INGO SCHULZE ADAM UND EVELYN
Roman Berlin Verlag
Für Clara und Franziska
Inhalt Dunkelkammer Lilli Adam, wo bist du?...
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INGO SCHULZE ADAM UND EVELYN
Roman Berlin Verlag
Für Clara und Franziska
Inhalt Dunkelkammer Lilli Adam, wo bist du? Der Auszug Warum lügt Adam schon wieder? Der Morgen danach Der Aufbruch Umwege Die erste Grenze Einer kommt durch Der Verdacht Eine neue Frau Verhandlungen Das Wagnis Mit leeren Händen Heldenleben Vorbereitungen für den Abschied Misslungener Abschied Wildes Camping Erstes Wiedersehen Eine Art Einladung Ein neuer Versuch Berichte vom ersten Tag Ein Schatz Der große Knall Paare Adam arbeitet Schattenspiele Weiber 2
005 011 016 021 026 033 035 040 045 048 054 060 063 068 075 079 083 088 092 096 101 106 110 113 119 123 128 133 138
Abend in Blaulicht Eine gemeinsame Fahrt Arbeit für die Ewigkeit Damenwahl Ein Märchen Im Schlepptau Ein Sonntag Freuden teuer Noch eine Autofahrt Das Missverständnis Bettlektüre Abschied Erkenntnisse Zwei Anträge In der Telefonzelle Spione Spione, zum zweiten Ein Küchengespräch Nach dem Anruf Zwei Frauen Juwelen Zürichsee und grünes Licht Bruder und Schwester Missglückte Rückkehr Letzte Dinge Feuer
144 148 153 159 164 169 172 178 183 188 192 199 203 212 218 222 229 235 240 245 252 257 262 266 273 279
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Im tiefsten Inneren unseres Wesens sind wir überzeuge davon, daß wir ewig leben sollten. Wir empfinden unsere Vergänglichkeit und Sterblichkeit als etwas, dass uns mit Gewalt aufgezwungen wurde. Nur das Paradies ist authentisch, die Welt ist es nicht - und sie besteht auch nur temporär. Deshalb spricht auch die Erzählung vom Sündenfall unsere Gefühle so an, als ob sie eine alte Weisheit wieder in unser schlummerndes Gedächtnis zurückriefe. Aus »Mein ABC« von Czeslaw Milosz Die Kirchenväter, nicht allein Augustin, erklärten es für Häresie, zu behaupten, Adam und mit ihm Eva seien für immer verdammt worden. Sie wurden also Heilige; ihr Ehrentag fiel auf den 24. Dezember. Sie avancierten schließlich zu Schutzpatronen, zwar nicht, wie man erwartet haben könnte, der Obstbauern, wohl aber der Schneiderzunft. Schließlich waren sie die ersten Menschen, die Kleider getragen haben. Und ihre Kleider hatte Gottvater selbst genäht. Aus »Eva und Adam« von Kurt Flasch 4
Dunkelkammer Plötzlich waren sie da, die Frauen. Sie erschienen aus dem Nichts, angetan mit seinen Kleidern, Hosen, Röcken, Blusen und Mänteln. Manchmal war ihm, als träten sie aus dem Weiß hervor oder als wären sie einfach aufgetaucht, als hätten sie endlich die Oberfläche durchbrochen und sich gezeigt. Er musste nur die Schale mit der Entwicklerflüssigkeit etwas ankippen, mehr brauchte er nicht zu tun. Erst war nichts und dann etwas, auf einmal war es da. Doch der Augenblick zwischen dem Nichts und dem Etwas ließ sich nicht fassen, ganz so, als gäbe es ihn nicht. Das große Blatt glitt in die Schale. Adam wendete es mit der Plastezange, stupste es tiefer, wendete es abermals, starrte auf das Weiß - und betrachtete dann so andächtig das Bild einer Frau im langen Kleid, das eine Schulter frei ließ und sich spiralförmig um den üppigen Körper wand, als wäre ein Wunder geschehen, als hätte er einen Geist gezwungen, seine Gestalt zu offenbaren. Adam hielt das Foto mit der Zange kurz hoch. Die schwarze Fläche des Hintergrunds war jetzt heller, ohne dass Kleid und Achselhöhle an Kontur verloren. Vom Rand des Aschenbechers nahm er die Zigarre, sog daran und blies den Rauch über das nasse Bild, bevor er es ins Stoppbad tauchte und von da in die Schale mit dem Fixierer. Das Quietschen der Gartenpforte machte ihn unruhig. Er hörte die lauter werdenden Schritte, drei Stuten hinauf, 5
sogar das dumpfe Geräusch der Einkaufstasche, als sie beim Aufschließen gegen die Haustür schlug. »Adam, bist du da?« »Ja!«, rief er gerade so laut, dass sie ihn hören musste. »Hier!« Ihre Absätze gingen über seinen Kopf hinweg, wahrend er das Negativ anhauchte, mit einem Lederläppchen putzte und wieder in den Vergrößerungsapparat einlegte. Er stellte das Bild scharf und machte das Apparatlicht aus. In der Küche wurde der Wasserhahn auf- und wieder zugedreht, die Schritte kehrten zurück - plötzlich hüpfte sie auf einem Bein, sie zog ihre Sandalen aus. Die leeren Flaschen in dem Korb, der hinter der Kellertür stand, klirrten. »Adam?« »Hm.« Er nahm ein Blatt aus der Verpackung, 18 mal 24, und schob es im Vergrößerungsrahmen zurecht. Stufe für Stufe stieg Evelyn hinunter. Ihre Finger würden wieder staubig sein, weil sie mit der Hand die niedrige Decke entlangtastete, um nicht anzustoßen. Noch einmal nahm er kurz die Zigarre und sog mehrmals daran, bis er ganz in Rauch gehüllt war. Die Zeitschaltuhr stellte er auf fünfzehn Sekunden und drückte den großen rechteckigen Knopf - das Licht ging wieder an, die Uhr begann zu brummen. Als würde Adam etwas verrühren, bewegte er über dem Kopf der Frau einen plattgeklopften Aluminiumlöffel, zog 6
ihn katzenhaft schnell zurück, streckte seine Finger vor, die, als plätscherten sie im Wasser, den Körper der Frau beschatteten, und nahm sie wieder zurück, bevor das Apparatlicht ausging, das Brummen verstummte. »Puah! Das stinkt. Mensch, Adam, musst du hier auch noch rauchend« Adam tauchte das Papier mit der Zange in den Entwickler. Er mochte es nicht, wenn man ihn bei seinen Bildern störte. Nicht einmal ein Radio duldete er hier. Evelyn, die selbst barfuß einen halben Kopf größer war als Adam, tastete sich zu ihm und berührte seine Schulter. »Ich dachte, du machst uns was zu essen?« »Bei der Hitze? Ich hab die ganze Zeit Rasen gemäht.« »Ich muss los.« Auf dem weißen Papier erschien wieder die Frau in dem langen Kleid. Adam ärgerte sich, dass sie offenbar den Bauch einzog, ja er glaubte ihrem Lachein anzusehen, dass sie die Luft anhielt. Aber vielleicht täuschte er sich auch. Mit der Zange stippte er das Bild ins Stoppbad und gab es von dort in den Fixierer. Dann nahm er ein neues Blatt aus der Packung, faltete es in der Mitte und riss es an der Tischkante entzwei. Die andere Hälfte steckte er zurück in die Packung. »Was isst du denn?«, fragte er. »Augen zu. Nun schiel nicht so.« »Sind die gewaschen?« »Ja, ich vergifte dich schon nicht«, sagte Evelyn und steckte ihm eine Weintraube in den Mund. »Wo gab's die denn? « »Bei Kretschmanns, der Alte hat mir ne Tüte 7
mehr rübergereicht, wusste gar nicht, was drin ist.« Das Vergrößerungslicht ging an. »Was sag ich denn nun der Gabriel?« »»Halt sie hin.« »…muss ihr aber heute was sagen. Wenn sie mir schon im August Urlaub geben, muss ich den nehmen.« »Die spinnt wohl. Wir fahren, wann wir wollen.« Das Licht ging aus. »Wir wollten ja im August. Du hast August gesagt, und Pepi hat auch gesagt, dass August besser wäre. Ohne Kinder gibt's eigentlich nie frei im August. Außerdem läuft das Visum ab.« »Das ist kein Visum.« »Ist doch egal, wie das Ding heißt. Wir haben für August beantragt.« »Das ist bis zehnten September gültig.« Adam zog das Papier durch die Schale, wendete es zweimal. »Die ist ja scharf«, sagte Evelyn, als die Frau im Hosenanzug erschien, die die Hände in den Rücken stützte und ihre Brüste nach vorn drückte. »Gab's Post?«, fragte Adam. »Nichts«, sagte Evelyn. »Warum fahren wir nicht mit dem Zug?« »Ich will nicht immer am selben Ort hocken. Ohne Auto ist es langweilig. Hast du noch mehr?« Evelyn schob ihm die restlichen Weintrauben in den Mund und wischte die nassen Hände an ihrer Jeans ab. »Und was sage ich nun der Gabriel?« »Wenigstens eine Woche, eine Woche soll sie uns noch lassen.« »Dann ist der August so gut wie rum.« »Kannst Licht machen«, sagte er, als er das Probefoto in den Fixierer gelegt hatte. Er ging hinüber zu dem eckigen Waschbecken, in dem 8
schon mehrere Fotos schwammen, fischte eins heraus und hängte es an die Leine zu den anderen. »Wer ist das?« »Lilli.« »Und in Wirklichkeit?« »Renate Horn aus Markkleeberg. Krieg ich noch was?« »Musst du hochgehen. Und die hier?« »Kennste doch, Desdemona.« »Wer? « »Na die Albrecht, aus der Poliklinik, die Gynäkologin.« »Die mit dem Algerier?« »Die hat keinen Algerier. Ihr habt euch sogar mal die Hand gegeben. Das da« -Adam deutete auf ein Foto an der Leine- »hab ich ihr im Juni gemacht.« »Sag mal ...« Evelyn stellte sich dicht vor das Foto. »Hat die meine Schuhe an, das sind doch meine Schuhe?! « »Wie?« »Das sind meine, da, die Spitze, die Schramme, sag mal, spinnst du?! « »Die haben alle keine Ahnung von Schuhen, die kommen immer mit solchen Tretern, das verschandelt alles, für ne halbe Minute ...« »Ich will aber nicht, dass deine Weiber meine Schuhe anziehen. Ich will auch nicht, dass du sie im Garten fotografierst und erst recht nicht im Wohnzimmer!« »Es war so heiß oben.« »Ich will das nicht!« Evelyn betrachtete nun auch die anderen Fotos genauer. »Fahren wir übermorgen?« »Sobald unser Schlitten da ist, geht's los.« »Das hör ich seit drei Wochen.« »Ich habe angerufen. Was soll ich denn machen?« »Wir fahren gar nicht, da geh ich jede Wette ein.« 9
»Du verlierst.« Adam holte Foto um Foto aus dem Wasser und hängte sie auf. »Du verlierst garantiert.« »Wir kriegen nie wieder ein Visum. Jetzt würden die uns schon gar keins mehr geben. Inzwischen musst du mindestens fünfzig sein, sagt die Gabriel.« »Die Gabriel, die Gabriel. Die erzählt viel, wenn der Tag lang ist.« »Das hier ist schön. Ist das rot?« »Blau, Seide.« »Warum machst du keine Farbfotos?« »Die Seide hat sie sich mitbringen lassen, die Seide, und das hier ...« Adam hielt ein Foto hoch, auf dem eine junge Frau in kurzem Rock und einer weiten Bluse zu sehen war. »Schweineteuer das Zeug, sogar im Westen, aber das spürst du gar nicht auf der Haut, so fein ist das.« Adam faltete ein nasses Foto zusammen und Warfes in den Papierkorb. »Was machst du?« »Das war nix.« »Warum nicht?« »Zu dunkel.« Evelyn griff in den Papierkorb. »Der Hintergrund ist voller schwarzer Locher«, sagte Adam. »Ist das LÜH?« »Richtig!« Evelyn warf das Foto zurück und ging hinaus in den Vorraum zu dem Regal mit dem eingeweckten Obst. »Das wird auch nicht weniger. Willst du Birne oder Apfel?« »Ist noch Quitte da? Mach die Tür zu!« Adam schaltete das Licht aus und wartete, bis die Tür ins Schloss fiel. »Von 85, wenn das hier eine Fünf ist«, rief Evelyn von draußen. »Ist doch egal.« Er zog das halbe Blatt aus der Verpackung, legte es unter den Apparat, wählte ein neues Negativ, stellte scharf und drückte den 10
Knopf der Zeitschaltuhr. Adam brummte in derselben Tonlage mit. »Willst du auch ein Schälchen?« »Später.« »Gehst du heut ins Museum?« »Haben die Führungen schon wieder begonnen?« »Ja, und ich verpass mal wieder alles.« »Ich kann auch nicht, hab noch ne Anprobe«, sagte Adam. Einen Moment blieb es still. Er ließ das Blatt in die Flüssigkeit gleiten, drückte es nach unten. Im Vorraum klackte der Lichtschalter. »Evi?« Er hörte wieder das Klirren der leeren Flaschen. »Evi!«, rief er und wollte ihr schon nach, doch im nächsten Moment beugte er sich tiefer über die Schale, als wollte er sichergehen, dass die Frau, die dort gerade lachend und mit ausgebreiteten Armen erschien, tatsächlich ihn ansah.
Lilli Einige Stunden später an diesem 19. August 1989, einem Sonnabend kniete Adam, ein halbes Dutzend Stecknadeln im Mund, das Maßband um den Hals, zu Füßen einer Frau Mitte vierzig. Sie hatte ihre Bluse abgelegt und fächelte sich mit dem »Magazin« Luft zu. Die Hitze nistete in dem ausgebauten Dachboden, obwohl die Giebelfenster und die Dachluke geöffnet waren. Die Nähmaschine war bereits abgedeckt, der Tisch, an dem er zuschnitt, aufgeräumt; die Scheren lagen der Größe nach geordnet, daneben die Garnrollen und Bänder, Dreiecke, Lineale, Schablonen, die Schneiderkreide, die Zigarrenschachtel mit den Rasierklingen und das Kästchen für die Knopfe, 11
an dem ein Foto lehnte. Selbst das Tablett, darauf zwei halbvolle Gläser Tee und eine Zuckerdose, stand parallel zur Tischkante. Unter dem Tisch stapelten sich die Stoffballen. Aus den Boxen des Plattenspielers kam Musik, von Kratzern durchsetzt. »Ist das Vivaldi?«, fragte Lilli. »Haydn«, presste Adam zwischen den Lippen hervor, »nicht einziehen!« »Was?« »Nicht einziehen!« Adam steckte den Rockbund neu fest. »Ich verstehe nicht, warum du Daniela nicht nimmst. Sie ist schön, sie ist jung und sie zahlt, was du verlangst. Sie will einfach nur mal ne schicke Klamotte. Außerdem hat ihr Vater ne Werkstatt, ist zwar für Skoda, aber wenn mal was ist, helfen die dir. Es eilt auch nicht. Daniela stellt sich ganz hinten an.« Sie warf das »Magazin« auf den Tisch. »Wann fahrt ihr eigentlich? Hast du den neuen Lada schon?« Adam schüttelte den Kopf. Lilli betrachtete im Spiegel ihren linken Oberarm, der halb erhoben war, und zupfte an ihrer Frisur. Adams Finger fuhr ein Stück im Bund ihres Rocks entlang. »Du brauchst gar nicht zu knurren«, sagte sie. »Ich zieh nicht den Bauch ein, ich bin doch keine Anfängerin!« Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. »Kürzer, finde ich«, sagte Lilli. Adam schlug den Saum um, sah in den Spiegel und schüttelte den Kopf. »Nicht? So sieht man ja überhaupt kein Bein«, sagte Lilli. Adam steckte die Lange ab und lächelte, was ihn merkwürdig traurig aussehen ließ. »Was denn?«, rief sie. »Sag mal, die Gürtelschlaufen könnten größer 12
sein.« Adam fasste Lilli an den Hüften, drehte sie herum und nahm die Nadeln aus dem Mund. »Da kommt ein Schlitz hin, ein Schlitz, verstehst du? Sie sollen danach schielen, sich die Hälse verrenken. Und sieh zu, dass du einen schmalen Gürtel auftreibst, was Elegantes. Hier kriegst du deine zwanzig Zentimeter, ungefähr zwanzig von hier ab.« Er steckte wieder eine Nadel fest und richtete sich endlich auf. »So, jetzt die Schuhe, dreh mal ein paar Runden.« Lilli fuhr in ihre braunen Pumps» lief zum Fenster, wo sie, auf die Zehenspitzen gestellt, eine schnelle Wendung vollführte, um dann zur anderen Giebelwand zu gehen, wo sie erneut kehrtmachte. Adam hatte die Zigarre aus dem kupfernen Aschenbecher genommen und so dann, bis die Spitze aufglühte. Lilli blieb vor ihm stehen, die Hände in die Hüften gestützt. »Ich kann gar nicht glauben, dass ich das dort bin. Bei dir werde sogar ich fotogen!« »Weiter, weiter«, sagte er. Als Lilli ihn wieder passierte, wedelte sie mit einer Hand, woraufhin Adam die Zigarre aus dem Mund nahm und ihr den Rauch in den Nacken blies. »Das reicht, komm her!«, rief er. »Hast doch den Bauch eingezogen.« Adam wollte mit dem Finger auf die kleine Wulst über ihrem Rockbund tippen, Lilli wich zurück. Sie tat, als hätte sie ihn nicht gehört, und strich ihr Haar nach hinten. Auch sie schwitzte. 13
Adam zog den zweiten Spiegel heran. »Hier, an der Kellerfalte, da muss ich was wegnehmen. Sonst fällt es sehr gut.« Unter Adams Händen spannte sie ihren Hintern an. »Eigentlich bin ich froh, dass du Daniela nicht willst. Nachher findest du noch Gefallen an so jungen Hüpfern. Das Futter ist toll, fühlt sich gut an. Wo hast du das her? Wenn ich nicht gleich ersticken würde, würde ich schnurren. Kannst du den Stinkestumpen nicht mal wegtun! Du kriegst noch Lungenkrebs.« »Den Webfehler hier, den hol ich rein, der verschwindet dann fast«, sagte er und steckte ein paar Nadeln neben die Kellerfalte. »Zu Hause riechen sie immer, dass ich bei dir war. Und dabei wasche ich mir schon jedes Mal die Haare.« Adam zog vorsichtig am Rock. »Sitzt, wackelt und hat Luft«, sagte er. »Dreh dich um.« Und als sie ihn fragend ansah, wiederholte er: »Umdrehen! Und mach das Ding hier ab!« Lill i löste den Verschluss ihres BHs, streifte die Träger ab und ließ ihn zwischen Daumen und Zeigefinger baumeln. »Zufrieden?«, fragte sie, als der BH zu Boden fiel. Adam nahm die Kostümjacke von der großen Schneiderpuppe. Lilli streckte die Arme nach hinten, schlüpfte in die Ärmel, zog sich die Jacke über die Schultern und drehte sich um. Unverwandt blickte sie ihm in die Augen, während er die Jacke mit Nadeln schloss. »Ich hab ein paar Knöpfe dafür gefunden, im Antiquitätenladen, rares Zeug, echt Perlmutt, Vorkriegsware, hätte mein alter Herr gesagt.« 14
Adam trat einen Schritt zurück. »Na und? Streck mal die Arme vor, beide - und zur Seite ... Ich hab's tailliert]0 Ist es zu eng?« »Wieso denn!«, sagte Lilli und sah in den zweiten Spiegel. »Entweder findest du noch einen ordentlichen BH, oder du ziehst nichts drunter, am besten nichts drunter. Den mittleren Knopf noch ein bisschen höher, und hier was weg, hüben wie drüben, siehst du, das sorgt allein für die richtige Form.« Er trat zur Seite und beobachtete, wie sich Lilli zwischen den Spiegeln hin und her drehte, ihre Hände flach auf die Taille legte und über den Stoff strich. »Ach, Adam«, sagte Lilli, als gerade das letzte Duett begann. »Ich müsste dir jedes Mal einen Strauß Rosen schenken!« Adam blies kleine Wölkchen in Richtung Dachluke. Eine Weile war nur die Musik zu hören, als lauschten beide dem Gesang. »Einen ganzen Rosengarten verdienst du!« Adam legte die Zigarre auf dem Fensterbrett ab, die Spitze ragte über die Kante. »Kannst sicher sein«, sagte er, »da gibt's für jeden was zu sehen, von vorn und von hinten und im Profil.« Er nahm das halbvolle Teeglas, rührte noch einmal um, leckte den Löffel ab, trank es aus und trat dicht hinter Lilli. Einen Moment betrachtete er ihre unzähligen Kopien in den Spiegeln. Dann schotf er ihr den Löffelstiel zwischen die Brüste, wo er stecken blieb. »Siehst du, was hab ich gesagt, du brauchst nichts weiter.« Der Löffel hielt selbst dann noch, als Lilli schon mit dem Rücken auf dem Tisch 15
lag und Adam, der ihren Rock vorsichtig nach oben geschoben hatte, sich in ihr bewegte. »Nicht so schnell«, sagte Lilli. »Und pass auf, du tropfst auf mein Kostüm!« Adam wischte sich die Stirn mit dem Ärmel ab und schob das Knopfkästchen und ihr Foto etwas weiter nach hinten. Bei den letzten Takten des Schlusschors ergriff Lilli das Maßband, das noch um Adams Hals hing, und zog ihn daran zu sich herab, bis seine Augen ganz dicht vor ihren erschienen. »Adam«, flüsterte sie, »Adam, du haust doch nicht ab, stimmt's?« Sie rang nach Luft. »Du kommst zurück, Adam, du bleibst doch hier!?« »Was soll der Quatsch?«, sagte Adam. Er sah den Schweiß auf Lillis Oberlippe, er spürte ihren Atem im Gesicht, unter seiner rechten Hand hämmerte ihr Herz wie wild. »Versprich es mir, Adam, versprich es mir«, rief Lilli plötzlich so laut, dass er ihr reflexartig den Mund zuhielt. Dabei rutschte der Löffel aus ihrem Dekollete. Adam nahm ihn von ihrer Schulter und stellte ihn zurück in sein Glas, aus dem nun leise ein last glöckchenklares Klingeln zu hören war.
Adam, wo bist du? Als Adam ihre Stimme und dann die Schritte auf der Holztreppe hörte, geschah es, dass er sich hinter den Schrank rechts von der Tür drückte. Lilli, die in der Wanne hockte, sah ihn angststarr an. Es klopfte, Lilli drehte die Brause ab, Evelyn trat ein. »Ich habe«, rief sie - und 16
sagte dann fast tonlos: »gekündigt.« Lilli, Seifenschaum an Armen und Schultern, stieg aus der Wanne. »Entschuldigung«, sagte Evelyn und machte kehrt. »Adam?«, rief sie draußen. »Adam, wo bist du?« Sie lief hinauf ins Atelier. Er wusste, wie es da oben aussah. Lilli versuchte ihren Slip nach oben zu ziehen, der ihr zusammengeringelt in den Kniekehlen hing. Über ihren glänzenden Rücken hinweg sah Adam in den Garten. Auf dem frisch gemähten Rasen hüpften Amseln, Spatzen und eine Elster umher. Das Unkraut in den angrenzenden Beeten hatte er in den letzten Tagen gezogen, der Zaun war im Mai neu gestrichen worden. Auf dem Feuerplatz neben der Garageneinfahrt lag ordentlich eingerollt der Wasserschlauch. Die Schildkröte in ihrem kleinen Gehege hatte sich verkrochen. Langsam kam Evelyn die Treppe herunter. Vor der Badezimmertür blieb sie stehen. »Adam, bist du hier drinnen?« Sie öffnete die Tür. »Adam?« «Entschuldigung«, flüsterte Lilli. Sie hatte den Slip nach oben gezerrt, der ihre Hüfte nun wie eine Kordel umspannte, und ein Handtuch unter die Achselhöhlen geklemmt, um ihre Brüste zu bedecken. »Entschuldigung«, wiederholte sie. »Haben Sie Adam gesehen?« Lilli sah zum Fenster, als suchte sie ihn draußen im Garten. Warum sagte sie nichts? Ich bin weit, weit weg, dachte Adam. Da stand Evelyn bereits vor ihm. Er musste lächeln, weil sie noch die weiße Bluse und den schwarzen Rock samt Servierschürze anhatte. »Wer ist das?«, fragte 17
Evelyn und deutete mit dem Kopf zu Lilli. Sie griff sich das Handtuch, das am Waschbecken hing, und warf es Adam vor die Brust. Von da fiel es zu Boden. »Wer ist diese Frau? « Er hob das Handtuch auf und hielt es sich wie einen Lendenschurz vor. »Entschuldigung«, flüsterte Lilli. »Sind das deine Anproben?« Lilli blickte kurz auf, sah jedoch gleich wieder zu Boden. »Es war so heiß«, sagte Adam. »Sag ihr, dass sie sich abduschen soll, das bringt ja jetzt auch nichts mehr.« An der Tür hielt Evelyn kurz inne und betrachtete Lilli, die etwas vorgebeugt dastand, die Oberarme an den Körper gepresst, und versuchte, den weißen Slip zu entrollen und über ihren Hintern zu ziehen. Adam zählte Evelyns Schritte. Auf der Schwelle ihres Zimmers schien sie zu verharren. Er fürchtete, dass sie umkehren und wieder ins Bad kommen könnte. Doch dann knallte die Tür. Das Ächzen ihres alten Sofas war in der Stille des Hauses gut zu hören. Adam saß am Küchentisch und kehrte mit den Fingern die Brotkrümel beisiite. Es tat gut, den Kopf in die Hände zu stützen. Vor ihm, neben dem geöffneten Quittenglas, lag eine Papiertüte voll lilafarbener Früchte. Sie sahen aus wie kleine Zwiebeln, doch durch das Papier hatten sie sich weich angefühlt. Er wagte es nicht, die Früchte in die Hand zu nehmen. Vielleicht war er schon damit zu weit 18
gegangen, die Tüte von der Treppe in die Küche zu tragen. Adam, barfuß, ein Handtuch um die Hüfte, hatte seine und Lillis Sachen im Atelier zusammengesucht und war von ihr wieder nach oben geschickt worden, weil er ohne BH und auch ohne das Foto zurückgekehrt war. Wieder musste er an Evelyns Zimmer vorbei, wieder über die knarrenden Stufen hinauf und wieder zurück - aber nur mit ihrem Foto. Evelyn habe wohl ihren neuen BH verschwinden lassen, hatte Lilli gezischt, war aber gleich darauf in Tränen ausgebrochen. Ihr fortwährendes »Was kann ich denn tun?« hatte Adam verleitet, »halb so schlimm« zu flüstern, »ist alles halb so schlimm«. Dabei hatte er nur gewollt, dass Lilli endlich den Mund hielt. Jedes weitere Wort fesselte ihn nur noch mehr an sie. Nein, er war nicht zurechnungsfähig gewesen. Wie hätte er sonst, statt sich anzuziehen, im Bademantel hinter Lilli hergehen können, um Evelyns Fahrrad aufzuheben, das am Quittenstamm heruntergerutscht war. Dabei hatte sich sein Bademantel geöffnet. Deutlicher hätte er den Nachbarn gar nicht vorführen können, was soeben passiert war. Vorher hätte Lilli den Mund aufmachen sollen, nicht erst, als alles zu spät war. »Er ist im Garten. Ich glaube, er ist draußen im Garten.« Mehr nicht. Er wäre ins Atelier entwischt, und gut. Nichts wäre passiert, gar nichts. 19
Zurück im Haus, hatte Adam für einen Moment tatsächlich geglaubt, es sei alles in Ordnung, wie es immer in Ordnung gewesen war, sobald er sein Haus betrat. Deshalb hatte er Evelyns Schlüsselbund aufgehängt und die Tüte in die Küche getragen. Sie ließ ihre Sachen immer irgendwo liegen. Das halbvolle Schälchen mit Quittenkompott hatte er auf der Brotbüchse entdeckt und in den Kühlschrank gestellt. Statt sich ein Brett zu nehmen, hatte sie das Brot auf der Zeitung geschnitten - neuerdings kaufte sie ständig dieses Käseblatt. An ihm war es wieder gewesen, die Zeitung über dem Waschbecken auszuschütteln, zusammenzufalten und in den Keller zum Altpapier zu bringen. Er hatte gestutzt, weil die Museumsführung »Geschichte der Laokoon-Gruppe« mit Filzstift markiert war, obwohl Evelyn doch wusste, dass sie keine Zeit dafür haben würde. Evelyn war im ersten Stock hin und her gelaufen. Sie hatte Türen zugeschlagen und wieder aufgerissen, Bücher waren zu Boden gefallen. Wäre er nicht verpflichtet gewesen, nach oben zu steigen, den ersten Schritt zu tun? Nun war es wieder still, nur der Kühlschrank surrte. Von Zeit zu Zeit wischte Adam Brotkrümel zur Seite, doch nur, um danach wieder dieselbe Haltung einzunehmen. Er war dankbar für jede Minute, die er am Küchentisch sitzen durfte, ohne etwas sagen zu müssen. Plötzlich spürte er den Schmerz. Es brannte unter dem Brustbein, als wäre dort etwas Festes stecken geblieben. 20
Adam sah sich bereits auf dem Küchenboden liegen, ohnmächtig, Evelyn in der Tür. Plötzlich fürchtete er, Evelyn würde sich etwas antun. Doch kurz darauf die Klospülung und dann ihre Schritte zu hören ängstigte ihn nicht weniger. Adam stand auf. Die Tüte in der einen Hand, mit der anderen seine Brust massierend, blickte er zur Decke, als könnte er Evelyn sehen. Alles, was ihm einfiel, war, sie um Entschuldigung zu bitten. Er ging zur Treppe, setzte sich auf die zweite Stufe und legte die Tüte neben sich. Enttäuscht registrierte Adam, dass der Schmerz nachließ. Die Ellbogen auf den Knien, stützte er mit beiden Händen seinen Kopf, der ihm, je länger er so verharrte, unnatürlich schwer erschien.
Der Auszug Adam erhob sich wie zum Duell. Evelyn blieb ein paar Stufen über ihm stehen und setzte den Koffer ab. Das grüne Zelt behielt sie unter dem Arm. Sie lächelte. »Ich geh zu Simone, erst mal.« »Erst mal?« »Na ja, mal sehen, sie hat auch ein Visum, vielleicht fahren wir zusammen.« Adam wollte sie korrigieren, das, was in ihren Ausweisen klebte, war kein Visum. Doch dann fragte er nur: »Und wohin?« »Na, wohin schon, in die Karibik!«Adam ließ den Knauf des Treppengeländers los, damit es nicht so aussah, als versperrte er ihr den Weg. Er hätte gern beide Hände in die Hosentaschen gesteckt, doch in der Linken hielt er die Papiertüte mit den Früch21
ten, die er beim Aufstehen ergriffen hatte. »Willst du nicht warten?« »Worauf?« »Wollen wir denn nicht reden?« »Worüber?« Adam verzog gequält den Mund. »Über das, was passiert ist.« Er konnte seinen Blick kaum von den hellroten Zehennägeln losreißen, die aus ihren Sandalen hervo rleuchteten. »Wenn du mir etwas zu sagen hast.« Sie nahm das Zelt wie ein Baby in die Arme und setzte sich halb auf den Koffer. »Es tut mir leid» entschuldige bitte.« Er sah ihr ins Gesicht, gerade so lange, dass er ihr Nicken wahrnahm. Dann fiel sein Blick wieder auf ihre Füße. Als ihn vorhin die Angst umtrieb, sie könnte sich etwas antun, hatte sie sich wohl die Nägel lackiert. »Es tut mir sehr, sehr leid.« »Mir tut es auch sehr, sehr leid» Adam.« Evelyn nickte dabei so übertrieben, als spräche sie mit einem Kind. »Und wenn ich dir nun sage, dass da nichts, gar nichts von dem war, was du glaubst, Lilli und ich kennen uns ...« »Was soll das denn?«, unterbrach sie ihn. »Wieso?« »Du lügst.« Sie klang resigniert, ais habe sie diese Wendung befürchtet. »Ich geh, bevor du noch mehr Unsinn redest.« »Was soll ich denn sagen?!« »Du wolltest reden.« Evelyn stand auf. »Willst du einfach so abhauen?« »Einfach so< ist gut. Ich versuche hier nur wegzukommen, bevor der große Hammer fällt.« »Welcher Hammer?« »Bevor ich wirklich begreife, was passiert ist.« »Es liat nichts, gar nichts zu bedeuten!« »Ah ja?« 22
»Wenn ich's dir sage!« »Für mich bedeutet das praktisch alles.« »Du kannst in jede Ecke leuchten, es bedeutet nichts, nichts, verstehst du? Du kannst mich alles fragen!« »Was denn? Wie lange es schon so geht? Ist Renate Horn aus Markkleeberg die Einzige? Macht dich üppiges Fleisch an? Brauchst du was Nuttiges, um in Fahrt zu kommen? Traust du dich nicht bei mir? Geht es um Abwechslung? Will der Schöpfer eine Belohnung? Machst du sie dir durch deine Dienste gefügig, oder kommen sie, weil ihnen zu Hause nichts mehr geboten wird?« Adam zog die Lippen ein und massierte mit der freien Hand seine Brust. »Ich hatte immer gehofft, dass ich davon nichts mitkriegen muss, dass ich1' nicht gezwungen werde, ernsthaft darüber nachzudenken, wie das bei euch abläuft, wenn deine Geschöpfe Seidenblusen auf nackter Haut tragen oder diese monströsen Dekolletes, die Ärsche, die du ihnen besser verkleinerst als jeder Chirurg ...« »Evi sagte er und schlug mit seiner Rechten auf den Knauf des Treppengeländers. »Ich hatte gehofft, dass der Verrat nur meine Schuhe betrifft oder den Garten oder die Couch, von mir aus hätte sie dir ... wenn du das brauchst, von mir aus! Aber ich wollte das nicht wissen, ich wollte das nicht sehen und nicht spüren, verstehst du? Als ich wegrannte vom Ratskeller, war da plötzlich dieser kleine Mann im Ohr, und der sagte, pass auf, pass bloß auf! Aber ich hab nicht daraufgehört. Und jetzt hab ich's 23
gespürt und gesehen, und jetzt ist Schluss. Ende der Durchsage.« Evelyn ergriff ihren Koffer, das Zelt unter dem linken Arm, und stieg die letzten Stufen hinunter, bis sie Adam fast berührte. Ihr Blick ging über ihn hinweg. Sie wartete, dass er den Weg freigab. Adam trat zur Seite, die Tüte hielt er mit beiden Händen wie einen Blumenstrauß vor der Brust. »Und warum kündigst du?« »Nicht jetzt.« »Nun sag schon.« Adam lehnte sich gegen die Wand. »Sie haben mich beklaut, wenn du's wissen willst, und dann haben sie mir auch noch vorgeworfen, dass ich mich darüber aufrege.« »Und was? Was haben sie geklaut?« »Parfüm.« »Dein Parfüm?« »Mein Parfüm.« »Das ich dir ...« »Nein. Ich hatt's gerad geschenkt bekommen.« »Aha.« »Simone war da, mit ihrem Cousin, der hat mir das mitgebracht, weil ...« »Der vom letzten Jahr? Dieser blasierte Affe? Setz doch den Koffer ab.« »Immerhin hat er sich gemerkt, dass ich das Parfüm gut fand. Ich hab's in meinen Spind getan, und dann war s weg.« »Ist das Zeug hier auch von ihm?« Adam hielt ihr die Tüte hin. »Du musst nicht so angewidert tun. Das sind frische Feigen.« »Sowie der dich angebaggert hat, du hast selbst gesagt ...« »Warum soll ich mich denn nicht anbaggern lassen?« »Von dem?« »Du meinst, ich hätte dir den Westkontakt melden sollen? Das wollte ich sogar, aber du warst ja be24
schäftigt! Leider! Nichts zu machen!« »Ich hab dir gesagt...« »Ich hab gesagt, ich rede gern über alles, aber zuerst will ich mein Eigentum16 zurück. Und da hat die Gabriel gesagt, dass sie sich solche Verdächtigungen verbittet. Ich hab gefragt, ob das ihr letztes Wort ist, und als sie dabei blieb, hab ich gesagt, dass ich jetzt meinen Urlaub nehme. Sie hat verlangt, dass ich bis zum Schichtende arbeite und morgen auch noch, da hab ich gekündigt, aus und Schluss.« »Und der feine Cousin hat draußen gesessen, gelächelt und dich empfangen!« »Quatsch, die waren längst weg.« »Ich dachte, du findest den aufdringlich?« »Soll ich sagen, das nehme ich nicht an, ich muss erst mal meinen Mann und meine Chefin fragen?« »Und jetzt gehst du zu ihm?« »Ach, Adam. Wenn dir weiter nichts einfällt.« Evelyn nahm im Vorraum ihren Schlüssel und öffnete die Haustür. »Du hättest dich wenigstens passend anziehen können«, sagte er. »Wie bitte?« »Grün und blau ist Kasper seine Frau.« Adam folgte ihr hinaus und half ihr, Koffer und Zelt auf dem Gepäckträger festzuklemmen. »Soll ich dich bringen?«, fragte er. »Das wird nicht halten.« »Warte mal«, sagte Evelyn, ging nach hinten in den Garten, setzte sich auf die kleinen Holzbohlen und kraulte mit einem Finger die Schildkröte unter dem Kopf. »Sei nett zu Elfriede«, sagte sie und krempelte das rechte Ho25
senbein ein Stück auf. »Jeden Tag frisches Wasser. Und mach nachts das Gitter drüber wegen der Marder.« Adam ging vor Evelyn her, offnere die Gartenpforte und gab ihr die Tüte mit den Feigen. »Danke«, sagte Evelyn und fuhr an. Nach wenigen Metern rutschte das Zelt zur Seite. Adam sah noch, wie Evelyn mit der Hand, die die Tüte hielt, nach hinten griff. Er lief zurück ins Haus und schloss hinter sich die Tür so vorsichtig, als befürchtete er, jemanden zu wecken. »Das wird nicht halten«, sagte er plötzlich und wiederholte diesen Satz mehrmals, wahrend er sich schon wieder seine Brust massierte.
Warum lügt Adam schon wieder? Adam wollte sich hinlegen und die Augen schließen, wenigstens für ein paar Minuten. Doch die Vorstellung, irgendwann wieder aufstehen zu müssen, hielt ihn auf den Beinen. Er stieg hinauf ins Atelier. Vorsichtig strich er Lillis Rock glatt und befestigte ihn an der Schneiderpuppe, darüber das Oberteil. Nachdem er die Platte zurück in die Hülle gesteckt, den Plattenspieler ausgeschaltet, die Fenster geschlossen und die Dachluke bis auf einen kleinen Spalt zugemacht harte!' nahm er das Tablett mit den leeren Glasern und der Zuckerdose und wandte sich zum Gehen, da fiel sein Blick auf das leuchtende Weiß in dem Spalt zwischen Wand und der geöffneten Tür - Lillis BH. Auf dem oberen Körbchen war ein dunkler Halbkreis zu sehen, der Abdruck seines Schuhs. Adam balancierte das 26
Tablett mit einer Hand, nahm den BH zwischen die Finger, als wollte er die Qualität des Stoffes prüfen, drückte ihn sich dann aber wie eine Maske aufs Gesicht - er roch nach nichts - und hängte ihn zurück an die Klinke. Als er an Evelyns Zimmer vorbeikam, warf er einen Blick hinein. Es war aufgeräumt, die weiße Bluse, ihren schwarzen Rock und die Servierschürze harte sie zusammengefaltet und auf das Sofa gelegt, darunter standen ihre Kellnerinnenschuhe. In der Küche wäre er fast auf eine Feige getreten. Sie musste ihm aus der Tüte gefallen sein. Selbst beim Abwaschen sah er Evelyn vor sich, wie sie ihn angeblickt hatte und dann Lilli. Er rieb weiter am Glasrand, obwohl der Abdruck von Lillis Lippenstift längst verschwunden war. Das bringt ja jetzt auch nichts mehr, dachte er und horte sich einen Laut ausstoßen, ein Ächzen oder einen Kampfschrei, etwas, was er gern wiederholt hätte, nur kräftiger noch, das Gesicht zur Decke gerichtet. Er schlug ins Spülwasser, Lillis Glas knallte auf den Boden des Beckens. Adam trocknete sich nicht mal die Hände ab. Er warf die Tür hinter sich zu und lief zur Garage. Rückwärts fuhr er den alten Wartburg heraus. Mit dem erstbesten Lappen, den er in der Garage fand, wischte er Staub und Spinnweben von den beiden 20-Liter-Kanistern und verstaute sie im Kofferraum. Adam fuhr bis zur Puschkinstraße und dann nach links, in einem Bogen um die Altstadt. Als er das Museum passierte, kam eine Gruppe heraus, die Füh27
rung war offenbar gerade erst zu Ende. Manchmal konnte man schon von hier das Ende der Autoschlange sehen. Doch Adam hatte Glück, unverschämtes Glück, wie Evelyn gesagt hätte. Er zählte sieben Wagen vor sich. Kaum war der Motor ausgeschaltet und die Handbremse angezogen, ging es weiter. Adams rot-weißer Wartburg 311 gehörte zu den Autos, die der Tankwart, ein kleiner Mann mit schwarzen Haaren und großer Brille, mochte. Letzten Herbst hatte er Adam ungefragt eine fehlende Radkappe beschafft und Adams zweifach gefalteten Geldschein unbesehen in der Brusttasche seines blauen Overalls verschwinden lassen. »Na, isc das Leben noch frisch?« Adam nickte. Er beeilte sich, die Kanister aus dem Kofferraum zu nehmen, solange der Wagen hinter ihm noch nicht heran war. Er öffnete sie und stellte sie neben die Zapfsäule. »Wohin soll's denn gehen?« »Warnemünde«, sagte Adam. Er wusste selbst nicht, warum er log. »So ein Glückspilz. Etwa ins >Neptum?« »Privatquartier«, antwortete Adam, ging zurück zum Kofferraum und tat, als würde er dort etwas suchen. Unter der alten Decke fand er das Vogel- und das Pflanzenbestimmungsbuch seines Vaters. Er legte die Decke zusammen, lächelte und richtete sich wieder auf, die Bücher unter dem Arm. »Gibt's vom Schloss was Neues?«, fragte Adam. Von hier sah man die Lücke, die der Brand zwei Jahre zuvor hinterlassen hatte. »In vierzig Jahren soll die Junkerei wieder stehen«, sagte der Tank28
wart, ohne den Blick von den Kanistern zu wenden. »In der Teichstraße«, sagte Adam, »gab's nach dem Krieg noch zwanzig Kneipen. Mein Vater hat immer mal versucht, in jeder ein Bier zu trinken, aber geschafft hat er das nie. Und jetzt? Jetzt gibt's noch eine.« Plötzlich hatte Adam den Verdacht, der Tankwart habe ihm diese Geschichte erzählt. »Und die eine macht auch bald dicht«, sagte der Tankwart, drückte mit dem Handballen den zweiten Kanister zu, zog einen Kuli hinter dem Ohr hervor und notierte die Summe. Dann kurbelte er die Anzeige der Zapfsäule auf null und begann den Wagen zu betanken. »Und sonst?«, fragte Adam. Der Tankwart sah vor sich hin, als müsste er über diese Frage gut nachdenken. »Eigentlich hätt ich schon Urlaub«, sagte er schließlich. »Aber wenn die Kollegin wegbleibt...« Adam gab ihm zwei Mark Trinkgeld. »Momentchen«, sagte der Tankwart. Die Hand auf seiner Beincasche, kehrte er aus dem Büro zurück »Kennen Sie das?« Er stellte sich mit dem Rücken zu dem Skoda hinter ihnen, zog eine Spraydose hervor, schüttelte sie, ging vor dem Kühler in die Hocke, spritzte einen Klecks Schaum auf die verchromte Stoßstange und verrieb ihn. »Na, ist das was?« Die Stelle glänzte tatsächlich heller. Adam hoffte, der Tankwart werde nun auch den Rest der Stoßstange damit behandeln, doch der erhob sich. »Haben Sie noch so ne Dose?« »Nee-e-e!«, meckerte der Tankwart. »Hab ich mir bei den Tschechen besorgt. 29
Wollte Sie fragen, falls Sie mal hinkommen, ob Sie mir eine mitbringen.« »Wir fahren nach Warnemünde«, sagte Adam. »Nur wenn sich's ergibt, dass Sie dran denken ...« »Gern«, sagte Adam und nickte. »Da denk ich dran. Haben Sie vielleicht nen Einfiilltrichter?« »Für Sie hab ich doch alles.« Mit der Dose in der Beintasche verschwand der Tankwart wieder. Adam rundete großzügig auf. Wortlos ließ der Tankwart das Geld in seiner Brusttasche verschwinden. Sie verabschiedeten sich mit Handschlag. Im Rückspiegel sah Adam, wie der Tankwart eine rot-weiße Kette vor die Zufahrt hängte, ihm aber noch immer nachsah, als wollte er sich sein Kennzeichen einprägen. Adam bog hinter der Bartholomäikirche nach rechts in die Ebertstraße, überquerte die Dr.-Külz-Straße, hielt sich dann links und kam endlich in die Martin-Luther-Straße. Neben der Haustür von Nummer 15 stand Evelyns Fahrrad, und direkt gegenüber, auf der anderen Seite, ein roter Passat-Kombi mit West-Nummernschild, das mit den Buchstaben HH begann. Ihm fiel keine Stadt ein, in deren Name zweimal H vorkam. Adam hatte Hunger. Zu Hause zwang er sich zur Sorgfalt, dekorierte den Wurstteller mit Gurken, stellte Senf, Meerrettich und das Schälchen mit Quittenkompott auf das Tablett, dazu zwei Teller, auf die er die beiden Stoffservietten in ihren silbernen Ringen legte. Nachdem er das Wachstuch auf dem Gartentisch abgewischt hatte, 30
holte er die Schildkröte aus ihrem kleinen Freigehege und setzte sie auf den Tisch, wie es Evelyn immer getan hatte. Die Schildkröte kroch näher zum Teller. Adam achtete darauf, langsam zu essen und langsam zu trinken. Der Abendwind war angenehm, auf dem Dachfirst sang eine Amsel. Zum Schluss versuchte er die Feige zu schälen, schnitt sie schließlich in der Mitte durch und aß sie mit dem Löffel. Den Rest legte er vor die Schildkröte, die sofort daran zu knabbern begann. Die Gegenwart des Tiers tat ihm gut, als wäre er schon zu lange allein gewesen. Es dämmerte bereits, als Adam den Gartenschlauch nahm und die Beete und Sträucher goss. Bei der Gartenarbeit kamen ihm immer die besten Ideen, deshalb lag im Schuppen auch ein Schreibblock, auf dem er seine Einfälle mit einem Zimmermannsbleistift skizzieren konnte. Zwischendurch setzte er die Schildkröte ins Gras, sprach mit den Nachbarn und säuberte den kleinen Teich, von dessen Rand vier Frösche aus Sandstein dünne Fontänen spuckten. Er freute sich wieder über den flachen Stein, den er im Frühling in die Mitte des Beckens gelegt hatte, kaum höher als der Wasserspiegel, ideal für die Vögel. Nachdem im Garten alles getan war, und die Schildkröte wieder in ihrem Gehege herumkroch, genehmigte er sich eine zweite Flasche Bier und eine Zigarre. Käme Evelyn, würde sie sehen, dass er sie nicht nur erwartet hatte, sondern dass er sich auch an die Absprache hielt, nur im Atelier oder draußen zu rauchen. 31
Jeder Gedanke geriet Adam zu einer Rechtfertigung, als würde er verhört, als dürfte es keine Unsicherheit, keinen Widerspruch in seinem Kopf geben. Selbst dass er hier saß und rauchte, schien ihm bereits mit Uhrzeit und Datum in einem Protokoll festgehalten zu sein. Er musste noch den Mülleimer leeren, die Fenster kontrollieren, auch im Keller, und darauf achten, dass alle Zimmertüren offen blieben, die Stecker herausziehen, das Wasser im Kühlschrank aufwischen, packen und für die Schildkröte einen Karton finden. Zur Belohnung würde er sich rasieren und duschen. Adam stellte gerade den Wecker, als es an der Haustür klingelte. Der Tankwart, schoss es ihm durch den Kopf. Aber warum der Tankwart? Evelyn! Er schaltete das Außenlicht an und öffnete. »Ach, Sie«, sagte er. Der Telegrammbote grüßte und reichte ihm ein Kuvert. Auf der Suche nach dem Portemonnaie klopfte Adam sein Jackett ab, das auf einem Bügel am Garderobenschrank hing. Er drückte dem Telegrammboten eine Mark in die Hand und wartete, bis er auf das im Leerlauf tuckernde Moped gestiegen und abgefahren war. »sonntag verhindert montag nachmittag? monika. Adam verzog den Mund und setzte sich auf die Treppe. An alles hatte er gedacht, nur nicht an die Frauen. Er nahm die Pappe, die in der Nische neben der Tür zwischen seinen Gartenschuhen steckte, und fächelte sich Luft zu. »Bin im Garten«, hatte er vor Jahren mit Rotstift 32
daraufgeschrieben, damit seine Kundinnen, falls er ihr Klingeln überhörte, nicht glaubten, er hätte sie versetzt. Einige reisten sogar aus Leipzig, Gera oder Karl-MarxStadt an. Etwa zwanzig Postkarten musste er schreiben: »Bin kurzfristig bis Anfang September im Urlaub, Gruß Adam.« Er hatte Zeit, es war schon alles gepackt. Die Zeitung hatte er ohnehin Anfang des Jahres abbestellt. Für alles andere war der Briefkasten groß genug. Er steckte das Schild zurück zwischen die schweren Schuhe. »Wer nicht lügt, braucht sich auch nicht zu verstecken«, sagte er plötzlich, stand auf und schloss von innen ab. Einen Moment erwog er, den Schlüssel stecken zu lassen - und zog ihn dann wie immer heraus. Er war es gewohnt, dass Evelyn spät kam. Adam nahm noch ihren Strohhut, den er manchmal selbst bei der Gartenarbeit trug, vom Schrank und legte ihn auf den gepackten Koffer. Den Karton für die Schildkröte polsterte er mit Stoffresten aus und stellte einen Wassernapf hinein. Bis kurz nach zwölf Uhr waren mehrere Fenster erleuchtet, vermerkte Adam in seinem imaginären Protokoll während des Zähneputzens, spülte den Mund aus, gurgelte kurz und ging ins Bett.
Der Morgen danach Obwohl Adam schon lange keinen Wecker mehr benutzt hatte, erwachte er wie früher kurz vor dem Klingeln. Wie jeden Morgen stellte er sich seinen Tod vor. Heute jedoch 33
beunruhigte ihn dieser Gedanke mehr, als dass er ihn tröstete. Im Schlafanzug ging er nach unten ins Wohnzimmer, öffnete den alten Sekretär, entnahm ihm die Schmuckschatulle und band sich die Glashütter Uhr um, Evelyns Geschenk zu seinem zweiunddreißigsten Geburtstag. Um die Schatulle im Koffer verstauen zu können, musste das zweite Paar Halbschuhe wieder heraus. Zum Frühstück aß er das Quittenkompott und spülte das leere Glas aus. Den Löffel trocknete er ab und legte ihn zurück in den Besteckkasten. Als das Auto gepackt war, schraubte er im Haus die Sicherungen heraus. In der Martin-Luther-Straße erkannte er schon von weitem den roten Passat-Kombi. Evelyns Fahrrad lehnte nicht mehr am Haus. Adam hielt, kurbelte die Scheibe nach unten und sah hinauf zu den geöffneten Fenstern im zweiten Stock. Gegen die hohen Räume mit ihren Stuckdecken und den Jugendstil-Schiebetüren wirkte sein Häuschen aus den Dreißigern plebejisch, eine Klitsche. Adam fuhr bis ans Ende der Straße, wendete und manövrierte den Wagen in die nächstgelegene Parklücke, drei Autos entfernt von der Haustür. Um diese über eine Hecke hinweg beobachten zu können, musste er sich aufrecht setzen. Die Schildkröte rührte sich nicht. Er stieg aus und zündete sich eine Zigarre an. Bis auf entfernte Straßengeräusche waren nur Vögel zu hören. Adam inspizierte den Passat. Die Rückbank war von Bonbonpapier und Krümeln übersät. Den Fahrersitz bedeckte ein Über34
wurf aus Holzkugeln, ein Anblick, bei dem Adam das Gesicht verzog. Der Sitz war so weit zurückgeschoben, dass dahinter bestenfalls für ein Kind Platz blieb. Adam trat vom Fußweg aus gegen den Vorderreifen. Er brauchte nur sein Taschenmesser aufzuklappen und zweimal kurz in die Knie zu gehen, schon säßen sie hier fest. Er ließ Wagen- und Zündschlüssel um seinen Zeigefinger kreisen, schlenderte die Straße hinauf, warf den Stapel Postkarten in den Briefkasten, kehrte zurück und rauchte, an den Wartburg gelehnt, seine Zigarre auf. Den Stummel ließ er fallen, der verschwand im Gully, ohne das Abflussgitter zu berühren. Adam nahm den Becher von der Thermoskanne ab und füllte ihn zur Hälfte. Vorsichtig nippte er daran, blies auf den Kaffee, nippte erneut, hielt sich den Plastebecher unter die Nase und lächelte. So roch Urlaub. So roch Urlaub von jeher. Er erinnerte sich nicht, wann er das letzte Mal aus der Thermoskanne getrunken hatte. Dabei gab es keinen Geruch, der mehr zu ihm gehörte als dieser, der Ferien, Freundin, Freiheit bedeutete. Ihm war, als würde der Druck von seinen Schläfen weichen, als könnte er wieder atmen. »Wir gehen auf große Fahrt, Elfi«, sagte er, setzte sich den Strohhut auf und schob ihn mit dem Zeigefinger aus der Stirn. Plötzlich erschien ihm alles sehr einfach.
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Der Aufbruch Adam erwachte von einem Klopfen. »Ich hab's dir gesagt, ich haLVs gerochen ...« Simone und Evelyn sahen zu ihm herein. Obwohl er sich im Sitzen aufrichtete, klopfte Simone weiter gegen die Scheibe. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte. Adam nahm den Hut und öffnete die Tür. »Guten Morgen«, sagte er. »Was soll das?«, fragte Evelyn. »Bist du unter die Spione gegangen?« »Ich hab's gewusst!« Simone schlug mit der flachen Hand auf das Wagendach. »Das ist Adam, der steht unten und quarzt.« »Auf der Straße darf man ja wohl noch rauchen!?« »Was soll das, Adam?« »Ich wollte dich nicht wecken, ich weiß ja nicht, wann ihr aufsteht. Aber den Strohhut, den solltest du mitnehmen.« »Danke«, sagte Evelyn. »Noch was?« »Ist schön, dich wiederzusehen.« »Gestern hast du nicht diesen Eindruck gemacht.« »Gestern war ein schrecklicher Tag.« »Da hast du ausnahmsweise mal recht.« Sie musterten sich gegenseitig. »Ist sonst noch was?« »Eigentlich schon.« Adam sah von ihr zu Simone und dann wieder zu ihr. »Ich komm gleich«, sagte Evelyn. Simone verdrehte die Augen. »Lass dich nicht bequatschen!«, sagte sie un$3 ging zu dem roten Passat, dessen Heckklappe offen stand. »Nun mach's nicht so spannend, Adam, was ist?« »Ich wollte dich fragen, oder besser gesagt, ich wollte dich bitten, ob du mit mir zusammen nach Ungarn fahrst.« Evelyn lachte auf. »Das ist nicht dein 36
Ernst?« »Doch, ist alles vorbereitet. Und Elfi ist auch dabei.« »Du spinnst!« »Unser Heinrich hier«, sagte Adam und tätschelte das Wagendach des Wartburgs, »hält durch, wirklich, hat er mir versprochen.« »Nein, das ist mir zu unsicher, in jeder Beziehung. Mach's gut.« »Dann mit dem Zug, wie du gesagt hast, Evi, bitte.« »Damit kommst du genau einen Tag zu spät, Adam, tschüss, wir fahren.« Evelyn drehte sich um und ging davon. »Evi!«, rief Adam. »Evi!« Er wollte noch fragen, warum sie einen Rock von Simone trug. Evelyn warf den Hut hinten in den Wagen, die Heckklappe des Passats wurde heruntergedrückt - nun sah er den Cousin und erinnerte sich wieder. Michael hieß er. Michael war groß, Mitte vierzig vielleicht. Er trug Jeans und ein weites weißes Hemd, das die Rötung seines Gesichts hervorhob. Die Heckklappe ließ sich erst nach mehreren Versuchen schließen. Aus Michaels Feuerzeug schoss eine hohe Flamme. Er nestelte daran herum, bis die Flamme fast verschwunden war, zündete sich eine Zigarette an und stopfte die Schachtel zurück in die Brusttasche. Mit ausgestreckten Armen öffnete er beide Wagentüren gleichzeitig. Simone kam Evelyn zuvor und zwängte sich nach hinten. Evelyn protestierte, sie stritten miteinander und lachten. Michael wartete stumm wie ein Diener. Adai^ warf sich hinters Lenkrad. Obwohl er geradeaus sah, nahm er im Vorbeifahren dennoch wahr, dass sie ihn ans37
tarrten. Michael nickte ihm sogar zu. Adam versuchte, an der nächsten Kreuzung zu wenden; er war gezwungen zu rangieren. Doch als sich der rote Passat in Bewegung setzte, bog Adam gerade wieder in die Martin-Luther-Straße ein und schloss dichter zu ihnen auf, als es der vorgeschriebene Sicherheitsabstand erlaubte. Er folgte ihnen hinunter zur Poliklinik, an der Tankstelle bogen sie nach rechts, fuhren unterhalb des Schlosses am Theater vorbei und dann nach links durch die Straße der Arbeitereinheit zum Großen Teich. Die Ampel schaltete auf Gelb, der Passat stoppte abrupt, Adam glaubte den Knall schon zu hören - doch es geschah nichts. Er stieg aus, ging nach vorn und klopfte gegen di£4 Scheibe hinter dem Fahrersitz. Die Musik war so laut, dass sie ihn nicht hörten. Sogar Evelyn rauchte. Simone schrie kurz auf, als sie ihn erblickte. »Der Hut, ihr zerquetscht den Strohhut!«, rief Adam. Er wunderte sich, dass sie ihn nicht bemerkt hatten, wenigstens Michael hätte ihn doch im Außenspiegel erkennen müssen. Adam ging zurück, legte den ersten Gang ein und wartete. Als der Passat anfuhr und auf der ansteigenden Straße zur Stadt hinaus beschleunigte, fiel Adam zurück. Doch er kannte den Weg. Sie würden durch Gößnitz fahren, bei Meerane die Autobahn überqueren und dann weiter in Richtung Zwickau. Er tippte auf Bad Brambach als Grenzübergang, auf der tschechoslowakischen Seite wür38
den sie Cheb durchqueren. Oder sie wählten die östliche Route über Oberwiesenthal und Karlovy Vary, die erste ausländische Stadt, die er mit seinen Eltern besucht hatte. Oder gab es noch andere Übergänge? Was Michael durch Raserei gewann, wollte Adam durch Beständigkeit wettmachen. An der Ampel in Gößnitz wartete der rote Passat hinter einem Lastwagen. Der Strohhut klemmte immer noch an der Heckscheibe. Als es weiterging, vergrößerte Adam den Abstand, um dem Auspuffqualm des Lastwagens zu entgehen. Kaum hatten sie die Stadt durchquert, hielt der Passat, ohne zu blinken, am Straßenrand. Adam fuhr ebenfalls rechts ran. Evelyn sprang heraus und kam auf ihn zu. Auch die Sandalen mit den halbhohen Absätzen waren neu. »Du machst dich lächerlich, Adam, was soll das?« Adam versuchte auszusteigen, doch Evelyn stand zu dicht vor ihm, er hätte sie mit der Tür wegschieben müssen. »Willst du uns nachfahren? Ist das dein Ernst?« Hupend raste ein Auto vorbei, Evelyn drückte sich an den Wartburg. »Lass mich mal raus«, rief Adam. Evelyn wollte weitersprechen, doch ein paar Haarsträhnen wehten ihr vor den Mund. »Adam«, sagte sie, als sie sich gegenüberstanden. »Das ist nicht lustig, was du hier machst.« »Was soll ich denn machen?!« »Nichts, gar nichts! Kapierst du nicht, was gestern passiert ist, was du getan hast?« »Ich liebe dich.« »Das fällt dir zu spät ein.« »Ich will mit dir zusammen sein!« 39
»Aber ich nicht mit dir!" Evelyn ließ sich von Adam vor den Wagen drängen, damit sie nicht mehr auf der Straße standen. »Und du lässt mich jetzt in Ruhe, kapiert! Außerdem ist das Tierquälerei! Wenn sie Zugluft abkriegt das kann tödlich sein!« Evelyn redete gegen den Lärm der vorüberfahrenden Autos an und schlang ihr Haar zu einem Knoten. Adam musste sich beherrschen, um nicht die Arme auszustrecken und sie an sich zu ziehen. »Wir können doch zu viert Urlaub machen, die beiden und ...« »Lass mich in Ruhe! Das ist alles, was ich von dir will.« »Hat er dir auch Sandalen geschenkt?« Evelyn stieß einen hohen Laut aus. »Das geht dich einen Dreck an!« »Rauchst du wieder?« »Das geht dich nichts an!« Sie schnippte mit den Fingern. »Nicht so viel.« Beim zweiten Mal misslang das Schnippen. Sie lief zurück zum Passat. »Ihr zerquetscht den Hut!« Evelyn winkte ab, ohne sich umzudrehen, ihr Haarknoten löste sich. »Es ist sinnlos, sinnlos!«, hörte er sie sagen, als sie einstieg. Sie knallte die Tür zu, der Passat preschte los. Der Abstand zwischen den beiden Wagen wuchs schnell. Doch zu seiner großen Befriedigung sah Adam noch, wie der Strohhut von der Heckscheibe verschwand.
Umwege Adam lächelte, weil sich Michael an die Geschwindigkeitsbegrenzung hielt. Sie fuhren an Meerane vorbei, an jener Häuserreihe, die ihn immer an die Bauten seiner 40
Spielzeugeisenbahn erinnerten. Als der Passat zu blinken begann, schreckte Adam auf. Sie bogen auf die Autobahn in Richtung Karl-Marx-Stadt. Die Autobahn war das Flussbett, in dem er die Spur verlieren sollte. Aber was machte das schon, ob sie ihn hier abhängten oder in der Tschechoslowakei. Selbst wenn sie sich mit den Westmark des Cousins ein anderes Quartier am Balaton nahmen, statt sich bei Pepis Familie einzuquartieren, er würde sie finden. Nur darauf kam es an. Und irgendwann würde Evelyn verstehen, wie ernst es ihm war. In der Auffahrt wäre er fast aus der Kurve getragen worden. Dann musste er halten, um einen ganzen Pulk von Wagen vorbeizulassen. Wenige Kilometer hinter Glauchau hatte er den roten Passat jedoch wieder vor sich, der nicht mal hundert fuhr, so dass Adam ihn sogar überholte. Zuerst wollte er so tun, als bemerkte er sie nicht, wandte dann aber den Kopf und grüßte mit der Hand. Michael lächelte, die Frauen unterhielten sich und rauchten schon wieder. Am Berg trat er das Gaspedal ganz durch. Als sie die Steigung überwunden hatten und es hinunter nach Karl-Marx-Stadt ging, fuhr Adam schneller. Der rote Passat folgte. Adam drosselte plötzlich das Tempo, starrte in den Rückspiegel, immer gewärtig, noch im letzten Augenblick mit dem Passat die Ausfahrt zu nehmen. Vor Dresden, an der Wilsdruffer Tankstelle, blinkte Michael frühzeitig. Adam reihte sich rechts in die Schlange ein, der Passat links, so dass Evelyn direkt neben ihm ausstieg. Sie 41
verschwand mit Simone. Adam stellte den Motor ab und öffnete die Tür. Für ihn lohnte das Tanken kaum, aber wer konnte schon wissen, wofür diese paar Liter gut sein würden. »Wir kennen uns doch«, rief Michael. Er hatte sich über den Beifahrersitz gebeugt und Hielt die Hand zum offenen Fenster hin. »Michael, Monas Cousin.« »Ich weiß«, sagte Adam und machte zwei Schritte hinüber zu ihm. »Hallo.« Adam war es fast immer unangenehm, mit Männern zu reden, die aus dem Westen kamen, selbst wenn sie älter waren als er. »Da haben wir ja noch eine schöne Tour vor uns«, rief Michael. »Kann man wohl sagen.« Adam sah auf Michaels Hand, die mit den Fingerkuppen die herabgekurbelte Scheibe berührte. Die braunen Stellen an Zeige- und Mittelfinger ergaben zusammen ein Oval. Jemand mit solchen Nikotinflecken kam für Evelyn nicht in Frage. »Bis später«, sagte Michael. »Wohin fahrt ihr jetzt?« »Dresden, Hauptbahnhof, Mona kennt sich aus.« »Na dann«, sagte Adam und schob den Wartburg im Leerlauf weiter. Als die Frauen zurückkehrten, konnte er sehen, dass Evelyn eine Gänsehaut an den Unterarmen hatte. Adam blieb ruhig, als der Passat eher abfuhr. Hinab ins Elbtal ließ er den Wagen rollen. Er sah die Dresdner Kirchtürme, den Rathausturm, sogar den Fernsehturm auf den Höhenzügen stromaufwärts, wo es diesig wurde, so dass er die beiden Plateaufelsen, die links und rechts des Flusses den Eingang zum Elbsandsteingebirge 42
markierten, nur erahnen konnte. Adam entschied sich für die erste Abfahrt, folgte den Hinweisschildern und verfuhr sich. Erst als die Moscheekuppel der Tabakfabrik vor ihm auftauchte, wusste er wieder Bescheid. Auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs fand er eine Parklücke. Er ließ das Fenster einen Spalt offen und packte den Fotoapparat in die Umhängetasche. Einen roten Passat sah er nirgends. Der »Pannonia« nach Sofia über Budapest ging kurz nach drei, also in einer halben Stunde, der »Metropol« nach Budapest erst abends halb acht. Mit dem Finger suchte er die Spalten des Fahrplans ab - er hatte nichts übersehen. Adam stellte sich an einem Imbissstand in die Reihe. Wahrscheinlich machtet' sich die drei einen schönen Nachmittag in Dresden und fuhren erst abends, denn mit dem »Pannonia« kämen sie mitten in der Nacht an. Jetzt ärgerte er sich, dass sie so spät aufgebrochen waren. Bis zum Balaton schaffte man es an einem Tag. Er beschloss, allein weiterzufahren und Evelyn bei Pepi, die ja nicht nur ihre Freundin war, zu erwarten. Adam verlangte zwei Bockwürste, klaubte das Wechselgeld von der Untertasse, hängte sich die Tasche um den Hals und nahm die Pappe mit den Würsten und die Brötchen von der Theke - da eilten die drei vorüber, Evelyn mit Hut, den grünen Zeltsack im Arm, ihre Absätze klackerten. Michael trug ihren Koffer auf der Schulter, wie es Adam nur aus alten Filmen kannte. Simone schlitterte in ihren Sandalen über die Fliesen. Sie steuerten die südli43
chen Hochbahnsteige an und liefen gleich die erste Treppe hinauf. Prag, 14.39 Uhr. Wieso hatte er nicht an Prag gedacht? Eine Weile blieb er ratlos stehen. Ein älterer Mann keuchte an ihm vorbei die Treppe hinauf, hielt plötzlich vorgebeugt inne, die Koffer schräg auf den Stufen. Für einen Moment schien es, als verlöre er das Gleichgewicht. Ein Brötchen im Mund, das andere auf die Pappe mit den Würsten gepresst, griff sich Adam einen der Koffer und trug ihn hinauf. Der Mann schleppte den anderen mit beiden Händen. Oben angekommen, hörte Adam den Pfiff zur Abfahrt. Er riss die nächste Waggontür auf, wuchtete den Koffer hinein, danach den zweiten, half dem Mann im grauen Anzug hinauf und warf die Tür hinter ihm zu. Adam nahm das Brötchen aus dem Mund, der Zug fuhr an, hinter der Scheibe bewegten sich die Hände des Mannes. Michael kam ihm entgegen. Er ließ Evelyns Strohhut um seinen aufgestellten Zeigefinger kreisen. Adam wartete, bis Michael ihn erkannte. »Willst du eine?« Michael schüttelte den Kopf, langte aber schließlich zu und nahm sich auch das zweite Brötchen. Sie setzten sich auf eine Bank. Adam hielt die Pappe wie einen Aschenbecher in der Hand, obwohl Michael immer erst mit seiner Wurst in den Senf tippte, wenn Adam ihn durch eine Geste dazu aufforderte. »Wohin fährst du jetzt?« »Wir treffen uns in Prag.« »Über Zinnwald?« 44
»Mona meinte, Bad Schandau sei besser.« »An der Elbe entlang fahren alle.« »Ich kenne mich da nicht aus«, sagte Michael. »Wollte sie den Hut nicht?« »Doch.« »Harre wohl Angst, ihn zu verlieren?« »Hm. Du meinst, über Zinnwald ist es besser?« Adam nickte, wischte mit dem Zipfel der Wurst den Rest Senf auf und steckte die Pappe in den überfüllten Papierkorb. In der Bahnhofshalle blieb Adam vor dem Fahrplan stehen. »Jede volle Stunde unterm Reiterstandbild vom Wenzel«, sagte Michael. Sie verließen Dresden in südlicher Richtung. Als sie an einer der letzten Ampelkreuzungen halten mussten, füllte sich Adam hastig den weißen Becher mit Kaffee und trank. Wie auf Bestellung kehrte der Urlaubsgeschmack zurück, so dass Adam tatsächlich nichts einfiel, was er gerade lieber getan hätte, als in seinem Auto zu sitzen und an den Balaton zu fahren. Nur um Elfi machte er sich Sorgen.
Die erste Grenze Zwischen Allenberg und Zinnwald, die Serpentinen wanden sich empor zum Kamm des östlichen Erzgebirges, fuhr Adam auf einen Rastplatz. An einem der Tische hockten zwei Männer, einen davon hielt Adam zuerst für den Tankwart, weil der ihn so unverwandt ansah, als kennte er ihn. Michael folgte Adam in den Wald. Nebe45
neinander pinkelten sie einen Abhang hinunter, aus dem übler Gestank heraufzog. »Ich hab ne Tasche von Evelyn dabei«, sagte Michael, ohne den Kopf zu wenden. »Das ist keine gute Idee.« »Glaubst du?« »Ja.« »Und was soll ich tun?« »Um was zu tun, ist's vielleicht schon zu spät.« »Meinst du, die filmen uns?« »Die beiden Typen da sind strafversetzt, die müssen hier Tag für Tag picknicken.« »Merde«, sagte Michael. Zurück am Wagen, stellte Adam die Thermoskanne und den Beutel mit dem Proviant auf den Holztisch, der klebrig war, voller Staub und Insekten. Die beiden Männer hatten sich in einen weißen Lada verzogen. »Besser, du tust auch was her«, flüsterte Adam, während er die Thermoskanne aufschraubte. Michael stellte eine Tasche auf die Bank und legte Evelyns Strohhut darauf. »Die hatte sie in ihrem Koffer.« Eine Windböe rauschte durch die Kiefern und Fichten, deren Spitzen braun und kahl waren. »Mann, das stinkt«, sagte Adam. Michael zog mit den Lippen eine filterlose Zigarette aus der Packung und klappte sein silberfarbenes Feuerzeug auf. Die Flamme war wieder viel zu groß. »Ist das Kaffee?« Michael blies den Rauch über Adams Kopf. »Willst du?« »Echter Kaffee?« Michael roch an der Thermoskanne. »Ist gut«, sagte Adam. Vorsichtig nahm Michael den Becher und schlürfte. »Das war dumm von Evi. Dich filzen sie garantiert.« »Mona hat gesagt, für mich würden die 46
sich nicht interessieren, weil die mit euch beschäftigt sind. Ich weiß ja auch nicht.« »Ich hab die Typen dort zu spät gesehen, ich hätte hier nicht halten dürfen.« »Und was sag ich, wenn sie die Tasche finden?« »Hat ne Tramperin vergessen.« »Ich weiß gar nicht, ob wir das dürfen.« »Was?« »Tramper mitnehmen.« »Na und. Hast du reingeschaut?« Michael schüttelte den Kopf und reichte den Becher zurück. »Echt guter Stoff.« Adam schenkte erneut ein. »Danke, das reicht bis morgen.« »Ist genug da.« Michael, die Zigarette zwischen den Lippen, stemmte die Hände in die Hüften und ließ seinen Oberkörper kreisen. Danach legte er die Hände auf die Schultern und bewegte die Arme. Der Lada mit den beiden Männern fuhr an ihnen vorbei in Richtung Grenze. Zum Schluss streckte Michael die Arme nach vorn wie bei einer Schwimmübung. Seine Finger zitterten. »Bist wohl kein Schleusertyp?« »Ich rauch zuviel.« »Wie maus macht, macht man's verkehrt«, sagte Adam, setzte sich Evelyns Hut auf, griff nach Evelyns Sporttasche, die federleicht war, und verstaute sie hinter dem Fahrersitz. »Willst du gar nicht reinschauen?« »Das hätte Evi nicht gern.« »Verstehe.« »Hat sie was gesagt, ich meine, über mich?« »Nur zu Mona.« »Und was?« »Dass da ne andere war, du und . .« »Ich hab ein Kostüm entworfen. Und bei der Hitze ... Evi ist völlig durchgedreht.« Michael nickte. »Aber wenn sie dich filzen?« 47
Adam zuckte mit den Schultern. »Nicht dran denken. Die sind wie Tiere. Die riechen deine Angst, für Angst haben die nen echten Riecher.« »Scharfe Hunde, was?«, fragte Michael. »Wohin wollt ihr denn?« »Zum Plattensee, das hatte ich Mona versprochen.« »Wir treffen uns auf dem ersten Rastplatz hinter der Grenze«, sagte Adam. »Und wenn du nicht durchkommst?« »Dann fahr ich nach Warnemünde.« »Und Evis Tasche?« »Wirst ja sehen, was passiert. Und denk dran, du bist ein freier Mann und besuchst die Heimatländer des Proletariats, deine natürlichen Verbündeten ... In Ortschaften nie über sechzig und Landstraße neunzig!« Adam nahm den Karton mit der Schildkröte, öffnete den Kofferraum und1 0 stellte ihn hinein. »Tut mir leid, Elfi.« Er drückte die Klappe zu. »Beeilung!«, rief er und deutete die Straße hinunter. Ein Containerwagen kroch um die Kurve, hinter ihm eine Schlange von PKWs. An der Grenzstation hielt er hinter dem weißen Lada mit Dresdner Kennzeichen und den beiden Männern. Er stellte den Motor ab, stieg aus und zündete sich eine Zigarre an. Mit dem Rücken an die Fahrertür gelehnt, schloss er die Augen. Hier oben war es eindeutig kühler. Als es weiterging, löste Adam nur die Handbremse und schob seinen Wagen vor dem roten Passat her in Richtung Grenze. Zu spät bemerkte er dann, dass in seiner Reihe zwei Frauen kontrollierten. 48
Einer kommt durch Die Blonde in der olivgrünen Uniform, deren Locken unter dem Käppi hervorquollen, blätterte in seinem Ausweis. Obwohl sie schöne Beine hatte, wirkte sie in dem kurzen Rock steif und unsicher. »Sie fahren in die VR. Ungarn?« »Wollte ich ursprünglich, aber der Urlaub reicht nicht. Der Wagen war kaputt. Trau mich nicht mehr so weit weg mit ihm. Jetzt fahr ich ins tschechische Paradies, bisschen Wandern und so.« Die Brünette mit Dauerwelle umkreiste den Wagen, ihre lackierten Fingernägel trommelten kurz auf die Motorhaube. »Zollkontrolle«, sagte sie und nahm seinen aufgeschlagenen Ausweis von der Blonden entgegen. »Sie haben Kronen und Forint umgetauscht.« »Schon im Juni. Die Forint tausch ich zurück.« »Was führen Sie aus?« »Nichts, alles meine Sachen, Proviant und elf Zigarren, Eigenbedarf.« »Keine Geschenke?« »Nein.« Nach einem Blickwechsel stempelte die Blonde seinen Ausweis, reichte ihn zurück und salutierte nachlässig. »Danke«, sagte Adam und verstaute den Ausweis in der Brusttasche. Im Außenspiegel verfolgte er, wie die beiden gelockten Frauen in den zu kurzen Röcken dem roten Passat entgegenstaksten. Michaels Gesicht schien an der Frontscheibe zu kleben. Adam ließ den Wagen an und fuhr zur tschechoslowakischen Kontrolle. »Dohr? den«, antwortete Adam und reichte den Personalausweis hi49
naus. Er verstellte den Rückspiegel. Adam wiederholte das »na shledanou« des Grenzers. Die Schranke vor ihm hob sich. Als er sich umsah, wurde der rote Passat gerade aus der Reihe gewinkt. Michael stieg aus. Eine Traube Uniformierter umringte ihn. Nach der ersten Biegung hielt Adam, holte den Karton aus dem Kofferraum, stellte ihn auf den Beifahrersitz und öffnete ihn. Die Schildkröte rührte sich nicht. Die Serpentinen nach Teplice, eine herrliche Asphaltstraße, war er noch als Lehrling mit dem Fahrrad hinabgerast. Unten fand sich ein Parkplatz mit einem kleinen Lebensmittelladen, der geschlossen hatte. Adam breitete die Straßenkarte auf der Motorhaube aus und stellte die Thermoskanne auf den oberen Rand. Von Teplice musste er nach Lovosice, einfach immer weiter auf der E5, die zugleich die Hauptstraße Nr. 8 war, bis Prag. Auch in der Stadt war es die Nr. 8, an die er sich zu halten hatte. Zweimal würde er die Moldau überqueren. Wenn er die richtige Abfahrt fand, käme er direkt am Wenzelsplatz heraus. Er faltete den Plan zusammen, so dass er ihn mit einer Hand halten konnte, und schob ihn zur Hälfte unter den Karton. Adam goss sich den Rest Kaffee in den Becher. Hätte er die Verabredung getroffen, dann sicher nicht in Prag, sondern hier in der Nähe, in Usti nad Labern am Bahnhof, so wären sie schnell wieder beisammen gewesen. Er beschloss weiterzufahren, denn bis Michael kam, konnten noch Stunden vergehen. Hinter Terecin nahm er zwei 50
Frauen mit, die nicht viel älter waren als er, aber mit ihren Goldzähnen wie Großmütter wirkten. Jede hielt eine riesige Blechdose randvoll mit großen dunklen Kirschen auf dem Schoß. Die Frauen gerieten wegen der Schildkröte ganz außer sich. Adam gestikulierte, sie sollten ruhig sein und das Tier im Karton lassen. »Ticho«, fiel ihm ein, »ticho«, worauf die Frauen loslachten und selbst »ticho, ticho« riefen. Die Frau auf dem Rücksitz drückte die Schildkröte an ihre Brust. Dann sangen sie zweistimmig für ihn, rieben hin und wieder eine Kirsche an ihren Ärmeln und steckten sie ihm in den Mund. Die Schildkröte begann sich zu bewegen und reckte den Kopf. In Doksany stiegen sie wieder aus. Seine Beifahrerin wedelte mit flacher Hand geradeaus und rief »Praha, Praha«, worauf sie zu lachen anfingen, ohne dass Adam den Grund erriet. Er spuckte eine ganze Batterie Kerne durchs Fenster auf die Straße, worüber sie erneut in ihr Goldzahn-Gelächter ausbrachen und schließlich grußlos mit den Blechdosen davonzogen. Er wollte ihnen schon nach, die Schildkröte fehlte, doch als er den Karton hochhob, sah er sie. »Elfi«, sagte er, als sie den Kopf unter den Panzer zog, »du musst keine Angst haben.« Er hoffte, nicht viel später als Evelyn und Simone in Prag zu sein, geriet jedoch am Stadtrand in eine Umleitung. Vergeblich versuchte er sich an der Moldau und am Hradschin zu orientieren, geisterte durch die Stadt und merkte dann zu spät, dass er bereits den Wenzelsplatz passierte. 51
Als er endlich eine Parklücke gefunden hatte, dämmerte es schon. Adam kraulte die Schildkröte unter dem Kopf, um sie zu beruhigen, setzte sie wieder in den Karton und versuchte Evelyns Tasche zu öffnen. Nach ein paar Zentimetern klemmte der Reißverschluss, er fürchtete, ihn kaputt zu machen allen seinen Kundinnen riet er von Reißverschlüssen ab und war froh, ihn wieder unversehrt schließen zu können. Seine Umhängetasche mit dem Fotoapparat unter dem Arm, die Sporttasche über der Schulter, ihren Hut auf dem Kopf, schloss er den Wagen ab und ging los. Der Abend war warm. Er überlegte, ein Eis zu kaufen, hatte dann aber keine Lust, sich anzustellen. Evelyn und Simone saßen auf den oberen Stufen des Denkmalsockels, den Pferdekopf über sich, Koffer, Zelt und Rucksack vor sich, und blickten auf den Platz. Evelyn sah Adam an, als müsste sie sich erinnern, wer er sei. Simone war aufgesprungen. »Wo kommst du denn her?« »Aus der Deutschen Demokratischen Republik. Sie haben Michael rausgefischt.« »Schweine, Schweine, Schweine!«, rief Simone. »Woher hast du die Tasche?«, fragte Evelyn. »Hat sich so ergeben. Ich fand ...» »Was hat sich ergeben?« »Ihm war das mit der Tasche nicht ganz geheuer, da hab ich sie halt genommen, die riechen doch, wenn einer Angst hat.« »Ich versteh nur Bahnhofe, sagte Evelyn. »Vor der Grenze, Pinkelpause, da hab ich die Tasche genommen. Das waren vielleicht zwei Engelchen, die uns da 52
beschnuppert haben. Und immer so ne beleidigte Fleppe, als wären wir schuld, dass sie in so einer Kluft rumlaufen müssen.« »Erzähl doch mal richtig!« »Ich hab erst gewartet, dachte aber, ich komme lieber schnell, damit ihr Bescheid wisst.« »Haben sie ihn verhaftet?«, fragte Simone. »Glaub nicht, die filzen ihn nur.« Evelyn nahm ihre Tasche. Adam wollte ihr den Hut aufsetzen. Sie wich ihm aus. »Ich tu dir doch nichts«, sagte er und hängte ihr den Hut übers Knie. »Haben sie dich auf uns gehetzt, Adam?!« Simone trat zwischen ihn und Evelyn. »Ist das dein Auftrag?« Adam hoffte, Evelyn würde etwas sagen. Sie hielt Tasche und Hut auf dem Schoß und reagierte nicht. »Klar bin ich auf euch angesetzt, speziell auf dich!« »Das ist nichts für Witze, das macht man nicht.« »Sei froh, dass ich's mache, sonst müsste ich dir eine scheuern.« »Du hast kein Recht, uns zu verfolgen, Adam. Stimmt's, Evi? Er hat kein Recht dazu. Außerdem machst du damit alles nur noch schlimmer!« Evelyn starrte vor sich hin. »Wenigstens mit mir kannste ja reden«, sagte Simone und hockte sich neben sie. Tauben flogen einem Mann auf die Hand, der sie mit Brotkrümeln futterte. Simone verzog angewidert das Gesicht. »Wie lange fährt man von Bad Schandau hierher?« »Wir sind über Zinnwald.« »Wieso denn Zinnwald? War das deine Idee?« »Was heißt meine Idee. Ich hab gesagt, ich fahr über 53
Zinnwald. Der war doch froh, dass er nur hinterherfahren musste.« Simone schüttelte den Kopf. Adam setzte sich schräg unter Evelyn. Nach einer Weile stand er auf und ging zurück zu dem Eisladen. Mit drei Pepsi-Flaschen und drei Vanille-Schoko-Eis kehrte er wieder zurück. »Lass mich einfach nur in Ruhe«, sagte Evelyn, ohne aufzusehen. Simone nahm ihm ein Eis ab. Als Adam zwei Eis gegessen hatte, öffnete er mit dem Taschenmesser die Pepsi-Flaschen. »Nun zieht nicht so ein Gesichte, sagte er, nachdem er ihnen zugeprostet hatte. »Ist doch nichts passiert. Wenn ihr wollt, könnt ihr im Heinrich schlafen, Elfi würde sich freuen.« »Elfriede«, sagte Evelyn. »Elfi passt besser, das kommt von Elfe. Ihr müsse euch keine Sorgen machen. Was können sie ihm denn anhaben? Nichts! Die ärgern ihn ein bisschen, mehr nicht.« Adam stellte sich vor das Denkmal und öffnete die Lederhülle des Fotoapparats. Doch noch bevor er die Blende gewählt hatte, sprangen beide Frauen auf. »Lass das!« »Spinnst du, Adam?!« »Du kannst uns doch nicht einfach fotografieren?!« Adam ließ den Apparat sinken. »Warum denn nicht?« »Weil ich das nicht will! Wir wollen das nicht«, sagte Evelyn. »Hau ab damit!« Adam schloss die Druckknöpfe der Lederhülle und kehrte auf seinen Platz zurück. Er musste plötzlich an die beiden Frauen mit den Goldzähnen denken und daran, wie sie mit den Kirschen seine Lippen berührt hatten. Hinter 54
dunkelblauen Wolkenschlieren erglühte der Himmel in einem tiefroten Licht und versprach für den nächsten Tag trockene Straßen.
Der Verdacht Adam fröstelte. Er hatte der Polizei bereits seinen Ausweis zeigen müssen und war mehrmals von ein paar jungen Leuten, die sich neben ihm niedergelassen hatten, zum Mitsingen aufgefordert worden, einer hatte ihm sogar die Gitarre gereicht. Als auch sie gegangen waren, stand Adam auf, in jeder Hand eine Bierflasche, um sich einen Pullover aus dem Wagen zu holen. Da sah er Michael im Lichtschein eines Autos, er trug einen Koffer. Adam lief ihm entgegen. »Na endlich!« »Wo sind die beiden?« Michaels Stimme klang trocken, fast brüchig. »Die schlafen im Auto.« Adam öffnete die zweite Bierflasche und reichte sie ihm. »War's schlimm?« »Die haben mich bis aufs Hemd ausgezogen.« »Die beiden Engelchen?« »Die haben mir sogar in den Arsch geschaut.« »Das macht man halt so mit Schleusern, prost!« »Warum hast du nicht gewartet?« »Ich dachte, besser einer kommt an als keiner. Prost erst mal.« Sie stießen an. Mit dem Kinn wies Adam den Platz hinunter. »Nur ein paar Schritte.« »Wir harren doch ausgemacht, dass du wartest!« »Dann würden die beiden immer noch hier sitzen und denken, du hattest neu Unfall oder bist verhaftet worden wegen 55
der Tasche.« »Ich war last in Pilsen.« »Wie haste denn das fertiggekriegt?« Michael stellte den Koffer ab und nahm einen Schluck Bier. »Soll ich mal tragen?«, fragte Adam. Simone saß zusammengekauert auf dem Beifahrersitz. Evelyn hatte sich auf die Rückbank gelegt, einen Unterarm über den Augen, die Beine angewinkelt, den offenen Karton mit der Schildkröte auf ihrem Bauch. Michael klopfte auf die Motorhaube. Simone stieß die Beifahrertür gegen das Auto neben ihnen, als sie heraussprang, Evelyn zerrte den Rock über die Knie, der Karton mit der Schildkröte rutschte gegen die Lehne. Michael streckte den Arm mit der Bierflasche zur Seite, als sollte Adam sie ihm abnehmen, ging in die Knie und drückte Simone an sich. »Alles okay?«, fragte sie nach einer Weile. »Alles okay«, sagte Michael. Um Evelyn zu umarmen, musste Michael sich nicht bücken, er küsste sie neben den Mund. »Ich bin so froh, dass du da bist«, sagte Evelyn, »du nimmst mir das nicht übel?« »Was denn?« »Dass ich dir die Tasche gegeben habe?« Michael strich Evelyn durchs Haar. »Die hatten einen Tipp, woher auch immer, so wie die sich aufgeführt haben«, sagte er und stellte die Bierflasche auf den Bordstein. »Sogar in den Tank haben sie geleuchtet.« »Grins nicht, Adam«, rief Simone, »das ist ekelhaft.« »Die haben auseinandergeschraubt, was auseinanderzuschrauben war. Nur ne alte Zeitung, ne uralte Zeitung von vor paar Jahren, die im Ersatzrad steckte, die haben sie 56
mir abgenommen. Und ihr?« »Nichts, nur ein Haufen dummer Fragen«, sagte Evelyn. »Aber im nächsten Anteil hatten sie ne Familie am Wickel. Die mussten alles auspacken, restlos alles.« »Kennt ihr hier ein Hotel?« »Hotel Heinriehl«, sagte Adam. »Dann mal los«, sagte Michael und nahm auch Evelyns Koffer, »andiamo!« Evelyn schüttelte den Pullover aus, den sie als Kopfkissen benutzt hatte, warf ihn sich über den Rücken und verknotete die Ärmel unter dem Hals. »Elfriede hatte kein Wasser mehr«, sagte sie, klemmte das Zelt unter den Arm, nahm die Tasche und hielt sie kurz hoch. »Danke dafür«, sagte sie, ohne Adam anzusehen. »Gern geschehen, gute Nacht«, erwiderte er und machte eine Geste, als würde er ihr den Vortritt lassen. »Gute Nacht«, sagte sie, »und komm gut heim.« Simone, die mit dem Rucksack auf dem Rücken gewartet hatte, griff sich einen der Trageriemen der Tasche. Sie liefen jetzt schnell, um nicht zu weit hinter Michael zurückzubleiben. Die Tasche schlingerte und tänzelte zwischen ihnen auf und ab. Adam setzte die Schildkröte wieder in den Karton und schlich ihnen nach. Auf dem Wenzelsplatz verschwanden die drei plötzlich im Eingang des Hotels »Jalta«. Adam blieb eine Weile davor stehen. Als er das Foyer betrat, war es fast leer und noch angenehm warm. Hinter dem Portier hingen mehrere Schlüssel, in einigen Fächern steckten Pässe. »Dobry vecer«, sagte Adam. »Wie viel kostet 57
ein Einzelzimmer?« Der Portier lächelte. »Achthundert Kronen, mein Herr.« »Für eine Nacht?« Der Portier nickte. »Danke«, sagte Adam und ging. Er lief den Wenzelsplatz hinauf und dann nach links zum Bahnhof. In der Toilette rasierte sich ein untersetzter Mann am Waschbecken und summte laut; sein schwarzes Brusthaar quoll ihm aus dem Unterhemd, die Gürtelschnalle war geöffnet. Adam hockte sich aufs Klo. Er hörte auf die Melodie und dann auf die Geräusche, die der Mann von sich gab, als er sich das Gesicht wusch. Der Wasserhahn wurde abgedreht. Der Mann rief etwas, er wiederholte es, er schien auf eine Antwort zu warten; doch plötzlich fing er an zu singen und singend verließ er die Toilette. Als Adam ans Waschbecken trat, lag am Rand ein kleines Stück Seife, verpackt, ganz neu, allein für ihn. Vor dem Wartburg stand noch immer Michaels Bierflasche. Adam hielt sie hoch, wie um zu prüfen, ob sie leer war, und schüttete das Bier in den Rinnstein. Mit angezogenen Knien legte er sich auf die Rückbank und blickte direkt auf Evelyns Strohhut, der hinter dem Fahrersitz lag. Obwohl er müde war, konnte er nicht einschlafen. Er wunderte sich, wie laut es war. Immer wieder erschienen Gesichter an den Scheiben und glotzten herein, angelockt von dem Oldtimer - wie einer sagte. Jedes Mal schraken sie zurück, wenn sie ihn erblickten. 58
Am Morgen wurde er von einem Knall geweckt. Er setzte sich auf. Eine Kehrmaschine entfernte sich, der Berufsverkehr hatte bereits begonnen. Die Hoteltür stand offen. Doch statt des Portiers von gestern saß eine junge Frau mit hellblonden strohigen Haaren an der Rezeption, die nur kurz aufsah und seinen Gruß nicht erwiderte. Er setzte sich in einen der klobigen Sessel im Foyer. Als ihn die Hellblonde auf Tschechisch anfuhr, sagte er, »Ich warte auf jemanden«, und schlug die Beine übereinander. Nur wenn sich die Fahrstuhltüren öffneten oder jemand aus dem Frühstücksraum kam, hob er den Kopf. Es duftete nach Kaffee. Er beobachtete, wie die Frau die Pflanzen in den Kübeln neben der Rezeption goss und mit ihren langen weißen Fingernägeln vertrocknete Blätter abknipste. Adam wurde von einer knochigen Hand auf seiner Schulter geweckt. »Ich warte auf Evelyn Schumann, meine Frau«, sagte er. Er hörte Evelyns Namen aus dem Mund des Kellners, aber die Hellblonde hinter dem Tresen schüttelte den Kopf. Adam ging zu ihr und fragte nach Michael. »Michael, Michael«, wiederholte er. Schließlich drehte die Hellblonde das große Buch auf dem Tresen zu ihm herum und zeigte auf ein Feld, in dem der Eintrag »1 +2« mit roten Diagonalen durchgestrichen war. »Sie sind abgereist«, sagte der Kellner, »Sie müssen woanders suchen.« Adam sah ihn an. Der Kellner schwieg und zuckte schließlich mit den Schultern. 59
»Tja, dann werde ich sie mal woanders suchen«, sagte Adam und verabschiedete sich mit einem festen Händedruck.
Eine neue Frau Etwa zwanzig Kilometer vor Brno, an der Raststätte Devtfizu, hielt Adam, um zu tanken. Dann erwischte er eine Parklücke nicht weit vom Selbstbedienungsrestaurant. Mit Rasierzeug, Umhängetasche samt Fotoapparat und einem frischen Hemd ging er zu den Toiletten. Der Waschraum schien für Leute wie ihn gemacht, es gab Seife und unter dem Spiegel eine Konsole. Nur das Wasser blieb kalt. Vorsichtig begann er mit der Rasur. Er hätte sich fast geschnitten, weil ihn ein kräftiger Mann, der das Wasser von seinen Händen schüttelte, am Ellbogen stieß. Ihre Blicke trafen sich kurz im Spiegel. Der Mann, auf dessen Unterarm eine vollbusige Nixe tätowiert war, brummte etwas, was Adam als Entschuldigung nahm. Er wusch sich unter den Achseln, zog das frische Hemd an, das alte band er sich um die Hüften. Als er den vom Küchendunst schwülen Raum betrat, begann er zu schwitzen, Zigarettenrauch hing über den Köpfen, es roch nach Bier. Adam griff nach einem Tablett. Obwohl es nass war, legte er das Besteck darauf und wartete, dass die Schlange vorrückte. Zwischen den besetzten Tischen stand eine Familie; die überladenen Tabletts in Händen, drehten sie sich ratlos im Kreis. Das Stimmengewirr wurde immer 60
wieder von Lachsalven durchbrochen, als wäre man auf einer Feier. Adam bestellte Knödel mit Schweinefleisch, nahm sich die letzten zwei mit einem Zipfel Mayonnaise verzierten Salamibrote und ein Cremetörtchen, dazu eine grüne Limonade. Am Fenstertisch zog er einen freien Stuhl zurück und fragte »mozno?«. Da niemand antwortete, setzte er sich. Das Tablett auf dem Schoß, schob er einige Gläser zur Seite und stellte die einzelnen Teller vor sich hin. Die Limonade war ungenießbar süß. »Könnten Sie mich mitnehmen?« Eine junge Frau mit kurzen Haaren und hellbraunen Augen sah ihn an. »Es wäre dringend.« Sie setzte eine blaue Kraxe neben ihm ab. »Und wohin?« »Nach Prag?« »Ich fahr in die andere Richtung.« »Macht nichts.« Zwei Tische weiter rief ihr ein bulliger Typ in einer beigen Kunstlederweste etwas zu. Er hielt eine Handtasche hoch. Sie ging hinüber. Als sie zugreifen wollte, zog er die Tasche weg, doch beim zweiten Versuch entriss sie ihm die Handtasche, worauf er schallend lachte. »Nehmen Sie mich mit?« Adam nickte. »Danke«, sagte sie und blieb einfach vor ihm stehen. Ihm war es unangenehm, in ihrer Gegenwart weiterzuessen. »Wollen Sie was?«, fragte er und hob den Teller mit den Schnitten hoch. »Gern«, sagte sie und stopfte sich ein Salamibrot in den Mund. Adam bot ihr auch die Limonade an und rückte ein wenig auf dem Stuhl zur Seite. »Essen Sie die Knödel nicht mehr?« Sie setzte sich mit auf seinen 61
Stuhl und begann zu essen. Im Verhältnis zu ihrem athletischen Körper erschien ihm ihr Kopf klein. Plötzlich stand der Mann in der Weste neben ihnen. Er sprach laut, sein Zeigefinger bewegte sich auf und ab, als erkläre er etwas. Adam spürte, wie sich die junge Frau an ihn drückte, auch wenn sie weiteraß und tat, als hörte und sähe sie nichts. Als der Mann endlich schwieg, hatte Adam das Gefühl, der ganze Raum sei verstummt. Er schob seinen rechten Arm auf die Stuhllehne. Der Westenmann fragte etwas, er wiederholte seine Frage. Adam zögerte noch, den Arm um ihre Schulter zu legen, da lachte der Mann neben ihnen auf, holte sein Portemonnaie heraus, hämmerte einen Geldschein neben den leeren Teller und kehrte auf seinen Platz zurück. »Gott sei Dank«, flüsterte sie und steckte das Geld ein. Adam trug ihr die schwere Kraxe nach draußen und verstaute sie auf der Rückbank. »Danke, ich heiße Katja.« Sie gaben sich die Hand. »Adam«, sagte er, hielt ihr die Beifahrertür auf und wartete, bis sie im Sitzen ihre Wanderschuhe gegeneinandergeschlagen hatte, um den gröbsten Dreck von den Sohlen zu bekommen. »Ach«, rief Katja, als sie die Schildkröte sah, »da reisen wir ja zu dritt!« Unter den Blicken aus dem Raststättenfenster startete Adam den Wagen, der Rückwärtsgang ließ sich problemlos einlegen. »Vielen Dank noch mal«, sagte Katja. »Was war denn mit diesem Holzfäller los?« »Die haben mich mitgenommen.« Sie hustete. »Die üblichen 62
Missverständnisse.« »Und woher kommen Sie?« »Irgendwo dort«, sagte Katja und zeigte zur Frontscheibe hinaus. »Und wohin wollen Sie?« sWeiß ich noch nicht«, sagte Katja, hustete, drehte sich, so gut es ging, zur Seite, ihre Handtasche wie ein Kissen zwischen Tür und Kopf geklemmt, und schloss die Augen. Adam härte sich gern mit ihr unterhalten. Dennoch freute er sich, nicht mehr allein zu sein. Dafür ertrug er sogar den Geruch nach alter Wäsche, der von ihr ausging.
Verhandlungen »Ist Ihnen kalt?« Er griff nach ihrer linken Hand. »Geht's Ihnen nicht gut?« Sie räusperte sich, lächelte, drehte aber den Kopf weg, als er ihr die Stirn fühlen wollte. »Wo sind wir?« »Nicht mehr weit bis Bratislava. Ich brauchte mal ne kleine Pause.« Er wies mit dem Kopf auf die Toiletten neben ihnen. »Ich auch«, sagte Katja und beugte sich zu ihm hinüber, um in den Rückspiegel zu sehen. »Oh Gott, gespenstisch!« »Sie sollten mal Ihre Sachen wechseln.«»Stink ich?« Katja hob den linken Arm und roch an ihrer Achselhöhle. »Das ist doch alles klamm. Hat es hier so viel geregnet?« Katja schüttelte den Kopf. »Ich gebe Ihnen ein paar Sachen von mir. Was haben Sie denn gemacht?« »Ach, blöder Scherz, ist alles ins Wasser gefallen. Könnten wir mein Zeug vielleicht hier irgendwo waschen?« »Und wo?« 63
»Auf nem Zeltplatz. Da gibt's einen ganz in der Nähe.« »Nicht in Ungarn?« »Der Zeltplatz ist wunderschön, nicht weit von der Grenze, die haben sogar Waschmaschinen.« »Ich will heute zum Balaton.« »Mir geht's nicht so gut.« Adam stieg aus. Aus dem Kofferraum nahm er einen Pullover und eine Hose, dann auch Unterwasche und Socken. »Hier, versuchen Sie mal«, sagte er. »Ist wirklich besser so.« Katja stieg aus und verschwand in der Toilette. Die Schildkröte war gegen den Wassernapf gerutscht, der Karton drohte bereits durchzuweichen. Adam breitete die Straßenkarte vor dem Lenkrad aus. »Passt doch ganz gut, oder?«, sagte er dann. Der Pullover war zu kurz, der obere Hosenknopf ließ sich nicht schließen. Katja zog eine Tüte aus der Kraxe und stopfte ihre Sachen hinein. In Socken hockte sie sich auf den Beifahrersitz. »Haben Sie was zu trinken, Tee oder so?« »Nur Klappstullen.« »Kein Obst, einen Apfel?« Von der Rückbank nahm er das Netz mit dem Proviant. »Echte Leberwurst mit Bäckerbrot, allerdings vom Sonnabend, oder Mettwurst.« Er reichte ihr das Netz. »Und wo sind wir jetzt?« »Da ungefähr«, sagte Adam und tippte mehrmals auf die grün eingezeichnete Autobahn. »Und hier«, sagte Katja, wobei sie erst Adams Fingerkuppe auf der Karte streifte, dann aber ihren kleinen Finger auf ein blaues Zeltzeichen weiter entfernt setzte, »hier gibt es Waschmaschinen.« 64
»Die sind ja alle von uns«, sagte Adam, als sie in Zlatna an der Donau, nicht weit von Komärno, auf den Zeltplatz fuhren. »Da vor und dann rechts, dort wird's schön«, dirigierte ihn Katja. Doch als sie abbiegen wollten, versperrten zwei Wohnwagen den Weg. »Pech gehabt. Was für ein Zelt haben Sie?«, fragte Adam. »Ein Fichtelberg, schon bisschen älteres Modell.« »So eins haben wir auch.« Sie wendeten und fanden in der Mitte noch einen Platz. Adam begann das Zelt aufzubauen. Katja ging mit ihrer Kraxe zum Waschraum. Als sie mit dem Rest einer grünen Plasteleine, die voller Knoten war, und ein paar alter?0 Zeitungen zurückkehrte, stand das Zelt. »Da drin kann keiner schlafen«, sagte Adam. »Da holt man sich Rheuma.« »Wir müssen die Seitenleinen spannen.« »Das ändert nichts.« Schweigend betrachteten sie das nasse Zelt. »Ich versuch mal was«, sagte Adam und ging ohne weitere Erklärung zum Eingang des Zeltplatzes. Als er wiederkam, hielt er in der Hand einen armstarken Holzklotz mit einem Schlüssel daran. Katja zerriss eine Zeitung, knüllte die einzelnen Seiten zusammen und stopfte damit ihre Wanderschuhe aus. Die grüne Wäscheleine spannte sich von der vorderen Zeltstange zum rechten Außenspiegel. »Ich hab einen neuen Karton für die Schildkröte aufgetrieben«, sagte Katja, »da rutscht sie während der Fahrt nicht so herum.« »Die letzte Hütte«, sagte Adam und gab ihr den 65
Klotz mit dem Schlüssel. »Kleines Geschenk, zum Auskurieren. Ist für zwei Tage bezahlt.« »Sie fahren?« Adam nickte. »Und wenn ich Sie biete«, sagte Katja und trat näher heran, »wenn ich Sie ganz sehr bitte, bis morgen früh zu warten, eine Nacht? Wir können doch dort zusammen schlafen, das ist für zwei.« »Sogar für vier«, sagte Adam, »aber darum geht's nicht.« »Ich bitte Sie wirklich sehr.« »Ich werde erwartet.« »Bitte, eine Nacht, und morgen früh geht's gleich los.« »Aber warum?« »Wollen wir nicht du sagen?« »Von mir aus.« »Schauen wir uns das Ding da mal an?«, sagte Katja und sah zu der Frau, die sich am Nebenzelt zu schaffen machte und versuchte, einen Hering tiefer in den Boden zu drücken. »Außerdem muss sich die Schildkröte mal erholen. Ich hab sie gebadet, der geht's hier ganz gut, die braucht Bewegung, die wandert hier richtig los. Hat sie einen Namen?« »Elfi«, sagte Adam und setzte sich hinter der Schildkröte auf den Boden. »Elfi«, sagte Katja und kniete sich neben ihn, »Elfi ist schön.« Die vier Tische vor dem Lebensmittelkiosk waren dicht besetzt. Adam schien, als wären die Gespräche mit seinem Auftauchen leiser geworden. Alle sprachen Deutsch, selbst die Bestellungen wurden auf Deutsch aufgegeben. Sie hatten nur noch Würstchen mit Schwarzbrot. Adam kaufte ein Glas Senf, nahm ein großes Bier und aß im Stehen. »Hast ja dein Mädel lange warten lassen. Wo haste denn die ganze Zeit gesteckt?« Vor ihm stand ein Mann 66
Mitte dreißig mit einem verblichenen rotweißen Stoffhut auf dem Kopf »Na, iss mal in Ruhe. Hamse dich nich^1 rübergelassen?« »Emerson Fittipaldi«, entzitferte Adam die schemenhaften Buchstaben auf dem Hut. »Hatte noch zu tun«, sagte er und schluckte den Bissen herunter. Er merkte, dass ihnen bereits andere zuhörten. »Geile Karre«, sagte jemand hinter ihm. »Und was macht ihr jetzt?« »Mal sehen. Wir machen halt Urlaub.« Sein Gegenüber grinste. Adam prostete ihnen zu, setzte das Glas an, trank und trank, starrte auf den grünen Farbklecks, der am Glasboden erschien, trank weiter, hörte die Kommentare um sich herum, trank das Glas aus und setzte es so vorsichtig ab, als wäre es noch ganz voll. »Da hat aber einer Durst gehabte, sagte der mit der FittipaldiMütze. Adam wischte sich mit der Serviette den Mund ab und legte sie zusammengefaltet auf die Pappe. »Dann macht's mal gut.« Die Verkäuferin drückte ihm zwei Kronen Pfand in die geöffnete Hand. »Willste denn nicht noch eins?« »Nee, danke, sonst muss ich zu viel pinkeln, macht's gut«, sagte Adam, griff sich das Senfglas und versuchte, nicht schneller als sonst zu gehen. Als er die Hütte betrat, lag Katja zur Wand gedreht, die Decke bis zu den Ohren hochgezogen. Der neue Karton mit der Schildkröte stand am Kopfende zwischen ihren Betten. »Du willst abhauene, sagte er. Katja rührte sich nicht. »Egal. Ich verstehe ja, dass du mir das nicht gleich auf die Nase binden wolltest. 67
Aber was sind das für Typen? Was hast du denen erzählt?« Er zog seine Hose aus und legte sich auf das freie Bett. »Adam«, flüsterte sie. »Ich hab überhaupt kein Geld mehr.« »Ich kann dir was borgen.« »Ich hab überhaupt nichts, gar nichts mehr. Ich kann dir das auch nicht zurückgeben. Wenn du morgen nach Ungarn fährst, nimmst du mich dann mit?« »Ja natürlich ...« »Ich meine, im Kofferraum. Ich komm sonst nicht rüber.« Adam schwieg. Er sah auf ihre Hand, die reglos über die Bettkante hing. »Das heißt, die da draußen dürfen auch nicht nach Ungarn? Und ihr wartet hier? Worauf wartet ihr?« »Du darfst dir auch was von mir wünschen«, sagte Katja. »Ich hab es schon mal versucht, durch die Donau, da waren wir noch zu dritt.« »Und die anderen?« »Keine Ahnung. Die sind verschwunden, einfach verschwunden.« Langsam streckte Adam die Hand aus, doch auch als er Katja berührte, wandte sie sich nicht nach ihm um.
Das Wagnis »Willst du es wirklich tun?«, fragte Katja, als Adam die Augen öffnete. Wie sie so dalag und ihn ansah, eine Hand unter der Wange, wirkte sie wie ein Kind. Er drehte sich zur Seite, um seine Erektion zu verbergen. Fast neun Stunden hatte er geschlafen. Die Schildkröte knabberte 68
an Brotkrumen. »Geht's dir besser?«, fragte er. »Glaub schon.« »Warum darrst du nicht nach Ungarn?« »Ich hab's gar nicht beantragt. Niemand, den ich kenne, hat so ein Visum gekriegt, bis auf eine. Und bei der haben sie es am nächsten Tag wieder abgeholt. Sind nach Hause, haben geklingelt, und weg war's, ohne Begründung.« »Gibt's denn hier keine grüne Grenze?« »Die Donau.« »Ich meine die Landgrenze, die ist doch viel länger?« »Dort ist es schwierig, das bewachen sie besser, überall Zäune, dort kennt sich niemand aus. Was glaubst du, warum die alle hier sind. Die haben nur Schiss vor der Donau.« »Und wenn sie uns hopsnehmen?« »Werden sie nicht.« Katja stützte sich wie Adam auf den Ellbogen. »Die Ungarn sind kein Problem, die winken dich durch. Und die Tschechoslowaken kontrollieren nur die Ausweise. Die durchwühlen keine Autos mehr.« »Woher weißt du das?« »Das sagt dir jeder. Wenn sie hier was wissen, dann das.« Adam stand auf und öffnete die Tür. Der Himmel war bedeckt. Aus einem Zelt hörte er Kinderstimmen. Ein Mann in Gummistiefeln trug einen vollen Wasserkanister zu seinem Wohnwagen. »Bin ich der Erste, den du fragst?« »Ja.« Adam ging zum Waschraum. Auf dem Rückweg kaufte er zwei Milchflaschen, sechs Hörnchen und ein Glas Erdbeerkonfitüre. Katja nahm ihm das Glas ab. Die Schildkröte schob sich durch das dünne Gras. »Geh dich 69
waschen, ich mach den Rest.« »Wir müssen uns nicht beeilen, so früh ist nicht gut. « »Ich denk, die kontrollieren immer nur die Ausweise?« »So gegen zehn gibt's meistens ne Schlange, dann nehmen die es nicht so genau. Das haben die hier ausspioniert, mit Fernglas.« Adam setzte sich neben sie auf die Holzbank vor der Hütte. »Prost«, sagte er. Sie stießen mit den Milchflaschen an. »Ich danke dir.« »Reden wir nicht davon, am besten, wir vergessen das.« »Vergessen?!« Katja starrte ihn an. »Leise«, zischte Adam. »Das mein ich nicht. Ich hab schon gar nicht mehr dran gedacht. Das ist das Beste. Die merken doch, wenn man an so was denkt.« »Wir können ja bis morgen warten.« »Wegen der Wäsche? Die ist fast trocken.« »Um uns vorzubereiten.« »Aber nicht hier, nicht bei diesen Affen, das ist mir zu gefährlich.« »Idioten gibt's überall.« Adam fuhr mit dem Hörnchen ins Glas. Die Konfitüre fiel wieder von der Spitze. Er versuchte es ein zweites Mal, beugte sich tief hinunter und biss schnell ab. Katja klappte die große Klinge eines Schweizer Taschenmessers auf und nahm ihm sein Hornchen ab. »Oh, die Dame hat Westkontakte?« »Von meinem Freund.« »Ein Schweizer?« »Nee, Japaner.« »Ein Japaner? Sind die nicht ein bisschen klein für dich?« »Wieso?« »Muss schon ein wenig zusammenpassen. Und wenn du einen Kopf größer bist, für Männer ist so was immer ...« »Quatsch. Meiner ist so wie du, sogar ein 70
Stückchen länger.« Katja hatte das Hörnchen aufgeschnitten, bestrich es mit Konfitüre und reichte ihm eine Hälfte. »Willst du nach Japan?« »Mal sehen.« »Kann der dich nicht heiraten? Wäre einfacher.« »Der ist schon verheiratet.« »Na, gratuliere. Und seinetwegen willst du weg?« »Du etwa nicht?« »Ich nicht. Ich mach da Urlaub.« Katja lachte. »Eins a in Konspiration.« Sie streckte ein Bein aus, so dass ihre Zehenspitzen direkt vor der Schildkröte erschienen. »Renn nicht weg«, sagte Katja. »Ich will wirklich nicht abhauen«, sagte Adam. »Geht doch auch gar nicht. Denkst du, die Ungarn machen die Grenze auf?« »Haben sie schon gemacht, sind alle rübergerannt.« »Wer ist rübergerannt?« »Na unsere. Weißt du das nicht? Die haben die Grenze aufgemacht, und ein paar hundert Leute sind gerannt und gerannt und weg waren sie.« »Wann soll das gewesen sein?« »Am Sonnabend, vor drei Tagen.« »Die Grenze ist doch nicht offen!« »Jedenfalls war sie mal offen. Was ist denn? Ärgert dich das? Die aus der Botschaft sind auch schon alle raus.« Adam schüttelte den Kopf und trank die Milchflasche bis auf einen kleinen Rest leer. »Was willst du denn im Westen - oder in Japan?« »Das ist ne Frage! Besser leben, überhaupt leben!« »Und bisher, hast du nicht gelebt?« »Ich will das nicht mehr, eingesargt bis zur Rente, nichts kannst du machen, nichts.« »Findest du?« Katja sah zu Boden. »Ich muss dir was sa71
gen.« »Das geht ja gut los.« »Ich war allein in der Donau.« »Du meinst, die anderen - da ist gar niemand verschwunden?« Katja nickte. »Ich dachte nur ...« »Was?« »Eigentlich hab ich gar nichts gedacht - ich weiß auch nicht, warum ich das gesagt habe.« »Hast du jemanden, der dir drüben hilft?« »Unsere ganze Verwandtschaft ist drüben. Ich will studieren. Und irgend ne Arbeit nebenbei findet sich schon. - Was ist denn daran so komisch?« »Na ja, wenn man sich jemanden in den Kofferraum lädt - da will man schon wissen, ob das nur so ne Schnapsidee ist.« »Und du, hast du ein Quartier in Ungarn?« »Ja, in Badacsony, am Balaton, Freunde von Evi.« »Deine Frau?« »Kann man so sagen.« »Und wo ist sie jetzt?« Katja hielt ihm die andere Hälfte des Hörnchens hin. »Die wartet dort.« »Ihr macht tatsächlich Urlaub?« »Ja, klar. Evi muss im September wieder arbeiten. Und ich hatte noch zu tun. Da ist sie mit ner Freundin schon los.« »Verstehe.« Nach einer Weile, in der sie schweigend aßen, fragte Adam: »Wieso vertraust du mir eigentlich?« »Ich hab nicht groß nachgedacht. Ich hatte ja keine Wahl.« »Hattest du schon.« »Ich hab dich gesehen. Alle haben rausgeschaut, wegen des Wartburgs. Mit so ner ollen Pritsche fährt kein Spitzel.« »Na gerade! Noch nie was von Tarnung gehört, Mimikry des Gegners?« »Ach, komm, ganz blöd bin ich nicht. Und 72
dann noch Elfi! das ist ganz schön schräg, musst du schon zugeben.« »Ich sag ja, Mimikry.« »Und wieso glaubst du mir? Vielleicht bin ich ja der Spitzel. Junge Frau hängt sich an allein reisenden Mann und liefert ihn als Schleuser ans Messer. Siehste, da machst du große Augen.« »Ist doch Quatsch.« »Wieso? Wer hat denn wen angesprochen?« »Du meinst, der Trick mit dem schutzbedürftigen Mädchen ...« Katja zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?« Adam schraubte das Glas zu, trank die Milch aus, wischte sich über den Mund und sah Katja an. »Ich weiß jetzt, wie es in Wirklichkeit ist. Wir sind beide von der Staatssicherheit und kontrollieren die Glaubwürdigkeit des anderen Mitarbeiters.« »Das ändert auch nichts«, sagte sie. »Und ob. Uns passiert so oder so nichts. Ich bringe dich rüber, weil ich auskundschaften will, wie es dort weitergeht, wen du triffst, wo du über die Grenze willst, und du ...« »Ach, hör auf jetzt.« Katja lief der Schildkröte nach und setzte sie wieder in den Karton. »Dann denk doch einfach an den Balaton oder den Kilimandscharo.« » Kilimandscharo?« »Wie heißt denn der Berg, der mit dem Schnee drauf?« »Du meinst den Fuji?« »Ja, denk an den Fuji.« »Kümmerst du dich um das Zelt? Ich hol die Wüsche. Sie müssen dir dein Geld wiedergeben, die Hälfte zumindest.« »Werde ich ausrichten«, sagte Adam und sah ihr nach, wie sie in seinem Pullover 73
und seinen Hosen und den Wanderschuhen zum Waschraum ging. Nach wenigen Kilometern, kurz hinter dem Dorf Nova Stra? hielten sie an einem Feldweg, den hohes Gras und Büsche säumten. Adam fuhr rückwärts hinein, bis er eine leichte Biegung erreicht hatte. Dort öffnete er den Kofferraum, nahm die beiden Kanister und verstaute sie, auf die Längsseite gelegt, hinter den Sitzen. Koffer, Luftmatratzen, Schlafsäcke und Beutel drapierte er so, dass die Kanister nicht zu erkennen waren. Katja schlug die Decke einmal zusammen und breitete sie zwischen dem Halbrund der Radkasten aus. Die Plastetüten mit ihrer Wäsche legte sie sich wie Kissen zurecht oder stopfte sie an die Seiten, als wollte sie den Kofferraum abdichten. »Also, denk an den Fuji.« Er hielt ihr eine Hand hin, um ihr beim Einsteigen zu helfen. »Ich muss noch mal«, sagte sie und ging ein Stück den Weg weiter. »Du musst dich umdrehen!« Adam stellte sich in das hohe Gras, pinkelte ebenfalls und beobachtete die wenigen Wagen, die vorüberfuhren. Als er zurückkam, lag Katja bereits mit angezogenen Knien im Kofferraum. Sie drehte sich auf den Rücken und dann auf die andere Seite. »Größer, als ich dachte«, sagte sie. »Wird engt, sagte er und reichte ihr die blaue Kraxe. Katja stieß sich am Kinn, als sie versuchte, die Kraxe an sich zu drücken. 74
»Das wird nichts, lass mal«, sagte er. Adam stellte die Kraxe neben den Wagen, bedeckte Katja mit der Wäsche aus einer der Tüten und legte zum Schluss eine Regenjacke auf ihre Schuhe. »Hier entdeckt dich niemand«, sagte er. »Adam, ich sag's dir lieber schon jetzt: Danke!« »Nicht singen oder grölen oder rumschaukeln, verstanden? Keine Angst, jetzt wird's dunkel.« Er warf die Klappe zu. Das Heck war auf die Hinterachse gesunken. »Du musst nach vorn rutschen«, sagte er, nachdem er den Kofferraum wieder geöffnet hatte, »so weit es geht, hier ran.« »So?«, fragte Katja und drückte sich mit Rücken und Schultern in den Kofferraum hinein. »Kann ich dir noch Elfi geben?« Katja zog das T-Shirt vom Kopf und nickte. »Ja, gib sie her, das ist schön.« Adam stellte den offenen Karton mit der Schildkröte hinein, Katja drückte ihif6 an sich. »Adam?« Sie blinzelte ein wenig. »Wenn es schiefgeht, dann sag die Wahrheit. Die Wahrheit ist das Beste.« »Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.« »Genau.« »Bis gleich«, sagte Adam. Er setzte sich ans Steuer und startete den Wagen. »Hörst du mich?« »Was?« »Kannst du mich verstehen?« »Mach schnell«, rief Katja. Adam nickte und fuhr an.
Mit leeren Händen Vor der Grenzkontrolle in Komärno waren die beiden Autoschlangen gleich lang. Adam wechselte im letzten Moment auf die rechte Spur, weil er dort zwei Wohnwa75
gen ausgemacht hatte. Seine Uhr war stehen geblieben. Er kurbelte die Scheibe nach unten und fragte die Frau auf dem Beifahrersitz im benachbarten Wagen nach der Zeit. Der Mann am Steuer hob seinen linken Arm, die Frau ergriff ihn, drehte ihn ein Stück und rief: »Acht Minuten nach zehn! Gleich neun nach.« Adam bedankte sich, stellte die Uhr auf zehn nach zehn und zog sie auf. Die meisten Wagen hatten ein DDRKennzeichen. Die beiden alten Leute in dem ungarischen Trabant vor ihm saßen so reglos da wie Puppen, links der kantige Schädel mit den abstehenden Ohren, die Frau mit Kopftuch. Das Paar erschien ihm als der Inbegriff von Rechtschaffenheit und Harmlosigkeit. Vielleicht würde etwas von diesem Eindruck auf ihn übergehen, oder würde ihm gerade der Kontrast zum Verhängnis werden? Auch die Familie im Skoda hinter ihm starrte bewegungslos nach vorn. Wahrscheinlich wirkte er selbst nicht viel anders. Hätte er einen Wunsch frei gehabt, dann den: vor dem roten Passat in der Reihe zu stehen und Evelyn als Zeugin zu haben. Er würde keine Miene verziehen, wenn sie von ihm verlangten, die Kofferraumklappe zu öffnen. Selbst wenn sie ihn und Katja abführten, bliebe sein Blick stur auf den Boden gerichtet. Ihn beruhigte, dass auch der Trabant vor ihm auf der Hinterachse hing. Die rechte Spur rückte tatsächlich schneller voran, so dass Adam neben einem holländischen VW-Bus wartete, als die Ungarn 76
vor ihm ihre Ausweise herausreichten. Sie schienen den Grenzer gar nicht zu beachten. Ja sie stellten nicht einmal den Motor ab, wurden nichts gefragt und tuckerten gleich weiter. Der Grenzer winkte Adam, sich zu beeilen, ging dann leicht in die Knie und fragte mit aufgestelltem Daumen »jedno?«. Adam nickte und reichte seinen Ausweis hinaus. Noch bevor sein Lächeln sich verlor, sah er, wie der breite Metallstempel auf eine hintere Seite seines Ausweises gesetzt wurde und ratschend niederfuhr. »Dovidenia«, sagte der Grenzer. »Dovidenia«, antwortete Adam, startete den Wagen und fuhr langsam weiter, falls doch irgendwo ein Zöllner auftauchen sollte. Vor ihm lag die Brücke, er fuhr über die Donau. Am liebsten hätte er etwas gebrüllt. »Welches Baujahr besitzt ihr Wartburg?«, fragte der kleinere und ältere der beiden ungarischen Grenzer. »1961.« »Sie sind selten geworden. Diesen fährt heute niemand mehr, geben Sie mir recht?«, sagte der andere und stempelte den Ausweis. »Ja«, sagte Adam, »fährt aber gut, noch der erste Motor, alles original.« Beide Männer sahen in den Wagen. Vor allem das Lenkrad, dessen untere Hälfte einen kleineren Durchmesser als die obere hatte, und der kleine Schalthebel daneben interessierten sie. normen Sie bitte den Motorraum?« »Ja«, sagte Adam. Doch als er aussteigen wollte, winkte der Grenzer ab. »Nur öffnen«, sagte er. »Anwerfen.« Die beiden verschwanden hinter der Motorhaube. Adam trat mehrmals 77
aufs Gas, so dass sie hören konnten, wie der Motor klang. Drei Wagen warteten bereits hinter ihm. Als die beiden die Motorklappe wieder schlössen, rollte noch der VWBus heran. Adam machte den Grenzern ein Zeichen, dass sie die Klappe ganz schließen sollten, aber der Kleine rief nur »Viszontlatasra«. Adam legte den Gang ein und fuhr langsam von der Grenzstation auf die Straße. Er kurbelte die Scheibe hoch. Nach ein paar hundert Metern schrie er: »Geschafft! Geschafft!« Kurz darauffuhr Adam an den Straßenrand. Er öffnete den Kofferraum. Katja schob ein T-Shirt zur Seite und blinzelte ihn an. Sie lag noch genauso da wie vorhin. »Komm, schnell, das braucht niemand zu sehen.« Er hob den Karton mit der Schildkröte heraus. Katja jedoch bewegte sich wie in Zeitlupe. »Mein Arm ist eingeschlafen«, sagte sie leise und versuchte sich aufzurichten. Als hätten sie plötzlich die Kräfte verlassen, stützte sie sich auf Adam, der, als er ein Auto kommen hörte, sie einfach heraushob und festhielt. »Gratuliere!« Er küsste sie auf die Wange. Katja sagte nichts. Auf steifen Beinen ging sie nach vorn und setzte sich auf den Beifahrersitz. Er stellte den Karton auf die Rückbank und drückte die Motorhaube zu. »Herzlich willkommen in der Volksrepublik Ungarn. Hast du das mitbekommen? Die hat der Motor interessiert, diese Spielmätze!« Adam hupte, Katja zuckte zu78
sammen. Er fuhr los. Als er im Rückspiegel den VW-Bus erkannte, ging er vom Gas. »Weißt du, so was könnte mir richtig Spaß machen, ne Karriere als Hobby-Schleuser. Man geht da durch wie ne Nadel.« Adam hupte noch einmal, als ihn die Holländer überholten. »Sieh mal, was die für Augen machen!« Adam winkte ihnen zu. »Was ist denn los? Was hast du denn?« Die Tränen rannen ihr über die Wangen zum Kinn und tropften von da auf den Pullover. Adam hielt ihr sein blaukariertes Taschentuch hin. Weil sie es aber nicht nahm, ja es nicht einmal zu bemerken schien, ließ er es in ihren Schoß fallen, zwischen ihre nach oben gekehrten und halb geschlossenen Hände.
Heldenleben »Entschuldige«, sagte Adam, »das hab ich doch nicht gewusst!« Katja schnauzte sich in das Taschentuch. Sie hielt den Kopf gesenkt, als betrachtete sie den runden Tisch oder die leeren Kaffeetassen darauf. »So leicht ertrinkt man doch nicht.« »Hast du ne Ahnung. Flüsse sind anders, und wenn es stockfinster ist und du hast so ein Ding auf m Rücken. Und wenn erst mal dein Kopf unter Wasser geht, wenn es dich runterzieht, da kriegste Panik. Du weißt nur, das ist stärker als du.« »Ich wäre da auch nicht reingegangen, ich hätte mich lieber fangen lassen.« »Wenn du da rübersiehst, du starrst ans andere Ufer, da wird der 79
Fluss immer kleiner, und du denkst, los, rein, am besten gleich, gar nicht erst nachdenken. Nur vor Grenzern und Hunden hast du Angst.« Adam versuchte, ihre Hände zu berühren. Von den anderen Tischen sahen sie herüber. Er rückte näher an Katja heran. »Du kannst nichts dagegen machen, gar nichts, das packt dich und dreht dich, wie ein böser Engel, du bist machtlos...« »Du hast es geschafft.« »Ich hatte einfach nur Glück.« Sie wischte sich die Tränen ab und zog die Nase hoch. Plötzlich lehnte sie sich an ihn, den Kopf an seiner Schulter. Er rückte noch näher und legte einen Arm um sie. Er strich ihr übers Haar, über ihren Hinterkopf. Er sah ihren Nacken, den Verschluss einer dünnen silbernen Kette. Wäre der Kellner einen Augenblick später gekommen, er hätte sie wohl geküsst, genau auf die Stelle unter dem Verschluss, auf jenen hervorstehenden Halswirbel, an dem er bei jeder Kundin mit dem Maßnehmen begann. Der Kellner legte das in weiße Servietten gewickelte Besteck neben die Teller, öffnete den Deckel des Senfglases und steckte, als dürften die anderen Gäste das nicht bemerken, zwei kleine Ketchuppackungen unter Adams Tellerrand. Wortlos entfernte er sich wieder. Katja richtete sich auf. »Hier«, sagte Adam und schob ihr ein Glas mit Mineralwasser hin. Katja trank einen Schluck, behielt das Glas in der Hand, um es dann auf einen Zug auszutrinken. Sie schnauzte sich erneut und steckte das Taschentuch in die 80
Hose. Adam wickelte das Besteck aus und reichte es ihr. »Komm erst mal wieder zu Kräften.« »Wohin fährst du jetzt?« »Wohin willst du denn?« »Zur Botschaft, zur richtigen natürlich, nach Budapest.« »Ich bring dich.« Adam versuchte, eines der rot-weißen Päckchen zu öffnen. Er legte es wieder weg, wischte sich die Hände ab und probierte es erneut. Schließlich nahm er es zwischen die Zähne und zerrte daran. »Das kann man ja nicht mit ansehen«, sagte Katja, griff sich das andere Päckchen und öffnete es ganz leicht. Adam presste aus einer winzigen Öffnung den Ketchup auf die Würste. Ein paar Spritzer landeten auf dem Tisch. »Was bist du eigentlich von Beruf?« »Maßschneider, Damenmaßschneider.« »Da solltest du solche Tricks eigentlich kennen.» sWenn du willst, kleide ich dich neu ein.» sHast du davon die Hornhaut da?» Sie zeigte auf seinen rechten Daumen. »Ich dachte schon, du spielst Gitarre.» Sie aßen schweigend. Adam war froh, dass er Katja nicht auf den Nacken geküsst hatte. »Kriegt man hier vielleicht auch Schokolade?«, fragte sie. Adam drehte sich zum Büfett. Sie standen auf. Katja drückte beide Zeigefinger gegen die Giasvitrine neben der Kasse. »Kinderschokolade? Kinderschokolade!», sagte er und dirigierte die Hand des Kellners mit Kopfschütteln und Nicken. »Kettö!» Adam spreizte zwei Finger ab. Er kaufte noch vier Flaschen Wasser und bezahlte. Draußen setzten sie sich auf 81
eine Bank, jeder eine Packung Kinderschokolade in der Hand, aus der sie die Riegel rutschen ließen. Einen nach dem anderen wickelten sie aus und schoben ihn sich in den Mund, Adam immer ganze Stücke, Katja biss die Hälfte ab. »Was ist?», fragte Adam, als Katja aufhörte zu kauen und auf die Gehwegplatten starrte. sHat wohl nicht viel gefehlt, dass sich dieser Film abspult.» Adam wartete, dass sie weitersprach. »Du meinst, dass du ertrunken wärst?», fragte er schließlich. »Dass ich wieder Grund hatte, war Zufall, nichts weiter. Und für den Rest hab ich lang genug trainiert.» »Schwimmen?« »Rudern. Erst Einer, dann Zweier, dann Vierer, bis ich siebzehn war, dann hat's mir gereicht.« »Hast halt das Falsche trainiert.« »Wie ne Blöde hab ich gestrampelt, dass ich da wieder lauskomme.« »Woher bist du eigentlich?« »Aus Potsdam. Hab mir die Lunge aus dem Leib gejapst und mich später halbtot gefroren. War ja alles nass, mein Brustbeutel weg, kein Geld, kein Ausweis, alles weg!« »Und alles wegen eines verheirateten Japaners?« »Wieso denn?« »Hast du gesagt.« »Nein.« »Natürlich hast du das gesagt!« »Ach! Ich wollte schon immer raus.« Adam gab ihr seinen letzten Riegel Kinderschokolade. »Danke, heb ich mir auf, eiserne Reserve. Fährst du nun nach Budapest?« »Muss wohl.« »Musste 82
nicht.« »Siehst ja, was passiert, wenn man dich unbeaufsichtigt lässt.« Katja stopfte das Papier in die leere Schachtel. »Ich komme mir so blöd vor, wie ich mich gestern aufgeführt habe. Soll ich dir was verraten?« »Na los! Verrate mir was.« »Elfi hat die ganze Zeit Töne von sich gegeben, als wollte sie mich beruhigen. Du glaubst das nicht?« »Doch, doch«, sagte Adam. »Komm, wir gehen. Wenn du willst, trage ich dich auch.« »Das wäre schön, wenigstens ein Stück.« Sie standen auf, jeder nahm zwei Wasserflaschen, die leeren Schachteln ließen sie auf der Bank liegen und gingen zum Wagen.
Vorbereitungen für den Abschied Sie waren den Hinweisschildern in Richtung Zentrum gefolgt und hatten an der Donau, zwischen Ketten- und Elisabethbriicke, einen Parkplatz gefunden. In der Vici utca stellten sie sich bei einem Eiswagen an. Adam verfolgte, wie der Verkäufer den Hebel der Eismaschine nach unten drückte. Das Eis schlängelte sich in der Waffel, kroch nach oben und erreichte schnell eine waghalsige Höhe, bis der Gipfel plötzlich abknickte und erstarrte. Katjas Lippen umschlossen die Spitze des Eises, das sie andächtig in sieb hineinzuschrauben schien, als folgte ihr Mund automatisch den Spiralen abwärts. Adam, die Umhängetasche unter dem Arm, sah immer wieder auf die rundli83
che Narbe an ihrem linken Oberarm. Das ärmellose schwarze T-Shirt mit der verblichenen brasilianischen Flagge auf der Brust stand ihr. »Ich konnte glatt noch eins vertragen«, sagte sie. Der Eisverkäufer lächelte, als sie wieder vor ihm auftauchte. »Der hat dir extra was draufgepackt», sagte Adam, als sie die Vaci utca in Richtung Vörösmarry ter entlanggingen. Er steuerte auf einen Souvenirladen zu. Katja sah sich daf Schaufenster an, bis Adam den Stadtplan gekauft hatte. »Sieh mal, das gibt's hier«, sagte sie und tippte gegen die Scheibe. »Das Schneegestöber?« »Nein, das da.» »Die Pfeife?« »Den Würfel, den Zauberwürfel, den man so drehen kann.« Adam ging wieder hinein und kehrte mit dem Würfel zurück. Katja umarmte ihn kurz. Ihre Schultern waren heiß von der Sonne. »Entschuldige«, sagte Katja. »Eigentlich bin ich nicht so unerzogen und kindisch. Willst du ihn? « »Lass mich bloß damit zufrieden! Hier, noch was Praktisches, damit du wieder was in deiner Handtasche hast.« Adam gab ihr ein kleines Portemonnaie. »Da ist ja was drin! So viel!« »Nur dreihundert, wenn du mal wieder ein Eis willst.« Er ging voraus zu einer Bank, die gerade frei geworden war. Die Umhängetasche auf dem Schoß, schlug er den Stadtplan auf »Ach Adam, danke.« Katja setzte sich neben ihn, schob sich den Rest der Waffel in den Mund und drehte an dem Würfel. »Wie hieß die Straße?« »Irgendwas mit Nepstadion, aber dann die Parallelstraße davon, sonst landen wir 84
bei den falschen. Seit Wochen hab ich mir das vorgestellt, hier zu sitzen und Eis zu essen.« »Nicht den Blick auf den Fuji?« »Ist doch schon fast so.« »Ich mach mal ein Foto.« »Nein, nicht.« »Wieso, nur für mich!« Adam löste die Druckknöpfe an der ledernen Hülle des Apparats. »Ich möchte das aber nicht!« Katja wandte sich ab. »Was ist denn dabei? Ein Foto, für mich!« Katja schüttelte den Kopf. Erst als Adam wieder neben ihr saß und im Straßen Verzeichnis blätterte, drehte sie sich herum. »Wenn man wüsste, was Botschaft auf Ungarisch heißt.« »Soll ich fragen?« »Nein«, sagte Adam und ging zurück in den Souvenirladen. Durch die Scheibe beobachtete er Katja. Sie zog die Beine an, die Füße auf der Bank, und umschlang ihre Unterschenkel. Als sich jemand neben sie setzte, kam sie herübergeschlendert und blieb in der offenen Ladentür stehen. »Botschafter heißt«, Adam sah auf den Zettel, den ihm die Verkäuferin zugeschoben hatte, »nagykövet oder so ähnlich.« Er klimperte mit dem Münzgeld. Katja folgte ihm zur Telefonzelle. Adam nahm den Hörer ab und legte gleich wieder auf. »Funktioniert.« Er griff nach dem in einem Gestell herabhängenden Telefonbuch, klappte es nach oben, blätterte lange mit beiden Händen und schlug die Seiten immer wieder hin und her. »Mist!«, rief er plötzlich und ließ das Telefonbuch nach unten in die Aufhängung fallen. »Diese Idioten haben die Seite rausgerissen ... Katja?« Adam trat vor die Telefon85
zelle und blickte um sich. Eine Weile blieb er stehen. Dann ging er in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Katja saß auf dem Brunnenrand unter der HermesStatue, neben ihr ein junges Paar in den gleichen wildledernen Wanderschuhen wie sie, die Kraxen vor sich. »Hallo«, sagte Adam. »Mein Freund«, sagte Katja. Die junge Frau, mit einem dicken Zopf und abgeschnittenen Jeans, schrieb eine Telefonnummer auf Katjas Handrücken. »Die Botschaft ist geschlossen«, erklärte Katja. »Die lassen keinen rein. Wir müssen zu den Maltesern, in die Berge.« »Wieso Iässt die Botschaft niemanden mehr rein? Die können doch die Leute nicht wegschicken?«, fragte Adam. »Ihr müsst nach Buda, Zugliget heißt das, die haben Zelte im Kirchgarten. Die kümmern sich um euch«, sagte der junge Mann und zupfte an seinem dünnen rötlichen Bart. »Kozma heißt der Pfarrer. Ihr müsst nach der Szarvas Gabor üt fragen, nach der Kirche und diesem Pater Kozma, angeblich kennt den dort jeder.« »Und ihr?«, fragte Adam. »Wir schlafen auf der Margareteninsel«, sagte die Frau und fasste ihren Freund an der Hand. »Das ist schöner.« »Wir machen Urlaub, solange die Knete reicht«, sagte er. »In der Markthalle gibt s abends alles ganz billig. Manchmal schenken sie dir auch was, die wissen ja, was hier läuft.« »Komische Typen«, sagte Adam, nachdem sie sich verabschiedet hatten. »Wieso? Die waren doch in Ordnung.« »Kann schon sein. Aber wenn sie dich nicht 86
mal ansehen, also mich.« »Die haben dich angesehen!« »Eben nicht, als gäbe es mich gar nicht. Und wenn ich was nicht leiden kann, dann sind das abgeschnittene Jeans, Zöpfe und solche Kinderbärte.« »Sieh mal, wohin der Hermes zeigt, das ist doch Westen?« »Ja«, sagte Adam, »dort liegt Buda.« »Bringst du mich noch zu diesem Pfarrer?« Sie gingen die Vaci utca zurück. »Krieg ich noch ein Eis zum Abschied?« »Wenn ich von dir ein Bild machen darf?« »Nein, dann nicht.« Die Schlange war langer als vorhin. Katja steckte den Zauberwürfel in Adams Umhängetasche, legte dann beide Hände auf seine rechte Schulter und bettete ihren Kopf darauf, als wollte sie schlafen. »Hör mal, Adam«, sagte sie leise. »Es ist überhaupt nicht wichtig. Aber kann es sein, dass du meine Kraxe vergessen hast, dort vor der Grenze?« Adam antwortete nicht. »Auf der Rückbank war sie nicht«, fuhr Katja fort. »Und hinten drin auch nicht.« »Kann sein«, sagte Adam, ohne den Kopf zu wenden, »kann sein, dass du recht hast.« »Ist nicht schlimm, wirklich nicht, hab ich ja gesagt, überhaupt nicht.« »Du kannst meinen Schlafsack haben, auch die Luftmatratze«, sagte Adam und hielt sich ganz gerade. Wenn er vorrückte, dann mit winzigen Schritten, so dass Katja ihm folgen konnte, ohne ihre Hände von seiner Schulter zu nehmen. Auf diese Weise blieben sie sehr eng beieinander stehen, bis sie an der Reihe waren. 87
Misslungener Abschied Adam hielt den Stadtplan auf dem Autodach fest, der Wind hatte die obere Hälfte umgeschlagen. Die Abendsonne stand über den Hügeln von Buda. Am Kai lag ein Ausflugsdampfer, dessen Reling Girlanden aus winzigen Glühlampen schmückten. Eine Menschentraube wartete vor einer Kette, die den hölzernen Zugang zur Landungsbrilcke versperrte. Möwen kreischten. Die Fassaden der Pester Uferbauten schienen plötzlich Farbe bekommen zu haben und von innen zu leuchten. »Irgendwie gefällt mir das nicht«, sagte Adam und versuchte, die Karte kleiner zu falten. »Wir hätten sie trotzdem nach der Botschaft fragen sollen. Wer weiß, was das für ein Zeltlager ist.« Katja leckte noch an ihrem Eis. »Haben sie dich angesprochen oder du sie?« »Das hat sich irgendwie ergeben.« »Sag nicht irgendwie. Hast du sie gefragt?« »Die konnten nur von uns sein. Sie wollten nach Bulgarien und haben dann mitbekommen, was hier läuft, und sind zur Botschaft.« »Also hast du sie angesprochen?« »Ist doch egal! Denkst du, ich merke nicht, wenn da was faul ist?« »Mir haben die nicht gefallen, sahen aus wie Lockvögel, hat ja aucb funktioniert.« sich hab noch dein Taschentuch.» »Behalt's, als Erinnerung.» »lst jetzt sowieso nicnt mehr zu gebrauchen.» Sie wischte sich die Hände daran ab. sBekommst du gewaschen und gebügelt und blau kariert zurück, Ehrenwort.« »Per Einschreiben aus 88
Tokio.« »Feierlicher, auf dem Fuji oder so. Ich bezahl dir auch den Flug.« Adam hatte den Stadtplan so klein gefaltet, dass nur zwei Rechtecke nebeneinander übrig geblieben waren. Sie fuhren über die Kettenbrücke. Katja hatte die Schildkröte aus dem Karton genommen. »Am liebsten wurden wir jetzt ne Bootsfahrt machen, stimmt's, Elfi?» Ein Wartburg überholte und hupte. »Die hab ich nach der Zeit gefragt, als du im Kofferraum lagst.» »Fahr doch hinterher.«»Denkst du, die wollen aucb dorthin?« »Wer so rast, kennt sich aus.« Auf der anderen Seite der Brücke folgten sie ihnen durch den Tunnel. »Wäre gut, wenn du mal in die Karte siehst.» »Das macht er nur aus Eifersucht, Elfi«, sagte Katja, kniete sich rückwärts auf den Sitz und schob die Schildkröte von ihrer flachen Hand in den Karton. Als sie aus dem Tunnel heraus waren, gab Adam ihr die Karte und tippte mit dem Zeigefinger darauf. »Hier irgendwo. Ich hab's eingekringelt, dahin müssen wir.« »Die müssen irgendwann rechts rein, eigentlich schon da vorne.« »Tun sie aber nicht.« »Fahr rechts, die nächste rechts.« Katja dirigierte Adam. Zehn Minuten später bogen sie von der Hauptstraße ab hinauf in die Hügel. Hier hatten die Häuser Gärten. Hinter Bäumen und Sträuchern sah man Villen, die sich mit Neubauten und Mehrfamilienhäusern abwechselten. Den Straßenrand säumten Trabants und Wartburgs mit DDR-Kennzeichen. »Rat mal, wer da hinter uns herzuckelt«, sagte Adam, »unser 89
Raser.« Die Bäume in der Szarvas Gabor standen so dicht, dass Katja den Kirchturm zu ihrer Linken erst sah, als sie davor hielten. Im Kirchgarten wimmelte es von Leuten. Der Hang stieg steil an, weiter oben waren große Zelte. Katja holte den letzten Riegel Kinderschokolade hervor, wickelte ihn aus und brach ihn in der Mitte durch. »Zeit für die eiserne Reserve?«, fragte Adam und steckte die eine Hälfte in den Mund. Auch die Familie hinter ihnen im Wartburg zögerte auszusteigen. »Warte«, sagte Adam und hielt Katja, die die Tür schon geöffnet hatte, am Arm fest. »Ich seh mir das erst mal an.« Die Pfeiler am Fuß der Treppe ähnelten Schachfiguren. Im Garten stand ein langer Tisch, darauf große Töpfe und Wäschekörbe mit Brot. Adam stieg zur Kirche hinauf. »Guten Tag, ich möchte Herrn Kozma ...« Doch die Frau, die ihm entgegengekommen war, lief an ihm vorbei die Treppe hinunter zum Garten, wo sie sich in die schnell wachsende Schlange vor der Essenausgabe stellte. Adam betrat die Kirche: ein heller Zentralbau. Bis auf ein Ziborium im Zuckerbäckerstil mit einem winzigen Jesus am Kreuz war der Raum fast schmucklos. »Wir haben ihre Adresse von der Botschaff«, sagte Adam zu einer Frau, die wie eine Pförtnerin links vom Eingang an einem kleinen Tisch saß. Sie zeigte auf eine Tür, durch die es in einen Gang mit vielen Bücherschränken ging. Auch hier roch es nach Essen. »Sie wünschen?«, fragte 90
ihn ein kleiner Mann mit Halbglatze. »Ich suche Herrn Kozma.« »Der bin ich.« »Kann man bei Ihnen übernachten?« »Wenn Sie das wünschen.« »Ich nicht. Ich habe aber jemanden im Auto, die möchte gern. Sie ist durch die Donau geschwommen...« »Sie soll kommen«, sagte Kozma. In diesem Moment trat der Mann aus dem anderen Wartburg ein, zwei Nummernschilder in der Hand. »Wir sind zu fünft«, sagte er und sah zwischen Kozma und Adam hin und her. »Kommen Sie herein«, sagte Kozma. »Darf ich mich umschauen?«, fragte Adam. »Schauen Sie«, sagte Kozma, dessen Hand auf der Seitenwange einer Kirchenbank lag. Sein Daumen rieb über die Schnitzerei - ein Omega, das ein Kreuz umschloss. Auf den Stufen zum Garten saßen Kinder. Zwei größere Mädchen spielten Federball, die Leute, die nicht zur Essenausgabe gegangen waren, standen in kleinen Gruppen zusammen. Weiter oben hängte eine Frau im Trainingsanzug Wäsche auf. Als Adam hinausging, kam ihm die ganze Wartburgfamilie entgegen, die Eltern mit Koffern, die Kinder mit Campingbeuteln auf dem Rücken und Plüschtieren in den Händen. »Viel Glück«, sagte Adam, aber sie schienen ihn gar nicht zu bemerken. Die Frau blickte nur kurz über die Schulter zurück, als fürchte sie Verfolger. »Ich denke, die Sache ist sauber«, sagte Adam. »Sie haben Zelte, große Zelte, scheinen neu zu sein.« Adam öffnete den Koffer91
raum. Er nahm das Fichtelbergzelt und die beiden Beutel mit ihren Sachen heraus, die nicht in der Kraxe verstaut gewesen waren. Im Vorraum der Kirche kamen ihnen zwei Männer entgegen. Sie liefen barfuß über die Fliesen, starrten Katja an und gingen hinaus. Kozma war nicht mehr zu sehen. »Hoffentlich komm ich nicht zu denen«, flüsterte Katja. »Riecht bisschen wie Landheim.« »Dann mach's mal gut«, sagte Adam. »Meine Adresse hast du ja.« »Willst du nicht eine Nacht hier schlafen und morgen früh fahren?« Adam schüttelte den Kopf. Sie gaben sich die Hand. Dann fiel ihm Katja um den Hals. Sie sagte etwas, aber sie sprach so leise, dass er es nicht verstand. Adam hatte den Karton mit der Schildkröte schon auf den Beifahrersitz gestellt und den Wagen angelassen, da fiel ihm der Zauberwürfel ein. Gerade als er ausstieg, erschien Katja auf der Kirchen treppe. »Adam«, rief sie^ »Adam!«, und rannte, Zelt und Beutel an sich gepresst wie eine Diebin, die Stufen zu ihm herab.
Wildes Camping Adam stoppte hinter der Kreuzung. »Kannst du das lesen? Was steht da?« Katja beugte sich vor. In der Linken hielt sie die von Adam gefaltete Budapestkarte, in der Rechten den Würfel, auf ihrem Schoß lag die Ungarnkarte. 92
»Irgendwie finde ich die Straße nicht, die steht hier nicht drauf. Fahr doch zurück«, sagte sie. »Irgendwo sind wir falsch abgebogen. Fahr einfach zurück, bis die Schilder wieder kommen.« »Irgendwie-Irgendwo«, sagte Adam, öffnete die hintere Tür und zerrte einen der beiden 20Liter-Kanister hervor, schloss den Tank auf und setzte den Trichter hinein. Den Kanister musste er fast bis auf Brusthöhe heben, der erste Schwapp ging daneben. »Kann ich was helfen?«, rief Katja. »Bleib drin!«, presste Adam hervor, das Gesicht vor Anstrengung verzerrt. Sein Oberkörper bewegte sich im selben Rhythmus, in dem das Benzin herausgluckste und als ein Bum-Bum-Bum im Kanister hallte. Allmählich wurde das dumpfe Geräusch jedoch leiser, bis das Benzin fast laudos in den Trichter floss und sich Adams Gesichtszüge entspannten. Selbst als nur noch Tropfen herauskamen, hielt Adam den Kanister weiter senkrecht. Eine Grille zirpte. »Und?«, fragte Adam, als er sich ins Auto setzte. Seine Hände verströmten Benzingenich. »Du kannst mich ja zurückbringen.« Adam ließ den Wagen an und wendete. »Ich war kindisch«, sagte Katja. »Ich weiß auch nicht, ich hab einfach Panik bekommen.« Adam sah auf seine Armbanduhr. »Du kannst mich einfach hier rauslassen, ich finde schon zurück.« »Jetzt hör auf.« »Ich kann dir nicht immer hinterherrennen und hoffen, dass du mir noch ein Eis kaufst.« »Und wenn sie die Leute von dort 93
zurückschicken?« »Dann nützt mir auch der ganze Balaton nichts.« »Vielleicht passiert ja wieder ein Wunder.« »Hast du denn genug Geld?« Adam zuckte mit den Schultern. »Borgst du mir was? Ich zahl's dir zurück, in West, eins zu eins, so schnell es geht.« »Du musst nichts zurückzahlen. Sag mir lieber, wie ich fahren muss!« Sie hielten an einer Kreuzung, der Wagen hinter ihnen hupte. »Rechts, wir müssen rechtsherum, da ist das Schild! Ohne Geld, ohne Ausweis, ohne nix, das ist so beschissen!« »Ich hab nicht so viel, die üblichen Forint eben, du weißt ja, wie lange das reicht.« »Entschuldige.« »Wir fahren jetzt zum Balaton, und morgen früh sehen wir weiter. Wir kennen dort Leute. Wirst nicht verhungern. Musst dir keine Sorgen machen, darum nicht.« »Ich brauch nicht viel.« »Ich hab noch zweihundert Westmark. Wenn der Tank voll ist und wir abfahren, bekommst du den Rest.« »Du setzt mich dort irgendwo raus, Adam. Du musst keine Angst haben, dass ich dir Scherereien mache. Deine Frau kriegt mich gar nicht zu Gesicht, wenn es das ist, was dich wurmt.« »Nun hör endlich auf! Haben wir noch was zu essen?« »Die Hörnchen und Konfitüre und ein Glas Senf.« »Na dann, her damitl« »Ich hab keinen Hunger.« »Doch«, sagte Adam. »Du isst jetzt was, prophylaktisch.« Sie verließen die Stadt, als die Sonne gerade am Horizont verschwand. Gegen elf erreichten sie den Cam94
pingplatz von Badacsony. Die Schranke war unten, von einem Pförtner nichts zu sehen. »Oje, haben die Preise!«, sagte Katja. »Das sind ja dreißig Mark pro Nacht!« »Westdeutsche!«, sagte Adam und nickte in Richtung einer kleinen Gruppe, die gerade auf den Zeltplatz zurückkehrte. »Die haben die Preise verdorben.« »Ich geh einfach rein«, sagte Katja. »Treffen wir uns morgen noch mal?« »Morgen?« »Oder übermorgen?« »Komm mit, wir finden schon noch was.« »Fährst du nicht zu deiner Frau?« »Das ist jetzt zu spät.« »Wieso zu spät?« Adam stieg wieder ins Anco. »Was ist? Willst du nicht mit?« Katja zögerte. »Kennst du dich hier aus?« »Jetzt komm.« Sie fuhren weiter, bis Adam plötzlich stoppte und vorsichtig von der Straße abbog. »Na sieh mal«, sagte er und schaltete auf Fernlicht um, so dass sie eine Wiese und das Wasser erkennen konnten. »Das ist doch wie geschaffen für uns.« Er machte das Licht aus und öffnete die Tür. »Was hältst du von einem Bad? Ist es dir nicht recht?« »Doch, natürlich«, sagte Katja. »Ist nur so dunkel hier.« »Keine Menschenseele, nur Grillen.« »Ich muss mich erst mal dran gewöhnen.« Adam begann sofort, eine Luftmatratze aufzublasen. Katja entrollte das Zelt und steckte im Licht, das aus dem Wageninnern kam, die Stangen zusammen. Adam half ihr beim Aufbau. »Hör mal, Frösche«, sagte er. Als sie fertig waren, zog er sich aus und ging ins Wasser. »Willst du nicht mit? Ist angenehm, nicht zu kalt und nicht zu warm.« Nur allmählich 95
wurde es tiefer. »Katja? Bist du da?« Als er keine Antwoi£a erhielt, ließ er sich ins Wasser gleiten und schwamm los. Er versuchte sich so lautlos wie möglich zu bewegen. Alle anderen Geräusche schienen weit entfernt. Der See war von Lichtern umgeben. Nur hinter ihm war es dunkel. »Das ist vielleicht ne Pfütze! Jetzt stink ich nach Wasser statt nach Benzin«, sagte er. Katja reichte ihm ein Handtuch. Adam ging auf die andere Seite des Wagens, trocknete sich ab und nahm frische Sachen aus dem Koffer. »Wollen wir uns noch ein Bier holen?« »Ich nicht.« »Ich schlaf im Auto.« »Gehst du noch weg?« »Nein«, sagte er. »Hast du Elfi versorgt?« »Ich hab ihr bisschen Brot eingeweicht.« »Ist irgendwas?« »Gute Nacht«, sagte Katja, verschwand im Zelt und zog den Reißverschluss zu.
Erstes Wiedersehen »Hallo, guten Morgen.« Katja hielt zwei Zeltheringe in der Hand, schlug sie gegeneinander und schabte den Rest der daran klebenden Erde ab. Über einem Bikini trug sie das brasilianische T-Shirt. »Wir sollten hier verschwinden.« Adam setzte sich auf. Um sie herum hatten schon einige Familien Handtücher und Decken ausgebreitet, es roch nach Sonnencreme. »Der Pionier liebt und schützt die Natur«, sagte Adam. »Hab ich einen Mist geträumt.« Er rieb sein Gesicht mit 96
beiden Händen, als würde er sich waschen. »Wie spät ist es denn?« »Du hast doch ne Uhr.« »Lass uns wenigstens noch baden«, sagte Adam, nachdem sie alles im Auto verstaut hatten. »Du hast Nerven.« Katja zog ihr T-Shirt aus. Kinder spielten am Ufer. »Uuh, schlammig!«, rief Katja und lief rückwärts wieder raus. »Elefantenkacke, echte ungarische Elefantenkacke. Da musst du durch, wenn du in den Westen willst, bis rüber zum anderen Ufer«, sagte er leise. »Dort drüben ist doch nicht Westen!« »Ich bringe dich durch die Elefanten kacke und kassiere das Kopfgeld.« »Kopfgeld?« »Na, was du den Staat so gekostet hast und was die drüben dadurch sparen.« »Wieviel denn?« »Zwanzigtausend vielleicht?« »Nur?« »Oder fünfzigtausend. Davon kaut ich mir Stoffe! Nur die edelsten! Na los, komm doch.« »Ich will nicht.« »Wenn du erst mal drin bist.« »Ich kann nicht.« »Wie, du kannst nicht? Hast du deine Tage?« »Schrei nicht so!« »Was denn?« »Ich hab's dir doch erzählt. Ich kann nicht.« Adam watete zurück ans Ufer. »Komm«, sagte er und hielt ihr die Hand hin. »Wenn du erst mal mit diesem Hokuspokus anfängst, wirst du's nie wieder los. Komm, halt dich fest.« Widerstrebend, mit winzigen Schritten ging Katja ins Wasser, entriss ihm ihre Hand und rannte zurück. »Ich trag dich.« »Nein, ich bin viel zu schwer für dich.« »Komm, einen Arm um meinen Hals, und jetzt, jetzt, al97
lez hopp!« Adam schwankte kurz, ging dann aber sicher ins Wasser. Katja hielt sich mit beiden Armen fest. »Keine Angst«, keuchte er, als er nachfasste, »ich lass dich nicht fallen.« »Geh zurück, Adam, bitte, kehr um.« »Njet«, sagte er und watete, so schnell er konnte, weiter. »Bitte, ich hab Angst!« »Brauchst du nicht. Alles gut, alles gu-hut.« Adam rannte beinah, bis das Wasser seine Badehose berührte. »Denk an den Fuji oder an Elfi oder ... jetzt wird's nurn bisschen kalt.« Katja schrie auf, drehte sich jedoch im selben Augenblick auf den Bauch und kraulte los. Adam glitt ins Wasser. Katja schwamm einen Bogen um ihn. »Geht doch, oder?«, rief er und machte ein paar hastige Züge. »Alles in Ordnung?« Statt einer Antwort zog sie davon. Adam schwamm ein bisschen hin und her, blieb dann stehen, das Wasser reichte ihm bis zum Nabel, und blickte ihr nach. Die Arme in die Hüften gestemmt, sonnte er sich. Ab und zu öffnete er die Augen, Katja war hinter den Segelbooten verschwunden. Als er sie schließlich wieder auf sich zukraulen sah, schwamm er ihr entgegen. »Hier ist's gar nicht mehr so eklig.« »Nicht gerade angenehm«, sagte sie, wandte sich kurz ab und richtete ihr Bikini-Obeneil. »Darf ich dich was fragen?« »Was denn?« Sie fuhr sich über die kurzen Haare. »War gestern irgendwas? Hab ich was Falsches gesagt?« »Nee, nicht direkt.« »Also doch?« »Kannst du dir ja 98
denken.« »Was soll ich mir denken?« »Muss ich das sagen?« »Musst du nicht. Mir geht nur gerade so einiges im Kopf rum.« »Ich dachte, hier irgendwo ist deine Frau, und du willst plötzlich mit nem Mädchen zelten, das dir was versprochen hat.« »Versprochen?« »Sag nicht, dass du das vergessen hast.« »Du dachtest, ich kassier meine Belohnung?« »So ungefähr. Was ist daran so komisch? Das ist doch unnormal, lässt deine Frau warten!« »Was hat das mit meiner Frau zu tun?« »Ich denk, die ist hier?!« Katja schwamm langsam zum Ufer. Adam watete neben ihr her. »Das ist komplizierter«, sagte er. »Das lässt sich nicht so schnell erzählen.« »Ich versteh ja, dass es blöd ist, wenn ich hier als dein Anhängsel aufkreuze.« »Evelyn ist nicht allein. Sie ist mit ner Freundin zusammen.« »So ne Frau-Frau-Beziehung?« »Ach, überhaupt nicht.« »Kann doch sein.« »Die ist kein guter Umgang für sie, wirklich nicht.« 99
»Das hat mein Vater manchmal gesagt - kein guter Umgang.« »Ne frühere Arbeitskollegin von ihr, immer die große Klappe, alles nur heiße Luft. Die war auch schuld, dass Evi ihr Studium hingeschmissen hat.« »Was macht sie denn?« »Lernt Kellnerin. Eigentlich sollte sie Lehrerin werden.« »Pädagogik?« »Deutsch und Geographie, aber hauptsächlich Deutsch.« »Ich sollte auch Lehrerin werden. Da hab ich aber nicht mitgemacht.« »Und was hast du gemacht?« »Tischlerin, sogar ne abgeschlossene Lehre.« »Evi liest so viel. Wenn sie Zeit hat, liest sie.« »Als Lehrerin musst du die Jungs bearbeiten, dass sie Offizier werden oder Berufssoldat oder wenigstens drei Jahre zur Armee gehen! Da kommst du gar nicht mehr zum Lesen!« »Wenigstens hätte sie zu Ende studieren können.« »Und was hat das mit euch zu tun?« »Sie weiß gar nicht, dass ich hier bin.« »Ne Überraschung?« »Überraschung kann man das auch nennen.« »Spionierst du ihr nach?« »Wir haben uns gestritten. Sie hat was falsch verstanden, und ich hab Angst, dass sie Unsinn macht.« 100
»Abhauen?« »Nee, das nicht gerade. Aber mit einundzwanzig ...« »Ich bin auch einundzwanzig! Und du?« »Im Dezember dreiunddreißig.« »Hast dich gut gehalten.« »Wäre ich denn so ne Zumutung gewesen?« »Wieso Zumutung?« »Na, letzte Nacht?« »Darum geht's gar nicht.« »Worum denn?« »Vielleicht hatte ich einfach keine Lust.« »Hm.« Obwohl ihm das Wasser nur bis an die Knie reichte, konnte er seine Füße nicht sehen. »Wenn du's genau wissen willst: Meine Pille ist weg, war auch im Brustbeutel, und schwanger will ich jetzt nicht gerade werden, nicht mal von dir«, sagte sie und richtete sich auf, »Was macht die denn da! Kennst du die?« Eine junge Frau lehnte an der Fahrertür des Wartburgs, die Arme seitlich an der Dachkante ausgestreckt, und hielt ihr Gesicht in die Sonne. »Ach du Scheiße«, flüsterte Adam. »Deine Frau?« »Nee.« »Einlach die Wahrheit, Adam, nichts als die Wahrheit.«
Eine Art Einladung Eine Stunde später saßen Adam und Katja an dem Kiosk auf dem Zeltplatz, sie aßen Langosch und tranken Kaffee und Cola. Katja hatte den Strohhut auf, der Karton mit 101
der Schildkröte stand zwischen ihren Stühlen. »Bist du sauer auf mich?« »Du hättest das nicht erzählen sollen. Sie glaubt uns sowieso nicht.« »Deine Heldengeschichte?« »Ich trau der nicht. Die muss so was nicht wissen. Außerdem klang das wie erfunden.« »Aber so nett, wie die war.« »Das ist so ne Katzenfreundlichkeit, da musst du aufpassen.« »Ich hab nicht kapiert, dass die das ist, der schlechte Umgang. Ich dachte, das ist wirklich ne Freundin.« »Ich weiß ja auch nicht, wieso die plötzlich so scheißfreundlich ist.« »Und Michael? Wer ist das?« »Ihr Cousin, ihr Westcousin. Der soll sie rausheiraten. Jedenfalls haben sie uns zur Hochzeit eingeladen.« »Wann denn?« »Ach, alles heiße Luft.« Aus dem Lautsprecher kam »Don't wony, be happy«, am Nachbarrisch schnippten sie mit den Fingern. »Ist er hübsch?« »Alt ist er, Mitte vierzig vielleicht. Hat ne große Klappe, spielt sich auf, wenn er nicht gleich bedient wird, schenkt den Damen Parfüm, und wenn ihm was nicht passt, sagt er ‚merde‘. Ohne den gäb's das ganze Schlamassel nicht.« »Welches Schlamassel?« »Sie haben Evi das Parfüm geklaut, aus dem Spind raus oder wo immer sie das hatte ... Ach, lange Geschichte.« »Versteh ich nicht.« »Ich auch nicht. Sie hat gekündigt, auf der Stelle, und weil ich noch zu tun hatte und auf das Auto wartete, ist sie mit dem los, mit ihr und mit ihm.« »Und du hinterher?« »Ich hinterher.« 102
»Und warum hat sie nicht gewartet?« »Sag ich doch, sie hat was falsch verstanden.« »Und jetzt wohnen die alle bei deinen Bekannten?« »Sind eigendich Evis Freunde, ich war noch nie hier. Sie hat Pepi in Jena kennengelernt, gleich im ersten Studienjahr, und letztes Jahr war Pepi zwei Wochen bei uns.« Katja sah in ihre Tasse. »Früher nannte man das Mocca.« »Willst du noch einen?« »Gern, wenn's geht, mit Milch. Und ein bisschen mehr.« Adam ging zum Kiosk. Die Frau vor ihm hatte noch ganz weiße Haut, nur Schultern und Ohren waren gerötet. Er bestellte Kaffee und kaufte Brot, Wurst, Käse und Wasser. Als er zurückkam, saßen an ihrem Tisch zwei junge Männer, beide mit Sommersprossen und rötlichen Haaren. Sie aßen Eis. »Hier darfste das Zeug nicht kaufen«, sagte der mit den kurzen Locken. »Da musst du in'n Ort, in die Kofi fahren. Das is immer noch sauteuer. Aber das hier, das geht gar nicht. Früher hat die Wurscht mal drei achtzig Forint gekostet, das war Sozialismus, jetzt nehmse das Dreifache!« »Hier stehen noch Zelte von denen, die letzten Sonnabend über die Grenze gerannt sind«, sagte Katja. »Wir fahrn immer mal den Trabi von denen, da steckt der Zündschlüssel noch. Wir stelln ihn immer wieder vors Zelt, aber da kommt niemand mehr, und drin vergammelt alles!« »Wir ham eins aufgemacht, wegen dem Vogel da drin«, sagte der andere, der beim Sprechen rot wurde. »Der wäre sonst verdurschtet«, sagte der mit den Lo103
cken. »Ich geh dann mal«, sagte Adam, als Katja ihren Kaffee ausgetrunken hatte. Er hob den Karton mit der Schildkröte auf. »Morgen komm ich wieder.« »Ich bring dich ein Stück«, sagte Katja und nahm die Einkäufe vom Tisch. »Tschüss«, sagte sie zu den beiden Jungs. »Tschüssi«, sagten die, standen auf und wollten Katja die Hand reichen, aber sie hatte keine mehr frei. »Kommst du mit dem Geld hin?«, fragte Adam. »Mal sehen, wie scharf die hier kontrollieren. Eine Nacht kann ich ja erst mal bezahlen.« »Morgen so um die Zeit schau ich vorbei.« »Wirst ja sehen. Wenn's drauf ankommt, bin ich genügsam wie ne Ziege.« Adam packte ihr die Wasserflasche, die er ihr abgenommen hatte, wieder obenauf. »Wirst mir fehlen, Elfi«, sagte Katja. »Du ihr auch«, sagte Adam. Auf der Rückseite seines Adresszettels hatte Simone den Weg skizziert. Er fuhr die Hauptstraße zurück, bog nach links und an der Kirche im spitzen Winkel wieder nach links, auf die Römai-Straße. Schon von weitem erkannte Adam Evelyns weißen rotgepunkteten Popelinerock, den er ihr zu Ostern gemacht hatte. Eigentlich gehörte noch ein Haarband dazu. Den Stoff hatte ihm Desdemona überlassen. Neben Evelyn ging Michael. Adam überholte sie, ohne sich umzudrehen, und bog an dem grünen Pfahl mit der Nummer 8 nach rechts in die lange Auffahrt ein, die an Sträuchern und Bäumen und einem Schuppen vorbei hinaufführte. Adam hielt vor dem Haus und stieg aus. Er sah 104
den beiden entgegen. Sie sprachen nicht miteinander. Evelyn lief etwas schneller. Als Adam sie umarmen wollte, machte sie sich steif und wich zurück. »Hallo«, sagte Adam. »Simone meint, ich könnte unser Zelt haben, auch ihren Schlafsack und die Luftmatratze, ihr hättet Zimmer.« »Ja, klar. Willst du's gleich haben?« »Ich wollte es hier im Garten ...« »Hier?« Michael war herangekommen. Adam ergriff dessen ausgestreckte Hand. »Der Zeltplatz ist sauteuer.« »Das ist nicht dein Ernst?« »Wieso nicht?« »Kapierst du denn nicht, dass ich dich nicht sehen will, dass ich mal Ruhe brauch und nicht immer Angst haben möchte, dass du hinter der nächsten Ecke lauerst!?« »Und was soll ich deiner Meinung nach tun?« »Du sollst«, sagte Evelyn und betonte jedes Wort, »einfach nur abhauen!« Sie ließ ihn stehen und verschwand hinter dem Haus. Michael blickte zu Boden, nickte ihm kurz zu und folgte ihr mit der Badetasche. Adam setzte sich ins Auto. Er wendete und fuhr langsam zurück. An der Tankstelle hatte sich bereits eine kleine Schlange gebildet. Ein Tanklastzug von Shell stand zwischen den Zapfsäulen. Adam hielt hinter dem letzten Wagen. Er öffnete die Fenster, atmete tief durch und rieb sich die Brust. Wenigstens wusste er jetzt, wie er die nächste Stunde verbringen würde.
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Ein neuer Versuch Adam hielt auf Höhe des Schuppens und ging das letzte Stück die Auffahrt hinauf. Die Briefkastenkiappe glänzte in der Abendsonne. Rechts stand auf dem Blechschild die Nummer 8, die Klingel hatte kein Namensschild. Ein Weg aus kleinen Platten führte um das Haus herum. Adam zupfte an seinem Hemd» das ihm trotz des Windes, der vom See kam, schon wieder am Rücken klebte. Der Sonnenbrand an den Schultern tat weh. Am liebsten hätte er gewartet, bis die Schweißflecken getrocknet waren. Doch er glaubte, bereits bemerkt worden zu sein, so dass jedes Zögern befremdlich gewesen wäre. Er drückte die Klingel einen Moment länger als notwendig. Die Fenster waren bis auf eine angekippte Kellerluke geschlossen. Er hatte schon den Zeigefinger ausgestreckt, um ein zweites Mal zu klingeln, als eine Frau in einer grünen Kittelschürze um die Hausecke bog und auf ihn zueilte. Die Bewegungen ihrer Arme schienen die kleinen, in Schlappen steckenden Füße anzutreiben. Sie lachte und wischte sich, kurz bevor sie ihm die Hand reichte, mit dem Unterarm über die Nase. »Herr Adam«, sagte sie, noch bevor er sich vorstellen konnte. »Kommen Sie, ich bin Pepis Mutter, ich hab mir gedacht, dass Sie es sind, gehen Sie, gehen Sie.« »Ist Pepi da?« »Nein, wissen Sie, sie ist in Pees, bei ihrer Tante und ihren Cousinen, aber Sie können in das Zimmer, das hat sie 106
gesagt, Sie und Frau Evelyn können in ihrem Zimmer ...« Sie ging ihm voran um das Haus. »Das ist sehr liebenswürdig, Frau Angyal, aber ich wollte nur Pepi ...« »Pepi kommt nächste Woche, aber so lange können Sie gern in das Zimmer. Gehen Sie, gehen Sie.« Hinter dem Haus stieg das Grundstück an. Gegenüber einer Tür, vor der bunte Plastestreiren hingen, stand ein großer Tisch unter einer Pergola, die ganz mit Wein überwachsen war. Auf der kleinen Wiese daneben stützten Holzstangen die Wäscheleinen, an denen sich Hemden und Handtücher im Wind blähten. »Setzen Sie sich, setzen Sie sich«, sagte Frau Angyal und wies zum Tisch. Sie selbst verschwand im Haus. Sie sprach mit jemandem, aber die Stimme, die ihr antwortete, war kaum zu hören. Es roch nach Waschmittel und Eierkuchen und Kaffee. Adam stand auf, um Frau Angyal entgegenzugehen, die mit zwei Flaschen, Gläsern und etlichen Bilderrahmen, die sie unter die Achsel geklemmt hatte, herauskam. »Bitte sehr, bitte sehr, Herr Adam, trinken Sie, bei Hitze muss man trinken. Ich trinke den ganzen Tag.« Sie füllte ein Glas mit Wasser, das andere mit Weißwein, das augenblicklich von der Kälte des Weins beschlug, so dass Adam zuerst danach griff und Frau Angyal zuprostete. Dann erst nahm er das andere Glas und stürzte das Wasser hinunter. »Ach, die Pepi«, sagte Frau Angyal, während sie die gerahmten Fotos vor ihm aufbaute. »Die hat viel von Ihnen erzählt. Und glauben Sie mir, Herr Adam, dieses Kostüm, 107
das Sie ihr gemacht haben, Ihr Geschenk, dieses Kostüm ist ihr Lieblings... wie sagt man, ihre Lieblingseinkleidung. Sehen Sie hier, hier spricht sie im Seminar. Das war letzten Oktober. Und wissen Sie, mit dem Kostüm wird sie nicht dick. Kein Scherz, kein Scherz, nein, nein. Die Pepi sagt, wenn ich es ändern muss, dann geht es dahin, dann ist es nicht mehr die Naht von Herrn Adam. Lieber esse ich nichts, das sagt die Pepi.« Adam hielt ihr Foto in beiden Händen. Frau Angyal schenkte ihm Wein und Wasser nach. »Trinken Sie, trinken Sie«, rief Frau Angyal im selben Moment, in dem Evelyn um die Hausecke bog und lächelnd auf sie zukam. »Ja, Frau Evelyn, warum haben Sie mir nichts gesagt?« Frau Angyal eilte ins Haus, um mehr Gläser zu holen. »Hallo, Adam«, sagte Evelyn. »Dir geht's ja gut.« Sie setzte sich ihm gegenüber.« »Ich wollte nur das Zelt holen, dann hau ich wieder ab.« »Das geht nicht, Adam, das weißt du ganz genau. Du kannst jetzt nicht mehr weglaufen.« »Warum denn?« »Danke«, sagte Evelyn und lächelte Frau Angyal zu, die zwei Gläser vor sie hinstellte. Für sich selbst hatte sie eine grüne Flasche und ein Likörglas mitgebracht. »Auf einen schönen Urlaub, lieber Herr Adam, Frau Evelyn, Prosit!« »Prosit«, antworteten beide und tranken. Nachdem sie die Gläser wieder auf den Tisch gestellt hatten, schwiegen sie. Frau Angyal schenkte Wein und Wasser nach. »Sie können in Pepis Zimmer schlafen, wir können eine Matratze hineinlegen 108
»Nein, nein«, sagte Adam. »Bitte keine Umstände. Ich wollte Sie nur fragen, ob ich das Zelt hier im Garten aufhauen könnte, so war es ja doch gedacht, so hatten wir das auch mit Pepi besprochen.« Frau Angyal verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Bitte, Frau Angyal«, sagte Evelyn. »Ich will Mona nicht allein lassen, wir sind zusammen gekommen, wir wussten ja nicht, ob Adam Zeit finden würde. Ich kann sie jetzt nicht einfach ...« Frau Angyal sah ernst vor sich hin und füllte ihr Glas mit Likör. »Machen Sie, wie mögen«, sagte sie, »machen Sie, wie mögen, Frau Evelyn, aber solange Pepi nicht da ist...« Damit stand sie auf und ging ins Haus, als wollte sie nichts weiter davon hören. »Mist«, flüsterte Evelyn, »gratuliere!« »Du hast doch eben noch gesagt, ich soll nicht weggehen. Was willst du denn?!« »Ich hah ihr gesagt, dass du zu tun hast, dass du nicht kommst - wahrscheinlich.« Evelyn stand auf. Sie holte das Zelt aus dem Haus. Auf der Wiese schnürte sie den Zeltsack auf und ließ die Sachen herausfallen. »Ich finde deine Masche zum Kotzen!« »Wir müssen hier kein Theater spielen«, sagte Adam. »Dann weiß ich nicht, was du hier willst.« »Dich, nur dich.« »Wo ist Elfriede?« »Können wir nicht wenigstens mal miteinander reden?« »Essen gibt's um halb acht, Badezimmer und Klo sind für alle. Hast du Elfriede im Auto? Lebt sie noch?« 109
Adam legte den Autoschlüssel auf den Tisch. Als er das Zelt aurgebaut hatte, öffnete er den Reißverschluss und kroch hinein. In einer Ecke fand er ein paar Kiefern nadeln. Er kehrte sie mit den Händen zusammen, roch daran und steckte sie in die Brusttasche seines Hemdes.
Berichte vom ersten Tag Am nächsten Vormittag fand Adam das Zelt von Katja geschlossen, er wollte schon zum Wasser gehen, als er die großen Badeschuhe davor bemerkte. »Katja?« Er hörte ein leises Räuspern. »Katja, bist du da?« Eine Hand oder ein Ellbogen beulte das Zeltdach aus, es raschelte und der Reißverschluss ging ein Stück nach unten, doch nur so weit, dass ihr Kopf hindurchpasste. »Hallo, wie spät ist es denn?« »Halb elf.« »Wart mal.« Sie verschwand wieder. Adam versuchte durch die Öffnung zu sehen, erspähte aber nur kurz ihre nackten Schultern. Sie sprach leise. Adam trat gerade noch rechtzeitig zurück, als sich Katja, in T-Shirt und Rock, aus dem Zelt wand. Sie streckte sich und stieß einen Laut aus, etwas zwischen Gähnen und Juchzen. Der Himmel war blau, bloß ein paar Wölkchen, die eher aussahen wie weißer Rauch, trieben über den See. »Hast deine Pillen wohl wiedergefunden?«, fragte Adam. Katja zog den Strohhut aus dem Zelt und setzte ihn auf. »Ist spät geworden gestern. Wie war's denn?« 110
Adam zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes. Und bei dir?« »Hier wollen alle weg, fast alle, die reden nicht drüber, ist aber wie ne große Familie.« »Kennste einen, kennste alle.« »Trinken wir nen Kaffee? Ich lad dich ein. Gestern hab ich Kinder gehütet, dort vorn, die sind aus Ulm, fünf Westmark pro Stunde. Und das noch ne ganze Woche lang.« »Verstehe ich nicht.« »Für ne Westmark tauschen die fünfundzwanzig Forint, manchmal noch mehr.« »Ich meine diese Ulmer, die kennen dich doch gar nicht. Lassen die dich allein mit den Kindern?« »Die sind ganz easy.« »Easy?« »Ja, die sagen ständig easy. Ich muss gar nichts machen, die Kinder schlafen ja schon, nur falls sie aufwachen, muss ich da sein.« »Aber die kennen dich nicht!« »Wir waren zusammen schwimmen und haben Abendbrot gegessen.« »Und wie machen das die anderen, alles Babysitter?« »Keine Ahnung. Wir bleiben halt hier, solange es geht, und dann.« »Wer ist wir?« »Na alle! Manche sind seit Juni da. Die warten, dass was passiert. Und wenn's nicht mehr geht, wollen sie hier in ein Pionierlager, Zänka, dort sind auch die Malteser. Morgen oder übermorgen kann ich dir das Geld zurückgeben.« »Lass mal, Kanister und Tank sind voll. Damit komm ich schon zurück.« »Ihr wollt zurück?« »Warum denn nicht?« »Und deine Frau?« »Nehm ich mit.« 111
»Nimmst du mit?« »Ja, was sonst.« »Vertragt ihr euch wieder?« »Fast.« »Liebst du sie?« »Sonst wäre ich ja nicht hier.« »Ich dachte, ich könnte dich überreden.« »Hast ja schon einen überredet.« Adam zeigte mit dem Daumen über die Schulter zum Zelt. »Du meinst Susanne? Die haben wir nicht mehr fahren lassen, die war ganz schön dicht.« »Die Badelatschen sind von ner Frau?« »Ihre Badelatschen?« »Das muss ja ne Riesin sein.« Sie stellten sich am Kiosk an. »Und wie war's mit der Ungarin?« »Pepi ist gar nicht da, aber ihre Mutter - was die uns auftischt, abends, morgens, und als ich los bin, stand sie schon wieder in der Küche! Die andern essen sogar mittags dort.« »Der schlechte Umgang nebst Cousin?« »Heute früh hat der ne halbe Stunde auf m Klo gehockt und dann dieselt er sich ein. Das ganze Haus stinkt nach dem Parfüm und nach der Kacke des Herrn Superhirn.« »Ist er ein Superhirn?« »Irgend so ein Forscher, lehrt sogar nebenbei an der Uni.« »Wartet der denn mit?« »Eigentlich nicht. Er muss zurück in den nächsten Tagen. Morgen wollen sie mal an die Grenze, an die Stelle, wo die anderen rüber sind.« »Das kannst du vergessen, dort kommt keiner mehr durch.« »Er meint, die Ungarn würden wegsehen.« »Da wäre ich nicht so sicher.« »Angeblich hat er's im Radio gehört, hat den ganzen Abend nichts anderes erzählt.« »Was denn?« »Von einer, die rüber ist. ‚Ist hier Österreich?‘, hat sie gefragt. Die Österreicher dachten, die spinnt. »Nein, der MondKatja vom Zeltplatzt?« »Die, die ich mitgenommen habe.« »Macht ihr zusammen einen Ausflug?«, fragte Michael und setzte sich nach vorn. »Die hat auch keinen Perso, und nen Perso brauchst du hüben wie drüben.« »Einen was?« »Einen Personalausweis. Sie hat keinen mehr. Sonst halten unsere Brüder und Schwestern sie vielleicht für ne Ungarin oder gar Russin, die einfach nur gut Deutsch spricht.» Adam ließ den Wagen an und klopfte dreimal aufs Armaturenbrett. »Halt durch, Heinrich, Budapest und zurück.« »Das macht er immer so, musst dich nicht wundern.« 148
Michael beobachtete, wie Adam den Gang einlegte, die Handbremse löste und anfuhr. »Adam ist abergläubisch. Am liebsten hätte er für jeden Tag ein Horoskop.« »Klingt gar nicht schlecht, dein Heinrich. Wie viel Zylinder hat der, vier?« »Drei, Baujahr 61. Mein Vater hat ihn gehegt und gepflegt. Gefahren wurde nur sonntags oder ab und zu ins Theater. Er wollte ihn schonen, immer nur schonen.« »Das hat abgefärbt«, sagte Evelyn. »Versteh ich. So ein Oldtimer ist jetzt vielleicht schon mehr wert als damals.« »Das ist kein Oldtimer, ich fahr ganz normal damit, siehst du ja!« »Nach fast dreißig Jahren hat er sich den Titel verdient.« »Der fährt einwandfrei.« »Na ja«, sagte Evelyn, »hoffen wir's.« »Kannst mir vertrauen.« Ihre Blicke trafen sich kurz im Rückspiegel. »Der hat mich noch nie im Stich gelassen.« Evelyn verzog spöttisch den Mund und lehnte den Kopf gegen die Scheibe. Katja wartete bereits an der Straße. »Oje, will die umziehen?«, fragte Michael. »Die hat ja meinen Hut auf!« Katja tätschelte zur Begrüßung das rechte Vorderlicht, bevor sie die Plastetüten, Adams Schlafsack, die Luftmatratze und das Zelt aufhob. Adam öffnete den Kofferraum und verstaute alles, was sie ihm reichte. »Die ist ja ein Schrank«, flüsterte Michael. »Hat doch ne gute Figur«, sagte Evelyn und lächelte, als die Tür aufging und Katja sich neben sie setzte. 149
»Hallo, ich bin Katja.« Sie reichte Evelyn die Hand und streckte sie auch nachvorn zu Michael. »Danke, dass ihr mich mitnehmt.« »Wir sind alle in Adams Hand, ob wir das nun wollen oder nicht. Stimmt's, Adam, du hältst uns jetzt aus.« »Ob ich will oder nicht.« »Ach, komm, das genießt du doch.« »Unter genießen stell ich mir was anderes vor, als euch bei dem Wetter hin und her zu kutschen.« »Das ist dein Schicksal, dass du ständig den Ritter spielen musst«, sagte Katja, »gibt aber auch keinen Besseren dafür.« »Kannst du das Radio anmachen, Radio Danubius«, fragte Evelyn. »Oder ist das immer noch kaputt?« »Singt doch lieber was«, sagte Adam und richtete den Rückspiegel. Katja lächelte. »Willst du in Budapest bleiben?«, fragte Evelyn. »Ich dacht nur, wenn die das heute nicht hinkriegen?... irgendwo muss man ja pennen.« »Bei uns machen die das gleich«, sagte Michael. »Hast du Passbälder?«, fragte Katja. »Gar nichts hab ich mehr, vierhundert Forint knapp.« »Ist doch nicht schlecht, das reicht für zwei, drei Tage.« »Nicht mal mehr ne Uhr hab ich.« »Auch geklaut?« »Musste ich im Hotel lassen, als Pfand, wegen der Telefoniererei.« »Deine Familie?«, fragte Adam. »Wegen der Kreditkarten, die musste ich sperren lassen.« »Vor zwei Wochen haben sie hier noch Babysitter gesucht, ich hatte manchmal zwanzig Westmark am Abend, sechshundert Forint! Jetzt wird's aber langsam dünn«, sagte Katja. »Hast du nichts mehr?«, fragte Adam. 150
»So um die hundert Westmark, aber die Westfamilien sind fast alle weg.« »An fünf Abenden mehr, als wir überhaupt umtauschen dürfen«, sagte Evelyn. »Meinst du wirklich, die Botschaft schafft das mit den Ausweisen nicht an einem Tag?« »Weiß nicht, wie das läuft. Hauptsache, ihr lasst mich dort nicht allein.« »In Budapest?« »In der Botschaft. Ich hab doch kein Visum. Wenn die rauskriegen, dass ich eigentlich gar nicht hier sein darf« »Merde«, sagte Michael und drehte sich um. »Wieso denn das?« »Hat Adam nichts erzählt? Er hat mich im Kofferraum rübergeschleust.« »Wirklich?« »Ich dachte, ihr wisst das.« »Na das kann ja heiter werden!«, sagte Michael. »Wenn wir da zu dritt reingehen und ihr mich nicht allein lasst ...« »Die sollen sogar Taxifahrer anheuern, die die Leute kidnappen, und du gehst freiwillig in die Botschaft«, sagte Evelyn. »Wo ist denn dein Ausweis?« »Ich wollte durch die Donau, das war keine so gute Idee.«»Da sind doch welche ertrunken«, sagte Michael. »Weiß nicht.« »Wenn sie dir komisch kommen, sagst du die Wahrheit, einfach die Wahrheit und dass du es dir nun anders überlegt hast. Dann kaufen sie dir sogar noch ne Fahrkarte für den Zug«, sagte Adam. »Plötzlich kümmern die sich«, sagte Evelyn. »Die haben sich schon immer gekümmert«, sagte Adam. »Du redest ja schon wie ein Bonze!« »Wieso?« »Gekümmert? Als ihr Eigentum behandeln die uns.« »Ich meine die Fahr151
karten! Man muss ja zurückkommen. Das haben die immer gemacht. Jede Botschaft tut das!« »Nur dass unsere nebenbei noch ein paar Leute verschwinden lässt«, sagte Evelyn. »Glaub doch diese Märchen nicht...« »Die haben sogar von uns Leute verschwinden lassen«, sagte Michael, »und nicht nur ein paar.« »Aber doch jetzt nicht mehr.« »Auch jetzt noch.« »Jedenfalls werden sie Katja nicht verschwinden lassen.« »Zu Befehl, Genosse Adam!« »Ich war sogar mal Genosse.« »Was, bei den Kommunisten?«, fragte Michael. »Fast zwei Jahre, vor der Armee rein, nach der Armee wieder raus, steile Karriere!« »Keine Angst, Adam ist im Mai nicht mal zur Wahl gegangen.« »Und was ist passiert?«, fragte Michael. »Nichts, ihm konnten sie doch nichts anhaben! Mich hätten sie wahrscheinlich rausgeschmissen, als Lehrling.« »Haben sie dir keine Schwierigkeiten gemacht?«, fragte Katja. »Adam hat starke Freundinnen, die wollen alle was geschneidert haben.« »Red doch keinen Quatsch. Wovor sollen die mich denn beschützen?« »Kannst ruhig zugeben, dass ein paar Bonzenweibchen unter deinen Kundinnen sind.« »Was gehen mäch deren Männer an?« Evelyn lachte. »Nee, deren Männer sind dir egal, wegen denen willst du sicher nicht zurück.« »Wann fahrt ihr denn?«, fragte Katja. Adam schaltete einen Gang herunter, weil er den Lastwagen vor ihnen nicht überholen konnte. Die Straße war schmal und kurvenreich. »Das steht noch nicht fest«, erwiderte 152
Adam. »Wie lange bleibst denn du?« »Ich?«, fragte Michael. Adam nickte. »Noch drei Tage, ich hab schon überzogen. Aber ich komm wieder, jedes Wochenende.« »Na ja, mal sehen, wie das Wetter wird«, sagte Adam. »Danke, dass ihr dran gedacht habt«, sagte Evelyn, nahm Katja den Sonnenhut vom Schoß und setzte ihn auf. Alle vier sahen geradeaus, als wären sie gebannt von dem Antistatikband des Lastwagens, das auf dem Asphalt schleifte und sich wie eine winkende Hand auf und ab bewegte.
Arbeit für die Ewigkeit »Normalerweise hältst du den Pass hoch, und sie lassen dich rein. Aber so ...« »Den Trick kennt man halt«, sagte Adam und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. Auch Michael trank. Sie saßen in Budapest auf der Margareteninsel, nicht weit entfernt von dem grünen Zelt, das, von Büschen verdeckt, nahe am Wasser stand und in dem Evelyn und Katja lagen. »Wie spät ist es eigentlich?« »Irgendwas zwischen eins und zwei, würde ich sagen. Du hast doch ne Uhr!" »Ich vergesse manchmal, sie aufzuziehen, und dann weiß ich nicht, ob sie stimmt.« »Meine ist ne Automatik, die zieht sich von allein auf.« »Zu Haus brauch ich keine Uhr. Die hier hab ich von Evi.« »Ne Uhr brauchst du immer.« »Eigentlich will ich nur noch den Lada, vielleicht noch ne zweite Garage, aber sonst ...« »Meine Ex hat immer gesagt ...« »Wer?« »Meine Ex, meine Ehemalige. Ich war 153
mal verheiratet, ungefähr so lange, wie du in der Partei warst.« »Und was hat sie gesagt, deine Ehemalige?« »Wenn man jemanden liebe, meinte sie, wüsste man immer, was man ihm schenken kann.« »Glaubst du das? « »Das war noch ihr bester Spruch. Mir ist wirklich nichts mehr für sie eingefallen.« »Vielleicht hatte sie ja alles.« »Früher musste ich nur die Straße langgehen und sah sofort was.« »Am liebsten würde ich Eve nen Studienplatz schenken.« »Bei uns kannst du dir den selber schenken und endlos studieren.« »Ohne Begrenzung?« »Manche studieren zehn Jahre und mehr.« »Bei uns musst du einen Platz kriegen, und wenn du den nicht bekommst ... Evi hatte so ne blöde Beurteilung, weil sie als Einzige in der Klasse geraucht hat und manchmal zu spät kam, obwohl sie nur um die Ecke wohnte. Die Zensuren waren gut, aber für Kunstgeschichte hat man sie zweimal abgelehnt.« »Kunstgeschichte ist eine brotlose Kunst.« »Wieso? Die verdienen nicht weniger als alle anderen.« »Bei euch vielleicht, aber da brauchst du auch eine Stelle.« »Wenn du erst mal den Studienplatz hast, dann kriegste auch ne Stelle, da muss sich sogar die Uni drum kümmern.« »Wieso die Uni?« »Ist schon besser, du suchst dir selbst was, aber wenn du nichts findest, müssen die was für dich finden oder dich behalten.« »Ist ja kurios.« »Frag Evi.« »Wie lang gilt euer provisorisches Ding überhaupt?« 154
»Bis zum dreizehnten«, sagte Adam und zog die vier Seiten im A5-Format aus seiner Umhängetasche. »Provisorischer Reisepass A 08969, für Ungarn, CSSR und DDR (Bad Schandau). Glaubst du denn, dass ich bei euch ne Arbeit fände?« »Wenn du wirklich willst, wieso denn nicht?« »So einfach wird's ja auch nicht sein.« »Jeder, der will, findet was.« »Aber nicht unbedingt das, was du willst.« »No problem. Du brauchst eine Idee, eine Idee und Fleiß und etwas Glück. Manchmal reicht es schon, freundlich zu sein.« »Sind bei euch nicht alle freundlich, zumindest die, die was verkaufen wollen?« »Wer bei euch richtig gut ist, findet auch bei uns was. An der Spitze ist immer Platz! Warum fragst du?« »Ewig können wir ja nicht bei den Angyals wohnen.« »Dich vergöttern sie doch, der ideale Schwiegersohn.« »Erzsi ist aber auch nicht schlecht.« »Ihre Mutter? Im Ernst?« »Wieso, die ist vielleicht jünger als du.« »Na, dir trau ich alles zu.« Michael hielt ihm die Bierflasche hin, Adam stieß mit ihm an. »Warst du schon mal hier?« »Nein, der Osten hat mich nie interessiert. Der war schon vor zwanzig Jahren abgehängt.« »Du meinst ökonomisch?« »Wer seine Busse ‚Ikarus‘ nennt«, Michael lachte auf, »was soll denn dabei herauskommen? Der Fortschritt wohnt im Westen.« »Ich leb nicht schlecht.« »Eure Bonzen sollen mal die Krebsstatistik veröffentlichen, dann sagst du das nicht mehr. So eine Dreckschleuder wie in Rositz, die wäre bei 155
uns verboten, völlig undenkbar. Mona hat mir mal den Teersee gezeigt. Das ist die Pest! Das sind alles Verbrechen!« »Was machst du eigentlich?« »Zellbiologie.« »Na und weiter?« Michael lächelte. »Wir versuchen herauszubekommen, warum wir alt werden und sterben, damit wir einmal nicht mehr alt werden und sterben.« »Und warum werden wir alt und sterben?« »Willst du das wirklich wissen?« »Ja, na klar.« »Wenn sich die Zellen vermehren, wenn die Chromosomen kopiert werden, dann geht immer was verloren, jedes Mal wird da ein Stück weggeschnitten. Irgendwann fehlt so viel Information, dass die Zelle kaputtgeht, das ist ungefähr nach fünfzig Zyklen. Das muss aber nicht so sein. Wenn sich die Zelle ohne Verlust reproduzierte, würden wir immer weiterleben, das heißt, wir müssten nicht sterben.« Michael schnippte die Zigarette wie ein Glühwürmchen weg und zündete sich eine neue an. »Wer Lunge raucht, stirbt früher.« »Das hat damit nichts zu tun, oder nicht viel. In jedem von uns ist eine Uhr, und wenn die abgelaufen ist, ist Schluss, es sei denn, du ziehst sie immer wieder auf. Im Prinzip könnte man schon jetzt rauskriegen, wie lange du lebst, ziemlich genau sogar.« »Du meinst, das ließe sich machen, dieses Neuaufziehen?« »Ja sicher, nur eine Frage der Zeit. In vierzig, fünfzig Jahren haben wir das meiste im Griff.« »In vierzig 156
Jahren?« »So ungefähr. Wenigstens kannst du sie dann so aufziehen, dass du zweihundert Jahre lebst oder länger.« »Und du suchst das Schlüsselchen dafür?« »Hast du schon mal was von Telomeren gehört?« »Diese Tierchen?« »Telomere sind die Enden der Chromosomen, so eine Art Überhang, wie die Plastikkappen an den Schnürsenkeln. Mit jeder Kopie werden die kürzer, mal sehr bildlich ausgedrückt - das ist die tickende Uhr. Bei Fadenwürmern sind wir schon dicht dran.« »Das kriegt ihr hin?« »Die Amerikaner wahrscheinlich.« »Du sagst das alles so selbstverständlich. Das würde ja heißen, wir hätten Pech - wir wären die Letzten, die sterben müssen?« »Oder Glück, je nachdem. Vielleicht sind wir auch die Vorletzten oder Vorvorletzten, aber in hundert Jahren haben wir's.« »Und wieso hört man nichts davon, wenn ihr schon so nah dran seid?« »So einfach ist's ja auch nicht, aber Krebszellen zum Beispiel, Krebszellen sind unsterblich, die hören nicht auf, die kopieren sich ohne Verlust weiter. Wir müssen das, was die Krebszellen machen, auf gesunde Zellen übertragen. Wir haben sozusagen schon das Muster.« »Für die Unsterblichkeit.« Adam massierte sich die Brust. »Dann hätten ja diejenigen recht, die sich einwecken, die sich einfrieren lassen!« »Könnte sein, könnte durchaus sein.« »Mir würde es schon reichen, so alt wie Elfi zu werden.« »Wie die Schildkröte? Als Haustier wird die nicht älter als fünfzig, das ist für die zu stressig mit uns.« »Nicht älter?« »Die 157
frei lebenden schaffen es über hundert, aber Elfriede mit Sicherheit nicht. Hast du das nicht gewusst?« »Nein.« »Wenn ich den Moment erleben könnte, in dem wir den Tod ausknipsen ... Das wäre was!« »Ich weiß nicht. Wenn die einen sterblich sind und die anderen nicht oder sie leben zumindest fünfmal so lange.« »So ist es doch schon! Angst hilft uns da gar nichts! Wir müssen uns von deP& Vergänglichkeit, von der Sterblichkeit befreien. Das ist der eigendiche kategorische Imperativ, raus aus deiner selbstverschuldeten Sterblichkeit.« »Klingt irgendwie komisch.« »Das ist wie eine Droge, wenn du da erst mal drauf bist, kommst du nicht mehr runter.« »Lebst du, um zu arbeiten, oder arbeitest du, um zu leben?« »So kannst du nicht fragen.« »Doch, dein ganzes Leben geht für die Ewigkeit drauf.« »Für mich ist Arbeit Leben. Für dich nicht?« »Schon, aber wir meinen nicht dasselbe.« »Wieso nicht, du hast doch eine schöne Arbeit.« »Eben weil ich machen kann, was ich will.« »Aber wenn sie ein Kleid haben will, kannst du ihr keinen Hosenanzug machen.« »Doch, wenn sie in dem Hosenanzug besser aussieht.« » Selbstbewußtsein hast du, das muss man dir lassen.« »Liebst du Evi?« »Ob ich Evelyn liebe?« »Ja.« »Sonst wäre ich ja nicht mehr hier. Ich musste längst in Hamburg sein.« »Sind drei Wochen zu lang?« »Weißt du, was das bedeutet, drei Wochen verschwinden? Damit kannst du alles aus der Hand geben, alles, nicht nur die ei158
gene Existenz, auch die der anderen, das ganze Projekt!« »Und die Unsterblichkeit.« »Ja, auch die Unsterblichkeit.« Beide nickten, als stimmten sie nun endlich überein.
Damenwahl »Ich war so müde«, sagte Katja, »aber jetzt wird das nichts mehr. Eigentlich kann ich auch aufstehen.« »Vielleicht wollen ja die Männer schlafen?« »Und wir halten Wache? Ich glaub, die unterhalten sich ganz gut.« »Hast du was verstanden?« »Nee. Aber Adam hat ne schöne Stimme. Mensch, als der seinen richtigen Namen nannte, hab ich gedacht, jetzt geht die Welt unter.« »Du hast gedacht, er hat dich reingelegt?« »Einen Augenblick - ja.« »Ich war schon bei ihm eingezogen, selbst da wusste ich es noch nicht. Überall stand nur sein Nachname drauf.« »Weil der hier so vorsteht?« Katja tippte sich auf den Kehlkopf »Als Junge muss er sich dafür geschämt haben, dürrer Hals und so einen Adamsapfel. Irgendwie war er schon immer Adam.« »Sieht männlich aus.« »Hm, fand ich auch.« »Jetzt nicht mehr?« »Doch.« »Und Michael?« »Ist was ganz anderes. Dagegen ist Adam ein Kind.« »Findest du?« »Michael weiß, was er will, bei dem geht es weiter, bei dem passiert immer was, ein richtiger Forscher. Der war überall, der spricht zig Sprachen, das ist 159
seine Weite, der atmet viel freier, nicht Jahr für Jahr dasselbe.« »Er hat schöne Hände.« »Hm. Der hat auch so verrücktes Zeug im Kopf. Der kennt alles von Lern, wegen Lern hat er sogar mal angefangen, Polnisch zu lernen.« »Dieser Science-FictionMensch?« »Ja, der mit den Robotern und Maschinen. Für Michael ist er der Größte.« »Den gibt's doch auch bei uns?« Katja stützte sich auf, so dass sie Evelyn sehen konnte. »Ist er ein guter Liebhaber?« Evelyn nickte. »Hat es gleich gefunkt?« »Ich hab an so was gar nicht gedacht. Er wollte eine Freundin heiraten, seine Cousine.« »Mona?« »Ach so, du kennst sie ja.« »Der schlechte Umgang.« »Hat das Adam gesagt?« »Ist ihm so rausgerutscht. Warum bist du ohne ihn los?« »Das hat Adam dir natürlich nicht erzählt.« Evelyn stützte sich ebenfalls auf und berührte dabei das Zeltdach. »Ist feucht«, sagte sie und strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Morgens musst du aufpassen, wenn du da anstößt, gibt's nen kleinen Regenguss«, sagte Katja. »Wir haben auch so eins, so ein ähnliches.« »Und was war nun?« »Ich hab das schon lange gewusst, das heiße, ich konnt's mir denken. Mona hat gesagt, alle wussten es, nur ich nicht.« »Was denn?« »Dass er sie bumst, seine Frauen.« »Seine Frauen?« »Seine Kundinnen, seine Geschöpfe. Er gibt ihnen sogar Namen. Am Anfang hat er noch gesagt, seine Kreationen heißen so. Aber das ist eher so wie die Spitznamen von leichten Mädchen. Er fotogra160
fiert sie in den neuen Sachen. Du musst nur ihre Augen ansehen, richtig lüstern, als hätten sie nur mal kurz Pause gemacht. Zuletzt war da eine in ner Seidenbluse, nichts drunter natürlich, an deren Nippel konntste dir die Augen ausstechen.« »Noch jünger als du?« »Ach, überhaupt nicht! Wenn du die auf der Straße sehen würdest, da würde sich im Leben keiner rumdrehen, richtige Muttis sind das.« »Wirklich?« »Aber wenn er denen was auf den Leib schneidert, und das kann er nun mal, dann sehen die richtig gut aus, und daran geilt er sich eben auf.« »Liegt vielleicht am An- und Ausziehen?« »Nee, nee, so einfach ist das nicht. Ich hab sie erwischt, ich hab sie gesehen, dabei hätt ich's gar nicht wissen wollen.« »Au, Mist! Das tut weh.« »Ich bin nicht eingebildet, wirklich nicht, aber wenn du die gesehen hättest.« Evelyns Hand berührte wieder das Dach. »Entschuldige. Das glaubst du nicht, wirklich nicht. Nackt war die ne Vettel.« »Und Adam?« »Wie er dastand, hinterm Schrank und nix an...« »Adam im Adamskostüm. Steht er denn auf solche?« »Das ist es nicht, sind ja nicht alle so. Aber theoretisch könnte es jede sein, jede Kundin, jede Frau.« »Ich weiß nicht, ob dich das interessiert, aber zu mir war er echt anstandig, wirklich, ein richtiger Engel.« »Glaub ich, glaub ich dir gern.« »Ich hatte was Blödes gesagt, dass ich ihm jeden Wunsch erfüllen würde oder so, ich hab sogar an so was gedacht. Ich wollte nur, dass er mich mitnimmt, 161
alles andere war mir egal. Aber nicht mal ne Bemerkung oder sonst was Blödes. Ich dachte schon, der ist schwul ...« »Adam?« »Na als Schneider. Ich kenn nen schwulen Frisör, und Frisör und Schneider, so verschieden ist das ja nicht.« »Schneider ist schon anders!« »Ist ja egal, ich wollt nur sagen, entweder schwul oder er Hebt seine Frau wirklich.« »Hat er vielleicht mal.« »Wenn mir ein Mann in so ner Klapperkiste nachfahren würde, obwohl ich mit nem anderen ... Das ist schon was.« »Ja, aber was?« Katja legte sich auf den Rücken, eine Hand unter dem Kopf. »Willst du wirklich zurück?« »Das Schreckliche ist, dass sich das alle paar Stunden ändert«, sagte Evelyn. »Hast du jemanden drüben?« »Nein, niemanden. Adam hat ne Tante, keine richtige, die kam wohl immer mal zu Besuch. Ihr Mann ist irgendwann geflüchtet, der wollte nicht mehr in den Osten oder durfte nicht mehr, der ist irgendwas Hohes.« »Von uns sind alle drüben. Wir waren immer die Einzigen, die fehlten.« »Wenn du einmal anfängst, drüber nachzudenken, und wenn es plötzlich so realistisch wird, wenn du dich plötzlich fragst, wie lebe ich eigentlich, wie geht das weiter...« »Dann ist's aus mit der Ruhe. Ich denke sogar, man hat die Pflicht wegzugehen, wir wissen doch gar nicht, was Leben bedeutet.« »Adam ist so genügsam. Abends sein Bier und im Garten sitzen und die Zigarre, und dann kommt der Nachbar an den Zaun ... Er versteht sich sogar 162
mit den Nachbarn. Mich hat das fasziniert, er war so unabhängig, weißt du, das hatte Charakter. Die an der Uni, die waren so vorsichtig und brav, da war Adam ne richtige Befreiung. Der hat kein Blatt vor den Mund genommen. Doch wenn er dann nur im Garten sitzen bleibt ...« »Seid ihr nie weggefahren?« »Wir waren mal in Bulgarien. Geld hat er ja. Geld wie Heu, zumindest füPa meine Begriffe. Adam wollte sogar Kinder. Aber ... ich ...« Evelyn drehte sich zur Zeltwand. »Was ist denn? He, Evi?« Katja strich ihr vorsichtig übers Haar und über die Schultern. »Was ist denn? Weinst du?« »Ich hab mir eins wegmachen lassen.« »Das hab ich auch hinter mir. Aber das war so ln Scheißkerl, so 'n richtiger Verbrecher.« »Das weiß Adam gar nicht. Das darfst du ihm auch nie sagen, nie, versprichst du mir das?« »Ja, klar.« »Du hattest wenigstens einen Grund. Aber ich, ich dachte nur, ich will warten. Und nun denke ich, gut, dass ich keins habe. Was soll ich denn mit nem Baby im Westen?« »Ich wollt nicht mein ganzes Leben an den gekettet sein, ich denk sowieso viel zu oft dran.« »Sind die überhaupt noch da?« Evelyn hob den Kopf. »Deine Männer?« »Meine Männer?!« »Na ja, ist doch so, du hast zwei, und ich hab keinen.« Evelyn putzte sich die Nase. »Kannst ja einen abhaben, das würde die Sache irgendwie einfacher machen.« »Dann frag ich mal morgen, ob einer mich will.« »Und wen fragst du zuerst?« »Adam natürlich.« »Aber der will 163
doch gar nicht rüber!« »Trotzdem, wenn's dir nichts ausmacht?« »Hör mal - was is'n das?!« »Ne ganze Horde.« »Verstehst du was?« »Das Deutschlandlied?« »Nee, das ist doch unsere, unsere Nationalhymne!«
Ein Märchen Evelyn, Katja und Adam saßen in einem Ideinen Eckcafe an der Nepstadion ut, fast gleich weit entfernt von den Botschaften der DDR und der BRD. Katja schob die leere Tasse von sich weg. »Vor lauter Kaffee werde ich noch müde.« »Ist schon komisch, dass wir hier deren Geld verprassen«, sagte Evelyn. »Wieso, kriegt die Botschaft doch von mir wieder«, sagte Adam. »Oje, und ich dachte, ich lebe endlich mal nicht auf deine Kosten«, sagte Katja. »Dafür ist das Geld ja da, dass man es ausgibt.« »Nun hau nicht so auf den Putz, Adam. Wir können hier nicht mal ein Hotelzimmer nehmen oder richtig essen gehen.« »Vermisst ihr was? Ich hab nicht den Eindruck, dass ich mir was verkneifen muss. Viel besser können wir's doch gar nicht haben.« »Du merkst ja nicht mal mehr, wie entwürdigend das ist.« »Wenn dich das >Hilton< glücklicher macht, na bitte. So ne Nacht wie die letzte erlebst du da jedenfalls nicht.« »Auf unsre besoffenen Landsleute kann ich verzichten.« »Alles Ausreisekandidaten, hast du doch selbst gehört.« Der Kellner kam, wechselte den Aschenbecher und nahm die leeren Teller mit. 164
»Ich schäme mich dafür«, sagte Katja, »aber mit nem Ausweis fühl ich mich besser.« »Ist doch normal.« Adam zog eine neue Zigarre hervor. »Stört euch das?« »Mich nicht.« »Wart doch, bis wir draußen sind. Wollen wir zahlen?« »Ich würde noch was trinken, einen Saft oder so was.« »Was aber wirklich schlimm äst ...« Katja stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und verbarg das Gesicht in den Händen. »Was denn?«, fragte Adam, schon mit der Zigarre im Mund, und schüttelte die S treichholzschachtel. »Ihr werdet mich für völlig bekloppt halten, aber als ich da raus bin, da hätt ich fast geheult ...« »Ich hab dich sowieso bewundert«, sagte Evelyn, »dass du dich das traust.« »Mir ging auch echt die Düse.« »Der Arsch auf Grundeis ...«, sagte Adam und zündete sich die Zigarre an. »Na, Hauptsache dir geht's gut«, sagte Evelyn. »Ich hab fast geheult, das roch so vertraut.« Katja schüttelte den Kopf. »Entschuldigt bitte.« »Stimmt, mich hat das auch irgendwie an was erinnert. Schule oder so.« »Brotkapsel«, sagte Katja. »Als hätten sie alle ihre Brotkapseln geöffnet. Und dass sie uns noch getröstet haben.« »Die waren nicht unangenehm«, sagte Adam. »Ist doch kein Wunder, jetzt, wo ihnen alle weglaufen. Da springen die vor Freude an die Decke, wenn welche sagen, wir wollen zurück. Wart mal ab, bis du wieder zu Hause bist, wie nett sie dann zu dir sind. Die verbieten dir sogar schon seit zwanzig Jahren den Text ihrer Nationalhymne!« 165
»Ich will nicht zurück, um Gottes willen!«, sagte Katja. »Dich meine ich doch nicht.« »Auf einmal wieder dieser Geruch. Plötzlich war mir so, als wäre ich schon jahrelang weg.« Adam lachte und musste husten. »Ich könnte doch meinen >provisorischen Reisepassi verkaufen, meistbietend.« »Dich kann man wirklich nicht mehr ernst nehmen, Adam.« »Wart's ab. Gibt bestimmt ne Menge Leute, die sich dafür interessieren. Diese Typen, die sich da die Dollarscheine vorgezählt haben. Wenn ich die frage...« »Da war Michael!« Katja sprang auf und rannte hinaus. »Tust du mir einen Gefallen, Evi? Setzt du dich auf der Rückfahrt nach vorn?« »Dann mach aber dieses Ding aus.« Adam legte die Zigarre in den Aschenbecher und sah sich nach dem Kellner um. Katja erschien in der Tür. »Wir sollen rauskommen, er will uns was sagen, irgendwas ist passiert!« »Was Schlimmes?« »Glaub nicht.« Evelyn folgte Katja. Adam nahm die Zigarre aus dem Aschenbecher, sog daran, bis sie wieder aufglomm, und ging zur Theke. Er beobachtete die Bewegungen, die der Kuli des Kellners auf dem Block machte, und starrte dann auf die zweimal unterstrichene Summe. Er zählte die Scheine ab und legte sie mit einem leisen »Viszondätäsra« neben die Rechnung. Der Kellner dankte mit einer knappen Verbeugung. 166
Auf der Schwelle sog Adam wieder an der Zigarre und blies den Rauch in den milchig blauen Septemberhimmel. »Er hat dir wohl einen Platz in der Botschaft besorgt?», fragte Adam, als sich Katja und Evelyn aus ihrer Umarmung lösten. sUnd wenn du noch so viele Witze machst, in ein paar Tagen geht die Grenze auf", sagte Michael. sDas ist sicher.« sSo sicher wie die Unsterblichkeit.» sDie machen die Grenze auf!«, sagte Michael. »Quatsch«, sagte Adam. »Wer erzählt denn solche Märchen!» »Auch wenn's dir nicht passt, noch ein paar Tage ...» sWarum soll mir das nicht passen? Dann krieg ich vielleicht wirklich noch was für meinen Pass.« sAb jetzt geht alles auf meine Rechnung», sagte Michael. »Und heute Abend gehen wir groß aus!« Adam blies ein Rauchwölkchen nach dem anderen in die Luft und ging voran zum Auto. Er schloss auf und öffnete die Türen von innen. Michael hielt die Tiir zuerst für Katja, dann für Evelyn auf. »Darf ich vom sitzen?«, fragte Evelyn. Michael nickte und trat zur Seite, damit sie einsteigen konnte. Sie brauchten eine Dreiviertelstunde, um aus Budapest herauszukommen. Adam hatte Evelyn die Karte gegeben, aber sie war schnell eingeschlafen. Auch Katja hatte die Augen geschlossen. Nur Michael saß aufrecht da und sah aus dem Fenster, als dürfte ihm keine Kleinigkeit entgehen. In Szekesfehervir waren sie von der Autobahn abgefahren. In Veszprem nahm Adam nicht den Abzweig nach 167
Balatonfüred, sondern fuhr parallel zum Nordufer in Richtung Tapolca, um noch etwas von der Landschaft zu sehen. Wenige Kilometer nachdem sie den Stadtring verlassen hatten, begann jedoch der Motor zu stottern, bis er schließlich verstummte. Plötzlich waren alle hellwach. »Kein Problem», sagte Adam und ließ den Wagen an den Straßenrand rollen, »das sind nur die Zündkerzen.« Er nahm das Werkzeug aus dem Kofferraum, löste den Haken der Motorhaube und lächelte. Evelyn erschien er wie ein Zauberer, der nun seinl?1 Vorstellung begann. Er öffnete die Haube. Schon ein paarmal hatte er ihr gezeigt, wie man den Zündkerzenstecker zog, die Kerzen herausschraubte und mit der Drahtbürste putzte. Doch als Evelyn jetzt ausstieg, sah sie, dass er nichts tat, dass er nur dastand, die Hände auf den Wagen gestützt, die Augen geschlossen. »Adam«, fragte sie leise, »ist was?«
Im Schlepptau Es war schon früher Nachmittag, als Adam sich endlich überzeugen ließ, keine weiteren Reparaturen auf eigene Faust anzustellen und sich stattdessen abschleppen zu lassen. Evelyn und Katja hielten mehrere Wagen an. Aber entweder fuhren sie nicht zum Balaton oder hatten kein Abschleppseil dabei oder erklärten etwas, was sie nicht verstanden. Schließlich trampten Evelyn und Katja bis in die nächste Ortschaft und riefen die Angyals an. Gegen 168
fünf stieg Herr Angyal aus seinem weißen Trabant, Michael und die beiden Frauen hatten sich auf einer Decke am Straßenrand ausgestreckt und waren eingenickt. »Die Zylinderkopfdichtung!«, rief Adam Herrn Angyal entgegen, der eine große Schüssel vom Beifahrersitz nahm. Nachdem Evelyn ihm den Kartoffelsalat abgenommen hatte, beugte sich Herr Angyal, die Brille auf der Stirn, über den Motor. Katja verteilte Besteck und Teller, und Michael schenkte aus einer großen Flasche Weißwein aus. Doch weder Adam noch Herr Angyal wollten an dem Picknick teilnehmen. Als endlich das Abschleppseil am Wartburg befestigt war, wischten sie ihre Hände im Gras ab und setzten sich zu den anderen. Adam aß den Kartoffelsalat gleich aus der Schüssel und stopfte sich die restlichen Fleischbällchen in den Mund. »Meinst du, der Wagen schafft uns aller«, fragte Michael. »Wir können auch trampen«, sagte Katja. »Ihr steigt alle bei ihm ein«, sagte Adam. »Zweimal lang auf die Hupe heißt halten. Zweimal kurz - ihr seid zu schnell!« »Dreimal lang«, sagte Michael und stand auf, »du überholst uns.« Er reichte Adam die Hand, der streckte ihm seine entgegen und ließ sich hochziehen. Als sie im Auto saßen, kurbelte Herr Angyal die Scheibe herunter, schob seine Brille wie ein Visier nach unten und hielt den Arm hoch, während er langsam anfuhr. »Das knattert ja unglaublich«, sagte Michael. »Da bekomm ich noch das ganze 169
Programm geboten.« Katja drehte sich um und winkte Adam zu, der aber konzentriert zwischen Rückspiegel und dem Heck des Trabants hin und her sah. »Ich hab mich wie im Märchen gefühlt«, sagte Michael. »Ich kann euch giP2 nicht beschreiben, wie happy ich bin. Als der mir sagte, ich brauchte mir keine Gedanken zu machen, in ein paar Tagen ist alles vorbei - ich bin so froh, dass ich dich nicht allein lassen muss!« Michael drehte sich halb nach hinten und legte seine Hand auf Evelyns Knie. »Das ist doch wirklich wie ein Märchen, oder?« »Bitte«, sagte Evelyn, »schau lieber nach vorn.« »Ich glaub das erst, wenn ich drüben bin«, sagte Katja. »Verlass dich drauf Aus den Botschaftsleuten kriegst du sonst nie was raus. Wenn die schon mal freiwillig den Mund aufmachen ...« »Vielleicht wollten die dich nur abwimmeln«, sagte Katja. »Die Ungarn haben das internationale Flüchtlingsstatut unterzeichnet und das Abkommen mit euren Betonköpfen gekündigt, die liefern niemanden mehr aus! Das haben die mir gesagt! Und in Bayern ziehen sie ein Lager nach dem anderen hoch. Die erwarten einen Massenansturm! Das steht nicht nur in der Bildzeitung.« »Und wir fahren dann einfach ruber?«, fragte Katja. »Wir düsen los, sobald die Grenze offen ist, und dich nehmen wir mit.« »In München könnt ihr mich raussetzen.« »Du kannst mitkommen nach Hamburg, dann könnt ihr zu zweit den ganzen Behördenkram erledigen, ist doch praktisch!« »Ich wollte eigentlich nicht nach 170
Hamburg.« »Nur für ein paar Tage. Bei mir hättest du sogar ein Zimmer für dich allein!« »Ich weiß ja gar nicht, ob das Evelyn recht ist. Ihr wollt ja vielleicht ...« »Nein, gerade für Evelyn wäre es doch fantastisch! Überlegt mal, ihr könnt dann zusammen los, der Hafen, Fischmarkt, die Alster, die Museen, das macht doch viel mehr Spaß, als alles allein zu machen. Und am Wochenende, da unternehmen wir was, da machen wir Ausflüge ...« Michael hatte sich so weit nach hinten gedreht, dass Herr Angyal ihn antippte und auf den Rückspiegel deutete. »Jetzt setz dich mal richtig hin!«, sagte Evelyn. »Und wenn es doch nur ein Märchen ist?«, fragte Katja. »Die wussten, wovon sie reden!« Herr Angyal klappte die Blende nach unten. Die Sonne stand direkt über der Straße und schien ein Loch in den Horizont zu sengen. »Wenn du willst, Katja, kannst du ja erst mal zu uns, zu den Angyals ziehen, in meinem Zimmer ist noch ein Bett frei«, sagte Evelyn. »Du meinst, das geht, einfach so?« »Ja, warum nicht.« »Wird komisch sein, wenn man Adam nicht mehr im Rückspiegel hat», sagte Michael und sah durch die Heckscheibe. Auch Evelyn und Katja drehten sk193 um. Adam schien auf das Abschleppseil und die Rücklichter des Trabants zu starren. Zwischen seinen Augenbrauen waren zwei senkrechte Falten zu erkennen. Er blinzelte. »Er sollte die Sonnenblende herunterklappen«, sagte Katja, drehte sich wieder um und holte den Zauberwürfel aus ih171
rer Handtasche. »Ja, sollte er«, sagte Evelyn und machte Adam ein Zeichen. Doch er bemerkte sie nicht.
Ein Sonntag »Stehen lassen, bitte«, sagte Frau Angyal und drängte Evelyn, die das Frühstücksgeschirr zusammenräumen wollte, vom Tisch weg. »Geht in die Berge, alle zusammen! Adam, bitte, es soll schön sein.« »Früher sind wir da oft hinauf«, sagte Pepi, »das ist wirklich schön dort.« Niemandem fiel etwas Besseres ein. Und auch Michael und Katja, die schon wieder vor dem Fernseher saßen, verschwanden wie folgsame Kinder in den Zimmern. Adam nahm die Halbschuhe, die er seit Anfang des Sommers nicht mehr getragen hatte, aus dem Kofferraum und tauschte sie gegen seine Sandalen aus. Sie mussten noch auf Pepi warten, die nach ihrem Rucksack suchte. Frau Angyal hatte Tee gekocht und trotz aller Proteste Schnitten geschmiert. Es war so still, dass man jedes Auto und jedes Moped kilometerweit hören konnte. Nur einzelne Rufe und das Schreien von Kindern drangen zu ihnen herauf. Manchmal knallte es in der Feme wie Gewehrschüsse. »Die armen Stare«, sagte Evelyn. Als das Sonntagsläuten begann, erschien Pepi mit dem Rucksack, den sie weder Adam noch Michael überlassen wollte. Sie gingen die Einfahrt hinunter und wandten sich dann nach links, die Romai-Straße entlang, als wollten sie zum See. An der St.-Annen-Kapelle bogen sie ab. »Das hab ich 172
ja noch nie gesehen«, sagte Adam. Er war vor der Kapelle stehen geblieben. »Was denn?«, fragte Michael. »Na, da!« Adam zeigte auf die Jahreszahl über der Tür. » 1789 »Stellt euch mal darunter. Kommt, wir haben noch überhaupt keine Fotos. Mischa und Evi nach links und rechts, ihr beiden in die Mitte.« Widerspruchslos folgten sie Adams Anweisung. Er ließ sich Zeit und wechselte mehrmals die Blende. »Wenn ich sage >Iosalso doch