt der Femurkopf selbst typischerweise erst im fortgeschrittenen Stadium eine Knorpeldestruktion (Abb.€2.35b). Bei der Fehlausrichtung an sich normal ausgebildeter Gelenkskomponenten kommt es im physiologischen Bewegungsrahmen zu einem Konflikt zwischen Schenkelhals und Azetabulumrand, wie er auch bei zu tiefer Pfanne im Rahmen einer Coxa profunda oder Protrusio coxae zustande kommt. Der Begriff, der sich für diese Pathologie durchgesetzt hat, ist „Pincer- oder Beißzangen“-Impingement. Im Gegensatz zum Nockenwellen oder Cam-Impingement steht die Labrumdegeneration respektive Ossifikation im Vordergrund. Die Knorpelläsionen in der unmittelbaren Nachbarschaft zu den Labrumveränderungen sind meist geringer als beim NockenwellenImpingement, Ulzerationen dagegen häufiger (Beck 2006).
In mehr als 2/3 der Fälle finden sich Mischformen beider Impingement-Typen. Nicht vergessen werden darf, dass eine Übernutzung allein zu Knorpelschädigungen führen kann. So zeigen gewisse Sportarten wie z.€ B. Karate auch bei ansonsten weitgehend normal ausgebildetem Hüftgelenk typische Knorpelschädigungen am Femurkopf und zwar meist am Standbein, was auf Scherkräfte im Knorpel bei forcierter Abduktion zurückzuführen sein dürfte. Bei genauem Hinsehen sind es vor allem biomechanisch ungünstige Verhältnisse, die in einem hohen Prozentsatz für die Ausbildung einer Coxarthrose verantwortlich sind. Da wir heute bei genügend früher Erkennung über gute operative Möglichkeiten zur Verbesserung der Gelenksmechanik verfügen (Beckenosteotomien, chirurgische Hüftluxation) gilt es diese in die Therapiekonzepte einfließen zu lassen.
2â•… Funktionelle Anatomie und Biomechanik
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3
Implantate R. Willi, C. Rieker, M. Thomsen und P. Thomas
3.1 Hüftprothesen R. Willi Generell müssen Hüftprothesen so gestaltet sein, dass sie sich auf sichere Art implantieren lassen und als lasttragende Bauteile ihre Funktion wahrnehmen können. Dahingehend sind sie auf die jeweilig vorliegende Indikation abgestimmt, in die Operationstechnik eingebunden, planbar und entsprechend instrumentiert. Sie erlauben die gewünschte Rekonstruktion des Gelenkdrehzentrums bei stabiler Verankerung von Schaft und Pfanne im Prothesenlager. Innerhalb der von den Herstellern als kompatibel deklarierten Komponenten sind die Köpfe resp. Artikulationssysteme frei wählbar. Fremdpaarungen sind nicht zulässig. Des Weiteren folgen sie den weltweit und regional verbindlichen Regelwerken. Halsgeometrie, Bewegungsfreiheit╇ Zur Halsgeometrie kann generell festgehalten werden, dass der Querschnitt einerseits die geforderte Festigkeit garantiert und anderseits eine große Bewegungsfreiheit im Gelenk (engl.: „range of motion“, ROM) begünstigen muss. Das kann in Form eines runden Querschnitts erfolgen, der so klein wie möglich ausgeführt wird, oder idealerweise als abgeflachter oder dreiecksförmiger Querschnitt. Die Querschnittsoptimierungen ergeben sich aus den Kontaktpunkten zwischen Pfanneneintrittsebene und Schaft am Hals. Besonderes Augenmerk gilt einer Optimierung der Bewegungsfreiheit im Gelenk in
Flexion, vor allem notwendig bei Schäften mit großem CCD-Winkel (Centrum-Collum-Diaphysenwinkel) von über 135°, da bei dieser Konstellation die Bewegungsfreiheit in Flexion möglicherweise zu tief ausfällt (Abb.€3.1). CCD-Winkel╇ CCD-Winkel (Centrum-Collum-Diaphysenwinkel) an Schäften liegen im Bereich von ca. 120–145°. Der CCD-Winkel an den Schäften ist in den meisten Fällen als rein konstruktiver Wert zu sehen. Es besteht keine direkte Korrelation zwischen Anordnung des CCD-Winkels und Offsets oder Höhe der Anordnung des Schaftkonus. Kleine und große Offsets lassen sich z.€B. mit dem gleichen CCD-Winkel durch paralleles Verschieben der Schaftachse realisieren. Entsprechend wird dies bei vielen Geradschäften ausgeführt (Davey und Tozakoglou 1999; Abb.€3.2).
3.1.1 Zementierte Schäfte 3.1.1.1 Prinzip Zementierte Schäfte bilden zusammen mit dem Knochenzement als eine Einheit das Implantat und erlauben die vollständige, unmittelbare Belastung desselben nach der Implantation, herrührend vom Verbund zwischen Schaft und Femur mittels Knochenzement, der während der Implantation erzeugt wird. Biomechanisch ergibt sich daher im Regelfall durch das Einzementieren eines Schafts eine tendenziell langstreckige Verankerung im Femur mit intertrochanterer Krafteinleitung.
R. Willi () Zimmer GmbH, Sulzer-Allee 8, 8404 Winterthur, Schweiz E-Mail:
[email protected] L. Claes et al. (Hrsg.), AE-Manual der Endoprothetik, DOI 10.1007/978-3-642-14646-6_3, ©Â€Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik 2012
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R. Willi
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Spitzen oder anderen Elementen, die den Dickenverlauf des Zementmantels nachteilig stören würden. In der konisch verlaufenden Gestaltung haben sich für den Schaftkörper in der Frontalebene ca. 6°, in der Sagittalebene ca. 2° bewährt.
14
5°
Abb. 3.1↜ Darstellung der maximalen Bewegungsfreiheit (Englisch: „range of motion“) zwischen Schaft und Pfanne und den Kontaktpunkten zwischen Schafthals und Pfanneneintrittsebene
CC
D
5°
D
CC
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Abb. 3.2↜ Gleicher Offset und Höhe des Drehzentrums am Schaft, realisiert mit unterschiedlichen CCD-Winkeln
3.1.1.2 Gestaltung Konzeptionell ist der zementierte Schaft in der Gestaltung so ausgelegt, dass er Spannungsspitzen oder nicht tolerierbar hohe Spannungen im Knochenzement vermeidet, unabhängig von der Zementmanteldicke. Der Schaft ist relativ rigide und überträgt im Wesentlichen Druckkräfte, denen der Zement am besten widersteht. Überbelastungen würden zum Fließen oder Brechen des Zementköchers und zur Lockerung des Schafts führen. Dementsprechend finden sich am Schaft abgerundete Formen mit großen Radien im Bereich von ca. 1,5–4,5€mm, mit sanften Übergängen frei von Kanten,
3.1.1.3 Konzepte und Oberflächen In der gestalterischen Umsetzung von zementierten Schäften und deren Zementköcher lassen sich zwei Hauptkonzepte beschreiben. Ein Konzept ist das starre Fixieren des Schafts im Zementmantel mit dem Ziel, ein Nachsetzen zu vermeiden. Der Ansatz beinhaltet Kragenelemente zur axialen Schaftabstützung und fein gestrahlte Oberflächen, zur Verblockung des Schafts im Zement über die gesamte Oberfläche, in Kombination mit dünnem oder zweigeteiltem Zementmantel, der eine direkte Abstützung des Schafts an der Kortikalis zulässt. Der Zement dient dazu, Unebenheiten auszugleichen. Das Schaftkonzept muss daher nachfolgende Elemente in sich vereinen (Ochsner 2003; Malchau et€al. 2002; Sperling et€al. 1997; Weber 1988): Zementköcher am Schaft umlaufend dünn (ca. 0,5–1€mm) oder zweiteilig, Kragenelemente, fein gestrahlte Oberflächen, keine Zentrierelemente oder Spacer (Abb.€3.3a) Der zweite konzeptionelle Ansatz gestattet ein Nachsetzen des Schafts im Zementmantel. Es soll einem nicht mehr fest sitzenden Schaft ein nochmaliges Verklemmen im Zementmantel ermöglichen. Im Regelfall sind diese Schäfte ohne Abstützelemente ausgelegt und besitzen konsequenterweise eine polierte Oberfläche in Kombination mit einem dicken Zementmantel. Dieser hilft mit, dass das erlaubte Nachsetzen des Schafts innerhalb von diesem stattfindet, der wiederum seinen Anteil aufgrund der Materialbeschaffenheit beitragen kann. Zur Reproduzierbarkeit der in diesen Konzepten meist dickeren Zementwandstärken werden aufsteckbare Zentrierelemente, distal am Schaft, und Spacer, proximal am Schaft, verwendet. Die Zentrierelemente sind im Regelfall aus PMMACo-Polymeren spritzgegossen. Sie begünstigen eine chemische Verbindung mit dem Knochenzement. Alle Elemente müssen strömungstechnisch so gestaltet sein, dass der Zementmantel beim Einbringen des Schafts mit den aufgesetzten Elementen nicht unterteilt und in seiner Form gestört wird. Des Weiteren muss beim distalen Element ein eventuelles Nachsetzen des Schafts mit einer Vertiefung im Zentrierelement berücksichtigt werden. Zentrierelemente werden im Regelfall ohne Kontrastmittel ausgestattet. Das Schaftkonzept sollte
Implantate 3â•… Abb. 3.3↜ (a) Zementierter Schaft, mit Kragenelement, zur starren Fixierung im Knochenzement mit dem Ziel, ein Nachsetzen zu vermeiden. (b) Zementierter Schaft, ohne Kragen, dessen Design ein Nachsetzen im Knochenzement zulässt
49
a
daher folgende Elemente beinhalten (Spotorno et€ al. 2002; Berli 2003; Berli et€al. 2003; Barrack et€al. 1992; Malchau 2000; Weidenhielm et€al. 1994; Weidenhielm 1995): Zementköcher am Schaft umlaufend dick (ca. 1€mm distal bis zu max. 7€mm proximal medial), keine (oder nur sehr kleine) Abstützelemente, polierte Oberflächen, Zentrierelemente oder Spacer (Abb.€3.3b) Am Zementköcher sollten Wandstärken von über 5€mm aufgrund der Wärmeentwicklung während des PMMA-Polymerisationsvorgangs vermieden werden.
3.1.1.4 Verankerungskonzept Zementierte Verankerungen sind auf längere Verankerungsstrecken als zementfreie angewiesen. Was bei zementfreien Konzepten mit porösen, rauen Oberflächen und Rippen an Stabilität erreicht werden kann, muss bei zementierten Langschäften mit Hilfe des Knochenzements erreicht werden. Da auch hier die Verankerung unter Umständen nur distal erfolgt, fehlen die proximalen Abstützzonen, die dem Zement entgegenkommen würden. Die Schaftquerschnitte
b
müssen, wie bei zementierten Primärschäften, rechteckig, verrundet gestaltet werden.
3.1.2 Zementfreie Schäfte 3.1.2.1 Prinzip Zementfreie Schäfte stellen durch ihre Design-Elemente, Oberflächen und Werkstoffe ein Konzept dar, das eine primäre und eine sekundäre Fixation ermöglichen muss. Die knöcherne Integration und Belastung des Implantats erfolgt daher in zwei Phasen. 3.1.2.2 Gestaltung Elementar für die Gestaltung sind einerseits alle Design-Elemente für die primäre Stabilität, die durch den Implantationsvorgang erreicht wird, und anderseits für die sekundäre Stabilität, bei der ein knöchernes Anwachsen oder Einwachsen in die Schaftoberfläche berücksichtigt sein muss. Zum Erreichen der Primärstabilität hat sich das Press-fit-Prinzip, gestaltet in einer
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a
b
c
Abb. 3.4↜ (a) Zementfreier Schaft, zur distalen, kortikalen Verankerung und Krafteinleitung. (b) Zementfreie Schäfte, zur proximalen, kortikalen-spongiösen Verankerung und Kraftein-
leitung. (c) Zementfreier Schaft, zur intertrochanteren, kortikalen Verankerung und Krafteinleitung
vorteilhaft, dreidimensionalen Konizität, bewährt, was bezogen auf den zementfreien Schaft ein Verkeilen im Femur bedeutet. Gestalterisch bieten sich eine distale, proximale oder eine Kombination von beiden Verankerungsphilosophien an. Der letztlich gewählte respektive erforderliche Schaftquerschnitt bedingt entweder das Festlegen der Antetorsion zu Beginn der Markraumeröffnung (nicht runder Querschnitt) oder während des Einsetzens des Schafts (runder Querschnitt). Hochfeste Ti-Legierungen weisen ein E-Modul von ca. 110.000€MPa auf, d.€h. rund die Hälfte des E-Moduls von Werkstoffen angewendet für zementierte Schäfte. Sie sind daher flexibler, bei vergleichbaren Querschnitten, und liegen somit näher an der Elastizität des natürlichen Femur. Wird eine noch größere Annäherung der Schaftelastizität an das Femur angestrebt, bieten sich für die Schaftgestaltung Technologien an, die auf schlanken Metallgrundkörpern aufbauen. Diese sind mit Polymeren umgeben, die wiederum mit porösen Oberflächen beschichtet sind (Glassman et€al. 2001; Dujovne et€al. 1993). Das kommt einer physiologischen Krafteinleitung stark entgegen, fordert aber ein hohes Augenmerk auf das Vermeiden von zu hohen Relativbewegungen im Schaft-Femur-Interface. Zu hohe Relativbewegung würde die knöcherne Integration erschweren und demzufolge eine sekundäre Stabilität kompromittieren.
3.1.2.3 Konzepte Die distale Verankerung und die damit verbundene distale Krafteinleitung bezieht den ganzen Schaftquerschnitt auf einer Länge von ca. 60–90€mm mit ein. Vor allem die Querschnitte, rund-porös, rund-sternförmig oder rechteckig mit Schaftkanten über die Diagonale, spielen eine zentrale Rolle, da sie eine räumliche, reproduzierbare kortikale Verkeilung und entsprechende Krafteinleitung ermöglichen. Die distale Verankerung muss genügend lang sein, damit verhindert sie ein proximales „Schwingen“ des Schafts im Femur. Für die distale Verankerung haben sich in der Gestaltung Winkel von ca. 2° in frontaler und ca. 4° sagittaler Ebene bewährt (Weissinger und Helmreich 2001; Traulsen et€al. 2001; Grubl et€al. 2002, 2003; GarciaCimbrelo et€al. 2003; Vervest et€al. 2005; Pospischill et€al. 2005; Wagner und Wagner 1999; Abb.€3.4a). Die proximale Verankerung, d.€h. proximale Krafteinleitung, berücksichtigt eine Kombination von direkter medial-lateraler-kortikaler und anterior-posterior-spongiöser Abstützung, z.€B. realisiert in Form von Rippen oder porösen Oberflächen auf einer Länge von ca. 40–80€mm. Bei kürzeren, gebogenen Schäften übernimmt der distale Anteil sowohl Führungsaufgaben bei der Implantation als auch die laterale Krafteinleitung. Bei geraden Schäften ist der distale Anteil meist wesentlich länger. Zur Vermeidung von Spannungsspitzen in der Kortikalis ist er mit abgerundeten
Implantate 3â•…
Kanten versehen und dient hauptsächlich als Führungselement beim Implantieren. Eine Krafteinleitung findet hier praktisch nicht statt. Für die proximale Verankerung haben sich Winkel im Bereich von ca. 5–10° in sagittaler Ebene bewährt. In frontaler Ebene folgt der Schaft dem Verlauf proximal des Kalkar und ist nach distal verjüngt (Spotorno et€al. 1987; Bülow et€al. 1996; Schreiner et€ al. 2001; Malchau 2003; Bläsius et€al. 1993; Aldinger et€al. 2003; Abb.€3.4b). Als weitere, kombinierte Verankerungsmethode mit mehrheitlich intertrochanterer Krafteinleitung bieten sich kegelförmige Grundkörper an, die zur Verankerung z.€B. Längsrippen auf runden oder ovalen Querschnitten angeordnet haben. Die Rippen verankern sich sowohl kortikal als auch spongiös auf einer Länge von ca. 80–120€mm. Als Kegelwinkel haben sich ca. 5° bewährt (Wagner und Wagner 1995, 2000; Castelli et€al. 1999; Abb.€3.4c).
3.1.2.4 Instrumentierung Allen Konzepten gemein ist die Verwendung von Instrumenten, die eine präzise, reproduzierbare Bearbeitung des Implantatlagers gestatten. Des Weiteren müssen die Instrumente exakt auf die Gestaltung des zementfreien Schafts abgestimmt sein, um den gewünschten Press-fit zu erreichen, d.€ h. distal ca. 0,1–0,2€mm, proximal ca. 1–1,5€mm, bezogen auf den Schaftgrundkörper oder auf Makroelemente wie z.€B. Rippen. 3.1.2.5 Verankerungskonzepte Zur Hauptsache bieten sich für eine zementfreie Anwendung zwei Press-fit-Verankerungskonzepte an: zum einen die gerade, kegelförmig gestaltete mit rundem, verripptem Querschnitte, ohne Zusatzverriegelung, zum anderen die gebogene, konisch konzipierte mit rechteckigem Querschnitt und der Möglichkeit der Zusatzverriegelung in Form von quer zur Femurlängsachse angebrachten Verschraubungen mittels Spongiosaschrauben. Zur Verankerung der distalen Schaftpartien muss jeweils eine minimale Länge von ca. 70–90€mm zur Verfügung stehen. Die zementierte Verankerung wird später separat betrachtet (Schenk und Wehrli 1989; Fink et€al. 2005). Gerade kegelförmige Verankerung Rund gestaltete, mit 8 feinen Rippen versehene Querschnitte, angeordnet auf Kegeln mit einem Winkel von etwa 2°, haben als Verankerungselemente ihre Zuverlässig-
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keit bewiesen. Die Rippen müssen mit ca. 0,5–1,0€mm so dünn konzipiert sein, dass sie sich wenige Zehntel Millimeter, etwa 0,1–0,5€ mm, in den kortikalen Knochen einschneiden können. Der Press-fit-Effekt sichert unmittelbare primäre Stabilität und ermöglicht dadurch in Verbindung mit einer rau gestrahlten Oberfläche eine sekundäre, knöcherne Integration. Vor allem im Bereich der Rippenspitzen wird die Neubildung von Knochenformationen angeregt. Der runde, sternförmige Querschnitt des Schafts erlaubt zudem die freie Einstellung der Antetorsion. Vergleichbare Effekte sind mit runden, porös Beschichteten Revisionsschäften zu erreichen. Die porösen, rauen Oberflächen stellen mittels Press-fit die primäre Verankerung sicher. Die knöcherne Integration erfolgt durch das Einwachsen des Knochens. Die Prothesenlager für gerade, kegelförmige Verankerungselemente werden mit Reibahlen vorbereitet (Schenk und Wehrli 1989; Fink et€al. 2005). Gebogene, rechteckige, oktagonale Verankerung Rechteckige resp. oktagonale Querschnitte sind mit 8 rippenartigen Längsstrukturen, an den Kanten der Querschnitte angeordnet, ausgestattet. Die distalen Verankerungselemente sind gebogen ausgeführt und folgen der Antekurvation des Femur. Die Längsstrukturen in Rippenform ermöglichen eine hohe Rotationsstabilität. Die distale Verankerungszone ist als Doppelkonus mit einem Winkel von 2° gestaltet. Das erlaubt eine ideale Adaption an die Verhältnisse im Markraum und eine ideale Krafteinleitung vom Schaft in das Femur. Zusätzlich zur beschriebenen Press-fit-Verankerung bieten sich statische und dynamische Verschraubungen in der Verankerungszone an. Zur Anwendung kommen diese bei nicht vorhandenem Isthmus, bei osteoporotischem Knochen oder bei Frakturen. Benötigt werden zwei bis drei oder mehr Querbohrungen im distalen Schaftteil, runde Bohrungen für statische und runde in Verbindung mit Langlöchern für dynamische Verschraubungen. Der Gestaltung der Bohrung und der Anordnung muss im Hinblick auf die Festigkeit der Schäfte besondere Beachtung geschenkt werden. Die Prothesenlager für gebogene, konische Verankerungselemente werden mit Raspeln vorbereitet. Zum Anbringen der Querbohrungen stehen Bohrlehren zur Verfügung. Es ist darauf zu achten, dass der Bohrvorgang die Schäfte nicht beschädigt (Knahr et€al. 2003; Fink et€al. 2005).
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dem Markraum wie der anatomische Schaft. Er verankert sich vielmehr in einzelnen Zonen (idealerweise drei) im Markraum, die mit entsprechenden Instrumenten vorbereitet werden. Die Hauptverankerung wird durch den formschlüssigen Kontakt in der Frontalebene erzielt. Eine zusätzliche Verblockung wird häufig durch die Kurvatur des Femur in der Sagittalebene erreicht (Abb.€3.6a). Bogenschaft╇ Der Bogenschaft verlangt eine entsprechend adaptierte Operationstechnik. Der Schaft folgt nicht nur der Femurlängsachse, sondern der Bogenlinie zwischen Schenkelhalswinkel und Femurachse. Die Markraumeröffnung orientiert sich mehr am Schenkelhalswinkel und lässt den großen Trochanter unberührt. Die Resektionsfläche muss nicht abgesetzt werden, sondern stellt eine Fläche dar (Abb.€3.6b).
3.1.3 Kurz- und Langschaft
Abb. 3.5↜ Anatomischer Schaft, normalerweise in RechtsLinks-Ausführung, mit typischem verrundeten Helitorsions-Design, mit dem sich der Schaft in das Femur „einschraubt“
3.1.2.6 A natomischer Schaft, Geradschaft und Bogenschaft Geradschäfte, ungeachtet dessen, ob anatomische, linke oder rechte Ausführungen, folgen in der Verankerung der Femurlängsachse. Das bedingt, dass die Markraumeröffnung entsprechend lateral im großen Trochanter in Form einer abgesetzten Resektionsfläche zu erfolgen hat. Anatomischer Schaft╇ Der anatomische Schaft ist im Regelfall ein Geradschaft der zum Ziel hat, geometrisch, volumetrisch dem Markraum zu folgen, resp. diesen in Form des Schaftkörpers als Gegenstück abzubilden. Konsequenterweise folgt der Schaftquerschnitt stark den Markraumquerschnitten und wird schichtweise in Abhängigkeit einer links oder rechts drehenden Helitorsion zum Schaftkörper gestaltet. Daraus erfolgt die Schaftverankerung in Form einer sich selbst stabilisierenden Funktion einer Schraube. Demzufolge sind anatomische Schäfte als linke und rechte Ausführungen gestaltet (Abb.€3.5). Geradschaft╇ Der Geradschaft ist im Regelfall symmetrisch, keine Links-rechts-Version und folgt nicht
Die Wahl von Kurz- oder Langschaft orientiert sich an der Indikation. Nachfolgend werden als Kurzschaft in erster Linie die Schenkelhalsprothese und als Langschaft der Revisionsschaft beschrieben. Das weite Feld dazwischen ist in den Abschnitten zum zementierten und zementfreien Schaft dargestellt.
3.1.3.1 Kurzschaft Kurzschäfte und Schenkelhalsprothesen sind in der Regel für eine zementfreie Anwendung konzipiert. Sie nutzen die gute Knochenqualität für ihre Verankerung, die in jedem Fall für solche Anwendungen gegeben sein müssen. Der Kurzschaft, vor allem die Schenkelhalsprothese, hat zum Ziel, den Schenkelhals soweit als möglich zu erhalten und diesen hauptsächlich als Verankerungszone der Prothese zu nutzen. Das kann durch eine reine Verankerung im Schenkelhals erfolgen, mit oder ohne zusätzliche lateral-distale Abstützung am inneren Kortex, was mit einem entsprechend gestalteten distalen Schaftanteil ermöglicht werden kann. Biomechanisch ergibt sich daraus eine physiologische, proximale Krafteinleitung. Aufgrund der Krafteinleitung im Schenkelhals entfallen praktisch die Torsionsmomente im Interface von Schaft und Prothesenlager, wie sie von klassischen Hüftschäften her bekannt sind. Kurzschäfte sind darauf angewiesen, die kurzen Zonen, in denen eine Verankerung möglich ist, optimal zu nutzen. Die innere Form des Schenkelhalses stellt in ihrem Quer-
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Abb. 3.6↜ (a) Gerader Schaft, der sich an der Längsachse des Femur orientiert. (b) Gebogener Schaft, der sich an der Bogenlinie zwischen Schenkelhalsachse und Femurachse orientiert
schnitt ein hochgestelltes Oval mit einem ungefähren Seitenverhältnis von ca. 1:1,15 dar. Die Ovalität kann in der Gestaltung der Prothese genutzt werden. Eine starke kortikale Abstützung wird durch die geometrische Gestaltung angestrebt. Makroelemente in Form von Rippen, in Längsrichtung angeordnet, oder poröse, raue Oberflächen sind hilfreich (Ender et€al. 2006).
3.1.3.2 Lang-/Revisionsschaft Der Lang- respektive Revisionsschaft muss in seiner Funktion große Defekte, d.€ h. lange Strecken überbrücken können. Der Längenbereich beträgt daher ca. 200–450€ mm, der Durchmesser ca. 14–25€ mm oder mehr, bezogen auf die Abmessungen im distalen Femur. Biomechanisch stellt beim Revisionsschaft die Sicherstellung der primären und sekundären Stabilität eine größere Herausforderung dar als beim Schaft zur primären Anwendung.
3.1.4 Querschnitt Der Querschnitt muss der zementierten oder zementfreien Anwendung Rechnung tragen. Für eine zemen-
tierte Anwendung werden in der Regel geschlossene, harmonisch geschwungene und gestaltete Oberflächen sowie Design-Elemente bevorzugt. Diese erlauben mit Hilfe des Knochenzements eine Verankerung, die kortikal, wenn erforderlich, mit höherem spongiösen Anteil erfolgt. Die zementfreie Anwendung verlangt hingegen nach Makrostrukturen wie Rippen, Stege, raue und/oder poröse Oberflächen, die eine direkte Verankerung hauptsächlich an der Kortikalis mit geringerem spongiösen Anteil ermöglichen. Grundsätzlich muss der Querschnitt so gestaltet sein, dass er ein Maximum an Torsionsmomenten aufnehmen, resp. in das Femur einleiten kann. Prinzipiell gelten daher Querschnitte mit großem Randfaserabstand, d.€h. möglichst weitem Querschnitt, als biomechanisch vorteilhafter. Der Querschnitt steht in Konkurrenz mit der knöchernen Substanz, die zugunsten des großen Querschnitts aufgegeben, resp. das proximale Femur z.€ B. in Richtung großem Trochanter eröffnet werden muss. Des Weiteren muss sich der Verlauf des Querschnitts über die Länge des Schafts nach seiner Indikation resp. des Formverlaufs des Femur richten. Die zur Hauptsache existierenden Grundformen des Femur
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Abb. 3.7↜ Querschnitte von Schäften zur zementierten Anwendung, typischerweise mit stark verrundeten Profilen zur Vermeidung von Spannungsspitzen im Knochenzement
Abb. 3.8↜ Querschnitte von Schäften zur zementfreien Anwendung mit markanten Rippenprofilen oder kantigen Rechteckquerschnitten zur direkten Verankerung im Femur
– zylindrisch, trompetenförmig, tulpenförmig – müssen zusammen mit dem angestrebten Verankerungskonzept in Betracht gezogen werden. Praktisch alle Querschnitte erfordern mehr oder weniger stark die Festlegung der Schaftantetorsion schon bei der Eröffnung des Markraums. Nur Querschnitte, die in ihrem Hauptmerkmal rund oder quadratisch gestaltet sind, bilden hier die Ausnahme und erlauben eine Einstellung der Antetorsion während der Implantation des Schafts (Abb.€3.7 und 3.8).
3.1.5 Offset Das Offset soll vom Operateur nach Möglichkeit biomechanisch richtig rekonstruiert werden können. Die Weichteil-Balancierung, die Beinlänge und die
Gelenkstabilität müssen berücksichtigt werden können. Implantate mit größerem Offset verstärken die Hebelwirkung des Abduktors und verringern somit die erforderlichen Zugkräfte des Muskels. Es ist klinisch erwiesen, dass die hierdurch auf die Hüftpfanne einwirkenden Kräfte wiederum zu einem geringeren Abrieb in der Artikulation führen. Ein Schaftsystem ermöglicht mit bis zu drei Offsetlinien die Rekonstruktion des Drehzentrums. Da sich das Offset nicht proportional zur Weite des Femurkanals verhält, sind Schaftsysteme, die ein größeres Offset nicht zwingend von einem größeren Schaft abhängig machen, von Vorteil. In Erinnerung gerufen sei der robuste Mann, der einen kleineren Schaft mit großem Offset benötigt, wohingegen eine zierliche Frau einen verhältnismäßig großen Schaft mit geringerem Offset bekommt. Die
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Abb. 3.9↜ Gegenüberstellung von Köpfen mit und ohne Hälsen und deren Einfluss auf die höhere Bewegungsfreiheit („range of motion“)
Verhältnisse werden stark von der Dicke der kortikalen Wandstärke bestimmt (Morey 1997). Außer dem Offset (medial-lateral) muss auch die Höhe (distal-proximal) für die Rekonstruktion des Rotationszentrums bzw. der Beinlänge in Betracht gezogen werden. Studien zufolge bewegt sich der Offset-Bereich zwischen ca. 31 und 59€mm. Idealerweise ist das Offset-Wachstum vom Schaftgrößenwachstum entkoppelt. Der Höhenbereich für die Offset-Rekonstruktion bewegt sich in einem Bereich von ca. 8€mm, d.€h. für Standardauslegungen 0€mm, für valgische ca. +â•›4€ mm und varische ca. −â•›4€ mm. Mit einer solchen Auslegung kann ein großes Feld von Offset-Rekonstruktionen abgedeckt werden. Dies kann durch ein Schaftsystem direkt in Offset-Versionen integriert sein oder mittels modularen Steckhälsen und Köpfen realisiert werden (Noble et€al. 1988). Biomechanisch muss dem Offset Rechnung getragen werden, indem der Schaftquerschnitt und dessen Verankerungskonzept in der Lage sind, ein Gleichgewicht herzustellen. Größere Offsets erzeugen biomechanisch praktisch keine größeren Biegemomente, aufgrund der Tatsache, dass sich bei größerem Offset die Hüftreaktionskraft verringert, jedoch größere Rotationsmomente entstehen. Diese müssen vom Schaft resp. seinem Querschnitt und dessen Verankerung aufgenommen und in das Femur eingeleitet werden.
3.1.6 Kopfdurchmesser Der Kopfdurchmesser ist maßgeblich verantwortlich für eine ausreichende Bewegungsfreiheit im Gelenk.
Es sollte ein Verhältnis von mindestens 2:1 zwischen Kopf- und Halsdurchmesser am Schaft anzustreben sein, ungeachtet dessen, ob der Halsdurchmesser am Schaft selbst oder bei langen Kugelköpfen am Kragen des Kopfes vorhanden ist. In jedem Fall stellt er, zusammen mit der Gestaltung der Pfanneneintrittsebene, das limitierende Element für die Bewegungsfreiheit dar (Abb.€3.9). Weiter trägt der Kopfdurchmesser erheblich zur Stabilität des Gelenks bei, da bei größeren Köpfen die Distanz, die zu einer Luxation führen würde, entsprechend länger ist. Der größere Kugelkopf bietet daher mit mehr Bewegungsfreiheit und Gelenkstabilität zwei wesentliche Vorteile, die jedoch bei kleinen Hüftpfannen durch die minimal notwendigen Wandstärken limitiert sind. Das Verhältnis des Pfannenaußen- zum -innendurchmesser steuert bei kleinen Pfannen die maximale Größe des Kopfdurchmessers (Abb.€3.10).
3.1.7 Kopflänge Kopfsysteme besitzen üblicherweise Längenabstufungen in 3,5- oder 4-mm-Sprüngen. Sie beinhalten 4 bis 5 Kopflängen mit folgenden international gültigen, numerischen Bezeichnungen, wobei die Angaben in Klammern auf Regionen, die mit Typenbezeichnungen arbeiten, bezogen sind: • −3,5╛€mm resp. −â•›4€mm (S-Länge) • 0€mm (M-Länge) • +â•›4,5€mm resp. +â•›4€mm (L-Länge) • +â•›7,0€mm resp. +â•›8€mm (XL-Länge) • +â•›10,5€mm (XXL-Länge)
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CC
D
14
5°
Abb. 3.10↜ Gegenüberstellung des Luxationsweges X (größer) und Y (kleiner) bei großen und kleinen Kugelköpfen. Größere Köpfe müssen einen größeren Luxationsweg überwinden und tragen daher positiv zur Gelenkstabilität bei
CD
C
57%
0% 10
0%
82%
57%
10
5°
12
82%
Abb. 3.11↜ Effekt des Kugelsprungs auf Beinlänge und Offset. Der identische Kugelsprung erwirkt bei einem CCD-Winkel von 145° eine kleinere Offsetkorrektur als bei der Anwendung bei einem CCD-Winkel von 125°
Köpfe in unterschiedlichen Längen erlauben während der Implantation die gewünschte Beinlänge und Weichteilspannung und den Offset innerhalb der Längen des Kopfsystems einzustellen. Da sich die Längeneinstellung auf der Halsachse des Schaftes vollzieht, kann keine der Einstellungen in Unabhängigkeit von der anderen vorgenommen werden. Kopfsysteme ermöglichen keine unabhängigen Einstellungen in Längs- und Querachse. Wird mit den vorhandenen Einstellmöglichkeiten gearbeitet, ist zu berücksichtigen, dass bei einem CCD-Winkel von z.€B. 145° bei einem Wechsel zu einem längeren Kopf, die Beinlänge mehr als der Offset beeinflusst wird. Wird dasselbe Manöver auf einem CCD-Winkel von 120° durchgeführt, ist die Beeinflussung des Offsets weit größer als die der Beinlänge (Abb.€3.11).
Als weiteren Punkt gilt es zu beachten, dass lange Köpfe, abhängig von ihrem Durchmesser, einen Kragen aufweisen können. Dieser Sachverhalt ist immer dann gegeben, wenn die erforderliche minimale Konustraglänge zwischen Kopf und Schaft, nicht mehr innerhalb der Kugelhüllform untergebracht werden kann. Von der Gestaltung her ebenfalls wichtig ist die Konzeption der Kugeleintrittsebene zum Kugelkonus hin. Unter Beibehaltung der minimal erforderlichen Konustraglänge sind möglichst große Facetten und Radien vorzusehen. Sie erleichtern das spätere Aufsetzen des Kopfes auf dem Schaft und ermöglichen die Realisierung von großzügig gestalteten Schafthälsen, was deren Festigkeit zugute kommt, ohne einen KopfSchafthals-Kontakt zu provozieren (Abb.€3.12).
3.1.8 Konusvarianten Der Konus an Schaft und Kugelkopf muss in jedem Fall eine sichere, mechanisch dauerstabile Verbindung der Komponenten gewährleisten. Bewährt haben sich blank gedrehte Konen im Winkelbereich von ca. 4–6°, d.€h. es ist keine Selbsthemmung vorhanden. Das wiederum erlaubt eine Demontage eines Kugelkopfes vom Schaftkonus intraoperativ oder im Fall der Revision mittels geeigneter Instrumente. Grundsätzlich werden Konen mit und ohne Struktur verwendet. Die beiden Gestaltungsformen beinhalten folgende konzeptionelle Merkmale: • Konus strukturiert, Schaftkonuswinkel ist flacher ausgeführt als der Kopfkonuswinkel an Keramikköpfen, Krafteinleitung in die Kugel erfolgt im Kugelzen-
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Abb. 3.12↜ Kugelkopfsystem mit unterschiedlichen Sprüngen zur Realisierung der gewünschten unterschiedlichen Kopflängen. Zur Beibehaltung der minimalen Konustraglänge weist der längste Kopf einen Hals auf, was die Bewegungsfreiheit einschränkt
trum, die Struktur auf dem Konus erlaubt gezieltes Nachsetzen und adaptiert sich an die Keramikkugel • Konus strukturiert, Schaftkonuswinkel ist identisch mit Kopfkonuswinkel an Metallköpfen, Krafteinleitung am Kopf erfolgt über die ganze Traglänge zwischen Kopf und Schaft, ein Nachsetzen findet nur minimal statt. • Konus unstrukturiert, Schaftkonuswinkel ist identisch mit Kopfkonuswinkel an Keramik- und Metallkopf, Krafteinleitung erfolgt über die ganze Traglänge des Konus zwischen Kopf und Schaft, ein Nachsetzen findet nur minimal statt. Heutzutage werden z.€ B. folgende Konen angewendet: • Konus 8/10, in Kombination mit schlanken, kurzen Schafthälsen und 22€mm Köpfen, • Konus 12/14, als weit verbreiterter Konustyp, • Konus 14/16, • Konus 14/16, 6° Konus, als Vorgängertyp zum 12/14-Konus im Verschwinden begriffen.
3.1.8.1 Kompatibilität Das Thema Konus muss aus Sicht der Kompatibilität detailliert abgehandelt werden. Grundsätzlich sind über das Konus-Interface nur Schäfte und Kugelköpfe anwendbar, die vom Hersteller als kompatibel deklariert wurden. Beispielsweise gibt es für den so genannten „12/14-Eurokonus“ keine DIN- bzw. ISO-Norm, in der die Konusgeometrie für Hüftschaft und Kugelkopf in all ihren relevanten Parametern beschrieben
und festgelegt ist. Der Begriff „12/14(Euro)-Konus“ dient lediglich als eine allgemeine Größenbezeichnung. Erwähnt sind hierzu auch der so genannte 14/16Konus, 8/10- oder der 6°-Konus. Tatsache ist, dass sich die von den verschiedenen Herstellern angebotenen „12/14-Konen“ für Kugelkopf und Hüftschaft wegen Fehlens einer exakten Konusdefinition (Norm) in vielen Details, die sicherheitsrelevant sind, unterscheiden. Aus diesem Grund erlischt die Produkthaftung bei Kombination mit Fremdprodukten. Produktbeipackzettel geben dazu nähere Auskunft.
3.1.8.2 Passgenauigkeit Nicht nur für Metallköpfe, sondern vor allem für keramische Kugelköpfe ist die Passgenauigkeit der Konusverbindung zwischen Schaft und Kugelkopf von äußerster Wichtigkeit. Maßgebend sind Konuswinkel, Durchmesser, Geradheit, Rundheit, Rauheit der Konusstruktur und die Kontaktlänge zwischen Kopf und Schaft. Hinzu kommen die Materialeigenschaften der Schaft-Kopf-Kombination, die beispielsweise statische und dynamische Testreihen zur Ermittlung der Berstlast beinhalten, um die Produktsicherheit zu gewährleisten. Ein nicht perfekter Sitz des Kugelkopfes auf dem Schaftkonus kann zu Korrosion in der Verbindung, Lockerung des Kopfes oder gar zum Bruch des Keramikkugelkopfes führen, die eine weitere Operation notwendig machen.
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3.1.9 Modulare Systeme In der nachfolgenden Betrachtung ist die Modularität zwischen Schaft und Kopf ausgeklammert. Modulare Systeme müssen gegenüber einteiligen Schäften wesentliche Vorteile aufweisen, um die entsprechend aufwendigen Bauweisen rechtfertigen zu können. Im Regelfall ist dies bei Schäften zur Primärversorgung in der Anwendung von minimal-invasiven Zugängen gegeben. Bei Revisionsschäften darf die modulare Bauweise, nebst guten einteiligen Lösungen, als Standard betrachtet werden.
3.1.9.1 Modulare Primärschäfte Bei den Primärschäften bieten sich modulare Steckhälse an. Der Vorteil liegt in der Entkoppelung der unterschiedlichen Aufgabenstellung zur primären Verankerung des Schaftstiels und der Rekonstruktion des biomechanischen Drehzentrums. Der modulare Hals steht als überbrückendes Bauteil zur Verfügung. Im Sinne eines Baukastens stehen Hälse zur Verfügung, die sowohl den Offset als auch die Höhe des Drehzentrums und damit auch die Beinlänge einstellbar machen. Als Einschränkung darf in den meisten Steckhalssystemen nur eine vorgegebene Kugelkopflänge verwendet werden. Damit wird der mechanischen Sicherheit Rechnung getragen und die Komplexität des Gesamtsystems in überschaubaren Grenzen gehalten. Es gilt, dem Interface von Steckhals und Schaft große Aufmerksamkeit zu schenken. Im Regelfall definiert sich die entsprechend konische Steckverbindung über einen Winkel von ca. 6°. Der Konuszapfen am Steckhals ist im Querschnitt längsoval oder als abgerundetes Rechteck ausgeführt. Der Querschnitt muss in der Lage sein, alle vom Steckhals ausgehenden Rotationsmomente sicher auf den Schaft zu übertragen. Der Konuszapfen selbst leitet alle Kräfte vom Steckhals in den Schaftkörper ein, mit geringstem Abrieb im Interface. Je nach gegebenem Schaftdesign kann es erforderlich sein, die proximale Schaft-Hals-Zone mit einem Wulst zu verstärken. Das erlaubt, hohe Spannungen, die naturgemäß in diesen Zonen auftreten, zu beherrschen. 3.1.9.2 Modulare Revisionsschäfte Bei Revisionsschäften ist die Modularität hauptsächlich zwischen distalen und proximalen Schaftkomponenten eingesetzt. Sie entkoppelt, in ähnlicher Weise wie bei Steckhälsen, die Aufgabe der Schaftverankerung von der Offsetrekonstruktion und Bein-
längenwiederherstellung. Dies ist konsequent, da ein distales Schaftelement vollständig und optimal verankert sowie ein proximales Element darauf aufgebaut werden kann. Diese Vorgehensweise wird über entsprechend gestaltete Instrumente ermöglicht. Die proximale Femurpräparation nimmt als Basis das bereits distal verankerte Implantat. Die proximalen Schaftkomponenten erlauben dann sowohl die Adaption an die Form des Femurs als auch die Rekonstruktion des Offsets, der Antetorsion und der Beinlänge. Als distale Schaftelemente stehen in der Regel gerade, kegelförmige mit Rippen oder zylindrische mit porösen Beschichtungen zur Wahl. Um die Rekonstruktion proximal zu bewerkstelligen, haben sich konische, zylindrische als auch Schaftelemente mit starker Ausladung in der Kalkarzone etabliert, um eine zusätzliche Abstützung zu gewährleisten. Modulare Revisionsschäfte sind, entgegen den Steckhalssystemen, in der Regel mit mehreren Kugelkopflängen kombinierbar. Bei modularen Systemen muss der zusätzlichen Verbindung besonders Rechnung getragen werden, damit sie kein zusätzliches Risiko darstellen.
3.2 Oberflächenersatz R. Willi
3.2.1 Prinzip Der Oberflächenersatz soll die Rekonstruktion der Gelenkfunktion – in der Wahrnehmung des Patienten – auf hohem funktionalem Niveau ermöglichen. Die Grundvoraussetzungen sind durch eine physiologische Krafteinleitung und große Kopfdurchmesser gegeben. Beides sind Elemente, die der vorgegebenen Anatomie stark Rechnung tragen. Demzufolge muss sich die Forderung nach dünnen Bauteilen, femur- wie azetabulumseitig, anschließen. Nach heutigem Stand sind im Regelfall die Pfannen zur zementfreien Anwendung und die Femurkappen als zementierte oder zementfreie Versionen gestaltet.
3.2.2 Gestaltung und Konzepte Unter Beachtung der erstgenannten Merkmale muss auch einer genügend großen Bewegungsfreiheit große Beachtung geschenkt werden.
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Abb. 3.13↜ (a) Resurfacing-Pfanne zur zementfreien Verankerung, im vorliegenden Beispiel als abgeflachtes hemisphärisches Design mit Zusatzelementen zur Verankerung im Bereich
des Äquators dargestellt. (b) Femurkappe zur zementierten Verankerung, als Version dargestellt mit Längsstift zur Führung des Implantats während der Implantation
Ein Oberflächenersatz muss daher die folgenden Anforderungen erfüllen: • Rekonstruktion des Drehzentrums, femurseitig mit Offsetkorrektur, • physiologische, proximale Krafteinleitung, • dünne Bauteile, im Bereich von ca. 3,5–4,5€ mm, zur Schonung der knöchernen Substanz, • große Kopfdurchmesser, von ca. 38–62€mm, • große Gelenkstabilität, • kein (knöchernes) Impingement, d.€h physiologisch korrekte Bewegungsfreiheit, • minimalster Abrieb (kein Verklemmen der Komponenten), • einfache, präzise Instrumentierung. Die geltende Regel, dass der Kopf- zum Halsdurchmesser 2:1 betragen soll, ist beim Oberflächenersatz nicht oder nur schwerlich zu realisieren, da das Verhältnis vom Schenkelhalsdurchmesser abhängig ist und dieser stellt eine unveränderbare Größe dar. Trotzdem muss ein physiologisch korrektes Verhältnis angestrebt werden. Pfanne als auch Femurkappe können durch entsprechende Gestaltung Unterstützung leisten. Die eine Möglichkeit besteht darin, die Pfanne mit einem Winkel von ca. 165°, anstelle von 180°, auszuführen. Damit wird der Anatomie azetabulumseitig Rechnung getragen. Wird diese Ausführungsform verfolgt, muss die Pfannenverankerung entsprechend mit zusätzlichen Makrostrukturen ergänzt werden, da nicht mehr eine klassische 180°-Pressfit-Konfiguration vorliegt. Pfannenzentrum und Pfannendrehzentrum decken sich, was verhindert, dass zusätzliche Momente auf die Pfannenverankerung einwirken (Abb.€3.13a). Eine weitere Möglichkeit, um genügend Bewegungsfreiheit zu gewährleisten, ist der Zentrumsversatz, angeordnet in der Hüftpfanne. Das heißt, das Pfannenzentrum, bezogen auf die Verankerungsflä-
165°
180° 165°
Abb. 3.14↜ Resurfacing-Konzepte 180° und 165°. Das Konzept mit 180° muss zum Erhalt von genügend Bewegungsfreiheit mit einem Zentrumsversatz (von Pfanneninnen- und -außengeometrie) und einer 165° Artikulationskonfiguration ausgeführt werden. Konzept 165° benötigt den Zentrumsversatz nicht, jedoch Zusatzelemente zur Verankerung
che, und das Pfannendrehzentrum, bezogen auf die Artikulation von Femurkappe und Pfanne, decken sich nicht mehr, sondern weisen eine entsprechend gewählte Distanz von ca. 2–4€ mm zueinander auf. Demzufolge wirken auf die Pfanne zusätzliche Momente, die durch die Pfannenverankerung kompensiert werden müssen (Abb.€ 3.14). Femurkappen existieren als zementierte Versionen mit und ohne
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Führungsbolzen. Zementfreie Ausführungen folgen dem Press-fit-Prinzip. In allen Ausführungsformen gilt es, die Femurkappe nicht länger als ca. 80€% des Kappendurchmessers zu gestalten. Damit wird im Regelfall ein Impingement (mit Fräser oder Implantat) mit dem Schenkelhals vermieden. Jüngste Entwicklungen zur femurseitigen Versorgung verfolgen auch die Kombination von Kappe und Schenkelhalsprothese. Die Konfiguration setzt sich zum Ziel, die knöcherne Verankerung im Verlauf der Zeit von proximal Richtung distal zu verlagern und daher den Substanzverlust zu verlangsamen und eine bessere Langzeitstabilität zu erreichen (Abb.€3.13b).
3.3 Hüftprothesenpfannen R. Willi
3.3.1 Zementierte Pfannen 3.3.1.1 Prinzip Zementierte Pfannen bilden zusammen mit dem Knochenzement als Implantat eine Einheit und erlauben praktisch die vollständige Belastung derselben unmittelbar nach der Implantation. Ermöglicht wird dies durch den Verbund zwischen Pfanne und Azetabulum oder Pfanne und Cage (Ring) mittels Knochenzement während der Implantation. 3.3.1.2 Gestaltung Konzeptionell ist die zementierte Pfanne in der Gestaltung so ausgelegt, dass sie Spannungsspitzen oder nicht tolerierbar hohe Spannungen im Knochenzement vermeidet, unabhängig von der Zementmanteldicke. Überbelastungen würden zum Fließen oder Brechen des Zementbetts führen. Dementsprechend finden sich harmonische, abgerundete Formen mit sanften Übergängen, frei von Kanten, Spitzen oder anderen Elementen, die den Dickenverlauf des Zementmantels nachteilig stören würden. Die einzementierte Pfanne überträgt Druckkräfte, Torsions- und Kippmomente in das Zementbett, analog zum modularen Inlay, fixiert in der Pfannenschale, das denselben mechanischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Dieser Betrachtungsweise folgend kann das Zementbett der zementierten Pfanne mit der Schale der zementfreien Pfanne gleichgesetzt werden.
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3.3.1.3 Konzepte Zementierte Pfannen sind als Flach- oder Vollprofilpfannen konzipiert. Mit oder ohne Kragen, der zur Abstützung und Verdichtung des Knochenzements dient. Zementierte Pfannen sind in der Regel hemisphärisch gestaltet. Knochenzement hat nicht die Funktion eines Klebstoffes, sondern die eines Platzhalters. Soll er seine bestmögliche Funktionalität entfalten, braucht er für eine zuverlässige dauerstabile Verankerung Formelemente wie z.€ B. Nuten und Vertiefungen, an die er sich anschmiegen bzw. sie umfassen kann. Die rückseitige Pfannenoberfläche wird daher im Regelfall mit konzentrisch angeordneten Nuten konzipiert. Zusätzlich verlaufen Nuten über den Pfannenpol, in die der Knochenzement einfließen und einen Formschluss bilden kann. Werden zementierte Pfannen mit Kragen gestaltet, ist zu berücksichtigen, dass die Kragenbreite höchstens der gewählten Dicke des Zementbettes entspricht. Damit ist sichergestellt, dass der Kragen nicht auf dem gefrästen Azetabulum aufsitzt. Kragen müssen als Spacer zum Einhalten der Zementdicke beitragen. Des Weiteren müssen sie das Entlüften und Entweichen von Knochenzement während des Implantationsvorgangs mittels 12 bis 16 Aussparungen, Bohrungen etc. ermöglichen. Die Aussparungen müssen genügend groß sein. Weitere Elemente zur Einhaltung der gewünschten Dicken des Zementbettes stellen Spacer dar. Diese werden aus PMMA gefertigt und auf der rückseitigen Pfannenoberfläche werkmontiert. Die Dicke des Zementbettes beträgt im Regelfall rund 2,5€mm oder mehr (Callaghan et€al. 2000; Kavanagh et€al. 1989; Schulte et€al. 1993; Abb.€3.15). 3.3.1.4 Röntgenkontrast Pfannen, die aus Polyäthylen gefertigt sind, sind auf Röntgenbildern nicht erkennbar. Eine Lagebeurteilung ist daher nur mit metallischen Zusatzelementen möglich. Diese können aus Kugeln oder Drähten bestehen. Es muss sichergestellt werden, dass sie eine räumliche Lagebeurteilung zulassen, d.€h., die Elemente müssen im Raum mindestens drei Punkte repräsentieren. Nur damit ist die Forderung erfüllbar. Die Röntgenmarker müssen werkseitig sicher in oder auf den Pfannen verankert werden. Sie müssen sowohl Transport wie Anwendung sicher standhalten. Marker in Form von Kugeln werden in die Polyethylen-Oberfläche eingelassen und mit Polyethylen-Stopfen z.€B. mittels Reibschweißen verschlossen. Drähte werden in halboffene Nuten an der Polyethylen-Oberfläche eingeschnappt.
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3.3.2.3 Konzepte Als Konzepte für unzementierte Pfannen sind zur Hauptsache Schraubpfannen und Press-fit-Pfannen bekannt.
Abb. 3.15↜ Zementierte Pfanne, am Beispiel gezeigt ein Design mit umlaufenden Nuten und Kragenelement zur Knochenzementverdichtung mit Nuten. Ebenso ist der Kontrastdraht ersichtlich
Dieser Verbindung muss der Reinigung und Sterilisation Rechnung tragen.
3.3.2 Zementfreie Pfannen 3.3.2.1 Prinzip Zementfreie Pfannen stellen durch ihre Design-Elemente, Oberflächen und Werkstoffe ein Konzept dar, das eine primäre und eine sekundäre Fixation ermöglichen muss. Die knöcherne Integration und Belastung des Implantats erfolgt daher in zwei Phasen. 3.3.2.2 Gestaltung Für die Gestaltung elementar sind einerseits alle Design-Elemente für die primäre Stabilität, Press-fit und die sekundäre Stabilität, bei der im Weiteren ein knöchernes Anwachsen oder Einwachsen in die Pfannenoberfläche berücksichtigt sein muss. Zum Erreichen der Primärstabilität hat sich das Press-fit-Prinzip bewährt, was, bezogen auf die zementfreie Pfanne, ein Einschlagen, Einschrauben oder Aufspreizen des Pfannenkörpers im Azetabulum bedeutet. Allen Prinzipen gemein ist die Zielsetzung einer möglichst äquatornahen, radial-sphärisch oder radial-konisch orientierten Krafteinleitung. Das heißt, im Regelfall ist ½ bis 2/3 der Pfannenhöhe ab Pfanneneintrittsebene gemessen; an der Krafteinleitung in das Azetabulum direkt beteiligt.
Schraubpfannen Im Regelfall sind Schraubpfannen modular ausgeführt. Als Bauweisen existieren konische, konisch-sphärische und hemisphärische Typen. Ebenfalls zu erwähnen sind die bikonischen und die parabolischen Typen. Funktional dürfen konisch-sphärische mit bikonischen und hemisphärische mit parabolischen Grundformen als artverwandt betrachtet werden (Delaunay und Kapandji 1998). Schraubpfannen mit konischen Grundkörpern sind in der Regel mit einem Winkel von rund 15° gestaltet. Auf den Grundkörpern angeordnet befindet sich ein eingängiges, selten zweigängiges, selbstschneidendes Gewinde. Alle Schraubpfannen zeichnen sich durch eine hohe Primärstabilität aus, bedingt durch die Gewinde, die sich verhältnismäßig tief in das knöcherne Lager, ohne Vorbearbeitung, einschneiden und die Geometrie der Pfannengrundkörper. Die sekundäre Stabilität wird aufgrund der großen, rau gestrahlten Oberfläche durch die knöcherne Integration erreicht. Das Azetabulum wird beim konischen, konischsphärischen als auch beim hemisphärischen Schraubpfannentyp auf die Außenmaße des Pfannengrundkörpers gefräst. Azetabulumfräser müssen entsprechend präzise gestaltet sein. Ein Vorschneiden der Gewinde ist nicht notwendig, da im Regelfall die Gewinde selbstschneidend sind. Die Form des Pfannengrundkörpers legt die Freiheitsgrade, unter denen die Pfanne zum Azetabulum eingedreht werden muss, fest. Das heißt, die konische Pfanne muss exakt der konischen Fräsung im Azetabulum folgen, um Spaltfrei festgedreht zu werden. Wobei der sphärischen oder parabolen Pfanne in etwa die gleiche Freiheit beim Eindrehen wie der sphärischen Press-fit-Pfanne beim Einschlagen zugestanden werden darf. Die Gefahr einer verkantet eingebrachten Pfanne besteht hier nicht. Das konisch gefräste Azetabulum legt daher beim konischen und konisch-sphärischen oder bikonischen Typ die Inklination und Anteversion, unter der die Pfanne eingedreht werden muss, exakt fest. Inklination und Anteversion können bei der Anwendung der sphärischen Schraubpfanne, im Verhältnis zum sphärisch gefrästen Azetabulum, nach Bedarf adaptiert werden. Konische Pfannen besitzen aufgrund ihrer geometrischen Form eine hohe Kippstabilität,
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sowohl als Pfanne im Azetabulum als auch als Inlay in der Pfanne. Sie folgen jedoch nicht der Azetabulumgeometrie wie die hemisphärische Schraubpfanne, die in der Kippstabilität geringer ausfällt, jedoch weniger knöcherne Substanz fordert. Dies gestattet den Erhalt der inneren Kortikalis am Azetabulum zur Stabilisierung der Pfanne. Als Zwischenweg darf daher die konisch-sphärische oder bikonische Pfanne gesehen werden. Sie behält die konische Grundform mit einem Winkel von ca. 15° über ca. 2/3 der Pfannenhöhe, verbunden mit hoher Kippstabilität, und kombiniert diese mit einem sphärischen oder konischen Übergang in den Pfannenboden für den Erhalt der knöchernen Strukturen. Damit kommt sie der Azetabulumgrundform entsprechend näher. Aufbauend auf den Pfannengrundkörpern sind die selbstschneidenden Gewinde angeordnet. In ihrer Grundfunktion müssen die Gewinde ein sicheres Eindrehen der Pfanne in das Azetabulum ermöglichen. Auf die Weise erfordert der Eindrehvorgang einerseits wenig Kraft bzw. Drehmoment, anderseits wird ein Überdrehen der Pfanne verhindert. Die Gestaltung des Gewindes hat maßgeblichen Einfluss auf die genannten Eigenschaften. Im Regelfall weisen Schraubpfannen ein eingängiges Gewinde mit einer Steigung von ca. 3,5–5€ mm auf. Als Umgänge können 3 bis 5 genannt werden. Drei Umgänge stellen ein gutes Minimum dar, um mechanische Stabilität unter Bedingungen an der Indikationsgrenze zu erreichen. Die Zahnhöhe beträgt ca. 2–3,5€ mm, verbunden mit einer Breite von ca. 0,7–1,3€mm. Als Gewindeprofile sind Spitz-, Sägezahn-, Flachund Rundgewinde bekannt, entsprechend auch Kombinationen der genannten Ausführungsformen. Im Regelfall finden sich heute Spitzgewinde, seltener Flachgewinde. Für die Kontrolle der Einschraubtiefe sind Schraubpfannen mit Bohrungen oder Öffnungen im Pfannenboden ausgerüstet, was ebenfalls eine knöcherne Hinterfütterung erlaubt. Die Durchbrüche werden nach Gebrauch direkt im Pfannenkörper mit entsprechenden Gegenstücken verschlossen oder mit Titanblechen am Inlay abgedeckt (Abb.€3.16). Press-fit-Pfannen Bezüglich Press-fit-Pfannen haben sich gestalterisch der rein hemisphärische und der abgeflachte sphärische Pfannentyp bewährt (Curtis et€ al. 1992; MacKenzie et€al. 1994; Latimer und Lachiewicz 1996; Berger et€al. 1997; Doehring et€al. 1996; Postak
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Abb. 3.16↜ Schraubpfannentypen, abgebildet von oben nach unten sind: konisches, konisch-sphärisches und sphärisches Design bzw. Pfannengrundkörper
et€al. 1992). Konzeptionell wird beim hemisphärischen Pfannentyp nominell mit einem ca. 2€ mm kleineren Fräser das Azetabulum bearbeitet. Beim abgeflachten sphärischen Pfannentyp wird nominell mit dem gleich großen Fräser gearbeitet. Wobei bei diesem Pfannentyp sowohl der Pfannenpol ca. 1€mm abgeflacht als auch der Pfannenäquator mit ca. 2€ mm Übermaß gestaltet ist. Beide Pfannentypen verfolgen dieselbe Press-fitVerankerungsstrategie, die fordert, dass gemessen ab Pfanneneintrittsebene idealerweise mindestens ½ der Pfannenhöhe radial am Press-fit beteiligt ist, je nach Oberfläche und Makrostrukturen als Kraft- oder Formschluss (Abb.€3.17). Die Gruppe der Press-fit-Pfannen lässt sich im Weiteren in niedrig flexible und höher flexible Konzepte unterteilen. Reintitan und hochfeste Ti-Legierungen weisen ein E-Modul von ca. 110.000€MPa auf, was der mehr oder weniger stark erwünschten Flexibilität der Pfanne und der physiologischen Krafteinleitung entgegenkommen kann, jedoch ein hohes Augenmerk auf das Vermeiden von Relativbewegungen an der Pfannen-Inlay Kontaktfläche erfordert. Unabhängig der gewählten Inlay-Verankerung, z.€B. konisch (Polymer, Metall, Keramik) oder sphärisch (Polymer). In der Pfanne muss das Interface so gestaltet sein, dass hohe
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Abb. 3.17↜ Biomechanisches Prinzip der Krafteinleitung, dargestellt an der sphärischen zementfreien Pfanne. Radial ist etwa die Hälfte der Pfannenhöhe ab Eintrittsebene an der Krafteinleitung beteiligt
mechanische Stabilität zwischen Pfanne und Inlay als Grundvoraussetzung gegeben ist. Das wiederum stellt sicher, dass die Verbindung nur geringen messbaren Abrieb erzeugt. Die Steifigkeit der weniger flexiblen Pfannen ist durch dickere Wandstärken der Pfannenschale und Inlay gegeben. Flexiblere Press-fit-Pfannen tragen dem Wunsch nach einer reduzierten Steifigkeit Rechnung, indem die Pfannenschalen z.€ B. Durchbrüche aufweisen, die ein „Einfedern“ derselben im Rahmen der Inlay-Steifigkeit ermöglichen. Press-fit-Pfannen lassen zusätzlich zur primären Verankerung die Option von Verschraubung mittels Spongiosaschrauben zu. Biomechanisch erfordert es die Gestaltung, die dazu notwendigen Bohrungen in den Pfannenkörpern in der Belastungsrichtung anzuordnen, im Bereich von ca. 35–55° ab Pfanneneintrittsebene gemessen. Die Durchbrüche für die Schrauben können in den Pfannenkörpern als reine Bohrung ausgeführt oder als Trichterbohrung gestaltet sein. Bei der Gestaltung von Trichtern muss festgelegt werden, ob diese im Azetabulum ohne instrumentelle Vorbereitung eingeschlagen werden können. Wenn nicht, müssen Vertiefungen für die Trichter im Azetabulum zusätzlich zur Fräsung des Pfannenlagers erstellt werden. Im Regelfall erlaubt die Form der Bohrung in Kombination mit kompatibler Schraube idealerweise einen Schwenkwinkel von ±â•›15°. Damit lässt sich die Aufgabenstellung, zur biomechanisch, anatomisch geforderten Richtung der Schraube ideal zu setzen, erleichtern, und zwar in relativer Unabhängigkeit zu der gesetzten Pfannenschale. Üblicherweise werden keine winkelstabilen Verschraubungen vorgesehen. Bei der Auslegung der Schraubendurch-
brüche muss dem Langzeitverhalten von Pfannenkörper zu Schraube Rechnung getragen werden, in dem zwischen Inlay und Schraubenkopf genug Freiraum vorhanden ist. Die Anzahl der Schraubendurchbrüche überlässt dem Operateur die Wahl der Verwendung. Werden keine Schrauben verwendet, lassen sich die Durchbrüche mit einzelnen Elementen verschließen. Damit wird, wie bei Pfannen ohne Schraubendurchbrüchen, verhindert, dass kleinste Mengen von Abrieb aus dem Inlay-Pfannen-Interface in das Implantatlager gelangen. Dasselbe lässt sich mit Pollochverschlüssen bei Pollöchern bzw. Gewindebohrungen am Pfannenpol erreichen, die für die Instrumentierung notwendig sind. In der Gruppe der Press-fit-Pfannen lassen sich als Untergruppe die Spreizpfannen einordnen. Spreizpfannenkonzepte arbeiten ebenfalls mit radialem Press-fit, der jedoch nicht durch reinen Kraftschluss, sondern durch Formschluss mittels Makrostrukturen, erzeugt wird. Die Handhabung der Spreizpfannen ist daher im Vergleich zu reinen Press-fit-Pfannen aufwendiger, da der Pfannenkörper zum Einsetzen in das Azetabulum auf ein Instrument aufgespannt und anschließend aufgespreizt werden muss. Die Spreizpfanne verbindet jedoch etliche Vorteile der Press-fit-Pfanne, wie geringeren Substanzverlust sowie hohe Kipp- und Rotationsstabilität, ähnlich den Schraubpfannen. Zudem ist die Revision einer Spreizpfanne in der Regel einfacher als die von Press-fit-Pfannen (Abb.€3.18).
3.3.2.4 Instrumentierung Ebenfalls allen Konzepten gemein ist die Verwendung von Instrumenten, die eine präzise, reproduzierbare Bearbeitung des Implantatlagers gestatten. Des Weite-
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Abb. 3.18↜ Spreizpfanne, die ebenfalls mit radialem Press-fit arbeitet, jedoch erzeugt mit Formschluss durch Makroelemente und nicht mit Kraftschluss wie bei sphärischen Press-fit-Pfannen üblich
ren müssen die Instrumente exakt auf die Gestaltung der zementfreien Pfanne abgestimmt sein, um die gewünschte Verankerung zu erreichen. Zudem müssen die verwendeten Oberflächen, z.€B. rau gestrahlt oder beschichtet, und Makroelemente entsprechend berücksichtigt werden, sowohl in der Funktion der Passform als auch der Festigkeit. Raue, poröse Oberflächen reduzieren die Festigkeit der Pfanne, herrührend von den Kerbfaktoren sowie von möglichen Gefügeumwandlungen in den verwendeten Ti-Legierungen, hervorgerufen durch den Wärmeeintrag beim Beschichten. Die Einbußen können bis zu 30€% der ursprünglichen Festigkeitswerte von hochfesten Ti-Legierungen betragen. Zu erwähnen ist, dass im Regelfall alle Beschichtungen unter Sauerstoffausschuss in Schutzgasatmosphäre zur Vermeidung von Materialversprödungen aufgebracht werden müssen. Auf die Abhandlung von zusätzlichen Beschichtungen zur Optimierung der knöchernen Integration des Implantats oder zur Unterdrückung von Infekten wird nicht eingegangen.
3.3.3 Modulare Systeme Modulare Systeme müssen gegenüber Monoblocksystemen wesentliche Vorteile aufweisen, um die entsprechend aufwendigen Bauweisen rechtfertigen zu können. Im Regelfall ist dies bei Pfannen zur Primärals auch Revisionsversorgung gegeben. Die Vorteile liegen in der Entkoppelung der Aufgabenstellung der primären Verankerung der Pfannenschale und Rekonstruktion des biomechanischen Drehzentrums. Das modulare Inlay steht als überbrückendes Bauteil zur Verfügung. Im Sinne des Baukastens existieren Inlays, die sowohl die Artikulation im
gewünschten tribologischen System als auch die Positionierung des Drehzentrums einstellbar machen. Als hauptsächliche Baumuster haben sich sphärisch oder konisch gestaltete Inlays bewährt (Abb.€3.19a, b). Sphärische Inlays sind im Regelfall als reine Polyethylen-Inlays (UHMW-PE) mit einer minimalen Wandstärke von ca. 5€mm oder als so genannte Sandwich-Inlays konzipiert. Wobei ein Polyethylenträger die Keramik- oder Metallschale, in der die Kugel artikuliert, aufnimmt. Sandwich-Inlays sind in der Regel werkmontiert. Bei sphärischen Inlays verankert daher immer der Polyethylen-Teil in der Pfannenschale, meist über eine Snap-fit-System-Konfiguration, die möglichst nahe an der Pfanneneintrittsebene angeordnet ist. Oftmals finden sich ebenfalls in dieser Zone Nocken-Nuten-Elemente zur Rotationssicherung des Inlays in der Pfannenschale. Die Anordnung hat zum Vorteil, dass die vom Inlay in die Pfannenschale einzuleitenden Torsions- und Kippmomente über die größten zur Verfügung stehenden Dimensionen abgestützt werden. Konische Inlays verankern über einen Konuswinkel von ca. 12–18° in der Pfannenschale, wobei glatte und strukturierte Konenflächen zum Einsatz gelangen. Die konisch gestaltete Partie zur Aufnahme des Inlays soll möglichst über die ganze Innenhöhe der Pfanne konzipiert werden. Das ergibt mehr konische Traglänge und reduziert die Spannungen, besonders in Keramik-Inlays, erheblich. Im Regelfall sind konische Inlays nicht in Sandwichbauweise ausgeführt, d.€ h. Polyethylen, Metall oder Keramik-Inlays verankern direkt in der Pfannenschale. Beide Ausführungsformen müssen so gestaltet sein, dass eine Demontage bei einer knöchern integrierten Pfanne möglich ist. Bei sphärischen Inlays ist dies im Regelfall durch ein Aushebeln aus der Pfannenschale möglich, bei konischen Inlays wird mit einem Impuls auf die Pfannenschale das Inlay gelöst.
3.3.4 Monoblocksysteme 3.3.4.1 Prinzip Monoblocksysteme haben sich als einfachere und kostengünstige Systeme bewährt. Wobei die Einsparungen durch den Wegfall der Modularität bei zementfreien Pfannen zu Lasten der Flexibilität und Möglichkeiten in der anatomisch geforderten Einstell-
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Abb. 3.19↜ (a) Querschnitte von sphärischen Inlays, die in ihrer Außengeometrie der sphärischen Pfannengrundform raumsparend folgen und mittels Snap-fit in der Pfannenschale befestigt werden. (b) Querschnitte konischer Inlays, die mittels Konusverbindung in der Pfannenschale befestigt werden
barkeit von Inklination, Anteversion und Pfannentiefe, bzw. Rekonstruktion des Drehzentrums gehen. Dies ist allerdings nicht so bei zementierten Pfannen.
3.3.4.2 Konzepte Implantate als Monoblocksysteme zu gestalten, bietet sich daher primär bei zementierten Hüftpfannen an. Gestaltet als reine Polyethylen-Pfannen oder in Sandwichbauweise, Polyethylen-Metall oder Polyethylen-Keramik-Monoblock, wobei das Polyethylen mit einer minimal geforderten Wandstärke von ca. 6€ mm, bei der reinen Polyethylen-Pfanne, praktisch bereits den Pfannenkörper darstellt oder im Fall der Sandwichbaumuster den Träger für die Metall- oder Keramiklaufschichten repräsentiert. Dank der Sandwichbauweise lassen sich seitens Hersteller auf kleinem Raum Metall- und Keramiklaufschichten in Polyethylenträgern verankern, ohne dabei die Wandstärken der Monoblockpfannen übermäßig ansteigen zu lassen. Die werkseitig anwendbaren Technologien erlauben ein Verpressen der Metall- oder Keramiklaufschalen mit dem Polyethylen unter hohem Druck und Temperatur. Dadurch fließt das Polyethylen in und um die Laufschichten und verbindet sich mit diesen mittels Formschluss sehr intensiv. Von der Gestaltung her muss sichergestellt werden, dass die Laufschichten gegen die auftretenden Kipp- und Torsionsmomente, ausgehend von der Artikulation, resistent sind. Die entsprechenden biomechanischen Überprüfungen werden auf dieselbe Art und Weise vorgenommen wie bei modularen Inlays in Pfannenschalen. Der Verzicht
auf die Modularität bei zementierten Monoblockpfannen wirkt sich auf die Einstellbarkeit der Inklination, Anteversion und Pfannentiefe dank der notwendigen Verwendung des Knochenzements nicht nachteilig aus. Der Knochenzement repräsentiert konzeptionell die Pfannenschale der unzementierten Pfanne. Dementsprechend kann die zementierte Pfanne relativ frei im Knochenzement positioniert werden (Abb.€3.20a). Weitere Ansätze zu Monoblocksystemen sind gegeben bei der Anforderung, möglichst dünnwandige Komponenten zu verwirklichen, z.€ B. für den Oberflächenersatz, die mehrere Funktionen in sich vereinen müssen wie z.€ B. zementfreie Verankerung, Makrostrukturen zur Stabilisierung der Implantate, porös-offen-porige Beschichtungen zur knöchernen Integration, Steifigkeit zum Schutz der Artikulation, Artikulationsflächen mit minimalem Spiel zur Gleitpaarung etc. Modulare Pfannen für den Oberflächenersatz würden daher mit ca. 6–7€mm gesamthaft zu dick ausfallen, würde man versuchen, alle Forderungen zu erfüllen. Die modularen Komponenten müssten in sich eine minimale Eigensteifigkeit, d.€h. minimale Wandstärke mit sich bringen, um formbeständig und im OPFeld dank konischem Interface montierbar zu sein. Die idealere Lösung ist daher ein Monoblock mit ca. 4€mm Wandstärke, der eine CoCr-Legierung für Metall-Metall-Anwendung als Basis aufweist, versehen mit einer porösen Beschichtung zum knöchernen An- oder Einwachsen, kombiniert mit Makrostrukturen zur Unterstützung der Stabilität der Verankerung. Aufgrund der Tatsache, dass zementfreie Pfannen direkt im Azetabu-
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Abb. 3.20↜ (a) Querschnitt einer zementierten Pfanne. Das Beispiel zeigt die weit verbreiteten umlaufenden Nuten. Diese erlauben Formschluss mit dem Knochenzement und in Folge dessen hohe Kipp- und Rotationsstabilität. (b) Querschnitt einer
zementfreien Monoblock-Pfanne, typischerweise in der Wandstärke dünn gehalten, um ein vorteilhaftes Verhältnis zwischen Innen- und Außendurchmesser zu erreichen. Sehr wichtig z.€B. bei Oberflächenersatzimplantaten
lum verankert werden, muss im Sinne der idealen Positionierung zwischen Verankerung und Gelenkstabilität abgewogen werden. Hilfreich ist daher die Verwendung von großen Köpfen, die konzeptionell bei zementfreien Monoblockpfannen gefordert sind (Abb.€3.20b). Im Falle einer Revision entfällt der Vorteil einer separaten Inlay-Demontage, wie von modularen Systemen her bekannt. Die ganze zementfreie Monoblockpfanne muss mit Hilfe von geeignetem Instrumentarium, z.€B. Bogenmeißel, ausgebaut werden.
Die minimale Zementdicke ist elementar, da Knochenzement nicht als Klebstoff (Kraftschluss), sondern von seiner Form her als Verbindungselement funktioniert (Formschluss). Das heißt, der Zement muss genügend Elemente, z.€B. Schraubenköpfe, Nuten, Vertiefungen, Bohrungen etc. vorfinden, um dauerstabil verankert zu werden. Eine minimale Wandstärke reduziert zudem den Kaltfluss des Zements stark. Des Weiteren verblockt der Knochenzement die Schraubenköpfe so, dass winkelstabile Verschraubungen entstehen. In unterschiedlichem Ausmaß müssen Cages und Ringe dem Azetabulum bzw. Becken anpassbar sein. Der Anforderung wird durch eine ca. 2€mm dünnwandige Gestaltung der Implantate, die dadurch entsprechend verformbar sind, Rechnung getragen. Die Anpassung der Ring- oder Cage-Grundform wird mit Hilfe von Biegeinstrumenten unterstützt. Die Erhaltung der exakten inneren Passform, wie bei Pfannen zur Aufnahme von modularen Inlays, ist bei Ringen und Cages nicht erforderlich. Der Knochenzement gleicht Abweichungen zwischen Cage bzw. Ring und PEPfanne aus. In Abhängigkeit der zu versorgenden Defekte sind Pfannendachschalen mit und ohne Haken und Stützschalen bekannt. Bei allen Typen kann praktisch nicht mehr nur mit einer Press-fit-Verankerung gearbeitet, resp. gestaltet werden. Je größer der zu überbrückende Defekt, desto mehr müssen zusätzliche, biomechanisch richtige, frei wählbare Verschraubungen konzipiert werden. Allen Cages und Ringen gemein ist im Weiteren eine mehr oder weniger große Öffnung im Boden des Implantats, um Unter- und Hinterfütterungen zu ermöglichen.
3.3.5 Cages/Revisionspfannen 3.3.5.1 Prinzip Cages und Ringe kommen als Überbrückungselemente oder Stützschalen bei wenig bis stark zerstörtem Knochenstock im Bereich des Azetabulum zum Einsatz. In vorliegender Implantatgruppe sind die Aufgabenstellungen zur optimalen Orientierung der Inklination und Anteversion sowie Fixierung des Cages oder Ringes von der Rekonstruktion der artikulierenden Lauffläche entkoppelt. Die verwendete PE-Pfanne kann ebenfalls bezüglich Inklination und Antetorsion relativ frei positioniert werden. Der sandwichartige konzeptionelle Aufbau erlaubt damit auch die Versorgung von anspruchsvollsten Fällen. Die Cages und Ringe sind im Regelfall für eine zementfreie Anwendung konzipiert, in die eine Pfanne einzementiert wird. Dies erlaubt daher auch eine Einstellung der PE-Pfannenpositionierung in der Tiefe, wobei die Zementschicht zwischen Cage und PE-Pfanne entsprechend dick ausfällt. 3.3.5.2 Gestaltung Eine minimale Zementschichtstärke kommt dank den Schraubenköpfen in praktisch jedem Fall zustande.
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3.3.5.3 Pfannendachschalen Pfannendachschalen sind dem anatomischen Pfannendach nachgebildet und verstärken daher hauptsächlich den Belastungsbereich im Hüftgelenk. Die Gestaltung der Pfannen muss die mediokaudale und kraniodorsale Abstützung ermöglichen. Zur Unterstützung der leichten Press-fit-Verankerung besitzen Pfannendachschalen bis zu 12 Durchbrüche in der Schale um Spongiosaschrauben positionieren zu können. Rund zwei Drittel der Durchbrüche befinden sich im Pfannengrundkörper und ca. ein Drittel im Flansch, der kranial orientiert wird. Die im Regelfall 3 bis 5 verwendeten, kompatiblen Spongiosaschrauben müssen durch die Gestaltung der Durchbrüche einen Schwenkwinkel von ±â•›15° ermöglichen, was das Setzen der Schrauben erleichtert. Dennoch muss so viel Materialreserve vorhanden sein, dass die Schraubenköpfe nicht durch die Durchbrüche hindurch gedreht werden können. Dies gilt es entsprechend zu berücksichtigen, vor allem bei der Gestaltung von kleinen Trichtern an den Durchbrüchen, die als Makroelemente die Schale im Becken zusätzlich stabilisieren. Die Durchbrüche ihrerseits sind so angeordnet, dass sie dem Operateur Verschraubungen in die Richtung von tragfähigem Knochenstock ermöglichen idealerweise in Belastungsrichtung (Zehntner und Ganz 1994; Haentjens et€al. 1993; Gurtner et€al. 1993), d.€h. annäherungsweise vom Zentrum des Hüftgelenks zum Zentrum des Iliosakralgelenks. Pfannendachschalen mit Haken Pfannendachschalen mit Haken können dank dem Element zusätzliche Stabilität erzielen. Wobei der Haken in die Incisura acetabuli (Tränenfigur) eingehängt wird. Diese ist auch bei größeren Defekten praktisch immer vorhanden. Die Vorgehensweise kommt auch der anatomisch korrekten Ausrichtung entgegen. Entsprechend muss der Haken in seinen Dimensionen gestaltet sein. Zur Erweiterung des Indikationsspektrums wird bei Pfannendachschalen mit Haken der kranial orientierte Flansch, im Verhältnis zum Pfannenkörper, zuweilen auch nebst den Originalabmessungen länger gestaltet, um superiore Segmentdefekte zu versorgen. Das hat zur Folge, dass rund die Hälfte der Durchbrüche für die Spongiosaschrauben im Pfannenkörper und die Hälfte im Flansch angeordnet sind. Total stehen dann üblicherweise ca. 16 Durchbrüche für Schrauben zur Verfügung, wovon sich ca. 3 bis 5 im verlängerten
67 Abb. 3.21↜ Pfannendachschale, dargestellt in typischer dünnwandigen Bauweise; für leichte Defekte
Flansch befinden. Biomechanisch wird bei der Pfannendachschale mit Haken eine gute Stabilität durch die Kombination von Haken und Verschraubungen erreicht (Abb.€3.21 und 3.22).
3.3.5.4 Stützschalen Stützschalen sind in der Lage, abermals größere kavitäre oder segmentale Azetabulumdefekte zu überbrücken als Pfannendachschalen. Aufgrund ihrer erweiterten anatomischen Anpassung an das Becken machen es Stützschalen erforderlich, als linke und rechte Versionen gestaltet zu werden, im Gegensatz zu Pfannendachschalen, die im Regelfall symmetrisch konzipiert werden. Die Abstützung und Fixation der Stützschalen erfolgt durch die Impaktierung der kaudalen Laschen in das Os ischii im Verbund mit zusätzlichen Verschraubungen durch den Pfannenkörper und die kranial ausgerichtete Lasche, in Richtung des Os ilium. Stützschalen weisen bis zu 18 Durchbrüche zum Setzen von kompatiblen Spongiosaschrauben auf, wobei die Durchbrüche im Pfannenkörper auf eine Verschraubung in der Belastungsrichtung abzielen. Durch Verschraubungen in der Lasche kann diese zusätzlich mechanische Stabilität erzeugen. Stützschalen müssen in ihrer Gestaltung die Winkelstellungen mit ihren kaudalen und kranialen Laschen der Beckenanatomie entsprechen. Dadurch wird die finale Anpassung der Stützschale mittels Biegewerkzeugen erleichtert. Des Weiteren soll der Pfannenrand kranial zusammen mit der Lasche großflächig gestaltet sein. Eine gute Implantatabstützung wird dadurch gewährleistet. Der Rand soll jedoch posterior schmal ausgeführt werden,
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68 Abb. 3.22↜ Pfannendachschale mit Haken, aufbauend auf der Pfannendachgrundform mit Haken zur zusätzlichen Verankerung in der Tränenfigur
um den intakten Knochenstock am Azetabulumrand zu schonen. Es muss beachtet werden, dass die Anzahl Biegevorgänge zur Anpassung der Pfannen- und Stützschalen sehr klein gehalten werden muss. Zu häufiges Hin- und Her-Biegen der Titanlaschen kann zur Versprödung derselben und zu Mikrorissen führen, die sich nachteilig auf die Lebensdauer der Implantate auswirken können (Gill et€al. 1998; Van der Linde und Torino 2001; Wachtl et€al. 2000; Abb.€3.23).
3.4 M aterialien und Oberflächengestaltung
Abb. 3.23↜ Stützschale für große Defekte mit zusätzlichen Laschen für Verschraubungen
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3.4.2 Zementfreie Schäfte
3.4.1 Zementierte Schäfte
Allen Konzepten gemein ist die Verwendung von hochfesten Ti-Legierungen (TiAlVa, TiAlNb), im Regelfall mit grob gestrahlten Oberflächen, Makrostrukturen, geschlossen- oder offenporigen Beschichtungen. Hochbeanspruchte Partien, z.€ B. Schulter und Hals, sind fein gestrahlt und im Idealfall dadurch zusätzlich verdichtet.
Als Werkstoffe für zementierte Schäfte haben sich sowohl CoCr- (CoNiCrMo) als auch Fe-Legierungen (FeCrNiMnMoNbN) bewährt. Die Legierungen bringen ein hohes E-Modul von ca. 220.000€MPa mit sich und damit verbunden eine relativ hohe Steifigkeit. Die wiederum hilft den PMMA Zementköcher vor dem Fließen und das Schaft-Zement-Interface vor Mikrobewegung zu schützen. Des Weiteren besitzen die genannten Werkstoffe hohe Abriebfestigkeit gegenüber dem Knochenzement bzw. seinen Röntgenkontrastmitteln z.€ B. Zirkonium. Die Oberflächen sind entweder poliert oder fein gestrahlt.
3.4.3 Oberflächenersatz Allen Konzepten gemein ist die Verwendung von hochfesten CoCr-Legierungen (CoCrMoC), sowohl für die
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Pfannen als auch für die Femurkappen, im Regelfall mit Makrostrukturen, geschlossen- oder offenporigen Beschichtungen.
3.4.4 Hüftprothesenpfannen 3.4.4.1 Zementierte Pfannen Als Werkstoffe für zementierte Pfannen hat sich Polyethylen (UHMW-PE) bewährt. Die minimale Dicke soll ca. 6€mm betragen. Die Oberflächen sind mechanisch blank. Es finden sich auch Typen, an denen die rückseitige Pfannenoberfläche grob gestrahlt ist. Diese Maßnahme kann die innige Verankerung der Pfanne im Knochenzement zusätzlich verbessern. Um dies zu erreichen, sind ebenfalls Baumuster bekannt, die auf der Pfannenrückseite metallische Gitterlagen eingebettet haben, in die der Knochenzement einfließen kann, was einen intensiven mechanischen Verbund ermöglicht. 3.4.4.2 Zementfreie Pfannen Schraubpfannen╇ Schraubpfannen sind für zementfreie Anwendung ausgelegt. Als Werkstoffe haben sich Reintitan (CP-Titanium) und Titanlegierungen (TiAlVa, TiAlNb), je nach biomechanischer Beanspruchung, bewährt. Die Oberflächen zum knöchernen Anwachsen sind rau gestrahlt. Press-fit-Pfannen Press-fit-Pfannen sind im Regelfall für zementfreie Anwendung ausgelegt. Als Werkstoffe haben sich Reintitan (CP-Titanium) und Titanlegierungen (TiAlVa, TiAlNb), je nach biomechanischer Beanspruchung, bewährt, wobei Oberflächen zum knöchernen Anwachsen als auch Einwachsen zur Verfügung stehen. Zementfreie Prothesenoberflächen, die in Kontakt mit alten Knochen für eine gute Verankerung sorgen sollen, sind im Regelfall mit grob gestrahlten Oberflächen, Makrostrukturen, geschlossen- oder offenporigen Beschichtungen zur knöchernen Integration versehen. Innen liegende Partien und Zonen zur Aufnahme von Inlays oder Schraubenköpfen sind fein gestrahlt und dadurch zusätzlich verdichtet oder in einer Satin-Oberfläche ausgeführt. Die Oberflächen von zementierten Prothesen sind in der Regel poliert oder fein gestrahlt.
Abb. 3.24↜ McKee-Metall-Metall-Prothese mit einem Kopfdurchmesser von 1,5625€Inches (39,7€mm)
Revisionspfannen Als Werkstoff hat sich Reintitan (CP-Titanium) bewährt, wobei üblicherweise außen an den Cages und Ringen rau gestrahlte Oberflächen zum knöchernen Anwachsen zur Verfügung stehen. Innenseitig sind die Cages und Ringe fein gestrahlt, mit zusätzlicher Oberflächenverdichtung, oder besitzen einen Satin-Finish.
3.5 Tribologie C. Rieker Mitte der fünfziger Jahre versuchte man bei der Entwicklung von Hüftprothesen in England, dem Durchmesser des natürlichen Femurkopfes möglichst nahe zu kommen, um die Gelenkstabilität und den Bewegungsumfang zu optimieren. Die ersten Gelenkpaarungen, entwickelt von britischen und Schweizer Orthopäden (McKee, Ring, Scales, Huggler und Müller), waren mehrheitlich Metall-Metall-Paarungen und wiesen Kopfdurchmesser zwischen 32 und 42€mm auf (Amstutz und Grigoris 1996; Abb.€3.24). Erste Versuche mit Kunststoffen in Frankreich und England wurden ebenfalls anhand von großen Durch-
70 Abb. 3.25↜ Zementierter Schaft mit kleinem Kopfdurchmesser von 22,2€mm
C. Rieker
jedoch langsam von den Metall-Metall-Artikulationen mit großem Durchmesser aufgrund des anfänglichen Erfolgs mit Charnleys Low-Friction-Prothesen und der aufkommenden Zweifel an Metall-Metall-Paarungen ab (Amstutz und Grigoris 1996): • frühes Versagen aufgrund mangelnder Präzision bei der Herstellung (höheres Reibmoment/massiver Metallabrieb), • Karzinogenese, • Überempfindlichkeit auf Metall, • erhöhte Belastung des periprothetischen Knochens. Nach dem Verschwinden der Metall-Metall-Artikulationen vom Markt Mitte der siebziger Jahre wurden UHMWPE-Metall-Paarungen die generell verwendeten Artikulationspartner für Totalhüftprothesen.
3.5.1 A rtikulationen mit konventionellem Polyethylen messern unternommen (Mumenthaler 1992). Die Gebrüder Judet entwickelten 1946 eine Prothese aus Polymethyl-Metacrylat (PMMA) mit kurzem Kopf und einem anatomischen Kopfdurchmesser. Mit seiner Doppelpfanne aus Polytetrafluorethylen (PTFE) ahmte auch Sir John Charnley 1958 den Durchmesser des natürlichen Gelenkkopfes nach (Waugh 1990). Da diese Doppelpfanne bereits nach kurzer Zeit unbefriedigende Resultate aufwies, verwendete Charnley bei seinem 2.€Versuch einen Austin-Moore- oder Thompson-Schaft (Kopfdurchmesser: 41€mm), kombiniert mit einer PTFE-Azetabulumkomponente, die mit Knochenzement verankert wurde (Abb.€ 3.25). Um Reibung zu vermeiden, reduzierte Charnley schrittweise den Artikulationsdurchmesser auf 22,2€mm. Diese Lösung erwies sich kurzfristig als vielversprechend, aber aufgrund von PTFE-Verschleiß (Waugh 1990) versagte sie nach weniger als 3 Jahren. Die Entwicklung von UHMWPE („ultra-high molecular weight polyethylene“) resultierte in einer höheren Verschleißfestigkeit der Artikulationsflächen und ermöglichte 1962 die Einführung von Charnleys „low friction arthroplasty“, einem Prothesenkonzept mit minimaler Reibung. Diese beiden Arthroplastiken (Metall-MetallArtikulation mit großem Durchmesser und MetallUHMWPE-Artikulation mit kleinem Durchmesser) wurden beide in den späten sechziger Jahren kommerziell vertrieben. Mitte der siebziger Jahre kam man
Das „Low-friction“-Konzept von Charnley setzte sich aus einem Monobloc-Schaft aus rostfreiem 316€ L-Stahl (1,4435) mit 22,2-mm-Kopf und einer zementierten Pfanne aus UHMWPE zusammen. Aufgrund seiner mechanischen Einschränkungen wurde der rostfreie 316€L-Stahl in den siebziger und achtziger Jahren zunehmend von Kobalt-Chrom-Guss- oder Schmiedelegierungen oder von rostfreiem Stahl mit hohem Stickstoffgehalt abgelöst (Semlitsch 1989). Basierend auf dem mathematischen Modell von Archard (1953) mit: • Q: Verschleißvolumen insgesamt per bewegte Distanzeinheit • K: Verschleißkoeffizient • W: Normallast • H: Härte ergibt sich, dass die Verschleißfestigkeit von UHMWPE stark von der Härte des Kopfes beeinflusst wird. Im Bestreben, den UHMWPE-Verschleiß auf ein Minimum zu reduzieren, wurden deshalb Anfang der siebziger Jahre Keramikköpfe aus Alumina (Al2O3) entwickelt; die Erstimplantation erfolgte 1974 (Semlitsch et€ al. 1977). Aufgrund zahlreicher Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Korngröße und der Porosität von Alumina-Keramik war die klinische Bruchrate dieser Alumina-Keramikköpfe unzulässig hoch und führte Anfang der achtziger Jahre zur Entwicklung von Zirconia (ZrO2; Cales 2000). Gleichzeitig wurden bedeutende qualitative Verbesserungen
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bei den in der Orthopädie verwendeten Alumina-Keramiken erzielt. Herstellung im HIP-(„hot isostatic pressing“-)Verfahren, Laserbeschriftung und 100€ % Prüfung aller Köpfe resultierten in einer Reduzierung auf ca. 1:8000 der erfassten klinischen Brüche moderner Alumina-Köpfe (Zimmer, data on file). Als Folge eines Problems beim Sinterverfahren, das 2001 mehrere Lose von Zirkonia-Köpfen des größten Herstellers betraf, sind Zirkonia-Köpfe praktisch aus der Orthopädie verschwunden. Die Qualität von konventionellem UHMWPE wurde in den achtziger und neunziger Jahren durch folgende Modifikationen verbessert: • Eliminierung des Kalziumstearats, das dem Pulver des rohen UHMWPE zum Schutz der Werkzeuge im Herstellungsprozess beigegeben wurde. Diese Eliminierung resultierte in einem homogenen UHMWPE mit verbesserten Verschleißeigenschaften (Schmidt und Hamilton 1996); • Verbesserung des Formpressprozesses, wodurch Fusionsdefekte ausgemerzt und die Verschleißeigenschaften verbessert werden (Poggie et€ al. 1998); • Sterilisation durch ionisierende Strahlung in inerter Umgebung. Dadurch wird das Oxidationspotential von UHMWPE auf ein Minimum und die Versprödung in vivo bedeutend reduziert (Streicher 1989). Das Abriebvolumen von Artikulationen aus konventionellem UHMWPE wurde von einer Vielzahl von Autoren untersucht. Viele Autoren stimmten der historischen Analyse von M. Semlitsch aus den neunziger Jahren zu (Semlitsch und Willert 1997), die folgende Schlüsse zog: • Bei Metall-UHMWPE-Artikulationen bewegt sich der ermittelte Penetrationsgrad in 80€ % der Fälle zwischen 100 und 300€µm pro Jahr. Ein Mittelwert von 200€ µm pro Jahr wird für Metall-UHMWPEPaarungen generell akzeptiert. • Bei Keramik-UHMWPE-Artikulationen bewegt sich der ermittelte Penetrationsgrad zu 100€% zwischen 20 und 200€µm pro Jahr. Ein Mittelwert von 100€ µm pro Jahr wird für Keramik-UHMWPEPaarungen generell akzeptiert. Die sich stark unterscheidenden Resultate können durch zahlreiche Faktoren erklärt werden; so können sie z.€B. abhängig sein von der Qualität des konventionellen UHMWPE, der Aktivität des Patienten, des Gewichts des Patienten und der Lage/Ausrichtung der Prothesenkomponenten.
71
3.5.2 P aarungen mit hochvernetztem Polyethylen Auf die Bemühungen, den Verschleiß von UHMWPE mit der Einführung von Keramikköpfen zu reduzieren, folgten in den späten siebziger und Anfang der achtziger Jahre zahlreiche Versuche, konventionelles UHMWPE physisch oder chemisch zu verändern, um seine eigentliche Verschleißfestigkeit zu verbessern. Zwei der Hauptstoßrichtungen waren: • Mit Fasern verstärktes UHMWPE: Ein Beispiel hierfür war das von Zimmer in den späten siebziger Jahren entwickelte „Poly Two“, das auf der Einführung von karbonfaserverstärktem Kunststoff basierte. Obwohl dieses Material erhöhten Kriechwiderstand aufwies, war die Verbindung zwischen Matrix und Fasern ungenügend, um erfolgreiche klinische Resultate zu gewährleisten (Legenstein et€al. 2007). • UHMWPE mit erhöhter Kristallinität: Ein Beispiel hierfür war das von DePuy in den achtziger Jahren entwickelte „Hylamer“. Dieses Polyethylen verfügte über ausgezeichnete mechanische Eigenschaften, aber seine klinischen Resultate fielen aufgrund des niedrigen Oxidationswiderstands schlecht aus (Sychterz et€al. 2004). Leider resultierten diese Versuche im Allgemeinen nicht in einer Verbesserung des Verschleißverhaltens von UHMWPE. Mitte der neunziger Jahre gelang mit der Einführung von hochvernetztem Polyethylen ein Durchbruch bezüglich der verbesserten Verschleißfestigkeit von UHMWPE (McKellop et€al. 1999). Das Vernetzen von Polyethylen ist ein Prozess, bei dem durch Strahlung chemische Verbindungen zwischen benachbarten Polyethylenketten kreiert werden (mittels Gamma- oder Elektronenstrahlen). Daraus resultiert eine verbesserte dreidimensionale Struktur mit höherer Verschleißfestigkeit. Diese hohe Verschleißfestigkeit wurde von zahlreichen Gruppen durch Labortests untermauert (Muratoglu et€ al. 2001; Abb.€ 3.26). Diese Verbesserung wurde auch anhand von Simulatorstudien belegt, die aufzeigen, dass die Abriebrate nun praktisch unabhängig vom Kopfdurchmesser ist (Harris und Muratoglu 2005; Abb.€ 3.27) Diese Unabhängigkeit zwischen Kopfgröße und Abriebverhalten ermöglicht die Verwendung großer Prothesenköpfe zur Verbesserung von Stabilität und Bewegungsumfang. Seit Ende der neunziger Jahre sind verschiedene Typen hochvernetzter Polyethylenmaterialien kom-
C. Rieker
72 Abb. 3.26↜ Von der Bestrahlungsdosis abhängige, zweifach verminderte Abriebraten, die durch Material-Screening-Tests ermittelt wurden
Konventionelle UHMWPEs
Abriebrate [mg / 106 Zyklen]
12 Warme Bestrahlung
10
Hochvemetzte UHMWPEs
8
Kalte Bestrahlung
6 4 2 0
0
20
40
60
80
100
120
140
160
Bestrahlungsdosis [kGy] –500
Abb. 3.27↜ Nachweis von der Unabhängigkeit der Abriebrate durch den Kopfdurchmesser in Simulatorstudien nach Verwendung von hochvernetztem Polyethylen
Hochvernetztes PE - 28 mm Konventionelles PE - 28 mm
–400
Hochvernetztes PE - 32 mm Konventionelles PE - 32 mm
Abrieb [mg]
–300 –200 –100
0
Zyklen [Millionen] 0
5
10
15
20
25
30
100
merziell erhältlich. Publizierte klinische Studien, die traditionelle (Gamma-Sterilisation in Sauerstoffatmosphäre) oder konventionelle (Gamma-Sterilisation in inerter Atmosphäre) Polyethylene mit hochvernetzten Polyethylenmaterialien vergleichen, haben eine deutliche Reduktion der Kopfpenetration zugunsten von hochvernetztem Polyethylen ergeben (Tab.€3.1).
3.5.3 Metall-Metall-Paarungen Basierend auf den ausgezeichneten Resultaten einiger Metall-Metall-Prothesen der ersten Generation wurden Versuche unternommen, die Metall-Metall-Ar-
tikulation erneut zu evaluieren. Dies führte 1988 zur Einführung einer zweiten Generation von Metall-Metall-Paarungen (Metasul™, Zimmer GmbH, Winterthur, Schweiz) durch Weber (Weber und Rieker 2002). Die Metasul-Metall-Metall-Paarung wurde 1992 für den Verkauf in Europa freigegeben und im August 1999 von der FDA genehmigt. Seit November 1988 wurden weltweit mehr als 330.000 Metasul-MetallMetall-Paarungen verkauft. Heute gibt es im Gebiet der Orthopädie weltweit ca. 10 Hersteller, die MetallMetall-Paarungen für die Verwendung in der Totaloder Resurfacing-Hüftarthroplastik anbieten, aber diese Paarungen variieren hinsichtlich Herstellungsprozess und Kohlenstoffgehalt.
3â•… Implantate
73
Tab. 3.1↜╇ Studien zur Untersuchung der Reduktion des Abriebs durch unterschiedliche Behandlungen des Polyethylens Autoren
Polyethylen
Auswertung
Resultate
Digas et€al. (2004)
Durasul/Longevity Gamma-Stickstoff Durasul/Longevity Gamma-Sauerstoff Durasul Gamma-Stickstoff Durasul Gamma-Sauerstoff Crossfire Gamma-Stickstoff Crossfire Gamma-Sauerstoff Gamma-Stickstoff Crossfire Gammy-Sauerstoff Marathon Enduron Marathon Gamma-Sauerstoff Marathon Enduron Durasul Sulene
RSA
40–60€% Reduktion der Penetration 0,012€mm/Jahr 0,176€mm/Jahr 0,192€mm 0,320€mm 0,025€mm/Jahr 0,144€mm/Jahr 0,030€mm 0,156€mm 0,030€mm 0,156€mm 0,138€mm 0,055€mm/Jahr 0,138€mm/Jahr 0,020€mm/Jahr 0,180€mm/Jahr 0,020€mm/Jahr 0,130€mm/Jahr 0,010€mm/Jahr 0,190€mm/Jahr 0,025€mm/Jahr 0,106€mm/Jahr
Manning et€al. (2005) Dorr et€al. (2005) Bragdon et€al. (2006) Martell et€al. (2003) Rohrl et€al. (2005)
D’Antonio et€al. (2005) Hopper et€al. (2003) Heisel et€al. (2004) Engh et€al. (2006) Triclot et€al. (2007)
Die Analyse explantierter Metasul™-Artikulationen (Rieker et€ al. 2004) zeigte hohe Verschleißfestigkeit mit folgenden linearen Abriebraten (gesamte Artikulation, Abb.€3.28): • 1. Jahr: 27,8€µm/Jahr, • nach dem 2. Jahr: 6,2€µm/Jahr Sogar mit dieser hohen Verschleißfestigkeit weisen Patienten mit einer Metall-Metall-Paarung eine leicht höhere Konzentration von Kobalt und Chrom im Blut oder Serum auf. Diese Konzentrationen bewegen sich typischerweise in der Bandbreite von 0,5–3,0€ µg/l. Bisher wurde keine kausale Verbindung zwischen Metall-Metall-Implantaten, erhöhten Ionenwerten und daraus resultierender Entstehung von Krebs oder anderen medizinischen Krankheiten nachgewiesen (MacDonald 2004). Lediglich Überempfindlichkeitsreaktionen, die in Zusammenhang mit allen metallischen Implantaten aus Kobalt-Chrom-Legierungen beobachtet werden, bilden eine Ausnahme (Willert et€al. 2005). Solche Überempfindlichkeitsreaktionen sind sowohl bei Metall-Metall-Paarungen als auch bei Totalknieprothesen diagnostiziert worden (Willert
Martell Dorr Martell Martell Martell
Ramakrishnan Sychterz Martell Martell Martell
et€ al. 2005). Die folgenden Symptome sind ein typischer Hinweis für eine solche Reaktion (Lohmann et€al. 2007): • Schmerz im Oberschenkel oder in der Leistengegend, • Knacken, • rezidive Instabilität. Diese Reaktionen werden typischerweise nach 1 bis 5 Jahren postoperativ beobachtet. Leider folgen radiologische Beobachtungen keinem spezifischen Muster. Osteolysen im proximalen Femur oder im Bereich des Azetabulum können, müssen aber nicht auftreten (Lohmann et€ al. 2007). Die Häufigkeit dieser Reaktionen ist schwierig einzuschätzen. Gemäß Campbell (2007) bewegt sich die Häufigkeit bei Metall-MetallPaarungen mit hohem Kohlenstoffgehalt um 1:500 bis 1:1000. Das Auftreten ist höher bei Metall-MetallPaarungen mit niedrigem Kohlenstoffgehalt, wo sich die Häufigkeit auf ein paar Prozent beläuft (Li 2001; Korovessis et€al. 2006; Milosev et€al. 2006). MetallMetall-Paarungen mit niedrigem Kohlenstoffgehalt sind inzwischen allerdings vom Markt genommen worden.
C. Rieker
74 Abb. 3.28↜ Lineare Abriebraten für die gesamte Metasul-Paarung
50 METASUL-Köpfe
Lineare Abriebrate [µm/Jahr]
45
METASUL-Pfannen
40 35 30 25 20 15 10 5 0
0 =>1
1 =>2
2 =>3
3 =>4
4 =>5
5 =>6
6 =>7
7 =>8
8 =>9 9 =>10 10 =>11 11 =>12
Zeit in-vivo [Jahr]
Ein besseres Verständnis des Schmierverhaltens von Hart-Hart-Paarungen ermöglichte die Entwicklung von Metall-Metall-Artikulationen mit großem Kopfdurchmesser. Die genaue Kontrolle der Artikulationsgeometrie (Durchmesser, Spiel, Sphärizität und Rauigkeit), analytische Untersuchungen (Udofia und Jin 2003) und experimentelle Tests (Smith et€al. 2001) haben aufgezeigt, dass temporäre Vollschmierung durch Gelenkflüssigkeit in großen Hart-Hart-Artikulationen möglich ist. Diese Vollschmierung durch Gelenkflüssigkeit ermöglicht größere Kopfdurchmesser in Hart-Hart-Paarungen ohne den Nachteil eines erhöhten volumetrischen Abriebs. Optimale Schmierung in Hart-Hart-Paarungen ist ein Hauptfaktor in moderner Totalhüftarthroplastik, der die Neuentwicklung und Zulassung von Hüft-Resurfacing-Prothesen sowie von Metall-Metall-Paarungen mit großem Kopfdurchmesser möglicht macht. Dadurch kann die Hüfte optimal stabilisiert und der Bewegungsumfang des Gelenks vergrößert werden.
3.5.4 Keramik-Keramik-Paarungen Die erste Alumina-Alumina-Paarung wurde 1970 von Boutin in Frankreich implantiert (Boutin 2000). Danach entwickelten in den späten siebziger Jahren und anfangs achtziger Jahre verschiedene europäische Gruppen Alumina-Alumina-Artikulationen. Aufgrund
der hohen Zahl von Brüchen dieser historischen Alumina-Alumina-Artikulationen in der Klinik wurden diese Paarungen nur spärlich eingesetzt. Aufgrund der eingangs beschriebenen Verbesserungen erlebten Alumina-Alumina-Paarungen in den neunziger Jahren neuen Aufwind. Die Zahl klinisch dokumentierter Brüche von modernen Alumina-Alumina-Paarungen beläuft sich auf ca. 1:2000 (Sedel 2000). Auch wenn diese Rate niedrig ist, ist ein solcher Bruch dennoch eine große Komplikation, da die Alumina-Partikel in einem Revisionseingriff unter Umständen nicht vollständig entfernt werden und dadurch als abrasive Körper zwischen die revidierten Gelenkoberflächen gelangen können (Kempf und Semlitsch 1990). Die folgenden Empfehlungen sollten bei einer Revision infolge eines Bruchs einer Keramikkomponente berücksichtigt werden: • vollständige Revision aller beschädigten Komponenten (Kopf, Schaft und/oder Einsatz), • massive Wundausschabung und Synovektomie zur möglichst umfassenden Entfernung aller Keramikpartikel. Heute haben verschiedene Hersteller AluminaAlumina-Paarungen in ihrem Produkte-Portfolio. Die Analysen von explantierten Alumina-Alumina-Artikulationen zeigen guten Verschleißwiderstand mit linearen In-vivo-Abriebraten, die sich mit denjenigen gut konzipierter Metall-Metall-Artikulationen vergleichen
Implantate 3â•…
lassen: 5–30€ µm/Jahr (Boehler et€ al. 2000; Jazrawi et€al. 1999). Während die Bruchrate von Alumina-AluminaKomponenten ziemlich niedrig ist, ist die relative niedrige Zähigkeit von Alumina-Keramik ein limitierender Faktor in Implantatkomponenten mit dünnem Querschnitt. Dadurch wird die Möglichkeit reduziert, optimierte Einsätze für große Kopfdurchmesser herzustellen. Um diese Materialeinschränkungen zu umgehen, wurden neue Keramiktypen entwickelt. Ein Lösungsansatz ist ein zirkoniaverstärktes Alumina („zirconia-toughened alumina“ ZTA: Biolox® Delta; Mekert 2003), das eine Verbesserung der Biegefestigkeit um 70€ % zeigt, was vor allem auf eine kleinere Korngröße bei gleichzeitig aufrecht erhaltener Härte zurück zu führen ist (Hvâ•›>â•›1900). Diese neue, verbesserte Keramik ermöglicht die Entwicklung von Keramik-Keramik-Artikulationen mit Kopfdurchmessern bis zu 44€mm und relativ dünnen Keramikeinsätzen. Vollschmierung durch Synovialflüssigkeit ist auch bei diesen Keramik-Keramik-Artikulationen möglich. Deshalb hat der Kopfdurchmesser praktisch keinen Einfluss auf den volumetrischen Verschleiß von Keramik-Keramik-Paarungen.
3.5.5 Keramik-Metall-Paarungen Vor kurzem hat die Universität Leeds (Prof. J. Fisher) eine neue Art von Hart-Hart-Paarung vorgestellt, die die Paarung eines mit Zirkonia verstärkten Alumina-Keramik-Kopfes (ZTA) mit einem Metalleinsatz (geschmiedete CoCr Legierung) vorsieht (Fisher et€al. 2006). Diese Paarung ergab auf dem Hüftsimulator ein ausgezeichnetes In-vitro-Verschleißverhalten und könnte gemäß Prof. J. Fisher die Vorteile beider Paarungen, Metall-Metall und Keramik-Keramik, kumulieren. Diese neue Hart-Hart-Paarung wird momentan anhand klinischer Studien in Südafrika, den USA und in Europa untersucht.
3.6 Gewebeverträglichkeit M. Thomsen und P. Thomas Die Standzeit einer Prothese hängt nicht nur von ihrer Form und Oberflächenstruktur oder der Qualität der
75
Implantation ab, sondern unter anderem auch von der Gewebeverträglichkeit der einzelnen Materialien und deren Abriebpartikeln.
3.6.1 Prinzipien der Gewebereaktion Das Gewebe um eine Hüftendoprothese kann ganz unterschiedlich aussehen und hängt im Wesentlichen von den Wechselwirkungen mit dem Kontaktgewebe ab. Es können toxische Effekte, entzündliche Phänomene, aber auch ein Gewebeumbau gesehen werden. Darüber hinaus sind auch spezifische Immunreaktionen im Sinne von hyperergen oder allergischen Überempfindlichkeiten beschrieben worden. Auch kanzerogene Effekte sind denkbar. Endoprothesen können unzementiert implantiert sein oder mit Knochenzement aus Polymethylmetacrylat (PMMA) fixiert werden. So sind als Einflussfaktoren auf die im Kontaktbereich entstehenden Gewebereaktionen einerseits die bei einer Prothesenbelastung entstehenden Abriebprodukte aus Polyethylen, Knochenzement, Keramik oder Metall zu betrachten und andererseits bakterielle Infektionen oder spezifische Immunreaktionen auf einzelne Prothesenkomponenten. Bei fest sitzenden Prothesen und deutlicher ausgeprägt bei sowohl aseptisch als auch septisch gelockerten Prothesen bildet sich eine im Femurschaftbereich strumpfförmige periprothetische Membran aus. Von dieser ist noch die Neokapsel abzugrenzen, die sich um das künstliche Gelenk herum formiert. Kontakt zum Knochen hat vornehmlich die periprothetische Membran. Für die histopathologische Einstufung der Gewebereaktionen bei Prothesenlockerungen schlugen Morawietz und Mitautoren (Morawietz et€al. 2006) eine vier Reaktionstypen umfassende Klassifikation vor. • Typ I: Als periprothetische Membran vom abriebinduzierten Typ wird die Konstellation bezeichnet, bei der das Bindegewebe der Membran von Makrophagen und/oder mehrkernigen Riesenzellen durchsetzt ist. Diese zeigen entweder kleine phagozytierte Abriebpartikel oder von Riesenzellen umschlossene größere Fragmente (Abb.€3.29). Morphologie, Polarisationsverhalten oder Sonderfärbungen können zur weiteren Partikelidentifizierung beitragen. Gemäß Morawietz et€al. (2006) trat dieser Reaktionstyp am häufigsten (und zwar zu 55€%) in seinem Kollektiv auf.
76
Abb. 3.29↜ Mehrkernige Riesenzelle um einen Polyethylenpartikel (Polarisationsaufnahme) im periimplantären Gewebe einer gelockerten TEP
• Typ II: Die periprothetische Membran vom infektiösen Typ ist eine entweder klinisch schon als eitrig-abszedierende Entzündung sichtbare oder ggf. mit Verdacht auf Low-grade-Infekt eingestufte Konstellation. Diagnoseweisend sind gemäß Morawietz et€al. neutrophile Granulozyten, die die periprothetische Membran durchsetzen, zusätzlich Plasmazellen. Die Darstellung von Erregern, beispielsweise durch eine Giemsa-Färbung, gelingt dabei nicht immer. Ergänzende Informationen kommen über die mikrobiologische Untersuchung, bei der eine längere Kulturdauer unter Einschluss von Gewebematerial wichtig ist. Bei Verdacht auf einen „Low-grade-Infekt“ sind dabei durchaus mehrfache mikrobiologische Untersuchungen sinnvoll. • Typ III: (Mischtyp) Bei der periprothetischen Membran vom infektiösen Typ mit Abriebphänomenen findet man ein Nebeneinander von Abrieb durchsetzten Arealen mit dem oben beschriebenen Muster und auf einen Infekt hinweisende Charakteristika. • Typ IV: Bei der sog. periprothetischen Membran vom Indifferenztyp (nicht abriebinduziert, nicht infektiös) fand die Autorengruppe, vornehmlich zellarme, kollagenfaserreiche Bindegewebsbereiche mit nur sehr wenigen Abriebpartikeln und dementsprechend sehr geringer Fremdkörperreaktion und vereinzelt Kapillarproliferationen sowie locker eingestreute Lymphozyten. Die Autoren bemerken,
M. Thomsen und P. Thomas
dass diese Membran vom Indifferenztyp etwa 3-mal so häufig bei nichtzementierten im Vergleich zu zementierten Prothesen auftrat. Die Autoren stellen die Hypothese auf, dass es sich hier teilweise um Narbengewebe nach anfänglicher Mikrotraumatisierung handelt und ggf. fehlbelastungsbedingte Osteolysen mit vorgelegen haben könnten. Neben diesen vier histomorphologischen Typen der periprothetischen „Interface-Membran“ sind auch unterschiedliche funktionelle Charakteristika denkbar. So sind verschiedene Wege einer Osteolyse oder Lockerungsbahnung vorstellbar (Looney et€al. 2006), beispielsweise über Osteoklasteninduktion durch Differenzierung aus Makrophagen, über zytokininduzierte Osteoklastenaktivierung bei gleichzeitiger Osteoblastenhemmung oder über Freisetzung gewebedestruierender Stoffe wie Matrixmetalloproteinasen (MMP) durch verschiedene Zellen bis hin zu Fibroblasten in Antwort auf Partikel. In manchen Fällen ist bei den sichtbaren Lymphozyten, wie im Membrantyp€ I oder IV beschrieben, auch die Induktion einer spezifischen Entzündungsreaktion im Sinne einer Überempfindlichkeit (Allergie) denkbar. Schließlich ist auch vorstellbar, dass toxische Effekte zu Gewebeuntergang (fibrinoide Nekrose), Osteoblastenbeeinträchtigung oder verminderter Infektabwehr führen.
3.6.2 Reaktion auf Prothesenwerkstoffe Mögliche Reaktionen auf die Vielzahl von Prothesenwerkstoffen (Thomsen et€ al. 1995) hängen von der jeweiligen Verträglichkeit der Metalllegierung, der Zusammensetzung des PMMA, des Antibiotikums, der Keramik (Thomsen und Willmann 2003) und der Reinheit des Polyäthylens (Streicher und Thomsen 2003) ab. Dies sind z.€B. rezidivierende Ergüsse, Schmerzen oder Lockerung der Prothese. Ein möglicher Pathomechanismus ist die überschießende spezifische Immunreaktion im Sinne einer Allergie (Thomas et€al. 2008). Titanassoziierte als Allergie interpretierte Unverträglichkeitsreaktionen in Form von Endoprothesenlockerungen, beeinträchtigter Frakturheilung oder Ekzemen sind dabei aber sehr selten (Thomas et al. 2006a). Die von Granchi et€ al. (2005) im Zusammenhang mit Endoprothesenlockerungen berichteten Hauttestreaktionen auf Vanadium bedürfen noch einer Bestätigung durch weitere Studien. Demgegenüber
Implantate 3â•…
wird eine Endoprothesenlockerung als Ausdruck einer Metall- und/oder Knochenzementallergie in Kasuistiken und kleinen Studienkollektiven beschrieben. Zwar steht ein Konsens über Gewebecharakteristika einer periimplantären allergischen Überempfindlichkeitsreaktion noch aus, es wird aber im Hinblick auf solche Reaktionen gegenüber Metallimplantaten die hauptsächlich durch T-Lymphozyten vermittelte Typ-IV-Reaktion (Spättyp) im Vordergrund gesehen. Ausgangspunkt ist eine bereits bestehende Metallallergie oder eine sich neue ausbildende Sensibilisierung von Lymphozyten gegen Legierungskomponenten. Aus unterschiedlichen Perspektiven wurde auf die Metallallergie als Beschwerdenursache geschlossen: Es wurde die Reaktivität von Blutlymphozyten im Lymphozytentransformationstest (LTT) beurteilt, Epikutantests als Nachweis der (kutanen) Metallallergie durchgeführt oder nach lymphozytär betonten Gewebereaktionen gesucht. So fanden Hallab et€al. (2005) eine im LTT erhöhte Metallsensibilisierung bei komplikationsbehafteter Endoprothetik. Granchi et€ al. (2005) berichteten anhand ihres Kollektivs, dass eine Metall- sowie Knochenzementkontaktallergie zwar nicht direkt mit einem Hüftendoprothesenversagen verknüpft war, aber mit einer signifikant kürzeren 10-Jahres-Implantatüberlebensdauer einherging (41,3€% gegenüber 50,5€%). Erhöhte Metallallergieraten von 20€% gegen Nickel, 14€% gegen Kobalt und 7€% gegen Chrom fanden sich auch bei einer Serie von 44 Patienten mit Beschwerden nach Knieendoprothetik (Thomas et al. 2004). Zu einem Patientenkollektiv mit komplikationsbehafteten Knieendoprothesen wurde über eine hohe Kontaktallergierate gegen Knochenzementkomponenten wie Benzoylperoxid (18€%) und Gentamicin (18€%) berichtet (Thomas et€ al. 2006b). Bei Knieendoprothesen wurde außerdem eine Fistelbildung als Ausdruck einer Knochenzementunverträglichkeit beobachtet (RichterHinz et€al. 2004). Von mehreren Arbeitsgruppen wird die seltene Konstellation von herdförmigen, lymphozytär geprägten Infiltraten im periimplantären Gewebe bei weitgehend fehlender Fremdkörperreaktion beschrieben (Abb.€ 3.30). Die spezielle Konstellation von Lockerung, Schmerzen und teilweise Ergussbildungen in Zusammenhang mit diesem histologischen Bild von perivaskulären Lymphozyteninfiltraten und weitgehend fehlender Riesenzellfremdkörperantwort wurden von Willert et€al. (2000, 2005) sowie von Baur et€al. (2005) und Park et€al. (2005) als Hinweis auf lokale
77
Abb. 3.30↜ CD4-positives T-Zell-Infiltrat im periimplantären Gewebe bei einer Patientin mit Nickelallergie und Schmerzen sowie Lockerung einer CrCoMb-basierten Hüft-TEP
Überempfindlichkeitsreaktionen bei Metall-MetallGleitpaarung interpretiert. Willert hatte hierfür den Begriff „Aseptic Lymphocytic Vasculitis-Associated Lesion“ (ALVAL) vorgeschlagen. Als Charakteristika hatte er die Anwesenheit von perivaskulär aggregierten Lymphozyten und Plasmazellen, eosinophilen Granulozyten, „high endothelial venules“ und Fibrinexsudaten genannt. Mögliche Folgen können ausgeprägte Osteolysen speziell am Trochanter major sein, die sich nach Gleitpaarungswechsel zurückbilden (Baur et€al. 2005). Zu der Annahme, dass die zumindest an der Haut oft eine Kontaktallergie auslösenden Metalle wie Nickel, Chrom und Kobalt allergische Reaktionen auch periimplantär induzieren können, gibt es erst wenige weiterführende Arbeiten. So fand sich bei einem Kollektiv von Patienten mit revidierter Metall-Metall-Gleitpaarung und periimplantärer lymphozytärer Entzündung eine hohe Koinzidenz von kutaner Kontaktallergie und metallspezifischer T-Zell-Hyperreaktivität in vitro (Thomas et al. 2009). Als weitere histologische Sonderkonstellation wurde ein Zusammentreffen von mehrkernigen Riesenzellen, fibrinoider Nekrose und teils lymphozytären Infiltraten im synovialen Gewebe um zementfreie Endoprothesen der Metall-Metall-Paarung der zweiten Generation beschrieben. Dieses bei vereinzelten Patienten gesehene histologische Bild wurde von Lintner et€al. (2005) als eine möglicherweise kobaltassoziierte Sonderreaktionsform auf kleine Partikel bei Metall-Metall-Gleitpaarung angesehen. Die Autoren beschrieben hier einen zonenförmigen Aufbau
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im Gewebe um gelockerte Endoprothesen, wobei zur Prothese hin fibrinoide Nekrosen und dann eine fast palisaden- oder schichtartige Anordnung von mehrkernigen Riesenzellen aufgefallen war. Zusätzlich wurde die Kombination mit entzündlichen Infiltraten und Mastzellvermehrung beschrieben. Inwieweit dieser zonenförmige Aufbau eine Momentaufnahme eines zeitlichen Reaktionsablaufs, bis hin zu einer nach lokal toxischen Effekten aufgetretenen fibrinoiden Nekrose widerspiegelt, muss offen bleiben. Lintner et€al. (2005) ziehen auch den Vergleich zu der durch Kobaltstäube induzierbaren „giant cell pneumonia (GIP)“ (Lison 1996) und vermuten, dass hier Parallelen auf einen ähnlichen Pathomechanismus schließen lassen.
3.6.3 Reaktion auf Abriebprodukte Abriebpartikel von rostfreien Stahl, Chrom-Kobalt, Titanlegierungen, PMMA, Al2O3 und Polyethylen induzieren bei Kontakt mit Monozyten und/oder Makrophagen deren Aktivierung. Kleine Partikel könne dabei phagozytiert werden, große Partikel führen zur Ausbildung von Fremdkörperriesenzellen. Makrophagen und multinukleäre Riesenzellen dominieren im „Normalfall“ das Bild in der Umgebung einer Prothese. Entscheidend ist die dabei anfallende Menge an Partikeln. Solange diese nicht überwiegt, kann der Körper sie in einer Art Gleichgewicht verarbeiten. Wird die Menge der Partikel zu groß, führt dies zu einer deutlichen Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen, speziell TNF-α, IL-6 und IL-1β (Otto et al. 2006). Diese Zytokine zeigen eine direkte Wirkung auf Osteoblasten und Osteoklasten des Implantat-Knochen-Interfaces. Dieser Vorgang wurde von Willert als Ursache der „Partikelkrankheit“ genannt. Arbeiten von Green et€al. (2000) zeigten am Beispiel von Polyethylen, dass die Makrophagenaktivität auch von der Partikelgröße abhängt. Maximale Knochenresorption fand sich bei Partikelgrößen zwischen 0,45 und 1,71€µm. Partikelgrößen über 4,7€µm hatten keinen Effekt mehr, allerdings führte diese Größe zu mechanischen Irritationen. Titanpartikel scheinen größenabhängig unterschiedliche Effekte zu haben. So beschrieben Choi et€al. (2005) für kleine Partikel eher eine Beeinträchtigung der Osteoblastenvitalität und -proliferation, während größere Partikel (zwischen
M. Thomsen und P. Thomas
5 und 10€ µm) zu starker RANKL-Expression bzw. Osteoklasteninduktion führten. Kleinste „Nanopartikel“ (â•›110°×0 B. Abduktion:1–15°â•›×â•›0,8 15–20°â•›×â•›0,3 Over 20°â•›×â•›0 Gesamt IV Erfasst durch die Summe der Werteâ•›×â•›0,05
der Arthrose (Valdes et€al. 2007). Über Interleukin-1 und TNF-alpha werden via Expression von Metalloproteinasen vermutlich auch mechanische Belastungen auf zellulärer Ebene „beantwortet“ (Gulotta et€al. 2007). Immunhistologisch sind in der frühen Phase Abbauprozesse der Proteoglykane, später der Aggrecane und des Kollagen€ II nachweisbar. Insuffiziente Reparationsversuche der Chondrozyten bedingen einen fortschreitenden Substanzverlust. Inwieweit die histologisch und radiologisch nachweisbaren Veränderung der subchondralen Knochenplatte mitverursachend oder Folge sind, ist ebenfalls Gegenstand der Forschung.
C. Außenrotation in Streckung: 1–15°â•›×â•›0,4 über 15°â•›×â•›0 D. Innnenrotation: jedeâ•›×â•›0 E. Adduktion: 0–15°â•›×â•›0,2 >â•›15°â•›×â•›0 F. Extension: jedeâ•›×â•›0 Max. 5
beim Kniegelenk ist Übergewicht kein Risikofaktor für die Arthroseentwicklung am Hüftgelenk. Dagegen sind Stoffwechselstörungen mit Hypercholesterinämie, Hyperurikämie etc. als systemische Risikofaktoren beschrieben. Darüber hinaus gibt es offensichtlich auch eine genetische Disposition, die sich familiär und ethnisch offenbart. In den meisten Fällen wird eine Kombination aus systemischen und gelenkspezifischen Faktoren zu einer Koxarthrose führen, die die traditionelle Zuordnung in primär und sekundär obsolet erscheinen lässt.
5.8 Sekundäre Koxarthrose 5.7.2 Ätiologie und Risikofaktoren D. Parsch Die Arthroseentwicklung wird zunehmend als multifaktorieller Prozess gesehen, wobei gelenkspezifische und systemische Faktoren die Manifestation und Dynamik der Erkrankung beeinflussen. Anamnestisch fassbare und klinisch/radiologisch erkennbare (Vor-)Erkrankungen lassen sich in vielen Fällen als gelenkspezifische Schädigungsursachen (sog. „präarthrotische Deformitäten“) eruieren und bedingen die Entstehung der traditionell sekundären Arthrosen. Bei etwa 30–50€% der Patienten lassen sich solche Ursachen nicht finden, hier scheinen systemische Faktoren in der Entstehung der Arthrose zu überwiegen. Männer haben in höherem Alter eine höhere Prävalenz der Koxarthrose, während für andere Gelenke die Arthroserate bei Frauen höher liegt. Sportliche (z.€B. Fußball) und berufliche Belastungsprofile (z.€B. Landwirtschaft) scheinen ebenfalls einen Einfluss auf die Entstehung einer Koxarthrose zu nehmen. Anders als
5.8.1 Dysplasiekoxarthrose Das Spektrum der Behandlungsoptionen der Dysplasiehüfte des Erwachsenen ist breit. Grundsätzlich unterscheiden wir korrektiv/kausale und palliativ/symptomatische Therapieverfahren. Zu den korrigierenden Maßnahmen zählen die Beckenosteotomien u.€a. nach Ganz, Tönnis oder Wagner. Die Chiari-Osteotomie und die endoprothetische Versorgung des Hüftgelenks werden den palliativen Operationen zugeordnet. Neben dem Ausmaß der arthrotischen Veränderungen ist die Kongruenz der Gelenkpartner für die Entscheidungsfindung relevant. Bei sphärischer Kongruenz und allenfalls geringen arthrotischen Veränderungen besteht die Indikation zur Reorientierung des Azetabulum, wie sie die korrigierenden Beckenosteotomien realisieren. Bei inkongruenten Gelenkpartnern
D. Parsch
102 Abb. 5.5↜ (a) Dysplasiekoxarthrose mit Ausbildung einer kranialisierten Neopfanne nach Korrekturoperation im Ausland und einliegendem Osteosynthesematerial. (b) Endoprothetische Versorgung mit zementfreier Pressfit-Verankerung der Implantate und Rekonstruktion des ursprünglichen Drehzentrums
stehen die palliativen Maßnahmen zur Debatte (z.€B. Chiari-Beckenostotomie oder Endoprothetik). Bei fortgeschrittener Dysplasiekoxarthrose wird nur der endoprothetische Ersatz des Hüftgelenks eine zuverlässige Therapieoption darstellen (Abb.€5.5). Die Variabilität der Dysplasie in ihrer Ausprägung und unterschiedlichen Vorbehandlung stellt eine besondere Herausforderung für den Endoprothetiker dar. Vorhandene Narben und operative Zugangswege müssen ebenso in die Planung mit einbezogen werden wie einliegende Implantate, die v.€ a. periazetabulär eine Pfannenverankerung erschweren oder ohne simultane Metallentfernung unmöglich machen können. Fehlstellungen oder knöcherne Narben können die Schaftbearbeitung und Implantatverankerung beeinträchtigen. Eventuell müssen simultane Achskorrekturen in die Planung mit einbezogen werden. Schwere Dysplasien gehen häufig mit einer zarten Knochenstruktur einher, daher sollte präoperativ per Planung die Notwendigkeit von Sondergrößen geprüft werden. Häufig ist die eigentlich querovale Konfiguration des proximalen Femurdurchmessers deformiert oder torquiert, so dass neben rechteckigen Implantaten auch konische vorgehalten werden sollten, um eine korrekte Antetorsion des Prothesenhalses gewährleisten zu können. Bei azetabulären Defekten muss zunächst über eine sorgfältige Planung das künftige Drehzentrum definiert werden. In Abhängigkeit von der azetabulären Knochensubstanz ist ein kranialisiertes Hüftdrehzentrum („high hip centre“) oftmals ohne Dachplastik oder ein Drehzentrum in der Originalpfanne mit Pfannendachplastik denkbar. Pfannendachoder -bodenplastiken werden üblicherweise autolog aus dem resezierten Hüftkopf gewonnen.
Darüber hinaus müssen gluteale Funktionsdefizite klinisch oder elektrophysiologisch erfasst und wenn möglich kausal zugeordnet werden (Trochanterhochstand, Paresen, iatrogener Muskelschaden nach Voroperation). Nur so ist eine prognostische Einschätzung bezüglich der postoperativen Glutealfunktion möglich. Beinlängendifferenzen können planerisch und intraoperativ berücksichtigt und korrigiert bzw. angeglichen werden. Absolute Verlängerungen um mehr als 3,5–4€ cm gehen mit dem Risiko einer Nerven- oder Gefäßverletzung durch Überdehnung einher und sollten entsprechend vermieden werden. Wird eine größere Distalisierungsstrecke angestrebt (z.€ B. bei Pfannenverankerung im Originalazetabulum), haben sich subtrochantäre Verkürzungsosteotomien mit „Auffädelung“ der Osteotomie durch langschaftige, zylindrische Implantate mit proximaler Verankerungshülse (z.€B. S-ROM) bewährt.
5.8.2 Protrusionskoxarthrose Die Protrusionskoxarthrose besteht bei 5€ % der operationspflichtigen Koxarthrosen. Im Verhältnis 10:1 betrifft sie Frauen. In etwa 20€ % der Fälle liegt eine rheumatoide Arthritis als Grunderkrankung vor, bei 75€% lassen sich keine spezifischen Ursachen finden (Sotelo-Garza und Charnley 1978; Hastings und Parker 1975). Röntgenologische Verlaufsstudien beschreiben einen zu erwartenden Progress der Hüftkopfzentralisierung von bis zu 2€ mm/Jahr (Damron und Heiner 1993). Klinisch steht neben den Arthroseschmerzen die Bewegungseinschränkung in Folge der zunehmenden Ummauerung des Hüftkopfes im Vordergrund. Bei einseitigem Befall können Beinlängendifferenzen nachweisbar sein.
Untersuchung und Indikationsstellung 5â•…
103
Abb. 5.6↜ (a) Protrusionskoxarthrose bds. mit subtotaler knöcherner Ummantelung des Hüftkopfs bei tiefer Protrusion und erheblich ausgedünnter medialer Wand. (b) Endoprothetische Versorgung mit zementfreien Pressfit-Implantaten bds. und zusätzlicher autologer Spongiosplastik am Pfannenboden
Die Indikation zur Hüftendoprothese wird klinisch und konventionell röntgenologisch geprüft: In seltenen Fällen kann eine Computertomographie hilfreich sein, um die Intaktheit und Stabilität der medialen Wand prüfen zu können. Die endoprothetische Versorgung der Protrusionskoxarthrose bedarf einer sorgfältigen Strategie: Wir bevorzugen die zementfreie Verankerung der Pfannenkomponente, da die meist dünne eburnisierte mediale Wand keine adäquate Zementpenetration ermöglicht. Bei der Präparation muss entsprechend ein tragfähiger azetabulärer Ring bereitet werden: Zu aggressives zentrales Fräsen oder Einschlagen unterdimensionierter Komponenten gefährden die Intaktheit des Cavum. Ein solchermaßen iatrogen verursachter „uncontained defect“ erschwert eine autologe Knochenunterfütterung und muss evtl. mit strukturierten Autografts behandelt werden. In der Planung sollte die Rekonstruktion (Lateralisation) des Drehzentrums berücksichtigt werden. Bei beidseitigem Befall ist dadurch eine temporäre Beinlängendifferenz bis zur Versorgung der Gegenseite zu erwarten. Intraoperativ sollte genügend Zeit darauf verwendet werden, die knöchernen Ummauerungen abzutragen, um eine Impingement-assoziierte Instabilität ebenso zu vermeiden wie eine persistierende, mechanisch bedingte Bewegungseinschränkung (Abb.€5.6).
5.8.3 Posttraumatische Arthrose Die proximale Femurfraktur ist die mit Abstand häufigste Indikation einer posttraumatischen Hüftendoprothese (Pseudarthrosen/Kopfnekrosen, s. Kap.€7.5.3).
Darüber hinaus gehen die sehr viel selteneren Azetabulumfrakturen mit einem deutlich erhöhten Risiko einer posttraumatischen Koxarthrose einher. Bei der präoperativen Diagnostik müssen die vergleichsweise häufig assoziierten Nervenschädigungen erfasst und ggf. elektrophysiologisch objektiviert werden (ca. 10–15€ % traumatische und iatrogene Ischiadikusparesen nach Azetabulumfraktur). Periartikuläre Ossifikationen (in ca. 20€ % der Fälle nachweisbar) müssen bei mechanischer Störung entfernt und eine adäquate Rezidivprophylaxe eingeleitet werden (Radiatio). Die Verankerung der Pfannenkomponente kann durch einliegendes Osteosynthesematerial erschwert oder unmöglich gemacht werden. Eine präoperativ anzufertigende Computertomographie ist hilfreich, um die Notwendigkeit einer Metallentfernung zu prüfen. Der endgültige operative Zugangsweg sollte vorhandene Narben berücksichtigen.
5.8.4 Postinfektiöse Koxarthrose Die postinfektiösen Arthrosen sind geprägt von einem konzentrischen Kollaps des Gelenkknorpels, ausgeprägten Kontrakturen sowie Kapsel- und Weichteilverschwartungen. In Abhängigkeit vom zeitlichen Intervall nach Infektion sichern eine präoperative Punktion des Gelenks sowie unauffällige CRP-Werte die zwischenzeitliche Keimfreiheit. Frühere Antibiogramme sind hilfreich, um die perioperative Antibiose und ggf. antibiotikahaltigen Knochenzement zielgerecht einsetzen zu können. Bei anamnestisch septischer Arthritis im Kindesalter sind darüber hinaus sekundäre Deformierungen in Folge einer epiphysären Schädigung (z.€B. relativer
M. Rickert
104
Trochanterhochstand) und einer plastischen Deformierung der Gelenkpartner zu berücksichtigen.
5.8.5 K oxarthrose nach Epiphyseolysis capitis femoris und Morbus Perthes Die Epiphyseolysis capitis femoris (ECF) und der Morbus Perthes zählen in der klassischen Einteilung zu den präarthrotischen Deformitäten. Beide können trotz adäquater, mehr noch bei inadäquater Behandlung im frühen Erwachsenenalter eine therapiepflichtige Koxarthrose bedingen. Die wegweisenden Arbeiten aus Bern von R. Ganz und Mitarbeitern haben den Stellenwert der frühzeitigen Diagnostik der initial meist nur (sport-)belastungsabhängigen Beschwerden betont. Die klinischen Provokationstests in Beugung und Streckung bestätigen ein Impingement. In der konventionellen Röntgendiagnostik (v.€a. axiale Ansicht) und der MR-Tomographie und -Arthrographie lassen sich knöcherne Prominenzen erkennen, wie sie bei der konsolidierten ECF („bumps“) ebenso verbleiben können, wie bei der ausladenden Coxa magna infolge eines M.€Perthes. Das Offset-Trimming und die Abtragung der knöchernen Prominenz (offen oder arthroskopisch) sind dann wichtige prophylaktische Therapieoptionen. Die Behandlung der häufig begleitenden Labrumläsionen (Resektion vs. Refixation) wird aktuell kontrovers diskutiert (Espinosa et€al. 2007). Bei fortgeschrittener Koxarthrose wird nur das Kunstgelenk eine zuverlässige Therapieoption darstellen. Operative Zugangswege nach Vorinterventionen sind dann ebenso zu berücksichtigen, wie noch einliegendes Osteosynthesematerial (Titanschrauben nach Epiphyseodese bei ECF!). Bei der Implantatwahl müssen sekundäre Veränderungen des proximalen Femur berücksichtigt werden: Ein fehlendes Kopf-Hals-Offset (=â•›kleine „Head-Neck-Ratio“ oder „pistol-grip deformity“) kann die Implantation eines Oberflächenersatzes durch das erhöhte Risiko einer Einkerbung („notching“) des Schenkelhalses erschweren. Andererseits kann eine Coxa magna mit sehr großem Offset eine zuverlässige Kappenprothesenverankerung unmöglich machen. Die Option der Offset-Rekonstruktion bei Schenkelhalsverkürzung und Trochanterhochstand spricht darüber hinaus in diesen Fällen für die Verwendung einer Schaftprothese.
5.8.6 Koxarthrose bei Hämophilie Rezidivierende Gelenkblutungen in das Hüftgelenk sind deutlich seltener als in das Kniegelenk („target joint“). Anders als beim Kniegelenk sind die Hämophilie-spezifischen Herausforderungen für den Endoprothetiker überschaubar. Eine Begleitsynovialitis und Kapselfibrose mit Beugekontraktur des Hüftgelenks muss adressiert werden. Azetabuläre Erosionen sollten autolog mittels Spongiosplastik aufgefüllt werden. Am aufwendigsten ist sicherlich die adäquate Substitution der Gerinnungsfaktoren perioperativ. Hier muss eine unmittelbare fachliche Begleitung durch eine erfahrene Hämostaseologie-Abteilung gewährleistet sein. Postoperativ ist eine engmaschige physiotherapeutische Begleitung indiziert, um eine erneute Kontraktur vorbeugend zu verhindern. Ein erhöhtes Infektionsrisiko ist bei Hämophiliepatienten beschrieben, unabhängig von der darüber hinaus relevanten HIV-Problematik. Die mittel- und langfristigen Ergebnisse nach Hüftendoprothese sind unterdurchschnittlich mit einem Survival von 80€ % nach 8€Jahren (Nelson et€al. 1992; Kelley et€al. 1995).
5.9 Indikationen ohne Koxarthrose M. Rickert Den hier beschriebenen Entitäten ist gemeinsam, dass sie sich in ihrer Pathogenese grundlegend von der primären und der sekundären Koxarthrose unterscheiden. Nicht die Knorpelschicht der Gelenkpartner oder die fehlende Kongruenz des Hüftgelenks stellt das auslösende Moment für die sekundär degenerativen Veränderungen dar, sondern Erkrankungen im Bereich der Synovialmembran oder der knöchernen Markhöhle.
5.9.1 Hüftkopfnekrose Die Pathogenese der Hüftkopfnekrose Pathogenese gibt unverändert Anlass zu Spekulationen. Betroffen sind in erster Linie Erwachsene im Alter zwischen dem 20. und 50.€ Lebensjahr. Ein Erkrankungsgipfel scheint um das 40.€ Lebensjahr zu liegen und betrifft vornehmlich Männer. Eine beidseitige Manifestation tritt in ca. 30–80€% der Fälle auf.
5â•… Untersuchung und Indikationsstellung
105
Tab. 5.6↜╇ ARCO-Klassifikation (Association Research Circulation Osseous) der nichttraumatischen Hüftkopfnekrose Stadium
Beschreibung
0 I II III IV V VI
Keine radiologischen Veränderungen; alle bildgebenden Verfahren einschließlich MRT negativ Röntgen negativ; MRT positiv, Knochenmarködem Röntgen eventuell Osteopenie; MRT Doppellinie; Hüftkopfkontur erhalten Subchondrale Fraktur im Röntgenbild und MRT sog. „crescent sign“ Abflachung des Femurkopfes, noch annähernd normal weiter Gelenkspalt Abflachung des Femurkopfs mit Sekundärarthrose Vollständige Gelenkdestruktion
Prinzipiell kann bei den Ursachen zwischen einer traumatischen und einer nichttraumatischen Entstehung unterschieden werden. Die traumatischen Ursachen werden in der Regel mit einer direkten Verletzung der zuführenden Gefäße in Verbindung gebracht (u.€a. mediale Schenkelhalsfrakturen, Hüftluxationen). Neben Glukokortikoiden und dem Alkoholabusus gelten bei den nichttraumatischen Ursachen verschiedene Systemerkrankungen wie die Sichelzellanämie, der systemische Lupus erythematodes, das Cushing-Syndrom, die Niereninsuffizienz, der Diabetes mellitus und viele andere als gesichert. Die idiopathische Hüftkopfnekrose stellt mit ca. 10–15€% eher eine Seltenheit dar. Wenngleich der genaue Entstehungsmechanismus nicht bekannt ist, gehen die meisten Erklärungsversuche davon aus, dass es durch vaskuläre und/oder metabolische Einflüsse zu Störungen der Mikrozirkulation des Hüftkopfes kommt. Diese führen zu Nekrosen und Ödemen mit konsekutiver Druckerhöhung in diesem abgeschlossenen Kompartiment. Hier beginnt anscheinend ein Circulus vitiosus, der dem des Kompartmentsyndroms vergleichbar ist und im Endstadium den venösen sowie den arteriellen Schenkel der Blutversorgung betrifft. Die Folge ist ein sektorielles Absterben des Hüftkopfes, das unabhängig von der auslösenden Ursache stadienhaft verläuft. Zur Beschreibung dieser Stadien haben sich verschiedene Einteilungen bewährt. Am weitesten verbreitet sind die Ficat- und Arlet- sowie die ARCO(Association Research Circulation Osseous-)Klassifikationen (Tab.€5.6). Die klinischen Symptome der Patienten reichen von vollständiger Beschwerdefreiheit in den frühen Stadien (stumme Hüfte) über Bewegungs- und Belastungsschmerzen bis hin zur weitestgehenden Immobilisation an Gehhilfen und Ruheschmerzen in den fortgeschrittenen Stadien. Entscheidend ist neben dem
Ausmaß der Hüftkopfnekrose das Hinzutreten eines subchondralen Kollaps mit Einbruch der Knochenbälkchenstruktur und Verlust der Tragfähigkeit des Knochens in diesem Areal (ARCO III). Röntgenaufnahmen (a.p.- und Lauensteinprojektion), CT und MRT besitzen in den verschiedenen Stadien der Hüftkopfnekrose eine unterschiedliche Wertigkeit. Die MRT ist bei allen Patienten mit klinischem Verdacht einer Hüftkopfnekrose und Patienten mit persistierenden Hüftschmerzen unbekannter Ursache indiziert. Sie ermöglicht in den frühen Stadien (ARCO I und II) eine verlässliche Stadieneinteilung und Beurteilung der Ausdehnung der Hüftkopfnekrose. Ein Nachteil liegt in der eingeschränkten Unterscheidung der Stadien II und III, sprich dem Nachweis einer subchondralen Fraktur. An diese Stelle tritt dann die CT. In den frühen Stadien (ARCO 0–I) ist der Röntgenbefund oft falsch-negativ, im Stadium II oft positiv, aber mitunter diskret ausgeprägt (Osteolyse/Osteoporose, subchondrale Pseudozyste mit Randsklerose). Röntgenzeichen einer fortgeschrittenen Nekrose sind eine subchondrale Fraktur (Stadium III), Gelenkeinbruch, sekundäre Degeneration mit Gelenkspaltverschmälerung und Randosteophyten (Stadium IV–VI). Röntgenaufnahmen sind in den frühen Stadien ungeeignet, eine Hüftkopfnekrose auszuschließen, sollten aber als erster diagnostischer Schritt beibehalten werden, um eine Reihe anderer Diagnosen ausschließen zu können (Abb.€5.7; Bondorf und Imhof 1998). Die Therapie der Hüftkopfnekrose erfolgt stadienhaft und orientiert sich an den klinischen Symptomen (s. auch Kap.€7.5.12). Nicht selten sind die Schmerzen und Einschränkungen größer als die Veränderungen im Röntgenbild. Die konservativen Maßnahmen beschränken sich auf eine Entlastung der betroffenen Extremität, auf die Gabe peripher wirksamer Analgetika sowie die
106
M. Rickert
Abb. 5.7↜ Darstellung einer beidseitigen Hüftnekrose Stadium ARCO€II bei einem 38-jährigen Patienten ohne weitere Risikofaktoren. Röntgenologisch wird der rechte Hüftkopf von einer nur schlecht erkennbaren bandförmigen Sklerose durchzogen, die unscharf demarkierte Osteolysen bzw. „zystoide“ Läsionen umgrenzt. Dagegen weist der linke Hüftkopf im Röntgenbild eine bereits kräftige breite bandförmige Sklerose auf, die zystoide Resorptionszonen umschließt (a). Beide Hüftköpfe sind nicht entrundet; geringe Gelenkspaltverschmälerung. Das korrespondierende MRT-Bild (T1-Wichtung) zeigt das typische,
landkartenartig begrenzte Muster der Osteonekrose: Die mäandrierenden signalhypointensen („dunklen“) Linien stellen die den Infarkt demarkierende Sklerosezone dar; das Infarktareal selbst enthält Fett (gelber Infarkt; (b) Die Behandlung erfolgte durch beidseitige Anbohrung (c) Spätstadium der Hüftkopfnekrose (ARCO IV) mit Abflachung (Einbruch) des Hüftkopfs, großen zystischen Aufhellungen und diffusen Sklerosierungen hüftkopfseitig sowie der Ausbildung typischer sekundär-arthrotischer Veränderungen (auch azetabulumseitig). Die Versorgung erfolgte mittels zementfreier Totalendoprothese (d)
Verordnung von Krankengymnastik und physikalischer Therapie. Die Wirksamkeit von Magnetfeld- und hyperbarer Sauerstofftherapie konnte bis dato nicht gezeigt werden. Unter allen diesen Maßnahmen ist mit einem Progress der Nekrose zu rechnen. Bei der operativen Therapie sind biologische Verfahren, die den Erhalt des Hüftkopfs zum Ziel haben, von endoprothetischen Verfahren zu unterscheiden. Die Dekompression mittels Anbohrung ist derzeit als Methode der Wahl bei der Behandlung der Hüftkopf-
nekrose in den Stadien ARCO I und II anzusehen. Neuere Entwicklungen haben zum Ziel, die Hüftkopfanbohrung mit Knochenersatzstoffen, Wachstumsfaktoren und Stammzellen zu kombinieren (Nöth et€ al. 2007). Die operative Behandlung der ARCO-Stadien III– VI mit subchondraler Fraktur und zunehmendem Kollaps des Hüftkopfes ist vor dem Hintergrund des jungen Lebensalters dieser Patienten als schwierig zu bewerten. Als Therapieoptionen stehen in diesen Stadien
5â•… Untersuchung und Indikationsstellung
107
Tab. 5.7↜╇ Modifizierte Kriterien der American Rheumatism Association 1988 1 2 3 4 5 6
Seit 6 Wochen bestehende Morgensteifigkeit in und um Gelenke von mindestens einer Stunde Schwellung von 3 oder mehreren Gelenkregionen von mindestens 6€Wochen Schwellungen der proximalen Interphalangeal- oder Handgelenke von mindestens 6€Wochen Symmetrische Gelenkschwellung Rheumaknoten Rheumafaktor im Serum positiv (nachgewiesen durch eine Methode, die in weniger als 5€% der Normalpersonen positiv ist) 7 Im Röntgen Erosionen und/oder periartikuläre Knochenentkalkung an der Hand und/oder den Handgelenken Vier oder mehr Kriterien müssen für die Diagnose rheumatoide Arthritis zutreffen (Arnett et€al. 1988)
intertrochantere Umstellungsosteotomien bei kleinen Defekten, Beckenkammtransplantate, gefäßgestielte Fibulatransplantate, osteochondrale Allografts und der endoprothetische Gelenkersatz zur Verfügung. Die Wahl des Implantats [Oberflächenersatz, Hemiprothese (Hemioberfläche, bipolare Prothese), Totalprothese] lässt durchaus Raum für unterschiedliche Präferenzen. Die Befürworter des Oberflächenersatzes sehen den geringeren Knochenverlust, die weitestgehend physiologische Gelenkkinematik und die Möglichkeit des einfachen Wechsels auf eine Totalprothese als Vorteil an. Die Kritiker betonen die vormals schlechten Ergebnisse dieses Verfahrens, die Möglichkeit des fortschreitenden Knochenverlusts unter der Kappe und die Gefahr der Schenkelhalsfraktur. Aus unserer Sicht führt nach Eintritt des Kopfkollaps (ARCO III) der totale Gelenkersatz zu den verlässlichsten und konstantesten Ergebnissen. Deshalb werden an unserer Klinik Patienten mit einer Hüftkopfnekrose â•›7€Tage) und/oder verstärkt (häufiger Binden/ Tamponwechsel)? Konsequenzen: (0) keine; (1) Medikamentenanamnese; (2) Konsultation: Gerinnungsteam; (3) Konsultation: Facharzt für HNO; (4) Konsultation: Internist; (5) Befundaushebung; (6) Konsultation: Internist/Chirurg und evtl. Karenz
Tab. 8.3↜╇ (Fortsetzung)
Besonderheiten, Komplikationen und Komplikationsmanagement 8â•… 339
G. Hundt
340 Tab. 8.4↜╇ Diagnostik und Therapie häufiger Hämostasestörungen Erkrankung
Diagnostik
Therapie
Thrombozytenfunktionsstörungen –╇ medikamenteninduziert –╇ organassoziiert (Leber) –╇ angeboren Thrombozytopenien –╇ medikamenteninduziert –╇ organassoziiert –╇ angeboren Therapie mit Cumarin-Derivaten
PFA-100 verlängert Minirin-Test
Absetzen der Medikation Karenzzeit, b.€Bd. Umstellung auf NMH Minirin-Gabe Thrombozytensubstitution Absetzen der Medikation und Karenzzeit Thrombozytensubstitution
Therapie mit Heparinen Unfraktioniert NMH Von-Willebrand-Syndrom –╇ Typ I (quantitativ) –╇ Typ II –╇ Typ III
PTT verlängert Anti-Xa-Aktivität erhöht
Thrombozytenzahl
Quick erniedrigt INR erhöht
Hämophilie A
PFA-100 verlängert Minirin-Test Ristocetin-Faktor-Aktivität vWF-Antigen Faktor-VIII-Aktivität Faktor-VIII-Aktivität
Hämophilie B
Faktor-IX-Aktivität
Verbrauch und Verdünnung von Gerinnungsfaktoren hervorgerufen wird. Die Entstehung dieser Koagulopathie ist auch Folge der Änderung der Transfusionspraxis der letzten 20€Jahre. Zu Zeiten der Vollbluttransfusion wurden alle Blutbestandteile außer den instabilen Faktoren (FV, FVIII, VWF) in ausgewogenem Verhältnis transfundiert. Zu dieser Zeit stellte die Thrompozytopenie die häufigste Gerinnungsstörung im Rahmen von Massivtransfusionen dar. Die Separation des Blutes bei der Substitution in seine korpuskulären und plasmatischen Bestandteile und der primäre Einsatz der Kolloide zur Aufrechterhaltung des intravasalen Volumens haben die Verhältnisse zu Ungunsten des Hämostasepotentials verändert. Definitiv haben dann die ausgefeilten Strategien zur Vermeidung von Fremdbluttransfusionen dazu geführt, dass intraoperativ sowohl das intravasale Volumen, als auch Hb und Hämatokrit problemlos kompensiert gehalten werden können, ohne gleichzeitig plasmatische Gerinnungsfaktoren zu substituieren. Solange die primär chirurgischen Blutungen im Rahmen bleiben, ist das auch kein Problem, da Reserven im Gerinnungspotential in hohem Maße vorhanden sind. Erst bei größeren Blutverlusten entwickelt
Absetzen der Medikation und Karenzzeit, Umstellung auf UFH/NMH (Bridging) Vitamin-K-Substitution PPSB, FFP Absetzen der Medikation und Karenzzeit Antagonisierung mit Protamin Minirin-Gabe vWF-Substitution Faktor-VIII-Substitution
Faktor-VIII-Substitution Minirin-Gabe Faktor-IX-Substitution
sich regelhaft eine Koagulopathie, wenn primär das verlorene Blutvolumen durch kristalloide und kolloidale Volumenersatzmittel sowie Erythrozytenkonzentrate ersetzt wird. Darunter kommt es nach dem primären Verlust und Verbrauch zusätzlich zu einer Verdünnung der plasmatischen Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten. Der Abfall der gerinnungsaktiven Bestandteile des Blutes erfolgt nicht gleichmäßig. Zuerst fällt das Fibrinogen ab, es folgen Prothrombinkomplex, Faktor€V und VII, zuletzt kommt es zu einer Thrombopenie. Unterschreiten die prokoagulatorischen Gerinnungsfaktoren kritische Grenzen, ist eine suffiziente Gerinnung nicht mehr gewährleistet und es kommt zu einer diffusen Blutungsneigung, die chirurgisch nicht beherrscht werden kann. Aufgrund des komplexen multifaktoriellen Geschehens ist es im Einzelfall häufig schwierig, die Entwicklung der Gerinnungsproblematik abzuschätzen. Vor allem eine allein am verlorenen Blutvolumen orientierte Einschätzung ist unter Umständen fehlerhaft. Folgende Faktoren spielen zusätzlich eine Rolle für das Auftreten einer klinisch bedeutsamen intraoperativen Koagulopathie (Lier et€al. 2007):
Besonderheiten, Komplikationen und Komplikationsmanagement 8â•…
• Ein individuelles Hämostasepotential, das sich präoperativ bei niedrig normalen Konzentrationen klinisch und laborchemisch vollkommen unauffällig darstellt, intraoperativ aber verfrüht zu einer Verlustkoagulopathie führen kann. • Da die Gerinnung hauptsächlich aus enzymatisch gesteuerten Schritten besteht, sind eine Körpertemperatur über 34€°C, ein pH-Wert >â•›7,15 und ein ionisiertes Kalzium >â•›0,9€mmol/l wichtige Faktoren der intraoperativen Hämostase. • Erythrozyten spielen durch die Margination der Thrombozyten im Gefäß und Bereitstellung von ADP zur Aktivierung der Thrombozyten eine wichtige Rolle bei der primären Hämostase. Bei einem HKT unter 30€% muss mit einer relevanten Beeinträchtigung der Gerinnung gerechnet werden und stellt aus hämostaselogischer Sicht eine Indikation zur Erythrozytensubstitution bei persistierender Blutungssituation dar. • Kolloide Volumenersatzmittel führen nicht nur durch Verdünnungseffekte, sondern auch durch Beeinträchtigung der Interaktion zwischen Thrombozyten und Gefäßendothel (HAES) und Störung der Fibrinogenpolymerisation (Gelatine und HAES) zu einer Verminderung des Gerinnungspotentials.
8.3.2.1 Intraoperative Gerinnungsdiagnostik Die Problematik der intraoperativen Gerinnungsdiagnostik stellt sich gänzlich anders dar als präoperativ. Nach gewissenhafter präoperativer Gerinnungsdiagnostik sind intraoperative Blutungsprobleme nur in Ausnahmefällen auf präoperativ nicht detektierte Gerinnungsstörungen zurückzuführen. Durch die hohe Dynamik starker intraoperativer Blutungen können sie an dieser Stelle auch nicht mehr diagnostiziert werden. Das intraoperative Gerinnungsmonitoring im Hinblick auf die Entwicklung einer Dilutionskoagulopathie ist aus mehreren Gründen schwierig: • Klinische Faustregeln zur Berechnung hämostaseologisch kritischer Blutverluste stammen nicht nur größtenteils aus der Vollblutära, sondern sind auch klinisch nie evaluiert worden. • Synthetische Kolloide zur Volumensubstitution beeinflussen optische Gerinnungstests, v.€ a. die Fibrinogenmessung nach Clauss im Sinne falschpositiver Ergebnisse. • Standardlaboranalysen sind aufgrund von zeitlichen Verzögerungen von mindestens 25€ min in einer akuten Blutungssituation nie aktuell. Außer-
341
dem bergen sie methodische Probleme (siehe präoperative Gerinnungsdiagnostik). Vor allem der letzte Punkt hat dazu geführt, dass momentan der Einsatz von Point-of-Care-Systemen im Operationssaal als Lösungsansatz intensiv diskutiert wird (Lang und von Depka 2006). Das zurzeit ausgereifteste System stellt die Thrombelastometrie (ROTEM®, Pentapharm, München), eine Weiterentwicklung der klassischen Thrombeleastographie nach Hartert dar. Auch wenn diese Methode natürlich nicht die ganze Komplexität der Gerinnung darstellen kann, hat sie doch einige wesentliche Vorteile für das intraoperative Gerinnungsmonitoring: • Es handelt es sich um eine funktionelle Methode, die kontinuierlich mechanisch die Gerinnselfestigkeit im Vollblut von der Aktivierung der Gerinnung über die Thrombinbildung bis zur Fibrinpolymerisation und schließlich Fibrinolyse darstellt. • Durch Verwendung von Aktivatoren liegen nach 10€min Messzeit die ersten Ergebnisse vor. • Der Einsatz von modifizierenden Reagentien erlaubt eine Differentialdiagnose zwischen Faktorenmangel, Heparinwirkung, Fibrinogenmangel, Hyperfibrinolyse und Thrombozytopenie. Dem stehen jedoch zwei Probleme gegenüber: • Das System stellt einen zusätzlichen Kostenfaktor dar, wenn das Labor die Standardgerinnungsanalysen vorhält. Dieses lässt sich aber möglicherweise durch Kostenersparnisse bei rationellerer Gerinnungssubstitution kompensieren (Spalding et€ al. 2007). • Nur durch eine ausreichende Einsatzfrequenz kann die Routine bei sonst nicht mit Laboranalysen befasstem Personal aufrechterhalten werden. Ein möglicher Ausweg ist hier, die Thrombelastometrie unter entsprechend kurzer logistischer (Rohrpost) und Online-Anbindung (zur Ergebnisübermittlung) im Zentrallabor durchzuführen. Letztendlich wird in den meisten Kliniken zum momentanen Zeitpunkt die Standarddiagnostik mit Quick (INR), PTT, Fibrinogen, AT€III und Thrombozytenzahl durchgeführt werden. Auch wenn mit diesen Parametern keine Leitlinien für eine perioperative Gerinnungssubstitution bestehen, wird häufig pragmatisch die sog. „50er Regel“ als Zielgröße (Thrombozyten >â•›50.000/µl, Quick >â•›50€%, aPTT 1€ g/l) angewandt (Tab.€ 8.5). Man muss aber unbedingt im Auge behalten, dass diese Werte die
G. Hundt
342
Tab. 8.5↜╇ Zielgrößen für die perioperative Substitutionstherapie bei Massenblutungen. (Mod. nach Hardy et€al. 2004)
Parameter Thrombozyten Quick aPTT Fibrinogen
Zielwert >â•›50.000/µl >â•›50€% 50€s >â•›1€g/l
absoluten unteren Grenzwerte darstellen (Hardy et€al. 2004).
8.3.2.2 T herapie der intraoperativen Koagulopathie Zur Therapie der intraoperativen Koagulopathie und den dabei eingesetzten Präparaten liegen keine validen prospektiven Studien vor. Das gilt sowohl für den Einsatz von Frischplasma (FFP) als auch für die Verabreichung von Faktorenkonzentraten. Dem steht der millionenfache Einsatz von FFP und Faktorenkonzentraten gegenüber, der klinisch in der Regel offensichtlich zum Erfolg führt. Auch liegen zahlreiche Leitlinien von Fachgesellschaften vor (American Society of Anaesthesiologists Task Force on Blood Component Therapy 1996; British Committee for Standards in Haematology, Blood Transfusion Task Force 2004; Bundesärztekammer 2005), die sich aber bei der unzureichenden Studienlage hauptsächlich auf jahrzehntelange Erfahrungen beim Einsatz der Produkte, Expertenmeinungen und Beobachtungsstudien stützen müssen (Heindl und Spannagl 2006). Es lassen sich aber einige Grundaussagen treffen: • Für den Einsatz von gerinnungsaktiven Substanzen muss immer eine klar erkennbare Indikation vorliegen. Die klinische Situation ist die Entscheidungsgrundlage in Verbindung mit den Laborwerten. Ohne mikrovaskuläre Blutungsneigung keine Therapie von Laborwerten! • Wegen der niedrigen Konzentrationen der einzelnen Gerinnungsfaktoren (insgesamt max. 0,03€g/l) im Frischplasma wird FFP zur Substitution von Gerinnungsfaktoren in der Regel unterdosiert. Wenn man sich an die Leitlinien der Bundesärztekammer für Verlust- und Dilutionskoagulopathie hält (15–20€ ml/kg/KG), bedeutet dies bei einem normalgewichtigen Patienten schon primär die Gabe von 1000–1500€ ml FFP. Chowdhury et€ al. (2004) konnten aber nachweisen, dass erst die Substitution von 30€ml/kg KG FFP zu einem suffizienten Anstieg erniedrigter Gerinnungsfaktoren führt. Diese hohe Volumenbelastung kann weitere
Anmerkungen Entspricht â•› 90€% durchgeführt Karrholm et€al. 2008). Auswahl des Zements.╇ Neben der Zementiertechnik, also dem operativen Ablauf, beeinflusst auch die Wahl des Zements die Überlebensraten der Hüftendoprothesen. Beispielsweise traten bei Anwendung des Boneloc-Zements vermehrt aseptische Lockerungen auf (s. auch Kap.€13.2.6). Zudem weisen Knochenze-
434
mente ohne Antibiotikazusatz ein erhöhtes Risiko der aseptischen Lockerung auf. In der Registerstudie von Engesaeter et€ al. (2006) mit zementfreien Prothesen als Referenz konnte eine hochsignifikante Erhöhung des relativen Risikos einer Revision aufgrund einer aseptischen Lockerung um 30€ % nachgewiesen werden, wenn ein antibiotikafreier Zement genutzt wurde. Auch das Risiko einer tiefen Infektion stieg auf das 1,8fache. Ein antibiotikahaltiger Zement hingegen senkte das Risiko der Revision aufgrund einer aseptischen Lockerung um 40€ % gegenüber der zementfreien Implantation; das Risiko der tiefen Infektion zeigte sich nicht erhöht. Havelin et€al. (1995) wiesen im Vergleich ein 2,5fach erhöhtes Revisionsrisiko aufgrund einer Schaftlockerung nach, wenn ein niedrig-visköser Zement im Vergleich zu hoch-viskösem Zement genutzt wurde. Mit Boneloc-Zement war das Risiko sogar um den Faktor 8,7 erhöht. Hinsichtlich der Pfannenkomponente lagen, abgesehen von einem 6fach erhöhten Revisionsrisiko durch Boneloc-Zement, keine signifikanten Unterschiede vor. Nachteile der zementierten Implantationsweise.╇ Neben den Erfolgen der zementierten Hüftendoprothetik sollte jedoch auch erwähnt werden, dass es im Rahmen der Polymerisation des PMMA zu einer Freisetzung toxischer Methylmethacrylat-Monomere kommt (Schlegel et€al. 2004). Zudem stellt die Polymerisation eine exotherme Reaktion dar, bei der das umliegende Gewebe teilweise sehr hohen Temperaturen ausgesetzt wird. Eine mögliche lokale Herabsetzung der immunlogischen Abwehr mit erhöhtem Risiko der vorzeitigen Lockerung oder Infektionen wird in der aktuellen Literatur diskutiert (Engesaeter et€al. 2006). Schließlich können gerade durch das Zementieren des Schafts unter hohem intramedullärem Druck Fettembolien auftreten und kardiopulmonale Komplikationen hervorgerufen werden (Breusch et€al. 2002).
13.2.7.4 Zementfreie Verankerung Metaanalysen.╇ Eine aktuelle Metaanalyse, die zementierte und unzementierte Verankerungstechniken beim totalen Hüftgelenksersatz vergleicht, kommt zu dem Ergebnis, dass kein Vorteil für eines der Verankerungsverfahren besteht, wenn das Versagen entweder als Revision von einer oder beiden Komponenten oder als Revision von einer spezifischen Komponente definiert wird. Es konnte auch kein signifikanter Unterschied zwischen den Ergebnissen der Prothe-
H. Kienapfel und A. Becker
senregisterstudien und der Einzelcenterstudien oder auch zwischen den randomisierten und nichtrandomisierten Studien festgestellt werden. Allerdings zeigte eine Subgruppenanalyse der Typ-A-Studien (Versagen wegen Revision von einer oder beiden Komponenten) ein besseres Implantatüberlebensverhalten mit zementierter Verankerung in Studien, bei denen Patienten jeden Alters eingeschlossen wurden, im Vergleich zu jenen, bei denen nur Patientin im Alter von 55 Jahren und jünger eingeschlossen wurden (Morshed et€ al. 2007). In den Typ-B-Studien (Versagen wegen Revisionsnotwendigkeit einer spezifischen Komponente) erbrachte die Subgruppenanalyse, dass zementierte Titanschäfte und zementfreie Schraubpfannen mit einer schlechteren Implantatüberlebensrate vergesellschaftet sind. Eine Assoziation wurde auch zwischen dem Unterschied in der Überlebensrate und dem Publikationszeitpunkt festgestellt. Die unzementierte Verankerungen weist in jüngerer Zeit eine relative Überlegenheit auf. Letzteres steht nur in einem scheinbaren Widerspruch zu den Ergebnissen der skandinavischen Endoprothesenregister und hier insbesondere des Schwedenregisters, das ein Revisionsrisiko für zementierte Prothesenverankerungen für den Zeitraum 1979 bis 2007 von 8,1€% aufweist, im Vergleich hierzu bei zementfreien Hüftprothesenverankerungen eine Revisionshäufigkeit im gleichen Zeitraum von 17,3€%. Interessanterweise war für den gleichen Zeitraum eine für die Hybridverankerungen (bzw. reverse Hybridverankerungâ•›=â•›zementierte Pfanne + zementfreier Schaft) ein Revisionsrisiko von 13,5€ % (5,2€ %) festgestellt worden (Karrholm et€al. 2008).
13.2.7.5 Pfannenkomponenten Zementfreie Pfannenkomponenten können in unterschiedlicher Weise systematisiert werden. Eine der gebräuchlichsten Klassifikationen wurde von Morscher (1983) beschrieben. Hierbei werden sog. zylindrische Pfannenkomponenten, Rechteckpfannenkomponenten, konische Komponenten, ellipsoide Schraubringkomponenten und hemisphärische Pfannenkomponenten unterschieden. Auf Morscher geht auch die Forderung zurück, dass die Pfannenkomponente, die an der Grenzfläche am besten die physiologische Lastübertragung aufnimmt, wahrscheinlich die erfolgsreichste sein müsste. Unter den o.€ g. Komponentendesigns hat sich die hemisphärische, zementfreie Pfannenkomponente als die insgesamt erfolgsreichste herausgestellt.
13â•… Prothesenregister und Langzeitergebnisse
Gleichwohl muss festgestellt werden, dass die Weiterentwicklung der Schraubringdesign-Komponenten in Kombination mit Oberflächen, die für ein Knocheneinwachs- oder Anwachsverhalten hergestellt worden sind, die anfänglich schlechten Schraubringresultate deutlich verbessert haben. Betrachtet man die Registerdaten zu den Pressfit-Pfannen, so zeigen diese am Beispiel der TrilogyHA-Pfanne in Kombination mit unterschiedlichen Schäften für die Zeiträume 1992 bis 2007 10-JahresÜberlebensraten zwischen 91,3 und 94,3€% (Karrholm et€ al. 2008). Auch andere Press-fit-Pfannen, wie die ABG-II-HA-Pfanne weisen im Vergleich gute Resultate auf. Bereits die 2002 veröffentlichten Daten des Schwedenregisters haben darauf hingewiesen, dass in der ersten Generation der Press-fit-Pfannen mit einem Untersuchungszeitraum zwischen 1986 und 1996 7-Jahres-Überlebensraten in Abhängigkeit von der Kombination mit unterschiedlichen Schäften zwischen 94,4 und 100€ % vorhanden waren. Hierbei handelte es sich jedoch nicht um hydroxylapatitbeschichtete Pfannen.
13.2.7.6 Schaft Unter den zementfreien Schaftsystemen gibt es durchaus auch in den Registerstudien aus Skandinavien, wenn auch in kleiner Fallzahl, hervorragende Ergebnisse für bestimmte Designtypen wie z.€B. den CLSSpotorno-Schaft (Karrholm et€al. 2008). Andererseits haben viele Studien gezeigt, dass nur partiell beschichtete Schäfte, insbesondere wenn sie proximal nicht zirkumferenziell beschichtet waren, vergleichsweise schlechtere Überlebensraten aufwiesen. Bei letzteren Schaftsystemen kam es insbesondere zu Osteolysen im distalen Bereich des Schafts. Letzteres wird mit dem von Schmalzried erstmalig beschriebenen effektiven Gelenkspaltraum („effective joint space“) erklärt (Schmalzried et€al. 1992). 13.2.7.7 Hybridversorgung Unter den Endoprothesenregisterstudien weist das schwedische Register eine relativ große Datenmenge mit Hybridversorgungen und zwar sowohl in Kombination eines zementierten Schafts und einer zementfreien Pfanne als auch im Sinne einer reversen Hybridversorgung, bei der eine zementierte Pfanne mit einem zementfreien Schaft kombiniert wird, auf. Seit 1999 hat die Indikation für die sog. reverse Hybridendoprothetik in Schweden deutlich zugenommen. Seit
435
2004 hat die Anzahl der reversen Hybridendoprothesen die Anzahl der klassischen Hybridendoprothesen übertroffen. In den 2008 veröffentlichten Daten (Karrholm et€al. 2008) betrug die Revisionsbelastung für die unterschiedlichen Verankerungstechniken für die Zeitperiode 1992 bis 2007: • 9,8€% für vollkommen zementierte Implantatkomponenten, • 20,3€% für vollkommen zementfreie Implantatkomponenten, • 15,4€ % für klassische Hybridverankerungstechniken und • 4,9€% für die reversen Hybridverankerungen. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Revisionsbelastung abhängig von der Anwendungsdauer einer Methode ist und gerade die reverse Hybridversorgung als jung eingeführte Methode verhältnismäßig wenige Fälle eines Prothesenversagens aufweist, die erst nach vielen Jahren eintreten. In der jüngeren Patientenpopulation unter 60 Jahre erfolgte die Mehrzahl aller Implantationen mit vollkommen zementfreien Systemen (37,0€%), gefolgt von zementierten Verankerungen (30,1€ %), reversen Hybridverankerungen (17,5€ %) und Hybridversorgungen (1,4€%). (Oberflächenersatzprothesen machten in dieser Patientengruppe 9,5€ % aus.) Hieraus ist auch zu entnehmen, dass für diese jüngere Patientengruppe klassische Hybridversorgungen in Schweden eher vermieden wurden. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch im norwegischen Prothesenregister. Hier zeigt sich, dass bei Patienten unter 60 Jahren seit 2003 kontinuierlich die komplett zementierte Versorgung abgenommen, die komplett zementfreie Versorgung gleichbleibend hoch und die inverse Hybridversorgung deutlich zugenommen hat. Für das Jahr 2007 teilen sich die vorgenannten Versorgungskonzepte mit ca. je 1/3 gleichmäßig auf. Die Überlebenskurven im norwegischen Register weisen nach 15 Jahren für die klassische Hybridversorgung eine Überlebensrate von etwa 75€ % sowie für die reverse Hybridendoprothesen von etwa 85€% auf (Furnes et€al. 2008).
13.2.8 E influss des Alters und des Geschlechts In den veröffentlichten Daten des finnischen Endoprothesenregisters (Puolakka et€al. 2001) geht hervor,
436
dass die 10-Jahres-Überlebensrate für Patienten unter 55 Jahre 72€% betrug, während diese für die Patienten über 70 Jahre 90€ % betrug. Für die Patientengruppe dazwischen, d.€h. im Alter zwischen 55 und 70 Jahren, die nochmals in eine Altersgruppe von 55 bis 60 bzw. von 60 bis 70 Jahren aufgeteilt wurde, ergab sich nach 11 Jahren kein Unterschied. Auch im schwedischen Registerreport für das Jahr 2007 wird darauf hingewiesen, dass das Alter und das Geschlecht die Langzeitergebnisse beeinflusst. So werden im Schwedenregister die Ergebnisse für die unterschiedlichen Geschlechter und Altersgruppen in 4 Intervallen dargestellt (Karrholm et€al. 2008): • jünger als 50 Jahre, • 50 bis 59 Jahre, • 60 bis 75 Jahre, • und älter als 75 Jahre dargestellt.
13.2.8.1 Jünger als 50 Jahre Hier bestanden allenfalls geringe Geschlechterunterschiede. So war die Überlebensrate nach 16 Jahren bei allen Patienten im Alter, jünger als 50 Jahre für Männer 65,7€% und für Frauen 64,2€%. Betrachtet man jetzt die Untergruppen, so waren die Überlebensraten für • zementierte Implantate bei Männern 74,7€ %, bei Frauen 72,5€%, • für unzementierte Implantate bei Männern 57,4€%, bei Frauen 54,3€%, • für Hybridimplantate (nach 15 Jahren) bei Männern 68,9€% und bei Frauen 67,4€%. 13.2.8.2 50 bis 59 Jahre In der Altersgruppe zwischen 50 und 59 Jahren war für alle Verankerungstechniken nach 16 Jahren die Überlebensrate bei Männern 76,6€ %, bei Frauen 76,1€ %. Betrachtet man hier die Untergruppen, so betrug die Überlebensrate für die • zementierten Verankerungen bei den Männern 78,0€%, bei den Frauen 79,5€%, • zementfreien Verankerungstechniken bei den Männern 77,6€%, bei den Frauen lediglich nur 68,2€%, • Hybridverankerungstechniken bei den Männern 75,0€% und bei den Frauen 72,0€%. 13.2.8.3 60 bis 75 Jahre In der Altersgruppe zwischen 60 und 75 Jahren, die den größten Anteil ausmacht, betrug die Überlebens-
H. Kienapfel und A. Becker
rate nach 16 Jahren insgesamt für alle Gruppen bei den Männern 83,6€% und bei den Frauen immerhin 89,6€%. Hier zeigen sich auch die deutlichsten Geschlechterunterschiede zu Ungunsten der Männer. Betrachtet man Art der Verankerung, so betrug die Überlebensrate für die • zementierten Verankerungen bei Männern 84,3€%, bei Frauen 90,0€%, • zementfreien Verankerungstechniken bei den Männern 81,8€%, bei den Frauen 86,4€% (nach 14 Jahren), • Hybridverankerungstechniken bei den Männern nur 75,3€%, bei den Frauen 83,3€%.
13.2.8.4 Älter als 75 Jahre In der Altersgruppe über 75 Jahre betrug die Überlebensrate nach 16 Jahren für alle Verankerungstechniken bei den Männern 92,7€ % und bei den Frauen 95,8€ %. Betrachtet man hier die Untergruppen, so betrug die Überlebensrate für die • zementierten Verankerungstechniken bei den Männern 92,8€%, bei den Frauen 95,8€%, • Hybridimplantationen nach 7 Jahren bei Männern 94,2€ %, bei Frauen nach 10 Jahren 97,0€ % (Hinweis: kleine Fallzahlen, Männer nâ•›=â•›147/Frauen nâ•›=â•›259). Aussagen zu zementfreien Implantate fehlen in dieser Altersgruppe wegen der geringen Fallzahlen (n╛╛3€cm) vor. Es finden sich eine geringgradige bis mittelgradige Sitzbeinosteolyse und eine Zerstörung des lateralen Anteils der Tränenfigur. Die Köhler-Linie ist teilweise betroffen, die Hauptmigrationsrichtung ist jedoch im Wesentlichen nach kranial gerichtet, geringer nach medial. Die verbliebene kraniale Abstützung ist nicht in der Lage, die Pfanne zu fixieren. In Abhängigkeit der Migration sind jedoch die vordere und hintere Säule noch intakt (Abb.€14.14). Die Versorgung erfolgt in Abhängigkeit des Lebensalters durch Rekonstruktion des Pfannendoms mit Allograft, Implantat oder metallischem Knochenersatz. Metallische Implantate zeigen dabei in der Zusammenfassung eine bessere Abstützung, erlauben jedoch in keinem Fall eine Rekonstruktion des Knochens, was bei jungen Patienten im Regelfall angestrebt wird. Typ-3b-Defekt Dabei handelt es sich um ausgedehnte azetabuläre Knochendefekte mit kranialer Migrationâ•›>â•›3€ cm und medialer Migration der Pfanne mit Verlust der Tränenfigur und Schädigung der Köhler-Linie. Die Sitzbeinosteolyse ist groß und belegt eine ausgedehnte Schädigung der hinteren Säule. Eine Beckendiskontinuität ist hier einzukalkulieren. Die hintere und vordere Wand erlauben keine relevante Abstützung mehr (Abb.€14.15). Die Standardbehandlung bei diesem Typ besteht heute in der Verwendung von Stützringen sowie zusätzlicher Allografts. Die Verwendung von strukturierten Allografts allein führt zu einem frühzeitigen Versagen in hohem Prozentsatz und wird daher heute
C. Perka und M. Millrose
Abb. 14.15↜ Röntgenaufnahme (a) und schematische Darstellung (b) eines Paprosky-3b-Defekts. Die Pfannenmigration beträgtâ•›>â•›3€cm mit massiven Defekten, das gesamte Azetabulum ist nicht tragfähig. Die Köhler-Linie ist durchbrochen
nicht mehr empfohlen. Bei einer Beckendiskontinuität sollte zusätzlich („nicht allein“) eine Platte zur Stabilisierung der posterioren Säule angelegt werden. Alternative therapeutische Möglichkeiten sind die Sockelpfanne sowie Spezialimplantate.
14.2.1.2 Femurdefekt Paprosky unterteilt die femoralen Defekte nach der Möglichkeit, eine zementfreie komplett oberflächenstrukturierte Prothese zu verankern (Paprosky und Burnett 2002; Della Valle und Paprosky 2004). Dieses Klassifikationssystem beschreibt weniger genau als das AAOS-System, gibt jedoch zusätzlich eine Therapieempfehlung. Typ 1-Defekt Minimale Schädigung der proximalen Abstützung (Abb.€14.16). Typ-2-Defekt Metaphysärer Defekt, in dem nur eine proximal beschichtete Prothese keine Abstützung erfahren würde (Abb.€14.17). Typ 3-Defekt Typ€ IIIa: Ausgedehnter proximaler Knochendefekt auch diaphysär, wobei jedoch die Fixation im Isthmus auf einer Länge von mindestens 4€cm noch möglich ist. Typ€IIIb: Zerstörung des proximalen Femur einschließlich des Isthmus, eine Fixation ist lediglich unterhalb des ehemaligen Isthmus möglich (Abb.€14.18). Typ-4-Defekt Die gesamte Diaphyse ist betroffen, wodurch keine axiale und rotatorische Stabilität
14â•… Revisionsendoprothetik
Abb. 14.16↜ Röntgenaufnahme (a) und schematische Darstellung (b) eines Paprosky-I-Defekts des Femur. Lediglich die Metaphyse ist geschädigt
erreicht werden kann. In diesen Fällen ist die Versorgung mit einer zementfreien Prothese nicht mehr möglich. Empfohlen werden das „Impaction grafting“, die Implantation von Spezialprothesen (z.€B. Durchsteckprothesen) oder die zusätzliche Verwendung strukturierter Allografts (Abb.€14.19).
14.2.2 E NDO-Klassifikation des Azetabulumsdefekts nach Nieder Nieders Klassifikation beruht auf der Beobachtung, dass jede Pfannenlockerung zunächst zu einer konzentrischen Aufweitung des Azetabulum führt. Kommt es in dieser Phase nicht zur Revisionsoperation, kann sich die Pfanne in der Frontalebene prinzipiell in drei Richtungen bewegen (Abb.€14.20). Als Richtungen werden unterschieden: • kraniolateral, • kranial oder • kraniomedial.
453
Bei der kraniolateralen Wanderung wird der Erker des Azetabulum zerstört, während der Pfannenboden erhalten ist. Der Defekt ähnelt dem der DysplasieÂ� koxarthrose, weshalb Nieder den Begriff „Dysplasietyp“ prägte (Abb.€14.21). Migriert die Pfanne nach kranial, sind der Erker und der Boden meist erhalten, jedoch je nach Wanderungsrichtung in der sagittalen Richtung der vordere oder hintere Pfeiler zerstört (Abb.€14.22). Bei einer kraniomedialen Wanderung ist der Erker im Regelfall mit einer nach distal spitzwinklig auslaufenden Knochenkante erhalten. Der aufgeweitete Boden ist entweder dünn, als Knochenlamelle vorhanden oder fehlt. Je nach Vorhandensein des Bodens wird der geschlossene vom offenen Protrusionstyp unterschieden (Abb.€14.23). Auch Nieder gibt für seine Defektklassifikation Rekonstruktionstechniken unter Verwendung allogener Transplantate an. Nach kraniolateraler Wanderung wird das Transplantat im Erkerbereich mit Schrauben fixiert. Bei kranialer Defektsituation wird das Transplantat so geformt, dass es das Azetabulum verbreitert und den tragenden kranialen Anteil (das „Dach“) nach distal verlagert (entsprechend der Technik des 7er-Transplantats nach Paprosky). Bei kraniomedialer Wanderung wird bei erhaltenem Pfannenboden der Defekt immer mit Knochenspänen aufgefüllt, die verdichtet werden. Besteht ein Defekt, erfolgt die Verwendung eines strukturierten Transplantats, das in Form eines Huts modelliert ist. Hauptnachteil dieser klinisch bei Lockerungen sehr einfach anzuwendenden Klassifikation ist, dass nur reine Pfannenlockerungen genau diesen Annahmen folgen, bei Defektsituationen anderer Ätiologie (Osteolysen um feste Pfannen, posttraumatischen Zuständen u.€ a.) die Zuordnung jedoch nicht sicher möglich ist.
14.2.3 E NDO-Klassifikation des Femurdefekts nach Engelbrecht/ Heinert Diese Klassifikation ist primär für zementierte Prothesen entwickelt worden und unterscheidet folgende Stadien: • Grad 1: „radiolucent line“ (Aufhellungslinie) um die obere Hälfte des Zementmantels (Abb.€14.24),
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C. Perka und M. Millrose
Abb. 14.17↜ Röntgenaufnahme (a) und schematische Darstellung (b) eines Paprosky-II-Defekts des Femur. Die Metaphyse ist geschädigt, die Spongiosa fehlt hier fast vollständig. Die Kalkarregion ist nicht tragfähig, die Diaphyse zeigt jedoch allenfalls kleine Defekte
Abb. 14.18↜ Röntgenaufnahme (a) und schematische Darstellung (b) eines Paprosky-III-Defekts des Femur. Die Metaphyse ist schwer geschädigt und nicht tragfähig. Die Diaphyse zeigt Defekte, Teile des Isthmus sind jedoch erhalten
• Grad 2: generalisierte „radiolucent line“ (Aufhellungslinie), endostale Reaktion und Ausweitung des Markraums (Abb.€14.25), • Grad 3: Erweiterung des proximalen Femur (Abb.€14.26), • Grad 4: ausgedehnte Destruktion der proximalen 2/3 des Femur (Abb.€14.27).
14.2.4 A AOS-Klassifikation des Azetabulumdefekts nach D’Antonio Das Klassifikationssystem unterscheidet zwei grundsätzliche Defektsituationen – segmentale und kavitäre Defekte. Als segmentaler Defekt (Typ€ I) wird jeder komplette Verlust von Knochen einer das Azetabulum begrenzenden knöchernen Wand bezeichnet. Kavitäre Defekte (Typ€ II) sind durch den volumetrischen Verlust an Knochensubstanz der azetabulären Kavität
14â•… Revisionsendoprothetik
455
Abb. 14.21↜ Girdlestone-Situation nach infektbedingtem Ausbau mit Azetabulumdefekt entsprechend einem Dysplasie-Typ nach Nieder Abb. 14.19↜ Röntgenaufnahme (a) und schematische Darstellung (b) eines Paprosky-IV-Defekts des Femur. Die Metaphyse und der Isthmus sind schwer geschädigt und nicht tragfähig
Abb. 14.20↜ Schematische Zeichnung der Migrationsrichtungen nach der Nieder-Klassifikation. Rot kraniomedial, blau kranial, grün kraniolateral
Abb. 14.22↜ Kranialtyp nach Nieder
gekennzeichnet. Hierbei sind jedoch die jeweiligen Begrenzungen (knöcherne Wand) intakt. Segmentale und kavitäre Defekte werden dann weiter untergliedert. Ihr gemeinsames Auftreten entspricht einem TypIII-Defekt. Zusätzlich finden in der Klassifikation die
Beckendiskontinuität und die Arthrodese Berücksichtigung (Tab.€14.5). Spezifische therapeutische Prinzipien in Abhängigkeit des Defekts werden nicht angegeben. Jedoch finden sich in der Originalarbeit von D’Antonio grundsätzliche Äußerungen zu den Erfordernissen
456
C. Perka und M. Millrose
Abb. 14.25↜ Femoraler Defekt Grad 2 nach der ENDO-Klassifikation nach Engelbrecht/Heinert
Abb. 14.23↜ Protrusionstyp nach Nieder. Die Pfanne ist nach medial-kranial gewandert
Abb. 14.26↜ Femoraler Defekt Grad 3 nach der ENDO-Klassifikation nach Engelbrecht/Heinert
Abb. 14.24↜ Femoraler Defekt Grad 1 nach der ENDO-Klassifikation nach Engelbrecht/Heinert
der azetabulären Rekonstruktion. Gefordert wird, dass präoperativ festgelegt wird, welcher Knochentyp (Autograft oder Allograft, Femurkopf, distales Femur, distale Tibia o.€ a.) in welcher Form (strukturiertes Transplantat oder Knochenchips) zum Einsatz kommt oder ob die Defekte mit metallischem Material (Spacer oder Revisionspfanne) gefüllt werden sollen. Des Weiteren ist zu klären, ob ein erweitertes Revisionsinstrumentarium und -implantate bzw. internes Osteosynthesematerial für große Defektrekonstruktionen nach Frakturen verfügbar sind.
14â•… Revisionsendoprothetik
457
Tab. 14.6↜╇ Klassifikation der femoralen Defekte nach der AAOS (Abb.€14.29) Typ I
Typ II Typ III Typ IV Typ V Typ VI Abb. 14.27↜ Femoraler Defekt Grad 4 nach der ENDO-Klassifikation nach Engelbrecht/Heinert mit ausgedehnter femoraler Knochendestruktion
Tab. 14.5↜╇ Klassifikation der azetabulären Defekte nach der AAOS (Abb.€14.28) Typ I
Segmentale Defekte
Typ II
Kavitäre Defekte
Typ III Typ IV Typ V
Kombinierte Defekte Beckendiskontinuität Arthrodese
Peripher (A) superiorer Defekt anteriorer Defekt posteriorer Defekt zentral (B) mediale Wand fehlend Peripher (A) superiorer Defekt anteriorer Defekt posteriorer Defekt zentral (B) mediale Wand intakt
14.2.5 A AOS-Klassifikation des Femurdefekts nach D’Antonio Die Femurdefektklassifikation unterscheidet in Anlehnung an die Defektklassifikation des Azetabulum ebenfalls zwischen segmentalen und kavitären Defekten (D’Antonio 1993). Als segmentaler Defekt (Typ€ I) wird jeder komplette Verlust des kortikalen Knochens an irgendeiner Stelle beschrieben. Des Weiteren wird nach der Höhe ihres Auftretens unterschieden. Segmentale Defekte vom Niveau€I finden sich oberhalb der unte-
•â•‡Niveau I (über dem unteren Segmentale Ende des kleinen Trochanters) Knochendefekte •â•‡Niveau II (bis 10€cm unter dem Ende des kleinen Trochanters) •â•‡Niveau III (distal von Level II) Kavitäre Defekte Kombinierte Defekte Malalignment (rotatorische oder anguläre Achsabweichung) Femorale Stenose (kompletter Verschluss des intramedullären Kanals) Femorale Diskontinuität
ren Begrenzung des kleinen Trochanters, Niveau-IIDefekte innerhalb von 10€ cm unterhalb der unteren Begrenzung des kleinen Trochanters und Niveau-IIIDefekte distal dieser Zone. Ein kavitärer Defekt ist der Verlust des spongiösen Knochens oder des endostalen kortikalen Knochens. Typische Situationen sind die Aufweitung des femoralen Markraums oder die Ausdünnung der diaphysären Kortikalis. Segmentale proximale Defekte werden weiter in partielle und komplette Defekte unterteilt. Partielle segmentale Defekte können vorn, medial, hinten oder lateral lokalisiert sein. Als interkalarischer Defekt wird der segmentale kortikale Knochenverlust bezeichnet, bei dem intakter Knochen darüber und darunter vorhanden ist. Zusätzlich werden wieder kombinierte Defekttypen wie die Achsdeformität, die femorale Stenose und die femorale Diskontinuität unterschieden (Tab.€14.6).
14.3 Implantate 14.3.1 R evisionspfannensysteme – Prinzipien B. Fink und U. Sentürk Bei dem Wechsel von gelockerten Pfannen müssen mehrere Ziele erreicht werden. Die neue Pfanne muss stabil verankert werden, um eine Migration und erneute Lockerung zu verhindern. Das Drehzentrum des Hüftgelenks soll wieder rekonstruiert und idealer-
B. Fink und U. Sentürk
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Typ 1
Typ 2
Typ 3
Typ 4
Typ5
Abb. 14.28↜ Defektklassifikation des Azetabulum nach AAOS (vgl. Tab. 14.5)
Typ 1
Typ 2
Typ 3
Typ 4
Typ 5
Typ 6
Einteilung der Schaftdefekttypen
Höhenlokalisation
Typ 1: segmentale Defekte Typ 2: kavitäre Defekte Typ 3: kombinierte Defekte Typ 4: Fehlstellung, Deformitäten Typ 5: Stenosen Typ 6: femorale Diskontinuität
Level 1: oberhalb des Unterrandes des Trochanter minor Level 2: innerhalb der ersten 10cm unterhalb des Unterrandes des Trochanter minor Level 3: alles distal vin Level 2
Implantat-Knochen-Kontakt
Grad I: vollständiger Implantat-Knochen-Kontakt Grad II: unvollständiger Implantat-Knochen-Kontakt, die Prothese ist aber stabil im knochen verankert, ein Knochenersatz wird allenfalls zur Füllung von Zwischenräumen verwendet Grad III: hier besteht ein unvollständiger Implantat-Knochen-Kontakt, das Implantat alleine kann nicht stabil im Knochen verankert werden. Zur Rekonstruktion sind Allografts nötig
Abb. 14.29↜ Defektklassifikation des Femurs der AAOS
14â•… Revisionsendoprothetik
weise die Azetabulumkontinuität und -integrität wiederhergestellt werden. Bei der Revision von gelockerten Pfannen stehen verschiedene Konzepte bzw. Revisionssysteme zur Verfügung (s.€Übersicht). Die optimale Implantationstechnik erlaubt die Verkleinerung eines bestehenden Knochendefekts durch Knochentransplantate bzw. vermeidet die Entstehung weiterer Knochensubstanzdefekte. Im Folgenden sollen die verschiedenen Prinzipien anhand von Implantaten, die in der Literatur gut publiziert sind, beispielhaft beschrieben werden. Es besteht die Möglichkeit, das neue Pfannenimplantat zementiert oder zementfrei zu fixieren. Eine Kombination beider Verankerungen ist die zementierte Verankerung einer Poylethylenpfanne in einer zementfrei eingeschlagenen und verschraubten Schale.
Verschieden Konzepte für den Pfannenwechsel
• Zementierte Pfanne • Zementfreie Pfanne − Press-fit-Pfanne −╇ Hemisphärische Pfanne − Standardpfanne â•… Jumbo-Pfanne – Pfannen mit differentem Längs- und Querdurchmesser −╇ Biradiäre Pfanne −╇ Längsovale Pfanne – Schraubpfanne
14.3.1.1 Zementierte Pfannen Die Technik der Implantation zementierter Polyethylenpfannen unterscheidet sich bei Fehlen großer kavitärer oder von segmentalen Defekten nicht von der bei einer Primärimplantation. Größere kavitäre Pfannendefekte sollten mit autologer oder homologer Spongiosa aufgefüllt werden. Die Knochentransplantate sind maximal zu verdichten. Beim Einzementieren wird die Spongiosaplastik weiter komprimiert (Marti et€ al. 1990). Bei segmentalen Defekten sind diese zunächst zu verschließen, um eine Kompression des Knochens und nachfolgend des Zements zu erlauben. Grundlage ist die Verwendung von Drahtnetzen oder größeren strukturierten Allografts, um einen ausreichenden Druckaufbau bei der Zementierung für dessen Verzahnung mit dem Wirtsknochen zu ermöglichen (Schreurs et€al. 1998; Leopold et€al. 2000).
459
Im Revisionsfall weist der knöcherne Pfannengrund eine andere Struktur auf als bei der Primärimplantation; er ist sklerotisch, ausgedünnt und ggf. defizitär. Daher ist die Interdigitation des Knochenzements im Revisionsfall deutlich beeinträchtigt, was zu einer schlechteren Implantathaftung mit höheren Revisionsraten führt. Wirtz und Niethard (1997) konnten in einer Übersichtsarbeit zeigen, dass die Rerevisionsrate von zementierten Pfannen deutlich höher ist als von zementfreien Pfannen.
14.3.1.2 Zementfreie Pfannen Bei den zementfrei implantierten Pfannen werden Pfannen, die über eine Press-fit-Verklemmung fixiert werden, von Schraubpfannen unterschieden (s. Übersicht S. 455). Hemisphärische Press-fit-Pfannen Standard-Pressfit-Pfannen╇ Hemispärische Press-fit-Pfannen, wie bei der Primärimplantation verwendet, sind das Standardimplantat in der Revisionsendoprothetik (Abb.€14.30). Sie werden durch die Verklemmung im Äquatorbereich fixiert (Press-fit-Fixierung). Somit erzielen diese Pfannen ihre Fixation durch eine zirkumferente Verklemmung am Pfannenrand. Sie erfordern mindestens 3 Abstützregionen (vgl. dreibeiniger Hocker). Erzielt man eine suffiziente Press-fit-Fixation im Azetabulum bedarf es keiner zusätzlichen Verschraubung im Os ilium. Da der erreichte Grad der Stabilität der erreichten Press-fit-Fixation schwierig zu bestimmen ist, verwenden einige Operateure zusätzlich Spongiosaschrauben zur Fixation. Beide Techniken sind absolut korrekt, im Zweifelsfall sollten immer Schrauben verwendet werden. Diese Pfannentypen eignen sich vor allem bei kavitären Defekten mit intaktem Pfannenrand bzw. bei Knochendefekten von weniger als 30€% der Azetabulumoberfläche (Elke et€al. 2001; Garcia-Cimbrelo und Relato 1999). Knochendefekte, die weniger als 50€% Kontakt der Pfanne mit dem Wirtsknochen erzielen lassen, stellen nach der Meinung der meisten Autoren Kontraindikationen für Press-fit-Pfannen dar (GarciaCibrelo und Relato 1999; Paprosky et€al. 1994; Morsi et€al. 1996; Gross et€al. 1993; Lachiewicz et€al. 1994), obwohl Leopold et€ al. (1999) und Della Valle et€ al. (2004) sehr gute Standzeiten für Harris-Galante-Pressfit-Pfannen (Zimmer GmbH, Winterthur, Schweiz) auch bei größeren Pfannendefekten vom Typ Paprosky 3A und 3B fanden. Durch die Verwendung neuer
460
B. Fink und U. Sentürk
Abb. 14.30 ↜(a, b)╇ Pfannenwechsel mit einer zementfreien Press-fit-Pfanne (Allofit-S, Zimmer GmbH, Winterthur, Schweiz). Links: Darstellung des Implantats
Oberflächen werden diese 30€ % von immer mehr Autoren in Frage gestellt. So werden für Pfannen mit sehr hoher Friktion (z.€ B. Trabecular Metal) inzwischen auch geringere Kontaktflächen für akzeptabel gehalten. So wurden auch für die Allofit-S-Pfanne (Zimmer, Winterthur, Schweiz) und die Duraloc-Pfanne (DePuy, Kirkel, Deutschland) keine erhöhten Migrations- und Frühlockerungsraten bei größeren Defekten beobachtet (Fink et€ al. 2008; Obenaus et€ al. 2003). Obenaus et€al. (2003) verzichteten in ihrer Studie sogar grundsätzlich auf Spongiosschrauben, wenn ein Press-fit von 2€mm erreicht wurde. Neben der Knochenquantität (Kontaktfläche) ist besonders die Stabilität des Knochens entscheidend dafür, ob im vorhandenen Azetabulumknochen eine ausreichend stabile Verklemmung der Pfanne erreicht werden kann. So können rein kavitäre Defekte einen geschlossenen, aber insuffizienten, dünnwandigen Pfannenrand hinterlassen, der eine Press-fit-Verklemmung nicht ermöglicht, während bei segmentalen Defekten aber möglicherweise drei stabile Verankerungspunkte ausreichenc sind (stabiler Pfannenrestrand). Modulare Systeme wie das hochporöse Trabecular Metal (TMT-System, Zimmer GmbH, Winterthur, Schweiz) besitzen eine sehr hohe Friktion gegenüber dem Knochen (geringere Kontaktfläche notwendig) und sind modular in Verbindung mit Augmentaten/ Abstützplatten (siehe auch Jumbo-Cups), zu verwenden (siehe Sonderimplantate; Unger et€al. 2005; Flecher et€al. 2008; Weeden und Schmidt 2007). Die Press-fit-Pfannen werden sehr unterschiedlich implantiert. In der Regel wird ein 2€ mm Pressfit gewählt, d.€h. dass der Durchmesser der Pfanne im
Äquator 2€mm größer ist, als die zuletzt durchgeführte Fräsung. Autoren wie Della Valla et€al. (2004), Silverton et€al. (1996) und Templeton et€al. (2001), implantieren die Pfannen ohne Press-fit, d.€ h., sie wählen den gleichen Durchmesser der Pfanne wie der zuletzt verwendete Fräser (sog. „Line-to-line-Implantation“). Die Primärstabilität der Pfanne wird dann hauptsächlich durch multiple Spongiosaschrauben erzielt. Dies scheint jedoch etwas höhere Revisionsraten zur Folge zu haben als die Press-fit-Implantation (s.€Kap.€14.9). Andere wiederum verwenden sogar einen erhöhten Press-fit von 4€ mm Durchmesserdifferenz (zwischen Fräsung und Implantat), was bei weichem Knochen sinnvoll ist, bei sklerotischem Knochen aber mit einem erhöhten Frakturrisiko des Azetabulum einhergeht. Kim et€al. (1995) fanden in einer In-vitro-Studie ein deutlich erhöhtes Frakturrisiko bei der Verwendung von Oversized-Cups mit höherem Press-fit. Bei einer Pfannenimplantation von 2€ mm Press-fit traten nur bei 4 von 30 Azetabula-Frakturen auf, hingegen bei 14 von 26 Pfannen mit einem Press-fit von 4€mm. Hierbei wurde allerdings ein dickerwandiges Pfannenimplantat (Harris-Galante€II) verwendet (z.€B. Wandstärke der 56-mm-Pfanne 5,9€ mm). In einer eigenen Studie verwendeten wir die dünnwandige Titanpfanne Allofit-S€ (Zimmer, Winterthur, Schweiz) bei Revisionen mit einem erhöhten Press-fit von 4€ mm. Die Wandstärke ist mit 3€mm bei dieser Pfanne etwa halb so dick, was mitursächlich für das Fehlen von Azetabulumfrakturen sein dürfte (Fink et€al. 2008). Bezüglich verwendeter Allografts beim Defektaufbau sollte bei diesem unabhängig von dem verwendeten Pfannenimplantat die trabekuläre Ausrichtung und die zur Fixation des Transplantats eingebrachten
14â•… Revisionsendoprothetik
461
Abb. 14.31↜ Jumbo-Cups. (Pinnacle-Pfanne, DePuy, Kirkel, Deutschland)
Osteosyntheseschrauben in Richtung der Lasteinleitung liegen, wobei eine solide Abstützung des Implantats an dem verbliebenen vitalen Beckenknochen unumgänglich ist (Hooten et€al. 1996). Jumbo-Cups:╇ Jumbo-Cups sind dickwandige Pressfit-Pfannen mit einem sehr großen Durchmessern. Jumbo-Cups sind durch einen minimalen Durchmesser bei Frauen von 62€mm und bei Männern von 66€mm bzw. durch einen Durchmesserâ•›>â•›10€mm auf der Gegenseite definiert (Whaley et€al. 2001). Hier können verschiedene Inlay-Konstruktionen, auch mit exzentrischem Inlay zur Distalisierung und Rekonstruktion des Drehzentrums eingebracht werden. Das Fixationsprinzip entspricht einer Press-fit-Verklemmung am Pfannenrand mit in der Regel zusätzlicher Stabilisierung durch Schrauben ins Os ilium (Abb.€14.31). Bei der Präparation des Pfannenbettes für die Jumbo-Cup ist es bei deutlich ovalären Defekten manchmal notwendig, den vorderen Pfannenrand bei der Fräsung zu schwächen. Der hintere Pfannenrand sollte unbedingt erhalten werden (Jasty 1998). Whaley et€ al. (2001) geben als Kontraindikationen für Jumbo-Cups Defektsituationen mit fehlendem superior-lateralem Azetabulum und hinterer Pfannenwand (Paprosky Typ€3B) sowie Strahlennekrosen des Azetabulum an, bei denen die biologische Qualität des Knochens nicht beurteilbar ist. Weiterhin sind Beckendiskontinuitäten Kontraindikationen für die Jumbo-Cups (Jasty 1998).
Abb. 14.32↜ Biradiäre Revisionspfanne. (SROM, DePuy, Kirkel, Deutschland)
Kontakt des Implantats zum Wirtsknochen zu erzielen, sind verschiedene Revisionspfannen mit längsovaler Form verfügbar. Die biradiären Pfannen haben die Form zweier miteinander verschmolzener hemisphärischer Pfannen, wobei die kaudale Pfanne in Höhe des primären Azetabulum und die obere Pfanne in den kranialen Defekt eingeschlagen wird (Abb.€ 14.32). Hierdurch gelingt die Rekonstruktion des eigentlichen Drehzentrums. Die Pfannenfixation basiert auf einer im Regelfall 3-Punkte-Verklemmung am Pfannenrand und einer nahezu immer notwendigen zusätzlichen Schraubenfixation. Das passgenaue Fräsen des Pfannenbettes für die Prothese ist technisch schwierig. Dies erklärt die unterschiedlichen Ergebnisse in der Literatur (s.€ Kap.€ 14.9). Die hohen LockerungsPfannen mit differentem Längs- und Querdurch- raten bei Sutherland (1996, 1998) sind vor allem durch messer eine technische Ungenauigkeit der CT-basierenden Biradiäre Pfannen: Pfannenlockerungen führen oft Custom-made-Oblong-Cups bedingt. DeBoer und zu kranialen und posterioren Migrationen mit ovalä- Christie (1998) und Chen et€ al. (2000) stellten fest, ren Knochendefekten. Um bei diesen Defektsituatio- dass dieser Pfannentyp gut für Pfannendefekte vom nen eine möglichst gute Defektauffüllung mit hohem Typ Paprosky€2 und 3A geeignet ist, nicht jedoch für
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Abb. 14.33↜ Längsovale Revisionsspfanne. (Bofor, Smith & Nephew, Marl, Deutschland)
höhergradige Defekte, bei denen der hintere und/oder vordere Pfannenrand deutliche Defekte aufweist. Längsovale Revisionspfannen:╇ Ein weiterer Pfannentyp, der speziell für ovaläre Pfannendefekte konstruiert wurde, sind längsovaläre Press-fit-Revisionspfannen. Es findet sich das gleiche Fixationsprinzip wie bei den biradiären Pfannen. Sie werden press-fit fixiert und mit zusätzlichen Schrauben im Os ilium bzw. zum Teil im Os pubis und Os ischium fixiert. Die Inlays weisen auch einen exzentrischen Drehpunkt auf, um das Gelenkdrehzentrum zu distalisieren und das ursprüngliche Gelenkzentrum zu rekonstruieren (Abb.€14.33). Diese exzentrische Belastung kann zum „Rocking-horse“Phänomen führen, was die zum Teil höheren Lockerungsraten in der Literatur erklärt (s.€Kap.€Ergebnisse). Herrera et€ al. (2006) verwendeten diesen Pfannentyp allerdings nur bei Typ-AAOS-III- und -IV-Defekten, was für die Versagerrate von 14,2€% nach durchschnittlich 6,3€Jahren ursächlich zu sein scheint. Schraubpfannen Schraubpfannen können prinzipiell auch in Revisionsfällen verwendet werden, eignen sich aber in der Regel nur bei kavitären bzw. kleinen segmentalen Defekten und ausreichend stabilem Knochen. In einen noch stabilen Pfannenrand muss sich das Schraubgewinde der Pfannen solide einschneiden. Aufgrund unzureichender Knochenqualität bzw. designbedingt erzielen nicht alle Schraubpfannen ein derart gewünschtes Einschneiden, so dass häufig nur Knochenkontakt mit den Spitzen der Gewinde und nicht mit dem Pfannenkörper erzielt wird. Ein anderes Problem besteht darin, dass das Gewinde aufgrund seiner Tiefe den Pfannenrand de facto in „Streifen“ schneidet. Daher weisen die publizierten Ergebnisse von Schraubpfannen bei Wechseloperationen teilweise hohe Lockerungs- und Revisionsraten auf (s.€Kap.€14.9).
B. Fink und U. Sentürk
14.3.1.3 P fannendach- und Pfannenstützschalen Ein drittes Konzept des Pfannenwechsels ist die Verwendung von Pfannendach- oder Pfannenstützschalen, die quasi in einer Hybridtechnik fixiert werden. Die Schale wird zunächst zementfrei in das Azetabulum eingebracht und mit Schrauben zusätzlich (meist im Os ilium) stabil fixiert. In diese wird eine Polyethylenpfanne einzementiert. Das Prinzip dieser Schalen besteht darin, dass durch das Metallbacking eine Umleitung der einwirkenden Kräfte weg vom Knochendefekt hin zur Peripherie mit gut erhaltenem Knochen erfolgt. Hierdurch kann in den Knochendefekt eingebrachter Knochen ohne Überlastung einheilen. Eine Auffüllung der Knochendefekte durch Knochenzement sollte vermieden werden, da diese Technik häufiger zu höheren Versagerraten führt (Amstutz et€al. 1982). Durch die sichere Abstützung des Implantats an intaktem Knochen verhindert die Schale eine Migration der eigentlichen Pfanne, die bei einer direkten Implantation in den Defekt sehr wahrscheinlich wäre. Zudem wird durch die Schale ein direkter Kontakt der Polyethylenpfanne mit dem Beckenknochen vermieden, da Polyethylenpartikel eine Knochenresorption induzieren können. Nach diesem Prinzip sind verschiedene Stütz- und Pfannendachschalen, zum Teil in modularer Form auf dem Markt erhältlich. Einzelne erlauben auch eine zementfreie Fixation des Polyethylens in der Schale (Abstützschale, Peter Brehm, Weisendorf, Deutschland). Vorteil ist der Zeitgewinn, nachteilig erscheinen die Einschränkung der Positionierbarkeit der Polyethylenpfanne in der Schale und die fehlende Kompression der umgebenden Spongiosaplastik durch den verwendeten Zement. Je nach Konzept der Fixation im Beckenknochen sind sie für unterschiedliche ausgedehnte Knochendefekte geeignet. Nachfolgend sollen exemplarisch diejenigen mit mehrfach publizierten Ergebnissen in der Literatur behandelt werden. Typ Müller-Pfannendachschale Die Müller-Pfannendachschale (Zimmer GmbH, Winterthur, Schweiz) findet ihre Abstützung am oberen Pfannenrand, am hinteren Pfannenpfeiler sowie an der medialen Pfannenwand (Abb.€14.34). Sie ist daher geeignet bei kavitären Defekten, isolierten kleinen Pfannenerkerdefekten, mittleren Defekten der medialen Wand sowie Defekten des vorderen Pfannenran-
14â•… Revisionsendoprothetik
463
Abb. 14.34↜ Müller-Pfannendachschale. (Zimmer, Winterthur, Schweiz)
Abb. 14.35↜ Hakendachschale nach Ganz. (Zimmer, Winterthur, Schweiz)
des. Nicht geeignet ist diese Schale bei Defekten, die mehrere Pfeiler betreffen, sowie größeren zentralen Defekten mit Protrusion. Die in der Literatur dargestellten Lockerungsraten sind sehr unterschiedlich, wahrscheinlich aufgrund einer nicht regelhaft strengen Indikationsstellung (s.€Kap.€14.9). Typ Hakendachschalen Die Hakenschalen wie z.€ B. diejenige nach Ganz (Zimmer, Winterthur, Schweiz) haben einen kaudalen Haken, der in die Incisura acetabuli eingesetzt wird (Abb.€ 14.35). Hierdurch gelingt es, das ursprüngliche Drehzentrum der Pfanne zu rekonstruieren und eine physiologischere Krafteinleitung zu erreichen. Die weitere Abstützung der Schale erfolgt am oberen Pfannenrand, dem hinteren Pfannenpfeiler und der medialen Wand. Die Schale eignet sich daher für isolierte mittlere Defekte des Pfannenerkers, mittelgroße zentrale Defekte oder bei einem Defekt des vorderen Pfannenrands. Hingegen ist diese Schale nicht für Mehrpfeilerdefekte geeignet. In der Kombination mit Rekonstruktionsplatten, meist am hinteren Pfeiler, werden sie in Einzelfällen auch bei der Behandlung
von Beckendiskontinuitäten mit guten Ergebnissen verwendet (Paprosky et€al. 2006). Generell finden sich jedoch nur wenig publizierte Ergebnisse in der Literatur (s.€Kap.€14.9). Abstützschalen Abstützschalen, wie z.€ B. der Burch-Schneider-Ring (Zimmer, Winterthur, Schweiz) oder der Reko-Ring (Smith & Nephew, Marl, Deutschland), werden bei größeren Defekten mit Beteiligung von mehreren Pfeilern verwendet. Ein wesentlicher Vorteil dieser Antiprotrusionsringe liegt in der sicheren Fixation am weiter vom primären Azetabulum gelegenen intaktem Knochen des Os ilium und Os ischium mit Überbrückung des defekten Azetabulum. Dadurch werden die auf das Hüftgelenk und damit auf die Ringfixation einwirkenden Kräfte auf eine große Fläche verteilt. Dies ermöglicht die Einheilung der unter der zentralen Schale gelegener Spongiosaplastik zur Defektrekonstruktion ohne störende Krafteinwirkungen. Somit hilft das Konstruktionsprinzip dieser Antiprotrusionsringe bei dem Wiederaufbau von Knochendefekten. Durch die Platzierung an anatomisch intakten Knochenregio-
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B. Fink und U. Sentürk
Abb. 14.36↜ Burch-Schneider-Abstützschale mit neuem Design
nen und der Vermeidung der Implantatplatzierung in den Defekt hinein ermöglichen diese Abstützschalen die Rekonstruktion des ursprünglichen Hüftdrehzentrums. Einzelne Abstützringe wie der Reko-Ring bieten die Option zusätzlicher fest verbundener Wedges, um die Positionierung des Ringes vor allem bei kranialen Defekten zu optimieren (s.€Abb.€14.35). Ein Einwachsen, d.€ h. eine biologische Fixation, erfolgt nicht, sondern es besteht eine Abstützung über eine große Fläche. Eine Migration ist daher prinzipiell möglich. Der Burch-Schneider-Ring wie auch viele andere Abstützringe bestehen aus einer zentralen Schale sowie einem oberen und unteren Flügel. Das ursprüngliche Implantat war aus poliertem Stahl, wird seit 1998 aus „rough-blasted“ Titan gefertigt. Der untere Flügel sollte in das Os ischium eingeschlagen und der obere Flügel auf das Os ilium geschraubt werden. Ursprünglich war der untere Flügel dafür vorgesehen, auf das Os ischium geschraubt zu werden und ist dementsprechend in seiner Form und mit Schraubenlöchern gestaltet worden. Mit zunehmender Erfahrung zeigt sich jedoch, dass durch das Einschlagen des unteren Flügels in das Os ischium ein Ausreißen der unteren Lasche vermieden werden und eine höhere Stabilität des Ringes erzeugt werden kann. Daher hat sich das Einschlagen der unteren Lasche in das Os ilium durchgesetzt. Zudem kann so eine Schädigung des N.€ischiadicus vermieden werden. In den implantierten Stützring wird dann in nahezu allen Fällen eine Polyethylenpfanne zur Artikulation mit dem Prothesenkopf einzementiert (Abb.€14.36). In der Kombination mit Rekonstruktionsplatten, meist am hinteren Pfeiler, werden Abstützringe auch bei der Behandlung von Beckendiskontinuitäten mit guten Ergebnissen verwendet (Paprosky et€ al. 2006; Abb.€14.37).
Der Implantationstechnik mit Einschlagen der unteren Lasche in das Os ischium folgend, stehen jetzt anatomisch an das Becken adaptierte Implantate mit einer Vielzahl von Größen zur Verfügung (Abb.€14.38 und 14.40). Hierdurch wurde die Notwendigkeit des Biegens der Laschen minimiert und die Implantation erleichtert. Modulare Abstützringe sind konstruiert worden, um der individuellen Defektsituation besser begegnen zu können (Abb.€14.39).
14.3.1.4 Sonderimplantate Zu den Sonderimplantaten gehören die Custom-made-Prothesen, die an einen vorliegenden Defekt individuell, fast immer im CT geplant, angepasst werden. Die Fixation erfolgt überwiegend mit einer oder zwei Laschen am Os ilium und/oder einem stielartigen Fortsatz im gleichen Knochen. Einige haben zusätzliche, zum Teil modulare inferiore Laschen für die Fixierung am Os ischium, selten am Os pubis. Inferiore Laschen werden von vielen Autoren als verzichtbar angesehen, da z.€ B. bei Tumorprothesen häufig eine Auslockerung der inferioren Lasche/n zu beobachten ist. Wesentlicher Vorteil aller Sonderanfertigungen ist der großflächige Kontakt zum originären Wirtsknochen. Sie werden bei größeren segmentalen Pfannendefekten und Beckendiskontinuitäten eingesetzt. Hierdurch kann die Wandstärke rigide und mit einer für die Osteointegration dienlicher Oberflächenstruktur („porous-coated“ oder Hydroxylapatit-beschichtet) gefertigt werden. Gute Ergebnisse zeigt der „Triflange-Cup“ (DePuy, Kirkel, Deutschland) dar. Die Laschen werden an das Os Ilium, Os ischium und ggf. Os pubis mit 6,5€mm dicken Spongiosaschrauben befestigt. Hier hinein wird ein Polyethylen-Inlay eingesetzt. Die bisher publizierten Ergebnisse des Triflange-Cups sind sehr zufriedenstellend (s.€Kap.€14.9). Christie et€al. (2001) hatten
14â•… Revisionsendoprothetik
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Abb. 14.37↜ Rekonstruktion einer Beckendiskontinuität mit Burch-Schneider-Abstützring und Rekonstruktionsplatten am vorderen und hinteren Pfannenpfeiler
Abb. 14.38↜ Andere Abstützschalen. (↜oben: DePuy Orthopädie GmbH, Kirkel, Deutschland; Mitte: REKO-Ring, Smith & Nephew, Marl, Deutschland; unten: Contour, Smith & Nephew, Marl, Deutschland)
lediglich Revisionen wegen rezidivierender Luxationen. Nachteile dieses Systems sind der hohe Preis und der organisatorische Aufwand mit CT, Modellanfertigung und Implantatanfertigung, was 4–6€ Wochen in Anspruch nimmt (Dennis 2003). In Deutschland sind die auf CT-Basis angefertigten Beckenteilersätze (z.€B. Waldemar Link, Norderstedt oder ESKA, Lübeck, Implantcast, Buxtehude), die ebenfalls bei großen Pfannendefekten und Beckendiskontinuitäten eingesetzt werden, weit verbreitet.
Spezielle Implantate, die von einigen Herstellern in Serie hergestellt werden, sind gestielte Pfannen. Hierbei handelt es sich um zementfreie Pfannen mit einem konischen Stiel, der in das Os ilium eingeschlagen wird. Eine dieser Pfannen ist die sog. Sockelpfanne (Zimmer, Winterthur, Schweiz; Abb.€14.41). Sie eignet sich bei mehrsegmentalen Knochendefekten vor allem mit Beteiligung des hinteren Pfannenpfeilers. Die Verankerung erfolgt in den erhaltenen Teilen des Os ilium. Es handelt sich dabei um zementfreie Implantate, deren Primärstabilität von der Stabilität des ver-
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B. Fink und U. Sentürk
Abb. 14.39↜ Modulare Abstützringe. (↜links: Octopus-Pfanne, DePuy Orthopädie GmbH, Kirkel, Deutschland, rechts: MRSPfanne, Peter Brehm GmbH, Weisendorf, Deutschland)
Abb. 14.40↜ Dislokation eines nicht korrekt positionierten Burch-SchneiderRings. Die untere Lasche lag definitiv nicht im Sitzbein. Rekonstruktion mit RekoRing (Smith & Nephew) in korrekter Position
bliebenen Knochens entscheidend abhängig ist. Fester spongiöser Knochen oder sklerotische Knochenabschnitte sind daher prognostisch günstig. Ergebnisse dieser Pfannentypen sind mit sehr unterschiedlichen Resultaten wenig publiziert (s.€Kap.€14.9). Tohtz et€al. (2007) konnten zeigen, dass ein osteoporotisches und/ oder defizitäres Os ilium mit kraniolateralem Wanddefekt und eine Lateralisation des Drehzentrums signifikant häufiger mit Lockerungen der Sockelpfanne einhergehen. Weiterhin zeigten sie, dass Migrationen
der Pfannen und aseptische Lockerungen in den Fällen auftraten, bei denen auf eine Auffüllung von verbleibenden Defekten zwischen dem Wirtsknochen und der eigentlichen Pfanne mit homologen Spongiosachips verzichtet wurde. Dies steht im Widerspruch zu den Überlegungen der Inauguratoren der Sockelpfanne, die Spongiosaplastiken für nicht notwendig erachten (Schoellner und Schoellner 2000). Weitere Sonderkonstruktionen sind die modularen Lösungen mit dem TMT-System (Trabecular Metal
14â•… Revisionsendoprothetik
467
Abb. 14.41↜ Hochgradige Defektsituation des Azetabulums (Paprosky Typ€3B) bei Zustand nach zementierter Versorgung (a, b). Pfannenrekonstruktion mit einer Sockelpfanne (c)
Abb. 14.42↜ TrabecularMetal-Pfanne (↜links: Pfanne, rechts: Beispiel einer Implantation mit Augmentaten am Modell)
Technology – Zimmer, Winterthur, Schweiz). Hier werden größere Defekte mit Augmentaten aus trabekulärem Metall (TM – „trabecular metal“; Kohlefasergerüst [1€ %] mit Tantal [99€ %] bedampft) aufgefüllt und zusammen mit einer Pfanne aus dem gleichen Material implantiert (Abb.€14.42). Die Augmentate dienen hier quasi als Ersatz für strukturelle Allografts und erhöhen den Oberflächenkontakt mit dem Wirtsknochen. Das Konstrukt stellt dann eine modulare zementfreie Pfannenkonstruktion dar, die es erlaubt, ohne Abstützschale das Hüftdrehzentrum zu rekonstruieren. Die Teile des Konstrukts müssen aber mit Zement verbunden werden. Weeden und Schmidt (2007) und Flecher et€ al. (2008) doku-
mentierten sehr gute Kurzzeitergebnisse bei Paprosky 3A- und 3B-Defekten. Auch Kombinationen von TMTPfannen mit darin implantierten Abstützschalen sind für sehr große Defekte und Beckendiskontinuitäten verfügbar. Hierbei wird zunächst die Trabecular-Metal-Pfanne mit oder ohne Augmentate in den Defekt implantiert, darüber eine Stützschale in Os ischium eingeschlagen und ans Os ilium geschraubt. In diese wird abschließend wie üblich eine Polyethylenpfanne zementiert (Kosashvili et€ al. 2009). Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend, aber Langzeitbeobachtungen fehlen (s.€ Kap.€ 14.9). Wesentliche spezifische Komplikation sind einzelne Azetabulumfrakturen, die beim Einschlagen der Pfanne auftreten (Springer et€al. 2005).
B. Fink
468 Abb. 14.43↜ Systematische Darstellung der verschiedenen Schaftrevisionssysteme
Revisionsschäfte
zementiert
Modular
unzementiert
Non-Modular
gerade
14.3.2 R evisionsschaftsysteme – Prinzipien
kurviert
Non-Modular
Modular
proximal fixierend
distal fixierend
gerade
kurviert
Abb. 14.44↜ Zementierter gerader Revisionsschaft. (CSL, Smith & Nephew, Marl, Deutschland)
B. Fink Bei der Revisionsendoprothetik des Hüftgelenks stehen für den Wechsel der femoralen Komponente mehrere Konzepte bzw. Revisionsschaftsysteme zur Verfügung (Abb.€14.43). Bei der Revision einer gelockerten Femurkomponente besteht die Möglichkeit, die Implantatstabilität der neuen Femurkomponente durch Einzementieren oder durch die zementfreie Fixation der Komponente zu erzielen. Im Folgenden sollen die verschiedenen Prinzipien anhand von Schäften beschrieben werden, die in der internationalen Literatur mehrfach publizierte Ergebnisse haben, ohne dass hier eine Vollständigkeit der auf dem Markt existierenden Implantate angestrebt wird.
14.3.2.1 Zementierte Schaftsysteme Bei den zementierten Revisionsschäften handelt es sich in der Regel um verlängerte Standardschäfte in gerader Form (z.€B. Richard-Schaft, Smith & Nephew, Marl, Deutschland; Weber-Schaft, Zimmer, Winterthur, Schweiz oder Spectron-Schaft, Smith & Nephew, Marl, Deutschland; Abb.€14.44) oder kurvierter Form (z.€ B. SPII-Schaft, Waldemar Link, Norderstedt, Deutschland; Abb.€ 14.45 und 14.46). Diese Schäfte sind mit Ausnahme des Schafts von Crawford et€ al. (2000) nicht modular. Sie erzielen ihre Stabilität durch
eine langstreckigere Verbindung des Schafts mit dem Knochen durch Zement. Der Nachteil der zementierten Revisionstechnik besteht darin, dass das knöcherne Prothesenlager durch die Lockerung der Primärprothese ausgeweitet, verdünnt und sklerosiert ist. Hierdurch wird die Interdigitation des Zements in den Knochen und somit die Haftung des Zements im Knochen deutlich geschwächt. So haben Dohmae et€al. (1988) gezeigt,
14â•… Revisionsendoprothetik
469
Abb. 14.45↜ Zementierter kurvierter Revisionsschaft. (SPII-Schaft, Waldemar Link, Norderstedt, Deutschland)
beim erneuten Versagen zu einem weiteren Knochenverlust, was konträr zum Ziel der Revisionsoperation ist, einen weiteren Knochenverlust zu vermeiden bzw. den bestehenden Knochenverlust wieder aufzubauen. Eine Möglichkeit, diesem Problem bei der zementfreien Schaftrevision zu begegnen, ist das sog. Impaction grafting, bei dem der Knochenverlust durch homologe Knochenspongiosa aufgefüllt wird und in dieses Knochenlager wieder ein zementierter Schaft (in der Regel normaler Länge) einzementiert wird. Dieses Prinzip funktioniert jedoch nur bei kavitären Defekten mit noch ausreichend stabiler Kortikalis. Bei segmentalen Defekten und schwacher Kortikalis besteht zudem ein deutlich gesteigertes Frakturrisiko bei dieser Technik (Pekkarinen et€al. 2000). Eine weitere Option stellt die sog. Zement-inZement-Revision dar. Hier kann in den Fällen einer Lockerung zwischen Zementmantel und Prothesenschaft, bei alten Schäften mit heute nicht mehr üblichen Kopfgrößen oder bei Zugangsproblemen bei einem intakten Zementmantel ein neuer Prothesenschaft wieder in den bestehenden Zementmantel einzementiert werden. Biomechanische Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass die Fixation hinsichtlich Scher- und Zugkraftbelastung deutlich schlechter ist als bei einem normal einzementierten Schaft. Greenwald et€al. (1978) zeigten, dass bei einem Ausschluss von Blut im Interface zwischen altem und neuem Zement in akuten Scherbelastungen nur eine Schwächung der Verbindung zwischen 6 und 16€% im Vergleich zu einem uniformen Zementblock besteht, aber ein Blutfilm im Interface zu einer Senkung der Belastbarkeit von 37€% führt. In den akuten Scher- und Zugversuchen von Li et€al. (1996) fand sich bei Interposition von Blut und Knochenpartikeln im Interface eine Reduktion der Belastbarkeit von 80–85€%. Eine solche Interposition muss zumindest teilweise intraoperativ bei Anwendung dieser Technik angenommen werden. Die wenigen bisherigen klinischen Untersuchungen ergaben allerdings keine erhöhten Lockerungsraten. Lieberman et€al. (1993) berichten über 19 revidierte Femurendoprothesen, bei denen in einem Nachuntersuchungszeitraum von 59€ Monaten keine Lockerungen auftraten, und Archibald et€ al. (1985) über 7 Fälle ohne Lockerung in einem Beobachtungszeitraum von 3€Jahren. McCallum und Hozack (1995) fanden bei 15 Patienten, bei denen sie mittels einem sog. Ultraschallzemententfernungssystem (UltraDrive) den bestehenden Zementköcher graduell erwei-
Abb. 14.46↜ Zementierter Revisionsschaft rechts und zementierter Standardschaft links
dass die Belastbarkeit der Knochen-Zement-Verbindung für Scherkräfte bei zementierten Revisionen um 79€% im Vergleich zu einer zementierten Primärimplantation reduziert ist (Dohmae et€al. 1988). Dies erklärt die deutlich höhere Rerevisionsrate von zementierten Revisionsprothesen im Vergleich zu zementfreien Revisionskomponenten, wie Wirtz und Niethard (1997) in einer Übersichtsarbeit darstellen konnten. Darüber hinaus führt die zementierte Revisionstechnik
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B. Fink
ten und defizitären proximalen Schaftbereich statt. Daher sind kavitäre Defekte im proximalen Femur für diese Schäfte besser geeignet als segmentale. Zum Aufbau kleinerer segmentaler Defekte und zur additiven Fixation des Schafts werden zum Teil Strut-grafts im proximalen Femur verwendet. Trotzdem scheint die Fixationsqualität in diesem Bereich nicht sicher reproduzierbar gut zu sein, so dass höhere Lockerungs- und Nachsinkraten für diese Schaftsysteme beschrieben wurden (s.€Kap.€14.9).
Abb. 14.47 ↜(a, b) Zementlose nichtmodulare Revisionsschäfte mit proximaler Fixation. (↜links: Kar aus Titan mit Hydroxylapatitbeschichtung, DePuy Orthopädie GmbH, Kirkel, Deutschland und rechts: Echelon aus Chrom-Cobalt, Smith & Nephew, Marl, Deutschland)
terten, damit der explantierte Prothesenstiel wieder rezementiert werden kann, in einem Follow-up von bis zu 2€ Jahren ebenfalls keine Komponentenlockerung. Dennoch sollte dieses Verfahren heute bei nur begrenzt dokumentierten Ergebnissen die Ausnahme darstellen (z.€B. multimorbide Patienten).
14.3.2.2 Zementfreie Schaftsysteme Bei den zementfreien Revisionssystemen unterscheidet man Schäfte mit einer Fixation im proximalen Femur von solchen mit distaler Verankerung, zweitens Monoblockimplantate von modularen Revisionssystemen und drittens Geradschäfte von kurvierten Schäften (s.€Abb.€14.43). Zementfreie proximal fixierende, nichtmodulare Revisionsschäfte Zu den zementfreien nicht modularen, proximal fixierenden Revisionsschäften zählen vor allem die sog. „proximally porous coated stems“. Dieses sind Langschäfte aus Cobalt-Chrom (z.€ B. Osteonics, Allendale, NJ, USA) oder Titan (z.€B. Calcar prosthesis, DePuy, Kirkel, Deutschland); sie sind proximal beschichtet und in gerader (z.€B. Harris-Galante, Zimmer, Winterthur, Schweiz) oder kurvierter Form (z.€B. Osteonics, Allendale, NJ, USA) vorhanden (Abb.€14.47). Die Fixation dieser „proximally porous coated stems“ findet nach dem Prinzip des „maximal fit and fill“ in dem durch die Schaftlockerung geschwäch-
Zementfreie proximal fixierende, modulare Revisionsschäfte Monoblockimplantate erlauben nicht immer eine optimale Anpassung der Prothese an den Femur. Durch die Einführung der Modularität bei zementfreien, „proximal porous coated stems“ wie dem S-ROM-Schaft (DePuy Orthopädie GmbH, Kirkel, Deutschland) konnte das Prinzip des „maximal fit and fill“ für die proximale Schaftverankerung durch die individuelle Anpassung vor allem der proximalen Schaftkomponente an die Femuranatomie verbessert und somit die Lockerungs- und Nachsinkraten im Vergleich zu den nichtmodularen Schäften gesenkt werden (s.€Kap.€14.9). Proximale und distale Komponenten werden unabhängig voneinander dem beschädigten Knochen angepasst und dann vereint. Beim S-ROM-Schaft wird nach Implantation eines dem proximalen Knochendefekts angepassten sog. Sleeve für die proximale Fixation durch diesen ein dem diaphysären Femurdurchmesser angepasster Zentralkörper gesetzt (Abb.€ 14.48). Einige Autoren berichten allerdings bei dieser Implantationstechnik über häufigere Femurfrakturen (Bolognesi et€al. 2004; Chandler et€al. 1995; Smith et€al. 1997). Von Nachteil sind bei modularen Komponenten mögliche Mikrobewegungen am Schaft-sleeve-Übergang und dabei resultierender Partikelabrieb (Bono et€al. 1999; Christie et€al. 2000). Zementfreie distal fixierende, nichtmodulare Revisionsschäfte Ein anderes Fixationsprinzip besitzen die zementfreien nichtmodularen, distal fixierenden Revisionsschäfte. Sie überbrücken den durch die Lockerung geschwächten und häufig ausgeweiteten proximalen Femur und fixieren in der Diaphyse bzw. dem Isthmus als deren engstem Anteil. Diese Gruppe von Schäften lässt sich in die sog. „extensively porous coated stems“ und die korundgestrahlten konischen Titanschäfte unterteilen. Die „exensively porous coated stems“ sind Geradschäfte (z.€ B. AML
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471
Abb. 14.49↜ Solution Revisionsschaft. (Johnson & Johnson, Warsaw, IL, USA)
Abb. 14.48↜ S-ROM-Schaft. (DePuy, Kirkel, Deutschland)
oder Solution, Johnson & Johnson, Warsaw, IL, USA) oder kurvierte Schäfte (z.€ B. Solution, Johnson & Johnson, Warsaw, IL, USA) aus Cobalt-Chrom und distal zylindrisch (Abb.€14.49). Durch ihre grobporöse Oberfläche erzielen sie im Isthmus des Femur nach Aufbohrung mit Markraumfräsen ihre Fixation, wobei der Schaftdurchmesser 0,5€ mm dicker als die zuletzt verwendete Markraumfräse gewählt wird (Engh et€al. 1990; Lawrence et€ al. 1993). Paprosky et€ al. (1999) nennen diese Art der Fixierung „Scratch-fit“, die über 4–6€ cm Fixationsstrecke im Isthmus erfolgen sollte (Weeden und Paprosky 2002). Mit dieser Technik lassen sich reproduzierbar gute Ergebnisse erzielen (s.€ Kap.€ Ergebnisse). Die Nachteile dieser Schafttypen liegen in einem Stress Shielding des proximalen Femurknochens vor allem bei osteoporotischem Knochen sowie der Schwierigkeit diese Schäfte, wenn notwendig wieder zu entfernen (Aribindi et€al. 1998; Engh et€ al. 1990; Krishnamurthy et€ al. 1997; Moreland und Bernstein 1995; Moreland und Moreno 2001; Woolson et€al. 1995). Ein anderes Prinzip der distalen Schaftfixierung ist das Press-fit-Prinzip, das als Erstes von dem WagnerSL-Schaft (Zimmer, Winterthur, Schweiz) realisiert wurde. Hierbei wird ein konisches Prothesenbett mit
Abb. 14.50↜ Prinzip der konischen Verklemmung des Schafts im Isthmus des Femur mit Einschneiden der Schaftrippen in die Kortikalis
Reibahlen oder nach Aufbohrung mit Markraumfräsern mit Raspeln im Isthmus des Femur geformt, in das eine Prothese mit konischem distalem Stiel (2° bei dem Wagner-SL-Schaft) eingeschlagen wird. Hierdurch kommt es zu einer Konus-in-Konus-Verklemmung, wobei beim Wagner-SL-Schaft durch Einschneidung der 8 Längsrippen in die Isthmuskortikalis eine rotationsstabile Verankerung erzielt wird (Abb.€14.50). Wird dieses Prinzip umgesetzt, werden hiermit sehr gute Standzeiten mit geringen Lockerungs- und Revisionsraten realisiert (s.€ Kap.€ 14.9). Hierfür ist es allerdings häufig notwendig, Achsabweichungen des proximalen Femur durch eine Osteotomie
472 Abb. 14.51↜ Prinzip der distalen Fixation im Isthmus des Femur
(z.€B. durch den transfemoralen Zugang) zu korrigieren (Bircher et€ al. 2001; Wagner und Wagner 1993, 1999; Grünig et€al. 1997; Fink et€ al. 2007). Ein rein endofemorales Vorgehen in diesen Fällen führt lediglich zu einer 3-Punkte-Verklemmung eines zu dünnen, geraden, konischen Revisionsschafts, die in einem hohen Maße in einem Nachsinken des Schafts mündet (Sieber und Le Bèguec 2001; Fink et€al. 2005, 2007). ►⌺ Bei der Implantation von Geradschäften ab einer Länge von 180 mm wird die Verwendung eines transfemoralen Zugangs empfohlen, um Perforationen oder gar Femurfrakturen zu vermeiden. (Bircher et€al. 2001).
Zementfreie distal fixierende, modulare Revisionsschäfte╇ Der Vorteil der Modularität bei distal fixierenden Schäften besteht darin, dass die beiden Operationsziele der Wechseloperation schrittweise nacheinander erreicht werden können. Mit der distalen Komponente wird zuerst die sichere Fixation des Schafts erzielt und dann anschließend mit der proximalen Komponente die richtige Beinlänge und die richtige, frei wählbare Antetorsion eingestellt (Abb.€14.51 und 14.52). Bei diesen Schaftsystemen gibt es distal gerade und distal kurvierte Komponenten. Für die modularen,
B. Fink
distal fixierenden Schaftsysteme gelten die gleichen, oben genannten Fixationsprinzipien wie für die nichtmodularen. Somit sind die hohen Nachsinkraten des PMF-R-Schafts (der modularen Weiterentwicklung des Wagner-SL-Schafts) bei Kessler et€al. (2002) und McInnis et€al. (2006) durch die nahezu ausschließliche Erzielung einer zu vermeidenden 3-Punkte-Fixation erklärbar (s.€Kap.€14.9). Für modulare, distal fixierende kurvierte Schaftsysteme konnte in einer Kadaverstudie gezeigt werden, dass aus der endofemoralen und transfemoralen Implantationstechnik unterschiedliche Fixationsprinzipien resultieren (Fink et€al. 2005). Der transfemoral implantierte kurvierte Revitan-Schaft wies wie der gerade Schaft eine distale Press-fit-Fixation und damit eine anderes Fixationsprinzip auf als der endofemoral implantierte kurvierte Schaft, der seine Primärstabilität über eine Dreiflächenfixation erzielte (Abb.€ 14.53). Bei Letzterem waren die beiden unteren Kontaktflächen durch das Einschneiden von 3 der 4 Kanten der oktogonalen Oberfläche in den Knochen für die Fixation des Schafts verantwortlich, während die obere Kontaktfläche lediglich eine Anlagerung des Schafts an den Knochen darstellte (Fink et€ al. 2005). Werden diese Fixationsprinzipien bei der Implantation solcher Schäfte berücksichtigt und korrekt umgesetzt, sind die Lockerungs- und Einsinkraten der Schäfte niedrig (s.€Kap.€14.9). Hierbei konnten wir zeigen, dass für transfemoral implantierte kurvierte Revitan-Schäfte eine distale Press-fit-Fixation im Isthmus des Femurs von 3€cm ausreicht (Fink und Grossmann 2007; Fink et€al. 2007). Bei den verschiedenen distal fixierenden modularen Revisionsschäften gibt es Unterschiede im Detail, die jedoch jeweils für die Erzielung reproduzierbarer Ergebnisse berücksichtigt werden müssen. Auch die unterschiedlich angegebenen benötigten Fixationsstrecken im Isthmus des Femur lassen sich durch die schaftspezifischen Design- bzw. Implantationsunterschiede erklären. Die Konizität der Schäfte unterschiedlich. Die meisten Schäfte haben einen Konus von 2°, der Aesculap-Schaft Prevision (Aesculap, Tuttlingen, Deutschland) jedoch nur einen von 0,6° und der ZMR-Schaft (Zimmer, Winterthur, Schweiz) einen von 3,5°. Darüber hinaus werden einige Schäfte nach dem Auffräsen des Markraumes durch flexible Markraumfräser implantiert (z. B. MRP-Schaft, Peter Brehm, Weisendorf, Deutschland, Modular-PLUS-Schaft, Smith & Nephew, Marl, Deutschland; Abb.€14.54). Bei
14â•… Revisionsendoprothetik
473
Abb. 14.52↜ Schaftwechsel mit einem modularen, distal fixierenden kurvierten Schaft: Links: Revitan kurviert (Zimmer, Winterthur, Schweiz), Mitte: präoperatives Röntgenbild mit gelockertem zementierten Schaft nach bereits erfolgtem Schaftwechsel mit zementiertem Stiel. Rechts: Röntgenbild 1€Jahr postoperativ nach Schaftwechsel auf Revitan kurviert über transfemoralen Zugang
Abb. 14.53↜ Prinzip der Dreiflächenfixation bei endofemoral implantiertem zementfreien, kurvierten Revisionsschaft
Abb. 14.54↜ Modulare zementlose kurvierte Revisionsschäfte aus Titan. Links: MRP-Schaft (Peter Brehm GmbH, Weisendorf, Deutschland), rechts: Modular Plus-Schaft. (Smith & Nephew, Marl, Deutschland)
C. Perka und M. Millrose
474
Abb. 14.55↜ Verlauf eines Schaftwechsels bei einer 71-jährigen Patientin mit einem Paprosky-Typ-IV-Defekt des rechten Femur bei gelockerter Prothese mit defizitärem Isthmus nach einem Wechsel auf einen Revitan-Schaft kurviert mit additiver distaler Verriegelung
anderen wiederum wird das Fixationsbett durch Reibahlen (Revitan gerade, Zimmer, Winterthur, Schweiz) oder Raspeln (Revitan kurviert, Zimmer, Winterthur, Schweiz) konisch vorbereitet, so dass eine Konus-inKonus-Verklemmung erzielt wird (s.€Abb.€14.51 und 14.52). Gemeinsam ist allen distal fixierenden Schäften, dass ein suffizienter flächiger Knochenkontakt mit möglichst dicken Schäften erzielt werden muss und in einer unumgänglichen präoperativen Planung die Notwendigkeit von Korrekturosteotomien zur Erlangung dieses Ziels überprüft werden muss. Dünne Schäfte und ein unzureichendem Knochenkontakt mit resultierender 3-Punkte-Fixation sind Ursache des operativen Fehlschlags. Einige Schäfte erlauben eine zusätzlich distale Verriegelung, die nur dann notwendig und sinnvoll ist, wenn der Isthmus des Femur keine solide Fixation erlaubt (Fink et€al. 2009). Hierbei stellen distale Verriegelungsschrauben eine „salvage procedure“ zur additiven Stabilisierung bei Femura mit einer diaphysären Fixationsstrecke unter 3€ cm (etwas variierend nach dem Schaftdesign) dar. Sie verbessern vorüber-
gehend die Stabilität, um eine biologische Osteointegration zu erreichen (Abb.€14.55). Kommt es in dieser Zeit nicht zu einer unzureichenden Osteointegration, wird die Belastung der Interlocking-Screws zu stark und sie brechen. Bei bestimmten Schäften (die mehr dem Marknagel nachempfunden sind) wird die Verriegelung generell empfohlen (Prevision, Aesculap AG, Tuttlingen, Deutschland), da die geringe Konizität des Schafts von 0,6° eine reproduzierbare Verklemmung im Isthmus des Femur nur schwer erreichen lässt (Abb.€14.56).
14.4 Operationsvorbereitung C. Perka und M. Millrose
14.4.1 P räoperative Vorbereitung – Revisionsendoprothetik Insbesondere für die Revisionsendoprothetik gilt, dass die präoperative Planung und die Vorbereitung des
14â•… Revisionsendoprothetik
475
Risikofaktoren für die häufigsten Komplikationen wie Blutungen, eine Dekompensation des Herz-Kreislauf-Systems und Thrombosen auszuschließen bzw. zu minimieren. Allgemeinstatus • Antikoagulanzien (Marcumar, ASS, Plavix u.€ a.) sollten präoperativ, wenn möglich, immer abgesetzt werden. ►⌺ Im Einzelfall ist die Operation unter ASS€(z.€B. nach multiplen Stents) trotz eines höheren Blutungsrisikos mit einem geringeren Gesamtrisiko für den Patienten verbunden. Die interdisziplinäre Vorbereitung ist daher unbedingt notwendig.
Abb. 14.56↜ Modularer zementloser gerader Revisionsschaft Prevision (Aesculap AG, Tuttlingen, Deutschland) mit Angabe der Konizitäten in den verschiedenen Regionen des Schafts
Patienten essentiell für den Erfolg der Operation sind. Die Revisionsendoprothetik ist ein komplexer Eingriff, der die genauen Kenntnisse der Voroperation(en), der verwendeten Implantate und des vorherigen operativen Zugangs erfordert. Die zur Verfügung stehenden Implantate müssen trotz des Defekts, der nach Ausbau der Prothese meist größer ist als zuvor radiologisch (s.€14.2) bestimmt, stabil verankert werden können. ►⌺ Revisionsendoprothetik niemals ohne Plan€ B durchführen, d.€ h., ein Implantat für den sehr großen Defekt (Abstützschale mit Verankerung am Ilium und am Ischium) sowie ein zementfreier bzw. zementierter Langschaft müssen verfügbar sein. Ohne Beherrschung der „Salvage-Procedure“ sollte keine Revision vorgenommen werden.
Für die Operationsplanung sind zu beurteilen:
Präoperative Untersuchung des Patienten Der Allgemeinzustand des Patienten muss der meist großen Operation adäquat sein. Insbesondere sind
• Thrombosen und/oder Embolien in der Anamnese bedürfen der Optimierung der Antikoagulation. • Die kardiale Leistungsfähigkeit ist anamnestisch zu erfragen und klinisch zu objektivieren. Die EKG-Untersuchung ist ebenfalls Standard. Beim Vorliegen fraglicher Befunde sind weitere Untersuchungen wie Echokardiographie, die Bestimmung der kardialen Ejektionsfraktion, die Myokardszintigraphie oder sogar Herzkatheteruntersuchungen notwendig. • Entsprechend der Erfahrung des Operateurs und der Größe des Eingriffs ist die Zahl der bereitzustellenden Blutkonserven (im Standardfall 3 Erythrozytenkonzentrate) festzulegen. Ein Intensivstationsbett sollte beim möglichen Auftreten von Komplikationen verfügbar sein. Lokalbefund Eine Infektion der implantierten HüftTEP muss präoperativ immer ausgeschlossen werden (s.€Kap.€10.3, 10.11.3 und 14.5.3.3). Besteht aufgrund der Klinik, der Blutwerte oder des Röntgenbilds der Verdacht auf eine Infektion oder liegt eine frühzeitige Lockerung (
Abb. 14.89↜ Eine Kontaktfläche von 50€ % ist nach heutigen Erkenntnissen zwischen einer Press-fit-Pfanne und dem autologen Wirtsknochen für ein stabiles Einwachsen notwendig
Die Rekonstruktionsmöglichkeiten werden von dem zur Verankerung verfügbaren Knochen bestimmt. Die Bestimmung der knöchernen Defektsituation ist daher präoperativ in der Planung obligat. Bestimmt werden das Vorhandensein von Knochen in den unterschiedlichen Lokalisationen (kranial, ventral, kaudal, dorsal und zentral), das Vorliegen einer Beckendiskontinuität und die Qualität des Knochens.
14.5.3.2 Revision der Pfannenkomponente C. Perka Die Ziele der Implantation einer Prothesenkomponente bei der Hüftrevisionsoperation sind klar definiert. Diese sind: 1. Erreichen einer primären Stabilität, d.€ h. einer sicheren Fixation, die die sekundäre Integration des Implantats bei zementfreien Versorgungen ermöglicht; 2. besonders bei zementfreien Versorgungen ein ausreichender Kontakt zum Wirtsknochen. Dieser sollte bei zementfreien Implantaten im Pfannenbereich wenigstens 50€ % betragen, bei der Schaftkomponente ist ein flächiger Kontakt über 3€cm in der Diaphyse anzustreben (Abb.€14.89). Alternativ kann im Schaft eine jedoch weniger stabile 3-Flächen-Verankerung ausreichen; 3. mit der endoprothetischen Versorgung ist das Rotationszentrum zu rekonstruieren, da nur so eine adäquate Biomechanik mit normaler Funktion der Abduktoren bei zugleich möglichem Ausgleich der Beinlänge geschaffen wird.
►⌺ Es muss ausreichend vitaler Knochen vorhanden sein, der eine knöcherne Integration ermöglicht.
Entscheidend für die Implantatwahl an der Pfanne ist die Frage, ob es sich um einen umschlossenen Defekt handelt (sog. „contained defect“) oder ob segmentale Defekte eines oder mehrerer Wandteile bzw. von Pfeilern (sog. „uncontained defect“) vorliegen (Abb.€14.90). Ein umschlossener Defekt stellt für die Versorgung in den seltensten Fällen ein Problem dar. Daher ist zunächst immer die Frage zu klären, ob eine operative Technik verfügbar ist, um aus einem „uncontained defect“ einen „contained defect“ zu machen. Folgende Möglichkeiten stehen dafür zur Verfügung: • Einsatz von Netzen und Verwendung von Allografts als Chips, Croutons oder Ähnlichem, • Verwendung von strukturierten Allografts, • Einsatz von modularen Wedges (z.€B. Tantalwedges des TMT-Systems). Pfannenpräparation Vor der Implantation der Revisionskomponente sind grundsätzlich das gesamte
14â•… Revisionsendoprothetik
497
A. iliaca communis A. iliaca interna A. glutea sup. A. iliaca externa A. obturatoria
A. femoralis
Abb. 14.91↜ Foto einer explantierten Pfanne. Der Zement muss restlos aus dem Situs entfernt werden. Die Pfannenoberfläche ist zu inspizieren. Hier wurde eine eigentlich zementfreie Pfanne zementiert implantiert, was den Versagensmechanismus darstellt
außerordentlich aggressive Granulationsgewebe und die evtl. vorhandenen Zementreste zu entfernen (Abb.€ 14.91). Schraubenreste sind in Abhängigkeit und unter Berücksichtigung ihrer Lage und dem damit verbundenen potentiellen Ausmaß an Knochenzerstörung selektiv zu entfernen. Bei septischen Zuständen ist die Entfernung des gesamten Fremdmaterials unbedingt notwendig. Ausnahmen von der vollständigen Entfernung von Granulationsgewebe und Fremdkörpermaterial sind tief im Knochen befindliche abgebrochene Schrauben. Diese dürfen belassen werden, da sie nur durch eine ausgedehnte Zerstörung des Wirtsknochens zu bergen sind. Ebenso ist bei ausgedehnten Defekten oder bei komplettem Fehlen der medialen Wand das Belassen von Granulationsgewebe erlaubt, da das Risiko von Blutungen aus dem am Pfannenboden befindlichem und oftmals gestautem Venengeflecht erheblich sind. Zu berücksichtigen ist auch die am Pfannenboden kaudal verlaufende A.€ obturatoria, deren Verletzung zu schweren Blutungen bis hin zum Tod führen kann (Abb.€14.92). ►⌺ Das Fräsen findet bei der Revisionsoperation de facto nicht statt! Es wird in fast allen Fällen nur angefrischt!
Mit den Fräsen ist der sklerotische Knochen anzufrischen, die Frästiefe sollte mit Ausnahme primär
Abb. 14.92↜ Darstellung des Gefäßverlaufs in Hüftgelenksnähe auf der Beckeninnenseite. Beim Fräsen ist kaudal an der medialen Azetabulumwand verlaufende A.€obturatoria gefährdet
lateralisierter Pfannen jedoch nicht mehr als 1 bis maximal 2€mm betragen. Darüber hinaus vorhandene Sklerosierungen sind durch Bohrungen mit dem 2bzw. 3,2-mm-Bohrer zu eröffnen. Weicher Knochen sollte mit der rückwärtseingestellten Fräse verdichtet werden, wenn eine zementfreie Verankerung geplant ist. Zementierte Pfannen OP-Technik zementierte Pfanne╇ Die zementierte Pfannenverankerung ist eine haltbare, reproduzierbare und kosteneffektive Operationstechnik. Die Vorteile zementierter Verankerung sind die sofortige Belastbarkeit und die Möglichkeit, Defekte zu füllen, sofern das Implantat nicht optimal an den Knochen adaptiert ist. Die Zugabe von Antibiotika ist möglich, was sich besonders bei einzeitigen Wechseln oder Revisionen nach Infekten anbietet. Insbesondere wenn der Knochen für eine Press-fit-Technik nicht stabil genug erscheint, was im Revisionsfall oftmals gegeben ist, bietet die zementierte Verankerung Vorteile. Die Nachteile der zementierten Verankerung sind: • höhere Lockerungsraten am Azetabulum (in den meisten Studien), • das Auftreten von Embolien, • Toxizität des Zements (Myokard), • Zementaustritt in die Weichteile. Für das grundsätzliche Verständnis der Wirkungsweise von Zement gilt: „Zement ist kein Klebstoff“. Zement kann nur funktionieren, wenn dieser sich im
C. Perka
498 M. iliopsoas
Hohmann-Hebel hinter dem Lig. transversum
Lig. transversum acetabuli Femurretraktor
Abb. 14.93↜ Lockerung der Pfanne rechts nach Rekonstruktion des Pfannenbodens mit einem Metallnetz. Das Netz kann nur die Voraussetzungen für die Spongiosaplastik schaffen, die mechanische Unterstützung der Pfannenstabilisierung ist vernachlässigbar
spongiösen Knochen verzahnt. Eine glatte Oberfläche erlaubt keine Fixation mit Knochenzement, eine ausreichende Spongiosa ist unabdingbar. Für die stabile zementierte Verankerung sind zwei Operationsschritte wesentlich: 1. die Präparation des spongiösen Knochens des Azetabulum, 2. das Einbringen der zementierten Pfanne. Für eine langfristige Stabilität ist das Einbringen des Zements unter Druck notwendig. Voraussetzung dafür ist eine möglichst vollständige zirkumferente Knochenumgebung. Ist eine solche nicht vorhanden („uncontained defect“), ist bei einer geplanten zementierten Verankerung zunächst diese Situation in einen geschlossenen Defekt („contained defect“) zu überführen. Dazu erfolgt nach der Präparation des Azetabulum die Rekonstruktion segmentaler Defekte durch die Verwendung allogenen Knochens oder von Implantaten. Verwendet werden hierzu meistens Metallnetze (Abb.€ 14.93). Alternativ sind auch Implantate aus Metall (z.€B. Tantal-Platzhalter) verfügbar. Danach erfolgt die Defektfüllung der kavitären Defekte mit allogenen Knochentransplantaten. Die Defekte sind vor der Implantation unbedingt adäquat zu reinigen (Jet-Lavage), um das gesamte darin befindliche Fett und lose Gewebsmaterial zu entfernen. Die Implantationsposition wird am verbliebenen Wirtsknochen bestimmt. Das quer verlaufende Bd.€ (Lig.€ transversum) ist die am häufigsten und besten erhaltene Landmarke. Das Einsetzen eines
Abb. 14.94↜ Intraoperativer Situs mit kaudal des Ligamentum transversum eingesetztem Haken. Das Ligamentum ist auch bei der Revision meist erhalten und dient zur Orientierung
Abb. 14.95↜ Mit dem Luer präparierte Knochenchips zwischen 0,7–1,0€cm zur Defektfüllung
Retraktors unter dem Band ist für die Bestimmung der korrekten Implantationshöhe daher ideal (Abb.€14.94). Nach Einsetzen eines Probeimplantats können dann zunächst die Knochendefekte bestimmt werden. Die Chips sind möglichst mit dem Luer oder in vergleichbarer Größe zu präparieren, nahezu alle Knochenmühlen produzieren „Mehl“, das mechanisch nicht stabil genug ist. Die günstigste Chipgröße beträgt 0,7–1€cm (Abb.€14.95). Die mit Knochenmühlen zu erreichende Chipgröße liegt zwischen 2 und 6€mm. Dies ist zu klein. Nur wenn größere Knochenchips hergestellt werden können, ist die Verwendung einer Knochenmühle zu empfehlen. Die Verwendung unterschiedlicher Größen der spongiösen Chips ergibt die höchste Stabilität (vgl. Kap.€ 14.5.3.3). Das ein-
14â•… Revisionsendoprothetik
499 Bohrloch im Pfannendach
Lig. transversum acetabuli
Abb. 14.96↜ Ullmark-Impaktor
gebrachte Knochenmaterial ist soweit es geht zu verdichten („impaction grafting“), was voraussetzt, das entsprechende Begrenzungen (knöcherne Defektwände) vorhanden sind. Vor der Zementierung muss ein absolut stabiles Implantatlager erreicht werden. Die Verdichtung der Knochenchips erfolgt mit der rückwärtsdrehender Fräse oder noch besser mit Impaktoren. Der Impaktor sollte in der letzten verwendeten Größe etwa 2–4€mm größer sein, als der Pfannendurchmesser („oversizing“ des Impaktors; Abb.€14.96). Klinische Erfahrungen zeigen, dass die „Schicht“ der Spongiosachips durchschnittlich nicht dicker als 5€ mm (Ausnahme Pfannenbodenbereich) und im kraftübertragenden kranialen Bereich nicht dicker als 2–3€mm sein sollte, da ansonsten das Risiko für eine Migration bzw. Lockerung der Pfannenkomponete signifikant steigt. Ist ein ausgedehnterer Knochenaufbau notwendig, sollten zusätzliche Stabilisierungstechniken unter Protektion des eingebrachten Knochenmaterials (typischerweise Abstützringe) verwendet werden. Bei der Vorbereitung des Knochenlagers ohne relevanten Knochenaufbau (direkte Verankerung im Wirtsknochen) sollten eine Vielzahl kleiner, aber oberflächiger Bohrlöcher (Durchmesser 2€ mm) angelegt werden, um eine bessere Penetration des Zements zu ermöglichen (Abb.€14.97). In der Zementierphase wird dann zunächst der Zement in das Implantatbett eingebracht. Sinnvoll erscheint, wenn dies etwa 4–5€min nach dem Anrühren passiert, da dann der Zement bereits zähflüssiger ist und die Austrittswahrscheinlichkeit in das umgebende Gewebe reduziert wird. Entscheidend für die Zementierung ist der kraniale Anteil (Zone€1 nach DeLee und Charnley; Abb.€ 14.98). In diesem Bereich ist unbedingt ein tiefes Eintreten des Zements in den Knochen und eine optimale Zementierung zu gewährleisten („work hard“ in Zone€1). Nach Einbringen des Zements wird dieser mit einem feuchten Stieltupfer zunächst gleichmäßig im
kalibrierter Bohrer
Abb. 14.97↜ Prinzip der Verankerungslöcher bei zementierter Implantation Abb. 14.98↜ Darstellung der Zonen I–III nach De Lee und Charnley zur Bestimmung der Pfannenlockerung
II
I
III
Azetabulum verteilt. Anschließend wird die Pfanne horizontal mit der Kavität nach unten eingebracht und dann langsam in die gewünschte Position (45° Inklination, 20° Anteversion) gekippt und nachfolgend mit milden Schlägen korrekt positioniert. ►⌺ Feste Hammerschläge sind zu vermeiden, da sonst die Zementschicht zu dünn wird. Diese sollte mindestens 2€mm betragen.
C. Perka
500 Abb. 14.99↜ Prinzip der Press-fit-Verankerung. Diese erfolgt äquatornah!
a
R1
b
R2
R3
Das Aushärten des Zements muss unbedingt unter Druck passieren. Es ist zu berücksichtigen, dass sich der Zement während der Aushärtungsphase ausdehnt, der permanente Druck auf die Pfannenkomponente ist daher unabdingbar. Zementieren in der Revisionssituation ist zweifelsohne ein adäquates Verfahren. Voraussetzung ist das Vorhandensein von spongiösen Knochen bzw. die Rekonstruktion der Defekte mit allogenen Knochenchips. ►⌺ Moderne Zementiertechnik mit Hilfe der Jet-Lavage, Vakuumanmischen und das Aushärten des Zements unter Druck sind Voraussetzung für gute Ergebnisse.
Kontraindikationen für die zementierte Verankerung sind die Fälle, bei denen kein geschlossener Defekt herstellbar ist. Beckendiskontinuitäten können nicht mit einer zementierten Pfanne versorgt werden. Bei bestrahltem Knochen mit erhaltener Wand, aber im Regelfall mit ausgedehnten kavitären Defekten, ist die Defektauffüllung mit strukturierten Knochentransplantaten und einem zementierten Implantat nicht indiziert. Die Fehlschlagsraten sind inakzeptabel hoch. Hier ist die zusätzliche Stabilisierung mit einem Stützring notwendig (siehe Abstützpfannen). Press-fit-Pfannen Eine Press-fit-Pfanne sollte dann gewählt werden, wenn nach den oben genannten Präparierschritten eine mindestens 50€%ige Kontaktfläche des geplanten Implantats zum Knochen erreichbar ist (s.€ Abb.€ 14.89). Wichtig ist eine mindestens stabile Dreipunktverankerung am Ilium, am Ischium und am Pubis. Ein teilweises Fehlen des Pfannenrands zwischen diesen Punkten, d.€ h. also des vorderen bzw. des hinteren Rands, stellt im Regelfall kein Problem dar. Zu verhindern ist das zu starke Überstehen des Implantats über dem vorderen Pfannenrand, da dies
zum schmerzhaften Impingement mit der Sehne des M.€iliopsoas führen kann. Deshalb ist zunächst das Verhältnis des Durchmessers des Pfannendefekts in der Frontalebene zu dem in der Sagittalebene festzulegen. Bei einem deutlich größeren kraniokaudalen Durchmesser ist der Einsatz einer sphärischen Press-fit-Pfanne problematisch, da eine sphärische Pfanne nur zu verankern ist, wenn der Durchmesser in der a.p.-Richtung, dem kraniokaudalen Durchmesser angepasst wird (Prinzip der JumboPfanne). Die Folge ist ein zusätzlicher Knochenverlust. Hier sind andere Techniken besser, die zunächst den kraniokaudalen Durchmesser verkleinern oder die Pfanne dem längsovalen Defekt anpasssen. Dieses wären die Rekonstruktion des kranialen Defekts mit Allografts, der Einsatz eines ovalären Implantats oder die Verkleinerung des Defekts mit einem Wedge eines modularen Rekonstruktionssystems (siehe modulare Rekonstruktionssysteme). Die Press-fit-Verankerung erfolgt am Pfannenäquator, wo durch das Einschlagen die maximale Stabilität erreicht wird (nicht, wie oftmals vermutet, durch die Auflage auf dem Pfannenboden; Abb.€14.99). Das Einklemmen eines überdimensionierten Pfannenkörpers in einem unterdimensioniert gefrästen Lager wird durch die Formgebung der Prothese erreicht. Während für nahezu alle Implantate das „Underreaming“, d.€ h. die Differenz zwischen der Fräsgröße und der Pfannengröße in der Primärprothetik mit 2€mm angegeben wird, sollte diese in der Revisionsprothetik in Abhängigkeit von der Knochenqualität etwas größer sein. Weicher Knochen erfordert zweifellos eine größere Differenz zwischen der Fräsgröße und der Pfannengröße, d.€h. bis etwa 3–4€mm. Durch die Fixation im Äquator wird die axiale einwirkende Kraft senkrecht auf die äquatoriale Kontaktfläche weitergeleitet, d.€h. de facto in Teilkräfte zerlegt. Diese Übertragung kommt der physiologischen Situation am Hüftgelenk am nächsten.
14â•… Revisionsendoprothetik
►⌺ Wie viele Millimeter die Fräsgröße geringer als die Pfannengröße ist, ist implantatabhängig! Unbedingt die Herstellerempfehlungen beachten!
Kontrovers wird in der Literatur die Verwendung von Schrauben zur Stabilisierung von Press-fit-Pfannen diskutiert. In der Revisionsendoprothetik ist die erreichbare Primärstabilität oftmals reduziert. Schrauben können somit die Primärstabilität verbessern und die Rotationsstabilität gewährleisten. Daher werden in der Revisionsendoprothetik Press-fit-Pfannen oftmals durch 2 bis 4 Schrauben zusätzlich stabilisiert. Im angloamerikanischen Sprachraum werden Schrauben bei nahezu jeder Revision verwendet. Die Schraubenverankerung besitzt jedoch auch Nachteile. Durch die Schrauben wird die Pfanne aus der Press-fit-Verankerung „gezogen“. Eine Mikrobewegung der Pfanne während der Schraubenfixation tritt definitiv auf, weshalb vermehrt „radiolucent lines“ in einigen Arbeiten bei zusätzlicher Schraubenfixation beschrieben wurden. Zudem besteht das Risiko intraoperativer Gefäß- und Nervenverletzungen. ►⌺ Ein intraoperativer Druckabfall, kurze Zeit nach dem Setzen der Schrauben, ist immer ein Hinweis auf eine intrapelvine Gefäßverletzung und muss sofort abgeklärt werden (chirurgische Evaluation, CT oder mindestens Sonographie).
Mittelfristige Risiken von Schrauben sind das Entstehen von Fretting (Metallabrieb zwischen der Pfanne und der Schraube), die Korrosion und das Risiko eines Schraubenbruchs (Abb.€ 14.100). Ebenfalls beschrieben ist der direkte Kontakt des Schraubenkopfes zum Polyethylen-Inlay, wodurch ein verstärkter Abrieb indiziert wird. Zudem ist im Revisionsfall die Entfernung der Schrauben häufig außerordentlich aufwendig. Insbesondere gebrochene Schrauben können nur mit erheblicher Zerstörung des umgebenen Knochens geborgen werden bzw. bleiben im Knochen. Schrauben verursachen so zusätzliche Kosten und Operationszeit. ►⌺ Trotz der Nachteile einer Schraubenfixation sollten in jedem Fall, in dem der Operateur die erreichte Press-fit-Fixation nicht als absolut primärstabil ansieht, zusätzliche Schrauben gesetzt werden. Die primäre Stabilität des Implantats ist unabdingbar für den Erfolg der Operation.
501 Abb. 14.100↜ Röntgenbild einer gelockerten Press-fitPfanne mit gebrochenen Schrauben
Ovaläre und bilobäre Implantate Zur Implantation von längsovalen Revisionspfannen sind im Regelfall keine zusätzlichen speziellen Instrumente notwendig. Das Grundprinzip besteht in einem ausschließlichen Anfrischen des Knochens ohne Entfernung relevanter Knochenmengen. Ebenso wie bei der Implantation sphärischer Pfannen erfolgt zunächst die Verwendung einer Fräse, die 2€mm kleiner ist als der (kleinere) sagittale Durchmesser der geplanten Pfanne. Mit dieser Fräse wird zunächst unter Verwendung des Lig.€transversum als anatomischem Bezugspunkt die ursprüngliche Pfanne (im Regelfall der untere Defektbereich) vorsichtig angefräst. Eine Erweiterung nach ventral oder dorsal ist nicht notwendig und wird nicht angestrebt. Entfernt werden sollten Knochenvorsprünge im Lager bzw. im Pfanneneingangsbereich befindliche knöcherne Anbauten. Im nächsten Schritt wird durch das Hineinhalten einer Probekomponente der gleichen Größe der kranial verbleibende Defekt bestimmt (Abb.€14.101). Zu berücksichtigen ist dabei, dass der kraniale Defekt in anterior-posteriorer Richtung meistens kleiner ist als dies im originalen Hüftpfannenzentrum der Fall ist. Ursache dafür ist, dass die Lockerung der Prothesenkomponente zunächst über eine Aufweitung des umgebenden Knochens und erst anschließend über die nachfolgende Migration erfolgt. Aus diesem Grund
502
Abb. 14.101↜ Prinzip der Positionierung der Fräse in einem ovalären Defekt. Die Fräse wird in Höhe des originalen Azetabulum eingesetzt. Die Fräsgröße richtet sich nach dem Sagittaldurchmesser. Der kraniale Defekt wird bestimmt
ist für den kranialen Defekt zur Anfrischung manchmal die Verwendung einer kleineren Fräse indiziert. Das Anfräsen erfolgt durch Hin- und Herbewegen in kraniokaudaler Richtung. Auch hierbei sind niemals relevante Knochenmengen zu entfernen. Ziel ist ausschließlich das Anfrischen des Knochens und das Erreichen einer möglichst optimalen Passform zur ovalen Pfanne. Die ovale Pfanne sollte sich im Azetabulum verklemmen. Erreicht werden muss mindestens eine sichere 3-Punkt-Verankerung. Nur in den wenigsten Fällen wird ein optimaler Formschluss zwischen Pfanne und Implantat gegeben sein. Wir empfehlen daher eine Hydroxylapatitbeschichtung bei ovalären Pfannen (oder eine andere besonders raue Oberfläche). Besonders geeignet erscheint die Bofor-Pfanne (Smith & Nephew, Marl, Deutschland), die neben der HA-Beschichtung auch Rippen zur besseren Stabilisierung besitzt. Zudem kann durch das asymmetrische Inlay, das Rotationszentrum individuell angepasst werden. So ist im nächsten Schritt auch in Abhängigkeit vom Implantat zu entscheiden, ob der im Regelfall kleinere Defekt kranial weiter aufgefräst wird oder aber ob durch einen guten kranialen Formschluss und gleichzeitige stabile Fixation im kaudalen Pfannenbereich (Prinzip der erweiterten 3-Punkt-Fixation) bereits eine ausreichende Stabilität erreicht wird, eventuell auch wenn anterior und posterior der originalen Pfanne ein Knochendefekt verbleibt. Prinzipiell sind beide Möglichkeiten gegeben. Verbleibende
C. Perka
Abb. 14.102↜ Ovaläre Probepfanne. Die Form und Struktur der Probekomponente erlaubt die genaue Bestimmung der knöchernen Kontaktzonen
kleinere Knochendefekte um das Implantat können mit Knochen aufgefüllt oder so belassen werden. Bei Verwendung von Implantaten mit modernen Oberflächen (z.€B. Hydroxylapatitbeschichtung, raugestrahlte Titanoberflächen) ist ein Anwachsen des Knochens an die Oberfläche bei stabilem Sitz bei Defekten bis zu 2€mm in aller Regel gegeben. Für die Bestimmung der Implantatgröße sollten Probepfannen verwendet werden (Abb.€ 14.102). Die gewählte Implantatgröße liegt im Regelfall 2€ mm über dem longitudinalen Durchmesser des zuletzt eingepassten Probeimplantats. Klar sichtbare kavitäre Defekte, die nach Implantation der Pfanne nicht mehr erreicht werden, können im nächsten Schritt mit Spongiosachips verfüllt werden. Segmentale Defekte des Pfannenbodens werden mit einer dünnen Spongiosascheibe abgedeckt. Bei segmentalen Defekten anderer Pfannenbegrenzungen (anteriorer, posteriorer oder kaudaler Pfannenrand) sind aus unserer Sicht ovaläre Implantate nicht indiziert, da kein ausreichendes Press-fit zu erreichen ist. Beim Einbringen des Implantats sind zwei Techniken möglich. Zum einen kann die ovale Pfanne genau wie eine Press-fit-Pfanne bereits in der gewünschten Position vor den Pfanneneingang gelegt und dann mit einem Impaktor eingetrieben werden. Die zweite Möglichkeit besteht darin (insbesondere bei kranial sehr sklerotischem Knochen nach Pfannenmigration), die Pfanne zunächst vertikal zu positionieren und im kranialen Bereich optimal im Knochen einzusetzen. Die endgültige Pfannenposition wird dann durch das Einschlagen des kaudalen Teils
14â•… Revisionsendoprothetik
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Abb. 14.103↜ Alternative Technik für das Einschlagen einer ovalen Pfanne. Diese wird zunächst kranial im stabileren Knochen eingesetzt und dann durch Schlagen auf den kaudalen Pfannenrand „in den Defekt hinein rotiert“
Abb. 14.105↜ Prinzip der Anpassung des Drehzentrums nach kranial/kaudal bzw. anterior/posterior durch ein asymmetrisches Inlay (Exzentrizität 2€ mm) bei einem ovalem Implantat. (hier BOFOR-Pfanne S&N, Marl, Deutschland)
In die fixierte Titanschale wird dann der entsprechende Polyethylen-Einsatz über einen Schnappmechanismus eingebracht. Je nach verwendetem Pfannensystem kann durch eine entsprechende Rotation des oft asymmetrischen Inlays die endgültige Position des Rotationszentrums bestimmt werden (Abb.€14.105).
Abb. 14.104↜ Korrekte Implantation einer längsovalen Pfanne mit kranialer Schraubenfixierung rechts
erreicht, indem die Pfanne de facto um den kranialen Pol rotiert wird (Abb.€ 14.103). Abschließend empfehlen wir immer die Stabilisierung mit Schrauben, da im Regelfall keine absolut stabile Press-fit-Verankerung mit entsprechendem Formschluss zu erreichen ist, sondern eine 3-Punkt-Verankerung resultiert (Abb.€ 14.104). Verwendet wird das übliche Schraubeninstrumentarium mit flexibler Welle. Wir empfehlen die Verwendung von mindestens zwei Schrauben im kranialen Bereich, jedoch keine Schrauben im Os pubis oder Os ilium. Von anderen Autoren werden jedoch Schrauben im Schambein und Sitzbein verwendet, die ebenfalls über gute Ergebnisse berichten.
Techniken für die Rekonstruktion mit Allografts Die Verwendung von strukturierten Allografts (das heißt also von großen Knochenteilen wie Hüftköpfen, distalen Femurtransplantaten u.€ a.) geht in der Revisionsendoprothetik zurück. Ursache dafür ist, dass Allografts nur in den Wirtsknochen integriert werden können, jedoch nicht durch diesen ersetzt. Das Ausmaß der möglichen Integration ist letztendlich nicht klar. Nach den Arbeiten von Hooten überschreitet es 2€mm nicht. Distale Femura bieten gegenüber Hüftköpfen eine bessere mechanische Stabilität. Hüftköpfe sollten bei ihrem Einsatz immer so implantiert werden, das die Trabekel wiederum physiologisch ausgerichtet werden, also nicht gegenüber der Normalposition verdreht sind. Frische Allografts sind potentiell gefrorenen Allografts überlegen. Grundsätzlich ist die Versagensrate strukturierter Allografts in der Literatur hoch. So wird nach 5–7€Jahren eine deutliche Zunahme der Lockerungsraten bei Verwendung von strukturierten Allografts beschrieben. Allgemein wird daher die Protektion eines strukturierten Allografts bei azetabulären Rekonstruktionen durch einen Stützring empfohlen.
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Abb. 14.106↜ Müller-Stützschale
Stützpfannen (Prinzipien: Müller-Stützschale, GanzSchale mit Haken, Burch-Schneider-Ring, unterschiedliche Rekonstruktionsringe). Das Prinzip aller Abstützschalen besteht in der Kraftübertragung auf den Knochen über eine möglichst große Fläche. Die Integration der Stützschalen, sofern sie überhaupt vorkommt, was bisher nur an einigen raugestrahlten Implantaten beobachtet worden ist, spielt nach heutigen Erkenntnissen für die Stabilität keine Rolle. Die Verankerung erfolgt im Wesentlichen über Laschen am (meist Os ilium, selten Os ischii, sehr selten Os pubis) oder im Beckenknochen (Os ischii) im Abstand zum eigentlichen Azetabulum. Die Größe und Zahl der Laschen wird durch die Größe des zu überbrückenden Defekts bestimmt. Die Müller-Stützschale wird heute bei Revisionen nur noch selten verwendet (Abb.€14.106). Sie erlaubt die flächige Kraftübertragung und die teilweise Rekonstruktion eines kranialen Defekts durch die zusätzliche Verwendung von Knochenchips. Kranial sollte kein oder nur ein kleiner Defekt vorhanden sein, da eine relevante Verlagerung des Drehzentrums nach kaudal nicht möglich ist. Die Kontaktfläche zum Knochen sollte ebenfalls etwa 50€% betragen. Die MüllerSchale wird mit 3 bis 4€ Schrauben, die nach kranial in Richtung der Hüftgelenksresultierenden ziehen, fixiert. Zwischen der Müller-Schale und dem Wirtsknochen verbleibende Knochendefekte werden vor oder nach der Implantation der Schale mit Knochenchips verfüllt. Anschließend wird in die Schale eine PE-Pfanne einzementiert. Die Stützschale nach Ganz mit Haken besitzt den wesentlichen Vorteil, dass die Rekonstruktion des Rotationszentrums sehr genau möglich ist. Dazu wird der Haken um die Tränenfigur, d.€h. um den unteren Pfannenrand gesetzt. Dieser Haken dient im Wesent-
Abb. 14.107↜ Disolzierte Ganzschale bei inkorrekter Indikationsstellung. Bei großem kraniokaudalen Defektdurchmesser erfolgt eine große Belastung des Hakens, der nicht zur Stabilisierung, sondern zur Positionierung dient
lichen somit als Positionierungshilfe und nicht zur Stabilisierung des Implantats. Werden die einwirkenden Kräfte zu groß, kommt es zur Dislokation bzw. zum Bruch des Hakens (Abb.€14.107). Der Burch-Schneider-Ring, als das primäre Implantat, das den heute mannigfaltigen Rekonstruktionsringen zugrunde liegt, wird in der Literatur für ausgedehnte Knochendefekte empfohlen. Wie bei allen Stützringen ist eine biologische Fixation (Einwachsen von Knochen in das Implantat) nicht möglich. Er funktioniert nach dem Prinzip der flächigen Abstützung auf den Reststrukturen des körpereigenen Knochens. Eine Migration des Ringes ist daher immer in Betracht zu ziehen. Es handelt sich somit de facto um ein zementfreies Revisionsimplantat. In dieses wird dann die Pfanne in der gewünschten Position einzementiert. Der intraoperativ eingebrachte Zement dient einerseits der Fixation der Pfanne im Ring, andererseits wird durch den durch die Löcher des Stützrings in den Azetabulumbereich tretenden Zement die umgebende Spongiosaplastik nochmals verdichtet. Wir empfehlen daher Rekonstruktionsringe mit zementierter Fixation der Pfanne. Die Migration von Stützringen korreliert mit dem Ausmaß der Defektgröße. Mehrere Arbeiten konnten zeigen, dass Defekte des hinteren Pfeilers und Defekte des oberen Pfannenrands mit einer deutlich erhöhten Migration und Lockerungsrate einhergehen. Defekte
14â•… Revisionsendoprothetik
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Abb. 14.108↜ Burch-Schneider-Ring Abb. 14.110↜ Variante eines Stützringes: Reko-Ring
Abb. 14.109↜ Fehlimplantierter Burch-Schneider-Ring
und
sekundär
migrierter
des kranialen Pfeilers führen zu einer zu weit kranialen Positionierung des Rings (Abb.€ 14.109). Damit reduziert sich die zur Verfügung stehende kraniale Abstützfläche, die Schrauben müssen bei entsprechend geringer dimensioniertem Knochen sehr viel kürzer gewählt werden und die kaudale Lasche ist über eine kürzere Strecke im Sitzbein verankert. Zudem ist oftmals auch ein Defekt des hinteren Pfeilers zu beachten, da kranial durch die Migration der gelockerten Komponente, die zur superioren Defektsituation geführt hat, auch der hintere Rand defizitär ist. Bei Defekten des hinteren Pfeilers bzw. Pfannenrands ist eine Lockerung durch ein Herausdrehen des Rings nach dorsal einzukalkulieren. Hohe Lockerungsraten bei der Versorgung mit Stützringen von bis zu 63,5€% nach 6,7€Jahren traten immer dann auf, wenn große Pfannendefekte (Paprosky€IIIb) versorgt wurden und dabei der hintere oder obere Pfannenrand fehlten. Der primär von Burch und Schneider konzipierte Ring wurde inzwischen von vielen Firmen weiterentwickelt. Moderne Stützringe, wie der Reko-Ring (Smith & Nephew, Marl, Deutschland) besitzen eine
40
Abb. 14.111↜ Intraoperative Ausrichtung des Burch-SchneiderRings. Das Inlay wird in einer Antetorsion von 10–15° und einer Inklination von 40° implantiert
anatomisch adaptierte Form und die Möglichkeit, zur optimalen Positionierung kranial Wedges anzuschrauben sowie eine gut ins Sitzbein einzuschlagende Lasche (Abb.€14.110). Darüber hinaus sind von Seiten der Operationstechnik mehrere Faktoren zu definieren, die Voraussetzung für die erfolgreiche Implantation eines Stützrings sind: • Korrekte Orientierung des Rings: Der Stütz- bzw. Reko-Ring muss sich am Ilium und im Ischium abstützen. In der Rückenlage ergibt sich somit eine etwas schräge Position von kranial-ventral nach distal dorsal (Abb.€14.111).
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Körperlängsachse
Abb. 14.112↜ Eröffnung des Sitzbeins mit einem abgewinkelten Meißel
►⌺ Ein optimal positionierter Ring steht nicht in Richtung der Körperlängsachse!
In Richtung der Körperlängsachse liegt entweder die kraniale Lasche nicht dem Darmbein an oder die kaudale Lasche befindet sich ventral des Sitzbeins. Beide Positionen sind nicht akzeptabel. • Ein guter Stützring berücksichtigt, dass Ilium und Ischium in unterschiedlichen Ebenen liegen, d.€h., dass die Laschen etwa 15€ Grad zueinander rotiert sein müssen. Stützringe, die keine Torsion der Iliumlasche gegenüber der Sitzbeinlasche aufweisen, müssen geschränkt werden, was jedoch definitiv nachteilig ist. Mehrfaches Schränken führt zu einer signifikanten Reduktion der Stabilität bis hin zum Bruch der Laschen. • Die Sitzbeinlasche ist in das Sitzbein einzuschlagen, da so die höchste Stabilität zu erreichen ist. Zudem wird dadurch eine Schädigung des N.€ ischiadicus vermieden. Dazu wird mit einem 30€Grad abgewinkelten Meißel zunächst das Sitzbein mit vorsichtigen Schlägen bis ca. 5€ mm tief eröffnet und anschließend mit leicht rotierenden Bewegungen dann diese Öffnung schrittweise erweitert (Abb.€14.112). Ständige Kontrolle der intraossären Position mit einem stumpfen Instrument (z.€B. Raspatorium). ►⌺ Mit einem kleinen Rasparatorium kann man sich über die Lage des Sitzbein (extraossäre Begrenzung) orientieren und eine ausgedehntere Freipräparation vermeiden.
Abb. 14.113↜ Technik und Richtung des Einschlagens eines Burch-Schneider-Rings. Die kaudale Lasche sitzt im kaudal/ posterior befindlichen Sitzbein, so dass die kraniale Lasche ventral/kranial positioniert ist. Der Winkel zur Körperlängsachse beträgt ca. 30°
• Der Stützring muss vor allem dem hinteren Rand der Pfanne anliegen, um eine kurzfristige Positionsänderung zu vermeiden. Dies ist wichtiger als ein flächiges Anliegen der proximalen Iliumlasche. • Der Ring wird also, nachdem er in das Sitzbein eingeschlagen wurde, zunächst soweit wie möglich nach kaudal geschlagen, wobei der hintere Rand anliegen muss. Anschließend erfolgt das Schlagen nach kranial, bis der gesamte Ring sich stabil am Ilium abstützt (Abb.€14.113) • Das von einigen Autoren angegebene Schränken der distalen Lasche in einem Winkel von 90°, um den Ring sicher von lateral im Sitzbein zu verankern, ist prinzipiell möglich. Negative Literaturberichte liegen bisher nicht vor. Jedoch ist auszusagen, dass aufgrund der ständigen Deformierung des Beckens diese Verankerungsform der normalen Beckendeformierung entgegenwirkt und somit eine Lockerung der distalen Verankerung befürchtet werden muss. Zudem erscheint der N.€ ischiadicus mehr gefährdet, da eine ausgiebigere Freipräparation des Sitzbeins erfolgen muss (Abb.€14.114). • Nachdem der Ring genau eingepasst wurde, wird dieser zunächst wieder entnommen. Jetzt werden alle kavitären Defekte mit Knochenchips ausgefüllt und der Knochen immer wieder mit Impaktoren bzw. mindestens einer rückwärtsdrehenden Fräse verdichtet. Wie bei allen Rekonstruktionen im Hüft-
14â•… Revisionsendoprothetik
M. gluteus medius
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M. gemellus superior Trochanter major M. obturator internus M. gemellus inferior
Abb. 14.115↜ Sockelpfanne
M. vastus lateralis
M. quadratus femoris N. ischiadicus
Corpus ossis ischii
M. gemellus inferior M. obturator internus N. ischiadicus
M. gemellus superior M. piriformis
Abb. 14.114↜ Verlauf des N.€ischiadicus am hinteren Pfannenrand und in Bezug zum Sitzbein
bereich wird die höchste Stabilität mit Chips bzw. Croutons, die mit dem Luer gefertigt werden und einen Durchmesser von 3–6€ mm haben, erreicht. Die Verwendung von Knochenmühlen ist daher nur dann zu empfehlen, wenn die resultierenden Knochenfragmente groß genug sind. Die Verdichtung ist so durchzuführen, dass diese mit einem Durchmesser erfolgt, der etwa 3€ mm über dem Außendurchmesser des Stützrings liegt, um anschließend das Wiedereinpassen des Stützrings problemlos vornehmen zu können. Sockelpfanne Die Sockelpfanne ist ein bisher wenig verwendetes Implantat für die Rekonstruktion großer Knochensubstanzdefekte, stellt aber bei vielen Situationen einen optimalen Rückzugsweg dar (Abb.€14.115). Sie hat sich bei großen Substanzdefekten bewährt, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Diese sind:
1. Die verbliebene Reststruktur des Knochens ist ausreichend stabil, da die Verankerung zementfrei ohne relevanten Formschluss im posterioren Ilium erfolgt. Eine Osteoporose stellt ein Ausschlusskriterium für die Sockelpfanne dar. 2. Im Verankerungsbereich des Sockels ist eine ausreichende Sklerosierung notwendig, da die Abstützung am Übergang vom zylindrischen zum konischen Teil wesentlich für die primäre Stabilität des Sockels ist. Auch eine unzureichende kraniale Abstützung (ausgedehnter Defekt des kranioposterioren Ilium) ist ein Risikofaktor für die Migration und Lockerung. 3. Die Pfanne benötigt eine korrekte Implantationstechnik, da nur mit einer Neigung von 20° in der Frontalebene und 15° nach posterior gegenüber der Körperlängsachse die Verankerung des Sockels im Knochen und eine adäquate Kraftübertragung ohne das Auftreten von Scherkräften gegeben ist (Abb.€14.116). Eine Lateralisierung des Rotationszentrums ist unbedingt zu vermeiden. 4. Multiple Perforationen des Ilium, z.€ B. durch Schrauben von Stützringen, stellen ein Risikofaktor für die Stabilität der Sockelpfanne dar, da ein Ausbrechen der lateralen Iliumwand entlang der Schraubenlöcher möglich ist. 5. Verbliebenes Fremdmaterial ist ein Risikofaktor, da dieses das Instrumentarium aus der korrekten Position abdrängt und so die korrekte Position der Sockelpfanne nicht erreicht werden kann. Die Position ist daher entsprechend im Bildwandler zu kontrollieren (Abb.€14.117).
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20°
Abb. 14.116↜ Positionierung der Sockelpfanne. Die Präparation des Sockels erfolgt in einem Winkel von 15–20° zur Körperlängsachse nach dorsal und in einem Winkel von 20° zur Körpermitte
6. Die Sockelpfanne hat eine zementfreie Verankerung, devitalisierter oder bestrahlter Knochen stellt somit eine Kontraindikation für die Sockelpfanne dar. Zur Operationstechnik sind sowohl der hintere als auch vordere Zugänge zu verwenden. Wichtig ist die Verlängerung des Standardzugangs nach distal um etwa 5–7€cm, da das sehr steile Einbringen des Sockels ansonsten durch die Weichteile bedingt nicht möglich ist. Eine zweite Abweichung gegenüber dem Standard ist, dass bei Verwendung des Operationsinstrumentariums grundsätzlich die Orientierung an der Incisura ischiadica erfolgt, d.€ h. diese unbedingt freizupräparieren ist. Dies sollte unbedingt stumpf erfolgen und allenfalls direkt am Knochen scharf präpariert werden, da ansonsten die Hauptkomplikation dieses operativen Vorgehens die Verletzung der A.€glutea superior in der Incisura ischiadica eintreten kann (s.€Abb.€14.92). Nach Freipräparieren der Incisura ischiadica wird der Haken des Zielinstrumentariums in die Incisura ischiadica eingesetzt (Abb.€14.118). Mit dem Tangentialstab, der am äußeren Ilium entlang geführt wird,
erfolgt die Ausrichtung in der Frontalebene. Dabei gilt als Faustregel, dass im Regelfall der Sockel 10–20° steiler einzubringen ist als man dies nach dem erstmaligen Anhalten der Instrumente erwarten würde. Eine Röntgenkontrolle ist hilfreich. Noch wichtiger ist, dass die Präparation des Sockels nach hinten (in der Sagittalebene) um etwa 15–20° erfolgt, da die meisten bisher beobachteten Fehlpositionierungen dadurch gekennzeichnet waren, dass der Sockel das Ilium nach vorn verließ. Die Röntgenkontrolle in der zweiten Ebene ist zudem weitaus schwieriger als a.p. Ist der Zieldraht richtig positioniert, erfolgt danach das Bohren und Fräsen über denselben. Dabei ist ständig auf eine zirkumferente Knochenumgebung zu achten. Es existieren bisher keine Arbeiten, die belegen, das auch eine unvollständig zirkuläre Knochenumgebung zu entsprechender Stabilität führt, dennoch müssen durch den Operateur bei diesen ausgedehnten Defektsituationen möglicherweise Kompromisse gemacht werden, da die Alternative nur in einer Girdlestone-Situation besteht. Duokopfprothesen Duokopfprothesen stellen eine Möglichkeit der Revisionsendoprothetik dar, die am ehesten im Sinne einer Salvage-Möglichkeit einzuordnen ist. Das bei der Primäroperation von Duokopfprothesen vorhandene Risiko einer progredienten zentralen Protrusion besteht hier, infolge der verminderten Knochensubstanz, in noch erhöhtem Maße. Dennoch stellt es für alte Patienten eine Möglichkeit dar, die Operationszeit signifikant zu verkürzen und eine stabile Situation des Hüftgelenks herzustellen (Abb.€14.119). Das Grundprinzip besteht wiederum in einer Abstützung der äußeren Schale der Duokopfprothese auf einer möglichst großen Knochenfläche. Modulare Rekonstruktionssysteme Spezialprothesen╇ Für die Rekonstruktion ausgedehnter Substanzdefekte im Hüftgelenksbereich kommen Spezialprothesen zur Anwendung. Bezüglich der zu wählenden speziellen Operationstechniken des jeweiligen Implantats sei auf die jeweils verfügbaren OP-Anleitungen verwiesen, da eine detaillierte Beschreibung an dieser Stelle für alle Systeme nicht möglich ist.
14â•… Revisionsendoprothetik
Abb. 14.117↜ Versorgung einer Beckendiskontinuität mit einer Sockelpfanne bei Zustand nach 4-maliger Revision. Verbliebene Schraubenreste stellen einen Risikofaktor für die Positionierung dar. Bei großen Knochendefekten ist oftmals eine Abweichung
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der Positionierung möglich. Die hier erfolgte „Arthrodese“ des ISG war aufgrund der noch vorhandenen Knochenstruktur unvermeidlich. Klinisch bestehen hier ein Jahr p.o. keine Beschwerden
Abb. 14.118↜ Positionierung des Hakens der Sockelpfanne in der Incisura ischiadica. Anatomische Nähe zur A.€glutea superior beachten. Tödliche Blutungen sind möglich
Sattelprothese Ist das Azetabulum nicht rekonstruierbar, kann die Sattelprothese Verwendung finden (Abb.€ 14.120). Bei der Sattelprothese ist ein metallischer Sattel in Polyethylen gelagert und rotiert um einen Zapfen auf einem Sockel. Entsprechend dem Ausmaß des Knochensubstanzverlusts stehen variable Längen des Sockels zur Verfügung. Der Sockel wird dabei anstelle des Hüftkopfes auf den Femurschaft gesetzt. Die Verbindung zwischen Sattel und Sockel wird durch eine stumpf endende Schraube, die durch ein Loch in der Basis des Sattels gedreht wird und in einer umlaufenden Nut im Zapfen des Sockels eingreift, verankert. Zusätzlich ist die stabile Verankerung des Sockels auf dem Konus notwendig. Dies erfolgt mit Hilfe eines Stiftes, der in eine im Konus extra angefertigte Vertiefung eingesetzt wird.
Der Sattel artikuliert dabei mit den Resten des Os ilium. Ein Horn des Sattels liegt im Becken, das andere außen unter dem M.€gluteus minimus (Abb.€14.121). Die häufigste implantatspezifische Komplikation ist die Luxation im Sattelgelenk. Unterschieden wird das akute Luxationsereignis von dem schrittweisen Auswandern des Sattels aus dem Artikulationsbereich mit dem Ilium (Abb.€14.122). Eine Revision ist in beiden Fällen außerordentlich schwierig. Bei der Revision der akuten Luxation ist neben der Optimierung des Weichteil-Balancings oft nur die Möglichkeit eines längeren Sockels gegeben. Besteht intraoperativ eine Luxationsneigung, ist die postoperative Anlage einer Gipshose für ca. 6€Wochen sinnvoll. Bei schrittweiser Migration mit nachfolgender Luxation fehlt dagegen meist das knöcherne Wiederlager im Ilium, so dass keine ausreichende Stabilität mehr vorhanden
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Abb. 14.121↜ Prinzip der knöchernen Abstützung einer Sattelprothese
Abb. 14.119↜ Versorgung mit einer Duokopfprothese
Abb. 14.122↜ Röntgenaufnahme einer nach kranial migrierten Sattelprothese rechts
ist und nur die Resektionssituation nach Prothesenausbau als Möglichkeit verbleibt. Insgesamt stellt die Indikation für eine Sattelprothese eine Rarität dar. Sofern möglich, sollte das knöcherne Defektazetabulum rekonstruiert werden, da bis auf einen geringen Prozentsatz nach Implantation der Sattelprothese überwiegend schlechte funktionelle Resultate die Folge sind, wenngleich die Lebensqualität bei guter Muskulatur besser ist als bei einer Girdlestone-Situation nach Prothesenausbau.
Abb. 14.120↜ Sattelprothese
Tumorprothesen (azetabuläre Komponente) Tumorprothesen werden in der Hüftrevisionsendo-
14â•… Revisionsendoprothetik
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Abb. 14.123↜ Custommade Prothese des linken Hüftgelenks
Abb. 14.124↜ Beckenteilersatz rechts mit Fixierung im Os sacrum
prothetik ebenfalls selten verwendet. Sofern diese verwendet werden, erfolgt der Einsatz nahezu immer nach individueller Planung („Custom-made-Implant“, Abb.€ 14.123). Entscheidend für den Erfolg ist die exakte präoperative Planung, insbesondere die Rekonstruktion des Drehzentrums und die Wiederherstellung der Beinlänge. Das Implantatdesign wird nach einem CT-Scan des Beckens hergestellt. Verwendung findet dabei das Verfahren der Stereolithographie, d.€h., dass 3D-Daten aus dem CT in ein Modell aus Epoxidharz umgewandelt werden, an dem dann die Planung und Anpassung der Tumorprothese dann möglich ist. Die Verankerung erfolgt prinzipiell überwiegend durch einen zentralen Zapfen im Ilium (vergleiche Prinzip der Sockelpfanne) und durch die zusätzliche Stabilisierung einer Lasche mit Schrauben am verbliebenen Iliumrest bzw. selten auch im Sakrum (Abb.€14.124). Anhand des verbliebenen Knochens werden die Größe und die Orientierung der Laschen bzw. des in das Ilium einzubringenden Stiels festgelegt. Der in früheren Zeiten geforderte „Schluss des Beckenrings“ hat sich als nicht notwendig erwiesen. Eine Stabilisierung des Tumorimplantats am Schambein oder auch Sitzbein ist daher nicht zwingend notwendig. Ist im Sitzbeinbereich jedoch Knochensubstanz vorhanden, die eine Verankerung zulässt, sollte diese zusätzliche Stabilisierungsmöglichkeit geprüft werden (z.€B. Einschlagen einer Lasche, seltener Verschraubung).
Die Operation beginnt, indem der zuvor als nicht stabil genug identifizierte Knochen entfernt wird. Die Prothesenimplantation erfolgt zunächst mit der Insertion der Iliumlasche an der Außenseite des Ilium. Diese sollte in Abduktion und leichter Beugung des Beins erfolgen, um die Abduktoren zu entspannen. Auf diese Weise wird ein Übermaß an Traktion auf den M.€gluteus medius mit dem Potential der Schädigung des N.€gluteus superior verhindert. Zur Positionierung der Sitzbeinlasche sollte das Knie flektiert und die Hüfte extendiert werden, um die hinteren Weichteile zu entspannen. Bei der Implantation ist der N.€ischiadicus unbedingt zu schützen. Die Ergebnisse sind aufgrund der Vielzahl der Designs kaum vergleichbar. Die zahlenmäßig größten Studien sind zum „Triflange-Cup“ publiziert. Dabei zeigen sich im kurz- bis mittelfristigen Verlauf Ergebnisse, die mit denen nach anderen Revisionsoperationen vergleichbar sind (Dennis 2003; Christie et€al. 2001). Femurrevision Revisionsoperation mit nichtzementierten Prothesenschäften╇ Die femorale Revision ist anspruchsvoll, zeitaufwendig und in ihrem Erfolg vom Vorhandensein von Spezialinstrumenten abhängig. Besonders herausfordernd ist die Entfernung des festsitzenden Zements und von fest integrierten zementfreien Prothesen, insbesondere wenn diese die Markhöhle komplett ausfüllen und über ihre gesamte Länge knöchernes Einwachsen ermöglichen (sog. „Fully-porouscoated“-Implantate). Die spätere Verankerung hängt wesentlich von der Qualität des Ausbaus ab, womit der Ausbau der eigentliche Schlüssel zum Erfolg ist.
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Im femoralen Bereich ist bei der geplanten Revision immer die Intaktheit der Metaphyse und der Diaphyse (hier insbesondere des Isthmus) zu bewerten. Grundsätzlich sollte die Verankerung der femoralen Revisionskomponente im proximalsten tragenden Teil des Femur erfolgen. ►⌺ Dicke, kurze Prothesenschäfte sind gegenüber langen dünnen Komponenten zu bevorzugen. Eine „Verlagerung der Probleme nach distal“ bei jeder Revision ist zu vermeiden.
Nach der Planung der Stabilität ist zusätzlich die Planung des Offsets notwendig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass a.p.-Bilder in Revisionsfällen häufig eine starke Fehlrotation des abgebildeten Femur aufweisen. Hierbei ist dann oftmals die Orientierung an der Gegenseite die bessere Option. In der Planungsskizze sollte die resultierende Verlängerung der Beinlänge dokumentiert werden, da dies auch von juristischer Relevanz ist. Sowohl zementierte als auch zementfreie Techniken sind bei der Schaftrevision erfolgreich, wobei der Einsatz der zementierten Technik bei der Schaftrevision aus unserer Sicht weitaus komplizierter ist und in nahezu allen Fällen Spongiosatransplantate erfordert. Daher ist es erklärlich, dass weltweit überwiegend zementfreie Revisionsimplantate verwendet werden. Zement braucht für die Verankerung spongiösen Knochen, der infolge der Lockerung der vorhergehenden Komponente meistens fehlt. Deshalb ist ein „impaction grafting“ zur Schaffung von zur Verankerung geeigneter Strukturen notwendig. Prinzipiell kann bei geplanter zementfreier Verankerung ein gerader oder ein kurvierter Schaft Verwendung finden (Abb.€14.125). Aus unserer Erfahrung ist bei Schaftlängen bis etwa 180€mm ein gerader Schaft zu bevorzugen. Nur mit einem geraden Schaft ist die Diaphyse so zu präparieren, dass ein Press-fit des Schaftkonus zu erreichen ist. Dabei muss auf einer Strecke von mindestens 3–5€cm (in Abhängigkeit der Dicke der Kortikalis) eine sichere Verankerung in beiden Ebenen erreicht werden. Dies ist aus unserer Sicht die sicherste und stabilste Verankerung. Bei kurvierten Schäften resultiert dagegen eine 3-Punkt-Verankerung. Kurvierte Schäfte sind daher aus unserer Sicht, insbesondere bei großen proximalen und in die Diaphyse reichenden Defektsituationen, indiziert, bei denen ein langstreckiges Press-fit mit
Abb. 14.125↜ Gerader (a) und kurvierter modularer Schaft (b)
ausreichender Wahrscheinlichkeit nicht erreicht werden kann. Egal, für welches Implantat man sich entscheidet, sind grundsätzlich zwei Regeln zu beachten: • Die Stabilität des eingebrachten Implantats sollte mit dem üblicherweise verfügbaren T-Handgriff in Rotationsrichtung geprüft werden. Die Gefahr einer Fraktur des Femur bei dieser Prüfung ist gering, auf der anderen Seite wird jedoch eine objektive Einschätzung der erreichten Stabilität (Rotationsstabilität!) ermöglicht. • Der Knochen besitzt eine Eigenelastizität, so dass nach primär stabilem Einschlagen der Prothese, zunächst etwa 2€min gewartet werden sollte. Anschließend ist die Prothese nochmals zu impaktieren. Mit diesem Vorgehen ist im Regelfall ein Tiefertreten der Prothese um 2–4€mm zu erreichen. Sowohl bei der Präparation als auch bei der Implantation der Probeprothese und des Originalschafts sollte mit ausreichender Kraft bei einer gewünschten zementfreien Verankerung auf die Instrumente bzw. Implantate geschlagen werden. Besteht die Befürchtung das Femur zu sprengen, ist zunächst grundsätzlich eine Cerclage (selten zwei) um den
14â•… Revisionsendoprothetik
Abb. 14.126↜ Schaftbruch nit der Notwendigkeit für transfemoralen Zugang. Distal des Zugangs ist eine protektive Cerclage zur Verhinderung einer Fraktur angebracht
intakten Teil des Femur zu legen. Im Regelfall sollte dies 1. soweit proximal als möglich und 2. in der Diaphyse proximal des Isthmus erfolgen (sog. „Angst-Cerclage“, Abb.€14.126). Ist weder eine langstreckige Verankerung („Pressfit“) noch eine 3-Punkt-Verankerung erreichbar (bei ausgedehnten Defekten), bevorzugen wir eine zementierte Versorgung mittels „impaction grafting“ bzw. zusätzlich die Verwendung von strukturierten Allografts („strut grafts“), mit deren Verwendung eine Perforation der ventralen Kortikalis vermieden wird. Zudem ist bei hochgradigen Defektsituationen des Femur neben den zementierten Techniken eine 3-Punkt-Verankerung oft die einzig erzielbare stabile Verankerung. Wie die Arbeiten von Bergmann zeigen, ist auch für das Revisionsimplantat die rotatorische Stabilität am wichtigsten. Dies kann unserer Erfahrung nach am besten mit rechteckigen oder sternförmigen Querschnitten erreicht werden, dagegen ist bei runden Querschnitten allenfalls mit einer makroporösen Oberfläche (die dann jedoch wieder die späteren Revisionsmöglichkeiten einschränkt) eine ausreichende Stabilität erzielbar. Neben der Schaftlänge ist die Planung der postoperativen Beinlänge von Bedeutung. Dabei ist einzuplanen, dass eine Verkürzung des Femur bei der Revisionssituation kaum möglich ist, eine Verlängerung des Femur im Regelfall bis zu 3€cm durchführbar, jedoch nur selten darüber hinaus möglich ist. Sind stärkere Verlängerungen geplant, wird dies nicht ohne Zusatzeingriff (Freilegung des N.€ischiadicus, ständige Spannungskontrolle des Nerven, ausgedehntes periartikuläres Release o.€Ä.) durchführbar sein.
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Revisionsoperation mit zementierten Prothesenschäften Für die Verwendung zementierter Schäfte in der Revisionsendoprothetik am Femur gilt genau wie am Azetabulum, dass für das Zementieren das Vorhandensein von Spongiosa zur Verzahnung unabdingbare Voraussetzung ist. Ebenso ist es notwendig, dass der Zement unter Druck eingebracht werden kann, um ein entsprechendes Einpressen in den Knochen zu ermöglichen. Entsprechende Defekte im Femur (z.€B. nach Durchbohren der Kortikalis im Rahmen der Zemententfernung, Defekte ausgewanderter Prothesen) müssen daher vor dem Zementiervorgang verschlossen werden, wenn eine zementierte Verankerung erfolgen soll. Für die Durchführung der Implantation eines zementierten Revisionsschafts sind im Regelfall mehrere Schritte notwendig: • Entfernung/Anfrischung der Neokortikalis; • Beurteilung bzw. Wiederherstellung spongiöser Flächen (bei der Revisionsoperation findet sich autologe Spongiosa im Regelfall im Bereich des Trochanter minor bzw. distal der alten Prothese). Ist der sonstige spongiöse Anteil nicht ausreichend, muss der Wiederaufbau durch die Technik des „impaction grafting“ erfolgen; • Verwendung moderner Zementiertechnik; • Langschaftimplantat. Die Indikation für eine zementierte Verankerung des Prothesenschafts ist dann gegeben, wenn es sich entweder um ältere Patienten handelt, wenn mit einer zementfreien Prothese kein ausreichendes Press-fit erreichbar ist, wenn der Leistungsanspruch insgesamt gering ist bzw. schlechte Voraussetzungen (bestrahltes Gewebe, osteopener Knochen) für eine biologische Fixation vorliegen. Die oben genannte moderne Zementiertechnik am Prothesenschaft umfasst mehrere Punkte: • Präparation/Jet-Lavage des Markraums, • Vakuumanmischen des Zements, • Verwendung eines distalen Markraumstoppers etwa 2€cm unterhalb der Prothesenspitze, • retrogrades Auffüllen des Femur mit einer Zementspritze, • Aushärten des Zements unter Druck. Die Länge des Prothesenschafts ist so zu wählen, dass eine ausreichende Verankerung im Wirtsknochen erfolgt. Zementierte Prothesen unter 20€ cm Länge werden daher bei der Revision nur sehr selten Verwendung finden.
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Abb. 14.127↜ Prinzip der Zement-in-Zement-Technik
Abb. 14.128↜ Intraoperativer Situs mit implantierter totaler Femurtotalprothese
Eine spezielle Indikation stellt das Zementieren in den Zementköcher der vorangegangenen Prothese dar. Diese „Zement-in-Zement“-Technik setzt voraus, dass ein absolut stabiler und korrekter, d.€h. prothesenumfassender Zementmantel vorhanden ist. Zudem muss selbstverständlich die Prothese in den Zementmantel passen, d.€h. im Regelfall wird eine kleinere Prothese Verwendung finden bzw. wird der alte Zementköcher aufgebohrt werden (Abb.€14.127). Für das Wiedereinzementieren sollte niedrigvisköser Zement Verwendung finden. Die in der Literatur verfügbaren Ergebnisse dieser immer noch kontrovers diskutierten Techniken sind ausnahmslos gut. Die Technik des „Zement in Zement“ besitzt mehrere Vorteile: • bessere Übersicht über das Azetabulum nach Entfernung der zementierten Komponente, • Möglichkeit der Veränderung der Beinlänge, • Beseitigung einer Instabilität bzw. Luxationsneigung, • Revisionsmöglichkeit für Monoblockprothesen mit heute unüblichem Kopfdurchmesser, • Revisionsmöglichkeit bei Beschädigung eines Monoblockkopfes.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass auch die zementierte Schaftverankerung weiterhin zweifellos einen Standard in der Revisionsendoprothetik darstellt. Insbesondere bei reduzierter, jedoch zirkumferent vorhandener Knochensubstanz ist das Verfahren die Methode der Wahl, wenn eine zementfreie Pressfit-Verankerung nicht erreichbar ist. Der große Vorteil besteht in der relativen Freiheit der Implantatpositionierung. Durch die Möglichkeit der lokalen Antibiotikaapplikation ist zudem ein Schutz des Implantats bei einzeitigen Wechseloperationen gegeben. Nicht geeignet ist Zement jedoch als Versorgungsmöglichkeit bei defizitären Schaftsituationen, bei denen die Verwendung des Zements als „Klebstoff“ ausgelegt ist. In solchen Fällen, wo der Zement ohne entsprechenden Druck eingebracht und kein zirkumferenter Zementmantel erreicht wurde, ist von einem frühzeitigen Versagen des Implantats auszugehen. Totale Femurprothese╇ Bei hochgradig defizienten Knochenverhältnissen des Femur, bei denen eine Rekonstruktion nicht möglich ist, hat sich die totale Femurprothese als Implantat der Wahl bewährt (Abb.€14.128). Die Indikation für die totale Femurprothese ist gegeben, wenn sowohl das proximale Femur als auch die Diaphyse nicht mehr für eine Verankerung ausreichend sind. Auch interprothetische Frakturen, die durch eine Osteosynthese nicht ausreichend zu stabilisieren sind, stellen eine Indikation für den totalen Femurersatz dar. Die totale Femurprothese besteht aus einer gekoppelten Knieprothese, an der ein gerader oder antekurvierter femoraler Schaft angesetzt ist. Auf dieses wird dann das Hüftgelenksegment aufgesetzt (Abb.€14.129 und 14.130). Die Kniegelenksendoprothese ist im Regelfall eine Rotationsknieendoprothese mit Luxationsschutz oder eine Scharnierprothese mit Kopplung über eine Achse. Zwischen dem femoralen Schaft der Knieprothese und dem aufsetzbaren Hüftgelenkseg-
14â•… Revisionsendoprothetik
515
Abb. 14.129↜ Komplexes Rekonstruktionssystem für das Knie- und Hüftgelenk
ment kann je nach Hersteller eine unterschiedliche Anzahl von Verlängerungszylindern gesetzt werden, um intraoperativ die bestmögliche Anpassung an die Weichteilspannung zu ermöglichen. Das Hüftgelenkssegment hat statt des sonst üblichen Schafts unter dem Kragen ein Rohr. Dieses Rohr wird beim Zusammenbau über das proximale Ende des Schafts der Femurkomponente geschoben und mit einer Schraube über eine axiale Bohrung am proximalen Schaftende fixiert. Zusätzlich wird bei einigen Systemen ein Sicherungsstift aus Polyethylen vor endgültiger Montage des Hüftgelenksegments in eine quere Bohrung der Zentralschraube gesetzt und beim Eindrehen abgeschert. Dies verhindert ein Auswandern der Schraube. Wichtig ist, dass eine adäquate Verzahnung der Stirnflächen vom proximalen Schaftende, Verlängerungszylindern und der korrespondierenden Fläche im Inneren des proximalen Rohrs erreicht wird. Hierzu ist auf die biomechanischen Arbeiten von Bergmann zu verweisen,
der insbesondere die Rotationskräfte als extrem hoch und potentiell zum Versagen führend herausgearbeitet hat. Für den operativen Zugang ist der transgluteale Zugang mit Verlängerung nach distal im Sinne eines lateralen Zugangs zum Kniegelenk am einfachsten. Wir präparieren bei solchen Operationen von proximal nach distal, was sich auch bei anderen bewährt hat. Die früher häufig verwendeten Polyethylenhülsen, die in Fällen von aseptischer Revision den Knochen ersetzen sollten, finden heute kaum noch Verwendung. Prinzipiell ist aber auszusagen, dass eine Fixation der Weichteile an dem Prothesenschaft realisiert werden sollte. Dabei können Polyethylenhülsen durchaus hilfreich sein, insbesondere dann, wenn ein totaler Femurersatz nach kompletter Entfernung des Femur erfolgt und die Prothese nicht als Durchsteckprothese verwendet wird. Der Weichteilapparat bewegt sich ohne Fixation bei jeder Bewegung auf der Prothese
C. Perka
516 Abb. 14.130↜ Röntgenaufnahme einer totalen Femurprothese in 2 Ebenen a.p. (a) und seitlich (b)
Abb. 14.131↜ Foto eines intraoperativen Situs mit eingebrachtem PE-Anbindungsschlauch zur Fixierung von Muskulatur
Metall) realisiert werden. So kann durch das zunächst etwas kürzere Implantat ein möglicherweise Zuviel an Weichteilspannung mit der Gefahr der Nervenläsion verhindert werden.
hin und her, was zu hochgradig schmerzhaften Flüssigkeitsansammlungen um die Prothese führen kann. Ebenso sind diese Hülsen, wie auch textile Materialien zur Verankerung von Muskelansätzen, insbesondere der Glutealmuskulatur, am Hüftgelenksbereich zu empfehlen (Abb.€14.131). Die Wirksamkeit dieses Anbindungsschlauchs wird kontrovers diskutiert. Eine feste Verbindung zwischen Weichteilen und Prothese ist unmöglich. Gelingt die Weichteilrekonstruktion, kann über Jahrzehnte eine exzellente Funktion erreicht werden, auch ohne dass eine feste Verbindung Weichteil-Prothese besteht (Abb.€14.132). Entscheidend für den Erfolg ist wieder einmal die präoperative Planung, d.€ h. insbesondere die genaue Bestimmung der Länge des zu ersetzenden Femur. Die Längenbestimmung erfolgt durch Vermessung der Gegenseite. Grundsätzlich sollte die Länge von Kniegelenksprothese und Hüftgelenkshülse zusammen etwas kürzer sein, als dies in der Planung ermittelt wird. Die endgültige Länge kann dann durch Aufsetzen der Verlängerungsstücke (Polyethylen oder
►⌺ Die Exzision von Verknöcherungen und Vernarbungen führt oftmals zu einer Abnahme der Weichteilspannung und somit zu einer potentiellen Verlängerung des Beins. Die Verwendung von Polyethylen- oder Metallhülsen erhöht dagegen die Weichteilspannung um den Prothesenschaft.
Statt der Polyethylenhülsen können auch Knochentransplantate zur Verankerung der umgebenden Weichteile, insbesondere im Hüftgelenksbereich, Verwendung finden. Hauptproblem hierbei sind die hohen Kosten einer solchen Versorgung. In allen Fällen septischer Revision sollte der komplette Schaft mit antibiotikahaltigem Knochenzement ummantelt werden, um das neu eingebrachte Implantat vor einer bakteriellen Besiedlung zu schützen. Eine solche Ummantelung des Implantats mit Zement führt also nicht zur Beseitigung von Infektionen, sondern dient ausschließlich dem Schutz des eingebrachten Implantats. Die Implantation erfolgt zunächst am Kniegelenk, startend mit dem Einsatz im Regelfall einer (häufigen) Probekomponente der Tibia. Auf diese wird dann die Femurkomponente gesetzt. Der Erhalt des auch bei ausgedehntem Defekt noch vorhandenen Knochens
14â•… Revisionsendoprothetik
517
Abb. 14.132↜ (a) 15€ Jahre nach Sarkomresektion Schmerzen wegen Pfannenschädigung. Kompletter Prothesenwechsel, da kein passendes Inlay auf dem Markt verfügbar war. Gleiche
Schaftverankerung wie zuvor. Der geschlossene Weichteilmantel ermöglicht eine freie Funktion: 0–0–130, Rotation 40–0–30 auch 22€Jahre (b) bzw. 29€Jahre (c) nach Primäroperation
ist, sofern kein Infekt vorliegt, anzustreben, d.€h. die Prothese im Sinne einer Durchsteckprothese zu verwenden. Im Erfordernisfall sollte hier eine Keilosteotomie der Diaphyse durchgeführt werden, falls der Prothesenschaft der Knieprothese nicht in den Femurmarkraum einzubringen ist. In seltenen Fällen ist auch suprakondylär eine Osteotomie notwendig. Dies ist immer dann der Fall, wenn das Femur in der Frontalebene einen großen anatomischen Valguswinkel zeigt. In diesen Fällen kommt es ansonsten durch die Führung des Prothesenschafts im Markraum trotz korrekter intrakondylärer Resektion zu einem seitlichen Versatz, d.€h. zu einem medialen Überstehen der Prothese. Das Herüberragen eines Teils der Prothese über den Knochen des Kondylus ist unbedingt zu vermeiden. Über eine suprakondyläre Osteotomie ist dann eine Ad-latum-Verschiebung möglich. Eine Probereposition ist obligat und dient der korrekten Längenbestimmung. Ist diese durchgeführt worden, folgt das Einzementieren der femoralen Komponente. Nach dem Aushärten des Zements wird dann
das Hüftgelenksegment (evtl. mit eingebrachten Verlängerungszylindern) auf dem proximalen Ende des Schafts mit einer Schraube fixiert. Für diese Zentralschraube sollte ein Sicherungsstift aus Polyethylen verwendet werden. Danach folgt die Reposition des Gelenks und die abschließende endgültige Verankerung der definitiven Tibiakomponente. ►⌺ Von entscheidender Bedeutung ist der anschließende eng anliegende Schluss des Weichteilmantels um das Implantat. Die genaue Zuordnung der Schichten (Muskel/Muskel, Faszie/Faszie ist zu beachten).
14.5.3.3 D efektrekonstruktionen am Azetabulum C. Perka Neben der stabilen Verankerung der Implantate zählt die Rekonstruktion der knöchernen Defekte zu den
518
C. Perka
Abb. 14.133↜ Posttraumatische Koxarthrose rechts mit ausgedehnter knöcherner Defektsituation (a). Für die Defektrekonstruktion wurde der autologe Hüftkopf verwendet (b)
Abb. 14.134↜ Lockerung einer Sockelpfanne, die bei schwerer Osteopenie im Rahmen einer rheumatoiden Polyarthritis nicht indiziert war (a). Die Rekonstruktion erfolgte mit einem Allograft (2 Hüftköpfe) und großflächiger Krafteinleitung über
einen Stützring, der das Transplantat entlastet. Die initial eingetretene Fraktur des Sitzbeins (b) nach Implantation ist nach 14€Monaten weitestgehend konsolidiert (c)
relevantesten Herausforderungen der Revisionsendoprothetik. Zu berücksichtigen sind dabei immer die Biologie und die Biomechanik der zu verwendenden Knochenersatzmaterialien bzw. der allogenen und autogenen Transplantate. Generell gilt, dass primär die biologische Rekonstruktion anzustreben ist (Abb.€14.133). Nur mit einer biologischen Rekonstruktion ist die potentielle Möglichkeit für den Wiederaufbau des Knochendefekts mit körpereigenem Knochen gegeben. Die Einsatzmöglichkeiten biologischer Transplantate werden jedoch durch ihre mechanischen Eigenschaften begrenzt. Insbesondere in der Hauptbelastungszone, d.€ h. im Bereich des kraniodorsalen Beckenpfeilers sind mechanisch dauerhaft
stabile metallische Knochenersatzmaterialien derzeit zu bevorzugen. Eine alternative Technik stellt der vorübergehende Schutz des Transplantats (Allograft) durch metallische Überbrückungskonstruktionen (im Regelfall Abstützschalen am Azetabulum) dar. International gebräuchlich ist hier der Begriff des „protected allograft“ (Abb.€14.134). Am Femur werden Defekte bzw. deren Rekonstruktion im Regelfall durch langstielige, den Defekt weit überbrückende Implantate geschützt. Knochentransplantate Die Auswahl des korrekten Knochentransplantats bedarf des Verständnisses von Biologie und Biomecha-
14â•… Revisionsendoprothetik
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these implantiert wurde, zur Revisionsendoprothetik der Gegenseite, so zeigen sich Lockerungsraten von 12,5€% nach nur 3,5€Jahren (Klein et€al. 2006). Da bisher keine Verbesserung des Heilungsverlaufs unter Verwendung größerer Autografts beobachtet wurde, kann diese Technik derzeit nicht für größere Defektrekonstruktionen empfohlen werden, da sie mit einem erhöhten organisatorischen und Kostenaufwand sowie bei Beckenkammtransplantaten mit einer relevanten Morbidität an der Entnahmestelle einhergeht. Abb. 14.135↜ Versuch der Defektrekonstruktion des rechten kranialen Pfannendachs mit einem auf der Gegenseite entnommenen Beckenkammspan und osteosynthetischer Abstützung. Fehlschlag 3€Monate nach Rekonstruktion
nik. Zu berücksichtigen sind dabei grundsätzlich die osteokonduktiven und osteoinduktiven Eigenschaften des verwendeten Transplantats bzw. deren Zusammenwirken mit dem autologen Wirtsknochen während der Osteogenese (Goldberg 2000). Autologe Knochenchips Autologe Chips haben ein exzellentes osteogenetisches und osteokonduktives Potential, sie besitzen jedoch keine relevante mechanische Stabilität. Zudem ist ihr Einsatz in der Revisionsendoprothetik durch die mangelhafte Verfügbarkeit des Knochens begrenzt. Autologe Chips werden daher im Wesentlichen bei begrenzten Knochendefekten mit erhaltener knöcherner Wand (kavitäre Defekte) Anwendung finden. Nichtvaskularisierte kortikospongiöse Autografts Nichtvaskularisierte kortikospongiöse Autografts (Beckenkamm) zeigen eine höhere mechanische Stabilität, haben aber eine geringere Osteogenität und Osteoinduktivität als autologe Knochenchips (Abb.€ 14.135). Der Vorteil der erhöhten biomechanischen Belastbarkeit geht mit eine Verschlechterung der biologischen Potenz des Transplantats einher. Autografts zeigen grundsätzlich eine bessere Integration und Osteoinduktion als Allografts. Jedoch ist festzustellen, dass keine ausreichenden Daten über Autografts in der Hüftrevisionsendoprothetik existieren. Vorliegende Arbeiten zeigen gute Kurzzeitergebnisse bei einfachen Versorgungen (Hing et€al. 2004). Bei größeren Defekten tritt auch bei Autografts das Problem der zu geringen mechanischen Stabilität in den Vordergrund. Verwendet man die Hüftköpfe der kontralateralen Seite, auf der eine Primärendopro-
Allogene Knochenchips Allogene Knochenchips sind osteokonduktiv und allenfalls minimal osteoinduktiv. Sie besitzen ebenfalls keine mechanische Stabilität. Die Stabilität kann erhöht werden, indem diese Chips in einem begrenzten Raum maximal verdichtet werden. Allogene Chips können nur dann funktionieren, wenn sie biologisch optimal aufbereitet werden. Zur Verwendung kommen sollten Chips unterschiedlicher Größe, da sie die beste Stabilität liefern. Die Chips herkömmlicher „Knochenmühlen“ sind zu klein und mechanisch wertlos. Am besten ist bisher die manuelle Herstellung mit einem Luer (Abb.€14.136). Anschließend muss die komplette Reinigung der Chips am besten mit einer Jet-Lavage in einem Metallbecher erfolgen. Die Chips sollten dabei so lange mit einer Jet-Lavage gereinigt werden, bis keinerlei Fettanteil mehr in der Spülflüssigkeit nachweisbar ist. Für den klinischen Einsatz ist dann die Verdichtung der Chips von herausragender Bedeutung. ►⌺ Knochenchips machen nur dann Sinn, wenn zuvor ein umschlossener Raum hergestellt wurde, in dem diese mit hoher mechanischer Kraft verdichtet werden können.
Bei offenen, sog. segmentalen Defekten, bei denen die Kontinuität der umgebenden Kortikalis gestört ist, ist zunächst der offene segmentale Defekt („uncontained defect“) in einen geschlossenen Defekt („contained defect“) zu überführen (Einsatz von Knochenscheiben, Metallnetzen o.€Ä.) und anschließend die Chips einzubringen (Abb.€ 14.137). Diese sind dann mit einem Ullmark-Impactor (s.€ Abb.€ 14.137) oder mit einer rückwärtsdrehenden Fräse maximal zu verdichten. Das Prinzip entspricht dem des Straßenbaus. Durch die Verwendung unterschiedlicher Größen der Chips, kann dabei die maximale mechanische Stabili-
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C. Perka
Abb. 14.136↜ Aus einem Hüftkopf mit Hilfe eines Luers hergestellte allogene Knochenchips (a) und intraoperative Situation vor abschließender Verdichtung (b)
tät erreicht werden (siehe auch Technik des „impaction grafting“; Abb.€14.138). Allogener demineralisierter Knochen Diese Knochensubstanzen sind hoch osteokonduktiv, im Regelfall jedoch von begrenzter mechanischer Belastbarkeit und zeigen kein osteogenetisches Potential. Dennoch bieten sie Vorteile aufgrund der guten Möglichkeit der Lagerung, und somit der Verfügbarkeit zur Revisionsoperation (Abb.€ 14.139). Zu den Herstellungsverfahren unterschiedlicher Knochentransplantate sei auf das Kap.€14.5.3.6 verwiesen. Knochentransplantate können derzeit von der Universitäts-Gewebebank der Charité, Institut für Transfusionsmedizin, Chariteplatz 1, 10117 Berlin, Tel.: 030-450525142 oder dem Deutschen Institut für Zell- und Gewebeersatz gGmbH (DIZG), Köpenicker Straße 325, Haus 42, 12555 Berlin, Tel.: 03065763050, bezogen werden. Allogene kortikospongiöse Transplantate╇ Allografts sind die am häufigsten angewendeten Knochentransplantate. Verwendet werden hier vor allem der Femurkopf, seltener distale Femura. Der Vorteil dieser Transplantate ist bedingt durch den hohen kortikalen Knochenanteil, die initial ausgezeichnete mechanische Stabilität. Darüber hinausgehend sind sie osteokonduktiv aber de facto nicht osteoinduktiv. Voraussetzung ist eine optimale Aufbereitung dieser Transplantate. Zur Optimierung der biologischen Potenz eines Hüftkopfes ist zunächst die Entfernung des gesamten Weichteilmaterials, insbesondere des Knorpels, notwendig. Die Knorpelschicht sollte dabei nur so weit entfernt werden, dass die mechanische Stabilität der subchondralen Sklerosezone nicht wesentlich geschwächt wird. Nachfolgend muss die völlige Entfernung des Knochenmarks aus dem zu transplantierenden Knochen erfolgen.
Abb. 14.137↜ Ullmark-Impaktor zur Verdichtung der Spongiosa im Azetabulum
Die Transplantation eines Femurkopfes und auch des distalen Femur sollte dann so erfolgen, dass die Trabekel des Transplantats parallel zur Hauptbelastungsrichtung sind (Chandler et€ al. 1995). Grundsätzlich ist auszusagen, dass Allografts in den körpereigenen Knochen integriert werden, jedoch in keinem Fall komplett ersetzt werden. Die Revaskularisation beträgt etwa 2€mm (Hooten et€al. 1996). Das Versagen großer Allografts wird nach 6–8€ Jahren in einer Vielzahl von Fällen beschrieben. (Kwong et€al. 1993; Jasty und Harris 1990; Hooten et€al. 1994). Sporer gibt eine Fehlschlagsrate von 25€% nach 10€Jahren an (Sporer et€al. 2005). ►⌺ Eine Verbesserung der Standzeiten großer Allografts zur azetabulären Defektrekonstruktion wird dann angegeben, wenn diese durch eine zusätzliche mechanische Abstützung, d.€ h. im Regelfall einen Abstützring, geschützt werden. Im Regelfall finden dabei Burch-Schneider-Ring ähnliche Stützringe Verwendung, d.€h. Implantate, die sich am Ilium und am Ischium abstützen (vgl. Abb.€14.135a–c).
Xenografts╇ Über die Verwendung von Xenografts in der Revisionsendoprothetik liegen wenige Ergebnisse vor. Die vorliegende größte Arbeit von Charalambi-
14â•… Revisionsendoprothetik
521
Abb. 14.138↜ Prinzip des Baus einer Straße. Durch die Verwendung unterschiedlicher Korngrößen, wird ein stabiler Unterbau erreicht. Keine einzelne Korngröße besitzt alle Vorteile
Deckschicht
Tragschichten unterschiedlicher Korngröße (Spongiosachips unterschiedlicher Größe)
zu fein (nicht standfest)
gut Verdichtbarkeit = f
zu grob (kein Bewegungsraum)
(Schichtdicke ) Größtkorn
des et€ al. (2005) unter Verwendung von Surgibone® zeigte, dass, auch wenn dieses zusätzlich mit autologer Spongiosa angereichert wurde, hohe Fehlschlagraten, resultieren. Beschrieben werden 6 aseptische und ein septischer Fehlschlag bei 27€ Patienten nach 2,5€ Jahren. Aus diesem Grund können derzeit Xenografts nicht empfohlen werden.
Abb. 14.139↜ Lyophiliserte Spongiosablöcke
Metallische Augmentate („wedges“ [Keile], „buttress plates“ [Abstützplatten]) Festzustellen ist, dass Knochentransplantate in der Hauptbelastungszone versagen. Aus diesem Grund
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C. Perka
Abb. 14.140↜ Modell (a) und Röntgenbild (b) bei Versorgung mit einem modularen Revisionssystem (kranialer Wedge und Pressfit-Pfanne sowie zusätzliche Schraubenverankerung)
wurden in den letzten Jahren modulare Revisionssysteme entwickelt, die verschiedene Ziele haben. • Herstellung der mechanischen Stabilität, • Adaptation der metallischen Augmentate (Wedges) ohne zusätzliche Knochenresektion an dem Defekt, • Osteointegration des Knochenersatzmaterials, • Möglichkeit der kombinierten Nutzung mit Autografts. Das am weitesten verbreitete System ist das TMTSystem (Trabecular Metal Technology, Zimmer, Freiburg, Deutschland). Verwendet wird dabei ein poröser Tantalschaum, d.€ h. ein Kohlefasergerüst, das mit Tantal bedampft wurde (Abb.€ 14.140). Der Vorteil der metallischen Augmentate ist zunächst ihre trabekuläre Struktur, die der Steifigkeit des umgebenden kortikospongiösen Knochens im Azetabulum ähnlich ist. Folge ist eine natürlichere Krafteinleitung in den Knochen nach Implantation der Prothese. Zugleich führt die größere poröse Oberfläche zu einer stärkeren ossären Integration. Der dritte wesentliche Vorteil ist die hohe Friktion des Materials gegenüber dem Knochen und die dadurch erreichbare hohe Primärstabilität.
Zwischenzeitlich stehen solche defektrekonstruierenden metallischen Implantate auch aus Titan von unterschiedlichen Firmen zur Verfügung (z.€B. Regenerex, [Biomet, Berlin, Deutschland]). Des Weiteren gibt es auch Augmentate, die auf Titangitterstrukturen [Aesculap, Tuttlingen, Deutschland] basieren. Bei derzeit noch begrenzten Erfahrungen ist der Einsatz dieser Transplantate zur Defektrekonstruktionen aus unserer Sicht derzeit nur bei zwei Indikationen gegeben. Die wichtigste Indikation ist der Wiederaufbau der kraniodorsalen Defekte in der Hauptbelastungszone. Hierfür finden die halbkreisförmigen Wedges Anwendung (Abb.€14.141). Eine zweite Indikation ist die Anwendung dieser Wedges zur Optimierung der Position einer eines Stützrings. Hierbei wird das Wedge von Form, Größe und Position so gewählt, dass es zugleich als stabile mechanische Abstützung der Pfanne dient (Abb.€14.142). Dabei handelt es sich jedoch um einen sog. „off-label use“ ebenso wie bei der Implantation der Wedges in Verbindung mit einer zementierten Pfanne (Abb.€14.143). Diese Techniken sollten daher
14â•… Revisionsendoprothetik
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Abb. 14.141↜ Halbmondförmige Metallaugmentate
Abb. 14.142↜ Intraoperativer Situs (a) und Röntgenbild (b) nach Versorgung einer Paprosky-IIIb-Defektsituation. Aufgrund der Defektgröße war der bei der Erstversorgung verwendete Stützring nach 2€Monaten disloziert. Ursache war die inkorrekte Position. Erst durch das Wedge konnte der Ring ausreichend nach kaudal verlagert werden (Off-label Use)
Abb. 14.143↜ Kraniale Defektsituation nach septischem Ausbau wegen mehrfacher Infektion (a). Bei weichem Knochen und Nutzung des Knochenzements als Antibiotikaträger erfolgt die Reimplantation zementiert (b). In der Hauptbelastungszone kommt ein metallischer Wedge zum Einsatz (Offlabel Use)
gegenwärtig nur Fällen vorbehalten sein, in denen die zugelassene Technik nicht eingesetzt werden kann und somit eine nicht-versorgbare Situation resultiert. Für große Defekte steht das „cage in cup concept“ zur Verfügung. Hierbei wird eine Tantal-Press-fitPfanne zunächst in den Defekt „gelegt“ und nachfolgend mit einem Stützring stabilisiert. Wedges können dabei zusätzlich zum Einsatz kommen. In der Summe ist auszusagen, dass metallische Implantate aufgrund der fehlenden Rekonstruktionsmöglichkeit Knochentransplantate nicht ersetzen können. Sie stellen jedoch eine sinnvolle Ergänzung
für den Defektaufbau dar. Metall sollte immer dort Verwendung finden, wo die größte Krafteinleitung erfolgt, d.€h. im Bereich der „Versagensorte“ allogener Transplantate. Knöcherne Allografts und Autografts haben in der Revisionsendoprothetik ihren Stellenwert bei der Auffüllung kavitärer, d.€h. von Knochen umgebenden Defekten. Modulare Systeme, wie das TMTSystem, kommen dagegen vor allem bei Defekten des kranialen Pfeilers und des kraniodorsalen Pfeilers zur Anwendung. Mit ihnen gelingt es in einer Vielzahl von Fällen, die Position einer Press-fit-Pfanne oder auch eines Stützrings zu optimieren und die Stabili-
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tät der Verankerung zu erreichen. Diese Technik ist auch zur Versorgung von Beckendiskontinuitäten einsetzbar. Im Prinzip wird hier ein Wedge im Regelfall kranial an der Grenze zum Os ilium und ein zweiter Wedge kaudal an der Grenze zum Os ischium bzw. Os pubis fixiert. Im Prinzip wird hier bei einem Wedge im Regelfall kranial an der Grenze zum Os ilium und kaudal an der Grenze zum Os ischium bzw. Os pubis fixiert. Anschließend erfolgt die Implantation einer Press-fit-Pfanne zwischen diese beiden metallischen Implantate. Zu den Ergebnissen ist bisher nur wenig zu sagen. Das Problem aller metallischen defektrekonstruktiven Implantate ist, dass bisher keine Daten über die Langzeitstabilität dieser Konstrukte vorliegen. Prinzipiell ist die Möglichkeit der Entstehung von Abrieb an der Grenzfläche zwischen den beiden metallischen Körpern gegeben. Aufgrund der fehlenden Kongruenz nach der Implantation wird deshalb der Einsatz von Knochenzement an die Grenzfläche zwischen metallischen Augmentaten und der Pfanne zur Optimierung der Kontaktfläche empfohlen. Auch dazu fehlen bisher Langzeitergebnisse. Prinzipiell besteht jedoch der wesentliche Nachteil metallischer defektkonstruierender Materialien darin, dass keine biologische Wiederherstellung der Knochensubstanz erfolgt.
14.5.3.4 Defektrekonstruktionen des Femur C. Perka Für die Knochendefektrekonstruktionen im Femurbereich stehen knöcherne (allogene Spongiosachips, diaphysäre allogene Knochentransplantate – „strutgrafts“ und proximale Femura) sowie metallische (Tumorprothese) Ersatzmöglichkeiten zur Verfügung. Die Indikationen und Technik sollen nachfolgend kurz dargestellt werden. • Allogene Spongiosachips finden bei der femoralen Defektrekonstruktion im Wesentlichen beim „impaction grafting“ Anwendung. Ziel ist es, nach Lockerungen mit ausgedehntem Defekt, die nicht mehr vorhandene spongiöse Knochenstruktur des Femur wieder aufzubauen. In diese rekonstruierte Knochenstruktur erfolgt dann die zementierte Prothesenverankerung. Vor der Implantation erfolgt eine schrittweise Verdichtung in axialer und radialer Richtung der eingebrachten Spongiosachips (vgl. Kapitel zum „impaction grafting“).
C. Perka
• Diaphysäre Knochentransplantate (sog. „Strutgrafts“) besitzen eine eigene mechanische Stabilität (Abb.€ 14.144). Sie werden überwiegend bei zwei Techniken eingesetzt. Das erste Anwendungsgebiet ist der Verschluss von segmentalen Knochendefekten im Femurbereich zur Umwandlung eines segmentalen Defekts in einen geschlossenen Defekt, z.€B. wenn ein „impaction grafting“ durchgeführt werden soll. Da dieses an einen vollständig umschlossenen Raum gebunden ist, müssen alle Knochendefekte zunächst verschlossen werden, wozu die „Strutgrafts“ Verwendung finden (Abb.€14.145). Der zweite wesentliche Einsatzbereich von „Strutgrafts“ sind die periprothetischen Frakturen. „Strutgrafts“ haben eine eigene mechanische Stabilität. Sie werden medial und/oder lateral angelegt und anschließend mit Cerclagen oder auch mit Platten fixiert (Abb.€14.146). Die höhere Stabilität wird durch Fixation mit einer Platte erreicht, jedoch ist dies nicht immer technisch möglich, da die Positionierung der Schrauben durch das einliegende Femurimplantat erschwert ist. Alternativ kann auf winkelstabile Schrauben verzichtet werden oder es werden Platten mit Aufsätzen auf den Plattenlöchern verwendet, die eine andere Richtung des Schraubensetzens erlauben. Immer durchführbar ist die Stabilisierung mit Cerclagen. Verwendet werden Drahtcerclagen oder Bänder aus Titan. ►⌺ Beim Einsatz von Strutgrafts ist immer eine Osteosynthese notwendig. Doppelseitige Strutgrafts sollten mit Cerclagen stabilisiert werden, bei einseitigen Strutgrafts bietet die gleichzeitige Stabilisierung mit einer winkelstabilen Platte Vorteile.
er Umbau von Strutgrafts erfolgt durch schleiD chenden Ersatz (sog. „creeping substitution“). • Proximale Femurtransplantate werden bei großen proximalen Femurdefekten eingesetzt. Dies erfolgt selten, da die alleinige Wiederherstellung der knöchernen Substanz im Regelfall nicht ausreichend ist. Proximale Femurtransplantate sind indiziert, wenn der noch vorhandene Trochanter einschließlich der dort ansetzenden Muskulatur nicht anders als an dem proximalen Schaftimplantat refixiert werden kann. Sie stellen somit eine Maßnahme dar, mit der es gelingt, eine „Anbindung“ der Weich-
14â•… Revisionsendoprothetik Abb. 14.144(a-c)↜ Periprothetische Femurfraktur Typ Vancouver€C. Die Stabilisierung erfolgte zunächst mit einer von lateral angelegten winkelstabilen Platte (LISS). Bei unzureichender medialer Abstützung ausbleibende Konsolidierung und Fraktur der Platte. Durch medial angelagertes Strutgraft suffiziente Abstützung und Ausheilung
Abb. 14.145(a-c)↜ Prinzip des Verschlusses eines knöchernen segmentalen Defekts durch ein Strutgraft zur Durchführung eines Impaction-Graftings
525
B. Fink
526 Abb. 14.147↜ Tumorprothese mit Ersatz des proximalen Femurs
Abb. 14.146↜ Prinzip der Stabilsierung eines Strutgrafts (medial) mit eine lateral angelegten Winkelplatte (a). Fixierung zweier strut-grafts durch Cerclagen (b)
teile an eine knöcherne Matrix zu schaffen. Sie werden v.€ a. bei Defekten eingesetzt, die durch „Strutgrafts“ nicht suffizient versorgt werden können. Wir implantieren ausschließlich langstielige zementierte Prothesen nach Versorgungen mit proximalen Femurtransplantaten. • Die Tumorprothesen stellen eine Technik zur Defektrekonstruktion durch Metall dar (Abb.€ 14.147). Da sie immer mit einem Verlust an proximaler Knochensubstanz, einschließlich der daran ansetzenden Muskulatur, einhergehen (lockerungs- oder operationsbedingt), bilden sie am Femur eine „letzte Verteidigungslinie“. Ein Hauptproblem ist die Schwierigkeit bis Unmöglichkeit, an der Prothese dauerhaft Weichteile zu verankern. Die Luxationsrate ist somit hoch. Durch einen Trevira-Anbindungsschlauches (Fa. Implantcast, Buxtehude, Deutschland), der fest an der Prothese fixiert wird, ist die Anbindung der Weicheile deutlich zu optimieren. Wegen der dennoch verbleibenden hohen Luxationsgefahr wird die Verwendung eines Kopfes mit großem Durchmesser (z.€ B. 36€ mm) gefordert. Nur so lässt sich die häufigste Frühkomplikation, d.€ h. die Luxation, vermeiden. Zudem wird dadurch langfristig wenigstens eine teilweise Stabilität durch die erhaltene Muskulatur erreicht.
Auch andere „Megaprothesen“ finden in der Endoprothetik Verwendung. Diese werden sowohl zementiert als auch zementfrei eingesetzt. Sie erlauben die Wiederherstellung der Kontinuität einer belastungsstabilen Extremität, im Regelfall jedoch nicht die Wiederherstellung adäquater Weichteilverhältnisse, weshalb ihr Einsatz wirklich nur dann erfolgen sollte, wenn andere Optionen nicht mehr Erfolg versprechend sind. Im Extremfall findet der totale Femurersatz Verwendung. Periprothetischer Infekt des Hüftgelenks B. Fink Periprothetische Infektionen sind mit einer Inzidenz von unter 1€ % eine seltene, aber ernsthafte Komplikation nach Hüftendoprothesen (Garvin et€ al. 1995; Fitzgerald 1995). Es lassen sich basierend auf der von Coventry (1975) entwickelten Klassifikation und deren Weiterentwicklung heute vier verschiedene Typen differenzieren (Estrada et€al. 1993; Garvin und Hanssen 1995): Positive intraoperative Kulturen Hier wird die Infektion trotz suffizienter präoperativer Diagnostik erst nach einem scheinbar aseptisch durchgeführten Prothesenwechsel postoperativ durch den Nachweis
14â•… Revisionsendoprothetik
eines oder mehrerer identischer Mikroorganismen in mindestens zwei der intraoperativ entnommenen Proben des periprothetischen Gewebes nachgewiesen. Um hier Kontaminationen auszuschließen, sind daher neben einer korrekten mikrobiologischen Diagnostik die Gewinnung von mehreren (mindestens 5) Proben des periprothetischen Gewebes für die mikrobiologische Kultur und weitere Proben zur histologischen Begutachtung zu empfehlen. ►⌺ Bei intraoperativ positivem Keimnachweis bei komplettem aseptischen Prothesenwechsel wird eine sechswöchige intravenöse spezifische Antibiotikatherapie empfohlen (Garvin und Hanssen 1995). Wurde nur eine Prothesenkomponente gewechselt und der periprothetische Infekt ist gesichert, sollte dem Patienten der zeitnahe Wechsel des Gesamtsystems angeraten werden.
Frühinfektionen╇ Frühinfektionen entstehen innerhalb weniger Wochen nach der Primärimplantation und gehen in der Regel mit klassischen Infektionszeichen einher. Die zeitliche Grenze zwischen dem Frühund Spätinfekt ist nicht genau definiert, wird allerdings von den meisten Autoren bei vier Wochen angegeben (Estrada et€al. 1993; Garvin und Hanssen 1995). Bei einer Frühinfektion kann mit hoher Erfolgsrate das Implantat belassen werden, wobei eine möglichst frühzeitige Operation mit radikalem Debridement, Wechsel von Inlay und Prothesenkopf erfolgen sollte. Bei der gleichzeitig eingeleiteten intravenösen Antibiotikatherapie führt der zusätzliche Einsatz von Rifampicin in Kombination mit z.€ B. Chinolonen oder Vancomycin (wegen Resistenzentwicklung wird Rifampicin nicht als Monotherapie empfohlen) zu einer deutlichen Steigerung der Erfolgsrate. Die Arbeitsgruppe um Zimmerli und Ochsner konnte mit diesem Konzept eine Heilungsrate von 82€% bzw. von sogar 100€% erzielen (Widmer et€al. 1992; Zimmerli et€al. 1998). Wichtig für eine hohe Erfolgsrate ist vor allem das frühzeitige Erkennen und Handeln. Bei dem Verdacht einer Frühinfektion sollte daher die Diagnose erzwungen werden, wobei eine Hüftpunktion mit Zellzahlbestimmung des Punktats für die schnelle Diagnosestellung hilfreich ist. Eine Zellzahl von über 4.000 Leukozyten pro ml und einem hohen Anteil von neutrophilen Granulozyten (ca. 65–80€ %) am Hüftgelenk in der Kombination mit einem erhöhten CRPWert sollte zur umgehenden Revision Anlass geben (Schinsky et€al. 2008).
527
Akute hämatogene Infektion Diese Infektion ist charakterisiert durch ein akutes Auftreten von klinischen Symptomen bei einem bisher über längere Zeit (viele Monate bis Jahre) problemlos funktionierenden künstlichen Hüftgelenk. Das Auftreten der Symptome steht in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer bakteriellen Infektion abseits der Hüfte (z.€ B. Zahn, Harntrakt, Atemwege, Ulcus cruris). Auch hier ist eine zügige Diagnosestellung essentiell. Ist das Implantat fest, wird die Situation wie ein Frühinfekt behandelt, ist es locker, wie ein Spätinfekt (s.€unten). Spätinfektionen Während bei Frühinfekten das Implantat belassen werden kann, bedürfen Spätinfekte zwingend eines Implantatwechsels (Cui et€ al. 2007; Hanssen und Osmon 2002; Mont 1997). Hierbei unterscheidet man zwischen sog. einzeitigen und zweizeitigen Wechseln. Bei einzeitigen Wechseln wird nach der Entfernung allen Fremdmaterials und radikalem Debridement des Gewebes in derselben Operation ein neues Implantat zumeist mit antibiotikahaltigem Zement wieder eingesetzt. Bei dem zweizeitigen Wechsel wird in einer ersten Operation alles Fremdmaterial entfernt und für eine Interimsphase von meist 6 bis 12€Wochen eine Girdlestone-Situation belassen oder ein Zementspacer implantiert, bevor in der zweiten Operation das definitive Revisionsimplantat eingesetzt wird. Bei beiden Konzepten werden einzelne Aspekte der Behandlung sehr unterschiedlich gehandhabt. Nachfolgend sollen die verschiedenen gängigen Behandlungskonzepte hinsichtlich ihrer möglichen Vor- und Nachteile beschrieben werden. Einzeitiger Wechsel:╇ Der Vorteil des einzeitigen Wechsels ist, dass nur eine Operation notwendig ist und funktionelle Probleme mit einer Girdlestone-Situation wie Beinverkürzung und Instabilität bzw. ein potentieller Spacerbruch, Zementabrieb vom Spacer oder Knochenresorption durch den Spacer vermieden werden können. Hierbei wird bei der Reimplantation in der Regel antibiotikahaltiger Knochenzement verwendet, bei dem ein auf den Keim spezifisch wirkendes Antibiotikum enthalten ist bzw. beigemischt wird (Steinbrink 1990; Steinbrink und Frommelt 1995; Wroblewski 1986). Voraussetzung für dieses Vorgehen ist, dass der Keim bzw. die Keime und deren Antibiotiakempfinglichkeit in einer vorherigen Punktion oder Biopsie identifiziert wurden und somit eine spezifische Antibiotikabeimischung in den Knochenzement zur lokalen Antbiotikatherapie möglich ist (Steinbrink
528
1990; Steinbrink und Frommelt 1995). Hierfür wiederum ist es notwendig, dass in der Diagnostik eine Inkubation der Proben von 14€ Tagen durchgeführt wird (Gollwitzer et€al. 1995). Diese lange Bebrütungszeit ist notwendig, da die die periprothetische Infektion verursachenden Bakterien zum einen in geringer Keimzahl im Biofilm vorliegen und sich zum anderen häufig in der sessilen Form befinden, die durch eine langsame Vermehrungsgeschwindigkeit gekennzeichnet ist (Costerton 2005; Gallo et€al. 2003; Gollwitzer et€al. 2006; Peters et€al. 1995; Neut et€al. 2003). Wir konnten anhand einer Analyse von 110 infizierten Hüft- und Knieendoprothesen zeigen, dass die Nachweisrate von periprothetischen Infekten nach 7€Tagen (der in den meisten bisherigen Studien angegebenen Inkubationsdauer) nur 73,6€ % war. Um alle Infektionen zu identifizieren, bedurfte es einer Inkubation von 13€ Tagen (Schäfer et€ al. 2008). Bei ausreichend langer Bebrütungszeit kann mit der Punktion eine Genauigkeit von ca. 90€ % erzielt werden (Ali et€ al. 2006; Williams et€al. 2004). In der fehlenden langen Bebrütungszeit dürfte unseres Erachtens eine Ursache der schlechteren Sensitivitäten der präoperativen Aspiration anderer Studien (von z.€B. 46,1€% bei Hofmann et€al. 2005) liegen. Einzeitige Prothesenwechsel mit speziellen Antibiotikazumischungen im Knochenzement lassen eine Infektfreiheit von 88€% bei Steinbrink und Frommelt (1995), 91€ % bei Wroblewski (1986) und 93,7€ % in einer neueren Studie von Rudelli et€al. (2008) erzielen. Die Antibiotikabeimischung in den Zement beeinflusst die mechanische Zementqualität, weshalb nicht mehr Antibiotikum als 10€ % der Zementmenge verwendet werden soll (Hanssen und Spanghel 2004). Nicht alle Antibiotika können verwendet werden. Sie müssen als Pulverform vorliegen, wasserlöslich und hitzestabil sein. Verwendet werden meist Gentamicin, Clindamycin, Vancomycin, Tobramycin, Aztreonam, Ampicillin und Ofloxacin (Garvin et€ al. 1995; Fink et€al. 2009; Hanssen und Spanghel 2004; Hsieh et€al. 2006). Über die Freisetzung von Antibiotika aus dem Knochenzement für die Dauer von mehreren Wochen existieren nur sehr wenige In-vivo-Daten von Spacern, die aber eine suffiziente Freisetzung über mindestens 4€Monate vermuten lassen (Masri et€al. 1998; Bertazzoni et€al. 2004; Minelli et€al. 2004; Hsieh et€al. 2006). Weiterhin hat sich gezeigt, dass sich Antibiotika hinsichtlich ihrer Freisetzung aus dem Zement gegenseitig beeinflussen, wobei bei der Verwendung von zwei Antibiotika die Freisetzung jedes einzelnen höher
B. Fink
ist als bei der Verwendung nur eines Antibiotikums (Simpson et€al. 2005; Baleani et€al. 2008; Anagnostakos et€al. 2005; Ensing et€al. 2008; Penner et€al. 1996). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Antibiotikafreisetzung bei mit Hand angemischtem Zement mit dem Vorhandensein von Luftblasen aufgrund der entstehenden größeren Oberflächen höher ist als bei in Vakuum angemischtem Zement. Allerdings wird die mechanische Qualität des Zements durch die Handanmischung verschlechtert (Hanssen und Spangehl 2004). Vereinzelt wird in neueren Studien über den einzeitigen septischen zementlosen Wechsel berichtet, bei dem mit Antibiotika imprägnierte allogene Spongiosachips verwendet werden. Winkler et€al. (2008) berichten bei 37 so durchgeführten einzeitigen zementlosen Wechseloperationen eine Eradikationasrate von 92€% nach 4,4€Jahren. Ein einzeitiger Wechsel kann unabhängig von dem bevorzugten Konzept indiziert sein, wenn bei einem bekannten Keim eine Spacer-Implantation aufgrund großer Pfannendefekte nicht möglich ist und eine Girdlestone-Situation nicht gewünscht wird. Zweizeitiger Wechsel:╇ Die zweizeitige Wechselstrategie ist die am weitesten verbreitete Therapie periprothetischer Infekte. Ein genereller Vorteil des zweizeitigen Konzepts ist, dass das chirurgische Debridement zweimal durchgeführt wird, wobei in der zweiten Operation ggf. nach der Erstoperation noch verbliebene Bakterien eradiziert werden. Da der Zement bei einem Spacer nicht zur dauerhaften Prothesenfixation verwendet wird, muss auf die mechanische Qualität des Zements kein besonderes Augenmerk gelegt werden, so dass höhere Antibiotikamengen dem Zement beigemischt werden können. Mit der zweizeitigen Wechselstrategie sind Erfolgsraten mit einer Infektfreiheit von sogar 90–100€% berichtet worden (Burnett et€al. 2007; Garvin und Hanssen 1995; Garvin et€al. 1994; Lieberman et€al. 1994). Bei zweizeitigen Wechseln wird in der Regel ein antibiotikabeladener Zementspacer für einige Wochen an die Stelle der ehemals infizierten Prothese platziert, bevor bei Infektberuhigung eine neue Hüftprothese implantiert wird (Evans 2004; Burnett et€ al. 2007; Hofmann et€al. 1995; Goldman et€al. 1996; Fink et€al. 2009). Die Funktion dieses Spacers ist einerseits die lokale Antibiotikafreigabe in das infizierte ehemalige Prothesenlager und andererseits die Erhaltung der Gelenkfunktionalität durch Vermeidung von Kontrak-
14â•… Revisionsendoprothetik
turen und die Aufrechterhaltung der Weichteilspannung bis zur Reimplantation (Burnett et€al. 2007). Man unterscheidet verschiedene Spacertypen: Monoblock und zweiteilige Spacer, vorgefertigte und in der Operation individuell hergestellte Spacer. Die Monoblockspacer haben den potentiellen Nachteil der Gefahr des Spacerbruchs sowie der Knochenresorption und die zweiteiligen Spacer den des Zementabriebs (Disch et€al. 2007; Hsieh et€al. 2005; Leunig et€ al. 1998). Zur Vermeidung von potentiellen Spacerbrüchen verwenden wir einen zweiteiligen Spacer, wobei ins Azetabulum ein mit Antibiotikapulver zugesetzter Zementklumpen als Zementpfanne gesetzt wird. Schaftseitig werden alte, nicht mehr für die Primärimplantation verwendete Prothesenschaftmodelle (meist Monoblockprothesen) mit einem ebenfalls antibiotikaangereichertem Zement ummantelt und vor der Implantation für die später leichtere Entfernung mit Patientenblut bestrichen. Die Konnektion der beiden Spacermodule erfolgte über einen Metallkopf (Fink et€al. 2009). Allerdings konnten wir in einer Analyse von Synovialis, die bei der Spacerentfernung und dem Wiedereinbau einer Prothese gewonnen wurden, Abriebpartikel des Zements mit vor allem Zirkoniumdioxidpartikeln nachweisen (Fink et€al. 2009). Eine andere Möglichkeit besteht in der Verwendung von Antibiotikaketten (Fehring et€ al. 1999; Haddad et€al. 2005). Der Nachteil dieser Methode liegt jedoch darin, dass nur industriell vorgefertigte Ketten mit Freigabe von Gentamicin oder Vancomycin verwendet werden können. Weiterhin entsteht eine Beinverkürzung sowie Instabilität mit der daraus resultierenden schwierigeren Mobilisation. Die Reimplantation ist in der Regel aufgrund von Vernarbungen, Gewebeschrumpfungen und Inaktivitätsosteoporose deutlich erschwert (Leunig et€ al. 1998; Mitchell et€ al. 2003; Hsieh et€al. 2004). Darüber hinaus ist ein Zirkoniumdioxidpartikelabrieb bei einer Mobilisation anzunehmen, was einen Drittkörperabrieb nach der Reimplantaton der Prothese bedingen könnte. Disch et€al. (2007) verwendeten daher beim zweizeitigen Wechsel keinerlei lokale Antbiotikaträger nach dem Prothesenausbau und sahen hiermit bei 32 Hüften eine Reinfektionsrate von 6,3€% 41,3€Monate nach Reimplantation jedoch in der durchschnittlich 13€Monate betragenden Phase der Girdlestone-Situation eine deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität. Bei dem zweizeitigen Wechsel gibt es ebenso wie bei dem einzeitigen noch viele ungeklärte Fragen, und bisherige Vorgehensweisen basieren eher auf empiri-
529
sche Erfahrungen als auf Daten prospektiver Studien mit höheren Evidenzgraden. So werden folgende Aspekte bei dem zweizeitigen Wechsel sehr unterschiedlich gehandhabt: Art der Antibiotikabeimischung in den Spacer, Länge der Spacereinlage, Länge der systemischen Antibiose, vorherige Aspiration vor der Reimplantation und Art der Reimplantation (zementiert oder zementlos). Antibiotikabeimischung in den Spacer In den meisten Arbeiten werden immer dieselben, vorgegebenen Antibiotika in den Zement beigemischt. Einige Autoren verwenden regelhaft Vancomycin und Tobramycin aufgrund ihres breiten Wirkungsspektrums (Fehring et€ al. 1999; Kraay et€ al. 2005). Jedoch können nicht alle Bakterien mit diesen Antibiotika erfolgreich therapiert werden (z.€ B. einige gramnegative Organismen). Dies ist ein Argument für die präoperative Identifizierung der Bakterien und deren Empfindlichkeit sowie für die bakterienspezifische Antibiotikaauswahl für die lokale und systemische Therapie. Masri et€al. (2007) berichteten in einer retrospektiven Studie über eine Erfolgsrate von 89,7€% bei einer bakterienspezifischen Antibiotikabeimischung in den Zement der PROSTALAC®-Spacer (DePuy, Kirkel-Limbach, Deutschland). In einer eigenen prospektiven Studie von 36 Fällen sahen wir bei einem Mindestnachuntersuchungszeitraum von 2€Jahren keine Reinfektion bei bakterienspezifischer Antibiotikabeimischung in individuell angefertigen Spacern (Fink et€al. 2009). Länge der Antibiotikatherapie Von den meisten Autoren wird eine 6-wöchige intravenöse Antibiotikatherapie durchgeführt, insgesamt wird sie jedoch sehr unterschiedlich gehandhabt (s.€Tab.€14.7 und 14.8). In neueren Arbeiten werden zum Teil sehr viel kürzere Antibiotikatherapiedauern angegeben. Whittaker et€al. (2009) fanden nach einer kürzeren, ausschließlich intravenösen Antibiotikatherapie mit Vancomycin in Kombination mit Vancomycin und Gentamicin beladenen Zementspacern nach dem Wiedereinbau der Prothese bei 41 Hüften eine Rate der Infektfreiheit nach durchschnittlich 4€Jahren von 92,7€%. McKenna et€ al. (2009) fanden sogar nur einen Reinfekt nach durchschnittlich 35€ Monaten bei 30 infizierten HüftTEPs, bei denen im Rahmen eines zweizeitigen Wechsels nach jeder Operation nur jeweils 5€ Tage eine systemische Antibiose gegeben worden war. Noch unterschiedlicher wird die Antibiotikagabe nach der Reimplantation der Prothese gehandhabt (s.€Tab.€14.7
B. Fink
530 Tab. 14.7↜╇ Ergebnisse der zweizeitig zementierten Revision von periporthetischen Infektionen an der Hüfte Interval bis zur Reimplantation
Keine
26,1 (4–59€Tage)
Keine
6€Wochen parenteral
╇ 87 1,5 Jahre (6€Tage bis 6,2€Jahre) 6 Wochen 2€Wochen ╇ 84 (4–214€Wochen) parenteral, 3€Monate oral 6 Wochen – ╇ 91
Follow-up
Lokale Spacer/ Antibioti- Antibiotika kaketten
McDonald 82 et€al. (1989)
5,5 Jahre
37
2,7 Jahre
Resektionsarthroplastik Resektionsarthroplastik
Colyer und Capello (1994)
Garvin et€al. 32 (1994) Lieberman 32 et€al. (1994)
â•›≥â•›2€Jahre, 4,1€Jahre 40 (24–80) Monate
Ketten
48 Younger et€al. (1997)
43 (24–63) Monate
Spacer
Leunig et€al. 12 (1998) Evans 23 (2004) Hsieh et€al. 24 (2005)
2,2 Jahre
Antbiotika nach Reimplantation Keine
Infektfreiheit (%)
Dauer der intravenösen Antibiose
Autor (Jahr) n
Aseptische Lockerung (%) –
–
╇ 91
–
3€Wochen ╇ 94 parenteral, 3€Wochen oral – 100
0
Spacer
6€Wochen parenteral Gentamicin 6€Wochen 8,8 Wochen Tobramycin (20–49€Tage) (3€Wochen bis Vancomycin 32€Monate) 13 Wochen Gentamicin 3€Wochen (5–42€Wochen) parenteral, 3€Wochen oral 4 (2–7) Monate Gentamicin –
–
–
Spacer
Gentamicin
12 Wochen
Keine
╇ 95,7
–
4,2 Jahre
Spacer
Spezifisch: 2 Wochen Vancomycin parenteral, 4 Piperacillin Wochen oral Aztreonam Teicoplanin
11–17 Wochen, wenn CRP normal
1 Woche parenteral
100
0
Ketten Spacer
Gentamicin
6 Wochen
und 14.8). Es lassen sich Angaben von gar keiner Antibiotikagabe bis zu über 3€Monaten postoperativ finden (s.€Tab.€14.7 und 14.8). Die Tatsache, dass die Dauer der Antibiotikatherapie nicht nur bei verschiedenen Autoren, sondern zum Teil auch innerhalb einer Studie unterschiedlich ist, bedeutet, dass bisher keine optimale Therapiedauer festzulegen ist. Eine unterschiedliche Antibiotikatherapiedauer mit vergleichbarer Erfolgsrate unterstreicht, dass die konsequente chirurgische Entfernung der Fremdkörper und das radikale Debridement allen entzündlichen und ischämischen Gewebes für den Therapieerfolg ausschlaggebend ist und die systemische Antibiotikatherapie nur unterstützend wirkt sowie einer Prophylaxe einer systemischen Bakteriämie und der Behandlung eines eventuell vorhandenen primären Infektionsherdes dient.
–
0
falls stark divergierende Angaben von wenigen Tagen bis zu Jahren (s.€Tab.€14.7 und 14.8). Viele legen den Zeitpunkt des Wiedereinbaus der Prothese anhand klinischer und laborchemischer Parameter fest und führen vorher eine Punktion durch (Lieberman et€al. 1994; McDonald et€al. 1989; Hsieh et€al. 2005; Masri et€al. 2007). Andere wiederum haben ein mehr oder weniger festes Schema (Haddad et€al. 2000; Garvin et€al. 1994; Evans 2004). Auch bezüglich des Intervalls zwischen den Operationen lässt die Variabilität innerhalb und zwischen den Studien keine klare Entscheidung für die beste Zeitspanne zu. Auch dies mag die vorrangige Bedeutung des operativen Debridements für den Therapieerfolg unterstreichen.
Punktion vor der Reimplantation Von vielen Autoren wird vor der Reimplantation eine Punktion empfohlen, damit die infektfreie Situation vor der Länge der Spacereinlage und Antibiotikatherapie Reimplantation der Prothese überprüft werden kann Bezüglich der Zeitspanne zwischen den beiden Ope- (Berry et€ al. 1991; Masri et€ al. 2007). Der Nachteil rationen des zweizeitigen Vorgehens finden sich eben- dieses Konzepts ist, dass eine solche Punktion eine
14â•… Revisionsendoprothetik
531
Tab. 14.8↜╇ Ergebnisse der zweizeitigen zementlosen septischen Wechsel von infizierten Hüftprothesen Autor (Jahr)
N
Follow-up
Wilson und Dorr (1989) Nestor et€al. (1994) Fehring et€al. (1999) Haddad et€al. (2000) Koo et€al. (2001)
22/13a â•›≥â•›3€Jahre, 48 Monate
Spacer/Anti- Lokale biotikaketten Antibiotika
Interval Dauer der intravenösen bis zur ReimplanAntibiose tation 3€Wochen 6–12 parenteral Wochen
Antbiotika nach Reimplantation 3€Tage parenteral
Aseptische Lockerung
91/100 7,6€% zement- Schaftlolos ckerung ╇ 82 18€% Schaftlockerung ╇ 92 0€%
Resektionsarthroplastik
Keine
34
47 (24–72) ResektionsMonate arthroplastik
Keine
â•›≥â•›4€Wochen parenteral
8 (3–19) Monate
Different
25
41 (24–98) Ketten Monate
Tobramicin in 16 Fällen
6€Wochen parenteral
4,8 Monate
–
50
5,8 (2–8,7) KetGentamycin Jahre tenâ•›+â•›Zementkugeln 41 (24–78) Spacer Vancomycin Monate Ketten Gentamicin Cefotaxime
5€Tage parenteral, danach oral 6 Wochen
3 Wochen
â•›≥â•›3 Monate
╇ 92
8€% Schaft subsid.
6–12 Wochen
–
╇ 95
–
–
╇ 94
5€% Pfanne locker 30€% Schaft subsid. 0€%
7,4 (3–37) – Monate
╇ 92
22
Hofmann et€al. (2005)
27
76 (28–148) Monate
Alter Schaft und neue PolyethylenPfanne
Tobramicin
Kraay et€al. (2005) Masri et€al. (2007)
33
â•›≥â•›2 Jahre
Spacer in 16 Fällen
Tobramicin in 16 Fällen
29
â•›≥â•›2 Jahre
Prostalac Spacer
Tobramicin Vancomycin Cefuroxime Penicillinb
Yamamoto 17 et€al. (2009)
38 Monate
Spacer
Gentamicin Vancomycin
31
35 Monate
Spacer
6€Wochen parenteral, in 17 Fällen zusätzlich oral für 6 Wochen â•›≥â•›6€Wochen parenteral
╇ 90 12 Wochen 5€Tage 6€Wochen intravenös parenteral oder in Kombination mit oral 100 â•›>â•›3 Wochen – 1€Woche parenteral, bis CRP normal 5 Tage Verschie- 5 Tage 100 den
Gentamycin Vancomycin Tobramycin 2€Wochen 36 â•›≥â•›2€Jahre Spacer Spezifisch: Gentamicin parenteral, Clindamycin 4€Wochen Vancomycin oral Ampicillin Ofloxacin a 13 der 22 Reimplantationen zementlos; Mo Monate, subsid subsidence b Kombination eines anderen lokalen Antibiotikums mit Tobramycin McKenna et€al. (2009) Fink et€al. (2009)
Infektfreiheit (%)
mindestens zweiwöchige, besser vierwöchige Antibiotikapause und eine zweiwöchige Bebrütungszeit des Punktats bedingt und somit die zweite Operation um mindestens vier bis sechs Wochen verschoben wird (Mont et€ al. 2000). Darüber hinaus sind noch lokale
6 Wochen
2€Wochen 100 parenteral, 4€Wochen oral
9€% Pfanne 0€% Schaft 0€%
–
–
6€% Schaft subsid. 0€% Lockerung
Antibiotikawirkspiegel von dem Spacer zu erwarten, die den Nachweis von Bakterien erschweren bzw. verhindern (Cui et€ al. 2007). Wir verzichten daher auf eine weitere Punktion und lassen uns entsprechend der Studie von Hsieh et€ al. (2004) ausschließlich durch
532
den klinischen Verlauf und die Laborwerte (crP) leiten. Zementierte Reimplantation Für die Fixation der endgültigen Prothesenkomponenten beim zweizeitigen septischen Hüftprothesenwechsel wird von den meisten Operateuren wieder Zement gewählt, da es wiederum die Beimischung von Antibiotika zu Vermeidung einer Reinfektion erlaubt (Duncan und Masri 1995; Evans 2004; Garvin et€al. 1994, 1995; Lieberman et€ al. 1994). Hiermit werden Eradikationsraten des periprothetischen Infekts zwischen 84 und 100€% beschrieben (Tab.€14.7). Zementfreie Reimplantation Der Nachteil der zementierten Revisionstechnik besteht darin, dass das knöcherne Prothesenlager durch die Lockerung der Primärprothese ausgeweitet, verdünnt und sklerosiert ist. Hierdurch wird die Haftung des Zements im Knochen deutlich geschwächt. So haben Untersuchungen ergeben, dass die Belastbarkeit der KnochenZement-Verbindung für Scherkräfte bei aseptischen zementierten Revisionen um 79€ % im Vergleich zu einer zementierten Primärimplantation reduziert ist (Dohmae et€ al. 1988). Dies erklärt bei aseptischen Lockerungen die deutlich höhere Rerevisionsrate von zementierten Revisionsprothesen im Vergleich zu zementlosen Revisionskomponenten, wie Wirtz und Niethard (1997) in einer Übersichtsarbeit sowohl für die Pfanne als auch die Schaftkomponente darstellen konnten (15,1€% vs. 4,3€% für die Pfanne und 12,7€% vs. 5,5€ % für den Schaft). Bei infektbedingten Prothesenlockerungen finden sich regelhaft sklerotische, glatte Knochenwände, so dass in diesen Fällen von einer deutlich verschlechterten Zementinterdigitation auszugehen sein dürfte. Daher mögen die Vorteile der zementlosen Revision auch für die Fixation des definitiven Implantats beim zweizeitigen septischen Wechsel vorliegen, obwohl exakte Daten über mittel- und langfristige Überlebensraten von zementierten und zementlosen zweizeitigen septischen Wechseln in der Literatur rar sind (Mitchell et€al. 2003). Sanchez-Sotelo et€al. (2009) berichten für zumeist zementierte Schäfte nach 10€Jahren über eine Infektfreiheit in 87,5€% der Fälle, aber nur über eine 10-Jahres-Überlebensrate mit aseptischen Lockerungen als Endpunkt von 75,2€%. Da die zementfreie Reimplantation keine lokale Antibiotikabeimischung und somit -freisetzung am Fixationsbett erlaubt, befürchten
B. Fink
einige Autoren mit diesem Konzept höhere Reinfektionsraten (Duncan und Masri 1995; Wilson und Dorr 1989). Einige wenige retrospektive Studien berichten über vielversprechende Ergebnisse mit zementlosen zweizeitigen Wechseln mit Raten der Infektfreiheit zwischen 82 und 100€ % (Tab.€ 14.8; Fehring et€ al. 1999; Haddad et€al. 2000; Koo et€al. 2001; Lai et€al. 1996; Masri et€al. 2007; Nestor et€al. 1994; Wilson und Dorr 1989). Über die Implantatstabilität von zementlosen Implantaten bei septischen Wechseloperationen existieren nur wenige Daten über zumeist nichtmodulare Revisionsimplantate. Fehring et€ al. (1999) erreichten eine stabile Fixation der zementlosen Prothese in 96€%. Nestor et€al. (1994) erreichten mit einem zementlosen, nichtmodularen, proximalen sandgestrahlten Schaft eine Implantatstabilität von 79€ %. Wilson und Dorr (1989) hatten allerdings in einer kleinen Gruppe von 13€Patienten bei Verwendung von zementlosen, nichtmodularen Schäfte mit alleiniger proximaler Fixation nach 3€Jahren nur in 38€% eine Osteointegration. Darüber hinaus variiert die Rate der aseptischen Frühlockerungen von zementlosen Revisionsschäften zwischen 0 und 18€% (s.€Tab.€14.8). Wir beobachteten ein deutlich geringere Migrations- und Lockerungsrate (6 und 0€%) für einen modularen zementlosen Revisionsschaft mit distaler Fixation (Revitan kurviert, Zimmer, Winterthur, Schweiz), was unseres Erachtens erstens in dem distalen Fixationsprinzip des Revisionsschafts im nichtdestruierten Knochen und zweitens in der Modularität des Schafts begründet ist. Allografts Bei septischen Prothesenwechseln stellen größere Knochendefekte ein erhebliches Problem dar. Eine Möglichkeit zur Rekonstruktion von Knochendefekten ist prinzipiell die Verwendung von Allografts. Viele Studien über Allografts im Rahmen eines septischen zweizeitigen Wechsels lassen keine klare Schlussfolgerung zu, da sie strukturelle Allografts und allogene Spongiosachips, die sich biologisch unterschiedlich hinsichtlich Porosität, Durchblutung und Inkorporation verhalten, in ihren Patientenserien gemeinsam untersuchen. Generell werden Reinfektionsraten von 9–14€ % mit Allografts beschrieben (Ammon et€ al. 2004; Berry et€ al. 1991; Wang und Chen 1997). Der Vorteil in der Verwendung von größeren Allografts liegt in der Rekonstruktion des defizitären Knochens, dem Ausgleich der zumeist vorliegenden
14â•… Revisionsendoprothetik
Beinverkürzung und der Möglichkeit, Standardrevisionsimplantate verwenden und somit Megaprothesen häufig vermeiden zu können. Der Erhalt des Trochanter majors und dessen Anschluss an das Allograft erlaubt häufig die Wiederherstellung der Abduktorenfunktion (Alexeeff et€al. 1996; Ilyas und Morgan 2001). Der Nachteil dieses Konzepts ist das potentiell höhere Reinfektionsrisiko, da Allografts avaskuläre Knochensegmente sind und somit potentielle Sequester darstellen (Salvati et€ al. 1982; Tornford et€al. 1990). Allerdings berichten Hsieh et€al. (2005) bei zweizeitigen septischen Wechseln keine Reinfektion bei 24€ Fällen mit Allografts nach einer durchschnittlichen Nachuntersuchungszeit von 4,2€Jahren und Ilyas und Morgan (2001) bei 10€Patienten nach einem durchschnittlichen Follow-up von 5€ Jahren. Alexeeff et€ al. (1996) sahen ebenso keine Reinfektion und nur ein Versagen mit mangelnder Osteointegration des Allografts in 11€ Fällen mit einem durchschnittlichen Follow-up von 47,8€ Monaten. Sie empfahlen strukturelle Allografts bei zweizeitigen septischen Wechseln nur mit einem Zeitintervall zur Reimplantation von 3€ Monaten bei grampositiven und sechs Monaten bei gramnegativen Bakterien oder polymikrobiellen Infektionen. English et€ al. (2002) berichten über eine Infektfreiheit mit diesem Konzept von 93€ % nach durchschnittlich 53€ Monaten bei 53€ Patienten. Buttaro et€ al. (2005) verwendeten Vancomycin-getränkte allogene Knochenchips für ein „impaction grafting“ bei zweizeitigen septischen Wechseln und fanden eine Reinfektionsrate von 3,3€ % bei 29€ Patienten nach durchschnittlich 32,4€Monaten Beobachtungszeit. Winkler et€ al. (2008) verwendeten allogene Knochenchips mit und Rudelli et€ al. (2008) sogar ohne lokale Antibiotikaimpregnierung im Rahmen von einzeitigen septischen Wechseln mit Erfolgsraten von 92 und 93,7€% nach 4,4€Jahren bzw. 8,6€Jahren. Den wenigen In-vitro- und In-vivo-Studien über die Freisetzung von Antibiotika aus Allografts nach zu schließen, scheint es mit dieser Technik möglich zu sein, hohe lokale Antibiotikakonzentrationen von mehr als 90€% der minimalen Inhibitionskonzentration (MIC) zu erzielen (Winkler et€ al. 2000; Witso et€ al. 2000). Zur letztendlichen Beurteilung der antibiotikaversetzten Allografts bedarf es aber noch weiterer Studien, um auch die Dauer der Antibiotikafreisetzung in vivo aus solchen Allografts untersuchen zu können.
533
Eigenes Konzept Wir führen einen zweizeitigen Wechsel auf eine zementlose Hüftprothese durch. Unser Konzept unterscheidet sich von dem bisher vorgestellten Vorgehen mit zementlosen zweizeitigen Wechseln durch vier Aspekte (s.€Tab.€14.8). • Erstens, die auf das Bakterium spezifisch zugeschnittene systemischen Antibiotikatherapie und die lokale Antibiotikabeimischung im Zementspacer. Da eine Beimischung von mehreren Antibiotika im Zement deren lokale Freisetzung gegenseitig fördert verwenden wir regelhaft mindestens zwei Antibiotika im Spacer und bevorzugen z.€B. COPAL®-Zement gegenüber z.€B. Palacos®R-G-Zement (Heraeus Medical, Wehrheim, Germany), da erstgenannter eine bessere Freisetzung von Gentamicin aufweist (Ensing et€al. 2008; Hanssen und Spangehl 2004). • Zweitens führen wir eine reduzierte intravenöse Antibiotikadauer von 2€Wochen und • drittens eine Reimplantation nach 6€Wochen Spacer-Intervall durch, die beide kürzer sind als in den meisten anderen Studien (s.€ Tab.€ 14.7 und 14.8). Die zweiwöchige parenterale Antibiotikagabe basiert auf den Empfehlungen von Zimmerli (1995, 2006) sowie Trampuz und Zimmerli (2005). Dieses Konzept wurde auch in anderen Studien erfolgreich eingesetzt (z.€B. Hsieh et€al. (2004) mit einer Infektfreiheit von 95€ % (Hsieh et€ al. 2004; Zimmerli et€ al. 1998)). Genauso basiert die Gesamtdauer der Antibiotikatherapie von drei Monaten auf Empfehlungen von Zimmerli (2006) sowie von Trampuz und Zimmerli (2005). Das Spacer-Intervall von 6€Wochen ist ebenfalls eher kurz, wurde aber bereits von anderen erfolgreich eingesetzt (s.€Tab.€14.7 und 14.8). • Viertens verwenden wir regelhaft einen modularen zementfreien Revisionschaft mit distaler Verankerung in der Femurdiaphyse. In einer prospektiven Studie an 36€ Patienten mit diesem standardisierten Protokoll für zweizeitige zementlose septische Wechsel von Hüfttotalendoprothesen konnten wir eine Infektfreiheit von 100€%, eine aseptische Lockerungsrate von 0€%, eine knöcherne Schaftintegration von 94€%, kein Nachsinken des Schafts in 94€% und einen Harris-Hip-Score von 90€Punkten erzielen, so dass dieses Konzept suffizient erscheint (Fink et€al. 2009).
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C. Perka
Abb. 14.148↜ a Röntgenbild a.p. einer periprothetischen Azetabulumfraktur mit Dislokation, b CT-Bild Azetabulumfraktur mit Dislokation
Periprothetische Frakturen des Azetabulums C. Perka Epidemiologie und Pathogenese╇ Periprothetische Frakturen des Azetabulum sind im Vergleich zu denen des Femur außerordentlich selten. In der Literatur wird die Häufigkeit mit 1:5400 bei zementierter Implantation und 1:1500 bei zementfreien Implantationen angegeben. Häufigster auslösender Mechanismus sind das Einschlagen der Press-fit-Pfanne und das Eindrehen einer Schraubpfanne, die zur periprothetischen Azetabulumfraktur führen (Abb.€ 14.148). Die rein traumatische Entstehung durch ein adäquates Ereignis ist selten. Die häufigste Ursache sind schleichende Frakturen des Azetabulum bei ausgedehnten Osteolysen. Diese finden sich sowohl nach zementfreien als auch nach zementierten Versorgungen. Problematisch ist die Frage, ob die vorliegende Fraktur akut eingetreten ist. Einziges typisches Hinweiszeichen ist das plötzlich auftretende Schmerzereignis. Jedoch kann auch dann nicht immer entschieden werden, ob es sich um ein schleichendes Ereignis handelte, bei dem es jetzt lediglich zum endgültigen Versagen des knöchernen Lagers und somit zur klinischen Symptomatik kam oder um eine wirklich traumatische Fraktur. Risikofaktoren sind präoperativ bestehende Knochendefekte, die Osteoporose und auch bereits vorliegende Osteolysen. So ist beim Vorliegen von Osteolysen oder anderen Risikofaktoren, die Durchführung regelmäßiger Röntgenkontrollen wichtigste Präventionsmaßnahme.
Klinik Klinisch steht die plötzliche Schmerzentstehung bzw. -zunahme im Vordergrund. Die Veränderungen können radiologisch in Röntgenaufnahmen a.p. und in Schrägaufnahmen nach Judet gesichert werden. Ein zusätzliches CT ist selten indiziert. Betroffen können grundsätzlich alle Abschnitte des Azetabulums sein, d.€ h. der vordere oder hintere Pfeiler, die mediale Wand und das Ilium („kranialer Dom“). Einteilung:╇ Die verbreitete Einteilung nach Peterson unterscheidet ein Typ€ 1, d.€ h. eine Fraktur bei stabilem Implantat, von einem Typ€2, d.€h. einer Fraktur bei instabilem Implantat. Therapie Ist das Implantat stabil, kann eine konservative Therapie durchgeführt werden. Die Stabilität ist anzunehmen, wenn keine typischen radiologischen Lockerungszeichen vorliegen, keine subjektiven Beschwerden bis zum Unfall bestanden und ein Zeitraum größer als 2€Jahre seit der Primäroperation (Dauer bis zur Integration) vergangen ist (Abb.€14.149). ►⌺ Die Stabilität des Implantats entscheidend über die Therapie!
Zeitnah zu Operationen, d.€ h. innerhalb von 3–6€ Monaten, auftretende periprothetische Frakturen sind im Regelfall instabil. Definitiv instabil sind intraoperativ auftretende periprothetische Frakturen des Azetabulum. Diese bedürfen einer sofortigen Versorgung auch wenn die Fragmente (noch) nicht dislozieren. Dies resultiert aber definitiv mit dem Einsetzen der Belastung.
14â•… Revisionsendoprothetik
Abb. 14.149↜ Röntgenbild a.p. Azetabulumfraktur ohne Dislokation
Periprothetische Frakturen des Azetabulum stellen per se keine Indikation für erweiterte Zugänge dar. Das Risiko einer Devitalisierung ausgewählter Knochenabschnitte, von Wundheilungsstörungen und Infektionen ist mit diesen Zugängen signifikant erhöht. Die Versorgung erfolgt bei intraoperativ eingetretenen Frakturen durch zwei Maßnahmen: einerseits durch die Osteosynthese der erlittenen Fraktur und andererseits durch die stabile Implantation eines geeigneten Pfannenimplantats. Bei reellen Frakturen sind die Osteosynthese und die primärstabile knöcherne Versorgung anzustreben. Die Stabilität der Osteosynthese ist durch den oftmals sehr dünnen bzw. auch osteoporotischen Knochen gegenüber der von Osteosynthesen nach Azetabulumfrakturen ohne Endoprothese reduziert. Aus diesem Grund muss eigentlich immer zusätzlich das Implantat revidiert werden. Liegt die Operation länger zurück bzw. liegt eine schleichende Fraktur vor, muss neben der Stabilisierung der Fraktur und der stabilen Pfannenverankerung die Rekonstruktion der vorliegenden Knochendefekte (Osteolysen) erfolgen. ►⌺ Die alleinige Osteosynthese nach periprothetischen Azetabulumfrakturen stellt die Ausnahme dar.
Standard ist die gleichzeitige Revision des Pfannenimplantats. Dazu existieren zwei Möglichkeiten: • die Stabilisierung durch Einbringen eines das Azetabulum überbrückenden Stützrings, • als Alternative steht die Verwendung einer Pressfit-Pfanne zur Verfügung, wobei die Stabilität durch multiple Schraubenverankerungen in alle Fragmente erreicht wird.
535
Unsere Erfahrung zeigt, dass die Verwendung eines überbrückenden Stützringes (z.€ B. Reko-Ring oder Burch-Schneider-Ring) die einfachere und zudem primär sichere Versorgung darstellt (Abb.€ 14.150). Das grundsätzliche Prinzip der Versorgung besteht darin, dass die Frakturen am posterioren Pfeiler durch eine Osteosynthese stabilisiert und anschließend die Gesamtfraktur durch das überbrückende Implantat nochmals stabilisiert wird. Aus unserer Sicht ist die Stabilität im Ilium von herausragender Bedeutung. Demgegenüber sind die Stabilität und die Fragmentposition am Pfannenboden bzw. des vorderen Pfeilers sekundär (bzw. vernachlässigbar streichen). Zu den in der Literatur existierenden Berichten über die zusätzliche Versorgung mit Kabeln können hier aufgrund der fehlenden Erfahrungen keine Aussagen gemacht werden. Bei Verwendung von Stützringen ist grundsätzlich die simultane Therapie der Fraktur, der eingetretenen Lockerung und des Knochendefekts möglich. Sie stellt für uns somit die primäre Option bei periprothetischen Azetabulumfrakturen dar. Dagegen ist die in der Literatur als gleichwertig beschriebene Verwendung von Press-fit-Pfannen mit multipler Schraubensetzung, d.€h. die „interne Osteosynthese“, aus unserer Sicht primär weniger stabil und wird daher von uns nicht mehr durchgeführt. Theoretisch erlaubt diese Technik jedoch die langfristige Integration des Implantats in den Knochen. Vergleichende Daten fehlen jedoch bisher aufgrund der begrenzten Fallzahlen. Periprothetische Fraktur des Femur J. Schröder und H. Bail Die Behandlung der periprothetischen Fraktur ist komplex und schwierig, die erreichten Ergebnisse sind oft unbefriedigend und die Komplikationsrate hoch (Young et€ al. 2007). Die Mortalität periprothetischer Frakturen ist mit bis zu 11€% nach einem Jahr ähnlich hoch wie nach proximalen Femurfrakturen (Bhattacharyya et€al. 2007). 4€ % aller Patienten mit einer Hüft-TEP erleiden in ihrem Leben eine periprothetische Fraktur (Berry 1999), wobei der einfache Sturz der häufigste Unfallmechanismus ist (75€% nach primärer Hüft-TEP, 56€% nach Revisions-TEP; Lindahl et€al. 2005).
J. Schröder und H. Bail
536 Abb. 14.150↜ (a) Periprothetische Azetabulum„Ermüdungsfraktur“ bei ausgedehnten Osteolysen, (b) Versorgung durch Knochenrekonstruktion mit metallischem Wedge sowie Rekoring (Off-Label-Use)
Die Häufigkeit periprothetischer Frakturen nimmt bei steigender Lebenserwartung, höherem Aktivitätsniveau der Patienten und einer steigenden Zahl von Primärimplantationen und Revisionen zu (Berry 2003). Der wichtigste patientenassoziierte Risikofaktor der periprothetischen Fraktur ist die Implantatlockerung (70€ % bei primären Hüft-TEP, 56€ % bei RevisionsTEP (Lindahl 2005). Weiterhin gelten Osteoporose, Osteolysen, Knochenareale mit lokaler Gewebsschwächung und hoher Lasteinleitung („stress-riser“) sowie ein höheres Lebensalter (2,9faches Risikoâ•›>â•›70€ Jahre (Cook et€al. 2008) als Risikofaktoren. Zementierte Versorgungen besitzen sowohl intraals auch postoperativ ein deutlich niedrigeres Risiko für die Entstehung einer periprothetischen Fraktur. Klassifikation Zahlreiche Klassifikationen sind publiziert worden, die sich in an der Lokalisation der Fraktur in Relation zur Prothese und an der Stabilität des Implantats orientieren (Fink et€al. 2005). Unter diesen Klassifikationen ist die VancouverKlassifikation (Duncan und Masri 1995) die gebräuchlichste. Sie berücksichtigt neben der Lokalisation der Fraktur, die Prothesenstabilität und die Qualität des periprothetischen Knochens. Damit ermöglicht diese Klassifikation die Ableitung einer Therapiestrategie. Die Vancouver-Klassifikation unterscheidet je nach Höhe der Fraktur in Relation zur Schaftkomponente Vancouver-A-, -B- und -C-Frakturen. Vancouver-A-
Tab. 14.9↜╇ Vancouver-Klassifikation der periprothetischen Frakturen A
Trochanter-Region
B
Schaft
C
Distal der Prothese
AG: Trochanter major AL: Trochanter minor B1: stabile Prothese B2: instabile Prothese B3: ossäre Defektsituation und B2
Frakturen betreffen die Trochanterregion, Typ€AG den Trochanter major und Typ€AL den Trochanter minor. Die Vancouver-B-Fraktur ist im Bereich des Prothesenschafts lokalisiert. B1-Frakturen liegen bei fester Prothese, B2 bei gelockerter und B3 bei gelockerter Prothese mit begleitenden ossären Defekten vor. Die Vancouver-C-Fraktur ist unterhalb der Prothesenspitze lokalisiert (Tab.€14.9). Therapie Das Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung der korrekten Achse und Länge des Femur, die Rekonstruktion der Knochensubstanz und eine stabile Endoprothese. Nur so ist eine rasche Mobilisation bei vergleichbarer oder besserer Funktion als vor dem Eintreten der Fraktur möglich. Es existiert kein Standardverfahren! Die Therapiestrategie ist abhängig von der Lokalisation der Fraktur, der Stabilität der Prothese und der Qualität des periprothetischen Knochens. Das operative Vorgehen
14â•… Revisionsendoprothetik
537
Abb. 14.151↜ Stabile Vancouver-A-Fraktur, konservative Therapie
muss sich zudem an die Frakturmorphologie, die ossären Defekte und die Komorbiditäten anpassen. Eine Vielzahl von Verfahren und Implantaten stehen zur Verfügung. Durch die modularen Prothesen und winkelstabilen Implantate wurden die Therapieoptionen in den letzten Jahren signifikant erweitert. Es fehlen jedoch umfassende Daten zu den unterschiedlichen Techniken und Implantaten, was durch die geringe Studienzahl mit meist wenigen Fällen bedingt ist. ►⌺ Das zentrale Prinzip lautet: Eine festsitzende Prothese wird überwiegend osteosynthetisch versorgt, eine gelockerte Prothese muss gewechselt werden.
Hauptherausforderung ist somit die Bestimmung der Stabilität der Prothese. Die fehlerhafte Bewertung einer Fraktur als B1-Fraktur bei jedoch gelockerter Prothese ist die Ursache der hohen Komplikationsrate bei diesem Frakturtyp (Lindahl et€al. 2006). Es existieren keine allgemeingültigen Tests, die die Stabilität einer Prothese bestimmen lassen. Zementierte Prothesen sind überwiegend zu wechseln. ►⌺ Bei zementfreien Prothesen gilt als Faustregel, dass, wenn mehr als ein Drittel des verankerungsrelevanten Anteils der Prothese vom Knochen gelöst ist, ein Wechsel durchgeführt werden sollte!
Das Einbringen eines Meißels an die Grenzfläche zwischen Prothese und Knochen kann bei der Stabilitätstestung helfen. ►⌺ Die Prothese gilt bei periprothetischen Frakturen des Vancouver Typs B bis zum Beweis des Gegenteils als locker!
Konservative Therapie╇ Die konservative Therapie ist aufgrund der hiermit verbundenen langen Immobilisationsdauer, häufigen Fehlstellungen sowie einer hohen Pseudarthroserate weitestgehend verlassen. Heute ist sie bei stabilen Vancouver-A-Frakturen indiziert (Abb.€14.151). Operative Therapie • Vancouver-A-Fraktur: Nur etwa 5€% der periprothetischen Frakturen betreffen den Trochanter major. Die postoperative Vancouver-A-Fraktur kann traumatisch oder bei osteolytischen Veränderungen im proximalen Femur auftreten. Davon abzugrenzen sind intraoperativ nicht bemerkte Frakturen bzw. relevante Strukturschwächungen, die kurz nach der Implantation zum Nachweis einer Trochanterfraktur führen. Wenig dislozierte intra-/postoperative Trochanterfrakturen ohne gluteale Insuffizienz können zunächst konservativ therapiert werden, da mehr
J. Schröder und H. Bail
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Abb. 14.152↜ Vancouver B1-Fraktur, Übergang zur C-Fraktur, Osteosynthese mittels inverser LISS
als die Hälfte der Patienten hierunter beschwerdefrei werden (Pritchett 2001; Hsieh et€al. 2005). Ist der frakturierte Trochanter jedoch osteolytisch, sollte die Revision mit Spongiosaplastik und Osteosynthese erfolgen (Wang et€ al. 2006). Verwendet werden bei großen Fragmenten Cerclagen (die um die mediale Kortikalis oder auch um den Prothesenhals gelegt werden; Achtung: gleiches Material von Cerclage und Prothese notwendig!), Zuggurtungsosteosynthesen oder sog. Trochanterkrallen. Letztere bietet im Allgemeinen die höchste Stabilität, haben aber den Nachteil, dass die verwendeten Kabel häufig brechen und sehr oft mechanische Reizungen am Trochanter durch das auftragende und die Weichteile störende Osteosynthesematerial auftreten. • Vancouver-B-Fraktur: 80€ % der periprothetischen Frakturen sind Vancouver-B-Frakturen, insbesondere B1- und B2-Frakturen. Die Beurteilung der Stabilität der Prothese ist wie oben ausgeführt für die Behandlungsstrategie und deren Erfolg entscheidend. • Vancouver-B1-Frakturen: Bevorzugt wird hier die Osteosynthese der Fraktur. Diese ist oftmals schwierig. Die Rate an zur Reoperation führenden
Komplikationen ist hoch. Ursache ist die Ausfüllung des Markraums, insbesondere bei zementfreien Endoprothesen, was die korrekte Positionierung der Schrauben erschwert. Mit der Einführung neuer, insbesondere der winkelstabilen Implantate wie der LCP oder dem Less Invasive Stabilisation System (LISS), konnte die Komplikationsrate gesenkt und Konsolidierungsraten von über 90€% erreicht werden, wenngleich der Evidenzlevel dieser Studien niedrig ist (O’Toole et€al. 2006; Kääb et€al. 2006; Ricci und Borelli 2007; Abb.€14.152). Neue Plattensysteme erlauben den Aufsatz von „Laschen“, die eine größere Vielfalt an Richtungen für die Schraubenverankerung realisieren. Die additive Verwendung von strukturellen Allografts (sog. „Strutgrafts“) kann in ausgewählten Fällen sinnvoll sein, um die Stabilität des Konstrukts erhöhen (Talbot et€al. 2008). • Vancouver-B2/B3-Frakturen: Bei diesem Frakturtyp ist die Prothese (und evtl. der Zement sowie das Granulationsgewebe) zu entfernen, die Fraktur zu reponieren und durch das Implantat sowie die zusätzliche Osteosynthese zu stabilisieren. Der zentrale Punkt dabei ist die Primärstabilität des Prothesenschafts. Bevorzugt werden zementfreie
14â•… Revisionsendoprothetik
539
Abb. 14.153↜ VancouverB2-Fraktur, Revision mittels modularem Revisionsschaft
Revisionsimplantate, da hier kein Eintritt von die Frakturheilung beeinträchtigendem Zement in den Frakturspalt befürchtet werden muss. Bei älteren Patienten ist jedoch auch eine zementierte Verankerung möglich, wenngleich dadurch die Frakturheilung nur in seltenen Fällen eintritt. Dieses Vorgehen ist also nur sinnvoll, wenn der noch intakte Knochen, eine stabile Verankerung der Prothese erlaubt. Bei zementfreien Prothesen ist eine diaphysäre Verankerungsstrecke von ca. 2 Femurquerdurchmessern oder von 3€cm unbedingt anzustreben. Dies ist abhängig vom Prothesentyp (s.€Kap.€14.3). Modulare Prothesensysteme erleichtern die Operation wesentlich. Bei diesen Prothesen wird zunächst der distale Prothesenteil im Sinne eines Fundaments stabil verankert und nachfolgend der proximale Teil variabel der konkreten Situation angepasst. Zusätzliche Cerclagen dienen zur Osteosynthese der Fraktur (Abb.€14.153).
Gelingt es im Falle eines hochgradigen Knochendefektsituation nicht, eine suffiziente diaphysäre Verankerung zu erzielen, kann eine Rekonstruktion mit strukturellen Allografts und nachfolgendem „impaction grafting“ (Tsiridis et€ al. 2004) bzw. einer Kombination aus kurzem, zementierten Schaft und einer suffizienten Osteosynthese als, wenngleich meist schlechtere Alternative, in die therapeutische Strategie einbezogen werden. • Vancouver-C-Fraktur: Bei der Vancouver-C-Fraktur mit meist festem Implantat ist die Osteosynthese die Therapiestrategie der Wahl. Das Therapieprinzip entspricht dem der distalen Femurfraktur. Winkelstabile Implantate mit vielen distalen Schrauben helfen, in der spongiösen Knochensubstanz des distalen Femur ausreichende Stabilität zu erzielen. Es ist aber zu berücksichtigen, das die Verankerungsqualität winkelstabiler Schrauben im spongiösen Knochen wegen des üblicherweise flacheren
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C. Perka und R. Ascherl
Abb. 14.154↜ Vancouver-CFraktur, Osteosynthese mit winkelstabiler Platte
Gewindes nicht höher als bei Standardosteosynthesen ist. Dabei sollte eine ausreichend lange, bis weit proximal der Prothesenspitze reichende Platte gewählt werden, um eine Ermüdungsfraktur zwischen Prothese und Osteosynthese zu verhindern (Abb.€14.154). Fazit Die Behandlung der periprothetischen Fraktur ist komplex und schwierig, sie bedarf gleichermaßen der Kenntnisse in der Revisionsendoprothetik als auch in der Frakturbehandlung. Entscheidendes Kriterium für die Therapie ist die Stabilität der Prothese: Ist diese locker, muss sie gewechselt werden, bei festem Implantat erfolgt nahezu immer die Osteosynthese.
14.5.3.5 T ipps und Tricks in der Revisionsendoprothetik C. Perka und R. Ascherl Im Folgenden sollen praktische Hinweise, Tipps und Tricks aus der eigenen Erfahrung und der von Kollegen gegeben werden. Planung • Präoperativ sollte der Endoprothesenpass eingesehen werden. Notwendig sind die Kenntnis des verwendeten Konus, des Kopfdurchmessers, des
Schafts (spezieller Ausschläger?), der Pfanne (Ausdrehinstrumentarium bei Schraubpfannen) und der Pfannengröße (v.€a. beim Inlaywechsel). Fehlt ein solcher Pass und erlaubt das Röntgenbild keine eindeutige Zuordnung, so kann die Nachfrage beim Hersteller in der Operationsplanung weiterhelfen. • Bei allen Schrauben muss die Art des Schraubenkopfes identifiziert werden. Es existiert eine Vielzahl von Schraubenköpfen auf dem Markt (Schlitzschrauben, Sternschrauben, Sechskantinbus, Torx-Schrauben u.€a.; Abb.€14.155). Ein komplettes Schraubenzieherset sollte verfügbar sein. • Bei geplanter Entfernung eines Keramik-Inlays empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit der Herstellerfirma der Prothese. Einige Keramik-Inlays sind bereits durch leichtes Anschlagen auf dem Pfannenrand zu lösen, bei anderen sind spezielle Inlay-Extraktoren (meist Vakuumextraktoren) notwendig. Präoperative Vorbereitung • Das zu operierende Bein sollte unbedingt präoperativ markiert werden (Abb.€14.156). • Der Patient ist so zu lagern, dass eine Bildwandleruntersuchung problemlos möglich ist. • Die Abdeckung muss die Erweiterung des Hautschnitts nach distal (z.€B. periprothetische Fraktur des Femur) und nach proximal (Implantation von
14â•… Revisionsendoprothetik
541
Abb. 14.155↜ Darstellung unterschiedlicher Schraubenköpfe, die bei der Revision möglicherweise zu entfernen sind
Abb. 14.156↜ Markierung des zu operierenden Beines mit einem Kreuz am Vorabend der Operation
Stützringen) bzw. in Richtung des Bauchraums beim Auftreten von Gefäßverletzungen erlauben. OP-Techniken • Die Präparation einer vernarbten Fascia lata erfolgt von distal nach proximal, da distal die Darstellung fast immer einfacher ist. • Als Zugang sollte der Zugang der vorangegangenen Operation im Regelfall gewählt werden. Ausnahmen sind spezielle Erfordernisse hinsichtlich der geplanten zu implantierenden Komponenten bzw. vorbestehende ausgedehnte Weichteilschädigungen oder notwendige Erweiterungen. Auch eine vorbestehende Luxationsneigung (z.€B. nach dorsal
nach hinterem Zugang) kann einen Zugangswechsel bedingen. Der in Revisionsoperationen weniger Erfahrene sollte den Standardzugang der Primärprothetik bevorzugen. • Bei einem dorsalen Zugang sollte der N.€ischiadicus von distal nach proximal dargestellt werden. Bereitet das Auffinden Schwierigkeiten, kann dieser in Höhe des Sitzbeins durch Druck gegen das Sitzbein als Widerlager im Regelfall sehr gut identifiziert werden (Abb.€14.157). • Das Einsetzen der Haken muss in der Revisionsendoprothetik vorsichtig erfolgen. Ursachen sind die herabgesetzte knöcherne Stabilität und die bei Knochendefekten vorliegende anatomische Nähe von Nerven und Gefäßstrukturen zur Hakenposition. Ist der vordere Pfannenrand nicht sicher darzustellen und der Haken somit nicht sicher zu positionieren, sollte dieser zunächst soweit kranial wie möglich eingesetzt und erst schrittweise unter Sicht und genauer Positionierung entlang des vorderen Azetabulumrands nach distal verlagert werden. • Das Einsetzen des hinteren Pfannenrandhakens ist bei hinteren Pfeilerdefekten nicht sinnvoll möglich und sollte unterbleiben. Ein besonderes Risiko ist die anatomische Nähe des N.€ischiadicus, der häufig durch narbige Einziehungen näher als bei der Primärversorgung am Azetabulum liegt.
C. Perka und R. Ascherl
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M. vastus lateralis
M. gluteus medius
M. gluteus maximus M. piriformis N. ischiadicus
Abb. 14.157↜ Intraoperativer Situs mit Darstellung der Lage des N.€ischiadicus
• Die Luxation des Hüftgelenks erfolgt immer nur mit geringem Zug. Der Schlüssel für die Luxation mit geringem Kraftaufwand ist im Regelfall das Release am proximalen Femur. Dies beinhaltet die vordere Kapsel, die medial am Femur ansetzenden Strukturen bis zur Iliopsoassehne, die dorsale Kapsel und evtl. Vernarbungen im Ansatzbereich der Glutealmuskulatur. Bei brüsker Kraftanwendung sind Frakturen an den Trochanteren, besonders bei Osteolysen, zu erwarten. Bei tiefen Protrusionen nach Pfannenmigration ist eine Trochanterosteotomie hilfreich (Abb.€14.158). Voraussetzungen sind gute Knochenverhältnisse im Ostetomiebereich, die eine Konsolidierung der Fraktur erwarten lassen. Die Techniken der Trochanterrefixation müssen beherrscht werden. Diese ist im Regelfall so durchzuführen, dass die Muskelansätze des Glutaeus medius und des Vastus lateralis erhalten werden, da diese die Osteosynthese zusätzlich muskulär stabilisieren (s.€Abb.€14.158). • Das Abschlagen eines Kopfes vom Konus kann durch ein leichtes Anschlagen eines metallischen Stößels auf den Prothesenhals erleichtert werden. Der Hals sollte in dieser Phase fixiert werden (Einzinker, Polygripzange o.€a.). • Die Antibiotikatherapie beginnt erst nach Entnahme von Synovialflüssigkeit und mikrobiologischen Proben (im Regelfall 5 bis 7). Gegebenenfalls ist die vorherige Instruktion des Anästhesisten notwendig. • Festsitzende zementierte und zementfreie Pfannen sind durch gebogene Meißel oder Spezialmeißel (Zentriermeißel), die über den Prothesenkopf
Abb. 14.158↜ Prinzip der Trochanterosteotomie in der Revisionsendoprothetik. Aufgrund der Komplikationen bei der Ostetomieheilung geht die Anwendung dieser Technik zurück. Die korrekte Richtung der Ostetomie ist für den Erfolg entscheidend
Abb. 14.159↜ Ansetzen des Zentriermeißels
zentrieren, zu lockern. Der Meißel ist dabei am Übergang Zement/Polyethylen (bei zementierten Pfannen) bzw. von Zementknochen (bei zementfreien Pfannen) anzusetzen (Abb.€14.159). • Ist der Einsatz eines Zentriermeißels geplant, müssen selbstverständlich zunächst alle Schrauben entfernt werden. Das für die Schraubenextraktion
14â•… Revisionsendoprothetik
Abb. 14.160↜ Darstellung eines Zentriermeißels
zunächst entfernte Inlay muss unbedingt aufgehoben und nach Entfernen der Schrauben wieder eingesetzt werden, da sonst der Zentriermeißel nicht verwendet werden kann (Abb.€14.160). • Vor dem Ausschlagen von Abstützringen ist die vollständige Entfernung der Schrauben zu kontrollieren. Die Übersicht über alle Löcher des Stützringes ist daher notwendig. Zement im Schraubenkopf kann durch entsprechendes Anbohren mit einem 3,2-mm-Bohrer entfernt werden. ►⌺ Cave: Niemals einen noch stabil sitzenden Ring ausschlagen ohne Sicherheit darüber, dass alle Schrauben entfernt worden sind! Neben knöchernen Defekten könnte es auch zu Gefäßverletzungen kommen.
• Besondere Vorsicht gilt bei Implantaten und Zement im kleinen Becken. Zement kann relevante Weichteilstrukturen, insbesondere Gefäße umfließen. Die unvorsichtige Entfernung führt oft zu massiven Blutungen. Die Entfernung von protrudierten Komponenten bzw. von Zement aus dem kleinen Becken ist am sichersten über einen zusätzlichen vorderen Zugang möglich. Soll die Entfernung von lateral
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erfolgen, muss die Präparation unbedingt mit einem stumpfen Instrumentarium (z.€ B. Cobb-Raspatorium) durchgeführt werden, um die umgebende Granulationsgewebsschicht vom zu entfernenden Implantat bzw. Zement zu trennen. • Polyethylen-Inlays zementfreier Pfannen lassen sich am einfachsten entfernen, wenn diese mit einem 6-mm-Bohrer angebohrt und anschließend mit dem Korkenzieherinstrument herausgetrieben werden. Alternativ sind auch das Anbohren mit einem kleineren Durchmesser (3,2€ mm) und das Eindrehen einer Spongiosaschraube zum Austreiben des Inlays möglich. Der Effekt entsteht durch das Auftreffen der Schraubenspitze bzw. des Korkenziehers auf der Metallschale. • Für die Entfernung von Schraubpfannen gelten die gleichen Grundsätze wie für Press-fit-Pfannen. Das sofortige Herausdrehen einer festen Schraubpfanne ist mit einer extrem hohen Gefahr der knöchernen Verletzung des vorderen bzw. hinteren Pfannenrandes verbunden. Dies sollte unbedingt unterbleiben. Schraubpfannen sind ebenso wie Press-fit-Pfannen vor der Entfernung zu lockern. Komplett ummeißelt werden sollten dabei die drei Hauptpunkte des Krafteintritts, d.€h. der Übergang zum Sitzbein ebenso wie die Kontaktfläche zum Darmbein bzw. auch zum Schambein. Ist der Knochen in diesen drei Regionen gelöst, gelingt im Regelfall das Herausdrehen der Schraubpfanne. Schaftentfernung • Prinzipiell ist ein Release des proximalen Femur notwendig, ohne jedoch Muskulatur zu schädigen. Muskulatur ist elastisch und dehnbar und stellt kein Hindernis bei der Entfernung der Schaftkomponente dar. Zementierte Prothesen lassen sich im Regelfall leicht herausschlagen. Anschließend wird der Zement von proximal nach distal entfernt Der Zement ist grundsätzlich zuerst in Längsrichtung zu spalten (z.€ B. durch Federmeißel oder Spaltmeißel) und erst nach multiplen Spaltungen ist die Grenzzone zwischen Zement und Knochenlager zu bearbeiten. Der Versuch, größere Zementteile durch Hebeln aus dem Knochenlager zu lösen, führt oft zu Frakturen. Verwendet werden sollten Meißel mit negativem Schliff, um beim Heraushebeln des Zements eine zu große Krafteinwirkung auf den Knochen zu verhindern.
544
C. Perka und R. Ascherl
Abb. 14.161(a, b↜) Exzentrische Lage der distalen Prothesenspitze im Zement. Bei endostaller Zemententfernung besteht ein großes Risiko für eine Femurperforation
• Bei endofemoraler Zemententfernung muss diese mindestens bis unterhalb des Niveaus des Trochanter minor von proximal erfolgen, bevor Bohrer oder Korkenzieher zum Einsatz kommen können. Ein zu zeitiger Einsatz eines Korkenziehers führt sonst zur Gefahr der Fraktur. • Zementierte Prothesen sind oftmals gebogen, so dass der Eintrittspunkt relativ weit medial liegt. Für die distale endofemorale Zemententfernung sind jedoch ein sehr lateraler Eintrittspunkt des Bohrers und eine laterale Führung des Bohrers notwendig. Die hier im lateralen Trochanterbereich noch vorhandene Spongiosa ist eventuell zu entfernen, da sonst eine varische Ausrichtung des gegenüber der gebogenen Prothese geraden Bohrers resultiert. Im Zweifelsfall sollte eine Bildwandlerkontrolle erfolgen. Die Perforationsgefahr besteht besonders in lateraler und ventraler Richtung. Aus diesem Grund ist eine eher posteriore und mediale Bohrrichtung beim Aufbohren des Zementköchers anzustreben. Dies gilt insbesondere für den distal der Prothese gelegenen Anteil, bei dem keine gute Führung mehr durch das ehemalige Prothesenlager vorhanden ist (Abb.€14.161). • Markraumsperrer sollten niemals nach unten durchgestoßen, sondern wenn immer möglich entfernt werden. Möglich ist dies mit langen Korkenziehern mit kleinem Durchmesser bzw. Küretten. • Festsitzender Zement, bei dem jeweils nur kleine Zementmengen entfernt werden können, sollte unbedingt unter Bildwandlerkontrolle entfernt werden, da im Regelfall der feste Zement zu einem Abdrängen des Bohrers in den Knochen führt. Eventuell ist ein transfemoraler Zugang zu wählen.
• Ist der Zement nicht entfernbar, sollte die Entfernung des Zements über ein ventral angelegtes Kortikalisfenster erfolgen. Dies sollte einen trapezförmigen Querschnitt mit spitz nach distal auslaufender Form haben. Die Ecken dieser Kortikalisfenster sind grundsätzlich anzubohren. Wir empfehlen hier einen 3,2-mm-Bohrer. Beim Anlegen des Fensters ist auf ein konzentrisches schräges Sägen zu achten, damit das spätere Fenster nicht in den Markraumkanal hineinfällt (Abb.€14.162). • Zementfreie Prothesenstiele sollten mit dünnen Federmeißeln bzw. Lambotte-Meißeln von proximal vorsichtig ummeißelt werden. Sind stabil festsitzende Prothesen mit distaler Verankerung oder Prothesen mit makroporöser Oberfläche zu entfernen, sollte frühzeitig ein transfemoraler Zugang von entsprechender Länge durchgeführt werden. Hilfreich ist die Verwendung einer Hochgeschwindigkeitsfräse für die Bearbeitung des umliegenden Knochens bzw. mit der Möglichkeit der Metalldurchtrennung (z.€ B. Midas-Rex-System, Medtronic, Deutschland). Hierbei kann z.€ B. nach Durchtrennung der Prothese und Entfernung des proximalen kragenteilenden Prothesenanteils der distale Anteil dann überfräst werden. Wenngleich auch hierbei der Knochensubstanzverluste auftreten, ist die Entfernung der Prothese ohne Frakturgefährdung im Regelfall möglich. • Das Markraumlager ist vor der Reimplantation ausgiebig zu lavagieren. Beim Kürettiereng des Markraums ist auf den Blutverlust zu achten. • Bezüglich spezieller Implantationstechniken sei auf das Kap.€14.5.3.1 verwiesen.
14â•… Revisionsendoprothetik
545
20°
a
20°
b
Abb. 14.162↜ Prinzip der Anlage eines Knochenfensters. Es wird eine Trapezform gewählt, um Spannungsspitzen zu vermeiden (a). Zugleich konzentrisches, schräges Sägen, damit das Knochenfenster am Ende wieder eingepasst werden kann und nicht in den Markraum fällt (b)
14.5.3.6 H inweise zur Führung einer Knochenbank A. Pruss und K. Thiele Allogene Knochentranssplantate sind trotz der Bemühung um Alternativen (Knochenersatzmaterialien, Tissue Engineering) für die Behandlung ausgedehnter Knochendefekte bei Revisionsoperationen unabdingbar. In Deutschland werden derzeit jährlich etwa 75.000 autogene und ca. 30.000 allogene Knochentransplantationen durchgeführt (Pruss und Katthagen 2008). Überregionale Gewebebanken, die kortikospongiöse Knochentransplantate sowie ein breites Spektrum weiterer muskuloskelettaler Transplantate (Bänder, Sehnen, Faszien) bereithalten, existieren derzeit nur in Berlin (Gewebebank am Institut für Transfusionsmedizin der Charité und Deutsches
Institut für Zell- und Gewebeersatz). Zusätzlich sind deutschlandweit ca. 250 klinikinterne bzw. lokale Knochenbanken an unfallchirurgischen bzw. orthopädischen Kliniken angesiedelt. Diese Banken halten hauptsächlich Femurköpfe vor, die bei endoprothetischen Primärversorgungen des Hüftgelenkes steril entnommen wurden (Abb.€14.163). Neben allogenen Knochentransplantaten werden autologe Knochengewebe, künstliche und bovine Materialien sowie vitale Knochenzellkulturen (Tissue Engineering) verwendet (Tab.€ 14.10). Das autogene Knochentransplantat, meist aus dem Beckenkamm, gilt weiterhin als biologischer „Goldstandard“, da es sich durch optimales Einwachsverhalten bei fehlender Immunogenität und Infektiosität auszeichnet. Die Einheilung autogener Knochentransplantate beruht auf osteoinduktiven und osteokonduktiven Mechanismen. Aufgrund seiner überlegenen biologischen Potenz ist das Autograft besonders im ersatzschwachen Lager indiziert. Nachteilig zeigt sich jedoch die Materiallimitierung bei größeren Defekten sowie die durch einen Zweiteingriff verlängerte Operations- und Narkosezeit (Dutting et€ al. 1988; Niedhart et€ al. 2003; Ruter und Lob 1986; Kreibich et€al. 1994; Wippermann et€al. 1997). Der wesentliche Vorteil allogener Knochentransplantate im Vergleich zu künstlichen Knochenersatzmaterialien (Knochenzement, Hydroxylapatitkeramik, bovines Material) ist, neben der osteokonduktiven Wirkung in Form von demineralisierten Knochenmatrixkomponenten, teilweise auch osteoinduktiv zu wirken. Das natürliche Knochentransplantat dient als Leitsystem für eine knöcherne Durchbauung und bietet somit die ideale, der physiologischen Morphologie entsprechende, Architektur (Katthagen und Pruss 2008). Derzeit ist die Tätigkeit von muskuloskelettalen Gewebebanken, die v.€a. allogene Gewebe bearbeiten, auf 3 Schwerpunkte ausgerichtet: 1. juristische Vorgaben, insbesondere infolge des Gewebegesetzes, 2. Infektionssicherheit (Spenderauswahl, Labortestung, Entnahme), 3. spezielle Herstellungsverfahren inklusive validierter Inaktivierungsverfahren. Juristische Vorgaben Das am 01.08.2007 in Kraft getretene „Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen“ (Gewebegesetz) vom 20.07.2007 dient der Sicherheit der Patienten und veränderte die rechtliche
A. Pruss und K. Thiele
546
Abb. 14.163↜ Operativ entnommener Femurkopf und Instrumentarium zur Entknorpelung
Tab. 14.10↜╇ Allogene muskuloskelettale Transplantate und Indikationen Transplantat Spongiöse Knochengewebe
Kortikale Knochengewebe
Indikationen
•â•‡ TEP-Wechsel in Hüft- und Kniegelenk • Verfüllung bei zystischen Tumoren und „tumor-like lesions“ •â•‡ Posttraumatische Defekte •â•‡ Rekonstruktion der Hüftpfanne •â•‡ Ventrodorsale-Fusion bei LWS-Instabilitäten •â•‡ Umstellungsosteotomien der Tibia und des Femurs •â•‡Wirbelkörperersatz nach Entzündung oder Tumor, Ersatz peripheren Knochens bei unterschiedlichen Defektsituationen
•â•‡ „greffe anterior“ – ventrale Stabilisierung bei schweren Skoliosen •â•‡Rekonstruktion von Knochendefekten, v.€a. Endoprothetik, Stabilisierung bei zystischen Läsionen in biomechanisch belasteten Bereichen (Femur bei fibröser Dysplasie), Knochendeckel bei Knochenzysten •â•‡ Ventralisation der Tuberositas tibiae •â•‡ Korrekturosteotomien •â•‡ OP nach Eden-Hybinette bei habitueller Schultergelenksluxation Bandgewebe
Sehnengewebe Fasziengewebe Knorpelgewebe
•â•‡ Ersatz bei Ruptur des Ligamentum patellae •â•‡ Ersatz bei defektem Streckapparat •â•‡ Seitenbandinstabilität der Kniegelenkskapsel •â•‡ Kreuzbandplastiken •â•‡ Seitenbandinstabilität der Kniegelenkskapsel •â•‡ Gelenksarthrosen
Lage muskuloskelettaler Gewebeeinrichtungen, insbesondere der lokalen Knochenbanken. Hintergrund der Gesetzgebung ist die Richtlinie 2004/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Konservierung, Lagerung und
Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen. Die Richtlinie 2006/17/EG sowie die Richtlinie 2006/86/ EG dienen der technischen Durchführung dieser Richtlinie und sind durch das Gewebegesetz vom 20.07.2007 in deutsches Recht umgesetzt worden. Die Qualität und Anwendungssicherheit der muskuloskelettalen Gewe-
14â•… Revisionsendoprothetik
betransplantationen kann damit nicht mehr allein durch die „Richtlinien zum Führen einer Knochenbank“ geregelt werden, sondern muss die neuen gesetzlichen Regelungen des Gewebegesetzes berücksichtigen (von Auer 2008). Entsprechend dieser gesetzlichen Vorlage erfasst der Gewebebegriff in Abgrenzung zum Organbegriff alle menschlichen Gewebe und Zellen, die medizinisch verwendet werden, einschließlich Herzklappen, Augenhornhäute, Knochenmark, fötale und embryonale Organe, Gewebe und Zellen sowie Keimzellen. Der Begriff „Gewebeeinrichtung“ umfasst jede Einrichtung, die mit Gewebe umgeht, also auch solche Einrichtungen, die nicht be- oder verarbeiten, sondern nur entnehmen oder nur testen oder nur transportieren oder nur in den Verkehr bringen (von Auer 2008). Wesentliche rechtliche Rahmenbedingungen des Gewebegesetzes sind: 1. Gewebeeinrichtungen, die sich mit der Gewinnung, Testung, Ver- und Bearbeitung, Lagerung und dem Inverkehrbringen klassischer Gewebezubereitungen beschäftigen, benötigen, sofern sie nicht über eine Herstellungserlaubnis gemäß §Â€13 AMG verfügen, hierfür eine Erlaubnis der zuständigen Landesbehörde (§Â€20b AMG und §Â€20c AMG). 2. Es entfallen bei fehlender Herstellungserlaubnis gemäß §Â€13 AMG die Positionen des Leiters der Herstellung, des Leiters der Qualitätskontrolle und der sachkundigen Person. Stattdessen wird gemäß §Â€20c AMG eine „verantwortliche Person“ für die Leitung der Gewebeeinrichtung eingesetzt. Diese muss Arzt, Biologe oder Biochemiker mit zweijähriger praktischer Tätigkeit auf dem Gebiet der Be- oder Verarbeitung von Geweben oder Gewebezubereitungen sein. 3. Klassische, nicht industriell bearbeitete Gewebezubereitungen (z.€ B. Herzklappen, Augenhornhäute, Femurköpfe) unterliegen derzeitig einer verfahrensbezogenen Genehmigungspflicht (§Â€21a AMG), die Voraussetzung für das Inverkehrbringen dieser Gewebezubereitungen ist. Diese Genehmigung ist bei der zuständigen Bundesoberbehörde, dem Paul-Ehrlich-Institut, zu beantragen. 4. Durch Änderung von §Â€4a (4) AMG ist die frühere Ausnahme der Entnahme, Herstellung und Anwendung von Gewebe unter der Verantwortung eines Arztes vom Anwendungsbereich des AMG (§Â€ 4a (4) AMG alt) aufgehoben und auf den Fall beschränkt worden, dass Gewebe innerhalb eines Behandlungsvorgangs einer Person entnommen und auf diese wieder rückübertragen wird im Sinne
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einer autologen Verwendung (z.€B. Schädelkalotte bei neurochirurgischen Eingriffen; §Â€ 4a (4) AMG neu). Auch bei der Verwendung allogener Gewebe ist die Ausnahmeregelung vom AMG bei Personenidentität von Entnahme, Herstellungs- und Transplantationsvorgängen in §Â€4a (3) AMG noch erhalten geblieben. 5. Die Meldungen der Gewebeeinrichtungen über die Art und Menge der entnommenen und be- oder verarbeiteten Gewebe an die zuständige Bundesbehörde (Paul-Ehrlich-Institut) soll die Transparenz erhöhen und Tissue-Vigilanz ermöglichen. Infektionssicherheit Die schwerwiegendste unerwünschte Begleiterscheinung der allogenen Knochentransplantation ist die Übertragung von viralen bzw. nichtviralen Krankheitserregern. Historisch beschriebene Infektionsübertragungen von u.€a. HIV, HBV, HCV, Clostridien führten zu strikten Regulationen hinsichtlich der Lebend- oder Multiorgan-/Leichenspende von Knochengewebe sowie diesbezüglicher Verfahren (Simonds et€ al. 1992; Schratt et€al. 1996). Die „Richtlinien zum Führen einer Knochenbank“ legen Normen für die Auswahl von Lebend- und Leichenspendern fest, die sich in vergleichbarer Form auch in den internationalen Standards der American Association of Tissue Banks (AATB), der European Association of Tissue Banks (EATB), der European Association of Musculoskeletal Transplantation (EAMST), der EU-Richtlinie 2006/17/ EG sowie der TPG-Gewebeverordnung (TPG-GewV) wiederfinden. Voraussetzung für die Knochenspende ist gemäß TPG die Einwilligung des Spenders bzw. im Fall einer Knochenentnahme bei Verstorbenen, soweit kein Spendeausweis vorliegt, deren Angehörige. Bei allen Knochenspendern ist die Spendetauglichkeit durch Anamnese, Laboratoriums- und Untersuchungsbefunde ärztlich zu beurteilen und zu dokumentieren. Anamnese Der Knochenspender bzw. im Fall einer Knochenentnahme bei Verstorbenen dessen behandelnder Arzt sowie die Angehörigen müssen nach Risikofaktoren für die Spendetauglichkeit befragt werden. Der Lebendspender muss die Richtigkeit seiner anamnestischen Angaben durch Unterschrift bestätigen, ebenso muss eine ausführliche Spenderanamnese mit Ausschlusskriterien, die v.€ a. der Erkennung und Vermeidung von Infektionsrisiken dienen, vorliegen (s.€ folgende Übersicht). Es wird darauf hingewiesen,
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dass die BÄK-Richtlinie zum Führen einer Knochenbank in absehbarer Zeit novelliert werden soll. In diesem Zusammenhang werden auch die Spenderauswahlkriterien an den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft angepasst. Bei der körperlichen Untersuchung des Spenders ist insbesondere auf Zeichen einer Infektionskrankheit und Anzeichen von parenteralem Drogenmissbrauch zu achten. Bei Vorliegen entsprechender Symptome ist auf eine Knochenentnahme zu verzichten.
Ausschlusskriterien
• Ausschluss auf Dauer − Nachweis einer HCV-, HBV-, HIV-Infektion unabhängig von Krankheitserscheinungen − Patienten, bei denen eine chronische Hepatitis oder Leberzirrhose unbekannter Ätiologie vorliegt − Allgemeinbevölkerung mit erhöhtem Risiko für HVB-, HCV- oder HIV-Infektion − Vorliegen einer Protozoonose: Babesiose, Trypanosomiasis, Leishmaniasis oder Malaria − Erkrankung an Lues − Erkrankung an Brucellose, Rickettsiose, Lepra, Rückfallfieber, Tularämie − Nach Osteomyelitis im Explantatknochen − Nach manifester Tuberkulose − Bekannte Dauerausscheider von Salmonellen (Typhus- und Paratyphus) − Behandlung mit Hypophysenhormonen − Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung bzw. bei Blutsverwandten mit dieser Erkrankung − Nachweis anderer neurologischer Erkrankungen (Meningitis, Enzephalitis, multiple Sklerose, Polyneuritis) − Patienten mit Kornea- oder Dura-materTransplantaten − Patienten mit Xenotransplantaten − Erkrankungen mit bösartigen Neoplasien (außer einige primäre Tumoren des ZNS) − Regelmäßige Hämodialyse − Regelmäßige systemische Behandlung mit Glukokortikoiden oder anderen Immunsuppressiva
A. Pruss und K. Thiele
• Ausschluss für 2€Jahre − Nach gesichert ausgeheilter Toxoplasmose • Ausschluss für 12€Monate − Nach Diagnose und Behandlung einer sexuell übertragbaren Krankheit − Nach postexpositioneller Impfung gegen Tollwut − Nach Verabreichung Sera tierischen Ursprungs • Ausschluss für 6€Monate − Nach intimen Kontakt mit Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko für HIV, HBV, HCV − Nach Transplantation eines Organs humanen Ursprungs (außer Kornea und Dura mater) − Nach Gabe von Blut oder Plasmaderivaten − Nach unbeabsichtigter Exposition gegenüber Blut durch Stichverletzungen etc. − Nach Akupunktur, falls diese nicht unter aseptischen Bedingungen durchgeführt wurde − Nach Tätowierungen • Sonstige Ausschlusskriterien − Erkrankung an akuter Hepatitis€A oder E unbekannter Ätiologie mind. für 2€Monate − Mögliche Exposition gegenüber Malaria − Nach Besuch Malaria-Endemiegebiet für mindestens 6€Monate − Nach fieberhafter Erkrankung und/oder Durchfallerkrankungen unklarer Ursache für 4€Wochen − Nach Verabreichung von Lebendimpfstoffen für 4€Wochen − Nach Hepatitis-B-Impfung für 3€Wochen − Nach einem unkompliziertem Infekt für eine Woche
Laboruntersuchungen Der zeitliche Abstand von der Blutentnahme für die Laboruntersuchungen bis zur Explantation sollte sowohl beim Lebend- als auch beim Leichenspender möglichst kurz sein, 7€ Tage jedoch nicht überschreiten. Bei Lebendspendern kann die Blutentnahme noch bis zu 7€Tage nach der Gewebeentnahme und bei Leichenspendern noch bis 24€h p.m. durchgeführt werden. Hämodilutionseffekte durch die Gabe von Blut, Blutbestandteilen, Kolloiden
14â•… Revisionsendoprothetik Tab. 14.11↜╇ Infektionsparameter Parameter Anforderungen Anti-HIV-1/2 Negativ Anti-HCV Negativ Anti-HBc Negativa HBs-Antigen Negativ Negativ HCV-RNAb Negativ HIV-RNAb Negativ HBV-DNAb Antikörper gegen Treponema pallidum Negativ a Für den Fall, dass der Anti-HBc-Test positiv und der HBsAgTest negativ ausfallen (z.€B. bei vorbestehender Immunität), sind weitere Untersuchungen (Anti-HBs, HBV-Einzel-PCR) durchzuführen, um eine HBV-Infektion auszuschließen (BÄK 2001) b Bei Leichenspendern: Erst- und Zweittestung als Einzelbestimmung, bei Lebendspendern: ggf. Ersttestung, Zweitestung, validierte Pooltestung möglich. Validierte Virusinaktivierungsverfahren sind in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Endgültige Empfehlungen folgen.
bzw. Kristalloiden innerhalb von 48€ h vor der Blutprobenentnahme müssen mittels eines geeigneten Berechnungsalgorithmus erfasst werden. Proben mit einer Plasmaverdünnung von >â•›50€% dürfen nicht zur Testung verwendet werden. Die Untersuchung der in Tab.€14.11 aufgeführten Parameter ist obligat. Da bei Frauen im gebärfähigen Alter rhesuskompatibel (RhFaktor D) transplantiert werden muss, ist neben der AB0-Blutgruppe der Rhesusfaktor des Knochenspenders zu dokumentieren. Bei gesicherter Entfernung aller Erythrozyten aus dem Transplantat kann auf diese Testung verzichtet werden. Frühestens sechs Wochen nach Entnahme des zur Transplantation vorgesehenen Knochens ist eine zweite Testung des Lebendspenders auf HBsAg, Anti-HBc, HBV-DNA sowie auf Anti-HIV1/2, HIV-RNA und Anti-HCV, HCV-RNA durchzuführen. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die anstehende Novellierung der BÄK-Richtlinie hingewiesen. Auf die zweite Testung kann verzichtet werden, wenn ein validiertes chemisches oder physikalisches Verfahren zur Virusinaktivierung eingesetzt wird. Untersuchung des Explantats Die Explantate müssen visuell und röntgenologisch auf Zeichen von Tumor, Nekrose und Infektion kontrolliert werden. Als bakteriologische Untersuchung ist die Explantatoberfläche vollständig mit Spüllösung zu bedecken mit anschließender Überführung eines Aliquots der Spüllösung
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von je 5–10€ml in ein für aerobe und anaerobe Keime geeignetes Nährmedium mit nachfolgender Bebrütung in einem Blutkultursystem für mindestens sieben Tage. Unmittelbar nach ihrer Entnahme müssen die Knochen mit geeignetem Material hygienisch einwandfrei verpackt werden. Dies kann durch eine Dreifach-Weichverpackung oder eine Einfach-Hartverpackung geschehen. Unmittelbar nach der Entnahme soll das Explantat kältekonserviert werden. Bis zur Überführung in die dauerhafte Kryokonservierung ist außerhalb der Verarbeitungszeit eine Zwischenlagerung der Explantate von –18° bis zu sieben Tagen möglich. Für eine adäquate langfristige Gefrierkonservierung ist eine Lagerungstemperatur von −â•›70° und tiefer bis maximal 5€ Jahre oder von −â•›35€ °C bis maximal 2€ Jahre erforderlich. Für die Transplantation ist eine vollständige Dokumentation mit schriftlicher Einverständniserklärung des Spenders, unterschriebenem Anamnesebogen des Lebendspenders, ärztlicher Bestätigung der Einhaltung der Ausschlusskriterien, Ergebnisse der labormedizinischen und bakteriologischen Untersuchung, ggf. Blutgruppe von Spender und Empfänger, Datum und Uhrzeit der Knochenentnahme und der -transplantation und Kennzeichnung des Knochenexplantats und der dazugehörigen Begleitdokumente zur späteren Identifikation beizulegen. Sämtliche Prozeduren sind schriftlich in Standardarbeitsanweisungen (SOP) festgelegt. Alle Dokumente, die für die Freigabe der Explantate relevant sind, müssen 30€Jahre verwahrt und im Bereich der Knochenbank vorgehalten werden. Hinsichtlich der arzneimittelrechtlichen Dokumentation wird auf das erforderliche QS-System gemäß §Â€ 3 (3) AMWHV sowie die weiteren relevanten Passagen in den Abschn.€14.3 und 14.5 a der AMWHV verwiesen. Spezielle Herstellungsverfahren Um die mögliche Übertragung von Pathogenen zu verhindern, sollte ein Virusinaktivierungsverfahren in den Herstellungs- und Präparationsprozess integriert werden. Chemische und physikalische Verfahren sowie deren Kombination finden hierfür ihren Einsatz. In Deutschland zählen hierzu v.€a. die chemische Behandlung mit Peressigsäure/Ethanol, die Sterilisation mit Gammastrahlen bzw. Kombinationsverfahren sowie die thermische Behandlung mit feuchter Hitze (Marburger Knochenbanksystem). Chemische Behandlung mit Peressigsäure/Ethanol (Pruss et€al. 2003; Brosig et€al. 2005). Wirkmechanis-
A. Pruss und K. Thiele
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mus: Die lipidlöslichen PES-Moleküle, die nicht durch Katalyse inaktiviert werden können, durchdringen alle Zellmembranen, gelangen zu den ungeschützten, oxidationsempfindlichen Stoffwechselenzymen und spalten hier aktiven Sauerstoff ab. Bevorzugt werden Strukturelemente mit SH- oder -S-S Gruppen oxidiert. Der Ethanolzusatz führt im Verfahrensprozess zu einer Herabsetzung der Oberflächenspannung, durch den Unterdruck (200€mbar) werden durch die PES-Reaktion entstehende Gasbläschen entfernt. Wirkungsspektrum:╇ Nachweis einer effizienten Abreicherung von >â•›4€log10 TCID50/ml für klinisch relevante Viren sowie >â•›5€log10€cfu/ml für Bakterien, Pilzen, Sporenbildnern und Sporen. Einschränkungen:╇ Nachteilig zeigt sich eine reduzierte Eindringtiefe, daher werden nur Transplantatgrößen mit max. 15€mm in einer Ebene hergestellt sowie eine verzögerte Einheilung bei Sehnentransplantaten. Sterilisation mit Gammastrahlen (Campbell et€ al. 1994; Fideler et€al. 1994). Wirkungsmechanismus: Die beim Zerfall radioaktiver Elemente entstehende energiereiche Gammabestrahlung (z.€B. 60Cobalt) sabotiert die genetische Information im Zellkern, setzt Defekte und regeneriert Fehler in der späteren Replikation des Erregers. Die Bandbreite der empfohlenen Dosis reichen von 2,5–89,0€ kGy und wird über den D10-Wert in Abhängigkeit von der Temperatur definiert. Der D10-Wert beschreibt die erforderliche Strahlendosis, um den Anfangsvirustiter um 90€% bzw. 1 log10-Stufe zu reduzieren. Bekannte D10-Werte für verschiedene Viren, Bakterien, Sporenbildner und Pilze sind in (Tab.€ 14.12) aufgeführt. Hierbei zeigen sich nichtvirale Mikroorganismen wesentlich strahlensensibler als Viren; zurückzuführen auf die unterschiedliche Genomgröße und der dadurch bedingten erhöhten Trefferquote/Zeit. Bei dem durch die Firma Tutogen angewandten Kombinationsverfahren sichern mehrere Schritte die validierte Abreichung potentieller Erreger. Nach einer Entfettung im Ultraschallbad erfolgen mehrfache Behandlungen in hyperosmotischen bzw. deionisierten Wasserbädern. Nach einer H2O2-Behandlung wird das Gewebe abschließend mit Aceton gewaschen und einer Dehydratation unterzogen. Nach Beendigung der chemischen Behandlung wird das Gewebe mit Gammastrahlen sterilisiert und ist dann bei Raum-
Tab. 14.12↜╇ D10-Werte für ausgewählte Mikroorganismen Mikroorganismus Bovines Parvovirus HIV-2 Hepatitis-A-Virus Pseudorabiesvirus Bovines Virus, Diarrhoe-Virus Streptococcus faecium Clostridium sporogenes Candida crusei Salmonella spp. Bacillus subtilis Escherichia coli Enterobacter spp. Campylobacter jejuni Staphylococcus aureus Pseudomonas aeruginosa Aspergillus niger
D10-Wert (kGy) 7,30 7,10 5,30 5,30 3,00 2,80 1,60 1,16 1,10 0,60 0,31 0,31 0,23 0,20 0,16 0,04
temperatur lagerbar (Hinton et€al. 1992; Gunther et€al. 1998). Thermische Behandlung mit feuchter Hitze (Pruss et€ al. 2003a, b). Wirkungsmechanismus: Derzeitige Umsetzung in Deutschland im Rahmen des Marburger Knochenbanksystems „Lobator-sd-2-System“ bei der Desinfektion von Femurköpfen. Die thermophysikalische Desinfektion beruht auf der Konformitätsänderung von Proteinen in einem Inaktivierungsbereich von ≥â•›82,5€°C für mindestens 15€min. Das System ist in der Lage, zahlreiche Bakterien und virale Infektionserreger ohne wesentliche Beeinträchtigung der Osteokonduktivität sowie der Festigkeit und Struktur des Knochens zu eliminieren. Einschränkung: Sporen und Sporenbildner werden erwartungsgemäß nicht ausreichend inaktiviert. Hinsichtlich der sterilen Entnahme der Femurköpfe im Operationssaal kann dieses jedoch vernachlässigt werden. Fazit Allogene Knochentransplantationen gehören heute weltweit zu den häufigsten Anwendungen allogener Gewebetransplantate, deren therapeutisches Ziel die verbesserte Rekonstruktion von Knochendefekten ist. In Anbetracht der Regelungen des Gewebegesetzes ist die Arbeit lokaler Gewebebanken neu geordnet worden, so dass mittelfristig die Ausbildung größe-
14â•… Revisionsendoprothetik
rer regionaler muskuloskelettaler Gewebebanken zu erwarten ist. Schwerpunkt der Tätigkeit von Gewebebanken ist die umfassende Qualitätssicherung mit Integration von validierten Inaktivierungsverfahren. Es verbleiben jedoch eine Vielzahl von muskuloskelettalen Geweben, die keinem Inaktivierungsprozess unterzogen werden (z.€B. osteochondrale Gewebe, Meniski, Zellkulturen), so dass perspektivisch eine Erweiterung der Verfahren mit konsekutiver Risikominimierung angestrebt wird.
14.6 K omplikationen bei Revisionseingriffen am Hüftgelenk C. Perka und M. Millrose Prinzipiell treten nach Revisionseingriffen am Hüftgelenk die gleichen Komplikationen wie in der Primärendoprothetik auf. Diese sind aufgrund der höheren Komplexität der Operation jedoch häufiger. Prozentual steigt die Anzahl der Komplikationen mit der Zahl der Voreingriffe (Kavanagh und Fitzgerald 1987). Ursachen sind die längere Dauer des Eingriffs, die veränderte Anatomie infolge der Voreingriffe, die sekundäre Schädigung des Knochens durch die Lockerung der Prothese und die oftmals schlechtere räumliche Orientierung. Die typischen Komplikationen sind in Tab.€14.13 aufgeführt.
14.6.1 Gefäßverletzungen Gefäßverletzungen sind in der Revisionsendoprothetik häufiger, da klare anatomische Grenzen oftmals fehlen. Das gelockerte Implantat hat bedingt durch Protrusionen und Wanderung (z.€B. Kranialisierung oder Medialisierung ins kleine Becken) den Knochen zerstört, so dass die pfannennahen Gefäße oftmals nur noch durch Bindegewebe bzw. Muskulatur abgegrenzt sind. Postoperative Blutungen, die eine Revision bedürfen, werden bei Wechseleingriffen in der Literatur mit 2–5€% angegeben (Berry 1992; Morscher et€al. 1989). Diese Zahl erscheint aber aus heutiger Sicht zu hoch. Im eigenen Patientengut liegt dieser Prozentsatz bei etwa 0,3€%. Die gefährdenden Schritte bei der Revisionsendoprothetik sind daher:
551 Tab. 14.13↜╇ Komplikationen bei der Revision von HüfttoÂ�talendoprothesen
Intraoperativ
Postoperativ (früh)
Postoperativ (spät)
Spezifische Komplikationen Gefäßverletzung Nervenverletzung Implantatinstabilität Gelenkinstabilität Azetabuläre oder femorale Fraktur Nachblutung Infekt Wundheilungsstörung Luxation Infekt Luxation Periprothetische Fraktur Heterotope Ossifikation Aseptische Lockerung
Allgemeine Komplikationen Gerinnungsstörung Embolie Kardiopulmonale Komplikationen
Gerinnungsstörung Thrombose Embolie Kardiopulmonale Komplikationen Thrombose Embolie
• Entfernung des am Bindegewebe fixierten Implantats: Dabei kann es insbesondere im Bereich des Pfannenbodens zur Gefäßläsion kommen. Operationen mit ins Becken protrusionierter Komponente sollten daher bevorzugt in Rückenlage mit weitreichender Abdeckung des Operationsfeldes durchgeführt werden, um evtl. über einen zweiten Zugang das geschädigte Gefäß schnell erreichen zu können. Bei ausgeprägter Protrusion ist eine digitale Subtraktionsangiographie durchzuführen, um den Bezug der Pfanne zu den großen Gefäßen darzustellen (Abb.€14.164). Diese Blutungsquelle ist aber selten. Mindestens genauso problematisch, aber häufiger ist das bei protrusionierter Pfannenkomponente oftmals gestaute Venengeflecht im Bereich des Pfannenbodens. Im Zweifelsfall sollte immer über einen ilioinguinalen Zugang zunächst die Innenseite des Beckens dargestellt und die Pfanne von innen nach außen herauspräpariert werden. • Entfernung des Granulationsgewebes und des Zements: Die Entfernung des Granulationsgewebes am Pfannenboden sowie die Entfernung von Knochenzement können ebenfalls zu starken Blutungen führen. Knochenzement, insbesondere im Pfannenbodenbereich, umfließt beim Einbringen Weichteilstrukturen und härtet dann aus. Die Folge ist beim Entfernen des Zementes dann die Gefäßarrosion mit relevanter Blutung.
552
Abb. 14.164↜ Digitale Subtraktionsangiographie (DSA) zur Planung der Revision bei gelockertem und disloziertem BurchSchneider-Ring zur Darstellung der iliakalen Gefäßversorgung
• Spongiosachips: Beim Aufbau knöcherner Defekte, insbesondere bei „uncontained defects“, können scharfkantige Spongiosachips zu Gefäßverletzungen führen. Eine Blutung bei der Impaktion des Allografts muss daher sorgfältig geprüft werden. Vor allem die Kompression scharfkantiger Spongiosachips am Pfannenboden kann zu Gefäßschädigungen führen. Der Verschluss des Pfannenbodens muss daher initial erfolgen (Knochenscheibe, Metallnetz, TMT-Knopf). • Implantatassoziierte Blutungen: Bei der Verwendung von Schraubpfannen mit selbstschneidendem Gewinde besteht ein hohes Blutungsrisiko. Aufgrund der knöchernen Substanzverluste sind in der Revisionsendoprothetik Schraubpfannen mit großem Durchmesser zu implantieren, der sich meist am größeren kraniokaudalen Durchmesser orientiert. In der Sagittalebene sind diese Implantate dann größer als der natürliche Pfannendurchmessser. Die Folge ist das „Durchschneiden“ des meist sowieso defizitären vorderen Pfannenrandes. Die im vorderen Teil dann überstehenden scharfen Schraubzähne führen leicht zu einer Verletzung der A.€ femoralis mit massiven Blutungen. Auch gelockerte Pfannen können zu einer Verdrängung der A. und V.€femoralis führen (Abb.€14.165). Die Verwendung von Schraubpfannen im Revisionsfall sollte daher aus unserer Sicht, trotz guter Einheilungsergebnisse nur erfolgen, wenn ausreichend Knochen in allen Segmenten, vor allem am vorderen Pfannenrand, vorhanden ist.
C. Perka und M. Millrose
• Einbringen der Schrauben: Ein weiteres Blutungsrisiko besteht beim Einbringen der Schrauben (Abb.€14.166). Diese Blutungen sind extrem gefährlich und werden oftmals durch den Operateur nicht wahrgenommen. Jeder Blutdruckabfall während oder wenige Minuten nach Setzen der Bohrlöcher oder Einbringen der Schrauben, ist auf das Vorhandensein einer intrapelvinen Blutung verdächtig und abzuklären. In Abhängigkeit der Schraubenposition sollte dann bei massivem Blutdruckabfall die sofortige Darstellung über einen ilioinguinalen oder retroperitonealen Zugang erfolgen. Ein sofortiges interventionsradiologisches Vorgehen ist bei Verfügbarkeit ebenfalls adäquat. Ist der Blutdruckabfall weniger stark ausgeprägt, kann eventuell durch die kardiovaskuläre Diagnostik im Rahmen der Interventionsradiologie die Blutung erkannt und gestillt werden. ►⌺ Schraubenfehllagen im kleinen Becken stellen eine häufigste Blutungsquelle dar.
• Mediale Pfannenbodenperforation: Besonders gefährdet ist die medial der Tränenfigur am Pfannenboden verlaufende kräftige Arteria obturatoria. Insbesondere bei Operationen, bei denen eine Medialisierung des Pfannenbodens eingetreten oder für die Verankerung geplant ist, besteht hier die Gefahr für eine massive Blutung, wenn im kaudalen Pfannenbereich gearbeitet wird. Das Gleiche gilt für die kaudale Verschraubung von Stützringen, die wir u.€ a. deshalb nur noch in Ausnahmefällen durchführen. Tritt eine Blutung der A.€ obturatoria ein, ist dies zweifellos eine lebensgefährliche Situation. Wir empfehlen hier die sofortige Tamponade und anschließend die Freilegung über einen ilioinguinalen oder Stoppa-Zugang. Die Arterie muss unterbunden werden, weshalb ein Gefäßchirurg nicht unbedingt notwendig ist. • Incisura ischiadica: Bei der Implantation von Stützringen, beim Vorliegen von ausgedehnten kranialen Defekten und bei der Implantation der Sockelpfanne, d.€h. bei allen Techniken mit anatomischer Nähe zur Incisura ischiadica bei der Präparation, besteht die Gefahr der Verletzung der Arteria und/oder Vena glutea superior (vgl. Kap.€14.5.3.1, Abb.€ 14.118). Die Verletzung dieser Arterie kann insbesondere dann, wenn eine Anastomose oder
14â•… Revisionsendoprothetik
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Abb. 14.165↜ Lagebeziehung (a) und potentielle Verdrängung der femoralen Gefäße durch das gelockerte Implantat (b)
ein direkter Ursprung aus der A.€ epigastrica inferior vorliegt, zu massiven Blutungen führen. Das Aufsuchen dieser Arterie ist bei einer einmal eingetretenen Blutung außerordentlich kompliziert. Es existiert eigentlich kein Zugang, mit dem diese Arterie sicher und schnell erreicht werden kann. Nach unserer Erfahrung ist das sofortige Tamponieren obligat. Anschließend muss nach der Kreislaufsituation entschieden werden, ob evtl. unter Mitbeteiligung des Gefäßchirurgen über einen retroperitonealen Zugang die Beckengefäße (A. und V.€iliaca interna) dargestellt werden oder ob interventionsradiologisch die Blutungsstelle zu diagnostizieren und zu therapieren ist. Postoperativ ist die Differenzierung, ob es sich um eine Blutung aus dem Knochen bei zum Teil großen freiliegenden spongiösen Flächen, insbesondere nach Entfernung eines großen Granuloms, handelt oder aber um eine Blutung aus einem Gefäß, außerordentlich schwierig. Zu berücksichtigen ist, dass nach den großen, zum Teil ausgedehnten Eingriffen postoperativ die Gerinnung gestört ist oder es im Rahmen einer beginnenden Verbrauchskoagulopathie zur vermehrten Blutung kommen kann. Zudem wird in den meisten Fällen präoperativ oder kurz postoperativ mit der Thromboembolieprophylaxe begonnen, so dass hier ein weiterer Risikofaktor für eine systemische Störung der Blutgerinnung besteht. ►⌺ Im Zweifelsfall ist bei akuten Blutungen die angiographische Darstellung indiziert!
Postoperativ sollten die Wunde und die Laborparameter, d.€ h. sowohl am Abend des Operationstages als auch am Morgen des ersten postoperativen Tages kontrolliert werden. Bei unklarem Hämoglobinabfall im Verlauf (im Sinne einer subakuten Blutung) stellt das CT die Methode der Wahl dar, um retroperitoneale Einblutungen frühzeitig zu erkennen. Danach muss entschieden werden, ob eine weiterführende interventionsradiologische Diagnostik durchgeführt wird. ►⌺ Die gefährlichsten und massivsten Blutungen führen zu einem retroperitonealem Hämatom, das klinisch oftmals nicht sichtbar ist. Aus diesem Grund fordert jeder unklare Hb-Abfall eine CT-Diagnostik. Klinisch ist in vielen Fällen ist auch eine beginnende Ileus- bzw. Subileussymptomatik wegweisend.
Erwähnt werden müssen auch noch die unmittelbar postoperativ auftretenden Beinvenenthrombosen. Diese sind oftmals Folge der direkten Schädigung der Gefäßwand. Auch hier sollte eine weiterführende Diagnostik (im Regelfall durch Dopplersonographie) und Therapie (in Zusammenarbeit mit dem Gefäßchirurgen) erfolgen.
14.6.2 Postoperative Luxation Die Luxationsrate nach Revisionseingriffen an der Hüfte liegt zwischen 1–27€ % (Berry 1992; Morrey 1997; Paprosky et€al. 1994; Silverton et€al. 1995). Die
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Abb. 14.166↜ (a) a.p.-Röntgenaufnahme einer Hüft-TEP-Versorgung links mit scheinbar unauffälliger Schraubenlage. (b) DSA a.p.-Darstellung der Lagebeziehung beider Schrauben zur Arteria iliaca. In der 2. Ebene ist klar zu erkennen, dass der
Operateur nur knapp an einer schweren Komplikation vorbei gekommen ist. Beide Schrauben befinden sich in unmittelbarer Gefäßnähe
wesentliche Ursache ist dafür die mehrfach operative Schwächung der Muskulatur, der ausgedehntere operative Zugang, das höhere Alter der Patienten und die meist längere Erkrankungsdauer. Zudem resultieren aus der Defektsituation des Azetabulum oftmals eine höhere Inklination der implantierten Komponente und eine Kranialisierung des Pfannenimplantats. Die entscheidenden Faktoren, die die Luxation bedingen, sind die Weichteilspannung, die Weichteilschädigung durch den operativen Zugang bzw. die Voreingriffe und die Pfannen- und Schaftorientierung. Die Ursache ist dabei meist multifaktoriell. Eine verstärkte Anteversion der Pfanne führt zusammen mit einer verstärkten Antetorsion des Schaftes zum dorsalen Impingement und zu einer möglichen vorderen Luxation (Abb.€14.167). Ein ventrales Impingement durch eine Retroversion der Pfanne kann v.€a. Ursache der Luxation sein, wenn gleichzeitig die Antetorsion des Schafts fehlt oder sogar eine Retroversion vorliegt. Hierbei kommt es dann zur hinteren Luxation. Die häufigste Ursache ist eine zu große Inklination der Pfanne, so dass es schon bei geringer Adduktionsbewegung und bei leichter Außenrotation zu einer Luxation des Hüftkopfes kommt. Angestrebt wird eine Inklination von 30–50°. Eine Inklination >â•›55° ist ein großes Risiko für eine Luxation und bei deren Auftreten nahezu immer zu korrigieren. Bei der Auswertung der Röntgenbilder ist darauf zu achten, ob evtl. durch den Voroperateur überhöhte Inlays zur Anwendung kamen, die die Pfanneninklination korrigieren.
Abb. 14.167↜ Antevertierte Pfannenposition mit konsekutivem posteriorem Impingement. Folge war eine rezidivierende Luxation
Zu achten ist auf das Kopf-Hals-Verhältnis. Je geringer der Unterschied zwischen dem Kopf- und dem Halsdurchmesser ist, umso wahrscheinlicher ist das Auftreten einer Luxation infolge eines Hals-Inlay-Impingements. Insbesondere Kopfverlängerungen (XXXXL) werden über einen dicken Kragen auf dem Konus fixiert, wodurch bei deren Einsatz zwar die Weichteilspannung erhöht wird, jedoch das Impingementrisiko steigt.
14â•… Revisionsendoprothetik
►⌺ Bei der Verwendung von Kopfverlängerungen besteht das Risiko, die Luxationsursache einer zu geringen Weichteilspannung gegen das eines Impingements zwischen Halsverlängerung und Inlay zu tauschen. Die Luxationsursache ist daher genau zu bestimmen. Das Aufsetzen eines längeren Halses darf kein Automatismus sein!
Prinzipiell sinkt somit durch die Verwendung großer Prothesenköpfe das Luxationsrisiko. Dies ist insbesondere durch die höhere „Jumping-Distance“ und den größeren Bewegungsumfang größerer Köpfe zu erklären. Diese sind daher insbesondere bei einer geringeren Weichteilspannung indiziert. Fehlstellungen von Komponenten können jedoch durch einen größeren Kopfdurchmesser nicht kompensiert werden. Kommt es postoperativ zur Luxation, so kann die erste Luxation (mit Ausnahme gravierender Implantationsfehler) konservativ behandelt werden. Bei der zweiten Luxation ist eine umfassende Diagnostik im Regelfall mit CT zur sicheren Beurteilung der dreidimensionalen Stellung der Komponenten notwendig. Findet sich hier eine korrekte Stellung der Implantate und ist eine hochgradige Muskelinsuffizienz (z.€ B. Fehlen des proximalen Femur, komplette M.-glutaeus-medius-Atrophie) bekannt, ist nach Reposition die Therapie mit der Gipshose für 6€Wochen nach unseren Erkenntnissen die Methode der Wahl. Sämtliche anderen von uns verwendeten Orthesen konnten in solchen Fällen keine zuverlässige Stabilisierung bieten. Nur in wenigen Fällen kann durch die Verwendung eines Kopfes mit exzentrischer Lage der Steckverbindung und damit möglicher zunehmender Varisierung, Retro- oder Antetorsion des Schaftes eine Verbesserung der Situation erzielt werden. Oftmals ist zwar die Luxation zu beseitigen, funktionell bleibt die Hüfte jedoch unbefriedigend. Nach der zweiten Luxation bzw. bei einer Luxation unter Ruhigstellung ist die operative Revision notwendig. Dabei ist dann die Verwendung einer adäquaten Pfanne die Therapie der Wahl. Nach unseren Erkenntnissen können Schnapp-Inlays keine ausreichende Stabilität bieten. Zudem ist bei einer nochmaligen Luxation, die geschlossene Reposition im Regelfall nicht möglich. Die Verankerung zusätzlicher Kunststoffblöcke mit Schrauben am eigentlichen Inlay liefert ebenfalls meist keine ausreichende Stabilität.
555 Abb. 14.168↜ a.p.-Röntgenaufnahme nach Versorgung mit einer Polar-Cup-Prothese links
Ziel ist es, durch eine Vierfachstrategie die Stabilität des Hüftgelenks wiederherzustellen. Diese beinhaltet: 1. Einstellung der korrekten Position von Pfanne und Schaft, 2. Wahl des größtmöglichen Kopfes (im Regelfall 36€mm), 3. Korrektur der Weichteilsituation durch Muskelreinsertion, Fasziendopplung usw. Liegen keine Strukturen um die Prothese für eine sichere Weichteilanheftung vor, werden die Weichteile über einen MUTARS-Anbindungsschlauch (Implantcast, Buxthude, Deutschland) wie in der Tumorprothetik üblich an der Prothese fixiert, 4. postoperative Ruhigstellung in einer Orthese oder besser einer Gipshose für mindestens 6€ Wochen (für 24€h) und 6€Wochen (12€h tagsüber). Sollten dieses Vorgehen fehlschlagen, ist die Verwendung einer tripolaren Pfanne mit großem Polyethylenkopf, der in einer Metallschale artikuliert zu empfehlen (z.€ B. Polarcup, Smith & Nephew, Marl, Deutschland; Abb.€14.168). Hiermit lassen sich nach unserer Erkenntnis Luxationen nahezu immer verhindern. Diskutiert wird jedoch das Risiko des langfristig verstärkten Polyethylenabriebs. Bisherige Daten liefern dafür jedoch keine Anhaltspunkte. Es sei noch einmal festgestellt, dass diese Möglichkeiten nur dann zum Tragen kommen, wenn die korrekte Position der Pfanne und des Schafts gesichert wurde.
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14.6.3 Infektion Die peripothetische Infektion stellt eine schwerwiegende Lokalkomplikation dar. Die Infektionsrate nach Wechseleingriffen am Hüftgelenk liegt zwischen 1 und 14€% (Berry 1992; Marti et€al. 1990; Zehnter und Ganz 1994). Ein Infektionsverdacht ist insbesondere durch die Schmerzhaftigkeit gekennzeichnet. Ruheschmerz, Persistenz des Schmerzes, ein Wechsel der Schmerzintensität, d.€h. nach initialem Rückgang wieder eine Zunahme der Beschwerden, ein erhöhter Schmerzmittelverbrauch und eine persistierende Sekretion sind typisch für eine Infektion. Laborchemisch sind eine Blutsenkungsgeschwindigkeiten größer 25€mm/h sowie ein erhöhtes crP typische Infektionsparameter. Grundsätzlich ist die Entscheidung zu treffen, ob die Prothese belassen werden kann, welche Prothesenkomponenten zu wechseln sind oder aber ob die Prothese komplett auszubauen ist. Eine ausschließliche Antibiotikatherapie ist allenfalls für alte, multimorbide unkooperative oder demente Patienten, bei denen eine Operation nicht möglich ist, indiziert. Weitere Voraussetzungen für eine ausschließliche Antibiotikatherapie sind ein niedrig virulenter Organismus, eine Sensibilität des Keims gegenüber dem Antibiotikum und eine feste Prothese. Sind die Voraussetzungen nicht gegeben, ist in jedem Fall eine Operation indiziert. Eine prothesenerhaltende operative Therapie erfolgt, wenn die Primärimplantation weniger als 3€ Wochen zurückliegt oder ein hämatogener Spätinfekt vorliegt, bei dem die Symptomdauer kürzer als eine Woche ist. Voraussetzungen für eine gelenkerhaltende Operation sind somit: • kurze Symptomdauer, kürzer als 3€ Wochen nach Implantation beim Frühinfekt oder weniger als eine Woche beim Spätinfekt, • festsitzende Prothese, • Sensibilität des Keims gegen Antibiotika, • adäquate Weichteilsituation und • immunkompetenter Patient. In diesen Fällen kann durch ein radikales Debridement, eine ausgiebige Spülung, den Wechsel aller modularen Teile (im Regelfall Kopf und Inlay), die mechanische Reinigung der Prothesenkomponenten sowie einer gezielten Antibiotikatherapie das Gelenk erhalten werden. Im Regelfall ist hier eine Kombinationstherapie anzustreben wobei die Kombination mit
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Rifampicin besonders hohe Heilungsraten verspricht (Zimmerli 1998). Umstritten ist das Vorgehen bei MRSA- und MRSEInfektionen. Wir empfehlen hier die Prothese sofort zu entfernen, da die Antibiotikaanwendung auf ein oder wenige Präparate beschränkt ist. Das Fehlschlagrisiko ist hoch und häufig bei einer Resistenzentwicklung kein weiteres Reserveantibiotikum verfügbar. Schlägt ein Erhaltungsversuch fehl, sollte die Prothese ausgebaut werden. Ein nochmaliger Versuch ist nicht indiziert. Ausnahme sind hier lediglich Megaprothesen bzw. prothetische Versorgungen bei Tumorpatienten. In diesen Fällen ist individuell zu entscheiden, d.€h. dass möglicherweise durch ein mehrfaches Debridement die Keimzahl so weit reduziert werden kann, dass unter Antibiotikatherapie der Infekt zwar nicht saniert, aber supprimiert ist und zu keiner klinischen Symptomatik führt. Ein solches Vorgehen ist mit dem Patienten abzustimmen. Bezüglich der Wechselstrategien sei auf das entsprechende Kapitel verwiesen.
14.6.4 Nervenschädigungen Nervenläsionen, die nach Primäroperationen etwa in 1€% der Fälle auftreten, werden nach Revision ebenfalls häufiger beobachtet. Gründe dafür sind der erweiterte Zugang, die Komplexität des Eingriffs und die beim Revisionseingriff veränderte Anatomie mit einschließlich vorliegender zum Teil erheblicher Narbenbildung. Außerdem sind Veränderungen der mechanischen Situation, z.€B. die Verlagerung des Rotationszentrums mit Verlängerung des Beins und entsprechender Dehnung des Nervens möglicherweise ursächlich für die Nervenschädigungen. Am häufigsten betroffen ist der peroneale Anteil des N.€ ischiadicus. Dessen Schädigung ist mit dem typischen Bild des Ausfalls der Zehenheber und insbesondere des Großzehenhebers sowie des Taubheitsgefühls auf dem Bereich des Fußrückens und der Unterschenkelaußenseite gekennzeichnet. Ebenso häufig, klinisch jedoch oftmals schlechter nachweisbar, scheinen Schädigungen des N.€ gluteus superior zu sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Verlängerung des lateralen oder anterolateralen Zuganges nach kranial durchgeführt wird. Insbesondere der in Mitteleuropa bevorzugte transgluteale Zugang führt bei kranialen Verlängerungen
14â•… Revisionsendoprothetik
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M. tensor fasciae latae N. gluteus superior
Caput femoris
M. gluteus minimus
M. vastus intermedius
Abb. 14.170↜ Hüft-TEP links mit heterotopen Verknöcherungen (Brooker III) M. vastus lateralis
M. gluteus medius Trochanter major
Abb. 14.169↜ Lage des N.€glutaeus superior beim transglutealen Zugang. Eine Zugangserweiterung über 4€cm nach kranial beinhaltet ein hohes Risiko für einen Nervenschaden
oftmals zur Schädigung des N.€ gluteus superior und damit zur permanenten Parese des M.€gluteus medius (Abb.€14.169). Infolge der fehlenden knöchernen Abgrenzung ist jedoch auch der N.€femoralis oftmals betroffen. Hauptursache hier ist das Einsetzen des Hakens im ehemals ventralen Azetabulumbereich, wodurch beim Vorliegen entsprechender Wanddefekte eine enge räumliche Beziehung der verbliebenen knöchernen Restsubstanz zum N.€ femoralis gegeben ist. Dessen Schädigung ist jedoch durch eine streng am Knochen orientierte Präparations- und Einsatztechnik der Haken nahezu sicher zu vermeiden. Schädigungen des N. obturatorius sind prinzipiell möglich, bilden jedoch die Ausnahme. Die Therapie erfolgt in einer Lagerung mit Entlastung des geschädigten Nerven und im Regelfall dem sofortigen Beginn eines „Glukokortikoidschemas“. Es gibt jedoch für ein solches Schema bisher keinen Standard. Insbesondere aus forensischen Gründen ist jedoch die sofortige Hinzuziehung eines Neurologen dringend zu empfehlen. Inwiefern physiotherapeutische Maßnahmen, insbesondere elektrische Stimulationsmaßnahmen Vorteile bringen, ist umstritten. Prognostisch günstig ist eine verbliebene Restfunktion. In diesen Fällen ist nahezu immer von einer weitestgehenden Erholung auszugehen. Femorale Läsionen haben eine bessere Tendenz zur Erholung als Läsionen des N.€ischiadicus. In einer Übersichtsarbeit
konnte gezeigt werden, dass sich 41€% der Läsionen komplett und 44€ % der Läsionen teilweise erholen. Bei 15€% der Patienten bleibt ein relevantes Restdefizit bzw. eine persistierende Schmerzhaftigkeit (sog. Kausalgie, Schmalzried et€al. 1997).
14.6.5 Heterotope Ossifikationen Heterotope Ossifikationen nach Revisionseingriffen sind heute nicht mehr häufiger als nach Primäreingriffen (Abb.€ 14.170). Ein Risiko besteht vor allem bei Patienten, bei denen bereits bei der Primäroperation massive heterotope Verkalkungen entstanden sind. Neben der üblichen Prophylaxe mit nichtsteroidalen Antirheumatika (z.€ B. 3-mal 25€ mg Indometazin) ist auch eine einmalige prä- oder kurz postoperative Bestrahlung (7€ Gy innerhalb der ersten 24€ h) möglich. Die unmittelbar postoperative Bestrahlung ist bei dem oftmals im Allgemeinzustand noch deutlich eingeschränkten Patienten aufwendiger und komplizierter. Liegen zum Zeitpunkt des Revisionseingriffs Ossifikationen vor und liegt der Ersteingriff weniger als 1€Jahr zurück, ist die Durchführung einer Szintigraphie zu empfehlen, um präoperativ die Aktivität der Ossifikation zu bestimmen. Bei einem Verhältnis der szintigraphischen Anreicherung in der ossären Phase von >â•›1,5 gegenüber der Gegenseite ist von einem deutlich erhöhten Ossifikationsrisiko auszugehen, so dass wir in diesen Fällen auf jeden Fall eine Bestrahlung empfehlen. Der Patient ist über ein höheres Risiko des Wiederauftretens von Ossifikationen aufzuklären.
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►⌺ Das Auftreten heterotoper Ossifikationen, insbesondere außerhalb der typischen Stelle im Bereich des M. gluteus medius, stellt stets auch ein Verdachtszeichen für das Vorliegen einer Infektion dar. Entsprechende der Labordiagnostik und eventuelle Lokaldiagnostik durch Aspiration/Punktion bzw. lokale Gewebsentnahme sind daher dringend anzuraten.
der Anzahl der Lastwechsel funktioniert. Im Regelfall geschieht durch die weit überwiegende Zahl der Patienten die Belastung des Beins unkontrolliert. Aus diesem Grund muss die Versorgung eine ausreichende Stabilität haben, damit postoperativ die Mobilisierung mindestens im Dreipunktgang möglich ist. Das Treppensteigen erfolgt somit im Nachstellschritt. In der Regel gilt, jeder Patient sollte baldmöglichst nach der Operation aufstehen.
14.7 Postoperative Maßnahmen
14.7.2 Thromboembolieprophylaxe
C. Perka
Von außerordentlicher Relevanz ist die Thromboembolieprophylaxe. Die Säulen der Thormboembolieprophylaxe auch in der Revisionsendoprothetik sind: • medikamentöse VTE-Prophylaxe, • physikalische Prophylaxe, • Frühmobilisation. Die medikamentöse Prophylaxe sollte nach modernen Standards mit oralen Medikamenten (Dabigatran, Rivaroxaban) oder niedermolekularen Heparin durchgeführt werden. Bei bekannter Heparinunverträglichkeit ist Fondaparinux zu empfehlen. Die medikamentöse Prophylaxe beginnt am Vorabend mit niedermolekularen Heparinen. Bei oralen Medikamenten beginnt sie 4€Stunden postoperativ, mit Fondaparinux 6€Stunden postoperativ. Es wird erwartet, dass sich der postoperative Beginn zunehmend durchsetzt. Die Thromboembolieprophylaxe ist entsprechend der geltenden Leitlinien für 28–35€Tage nach der Operation zu gewährleisten. Eine Verlängerung dieses Zeitrahmens ist nur bei ungenügender Mobilisierung notwendig. Inwiefern eine zusätzliche Behandlung mit Kompressionsstrümpfen Sinn macht, ist umstritten. Wissenschaftlich validierte Zahlen fehlen hier. Im Regelfall ist bei den erheblichen Schwellungszuständen hüftgelenksnah eher ein Einschnüren durch die Kompressionsstrümpfe bzw. ein Herunterrutschen zu beobachten als eine wirkungsvolle Kompression. Strümpfe machen nur bei optimaler Passform Sinn. Wir verwenden sie daher nicht mehr und stützen uns dabei auf die Studie im „Lancet“ (Dennis et€al. 2009). Als außerordentlich unterstützend, insbesondere zur Entstauung der betroffenen Extremität, haben sich pneumatische Pumpsysteme (intermittierende pneumatische Kompression) erwiesen. Wichtigster Punkt bleibt jedoch die Frühmobilisierung des Patienten. Ist die Frühmobilisierung nicht möglich, sollte durch
Die postoperativen Maßnahmen, insbesondere die Rehabilitation, verlangen in der Hüftrevisionsendoprothetik ein hohes Ausmaß an Individualität. Generelle Empfehlungen sind kaum zugeben. Hinzuweisen ist jedoch auf folgende Punkte:
14.7.1 Dauer der Bettruhe Eine Entlastung des Hüftgelenks nach der Operation ist de facto nicht möglich. Wie bereits Bergmann in den 90er Jahren zeigen konnte, werden beim normalen Stehen und Gehen Kräfte im Hüftgelenk frei, die etwa dem 2- bis 3fachen des Körpergewichts entsprechen. Solche Hüftkontaktkräfte sind jedoch auch bei Belastungen im Bett (z.€ B. Setzen auf den Schieber) und physiotherapeutischen Beübungen mit Anspannung der Muskulatur zur erreichen, so dass eine Bettruhe, hinsichtlich der Entlastung des Hüftgelenks, keine Erfolgsaussichten hat (Bergmann et€al. 1993). Eine Bettruhe kann • aufgrund des Allgemeinzustands sowie • aufgrund ausgiebiger operationsbedingter Weichteilalteration, die zu erheblichen postoperativen Schwellungen und Schmerzzuständen führen oder • Maßnahmen der Weichteilreinsertion bzw. bei Weichteilplastiken indiziert sein, de facto jedoch nicht aufgrund der unzureichenden mechanischen Stabilität der Implantatverankerung. Für die postoperative Belastung, wenngleich auch wir Waagen einsetzen, um den Patienten ein Gefühl für die Teilbelastung zu geben, ist festzustellen, dass diese Belastungslimitierung allenfalls hinsichtlich
14â•… Revisionsendoprothetik
Techniken wie Atemgymnastik, Spannungsübungen sowie passive Mobilisationstechniken der Blutfluss stimuliert werden. Kurzfristig empfehlen wir zwei Unterarmgehstützen für 4–6€ Wochen, bis ein sicherer Gang erreicht wird. In der langfristigen Nachbehandlung ist darauf zu achten, dass wenn eine Glutealinsuffizienz vorliegt, die Verordnung einer Abstützhilfe für die Gegenseite vorgenommen wird. Dabei ist mit dem Patienten gemeinsam zu evaluieren, ob es eine Unterarmgehstütze oder ein Gehstock sein soll. Eventuell ist jedoch die Weiterführung der Verwendung von 2 Unterarmgehstützen zum Erhalt der Gangsymmetrie zu erwägen.
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einer „Mahnbandage“ für den Patienten können jedoch unterstützend sein. Für die Vermeidung von Extrembewegungen ist im Einzelfall zu erwägen, inwiefern besondere Voraussetzungen (Toilettensitzerhöhung) zu schaffen oder Hilfsmittel (Strumpfanziehhilfen, Greifzangen u.€a.) notwendig sind. Bei länger dauernder Immobilisierung bzw. zu erwartendem persistierenden Funktionsdefizit sollte die Verordnung weiterer Hilfsmittel, wie die Montage von Haltegriffen an den Toiletten, die Verordnung eines Duschhockers, eines Duschklappsitzes, eines Wannenbretts oder eines Wannenlifters geprüft werden. Für die Sitzerhöhung haben sich die Arthrodesekissen und ähnliche Hilfsmittel bewährt. Als Lagerungshilfe zur Nacht ist die Verordnung eines Abduktionskeils oder -kissens hilfreich.
14.7.3 Luxationsprophylaxe Die Luxation stellt eines der häufigsten Probleme nach Hüft-TEP-Revisionseingriffen dar. Die Häufigkeit wird mit 1–27€% in der Literatur angegeben (siehe Kap.€ 14.6.2). Die Luxationsrichtung unterscheidet sich grundsätzlich nach dem gewählten Zugang. Während bei einem anterolateralen oder lateralen Zugangsweg im Regelfall eine vordere Luxation zu erwarten ist, sind es bei den hinteren Zugangswegen hintere Luxationen. ►⌺ Die Luxationsprophylaxe hat daher unbedingt den gewählten operativen Zugang zu berücksichtigen.
Bei vorderen Zugängen sollte die Adduktion und Außenrotation für mindestens 3€ Monate vermieden werden. Bei hinteren Zugängen sind Adduktions- und Beugebewegungen über 90° für die Dauer von die gleiche Zeit verboten. Aussagen zur Luxationsprophylaxe sollten sich im OP-Bericht finden, da Abweichungen von diesen Standards aufgrund von Voroperationen, vorbestehender Narben und muskulärer Imbalancen möglich sind. Tritt eine Luxation auf, so ist diese beim ersten Mal im Regelfall konservativ, d.€h. durch Reposition unter Narkose zu behandeln. Ab einer zweiten Luxation bedarf es einer weiterführenden Diagnostik und oft einer operativen Therapie (s.€Kap.€14.6). Inwiefern die Verwendung von zusätzlichen Bandagen und Hilfsmitteln sinnvoll ist, ist in der Literatur umstritten. Steife Korsetts werden heute nur noch selten verwendet. Bandagen für das Hüftgelenk im Sinne
14.7.4 Beinlänge Beinlängenunterschiede sollten ab einer Beinlängendifferenz von 1€ cm ausgeglichen werden. Der Beinlängenausgleich sollte im Regelfall nicht sofort nach der Operation erfolgen, da nach Aufdehnung und Kräftigung der hüftumgebenden Muskulatur häufig eine vorbestehende Adduktions- oder Abduktionskontrakur beseitigt und somit die funktionelle Beinlängendifferenz beeinflusst wird. Die exakte Bestimmung der Beinlänge ist erst nach etwa 12€Wochen mit dem Erreichen der Vollbelastung und der Beseitigung der wesentlichen Kontrakturen möglich. Bis dahin ist nach unserer Erfahrung ein partieller Beinlängenausgleich empfehlenswert. Die Unterkorrektur beträgt 0,5–1€cm, da sonst eine z.€ B. bestehende Adduktionskontraktur weiter bestehen bleiben kann. Natürlich erfolgt dieser „temporäre Ausgleich“ zunächst nur für ein Paar Schuhe.
14.7.5 Physiotherapie Die abschwellende Therapie im Operationsgebiet erfolgt mit Physiotherapie, mit der unmittelbar nach der Operation begonnen wird. Die Kryotherapie sollte im Regelfall nur tagsüber durchgeführt werden, da nachts die Gefahr des Verrutschens der Eisbeutel besteht. Wichtig ist die Verhinderung der zu starken Kühlung des Gewebes, die sonst zu einer reaktiven Schwellung führen kann. Dies ist durch kurze Küh-
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lungsintervalle und das Ummanteln der Kühlkissen zu erreichen. Zur Entstauung können neben des Einsatzes einer Pumpe auch Techniken der manuellen Lymphdrainage eingesetzt werden. Im Vordergrund bei Revisionseingriffen stehen eindeutig Dehnungsübungen der hüftumgebenden Muskulatur, wobei die Mobilisation des Gelenks im schmerzfreien Bereich unter Verwendung kurzer Hebel erfolgen muss. Beübt werden sollten dabei aufgrund der Angaben zur Luxationsgefährdung insbesondere die Flexion und Abduktion des Beins, da diese beiden Bewegungsrichtungen auch im Alltag die größte Relevanz haben. Selbstverständlich ist beim Vorliegen vorbestehender Streckdefizite diese Bewegungsrichtung ebenfalls zu trainieren. Die Festlegung der Belastung muss durch den operierenden Arzt erfolgen. Dabei gilt, dass eine Versorgung, bei der nur passive physiotherapeutischer Maßnahmen erlaubt werden, durch die alltäglichen Belastungen des Patienten in höchstem Maße gefährdet ist. Die Kräftigung der Muskulatur ist die Aufgabe des zweiten Abschnitts der Rehabilitation, die im Regelfall nach der 12.€Woche, d.€ h. mit Erreichen einer stabilen Situation, bei den Implantaten beginnt. Bis dahin stehen die Dehnungstherapie bzw. Grifftechniken und zur PNF abgewandelte Bewegungsmuster im Vordergrund. Nicht angewendet werden sollten jedoch Mobilisierungstechniken der manuellen Medizin. Koordinative Trainingstechniken können im Stehen bzw. bei ungenügender Standsicherheit auch im Sitzen durchgeführt werden. In der Spätphase bei ausreichender Stabilisierung des Hüftgelenks sind dann Übungen der aktiven Krankengymnastik, der Sporttherapie und der medizinischen Trainingtherapie patientenund befundabhängig indiziert. Auch hier erfolgt die Übungsbehandlung im geschlossenen System. Es sollten auch hier kurze Hebel bei den Übungstechniken Verwendung finden. Grundsätzlich gilt, dass häufige Wiederholungen mit geringem Widerstand einer geringen Zahl von Übungen mit Entwicklung der Maximalkraft eindeutig vorzuziehen sind. In dieser Phase sind dann auch beckenstabilisierende Übungen für die Bauch- und Rückenmuskulatur mit in das Übungsprogramm einzubauen. Zielstellung sollte dabei immer das Erlernen eines Trainingsprogramms zum selbstständigen Üben sein, da eine dauerhafte Verordnung von Physiotherapie weder ökonomisch möglich, noch sinnvoll ist.
Generell ist auszusagen, dass die Mitbehandlung von benachbarten Gelenken (insbesondere der Wirbelsäule und des Kniegelenks) häufig notwendig ist, da durch den lang andauernden Krankheitsverlauf hier sekundäre Schädigungen eingetreten sind. Insbesondere ist auf Fußfehlstellungen zu achten. Langfristig ist die Wiederaufnahme sportlicher Aktivitäten, heute auch in den meisten Fällen der Revisionsendoprothetik, möglich. Dies ist selbstverständlich vom Zustand der hüftgelenksumgebenden Muskulatur und der Stabilität der Verankerung der Komponenten abhängig. High-impact-Sportarten sind nicht zu empfehlen. Empfohlen werden können leichtes Joggen, Nordic Walking, Radfahren, Schwimmen und Skilanglauf, sofern diese Übungen auch vor der Operation durchgeführt wurden.
14.8 N achuntersuchung nach Hüftrevisionsendoprothetik C. Götze Die Durchführung eines Hüfttotalendprothesen(HTEP-)Wechseleingriffs bleibt Bestandteil der Versorgungsstruktur für den betroffenen Patienten. Während hingegen Früherkennung, Diagnosestellung und Therapie der gelockerten Hüftgelenkstotalendoprothese per Datenlage zufriedenstellend dokumentiert sind, bleibt die mittel- bis langfristige Nachversorgung eines solchen Eingriffs bis heute nicht standardisiert dargestellt. Im Folgenden soll versucht werden ein klinisch orientiertes Nachsorgekonzept zu erstellen.
14.8.1 Z eitlicher Ablauf der Revision im Follow-up-Schema Die Hüftendoprothesenrevision kann in verschiedene Phasen, die sich zum Teil überlappen, unterteilt werden: • Phase€I: Zeit zwischen ersten klinischen Beschwerden und der Diagnose einer Prothesenlockerung, • Phase€ II: Zeit zwischen der Sicherung der Diagnose und der operativen Revision, • Phase€ III: Nachbehandlung im Akutkrankenhaus und in der Rehabilitatonseinrichtung, • Phase€IV: Nachbehandlung außerhalb von stationären Einrichtungen.
14â•… Revisionsendoprothetik
Die Dauer der einzelnen Phasen ist sehr unterschiedlich und abhängig von mehreren Faktoren: Neben dem Alter spielt die rechtzeitige Diagnosestellung eine besondere Rolle. Intraoperativ beeinflussen die operative Rekonstruierbarkeit der Defekte und die Technik des Revisionseingriffs den Verlauf. Die Spannweite reicht von der einfachen Wechselsituation bis hin zum totalen Femurersatz und ist durch den periprothetischen Knochenverlust sowie die Muskelschädigung geprägt. Die Belastbarkeit des operierten Beins variiert durch die operative Technik. Die Anzahl der Patienten in den einzelnen Phasen ist sehr unterschiedlich, wobei sich der größte Anteil der Patienten in der Phase-IV-Nachsorge außerhalb der akuten und rehabilitativen Einrichtung befindet. Während die Datenlage bezüglich Diagnosestellung und Therapieverfahren in der Revisionschirurgie als zufriedenstellend angesehen werden kann, ist die Strategie für die Nachbehandlung bis heute nicht standardisiert. In keiner Studie zur Nachsorge wird ein differenziertes Konzept für die postoperative Kontrolle der betroffenen Patienten angezeigt. Zudem unterscheidet sich die septische von der aseptischen Revision in der Nachsorge. In diesem Kapitel soll versucht werden, ein Konzept darzustellen, das den Patienten langfristig nach der durchgeführten Revision unterstützt.
14.8.2 W ie sollte die Nachsorge durchgeführt werden? ►⌺ Eine ambulante postoperative 3-Monats-Kontrolluntersuchung in der Klink, in der die Revision durchgeführt wurde, sollte obligat sein. Bestehende Restbeschwerden und Muskelinsuffizienzen bedürfen einer weiteren ambulanten Kontrolluntersuchung 6€Monate postoperativ.
Danach ist eine weiterführende Kontrolluntersuchung durch den niedergelassenen Facharzt, der möglichst in der Endoprothetik kompetent und versiert ist, durchzuführen. Die Nachsorge sollte individuell ausgerichtet sein und möglichst vom selben Arzt ausgeführt werden. Im Vordergrund stehen die Schmerz- und Beschwerdeanamnese sowie die klinische Untersuchung. Nur bei klinischen Hinweisen oder auffälligen Symptomen besteht die Notwendigkeit einer zusätzlichen apparativen Diagnostik. Eine gute Dokumentation sowohl zum
561
Nutzen des Patienten wie auch des Arztes ermöglicht eine qualifizierte Nachuntersuchung. Standardisierte Fragen und Untersuchungsbögen, wie z.€B. der Harris-Hip-Untersuchungsbogen (Harris 1969) ermöglichen eine vergleichende Beobachtung zu den vorangegangenen Untersuchungen (Tab.€ 14.14). Bewertet werden subjektive, wie Schmerz, Gehstrecke und Mobilität, und objektive Faktoren (Beweglichkeit des operierten Gelenks). Die klinische Untersuchung umfasst die Inspektion der Narben- und Wundverhältnisse, das Vorliegen von Infektzeichen sowie die Gangbeurteilung. Gangunsicherheiten und Muskelinsuffizienzen könnten ggf. durch Bewegungsanalysen im Ganglabor differenzierter dargestellt und somit selektiv therapiert werden. In der Bewegungsprüfung, die in Extension/Flexion, Rotationsprüfung in Streckstellung und 90° Hüftbeugung durchgeführt wird sowie in der Ab- und Adduktionsbewegung kann der Erfolg der Revision und deren Schmerzreduktion selektiv für das Hüftgelenk analysiert werden. Insbesondere die Rotationsbewegung bewirkt einen maximalen Stress auf das operierte Hüftgelenk. Eine erneute Lockerung des Prothesenschafts bei der Bewegungsüberprüfung kann sich in einer Schmerzreaktion des Patienten ausdrücken. ►⌺ Die Innenrotation und die Außenrotation des 90° gebeugten Hüftgelenks gegen Widerstand sind die sensibelsten klinischen Tests für das Vorliegen einer Schaftlockerung.
Neben der klinischen Untersuchung vervollständigt die native Röntgenbildgebung in 2 Ebenen die Nachuntersuchung. Die korrekte Lage des Beckens und ein reproduzierbarer Film-Fokus-Abstand sind einzuhalten (Abb.€14.171 und 14.172). Nach septischen Prothesenwechseleingriffen sollte eine Kontrolle der Entzündungsparameter (crP, BSG) erfolgen. Laborchemische Untersuchungen sollten in den ersten 6€ Monaten postoperativ im Abstand von 4€ Wochen ducrhgeführt werden. In der Folgezeit ist heute nur eine klinische Beurteilung erforderlich. Nur bei erneutem Infektverdacht (Schmerzzunahme!) ist die Analyse der Entzündungsparameter zu wiederholen. Bei laborchemischem Infekthinweis ist die Punktion des operierten Gelenks notwendig. Neben der Bestimmung der Leukozytenzahl im Punktat sind der Erreger und dessen Resistenzen mikrobiologisch zu bestimmen.
C. Götze
562
Tab. 14.14↜╇ Nachuntersuchungsscore (Harris-Hip-Untersuchungsscore) Klinischer Hüftscore nach Harris Punktzahl (0 bis max. 100 Punkte) I. Schmerz (max. 44 Punkte) A. Kein B. Leicht, gelegentlich C. Gering, ohne Einfluss auf übliche Belastung, gelegentlich Analgetikum D. Erträglich, Begrenzung der normalen Aktivitäten oder beruflicher Tätigkeit E. Stark, schwere Einschränkung normaler Aktivität F. Ruheschmerz, bettlägerig, starke Behinderung II. Funktion (max. 47 Punkte) A. Gangbild (max. 33 Punkte) 1. Hinken a. kein Hinken b. leichtes Hinken c. mäßiges Hinken d. starkes Hinken mit Gehhilfe 2. Gehhilfen a. keine Gehhilfen b. ein Gehstock nur für lange Strecken c. ein Gehstock auch für kurze Strecken d. eine Unterarmgehstütze e. zwei Gehstöcke f. zwei Unterarmgehstützen g. Gehwagen i. nicht gehfähig 3. Gehleistung a. unbegrenzt b. ca. 1000€m c. ca. 500€m d. nur im Haus/in der Wohnung e. nicht gehfähig B. Aktivitäten (max. 14 Punkte) 1. Treppensteigen a. problemlos möglich b. Festhalten am Treppengeländer c. mit Nachziehen des Beines d. nicht möglich 2. Öffentliche Verkehrsmittel a. Benutzung möglich b. Benutzung nicht möglich 3. Sitzfähigkeit a. jeder Stuhl für eine Stunde b. hoher Stuhl für ½ Stunde c. nicht beschwerdefrei sitzfähig 4. Schuh- und Strumpfanziehen a. ohne Schwierigkeiten beides möglich b. mit Schwierigkeiten, aber noch möglich c. beides nicht möglich III. Deformität (max. 4 Punkte)
44 Punkte 40 Punkte 30 Punkte 20 Punkte 10 Punkte 0 Punkte
11 Punkte 8 Punkte 5 Punkte 0 Punkte 11 Punkte 7 Punkte 5 Punkte 4 Punkte 3 Punkte 2 Punkte 1 Punkt 0 Punkte 11 Punkte 8 Punkte 5 Punkte 2 Punkte 0 Punkte
4 Punkte 2 Punkte 1 Punkt 0 Punkte 1 Punkt 0 Punkte 5 Punkte 3 Punkte 0 Punkte 4 Punkte 2 Punkte 0 Punkte
14â•… Revisionsendoprothetik
563
Tab. 14.14 Fortsetzung A.
Beugekontraktur ╛╛30 Grad 0 Punkte B. Adduktionskontraktur ╛╛10 Grad 0 Punkte C. Innenrotationskontraktur in Extension ╛╛10 Grad 0 Punkte D. Beinlängendifferenz ╛╛3€cm 0 Punkte IV. Bewegungsumfang (max. 5 Punkte) A. Flexion 0–45 Gradâ•›×â•›1,0 max. 45 Punkte max. 27 Punkte 45–90 Gradâ•›×â•›0,6 max. 6 Punkte 90–110 Gradâ•›×â•›0,3 max. 0 Punkte 110–130 Gradâ•›×â•›0,0 B. Abduktion 0–15 Gradâ•›×â•›0,8 max. 12 Punkte max. 1,5 Punkte 15–20 Gradâ•›×â•›0,3 max. 0 Punkte 20–45 Gradâ•›×â•›0,0 C. Adduktion max. 3 Punkte 0–15 Gradâ•›×â•›0,2 â•›>â•›15 Gradâ•›×â•›0,0 max. 0 Punkte D. Außenrotation 0–15 Gradâ•›×â•›0,4 max. 6 Punkte max. 0 Punkte >â•›15 Gradâ•›×â•›0,0 E. Innenrotation max. 0 Punkte Keine Vorgabeâ•›×â•›0,0 F. Extension Keine Vorgabeâ•›×â•›0,0 max. 0 Punkte Errechnete Punktzahl aus Flexion, Abduktion und Außenrotation werden addiert (max. 100,5 Punkte) und dann mit 0,05 multipliziertâ•›=â•›Maß der Beweglichkeit (max. 5,025 Punkte)
Weder die 3-Phasen-Skelettszintigraphie noch die Bestimmung der Entzündungsparameter bieten in diesen Fällen eine ausreichend hohe Spezifität.
14.8.3 Dauer der Nachsorge ►⌺ Eine jährliche Kontrolle sollte standardisiert zumindest in Form einer klinischen Untersuchung erfolgen. Bestehen Beschwerden, sollte ein radiologischer Vergleich zum unmittelbar postoperativen Befund herangezogen werden.
Idealerweise erhält der Patient ein Röntgenbild zum Zeitpunkt der stationären Entlassung. Veränderungen der Implantatposition können so beurteilt werden. Eine Abklärung mittels 3-Phasen-Skelettszintigraphie empfiehlt sich nur bei klinischen Beschwerden und radiologisch unauffälligen Befund. Frühester Zeitpunkt sind 12€Monate postoperativ, um Fehlinterpretationen einer positiven Anreicherung zu vermeiden. Computertomographien sind nicht geeignet, Lockerungen der Implantate darzustellen. Eine standardisierte Röntgenuntersuchung in 2€ Ebenen sollte auch ohne klinische Symptome alle 5€ Jahre erfolgen, um einem frühzeitigen Verschleiß
564
C. Götze
Abb. 14.171↜ Konstantes klinisches und radiologisches Follow-up nach Hüfttotalendoprothesenrevison bei gelockerter Schraubpfanne. (a) Primärimplantation einer zementfreien HüftTEP (Typ Mecron) bei einem 45-jährigen Patienten aufgrund einer rechtsseitigen Hüftkopfnekrose (1989). (b) Azetabuläre Komponentenlockerung 1999, 10€ Jahre nach Primärimplantation. (c) Revision auf längsovale Revisionspfanne (LOR, Zim-
mer, Winterthur, Schweiz) mit zentrischen Inlay und Wechsel des Kugelkopfes unter Belassen der Hüftschafts. (d) Follow-up 2007, 8€Jahre nach der Revision mit guten klinischen Ergebnisse bei sekundärer Osseointegration der zementfreien Revisionspfanne. Unveränderter Sitz der zementfreien Revisionspfanne im Verhältnis zu den knöchernen Landmarken (Köhler-Tränenfigur). Kein Lockerungssaum entlang der Schrauben
Abb. 14.172↜ (a) Hüft-TEP Infekt bei einem 53-jährigen Patienten. (b) Zweizeitiger Wechsel mittels Antibiotika-Spacer als Platzhalter 02/2002. (c) Hüft-TEP-Reimplantation 05/2002 auf zementierte PE-Pfanne und zementfreien modularen Revisionsschaft (Mutars Revisionsschaft, Implantcast, Buxtehude,
Deutschland). (d) Follow-up-Kontrolle 5€ Jahre postoperativ (06/07) mit unauffälligen radiologischen Verlauf bei zementfreiem modularem Revisionsschaft. Kein Hinweis von Sinterungen des Femurschafts, keine periprothetischen Osteolysen, Saumbildungen
der Gelenkpartner zu erkennen. Durch eine zeit- und zielgerichtete Untersuchung können Folgeschäden wie periprothetische Osteolysen aufgrund gelockerter Implantate oder synovialen Begleitreaktionen auf-
grund von Polyethylen oder Materialabrieb vermieden werden. Beschwerden, die eindeutig dem operierten Gelenk zugeordnet werden können sowie auffällige radiolo-
14â•… Revisionsendoprothetik
565
Tab. 14.15↜╇ Follow-up nach Hüfttotalendoprothesenrevision Untersuchung Anamnese Klinische Untersuchung Röntgenkontrolle Sonstige Bildgebung Entzündungsparameter
3€Monate postoperativ Bei jeder Kontrolle Bei jeder Kontrolle Erforderlich Nicht in der Routine Nach akutem/chronischem Infekt
1. Jahr postoperativ Bei jeder Kontrolle Bei jeder Kontrolle Erforderlich Nicht in der Routine Bei klinischem Verdacht
2–4. Jahr postoperativ Bei jeder Kontrolle Bei jeder Kontrolle Nicht in der Routine Nicht in der Routine Bei klinischem Verdacht
5. Jahr postoperativ Bei jeder Kontrolle Bei jeder Kontrolle Erforderlich Nicht in der Routine Bei klinischem Verdacht
Tab. 14.16↜╇ Ergebnisse zementierter Pfannen bei Wechseloperationen Autor (Jahr)
Implantat
UCLA Amstutz et€al. (1982) HSS Callaghan et€al. (1985) Mayo (Charnley-type) Kavanagh et€al. (1985) HSS Pellicci et€al. (1985) Verschiedene Strömberg et€al. (1988) Verschiedene Retpen et€al. (1989) Webera Marti et€al. (1990) Engelbrecht et€al. (1990) Verschiedene Kershaw et€al. (1991) Verschiedene (Charnley) Strömberg et€al. (1992) Verschiedene Garcia-Cimbrelo et€al. LFAb (1995) Charnleyc Iorio et€al. (1995) a Zimmer GmbH, Winterthur, Schweiz b Chas, F. Tackray, Leeds, U.K. c DePuy, Johnson and Johnson, Warsaw, IL, USA
n 66 69 81 99 67 195 60 140 60 204 148 107
gischen Veränderungen erfordern die Überweisung in die Klinik. Durch das standardisierte Nachversorgungsschema nach einer Hüftgelenksrevision ergeben sich sowohl aus medizinischer als auch aus ökonomischer Sichtweise Vorteile für den betroffenen Patienten. Die hier aufgeführten Standards sind ein Versuch, klinische Erfahrungen, Patientenwünsche und wissenschaftliche Evidenz zu einer in der Nachversorgung ausgerichteten Empfehlung zu kombinieren (Tab.€14.15).
14.9 E rgebnisse nach Revisionsendoprothetik B. Fink
14.9.1 Zementierte Pfannen Zementierte Pfannen weisen im Revisionsfall höhere Lockerungsraten auf, da die Interdigitation des
Follow-up (Jahre) 2,1 3,6 4,5 8,1 4,0 4,3 8,9 7,4 6,3 7,0 11,5 7,7
Lockerung (%) 20,0 57,4 40,7 29,0 12,0 – 16,7 37,9 10,0 8,3 19,6 4,6
Revision aseptisch (%) 7,5 17,4 10,0 12,0 21,0 27,7 8,3 12,1 30,0 4,9 12,8 4,3
Revision septisch (%) 1,5 5,5 6,2 1,0 1,5 2,0 3,3 1,6 3,3 1,5 7,8 0,9
Zements in den Azetabulumknochen aufgrund der durch die Lockerung bedingten sklerotischen Knochens vermindert ist (Tab.€14.16). Wirtz und Niethard (1997) konnten in einer Übersichtsarbeit zeigen, dass die Rerevisionsrate von zementierten Pfannen deutlich höher ist als von zementfreien Pfannen.
14.9.2 Zementfreie Pfannen Bei den zementfrei implantierten Pfannen werden Pfannen, die über eine Press-fit-Verklemmung fixiert werden, von Schraubpfannen unterschieden.
14.9.2.1 Hemisphärische Press-fit-Pfannen Standard-Press-fit-Pfannen╇ Die Press-fit-Pfannen weisen auch im Revisionsfall sehr gute Standzeiten auf (Tab.€ 14.17). Pfannen, die ohne Press-fit eingebracht werden und nur eine Schraubenfixation erfahren („line-in-line reaming“) scheinen jedoch höhere
B. Fink
566 Tab. 14.17↜╇ Zementfreie Pfannen Autor (Jahr)
Pfanne
n
Follow-up (Jahre) 5–11
Chareancholvanich et€al. Harris-Galante-Grafts, ╇ 40 (1999) Schrauben 14,9 Della Valle et€al. (2004) Harris-Galante I Sch, line ream. 138 Jones und Lachiewicz Harris-Galante Iâ•›+â•›II; Trilogy; 211 – (2004) Sch, gra ╇ 5,0 Lachiewicz et€al. (1994) Harris-Galante Sch, gra, pressf ╇ 60 ╇ 7,0 Lachiewicz und Poon Harris-Galante Sch, gra, pressf ╇ 57 (1998) Harris-Galante 138 10,5 Leopold et€al. (1999) Harris-Galante grafts, Schews 129 ╇ 3,6 Padgett et€al. (1993) Harris-Galante grafts, Schews 111 ╇ 8,3 Silverton et€al. (1995) Silverton et€al. (1996) Harris-Galante Sch, line ream. 111 ╇ 8,3 Harris-Galante grafts, Schews 140 ╇ 3,4 Tanzer et€al. (1992) ╇ 61 12,9 Templeton et€al. (2001) Harris-Galante Sch, line ream. Harris-Galante ╇ 94 10,8 Jamali et€al. (2004) 1, gra, pressfa ╇ 47 ╇ 5,0 Avci et€al. (1998) Dorr und Wan (1995) APR Sch, rim fit fix 139 ╇ 4,3 Pressf, gra, Sch ╇ 30 ╇ 7,0 Mont et€al. (2002) ╇ 47 ╇ 4,8 Ng und Chiu (2003) AML ╇ 60 ╇ 5,6 Obenaus (2003) Duraloc, pressf Allofit-S, pressf ╇ 52 ╇ 2,9 Fink et€al. (2008) APR Anatomic Porous Replacement; Sch Schrauben, gra grafts, pressf press-fit, Rim-fit-Fixation a 3 Exactech MCS, Porous Coated Anatomic cup, Cluster cup
Lockerung (%) ╇ 5,0
Revision Revision aseptisch (%) septisch (%) 13,0 5,0
╇ 0,7 ╇ 2,0
13,8 ╇ 3,3
4,3 1,4
0 0
0 0
1,7 1,7
╇ 1,8 10,8 3,8 ╇ 2,3 ╇ 5,0 3,1 0 11,0 5,4 0 11,0 5,0 ╇ 1,4€% ╇ 0,7 – ╇ 3,0€% 21,0 1,6 ╇ 4,2 ╇ 9,4 0 – ╇ 4,3 8,5 ╇ 1,4 ╇ 4,3 – 10,0 20,0 6,7 ╇ 2,0 0 9,0 ╇ 3,4 ╇ 1,6 3,3 0 0 0 line ream line to line reaming, rim fit fix
Tab. 14.18↜╇ Ergebnisse von Jumbo-Cups
a
Autor (Jahr)
Implantat
n
Follow-up (Jahre)
Lockerung (%)
Revision aseptisch (%)
Revision septisch (%)
Jasty (1998) Deanborn und Harris (2000) Whaley et€al. (2001) Gustke (2004)
HGIa HGIa HG I, HGIIa APRa, InterOPa
╇ 19 ╇ 24 ╇ 89 166
10,0 ╇ 7,0 ╇ 7,2 6╇ ,1
5,2 0 4,5 0,6
5,2 4,1 4,5 1,2
0 12,5 ╇ 1,1 ╇ 1,2
Zimmer Inc., Warsaw, IL, USA
Lockerungsraten bzw. Revisionsraten aufzuweisen (s.€Tab.€14.17). Jumbo-Cups Die Ergebnisse dieser Pfannen in der Literatur sind sehr zufriedenstellend (Tab.€ 14.18). Gustke (2004) gibt sogar an, dass seiner Erfahrung nach 50€% Kontakt der Pfanne mit dem Wirtsknochen nicht zwingend notwendig ist, um eine stabile Pfannenfixation zu erzielen. Dies entspricht auch unserer Erfahrung mit der Allofit-S-Pfanne, bei der es in erster Linie auf die Qualität und Stabilität des verbleibenden Knochens für eine Verklemmung ankam (Fink et€ al.
2008). Auch Trabecular-Metal-Pfannen können als Jumbo-Cups verwendet werden und weisen vielversprechende erste Ergebnisse auch bei größeren Defekten auf (s.€Tab.€14.27; Unger et€al. 2005; Flecher et€al. 2008).
14.9.2.2 Oblong-Cups Biradiäre Oblong-Cups╇ Die Fixation biradiärer Oblong-Cups basiert auf der Verklemmung und der zusätzlichen Schraubenfixation in beiden Pfannenabschnitten. Das passgenaue Fräsen des Pfannenbettes für die Prothese ist jedoch technisch schwierig, was
14â•… Revisionsendoprothetik
567
Tab. 14.19↜╇ Ergebnisse von biradiären Pfannen Autor (Jahr)
Implantat
n
Follow-up Lockerung Revision asep(Jahre) (%) tisch (%)
Revision septisch (%)
Sutherland (1996) Sutherland (1998) DeBoer und Christie (1998) Berry et€al. (2000) Chen et€al. (2000)
JMPa, TCMb, DCMc JMPa, TCMb, DCMc SROM (E-15, E-25)d SROM (E-15, E-25)d JMPa
6 6 15 38 34
>â•›4,0 1,5 4,5 3,0 3,4
0 0 0 0 2,9
50,0 33,3 ╇ 0 ╇ 2,6 16,0
50,0 ╇ 0 ╇ 0 ╇ 2,6 14,7
a
Joint Medical Poducts, Stamford, Conneticut Techmedica c Dow Corning Wright, Arlington Tennessee d DePuy, Johnson and Johnson, Warsaw, IL b
Tab. 14.20↜╇ Ergebnisse von Oblong-Cups (LOR-Cups, Zimmer, Winterthur, Schweiz) Autor (Jahr) Köster et€al. (1998) Götze et€al. (2002) Herrera et€al. (2006) Survace et€al. (2006) Civinini et€al. (2008)
n 102 ╇ 50 ╇ 35
Follow-up (Jahre) 3,6 2,8 6,3
Lockerung (%) ╇ 2 12 14,2
Revision aseptisch (%) ╇ 2 12 14,2
Revision septisch (%) 1 4 0
╇ 41
5,3
0
╇ 2,5
0
╇ 55
7,2
╇ 1,8
╇ 3,6
0
die sehr unterschiedlichen Ergebnisse in der Literatur erklären kann (Tab.€14.19). Die hohen Lockerungsraten bei Sutherland (1996, 1998) sind vor allem durch eine technische Ungenauigkeit des CT-basierenden Custom-made-Oblong-Cup bedingt. Längsovale Revisionspfannen Längsovale Revisionspfannen basieren ebenso auf einem Fixationsprinzip mit randständiger Verklemmung und additiver Schraubenfixation. Die Inlays weisen oft einen exzentrischen Drehpunkt auf, um das Gelenkdrehzentrum zu distalisieren und so die Rekonstruktion des ursprünglichen Gelenkdrehzentrums zu realisieren. Diese exzentrische Belastung der Pfanne dürfte zu einer Art „Rocking-Horse“-Phänomen und somit zum Teil zu höheren Lockerungsraten führen (Tab.€14.20). Herrera et€al. (2006) verwendeten diesen Pfannentyp allerdings nur bei Typ-AAOS-III- und -IV-Defekten, was die Versagerrate von 14,2€% nach durchschnittlich 6,3€Jahren mit erklären mag. Hingegen fanden Götze et€al. (2002) in der Studie keinen Zusammenhang zwischen den Ergebnissen der LOR-Pfanne und dem Typ bzw. Schweregrad des azetabulären Knochendefekts.
14.9.2.3 Schraubpfannen Schraubpfannen können prinzipiell auch in Revisionsfällen verwendet werden, eignen sich in der Regel aber nur bei kavitären Defekten mit ausreichend stabilen Pfannenrändern. Die publizierten hohen Lockerungsund Revisionsraten sind durch das unzureichende Einschneiden der Gewindegänge mit dem dadurch bedingten geringen Flächenkontakt zum Knochen sowie die damals noch glatten Oberflächen der MECRinge bedingt (Tab.€14.21).
14.9.3 P fannendach- und Pfannenstützschalen 14.9.3.1 Müller-Pfannendachschale Die in der Literatur dargestellten Lockerungsraten sind sehr unterschiedlich, wahrscheinlich aufgrund einer nicht regelhaft strengen Indikationsstellung (Tab.€14.22). Müller-Ringe zeigen bei kavitären Defekten, isolierten kleinen Pfannenerkerdefekten, mittleren Defekten der medialen Wand sowie Defekten des vorderen Pfannenrands gute Ergebnisse.
B. Fink
568
Tab. 14.21↜╇ Ergebnisse zementfreier Schraubpfannen bei Pfannenwechseln Autor (Jahr) Engh et€al. (1988) More et€al. (1992) a
Implantat a
MEC-Ring MEC-Ringa
n
Follow-up (Jahre) Lockerung (%)
Revision aseptisch (%) Revision septisch (%)
107 32
4,4 2,5
╇ 7,5 44,0
15,0 53,0
0,9 0
Mecron Medical, Port Washington, New York, USA
Tab. 14.22↜╇ Ergebnisse der Müller-Pfannendachschale (Zimmer, Winterthur, Schweiz) bei Pfannenwechsel Autor (Jahr) Dihlmann et€al. (1994) Gurtner et€al. (1993) Haentjens et€al. (1986) Korrevessis et€al. (1992) Mayer und Hartseil (1986) Panski (1997) Pascarel et€al. (1993) Peters et€al. (1995) Rooson und Schatzker (1992) Schatzker et€al. (1984) Stöckl et€al. (1997)
n ╇ 42 150 ╇ 14 ╇ 30 ╇╇ 9 ╇ 14 141 ╇ 22 ╇ 46 ╇ 20 ╇ 47
Follow-up (Jahre) 2,5 7,0 3,3 2,5 2,7 3,3 8,0 7,2 5,0 2,4 6,4
Lockerung (%) ╇ 0 10,0 ╇ 7,1 ╇ 0 ╇ 0 28,6 ╇ 6,4 31,8 34,8 ╇ 5,0 ╇ 4,0
Revision aseptisch (%) ╇ 0 ╇ 6,7 ╇ 7,1 ╇ 0 ╇ 0 14,3 ╇ 1,4 31,8 10,9 ╇ 5,0 ╇ 4,0
Revision septisch (%) 0 6 0 0 0 0 0 0 0 0 4
Tab. 14.23↜╇ Ergebnisse mit der Hakendachschale nach Ganz Autor (Jahr) Siebenrock (2001) Gerber et€al. (2003)
n 36 50
Follow-up (Jahre) 11,4 ╇ 9,0
Lockerung (%) ╇ 8,0 14,0
14.9.3.2 Hakendachschalen Über die Hakendachschalen vom Typ Ganz-Schale finden sich nur wenig publizierte Ergebnisse in der Literatur (Tab.€14.23). 14.9.3.3 Abstützschalen Bei den Ergebnissen der Abstützschalen vom Typ Burch-Schneider muss differenziert werden, ob diese technisch korrekt eingebracht wurden. In einigen, vor allem älteren Publikationen wurde die untere Lasche nicht in das Os ischium eingeschlagen, sondern nur angelagert und manchmal dort verschraubt. Dies hat sich jedoch als nachteilig erwiesen, da Lockerungen resultieren können. Zudem sollten Knochendefekte zwischen dem Implantat und dem Wirtsknochen mit homologem Knochen aufgefüllt werden. Rosson und Schatzker (1992) führte dies nicht regelhaft durch, so dass vermehrte Bewegungen des Abstützrings die höheren Lockerungsraten erklären lassen. Sembrano und Cheng (2008) errechneten für 72 Abstützschalen
Revision aseptisch (%) 5,5 6,0
Revision septisch (%) 2,8 2,0
verschiedener anderer Hersteller eine 5-Jahres-Überlebensrate von 87,8€ % und Carroll et€ al. (2008) für 55 Burch-Schneider-Ringe und 6 Eichler-Ringe eine 10-Jahres-Überlebensrate von 85€% (Tab.€14.24).
14.9.4 Sonderimplantate Bei den verschiedenen, in dieser Gruppe der Sonderimplantate zusammengefassten Implantaten sind allgemein nur wenige Ergebnisse publiziert worden (Tab.€14.25 bis 14.27). Über Custom-made-Beckenteilersätze finden sich nur für die Triflange-Cup (DePuy, Johnson & Johnson, Warsaw, IL) im internationalen Schrifttum publizierte Ergebnisse (s.€Tab.€14.25). Vielversprechend scheinen die neuen TMT-Pfannen in der Kombination mit Augmentaten zur Defektauffüllung zu sein (s.€ Tab.€ 14.27). Kosashvili et€ al. (2009) konnten in einer Kombination von TMT-Pfannen und darüber implantiertem Abstützring sogar
14â•… Revisionsendoprothetik
569
Tab. 14.24↜╇ Ergebnisse des Burch-Schneider-Antiprotrusio-Ringes bei Pfannenwechseln Autor (Jahr)
n
Follow-up (Jahre)
Untere Lasche am Os ischium in in –
Defektfüllung
Lockerung Revision (%) aseptisch (%) ╇ 0 ╇ 0 ╇ 0 ╇ 0 25,0 ╇ 0
Revision septisch (%) ╇ 0 ╇ 0 ╇ 0
Komplikationen (%)
Schatzker et€al. (1984) ╇ 5 ╇╇ 2,4 b – ╇╇ 2,7 b – Mayer und Hartseil (1986) 12 ╇╇ 5,0 bâ•›+â•›câ•›+â•›Ø – Rooson und Schatzker 20 (1992) Berry (1992) 42 ╇╇ 5,0 in bâ•›+â•›c ╇ 0 11,9 11,9 14,3 ╇╇ 2,8 in b ╇ 0 ╇ 0 ╇ 0 – Zehnter und Ganz (1994) 28 ╇ 8 ╇╇ 7,5 in b 12,0 12,5 ╇ 0 – Garbuz et€al. (1996) 24 ╇╇ 8,0 in b ╇ 4,1 ╇ 0 ╇ 0 ╇ 0 Symeonides et€al. (1997) 63 ╇╇ 8,5 in bâ•›+â•›c ╇ 4,8 ╇ 6,3 ╇ 1,6 ╇ 7,9 Gill et€al. (1998) 43 ╇╇ 5,8 in b ╇ 4,6 ╇ 4,6 ╇ 0 – Starker et€al. (1998) Böhm und Banzhaf (1999) 26 ╇╇ 4,5 in b 15,4 ╇ 3,8 ╇ 0 – 38 ╇ 12,0 inâ•›+â•›on b ╇ 2,6 ╇ 5,3 ╇ 2,6 21,0 Wachtl et€al. (2000) 18 ╇╇ 4,6 – bâ•›+â•›c ╇ 8,0 ╇ 8,0 ╇ 0 23,0 Udomkiat et€al. (2001) ╇╇ 5,4 onâ•›+â•›in B ╇ 0 ╇ 4,8 ╇ 3,2 – Perka und Ludwig (2001) 63 38 ╇╇ 7,3 in B ╇ 0 ╇ 0 ╇ 2,6 13,1 Winter et€al. (2001) 21 ╇╇ 8,7 in B 13,0 10,0 ╇ 0 – Bonnomet et€al. (2001) Van Koeveringe und Ochs- 33 ╇╇ 5,0 in b+â•›c 12,1 ╇ 0 ╇ 3,0 18,2 ner (2002) ╇╇ 2,1 in b ╇ 0 ╇ 0 ╇ 0 11,0 Blacha und Gagala (2004) 28 in untere Lasche in das Os ischium eingeschlagen, on untere Lasche auf das Os ischium gelegt, b Knochenchips, c Knochenzement
Tab. 14.25↜╇ Ergebnisse der Triflange-Cup (DePuy, Johnson & Johnson, Warsaw, IL, USA) Autor (Jahr) Christie et€al. (2001) Dennis (2003)
n 67 24
Follow-up (Jahre) Lockerung (%) 4,4 ╇ 0 4,0 12,5
Revision aseptisch (%) Revision septisch (%) ╇ 7,8 0 12,5 0
Tab. 14.26↜╇ Ergebnisse der Stielpfannen Autor (Jahr)
Implantat
n
Badhe et€al. (2000) McMinn-Link Newsplinta Schoellner und Sockelpfanne Schoellner (2000) Sockelpfanne Perka et€al. (2002) Sockelpfanne Tohtz et€al. (2007) a McMinn-Link Newsplint, Hants, UK
Lockerung (%)
22 51
Follow-up (Jahre) 3,8 2,6
╇ 0 ╇ 0
Revision aseptisch (%) ╇ 0 ╇ 2,0
Revision septisch (%) 4,5 2,0
╇ 4 50
2,4 2,2
╇ 0 16,0
╇ 0 12,0
0 4,0
Tab. 14.27↜╇ Ergebnisse der Trabecular-Metal-Pfannen bei Pfannenrevisionen Autor (Jahr) Unger et€al. (2005) Weeden und Schmidt (2007) Flecher et€al. (2008)
n 60 43 23
Follow-up (Jahre) 3,5 2,8 2,9
Lockerung (%) 1,6 0 0
Revision aseptisch (%) 1,6 0 0
Revision septisch (%) 0 2,3 0
B. Fink
570
Tab. 14.28↜╇ Ergebnisse der nichtmodularen zementierten Revisionsschäfte
╇ 38
Follow-up Zugang Revision Sinken Locke(Jahre) (%) (%) rung (%) 11,7 tt 10,5 – 21,0
Dislokation (%) ╇ 2,6
Infektion Fraktur (%) (%) ╇ 2,6 ╇ 2,6
–
╇ 16
╇ 5,0
pl
╇ 0
0
–
43,7
12,5
25,0
Charnley Charnley, RM-Isoelastic
107 148
╇ 7,7 10,0
tt tt
╇ 7,5 ╇ 3,4
– –
12,0 ╇ 8,8
╇ 5,0 –
╇ 0,9 ╇ 2,7
– –
16,3
╇ 6,3
╇ 4,2
–
16,3
25,9
╇ 2,5
–
╇ 8,4
16,2
╇ 1,1
╇ 6,8
╇ 6,0
╇ 2,9
–
17,6
26,0
╇ 4,6
–
–
14,0
14,0
╇ 3,4
–
Autor (Jahr)
Schaft
n
Estok und Harris (1994) Haentjens et€al. (1996) Iorio et€al. (1995) Izquierdo und Northmore-Ball (1994) Katz et€al. (1995)
HD-2,CRI
Iowa, Charnley, ╇ 79 10,0 tt ╇ 5,4 – Richards tt ╇ 5,4 – Katz et€al. (1997) Iowa, Charnley, ╇ 81 10,0 Richards 191 ╇ 6,2 Charnley, t, p ╇ 9,4 25,0 Kershaw et€al. (1991) Howse Stanmore, McKee CPT ╇ 34 ╇ 2,5 ╇ 6,0 38,0 Meding et€al. (1997) ╇ 43 15,1 tt 16,3 – Mulroy und CDH, CAD, Harris (1996) HD-2, ╇ 29 ╇ 8,5 tt 10,3 ╇ 3,4 Pierson und HD-2,Calcar, Harris (1994) Precoat, CDH Precoat, TR-28 CRI Calcar Replacement Implant, tt transtrochantär, pl posterolateral, p posterior
Tab. 14.29↜╇ Ergebnisse des modularen zementierten Revisionsschaft l lateral, tt transtrochantär Autor (Jahr)
Schaft
n
Crawford et€al. (2000)
–
74
Follow-up (Jahre) 5,7
Zugang l; tt
Revision (%) 4,1
Sinken (%) 2,7
Lockerung (%) 12,2
Dislokation (%) 12,2
Infektion (%) 6,8
Fraktur (%) 0
bei 26 Beckendiskontinuitäten nach durchschnittlich 44,6€ Monaten (24–68€ Monaten) Beobachtungszeiten mit 88,5€ % klinisch und radiologisch fest sitzendem Implantat und einem Harris-Hip-Score von 76,6 Punkten (55,5–92,0) sehr gute Ergebnisse erzielen. Langzeitbeobachtungen fehlen hier jedoch noch. Azetabulumfrakturen beim Einschlagen der Pfanne wurden beobachtet (Springer et€al. 2005).
sind mit Ausnahme des Schafts von Crawford et€ al. (2000) nicht modular. Crawford et€ al. entwickelten einen geraden zementierten Revisionsschaft, der zur Vermeidung des Einsinkens mit verschiedenen Ringen kombiniert werden kann. Bei 74 Implantationen wurde eine Einsinkrate von 2,7€ % und eine Lockerungsrate von 12,2€% nach durchschnittlich 5,7€Jahren beobachtet (Tab.€14.29).
14.9.5 Zementierte Schaftsysteme
14.9.6 Zementfreie Schaftsysteme
Aufgrund der schlechteren Interdigitation des Zements im sklerotischen Knochen des Femur weisen auch zementierte Revisionsschäfte höherer Lockerungsraten auf (Tab.€ 14.28). Zementierte Revisionsschäfte
Bei den zementfreien Revisionssystemen unterscheidet man • Monoblockimplantate von modularen Revisionssystemen,
14â•… Revisionsendoprothetik
571
Tab. 14.30↜╇ Ergebnisse zementfreier nichtmodularer Schäfte („proximally porous coated“) Autor (Jahr)
Schaft
Follow-up Zugang (Jahre) ╇ 375 4,7 ╅ 66 4,7 p
n
Revision (%) 20,8 ╇ 6,0
Sinken (%) 55,0 ╇ 3,0
Lockerung (%) 15,7 ╇ 3,0
Dislokation (%) – –
Infektion (%) 4,0 –
Fraktur (%) 26,0 15,1
Berry et€al. (1995) 1a Buoncristiani et€al. APR (1997) ╇ 177 2,8 al, strut grafts ╇ 3,3 – – – – – Head et€al. (1993) Calcar ╇ 177 3 al, strut grafts ╇ 3,0 ╇ 2,8 – – – – Head et€al. (1994) Calcar ╇ 304 10–13 strut grafts ╇ 3,0 ╇ 0,3 0 1,0 – ╇ 0 Head et€al. (2000) Calcar al, strut grafts ╇ 1,0 1179 6,2 – – 0,6 – ╇ 0,1 Head et€al. (2001) Calcar â•… 41 5 tt ╇ 0 32,0 – 7,0 0 12,2 Hussamy und BIAS Lachiewicz (1994) â•… 36 6,5 pl ╇ 3,0 – ╇ 8,3 – 6,0 – Kim (2004) IPS Malkani et€al. Osteonics â•… 69 2,8 tg, al, p, tt ╇ 8,7 57,0 20,0 2,0 – 46,0 (1996) Mallory â•… 52 4,6 tg 10,0 10,0 24,0 – – 38,5 Mulliken et€al. (1996) Head â•… 49 5,4 tg, tt ╇ 4,0 57,0 ╇ 4,0 4,1 2,0 22,4 Peters et€al. (1995) BIAS â•… 25 5,5 tt, p, tg 20,0 48,0 40,0 – – 24,0 Woolson und Dela- Harrisney (1995) Galante IPS Immediate Postoperative Stability; APR Anatomic Porous Replacement Revision Prosthesis; p posterior, tt transtrochantär, pl posterolateral, tg transgluteal, al anterolateral a 1 BIAS, Harris-Galante, Omnifit, Omnifit Long Stem, Porous Coated Anatomic, Porous Coated Anatomic Long Stem
• Geradschäfte von kurvierten Schäften und • Schäfte mit proximalen von Schäften mit distaler Verankerung.
14.9.6.1 Z ementfreie, proximal fixierende, nichtmodulare Revisionsschäfte Bei proximal fixierenden Schaftsystemen erfolgt die Verankerung des Schafts im metaphysären bzw. metadiaphysären Femur. Dieser Bereich ist jedoch aufgrund des lockerungsbedingten Knochenverlusts aufgeweitet, ausgedünnt, glatt, sklerotisch und zeigt teilweise segmentale Defekte. Daher scheint die Fixationsqualität in diesem Bereich nicht sicher reproduzierbar zu sein, so dass zum Teil hohe Lockerungs- und Migrationsraten für diese Schaftsysteme beschrieben wurden. Darüber hinaus ist das Frakturrisiko im proximalen Femurbereich deutlich erhöht (Tab.€14.30). 14.9.6.2 Z ementfreie, proximal fixierende, modulare Revisionsschäfte Monoblockimplantate erlauben nicht immer eine optimale Anpassung der Prothese an den Femur. Durch die Einführung der Modularität bei zementfreien, proximal beschichteten Schäften, wie dem S-ROM-Schaft
(DePuy, Warsaw, IL, USA), konnte das Prinzip des proximalen „maximal fit and fill“ durch die individuelle Anpassung der proximalen Schaftkomponente an die Femuranatomie verbessert und somit die Lockerungs- und Nachsinkraten im Vergleich zu den nichtmodularen Schäften gesenkt werden (Tab.€14.31). Einige Autoren berichten allerdings auch bei dieser Implantationstechnik über häufigere Femurfrakturen (Bolognesi et€ al. 2004; Chandler et€ al. 1995; Smith et€ al. 1997). McCarthy und Lee (2007) fanden eine Überlebensrate nach 14€Jahren für den S-Rom-Schaft bei Revisionen von lediglich 60€%.
14.9.6.3 Z ementfreie, distal fixierende, nichtmodulare Revisionsschäfte Mit der Technik einer distalen Fixation im intakten Isthmus des Femur lassen sich sowohl mit den Cobalt-Chrom-Schäften als auch mit den konischen Titanschäften reproduzierbar gute Ergebnisse erzielen (Tab.€14.32 und 14.33). Der Wagner-SL-Schaft als erster konischer Titanschaft hatte ursprünglich herstellungstechnisch bedingt einen CCD-Winkel von 145°, was eine Offset-Reduzierung verursachte. Hierdurch und durch
B. Fink
572 Tab. 14.31↜╇ Ergebnisse von modularen proximal fixierenden Revisionsschäften Autor (Jahr)
Schaft
n
Follow-up Zugang (Jahre)
Bolognesi et€al. (2004) Bono et€al. (1999) Cameron (1994) Cameron (2001) Chandler et€al. (1994)
S-ROM S-ROM S-ROM S-ROM S-ROM
╇ 53 ╇ 62 ╇ 62 157 ╇ 30
╇ 4,0 ╇ 5,9 ╇ 3,9 ╇ 2,0 ╇ 1,8
Chandler et€al. (1995)
S-ROM
╇ 52
╇ 3,0
Christie et€al. (2000) McCarthy und Lee (2007) Smith et€al. (1997) Walter et€al. (2006)
S-ROM S-ROM
129 ╇ 92
S-ROM S-ROM
╇ 66 ╇ 62
╇ 6,2 14,0
p p – – ttâ•›+â•›allografts tt, vâ•›+â•›allografts – pl, tf
╇ 3,4 ╇ 6,0
p tg
Revision Sinken LockeDisloka(%) (%) rung (%) tion (%)
Infektion Fraktur (%) (%)
╇ 3,8 14,0 16,1 6,4 10,0
1,9 6,4 – 3,2 –
1,9 6,4 – 1,3 –
╇ 3,8 – ╇ 1,6 ╇ 4,5 16,7
– – ╇ 4,8 ╇ 3,2 ╇ 3,3
20,7 ╇ 0 ╇ 4,8 ╇ 1,3 –
25,0
–
9,6
23,1
╇ 6,0
28,0
╇ 0,8 –
2,9 –
2,9 9,0
– –
– 10,0
╇ 0 –
╇ 3,0 ╇ 1,6
– –
7,6 5,0
╇ 7,6 ╇ 2,0
╇ 3,0 ╇ 2,0
27,3 ╇ 2,0
p posterolateral, tt transtrochantär, tg transgluteal, ef endofemoral, tf transfemoral
Tab. 14.32↜╇ Ergebnisse der zementfreien nichtmodularen Schäfte („extensively porous coated“) Autor (Jahr) Aribindi et€al. (1998) Chen et€al. (2000) Engh et€al. (1998) Engh et€al. (1990) Glassman und Engh (1995) Krishnamurthy et€al. (1997) Lawrence et€al. (1994) Lawrence et€al. (1993) Miner et€al. (2001) Moreland und Bernstein (1995) Moreland und Moreno (2001) Paprosky et€al. (1999) Paprosky et€al. (2002) Sugimura und Tohkura (1998) Weeden und Paprosky (2002)
Schaft
n
Follow-up (Jahre)
Zugang Revision Sinken Lockerung Disloka- Infektion Fraktur (%) (%) (%) tion (%) (%) (%)
Solution
╇ 71
5,8
pâ•›+â•›tf
╇ 4,2
–
╇ 0
╇ 6,0
–
╇ 1,4
Solution AML AML AML
╇ 42 ╇ 21 204 154
3,6 6,3 4,5 9,2 (5–15)
plâ•›+â•›eto p pâ•›+â•›eto –
╇ 7,0 ╇ 0 ╇ 4,9 ╇ 4,5
0 – – –
╇ 0 ╇ 0 ╇ 4,0 ╇ 6,6
11,0 ╇ 4,8 – ╇ 0,6
2,4 0 – 0,6
– ╇ 9,5 ╇ 0,5 –
AML
297
8,3 (5–13)
pl
╇ 1,7
–
╇ 2,4
╇ 2,6
0,7
–
2a
╇ 83
9 (5–13)
p
10,0
–
11,0
╇ 3,6
1,2
╇ 2,4
AMLâ•›+ Solution Solution AMLâ•›+ Solution AML
174
7,4
tgâ•›+â•›tt
╇ 5,7
–
╇ 1,1
╇ 3,4
2,9
╇ 0,6
166 175
3,9 5 (2–10)
eto tt
10,2 ╇ 4,0
– 12,6
╇ 0,6 ╇ 1,7
10,0 ╇ 2,9
2,4 0,6
10,8 ╇ 0,6
137
9,3 (5–16)
tt
╇ 7,0
–
╇ 4,0
╇ 4,4
3,6
╇ 1,5
AMLâ•›+ Solution Solution
170
13,2 (10–16)
p
╇ 3,5
16,0
╇ 4,1
╇ 7,1
1,8
14,7
193
5
pâ•›+â•›tf
╇ 0
–
–
╇ 9,0
3,0
╇ 5,0
AML
╇ 32
4 (2–6,5)
–
╇ 3,1
28,1
╇ 0
–
–
╇ 3,1
Solution
170
14,2 (11–16)
p, tf
╇ 3,5
16,0
╇ 4,1
╇ 7,1
1,8
14,7
p posterior, pl posterolateral, tt transtrochanteric, tf transfemoral, eto extended trochanteric osteotomy, 2a New England Baptist, Custom P-10, AML
14â•… Revisionsendoprothetik
573
Tab. 14.33↜╇ Ergebnisse des nichtmodularen distal fixierten Revisionsschafts Wagner SL (Zimmer, Winterthur, Schweiz) Autor (Jahr)
Schaft
n
Zugang Follow-up (Jahre) 5,0 tg, tf 5,4 tf, tg, tt, ve 4,8 tf, tg, tt, a
Revision Sinken LockeDisloka(%) (%) rung (%) tion (%)
Bircher et€al. (2001) Wagner SL ╇ 99 ╇ 6,1 ╇ 6,1 ╇ 4,7 34,1 Böhm und Bischel Wagner SL 128 (2001) ╇ 4,6 34,1 Böhm und Bischel Wagner SL 129 (2001) Böhm und Bischel Wagner SL 129 8,1 tf, tg, tt, a ╇ 4,6 34,1 (2004) ╇ 79 8,4 tg, tf, tt ╇ 6,3 20,3 Wagner SL Gutiérrez del Alalmo et€al. (2007) ╇ 40 3,9 l, tf, tg 10,0 47,5 Grünig et€al. (1997) Wagner SL ╇ 37 2,3 tf, tg ╇ 2,7 18,9 Hartwig et€al. (1996) Wagner SL ╇ 43 2,1 tf – 26,0 Isacson et€al. (2000) Wagner SL ╇ 31 3,0 tf 16,1 ╇ 6,4 Kolstad et€al. (1996) Wagner SL Wagner (1987) Wagner SL ╇ 20 â•›