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Acrylamid in Lebensmitteln - Behörden haben zu lange geschlafen Autoren: Jörg Heimbrecht, H. C. Schultze, Michael Houben und Fabian Elsäßer Krebserregendes Acrylamid entsteht in hohen Konzentrationen bei der Produktion hoch erhitzter Nahrungsmittel wie Fritten, Chips und Kekse. Davon haben deutsche Behörden, so das Verbraucherschutzministerium, erst vor zwei Monaten erfahren. Jetzt fand plusminus heraus: Die Gefahr ist schon Jahren bekannt. Aber wieder einmal haben deutsche Behörden ihre Verantwortung verschlafen. Hätten sie früher reagiert, könnten die Verbraucher längst viel weniger belastete Produkte kaufen. In Fritten, Keksen oder Kartoffelchips hat das von plusminus beauftragte, renommierte NAFU-Labor in Berlin auch bei uns bedenklich hohe Konzentrationen Acrylamid gefunden. Einen Link zu den Testergebnissen sowie weitere Links finden Sie am Ende des Textes. Wer täglich davon isst, davon gehen Wissenschaftler aus, setzt sich einem erheblichen Gesundheitsrisiko aus. Denn Versuchstiere wie etwa Ratten sterben an Krebs, wenn man ihr Futter mit hohen Dosen Acrylamid versetzt. Um Menschen vor der Krebsgefahr zu schützen, darf ihre Nahrung nur mit einem Bruchteil der Giftdosis belastet sein, die bei Ratten Krebs verursacht. Das nennen die Forscher "Sicherheitsabstand". Zu kleiner Sicherheitsabstand Wenn Verbraucher täglich Fritten und Chips zu sich nehmen, wird die Sicherheitsmarge nach Ansicht des Direktors des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz, Dr. Dieter Arnold, nicht mehr eingehalten: "Dann ist der Sicherheitsabstand für den Verbraucher zu gering, wenn man auf der einen Seite sieht, welche Dosen ausreichen, Tumore zu erzeugen, und auf der anderen Seite sieht, wie viel nimmt man auf, wenn man bestimmte Mengen Pommes Frites, Chips und andere Produkte isst. Das Bundesinstitut für Verbraucherschutz hält die Gefahr, die Acrylamid in Lebensmitteln für den Verbraucher darstellt, sogar für größer als die Gefährdung durch Nitrofen, das in Tierfutter gefunden wurde. Keine einzige Untersuchung Doch während im Nitrofenskandal Hunderttausende von Tieren getötet und Bauernhöfe reihenweise geschlossen wurden, fehlen Maßnahmen in Sachen Acrylamid. Trotz der Gefahr haben deutsche Behören bis heute nicht ein einziges Lebensmittel auf Acrylamid untersucht. Schweden, aber auch England und die Schweiz tun dies seit Monaten. In Deutschland wollen Bund und Länder nach eigenen Aussagen erst vor zwei Monaten zum ersten mal von diesem Problem erfahren haben. Kaum zu glauben, denn deutsche Wissenschaftler, die außerhalb von Behörden arbeiten, wissen schon seit Jahren von der Acrylamid-Belastung von hocherhitzten Lebensmitteln. "Das ist veröffentlicht worden in angesehenen, vielgelesenen Zeitschriften, die den Behörden, Verwaltungen aber auch den Instituten bekannt sind", sagt etwa der Toxikologe Dr. Hermann Kruse von der Universität Kiel. Er sei davon ausgegangen, dass dieses Problem längst näher untersucht worden sei, so Kruse zu plusminus. Erkenntnis ohne Folgen Schon vor über zwei Jahren hatten schwedische Wissenschaftler in einer internationalen anerkannten Fachzeitschrift (Herausgeber die America Chemical Society) einen Artikel mit dem Titel "Acrylamid: ein Krebserreger, der beim Kochen entsteht?" veröffentlicht. Das Gift hatten sie zwar nicht in gekochten, wohl aber in sehr hoch erhitzten Lebensmitteln nachgewiesen. Sie gingen davon aus, dass das Erhitzen von Lebensmitteln an den beim Menschen gefundenen Konzentrationen von Acrylamid schuld sei. Und kamen zu der Einschätzung, "dass diese Konzentrationen mit einem erheblichen Krebsrisiko verbunden sind. Hätten die Behörden daraus Konsequenzen gezogen, wäre das Acrylamid-Problem wohl längst vom Esstisch. Denn gleichartige Produkte wie Knäckebrot können völlig unterschiedlich mit Acrylamid belastet sein. Bei den Analysen für plusminus kam heraus: Einige Marken waren hoch belastet, andere dagegen fast frei von dem Gift. Schon durch kleine Veränderungen bei der Herstellung kann man die Belastung offenbar drastisch verringern. Der Kieler Toxikologe Dr. Hermann Kruse: "Man hätte im Grunde genommen schon viel früher hierüber Bescheid wissen können. Und es ist unverantwortlich, dass man den Verbraucher diesen hohen AcrylamidBelastungen ausgesetzt hat, zumal es Technologien gibt, um die Acrylamid-Belastung drastisch zu reduzieren. 1
Trübe Zustände in der Lebensmittelüberwachung Zu wenig untersucht wird nicht nur bei Acrylamid. Der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure kritisiert seit Jahren: Bei der Lebensmittelüberwachung wird am Personal und schon an der einfachsten Ausstattung gespart. Hans-Henning Vieth, der Vorsitzende des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure: "Die Missstände sind einfach die: Wir brauchen das Doppelte an Personal und eine einheitliche Ausstattung. Es kann nicht sein, dass sich fünf Lebensmittelkontrolleure in einer Dienststelle einen Fotoapparat teilen oder zum Teil noch Thermometer haben, die 20 Jahre alt sind." Auch Dr. Hedda von Wedel, die damalige Präsidentin des Bundesrechnungshofes, wies im vergangenen Jahr auf zahlreiche Schwachstellen beim Schutz der Verbraucher hin. In einem Gutachten zur "Organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes" schreibt sie: "Die Kontrolldichte ist in allen Kernbereichen (Lebens-, Futter- und Tierarzneimittel) so zu erhöhen, dass die Kontrollen präventiv, also vorbeugend wirken." Meist kritisiert der Bundesrechnungshof die Verschwendung von Steuergeldern. Zum besseren Schutz der Verbraucher, fordert seine frühere Präsidentin, aber soll - wie in vielen anderen Ländern auch - mehr Geld ausgegeben werden: "Die vorgeschlagenen Veränderungen werden ohne zusätzliche Kosten nicht zu realisieren sein. Es ist mit erhöhtem Personalaufwand zu rechnen." Künast schweigt, Schröder isst unbelastete Wurst. Wir wollten von Ministerin Renate Künast wissen, warum der Verbraucherschutz nicht nur bei Acrylamid so schlecht funktioniert. Aber sie hatte keine Zeit für ein Interview. Bundeskanzler Schröder braucht sich indessen keine Sorgen zu machen. Seine Bratwurst, auch das hat der plusminus-Test ergeben, ist frei von Acrylamid-Gift. Auch die Fritten aus seiner Lieblingsimbissbude in BerlinMitte waren nur halb so hoch belastet, wie die untersuchten Produkte der großen Fast-Food-Ketten. Vielleicht hat ja wenigsten er einen Tipp aus dem Verbraucherschutzministerium bekommen. plusminus-Test zeigt: Zahlreiche Lebensmittel in Deutschland mitkrebsverdächtigem Acrylamid belastet Autoren: Jörg Heimbrecht und Michael Houben Deutschland steht nach dem Nitrofen-Skandal möglicherweise vor einem weiteren Lebensmittel-GAU. Im Auftrag von plusminus haben Experten des renommierten Berliner NAFU-Labors stichprobenartig 20 Lebensmittel nach einer international abgestimmten Messmethode untersucht, nachdem die schwedische Gesundheitsbehörde festgestellt hatte, dass sich bei der Herstellung von gebackenen, frittierten oder gerösteten Lebensmitteln größere Mengen der giftigen Substanz Acrylamid bilden können. Dieser Stoff kann beim Tier Krebs auslösen. Schon lange weiß man, dass Acrylamid in kleinen Mengen aus Verpackung in Lebensmittel gelangen kann. Deshalb gibt es für Lebensmittel einen Grenzwert, der unsere Gesundheit schützen soll. Viel mehr Acrylamid kann sich beim Erhitzen zum Beispiel von Fritten bilden. Die höchsten Belastungen fand das Labor in den Fritten von Burger King: 100-mal so viel wie der Grenzwert. Kaum niedriger belastet waren die Pommes der Konkurrenz von McDonalds und Kentucky. Das Produkt einer normalen Berliner Frittenbude lag aber immerhin ein Drittel niedriger. Ähnlich hoch erhitzt wie die Fritten werden auch Kartoffelchips. Sind sie auch ähnlich hoch belastet? Die Analyse des NAFU-Labors bestätigt das zumindest für einige bekannte Marken: Spitzenreiter war hier im Testvergleich der Stichproben eine untersuchte Packung Chipsfrisch von funny, ebenfalls 100-mal so hoch belastet wie der Grenzwert. Fast genauso hoch belastet: Pringles Original und Chio Chips Red Paprika. Immerhin noch über 20-mal höher als der Grenzwert lagen IBU Chips von ALDI und Chips knabberfrisch von Lidl. Wer Müsli isst, ist fein raus. Ungeröstete Nüsse, Rosinen und Getreideprodukte sind frei von Acrylamid und auch für unsere Kleinsten gesund. Wenn die Cerealien dagegen geröstet sind, bildet sich auch hier krebsverdächtiges Acrylamid. Spitzenreiter war hier die untersuchte Probe Nut Crisps von ALDI. Sie lag 30-mal höher, als der Grenzwert. Nestlés Mandel Nuss Clusters waren ein Drittel weniger belastet, ebenso wie Flakers Honey and Peanuts. Und Kellogg' s Choko Krispies lagen bei der Analyse nur noch dreimal so hoch wie der Grenzwert. Knäckebrot wird ebenfalls heiß gebacken und kann so mit Acrylamid belastet sein. Die Untersuchung des NAFU-Labors zeigt: Hier gibt es erhebliche Unterschiede: Die untersuchte Packung Roggen-Vollkorn von Burger ist gut 30-mal höher belastet als der Grenzwert, ebenso wie Wasa Vollkorn-Knäcke. In Vollkorn2
Knäcke Lieken Urkorn fand das NAFU-Labor dagegen fast kein Acrylamid. Das von plusminus beauftragte Labor hat lediglich stichprobenartig einige bekannte Produkte untersucht. Untersuchungen in Schweden und Großbritannien zeigen aber, dass auch bei anderen, nicht von plusminus getesteten Produkten mit ähnlichen Ergebnissen gerechnet werden muss. Wie gefährlich sind die gemessenen Werte für den Verbraucher? Das kann heute noch kein Wissenschaftler beantworten. Weil man an Menschen keine Versuche durchführen kann, testet man, ab welcher Dosis Tiere an Krebs erkranken und sorgt dann für einen deutlichen Sicherheitsabstand. Selbst der Direktor des Berliner Bundesinstitutes für Verbraucherschutzes BgVV, Dr. Dieter Arnold hält diesen Sicherheitsabstand für sehr gering. Auch im Vergleich zum Nitrofen, das in jüngster Zeit die Debatte in Deutschland beherrschte. Und wegen Nitrofen, das immerhin einen größeren Sicherheitsabstand zu krebsauslösenden Konzentrationen hat, wurden Höfe geschlossen und Tier aus dem Verkehr gezogen. plusminus-Test zeigt: Zahlreiche Lebensmittel in Deutschland mit krebsverdächtigem Acrylamid belastet Die Analysenergebnisse des NAFU-Labors Untersuchung von Lebensmittelproben auf Acrylamid lfd.Nr. gekauft am Produkt Hersteller µg/kg 2203867 14.05.2002 Pringles Original Procter&Gamble Manufacturing Belgium 910 2203868 14.05.2002 Vollkornknäcke, Lieken Urkorn Wendeln Brot, 49681 Garrel