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Wyoming-Falke � Es ist Mitternacht in Laramie, als Ty Jones sie zum ersten Mal sieht. Ihre Stimme geht allen Zuhörern gewissermaßen »unter die Haut«, und ihre sparsamen Bewegungen auf der Bühne der Vergnügungshalle verraten ein kaum gebändigtes Feuer. Man sieht ihr an, und man glaubt, es auch aus ihren Liedern heraushören zu können, daß sie ein Vollblutweib ist. Ihr rotgoldfarbenes Haar leuchtet im Lampenschein. Und ihre Augen sind von einem unwahrscheinlichen Grün. Ja, sie ist etwas, wovon die vielen männlichen Zuhörer nur träumen können. Äußerlich jedenfalls entspricht sie den allerhöchsten Vorstellungen. Und sie schlägt diese Burschen in ihren Bann, macht Betrunkene nüchtern und bringt Nüchterne dazu, sich zu betrinken. Sie singt von einsamen Männern, die auszogen, das Glück zu finden, und von treuen Frauen, die daheim auf sie warten. Und immer wieder wird der Beifall erst dann leiser und wandelt sich zu atemloser Stille, wenn klar ist, daß sie noch eine Zugabe gewährt…
Der vorliegende Roman erschien in dieser Reihe als Band 188 und im Western-Bestseller als Band 877.
Auch Ty Jones hat in einsamen Nächten schon von solch einer Frau geträumt. Er fragt sich, indes er wie alle anderen Gäste dem Klang ihrer dunklen, ein wenig herben und doch so melodischen Stimme lauscht, wie sie als Mensch ist, ob sie gut oder schlecht ist, schwach oder stark, dumm oder klug, glückhaft oder vom Pech verfolgt. Ja, er würde sie gerne näher kennenlernen. Doch er weiß, daß solche Frauen nicht für einen Burschen wie ihn bestimmt sind. Er lehnt mit dem noch halbvollen Glas in einer und der halbaufgerauchten Zigarre in der anderen Hand an der Wand wie viele andere Gäste und Zuhörer, die keinen Platz mehr fanden in der Jackson’s Hole Hall. Und als sie dann ihr allerletztes Lied gesungen hat und zu keiner Zugabe mehr bereit ist, verläßt er bald darauf den Vergnügungs- und Tingeltangel-Laden. Er glaubt nicht, daß er diese Ginger Lane – dieser Name steht auf den bunten Plakaten rechts und links des Eingangs – noch einmal wiedersehen wird. Aber er wird sie wiedersehen. Als er sich nach rechts dreht, prallt er mit einem Manne zusammen, welcher sofort ärgerlich knurrt, einen halben Schritt zurückweicht und ihm dann die Faust in die Magengegend hämmern will. Doch im allerletzten Moment hält der schon ziemlich betrunkene Bursche inne und schaut überrascht. »Oha, du bist das ja, Ty, du verdammter Pferdestehler! Komm mit, wir machen alle Fässer leer – auch die mit den toten Hunden. – Ich zahle alles, auch die Honeybees! Das ganze Bienenhaus kaufe ich uns! Komm nur, alter Lederstrumpf. Ich bin reich! Junge, ich bin so reich an Gold wie ein Indianerhund an Flöhen. – Na komm, komm schon! Oder sind wir nicht mehr dicke Freunde? Laß dir einen ausgeben vom großen Glückspilz Berni Hammer, ja?«
Der bullige Bursche umarmt ihn nun glücklich und brüllt ihm diese Worte ins Ohr. Dann ziehen sie beide davon. Denn sie sind alte Freunde und waren einige Male schon Jagdpartner langer Winter im Yellowstone-Land. Aus den Augen verloren sie sich vor zwei Jahren, als Berni Hammer ein Arapahoe-Mädchen heiratete und ein sogenannter Squaw-Mann wurde, der mehr bei den Indianern lebte als bei den Weißen. Nun aber ist dieser Berni Hammer in Laramie und hat die Taschen voller Gold, gibt es aus mit vollen Händen. Und es ist kein Goldstaub, nein, was Berni Hammer da immer wieder zum Vorschein bringt, ist pures Gold, losgebrochenes Adergold. Und alle, die ihn kennen, werden in dieser Nacht von ihm freigehalten. Als Ty Jones einmal zu ihm sagt: »He, Berni, willst du denn alles auf den Kopf hauen und dir nicht etwas für schlechtere Zeiten zurücklegen?«, da lacht ihn Berni Hammer nur aus und erwidert stolz, so stolz und einfältig, wie nur ein Betrunkener sein kann: »Oh, du alter Pferdestehler, wo diese Brocken herkommen, ist noch mehr, noch sehr viel mehr. – Denn ich habe das ›Goldene Vlies‹ entdeckt. Hörst du, Bruderherz? – Das Goldene Vlies!«*1) »Ich höre«, erwidert Ty Jones bitter. »Und ich bin erstaunt darüber, wie gebildet du bist. – Und wo liegt denn dieses Goldene Vlies, he?« Da lacht Berni Hammer trunken und wild. »Dadadadas sage ich nininicht mal dir«, kichert er schließlich. »Denn du, du warst mimimit mir schon mal dort. – 1*) Anm. d. Verf.: Das sogenannte »Goldene Vlies« war ein in der griechischen Sage vorkommendes und von einem Drachen bewachtes Widderfell. Iason brachte es mit Hilfe des Medeas aus Kolchis nach Griechenland zurück. Der Begriff wurde aber auch – wie hier von Berni Hammer – verwandt, wenn jemand einen Schatz finden und gewissermaßen entführen konnte. G. F. U.
Aberaberaber dadadamals waren wir beide so bliblablind wie Maulmaulwürfe, hahahahaha!« Er will sich ausschütten vor Lachen. Und Ty Jones macht sich immer größere Sorgen um ihn. Denn er ist schon lange nicht mehr mit Berni Hammer allein. Sie ziehen nun einen ganzen »Rattenschwanz« von Burschen mit sich, wohin sie auch gehen. Berni Hammer kennt eine Menge Leute, und die meisten sind Wyoming-Sattelzigeuner, Fallensteller und Scouts wie er. Auch Ty Jones kennt die meisten, denn auch er gehört ja irgendwie zu dieser Gilde. Ty Jones ist davon überzeugt, daß Berni Hammer bald schon – wenn er nur noch etwas betrunkener ist – jedem Frager verraten wird, wo die Goldader liegt. Und weil er ein wirklicher Freund von Berni Hammer ist, möchte er das natürlich verhindern. Deshalb wendet er das allerletzte Mittel an. Er reicht Berni an der Bar des Silvertip Saloons eine halbvolle Flasche Whisky und sagt: »Ich wette, daß du nicht mehr stehen kannst, wenn du die mit einem Zug leergetrunken hast. Hörst du, Berni, ich wette mit dir!« Berni Hammer schwankt schon auf den Sohlen, und er muß sich mit der Hand am Schanktisch festhalten. Er starrt grinsend in die Runde. »Habt ihr das gehört?« Er fragt es jetzt, ohne zu stottern. »Habt ihr das gehört, ihr Läuseknacker? Der will mich umfallen sehen. – Doch ich vertrage noch einen ganzen Eimer voll Pumaspucke. – Einen ganzen Eimer… Aaaah, gib schon her! Aber wenn ich dann noch stehe, bist du an der Reihe. Oha!« Er nimmt die Flasche, setzt sie an und beginnt zu schlucken. Denn er ist nun mal ein Bursche von jener Sorte, die sich in betrunkenem Zustand zu den unsinnigsten Dingen herausfordern oder animieren läßt. Als er die Flasche geleert hat, grinst er stolz und zeigt sie in
die Runde. Dann stellt er sie noch auf den Schanktisch. »Ich stehe noch«, sagt er ganz deutlich und klar. »Jetzt bist du an der Reihe, alter Pferdestehler. – He, Jungens, wißt ihr eigentlich, warum ich ihn immer Pferdestehler nenne? – Wir haben nämlich damals den Cheyennes von Red Wolf…« Weiter kommt er nicht. Seine klare Sprechweise täuschte zuletzt alle über seinen Zustand. Denn sein Arm und seine Hand, mit denen er sich am Schanktisch festhält und abstützt, zittern plötzlich. Dann fällt er nach vorn – und in Ty Jones’ Arme. Ty Jones bückt sich mit einer raschen Bewegung unter ihn, lädt ihn sich auf und hat ihn über der Schulter liegen. Einer der vielen Mitzecher sagt: »Der hat im Jackson’s Hole Hotel das nobelste Zimmer. Wenn wir ihn richtig zu Bett bringen wollen, müssen wir ihn dorthin bringen, nicht wahr?« Ty Jones setzt sich sofort in Bewegung. Und er verspürt eine grimmige Zufriedenheit. Er hat dafür gesorgt, daß Berni Hammer gewissermaßen »bewußtlos« wurde und deshalb auch nicht mehr reden und sein Geheimnis verraten kann. Niemand mehr kann Berni Hammer jetzt noch ausfragen. Und morgen – nun, morgen wird er sicherlich wieder bei Verstände sein. Aber eigentlich ist es ja jetzt schon fast wieder Tag. Es muß drei oder vier Stunden nach Mitternacht sein. Berni wird sicherlich seinen gewaltigen Rausch erst in zehn oder zwölf Stunden überwunden haben. Sie legen ihn also auf das Bett und ziehen ihm die Stiefel aus. Einer der Männer, die mitgekommen sind, fragt mißtrauisch: »Und du willst wohl jetzt bei ihm bleiben wie eine gute Mami, ja, Jones?« Ty Jones grinst nur. Er drängt das ganze betrunkene Rudel aus dem Zimmer auf den Gang, und er weiß, daß sie sich alle
und sie alle ihn belauern. Er schließt die Tür von außen ab – und als sie dann alle auf den Schlüssel in seiner Hand starren, da bückt er sich und schleudert mit einer geschickten Bewegung seiner Finger den Schlüssel unter dem Türspalt hindurch in Berni Hammers Zimmer zurück. »Irgendwann wird er ihn finden und von innen aufschließen«, sagt er, drängt sich durch die Gruppe und geht die Treppe hinunter. Sie folgen ihm. Der Nachtportier hinter dem Anmeldepult betrachtet sie böse und mißmutig. Denn sie stören seinen Schlaf. Aber sie verlassen ziemlich leise das Hotel. Erst draußen sagt einer der Burschen: »He, Jones – Berni sagte, daß ihr schon mal gemeinsam dort gewesen wäret, wo er das Gold fand. – He, Jones, wo war das wohl? – Willst du uns das verraten? – Oder möchtest du dich alleine dorthin schleichen?« Ty Jones schüttelt fast mitleidig den Kopf. »Berni und ich«, sagt er, »waren mehrere Winter Jagdpartner im Yellowstone-Land, und wir jagten jedes Jahr in einem anderen Gebiet. Ihr wißt genausogut wie ich, daß die Indianer jeden Narren totmachen, der den Bozeman-Weg verläßt. – Berni aber war in den vergangenen Jahren ein Squaw-Mann. Er lebte bei den Indianern. Ich glaube nicht, daß wir dorthin gelangen könnten, wo er hergekommen ist. – Schlagt euch das alles aus dem Kopf.« Nach diesen Worten geht er davon. Und sie blicken ihm grimmig und bitter hinterdrein. Einer sagt: »Man müßte ihm auf den Fersen bleiben, ihn nicht mehr aus den Augen lassen. – Dann…« Aber ein anderer Mann lacht verächtlich. »Oh, du heilige Einfalt! Shannon, was bist du doch für…« »Keine Beleidigungen! Sonst bekommst du was aufs Maul!«
»Na schön, keine Beleidigungen, Shannon. – Aber ich glaube, du kennst Ty Jones nicht richtig. – Wenn der nicht will, daß ihm jemand folgt, dann geht das auch nicht. Weißt du nicht, wie man ihn nennt? He, weißt du das nicht?« »Wyoming-Falke – na und?« Jener Shannon schnauft es. Die anderen betrachten ihn fast mitleidig. Dann gehen sie in verschiedenen Richtungen davon. Und auch jener Shannon gibt sich vorerst zufrieden. Er wird sich wieder an Berni Hammer hängen, wenn dieser seinen Rausch ausgeschlafen hat. * Drei Tage später – nach einem langen Tagesritt – erreicht Ty Jones mit seinen beiden Packpferden die Post-Station bei den Medicine Springs. Unterwegs dachte er mehrmals an seinen einstigen Jagdgefährten Berni Hammer, doch er sah ihn nicht mehr in Laramie. Er dachte auch einige Male an die schöne Sängerin Ginger Lane, die er auf der Bühne im Jackson’s Hole Saloon erlebte. Aber dann verdrängte er alles im Verlaufe des langen Tagesrittes. Er ist unterwegs zu seinem Jagdgebiet im Yellowstone-Land. Dort wird er bis zum kommenden Frühjahr wertvolle Pelztiere jagen – und er wird dort allein sein in dieser Welt. Aber als er noch seine drei Tiere tränkt, sieht er die Postkutsche kommen. Zuerst steigt dann jene Ginger Lane aus. Er erkennt sie sofort wieder, obwohl sie jetzt für eine solche Reise sehr praktisch gekleidet ist und nicht jenes wunderschöne grüne Seidenkleid trägt wie auf der Bühne der Jackson’s Hole Hall. Die Postkutsche bekommt ein neues Gespann. Indes vertreten sich die Passagiere ein wenig die Beine.
Einige gehen in die Gaststube der Station, wo es Kaffee und belegte Brote gibt. Ginger Lane tritt zu Ty Jones an die von einer Mauer eingefaßte Quelle. Sie macht das Tuch naß und wäscht sich damit das Gesicht. Dann blickt sie im roten Schein der Abendsonne auf Ty Jones und fragt: »Mister, sind Sie ein Trapper – ein Scout – ein Gebirgsläufer?« »Zur Zeit bin ich das, Ma’am«, erwidert er und greift an seinen alten Hut. Sie deutet nach Norden zu dem Bozeman-Weg hinauf. »Ist es wirklich so gefährlich, den Bozeman-Weg zu verlassen?« Er nickt. »Ja, das ist gefährlich. Die Indianer haben Wind bekommen von dem bevorstehenden Bahnbau, der ihr Büffelland in zwei Teile trennen wird. Es gibt einen Friedensvertrag, der uns Weißen freien Durchgang durch das Indianerland nach den Goldfundgebieten von Montana garantiert. – Aber wer den Bozeman-Weg verläßt, begibt sich in große Gefahr. – Doch in dieser Postkutsche sind Sie einigermaßen sicher. – Der große Indianerkrieg wird sicherlich erst im nächsten Jahr ausbrechen. Dann nämlich werden die Roten herausgefunden haben, daß man sie wieder einmal mit Verträgen eingelullt und hinterrücks betrogen hat.« Ginger Lane nickt. Dann sagt sie: »Aber Sie sind doch Trapper. Sie verlassen doch ganz gewiß diesen Weg und reiten durch das Indianerland. – Fürchten Sie sich nicht?« »Doch – etwas«, grinst er. »Aber mich erwischen die Roten nicht so leicht. Überdies kenne ich viele ihrer maßgebenden Anführer. – Es gab mal eine Zeit, da gehörte Fort Laramie noch nicht der Armee, sondern weißen Händlern. Und in dieser Zeit lebten die Roten und Weißen hier friedlich beieinander und trieben Handel. – Mein Vater war solch ein Händler. Ich
ging bei Pater de Smet mit vielen Indianerjungens in die Schule. – Mich töten sie hier in diesem Lande aus den verschiedensten Gründen nicht so schnell wie jeden anderen Weißen, der die Verträge verletzt.« Sie nickt ernst, betrachtet ihn sehr sorgfältig. Er spürt ihre Ausstrahlung, und er weiß, daß sie eine erfahrene Frau ist, eine Abenteurerin und Glücksjägerin. Ihr Instinkt tastet an ihm, versucht in ihn einzudringen. »Ich habe Sie auf der Bühne gesehen und singen gehört«, murmelt er. »Sie sind eine sehr reizvolle Frau, Ginger Lane. – Was wollen Sie im Norden? Halt, ich frage Sie das, um Ihnen vielleicht einen guten Rat geben zu können. Ich will nicht aufdringlich sein.« Aber sie lächelt. »Ach«, sagt sie, »da Sie wissen, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene, werden Sie auch verstehen, daß ich gerne dorthin möchte, wo man an Sangeskunst keine großen Ansprüche stellt und dennoch gute Gagen zahlt. Und im Goldland von Montana soll der Dollar leichter rollen, wird der Goldstaub leichter ausgegeben. – Es ist reiner Geschäftssinn, Mister. – Wie ist Ihr Name?« »Ty Jones«, sagt er. »Und ich wünsche Ihnen Glück. – Wahrscheinlich werde ich von Ihnen träumen in meinem einsamen Camp. – Sie sind sehr schön, Ginger Lane, eigentlich zu schön für das rauhe Goldland dort im Norden. – Nur die ganz Harten überwintern dort.« Sie nickt. »Das glaube ich«, erwidert sie. »Und ich gehöre wahrscheinlich auch zu dieser Sorte.« Sie betrachtet ihn noch einmal mit einem nachdenklichen und zugleich auch forschenden Blick und wendet sich ab, weil nun der Fahrer ruft: »Leute, es geht gleich weiter, denn die Nacht wird mondhell und sternenklar. – Steigt in die Kutsche, Leute! Ich fahre gleich wieder los!« Wenig später blickt Ty Jones der abfahrenden Kutsche nach, lauscht auf den allmählich verklingenden Lärm, den sie in der
sonst so stillen Nacht macht – auf den verklingenden Hufschlag der Pferde, das Knallen der Peitsche, das Rufen des Fahrers und das Knarren der Ledergehänge. – Es sind typische Geräusche. Der Stationsmann und dessen Gehilfe bringen nun das ausgeschirrte Gespann zu den Corrals. Der Stationsmann sagt zu Ty Jones, den er gut kennt: »Ob die durchkommen, ist noch längst nicht sicher. – Und vielleicht haue ich hier bald sehr schnell ab mit meiner Familie. Ich hab’ noch ein paar Freunde unter den Roten, die werden mich warnen. – Es ist irgendein Mist am stinken. Die Roten werden sich langsam darüber klar, was der bevorstehende Bahnbau für sie an Nachteilen bringen wird. Wahrscheinlich wird es bald irgendwelche Verhandlungen und Friedensgespräche geben. Und dann wird man die Roten wieder über den Löffel barbieren. Wenn sie dann merken, daß man sie wieder einmal mehr reingelegt hat, werden sie verrückt werden wie Hornissenschwärme, in deren Nestern man mit Stöcken stochert. Diese Rothaarige war schön, nicht wahr? – Aber die andere Frau, welche in die Gaststube kam, stand ihr nicht viel nach, nicht wahr?« »Ich habe diese zweite Frau nicht richtig gesehen«, erwidert Ty Jones und fügt hinzu: »Ich ruhe mich ein paar Stunden bei dir aus, Rosco. – Dann reite ich weiter. Diese Nacht wird wirklich hell. Man kann sicherlich gut über die Laramie-Prärie reiten.« Er macht eine kleine Pause, und der Stationsmann will schon weiter nach den Corrals gehen und seinem Gehilfen folgen. Doch dann sagt Ty Jones: »Wenn die Armee den Fehler machen sollte, diesen Bozeman-Weg mit Forts, zu denen Patrouillen Verbindung halten, sicherer machen zu wollen, dann gibt es Krieg.« »Ja, das glaube ich auch«, erwidert Rosco, der Stationsmann.
* Die Sonne scheint noch, als er nach etwa fünfundzwanzig Meilen die nächste Relaisstation der Post- und Frachtlinie erreicht. Unterwegs hat er mehrmals an die schöne Ginger Lane denken müssen, aber einmal hat er amüsiert gelacht – so sehr, daß seine Pferde schnaubten –, als er sich vorstellte, daß er solch eine Frau wie Ginger Lane mit in die Einsamkeit nehmen würde und sie dort nicht viel anders als eine Squaw leben müßte. Als er mit seinen Pferden um die Scheune biegt, da sieht er die Kutsche. Ja, sie steht dort vor dem Stationshaus. Warum wohl? fragt er sich scharf. Und auch Ginger Lane sieht er wieder, dazu noch die anderen Passagiere. Es sind noch fünf – und einer dieser Passagiere ist ebenfalls eine Frau. Nun sieht er sie richtig, und er denkt an Roscos Worte. Ja, auch diese zweite Frau ist von besonderer Art. Ihr blondes Haar leuchtet wie reifer Weizen. Sie hat es hinter dem Nacken mit einem Samtband zusammengebunden. Obwohl sie blond ist, gehört sie zu den stets gebräunt wirkenden Typen, und ihre Augen sind schwarz. Indes er seine Pferde verhält, denkt er bei sich: Heiliger Rauch, die hat blonde Haare, ist fast so dunkel wie eine Indianerin und hat auch noch schwarze Augen. Was für eine Mischung! Heiliger Rauch, was gibt es nicht alles an Schönheit auf unserer Erde. Als er mit seinen Gedanken soweit ist, sieht er sich nach dem Stationsmann, dem Fahrer der Kutsche und dessen Begleitmann um. Aber er sieht keinen der Männer. Und überdies sind außer zwei müden Kutschpferden keine anderen Tiere zu sehen. Die Corrals sind leer.
»Was ist passiert?« So fragt er, denn ihm ist klar, daß etwas passiert sein muß. Einer der vier männlichen Fahrgäste, der neben der Tür an der Hauswand lehnt und an einem Stück Holz schnitzt, sagt lässig: »Pferdediebe. – Sie waren mit allen Tieren noch gar nicht lange fort. – Der Stationsmann, der Fahrer, der Begleitmann und einer von uns Passagieren nahmen auf den ausgespannten Kutschpferden die Verfolgung auf. Der Stationsmann war allein hier. Seine indianische Frau ist ihm mit den Kindern fortgelaufen. Er sagte, das wäre kein gutes Zeichen. Wahrscheinlich bedeutet das Krieg. – Wir warten hier schon ein paar Stunden.« Ty Jones nickt. Er läßt die Leinenenden der beiden Packtiere einfach fallen. Dann blickt er noch einmal in alle Gesichter – und ganz besonders interessiert er sich für die vier Männer unter den sechs Passagieren. Er fragt sich, warum nicht noch wenigstens zwei mitgeritten sind. Denn es sind ja noch zwei Kutschpferde vorhanden. Mann für Mann betrachtet er die vier Fahrgäste. Jenen, der am Holz herumschnitzelt, hält er sofort für einen Townwolf, einen Spieler und Revolverhelden also. Der zweite Mann mag früher vielleicht einmal Preiskämpfer gewesen sein. Die Narben in seinem Gesicht und die Blumenkohlohren verraten das. Dieser Mann hat schräge Augen, und er wirkt ausdruckslos wie ein Bär. Aber gerade an diesen Mann kann er sich gut erinnern. Er hat ihn, Berni Hammer und das ganze Rudel von Berni Hammers Schmarotzern in einer Bar bedient. Er hat Berni auch ein halbes Pfund Gold gegen Dollars eingetauscht und mitgetrunken, wenn Berni einen ausgab. Jetzt ist dieser Barkeeper unterwegs ins Goldland. Ty Jones sieht nach den beiden anderen Männern. Und er sieht die gleiche Sorte. Auch diese beiden hält er für Townwölfe, also für Burschen aus den Saloons, Spieler,
Revolverhelden, die zu jener Gilde gehören, die von und in den Tingeltangels lebt. Einer von ihnen läßt ihn an einen sandfarbenen Wolf denken – der andere Bursche ist sehr ansehnlich, blond, scharfgesichtig. Aber er ist zu dandyhaft gekleidet, zu nobel. Und er trägt zwei Revolver in den Schulterhalftern unter der offenen Jacke. Seine Weste aber ist mit Brokat bestickt. An seinen beiden Kleinfingern blitzen Brillantringe. Zuletzt blickt er auf die beiden Frauen. Und da fällt ihm sofort der Unterschied auf. Die blonde Schöne, deren Namen er noch nicht kennt, wirkt sehr unruhig, nervös und so, als mache sie sich Sorgen. Ihr Blick weicht seinem aus. Jene Ginger Lane aber wirkt sehr ruhig und beherrscht, so als hätte sie mehr Format als die Blondine. Er will anreiten, doch da fragt ihn der Mann, welcher immer noch am Holzstück herumschnippelt: »Wohin, Lederstrumpf – wohin?« Ty Jones’ Augen werden schmal, denn in der Stimme des Mannes ist ein Ton, der ihm nicht gefällt. Aber er beherrscht sich und sagt ruhig: »Nun, ich reite ihnen nach. Vielleicht kann ich ihnen ein wenig behilflich sein, wenn sie irgendwo dort in den Hügeln die Fährte verlieren sollten.« Aber der Mann an der Hauswand schüttelt den Kopf. »Die brauchen keine Hilfe, Lederstrumpf. – Denn da kommt Haggerty ja schon zurück. – Und er bringt die Pferde mit. – Seht, da bringt Haggerty die Pferde zurück. Na, ist das nicht schön?« In seiner Stimme ist zuletzt ein höhnender Klang. Ty Jones ist plötzlich wie von einem jähen Schrei alarmiert. Er duckt sich lauernd im Sattel – aber er erkennnt in diesem Moment bereits, daß er keine Chance hätte. Denn die vier männlichen Passagiere der Kutsche lauern ebenfalls. Sie sind bereit zu schnellen Reflexen.
Er glaubt jetzt, daß sie alle zusammengehören – und daß sie allesamt Revolverschwinger sind, vielleicht sogar Banditen. Oh, er traut sich zu, zwei von ihnen mit auf die Reise ins Jenseits zu nehmen. Doch auch er würde dann tot sein. Und so hält er es für besser, erst einmal zu warten und mehr herauszufinden. Kämpfen und sterben, nun, dies kann er immer noch, wenn er keine andere Wahl mehr haben sollte. Doch vielleicht hat er noch irgendeine Wahl? Er sieht dann dem Reiter entgegen, welcher auf einem der Kutschpferde reitet und die drei anderen Tiere treibt. Dabei fällt ihm sofort auf, daß der Mann in einem Armeesattel sitzt, während die drei anderen Tiere Packsättel tragen. Ty Jones’ Gedanken beginnen sich sofort mit der doch recht merkwürdigen Tatsache zu beschäftigen. Denn es ist ja wohl recht merkwürdig und unglaubhaft, daß der Fahrer der Postkutsche, sein Begleitmann und der Stationsmann auf Packsätteln hinter den Pferdedieben hergeritten sein sollen. Und überhaupt: Wo sind sie jetzt? Warum kommt dieser dunkle Bursche, den einer der vier Männer Haggerty nannte, allein mit den Pferden zurück? In Ty Jones ist alles alarmiert. Haggerty wirft einen langen Blick auf Ty Jones. Dann fragt er zu Ginger Lane gewandt: »Ist er das?« Sie nickt nur wortlos und befeuchtet dann mit der Zunge ihre Lippen. Ty Jones betrachtet den Mann, und er weiß schon nach drei Sekunden, daß dieser Haggerty der gefährlichste Bursche von ihnen ist, wahrscheinlich der Anführer. An Haggerty ist alles dunkel – auch die Augen – und auch die Kleidung. Es gibt nichts Heiles an ihm. Seine Wangen schimmern gewiß auch nach einer sorgfältigen Rasur bläulich.
Er ist schwergewichtig und wirkt dennoch völlig trocken und ohne jedes Gramm überflüssiges Gewicht. »Hallo«, sagt er zu Ty Jones. »Da hast du wohl eine Menge nachzudenken, Freund, nicht wahr? Da hast du wohl schon gewittert, daß hier etwas krummer ist als ein Hundebein – oder?« Ty Jones nickt. »Was ist mit den drei Männern, die mit dir geritten sein sollen – Freund? Auf Packsätteln geritten, oha! Was ist mit ihnen?« Nun grinsen sie alle fünf, und nun zeigen sie ganz deutlich, wie sehr sie zusammengehören. Wahrscheinlich gehört auch Ginger Lane zu ihnen. – Nur diese blonde Frau, deren Unruhe und Furcht nun erklärlich ist, gehört nicht zu ihnen. Soweit ist für Ty Jones schon mal alles klar. Aber eine ganze Menge weiß er noch nicht. Haggerty deutet mit dem Daumen über seine Schulter hinweg in Richtung der Hügel, aus denen er mit den Pferden kam. »Es ist alles ganz einfach«, sagt er. »Die Pferde der Post- und Frachtlinie wurden wirklich von indianischen Pferdedieben gestohlen. Diese töteten auch den Gehilfen des Stationsmannes und entführten seine indianische Frau. – Ihn ließen sie für tot liegen, aber er lebte noch lange genug, um uns alles erklären zu können. Die jungen und ehrgeizigen Krieger einiger Stämme spielen verrückt und wollen jetzt schon Krieg machen. Sie hören nicht mehr auf die alten Häuptlinge, die erst noch abwarten wollen. – Nun, unser Fahrer und dessen Begleitmann wollten umkehren, also zurück nach Laramie. – Doch das wollten wir nicht. Wir haben dann mit unseren Colts abgestimmt. – Der Fahrer und dessen Begleitmann haben verloren. – Ich habe mit diesen Pferden die Toten weggebracht und dort in den Hügeln verschwinden lassen. Ist soweit alles klar und verständlich, Bruder?« Ty Jones nickt.
Aber als er dann fragt: »Und warum wollt ihr nicht umkehren und zurück nach Laramie?«, da beweist er, wie sehr er das Problem begriffen hat. In seinen Gedanken beginnt sich die ganze Sache mosaikartig zusammenzusetzen. Haggerty sitzt immer noch wie Ty Jones im Sattel, und er grinst. Er deutet auf den Mann an der Hauswand, der jetzt nicht mehr am Holzstück herumschnitzt. »Kennst du ihn wieder, Lederstrumpf?« Ty Jones nickt. »Der war Barmann im Silvertip Saloon. Der bediente uns, als Berni Hammer schon fast nicht mehr wußte, ob er ein Männchen oder ein Weibchen war. Der hat Berni auch Gold in Dollars umgewechselt.« »Richtig«, nickt Haggerty. »Und dann hat er uns Bescheid gesagt. – Wir haben den guten Berni noch in der gleichen Nacht aus dem Hotelzimmer geholt und über die Außentreppe dorthin gebracht, wo wir mit ihm ungestört waren. – Oha, er war wirklich eine sehr harte Nuß. Er war nicht so leicht zum Reden zu bringen. Aber dann hatten wir ihn doch soweit. – Und so erzählte er uns sogar von seiner Goldader und verriet uns seinen Trick mit der Bratpfanne.« Er macht eine Pause und eine Handbewegung zu einem der Männer. »He, Jago, zeig ihm die Bratpfanne, das gute alte Stück. Zeig es ihm! Und damit es sich der Lederstrumpf in aller Ruhe ansehen kann, werden wir zwei jetzt absitzen und uns dort auf die Bank an der Hauswand setzen. – Na?« Ty Jones blickt noch einmal in die Runde. Doch sie haben ihn eingekreist. Sie sind fünf üble Killer, die hier schon getötet und dann ihre Opfer fortgeschafft haben. – Er hat vorerst keine Chance. Und so sitzt er langsam ab. Als er von seinem Pferd wegtritt, haben zwei von ihnen schußbereite Colts in den Händen, und ein dritter tritt zu ihm
und holt sich seinen Revolver und das schwere Green-RiverMesser. Dann darf er sich auf die Bank setzen. Haggerty nimmt neben ihm Platz. Und einer der Männer reicht ihm eine alte Bratpfanne. Ja, es ist Berni Hammers alte Pfanne. Ty Jones erkennt sie wieder. Als er sie umdreht und ihren Boden betrachtet, da sieht er es. Berni hat etwas eingekratzt. Es sind Markzeichen eines bestimmten Gebietes. Und zwei Linien, die von diesen Markzeichen ausgehen, kreuzen sich. Ty Jones kennt diese Markzeichen. Es sind bestimmte Bergund Felsspitzen. Ja, er erinnert sich wieder an Berni Hammers Worte, als dieser ihm sagte, daß sie dort, wo er später die Goldader fand, schon einmal gejagt hätten und blind gewesen wären wie Maulwürfe. Die fünf Männer beobachten ihn scharf und gierig. Und auch Ginger Lane, welche näher kam, hat funkelnde Augen. Nur die blonde Frau bewegt sich nicht. Sie gehört offensichtlich nicht dazu und fürchtet sich. Sie lassen ihm Zeit. Aber dann fragt Haggerty scharf: »Na, was ist?« Ty Jones’ Verstand arbeitet schnell. Er weiß, daß er nur am Leben bleiben wird, wenn sich diese fünf Mörder Hoffnungen machen können auf das Gold. Wenn er jetzt den Kopf schüttelt und ihnen sagt, daß er mit der in die Bratpfanne eingeritzten Zeichnung nichts anzufangen weiß, dann werden sie ihn erst mal rauh hernehmen, um vielleicht seine Einstellung zu ändern. – Und wenn sie zu der Auffassung kommen sollten, daß er ihnen wirklich nicht helfen kann, dann ist er tot. Und so nickt er. »Ja, das ist ein kleines Tal im YellowstoneLand. Berni und ich, wir haben dort schon mal gejagt. Aber damals fanden wir die Goldader nicht. Berni muß später noch
mal dorthin geritten sein. – Er war mit einer Indianerin verheiratet. – Ja, richtig verheiratet nach Indianerbrauch. Er war damit ein Arapahoe geworden. – Nun, ich habe wohl nur eine Chance, wenn ich euch zu diesem Ort führe, nicht wahr?« Er blickt sich nach dieser Frage um. Sie nicken alle – auch Ginger Lane. Er deutet auf die Blonde. »Und was ist mit ihr?« »Die hatte das Pech, zufällig mit in der Kutsche zu sitzen«, sagt Haggerty neben ihm hart. »Und wir überlegen noch, ob wir sie mitnehmen sollen oder nicht. Denn sie könnte uns hinderlich sein, nicht wahr? Es wäre für sie auch kein Pferd da, wenn wir die Kutsche zurücklassen müssen und…« »Doch, eines meiner Packpferde könnte sie reiten. – Wenn ich euch führen soll, dann hätte ich einige Bedingungen. Und die erste Bedingung ist, daß ihr dieses Mädchen nicht umbringt. Wir nehmen sie mit. Und sie wird sich schon nützlich machen können. – Also?« Sie nicken. Und nun sieht man ihnen an und spürt es auch, daß sie von hier wegkommen wollen. Ty Jones fragt noch: »Ihr habt auf mich gewartet?« Haggerty nickt. Er deutet auf Ginger Lane. »Sie gehört zu mir«, erwidert er. »Und sie hatte eine Unterhaltung mit dir. Harry hatte dich auch als den Mann wiedererkannt, der mit Berni Hammer zu ihm an die Bar kam. – Uns wurde klar, daß wir dich brauchen konnten. Es war geradezu schicksalhaft, daß wir dich trafen auf diesem Wege bei der letzten Station. – Ja, wir haben auf dich gewartet. – Aber nun ist ja alles klar. – Wir fahren weiter. Kannst du diese sechsspännige Kutsche fahren?« Ty Jones nickt. »Von euch Townwölfen kann das wohl keiner«, sagt er. »Ihr werdet in den nächsten Wochen noch eine Menge lernen
müssen.« »Sicher«, grinst Haggerty. »Doch wir haben ja nun einen guten Lehrer.« * Sie bleiben auf dem Wagenweg, denn dies ist die schnellste Art, um über die Laramie-Prärie nach Norden zu kommen. Zu ihrer Linken zieht sich die Medicine-Bow-Kette im leichten Bogen von Süd nach Nord. Zur Rechten wird die Laramie-Prärie von den Laramie Mountains begrenzt. Und im Norden vor ihnen, da gibt es zwischen den Black Mountains und den Sweetwater Mountains einen »Durchbruch« zum Powder River Land und den Rattlesnake Mountains. Es ist dies alles Ty Jones’ Heimat, sein großes, weites Jagdgebiet. Als sie nach dreißig Meilen die nächste Relaisstation erreichen, macht er keinen Fehler. Er weiß zu gut, daß die fünf Revolverschwinger ein Blutbad anrichten würden, sollte er auch nur den geringsten Versuch machen, seine Situation wahrheitsgemäß zu erklären. Denn der Stationsmann und dessen Gehilfe wollen natürlich wissen, warum die Kutsche mit solch großer Verspätung eintrifft und warum Ty Jones der Fahrer ist. Ty Jones sagt bitter: »Nun, Bob Garretter, es waren indianische Pferdediebe gekommen. Sie haben alles niedergemacht. Der Fahrer und dessen Begleitmann sind ihnen gefolgt – aber sie ritten in einen Hinterhalt. Ich kam später hinzu. Ich war unterwegs zu meinem Jagdgebiet. – Und nun fahre ich erst mal die Kutsche. – Ich konnte doch die beiden Ladies nicht im Stich lassen. – Oder?« Der Stationsmann schöpft keinen Verdacht. Er nickt sogar zufrieden und sagt: »Sicher, der Post- und Frachtlinie wird es schon recht sein,
daß du ihr wieder einmal aus der Klemme hilfst. – Diese verdammten Pferdediebe! Es sind immer wieder die jungen Krieger der Stämme, die das Wort ihrer Häuptlinge brechen und fortwährend Unruhe stiften. – Die ganze Situation hier am Bozeman-Weg wird ohnehin jeden Tag mulmiger. – Wir haben hier schon seit drei Tagen keinen Wagenzug, keine Postkutsche, keinen Reiter oder sonst was gesehen. Und ich weiß, daß es hier stets dann besonders mulmig wird, wenn sich nichts rührt, nichts zeigt – wenn alles auf dem Wege tot ist. – Sag mir, Ty Jones, ob wir hier abhauen sollen. Wir haben hier zwei Frauen und drei Kinder. – Können wir uns noch auf den Frieden hier am Bozeman-Weg verlassen?« »Nein«, erwidert Ty Jones, »das könnt ihr nicht. Und an eurer Stelle würde ich hier abhauen.« »Und warum kehrt ihr dann nicht um?« Der Stationsmann fragt es etwas verstört. Aber jener Haggerty, der neben Ty Jones auf dem hohen Bock saß und nun am Boden neben ihm steht, sagt: »Weil wir ins Goldland wollen und uns von ein paar Roten nicht davon abhalten lassen. Wäre Ty Jones nicht zufällig gekommen, würden wir auch ohne ihn weiter nach Norden gefahren sein.« Der Stationsmann sagt nichts zu Jesse Haggertys Worten, aber er blickt Ty Jones an. Doch Ty Jones sagt nichts, gar nichts. Er erwidert den Blick des Mannes nur stumpf und ausdruckslos. Und er hofft – weil ihn dieser Bob Garretter gut kennt –, daß der Stationsmann einen Verdacht schöpfen und sich klug verhalten wird. Er kann irgendwie spüren, wie Garretter plötzlich die Witterung von etwas bekommt, was er nicht erkennen kann. Aber er spürt etwas, das ist sicher. Ty Jones bekommt plötzlich Angst um die Leute dieser Station. Er weiß ja zu gut, was diese Mordbanditen mit dem Fahrer und dessen Begleitmann machten, als diese nach Laramie
zurückfahren wollten, weil ihnen die Weiterfahrt zu gefährlich schien. Und so sagt er schnell: »Aaaah, Bob, ich bringe diese Kutsche schon durch. Du weißt ja, ich kenne die Indianer, bin seit meiner Jugend mit den meisten der maßgeblichen Häuptlinge befreundet. – Wir kommen schon durch nach Norden. – Aber ihr solltet nach Laramie zurück. – Die indianischen Pferdediebe kommen vielleicht auch bald zu euch, sobald sie ihren Raub in Sicherheit gebracht haben. – Haut ab hier.« Er spricht die letzten Worte hart. Und dann gibt es nicht viel mehr zu sagen. Sie bekommen ein neues Gespann, frischen Kaffee und ein paar belegte Brote. Als Ty Jones wieder auf den hohen Fahrersitz klettert und Haggerty neben ihm Platz nimmt, fragt der Stationsmann jedoch: »Es ist doch alles in Ordnung sonst, Ty Jones, nicht wahr?« »Sicher«, sagt dieser. »Warum sollte es nicht? Warum fragst du, Bob Garretter?« Dieser deutet zum Ende der Kutsche, wo Ty Jones’ drei Pferde angebunden sind. »Die kannst du doch nicht bis hinauf nach Montana an der Kutsche lassen«, sagt er. »Das halten die doch nicht durch, wenn ihr alle dreißig Meilen das Gespann wechselt.« »Ich lasse sie bei Nebelkrähe am Sweetwater«, erwidert Ty Jones ruhig. »Dort hole ich sie mir später, wenn das hier erledigt ist.« Nach diesen Worten fährt er los. Denn er spürt, daß Bob Garretter immer mißtrauischer wird und bald eine Frage stellen könnte, die ihn leicht das Leben kosten würde. Sie fahren also wieder los; es ist wie eine Flucht. Und als sie weit genug sind, blickt Haggerty über die Schulter noch einmal zurück und sagt dann zu Ty Jones:
»Wenn du noch eine einzige Minute geblieben wärest, hätte auch dieser Hammel gewiß was gemerkt. – Bruder, du hast ihm und seinen Leuten das Leben gerettet. – Ja, das hast du. Wir hätten nicht gerne geschossen. Bestimmt nicht. Denn nur so zum Spaß tötet keiner von uns. – Nein, zu dieser krankhaften Sorte gehören wir nicht. – Doch…« Er bricht ab, macht nur eine vielsagende Handbewegung. Aber hätte er weitergesprochen, so würde er sicherlich gesagt haben: »… wenn es um so viel Gold geht und um die Chance, es zu bekommen, dann gehen wir auch über Leichen.« Ty Jones schweigt. Er fährt das neue Sechsergespann nicht besonders schnell, läßt nur manchmal traben. Er bekommt ja auch diese sechs frischen und ihm völlig fremden Tiere erst nach einer Weile unter Kontrolle, so daß sie jedem leisen Zügelzug gehorchen. Obwohl er kein Postkutschenfahrer ist, geht er mit den sechs Zügeln in seinen Händen sehr geschickt um. Sie fahren noch etwa fünfzehn Meilen. Dann treffen sie auf einige Reiter. Und diese Reiter sind Indianer. Jesse Haggerty auf dem Bock neben Ty Jones ruft sofort zur Seite nieder in die Kutsche hinein: »Hooooiii, Jungens, da sind ein paar rote Paviane auf dem Weg! Wenn wir sie wegputzen müssen, dann macht es richtig!«*) Ty Jones macht sich indes bereits eine Menge Sorgen. Gewiß, sie gaben ihm seinen Colt zurück. Er trägt ihn im Halfter wie immer. Doch die Waffe ist nicht geladen. Sie *) Anm. d. Verf.: Wenn hier von »roten Pavianen« die Rede ist, so entspricht dies der damals üblichen Einstellung der Weißen gegenüber den Indianern und hat in keiner Weise etwas mit der persönlichen Einstellung des Verfassers zu tun. Für viele Weiße damals war ein Indianer kaum mehr als ein Tier. Und sie wurden auch oftmals so niedergemacht. Ich kann die Personen dieser Geschichte nur so reden lassen, wie sie damals wahrscheinlich geredet haben. G. F. U.
ließen sie ihm nur zum Schein. Jetzt hätte er gerne eine geladene Waffe, aber er weiß, daß sie ihm auch jetzt keine geben würden. Und so sagt er trocken und hart zur Seite: »Ich kenne den Anführer dieser Indianer. Laß mich nur reden, dann braucht ihr auch nicht zu schießen. – Also haltet euch zurück.« »Das wird sich finden«, knurrt Jesse Haggerty. Ty Jones hält nun die Kutsche an. Es sind acht Indianer, die den Weg versperren. Und ein Blick auf ihre Pferde verrät alles. Die Tiere tragen nämlich das Brandzeichen der Post- und Frachtlinie. Es muß sich bei diesen Indianern also wahrscheinlich um die Pferdediebe handeln, welche die vorletzte Relaisstation heimsuchten. Und weil sie sich wie Kinder über neues Spielzeug über die neuen Beutepferde freuen und sie auch gleich ausprobieren wollen, sitzen sie auf diesen Tieren. Ty Jones hält den Bremsbalken mit dem Fuß fest und behält auch die sechs Zügel in den Händen. Er nickt dem Anführer der Indianer zu und sagt ruhig in ihrer Sprache: »Hookahey, ich sehe dich, Redhorn. Die Jahre vergehen schnell. – Weißt du noch, wie wir im Laramie Creek das Schwimmen lernten als kleine Jungens?« Seine Frage ist eine kleine Tücke. Denn er erinnert ihn damit auch zugleich daran, daß Redhorn damals ertrunken wäre, hätte er ihn nicht aus dem tiefen Loch geholt, in dem sich bei Hochwasser die Strudel drehten. Redhorns Augen werden auch sofort noch schmaler, als sie es ohnehin schon sind, ein Zeichen dafür, wie sehr er sich erinnert und die Anspielung versteht. Aber dann grinst Redhorn mit seinem breiten Mund von einem Ohr zum anderen. Und er hebt beide Hände und zeigt friedlich seine Handflächen.
»Hookahey, Wyoming Falcon«, sagt er in recht gutem Englisch, um stolz zu zeigen, daß er einst die Sprache des »Wasicuns«, also der Weißen, in Pater de Smets Missionsschule gut gelernt hat. »Was willst du mit diesen Wasicuns in unserem Land, Wyoming Falcon? Warum fährst du sie den Bozeman-Weg hinauf? Sind nicht schon genug von ihnen dort im Norden? Fühlst du dich denn wohl in diesem Lande, wenn es immer mehr werden?« Es ist eine doppelbödige Frage, denn ein Mann wie Ty Jones, der hier geboren wurde und dem dieses Land die Heimat ist, der müßte eigentlich so denken wie ein Indianer. Und nach allem, was er von seiner Rasse weiß, kann er über das Nahen der sogenannten Zivilisation nicht glücklich sein. Und was die Menschen in den Goldfundgebieten von Montana betrifft, so sind das gewiß nicht die edelsten ihrer Rasse, sicher aber die gierigsten. Was also soll er sagen? Er zuckt mit den Achseln. Und weil er nichts zu sagen weiß als Antwort, hebt er die Zügel, so als wollte er wieder anfahren, und spricht dabei wie entschuldigend: »Also, Redhorn, ich fahre jetzt weiter den Bozeman-Weg hinauf. – Ich wünsche dir Gesundheit, ein langes Leben und viele Söhne. Es war erfreulich, dich wiedersehen zu können.« Er will also anfahren. Doch da gibt Redhorn seinen Kriegern ein unmißverständliches Zeichen. Und diese sieben Krieger legen ihre Waffen an. Oh, sie sind gut bewaffnet. Alle besitzen sie Gewehre. Redhorn will nun sagen, daß Wyoming Falcon mit seiner Kutsche umkehren möge. Und er will ihm auch sagen, daß er ihn mit seinen Fahrgästen ausnahmsweise davonkommen läßt ihrer alten Knabenfreundschaft zuliebe – doch dann bricht die
Hölle los. Denn Jesse Haggerty und dessen vier Killer lassen sich nicht von einem kleinen Rudel Oglala-Sioux aufhalten. Haggerty springt blitzschnell vom Bock der Kutsche, und noch bevor er am Boden landet, beginnt er schon zu schießen. Auch Ty Jones wirft sich vom hohen Bock in das Büffelgras neben den Radfurchen des Weges. Er entgeht dadurch zwei Kugeln, denn er ist so schnell wie ein Wildkater auf Mäusefang. Was kann er schon anderes tun als sich vom hohen Sitz werfen und dann unten dicht auf den Boden pressen? Er ist unbewaffnet. Und überall fliegen nun die Kugeln. Denn Haggertys Partner springen zu beiden Seiten aus der Kutsche. Sie tun das schießend. Sie springen aus der Kutsche wie explodierende Teufel aus dem Kasten. Ja, sie sind Revolverschwinger, richtige Townwölfe, die sich in jedem Saloon und jeder Town behaupten konnten. Die Indianer sind ihnen nicht gewachsen. Redhorn stirbt zuerst. Drei seiner Krieger fallen wie er von den Pferden. Von den vier anderen, welche entkommen können, werden drei ziemlich böse verwundet. Nur einer bleibt unverletzt. Dann ist es vorbei. Die Postkutsche bekam einige Kugeln ab. Eines der Pferde des Sechsergespanns fällt nun auf die Knie. Es wurde von einer Kugel getroffen. Und von den fünf Revolvermännern ist nur Keith Stone leicht am linken Oberarm verletzt. Die beiden Frauen in der Kutsche lagen auf dem Wagenboden. Sie hörten nur Kugeln durch das Holz pfeifen. Eine blieb im Lederpolster stecken. Dies alles stellt sich binnen einer einzigen Minute heraus. Und zehn Minuten später fährt die Kutsche weiter.
Hinten sind nun noch zwei weitere Reservepferde angebunden. Eines der erbeuteten Tiere wurde gegen das verletzte Gespannpferd ausgetauscht. Es waren ja alles Pferde der Post- und Frachtlinie. Nun sind sie es wieder. Als sie zwei Meilen gefahren sind, sagt Ty Jones zu Haggerty: »Nun gut, ihr seid also fünf harte Nummern, wenn es darum geht, mit den Colts die Hölle loszulassen. Das habt ihr gewiß in all den rauhen Camps und Städten gelernt, in denen ihr euch behaupten mußtet. – Aber was vor uns liegt, wird für euch völlig anders sein. Und unsere Chancen sind gar nicht besonders. – Haggerty, erzähle mir was über dich und deine Partner. – Halt! Das ist keine Neugierde! Ich muß wissen, was ich euch zumuten kann – und was hoffnungslos wäre. – Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Was habt ihr in den letzten Jahren gemacht? Könnt ihr alle überhaupt richtig reiten und endlose Meilen durch rauhes Land im Sattel bleiben? – Haggerty, ich muß das alles wissen, wenn ich euch möglichst vollzählig ans Ziel bringen will. – Na los, erzähl mir was. Es könnte lebenswichtig sein für uns. Was für Typen seid ihr? Na?« Haggerty überlegt eine Weile. Dann murmelt er: »Wir kamen vom Big Muddy herüber, und vorher arbeiteten wir am Mississippi. Wir fingen in New Orleans an. Das war im vergangenen Jahr kurz nach dem Krieg. Du wirst wohl schon erkannt haben, daß unser Jago Mig ein ehemaliger Preiskämpfer ist. Doch er war nie ein besonders guter, eigentlich nur mäßiger Durchschnitt. Von seiner Sorte gab es viele. Wer auf diese Sorte wettete, verlor zumeist sein Geld. – Aber wenn er mal gewann, dann… oha, dann gab es manchmal hundert für einen Dollar oder noch mehr. – Wir ließen ihn stets den ersten Kampf verlieren. Aber den zweiten gewann er dann immer, weil wir seinen jeweiligen Gegnern begreiflich machten, daß sie ihn entweder gewinnen lassen müßten oder bald sterben würden. Wir machten gute
Wettgeschäfte – und wir ›arbeiteten‹ uns zuerst den Mississippi und dann von Saint Louis den Missouri hinauf. – Natürlich gab es immer wieder Interessengruppen, die lieber ihren Mann als Sieger sehen wollten. Wir hatten überall Verdruß. – Aber in diesem Sommer konnte Jago Mig bald nicht mehr kämpfen. Sein Mittelhandknochen brach schon bei einem leichten Schlag. – Seine Siege wirkten immer unglaubwürdiger – und überdies bekamen wir die Macht des Trustes zu spüren. – Weißt du, was ich meine, wenn ich Trust sage?« Ty Jones grinst. »Ein Trust«, sagt er, »ist eine Art Verein, der nichts neben sich duldet und ein Monopol ausübt.« »Richtig«, grinst Haggerty. »So dumm bist du also nicht, Lederstrumpf. – Und dieser Trust beherrscht mehr und mehr jede geschäftliche Tätigkeit auf den Strömen, angefangen von den Frachtpreisen bis – nun, bis zu dem Gewinn an Preiskämpfen. Wir bekamen Ärger, weil wir nichts abgeben wollten. – Und so jagten sie uns ins Landinnere. Wir faßten in Laramie Fuß, um auf den bevorstehenden Bahnbau zu warten. Wir verteilten uns in der Stadt. – Deshalb wurde Jago Mig zum Beispiel auch Barkeeper. Wir wollten auch einen Trust bilden, denn wir hatten ja hinzugelernt. – Und unsere Ginger betörte die Kerle und machte sich zur beliebten Königin. Nun, dann kam dieser Berni Hammer mit seinem Gold. – Und jetzt wollen wir es haben. Das ist schon alles, was du über uns wissen solltest. – Wir sind harte Nummern. Wir können kämpfen. Ja, auch reiten können wir. – Aber wir sind keine Lederstrümpfe. – Es ist ein Glück, daß wir dich haben.« Er verstummt mit einem teils höhnenden und teils erbarmungslosen Beiklang in der Stimme. Und er fügt nach einigen Atemzügen hinzu: »Eigentlich ist es ganz gut, daß wir diesen blonden Engel mitgenommen haben. Sue Sheridan heißt die Biene. – Weißt du, was mit ihr passiert, wenn du dich in einer finsteren Nacht in einem finsteren Camp
auf die Socken machen solltest? – Ja, kannst du dir vorstellen, was wir mit ihr tun, wenn du nur an dich allein denken würdest?« In seiner fragenden Stimme ist ein böses Knirschen. Ty Jones blickt schrägäugig zur Seite. Und er weiß jetzt schon ziemlich sicher, daß er diesen Haggerty wird töten müssen. Wahrscheinlich wird er sie alle töten müssen, wenn er mit dieser Sue Sheridan davonkommen will. Er sagt Meile um Meile kein Wort mehr. Dann aber – als der Boden sehr felsig wird zwischen Lavahügeln, deren Silikatgestein keine Spuren duldet –, da lenkt er die Postkutsche vom Wagenwege herunter in westlichere Richtung. Haggerty fragt sofort mißtrauisch: »Jetzt schon? – Kämen wir auf dem Wagenwege nicht schneller vorwärts? – Oder liegt das Gold dort im Westen?« Ty Jones lacht grimmig. »Oha«, sagt er, »bis wir Berni Hammers Goldader erreichen – wenn sie dort liegt, wo es nach der Bratpfannenzeichnung zu vermuten ist –, werden wir zehn harte Tage und Nächte hinter uns haben. – Denn wir müssen ins Yellowstone-Land. – Und bis dorthin sind es mehr als dreihundert Meilen. – Und ob ihr dreißig Meilen pro Tag schaffen werdet, müssen wir erst noch herausfinden, wenn ich euch nicht mehr wie Paschas durch das Land fahren kann. – He, was meinst du denn, was die Indianer tun werden, die ihr entkommen ließet? Wenn wir Glück haben, waren sie weit, weit weg von ihrem Dorf. – Aber wenn wir Pech haben, dann…« Er spricht nicht weiter. Wozu auch? Die Sache ist ja so völlig klar. *
Als die Nacht so dunkel wird, daß Ty Jones nicht mehr fahren kann, hält er endlich an. Aus einem Spalt einer Felswand sprudelt Wasser, aber sie können diese Felswand nicht sehen. Sie hören nur das Sprudeln des Wassers. Und nur wenn sie gen Himmel blicken, erkennen sie ganz vage den oberen Rand dieser Felswand. Der Himmel ist von Wolken verhangen. Es ist recht kalt geworden. Der Winter ist schon ganz nah, und von einem Tag zum anderen könnte der erste Schneefall kommen. Ty Jones’ Stimme klingt durch die Dunkelheit. »Nun, ihr angehenden Lederstrümpfe, vielleicht kann einer von euch ein Feuer machen. – Wir sind in einem kleinen Kessel und nach allen Seiten gut geschützt. – Man würde unser Feuer eher riechen als sehen. Na los, ihr Lederstrumpf-Aspiranten! Macht schon! Und zwei von euch müssen mir bei den Pferden helfen.« »Wir werden dir was aufs Maul hauen, wenn du uns herumkommandieren willst und uns so üppig kommst, als wärest du hier der Boß«, sagt einer der Kerle. Wahrscheinlich ist es Jago Mig, der Ex-Preiskämpfer. Auch die anderen fluchen. Aber Ty Jones’ Stimme klingt noch eine Spur härter und kühler, als er sagt: »Na gut, dann klären wir das mal, ihr harten Nummern! Und hört mir gut zu. Wenn wir unsere schwachen und winzigen Chancen nicht völlig zunichte machen wollen, dann müssen wir eine Mannschaft sein, in der jeder sein Bestes gibt und sich nicht drückt. Hier ist wildes Indianerland – und dieses Land wird immer wilder und unbarmherziger. Unsere Pferde aber sind unser kostbarster Besitz. Ohne Pferde sind wir so gut wie verloren. Also los jetzt! Ich brauche zwei Mann, um die Pferde zu versorgen. Wir müssen sie abreiben, durchmassieren, tränken – und ihnen auch Futter verschaffen. – Glaubtet ihr
denn, es würde ein Spaziergang werden zu Berni Hammers Goldader?« Sie fluchen wieder. Er ist ihr Gefangener, und wenn sie wollten, könnten sie ihm die Haut abziehen oder sonst was mit ihm machen. Es paßt ihnen nicht, daß er ihnen Befehle erteilt – und sie ahnen schon, daß sie auf ihn hören müssen. Haggerty sagt plötzlich: »Also los, tut, was er sagt. Harry und Stapp, ihr helft ihm. Wir anderen kümmern uns um das Feuer, um das Essen und das Camp.« Zuerst verbreiten die beiden Kutschlaternen etwas Licht. Dieses Licht wird von der Felswand zurückgeworfen, und sie alle erkennen endlich, wo sie sich befinden. Selbst diese Townwölfe staunen und fragen sich, wie dieser Ty Jones in dieser dunklen Nacht zu diesem Ort finden konnte. Sie selbst hätten sich in dieser Nacht verirrt wie Kinder in einem finsteren Wald oder einer völlig dunklen Höhle. Bald brennt auch das Feuer. Ty Jones spannt die beiden Führungspferde aus und führt sie zur Quelle. Es gibt einen kleinen Tümpel. Auch etwas Gras und grüne Büsche wachsen hier. Die beiden Banditen kommen nun mit den vier anderen Gespannpferden. Ty Jones sagt: »Im Gepäckkasten der Kutsche sind einige Decken, sicherlich auch große Lappen. Nehmt die Lappen und reibt die Tiere damit ab. Die sind ziemlich erledigt. Wascht ihnen gut die Beine. Entfernt all die Kletten, vielleicht auch Dornen. Fühlt alles ab, wenn ihr es nicht gut genug sehen könnt. – Aber es wird noch eine Laterne im Gepäckkasten sein. Und…« Er gibt noch einige Anordnungen und Ratschläge. Die beiden Männer knurren und brummen manchmal unwillig. Doch sie gehorchen. Sie haben begriffen, daß sie umlernen und umdenken müssen. Als sie noch mit den Pferden beschäftigt sind, doch schon
einige Tiere versorgt haben und weiden lassen rings um den Tümpel, da bringt jemand die fünf Tiere, welche hinten an die Kutsche angebunden waren. Drei der Tiere gehören Ty Jones. Die beiden anderen nahmen sie den Indianern ab. Ein drittes Tier mußten sie ja mit einem verletzten Pferd des Gespanns austauschen. Im Schein des Feuers und der Laternen erkennen die Männer, die fünf Pferde bringt. Zuerst halten sie den Helfer für einen von sich, also für einen Mann. Doch so zierlich und fast knabenhaft ist keiner von ihnen. Sie halten inne. Einer der Banditen stößt einen leisen Pfiff aus und sagt dann mit einem heiseren und überraschten Klang in der Stimme: »Hoooiii, wen haben wir denn da! Oha, das ist ja unsere gelbhaarige Honeybee! Seht, sie hat Hosen an, Hosen wie ein Mann, so daß man erkennen kann, wie lang ihre Beine sind. – Seht, sie hat verdammt lange Beine. Meint ihr nicht auch?« Die beiden Kerle verharren. Sue Sheridan aber wendet sich an Ty Jones. »Wenn es Ihnen recht ist, Mister, versorge ich diese Tiere. Und Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, daß ich etwas falsch mache. Ich verstehe mich auf Pferde. Wir haben daheim in Kentucky welche gezüchtet.« Ty Jones nähert sich ihr einige Schritte. Er kann sie im Lichtschein gut betrachten. Ja, auch er sieht nun, daß sie sich in der Postkutsche umgezogen haben muß. In ihrem Gepäck muß sich dieser Reitanzug befunden haben. Es ist ein Wildlederanzug. Sie trägt auch Stiefel. Auf den ersten Blick wirkt sie wie ein schlanker Knabe. Aber dann entdeckt man an ihr doch gewisse Rundungen an Stellen, wo sie bei einer Frau sein müssen. Ihre Bewegungen sind ebenfalls nicht männlich, sondern recht weiblich. Ty Jones möchte ihr sagen, daß sie sich besser wieder ihr
Reisekostüm anziehen sollte, denn selbst in diesem sehr weiblichen Kostüm wirkte sie nicht so reizvoll weiblich wie jetzt in diesem Anzug. Er weiß jetzt schon ziemlich sicher, daß es Ärger geben wird. Diese ehemaligen Townwölfe sind es gewöhnt, daß sie Mädchen bekommen, wann sie wollen. Und diese Sue Sheridan aus Kentucky ist hier sogar noch ihre Gefangene. Sue ist zu schön und zu reizvoll. Es muß Ärger geben. Das ist unausbleiblich. Aber er sagt nichts von seinen Gedanken und Befürchtungen. Er nickt ihr zu und murmelt: »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Miß, daß Sie mir helfen und überdies auch ›Pferdeverstand‹ besitzen. – Denn diese Gentlemen da verstehen von Pferden soviel wie von christlicher Liebe. – Sie nehmen zwar beide gerne in Anspruch, wenn sie…« »Nur keine Beleidigungen, Lederstrumpf«, grollt Stapp Finch drohend in seine Rede. »Denke nur nicht, wir wären blöd und nicht lernbereit. – Du wirst dich noch wundern, wie schnell wir lernen. – Und vielleicht – hahahaha! – lernen wir auch noch christliche Liebe. – Mit diesem Honey hier würde ich gerne Liebe lernen. Na, wie wär’s denn mit uns, Kleine? Soll ich dich wärmen in dieser kalten Nacht?« Seine Frage gilt Sue Sheridan, und in seiner Stimme ist ein verletzender Klang. Ihre Stimme klingt ganz sachlich und beherrscht, als sie erwidert: »Mister, ich habe natürlich begriffen, daß ich euch ausgeliefert bin. – Ich weiß auch, daß ihr zu jener Sorte gehört, der so sehr viel fehlt, daß sie sich dieses Mangels gar nicht mehr bewußt werden kann. Deshalb wäre es zwecklos, bei euch an etwas zu appellieren, was ihr nicht besitzt. – Dennoch warne ich euch. – Denn wenn ich keine andere Wahl habe, versetze ich euch alle in einen Zustand, daß ihr um mich kämpft und euch gegenseitig umzubringen versucht. – Laßt
mich in Ruhe!« In ihre Stimme kommt zunehmend Härte. Und Ty Jones begreift in diesem Moment, daß dieses Mädchen aus Kentucky eine Kämpferin ist. Ja, sie ist schön und reizvoll. Sie kann diese fünf Kerle verrückt machen. Aber Stapp Finch lacht nur. Er ist nicht bereit, über das, was sie ihm ziemlich unmißverständlich andeutete, nachzudenken. Und so gleitet er auf sie zu und greift nach ihr. Sie wehrt sich nicht. Sie verhält sich steif und gefühllos wie eine Figur aus Holz. Er lacht und knurrt kehlig: »Aaaah, diese Sorte kenne ich! Auch dir werde ich ein Feuer entfachen, das dich in Hitze bringt. – Ich habe noch jede Honeybee feurig gemacht!« Die letzten Worte ruft er selbstbewußt, und dann preßt er seine Lippen auf ihren Mund. Er ist ein äußerlich sehr vorteilhaft aussehender Bursche, weißblond, blauäugig und kühngesichtig. Und vielleicht hatte er wirklich überall große Erfolge bei den Flittchen und Tingeltangel-Girls seines bisherigen Lebensbereiches. Aber dann hört er Ty Jones sagen: »Laß sie los, du Hurensohn – oder ich schlage dir deinen dummen Schädel ein!« Stapp Finch hört es staunend, indes er immer noch Sue Sheridan küßt und vergeblich darauf wartet, daß er bei ihr irgendwelche Regungen spürt oder sie zumindest zu kämpfen und zu zappeln beginnt. Aber sie scheint sich wirklich in eine Holzfigur gewandelt zu haben. Da gibt er sie mit einem Fluch frei, schiebt sie mit einer Armbewegung zur Seite und schnappt den Colt heraus. Aber noch bevor er abdrückt, tritt Sue Sheridan von der Seite her gegen seinen Unterarm. Und die Kugel, welche Ty Jones
treffen sollte, geht ins Leere. Und dann holt den unbeherrschten Stapp Finch endlich wieder sein Verstand ein. Er begreift jäh, daß er sich und seine Partner soeben fast um Berni Hammers Goldader gebracht hätte. Denn nur dieser Ty Jones kann sie hinführen. Wenn er ihn erschossen hätte, würden seine vier Partner wie wilde Wölfe über ihn hergefallen sein. Und so lacht er nur böse und läßt den Colt wieder in der Halfter verschwinden. Er will etwas sagen, doch er kommt nicht mehr dazu. Ty Jones zeigt ihm, wie wenig er bereit ist, ein williger, duldsamer oder gar furchtsamer Gefangener zu sein. Denn er springt auf ihn zu und knallt ihm eine Rechte unter das Kinn. Stapp Finch schwankt rückwärts, rudert mit den Armen, steht einen Moment lang nur auf seinen Absätzen. Und da bekommt er die Linke. Selbst der ehemalige Preiskämpfer Jago Mig hätte es nicht besser machen können. Stapp Finch geht zu Boden und krümmt sich dort vor Schmerz. Er ist ein großer, harter und schwergewichtiger Bursche, der sich bisher in jedem wilden Saloonkampf behaupten konnte. Doch gegen Ty Jones hatte er soeben keine Chance. Jones sprang ihn an wie ein Berglöwe und schlug blitzschnell und dennoch mit aller Wucht. Nun wartet Ty Jones zu Stapp Finchs Füßen. Die anderen vier Männer kamen herbeigesprungen. Und noch bevor Ty Jones etwas sagen kann, tönt Jesse Haggertys Stimme über das Camp: »Was war das?« »Er wollte mich erschießen, weil ich ihn einen Hurensohn nannte. – Fast hätte er euch um eine Goldader gebracht. – Zumindest hättet ihr nach Laramie zurückgemußt, um euch einen anderen Mann zu suchen, der euch ins Yellowstone-Land führt und die richtigen Landmarken kennt, welche Berni Hammer auf seiner Bratpfanne einritzte. Dieser Hurensohn
hätte euch fast um alles gebracht, was dort im Nordwesten auf euch wartet. – Und…« »Er hat sich an die Kleine rangemacht«, mischt sich Harry Lafonte ein, der in der Nähe mit den Pferden beschäftigt war und alles genau mitbekam. »Dieser verdammte Bock war schon wieder wild auf das Honeygirl. Wir sollten ihn kastrieren, diesen blöden Hund. – Wenn er unseren Lederstrumpf erschossen hätte…« Er heult die letzten Worte voller Bitterkeit heraus. Dann treten sie alle zu Stapp Finch, der seine Not jetzt einigermaßen überwunden hat und sich stöhnend aufsetzt. Sie treten bedrohlich nahe zu ihm. Und Jesse Haggerty spricht zu ihm nieder: »Paß auf, Stapp, ich will es dir wie ein guter Onkel erklären. Paß gut auf, mein Guter. Wir wollen die Goldader dieses Berni Hammer finden. – Und dazu brauchen wir diesen Lederstrumpf. – Wir haben ihn fest in der Hand, solange wir auch dieses Honeygirl in unseren Händen haben. – Denn er weiß, was wir mit dem süßen Kind machen, wenn er abhaut – zum Beispiel in solch einer dunklen Nacht wie jetzt. Es würde für sie sehr viel schlimmer werden als der Tod. – Wir brauchen also ihn – und wir brauchen das Honeygirl. – Und wenn du dich noch einmal mit ihnen anlegen solltest, dann machen wir dich alle. Wir lassen uns nicht um eine Goldader bringen, nur weil du ein Honey vernaschen willst, du verdammter Hurensohn.« Er spricht das letzte Worte mit deutlicher Herausforderung, die zugleich auch eine Demütigung ist. Denn Stapp Finch hat sie alle gegen sich. Doch da meldet sich noch eine Stimme. Sie gehört der zweiten Frau im Camp. Ginger Lane tritt zu ihnen, und sie tut es mit ruhigen, doch geschmeidig gleitenden Bewegungen. Sie erscheint wie auf einer Bühne und als wäre sie die Primadonna. Auch sie hat sich in der Kutsche aus ihrem Gepäck andere
Kleidung geholt. Nun trägt sie einen rehledernen, geteilten Reitrock, Stiefel, eine Lederjacke und einen Revolvergürtel mit einem kleinen Colt. Fast wie ein Cowgirl aus dem Süden wirkt sie. »Der größte Fehler, den ihr machen könnt«, spricht sie mit ihrer dunklen und so melodischen Stimme, »wäre der, daß ihr euch zu hassen beginnt und Feinde werdet. Dann seid ihr in diesem verdammten Indianerland gewiß bald verloren. – Wir alle sollten versuchen, fair miteinander auszukommen. – Solch große Narren könnt ihr doch gar nicht sein, um dies nicht einsehen zu können.« Nach diesen Worten bewegt sie sich wieder, schreitet auf Ty Jones zu und verhält vor diesem. »Wenn es nach mir ginge, Ty Jones«, sagt sie, »würden Sie hier nicht als Gefangener bei uns sein, sondern als Partner. – Wir brauchten nur Ihr Wort, daß Sie uns ein guter und redlicher Partner sein wollen, und dann nehmen wir Sie herein in unser Geschäft.« Sie wendet sich plötzlich zur Seite und spricht, zu Jesse Haggerty gewandt: »Ja, mache ihm dieses Angebot. Tue es, Jesse! Setze das durch! Denn sonst… oh, sonst könnte er uns gewiß so manchen Stein in den Weg legen. Der könnte mit uns noch Katze und Maus spielen – und nicht er wäre die Maus. Ihr wäret ihm in einer bösen Town gewachsen. Aber nicht in diesem Land.« Die Männer starren ihn an im Feuer- und Laternenschein. Es ist nicht besonders hell; es herrscht eher ein Halbdunkel. Er spürt ihr Mißtrauen, ihr Zögern -und auch ihre Feindschaft. Sie hassen es, von ihm abhängig zu sein, obwohl er ihr Gefangener ist. Und dennoch spürt Ty Jones in ihnen die Tendenz, sich mit ihm zu arrangieren. Aber das ist nicht sein Wunsch, nicht seine Absicht. Er haßt sie, verachtet sie. Denn sie haben nicht nur den Fahrer und den Begleitmann dieser Postkutsche getötet und dann fortgeschafft
in die Hügel, damit die Leichen verschwunden waren. Nein, sie haben Berni Hammer gewiß schrecklich gepeinigt und gemartert, um von ihm den Plan der Goldader zu bekommen. Er sagt: »Ich werde euch zu Berni Hammers Goldader führen. – Und dann werden wir weitersehen. – Und wenn ihr meine Meinung über euch hören wollt – nun, ich halte euch allesamt für Geschwüre am Körper dieser Erde, für böse Bazillen, die man mit Schwefel vernichten müßte. – Ihr seid es nicht wert, auf dieser Erde leben und atmen zu dürfen. – Nur weil ich Berni Hammers Goldader finden möchte wie ihr, haben wir die gleichen Interessen. – Sonst…« Er spricht nicht weiter, sagt ihnen nicht, was sonst sein würde. Aber sie wissen, daß er ihnen eine Menge Tricks zeigen könnte. Manchmal kommt er ihnen nicht einmal mehr wie ihr Gefangener vor. Er wendet sich ab, tritt wieder zu den Pferden und arbeitet weiter. Auch Harry Lafonte folgt seinem Beispiel. Und Stapp Finch, der sich indes erhoben hat, betastet stöhnend sein Kinn mit der einen und die Leberpartie mit der anderen Hand. Doch er sagt nichts mehr. Der ganze Verdruß ist vorerst beigelegt. Als Ty Jones mit seinen Tieren fertig ist, tritt er zu Sue Sheridan, die mit seinem braunen Wallach – seinem Sattelpferd – beschäftigt ist. »Danke, Schwester«, sagt er. »Diese Kugel hätte mich sonst getroffen. Auf Sie kann man sich also verlassen. – Es ist gut, daß ich dies weiß. Aber ich mußte diese Sache mit der Bande austragen, damit sie sich endgültig darüber klar wird, daß sie mich braucht und ohne mich verloren wäre. – Jetzt wird es leichter.« »Ja, ich habe sofort begriffen, was Sie für allemal klären wollten«, erwidert sie. »Doch fast wäre es schiefgegangen.
Wollen Sie diese Mörder wirklich bis zu jener Goldader führen?« »Sicher«, sagt er. »Denn wenn dieser Berni Hammer einen Erben hat, dann bin ich das. Seine indianische Frau ist mitsamt des Kindes bei der Geburt gestorben. Das erzählte er mir, als wir uns in Laramie betranken. – Ich war sein alter Freund und Jagdpartner. – Ja, ich glaube, daß es ihm recht wäre, wenn ich sein Erbe würde.« Sue Sheridan steht still neben dem Pferd, den großen Lappen in der Hand, mit dem sie das Tier abrieb. Dann aber sagt sie leise: »Aber das bedeutet, daß Sie diese Bande niederkämpfen müssen, Ty Jones, nicht wahr? – Auch Ginger Lane, denn sie ist nicht ungefährlicher als die Männer. Sie ist eine Tigerkatze, welche durch den Dschungel streicht und Beute machen möchte.« »Ich weiß«, murmelt er. »Aber man nennt mich unter Trappern, Gebirgsläufern, Scouts, Soldaten und Indianern Wyoming-Falke. – Dies hier ist mein Jagdgebiet, mein Land. Ich bin hier daheim, gewissermaßen der Fisch im Wasser. – Diese Bande wird irgendwann Nichtschwimmern in meinem Wasser gleichen. – Mach dir keine Sorge, Schwester. Ich passe auf dich auf!« »Ja, Bruder«, erwidert sie ernst. »Daran will ich glauben, und es wird mir so manches leichter werden.« Sie sind irgendwann fertig mit den Pferden und waschen sich an der Quelle, und sie sind die letzten am Feuer. Ginger Lane hat Pfannkuchen, Speck und Kaffee zu bieten. Sie sagt zu Sue gewandt: »So geht das nicht, Sue. – Du kannst keine Männerarbeit machen. – Diese Jungens sind beim Kochen verdammt ungeschickt. – Hilf mir also beim Kochen, ja?« Sue Sheridan nickt kauend. Sie hat einen guten Appetit, das sieht man ihr an. Aber dann sagt sie, nachdem sie den Bissen
herunterschluckte: »Doch beim Kochen können die Männer nicht soviel verderben wie bei den Pferden. Ich habe außer Ty Jones hier den einzigen Pferdeverstand. – Und von den Pferden wird vielleicht noch unser Leben abhängen. – Du solltest dich also mit männlichen Helfern abfinden. Das wäre für uns alle besser.« Sie starren Sue Sheridan im Feuerschein an. Und sie wundern sich über die Veränderung, die mit ihr vorging. Ginger Lane gibt nach. Wahrscheinlich ist Ginger Lane klüger als die Männer. »Sicher, Sue, wenn es so ist…«, sagt sie, um dann die Frage zu stellen: »Woher hast du deinen Pferdeverstand bekommen, Sue Sheridan?« »Auf unserer Pferde-Ranch wurden die besten Pferde von ganz Kentucky gezüchtet«, erwidert Sue Sheridan stolz. »Bei uns gab es die beste Blaugras-Weide der ganzen Welt. – Wißt ihr, was Blaugras ist? – Aaaah, woher solltet ihr das wissen? Blaugras enthält die besten Mineralien für die Zucht von Pferden. Der Phosphorgehalt des Bodens ist sechsmal höher als in den fruchtbarsten Gebieten anderswo in den Staaten und Territorien. – Deshalb sind bei uns die Fohlen bereits nach achtzehn bis zwanzig Monaten ausgewachsen.« Sie verstummt plötzlich, als hätte sie sich dabei ertappt, ein Klatschmaul zu sein. Aber Ginger Lane hakt nach. Sie fragt: »Und warum warst du in der Postkutsche? Warum wolltest du ursprünglich ins Goldland von Montana?« Einen Moment sieht es so aus, als würde Ginger Lane keine Antwort bekommen. Doch alle sind jetzt sehr interessiert an dieser Antwort. Sue Sheridan spürt die Blicke – und auch Ty Jones’ Blick ist fragend. Vielleicht gibt sie wegen ihm Antwort. Sie sagt: »Mein Vater und meine Brüder waren während des Krieges auf der Seite der
Konföderation. – Unions-Guerillas überfielen unsere Ranch. Sie machten alles nieder und dem Erdboden gleich. Sie stahlen alle Pferde. – Unsere berühmte Pferdezucht war für immer vernichtet. – Nur ein Bruder kam aus dem Krieg heim, und er fand nichts vor, was er hätte aufbauen können. Nur Steuerschulden für den Landbesitz. – Er ging ins Goldland von Montana, um…« Sie bricht ab und macht eine müde Bewegung. »Er hatte wohl kein Glück«, sagt sie dann. »Inzwischen kam unser Land zur Versteigerung. – Ich will meinen Bruder suchen und finden, um ihm zu sagen, daß wir gar nicht mehr nach Kentucky zurück müssen, sondern an jedem anderen Ort anfangen können. – Denn wenn ich ihn finde, werden wir irgendwo neu anfangen. Ganz bestimmt!« Sie verstummt fast wie im Selbstgespräch und als gäbe sie sich selbst ein Versprechen und machte sich Mut. Alle Zuhörer schweigen. * Am dritten Tag durchfurten sie mit der Kutsche und den hinten angebundenen Pferden den Sweetwater und wenden sich in einem Canyon bald darauf wieder nach Westen. Sie befinden sich nun mitten in den Rockies, und es ist fast schon unwahrscheinlich, daß sie mit der Kutsche überhaupt noch vorwärtskommen können. Gegen Mittag des vierten Tages hält Ty Jones die Kutsche für immer an. »Von jetzt und hier an wird geritten«, sagt er. Er springt vom hohen Bock nieder und macht sich daran, alle sechs Gespannpferde auszuspannen. »Na kommt, holt sie euch«, sagte er zu den fünf Banditen und Ginger Lane. »Das hier sind eure Reitpferdchen. Ihr habt Glück, daß wir auch von den Indianern einige Sättel erbeuten
konnten, sonst müßten einige von euch auf Pferdedecken reiten. Ich werde meine Fallen in den Gepäckraum der Kutsche legen, so daß wir meine beiden Packpferde mit all dem anderen Zeug beladen können, welches ihr aus der Station holtet, die erst von indianischen Pferdedieben und dann von euch…« »Schon gut, schon gut«, unterbricht ihn Jesse Haggerty. »Aber wir haben diese Station nicht überfallen. Im Gegenteil, als wir mit der Kutsche kamen, ergriffen die Indianer die Flucht. – Wir mußten nur unseren Fahrer und dessen Begleitmann umbringen, weil diese nicht so wollten wie wir. – Und auch dich werden wir noch umbringen müssen, wenn du so dumm bist wie diese beiden Narren. – Du wirst uns allmählich zu üppig.« Aber Ty Jones lacht nur. Und als sie dann später die Packlasten auf die Packtiere heben und mit sogenannten »Diamentschlingen« festzurren, da erweist es sich, daß ihm nur Sue Sheridan fachkundig helfen kann. Er sagt zu der Bande: »Seht euch das gut an, damit ihr es in den nächsten Tagen lernt. – Denn ich möchte das nicht jeden Tag für euch tun müssen. Und wenn ihr es nicht lernt, dann werdet ihr jeden Tag ein Dutzend Male die Packlasten verlieren. Was aber würdet ihr ohne Proviant, Decken und Werkzeuge in diesem Lande anfangen? Also lernt und interessiert euch!« Sie brummen unwillig. Als sie dann alle am Nachmittag aufsitzen und den Weg nach dem Yellowstone-Land fortsetzen, da begreift er schnell, wie schlecht sie reiten und daß ihre Not deshalb bald schon recht groß werden wird. Darüber freut er sich mit grimmiger Unversöhnlichkeit. Aber vorerst sind sie immer noch sehr gefährlich. Er hat sie erlebt, als die acht Indianer ihnen den Weg versperrten. Der Ausbruch ihrer Gewalttätigkeit war wie eine Explosion. Sie
können blitzschnell mit ihren Revolvern die Hölle loslassen. Und wenn sie die Nerven verlieren, würden sie auch mit ihm hart umspringen. Sie brauchten ihn nicht mal zu töten, sondern nur anzuschießen – zum Beispiel ins Bein. Dann wäre er auf sie angewiesen. Er traut ihnen alles zu. Denn sie haben Berni Hammer gemartet und so sehr zerbrochen, daß er ihnen sein Geheimnis verriet. Berni war ein harter Bursche, den man gewiß nicht so leicht zerbrechen konnte. Doch sie schafften es. Ty Jones weiß, daß er versuchen muß, sie auf diesem Ritt zu zerbrechen. Wenn sie dann nicht mehr wissen, ob sie Weibchen oder Männchen sind und umgekehrt, so wird er vielleicht mit Sue entkommen können. Sue reitet oftmals neben ihm an diesem Nachmittag. Manchmal tauschen sie Blicke aus und lächeln sich ein wenig zu. Er will ihr mit seinem Lächeln Mut machen – und sie lächelt zurück, um ihm zu zeigen, daß sie nicht verzweifelt. Als die Sonne dann weit im Westen in einem Bergeinschnitt versinkt, da sagt er: »Was weißt du vom Yellowstone-Land, Schwesterchen?« »Nicht viel«, bekennt sie. »Aber du wirst mir gewiß eine Menge erzählen können, nicht wahr?« Er nickt sofort. »Schon die Indianer nannten das Land in ihrer Sprache so, und niemand weiß, warum eigentlich. Aber man übersetzte das indianische Wort ins Englische, und so heißt der Fluß Yellowstone und mit ihm auch das ganze Land. – Es gibt in diesem Land immerzu eine leise vulkanische Tätigkeit und deshalb auch viele heiße Quellen. Diese Quellen versickern zum Teil auch in engen Röhren bis in die heiße Tiefe der Erde. Wenn da Wasser erhitzt ist, schießt es nach oben und prustet mit einem Dampfstrahl gen Himmel – und dann wiederholt
sich alles wieder: Kaltes Wasser fließt in die Röhre bis in die vulkanische Tiefe, wird unten zu Dampf, welcher dann alles nach oben stößt. – Es gibt einen ganz besonderen Geiser dieser Art, welcher genau in jeder Stunde einmal seinen gewaltigen Strahl schnaubend in die Höhe zischen läßt. Man nennt diesen Geiser ›The old Faithful‹, also ›Der alte Getreue‹. – Du hast gewiß schon von Jim Bridger gehört, dem wohl berühmtesten aller Gebirgs- und Prärieläufer, Scouts und Jäger. Und Jim Bridger, der als erster Weißer dieses Land durchstreifte, erzählte einmal, daß er im Yellowstone fischte und immer dann, wenn er einen Fisch an der Angel hatte, diesen noch eine Weile an der heißen Oberfläche des Wassers schwimmen ließ. Wenn er ihn dann heraushob, war er schon gargekocht.« »Aha«, macht Sue und bekommt etwas schräge Augen. Ty Jones wirkt einen Moment etwas enttäuscht. Aber dann sagt er: »Jim Bridger entdeckte auch den Alum Creek, dessen Wasser so sehr alaunhaltig ist, daß sogar die Pferdehufe ganz spitz werden, so sehr ziehen sie sich zusammen. Wer durch diesen Alum Creek reitet, dessen Pferd hat Beine wie zugespitzte Corralstangen. Es versinkt im weichen Boden.« »Aha«, macht Sue Sheridan wieder nur. Und dies ist für Ty Jones abermals eine Herausforderung. Er sagt: »Jim Bridger hatte seine Jagdhütte zuerst zu weit vom Creek errichtet. Er ärgerte sich über den weiten Weg. Denn es waren mehr als zehn Meilen. – Da kam er auf die Idee, den Boden mit Wasser aus dem Alum Creek zu besprengen. – Und wirklich, der Erdboden zog sich so sehr zusammen, daß die Hütte bald nur noch zwei Meilen vom Creek entfernt war.« »Aha«, macht Sue abermals nur. »Magst du Jim Bridger nicht?« Er fragt es ganz ernst. »Doch«, erwidert sie. »Aber ich kenne all die Geschichten über ihn, ja auch jene von dem reißenden Gebirgsbach, dessen Wasser sich durch Reibung erhitzt – und auch die von der
Pfeilspitze, die in Jim Bridgers Rücken steckte und die er sich nicht herausschneiden ließ. Und als Pater de Smet ihn damals fragte, ob die Wunde sich nicht infiziert hätte, soll Jim Bridger erwidert haben: ›O nein, im Gebirge verdirbt das Fleisch nie.‹ – Ha, Bruder Ty, bist du auch ein Jim Bridger, ich meine eine jüngere Ausgabe von diesem Typ?« Da grinst er. »Nein, nicht ganz, denn ich glaube – nach allem, was man so von ihm weiß –, er hatte nicht viele Interessen, was Frauen oder Mädchen betraf. Er lebte wohl in dieser Hinsicht wie ein Mönch. – Ich aber…« Er macht eine Pause und blickt zur Seite auf Sue, die seinen Blick jetzt fest erwidert. Und nun erst spricht er den angefangenen Satz weiter: »… habe einen Blick für weibliche Schönheit. Dich zum Beispiel würde ich gerne in meinen Armen halten, Sue. Aber nur, wenn du das ebenfalls möchtest. – Diese Welt und das Leben sind verdammt schöner und wärmer, wenn man sich Zärtlichkeiten schenkt, wenn man gibt und erhält. Nein, ich bin also nicht wie Jim Bridger, der große Scout.« Er verstummt lächelnd. Sie aber betrachtet ihn nachdenklich. Dann fragt sie: »Aber es gibt doch hier in der Einsamkeit kaum Frauen – höchstens Indianerinnen – oder? – Wurden deine Tage, Wochen und Monate dann in diesem Land nicht verdammt lang, Wyoming-Falke?« Sie spricht seinen indianischen Namen mit Nachdruck, und er begreift sofort, worauf sie anspielt. Und da schüttelt er den Kopf. »Sicher«, sagt er, »es gibt sehr hübsche Indianermädchen. Und oftmals kann man sie sich kaufen für ein paar Pferde, Decken, ein Gewehr und andere Dinge. – Ja, ich war manchmal schon fast entschlossen, mir die Einsamkeit etwas zu verschönen. – Doch ich kenne auch viele Halbbluts, und sie
tun mir leid. Denn sie gehören zumeist nirgendwohin, weder zu den Roten noch zu den Weißen. Die Zeit, in der wir leben, ist noch zu unduldsam und gnadenlos. – Und es gibt kaum christliche Liebe unter den Menschen. – Nein, ich könnte es nicht verantworten, ein Halbblut zu zeugen. Es könnte ein besserer Mensch sein als tausend Weiße – und dennoch würden diese sich für besser halten, – und es könnte ein besserer Mensch sein als tausend Indianer, und es würde dennoch nicht richtig zu ihnen gehören.« Sie können nicht weiter miteinander reden, denn sie erreichen das breite Maul eines Canyons. Ty Jones hält jäh an und hebt seine Hand. Denn aus dem Canyon kommen ihnen Indianer entgegen. Es sind nicht viele, und sie haben Packpferde, welche dicke Bündel von langen Stangen hinter sich herziehen. Ein halbes Dutzend indianische Reiter sind nun an der Spitze dieses Zuges. Die Reihe der Packtiere jedoch ist lang. Es sind mehr als zwei Dutzend. Jedes Tier schleppt lange Stangen. Ein Dutzend indianischer Reiter ist auf diese lange Karawane verteilt. Ty Jones sagt über die Schulter: »Macht nur keinen Arger mit euren Colts! Das sind die alten Krieger eines großen Dorfes. Sie holten Zeltstangen aus dem Stangenwald-Tal. – Sie werden nicht mit uns kämpfen. Ihr Dorf braucht neue Stangen für den langen Winter. – Reitet hinter mir einfach an ihnen vorbei.« Sie tun es, und als sie die Indianer im Gegenverkehr passieren, nickt Ty Jones ihrem Anführer zu. »Hookahey, Wasserfuchs«, sagt er in der Sprache des SiouxVolkes, »ich wünsche euch einen warmen Winter und gute Jagd.« »Ich sehe dich, Wyoming Falcon«, erwidert der alte Indianer. »Du führst also jetzt sogar eine ganze Schar Weißer in unser Land, um unser Wild abzuschießen. Unsere jungen Krieger werden kommen, um euch zu töten. Du verrätst dieses Land, in
dem du geboren wurdest wie wir. Du bist halt doch nur ein Weißer, nichts anderes als ein Weißer. – Und du wirst bald tot sein mit diesen da!« Er knirscht die letzten Worte verächtlich. Ty Jones ist schon an ihm vorbei, doch er wendet sich im Sattel und ruft ihm in seiner Sprache nach: »Du irrst dich, Wasserfuchs. Es ist ganz anders. Du irrst dich sehr. – Ich…« Er verstummt jäh, obwohl er sagen wollte: »… bin mit diesem blonden Mädchen ein Gefangener. – Und meine Waffen sind nicht geladen!« Ja, das alles lag ihm schon auf der Zunge. Im letzten Moment aber begreift er, daß er dann auch hätte sagen müssen, was sie in diesem Lande wollen. Die Indianer wurden in den vergangenen Jahren mächtig mißtrauisch und hellhörig. Und besonders eines haben sie begriffen: Wo Gold gesucht und gefunden wird, setzt bald schon der Ansturm der Weißen ein. Und dann gelten alle geschlossenen Friedensverträge und Landgarantien nichts mehr. – Das war in Montana so – und auch in den Dakota Black Hills. Die Indianer mußten weichen. Wenn er diesem alten Krieger die Wahrheit beichten würde, dann… ja, was dann? – Könnte er sich nicht mit Sue Sheridan retten und diese Mörder und Banditen den Indianern überlassen? Auch Ginger Lane? Das ganze Problem wird ihm jäh bewußt. Und es trifft ihn wie ein Tiefschlag. Verdammt, denkt er, was mache ich mir Gedanken über diese miese Bande? Von mir aus können sie doch zur Hölle sausen. Das wäre nur eine gerechte Strafe. * Sie bleiben die ganze Nacht im Sattel, obwohl die Nacht nicht besonders hell ist und nur manchmal Mond und Sterne
durch die Wolkenlöcher ihr bleiches Licht zur Erde werfen können. Die Männer und auch Ginger Lane stöhnen und fluchen hinter ihm, wenn er dann und wann anhält, auf den Mondschein wartet, um sich an irgendwelchen fernen Landmarken zu orientieren. Nach Tagesanbruch erreichen sie dann einen Creek. Sie lassen ihre Pferde trinken, und einige Reiter fluchen stöhnend. Stapp Finchs Stimme klingt voll bitterster Wut. Er ruft böse: »Der will uns auf diese Weise kleinmachen. – Begreift das doch endlich! Der freut sich, wenn uns die Haut in Fetzen hängt und wir vor Schmerz nur so knirschen. – Wir sollten ihn uns wahrhaftig mal vornehmen. – Natürlich brauchen wir ihn nicht allemachen. Aber halb soviel wie dieser Berni Hammer hält er gewiß aus, ohne auszufallen. Na, wollen wir?« Er fragt es hoffnungsvoll. Aber er erhält keine Zustimmung. Ty Jones sagt trocken in die Stille: »Wir bleiben hier, bis unsere Pferde wieder einigermaßen können. – Und wenn ihr euch Linderung verschaffen wollt, dann kühlt eure nackten Hintern im kühlen Creek.« Sie fluchen wütend, denn sie empfinden seinen Rat als Verhöhnung. Aber dann befolgen sie diesen Rat doch. Er muß mit Sue fast die ganze Lagerarbeit allein verrichten. Sogar Ginger Lane sitzt irgendwo zwischen den Büschen im seichten Wasser des Creeks und kühlt. Etwas später geht Sue zu ihr hin, um nach ihr zu sehen. Aber als sie zwischen die Büsche tritt und Ginger Lane zu sehen bekommt, zischt diese wie eine Schlange und sagt dann voller Gift: »Kommst du nachsehen, um mich auslachen zu können? Oh, bilde dir nur nicht zuviel ein. Wir haben alle unsere Schwächen und Stärken. Und eines verspreche ich dir,
Schwester! Ihr bekommt uns nicht klein! Ihr nicht! Wir kommen zwar aus einem anderen Milieu, aber wir sind hart, sehr hart, vielleicht sogar härter als ihr.« »Das würde ich euch wünschen«, sagt Sue zu ihr nieder. »Denn wenn uns der Winter hier in den Bergen überraschen sollte, dann werdet ihr eine Menge Härte brauchen.« Sie kehrt wieder zurück, denn sie hat erkennen können, daß Ginger Lane keine Hilfe nötig hat. Später dann – als sie gesättigt ausruhen und die Sonne noch einmal ein wenig wärmt –, da legt sie sich neben Ty Jones auf die Decke. Die fünf Killer nehmen das zuerst gar nicht wahr. Sie sind zu erschöpft, sattelmüde, wundgeritten – und alle inneren Organe schmerzen ihnen. Sie wirken wie ohnmächtig. Erst etwas später hebt Jago Mig seinen runden Kopf und blickt auf Ty Jones und Sue Sheridan. »He, Jones«, sagt er, »du wirst diese Biene wohl bald vernaschen dürfen mit ihrer Erlaubnis. – Aber ob wir das erlauben, ha, ob wir das erlauben werden… he, Jungens, was meint ihr? Die klatscht sich an Jones heran, setzt all ihre Chips auf den Lederstrumpf. – Er wird sie vielleicht schon in der kommenden Nacht…« »Halt dein dummes Maul, Mig«, unterbricht ihn Jones. »Oder ich stopfe dir jedes deiner Worte bis zu den Zehen hinunter. – Hast du verstanden?« Jago Mig setzt sich langsam auf. »Heee«, beginnt er, »weißt du vielleicht nicht, daß ich mal ein erfolgreicher Preisboxer war und es leicht wieder werden könnte, wenn ich nur wollte?« »Na und?« Ty Jones fragt es verächtlich. Da legt Jago Mig sich wieder seufzend lang. Er hat wirklich keine Lust auf einen Kampf mit diesem Wyoming-Falken. Er erinnert sich auch plötzlich wieder daran, was dieser mit Stapp
Finch machte. Und Stapp Finch ist gewiß kein Schwächling. * Sie reiten in den nächsten Tagen immer weiter nach Westen, halten sich manchmal etwas nördlich und nähern sich mehr und mehr dem Ziel, wo die Stunde der Wahrheit kommen muß. Die fünf Townwölfe werden wahrhaftig jeden Tag etwas härter und überwinden allmählich ihre Not. Ja, sie halten durch. Auch Ginger Lane geht es täglich etwas besser. Sie alle werden mehr und mehr zu einer eingespielten Mannschaft. Manchmal vergessen sie untereinander die Verachtung und den Haß. Ty Jones muß insgeheim zugeben, daß diese Banditen wirklich schnell lernen und wahrlich keine verweichlichten Schwächlinge sind. Doch natürlich kann er sie deshalb nicht achten. Im Gegenteil, er verachtet und haßt sie immer noch so wie seit jener Minute, da er von ihnen erfuhr, was sie mit Berni Hammer machten. In einer dieser Nächte kommt Sue Sheridan zu ihm unter die Decke. Er nimmt sie in seine Arme, und er spürt das Zittern ihres Körpers, fühlt die Tränen auf ihren Wangen. Ja, sie weint in seinen Armen, sie braucht plötzlich in dieser dunklen Nacht eine Hoffnung, einen Halt, Wärme, Zärtlichkeit. Sie fühlte sich so verdammt einsam in dieser unerbittlichen Welt. Er küßt sie sanft und flüstert in ihr Ohr: »Hab keine Angst, Sue, mein Engel, ich bringe uns schon heil aus dieser Sache heraus. – Ich schaffe das. – Vertraue nur auf mich. – Es wird alles gut.« *
An einem kalten Nachmittag sind sie schließlich am Ziel, und dieses Ziel ist ein langes Tal, fast ein Canyon, in dem einige Felsgruppen stehen wie versteinerte Elefantenherden. Ty Jones hält an und zieht sein Pferd herum. »Nun«, sagt er, »das ist es! Dort drüben am Creek bei den Felsen stand mal unsere Hütte. Wir sind hier im Quellgebiet des Wind River südwestlich der Shoshone-Kette. – Auf der anderen Seite ist das Big-Horn-Becken, sind die Shoshone Caverns. Aber damit wißt ihr wohl nicht allzuviel anzufangen – oder?« Sie sitzen in den Sätteln wie auf heißen Ofenplatten. Und sie blicken sich fortwährend suchend um, als könnten sie Berni Hammers Goldader erblicken, wenn sie nur scharf genug alles betrachten. Aber sie erblicken nichts. Und so sagt Jesse Haggerty ungeduldig: »Das alles interessiert uns wenig. Wir wollen erst mal das Gold finden. – Zuerst das Gold! Und wenn wir es haben, dann werden wir weitersehen. – He, gib die Bratpfanne her!« Seine letzten Worte gelten Jago Mig, denn dieser führt heute das Packpferd an der Leine, in dessen Gepäck sich Berni Hammers kostbare Bratpfanne befindet. Und als Jago Mig diese Bratpfanne herausgeholt hat, sitzen sie alle ab und umringen ihn. Ty Jones und Sue Sheridan werden gar nicht mehr beachtet, auch nicht von Ginger Lane, die sich zwischen die Männer drängt. Sie reden durcheinander, versuchen, die Landmarken, welche Berni Hammer einst in den Bratpfannenboden ritzte, in Wirklichkeit zu erkennen. Ty Jones und Sue Sheridan halten noch nebeneinander im Sattel und sehen sich das eine Weile an. Dann fragt Ty Jones leise: »Vertraust du mir noch? – Möchtest du jetzt mit mir die Flucht ergreifen – oder vertraust
du mir, so daß wir noch eine Weile bleiben können?« Sie sieht sich um, so als suchte sie mit ihren Blicken schon die beste Fluchtrichtung. Doch dann sieht sie ihn wieder an und sagt schlicht: »Ich glaube, daß du es schon richtig machen wirst, was du auch tun solltest.« Sie richten ihre Blicke wieder auf die Banditen und die schöne Ginger Lane. Diese sind jetzt wahrscheinlich zu einer Erkenntnis gekommen, haben offenbar die richtigen Landmarken entdeckt, deren Umrisse Berni Hammer in den Bratpfannenboden einritzte. Nun ist die Bande dabei, die Verbindungslinien und deren Kreuzungspunkt zu finden. Sie diskutieren eine Weile, gestikulieren, reiten hin und her, sitzen ab und bilden manchmal ein erregtes Durcheinander. Auch Sue Sheridan und Ty Jones sind abgesessen, um die müden Pferde zu entlasten. Sie warten und beobachten. Aber als Sue Sheridan einen Blick auf Ty Jones wirft, da erkennt sie, daß er nach Norden wittert – ja, es ist ein merkwürdig anmutendes »Lauschen« oder »Wittern«. Auch sie versucht es auf gleiche Weise, doch sie spürt nichts – nicht mal mit ihrem Instinkt. Sie spürt nur, daß der Wind nun plötzlich ausgesetzt hat. Es wurde ganz plötzlich windstill, und es scheint ihr, als hielte die ganze Welt den Atem an. Aber sonst scheint nichts zu sein, was ungewöhnlich ist. Warum also lauscht und wittert Ty Jones so intensiv nach Norden? Sie fragt es sich. Dann aber wird ihre Aufmerksamkeit wieder von den Banditen beansprucht. Denn diese kamen offensichtlich nun zu einer Einigung. Sie gehen alle mit ihren Pferden zu der Felsengruppe hinüber, die wie eine versteinerte Elefantenherde anmutet. Zwischen den mächtigen Felsen stehen Bäume, zumeist Tannen, wächst
auch sonst noch allerlei Buschzeug. Die Laubbäume und das Buschwerk sind schon fast völlig kahl. Das bunte Laub raschelt am Boden. Sue Sheridan entdeckt nun auch die kleine Hütte. Sie ist fast völlig verborgen und nur aus einem bestimmten Blickwinkel zu entdecken. Es ist eine sehr kleine Hütte, wahrscheinlich schon alt und bereits etwas verfallen, weil in den vergangenen Jahren nicht mehr benutzt. Die Bande beginnt nun zwischen den Felsen und in der Umgebung der Hütte zu suchen. Ty Jones aber sagt zu Sue Sheridan: »Das kann nicht sein. – Unmöglich, einfach unmöglich, daß dort zwischen diesen Felsen eine Goldader liegt. – Nein, das wäre verrückt und völlig gegen alle geologische Wahrscheinlichkeit. – Dort kann es kein Gold geben. – Unmöglich!« Er hält die Zügelenden seines Pferdes in der Hand, und er wendet sich und blickt wieder wie witternd nach Norden. Sue Sheridan fragt: »Was ist dort im Norden? Möchtest du mit mir nach Norden flüchten?« Da sieht er sie an und schüttelt den Kopf. »Im Norden«, sagt er leise zu Sue, »ist die Hölle aufgebrochen – und sie kommt rasend schnell auf uns zu.« »Was?« Sie fragt es ahnungsvoll, ohne recht zu wissen, was es sein kann. Doch ihre Ahnung sagt ihr, daß es wirklich eine Gefahr sein muß, die da aus dem Norden naht. »Ein Blizzard«, spricht er ruhig, und es scheint eine Art indianischer Fatalismus in ihm zu sein, eine Einstellung, die alles, was kommt, als unabänderlich hinnimmt. Aber sie ist sicher, daß er dennoch stets bis zum letzten Atemzug gegen das scheinbar Unabänderliche ankämpfen wird. Sein Fatalismus wird also nicht aus Furcht geboren, sondern aus der absoluten Gewißheit, daß er in jeder Gefahr bestehen wird. »Ein Blizzard«, wiederholt sie seine beiden Worte, und dann
fällt ihr ein, was sie alles schon daheim in Kentucky von den Blizzards gehört hat. Er aber sagt nun noch zwei Worte: »Ein Blaueisblizzard.« »Ist das ein Unterschied?« Sie fragt es ahnungsvoll. Er nickt. »Es werden Hagelkörner kommen«, sagt er, »welche fast so groß wie Hühnereier sind. Es wird wie eisige Steine vom Himmel fallen. – Diese Bande da wird vielleicht Berni Hammers Gold finden. – Doch dann…« Er kommt nicht weiter. Denn zwischen den Felsen tönt nun ein wilder Schrei, ein triumphierender Jubelruf. Und dann brüllen sie es alle durcheinander: »Gold! Gold! Gold! Da ist es! Da liegt es! Wir haben es gefunden. Das Gold!« Ty Jones läßt die Zügelenden seines Pferdes fallen. Die Packtiere und alle anderen Pferde drängten längst von selbst schon zwischen die Felsen, so als wollten sie jetzt schon Schutz suchen. Ty Jones eilt zwischen die Felsen. Sue Sheridan folgt ihm. Und dann sehen sie es. Nein, es ist keine Goldader. Berni Hammer hatte gelogen. Er verriet zwar in seiner Not, wo das Gold lag – aber vielleicht hatten sie ihn immer wieder nur nach dem Gold und nicht nach einer Goldader gefragt, als sie ihn marterten und zerbrachen. Denn es sind Beutel, viele Lederbeutel. Und jeder enthält etwa zehn Kilo Gold. Dies wird auch Sue und Ty schnell klar, denn sie sehen, wie die Banditen alle Beutel anheben und öffnen. In diesen Beuteln befindet sich losgebrochenes Adergold, also kein Goldstaub, auch keine Nuggets, wie man sie in den Creeks oder sogenannten »Taschen« findet. Nein, es ist losgebrochenes Adergold, daran gibt es keinen Zweifel. Also stammt das Gold gar nicht von einer Goldader hier in der Nähe. Vielleicht wurde es sogar Hunderte von Meilen transportiert, bis es in Berni Hammers Hände fiel. Und Berni
Hammer kam dann nur mit einem Sack nach Laramie, ließ alles andere in diesem Versteck, so als wäre es eine wirkliche Goldader. Es ist ein gutes Versteck, nämlich eine Felsspalte wie eine Wolfshöhle, welche Berni Hammer mit Steinen verschloß. Die Banditen holen außer den Säcken noch einiges andere Zeug aus diesem Loch. Es sind Waffen, Gepäck, Satteltaschen, drei Packsättel und ein McClellan-Armeesattel. Ty Jones drängt sich vor und nimmt die beiden Satteltaschen. Er öffnet sie und wühlt darin herum. Schließlich holt er ein Buch hervor. Es ist ein ArmeePatrouillenbuch. Er öffnet es und schlägt die letzte beschriebene Seite auf. Und weil sie sich alle um ihn scharen, ihn im Halbkreis umgeben, liest er vor, was da geschrieben steht: ›Wyoming, den 18. Aug. 1866 Patrouille Lieutenant Henry B. Nowland Verfolgten die Renegaten-Bande heute den achten Tag. Stellten sie am späten Nachmittag. Kämpften bis zum Anbruch der Nacht. Große Verluste auf beiden Seiten. Corporal John Summer und die Reiter Bill Clarke, Ben Brown, Robert Skinner sind tot. Drei weitere Reiter verwundet. Lt. H. Nowland Wyoming, den 20. Aug. 1866 Patrouille Lieutenant Henry B. Nowland Die Renegaten-Bande hätte sich in der Nacht vom 18. zum 19. von uns absetzen können. Soeben kämpften wir sie nieder bis auf den letzten Mann. Sergeant Tom Shannon, Reiter Jos Harper und ich leben noch. Wir sind aber alle ziemlich schlimm verwundet. Machen den Versuch, das von der Bande geraubte Gold zurückzubringen. Lt. H. Nowland
Wyoming, den 24. Aug. 1866 Patrouille Lieutenant Henry B. Nowland Nur ich, der Unterzeichnende, lebe noch. Sergeant Shannon und Reiter Harper starben unterwegs. Ich stieß heute auf den Trapper Berni Hammer, aber auch er wird mir nicht mehr helfen können. – Blutvergiftung! Lt. Nowland‹ Ty Jones kann die letzte Eintragung in das Patrouillenbuch nur mühsam entziffern. Der Leutnant war offenbar schon ein Sterbender. Er hebt seinen Blick. »Damit ist wohl alles klar«, sagt er. »Banditen – wahrscheinlich Renegaten und Deserteure der Armee – überfielen einen Goldtransport am Bozeman-Weg. Eine Armee-Patrouille verfolgte sie. Und weil es sich um Deserteure der Armee handelte, war die Patrouille besonders motiviert und beharrlich. – Sie starben alle. Und Berni Hammer fühlte sich sozusagen als Erbe. – Das ist für mich die Lösung eines Rätsels. – Denn hier konnte es einfach kein Gold geben. Und weil Berni wußte, daß ich mir das denken konnte, verriet er mir auch nicht viel. – Das ist es also.« Sie stehen im Halbkreis vor ihm – und sie starren ihn an. Ginger Lane zieht sich plötzlich zurück, so als wollte sie mit den Dingen, die jetzt geschehen würden, nichts zu tun haben. Ja, ihr Zurückziehen ist ein deutliches Zeichen. Stapp Finch lacht plötzlich laut auf, und er schnappt seinen Colt heraus und zielt damit auf Ty Jones. »Oha«, sagt er, »was meinst du, Jones, wie egal uns ist, was in dem Patrouillenbuch steht – und ob hier eine richtige Goldader war oder eine schon in Säcke verpackte. – Oha, uns ist dies hier sogar noch lieber. Denn es erspart uns eine Menge Arbeit. – Wir haben einen Royal Flush bekommen und damit den ganzen großen Einsatz gewonnen. – Und weil das alles so
schön geklappt hat, sind wir jetzt fertig mit dir. Jetzt geb’ ich dir was mit Zinsen zurück, großer Lederstrumpf! Wohin möchtest du es haben? Mitten ins Herz? In den Kopf? Du verdammter Hurensohn hast mich verprügelt. – Und jetzt bist du an der Reihe.« Er verstummt höhnend, und er scheint vor wilder Freude zu vibrieren. Aber Jesse Haggerty sagt: »Hör auf, Stapp! Den brauchen wir noch!« »Ach was, den brauchen wir bestimmt nicht mehr. – Aus diesem verdammten Lande finden wir auch ohne ihn wieder heraus. – Ich sage euch, wir gehen mit dem Gold an die Westküste, lassen alles hinter uns. – Wir gehen nach Oregon! Dort kennt uns niemand, hat auch keiner was von uns gehört. – Dort gibt es auch gewiß von uns keine Steckbriefe. – Oregon ist für uns das gelobte Land. – Und wir kommen als reiche Männer dorthin. – Diesen Hurensohn von einem Lederstrumpf brauchen wir nicht mehr. – Also, ich geb’ ihm jetzt was. – Vielleicht sollte ich ihn nur in den Bauch schießen, diesen verdammten…« Er hält jäh inne. Und auch die anderen werden einen Moment völlig abgelenkt. Denn es ist plötzlich ein eisiger Hauch vorhanden. Er kommt nicht fauchend, nein, es ist wie das eisige Hauchen eines gewaltigen Winterriesen. Die Temperatur sinkt in Sekundenschnelle um viele, viele Grade. Wahrscheinlich würde in einem Thermometer die Quecksilbersäule jetzt wie ein Stein fallen. Ty Jones aber sagt trocken: »Jetzt werdet ihr mich noch nötiger brauchen als zuvor. Denn sonst friert ihr euch mehr ab als nur die Ohren. – Da kommt ein echter Blaueisblizzard, den Waniyetula, der Blizzardgott, der im Powder-River-Land lebt, welches die Indianer ›Keller der kalten Winde‹ nennen in ihrer
Sprache, dort auf die Reise nach Süden schickte – und der alles zu vernichten sucht, was lebt und atmet. Ihr werdet euch noch wundern!« »Ach was!« Stapp Finch ruft es wild – und dann schießt er. Aber Ty Jones kommt ihm um einen winzigen Sekundenbruchteil zuvor. Er bewegt sich so schnell wie ein angreifender Falke – und obwohl ihn die Kugel trifft, kann sie ihn nicht aufhalten. Seine Linke schlägt Finchs Revolverarm und die Waffe zur Seite. Seine Rechte umklammert Finchs linkes Handgelenk, hält den instinktiv zurückweichenden Mann fest – und sein Kopf rammt in das Gesicht des Banditen. Er muß Stapp Finch so erbarmungslos angreifen und außer Gefecht setzen. Nur das allein kann ihn retten – und rettet ihn auch. Er selbst ist durch den erbarmungslosen Kopfstoß für einige Sekunden halb bewußtlos, kann sich nur mühsam wie ein Betrunkener auf den Beinen halten. Alles dreht sich um ihn. Vor seinen Augen wird es einen Moment dunkel. Doch dann hat er alles überwunden. Er will sich nach Stapp Finchs Revolver bücken, doch Jesse Haggertys Stimme dringt endlich in sein Bewußtsein. Denn diese Stimme sagt hart: »Nimm ihn – und du bist so tot, daß du den Blizzard nicht mehr erlebst.« Ty Jones verharrt. Die Kugel traf ihn in die Seite, und der Schmerz wird nun bei jedem Atemzug schlimm. Er gibt sein Vorhaben auf, wendet sich halb, und da sieht er die ganze Bande. Sie alle zielen mit ihren Revolvern auf ihn. Inzwischen hatte der eisige Atemhauch, den der Blizzard vor sich herschiebt, einen Moment pausiert. Doch jetzt kommt ein neuer Eiseshauch, diesmal noch stärker. Im Norden wird ein seltsames Geräusch hörbar. Es klingt wie ein fernes Brausen; es ist ein merkwürdiges, undefinierbares Geräusch. Aber es
wirkt drohend, grollend, böse, elementar. Man spürt, daß da etwas auf einen zukommt. »Ihr solltet die Hütte instandsetzen«, sagt Ty Jones zu den Banditen. »Und ihr solltet auch für die Pferde einen Schutz herstellen. Dazu müßt ihr einige Tannen fällen und eine Menge großer und starker Zweige abschlagen. – Denn wenn eure Pferde nicht überleben, könnt ihr auch das Gold nicht fortschaffen. – Ihr seid in der Klemme.« Als er dies gesagt hat, wird ihm schlecht. Unter seiner Kleidung läuft ihm das Blut aus der Wunde. Er drückt seine Hand von außen gegen die Kleidung, hofft, daß sein Unterhemd und das darüber sich befindende Flanellhemd das Blut aufsaugen und dann auf der Wunde festkleben. Durch die Jacke kann er nicht viel fühlen, also öffnet er die Jacke und fühlt dann nach der blutenden Wunde. Die Kugel traf auf eine Rippe, knickte diese und glitt daran ab. Sie riß ihm eine blutige Furche. Es ist eine Wunde wie von einem Schwerthieb. Und er hatte Glück, daß die Kugel abglitt und nicht in seinen Leib fuhr. Dann wäre er zum Sterben verurteilt. Jetzt aber… Nun, er kann sich wohl auch jetzt nicht viele Hoffnungen machen. Die Banditen kümmern sich schon nicht mehr um ihn. Sie sind dabei, sich nach seinen Ratschlägen zu richten. Aber Jago Mig bückt sich nach Stapp Finchs Colt und schiebt ihn in den Hosenbund. Dabei sagt er grinsend: »Eine Waffe bekommst du nicht, Lederstrumpf. Da passen wir schon gut auf.« Aber dann eilt auch er davon. Ty Jones sitzt auf einem Stein und hält sich die schmerzende Seite. Er sieht Sue an, die noch bei ihm steht. »Der Kerl hat ein Messer im Stiefelschaft«, sagt er zu ihr.
»Verschaffe mir das Messer, Sue, bevor er wieder zur Besinnung kommt.« Sie nickt leicht. Dann sehen sie sich beide um. Aber die Banditen sind jetzt bei der alten und sehr verfallenen Hütte. Sie bückt sich schnell, hat etwas Deckung durch die Pferde und holt mit geschickten Fingern das Messer aus Stapp Finchs Stiefelschaft. Es ist Ty Jones’ Green-River-Messer, welches man ihm mit dem Colt abgenommen hatte. Er fängt es auf, als Sue es ihm zuwirft, und verbirgt es im Jackenärmel. Sie fragt: »Ty, wie groß sind unsere Chancen?« »Gar nicht mal so klein«, erwidert er. »Aber du solltest ihnen helfen, dich nützlich machen. Dann nehmen sie dich sicherlich in die Hütte mit hinein. – Diese ist innen sehr klein. Sie war nur für zwei Männer als Unterkunft berechnet. – Ihr aber wäret sieben Menschen zusammen. – Mich werden sie gewiß nicht mit in die Hütte nehmen. Aber du hast eine Chance, wenn du dich bei ihnen etwas beliebt machst. – Na los, geh schon! Hilf ihnen!« Sie zögert. Und da sagt er: »Ich kann, in solch einem Blizzard gewiß für mich selbst sorgen. Aber nicht auch noch für dich. – Das könnte ich nicht, angeschossen, wie ich bin. Wir würden wahrscheinlich beide umkommen. – Aber wenn du in die Hütte…« »Schon gut«, unterbricht sie ihn und verläßt ihn. Er sieht ihnen eine Weile zu. Sie arbeiten hart. Über das beschädigte Dach der Hütte – es bestand aus einigen Stangen und Büffelhäuten – spannen sie noch zwei Segeltuchplanen. Dann häufen sie große Tannenzweige darüber und machen diese mit Lassoleinen fest. Sie schlagen einige Tannen um. Beil und Säge hatten sie dabei, denn Ty Jones war gut ausgerüstet.
Sie schaffen einen Schutz für die Pferde zwischen drei Felsen. Und immer wieder in Abständen von wenigen Minuten kommt dieser eisige Hauch aus dem Norden. Dann aber nähert sich das erste Brausen. Es wird noch kälter, und Ty Jones erhebt sich von dem Stein. Leicht gebückt und schief stolpert er zu seinem Pferd, sucht in den Satteltaschen. Er findet die Handschuhe, den Wollschal. Er bindet seine Sattelrolle vom Hinterzwiesel los und läßt sie zu Boden fallen. Dann öffnet er die Sattelgurte, so daß der Sattel zu Boden fällt, als das Tier herumwirbelt, weil nun der erste Eishagel niederprasselt. Aber es ist ein noch zahmer Hagel. Die Hagelkörner sind nicht größer als kleine Glasmurmeln, und sie sind nicht weiß, sondern glasklar, also kein hartgefrorener Schnee, sondern pures Eis. Sie prasseln unbarmherzig nieder, und das ferne Orgeln läßt ahnen, daß dies alles erst noch ein erstes Vorspiel ist. Ty Jones bindet auch seinen Fellmantel los. Als er ihn sich anzieht, schmerzt die Wunde wieder höllisch. Sie lähmt ihm die ganze Seite. Er bekommt kaum Luft, und er kann nicht durchatmen, weil die Schmerzen dann noch schlimmer werden und er ohnmächtig zu werden droht. Das gewaltige Orgeln in der Ferne kommt näher und näher. Es ist, als hätte sich die Hölle geöffnet, um tausend gewaltige Ungeheuer herauszulassen, welche nun brüllend und tobend herangestürmt kommen, um alles auf der Erdoberfläche zu vernichten. Wenn Ty Jones zwischen den Felsen hindurch nach Norden blickt, sieht er eine blaugrüne Wand. Sie ist dunkel und hell zugleich. Und diese glasige Wand kommt immer näher. Am Himmel aber zucken Blitze. Der orgelnde Ton wird ohrenbetäubend. Die Pferde ziehen sich ganz von selbst in den Schutz zurück,
den ihnen die Banditen zwischen den Felsen schufen. Dann kommen die Kerle an Ty Jones vorbei. Sie führen Stapp Finch, der immer noch nicht wieder völlig beisammen ist mit seinen Sinnen. Er wäre erfroren, hätten sie ihn noch einige Minuten liegengelassen. Haggerty tritt dicht an Ty Jones heran. »Die Hütte ist zu klein für uns alle«, brüllt er ihm ins Ohr. »Wir haben selbst kaum Platz für uns und unser Gepäck. – Ihr zwei müßt draußen bleiben. – Viel Glück, Lederstrumpf. – Vielleicht wärmt dich die Honeybee! – Es ist alles Schicksal!« Ty Jones schüttelt den Kopf. Er hält Haggerty am Ärmel fest. »Nehmt sie mit in die Hütte. – Sie braucht nicht viel Platz. – Es kommt auf eine solch schlanke Person mehr oder weniger nicht an. – Nehmt sie mit hinein.« »Nein«, brüllt Haggerty in das Orgeln des nahenden Blizzards und reißt sich los. »Die verdammten Böcke würden sich um dieses Honeygirl in der engen Hütte zu prügeln beginnen, wenn sie mit ihr zu eng in Tuchfühlung sind. – Ich will keinen Streit unter uns in der Hütte. – Ginger respektieren sie. Und sie gehört zu mir. – Aber um Sue würden sie sich…« Er gibt es auf, weiter gegen das heulende Orgeln des Blizzards anbrüllen zu wollen. Ty Jones mußte ihm ohnehin fast jedes Wort mehr von den Lippen ablesen. Haggerty stapft davon. Ty Jones sieht sich nach Sue Sheridan um. Sie lehnt an einem der Felsen. Ty Jones winkt ihr zu, denn er möchte sich die fünf oder sechs Schritte bis zu ihr ersparen. Er wird seine Kräfte noch nötig für andere Dinge brauchen. Sie sieht durch den leichten Hagel zu ihm her, erkennt auch sein Winken und kommt zu ihm. Er sieht ihr an, daß sie zu stolz war, um diese Kerle anzubetteln. Und auch von ihm will sie keine Hilfe, weil er ihr vorhin sagte, daß er sich hier draußen nur allein helfen könnte.
Er brüllt ihr ins Ohr: »Jetzt müssen wir kämpfen, Kleine! Hole deine Sattelrolle, deinen Mantel – na los, hol das Zeug! Wir müssen zu den Pferden! Beeile dich!« Sie zögert. Doch er gibt ihr einen ziemlich groben Stoß, so als würde er keinen Widerspruch dulden. Da gehorcht sie. * Er holt die beiden Packpferde aus dem fast höhlenartigen Schutzraum heraus, den man zwischen den Felsen mit gefällten Bäumen und vielen Tannenzweigen schuf. Er nimmt die beiden Packpferde, weil diese am größten sind. Der orgelnde Blizzard hält noch einmal für wenige Minuten inne, so als müßte er zum letzten Male Luft holen. Die Sicht wird noch mal etwas besser. In der Hütte sind die Banditen mit Ginger Lane verschwunden. Ja, sie werden es sehr eng dort haben, sich nicht bewegen können. Sue Sheridan stößt einen Schrei aus, als sie nun sieht, daß Ty Jones beide Pferde hintereinander tötet. Sie liebt Pferde sehr, und was sie da sieht, erscheint ihr fast so böse und gemein wie Menschenmord. Als Ty Jones dann bei einem der Tiere kniet mit dem starken, langen und scharfen Green-River-Messer, da hockt sie sich bei ihm nieder. »Warum tust du das?« Sie muß schon wieder sehr laut rufen. »Wir müssen die Pferde ausräumen«, ruft er zurück. »Du mußt dann in den leeren Bauch kriechen, solange das Tier noch warm ist. – Nur dann wirst du den Blizzard überleben – nur dann! – Hilf mir! Verdammt, hilf mir endlich! Ja, du wirst voller Blut sein, aber du wirst überleben! Hilf mir und kämpfe endlich, verdammt noch mal!« Und da hilft sie ihm.
Denn sie hat nun klar ihre Überlebenschance erkannt. Sie müssen die getöteten Pferde ausräumen und in sie hineinkriechen, solange die Tiere noch warm sind. Sie müssen mit ihren Decken und all dem anderen Zeug alle Öffnungen zustopfen, so daß keine Kälte eindringen kann. Und dann müssen sie wahrscheinlich viele Tage und Nächte in den Leibern der Tiere ausharren. Es gibt sonst keine Chance für sie. Ein Feuer könnten sie nicht viele Tage und Nächte in Gang halten. Sturm, Schnee und Hagel würden es immer wieder zerstören. Auch wären sie kaum in der Lage, immer wieder Brennmaterial heranzuschaffen. Sue Sheridan bewundert Ty Jones jetzt in einem ganz besonders hohen Maße. Er ist angeschossen – und sicherlich könnte sie ihn fortwährend schmerzvoll stöhnen und schnaufen hören, würde der Blizzard nicht so orgeln und fauchen –, aber er gibt nicht auf. Er arbeitet hart. Dieses Überlebenwollen in höchster Not ist wohl in allen Lebewesen dieses Landes eine mächtig starke Kraft. Sue Sheridan nimmt sich vor, diesem Ty Jones in nichts nachzustehen. Ja, sie kämpfen ums nackte Überleben. Und als sie eines der toten Pferde ausgeräumt haben, wickelt Ty Jones Sue Sheridan in eine Decke und schiebt sie hinein in den warmen Leib. Sie verspürt anfangs Widerwillen, Ekel – und sie hat das Gefühl, bald selbst so tot zu sein wie das tote Tier, in dem sie nun liegt und dessen Wärme noch vorhanden ist. Sie möchte einem Gefühl der Panik nachgeben und sich wieder herausrollen. Aber Ty Jones schob indes schon Schnee und Hagelkörner wie einen Wall vor die Öffnung des Tieres. Für Sue wird alles dunkel, schwarz. Und ihre Lebenskraft wird wieder stärker als das Gefühl von Angst und Panik.
Sie entspannt sich innerlich irgendwie. Das orgelnde Brausen des tobenden Blizzards ist im Pferdebauch und unter der Decke nur noch dumpf und fern zu hören. Sie denkt an Ty Jones, der nun das zweite Tier ohne ihre Hilfe ausräumen muß. Aber sie weiß, daß er es schaffen wird. Ihre Zuversicht ist absolut. Dieser Ty Jones, den die Indianer Wyoming-Falke nennen, wird überleben. Ihre Gedanken werden langsamer, leichter, schwereloser. Es ist warm im Pfedebauch und in der blutigen Decke. Da sie ihre eigene Körperwärme behält, wärmt sie die enge Höhle selbst von innen. Sie wird überleben, wenn sie nicht verhungert. Aber sie weiß, daß sie auch rohes Pferdefleisch essen wird – und müßte sie es wie ein Tier mit ihren Zähnen vom Kadaver abreißen. Aber was tut ein Mensch nicht alles, um zu überleben? Sie erinnert sich an Geschichten von Schiffbrüchigen, die das Fleisch ihrer Toten aßen, um am Leben zu bleiben. Und es soll auch unter den Auswanderertrecks, die von der Ostküste nach Oregon zogen und manchmal zwei lange Jahre unterwegs waren, ebenfalls Fälle von Kannibalismus gegeben haben, als die Leute in den Bergen monatelang eingeschneit waren und viele von ihnen verhungerten. Sie aber wird nur Pferdefleisch essen müssen. Bei diesem Gedanken schläft sie ein, denn ihre Erschöpfung könnte nicht größer sein. In dieser Minute etwa schiebt sich auch Ty Jones in den warmen Pferdeleib und rollt sich zusammen, damit seine langen Beine nicht draußen bleiben müssen in der schneidenden Kälte des Blaueisblizzards. Er ist am Ende seiner Kraft, hat alles gegeben, was zu geben war an Überlebenswillen. Er liegt auf seiner gesunden Seite,
also auf der linken – und seine angeschossene Seite ist ein einziger böser, dumpfer Schmerz. Dieser gemeine Schmerz läßt allmählich nach, etwa im gleichen Maße, wie sein Atem sich beruhigt. Bald atmet er nur noch ganz flach, und er fällt in einen Schlaf der völligen Erschöpfung, der fast eine Ohnmacht ist. Draußen fällt das Eis nun wie ein Steinregen vom Himmel. Die Hagelkörner sind manchmal fast so groß wie Hühnereier, und sie zerschlagen alles, was keine Deckung findet. Bald bedeckt der Eishagel zwei Fuß hoch den Erdboden – und erst dann geht das Blaueis in harten Schneefall über. Die Hagelkörner werden kleiner und weiß. Nun sind sie nicht mehr so durchsichtig. Der Schnee kommt von Norden her fast waagerecht, vom fauchenden Sturm gepeitscht. Überall bilden sich nun die Verwehungen – und sie bedecken bald auch die beiden toten Pferde mit den Menschen darin. Auch Ty Jones schläft also ein. Wenn er Glück hat, wird seine Wunde sich nicht entzünden. Dann wird er in einigen Tagen noch leben. Aber sollte sich die Wunde – die er ja nicht behandeln konnte – böse entzünden, dann wird die Blutvergiftung ihn im Pferdebauch umbringen. * In der Hütte ist es eng. Ginger Lane und Jesse Haggerty liegen auf einer der beiden Schlafpritschen unter einer Decke, und die schöne Abenteurerin schmiegt sich in die Arme des Banditen, wird eins mit ihm, fühlt sich geborgen. Bevor sie einschläft, flüstert sie in sein Ohr: »Wenn der Blizzard vorbei ist, beginnt ein neues Leben. – Jesse, wir wurden reich! Das erbärmliche Leben ist vorbei. Wir brauchen
keine krummen Sachen mehr zu machen, nicht mehr betrügen, stehlen, belügen – und morden. – Alles wird anders für uns. – Oh, welch ein Glück! Und wie lange sind wir schon hinter solch einem Glück her! – Wie rauh und böse waren unsere Wege! – Aber jetzt wird alles anders. Das neue Leben wird hell und schön sein. Aber du mußt dich von diesen Hurensöhnen trennen, die deine Partner sind, Jesse. Dieses Kroppzeug wird sich niemals ändern. Sobald wir sie nicht mehr brauchen, Jesse, mußt du…« »Sicher«, flüstert er zurück. »Glaubst du denn, du Hexe, daß ich dies nicht selbst auch schon erkannt habe?« Er bewegt seinen Kopf zur Seite. Auf der zweiten Schlafpritsche liegt Stapp Finch, dessen Gesicht Ty Jones mit einem einzigen Kopfstoß zerstörte. Man kann Stapp Finchs Stöhnen nicht hören, denn der Blizzard orgelt zu laut. Jesse Haggerty denkt: Dieser Narr! – Verdammt, dieser Narr! Der Blizzard wird alle Wege für längere Zeit unpassierbar machen. Wir hätten diesen verdammten Lederstrumpf Ty Jones, den sie hier in diesem Lande Wyoming-Falke nennen, gut gebrauchen können. – Mit seiner Hilfe und seinen Erfahrungen würden wir gewiß sehr viel leichter aus diesem Lande herauskommen. Aaaah, jetzt wird er gewiß umkommen dort draußen in der Hölle, angeschossen, wie er ist. – Er war ein Bursche, der es vielleicht mit uns allen aufnehmen konnte, ja, mit uns allen. Und dann diese Sue Sheridan. Die wäre mir auch recht, wenn es Ginger nicht gäbe. Nun stirbt sie mit diesem Ty Jones. Er blickt sich weiter um im Halbdunkel der Hütte. Harry Lafonte, Jago Mig und Keith Stone liegen auf dem Boden zwischen dem Eingang und den rechtwinklig stehenden Schlafpritschen. Man würde auf die drei liegenden Männer treten müssen, wollte man zum Ausgang. Diese »Tür« ist nichts anderes als ein Büffelfell in einem Rahmen aus Ästen,
welcher in einem Ledergehänge hängt. Einen Ofen gibt es zwar in der Ecke, doch sie konnten ihn nicht mehr in Gang setzen. Der Rauchabzug wurde unbrauchbar. Sie haben auch kein Holz hereinschaffen können, hätten auch gar keinen Platz dafür. Es ist kalt in der Hütte – und dennoch sehr viel wärmer als draußen. Denn die Hütte schneit jetzt ein. Die Ausdünstungen und die Körperwärme der Menschen heizen den kleinen Raum jetzt auf wie Tiere einen Stall. Die Luft wird schlecht. Jesse Haggerty denkt: Aaaaah, diese Stinker! Wir alle werden bald schlimm stinken, auch Ginger. – Aber eines Tages werden wir – sie und ich – in einer Luxusbadewanne baden. Wir werden all den Gestank schon loswerden. – Und Ginger wird dann anders riechen, so köstlich, daß ich verrückt nach ihr sein werde. – Oha, man muß nur ein wenig Geduld haben und durchhalten. Wenn nur unsere Pferde nicht umkommen! * Der Blizzard hält sieben Tage und sieben Nächte an. Sue Sheridan hätte niemals geglaubt, daß sie eine solch lange Zeit fast völlig unbeweglich in einem Pferdeleib aushalten könnte. Nur manchmal dreht sie sich ein wenig, nimmt eine andere Lage an. Doch viele Möglichkeiten hat sie nicht. Sie denkt manchmal an Ty Jones. Dieser große Mann hat es gewiß wegen seiner Größe sehr viel unbequemer, und er ist überdies auch noch verwundet. Ein Schrecken durchfährt sie stets, wenn sie an seine Wunde denkt. Sie weiß zu gut, wie leicht sich solche Wunden entzünden können und solch eine Blutvergiftung einen Mann dann sterben läßt. Was würde sie ohne Ty Jones für eine Überlebenschance
haben? Einige Male peinigt sie der Hunger. Und auch Durst macht ihr zu schaffen. Doch gegen den Durst kann sie leicht etwas tun. Sie schiebt eine Hand ins Freie und holt Schnee oder Eisstückchen herein, läßt sie im Munde zergehen. Doch immer dann, wenn sie ihren Durst stillt, wird der Hunger wütender. Und immer dann, wenn sie es nicht mehr aushalten kann, sucht sie im Innern des Pferdeleibes nach irgendwelchen Fleischzipfeln, die sie abreißen oder losbrechen kann. Nein, sie empfindet keinen Ekel – nicht in ihrer Situation. Sie will überleben, und sie würde wahrscheinlich vor rasendem Hunger auch Regenwürmer oder Mäuse essen. In diesem Pferdebauch vergaß sie eine Menge und wurde zu einem armseligen und elenden Stück Lebewesen, welches nicht umkommen möchte. Wer würde sich anders fühlen und anders denken als sie? Denn irgendwann verliert jeder Mensch seinen allerletzten Stolz, und es macht ihm nichts aus, fast wie ein Tier zu leben. – Nur allein das Überleben zählt zuletzt. Irgendein letzter Funke in Ty Jones wird zu einem Flämmchen — und dann zu einer Flamme. Sein Lebenswille wird wieder stärker – und irgendwie begreift er, daß draußen – also außerhalb des toten Pferdes – nichts mehr tobt und orgelt. Wenn er nicht taub geworden ist in diesem barbarischen Gefängnis, dann muß der Blizzard fort sein. Es dauert dann noch eine Weile, bis er seinem Körper den Befehl gibt, sich zu bewegen – und es dauert noch länger, bis seine Glieder, all die Muskeln und Sehnen diesem Befehl endlich gehorchen. Und irgendwann und irgendwie rollt er sich aus dem hartgewordenen Pferdekadaver, rudert den Schnee zur Seite und schließt schnell seine Augen, weil das Sonnenlicht schmerzvoll in sie eindringt.
Die frische Luft macht ihn fast wieder ohnmächtig. Es ist so klare und frische Luft – und es ist dann ein Gestank vorhanden, den er ganz plötzlich riecht. Er begreift, daß er es ist, der so stinkt. Heiliger Rauch, denkt er, hat sich jemals jemand so besudelt wie ich? Werde ich das jemals vergessen können? Er öffnet seine Augen zu schmalen Schlitzen, und diesmal kann er sich umsehen, obwohl ihn auch jetzt noch das Sonnenlicht schmerzhaft peinigt, so als bestände es aus feinen Nadeln, die in seine Augen stechen. Er wird sich bewußt, daß er wie ein großes, schmutziges, stinkendes Tier im weißen, reinen Schnee hockt. Und dieser Schnee hat alles zugedeckt. Er erinnert sich an die Hütte, blickt in diese Richtung. Doch auch dort hat der Schnee alles zugedeckt. Es regt sich nichts. Die Kerle mit der Frau dort drinnen haben noch nicht begriffen, daß der Blizzard nicht mehr orgelt und faucht, daß alles anders wurde. Ty Jones erhebt sich. Zuerst kann er kaum stehen, und wahrscheinlich fällt er nur deshalb nicht um, weil ihm der Schnee bis zum Bauch reicht und somit ein wenig stützt. Die Welt dreht sich um ihn. Es wird ihm schwarz vor Augen. Und die frische Luft scheint ihn immer wieder neu betäuben zu wollen. Ja, er kämpft einen richtigen Kampf. Aber sein Instinkt treibt ihn jetzt an. Er denkt an Sue Sheridan – und dann an die Bande in der kleinen Hütte – an die Pferde in dem geschützten Pferch und schließlich an das Gold. Eine Weile lang bilden diese Gedanken einen Wirbel, und ihm wird ganz schwindelig davon. Erst nach einer Weile vermag er wieder einigermaßen folgerichtig zu denken. Ihm fällt ein, daß er vor langer, langer Zeit verwundet wurde. Und er fühlt nach der Wunde, streift dazu die blutverkrustete
und an seiner Kleidung noch klebende Decke ab, öffnet seinen Fellmantel und die Jacke. Ja, die Wunde schmerzt nicht mehr. Sie muß verharscht oder gar verheilt sein. Er bewegt sich wieder, wird sicherer und macht sich an die Arbeit. * Sue erwacht aus ihrem Dämmerzustand, in den sie immer wieder und tiefer fiel, als er sie an den Füßen ins Freie zerrt. Und auch ihr geht es dann wie zuvor schon Ty Jones. Das helle Sonnenlicht und die frische Luft sind eine Pein für sie, welche kaum zu ertragen ist und sie wieder ohnmächtig zu machen droht. Aber er hilft ihr gegen diese Not. Er hält sie aufrecht, reibt ihr Gesicht mit Schnee ein, klatscht ihr etwas die Wangen, redet zu ihr. Und bald schon versteht sie seine Worte. Sie hört ihn sagen: »Fange an zu kämpfen, mein Engel! – Los, kämpfe! Wir müssen fort, bevor diese Schlafmützen ins Freie kommen. – Vielleicht haben sie Sauerstoffmangel in der eingeschneiten Hütte und haben sich selbst betäubt. – Los, Sue, wache richtig auf. – Ich habe zwei Pferde für uns schon bereit. – Komm, wir wollen ein heißes Bad nehmen. Komm schon, Kleine – ein heißes Bad! Wäre das nichts für dich?« Sie versteht vor allen Dingen »ein heißes Bad«, und dieses Versprechen macht sofort eine Menge Kräfte in ihr mobil. Und so folgt sie ihm, wühlt sich hinter ihm durch den Schnee. Sie erreichen die drei Felsen, deren Zwischenräume mit Tannenbäumen ausgefüllt wurden. Einige Tannenbäume liegen schräg über den Felsen und bilden mit ihren Spitzen ein ziemlich dichtes Dach, auf dem nun Schneelasten ruhen. Die Pferde kamen schon von selbst aus diesem Loch, und sie
wurden mager, zottig, sind schon gesattelt. Das hat Ty Jones schon vollbracht, nachdem er die Sättel im Schutze der überhängenden Felsen fand. Er hilft Sue auf ein Tier, klettert auf das andere. Und dann verlassen sie langsam den Platz. Die Pferde sind bis zur Brust im Schnee. Sie können sich nur langsam vorschieben. Manchmal – im Schutze von Felsen und Waldstücken – ist der Schnee nicht ganz so tief. Doch er reicht ihnen auch dort noch bis über die Knie. – Und in den tiefen Senken des Geländes drohen Pferde und Reiter im Schnee zu versinken. Es ist ein mühsames Vorwärtskommen. Sue fragt einmal heiser und erschrickt über ihre mißtönige Stimme: »He, Ty, was soll das? – Die Pferde halten das keine halbe Meile durch. – Und für diese halbe Meile brauchen wir drei Stunden. – Was soll das?« Er deutet hinüber zur Felswand des Canyons. »Dort drüben ist es bald besser. Und vielleicht kannst du es bald hören. – Auch die Tiere werden bald etwas zu wittern beginnen. Das wird ihre letzten Kräfte mobilisieren. – Vertraue mir nur, Sue, und kämpfe weiter. – Los, weiter!« Sie versteht seine Worte, und vor allen Dingen versteht sie das dreimalige »bald« gut genug, welches er in jedem seiner drei ersten Sätze spricht. Bald! Zum Teufel, was kann denn hier schon bald geschehen, denkt sie bitter und sehr skeptisch. Sie erreichen nach zweihundert Yards die Felswand des talartigen Canyons. Hier liegt der Schnee nur halb so hoch, denn die Felswand hielt den wirbelnden Schnee etwas ab. Sie kommen nun auf den stolpernden Tieren etwas besser und müheloser vorwärts. Dann erreichen sie endlich das Maul einer Schlucht. Und aus dieser Schlucht kommt ein dampfender Creek. Ja, es
ist heißes Wasser. Daran gibt es keinen Zweifel. Der kleine Creek versickert im Schnee, aber er schmilzt ihn deutlich sichtbar und wird sich durch den Schnee des Tales fressen. In der Schlucht ist überhaupt kein Schnee. Es dampft darin wie in einer Waschküche. Und als sie im Eingang der Schlucht anhalten, da hört Sue das zischende Prusten. Jetzt weiß sie endgültig Bescheid. Dort in der Schlucht ist eine heiße Quelle. Ty Jones sagt zu ihr: »Im Blizzard hätten wir es nicht mehr geschafft, hierherzugelangen. Aber gleich kannst du ein heißes Bad nehmen. – Komm, mein Engel!« Er blickt sich noch einmal um. Ihre Fährte ist im Schnee deutlich zu erkennen. Doch es folgt ihr niemand. Wer sollte ihr auch folgen? Die Banditen werden erst mal eine sehr lange Zeit mit sich selbst zu tun haben, und sie wissen ja auch nicht, daß die Fährte sie zu einer heißen Quelle führen würde. Nein, niemand wird vorerst der Fährte folgen. Denn sie werden zuerst nachsehen, ob das Gold noch vorhanden ist. Dies aber rührte Ty Jones nicht an, als er die Pferde reitfertig machte für Sue und sich. Sie reiten in die Schlucht. Diese Schlucht endet vor einer mächtigen Felsspalte. Und aus der Spalte kommt das fauchende Prusten und zischt immer wieder ein dampfender Wasserstrahl. Vor dieser heißen Quelle ist ein großes natürliches Becken im felsigen Boden. Man kann darin schwimmen, so groß ist es und so voll von heißem Wasser. Ty Jones rutscht vom Pferd und geht zum Rand. Er steigt ins Wasser, wie er ist, also mit all seiner besudelten und beschmierten Kleidung. Sue folgt seinem Beispiel. Das
Wasser ist warm. Sie schätzt es hier am Rande auf mehr als dreißig Grad. Sicherlich wird es immer wärmer und bald darauf heiß, wenn man sich der heißen Quelle nähert, also deren Strahl. Ty Jones beginnt sich seiner Sachen zu entledigen. Und den Dreck, der bald an der Oberfläche schwimmt, schwappt er mit Armbewegungen und viel Wasser über den Rand der natürlichen Felsenwanne. Mehrmals taucht er unter und kommt prustend an die Oberfläche, so als wollte er der heißen Quelle Konkurrenz machen. Sue macht ihm alles nach. Die Pferde stehen ein Stück weiter entfernt und trinken. Sie gehen dann ebenfalls in das Wasser, bis es ihnen an die Hälse reicht, wiehern zufrieden. Sue lacht plötzlich. Auch Ty lacht. Sie sehen sich an. »Jetzt ist das Leben schon wieder verdammt viel besser«, sagt sie zu ihm. * Um diese Zeit etwa kriechen die Banditen aus der Hütte – und sie brauchen eine lange Zeit, bis sie sich wieder einigermaßen beweglich fühlen. Als sie sich ansehen – lauernd, witternd, prüfend –, nun, da spüren sie alle, daß sie sich hassen. Die langen Tage und Nächte in der engen Hütte ohne jede Bewegungsmöglichkeit, ihr Gestank und das Eingesperrtsein – dies alles hat in jedem von ihnen den Haß auf die anderen erweckt. Harry Lafonte sagt plötzlich zu Jesse Haggerty: »Na, so richtig Spaß hat wohl von euch beiden keiner mehr gehabt, nicht wahr? – Ich wette, die schöne Ginger stinkt jetzt nicht anders als wir, hahaha!«
Jesse Haggerty sieht ihn drohend an. »Paß auf«, sagt er zu ihm. »Es könnte sein, daß du den Blizzard überlebt hast, um nun wegen deines bösen Mauls zu sterben. – Paß nur auf, du Stinker.« Sie knurren plötzlich alle wie Wolfsmenschen. Aber dann ruft Ginger Lane: »Denkt an das Gold! – Und wenn wir nicht alle zusammenhalten, kommen wir mit dem Gold nicht mehr aus den Bergen heraus! – Also, machen wir ein großes Feuer! Tauen wir den verdammten Schnee! Sehen wir nach den Pferden! Ihr habt verdammt viel zu tun! Wozu also streiten?« Sie sehen ein, daß sie sich alle noch zu sehr gegenseitig brauchen. Und so übernimmt Jesse Haggerty wieder das Kommando. Sie kommen in Gang. Zuerst machen sie ein Feuer. Dies ist schwer genug für sie, obwohl es im nahen Tannenwäldchen genügend trockenes Unterholz gibt und bei den eng zusammenstehenden Bäumen die unteren Zweige abstarben, also braun und trocken wurden. Aber als das Feuer dann mächtig brennt, haben sie es leichter. Der Schnee beginnt in der Umgebung zu schmelzen. Aber sie alle sehnen sich nach einem heißen Bad. Sie wissen, daß sie sich nur mit heißem Wasser einigermaßen säubern und auch ihr Zeug waschen können. Jago Mig erinnert sich endlich an einen großen, flachen Felsen, in dessen Mitte eine wannenähnliche Vertiefung war. Und er findet diesen Felsen nach einigem Suchen, räumt den Schnee zur Seite, bis die Umrisse der Wanne sichtbar werden. Ganz stolz ruft er dann: »Hier ist eine Wanne! Wenn wir heiße Steine hineinwerfen und damit den Schnee schmelzen, ist das die beste Badewanne der Welt. – Und wir werden Ginger zuerst darin baden lassen, ja, sie zuerst! – Vielleicht dürfen wir sogar zusehen? – Hey, Ginger, wie wäre das? Hätten wir uns nicht deinen herrlichen Anblick verdient?«
Aber sie schüttelt den Kopf. »Lieber nicht, Jungens«, spricht sie nachsichtig. »Es wäre sicherlich nicht gut für euch. – Konzentriert eure Wünsche lieber auf das Gold und daß wir damit aus diesen Bergen herauskommen.« Sie lachen durcheinander. Dann ruft Harry Lafonte: »Wir werden ein Festessen zubereiten! Wo ist der Proviantsack? – Und wir müssen wohl auch nach den Pferden sehen, nicht wahr?« Sie bewegen sich wieder, und ihre Bewegungen werden immer sicherer. Obwohl sie in ihrem kleinen Gefängnis keinen Hunger litten – denn sie aßen dann und wann kalten Proviant, kauten fetten Speck und Rauchfleisch –, verspüren sie in der frischen Luft und noch beschleunigt durch ihre Bewegungen einen zunehmenden Hunger. Ja, sie geraten immer intensiver in Gang. Und noch denken sie nicht an Ty Jones und Sue Sheridan, die sie draußen im Blizzard ließen. Denn dies alles scheint nicht nur sieben Tage und Nächte, sondern sieben Jahre zurück in tiefster Vergangenheit vergessen worden zu sein. Als Ginger Lane dann in das heiße Wasser der natürlichen Badewanne steigt, hat Jesse Haggerty einige Decken als Sichtschutz an in den Schnee gesteckten Ästen befestigt. Und die Aufmerksamkeit der Männer wird dann auch jäh auf andere Dinge gerichtet. Denn Stapp Finch, der hinüber zu den drei Felsen stapfte, bei denen sie ihren Pferden einen geschützten Pferch schufen, beginnt nun zu brüllen. »Kommt her! – O zur Hölle, kommt doch mal her!« Er flucht dann schreckliche Flüche, indes sie sich ihm nähern, was nicht sehr schnell geht, weil sie ja durch den tiefen Schnee müssen. Sie alle verspüren Furcht. Denn wenn die Pferde umgekommen sein sollten…
Sie wagen gar nicht weiterzudenken. Und als sie dann bei Stapp Finch sind und zu sehen bekommen, was ihn zu seinem Gebrüll veranlaßte, da begreifen sie es nicht sogleich. Aber er fand schon alles heraus und erklärt es ihnen. Er sagt: »Dieser verdammte weiße Indianer! Dieser Lederstrumpf! – Aaaaah, seht euch das hier an! – Begreift ihr, was geschah, ja? – Nein? – Aaaah, eure Hirne sind wohl noch nicht richtig in Gang! – Der hatte ein Messer! Und er tötete diese beiden Pferde, räumte sie aus wie ein Schlächter! – Versteht ihr? Begreift ihr es endlich? – Dieser verdammte Wyoming-Falke und das Mädchen haben den Blizzard in den Pferdebäuchen überstanden. – Sie wurden früher wach als wir. – Und dort sehen wir ihre Fährten. – Zwei Pferde sind tot. – Auf zwei anderen Pferden sind sie fort. Und die anderen Tiere sind noch dort in dem Pferch. – Versteht ihr? Sie haben überlebt! Dieser Hurensohn und das Mädel haben überlebt. Uns aber fehlen vier Packtiere für das Gold.« Stapp Finch heult diese Worte voller Wut und Haß heraus. Sein Gesicht ist bärtig. Der Bartwuchs verdeckt eine Menge. Doch seine Lippen und die Nase sind schlecht verheilt. Seine vier Partner begreifen nun endlich ebenfalls alles. Doch sie denken dann zuerst an das Gold. Und so setzen sie sich in Bewegung wie auf ein stillschweigendes Kommando. Sie arbeiten sich durch den tiefen Schnee dorthin, wo sie die Säcke mit dem Gold aus der Höhlung der Felsen holten. Knurrend und keuchend wühlen sie sich durch den Schnee, erreichen den Felsen, entfernen die Steine und finden alle Goldsäcke noch in der Höhle. Schnaufend halten sie inne. Nach einer Weile sagt Jesse Haggerty: »Der wird mit dem Mädchen am Halse auch eine Menge Not haben. – Es ist mir völlig gleich, wo er jetzt steckt. – Versteht ihr, es ist mir gleichgültig, solange er uns nicht in die Quere kommt. Wir
haben das Gold. Und es sind noch Pferde genug vorhanden. – Wir müssen für sie Futter heranschaffen. Futter, versteht ihr? – Sonst verlieren wir sie. Also, räumt in den Waldstücken den Schnee zur Seite. Kratzt das Laub zusammen. Reißt Grashalme aus. – Ohne Pferde kommen wir mit dem Gold nicht aus den Bergen. Oha, was haben wir eine höllische Menge zu tun! Baden können wir nacheinander zwischendurch. Und irgendwann wird wohl auch dieser verdammte Schnee zusammensacken. – Habt ihr nicht auch das Gefühl, daß es wärmer wurde, sehr viel wärmer schon als vor einer Stunde?« Sie nicken. Nur Stapp Finch schüttelt seinen Kopf und starrt auf der tiefen Fährte entlang in die Fluchtrichtung des Paares. »Ich muß ihn haben«, knurrt er. »Oh, ich muß ihn erst zur Hölle schicken. – Sonst finde ich keine Ruhe mehr. – Er erscheint mir in den Träumen, grinst mich höhnisch an, lacht mich aus. – Und ich denke immerzu an ihn. Er hat mich zweimal schon kleingemacht. – Ich muß ihn haben. – Könnt ihr das nicht verstehen?« Sie sehen ihn an. Und weil sie alle zu seiner Sorte gehören, können sie ihn gut verstehen. Denn ihr Haß kann auch sie so sehr beherrschen, daß ihnen sonst nichts anderes mehr wichtig ist auf dieser Erde. Und so nicken sie ihm zu. Haggerty sagt: »Also, dann geh doch und hole ihn dir. – Seine Fährte ist breit und tief genug. – Der kann auch gar nicht weit sein. Das hielten die Pferde nicht aus. Obwohl er sich die besten und kräftigsten ausgesucht haben wird, konnte er damit nicht weit reiten. – Der Schnee ist zu tief. – Der steckt vielleicht nur da drüben in einer Falte der Canyonwand. – Wenn es dich also juckt, Stapp, dann geh doch! Aber geh zu Fuß! Wir riskieren kein Pferd mehr. – In der Fährte der beiden Pferde wirst du auch zu Fuß ganz gut vorankommen. – Geh, wenn es dich juckt. – Und wenn er dich zum dritten Male
kleinmachen kann, wird dies wohl für immer sein. Wir danken dir dann für deinen Anteil am Gold.« Die letzten Worte spricht er grinsend. Sie sind ein makabrer Scherz. Doch wenn er damit Stapp Finch von dessen Vorhaben abhalten wollte, so hat er sich getäuscht. Denn Stapp Finch sagt knurrend: »Ja, ich gehe und hole mir seinen Skalp!« * Auch Ty Jones hat in der Geiser-Schlucht ein mächtiges Feuer in Gang. Seine Zündhölzer befanden sich in einer wasserdichten Dose. Holz gibt es in der Schlucht genug. Es wird immer wieder von den Stürmen über die Ränder geweht. Oben auf dem Bergplateau wachsen Bäume und Büsche. Der Blizzard wehte eine abgestorbene Tanne herunter, um die Ty Jones eine Menge Gestrüpp und kleines Astwerk häufte. Nun brennt ein gewaltiges Feuer – aber das benötigen sie auch, um ihre Sachen zu trocknen. Daß sie beide zuerst völlig nackt sind, stört sie wenig. Es ist für sie die natürlichste Sache der Welt. Sie sind echte Gefährten, Partner, sie sind ein Paar, welchem nichts mehr fremd ist. Was allein für sie zählt, ist die Sauberkeit. Dieses heiße und stundenlange Bad war zugleich auch irgendwie eine Reinigung des besudelten Stolzes. Natürlich haben sie auch Hunger. Und es zeigt sich – nachdem sie das Feuer in Gang gebracht hatten –, daß auch an diese Not von Ty Jones gedacht wurde. Denn er nahm ein großes Stück Pferdefleisch mit. Nun brät er es über der roten Glut am Rande des großen Feuers, dessen Wärme von der Felswand der Schlucht zurückgeworfen wird und die sonst so feuchte Waschküchenluft der Geiser-Schlucht trocken macht.
Ty Jones schneidet nun ein Stück Fleisch ab, probiert es. Dann reicht er es Sue und nickt ihr zu. »Jetzt kann man es essen. – Stopf dir nur den Bauch voll. Denn etwas anderes haben wir vorerst nicht. – Iß langsam, ganz langsam, kaue gründlich. Aber hör nicht so schnell auf. – Wir brauchen eine Menge Säfte und Kräfte.« Sie nimmt das Fleisch, kostet vorsichtig. Dann ißt sie mit sichtlichem Hunger. Er betrachtet ihre nackte Schönheit, bevor auch er sich ein Stück vom Braten abschneidet. Als er sich Sue zuwendet, fragt diese kauend: »Eigentlich haben wir es besser als Adam und Eva, nicht wahr? Oder haben die auch schon ein warmes Feuer gehabt? Konnten diese sich Fleisch braten? – Sicherlich nicht. – Die waren noch Vegetarier, nicht wahr?« Er nickt grinsend. »Wirst du mir gelegentlich auch einen Apfel reichen und mich zum Sünder machen?« Sie schüttelt den Kopf. »Was wir tun, ist keine Sünde«, sagt sie ernst. »Denn ich liebe dich, Ty Jones. Du bist ein Mann wie kein zweiter sonst auf dieser Erde. – Wenn ich dir gehöre ganz und gar, dann ist das keine Sünde. – Denn warum sonst schenkte uns der Schöpfer die Fähigkeit zu lieben?« Ty Jones sieht sie von unten bis oben an, Zoll für Zoll – und dabei ißt er das Fleisch. Mit der freien Hand deutet er auf sie. »Sue, du bist die schönste Frau dieser Erde«, sagt er. »Du bist der kostbarste Besitz auf dieser Erde und in diesem Leben für mich. – Ich liebe dich mehr als mein Leben. – Und das Schicksal muß was Besonderes mit uns vorhaben, daß es uns auf solche Weise zusammenführte und gemeinsam diesen Weg gehen läßt.« Er wendet sich dann ab und nimmt ihr dünnes und leichtes
Unterhemd von der warmen Felswand. »Es ist trocken«, sagt er. »Du wirst nicht mehr lange nackt oder halbnackt sein müssen. – Aber ich werde deinen Anblick in Erinnerung behalten bis zum nächsten Male. – Und du weißt, wo das sein wird?« Sie nickt. »In einem schönen Hotelzimmer«, sagt sie. »In einem schönen Zimmer mit einem Himmelbett.« Er nickt langsam. Dann sieht er zu, wie sie das dünne Hemd überzieht. Einen Moment sieht es so aus, als wollte er nach ihr greifen – doch dann wendet er sich ab, um sich seine Unterhose zu holen. Sie sagt hinter ihm: »Danke, Ty.« Er hält inne und blickt fragend über die Schulter. »Weil du dich soeben entschieden hast, lieber auf das Himmelbett zu warten«, sagt sie schlicht. Er grinst. Dann holt er sich seine fast trockene Unterhose von der warmen Felswand und zieht sie an. »So langsam muß ich mal nachsehen«, sagt er, »ob wir Besuch bekommen. – Sieh, auch unsere Pferde fressen heruntergewehtes Laub und Buschzeug. – Aber ich muß nun wirklich mal nachsehen gehen.« Er fährt in seine noch ziemlich nassen Stiefel, schneidet Sue ein Stück Fleisch ab, tut dies auch für sich und entfernt sich. Sein Oberkörper ist noch nackt wie der eines Indianers im Sommer. Aber hier in der Geiser-Schlucht ist es nicht kalt. Das ablaufende Warmwasser dampft, und nur dort, wo das große Feuer brennt, ist die Luft trocken. * Stapp Finch knurrt zufrieden, als er in der tiefen Spur der beiden Pferde den Eingang der Schlucht erreicht und den
dampfenden Creek sieht. Er denkt: Vielleicht baden sie noch. Dort drinnen gibt es also eine heiße Quelle. Und wenn ich diesen Hurensohn umgebracht habe, werde ich auch ein Bad nehmen, ein besseres sogar als diese Stinker da im Camp bei der Hütte. Er dringt sofort in die Schlucht ein. Diese ist etwa einen halben Steinwurf breit, wird an einigen Stellen enger und verläuft ein wenig im Zickzack. Es gibt in ihr auch einige große Felsen, die einst von oben niederfielen. Ein paar Bäume und Büsche wachsen. Doch allmählich wird die Schlucht enger. Stapp Finch blickt in diese Spalte. Doch er bekommt weder seinen Todfeind noch dessen Begleiterin zu sehen. Erst als er die letzte Biegung hinter sich hat, das Feuer sieht, da erblickt er auch Sue Sheridan. Doch wo ist Ty Jones? Stapp Finch hat seinen Colt schußbereit in der Hand. Doch er weiß, daß ihm dies nichts mehr nützt. Irgendein Instinkt hat diesen Wyoming-Falken seinen Platz dort beim Feuer aufgeben lassen. Stapp Finch braucht sich gar nicht umzudrehen, um zu wissen, daß dieser Wyoming-Falke sich nun hinter ihm befindet, weil er ihn irgendwo in der Schlucht an sich vorbeiließ. Aber nach diesem ersten Schrecken faßt Stapp Finch wieder Mut. Denn Ty Jones kann unmöglich eine Waffe besitzen außer dem Messer. Und was ist schon ein Messer gegen einen Colt? Er will sich umwenden. Doch da sagt Ty Jones’ Stimme hinter ihm: »Wenn du dich mit dem schußbereiten Colt in der Hand umdrehen solltest, bist du ein toter Mann. – Also laß deine Waffe fallen, wenn du leben möchtest!« Aber Stapp Finch knurrt nur. Dabei wirbelt er herum. Er vertraut nicht nur auf sein Glück,
nein, er ist sicher, daß er schnell genug wird schießen können. Ty Jones wirft das schwere Green-River-Messer von unten nach vorn. Es ist eine unheimlich schnelle Bewegung. Stapp Finch kommt zu spät. Und er schießt nur zwischen sich und Ty Jones in den Boden. Die Kugel prallt von einem Stein ab und jault davon. Stapp Finch möchte noch ein zweites Mal schießen. Doch er kann die schwere Waffe nicht mehr halten. Er läßt sie fallen und fällt auf die Knie. Es ist eine schreckliche Gewißheit in ihm, daß er sterben muß. Ty Jones nähert sich ihm. »Du verdammter Narr«, sagt Jones. »Sollte ich mich von dir umbringen lassen? Oh, du Narr, warum ließest du dich von deinem Haß in die Hölle führen?« »Ich – ich – konnte – nicht anders«, stöhnt Stapp Finch und legt sich langsam auf die Seite. Dann verliert er das Bewußtsein. Wahrscheinlich wird er nicht mehr aufwachen. Ty Jones kann ihm nicht mehr helfen. Dies könnte wahrscheinlich nur noch ein guter Chirurg. Ty Jones holt sich den Colt und den Waffengürtel, in dessen zwei Taschen sich alles befindet, um den Perkussions-Revolver laden zu können. In Flints Jackentasche findet er noch eine schon gefüllte Trommel, deren Auswechseln natürlich schneller geht als ein Laden der sechs Kammern. Es ist ein grimmiger, bitterer und zugleich wilder Triumph in Ty Jones. Er hat wieder eine Waffe. Sue Sheridan kommt vom Feuer herbeigelaufen. Sie ist nun mit Hosen und Bluse bekleidet, trägt auch ihre Stiefel. Er blickt ihr ruhig entgegen. »Ich hatte keine Wahl«, sagt er ruhig. »Und ich will dir noch eines sagen, Sue.« »Ja?« Sie fragt es ein wenig herbe.
»Ich will auch die anderen haben«, spricht er. »Ich will diese Mörder haben, Mann für Mann. – Aber nicht wegen des Goldes. – Ich würde nicht mal das Gold behalten wollen, wenn sich feststellen ließe, woher es stammt. – Und weil sogar eine Armee-Patrouille hinter den Banditen her war, wird sich bestimmt feststellen lassen, wem das Gold wirklich gehört. – Ich werde da ehrlicher sein als mein alter Partner Berni Hammer.« Sie erwidert fest seinen Blick und nickt. »Ich bin deine Gefährtin«, sagt sie ruhig. * Sie hören im Camp ganz leise den Schuß in der Schlucht – aber sie machen sich noch keine Sorgen um ihren Kumpan und Partner Stapp Finch. Im Gegenteil, sie sind sicher, daß Finch seinen Todfeind gefunden und getötet hat. Warum sonst sollte er geschossen haben? Jago Mig sagt auch bald nach kurzem Lauschen: »Das war ein Schuß. – Er hat den Lederstrumpf erledigt. – Er hat ihn erwischt. – Und bald wird er mit dem gelbhaarigen Honey zurückkommen und auch die Pferde mitbringen. – Aaaah, die waren also gar nicht weit weg von uns. – Keine halbe Meile in Luftlinie.« Sie vergessen das alles wieder für eine Weile. Denn sie sind immer noch damit beschäftigt, das Feuer zu unterhalten, Steine zu erhitzen, Schnee damit in der Felsenwanne zu tauen, heißes Wasser zu bekommen, zu baden, die Pferde zu versorgen, Fleisch und Pfannkuchen zu braten, Kaffee zu kochen und all dieser Dinge mehr. Keith Stone sagt einmal prustend aus ihrer Steinwanne: »Hoooo, wenn der Blizzard noch länger gedauert hätte, wären wir in diesem eingeschneiten Kasten verfault, richtig verfault. –
Man müßte die Hütte abbrennen, so sehr stinkt es darin. Ein Ziegen- oder Schweinestall ist gar nichts dagegen.« »Vergiß es«, sagt Ginger Lane scharf. »Vergeßt es alle! Denken wir nicht mehr daran!« Sie alle blicken auf die schöne Frau, die es überall verstand, einen ganzen Saloon voller Männer in Bann zu schlagen und tausend sündhafte Wünsche in ihnen zu erwecken. Und sie staunen, wie sehr Ginger Lane sich schon wieder zurückverwandelt hat in eine reizvolle Frau. Man sieht ihr nicht mehr an, wie verdreckt sie war. In ihrem Gepäck hatte sie noch frisches Zeug. »Ja, vergessen wir es«, sagt auch Jesse Haggerty. Dann wendet er seinen Kopf und blickt in die Richtung, aus der Stapp Finch kommen müßte. »Was mag ihn noch aufhalten?« So fragt er. Harry Lafonte kichert. »Na, was denn? – Der macht dieser Sue Sheridan jetzt sicherlich klar, daß er ab sofort ihr Beschützer ist. – Der vernascht sie wahrscheinlich. – Oder was glaubt ihr denn?« Ja, sie sind eine miese Bande, und ihre Gedankengänge werden immer wieder obszön, also unanständig. Jago Mig lacht neidvoll. »Aber wenn er sie bringt, sind auch wir an der Reihe«, sagt er. »Vielleicht sollten wir mal nachsehen gehen«, murmelt Jago Mig. Aber Jesse Haggerty schüttelt sofort den Kopf. »Nein«, sagt er, »wir lassen uns von diesem Lederstrumpf nicht in eine Falle locken. Wenn er Stapp erwischt hat, dann wartet er nur darauf, daß wir nach Stapp sehen. Und er hat dann auch Stapps Revolver. – Nein, wir bleiben hier schön beim Gold und den Pferden. – Und wenn der Schnee in einigen Tagen soweit zusammengefallen ist, daß man wieder reiten kann, dann verschwinden wir. – Keiner von uns geht auf Skalpjagd wie Stapp. Sein Haß machte ihn zum Narren.«
* An diesem Tage und dann in der kommenden Nacht klettert die Temperatur noch einmal zu Wärmegraden empor. Ein warmer Wind kommt von Westen her, bringt sogar warmen Regen. Und der Schnee des Blizzards sackt jede Stunde um einige Zoll zusammen. Überall rinnt und fließt das Wasser. Das Tauwetter, welches der Föhn brachte, verändert alles mit jeder Stunde. Am Abend des nächsten Tages aber schlägt das Wetter abermals um. Denn in der Nacht gibt es wieder Frost. Es ist eine helle Mond- und Sternennacht. Sogar die Townwölfe begreifen sofort, was dies zu bedeuten hat. Jesse Haggerty sagt es laut und zufrieden: »Jetzt können wir weiter. Dieser verdammte Schnee wird hart wie felsiger Boden. – Wir können aus diesen verdammten Bergen raus. – Versteht ihr? Wir sind hier nicht länger mehr festgenagelt. Wir können weiter. – Und weil das so ist, wird es Zeit, daß wir darüber abstimmen, wohin wir gehen. – Denkt daran, daß wir keinen Scout mehr haben, der uns aus diesem verdammten Mistland führen kann. – Alles, was wir wissen, ist, daß im Norden das Goldland von Montana liegt. – Und dort soll es große CampStädte geben wie zum Beispiel Bozeman, Livingston, Callatin, Three Forks, Last Chance City. Der Bozeman-Weg von Laramie her, den wir ja verließen, muß sich zu unserer Rechten – also im Osten von uns – befinden. Und er verläuft nach Norden zu einige Grad nach Westen. Wenn wir von hier aus nach Norden reiten, müßten wir im spitzen Winkel auf diesen Bozeman-Weg stoßen. – Dann könnten wir ihm folgen.« Sie starren ihn staunend an. Dann fragt Jago Mig: »Aber wir haben doch massenhaft
Gold. Warum sollten wir damit ins Goldland? Und überhaupt… dieses Gold wurde offenbar auf dem BozemanWeg aus dem Goldland nach Süden transportiert. Banditen überfielen den Transport, bekamen das Gold und wurden dann von einer Armee-Patrouille verfolgt. Banditen und Soldaten kämpften um das Gold und löschten sich gegenseitig aus, so daß dieser Berni Hammer der lachende Dritte wurde. – Was ist, wenn die wirklichen Besitzer des Goldes – oder die Transportgesellschaft, also die Postlinie – immer noch nach dem Verbleib des Goldes forscht? – Wir würden ja mit unseren Goldsäcken denen in die Hände reiten – oder?« Sie alle starren auf Jesse Haggerty. Doch dieser schüttelt den Kopf. »Das müssen wir riskieren«, sagt er. »Wir können nicht nach Süden – also nach Laramie – zurück. Nicht auf diesem Wege – wir müssen zur Westküste. Und es soll vom Goldland aus über die Bitter Roots einen Weg zum Columbia River geben. Auf dem Columbia River verkehren Dampfboote zu den Seehäfen. – Das ist unser Weg. Irgendwie schaffen wir das. – Und wenn wir in solch einem Seehafen unser Gold gegen Dollars umtauschen, erregen wir keinen Verdacht, denn wir kommen ja aus dem Goldland und gelten als erfolgreiche Goldsucher. Nun, jetzt stimmen wir ab. Wer ist für meinen Vorschlag?« Sie sind alle dafür. Denn sie alle wollen zu einem neuen Anfang und möchten alle Brücken hinter sich abbrechen. Der Weg über die Bitter Roots zur Westküste weiter oben im Norden scheint ihnen auch wie ein Überschreiten einer Grenze zu sein, bei der alles, was bisher in ihrem Leben war an schwarzen Dingen, zurückbleiben wird. Denn sie machen sich keine Vorstellung, wie schwer im Winter ein Weg über die Bitter Roots wäre, sollten sie deren östliche Basis überhaupt erreichen.
* Am nächsten Vormittag ist es immer noch kalt, doch die Sonne scheint und macht den Frühwintertag hell und freundlich. Es ist eine trockene und gesunde Kälte in der Luft. Ty Jones kommt zu Sue Sheridan zurück. Er sagt: »Sie sind aufgebrochen, Sue. Ja, sie sind unterwegs und dachten nicht daran, nach Stapp Finchs Verbleiben zu forschen. Sie wollten nicht in meine Falle tappen. – Nun reiten sie nach Norden. – Wir folgen ihnen.« Sie sieht ihn ruhig an und nickt. Und sie weiß, daß dieser Ritt nicht leicht werden wird. Denn sie sind denkbar schlecht ausgerüstet. Es fehlt ihnen an den notwendigsten Dingen. Als er nach dem Blizzard die beiden Pferde sattelte, fand er zwar Sättel, doch keine Satteldecken. Die hatte die Bande mit in die Hütte genommen. Sie reiten also auf Pferden, welche unter den Sätteln nicht mal Satteldecken haben. Es fehlt ihnen an allem. Sie besitzen nur die Pferde und das, was sie auf dem Leibe tragen. Schon eine stinkende und verlauste Decke wäre für sie jetzt ein kostbarer Besitz. Und dennoch will Ty Jones dieser Bande folgen. Sue Sheridan liest in seinen Augen – und begreift es auch ganz von selbst mit ihrem Verstand – was ihr bevorsteht. Doch sie nickt. »Sicher«, sagt sie, »wir folgen ihnen.« Wenig später halten sie beim verlassenen Camp. Die abziehenden Banditen zerstörten die Hütte. Nichts mehr ist brauchbar. Was die Bande nicht mitnehmen konnte, zerstörte sie total. Nur die beiden toten Pferde konnten sie nicht verschwinden lassen. Und in der Kälte blieb das Fleisch gewiß genießbar. Ty Jones und Sue folgen der deutlichen Fährte. Am Nachmittag reiten sie aus einem Canyon auf eine Ebene
hinaus. Die Fährte führt schnurgerade über diese Ebene auf die Hügel im Norden zu. Und etwa eine Meile vor diesem Hügelzug kann man in der klaren und trockenen Luft die Banditen erkennen – fünf Reiter mit zwei Packpferden. Wenn Stapp Finch noch bei ihnen gewesen wäre, hätten sie nur ein einziges Packpferd gehabt und ihre Reittiere belasten müssen. Ty Jones lächelt kalt. Als er anreiten will, sagt Sue schnell: »Aber sie werden uns von den Hügeln aus leicht auf der schneebedeckten Ebene sehen und erkennen können.« »Sicher«, nickt er. »Und sie werden nervös werden. – Ich will, daß sie nervös werden und ein wenig schwitzen. Dann machen sie gewiß auch Fehler. – Komm, Sue, komm nur. – Bevor wir drüben sind, ist es Nacht. Wir ändern dann die Richtung.«
Harry Lafonte ist es, der noch einen letzten Blick zurückwirft über die Ebene, die sie hinter sich brachten. Und da heult er wütend einen Fluch, zügelt sein Pferd und wendet es. Die anderen folgen seinem Beispiel. Die Abendsonne färbt den Schnee auf der Ebene mit ihrem roten Licht rosaviolett. Aber die Sicht ist immer noch gut, so daß man die beiden Reiter auf der Ebene gut erkennen kann. Die Bande schweigt und starrt. Dann sagt Keith Stone: »Das ist bestimmt nicht unser Stapp Finch mit dem Honey. Nein, das ist dieser verdammte weiße Indianer, den sie hier in diesem Lande Wyoming-Falke nennen. – Oh, verdammt, warum sind wir nur auf die Idee gekommen, daß wir ihn gebrauchen und dann wieder loswerden könnten
wie einen Hund. – He, der sitzt uns wie ein Wolf auf der Fährte. – Was machen wir? Schließlich haben wir ja auch ein paar Gewehre und die Schrotflinte des ehemaligen Postkutschen-Begleiters. Wollen wir hier auf ihn warten?« Aber Jesse Haggerty grinst verächtlich und tippt sich gegen die Stirn. »Viel hast du wirklich nicht da drinnen bei dir«, sagt er zu Keith Stone. »Bevor dieser Lederstrumpf hier bei uns angekommen wäre, ist es Nacht. Er ändert nach Anbruch der Dunkelheit bestimmt seine Richtung. – Und indes wir hier auf ihn lauern, hat er uns schon umritten und legt dann einen Hinterhalt. – Ich möchte ihn wirklich nicht vor mir wissen. – Also, wir reiten weiter. – Und weil unsere dürren Pferde bald nicht mehr können, müssen wir auch mal zwischendurch eine Meile laufen. Na los!« Er reitet an. Und sie folgen ihm. Denn sie sehen ein, daß er wieder einmal die ganze Sache besser übersieht als sie. Er war schon immer ihr Anführer in solchen Situationen. Bald sinkt die Sonne im Westen. Es wird Nacht. Doch auch diese Nacht wird wieder klar und hell sein, dazu kalt. Die Banditen sitzen ab und führen ihre Pferde. Und sie wissen eines: Wenn sie nicht bald Futter für die Tiere finden, werden diese bald nicht mehr zu reiten sein. Es war ein harter Tag für sie alle, und selbst nach diesen harten Tagen können sie immer noch nicht ausruhen. Sie fühlen sich gejagt, gehetzt. Und es ist nur ein einziger Mann, dessen Begleiterin eher für ihn eine Last sein muß, bestimmt keine Hilfe. Irgendwann in der Nacht – als sie nach einer Meile Fußmarsch mal wieder aufsitzen –, flucht Harry Lafonte böse und ruft: »Zur Hölle, was ist denn los mit uns? Was ist denn aus uns geworden? – Wir sind vier Mann, und bis jetzt konnten
wir uns überall mit unseren Colts behaupten! – Zur Hölle, ich bin es bald leid, immerzu vor einem einzigen Mann fortzulaufen! – Warum legen wir ihm keinen Hinterhalt? Wir brauchen doch nur von den Pferden zu springen und in Deckung zu gehen. Ginger kann mit unseren Pferden weiterreiten. – Wenn der Hurensohn dann auf unserer Fährte kommt – und er muß immer noch hinter uns sein, weil wir die ganze Nacht in Bewegung blieben –, machen wir ihn alle. – Na, was meint ihr?« Sie sitzen mürrisch und erschöpft in den Sätteln. »Dann bleib doch zurück«, sagt Jesse Haggerty schließlich. »Wir nehmen dein Pferd mit, und du kannst uns dann ja auf seinem Pferd folgen. – Wenn du es schaffen solltest, überlassen wir dir Stapp Finchs Anteil am Gold. – Na?« Aber Harry Lafonte flucht nur und reitet zuerst weiter. Ginger Lane folgt ihm. Aber sie ruft plötzlich schrill in die sterbende Nacht, die im Osten schon dem ersten Grau des Tages weicht: »Ich sehe mir das noch eine Weile an, ihr verdammten Feiglinge. – Dann werde ich mich in den Hinterhalt legen und ihn abknallen.« In ihrer Stimme ist ein höhnender Klang. Die Männer fluchen vierstimmig. Ja, sie sind dabei, ihre Nerven zu verlieren. Erst nach einer Weile ruft Jesse Haggerty laut genug, damit sie es alle hören können: »Wenn es Tag ist – und wenn wir ihn dann in der Ferne auf unserer Fährte kommen sehen sollten –, nun, dann werden wir auslosen unter uns. – Und wen das Los trifft, der wird zurückbleiben und es ihm besorgen.« Sie knurren und fluchen zustimmend. Ja, sie sind einverstanden mit seinem Vorschlag. Denn die Chancen stehen drei zu eins für jeden von ihnen. Sie waren ja nicht nur Townwölfe, sondern auch Spieler. Und eine Chance drei zu eins, dies ist für jeden Spieler eine gute Chance.
Sie sind vier Revolvermänner, die oft schon mit geringeren Chancen gekämpft und gewonnen haben. Und wen das Los treffen wird – nun, der wird es hinnehmen wie eine schlechte Karte in einem Spiel. Ja, das wird so sein, nicht anders. Sie reiten mit einer bösen, haßvollen Zuversicht weiter. Stapp Finch hat gewiß einen Fehler gemacht. Aber sie werden diesen Fehler nicht wiederholen, nein, nicht bei diesem gefährlichen Verfolger. Als es hell wird, erreichen sie eine Bergmauer, die sich wie eine mächtige Barriere von West nach Ost erstreckt, durchbrochen von Schluchten. Im Schutze dieser Bergmauer gibt es an ihrer Basis etwas Grün. Denn der Blizzard hat hier den Schnee und das Eis im Windschatten nicht anhäufen können. Die Sonne hat das wenige an Schnee weggefressen. Die Pferde drängen von selbst hinüber und beginnen gierig zu fressen. Die Banditen machen ein Feuer an. Ja, sie bereiten sich eine warme Mahlzeit, kochen Kaffee. Es vergehen drei Stunden. Die Pferde haben sich sattgefressen. Sie ruhen nun dicht an der Bergwand in der Vormittagssonne. Auch die Bande ruht aus. Aber immer wieder blicken sie über die Ebene nach Süden. Und dann sehen sie es. Jesse Haggerty hebt plötzlich die Hand und deutet nach Süden. »Dort kommt er! Und jetzt machen wir den großen Trick. Wir stopfen einen Mantel aus und setzen ihn als Reiter auf ein Pferd. – Auf diese weite Entfernung kann man nicht erkennen, ob eine ausgestopfte Puppe oder ein lebendiger Mann im Sattel sitzt. Wir ziehen jetzt unsere Karten. – Die niedrigste Karte verliert. – Es ist dann ganz einfach. Wer von uns auch
zurückbleiben muß, er wird es leicht haben. Denn er kann durch diese Rinne dort ungesehen neben unserer Fährte nach Süden gelangen. – Dort bei den drei Felsen kann er sich verbergen. Die Fährte ist dann nur einen knappen Steinwurf weit von ihm entfernt. – Also, hier ist ein Kartenspiel.« Er bringt die Karten zum Vorschein, mischt sie langsam, ganz langsam, so daß man sicher sein kann, nicht von einem Kartentrick hereingelegt zu werden. Dann breitet er die Karten auf der Decke aus. Und er sagt: »Halt! Wir wollen ganz sicher sein! Keiner zieht eine Karte, wie er es möchte. – Jeder von uns bekommt von einem anderen die Karte genannt. – He, Jago, welche Karte darf ich nehmen?« »Die fünfte von links«, sagt Jago Mig sofort. »Und welche ich?« »Die sechste!« grinst Jesse Haggerty. Sie tun es beide. Haggerty dreht eine Neun um, Jago Mig sogar eine Zehn. Nun nehmen auch Harry Lafonte und Keith Stone gegenseitig ihre Karten. Sie wählen die dritte und die siebente von rechts. Keith Stone dreht diese siebente Karte um. Es ist eine Zwei, Harry Lafonte hat verloren. Und er schluckt hart. Aber einen Atemzug später nickt er. »Sicher«, sagt er, »ich bringe ihn um und komme auf seinem Pferd mit dem Honeygirl nach. Und ich bekomme Stapp Finchs Goldanteil.« »Wenn du es schaffst«, nickt Jesse Haggerty. Es ist alles gesagt. Sie haben sich zum Handeln entschlossen. Und sogar Harry Lafonte, der zurückbleiben und alles wagen muß gegen diesen gefährlichen Trapper und Bergläufer – ja sogar Harry Lafonte ist guten Muts und glaubt an sein Glück. Er macht sich mit einem Gewehr auf den Weg. Als er sich einmal umblickt, weil er verschnaufen muß und
also Zeit hat, da sind seine Kumpane mit der schönen Ginger Lane schon verschwunden. Er hebt vorsichtig den Kopf aus der Deckung und blickt über die Ebene. Ty Jones und Sue Sheridan sind noch etwa vier Meilen weit entfernt. Harry Lafonte kriecht weiter, und als er die Felsen erreicht, sucht er sich eine gute Stellung. Es wachsen hier auch einige Tannen, Büsche und Laubbäume, die allerdings jetzt kahl sind. Harry Lafonte überprüft sein Gewehr, sucht sich dafür eine gute Auflage, denn er will liegend aufgelegt schießen – und macht es sich dann bequem. Die beiden Reiter im Süden kamen inzwischen bis auf zwei Meilen näher. Aber sie kommen langsam im Schritt, lassen die Tiere nur manchmal leicht traben. Es wird noch ein Weilchen dauern, denkt Harry Lafonte und beginnt über sein bisheriges Leben nachzudenken. Bisher kämpfte er stets nur mit Burschen seines Schlages, mit Männern, die angeworben waren von irgendwelchen Interessengruppen oder Bossen. Es ging immer nur um Machtkämpfe in den Towns und Hafenstädten. Jetzt aber will er einen zweibeinigen Tiger erlegen – oder einen zweibeinigen Berglöwen. Er wird es nicht wagen, ihm offen gegenüberzutreten – nein, er wird ihn ohne jedes Risiko aus sicherer Deckung zu töten versuchen. Eigentlich müßte das doch ziemlich leicht sein. In ihm ist Zuversicht. Nur ganz tief in seinem Kern ist ein Gefühl, welches er nicht so recht zu deuten weiß. * Als Harry Lafonte den Jäger schon in Reichweite seines
Gewehres hat, zögert er noch. Denn er möchte keinen Fehlschuß tun. Seiner Meinung nach kann er ohne Risiko so lange warten, bis sich Ty Jones nur noch einen einzigen Steinwurf weit von ihm entfernt an ihm vorbeibewegen will auf seinem Pferd. Das Tier rutscht immer wieder auf dem matschig gewordenen Schnee. Denn der Untergrund besteht noch aus hartgefrorenem Eis. Reiter und Tier machen deshalb immer wieder plötzliche und ungewollte Bewegungen. Um Sue Sheridan kümmert sich Harry Lafonte überhaupt nicht. Ihr wird er erst sein Interesse schenken, wenn er den Mann erledigt hat. Und er zögert immer noch, hat jedoch den Finger am Abzug und visiert den Mann über Kimme und Korn an. Immer näher kommen Ty Jones und Sue Sheridan. Harry Lafonte kann schon erkennen, wie scharfäugig Ty Jones alles in der Umgebung betrachtet, fortwährend prüft und kontrolliert. Ihm würde nicht mal das Huschen einer Maus entgehen, so glaubt Harry Lafonte plötzlich mit einiger Sorge. Er hält nun seinen Atem an, nimmt Druckpunkt und will abdrücken – da geschieht das für ihn völlig Unerwartete. Ty Jones gleitet blitzschnell aus dem Sattel – und zwar nach der abgewandten Seite des Pferdes –, bringt das Tier also als Deckung zwischen sich und den lauernden Schützen. Harry Lafonte drückt nicht ab – nein, er ist zu verblüfft. Denn was er jetzt erlebt, sieht – dies erscheint ihm wie eine Demonstration einer hellseherischen Fähigkeit. Verdammt, denkt er, der kann mich doch nicht gesehen haben. – Unmöglich, daß er mich sieht. – Und dennoch… Aaah, hat der Bursche Ahnungen, hellseherische Fähigkeiten? Spürt er irgendwelche feindlichen Ströme, die von mir ausgehen? Er verharrt, wartet, glaubt noch dran, daß Ty Jones bald
wieder aufsitzen wird, weil sein plötzliches Absitzen nur ein Trick war, eine Vorsichtsmaßnahme aufgrund einer Ahnung. Aber er hört Ty Jones rufen: »Aus dem Sattel mit dir, Sue! Herunter vom Pferd!« Und Sue Sheridan, die etwa zehn Yards hinter Ty Jones ritt, wirft sich auch wirklich aus dem Sattel in den matschigen Schnee. Harry Lafonte flucht. Und er schießt nun endlich. Seine Kugel trifft das Pferd. Es ist tot, bevor es am Boden liegt. Er mußte schießen, denn es geht um sein Leben. Harry Lafonte lädt blitzschnell durch – aber seine zweite Kugel findet kein Ziel mehr. Dieser Wyoming-Falke ist verschwunden. Bevor das Pferd am Boden liegt und die Sicht freigibt, ist Ty Jones in irgendeine Deckung gesprungen – vielleicht hinter einen Stein, in ein Loch, in eine Rinne, durch die das Schneewasser abläuft. – Es gibt viele solcher Rinnen auf dieser Ebene. Harry Lafonte verliert einen Moment die Kontrolle über sich. Er möchte aufspringen und zu laufen beginnen. Doch dieses Gefühl der Panik legt sich schnell. Er weiß, daß er kämpfen muß. – Weglaufen kann er nicht mehr. Er muß siegen oder sterben. Ganz plötzlich sieht er den Gegner aus seiner Deckung springen. Ty Jones macht drei, vier Sprünge, verschwindet wieder. Die Kugel, die Lafonte abfeuert, geht ins Leere. Und der andere ist nun schon ein Stück näher. Oh, dieser Ty Jones ist wahrhaftig so schnell wie ein angreifender Falke im Flug. Jetzt in dieser Minute begreift Harry Lafonte, warum man diesen Ty Jones in diesem Lande Wyoming-Falke nennt. Er repetiert sein gutes Spencer-Gewehr, und er weiß, daß er noch fünf Kugeln in diesem Karabiner hat. Und eine von diesen fünf Kugeln wird sicherlich treffen.
Daran glaubt er. Harry Lafonte ist jetzt völlig sicher. Er glaubt an sich und seinen Sieg. Er braucht nicht lange zu warten, dann springt Jones wieder aus seiner Deckung und macht zwei, drei, vier geduckte Sprünge. Harry Lafonte schießt, repetiert durch, will noch mal schießen, doch es ist schon wieder zu spät. Er hat Jones abermals nicht getroffen. Jones hechtet bereits wieder hinter eine Deckung. Heiliger Rauch, denkt Harry Lafonte grimmig, warum kann ich diesen Hurensohn nicht mit einem Schnappschuß erwischen? Ist er mit dem Teufel im Bunde? Und wieder taucht der Wyoming-Falke vor ihm auf. Diesmal macht er nur einen einzigen langen Sprung, wirft sich mit einer Hechtrolle in eine tiefe Rinne, die ihn bis ganz dicht an Lafontes Deckung heranbringen muß. Lafonte legt sein Gewehr weg. Er weiß, daß er es nicht mehr brauchen wird. Wenn dieser weiße Indianer wieder auftaucht, wird er in Coltschußnähe sein. Harry Lafonte richtet sich auch hinter seiner Deckung auf. Er wird blitzschnell schießen müssen. Das kann er nur, wenn er völlig freies Schußfeld hat, durch nichts behindert ist. Und er ist sich völlig sicher, daß er einen aufspringenden Gegner zuerst erledigen kann. Und so wartet er zwar lauernd und bereit für schnelle Reflexe, doch ohne Panik und Sorge. Er glaubt an seinen Sieg. Es vergehen einige Minuten. Harry Lafonte lacht leise. Dann ruft er: »Nun, dann komm doch endlich! Ich warte auf dich! Komm endlich hoch wie der Teufel aus dem Kasten! Diesmal erwische ich dich bestimmt, du verdammter weißer Indianer!« Er hat kaum ausgesprochen, als Ty Jones aufspringt, und er kommt nicht dort zum Vorschein, wo Lafonte es für
wahrscheinlich gehalten hat, nein, er taucht woanders auf. Lafonte schießt dennoch blitzschnell, und er kann sehen, wie seine Kugel an Ty Jones’ linkem Oberarm den Fellmantel aufreißt. Dann schlägt es in Lafonte ein. Er sieht noch das Mündungsfeuer des Wyoming-Falken, doch er begreift nicht mehr, was mit ihm geschieht, so schnell ist er tot. Ty Jones steht bei Lafonte, als Sue Sheridan herangeritten kommt. Sie bekommt ihre zusammengepreßten Zähne kaum auseinander, als sie spröde sagt: »Ty, wir haben nur noch ein Pferd – ein einziges Pferd. Er hat dein Tier getötet. Du mußt nach seinem Pferd suchen. – Er muß doch da zwischen den Felsen und Bäumen sein Pferd haben, nicht wahr?« Aber er schüttelt den Kopf. »Nein«, sagt er. »Ich zählte die Pferde, als die Bande in die Schlucht ritt. Er hat kein Pferd, als er mein Tier tötete, geschah dies aus Verzweiflung. Er hatte die Gefahr erkannt, in die er geraten würde, wenn er mich nicht erwischen konnte. – Er hätte dich getötet, um dein Pferd zu bekommen. – Ja, wir haben nur noch ein Pferd. Na wenn schon… diese Bande entkommt mir nicht. – Dafür haben wir ein Gewehr. Und sieh, er hat eine Flasche und auch etwas Proviant bei sich. – Ich verspreche dir, daß wir spätestens morgen wieder ein zweites Pferd haben.« Sie betrachtet ihn ernst, und in ihren Augen ist ein Ausdruck, als betrachtete sie ihn völlig anders als bisher, so als sähe sie ihn jetzt in diesem Moment völlig neu. Dann murmelt sie: »O Ty, wie hart bist du wirklich? Genügt dir nicht ein einfaches Davonkommen? – Sollten wir nicht froh sein, wenn wir hier in dieser Wildnis nicht umkommen?« »Nein«, sagt er, »das genügt nicht.« Einen Moment noch blicken sie sich in die Augen. Sie tut es sehr forschend, und sie fürchtet sich tief in ihrem
Kern, daß sie in seinen Augen den Ausdruck von Haß, Rachewünschen, Besessenheit und dergleichen erkennen könnte. Aber das ist nicht der Fall. Er wirkt sehr ruhig, beherrscht, zuversichtlich, nicht wie ein haßvoller Fanatiker oder goldgieriger Wolf. Und so nickt sie stumm. * Als der Tag fast schon gestorben ist und die trübe Dämmerung über die Berge im Osten kommt, hinter denen der Bozeman-Weg nach Nordnordwesten verlaufen müßte, wenn sie sich nicht total irren, da blicken sie immer häufiger auf ihrer Fährte zurück. Und dann erreichen sie den Fluß. Sie kennen nicht den Namen des Flusses, vielleicht ist er auch sonst nur ein harmloser Creek. Aber jetzt handelt es sich um einen ziemlich reißenden Fluß, welcher angefüllt ist vom Schmelzwasser. Im letzten Licht des Tages suchen sie eine Furt, und als sie diese Furt gefunden haben, da ist ihnen zugleich auch klar, daß dies hier die einzige Übergangsmöglichkeit auf viele Meilen stromauf und stromab sein muß. Sie reiten hinüber. Das heftig strömende Wasser reicht den Pferden bis über die Bäuche. Sie müssen ihre Füße aus den Steigbügeln nehmen. Drüben halten sie inne. Und Jesse Haggerty sagt hart: »Hier muß jeder durch, also auch Harry Lafonte – oder…« Er spricht nicht weiter, aber jeder seiner Zuhörer weiß, daß er – würde er weitersprechen – sagen würde:… der WyomingFalke mit dem gelbhaarigen Mädchen. Sie schweigen. Dann sagt Haggerty hart: »Einer von uns muß hierbleiben. –
Entweder kommt Harry oder Lederstrumpf. – Wenn es dieser Hurensohn von einem weißen Indianer ist, dann kann man ihn mitten in der Furt abschießen. Na, wer macht es freiwillig?« Er fragt es eigentlich ohne Hoffnung und ist schon bereit, abermals die Karten herauszuholen, obwohl es schon fast zu dunkel ist, um die Karten erkennen zu können. Aber dann sagt Keith Stone zur Überraschung der andern: »Ich bleibe. Ja, ich mache das. – Aber ich behalte das Pferd dabei. Ich bleibe nicht ohne mein Pferd zurück wie Harry. – Und wenn Harry verloren haben sollte und ich es bin, der diesen Wyoming-Falken erledigt, dann bekomme ich Finchs und Harrys Goldanteile. Oder?« Sie denken darüber nach. Dann nicken sie. Auch Ginger Lane nickt. Sie reiten wortlos weiter, so als schämten sie sich, weil sie nicht mit Keith Stone hier an der Furt zurückblieben. Und die Nacht fällt nun endgültig über das Land. * Keith Stone bringt sein Pferd zwischen einige Tannen, nimmt seine Deckenrolle und das Gewehr und kehrt zur Furt zurück. Er muß sich warmhalten. Denn er darf keinen Fehlschuß tun. Das Warten beginnt, und allmählich wird die Nacht heller. Es wird Mitternacht, und vom Wyoming-Falken und dessen Begleiterin ist nichts zu sehen. Allmählich steigt in Keith Stone Hoffnung auf. Denn es könnte ja vielleicht sein, daß Harry Lafonte zwar selbst getötet wurde, aber auch selbst einen guten Schuß anzubringen vermochte. Ja, warum könnte es nicht so gekommen sein, daß sich der Wyoming-Falke und Harry Lafonte gegenseitig erledigten? Diese Frage stellt Stone sich immer hoffnungsvoller, und je
länger er wartet, um so mehr glaubt er daran. Er beginnt sogar zu überlegen, ob er seinen Kumpanen nicht sagen soll, daß er den Wyoming-Falken erledigt hätte. Dann könnte er zwei Goldanteile mehr von der großen Beute beanspruchen. Als er die Decke abwerfen und sich erheben will, da spürt er plötzlich etwas in seinem Nacken, und er weiß sofort, was es ist, obwohl er noch nie in seinem Leben so etwas gespürt hat. Er wendet langsam den Kopf, ganz langsam. Und da sieht er im Mond- und Sternenlicht den Mann. Ja, die Nacht wurde inzwischen strahlend hell. Stone kann Jones sofort erkennen. Und er sieht auch, daß er sich nicht getäuscht hat. Denn das Ding, welches er im Nacken spürt, ist tatsächlich die Mündung eines kalten Revolverlaufes. »Na, du Schlafmütze«, sagt Ty Jones fast freundlich. »Ich habe euch doch gesagt, daß ihr in diesem Lande noch eine Menge lernen müßt. Hast du wirklich gedacht, ein Mann wie ich, der dieses Land kennt, käme durch diese Furt? Wegen dir habe ich mich ausziehen und in dieses kalte Wasser steigen müssen. – Na, was sagst du nun?« Keith Stone zittert. Denn er weiß, daß er verloren hat. Er lauerte hier, um den Wyoming-Falken zu töten. Nun wird er selbst wahrscheinlich bald tot sein. »Laß mich abhauen«, sagt er zu Ty Jones. »Ich habe genug. Ich bin fertig. Laß mich einfach davonschleichen wie ein angesengter Hund, ja?« In seiner Stimme ist die totale Unterwerfung. Ty Jones nimmt die Revolvermündung von Keith Stones Nacken. Dann murmelt er: »So, ich soll dir also dein dreckiges Leben lassen? Ich soll dich laufenlassen. – Aber dieser Harry Lafonte tötete mein Pferd. Ich würde mir also auf jeden Fall dein Pferd zu nehmen versuchen. – Möchtest du nicht lieber mit mir um
dein Pferd kämpfen? Ich gebe dir eine faire Chance. – Denn wenn ich dich laufenlasse, dann nur zu Fuß. – Und dann sind deine Chancen hundert zu eins gegen dich, nicht für dich, verstehst du, ja?« »Laß mich laufen«, keucht Keith Stone. »Nimm alles, was ich habe, doch laß mich laufen.« »Ich werde dir deinen Colt lassen«, murmelt Ty Jones. »Doch du gehst jetzt in den Fluß. Du läßt dich abwärts treiben. Der Fluß wird dich eine halbe Meile weiter bei der Biegung an Land werfen. – Dann kann ich sicher sein, daß du nicht irgendwo noch einmal dein Glück versuchst. – Na, willst du?« Keith Stone nickt. Er erhebt sich, verharrt einen Moment und setzt sich dann in Bewegung in Richtung zur Furt hinunter. In Keith Stones Kopf beginnt sich ein wilder Gedankenkreis zu drehen. Er wird sich auch darüber klar, was ihm passieren wird, wenn er im eiskalten Wasser schwimmen muß und dann ohne Pferd und Ausrüstung ist in dieser kalten Nacht. Und da begreift er plötzlich, daß er kämpfen muß. Er hat gar keine andere Wahl, weil auch Jones keine andere Wahl hatte, als er ihn laufenließ. Keith Stone hat den Rand des Wassers erreicht, als er sich mit dem Colt in der Hand umwendet. Er zog die Waffe unter dem offenen Mantel hervor mit einer unauffälligen Bewegung. Er hat sogar den ersten Schuß. Aber dann trifft es auch ihn endgültig, wie es schon Harry Lafonte traf. Er stolpert rückwärts ins Wasser hinein, schießt noch einmal in die Luft – und dann fällt er rückwärts. Die Strömung packt ihn und reißt ihn fort. Der Fluß wird ihn unten an der Biegung tot an Land werfen. Ty Jones verharrt eine Weile. In ihm ist Bitterkeit. Solange es solche Burschen wie Stone
und dessen Kumpane in diesem Lande gibt, wird man manchmal töten müssen, um selbst am Leben bleiben zu können. Er steckt dann zwei Finger in den Mund und stößt drei schrille Pfiffe aus. Drüben aus dem dunklen Tannenwald löst sich bald darauf die Reiterin mit dem Pferd. Sie kommt durch die Furt geritten. * Sie hält dann bei ihm an, und er steht bei Keith Stones Pferd und holt schon Stones Proviant aus einer der Satteltaschen. Er reicht Sue einen zusammengerollten Pfannkuchen und ein Stück Rauchfleisch. Sie beißt hungrig von beiden Dingen ab. Dann fragt sie aber kauend: »Und du wirst sie alle töten müssen – oder von ihnen noch getötet werden?« Er nickt und erwidert ruhig: »Ja, so wird es sein.« Sie wundert sich über den ruhigen Klang seiner Stimme, doch dann erkennt sie im Mondlicht, wie sehr er sich beherrscht. Und so sitzt sie ab und kommt in seine Arme. Eine Weile verharren sie so in der kalten Nacht, spüren nur ihre Nähe, ihren Atem und die zweisame Einsamkeit in einer gnadenlosen Welt. Nach einer Weile erst lösen sie sich voneinander und essen weiter von dem kalten Proviant, den sie erbeutet haben. Ihr Hunger war schlimm. Besonders in dieser Kälte brauchen sie reichlich Nahrung. »Wir werden ein Feuer machen und bis zum Morgen lagern«, entschließt Ty Jones sich. »Wir haben jetzt schon zwei Decken. – Ich werde dann Tannenzweige abschneiden und uns ein besonders weiches Lager bereiten. – Ja, es ist Zeit
auszuruhen.« Er will sich wenden, doch sie fragt: »Wie bist du über diesen Fluß gekommen? Deine Kleidung ist trocken.« »Sicher«, sagt er. »Ich zog mich nackt aus und hielt das Bündel hoch über den Kopf.« Sie erschauert, denn das Schmelzwasser ist eisig. Sie kann nicht begreifen, daß ein Mensch durch diesen eisigen Fluß waten und schwimmen kann, ohne sich den Tod zu holen. Doch als er seine Hand an ihre Wange legt, ist diese Hand sehr warm. Sie denkt: Dieser Mann ist ein Geschöpf dieses Landes. Er ist Wyoming-Falke und vollkommen in dieses Land gestellt – so wie die Berge, wie die Flüsse, wie all die vielen Lebewesen, die sich seit Urzeiten hier behaupten. Aus diesen Gedanken heraus fragt sie: »Ty, wenn wir alles überstehen sollten, wenn wir heiraten sollten… wo würden wir dann leben?« Im Mond- und Sternenlicht erkennt sie seinen verwunderten Blick. »Nun«, sagt er langsam, »erst müssen wir wohl deinen Bruder im Goldland suchen. Und das kann lange dauern. – Aber dann will ich dir ein schönes Tal zeigen. Wenn es dir gefällt und wenn du darin leben möchtest mit mir…« »Ja, das werde ich wollen«, sagt sie. »Und ich würde mit dir auch in einer Wüste leben wollen. Ich brauche kein schönes Tal, wenn du bei mir bist.« Er nimmt sie wieder in seine Arme. Und er spürt, wie sehr ihre Liebe, Wärme und Zugehörigkeit in ihm die Härte aufbricht. * Zwei Tage später erreichen Jesse Haggerty, Ginger Lane und Jago Mig den Bozeman-Weg. Sie würden das gar nicht
erkennen oder merken, wenn da nicht die verlassene Station wäre, bei der die Expreßpostkutschen ihre Gespanne wechselten und auch die Frachtwagenzüge Hilfe bekamen, wenn sie ein Maultier austauschten oder einen Rad- oder Achsenbruch hatten. Jetzt ist diese Station verlassen, noch fast völlig zugeschneit und offensichtlich auch ziemlich zerstört. Die Indianer mußten hier vor dem Blizzard zugeschlagen haben. Dann hatte der Schnee alle Spuren getilgt. Sie reiten hinunter zur Station. Im Schnee sind keine Fährten von Pferdehufen oder Menschenfüßen. Seit dem Blizzard, nach dem die Wege noch viele Tage und Nächte unpassierbar blieben, kam niemand hier vorbei. Sie sind die ersten Menschen. Als sie vor der Station verhalten, sehen sie, daß sie gebrannt haben muß. Nur die Steinmauern stehen noch. Der Blizzard hat von Norden her den Schnee dagegengeweht. Offenbar löschte er dann schließlich mit seinem Eishagel das Feuer. Denn das Dach ist nur zur Hälfte verbrannt und eingebrochen. Die beiden Männer sitzen ab und gehen hinein. Ginger Lane bleibt draußen im Sattel und sieht sich aufmerksam um. Doch es zeigt sich kein Leben auf dem Bozeman-Weg. Sie blickt auf ihrer Fährte zurück. Diese ist deutlich im Schnee zu sehen. In dieser Minute fragt sie sich wieder einmal mehr, ob es Keith Stone geglückt ist, den Verfolger zu erledigen. Aber warum hat er sie dann nicht schon längst wieder eingeholt? Sie sind langsam geritten, und er hätte sie gewiß einholen können. Die schöne Ginger Lane macht sich Sorgen, sobald sie an diesen Ty Jones denkt. Sie erinnert sich immer wieder an die wenigen Minuten, als sie in der Nacht am Brunnen jener Poststation mit ihm redete
und erkannte, daß er der Mann sein könnte, der sie zu Berni Hammers Goldversteck führen konnte, von dem sie damals noch glaubten, daß es eine Goldader wäre. Sie fürchtet sich jetzt vor diesem Wyoming-Falken. Und ihre Ahnung sagt ihr, daß er sie alle noch erwischen wird, sie ihm einfach nicht entkommen können in diesem Land, welches sein Revier ist. Sie blickt wieder auf die Station. Dort treten die beiden Männer ins Freie. Jesse Haggerty sagt rauh: »Tote! – Das waren Tote, die Indianer haben sie alle umgebracht. Wir trugen sie durch die Hintertür hinaus. Du kannst hereinkommen, Ginger. Der Ofen wird noch funktionieren. Du kannst uns was kochen, indes wir die Pferde versorgen. – Drüben in der Scheune, welche auch nur zur Hälfte abgebrannt ist, finden wir noch reichlich Futter. – Na komm schon, Ginger.« Und er tritt zu ihr, streckt seine Arme aus und hilft ihr herunter. Ginger geht hinein in die Station. Jesse Haggerty trägt ihr den Proviantsack und einige andere Dinge nach. Jago Mig beginnt die Pferde abzuladen und ihnen die Sättel und Packsättel abzunehmen. Die Tiere sind am Ende ihrer Kräfte, halb verhungert. Und als er die Goldsäcke von den Tieren hebt, denkt er mit einiger Sorge: Oh, wenn wir schnell von hier fort müssen, dann haben wir vielleicht gar keine Zeit mehr, diese Dinger wieder aufzuladen. Jesse Haggerty kommt heraus, hilft ihm. Sie führen die Tiere um das Haus herum zur halb abgebrannten Scheune. Auch hier muß der Eishagel wahrscheinlich das Feuer gelöscht haben. Sie finden unter dem zusammengebrochenen Dach der Scheune und dem Schnee noch genügend Futter, sogar Hafer und Kleie in einer Futterkiste des an die Scheune gebauten Stalls. Jago Mig fragt einmal: »Wo mögen die Indianer hin sein? Nachdem sie hier alles angezündet hatten, konnten sie doch gar
nicht mehr weit gekommen sein, als der Blizzard sie überraschte. – Warum witterten sie den nahenden Blizzard nicht, he?« Da grinst Jesse Haggerty. »Das kann ich dir genau sagen, Jago. – Die waren stinkbesoffen. Die vertilgten hier sämtliches Feuerwasser. – Hast du in der Gaststube nicht die leeren Flaschen gesehen – oder die Scherben dieser Flaschen? Als die hier mit ihrer Beute auf die Pferde kletterten, waren sie so blau, daß sie den nahenden Blizzard nicht wittern konnten. – Wahrscheinlich wurden sie irgendwo dort draußen – keine Meile von hier – vom Eishagel erschlagen. Die sind umgekommen, nachdem sie hier hausten.« Jago Mig staunt. Er wirft einen schrägen, neidvollen Blick auf Jesse Haggerty. Dann brummt er: »Du bist schon ein schlauer Bursche, Jesse. – Ich glaube, du könntest in diesem verdammten Lande ziemlich schnell solch ein Lederstrumpf und weißer Indianer werden wie jener, mit dem wir so viel Ärger hatten. – Ob Keith ihn an der Furt erwischt hat?« Jesse Haggerty hält inne in seiner Arbeit. Er tritt dann sogar einige Schritte zur Seite, so daß er an der Ecke des Stationshauses vorbei auf ihrer Fährte zurückblicken kann. Aber er sieht nichts kommen – weder Keith Stone – noch Ty Jones. »Vielleicht haben sie sich beide gegenseitig ausgelöscht«, brummt er schließlich. Jago Mig starrt ihn an. »Dann würde das ganze Gold nur noch uns gehören, Jesse«, murmelt er kehlig und schluckt dann mühsam. »Dann brauchten wir statt durch sechs nur noch durch drei zu teilen.« Jesse Haggerty nickt schweigend. Dabei sind seine Augen schmal. Doch er wendet sich schnell wieder dem Pferd zu, welches er mit einem Stück Decke abreibt. Dabei frißt das Tier
Heu, Haferkörner, vermischt mit Kleie. Auch die anderen Tiere fressen. Jesse Haggerty arbeitet etwas heftiger als zuvor. Doch Jago Mig erkennt das nicht. Sonst hätte er sich vielleicht gefragt, was für Gedanken in Jesse Haggerty sind. Denn es muß eine Erregung in Haggerty sein. Warum arbeitet er sonst so heftig, so als müßte er sich abreagieren oder tarnen? Und wenn Jago Mig Gedanken lesen könnte, würde er jetzt zur Waffe greifen und auf Haggerty schießen. Denn Haggertys Gedanken sind böse und gegen ihn gerichtet. Haggerty denkt: Dieser Narr. – Er war immer der dümmste Bursche von allen, die mit mir all die rauhen Wege reisten. – Er war nicht mal ein halbwegs guter Preiskämpfer. Denn seine Kämpfe konnte er nur dann gewinnen, wenn wir seine Gegner und deren Manager vorher unter Druck setzten. Er hat nie etwas getaugt, und es wäre wahrhaftig ungerecht, wenn er bald ein Drittel unserer Beute bekäme. – Ja, das hätte er einfach nicht verdient, diese Pfeife. – Der würde alles ohnehin nur verjubeln. Der wäre nicht mal schlau genug, sich ein Bordell zu kaufen. – Nein, der würde es mieten, bis sein Geld alle ist. – So dämlich ist der. – Wie lange brauche ich ihn eigentlich noch? Indes er sich weiter um die Pferde kümmert und sie dann nacheinander vor die Station bringt, wo ja auch die Sättel und das Gepäck liegen, denkt er weiter über das Problem Jago Mig nach. Er geht dann zuerst in die Station hinein. Drinnen sieht es übel aus. Der Raum ist halb eingestürzt. Doch Ginger Lane hat den Ofen in Gang gebracht und wahrhaftig eine warme Mahlzeit gekocht. Der Duft von Kaffee vermischt sich mit dem Duft von gebratenem Speck und Pfannkuchen. »Ich habe getrocknete Apfelscheiben in den Pfannkuchenteig getan«, sagt sie über die Schulter zu Haggerty. Und dann erkennt sie etwas an ihm, was sie veranlaßt, sich
umzuwenden, um ihn besser ansehen zu können. »Was ist?« So fragt sie. Und sie fügt hinzu: »Ich sehe dir an, daß etwas ist. Aber was? Sag es mir.« Er betrachtet sie forschend. »Wenn Stone nicht mehr kommt«, sagt er, »müssen wir durch drei teilen. – Möchtest du mit Jago Mig zweihundert Kilo Gold teilen?« »Nein«, spricht sie schnell. Aber dann können sie sich nicht mehr weiter über dieses Thema unterhalten, denn Jago Mig kommt grinsend herein, reibt sich die Hände. »Aaaah, das riecht aber gut hier«, sagt er, »und wir haben uns ja wohl auch ein gutes Essen verdient. – Wartet nur, was ich alles verspeisen werde, wenn wir in einer noblen Hafenstadt an der Westküste sind. – Ihr wißt ja, in Hafenstädten ist alles international. – Ich möchte mal chinesisch speisen.« »Das wirst du schon – ja, das wirst du ganz gewiß noch eines Tages«, brummt Jesse Haggerty. Sie setzen sich an den Tisch, und durch das offene Türrechteck können sie hinaus über das weißverschneite Land auf ihrer Fährte zurück bis zu den Hügeln sehen, aus denen sie zu dieser Station heruntergeritten kamen. Aber es kommt niemand, noch niemand. Weder Keith Stone noch Ty Jones. »Wir werden noch eine Weile ausruhen«, sagt Jesse Haggerty. »Unsere Pferde haben sich dicke Bäuche gefressen. Die sind noch müder als wir. Ja, wir bleiben hier noch eine Weile und werden abwechselnd etwas schlafen. – Du übernimmst die erste Wache, Jago.« »Sicher«, grinst dieser. * Am Nachmittag satteln sie die Tiere und machen sich bereit
zum Weiterritt. Jeder der beiden Männer konnte zwei Stunden schlafen. Ginger Lane schlief sogar vier Stunden. Sie sitzt zuerst auf und nimmt die Leinen der Packtiere. »He«, sagt Jago Mig, »das brauchst du nicht, Ginger. – Ich nehme die Packtiere und werde mich mit Jesse ablösen. – Warum willst du denn plötzlich…« Er hält inne. Und er hat schon einen Fuß im Steigbügel, eine Hand am Sattelhorn und will sich soeben mit dem anderen Fuß vom Boden abstoßen, um dann das Bein über den Pferderücken zu schwingen. Seine Position ist also denkbar ungünstig, als er innehält und die Gefahr ganz plötzlich zu spüren beginnt, so wie den scharfen Geruch eines Raubtiers. Er wendet den Kopf und blickt auf Haggerty, der noch bei seinem Pferd steht. Jago Mig verharrt. Dabei blickt er starr auf Haggerty. Dieser nickt ihm zu. »Du warst eigentlich immer nur ein nützlicher Idiot, Jago«, sagt Haggerty. »Und wenn wir ins Goldland kommen, wirst du ins erstbeste Hotel gehen und dort die Bienen freihalten. – Und wenn du dann betrunken bist, wirst du vielleicht auch noch stolz erzählen, wie du zu dem vielen Gold gekommen bist. – Du wirst dich für einen besonders tüchtigen Burschen halten und…« »He, bist du verrückt?« Jago Mig ruft es ungläubig und nimmt den Fuß aus dem Steigbügel, wendet sich Haggerty zu. Und was er in Haggertys Gesicht liest, versetzt ihn in Panik. Denn er hat Haggerty schon einige Male töten sehen. Er weiß, wie Haggerty aussieht, wenn er den unheilvollen Entschluß gefaßt hat. Und so begreift Jago Mig, der selbst ein Mörder und Bandit ist, daß er um sein Leben und um das Gold kämpfen muß. Seine Chance ist winzig, denn er war vom ganzen Rudel der
schlechteste Mann mit dem Colt. Gewiß, er war schneller als der Durchschnitt, aber nicht so schnell wie die anderen – und schon gar nicht so schnell wie Haggerty, gegen den keiner von ihnen ankam. Dennoch zieht Jago Mig jetzt fluchend. Er kann nur hoffen, daß Jesse Haggerty ihn mit der ersten Kugel nicht richtig ins Leben trifft. Noch bevor er seinen Colt heraus hat, sieht er in Haggertys Mündungsfeuer. * Ginger Lane ist mit den Packpferden keine Viertelmeile entfernt, als sie den Schuß hört – nur einen. Sie blickt sich nicht um. Und als Jesse Haggerty dann aufschließt und ihr eines der Packtiere abnimmt, da sieht sie, daß er auf der anderen Seite Jago Migs Pferd an den langen Zügeln mitführt. Er erwidert ihren Blick. Und beide sind sich in diesen Sekunden darüber klar, daß sie eine Art zweibeiniges Wolfspärchen sind, ein gieriges, mitleidloses, mörderisches Wolfspärchen. Sie blicken dann beide wieder nach vorn. Irgendwo dort vor ihnen hinter den Hügeln und Bergen beginnt das Goldland von Montana. Dort liegen auch die Campstädte Bozeman, Last Chance City und andere. Wenn sie von dort aus zur Westküste gelangen und Gold mitbringen, so ist dies nur normal. – Viele Goldsucher bringen Gold zur Westküste und tauschen es dort in Dollars um. Ginger Lane denkt über Haggerty nach. Er ist ein Mörder, der die eigenen Kumpane und Partner rücksichtslos zu vernichten imstande war. Was würde er mit ihr – Ginger Lane – gemacht haben, besäße sie nicht ihre reizvolle Schönheit und Ausstrahlung auf ihn,
würde er nicht immer wieder verrückt nach ihrer Zärtlichkeit sein, nach ihrem Körper? – Nein, sie glaubt nicht, daß er sie mit dem Herzen liebt, daß er sich opfern könnte für sie und daß ihr Leben ihm wichtiger ist als seins. Denn ein Wolf bleibt ein Wolf, welcher zuletzt immer nur allein an sich denkt. Ginger Lane begreift in diesem Moment, daß sie bei ihm nur so lange sicher sein wird, wie er sie für begehrenswert hält. Sollte das nicht mehr sein – oder sollte er einmal einer anderen Frau begegnen, nach deren Körper er verrückter werden sollte als nach ihrem –, nun, dann wird er sie zum Teufel jagen. Denn zu echter menschlicher Liebe ist er gewiß nicht fähig. Sie erschrickt bei dieser Erkenntnis. Aber zugleich auch fühlt sie sich siegessicher. Aaaah, wenn sie erst im Luxus leben werden, wird sie ihn schon in Bann halten. Ob sie heiraten werden? Diese Frage stellt sie sich ganz ernsthaft. Und sie denkt folgerichtig weiter: Als seine Frau bin ich auch seine Erbin, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Und wenn er mich nicht liebevoll wie eine Königin behandelt, dann… Sie hält inne bei ihren Gedanken. Denn nun möchte sie nicht weiterdenken. Das hat Zeit – und vielleicht wird ein Weiterdenken in dieser Richtung gar nicht notwendig sein. Sie denkt an ihren Lebensweg. Schon mehr als einmal haben Männer um sie gekämpft. Und ihren neuen »Besitzer« hat sie stets beherrscht. Denn wenn sie nur möglichst viele Wünsche erfüllt bekam, war sie für einen Mann das Paradies. Auch Jesse Haggerty wird ihr viele Wünsche erfüllen. Und sie wird sich absichern. Ja, das nimmt sie sich vor. Denn sie werden reich sein. Sie versucht, sich auszurechnen, wieviel Dollar sie für das Gold bekommen werden.
Irgendwann hat sie mal gehört oder gelesen, daß man für ein Kilo Adergold um die tausend Dollar zahlt. – Dafür müßte zum Beispiel ein guter Cowboy fünf Jahre lang arbeiten. Sie haben zweihundert Kilo Gold erbeutet. Das wären zweihunderttausend Dollar, vielleicht sogar eine Viertelmillion. – Und das ist jetzt im Jahre 1866 eine gewaltige Summe Geld. Jesse Haggerty und Ginger Lane reiten bald darauf in die Nacht hinein. Als sie dann nach etwa dreißig Meilen die nächste Pferdewechselstation der Post- und Frachtlinie erreichen, brennt dort Licht. Aber es ist ein nur schwaches Licht. Im Mond- und Sternenschein können sie nicht erkennen, ob die Station besetzt ist oder nur jemand dort übernachtet. Jesse Haggerty sagt nach einer Weile: »Ich glaube, wir machen lieber einen Bogen um die Station und suchen uns dann einen Rastplatz im Wald. – Wir müssen möglichst unbemerkt ins Goldland einsickern. – Also.« Er reitet weiter. Ginger Lane folgt ihm. Und sie ist am Ende ihrer Kraft. * Ty Jones und Sue Sheridan erreichen noch vor Anbruch der Nacht die Station des Todes. Es dauert dann auch nicht lange, dann hat Ty Jones ziemlich genau herausgefunden, was hier vor und dann nach dem Blizzard geschehen ist. Er sagt zu Sue: »Dieser Haggerty ist ein zweibeiniger Mordwolf – nichts anderes, ein gieriger Mordwolf. – Er hat Jago Mig getötet. – Es kann nicht anders sein. Sie kämpften um die Beute, aber wahrscheinlich war es ein sehr einseitiger Kampf. – Sue, wir haben nur noch Haggerty und Ginger Lane vor uns. Und weil Ginger Lane nicht so ausdauernd reiten
kann, werden wir sie morgen einholen. Und dann ist alles vorbei, Sue. – Ich werde in diesem Winter nicht auf Pelztierjagd gehen können. – Wahrscheinlich werde ich das nie mehr wieder tun. Weißt du, auf was ich neugierig bin?« »Sag es mir«, erwidert sie schlicht. »Laß mich nicht raten, sag es mir.« Er grinst, indes er den Pferden die Sättel abnimmt. »Ob du mehr von der Pferdezucht verstehst als ich«, sagt er. »Von Kentucky Quartermile Horses bestimmt«, sagt sie schnell. »Die können die Viertelmeile in fünfzehn Sekunden laufen.« »Sicher«, grinst er. »Aber hier in diesem Lande müssen sie vierzig Meilen ohne Pause laufen können. – Wir werden deine Kentuckypferde kreuzen müssen mit jenen Mustangs, die von den Vollblütlern der Conquistadores abstammen, mit den Criollos, wie wir sie hier nennen. – Vielleicht nennt ihr sie anders.« Sie fachsimpeln noch eine Weile, indes sie die notwendigen Arbeiten verrichten. Auch sie versorgen ihre Pferde mit Futter aus dem zerstörten Stall, und sie finden noch genug davon. Es ist dann fast Mitternacht, als sie wieder losreiten, ziemlich ausgeruht und zum Endspurt entschlossen. Die helle Nacht wird kalt. Unter den Hufen der Pferde knirscht der gefrorene Schnee. Und es ist eine Parallelität, daß auch Sue Sheridan hier auf diesem Wege über ihren männlichen Begleiter und Beschützer nachdenkt wie vor ihr schon Ginger Lane. Doch Sue kommt zu anderen Gewißheiten. Sie wird Ty Jones immer vertrauen können. Er wird ihr Leben immer über seines stellen. Bei ihm wird sie niemals in Sorge sein. Nein, sie denkt anders über ihren Mann, sehr viel anders als Ginger Lane. Und sie dankt ihrem Schicksal, welches sie mit Ty Jones
zusammenführte. So reiten sie durch die Nacht. Und morgen – das wissen sie – wird die Entscheidung fallen. Ginger Lane kann dieses Reiten nicht länger mehr durchhalten. Haggerty muß ihr eine längere Ruhepause gönnen. Und dann… * Dieser letzte Dreißig-Meilen-Ritt hat Ginger Lane ziemlich zerbrochen. Sie haben zwar einen recht guten Lagerplatz im Wald unter Tannen an einem Feuer und auf weichen Tannennadeln – aber am nächsten Morgen bekommt Haggerty seine Gefährtin einfach nicht hoch. Sie sagt bittend zu ihm: »O Jesse – bitte, bitte laß mich noch eine Stunde liegen – nur noch eine einzige Stunde. – Bitte, Jesse, sei lieb zu mir. – Habe ich nicht bis jetzt tapfer durchgehalten? – Konntest du dich über mich beklagen? Jesse, wir haben es doch schon geschafft! Wir brauchen nicht mehr zu flüchten. Dieser Wyoming-Falke ist gewiß von Keith Stone zumindest angeschossen worden. Laß mich noch ausruhen, Jesse. – Denn es ist mir, als hätte ich erst fünf Minuten gelegen.« Er läßt sie also noch ruhen, macht aber schon das Frühstück, sattelt dann die Pferde und legt den Packtieren die Lasten auf. Als er endlich Ginger aus den Decken und an das Feuer bekommt, ißt und trinkt diese nur lustlos. Jesse Haggerty erkennt mehr und mehr den körperlichen Zusammenbruch der Frau, und sie kommt ihm jetzt auch nicht mehr schön, reizvoll und begehrenswert vor. Heute an diesem grauen Wintermorgen scheint sie ihm so wenig betörend zu sein wie tausend andere Durchschnittsfrauen. Ihm brennt die Zeit unter den Füßen.
Ein ahnungsvolles Gefühl sagt ihm immer wieder, daß sie sich auf den Weg machen sollen. Doch Ginger Lane ist heute wie betrunken – fast wie eine müde alte Frau. In ihrem grauen Gesicht entdeckt er scharfe Linien und winzige Falten, die sie vor einigen Tagen noch nicht besaß. Aber sie wird schon wieder, denkt er. Und dann ist sie bald wieder die allerschönste Frau unter zehntausend Frauen – nein, unter hunderttausend. Dann ist sie wieder das Weib, um welches sie mich alle beneiden, wohin ich mit ihr auch komme. Selbst der Präsident der Nation würde mich um sie beneiden, und sie wäre die Königin auf einem Ball im Weißen Haus. – Jawohl! Er läßt ihr immer noch Zeit, und für eine Weile verspürt er sogar ein warmes und fast mitleidiges Gefühl. Dann aber – die Sonne kommt nun schon hoch und versucht den Tag etwas freundlicher zu machen – treibt er sie doch ziemlich rauh an. Ja, er nimmt sogar eine Handvoll Schnee und »wäscht« ihr damit das Gesicht, um mehr Lebendigkeit in sie zu bekommen. Sie flucht ziemlich böse, und er denkt: Eine feine Lady ist sie nicht. Wenn sie so flucht, dann weiß jeder, wo sie herkommt und mit wem sie all die Jahre Umgang hatte. Nein, eine Lady ist sie nicht. Aber ich bin ja auch kein Gentleman. Ich bin ja auch nur ein verdammter Strolch, der es jetzt geschafft hat, endlich richtig nach oben zu kommen. Sie stehen nebeneinander am warmen Feuer, halten die Kaffeebecher in den Händen und wollen nur noch diesen letzten Schluck Kaffee vor dem Aufsitzen trinken. Jesse Haggerty macht schon den Ansatz zu einer Bewegung, um den Zinnbecher an den Mund zu führen – aber da erstarrt er. Was er sieht, macht ihn nicht froh. Er murmelt einen bösen Fluch.
Und Ginger Lane, die nun in seine Richtung blickt, zuckt leicht zusammen. Denn auch sie erkennt sofort, wer da auf ihrer Fährte geritten kommt. Es ist der Wyoming-Falke mit Sue Sheridan. Und neidvoll erkennt Ginger Lane, wie leicht und mühelos Sue Sheridan reitet. Ja, es ist kein Wunder, daß man sie und Jesse Haggerty eingeholt hat. Das Reiten fiel ihnen schwer genug. Und ihre Rastpausen waren zu lang. Ginger Lanes Schock dauert nicht lange. Dann sagt sie herbe zur Seite: »Na und, Jesse – na und? Den schaffst du doch! Du hast bisher noch jeden Narren geschafft, der es gegen dich mit seinem Colt versuchen wollte. – Du warst mit deinem Colt besser als Stapp Finch, Harry Lafonte, Keith Stone und Jago Mig. – Du hättest sie alle schlagen können. – Also wirst du auch mit diesem da zurechtkommen. – Geh ihm entgegen und töte ihn!« Besonders den letzten Satz spricht sie hart und fordernd. Er aber zögert. Sie blickt zur Seite und betrachtet ihn. Und sie erkennt – spürt es auch mit ihrem feinen Instinkt als Frau –, daß er sich fürchtet. Sie hört ihn wie im Selbstgespräch murmeln: »Verdammt – da hat man nun das viele, viele Gold… Da hat man nun den ganz großen Coup gelandet, den man vielleicht nur einmal im ganzen Leben landen kann – nur ein einziges Mal… Und da ist immer noch dieser verdammte weiße Indianer, dieser Stinker von einem Lederstrumpf – dieser Hurensohn, aaaah…« Ginger Lane spürt wieder die Ansätze zu einer Panik. Denn ihr geht es nicht viel anders als Jesse Haggerty. Die Furcht steigt ihr bis in die Kehle. Das Herz klopft in ihrem Halse. Doch noch einmal bekommt sie sich rechtzeitig wieder unter Kontrolle. Sie sagt scheinbar völlig ruhig und fest: »Jesse, du schaffst ihn! Du wirst ihn mit deinem Colt töten wie das Dutzend seiner Vorgänger. – Du wirst gewinnen! Alles wirst du gewinnen! –
Das Gold und mich, ja, vor allen Dingen mich. Denn du wirst nicht nur ein reicher Mann sein – nein, nicht nur! Du wirst eine Frau haben, um die alle anderen Männer dich beneiden. – Du wirst für alle der Größte sein, weil er die schönste Frau herzeigen kann! – Los, Jesse! Geh ihm entgegen und töte ihn!« Sie sagt die letzten Worte suggestiv, und sie strahlt wahrhaftig eine starke Kraft aus. In ihrer Stimme liegt zugleich auch das Versprechen eines Paradieses, wie es sich alle Männer der Welt gewiß wünschen – aber kaum einer jemals wirklich bekommt. Er macht auch den Ansatz zu einer Bewegung, so als wollte er sich in Bewegung setzen, dem Wyoming-Falken entgegengehen, um mit ihm zu kämpfen. Aber dann verharrt er doch. Seine Stimme knirscht, als er heiser sagt: »Das hast du uns eingebrockt. – Verdammt, ich wollte schon vor zwei Stunden weiter. Aber ich bekam dich nicht hoch. – Du mußtest dich erst noch ausruhen, so als wären wir nicht auf der Flucht vor dem gefährlichsten Burschen von ganz Wyoming und Montana. – Wir hätten schon längst fort sein können. – Und dann wäre unser Vorsprung wieder größer geworden, weil auch die Pferde unserer Verfolger bald eine längere Rast nötig hatten. – Verdammt, du bist schuld, daß er mich jetzt stellt zum letzten Kampf. – Ich spüre – ja ich bin ganz sicher tief in meinem Kern! –, daß er mich töten wird, wenn ich ihm mit dem Colt gegenübertreten sollte. – Er wird mich töten! Und was nützt mir in der Hölle das viele Gold? – Was nützt mir in der Hölle eine schöne Frau wie du?« Sie will seine Worte einfach nicht glauben, ist einen Moment der Überzeugung, gar nicht wach zu sein, sondern einen bösen Traum zu träumen. Doch es ist alles Wirklichkeit. Sie steht neben ihm. Dort reiten Ty Jones und Sue Sheridan langsam näher und näher.
Und Jesse Haggerty, der sich noch niemals vor einem Gegner fürchtete, ist fast krank vor Angst, weil sein Instinkt ihm sagt, daß er sterben würde, sollte er es mit dem Colt auszukämpfen versuchen. Was wird Jesse Haggerty also tun? Sie sieht ihn immer noch von der Seite her an – und jetzt mit deutlich erkennbarer Verachtung. Aber sie begreift zugleich auch, daß nicht mehr mit ihm zu reden ist. Denn er wird nun völlig von seiner Furcht beherrscht. Was wird er tun? Dies fragt sie sich nun fast begierig, und sie vergißt dabei völlig, daß es um zweihundert Kilo Gold geht und ein schönes Leben in Luxus. Was wird er tun? Sie sieht nun, daß er am ganzen Körper zittert und vibriert, so sehr hat ihn die Todesangst erfaßt. Seine Gewißheit, daß er verlieren würde und sterben müßte, ist absolut. Ty Jones und Sue Sheridan kamen indes näher und näher. Nun sind sie nur noch so weit entfernt, wie Sue einen hühnereigroßen Stein werfen könnte. Und sie sieht, daß Ty Jones seiner Begleiterin ein Zeichen gibt, daß sie zurückbleiben soll. Sie tut es auch. Ty Jones kommt allein näher. Sein Pferd setzt Huf vor Huf, langsam, im Schritt. Dieser Wyoming-Falke nähert sich wie die unaufhaltsame Vergeltung, wie die personifizierte Gerechtigkeit. Einen halben Steinwurf entfernt hält er inne, gleitet vom Pferd und sagt laut herüber: »Das wär’s wohl, Haggerty! Nun, dann komm und versuche es! Vielleicht hast du Glück! Komm schon! Du bist doch sonst so schnell mit dem Colt dabei! Komm!« Aber Jesse Haggerty vibriert noch stärker am ganzen Körper. Es ist ein Zittern. Ginger Lane sieht es. Sie sagt bitter: »Du feiger Hund! Oh, du feiger Hurensohn!
Dann werde ich es an deiner Stelle gegen ihn versuchen! – Ja, ich werde für dich kämpfen, du Memme.« Sie trägt ja selbst einen Waffengurt mit einem kleinen Colt. Nun setzt sie sich in Bewegung, tritt zuerst vor ihn, so, als wollte sie ihm mit ihrem Körper Deckung geben. Doch sie wiegt kaum mehr als hundertzehn Pfund. Er aber ist ein Mann von wenigstens einhundertachtzig Pfund. Sie kann ihn nur unvollständig decken. Er bewegt sich plötzlich, macht ihr einen langen Schritt nach und umfaßt sie von hinten. Mit der Hand des anderen Armes holt er ihren Colt aus dem Halfter und setzt ihr die Mündung von der Seite gegen die Schläfe. Dabei brüllt er heiser: »Ich werde sie umbringen, wenn du nur noch einen einzigen Schritt näher kommen solltest! Du hast zuerst das Leben einer Frau zu verantworten! Erst wenn sie tot ist, wirst du zu einem Kampf mit mir kommen können! Na, du Hurensohn, wie gefällt dir das?« Ty Jones steht still. Erst nach einigen Atemzügen sagt er: »Haggerty, du taugst ja noch sehr viel weniger, als ich bisher dachte. Haggerty, du bist ja auch als Mann der allerletzte Dreck auf dieser Erde. – Aber vielleicht bluffst du nur? – Vielleicht ist das alles nur ein abgekartetes Spiel, welches ihr zwei vorher genau abgesprochen oder gar einstudiert habt? – Denn ich kann immer noch nicht glauben, daß du die schöne Ginger Lane umbringen würdest, deine Geliebte, die dir alles gab, was eine Frau einem Manne nur geben kann. – He, ihr blufft beide, nicht wahr?« Nach diesen Worten macht er einige Schritte vorwärts. Aber Jesse Haggerty spannt mit dem Daumen den Hahn des kleinen Colts. Und Ginger Lane kreischt laut: »Der blufft nicht, Ty Jones! – Nein, der blufft nicht! Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, daß er mich umbringen wird. Der zittert vor Angst! – Oh, der
hat wahrscheinlich schon seine Hosen voll, weil er sich so sehr fürchtet! – Ty Jones, sei nicht solch ein Hundesohn wie er! Tue ihm nichts! Sonst tötet er mich wahrhaftig, weil er nicht will, daß ich ihn überlebe.« In ihrer Stimme klingt höchste Not mit. Man hört dieser Stimme an, daß sie nicht blufft. Denn so sehr könnte sich selbst eine erstklassige Schauspielerin nicht verstellen. Ty Jones hält inne. »Ich soll dich also laufenlassen, Haggerty?« So fragt er hinüber. »Sicher«, erwidert dieser. »Was dachtest du denn? – Und ich sage dir jetzt, was du noch tun mußt, wenn du nicht ihr Leben auf dein Gewissen nehmen willst. – Denn ich habe keins – ich nicht! Mir würde es nichts ausmachen, sie vorher allezumachen, bevor du mich von den Beinen schießt! Sie ist schuld daran, daß du uns einholen konntest. – Sie mußte sich erst noch gründlich ausschlafen und ruhen wie eine Queen. Wegen ihr geriet ich in diese Klemme. – Und jetzt sage ich dir meine Bedingungen.« Er verstummt, um Atem zu holen. Inzwischen bekam seine heiser kreischende Stimme auch wieder Festigkeit. Er bekam seine Furcht wieder unter Kontrolle. Denn schon jetzt glaubt er, daß Ty Jones das Leben von Ginger Lane nicht riskieren wird. Denn Ty Jones besitzt ritterliche Ehre und damit das Gewissen eines Christenmenschen. Ty Jones wartet schweigend. Und Jesse Haggerty macht einige tiefe Atemzüge und ruft dann: »Ihr geht auf eurer und unserer Fährte zurück bis zu den Hügeln! Ihr laßt eure Pferde zurück. – Dann kann ich sicher sein, daß ihr uns nicht mehr einholen könnt. – Ich will nur einen sicheren Vorsprung! – Also los, Jones! Überlege es dir schnell! Denn ich gebe dir nur zehn Sekunden! – Nur zehn Sekunden. Und ich fange an zu zählen! Bei zehn drücke ich ab. – Und dann kannst du deinen
Kampf mit mir haben. – Aber die schöne Ginger wird dann schon tot sein. – Also! Jetzt zähle ich! – Eins! – Zwei! – Drei…« Ty Jones blickt sich nach Sue Sheridan um. Diese hat jedes Wort gehört. Denn Jesse Haggerty brüllte laut genug. Und es ist still in weiter Runde sonst. Sue Sheridan zeigt Ty Jones, wie sie zu der Sache steht. – Denn sie sitzt ab, nimmt Satteltaschen, Wasserflasche, die Decke und das Gewehr vom Pferd. Dann geht sie langsam auf der Fährte zurück, blickt sich jedoch dabei um, so als wollte sie Ty Jones auffordern, ihr zu folgen. Er tut es auch. Ja, auch er nimmt vom Pferd, was sie nötig brauchen werden. Jesse Haggerty hörte bei »Sieben« auf zu zählen. Denn auch Ty Jones hat aufgegeben und geht davon. Erst als er auch Sue Sheridans Pferd passiert und hinter sich läßt, gibt Haggerty Ginger Lane frei. »Das hat gut geklappt, nicht wahr?« So fragt er, und sein Gesicht zuckt nervös. Sie sieht ihn an, und sie weiß, daß er lügt. Er hat Ty Jones nichts vorgespielt. Alles war höllischer Ernst gewesen. Sie weiß aber auch, daß er sie brutal ins Gesicht schlagen würde, spräche sie jetzt aus, was sie über ihn denkt. Denn er war feige gewesen, voller Furcht um sein Leben und um die Beute. Jetzt möchte er wieder ein toller Bursche sein, ein Sieger, der es schaffte, eine Gefahr abzuwenden. Er möchte seine Feigheit vergessen und sich selbst vormachen, daß er nur bluffte. Denn sonst müßte er sich verachten wegen seiner Feigheit. Und so nickt sie nur. Aber ihre Stimme klingt tonlos und unsagbar müde, als sie erwidert: »Ja, Jesse, das hat gut geklappt! Du warst überzeugend echt. Dieser Wyoming-Falke glaubte tatsächlich, daß du mich umbringen würdest durch
einen Schuß in den Kopf. – Wie schlecht er dich kannte. – Du könntest mich doch nicht töten! Nein, dies könntest du nicht. – Aber auch ich war wohl nicht schlecht – oder?« Er preßt seine Zähne zusammen. Und er kann ihrem Blick nicht standhalten. »Ja, du warst gut«, nickt er und wendet sich ab. »Du hast ihm überzeugend klargemacht, daß ich schießen würde. – Nun, ich hole jetzt die beiden Pferde. Nimm du unsere Packpferde.« Er wendet sich seinem Pferd zu, sitzt auf und reitet hinüber, um die beiden verlassenen Sattelpferde zu holen. Ty Jones und Sue Sheridan befinden sich jetzt schon außer Schußweite. Aber sie gehen nicht weiter auf ihrer Fährte zurück, sondern haben angehalten und beobachten. Jesse Haggerty droht ihnen mit der Faust. Dann folgt er mit den erbeuteten Sattelpferden der vorausreitenden Ginger Lane. * Als Ty Jones bei Sue Sheridan angelangt ist, lächelt diese ihn an. »Wenn ich nicht schon vorher sicher gewesen wäre«, sagt sie, »dann wüßte ich es jetzt.« »Was?« fragt er staunend. »Daß du einer der allerletzten Ritter auf dieser Erde bist«, erwidert sie. »Das Leben einer verlorenen Frau, die wahrscheinlich nichts taugt und nie etwas taugen wird, war dir immer noch wichtiger als ein Sieg über Haggerty und zwei Packpferde, beladen mit Gold. – Denn er hätte sie umgebracht. Ja, der meinte es ernst. Der hätte sie erschossen, bevor er sich dir stellte. – Ty, ich bin stolz, daß ich es bin, die mit dir durch dieses Leben gehen darf.« »Ach«, winkt er ab, »übertreibe nur nicht so. – Sonst schnappe ich noch über und halte mich wirklich für einen ganz
besonderen Burschen.« Sie setzen sich nun wieder in Bewegung. Aber sie folgen jetzt Jesse Haggerty und Ginger Lane. Sue sagt nach einer Weile: »Was nur aus ihnen werden wird? – Diese Ginger kann ihm doch nie mehr wieder vertrauen. Die reitet doch nur mit ihm, weil sie keine andere Wahl hat. – Aber ich an ihrer Stelle würde ihn bei der ersten Gelegenheit verlassen. – Ich wäre fertig mit ihm, und ich würde sogar auf eine Menge Gold verzichten, nur um von ihm wegkommen zu können. – Denn er wird sie zu hassen beginnen, weil sie Zeugin seines Zusammenbruchs war, seiner heißen Furcht. – Er wird spüren, wie sehr sie ihn verachten muß. – Was mögen sie nur tun, diese beiden Verlorenen?« * Und so endet es: Es geht sehr schnell mit Jesse Haggerty zu Ende. Schon fünf Meilen weiter hinter einem Hügelkamm stoßen sie auf eine Gruppe von Reitern. Es sind hartgesichtige Männer, und ihr Anführer trägt den Stern eines Gesetzesmannes. Dieser Mann ist es, welcher fragt: »Kommt ihr den BozemanWeg herauf? Seid ihr an den Relais-Stationen der Post-und Frachtlinie vorbeigekommen?« Er greift dabei vor Ginger Lane an den Hut, denn sie war etwas zurück, reitet jetzt erst neben Haggerty und zeigt ihr schönes Gesicht. »Hallo, Ma’am«, sagt der Gesetzesmann. »Ich bin Sheriff Garretter aus Bozeman. Wir sind unterwegs, um bei den Relais-Stationen der Linie nach dem Rechten zu sehen. Der Bozeman-Weg ist nach dem letzten Blizzard wie tot. – Wir befürchten, daß Indianer…« »Die drei letzten Stationen waren verlassen«, mischt Jesse
Haggerty sich ein. »Und wir selbst hatten ebenfalls einen Zusammenstoß mit Indianern. – Deshalb die leeren Sattelpferde. – Wir sind froh, wenn wir Bozeman erreicht haben.« Er will weiter, hebt schon die Zügel. Doch Sheriff Garretter aus Bozeman fragt: »Und woher kommen Sie, Mister? Aus Laramie vielleicht? Den ganzen langen Bozeman-Weg herauf? – Mann, dann müssen Sie uns noch mehr erzählen. – Seit Wochen kamen keine Nachrichten mehr von Laramie. Wo waren Sie, als vor einigen Tagen der Blizzard…« »In einer verlassenen Trapperhütte«, erwidert Jesse Haggerty barsch und reitet an. Er hat die beiden Packpferde mit dem Gold an der Leine. Ginger Lane führt die anderen Pferde mit sich. Sie läßt die beiden Zügel fallen, wendet sich an den Sheriff und fragt: »Es muß im Sommer gewesen sein, als ein großer Goldtransport auf dem Bozeman-Weg überfallen wurde von Banditen und Deserteuren, ja?« Der Sheriff nickt. »Ja«, sagt er, »das war im Juli, also vor vier Monaten. Zweihundert Kilo Gold gingen verloren. Und die Versicherungen kündigten der Post- und Frachtlinie den Vertrag. – Ja, zweihundert Kilo Gold gingen verloren. – Warum fragen Sie, Ma’am?« Sie lächelt auf eine traurige und irgendwie weise wirkende Art. Sie wirkt fast wie eine in tiefster Resignation Trauernde, die jemanden zu Grabe geleitet hat. Und sie deutet auf den schon davonreitenden Jesse Haggerty und die beiden Packtiere. Dann sagt sie: »Sheriff, das ist eine lange Geschichte – und sie fängt in Laramie mit einem gewissen Berni Hammer an. – Ich werde Ihnen diese Geschichte gewiß noch erzählen. – Doch zuerst sollten Sie diese beiden Packtiere konfiszieren. Denn sie
tragen die zweihundert Kilo Gold. Dieses Gold hat schon mehrmals seinen Besitzer gewechselt, aber dieser Mann dort ist gewiß nicht der richtige Besitzer. – Diese beiden Pferde aber«, – sie deutet auf die beiden Sattelpferde, welche sie mitgeführt hatte – »gehören einem gewissen Ty Jones und dessen Begleiterin, die jetzt zu Fuß gehen müssen, weil dieser Mister da das so haben wollte.« Der Sheriff sieht Ginger Lane einen Moment staunend an. Dann nickt er einigen seiner Reiter zu. »Na los! Peters, Wells und Shannon, holt den Mann mit den Pferden zurück!« Drei Reiter wenden ihre Pferde und reiten Jesse Haggerty nach. Dieser versucht eine Flucht. Doch mit den beiden Packpferden ist er nicht so schnell wie die Reiter. Sein Vorsprung ist auch nicht groß. Als er erkennt, daß er nicht entkommen kann, stellt er sich zum Kampf. Sein erster Schuß tötet einem der Reiter das Pferd unter dem Sattel. Der Mann segelt brüllend über Hals und Kopf des Tieres und überschlägt sich dann im Schnee. Die beiden anderen machen kurzen Prozeß mit Jesse Haggerty. Über Ginger Lanes Wangen rollen zwei Tränen, als sie sieht, wie Jesse Haggerty vom Pferd in den Schnee fällt und sich dort nicht mehr bewegt. * Als Sue und Ty die Reiter kommen sehen, verharren sie zuerst vorsichtig und kampfbereit. Doch dann erkennen sie ihre eigenen Sattelpferde, die von den Reitern mitgebracht werden. Und wenig später hören sie die Geschichte. Der Sheriff selbst fragt sie dann nach Einzelheiten – und als sie ihm alles erzählt haben, sagt der Sheriff:
»Von Ihnen habe ich schon gehört, Ty Jones. – Ich weiß, daß man Sie Wyoming-Falke nennt, daß Sie Scout bei der Armee waren und sich als Dolmetscher bei einigen Friedensverhandlungen mit den Indianern in wichtiger Funktion Verdienste erwarben. Schon Ihr Vater war ein wichtiger Mann in diesem Lande, als Fort Laramie noch weißen Händlern gehörte. – Was Sie sagen, Ty Jones, ist für mich also absolut glaubhaft. – Aber jedes Wort deckt sich mit dem, was Miß Ginger Lane mir schon berichtete. Sie hat also die nackte Wahrheit berichtet, nichts beschönigt und nicht gelogen. Sie war also fertig mit diesem Jesse Haggerty. – Doch ohne Schuld ist sie gewiß nicht. Denn…« »Lassen Sie sie laufen«, mischt Sue Sheridan sich ein. »Sie ist gestraft genug. Ihre Enttäuschung war schlimmer als zehn Jahre Gefängnis. – Als sie den Mann verlor, an den sie glaubte, da wollte sie auch das Gold nicht mehr. – Sie ist gewissermaßen als Kronzeugin anzusehen. – Und Kronzeugen gehen straffrei aus, nicht wahr? Eigentlich müßte sie sogar noch eine Belohnung für das Herbeischaffen des Goldes erhalten, nicht wahr?« Der Sheriff betrachtet Sue staunend. Aber dann nickt er leicht. Er deutet nach Norden. »Im Goldland«, sagt er, »gibt es noch nicht das richtige Gesetz. Denn eigentlich ist es Indianerland, welches die Regierung den Indianern garantiert hat. – Offiziell also gibt es im Goldland keinen Einfluß der Regierung. – Wir haben nur Goldgräber-Gerichtshöfe. – Und auch ich bin nur ein Goldgräber-Sheriff. – Ich denke, daß wir diese Ginger Lane laufenlassen werden. – Ja, das denke ich.« * Es ist eine Woche später, als Sue Sheridan und Ty Jones die
ersten Hinweise bekommen, die ihnen bei der Suche nach Sues Bruder behilflich sind. Eine weitere Woche später erreichen sie die Last Chance Gulch und fragen sich nach Pete Sheridans Claim durch. Als sie dann – es ist schon Nacht – vor der Hütte halten, kommt einer der Nachbarn herüber. »Wollt ihr zu Pete Sheridan?« »Ich bin seine Schwester«, sagt Sue. Der Mann nickt im Mond- und Sternenlicht. »Ja, das kann stimmen«, sagt er. »Pete erzählte manchmal was von seiner Schwester. – Aber er ist nach Last Chance City. Dort tritt heute die Nachtigall von New Orleans auf. – Die will er sich ansehen. Er ist ja ein besonders stattlicher Bursche. Vielleicht hat er Glück bei ihr, hahaha, nicht wahr?« Der Mann lacht etwas neidvoll, denn er ist krummbeinig, dick und häßlich. Ty Jones und Sue Sheridan bedanken sich und reiten zurück nach Last Chance City. Es sind nur drei Meilen. Sie müssen nur noch einmal fragen, um zu erfahren, wo die Nachtigall von New Orleans auftritt. Wenig später halten sie vor der Last Chance Hall, und sie haben einige Mühe, ihre Pferde irgendwo in der Nähe anbinden zu können. Als sie dann eintreten, ist es still in der großen Amüsierhalle. Auf der Bühne singt eine Frau ein Lied aus dem fernen Süden. Die Kapelle spielt sehr leise dazu, so daß die Stimme der Frau voll zur Geltung kommt – diese melodische, dunkle und so wissend und weise klingende Stimme einer Frau, der nichts mehr fremd ist auf dieser Erde – und die trotz jugendlicher Schönheit tausend Jahre schon gelebt zu haben scheint. An der Wand lehnt ein großer weißblonder Bursche, der an einer kalten Zigarre kaut und zuhört mit atemloser Vergessenheit.
Sue Sheridan tippt ihn gegen den Arm. Und der Bursche staunt sie an, nimmt die Zigarre aus dem Munde und will einen lauten Schrei ausstoßen – einen Jubelschrei. Doch Sue legt ihm die Finger auf den Mund. Dann gehen sie zusammen hinaus. Ty folgt ihnen. Draußen sagt Sue Sheridan zu ihrem Bruder, nachdem dieser sie umfaßt, herumgeschwungen und geküßt hat: »Pete, diese Lady dort drinnen ist nichts für dich. – Die kennen wir. Das ist eine gewisse Ginger Lane. Die sucht nur wohlhabende Männer!« »Hoii, ich habe schon dreitausend Dollar in Goldstaub«, grinst Pete und richtet seinen Blick auf Ty. »Und wer ist das?« »Mein Mann, Ty Jones«, sagt Sue. »Wir haben gestern geheiratet, weil wir endlich jemanden fanden, der uns trauen konnte. – Und er hat ein wunderschönes Tal, in dem es noch besseres Blaugras geben soll als in Kentucky. Und er will Pferde züchten und braucht einen Partner. – Pete, er ist einer der letzten Ritter und Gentlemen auf dieser Erde.« Pete Sheridan sieht Ty Jones an und nickt. »Wenn du seine Frau bist, dann glaube ich das«, sagt er. »Du hast schon als kleines Mädchen gewußt, welches der beste Hengst in einer Herde ist.« ENDE
Ein bärenstarker, mitreißender Unger-Western erwartet Sie auch in der kommenden Woche. Sie sollten ihn unter gar keinen Umständen versäumen!
Hundert Tage � In hundert Tagen muß Gray Pickett, der Trailboß, mit dem Erlös der Sammelherde zurück sein. Die Existenz sämtlicher Kleinrancher im weiten Umkreis der kleinen Stadt Caddo steht auf dem Spiel…