Stephan Kudert(Hrsg.) Wirtschaftsstandort Ukraine
WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT
Stephan Kudert (Hrsg.)
Wirtschaftsstando...
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Stephan Kudert(Hrsg.) Wirtschaftsstandort Ukraine
WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT
Stephan Kudert (Hrsg.)
Wirtschaftsstandort Ukraine Rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen fur auslandische Investoren
Deutscher Universitats-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iiber abrufbar.
I.Auflage Mai 2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I 6WV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ute Wrasmann /Anita Wilke Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media, www. duv.de Das Werk einschliel^lich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiltzt. Jede Verwertung auSerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutztwerden diirften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, Schel^litz Gedrucktauf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8350-0428-X ISBN-13 978-3-8350-0428-3
Vorwort Die Ukraine ist ein groBer Flachenstaat, der bislang scheinbar an der Peripherie Europas lag. Erst die orange Revolution im Jahr 2004 machte vielen Westeuropaem deutlich, dass er die geografische Mitte Europas bildet; eine Erkenntnis, die beim Nachbam Polen weniger Verwunderung hervorruft. Insbesondere die stetig wachsenden wirtschaftlichen Aktivitaten haben in Deutschland wie in Polen einen groBen Bedarf nach Informationen uber die rechtlichen Rahmenbedingungen von wirtschaftlichen Engagements von Auslandem in der Ukraine geweckt. Dieses Buch soil einen Beitrag dazu leisten, diese Informationslticke zu schlieBen. Die Europa-Universitat Viadrina gehort zu den kleinsten und jiingsten Universitaten der Europaischen Union. Sie hat eine exponierte geographische Lage und international ausgerichtete Struktur. Sie unterhalt gemeinsam mit der Adam-Mickiewicz-Universitat Posen eine Lehr- und Forschungseinrichtung in Shibice, das Collegium Polonicum, in der auch das Europaische Wissenschaftszentrum [EWZ] ansassig ist. Gefordert durch Mittel der Europaischen Union arbeitet am EWZ ein intemationales Wissenschaftsteam interdisziplinar iiber diese rechtlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der Ukraine, ohne dabei den deutsch-polnischen Kontext zu vemachlassigen. Das Werk soil Anregungen far einen vielfaltigen Leserkreis enthalten. So sind insbesondere flir Entscheidungstrager in Untemehmen und deren Berater zahlreiche Gestaltungshinweise enthalten, aber auch Hinweise ftir die Legislative, Judikative und Exekutive und natiirlich vielfaltige Informationen fur Wissenschaftler. Dass sprachliche, fachliche und kulturelle Barrieren zu iiberwinden waren, beschwerte gelegentlich die Arbeit, machte aber auch ihren besonderen Reiz aus. Hierfur danke ich alien Beteiligten nachdrucklich. Insbesondere bedanke ich mich bei Herm Dipl.-Kfm. Robert Strauch fur seinen unermudlichen Einsatz in der Endphase des Projekts. Ebenfalls darf nicht unerwahnt bleiben, dass das Buch in vielfaltiger Weise von Herm WP-[PL] Jens Jungmann [Geschaftsfuhrender Partner bei Rodl & Partner] unterstutzt wurde. Ohne seine Hilfe ware die Fertigstellung erheblich verzogert worden. Stephan Kudert
Inhaltsiibersicht
Vorwort
V
Inhaltsiibersicht
VII
Die Autoren
IX
Abktirzungsverzeichnis
XI
Kapitel I:
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine S. Gottschalk
Kapitel II: Reclitliche Rahmenbedingungen fiir Investitionen in der Ukraine S. Naether Kapitel III: Das Steuerrecht der Ukraine aus Sicht deutscher Investoren S. Nikolaychuk / T. Stephan Kapitel IV: Die handelsrechtliche Rechnungslegung in der Ukraine V. Perederiy / R. Strauch
1
59
137 201
Literaturverzeichnis
269
Rechtsprechungsregister
281
Sonstige Quellen
283
Sachregister
295
Die Autoren
•
Dipl.-Vw. Silke Gottschalk Doktorandin an der Europa-Universitat Viadrina
•
Ass. iur. Sylvi Naether LL. M. oec. Fachtibersetzerin fiir Russisch Mitarbeiterin in einem Erdgas/Erdol-Untemehmen
Dipl.-Kfm. Serhiy Nikolaychuk Diplom fur Internationale wirtschaftliche Beziehungen Diplomdolmetscher fiir Deutsch und Englisch Master of European Studies Doktorand an der Europa-Universitat Viadrina
Dipl.-Kfm. Volodymyr Perederiy Master fiir Internationale Wirtschaftsbeziehungen Doktorand an der Europa-Universitat Viadrina
•
Dipl.-Kfm. Tobias Stephan Master of European Studies Mitarbeiter in einem international tatigen Beratungsuntemehmen
Dipl.-Kfm. Robert Strauch Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Europa-Universitat Viadrina
Abkiirzungsverzeichnis
A a. a. 0 . Abs. ADI AG AHB AHK AO-D AO-UA ArbitrageG Art. ASCM AStG-D Aufl. ausl. AuslInvG AuslUrtVollstrG AuBenWiG
Abschreibung am angegebenen Ort Absatz Auslandische Direktinvestitionen Aktiengesellschaft (en) Anrechnungshochstbetrag Anschaffiings- bzw. Herstellungskosten Deutsche Abgabenordnung Ukrainisches Gesetz liber das Steuersystem Arbitragegesetz Artikel Agreements on Subsidies and Countervailing Measures Deutsches AuBensteuergesetz Auflage auslandisch Auslandsinvestitionsgesetz Gesetz iiber Vollstreckung der auslandischen Urteile Gesetz iiber die AuBenwirtschaftstatigkeit
BB Bd. bearb. BFH BGBl. BIP BMF BodenG BRAGO BRD BS BStBl. Buchst. BUL bzgl. bzw. BW
Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band bearbeitet Bundesfinanzhof Bundesgesetzblatt Bruttoinlandsprodukt Bundesminister fur Finanzen (der Bundesrepublik Deutschland) Bodengesetz Bundesgebuhrenordnung fiir Rechtsanwalte Bundesrepublik Deutschland Betriebsstatte Bundessteuerblatt Buchstabe Bulgarien beziiglich beziehungsweise Buchwert
ca. chem. CZ
circa chemisch Tschechien
XII
Abkiirzungsverzeichnis
DB DBA DBA-D/UA DEG Dez. d.h. DIW DSE DStR DStRE
Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen DBA zwischen Deutschland und der Ukraine Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft Dezember das heiBt Deutsches Institut fur Wirtschaftsforschung Donetsk Stock Exchange Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst (Zeitschrift)
E-AktG-UA EBIT EBRD EMU erw. ESt EStG-D EStG-UA etc. EU EXIM
Entwurf des ukrainischen Aktiengesetzes Earnings before Interest and Taxes European Bank for Reconstruction and Development European Money Union erweiterte Einkommensteuer Deutsches Einkommensteuergesetz Ukrainisches Einkommensteuergesetz et cetera Europaische Union Export-Import Bank
f. ff. FAT FATF FASB FAZ FDI Feb. Fifo Fn. FR FSTS
folgende fortfolgende Fixe Agrarsteuer Financial Action Task Force on Money Laundering Financial Accounting Standards Board Frankfurter Allgemeine Zeitung Foreign Direct Investment Februar first in first out FuBnote Finanzrundschau (Zeitschrift) First Security Trading System
GATS GATT GbR gem. GmbH & Co KG GER GewSt GewStG-D ggf.
General Agreement on Tariffs and Services General Agreement on Tariffs and Trade Gesellschaft des biirgerlichen Rechts gemaB GmbH und Company Kommanditgesellschaft Germany Gewerbesteuer Deutsches Gewerbesteuergesetz gegebenenfalls
XIII
Abkiirzungsverzeichnis
ggu. GK GmbH GmzH grds. GrSt GUS GuV GVG-UA
gegeniiber Gesamtkosten Gesellschaft mit beschrankter Haftung Gesellschaft mit zusatzlicher Haftung Grundsatzlich Grundsteuer Gemeinschaft der unabhangigen Staaten Gewinn- und Verlustrechnung Ukrainisches Gesetz tiber den Gerichtaufbau
ha HGB-D HGB-UA Hrsg. HUN HypoG
Hektar deutsches Handelsgesetzbuch ukrainisches Handelsgesetzbuch Herausgeber Ungam Hypothekengesetz
IAS lASC i. d. R. lER
IWF i. V. m.
International Accounting Standards International Accounting Standards Committee in der Regel Institute of Economic Research and Policy Consulting (in Kiev) International Finance Corporation International Financial Reporting Interpretation Committee International Financial Reporting Standards Investitionsforderung- und Schutzvertrag Industrie- und Handelskammer in Hohe von International Monetary Fund Immobilienregistrierungsgesetz Importzolle inklusive insbesondere Gesetz uber Investitionstatigkeit im Sinne des im Sinne von International Standards on Auditing Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) Internationale Wirtschaftsbriefe (Zeitschrift/ Loseblattsammlung) Intemationaler Wahrungsfonds in Verbindung mit
KapG KatasterG
Kapitalgesellschaft Katastergesetz
IFC IFRIC IFRS IFV IHK i. H. V.
IMF ImmobilienRegG Imp.Zolle inkl. insbes. InvG i. S. d. i. S.v. ISA IStR IWB
XIV
Abkurzungsverzeichnis
Kfz KG KISE km KOSDI KSt KStG-D KStG-UA
Kraftfahrzeug Kommanditgesellschaft Kiev International Stock Exchange Kilometer Kolner Steuerdialog (Zeitschrift) Korperschaftsteuer deutsches Korperschaftssteuergesetz ukrainischesKorperschaftsteuergesetz
L LIBOR LPachtG Ltd.
Legislation London Interbank Offer Rate Landpachtgesetz Limited
MAK mbH Mio. MKAS Mrd.
Seearbitrage-Kommission mit beschrankter Haftung Millionen Internationale Handelsschiedsgericht in Ukraine Milliarden
N nBA NBU No. Nr. NWB
Nutzungsdauer nicht abzugsfahige Betriebsausgabe National Bank Ukraine Number Nummer Neue Wirtschaftsbriefe (Zeitschrift/Loseblattsammlung)
0. a. oblig. OECD OECD-MA
OEM o.g. OHG Okt. o.V.
oder ahnliches obligatorisch Organisation for Economic Coorporation and Development OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (und Jahreszahl: jeweilige Abkommensfassung) Osteuropa-Institut Miinchen oben genannte Offene Handelsgesellschaft Oktober ohne Verfasser
p. a. PCA PersG PISt Pkt. POL
per annum Partnership and Cooperation Agreement Personengesellschaft Praxis Intematonale Steuerberatung Punkt Polen
XV
Abkiirzungsverzeichnis
PTS PwC
Presumptive Tax for Small Enterprises PricewaterhouseCoopers
QuSt
Quellensteuer
RegG RegNr. RGBl. ROW RHB RK RichterG RL-Beschluss RLG ROM RUS RSFSR RStBl. RTA
Registrierungsgesetz Registrierungsnummer Reichsgesetzblatt Rat fur Gegenseitige Wirtschaftshilfe Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe Rahmenkonzept Gesetz tiber den Richterstatus Rechnungslegungsbeschluss Rechnungslegungsgesetz Rumanien Russland Russische Sozialistische Federative Sowjetrepublik Reichssteuerblatt Regional Trade Agreement
S. SES SIC SKWE
siehe/Seite Single Economic Space Standards Interpretation Committee Staatliche Kommission fiir Wertpapiere und Effektmarkt (der Ukraine) so genannten Sonstige Steuer & Studium (Zeitschrift) Steuergesetzbuch der Ukraine Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Sonderwirtschaftszone Sozialversicherung Sozialversicherungsbeitrag Slowakische Republik
sog. sonst. SteuerStud StG-UA StuW SWZ SV SVBtr SVK TACIS TOT TVE Tz.
Technisches Hilfsprogramm der EU fur die GUS und die Mongolei Terms of Trade Territorien Vorrangiger Entwicklung Textziffer
u. u. a. u. a. UA
und unter anderem und ahnliche Ukraine
XVI
Abkurzungsverzeichnis
UAH UAS iiberarb. UICE UNCITRAL ukr. UkrStat US(A) USD/US$ USE US-GAAP USt-D USt-UA
Ukrainische Hryvnia (Landeswahrung) Ukrainian Accounting Standards tiberarbeitet Ukrainian Interbank Currency Exchange United Nations Commission on International Trade Law ukrainisch Ukrainian States Statistics Committee United States (of America) US-Dollar Ukrainian Stock Exchange United States-Generally Accepted Accounting Principles deutsche Umsatzsteuer ukrainische Umsatzsteuer
V. a.
VZ
vor allem vergleiche Verordnung Volumen Vollgesellschaft vollstandig Gesetz uber Vollstreckungsverfahren Verkaufspreis Vidomosti Verchovnoji Rady Ukrajiny Vidomosti Verchovnoji Rady Ukrajins'koji Radjans'koji Socialistycnoji Respubliky Veranlagungszeitraum
WertpapierG WiGesG WiPO WISU WPG WPg WTO
Gesetz uber Wertpapiere und Wertpapierborse Gesetz iiber die Wirtschaftsgesellschaften Wirtschaftsprozessordnung Wirtschaftsstudium (Zeitschrift) Wirtschaftspriifergesetz Die Wirtschaftsprtifung (Zeitschrift) World Trade Organisation
z.B. ZGB-UA ZGE ZPO-UA z.T. ZW z.Z.
zum Beispiel Zivilgesetzbuch der Ukraine zahlungsmittelgenerierende Einheit Zivilprozessordnung der Ukraine zum Teil Zeitwert zur Zeit
vgl. VO Vol. VollG vollst. VollstrG VP VVRU VVRURSR
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine Silke Gottschalk
1 2
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5
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7
8
Einleitung Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturen 2.1 Vor der Unabhangigkeit 2.2 Reformen 2.3 Wirtschaftliche Entwicklung seit der Unabhangigkeit AuBenhandel 3.1 Entwicklung seit der Unabhangigkeit 3.2 Strukturelle Schwachen 3.3 Handelspolitik Der Finanzsektor 4.1 Der generelle Aufbau des Bankensektors 4.2 Die Schwachen des Bankensystems 4.3 Der Kapitalmarkt 4.3.1 Der Aktienmarkt 4.3.2 Rentensystem und Kapitalmarkt 4.4 Die aktuelle Politik der Nationalbank der Ukraine Steuersystem und Fiskalpolitik 5.1 Das Steuersystem 5.2 Die Sonderwirtschaftszonen 5.3 Steuer- und Fiskalpolitik 5.3.1 Steuerpolitik 5.3.2 Fiskalpolitik Auslandische Direktinvestitionen 6.1 Vorteile, Entwicklung und Zielbranchen 6.2 Hindemisse Die Ukraine und die Europaische Union 7.1 Die Wirtschaftspolitische Strategic der EU 7.2 Mogliche Folgen der EU-Osterweiterung 7.2.1 Auswirkungen auf den Handel 7.2.2 Konkurrenzdruck 7.2.3 Neue Ostgrenze der EU 7.3 Voraussetzungen fur einen EU-Beitritt der Ukraine Fazit
3 5 5 8 11 13 13 15 19 22 22 23 26 26 28 29 32 32 35 38 38 40 43 43 45 49 49 51 51 52 53 54 56
1 Einleitung
" Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten. "
Im heutigen Zeitalter zunehmender okonomischer Integration trifft diese zugegebener MaBen recht bissige Formulierung Tucholskys mehr denn je zu. Diese Verflechtung auBert sich nicht nur im Aufienhandel, sondem mit wachsender Faktormobilitat - insbesondere des Faktors Kapital - auch in steigenden Direktinvestitionen im Ausland. Wer sich jedoch mit dem Gedanken einer Direktinvestition im Ausland tragt, kommt kaum darum herum sich zunachst zu fragen: „Was erwartet mich?" Diese Uberlegung beriihrt sicher nicht nur Fragen der wirtschafts-, steuer- und zivilrechtHchen Gegebenheiten sowie der vorhandenen Moglichkeiten der Rechtsform- und Standortwahl, sondem auch eine Analyse der gesamtwirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen im avisierten Zielland. Nicht zuletzt ist es ja auch das Wachstumspotential einer Okonomie, von dem die Erfolgschancen einer Investition abhangen. Doch auch die Strukturen einer Volkswirtschaft sind fur den potentiellen Investor sicher von Interesse. Als Transformationsokonomie ist die Wirtschaft der Ukraine tief greifenden Veranderungen unterworfen und verfugt daher noch nicht iiber stabile Strukturen, die etwa mit denen der „gestandenen" Marktwirtschaften Westeuropas vergleichbar waren - ein Umstand, der einen nicht zu vemachlassigenden Einfluss auf die Entscheidung iiber eine Direktinvestition bzw. deren Umsetzung haben diirfte. Das vorliegende Kapitel mochte daher zum einen die Wirtschaftsstrukturen und deren Entwicklung naher beleuchten und zum anderen einen Einblick in die gesamtwirtschaftliche Situation der Ukraine bieten. In Abschnitt 1 werden wir zunachst die Entwicklung der wirtschaftlichen Strukturen betrachten und uns im dritten Abschnitt der Entwicklung des AuBenhandels und ausgewahlter Aspekte der ukrainischen Handelspolitik zuwenden. Der vierte und fiinfte
Kurt Tucholsky in seinem Essay „Kurzer Abriss der Nationalokonomie", erschienen unter dem Pseudonym Kaspar Hauser in „Die Weltbiihne - deutsche Wochenzeitschrift fur Politik - Kunst Wirtschaft" 37, Berlm, 15.09.1931.
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
Abschnitt beschaftigen sich mit dem Finanzsektor bzw. dem Steuersystem und der Fiskalpolitik. Mit der bisherigen Entwicklung auslandischer Direktinvestitionen und Argumenten, die dafur oder auch dagegen sprechen, werden wir uns im sechsten Abschnitt auseinandersetzen. Da ukrainische Regierungskreise immer wieder das Ziel der Ukraine bekraftigen, der Europaischen Union beizutreten, mochten wir uns im siebten Abschnitt der Frage widmen, was die Ukraine auf dem Weg zu einem Beitritt in die EU schon erreicht hat bzw. noch erreichen muss. Der achte Abschnitt schlieBHch soil ein kurzes Fazit geben.
Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturen
2 Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturen 2.1
Vor der Unabhangigkeit
Betrachtet man die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine vom 19. Jahrhundert bis 1990, so fallt vor allem der uniibersehbare Kontrast zwischen dem westlichen und dem ostlichen Teil der heutigen Ukraine ins Auge. Schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der russisch dominierte Osten der Ukraine auf Betreiben der zaristischen Regierung und unter Beteiligung auslandischer Investoren teilweise industrialisiert. Die Ausstattung mit Bodenschatzen wie Kohle und Eisenerz fuhrte hier zur Entwicklung von Schwerindustrie, insbesondere in der Donbas-Region. Der Westen der Ukraine hingegen war landwirtschaftlich gepragt. Hier entwickelte sich seit der Abschaffung der Leibeigenschaft im Jahre 1861 eine bauerliche Privatwirtschaft, die jedoch mit der Grundung der Sowjetunion 1922 und deren Folgen ein jahes Ende fmden sollte. Die Einfiihrung und Umsetzung der ersten 5-Jahr-Plane in den Jahren 1928-38 fuhrte zu einer Zwangsindustrialisierung einerseits und einer Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft andererseits. Im Zuge der Kollektivierung in der Landwirtschaft wurden zwei Arten landwirtschaftlicher GroBbetriebe geschaffen, die so genannten Kolchosen (Kollektivwirtschaften) und Sowchosen (Sowjetwirtschaften). Bei beiden war der bewirtschaftete Boden Staatseigentum, wurde aber im Fall der Kolchosen diesen zur Nutzung tiberlassen (bei den Sowchosen war dies nicht der Fall). Die Produktionsmittel (Landmaschinen, Saatgut etc.) waren bei den Kolchosen Gemeinschaftsbesitz des Kollektivs, bei den Sowchosen Staatseigentum wie auch der Boden. Die Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft resultierte in einer regelrechten Zerstorung des landwirtschaftlichen Produktionspotentials. Dies hatte vor allem zwei Hintergriinde: zum einen wanderten Bauem zunehmend in Stadte ab um der Kollektivierung zu entgehen, zum anderen verringerten noch nicht kollektivierte bauerliche Privatwirtschaften ihre Investitionen und ihren Faktoreinsatz, zerstorten sogar ihre eigenen Produktionsmittel, damit diese nicht durch Kolchosen und Sowchosen vereinnahmt werden konnten.' In den friihen
Vgl. Shen, Ukraine's Economic Reform: Obstacles, Errors, Lessons, 1996, S. 24.
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
30er Jahren waren erfolgreiche private Landwirtschaftsbetriebe endgiiltig verschwunden.^ Die Industrialisierung in der Ukraine nach Grundung der UdSSR erfolgte sehr einseitig, da der Fokus bei der Schaffung und Erweiterung industrieller Produktion nahezu ausschlieBlich auf der Forderung von Schwerindustrie und Maschinenbau sowie auf einer leistungsfahigen Riistungsindustrie lag. Der Aufbau einer Konsumgiiterproduktion und einer Industrie zur weiteren Verarbeitung von Eisen und Stahl wurde nicht nur versaumt, sondem - insbesondere bei der Konsumgiiterproduktion regelrecht unterbunden.^ Damit wurde ein wichtiger Nebeneffekt angestrebt: es sollte eine okonomische Abhangigkeit der Sowjetrepubliken untereinander erzeugt werden um damit einen Zwang zur forcierten Integration und Unterordnung der Regionen im sowjetischen Machtgefiige zu bewirken. In der Ukraine fuhrte diese Industriepolitik nicht nur zu einem extremen Ungleichgewicht zwischen Leicht- und Schwerindustrie, sondem auch zu starker Asymmetrie zwischen konsumentenorientierter Schwerindustrie (z. B. Produktion von PKW und Landmaschinen) und kapitalintensiver Rustungsindustrie mit einem starken Ubergewicht zugunsten letzterer. Abgesehen von der Notwendigkeit, Konsumgiiter aus anderen Sowjetrepubliken zu beziehen, war die Ukraine zur Aufrechterhaltung ihrer sehr energieintensiven Schwerindustrie auch von umfangreichen Energielieferungen insbesondere der damaligen RSFSR (dem heutigen Russland) abhangig - eine Abhangigkeit ubrigens, die auch heute noch besteht. Eingebunden in die Sowjetunion war die Wirtschaft der Ukraine vor ihrer Unabhangigkeit den Strukturen und Regelungen der sowjetischen zentralen Plan wirtschaft unterworfen, die durch vertikale Kommandostrukturen gekennzeichnet war. Das jeweils zustandige Branchenministerium in Moskau plante sowohl den Input als auch den Output und legte damit auch die Ausstattung mit Rohstoffen und anderen Produktionsfaktoren fest. Im industriellen Sektor waren samtliche Produktionsmittel Staatseigentum und der Staat war auch der groBte Auftraggeber. Ein GroBteil der Industrieuntemehmen, aber auch Kolchosen und Sowchosen, wurden durch den Staat subventioniert. Ein weiteres Charakteristikum der sowjetischen Wirtschaft war die Schrittfur-Schritt-Produktion. Ein Produkt wurde nicht vom Rohstoff bis zum Fertigprodukt
' ^
Vgl. van Zon, The Political Economy of Independent Ukraine, 2000. S. Manning, Ukraine under the Soviets, 1953, S. 133 und van Zon, The Political Economy of Independent Ukraine, 2000.
Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturen
innerhalb eines Betriebes gefertigt, sondem Zwischenprodukte wurden in der Regel als Input in Werke in anderen Sowjetrepubliken transportiert, um dort weiterverarbeitet zu werden. Diese Vorgehensweise hatte zur Folge, dass landesweit hochspezialisierte Industriebetriebe entstanden. Die daraus resultierende hohe Inflexibilitat der einzelnen Betriebe und eine emsthafte Missallokation der Ressourcen sowie die fixierte Kapitalstruktur erschwerten mit Beginn des politischen und okonomischen Transformationsprozesses den Aufbau einer autonomen Wirtschaft der unabhangigen Ukraine enorm.^ Auch die landwirtschaftliche Produktion unterlag staatlichen Vorgaben. Sowohl die Bereitstellung der Inputs als auch die Produktion landwirtschaftlicher Gtiter, deren eventuelle Weiterverarbeitung und der Absatz der Fertigprodukte in den urbanen Regionen wurde von politischen Autoritaten geplant und kontroUiert. Diese Planung und Kontrolle betraf einerseits die Menge, andererseits die Art zu produzierender Guter. Ziel dieser in der gesamten Sowjetunion angewandten Vorgehensweise war die Eigenversorgung der sowjetischen Bevolkerung mit landwirtschaftlichen Produkten. Ab der Mitte der 60er Jahre wurde zur Erreichung dieses Ziels massiv in die Landwirtschaft investiert - allerdings einseitig in die Produktion von Fleisch und Milchprodukten. Durch diese Investitionspolitik war die sowjetische und damit auch die ukrainische Landwirtschaft seit Ende der 60er Jahre zunehmend von Futtermittel- und Getreideimporten aus Westeuropa und den USA abhangig,^ da die eigene Produktion von Futtermitteln und Getreide nicht mehr ausreichte um das Vieh und die eigene Bevolkerung ausreichend zu versorgen. Bezahlt wurden die Importe vorwiegend durch die Lieferung von Erdol und Erdgas. Die Ende der 80er Jahre massiv fallenden Weltmarktpreise fur diese Produkte fuhrten jedoch dazu, dass die Sowjetunion ihre Importe o. g. landwirtschaftlicher Giiter nicht mehr finanzieren konnte, ohne gesamtwirtschaflliche Schaden in Kauf nehmen zu mtissen. Die sowohl in der Industrie als auch der Landwirtschaft beobachtbaren Folgen der „Sozialistischen Planwirtschaft" - Missallokation der Ressourcen, mangelhafte Investitionspolitik und fixierte Kapitalstruktur sowie Staatseigentum an Produktionsmitteln - erfordem grundlegende strukturelle Reformen der ukrainischen Wirtschaft.
Vgl. van Zon, The Political Economy of Independent Ukraine, 2000, S. 10. Vgl. hierzu von Cramon-Taubadel/Zorya/Striewe, Policies and Agricultural Development in Ukraine, 2001, S. 73 f.
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
2.2 Reformen Besonders seit Ende des Jahres 1994 bemiiht sich die ukrainische Regierung um die Umsetzung von Reformzielen, die allerdings iiberwiegend vom IMF (International Monetary Fund) und von der Weltbank formuliert worden sind.^ Eines der wohl wichtigsten Reformziele war die Vereinfachung von Entscheidungsprozessen der Regierung. Quasi als Erbe aus der Sowjetara gab es keine standardisierten Vorgehensweisen im administrativen Bereich. Die Administration war zwar sehr zentralisiert und hierarchisch organisiert, allerdings gab es keinerlei klare Aufteilung der Verantwortung zwischen dem Prasidenten, dem Ministerkabinett und den Ministerien.^ Notig war hier eine klare und transparente Aufteilung der Zustandigkeiten und auch der Verantwortung. Wesentliche strukturelle Reformen betreffen nicht nur die Privatisierung von Unternehmen und die Verringerung des Konzentrationsgrades in der Industrie sowie die Abschaffung von Staatsauftragen (auBer fur den Eigenbedarf), sondem auch einen massiven Subventionsabbau fiir die Industrie und kommunale Dienstleister. Bei alien diesen Reformzielen sind jedoch bis zum Ende des 20sten Jahrhunderts keine nennenswerten Erfolge zu verzeichnen. Insbesondere die Zerschlagung und Privatisierung groBer staatlicher Untemehmen wird auch dadurch bewusst verhindert, dass das Parlament regelmaBig eine Liste von mehr als 4500 Untemehmen bestatigt, die nicht privatisiert werden diirfen. Dieses Vorgehen fordert die Abschaffung bzw. zumindest die Reduktion der Staatsquote nicht. Auch die Branchenministerien, Staatskomitees und Regionalverwaltungen, welche die Staatsauftrage und auch Subventionen vergeben, wurden weder aufgelost noch wenigstens strikten Zielvorgaben unterworfen. Der Subventionsabbau und die Privatisierung groBer Staatsuntemehmen sind daher nur wenig erfolgreich. Lediglich bei kleinen Untemehmen kann von erfolgreicher Privatisiemng gesprochen werden. Des Weiteren sind eine Verbessemng der Aufsicht uber Untemehmen und auch der Kontrolle der Staatseinnahmen und -ausgaben dringend erforderlich, jedoch bis Ende
Zu Reformschwerpunkten und -erfolgen vgl. Thiefien, Zum wirtschaftspolitischen Reformfortschritt in der Ukraine und zur Konditionalitat der westlichen Hilfe, DIW DiskussionspapierNr. 192,2000. Vgl. Aslund, Why has Ukraine Returned to Economic Growth?, lER Working Paper No. 15, 2002. Dies betrifft vor allem die Rechnungslegung, die Kontrolle durch Aufsichtsrate und Hauptversammlungen, sowie den Rechnungshof.
Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturen der 90er Jahre nicht oder nur unzureichend erfolgt. Auch bei der dringend notigen Auflosung von mindestens fiinf groBen defizitaren Untemehmen und einer Verbesserung des Konkursrechts kann nur von mangelhaftem Reformerfolg gesprochen werden. Der Rechnungshof bleibt nach wie vor von der Kontrolle der Staatsausgaben und -einnahmen, staatlicher Untemehmen und bestimmter Fonds ausgeschlossen, und fur grofie Untemehmen ist das Konkursrisiko sehr gering. Dies liegt unter anderem daran, dass Konkursgrunde im Konkursrecht nur unzureichend definiert sind und Anreize zur Konkurseroffnung deutUch zu gering ausfallen. Auch der Abbau des Barter-Handels und staatHcher Zahlungsruckstande^ war Bestandteil des mit dem IMF und der Weltbank vereinbarten Reformpaketes. HinsichtUch des intraindustriellen Barter-Handels ist eine durchaus positive Entwicklung zu verzeichnen: Ende 1998 betmg der Anteil der Barter-Operationen am Gesamtumsatz noch 42,5 %, fiel jedoch in den folgenden Jahren kontinuierlich, so dass Ende des Jahres 2002 nur noch 4,1 % des Gesamtumsatzes auf den Barter-Handel^ entfielen. Eine ahnlich positive Entwicklung nahmen die staatlichen Zahlungsriickstande (vgl. Abbildung 1). Beides tmg zu einem Wachstumsschub der ukrainischen Wirtschaft in den Jahren 2000-2004 bei. 9.000 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0
^
1
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-^^
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= *
Eigene Darstellung. Datenquelle: IMF, Ukraine Statistical Appendix v. 28. 04. 2003, S. 37 Abbildung 1:
Bestand staatlicher Zahlungsriickstande in Mio. UAH (zum Jahresende)
Doch auch in der Landwirtschaft bestand und besteht Reformbedarf. Hier ging es in erster Linie um die Schaffling neuer Eigentumsverhaltnisse und Organisations strukturen. Hinsichtlich einer Bodenreform ist festzustellen, dass eine Privatisiemng des
Ohne Zahlungsriickstande staathcher Untemehmen. Zu den Daten vgl. International Monetary Fund, Statistical Appendix Ukraine, 2003.
10
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
Bodens nur sehr schleppend voran geht. Erst mit dem Beginn der tatsachlichen Restrukturierung ehemaliger Kollektivwirtschaften im Jahr 2000^ entsteht Schritt fur Schritt eine Schicht kleiner Landbesitzer, die ihr Land meist langfristig an landwirtschaftliche GroBbetriebe und auch kleine Privatfarmen verpachten. Der Markt fiir Pachtland ist jedoch wenig kompetitiv. Dieser Umstand behindert die Entwicklung einer wettbewerbsfahigen Landwirtschaft massiv, da die landwirtschaftliche Nutzflache nicht automatisch in den Handen der effektivsten Landwirtschaftsbetriebe liegt. Bis zum Jahr 2002 ist der nicht durch staatliche Farmen genutzte Anteil der landwirtschaftlichen Nutzflache auf 95,6 % angewachsen, wobei 62,9 % auf knapp 19000 nicht-staatliche landwirtschaftliche GroBbetriebe entfallen, wahrend 25,5 % der Nutzflache durch ca. 16,2 Millionen private Farmer genutzt werden. Die GroBbetriebe verfugen durchschnittlich iiber 1274 ha langfristig gepachtetes Land pro Betrieb, dem Privatbauem hingegen stehen nur 0,6 ha zur Verfiigung. Betrachtet man allerdings die Anzahl der Beschaftigten, ergibt sich ein etwas anderes Bild. Wahrend 58,1 % aller in der Landwirtschaft Beschaftigten in bauerlichen Privatwirtschaften tatig sind, betragt dieser Anteil bei den GroBbetrieben nur 35,9 %? Dennoch ist die Produktivitat in den Privatwirtschaften deutlich hoher, was nicht nur einer anderen Interessenlage seitens der Privatbauem zuzuschreiben ist, sondem auch den Strukturen innerhalb der GroBbetriebe. Die Manager dieser Betriebe werden von der Vollversammlung (Arbeitnehmer und Pensionare) gewahlt und haben im Interesse der eigenen Wiederwahl einen nur eingeschrankten Anreiz, die strikte Durchsetzung der Arbeitsvertrage zu fordem und zu fordem. Auch landwirtschaftliche Produktionsfaktoren werden zu deutlich geringeren als den erzielbaren Verkaufspreisen an die Hauswirtschaften der Beschaftigten und Pensionare abgegeben,^ was einer impliziten Subvention gleichkommt. Dies fiihrt neben der Tatsache sehr geringer und oft verzogerter Lohnzahlungen dazu, dass das Engagement der Arbeitnehmer und Pensionare fiir die eigene Hauswirtschaft deutlich hoher ausfallt als der Arbeitseifer im landwirtschaftlichen Grofibetrieb. Um die intemationale Wettbewerbsfahigkeit der ukrainischen Landwirtschaft zu fordem, waren nicht nur tief greifende Verandemngen der betrieblichen
Vgl. Kuhn/Demyanenko, Ensuring Competition in the Market for Lease Land, lER Advisory Paper No. S26,2003. Quelle: International Monetary Fund, Statistical Appendix Ukraine, 2003. Vgl. von Cramon-Taubadel/Koester, Die Wettbewerbsfahigkeit der ukrainischen Marktwirtschaft, in: Hoffmann/Siedenberg (Hrsg.), Aufbruch in die Marktwirtschaft: Reformen in der Ukraine von innen betrachtet, 1997, S. 134.
Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturen
H_
Strukturen notwendig, sondem auch die Forderung des Wettbewerbs um den knappen Faktor Boden, unter anderem auch durch die weitere Privatisierung jenes Landes, das nach wie vor Staatseigentum ist.^ Gemessen an den Indikatoren der Europaischen Bank fur Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) kann der Fortschritt der Transformation in der Ukraine bis zum Jahr 1999 insgesamt nicht als substantiell bezeichnet werden.^ 2.3
Wirtschaftliche Entwicklung seit der Unabhangigkeit
Seit ihrer Unabhangigkeit 1991 kampft die ukrainische Wirtschaft nicht nur mit dem strukturellen Erbe aus der Sowjetzeit, sondem die Ukraine hatte auch einen okonomischen freien Fall zu verkraften. Schon im ersten Jahr der Unabhangigkeit war eine negative Wachstumsrate des realen BIP von -8,7 % zu verzeichnen, im Jahr 1994 erreichte diese Wachstumsrate mit -23 % ihren bisherigen Tiefststand. Erst im Jahre 2000 war erstmals wieder eine positive Wachstumsrate des realen BIP zu beobachten, die im Jahre 2003 ihren bisherigen Rekord von 9,4 % erreichte.^ Den groBten Beitrag zum Wachstum des BIP leistete dabei im Jahr 2003 die Industrie mit 15,8 % gegeniiber dem Vorjahr sowie weiterhin steigende Exporte, die im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 28,5 % aufwiesen."^ Angesichts des nur graduellen Reformfortschritts in den ersten acht Jahren der Unabhangigkeit stellt sich die Frage nach den Ursachen fur das doch recht bemerkenswerte Wachstum der ukrainischen Wirtschaft seit dem Jahr 2000. Immerhin hatte sich bis Ende 1999 die ukrainische Wirtschaft zu einer oligarchischen Okonomie entwickelt, in der wenige machtige Wirtschaftssubjekte sowohl die Wirtschaft als auch die Politik dominierten - eine Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik, die fur eine arche-
Empfehlungen zu MaBnahmen zur Forderung dieses Wettbewerbs findet man in Kuhn/ Demyanenko, Ensuring Competition in the Market for Lease Land, lER Advisory Paper No. S26, 2003. Vgl. hierzu Thiefien, Zum wirtschaftspolitischen Reformfortschritt in der Ukraine und zur Konditionalitat der westlichen Hilfe, DIW Diskussionspapier Nr. 192, 2000. Datenquelle: fiir 1991-1997 vgl. Thiefien, Zum wirtschaftspolitischen Reformfortschritt in der Ukraine und zur Konditionalitat der westlichen Hilfe, DIW Diskussionspapier Nr. 192, 2000, S. 7; fur 1998-2002 vgl. International Monetary Fund, Statistical Appendix Ukraine, 2003, S. 3 und fur 2003 vgl. Troschke, Die Wirtschaftslage der Ukraine im Friihjahr 2004, OEIM Kurzanalysen und Informationen Nr. 18, Mai 2004, S. 1. Vgl. Troschke, Die Wirtschaftslage der Ukraine im Fruhjahr 2004, OEIM Kurzanalysen und Informationen Nr. 18, Mai 2004, S. 4.
12
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
typische „rent seeking society" charakteristisch ist.^ Ende des Jahres 1999 wurde unter Premierminister Viktor Yushchenko nun eine verstarkte Durchsetzung folgender grundlegender Reformen in Angriff genommen:^ • •
eine Vereinfachung der Entscheidungsprozesse der Regierung,^ die Eliminierung ungerechtfertigter Privilegien (Steuervorteile, Subventionen etc.) fur bestimmte Untemehmen,
•
die Ausbalancierung des Staatshaushalts,
•
die Reformierung des Energiemarktes,
•
die Landreform und die Vereinfachung der Besteuerung kleiner Untemehmen,
•
die konsequente Privatisierung grol3er Untemehmen.
Obwohl die meisten dieser Reformen schon seit Jahren mehr oder weniger konsequent betrieben worden waren, brachte erst ihre massive Durchsetzung im Jahr 2000 eine deutHche Reduktion der Moglichkeiten des rent seeking-Verhaltens der OHgarchen. Laut Aslund"^ war dieser Effekt der wichtigste Motor des ukrainischen Wirtschaftswachstums in den letzten vier Jahren.
Vgl. Hellman, Winners Take All: The Politics of Partial Reform in Postcommunist Transitions, 1998,8.203. Zu Details vgl. Aslund, Why has Ukraine returned to Economic Growth?, lER Working Paper No. 15,2002,8.6-11. Im Zuge dieser Vereinfachung wurden vier Regierungskommissionen unter Vorsitz der jeweiligen Minister gebildet, die eine Regierungsentscheidung vorzubereiten hatten und in der der jeweilige Minister personlich die Verantwortung trug. Es wurden regelmaBige (wochentliche) Kabinettssitzungen eingefiihrt und die Zahl staatlicher Agenturen deutlich reduziert. Vgl. Aslund, Why has Ukraine returned to Economic Growth?, lER Working Paper No. 15, 2002.
AuBenhandel
13
3 AuBenhandel 3.1 Entwicklung seit der Unabhangigkeit Schon zu Sowjetzeiten zeichnete sich die ukrainische Wirtschaft durch eine starke Exportorientierung aus, wobei es sich hier um Handelsbeziehungen mit den anderen Sowjetrepubliken und den Mitgliedsstaaten des so genannten Rates fur Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) handelte. Die Ukraine exportierte vor allem energieintensive Produkte der Schwerindustrie aber auch Nahrungsmittel und importierte - insbesondere vom heutigen Russland - in erster Linie Energie, da sie den Energiebedarf der Schwerindustrie nicht aus eigenen Reserven decken konnte. Auch heute noch machen die Handelsbeziehungen mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion den groBten Anteil des ukrainischen AuBenhandels aus. Dabei hatte die Ukraine mit der Einfuhrung der Weltmarktpreise in diesen Handelsbeziehungen einen massiven Terms-of-Trade (TOT)-Schock zu verkraften. Schatzungen gehen davon aus, dass sich die TOT zwischen 1990 und 1994 um ca. 70% verschlechterten. Statt auf diese Entwicklung mit einer Liberalisierung des Exportrechts zu reagieren, wurden jedoch die Exportvorschriften und Preiskontrollen verscharft und die Devisenbewirtschaftung noch weiter reguliert. Konsequenterweise fuhrten diese Mafinahmen zu einem Riickgang der Exporte insbesondere mit Handelspartnem in Westeuropa. Ende des Jahres 1994 wurden Leistungsbilanztransaktionen wieder liberalisiert und Exportkontrollen stark reduziert, was einerseits den seit langem existierenden Schwarzmarkt fur Devisen beendete und zum anderen zu einer Erholung der Exporte und Importe beitrug.^ Seit der zweiten Halfte der 90er Jahre entwickelte sich der AuBenhandel der Ukraine insbesondere mit der Europaischen Union recht dynamisch (vgl. Tabelle 1).
Vgl. Thiefien, AuBenwirtschaftliche Aspekte des Transformations- und Entwicklungsprozesses der Ukraine, in: Hoffmann/Siedenberg (Hrsg.), Aufbruch in die Marktwirtschaft: Reformen in der Ukraine von innen betrachtet, 1997, S. 213. 1996 erkannte die Ukraine den Artikel 8 der IWF Statuten an, der Restriktionen der Devisenbewirtschaftung ohne Zustimmung des IWF untersagt. Im September 1998 entschied sich die Zentralbank der Ukraine jedoch im Interesse einer Stabilisierung der Wahrung, eine strikte Devisenbewirtschaftung ftir Handelsbilanztransaktionen wieder einzuftihren, diese wurde im April 1999 wieder etwas gelockert, allerdings unter Beibehaltung wichtiger Restriktionen, vgl. Thiefien, Zum wirtschaftspolitischen Reformfortschritt in der Ukraine und zur Konditionalitat der westlichen Hilfe, DIW Diskussionspapier Nr. 192, 2000.
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
14
Jahr
Exporte in die EU
Importe aus der EU
1996
11,0
15,7
1997
12,3
19,7
1998
16,7
21,6
1999
18,1
20,3
2000
16,1
20,6
2001
18,3
21,8
2002
19,7
29,9
2003
19,8
25,2
1
Eigene Berechnungen. Datenquelle: Ukrainian States Statistics Committee, http://www.uk]rstat.gov.ua/operativ/operativ2005/zd/zd_rik/zd_e/gs_rik_e.html Tabellel:
AuBenhandel: Anteile der EU am Gesamthandel der Ukraine in Prozent
Eine gegenteilige Entwicklung ist hinsichtlich der Handelsbeziehungen mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu beobachten, wobei hier der sehr starke Riickgang des Exportanteils in diese Staaten an den Gesamtexporten besonders ins Auge fallt - von 51,4 % in 1996 auf nur noch 28,7 % in 2001. Weniger dramatisch entv^ickelte sich der Anteil der Importe aus den GUS-Staaten,^ er fiel von 63,5 % auf 56,1 %? Diese Daten implizieren eine negative Handelsbilanz der Ukraine mit den GUS-Staaten und auch der EU, was vor allem auf eine recht wenig differenzierte Warenstruktur des Handels und den sehr hohen Energieimport zuriickzufuhren ist.
Dazu gehoren Armenien, Azerbaidschan, Belarus, Georgien, Kazachstan, Kyrgystan, Moldova, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan und Uzbekistan. Vgl. zu den AuBenhandelsdaten Clement/Reppegather/Troschke, Entwicklung der Handelsbeziehungen und handelspolitischen Regelungen zwischen den GUS-Staaten und ihre Riickwirkungen auf den Ost-West-Handel, OEM Working Paper Nr. 246, 2003.
Aufienhandel
15^
3.2 Strukturelle Schwachen Der Handel der Ukraine mit der EU und auch den GUS-Staaten weist sowohl bei den Ex- als auch den Importen einen hohen Konzentrationsgrad auf relativ wenige Produktgruppen auf (vgl. Abbildung 2 und 3). Diese geringe Diversifikation darf sicher als gravierende strukturelle Schwache des ukrainischen AuBenhandels bezeichnet werden.
16
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
Ukrainische Exporte in die EU nach Warengruppen in Prozent
S Mineralische Stoffe QUnedle Metalle und Waren daraus DD Textilien, Schuhe, Spinnstoffe etc. S Landwirtschaftliche Giiter und Nahmngsmittel • Ubrige Warengruppen
1995
2001
Eigene Darstellung. Datenquelle: Clement/Reppegather/Troschke, Entwicklung der Handelsbeziehungen und handelspolitischen Regelungen zwischen den GUS-Staaten und ihre Ruckwirkungen auf den Ost-West-Handel, OEM Working Paper Nr. 246, 2003, Tabelle All Ukrainische Exporte in die GUS (durchschnittliche Anteile der drei wichtigsten Warengruppen) in Prozent
5 Maschinen, Apparate, Gerate, Fahrzeuge B3 Unedle Metalle und Waren daraus DD Landwirtschaftliche Produkte und Nahmngsmittel
1999
2001
Eigene Darstellung. Datenquelle: Clement/Reppegather/Troschke, Entwicklung der Handelsbeziehungen und handelspolitischen Regelungen zwischen den GUS-Staaten und ihre Ruckwirkungen auf den Ost-West-Handel, OEM Working Paper Nr. 246, 2003, Tabelle 18 und 19 Abbildung 2:
Warenstruktur der ukrainischen Exporte
AuBenhandel
17
Ukrainische Importe aus der EU nach Warengruppen in Prozent
S Befbrdenmgsmittel
-^^
^2^
Vk Erzeugnisse der chem. Industrie QD Maschinen, Apparate, Anlagen S Textilien, Schuhe, Spinnstoffe etc. • Ubrige Warengruppen
1995
2001
Eigene Darstellung. Datenquelle: Clement/Reppegather/Troschke, Entwicklung der Handelsbeziehungen und handelspolitischen Regelungen zwischen den GUS-Staaten und ihre Riickwirkungen auf den Ost-West-Handel, OEIM Working Paper Nr. 246, 2003, Tabelle A29 Ukrainische Importe aus der GUS (durchschnittliche Anteile der drei wichtigsten Warengruppen) in Prozent i Mineralische Stoffe
B Landwirtschaftliche Produkte und Nahrungsmittel DD Maschinen, Apparate Gerate, Fahrzeuge
1999
2001
Eigene Darstellung. Datenquelle: Clement/Reppegather/Troschke, Entwicklung der Handelsbeziehungen und handelspolitischen Regelungen zwischen den GUS-Staaten und ihre Riickwirkungen auf den Ost-West-Handel, OEM Working Paper Nr. 246, 2003, Tabelle 18 und 19 Anmerkung: Bei den von der Ukraine aus der GUS importierten mineralischen Stoffen handelt es sich i. d. R. um Energietrager und Brennstoffe. Abbildung 3:
Warenstruktur der ukrainischen Importe
18
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
Bei den Exporten fallt der hohe Anteil unedler Metalle und Waren daraus besonders auf. Diese Exporte sind in hohem MaBe angebotsgesteuert. Eine Anpassung an die Nachfrage im EU-Markt hat offensichtlich kaum stattgefunden. Gestiitzt wird der hohe Anteil unedler Metalle und Waren daraus im Handel mit der EU einerseits durch ein 1997 unterzeichnetes Stahlabkommen zwischen der EU und der Ukraine, das der Ukraine eine Steigerung ihres Stahlwarenabsatzes in der EU ermoglichen sollte.^ Andererseits fuhrt auch der noch immer vorhandene Mangel an konkurrenzfahigen verarbeiteten Produkten in der Ukraine zur Konzentration der Exporte auf Roh- und Grundstoffe. Die Ukraine kann sich damit nur unzureichend am intraindustriellen Welthandel beteiligen. Der sehr geringe Zufluss auslandischer Direktinvestitionen (vgl. Abschnitt 1) wirkt sich hier besonders aus, weil der mit ADI verbundene KnowHow- und Technologietransfer nahezu ausbleibt. Besonders auffallig an den Importen der Ukraine aus den GUS-Staaten ist der hohe Anteil der Energietrager (in erster Linie aus Russland), der im Jahr 2001 42 % an den Gesamtimporten bzw. 17,2 % am Bruttosozialprodukt betrug.^ In den Jahren 2002-04 anderte sich an der Warenstruktur des ukrainischen Handels sowohl mit der EU als auch der GUS sehr wenig. Im Gegenteil, die Anteile der traditionellen ukrainischen Exportguter nahmen sogar zu (z. B. unedle Metalle und Waren daraus um 25,4 % von 2002 bis 2003)^ die Konzentration auf wenige Warengruppen bleibt also erhalten. Der sehr hohe Anteil von Maschinen, Apparaten und Anlagen am ukrainischen Import aus der EU belegt die hohe Nachfrage nach Investitionsgiitem und kann als Indikator fiir einen technologischen Nachholbedarf gesehen werden. Eine Beibehaltung dieser wenig differenzierten Handelsstruktur schrankt allerdings mittel- bis langfristig das Wachstumspotential des ukrainischen AuBenhandels ein. Zur Sicherung eines nachhaltigen Wachstums ware eine deutlich starkere Differenzierung der Warenstruktur notig.
Vgl. Clement/Reppegather/Troschke, Entwicklung der Handelsbeziehungen und handelspolitischen Regelungen zwischen den GUS-Staaten und ihre Riickwirkungen auf den Ost-WestHandel, OEIM Working Paper Nr. 246, 2003. Daten siehe International Monetary Fund, Statistical Appendix Ukraine, 2003. Vgl. Piontkivska/Segura, Ukraine: Macroeconomic Situation February 2004, 2004.
AuBenhandel
3.3
19
Handelspolitik
Die AuBenhandelspolitik der Ukraine muss als zweigleisig bezeichnet werden. Seit 1992 besteht ein Freihandelsabkommen zwischen alien GUS-Staaten, das 1999 auch von der Ukraine ratifiziert wurde.' Zusatzlich wurde im September 2003 der Beitritt der Ukraine zur „Viererunion"'^ beschlossen. Schon im Freihandelsabkommen zwischen den GUS-Staaten waren russische Energieexporte vom Freihandel ausgenommen. Die Ukraine erhofft sich von einem Beitritt zur Viererunion jedoch in erster Linie eine Reduktion der 01- und Gaspreise von Russland. Diese wurde allerdings durch fallende Energiepreise die Wettbewerbsfahigkeit der Ukraine zu Lasten Russlands fordem - ein Umstand, an dem Russland wenig Interesse haben diirfte. Zusatzlich ware eine Preisreduktion bei den Energieimporten fur die Ukraine nur scheinbar vorteilhaft. Erstens ergabe sich fur die Ukraine eine extreme Anfalligkeit gegen okonomischen und politischen Druck seitens Russlands, da sie ja nun mal auf die Energieimporte angewiesen ist, und zweitens wurden geringere Energiepreise den Anreiz zur Verminderung des ineffizient hohen Energiekonsums der ukrainischen Wirtschaft reduzieren. Der einzige mogliche Vorteil fur die Ukraine aus der Mitgliedschaft in der Viererunion lage in einer Eliminierung der Besteuerungspraxis auf 01importe aus Russland,^ die iibrigens ausschliefilich gegeniiber der Ukraine angewendet wird. Die Anderung dieser Besteuerungspraxis diirfte kaum durch die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes oder einer Zollunion realisierbar sein, sondem erfordert vielmehr bilaterale Verhandlungen. Neben dem Beitritt zur Viererunion strebt die Ukraine fur spatestens 2005 den Beitritt zur WTO an.'* Die wichtigsten Vorteile einer WTO-Mitgliedschaft fur die Ukraine
Vgl. Clement/Reppegather/Troschke, Entwicklung der Handelsbeziehungen und handelspolitischen Regelungen zwischen den GUS-Staaten und ihre Riickwirkungen auf den Ost-WestHandel, OEM Working Paper Nr. 246, 2003. Viererunion: Gemeinsamer Wirtschaftsraum WeiBrussland, Kasachstan, Russland und Ukraine, der die Implementierung eines Freihandelsabkommens und eine eventuelle Schaffung einer Zollunion zwischen diesen Staaten vorsieht. OUieferungen in die Ukraine werden in Russland extra besteuert. AuBerdem wird die Mehrwertsteuer auf Olexporte nach dem Herkunftslandprinzip erhoben. Damit wird russisches 01 in der Ukraine faktisch doppelt besteuert, was intemationaler Praxis widerspricht, vgl. Burakovsky/Pavel/Eremenko, Which Priority for Ukraine's Trade Policy? 'Single Economic Space (SES) vs. World Trade Organization (WTO), lER Advisory Paper No. T14, 2003. Vgl. Troschke, Die Wirtschaftslage der Ukraine im Friihjahr 2004, OEM Kurzanalysen und Informationen, Nr. 18, Mai 2004 und Burakovsky/Pavel/Eremenko, Which Priority for Ukraine's
20
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
liegen klar auf der Hand: der Zugang zu intemationalen Markten wird erleichtert und eine Anpassung wirtschafts- und handelspolitischer Vorschriften an die Normen der WTO erhoht die Glaubwurdigkeit der Ukraine als Wirtschaftspartner. Gleichzeitig wiirde die Implementierung der WTO-Normen in der Ukraine ihre Wettbewerbsfahigkeit erhohen und zu einer verbesserten Allokation der Ressourcen und damit zu Effizienzgewinnen ftir die ukrainische Wirtschaft fiihren.^ Der Beitritt zur WTO setzt allerdings eine Anpassung der Wirtschafts- und Handelspolitik und die Schaffung von Institutionen zur Implementierung der WTO-Normen in der Ukraine voraus. Ersteres betrifft insbesondere die Abschaffung von Subventionen gemaB der Regeln des „Agreement on Subsidies and Countervailing Measures" (ASCM). Aufierdem beschranken die Regelungen der WTO den Zugang der Ukraine zu Regionalen Handelsabkommen (RTA) insofem, als dass diese Abkommen fiir WTO-Mitglieder nur erlaubt sind, solange sie weder protektionistische MaBnahmen gegeniiber Nichtmitgliedem der RTA's (i. d. R. gemessen am Durchschnittszoll) enthalten, noch bestimmte Produkte oder Produktgruppen vom Freihandel ausschlieBen.^ Angesichts dieser Beschrankungen stellt sich die Frage, ob ein Beitritt sowohl zur Viererunion als auch zur WTO miteinander kompatibel sind. Da der Beitrittsbeschluss zur Viererunion dem Stillhalteabkommen widerspricht, zu dem sich die Ukraine wahrend der laufenden Beitrittsverhandlungen mit der WTO verpflichtet hat, ist ein gleichzeitiger Beitritt zur Viererunion und zur WTO nicht moglich. Ein sequentieller Beitritt ist hingegen nicht ausgeschlossen, allerdings ist dann die Frage, in welcher Reihenfolge der Beitritt zu Viererunion und WTO erfolgen soUte. Wird die Ukraine zuerst Mitglied der WTO, dann kann ein Beitritt zur Viererunion nur erfolgen, wenn die Regelungen zu ZoUen und gehandelten Warengruppen innerhalb der Viererunion den Richtlinien der WTO entsprechen. Das bedeutet:
2
Trade Policy? 'Single Economic Space (SES) vs. World Trade Organization (WTO), lER Advisory Paper No. T14, 2003. Vgl. Burakovsky, Ukraine's WTO Accession: Forgotten Challenge and Benefit, lER Advisory Paper No. S14, 2002. Vgl. Artikel 1 des GATT und Artikel 11 des GATS.
AuBenhandel
21
• in der Viererunion diirfen keine Produkte vom Freihandel ausgeschlossen werden und • die gegentiber Nichtmitgliedem erhobenen Zolle diirfen den Durchschnittszoll aller vier Mitglieder nicht iiberschreiten. Die Erfiillung beider Punkte durch die Viererunion erscheint eher unwahrscheinlich, da einerseits schon im Freihandelsabkommen zwischen den GUS-Staaten russische Energieexporte vom Freihandel ausgeschlossen waren und die Mitglieder der Viererunion sehr unterschiedliche Regelungen bezuglich des Handels landwirtschaftlicher Produkte anwenden. Andererseits wiirden die Anforderungen an die Kompatibilitat der Zolle der Viererunion und der WTO Russland als Mitglied der Viererunion zu einer deutlichen Senkung seiner Zolle zwingen, wozu Russland wohl kaum bereit ware, insbesondere angesichts seiner Verhandlungsmacht innerhalb der Viererunion.^ Tritt hingegen die Ukraine zuerst der Viererunion bei, so andert sich ihre Verhandlungsposition gegenuber der WTO, da ja die Ukraine ihre Handelspolitik zunachst an die Bedingungen der Viererunion anpassen muss. Der daraus erwachsende Zwang zu Nach- bzw. Neuverhandlungen mit der WTO wiirde erstens eine ukrainische Mitgliedschaft verzogem und zweitens im Zeitablauf eine starkere Integration in die Viererunion erschweren, da wiederum die Zollregelungen der Union gegenuber Nichtmitgliedem an die Anforderungen der WTO angepasst werden miissen. Die bei einem sequentiellen Beitritt (egal in welcher Reihenfolge) zu WTO und Viererunion auftretenden Probleme sprechen gegen eine Mitgliedschaft in beiden Abkommen. Da die Ukraine von einer Mitgliedschaft in der Viererunion nicht maBgeblich profitieren wiirde (vgl. hierzu Absatz 1 dieses Abschnitts), sollte ein schnellstmoglicher Beitritt zur WTO Ziel der ukrainischen Handelspolitik sein.
Zu Details vgl. Burakovsky/Pavel/Eremenko, Which Priority for Ukraine's Trade Policy? 'Single Economic Space (SES) vs. World Trade Organization (WTO), lER Advisory Paper No. T14, 2003, S. 5. Vgl. Burakovsky/Pavel/Eremenko, Which Priority for Ukraine's Trade Policy? 'Single Economic Space (SES) vs. World Trade Organization (WTO), lER Advisory Paper No. T14, 2003, S. 7.
22
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungcn in der Ukraine
4 Der Finanzsektor 4.1 Der generelie Aufbau des Bankensektors Vor der Unabhangigkeit bestand der ukrainische Bankensektor aus Tochtergesellschaften der wichtigsten sowjetischen Banken.^ Im Zuge einer Reorganisation der Staatsbank entstanden zwischen 1989 und 1991 in der Ukraine die Nationalbank der Ukraine (NBU) und funf spezialisierte GroBbanken, sowie bis 1996 ca. 230 mittelgroBe und kleine private Geschaftsbanken, deren Zahl sich bis zum Jahr 2000 auf 154 reduzierte (davon 14 mit auslandischer Mehrheitsbeteiligung).^ Die NBU ist seit 1992 Zentralbank des Landes und genieBt de jure Unabhangigkeit von der Regierung.^ Ihre Aufgaben sind es Geld in Umlauf zu setzen, Finanzstrome zu steuem, den Wechselkurs zu regulieren und Finanzinstitutionen zu iiberwachen. Die funf spezialisierten GroBbanken gingen aus den ehemaligen staatlich-sowjetischen Spezialbanken fiir die einzelnen Wirtschaftszweige hervor."^ Es sind: • die Bank fiir Industrie (Prominvestbank), • die Bank fiir Landwirtschaft (Bank Ukraina), • die Bank ftir soziale Infrastruktur (Ukrsozbank), • die AuBenhandelsbank (Export-Import-Bank EXIM) und • die Bank fur das private Sparen (Oschtschadnyj Bank), von denen die beiden letztgenannten ausschlieBlich, die drei ersten teilweise Staatseigentum sind. Jede dieser Banken hat eigene Zustandigkeitsbereiche. Beispielsweise Vgl. Mollers, Development of the Ukrainian Financial Sector: Proposals for Banking, Pension and Capital Market Reform, in: Siedenberg/Hoffmann (Hrsg.), Ukraine at the Crossroads: Economic Reforms in International Perspective, 1999. Vgl. Beyreuther/Mollers, Vorschlage fiir eine Bankenreform in der Ukraine, in: Hoffmann/ Siedenberg (Hrsg.), Aufbruch in die Marktwirtschaft: Reformen in der Ukraine von innen betrachtet, 1997; Vincentz, Entwicklung und Tendenzen der Finanzsysteme in Osteuropa, OEIM Working Paper No. 237, 2002 und EBRD Transition Report, 2001. Vgl. Beyreuther/Mollers, Vorschlage fiir eine Bankenreform in der Ukraine, in: Hoffmann/ Siedenberg (Hrsg.), Aufbruch in die Marktwirtschaft: Reformen in der Ukraine von innen betrachtet, 1997. Vgl. Beyreuther/Mollers, Vorschlage fiir eine Bankenreform in der Ukraine, in: Hoffmann/ Siedenberg (Hrsg.), Aufbruch in die Marktwirtschaft: Reformen in der Ukraine von innen betrachtet, 1997.
Der Finanzsektor
23
sind die Industrie- und die Landwirtschaftsbank in erster Linie Kontofiihrungsinstitute staatlicher Untemehmen und Farmen sowie Kreditgeber des industriellen und des landwirtschaftlichen Sektors. Die Bank fur das private Sparen hingegen fuhrt die Sparkonten privater Haushalte, wenige Konten mit auslandischer Wahrung und finanziert in einem kleineren Rahmen Immobiliengeschafte/ Die mittelgroBen und kleinen Geschaftsbanken in der Ukraine folgen im Prinzip dem sog. zweistufigen System, das eine klare Aufgabentrennung zwischen Zentralbank und Geschaftsbanken vorsieht und decken die fur Geschaftsbanken typischen Funktionen ab. Die mittelgroBen Banken sind mit General- bzw. Teilvollmachten zur Abwicklung von Devisengeschaften ausgestattet.^ 4.2 Die Schwachen des Bankensystems Die wohl gravierendsten strukturellen Schwachen des ukrainischen Bankensystems sind: • die Unterkapitalisierung der Mehrzahl der Banken und die sehr asymmetrische Verteilung des Stammkapitals (ca. 50 % des Stammkapitals des gesamten Sektors liegen in der Hand der o. g. funf staatlich dominierten GroBbanken), • zu wenig Wettbewerb bei der Kreditvergabe sowie • zu geringe Diversifizierung der Bankenstruktur und der Produkt- und Leistungspalette der Banken.^ Auch der Anteil Not leidender Kredite erschwert den (Wieder-)Aufbau eines flinktionsfahigen Bankensystems. Er betrug im Jahr 2000 in der Ukraine mehr als 30 % der gesamten Kredite."^ Verglichen mit den Landem Mittel- und Osteuropas^ ist auch der Anteil privater Eigner am Bankensektor (gemessen am Bilanzvolumen) sehr gering, Vgl. Shen, Ukraine's Economic Reform: Obstacles, Errors, Lessons, 1996. Vgl. Beyreuther/Mollers, Vorschlage fiir eine Bankenreform in der Ukraine, in: Hoffmann/ Siedenberg (Hrsg.), Aufbruch in die Marktwirtschaft: Reformen in der Ukraine von innen betrachtet, 1997. Vgl. Beyreuther/Mollers, Vorschlage fur eine Bankenreform in der Ukraine, in: Hoffmann/ Siedenberg (Hrsg,), Aufbruch in die Marktwirtschaft: Reformen in der Ukraine von innen betrachtet, 1997; Giucci/Sologub/Trebesch, Should Foreign Banks be Allowed to Open Branches in Ukraine?, lER Advisory Paper No. T35, 2004. Vgl. Vincentz, Entwicklung und Tendenzen der Finanzsysteme in Osteuropa, OEIM Working Paper No. 237, 2002. Bulgarien, Polen, Rumanien, Slowakei, Tschechische Republik und Ungam.
24
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
ebenso wie der Anteil auslandischer Beteiligungen. Beispielsweise betrug im Jahr 2000 der Auslandsanteil an der Bilanzsumme des Bankensystems in der Slowakei 76 % wahrend es in der Ukraine nur 6 % waren.^ Diese sehr geringe auslandische Beteiligung impliziert auch einen nur sehr eingeschrankten Know-How-Transfer, insbesondere im Bereich der Bewilligung, Abwicklung und Uberwachung von Kreditgeschaften. Betrachtet man den Monetarisierungsgrad der Wirtschaft und die Kreditvergabe an Private im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) so wird deutlich, dass das Finanz- und Bankensystem der Ukraine eher unterentwickelt ist. Gemessen am Anteil der Geldmenge M2 am BIP (18,1 % in 2000)^ ist die Geldversorgung in der Ukraine sehr niedrig. Ursache dafur ist allerdings nicht ein Mangel an Zentralbankgeld, denn der Anteil der Geldmenge Ml am BIP betragt in der Ukraine 12 %. Vielmehr ist die Liquiditatsknappheit auf eine geringe Funktionsfahigkeit des Bankensystems zuriickzufuhren,^ was besonders deutlich wird, wenn man die Vergabe von Krediten an Private betrachtet (vgl. Abbildung 4).
^ ^
Datenquelle: Bank Austria (2001), gefunden in: Vincentz, Entwicklung und Tendenzen der Finanzsysteme in Osteuropa, OEIM Working Paper No. 237, 2002, S. 26. Quelle: M F , International Financial Survey, 2001. Vgl. Vincentz, Entwicklung und Tendenzen der Finanzsysteme in Osteuropa, OEM Working Paper No. 237, 2002.
25
Der Finanzsektor
6fiA 52;^ '
49,8
48,3 I Ukraine D Tschechien
8,4
1993
1995
1997
1999
10,^
2000
Jahr Eigene Darstellung. Datenquelle: International Financial Survey, gefunden in Vincetz, Entwicklung und Tendenzen der Finanzsysteme in Osteuropa, OEIM Working Paper No. 237, 2002, Tabelle 9 Abbildung 4:
Bankkredite an Private in Prozent des BIP: Vergleich Ukraine - Tschechien'
Das niedrige Niveau der Kreditvergabe an Private ist im Wesentlichen auf zwei Faktoren zuriickzufuhren: erstens die Hohe der Kreditzinsen und zweitens die Hohe der Bankeinlagen, die w^eniger als 20 % des EU-Durchschnitts betragt. Der durchschnittliche nominale Kreditzins im Jahr 2002 betrug 25,3 %, wahrend sich der durchschnittliche nominale Guthabenzins auf 8 % belief.^ Letzterer ist eine Erklarung fiir die geringe Einlagenhohe. Eine zweite ist die Aussparung des Bankensystems bei Investitionen. Finanzmittel werden in der Regel direkt in den Betrieben angelegt. So betrug der Selbstfinanzierungsanteil an Investitionen in der Ukraine 1999 67,5 %, wahrend nur 7,5 % der Investitionen durch Bankkredite finanziert wurden.^ Insgesamt befindet sich das ukrainische Bankensystem in einem Teufelskreis. Zur Abdeckung der durch die Not leidenden Kredite (siehe weiter oben) v^eiter bestehenden Risiken erheben die Banken extrem hohe Kreditzinsen, was jedoch die Nachfrage
Tschechien wurde hier als Vertreter der Transformationslander Mittel- und Osteuropas ausgewahlt, weil dort der Finanzsektor schon recht gut entwickeh ist. Berechnet als arithmetisches Mittel der monatlichen Nominalzinsen, vgl. International Monetary Fund, Statistical Appendix Ukraine, 2003. Vgl. Vincentz, Entwicklung und Tendenzen der Finanzsysteme in Osteuropa, OEM Working Paper No. 237,2002,8. 48.
26
Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine
nach Bankkrediten stark schmalert. Der im Vergleich zum Kreditzins niedrige Guthabenzins hingegen leistet einen wesentlichen Beitrag zur geringen Einlagenhohe. Aufgrund der geringen Einlagenhohe sind die Banken nicht in der Lage, groBere Kredite zu vergeben. Unter diesen Umstanden konnen die Banken die recht hohe Gewinnmarge (gemessen an der Differenz der Soil- und Habenzinsen) nicht in tatsachliche Gewinne umsetzen. Damit ist das ukrainische Bankensystem trotz der hohen Zinsdifferenz nur scheinbar profitabel. Die schlechten Kreditrisiken konzentrieren sich auf die Banken. Ursache hierfiir ist der hohe Anteil von Krediten an marode staatliche Untemehmen und die zu geringe Durchsetzungsfahigkeit bei Not leidenden Krediten wegen fehlender okonomischer Sanktionen bei unwirtschaftlichen Untemehmen. Dringend notwendig ware also eine Beschrankung der Kredite an marode Untemehmen und wirtschaftliche Sanktionen fur defizitare Untemehmen, um den Anteil Not leidender Kredite zu reduzieren und damit eine Gesundung des Bankensektors zu ermoglichen. 4.3 Der Kapitalmarkt 4.3.1 Der Aktienmarkt Obwohl die Ukraine als einer der ersten der Nachfolgestaaten der Sowjetunion schon im Jahr 1991 ein „Gesetz zum Wertpapier- und Aktienhandel" erlasst, entwickelt sich ein Aktienmarkt nur sehr schleppend. Zunachst behindert das Fehlen entsprechender Ausfiihmngsbestimmungen die Anwendung des Gesetzes. Nur sehr eingeschrankte Fortschritte bei der Privatisiemng (siehe Abschnitt 2.2) und schlieBlich auch die Hyperinflation der Jahre 1993/94^ resultierten in einem Stillstand des sich sehr zaghaft entwickelnden Kapitalmarktes.^ Von wirklichem Wertpapierhandel kann eigentlich erst ab 1996 gesprochen werden, als ein offizieller Markt mit folgenden funf Institutionen entstand:
Vgl. zur Inflationsentwicklung u. a. Lissovolik, Determinants of Inflation in a Transition Economy: The Case of Ukraine, IMF Working Paper No. WP/03/126, 2003. Vgl. Mollers, Development of the Ukrainian Financial Sector: Proposals for Banking, Pension and Capital Market Reform, in: Siedenberg/Hoffmann (Hrsg.), Ukraine at the Crossroads: Economic Reforms in International Perspective, 1999.
Der Finanzsektor
27
• dem „First Security Trading System" FSTS, • dem „Ukrainian Stock Exchange" USE, • dem „Kiev International Stock Exchange" KISE, • dem ^Ukrainian Interbank Currency Exchange" UICE und • dem „Donetsk Stock Exchange" DSE, wobei das FSTS mit 89 % den groBten Beitrag zum Umsatz leistet. Gehandelt werden Aktienkapital, Schatzanweisungen, Solawechsel und Kommunalobligationen.^ Verglichen mit den Mitgliedsstaaten der Europaischen Wahrungsunion (EMU) ist sowohl die Marktkapitalisierung als auch die Umschlaghaufigkeit des ukrainischen Aktienmarktes extrem niedrig (vgl. Abbildung 5).
100 n 80 60
I Marktkapitalisierung I Umschlaghaufigkeit
40 20 0 Ukraine
EMU
Eigene Darstellung. Datenquelle: World Bank (2001), World Development Indicators, gefunden in Vincentz, Entwicklung und Tendenzen der Finanzsysteme in Osteuropa, OEIM Working Paper No. 237, 2002, Tabelle 12 Abbildung 5:
Marktkapitalisierung in Prozent des BIP und Umschlaghaufigkeit in Prozent der Marktkapitalisierung 2000
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Vgl. Mollers, Development of the Ukrainian Financial Sector: Proposals for Banking, Pension and Capital Market Reform, in: Siedenberg/Hojfmann (Hrsg.), Ukraine at the Crossroads: Economic Reforms in International Perspective, 1999.
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Insgesamt waren im Jahr 2000 nur 139 Untemehmen an der ukrainischen Borse notiert (an den Borsen der EMU-Lander waren es 2.485).^ Dies impliziert einen noch sehr geringen Beitrag des Aktienmarktes zur Versorgung der Untemehmen mit Kapital. 4.3.2 Rentensystem und Kapitalmarkt Wie in vielen Industrielandem basiert auch in der Ukraine die Altersversorgung de facto auf einem umlagefinanzierten^ Rentensystem.^ Dieses System ist durch intergenerative Umverteilung gepragt und sehr anfalHg gegeniiber demografischen Entwicklungen wie z. B. einer Uberalterung der Gesellschaft. Daneben hat das umlagefmanzierte Rentensystem einen weiteren Nachteil: im Gegensatz zum Kapitaldeckungsverfahren"^ bei der Rentenfmanzierung wird der Kapitalmarkt im Prinzip umgangen. Bei einer Beibehaltung der Umlagefmanzierung wird mittel- bis langfristig kein auf dem Kapitalmarkt handelbares Kapital akkumuliert. Mangels Masse steht dann der Kapitalmarkt als Finanzierungsquelle fur Untemehmen nur eingeschrankt zur Verfiigung. Dies bremst nicht nur die Entwicklung des in der Ukraine unterentwickelten Kapitalmarktes selbst, sondem wirkt sich letzten Endes auch auf das Wirtschaftswachstum aus.
Vgl. World Bank, World Development Indicators, 2001. Die von den Beschaftigten gezahlten Beitrage in die obligatorische staatliche Rentenversicherung werden direkt als Pension an die Generation der Rentner ausgezahlt (falls die finanziellen Mittel in den Rentenfonds nicht zur Erfullung aller Rentenanspriiche ausreichen, werden die Zahlungen aus Steuereinnahmen bezuschusst). Die Beitragszahler erhalten dafiir einen Anspruch auf zukunftige Rentenzahlungen. Vgl. Mollers, Development of the Ukrainian Financial Sector: Proposals for Banking, Pension and Capital Market Reform, in: Siedenberg/Hoffmann (Hrsg.), Ukraine at the Crossroads: Economic Reforms in International Perspective, 1999. Kapitaldeckungsverfahren: Rentenbeitrage werden zur Akkumulation eines Kapitalstocks genutzt, der dann im Rentenalter nur dem Beitragszahler zugute kommt (d. h. es gibt keine intergenerative Umverteilung). Die in die privaten Rentenfonds (z. B. bei Renteversicherem) eingezahlten Beitrage werden dann am Kapitalmarkt (hoffentlich ertragreich) investiert.
Der Finanzsektor
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4.4 Die aktuelle Politik der Nationalbank der Ukraine Die aktuelle Geld- und Wechselkurspolitik der NBU besteht aus drei Saulen:^ • zur Bedienung und Tilgung der Auslandschulden des ukrainischen Staates kauft sie per Saldo US-Dollar auf den Devisenmarkten (Nettointervention), • durch Kaufe und Verkaufe eines sog. „Uberschussangebots"'^ von US-Dollar fixiert sie den nominalen Wechselkurs zum US-Dollar (dieser liegt seit Dezember 1999 bei etwa 5,3 bis 5,4 UAH/US$), • die NBU betreibt eine expansive Geldpolitik. Die Kombination dieser drei Mafinahmen ist jedoch mittelfristig nicht vereinbar. Eine Beibehaltung der zweiten und dritten Politikkomponente fiihrt zu einer realen Aufwertung der heimischen Wahrung UAH, wodurch sich Handels- und Dienstleistungsbilanz verschlechtem. Damit wiirde jedoch das „Uberschussangebot" an US-Dollar verschwinden und eine Wechselkursfixierung ware nicht mehr moglich, da gleichzeitige weitere Nettointerventionen in einer nominalen Abwertung der UAH resultierten. Halt die NBU jedoch an ihrer Wechselkurspolitik fest, ist eine Beibehaltung der Nettointerventionen nicht mehr moglich. Es war aber gerade auch die Tilgung der Auslandsschulden, die zum Wachstumsschub der ukrainischen Wirtschaft in den letzten Jahren beitrug. Im Interesse einer nachhaltigen Stabilisierung des Wachstumspfades erscheint daher die Beibehaltung der Nettointerventionen und eine weniger rigide Wechselkursfixierung als durchaus empfehlenswert. Ein neuerer politischer VorstoB der NBU betrifft Niederlassungen^ auslandischer Banken in der Ukraine. Bisher waren derartige Niederlassungen im ukrainischen Bankensektor ausgeschlossen - im Gegensatz zu den meisten anderen Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas. Im Jahr 2004 hat die NBU dem Parlament einen
Vgl. Giucci, Zur aktuellen Geld- und Wechselkurspolitik der NBU, lER Advisory Paper No. 05, 2000. Dieses „trberschussangebot" existiert nur bei einem festen Wechselkurs! Eine Niederlassung ist sowohl juristisch als auch funktional integraler Bestandteil des auslandischen Stammhauses. Sie unterliegt anders als eine Tochtergesellschaft den Gesetzen des Heimatlandes und verfiigt i. d. R. nicht uber eigenes Grundkapital.
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Gesetzesvorschlag zur Zulassung von Niederlassungen auslandischer Banken unterbreitet.^ Fiir den ukrainischen Kapitalmarkt hatte diese Zulassung groBe Vorteile. Wegen des intensiveren Wettbewerbs wtirden im Bankensektor sowohl die Effizienz als auch der Know-How-Transfer zunehmen und auch der Zugang zu auslandischem Kapital erleichtert. Durch eine Diversifizierung und Erweiterung des Angebots an Finanzdienstleistungen sind auBerdem positive Impulse flir den Kapitalmarkt zu erwarten. Nicht zuletzt erwarten Befurworter der Zulassung auslandischer Niederlassungen auch positive Effekte auf den AuBenhandel. Davon abgesehen verlangt auch das GATS diese Zulassung. Strebt die Ukraine also weiterhin einen Beitritt zur WTO an, so kann sie ein Verbot auslandischer Niederlassungen nicht aufrechterhalten. Kritiker des Vorschlages sehen zwei Risiken: erstens die Gefahr, dass unseriose Banken auf den ukrainischen Markt streben und zweitens Risiken fiir die Stabilitat des Kapitalmarktes (hier wird i. d. R. eine „cut and run"-Mentalitat^ der auslandischen Banken unterstellt). Der Gesetzesvorschlag beinhaltet einige Restriktionen. So sollen nur Banken eine Niederlassung eroffnen dtirfen, deren Heimatlander mit der FATF^ kooperieren; deren Grundkapital weltweit mindestens 100 Mio. € betragt und die Niederlassungen miissen liber eine minimale Kapitalausstattung von 5 Mio. € verfiigen. Beide Forderungen sind dazu geeignet, nur den Zugang serioser Banken und ein Mindestinvestitionsvolumen sicherzustellen. Problematischer ist die Forderung im Gesetz, dass auslandische Niederlassungen hinsichtlich der Kapitaladaquanz den gleichen Vorschriften unterworfen sein sollen wie heimische Banken. Das bedeutet, dass sich die Berechnung des Limits der Kreditvergabe fur die Niederlassung an ihrer eigenen Kapitalausstattung und nicht am weltweiten Grundkapital der Bank orientiert. Damit sind die Moglichkeiten der Kreditvergabe beschrankt, da die Niederlassung die Ressourcen der Muttergesellschaft nicht nutzen kann. Es ist durchaus denkbar, dass diese Forderung im Gesetzesentwurf den Vgl. Giucci/Sologub/Trebesch, Should Foreign Banks be Allowed to Open Branches in Ukraine?, lER Advisory Paper No. T35, 2004. Der auslandische Geldanleger zieht bei ungiinstiger Entwicklung seiner Anlage (etwa wegen einer Finanzkrise) das Kapital ab. Es kame zu starkeren Kapitalabflussen aus dem Markt als bei heimischen Anlegem. Financial Action Task Force on Money Laundering.
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Anreiz auslandischer Banken, eine Niederlassung zu eroffnen, deutlich reduziert. Mit dem Ausbleiben auslandischer Niederlassungen blieben jedoch die positiven Impulse fur den ukrainischen Kapitalmarkt rein theoretischer Natur.
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5 Steuersystem und Fiskalpolitik 5.1 Das Steuersystem Das ukrainische Steuersystem beruht auf zwei Saulen: den „staatlichen" Steuem, die dem Budget der Zentralregierung zufliefien und den „regionalen" Steuem, die von den Lokalverwaltungen erhoben werden. Auf zentraler Ebene sind die wichtigsten Steuem die Umsatz (USt)-, die Korperschaft (KSt)- und die Einkommensteuer (ESt), sowie die Gmnd (GrSt)-, die Kraftfahrzeugsteuer und die Akzise (Verbrauchsteuer). Die wichtigsten lokalen Steuem sind dagegen die Werbesteuer und die Kommunalsteuer.^ Einen wesentlichen Beitrag zum Steueraufkommen leisten auch die Sozialversichemngsbeitrage (SVBtr), die dem Rentenfonds und verschiedenen Sozialversichemngsfonds^ zuflieBen sowie die Importzolle (Imp.Zolle). Am gesamten Steueraufkommen der Ukraine von 68.370 Mio. UAH im Jahr 2002 batten die aufkommensstarksten Steuem folgende Anteile (vgl. Abbildung 6).
Vgl. hierzu das „Gesetz der Ukraine uber das Steuersystem" Nr. 1251-XII vom 25.06.1991, Artikel 13und 14. Dazu gehoren: ein Fond zur Versicherung gegen voriibergehende Erwerbsunfahigkeit und Ausgaben wegen Geburt und Beerdigung (SVl), ein Fond zur Versicherung gegen Arbeitsunfalle und Berufskrankheiten (SV2) und die Arbeitslosenversicherung (SV3), vgl. Burakovsky/Betliy, Social Security System and Simplified Taxation in Ukraine: how should they be combined?, lER Advisory Paper No. Tl 1, 2003.
Steuersystem und Fiskalpolitik
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