In gleicher Ausstattung wie der vorliegende Band erschienen als Heyne-Anthologien Band
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In gleicher Ausstattung wie der vorliegende Band erschienen als Heyne-Anthologien Band
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1 3 K R I M I N A L - S T O R I E S (1. Folge) Band 2 20 S C I E N C E F I C T I O N - S T O R I E S (1. Folge) Band 3 2x W E S T E R N - S T O R I E S Band 5 16 S C I E N C E F I C T I O N - S T O R I E S (2. Folge) Band 6 1 5 GRUSEL-STORIES
13 KRIMINAL STORIES ELLERY QUEEN'S KRIMINAL-ANTHOLOGIE 2. Folge
Scanned by Manni Hesse 2007
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE-ANTHOLOGIEN 4
A u s dem Amerikanischen übertragen von Günter Hehemarm
Copyright 1964 der deutschen Ausgabe beim Wilhelm Heyne Verlag, München Copyright © 1963 by Davis Publications, Inc., New York Printed in Germany 1964 Umschlag: Heinrichs & Piloty Gesamtherstellung: Ebner, Ulm/Donau
INHALT
REX
STOUT
Der Fall mit dem verdrehten Schal Seite 7 CORNELL
WOOLRICH
Dinnerparty mit delikatem Nachtisch Seite 88 MacKINLEY
KANTOR
So ähnlich wie Thunfisch Seite 1 2 4 ELLERY QUEEN
Untermieter unter sich Seite 1 4 5 HELEN
McCLOY
Nur ein kleiner psychischer Schock Seite 1 5 6 THOMAS
WALSH
Cop Callahans Coup Seite 172 ROY
VICKERS
Der gerissenste Geizhals ganz Europas Seite 1 9 5 WILL
SCOTT
Blau in Grau Seite 2 1 1 O.
HENRY
Nach zwanzig Jahren Seite 2 2 7 FREDERICK
IRVING
ANDERSON
Das Haus am Ende der Straße Seite 2 3 2
RUFUS
KING
Die Leiche in der Rinne Seite 2 5 1 LOUIS
BROMFIELD
Josephine Criminelle Seite 263 EDGAR
WALLACE
Die Affäre in Chobham Seite 2 7 6
Rex Stout
Der Fall mit dem verdrehten Schal Das ist Rex Stouts eigentliche Stärke: Der DetektivKurzroman, in der Handlung stets raffiniert erdacht und ausgeklügelt, stets brillant geschrieben, und in der Hauptrolle stets Nero Wolfe, der Bier trin= kende Orchideen°Narr mit dem messerscharfen Verstand, und selbstverständlich Archie Goodwin, rechte Hand und ausführendes Organ des vom Polstersessel aus operierenden Zweieinhalb=Zent= ner°Kriminologen...
Meine Probleme erreichten an je= nem Tag einen neuen Gipfelpunkt. Eigentlich war mir danach zumute, einen ausgiebigen Spaziergang zu machen, aber ganz so verzweifelt war ich denn auch wieder nicht. Also schlenderte ich ins Büro hin= unter, schloß hinter mir die Tür zum Gang, ging hinüber und setzte mich, die Füße auf der Tischplatte, hinter meinen Schreibtisch, schloß die Augen und holte erst ein= oder zweimal tief Luft. Zwei Fehler hatte ich begangen. Als Bill McNab, der gartenarchitekto» nische Sachbearbeiter der Gazette, Nero Wolfe den Vorschlag gemacht hatte, die Mitglieder des Manhat=
tan Flower Clubs an irgendeinem Nachmittag einzuladen, sich seine Orchideen anzuschauen, hätte ich mich mit Händen und Füßen dagegen sträuben sollen. Und als das Datum festgesetzt und die Einladungen hinausgeschickt worden waren, und als Wolfe es so eingeteilt hatte, daß Fritz und Saul unten an der Haustür die Gäste in Empfang nehmen und abfertigen sollten, während ich mit ihm und Theodore oben im Gewächshaus bleiben und mich unter die Gäste mischen sollte, da hätte ich, wenn ich auch nur ein Gramm Verstand besessen hätte, mit dem Fuß auf» stampfen sollen, und zwar gehörig.
Rex Stout Aber das hatte ich nicht getan, und als Ergebnis dessen war ich nun gut anderthalb Stunden dort droben gewesen, hatte freundlich nach rechts und nach links gegrinst und ganz so getan, als ob ich michglück= lieh und zufrieden fühlte... »Nein, Sir, das ist keine Brasso, das ist eine Laelia.« . . . »Macht gar nichts, daß Sie da eben mit Ihrem Ärmel zu= fällig die Blüte abgestreift haben, Madam. Im nächsten Jahr wird die Orchidee ja sowieso wieder blü= hen.« Dabei wäre all das gar nicht einmal so übel gewesen, wenn sich einem dabei wenigstens eine bescheidene Augenweide geboten hätte. Es galt allgemein als bekannt, daß der Manhattan Flower Club bezüglich der Mitglieder, die er aufnahm, höchst wählerisch war und einen hohen Maßstab anlegte, der aber von meinem eigenen Maßstab offensichtlich völlig abzuweichen schien. Die Männer waren soweit ganz in Ordnung, wie Männer nun einmal sind. Aber die Frauen! Sie harten verflixt Glück gehabt, sich darauf zu verlegen, Blumen zu lie= ben, weil Blumen ihre Liebe nicht zu erwidern brauchten. In der Tat war dort oben nur eine gewesen-eine einzige. Ich hatte sie kurz zu Gesicht bekommen, als sie am anderen Ende des gedrängt vol= 8
len Mittelgangs gestanden hatte, während ich durch die Tür in den Kühlraum hineingegangen war. Zumindest aus gut ein Dutzend Schritt Entfernung hatte sie recht vielversprechend ausgesehen, und als ich mich dann später dicht ge= nug an sie heranmanövriert hatte, um ihr meine Dienste betreffs irgendwelcher Fragen anzubieten, falls sie Fragen auf Lager hatte, da gab es einfach keinen Zweifel mehr - nicht den mindesten Zweifel. Der erste schnelle flüchtige Blick, mit dem sie mich streifte, besagte ganz offen, daß sie nicht imstande war, eine Orchidee von einem Krei» selkompaß zu unterscheiden, aber sie schüttelte nur leise lächelnd den Kopf und ging mit ihrer Beglei= tung, zwei älteren Damen und zwei männlichen Wesen, an mir vorbei. Später unternahm ich einen weite* ren Versuch und erhielt wiederum eine Abfuhr; und dann noch spä= ter, allzuviel später, als ich das Ge= fühl bekam, mein aufmunterndes Grinsen könnte in meinem Gesicht vielleicht für immer und ewig fest= frieren, falls ich nicht eine Ruhe= pause einlegte, beging ich Fahnen» flucht, indem ich mich zum anderen Ende des Gewächshauses hindurch* schlängelte und sang= und klanglos zur Tür hinausglitt. Auf dem ganzen Weg, die drei
Der Fall mit dem verdrehten Schal Treppenfluchten hinunter, kamen mir immer noch weitere Besucher entgegen, die alle hinaufwollten, obwohl es bereits vier Uhr war. So= weit ich überhaupt zurückdenken konnte, hatte Nero Wolfes rot= braunes Sandsteinhaus in der West Thirty=fifth Street noch niemals ein solches Menschengedränge erlebt, und ich kann sehr weit und sehr gründlich zurückdenken. Ein Stock» werk tiefer machte ich einen A b stecher in mein Schlafzimmer, um mich mit einem Päckchen Zigaret= ten zu versorgen, und noch einwei= teres Stockwerk tiefer machte ich wiederum einen kleinen Umweg, um mich zu vergewissern, daß die Tür von Wolfes Schlafzimmer ab= geschlossen war. In der Hauptdiele unten im Par= terre blieb ich einen Moment ste= hen und beobachtete, daß Fritz Brenner an der Haustür alle Hände voll zu tun hatte, sowohl die kom= menden wie auch die gehenden Be= sucher abzufertigen, während ich Saul Panzer mit dem Hut undMan= tel von irgend jemand aus dem Vorderzimmer auftauchen sah, das als Garderobe benutzt wurde. Und dann, wie bereits gesagt, betrat ich das Büro, schloß hinter mir die Tür zum Gang, setzte mich hinter mei= nen Schreibtisch, legte die Füße dar= auf, lehnte mich zurück, schloß die
Augen und holte erst ein paarmal tief Luft. Ich hatte vielleicht acht oder zehn Minuten dort drinnen gesessen und war gerade so weit, daß ich mich ein wenig entspannt und von der Verbitterung über die zwei= malige Abfuhr erholt hatte, als sich die Tür öffnete, und sie, die Be= wußte, hereinkam. Sie war allein; ihren vierköpfigen Geleitzug hatte sie nicht dabei. In der Zeit, bis sie die Tür geschlossen und sich zu mir umgedreht hatte, war ich aus der Waagrechten in die Senkrechte em= porgeschnellt, stand da, schielte ihr freundlich und verliebt entgegen und hatte gerade zu sagen begon= nen: »Ich habe hier nur mal einwe» nig gesessen und nachgedacht...« Der Ausdruck ihres Gesichts ließ mich mitten im Satz innehalten. Nicht etwa, daß an ihrem Gesicht grundsätzlich etwas zu bemängeln gewesen wäre, aber irgendwas war da aus dem Geleise geraten. Sie kam geradewegs auf mich zu, blieb dann auf halbem Wege ruckartig stehen, ließ sich in einen der gelb= ledernen Sessel fallen und quiekte: »Kann ich etwas zu trinken haben?« »Aber selbstverständlich«, sagte ich. Ich ging zu dem Regal mit den scharfen Sachen hinüber und goß ihr in ein handfestes Glas eine 9
Rex Stout ebenso handfeste Dosis Whisky pur. Ihre Hand zitterte, als sie das Glas hielt, doch ließ sie nichts von dessen Inhalt überschwappen, und mit zwei Schlucken hatte sie es leer und die ganze handfeste Dosis in sich hineingekippt. »Weiß Gott, den hatte ich bitter nötig!« »Noch einen Fingerhut voll?« Sie schüttelte den Kopf. Ihre heb len braunen Augen schimmerten whisky=feucht, als sie den Kopf in den Nacken legte und mir voll ins Gesicht sah. »Sie sind Archie Goodwin«, kon= statierte sie. Ich nickte. »Und Sie sind die Köni= gin von Saba?« »Ich bin ein Pavian, weiblichen Ge= schlechts, versteht sich«, erklärte sie. »Keine Ahnung, wie es jemand jemals gelungen ist, mir überhaupt das Sprechen beizubringen.« Sie blickte sich nach etwas um, worauf sie ihr Glas abstellen konnte, und ich trat einen Schritt auf sie zu und nahm es ihr ab. »Da, sehen Sie nur, wie meine Hände zittern«, jam= merte sie. Sie streckte die Hand aus, betrach= tete sie aufmerksam, und so nahm ich ihre Hand dann in die meine und hielt sie mit sanftem, freund= lichem Druck fest, vielleicht sogar ein wenig allzu freundlich. »Mir г о
scheint, Sie sind ein wenig auf= geregt«, gab ich zu.
Sie riß mir die Hand weg. »Ich möchte sofort Nero Wolfe spre= chen. Ich möchte ihn jetzt sofort sprechen, ehe ich es mir anders über» lege.« Mit ihren feuchten braunen Augen blickte sie zu mir hinauf. »Nun gut, ich sitze also gehörig in der Klemme! Aber jetzt habe ich mich endgültig entschlossen. Ich brauche sofort Nero Wolfe, damit er mich aus dieser Klemme irgend» wie herausholt.« Ich erklärte ihr, daß sich das nicht machen ließe, ehe nicht diese Or= chideen=Party vorbei wäre. Sie blickte sich im Zimmer um. »Kommen hier irgendwelche Leute herein?« Ich sagte, nein. »Kann ich vielleicht noch einen Schluck haben - bitte?« Ich erklärte ihr, sie solle der Dosis, die sie bereits inhaliert hatte, erst einmal Zeit geben, richtig zur Wir» kung zu kommen, und statt zuerst des langen und breiten mit mir dar» über zu argumentieren, stand sie auf und bediente sich selbst. Ich setzte mich hin, sah sie an und run» zelte die Stirn. Das, womit sie da plötzlich daherkam, schien mir für ein Mitglied des Manhattan Flower Clubs oder selbst für die Tochter eines solchen Mitglieds doch reich»
Der Fall mit dem verdrehten Schal lieh verschroben. Sie ging zu ihrem Sessel zurück, setzte sich hinein, und wir sahen uns gegenseitig in die Augen. Ihr in dieser Art in die Augen schauen zu dürfen, hätte an sich ein recht netter Zeitvertreib sein können, nur tauschten wir da» bei leider nur unsere Blicke, nicht aber unsere Gedanken aus. »Eigentlich könnte ich es ja auch Ihnen sagen«, meinte sie. »Das haben schon viele vor Ihnen getan«, bemerkte ich bescheiden. »Und ich werde es Ihnen auch sagen.« »Also gut, dann schießen Sie mal los.« »Okay. Also dann - ich bin eine berufsmäßige Gaunerin.« »Sieht man Ihnen eigentlich gar nicht an«, wandte ich ein. »Was tun Sie denn-mogeln Sie beim Ca» nasta=Spielen?« »Ich habe nicht gesagt, daß ich eine Betrügerin bin.« Sie räusperte ihre völlig heisere Stimme. »Ich habe ausdrücklich gesagt, ich bin eine Gaunerin. Erinnern Sie mich ge= legentlich mal daran, Ihnen meine Lebensgeschichte zu erzählen-daß mein Mann im Krieg gefallen ist und daß ich vielleicht deshalb auf die schiefe Bahn geschliddert bin, weil mich das aus meinem seeli= sehen Gleichgewicht gebracht hat. Erscheint Ihnen das alles unteres»
sant genug, mir überhaupt noch länger zuzuhören?« »Aber durchaus. Welche Fachrich» tung haben Sie denn eigentlich ein» geschlagen-Orchideen stehlen?« »Nein, mit solchen Lappalien würde ich mich niemals abgegeben haben, doch andererseits würde ich auch niemals etwas derart Gemeines das war's jedenfalls, was ich da» mals dachte, aber wenn man erst einmal damit anfängt, ist die Sache längst nicht mehr so einfach, wie sie zuerst ausgesehen hatte. Man kommt mit den entsprechenden Leuten in Berührung und wird immer mehr darin verwickelt. Vor zwei Jahren haben wir zu viert einer gewissen reichen Frau mit einem entsprechend reichen Mann glatt über hunderttausend Dollar abgenommen. Genaueres kann ich Ihnen darüber natürlich nicht sagen, ebensowenig kann ich Ihnen ihre Namen nennen, und ganz ab» gesehen davon würden sie gegen uns sowieso nichts unternehmen können.« Ich nickte. »Das können Kunden von Erpressern nur äußerst selten. Was - « »Ich bin keine Erpresserin!« »Bitte entschuldigen Sie vielmals. Mr. Wolfe hat mir schon des öfte» ren gesagt, daß ich dazu neige, vor» eilige Schlüsse zu ziehen.« xx
ex Stout »Das haben Sie diesmal auch tat= sächlich getan. «Sie war immer noch höchst entrüstet über meine Unter« Stellungen. »Ein Erpresser ist kein Gauner; er ist eine widerliche, aal= glatte Schlange! Aber das spielt hier in diesem Zusammenhang wei= ter keine Rolle. Was daran faul ist, eine Gaunerin zu sein-das sind die anderen Gauner! Sie ziehen einen immer weiter in den Sumpf hinein, ob Sie es nun wollen oder nicht. Und zu einem Feigling sondergleichen machen sie einen obendrein auch noch - das ist das Allerschlimmste daran. Ich hatte einmal eine Freun= d i n - soweit man als Gaunerin über= haupt jemals eine Freundin haben kann -, und ein Mann hat sie um= gebracht, hat sie erwürgt. Wenn ich erzählt hätte, was ich darüber wußte, hätte man ihn schnappen können, aber ich hatte Angst, zu den Cops zu gehen, und so läuft er heute immer noch frei herum. Und dabei war sie meine beste Freun= din! Damit ist man dann, glaube ich, so tief gesunken, daß man gar nicht mehr tiefer sinken kann. Oder etwa nicht?« »Allerdings ziemlich tief«, pflich= tete ich ihr bei und betrachtete sie aufmerksam. »Andererseits kenne ich Sie nicht allzu gut. Ich weiß nicht, wie Sie auf zwei steife Whisky pur hin reagieren. Viel* 12
leicht haben Sie es sich zum Hobby gemacht, Privatdetektiven auf die Nerven zu fallen.« Sie ging einfach darüber hinweg. »Schon seit langem war ich mir darüber im klaren«, fuhr sie fort, als ob es sich um eine völlig ein= seitige Konversation handelte, »daß ich einen schweren Fehler began= gen hatte. Vor ungefähr einem Jahr beschloß ich, endlich mit ihnen Schluß zu machen und jede Verbin= dung mit ihnen abzubrechen. Am vernünftigsten wäre es wohl ge= wesen, mit jemand ganz offen dar= über zu reden, geradeso, wie ich jetzt mit Ihnen rede. Aber damals besaß ich noch nicht genug Ver= stand, um das einzusehen.« Ich nickte verstehend. »Yeah, ist mir völlig klar.« »Also schob ich die Sache immer weiter und weiter hinaus. Im De= zember gelang uns ein ziemlich er= giebiger Fischzug, und ich fuhr nach Florida, um dort Ferien zu machen. Aber dort unten lernte ich einen Mann kennen, bei dem sich für unsere Zwecke eine neue Spur zu ergeben schien, und diese Spur haben wir gerade erst vor einer Woche bis hierher nach New York verfolgen können. Das ist die Sa= che, an der ich im Augenblick ge= rade arbeite. Und das ist auch der Grund, warum ich heute hier bin.
Dieser M a n n . . . « Mitten im Satz brach sie unvermittelt ab. »Well?« ermunterte ich sie, fortzu» fahren. Ihr Gesicht wirkte todernst, nicht ernster als zuvor, aber irgendwie anders. »Ich will ihm da keines» wegs irgend etwas anhängen«, er» klärte sie. »Ich bin ihm auch nicht irgendwie verpflichtet, stehe nicht in seiner Schuld oder habe sonst etwas mit ihm zu tun. Und was das Persönliche betrifft - ich kann ihn, weiß Gott, nicht ausstehen. Aber die bewußte Sache ist etwas, was ausschließlich mich und sonst nie» manden etwas angeht-ich wollte nur ganz einfach erklären, warum ich heute hier bin. Und, beim Hirn» mel, ich wünschte, ich wäre niemals in dieses Haus gekommen!« Es bestand keinerlei Zweifel, daß sie sich dies alles von der Seele her» unterredete, es sei denn, sie hatte es ausgiebig daheim vor dem Spie» gel geprobt. »Zumindest hat es Ihnen diese Aussprache hier mit mir einge» bracht«, erinnerte ich sie. Es schien so, als ob sie geradewegs durch mich hindurch und noch ein ganzes Stück weiter in die Ferne blickte. »Wenn ich doch bloß niemals hierhergekommen wäre! Wenn ich ihn bloß nicht gesehen hätte!«
Sie lehnte sich zu mir herüber, um ihren Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen. »Ich bin entweder all» zu smart, oder aber ich bin bei wei» tem nicht smart genug; da liegt bei mir der Haken. Ich hätte so tun sollen, als ob ich ihn überhaupt nicht bemerkte, hätte sofort wieder von ihm fortblicken und mich schnellstens umdrehen sollen, als ich erkannte, wer er war, noch ehe er sich seinerseits umdrehte und mir direkt in die Augen sah. Aber ich war derart schockiert, daß ich ganz einfach nichts dafür konnte, daß ich nicht rechtzeitig genug re= agierte! Ich stand da und starrte ihn an und überlegte nur, daß ich ihn wohl überhaupt nicht erkannt haben würde, wenn er keinen Hut aufgehabt hätte. Und dann sah er mich an und merkte, was geschehen war. Aber da war es bereits zu spät. Ich habe mich sonst stets so weit in der Gewalt, daß ich auch in kriti» sehen Situationen nicht den Kopf verliere und ein undurchdringliches Pokergesicht aufsetzen kann - bei» nahe jedem gegenüber, wo immer es auch sein mag. Aber dies war denn doch ein bißchen zuviel für mich. Es stand mir so deutlich ins Gesicht geschrieben, daß mich Mrs. Orwin sofort fragte, was mit mir los wäre. Und mir blieb gar nichts 13
Rex Stout anderes übrig, als zu versuchen, mich so gut es eben ging zusam= menzureißen. Und als ich dort oben Nero Wolfe stehen sah, kam mir der Gedanke, ihm das alles zu sagen, nur war das bei dem Menschengedränge dort oben im Augenblick selbstverständlich un= möglich. Dann sah ich, wie Sie hin= ausschlüpften, und sobald es mir irgend gelang, mich von den ande= ren, mit denen ich hergekommen bin, loszueisen, kam ich herunter, um nach Ihnen zu suchen.« Sie versuchte mich anzulächeln, aber es gelang ihr nicht ganz. »Jetzt fühle ich mich schon wesentlich er= leichtert«, sagte sie hoffnungsvoll. Ich nickte. »Das kann auch an dem Whisky liegen - garantiert schotti= sehe Importware. Ist es übrigens ein Geheimnis oder soll es eines bleiben, wen Sie da eigentlich wie» dererkannt haben?« »Nein, Nero Wolfe werde ich es sagen.« »Ich dachte, Sie hätten sich ent= schlössen, es mir zu sagen.« Mit einer flüchtigen Geste winkte ich ab. »Nun gut, ganz wie Sie wün= sehen. Aber wem immer Sie es auch erzählen - was versprechen Sie sich davon?« »Nun, dann kann er mir doch nichts mehr antun.« »So - und warum nicht?« 14
»Weil er es dann nicht mehr wagen würde. Nero Wolfe wird ihm sagen, daß ich ihm alles über ihn erzählt habe, und wenn mir dann etwas zustoßen sollte, weiß Nero Wolfe von vornherein, daß er es gewesen ist, und er würde wissen, wer der Täter ist und wie er heißt - ich meine, Nero Wolfe würde dann sofort wissen, wie die Dinge liegen, und auch Sie würden es wissen.« »Dann würden wir allerdings so» fort wissen, was zu tun ist, wenn wir seinen Namen und seine Adresse haben.« Ich musterte sie eingehend. »Er muß wohl schon ein ganz besonderes Exemplar sein, daß er Ihnen einen derartigen Schrek= ken einzujagen vermag. Und da wir gerade von Namen reden - wie ist eigentlich Ihr eigener Name?« Sie ließ ein paar leise glucksende Laute hören, die man nur mit reich« lieh viel Phantasie als Lachen auslegen konnte. »Wie würde Ihnen Marjorie gefallen?« »Würde mir durchaus gefallen. Noch lieber möchte ich allerdings wissen, unter welchem wirklichen Namen Sie im Augenblick fun= gieren.« Sie zögerte und runzelte die Stirn. »Du lieber Himmel!« brauste ich auf. »Sie befinden sich hier nicht in irgendeinem Vakuum. Unten an
Der Fall mit dem verdrehten Schal der Haustür sind doch sowieso die Namen notiert worden.« »Cynthia Brown«, sagte sie. »Und es ist diese Mrs. Orwin, mit der Sie zusammen hergekommen sind?« »Ja.« »Ist sie Ihre derzeitige K l i e n t i n ich meine die Spur, die Sie da unten in Florida aufgepickt haben?« »Ja, aber das i s t . . . « Sie machte eine wegwerfende Geste. »Mit der Sache ist's aus; ich will damit nichts mehr zu tun haben.« »Ich verstehe. Jetzt aber noch das eine, was Sie mir bisher immer noch nicht gesagt haben. Wer war es denn, den Sie da wiedererkannt haben?« Sie wandte den Kopf, um schnell einen vergewissernden Blick auf die Tür zu werfen, und dann blickte sie sogar noch hinter sich. »Kann uns irgend jemand hören?« fragte sie. »Nein, höchstens eine Fliege, die sich vielleicht ins Zimmer verirrt hat. Die andere Tür da führt ins vordere Wohnzimmer hinüber, das heute als Garderobe dient. Ab= gesehen davon ist dieses Zimmer schalldicht abgesichert.« Noch einmal vergewisserte sie sich durch einen raschen Blick auf die Tür, die zur Diele hinausführte, wandte sich dann zu mir zurück
und senkte ihre Stimme bis zu einem Flüstern herab. »Diese Sache muß genauso gehandhabt werden, wie ich sage.« »Klar«, erwiderte ich. »Warum auch nicht?« »Ich bin Ihnen gegenüber nicht ehrlich gewesen.« »Das habe ich von einer berufs= mäßigen Gaunerin auch gar nicht anders erwartet. Also fangen Sie noch einmal ganz von vorne an.« »Ich meine . . . « Sie begann wieder mit den Zähnen an ihrer Unterlippe zu nagen. »Ich meine, ich bin nicht nur in Schrecken und Angst um mein Leben. Natürlich habe ich Angst, aber das, was ich Ihnen da eben erzählt habe, ist nicht der ein= zige Grund, warum ich Nero Wolfe sprechen will. Ich brauche ihn für einen Mordfall, aus dem er mich aber unbedingt heraushalten muß. Mit irgendwelchen Cops will ich auf keinen Fall irgendwas zu tun haben - vor allem gerade jetzt will ich das nicht. Falls er nicht darauf eingeht... glauben Sie, daß er es tun wird?« Ich spürte ein leises Kitzeln mein Rückgrat herunterrieseln. Dieses Kitzeln verspüre ich stets nur bei besonderen Gelegenheiten, doch zweifellos handelte es sich hier um etwas ganz Besonderes. Ich warf ihr einen kühlen Blick zu und ließ 15
Rex Stout das kitzelnde Vibrieren in meiner Stimme mitschwingen. »Vielleicht tut er's für Sie, wenn Sie ihn dafür bezahlen. Was für Beweise haben Sie denn? Welche Art von Bewei= sen - überhaupt etwas?« »Ich habe ihn gesehen - ich meine, den Mörder.« »Sie meinen - heute?« »Nein, damals habe ich ihn ge= sehen. «Sie hielt ihre Hände fest zu» sammengepreßt. »Ich sagte Ihnen doch schon - ich hatte damals eine Freundin. Ich war an jenem Nach= mittag gerade in ihrer Gegend und ging schnell mal in ihr Apparte» ment hinauf. Ich war gerade im Be= griff, wieder zu gehen - Doris war hinten, im Badezimmer -, und als ich zu der Appartementtür kam, hörte ich, wie von draußen ein Schlüssel ins Schloß geschoben und herumgedreht wurde. Ich blieb na= türlich sofort stehen, und die Tür ging auf, und ein Mann kam herein. Als er mich sah, blieb auch er auf der Stelle stehen und starrte mich an. Ich war niemals mit einer von Doris privaten >Affären< zusam= mengekommen; ich wußte, das wollte sie nicht. Und da er einen Schlüssel hatte, nahm ich natürlich an, er sei ihre gegenwärtige >Affäre